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Title: Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 2. Hälfte
Author: Reinhardt, Ludwig
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 2. Hälfte" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert; Rechtschreibvarianten
    wurden nicht vereinheitlicht, sofern die Verständlichkeit
    des Textes dadurch nicht berührt wird. Fremdwörter und
    Transliterationen (vorwiegend aus dem Griechischen) wurden weder
    korrigiert noch vereinheitlicht.

    Einige Bildtafeln enthalten mehrere Abbildungen. Fußnoten wurden an
    das Ende des jeweiligen Kapitels gesetzt.

    Die gedruckte Fassung wurde in einer Frakturschrift gesetzt, in
    der die Großbuchstaben I und J identisch sind; die Auswahl in
    der vorliegenden Ausgabe erfolgte daher mitunter willkürlich.
    Im Sachregister wird nunmehr zwischen den Begriffen mit den
    Anfangsbuchstaben I und J unterschieden, was im Original nicht
    möglich war.

    Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden
    Sonderzeichen gekennzeichnet:

        Fettdruck: =Gleichheitszeichen=
        gesperrt:  +Pluszeichen+
        Antiqua:   ~Tilden~

    Das Caretsymbol (^) steht für nachfolgende hochgestellte Zeichen,
    welche von geschweiften Klammern umschlossen werden.

  ####################################################################



                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen

                               2. Hälfte



                        Die Erde und die Kultur

                   Die Eroberung und Nutzbarmachung
                      der Erde durch den Menschen

                    In Verbindung mit Fachgelehrten
                  gemeinverständlich dargestellt von

                        ~Dr.~ Ludwig Reinhardt

                         Bd. IV in zwei Teilen

                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen

                             München 1911

                     +Verlag von Ernst Reinhardt+



                   Kulturgeschichte der Nutzpflanzen

                                  von

                        ~Dr.~ Ludwig Reinhardt

                          Band IV,  2. Hälfte

          Mit 35 Abbildungen im Text und 76 Kunstdrucktafeln

                            [Illustration]

                             München 1911

                     +Verlag von Ernst Reinhardt+



                        Alle Rechte vorbehalten


                 Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig.



Inhalt der zweiten Hälfte.


                                                           Seite

    19. Die Futterpflanzen                                     1

    20. Die Faserpflanzen                                     32

    21. Die Baumwolle                                         93

    22. Die Farb- und Gerbstoffpflanzen                      113

    23. Der Kautschuk und die Guttapercha                    162

    24. Die Harze und Lacke                                  186

    25. Die duftenden Pflanzenharze                          210

    26. Die pflanzlichen Wohlgerüche                         239

    27. Die Arzneipflanzen                                   263

    28. Die Geschichte des Ziergartens                       381

    29. Die Zierblumen                                       425

    30. Die Zierbäume und Ziersträucher                      567

    31. Die Nutzhölzer                                       652

    32. Die nützlichen Wüstenpflanzen                        728

    33. Die Feinde der Kulturgewächse                        743



Tafelverzeichnis des ersten Bandes.


    Tafel                                                  Seite

    1. Getreidearten                                          16

    2. Alter Pflug; Die Entwicklung des Pfluges               16

    3. Dreschen in Galiläa                                    16

    4. Dampfdreschmaschine                                    16

    5. Dampfpflug                                             32

    6. Dampfpflug                                             32

    7. Mohrenhirse; Buchweizen                                48

    8. Reisfeld                                               48

    9. Singhalesen beim Pflügen                               56

    10. Reisfelder; Pflanzen des Reises                       56

    11. Entkernen des Reises; Dreschen des Reises             56

    12. Singhalesinnen b. Reisstampfen                        56

    13. Maisscheune der Zulu                                  64

    14. Maismühle der Zulu                                    64

    15. Längsspalier von Birnen                               81

    16. Kreuzspalier von Birnen                               81

    17. Blühende Mandelbäume; Traubenernte                    81

    18. Konservenfabrik Lenzburg                              81

    19. Maulbeerbäume; uralter Feigenbaum                    129

    20. Alter Ölbaumhain in Arco                             129

    21. Ölbaum in Antibes                                    152

    22. Olivenhain auf Capri; Dattelpalmen am Nil            152

    23. Dattelpalmen in Algier; Dattelernte in Algerien      168

    24. Kokospalme in Westafrika                             168

    25. Ölpalme; Zuckerpalme                                 176

    26. Kokospalmen; verschiedene Palmen                     176

    27. Arekanüsse; Sagopalmen                               176

    28. Auf Arekapalmen kletternde Inder                     176

    29. Talipotpalme                                         185

    30. Seychellenpalme; Victoria Regia                      185

    31. Fächerpalme                                          192

    32. Bananenhain; Verladung von Bananen                   192

    33. Mangobaum                                            201

    34. Brotfruchtbaum; Brotfrucht                           201

    35. Zweig der Brotfrucht                                 201

    36. Baobab; Malaienwohnung                               201

    37. Kolabäume                                            208

    38. Durian; Mangostane                                   208

    39. Tamarindenallee; Ananas                              208

    40. Melonenbaum                                          208

    41. Tropisches Gewächshaus                               216

    42. Fruchtladen auf Ceylon; Fruchtladen in Südindien     216

    43. Kastanienbäume; Alter Feigenbaum                     232

    44. Johannisbrotbaum; Zitronenhain in Salo               232

    45. Japanische Küche                                     289

    46. Japanischer Gemüsehändler                            289

    47. Artischockenpflanzung; Wassermelonen                 337

    48. Kürbisbaum                                           337

    49. Japanische Bäuerin; Japanischer
          Bauer                                              352

    50. Maniokpflanzung; Papyrusdickicht                     352

    51. Fufustampfen auf d. Goldküste; Yamsknollen
          auf Jamaika                                        368

    52. Yamsknollen; Frauen in Bonaberi                      368

    53. Champignonkultur bei Paris; Champignonernte          392

    54. Verarbeitung von Champignons                         392

    55. Szenerie aus dem Urwald; Schibutterbäume             416

    56. Karnaubapalme; Rizinuspflanzung                      416

    57. Wildes Zuckerrohr                                    441

    58. Zuckerrohrernte; Zuckerrohrernte                     441

    59. Liberiakaffee                                        465

    60. Liberiakaffee                                        465

    61. Pflücken der Teeblätter                              480

    62. Pflücken der Teeblätter                              480

    63. Singhalesinnen Tee verlesend                         480

    64. Trocknen der Teeblätter                              480

    65. Teestrauch                                           489

    66. Mateernte                                            489

    67. Kakaosaatbeete                                       512

    68. Junge Kakaopflanzung                                 512

    69. Kakaoernte                                           512

    70. Kakaobaum; Vanillestrauch                            512

    71. Vanillepflanzung                                     520

    72. Pfefferrebe                                          520

    73. Wilder Hopfen; Hopfengarten                          545

    74. Hopfenpflücker; gedörrter Hopfen                     545

    75. Zimtbaum; Schälen des Zimtrohrs                      577

    76. Muskatnüsse; Gewürznelkenbäume                       577

    77. Hydraulische Kelter; Moderne Weinfässer              625

    78. Faune nach Rubens; Champagnerkellerei                625

    79. Pulquegewinnung; Kokapflanze                         640

    80. Opiumraucher; Opuntie                                640

    81. Blühender Tabak                                      672

    82. Anlage einer Tabakpflanzung                          672

    83. Trockenscheune in einer Pflanzung                    672

    84. Reifer Tabak; Trockenscheune (Inneres)               672

    85. Sortieren der Tabakblätter                           680

    86. Fermentieren der Tabakblätter; Zigarettenfabrik      680

    87. Knetmaschinen                                        697

    88. Moderner Backraum                                    697

    89. Malztenne der Löwenbrauerei; Sudhaus der
          Löwenbrauerei                                      705

    90. Gärkeller der Löwenbrauerei; Lagerkeller
          der Löwenbrauerei                                  705

    91. Hofbräuhaus (außen)                                  705

    92. Hofbräuhaus (innen)                                  705



Tafelverzeichnis des zweiten Bandes.


    93. Künstliche Düngung                                    16

    94. Kuhweide                                              16

    95. Manilahanf; Manilahanf zum Trocknen                   56

    96. Sisalagaven                                           56

    97. Pineta; Papyrus                                       74

    98. Kapokbaum                                             74

    99. Produkte der Kokospalme                               88

    100. Bambus                                               88

    101. Riesenbambus                                         88

    102. Rotangpalme                                          88

    103. Baumwollpflanzung                                    96

    104. Baumwollspinnerin; Mexikanischer Seildreher          96

    105. Blauholzbaum; Rotholzbaum                           128

    106. Mangroven                                           128

    107. ~Hevea~; Einschneiden ders.                         168

    108. Anzapfen von Kautschukbäumen; Räuchern v.
           Kautschuk                                         168

    109. Indischer Gummibaum                                 176

    110. ~Kixia elastica; Castilloa elastica~                176

    111. Gummiwarenfabrik                                    176

    112. Guttaperchafiguren; Guttaperchabäume                176

    113. Rohterpentin; Destillation                          192

    114. Kaurifichte; Kopalbäume                             192

    115. Indischer Feigenbaum; japanische Lackarbeiter       208

    116. Fruchtschale                                        208

    117. Der el Bahri; Weihrauchbaum                         224

    118. Orangenblüten; Jasmin                               224

    119. Tuberosen; Rosenernte                               248

    120. Rosen; Rosendestillation                            248

    121. Schimmel & Co.                                      248

    122. Schimmel & Co.                                      248

    123. Lavendelöl                                          256

    124. Lavendelöldestillation                              256

    125. Baldrian; Arnica                                    288

    126. Tollkirsche; Rizinus                                288

    127. Süßholz; Rhabarber                                  320

    128. Gummi; Anschlagen                                   320

    129. Guajakholz; Botan. Garten                           336

    130. Kampfer; Stinkasantbaum                             336

    131. Chinabäume                                          352

    132. Kusso; Chinabaum                                    352

    133. Japanischer Tempelgarten; römischer Hausgarten      400

    134. Quirinal                                            400

    135. Villa d’Este                                        400

    136. Linderhof                                           400

    137. Rundtempel                                          416

    138. Chinesischer Turm                                   416

    139. Wasserfälle                                         416

    140. Tempelteich                                         416

    141. Wasserrose; Rosenstock                              464

    142. Tulpenpflanzung; Hyazinthen                         464

    143. Schwertlilien; Chrysanthemen                        488

    144. Glyzine; japanische Sänfte                          488

    145. Orchideen                                           496

    146. Blumenstand                                         496

    147. Nutz- und Ziergarten                                512

    148. Arbeiterwohnhaus-Garten                             512

    149. Blumengarten                                        512

    150. Nutz- und Ziergarten                                512

    151. Eibenzypresse                                       576

    152. Alte Eibe                                           576

    153. Zypressen; Hain von Steineichen                     576

    154. Pyramidenpappeln                                    576

    155. Johannisbeer-Anpflanzung                            648

    156. Zierbäume und Sträucher                             648

    157. Libanon-Zedern; Mammutkiefer                        672

    158. Querschnitt d. Mammutkiefer                         672

    159. Korkeiche                                           688

    160. Waldstudie                                          688

    161. Nadelholzwälder a. d. Isar                          688

    162. Holzflößerei                                        688

    163. Lindenallee                                         721

    164. Gefällter Mahagonibaum                              721

    165. Eisenholzbäume; junger Tiekbaum                     721

    166. Kohlenmeiler; Torfstich                             721

    167. Säulenkaktus                                        729

    168. Kakteenlandschaft; Säulenkaktus                     729



XIX.

Die Futterpflanzen.


Als die Germanen in das Licht der Geschichte traten, waren sie noch
kein ausgesprochen Ackerbau treibendes Volk, wie dies erst seit dem
Mittelalter der Fall ist, sondern Jagd und Viehzucht waren ihre
Hauptnahrungsquellen, neben denen der Pflanzenbau eine sehr bescheidene
Stelle einnahm. Persönliches Grundeigentum gab es bei ihnen noch nicht,
das Land gehörte vielmehr der Gesamtheit der Gaugenossen. Jede Sippe
erhielt ein Stück davon auf ein Jahr zur Bebauung zugewiesen, und
dieses wurde nun von den Frauen behackt und mit allerlei Nährfrüchten
wie Hafer, Gerste, Einkorn und etwas Flachs bepflanzt. Soweit Männer
zu solcher in ihren Augen erniedrigenden Arbeit zugezogen wurden,
waren es Kriegsgefangene, die man am Leben ließ, um sie als eine
Art Arbeitstiere zu verwenden. Die Freien trieben Viehzucht, soweit
nicht die leidenschaftlich gerne getriebene Jagd und der Krieg mit
den Nachbarstämmen, der mit Vorliebe in Form von Raubzügen ausgeübt
wurde, ihre Zeit in Anspruch nahm. Irgend welche schwere Arbeit war
ihnen zuwider, und wenn sie es irgendwie vermochten, lagen sie zu
Hause miteinander plaudernd auf den Bärenfellen und überließen die
Sorge für Haus, Herd und Land den Frauen und Hörigen, welch letzteren
naturgemäß alle schwere Arbeit zufiel. Die bescheidenen Hütten mit
aus Lehm verstrichenem Flechtwerk, die zu errichten ebenfalls den
Weibern oblag, wurden häufig gewechselt, um neue Weideplätze und
fruchtbaren, jungfräulichen Boden aufzusuchen. Düngung des Bodens war
noch unbekannt; daher wurde neuer Boden durch Abbrennen des darauf
wachsenden Gehölzes urbar gemacht, sobald das zuerst umgebrochene
Ackerland an Fruchtbarkeit nachließ.

Dieser halbnomadische Wirtschaftsbetrieb der alten Germanen wich erst
dann einer größere Ansässigkeit bedingenden Feldwirtschaft, als sich
der Strom der unruhig wandernden Stämme derselben an dem mit dem
berühmten Wall und Pfahlgraben, dem ~limes romanus~, umgebenen und von
römisch-gallischen Ansiedlern bewohnten Dekumatenland brach und die
nimmer Rastenden zwang, feste Wohnsitze einzunehmen. Ein Ausweichen
nach Norden und Osten gab es nicht mehr; denn verwandte Stämme saßen
schon hier, und von rückwärts drohten die nachdrängenden Slawen. Der
Not gehorchend und nicht dem eigenen Trieb mußten die Germanenstämme
ihr Wanderleben aufgeben, um sich durch einen geregelteren
Ackerbaubetrieb neue und reichere Quellen zur Befriedigung ihrer
Bedürfnisse zu erschließen; denn die Zahl des Volkes wuchs, die Jagd
auf den beschränkten, zur Verfügung stehenden Gebieten wurde weniger
einträglich, und zur Gewinnung der nötigen Nahrungsmittel mußte eine
intensivere Feldbebauung, welche mehr und mehr auch die Kräfte der
freien Männer in Anspruch nahm, eingeführt werden.

Die Anleitung zu rationellerem Pflanzenbau und neue Kulturgewächse
erhielten die an den ~limes~ angrenzenden Stämme begreiflicherweise
zuerst von den auf höherer Wirtschaftsstufe stehenden Ansiedlern des
Dekumatenlandes. Zwischen den neuen Nachbarn entwickelte sich bald ein
reger Verkehr, der sich während eines zweihundertjährigen Friedens
immer lebhafter gestaltete, bis die Völkerwanderung mit ihren zahllosen
gewaltigen Kämpfen längere Zeit anhaltende Völkerverschiebungen
bewirkte. Als diese dann ausgetobt hatte, waren die einst so
wanderlustigen Stämme teils aufgerieben, teils von den fremden Völkern,
mit denen sie sich mischten, absorbiert und ihrem Volkstum angepaßt,
teils auch durch die starke Beeinflussung des an Kultur weit höher
stehenden Römertums für eine ansässige, sich vorzugsweise auf den
Landbau stützende Lebensweise gewonnen.

Schon zur Zeit des römischen Geschichtschreibers Cornelius Tacitus
(54-118 n. Chr.), der uns die erste ausführlichere Schilderung von
der Lebensweise und den Anschauungen der Germanenstämme gab, begann
in Germanien das Bedürfnis nach fester Ansiedelung sich in weiteren
Kreisen geltend zu machen. Jede Sippe besaß damals bereits einen
Anteil an Wald, Wiese und Ackerland als Sondereigentum, woneben der
gemeinschaftliche Flurbesitz der gemeinen Mark oder Allmende weiter
bestehen blieb. Hofstätte und Anrecht an Ackerland und Allmende
wurden zusammen mit dem Ausdruck Hufe oder Hub benannt. Die damalige
Betriebsform war die Feldgraswirtschaft, wobei jedes Stück Land nur
ein Jahr bepflanzt wurde, um dann mehrere Jahre hindurch als Wiese oder
Weide brach zu liegen. Damals war die Viehzucht noch viel wichtiger als
der Ackerbau, der noch sehr primitiv mit dürftigem Ackergerät ausgeübt
wurde.

Einen entschiedenen Fortschritt brachte die zu Beginn des
Mittelalters aufkommende, wahrscheinlich von den Römern übernommene
Dreifelderwirtschaft, die sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
in fast unveränderter Form erhielt. Sie bestand darin, daß man
ein Drittel des Ackerlandes brach liegen ließ, damit sich der
Boden erhole und durch das Hineinhacken oder -pflügen des auf ihm
gewachsenen Unkrautes, soweit es nicht vom Vieh abgeweidet wurde,
gedüngt werde. Das zweite Drittel wurde mit Wintergetreide und das
letzte Drittel mit Sommerfrucht bepflanzt. Dieser Wechsel von Winter-
und Sommergetreide gestattete die Feldarbeiten besser über das Jahr
zu verteilen. Besondere Verdienste um die Verbreitung dieser neuen
Betriebsweise erwarb sich Karl der Große, der in seinen Verordnungen
über die Bewirtschaftung der königlichen Domänen seinen Beamten genaue
Vorschriften machte, immer mit dem Zweck, seine musterhaft geleiteten
Güter möchten den bäuerlichen Betrieben als Vorbild zur Nacheiferung
dienen. Seinem guten Beispiel sind nachher vor allem die Klöster mit
ihren klugen und umsichtigen Mönchen gefolgt und haben damit viel zur
Hebung der Landwirtschaft beigetragen. Auch ihre Güter lieferten den
umliegenden Bezirken ein nachahmenswertes Beispiel. Besonders aber
beförderten die Klöster den Garten-, Obst- und Weinbau, die vornehmlich
persönliche Sorgfalt lohnten. Selbst die um das 10. Jahrhundert
einsetzende Städtegründung hatte einen fördernden Einfluß auf die
Landwirtschaft; denn die hinter Mauern Schutz suchenden Bürger blieben,
soweit sie sich nicht einem besonderen Handwerk zuwandten, Bauern, und
ihr außerhalb der Ringmauern gelegener Besitz erfreute sich bald einer
hohen Kultur, die wiederum hauptsächlich dem Garten- und Obstbau zugute
kam.

Dadurch, daß alle Brach-, Winter- und Sommerfelder auf je einer
zusammenhängenden Fläche lagen, die zunächst noch Eigentum der
Markgenossenschaft blieb und erst nach und nach in den Besitz von
einzelnen Familien überging, bestand ein gewisser Flurzwang, indem
die Arbeit von allen Genossen, die ein bestimmtes Stück Land zur
Bebauung erhalten hatten, gleichzeitig ausgeführt werden mußte. Ebenso
nachteilig auf die Entwicklung der Landwirtschaft wie dieser Flurzwang
wirkten auch die sozialpolitischen Verhältnisse, vor allem die
zahlreichen, alle Kultur zerstörenden und keinen rechten Fortschritt
aufkommen lassenden Kriege und Fehden der Machthaber untereinander,
unter denen die Bauern in erster Linie zu leiden hatten, und der sich
immer mehr ausbildende Gegensatz zwischen Privat- und Gemeindebesitz.
Durch ausgiebige Belehnung von seiten der Könige für geleistete
Dienste gelangte einerseits der Adel, und durch reiche Schenkungen
der um ihr Seelenheil besorgten Begüterten die Kirche zu ausgedehntem
Landbesitz, während das Bauerntum seit den Staufenkaisern mehr und mehr
verarmte. Die durch diese ungünstigen Verhältnisse genährte allgemeine
Unzufriedenheit der Landbevölkerung machte sich beim Erwachen der
Geister zur Reformationszeit in den verschiedenen Bauernaufständen
Luft; doch half ihr diese Auflehnung, die von den Herren aufs
blutigste geahndet wurde, nicht nur nichts, sondern verschlimmerte
noch wesentlich ihre Lage. Diese wurde im Laufe des 30jährigen Krieges
geradezu trostlos. Nicht nur wurde die Bauernschaft um alle Habe
gebracht und ihr Zug- und Nutzvieh fast ganz vernichtet, sondern in
der allgemeinen Unsicherheit auch die Äcker nicht mehr bepflanzt, da
keine Saat mehr vorhanden war oder das Zugvieh fehlte und die endlosen
Beraubungen den Leuten allen Mut zur Bestellung ihrer Felder nahmen.
Wozu auch säen, wenn doch nicht zu ernten war! So bedeckte sich die
unbebaute Flur weithin mit Gestrüpp, die Wiesen verschlammten, Haus
und Hof wurden zerstört oder verfielen, weil die Bewohner getötet oder
in völliger Verarmung verzogen waren. Zahlreiche einst betriebsame
Ortschaften verschwanden vom Erdboden, ihr einstiges Dasein nur noch
in gewissen Flurbezeichnungen zurücklassend. Dafür hausten Tausende
heimatlos Gewordener in Wald und Einöde. Und wer dem allgemeinen
Elend der Zeit trotzte und auf der elterlichen Scholle ausharrte,
der gewöhnte sich an elende Wohnung, dürftige Nahrung und schlechte
Behandlung, verlor allen Lebensmut, allen Drang zur Arbeit, die ja doch
nicht lohnte, nahm von der zügellosen Soldateska, mit der er verkehrte,
rohe Sitten und gewalttätiges Wesen an. Die Folge war, daß die Bauern
von den Grundherren immer mehr verachtet und bedrückt, ja vielfach bis
zur Leibeigenschaft herabgewürdigt wurden.

Im allgemeinen brachte erst das 18. Jahrhundert bessere Zeiten
für die Landwirtschaft, indem ihr einzelne Fürsten größere
Aufmerksamkeit schenkten, Ackerbaugesellschaften sich bildeten und
Kommissionen eingesetzt wurden, um über Verbesserungen im Betrieb zu
beraten. Die erste Anbahnung eines Fortschritts brachte die große
französische Revolution, indem sie eine weitgehende Änderung der
Untertänigkeitsverhältnisse in allen Kulturstaaten Mitteleuropas
herbeiführte und die Herren zwang, auch den unterdrückten Bauern einige
Menschenrechte zuzuerkennen. Dadurch hob sich langsam der ganze Stand,
man gab sich mehr Mühe, die Bodenverhältnisse durch Entwässerung,
soweit Versumpfung vorlag, oder Bewässerung in trockenen Lagen zu
verbessern, die Erträge der Felder durch Einführung von Fruchtwechsel
und größere Sorgfalt in der Bereitung und Verwendung des Düngers zu
steigern. Hierin ging Preußen allen anderen Staaten Deutschlands
voran, und, wie sein haushälterischer Vater, war besonders Friedrich
der Große nach der heilsamen Schulung, die er während seiner Küstriner
Verbannungszeit in der Administration des Landes durchgemacht hatte,
eifrig besorgt, die Einkünfte seiner Gebiete zu vermehren und den
allgemeinen Wohlstand zu heben. Um die schwachbevölkerten Landesteile
mit wertvollem Menschenmaterial zu beleben, suchte er wie schon sein
Vater möglichst viel Fremde ins Land zu ziehen und durch Einführung
neuer Industrien und Kulturpflanzen sein Land zu bereichern und vom
Auslande möglichst unabhängig zu machen, damit das Geld im eigenen
Lande bleibe. Die Zuzügler erhielten mancherlei Reiseunterstützung,
Hilfsgelder für den ersten Anbau auf geschenktem oder möglichst
billig überlassenem Land, das öde lag, Befreiung von den staatlichen
und kommunalen Lasten je nachdem auf 2-15 Jahre, wie auch Befreiung
vom Militärdienst auf drei Generationen. Außerdem genossen sie, die
vielfach wegen religiöser Bedrückung ihre alte Heimat verlassen hatten,
völlige Religionsfreiheit. Nach einem bekannten Ausspruche des großen
Monarchen sollte ein jeder seiner Untertanen „nach seiner eigenen
Fasson selig werden“.

Diese meist mit wertvollen Kenntnissen ausgestatteten Zugereisten
wurden meist auf Domänen, seltener auf Rittergütern angesiedelt. Um
keine unheilvolle Latifundienwirtschaft, wie in den meisten anderen
Kulturstaaten, aufkommen zu lassen, forderte der einsichtsvolle
Preußenkönig eine Aufteilung größerer, in einer Hand vereinigter
Ländereien, ja schon größerer Bauerngüter unter mehrere Söhne oder
sonstige Erben. In kleinere Besitztümer verwandelt, mußte das Land
intensiver bearbeitet werden und lieferte so weit höhere Erträge.
Zwischen Dörfern, deren Flur sich zu weit erstreckte, als daß sich
der Anbau noch recht lohnte, wurden neue gegründet, deren Bewohner
schon durch die größere Nähe ihr Land besser bewirtschaften konnten.
In noch höherem Maße als sein Vater ließ er durch Austrocknung von
Sümpfen und Urbarmachung von Ödländereien neues Kulturland gewinnen,
das mit fleißigen Ansiedlern besetzt wurde. Vielfach wurde der
Gemeindebesitz an Wiesen unter die nachweislich dazu Berechtigten
aufgeteilt. Auch er suchte durch eine möglichst gute Verwaltung der
Domänen vorbildlich zu wirken. In Verbindung mit dem Streuen von Mergel
zur Verbesserung des Bodens wurde die Anwendung des Tiefpfluges, der
Anbau von Futterkräutern, von Hopfen und namentlich Kartoffeln, wie
auch die Einführung von Hühner- und Bienenzucht empfohlen. Die Pflege
des Obstbaues wurde dadurch gefördert, daß Gärtner eingesetzt wurden,
die das Landvolk unentgeltlich in der Pflege und Veredelung der
Obstbäume zu unterrichten hatten. Endlich bemühte sich der König um
die Anpflanzung von Färberwaid, um den teuren ausländischen Indigo zu
ersetzen, um diejenige des mährischen Flachses und besonders des weißen
Maulbeerbaums für die Zucht der Seidenraupe, um das Rohmaterial für die
von den französischen Emigranten im westlichen Gebiet seines Reiches
eingeführte Fabrikation von Seidenstoffen zu gewinnen. Für letzteres
Unternehmen mußte allerdings der schließliche Erfolg ausbleiben, da die
Naturbedingungen für das Gedeihen dieses für die Kälte empfindlichen
südlichen Gewächses in Preußen fehlten.

Dem fortschrittlichen Preußen gegenüber waren die anderen Kulturstaaten
des europäischen Kontinents im Rückstand; einzig England, das durch
keine Kriege von längerer Dauer in seiner Kulturentwicklung gestört
wurde, war im rationellen Ausbau seiner Landwirtschaft etwas weiter
fortgeschritten. Bald aber wurde es von Preußen nicht nur eingeholt,
sondern sogar überflügelt. Dieser folgenschwere Umschwung, der bald
allen deutschen Landen und schließlich der ganzen Kulturwelt zugute
kam, ist in erster Linie dem Auftreten +Albrecht Thaers+ (sprich tär)
zu verdanken. Dieser überaus verdienstvolle Mann wurde am 14. Mai 1752
in Celle im preußischen Regierungsbezirk Lüneburg als Sohn eines Arztes
geboren, der ebenfalls das Medizinstudium ergriff und sich in seiner
Vaterstadt als Arzt niederließ, wo er bald reichlich Beschäftigung
fand. In seinen Mußestunden beschäftigte er sich schon früh mit
naturwissenschaftlichen Studien und widmete sich dem Gartenbau, der mit
der Zeit ein solches Interesse in ihm erweckte, daß er diese Tätigkeit
seiner ärztlichen vorzuziehen begann. Diese seine Vorliebe für die
Natur brachte ihn auch in Berührung mit den wichtigsten Fragen des
Ackerbaues, und seinem klaren Verstande konnten die Schäden, an denen
die damalige Landwirtschaft krankte, nicht lange verborgen bleiben.
Sein Interesse für diese wuchs derart, daß er ein kleines Landgut in
der Nähe von Celle erwarb, das als Versuchsgut dienen sollte, um alle
theoretischen Auffassungen jener Zeit auf ihren praktischen Wert hin zu
prüfen. Er benutzte ferner die landwirtschaftliche Literatur fremder
Länder, namentlich diejenige Englands, dessen Agrikultur eine ähnliche
Krisis hatte durchmachen müssen, um seine Kenntnisse zu bereichern und
sie dann seinem Vaterlande zur Verfügung zu stellen. Mehrere Schriften
landwirtschaftlichen Inhalts machten ihn bald weithin bekannt und
viele junge Leute kamen nach Celle, um seinen Wirtschaftsbetrieb zu
studieren und von ihm zu lernen. So entstand von 1802-1804 das erste
landwirtschaftliche Institut in Celle. Sein Bemühen, eine größere
Domäne in der Nähe Göttingens zu pachten, um dort seine Lehrtätigkeit
in noch ausgedehnterem Maße zu entfalten, scheiterte am Widerstande
der verpachtenden Behörde. So folgte denn Thaer einem ehrenvollen Rufe
König Friedrich Wilhelms III. nach Preußen. Er erwarb das im Kreise
Niederbarnim gelegene Rittergut Möglin, wo er 1806 eine Akademie des
Landbaus errichtete, die 1824 zu einem königlichen Institut erhoben
wurde. Im Jahre 1828 starb dann der um die Allgemeinheit so überaus
verdiente Mann.

Die Verdienste, die sich Albrecht Thaer um die deutsche Landwirtschaft
erworben hat, sind sehr vielseitiger Art. Sein Hauptverdienst ist,
daß er die Naturwissenschaften in den Dienst der Landwirtschaft
stellte und in Anwendung der aus ihnen gezogenen Lehren vor allem
die veraltete Dreifelderwirtschaft abschaffte und an ihre Stelle
die Fruchtwechselwirtschaft stellte, mit einem Wechsel von Halm- zu
Blattfrüchten, insbesondere den Schmetterlingsblütlern, den Wurzel-
und Knollengewächsen. Er machte auf die Bedeutung einer eingehenden
Buchführung aufmerksam, führte bessere Geräte und Maschinen, die
Drillkultur, d. h. das Aussäen in Reihen, meist mittels Maschinen, den
Hackfruchtbau und eine Vermehrung des Kartoffelbaus ein. Er schaffte
die Brache ab, die von da an dem Anbau lohnender Gewächse Platz
machte. Auch auf die günstigen Wirkungen der Mergelung und vermehrten
Stallmistdüngung machte er aufmerksam und führte die Stallfütterung
ein. Bedeutungsvoll ist auch seine Mitwirkung bei der gesetzlichen
Regelung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, der Teilung
der Allmenden und der Zusammenlegung von Grundstücken, die erst eine
Fruchtwechselwirtschaft ermöglichte. Die Vorzüge dieser letzteren
gegenüber den anderen Wirtschaftssystemen liegen vor allem darin, daß
die Bodenkräfte des Ackers durch den stetigen Wechsel von Blatt- und
Halmfrucht, von Pflanzen mit tief in den Boden eindringenden Wurzeln
mit solchen, deren Wurzeln sich nur flach ausbreiten, besser ausgenützt
werden. Es findet keine einseitige Erschöpfung des Bodens statt, wie
dies der Fall ist, wenn stets dieselben Pflanzen auf ein und demselben
Grundstück aufeinander folgen.

Bei der Vielseitigkeit der anzubauenden Pflanzen läßt sich daher der
Fruchtwechsel bei allen Klima-, Boden- und Wirtschaftsverhältnissen
anwenden. Der je nach der Größe der Viehhaltung größere oder geringere
Anbau von Futterpflanzen, namentlich Klee, machte den Landwirt
unabhängig von Wiesen und Weiden. Die Einführung von Blattpflanzen in
die Fruchtfolge bedingt ferner, daß der Boden stark beschattet wird
und damit feucht, locker und verhältnismäßig rein von Unkraut bleibt;
dadurch wird eine Brache fast in allen Fällen überflüssig.

Die Lehren Albrecht Thaers und seiner Schüler, die lediglich das
Resultat sorgfältig durchgeführter praktischer Versuche waren,
denen aber die wissenschaftliche Begründung zum Teil fehlte,
hatten bewirkt, daß während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
eine große Umwälzung in der Art des Betriebes der Landwirtschaft
eintrat. Bald gingen größere wie kleinere Betriebe von den
veralteten einfachen Wirtschaftsweisen zur Fruchtwechselwirtschaft
oder doch zu einem verbesserten Wirtschaftssystem über. Diese
Entwicklung der Landwirtschaft nahm auch in der zweiten Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts ihren Fortgang, besonders da es gelungen
war, die durch praktische Versuche erworbenen Erfahrungen durch
die Naturwissenschaften wissenschaftlich zu begründen und aus
der weiteren Entwicklung der Wissenschaft neue Gesichtspunkte im
landwirtschaftlichen Betrieb zu verwerten. Agrikulturchemie und -physik
einerseits, und Pflanzenphysiologie andererseits wirkten unter Führung
von Männern wie Liebig, Knop, Wolny, Sachs, Hellriegel, Kühn, Orth und
andern in hohem Maße befruchtend, und in den weitesten Kreisen brach
sich die Überzeugung Bahn, daß nur durch das innigste Zusammenarbeiten
von Wissenschaft und Praxis ein weiteres Emporblühen der Landwirtschaft
möglich ist. Diesem Fortschritt dienen in erster Linie die zahlreichen,
in allen Kulturstaaten eingerichteten landwirtschaftlichen Schulen und
Versuchsinstitute, für deren rationellen Betrieb namentlich +Julius
Kühn+ sich große Verdienste erwarb. Dieser Mann ist geradezu der
Schöpfer des modernen landwirtschaftlichen Universitätsstudiums, so
daß er es wohl verdient, daß wir hier etwas eingehender von ihm reden.
Dieser am 14. April 1910 im 85. Lebensjahre gestorbene Gründer der
landwirtschaftlichen Anstalt der Universität Halle a. S. wurde am 22.
Oktober 1825 als Sohn eines Landwirts zu Pulsnitz in der sächsischen
Oberlausitz geboren. Von Jugend auf war der lebhafte Wunsch in ihm
rege, gleichfalls Landwirt zu werden, und schon als kleiner Junge
begleitete er seinen Vater, der damals Wirtschaftsinspektor in Gosda
bei Spremberg war, auf seinen Gängen durch die Ställe und Felder. Mit
einer für einen jungen Landwirt seiner Zeit ausgezeichneten Vorbildung
trat er 1841 bei einem der hervorragendsten Landwirte seiner engeren
Heimat, Blochmann in Wachau, als Ökonomielehrling ein. Von 1848 an war
er selbständig tätig und beschäftigte sich damals besonders mit dem
Studium der Düngung und der verschiedenen Pflanzenkrankheiten. Die
Ergebnisse der letzteren veröffentlichte er 1858 unter dem Titel: „Die
Krankheiten der Kulturgewächse, ihre Ursachen und ihre Verhütung“.
Im Jahre 1861 erschien die im Jahre zuvor von der Schlesischen
Gesellschaft für vaterländische Kultur preisgekrönte Schrift: „Die
zweckmäßigste Ernährung des Rindviehs vom wissenschaftlichen und
praktischen Standpunkte“, ein Werk, das in 12 deutschen Auflagen und
zahlreichen Übersetzungen Jahrzehnte hindurch die Führung auf dem
Gebiet der landwirtschaftlichen Fütterungslehre behielt. 1862 nahm
er eine Berufung an die an der Universität Halle neu zu errichtende
Professur für Landwirtschaft an, nachdem er kurz vorher einen gleichen
Ruf nach Berlin abgelehnt hatte, „weil er wegen des Umfangs der
Großstadt und der Lage derselben eine ersprießliche Wirksamkeit für
seine Wissenschaft hier nicht zu erhoffen haben würde“. Im ersten
Semester hatte er 3 Zuhörer, im folgenden 20, dann 56 und bereits im
fünften Semester überstieg die Zahl der in Halle studierenden Landwirte
die Besuchsziffer der ältesten und meistbesuchten Lehranstalten
Deutschlands. 1871 war die Zahl der in Halle studierenden Landwirte
mit 218 größer als an allen landwirtschaftlichen Lehranstalten
Preußens insgesamt. Nachdem sich unter Kühns Führung die Eingliederung
des Studiums der Landwirtschaft in die Universität so glänzend
bewährt hatte, wurden in der Folge auch an anderen Universitäten
landwirtschaftliche Institute nach Halleschem Vorbild ins Leben
gerufen. Trotzdem nahm, obgleich auch an anderen Universitäten die
Zahl der studierenden Landwirte von Jahr zu Jahr wuchs, der Besuch der
Landwirtschaftlichen Anstalt der Universität Halle noch stetig bis
in die Gegenwart zu, so daß bis zum Sommer 1909 fast 8000 Landwirte
daselbst studiert hatten. Dieser beispiellose Erfolg beruht in erster
Linie auf der Bedeutung Kühns als Lehrer und Forscher. Die Verbindung
eines umfassenden naturwissenschaftlichen Wissens mit einer reichen
landwirtschaftlichen Erfahrung gab seiner Lehr- und Forschertätigkeit
ihre inhaltliche Bedeutung und war die Ursache seiner so ungemein
erfolgreichen Wirksamkeit.

Außer Kühn ist noch als besonders erfolgreicher Lehrer der vom großen
Reformator Thaer begründeten Landwirtschaftswissenschaft +Albert
Orth+ von der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin zu nennen,
der jetzt in seinem 76. Lebensjahre auf ein 50jähriges Wirken als
landwirtschaftlicher Dozent und auf 46 Jahre Hochschultätigkeit
zurückblickt. Er wurde am 15. Juni 1835 zu Lengefeld bei Corbach
geboren, studierte zu Göttingen und Berlin, war von 1860-65 Oberlehrer
an der Landwirtschaftlichen Lehranstalt Boberbeck, promovierte 1868
zu Göttingen, wurde 1870 Dozent in Halle a. S. und wirkt seit 1871
als Professor an der damals „Landwirtschaftliches Institut“ genannten
Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Er ist Begründer des
Laboratoriums für Bodenkunde, publizierte eine Schrift über „Kalk- und
Mergeldüngung“ und nahm wertvolle wissenschaftliche Bodenuntersuchungen
des Rüdersdorfer Kalkdistrikts vor. Er schuf sechs Wandtafeln für
Bodenkunde, die typischen Bodenprofile des deutschen Flachlandes
betreffend, machte auch mit einem Fachgenossen eine Bodenaufnahme
der Pontinischen Sümpfe zwischen Rom und Neapel, die erste ihrer
Art. Als Vorsteher des agronomisch-pedologischen Instituts der
Landwirtschaftlichen Hochschule pflegte er vornehmlich die Erforschung
und die Lehre von der Bodenbeschaffenheit in ihren Beziehungen zum
Pflanzenleben, ein Verhältnis, dessen enorme Wichtigkeit für den
landwirtschaftlichen Betrieb auch dem Laien ohne weiteres klar sein
dürfte. Studienausflüge in Landwirtschaftsgegenden ergänzen das bei
ihm gebotene theoretische Studium; auch bieten die Rieselfelder
der Stadt Berlin prachtvolle Modelle für die Bewässerungs- und
Entwässerungslehre, Muster für sehr bedeutende Aptierungs- und
Dränierungsarbeiten. Ein für das Studium höchst wichtiges Hilfsmittel
ist das von Orth während der letzten 25 Jahre mit erheblichen eigenen
Geldopfern errichtete Museum, das unschätzbares Illustrationsmaterial
zum Unterricht beisteuert. Darin sind unter anderem in einem
Bodenschrank 60 typische, geologisch geordnete Bodenprofile des
Deutschen Reiches enthalten, ferner das Wurzelherbarium der wichtigsten
landwirtschaftlichen Kulturgewächse auf bis 4 m hohen Tafeln unter
Glas, eine Sammlung, die in den Jahren 1882 und 1883 von Orth im
Sandboden der Berliner Talebene mit Hilfe der Assistenten aufgenommen
wurde. Kein Besucher Berlins, der sich für diesen wichtigsten Zweig
der menschlichen Erkenntnis interessiert, sollte es unterlassen, diese
Sehenswürdigkeit der Reichshauptstadt zu besichtigen.

In neuester Zeit hat neben dem Studium der chemischen Beschaffenheit
des Bodens besonders dasjenige der Bodenbakterien und deren Einfluß auf
das gute Gedeihen der Pflanzen eine große praktische Bedeutung erlangt.
Zahlreiche Arten derselben, besonders die sich in den Wurzelknöllchen
der Leguminosen ansiedelnden und daselbst den Stickstoff der Luft,
der sonst für die Pflanze unbrauchbar ist, durch Verwandlung in
salpetersaure und salpetrigsaure Salze nutzbar machenden Rhizobien
oder Wurzellebewesen werden heute im großen in Reinkultur gezüchtet
und zur Besiedlung des Bodens an Stelle von Düngung bei der Kultur
der Leguminosen verwendet. Auch die frühere Brache hat im Grunde nur
auf dem ruhigen Sichvermehrenlassen solcher stickstoffvermehrender
Bakterien der verschiedensten Arten beruht. So fand schon der
französische Chemiker Berthelot in seinen grundlegenden Versuchen,
daß sich in liegengelassenen dürren Blättern durch die reichliche
Entwicklung solcher ein Zuwachs an Stickstoff nachweisen ließ, und
daß 50 kg Ackererde auf demselben Wege in sieben Monaten einen
Zuwachs von 12,7 g Stickstoff erlitten. Alle diese winzigen, meist
einzelligen Pilze, die teils sauerstoffbedürftig sind, teils ohne
solchen gedeihen, sind vom Vorhandensein kohlenstoffhaltiger Nahrung
abhängig, da sie die Kohlensäure der Luft nicht zu assimilieren
vermögen. Sie können also nur dort gedeihen, wo sich Pflanzen
finden, die ihnen diese Nahrung liefern.[1] Besonders kommen dafür
winzige grüne Algen in Betracht, die sich überall in den obersten
Bodenschichten finden, wohin das für die Zerlegung der Kohlensäure der
Luft und die Assimilation des Kohlenstoffs nötige Sonnenlicht dringt.
Eine solche Vergesellschaftung von stickstoffassimilierenden Pilzen
und kohlenstoffassimilierenden Algen ist eine Pflanzengenossenschaft,
die von allen chemischen Bedingungen so gut wie unabhängig ist, da
sie sich gegenseitig alles zum Leben Nötige, außer dem aber sonst
in der Regel reichlich zur Verfügung stehenden Wasser, liefern. In
besonders inniger Vergesellschaftung finden sie sich speziell in
der Flechtengenossenschaft, die bei der ersten Besiedlung nackten
Gesteines, um es nach und nach zur Wohnstätte höheren Pflanzenlebens
vorzubereiten, eine überaus wichtige Rolle im Haushalte der Natur
spielt. Für allen höheren Pflanzenwuchs ist ihre Tätigkeit unbedingt
erforderlich, weil die stickstoffsammelnden Bakterien beim Zerfall
ihrer Leiber nach dem Tode den in ihnen aufgespeicherten Stickstoff den
Pflanzen ebenso nutzbar machen, wie jeden andern organischer Substanz
entstammenden Stickstoff. Und zwar geht die Ansammlung solchen durch
sie aus der Luft kondensierten Stickstoffs erfahrungsgemäß in schweren
Böden besser vor sich als in leichten, weil sich in letzteren die
nicht minder allgegenwärtigen denitrifizierenden Bakterien leichter
vermehren und durch ihr gutes Gedeihen dem durch jene bewirkten
Nitrifikationsprozeß entgegenarbeiten. Von wie großer praktischer
Wichtigkeit eine Förderung dieser Stickstoffsammlung des Bodens
ist, zeigt die einfache Erwägung, daß die deutsche Landwirtschaft
jährlich über 100 Millionen Mark für Stickstoffdünger ausgibt, die zum
allergrößten Teil für Chilisalpeter außer Landes gehen. Auf diesem
Felde lassen sich noch große praktische Erfolge erzielen, die der
Landwirtschaft in der Zukunft zugute kommen werden. Vor allem soll man
durch reichliche Lüftung und Besonnung des Bodens, durch ausgiebiges
und tiefes Umgraben die Ansiedlung dieser Wohltäter der Menschheit
begünstigen.

Außer dem Stickstoff gehören auch Phosphorsäure, Kalk und Kali zu den
wichtigsten Nährstoffen der Pflanzen, deren reichliches Vorhandensein
geradezu erntebestimmend für die meisten Kulturen wirkt. Die
Phosphorsäure spendet man den Feldern in Form von Knochenpulver oder
neuerdings meist zerstampfter Thomasschlacke, in welcher das dem Eisen
beim Thomasverfahren entzogene Phosphor angesammelt wurde. Den Kalk
gibt man, wenn er nicht genügend im Boden selbst enthalten ist, in
Form von Kalkmergel und das Kali in Form der sogenannten Abraumsalze,
so genannt, weil man diese früher beim Graben nach Kochsalz als
unbrauchbaren Abfall abräumte, bis man dann die überaus große
Bedeutung derselben als Nährstoff für die Landwirtschaft erkannte,
und nun vielmehr die Kalisalze ausbeutet und die dabei entstandenen
Hohlräume mit dem viel weniger wertvollen Kochsalz ausfüllt. Diese
Kalisalzlager, die sich in Schichten der Zechsteinperiode (Dyas) um
den Harz herum erstrecken und in Staßfurt zuerst 1857 beim Bohren
nach Kochsalz in großer Menge gefunden wurden, bilden ganz eigentlich
den viele Milliarden Mark an Wert umfassenden Reichtum Deutschlands.
Andere Bodenschätze, wie vor allem die verschiedenen Metalle, haben
auch andere Länder aufzuweisen; aber Kalisalze besitzt bis jetzt nur
Deutschland, was für seine Landwirtschaft einen unendlich wertvollen
Schatz bedeutet, um so mehr diese immer mehr zur Verbesserung der Böden
und dadurch zur Erhöhung des Ernteertrags zur Anwendung gelangen.

Gerade in unserer Zeit, da die außerordentlich verbesserten
Transportgelegenheiten die Einfuhr von billigem Getreide aus dem
Ausland einen starken Zurückgang der Getreidekultur und dafür ein
Überhandnehmen der Milchwirtschaft als besser rentierend bewirkte,
spielt der Anbau von Futterpflanzen für die zahlreichen, fast
ausnahmslos Gras fressenden Haustiere eine sehr große Rolle in der
Landwirtschaft. Deshalb besitzen die Futterpflanzen als Kulturpflanzen
des Menschen eine zunehmende Bedeutung für ihn. Unter ihnen sind
vor allem die verschiedenen Grasarten schon so lange in Kultur, als
der Mensch überhaupt Ackerbau und Viehzucht treibt; denn nur bei
vollständiger Sicherheit, stets genügendes Futter wie für sich selbst,
so auch für die ihm unentbehrlichen Haustiere zur Hand zu haben, war es
möglich, daß einigermaßen eng beieinander wohnende Menschen in größerem
Maße Viehzucht treiben konnten.

Wenn wir auch nicht mehr mit Sicherheit die ältesten Futterpflanzen
der Kulturmenschheit bestimmen können, so kann doch keinerlei Zweifel
darüber herrschen, daß diese unter den in 3500 Arten über die ganze
Erde verbreiteten Gräsern zu suchen sind, die auch die wichtigsten
Getreidearten lieferten. Wie in großer Artenzahl finden sie sich
in der größten Menge der Individuen besonders in der nördlichen
gemäßigten Zone, wo sie vorzugsweise die niedrige Vegetationsdecke,
den Hauptbestandteil der Steppen, und in Form von Wiesen auch der vom
Menschen geschaffenen Kultursteppe bilden. Gegen den Äquator nimmt zwar
die Zahl der Grasarten zu, aber die Menge der Individuen ab. Ganz auf
die Tropen beschränkt sind die gigantischen baumartigen Formen wie die
Bambusse. Die südliche Halbkugel ist etwas weniger reich an Gräsern als
die nördliche, die in dieser Beziehung besonders bevorzugt ist. Gegen
die Pole zu wie auch in den höheren Gebirgsregionen nehmen die Gräser
an Zahl ab und verschwinden allmählich ganz.

In der Ebene und den tieferen Gebirgslagen treten gewisse Gräser
wiesenbildend auf, andere machen im Schatten der Wälder den
Hauptbestandteil der niedrigen Vegetation aus, wieder andere wachsen
nur auf dürrem, sandigem oder steinigem Boden, auf Heiden usw.
Da die auf Sandboden wachsenden Gräser mit weithin kriechenden,
ausläuferreichen Wurzelstöcken versehen sind, werden sie mit
Vorliebe zur Verfestigung sandiger Ufer und Straßenböschungen, von
Eisenbahndämmen, Festungswällen usw. und zur Bindung des Flugsandes auf
den Dünen angebaut.

Früh schon hat der zu höherer Kultur emporgestiegene Mensch durch
Rodung von Wäldern nicht nur Ackerland, sondern auch Wiesen zum
Weiden seines Viehs gewonnen. Aber erst spät und nur durch dichtere
Besiedlung der von ihm besetzten Gebiete kam er auch dazu, durch
das Schneiden und Trocknen der die Wiesen vorzugsweise besiedelnden
Grasarten sich Vorräte an Viehfutter für den Winter in Form von +Heu+
anzulegen. Die ältesten Nachrichten, die wir von den Kulturvölkern des
Altertums haben, gehen nicht über die Mitte des letzten vorchristlichen
Jahrtausends zurück. So berichtet der um 50 v. Chr. die ethnographisch
geordnete Geschichte fast aller damals bekannten Völker bis 60 v. Chr.
in 40 Büchern schreibende griechische Historiker Diodoros aus Sizilien,
daher Siculus genannt, bei der Schilderung der persischen Geschichte:
„Als die Phönikier sich gegen den persischen König Artaxerxes (A.
I., zweiten Sohn des Xerxes, der von 465-425 v. Chr. regierte;
unter ihm begann der Verfall des Reichs) empörten, begannen sie die
Feindseligkeiten damit, daß sie im großen königlichen Park, in welchem
die persischen Könige ihren Aufenthalt zu nehmen pflegten, die Bäume
umhieben und das Heu verbrannten, wovon die Satrapen ein Magazin für
ihre Kavallerie angelegt hatten.“ Daß nun die Perser bei ihrem so
ausgedehnten Postdienst und bei der zahlreichen von ihnen unterhaltenen
Reiterei Fouragemagazine besaßen, kann uns nicht weiter wundern. Auch
die Griechen und Römer haben solche teils für Militär-, teils für
Friedenszwecke errichtet. Heuvorräte für den Winter anzulegen, war
schon im klassischen Altertum ein wichtiges Geschäft für den Landmann,
wie uns schon der ältere Cato (234-149 v. Chr.), der unversöhnliche
Feind von Roms machtvoller Nebenbuhlerin, Karthago, berichtet. Eine
ausführliche Schilderung der Heuernte bei den alten Römern gibt uns
der zu Gades (dem heutigen Cadix) in Spanien gebürtige römische
Ackerbauschriftsteller Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. in seinem
Buche über den Landbau, worin er sagt: „Der Landmann bedarf für sein
Vieh mancherlei Futter, namentlich aber Heu (~foenum~, im französischen
~foin~ noch erhalten). Daher muß er auch seine Wiesen, denen die alten
Römer den ersten Rang in der Landwirtschaft einräumten, gehörig hegen
und pflegen. Marcus Portius (der eben genannte Cato) hebt besonders
hervor, daß die Wiese keinen Schaden durch Wetterschlag leidet wie
die Feldfrüchte, daß sie einen sehr geringen Aufwand erfordert und
doch jährlich ihren Ertrag gibt, und zwar einen doppelten, indem sie
ebensoviel frisches Gras als Futter, wie Heu für die Scheuer liefert.
-- Wir unterscheiden trockene Wiesen und bewässerte Wiesen. Ist der
Boden fruchtbar und fett, so bedarf er keiner Bewässerung, und das
darauf gewonnene Heu gilt für besser, wenn es auf einem von Natur
fruchtbaren Boden gewachsen und nicht nur durch Wasser hervorgelockt
ist. Das letztere muß jedoch auf magerem Boden geschehen, und wo Wasser
zu Gebote steht, kann auch der magerste als Wiese benutzt werden.
Übrigens darf man weder eine Vertiefung wählen, in der sich das Wasser
sammelt, noch einen steilen Abhang, an welchem es rasch herabfließt.
Ein sanfter Abhang dagegen schadet nicht. Am liebsten hat man aber doch
eine Fläche, die sich ein wenig senkt, so daß der Regen und künstlich
darauf geleitetes Wasser ganz allmählich hinuntersickern. An sumpfigen
Stellen muß das Wasser in Gräben abgeleitet werden; denn ein Übermaß an
Wasser ist ebenso schlimm für das Gras, wie ein Mangel daran.

Die Kultur der Wiesen erfordert mehr Sorgfalt als Anstrengung. Erstens
darf man auf ihnen weder Baumstrünke, noch Sträucher, noch Dornbüsche,
noch allzustarkes Gras dulden. Dergleichen muß im Herbst ausgerottet
werden, wie z. B. Brombeerstauden, Gesträuch und Binsen, oder im
Frühjahr, wie Cichorien (~intubum~). Schweine dürfen auf der Wiese
nicht weiden, weil sie den Boden aufwühlen; auch darf schweres Vieh
auf ihnen nur gehen, wenn der Boden trocken ist, weil sonst die Hufe
zu tief einsinken und die Wurzeln des Grases beschädigen. -- Magere
Abhänge müssen im Februar bei abnehmendem Monde mit Mist gedüngt
werden. Alle Steine und sonstigen Dinge, die der Sichel im Wege sein
könnten (Sensen kannte man im Altertum noch nicht), müssen abgelesen
werden. Alte, mit Moos (~muscus~) überzogene Wiesen befreit man von
diesem, indem man es auskratzt und dann Grassamen aus der Scheuer
aufstreut, oder indem man Mist auffährt; jedoch ist Asche das beste
Mittel, um Moos auszurotten.

Das Gesagte bezieht sich auf Wiesen, die schon als solche vorhanden
sind. Kommt es dagegen darauf an, neue anzulegen oder verdorbene neu
in Stand zu setzen, so ist es oft vorteilhaft, den Boden erst zu
pflügen; denn eine alte Wiese gibt, wenn sie umgepflügt ist, oft einen
hohen Ertrag. Es wird also ein solches zur Wiese bestimmtes Stück
Land im Sommer mehrmals mit dem Pfluge gewendet, dann im Herbst mit
Rüben (~rapum~), Raps (~napus~) oder Saubohnen (~faba~) besät und im
folgenden Jahre mit Getreide. Im dritten wird es dann sorgsam gepflügt
und mit Wicken (~vicia~), die mit Heusamen (~semen foeni~) gemengt
sind, besät. Hierauf werden die Schollen mit Hacken kleingeschlagen und
mit Eggen geebnet, auch werden die kleinen Hügel, die sich da bilden,
wo man die Egge wendet, dem Boden gleich gemacht, damit gar nichts
zurückbleibt, woran die Sichel des Mähers (~foenisex~) sich stoßen
könnte. Die Wicke bleibt so lange stehen, bis sie ganz reif ist und
schon eine Anzahl Samen auf den Boden hat fallen lassen. Dann wird sie
samt dem Grase gemäht, in Bündel gebunden und weggeschafft. Ist der
Boden fest, so kann man ihn nun wässern, wenn Wasser zu haben ist.
Ist er aber locker, so darf man nicht eher eine größere Menge Wasser
darauf fließen lassen, als bis er dicht mit Graswurzeln durchzogen ist,
sonst würde das Wasser die Erde mitnehmen und die Wurzeln des Grases
bloßlegen. Auch das Vieh darf nicht auf die junge Wiese gehen. So oft
das Gras emporgewachsen ist, wird es mit Sicheln (~falx~) geschnitten.
Erst im zweiten Jahr gestattet man nach der Heuernte (~foenisicium~)
dem kleinen Vieh, auf eine solche Wiese zu gehen, wenn sie trocken und
zur Weide günstig gelegen ist. Im dritten Jahr kann auch das große Vieh
auf ihr weiden, wenn sie fest geworden ist. Noch ist darauf zu sehen,
daß die magersten und die höchsten Stellen der Wiese im Februar mit
Heusamen und Mist beworfen werden. Ist die Höhe gedüngt, so führt der
Regen oder die Bewässerung die Nährkraft auch auf die tieferliegenden
Teile. Aus eben diesem Grunde düngt man die Höhen der Äcker stärker als
die Tiefen.

[Illustration:

    Tafel 93.

Wirkung der künstlichen Düngung auf den Heuertrag.

Links beginnend: 1. Ohne Düngung. 2. Mit Superphosphat. 3. Mit Kainit
und Superphosphat.]

[Illustration:

    Tafel 94.

Rotbuchen-Kuhbüsche (vorderster Busch 3,5 m hoch) von der Weide des
Hüttenwasens beim Feldberg im Schwarzwald, wie die Geißtannli der
schweizerischen Alpenweiden durch beständiges Abgefressenwerden der
jungen Triebe durch das weidende Vieh entstanden. (Nach Photogramm von
L. Klein aus den Vegetationsbildern von G. Karsten und A. Schenck.)]

Das Heu wird am besten zur Zeit geschnitten, da es erwachsen, aber
noch nicht dürr ist; man bekommt dann mehr davon und es gibt ein
wohlschmeckenderes Futter für das Vieh ab. Beim Dörren hat man darauf
zu achten, daß es weder zu trocken, noch zu frisch eingefahren wird.
Das allzu trockene ist strohartig, das allzu frische geht in der
Scheuer (~tabulatum~) in Fäulnis über, erhitzt sich auch oft so, daß
Feuer daraus emporschlägt. Wird geschnittenes Heu auf der Wiese vom
Platzregen durchnäßt, so läßt man es ruhig liegen, bis es obenweg
wieder von der Sonne getrocknet ist. Erst dann wird es gewendet und,
wenn es auf beiden Seiten getrocknet ist, auf Schwaden (~striga~)
gebracht und in Bündel (~manipulus~) gebunden. Nun bringt man es so
bald als möglich unter Dach oder baut, wenn solches nicht möglich
ist, Schober (~meta~, so hieß übrigens auch der als Ziel oder
Wendepunkt dienende kegelförmige Stein in der Rennbahn) aus ihm, die so
spitzig als möglich sein sollen. So wird das Heu am besten vor Regen
geschützt; auch haben die Schober, abgesehen vom Schutz gegen Regen,
das Gute, daß das Heu in ihnen schwitzt und so die noch vorhandene
Feuchtigkeit verdunsten läßt. Auch wenn man Heu unter Dach bringt, tut
man gut daran, es zunächst nur lose aufzuschichten und es erst später,
nachdem es geschwitzt hat, festzutreten, da, wo es bleiben soll.“

Der fruchtbarste und bedeutendste Gelehrte Roms, Marcus Terentius
Varro (116-27 v. Chr.) schreibt in seinem Buche über den Landbau:
„Hört das Gras (~herba~) der Wiesen (~pratum~) auf zu wachsen und
beginnt vor Hitze dürr zu werden, so muß es mit Sicheln abgeschnitten
werden, dann wendet man es mit Gabeln, bis es dürr ist, bindet es
in Bündel und fährt es in das Landhaus (~villa~). Nun kratzt man
die Stoppeln (~stipula~) von der Wiese mit Harken und legt sie zum
Heuvorrat (~foenisicia~). Ist dies geschehen, so werden die Wiesen
noch gesichelt, d. h. es wird noch das mit den Sicheln weggeschnitten,
was die Heumäher (~foenisex~) beim ersten Schnitt haben stehen lassen,
nach welchem die Wiese noch ganz höckerig aussieht.“ Palladius im 4.
Jahrhundert n. Chr. rät die als Weide dienenden Wiesen (~pascuum~) im
August in Brand zu stecken, damit die Sträucher (~frutex~) bis auf
den Strunk (~stirps~) abbrennen und die Gräser nach dem Brande um so
freudiger wieder aufsprießen. Auch rät er die Scheuern nicht bloß
trocken und luftig, sondern auch weit genug vom Landhaus weg zu bauen,
damit letzteres im Falle eines Brandes nicht gefährdet werde.

In welch hohen Ehren der Landbau bei den Römern noch in der Kaiserzeit
stand, das bezeugt uns Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.), der uns in
seiner Naturgeschichte bezeugt: „Auch bei den Ausländern hat es für
eine passende Beschäftigung für Könige und Feldherrn gegolten, über den
Landbau zu schreiben. Das haben z. B. die Könige Hiero, Philometor,
Attalus und Archelaos, die Feldherrn Xenophon und Mago der Punier
getan. Als das römische Heer Karthago erobert hatte (146 v. Chr.),
schenkte unser Senat die dortigen Büchersammlungen den kleinen Fürsten
Afrikas; die 28 kleinen Schriften des Mago (lebte etwa um 520 v. Chr.)
aber hielt er in Ehren und ließ sie ins Lateinische übersetzen,
obgleich der ältere Cato damals schon über den Landbau geschrieben
hatte. -- Auch unter den Weltweisen, den ausgezeichneten Dichtern, den
berühmten Schriftstellern sind tüchtige Landwirte gewesen. Ich habe
deren Namen in der Einleitung zu meinem Buche genannt, erwähne aber
ganz besonders den Marcus Varro, der sich noch in seinem 81. Lebensjahr
entschloß, über die Landwirtschaft zu schreiben.“

Derselbe Plinius aber bemerkt zur Tatsache, daß die römischen Landgüter
zu seiner Zeit nur noch durch die infolge der zahlreichen Kriege im
Überfluß auf den Sklavenmarkt geworfenen Kriegsgefangenen bearbeitet
wurden: „In alter Zeit bebauten unsere Feldherrn mit eigener Hand ihre
Felder, und man darf wohl annehmen, daß sich die Erde selbst über den
mit Lorbeer bekränzten Pflug und den durch Triumphe berühmten Pflüger
gefreut habe. Dem Serranus wurden seine Ehrenstellen übertragen, wie
er gerade mit Säen (~serere~) beschäftigt war, und so erhielt er jenen
Namen. Dem Cincinnatus überbrachte der Staatsbote (458 v. Chr.) die
Diktatur, wie er seine vier Joche Landes am Vatikan pflügte; sie heißen
noch jetzt die Qintischen Wiesen (er hieß nämlich Lucius Qinctius
Cincinnatus). -- Heutzutage wird das Land von Sklaven bearbeitet, deren
Füße gefesselt, deren Hände verdammt und deren Gesichter gebrandmarkt
sind. Das kann die Erde doch nur mit Widerwillen dulden.“

Neben den Gräsern spielte die +Luzerne+ (~Medicago sativa~) schon bei
den Kulturvölkern des Altertums eine nicht unwichtige Rolle. Dieser
Schmetterlingsblütler mit bläulichen oder violetten Blüten in lockeren
Trauben und spiralig zusammengerollten Hülsen ist vom südwestlichen
Rußland durch Asien bis zur Mongolei, Tibet und Vorderindien heimisch,
während die ihr nahe verwandte gelbblühende Abart, der +Sichelklee+
(~Medicago falcata~), von Mittel- und Südeuropa bis zum nördlichen
Sibirien und nach Zentralasien wildwachsend vorkommt. Die Luzerne ist
ein sehr wertvolles Futterkraut, das so gut wie niemals versagt und
sehr viele Jahre hindurch einen unverminderten Ertrag gibt, weshalb sie
auch als „ewiger Klee“ bezeichnet wird. Sie kann auf gutem Boden bei
uns jährlich viermal, in Südeuropa sogar sechsmal geschnitten werden.
Die Kreuzung derselben mit dem einheimischen gelbblühenden Sichelklee
hat die ihrem Ursprung gemäß häufig Farbenübergänge von Gelb nach
Violett zeigende +Sandluzerne+ (~Medicago media~) hervorgebracht, so
genannt, weil sie noch auf magerem Boden mit Vorteil angebaut werden
kann.

Im rossereichen alten Medien, der Landschaft südöstlich vom
Kaukasus, scheint die Luzerne zum erstenmal in größerem Umfange als
Pferdefutter angepflanzt worden zu sein; wenigstens gelangte sie von
dort zu den Kulturvölkern der Mittelmeerländer, zu den Griechen als
~mēdikḗ póa~ oder einfach ~mēdikḗ~ und von diesen zu den Römern als
~medica~. Die, wie vorhin gesagt, einen außerordentlich ausgedehnten
Gebrauch vom Pferd für die zahlreiche Kavallerie und den Postdienst
machenden Perser nannten sie ~aspest~, d. h. Pferdefutter, pflanzten
sie ebenfalls viel an und sollen sie auf ihren Kriegszügen nach
dem Urteil des Plinius nach Griechenland verbreitet haben. Von den
griechischen Schriftstellern erwähnt sie zuerst der Komödiendichter
Aristophanes (455-387), und zwar gleichfalls als Pferdefutter. Auch
Aristoteles (384-322) spricht wiederholt von ihr, urteilt aber in
ziemlich abfälliger Weise von ihrem Nutzen: „Sie ist zwar den Bienen
zuträglich, aber ihr erster Schnitt taugt nichts und sie entzieht den
Tieren, besonders den Wiederkäuern, die Milch.“ Die Römer urteilten,
nachdem sie dieses Futterkraut von den Griechen kennen gelernt hatten,
günstiger darüber. Cato (234-149 v. Chr.) kannte es offenbar noch
nicht, denn er schweigt sich vollständig über die Luzerne aus. Der
erste, der sie erwähnt, der gelehrte Varro (116-27 v. Chr.), sagt von
ihr, daß die Schafe durch die Fütterung mit ~medica~, deren Samen
beim Säen wie Getreide geworfen werde, wie auch mit dem baumförmigen
Schneckenklee (~cytisus~) fett werden und viel Milch geben. Sehr
eingenommen von ihr ist besonders der römische Ackerbauschriftsteller
Columella aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., der von ihr schreibt: „Unter
allen Futterkräutern ist das medische Kraut (~herba medica~) von
höchstem Wert, da es, einmal gesät, zehn Jahre ausdauert, jährlich
vier-, bisweilen auch sechsmal geschnitten werden kann, das Feld düngt,
mageres Vieh fett und krankes gesund macht. Von einem Morgen Luzerne
können drei Pferde das ganze Jahr hindurch reichlich genährt werden.“
Er gibt uns eine ausführliche Schilderung seines Anbaues auf dreimal
gepflügtem Feld, das zuvor gut gedüngt worden sein muß. Nach der
Aussaat dürfe das Kraut nicht mit Eisen berührt werden, deshalb jäte
man es mit hölzernen Hacken. Später könne man es so klein schneiden als
man will, nur dürfe man nicht dem Vieh von vornherein zu viel davon
geben, da es sonst blähe; es müsse sich zuerst daran gewöhnen. Sein
Zeitgenosse, der aus Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides
sagt von der Luzerne, jeder Landmann, der Vieh hält, pflanzt sie
an, und Plinius rühmt von ihr, daß sie 30 Jahre ausdauere und so
wichtig sei, daß der Grieche Amphilochos (aus Athen) über sie und den
baumförmigen Schneckenklee ein Werk geschrieben habe. Auch Palladius
im 4. Jahrhundert n. Chr. weiß nur Gutes von ihr zu berichten. Um die
Mitte des 6. Jahrhunderts legte der sassanidische König Chosroes
I. eine hohe Steuer auf ihre Kultur, was bei der großen Bedeutung
der Pferdezucht im Lande Iran für das Volk sehr drückend, aber für
ihn recht einträglich war. Später verbreiteten dann die Araber ihre
Kultur weithin über Nordafrika, und durch die Kulturvölker Europas
gelangte sie in der Neuzeit über die ganze Erde. Und zwar erlangte sie
überall deshalb eine große Bedeutung, weil sie diejenige Futterpflanze
ist, die in den Subtropen und Tropen am besten gedeiht und die
sichersten Erträge gibt. Dabei hält sie 4-10 Jahre aus und gewährt 3-4
Heuschnitte jährlich. Neben dem Grünmais ist sie eine der wertvollsten
Futterpflanzen für wärmere Gegenden.

Wie der Anbau der Luzerne um 490 durch die Perser nach Griechenland und
zwischen 150 und 50 v. Chr. von Griechenland nach Italien gelangte,
so kam er etwa hundert Jahre später von dort nach Spanien, von wo er
dann im 16. Jahrhundert nach Frankreich eingeführt wurde. 1565 treffen
wir ihn in Belgien. Die Provenzalen aber erhielten diese Futterpflanze
von der Riviera, wohin sie ums Jahr 1550 von Italien her gelangt war,
und nannten sie nach dem italienischen Ort Clauserne, woraus dann
Luzerne wurde. Letzterer Name stammt indessen erst aus der Mitte des
18. Jahrhunderts; früher wurde sie burgundisch Heu oder welscher Klee
genannt. Um 1570 fand sie durch Wallonen in der Rheinpfalz Eingang;
doch machte ihr Anbau im 17. Jahrhundert kaum Fortschritte. Um 1730
tauchte sie, wahrscheinlich von Mainz aus dahin gelangend, plötzlich in
Erfurt auf und verbreitete sich von da weiter über Deutschland.

Als Futterpflanze nicht minder beliebt als die Luzerne war bei den
alten Griechen und Römern der in den Mittelmeerländern heimische,
aber daselbst nicht allgemein verbreitete, jedoch um Smyrna, auf
den ägäischen Inseln, in Griechenland und Süditalien wildwachsende
+baumförmige Scheckenklee+ (~Medicago arborea~), von den Griechen
~kýtisos~ und in Anlehnung daran von den Römern ~cytisus~ genannt.
Wie in China und später auch anderwärts der weiße Maulbeerbaum für
die Nahrung der Seidenraupe, so wurde in Griechenland und Italien im
Altertum dieser strauchförmige Lippenblütler nur seiner Blätter wegen
an den Wegrändern und als Einfassung von Äckern angepflanzt, um diese
als beliebtes Viehfutter zu verwenden. Man köpfte ihn und zog ihn
niedrig, benutzte also vorzugsweise den immer erneuten Stockausschlag.
Acht Monate im Jahr lieferte der Baum den Tieren grünes Futter, das
ihnen nach dem einstimmigen Urteil der alten Schriftsteller sehr
zuträglich sein und ihre Milchabsonderung befördern sollte, und den
Rest des Jahres Trockenfutter. Dabei war die Kultur sehr bequem und
mühelos, da sich die Pflanze mit dem magersten Boden begnügte und gegen
noch so große Trockenheit unempfindlich war. In dieser Weise drücken
sich Columella und Plinius aus, wobei der letztere noch hinzufügt, bei
solchen großen Vorzügen sei es „nur zu verwundern, daß der ~cytisus~
in Italien nicht häufiger angepflanzt werde. Dieser Strauch stammt
von der Insel Kythnos (einer der ägäischen Inseln) und wurde von da
zum großen Gewinne der Käsebereitung nach Griechenland und von dort
nach Italien verpflanzt. In Italien ist er aber noch selten, obschon
das Vieh bei keinem andern Futter mehr und bessere Milch geben soll.
Man sät im Frühjahr die Samen oder steckt im Herbst Stecklinge, am
besten ellenlange.“ Selbst säugenden Frauen gebe man eine Abkochung
von Cytisusblättern mit Wein, wodurch auch das Kind gestärkt und sein
Wuchs befördert werde. Auch in Spanien muß der Strauch zur Römerzeit
angepflanzt worden sein; denn dort wird er heute verwildert angetroffen.

Überhaupt wurde bei den Alten auch verschiedenes anderes +Laub+ als
Viehfutter verwendet. Da dem heißen, gebirgigen Süden die blumenreichen
Wiesen des Nordens versagt sind, lag es nahe, dem Vieh nicht nur die
bei der Beschneidung von Ölbaum und Rebe abfallenden Zweige, sondern
auch die Blätter von den die Wege und Äcker einfassenden Bäumen als
Futter zu geben, wie das dürre Laub als Streu diente. Schon der ältere
Cato (234-149 v. Chr.) erteilt in seiner Schrift über den Landbau die
uns seltsam klingende Vorschrift: „Gib den Ochsen Laub von Ulmen,
Pappeln, Eichen und Feigenbäumen, so lange du davon hast. -- Den
Schafen gib Baumlaub, so lange du solches hast“ und wiederholt später:
„Hast du kein Heu, so gib dem Ochsen Eichen- und Efeublätter.“ Auch
bei den späteren landwirtschaftlichen Schriftstellern wird diese Art
Fütterung so oft erwähnt und vorausgesetzt, daß sie allgemein üblich
gewesen sein muß.

Neben der Luzerne spielte bei den Griechen und Römern des Altertums
auch die von den ersteren thérmos, von den letzteren dagegen ~lupinus~
genannte +Lupine+ eine große Rolle als Viehfutter. Wie Theophrast im
4., so sagt der ältere Cato im 2. Jahrhundert v. Chr. von ihr, daß sie
sogar auf magerem, trockenem Boden gedeihe und sandiges Erdreich fettem
vorziehe; und Columella rühmt von ihr: „Unter den Hülsenfrüchten ist
die Lupine vorzüglich wichtig, weil sie wenig Mühe macht, sehr wohlfeil
ist und den Acker, auf dem sie wächst, sehr verbessert. Sie gibt eine
herrliche Düngung, gedeiht selbst auf ganz erschöpftem Boden und läßt
sich in der Scheuer fast ewig gut erhalten. In Hungerjahren gibt sie
auch den Menschen eine sättigende Speise. Man sät sie gleich von der
Tenne weg; sie gedeiht auch, wenn man sie nur ganz schlecht unter die
Erde bringt. Um kräftig zu werden, bedarf sie lauen Herbstwetters;
auch leidet sie durch Frost, wenn er eintritt, bevor sie erstarkt ist.
Samen, die nicht zur Saat verwendet werden, sollen trocken auf dem
vom Rauch durchzogenen Speicher aufbewahrt werden, damit sie nicht
von den Würmern angegriffen werden.“ Sein Zeitgenosse Dioskurides
unterscheidet eine zahme Lupine, die dem Menschen zur Speise dient und
auch arzneilich verwendet wird, und eine wilde, der zahmen ähnliche,
aber kleiner als diese, obwohl dieselben Eigenschaften besitzend. Um
200 n. Chr. urteilt der griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis
in Ägypten über sie: „Die Lupine ist eine Speise für Hungerleider.
Der Dichter Diphilos nannte sie ~thermokýamos~, und so heißt sie noch
jetzt. Polemon sagt, daß die Lakedämonier sie ~lysiláis~ nennen. Der
Philosoph Zenon der Kittier war ein flegelhafter, jähzorniger Mensch,
pflegte aber höflich und sogar zärtlich zu sein, wenn er eine tüchtige
Portion Wein getrunken hatte. Wie er nun gefragt wurde, wie das möglich
sei, antwortete er: Mir geht es wie den Lupinen; sie sind erbärmlich
bitter, so lange sie trocken sind, dagegen süß und lieblich, sobald sie
sich recht satt getrunken haben.“ Endlich empfiehlt sie Palladius im 6.
Jahrhundert n. Chr. zur Gründüngung.

Heute noch sind die +gelbe Lupine+ (~Lupinus luteus~) und die
schmalblätterige +blaue Lupine+ (~Lupinus hirsutus~) für unsere
Landwirtschaft sehr wichtige Futterkräuter. Beide sind ursprünglich im
Mittelmeergebiet heimisch und gedeihen sehr gut auf magerem Sandboden,
in den sie ihre Pfahlwurzel 1 m tief und darüber hinabsenken. Erstere
mit großen, goldgelben, wohlriechenden Blüten in langer Ähre und
rundlichen, weißgefleckten Samen kam aus Sizilien nach Deutschland
und wurde zuerst 1840 in Groß-Ballerstedt in der Altmark angebaut.
Von da verbreitete sie sich bald über das ganze Sandgebiet Preußens,
da sie nicht nur mannigfaltigen Nutzen zur Weide, als Grünfutter, zur
Heu- und Körnergewinnung gewährt, sondern auch zur Gründüngung von
höchstem Werte ist. Mit den in ihren Wurzelknöllchen angesiedelten
Rhizobien wirkt sie energisch stickstoffsammelnd. Am besten gedeiht
sie an freier, sonniger Lage; dabei befördert eine Zugabe von Gips den
Blattwuchs.

Noch genügsamer als die gelbe ist die blaue Lupine, die selbst noch auf
grandigem, d. h. aus grobem Sand und feinem Kies bestehendem Boden
gedeiht. Sie kam aus Spanien zu uns, und besitzt einen nach oben stark
verästelten Stengel, kurze, ährenförmige Trauben mit blauen Blüten und
rötlichgraue, weißpunktierte Samen von der Größe von Wickensamen. Das
Vieh frißt die Körner der blauen Lupine lieber als die der gelben, aber
bei ersterer dringen die Wurzeln nicht so tief in den Boden ein und die
Nachfrucht, wozu gewöhnlich Roggen gewählt wird, fällt viel schlechter
aus. Die Lupinensamen bilden ein leichtverdauliches, bei richtiger
Verwendung für Mastzwecke vortrefflich geeignetes Futter. Da sie aber
bitter sind, müssen sich die Tiere erst daran gewöhnen, wenn auch
Pferde und Rinder sie deshalb anfänglich zurückweisen, so nehmen sie
sie schließlich doch an und kehren sich nicht mehr an die Bitterkeit
derselben, zu deren Beseitigung schon zahlreiche Methoden angegeben
wurden. Die Samen dienen auch als Arzneimittel und häufiger als man
glaubt als Kaffeesurrogat wie Zichorie.

Viel weniger häufig als die beiden vorgenannten wird bei uns die aus
dem Orient stammende +weiße Lupine+ (~Lupinus albus~) angebaut. Sie
diente schon den alten Griechen und Römern als Futterpflanze, wie auch
die aus Westasien stammende +rauhhaarige Lupine+ (~Lupinus hirsutus~)
mit blauen Blüten, die bei uns als Gartenzierpflanze angetroffen wird.
Die Früchte dieser beiden Lupinenarten galten den alten Griechen und
Römern als Leckerbissen. Gleicherweise wurde von diesen Kulturvölkern
des Altertums, teils zur Benutzung der Samen für den Menschen, teils
als Viehfutter die von den Griechen ~láthyros~, von den Römern dagegen
~cicercula~ genannte +Saatplatterbse+ (~Lathyrus sativus~), auch
deutsche Kichererbse, Kicherling oder weiße Erve genannt, angepflanzt.
Sie ist ein 30-60 cm hoch werdendes Sommergewächs Südeuropas mit
unpaarigen Fiederblättern, in drei Ranken auslaufenden Blattstielen,
einzeln stehenden, langgestielten, weißen, roten oder violetten Blüten
und 4 cm langen, zusammengedrückten Hülsen, die 2-3 ziemlich große,
eckige, gelbweiße, rot- und violettbräunliche Samen enthalten. Obschon
letztere etwas bitter sind, wird die Pflanze zu deren Gewinnung als
Speise für die Menschen noch in den gebirgigen Teilen Griechenlands und
Italiens angebaut. Sonst wird die Pflanze in ganz Südeuropa, besonders
in Rumänien, wenig dagegen in Mitteleuropa, speziell Deutschland als
gutes Viehfutter auf trockenem Boden angepflanzt. Vielfach werden deren
Samen unreif wie Erbsen gegessen, sind aber weniger wohlschmeckend.

Vielfach findet man auf Wiesen als ein Zeichen von deren besserer
Qualität die ausdauernde +Wiesenplatterbse+ (~Lathyrus pratensis~) mit
gelben Blüten. Wo sie aber in größeren Massen auftritt, schadet sie dem
Graswuchs. Sie wird auch vielfach als Futterpflanze angebaut, da sie
eine große Menge guten Futters liefert. Wegen seiner Bitterkeit wird
ihr Laub im grünen Zustand vom Vieh nicht gern gefressen, wohl aber
als Heu. Es ist dann sehr schmackhaft und kräftig. Ein feineres Futter
als diese erzeugt die +Sumpfplatterbse+ (~Lathyrus palustris~), die
ebenfalls ausdauernd ist und reiche Trauben von blauen Blüten besitzt.
Sie wächst auf feuchten, moorigen Wiesen, wo sonst verhältnismäßig
wenig Futterpflanzen gedeihen, und wird vom Vieh auch grün gerne
gefressen, weil sie nicht so unangenehm bitter ist als die vorige.
Die +Waldplatterbse+ (~Lathyrus silvestris~), eine in Mitteleuropa an
Waldrändern und an Hecken wachsende Staude mit kletterndem, ästigem
Stengel, lanzettlichen Blättern, roten Blüten in Trauben und flachen,
runzeligen Samen, eignet sich dagegen zum Anbau als Futterkraut
auf steinigem, grobem und dürrem Boden. Sie ist durch ein stark
entwickeltes Wurzelsystem und eine große Fähigkeit die Gesteine zu
zersetzen ausgezeichnet, treibt um 8-14 Tage früher als die Luzerne und
ist gegen Spätfröste unempfindlich, was große Vorteile bedeuten. Den
höchsten Ertrag liefert sie nach drei Jahren, indem sie 10000 kg Heu
pro Hektar ernten läßt. Dabei kann sie ebenso gut grün, wie getrocknet
verfüttert werden.

Während der in Südeuropa heimische +Kronsüßklee+ (~Hedysarum
coronarium~) in Italien und den Balearen als Futterpflanze angebaut
wird, spielt der +Gebirgssüßklee+ (~Hedysarum obscurum~) auf den
bewässerten Alpenwiesen eine große Rolle als sehr geschätzte Nahrung
des dort sömmernden Viehs. Deren nahe Verwandte sind die Esparsette
und die Serradelle. Die +Esparsette+ (~Onobrychis sativa~) ist eine
in höheren Lagen des gemäßigten Europa heimische, östlich bis zum
Baikalsee gehende, kalkstete, 30-60 cm hohe Pflanze mit lanzettlichen
Blättern, langgestielten Ähren von roten Blüten und rundlichen
Nüßchen, die auf trockenem, über zerklüftetem Kalkstein oder Mergel
stehendem Boden das beste Futtergewächs ist und Kalkgegenden, die
sonst zu den unfruchtbarsten gehören, fruchtbar macht, deshalb auch in
Deutschland überall auf Kalk- und Kreideboden angebaut wird. Auf Boden
mit kiesigem oder sandigem Untergrund gedeiht sie schlecht, weil die
Wurzeln über 1 m tief gehen, sehr gut dagegen auf recht kalkreichem,
wobei sie 3-6 Jahre aushält, jedoch meist nur einen Schnitt und
Weide gibt. Den Griechen und Römern war sie durchaus unbekannt. Erst
im Laufe des 15. Jahrhunderts tritt sie uns in Mitteleuropa als
Kulturpflanze entgegen. Allem Anscheine nach hat ihre Kultur im
südlichen Frankreich ihren Ursprung genommen, und zwar möglicherweise
erst im 15. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert, zu Lebzeiten Olivier de
Serres, der uns darüber in seinem Buche ~Théâtre de l’agriculture~
berichtet, war sie, die ~lupinella~ der Italiener, dort bereits eine
sehr geschätzte Futterpflanze. In Italien hat sich ihr Anbau erst im
18. Jahrhundert, namentlich in Toskana, weiter ausgebreitet. Schon
ums Jahr 1560 wurde sie +vor+ der Luzerne, aber +nach+ dem roten Klee
in Süddeutschland als Futterpflanze angebaut und verbreitete sich von
da weiter. Sie ist nächst Luzerne und Wiesenklee unser vorzüglichstes
Futterkraut besonders für milchende Kühe, düngt mit ihren zahlreichen
Wurzelknöllchen den Boden gut und liefert in ihren honigreichen Blüten
eine treffliche Bienenweide.

Wie die Esparsette der Klee des Kalkbodens, so ist die auf der
iberischen Halbinsel, in Spanien und Portugal, heimische +Serradelle+
(~Ornithopus sativus~) der Klee des Sandbodens. Sie besitzt 30-60 cm
hohe Stengel, vielblütige Köpfchen von lilafarbenen Blüten und 25 cm
lange, perlschnurartig gegliederte Hülsen, wird von allen herbivoren
Haustieren gerne gefressen und kommt dem Wiesenheu an Nährwert gleich.
Da sie den Boden vermöge der stickstoffsammelnden Knöllchenbakterien
düngt und ihn bei gutem Stand auch trefflich beschattet, ihn damit in
guter Gare hinterläßt, wird sie zur Verbesserung schlechter Ländereien
verwendet. Sie ist eine gute Vorfrucht, zumal für Getreide, eignet
sich aber auch vorzüglich als Nachfrucht, indem man sie im Frühjahr
in Wintergetreide sät und nach der Ernte desselben noch einen guten
Futterschnitt oder im schlimmsten Fall eine gute Weide erhält. Sie
wurde in ihrer Heimat wohl erst gegen den Anfang des 19. Jahrhunderts
in Kultur genommen und gelangte von dort um die Mitte desselben zu uns.

Eine gute Futterpflanze ist auch der +gelbe+ oder +Steinklee+
(~Medicago lupulina~), eine auf Wiesen und an Wegrändern in ganz Europa
mit Ausnahme der arktischen Gebiete, in Nordafrika und Mittelasien
wildwachsende Pflanze mit niederliegendem oder aufsteigendem
Stengel, eiförmigen Blättchen, gelben Blüten in ährigen Trauben
und nierenförmigen, eingerollten Hülsen, die ein- und zweijährig
kultiviert wird. Ihre Samen werden fast ausschließlich in Mittel- und
Niederschlesien gezogen, während diejenigen der Luzerne und Sandluzerne
vorzugsweise in der Provence und in Italien vertrieben werden.

Auch die verschiedenen Arten von +Honigklee+ (~Melilotus~) finden als
Futterkräuter Verwendung. So wurde der in Italien und Griechenland
als überall angetroffenes Unkraut heimische +sizilische Honigklee+
(~Melilotus messanensis~) mit gelben Blüten von den Alten als
Viehfutter gepflanzt. Noch heute heißt er in Griechenland ~hémeron
triphýlli~, d. h. zahmer Klee. Bei den alten Griechen hieß er
~melílōtos~, war dem Apollon und den Musen geweiht und galt als
Symbol der Schönheit und wohlgesetzten Rede. Das wohlriechende
Kraut war zu Kränzen beliebt und diente nach Nikander um den Kopf
gewunden zur Linderung von Krankheiten aller Art. Der griechische
Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. schreibt
in seiner Arzneikunde: „Der beste Honigklee (~melílōtos~) wächst bei
Athen, Kyzikos und bei Karthago, und zwar mit safrangelber Farbe und
Wohlgeruch. Er wächst auch in Kampanien bei Nola, hat die Eigenschaften
des Bockshornklees (~telízōn~), aber sein Geruch ist schwächer. Man
braucht ihn gegen Kopfweh und einige andere Übel.“

Der +gelbblütige Honigklee+ (~Melilotus officinalis~), der durch
achselständige, lange, lockere Blütentrauben ausgezeichnet ist und
sehr kurze, meist einsamige Früchte zeitigt, ist eine ebenfalls als
Viehfutter beliebte, 1-1,25 m hohe Staude, die in allen Teilen,
besonders getrocknet, einen starken Geruch nach frischem, duftigem
Heu wie das Ruchgras (~Anthoxantum odoratum~) und andere vorzügliches
Futter gebende Gräser aushaucht. Bei allen diesen rührt der Duft von
dem besonders in den Tonkabohnen enthaltenen und daraus gewonnenen,
auch dem Waldmeister sein köstliches Aroma verleihenden Kumarin, das
in der Parfümerie eine große Rolle spielt, auch zum Aromatisieren
von Schnupftabak dient. Die Blätter und Blüten dieses, wie auch des
ebenfalls gelbblütigen +behaartfrüchtigen Honigklees+ (~Melilotus
macrorhiza~) dienen zu erweichenden Umschlägen und besonders zur
Herstellung des zerteilenden Melilotenpflasters. Letztere Art wird
namentlich in England auf schlechtem Boden für Pferde kultiviert,
während der bis 1,95 m hohe +weißblütige Honigklee+ (~Melilotus
alba~) als Wunder- oder amerikanischer Riesenklee als die beste die
Luzerne ersetzende Kleeart eine Zeitlang auf magerem Boden viel
gepflanzt wurde. Sein Same wurde sehr teuer bezahlt; allein nach den
gemachten Erfahrungen gibt dieser Honigklee zwar eine gute Weide für
Schafe, kann aber als Trockenfutter wegen seines starken Geruchs nicht
unvermengt verfüttert werden und ist im erwachsenen Zustande wegen
seiner langen, holzigen Stengel und Äste und den wenigen Blättern eine
harte Pflanze.

Überhaupt sind alle diese Honigkleearten nur im jungen Zustande gute
Futterkräuter, werden aber des bitteren Geschmacks wegen, der von ihrem
Gehalte an Kumarin herrührt, unvermengt vom Vieh nicht gern gefressen.
Weitaus am stärksten riecht unter allen Honigkleearten, besonders in
getrocknetem Zustande, der aus Nordafrika stammende +Bisamhonigklee+
(~Melilotus coerulea~) mit bläulichen oder hellila gefärbten Blüten,
der hier und da in Deutschland und in der Schweiz, so namentlich im
Kanton Glarus, angebaut wird. Sein getrocknetes und fein zerriebenes
Kraut gibt nämlich dem vorzugsweise im Kanton Glarus in der Schweiz
hergestellten Kräuterkäse oder Schabzieger seine grünliche Farbe und
seinen eigentümlichen Geruch und Geschmack.

Denselben starken Geruch besitzt auch der im Orient und in Griechenland
heimische +Bockshornklee+ oder +griechisches Heu+ (~Trigonella
foenum graecum~), das ebenfalls zur Herstellung von Kräuterkäse
dient. Dieser einjährige, 30-50 cm hohe Schmetterlingsblütler mit
eiförmigen Blättern, blaßgelben Blüten und 8-12 cm langen, sichelförmig
gekrümmten, längsgestreiften Hülsen kommt auch in ganz Nordafrika
bis Indien wild vor und wird dort wie in Südeuropa von altersher als
Viehfutter gepflanzt; auch in Südfrankreich, in Thüringen und im
Vogtland wird er der Samen wegen kultiviert. Diese schmecken gekocht
schleimig-bitter, riechen stark nach Honigklee und standen bei den
Ägyptern, Griechen und Römern in hohem Ansehen als Arzneimittel.
Plinius sagt von der Pflanze: „Der Bockshornklee hat als Arznei
einen großen Ruf. Er heißt bei den Griechen ~télis~, ~búkeras~ oder
~aigókeras~ (d. h. Rinds- oder Bockshorn, weil seine Fruchthülsen
wie Hörnchen gekrümmt sind), bei den Römern aber heißt er ~silicia~
(d. h. Hülsenfrüchtler).“ Sein Zeitgenosse, der griechische Arzt
Dioskurides schreibt von ihm in seiner Arzneimittellehre: „Die zu Mehl
zerriebenen Samen des Bockshornklees (~télis~) dienen als Arznei.
Man legt sie auch in Olivenöl und preßt die Mischung aus.“ Und der
römische Ackerbauschriftsteller Columella aus Spanien berichtet: „Das
griechische Heu (~foenum graecum~), das die Landleute ~siliqua~ (Hülse)
nennen, wird im September gesät, wenn es als Grünfutter dienen soll,
dagegen Ende Januar, wenn die Samen geerntet werden sollen. Kommt der
Same mehr als vierfingerbreit unter die Oberfläche, so geht er nicht
leicht auf.“ Letzterer wurde geröstet von den Alten als Speise benutzt.
Heute noch werden die Samen im Orient, vornehmlich in Ägypten, mit
Milch zubereitet sehr gerne gegessen und sollen namentlich von den
Haremsdamen zur Erlangung der als Zeichen von besonderer Schönheit
geltenden Wohlbeleibtheit gebraucht werden. Bei uns finden sie fast
nur noch in der Tierarzneikunde und, ihres Schleimes wegen, auch in
der Tuchfabrikation Verwendung. Die jungen Triebe werden im Orient
gerne als wohlschmeckendes Gemüse gegessen. Der Bockshornklee, dessen
Anbau Karl der Große in den Verordnungen für die kaiserlichen Güter vom
Jahre 812 befahl, wird auch bei uns gelegentlich als Grünfutter und
zur Heugewinnung angepflanzt, doch schmeckt er so stark, daß er nur
mit andern Futterpflanzen vermischt vom Vieh gerne gefressen wird. Das
Stroh der Hülsen dient bei den Arabern als Pferdefutter.

Von den eigentlichen Kleearten mit dreigeteilten Blättern (daher
~trifolium~ schon von den alten Römern genannt) ist der an feuchten
Stellen Kleinasiens und Griechenlands äußerst häufig wachsende
+Erdbeerklee+ (~Trifolium fragiferum~) mit fleischroten Blüten schon
von den Griechen und Römern als ~lōtós~ beziehungsweise ~lotus~ als
geschätztes Viehfutter angepflanzt worden. Er ist das Kraut ~lōtós~,
das bei Homer die Gefilde bedeckt und von den Pferden der Helden
gefressen wird. Der römische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) rät in
seiner Georgika, der in Hexametern verfaßten Abhandlung über den
Landbau, für das Vieh viel solchen Klee (~lotos~) zu säen, und der
griechische Arzt Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
unterscheidet außer dem wilden Erdbeerklee (~lōtós~), der auch der
libysche heiße, weil er besonders häufig in Libyen wächst, über zwei
Ellen hoch werde und Blätter wie der gewöhnliche Wiesenklee habe, den
in Gärten wachsenden zahmen ~lōtós~.

Dem Erdbeerklee ähnlich ist der überall auf Wiesen und Triften
gemeine +kriechende Klee+ (~Trifolium repens~) mit weißen, seltener
fleischfarbenen Blüten, der auf den Wiesen, auf welchen er erscheint,
stets als ein Zeichen von deren Güte gilt; er wird häufig auf minder
gutem Boden, namentlich auf Marschboden kultiviert und kann noch da
angebaut werden, wo der sonst bessere rote oder Wiesenklee wegen
mangelnder Feuchtigkeit nicht mehr gedeiht. Er dient wie alle andern
Kleearten teils zur Grünfütterung, teils zur Weide. Ebenso werden die
als sehr geschätzte Futterpflanzen auf Bergwiesen häufigen Arten,
der +weißblütige Bergklee+ (~Trifolium montanum~), der +rotblütige
Bergklee+ (~Tr. alpestre~), der +große rotblütige Bergklee+ (~Tr.
rubens~) und der purpurblütige +mittlere Bergklee+ (~Tr. medium~)
auch im Tiefland häufig angebaut. Der anfänglich weißlich und zuletzt
rötlich blühende +Ackerklee+ (~Tr. arvense~) ist auf Äckern zwar ein
Unkraut, gibt aber daselbst nach der Ernte dem weidenden Vieh Futter
und eignet sich auch auf schlechtem Boden zum Anbau, speziell als
Weidekraut. Mehr in südlichen Gegenden wird der gelblichweißblütige
+Rosenklee+ (~Tr. ochroleucum~) angepflanzt, während der auf feuchten
Wiesen und Triften Mitteleuropas wildwachsende +schwedische+ oder
+Bastardklee+ (~Tr. hybridum~) mit langgestielten, rundlichen Köpfen
von weißen innern und leicht rosenroten Randblüten auch bei uns als ein
sehr gutes, hinsichtlich des Bodens wenig anspruchsvolles Futterkraut
angebaut wird. Es gedeiht selbst noch auf so dürftigem Grunde, wie ihn
sonst keine andere Kleeart annimmt.

Auch der als Kulturpflanze der Landwirtschaft aus Italien zu uns
gekommene, mit schön purpur- oder fleischroten Blüten in länglichen
Köpfchen gezierte +Blut-+ oder +Inkarnatklee+ (~Trifolium incarnatum~)
wird häufig in Deutschland angepflanzt. Diese einjährige Futterpflanze,
die in Nordspanien, auf Sardinien und in Nordafrika wildwachsend
angetroffen wird, scheint in Katalonien zuerst angepflanzt worden zu
sein. Von da kam sie erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts über die
Pyrenäen nach der südfranzösischen Provinz Ariège, wo de Candolle ihre
Kultur beschränkt fand. Bald verbreitete sie sich über das übrige
Frankreich, war um 1830 schon bei Genf in der Schweiz und drang später
auch nach Deutschland vor, wo sie wegen ihrer Vorzüge bald ziemliche
Verbreitung fand.

Aber der in Deutschland, wie dem übrigen Europa und der ganzen
Kulturwelt als wichtigste Futterpflanze überhaupt angebaute Klee,
der Klee schlechthin, ist der +rote+ oder +Wiesenklee+ (~Trifolium
pratense~) mit meist purpurroten Blüten, der bei uns überall auf
Wiesen als Merkmal besonderer Güte wildwachsend angetroffen wird. Er
wird allgemein auf Äckern, teils für sich, teils im Gemenge (besonders
mit Timothygras, ~Phleum pratense~) kultiviert und ist auf schwerem,
tiefgründigem Boden das vorteilhafteste Futterkraut in Nordeuropa,
bleibt aber nur einige Jahre ergiebig und darf erst nach längerer
Pause auf demselben Felde wieder gepflanzt werden, weil solche Felder
an den für den Klee erforderlichen Nährstoffen erschöpft werden, die
sogenannte Kleemüdigkeit zeigen.

Diesen Wiesenklee hat das Altertum nicht angebaut. Gewiß war er schon
zu Ende des Mittelalters in Spanien eine geschätzte Futterpflanze,
aber seine Kultur wurde erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts durch
die aus Spanien vertriebenen Protestanten in Mitteleuropa eingeführt.
Zuerst läßt sich sein Anbau gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts in
Flandern nachweisen, von wo ihn die Engländer im Jahre 1633 durch
den Einfluß des damaligen Lordkanzlers Weston, Graf von Portland,
erhielten. Um 1566 finden wir den roten Kopfklee in Frankreich und
Belgien als Futterpflanze angebaut. In der Folge kam er dann +vor+ dem
weißen Klee, wie auch der Esparsette und Luzerne auch in Deutschland
auf. Und zwar war es zuerst die Kurpfalz, wo er durch unter dem Schutze
des Kurfürsten angesiedelte spanische Refugianten eingeführt wurde. Von
da aus eroberte er sich bald ganz Deutschland. Später begann man in den
1760er Jahren zuerst in Süddeutschland die Kleekultur zu verbessern
und gewann damit bedeutend mehr Futter, so daß man den Viehstand zu
vergrößern vermochte. Auch führte man zur Schonung der unnötig vom
Vieh niedergetretenen Kleeäcker die Stallfütterung ein, bei welcher
gleichzeitig die Aufsicht, wie sie der Weidgang erforderte, wegfiel.
Durch die günstigen Erfolge angeregt, führte der Gutsbesitzer Johann
Christian Schubart (1734-1786), der das neue Feldsystem in Darmstadt
kennen gelernt hatte, mit diesem die Kultur von Kopfklee, Runkelrüben
und Kartoffeln auf seinen Gütern bei Zeitz in Norddeutschland ein. Seit
1781 wirkte er auch schriftstellerisch für die weitere Verbreitung des
Kleebaues, wie für die übrigen Neuerungen, die in der Folge ziemlich
rasch in Thüringen und Sachsen Eingang fanden. Für seine zweifellos
großen Verdienste wurde dann Schubart 1784 als Edler von Kleefeld
geadelt. Durch falsche Anwendung gelangte seine Lehre vorübergehend in
Mißkredit, bis sich Albrecht Thaer ihrer annahm. Auf die in England
mit dieser neuen Kultur gewonnenen günstigen Erfahrungen hinweisend,
vermochte er in weiten Kreisen das erschütterte Vertrauen in den
Kleebau wieder zu befestigen. So fand dieser von 1848 an schnell
allgemeine Verbreitung. Er bewährte sich besonders in solchen Gegenden,
in denen die Kultur der Luzerne versagte. Heute ist der Kleehandel am
stärksten in Deutschland, und zwar in Schlesien, dann in Steiermark und
Südfrankreich, diese Länder versorgen alle übrigen mit Kleesamen. Wegen
der geringen Widerstandsfähigkeit seiner Kleearten vermag Nordamerika
damit bei uns keinen Markt zu gewinnen.

Auch in Sage und Geschichte spielt der Klee eine gewisse Rolle. So
hat man früher vierblätterigem Klee allseitig wunderbare Zauberkraft
zugeschrieben. Dem Finder sollte es Glück und Heil bringen, noch mehr
aber demjenigen, dem unbewußt solches von jemand zugesteckt wurde.
Noch heute glaubt das Volk in Griechenland, daß ein vierblätteriges
Kleeblatt Schätze heben und die gefährlichsten Krankheiten heilen
könne. Besondere Wertschätzung als Spender übernatürlicher Kräfte
genoß es namentlich auch in England, noch mehr aber das viel seltenere
siebenblätterige Kleeblatt. Das Dreiblatt des weißblütigen kriechenden
Klees (~Trifolium repens~), nach andern wohl richtiger des Hasenklees
oder gemeinen Sauerklees (~Oxalis acetosella~) ist der von den Dichtern
englischer Zunge oft besungene ~shamrock~, das Nationalzeichen
der Irländer, das sie zur Ehre ihres Schutzheiligen St. Patrick
(~Patricius~) tragen.

Endlich wird auch der auf sandigen Äckern als Unkraut wachsende
+Ackerspörgel+ (~Spergula arvensis~) mit kleinen, weißen Blüten, deren
Stiele sich nach dem Verblühen herabschlagen, als ausgezeichnetes,
reichlich Milch lieferndes Weidekraut angepflanzt. In der Kultur ist
die Pflanze gegenüber den Wildlingen gebliebenen Verwandten viel
größer und saftiger und wird deshalb als +Spark+ (~S. maxima~) von
jenen unterschieden. Sie gedeiht noch recht gut in Sandgegenden,
wo Klee und Gras nur kümmerlich fortkommen, und gibt für Sommer
und Herbst treffliches frisches Grünfutter. Auch dient die Pflanze
zur Gründüngung; die zurückbleibenden Sparkwurzeln verbessern den
Boden bedeutend, so daß er mit der Zeit auch für anspruchsvollere
Futterkräuter verwendet werden kann.

Neuerdings werden auch verschiedene rasch wachsende Getreidearten
zur Grünfütterung gepflanzt. So liefert vielfach Grünroggen und
Grünbuchweizen um Anfang Mai das erste grüne Futter für das Vieh.
An deren Stelle treten später Grüngerste, Grünweizen und namentlich
Grünmais, welch letzterer für wärmere Gegenden weitaus das ausgiebigste
Futter ist. Für trockene und zugleich warme Gebiete sind auch die
+kleine Kolbenhirse+ oder der +Fennich+ (~Setaria viridis~), besonders
die Varietät mit orangegelben Körnern -- in Ungarn ~mohar~ genannt --
und die +wehrlose Trespe+ (~Bromus inermis~) von sehr großer Bedeutung.


  [1] Siehe Näheres im 3. Bande des: Vom Nebelfleck zum Menschen
      betitelt „Das Leben der Erde“ S. 567 ff. im 13. Abschnitt, der
      das Leben der Erde behandelt.



XX.

Die Faserpflanzen.


Eine der ältesten Handfertigkeiten des Menschen ist das Flechten,
dem später das Spinnen und Weben folgte. Dazu benutzte er die
verschiedensten ihm bekannten und zugänglichen Faserstoffe des
Pflanzenreichs, so vor allem den geschmeidigen Bast mancher Bäume,
besonders der Linde, und die zähen Stengel der Binsen, später auch die
in der nördlichen Pflanzenregion heimische, wasserreichen Untergrund
liebende Korbweide.

Als früheste kultivierte Faserpflanze tritt uns in Europa der
+schmalblätterige Lein+ (~Linum angustifolium~) entgegen, der in
nicht zu feuchten Gegenden der Mittelmeerländer von den Kanaren bis
Syrien und dem Kaukasus heimisch ist und auf sterilem Boden überall
wildwachsend angetroffen wird. Im Gegensatz zu unserem Kulturlein
ist er nicht einjährig, sondern ausdauernd und treibt statt einem
mehrere Stengel mit schmäleren Blättern und kleineren, an der Spitze
kaum gekerbten Samen. Als südliche, wärmeliebende Pflanze ist er
nicht imstande, die jetzigen Winter der östlichen Schweiz, wo er zur
jüngsten Steinzeit in Robenhausen und anderen Pfahlbauniederlassungen
in ziemlicher Menge angepflanzt und verarbeitet wurde, zu ertragen.
Es muß also das Klima hier vor 4000-5000 Jahren ein wärmeres als
heute gewesen sein. Aus dem Süden gelangte diese Gespinstpflanze
mit den sie begleitenden Unkräutern, wie dem kretischen Leinkraut
(~Silene cretica~), das heute noch zahlreich in den Leinfeldern
Italiens wuchert, zu ihnen und wurde von ihnen auf ihren Hackfeldern
angebaut, um daraus Garn für die Anfertigung von Schnüren, Fischnetzen,
Matten und zum Weben von meist groben Stoffen, die jedenfalls als
Unterkleidung unter den für gewöhnlich getragenen Pelzen getragen
wurden, herzustellen. Diese Stoffe, die sie auf äußerst primitiven
hängenden Webstühlen mit Gewichten aus gebranntem Ton zum Strecken der
Zettel herstellten, verstanden sie bereits mit verschiedenen einfachen
geometrischen Figuren zu verzieren, rot, blau und gelb zu färben und
sogar schon mit allerlei primitiven Stickereien zu schmücken.

[Illustration: Bild 58. Rekonstruktion des aufrechten
Pfahlbauwebstuhls. Die unten durch eine Schnur zusammengehaltenen
Zettel werden durch Gewichte aus gebranntem Ton gestreckt. Der
Einschlagfaden wird vermittelst des Weberstabes eingetragen.]

[Illustration: Bild 59. Grober Leinenstoff aus dem neolithischen
Pfahlbau von Robenhausen.]

Die nördlichste neolithische Station Deutschlands, wo er gefunden
wurde, ist Schussenried im südlichen Württemberg. Es mag ja sein,
daß der Flachsbau damals schon etwas weiter nach Norden zu in
Süddeutschland verbreitet war, aber nach Norddeutschland oder gar dem
nördlichen Europa kann er unmöglich vorgedrungen gewesen sein, da diese
südliche Pflanze die Winter dieser Länder durchaus nicht auszuhalten
vermöchte.

Aus der älteren Bronzezeit sind noch nirgends in Europa Funde von
Flachs gemacht worden. Erst aus der jüngeren Bronzezeit sind in
Dänemark Reste eines feinen Linnenstoffes zutage getreten, woraus
freilich noch nicht geschlossen werden darf, daß der Flachs damals
bereits dort gebaut wurde, da bei den regen Handelsbeziehungen jener
Zeit für das Leinen die Möglichkeit des Importes vorliegt. Außerdem
wissen wir, daß alle aus jener Zeit auf uns gekommenen Gewebereste
aus Wolle bestehen, aus der verfertigte Kleider damals im Norden
ausschließlich getragen wurden. Die ersten Beweise der Flachskultur
auf norddeutschem Boden stammen aus der älteren Eisenzeit. Man fand
nämlich in der Karhofhöhle eine Art grobgeschrotenes, aus Weizen und
Hirse bereitetes Brot, dem, ähnlich wie beim Brot der schweizerischen
Pfahlbauern, teilweise Leinsamen zugesetzt war. Welcher Art der Flachs
angehörte, läßt sich allerdings in diesem Falle nicht entscheiden. Im
slawischen Burgwall von Poppschütz bei Freistadt in Schlesien hat sich
ebenfalls Flachssamen, der vermutlich zur Nahrung diente, gefunden,
und zwar scheint hier nach Buschan, soweit ein Urteil aus den Samen
allein möglich ist, eine Übergangsform zwischen dem mehrjährigen,
schmalblätterigen Lein der Pfahlbauzeit und dem erst später nach Europa
gekommenen, heute noch bei uns kultivierten Lein zu sein.

[Illustration: Bild 60. Idol (Götzenbild) aus gebranntem Ton vom
neolithischen Pfahlbau von Laibach in Krain mit einem hemdartigen,
mit gemusterten Vierecken verzierten Gewand. ~a~ Vorder-, ~b~
Seitenansicht.]

Unser +Kulturlein+ (~Linum usitatissimum~) hat seine Heimat im
westlichen Persien und in Südkaukasien, wo die Stammpflanze auf
trockenen Hügeln manchenorts noch wild angetroffen wird. Sie ist
eine bis 60 cm hoch werdende einjährige Pflanze mit im Gegensatz
zum schmalblätterigen Lein nur +einem+ Stengel, breiteren Blättern
und größeren, an der Spitze gekerbten Samen, die rascher reifen als
diejenigen der schmalblätterigen wilden Art und den Vorzug haben, nicht
ausgestreut zu werden wie dort, sondern in den Samenkapseln geerntet
werden zu können, die bei dieser Art meist nicht mehr aufspringen.
Diese Samen dienten den Leinbau treibenden Völkern der Vorzeit als
willkommene fettreiche Nahrung und wurde von ihnen gerne gegessen
und als Totenspeise auch den Verstorbenen mitgegeben. Der Kulturlein
besitzt schöne blaue Blüten, die nur einen Tag, und zwar nur vormittags
blühen. Ein solch blühendes Leinfeld bietet einen hübschen Anblick dar,
der die sagenhafte Begebenheit einigermaßen glaubwürdig erscheinen
läßt, die uns der fränkische Geschichtschreiber Paulus Diaconus
in seiner älteren, d. h. voritalischen Geschichte der Langobarden
erzählt, wonach die von den Langobarden besiegten Heruler auf ihrer
Flucht ein blühendes Leinfeld für einen See gehalten hätten, in den
sie sich hineinstürzten, als ob sie schwimmen wollten. So seien sie
von den verfolgenden Siegern ereilt und niedergemacht worden. Nur
in Amerika, wohin der Flachs bald nach der Entdeckung dieses neuen
Weltteils gebracht wurde, zieht man außer der blau blühenden auch
eine weiß blühende Abart. Jede Kapsel enthält zehn längliche, flach
zusammengedrückte, hellbraune, glänzende Samen, die in ihren äußeren
Zellenschichten ein im Wasser stark aufquellendes, schleimhaltiges
Gewebe enthalten, weshalb man sie zermahlen und gekocht zu breiigen
Umschlägen und ihren Schleim auch innerlich als einhüllendes Mittel
verwendet.

Schon sehr früh, nämlich im 5. Jahrtausend v. Chr. muß der Lein in
Babylonien gepflanzt worden sein; denn man hat Spuren von ihm bereits
in altchaldäischen Gräbern der vorbabylonischen Zeit entdeckt. Wie er
bei den Babyloniern hieß, ist bis jetzt nicht bekannt geworden. Sein
Name dürfte aber ähnlich wie im Hebräischen ~pischta~ gelautet haben.
Im Sanskrit hieß er nach dem um 500 v. Chr. verfaßten ~Ayur Veda~
Susrutas ~akasa~, im Altägyptischen ~māhi~, bei den Griechen ~línon~
und von diesen entlehnt bei den Römern ~linum~. In Ägypten tritt er uns
als Kulturpflanze schon zu Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends
entgegen. In einem Ziegel der Stufenpyramide von Daschur, die bald nach
3000 v. Chr. gebaut wurde, fanden sich Bastfasern und Samenkapseln,
die Unger als vom einjährigen Kulturlein stammend bestimmte. Aber erst
ein Jahrtausend später, beim Beginn des mittleren Reiches, zur Zeit
der 11. Dynastie (2160-2000 v. Chr.), hatte seine Kultur in Ägypten
eine bedeutendere Entwicklung erlangt und findet man infolgedessen auch
ziemlich häufig in Gräbern Leinsamen unter den Totenspeisen. So fand
Mariette in einem 1881 geöffneten Grabe der 12. Dynastie (2000-1788
v. Chr.) in Theben vortrefflich erhaltene Kapseln von Leinsamen,
die völlig der heute noch in Ägypten und Abessinien gepflanzten Art
entsprechen.

Erst im mittleren Reich (2160-1788 v. Chr.) begann die in der Folge
für die Ägypter so wichtige Leinentechnik in Aufnahme zu kommen,
nachdem der Lein vorher lange vorzugsweise nur seiner nahrhaften,
fetten Samen wegen kultiviert worden war, während die Menschen sich
noch in Wollenstoff kleideten. Von da an wurde für den Ägypter das
linnene Gewand der Gegenstand seines Stolzes und der Auszeichnung den
„Barbaren“ gegenüber. Aber nicht bloß die Lebenden trugen es, und
zwar in um so feinerer Qualität, je vornehmer sie waren, sondern auch
die Toten wurden bei der Einbalsamierung in Leinwandbinden gewickelt,
nachdem noch im alten Reiche zur Zeit der Erbauer der großen Pyramiden
von Giseh, von der 3. bis 6. Dynastie (2980-2475 v. Chr.) letzteren,
die überhaupt auch noch nicht mumifiziert wurden, ausschließlich grobe
Wollengewänder in die Gruft mitgegeben worden waren. Vom mittleren
Reiche (2160-1788 v. Chr.) an galt es den Ägyptern überhaupt als
Greuel, einen Leichnam in Wollengewändern zu bestatten. Dazu mußten
unbedingt Linnenstoffe verwendet werden. Auch ihre Priester durften,
wie Herodot berichtet, +nur+ reinlinnene Unterkleider tragen und
höchstens außerhalb des Tempels einen wollenen Mantel überwerfen.
Ägypten deckte damals nicht nur seinen ganzen Bedarf an Flachs, sondern
es exportierte noch ziemlich viel seiner feinen, von den Griechen meist
als ~býssos~ bezeichneten Leinengewebe, die im Auslande zur Herstellung
von Prunkkleidern für die Vornehmen äußerst begehrt waren. Das ganze
Altertum ist des Lobes voll über die unnachahmlich feinen ägyptischen
Byssusgewänder, und dieses Lob begreifen wir vollständig, wenn wir
die außerordentliche Feinheit der Mumienbänder der Reichen und die
halb durchsichtige Gewandung nicht nur an den bildlichen Darstellungen
an den Wänden der Totenkammern, sondern auch an den vornehmen Toten
direkt in Berücksichtigung ziehen. Als Beispiel der Feinheit dieser
Byssusstoffe berichten Herodot und Plinius, daß der ägyptische König
Amasis (ägyptisch Amose) II. der 26. Dynastie, der von 570 bis 526
v. Chr. regierte, den Spartanern und dem Tempel der Athene zu Lindos
auf der Insel Rhodos je ein linnenes Panzerhemd mit Tierbildern und mit
Fäden aus Gold und Baumwolle durchwirkt von solcher Feinheit der Fäden
geschenkt habe, daß jeder derselben aus 360 Einzelfäden bestand.

[Illustration: Bild 61.

Aus Flachsschnüren geknüpftes, engmaschiges Netz aus dem neolithischen
Pfahlbau von Robenhausen im Kanton Zürich. (⅔ natürl. Größe.)]

Verschiedene altägyptische Wandmalereien zeigen uns die ganze
Bearbeitung des Flachses, vom Raufen der Pflanze auf den Feldern, vom
Rösten und Kämmen derselben bis zum kunstvollen Weben am Webstuhl.
Zum Lockern der Fasern wurde der Flachs in der ältesten Zeit in
Kesseln gekocht und sodann mit keulenförmigen Hölzern geschlagen.
Später dagegen wurde er auf kaltem Wege „geröstet“ und vermittelst
Holzkämmen, von denen das ägyptische Museum in Berlin zwei besitzt,
gehechelt. Das Spinnen und Weben wurde von den Frauen und teilweise
auch Männern als besonderes Gewerbe betrieben. Wie dieses Handwerk
ausgeübt wurde, erkennen wir an verschiedenen Grabgemälden des
mittleren Reiches. Spindeln aus Holz und Leder von einfacher und
komplizierter Form sind uns vielfach in den Gräbern erhalten, und das
Bild der Spindel gehört mit unter die Hieroglyphenzeichen. In einem
Grabe von Beni Hassan ist u. a. ein Ägypter dargestellt, der mit der
Spindel hantiert. Derselbe hockt vor einem aufrechtstehenden, oben
gegabelten Stabe, an den der Flachsfaden geknüpft ist. Ein Näpfchen
zum Befeuchten der Finger beim Drehen des Fadens steht am Fuße des
Stabes. Eine andere Darstellung zeigt sechs unter der Kontrolle einer
Aufseherin arbeitende Frauen, von denen drei Spinnerinnen einen Faden
ziehen, eine vierte dagegen mehrere einfache Fäden zu einem stärkeren
zusammendreht. Von den beiden Weberinnen besorgt die eine den Aufzug,
die andere den Einschlag. Bei zwei anderen Spinnerinnen vertritt der
schlanke Körper selbst den Stab, indem sie das fertige Stück Faden um
sich selbst herumdrehen. Daß gewandte Frauen auch mit zwei Spindeln
zugleich umzugehen verstanden, bezeugen dem mittleren Reich (2980-2475
v. Chr.) angehörende Wandgemälde. Von den beiden in Beni Hassan beim
alten Theben dargestellten Weberinnen besorgt die eine die Kette des
wagrecht am Boden aufgespannten Webstuhls, die andere den Einschlag,
der mit einem gekrümmten Holze durchgezogen wird, wobei die Öffnung
durch zwei zwischen die Fäden der Kette geschobene Holzstäbe bewirkt
wird. Auf demselben Wandgemälde webt ein Mann in einen zwischen einem
Rahmen ausgespannten Stoff ein schachbrettartiges Muster. Daß aber
später viel bessere Webstühle benutzt wurden, zeigt ein Wandgemälde
aus der Totenstadt Theben, in welchem ein Weber an einem ähnlich wie
die Webstühle der Neuzeit gebauten Webstuhle sitzt und mit den Füßen
den Apparat bedient, der das Weberschiffchen hin- und herfliegen läßt.
Herodot (484-424 v. Chr.), der selbst in Ägypten war, führt als etwas
Bemerkenswertes an, daß die ägyptischen Weber gegen die sonstige
Gewohnheit den Einschlag nicht aufwärts, sondern niederwärts zu werfen
pflegen.

Durch wohlerhaltene Reste können wir uns selbst davon überzeugen,
daß die wegen ihrer Feinheit bei allen Mittelmeervölkern berühmten
altägyptischen Gewebe tatsächlich an Zartheit und Genauigkeit
unübertroffen waren. Dabei begnügte man sich nicht mit einfachen,
glatten Zeugen, sondern stellte auch wellen-, bogen- oder
zickzackförmig gestreifte, flechtwerk-, schachbrett- oder mäanderartig
gemusterte und solche mit einem feinen Arabeskenwerk von zierlich
geschlungenen Spirallinien her, zwischen welche sich Rosetten, Sterne,
Lotosblüten, gebüschelte Papyrusstengel, Skarabäen, Uräusschlangen, die
geflügelte Sonnenscheibe, Namensschilder und Hieroglypheninschriften
als füllende Elemente einschmiegen. Die verschiedenen dabei zur
Anwendung gelangenden Farben waren, wie uns Plinius berichtet, nicht
aufgemalt, sondern die Zeuge wurden in verschiedene Kessel mit
Farbstofflösungen getaucht und dennoch schließlich verschiedenfarbig
und schöngemustert herausgezogen. In einem Grabe zu Beni Hassan sehen
wir den Eigentümer die Länge der fertigen Leinwand ausmessen; dabei
steht ein Schreiber, der die Zahl der fertig verpackten Ballen ausmißt.

Aus Leinwand ~huma~ wurde vor allem der über den Hüften mit einem
Gürtel zusammengehaltene, bis an die Knie oder Knöchel reichende
Leibrock ~sten~, daneben vielfach auch das Überkleid ~hbos~
hergestellt. Herodot sagt von den Ägyptern: „Alle Ägypter tragen
eine Gewandung aus Leinen, die immer frisch gewaschen ist, was ihnen
die größte Angelegenheit ist. Die Gewandung der Priester ist nur
von Leinen, die Sandalen nur von ~býblos~ (Papyrus); eine andere
Kleidung und andere Beschuhung dürfen sie nicht tragen. Ihr Anzug sind
leinene Röcke, an den Beinen mit Franzen besetzt. Darüber tragen sie
weiße, wollene Oberkleider. Keiner jedoch geht mit wollenem Anzug in
den Tempel, noch wird einer damit begraben, und das stimmt mit dem
sogenannten arphyschen (einem ägyptischen) und mit dem pythagoräischen
Geheimdienst überein.“ Ungeheuer war auch der Verbrauch an Leinwand
für die Einhüllung der Mumien in die oft über 400 m langen Binden.
Darüber sagt Herodot: „... Alsdann waschen sie die Toten und umwickeln
den ganzen Leib mit Bändern, die aus Leinenzeug und ~býssos~ (feinste
Leinwand) geschnitten sind; sie streichen auch (arabischen) Gummi
darunter, dessen sich überhaupt die Ägypter statt des Leimes bedienen.“

Außer gewöhnlichen Stoffen zu Kleidern wurden auch namentlich für den
Export kunstvoll gewirkte, mit Goldfäden durchzogene, bunte Gewänder
in Weiß, Rot, Gelb, Grün, Blau und Schwarz, oft mit den schönsten
Mustern angefertigt. Aber auch Halstücher und Mäntel, Teppiche, Decken,
Panzer, Netze, Zelte, Taue und Segel wurden aus Flachs hergestellt.
So berichtet derselbe Herodot, daß die Ägypter zu der gewaltigen
Schiffbrücke, die der Perserkönig Xerxes, der seinem Vater Dareios
Hystaspis 485 v. Chr. gefolgt war und mit einem Landheer von einer
Million Mann und einer Flotte von 1200 Schiffen im Jahre 482 aufbrach,
um Griechenland zu unterjochen, über den Hellespont bauen ließ, die
Taue aus Byblos (Papyrus) und Flachs liefern mußten.

Von der Feinheit des in Ägypten erzeugten Flachses weiß auch noch
Plinius zu berichten, der in seiner Naturgeschichte schreibt: „Der
Flachs der Ägypter hat zwar die geringste Stärke, bringt ihnen
aber einen großen Gewinn. Es gibt dort vier Sorten: den tanischen,
pelusischen, butischen und tentyritischen; eine jede führt den Namen
von der Landschaft, in der sie wächst.“

Schon zur Zeit des Auszugs der Juden aus Ägypten (um 1280 v. Chr.)
muß es im Niltal ausgedehnte Flachskulturen gegeben haben, um den
großen Bedarf an Linnengewändern für den eigenen Bedarf und den damals
schon sehr ausgedehnten Export nach Syrien, Kleinasien und die Länder
am Ägäischen Meere zu bestreiten. Deshalb muß eine Flachsmißernte
damals in Ägypten einen großen Verlust in volkswirtschaftlicher
Beziehung bedeutet haben; denn sonst hätte man eine solche Mißernte
nicht unter die sieben Plagen gerechnet, die von Jahve, dem Gott der
Juden, durch Mose über die Ägypter verhängt wurden, da der Pharao
sie nicht aus seinem Lande ziehen ließ. „Und der Herr ließ Hagel
regnen über Aegyptenland, so grausam wie desgleichen dort noch nie
beobachtet worden war, seit Leute darin wohnen. Und der Hagel schlug in
Aegyptenland alles, was auf dem Felde war, beides Menschen und Vieh,
und schlug alles Kraut auf dem Felde und zerbrach alle Bäume auf dem
Felde. Also ward geschlagen der Flachs und die Gerste; denn die Gerste
hatte Schosse getrieben und der Flachs Knoten gewonnen. Aber Weizen und
Roggen ward nicht geschlagen; denn es war spätes Getreide.“ 2. Mose 9,
23 u. f.

In Palästina wurde bereits Flachs angebaut als die Juden von diesem
Lande Besitz nahmen. Wir erfahren dies aus dem Umstande, daß die
Kundschafter, welche Josua aussandte, auf dem Dache eines Hauses
unter Flachsstengeln verborgen gehalten wurden, die hier offenbar
zum Rösten an der Sonne ausgebreitet lagen. Die Verwendung des
Flachses muß bei den alten Juden eine recht vielfache gewesen sein;
so finden wir ihn zu Schnüren, Saiten, Lampendochten, Gürteln, wie zu
den verschiedenartigsten Kleidungsstücken verwendet. Feine linnene
Gewänder waren ihren Priestern, wie denjenigen Ägyptens, denen sie
diesen Brauch entlehnten, bei der Ausübung ihres Amtes als Tracht
vorgeschrieben. Grobe Gewänder aus ungeröstetem Flachs bildeten
hingegen die Bekleidung der ärmeren Volksklassen. Hier scheinen wie
anderwärts besonders die Frauen sich mit der Bearbeitung des Flachses
abgegeben zu haben. Auch in ganz Vorderasien, speziell Babylonien muß
nach dem um 25 n. Chr. gestorbenen griechischen Geographen Strabon seit
den ältesten Zeiten eine sehr rege Flachsindustrie bestanden haben. Er
bezeichnet insbesondere die Stadt Borsippa (einst am Euphrat gelegener
Stadtteil Babylons) als ein großes Industriezentrum für Leinen, das
dort jedenfalls fabrikmäßig hergestellt wurde. Derselbe Autor sagt von
den Babyloniern, daß sie einen leinenen, bis zu den Füßen gehenden
Rock, und darüber einen wollenen tragen. Auch von den Indiern sagt
er, sie tragen blumige Leinenkleider. Schon lange vor Strabon wußte
Herodot (484-424 v. Chr.) von den Assyrern zu berichten: „Die Assyrier,
welche stromabwärts Waren nach Babylon bringen, tragen einen leinenen
Rock, der bis zu den Füßen reicht,“ und an einer andern Stelle: „Die
Assyrier, welche im Heere des Xerxes (482 v. Chr.) dienten, trugen
leinene Panzer.“

Solche leinene Panzer müssen in ganz Westasien bis Griechenland
schon lange getragen worden sein; denn bereits in der Ilias werden
sie als ~linothṓrēx~ bei einigen auf seiten der Troer kämpfenden
kleinasiatischen Bundesgenossen erwähnt. Auch sonst ist der homerischen
Welt Linnen bekannt, aber zunächst wohl nur als fremdländische
Importware. So läßt in der Ilias Achilleus seinem ihn nach Troja
begleitenden Erzieher Phoinix ein weiches Bett zurecht machen, dem
als Decke Schaffelle und zarte Leinwand dienten, und in der Odyssee
bereiten die Phäaken dem Odysseus ein Lager aus leinenen Decken. Aber
der Gebrauch von linnener Gewandung war bei den ältesten Griechen
durchaus nicht gebräuchlich. Mit dieser ägyptisch-vorderasiatischen
Sitte scheinen sie erst durch die solche Ware auf ihren Schiffen
feilbietenden phönikischen Kaufleute bekannt gemacht worden zu sein.
Denn die bei ihnen übliche Bezeichnung ~chitṓn für das später unter
dem eigentlichen Kleide aus Schafwolle getragene leinene ärmellose
Unterkleid entstammt offenkundig dem phönikischen Worte ~kitonet~ für
Leinwand.

Die ältesten Griechen trugen wie alle übrigen arischen Stämme
ursprünglich nur wollene Gewandung, die bei ihnen die ältere
Fellkleidung abgelöst hatte. Zuerst wurde nur das Hemd aus Wolle
angefertigt und darüber trug man noch einen Fellüberwurf. Dann wurde
auch letzterer durch einen Wollmantel ersetzt. Solchermaßen waren auch
die Griechen der älteren Zeit gekleidet, bis sie durch die Vermittlung
der Phönikier ein kurzes, ärmelloses, leinenes Untergewand unter ihrem
wollenen Obergewand zu tragen begannen. Zuerst hatten die Ionier in
Asien das lange herabfließende Kleid aus Leinwand von ihren reichen
Nachbarn in Karien angenommen, und von ihnen ging dann diese Tracht
zu den blutsverwandten, früh die morgenländische Zivilisation bei sich
aufnehmenden Athenern über. Erst gegen die Zeit des peloponnesischen
Krieges, der von 421-404 v. Chr. währte, kam, wie der zeitgenössische
Geschichtschreiber Thukydides (470-402 v. Chr.) berichtet, auch bei
den Athenern das altgriechische wollene Untergewand wieder zu Ehren.
Er sagt: Nur unter den reicheren Bürgern hätten die älteren, am
Hergebrachten hängenden Leute den ihnen liebgewordenen Luxus linnener
Unterkleider nicht aufgeben wollen. Seitdem trugen nur die Frauen noch
linnene Stoffe, deren feinere Sorten als Byssos aus dem Morgenlande
eingeführt wurden.

Schon in den homerischen Epen werden, vermutlich noch ausschließlich
auf dem Handelswege aus Phönikien oder Ägypten eingeführte,
linnene Gewänder erwähnt. Die ~othónē~ wenigstens, ein feines
linnenes Frauenkleid von weißer Farbe, war, wie der Name und der
Zusammenhang der Stellen, in denen sie erscheint, lehrt, ein Erzeugnis
westasiatischer, nicht griechischer Kunstfertigkeit. Die auch sonst
mit semitisch-phrygischem Luxus umgebene Königin Helena, die eben ein
Gewand gewebt hat, doppelt und purpurn, in welchem die Kämpfe der Troer
und der Achäer zu schauen waren, eilt nach dem Dichter in die weiße
~othónē~ gehüllt aus dem Gemache. Auf dem runden Prunkschilde des
Achilleus sah man tanzende Jünglinge in Chitone gekleidet, während die
Jungfrauen mit der zarten ~othónē~ angetan waren. In dem Wunderschlosse
der Phäaken sitzen die Mägde webend und die Spindel gleich den im
Winde bewegten Blättern der Zitterpappel drehend; auch sie sind in
die von Salböl triefende ~othónē~ gekleidet, die als dichtgewebt und
mit Fransen, einer spezifisch westasiatisch-babylonischen Erfindung,
versehen hervorgehoben wird. Ebenso ist das bereits erwähnte Lager, das
die Phäaken dem Odysseus auf dem Schiffe bereiten und mit dem sie ihn
ans Land tragen, statt wie sonst mit Pelzen und Wollstoffen mit zartem
Linnen bedeckt. Auch die als weiß hervorgehobenen Segel der homerischen
Schiffe müssen aus Leinwand bestanden haben; nur das Tauwerk und
die Riemen, in denen die Ruder sich bewegten, waren aus Rindshaut
hergestellt. In der Odyssee, dem jüngeren homerischen Gedicht, wird ein
Schiffsseil aus ~býblos~ (Papyrus) erwähnt, das wie die linnenen Gewebe
auf dem Wege des Tauschverkehrs aus Ägypten eingehandelt wurde.

Über den Anbau der Leinpflanze selbst auf griechischem Boden liegen aus
älterer Zeit keine bestimmten Zeugnisse vor. Der im 8. vorchristlichen
Jahrhundert lebende griechische Dichter Hesiod erwähnt nirgends in
seinen Gedichten den Flachs. Dagegen erwähnt der um die Mitte des 7.
vorchristlichen Jahrhunderts lebende griechische Lyriker Alkman aus
Sardes in Lydien Leinsamen neben Mohn- und Sesamsamen als Genußmittel.
Als solches erwähnt ihn auch der im 4. vorchristlichen Jahrhundert
lebende Theophrast, der hinzufügt, der Flachs verlange zu seiner
Kultur einen guten Boden. Die späteren Schriftsteller wie Vergil und
Columella sagen von ihm, er sauge den Boden stark aus. Letzterer sagt
in seiner Schrift über den Landbau: „Wo der Lein nicht reichlich
wächst und gut bezahlt wird, sollte man ihn nicht säen, da er das Land
sehr aussaugt. Jedenfalls verlangt er sehr fetten, etwas feuchten
Boden und wird von Anfang Oktober bis Mitte Dezember gesät. Will man
recht zarte Fäden erzielen, so sät man ihn auf recht mageren Boden.
Man kann die Aussaat auch im Februar vornehmen.“ In bezug auf seinen
Anbau in Griechenland, der während der römischen Zeit allgemein war,
berichtet der Grieche Pausanias in seiner zwischen 160 und 180 n. Chr.
verfaßten Reisebeschreibung von den Bewohnern der Landschaft Elis,
in der das panhellenische Heiligtum von Olympia lag, daß sie je nach
der Beschaffenheit des Bodens Hanf oder Lein pflanzten. Jedenfalls
nahm der Lein zu keiner Zeit in der griechischen Bodenwirtschaft die
hervorragende Stellung ein, wie in manchen Gegenden des asiatischen
Kontinents, besonders in Persien und Babylonien, wo sich alle Vornehmen
und die Priester ausschließlich in Linnengewänder kleideten. Und zwar
waren diejenigen der letzteren, gleich denen aller vorderasiatischen
Kulte, wie die der ägyptischen Priester weiß als Symbole der reinen
Gottesdiener. Nach Philo warf der Hohepriester das bunte Gewand ab,
sobald er das Allerheiligste betrat, und trat im weißen Linnenhemde
vor die Gottheit. Diese asiatisch-ägyptische Kultussitte, der auch die
Juden huldigten, ging dann später in Europa auf die ähnliche Satzungen
befolgenden Pythagoräer, die Orphiker, die Priester des Isis und
des Mithras zur römischen Kaiserzeit und auf alle gottesdienstliche
Funktionen Ausübenden über und erhielt sich als weißes Chorhemd bis auf
den heutigen Tag.

Von dem Lande der ältesten Flachskultur, Babylonien, drang diese
Industrie sehr früh auch zu den Bewohnern von Kolchis in Transkaukasien
vor, die später bei den Umwohnern einen besonderen Ruf für ihre
ausgezeichneten Leinenstoffe erhielten. Diese müssen auch von
besonderer Güte gewesen sein, denn Herodot sagt: „Einzig die Kolchier
kommen den Ägyptern gleich, wie auch ihre ganze Lebensweise und die
Sprache Ähnlichkeit mit derjenigen der letzteren hat. Die kolchische
Leinwand wird von den Hellenen sardonische genannt, die jedoch, welche
von Ägypten kommt, nennt man ägyptische.“ Solches sardonisches Leinen
wurde wie ägyptisches viel nach Griechenland importiert und hier von
den Vornehmen, die sich gern in solch feine, teure Ware kleideten,
gekauft. Wie bei den übrigen Asiaten war solches Leinen meist bunt
gefärbt und glänzend durchwirkt und wegen ihrer höchsten Feinheit halb
durchsichtig, wie es von den Reichen gerade so geschätzt wurde wie
an den vorderasiatischen Höfen. Eine spezielle, in Asien wohl seit
alten Zeiten gebräuchliche Anwendung des Flachses war die zu linnenen
Panzern, durch welche das Geschoß des Feindes, wie die Zähne und
Krallen der bekämpften Raubtiere wenigstens einigermaßen abgehalten
wurden. Von dem vom ägyptischen König Amasis II. (570-526 v. Chr.) den
Spartanern und dem Tempel der Athene zu Lindos auf Rhodos geschenkten,
auf das prächtigste mit Tierbildern und Goldfäden durchwirkten leinenen
Panzerhemd, einem Meisterwerk der ägyptischen Kunstfertigkeit, war
bereits die Rede. Solche schönbestickte Panzerhemden waren auch in
ganz Vorderasien geschätzte Schmuckstücke der Anführer, während
die gemeinen Soldaten unbestickte trugen. So waren nach Herodot
die Assyrier und Perser vielfach mit solchen linnenen Panzerhemden
bekleidet, und auch die Bemannung der phönikischen und kleinasiatischen
Schiffe im Kriegszug des Xerxes (482-480 v. Chr.) trug die bei ihnen
landesüblichen linnenen Panzer. Xenophon berichtet in seiner Anabasis,
der Heimkehr der zehntausend Mann griechischer Truppen nach der
unglücklichen Schlacht von Kunaxa im Jahre 401 v. Chr., daß sowohl die
im armenischen Hochlande hausenden Chalyber, als auch die Mossynöken
an der Südküste des Schwarzen Meeres bis über die Knie reichende
kittelartige linnene Panzer trugen, die zum besseren Schutze gegen
allfällige Verletzungen ihres Trägers gepolstert waren.

Durch das ganze griechische Altertum wird öfter der linnene Panzer
erwähnt. So trug in der Ilias nicht nur der halbbarbarische Asiate
Amphios, Sohn des Merops, einer der troischen Bundesgenossen,
sondern auch ein Grieche, Ajax, der Führer der Bogen und Schleuder
statt der Speere und Schilde führenden Lokrer, wie die Chalyber
des Xenophon solche Linnenpanzer. In dem um die Mitte des 7.
vorchristlichen Jahrhunderts von Delphi ergangenen, später berühmt
gewordenen Orakelspruch werden die Bewohner von Argos mit dem sie
charakterisierenden Beiwort die linnenbepanzerten belegt. In einem
Gedicht des als Zeitgenosse der Sappho um 600 v. Chr. lebenden
griechischen Lyrikers Alkaios aus Mytilene auf Lesbos wird unter
anderen Kriegswaffen auch der Linnenpanzer genannt, und solche Panzer
sah der Verfasser des griechischen Baedeker, Pausanias, noch um die
Mitte des 2. christlichen Jahrhunderts als sehr alte Weihgeschenke
öfter in den von ihm besichtigten Tempeln aufgehängt. Derselbe Autor
berichtet, daß auch in den aus Söldnern sehr verschiedener Herkunft
bestehenden karthagischen Heeren der Linnenpanzer einen wichtigen
Bestandteil ihrer Bewaffnung ausmachte.

Es konnte nun nicht fehlen, daß verschiedene aus Linnen bestehende
Handelsartikel, vornehmlich Tücher und Kleider, durch den
regen Schiffsverkehr der Griechen frühzeitig auch nach Italien
hinübergebracht wurden. Nach Diogenes von Laerte soll zur Zeit, als der
von Samos gebürtige griechische Philosoph Pythagoras nach Kroton in
Unteritalien übersiedelte -- es war im Jahre 529 v. Chr. --, das Tragen
des ionischen Linnenkleides daselbst noch ungebräuchlich gewesen sein,
so daß sich Pythagoras wie alle übrigen Einwohner jener Stadt in weiße
Wolle kleidete. Dagegen berichtet uns der römische Geschichtschreiber
Livius, daß die Etrusker um Veji nach der Mitte des 5. Jahrhunderts
v. Chr. sich linnener Panzerhemden bedienten, oder daß wenigstens ihr
König, wenn er zu Pferd in die Schlacht zog, einen solchen trug. Denn
als A. Cornelius Cossus den König Tolumnius von Veji in der Schlacht
tötete, weihte er dessen ~thorax linteus~ dem Tempel des Jupiter
~feretrius~ auf dem Kapitol in Rom, wo ihn Kaiser Augustus noch sah und
die Weihinschrift las, als er den genannten Tempel, der zu verfallen
drohte, wieder herstellte. Und von einer anderen etruskischen Stadt,
Tarquinii, meldet er, daß sie gegen das Ende des zweiten punischen
Krieges, der von 218-201 v. Chr. dauerte, Leinwand zu Segeln an die
damals neu zu erbauende römische Flotte beisteuerte. Derselbe Livius
berichtet von den tapferen, das Hochland des Appennins bewohnenden
und kulturell von den Etruskern stark beeinflußten Samniten, die in
drei Kriegen (343-341, 326-304 und 298-290 v. Chr.) gegen die Römer
kämpften, bis sie von ihnen 290 unterworfen wurden: „Als die Samniten
den Entschluß gefaßt hatten, auf Tod und Leben gegen die Römer zu
kämpfen, warben sie 40000 Mann, umzäunten mitten im Lager einen Platz
von 200 Schritt Durchmesser, bedeckten ihn mit linnenen Tüchern und
ein alter Priester las beim Opfer aus einem alten linnenen Buche vor.“
Es hatte also die weiße Leinwand an sich schon etwas Sakrales, und
derselbe Autor bemerkt in seiner Geschichte Roms mehrmals, daß auch bei
den Römern die ältesten Urkunden und Verträge auf Leinwand geschrieben
seien und in Tempeln aufbewahrt würden.

Als dann die Römer die Erbschaft der Samniten und der Griechen
übernahmen, wurden auch die orientalischen Linnenkleider, wenigstens
bei den Vornehmen, die sich solchen Luxus leisten konnten, Sitte. Aber
bis weit in die Kaiserzeit hinein waren solche nicht Erzeugnisse der
heimischen Industrie, sondern fremde Importware, die um schweres Geld
vom Morgenlande eingehandelt werden mußte. So führt der römische Redner
und Schriftsteller Cicero (106-43 v. Chr.) in einer seiner berühmten
Reden gegen Gajus Verres, der als Statthalter von Sizilien während der
Jahre 73-71 nicht weniger als 40 Millionen Sesterzien (= 6 Millionen
Mark) aus jener Provinz erpreßt hatte und darob im Jahre 70 angeklagt
wurde, neben dem Purpur von Tyrus, Weihrauch, wohlriechenden Essenzen,
feinen Weinen, geschnittenen Steinen und Perlen auch Linnenkleider als
Gegenstände des verschwenderischen Luxus seiner Zeit an, so wie wir
etwa sagen würden: Diamanten und Spitzen. Aber nicht nur sich selbst
kleideten die vornehmen Römer in diese kostbaren Erzeugnisse der
morgenländischen Industrie, sondern auch ihre Geliebten, jene gefällige
Freundinnen, deren körperliche Reize durch die purpurfarbigen und
goldgestickten, infolge ihrer Feinheit schleierartig durchsichtigen
linnenen Gewänder von Tyrus, Kos und Amorgos, den berühmtesten Zentren
ihrer Herstellung, mehr verraten als verhüllt wurden. Selbst die
Dienerschaft trug kostbares Linnen, so besonders die jungen Sklaven,
die bei den schwelgerischen Gastmählern servierten.

Mehr und mehr wurde die fremde Leinwand zumal im Rom der Kaiserzeit
populär. Um das zuschauende Volk vor der Sonne zu schützen, ließen
reiche Magistrate und Cäsaren Schutzdächer aus Leinwand über die
Theater und Amphitheater wie auch über die Gerichtsstätte, das Forum,
spannen. Beim Wechsel der Mode, über den schon früh, noch zur Zeit der
Republik, geklagt wurde, erschienen stets wieder neue Kleiderformen,
Tücher, Binden usw. aus Leinenstoff, so beispielsweise der ~supparus~.
Ursprünglich war dies die Bezeichnung eines kleinen Segels, dann
eines Frauengewandes; denn, wie in Athen, bürgerten sich in Rom und
in dessen westlichen und nördlichen Provinzen jeweilen zuerst linnene
Frauengewänder vor solchen für die Männer ein. Dann wurde es vornehme
Sitte, ein Stück feines Linnen als Schmucktuch in oder an der Hand
zu tragen, ganz nach Art jener „Handtücher“ im ursprünglichen Sinne
des Wortes, die auch die vornehmen Griechen zu Herodots Zeit im
5. vorchristlichen Jahrhundert getragen hatten. Dieses, nach dem
damit abzutrocknenden Schweiße als ~sudarium~ bezeichnete feine,
weiße Linnentüchlein wurde als ~manipulum~ (von ~manus~ Hand, also
„Handtuch“) nicht nur die ganze römische Kaiserzeit hindurch als Zierde
und Auszeichnung des vornehmen Standes getragen, sondern dann auch
von den Byzantinern übernommen. Auf allen Darstellungen des höfischen
Lebens jener Zeit, von denen diejenigen auf den berühmten Mosaiken der
Kirche San Vitale in Ravenna mit der Darstellung des Kaisers Justinian
und seiner Gemahlin Theodora die bekanntesten sind, tritt uns bei den
vornehmen Männern des kaiserlichen Gefolges dieses viereckige, feine,
weiße Linnentüchlein außen am Gewand angeheftet entgegen. Und während
es bei uns in die erst später erfundenen Gewandtaschen wanderte, um als
gemeines Taschentuch einem praktischen Zwecke zu dienen, hat es in der
Hand der Dorfschönen besonders bei den Südslawen als Ziertuch immer
noch den alten Adel gewahrt. Die konservativste aller menschlichen
Einrichtungen, die Kirche, hat dieses alte „Handtuch“, das ~manipulum~
der spätrömischen Zeit, als ein Stück gestickten Brokats am Arme des
katholischen Meßpriesters erhalten, während es in der griechischen
Kirche zum Orarion umgebildet wurde.

In den luxuriösen Bädern des alten Rom dienten dichtgewebte
Leinwandtücher zum Abtrocknen und als Tischdecken. Letztere waren
unter dem Namen ~mantelia~ oder ~mantela~ dazu bestimmt, den aus
kostbarem Holz -- meist ~citrum~, d. h. harzreichem, duftendem Holz
verschiedener Koniferenarten, besonders einer auf dem Atlasgebirge in
Afrika wachsenden Zypresse -- bestehenden Tisch gegen Beschädigungen
der beim Speisen aufgetragenen Schüsseln zu schützen. Solche nahmen die
germanischen Barbaren bei ihren räuberischen Einfällen in römisches
Gebiet an sich und benutzten sie als willkommene Umschlagtücher, deren
lateinische Bezeichnung zum deutschen Mantel wurde.

Auch die in Theater und Amphitheater ausgespannten großen Tücher zum
Spenden von Schatten waren aus Leinen verfertigt. Plinius (23-78
n. Chr.) erzählt uns darüber: „Der erste, der solche Tücher aus
Leinwand ausspannte, war Lentulus Spinther bei den Apollinischen
Spielen im Theater. Dann spannte der Diktator Cäsar über das ganze
Forum, ferner über die Heilige Straße von seinem Hause bis an das
Kapitol eine Leinwanddecke aus. Auch Marcellus, Schwestersohn des
Augustus, hat das Forum mit einer Leinwanddecke überzogen. Neulich
haben sogar himmelblaue, mit Sternen übersäte leinene Segeltücher
im Amphitheater des Nero gehangen; die über den Höfen seines Hauses
sind rot.“ Später wurde noch weit größerer Prunk mit diesen als ~vela~
bezeichneten Sonnentüchern getrieben.

Trotz allem Fortschreiten des Luxus, der große Mengen von Leinwand
bedurfte, hat aber Italien südlich von Rom -- und dieser Teil der
Halbinsel war ja in den ersten Zeiten der römischen Weltherrschaft
gerade der zunächst gebende und empfangende, derjenige, auf den
gleichsam das Gesicht der Hauptstadt gerichtet war und über den der
Weg in die wichtigsten Provinzen des römischen Reiches führte -- auch
in späterer Zeit nur verhältnismäßig sehr wenig Flachs angebaut. Der
149 v. Chr. gestorbene ältere Cato, der unversöhnliche Gegner des nach
dem zweiten punischen Kriege (218-201 v. Chr.) wieder aufblühenden
Karthago, erwähnt in seinem Buche über die Landwirtschaft nicht einmal
den Flachs. Auch Columella, der römische Ackerbauschriftsteller des 1.
Jahrhunderts n. Chr., legt dieser Kultur keinen Wert bei. Er erwähnt
zwar den Flachs, aber er zählt ihn mit Bohnen, Linsen, Erbsen und
anderen Arten von ~legumina~, also Gemüsen, zur Gewinnung von Leinsamen
zu Speisezwecken auf. Erst der im Jahre 79 n. Chr. beim Vesuvausbruche
umgekommene ältere Plinius lenkt die Blicke seiner Landsleute auf
die Asien und Ägypten seit langem bereichernde Leinkultur, für die
sich auch Italien eignen würde. Aber in diesem Lande gab sich nur
der ehemalig etrurische und keltische nördliche Teil eingehender mit
dieser Kultur ab. So sagt Plinius in seiner Naturgeschichte: „Die
Anwendung des Leins erstreckt sich über alle Länder und Meere, denn
mit Hilfe leinener Segel schiffen wir von der sizilischen Meerenge in
6-9 Tagen nach Alexandrien, von Gades (Cadix in Spanien) in 7 Tagen
nach Ostia (an der Tibermündung), aus Afrika dahin in 2 Tagen. Die
Leinpflanze wächst aus einem ganz unbedeutendem Samen und muß, wenn sie
dem Menschen dienen soll, erst bis zur Feinheit der Wolle verarbeitet
werden. Damit weben die Ägypter, Gallier und Germanen leinene Segel.“

Berühmt durch seinen Flachsbau war schon im 1. Jahrhundert n. Chr.
Spanien, aus dem überaus feines Linnen besonders nach Rom ausgeführt
wurde. Hier muß diese Kultur schon alt gewesen sein; denn der
Geschichtschreiber Livius berichtet, daß die Iberer in der Schlacht
bei Cannae (216 v. Chr.), jenem glänzenden Siege Hannibals, in dessen
Gefolgschaft sie gegen die Römer kämpften, nach Landessitte farbig
gesäumte Linnenröcke trugen. Nach Strabon trieben besonders die
Emporiten eine ausgedehnte Leinwandindustrie, und trugen die wilden,
räuberischen Lusitanier im heutigen Portugal Linnenharnische. Plinius
rühmt die feinen Siebe aus Flachsfäden als ursprünglich spanische
Erfindung und nennt die ferne Stadt Zoelae am Strande des Atlantischen
Ozeans im Lande der rohen Asturer als Flachs bauend. Besonders berühmt
für ihr feines Leinen war Saetabis und Tarraco (die heutigen Städte
Xativa und Tarragona), wo das Produkt die phönikische Bezeichnung
~carbasus~ trug, die ihrerseits wiederum mit dem indischen Namen
~karpasi~ für Baumwolle zusammenhängt.

Der ältere Plinius (23-79 n. Chr.) gibt uns eine ausführliche
Schilderung der Leinkultur bei den alten Römern: „Der Lein (~linum~)
wird vorzugsweise auf sandiges, einmal gepflügtes Land gesät und
wächst ungemein schnell. Im Frühjahr gesät wird er schon im Sommer
gerauft. Das Reifen derselben erkennt man am Schwellen des Samens und
am Gelbwerden der Pflanze. Nun wird er ausgerissen, in Bündel gebunden,
die man mit der Hand umspannen kann. Diese Bündel werden 6 Tage lang
an die Sonne gehängt, wobei der Samen ausfällt. Dieser hat Heilkräfte,
wurde auch sonst jenseits des Padus (Po) in eine ländliche süße Speise
getan; jetzt wird er nicht mehr gegessen, wohl aber bei Opfern. Nach
der Weizenernte werden die Flachsstengel in Wasser gelegt, das von
der Sonne durchwärmt ist, und durch ein Gewicht unter die Oberfläche
gedrückt. Ob sie gehörig gerottet (~macerari~) sind, sieht man daran,
daß sich der Bast (~membrana~) leicht ablösen läßt. Dann werden sie an
der Sonne getrocknet und hernach auf einem Stein mit einem besonderen
hölzernen Hammer geklopft. Die der Rinde am nächsten liegenden
Schichten sind von geringem Wert und werden besonders zu Lichtdochten
verwendet. Gleichwohl werden auch sie durch die eisernen Haken gekämmt
(gehechelt), bis sie ganz entrindet sind. Das innere Mark (~medulla~)
wird noch mehrfach nach Glanz, Weiße und Weichheit unterschieden. Den
Flachs zu hecheln und zu sortieren ist eine Kunst; denn aus 50 Pfund
Flachsbündeln müssen 15 Pfund reiner Flachsfäden gemacht werden. Auch
das gesponnene Garn und das fertige Gewebe wird noch durch Eintauchen
in Wasser und Klopfen veredelt. Das kumanische Garn aus Kampanien
eignet sich trefflich zu Fisch- und Vogelfang, ja zum Fangen der
Wildschweine in Netzen. Die Fäden der Ebergarne sind aus 150 einfachen
Leinfäden zusammengesetzt. Gezupfte Leinwand, vorzüglich aus Segeln der
Schiffe, wird vielfach in der Heilkunst gebraucht. -- Man färbt auch
Leinwand. Dies soll zu Alexanders (des Großen) Zeit zuerst geschehen
sein. Seine Flotte fuhr (326 v. Chr.) mit farbigen Flaggen den Indus
hinab. In der Schlacht bei Actium (31 v. Chr.) trug das Admiralsschiff,
auf welchem sich Kleopatra und Antonius befanden, purpurfarbige Segel.“

Ganz Gallien bis zum äußersten Norden wird von Plinius als Flachs
bauend und Leinwand webend geschildert. Die Anfänge der flämischen
Leinenindustrie reichen wenigstens bis zum 1. Jahrhundert n. Chr.
zurück, und daß auch die Gegend um Reims feine Leinwand erzeugte, das
lehrt uns die italienische Sprache in dem Worte ~renso~ für eine von
dort bezogene besonders gute Qualität. Selbst bis zu den Germanen
jenseits des Rheins, fährt Plinius fort, ist diese Kunstfertigkeit
gedrungen. „Das germanische Weib kennt kein schöneres Kleid als das
linnene; dort sitzen sie in unterirdischen Räumen (Grubenwohnungen)
und spinnen und weben.“ Ungefähr dasselbe sagt der Geschichtschreiber
Tacitus (54-117 n. Chr.) in seiner Germania: „Die Frauen kleiden
sich wie die Männer, nur daß sie sich häufiger als diese in linnene
Tücher hüllen, die sie mit roter Farbe verzieren.“ Die Männer trugen
also noch die Wollkleidung, selbst Felle, während die Frauen auf
ihren Hackfeldern Flachs zogen und sich mit daraus hergestellten
Linnenkleidern schmückten.

All dieser Flachs war der einjährige, von ~Linum usitatissimum~,
der im Gegensatz zum minder wertvollen mehrjährigen der Pfahlbauern
erst sehr spät aus Westasien nach Mitteleuropa gelangte. Durch seine
einjährige Vegetationsdauer eignete er sich auch viel besser für die
rauhen Gegenden Germaniens. Und zwar wurde diese Kulturpflanze wie im
Griechischen ~línon~, so im Lateinischen ~linum~ und von da bei allen
Nordvölkern Lein bezeichnet. Nur in Westgermanien kam die mit dem
Begriff Flechten zusammenhängende Bezeichnung Flachs für ihn auf.

Bei den Kelten und Germanen hat sich dann die vom Süden her durch die
Römer vermittelte Sitte der linnenen Kleidung sehr rasch eingebürgert;
ja, diese Völkerschaften beeinflußten sogar ihre vormaligen Lehrmeister
in der Weise, daß sie ihnen neue Verwendungen des Linnens lehrten. So
haben die Gallier zuerst mit Pferdehaaren oder Vogeldaunen gestopfte
Leinwandsäcke als Polster und Kissen verwendet und sie in der Folge
auch in Italien populär gemacht, wo man sich zum Sitzen und Liegen
bis dahin bloßer Lagen von Decken und weichen Stoffen bedient hatte.
Sie waren es ebenfalls, die durch alle Schichten der Bevölkerung
zuerst das Hemd aus Leinen trugen, wofür sie den zuerst beim heiligen
Hieronymus vorkommenden Namen ~camisia~ aufbrachten, woraus später
das französische ~chemise~ für Hemd wurde. Vor ihnen hatten nur Frauen
vornehmen Standes Leinwand unmittelbar am Körper getragen, und vom
römischen Kaiser Alexander Severus, der von 222 an regierte und im
Jahre 235 unweit Mainz von aufrührerischen Soldaten ermordet wurde,
schreibt sein Biograph Lampridius, daß er weißes Linnen als Unterkleid
liebte, weil es nichts Rauhes (wie die sonst getragene Wolle) habe.
Einige Dezennien später schenkte Kaiser Aurelian seinem Volke
weiße, mit Ärmeln versehene Tuniken, die in verschiedenen Provinzen
angefertigt waren, darunter auch ungefärbte linnene aus Ägypten und
Afrika.

Im Laufe der Völkerwanderung hat sich das linnene Kleid bei allen
Germanenstämmen als gewöhnliche Volkstracht eingebürgert. Die Westgoten
trugen über den Leinenhemden, die uns vom Berichterstatter Sidonius
Apollinaris, der mit den Ältesten derselben im Namen des byzantinischen
Kaisers verhandelte, als sehr schmutzig bezeichnet werden, Pelze, und
die Franken neben den ledernen auch linnene Hosen. Von den Germanen kam
dann der Flachsbau mit dem dem Lateinischen entnommenen Namen zu den
Slawen. Wie die deutsche Hausfrau bis in die Neuzeit selbst gesponnenes
Leinenzeug als ihren wertvollsten Schatz aufspeicherte, so bildete
Leinwand in den Grenzgebieten der Germanen und Slawen das gewöhnliche
Tauschmittel. Als solches wird sie aber auch in altnordischen Gesetzen
genannt; in Skandinavien bildete sie neben dem einheimischen Wollstoff
eine sehr gerne in Tausch genommene Wertsache. Endlich fand beim
Weiterrücken der Kultur der Leinbau an der Ostsee und in Rußland eine
neue Heimstätte, wo sie bis auf den heutigen Tag zunehmende Bedeutung
erlangte.

Es kann nicht unsere Sache sein, die Bedeutung des Flachses durch das
Mittelalter, wo jedermann wenigstens am Tage -- nachts lag man nackt
im Bett -- Leinenhemden trug, bis zur Jetztzeit zu illustrieren. Es
genüge nur daran zu erinnern, welche große Bedeutung Leinenzeug, zumal
die Brabanter und Venezianer Spitzen, im 17. und teilweise noch im 18.
Jahrhundert genoß, bis schließlich auch hierin der ältere Lein durch
die jüngere Baumwolle, die ihren Siegeszug durch die ganze Welt antrat,
verdrängt wurde.

Der Lein gedeiht am besten in feuchtem, kühlem Klima; bei Trockenheit
bleibt er kurz im Stengel. Die beste Qualität wächst auf humosem
Lehmboden unter dem Einfluß des Seeklimas, so in den Ostseeprovinzen
Rußlands, in Belgien, Holland und vor allem Irland. Gepflanzt wird
er gewöhnlich nach frisch umgebrochenem Rotklee oder nach Getreide.
Weil er dem Boden viel Nährsalze entzieht, versagt er nach sich
selber. Er wird möglichst frühzeitig gesät und braucht zur Vollendung
seines Wachstums 90-120 Tage. Sobald das untere Drittel der Stengel
gelblich geworden ist wird er gerauft, auf dem Felde getrocknet, dann
die Samenkapseln an einem eisernen Kamm abgeriffelt. Zur Gewinnung
des Rohflachses werden die Stengel zur Zerstörung des Pflanzenleims,
der den Bast, das eigentliche Fasermaterial verbindet, gerottet,
d. h. in weichem, möglichst kalkfreiem Wasser einer gelinden
Fäulnis unterworfen, bis sich der Bast leicht vom inneren Holz
abstreifen läßt, was in 10-14 Tagen der Fall ist. Dann werden die
sortierten Stengel mit der Brake gebrochen, um den holzigen Kern
des Flachsstengels in kleine Stückchen zu zerlegen, die dann durch
Schwingen mit Hilfe eines hölzernen Messers entfernt werden. Zuletzt
werden noch die bandartig zusammenhängenden Fasern gehechelt, d. h.
durch Eisenkämme gezogen, welche alle Unreinlichkeiten, sowie die
kurzen und verwirrten Fasern zurückhalten. Diese heißen +Werg+ oder
+Hede+ (alt- und mittelhochdeutsch ~rîste~) und dienen zum Polstern
oder auch zur Herstellung grober Gespinste und Gewebe. Die glatten,
gleichmäßigen Strähne aber liefern den eigentlichen Flachs, der früher
in vielen Häusern zu Leinengarn gesponnen wurde, eine Manipulation,
die gegenwärtig fast ausschließlich durch Maschinen besorgt wird. Die
Spinnmaschine, welche in ihren Grundzügen von Ayres konstruiert wurde,
ist neben dem vom Engländer Cartwright im Jahre 1787 konstruierten
mechanischen Webstuhl eine der wunderbarsten und nützlichsten
Erfindungen des menschlichen Geistes. Sie zieht nicht nur den Faden
aus, sondern dreht und wickelt ihn zugleich auf die Spule.

Der ausgehechelte Flachs hat Fasern von 30-60, höchstens 70 cm Länge,
die durch den Rest des Pflanzenleims zusammengehalten werden. Sie
bestehen aus festen, fast bis zum Verschwinden des Hohlraums verdickten
sogenannten Bastzellen. Der beste Flachs mit den längsten Fasern ist
lichtblond oder silbergrau mit Seidenglanz. Die Gesamtproduktion
Europas wird auf 700 Millionen kg geschätzt; davon entfallen 500
Millionen kg auf Rußland und etwa 100 Millionen kg auf Deutschland
und Österreich. Auch Ägypten und Nordamerika erzeugen große Mengen
desselben. Die Fabrikationsdistrikte für leinene Gewebe sind für
Deutschland besonders in Schlesien und Westfalen (um Bielefeld)
gelegen. Seit langem ist besonders das Brabanter Leinen in Form von
Battist wegen seines überaus feinen Gewebes berühmt. Auch Irland
liefert sehr gute Leinen, ebenso das nördliche Böhmen.

Sehr viel später als der Lein ist der +Hanf+ (~Cannabis sativa~), ein
naher Verwandter des Hopfens, in die Länder am Mittelmeer und nach
Europa gelangt. Die alten Babylonier, Ägypter, Juden und Phönikier
haben ihn noch nicht gekannt. Zuerst wird er in Indien zwischen 800
und 900 v. Chr. als angebaute Nutzpflanze unter dem Namen ~bhanga~
erwähnt, dann in dem um 500 v. Chr. verfaßten chinesischen Buche
Schu-king. Seine Heimat ist Zentralasien, wo er in Turkestan bis zum
Baikalsee, aber auch südlich vom Kaspischen Meer und in Südrußland
stellenweise noch als Wildling gefunden wird. Dort irgendwo muß er von
einem uns unbekannten Volksstamme zuerst als Nährpflanze zur Erlangung
der ölreichen Samen, dann als Genußpflanze zur Gewinnung des Haschisch
und zuletzt erst als Gespinstpflanze gezogen worden sein und sich
langsam als Kulturpflanze allseitig ausgebreitet haben. Zu den mit
ihren zahlreichen Herden nomadisierenden Skythen in Südrußland kam er
als Genußmittel, indem diese sich nach dem Berichte des Vaters der
Geschichte, Herodot (484-424 v. Chr.), in der Weise berauschten, daß
sie in geschlossenen, kleinen Filzzelten (Jurten) Hanfsamen auf heiß
gemachte Steine warfen und die sich dabei entwickelnden betäubenden
Dämpfe einatmeten, bis sie, in Ekstase geratend, „vor Freude brüllend“
daraus herausrannten. Von den Thrakern berichtet derselbe Autor,
daß sie aus den Fasern dieser Pflanze Kleider webten. Damals, im
5. vorchristlichen Jahrhundert war diese Pflanze den Griechen noch
unbekannt. Erst später erhielten sie dieselbe aus dem Balkan unter
dem Namen ~kánnabis~, der dann unverändert von den Römern übernommen
wurde. Und die Balkanstämme, die ihn den Griechen vermittelten, gaben
ihn dann auch nordwärts in die Donaugegenden und nach Germanien ab.
In Albanien als ~kanep~, bei den Tschechen und Slawen als ~konop~
bezeichnet, gelangte er als ~hanaf~ zu den Germanenstämmen. Aus
diesem althochdeutschem Worte ist dann mittelhochdeutsch ~hanef~ und
neuhochdeutsch Hanf geworden. Nach einer sehr ansprechenden Vermutung
Schraders liegt die einfachste Form des Namens im tscheremissischen
(einer Sprache des Kaukasus) ~kene~ Hanf vor, während der zweite
Bestandteil ~bis~ oder ~pis~ in der syrjänischen und wotjakischen
(sibirischen Stämmen) Benennung der Nessel ~piš~ seine Entsprechung
finden würde, so daß also ~cannabis~ eigentlich „Hanfnessel“ bedeuten
würde.

Von Griechenland wanderte die Kenntnis und der Anbau des Hanfes erst in
verhältnismäßig später Zeit nach Sizilien und Unteritalien und von da
nach Mittel- und Norditalien. Der ums Jahr 200 n. Chr. in Alexandrien
und Rom lebende Grieche Athenaios, der uns in seinen auf uns gekommenen
15 Büchern ~Deipnosophistai~ wichtige Nachrichten über Leben und
Leistungen der alten Griechen hinterließ, berichtet von König Hieron
II. von Syrakus (regierte von 269-215 v. Chr.), er habe ein ungeheures
Prachtschiff bauen lassen, zu dem er von allen ihm bekannten Ländern
je das Vorzüglichste in seiner Art kommen ließ. Pech und Hanf habe er
vom Rhonefluß in Gallien bezogen. Dort muß also zu seiner Zeit der Hanf
besonders gut gediehen sein. Zu den Kelten, die sich seiner Samen, wie
wir aus anderer Quelle wissen, auch als Ölspender und Betäubungsmittel
bedienten, was bei den Griechen und den von diesen damit beschenkten
Römern durchaus nicht üblich war, wird er jedenfalls nicht durch
griechische Vermittlung über die Kolonie Massalia, dem heutigen
Marseille, sondern direkt von Osten her aus der Donaugegend gekommen
sein.

Der ältere Cato (234-149 v. Chr.) nennt in seiner Schrift über den
Landbau weder Flachs noch Hanf. Der erste römische Schriftsteller,
der den Hanf erwähnt, indem er von einem hänfenen Strick spricht,
ist der ums Jahr 100 v. Chr. lebende Satiriker Lucilius. Nach ihm
erwähnt ihn der gelehrte Varro (116-27 v. Chr.) in seiner Schrift über
den Landbau. Er schreibt darin: „Hanf, Lein, Simsen (~juncus~) und
Spartgras (~spartum~) werden auf Feldern gezogen, um aus ihnen Stricke
und Seile anzufertigen.“ Das seit dem zweiten punischen Kriege (218-201
v. Chr.) von Spanien her bei den Römern als Bastpflanze aufgekommene
Spartgras (auch ~Esparto~, von ~Stipa tenacissima~), das bis auf
den heutigen Tag viel von Südspanien und dem westlichen Nordafrika
exportiert wird, schränkte den Anbau des Hanfes in Italien sehr ein.
Doch wurde er in der Zeit der römischen Kaiser stellenweise angepflanzt
und gedieh vortrefflich; denn der 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch als
Befehlshaber der bei Misenum stationierten Heimatflotte umgekommene
ältere Plinius berichtet in seiner Naturgeschichte, daß in dem durch
seine Fruchtbarkeit berühmten Landstrich um Reate im Sabinerland der
Hanf baumhoch werde. Sein Anbau fand damals wie heute besonders in den
Niederungsdistrikten Italiens und Siziliens statt.

Nach dem nördlichen Europa verbreitete sich die Hanfkultur ziemlich
spät und nur strichweise, soweit das Klima milde und der Boden
humusreich und feucht ist. Die Pflanze wächst in größeren weiblichen
und kleineren männlichen Individuen. Merkwürdigerweise aber bezeichnet
der Deutsche die letzteren als Fimmel oder Femell (vom lateinischen
~femella~ Weibchen) und die ersteren als Mäschel (vom lateinischen
~masculus~ Männchen), wohl von der Vorstellung ausgehend, daß das
Kürzere und Schwächere weiblich und das Größere, Stärkere männlich
sein müsse. Der Hanf liebt wärmeres Klima als der Flachs und ist
gegen Kälte und Spätfröste sehr empfindlich. Da er aber nur eine
Vegetationsdauer von 90-105 Tagen hat, so läßt er sich in Europa noch
in den Küstenländern der Ostsee kultivieren. Am besten gedeiht er
auf tiefgründigem Humusboden. Man sät ihn, wenn keine Fröste mehr zu
befürchten sind, zieht die kürzeren männlichen Hanfpflanzen aus, sobald
deren Blätter gelb werden, ebenso nach weiteren 4-6 Wochen die höheren
weiblichen, wenn diese gelb zu werden beginnen. Die Gewinnung der zum
Verspinnen oder zur Seilfabrikation usw. bestimmten Fasern erfolgt im
allgemeinen in der beim Flachs angegebenen Weise durch Rotten, Brechen,
Schwingen und Hecheln. Die 1 bis 2 m langen Hanffasern sind weißlich
oder grau und weit gröber als die Flachsfasern; die darin enthaltenen
einzelnen Bastzellen sind 1,5 bis 2,5 cm lang und sehr hygroskopisch.
Die Hanfproduktion Europas und Nordamerikas beziffert sich auf etwa
500 Millionen kg. Davon entfallen auf Rußland 150, Italien 50,
Österreich-Ungarn 87, Frankreich, Deutschland und Vereinigte Staaten je
70 Millionen kg. In Rußland, wo der Hanf wie in Italien südlich vom
unteren Po zum Teil im Lande selbst zu Stricken, Tauen und Segeltuch
verarbeitet wird, gewinnt man als ein Hauptprodukt der Hanfkultur das
aus dem Samen gepreßte Hanföl, das allgemein besonders während der
langen und strengen griechischen Fasten als Speisefett dient. Natürlich
wird solches zu gewinnen in Italien verschmäht, da es an seinem
Olivenöl ein besseres Speisefett besitzt.

Von ausländischen Faserstoffen, die ähnlich wie Hanf verwendet werden,
ist zunächst der +bengalische Hanf+ zu nennen, der von einer bis 2 m
hohen, von Vorderindien bis Australien verbreiteten Leguminose mit
lanzettförmigen, seidenhaarigen Blättern und schönen, großen, gelben
Blüten (~Crotalaria juncea~) gewonnen wird. Aus deren Stengeln
bereitet man auf dieselbe Art wie bei unserem Hanf eine blaßgelbliche,
seidenglänzende Bastfaser. Sie wird deshalb seit alter Zeit fast
überall in Südasien, besonders in Indien, auf Java und Borneo
kultiviert.

Der gleichfalls zur Herstellung von Tauen und Stricken und anderen
Geflechten verwendete +Manilahanf+ stammt von der auf den Philippinen
heimischen Faserbanane (~Musa textilis~), die in großer Menge in
den vulkanischen Gegenden dieser Inselgruppe kultiviert wird. Die
wildwachsenden Pflanzen liefern zwar auch, aber nur sehr wenig
Faserstoff. Man hat diese nützliche Faserpflanze auch in anderen
tropischen Gegenden anzubauen versucht, aber nur mit geringem Erfolg.
So stammt diese Bastfaser, die nach dem Exporthafen Manila so heißt,
fast ausschließlich aus den Philippinen. Die Faserbanane hat im dritten
Jahre eine Höhe von 6 m und einen Stammdurchmesser von 18 cm erreicht
und wird dann vor der Blüte geerntet. Die gefällten Stämme läßt man
einige Tage liegen, um sie saftärmer zu machen und schneidet dann
die Fasern nach kurzer Röstung der Schäfte durch Handarbeit heraus,
indem man sie durch Eisenkämme hindurchzieht. Dadurch werden die
1-2 m langen verholzten Fasern, die aus kurzen, feinen Bastzellen
bestehen, rein gewonnen. Sie kommen in bräunlichen bis gelblichweißen
Strängen von seidenartigem Glanz in den Handel und dienen zur
Anfertigung von Seilerwaren und zu vielen Luxusartikeln, die besonders
geschätzt sind, wenn die Faser mit Seide verwebt wurde, was bei den
Manilataschentüchern u. dgl. der Fall ist. Wegen ihrer Leichtigkeit und
Haltbarkeit im Wasser werden aus ihnen auch Schiffstaue hergestellt,
doch sind sie schwerer zu verarbeiten als der Hanf. Da der Manilahanf
sehr billig ist, wird er von den Schiffern meist nur als Ballast
verladen. Die Insel Manila allein soll jährlich über 31 Millionen kg
davon ausführen. Ungefähr 14 Millionen kg gehen nach den Vereinigten
Staaten, besonders nach New York, etwa 6 Millionen kg nach England
und gegen 2,5 Millionen kg werden in Manila selbst zu Schiffstauen
von 1-15 cm Umfang und bis 200 m Länge verarbeitet. Gröbere und
zugleich geringere Sorten stammen von anderen Musaarten, besonders von
der überall in den Tropen angebauten gewöhnlichen Banane, dem Pisang.

Der +Mauritiushanf+ stammt von einer mächtigen, hohen Staude aus der
Familie der Amaryllideen (+Fourcroya gigantea+), die im tropischen
Mittelamerika heimisch ist und seit 1750 auf der Insel Mauritius, in
neuester Zeit auch in Ostindien zur Fasergewinnung kultiviert wird. Die
bis 2,5 m langen Blätter werden vom dritten Jahre an geerntet und
werden mit der Hand oder mit Maschinen verarbeitet.

Der Familie der Liliengewächse gehört der +neuseeländische Flachs+
(~Phormium tenax~) an, eine ausdauernde Pflanze, aus deren kurzem,
dickem Wurzelstock 1-2 m lange, 2-4 cm breite, graugrüne, lederartige
Blätter hervorsprießen. Sie wächst auf Neuseeland, der Insel Norfolk
und in verschiedenen Teilen Australiens wild, wird aber hier wegen
ihrer Fasern auch kultiviert. Seit alter Zeit dienen die Fasern
der Blätter zu Seilen, gröberen Bekleidungsstoffen und sonstigen
Geflechten, während der bittere Wurzelstock wie die Sarsaparille gegen
Skrofulose und Syphilis verwendet wird. Erst durch den englischen
Entdeckungsreisenden Cook wurde diese Faserpflanze nach 1769 bekannt.
Die durch Verfaulenlassen der Blätter gewonnene Rohfaser ist etwa 1 m
lang, gelblich, stellenweise weißlich und wird erst in Europa, und zwar
fast ausschließlich in England, gereinigt und zu Flechtereien wie Tauen
und gröberen Webereien, namentlich Segeltuch, verarbeitet. Diese sind
biegsamer und leichter als diejenigen aus gewöhnlichem Hanf und werden
selbst bei langem Liegen in Wasser kaum verändert.

Ebenso verhält es sich mit dem +Sanseveriahanf+, der aus den langen,
dickfleischigen, graugrünen, mit dunkleren Bändern quer gestreiften
Blättern einer in mehreren Arten im tropischen Afrika heimischen Lilie
der Gattung Sanseveria gewonnen wird. Am häufigsten wird in Westafrika
~Sanseveria guineensis~, in Ostafrika dagegen ~S. cylindrica~ und
~ehrenbergi~ ausgebeutet. In ihrer Heimat wachsen sie in großen
Beständen wild, meist auf steinigen Steppen im Schatten von Gebüsch;
um jedoch die Gewinnung zu erleichtern, werden sie an verschiedenen
Orten der Tropen kultiviert. Dabei sind sie höchst anspruchslos,
werden außer durch Samen meist durch Wurzelschößlinge, die in großer
Zahl um die Pflanze herum aufschießen, vermehrt und erreichen ein
hohes Alter, so daß eine Anlage erst nach vielen Jahren erneuert zu
werden braucht. Die Aufbereitung der Faser geschieht in mühsamer
Weise wie bei den vorgenannten Arten von Hand, könnte aber, wenn
Pflanzungen in größerem Maßstabe angelegt würden, weit einfacher durch
Maschinenbetrieb gewonnen werden. Die Kultur im großen würde sich sehr
lohnen, da die Sanseveria-Bastfasern von hervorragender Güte liefern.
Von Deutsch-Ostafrika wurden bis jetzt davon nur 154000 kg exportiert.

[Illustration:

    Tafel 95.

Anpflanzung von Manilahanf (~Musa textilis~) in Mindanao auf den
Philippinen.]

[Illustration: Zum Trocknen aufgehängter Manilahanf auf San Ramon
auf der Insel Mindanao. (Beide nach einer in der Sammlung des botan.
Instituts der Universität Wien befindlichen Photogr. von ~Dr.~ Hans
Hallier.)]

[Illustration:

    Tafel 96.

    (Phot. Vincenti, Daressalam.)

Sisalagavenplantage in Deutsch-Ostafrika. Die der Blätter beraubten
Pflanzen haben Blütenschosse getrieben, womit ihre Daseinszeit zu Ende
ist.]

In Mexiko, besonders auf der Halbinsel Yucatan, wird die in
Mittelamerika heimische Sisalagave (~Agave rigida~) gebaut, so
genannt nach der Hafenstadt Sisal in Yucatan, die lange Zeit der
Hauptausfuhrort für den +Sisalhanf+ war. Derselbe wird von den bis
über 1 m langen, dicken, fleischigen Blättern der trockene Standorte
wie ihre Verwandten liebenden Agave gewonnen. Diese gehört zu den
Amaryllisgewächsen und entwickelt am Ende ihrer Vegetationszeit einen
holzigen Schaft von 3-5 m Länge mit rispenförmigen Blüten. Nach dem
Reifen der Früchte stirbt die Pflanze ab. Die Sisalagave wächst am
besten in tropischen und subtropischen Gebieten mit nicht zu großer
Feuchtigkeit und wird noch mit gutem Erfolg auf Boden angepflanzt,
der für andere Kulturgewächse zu schlecht ist. Dort gedeiht sie ohne
Pflege, nur muß anfänglich, solange die Pflanzen klein sind, das
Unkraut niedergehalten werden. Die Fortpflanzung geschieht entweder
durch Wurzelschößlinge, die vom dritten Jahre an als Triebe des
Wurzelstocks reichlich aus dem Boden hervorbrechen und nur abgegraben
und verpflanzt zu werden brauchen, oder durch zwiebelförmige
Brutknospen, die sich ebenfalls in großer Zahl, bis zu 3000, an der
Pflanze bilden, um abzufallen und ihre meist schon vorher gebildeten
Wurzeln in die Erde zu versenken. Ist die Pflanze fünf Jahre alt,
so können bis zu ihrem 15.-20. Jahre zwei- bis viermal jährlich die
ausgewachsenen Blätter abgeschnitten werden. An diesen werden dann
vermittelst einer Maschine die Fasern von den Fleischteilen des Blattes
abgetrennt, gereinigt, getrocknet und gebleicht, um als Sisalhanf in
den Handel zu gelangen. Dieser ist leicht, gelblich-weiß, glänzend,
stärker und elastischer als Hanf, härter und weniger biegsam als
Manilahanf, widersteht der Nässe, braucht also nicht geteert zu werden,
und erlangt unter Wasser sogar eine erhöhte absolute Festigkeit. Er
dient zur Herstellung von Tauen, Segeltuch, Packtüchern, Teppichen,
Papier und als Indiafaser zum Polstern. Mexiko führt davon jährlich
500000 Ballen im Werte von 40 Millionen Mark aus. Seine Kultur ist
neuerdings auch in den deutschen Kolonien, besonders Ostafrika, aber
auch Neuguinea eingeführt worden. Diese führten schon 1907 für 2,2
Millionen Mark aus. Seitdem hat sich die Produktion noch wesentlich
gehoben. Im Jahre 1908 wurden in Ostafrika allein die vorhandenen
Sisalpflanzungen auf 10355 Hektar mit 24 Millionen Pflanzen geschätzt
und kamen fast 3 Millionen kg Sisalhanf im Werte von über 2 Millionen
Mark zur Ausfuhr.

Von einer verwandten Agave, der in Mexiko heimischen ~Agave
heteracantha~, die dort vom Volke ~lechuguilla~ genannt wird,
stammt die im Lande selbst als ~ixtli~, bei uns aber nach dem
Hauptausfuhrhafen Tampico meist als +Tampicofaser+ bezeichnete, zwar
grobe und kurze, aber äußerst haltbare und starke Faser. Sie wird durch
Abschaben der fleischigen Blätter, solange diese noch grün und saftig
sind, gewonnen. Die Faserbündel werden dann ausgehoben, gewaschen, an
der Sonne getrocknet, mit einem Holzkamme wie Frauenhaar gekämmt, in
verschiedenen Längen zu Strähnen gebunden und in Ballen verpackt. Die
Ausfuhr beträgt über 3 Millionen kg jährlich.

Im Gegensatz zu ihr steht die fast ausschließlich in Zentralamerika
von verschiedenen Bromeliazeen aus der engsten Verwandtschaft der
Ananas, besonders von ~Bromelia karatas~ gewonnene +Pitafaser+ oder
das +Hondurasgras+. Aus diesem sehr feinen und festen Faserstoff hat
man früher den sogenannten Ananasbattisthergestellt, während man sich
heute damit begnügt, ihn zu gröberem Flechtwerk zu verwenden. Die
ihn liefernde waldbewohnende Faserpflanze wird nirgends eigentlich
kultiviert. In Mexiko, wo sie auch vorkommt, besteht die ganze Pflege
darin, daß im Walde das Unterholz abgebrannt wird, um den Schößlingen
Platz zu machen, die nach ihrer Anpflanzung sich selbst überlassen
bleiben. Die Besitzer stellen sich nur zur Ausbeutung ein und lichten
vielleicht bei dieser Gelegenheit den Bestand aus, wenn er durch das
Emporschießen von Schößlingen zu dicht geworden ist. Auch auf der
Halbinsel Malakka und den Philippinen wird eine wilde Ananas, wie
anderwärts die als Obst kultivierte eßbare Ananas zur Gewinnung von
Fasermaterial benutzt.

Ein uralter, schon den alten Römern als ~spartum~ bekannter und von
ihnen vielfach zu allerlei Flechtwerk verwendeter Faserstoff rührt vom
sehr zähen +Pfriemengras+ (~Stipa tenacissima~) her, das in den dürren,
beinahe Wüstencharakter aufweisenden, außerordentlich regenarmen und
lufttrockenen Steppen Algeriens, Marokkos und Südspaniens heimisch
ist und von den dortigen Eingeborenen seit Urzeiten zu allerlei
Flechtwerk benutzt wird. So werden heute noch wie im Altertum von der
armen Bevölkerung daraus die als einziges Kleidungsstück dienenden
Schürzen, wie auch die Sandalen, Tragtaschen und Stricke angefertigt,
die von einer geradezu unverwüstlichen Dauerhaftigkeit sind. Die
Römer lernten dieses außerordentlich feste Flechtmaterial von den
Karthagern kennen, die es ausgiebig zu mancherlei Flechtwerk, auch
zur Herstellung von Schiffstauen für ihre zahlreichen Handels- und
Kriegsschiffe, verwendeten. Seit dem 2. punischen Kriege (218-201
v. Chr.) machten sie sich die im 1. punischen Kriege bei den Karthagern
gemachten Erfahrungen mit diesen fast unzerstörbaren Tauen und Netzen
zunutze. So berichtet der römische Geschichtschreiber Livius aus Padua
(59 v. bis 17 n. Chr.) folgende Episode aus dem zweiten punischen
Krieg, als Scipio gegen Hannibals Bruder Hasdrubal kämpfte, 210
v. Chr. Neu-Karthago und 206 das ganze von den Karthagern innegehabte
Südostspanien eroberte: „Während die Römer in Italien gegen Hannibal
kämpften, sandten sie eine Kriegsflotte nach Spanien; diese verwüstete
die Gegend um Neu-Karthago und fand nicht weit von da zu Longuntica
eine gewaltige Menge von getrocknetem Pfriemengras (~spartum~), das
Hasdrubal dort für den Bedarf seiner Schiffe angehäuft hatte. Die Römer
nahmen von dieser Beute, soviel sie brauchen konnten, und verbrannten
das übrige.“ Der ältere Cato, der unversöhnliche Gegner des nach dem
zweiten punischen Kriege wieder aufblühenden Karthago (234-149 v. Chr.)
sagt in seinem Buche über Landwirtschaft, der Landmann müsse aus
~spartum~ geflochtene Seile und Körbe haben, und der Gelehrte Varro
(116-27 v. Chr.) meint: „Der Landwirt muß Hanf, Lein, Binsen und
~spartum~ pflanzen, um daraus Schnüre, Stricke und Seile zu drehen.“
Der aus Spanien gebürtige römische Ackerbauschriftsteller Columella
um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. schreibt: „Wenn die Klauen
eines Ochsen an Entzündung leiden, so schützt man sie durch einen aus
~spartum~ geflochtenen Schuh (~solea spartea~)“, ferner: „Bei der
Olivenernte braucht man außer vielen andern Dingen Seile von Hanf und
von ~spartum~.“

Das von den Spaniern ~esparto~, von den muhammedanischen Nordafrikanern
~halfa~ genannte Pfriemengras mit sehr faserreichen, zähen Blättern
gedeiht auf trockenem, kalkhaltigem Boden am besten; auf sehr sandigem
Boden liefert es eine noch kräftigere, aber kürzere Faser. Es erhebt
sich nicht über 1000 m, treibt im Binnenlande längere und weißere,
aber dünnere und schwächere Fasern als an der Küste, wächst in Büscheln
und pflanzt sich so leicht fort, daß auf dem Boden, von dem es einmal
Besitz ergriffen hat, endlose Ernten eingeheimst werden können. Das
ist die Ursache, weshalb diese Grasart trotz ihrer großen Wichtigkeit
als Faserpflanze nirgends kultiviert wird. Man überläßt ihr einfach
das Gelände, auf dem sie sich angesiedelt hat, und denkt nicht daran,
ihr irgend welche Pflege angedeihen zu lassen. Die Blätter werden zur
Zeit der Reife im Mai und Juni meist noch durch Ausreißen mit den
Händen, indem man sie zum festeren Anpacken um einen Stock wickelt,
geerntet, getrocknet und, in Bündel gebunden, in den Handel gebracht.
Die wichtigste Bezugsquelle ist Algerien, das aus dem über 400 km
langen und 170 km breiten, in den Departements Oran und Algier
gelegenen sogenannten Halfameer jährlich über 100 Millionen kg im
Werte von 10 Millionen Mark bezieht. Nach ihm kommt Spanien mit etwa
48 Millionen kg und hernach Tunis und Tripolis mit immer zunehmenden
Massen. Die Hauptmenge gelangt zur Papierfabrikation nach England, ein
großer Teil wird nach Frankreich, hauptsächlich Marseille, verschifft,
um zu grobem Packtuch, Matten, Körben und Seilerartikeln Verwendung
zu finden. Wie in Nordafrika, so gelangt dieses Rohmaterial auch in
Spanien zu einer sehr vielseitigen Verarbeitung. Unter den hier daraus
verfertigten Gegenständen sind namentlich die dünnen aber starken, in
den Bergwerken verwendeten Seile, sowie die sehr dauerhaften Sandalen
zu nennen, die nicht bloß im eigenen Lande überall von der ärmeren
Bevölkerung getragen, sondern auch in Menge exportiert werden.

Kein eigentliches Gras, sondern ein grasartiges Nixenkraut (Najadazee)
ist das in wenig tiefem Wasser an den Küsten von Europa, Kleinasien,
Ostasien und Nordamerika in dichten Beständen, wiesenartig weite
Flächen bedeckend, wachsende +Seegras+ (~Zostera marina~). Nach
heftigen Stürmen werden oft sehr große Massen von ihm, zum Teil mit
den Wurzeln, ausgerissen, bei abstillender See ans Land geschwemmt und
hier zu ganzen Haufen aufgetürmt oder zu Kugeln geformt. Wie so manche
andere Meergewächse hat es lange fadenförmige Pollen (Blütenstaub),
die im Meere umhertreiben, bis sie von den Narben angezogen und
festgehalten werden. Getrocknet dient es an Stelle der teuren
Pferdehaare zum Stopfen und Polstern von Matratzen, Betten, Möbeln
usw., daneben wird es auch verbrannt und zur Gewinnung von Soda benutzt.

Als vegetabilisches Roßhaar, Baumhaar, Caragate oder +Tillandsiafasern+
kommen die durch Rotten im Wasser ihrer Hautgewebe entkleideten
silberweißen, fadenförmigen, 0,5-1 m langen Luftwurzeln der als
Greisenbart bezeichneten Bromeliazee ~Tillandsia usneoides~ in Form von
schwarzbraunen, dem Roßhaar ähnlichen Fasern von 1 mm Dicke in den
Handel, um ebenfalls an Stelle von Roßhaar zum Stopfen von Matratzen
und Polstern von Möbeln, wie auch zum Verpacken von Glaswaren benutzt
zu werden. Dieses als Überpflanze auf Bäumen lebende Ananasgewächs
kommt im ganzen warmen Amerika von Argentinien bis Carolina in den
Vereinigten Staaten vor und bedeckt in den Wäldern oft in ungeheuren
Mengen weithin die Baumäste, indem es seine dunkeln, roßhaarähnlichen
Zweige wie Bartflechten um sie spinnt und die die Nahrung und das
Wasser aus der Luft an sich reißenden Luftwurzeln tief herabhängen
läßt. Letztere werden neuerdings in Menge gesammelt und kommen
besonders aus den Südstaaten Nordamerikas als Louisianamoos in den
Handel.

In Westindien und Brasilien wird von dem unserem Seidelbaste nahe
verwandten Strauche ~Funifera utilis~, der vielfach zur Fasergewinnung
angepflanzt wird, der einem Spitzengewebe ähnliche rahmweiße, als
Spitzenrinde bezeichnete Bast zum Flechten von Frauenhüten, Kragen und
anderen Gegenständen verwendet, während derjenige des in Ostindien auf
trockenen, felsigen Hügeln wachsenden Strauches ~Marsdenia tenacissima~
aus der Familie der Asklepiadazeen oder Seidenpflanzengewächse als
Jiti oder +Rajmahalhanf+ viel gebraucht wird. Er ist nicht so kräftig
wie unser Hanf, übertrifft ihn aber an Elastizität bedeutend. Seine
häufigste Verwendung ist die zu Fischnetzen, denn dieser Faserstoff
besitzt eine sehr große Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit.

Ein anderer, grober Faserstoff ist der als +Dunchi+ bezeichnete Bast
eines südasiatischen, bis 2,4 m hohen Strauches ~Sesbania aculeata~
aus der Familie der Leguminosen, der in Indien und China auf nassem
Boden und ohne Sorgfalt, die er auch nicht beansprucht, kultiviert
wird. Bisweilen kommt er auch unter dem in Bengalen üblichen Namen
Jayanti in den Handel.

Der Bast des auf Tahiti ~roa~ genannten strauchartigen Nesselgewächses
~Urtica argentea~ liefert die blendend weißen, glänzenden, zu
Seilerartikeln und Luxusgegenständen verarbeiteten +Roafasern+, während
die ebenfalls überall in Ozeanien anzutreffenden Schraubenpalmen
~Pandanus utilis~ (ursprünglich in Madagaskar zu Hause) und
~odoratissimus~ (deren wohlriechende, schon in den ältesten indischen
Sanskritgedichten unter dem Namen ~kekata~ erwähnten Blüten mit
Öl ausgezogen ein in Indien sehr geschätztes Parfüm liefern) die
sehr zähen, zur Anfertigung von Matten und Seilen verwendeten
+Pandanusfasern+ liefert.

Häufig wird in verschiedenen Gegenden Ostindiens die daselbst heimische
einjährige Hanfrose ~Hibiscus cannabinus~ angepflanzt. Diese bis 2,4 m
hohe strauchartige Eibischart mit stacheligem Stengel liefert in den
tief gelappten, säuerlich, etwas herb und schleimig schmeckenden
Blättern ein von den Eingeborenen häufig gegessenes Gemüse, aus den
Samen wird Brenn- und Speiseöl gepreßt, während der braune, rauhe Bast
der Stengel, der schon in der Sanskritliteratur als ~nalika~ erwähnt
wird, als geschätztes Spinn- und Flechtmaterial dient. Es ist dies
der als +indischer+ oder +Gambohanf+, der auch als Jute von Madras
in allerdings mangelhafter Zubereitung in den Handel gelangt. Er ist
weich und geschmeidig, weiß mit einem Stich ins Graugelbe, und besteht
aus wenig glänzenden, feinen und gröbern, 10 bis 90 cm langen, aber
nicht sehr festen Fasern. Obschon mehr dem Flachs und den besseren
Hanfsorten als der Jute ähnlich, wird er auch Bastardjute genannt und
bisweilen der Jute beigemengt. Obgleich die Hanfrose das ganze Jahr
hindurch wächst, wird sie doch nur in der kühlen Jahreszeit gesät. Drei
Monate danach steht sie in Blüte und muß dann zur Gewinnung des Bastes
geschnitten werden.

Ihm sehr ähnlich und nicht selten unter seinem Namen gehend ist der
von einer nahe verwandten Eibischart, ~Hibiscus sabdariffa~, gewonnene
+Rosellahanf+, dessen Hauptproduktionsgebiet die Präsidentschaft
Madras in Südindien ist. Deren Blätter dienen als Salat, während
die fleischigen Blütenkelche von angenehm säuerlichem Geschmack in
Ostindien zur Bereitung von Gelee und Torten, in Westindien, wohin die
Nutzpflanze neuerdings gebracht wurde und ebenfalls ziemlich häufig
angepflanzt wird, auch als Bestandteil von kühlenden Getränken benutzt
wird.

Eine noch sehr viel wichtigere Pflanzenfaser Ostindiens als die
ebengenannten ist die +Jute+, die ihren Namen von dem schon im Sanskrit
als ~djuta~ erwähnten indischen ~djut~ d. h. Faser erhielt. Zuerst
wurde dieser in Indien seit den ältesten Zeiten verwendete Faserstoff
durch den Engländer ~Dr.~ Roxburgh bekannt, der im Jahre 1795 an die
Direktion der ostindischen Handelsgesellschaft in London einen Ballen
Faserstoff sandte, den er als „Jute“ der Eingeborenen bezeichnete.
Aber erst im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts fand dieses neue
Flechtmaterial in England Beachtung, nachdem man um 1830 in Dundee
begonnen hatte, es in der Technik zu verwenden. Die Jute wird von
einer mit unsern Linden verwandten einjährigen Pflanze (~Corchorus
capsularis~) gewonnen, die im feuchtwarmen Klima Bengalens heimisch
ist und dort in großer Menge zur Bastgewinnung angepflanzt wird.
Für Bengalen und teilweise auch das benachbarte Assam spielt diese
Gespinstpflanze fast dieselbe Rolle wie die Baumwolle in den Südstaaten
der nordamerikanischen Union. Die Jutepflanze wird 1,5-4,6 m hoch
und gelangt in zwei Spielarten mit hellgrünen oder rötlichen Stengeln
und Blattrippen zum Anbau. An den 2-4 cm dicken Stengeln sitzen
gezähnelte Blätter und weißlich-gelbe Blüten in Trauben geordnet, die
runzelige, kirschengroße, kugelige bis zylindrische Kapseln liefern.
Man gewinnt die sehr festen Fasern von den vier Monate nach der im
März stattfindenden Saat geschnittenen Stengeln, indem man sie von
den Seitentrieben, Blättern und Stengeln befreit und in langsam
fließendem Wasser einer leichten Fäulnis unterwirft. Schon nach einigen
Tagen kann dann der Bast von dem leicht brechenden Holz und der
übrigen Rinde befreit werden. Die besten Sorten sind weißlichgelb bis
silbergrau, von seidenähnlichem Glanz, beim Anfühlen glatt und weich.
Die schlechten Sorten sind bräunlich, hart und holzig. Die Jutefasern
werden dann vermittelst hydraulischer Pressen in Ballen von 180 kg
zusammengepreßt, von denen Bengalen allein jährlich 5,6 Millionen
Stücke ausführt. Über Bombay gingen 1890 1500 Millionen kg derselben
im Werte von 160 Millionen Mark hauptsächlich nach England, um speziell
in Dundee zu gröberen Stoffen wie Decken, Portieren, Sofaüberzügen,
aber auch Hemden verarbeitet zu werden.

Vor wenig mehr als einem Jahrhundert trug die ärmere Bevölkerung
Bengalens noch ausschließlich aus selbst verwebten Jutefasern
hergestellte Kleider, die aber als etwas grob mit der Einführung
billiger europäischer Baumwollwaren mehr und mehr an Beliebtheit
einbüßten. Dafür stieg ihre Wertschätzung in Europa. Da nun
infolgedessen der Jutebedarf hier immer mehr steigt und die
Juteproduktion Bengalens trotz ihrer beständigen Steigerung nicht
genügt, so ist man bemüht, die Kultur der Jutepflanze auch anderwärts,
so in Deutsch-Ostafrika, einzuführen, wo das von der Pflanze verlangte,
gleichmäßig warme, feuchte Klima vorhanden ist und bei rationellerem
Anbau, als er in Nordindien gebräuchlich ist, sehr gute Resultate zu
erwarten wären.

[Illustration: Bild 62.

Die Jutepflanze (~Corchorus capsularis~).]

Sehr nahe verwandt mit dieser Jutepflanze ist die in Südchina
oder Hinterindien heimische ~Corchorus olitorius~, ebenfalls eine
einjährige, 1,5-3 m hohe Pflanze mit gelben Blüten, die sich
frühzeitig als Gemüsepflanze in Indien verbreitete. Sie kam dann
später durch die Perser nach Vorderasien und durch die Araber etwa zu
Beginn der christlichen Zeitrechnung nach Syrien und Ägypten und wird
jetzt noch im östlichen Mittelmeergebiet, wie auch in den Tropen der
ganzen Welt als Gemüsepflanze gebaut, während die Kultur dieser Art als
Faserpflanze auf Bengalen beschränkt blieb.

[Illustration: Bild 63.

Die Ramiepflanze (~Boehmeria tenacissima~).]

Ein ebenfalls sehr wichtiger südasiatischer Faserstoff ist die
+Ramie+, im malaiischen Archipel so genannt. Unter diesem Namen
lernten sie die Holländer in Java, wo sie schon lange in ziemlicher
Menge produziert wird, kennen und vermittelten sie den übrigen
Völkern Europas. In Indien heißt der Faserstoff ~rhea~ und in China
~tschu-ma~. Die seidenglänzenden, geschmeidigen, auffallend starken
Fasern wurden schon seit undenklichen Zeiten in Indien, Siam,
Kambodscha, Cochinchina, Südchina, Japan und der ganzen südasiatischen
Inselwelt zu allerlei Geweben, vom groben Segeltuch und Fischnetz bis
zum eleganten, feinen als Kantonseide oder Seersucker in den Handel
gelangenden Tuch, verarbeitet. Der erste Ballen davon kam 1810 nach
England. Er wird von einer 1,9-2,3 m hohen, ausdauernden, nicht
brennenden Nessel Ostasiens (~Boehmeria tenacissima~) gewonnen. Ein
Wurzelstock der Pflanze treibt bis zu 15 Stengel aus mit ziemlich
spärlichen, wolligen Blättern. Die Ernte erfolgt, sobald die Oberhaut
der Stengel dunkelbraun geworden ist. Die Fortpflanzung geschieht
durch Wurzelausläufer oder Stecklinge; die Pflege der in Reihen
gestellten Pflanzen beschränkt sich auf Lockerung und Reinhaltung
des Bodens von Unkraut. Sie wird hauptsächlich in China, Japan, den
Philippinen, Indien und im Süden der Vereinigten Staaten angebaut.
Das Rohmaterial für die besonders in Frankreich, dann auch in
Deutschland (Emmendingen) und in der Schweiz etablierten europäischen
Ramiespinnereien wird ausschließlich aus China bezogen.

Nicht minder häufig wird das von der nahe verwandten ~Boehmeria nivea~
gewonnene +Chinagras+ in ganz Ostasien, Indien und den Sundainseln
angepflanzt. Die durchschnittlich 1,5 m hohe Pflanze ist ebenfalls
ausdauernd und wird durch Wurzelstöcke vermehrt; sie besitzt auf der
Unterseite weißlich gefärbte Blätter. Unter günstigen Bedingungen in
den Tropen sind die in Mehrzahl aus einem Wurzelstock hervorgehenden
Stengel in 3-4 Monaten schnittreif und können daher zwei- bis dreimal
im Jahre geerntet werden. Sie liefern einen gelblichen Bast, der
gleicherweise einer leichten Verwesung unterworfen wird, bevor man
ihn nach England, wohin er vorzugsweise gelangt, zu „Grasleinen“
verarbeitet, aus welchem man außerordentlich dauerhafte gröbere und
feinere Gewebe herstellt. Chinas Ausfuhr davon beträgt durchschnittlich
11 Millionen kg jährlich, wovon Deutschland etwa 600000 kg im Wert
von über 400000 Mark einführt.

Alle Nesseln enthalten sehr feste Bastzellen in ihren Stengeln, weshalb
man sie früher, bevor man die besseren ausländischen Faserstoffe
einführte, auch bei uns als Gespinstpflanzen schätzte und sogenanntes
„+Nesseltuch+“ daraus herstellte. Einer der größten Gelehrten des
Mittelalters, Albertus Magnus (eigentlich Graf von Bollstädt,
1193-1280), ist der erste, der die gemeine Brennessel (~Urtica urens~)
als Gespinstpflanze erwähnt. Er nennt sie mit Flachs und Hanf zusammen,
fügt aber hinzu, daß Nesselgewebe auf der Haut Jucken verursache, was
flächsenes und hänfenes nicht tue. Neuerdings ist es nun einer Wiener
Firma gelungen, auf einfache, billige Weise die Brennessel zu einer
vorzüglichen Weberfaser zu verarbeiten. Aus 100 kg Nesseln werden
13 kg Fasern von sehr guter Qualität im Werte von 9 Kronen gewonnen.
Da sie die Festigkeit der Bastfasern und die Geschmeidigkeit der
Baumwolle besitzen, kann dieses billige inländische Material, das aus
dem an sonst für Kulturpflanzen unbenützbaren Orten wachsenden Unkraut
gewonnen wird, ganz gut mit der ausländischen Ramie konkurrieren.

Gleicherweise wurde einst aus dem 1-1,25 m hohen Stengel der
wildwachsenden +Malve+ (~Malva officinalis~) oder weißen Pappel
(mittelhochdeutsch ~papele~) eine Gespinstfaser gewonnen, die nach dem
Zeugnisse von Papias und Isidor, dem Bischof von Sevilla (gestorben
636), auch zur Herstellung von Kleidern verwendet wurde. Deren Blüten
geben eine weinrote Farbe, und wenn daher der um 800 v. Chr. lebende
Franke Angilbert von der Tochter Karls des Großen Gisala berichtet, sie
habe in einem malvenen Kleide geprangt, so kann damit sowohl der Stoff,
als die Farbe gemeint sein. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß der
Stoff des Gewandes aus Malvenfasern bestand.

[Illustration: Bild 64. Stück einer aus Binsen geflochtenen Matte aus
dem neolithischen Pfahlbau von Wangen am Bodensee. (⅔ natürl. Größe.)]

[Illustration: Bild 65. Geflecht aus schmalen Riemen von Baumbast aus
dem neolithischen Pfahlbau von Wangen am Bodensee. (⅔ natürl. Größe.)]

In vorgeschichtlicher Zeit und im frühen Altertum trug man auch
bei uns in Europa aus +Baumbast+ verfertigte Kleider. So berichtet
der ums Jahr 50 n. Chr. lebende römische Geograph Pomponius Mela,
der uns eine Erdbeschreibung hinterließ, daß die Germanen teils
Wollmäntel, teils solche aus Baumbast trugen. Und wenn diese Sitte
auch nicht mehr aus späterer Zeit bezeugt ist, so hat doch die Sprache
wenigstens unverstandene Erinnerungen an den alten Brauch bewahrt.
Der Bast wurde vornehmlich von der Linde genommen, wie die noch spät
vorkommende Doppelbedeutung des Wortes ~lint~ als Lindenbaum und Bast
zugleich lehrt; und wenn altnordisch ~lind~ der Gürtel bedeutet, so
ist dieser eben in den ältesten Zeiten aus Lindenbast hergestellt
gewesen, wie gleicherweise eine noch späte Glosse (Erklärung eines
dunkeln, veralteten Wortes) ~limbus bast~ auf alte Verwendung dieses
Stoffes zu Kleiderbesatz und ein Zeitwort ~basten~, d. h. schnüren,
nähen, flicken, auf die Anwendung von Bastfaden in der Vorzeit deutet.
Noch heute ist dieses Wort als basteln für sorgfältiges Verrichten
von irgendwelcher feiner Handfertigkeit bei uns gebräuchlich. Zudem
weisen auf die alte Technik des Bastflechtens, die uns schon bei
den neolithischen Pfahlbauern der Schweiz in hoher Vollendung und
in den mannigfaltigsten Produkten wie Mänteln, Matten, Körben usw.
entgegentritt, zwei Wörter hin, die später gleichbedeutend mit weben
wurden, aber ursprünglich nur das enge Zusammenfügen und Verschlingen
der groben Baststränge gemeint haben können, nämlich dringen für
das Drehen und feste Anlegen des Flechtmaterials, wie noch mehrere
alte Belege verraten, später im Sinne zwischen Flechten, Wirken und
Weben schwankend, und ~briden~ für Zwängen, Zusammenfassen, das im
Mittelhochdeutschen aber sowohl für das Netzflechten, als für das
Bortenwirken und Stoffweben gebraucht wurde.

Den Baumbast als Flechtmaterial hat später die Leinfaser, und diese
dann zum größten Teil die Baumwolle verdrängt, welche heute das
am meisten benutzte Gespinstmaterial ist und deshalb wegen ihrer
ungeheuren Bedeutung für die heutige Menschheit in einem besonderen
Abschnitt gewürdigt werden soll. Sie ist aber durchaus nicht die
einzige technisch verwendete +Pflanzenwolle+. Eine solche liefern uns
verschiedene Wollbäume, die in den tropischen Wäldern der ganzen Erde
wachsen; sie kann aber wegen ihrer Sprödigkeit und der geringen Länge
ihrer Fasern kaum versponnen werden und wird deshalb seit langem von
den betreffenden Eingeborenen als Polstermaterial verwendet.

Die gebräuchlichste Pflanzenwolle außer der Baumwolle ist die
+Seidenbaumwolle+, im Sudan +Kapok+ genannt. Sie stammt vom
Seidenwollbaum (~Ceiba pentandra~), der nicht nur in Afrika überall
wächst, sondern auch in Brasilien, dann in ganz Südasien und
Indonesien, vorkommt. Hier pflanzen ihn die Eingeborenen nicht, da sie
ihren Bedarf an Seidenwolle von den wilden Beständen decken können.
Dagegen wird der Kapokbaum außer in Ostafrika in besonders ausgedehntem
Maße in Niederländisch-Indien, speziell Java, und neuerdings auch
auf Neuguinea als Nebenkultur auf Kaffee- und Teeplantagen, als
Stützbaum für Pfeffer und Vanille oder als Schattenbaum zur Einfassung
von Straßen an Wegrändern in etwa 5 m Abstand von den Europäern
angepflanzt. Er ist ein fast im ganzen Tropengürtel verbreiteter
großer Baum aus der Familie der Bombazeen mit starkem, geradem
Stamme und breiten, oberirdischen Brettwurzeln, aber sehr weichem,
von den Eingeborenen zu Kähnen ausgehöhltem Holz, dessen Rinde bei
jungen Bäumen mit starken Stacheln besetzt ist, handförmig geteilten
Blättern und in Büscheln angeordneten, ziemlich großen, weißen Blüten.
Die Frucht ist eine 15 cm lange und 6 cm dicke, länglichrunde,
gurkenähnliche, holzige, fünffächerige, braune Kapsel, welche in
fünf Klappen aufspringt. Darin sind die Samen in kugelige Bäusche
von weißen, seidenglänzenden Fasern eingebettet, welche sich beim
Öffnen der Frucht ausbreiten und zu deren Verbreitung durch den
Wind beitragen. Und zwar geht diese seidige Wolle nicht wie die der
Baumwolle von den Samen, sondern von der inneren Fruchtwand aus, sie
ist also keine Samenwolle, sondern ein Gewebe der Fruchtkapsel.

Da der Kapokbaum keinerlei Pflege beansprucht und in jedem Boden, im
Tieflande, wie in Höhenlagen bis 1000 m gedeiht, so ist seine Kultur
eine sehr einfache. Er verträgt reichliche Niederschläge und entwickelt
sich, wo ihm solche geboten werden, besonders üppig; aber er nimmt
auch mit spärlicherem Regenfall vorlieb und übersteht auch längere
Trockenzeiten verhältnismäßig gut. Er kann leicht durch Stecklinge, wie
auch durch Samen vermehrt werden und wächst sehr rasch. Im 4. Jahre
wird er zuerst tragbar, bringt aber selten vor dem 6. Lebensjahre
größere Erträgnisse. Ein großer Kapokbaum bringt jährlich 1000-1500
Wollkapseln zur Reife, die 1-1,5 kg reine Pflanzenwolle ergeben. Wenn
die Wollkapseln sich zu öffnen beginnen, werden sie geerntet, indem
sie mit langen Bambusstangen, an denen sich oben ein Häkchen befindet,
gepflückt werden. Man läßt sie dann auf einer reinen Unterlage in
der Sonne nachreifen, so daß sie sich ganz öffnen. Dann wird die
Seidenbaumwolle zugleich mit den Samen durch Frauen und Kinder aus
der Fruchtkapsel herausgenommen. Nachdem diese im Verlauf eines oder
einiger Tage an der Sonne völlig ausgetrocknet ist, wird sie entkernt,
was früher von Hand geschah, neuerdings aber durch Maschinen, wie sie
zur Entkernung von Baumwolle dienen, besorgt wird. Das wichtigste
Erzeugungsgebiet für Kapok ist Niederländisch-Indien, und zwar speziell
Java, das jährlich etwa 5 Millionen kg in den Handel bringt. Der
Hauptmarkt Europas dafür ist Amsterdam, wo das Kilogramm nicht unter 1
Mark zu haben ist.

Dem Kapok ähnlich, nur braun statt weiß, ist die Wolle der verwandten
~Ochroma lagopus~, ebenfalls eines großen Baumes mit gelappten Blättern
und an den Enden der Zweige stehenden großen Blüten. Die ganz analog
gebauten Früchte sind 20 cm lang und 5 cm dick. Die Wolle dieser
beiden Bombazeenarten eignet sich wegen ihrer Glätte und Kürze nicht
zum Spinnen, gibt aber ein ausgezeichnetes Polstermaterial für Möbel,
Matratzen, Kissen u. dergl., wird aber auch, da äußerst leicht, zur
Herstellung von Schwimmgürteln und Rettungsringen benutzt. Gepreßter
Kapok trägt nämlich das 36fache seines Gewichtes. Neuerdings findet er
auch in der Chirurgie statt Baumwolle Verwendung.

Die Samen vieler Pflanzen, z. B. des allbekannten Löwenzahns, sind mit
einem Haarschopf versehen, um vom Winde möglichst weit weggetragen
zu werden. Manche dieser Haarschöpfe bestehen aus langen, seidigen
Haaren, die bisweilen als +Pflanzenseide+ in den Handel kommen. In
Westindien und Südamerika wird solche Seide von ~Asclepias curassavica~
gewonnen. Eine Strophantusart Senegals liefert eine rötlichgelbe,
feine Seide. Die beste Pflanzenseide aber, die merkwürdigerweise am
wenigsten zur Verwendung gelangt, wird in Indien aus den Samenhaaren
von ~Beaumontia grandiflora~ gewonnen. Sie ist nicht nur rein weiß und
prächtig glänzend, sondern auch beinahe so fest wie Baumwolle, während
sich sonst die Pflanzenseide gerade durch ihre Brüchigkeit in Mißkredit
setzt. Die einzelnen Samenhaare sind bis 5 cm lang und lassen sich
leicht vom Samen abtrennen.

Während diese Seidenpflanze ungerechtfertigterweise so wenig beachtet
wird, ist eine andere Seidenpflanze, die aus Nordamerika stammende
~Asclepias syriaca~, eine unglückliche Liebe aller Produzenten, an
die immer wieder fruchtlose Spinnversuche verwendet werden, obgleich
die Unbrauchbarkeit der Faser zu Textilzwecken schon längst erwiesen
ist. Die unselige Pflanze, die auch als Zierpflanze in unseren Gärten
wächst, hat wohl ziemlich lange, schön glänzende Samenhaare in ihren
Balgkapseln, aber deren Brüchigkeit ist so groß, daß die Faser für
sich überhaupt nicht versponnen werden kann. Mit Baumwolle zusammen
versponnen, fällt die trügerische Seide beim ersten Waschen aus dem
Gewebe heraus. Nicht einmal zur Herstellung von Schießbaumwolle ist sie
geeignet, da sie nicht schnell genug abbrennt und zudem noch viel zu
viel Asche enthält.

Groben Pflanzenbast, den man für die Herstellung von Besen, Pinseln,
Bürsten u. dgl. mehr verwendet, liefern eine ganze Anzahl von Palmen
in der +Piassavefaser+. Es ist dies ein aus dem spanischen piaçaba
verändertes Wort für die Fasern der südamerikanischen Piassavepalme
(~Attalea funifera~), die zuerst in den Handel kamen; doch erhält
man heute solche Piassave auch von anderen Palmenarten, wie von der
westafrikanischen Weinpalme (~Raphia vinifera~), von der Palmyra-
und der Kitulpalme auf Ceylon (~Borassus flabellifer~ und ~Caryota
urens~) und von der madagassischen Palme ~Dictyosperma fibrosum~. Sie
besteht aus den oft mehr als 1 m langen, festen, bis bindfadendicken,
rotbraunen oder dunkelfarbigen Strängen, welche in großer Zahl
am Stamme dieser Palmen entspringen und entweder aufgerichtet
sind oder mit ihren Enden herabhängen, wobei sie den betreffenden
Palmstämmen ein überaus charakteristisches Aussehen verleihen. Diese
höchst eigenartigen Gebilde sind nichts anderes, als die äußerst
widerstandsfähigen Leitbündel (Blattadern) der Blattscheiden und
Blattstiele, welche auch nach dem Absterben und der Verwesung der
Blätter am Stamme erhalten bleiben.

Die südamerikanische Piassavepalme wird nirgends kultiviert, sondern
die Faser wird ausschließlich von wildwachsenden Bäumen geerntet.
Sie wächst in ganzen Hainen vorzugsweise auf sandigem Boden, ist
stammlos, mit großen, dickstengeligen Blättern, an deren Basis die von
den abgefallenen Blättern stehen gebliebenen, zerschlitzten, festen
Leitbündel eine Hülle von groben Borsten bilden. Nach dem Ablösen
wird die Masse zuerst einige Tage in Wasser aufgeweicht, bis das noch
daran hängende weiche Gewebe abgefault ist; darauf werden die Fasern
getrocknet, gereinigt, gehechelt, in bestimmte Länge geschnitten und
nach der Qualität sortiert. Die Piassavepalmenbüsche liefern je
5-10 kg Fasern jährlich und bleiben bei schonender Behandlung bis 30
Jahre lang ertragsfähig. Die Piassave dient zur Herstellung von Besen,
Bürsten und Seilerwaren. Zur Zeit der alten Kolonialherrschaft betrieb
die portugiesische Regierung die Herstellung dieses Erzeugnisses des
Landes Brasilien als Monopol, das für sie sehr einträglich war. Denn
außer der Piassave erzeugt die Palme eine große Anzahl nußartiger
Früchte, die dicht über dem Erdboden erscheinen und die Größe eines
Truthuhneis erreichen. Diese sogenannte Coquilhonüsse finden zur
Fabrikation von Knöpfen, Rosenkranzperlen, Zigarrenspitzen usw.
Verwendung. Außerdem gewinnt man von ihnen ein wertvolles Schmieröl,
das besonders für Uhren und ähnliche feine Mechanismen geeignet ist.
Hauptexporthafen der Erzeugnisse der Piassavepalme ist Bahia nördlich
von Rio de Janeiro, das jährlich etwa 140000 kg Fasern und 60000 kg
Nüsse exportiert.

Den besonders von den Gärtnern als geschmeidiges und dennoch sehr
starkes Material zum Binden ihrer Pfleglinge an Stützen verwendete
+Raphiabast+ gewinnt man von der an der ostafrikanischen Tropenküste
und auf Madagaskar wachsenden ~Raphia ruffia~. Es ist dies eine
hohe Palme mit 10-15 m langen Blättern, deren Fiedern oft 2 m
lang werden. Sie sind von mächtigen, mit den Epidermiszellen eng
verwachsenen Bastrippen durchzogen, die sich mit der Epidermis
(Oberhaut) in Streifen abziehen lassen. Man schneidet die jüngeren
Blätter ab, wenn sie im Begriffe stehen sich zu entfalten, entfernt
die Mittelrippen der Fiedern und zieht die Epidermis zuerst von
der Unterseite, dann von der Oberseite ab. Die erhaltenen 7-9 mm
breiten und 1-2 m langen sandfarbenen Streifen werden an der Sonne
getrocknet. So erhält man einen hellgelben, zähen und geschmeidigen
Bast von höchst bedeutender Zerreißungsfestigkeit, der zu allerlei
Flechtwerk und in der Gärtnerei als Material zum Binden und Okulieren
benutzt wird. Einzig gegen Feuchtigkeit ist er empfindlich. Den besten
Raphiabast liefert Madagaskar. Er wird in solcher Menge von dieser
Insel ausgeführt, daß man sich genötigt sah, die Ausfuhr durch ein
Gesetz zu beschränken, um einer Ausrottung der Palme vorzubeugen.
Die westafrikanischen Raphiaarten liefern zwar auch Raphiabast, doch
zerfasert dieser leichter als der ostafrikanische.

Technisch noch wichtiger als die eben genannten Faserstoffe ist die
im Handel als +Coïr+ bezeichnete +Kokosnußfaser+, die aus den äußerst
zähen und unverwüstlichen Leitbündeln besteht, welche in einer etwa
zwei Finger dicken Schicht die sehr hartschalige eigentliche Kokosnuß
mit drei Löchern an der Spitze umgiebt. Man gewinnt sie in allen
Ländern, welche Kokospalmen ziehen, so vor allem an den Küsten Indiens
und der indonesischen Inselwelt, als Nebenprodukt bei der Gewinnung der
als Kopra bezeichneten getrockneten, fetthaltigen Kerne, indem man nach
dem Öffnen der Nüsse die Faserschicht abschält und sie zur Isolierung
der Fasern im Wasser einer leichten Fäulnis aussetzt, ein Prozeß, der
zwischenhinein zur Beförderung der Ablösung derselben durch Klopfen mit
hölzernen Hämmern unterbrochen wird. Merkwürdigerweise erhält man bei
Anwendung von fließendem Wasser ein schöneres und helleres Material als
in stehendem Wasser. Auch der Salzgehalt desselben hat einen Einfluß,
indem die Fasern bei zunehmendem Salzgehalt dunkler rot werden. Tausend
Kokosnüsse ergeben bis 60 kg feine, zu Stricken und Tauen und zur
Herstellung von Matten, Läufern, Teppichen usw. verwendbare und bis
12 kg dicke, kürzere Fasern, aus denen man vorzugsweise Bürsten
und Pinsel verfertigt. Dieser Coïr ist entschieden die für gröbere
Geflechte wichtigste Pflanzenfaser, von der die Insel Ceylon allein
etwa 70 Millionen kg jährlich ausführt. Obschon außerordentlich fest,
ist er dennoch sehr leicht und gegen Wasser äußerst widerstandsfähig.
Daraus verfertigte Taue und Stricke sehen zwar nicht so schön aus wie
hänfene, nehmen auch keinen Teer an, aber sie schwimmen auf dem Wasser
und sind fast unverwüstlich, weshalb sie sich namentlich zu Ankertauen
sehr eignen. Für feinere Geflechte wird der Coïr an der Sonne oder
durch schwefelige Säure gebleicht.

Die harte Steinschale der Kokosnuß, die nicht nur von den Eingeborenen
zu allerlei Gefäßen und Schöpflöffeln, sondern wegen ihrer Festigkeit
und Dauerhaftigkeit in der ganzen Kulturwelt eine ausgedehnte
Verwendung für Drechsler- und ähnliche Arbeiten gefunden hat,
verspricht in der Zukunft den Coïr noch an Bedeutung zu übertreffen.
Auf der Suche nach einem Stoff, der besser und nachhaltiger als
Wasser, das seine radioaktiven Eigenschaften außerordentlich schnell
verliert, zur Aufspeicherung der Radiumemanation für ärztliche Zwecke
dienen kann, hat vor zwei Jahren ein amerikanischer Gelehrter,
Rutherford, gefunden, daß die aus der Kokosnuß hergestellte Kohle
die gasförmige Ausstrahlung des Radiums, Thoriums oder Aktiniums
ausgiebig aufzuschlucken und durch längere Zeit festzuhalten vermag.
Auf diesem Ergebnis hat ~Dr.~ Shober in Philadelphia weitere
Forschungen aufgebaut, die ergaben, daß Kokosnußkohle dreihundertmal
so radioaktiv ist als das Wasser und diese Eigenschaft wenigstens
zwei Wochen lang ganz beibehält. Die Herstellung der Radiumkokoskohle
ist sehr einfach und wenig kostspielig, da bei deren Bestrahlung
nichts von den kostbaren Radiumpräparaten verloren geht. Sie ist
ein vollkommen neutraler Stoff, der bei der innerlichen Darreichung
absolut harmlos und dennoch für manche Krankheitszustände sehr wirksam
ist, so daß dieser Umstand, nunmehr auf einfache und billige Weise
Radiumpräparate herzustellen, die Anwendung derselben in der Medizin
ganz außerordentlich erleichtert.

Außer diesen erwähnten Bastarten dienen die getrockneten und
zerschlitzten Blätter der verschiedensten Palmen- und Pandanusarten den
Eingeborenen zu den mannigfaltigsten Flechtereien in Form von Matten,
Körben usw. In ganz Südasien, Madagaskar und der Inselwelt des Stillen
Ozeans finden wir besonders ~Pandanus odoratissimus~ teils wild, teils
angebaut. Dieser palmenartige Strauch, dessen 3-5,5 m hoher Stamm
stelzenartig auf zahlreichen Luftwurzeln ruht, hat seine 1 m langen,
starren, schwertförmigen Blätter in schöner Schraubenlinie gestellt und
trägt hängende, zapfenartige Blütenstände, die ihres Wohlgeruches wegen
in den Wohnungen aufgehängt werden. Die mit einem Stein weichgeklopften
Früchte geben einen aromatischen Saft und liefern auf vielen Inseln,
gebacken, ein würziges Volksnahrungsmittel, das aber meist nur
gegessen wird, wenn Mangel an Brotfrucht herrscht. Die Blütenknospen
und der untere Teil der Blätter werden als Gemüse verspeist und aus
den Fasern der Blätter werden Matten, Segel, Schürzen, Körbe u.
dgl. mehr geflochten. Gleicherweise wird ~Pandanus utilis~ auf die
mannigfaltigste Weise ausgenutzt; auch dessen mandelartige Fruchtkerne
werden gegessen.

Wichtiger als sie ist für uns Europäer die südamerikanische
strauchartige +Panamapalme+ (~Carludovica palmata~), aus deren noch
jungen, zusammengefalteten Blättern die nicht nur auf dem ganzen
amerikanischen Festlande und in Westindien, sondern neuerdings auch
bei uns so beliebten Panamahüte geflochten werden. Es ist dies eine
bloß 2-3 m hoch werdende Palme, die in Kolumbien, Ekuador und Peru
wild wächst und nicht kultiviert wird. Um ein möglichst weißes Material
zu erzielen, werden die in den Wäldern gesammelten, unentfalteten
Blätter zunächst kurz in heißes Wasser getaucht, dem der Saft einiger
Zitronen beigemischt wurde, dann werden sie, nachdem sie aller Rippen
und gröberen Fasern beraubt sind, zunächst im Schatten und dann in der
Sonne getrocknet und mit dem Nagel des rechten Daumens in ganz schmale
Streifen zerschlitzt, um zu Körbchen, Zigarrentaschen usw., besonders
aber zu Hüten geflochten zu werden. Der überaus hohe Preis dieser
sogenannten Panamahüte ergiebt sich nicht sowohl aus der Schwierigkeit,
als aus der Langwierigkeit ihrer Herstellung. Bei täglich
sechsstündiger Arbeitszeit braucht ein Arbeiter zum Flechten eines
gewöhnlichen 4 Mark-Hutes 6-7 Tage. Ein Hut im Wert von 5 bis 12 Mark
beansprucht bereits 14 Tage, ein feiner, etwa 100 Mark kostender sogar
6 Wochen Arbeitszeit. Am feinsten, leichtesten und schönsten gearbeitet
sind diejenigen von Montecristi, die auch von allen die berühmtesten
sind. Die gewöhnlichen derselben kosten 10-16, die halbfeinen 20-30
und die feinen 40-200 Mark, ja noch mehr. Von gleichfalls sehr guter
Qualität sind die Hüte von Santa Elena, die zwar nicht so fein, aber
durch regelmäßiges, festes Flechtwerk, fein geschlungenen Rand und rein
weißes Material in hohem Maße ausgezeichnet sind. Da sie über Panama
exportiert werden, nennt man sie so, obschon sie nicht dort hergestellt
werden.

Weiter kommen für uns noch die Faserstoffe in Betracht, die der
Papierfabrikation dienen. Wie die Mexikaner bei der Eroberung ihres
Landes durch Fernando Cortez im Jahre 1519 außer Baumwolle die
Fasern der Agave als Material für Kleidungsstoffe, Papier, Bindfaden
und Stricken benutzten, so bedienten sich die Hindus zum Schreiben
ihrer heiligen Bücher der Palmblätter und teilweise auch eines aus
Birkenrinde verfertigten Papieres, während das uralte Kulturvolk
der Chinesen anfänglich Tafeln aus Bambusrohr, später Seide und
Papier aus der Rinde des Papiermaulbeerbaums und zuletzt aus
Baumwollumpen angefertigtes Büttenpapier zum Schreiben gebrauchten.
Der in China heimische, durch schöne, große Blätter ausgezeichnete
+Papiermaulbeerbaum+ (~Broussonetia papyrifera~) wird gegenwärtig
in größtem Maßstabe auch in Japan, China und auf vielen Inseln des
großen Ozeans nach Art der Weiden kultiviert, weil die Innenrinde
der zweijährigen Zweige das Material zu den außerordentlich schönen,
festen und haltbaren chinesischen und japanischen Papieren gewährt,
deren Festigkeit gestattet, sie wie gewebte Zeuge zu Regenschirmen,
Zimmerwänden, Taschentüchern usw., ja, mit Öl getränkt, sogar zu
wasserdichten Kleidungsstücken und statt Fensterglas zu verwenden. Es
ist dies ein Milchsaft führender Baum von 9-12,5 m Höhe mit süßlich
schmeckenden, fleischigen Beeren, die überall in Ostasien gern gegessen
werden.

Die alten Ägypter aber bedienten sich zur Herstellung ihres Papieres
der Stengel der +Papyrusstaude+ (~Cyperus papyrus~), die diesem Produkt
überhaupt den Namen gab. Es ist dies eine ursprünglich im tropischen
Afrika heimische Sumpfpflanze, deren dreikantige, fingerdicke Halme
5 m hoch werden und an ihrer Spitze eine Kugel von hunderten,
strahlenförmig auseinanderschießenden, dünnen Zweigen mit den Blättern
und Blütenrispchen tragen. Sie wächst in allen Flüssen des tropischen
Afrika in ungeheuren Mengen und beteiligt sich an der Bildung der
Pflanzenbarren, welche den Lauf der größeren Ströme zuweilen verstopfen
und die so undurchdringlich sind, daß Reisende auf Dampfschiffen, die
von ihnen eingeschlossen wurden, kaum mehr loskommen konnten und der
Gefahr des Verhungerns ausgesetzt waren.

Einst wuchs der Papyrus im alten Ägypten in Menge wild und wurde bei
dem zunehmenden Bedarfe seiner Stengel auch angebaut, besonders in
den zahlreichen Kanälen, die das sonst dürre, weil regenarme Land
durchzogen. Heute ist er aus diesem Lande gänzlich verschwunden und
ist erst wieder in Nubien am Oberlaufe des Nils und seiner Zuflüsse
zu treffen, wo er mit dem +Ambatsch+ (~Herminiera elaphroxylon~),
einem bis 7 m hohen Hülsenfrüchtler mit wundervollen Blüten, dessen
Holz ungemein leicht und schwammig ist, so daß die Eingeborenen ihre
floßartigen Fahrzeuge daraus verfertigen, und der +Pistie+ (~Pistia
stratiotes~), einer Wasserlinse von riesigen Ausmessungen, jene
erwähnten undurchdringlichen Pflanzenbarren bildet.

[Illustration:

    Tafel 97.

Der Pineta genannte Pinienwald bei Ravenna.]

[Illustration: Ein Papyrusdickicht am Flusse Anapo bei Syrakus auf
Sizilien.]

[Illustration:

    Tafel 98.

    (Nach Phot. von W. Busse in „Karsten u. Schenck,
    Vegetationsbilder“.)

Ein Kapokbaum in Togo. Auf der Wiese junge Ölpalmen.]

Die alten Ägypter bauten aus den Stengeln des Papyrus ebenfalls
floßartige Fahrzeuge. In einem solchen fuhr nach der altägyptischen
Sage die Göttin Isis über die Lotosblumen, weshalb auch die Krokodile
einem jeden Papyrusnachen mit heiliger Scheu ausweichen sollten. Wenn
nun der jüdische Prophet Jesaias, der seit 740 v. Chr. in Jerusalem
wirkte, ein „Wehe“ über das Volk, das in Fahrzeugen von Papyrusschilf
fährt, ausruft, so ist das ein Beweis, daß diese altägyptische Sitte
den Völkern des Altertums wohl bekannt war. Auch Stricke und Taue
wurden damit hergestellt. So wird schon in der Odyssee ein Tau aus
Papyrusbast (~býblos~) erwähnt, und der griechische Geschichtschreiber
Herodot meldet uns, daß, als der persische König Xerxes, der seinem
Vater Dareios 485 v. Chr. nachfolgte und vier Jahre darauf mit einem
Heer von einer Million Mann und einer Flotte von 1200 Schiffen zur
Unterjochung Griechenlands aufbrach und zur Übersiedelung seines Heeres
nach Europa eine Schiffbrücke über den Hellespont schlagen ließ, zum
Befestigen der Schiffe Leinen- und Papyrustaue verwendet wurden. Auch
Körbe, Matten, Segel und andere Geflechte wurden in Ägypten aus Papyrus
angefertigt, ebenso Sandalen, die zu benützen den ägyptischen Priestern
ausschließlich erlaubt war. In einem Korbe aus Papyrus setzte jene
Jüdin nach dem Berichte im Alten Testament ihr erstgeborenes Kind,
das Mosesknäblein, in einem Papyrusdickicht am Nile aus, wo er von
der ägyptischen Prinzessin aufgefunden und an Sohnes Statt angenommen
wurde. In der Heilkunde brauchte man den Papyrusbast zum Anlegen von
Bandagen und zum Trocknen und Erweitern von Fisteln.

Aus dem Mark der Pflanze stellte man Lampendochte her. Die Asche
dieser Pflanze galt mit Wein eingenommen als Schlafmittel und
sollte, in Wasser aufgeweicht, Schwielen heilen. Die fleischigen
Grundachsen des Papyrus bildeten, wie wir früher sahen, ein wichtiges
Volksnahrungsmittel. Mit den pinselartigen Blütendolden schmückte man
die Tempel der Götter und flocht Kränze für deren heilige Bildsäulen,
wie für die zu ehrenden Könige. Plutarch erzählt, daß, als der König
Agesilaos von Sparta, einer der berühmtesten Feldherrn des Altertums,
nach verschiedenen Siegen über die Perser und Thebaner 361 einen Zug
nach Ägypten unternahm, er sich über einen ihm als Zeichen besonderer
Verehrung überreichten Papyruskranz so gefreut habe, daß er sich beim
Abschied vom Könige Ägyptens einen zweiten solchen erbat. Der um 200
n. Chr. in Alexandreia lebende Grieche Athenaios aus Naukratis in
Ägypten verspottete allerdings diejenigen, die Rosen in einen Kranz von
Papyrus einflechten; er fand dies ebenso lächerlich, als wenn jemand
Rosen zu einem Kranze von Knoblauch verwenden wollte.

So zahlreich auch die Verwendung der Papyrusstaude im alten Ägypten
war, so bestand doch späterhin ihre Hauptbedeutung darin, daß aus
ihr das allgemein gebräuchliche Schreibmaterial gewonnen wurde.
Heute noch lebt ihr Name in unserer Bezeichnung dafür: Papier fort.
Dieses Schreibmaterial, dessen sich schon die Priester der ältesten
ägyptischen Dynastien zum Aufschreiben ihrer Mitteilungen und Gebete
in heiligen Schriftzeichen, den Hieroglyphen, bedienten, wurde in
folgender Weise bereitet: Die schwammigen, dreikantigen Stengel
wurden in meterlange Stücke geschnitten, der Länge nach gespalten
und die einzelnen hautartigen Schichten von innen, wo die feinsten
Fasern lagen, nach außen vermittelst einer Nadel in dünnen Streifen
abgezogen, die zuerst ausgewaschen und dann mit Beigabe von etwas
Klebstoff -- meist Kleber -- auf Bretter ausgebreitet wurden, und zwar
schichtenweise zuerst neben- und dann übereinander. Hierauf wurde die
Masse durch Schlagen mit Hämmern gepreßt, getrocknet und schließlich
mit einer Muschel oder einem größeren Tierzahn geglättet. Selbst der
beste, durch Benetzen und Ausbreiten an der Sonne gebleichte Papyrus
war gelblich und gerippt, nicht glatt. Man erkannte an ihm deutlich
die quer übereinander gelegten Fasern. Gewöhnlich wurde mit der aus
Ölruß mit Wasser und arabischem Gummi hergestellten Tinte nur auf einer
Seite geschrieben, da die Farbe durchschlug. Um den zerbrechlichen
Stoff nicht zu knicken, wurde er gerollt und in einer Leinwandhülle
aufbewahrt, die wohl auch mit Pech überzogen war, um den Inhalt vor
Feuchtigkeit zu schützen.

[Illustration: Bild 66. Papyrusernte im alten Reich.

Darstellung aus dem Grabe des Ptah hotep (5. Dynastie. 2750-2625
v. Chr.)

(Nach Dümichen.)]

Die Papierfabrikation ist in Ägypten eine uralte Kunst, die bereits
im alten Reiche zu hoher Blüte gelangt war. Im Grabe des Ptah hotep
aus der Zeit der 5. Dynastie (2750-2625 v. Chr.) finden wir eine
interessante Darstellung der Papyrusernte. Am Nil, dessen Ufer mit
einem prächtigen Flor von Lotosblüten mit Knospen und Blättern
eingefaßt ist, durch den sich träge ein Krokodil bewegt, sehen wir wie
die Papyrusstauden geschnitten und in dicken Bündeln auf den Rücken von
Männern zur Bearbeitung fortgetragen werden. Aber erst aus römischer
Zeit haben wir eine ausführliche Beschreibung der Papierbereitung
daraus durch den älteren Plinius (23-79 n. Chr.), der verschiedene
Sorten Papier (~charta~) beschreibt. „Das feinste Papier aus den
innersten Schichten der Papyrusstengel“, sagt er, „hieß in alter
Zeit das hieratische und wurde nur zu heiligen Schriften gebraucht.
Aus Schmeichelei nannte man es später Augustuspapier. Eine zweite,
etwas weniger feine Sorte heißt nach des Augustus Gemahlin Livia das
livianische Papier und erst die dritte heißt das hieratische Papier.
Die nächstfolgende, aus noch weiter außen befindlichen Schichten
der Papyrusstengel bereitete Sorte heißt die amphitheatrische. Aus
dieser stellt Fannius in Rom ein so vortreffliches Papier her,
daß das Erzeugnis seiner Fabrik fürstliches Papier heißt. Eine
geringere Qualität aus noch weiter außen befindlichen Schichten
der Papyrusstengel heißt die saitische nach der Stadt Sais (in
Unterägypten), wo eine schlechte Papyrussorte verarbeitet wird. Das
taniotische Papier kommt von den Schichten, die der Rinde noch näher
liegen, hat seinen Namen von einer Stadt und wird nicht nach der Güte,
sondern nach dem Gewichte verkauft. Das emporetische Papier taugt
nicht zum Schreiben, sondern bloß zum Einwickeln des guten Papiers
und anderer Waren. Die Breite der Papierbogen (~plagula~) ist sehr
verschieden. Die besten sind 13 Finger breit, die hieratischen 11,
die fannianischen 10, die amphitheatrischen 9, die saitischen sind
noch schmäler. Das emporetische Papier (Packpapier) ist nicht über 6
Finger breit. Außerdem kommt beim Papier die Feinheit, Dichtigkeit,
Weiße und Glätte in Anschlag. Zwanzig Papierbogen heißen im Handel
ein ~scapus~. -- Das augusteische Papier widerstand, wie es anfangs
zubereitet wurde, wegen seiner allzugroßen Feinheit dem Schreibrohr
nicht genügend, ließ auch die Schrift durchscheinen, so daß sie auf
der Rückseite an Lesbarkeit litt; es war auch so durchsichtig, daß es
nicht gut aussah. Diesen Fehlern hat Kaiser Claudius (Sohn des Drusus,
Stiefsohn des Augustus, 9 v. Chr. in Lyon geboren, ward 41 n. Chr.
nach Caligulas Ermordung von den Prätorianern zum Kaiser ausgerufen,
überließ sich ganz der Leitung seiner schlimmen Gemahlin Messalina und
der Freigelassenen Pallas und Narcissus, war schwelgerisch und träge,
doch Freund der Wissenschaften, errichtete große Bauten, wurde 54
durch seine zweite Gemahlin Agrippina mit einem Pilzgericht vergiftet)
dadurch abgeholfen, daß er die erste Lage auf dem Brette aus Schichten
zweiter Güte legen ließ und diese mit quergelegten Schichten erster
Güte decken ließ. Er vergrößerte auch die Breite der Bogen.“ Außer der
sehr feinen, weißen ~charta claudia~ und der ähnlichen noch glatteren
~charta fannia~ unterschied man später noch die ~charta salutatrix~ als
viel begehrtes Briefpapier, dann die ~charta macrocolla~ mit Blättern
in Form langer Streifen und die ~charta nigra~, ein schwarzes Papier,
auf welches die Schrift farbig aufgetragen wurde.

So versorgte Ägypten im Altertum das ganze ausgedehnte Römerreich mit
seinem Papier, das selbst den Weg nach Gallien und Britannien fand. Da
nun aber der Papyrus nicht alle Jahre gleich gut gedieh, gab es öfter
erhebliche Preisschwankungen und bisweilen sogar Papierteuerungen.
So schreibt derselbe Plinius: „Es gibt Jahre, in denen der Papyrus
mißrät. Unter Tiberius (geb. 42 v. Chr., Stiefsohn des Augustus, durch
Heirat der Kaiserstochter Julia im Jahre 12 v. Chr. Schwiegersohn des
Augustus, wurde 4 n. Chr. von Augustus adoptiert und regierte, nachdem
er im Jahre 14 nach des Augustus Tod vom Senat als Kaiser anerkannt
worden war, bis 37, da er am 16. März auf seinem Schloß auf Kapri
bereits im Todeskampf durch Macro mit Kissen erstickt wurde) trat
so großer Mangel an Papier ein, daß eigene Beamte vom Senat mit der
Verteilung desselben beauftragt wurden, weil sonst die ganze Verwaltung
in Verwirrung gekommen wäre.“

Welche Dimensionen der Anbau und Verbrauch der Papyrusstaude und die
Papierfabrikation im alten Ägypten angenommen haben muß, kann man aus
dem riesigen Nachlasse von Papyrusrollen und aus den Zeugnissen der
Schriftsteller des Altertums entnehmen. Der Geschichtschreiber Diodor
berichtet uns, daß schon Ramses II. der 19. Dynastie (1292-1225
v. Chr.) in Theben eine sehr umfangreiche Reichsbibliothek errichten
ließ. Berühmt war im Altertum die von Ptolemaios Philadelphos
(regierte 285-247 v. Chr.) außer dem Museion in Alexandrien errichtete
Bibliothek, die es auf die erstaunliche Zahl von 400000 Papyrusrollen
brachte und erst von den Arabern verbrannt wurde. Mit dieser
alexandrinischen rivalisierte unter Eumenes II. (regierte 197-159
v. Chr.) und Attalos II. (folgte seinem Bruder 159 und starb als
Verbündeter Roms 138 v. Chr.) diejenige von Pergamon in Kleinasien mit
damals schon 200000 Bänden. Dies erregte die Eifersucht des ägyptischen
Königs Ptolemaios VI. Philometor (der von 181-145 v. Chr. regierte)
dermaßen, daß er ein Gesetz gegen die Ausfuhr des Papiers aus seinem
Lande erließ. Dies nötigte dann Eumenes, das nötige Schreibmaterial
aus besonders präparierten und mit einer Kreideschicht überzogenen
Schaffellen herstellen zu lassen. Dieses gelangte als ~charta
pergamena~, d. h. pergamenisches Papier in den Handel, und daraus
wurde dann später die Bezeichnung Pergament. Dieser äußerst dauerhafte
Papierersatz spielte besonders im Mittelalter eine sehr wichtige Rolle
und hat sich zum Aufdruck von Doktordiplomen bis auf den heutigen Tag
im Gebrauch erhalten.

Die ägyptischen Papierfabriken, die unter Tiberius hoch besteuert
wurden, waren sehr gut eingerichtet und arbeiteten schon nach dem
Prinzip der Arbeitsteilung. Man unterschied da ~glutinatores~ (von
~gluteum~ Kleber), d. h. Leimer, ~malleatores~ (von ~malleum~
Hammer), d. h. Hämmerer usw. Während die Papyruspflanze bei den
alten Ägyptern ~natit~ hieß, nannten sie die Griechen wahrscheinlich
nach dem ägyptischen Wort ~papuro~, d. h. königlich, ~pápyros~. Für
den Bast der Papyruspflanze diente die schon bei Homer und dann bei
Herodot vorkommende Bezeichnung ~býblos~, woraus dann ~býblon~ für
Schriftrolle wurde. Aus dieser griechischen Bezeichnung machten die
Römer, die die Schriftrollen aus Ägypten durch griechische Vermittlung
erhielten, ihr ~biblium~ im Sinne von Buch, im Pluralis ~biblia~
lautend, und aus der Aufschrift ~biblia sacra~, d. h. heilige Bücher,
entstand dann unser Wort Bibel. Die einheimische alte Bezeichnung
der Römer für das Schriftstück war ~liber~, d. h. Bast, weil sie als
ältestes Schreibmaterial „den Bast einiger Bäume“, wie sich Plinius
ausdrückt, benutzten, später aber auch zum Privatgebrauch auf Leinwand
und auf Wachs schrieben. Aus dem lateinischen ~liber~ im Sinne von
Schriftstück ging dann die französische Bezeichnung ~livre~ für Buch
hervor, während die deutsche Bezeichnung dafür von Buche herrührt, aus
deren Holz die Stäbe genommen waren, in welche die alten Germanen die
Runen einschnitten, die man zu allerlei Zauber und zur Erforschung
der Zukunft benutzte. Die Buchenstäbe mit den verschiedenen Runen
wurden dann gemischt und ein einzelner, der gelten sollte, daraus
hervorgezogen. Das war dann der entscheidende Buchenstab, nach späterer
Redeweise: der Buchstabe, und die Gesamtheit derselben das Buch.

Die blühende Papierindustrie Ägyptens wurde nun nicht, wie dies
gewöhnlich behauptet wird, infolge der Eroberung durch die Araber
vernichtet, sondern diese setzten sie zunächst fort und brachten die
von ihnen aus Ägypten nach Syrien verpflanzte Papyrusstaude am Ende des
9. Jahrhunderts nach Sizilien, wo sie dieselbe in dem danach Papireto
benannten Flüßchen bei Palermo ansiedelten, um sie ebenfalls zur
Papierfabrikation zu verwenden. Dort wuchs sie reichlich bis zum Jahre
1591, in welchem auf Veranlassung des damaligen Vizekönigs die ganze
Gegend wegen des vom Papireto ausgehenden Wechselfiebers trocken gelegt
wurde und damit auch der Papyrushain verschwand. Noch jetzt heißt jene
Örtlichkeit ~piano del papireto~, d. h. Ebene des Papyrushains. Heute
findet sich der Papyrus in größeren Beständen nur noch am Flüßchen
Anapo bei Syrakus und im Süden und Osten jener Insel wild, häufig
jedoch als Zierpflanze in den Gärten der Reichen kultiviert. Die
Exemplare in den europäischen Gewächshäusern scheinen alle aus Sizilien
zu stammen, wo die Stengel des Papyrus nur noch zum Kalfatern der
Schiffe dienen.

Die Papyrusindustrie erlosch von selbst, als im Zeitalter der Kreuzzüge
durch die Vermittlung der Araber das chinesische +Büttenpapier+ nach
Europa kam und man es hier selbst darzustellen vermochte. In China
bediente man sich nämlich schon längere Zeit eines anderen Papieres
als in Ägypten, indem schon im Jahre 123 v. Chr. der Ackerbauminister
Tsai-lün aus dem Bast des Papiermaulbeerbaums, aus chinesischem Gras
und sogar aus den Fasern des Bambusrohres Papier zu bereiten lehrte.
Ums Jahr 610 n. Chr. kam diese Kunst nach Korea und Japan. Unter den
chinesischen Kriegsgefangenen, die im Jahre 751 n. Chr. nach dem
damals muhammedanischen Samarkand kamen, befanden sich auch solche,
die sich auf die Papierfabrikation verstanden. Hier wurden sie zur
Ausübung ihrer Kunst angehalten und fabrizierten Papier aus dem ihnen
dazu zur Verfügung gestellten Material. Hier haben die Araber zum
erstenmal leinene und baumwollene Lumpen, sogenannte Hadern, zur
Papierfabrikation benutzt, indem sie dieselben nach einer Mazeration
in Wasser in Mörsern zerstampften und zu Papier preßten. Später wurden
dann an Stelle von Menschenhänden vom fließenden Wasser getriebene
maschinelle Einrichtungen als sogenannte Papierstampfen von ihnen zu
Hilfe genommen und in der Folge zu eigentlichen Papiermühlen ausgebaut.

Von Samarkand wanderte dieser von den Arabern aufgegriffene neue
Fabrikationszweig über Buchara und Persien westwärts nach Bagdad,
wo 794 ebenfalls die Papierbereitung eingeführt wurde. Die Bagdader
Papierfabriken versorgten bald das ganze Morgenland mit ihren
Erzeugnissen. Der Residenzstadt eiferte bald Damaskus nach, das im
10. Jahrhundert mit anderen kunstgewerblichen Gegenständen, wie
namentlich den nach jener Stadt benannten Damastgeweben, feinsten
Brokaten, Linnen- und Seidenstoffen, dann den weltberühmten Damaszener
Stahlwaren, vorzügliches Papier auf den Markt brachte und in Menge
sogar nach dem Abendlande vertrieb. Unter diesem Papier gab es die
verschiedensten Sorten von Schreibpapier, starkes und schwaches,
glattes und geripptes, weißes und farbiges, daneben Seiden- und
Packpapier. Neben diesem ungleich billigeren Schreibstoff --
der Vorbedingung für die Verbreitung von Bildung, Literatur und
Wissenschaft -- mußten natürlich Papyrus und Pergament völlig
zurücktreten. Letzteres erhielt sich nur in Gegenden, wohin die
trefflichen arabischen Papiere nicht so leicht gelangen konnten,
noch länger im Ansehen. Über Ägypten verbreitete sich die arabische
Papierfabrikation aus Lumpen der nordafrikanischen Küste entlang nach
dem von den Mauren beherrschten Spanien, wo sie im Jahre 1154 in Jativa
bei Valencia ihren ersten Sitz in Europa aufschlug. Wahrscheinlich von
Italien her, das das arabische Papier nach den Ländern nördlich der
Alpen verhandelte und es mit der Zeit selbst zu fabrizieren lernte, kam
die Papiermacherkunst zu Ende des 13. Jahrhunderts nach Deutschland,
wo sich 1290 in Ravensburg, 1312 in Kaufbeuren, 1319 in Nürnberg, 1320
in Augsburg und 1380 in Basel die ersten Papiermühlen in Mitteleuropa
nachweisen lassen. Eine außerordentliche Begünstigung erfuhr die
Papiermacherei durch die Erfindung der Buchdruckerkunst durch den
Mainzer Johann Gensfleisch zum Gutenberg und die durch den Wittenberger
Augustinermönch Martin Luther begründete Kirchenreformation in
Verbindung mit dem durch die Renaissance aufgekommenen allgemeinen
geistigen Aufschwung. Da war es kein Wunder, daß das schöne,
geschmeidige und glatte Leinenpapier den brüchigen, rauhen Papyrus und
selbst das äußerst dauerhafte Pergament, das sich als Schreibmaterial
noch länger als jenes erhielt, bald ganz zum Schwinden brachte. Und
mit ihnen verschwand auch das bis dahin mit dem Papyrus aus Ägypten
als Schreibfeder in Bündeln in den Handel gebrachte ägyptische Rohr,
das als ~kálamos~ bei den Griechen und durch deren Vermittlung als
~calamus~ bei den Römern Jahrhunderte hindurch im Gebrauch war. Dieses
Schreibrohr wurde aus der größten Grasart der Mittelmeerländer, dem
Pfeilrohr (~Arundo donax~), das bis 3,6 m Höhe und 2,5 cm Dicke
erreicht und im Altertum besonders zu Pfeilen benutzt wurde, in der
Weise hergestellt, daß man die knotigen Halme zuschnitt und an der
Spitze spaltete. Dieses Rohr war das einst bei allen Kulturvölkern am
Mittelmeer allein gebräuchliche Schreibgerät und wurde hauptsächlich im
Delta Ägyptens, außerdem auch in Sumpfgegenden Kleinasiens gewonnen.
Erst in der römischen Kaiserzeit kam daneben auch eine aus gerolltem
Kupferblech hergestellte Nachahmung dieses Schreibrohrs auf, von dem
man je ein Exemplar in Herkulaneum, Mainz und Ungarn fand. Doch war
dies jedenfalls mehr eine Kuriosität, die gegenüber dem leichten
und weicher schreibenden Rohr nicht aufkommen konnte. Erst um die
Mitte des 7. Jahrhunderts wurde bei den christlichen Kulturvölkern
die bis dahin allgemein üblich gewesene Schilfrohrfeder durch die
bedeutend elastischere und deshalb eine leichtere und besonders
auch zierlichere und kunstvollere Schrift erlaubende Gänsefeder
ersetzt. Diese erhielt sich im Gebrauch bis zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts, als die von dem Prager Aloys Senefelder 1796 aus einem
Stück gehärtetem Stahl, nämlich einer Uhrfeder, zum Beschreiben seiner
lithographischen Steine erfundene Stahlfeder von den Engländern
fabrikmäßig hergestellt wurde. So entstand 1820 in Birmingham die erste
Stahlfederfabrik, und seit 1826 stellte der Inhaber derselben, Josiah
Mason, besondere Spezialmaschinen in den Dienst der neuen Industrie.
Bei den muhammedanischen Völkern des Orients aber ist die altägyptische
Rohrfeder, der ~calamus~ der Römer als ~kelâm~ (arabisch) bis auf den
heutigen Tag als ausschließliches Schreibgerät in Ehren geblieben.

Bei dem im Lauf des 19. Jahrhunderts ins Ungeheure angewachsenen
Papierverbrauch, der bei weitem nicht mehr aus Lumpen gedeckt zu
werden vermochte, sah man sich gezwungen, zu den verschiedenartigsten
Ersatzstoffen zu greifen, deren hauptsächlichste der Holzstoff des
Holzes, besonders des weichen Nadelholzes, dann von Getreidestroh,
Hülsenfrüchten, Heu, Binsen, Brennesseln, Disteln, Ginster und der
verschiedensten Palmenblätter und Grasarten bilden, der in dem um die
Mitte des 18. Jahrhunderts an Stelle der Papierstampfen aufgekommenen
„Holländer“ mit Zuhilfenahme chemischer Mittel gelöst wird. Es ist dies
eine ursprünglich deutsche Erfindung, die in Holland zuerst in Aufnahme
kam und sich von da aus auch in Deutschland Eingang verschaffte.

Auf die Herstellung von Papier aus Holz haben die Wespen, die daraus
ihre leichten und dennoch soliden Nester bauen, den Menschen geführt.
Als ein Engländer, ~Dr.~ Hill, die Papierfabrikanten darüber jammern
hörte, daß sie Mühe haben, genügend Lumpen zusammenzubringen, und
deshalb das Papier so teuer sei, zeigte er einem solchen ein Wespennest
und meinte: „Warum folgen Sie nicht dem Beispiel der Wespen, die bei
der Errichtung ihres Nestbaus Holz zerfasern und daraus einen Brei
machen, den sie in dünnen Lagen mit Speichel zu Papier leimen und
trocknen lassen?“ Das führte zur Entdeckung des Holzpapiers. Am meisten
wird dazu, weil am leichtesten zu beschaffen, das Nadelholz verwendet,
das weit über die Hälfte der jährlich erzeugten 800 Millionen kg
Papier liefert. Es wird hauptsächlich zu dem billigen Zeitungspapier
verarbeitet, indem der zum Zerstören der Lignite und Harze mit
Sulfitlauge gekochte Holzstoffbrei in der gegen das Ende des 18.
Jahrhunderts erfundenen Zylindermaschine zu fortlaufendem, sogenanntem
endlosem Papier ausgewalzt wird. Die Zeitungen Europas und Nordamerikas
verbrauchen jährlich ganze Wälder von Fichten- und Tannenholz. Da nun
eine Einschränkung des Zeitungswesens unmöglich ist und andererseits
die Nadelholzwaldungen nicht entsprechend ihrer technischen
Verarbeitung zu Papier und anderen Erzeugnissen wachsen, so verwendet
man neuerdings als Ersatz dafür die verschiedensten Stroharten, die
leicht zu behandeln und zu bleichen sind und durchschnittlich 45-46
Prozent, Reisstroh sogar 50 Prozent Holzstoff enthalten. Nun reicht
leider auch die jährlich erzeugte Strohmenge bei weitem nicht aus, um
einen erheblichen Teil des Holzes in der Papierfabrikation zu ersetzen,
um so mehr, da Stroh noch zu anderen Zwecken, als Viehfutter, Streu,
Verpackungsmaterial usw. in größeren Mengen verbraucht wird. Nur haben
diese Surrogate des älteren Hadernpapiers leider die Eigenschaft,
unter dem Einfluß von Luft und Licht rasch zu vergilben und brüchig zu
werden; indessen gelang es der Technik, durch besondere Behandlung mit
allerlei Chemikalien aus Holz- oder Strohschliff diejenigen Stoffe,
welche das Gelb- und Brüchigwerden beschleunigen, zu entfernen, ohne
damit die Fasern zu zerstören.

Von anderen Holzstofflieferanten, die als Papierrohstoffe neuerdings
eine zunehmende Bedeutung erlangt haben, sind das im westlichen
Mittelmeergebiet auf trockenen, salzfreien Steppen massenhaft wachsende
+Pfriemen-+ oder +Spartgras+ (~Stipa tenacissima~) zu nennen, das
besonders von englischen Papierfabriken zur Herstellung besserer
Papiere verwendet wird. Diese bereits von uns gewürdigte Grasart mit
äußerst zähen und biegsamen, 40-70 cm langen, graugrünen, nach der
Breitseite zusammengerollten Blättern, hat ihre heutige spanische
Bezeichnung ~esparto~ aus dem lateinischen ~spartum~, während der
andere dafür gebräuchliche arabische Ausdruck ~alfa~ oder ~halfa~ der
zwischen den beiden Ketten des Atlas eingeschlossenen Steppenregion
im mittleren Algerien den Namen gab. Hier werden über 200 Millionen
kg Pfriemengras geerntet, von denen 75 Millionen kg nach England
ausgeführt werden. Ebendorthin geht auch die Produktion von Spanien
und Tripolis von zusammen über 80 Millionen kg, von denen 100 kg
durchschnittlich 10 Mark wert sind.

Ein wichtiges Rohmaterial der indischen und chinesischen
Papierfabrikation bilden die bis zu 55 Prozent Holzstoff enthaltenden
Bambusfasern, die aber für die europäischen und amerikanischen
Papierfabriken ebensowenig in Betracht kommen können, wie der Bast des
Papiermaulbeerbaums. Ein Papierstoff aber, der vielleicht in einiger
Zeit für die amerikanische Papierindustrie größere Bedeutung erlangen
dürfte, sind die als +Bagasse+ bezeichneten ausgepreßten Stengel des
Zuckerrohrs, die sehr reich an Holzstoff sind und beim ausgedehnten
Anbau von Zuckerrohr in großen Mengen bei der Zuckergewinnung abfallen
und nur zum Teil als Heizmaterial Verwendung finden. So wird bereits in
mehreren amerikanischen Fabriken zurzeit Bagassepapier hergestellt.

Von den Tropenpflanzen, unter denen man schon ihres schnellen, üppigen
Wachstums wegen den Ersatz für das Holz als Papierrohstoff in erster
Linie wird suchen müssen, kommen eine Reihe von Grasarten wie das
Bhabur-, Munj- und Cogongras und solche Stauden und Sträucher in
Betracht, die heute schon ihre Fasern zur Herstellung von Seilen,
Matten usw. liefern, wie die vorhin besprochenen verschiedenen
Bananen und Agaven, der Majaguastrauch u. a. m. Aus den Resten der
Seilfabrikate und aus den Abfällen bei der Hanfbereitung werden heute
schon größere Mengen sehr haltbarer Papiere hergestellt, die als
Manilapapiere in den Handel gelangen.

Auch die +Torffasern+ hat man zur Papierfabrikation herangezogen und
stellt daraus, besonders in Amerika, ein gutes und billiges Packpapier
her, das wenig empfindlich gegen Feuchtigkeit ist. Zur Fabrikation von
Druckpapier jedoch eignen sich die Torffasern nicht, da es bis jetzt
nicht hat gelingen wollen, geeignete Bleichverfahren für sie zu finden.
Trotzdem erscheint es bei der großen Menge des verfügbaren Torfes sehr
wohl möglich, daß dieser mit der Zeit einen größeren Teil des Holzes
als Papierrohstoff ersetzen dürfte, um so mehr, da in den letzten
Jahren die Ausbeutung der Torflager, nicht zuletzt der deutschen, im
Vordergrunde des Interesses steht.

Als neuester Papierrohstoff sind die +Weinreben+ zu nennen, mit denen
man zur Zeit in den französischen Weinbaugebieten Versuche macht, die
bisher zufriedenstellende Resultate sowohl hinsichtlich der Ausbeute
als auch in bezug auf das Bleichen ergaben. Eine solche Verwertung der
bisher sozusagen wertlosen Reben wäre den notleidenden französischen
Weinbauern wohl zu gönnen; große Mengen Holz würde man aber dadurch
nicht sparen. Und da zur Zeit die Papierindustrie noch nicht Miene
macht, sich des einen oder des anderen der oben angeführten Rohstoffe
in wirklich ausgedehntem Maße zu bedienen und dadurch den Holzverbrauch
einzuschränken, so wird sie noch auf eine Reihe von Jahren hinaus die
Wälder verwüsten, bis die Holzpreise unerschwinglich geworden sind
und man -- dann freilich viel zu spät -- eingesehen hat, daß unser
Papierbedarf auch ohne die Verarbeitung des zu anderen Zwecken so
notwendigen Nutzholzes gedeckt werden kann.

Das unter dem Namen „chinesisches Seidenpapier“ in China selbst
viel gebrauchte, auch in Deutschland zum Abdruck von Holzschnitten,
Lithographien und dergleichen benützte feine Papier, das durch seinen
Seidenglanz, seine geringe Dicke und Weichheit ausgezeichnet ist, wird
aus den Fasern der jüngeren Triebe des +Bambus+ (meist vom gemeinen
Bambus, ~Bambusa arundinacea~) gewonnen, deren gelbe, knotige, einer
inneren Höhlung ermangelnde Wurzelausläufer uns als Spazierstöcke
dienen. Es gibt 42 Arten dieser ausdauernder holziger Gräser, die sich
besonders im tropischen Asien, namentlich im malaiischen Gebiete,
finden und hier förmliche Waldungen bilden. Einige Arten steigen
im Himalaja bis 3800 m Meereshöhe empor. In Amerika gedeihen
beträchtlich weniger Bambusarten, von denen eine, die ~Chusquea
aristata~, in den Anden Perus bis 4700 m, d. h. an der Schneegrenze
vorkommt. Auch in Asien gehen einzelne Arten weit über die Wendekreise
hinaus, wie z. B. die auch bei uns als Zierpflanze im Freien
aushaltende ~Phyllostachys bambusoides~.

Von besonders wertvollen Vertretern dieser Pflanzengattung seien
~Bambusa arundinacea~ und ~B. tulda~ genannt, die in Ostindien
und Hinterindien wesentlich an der Bildung der Dschungeldickichte
teilnehmen und wegen ihrer hervorragenden Nützlichkeit für den Menschen
auch weit über ihr Vaterland hinaus in den Tropen beider Hemisphären
kultiviert werden. Ihre Stengel werden bis zu 25 m hoch und am Grunde
20-30 cm dick. ~Bambusa brandini~ erreicht eine Höhe von 38 m und
~Dendrocalamus giganteus~ sogar 40 m bei einem Stammumfang von 80 cm.
Aus einem vielfach verästelten, mächtigen Wurzelstock wachsen sie
stoßweise hervor, wobei an einem Bambushalm an drei aufeinander
folgenden Tagen Zuwachslängen von 57, 3 und 48 cm gemessen wurden.
Bei solchem raschen Wachstum kann ein Sproß von 20 m Höhe in
wenigen Wochen ausgewachsen sein. Die jungen Triebe mächtiger
Bambusen durchbrechen die Erde als teilweise mehr als armdicke, mit
scheidenartigen Blättern dichtbedeckte Kegel. Indem sie Wasser zwischen
ihren Blattscheiden hervorpressen, befeuchten und erweichen sie damit
den Boden, was das rasche Hindurchstoßen erleichtert.

Die Bambusstengel bilden starre, tragkräftige und zugleich
biegungsfeste Hohlzylinder, deren Holz außen herum reichlich mit
Kieselsäure imprägniert ist und in denen die Festigkeit noch durch
Einschaltung mehr oder weniger enggestellter Knoten gesteigert ist.
Hier hat also die Natur eine Form des Trägers gewählt, die die
geringste Materialaufwendung mit der größten Leistungsfähigkeit in sich
vereinigt, ganz so wie sie der Mensch, durch theoretische Erwägungen
geleitet, bei künstlich von ihm hergestellten Stützen, z. B. bei
eisernen Hohlträgern, in Anwendung bringt. Erst in einer gewissen
Höhe wachsen aus den allmählich verholzenden Halmen über den Knoten
Seitenzweige hervor, die sich abermals quirlig verzweigen und die
im Verhältnis zu ihrer Länge ziemlich breiten, deutlich gestielten
Grasblätter tragen. Die schwankenden Enden der Seitenzweige und der
sich nach oben verjüngenden Hauptachse tragen schwer an der Menge ihrer
Blätter und neigen sich, in leichtem Bogen überhängend, herab, so daß
das einzelne Bambusgebüsch einer vielstrahligen Fontäne gleicht und
einen äußerst zierlichen Anblick gewährt. Übrigens gibt es auch einige
schlaffe, kletternde Formen, die sich hoher Bäume als Stütze bedienen.

Merkwürdig sind die Blütenverhältnisse dieser Riesengräser. Bei einigen
Arten erscheinen die Blüten alljährlich, während bei anderen nach
einer zuweilen jahrzehntelangen vegetativen Periode -- so hat man in
Vorderindien beim gemeinen Bambus eine 32jährige Periode beobachtet --
ein mit allgemeinem Laubfall verbundenes einmaliges Blühen erfolgt,
wobei die Individuen nach der Fruchtreife absterben. Dann aber blüht
dieselbe Art meist auf weite Strecken zugleich. Die massenhafte
Produktion der mehlreichen Samen, die gekocht eine im Geschmack an
den Reis erinnernde, sehr geschätzte Nahrung für den Menschen bilden,
hat dann häufig eine außerordentlich starke Vermehrung der Mäuse
und Ratten zur Folge, die später, nach Aufzehrung der Bambusfrüchte
über die benachbarten Felder herfallen und diese plündern. Bei
solchen Bambusarten vergehen dann eine Reihe von Jahren, bis aus den
Keimpflanzen wieder stattliche Bestände herangewachsen sind. Noch
andere Bambusarten zeigen hinsichtlich ihres Blühens ein mittleres
Verhalten, indem jährlich einzelne Halme des Stockes ihr Laub abwerfen,
zur Blüte gelangen und nach der Fruchtbildung absterben.

Die Nutzbarkeit der Bambusen ist eine so große, daß sie nur mit
derjenigen der Kokospalme verglichen werden kann. Ohne sie könnte
man sich die Kultur der Malaien und anderer in den Tropen lebender
Volksstämme gar nicht vorstellen. Nicht nur dienen die Samen als
willkommene Speise, die auch zu Brot verbacken wird -- wiederholt
ist, so 1812, durch das Blühen der Bambuse eine Hungersnot in Indien
abgewehrt worden --, auch die jungen, noch weichen Schößlinge werden
gekocht oder in Essig eingemacht gegessen. Sie kommen als ~Achia~
in den Handel. Vornehmlich die Chinesen verwenden sie zur Bereitung
eines beliebten Konfektes, das oft dem Ingwer zugesetzt wird. Junge
Blätter dienen als Viehfutter. Aus den bei aller Härte und Zähigkeit
dennoch leichten Halmen werden Häuser errichtet, welche wegen ihrer
Luftigkeit im Sommer auch von den Europäern bevorzugt werden. Die
Pfosten, Dielen, Sparren, Türen, Fenster und die Dachbedeckung bestehen
aus runden oder gespaltenen und flach ausgebreiteten Bambusstämmen,
die mit Stücken des alsbald zu besprechenden geschmeidigen, sehr zähen
Rotangs verbunden werden. Brücken, Flösse, Zäune, Palisaden, Leitern,
Wasserleitungen, Dachrinnen, Masten für Schiffe und vieles andere
werden aus den Stämmen gemacht. Fast die ganze Hauptstadt von Siam,
Bangkok, schwimmt auf Bambusflössen und aus Bambus sind deren Häuser
errichtet. Aus demselben Material bestehen die Betten, Stühle und
Tische, die Eß- und Trinkgeräte, chirurgischen Instrumente, Haarkämme
und was sonst an Hausrat vorhanden ist. Auch mancherlei Waffen sind aus
ihm verfertigt, wie Blasrohre, Lanzen, Wurfspeere und Pfeile, die große
Leichtigkeit mit unvergleichlicher Härte verbinden. Zugleich damit trug
einst der chinesische Soldat einen mit einem Überzug von gefirnißten
Maulbeerpapier versehenen Sonnenschirm aus Bambus. Ferner werden die
hohlen Stengelteile des Bambus zu Musikinstrumenten der verschiedensten
Art verarbeitet, liefern selbst Resonanzböden und Saiten. Mit Harz
gefüllt dienen sie als Kerzen, deren Hülle zugleich mit der Füllung
in Flammen aufgeht. Die einzelnen Glieder des Rohres werden zu
Wassereimern und verschiedenen Behältern, ja sogar zu Kochtöpfen
verarbeitet. In solchen, die zwar verkohlen, aber vermöge ihrer starken
Imprägnation mit Kieselsäure nicht verbrennen, kocht der Javaner
an einem von trockenem Bambus genährten Feuer die ihm zur Nahrung
dienenden spargelartigen, nur viel dickeren jungen Bambustriebe. Aus
dünnen, schmalen Bambusstreifen flicht er Taue und Stricke, Vorhänge,
Matten, Körbe, Tragkörbe, Hüte, Reusen zum Fischfang, fertigt er
Krausen und Schmuck aller Art. Zerklopfter Bambussplint liefert
ihm Pinsel, Geschabsel des Rohres dient zum Polstern der Möbel und
Matratzen; ein Span von kegelförmigem Querschnitt, dessen scharfe Kante
von der kieselsäurereichen und infolgedessen ungemein harten äußeren
Schicht gebildet wird, gibt ein sehr scharfes Messer. Dieselbe äußere
Schicht dient als Wetzstein für eiserne Werkzeuge. Weil die ganze
Oberfläche des Stammes verkieselt ist, widersteht er allen äußeren
Angriffen und erhält sich sehr lange nicht bloß an der Luft, sondern
auch im Boden. Deshalb ist der Bambus ein so gutes und dauerhaftes
Baumaterial. Einen merkwürdigen Eindruck macht es, wenn ein solches
aus Bambus errichtetes Dorf in Brand gerät. Dabei erhitzt sich nämlich
die Luft in den abgeschlossenen Hohlräumen im Innern der Stengel und
sprengt dieselben mit gewaltigem Knall auseinander. Man glaubt aus der
Ferne starken Kanonendonner zu hören, aus welchem die Eingeborenen der
Molukken deutlich den Ruf „~bambu, bambu~“ hören.

Daß ein so überaus wertvolles Produkt der Tropen auch für uns allerlei
nützliche Gegenstände liefert, kann uns nicht verwundern. Wir
Europäer schätzen die leichten Garten- und Balkonmöbel aus Bambus.
Auf Jamaika wird der Bambus nur zur Erzeugung von Rohmaterial für die
nordamerikanischen Papierfabriken angepflanzt. Die schlanken dünnen
Ruten dienen als Pfefferrohr zu Pfeifenröhren, zu Angelruten, Stützen,
um Pflanzen daran anzubinden, zu Spazierstöcken und Regenschirmstielen;
meist wählt man dazu solche Gerten aus, an denen noch ein knopfförmiges
Stück der Grundachse als Griff gelassen ist.

[Illustration:

    Tafel 99.

Zusammenstellung der von den verschiedenen Teilen der Kokospalme
gewonnenen Produkte in einem Exportgeschäfte Ceylons.]

[Illustration:

    Tafel 100.

    (Phot. Vincenti, Daressalam.)

Eine Bambusgruppe in Deutsch-Ostafrika.]

[Illustration:

    Tafel 101.

Ein Riesenbambus auf Ceylon mit jungen Sprossen.]

[Illustration:

    Tafel 102.

Rotangpalmen im Botan. Garten zu Buitenzorg auf Java.

(Nach einer in der Sammlung des Botan. Instituts der Universität Wien
befindlichen Photogr. von Heermann.)]

Bei manchen Arten enthalten die Höhlungen der jüngeren, bei anderen
der älteren Stengelglieder ein klares, teilweise süßes Wasser, das
dem Reisenden einen angenehmen Trunk liefert. An den Knoten älterer
Halme mancher Arten, wie beispielsweise des gemeinen Bambus, finden
sich daneben eigentümliche Ausschwitzungen einer schmutzigweißen bis
braunen, ja schwärzlichen Masse, die an der Luft verhärtet. Sie hat
einen zuckerartigen Geschmack, weshalb man sie auch als Bambuszucker
bezeichnet. Sie besteht zu 86 Prozent aus Kieselsäure und verwandelt
sich beim Glühen, wobei die organische Masse zerstört wird, in reine
Kieselerde in Form eines chalzedonähnlichen Körpers, der bald
weiß und undurchsichtig, bald bläulich weiß, durchscheinend und
farbenschillernd aussieht.

Bei der überaus großen Nützlichkeit des Bambus lag es für den
Naturmenschen auf der Hand, dieser geheimnisvollen Ausschwitzung
besondere Heilkräfte zuzuschreiben. Seit undenklichen Zeiten verwenden
sie die Asiaten als kostbare Medizin und übermittelten sie als solche
auch ihren Nachbarn. So kam sie zu den Persern, die sie in ihrer
Sprache als ~tovakschira~, d. h. Rindenmilch bezeichneten. Daraus
bildeten die Araber, die sie auch schon sehr früh von jenen erhielten,
das Wort +Tabaschir+, als welches es heute noch im ganzen Orient
einen gesuchten Handelsartikel bildet. Schon die Ärzte der römischen
Kaiserzeit wandten diese aus dem Orient mit dem Nimbus wunderbarer
in ihr schlummernder Heilkräfte zu ihnen gelangende Droge, die ja
an sich gerade so unlöslich wie reiner Kieselsand ist, gestützt auf
orientalische Traditionen, viel an. Einen Weltruf gewann der Tabaschir
aber erst durch die arabischen Ärzte im 10. und 11. Jahrhundert, so
daß sein Ruhm selbst nach Europa drang. Im Morgenlande hat er bis zur
Gegenwart seine Wertschätzung als hervorragendes Arzneimittel zu wahren
gewußt. Aus den wertvollen Untersuchungen des Geographen Ritter und des
Botanikers Ferdinand Kohn scheint nun mit Sicherheit hervorzugehen, daß
diejenige Substanz, welche die alten Griechen mit ~sákcharon~ und nach
ihnen die Römer mit ~saccharum~ bezeichneten, nicht Rohrzucker, sondern
Tabaschir war. Nach Bopp bedeutet das Sanskrit-Stammwort ~sarkara~
nicht sowohl etwas Süßes, als etwas Festes, Zerdrückbares. Im alten
Indien wurde das Tabaschir als ~sakkar mambu~, d. h. süßer Bambusstein
bezeichnet und erst die Araber haben dann die Bezeichnung ~sakkar~
als ~sukkar~ auf den später erfundenen, dem Tabaschir ähnlichen,
kristallinischen Rohrzucker übertragen.

Ist der Bambus nach dem Prinzipe möglichster Biegungsfestigkeit gebaut,
so repräsentiert der +Rotang+ dasjenige maximaler Zugfestigkeit. Bei
ihm bildet, ganz im Gegensatz zu den biegungsfesten Konstruktionen,
das mechanisch leistungsfähigste Material die Achse und Hohlheit ist
vollkommen ausgeschlossen. Es sind natürliche Taue von 150-200 m
Länge, in denen auch innerlich die einzelnen mechanischen Elemente
nicht parallel nebeneinander herlaufen, sondern durcheinander
geflochten sind, wodurch die Zugfestigkeit bedeutend erhöht wird. Die
Gebrauchsmöglichkeiten des Rotangs werden wie beim Bambus durch fast
unbegrenzte Spaltbarkeit noch außerordentlich vermehrt. So ist er in
seiner Heimat ebensosehr wie der Bambus mit den Lebensgewohnheiten der
Bevölkerung derartig verwachsen, daß sie ihn in der Tat ebensowenig wie
jenen würde entbehren können.

Der Rotang -- richtiger ~rotan~ zu schreiben, wie das malaiische
Wort lautet -- hat wie der Bambus seine Heimat in Südasien und
Indonesien, hauptsächlich im Verbreitungsgebiet der Malaien. Von den
200 Calamusarten des indischen Florengebiets finden sich die meisten
auf der Halbinsel Malakka und den Sundainseln bis Neuguinea. Sie
kommen noch in Nordaustralien vor, aber nur eine Art in Afrika. In
der Neuen Welt fehlen sie ganz. Am Südfuß des Himalaja steigt eine
Art (~Calamus montanus~) bis zu 2000 m Höhe. Sie stellen kletternde
Palmen dar, die aber ihre bis 150 m und mehr langen, glatten,
glänzenden, dünnen Stämme nicht um ihre Stützen herumwinden, wie es
die Lianen tun, sondern mit eigentümlichen Haftapparaten in die Höhe
streben. Häufig sind ihre Blattscheiden so stachelig, daß sie schon
an den Stützen hängen bleiben; in anderen Fällen sind die Blattenden
mit den oberen Fiedern zu bestachelten, peitschenförmigen Anhängen
verlängert, die sich überall, wohin sie gelangen, festkrallen. Jedes
höhere Blatt greift mit seiner leichtbeweglichen, vom Winde hin und
hergeschaukelten, mit widerhakig gekrümmten Stacheln versehenen Geißel
an höhere Baumzweige und auf diese Weise klettert der dünne Rotangstamm
bis in die höchsten Baumwipfel, über denen die häufig außerordentlich
zierlichen Blätter mit ihren Fangspitzen, die keine neuen Stützen
mehr erfassen können, graziös im Winde hin und her schwanken. Da nun
der im Boden hinkriechende Wurzelstock der Rotangpalmen zahlreiche
Schößlinge treibt und außerdem jeder derselben reichlich haselnußgroße,
umgekehrten Tannenzapfen gleichende Früchte von brauner, roter oder
gelber Farbe hervorbringt, von denen ein großer Teil in nächster Nähe
der Mutterpflanze keimt, so bildet der Rotang überall, wo er auftritt,
undurchdringliche Dickichte von unzerreißbaren Tauen, starrend von
Stacheln und Widerhaken, die jeden Eindringling an der Kleidung und
am Körper unbarmherzig verwunden. Immer ist es ein sehr unangenehmes,
schmerzhaftes Wagnis, in ein Rotangdickicht zu dringen, darin zu jagen
oder zu sammeln.

In seiner Heimat dient er den Bewohnern als das hauptsächlichste Binde-
und Flechtmaterial. Ohne weitere Bearbeitung liefert er vorzügliche
Taue, die beim Hausbau das ausschließliche Bindemittel für alle
Balken, Pfosten und Sparren aus Bambus oder Holz bilden. Infolge
des Besitzes dieses vorzüglichen Bindematerials stellen die Malaien
kaum je Stricke aus geflochtenen Pflanzenfasern her; höchstens etwa
aus den geschmeidigeren Blattscheidenfasern der Zuckerpalme (~Arenga
saccharifera~), die noch unverwüstlicher als selbst der Rotang sind.
Mit Rotangtauen werden die auf Bambusflößen errichteten Häuser und
Badeplätze an den Flußufern befestigt, die Hängebrücken und deren
Geländer errichtet, die Palisaden befestigt. Durch Verflechten mehrerer
dünner Rotangstämme werden Gurte, Körbe und ganze Wände geflochten;
häufiger verwendet man nur die kieselsäurereichen, glänzenden äußeren
Schichten als Flechtrohr, während man den weicheren inneren Kern, das
Peddig- oder Markrohr, anderweitig verwendet oder wegwirft. Daraus
stellen besonders die Chinesen Südostasiens die verschiedensten Möbel
und Geräte her, mit denen sie einen schwunghaften Handel treiben. Die
jungen Sprosse vieler Arten werden roh oder gekocht gegessen, das
säuerliche Fruchtfleisch einiger Arten wie Tamarindenmus verzehrt.

Der Rotang wird niemals angebaut; da er in den sumpfigen Wäldern
seiner Heimat in Menge wild wächst, vermag man daraus zur Genüge
seinen Bedarf zu decken. Für den Export werden die 9-10jährigen, also
völlig ausgereiften Stämme, die sich durch einen scharfen Schleim
klebrig anfühlen, abgeschnitten und zur Entfernung der stacheligen
Blätter zwischen enggestellten, geschärften Brettern oder Pflöcken
hindurchgezogen. Dann schneidet man sie in 6-8 m lange Stücke,
von denen 50-100 ein Bündel bilden, das in der Mitte noch einmal
zusammengebogen wird. Der Hauptexporthafen dafür ist Singapur,
daneben Batavia und Makassar. Er kommt zu uns als „spanisches Rohr“
oder „Stuhlrohr“, so genannt, weil besonders Rohrstühle aus ihm
angefertigt werden. Früher benutzten die Korbmacher und Stuhlflechter
nur die äußeren Schichten zum Flechten und warfen das Peddigrohr weg;
neuerdings wird aber auch letzteres industriell verwertet. In den
Fabriken wird das Flechtrohr auf maschinellem Wege vom Peddigrohr
abgetrennt und außerdem auf chemischem Wege die Farbe des Rohrs
verbessert. Wegen ihrer größeren Elastizität und Dauerhaftigkeit
haben die früher verworfenen glanzlosen Peddigstreifen zum guten
Teil die Korbweide verdrängt, die nur noch das Material zu groben
Flechtwerken liefert. Man benutzt sie zum Überflechten von Gefäßen, zu
Sieben, Körben, Matten, Modellbüsten für Schneider und Schneiderinnen
und Luxusartikeln aller Art. Das Flechtrohr dient vorzugsweise zum
Überziehen von Sitzen und Rücklehnen der sog. Joncmöbel, und die beim
Glätten des Flechtrohrs und der Peddigstreifen sich ergebenden Abfälle
dienen in der Putzmacherei und als Polster- und Scheuermaterial. Das
Malakkarohr von ~Calamus scipionum~, eine besonders starke Ware, die
in 1-3 m langen Stäben in den Handel kommt, wird hauptsächlich zu
Spazierstöcken verarbeitet, während das Sarawakrohr von ~Calamus
adspersus~ vornehmlich Peitschenstöcke liefert. ~Calamus draco~ gibt
die weißen und braunen Maniladrachenrohre, und aus den zur Zeit der
Reife mit einem roten Harz bedeckten pflaumengroßen Früchten gewinnt
man das dunkelrote, geruch- und geschmacklose +Drachenblut+, das neben
dem schon im Altertume im Orient und in den Mittelmeerländern bekannten
Drachenblut des Drachenbaumes von der Insel Sokotra am östlichen Zipfel
von Afrika auch bei uns früher als Arzneimittel benutzt wurde, jetzt
aber, in Alkohol oder ätherischem oder fettem Öl gelöst, nur noch zur
Färbung der Tischlerpolitur und von rotem Firnis und Lack dient. Die
beste Sorte gewinnt man dadurch, daß die Früchte in Säcken so lange
geschüttelt werden, bis das Harz abspringt, eine geringere dagegen
durch Auskochen der Früchte mit Wasser, wobei sich das Harz an der
Oberfläche sammelt. Ersteres wird dann zu Stangen und letzteres zu
Kuchen geformt und in Kisten von 50-60 kg von Singapur aus, das
jährlich etwa 30000 kg ausführt, in den Handel gebracht.



XXI.

Die Baumwolle.


Die Baumwolle ist nicht nur die wichtigste aller spinnbaren Fasern,
sondern eine der wichtigsten Waren des Welthandels überhaupt, weshalb
die Engländer für sie die Bezeichnung ~king cotton~, d. h. König
Baumwolle, aufgebracht haben. Wenn auch die wichtigen Nahrungsspender
des Menschen, Weizen, Reis und Mais, in der Weltwirtschaft eine noch
größere Rolle spielen -- nimmt doch allein die Weizenkultur der Welt
eine etwa fünfmal so große Fläche als diejenige der Baumwollstaude
ein, und übertrifft auch der Wert des auf der Erde produzierten
Weizens denjenigen der Baumwolle um das Vierfache --, so ist doch
die Kultur dieser Gespinstpflanze, in deren Fruchtfasern sich etwa
⅘ der Menschheit, d. h. etwa 1200 Millionen, kleiden, von ganz
außerordentlicher Bedeutung. Die jetzige jährliche Weltproduktion
an Baumwolle entspricht nach O. Warburg in Berlin einem Wert von
wenigstens 4½ Milliarden Mark, wozu noch für die Saat mindestens eine
halbe Million Mark hinzukommt. Über 15 Millionen Menschen sind mit der
Erzeugung von Baumwolle beschäftigt. Der Transport von 12 Millionen
Ballen von den Plantagen über das Meer und von den Hafenplätzen in die
Spinnereien kommt wenigstens auf 360 Millionen Mark und entspricht
2400 Dampfschifftransporten zu je 5000 Ballen. Rechnet man noch die
Landtransporte der übrigen 8 Millionen Ballen hinzu, so ergibt es
sich, daß schon der Transport der Baumwolle einem Wert von wenigstens
einer halben Milliarde Mark jährlich entspricht. In den die Baumwolle
verarbeitenden Spinnereien und Webereien, sowie den Nebenbetrieben
stecken über 10 Millionen Mark, die verzinst werden müssen; dabei
finden mehr als 4 Millionen Menschen Beschäftigung, deren Arbeitslohn
über 3 Milliarden Mark jährlich beträgt. Rechnen wir nun die Gewinne
all dieser Fabrikanlagen und der dabei beteiligten Menschen, sowie die
Erträge der Bleichereien, Druckereien, Färbereien, dann der Betriebe
zur Weiterverarbeitung der fertigen Stoffe, ferner der Schneider und
Konfektionsarbeiter beiderlei Geschlechts, wie auch der Groß- und
Kleinhändler, die alle von der Baumwolle leben und durch ihre Arbeit
den Wert derselben erhöhen, hinzu, so gelangen wir zum Schluß, daß die
von der Baumwolle jährlich geschaffenen Werte 10 Milliarden Mark weit
übersteigen.

Diese für die Weltwirtschaft so ungemein wichtige Nutzpflanze, von der
reichlich 25 Millionen Menschen in ihrer ganzen Existenz abhängen, ist
ein zu den Malvengewächsen gehörender Strauch, der in manchen Arten
sogar baumartig auftritt und dann eine Höhe bis zu 5 m erreicht.
Unter den äußerst mannigfaltigen Formen, in denen diese Pflanze gezogen
wird, unterscheidet man fünf schärfer charakterisierte Arten, von denen
drei der Neuen und zwei der Alten Welt angehören.

Bei zweien derselben, nämlich der Baumwollstaude von Peru -- eigentlich
ist sie aber in Brasilien heimisch und wurde von den Stämmen der Inkas
von dorther in Kulturpflege erhalten -- (~Gossypium peruvianum~) und
Barbados -- der bekannten Insel der Kleinen Antillen -- (~Gossypium
barbadense~) läßt sich die meist als Stapel bezeichnete Baumwolle
leicht von den Samen, denen sie die von der Pflanze angestrebte
Flugfähigkeit erteilen soll, ablösen und ist bei ihnen ein Überzug
von kurzen Haaren nicht vorhanden. Dabei sind die Samen der ersteren
nierenförmig und hängen dicht und fest zusammen, während sie bei der
letzteren, die hauptsächlich in den Küstengegenden gedeiht, birnförmig
gestaltet sind und lose nebeneinander liegen. Daher wird erstere von
den Engländern als ~Kidney~, d. h. Nierenbaumwolle und letztere als
~Sea Island~, d. h. Meerinselbaumwolle, bezeichnet.

In die zweite Gruppe mit schwierig sich von den Samen ablösender
Baumwolle, die zudem einen Überzug von kurzen Haaren trägt, gehört
als dritte, ebenfalls in wärmeren Gebieten Amerikas heimische Art die
großblätterige, in höheren Lagen gebaute und deshalb englisch als
Upland bezeichnete rauhe Baumwolle (~Gossypium hirsutum~). Letztere,
die Upland, blüht reinweiß, während die andern vorhin genannten
gelb blühen. Aber auch sie zeigt am Nachmittage gelbe Streifen, ist
am nächsten Morgen fleischfarben geworden, verwelkt dann und fällt
nachmittags ab. Ebenfalls gelbe Blüten wie die drei erstgenannten
besitzt die in Indien heimische kleinblätterige krautige Baumwolle
(~Gossypium herbaceum~), die durch die Araber nach Ägypten kam und
heute in allen Baumwolle liefernden Ländern gebaut wird. Rotblühend
dagegen ist die in Afrika heimische und vielfach noch im Innern dieses
Kontinents wildwachsend gefundene, aber auch in Asien und Amerika
kultivierte baumartige Baumwolle (~Gossypium arboreum~), deren wie bei
den andern Arten gelappte Blätter in den Buchten Zwischenzipfel tragen.
Mit ihr nahe verwandt ist jene Abart, welche einzig in der Gattung
gelbe Wolle hervorbringt, die sogenannte Nangkingbaumwollstaude, die
in China zu Hause ist und dort viel gebaut wird. Sie trägt ihren Namen
~Gossypium religiosum~ mit Unrecht; denn die in Indien in der Nähe der
brahmanischen Tempel gezogene und als heilig geltende Art, aus deren
Wolle die heilige Brahmanenschnur verfertigt wird, ist nicht diese,
sondern die aus Afrika stammende baumartige Art (~G. arboreum~) mit
purpurnen oder gelben Blüten, welche von Oberguinea bis Oberägypten und
Abessinien wildwachsend angetroffen wird.

Alle diese Baumwollarten, von denen Sir George Watt in seiner im Jahre
1907 erschienenen Monographie mit den wichtigeren Kulturvarietäten
nicht weniger als 42 Formen unterscheidet, sind im Laufe der Zeit auf
das mannigfaltigste gekreuzt worden, so daß es überaus schwierig ist,
nachträglich an den einzelnen Arten zu bestimmen, welchen Stammes ihre
verschiedenen Ahnen gewesen sein mögen. Alle Arten sind ursprünglich
ausdauernde Gewächse, auch die krautartige (~G. herbaceum~), die
allein außerhalb des Tropengürtels meist zu einer einjährigen Pflanze
wird. Sie zeigen einen ausgebreiteten Wuchs, indem der behaarte Stamm
reich verästelt ist. Daran sitzen die langgestielten breiten, meist
gelappten Blätter mit spitzen Blattzipfeln und großen, an ebenfalls
langen Stielen in den Achseln der Blätter entstehenden Blüten, die
blaß- bis dunkelgelb, oft am Grunde rotgefärbt oder mit purpurnem
Mal versehen, einzig bei der baumförmigen Art dunkelrot und bei der
Upland weiß sind. Die sehr zahlreichen Staubfäden sind zu einer Röhre
verwachsen, welche außen die kleinen herzförmigen Staubbeutel trägt.
Der von den Staubgefäßen fast ganz eingeschlossene Griffel ist an der
Spitze keulig verdickt und trägt ebenso viele Narben als die Kapsel
Fächer aufweist. Die Frucht wächst zu einer walnußgroßen Kapsel
heran, die sich bei der Reife in drei bis fünf Klappen öffnet, um die
hervorquellenden, von ihrer Wolle umhüllten schwärzlichen Samen dem
Winde preiszugeben, der sie zur Verbreitung der Art verschleppen soll.
Die wilden Baumwollarten haben meist eine gelbe bis bräunlichrote
Wolle, während die Kultursorten durch Auslese von seiten des Menschen
gewöhnlich eine blendend weiße Wolle besitzen. Von diesen zeigen aber
manche Sorten Rückschläge ins Rötliche, so besonders die baumartige, in
den Tempelgärten Indiens gezogene.

[Illustration: Bild 67. Eine blühende Baumwollpflanze (~Gossypium
barbadense~).]

[Illustration:

    Tafel 103.

    (Phot. F. O. Koch.)

Baumwollpflanzung in Togo.]

[Illustration:

    Tafel 104.

Japanische Baumwollspinnerin.]

[Illustration:

    (~Copyright by Underwood & Underwood.~)

Mexikaner, aus den Fasern der Magueypflanze (Agave) Seile drehend.]

An Ergiebigkeit der Baumwollfasern ist die westindische (~Gossypium
barbadense~) in Form der Sea Island weitaus die beste und sollte, wo
immer angängig, angepflanzt werden. Sie bringt um ein Viertel bis
ein Drittel mehr und langstapeligere Wolle hervor als die krautige
indische. Nächst dieser dürfte die Uplandspielart für den Anbau an
zweiter Stelle in Frage kommen. Nur in kühleren Gegenden ist die
indische krautartige Baumwolle die gegebene, weil sie klimahärter
als die westindische ist. Je nach den Sorten liefern 500 bis 800
Fruchtkapseln etwa 1 kg Fasern, die aus fast reinem Zellstoff
(Zellulose) bestehen und nur in der innern Höhlung einen schwachen
Belag einer eingetrockneten Eiweißsubstanz als dem einstigen Plasma
der Zelle aufweisen. Jede Faser entspricht einer langgestreckten
Zelle, die bei der krautigen Baumwolle 2,0-2,8 cm, bei der
peruanischen 3,4-3,6 cm, bei der von Barbados (Sea Island) in Ägypten
3,8 bis 4,0, auf dem amerikanischen Festlande in Florida 4,0-4,6,
auf den dem Festlande vorgelagerten Inseln, z. B. Galveston, bis
5,2 cm Länge besitzt. Da die Faser an den letzteren Orten gleichzeitig
einen seidenartigen Glanz gewinnt, so ist ersichtlich, daß das Klima,
insbesondere die Luftfeuchtigkeit, in hervorragender Weise zur
Erzeugung einer guten Baumwollfaser maßgebend ist. Je länger und feiner
sie ist, um so leichter läßt sie sich verspinnen und um so wertvoller
ist sie für die Verarbeitung.

In ganz Südasien sowie in China ist die Kultur der Baumwollstaude eine
uralte. Dasselbe gilt teilweise auch von Ägypten; doch wurde früher
daselbst nur die baumförmige oder eine Varietät derselben kultiviert.
Erst seit dem Anbau der Barbadosbaumwolle (Sea Island), der seit
einigen Dezennien dort eingeführt wurde, hat die ägyptische Baumwolle
einen hervorragenden Platz im Welthandel gewonnen, obwohl sie ja,
wie wir oben sahen, die in Nordamerika selbst gezogene an Güte nicht
erreicht. Auch in Peru stand bereits bei der Entdeckung und Eroberung
dieses Landes durch die Spanier im Jahre 1532 die Baumwollkultur
auf einer hohen Stufe. Diese Nutzpflanze wurde von den Indianern im
staatlich wohlorganisierten Reiche der Inka-Ketschua in großem Maße
angepflanzt und zur Herstellung von buntgefärbten, mit zahlreichen
eckig stilisierten Zeichnungen und Mustern, wie auch Stickereien und
Passementerien versehenen Baumwollstoffen und anderen Erzeugnissen,
namentlich auch Hängematten, verwendet.

Von der Baumwollernte der ganzen Welt, die sich auf 3300 Millionen kg
im Werte von etwa 2700 Millionen Mark beläuft, liefern die Südstaaten
Nordamerikas nicht weniger als 62,5 Prozent. Ihnen folgen Ostindien mit
15 Prozent, China mit fast 8 Prozent und Ägypten mit 7,3 Prozent. Auch
in Buchara, Persien, Brasilien und Japan wird ziemlich viel Baumwolle
gewonnen. Afrika außer Ägypten liefert nur 2,1 Prozent der Welternte,
und zwar sind daran die deutschen Kolonien, besonders Deutsch-Ostafrika
und Togo, mit bloß 3007 Ballen zu 250 kg im Werte von 700000 Mark
beteiligt. Das ist allerdings ein fast verschwindender Bruchteil der
Gesamtsumme von etwa 400 Millionen Mark, die Deutschland jährlich für
Baumwolle ausgibt. Bedenkt man aber, daß die Baumwollproduktion der
deutschen Kolonien Afrikas in den letzten fünf Jahren eine vierzigfache
Steigerung erfuhr, so steht zu erwarten, daß sich Deutschland
hierin allmählich vom amerikanischen Markte emanzipieren und den
eigenen Bedarf aus seinen Kolonien decken könne. Europa, das einst
im Mittelalter, so weit die arabische Herrschaft reichte, Baumwolle
kultivierte, pflanzt solche in geringem Maße noch in Ostrumelien
auf der Balkanhalbinsel und in Griechenland, während Süditalien und
Südspanien den Anbau derselben fast ganz aufgegeben haben.

Die weitaus erste Stelle in der Baumwollindustrie nimmt England ein,
das etwa 20 kg Baumwolle auf den Kopf der Bevölkerung verbraucht,
dann folgt Nordamerika mit ca. 14 kg und an dritter Stelle
Deutschland mit etwa 8 kg auf den Kopf. Letzteres besitzt zur
Zeit mit 9½ Millionen die größte Zahl von Baumwollspindeln auf dem
europäischen Kontinent und verarbeitet jährlich etwa 1800000 Ballen =
800 Millionen kg im Werte von 400 Millionen Mark. Die wichtigsten
Baumwollhäfen Europas sind Liverpool mit 3½ Millionen Ballen, dann
Bremen mit 2 Millionen, Havre mit 820000, Manchester mit 500000,
Genua mit 465000, Barcelona mit 282000, dann erst Hamburg mit 205000
Ballen jährlicher Einfuhr. Man sieht daraus, daß sich der europäische
Kontinent in bezug auf den Baumwollhandel fast ganz von England befreit
hat. England bezieht jetzt beinahe nur so viel, als es für den eigenen
Verbrauch und denjenigen seiner Kolonien bedarf; dafür hat Bremen einen
großen Teil des festländischen Handels an sich zu ziehen vermocht.

Man kann Baumwolle in allen Gegenden zwischen dem 36° nördlicher
und 36° südlicher Breite ziehen, in denen eine verhältnismäßig
hohe Sommertemperatur herrscht und keine heftigen Herbstregen
eintreten; denn die Ernte der Wolle wird durch die letzteren nicht
bloß geschädigt, sondern geradezu vernichtet. Es ist dies eine
Tatsache, die sofort einleuchtet, wenn man bedenkt, daß die Kapseln
in aufgesprungenem Zustande geerntet werden müssen. Am besten gedeiht
die Baumwolle in Niederungen oder im Flachlande mit gleichmäßig
warmem, nicht zu trockenem Klima. Viel Sonne am Tag und reichlicher
Taufall während der Nacht sagen der Baumwollstaude am besten zu. Lange
anhaltender Regen, namentlich bei kühler Temperatur, ist ihr in jedem
Stadium der Entwicklung schädlich; vor der Blüte wirkt eine anhaltende
Dürre ebenfalls schädlich. Das mit ihr zu bepflanzende Feld soll eine
vor Winden gesicherte, sonnige Lage haben. Was die Beschaffenheit des
Bodens anbelangt, so darf er nicht zu schwer, sondern muß durchlässig
und sandig sein, also sind Lehmboden sowie eine dicke Humusschicht
ihr nachteilig. Dagegen verlangt sie einen möglichst hohen Gehalt
an Kieselsäure und muß regelmäßig mit Stallmist und der Asche der
verbrannten Stauden oder Baumwollsamenmehl gedüngt werden.

Die Fortpflanzung der meist mehrjährigen Sorten, die 3-5 Jahre hindurch
tragen, geschieht durch Samen. Der Anbau geschieht in dem uns nächsten
Baumwollande, Ägypten, wo durch Kreuzung der ursprünglich allein
vorhandenen Sudanbaumwolle von Dongola mit der langfaserigen, feinen
Sea Island-Baumwolle von Nordamerika und stetige Auslese der besten
Sorten ebenfalls eine sehr gute Qualität in den letzten 100 Jahren
gezüchtet wurde, in folgender Weise. Die dort die Baumwollkultur
betreibenden Fellachen oder Bauern pflügen zunächst die Felder mit
ihrem von zwei Ochsen gezogenen altmodischen Hakenpflug und bewässern
sie ausgiebig. So vorbereitet werden in sie im März mit einem spitzen
Pflanzstock in Abständen von einem halben Meter 5-7 cm tiefe Löcher
gemacht, in die je 7-10 Samen der zu pflanzenden Baumwollart zu liegen
kommen, welche dann mit der Hand locker mit Erde bedeckt werden. Man
legt nur deshalb so viel Samen in ein Loch, damit durch die vereinte
Kraft der zahlreichen Sämlinge die durch die Sonnenhitze rasch
verhärtende Kruste des Bodens leichter durchbrochen werden könne.

Nach anderthalb Wochen wird die eben keimende Saat leicht überflutet
und hernach entfernt man die überflüssigen Pflänzchen bis auf die
zwei kräftigsten in jedem Loche. Von da an werden die Baumwollfelder
alle 2-3 Wochen berieselt, in der Zwischenzeit wird der Boden mit der
Hacke gelockert und vom Unkraut befreit, später auch mit künstlichen
Düngemitteln versehen. Dabei wird nach Möglichkeit auf die Raupen
zweier der Baumwollkultur besonders schädlicher Kleinschmetterlinge,
die streckenweise bisweilen die ganze Ernte vernichten, Jagd gemacht,
auch die übrigen Schädlinge tierischer und pflanzlicher Herkunft nach
Möglichkeit zu vernichten gesucht.

100-120 Tage nach der Aussaat beginnt die Blütezeit der Stauden,
während welcher die Baumwollfelder einen sehr hübschen Anblick
gewähren. Zweieinhalb bis drei Monate danach reifen die Kapseln. Die
Ernte findet Ende September oder Anfang Oktober, also fünf Monate
nach der Aussaat, statt, wobei alt und jung mithilft. Mit großer
Geschwindigkeit wird, ohne daß dabei die Pflanze beschädigt werden
darf, die aus den aufgeplatzten Fruchtkapseln herausschauende Baumwolle
mit Stehenlassen der holzigen Kapselwände herausgenommen und in den
vorne sackartig aufgerafften hemdartigen Rock gelegt.

Gewöhnlich stehen 10-15 Pflücker unter einem Aufseher und erhalten je
zwei Reihen Baumwollstauden zum Ablesen der Wolle zugewiesen. Sind ihre
Taschen bald voll, so eilen sie auf ein gegebenes Kommando zu dem an
der Zufahrtstraße gelegenen Sammelplatz, um ihre Gürtel zu lösen und
die Baumwolle in auf die Erde ausgebreitete Säcke zu schütten. Während
sie dann zum Weiterpflücken wiederum dem Felde zustreben, suchen
Männer die schlechte Baumwolle sowie alle Verunreinigungen aus dem
Haufen heraus und füllen zuletzt die gute Baumwolle in große Säcke, wo
sie von einem in diese hineingestiegenen Manne mit den nackten Füßen
zusammengepreßt wird. Schließlich werden die Säcke zugenäht und auf
Wagen ins Lagerhaus geschafft.

Die Stauden läßt man dann vom Vieh abweiden und benutzt die
übrigbleibenden Strünke in dem an Feuerungsmaterial so armen Lande
als Feuerungsmaterial für die zahlreichen Dampfpumpen. In holzreichen
Ländern dagegen werden sie später in den Boden gepflügt oder auch
verbrannt und so als Dünger verwendet. Nur ausnahmsweise werden in
Ägypten die Stauden bis auf eine Höhe von etwa 60 cm über dem Erdboden
zurückgeschnitten, um von ihnen noch im nächsten Jahre eine etwas
kleinere Ernte zu erhalten.

Ganz ähnlich wie im Niltal ist auch in den Südstaaten Nordamerikas und
überall anderwärts die Baumwollkultur. Nur die Baumwollernte wird hier
in anderer Weise vorgenommen. Es hat nämlich jeder Arbeiter einen Sack
mit einem Tragband um die Schulter gehängt. Dieser reicht bis zur Erde,
damit ihn der Arbeiter nicht zu tragen, sondern nur zu heben braucht,
wenn er zur nächsten Staude will. Wenn der Sack voll ist, wird er auf
den nächsten Weg gestellt, wo ihn der die Runde machende Wagen, der
auch die leeren Säcke verteilt, aufnimmt. Beschmutzte, beschädigte
oder fehlerhafte Baumwolle wird in eine besondere Tasche getan. Im
Wirtschaftsgebäude muß die Baumwolle auf einem hölzernen Trockenboden
getrocknet werden. Dann werden zunächst die zwei Drittel des Gewichts
ausmachenden Samen durch besondere Maschinen von den Fasern getrennt
-- egreniert, wie der technische Ausdruck lautet. Von der Sorgfalt,
mit der dieses Egrenieren vorgenommen wird, hängt ja die Reinheit der
Baumwolle ab. Dies geschieht in einfachster Weise durch Auszupfen
mit der Hand. Doch haben selbst die Neger eine Vorrichtung erfunden,
vermittelst der das Entfernen der Samen rascher von statten geht. In
europäischen Betrieben geschieht das Entkernen mit den Entkernungs-
oder Ginmaschinen, die an den Mittelpunkten der Baumwollerzeugung,
den Ginstationen, aufgestellt sind. Hernach wird die Baumwolle durch
hydraulische Pressen in 450 kg schwere Ballen gepreßt, die dann in
Säcke von Hanf oder Jute eingenäht und mit Bandeisen verschnürt in
den Handel kommen. Der weitaus größte Teil derselben wird dann in
Fabriken zu den verschiedensten Garnen und Stoffen verarbeitet und nur
ein kleiner Teil dient, entfettet, zur Herstellung von Verbandwatte,
Schießbaumwolle, Kollodium und Chardonnetseide, welch letztere zu einem
neuen aussichtsreichen Industriezweige Veranlassung gegeben hat.

So lange die Baumwolle lediglich durch Handbetrieb zu Garnen und
Geweben verarbeitet wurde, wie dies in Indien und im Orient, dann auch
im Abendlande gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall war, waren
die daraus hergestellten Kleider und anderen Gebrauchsgegenstände
naturgemäß teuer und konnten nicht in allgemeinen Gebrauch gelangen.
Erst als in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die
Spinnmaschinen und mechanischen Webstühle in Gebrauch kamen, wurde das
Fabrikat billiger, so daß Baumwollstoffe auch in minder bemittelten
Kreisen in allgemeinen Gebrauch kommen konnten. Nur sogenannte
Nangkinfabrikate (von ~Gossypium religiosum~) kommen noch aus Ostindien
zu uns. Sonst wird der ganze Bedarf in Europa selbst erzeugt, und
zwar ersetzen die 45 Millionen Spindeln Englands die Handarbeit von
230 Millionen Menschen und spinnen zusammen jährlich einen Faden, der
130mal die Entfernung der Sonne von der Erde durchspannen würde.

Ehe die Verarbeitung der Baumwolle zu Garn beginnt, wird sie
zunächst mit größeren Mengen derselben Sorte gut gemischt, um Garne
von möglichst gleichmäßiger Güte zu erzielen, dann bei 30° C.
getrocknet, in einer Wolf genannten Maschine gelockert, gründlich
gereinigt und, nachdem sie von der Schlag- oder Wattenmaschine in
breite, zusammenhängende, flache Streifen (Watte) gebracht worden,
von der Kratzmaschine in zarte, lockere Bänder verwandelt. Hierauf
werden diese durch die Streckwalze gestreckt und geglättet, dann in
der Vorspinnmaschine verfeinert und erst zu dicken, lockeren und durch
weiteres Verspinnen zu feineren Fäden gedreht. Endlich werden sie auf
der Spinnmaschine zu Garn versponnen, das so fein sein kann, daß ½ kg
desselben 1672 km lang ist, d. h. von Leipzig bis Konstantinopel
reichen würde. Nach der Feinheit des verwendeten Garns unterscheidet
man Kattun (nach der arabischen Bezeichnung für Baumwolle), Indienne
(so genannt, weil ursprünglich aus Ostindien stammend mit allerlei
bedruckten Figuren), Kalikos (ebenfalls ein bedruckter Baumwollstoff,
so genannt, weil er zuerst aus Kalikut bezogen wurde), Nangking (ein
gelbliches oder rötliches Baumwollenzeug, nach dem früheren Bezugsort
in China so genannt), Perkal (dichtes, leinwandartiges Baumwollgewebe,
die gröberen gleichen den Kalikos, die feinsten dagegen sind dichter
als Musselin), Musselin (feinstes, durchscheinendes Baumwollgewebe --
glatt, gestreift, durchbrochen usw. -- aus wenig gedrehtem Garn und
deshalb mit zartem Flaum, nach der Stadt Mossul am Tigris so genannt,
doch ist der ostindische noch immer besonders fein und zart), Jakonett
(französisches, glattes Musselin, nach einem französischen Fabrikanten
so geheißen), Gingan (das ursprünglich ostindische, glatte oder
gestreifte Gewebe in Baumwolle mit Bast, auch in reiner Baumwolle oder
Leinen nachahmt, vom javanischen ~ginggan~ vergehend, verbleichend),
Tüll (netzartiges Zwirnzeug nach dem ersten Fabrikationsort desselben,
der französischen Stadt Tulle, so genannt), Barchent (geköpertes
Baumwollgewebe, ursprünglich mit leinener Kette, auf einer Seite rauh
und wollig), Pikee (vom französischen ~piqué~ gesteppt, mit doppelter
Kette gewebtes Baumwollgewebe mit erhöhtem Muster), Manchester (nach
dem ersten Fabrikationsort so bezeichneter Baumwollensamt) usw.

Früher warf man die beim Egrenieren zurückgebliebenen Samen der
Baumwollpflanze, soweit man sie nicht als Saatgut verwendete, als
nutzlos weg. Bald aber fand man, daß sie zu 20-30 Prozent ein sehr
wertvolles Öl enthalten, das man nun sorgfältig aus ihnen preßt. Ja,
man würde heute die Pflanze lediglich als Ölpflanze kultivieren, wenn
sie nicht auch noch die wertvolle Faser lieferte. Der noch die Hälfte
des Gewichtes Eiweiß enthaltende Preßrückstand dient als wertvolles
Viehfutter.

Über die Anfänge der Baumwollkultur ist wenig Sicheres bekannt. In
der Alten Welt hat sie augenscheinlich in Indien ihren Ursprung
genommen, wo zuerst die niedrige krautige Baumwolle vom Menschen in
Pflege genommen wurde. Zu ihr kam dann später ebenfalls in Indien die
baumförmige Art hinzu, von der in der Folge die heilige dreiteilige
Brahmanenschnur, das Sinnbild der göttlichen Dreiheit, angefertigt
wurde. Die indische Baumwolle, im Sanskrit ~kârpâsi~ genannt, wird
zuerst in den zwischen 600 und 500 v. Chr. entstandenen jüngsten
vedischen Schriften, den Sutras, und zwar schon in Verbindung mit
Gewändern erwähnt. Sicher wurde sie schon damals in Indien in
beträchtlichen Mengen zu Geweben verarbeitet. Von dort aus hat sich
ihre Kultur über Hinterindien nach China verbreitet, wo zuerst der
Kaiser Wu-ti um 600 v. Chr. sich in wertvolle, jedenfalls aus den
Kulturländern im Süden importierte Baumwollkleider hüllte. In der Folge
wurde nach Einführung der Baumwollstaude die Baumwolle im Reiche der
Mitte das am meisten benutzte Zeugmaterial, wenngleich auch noch viel
Hanf und besonders Ramie oder chinesische Nessel zur Herstellung von
Geweben verwendet wird. Indessen läßt sich eine eigentliche Kultur der
Baumwolle in China nicht vor dem 11. Jahrhundert n. Chr. nachweisen,
und manche Gelehrte nehmen an, daß sie sogar erst im 13. Jahrhundert
durch die das Reich erobernden Tataren eingeführt wurde.

Die erste Kunde von der in Indien als Faserstoff zur Herstellung von
leichten Gewändern benutzten Baumwolle verdanken wir dem Vater der
Geschichtschreibung, dem Griechen Herodot (484-424 v. Chr.), der von
460-456 Ägypten, Syrien und Babylonien bereiste und in seinem in
ionischem Dialekte verfaßten Werke über die Geschichte des Orients
und Griechenlands nach der auf seiner asiatischen Reise in Erfahrung
gebrachten Kunde berichtet: „In Indien gibt es wilde Bäume, welche
als Frucht eine Wolle (~eírion~) tragen, die an Schönheit und Güte
die Schafwolle übertrifft. Die Indier machen aus dieser Wolle ihre
Kleider.“ Nach demselben Autor war das indische Hilfskorps des
Xerxes bei seinem Zuge zur Eroberung Griechenlands im Jahre 492 in
solch baumwollene Kleider gehüllt. Auch der Grieche Ktesias aus
Knidos, der von 416-399 Arzt am persischen Hof in Susa war und eine
wertvolle, leider nur in Auszügen erhaltene persische Geschichte
schrieb, weiß von der Baumwolle als einer Gespinstpflanze Indiens
zu berichten. Die Pflanze selbst und ihr Produkt lernten aber erst
die Begleiter Alexanders des Großen auf ihrem Zuge nach Indien
kennen. Die Leute am Indus trugen nämlich baumwollene Gewebe, und
die Baumwolle trat den Makedoniern daselbst so häufig entgegen,
daß sie dieselbe zum Ausstopfen von Kopfkissen und Pferdesätteln
benutzten. Diese Begleiter Alexanders auf seinem Zuge nach Indien
brachten eingehendere Mitteilungen darüber in die Mittelmeerländer,
wo diese Gespinstpflanze bis dahin völlig unbekannt geblieben war;
denn die alten Babylonier, Ägypter und Griechen hatten bis dahin
außer der tierischen Wolle stets nur den Lein zur Herstellung von
Stoffen verwendet. Der Aristotelesschüler Theophrast erwähnt in der
zweiten Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, daß in Indien
eine Gespinstpflanze ~kárpasos~ gedeihe, aus der hergestellte Stoffe
die Begleiter Alexanders von dort mitbrachten. Dieser Begründer der
Botanik schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „Auf der Insel Tylos im
Arabischen Meerbusen (heute Bachraim am Eingang des Persischen Golfes)
sollen viele wolletragende Bäume (~déndra erióphora~) stehen, deren
Blätter wie Weinblätter, nur kleiner sind. Statt der Früchte bringen
sie geschlossene Behälter von Apfelgröße hervor. Werden diese reif, so
nimmt man die darin befindliche Wolle und webt aus ihr sowohl geringe
als auch sehr kostbare Gewänder. Solche Bäume wachsen auch in Indien
und Arabien.“ Diesen Passus schrieb der ältere Plinius um die Mitte des
ersten christlichen Jahrhunderts fast wörtlich ab mit der Bemerkung,
daß diese Bäume ~gossypini~ (Einzahl ~gossypinus~) heißen -- woraus
dann die Botaniker später die wissenschaftliche Bezeichnung ~gossypium~
schufen. Nach ihm soll es wie in Indien und Arabien auch in dem an
Ägypten angrenzenden Negerlande wolletragende Bäume geben, „deren
Kapseln etwa so groß wie Granatäpfel sind“. Auch der römische Dichter
Vergil, der Verfasser der berühmten, Augustus und seinem Geschlechte
gewidmeten Äneis (70-15 v. Chr.) sagt in seinem Georgica benannten
Lehrgedicht über den Landbau: „Im Negerlande gibt es Bäume, die weiche,
weiße Wolle tragen.“ Der griechische Schriftsteller Flavius Arrianus
(geb. um 100 n. Chr. zu Nicomedia in Bithynien, ward 136 unter Hadrian
Präfekt von Kappadokien und starb unter Marcus Aurelius ums Jahr 176)
schreibt in seiner indischen Geschichte: „Die Kleidung der Indier wird,
wie Nearchos (der Flottenführer Alexanders des Großen, der nach dessen
Feldzug nach Indien im Jahre 325 v. Chr. die Flotte vom Indus aus durch
das Erythräische Meer in den Persischen Meerbusen führte und wie er in
seinem „Paraplus“ genannten Reisebericht darüber meldet, auf dieser
Fahrt die Mündungen des Euphrat und Tigris fand) sagt, aus dem Lein
gefertigt, der auf Bäumen wächst. Dieser Lein ist entweder reiner weiß
als jeder andere Lein oder scheint wenigstens weißer, weil die Indier,
die ihn tragen, schwarz sind.“

Durch die Perserherrschaft wurde der Anbau und die Verwendung von
Baumwolle als Gespinstmaterial in Vorderasien allgemeiner. Von Persien,
besonders aber aus Indien führte man in der hellenistischen und mehr
noch zur römischen Kaiserzeit über die Hafenstädte am Roten Meer und
Alexandrien ziemliche Mengen fertiger Baumwollstoffe in die reichen
Städte am Mittelmeer, zumal dem üppigen Rom, aus, wie uns der zu
Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. in letzterer Stadt lebende Sophist
Flavius Philostratos der Ältere berichtet. Außer in Persien, Syrien und
Ägypten wurde nach der Schilderung des griechischen Geschichtschreibers
und Geographen Pausanias in seiner zwischen 160 und 180 n. Chr.
geschriebenen Periegesis oder Reisebeschreibung von Griechenland,
Kleinasien, Syrien, Ägypten und Italien einzig in Elis, im westlichen
Peloponnes, Baumwolle gepflanzt. „Eleia ist das einzige griechische
Land, in der die Baumwolle (~býssos~) gedeiht. Die eleische Baumwolle
ist ebenso zart wie die hebräische, aber nicht so gelb.“ Und Plinius
(23-79 n. Chr.) sagt in seiner Naturgeschichte: „Das baumwollene Zeug
(~býssinon~), welches in der Umgegend von Elis und in Achaia gewonnen
wird, ist bei den Damen so beliebt, daß es früher dem Gewicht nach mit
Gold in gleichem Werte stand.“ Doch hat sich damals die Baumwollkultur
nicht weiter im römischen Reiche verbreitet, und das ganze Altertum
hindurch kam weitaus das meiste an fertigen Baumwollstoffen als
kostbare Handelsware aus dem Orient, besonders aus Indien, nach Europa.
Dies blieb auch so nach dem Untergange der römischen Weltherrschaft,
als die eleische Baumwollindustrie zugrunde gegangen war.

In der Folge dehnten die Araber mit der Ausdehnung ihrer Herrschaft
das Verbreitungsgebiet der Baumwolle weiter aus. Sie brachten die
Kultur dieser Staude mit derjenigen des Zuckerrohrs im 8. Jahrhundert
nach Nordafrika, im 9. nach Sizilien und im 10. nach Südspanien. In
Andalusien beförderte besonders der Kalif Abdurrhaman II. (912-961)
den Anbau dieser Gespinstpflanze. Obschon die Araber selbst viel,
allerdings gewöhnliche Baumwollstoffe herstellten, bezogen sie die
feinsten Baumwollstoffe immer noch aus Indien. Zwei Araber, die im
9. Jahrhundert Indien bereisten, erzählen, daß dort fast völlig
durchsichtige Kleider hergestellt würden, so fein, daß ein ganzer
Rock durch einen Fingerring hindurchgezogen werden könne. Tavernier
berichtet, daß türkische Turbane aus 16 m feinstem, indischem
Musselin zusammengewunden seien, doch nur vier Unzen (= 120 g)
wögen. Die feinsten dieser Gewebe, zu Gantipuru und Datta in Indien
gefertigt, sehe man nicht, wenn sie, auf eine Wiese ausgebreitet, vom
Tau befeuchtet sind. Die Inder nennen sie „gewebten Wind.“

So gebräuchlich im frühen Mittelalter Baumwollstoffe bei den
Muhammedanern waren, so überaus selten waren sie bei den
Abendländern anzutreffen. In seiner Geschichte der Franken hebt der
Geschichtschreiber Gregor von Tours hervor, es sei im Jahre 580 ein
Fremder zu Tours erschienen, der über einem ärmellosen Rock einen
Mantel aus Baumwolle trug; und im Jahre 807 erregten Zelte, die der
Kalif von Bagdad Harun al Raschid (d. h. H. der Gerechte) Karl dem
Großen geschenkt hatte, große Bewunderung bei den Franken, nicht
nur ihrer Größe und Buntheit wegen, sondern vor allem weil sie aus
Baumwollenzeug hergestellt waren. Welchen Wert man bis tief ins
Mittelalter der Baumwolle gab, beweist der Umstand, daß man ihr im
Mittellatein den Namen der Seide oder eine Nebenform desselben, nämlich
~bombix~ oder ~bombax~ gab. Erst im 12. Jahrhundert kam im Volke der
deutsche Name Baumwolle auf, so daß daraus geschlossen werden darf,
daß damals weitere Kreise mit ihr rechneten. So wird im Gedicht „Erec“
des Hartmann von Aue (lebte 1170 bis 1215, nahm an den Kreuzzügen von
1189 und 1197 teil und lernte wohl die Baumwollpflanze in Palästina
oder Syrien kennen) ein Sattelkissen linde sam ein boumwol, d. h.
weich wie Baumwolle bezeichnet, und im 13. Jahrhundert berichtet
ein Autor lateinisch „von der bombaxwolle, welche jetzt beim Volke
boumwolle heißt“. Eine zu Anfang des 14. Jahrhunderts vorkommende, aber
nur vereinzelte Bezeichnung ~cottûn~ im Marienleben des Walther von
Rheinau, in welcher solcher neben „flachs, wolle und sîden“ gefärbt
als Gegenstand des Webens aufgezählt wird, geht auf das italienische
~cotone~ für Baumwolle (und zugleich Baumwollstaude) zurück, das aber
selbst aus dem arabischen ~kutn~ für jene Gespinstpflanze und deren
Produkt stammt. Ebendaher rühren auch das französische und englische
~coton~ und das spanische ~algodon~ (mit dem arabischen Artikel ~al~
-- z. B. auch in Alkohol, Alchemie usw. zu erkennen -- davor). Erst
im 17. Jahrhundert wird jenes arabische Wort als Kattun mit der
Verarbeitung der Baumwolle zu Geweben auch in Deutschland häufiger. Ein
eigenartiges, aus Leinen und Baumwolle gemischtes Zeug wird mit einem
ursprünglich Wollstoff bezeichnenden fremden Wort ~barchât~, später
~barchant~ belegt; aus diesem wurde dann unser Barchent für geköpertes
Baumwollgewebe mit oft leinener Kette.

Die Einführung der Baumwolle als Gespinstfaser neben dem
altgebräuchlichen Lein hat dann in Europa wie in China die Kunst der
Weberei beträchtlich gesteigert. Es konnten nun viel mannigfaltigere
Stoffe hergestellt werden, wie Zwilich und Drilich (als Umdeutschung
des lateinischen ~bilix~ und ~trilix~, woraus später unsere
Bezeichnungen Zwilch und Drilch entstanden) für zwei- oder dreifädig
gewebtes Zeug, dann -- seit dem 14. Jahrhundert -- ~damasch~ für
gemusterte Stoffe aus Seide, Baumwolle oder Leinen nach der Stadt
Damaskus, wo solche zuerst von den Arabern hergestellt wurden. Mit
der Herstellung des Damastes bürgerte sich auch in Europa jene Art von
Weberei ein, welche es versteht, auch in gebleichtes Garn allerlei
Muster zu weben, so daß sie nicht sowohl durch Farbe, als bloß durch
verschiedene Fadenlage zeichnerisch hervorstechen.

Noch das ganze Mittelalter hindurch kamen arabische und indische
Baumwollgewebe über Venedig und Genua, von wo sie durch Säumer über
die Alpenpässe nach Norden gebracht wurden, nach Augsburg und Ulm, wo
bedeutende Stapelplätze dafür waren. Später suchte man die Rohbaumwolle
nach Europa zu bringen und hier zu verarbeiten. Und zwar war es das
für die Herstellung aller Gewebe von den wollenen Tuchstoffen bis
zum Leinengewebe hervorragend tüchtige Flandern, das diesen neuen
Industriezweig zuerst einführte. So entstanden am Ende des 16.
Jahrhunderts in Gent und Brügge die ersten von Christen hergestellten
Gewebe mit fast reiner Baumwolle, die an Güte den arabischen und
indischen bald gleichgekommen sein sollen.

Diese Kattune in Form von buntbedruckten Baumwollengeweben kamen dann
zu Anfang der selbständigen Regierung Ludwigs XIV., die 1661 nach
Mazarins Tode begann, in Frankreich in Mode. Zuerst wurden sie von
den Schiffen der ~Compagnie des Indes~ von der Koromandelküste, wo
Frankreich Kolonien besaß, nach Frankreich importiert, wo die heiteren
Farben, die große dekorative Wirkung und der exotische Stempel dieser
leichten Stoffe sie überall sehr beliebt machte. Man kleidete sich
vielfach damit, ließ Morgenröcke und Möbelüberzüge daraus verfertigen,
so daß die Ware trotz ihres hohen Preises reißenden Absatz fand. Da
diese Stoffe selten waren, kamen einheimische Handwerker auf den
Gedanken, aus dem Orient eingeführte weiße Baumwollengewebe in der
Art der indischen Kattune zu bedrucken und machten damit sehr gute
Geschäfte, da die Beliebtheit des Kattuns immer mehr stieg und zwischen
1670 und 1680 unter der vornehmen Welt geradezu eine Kattunmanie
herrschte. Die Fabrikanten anderer Stoffe und ein Teil der Handwerker
fühlten sich darob so beunruhigt, daß sie sich an den Minister Colbert
wandten, der sich ihrer annahm und im Jahre 1681 die Fabrikation und
den Verkauf dieser gefärbten Tücher strengstens verbot. Die Folge davon
war die Entstehung großer Kattunfabriken in England und der Schweiz.
Auch entstand ein wahrer Kampf zwischen den französischen Behörden und
der kattunsüchtigen Frauenwelt, die sich an das Verbot nicht hielt.
Von 1681-1716 versuchten mehr als 30 Erlasse die Pariserinnen zur
Vernunft zu bringen; doch fruchtete alles nichts. Im Gegenteil, das
Verbotene reizte, und trotz aller Beschlagnahme wurde Kattun nach
Frankreich eingeführt. Dabei waren die Beamtenfrauen die ersten, die
die verbotenen Stoffe trugen. Die seit 1748 als Geliebte Ludwigs XV.
am Hofe lebende Madame Jeanne Antoinette Poisson, die zur Marquise von
Pompadour erhoben wurde und bis zu ihrem Tode 1764 in Versailles einen
großen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte ausübte, stattete in ihrem
Schloß Bellevue eine ganze Zimmerflucht mit diesem Stoffe aus. Bald
berieten selbst die Minister über ihre Maßnahmen gegen den Kattun in
Räumen, die mit Kattun ausgeschlagen waren! Da gab am 9. November 1759
die Regierung endlich nach: die Herstellung und der Verkauf des Kattuns
wurde in Frankreich gestattet. Derselbe behauptete von nun an noch
längere Zeit seine Herrschaft. Noch der sonst fortschrittlich gesinnte
Kaiser Josef II. von Deutschland, der von 1765-1790 regierte, verbot
das Tragen von Kattun in seinen Ländern wegen dessen hohen Preises.
Seine Untertanen sollten sich an die altgewohnte Linnenkleidung halten.

In England, wo man zuerst unter Heinrich VIII. (regierte von 1509-1547)
in Lancashire und unter dessen Sohn Eduard VI. (1547 bis 1553) auch
in Manchester und Cheshire Baumwolle zu verarbeiten begann, verstand
man sehr lange keine festen Ketten aus Baumwolle zu machen, sondern
verwandte dazu Leinengarne. Erst 1772 brachte man dieses Kunststück
zustande und vermochte von nun an reine Baumwollengarne anzufertigen.
Als dann der Schotte James Watt 1769 die Dampfmaschine verbessert
hatte, und gleichzeitig die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl
erfunden worden waren, begann dem vermehrten Bedarf an Baumwolle
entsprechend eine größere Zufuhr des Rohmaterials nach England, das
schon 1782 mehr als 33000 Ballen aus Syrien, Makedonien und Cayenne
einführte. Die Länder, welche heute für Baumwollausfuhr in erster Linie
in Betracht kommen, produzierten damals nur für ihren eigenen Bedarf.
Ja Ägypten konsumierte selbst so viel, daß es noch Baumwolle aus Cypern
und Kleinasien kaufen mußte. Nur die Südstaaten Nordamerikas, in
welchen die Baumwollkultur ums Jahr 1770 eingeführt wurde, erzeugten
damals schon in zunehmendem Maße Baumwolle, so im Jahre 1800 bereits
9 Millionen kg. Schon nach Beendigung der napoleonischen Kriege
bezog England 85 Prozent seines Baumwollbedarfes aus Nordamerika. Die
Produktion nahm dort immer mehr zu, so daß jenes Land 1860 4824000
Ballen zu 450 kg ausführte. Da brach 1861 der bis 1865 dauernde
unheilvolle Bürgerkrieg aus, der die Kultur dieser Nutzpflanze
hochgradig behinderte, so daß bald in der Baumwollindustrie, die
von dort aus ihr Rohmaterial hauptsächlich bezog, ein förmlicher
„Baumwollhunger“ ausbrach. Die Folge war, daß sehr hohe Preise für den
Rohstoff bezahlt wurden. Dies bewog die verschiedensten tropischen und
subtropischen Länder, diese wertvolle Nutzpflanze in Kultur zu nehmen.
Indien, das vor dem nordamerikanischen Bürgerkriege nur 9-26 Prozent
der in England verarbeiteten Baumwolle lieferte, lieferte nun während
desselben 50 Prozent des Bedarfes, während Nordamerika von 46-84
Prozent der Einfuhr auf 7 Prozent sank. Aber nach dem Kriege eroberten
die Vereinigten Staaten nicht bloß ihre alte Position zurück, sondern
übertrafen noch ihre früheren Leistungen bedeutend. Während die dortige
Ernte im Dezennium vor dem Kriege 1300 Millionen kg jährlich betrug,
stieg sie im Dezennium nach dem Kriege auf 20000 Millionen kg.

Dieser ungeheure Baumwollverbrauch war erst möglich, als die Spinn-
und Webemaschinen eingeführt waren. Den Anstoß dazu gab im Jahre 1767
der englische Zimmermann Hargraves durch seine nach seiner Tochter
Jenny bezeichnete Spinnmaschine, auf der viel mehr und besseres Garn
als mit der Hand hergestellt zu werden vermochte. 1796 erfand dann
der Engländer Arkwright seine Wasserspinnmaschine, so genannt, weil
sie zuerst durch Wasser getrieben wurde. Beide Systeme vereinigte
dann Crampton in seiner Mêlemaschine. Und so kam ein Fortschritt nach
dem andern, bis besonders in England die heutige Baumwollspinnerei
und -weberei ausgebildet wurde. Heute noch steht dieses Land mit
45 Millionen Spindeln an der Spitze der gesamten Baumwollindustrie
der Welt, ihm folgen die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 16
Millionen Spindeln, dann kommen der Reihe nach Deutschland, Frankreich,
Rußland, Ostindien, Österreich, Italien. Neuerdings macht Japan, wie
allen Industrien, so auch hierin den Kulturstaaten starke Konkurrenz.
Erst im Jahre 1875 wurde die Baumwollspinnmaschine dort heimisch, und
schon 1894 arbeiteten 780000 Spindeln in jenem Lande.

Nach China kam die Baumwollstaude im 10. Jahrhundert, war aber noch im
11. Jahrhundert Gartengewächs. Erst vom 13. Jahrhundert an wurde sie im
freien Felde angepflanzt, doch nie in der Ausdehnung, daß man auf die
Einfuhr von Indien oder Burma hätte verzichten können. Gegen das Ende
des 18. Jahrhunderts brach eine große Hungersnot in Südchina aus; da
verordnete der Kaiser, daß der größte Teil des zum Anbau von Baumwolle
verwendeten Landes dem Getreidebau zurückgegeben werden solle.

Wie die Portugiesen bei den Kaffern und Mungo Park bei den Negern in
Senegambien und Guinea, so fanden Kolumbus, Cortez, Pizarro und Almagro
den Gebrauch der Baumwolle überall in Amerika gebräuchlich.

Während in der Alten Welt die Flachskultur, die wir außer bei den
neolithischen Pfahlbauern zuerst in Vorderasien, speziell Babylonien
und dann Ägypten antreffen, dann auch die schon früh aus Indien nach
Persien gebrachte Hanfkultur, sowie in China die Seidenzucht neben
der Wollverwertung dem Baumwollbau lange voranging, scheint sich in
Amerika die Webekunst und Färberei direkt an der Gespinstfaser der
westindischen Baumwollpflanze entwickelt zu haben. Nicht nur finden
wir die verschiedensten Gewebe und Fabrikate aus Baumwolle als
Grabbeigaben in den Gräbern der alten amerikanischen Kulturvölker
von Peru bis Mexiko, sondern die Berichte der Spanier zur Zeit der
Entdeckung Amerikas bezeugen, daß wie auf den Antillen, so auch in
ganz Mittel- und dem warmen Südamerika die Kultur und Verarbeitung
der Baumwolle überall eingeführt war. So benutzten die Azteken, die
Bewohner Mexikos zur Zeit der Conquista, außer der Baumwolle auch
die Faser der Agave als Gespinstmaterial, während sie den Flachs nur
zur Gewinnung seiner fetten Samen anbauten. Wie sie pflanzten auch
die übrigen amerikanischen Kulturvölker, die Mayas in Yucatan, die
Chibchas in Kolumbien und die Ketschuas im alten Peru die Baumwolle,
um daraus Gewebe anzufertigen, die als gesuchte Handelsartikel weithin
transportiert wurden. Um sie zu färben und auf ihnen die zierlichsten
Muster zu malen, benutzten sie bereits den Indigo, die Cochenille und
das Brasilholz. Baumwollzeuge dienten überall in Amerika an Stelle des
Geldes als beliebtestes Tauschmittel; sogar schon Papier, ja selbst
Panzerhemden wurden daraus verfertigt. Ebenso waren die Segel ihrer
aus mehreren walzenförmigen, an den Enden zugespitzten Binsenbündeln
hergestellten floßartigen Fahrzeuge aus Baumwolle gewebt. Mit diesen
sogenannten ~balsas~ wagten sie sich handeltreibend der Küste entlang
bis hinauf zur Mündung des Rio San Juan am 4. Grad nördlicher Breite.
Wunderbare Erzeugnisse speziell der altperuanischen Webekunst sind
uns in den Gräbern des Totenfeldes von Ancon bei Lima erhalten
geblieben. In ihnen waren die Toten in Hockstellung, von Decken und
Tüchern umhüllt und mit einem reichen Inventar von Beigaben zum
Leben im Geisterreich ausgestattet, in brunnenartigen Vertiefungen
mit Seitennischen bestattet. Außer prächtig gemusterten und gefärbten
Geweben aus Lamawolle, Baumwolle oder Pflanzenfaser, fanden sich
auch mannigfaltige Kleidungsstücke, bei denen an den querlaufenden
Fäden bunte Federchen in hübschen Mustern geknüpft waren, nebst den
Webegeräten, vermittelst welcher sie hergestellt waren.

Leider hat sich diese hochstehende Kultur nicht weiter entwickeln
können, sondern sie ging unter den rohen Händen der goldgierigen
christlichen Konquistadoren bis auf kümmerliche Reste unter. Nur an
ganz vereinzelten Stellen hat sich in abgelegenen Andentälern die
alte, heimische Hausindustrie in der Verarbeitung der Baumwolle zu
buntgemusterten Stoffen erhalten. Diese neuweltliche Baumwollkultur
steht natürlich außer allem Zusammenhang mit der altweltlichen
Ausbildung derselben. Beide haben sich vielmehr ganz selbständig aus
den ihnen zu Gebote stehenden, eine natürliche Wolle als Ersatz der
älteren Tierwolle darbietenden Pflanzen entwickelt.

Während die vorderasiatischen Gebiete unseren Vorfahren im Mittelalter
schon die aufs kunstreichste hergestellten, hochgeschätzten
Baumwollstoffe lieferten, die vielfach nach der Stadt Mossul am Tigris
als Musseline bezeichnet wurden, waren diese über die Herkunft dieser
Stoffe noch in vollständiger Unkenntnis befangen. Noch bis ins 17.
Jahrhundert berichten uns die abendländischen Gelehrten in ihren
Chroniken, daß der Baumwollstoff das Produkt der Wolle des tatarischen
oder syrischen Pflanzenschafs, Barometz genannt, sei, dessen Früchte
von der schönsten weißen Wolle bedeckte Lämmer enthalten. „Und daran
wuchs“, schreibt Sir John Mandeville, ein englischer Ritter, der viele
Länder bereiste, um deren Gebräuche und Wunder kennen zu lernen, „eine
Art Früchte, als ob es Kürbisse wären; und wenn sie reif sind, kann man
sie essen, und man findet darinnen ein kleines Tier mit Fleisch, Bein
und Blut, als wie ein kleines Lamm, außen mit Wolle bedeckt; und man
ißt beides, Frucht und Tier, und das ist ein großes Wunder. Und auch
ich habe von dieser Frucht gegessen; aber obgleich es wunderbar ist, so
weiß ich doch, daß Gott noch wunderbarer ist in seinen Werken.“

Andere wieder berichteten, dieser Barometz sei ein Lamm, das mit seinem
Nabel auf dem Stamm der betreffenden Pflanze befestigt sei und sich von
den ringsum wachsenden Gräsern ernähre; wenn aber das Futter aufgezehrt
sei, so verwelke der Stamm und sterbe das Tier. So unglaublich schien
unseren in größter Unwissenheit über alles, was jenseits der von ihnen
bewohnten Länder geschah, dahinlebenden Vorfahren im Mittelalter die
Möglichkeit des Vorkommens pflanzlicher Wolle, daß sie eben solche
Märchen sich aufbinden ließen. Und dieses Märchen vom Schaf, das in
Früchten auf Bäumen wachse, war noch lange nicht das Wunderbarste, das
unsere biederen Ahnen damals glaubten und als verbürgte Wahrheit in
ihren Chroniken aufzeichneten.



XXII.

Die Farb- und Gerbstoffpflanzen.


Die Kunst der Färberei hat sich im Anschluß an die Körperbemalung und
Tätowierung entwickelt, die auch der vorgeschichtliche Europäer vor
Zehntausenden von Jahren ausübte. Nebst Amulettschmuck sind Knollen
von durch Eisengehalt rotem Ocker, der mit Tierfett vermischt zum
Bemalen des Körpers diente, die ältesten nachweisbaren kosmetischen
Gegenstände des Menschen. Dabei war es ja naheliegend, die Schmuckfarbe
von der menschlichen Haut auf die geglättete Innenseite der zum
Wärmeschutz umgehängten Tierfelle und später auch an die Außenseite
der aus Leinfasern gewebten ältesten Kleidungsstoffe zu übertragen.
So haben schon die neolithischen Pfahlbauern, und noch in erhöhtem
Maße diejenigen der Bronzezeit, ihre neben den Fellen der erlegten
Beutetiere getragenen Leinenkleider, wie wir aus der Verzierung
ihrer gleicherweise bekleideten Idole aus gebranntem Ton schließen
dürfen, mit einfachen linearen Ornamenten aus Erd- und Pflanzenfarben
bedeckt. Neben Ruß und Roteisenstein dienten ihnen, nach den in ihren
Kulturresten gefundenen Samen zu schließen, die Beeren des Attichs,
einer Holunderart (~Sambucus ebulus~), zu einem hellen Blau, das Kraut
des Wau (~Reseda luteola~) zu Gelb und vermutlich die Wurzeln der
gemeinen Färberröte (~Rubia tinctorum~) zu einem schön leuchtenden Rot.
Wahrscheinlich benutzten sie auch die aus den zerquetschten Blättern
des Waids (~Isatis tinctoria~) gewonnene dunkelblaue bis schwarzgrüne
Farbe, mit der sich nach dem Berichte Julius Cäsars die ihm bei seiner
Landung in England im Jahre 55 v. Chr. entgegentretenden Britannier an
Gesicht und Leib abschreckend bemalt hatten. Bei allen Naturvölkern
werden dieselben Farbstoffe, die zur Hautbemalung dienen, trocken
oder mit Wasser, seltener Fett oder Öl verrieben, auf ihre Fell- oder
Zeugkleidung übertragen.

Die Chinesen, Inder, Perser, Babylonier, Syrer und Ägypter kannten
und übten die Färberei seit uralter Zeit. Wie überall sonst dienten
gefärbte Kleider auch bei ihnen als gesuchte und deshalb kostbare
Gegenstände des Schmuckes und der persönlichen Auszeichnung. Schon
in der Genesis wird erzählt, daß Israel seinem viel jüngeren Bruder
Joseph einen „bunten Rock“ machte, um ihn zu erfreuen. In den Büchern
Moses werden blau, purpurn und scharlachrot gefärbte Kleider als
besonders kostbar erwähnt. Vorzugsweise wurde von den Phönikiern in
Tyrus die Färberei und der Handel mit gefärbten Stoffen betrieben,
und der aus dem Safte der zerquetschten, im Mittelländischen Meere
lebenden Purpurschnecken (~Murex brandaris~ und ~M. trunculus~)
gewonnene, vom Sonnenlichte nicht abschießende, sondern immer
leuchtkräftiger werdende, dunkelviolettrote Purpur, der als Symbol
priesterlicher und fürstlicher Würde galt, soll in jener phönikischen
Stadt erfunden worden sein. Bereits die ältesten Ägypter verstanden
ihre Leinenkleider, wie auch die aus demselben Material verfertigten
Binden, mit denen sie ihre mumifizierten Toten einwickelten, kunstreich
zu färben und unterschieden ihre Hauptgötter an den verschiedenen
Farben ihrer heiligen Gewänder. Der römische Naturforscher Plinius
der Ältere, um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts, berichtet
voll Bewunderung von dem eigentümlichen Verfahren der hochentwickelten
ägyptischen Färberei, wonach das Zeug in die heiße Farbbrühe getaucht
und einfarbig herausgezogen, später aber mit noch anderen Farben
geschmückt wurde. Es scheint, als ob hier schon von Färberei mit
Wachsdeckung in Verbindung mit nachfolgender Zeugdruckerei die Rede
sei. Die Produkte des ägyptischen Kunstfleißes wurden weit verführt,
und werden sowohl von jüdischen, als von griechischen Schriftstellern
häufig erwähnt. Der Sitz der ägyptischen Linnenmanufaktur und -färberei
war die alte Hauptstadt Memphis in Unterägypten, woselbst die
bedeutendsten tyrischen Kleider- und Stoffhändler besondere Faktoreien
und Färbereien besaßen. Auch die von ihnen in Tyrus selbst zu färbenden
Zeuge, Gewänder und Teppiche bezogen sie zum großen Teil aus Ägypten,
wie im Klagelied des im Jahre 598 v. Chr. mit dem König Jojachin von
Juda von den Assyriern nach Mesopotamien abgeführten Propheten Hesekiel
über die Zerstörung von Tyrus zu lesen ist.

Die alten Griechen scheinen auf kunstvoll gefärbte Kleider weniger
gehalten zu haben; denn sie trugen, im Gegensatz zu den prunkliebenden
Orientalen, meist ungefärbte Gewänder. Dies war wenigstens in der
klassischen Zeit der Fall; aber noch im 7. und teilweise noch im
6. vorchristlichen Jahrhundert hatten auch sie, vom phönikischen
Handelsimport beeinflußt, vielfach buntfarbige Gewänder getragen,
mit denen sie in späterer Zeit nur noch die Statuen ihrer Götter
bekleideten und die ihre Schauspieler als Abzeichen der alten Zeit
trugen, wenn sie in den als gottesdienstliche Handlungen aufgefaßten
öffentlichen Schauspielen die in längstvergangener Zeit lebenden Heroen
darstellten, als ob sie noch unter den Sterblichen wandelten. In
demselben Sinne brachten auch die attischen Jungfrauen der Stadtgöttin
Pallas Athene an dem ihr geweihten Feste der Panathenäen ein kunstvoll
farbig verziertes Obergewand, das ~péplon~, zu einer Zeit dar, da
sonst niemand mehr in Athen solch orientalisch bunte Kleider trug. Bei
den Römern war eine rote Verbrämung des weißen, als Toga bezeichneten
Obergewandes die Auszeichnung der noch nicht mannbaren Knaben und der
Standespersonen. Die Ritter trugen den rotgestreiften Mantel, die
~trabea~. Bei Trauer wurde die Toga schwarz gefärbt. Bei den Spielen im
Zirkus unterschieden sich die verschiedenen Parteien durch die Farbe
ihrer Anzüge und Plinius spricht von Grün, Orangerot, Grau und Weiß.
Als Farbmaterial benutzte man im Altertum nach dem Pflanzenverzeichnis
des Dioskurides und anderer Autoren Safran, Waid, Färberginster, Krapp,
Alkanna, Galläpfel, die Samen des Granatapfels und einer ägyptischen
Akazie, verschiedene Früchte und als Phykos bezeichnete Farbflechten.
Da man außerdem Alaun, Eisen- und Kupfervitriol anwandte, muß das
Beizen schon bekannt gewesen sein. Von allen diesen Farbpflanzen wurde
aber außer Safran, der mehr als Gewürz diente, Wau, Waid und Krapp
keine einzige von den Römern angebaut.

Auch bei den Kelten und Germanen der frühgeschichtlichen Zeit war die
Kunst des Färbens ziemlich ausgebildet. So berichtet der römische
Geschichtschreiber Tacitus (74-118 n. Chr.) von den deutschen Frauen,
daß sie ihre Kleidung mit Rot zu verzieren pflegen. Aus Gallien führt
er purpurrot färbendes Kraut an, womit er jedenfalls die zu jener Zeit
auch in Germanien bekannte und angewandte gemeine Färberröte oder
Krapppflanze meinte. Die Kultur dieser Pflanze wurde dann, wie wir
bald sehen werden, im späteren Mittelalter in gewissen Landschaften
Mitteleuropas sehr intensiv betrieben. Ebenso geschätzt war bei den
frühgeschichtlichen Mitteleuropäern der zum Blaufärben benutzte
Waid, der unter diesem Namen für Westgermanien bezeugt ist und im 6.
Jahrhundert bei den Goten unter dem Namen ~wizdila~ gebräuchlich war.
Auch die gelbfärbende Färberdistel wurde auf Wiesen und an feuchten
Orten, wo sie wild wächst, gesammelt und von den Frauen zum Färben
benutzt.

Die Entwicklung der Färberei wurde in Europa im 5. Jahrhundert durch
die Wirren der Zeit der Völkerwanderung erstickt, blühte aber im
Orient weiter, dessen bunte Textilstoffe von der tyrischen Blütezeit
ab im ganzen Abendland hochgeachtet waren. Besonderen Ruf für ihre
Produkte erlangten in ihm die Perser und Syrer, die gleich den
Indern die kunstvollsten Webereien und Stickereien in den buntesten
Farbenzusammenstellungen, wie sie nur die glanzvolle Beleuchtung unter
dem südlichen Himmel eingab, schufen. Im Morgenlande übertrug sich auch
die seit alter Zeit beobachtete Standesunterscheidung durch Farben
der Gewänder auf die Muhammedaner, bei denen Grün die Auszeichnung
der Familie des Propheten, der grüne Turban aber das Kennzeichen des
Hadschi, d. h. desjenigen ist, der die vom Propheten vorgeschriebene
Pilgerreise nach Mekka absolviert hat. Ähnlich wie in Indien heute
noch den einzelnen Kasten, wie auch den verschiedenen Rangstufen
innerhalb derselben genau vorgeschrieben ist, welche Farben und in
welcher Zusammenstellung sie dieselben tragen dürfen. Die europäischen
Fabrikanten kennen diese Gesetze ganz genau und haben eigene
Musterbücher dafür.

In Indien steht die Kunst der Färberei auf derselben hohen Stufe
wie vor tausend Jahren. Hier gibt man den Zeugen an den Stellen der
Zeichnung, die anders gefärbt werden sollen, einen Überzug von Mastix,
den weder kalte, noch warme Farbstofflösung aufzulösen vermag. Ist
das Gewebe in der betreffenden Farblösung gefärbt, so braucht man nur
den Mastix in Spiritus aufzulösen, unter dessen Hülle dann der Grund
des Zeuges in seiner ursprünglichen Färbung zum Vorschein kommt.
Die Malaien Indonesiens verfahren in ähnlicher Weise beim Färben
ihrer Sarongs oder Lendentücher, ihrem oft einzigen, jedenfalls aber
wichtigsten Kleidungsstück, dem sie die zierlichsten Muster zu geben
wissen. Auf einem Kohlenfeuer wird eine bestimmte Wachsmischung flüssig
gemacht, in einen pfeifenkopfähnlichen Behälter oben an einer dünnen
Kupferröhre gegossen und fließt von da durch die Röhre ab, durch
welche es vermittelst Fingerdruck auf das Zeug geleitet wird. Hier
deckt es alle jene Stellen, welche nicht in der betreffenden Farbe
koloriert werden sollen. Natürlich muß die Zeichnung von beiden Stellen
gleichmäßig mit der Wachslösung bedeckt werden, damit die Farbe nicht
von einer Seite eindringen könne. Nach dem Färben in kalter Farblösung
wird das Wachs durch Kochen in heißem Wasser entfernt und dieselbe
Prozedur für alle folgenden Farben vorgenommen, soviel solcher zur
Anwendung gelangen. Mit dieser sogenannten +Battikfärberei+ vermögen
die Malaien besonders des östlichen Java die wunderbarsten Effekte zu
erzielen und farbige Muster von staunenswerter Grazie zu erzeugen.

Auch die Bewohner der polynesischen Inseln färbten, ehe sie die
europäischen Baumwollstoffe kennen lernten, ihre mit Holzklöppeln
breit geschlagenen Lendentücher aus weichem Baumbast mit den
verschiedensten einfachen Mustern. Unsere Museen bergen teilweise
bemerkenswerte Proben dieser verzierten polynesischen Tapa. Noch sehr
viel kunstvoller verstanden die alten Peruaner und Mexikaner vor der
Zerstörung ihrer hohen Kultur durch die goldgierigen Spanier ihre
Lama- und Baumwollgewebe, wie auch Lederarbeiten mit Farbmustern zu
bemalen. Proben mexikanischer Gewebe, die Fernando Cortez an Karl
V. nach Europa sandte, erregten durch ihre Schönheit nicht geringes
Aufsehen. Und wer je das Berliner Völkermuseum besuchte, wird von den
zahllosen hübschen Mustern überrascht sein, welche in den Umhüllungen
und Beigaben der Mumien von Ancon und anderer Gräberfelder in Peru aus
der Zeit der Inkas zutage gefördert wurden. Sie gefielen den modernen
Europäern in so hohem Maße, daß diese schematisierten Muster auf
zahllosen Erzeugnissen der heutigen Textilindustrie kopiert wurden
und uns häufig, besonders an Tischdecken, entgegentreten. Auch die
Indianerinnen Nordamerikas wußten einst Fasern und Schnüre zu färben,
mit denen sie die Kleider und Mokassins, d. h. Schuhe aus weichem
gegerbtem Leder, wie auch die Zeltdecken aus Büffelhaut schmückten.
Heute noch üben die von der Kultur noch nicht zugrunde gerichteten
Indianerstämme Alaskas, wie besonders die Thlinkiten und Bella-kula,
ihre hochentwickelte Färbekunst auf Leder und Holz zur Freude der
ethnographischen Sammlungen aus. Als Färbemittel gebrauchen die
verschiedenen Indianerstämme Zinnobererde, Büffelbeeren, Blaubeeren,
Gelbholz, Quercitron, Galläpfel usw.

Durch die Vermittlung der Kreuzzüge, die das Abendland in nähere
Verbindung mit dem Morgenlande brachten, gelangte die Schönfärbekunst
im 12. und 13. Jahrhundert wiederum nach Europa, abgesehen von Spanien,
das in den Mauren treffliche Färbekünstler besaß. Zunächst wurde diese
für das übrige Europa neue Kunst in Italien geübt, das ja durch seine
Schiffahrt in regster Verbindung mit dem Oriente stand. Zuerst war
es Florenz und dann Venedig, deren Färbereien bald den höchsten Ruhm
im Abendlande erlangten. Ein Einwohner der erstgenannten Stadt hatte
im 13. Jahrhundert das Geheimnis der Darstellung der blaufärbenden
Orseille aus einer Flechte in Kleinasien erworben und brachte durch
die Einführung derselben in die Praxis seiner Vaterstadt unermeßliche
Vorteile. In Venedig erschien 1548 das erste Werk über Färberei von
Giovanni Ventura Rosetti, das großes Aufsehen erregte und nicht
wenig dazu beitrug, das Interesse an der Färberei in ganz Europa zu
erwecken. Nördlich der Alpen gewann sie zuerst größere Bedeutung in
Flandern, dessen Tuch- und Leinenweberei in hoher Blüte stand. Von
hier aus verbreitete sich die Kunst der Schönfärberei allmählich über
die anderen Länder Europas. In Deutschland war es der mächtige Bund
der Hansa, der auch diesem Erwerbszweig große Aufmerksamkeit schenkte.
Er ließ zuerst aus Italien, dann aus Flandern geschickte Färber als
Lehrmeister der einheimischen kommen. Diese bildeten damals schon
stattliche Zünfte, so in Augsburg 1390 und bald darauf auch in anderen
schwäbischen Städten. Nach London ließ König Eduard III. von England
ums Jahr 1373 Färber aus Flandern kommen, die das einheimische Gewerbe
in die Höhe brachten, so daß die Zunft der Färber 100 Jahre später
in London so stark vertreten war, daß sie eine eigene Kompagnie der
städtischen Miliz bildete.

Von großem Einfluß auf die Entwicklung der Färberei war die Entdeckung
von Amerika, indem dadurch nicht allein alle Verkehrsverhältnisse von
Grund aus verändert wurden, sondern auch eine Menge wichtiger neuer
Farbstoffe wie Rot- und Blauholz, Cochenille, Orlean und Quercitron
in den Handel kamen. Nicht minder bewirkte die Auffindung des Seewegs
nach Ostindien einen vermehrten und zugleich billigeren Bezug des bis
dahin sehr kostbaren Indigo. Weil sich aber durch dessen Einfuhr die
Waidbauern beeinträchtigt fühlten, so hatte der edle indische Farbstoff
in Europa mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Auf Anstiften
der einheimischen Waiderzeuger verbot ihn ein Edikt der Königin
Elisabeth in ganz England; zugleich wurden die im Lande befindlichen
Vorräte zerstört. Die Verwendung von Indigo wurde sogar mit Todesstrafe
bedroht; erst im Jahre 1661 unter Karl II. wurde seine Einfuhr und
Anwendung wieder gestattet.

Zu Anfang des 16. Jahrhunderts kam der Krappbau aus dem Orient nach
Schlesien und Holland und 100 Jahre später auch nach Südfrankreich.
Die Purpurfärberei mit der seit 1526 getrocknet als Cochenille von
Mexiko in den Handel kommenden Schildlaus des Nopalkaktus nahm einen
unerwarteten Aufschwung, als im Jahre 1650 der Holländer Cornelius
Drebbel das Zinnsalz als Ersatz des Alauns einführte und auf Grund
seiner Erfindung eine großartige Färberei besonders für Rot bei London
errichtete. Ein Landsmann von ihm, Adrian Brauer, war es, der 1667
die Wollfärberei in England einführte. Nachdem man in der Mitte des
16. Jahrhunderts Indigo und Blauholz in England eingeführt hatte,
eignete sich das Land erst mit Ende des 18. Jahrhunderts die Färberei
mit Quercitron und Türkischrot, vorzugsweise auf Bankrofts Betreiben
hin, an, dessen 1790 erschienenes Werk über Färberei die Grundlage der
neueren Kunst bildete. In Frankreich begann sich die Färberei erst
unter Ludwig XIV. zu heben, als der seit 1660 als Generalkontrolleur
der Finanzen an der Spitze der Verwaltung stehende Staatsmann Colbert
durch d’Albo eine tüchtige Färberordnung aufstellen ließ, die 1669
in Paris veröffentlicht und von den segensreichsten Folgen war. Und
als später die französische Akademie diesem Zweige des Kunstgewerbes
ihre Aufmerksamkeit zuwandte, und 1762 Joannes Althen, ein Armenier,
das Geheimnis der Türkischrotfärberei zuerst nach Frankreich gebracht
hatte, entwickelte sich die Färbekunst in diesem Lande so gewaltig, daß
es darin bald an der Spitze aller übrigen Länder zu stehen kam.

Um 1700 entdeckte man in Berlin das Berlinerblau, und 1740 erfand Barth
die Sächsischblaufärberei mit Indigosulfosäuren. Die neueste Zeit hat
die Färberei durch das Studium des Verhaltens der Beizen gegen die
Farbstoffe sehr gefördert; außerdem häuften sich die Entdeckungen aus
dem Mineralreich, und in neuen Verbindungen der organischen Chemie
lernte man die wertvollsten Rohmaterialien für glänzende Farben
kennen. Erregte in dieser Beziehung schon das Murexid aus Harnsäure
großes Aufsehen, so wurden alle bisherigen Erfolge seit 1859 durch
die Entdeckung der Teerfarben, und zwar zunächst des Fuchsins, noch
weit übertroffen. Diese beherrschen jetzt vollständig die Färberei und
geben Farben in allen Nüancen von einer Leuchtkraft und vielfach auch
Echtheit, wie sie vorher ganz unbekannt waren. Zudem wurden allerlei
Verfahren gefunden, um einige der wichtigsten Pflanzenfarbstoffe
wie Alizarin und Indigo künstlich herzustellen, so daß der Krappbau
ganz und die Indigopflanzungen Indiens wenigstens zum größten Teile
eingestellt wurden.

Wenden wir uns nun nach diesem kurzen Überblick über die Geschichte der
Färberei zu den einzelnen Farbpflanzen, und zwar sei mit einer der
ältesten und wichtigsten begonnen, welche die dem naiven Empfinden des
primitiven Menschen am stärksten in die Augen stechende und deshalb
am meisten zusagende Farbe, nämlich die rote, in großer Leuchtkraft
liefert. Es ist dies der +Krapp+, oder die +Färberröte+ (~Rubia
tinctorum~), eine 60-90 cm hohe Staude mit dornig scharfen Stengeln
und Blättern, gelben Blüten und schwarzen Früchten. Ihre technische
Bedeutung verdankt sie dem kurzen, knorrigen Wurzelstock von 20-30 cm
Länge und 5-12 mm Dicke, der außen von einer rotbraunen Rinde bedeckt,
innen aber gelbrot ist. Die Pflanze gedeiht am besten auf humusreichem
Boden und wird durch Ausläufer vermehrt, die man im März setzt. Im
Herbst wird das Kraut, das ein gutes Viehfutter bildet, gemäht, wonach
man die Stöcke zum Schutz gegen die Winterkälte mit Erde bedeckt.
Die Ernte der Wurzeln geschieht erst im Spätherbst des dritten, im
Morgenland sogar erst des fünften und sechsten Jahres. Nach der
Entfernung der wenig wertvollen Oberhaut werden die Wurzeln zunächst
getrocknet und kommen dann zerschnitten, meist aber gemahlen, als
Krapp in den Handel. Er bildet ein grobes, safranfarbiges Pulver von
eigentümlichem Geruch und säuerlichsüßem Geschmack, das begierig
Feuchtigkeit aus der Luft an sich zieht und infolgedessen leicht
zusammenbackt. Deshalb muß es sorgfältig vor Luft und Licht geschützt
werden. Durch mehrjährige Aufbewahrung verbessert der Krapp seine
Qualität, geht aber nach dem 5. bis 6. Jahre zurück. Außer den
gewöhnlichen Pflanzenbestandteilen enthält er ein farbloses Glykosid,
Ruberythrin, das sich unter dem Einfluß eigentümlicher Fermente langsam
in Zucker und einen roten Farbstoff, das Alizarin, zersetzt. Daher
kommt es, daß der Krapp beim Aufbewahren an Kraft des Färbevermögens
gewinnt.

Seine Heimat hat der Krapp im Mittelmeergebiet bis Syrien und Persien,
wo zunächst die Wurzeln der wilden Pflanze vom Menschen gesammelt und
zum Färben benutzt wurden; doch wurde er im Orient und in Griechenland
schön früh angebaut, ebenso von den Römern, die ihn den Völkern
nördlich der Alpen vermittelten. Der griechische Arzt Dioskurides
berichtet um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts, daß das auch
als Arzneimittel gebrauchte ~erythródanon~ angepflanzt werde und wild
vorkomme; seine Wurzeln verwende man aber hauptsächlich zum Färben.
Er sagt: „Der Krapp (~erythródanon~) auch ~téuthrion~, ~drákanos~ und
~kinnábaris~, bei den Römern ~rubia passiva~, bei den Etruskern ~lappa
minor~, bei den Ägyptern aber ~sophobí~ genannt, hat eine rote Wurzel,
die zum Färben dient. Es gibt eine wildwachsende und eine kultivierte
Sorte, welche letztere beispielsweise in Ravenna angepflanzt wird. In
Karien sät man den Krapp zwischen Ölbäumen. Sein Anbau bringt großen
Gewinn. -- Die Wurzel ist dünn, lang, rot, dient auch als Arznei.“ Sein
Zeitgenosse Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte: „Der Krapp
(~rubia~, von ~rubus~ rot) ist zum Färben der Wolle und des Leders
unentbehrlich und sein Anbau bringt viel Gewinn. Für vorzüglich gilt
der bei Rom gezogene, doch wird er in fast allen Provinzen kultiviert.
Man sät ihn wie die Kicherplatterbse (~ervilia~), doch wächst er auch
wild. Er dient auch als Arznei.“ Der unter Cäsar und Augustus lebende
Kriegsingenieur Vitruvius sagt in seinem Buche ~de architectura~ über
ihn: „Um für Wandgemälde eine Purpurfarbe zu bekommen, färbt man Kreide
mit Krapp (~rubia~) und Kermesbeeren (~hysginum~) von der Kermeseiche
rot. Man bereitet auch andere Farben aus Blütenpflanzen. Um ein
Ockergelb zu gewinnen, wirft man getrocknete Veilchen (~viola~) in ein
Gefäß, gießt Wasser dazu und läßt die Mischung kochen. Ist sie wieder
abgekühlt, so schüttet man sie in ein leinenes Tuch, drückt sie aus
und tut das von Veilchen gefärbte Wasser in einen Mörser und reibt es
mit eretrischer Kreide (Eretria, Stadt auf der Südwestküste von Euböa
in Griechenland, wurde 490 v. Chr. durch die Perser zerstört, aber
wieder aufgebaut) zusammen. Man macht auch eine schöne Purpurfarbe aus
Heidelbeeren (~vaccinium~), indem man sie ebenso behandelt und Milch
hinzufügt. Ein schönes Grün bekommt man, wenn man etwas Blaugefärbtes
mit der gelben Farbe des Wau (~luteum~, d. h. gelben, von ~Reseda
luteola~) tränkt. Fehlt es an Indigo (~color indicus~, d. h. indischer
Farbe), so wendet man Waid (~vitrum~, von ~Isatis tinctoria~) an, einen
Farbstoff, den die Griechen ~hyalon~ nennen.“

In dem Verzeichnis der Pflanzen, die Karl der Große auf seinen Gütern
angepflanzt haben wollte, wird die Färberröte unter dem fränkischen
Namen ~warentia~ angeführt, doch verbreitete sich die Krappkultur erst
einige Jahrhunderte später in Frankreich, wo sie in mittelalterlichen
Akten öfter erwähnt wird. Sie erlosch dann wieder, so daß sie gegen
das Ende des 16. Jahrhunderts fast nur noch in Holland betrieben
wurde. Im Jahre 1760 ließ der französische Minister Bertin Samen
des morgenländischen Krapps, der von ~Rubia peregrina~ abstammt und
heute noch der farbstoffreichste und infolgedessen geschätzteste
ist, nach Frankreich kommen und unter die Landleute verteilen. In
der Grafschaft Avignon führte der bereits erwähnte Armenier Joannes
Althen 1766 den bis dahin dort unbekannten Krappbau ein, der sich wenig
später auch im Elsaß verbreitete. In Deutschland wurde wohl zuerst in
Schlesien Krapp gebaut; wenigstens datiert eine Breslauer Röteordnung
von 1574. In Böhmen, wo im 16. und 17. Jahrhundert der Krappbau
ebenfalls blühte, wurde er durch den Dreißigjährigen Krieg zugrunde
gerichtet; auch in Sachsen, Bayern und Baden ging er ganz zurück. In
der Pfalz datiert er seit 1763. In den 1830er Jahren nahm er aber
wieder einen großen Aufschwung und wurde besonders in Südfrankreich
um Avignon, dann in Holland und im Elsaß betrieben, bis im Jahre 1860
die deutschen Chemiker Gräbe und Liebermann den Krappfarbstoff, das
Alizarin, künstlich aus Anthracen, einem Teerprodukt, darstellten.
Dadurch wurde der Krappbau an seiner Wurzel angegriffen und ging
begreiflicherweise stark zurück, obschon Napoleon III. zum Schutze des
südfranzösischen Krappbaus die Hosen und teilweise auch die Mützen des
französischen Militärs mit dem Krappfarbstoff rot färben ließ. Jetzt
wird hauptsächlich in Kleinasien, Ägypten und Ostindien, teilweise
auch in Nordamerika und Australien Krapp gebaut. In Ostindien wird
die einheimische ~Rubia munjista~ gepflanzt, woher der aus jenem
Lande stammende Krapp als Munjit bezeichnet wird. In Westindien und
Südamerika werden ebenfalls besondere Arten von Rubia kultiviert, deren
Wurzeln zum Färben dienen. Heute wird der Krapp meist nur noch in
technisch veralteten Färbereien benutzt. Durch Anwendung verschiedener
Beizen können mit ihm, beziehungsweise dem künstlich hergestellten
Alizarin, alle Nüancen von Rot und Violett und teilweise auch von Braun
erzielt werden. Er dient mit dem Samen der syrischen Raute (~Peganum
harmala~) zur Türkischrotfärberei und zum Rotfärben von Tinte und Lack.

Einen ebenfalls schon sehr lange zum Färben benutzten dunkelroten
Farbstoff liefert die Wurzel der echten +Alkanna+ oder +Alhenna+, des
~kýpros~ der Alten von ~Lawsonia inermis~, einem in Ostafrika, Arabien,
Ostindien, den Sundainseln und Nordaustralien wachsenden sehr ästigen,
wild meist bedornten, in der Kulturpflege aber vielfach dornenlos
gewordenen Strauch von 2-4 m Höhe mit 1-1,5 cm langen Blättern und
gelblichweißen bis ziegelroten Blüten. Seit uralter Zeit wird er im
Orient und in Nordafrika, neuerdings auch in Ostafrika kultiviert und
findet sich jetzt ostwärts bis Südchina und westwärts bis Marokko und
Senegambien angebaut. Die braunrote, etwas zusammenziehend schmeckende
Wurzel kam früher nach Südeuropa in den Handel und ist heute noch
in Persien und Indien als Heilmittel und zum Färben im Gebrauch.
Sie wird, wie auch die Stengel, mit Wasser gekocht und gibt eine
gelblichrötliche Flüssigkeit, welche auf weiteren Zusatz von Alkalien
intensiver rot wird, bis eine fast karminrote Lösung entsteht. Die
Blüten sind wegen ihres Wohlgeruchs sehr geschätzt und spielen bei
den religiösen Akten der Buddhisten eine große Rolle, die Blätter
aber werden, wie die Mumienfunde aus dem alten Ägypten beweisen, seit
sehr langer Zeit im Niltal zum Gelbrotfärben der Nägel der Finger und
Zehen, der Fingerspitzen, der Handflächen und Fußsohlen verwendet,
womit die Frauen ihre Schönheit zu erhöhen glauben. Die Pflanze heißt
im Altägyptischen ~puker~, woraus durch Umstellung das koptische
~kuper~, das hebräische ~kopher~ und das griechische ~kýpros~ entstand.
In einigen altägyptischen Parfümerierezepten und als Bestandteil
des heiligen Räucherpulvers ~kyphi~ wird ~kuper~ als Bestandteil
angeführt. Und wie die Frauen im alten Ägypten, so bedienen sich die
heutigen Bewohnerinnen des Niltals wie überhaupt die Araberinnen
des von ihnen ~fagu~ oder ~fagia~ genannten Strauches in der oben
genannten kosmetischen Weise. Zu diesem Zwecke werden die Blätter, die
getrocknet und gepulvert unter dem Namen +Henna+ in den Handel kommen,
mit Kalkmilch verrieben und aufgetragen. Alternde Frauen färben sogar
ihre weiß werdenden Haare, Männer ihren Bart und die Mähne ihrer Pferde
damit orangerot. Diese unserem Geschmack wenig zusagende Verschönerung
ihres Äußeren halten die Orientalinnen für ebenso notwendig, als das
Bemalen der Augenlidränder und Stirnmitte mit Strichen des schwarzen
~kuhl~, einer aus Ruß oder zerstoßenem Schwefelantimon hergestellten
Paste, die bereits die Frauen im alten Ägypten benutzten, wie wir aus
den Gräberfunden und alten Rezepten auf Papyri wissen. In Indien dient
die Henna zum Schwarzfärben von Leder.

Denselben prachtvollen roten Farbstoff Alkannin wie die echte birgt
die unechte Alkanna, die Wurzel der in der Türkei, in Kleinasien
und besonders in Ungarn angepflanzten und in Ballen von etwa 100 kg
zu uns in den Handel gelangenden +Färberochsenzunge+ (~Anchusa
tinctoria~), die zum Rotfärben von Haarölen, Pomaden, Polituren usw.
dient, außerdem zum Färben von Leder und in Lyon zum Färben von Seide
benutzt wird. Schon die alten Griechen und Römer bedienten sich
ihrer zum Rotfärben und Schminken, wie auch als Arznei. So schreibt
Theophrast im 4. vorchristlichen Jahrhundert: „Die Färberochsenzunge
(~anchúsa~) hat eine rote Wurzel wie der Krapp, und färbt rot.“
Hesychios schreibt: „Sich anchusieren (~anchusízesthai~) heißt: die
Wangen mit ~anchusa~ schminken,“ und der Arzt Dioskurides sagt, die
Wurzel sei fingerdick, fast blutrot und werde als Arznei benutzt und
in Salben getan. Sein Zeitgenosse Plinius schreibt: „Die fingerdicke
Wurzel der ~anchusa~ färbt die Finger blutrot und bereitet die Wolle
für kostbare Farben vor. Auch wird sie als Arznei gebraucht.“ Bei der
Besprechung der Salben erwähnt er die ~anchusa~ neben dem von dem
Drachenbaume (~Dracaena draco~) auf der ostafrikanischen Insel Sokotra
stammenden Drachenblut (~cinnabaris~, d. h. Zinnober) als Farbstoff
(~color~). Auch im Mittelalter und in die Neuzeit hinein war dieser
Farbstoff gebräuchlich, bis er durch bessere verdrängt wurde.

Ein ähnliches Rot wie die Färberochsenzunge liefert der +Färberkroton+
oder die +Tournesolpflanze+ (~Chrozophora tinctoria~), eine einjährige
Wolfsmilchart von den sandigen Küsten des Mittelmeergebiets und
aus Arabien mit langgestielten, behaarten Blättern und hängenden
Fruchtkapseln. Sie diente bei den Alten zum Vertreiben der Würmer und
zum Wegätzen der Warzen; jetzt wird sie zur Herstellung der Bezetten
oder Schminkläppchen benutzt. Es sind dies Leinwandläppchen, die in
Südfrankreich mit dem Safte der Blüten und Früchte des Färberkrotons,
jetzt aber meist mit dem Extrakte des Pernambukholzes so stark
getränkt werden, daß sie leicht Farbstoff abgeben. Man verwendet die
Bezetten zum Schminken, zum Färben von Backwerken, Likören, Gelees
und namentlich in Holland zum Färben der 2-10 kg schweren runden
Süßmilchkäse, die nach der Stadt Edam benannt werden, aber vorzugsweise
in der Gegend von Hoorn und Alkmaar in Nordholland hergestellt werden.
Der Färberkroton wird hier und da, so namentlich bei Montpellier,
angepflanzt.

Weniger wichtig ist der rote Farbstoff der +syrischen Raute+ (~Peganum
harmala~), eines ausdauernden Gewächses mit 30-40 cm langem Stengel
und ziemlich großen, weißen Blüten, das gesellig in den Steppen
Spaniens, Nordafrikas und von Südrußland bis zur Dsungarei und Tibet
wächst. Die Samen dienen in der Türkei als schweißtreibendes, Würmer
vertreibendes und berauschendes Mittel, auch als Gewürz, besonders
aber in Verbindung mit der pulverisierten Krappwurzel zur türkischen
Rotfärberei. Aus ihnen wird das auch sonst vielfach zum Färben benutzte
Harmalin oder Harmalarot gewonnen.

Von anderen roten Farben finden wir in der Alten Welt den unschädlichen
Farbstoff der +Kermesbeeren+ oder +Scharlachkörner+ in Form von
braunroten, erbsengroßen, mit rotem Safte angefüllten Hüllen der
Kermesschildlaus (früher ~Coccus~, jetzt ~Lecanium ilicis~), die sich
an der in Südeuropa wachsenden strauchartigen Kermeseiche (~Quercus
coccifera~) finden. Sie werden von armen Leuten, besonders Hirten und
Kindern, die sich zu diesem Zwecke die Nägel lang wachsen lassen, von
den Zweigen abgekratzt und kommen besonders von Nauplia in Griechenland
aus in den Handel, um speziell nach Marokko, Tunis und Alexandrien
verschifft zu werden, wo dieselben in hohem Preise stehen, weil die
Muhammedaner ihre Wolltücher, namentlich aber ihre von uns nach der
Stadt Fez in Marokko als Fez bezeichneten Kopfbedeckungen rot färben.
Bei uns dienten sie früher an Stelle der teueren Cochenille in der
Färberei, namentlich zur Herstellung eines schlechten Karmins, des
Kermesbeeren- oder Karminlacks, und in der Apotheke zur Bereitung
des Kermes-Sirups und des Alkermes-Konfekts, Präparaten, mit denen
die arabischen Ärzte im Mittelalter das Abendland bekannt machten.
~Al~ ist der arabische Artikel und ~kermes~ oder ~kermas~ heißt
arabisch-persisch wurmerzeugt (von ~kirm~, Wurm). Von diesem Kermes
rührt das arabisch-persische ~kirmasi~ für Karminrot her, ein
Ausdruck, der als Karmoisin (später in Karmin abgekürzt) ins Deutsche
überging. Der Karmoisinlack wurde besonders in Persien zur Herstellung
der berühmten roten Lackwaren benutzt und kam ebenfalls durch die
Vermittlung der Araber zur Kenntnis der Völker des Abendlandes.
Diese Kermesbeeren wurden schon bei den alten Griechen zum Färben
verwendet und hießen bei ihnen ~kókkos~. So schreibt Dioskurides:
„Die Kermeseiche (~kókkos baphiké~) ist ein kleiner, ästiger Strauch,
an welchem Körner (~kókkos~) wie Linsen (~phakós~) hängen, welche
gesammelt und aufbewahrt werden. Die besten kommen aus Galatien und
Armenien, geringere aus Asien (dem nordwestlichen Kleinasien, das bei
den Römern die Provinz Asia bildete) und Kilikien, die geringsten aus
Spanien. Außer zum Färben gebraucht man sie in der Heilkunde, mit Essig
verrieben, äußerlich als zusammenziehendes Mittel.“ Wie wir von Vitruv
im letzten Jahrhundert v. Chr. erfahren, hieß das Kermesbeerenrot bei
den Römern ~hysginum~ und wurde viel zum Färben und Schminken, auch
zum Rotmalen von Wänden und Wandgemälden benutzt. Noch heute sind in
Griechenland ausgedehnte Landstrecken, namentlich Bergabhänge und für
anderweitige Kultur unbrauchbare Berge dicht mit dem Gestrüpp der
Kermeseichen besetzt, die zur Kermesgewinnung ausgebeutet werden.

Ein Surrogat dieser echten Kermesbeeren der Kermeseiche bilden die
schwarzen Beeren der aus Nordamerika bei uns eingeführten und in
Südeuropa verwilderten +gemeinen Kermesbeere+ (~Phytolacca decandra~),
eines ausdauernden Krautes mit länglicheiförmigen, ganzrandigen
Blättern. Mit dem roten Safte der Beeren färbt man in Frankreich und
Portugal die Weine und in ganz Europa die Zuckerwaren, besonders Sirup
rot; doch ist dieser Farbstoff weit weniger haltbar als derjenige der
echten Kermesbeeren der Kermeseiche. Von Bordeaux verbreitete sich der
Anbau dieser Pflanze seit 1770 nach Süddeutschland und Norditalien. Die
jungen Blätter und Schößlinge werden gekocht als Gemüse gegessen. Ihr
naher Verwandter, der +Kermesbeerenspinat+ (~Phytolacca esculenta~)
wird in seiner Heimat Südamerika wegen seines würzigen Wohlgeschmacks
als Spinatpflanze kultiviert, verträgt aber unser Klima schlecht, so
daß er kaum je bei uns eingebürgert werden dürfte.

Weitere, noch wertvollere rote Farbstoffe hat uns die Neue Welt in
der +Cochenille+ und dem Brasilholz geschenkt. Erstere besteht aus
den getrockneten Weibchen der in ganz Mittelamerika heimischen, aber
vorzugsweise in Mexiko auf Opuntien (Nopalkaktussen) gezüchteten
Cochenilleschildlaus (~Coccus cacti~), die den modernen Karmin --
früher nach den Kermesschildlauskörnern der Mittelmeerländer aus dem
arabischen ~kirmasi~ Karmoisin genannt -- liefern. Was die Kermeskörner
der Kermeseiche den Kulturvölkern der Alten Welt, das war denjenigen
der Neuen Welt, zumal den Azteken in Mexiko, die Cochenille, die ihnen
vorzugsweise zum Rotfärben diente. Als die Spanier diesen prächtigen
Farbstoff kennen lernten, waren sie so sehr von ihm entzückt, daß sie
ihn sofort in ihrer Heimat einführten. Um diesen Farbstoff selbst
zu produzieren, wurde die Cochenillekultur mit dem Nopalkaktus im
18. Jahrhundert von Mexiko aus nach Südspanien und 1853, als die
Weinkultur durch die Traubenkrankheit fast ganz ruiniert war, auch
nach den Kanarischen Inseln, besonders Teneriffa, verpflanzt, wo sie
bald zum Haupterzeugnis des Landes wurde. Von 1853 bis 57 wurden von
Teneriffa über 2 Millionen kg und 1857 allein ¾ Millionen kg
exportiert. Noch früher wurde diese Schildlaus mit ihrer Nährpflanze
nach Java verbracht, von wo 1853 über 45000 kg Cochenille gewonnen
wurden. Erst seitdem die auf künstlichem Wege aus Teerabkömmlingen
hergestellten echteren und intensiver färbenden Anilinfarben, besonders
das Fuchsin, in der Färberei aufkamen, wurde die Cochenillezucht völlig
zurückgedrängt.

Ein anderer amerikanischer roter Farbstoff ist das +Pernambuk+-
oder +echte Brasilholz+, das von einem baumartigen Hülsenfrüchtler
(~Caesalpinia echinata~) mit kurzstacheligen Ästen, unpaarig
gefiederten Blättern, kurzgestielten, gelb und rot gefleckten,
wohlriechenden Blüten in fast rispiger Traube und dornigen Hülsen
stammt. Seine indianische Bezeichnung brasil soll dem Lande Brasilien
den Namen gegeben haben. Letzteres wird nämlich erst seit 1580 so
genannt, während man das Brasilholz unter diesem Namen schon seit
1494 kannte. Früher hieß es auch „Königinholz“, weil seine Verwertung
jahrhundertelang ein Monopol der portugiesischen Krone war. Der in ihm
enthaltene Farbstoff, der sich auch im Limaholz aus Peru und Chile, im
St. Martholz aus Zentralamerika und im Jamaikaholz von den Antillen
findet, heißt Brasilin. Das echte Brasilholz kommt in armdicken, außen
rotbraunen bis schwärzlichen, innen gelbroten Knüppeln meist über
Pernambuco -- daher der Name -- in den Handel. Außer als Farbholz wird
es auch in der Kunsttischlerei und Drechslerei benutzt.

Ein anderer schöner roter Farbstoff südamerikanischen Ursprungs ist
das +Chicarot+ oder +Caracuru+, das aus den Blättern der an den Ufern
des Orinoko, Cassiquiare und anderer Flüsse Südamerikas wachsenden
~Bignonia chica~ gewonnen wird. Es ist dies ein Strauch mit doppelt
gefiederten Blättern, die beim Trocknen rot werden, und violetten,
hängenden Blüten. Werden die Blätter abgekocht, so scheidet sich in der
erkalteten Lösung der zinnoberrote, beim Reiben goldgrün metallisch
glänzende Farbstoff ab, der unlöslich in Wasser, schwer löslich in
Alkohol, aber leicht löslich in Ölen und Alkalien ist. Er wird von den
Indianern, die an den obengenannten Flüssen hausen, zum Bemalen der
Haut, in Nordamerika aber zum Gelb- und Rotfärben von Wolle und Seide
benutzt.

Nahe verwandt mit dem Brasilholzbaum ist der +Campeche-+ oder
+Blauholzbaum+ (~Haematoxylon campechianum~), ein 10-12 m hoher Baum
mit meist krummem Stamm, runzeliger, schwarzbrauner Rinde, vielfach
hin- und hergebogenen Ästen, paarig gefiederten Blättern, kleinen
hochgelben Blüten in einzelnen Trauben und lanzettlichen, meist
einsamigen Hülsen. Er ist ursprünglich in Mexiko und Mittelamerika
heimisch, von wo das Holz von meist wildwachsenden Bäumen vorzüglich
aus der Campechebai -- daher der Name -- und Honduras in den Handel
gelangt. Bald nach der Entdeckung Amerikas gelangte sein von den
mittelamerikanischen Kulturvölkern zum Färben benutztes Holz aus den
mexikanischen Häfen durch die Spanier nach Europa. Im Jahre 1570, zur
Zeit der Königin Elisabeth, wurde es in England eingeführt; da man
aber nicht echt damit zu färben verstand, verbot ein Parlamentsbeschluß
vom Jahre 1581 streng seine Einfuhr und Verwendung. Dieses Verbot der
Verwendung des als ~logwood~, d. h. Stammholz, bezeichneten Blauholzes
zum Färben wurde über ein Jahrhundert hindurch aufrechterhalten,
obgleich es vielfach dadurch umgangen wurde, daß man es unter dem neuen
Namen ~blackwood~, d. h. Schwarzholz, einschmuggelte. Von Mittelamerika
kam der es liefernde Baum im Jahre 1715 durch Barham nach Westindien,
dann auch nach dem nördlichen Südamerika. Neuerdings wird er auch in
den niederländischen Kolonien in Westindien gepflanzt. Das auswendig
blauschwarze, innen rotbraune, schwere, harte Holz nimmt eine gute
Politur an und dient daher außer zum Färben in der Kunsttischlerei
zur Herstellung wertvoller Möbel. Es enthält einen blauen Farbstoff,
das Hämatoxylin, das sich in Alkalien mit violetter Farbe löst, auch
zum Schwarzfärben und in der mikroskopischen Technik als vorzügliches
Kernfärbungsmittel verwendet wird.

In der Alten Welt ist das älteste Blaufärbemittel der +Waid+ (~Isatis
tinctoria~), ein zweijähriger, 0,5-1 m hoch werdender Kreuzblütler
mit gelben, in Trauben geordneten Blüten, der im mittleren und
südlichen Europa sowie im Orient auf sonnigen Plätzen wild wächst. Die
Blätter geben Indigblau und waren schon den Alten als Färbematerial
bekannt, weshalb die sie liefernde Pflanze teilweise auch angebaut
wurde. Der Waid bevorzugt lehmhaltigen Boden, auf dem er meist nur
eine Höhe von 40-60 cm erlangt. Die Blätter wurden, so lange man bei
uns den Waid anpflanzte, zwei- bis dreimal im Jahre abgebrochen und in
den Waidmühlen zerstampft. Der so entstehende Brei wurde, meist von
Kindern, zu kleinen Kugeln geformt und getrocknet. Später wurden die
Ballen in Bottiche getan und mit Wasser übergossen, wodurch sie bald
in Gärung gerieten und eine Temperatur von 15-20° C. zeigten. Von
den Bottichen zog man die Flüssigkeit ab und setzte ihr Kalkwasser
zu, worauf der nunmehr gelbe Farbstoff sich zu Boden setzte. Durch
Hinzufügen von Salzsäure erhielt er erst die blaue Farbe, die dann
unter starker Hitze getrocknet und in den Handel gebracht wurde.
Ursprünglich ließ man aber das in der Lösung befindliche Indoxyl durch
längeres Stehenlassen sich unter Freiwerden von Indigo zersetzen.
Deshalb stampfte man die nicht nur zerquetschte, sondern völlig
zerfallene Waidmasse in Fässer ein, in denen sie durch Fermentwirkung
nach und nach immer reicher an Indigo wurde.

Schon die alten Kelten, Germanen und Slawen bedienten sich des Waides
zum Blaufärben. Von den Kelten Britanniens berichtet uns Julius Cäsar
in seiner Beschreibung von der Expedition nach England in seinem Werke
über die Unterwerfung Galliens unter die römische Oberhoheit, sie
seien ihm mit Waid (~vitrum~) blau gefärbt entgegengetreten und sähen
dadurch in der Schlacht überaus wild aus. Auch die Griechen und Römer
bedienten sich des Waides, den erstere ~isátis~ nannten. So spricht
Dioskurides von dem Waid (~isátis~), „dessen sich die Färber bedienen“,
er werde mehr als ellenhoch und seine Blätter würden auf Geschwülste,
Geschwüre und Wunden gelegt. Die Römer nannten ihn, wie uns Plinius
berichtet, nach seiner Bezeichnung im Gallischen ~glastum~. Nach der
uns erhaltenen Verordnung Karls des Großen über die Verwaltung der
kaiserlichen Domänen aus dem Jahre 812 mußte er, wie der Krapp, als
Abgabe bestimmter Dörfer in die königlichen Weiberhäuser zu Händen der
dort mit Spinnen, Weben und Färben der für den königlichen Hofhalt
bestimmten Gewänder beschäftigten Frauen geliefert werden. Der
geringste Teil desselben wird von wildwachsenden Pflanzen gesammelt
worden sein; da er bereits angebaut wurde, wird das meiste von
kultivierten Waidpflanzen abgestammt haben. Diese hieß damals bei den
Franken ~wisdila~, ~ewaisda~ oder ~waisdo~. Im Mittelalter wurde er
allgemein in Mitteleuropa angebaut und bildete hier das wichtigste
Blaufärbemittel. Die ersten Nachrichten über den Anbau des Waides in
Schwaben stammen aus dem Jahre 1276. Noch früher aber scheint er in
Sachsen gepflanzt worden zu sein; denn die Stadt Erfurt war schon im
Jahre 1290 wegen ihres Waidbaues berühmt. Die Erfurter Waidhändler
bildeten die Aristokratie der Stadt und waren so reich, daß sie im
Jahre 1392 die Mittel zur Gründung und später auch für Erhaltung der
einst weithin berühmten, erst 1816 eingegangenen Universität Erfurt
aufbringen konnten, die also gewissermaßen aus den Erträgnissen der
Waidkultur und des Waidhandels errichtet und unterhalten wurde. Daraus
kann man schon ersehen, wie außerordentlich wichtig die Erzeugung und
der Handel mit diesem Farbstoffe im Mittelalter war. Später erwarben
neben Erfurt auch noch Gotha, Arnstadt, Langensalza und Tennstedt das
Recht Waid zu bauen, und zu Anfang des 17. Jahrhunderts beschäftigten
sich damit außer den Einwohnern dieser Städte noch diejenigen von
mehr als 300 thüringischen Dörfern. Erst in der Neuzeit hat die
große Wohlfeilheit des aus Indien eingeführten Indigos den Waid
trotz aller zu seinem Schutze unternommener amtlicher Verfügungen
so ziemlich außer Anwendung gebracht. Umsonst versuchte ihn auch der
edeldenkende und um seine Untertanen besorgte Kaiser Josef II. im
Deutschen Reiche wieder in Aufnahme zu bringen. Nur vorübergehend,
während der verhängnisvollen Kontinentalsperre, legte man sich in
Mitteleuropa wieder eifriger auf seinen Anbau, da damals auch der von
den Engländern aus Indien gebrachte Indigo gesperrt war. Napoleon I.
setzte sogar einen Preis von einer halben Million Franken auf die
lukrative Gewinnung von Indigo aus Waid; doch hat ihn bis auf den
heutigen Tag noch niemand gewonnen, denn auch bei der rationellsten
Verarbeitung liefert 1 Zentner Waid kaum 130 g Indigo, während
die gleich zu besprechende Indigopflanze 30mal mehr davon liefert.
Immerhin wird der Anbau von Waid, der am besten auf trockenem Lehmboden
gedeiht, gegenwärtig noch in beschränktem Maße in Thüringen, Böhmen,
und Frankreich betrieben. Seine Samen liefern gepreßt ein dem Leinöl an
Wert gleichkommendes fettes Öl.

Denselben blauen Farbstoff, wie ihn der Waid liefert, gewinnt man,
wie gesagt, in weit ausgiebigerer Weise aus den +Indigo+arten,
von denen die ostindische ~Indigofera tinctoria~ die wichtigste
ist. Es ist dies eine bis 1,5 m hohe Staude aus der Familie der
Schmetterlingsblütler mit zerstreut stehenden, gefiederten Blättern,
kurzen Trauben, sehr kleinen, dunkelrosenroten und weißen Blüten und
stielrunden, herabgebogenen Hülsenfrüchten. Ihr größtes Anbaugebiet
ist Bengalen, neben dem die andern wenig bedeuten. Vor allem verlangt
sie ein feuchtes, heißes Klima. In gut gedüngtem und gepflügtem Boden
wird der Same in Reihen von 30-50 cm Abstand gesät und mit Erde
leicht bedeckt. Nach drei Monaten werden die Pflanzen kurz vor dem
Beginn der Blüte etwa 12 cm über dem Boden geschnitten und nach der
Faktorei gebracht, wo heute noch wesentlich nach derselben Methode wie
einst im Altertum der Farbstoff aus ihnen gewonnen wird. Beim Binden
und Einfahren der Ernte, deren man in guten Lagen drei, manchmal sogar
vier im Jahre erhält, ist darauf zu achten, daß die Pflanzen nicht
zu sehr gepreßt werden. In Stücke zerschnitten werden sie in großen
gemauerten Kufen mit Wasser übergossen; darin bleiben sie liegen,
bis der Saft in kurzer Zeit in Gärung gerät und eine grünlichgelbe
Farbe annimmt. In dieser als ~nila~ bezeichneten Lösung bildet sich
alsbald eine Schaumschicht und ammoniakalischer Geruch macht sich
geltend. Dabei beginnt sich der Prozeß zu vollziehen, der das in der
Pflanze enthaltene farblose Glykosid Indikan in Zucker und Indigweiß
spaltet und durch Oxydation des letzteren das Indigblau, eben den
Farbstoff Indigo, entstehen läßt. Die in Ammoniak gelöste, Indigweiß
enthaltende Flüssigkeit wird nun in andere Behälter abgezogen, worin
sie durch anhaltendes Schlagen und Rühren mit Schaufeln in innigste
Berührung mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft gebracht wird.
Dabei färbt sich der gelblichgrüne Saft blau, indem das Indigweiß
durch Sauerstoffaufnahme zu Indigblau oxydiert wird. Letzteres ist
unlöslich, scheidet sich aus und setzt sich bei ruhigem Stehen
als schlammiger Niederschlag ab. Nach dem Ablaufenlassen der klar
gewordenen Flüssigkeit wird der Niederschlag an der Sonne getrocknet
und im halbtrockenen Zustande in backsteinartige Formen gepreßt; diese
werden völlig getrocknet und sind dann versandfertig. 250 kg rohe
Indigopflanzen ergeben 1 kg festen Farbstoff. Die Gesamtproduktion
daran betrug im Jahre 1903 3,4 Millionen kg, davon fielen 2,7
Millionen kg auf Indien, 0,5 Millionen kg auf Holländisch-Indien
und 0,2 Millionen kg auf Mittelamerika. Der Durchschnittswert per
kg beträgt 10 Mark, während er noch vor zwei Jahrzehnten das Doppelte
davon und mehr betrug. Der Preis ist so stark gesunken infolge der vom
deutschen Chemiker A. von Baeyer erfundenen künstlichen Herstellung des
Farbstoffs, so daß sich die Indigokultur nur noch sehr schlecht lohnt
und selbst in Bengalen mehr und mehr zurückgeht.

Der Indigo ist einer der wichtigsten Farbstoffe, der auf Wolle,
Leinen, Baumwolle und Seide das echteste Blau gibt und infolgedessen
schon im hohen Altertum als Deckfarbe zum Malen und zum Färben der
verschiedensten Stoffe benutzt wurde. Zuerst wurde er in seiner
Heimat Indien gewonnen und von da auf dem Handelswege in die westlich
davon gelegenen Länder gebracht. Im Alten Testament wird er einigemal
genannt. Jedenfalls verwandten ihn die Juden so gut wie die Babylonier
und Ägypter, die diesen geschätzten Farbstoff zum Blaufärben schon in
früher Vorzeit durch den Tauschhandel aus Indien bezogen. Von dort
her erhielten ihn auch die Griechen und Römer, die ihm den Namen
~indikón~ beziehungsweise ~indicum~, den indischen (nämlich Farbstoff)
gaben, woraus unsere Bezeichnung Indigo hervorging. Plinius schreibt
in seiner Naturgeschichte darüber: „Als Farbstoff steht das ~indicum~
in hohem Ansehen; es kommt aus Indien und besteht aus einer erdigen
Masse. Wird es gerieben, so ist es schwarz; wird es aber in Wasser
aufgelöst, so gibt es eine prächtige Mischung von Purpur und Blau.
Das echte erkennt man daran, daß es auf brennende Kohlen gestreut
eine herrlich purpurrote Flamme und einen nach Meerwasser riechenden
Rauch gibt. (Tatsächlich entwickelt Indigo bei rascher Erhitzung einen
purpurroten Dampf, verbrennt und hinterläßt nur wenig Asche.) Das
Pfund ~indicum~ kostet 20 Denare (= 12 Mark).“ Dieser Farbstoff wurde
wie die übrigen Produkte Indiens über das Rote Meer und Alexandrien
nach dem Römerreiche gebracht. Als dieses zusammenbrach, verhandelten
die Araber den Völkern des Abendlandes diesen Farbstoff unter der
indischen Benennung ~nila~ oder ~anil~, was blau bedeutet. Davon heißt
er heute noch in Spanien ~anil~ und bezeichnete die Wissenschaft der
Chemie das bei der Destillation des Indigos mit Kali entstehende
Produkt als Anilin. Erst die Araber haben dann im Mittelalter diese
Farbstoffpflanze, die sie auf ihren Handelsfahrten nach Indien in jenem
Lande kennen lernten, in Westasien anzubauen und daraus den Indigo
selbst herzustellen unternommen. So wurde noch im Jahre 1320 Indigo
bei Jericho angepflanzt; doch scheint dieser Anbau als unrentabel bald
aufgegeben worden zu sein. Jedenfalls war es dieser an ein feuchtwarmes
Klima gewöhnten Pflanze hier zu trocken und zu wenig warm.

Lange wußte man im Abendlande nicht, woraus dieser indische Farbstoff
gewonnen werde. So rechnete ihn eine Halberstädter Bergwerksordnung
aus dem Jahre 1705 zu den schürfbaren Mineralien; er hieß deshalb auch
in Verbindung mit seiner Würfelgestalt „indischer Stein“. Und doch
hatte der bis nach China gereiste Venezianer Marco Polo nach seiner
Rückkehr in die Vaterstadt im Jahre 1295 die Gewinnung desselben
nach eigener Anschauung beschrieben. Die Italiener, die ihn von den
Arabern erhalten hatten, waren auch die ersten Abendländer, die ihn
anwandten. Erst nach der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien durch
Vasco da Gama kamen von 1516 an größere Mengen von Indigo nach Europa,
und zwar nahm Portugal diesen Handel an sich, bis sich in der Mitte
des 16. Jahrhunderts die Holländer seiner bemächtigten. Im Jahre 1631
brachten sieben holländische Schiffe 290173 kg Indigo im Werte
von über fünf Tonnen Gold aus Batavia nach Amsterdam. Erst ungefähr
ums Jahr 1600 begann man in Deutschland den Waidküpen etwas Indigo
zuzusetzen, um deren Färbkraft für Blau zu erhöhen und zu beleben.
Dieser kleine Zusatz vergrößerte sich mit der Verbilligung des Indigos
fortwährend, bis schließlich der Waid gänzlich wegfiel. Doch spielte
sich dieser Prozeß keineswegs glatt ab; denn wie bei der Einführung
vieler anderer fremder Stoffe stemmte sich auch hier das Vorurteil und
der Eigennutz der Waidbauern gegen die ausländische „Teufelsfarbe“. So
wurde nämlich der Indigo im ersten ihn streng verbietenden Frankfurter
Reichspolizeierlaß von 1577 betitelt. Das Verbot, ihn zu verwenden,
wurde wiederholt in Erinnerung gebracht, so noch 1654 unter Ferdinand
III. In Sachsen war von 1650-1653 sogar die Todesstrafe auf seine
Verwendung gesetzt, und in Nürnberg mußten die Färber alljährlich
einen feierlichen Eid schwören, kein „Teufelsauge“ -- so hieß dort der
Indigo -- zu benutzen. Zu dieser Verfolgung des Indigos mag zum Teil
die Unkenntnis der Färber beigetragen haben, die ihn in Schwefelsäure
gelöst anwandten und nachher nicht genügend neutralisierten, so daß
manches Stück Zeug infolge davon verdarb. Erst 1740 gab der Deutsche
Barth zu Großenhain in Sachsen ein gutes Verfahren für dessen Anwendung
an, wodurch Mißerfolge ausgeschlossen blieben.

Auch in Frankreich und England war aus Rücksicht für den einheimischen
Waidbau die Einfuhr und Verwendung von Indigo streng verboten, bis
er in letzterem Lande 1661 und in ersterem 1669 unter Colbert wieder
freigegeben wurde. Unbeschränkte Anwendung genoß er aber in Frankreich
erst vom Jahre 1737 an, als den Färbern erlaubt wurde, jedes beliebige
Färbemittel zu verwenden. Seit 1783 wurde der Anbau des Indigos durch
die Engländer in Ostindien in Angriff genommen und bald zu großer
Blüte gebracht, wofür sie in Europa willige Abnehmer fanden, da man
dort diesen vorzüglichen Farbstoff immer mehr schätzen lernte. Noch
vor einem Vierteljahrhundert betrug die für den Anbau des Indigos in
Anspruch genommene Fläche in Bengalen allein 390000 Hektar Landes.
Auch auf der Koromandelküste, auf Ceylon und Java wurde er im großen
angepflanzt, ebenso in Ägypten, wo ihn Mehemed Ali in den 1820er Jahren
einführte. Endlich bemühte sich auch Rußland, ihn in Transkaukasien
heimisch zu machen.

Neuerdings hat aber der Anbau dieses wichtigsten und einträglichsten
Ausfuhrartikels Indiens, das Jahrhunderte hindurch den Weltmarkt
beherrschte und an dem vor allem England sich ungeheuer bereicherte,
zum großen Leidwesen aller Indigopflanzer einen gewaltigen Stoß
erlitten und ist nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber dem +künstlichen
Indigo+, den wir dem Scharfsinne deutscher Chemiker verdanken. Die
erste Indigosynthese gelang 1870 Engler und Emmerling; 1880 vermochte
Baeyer ihn auf verschiedene Art aus Zimtsäure herzustellen und
1890 gab Heumann sein Verfahren an, das in zehnjähriger Arbeit von
der badischen Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen bei Mannheim
zu praktischer Brauchbarkeit ausgebildet wurde, so daß er heute den
Markt vollständig beherrscht und wegen seiner größeren Billigkeit
in Verbindung mit andern guten Eigenschaften, die erlauben, die
mannigfaltigsten neuen Farbenvarietäten, wie rote, gelbe und grüne in
den wunderbarsten Nuancen herzustellen, den natürlichen Indigo immer
mehr verdrängt. So sank seit dessen Aufkommen in den letzten zehn
Jahren die Ausfuhr des natürlichen Indigos im Werte von 75 Millionen
auf ungefähr 10 Millionen Mark. Gleichzeitig stieg die Ausfuhr des
künstlichen Indigos aus Deutschland von 7,5 Millionen Mark im Jahre
1898 auf 38,6 Millionen Mark im Jahre 1908. Damit trat Deutschland
das Erbe Indiens an und heimst statt jenes Landes Reichtum ein.
Der beste Abnehmer für sein vorzügliches Kunstprodukt ist Japan,
das 1908 für 10,7 Millionen Mark davon einführte. Ihm folgen China
mit 7,3 Millionen und die Vereinigten Staaten mit 3,1 Millionen
Mark. Selbst Großbritannien, das alle Anstrengungen machte, seinen
Indigobau zu schützen, führte im Jahre 1908 für 2,7 Millionen Mark
deutschen Indigo ein. Die Einfuhr des meist aus Indien bezogenen
natürlichen Indigos, von dem Deutschland noch 1895 für 21 Millionen
Mark bezog, sank schon 1903 auf 1,8 und 1908 gar auf 0,9 Millionen.
So hat deutsche Intelligenz und Tatkraft statt einer Ausgabe von 20
Millionen eine Einnahme von 40 Millionen Mark jährlich bewirkt. Diese
Tatsache kennzeichnet die überaus große wirtschaftliche Bedeutung
des künstlichen Indigos für den deutschen Handel und die deutsche
Volkswirtschaft.

Auch die alten Azteken in Mexiko, die Inkas in Peru und die übrigen zu
höherer Kultur gelangten Indianerstämme Amerikas verwandten bereits
vor der Ankunft der Europäer eine Art Indigo zum Blaufärben. Doch
wurden nach der Entdeckung dieses Weltteils frühzeitig ostindische
Indigopflanzen nach Amerika eingeführt, und zwar zunächst nach den
Antillen, von wo der englische Gouverneur Lukas 1699 Samen an seine
Tochter in Carolina sandte, die eine Pflanzenliebhaberin war und der
es nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen gelang, das Gewächs zur
Blüte und zur Reife zu bringen. Ihr Vater sandte später einen gelernten
Indigoarbeiter, der die Gewinnung des Farbstoffs unternahm und dabei
so gute Geschäfte machte, daß bald jedermann Indigo bauen wollte.
In wenigen Jahren wurden nicht weniger als 100000 kg nach England
gesandt, und vor dem Kriege im Jahre 1775, der am 4. Juli 1776 zur
Loslösung der 13 nordamerikanischen Kolonien vom Mutterlande führte,
betrug die Ausfuhr 550000 kg. Jetzt ist, wie gesagt, der Indigobau
auf der ganzen Erde bedeutend zurückgegangen, seitdem die Badische
Anilinfabrik in Ludwigshafen bei Mannheim zuerst den europäischen
Markt mit künstlichem Indigo zu versehen begann. Denselben Farbstoff
gewinnt man seit undenklicher Zeit in China aus dem dort heimischen
+Färberknöterich+ (~Polygonum tinctorium~), einer dem Buchweizen
verwandten einjährigen Pflanze, die 1835 in Frankreich und 1838 in
Deutschland eingeführt wurde. Obschon zahlreiche Versuche zur möglichst
rationellen Gewinnung des Farbstoffs damit gemacht wurden, vermochte er
dem echten Indigo keinerlei Konkurrenz zu machen, da 1000 kg seiner
grünen Blätter nur etwa 7,5 kg Indigo geben.

Dem Indigo sehr nahe verwandt ist der von den im Mittelmeer lebenden
kleinen Purpurschnecken der Gattungen Murex und Purpura gewonnene
+Purpurfarbstoff+, der in chemisch reiner Form dem Indigo äußerlich
zum Verwechseln ähnliche, kupferglänzende, violette Kristalle bildet.
Kürzlich hat Professor Friedländer in Wien 1,5 g davon aus dem
farblosen, am Sonnenlicht erst dunkelviolett werdenden Saft einer
bestimmten Drüse von 12000 Purpurschnecken gewonnen. Die chemische
Analyse ergab, daß er seiner Zusammensetzung nach Dibromindigo ist,
d. h. Indigo, in welchem zwei Wasserstoffatome durch zwei Bromatome
ersetzt sind. Nun vermöchte man auch diesen im Altertum so überaus
geschätzten, weil außerordentlich teuern Farbstoff synthetisch
darzustellen und so billig im großen zu verwenden. Doch gibt dieser
Purpur auf der Gewebefaser ein ziemlich unreines, rotstichiges
Violett, das an Schönheit mit unsern modernen Farbstoffen keineswegs
in Wettbewerb treten kann und auch in bezug auf die Echtheit seiner
Färbungen den echten Teerfarben durchaus nicht überlegen ist. Wenn wir
nun bedenken, wie im ganzen Altertum nur die Könige und Vornehmsten
sich solche trotz allen Rühmens übrigens recht unscheinbar dunkle,
fast schwarze, beim seitlichen Darüberblicken einen rotvioletten
Schimmer aufweisende Purpurgewänder leisten konnten -- kostete doch zu
Diokletians Zeit im Jahre 301 das Pfund der besten Purpurwolle noch 950
Mark unseres Geldes -- so geht daraus mit aller Deutlichkeit hervor,
wie überaus gering die Ansprüche der Alten an die Leistungen ihrer
Färber gewesen sein müssen und wie sehr wir moderne Menschen durch die
Erfolge der heute so hoch entwickelten Farbenchemie verwöhnt sind.

Von den zum Gelbfärben Verwendung findenden Pflanzen sind als für
Europa älteste der +Wau+ oder das +Gilbkraut+ (~Reseda luteola~), das
schon die neolithischen Pfahlbauern benutzten und später die Römer
unter der Bezeichnung ~luteum~, d. h. das Gelbe, zur Farbstoffgewinnung
anpflanzten, dann der +Färberginster+ (~Genista tinctoria~) und
die +Färberscharte+ (~Serratula tinctoria~) zu nennen, die in
großen Teilen Europas wild wachsen, aber auch in vielen Gegenden
Deutschlands, Englands und Frankreichs kultiviert wurden, bis sie
durch die Einführung der +Quercitronrinde+ und des +Gelbholzes+ aus
Amerika verdrängt wurden. Erstere ist die Rinde der in mehreren
Varietäten auftretenden und in den mittleren Vereinigten Staaten große
Waldungen bildenden +Färbereiche+ (~Quercus tinctoria~), die, von der
Oberhaut befreit und zu Pulver zermahlen, als Quercitron in den Handel
gelangt und einen der schönsten gelben Farbstoffe liefert, der in
allen Zweigen der Färberei Verwendung findet. Seit 1818 hat man den
Baum in Frankreich und bald hernach auch in Bayern angepflanzt. Das
Färbevermögen seiner Rinde entdeckte Bancroft im Jahre 1784, und zwei
Jahre darauf erhielt er auf eine Eingabe hin vom englischen Parlament
ein Monopol für Einfuhr und Gebrauch dieses neuen Färbemittels auf
eine Reihe von Jahren. Der Farbstoff des Quercitrons, das Quercitrin,
findet sich auch im +ungarischen Gelbholz+ oder +Fiset+, der vom
+Färbersumach+ oder +Perückenbaum+ (~Rhus cotinus~) herrührt, und
den +chinesischen Gelbkörnern+, den unentwickelten Blütenknospen
der ~Sophora japonica~, die beide noch heute in der Färberei
Verwendung finden. Das amerikanische Gelbholz dagegen stammt von dem
auf den Antillen und in Brasilien heimischen +Färbermaulbeerbaum+
(~Maclura tinctoria~), deren färbender Bestandteil, das Morin, in der
Wollfärberei zu Grün und Braun, in der Baumwoll- und Seidenfärberei
aber zu Gelb und Grün benutzt wird.

Eine sehr geschätzte gelbe oder rote Farbe liefert das +Gummigutt+,
der eingetrocknete Milchsaft mehrerer hoher Bäume aus der Familie
der Guttiferen, die in den feuchten Wäldern Südasiens wachsen. In
Kambodscha, Siam und dem südlichen Cochinchina ist es die bis 15 m
hohe ~Garcinia hanburyi~ und in Südindien und auf Ceylon die bis
18 m hohe ~Garcinia morella~, die beide 10-12 cm lange, kurzgestielte,
elliptische Blätter, kleine Blüten und kirschengroße Beeren tragen.
Sind die Bäume 20-30 Jahre alt geworden, so macht man vor Eintritt
der Regenzeit, d. h. von Februar bis April, spiralig verlaufende
Einschnitte in den Stamm, durch welche die Ölgänge der Rinde
angeschnitten werden. Der dabei austretende gelbe Milchsaft wird in
unterhalb aufgestellten Bambusröhren aufgefangen, von denen ein Baum
im Laufe von 3-4 Wochen bis 3 Bambusröhren von 50 cm Länge und 6-7 cm
Dicke voll Saft liefert. Das bald eingedickte Harz wird schließlich
in den Röhren durch Erwärmen am Feuer erhärtet, so daß man es in
Stangenform aus den Hohlzylindern herausschieben oder die Hülle von
ihm ablösen kann. Die erstgenannte Art liefert mehr Gummigutt als die
zweite. Es ist eine außen grüngelbe, innen aber rotgelbe, sehr dichte
Masse, die zerstoßen ein gesättigt gelbes Pulver bildet. Mit zwei
Teilen Wasser verrieben, liefert es eine gelbe Emulsion, in ätzenden
Alkalien dagegen löst es sich mit roter Farbe. Es schmeckt brennend
scharf und übt eine äußerst heftige, abführende Wirkung aus, weshalb
es arzneilich verwendet wird, so in den berüchtigten Morrisonpillen,
die schon bedenkliche, hauptsächlich auf den Gehalt an Gummigutt
zurückzuführende Vergiftungen herbeigeführt haben und deshalb als
gefährlich gemieden werden sollten. Als solche medizinische Droge kam
dieser eingetrocknete südasiatische Milchsaft überhaupt im Jahre 1603
zuerst nach Europa, und wurde 1605 in Frankfurt am Main für einen
Gulden (im Werte von gegen zwei Mark) das Quentchen, d. h. 1,66 g
verkauft; da es aber an Giftigkeit und stark reizender Wirkung dem
Krotonöle verglichen werden kann, so wird es als Abführmittel kaum
mehr verwendet. Dagegen wird es als Wasserfarbe zum Gelbmalen und
zum Färben von Weingeistfirnissen viel gebraucht. Die Hauptmenge des
Gummigutt wird in Kambodscha gewonnen und gelangt über Bangkok, Saigon
und Singapur in den Handel. Letztere Stadt allein führt jährlich etwa
30000 kg im Werte von 150000 Mark aus. Von Kambodscha aus scheint auch
seine Verwendung ausgegangen zu sein. Ein Chinese, der dieses Land von
1295-1297 bereiste, erwähnt diese von ihm ~kiang-hwang~ genannte Droge
als Produkt desselben.

Von weiteren Pflanzen zum Gelbfärben, denen aber geringere Bedeutung
als den vorgenannten zukommt, ist die +Curcuma+ oder +Gelbwurz+
(~Curcuma longa~) zu nennen, eine sonst meist als Gewürz gebrauchte
indische Verwandte des Ingwers, deren Farbstoff Curcumin bei uns
vornehmlich zum Gelbfärben von Zuckerwerk, Likören und Spielwaren,
aber nur selten in der Zeugfärberei Verwendung findet, da es sich auf
die Dauer nicht hält. Mit Alkalien gibt es braunrote Salze, weshalb
mit einer wässerigen Lösung desselben getränkte Papierstreifen zum
Nachweisen derselben dienen. In den +Gelbbeeren+, den Früchten
mehrerer Wegdornarten Südeuropas (hauptsächlich von ~Rhamnus
infectoria~ und ~Rh. amygdalina~), findet sich der Farbstoff Rhamnin,
der heute noch in der Färberei ziemlich ausgedehnte Verwendung findet.
Die +chinesischen Gelbschoten+ aber, die als ~wong-schi~ bezeichneten
Früchte einiger Gardeniaarten, vorzugsweise von ~Gardenia grandiflora~,
werden in ihrem Heimatlande Ostasien, wie in China, so auch in Japan,
zum Gelbfärben von Zeug, besonders Seide, benutzt, sind aber für den
europäischen Handel belanglos. Ihr gelber Farbstoff ist mit demjenigen
des Safrans, dem Crocin, identisch.

Für die alten Kulturvölker des Orients und der Gegenden am Mittelmeer
war einst der +Safran+ (~Crocus sativus~) der geschätzteste
Farbstoff zum Gelbfärben von Gewändern, Schleiern und Schuhen. Die
griechische Bezeichnung ~krókos~ für Safran rührt vom semitischen
~karkôm~ für Gelb her, das seinerseits mit dem indischen ~kurkum~ --
beispielsweise auch in der von uns gebrauchten Bezeichnung Curcuma
für die indische Gelbwurz enthalten -- zusammenhängt. Nach den
Berichten der griechischen und römischen Schriftsteller waren gelbe
Krokus- wie Purpurgewänder die Lust der Orientalen und Kleinasiaten.
Mit solchen schmückten sich nach dem römischen Dichter Vergil die
Phryger; nebst safrangelben Schuhen und der Tiara gehörten sie zur
kennzeichnenden Tracht der Perserkönige. Den Abglanz der geheiligten
gelben Safranfarbe zeigen noch die ältesten, vom Orient beeinflußten
mythischen Vorstellungen der Griechen, wonach die aus dem Morgenlande
zu ihnen gekommenen Götter, wie Dionysos-Bacchus, und Göttinnen wie die
orientalischen Könige und Königinnen das gelbe Safrankleid trugen. Der
in Argos ansässige griechische Dichter Pindar (522-442 v. Chr.) läßt
auch den Argonauten Jason mit einem safranfarbigen Gewande bekleidet
sein, das er abwarf, als er sich anschickte, in Kolchis mit den
feuerspeienden Stieren zu pflügen. Krokosfarbene Gewänder trugen dessen
Gattin Medeia, Iphigeneia bei ihrer Opferung in Aulis nach Äschylos,
die Königstochter Antigone in den Phönikierinnen des Euripides, die an
den Fels geschmiedete Andromeda bei Aristophanes. Nach Vergils Äneis
hatte Agamemnons Gattin Helena von ihrer Mutter Leda eine goldgestickte
~palla~, d. h. Frauenüberwurf und einen mit Krokos umsäumten Schleier
zum Geschenk erhalten und mit nach Mykenä gebracht.

Die Bekanntschaft mit der Safranfarbe geht bei den Griechen bis in die
Zeit der Ausbildung des Heroenmythus zurück. Sie lernten sie von den
Vorderasiaten kennen, die ihrerseits -- nach der vorhin mitgeteilten
Geschichte der Verbreitung des Wortes für Gelb identisch mit Safran
-- die Verwendung dieses Farbstoffs vermutlich von den Indern kennen
lernten. Von den Griechen lernten die Römer und Byzantiner und nach
ihnen die Araber den intensiv gelbfärbenden Farbstoff des Safrans zum
Färben verwenden. Heute ist er als Farbstoff zu teuer, eignet sich aber
als völlig unschädlich zum Färben von Zuckerwerk, Kuchen und Likören.
Reiche Araberinnen färben sich damit die Augenlider, Fingerspitzen und
Zehen.

Das dem indischen ~kurkum~ entstammende orientalische ~karkôm~ für
Gelb und zugleich den Spender der gelben Farbe, den Safran, hat auch
der +Färberdistel+ den lateinischen Namen ~Carthamus~ -- ~tinctorius~
-- verliehen. Dieses auch als +Saflor+ bezeichnete einjährige, 1-1,3 m
hohe, kahle Kraut aus der Familie der Kompositen besitzt länglich
eiförmige, stachelig gezahnte Blätter und von grünen Hüllblättern
umgebene zuerst gelbe, dann orangerote Blüten. Seine Heimat ist wohl
das vorderasiatische Steppengebiet; doch läßt sich dies nicht mehr
bestimmen, da die Pflanze nirgends mehr wild gefunden wird. Jedenfalls
ist sie eine der ältesten Kulturpflanzen, die dem Menschen zum Rot-
und Gelbfärben diente. Schon die Kleider ägyptischer Mumien aus dem
dritten vorchristlichen Jahrtausend sind damit gefärbt, während China
die Pflanze erst im 2. Jahrhundert v. Chr. erhielt. Das spricht
wohl schon für ihre westasiatische Herkunft. Seither hat sie eine
sehr weite Verbreitung gefunden und wird heute, außer in Bengalen,
Persien und Ägypten, in China, Japan, Neusüdwales, Mittelamerika und
Kolumbien, in geringem Umfang auch in Spanien, Frankreich, Italien,
Ungarn und in einigen Gegenden Deutschlands kultiviert. Das wichtigste
Produktionsland ist Indien, und zwar Bengalen, wo die 30-60 cm hohe
Pflanze zur Gewinnung des Farbstoffs im großen angebaut wird. Die aus
dem Blütenkörbchen im Juli und August bei trockenem Wetter gezupften,
in einem Ofen unter leichter Pressung getrockneten und zuletzt in
Kuchen gepreßten Blüten, die als Saflor in den Handel gelangen, liefern
einen leuchtenden gelben und roten Farbstoff, der neben dem Indigo
den wichtigsten Pflanzenfarbstoff darstellt. Ähnlich dem Safrangelb
Crocin ist das in Wasser lösliche Saflorgelb, dem in geringer Menge ein
harzartiger, nur in alkalischer Flüssigkeit löslicher roter Farbstoff,
das Saflorrot oder Carthamin beigemengt ist. Letzteres wird aus dem mit
Soda versetzten wässerigen Auszug durch Fällen mit Essigsäure gewonnen
und ist ein dunkelbraunroter, in Alkohol leicht, in Wasser kaum
und in Äther nicht löslicher Farbstoff, der leider nicht besonders
dauerhaft, aber außerordentlich schön und von solcher Färbekraft ist,
daß eine ganz geringe Menge davon hinreicht, um eine große Fläche
damit zu decken. Man kann damit in verschiedenen Nuancen von Rosa bis
Dunkelrot färben; er gibt auch die feinste rote Schminke, welche als
spanisches Rot bekannt ist und auf flachen Porzellantellerchen oder
auf Blättern ausgebreitet in den Handel kommt. Die Saflorkuchen haben
helle Fleischfarbe und riechen tabakartig. Als beste Sorten gelten der
bengalische und der persische Saflor. Nach ihnen kommt der ägyptische,
der ebenfalls von vorzüglicher Qualität und größtem Reichtum an
Farbstoff ist und deshalb am meisten zu uns gelangt; man kann annehmen,
daß jährlich etwa 1,5 Millionen kg davon in Form von gepreßten
Scheiben in den Handel gelangen. Da der Farbstoff aber nicht sehr
lichtbeständig ist, wird er mehr und mehr von den Teerfarben verdrängt.
Im 17. Jahrhundert baute man im Elsaß und in Thüringen so viel Saflor,
daß eine beträchtliche Ausfuhr besonders nach England stattfand. Im 18.
Jahrhundert kam der Saflorbau durch den billigen und farbstoffreicheren
levantischen Saflor in Verfall, zumal die deutsche Ware durch vielfache
Verfälschungen in Verruf gekommen war. Aus den bitteren Samen gewinnt
man in Indien, Ägypten und Algerien ein fettes Öl, das sich sehr gut
als Brennöl, weniger dagegen als Speiseöl eignet. Nach Herodot gewannen
schon die alten Ägypter Öl aus seinen Samen, die man gewöhnlich als
„Papageienkörner“ bezeichnet. Sie, wie auch die alten Babylonier,
Syrier und Hebräer benutzten den Saflor zum Färben. In Johann Bauhins
berühmtem Garten zu Boll in Württemberg wuchs der Saflor im Jahre
1495 als indische Zierpflanze. Im Laufe des 16. Jahrhunderts begann
sein Anbau in Mitteleuropa, der aber heute infolge des Aufkommens der
billigeren und schöneren Teerfarbstoffe völlig außer Gebrauch gekommen
ist.

Einen gelbroten Farbstoff stellt der +Orlean+ dar, der in Südamerika
und Westindien aus der roten, fleischigen Oberhaut der Samen des
Orleanbaumes (~Bixa orellana~) gewonnen wird. Dieser Farbstoff und
die ihn liefernde Pflanze wird von den Tupiindianern ~urucu~, von den
Aruakindianern dagegen ~bicha~ geheißen, woraus der Name Bixa entstand,
während er von den Brasilianern ~orelhana~ genannt wird, nach seinem
hauptsächlichsten Fundort, dem gleicherweise benannten Maranhonfluß.
Der im tropischen Südamerika heimische, 5-10 m hohe Baum mit großen,
herzförmigen, gezahnten, immergrünen Blättern und endständigen Rispen
von ansehnlichen, lebhaft blau gefärbten Blüten ist schon seit langer
Zeit in allen Tropenländern bis nach Polynesien und Madagaskar hin
verbreitet worden und vielfach verwildert. Seine zum Färben dienenden
Fruchtschalen hat man mehrfach in peruanischen Gräbern gefunden,
und noch heute bemalen die südamerikanischen Indianer mit dem durch
Vermengung des fleischigen, roten Samenüberzuges mit Zitronensaft und
Gummi oder Rizinusöl erhaltenen Farbstoff ihre Leiber als Zierde und
zugleich Schutz gegen die blutsaugenden Moskitos. Blätter, Samen und
Wurzeln werden in Südamerika und Asien als Volksheilmittel verwendet.
Zur Gewinnung des Farbstoffs läßt man die zerriebenen Fruchtschalen
in Wasser gären, gießt die Masse durch Siebe und entfernt das Wasser
vom Niederschlag, den man über Feuer oder im Schatten trocknen läßt.
Er bildet dann einen gleichförmigen, roten, veilchenartig riechenden,
bitter schmeckenden Teig, der, um völliges Austrocknen zu verhindern
und ihm zugleich einen lebhafteren Farbenton zu verleihen, vielfach mit
Harn befeuchtet wird. Wasser entzieht dem Orlean gelbbraunes, auch in
Alkohol, nicht aber in Äther lösliches Orellin, das mit Alaun gebeizte
Stoffe gelb färbt. Im Rückstand bleibt der wichtigere Farbstoff Bixin,
der dunkelrote Kristallblättchen bildet und in Alkohol und Äther leicht
löslich ist und orangerot, in Alkalien und ätherischen Ölen dunkelgelb
färbt. Kocht man Orlean mit Sodalösung und setzt dann Alaun oder ein
Zinnsalz zu, so erhält man einen orangegelben Lack. Der Orlean wird
in Cajenne, Guiana und Brasilien dargestellt und dient außer in der
Kattundruckerei hauptsächlich in der Seidenfärberei, in England -- dann
allerdings ohne Harnzusatz -- auch zum Färben des Chesterkäses und der
Butter.

Um Seide und andere Gewebe echt grün zu färben, verwendet man das
~Lo-kao~ oder +chinesische Grün+, das man durch wässerigen Auszug aus
der Rinde zweier Kreuzdornarten, ~Rhamnus chlorophorus~ und ~Rhamnus
utilis~, gewinnt. Diese beiden werden als ~Hom-bi~ und ~Pa-bi~
im ganzen mittleren und nördlichen China zur Farbstoffgewinnung
kultiviert. Der aus ihnen gewonnene Farbstoff kommt in flachen,
bläulichgrünen Scheibchen in den Handel. Aus den reifen Beeren eines
andern Kreuzdorns (~Rhamnus catharticus~) stellt man das +Saftgrün+
her, das mit Kalk oder Pottasche einen grünen Niederschlag gibt, der
vollkommen ungiftig ist und besonders als Wasserfarbe benutzt wird.

Ein auffallender Farbstoff, der in saurer Lösung schön rot, in
alkalischer dagegen intensiv blau ist, und daher in der Chemie als
sogenannter +Lackmus+ als Reagens oder Nachweisestoff für Säuren
und Alkalien verwendet wird, stammt von verschiedenen Flechten mit
strauchförmigem Thallus, die vorzugsweise an felsigen Meeresküsten
wachsen. Ihre Verwendung zum Färben war schon im Altertume bekannt;
so benutzten sie die Römer unter der allgemeinen Bezeichnung ~fucus~
-- was eigentlich Seetang bedeutet -- zur Darstellung des unechten
Purpurs. Die Kenntnis ihrer technischen Verwendung ging aber in den
Stürmen der Völkerwanderungszeit im Abendlande verloren, erhielt
sich aber im Morgenlande, wo sie ein in Florenz ansässiger Deutscher
namens Federigo (Friedrich) im 13. Jahrhundert kennen lernte. Von
einer Handelsreise in die Levante brachte er Färberflechten mit und
lehrte daraus vermittelst Harn eine schöne rote Farbe darstellen. Damit
begründete er seinen großen eigenen Reichtum als Stammvater des später
mit den Medici rivalisierenden florentinischen Adelsgeschlechtes der
Rucellai, so genannt nach der für sie so bedeutungsvollen Färberflechte
rucella, die heute im Italienischen ~oricello~ heißt, woraus das auch
im Deutschen gebrauchte französische Wort ~orseille~ hervorging. Wie
die Medici, deren Stammvater Arzt gewesen war und von ihm her den
Namen und die drei Kugeln -- eigentlich Pillen -- im Wappen führten,
so hielten es die Rucellai mit der Färberflechte, die sie zu Reichtum
und Ehren gebracht hatte. Dieser von ihrem Ahnherrn eingeführten neuen
Industrie verdankte aber nicht bloß dieses Geschlecht, sondere viele
Städte Italiens, die den gesamten Handel mit Färberflechten aus der
Levante und dem griechischen Archipel an sich gerissen hatten, ihren
Reichtum, bis im Jahre 1402 der Normanne Béthencourt die Kanarischen
Inseln entdeckte und auf ihnen gleichfalls den kostbaren Stoff fand.
Später entdeckte man ihn auch auf den Azoren, auf Sardinien und
Korsika, in den Pyrenäen, der Auvergne usw.

Die +Orseille+ ist in Form von schwachen organischen Säuren in einer
ganzen Reihe von Flechten vorhanden, unter welchen die ~Roccella
tinctoria~ die gesuchteste ist. Sie liefert die levantische und
kanarische Orseille, von der auf den Kanarischen Inseln allein jährlich
etwa 130000 kg gesammelt werden und in den Handel gelangen; doch
wird sie auch an den felsigen Küsten Südamerikas, des Kaps der Guten
Hoffnung, Senegambiens und Ostindiens gesammelt. Im Gegensatz zu dieser
Meerorseille wird die von der ~Variolaria orcina~ und ~V. dealbata~ in
Europa gewonnene Orseille als Landorseille bezeichnet. Eine andere
ebenfalls sehr farbstoffreiche Flechte ist ~Roccella montagnei~, die an
der ostafrikanischen Küste in den Ästuarien auf Mangrovebäumen wächst.
Aus der Flechte ~Lecanora tartarea~, die auf den Inseln nördlich von
Schottland, den Orkneys und Hebriden, heimisch ist, wird der +rote
Indigo+ oder +Persiko+ gewonnen, der im Jahre 1765 zuerst von Cuthbert
dargestellt wurde. Durch Behandlung mit Alkalien -- früher Harn, jetzt
Ammoniak -- wird der violettrote Farbstoff, das Orcein, frei, mit dem
man Wolle und Seide rot oder violett färbt. Da er aber für sich allein
nicht echt genug färbt, so wendet man ihn meist mit anderen Farbstoffen
hauptsächlich zur Herstellung von braunen Nuancen an.

Ein schon im hohen Altertum im Orient gebräuchlicher Farbstoff ist das
+Drachenblut+, ein von den am äußersten westlichen und östlichen Zipfel
Afrikas, auf den Kanaren und der Insel Sokotra bis in die Gegenwart
am Leben gebliebenen Drachenbäumen (~Dracaena draco~ u. a.) aus der
Familie der Lilienblütigen gewonnenes Harz. Es sind dies 16-18 m
hohe Bäume, die wie die Dikotyledonen dauernd in die Dicke wachsen und
zu äußerst auf den gabelig verzweigten Ästen und auf dem Gipfel des
Stammes büschelig gehäufte, über 1 m lange, schwertförmige Blätter
tragen. Sie können ein außerordentlich hohes Alter erreichen und
lassen von selbst oder durch Einschnitte das dunkelrotbraune, spröde,
geruch- und geschmacklose, an der Luft erhärtende Harz ausfließen, das
gepulvert blutrot ist und sich in ätherischen und fetten Ölen wie auch
in Alkalien zu einer roten Farbe auflöst. Es kommt entweder in Form von
in Schilfblättern eingewickelten Kugeln oder in ebenfalls in Blättern
eingewickelten Stangen in den Handel. Das kanarische Drachenblut
machte früher einen bedeutenden Handelsartikel von Madeira aus und
findet sich auch in den Gräbern der Guanchen genannten Ureinwohner
der Kanaren, welche dasselbe wahrscheinlich zur Einbalsamierung
ihrer Leichen benutzten. Jetzt wird es seiner zusammenziehenden
Wirkung wegen vorzugsweise zu Zahnpulver und Zahntinkturen, zumal bei
leicht blutendem Zahnfleisch benutzt, sowie zu Tischlerpolitur und
verschiedenen Lacken. Von Sokotra erhielten es die alten Griechen
unter der Bezeichnung indischer Zinnober. Der im 2. Jahrhundert
n. Chr. in Kleinasien lebende griechische Schriftsteller Flavius
Arrianus schreibt in seinem Bericht über die Umschiffung des Roten
Meeres: „Der sogenannte indische Zinnober (~kinnábari~) wird auf der
Insel des Dioskurides (Sokotra) von Bäumen, aus denen er tröpfelt,
gesammelt.“ In derselben Weise, wie dieses Drachenblut, wird auch das
ebenso genannte Harz, das auf den Philippinen von den Früchten der
Drachenrotangpalme (~Calamus draco~) gewonnen wird, verwendet.

Außer den bisher genannten Pflanzen sind noch einige andere zu
erwähnen, die wegen ihres Gehaltes an Katechin oder Gerbstoffen
zum Schwarzfärben und zum Gerben verwendet werden. Unter dem Namen
+Katechu+ kommen die verschiedensten gerbstoffhaltigen Massen in den
Handel, die teils aus den Früchten der Arekapalme (~Areca catechu~),
teils aus den Zweigen und dem Kernholze einer Akazie (~Acacia
catechu~), teils aus den Blättern der Gambirpflanze (~Uncaria gambir~)
durch Auskochen mit Wasser gewonnen werden. Demnach unterscheidet man
Palmen- oder Areka-Katechu, dunklen Akazien- oder Pegu-Katechu und
gelben oder Gambir-Katechu.

Die in den Tropen häufig angebaute, ursprünglich in Südasien heimische
Arekapalme ist ein äußerst zierlicher Baum von etwa 15 m Höhe
mit sehr geradem, dünnem, weißem Stamm und etwas krauser Krone von
dunkelgrünen Fiederblättern. Seine eiförmigen, etwa 4 cm langen
Früchte enthalten ein ziemlich hartes, marmoriertes Nährgewebe, das,
in Querscheiben geschnitten, mit Kalkmilch in ein scharf schmeckendes
Blatt des Betelpfeffers gewickelt, in ganz Südasien und Indonesien zum
sogenannten Betelkauen verwendet wird. Durch Kochen in Wasser wird aus
den Arekanüssen der Areka-Katechu gewonnen.

Ebenfalls im südlichen Asien heimisch ist die in ganz Vorder- und
Hinterindien, auf Ceylon und im tropischen Afrika von Abessinien
bis zum Sambesi verbreitete Katechu-Akazie, ein 4-8 m hoher Baum
aus der Familie der Hülsenfrüchtler mit brauner, rissiger Rinde,
sehr verzweigter, schirmförmiger Krone, weißlich behaarten, dornigen
Zweigen, zerstreut stehenden, paariggefiederten Blättern und gelben
Blüten. In der Trockenzeit fällt sein Laub ab. Das in möglichst kleine
Späne gehauene, vom hellgelben Splint befreite Kernholz wird etwa 12
Stunden lang in mit Wasser angefüllten irdenen Töpfen ausgekocht und
der dunkelbraune Auszug dann in Schalen eingedickt, um zuletzt in
Formen vollständig zu erhärten. Er kommt in Klumpen in den Handel,
die vor dem Gebrauch durch Chemikalien und heißes Wasser wieder
aufgelöst werden. Wie der Areka-Katechu wird er massenhaft in der
Färberei gebraucht, sowohl als Beize, als auch zur Erzeugung von sehr
dauerhaften schwarzen, braunen und grünen Farbenschattierungen und zum
Gerben von weichem, geschmeidigem Leder.

[Illustration:

    Tafel 105.

    ~(Copyright by F. O. Koch.)~

Junger Blauholzbaum (~Haematoxylon campechianum~) angepflanzt in Kwai
(Ostafrika).]

[Illustration:

    ~(Copyright by F. O. Koch.)~

Junger Rotholz- oder Brasilbaum (~Caesalpina sappan~).]

[Illustration:

    Tafel 106.

Mangrovendickicht mit zahlreichen Stelzwurzeln am Kamerunfluß in
Westafrika.]

Bis jetzt sind nur die Katechubestände in Indien ausgenutzt worden,
und zwar in dem Maße, daß die Gewinnung in den letzten Jahren sehr
zurückging und nur für etwa 5 Millionen Mark exportiert wurde.
Infolge davon hat die englische Regierung die Katechugewinnung aus
den wildwachsenden Beständen geregelt und den Anbau des Baumes
angeordnet. Dagegen sind die großen Katechubestände des tropischen
Afrika noch vollständig unbenutzt geblieben. Besonders im Steppenwalde
Deutsch-Ostafrikas kommt der Baum massenhaft vor und dürfte mit der
Zeit zur Gewinnung von Katechu, der recht gute Preise erzielt, reizen.

In den Spalten des Stammes der Katechu-Akazie findet man nicht selten
kristallinische Ablagerungen von Katechin oder Katechusäure, nach
der Katechugerbsäure dem wichtigsten Bestandteil des Katechu, die
unter dem Namen ~khersal~ in Indien als stopfendes Arzneimittel bei
Diarrhoe Verwendung finden. Der von dieser Pflanze gewonnene Katechu
wurde zuerst 1514 von Barbosa als Handelsartikel Südasiens erwähnt.
Eine Beschreibung der Stammpflanze und der Darstellung des Katechu gab
aber erst Sassetti im Jahre 1586, und bald darauf gelangte Katechu
auch nach Europa. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erscheint er
als eine sehr teuere Droge in deutschen Apothekertaxen, und 1680
schilderte Clayer den ungeheuren Verbrauch desselben in Ostasien
hauptsächlich zum Betelkauen, dem dort sozusagen jedermann huldigt.
Neben dem in Vorderindien gewonnenen Bombay-Katechu ist der aus
Hinterindien stammende Pegu-Katechu der im Handel gewöhnlichste und
für pharmazeutische Verwendungen neben dem Gambir allein zulässige.
Er bildet unregelmäßige dunkelbraunrote Kuchen, wie der vorhergehend
besprochene Areka-Katechu, und kommt in Matten oder Kisten verpackt in
den Handel.

In mittelgroßen, graubraunen, porösen, leicht zerreiblichen, sehr
leichten und daher auf Wasser schwimmenden Würfeln kommt der gelbe
oder Gambir-Katechu in den Handel. Er bildet ein durch vielstündiges
Kochen in Wasser und nachheriges Eindicken gewonnenes Extrakt aus
den jungen Trieben von ~Uncaria gambir~, einem kletternden Strauch
Hinterindiens und der Sundainseln aus der Familie der Rubiazeen oder
Krappgewächse, die besonders auf der Halbinsel Malakka, aber auch auf
Java und Sumatra angebaut wird und über Singapur in den Handel gelangt.
Drei- bis viermal im Jahre werden die jungen Zweige und Blätter des
Gambirstrauchs zur Gewinnung des sehr reichlich Katechin (neben
Katechugerbsäure) enthaltenden Gambirs abgeschnitten, zerkleinert,
durch Kochen in Wasser extrahiert und, auf Sirupkonsistenz eingedickt,
an der Luft noch völlig getrocknet. Der Gambir ist fast geruchlos,
schmeckt bitter, ist in kaltem Wasser schwer, leicht dagegen in
heißem Wasser löslich, färbt sich mit Eisenoxydsalzen grün und dann
auf Zusatz von Alkali purpurn. Er wurde in Europa gegen das Ende des
18. Jahrhunderts bekannt, hat aber erst seit den 1830er Jahren eine
ungemein große Bedeutung in der Färberei und zum Gerben schweren
Leders, wie auch zum Imprägnieren von Stoffen, die beim Gebrauch der
Nässe ausgesetzt sind, wie Fischernetze, Zeltstoffe und Kofferüberzüge,
erlangt. Auch gegen den Kesselstein in Dampfmaschinen findet er häufig
Verwendung. Die Ausfuhr von Singapur, wo fast die gesamte Produktion
zusammenkommt, beziffert sich auf jährlich etwa 40 Millionen kg
im Werte von 19 Millionen Mark. Davon empfängt London allein gegen
15 Millionen kg, während Deutschland nur etwa 7 Millionen kg
verbraucht.

Ebenfalls reich an Gerbstoff ist der in dunkelbraunroten bis
schwärzlichen, in dünnen Splittern rubinrot durchscheinenden Stücken in
den Handel gelangende +Kino+, der sich in Weingeist mit dunkelblutroter
Farbe löst und wie Katechu und Gambir teilweise in der Medizin als
adstringierendes Mittel, besonders aber technisch zum Färben und Gerben
Anwendung findet. Meist kommt er als Malabar- oder Amboina-Kino zu uns
und bildet den nach Einschnitten in den Stamm des Baumes ~Pterocarpus
marsupium~, eines Schmetterlingsblütlers, ausgeflossenen und dann
eingetrockneten, rötlichen, gerbsäurehaltigen Saft, während der
gleichfalls zu uns gelangende australische Kino aus dem in gleicher
Weise gewonnenen Saft verschiedener Eukalyptusarten besteht. Kaum
Bedeutung für uns hat der bengalische Kino, der aus dem eingedickten
Saft der Rinde von ~Butea frondosa~ besteht, ebenso der westindische,
der aus der Rinde von ~Coccoloba uvifera~ gewonnen wird, traubentragend
wegen seiner Früchte genannt, die angenehm sauer schmecken und in
Westindien und Südamerika, wo der Baum kultiviert wird, gerne mit
Zucker gegessen werden; auch bereitet man aus ihnen erfrischende
Getränke. Das schwere, geaderte Holz dieses mit wohlriechenden weißen
Blüten in Trauben versehenen Baumes wird zur Herstellung feiner Möbel
benutzt, und aus ihm durch chemische Umsetzung eine rote und violette
Farbe gewonnen. Die wässerige rötlichbraune Lösung des Kino färbt sich
nämlich mit Alkalien versetzt rotviolett und gibt mit Eisenchlorid
einen dunkelgrünen Niederschlag, der mit Alkalien purpurn wird. Der
westindische Kino ist seit 1757 gebräuchlich, während der Malabar-Kino
erst seit 1811 bei uns eingeführt ist. Der am frühesten in Europa
gebrauchte Kino war übrigens der afrikanische, von ~Pterocarpus
erinacea~ gewonnen, der seit 1733 als zusammenziehendes Mittel im
Arzneischatze geführt wird.

Als +Myrobalanen+ kommen seit dem frühen Mittelalter, da uns die
Araber ihre Kenntnis vermittelten, die 5 cm langen und 2,5 cm
dicken, länglich birnförmigen, grünlich gelben oder gelbbraunen
Früchte mehrerer ostindischer Bäume zu uns, die wegen ihres Gehaltes
von 32-45 Prozent Gerbstoff ebenfalls zum Schwarzfärben und Gerben
verwendet werden. Die meisten der in den Handel kommenden stammen von
verschiedenen Vertretern der Gattung Terminalia, die in den regengrünen
Wäldern von ganz Vorderindien, Ceylon, Hinterindien und dem indischen
Archipel wachsen, von deren einer Art, ~Terminalia catappa~, die
mandelähnlichen Samen gegessen und auch zur Ölgewinnung benutzt werden,
während die Rinde zum Gerben dient. Früher wurden noch als schwarze
oder graue Myrobalanen die getrockneten Früchte eines ebenfalls
in Ostindien wachsenden Strauches, ~Phyllanthus emblica~, eines
Wolfsmilchgewächses, in den Handel gebracht; jetzt aber werden meist
die zuerst genannten nach Europa, und zwar vorzugsweise nach England
importiert. Im Altertum verstand man unter Myrobalanen die Früchte
der in Ägypten wildwachsenden ~Balanites aegyptiaca~, die zum Salben
benutzt wurden. Im Mittelalter übertrug man dann den Namen zuerst auf
die in Syrien wachsenden gelben Pflaumen, unsere jetzigen Mirabellen,
und dann erst auf die gelben Früchte, deren gerbstoffhaltige äußere
braune Schicht gewöhnlich pulverisiert in den Handel gelangt.

Demselben Zwecke des Gerbens und Schwarzfärbens dienen die
gerbstoffreichen Hülsenfrüchte eines in Westindien, Mexiko und
dem nördlichen Südamerika, besonders in Kolumbien und Venezuela,
heimischen, 6-8 m hohen Schmetterlingsblütlers, der ~Caesalpinia
coriaria~, die als +Dividivi+ in den Handel gelangen. Sie sind gegen
8 cm lang und 2-3 cm breit und enthalten 20-30 Prozent Gerbstoff.
Diese von den Indianern schon längst als Gerbmittel verwendeten
Gerbschoten wurden zuerst im Jahre 1768 von den Spaniern nach Europa
gebracht, kommen aber erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts in größeren
Mengen dahin. Kolumbien führt davon jährlich 4,2 und Venezuela 3,4
Millionen kg aus, von denen Deutschland über Hamburg etwa 5 Millionen
kg im Werte von 1 Million einführt. Von einer anderen Caesalpinia-Art
stammen die als +falsche Dividivi+ bezeichneten Gelbschoten,
während ~Caesalpinia tinctoria~ die in Chile und Peru zum Gelb- und
Schwarzfärben gebrauchte +Dividivi von Bogotá+ in Form von großen,
flachen Hülsen mit roter oder hellbrauner Haut hervorbringt. Ebenso
reich an Farbstoff sind die kurzen, breiten Hülsen von ~Caesalpinia
digyna~, die als +Tarihülsen+ aus Vorderindien importiert werden.

Weiter finden zum Schwarzfärben und Gerben die als +Bablach+ in den
Handel kommenden unreif gesammelten Hülsenfrüchte verschiedener
Akazienarten Verwendung. Die ostindische Sorte stammt von ~Acacia
arabica var. indica~ in Form von 5-8 cm langen, flachen, dunkel-
oder hellbraunen Schoten, die 14-20 Prozent Gerbstoff enthalten,
die ägyptische dagegen rührt von ~Acacia nilotica~ her in Form von
grünbraunen Hülsen mit ähnlichem Gerbstoffgehalt. Sie dienen zum Gelb-,
Braun- und Schwarzfärben, zur Bereitung von Tinte und zum Gerben von
leichterem Leder.

Ähnliche Verwendung findet der +Sumach+ oder +Schmack+, der aus den
getrockneten Blättern verschiedener Rhus-Arten und von ~Coriaria
myrtifolia~ gewonnen wird. Die beste Sorte liefert der Gerbersumach
(~Rhus coriaria~), dessen Blätter schon die Alten als Gerbmaterial
benutzten, wie sie auch seine Beeren als Gewürz wie Myrtenbeeren
oder Pfeffer gebrauchten, um die Speisen schmackhafter zu machen.
Zuerst nennt ihn der athenische Gesetzgeber Solon zu Anfang des 6.
vorchristlichen Jahrhunderts. Seit der Zeit der arabischen Herrschaft
wird der trockene, steinige Standorte bevorzugende Strauch in
Unteritalien und Sizilien in großem Maßstabe kultiviert. Aus dem
arabischen ~sommâq~ ging der italienische Name ~sommaco~ hervor,
woraus die deutsche Bezeichnung Sumach oder Schmack hervorging.
Der Gerbersumach ist ausgewachsen ein 5-6 m hoher Strauch, dem
man jährlich die beblätterten Schößlinge abschneidet, so daß er
nur etwa 1,5 m hoch wird. Zur Sumachgewinnung läßt man dann die
abgeschnittenen Zweige der kultivierten Pflanze an der Sonne trocknen,
streift die dürren Blätter ab und mahlt sie. Dadurch erhält man ein
grünliches Pulver von zusammenziehendem Geschmack und eigentümlichem
Geruch, von dem Sizilien allein für mehr als 16 Millionen Mark
jährlich ausführt. Es wird zum Schwarz- und Dunkelrotfärben und zum
Gerben feiner, leichter Ledersorten verwendet, während die Früchte des
Gerbersumachs, der bei uns auch als Zierstrauch kultiviert wird, im
Orient noch heute als Gewürz an Speisen und zum Sauermachen von Essig
dienen.

Bis zu 10 Prozent Gerbstoff -- in der Wissenschaft als Gerbsäure oder
Tannin bezeichnet -- enthält die von verschiedenen Eichen (besonders
~Quercus pedunculata~ und ~Q. sessiliflora~) abgeschälte Rinde, die
an sich geruchlos ist, aber zerkleinert, mit Wasser und tierischer
Haut in Berührung gebracht, den bekannten Lohgeruch entwickelt.
Die beste +Eichenrinde+ wird von jungen, höchstens 25 Jahre alten
Bäumen gewonnen, die in einer besonderen Art von Niederwaldbetrieb
gezogen werden. Dazu gehört ein mildes Klima innerhalb der Grenze des
Rebbaus. In den Eichenschälwäldern Deutschlands werden nur Stiel- und
Traubeneichen genutzt, und zwar gibt man letzteren den Vorzug. Auf 4500
Hektar gewinnt man nur 2,5-3 Millionen kg. Deutschland verbraucht
davon jährlich etwa 500 Millionen kg, von denen 80-100 Millionen
kg im Werte von 11 Millionen Mark aus dem Auslande, besonders aus
Österreich und Frankreich, bezogen werden. Zur Herstellung guten
Sohlleders gibt es kein besseres Material als dieses.

In Amerika dient die Rinde der bis 30 m hohen +Kastanieneiche+
(~Quercus prinus~), die in den mittleren und südlichen Vereinigten
Staaten wächst, zu demselben Zwecke. Man gewinnt sie von alten,
wildgewachsenen Stämmen. Sie ist meist 2-3 cm dick und enthält
bis 16 Prozent Gerbsäure. Man bereitet daraus einen Extrakt, der
bis über 30 Prozent derselben enthält. In derselben Weise verwendet
man die durchschnittlich nur 10 Prozent Gerbstoff enthaltende, aber
als billiges Material gleichwohl angewandte, rotbraune Rinde der
kanadischen +Hemlocktanne+ (~Tsuga canadensis~), eines 25-30 m hohen
Baumes des kälteren Nordamerika, der dem Grenzgebiet der Laub- und
Tannenwaldregion angehört und selbst in nassen, kalten Sümpfen gedeiht.
Man beutet in den Vereinigten Staaten etwa 4 Millionen Hektar von
ihm bestandenen Waldes zur Gewinnung der Rinde aus. Die Hemlocktanne
kam im Jahre 1736 durch Collinson nach Europa und wird in unseren
Gartenanlagen als eine der schönsten Koniferen in mehreren Varietäten
angepflanzt.

Als teilweiser Ersatz der verschiedenen Arten von Eichenrinde wird
neuerdings in immer steigenden Mengen die sehr gerbstoffreiche +Rinde+
der +Mangrovenbäume+ aus den tropischen Küstengebieten in den Handel
gebracht, von der Deutsch-Ostafrika beispielsweise jährlich für 40000
Mark ausführt. Diese Mangroven- oder Manglebäume (~Rhizophora mangle~,
~Rh. mucronata~ u. a.) umgürten in dichten Beständen die meisten
flachen Küsten und Flußmündungen der Tropen. Es sind bis 15 m hohe
Bäume, deren Stämme und Äste zahlreiche, vielfach bogenförmig gekrümmte
Luftwurzeln entwickeln, mit denen sie sich gleichsam im lockeren
Uferschlamm verankern, was sehr nötig ist, wenn man bedenkt, daß bei
der steigenden Flut sich die Wellen oft stürmisch an die von ihnen
eingenommenen Standorte herandrängen und ihren Schaum hoch über die im
Winde gebogenen Wipfel aufspritzen lassen. Ihr Holz ist außerordentlich
zähe und hart und findet deshalb als Nutzholz in verschiedenster Weise
Verwendung. Die immergrünen, dicken, lederartigen Blätter sind durch
starke Verdickung der Oberhaut in wirksamer Weise gegen übermäßigen
Wasserverlust geschützt. Das scheint auf den ersten Blick unnötig,
da die Pflanzen doch im Wasser stehen; bedenken wir aber, daß dieses
Wasser salzhaltig ist und daß Kochsalz für alle Gewächse, wenn es in
unbeschränkter Menge in den Körper derselben eingeführt wird, ein sehr
stark wirkendes Gift ist, so begreifen wir diese Schutzeinrichtung
vollkommen.

Eine andere, durch ihren Standort im Wasser bedingte Eigentümlichkeit
der Mangroven sind die Pneumatophoren oder Atmungswurzeln, die von
einem mächtigen Aërenchymmantel umhüllt sind und durch Lentillen
genannte Spalten reichlich Kohlensäure ausscheiden und Sauerstoff
einatmen, um so den Gasstoffwechsel der unter Wasser befindlichen
Organe zu ermöglichen. Aus den paarweise gestellten weißen Blüten gehen
längliche, einsamige, nicht aufspringende Früchte mit lederartiger
Schale hervor, die auch wiederum die höchst zweckmäßige Einrichtung
aufweisen, bereits am Baume zu keimen. Der Keimblattstamm verlängert
sich dabei monatlich um etwa 4 cm und wächst durch die Frucht heraus,
so daß der Keimling nach neun Monaten gegen 0,5 m, unter Umständen
sogar 1 m Länge erreicht. Er ist unten am dicksten und etwa 80 g
schwer. Diese langen, schweren, aus den Früchten heraushängenden
Keimblattstöcke pendeln nun bei Luftströmung hin und her, endlich
reißen die Gefäßbündel, durch welche noch immer die Verbindung mit dem
röhrenförmigen Teile des Keimblatts erhalten war, der Keimling fällt
in die Tiefe und bohrt sich durch die Wucht des Sturzes mit seinem
unteren, zur Ausbildung der Wurzel bestimmten Ende tief in den Schlamm
ein. Sogar eine 0,5 m hohe Wasserschicht wird von ihm mit solcher
Gewalt durchfahren, daß er in dem darunter befindlichen Schlamme
aufrecht stehend stecken bleibt. Hier entwickeln sich im Laufe weniger
Stunden Wurzeln, die den Keimling endgültig im Boden befestigen. Durch
diese ingeniöse Einrichtung ist dafür gesorgt, daß die Nachkommenschaft
im Schlammgebiet selbst Wurzel faßt, wo sie die günstigsten
Existenzbedingungen findet, und nicht in der Frucht von den Wogen ans
Ufer geschwemmt wird an Orte, die für die Weiterentwicklung höchst
ungünstig sein könnten. Geschieht es nämlich, daß bei hoher Flut der
Keimling die hohe Wasserschicht nicht mit genügender Kraft durchfährt,
um sich in den Schlamm einzubohren, so führen ihn die Wogen weiter, um
ihn ans Land zu werfen, wo es ihm gleichwohl oft noch gelingt Fuß zu
fassen.

Abgesehen von ihrer als Gerbmaterial für Leder höchst wertvollen
gerbstoffreichen Rinde sind die Mangrovendickichte, welche nur dadurch
einigermaßen zugänglich sind, daß die netzförmig ausgebreiteten
Stelzwurzeln der Bäume über den Wasserspiegel hervorragen und auf
diese Weise einen Stützpunkt zum Überklettern bieten, von hoher
Wichtigkeit als landerobernde Vegetationsformen, die immer weiter ins
Meer hinaus vorschreiten und nach und nach bedeutende Gebiete an den
Küsten in Land verwandeln. Die bogenförmig ausgespreizten Stelzwurzeln
sammeln nämlich wie Reusen alles hineingeratene Pflanzenmaterial und
sämtlichen Auswurf des Meeres an, halten es fest und verdichten den
Untergrund des Sumpfwaldes schließlich so weit, daß er fest und gangbar
wird. Diese für die seichten Küsten der Tropen so charakteristischen
Mangrovenwälder sind durchaus an das Salzwasser des Meeres gebunden
und steigen an den Mündungen der Flüsse nur so weit herauf, als das
Wasser noch brackig ist. Im Bereiche des reinen Süßwassers verschwinden
sie vollkommen. Leider sind diese Mangrovenbezirke durch das viele
stehende Wasser gefürchtete Brutplätze der Moskitos, von denen die
Anophelesarten die Überträgerinnen der Malaria sind.

Von weiteren gerbstoffhaltigen Drogen, die technisch außer der Gerberei
besonders für die Färberei in Betracht kommen, sind die +Galläpfel+ zu
nennen, die bekanntlich durch den Stich bestimmter Gallwespenweibchen
auf den Blättern und Knospen verschiedener Eichenarten entstehen,
indem durch den Reiz der aus dem Ei hervorgegangenen Insektenlarve
Wucherungen der betroffenen Stellen des Blattgewebes in Form von
blasigen Austreibungen bewirkt werden. Unsere einheimischen Eichen
(~Quercus pedunculata~ und ~Q. sessiliflora~) werden von einer
Anzahl Gallwespen befallen, deren jede eine Galle von bestimmter
Form hervorbringt. So erzeugt ~Cynips scutellaris~ die kirschgroßen,
weichen, auswendig grün bis rot gefärbten kugeligen Gallen, die man
so häufig an der Unterseite der Eichenblätter findet. Reicher an
Gerbstoff als unsere einheimischen sind die großen ungarischen, die von
~Cynips hungarica~ an der Unterseite der Blätter von der Stieleiche
(~Quercus pedunculata~), und die kleinen ungarischen Galläpfel, die von
~Cynips kollari~ gleichfalls an den Blättern der Stieleiche erzeugt
werden. Während diese 25-30 Prozent Gerbstoff enthalten, steigt der
Tanningehalt bei den kleinasiatischen, von ~Cynips gallae tinctoriae~
auf der Unterseite der Blätter von ~Quercus infectoria~ erzeugten
auf 60 Prozent und mehr. Von diesen in ganz Vorderasien gefundenen
Gallen sind die nördlich von Aleppo in Nordsyrien gesammelten die
gehaltreichsten an Gerbsäure. Aus dem westlichen Gebiet kommen sie über
Alexandrette nach Europa, aus dem östlichen dagegen gehen sie über
Mossul nach Bombay und gelangen als indische Gallen in den Handel, um
außer zum Färben zur Tintenbereitung und zur Gewinnung von Gerbsäure
und zur Herstellung von Galläpfeltinktur zu dienen.

Kleinasiatische und griechische Galläpfel wurden schon zur Zeit des
Hippokrates, des berühmtesten Arztes des Altertums (460-364 v. Chr.),
medizinisch und technisch verwertet. Auch Theophrast (390-286 v. Chr.)
erwähnt sie, und der ältere Plinius um die Mitte des 1. christlichen
Jahrhunderts berichtet, daß man mit Galläpfelsaft getränktes Leinen zur
Prüfung des Kupfervitriols auf seinen Gehalt an Eisenvitriol benutze.
Auch später blieben die Galläpfel besonders in medizinischem Gebrauch,
bis nach den Kreuzzügen solche aus Syrien und Kleinasien einen
regelmäßigen Ausfuhrartikel jener Länder bildeten. In guten Jahren
kommen allein von Aleppo 8-9000 Säcke im Werte von je 140-160 Mark in
den Handel.

Die Knopperneiche (~Quercus vallonea~), die in Kleinasien und im
kilikischen Taurus vorkommt, liefert in ihren Fruchtbechern die
20 bis 35 Prozent Gerbsäure enthaltenden +kleinasiatischen+ oder
+Smyrnavalonen+, während die +Knoppern+ durch den Stich einer
Gallwespe (~Cynips calycis~) in die jungen Früchte vorzugsweise der
Stieleiche (~Quercus pedunculata~), seltener der Traubeneiche (~Quercus
sessiliflora~) hervorgebrachte, auf der Oberfläche mit flügelartigen
Höckern besetzte Gallen mit 24-35 Prozent Gerbstoff sind, die in
der Färberei und, besonders in Österreich, auch noch zum Gerben des
Sohlleders dienen. Sie kommen als levantinische Knoppern in den Handel.
In der oft mit Mannazucker bedeckten besten Sorte von Smyrna beträgt
der Gerbstoffgehalt 30-35 Prozent. Trotz ihres herben Geschmackes
dienten die Früchte der Knopperneiche schon der armen Bevölkerung bei
den alten Griechen als Nahrungsmittel, und auch jetzt noch werden
sie in ihrer Heimat roh oder geröstet verspeist, während unsere
einheimischen Eicheln heute nur noch als geschätztes Schweinefutter
dienen. In Griechenland allein werden jährlich 5000-7400 Tonnen
geerntet, die als vorzügliches Gerbmaterial besonders für Sohlleder,
aber auch zum Schwarzfärben, z. B. von Seidenhüten, dienen.

Der Gerbprozeß, bei welchem die Gerbsäure Anwendung findet, ist
nebenbei bemerkt ein in seinen Einzelheiten noch nicht völlig
aufgeklärter Vorgang, der mit der Färberei einige Verwandtschaft
besitzt. Dabei verwandelt der Gerbstoff unter Aufnahme von
Sauerstoff aus der Luft die von der haartragenden Oberhaut und der
fettdurchwachsenen Unterhaut befreite Lederhaut, die der Gerber auch
wohl als Corium bezeichnet, zu einem vor jeglicher Fäulnis bewahrten
Gebilde, dem Leder. So wichtig der Sauerstoff auch für den Gerbprozeß
ist, so bewirkt er an sich noch keine Lederbildung des Coriums. Legt
man ein Stück der letzteren, die aus einem festen Gefüge vielfach
verschlungener Faserbündel besteht, in feuchtem Zustande in eine
Sauerstoffatmosphäre oder übergießt sie in einem Becherglase mit
reichlich Sauerstoff abgebenden Wasserstoffsuperoxyd, so wird noch kein
Leder daraus; dies geschieht erst bei Gegenwart einer Gerbstofflösung.

Die älteste Methode der Lederfabrikation haben wir in der Sämisch-
oder Ölgerberei vor uns. Die Jäger- und Nomadenstämme unserer Tage,
welche, wie die Jäger der Urzeit, das Fell des erlegten Wildes auf
der Fettseite mit dem Steine bearbeiten, um ihm seine Geschmeidigkeit
auch nach dem Eintrocknen zu erhalten, stellen damit eine primitive
Art sämisch gegerbtes Leder her. Etwas vollkommener ist das
Gerbverfahren, das beispielsweise die Frauen der nordamerikanischen
Indianer anwandten, um die Tierhaut in Leder zu verwandeln, d. h. in
solcher Weise zu verändern, daß sie weder in Fäulnis übergeht, noch
ausgetrocknet hart wird. Zu diesem Zwecke spannten sie die abgezogene
Haut eines von den Männern erbeuteten Büffels oder sonst eines
Wildes zwischen Holzpflöcke auf dem Boden aus und schabten mit einem
geschärften Stein das anhaftende Fett und Fleisch, wie auch die Haare
ab. Dann rieben sie die Haut mit dem Gehirn und Fett des Tieres ein und
bearbeiteten sie tüchtig längere Zeit mit dem Schaber oder einem andern
Stein, bis sie weich wurde wie sämisch gegerbtes Leder. Ähnlich wie sie
verfahren andere primitive Völker der Gegenwart, die zum Einreiben der
rohen Felle außer Gehirn auch Fett oder Öl verwenden. Noch heutzutage
werden die in Kleienbeizen angeschwellten „Blößen“, wie die in Leder
zu verwandelnde Mittelschicht der Haut von den Gerbern genannt wird,
mehrere Male mit Tran eingerieben; zwischendurch hängt man sie einige
Zeit an der Luft auf und läßt sie zuletzt in Wärmekammern angären.
Dabei nehmen die Fette Sauerstoff aus der Luft auf, es entstehen
sauerstoffreiche Fettsäuren, sogenannte Oxyfettsäuren, die sich mit dem
geschwellten Corium so fest verbinden, daß sie selbst durch Waschen mit
Soda und Seife nicht mehr entfernt werden können.

Ein anderes, in der Alten und Neuen Welt gebräuchliches, ganz
rationelles Verfahren, um das Fell vor Fäulnis zu bewahren, ist
die Anwendung des Rauches. Die moderne Technik macht auch hiervon
wenigstens insoweit Gebrauch, als ein großer Teil der aus Amerika
zu uns kommenden rohen Rindshäute der vorläufigen Erhaltung halber
etwas geräuchert wird -- andere salzt man ein --, und daß man
Felle und Bälge für Sammlungen mit Kreosot, also mit demjenigen
Bestandteile des Rauches präpariert, der die Tierfaser gegen Fäulnis
widerstandsfähig macht. Auch die Anwendung von Alaun, die Grundlage der
Weißgerberei, muß schon lange bekannt sein, da schon die Römer neben
dem lohgegerbten festen Leder, von ihnen ~corium~ genannt, ein weiches
und geschmeidiges, mit Alaun bearbeitetes Leder unter dem Namen ~aluta~
kannten.

Neuen Datums ist die Chromgerberei, die ein sehr widerstandsfähiges
Leder liefert, während die altgeübte Lohgerberei ein allerdings noch
besseres Produkt erzeugt. Sie wurde schon im frühesten Altertum
geübt und dazu in Europa vorzugsweise die bis 16 Prozent Gerbstoff
aufweisende Eichenrinde als die tanninreichste von allen Rinden
unserer Waldbäume verwendet. In Rußland, wo die Eichen fehlen, gerbt
man von alters her mit den Rinden der Birken, Weiden und Erlen, wie
in Nordamerika mit der Rinde der Hemlocktanne. Das auf diese Weise in
Nordamerika erzielte rote Sohlleder wurde zuerst im Jahre 1844 nach
England und bald über den ganzen europäischen Kontinent eingeführt,
doch erwies sich dieses Hemlockleder trotz seiner Billigkeit nicht als
dem einheimischen lohgegerbten Leder gleichwertig.

Schon die Ägypter des vierten vorchristlichen Jahrtausends übten die
Gerberei mit gerbstoffhaltigen Brühen, die sie aus den Rinden der
einheimischen Pflanzen herstellten. Auf den ältesten Wandbildern
der Gräber des alten Reiches zu Beginn des dritten vorchristlichen
Jahrtausends sehen wir dasselbe Gerbverfahren angewandt, das man
heute noch betreibt. Im frühen Altertum waren die persischen und
babylonischen Leder berühmt; man fertigte dort nicht bloß gröbere,
sondern auch sehr feine und schön gefärbte Ware an. Mit Safran gelb
gefärbte pantoffelartige Schuhe waren das Kennzeichen der Vornehmen.
Diese altasiatische Industrie arbeitete selbst für Europa, wohin die
schiffahrtkundigen Phönikier diese beliebte Handelsware brachten
und gegen einheimische Produkte umtauschten. Gegen den Anfang der
christlichen Zeitrechnung hatten die Juden fast ausschließlich den
Lederhandel Syriens in Händen und versorgten mit dieser Ware Rom und
die übrigen bedeutenderen Städte des römischen Reiches. Zur Zeit der
arabischen Herrschaft kam im westlichen Afrika und in Spanien eine
Luxusgerberei zur Blüte, für deren ausgezeichnete Produkte die Völker
Mitteleuropas lange Zeit gute Käufer waren, bis man hier, zuerst
in Frankreich, das Geheimnis der Fabrikation dieser besseren Ware
ausgekundschaftet hatte und dann in der Neuzeit selbst zu fabrizieren
anfing. Die Erinnerung an diese Verhältnisse ist in den Bezeichnungen
der verschiedenen Ledersorten bis in die Gegenwart erhalten geblieben.
So haben wir dem Namen nach noch heute Leder aus Marokko als Maroquin,
aus der Stadt Safi in Marokko ausgeführtes Leder als Saffian und Leder
aus Cordova in Südspanien als Corduan. Von jener südwestländischen
Kunstgerberei aber hat man allen Grund anzunehmen, daß die Araber sie
auf ihren Eroberungszügen in Asien kennen lernten und sie nachträglich
bis an die Gestade des Atlantischen Ozeans verpflanzten. Daß Asien, wie
überhaupt die Wiege der Kultur, so auch die einer Industrie wie der
feineren Gerberei gewesen sein wird, läßt sich wohl sicher annehmen,
und dafür spricht auch, daß eben in den östlichen Gegenden Europas,
bei den Russen, Bulgaren, Ungarn, Türken usw., die Lederbereitung
frühzeitig in ausgezeichneter Weise betrieben wurde. Wir lesen
bereits bei Plinius, daß das indogermanische Volk der Kelten sein
Leder vermittelst Birkenteer bereitete; daraus ergibt sich, daß die
Juchtengerberei nichts Nationalrussisches ist, sondern schon von den
Urindogermanen geübt wurde, von denen sie manche Zweige später wieder
aufgaben.

Außer den bereits genannten Gerbstofflieferanten werden für die
Lohgerberei des Leders noch verschiedene andere verwendet, von denen
wir die wichtigsten kurz aufzählen wollen. Dahin gehört die +Rinde+
der +Aleppokiefer+ (~Pinus haleppensis~), eines 10-16 m hohen
harzreichen Baumes des Mittelmeergebiets, der in der Region des
Ölbaums im Meeressand wie auf verwittertem Felsboden gedeiht. Seit
der Zeit Theophrasts im 4. vorchristlichen Jahrhundert bis heute
wird sie zum Gerben benutzt und weithin exportiert. In Australien
und Tasmanien wird zu diesem Zwecke die Rinde eines daselbst
heimischen, 12 m hohen Schmetterlingsblütlers, ~Acacia penninervis~,
benutzt. Noch mehr, nämlich über 30 Prozent Gerbstoff, enthält die
schwere, schwarzviolette Rinde der in Süd- und Ostaustralien häufig
vorkommenden besten Gerberakazie, der ~Acacia decurrens~, die dort in
Schälwäldern mit einer Umtriebszeit von nur acht Jahren gewonnen wird.
Ein ausgewachsener Baum von zehn Jahren liefert etwa einen Zentner
Rinde von 44 Prozent Tanningehalt, die neuerdings auch gemahlen als
+Mimosarinde+ nach Europa ausgeführt wird. So bringt Australien allein
von ~Acacia decurrens~ jährlich etwa 15 Millionen kg im Wert von 1,85
Millionen Mark in den Handel. Wie der Baum neuerdings auf Anregung der
Regierung in seiner australischen Heimat in Kultur genommen wird, so
wird er jetzt auch in Deutsch-Ostafrika in größerem Maße angepflanzt.
Die Bäume brauchen 5-8 Jahre, bis sie die ersten Erträge liefern. Dann
aber kann das Abschälen eines Teiles der Rinde in bestimmten Abständen
eine Reihe von Jahren hindurch wiederholt werden.

Wie Australien in seinen verschiedenen Gerberakazien, so besitzt
Neuseeland in der Rinde der 20-23 m hohen, sellerieblätterigen
+Tanekahafichte+ (~Phyllocladus trichomanoides~), einer weitläufigen
Verwandten der Eibe, ein Material mit 28-39 Prozent eines
außerordentlich wertvollen Gerbstoffs, das neuerdings in erhöhtem
Maße exportiert wird, um zum Gerben feiner, weicher Ledersorten
zu dienen. Daher zieht Grenoble, dieser berühmte Sitz der
Glacéhandschuhfabrikation, den größten Teil der Ausfuhr desselben an
sich. Südamerika dagegen hat einen sehr wichtigen Gerbstofflieferanten
in dem harten, fleischroten Holz eines in den Wäldern Argentiniens
und Paraguays häufig wachsenden hohen Baumes, des +Quebracho+ --
sprich kebratscho -- (~Schinopsis lorentzii~). Dasselbe enthält bis 20
Prozent Gerbsäure und wird zur Extraktion derselben, da es sehr hart
ist, mit kräftigen Maschinen zerkleinert. Die Rinde dieses Baumes mit
bläulichgrünen Blättern und gelben Blüten wird medizinisch verwendet.
Sie gelangte 1878 zum erstenmal nach Europa und wurde als Ersatz der
Chinarinde gegen Fieber empfohlen. Sie wird besonders gegen Asthma
angewandt.

Äußerst wichtige ostasiatische Gerbstofflieferanten sind auch die
+chinesischen Galläpfel+, die seit dem Jahre 1846 aus China und seit
1860 aus Japan auf den europäischen Markt gelangen. Sie werden durch
den Stich einer Blattlaus (~Aphis chinensis~) an den Blättern und
Blattstielen des geflügelten Sumachs (~Rhus semialata~) hervorgebracht
und stellen ursprünglich grüne, später graubraune, dünnwandige
Blasen mit 59-77 Prozent Gerbstoffgehalt dar. Sie sind 3-10 cm
lang und 1,5-4 cm dick und bergen im frischen Zustande im Innern
zahlreiche junge Blattläuse. Um diese abzutöten, werden die Gallen in
weitgeflochtenen Weidenkörben heißen Wasserdämpfen ausgesetzt. Man
bedient sich ihrer zum Schwarz-, Braun- und Graufärben von Geweben und
Leder und zur Bereitung schwarzer Tinte.

Unser Wort +Tinte+ kommt vom romanischen, speziell italienischen
~tinta~ Farbe, das seinerseits aus dem lateinischen ~tincta~ gefärbtes
(nämlich ~aqua~ Wasser) hervorging. Schon im hohen Altertum schrieb
man mit schwarzer Tinte, die aus Ruß, arabischem Gummi und Wasser
bereitet wurde, jedenfalls aber im ganzen sehr wenig haltbar war. Aus
der römischen Kaiserzeit sind uns verschiedene Rezepte zur Bereitung
solcher Tinte erhalten geblieben, so von Plinius: „Schwarze Tinte
und Farbe (~atramentum~) wird aus Ruß von verbranntem Harz und Pech
gemacht, und man hat zu diesem Zwecke auch geschlossene Kammern, in
denen sich der Ruß sammelt. Die beste schwarze Tinte kommt von Kiefern.
Sie wird übrigens mit dem Ruß aus Öfen und Bädern verfälscht. Man macht
auch welche aus geglühter Weinhefe. Die berühmten Maler von Athen
Polygnotus und Mikon machten ihre schwarze Farbe auch aus Weintrestern.
Apelles erfand die schwarze Farbe aus verkohltem Elfenbein, und man
nennt solche ~elephantinon~. Es wird auch schwarze Farbe aus Indien
gebracht, deren Zusammensetzung mir aber unbekannt ist. (Damit meint
Plinius jedenfalls die über Indien zu den Römern gelangende chinesische
Tusche.) Es wird auch welche aus feinem Ruß gemacht, der sich an
ehernen Kesseln ansetzt, oder aus Kiefernkohle, die man in einem Mörser
zerstößt. -- Alle schwarze Farbe wird an der Sonne fertiggemacht, die
Schreibtinte mit Zusatz von Gummi, die Malerfarbe mit Zusatz von Leim.
Man macht sie mit Essig flüssig, damit sie sich nicht leicht wieder
auswaschen läßt, und mischt eine Abkochung von Wermut darunter, damit
die Mäuse nicht an sie gehen.“

Außer der schwarzen waren auch farbige, besonders rote, allerdings
ebenso leicht schimmelnde Tinten im Gebrauch, die alle in gleicher
Weise mit dem zugespitzten und an der Spitze gespaltenen Schreibrohr
~calamus~ auf die Schreibrollen aus Papyrus oder Pergament aufgetragen
wurden. Unsere Bezeichnung Rubrik kommt ja aus dem lateinischen
~rubrum~ das Rote, von der kurzen, seit der altägyptischen und
römischen bis fast in unsere Zeit rotgeschriebenen Inhaltsangabe
als Aufschrift bei Aktenstücken und am Eingang von amtlichen
Verfügungen. Schon im 3. Jahrhundert n. Chr. begann man die Tinte
in der heute noch gebräuchlichen Weise anzufertigen, indem man eine
stark gerbstoffhaltige Galläpfelabkochung mit Eisenvitriol versetzte.
Dadurch entstand ein feiner Niederschlag von gerbsaurem Eisenoxydul,
der durch schleimige Verdickungsmittel, wie arabischer Gummi, später
auch Dextrin, in Suspension erhalten wurde. Erst seit einem halben
Jahrhundert kennt und benutzt man klare, filtrierbare +Gallustinten+,
in denen das Eisen in gelöster gerbsaurer und gallussaurer Verbindung
enthalten ist und sich erst nach dem Schreiben in unlöslicher Form auf
dem Papier niederschlägt. Die erste derartig zubereitete Tinte, die
heute noch als Vorbild der meisten im Handel befindlichen Gallustinten
gelten kann, war die im Jahre 1855 von Leonhardi in Dresden erfundene
+Alizarintinte+, so genannt, weil sie außer Indigo auch noch Krapp
zugesetzt erhielt. Da man aber später erkannte, daß die Indigobeigabe
an sich genügt, um der Tinte gehörige Schwärze zu verleihen, ließ
man den Krappzusatz als überflüssig weg. Neuerdings ersetzt man die
Indigolösung in zunehmendem Maße durch andere sauer reagierende
Lösungen von Farbstoffen, besonders Anilinfarben.

Die +Blauholztinten+ werden aus Blauholzextrakt unter Anwendung von
doppeltchromsaurem Kali, Chromalaun und verschiedenen in der Färberei
als Beizen gebrauchten Salzen und Säuren dargestellt. Gegenüber den
Gallustinten haben sie den Nachteil, daß die Schriftzüge leichter
vom Papier entfernt werden können; dagegen kommt ihnen der Vorteil
einer vorzüglichen Kopierfähigkeit zu. Ihrer Billigkeit wegen benutzt
man sie, z. B. in Form der Kaisertinte, häufig für Schulzwecke.
Die +Anilintinten+ sind halb- bis einprozentige Lösungen der
entsprechenden, auf chemischem Wege dargestellten Farben in Wasser
unter Zusatz von Oxalsäure und Zucker. In bezug auf Echtheit und
Beständigkeit stehen sie den Gallus- und Blauholztinten bei weitem
nach, besitzen aber große Kopierfähigkeit, die sich mit der Menge des
darin gelösten Farbstoffs steigert. Vor der Anwendung der Anilinfarben
stellte man die rote Tinte meist aus Pernambukholz oder aus der
Kochenille gewonnenem Karmin, die blaue dagegen aus Indigokarmin oder
Berlinerblau her.

Wie die Tinte der Abendländer im Altertum und Mittelalter aus Ruß,
der durch Verbrennen von Öl oder Holz vorzugsweise von harzreichen
Koniferen gewonnen wurde, wird auch die +Tusche+ der Chinesen und
Japaner, mit der sie vermittelst eines feinen Haarpinsels auf
Papier meist vom Papiermaulbeerbaum schreiben, aus Ruß gewonnen,
und zwar vornehmlich aus dem Ruße des Sesamöles, der mit dem bei
allen Ostasiaten so beliebten Patschuli parfümiert wird, was ihm
den typischen echten Geruch gibt. Dieses Parfüm, das auch zum
Parfümieren der indischen Schale und anderer Erzeugnisse Ostindiens
dient, ist der haltbarste unter allen Pflanzendüften und wird aus
den durch einen reichen Gehalt an ätherischem Öl wohlriechenden
Blättern des südindischen Halbstrauches ~Pogostemon patschuli~ in
Bengalen gewonnen, wo er auch, wie auf Ceylon und Malakka, kultiviert
und ~patschapat~ oder ~patschuli~ geheißen wird. Schon im Altertum
gelangte die chinesische Tusche durch indische Vermittlung nach den
Mittelmeerländern, wo sie bei den Griechen ~indikón mélan~ und bei den
Römern ~indicum nigrum~, d. h. schwarzes Indigo (eigentlich schwarze
indische Farbe) hieß. Vitruvius bezeichnet es als kohlschwarz, auch
Plinius erwähnt es in seiner Naturgeschichte an der vorhin von uns
erwähnten Stelle, und der weitgereiste Grieche Arrian im 2. Jahrhundert
n. Chr. sagt in seinem Bericht über die Umschiffung des Roten Meeres,
daß es nebst seidenen Zeugen und seidenen Fäden von der Stadt Minnagara
an der Indusmündung über Alexandrien in den Handel gelange.

Wie alle orientalischen Völker die Wohlgerüche über alles lieben
und sich und ihre Waren nach Möglichkeit parfümieren, so sind sie
auch besondere Freunde bunter Farben, die sie in der Kleidung und
ganzen Lebensführung zur Geltung kommen lassen. Weniger angenehm für
unseren Geschmack ist ihre mit diesem gesteigerten Farbenbedürfnisse
zusammenhängende Freude am +Schminken+. Wie die Orientalinnen in ihren
Frauengemächern, haben auch die vornehmen Frauen in ganz Vorderasien
und Ägypten sich schon im höchsten Altertume geschminkt und ihre
Haare, Handflächen und Fingernägel gefärbt. In den Grabkammern der
alten Ägypter hat sich uns ein reiches Inventar von wohlriechenden
Salben und Schminken mit allem übrigen Toilettenzubehör vornehmer
Damen gefunden, das uns von der großen Bedeutung dieser Artikel
Kunde gibt. Bei den Ägypterinnen war der zwerghafte, unterwachsene
und bucklige Besa, ein durchaus nicht einheimischer, sondern aus dem
asiatischen Orient mit der ganzen höheren Toilettenkunst eingeführter
Gott, der Toilettengott, den wir sehr häufig auf Schminkbüchsen und
anderen Toilettegegenständen abgebildet finden. Von ihnen und den
vornehmen Asiatinnen Syriens, Phönikiens und Kleinasiens nahmen dann
naturgemäß die wohlhabenden Griechinnen, und von diesen wiederum die
Römerinnen der späteren Zeit diese von uns als Unsitte empfundene
Gewohnheit des Färbens und Schminkens hauptsächlich des Gesichtes an.
Aus vielen Stellen griechischer Schriftsteller geht hervor, daß es
bei den griechischen Damen ganz allgemein Sitte war, das Gesicht zu
schminken. Die dazu verwandte weiße Farbe war Bleiweiß, während das
Rot von der Färberochsenzunge (~Anchusa tinctoria~), von der Pflanze
~paidéros~, von Maulbeeren und von ~phýkos~ (einem Tang, zweifellos
der Lackmusflechte) gewonnen wurde. So führt Athenaios eine Stelle
des Dichters Eubulos in einem Stück, das Die Kranzverkäuferinnen
heißt, an, in der es heißt: „Wie die blonden Augenbrauen mit Ruß oder
Antimonsalbe, so werden die Wangen mit Bleiweiß und Maulbeersaft
beschmiert; und geht nun die Dame im Sommer aus, so fließen von den
Augen her zwei schwarze Tintenbäche auf die Wangen, von den Wangen
aber rote Streifen auf den Hals, und die Haare der Stirne reiben sich
am Bleiweiß grau.“ Gleicherweise sprechen römische Schriftsteller vom
Schminken der römischen Damen, bei denen besonders roter Lackmus zum
Färben der Wangen benutzt wurde. Aber alles Eifern dagegen war umsonst,
die Sitte blieb bestehen. Schon der Athener Xenophon, der Schüler des
Sokrates (440-355 v. Chr.) sagt: „Wenn ich eine Dame sehe, die sich
dick mit Bleiweiß angestrichen hat, um weißer zu erscheinen als sie
wirklich ist, und sich auch dick mit Färberochsenzunge angepinselt
hat, um röter zu erscheinen als sie wirklich ist, und die Schuhe mit
hohen Absätzen trägt, um größer zu erscheinen als sie wirklich ist,
dann muß ich doch bemerken, daß dergleichen Betrug wohl mitunter Fremde
täuschen kann, aber diejenigen gewiß nicht, welche die Dame näher zu
beobachten Gelegenheit haben. Denn sie sieht früh morgens, bevor sie
sich geschmückt hat, ganz anders aus, als wenn sie Toilette gemacht
hat; und ist sie angepinselt, so verrät doch jeder Schweißtropfen, jede
Träne, jeder Wassertropfen den Pinsel.“

Zu allen Zeiten hat der Mann „die Herrin des Liebreizes, der Anmut und
der Liebe“, „die Palme der Liebe und Anmut für ihren Gatten“, „welche
geschützt ward von ihrem Manne“, und wie sonst die Wendungen zur
Kennzeichnung der Frau in den altägyptischen Grabdenkmälern lauten,
gewähren lassen, wenn sie auch von ihrem Triebe nach Putz auf falsche
Bahnen geleitet wurde. Denn wie vor 5000 Jahren gelten noch heute
die Worte des Prinzen und Gaufürsten Ptah-hotep, der im alten Reich
unter dem König Tet-kara der 5. Dynastie (2750-2625 v. Chr.) lebte
und dessen im Papyrus Prisse, dem ältesten Moralbuche der Welt, uns
erhaltenen Anstands-, Sitten- und Weisheitslehren Jahrtausende hindurch
als Richtschnur und Norm im Pharaonenlande dienten. Sie lauten: „Wenn
du weise bist, sorge für dein Haus, liebe deine Frau in Züchten, nähre
sie, kleide sie und schmücke sie, das ist die Lust ihrer Glieder. Gib
ihr Wohlgerüche, erfreue sie, so lange du lebst; denn sie ist ein Gut,
das seines Besitzers würdig sein soll. Sei kein Tyrann. Freundliches
Wesen erreicht mehr als Gewalt. Munter ist alsdann ihr Atem und munter
ihr Auge, das sie im Spiegel schaut. Gern mag sie wohnen in deinem
Hause und mit Lust und Liebe darin arbeiten.“



XXIII.

Der Kautschuk und die Guttapercha.


Wenn man den Stengel einer Wolfsmilch- oder einer andern
Milchsaftpflanze abbricht, so erscheint an den Bruchflächen ein
Tropfen dichten, weißen Milchsafts, der zahlreiche Stoffe wie Gummi,
Zucker, Eiweiß, Gerbstoffe, verschiedene Salze und Alkaloide, ferner
häufig Harze und Kautschuk in Form kleiner Körnchen und manchmal auch
eigenartig gestaltete Stärkekörner enthält. Er befindet sich in einem
System dünnwandiger Röhren und dient teils als Reservenährlösung, teils
aber als wichtiges Schutzmittel für die Pflanze. Wird eine solche
nämlich verletzt, so tritt der unter starkem Druck im Individuum
gehaltene Milchsaft rasch in großen Mengen aus und bedeckt, an der Luft
schnell erhärtend, die Wundfläche mit festem Verschluß, so daß keine
Krankheitserreger in sie hineindringen können.

Begreiflicherweise hat diese Eigenschaft frühzeitig die Aufmerksamkeit
des Menschen erregt, der ja zunächst alle Erzeugnisse der Schöpfung
nur nach ihrem Gebrauchswert für sein eigenes Dasein zu beurteilen
pflegt. So haben die Indianerstämme Brasiliens schon seit langer
Zeit den rasch vertrocknenden, dicken Milchsaft eines stattlichen
Baumes aus der Familie der Euphorbiazeen oder Wolfsmilchgewächse
der von ihnen bewohnten Wälder technisch zur Herstellung von
weichen und zugleich elastischen Flaschen und andern Gegenständen
benutzt, indem sie einen Klumpen Lehm am Ende eines Stockes in die
dickflüssig gewordene Milchsaftmasse tauchten, die sie nach dem
Anschneiden der betreffenden Bäume mit Steinbeilen durch eine Rinne
aus Schilfrohr in daruntergestellte Kalabassen, d. h. ausgehöhlte
Flaschenkürbisse, geleitet hatten. War der federnde Harzüberzug
erstarrt, so wurde der trockene Lehm ausgeklopft und zurück blieb eine
als Wassergefäß benutzbare Flasche mit engem Hals, die sehr elastisch
und unzerbrechlich war. Um nun den ganzen Prozeß zu beschleunigen,
wurde die so gewonnene Form über einem Feuer getrocknet, dessen
Rauch der ursprünglich hellbraunen Kautschukflasche eine dunkle Farbe
verlieh. Solche kamen früher als „Negerköpfe“ in den Handel und werden
von Pará an der Mündung des Amazonenstroms heute noch in dieser Form
ausgeführt. Auch Schuhe, in denen es sehr angenehm zu marschieren
war und die die Füße trocken hielten, was in den morastigen Wäldern
von nicht zu unterschätzender Bedeutung war, Spielbälle und Fackeln
wurden aus diesem wegen seiner Federkraft im Deutschen zunächst
Federharz genannten Stoff verfertigt. Die Indianer bezeichneten ihn als
~kautschu~ oder ~kahutschu~, welch fremdartiger Name sich dann bald
einbürgerte, und zwar zunächst bei den Franzosen als ~caoutchouc~ (mit
unhörbarem ~c~ am Ende).

Es war nämlich der französische Gelehrte Charles Marie de la Condamine
(in Paris 1701 geboren und 1774 ebendort verstorben), der Europa
mit diesem neuartigen Stoffe bekannt machte, nachdem ihn allerdings
schon der Spanier Gonzalo Fernandez d’Oviedo y Valdes in seiner 1536
erschienenen „Allgemeinen Geschichte Indiens“ (d. h. Amerikas, das man
zuerst für Indien ansah) erwähnt hatte bei Gelegenheit der Beschreibung
des Ballspiels der Indianer. Er sagt von letzterem, es werde anders
gespielt und auch der Ball sei aus einer andern Masse hergestellt als
derjenige, dessen sich die Christen bedienen. Nach ihm beschrieb der
Jesuit Charlevoix den „~batos~“ genannten Ball der Indianer als eine
Kugel aus einer festen, außerordentlich elastischen Masse. „Er springt
höher als unsere Bälle, fällt auf den Boden und springt viel höher
wieder auf, als die Hand ihn nach unten warf; er fällt nieder und
springt von neuem, obgleich dieses Mal weniger hoch, und so nimmt die
Höhe der Sprünge allmählich ab.“ Diesen eigenartigen Stoff bezeichnet
der spanische Geschichtschreiber Antonio de Herrera Tordesillas zum
erstenmal als Gummi; aber ihn nach seinem Ursprunge bekanntgemacht zu
haben gebührt durchaus dem Franzosen la Condamine. Dieser Gelehrte
hielt sich von 1736-1744 in Südamerika auf, zuerst als Teilnehmer an
der von der französischen Akademie der Wissenschaften organisierten
Gradmessung in Peru, nach welcher er dann Brasilien bereiste, wobei
er diesen Rohstoff bei den Indianern kennen lernte. Er brachte Proben
davon mit nach der Heimat und reichte 1751 darüber eine Denkschrift
bei der Akademie der Wissenschaften zu Paris ein. Doch fanden seine
Mitteilungen über die merkwürdigen Eigenschaften des elastischen
Baumharzes aus Brasilien ebensowenig Beachtung wie die etwas späteren
von Fresneau und Aublet du Petit-Thouar. Man betrachtete den
Kautschuk als eine Kuriosität, mit der man nichts anzufangen wußte,
und glaubte endlich seinen ganzen Nutzwert erschöpft zu haben, als
man die Fähigkeit desselben entdeckte, Bleistiftstriche durch Reiben
damit vom Papier zu entfernen. Zu diesem Zwecke ward er längere Zeit
hindurch in geringen Mengen eingeführt; doch war er noch so teuer, daß
ein würfelförmiges Stück von 12 mm Seitenlänge nicht weniger als 3
Mark kostete. In England erhielt er davon den Namen „~india rubber~“,
der ihm bis heute verblieb, während er in Deutschland die lateinische
Bezeichnung „~Gummi elasticum~“, auch schlichtweg nur Gummi bekam. Doch
nannte man ihn hier in Anlehnung an das französische ~caoutchouc~ auch
Kautschuk, wobei das k am Schlusse betont wurde.

In den Jahren 1761 und 1768 veröffentlichte der französische Chemiker
Macquer seine chemischen Untersuchungen über den Kautschuk, der bei
gewöhnlicher Temperatur einen höchst elastischen Stoff darstellt.
Bei 0° verliert er jedoch diese Eigenschaft fast ganz, ohne indessen
brüchig zu werden. Die gewöhnlichen Lösungsmittel wirken auf ihn
gar nicht ein und selbst gegen starke chemische Agenzien verhält er
sich sehr indifferent, nur konzentrierte Schwefel- und Salpetersäure
zersetzen ihn. Bei Temperaturerhöhung ändern sich seine chemischen
und physikalischen Eigenschaften. Bei 50° wird er etwas weicher,
bei 100° fängt er an stark zu kleben, bei 120° schmilzt er und geht
bei 200° in eine braunschwarze, schmierige Masse über, welche durch
Abkühlen nicht wieder in ihren früheren Zustand zurückkehrt. Noch
weiter erhitzt, verbrennt er an der Luft mit rötlicher, stark rußender
Flamme. Im Jahre 1791 stellte Grassart in Paris Röhren aus Kautschuk
her, indem er Streifen desselben um Glasröhren wickelte und die Ränder
durch Erwärmen verklebte. Doch wurden solche anfänglich kaum technisch
benutzt. Noch im Jahre 1820 kannte man kaum eine andere Verwendung des
Kautschuks als zum Auswischen von Bleistiftstrichen, wie solches nach
dem Vorschlage des Chemikers Priestley seit dem Jahre 1770 geübt wurde,
dann zu Verschlüssen und Röhrenverbindungen an chemischen Apparaten, zu
elastischen Verbänden, luftdichten Firnissen und zum Wasserdichtmachen
von Leder und Geweben nach dem Vorgange des Engländers Samuel Peal
seit 1791. Um 1820 wurden in Paris die ersten Bougies und Katheter
aus Kautschuk verfertigt. In jenem Jahre nahm der Engländer Hancock
ein Patent auf elastische Gewebe mit Kautschukstreifen; gleichzeitig
gelang es 1820 Stadler in Wien, den Kautschuk in Fäden zu ziehen
und diese, übersponnen, zu elastischen Geweben zu verbinden, eine
Industrie, die dann namentlich von Reithofer in Wien erfolgreich
weiter entwickelt wurde. Damals begann auch Macintosh in Glasgow seine
ersten Versuche zur Anfertigung wasserdichter Stoffe durch Auftragen
von Kautschuklösung auf Gewebe. Er nahm 1823 ein Patent darauf, doch
verschwanden die Übergewänder aus seinem wasserdichten Zeug bald
wieder, weil sie in der Kälte hart und unelastisch wurden, in der Wärme
dagegen leicht zusammenklebten. Im Jahre 1830 machte Thomas Hancock
die ersten Versuche mit der Herstellung von Überschuhen aus Kautschuk,
den sogenannten Gummischuhen. Doch vermochte diese Industrie erst
von 1836 an einen Aufschwung zu nehmen, als es Chaffee in Roxburgh
(Nordamerika) und Nickels in England gelang, Maschinen zu erfinden,
welche den Kautschuk durch bloßes Kneten bei mäßiger Wärme in einen
erweichten, fast unelastischen Körper umwandeln, der mit Leichtigkeit
jede gewünschte Gestalt annimmt.

Trotz allen diesen Errungenschaften blieb der Kautschuk ein Stoff von
nur untergeordneter industrieller Bedeutung, bis der Amerikaner Charles
Goodyear zu Newhaven im Staate Connecticut 1839 das Vulkanisieren
desselben erfand durch Imprägnieren mit Schwefel und Erhitzen. Dadurch
wurden ihm die Nachteile des unangenehmen Geruchs und der Veränderung
durch die Temperatur genommen und hatte man es in der Hand, durch
geringen Zusatz von geschmolzenem Schwefel, mit dem sich der Kautschuk
zu einer eigenen Masse verbindet, und kurzem starken Erhitzen bei
allen Temperaturen weich bleibenden Gummi, durch stärkeren Zusatz von
Schwefel in Verbindung mit langdauerndem Erhitzen dagegen als Ebonit
bezeichneten Hartgummi von hornartiger Beschaffenheit zu erzeugen.
Diese Erfindung erst ermöglichte eine unbeschränkte Anwendung des
Kautschuks und verschaffte diesem Pflanzenprodukt eine ungeheure
Bedeutung, die heute noch immer zunimmt. Den Anstoß zu diesem
Aufschwung gab die Entdeckung des ~Dr.~ Lüdersdorff in Berlin, daß
dem durch Terpentinöl aufgeweichten Kautschuk die nach dem Trocknen
zurückbleibende Klebrigkeit genommen wird, wenn man ihm Schwefel
beimischt. Auf diese Beobachtung baute Goodyear seine Erfindung auf,
die er sofort nach amerikanischer Art im großen technisch verwertete,
indem er alle möglichen Gebrauchsartikel daraus anfertigte. Im Jahre
1842 kamen die ersten vulkanisierten Kautschukartikel aus seiner
Fabrik nach Europa, aber erst die Weltausstellung vom Jahre 1851 im
Kristallpalast in London und noch mehr diejenige von 1855 zu Paris
verschafften seinen äußerst mannigfaltigen Erzeugnissen allgemeine
Anerkennung und Nachahmung in der ganzen Kulturwelt.

Welchen Aufschwung die Kautschukindustrie seither genommen hat, dessen
sind wir alle Zeugen. Tatsächlich gibt es heute kaum einen Zweig der
Industrie, der nicht in irgend einer Form Kautschuk verwendet, so daß
man ohne Übertreibung sagen kann, dieser Stoff begleite den Menschen
von der Wiege bis zum Grabe. Schon der Säugling saugt die ihm als
Ersatz oder wenigstens als Ergänzung der Muttermilch verabreichte
Tiermilch mit dem Gummisauger und streckt sich behaglich auf seiner
weichen Gummiunterlage aus. Dann spielt er mit seiner Gummipuppe
oder greift zum Gummiball. Mit einem Schwamm aus weichem Gummi wird
er gewaschen und mit einem Kamm aus hartem Gummi wird er gekämmt,
und so geht es das ganze Leben hindurch fort. Es ist ganz unmöglich,
alle Gebrauchs-, Sport- und Luxusgegenstände aus Kautschuk, die der
Kulturmensch der Gegenwart im täglichen Leben verwendet, auch nur
aufzuzählen. Es sei hier beispielsweise nur an die Pneumatik der
Fahrräder und Automobile erinnert, dann an die mancherlei Verwendung,
die dieser Stoff in der Chirurgie, Orthopädie, Chemie, Elektrotechnik,
Meteorologie, Luftschiffahrt usw. findet. Es ist im Laufe eines
Menschenalters so weit gekommen, daß wir uns die moderne Kultur ohne
Kautschuk und seine Derivate überhaupt nicht mehr vorstellen können.
Entsprechend dem ins ungeahnte gesteigerten Bedarf ist auch die
Gewinnung des so kostbaren Stoffs mit Riesenschritten vorwärtsgegangen.
Während der Jahresverbrauch an Kautschuk im Jahre 1840 noch kaum
400000 kg betrug, ist er 1909 auf über 68 Millionen kg im Werte von
etwa 500 Millionen Mark gestiegen. Davon lieferte Südamerika 42,8
Millionen kg, Afrika 23,4 Millionen kg und Asien und Polynesien 1,8
Millionen kg. Deutschlands Einfuhr an Kautschuk beträgt rund 153
Millionen Mark.

Der Kautschuk ist eine Substanz, die sich in Form mikroskopisch
kleiner Kügelchen in geringem Maße bei den milchenden Pflanzen auch
Mitteleuropas wie Mohn, Zichorie oder Wolfsmilch findet, während er
in den Milchsäften zahlreicher Tropenpflanzen einen überwiegenden
Bestandteil bildet, der sich beim Stehen des Saftes vielfach von selbst
abscheidet. Er findet sich im Milchsaft der betreffenden Pflanzen in
ähnlich feiner Verteilung wie die Butter in der Milch und sammelt
sich beim Stehen desselben wie jene an der Oberfläche in Form eines
Rahmes an. Das Zusammenballen der Kautschukkügelchen erfolgt, indem
das Ganze durch den Rauch gewisser Nüsse und Hitze oder durch den
Zusatz von Alkalien, Säuren oder Salzen zur Gerinnung gebracht wird.
Hierbei gerinnen aber die Eiweißstoffe des Milchsaftes, nicht der
Kautschuk, und dabei kleben die kleinen Kautschuktröpfchen zusammen,
wie im Blute der gerinnende Faserstoff, das Fibrin, die Blutkörperchen
zusammenballt. Infolgedessen ist der Kautschuk stets ausgiebig mit
Eiweißstoffen durchsetzt und dadurch leicht geneigt, in Fäulnis
überzugehen oder einen üblen Geruch anzunehmen. Durch Zentrifugieren
kann er allein rein und geruchlos erhalten werden. Chemisch besteht
er im wesentlichen aus einem zu den Polyterpenen (C_{10}H_{16})
gehörenden Kohlenwasserstoff, gemengt mit Harz, wenig ätherischem Öl,
Wachs, Eiweiß und Fett. Seine chemische Beschaffenheit wechselt aber
bei den verschiedenen Pflanzenfamilien, was schon aus der voneinander
abweichenden Beschaffenheit der verschiedenen Handelssorten gefolgert
werden kann. Diese Kohlenwasserstoffe stehen durch ihre Zusammensetzung
den ätherischen Ölen, durch ihre Nichtflüssigkeit, ihr Verhalten gegen
Lösungsmittel und ihre Zersetzungsprodukte den Harzen nahe.

Der älteste technisch zur Anwendung gelangte Kautschuk stammt
vom +brasilianischen Kautschukbaum+ (~Hevea brasiliensis~), der
am Amazonenstrom und an dessen großen Zuflüssen, besonders in
den ausgedehnten Wäldern an der rechten Seite des Stromes, am
Madeira, Tapajoz und Purus wächst. Diese Flüsse werden allein der
Kautschukgewinnung wegen auf weite Strecken hinauf mit Dampfern
befahren. Der hohe, schlanke Baum erreicht eine freie Stammhöhe bis zu
15 m und trägt dann eine lockere, luftige Krone von langgestielten,
dreizähligen Blättern, kleinen, unscheinbaren, rispig angeordneten,
teils männlichen, teils weiblichen Blüten und dreifächerigen
Kapseln, deren Fächer mit zwei Klappen aufspringen und je einen
großen, länglichen, gescheckten Samen enthalten. Letzterer enthält
ein dem Leinöl ähnliches fettes Öl und wie die Blätter Aceton und
Blausäure. Beim Aufspringen der Kapseln wird der Samen eine Strecke
weit fortgeschleudert und so durch den Urwald verbreitet. Mit diesem
verwandte Heveaarten wachsen in Guiana und weiter südlich bis zum Rio
Negro, der sich bei der Stadt Manaos in den Amazonenstrom ergießt,
dann in Venezuela am Orinoko und seinen Zuflüssen bis zu den Anden
von Peru und Bolivia. Sie bilden keine kompakten Wälder, sondern
wachsen zerstreut zwischen anderen Bäumen, so daß man nur selten
zwei oder drei Heveabäume nebeneinander findet. Sie sind auf die
Niederungen beschränkt, in denen ein heißes, feuchtes Klima herrscht
und eine ausgeprägte Regenzeit sich einstellt, infolge deren ihr
Besiedelungsgebiet regelmäßig alle Jahre einmal überschwemmt wird.

Infolge unausgesetzter, rücksichtsloser Ausbeutung sind die
Kautschukbäume in den zugänglicheren Partien der Flußläufe vielfach
ausgerottet worden; doch ist das Gebiet, in dem sie wachsen, so groß,
daß gleichwohl noch keine Erschöpfung der Produktion eingetreten
ist, obschon das Amazonasgebiet allein jährlich bis 30 Millionen
kg Parákautschuk, so genannt, weil er über Pará ausgeführt wird,
produziert. Immerhin ist es auffallend, daß trotz der enormen Bedeutung
des Kautschuks für das Amazonasgebiet der Baum in seiner Heimat kaum
irgendwo kultiviert wird. Die wildwachsenden Bäume werden von den nach
den flaschenartigen, als ~seringas~, d. h. Spritzen, bezeichneten
Rohformen des Kautschuks seringeros genannten Kautschuksammlern in der
Weise angezapft, daß mit einem kleinen Beile ~V~förmige Einschnitte
in die Rinde geschlagen werden, unter deren Verbindungsstelle kleine
Blechbecher angebracht werden, deren Seiten mit Ton verschmiert
sind, damit nichts von dem reichlich aus den Wunden hervorquellenden
Milchsaft daneben fließe und so verloren gehe. Jeder Einschnitt
liefert innerhalb 1-3 Stunden durchschnittlich 30 ~ccm~ Milchsaft.
Die Schnitte, die nur ganz oberflächlich geführt sein dürfen, damit
der Holzkörper nicht verletzt werde, da sich sonst leicht Bohrkäfer
in die betreffenden Wunden einnisten, werden von unten nach oben
fortschreitend in Horizontalreihen angebracht. Dabei erträgt ein
Baum von 1,25-2,5 m Stammumfang sehr gut 10-20 Einschnitte alle
2 oder 3 Tage, bis er endlich erschöpft ist und eine weitere
Milchsaftabsonderung unterbleibt.

[Illustration:

    Tafel 107.

Kautschukbäume (~Hevea brasiliensis~) in Manaos am Amazonenstrom in
Brasilien.]

[Illustration: Das Einschneiden solcher zur Gewinnung des
Kautschuksaftes.]

[Illustration:

    Tafel 108.

Das Anzapfen von Kautschukbäumen (~Hevea brasiliensis~) vermittelst
Spiralschnitt auf einer Plantage Ceylons.]

[Illustration: Das Räuchern des vom Kautschukbaum gewonnenen
Kautschuks.]

Die der Kuhmilch ähnliche, trinkbare, nur etwas nach Ammoniak riechende
Flüssigkeit wird dann aus den Blechbechern in ein größeres Gefäß
gegossen und zur Beschleunigung der Gerinnung geräuchert. Man bringt
zu diesem Zwecke die steinharten Früchte der sogenannten Shevonpalme
(~Attalea excelsa~) oder Paránüsse, oder solche von ~Maximiliana
regia~ und ~Euterpe edulis~ zum Glühen, was einen starken, ölhaltigen
Rauch erzeugt. Dieser letztere wird dadurch zusammengehalten, daß man
ein krugartiges, irdenes Gefäß mit enger Mündung darüber aufstellt.
Der Seringero gießt nun mit einer Kürbisschale etwas vom dicklichen
Milchsaft über ein Holz mit spatenähnlich verbreitertem Ende, läßt
den Überschuß desselben in die darunter gestellte große Blechschale
abtropfen und hält dann den hängengebliebenen Teil in den weißen
Qualm, wobei er den Stock in fortwährender Drehung erhält. Durch
die Wärme des Feuers und die bei der Verbrennung entstehenden
kreosotartigen Bestandteile des Rauches nimmt die Milch in kaum 15
Minuten eine gelbe Farbe an und wird fest. Hierauf wird dasselbe
Verfahren wiederholt und eine Schicht legt sich über die andere, bis
man einen Klumpen von der Größe einer Kegelkugel erlangt hat, der
etwa 15 kg wiegt. Dieser wird dann, nachdem er eine Nacht hindurch
getrocknet hat, aufgeschnitten und vom Holze heruntergestreift,
das zu dessen leichteren Lösung vorher mit einer dünnen Tonschicht
bestrichen wurde, und kommt als +seringa+ in den Handel. Er zeigt
auf dem Querschnitt eine deutliche Schichtung, ist außen braun bis
braunschwarz, aber schon in einer Tiefe von 1 cm bernsteingelb.
Aus dem Reste des Milchsaftes, der in den Gefäßen haften bleibt und
deshalb nicht zu Kugeln verarbeitet werden kann, stellt man kleine,
formlose Stücke her, die unter dem Namen ~barrocha~ oder ~sernamby de
seringa~ in den Handel kommen, aber nur zwei Drittel vom Preise des
Kugelfeingummis erzielen. Dieser sogenannte Speckgummi, an dem man
noch an der verschiedenen Farbe die einzelnen Schichten erkennen kann,
ist äußerst elastisch und fest und übertrifft alle anderen Sorten des
Kautschuks bei weitem an Güte.

Eine geringere Sorte ist der ~caucho~ (sprich kautscho), der in
der Weise gewonnen wird, daß man die Bäume fällt und ihnen durch
angebrachte Einschnitte den Milchsaft entzieht, den man in einem vorher
fertiggestellten Erdloch oder in einem ausgehöhlten Holzklotz sammelt.
Hierauf löst man in einer Blechschüssel ein Stück Seife auf, mischt
das Seifenwasser mit dem zerstampften Kraut der ~Betilla nigra~, einer
dort überall vorkommenden Pflanze, und vermengt diese Mischung mit der
Kautschukmilch, die sehr bald fest wird. So entsteht eine Art Block,
den man mehrere Monate liegen läßt, bis das darin befindliche Wasser
zum größten Teil verdunstet ist. Die Herstellung von ~caucho~ auf die
beschriebene Weise wird weniger in Brasilien als in Peru betrieben.
Seine Ausfuhr geht meist über die Anden nach Bolivia, wohin neuerdings
auch der feinere Parágummi des hohen Ausgangszolles wegen, womit
ihn Brasilien belastet, vielfach transportiert wird, um ihn aus den
Hafenplätzen der Westküste Südamerikas zu exportieren.

Wegen der großen Bedeutung des von ihnen gewonnenen Kautschuks hat man
die Heveabäume, deren höchste Ertragsfähigkeit, nebenbei bemerkt, erst
mit dem 24. Jahre beginnt, auch anderwärts in den Tropen angepflanzt,
so besonders auf Ceylon, Malakka und Java in über zehn Millionen
Exemplaren. Es gelang auch, sie dort vollkommen einzubürgern, aber
überall da, wo der Boden nicht recht naß gehalten werden konnte, war
der Ertrag an Milchsaft ein so überraschend geringer, daß die mit
großen Hoffnungen auf reichen Gewinn unternommenen Kulturen wieder
aufgegeben wurden; die Bäume wurden gefällt und an ihrer Stelle
pflanzte man andere Nutzpflanzen an. Da man auch in Südamerika nur im
Überschwemmungsgebiet des Amazonenstroms reichlich guten Kautschuk
gewinnt und sich mit der weiteren Entfernung von diesem nicht nur
die Menge, sondern auch die Güte desselben verringert, obgleich die
Bäume selbst vorzüglich gedeihen, so hätte dieser Umstand schon einen
Fingerzeig dafür geben sollen, daß die Heveaarten eine ganz besondere
Empfindlichkeit gegen Standort und Klima aufweisen, also nur da mit
Erfolg angesiedelt werden können, wo regelmäßige Überschwemmungen den
Boden sehr stark durchtränken. Von den deutschen Kolonien würde daher
besonders das Küstengebiet von Kamerun mit seinen vielen Flußarmen und
feuchten Niederungen einige Aussicht auf erfolgreiche Kautschukkultur
mit Heveaarten darbieten.

Nun hat man glücklicherweise außer diesen auch weniger anspruchsvolle
Kautschukpflanzen kennen gelernt, unter welchen an erster Stelle
die ebenfalls Nordostbrasilien angehörende Euphorbiazee ~Manihot
glaziovii~, ein 8-15 m hoher Baum mit rötlichgrauer Rinde, von
der sich silberweiße Querstreifen in derselben Weise wie bei der
Birke ablösen, langgestielten, fingerförmig geteilten Blättern und
unansehnlichen, gelbroten Blüten, von denen männliche und weibliche
an denselben Blütenständen sitzen, zu nennen ist. Die Frucht ist
eine 2-3 cm große, fast kugelige dreifächerige Kapsel, die mit
drei Längsschlitzen aufspringt und in jedem Fach einen gescheckten,
sehr hartschaligen Samen besitzt. Die Pflanze enthält in fast
allen Teilen, den Milchsaft ausgenommen, Blausäure. Sie ist in der
Provinz Ceara heimisch und wird deshalb auch +Ceara-Kautschukbaum+
genannt. Sie bildet einen wichtigen Bestandteil der Certâoflora
von Nordostbrasilien, einer den Stein- und Sandsteppen ähnlichen
Formation, und wird ebenfalls neuerdings zu kultivieren begonnen. Sie
läßt sich sehr leicht aus Samen und Stecklingen erziehen und wächst
außerordentlich rasch. Diese guten Eigenschaften zeigten sich auch bei
ihrer Überführung nach den Tropenländern der Alten Welt. Überall wo
man den Baum anpflanzte, auf Ceylon, in Vorder- und Hinterindien, auf
Java, in Ost- und Westafrika, gedieh er auch auf ganz geringwertigem
Boden vortrefflich bis zu einer Meereshöhe von 1000 m, gab aber
eine so geringe und minderwertige Ausbeute an Kautschuk, daß man
an allen Orten mit feuchtem tropischen Klima seinen Anbau wieder
aufgab. Nur in Gegenden mit einer halbjährigen Trockenzeit liefert er
einigermaßen Milchsaft zur Kautschukgewinnung. Schon nach vier Jahren
kann er angezapft werden und liefert dann, wenn dies behutsam, ohne
grobe Verletzung des Holzes geschieht, eine Reihe von Jahren hindurch
das Material zum sogenannten Cearakautschuk, dessen Marktpreis 6,50-7
Mark pro kg beträgt. Noch besser ist es aber, mit dem Anzapfen zu
warten, bis der Baum 6-7 Jahre alt geworden ist, da er dann mehr
aushält. Als 8-9jährig liefert er dann bei insgesamt 24 Anzapfungen
im Jahre höchstens 6 kg Kautschuk, der aber geringwertiger als der
echte Parákautschuk ist. Die Gerinnung seines Milchsaftes wird durch
Hinzugießen von Alaunlösung, neuerdings auch mit Zitronensaft oder
einer billigeren Säure bewirkt. Gegenwärtig wird dieser Kautschukbaum
im trockenen, steinigen Gelände von Deutsch-Ostafrika im großen
angebaut, doch sind die meisten der Bäume dort noch nicht alt genug, um
ertragsfähig zu sein.

Ebenfalls in Nordostbrasilien heimisch und sehr anspruchslos an
Boden und Klima ist der 5-7 m hohe +Mangabeirabaum+ (~Hancornia
speciosa~) aus der Familie der Apocynazeen mit schlaff herabhängenden
Ästen, ziemlich großen Blüten und einer pflaumengroßen, gelben,
rotgestreiften, beerenartigen Frucht. Sie ist in ihrer Heimat als
~manguba~ allgemein bekannt und wird hoch geschätzt, da der Fruchtbrei,
in welchem die Samen liegen, sehr angenehm süß-säuerlich schmeckt und
deshalb gerne gegessen wird. Der Baum wächst in den trockenen Gegenden
Brasiliens von Rio de Janeiro bis Pernambuco, besonders in den ~Campos
cerrados~ den Provinzen Bahia und Pernambuco, geht südlich bis S.
Paulo und westwärts durch Matto Grosso bis zu den Grenzen Perus. Die
gelernten Kautschuksammler zapfen zwar nur erntereiche Bäume sachgemäß
an, die herumziehenden Sammler aber haben arg gehaust und die Bestände
stark gelichtet. Der Staat S. Paulo hat daher zum Schutz und zur
Aufmunterung der Anpflanzung dieser Bäume ein Gesetz erlassen, das
weiteste Beachtung verdient. Seine Genügsamkeit in Verbindung mit
früher Ergiebigkeit und verhältnismäßig hoher Ernte lassen ihn für
die trockenen Gebiete von Deutsch-Ostafrika und des Hinterlandes von
Westafrika geeignet erscheinen; jedenfalls dürfte er bessere Resultate
geben als die anderen bisher genannten Kautschuklieferanten.

Ein Baumriese des mittel- und südamerikanischen Urwaldes ist die
den Maulbeer- und Feigenbäumen verwandte ~Castilloa elastica~.
Einzelne Exemplare des Baumes sollen bis 50 m hoch werden, seine
durchschnittliche Höhe ist aber 20-30 m. Die länglich herzförmigen,
hellgrünen Blätter werden bis 30 cm lang und 18 cm breit. Die
achselständigen Blütenstände weisen einzelne weibliche und gehäufte
männliche Blüten auf, aus welch ersteren 3-5 cm breite, flache
Früchte mit zahlreichen Einzelfrüchten hervorgehen. Eigentümlich ist,
daß der Baum zwei Arten von Zweigen besitzt, von denen die einen,
in der Jugend gebildeten, später abgeworfen werden. Der Baum wächst
vom südlichen Mexiko bis Ecuador und dem nördlichen Peru, meist in
Wäldern, aber auch auf den Grasflächen. Da nun die wilden Bestände
durch den rücksichtslosen Raubbau, der beim Abzapfen des Milchsaftes
meist getrieben wird, sich schon bedenklich vermindert haben, pflanzte
man den Baum zuerst in Westindien und Zentralamerika, dann auch an
zahlreichen anderen Orten der Tropen plantagenmäßig an. Er ist nämlich
eine der sichersten und ergiebigsten Kautschukpflanzen und läßt sich
überall da kultivieren, wo der Anbau von Kakao mit Erfolg betrieben
werden kann. Da er dabei in betreff des Bodens nicht zu wählerisch
ist und eine 3-4monatliche Trockenzeit verträgt, so sind Aussichten
auf erfolgreiche Kultur in vielen Tropenländern vorhanden. Allerdings
stehen angepflanzte Bäume in bezug auf die Menge und Beschaffenheit
des Milchsaftes wildwachsenden nach, doch wird wohl diesem Übelstande
bei mehr Erfahrung in der Pflege einigermaßen abgeholfen werden
können. Auch sind die Versuche, den Baum als Schattenbaum für Kakao
und Kaffee zu verwenden, beachtenswert. In den deutschen Kolonien
scheint er in dem feuchtwarmen Küstenklima von Kamerun, Samoa und
Neuguinea fortzukommen. In Kamerun haben allerdings die Kulturen unter
einem Bohrkäfer stark zu leiden; auf Neuguinea lieferten dagegen die
ersten Anzapfungen recht befriedigende Ergebnisse. Die Gerinnung des
Milchsaftes wird in der Heimat dieses Kautschukbaumes meist durch
Hinzufügen von Saft der zerquetschten ~Ipomaea bona nox~, eines sehr
häufigen Unkrautes aus der Familie der Windengewächse, hervorgerufen.
Die von den gewissenlosen Kautschuksammlern vielfach geübte, weil
bequemste Art der Kautschukgewinnung besteht auch hier darin, daß die
Bäume kurz über der Wurzel gefällt werden. Dabei gewinnt der Sammler
eine fünfmal so große Menge Saft als durch das schonende Anzapfen,
das den Baum erhält und eine spätere regelmäßige Wiederholung des
Anschneidens möglich macht.

Der größte Teil des aus Kolumbien kommenden Kautschuks wird von
einem andern hohen Waldbaum aus der Familie der Euphorbiazeen oder
Wolfsmilchgewächse mit gestielten lanzettlichen Blättern, einfachen
Blütenähren und von Fruchtfleisch umgebenen kugeligen Samen, ~Sapium
verum~, gewonnen, der vornehmlich in Höhen von 2-3000 m wächst. Auch
andere Arten derselben Gattung, die in niederen Regionen heimisch
sind, geben guten Kautschuk, während es zweifelhaft ist, ob ~Sapium
biglandulosum~ in Mittel- und Südamerika, von der man zuerst die
Herkunft des kolumbischen Kautschuks ableiten wollte, überhaupt ein
brauchbares Produkt liefert.

Nächst Südamerika ist Afrika das an Kautschukpflanzen reichste Land,
dessen Kautschukerzeugung in den letzten Jahren, zusammen mit der
wirtschaftlichen Erschließung des Erdteils überhaupt, einen bedeutenden
Aufschwung genommen hat. Unter diesen sind die verschiedenen
Landolphia-Arten die weitaus wichtigsten. Es sind dies Schlinggewächse
aus der Familie der Apocynazeen oder Hundsgiftgewächse mit holzigem
Stengel, die sich vermittels Ranken an benachbarte Sträucher oder Bäume
klammern und an diesen bis in die höchsten Baumwipfel emporklettern.
Sie haben 10 und mehr cm lange, eiförmige Blätter, große, bis
3,5 cm lange trichterförmige Blüten mit aufrechten Zipfeln in
dichten Blütenständen und kleinen Orangen gleichende, gelbe oder
rote Beerenfrüchte, in deren gelbem, säuerlichem Fruchtfleisch die
großen vieleckigen Samen eingebettet sind. Diese Früchte bilden
eine Lieblingsspeise der Affen, werden aber auch vom Menschen gerne
gegessen. Diese Landolphia-Arten, von denen jetzt 14 als gute
Kautschuklieferanten bekannt geworden sind, kommen hauptsächlich in
den Urwäldern West- und Mittelafrikas sehr verbreitet vor und bilden
durch den aus ihnen gewonnenen Kautschuk den Reichtum, aber auch,
wie man es durch die Mißwirtschaft im Kongostaat genugsam erfahren
hat, zugleich, wie früher das weiße und schwarze Elfenbein, den Fluch
des Landes. Manche Arten sind aber schon so weit vermindert, ja fast
ausgerottet worden, daß man sich neuerdings dazu bequemen mußte, sie
auch anzubauen, was allerdings seine Schwierigkeiten hat.

Der Kautschuk wird in der Weise aus ihnen gewonnen, daß man die
dickeren Triebe der Lianen anschneidet, worauf der Saft ausfließt und
mitunter schon an der Luft gerinnt. In den einzelnen Gegenden bedient
man sich verschiedener Mittel, um ihn zum Gerinnen zu bringen; meist
aber wird der saure Saft der Früchte derselben Schlingsträucher dazu
verwendet. Schließlich formt man aus ihm kopfgroße Klumpen, die dann
als solche in den Handel gelangen. Bei der Gewinnung des Kautschuks
verfahren die Neger sehr unvernünftig, indem sie sich nicht die Mühe
nehmen, die Liane anzuschneiden, sondern sie hauen sie einfach kurz
über dem Erdboden ab und fangen den auslaufenden Saft auf. Dies ist
natürlich die bequemste Art der Gewinnung desselben, die auch eine
einmalige größere Ausbeute als das Anzapfen liefert; aber dabei
geht die Pflanze zugrunde, und bei der großen Nachfrage und den
hohen Preisen des Kautschuks liegt die Gefahr nahe, daß durch diesen
Raubbau die ganzen Bestände an Kautschuklianen vernichtet werden. Die
Kolonialregierungen suchen deshalb durch Belehrung der Schwarzen und
Gesetze dieses verhängnisvolle Raubsystem möglichst einzuschränken und
die Eingeborenen zu einer vernünftigen Behandlung der so wertvollen
Kautschuklianen anzuleiten.

Den Landolphien nahe verwandt sind die Clitandra-Arten, ebenfalls in
den Urwäldern der afrikanischen Tropen wachsende Klettergewächse,
die man bis jetzt am häufigsten im Kongobecken und in Kamerun
angetroffen hat. Erst in jüngster Zeit hat man ihren hohen Wert für
die Kautschukgewinnung erkannt, und sie nehmen heute schon in dieser
Industrie eine bedeutende Stellung ein. Der Milchsaft ist bei ihnen
außerordentlich reichlich vorhanden, und zwar in derselben Güte wie
bei den besseren Landolphia-Arten, wird auch in derselben Weise
wie bei jenen gewonnen. In Togo und Kamerun werden versuchsweise
neben den Landolphia- auch Clitandra-Arten auf einigen europäischen
Pflanzungen angebaut. Von niederen, strauchartigen Apocynazeen
derselben Gattung und von mehreren Carpodinus-Arten, die an mehr
trockenen Stellen Westafrikas gefunden werden, gewinnt man den in
den fingerdicken, weithin verästelten Rhizomen in verhältnismäßig
großer Menge abgelagerten Kautschuk, der als +Wurzelkautschuk+ aus dem
nördlichen Kongogebiet und Angola in den Handel kommt. Zur Gewinnung
desselben werden die Wurzelstöcke der krautigen, schmalblätterigen,
etwa meterhohen Pflanzen zerschnitten, einige Tage der Sonne
ausgesetzt, dann gegen zehn Tage in Wasser gelegt, hierauf mit
Holzlatten geschlagen und schließlich gekocht. Das dabei gewonnene
Produkt, dem von den Eingeborenen gewöhnlich Würfelform gegeben wird,
ist sehr minderwertig und enthält oft bis zur Hälfte des Gewichts
Rinden- und Holzstücke. In Ostafrika und Madagaskar liefert eine
andere Apocynazee, ~Mascarenhasia elastica~, die vielfach an sumpfigen
Bachufern wächst, einen Kautschuk mittelmäßiger Qualität, der meist mit
Landolphiakautschuk vermischt in den Handel kommt.

Als weit besserer Kautschuklieferant als diese genannten afrikanischen
Arten wächst in denselben Gegenden Westafrikas von der Goldküste bis
zum Kongo ein ebenfalls in die Familie der Apocynazeen gehörender 30 m
hoher Baum, ~Kickxia elastica~, mit grauer Rinde, lanzettlichen,
lang zugespitzten, lederartigen, dunkelgrünen Blättern und gelblichen
Blüten in dichten Trugdolden. Aus ihnen gehen die aus zwei Kapseln
bestehenden, zahlreiche Samen enthaltenden, 15-20 cm langen Früchte
hervor. Dieser Baum ist erst in neuerer Zeit als Kautschuklieferant
entdeckt worden. Im Jahre 1894 brachten eingeborene Händler aus dem
Lagosgebiet eine bis dahin unbekannte Kautschuksorte zum Verkauf an die
Küstenplätze. Bei näherer Untersuchung erwies sich das neue Produkt als
sehr wertvoll; es wurde gern gekauft, gut bezahlt und infolgedessen
bald in großen Mengen von den Eingeborenen auf den Markt gebracht.
Lange kannte man die Pflanze nicht, die diesen Kautschuk lieferte, bis
im Jahre 1898 der Deutsche ~Dr.~ Paul Preuß am Mungofluß in Kamerun die
Pflanze entdeckte und ~Kickxia elastica~ benannte. Von den Franzosen
und Engländern wird sie aber nach einem auf der Goldküste einheimischen
Namen gewöhnlich ~Funtumia elastica~ genannt. Der Baum ist sehr
reich an stark kautschukhaltigem Milchsaft, der in zweierlei Weise
gewonnen wird. Bei der ersten klettert der Eingeborene auf den Baum
und schneidet von der Krone bis fast auf den Erdboden eine Rinne in
die Rinde des Baumes, in welche in bestimmten Abständen schräglaufende
Seitenrinnen einmünden. Der ausrinnende Milchsaft wird in einem Topf am
Boden aufgefangen und nach dem Gerinnen zu Ballen geformt. Wird dieses
Anzapfen vorsichtig gemacht, ohne daß man durch die Rinde hindurch in
den Holzkörper einschneidet, so wächst der Baum weiter und kann im
folgenden Jahre wieder angezapft werden. Bei der zweiten, allerdings
bequemeren Methode wird der Baum gefällt und der aus ihm herauslaufende
Saft gewonnen. Da durch diesen von den Schwarzen mit Vorliebe geübten
Raubbau schon große Kickxiabestände vernichtet wurden, so daß ein
erheblicher Rückgang der Kautschukgewinnung in den nächsten Jahren zu
befürchten ist, hat man auch diesen Baum neuerdings in Plantagenkultur
genommen. So finden sich heute in Kamerun und auf Neuguinea große,
in Togo und Ostafrika kleine Anpflanzungen des Kickxiabaumes, dessen
Kautschuk an Wert dem echten Parákautschuk nur wenig nachsteht. Da
die Nachfrage nach ihm steigt, wird er neuerdings in größerem Maße
auch im Kongostaat angepflanzt, weil er bedeutend schneller wächst
und ertragsfähig wird als die Kautschuklianen, welch letztere durch
die gewissenlose Raubwirtschaft der die Neger dazu mißbrauchenden
Beamten schon bedenklich dezimiert sind. Während die ersten Anzapfungen
der ~Kickxia elastica~ bereits nach 6-7 Jahren ohne irgend welchen
nennenswerten Schaden für die Weiterentwicklung des Baumes vorgenommen
werden können, tritt eine Verwertungsmöglichkeit der Lianen erst nach
20 Jahren ein. Man kommt daher vom Anbau der Lianen mehr und mehr
zurück und pflanzt sie nur noch dort, wo die ~Kickxia elastica~ nicht
fortkommen will. Der Milchsaft der ~Kickxia africana~ dagegen, auf
den man wiederholt von England aus aufmerksam gemacht hat, ist nach
eingehenden Untersuchungen von ~Dr.~ Traun, einer Autorität in der
Kautschukindustrie, ein für die Technik völlig unbrauchbarer Rohstoff,
der, gutem Kautschuk beigemischt, denselben nur entwertet. Es muß daher
vor seiner Verwendung sehr gewarnt werden.

Ein in ganz Westafrika von Senegambien bis an den Kongo vorkommender
Kautschukbaum ist auch ~Ficus vogelii~ aus der Familie der Morazeen
oder Maulbeerbaumgewächse. Er besitzt auf stattlichem Stamm eine
breit ausladende Krone von dunkelgrünen, stark glänzenden, großen
Blättern, deretwegen er von den Eingeborenen gern als willkommener
Schattenspender auf Dorfplätzen angepflanzt wird. Seine haselnußgroßen,
runden, grünen Früchte bilden eine gesuchte Speise der Vögel und Affen.
Der durch Einschnitte aus ihm gewonnene Milchsaft liefert einen nicht
gerade hervorragenden, aber doch gut verkäuflichen Kautschuk, der
besonders gern mit besseren Sorten gemischt in den Handel gebracht
wird. Deshalb hat man neuerdings in Kamerun begonnen, den Baum in
Kultur zu nehmen.

[Illustration:

    Tafel 109.

Ein der Kautschukgewinnung dienender indischer Gummibaum (~Ficus
elastica~) mit zahlreichen Luftwurzeln auf Sumatra.]

[Illustration:

    Tafel 110.

Allee in einer Anpflanzung von ~Kixia elastica~ in Westafrika.]

[Illustration: Mit Spiralschnitt versehene ~Castilloa elastica~ in
Stephansort auf Neuguinea.]

[Illustration:

    Tafel 111.

Blick in eine Gummiwarenfabrik (A.-G. Metzeler & Cie. in München).]

[Illustration:

    Tafel 112.

Figürchen aus roher Guttapercha, wie sie von den Eingeborenen von
Brasilien geknetet werden.]

[Illustration: Eine Pflanzung von Guttaperchabäumen (~Isonandra gutta~)
auf Java.]

Größere Bedeutung als er hatte bis jetzt sein südostasiatischer
Verwandter, die auch bei uns als Zierpflanze gehaltene und unter dem
Namen Gummibaum allgemein bekannte ~Ficus elastica~, die in ihrer
Heimat als die dort beste Kautschukpflanze kultiviert wird. Sie ist
ein riesiger, bis 60 m hoher Baum, der in der Jugend meist als
Überpflanze auf anderen Bäumen wächst, wohin seine Samen durch die
Vögel und Affen verbracht werden. Später wird er ein Baumwürger und
schließlich erst ein selbständiger Baum mit stark zerklüftetem Stamm,
der von zahlreichen stammartigen Luftwurzeln gestützt wird. Diese
Luftwurzeln erreichen oft die Länge von 25 m bei 1,5 m Umfang.
Die Zweigenden sind mit tütenförmig eingerollten, schön roten oder
weißen Nebenblättern bedeckt, die nach dem Abfallen eine Ringnarbe
hinterlassen. Die Blätter sind an den Bäumen bedeutend kleiner als
bei den als Zimmerpflanzen gehaltenen Exemplaren. Männliche,
weibliche und Gallenblüten bedecken die Innenseite der Feigen, die
gereift gelbgrün und ziemlich fleischig werden. Der Baum wächst vom
östlichen Himalaja, von Sikkim über Assam durch das ganze westliche
gebirgige Hinterindien, über Malakka und Sumatra bis Java und Borneo.
Er bevorzugt den unteren Bergwald, steigt aber im Himalaja bis 1600 m
hoch. Nirgends bildet er Wälder; er findet sich vielmehr zerstreut
im Urwald, und in den kautschukreicheren Wäldern wachsen auf 1 Hektar
nicht mehr als 1-2 Gummibäume. Seit einigen Jahrzehnten hat man in
Assam, auf Java, Sumatra und Borneo, in neuerer Zeit mit bestem Erfolg
auch auf Neuguinea, in Togo, Kamerun und Ostafrika Pflanzungen des
Baumes angelegt, da infolge des Raubbaues die Produktion des Kautschuks
aus wildwachsenden Bäumen stetig abnimmt und trotz den Bemühungen der
Forstverwaltungen ein Schutz der Bäume schwer durchführbar ist. Ein
ungünstiger Umstand für die Rentabilität solcher Pflanzungen ist die
beträchtliche Anzahl von Jahren, die vergehen müssen, ehe man den
Milchsaft in genügender Menge gewinnen kann. Die Anzapfung der Bäume
geschieht wie bei den anderen Arten, indem man mit starken Messern
oder Äxten Einschnitte in die Rinde macht, aus denen dann meist der
geronnene Milchsaft herausgekratzt wird. Ein großer Baum mit einer
Laubkrone von 45-50 m liefert bei einem einmaligen Anzapfen mehr als
2 kg Kautschuk, und diese Menge vermag er 40 und mehr Jahre hindurch
jährlich zu geben. Das Produkt ist infolge von Verunreinigung häufig
schwarz und klebrig und hat im Vergleich zum Parákautschuk einen
geringen Wert, ist aber doch für mancherlei Erzeugnisse zu gebrauchen.
Die Vermehrung des Baumes erfolgt fast stets durch etwa 1 m lange
Stecklinge, die, in die Erde gesteckt, sich sehr schnell bewurzeln
und rasch zu jungen Pflanzen heranwachsen, doch müssen sie ungefähr
15 m auseinander gepflanzt werden, weil sie später mächtige Kronen
entwickeln und ihre weitausladenden Äste mit Luftwurzeln stützen.

Weiter sind noch ~Willoughbya coriacea~ und andere Arten der Gattung
zu nennen, die als große, relativ dickstämmige Lianen des Urwaldes
Hinterindien und den malaiischen Archipel bewohnen und zur Gewinnung
von Kautschuk angezapft werden. Sie haben ebenfalls lanzettliche,
lederartige Blätter, dagegen achselständige Blüten mit flacher
Blumenkrone in Rispen, aus denen große, innen saftige, kugelige
Beeren mit harter Schale und schmackhaftem Fruchtfleisch hervorgehen.
Sie winden sich vermittelst langer, fadenförmiger Ranken an Bäumen
empor, sind aber niemals in Masse an einem Orte zu finden, was die
Ausbeutung erschwert. Der größte Teil des von Borneo ausgeführten
Kautschuks stammt von diesen Lianen. Auf Neuguinea gewinnen die
Eingeborenen aus ~Ficus rigo~, einem 15 m hohen Baum, einen guten
Kautschuk. Da aber der Baum sich nur auf einem beschränkten Gebiet
findet und von den Eingeborenen sehr unvernünftig behandelt wird, so
dürfte er bald ausgerottet sein, wenn man ihn nicht vorher in Kultur
nimmt. Nach seinen Eigenschaften verdient er ernste Beachtung für
Kaiser-Wilhelms-Land.

Endlich sind in neuester Zeit noch zwei Kautschukproduzenten in
Kultur genommen worden, die es verdienen kurz genannt zu werden. Der
eine ist die in Venezuela und Guiana heimische +Kautschukmistel+,
ein Schmarotzergewächs gleich unserer Mistel, die unter anderem
auch auf dem Kaffeebaum gedeiht und sich daher dazu eignet, solche
Kaffeeplantagen, die aus irgend einem Grunde nicht mehr recht
ertragsfähig sind, wieder ertragsfähig zu machen. Der Kautschuk wird
aus den alljährlich erzeugten Früchten gewonnen. Die andere ist eine
den +Guayulekautschuk+ liefernde Komposite Mexikos, die sich zum Anbau
in trockenen Gebieten eignet. Sie bildet niedrige Halbsträucher, die
abgeschnitten werden müssen, um einen Ertrag zu liefern. Doch ist ihr
Anbau bis jetzt, so lange man andere ergiebigere Kautschuklieferanten
besitzt, ein sehr beschränkter.

Im allgemeinen hat die Kautschukproduktion in neuester Zeit nicht in
dem Maße zugenommen, wie es beim immer steigenden Bedarfe für die
Industrie wünschenswert gewesen wäre; Asien nimmt darin im Durchschnitt
eher ab als zu, Afrika erhält sich knapp auf der erreichten Höhe und
selbst das Amazonengebiet scheint den Höhepunkt überschritten zu
haben. Nun darf man allerdings damit rechnen, daß noch manche wichtige
Kautschukpflanzen entdeckt werden, daß die zum Teil recht rohe Art der
Gewinnung verbessert wird, daß es gelingen dürfte, die Ergiebigkeit zu
steigern und auch aus bisher wenig beachteten Pflanzen guten Kautschuk
zu gewinnen. Am meisten ist aber von der Ausbildung der Kulturen in
großem Maßstab zu erwarten. Es müssen für die einzelnen Länder und
Standorte die geeignetsten Kautschukpflanzen ausfindig gemacht werden,
deren Milchsaft wenn immer möglich mit Zuhilfenahme von maschinellen
Einrichtungen zu verarbeiten wäre, was die Qualität des Rohproduktes
bedeutend verbessern würde.

Aus einem im April 1910 in der Times erschienenen Aufsatz: ~Rubber
developments in 1910~ entnehmen wir, daß die Vereinigten Staaten
den größten Teil des aus Südamerika auf den Markt gebrachten
Kautschuks konsumieren. Im Jahre 1909 belief sich die Produktion an
wildgewachsenem Kautschuk auf 64 Millionen kg; davon entfielen auf
Brasilien 38 Millionen kg. Man könnte annehmen, daß die fortwährende
und enorme Preissteigerung dieses Handelsartikels auch eine stetige
Produktion desselben herbeiführen müßte. Aber Brasilien dürfte am Ende
seiner Leistungsfähigkeit angelangt sein. Man wird kaum allzusehr fehl
gehen, wenn man die Erzeugung von Urwaldkautschuk in den nächsten
Jahren auf 66-72 Millionen kg berechnet; zählt man noch 27 Millionen
kg aus Plantagen hinzu, so gelangt man zu einer Gesamtproduktion
von annähernd 100 Millionen kg. Vorläufig ist sie allerdings noch
wohl imstande, die Nachfrage zu decken; da aber diese weit rascher
wächst als das Angebot, so werden sich beide binnen kurzem die Wage
halten. Deshalb beginnen die großen Kautschukproduzenten ihr Augenmerk
darauf zu richten, wie die Kontinuität der Erzeugung erhalten oder gar
eine Vermehrung herbeigeführt werden könne. Es ist dies eine für die
Weltwirtschaft sehr wichtige Frage, die aber nicht in Afrika, sondern
der Hauptsache nach in der Neuen Welt gelöst werden muß. Nicht nur ist
der afrikanische Kautschuk qualitativ durchaus minderwertig, sondern
er ist durch die jahrzehntelang geübte Raubwirtschaft immer seltener
geworden. Von den 70 Millionen kg Kautschuk des Jahres 1908 lieferte
Afrika nur 14 Millionen kg und dieser Ertrag hat seither nicht in
erwähnenswerter Weise zugenommen, wenn auch in jüngster Zeit englische
Gesellschaften auf deutschem Kolonialgebiet größere Landerwerbungen zum
ausgesprochenen Zweck der Kautschukgewinnung machten. Es ist geradezu
ein Trost, zu vernehmen, daß vor allem das Kongobecken, in welchem
die unglückliche Bevölkerung unter dem Zwang des vom hartherzigen
Leopold II. eingeführten Systems der Gummierzeugung beinahe zugrunde
gerichtet wurde, schon jetzt fast nicht mehr mitkonkurrieren kann.
Denn wenn die Kautschukgewinnung am Kongo auf die Dauer nicht mehr
rentiert und preisgegeben werden muß, so könnte noch derjenige
Teil der schwarzen Bevölkerung, der den Anforderungen der großen
Kautschukproduktionsgesellschaften noch nicht erlag, gerettet werden.

Auch in Brasilien fordert das ungesunde Klima der Urwälder
am Amazonenstrom, in denen der wichtigste und ertragreichste
Kautschuklieferant, die ~Hevea brasiliensis~, die heute noch 60 Prozent
der Gesamtproduktion liefert, wächst, zahlreiche Opfer, so daß dadurch
der Wert der wildwachsenden Bestände von Kautschukbäumen beeinträchtigt
wird. Deshalb beruht die Zukunft der Kautschukindustrie durchaus auf
den Anpflanzungen dieses Baumes, der schon im 5. Jahre angezapft
werden kann, während die ~Castilloa elastica~ dies erst im 7. bis 9.
Jahre zu tun gestattet und zudem einen geringeren Ertrag liefert.
Diese haben besonders in Malakka, auf Java, Sumatra und Ceylon bereits
eine große Ausdehnung erlangt und sind recht einträglich, da der
Plantagenkautschuk zurzeit besser als der wilde brasilianische bezahlt
wird. Wenn er auch reiner und sauberer als dieser ist, kann sich
gleichwohl dieses von nicht ausgewachsenen Bäumen stammende Produkt an
innerem Wert nicht mit dem von den wilden, oft bis zu 30 Jahre alten
brasilianischen Gummibäumen gewonnenen Erzeugnis messen. Auch weist die
in den asiatischen Plantagen gezüchtete Hevea bereits eine gefährliche
Krankheit auf, deren Ursache man noch nicht recht auf die Spur gekommen
ist. Man ist geneigt anzunehmen, daß das südamerikanische Gewächs dem
vulkanischen Boden von Java und Sumatra sich nicht anzupassen vermag.
Mit großen Opfern suchen die Pflanzer nach einem Heilmittel dafür; denn
ihre ganze Existenz hängt davon ab. Zudem hat die indische Regierung
vom Juni 1910 an alle Arbeitsverträge der zahllosen aus Indien
stammenden Kulis, die als Plantagenarbeiter auf Kautschukpflanzungen
des malaiischen Archipels verdingt sind, aufgehoben, so daß bei
der Schwierigkeit, aus der einheimischen malaiischen Bevölkerung
die nötigen Arbeitskräfte zu erhalten, neue Heveaplantagen kaum
angelegt werden können. Auch in Brasilien und Peru, wo neuerdings
eine englisch-französische Finanzgruppe an den Ostabhängen der Anden
in Gebieten, die für die Züchtung des Guttaperchabaumes geradezu
ideale Vorbedingungen aufweisen, große Heveakulturen angelegt haben,
bildet die Beschaffung der nötigen Arbeitskräfte einen Gegenstand
der Besorgnis, da auf die trägen und sorglosen Eingeborenen nicht
zu rechnen ist. Nun hat die japanische Regierung die Überführung
japanischer Arbeiter, die sich durch Fleiß und Genügsamkeit
auszeichnen, nach diesen südamerikanischen Kautschukplantagen in großen
Massen gestattet, so daß dadurch die für alle Plantagen so wichtige
Arbeiterfrage aufs beste gelöst zu sein scheint. Wenn sich dann nur
keine Rassenfrage mit der Zeit daraus entwickelt. Schon in wenigen
Jahren können aus diesen Heveakulturen allfällige Ausfälle in der Ernte
des brasilianischen wilden Kautschuks gedeckt werden. Jedenfalls beruht
die Entwicklung und Zukunft der modernen Kautschukindustrie in erster
Linie in der sehr zukunftsreichen südamerikanischen Kautschukproduktion
aus der ~Hevea brasiliensis~.

Dem Kautschuk sehr nahe verwandt ist die +Guttapercha+ -- aus dem
Malaiischen ~getah-pertcha~, d. h. Milchsaft von Sumatra, entstanden
-- die im malaiischen Archipel aus dem Milchsaft einiger zur Familie
der Sapotazeen gehörender Bäume gewonnen wird. Merkwürdigerweise
war der Gebrauch dieses Pflanzenproduktes zu allen technischen
Zwecken bei den Eingeborenen Malakkas und Indonesiens lange nicht so
verbreitet, wie derjenige des Kautschuks unter den brasilianischen
Indianerstämmen. Die Bekanntschaft der Kulturwelt mit demselben ist
noch ziemlich jungen Datums. Zwar waren schon im Jahre 1830 Muster
dieses Harzes aus Singapur an die Asiatische Gesellschaft nach London
gesandt worden, sie fanden jedoch nicht die geringste Beachtung.
Diese wurde erst erregt, als im Jahre 1843 der Engländer Montgomery
dem Londoner Gewerbeverein Mitteilungen über diesen Stoff machte,
den er als Stiel einer von Eingeborenen benutzten Axt, der sich im
warmen Wasser erweichen und biegen ließ, kennen lernte. Kurze Zeit
darauf legte der Spanier Joze d’Almeida der Asiatischen Gesellschaft
in London eine Probe der Guttapercha vor; daraufhin gelangten 100 kg
dieses Materials versuchsweise aus Singapur nach London. Die
ausgezeichneten Eigenschaften desselben riefen aber sehr schnell
eine bedeutende Nachfrage nach ihm hervor, so daß schon 1845 11000 kg
nach England gebracht wurden. Die so schnell hervorgerufene Nachfrage
hatte zur Folge, daß die Gewinnung der Guttapercha, die zunächst
nur in den Sümpfen von Dschohor auf der Insel Singapur aus dem
+Guttaperchabaum+ (~Palaquium gutta~) von Malaien und Chinesen
gesammelt wurde, bald gewaltige Dimensionen annahm. Aber durch die
dabei geübte rücksichtslose Raubwirtschaft, der ganze Wälder des
so wertvollen Baumes durch Umhauen zum Opfer fielen, wurde dieser
Guttaperchalieferant auch in der weiteren Umgebung von Singapur ganz
ausgerottet. Da sah sich die englische Guttaperchahandelsgesellschaft
gezwungen, einen rationellen Betrieb einzuführen und nur noch das
Anzapfen der Bäume wie beim Kautschuk zu dulden. An Stelle des
inzwischen gänzlich ausgerotteten ~Palaquium gutta~, eines bis 20 m
hohen dickstämmigen Baumes mit glänzenden, lederartigen Blättern,
gelben Blüten und Beerenfrüchten, von dem in den ersten vier Jahren
der Guttaperchagewinnung über 300000 Exemplare gefällt wurden,
traten andere Arten von Palaquium, sowie ~Payena leeri~, welch
letztere aber einen leicht faserig werdenden Stoff, der auch weniger
elastisch ist, liefert. Ihr Milchsaft ist auch weißer als derjenige
der Palaquium-Arten. Um Getah zu sammeln, ziehen die Eingeborenen
Sumatras in Gruppen von 3-4 Personen in den Wald, meist in Begleitung
eines Mannes, der es versteht, die Geister der zu fällenden Bäume zu
beschwören. Haben sie solche gefunden, so werden sie gefällt, die
Stämme horizontal gelegt und vermittels eines breiten Messers in
Entfernungen von 30-50 cm auf der oberen Hälfte mit 2 cm breiten,
um ein Drittel des Umfangs herumlaufenden Einschnitten versehen.
Der hierbei herausfließende Saft wird nicht eingesammelt, da er für
minderwertig gilt. Die breiten Einschnitte füllen sich aber bald mit
einem dickeren Milchsaft, der alsbald mit einem hakenförmigen Werkzeug
so gründlich als möglich aus den Rinnen herausgekratzt wird, wo er
mit Rindenteilen und Holzsplittern vermischt zu Klumpen gerinnt. Nach
Hause zurückgekehrt werfen die Getahsammler die Klumpen in Töpfe mit
70° C. heißem Wasser und kneten die schnell erweichende Masse so
lange mit den Händen durch, bis alle Rinden- und Holzstücke entfernt
sind, was aber selten vollständig gelingt. Dann formt man die Masse
zu kugeligen oder rechteckigen Stücken und bringt sie zur Ausfuhr.
Nach Burck liefert ein Baum von 40 cm Stammumfang durchschnittlich
160 g Getah. In Borneo werden nach demselben Gewährsmanne jährlich
gegen 26 Millionen Bäume gefällt, um den stets wachsenden Bedarf an
Guttapercha zu decken. Es wäre dies aber nicht nötig, wenn man den
Milchsaft in ähnlicher Weise gewänne wie den Kautschuk. Deshalb ist es
erklärlich, daß die holländische Regierung ihre Aufmerksamkeit diesem
Vernichtungswerke zugewandt hat, und da es sich undurchführbar erwies,
das Einsammlungsverfahren der Eingeborenen zu verbessern, so begann sie
damit, an verschiedenen Orten Kulturen von Guttaperchabäumen anzulegen,
die recht gut gedeihen und für später Erfolg versprechen. Die durch
Einschnitte erhaltene rohe Guttapercha, von den Malaien ~getah-muntah~
genannt, wird, bevor sie nach Europa geschickt wird, mit Wasser und
etwas Zitronensaft oder Kokosnußöl gekocht, von Verunreinigungen
befreit und in Formen von 10-20 kg gegossen.

Die Guttapercha des Handels ist in den besten Sorten fast weiß, sonst
rötlich, oft ziemlich dunkel und marmoriert, auf dem Schnitt heller;
sie fühlt sich fettig an und ist im Gegensatz zum Kautschuk bei
gewöhnlicher Temperatur nur biegsam und wenig dehnbar, aber nicht
elastisch. Sie wird aber bei 45° C. teigig, bei 65° weich und
knetbar, läßt sich dann zu dünnen Blättern auswalzen und in Formen
pressen, deren feinste Details sie nachher bewahrt. Bei 100° wird
sie klebrig und bei 150° schmilzt sie bei teilweiser Zersetzung.
Sie widersteht den meisten Lösungsmitteln und besteht aus 78-82
Prozent Gutta (C_{10}H_{16})_{n} und drei Oxydationsprodukten dieses
Kohlenwasserstoffes: Fluovil, Alban und dem sehr unbeständigen Guttan.
Außerdem enthält sie Gerbstoffe, Salze und zuckerähnliche Stoffe. An
der Luft und am Licht wird sie durch Sauerstoffaufnahme so verändert,
daß sie, die vorher ein Nichtleiter der Elektrizität war, ein guter
Leiter derselben wird. Man bewahrt sie deshalb am besten in Gruben
auf, die mit Wasser gefüllt und vom Licht abgeschlossen sind. Auch
im Erdboden hält sie sich sehr gut. So waren unterirdisch gelegte
Telegraphenkabel nach mehr als 25 Jahren noch völlig unverändert,
ebenso Seekabel, die in den Jahren 1850-69 gelegt worden waren. Gegen
Schwefel verhält sich Guttapercha ähnlich wie Kautschuk, nur läßt sie
sich schwieriger vulkanisieren. Ein Gemenge von 1 Teil Guttapercha
und 2 Teilen Kautschuk steht in bezug auf seine Eigenschaften in
der Mitte zwischen beiden Substanzen. Guttapercha wird technisch
zu den verschiedensten Gegenständen verwendet, bei denen es auf
Undurchdringlichkeit gegen Wasser, Widerstand gegen Alkohol, Laugen und
Säuren ankommt und keine höhere Temperatur mitwirkt. Am meisten findet
sie in der Elektrizität zur Isolierung der Leitungsdrähte in Kabeln
usw. Verwendung. Bei oberirdischen elektrischen Leitungen werden die
Drähte einfach mit dem dünn ausgewalzten Guttaperchapapier umwickelt,
diese durch die Spiritusflamme zum Schmelzen gebracht und die Isolation
ist fertig. Unersetzlich ist die Guttapercha -- und darin liegt ihr
Hauptwert -- bei der Herstellung unterseeischer Kabel, während nämlich
alle anderen Isolatoren vom Seewasser angegriffen und endlich zerstört
werden, ist sie der einzige Stoff, der sich nicht nur hält, sondern mit
der Zeit eher härter und undurchdringlicher wird. Bis jetzt sind sowohl
für den Kautschuk, als für die Guttapercha nur schlechte Surrogate
bekannt, so daß es für die Industrie sehr wichtig ist, daß diese
beiden Stoffe weiterhin in guter Qualität beschafft werden können.
Hauptstapelplatz aller Sorten von Rohguttapercha ist Singapur. Zwei
Drittel von dessen Ausfuhr, die von 1885-96 32 Millionen kg im Werte
von 100 Millionen Mark betrug, gehen nach London und Liverpool; den
Rest nehmen die Märkte von Hamburg, Rotterdam und Marseille auf.

In dieselbe Familie der Sapotazeen wie der Guttaperchabaum gehört auch
der amerikanische +Zapotill-+ oder +Balatabaum+ (~Achras ballota~),
ein Baum Guianas und sämtlicher Antillen, dessen beim Ausschneiden
herausfließender Milchsaft zu einer der Guttapercha ähnlichen,
lederartig zähen, schneidbaren und sehr elastischen Masse wird, die
gegenwärtig unter dem einheimischen Namen Balata jährlich in Mengen
von gegen 100000 kg namentlich von Berbice, dem östlichen Distrikt
von Britisch-Guiana, aus in den europäischen Handel gelangt, um als
Surrogat der Guttapercha namentlich zu Treibriemen, Schuhsohlen und
-Absätzen, sowie zu chirurgischen Zwecken gebraucht zu werden. Der
Stamm dient in seinem Vaterlande als Bauholz und kommt auch als
Nutzholz unter der Bezeichnung ~bully tree wood~ oder ~Balata rouge~ in
den Handel.

Sehr nahe verwandt mit ihm sind der +Zapota-+ oder +Breiapfelbaum+
(~Achras sapota~) und die +Mammei-Sapote+ (~Lucuma mammosa~), die in
Westindien und im nördlichen Südamerika heimisch sind. Der Milchsaft
beider findet technische Verwendung und beide liefern zugleich eßbare
Früchte. Die Mammei-Sapote liefert eine Art Guttapercha, die aber
bisher wenig Verwendung fand. Größere Bedeutung kommt dem Zapota- oder
Breiapfelbaum zu, dessen guttaperchaähnliches Produkt zur Fabrikation
des bei den Bürgern der Vereinigten Staaten so überaus beliebten
+Kaugummis+ verwendet wird. Es ist dies der +Chiclegummi+, der durch
Anzapfen des Zapotabaumes gewonnen wird. Die aus den Einschnitten der
Rinde dieses Baumes hervortretende milchweiße Flüssigkeit wird über
Feuer eingedickt und soll schließlich eine hellgraue Farbe annehmen.
Für den Export gibt man dem Chiclegummi eine brotlaibähnliche Gestalt.
Ein Gummisammler oder „Chiclero“ kann täglich bis zu 7,5 kg Chicle
gewinnen und erhält für das Kilogramm 20-30 Cents (= 85-135 Pfennige).
Um einen Teil des Eingangszolls nach den Vereinigten Staaten zu sparen,
der zurzeit 20 Cents pro Kilogramm beträgt, läßt man den Chicle zuerst
in Kanada reinigen und trocknen, wodurch er etwa die Hälfte seines
ursprünglichen Gewichtes verliert. Bei der Weiterverarbeitung wird der
Gummi noch mit allerlei Zutaten wie Zucker, Vanille und Pfefferminze
versehen. Irgend welche medizinisch wirksame Stoffe sind in dem reinen
Chiclegummi nicht vorhanden, gleichwohl wirkt er schon auf mechanischem
Wege konservierend auf die Zähne. Die Menge des nach den Vereinigten
Staaten eingeführten Chicle belief sich im Jahre 1908/09 auf 2725019 kg
im Werte von 1987112 Dollar, während die Einfuhr im Jahre 1885 erst
464979 kg betrug. Der Preis des Gummis, der vor dem Jahre 1888 nur
14-16 Cents pro Kilogramm betrug, ist heute auf 96 Cents gestiegen.
Die Jahresproduktion der amerikanischen Fabriken wird auf 3 Milliarden
Stück Kaugummi angegeben. Sicherlich ist nicht sowohl das Kauen, als
vielmehr das damit verbundene Spucken, in welcher Fertigkeit die
Yankees geradezu eine verblüffende Virtuosität erlangt haben, eine für
Fremde wenig angenehme Gewohnheit dieses Volkes.

Der den Chiclegummi liefernde Zapotabaum, der teils wild wächst,
teils angepflanzt wird, liefert daneben, wie gesagt, auch eine
sehr geschätzte Frucht, den Breiapfel. Ferner wird sein Holz,
das sehr schwer und hart und dem Mahagoni ähnlich ist, gerne zur
Möbelfabrikation verwendet. In den alten mexikanischen Ruinen
findet man ausgezeichnet erhaltene Türrahmen und Balken, wie auch
Wandschnitzereien aus Zapotaholz als Beweis dafür, wie außerordentlich
dauerhaft dieses ist.



XXIV.

Die Harze und Lacke.


Wie Milchsaft, Gummi und ätherische Öle, so sind Balsame, Gummiharze
und Harze sehr häufig in Pflanzen enthalten und können auf verschiedene
Weise daraus gewonnen werden. Die Milchsäfte und die daraus
hervorgehenden Federharze wie Kautschuk und Guttapercha wurden im
vorigen Abschnitte besprochen, während die Balsame und Gummiharze
in den folgenden Abschnitten behandelt werden sollen. Sie sind mit
größeren oder kleineren Mengen von ätherischen Ölen vermengte Schleime
und Harze, die nach dem Ausfließen durch Verdunsten der ersteren mehr
oder weniger rasch erhärten. Die ätherischen Öle, die ihnen meist
einen starken Geruch verleihen, können durch Destillation mit Wasser
aus ihnen ausgezogen werden, wobei Schleim und Harz zurückbleiben. Es
sind Schutzstoffe der Pflanze zum Verschließen von Wunden und dadurch
zur Abhaltung des Eindringens von irgend welchen Krankheitserregern
bestimmt. Meist werden sie durch künstlich beigebrachte Verletzungen
gewonnen. Zu den Balsamen gehören Mekka-, Peru-, Tolu-, Kopaiva-,
Styrax- und Kanadabalsam, zu den Gummiharzen Styrax, Benzoë,
Ammoniakum, ~Asa foetida~ oder Stinkasant, Euphorbium, Galbanum,
Gummigutti, Sagapenum, Myrrhe und Weihrauch, die alle meist medizinisch
Verwendung finden.

In der Pflanze sind auch die Harze mit flüchtigen ätherischen Ölen
vermengt, als deren Oxydationsprodukte sie überhaupt entstehen.
Sie unterscheiden sich von ihnen durch Sauerstoffgehalt und
Nichtflüchtigkeit. Sie finden sich besonders in tropischen Pflanzen
und bei uns in den Nadelhölzern; und zwar kommen sie in allen
Pflanzenteilen vor, sind aber am reichlichsten in den Rinden, aus denen
sie durch Einschnitte gewonnen werden. Sie sind meist gelb oder braun,
durchscheinend, anfänglich weich, verhärten aber durch Verdunstung
der in ihnen enthaltenen ätherischen Öle. Als solche nennt man sie
Hartharze, weil sie bei gewöhnlicher Temperatur spröde und fest sind.
Sie brennen mit rußender Flamme und geben bei trockener Destillation
brennbare Gase und Öle ab. In ihren physikalischen Eigenschaften
stehen sie den Fetten nahe, doch besitzen sie eine vollständig von
jenen abweichende chemische Konstitution. Kein Harz ist ein chemisches
Individuum, sondern ein Gemisch von Resinen, Resenen, Harzsäuren usw.

Die ätherischen Öle, aus denen die Harze durch Sauerstoffaufnahme und
andere Veränderungen hervorgehen, sind meist sauerstofffrei, nur aus
Kohlenstoff und Wasserstoff zusammengesetzt, daher leicht brennbar. Das
wichtigste derselben ist das +Terpentinöl+, das aus dem +Terpentin+,
einem durch Einschnitte in den Stamm von Nadelhölzern gewonnenen
balsamartigen Harzfluß durch Destillation vermittelst Wasserdämpfen
gewonnen wird. In Deutschland dienen zur Terpentingewinnung
verschiedene Kiefern und Fichten, so besonders ~Pinus silvestris~ und
~Picea excelsa~; das südfranzösische Terpentin dagegen, das weniger
Terpentinöl als das deutsche besitzt, wird von der Strandkiefer
(~Pinus maritima~) gewonnen. Das Straßburger Terpentin wird von der
Weißtanne (~Abies pectinata~), das venezianische in Südtirol von der
Lärche (~Larix decidua~) gewonnen. In den Vereinigten Staaten von
Amerika, die weitaus das meiste Terpentin erzeugen, wird es außer von
verschiedenen Pinusarten namentlich von der Hemlockstanne (~Tsuga~),
einem im östlichen Nordamerika sehr verbreiteten, bis 40 m hohem
Baum von 1,3 m Durchmesser, vom Bau der Rottanne, gewonnen, während
der verwandte Kanadabalsam ein in Kanada und den Nachbarländern aus
der Balsamtanne (~Abies balsamei~ und ~fraseri~) erzielter Terpentin
ist. Alle diese werden vorzugsweise im Frühjahr durch Eröffnen der
Harzgänge der Rinde durch Schnitte oder Anbohrungen gewonnen und in
darunter gestellten Gefäßen gesammelt. Die Menge wechselt zwischen
2 und 3,5 kg pro Baum und Ernte, kann aber bei alleinstehenden,
starken Fichten, auf deren Erhaltung es weiter nicht ankommt, bis auf
40 kg getrieben werden, wonach allerdings ein so mißhandelter Baum
gewöhnlich eingeht. Dieses gelblichweiße, honigdicke, starkklebende,
balsamische Harz reagiert sauer, ist löslich in Alkohol, Äther und
ätherischen Ölen, enthält 15-20 Prozent Terpentinöl, Harz, Harzsäuren,
wenig Ameisen- und Bernsteinsäure. Durch Destillation des Terpentins
mit Wasser wird daraus das klare, farblose, stark lichtbrechende
Terpentinöl gewonnen, das an der Luft Sauerstoff aufnimmt und ihn
teilweise in Ozon verwandelt, wodurch es bleichend wirkt, dickflüssig
wird und zu einer durchsichtigen, harten Harzschicht eintrocknet. Es
löst Harze, Kautschuk, Schwefel, Fette und dient zum Herstellen von
Lacken und Firnissen, zum Verdünnen von Ölfarben, zum Entfernen von
Fett- und Farbenflecken aus Kleidern, zum Bleichen von allerlei Geweben
und Elfenbein, als Arzneimittel, als Schutz gegen Phosphorvergiftung
in Zündhölzchenfabriken und zum Verfälschen ätherischer Öle. Der bei
der Gewinnung des Terpentinöls aus dem Terpentin zurückbleibende
entwässerte Rückstand ist das +Kolophonium+ oder +Geigenharz+, das
bei 130-135° schmilzt und, außer zum Bestreichen der Geigenbogen,
zur Herstellung von Siegellack, Harzseifen, Harzöl, Firniß, Kitt,
zum Löten, zum Leimen des Papiers, zu Blitzpulver usw. dient. Die
Produktion der Vereinigten Staaten allein an Terpentinöl beträgt
jährlich 70 Millionen kg im Wert von 32 Millionen Mark, und zwar wird
über die Hälfte davon von Savannah im Staate Georgia exportiert, das
der erste Weltmarkt für Terpentin ist. Die bedeutendsten europäischen
Märkte sind London, Hamburg, Antwerpen, Bordeaux. Qualitativ ist die
französische Sorte die beste; sie wird in der Technik vielfach der
amerikanischen vorgezogen. An dritter Stelle kommt die Produktion
Rußlands, die zum größten Teil im Lande selbst Verwendung findet.

Schon im Altertum kannte und verwendete man solches Terpentin.
So schreibt der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende
griechische Arzt Dioskurides in seiner Arzneimittellehre: „Aus der
Pinie (~pítys~) und Kiefer (~peúkē~) kommt ein flüssiges Harz, das aus
Gallien und Etrurien in den Handel kommt, früher auch aus Kolophon
-- der ionischen Stadt an der Küste Lydiens -- gebracht wurde und
deswegen ~kolophōnía~ genannt wird. Es kommt auch vom Fuße der Alpen
vom Baume, den die Leute dort ~larix~ (Lärche) nennen. An Farbe ist
es verschieden; denn es gibt reinweißes, ölfarbiges, honigfarbiges,
wie das vom Lärchenbaum. Auch die Zypresse gibt ein flüssiges Harz. --
Trockenes Harz kommt von der Arve, der Weißtanne, der Schwarzkiefer,
der Pinie. Von allen wählt man das, was am besten riecht, durchsichtig,
weder zu trocken, noch zu naß ist, sondern wie Wachs ist und sich
zerreiben läßt. Am besten ist das von Pinien und Weißtannen, das gut,
fast wie Weihrauch riecht. Vorzüglich schätzt man das von der Insel
Pityusa (d. h. Pinieninsel, jetzt Iviza), welche bei Spanien liegt.
Es wird mit und ohne Wasser über einem Kohlenfeuer gekocht und zu
wohlriechenden, erweichenden Pflastern benutzt. Ausgeglühtes Harz wird
auch zu Pflastern, zu stärkenden Arzneien und zum Färben der Salben
gebraucht. Durch Verbrennen des Harzes gewinnt man Ruß, wie aus dem
Weihrauch. Er dient vorzugsweise zum Färben der Augenlider, wie auch
zum Heilen von deren Krankheiten. Aus Ruß wird auch die schwarze Tinte
(~to mélan~, eigentlich: das Schwarze) bereitet, mit der wir schreiben.“

Unter Terpentin verstand man im Altertum das Harz der von den Griechen
~therébinthos~ genannten Terpentinpistazie (~Pistacia therebinthus~),
eines südeuropäischen, dem Nußbaume ähnlichen Baumes, der heute
besonders auf Chios und den benachbarten Inseln, dann auf Rhodos
und Cypern zur Gewinnung des nach dem Anschneiden herausfließenden
Terpentins kultiviert wird. Wir erhalten ihn hauptsächlich von den
Kykladen, und zwar Chios, doch meist mit venezianischem Terpentin
vom Lärchenbaume oder mit Straßburger Terpentin von der Weißtanne
verfälscht. Außerdem liefert die Terpentinpistazie rundliche, durch
Stiche der Pistazienblattlaus (~Aphis pistaciae~) hervorgerufene,
oft innen mit gelben Harztropfen gefüllte, Pistazien- oder
Terpentingalläpfel genannte Gallen, die, wie auch die Blätter des
Baumes, zum Gerben und Rotfärben dienen. Diesen Baum und seine Produkte
beschreibt schon der pflanzenkundige Grieche Theophrast (390 bis 286
v. Chr.) in seiner Pflanzengeschichte. „Die Terebinthe (~términthos~)
wächst am Ida und in Makedonien klein und strauchartig; bei Damaskus
in Syrien ist sie aber groß und schön. Es soll dort ein Berg sein, der
ganz mit Terebinthen bestanden ist. Das Holz ist zäh, die Wurzeln sind
stark und gehen tief. Die Blüte ist derjenigen des Ölbaumes ähnlich,
aber rot. Außer der Frucht trägt der Baum auch Gallen, worin kleine
Tierchen wohnen. In diesen steckt eine harzige Flüssigkeit, die man
aber nicht sammelt. Das Harz gewinnt man aus dem Holze, die Frucht
gibt nicht viel Harz.“ Von letzterem sagt der vorhin genannte Arzt
Dioskurides, es werde aus dem steinigen Arabien gebracht, aber auch in
Judäa, Syrien, Libyen, auf Cypern und den Kykladen gewonnen. Es sei
das beste aller Harze; nach ihm folge an Güte das Mastixharz, dann
dasjenige von Pinie und Tanne. „Es wird innerlich und in Pflastern
viel angewandt. Man gibt dem durchsichtigen, farblosen, jedoch
etwas bläulichen, wohlriechenden den Vorzug, auch muß es den echten
Terpentingeruch haben.“

Die Verwendung des Harzes der Terpentinpistazie ist in den
Mittelmeerländern und im Morgenlande uralt. Die alten Ägypter nannten
es ~sunter~ und bezogen es teils aus Syrien und Cypern, teils aus dem
Lande Punt (Südarabien). Noch häufiger gebrauchten sie das Harz der
ihr nahe verwandten Mastixpistazie (~Pistacia lentiscus~), das sie
~fatti~ nannten, während der Baum selbst bei ihnen ~schub~ hieß. Dieses
Mastixharz, von dem man drei Sorten, nämlich ein schwarzes, rotes und
weißes unterschied, diente in Ägypten seit den ältesten Zeiten zu
Räucherungen in den Tempeln und als Heilmittel. Es war ein wichtiger
Bestandteil der ~kyphi~ genannten und zu heiligen Räucherungen
verwendeten Harzmischung und wird schon in Inschriften aus der Zeit
Pepis I. (um 2600 v. Chr.) erwähnt; auch diente es zum Einbalsamieren
der Leichen. Heute findet es im ganzen Orient seine Hauptverwendung als
Kaumittel, um das Zahnfleisch fest und den Atem wohlriechend zu machen.
Diese besonders bei den Frauen im Harem zur Kurzweil geübte Sitte muß
ebenfalls schon uralt sein; denn nach ihr nannten die Griechen dieses
Harz ~mastíchē~ (von ~mastázein~ kauen, ~mástax~ Mund, Bissen). So
schreibt Dioskurides in seiner Arzneimittellehre: „Das Harz, das aus
dem Mastixbaum (~schínos~) gewonnen wird, heißt ~mastíchē~ und macht
gekaut den Atem angenehm und zieht das Zahnfleisch zusammen. Es wird
auch zu Zahnpulvern benutzt und als Arznei gebraucht, wird auch in
die Haut des Gesichtes gerieben, um ihr Glanz zu verleihen. Das beste
und meiste liefert die Insel Chios; solches ist glänzend, hat die
Farbe des tyrrhenischen Wachses, ist zerreiblich, wohlriechend. Das
grüne ist schlechter. Die Verfälschung geschieht mit Weihrauch und
Zapfenharz.“ Sein Zeitgenosse Plinius sagt in seiner Naturgeschichte:
„Es gibt verschiedene Sorten von Mastix (~mastiche~); am höchsten wird
der weiße von Chios geschätzt. Von ihm kostet das Pfund 20 Denare (12
Mark), während der dunkelfarbige nur 12 gilt. Der Mastix von Chios
soll wie ein Gummi aus der Mastixpistazie (~lentiscus~) herausfließen
und erhärten. Er, wie auch die Blätter des Baumes sind vielfach in
arzneilichem Gebrauch. So weiß ich, daß der Arzt Demokrates der
Considia, Tochter des Konsularen Marcus Servilius, geraten hat, Milch
von Ziegen zu trinken, die mit ~lentiscus~ gefüttert wurden, und daß
der Erfolg ein günstiger war.“

Auch im Mittelalter war der Mastix ein wichtiges Arzneimittel. In
Westeuropa war er im 9. Jahrhundert n. Chr. eine große Seltenheit,
doch fand er bald darauf durch Vermittlung der arabischen Ärzte im
Arzneischatze des Abendlandes Eingang. Im 16. Jahrhundert wurde er
regelmäßig in den Apotheken geführt. Heute noch wird er hauptsächlich
auf der Insel Chios, daneben in geringerer Menge auf Samos und Cypern
gewonnen. Zu dem Zwecke wird der strauchartige Mastixbaum in großen
Beständen kultiviert und aus ihm das Balsamharz, das sich in besonderen
Behältern in der Rinde befindet, durch Einschnitte in Stamm und
Zweige gewonnen. Diese werden von Mitte Juni an zwei Monate hindurch
von der Basis des Stammes bis hinauf in die Äste in Form von geraden
oder gekreuzten Schnitten gemacht, aus denen das Harz in Tropfen
heraustritt, um entweder direkt am Baum, oder, wenn es herabtropft,
auf untergelegten Blättern oder Steinplatten zu erhärten, was nach
2-3 Wochen der Fall ist. Dann wird es sorgfältig in mit Papier oder
Baumwollenzeug ausgelegte Körbchen gesammelt. Ein Bäumchen liefert
4-5 kg. Von den in den Handel gelangenden etwa 300000 kg Mastix im
Werte von einer halben Million Mark liefert die von den Türken ~Sakîs
ada~, d. h. Mastixinsel genannte Insel Chios den größten Teil, und
zwar ist die beste Sorte die an den Zweigen von selbst ausgeschwitzte,
die kleine, durchsichtige, anfänglich grünliche, später gelbliche
Stücke bildet. Die Masse wird bei langsamem Kauen im Munde erweicht,
schmilzt bei 108° und entwickelt dabei einen balsamischen Geruch. Außer
als Kaumittel dient sie im Orient als Beigabe zu Konfitüren und zur
Darstellung des sehr beliebten, feinen Likörs Raki oder Mastichi, den
man mit Wasser vermischt trinkt, bei uns zu Räucher- und Zahnpulvern,
Kitt und besonders Firnis.

In ähnlicher Weise wird das wohlriechende +Elemiharz+ verwendet,
das Theophrast als Gummi des äthiopischen Ölbaums erwähnt. Schon
im 16. Jahrhundert fand es als ~Resina elemnia~ als Räucher- und
Wundheilmittel, wie auch zu Salben bei uns ziemlich häufige Verwendung.
Es ist dies ein Sammelname für mehrere Harze, die aus Ostindien zu uns
kamen. Das am meisten gebrauchte ist das offizinelle Manilaelemi, das
von dem auf den Philippinen, besonders der Insel Luzon, aber auch auf
dem asiatischen Festland kultivierten ~Canarium luzonicum~ gewonnen
wird, und zwar durch zweimal jährlich wiederholtes Anschneiden des
Baumes. Um einen rascheren Erguß des Harzes zu erzielen, wird in der
Nähe des Baumes ein Feuer angezündet. In frischem Zustande stellt es
eine klare, wenig gefärbte Auflösung von Harzen in ätherischem Öl dar,
aus der sich das Harz zum Teil in fester Form ausscheidet, so daß
es undurchsichtig ist. Es riecht balsamisch und schmeckt gewürzhaft
bitter. Die beste Sorte ist gelblich bis grünlichweiß, zähflüssig,
klebrig und erhärtet beim längeren Aufbewahrtwerden. An Stelle dieser
schwer in Europa zu beschaffenden Droge führte man nach der Entdeckung
Amerikas verschiedene ähnliche wohlriechende Harze ebenfalls unter
demselben Namen Elemi in Europa ein, so das grünlichgelbe, später durch
Ausscheidung von festem Harz kreidig aussehende Harz der in Yukatan
und Mexiko wachsenden ~Amyris plumieri~, einer sehr nahen Verwandten
des Weihrauchbaumes, dann dasjenige von Carana- und Protiumarten in
Westindien, Venezuela und Nordbrasilien. Später haben auch Ost- und
Westafrika von Boswelliaarten Elemi geliefert. Doch wird neuerdings
wieder am häufigsten der Manilaelemi verwendet, den der Jesuit Camellus
1701 zuerst erwähnt.

Dem Elemi ähnlich ist das +Gommartharz+, das auf Martinique
und Guadeloupe von ~Bursera gummifera~ gewonnen wird. Es ist
außen weißlich, innen grünlich oder gelblich, geschichtet,
riecht terpentinartig und wird zu Firnissen benutzt, ebenso zu
lithographischen Umdruckfarben, zum Steifmachen der Hüte und zu Salben
und Pflastern. In derselben Weise dient der Cayenneweihrauch von ~Icica
heptaphylla~ und das Harz von Occumé vom Gabunfluß in Westafrika.

Viel wichtiger als diese ist das +Dammarharz+. Dammar ist ein
malaiisches Wort, das Harzträne, Harz bedeutet. Das in den Handel
gelangende Dammarharz ist das freiwillig in großen Mengen austretende
und bald an der Luft erhärtende Harz von ~Shorea wiesneri~ und
anderen Dipterocarpazeen, hohen, Wälder bildenden Bäumen Vorder- und
Hinterindiens und der südasiatischen Inseln. Es stellt gelblichweiße,
durchsichtige, außen bestäubte Körner oder unförmliche Massen
verschiedener Größe dar, ist im Bruche glasglänzend, muschelig,
etwas klebend, leicht zerreiblich, riecht angenehm balsamisch und
löst sich vollständig in Alkohol, Äther, Chloroform, Benzol und
Schwefelkohlenstoff. Es dient zu technischen und Beleuchtungszwecken,
zur Herstellung von Heftpflaster und liefert einen Firnis, der zwar
nicht so dauerhaft wie der Bernstein- oder Kopalfirnis ist, aber,
weil billig, farblos, klar und glänzend, sich sehr gut zum Überziehen
von Ölgemälden eignet. Die erste Aufzeichnung über das Dammarharz
findet sich um 1670 bei Rumphius, einem 1627 geborenen Deutschen,
der als holländischer Konsul auf Amboina wirkte. Es gelangt seit
1827 hauptsächlich von Sumatra in den Handel. Die echte Droge ist
das ~dammar putih~ oder weiße Harz der Malaien, während das ~dammar
batu~ oder Steinharz, eine Art Manilakopal, der früher für das Dammar
des europäischen Handels gehalten wurde, von der mit dem Dammarbaum
verwandten Dipterocarpazee ~Vateria indica~ stammt. Das ~dammar item~
oder schwarze Harz rührt vom ostindischen ~Canarium strictum~
und ~C. rostratum~ der Molukken her. Das ~dammar mekong~ oder gelbe
Harz und das ~dammar mata kutjing~ oder Katzenaugenharz stammt von
Hopeaarten der Halbinsel Malakka, während der ~dammar dagieng~ oder
Rosendammar von ~Resinodendron rassak~, der ~dammar selo~ vom indischen
Jackbaum (~Artocarpus integrifolia~) besonders auf Malakka und das
Saulharz von ~Shorea robusta~ auf Sumatra und Java gewonnen wird.

[Illustration:

    Tafel 113.

Gewinnung von Rohterpentin in den Fichtenwäldern von Nordkarolina.]

[Illustration: Destillation des reinen Terpentins in den Wäldern von
Nordkarolina.

(Beide Bilder: ~Copyright by Underwood & Underwood.~)]

[Illustration:

    Tafel 114.

Die neuseeländische Kaurifichte (~Agathis australis~).]

[Illustration: Kopalbäume (~Trachylobium verrucosum~) in
Deutsch-Ostafrika.

(Nach „Karsten u. Schenck, Vegetationsbilder“.)]

Erst seit dem Mittelalter ist in Europa das nordafrikanische
+Sandarakharz+ bekannt, das man von Wacholderarten abstammend wähnte
und deshalb auch Wacholderharz hieß, bis der Naturforscher und Arzt
Broussonet (1761-1807) von Montpellier, der längere Zeit auf den
Kanarischen Inseln lebte und dort Pflanzen sammelte, zu Ende des 18.
Jahrhunderts die in den Gebirgen des nordwestlichen Afrika, besonders
im Atlas und seinen Vorbergen, heimische Zypressenart ~Callitris
quadrivalvis~ als den wirklichen Erzeuger des von den Arabern Sandarak
genannten Baumharzes entdeckte. Als solches kam es erst durch die
arabischen Ärzte in Europa als innerliches und äußerliches Heilmittel,
das auch zu Räucherungen und zur Herstellung von Pflastern und Salben
diente, auf. Unter ~sandarache~ verstand man im Altertum das von uns
Realgar genannte Schwefelarsen, während das von uns Sandarak geheißene
Harz den Alten nicht bekannt war. Wohl kannten diese sehr wohl die
ihn erzeugende Zypressenart, die die Griechen ~kédros~ und die Römer
nach ihnen ~citrus~ nannten und deren Holz sie außer zu Schiffsbauten
besonders in der Luxustischlerei zu kostbaren Möbeln und mottensicheren
Kleiderkisten benutzten, aber daß ein Harz von ihr gewonnen werde, wird
von keinem Schriftsteller derselben erwähnt. In der arabischen wie auch
in der persischen Literatur des Mittelalters wird es als ~sindarûs~
oder ~sandarûs~ mehrfach erwähnt und dabei seine Ähnlichkeit mit dem
Bernstein hervorgehoben.

In Europa hieß das Harz im Mittelalter ~vernix~ oder ~bernix~ --
wie übrigens wohl auch der Bernstein --, was auf seine Verwendung
zu Firnissen schließen läßt; denn das deutsche Wort +Firnis+ ist
wie auch das französische ~vernis~ und das englische ~varnish~ aus
~vernix~ hervorgegangen. Heute noch dient es außer in der Arzneikunde
besonders zur Herstellung von Firnissen, Kitten und Lacken. Die
Sandarakzypresse ist ein in Algerien forstlich gepflegter, meist 6 m
hoher, sparrigästiger Baum oder Strauch, der teils freiwillig, teils
aber durch Einschnitte in Stamm und Äste -- durch letztere gewöhnlich
geübte Manipulation wird eine viel größere Ausbeute erhalten -- den in
der Außenrinde enthaltenen Harzsaft herausfließen läßt. Getrocknet
bildet es spröde, blaßgelbliche bis fast bräunliche, durchsichtige
Körner, die beim Kauen nicht erweichen; es schmeckt balsamisch-harzig,
etwas bitter, riecht beim Erwärmen balsamisch und etwas terpentinartig.
Es wird mit Mastix, Kolophonium, Fichten- und Dammarharz verfälscht.
Außer diesem hauptsächlich aus Marokko zu uns gelangenden echten
Sandarak wird neuerdings in großer Menge ein ihm sehr ähnliches, nur in
Weingeist reichlicher lösliches Harz von verschiedenen Callitrisarten
als australischer oder tasmanischer Sandarak aus den Küstengebieten
Australiens und Tasmaniens zu uns gebracht.

Bei dieser Gelegenheit wird es am Platze sein, einige Worte über
den +Firnis+ zu sagen, dessen Bezeichnung, wie gesagt, aus der
mittelalterlichen Benennung des Sandaraks seinen Ursprung nahm. Man
versteht darunter an der Luft schnell trocknende und eine glänzende,
meist durchsichtige Decke auf den damit überzogenen Gegenständen
bildende Flüssigkeit. Dabei unterscheidet man aus trocknenden Ölen
bereitete +fette Firnisse+, dann durch Lösung von Harzen in diesen
Ölen hergestellte +Lackölfirnisse+ oder +fette Lacke+ und endlich
durch Lösung von Harzen in Terpentinöl oder Alkohol hergestellte
+Terpentinöl-+ und +alkoholische Firnisse+. Auch Äther, Kampferöl,
Holzgeist und Aceton werden als Lösungsmittel angewendet. Unter ihnen
sind die fetten Firnisse weitaus am dauerhaftesten, widerstehen der
Wärme und Feuchtigkeit am besten, trocknen aber am langsamsten. Sie
bestehen aus trocknenden Ölen, besonders Lein- und Mohnöl, deren
Fähigkeit an der Luft unter Aufnahme von Sauerstoff zu trocknen durch
Behandlung mit sauerstoffabgebenden Stoffen wie Bleiglätte, Braunstein
oder Bleizucker erhöht werden kann. So wird beispielsweise Leinölfirnis
in der Weise hergestellt, daß man helles, kalt gepreßtes Leinöl unter
Umrühren etwa 2 Stunden kocht, dann nach Hinzufügen von 3 Prozent
Bleiglätte abermals 3 Stunden kocht. Hierauf läßt man die Flüssigkeit
mehrere Monate lagern, bleicht sie auch in einem mit einer Glasplatte
bedeckten Bleikasten in 10 cm hoher Schicht durch Sonnenlicht.
Der weitaus feinste Firnis aber ist der +Kopallack+, wie auch der
+Bernsteinlack+.

Unter dem Sammelnamen +Kopal+ versteht man sehr verschiedene, schwer
schmelzbare, bernsteinähnliche Baumharze, die nach den verschiedenen
Verschiffungsplätzen unterschieden werden und teils rezent, zum
größten Teil aber fossil sind, d. h. von vorweltlichen Harzbäumen
getropft sind und in kleineren oder größeren Klumpen aus der Erde
gegraben werden. Besonders Afrika ist reich an Kopalen, von denen man
hauptsächlich den ostafrikanischen oder Sansibar- und Mosambikkopal und
den westafrikanischen oder Kamerunkopal unterscheidet.

Der ostafrikanische +Sansibar-+ und +Mosambikkopal+ wird meist an der
Küste zwischen 5 bis 15° südlicher Breite gegraben und stammt von der
Leguminose ~Trachylobium verrucosum~. Es ist dies ein bis 40 m hoher
Baum mit mächtigem Stamm und weit ausgebreiteten Ästen, lederförmigen
Blättern, ziemlich großen, roten Schmetterlingsblüten in Rispen und
länglichen, warzigen, nicht aufspringenden Hülsenfrüchten. Er ist ein
typischer Küstenbaum, der nur im Bereich der Seewinde gedeiht, auch
an den Küsten Madagaskars wächst und neuerdings zur Harzgewinnung auf
Ceylon und Java angepflanzt wird. Stamm und Äste sind vielfach mit
einem klaren Harzüberzug reichlich bedeckt. Dieses Harz wird vom Baume
abgelöst und kommt als Baumkopal in den Handel. Weitaus der meiste
Kopal wird aber in einem 150-300 km breiten Küstenstreifen, wo der
Baum einst unweit des Meeres gedieh und in der Folge spurlos bis auf
das von ihm ausgeschwitzte unverwesliche Harz verschwand, aus der Erde
gegraben. Dieser ist im rohen Zustande von einer mit Sand vermengten
undurchsichtigen Verwitterungskruste bedeckt, im Innern jedoch
vollständig klar und durchsichtig, von blaßgelber bis blaßrötlicher
Farbe. Um diese Sand- und Verwitterungskruste zu entfernen, wird er mit
Soda oder Pottaschenlauge gewaschen und zeigt dann eine facettierte
Oberfläche, welche man allgemein als Gänsehaut bezeichnet. Er ist
der härteste aller Kopale und kommt darin dem Bernstein fast gleich.
Er dient zur Herstellung der besten Lacke und Firnisse, die imstande
sind, Wind und Wetter lange Zeit erfolgreich zu widerstehen. Die
größten, schönsten und durchsichtigsten Stücke werden wie Bernstein
zu Dreh- und Schnitzarbeiten verwendet. Übrigens unterscheidet man
von diesem fossilen Kopal zwei Sorten: eine, die Chakazzi genannt
wird, nur eine schwache Verwitterungskruste besitzt und eine geringe
Härte aufweist, als Beweis dafür, daß sie erst verhältnismäßig kurze
Zeit im Boden gelegen haben kann. Sie findet sich über dem Boden oder
ganz oberflächlich im Boden an Stellen, wo der Baum noch vorkommt,
zumeist aber im Rückgang begriffen ist. Der eigentliche, reife Kopal
aber liegt tiefer im Boden, von Sand und Erde überlagert, an Stellen,
wo weit und breit keine Kopalbäume mehr zu sehen sind, weil sich
das Meer inzwischen weit zurückgezogen hat und infolgedessen die
Lebensbedingungen für dieselben aufhörten günstige zu sein. Es ist
schon längst auch aus andern Tatsachen festgestellt worden, daß die
Ostküste Afrikas in langsamem Vorrücken begriffen ist und das Meer
einst jene steppenartigen, öden Gegenden bespülte, in denen jetzt der
Kopal gegraben wird. Wenn die auf den Nordostmonsun folgenden Regen die
Erde aufgelockert haben, beginnen die Eingeborenen mit kleinen Hacken
nach diesem fossilen Harze zu graben, von dem jetzt schon jährlich für
über eine Million Mark über Sansibar ausgeführt wird. Bei geordnetem
Betrieb könnte noch viel mehr davon gewonnen werden, was eine wichtige
Einnahmequelle für das Deutsche Reich bedeuten würde, da fast die ganze
Kopalgegend zur deutschen Kolonie gehört.

Auch die Küste von Westafrika weist von Sierra Leone bis nach Benguela
hin an zahlreichen Orten fossilen Kopal auf. Er wird in Mergel,
Sand oder Lehm in Tiefen bis zu 3 m gefunden und kommt neuerdings
in viel größeren Mengen als der ostafrikanische in den Handel,
ist aber von geringerer Qualität und wird nur mit 2 Mark per kg
bezahlt, während jener beinahe das Dreifache davon gilt. Während der
Kopal von Angola eine demjenigen von Sansibar ähnliche, nur größere
Oberflächenfacettierung zeigt, auch in größeren, bis 2 kg schweren
Klumpen ausgegraben wird, ist derjenige von Gabun oder Benguela von
eigenartigen, tiefen Sprunglinien durchzogen, an denen er leicht
erkannt werden kann. Diese sind dadurch entstanden, daß sich das
Harz im Laufe der Zeit an der Peripherie stärker zusammenzieht als
im Innern; wenn dies nur in geringem Maße geschieht, so bildet sich
die für den Sansibarkopal charakteristische facettierte Oberfläche
von kleinen, polygonalen Wärzchen. Seit einigen Jahren kommt auch
aus Kamerun Kopal in den Handel, der für diese Kolonie von Bedeutung
zu sein scheint. Er wird in faust- bis kindskopfgroßen, graugelben
Stücken gefunden und ist meist von einer starken, gelblichweißen
Verwitterungskruste bedeckt. Dies und seine außerordentliche Härte
beweisen, daß wir es ebenfalls mit einem fossilen Baumharze zu tun
haben. Rezent vom Baume gewonnenes Harz ist dort nicht bekannt; doch
findet sich in Kamerun ein Kopalbaum, aber kein Trachylobium, sondern
eine andere, Copaifera genannte Leguminose. An einzelnen Stellen
Nordkameruns findet sich dieses Harz in mächtigen Lagern im Boden und
kann leicht gegraben werden. An Stellen, an denen es vermutet wird,
legt man Probeschürfungen an und beutet dann das Gefundene aus. Doch
wird hier wie überall sonst in Afrika die Kopalgewinnung bis jetzt
recht nachlässig betrieben. In Jahren, da die Feldfrüchte gut geraten
und der Neger genug zu essen hat, wird er nie daran denken, Kopal zu
graben; denn solches verursacht Mühe, und jede Anstrengung sucht er
nach Möglichkeit zu vermeiden. Merkwürdig ist, daß hier so wenig als in
der ostafrikanischen Kolonie sich das deutsche Kapital bis jetzt um die
Ausbeutung dieser Naturschätze bekümmerte.

Ist nun Afrika recht eigentlich das Land der Kopale zu nennen, so
findet sich dieses Naturprodukt auch anderwärts, so als Brasilkopal
an der Ostküste Südamerikas, als Manilakopal auf den Philippinen,
Sundainseln und Molukken und als Kaurikopal auf der Nordinsel von
Neuseeland. Der +Brasilkopal+ ist die weichste Kopalart, findet sich
niemals fossil, sondern stammt durchgehends von jetzt noch lebenden
Bäumen. Am häufigsten kommt das von ~Hymenae courbaril~ stammende Harz
in Form von knolligen, gelben bis dunkelgrünen Stücken mit einem ganz
dünnen, kreidigen Überzug in den Handel. Wahrscheinlich liefern auch
noch andere Arten von ~Hymenae~ in Südamerika Kopal. Der +Manilakopal+
fließt in Massen aus dem Stamm einer stattlichen Fichte, ~Agathis
dammara~, hervor, vereinigt sich an den Wurzeln in Klumpen, wird häufig
vom fließenden Wasser fortgeschwemmt und sammelt sich nicht selten
am Ufer der Flüsse in großen Blöcken an. Er kommt in bis zu 40 kg
schweren Stücken in den Handel. Die Oberfläche derselben ist meist
etwas dunkler gefärbt als das Innere, doch fehlt eine eigentliche
Verwitterungskruste. Die Farbe ist gewöhnlich bernsteingelb, seltener
braun, der Geruch ist angenehm balsamisch, ähnlich demjenigen des
Kaurikopals. Dieser +Kaurikopal+ stammt von der neuseeländischen
Kaurifichte (~Agathis australis~), die auf den nördlichsten Teil der
Nordinsel beschränkt ist und hier nur an ihr besonders zusagenden
Stellen vorkommt. Das ist um so bedauerlicher, da sie nicht nur ein
sehr schöner, stattlicher, bei einem Stammdurchmesser von bis zu 7 m
50 m Höhe erreichender Baum mit zahlreichen Ästen und dunkeln
Blättern ist, sondern auch treffliches Nutzholz und große Mengen Harz
liefert. Dieses letztere fließt freiwillig aus dem Stamm und sammelt
sich in großen Klumpen an den Wurzeln, findet sich aber auch am und
im Boden an Stellen, wo ehemals Kauriwälder standen, massenhaft, oft
in mehreren Lagen übereinander, vor, so daß das zumeist von dort
angesiedelten Österreichern ausgeübte Gewerbe des Kopalgrabens ein
sehr lohnendes ist. Diese Kopalgräber, fast ausschließlich Dalmatiner,
wohnen meist in Auckland und ziehen mit einem dünnen Stahlspeer
und einer gewöhnlichen Schaufel ausgerüstet auf die Suche nach dem
Kaurikopal. Zunächst wird der Speer in die Erde gestoßen. Fühlt nun
der Gräber, daß er auf einen Kaurikopalklumpen gestoßen ist, so beginnt
er zu graben. Neuerdings werden auch weite Strecken umgegraben, ohne
daß erst der Stahlspeer Anwendung findet. Die Klumpen schwanken von
Nuß- bis Kindskopfgröße, doch hat man gelegentlich auch bis 46 kg
schwere Massen gefunden. Als Zeichen, daß sie schon sehr lange im Boden
gelegen haben, sind sie meist mit einer starken Verwitterungskruste
überzogen. Im Gegensatz zur weißlichen Farbe des frisch aus dem
Kauribaume geflossenen, auch viel weicheren Kopals ist diejenige des
härteren fossilen, seiner Entstehungszeit nach meist ins Tertiär
zurückreichenden Kopals hellgelb bis dunkelbraun; doch sind letztere
Stücke, die meist aus sumpfigen Stellen gegraben werden, weniger
beliebt. Die Masse ist hart, riecht intensiv balsamisch und schmeckt
gewürzhaft. Als der neuseeländische Kaurikopal gegen das Ende der
1840er Jahre zuerst aufgefunden und nach London geschickt wurde, hatte
man zunächst keine Verwendung dafür. Von den Amerikanern lernten dann
die Engländer seine trefflichen Eigenschaften kennen und schätzen. So
benutzten sie ihn bald außer zur Herstellung von Lacken und Firnissen
zum Beschweren der Seide, bei der Linoleumfabrikation usw. Infolge der
vermehrten Nachfrage wurde seine Gewinnung immer eifriger betrieben.
Während sein Export noch im Jahre 1860 nur wenig über 100000 kg
im Werte von 890000 Mark betrug, war er 1899 auf über 11 Millionen
kg im Werte von 13 Millionen Mark gestiegen. In letzter Zeit ging
die Produktion desselben etwas zurück; doch sind jetzt noch über
7000 Personen mit seiner Gewinnung beschäftigt. Ein ganz ähnliches,
ebenfalls von einer Agathis stammendes fossiles Harz wird übrigens auch
in Neu-Kaledonien gegraben und kommt ebenfalls als Kaurikopal in den
Handel.

Zur Herstellung von Lacken und Firnissen wird der Kopal, um ihn
löslich zu machen, geschmolzen. Ist er wieder erstarrt, so wird er
gepulvert und längere Zeit der Luft ausgesetzt. Zur Bereitung von
fettem Kopalfirnis mischt man den geschmolzenen Kopal sofort mit
erhitztem Leinölfirnis, kocht, wenn der Lack weich werden soll,
einige Zeit, setzt dann das ebenfalls erhitzte Terpentinöl hinzu und
filtriert nach dem Erkalten durch graues Löschpapier. Elastischen
Kopalfirnis erhält man aus 3 Teilen Kopal, 1,5 Teilen Leinölfirnis
und 9 Teilen Terpentinöl. Doch wird letzteres erst zugesetzt, nachdem
der Leinölfirnis mit dem Kopal 2-3 Stunden gekocht hat. Etwas mehr
Leinöl macht den Lack noch elastischer; nimmt man aber nur 1,25
Teil Leinölfirnis und kocht nicht, so trocknet der Firnis schnell.
In Chloroform oder Benzol gelöster Kopal wird als Kaltlack in der
Photographie benutzt.

Für die Kulturgeschichte Europas von außerordentlicher Bedeutung ist
der +Bernstein+, von den Franzosen und Engländern als gelbe Ambra
bezeichnet -- ein Produkt, über das alles Mögliche gefabelt wurde (die
echte graue Ambra, deutsch ursprünglich Amber, nach dem arabischen
~anbar~, da die arabischen Ärzte zuerst diesen Stoff dem Abendlande
übermittelten, genannt, findet sich in Stücken von bis zu 90 kg
Gewicht, 1,5 m Länge und über 0,5 m Dicke bei Madagaskar, Java,
Japan, Surinam, Brasilien im Meere schwimmend, bis seine Herkunft
als Auswurfsstoff des bis 25 m Länge erreichenden Pottwals dadurch
erkannt wurde, daß man ihn auch in den Gedärmen jenes Zahnwales fand.
Der Amber ist eine graubraune, leichte, wachsartige, in der Hand
erweichende Masse von sehr verschiedener, meist graubrauner Färbung
und höchst angenehmem Geruch, löst sich in Alkohol und Äther, läßt
sich in kochendem Wasser in eine ölige Flüssigkeit umwandeln und
bei großer Hitze verflüchtigen. Er wurde früher als Aphrodisiacum,
dann als Arzneimittel verwendet, dient heute nur noch als Parfüm in
Räuchermitteln und wohlriechenden Ölen und Seifen). Der deutsche
Ausdruck Bernstein, der noch im 16. und 17. Jahrhundert Börnstein (im
angelsächsischen ~burn~ brennen ebenfalls enthalten) hieß, bedeutet
Brennstein, weil dieser an der südlichen Ostseeküste in Ostpreußen
vom stürmischen Meere meist in sogenanntem Bernsteinkraut (Tangen,
besonders ~Fucus vesiculosus~ und ~fastigiatus~) eingehüllt ans
Ufer geworfene zitronengelbe bis weiße oder rotbraune, mehr oder
weniger durchsichtige Stein ins Feuer geworfen mit rußender Flamme
und Ausströmenlassen eines aromatischen Geruches verbrennt. Seine
geheimnisvolle Herkunft auf den Wogen des Meeres in Verbindung
mit der für einen Stein höchst merkwürdigen Eigenschaft, brennbar
zu sein, machte ihn schon in sehr früher vorgeschichtlicher Zeit
zuerst in seiner Heimat und dann weit darüber hinaus zu einem höchst
wertvoll geachteten Amulette und zugleich, dank seiner schönen
Farbe und prächtigen Politurfähigkeit, auch Schmuckstein. Von der
jüngsten neolithischen Zeit an wurde er besonders zur Bronze- und
ersten Eisenzeit durch Tauschhandel immer weiter nach Süden zu den
reichen Völkern am Mittelmeer, den Etruskern, Mykenäern, Syrern und
Ägyptern verbreitet, in deren Gräbern wir ihn in Perlenform zum
Tragen an einem Bande um den Hals finden. Kein anderes Naturprodukt
hat die Kultur Deutschlands in der jüngeren vorgeschichtlichen Zeit
so mächtig beeinflußt als der Bernstein, der bald auf zwei durch
zahlreiche Depotfunde von dagegen eingetauschten Artikeln, besonders
Bronzewaffen, dann auch durch Beeinflussung ihrer Ornamentik und ihrer
Töpfereiprodukte deutlich als solche charakterisierten Handelswegen
nach Süden transportiert wurde. Der eine führte der Weser entlang,
durchs Tal der Fulda nach dem Rheintal und von da über einige
Alpenpässe nach Italien und gleichzeitig ins Rhonetal, der andere
führte die Oder aufwärts durch das Tal der March ins Gebiet der
Donau. Die Griechen nannten den Bernstein ~élektron~ -- ein Ausdruck,
aus welchem bekanntlich unsere Bezeichnung Elektrizität hervorging,
weil man am Elektron, wenn er gerieben wurde, zuerst die später als
elektrisch erkannten Eigenschaften entdeckte. Wie die vornehmen
Mykenäer Bernsteinschmuck trugen, den wir in ziemlicher Menge unter
den Totenbeigaben ihrer reich mit kunstvoll aus Gold und Silber und
einer wegen der Farbe ebenfalls als ~élektron~ bezeichneten Mischung
beider Edelmetalle hergestellten Schätzen ausgestatteten Gräber
finden, so trugen auch die Männer und Frauen der homerischen Zeit
Bernsteinschmuck. Nach den ältesten auf uns gekommenen Nachrichten der
Griechen sollen die diesen wertvollen Schmuckstein zu ihnen bringenden
phönikischen Bernsteinhändler erzählt haben, daß im Nordwesten der
Erdscheibe sich der Eridanos (als mythologischer Name später auf den
Po bezogen) in den Okeanos (das die Erdscheibe umgebend gedachte
Meer) ergieße, an dessen Mündung gewisse Bäume von der dort nahe
vorbeifahrenden Sonne Bernstein ausschwitzen. Aus dieser Sage geht
hervor, daß schon die alten Phönikier und die von ihnen weitgehend
beeinflußten Griechen den Bernstein richtig als Baumharz erkannten.
Dies war auch bei den Römern der Fall, die ihn ~succinum~ nannten, weil
er aus dem Saft (~succus~) bestimmter Bäume, die Plinius geradezu als
eine Art Pinien bezeichnet, entstanden sei.

Selbstverständlich hat es schon die Kulturvölker des Altertums aufs
höchste interessiert, zu erfahren, was für eine Bewandtnis es mit dem
aus unbekanntem Norden zu ihnen gelangenden Bernstein auf sich habe.
Der erste, von dem wir wissen, daß er um die Säulen des Herkules (die
Meerenge von Gibraltar) herum eine Entdeckungsreise nach dem Norden
unternahm, um die Heimat des Bernsteins wie auch des Zinnes und
köstlicher Felle zu erkunden, war der Grieche Pytheas aus Massalia
(Marseille) zur Zeit Alexanders des Großen um 330 v. Chr. Über seine
Reise nach Britannien, der Insel Thule (wohl eine der Shetlandinseln)
und dem Bernsteinland (wahrscheinlich an der Nordseeküste Schleswigs)
schrieb er dann nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt einen Periplus,
d. h. Umfahrt, benannten, uns in einzelnen Fragmenten erhaltenen
Bericht, worin er erzählt, daß der Bernstein (~élektron~) auf der
Insel Abalos im Okeanos gegenüber dem germanischen Volke der Guttonen
von den Wellen angetrieben werde. Jedenfalls ist er nicht in die
Ostsee, geschweige denn ins Samland gelangt, sondern wird den von
ihm mitgeteilten Bescheid von den Bewohnern Nordfrieslands an der
Westküste Schleswigs, zu denen er gelangte und bei denen er den
Bernstein eintauschte, erhalten haben. Jedenfalls ist auch späterhin
noch Bernstein von der friesischen Nordseeküste her zu den Völkern
des Mittelmeeres gebracht worden, da der um 79 n. Chr. verstorbene
Römer Plinius die von ihm Glessarien oder Elektriden genannten
Bernsteininseln ins germanische Meer gegenüber Britannien verlegt.

Die erste sichere Andeutung der samländischen Küste im jetzigen
Ostpreußen als Heimat des Bernsteins gibt uns der seit 30 v. Chr. 22
Jahre in Rom als Lehrer der Rhetorik lebende und sich daneben mit dem
Studium der römischen Geschichte beschäftigende Grieche Dionysios von
Halikarnaß südlich von Milet an der Westküste Kleinasiens. Der römische
Geschichtschreiber Cornelius Tacitus (54-117 n. Chr.), der uns die
erste ethnographische Schilderung des alten Germaniens und seiner
Bewohner gab, wußte, daß die Ästyer (Esthen) von der rechten Küste des
suevischen Meeres (Ostsee) den Bernstein ~glesum~ (wohl später auf das
ähnlich durchsichtige und glänzende Glas übertragen) nannten, daß sie
ihn als Auswurf des Meeres sammelten und an die Römer verhandelten.
Um mit den Bewohnern der Bernsteinküste direkt in Verbindung zu
treten, sandte dann der von 54-68 regierende Kaiser Nero eine römische
Expedition unter Anführung eines römischen Ritters an die Ostseeküste
nach Norden, von wo sie mit diesem kostbaren Erzeugnis des Samlandes
reich beladen heimkehrte.

Im Mittelalter fand ein ausgedehnter Bernsteinhandel besonders nach
dem Oriente hin statt, wo er heute noch als Amulett zum Schutze vor
Erkrankung und als Schmuckstein sehr geschätzt wird. In den ältesten
Zeiten war das Auflesen des Bernsteins jedermann erlaubt. Erst die
mittelalterlichen Bischöfe erkannten in dem ~lapis ardeus~ vulgo
Börnstein ein geeignetes Steuerobjekt, das ihnen großen Gewinn brachte.
Die erste Urkunde darüber datiert aus dem Jahre 1264. Nach ihnen
beuteten die Deutschen Ritter das Bernsteinregal in größtem Maßstabe
aus und verkauften den Bernstein an die Bernsteininnungen, die sich
um 1300 in Lübeck und Brügge, 1450 in Stolp, Kolberg und Danzig und
1640 in Königsberg bildeten. Köln, Frankfurt am Main, Nürnberg und
Venedig waren damals die Haupthandelsplätze für Bernstein. Später
wurden mit großer Strenge waltende Bernsteingerichte eingesetzt, und
die Strandbewohner mußten den Bernsteineid schwören, in welchem sie
gelobten, allen gefundenen Bernstein an die Behörde abzuliefern, die
sich das alleinige Recht am Bernstein anmaßte. Und diejenigen, die das
anstrengende und gefährliche Amt hatten, den Bernstein aus dem Meere
mit Netzen zu fischen, erhielten als einzige Entschädigung das für
ihr Fischereigewerbe nötige Salz. Diese unnatürlichen Verhältnisse
führten zur Verpachtung der Bernsteinnutzung an Danziger Kaufleute,
die alsbald den Handel bis Indien und Persien ausdehnten und in vielen
Städten Faktoreien einrichteten. Die guten Geschäfte, die sie dabei
machten, veranlaßte die Regierung, die Sache wieder selbst in die Hand
zu nehmen. Doch wechselten in der Folge noch vielfach Verpachtung und
Selbstverwaltung miteinander ab. Erst zu Ende des 18. Jahrhunderts
wurde der Bernsteineid abgeschafft, seit 1811 wurde das Recht der
Bernsteingewinnung in Generalpacht gegeben und seit 1837 an den
Meistbietenden verkauft.

Der Bernstein der preußischen Ostseeküste wurde später auch aus dem
Meere gebaggert und wird seit 200 Jahren am Lande in großem Maßstabe
gegraben. Er findet sich in der sogenannten Blauen Erde, einer durch
Glaukonitkörnchen bläulich gefärbten, sandig-tonigen Bildung von
1,25-6 m Mächtigkeit, zusammen mit Holzresten, Haifischzähnen,
Meeresmuscheln usw. Diese Blaue Erde ist unteroligozänen Alters, doch
findet sich der Bernstein in ihr auf sekundärer Lagerstätte; er muß
also älter sein und wurde von einem damals durch das Meer zerstörten,
gegen Skandinavien zu gelegenen Land hier eingeschwemmt. Mit welcher
Gewalt heute noch besonders Nordweststürme Bernstein vom Meeresgrunde
loslösen, um ihn, meist in Tange eingewickelt, mit den Wellen ans Land
zu treiben, das beweist, daß in einer einzigen Herbstnacht 1862 in der
Gegend von Palmnicken und Nodems nicht weniger als gegen 2000 kg
Bernstein angeschwemmt wurden. Meist sind es nur kleine Stücke, und
solche von 500 g kommen darunter nur selten vor. Das größte bis jetzt
bekannt gewordene Stück Bernstein wog 6750 g und befindet sich im
königlichen Mineralienkabinett in Berlin.

Wie schon der große Aristoteles (384-322 v. Chr.) richtig vermutete,
ist der Bernstein ein von einem Baume geflossenes Harz. Diese
Erkenntnis einiger Gelehrter des Altertums ging im Mittelalter
wieder verloren und an ihre Stelle traten die vagsten Vermutungen,
bis erst wieder Boch 1796 ihn für ein fossiles Pflanzenharz erklärte
und Struve ihn 1811 von einem Nadelholze ableitete. Conventz wies
dann nach, daß der Bernstein des Samlandes von einer Fichte, ~Picea
succinifera~, abstammt, deren Holz- und Rindenreste häufig im Bernstein
eingeschlossen vorkommen. Wie bei den heutigen Kiefern und Fichten
sogenannte Harzgallen mitten im Holz entstehen, so bildeten sich
solche bei der Bernsteinfichte auch im Kambium. In ihrem Harzreichtum
kann letztere mit der vorhin besprochenen neuseeländischen ~Agathis
australis~ verglichen werden, deren Stamm und Äste dermaßen von Harz
triefen, daß sie vielfach davon wie mit Eis in Krusten und Zapfen
bedeckt sind. Das Harz der Bernsteinfichte wurde in solchen Massen
ausgeschieden, daß es den Stamm herablief und sich um die Wurzeln
sammelte, oder von den Zweigen tropfte und auf allerlei am Boden
liegende Blätter fiel, deren Form es im Abdruck bewahrte. Dabei wurden
zahlreiche Insekten und andere Tiere vom zähen Harz umflossen und
in ganz idealer Weise durch die Jahrmillionen bis auf unsere Zeit
konserviert. Die zahlreichen pflanzlichen Einschlüsse beweisen, daß
der Bernsteinwald, der spätestens eozänen Alters ist und von manchen
selbst in die oberste Kreide verlegt wird, außer Tannen und Fichten
Lebensbäume (~Thuja~), Eichen, Palmen, Lorbeergewächse, Erikazeen,
Farne, Flechten und Moose enthielt. Ungeheure Zeiträume hindurch
standen diese Wälder und sammelte sich in ihnen der Bernstein an.
Die Bäume selbst, die ihn ausgeschwitzt haben, sind mit allen andern
Lebewesen schon längst zugrunde gegangen und nur das unverwesliche Harz
derselben hat sich durch die ungeheuren Zeiträume, die uns von jener
Periode trennen, erhalten.

Der Bernstein ist meist klar und gleichmäßig honiggelb, seltener
gelblichweiß bis braun gefärbt; nur ausnahmsweise ist er mit Luftblasen
erfüllt und schaumig. Er entwickelt beim Reiben einen eigentümlichen
Geruch, wird dabei negativ elektrisch, schmilzt bei 287°, brennt mit
rußender Flamme, wobei er einen angenehmen Geruch entwickelt, wird
beim Erhitzen in Öl weich und biegsam und läßt sich dann in Formen
pressen, dabei wird milchiger Bernstein durchsichtig. Früher wurde
er hauptsächlich zu Amulettschmuck verarbeitet, wie heute noch aus
ihm bestehende Perlenhalsbänder mit Vorliebe zahnenden Kindern zum
vermeintlichen Erleichtern des Zahnens um den Hals gehängt werden.
Gegenwärtig wird er meist zu Zigarren- und Pfeifenspitzen verarbeitet,
während der Abfall und die kleinen Stücke zur Herstellung eines
trefflichen Firnisses benutzt werden. Früher glaubte man bei uns wie
heute noch in Rußland, daß er alle Krankheiten anziehe und so seinen
Träger davor beschütze, weshalb Bernsteinhalsbänder sehr beliebt und
geschätzt waren. Desgleichen sollten aus Bernstein verfertigte Schalen
und Schüsseln jede Vergiftung der aus ihnen genossenen Speisen und
Getränke verunmöglichen und aufheben, was besonders im alten Rom der
Cäsaren für sehr wertvoll gelten mußte, da dort solche in gewissen
Kreisen an der Tagesordnung waren. Gegenwärtig ist Bernstein namentlich
in China und Japan als geschätztes Amulett gegen Krankheiten,
in Marokko gegen die Gefahren des Krieges viel im Gebrauch. Im
ganzen wird in Deutschland jährlich für 2165000 Mark Bernstein für
Zigarren- und Pfeifenmundspitzen, für 145000 Mark für Halsperlen
und für 190000 Mark für Firnis und Lack verbraucht. Plinius erzählt
in seiner Naturgeschichte, daß er zu seiner Zeit besonders von den
Kelten der Poniederung und der Südabhänge der Alpen als Schutzmittel
gegen den Kropf getragen wurde. Schon in den vorgeschichtlichen
Niederlassungen Oberitaliens findet er sich häufig, ist aber hier
nicht der ostpreußische gelbe, sondern ein in der miozänen Molasse des
Landes selbst, speziell der Emilia, gefundener rötlicher oder brauner
Bernstein, der aber nur in erbsen- bis nußgroßen Stücken vorkommt. Bei
der überaus großen Wertschätzung, die aller Bernstein seit der jüngeren
Steinzeit bei sämtlichen europäischen Völkern genoß, ist es nicht zu
verwundern, daß solcher bereits in vorgeschichtlicher Zeit auch aus dem
Potal nach den danach lüsternen Ländern im östlichen Mittelmeergebiet
gelangte, sonst hätten nicht, wie wir vorhin sahen, die phönikischen
Kaufleute den ältesten Griechen angegeben, daß der Bernstein von den
Ufern des Eridanos (= Po) komme, wo er durch die starke Hitze der dort
in der Nähe vorbeifahrenden Sonne aus gewissen Bäumen ausgeschwitzt
werde. Übrigens gibt es in den meisten Ländern Europas und anderwärts
verschiedenerlei, meist tertiären Landbernstein, der eine mehr oder
weniger starke Verwitterungskruste besitzt, wodurch er sich vom
Seebernstein der Ostseeküste unterscheidet; doch ist er nirgends in
solcher Massenhaftigkeit wie in der Blauen Erde der ostpreußischen
Küste vorhanden, wird zudem meist nur in kleinen, gewöhnlich dunkel
gefärbten Stücken gefunden und hat infolgedessen auch keinerlei
Bedeutung als Handelsartikel erlangt.

Ferner findet zur Bereitung von Firnis das +Lackharz+ vielseitige
Verwendung. Es ist dies ein in mehr oder weniger dicken Krusten,
seltener auch Tropfen von Zweigen indischer und hinterindischer
Sträucher und Bäume wie ~Aleurites lactifera~, ~Schleichera
trijuga~, ~Butea frondosa~, besonders aber Feigenarten wie ~Ficus
religiosa~ und ~indica~ abgelesenes Harz, das durch die Weibchen
der Lackschildlaus (~Coccus lacca~) hervorgebracht wird. Diese
sammeln sich an den betreffenden Zweigen so massenhaft an, daß jene
von ihnen geradezu rot bestäubt erscheinen. Nach ihrer Befruchtung
stechen sie ihre lebende Unterlage an und scheiden durch Umwandlung
des von ihnen aufgesaugten Saftes in ihrem Körper die Harzmasse
als Exkret aus, die die Tierchen völlig umhüllt und oft auf die
darunter befindlichen Zweige herabtropft. Unter dieser schützenden
Umhüllung, in welcher der aufgebrauchte weibliche Organismus zugrunde
geht und der Nachkommenschaft als Wiege dient, entwickeln sich die
jungen Schildläuse, bis sie, reif geworden, dieselbe durchbohren
und ausschlüpfen. Der Lack wird nun samt den Zweigen von den Bäumen
abgebrochen und von jenen abgelöst, und zwar meist erst nach dem
Ausschlüpfen der Schildläuse, um die Produktion nicht herabzusetzen.
Früher wurde der undurchbohrte Lack, der noch die jungen Schildläuse
und damit viel roten Farbstoff enthält, höher geschätzt als jetzt und
speziell in Indien zur Gewinnung eines scharlachroten, dem Karmin
der Cochenille an Leuchtkraft sehr nahe kommenden, zur Färbung von
Baumwolle und Seide verwendeten Farbstoffs benutzt, der daselbst heute
noch als +Lacklack+ in den Handel kommt. Entzieht man der Masse den
roten karminartigen Farbstoff mit schwacher Sodalösung, so entsteht
der gelblichbraune +Körnerlack+, aus dem man durch Schmelzen und
Auffangen der bei 140° geschmolzenen Masse auf Bananenblättern den
+Schellack+ in Form von glänzenden, braunroten, dünnen, flachen Stücken
mit muscheligem Bruch gewinnt. Der Schellack schmilzt leicht, löst
sich größtenteils in Weingeist und Äther, in Alkalien und gesättigter
Boraxlösung; er kann auch durch Chlor gebleicht werden, wodurch er
für die Herstellung von farblosen Firnissen besonders geeignet wird.
Man gebraucht ihn namentlich zur Bereitung der Weingeistfirnisse,
der Tischlerpolitur, des Siegellacks, verschiedener Kitte und in der
Feuerwerkskunst, auch bildet er die Hauptmasse des Marineleims und der
Elektrophorkuchen. In Borax aufgelöst dient er als Wasserfirnis zum
Steifen und Wasserdichtmachen der Filzhüte, zum Firnissen von Papier
und, mit feinem Ruß versetzt, als unauslöschliche Tinte.

In China und Japan dagegen wird der Lack durch Einschnitte in Stamm
und Äste des zu den Terebinthen oder Balsamgewächsen gehörenden
Firnissumachs (~Rhus vernicifera~) gewonnen. Es ist dies ein daselbst
heimischer, zur Lackgewinnung vielfach auch angepflanzter äußerst
giftiger Baum, dessen Ausdünstungen schon schädlich sind und dessen
übelriechender Saft, auf die Haut gebracht, starke Entzündung derselben
mit Bildung von schmerzhaften Geschwüren hervorruft. Er erreicht
eine Höhe von 8-10 m und hat gestielte, eiförmige, zugespitzte,
unten mit feinen Haaren bedeckte Blätter, die nicht giftig sind. In
dem durch Einschnitte in die Rinde ausfließenden weißen Milchsaft
ist das Lakkol enthalten, das durch ein Lakkase genanntes Ferment an
der Luft in den glänzend schwarzen Lack umgewandelt wird. Aus diesem
Produkt stellen die Ostasiaten, besonders die Japaner, durch Mischen
mit dem Öle der ~Bignonia tomentosa~, eines Kletterstrauches mit
großen trompetenartigen Blüten, oder der ~Perilla ocymoides~, mit
Zusatz von Zinnober, wenn die Farbe eine rote sein soll, sonst ohne
solchen, ihren berühmten Lackfirnis her. Schon im Mittelalter war bei
ihnen dieser prächtige, fast unverwüstliche Firnis im Gebrauch, um
mit ihm fast alle Holzgegenstände des täglichen Gebrauchs, Eß- und
Trinkgeschirr, wie auch kleine und große Möbel, selbst ganze Tempel zu
überziehen. Schon aus der Zeit des 12.-15. Jahrhunderts sind uns Namen
berühmter Lackkünstler überliefert, und um 1700 hatte die Lackkunst
besonders durch den Maler Ogata Korin ihren Höhepunkt erreicht. Die
ersten japanischen Lackwaren gelangten in der zweiten Hälfte des 16.
und zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch die seit 1557 auf der Insel
Macao an der Mündung des Perlflusses 133 km südöstlich von Kanton
niedergelassenen Portugiesen und dann aus Manila, der Hauptstadt der
durch die seit 1569 von den Spaniern besetzten Philippinen, nach
Europa. War doch das durch die Reisebeschreibung des Venezianers
Marco Polo aus dem 13. Jahrhundert als Zipangu im Abendlande bekannte
Japan 1543 von den Portugiesen entdeckt und von ihnen der erste
Handelsverkehr mit jenem kunstsinnigen Volke angebahnt worden. Sie
brachten dann die Jesuiten ins Land, als deren berühmtester Missionar
der heilige Franz Xaver zu nennen ist. Aber von 1617-1637 gab es dann
Reibereien zwischen den Vertretern beider Nationen, die damit endigten,
daß die zahlreichen unter den Japanern gewonnenen Christen wieder
ausgerottet und die Portugiesen vertrieben wurden. Dafür erhielten
die Holländer, die seit 1609 freien Zutritt und Erlaubnis zum Handeln
erlangt hatten, eine allerdings recht beschränkte Möglichkeit der
Ausfuhr japanischer Kunstgegenstände, unter denen außer Porzellan-
und Metallgegenständen hauptsächlich Lackartikel eine wichtige Rolle
spielten. Da diese letzteren bei den Vornehmen Europas großen Beifall
fanden und viel begehrt wurden, suchten die Holländer sie bald auch
nachzuahmen, was ihnen indessen nicht gelang. Eine ganze Sammlung
japanischer Lackarbeiten besaß im 18. Jahrhundert die unglückliche
Königin Marie Antoinette; diese ist jetzt im Louvre zu sehen.

Heute wird der Japanlack in folgender Weise gewonnen und benutzt.
Zuerst wird der Milchsaft des im Japanischen ~urushi-no-ki~ genannten
Lackbaums in der Weise gewonnen, daß man die Bäume einschneidet, den
zwischen den Schnittflächen sich ansammelnden, rasch trocknenden,
zähen schmutzigweißen, an der Sonne erst braun und dann schwarz
werdenden Saft auskratzt und sammelt. Der beste Lack wird im August
gewonnen, und zwar aus dem Stamm; der von den Ästen herrührende ist
härter und zäher. Er enthält 60-80 Prozent Lack- oder Urushinsäure
(C_{14}H_{18}O_{2}), 3-6 Prozent Gummi, 1-3 Prozent Eiweiß, 10-30
Prozent Wasser und eine geringe Menge giftiger, flüchtiger Säure.
Infolge des letzteren ist das Sammeln des Lackharzes eine gefährliche
Beschäftigung und wird nur von der ärmsten Volksklasse geübt. Das
Lackieren selbst ist viel weniger gefährlich und es beschäftigen sich
damit zahlreiche Personen. Die Gefährlichkeit dieser Arbeit wird durch
den Umstand vermindert, daß diejenigen, die eine heftigere Vergiftung
damit durchmachten, eine solche nicht mehr zu befürchten haben.

Die japanische Industrie hütete bis vor kurzem sorgfältig das Geheimnis
ihres Lackes vor den Augen der Europäer, und obschon die Holländer
mit großem Eifer bestrebt waren, dasselbe zu erfahren, konnten sie
doch die Qualität des japanischen Lackes nicht erreichen, der erst
neuerdings als Rhus- oder Japanlack auf den europäischen Markt
gelangt. In Japan ist seine Verwendung eine sehr allgemeine. Da diese
vulkanische Insel kein so vorzügliches Kaolin und solchen Lehm wie
das meist aus alten Sedimentformationen aufgebaute benachbarte China
besitzt, kamen seine Bewohner schon früh dazu, ihre Gefäße statt aus
gebranntem Ton und Porzellan wie die Chinesen aus Holz herzustellen
und dieses durch einen Harzüberzug wasser-, feuer- und säuredicht zu
machen. Dazu wurde außer dem Harz von Euphorbien und Anacardiazeen
vor allem das Harz des Lackbaumes benutzt. Die alten Lackerzeugnisse,
unter welchen 600-700jährige Arbeiten vorkommen, sind die besten und
widerstandsfähigsten. Echte Lackgefäße werden auch von siedendem
Wasser nicht beschädigt; auch Säuren und andere Ätzflüssigkeiten können
ihnen nichts anhaben. Nur im Feuer geht der Lack zugrunde, wenn das
seinen Grundstoff bildende Holz zu Kohle gebrannt ist. Das damit zu
überziehende Holz wird zuerst geglättet, jede Fuge mit Papier oder Werg
ausgefüllt und dann mit dünnem Bast oder Hanf überklebt, worauf die aus
Ocker und Pappe bestehende Schicht kommt. Auf diese Grundierung werden
je nach Art des Objektes und der Feinheit des gewünschten Überzuges
3-30 dünne Lackschichten aufgetragen. In die obere Schicht kommen die
Farbstoffe, besonders Zinnober und Goldstaub, und schließlich der
Glanzstrich. Die Hauptsache dabei ist, daß die einzelnen Lackschichten
gut trocknen, was nicht in trockener, sondern in etwas feuchter Luft
geschehen muß, weshalb auch der echte japanische Lack in alter Zeit in
feuchten Gruben oder in der Nähe von Wässern auf schwimmenden Kähnen
getrocknet und poliert wurde.

Die hochentwickelte japanische Lackindustrie hat nicht nur die
Abendländer zur Nachahmung gereizt, sondern auch deren einheimische
Firnisverwendung in weitgehendem Maße beeinflußt. Weniger war dies bei
der indischen und persischen Lackfabrikation der Fall, die sich seit
dem Altertum selbständig entwickelte. Die Produkte derselben stehen
nicht auf der Höhe der japanischen Lackarbeiten und haben ein für
unseren Geschmack zu buntes Aussehen. Sowohl Muster als Farben sind
zweifellos von ihr der einheimischen Schalfabrikation entlehnt, die in
diesen Ländern eine uralte einheimische Industrie ist, deren Produkte
früher auch von den Damen des Abendlandes, besonders um die Mitte des
letzten Jahrhunderts viel mehr als heute geschätzt wurden.

Wie die buntgemusterten Schale und Lackarbeiten ist der aus dem
indischen Lacke hergestellte rote Siegellack ebenfalls eine Erfindung
und ein Erzeugnis Ostindiens, das aus jenem Lande ums Jahr 1560 durch
die Portugiesen nach Europa gebracht wurde und hier als „spanisches
Wachs“ bald weitere Verbreitung fand. Vorher hatte man hier allgemein
auf Wachs -- die Babylonier mit ihren hübsch aus Halbedelsteinen
geschnittenen Siegelzylindern auch auf weichem, später gebranntem Ton
-- gesiegelt, und zwar durften bis zur Aufnahme des roten indischen
Siegellacks nur Kaiser und Könige in rotem Wachs siegeln. Später wurde
bei uns der rote indische Siegellack auf mancherlei Weise nachgeahmt.

[Illustration:

    Tafel 115.

Allee des kautschukliefernden indischen Feigenbaumes (~Ficus elastica~)
im Botanischen Garten von Peradeniya auf Ceylon. Die Bäume sind mit
schmalen, hohen Wurzelstützen, sogenannten Tafelwurzeln, zum Schutze
gegen das Umgeworfenwerden durch Orkane ausgestattet.]

[Illustration: Japanische Bronze- und Lackarbeiter.]

[Illustration:

    Tafel 116.

Altchinesische Fruchtschale in geschnitzter Lackarbeit (Peking-Lack).

Aus „Berichte des k. ethnographischen Museums in München 1909“.

Durchmesser 45 cm bei 14 cm Höhe. Die dünne Holzwandung ist nach
Ausgleichung aller Unebenheiten und Verbindungsnähte durch feines Werg
und Papier mit Gaze überzogen; darüber liegt eine Schicht aus einer
Mischung von Schmirgel- oder Sandsteinpulver und einem harzigen oder
tierischen Bindemittel, die nach vollständiger Trocknung mit einem
Polierstein sorgfältig geglättet ist. Auf diese Unterlage, die an
kleinen Bruchstellen nachgeprüft werden kann, sind drei Lackschichten
aufgetragen, die vom Künstler einzeln bearbeitet wurden. Den Grund
bildet eine ledergelbe Schicht, der eine braungrüne Lage folgt,
und über beide ist eine zinnoberrote Decke gelegt. Die in diese
drei Lackschichten eingeschnittene Ornamentierung zeigt ein in der
chines. Kunst gewohnheitsmäßig wiederkehrendes, auch von den Japanern
übernommenes Dekorationsmotiv, nämlich den Drachen als symbolisierten
Blitz in einer stilisierten Regenwolke.]

Während der Lack in Indien außer zu Siegellack besonders zur
Gewinnung des roten Farbstoffs benutzt wird, verwenden wir ihn
zu den verschiedensten schützenden Überzügen namentlich auf
Gegenständen von Holz oder Pappe (~papier mâché~). Der meiste Lack
kommt aus den Gangesländern, Siam und Annam zu uns, und zwar ist der
Hauptausfuhrhafen dafür Kalkutta.

Von nicht aus solchem indischen Lack hergestellten Firnisüberzügen,
die technisch in Europa und allen Kulturländern von Bedeutung sind,
ist der wichtigste der aus Zelluloid, d. h. nitrierter, mit einer
alkoholischen Lösung von Kampfer und je nach Bedarf auch Farbstoffen
und Rizinusöl versetzter Baumwolle oder Seidenpapier hergestellte
+Zaponlack+, den man verwendet, um blanke metallische Flächen,
die keiner erheblichen Wärme und keinen starken mechanischen Angriffen
ausgesetzt sind, vor der Einwirkung von Luftgasen oder Säuren zu
schützen. Außer der Elektrotechnik haben sich auch andere Industrien
die Vorteile desselben zunutze gemacht. So ist z. B. heute fast alles
Silber zum Schutze gegen Oxydierung in Zaponlack getaucht. Wenn man
häufig gebrauchte silberne Geräte einige Zeit nachdem man sie gekauft
hat besieht, bemerkt man, daß gewisse gelbliche Stellen des Lackes
abgeblättert sind. Das ist eben der infolge des starken Gebrauchs
abgegriffene Zaponlack.



XXV.

Die duftenden Pflanzenharze.


Wie sich der Mensch gerne zu festlichen Anlässen mit wohlriechendem
Öle salbt und die Kleidungsstücke mit parfümiertem Wasser besprengt,
so verwendet er seit Urzeiten gerne zu gottesdienstlichen Handlungen
Räucherungen von duftenden Hölzern und Harzen, als deren vornehmstes
der Weihrauch sich bis auf unsere aufgeklärte Zeit erhalten hat.
Schon im vierten und fünften vorchristlichen Jahrtausend haben die
alten Kulturvölker des Morgenlandes ihren Göttern teils in Verbindung
mit blutigen oder unblutigen Opfern, teils mit Gebet und Gesang
Weihrauch, Myrrhen und Galbanum geopfert, um sie durch den dabei
ausströmenden Wohlgeruch zu erfreuen. Nach der Mitteilung des Vaters
der Geschichtsforschung Herodot, verbrannten die Chaldäer beim Feste
des Bel in Babylon alljährlich für tausend Talente, d. h. 4710000 Mark
Weihrauch, und nach Plutarch brachten die Ägypter morgens, mittags und
abends der Sonne ein Weihrauchopfer dar. Auch bei den Juden wurden
morgens und abends auf dem vor dem Vorhange des Allerheiligsten in
der Stiftshütte und später im Tempel stehenden, mit Gold überzogenen
Räucheraltar allerlei wohlriechende Spezereien, vor allem auch
Weihrauch, verbrannt. Bei den Griechen kam der Gebrauch des Weihrauchs
zum Opfer durch Vermittlung der Phönikier etwa im 7. vorchristlichen
Jahrhundert auf, bei den Römern erheblich später, in Verbindung mit
Weinspenden, während vorher Met oder Milch der Herdentiere dazu gedient
hatte. Die Christen betrachteten anfänglich solche Rauchopfer als
heidnische Greuel; aber bereits im Verlaufe des 4. Jahrhunderts drangen
sie auch in den christlichen Kultus ein, nur verbot man, diese Gott und
den Heiligen allein zukommende Ehrung nach römischer Sitte auch den
kaiserlichen Bildsäulen zukommen zu lassen.

Der Weihrauch und die anderen beim Verbrennen duftenden Pflanzenharze
wurden im heidnischen wie im jüdischen und zuletzt im christlichen Kult
in Metallgefäßen verbrannt, die an Ketten getragen und hin und her
geschwungen wurden, um die Tempelräume mit Wohlgerüchen zu erfüllen.
Solche bronzene Räucherpfannen (lateinisch ~turibula incensoria~)
wurden mehrfach in Pompeji gefunden und sind schon in altägyptischen
Tempeldarstellungen abgebildet. In nichts ist ja der Mensch so
konservativ als im Kult. Und damit der Gottheit dargebrachte Rauchopfer
lassen sich bis in das früheste Altertum zurückverfolgen. Aus der
biblischen Geschichte kennen wir sehr wohl den Wert, der auf solche
Räucherharze gelegt wurde, und wissen aus der Weihnachtsgeschichte wie
die Weisen aus dem Morgenlande, die dem Sterne nachgegangen waren,
bis sie das Jesuskindlein in Bethlehem fanden, anbetend vor ihm
niederfielen und ihre Schätze auftaten und ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhen als das Kostbarste, was es damals gab, schenkten.

Beim altisraelitischen Gottesdienst wurde neben Weihrauch und
Myrrhe auch ~chelbenah~, was (erhärtete) Milch bedeutet, lateinisch
~galbanum~, geopfert, eine Droge, die der berühmte griechische Arzt
Hippokrates, der große Aristotelesschüler Theophrastos und andere als
~chalbánē~ erwähnen. Es ist dies der am Stengel und an der Basis des
persischen Doldengewächses ~Ferula galbaniflua~ freiwillig austretende
erhärtete Milchsaft, der in Form von mehr oder weniger verklebten,
außen grünlichbraunen Körnern, die oft zu einer gleichartigen Masse
vereinigt sind, in den Handel gelangt. Er ist in der Kälte spröde,
zwischen den Fingern knetbar, riecht stark aromatisch, schmeckt etwas
bitter, terpentinartig und diente früher auch als Arzneimittel, indem
man ihm eine gewisse Einwirkung auf das Uterinsystem zuschrieb. Heute
wird er bei uns nur noch äußerlich als leicht hautreizendes Pflaster
unter der Bezeichnung Mutterharz verwendet. Noch im Mittelalter war
er eine nicht unwichtige Droge, die als ein Handelsartikel Venedigs
mehrfach erwähnt wird und sich auch unter den Effekten des im Jahre
1360 in England gefangenen Königs Johann von Frankreich befand.

Wichtiger war den alten Kulturvölkern des Morgenlandes die aus Arabien
stammende +Myrrhe+, ein in unregelmäßigen Körnern oder Knollen
von Nuß- bis Faustgröße in den Handel gelangendes, gelbliches bis
braunes, durchscheinendes Gummiharz verschiedener in Nordostafrika
und Südarabien heimischer Terebinthenarten, von denen der echte
Myrrhenbaum, ~Commiphora~ (d. h. Gummierzeuger) ~myrrha~, der
wichtigste ist. Von dem nur etwa 6-8 m hohen Baum fließt das
Myrrhenharz von selbst nach austrocknenden Winden, die die Rinde zum
Bersten bringen, nachdem sich das Holz durch vorausgegangene Regen
mit Wasser gefüllt hat, aus in Form eines milchig trüben, gelblichen
Saftes und erstarrt, allmählich dunkler werdend, zu einer eigentümlich
balsamisch riechenden und gewürzhaft bitter schmeckenden Masse, die
sich beim Erhitzen aufbläht und einen angenehmen Geruch verbreitet.
Die Myrrhe enthält verschiedene ätherische Öle, Gummi und Harz und
hat ihren Namen aus dem arabischen ~murr~, was bitter bedeutet. Seit
den ältesten Zeiten bildete sie neben dem Weihrauch einen wichtigen
Bestandteil der Räucherungsmittel und wohlriechenden Salben, die im
Orient bei allen gottesdienstlichen Handlungen zur Anwendung gelangten.
Der griechische Geschichtschreiber Plutarch berichtet uns, daß die
Priester im Tempel der Isis täglich dreimal räucherten, und zwar des
Morgens mit Balsam, gegen Mittag mit Myrrhen (~bal~) und am Abend mit
~kyphi~, einer Mischung von 16 und mehr verschiedenen Ingredienzen, bei
deren Anfertigung auf die Heiligkeit der Zahl vier Rücksicht genommen
werden mußte.

Das Kyphi ist ein in den hieroglyphischen Inschriften ungemein häufig
erwähntes heiliges Räuchermittel. Das altägyptische Totenbuch nennt
verschiedene Bestandteile desselben; außerdem haben uns griechische
Schriftsteller so ausführliche Mitteilungen darüber hinterlassen, daß
wir die wichtigsten Bestandteile desselben kennen. Allerdings stieg die
Zahl der Ingredienzen, die anfänglich nur wenige betrugen, im Lauf der
Jahrhunderte auf mehrere Dutzend. Deren Mischung wurde in den Tempeln
selbst vorgenommen, und nach Plutarch las man den Salbenreibern und
Räuchermittelmischern während ihrer Arbeit aus heiligen Schriften
vor, damit ihre Gedanken dabei auf das Göttliche gerichtet seien. Aus
den Inschriften an den Tempelwänden und dem Texte der Papyri erfahren
wir von der harzigen Ausschwitzung eines nicht näher definierbaren
arabischen Baumes aus der Familie der Myrrhenbäume, aus welcher die
Salbenreiber der ägyptischen Tempel in besonderen Laboratorien (~asit~)
ein Räuchermittel herstellten. Dann wird das Produkt des ebenfalls
arabischen Tesepbaumes (vermutlich auch einer Commiphora-Art) häufig
in den Kyphirezepten erwähnt, auch fand dessen Gummiharz wie die
Myrrhe beim Einbalsamieren der Leichen Verwendung. Die wichtigsten
Bestandteile des Kyphi aber waren verschiedene Weihrauch- und
Myrrhenarten; daneben gelangte auch Mastixharz zur Anwendung, von dem
man zur Zeit der Pharaonen schon drei Sorten, nämlich schwarzes, weißes
und rotes unterschied.

Bei den alten Ägyptern dienten Myrrhen auch als Arznei, zum Würzen
von Wein und zum Herstellen von wohlriechenden Salben, mit denen bei
festlichen Anlässen vor allem das Haupthaar gesalbt wurde. Auf letztere
nimmt das älteste uns aus der altägyptischen Literatur erhaltene
Gedicht aus dem mittleren Reich (2160-1788 v. Chr.) Bezug, nämlich das
„Lied des Harfners“, der den Schmausenden in den Häusern der Reichen
während des Mahles vorsang und sie folgendermaßen zum Lebensgenusse
aufforderte.

    „Folge deinem Wunsch, dieweil du lebst,
    Lege Myrrhen auf dein Haupt,
    Kleide dich in feines Linnen
    Getränkt mit köstlichen Wohlgerüchen,
    Den echten Dingen der Götter.
    Vermehre deine Wonne noch mehr,
    Laß dein Herz nicht müde sein,
    Folge deinem Wunsch und deinem Vergnügen
    Und schaffe dir ein Schicksal auf Erden
    Nach den Wünschen deines Herzens,
    Bis jener Tag der Trauer zu dir kommt;
    Denn Osiris erhört ihr Schreien nicht,
    Und keinen Menschen ruft die Totenklage aus dem Grabe zurück.
    Feiere den frohen Tag und ruhe nicht an ihm!
    Denn siehe, niemand nimmt seine Güter mit sich,
    Und noch keiner kehrte zurück, der dorthin gegangen ist.“

Auch bei den Juden im Alten Testamente ist viel von Myrrhen zu
gottesdienstlichen Räucherungen und als profanes Duftmittel bei
festlichen Anlässen die Rede. Was alles an solchen Wohlgerüchen damals
bekannt war, zählt uns der um 800 v. Chr. lebende Dichter des Hohen
Liedes auf, wenn er in Kap. 4, 13 von der Geliebten sagt, ihr Körper
dufte „wie Zypern mit Narden, Narden mit Safran, Kalmus und Kinnamom
(Zimt), mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloē (dem zu
Räucherungen verwandten wohlriechenden Aloeholz), mit allen besten
Würzen“. Und in Kap. 5, 5: „Meine Hände troffen von Myrrhen(-salbe)
und Myrrhen liefen über meine Finger.“ In Kap. 3, 10 spricht er zur
Geliebten: „Der Geruch deiner Salben übertrifft alle Gewürze.“

Von den Ägyptern und Vorderasiaten gelangte der Gebrauch der Myrrhe
als gottesdienstliches Räucherwerk und Parfüm bei festlichen Anlässen
zu den Griechen und Römern, die sie in ähnlicher Weise wie die Ägypter
anwandten. Als geschätztes Heilmittel empfehlen sie die römischen Ärzte
Scribonius Largus und Alexander Trallianus (im 6. Jahrhundert n. Chr.).
Cornelius Celsus spricht von einer schwarzen, bei Augenkrankheiten
angewandten Myrrhe. Auch im Dispensatorium des Valerius Cordus wird
die Myrrhe angeführt. Die heilige Hildegard nennt im 12. Jahrhundert
~mirrha~ und empfiehlt sie gegen allerlei Erkrankungen. So hat sich die
Myrrhe als geschätztes Heilmittel, wenn auch nicht als Räucherwerk, bis
auf unsere Tage auch im Abendlande im Gebrauch erhalten.

Noch viel wichtiger als die Myrrhe war als Räuchermittel bei allen
gottesdienstlichen Handlungen der Orientalen der +Weihrauch+, von
welchem die Alten, wie auch von der Myrrhe, verschiedene, größtenteils
nach den Orten der Herkunft benannte Arten unterschieden. Ihre Erzeuger
sind verschiedene Boswellia-Arten, von denen ~Boswellia carteri~, der
echte Weihrauchbaum, von den Altägyptern ~anti~ genannt, der wichtigste
war. Die Weihrauchbäume sind, wie die Myrrhenbäume, in Nordostafrika
nahe dem Kap Guardafui und auf einem beschränkten Saum der mittleren,
als Hadramaut bezeichneten Südostküste Arabiens heimisch. In deren
Stämme werden zu Ende Februar oder Anfang März und dann noch zweimal
jeweilen innerhalb Monatsfrist von den Eingeborenen tiefe Einschnitte
gemacht, aus denen ein milchweißer Saft reichlich ausfließt, nach
einiger Zeit erstarrt er zu gelben Körnern, die dann von den Stämmen
abgelöst oder am Boden aufgelesen werden. Sie schmecken aromatisch,
etwas bitter, erweichen im Mund und geben, auf glühende Kohlen
gestreut, einen angenehmen balsamischen Geruch von sich. Wie dieser
Geruch den Menschen angenehm war, so dachte man sich, werde er auch
die Götter erfreuen. So verbrannte man schon im ältesten Ägypten zu
Ehren der Himmlischen den Weihrauch (~anti~), den man als eine der
größten Kostbarkeiten mit der Myrrhe und den Gewürzen Indiens aus dem
südlichen Arabien bezog. Wegen dieser aufs höchste geschätzten Produkte
wurde jenes Land von allen weiter westwärts wohnenden Völkern, denen
es dieselben übermittelte, stark beneidet und glücklich gepriesen.
Das Land Jemen in der Südwestecke Arabiens war ihnen das „Glückliche
Arabien“. Hier bestand in frühest nachweisbarer Zeit schon in der
ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends das Reich von
Machīn, das dann später von demjenigen von Saba vernichtet und abgelöst
wurde. Von den Sabäern berichtet der griechische Geschichtschreiber
Diodoros aus Sizilien, daher Siculus genannt, der zur Zeit Cäsars
und Augustus’ in 40 Büchern die bis zum Jahre 60 v. Chr. reichende
Geschichte fast aller damals bekannten Völker schrieb: „Die Sabäer
wohnen im Glücklichen Arabien, haben zahmes Vieh in unermeßlicher
Menge und so viel Balsam, Kassia, Zimt, Kalmus, Weihrauch, Myrrhen,
Palmen und andere wohlriechende Gewächse, daß das ganze Land von einem
wahrhaft göttlichen Wohlgeruch durchzogen ist, den selbst die Seefahrer
aus beträchtlicher Entfernung wahrnehmen; es ist ihnen dann zumute, als
röchen sie die fabelhafte Ambrosia.“

Der um 25 n. Chr. gestorbene griechische Geograph Strabon berichtet auf
Grund eigener Anschauung auf Reisen und des Studiums älterer Geographen
in seiner 17 Bücher umfassenden Geographika: „Im Lande der Sabäer, dem
gesegnetsten Arabiens, wächst Myrrhe, Weihrauch, Zimt und Balsam. Sie
holen auch Gewürze aus dem Negerlande, wohin sie mit ledernen Kähnen
fahren. Ihr Vorrat an dergleichen Herrlichkeiten ist so groß, daß sie
Zimt, Kassia und dergleichen wie Brennholz verbrennen und die reichsten
von ihnen, die Gerrhäer, alle Geräte im Hause wie Ruhebetten, Dreifüße,
Milchtöpfe, Teller usw. von Gold und Silber, und auch die Türen, Wände,
Decken mit Elfenbein, Gold, Silber und Edelsteinen geziert haben.“

Der griechische Philosoph Theophrast, Schüler des Aristoteles,
schreibt in seiner Pflanzengeschichte schon im 4. Jahrhundert v. Chr.:
„Weihrauch (~líbanos~), Myrrhe (~smýrnē~) und Balsam (~bálsamon~)
kommen aus Arabien und werden durch Einschnitte gewonnen oder quellen
von selbst aus den Bäumen hervor, die teils auf dem Gebirge wild
wachsen, teils auf eigenen Feldern am Fuß der Gebirge kultiviert
werden. Der Weihrauchbaum soll nur etwa fünf Ellen hoch und sehr ästig
sein. Seine Blätter sollen denjenigen des Birnbaums ähnlich, nur viel
kleiner und sehr grün sein; die Rinde soll glatt wie beim Lorbeer sein.
Der Myrrhenbaum ist noch kleiner, strauchartiger, der Stamm soll hart,
an der Erde hin und her gebogen und dicker als ein Unterschenkel sein.
Andere beschreiben diese Bäume anders. Seefahrer, welche das Gebirge
gesehen haben, berichten, die Bäume seien dort durch Einschnitte
verwundet, die Tropfen fielen teils herab, teils blieben sie am Baume
kleben. Man breite aus Baumblättern geflochtene Matten darunter, oder
stampfe den Boden fest. Der von den Matten stammende Weihrauch und die
Myrrhe seien klar und durchscheinend, die vom Erdboden aufgelesenen
weniger, und die von den Bäumen geschabten seien durch Rindenstücke
verunreinigt.

Auf dem Gebirge der Sabäer fanden die Seefahrer keine Wächter, weil
dort kein Einwohner dem andern stiehlt. Diesen Zustand benutzten die
Fremden, sammelten große Massen dieser Stoffe und fuhren damit weg.
Übrigens hörten sie, daß die Sabäer ihren Weihrauch und ihre Myrrhe in
den Sonnentempel bringen, der von bewaffneten Wächtern beschützt wird.
Dort tut ein jeder seine Ware auf einen Haufen und legt auf diesen ein
Täfelchen, worauf der Preis angegeben ist. Kommen nun die Kaufleute, so
sehen sie nur nach den Täfelchen. Billigen sie den Preis, so nehmen sie
die Ware und legen das Geld hin.

Die Stücke Weihrauch, die in den Handel kommen, sind sehr verschieden
und manche wohl so groß, daß sie die Hand füllen können. Von der
Myrrhe hat man eine Sorte von natürlichen Tropfen, eine andere in
künstlich gestalteten Stücken.“ Der griechische Schriftsteller Flavius
Arrianus (um 100 n. Chr. zu Nikomedia in Bithynien geboren, ward 136
unter Hadrian Präfekt von Kappadokien und starb unter Marcus Aurelius)
berichtet in der Geschichte der Feldzüge Alexanders des Großen nach
den besten Quellen: „Als Alexander in die Wüste der Gedrosier (jetzt
Mekrân in Beludschistan) kam, standen dort viele ungewöhnlich große
Myrrhenbäume, die noch niemand ausgebeutet hatte. Die phönikischen
Kaufleute, die dem Heere folgten, führten ganze Ladungen von Myrrhe
weg.“ Und Plinius endlich sagt in seiner Naturgeschichte über dieses
Pflanzenprodukt: „Die Myrrhe (~myrrha~) wächst an mehreren Stellen
Arabiens, namentlich da, wo der Weihrauch wächst. Auch kommt eine
geschätzte Sorte von Inseln, und die Sabäer holen sogar Myrrhen
jenseits des Meeres bei den Troglodyten. Die Bäume sind dornig, wachsen
teils wild, teils absichtlich gepflanzt; aus ihnen schwitzt die Myrrhe,
kommt in Beutel gepackt zu uns, und die Salbenhändler sortieren sie
dann nach dem Geruch und der Fettigkeit. Auch Indien liefert eine
Myrrhensorte, aber eine schlechte.“

Endlich schreibt der griechisch-ägyptische Großkaufmann Kosmas
Indikopleustes (d. h. der Indienfahrer), ein Zeitgenosse des
oströmischen Kaisers Justinian I. (483-565 n. Chr.), der mit seinem
Freunde und Kollegen Menas von Alexandrien -- beide gingen im höheren
Alter ins Kloster -- eine Reise nach Ostafrika und Indien machte:
„Das Land, welches den Weihrauch hervorbringt, ist an der Südgrenze
von Äthiopien gelegen, im Innern des Kontinents; aber der Okeanos
reicht noch darüber hinaus. Daher ziehen die benachbarten Bewohner
Barbarias nach dem Hochland, und im Handelsverkehr führen sie von
dort die meisten Spezereien aus. Weihrauch, Kassia, Kalmus und vieles
andere, und sie schaffen es auf dem Seewege nach Adule (dem heutigen
Zeila in Massaua) und Glücklich-Arabien, nach Indien und Persien.
Schon im Altertum pflegte das zu geschehen; denn die Königin von Saba,
welche Christus die Königin von Mittag nennt, brachte Wohlgerüche und
Kostbarkeiten zu Salomo, welche auf der afrikanischen Ostküste heimisch
sind, ferner Ebenholz, Affen und Gold aus Äthiopien, da sie Äthiopien
benachbart jenseits des Roten Meeres wohnte.“ Hier erweist sich
allerdings der biedere Religiöse (denn er schrieb seinen Reisebericht
erst als Mönch) nicht als völlig bibelfest, da er die Geschenke der
Königin von Saba mit den Produkten zusammenwirft, die Salomo auf seinen
wiederholt ausgeführten Expeditionen nach Ophir (im jetzigen Rhodesia)
holen ließ. Später haben dann erst wieder arabische Geographen vom
Weihrauchlande aus eigener Anschauung Zuverlässiges zu berichten gewußt.

Sehr groß war der Verbrauch des Weihrauchs zu gottesdienstlichen
Räucherungen schon im alten Ägypten. Dabei wurden daselbst wie bei der
Myrrhe verschiedene Sorten unterschieden, die je nach der Gottheit,
der die Räucherung galt, verschieden gewählt wurden. So führt eine
Inschrift des Tempellaboratoriums in Edfu aus der Zeit der Ptolemäer
14 Sorten Anti-Harz (Weihrauch) neben 8 Sorten Ab-Harz (eine Abart der
Myrrhe) auf. Von den 14 Anti-Harzsorten bildeten 11 die erste und 3
die zweite Qualität. Alle hatten besondere Namen und sollten aus den
Augen der betreffenden Gottheit, der sie geweiht waren, herausfließen.
An den Festen der Gottheit, der sie entsprungen sein sollten und der
sie deshalb geweiht waren, wurde nur die betreffende Sorte, und zwar
in gewaltigen Mengen verbraucht. So steht im Osiristempel in Dendera
geschrieben, man solle am Osirisfeste im Monat Choiak besonders mit der
zweiten Sorte der ersten Qualität die Räucherbecken füllen; denn es
heißt: „Es entsteht aus dem Auge des Osiris ein Anti-Harz in Wahrheit,
herauskommend aus dem linken Auge; seine Farbe ist rötlich.“

In Nachahmung dieser ägyptischen Sitte benutzten auch die alten
Juden nach ihrem Auszuge aus Ägypten den Weihrauch zu ihren
gottesdienstlichen Räucherungen, wie schon im 2. Buch Mose 30, 34 u. f.
zu lesen ist. „Und der Herr (Jahve) sprach zu Mose (am Sinai um 1280
v. Chr.): Nimm zu dir Spezerei, Balsam, Bdellium, Galbanum und reinen
Weihrauch, von einem so viel als vom andern, und mache Räucherwerk
daraus, nach der Apothekerkunst gemengt, daß es rein und heilig sei.
Und sollst desselben tun vor das Zeugnis (nämlich die Bundeslade) in
der Stiftshütte, wo ich mich dir offenbaren werde. Das soll euch das
Allerheiligste sein. Und desgleichen Räucherwerk sollt ihr euch nicht
machen, sondern es soll dir heilig sein dem Herrn. Wer ein solches
machen wird, daß er damit räuchere, der soll ausgerottet werden von
seinem Volke.“

Infolge seiner überaus großen Wertschätzung und vollkommenen
Unentbehrlichkeit bei den gottesdienstlichen Funktionen nicht nur bei
den Ägyptern, sondern auch bei den Kulturvölkern Vorderasiens und am
Mittelmeer war der Handel mit Weihrauch noch viel mehr als derjenige
mit Myrrhe ein sehr wichtiger Faktor und brachte den Völkern, die
sich mit seiner Erzeugung und seinem Transport abgaben, reichen
Gewinn. Ja, man kann sagen, daß kaum ein anderes Pflanzenerzeugnis im
Altertum einen derartigen Einfluß auf das Wirtschaftsleben und die
ganze Kulturentwicklung der beteiligten Völker ausgeübt hat, wie die
wohlriechenden Gummiharze Weihrauch und Myrrhe. Welchen Reichtum er
den Völkern Glücklich-Arabiens brachte, haben wir bereits gesehen.
Allerdings ist die Menge von Gold, die sie besaßen, im Lande selbst
gewonnen worden. Dann aber brachte ihnen der Zwischenhandel mit
den indischen und ostafrikanischen Waren reichen Gewinn. Wie uns
griechische und römische Schriftsteller berichten, muß einst im
südlichen Teil des Roten Meeres ein großer Verkehr von Handelsschiffen
bestanden haben, die Waren aus Indien und Ostafrika holten. So
sagt uns Arrians Bericht über die Umschiffung des Roten Meeres
(~Periplus maris erythraei~) aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., daß die
Einwohner Glücklich-Arabiens aus Makrolus an der Küste Ostafrikas
Weihrauch, Myrrhe, Kankamon (ein der Myrrhe ähnliches Gummiharz)
und anderes Räucherwerk, von anderen Häfen derselben Küste aber
Elfenbein, Hörner des Nashorns, Schildplatt und Sklaven bezogen,
aus Indien aber erhielten sie Reis, Sesamöl, Zucker („~sacchari~“),
Pfeffer, Baumwollgewebe, Seidenstoffe, Indigo, das ingwerartige
Gewürz und Heilmittel Costus, Zimtkassia, Narde und Nardensalbe, das
wohlriechende, ebenfalls zu Räucherungen dienende Gummiharz Bdellium,
Onyx und andere Edelsteine, murrhinische Gefäße und Stahlwaren.

Von Südarabien aus wurden diese Produkte auf dem Landwege weiter
expediert. Die Hauptkarawanenstraße dafür, die berühmte Weihrauchstraße
des Altertums, führte zunächst nach Syrien, wo sie sich teilte,
um einerseits nordostwärts nach Babylonien und südwestwärts nach
Ägypten abzuzweigen. Sie verödete erst als zu Beginn der römischen
Kaiserherrschaft die unternehmenden ägyptischen Kaufleute regelmäßig
mit ihren Schiffen in den südarabischen Häfen erschienen und die
verschiedenen stark begehrten Handelsartikel an Ort und Stelle kauften.
Die Folge davon war, daß die am Karawanenhandel beteiligten Stämme,
ihres früheren reichen Verdienstes beraubt, teilweise nach Nordarabien
auswanderten und sich dort fruchtbarere neue Niederlassungen
erkämpften, oder als Söldner in die Dienste der Parther und Römer
traten. Diese semitischen Stämme aus Südarabien werden im Alten
Testament als Ismaeliten bezeichnet, d. h. als Nachkommen Ismaels,
des Sohnes Abrahams und seiner Nebenfrau Hagar, die später von ihrem
Manne samt dem Sohne verstoßen und in die Wüste geschickt wurde. Es
sei beispielsweise nur an den Bericht in 1. Mose 37, 25 erinnert, in
welchem die Söhne Jakobs hinter dem Rücken des Vaters ihren jüngsten
Bruder Joseph an eine nach Ägypten ziehende Karawane verkauften: „Und
sahen einen Haufen Ismaeliten kommen aus Gilead (dem Ostjordanland) mit
ihren Kamelen, die trugen Würze, Balsam und Myrrhe und zogen hinab nach
Ägypten.“

[Illustration: Bild 68. Darstellung eines Weihrauchbaums im Grabtempel
der Königin Hatschepsut in Der el Bahri. (Nach Dümichen.)

Die Inschrift lautet: „Grünende Weihrauchbäume 31 Stück, herbeigeführt
unter den Kostbarkeiten des Landes Punt für die Majestät des Gottes
Amon, des Herrn der irdischen Throne. Niemals ist Ähnliches gesehen
worden seit Erschaffung des Weltalls.“]

Dieser Handelsverkehr der Sabäer und Minäer, wie die Angehörigen des
älteren Reiches von Machīn von den griechisch-römischen Schriftstellern
bezeichnet werden, reicht in sehr hohes Altertum zurück. So bezogen
schon die Ägypter der ältesten Dynastien Weihrauch, Myrrhe und die
übrigen für ihre Gottesdienste gebrauchten Räucherharze von ihnen.
Außerdem aber haben je und je mächtige Herrscher des Pharaonenlandes
eigene Expeditionen zu Schiff nach Südarabien ausgesandt, um diese
kostbaren und wichtigen Produkte in größeren Mengen zu holen. Das
Land, das diese heiligen Gummiharze hervorbrachte, hieß bei den alten
Ägyptern ~taneter~, d. h. Gottesland. Es galt ihnen als die Heimat
ihrer Götter, die nach allgemeinem Glauben einst dort wohnten und von
dort her nach dem Niltal gelangt sein sollten. Die in den Inschriften
gebräuchliche geographische Bezeichnung für dieses Land ist ~Punt~
(eigentlich ~Pun~, da das ~t~ am Schlusse nur der weibliche Artikel
ist; da aber dieser Name einmal eingeführt ist, so behalten wir ihn
bei). Es umfaßte außer Südarabien die gegenüberliegende Küste von
Afrika und wurde schon sehr früh von den Ägyptern selbst aufgesucht.
Schon vor dem Jahre 3000 v. Chr., zur Zeit der Könige der 1. und
2. Dynastie, die sich als Grabstätten Pyramiden aus an der Sonne
getrockneten Lehmziegeln errichteten, sandten die machtvollen Herrscher
des Niltals, die in Memphis in Unterägypten residierten, ihre Schiffe,
wie nach Syrien, um als wertvolles Bauholz für das holzarme Land
Zedernstämme von den Abhängen des Libanon und andere Güter zu holen, so
nach dem Lande Punt, um die wohlriechenden Harze, die man zum Räuchern
und zu den im Leben des Orientalen so wichtigen Salben und Schminken
brauchte, auf direktem Wege zu beschaffen. Genauere Nachrichten über
solche Expeditionen erhalten wir durch die Denkmäler erst aus der
Zeit des Königs Sahurê der 5. Dynastie, der von 2743 bis 2731 v. Chr.
herrschte, und die sich bereits unter König Snofru (2930-2906) zu
entwickeln beginnende älteste ägyptische Seemacht mächtig förderte. Wir
erfahren von ihm, daß er eigene Schiffe nach Punt sandte, die 80000
Maß Weihrauch (~anti~), 6000 Gewichte Elektron (eine Legierung aus
Gold und Silber) und 2600 Stäbe einer kostbaren Holzart, vielleicht
Ebenholz, nach der Hauptstadt Memphis brachten. Kürzlich entdeckte
Reliefs aus seinem Pyramidentempel schildern die Heimkehr dieser
Flotte und diejenige einer anderen, die aus Phönikien mit semitischen
Gefangenen und einheimischen Matrosen anlangte. Es ist dies die älteste
Darstellung seetüchtiger Fahrzeuge und syrischer Semiten, die wir
besitzen.

Während der 6. Dynastie (2625-2475 v. Chr.) waren die Gaufürsten
von Elephantine die Erforscher der südlich und östlich von Ägypten
gelegenen Länder und führen in ihren Grabinschriften den Titel
„Karawanenführer, der seinem Herrn die Erzeugnisse der Fremdländer
überbringt“. Einer derselben, namens Harchuf, brachte dem König
Phiops II. einen Zwerg aus dem Lande Punt mit, wofür er von jenem
einen Anerkennungsbrief erhielt, auf den er so stolz war, daß er ihn
auf der Vorderseite seines Grabes bei Assuan einmeißeln ließ als
ein Zeichen der großen Gunst, die er beim Könige genoß. Von einer
größeren Expedition nach dem Lande Punt erfahren wir erst wieder
während der 18. Dynastie. Veranlaßt wurde sie von der energischen
Tochter und Erbin Thutmosis I., Hatschepsut, die mit ihrem Halbbruder
Thutmosis II. verheiratet war und nach dessen Tode von 1516-1481
v. Chr. selbständig regierte. Um die oberste der drei Terrassen ihres
Grabtempels in Der el Bahri westlich von Theben mit den Bäumen, die den
Weihrauch, das heilige ~anti~, hervorbrachten, zu schmücken, entsandte
sie eine Expedition nach dem Gotteslande Punt, deren Einzelheiten sie
in Inschriften und äußerst lebendigen szenischen Darstellungen an den
Wänden eben jener Tempelhalle schildern ließ. Im neunten Jahre ihrer
Regierung lief die aus fünf großen Seeschiffen bestehende Flotte durch
einen Kanal im östlichen Delta ins Rote Meer aus und fuhr südwärts
nach dem Lande Punt. Dort angekommen, wurde der ägyptische Admiral vom
Fürsten Parihu, seiner Frau Ati, zwei Söhnen und einer Tochter aufs
freundlichste aufgenommen. Nach dem Austausch der üblichen Geschenke
und der Aufstellung der mitgebrachten Statuen der Königin und der
beiden Hauptgötter Ägyptens, Amon und Ra, wurden die gewünschten
Produkte des Landes Punt gegen die von zu Hause mitgebrachten Waren
getauscht. Eine Darstellung mit der erklärenden Inschrift „Belasten der
Transportschiffe“ zeigt uns das Einladen der Waren mit allen Details.
Wir sehen darauf, wie ägyptische Matrosen bemüht sind, drei in Kübeln
gepflanzte, blattlos gezeichnete, starkstämmige, knorrige Bäume, die
ausdrücklich als ~anti~, d. h. Weihrauchbäume, bezeichnet werden,[2]
die Landungsbrücke hinauf auf das Verdeck des Schiffes zu tragen, wo
bereits fünf andere solche Weihrauchbäume zwischen den aufgestapelten
Schätzen sichtbar sind.

Die sechszeilige, hieroglyphische Inschrift erklärt den Vorgang in
folgender Weise: „Das Belasten der Transportschiffe mit einer großen
Menge von herrlichen Produkten Arabiens, mit allen kostbaren Hölzern
des heiligen Landes, mit Haufen von Weihrauchharz, mit grünenden
Weihrauchbäumen, mit Ebenholz, mit reinem Elfenbein, mit Gold und
Silber aus dem Lande Amu, mit dem wohlriechenden Tesepholze, mit
Kassiarinde (Zimtkassia), mit Ahamweihrauch (vom Balsambaum), mit
Mestemschminke, mit Anāuaffen (~Cynocephalus hamadryas~), Kophaffen
(~Cynocephalus babuinus~) und Tesemtieren, mit Fellen von Leoparden des
Südens, mit Frauen und ihren Kindern. Niemals ist gemacht worden ein
Transport gleich diesem von irgend einer Königin seit Erschaffung des
Weltalls.“

Wie werden die Einwohner Thebens gestaunt haben, als diese seltsamen
Dinge alle vom ägyptischen Befehlshaber „Ihrer Majestät“ überbracht
wurden! Die Weihrauchbäume aber ließ sie, 31 an der Zahl, auf der
obersten Terrasse ihres schönen Totentempels dem Gotte Amon zu Ehren
aufstellen und rühmt sich in der Inschrift: „Ich habe ihm ein Punt
gemacht in seinem Garten, wie er mir befohlen hatte..., es ist groß
genug für ihn, um sich darin zu ergehen.“ Neuerdings hat man hinter
diesem ihrem Totentempel, in welchem ihr und ihrem Vater der übliche
Totendienst abgehalten wurde, ihr und nicht weit davon ihres Vaters
Grab gefunden.

Die Beziehungen zum Lande Punt blieben auch unter ihren Nachfolgern
der 18. und 19. Dynastie erhalten und öfter melden uns die Inschriften
an den Tempelwänden von Expeditionen dahin. So lieferte der Handel
mit Punt Thutmosis III., der 54 Jahre, und zwar wie astronomisch
bestimmt wurde, vom 3. Mai 1501 bis zum 17. März 1447 v. Chr. regierte,
regelmäßige und reiche Einkünfte. Auch Haremheb, der von 1350-1315
über Ägypten herrschende Begründer der 19. Dynastie, entsandte nach
einer urkundlichen Inschrift an den Wänden seiner Grabkammer eine
erfolgreiche Expedition nach Punt. Dies wiederholten seine großen
Nachfolger, vor allen Sethos I. (1313-1292) und Ramses II. (1292-1225
v. Chr.). Besonders unter letzterem muß ein reger Schiffsverkehr nicht
nur im östlichen Mittelmeer, sondern auch durch den Süßwasserkanal
der Landenge von Suez nach den Küsten des Roten Meeres stattgefunden
haben. Aber nicht nur jene machtvollen Könige, sondern auch die reichen
Priesterschaften der großen Tempel des Amon, Ra und Ptah besonders
in der Reichshauptstadt Theben besaßen ihre eigenen Flotten auf dem
Mittelmeer und im Roten Meere, welche, wie die Inschriften melden,
„die Erzeugnisse von Phönikien, Syrien und Punt in die Schatzkammern
des Gottes lieferten“. Es muß also damals die Schiffahrt in Ägypten in
größerem Maßstab als je zuvor betrieben worden sein.

[Illustration: Bild 69 u. 70. Die Weihrauchexpedition der Königin
Hatschepsut. Oben: Ankunft der Flotte im Lande Punt. Die Schiffe sind
an am Ufer stehende Bäume gebunden worden. Unten: Die Schiffe werden
mit Weihrauchbäumen, Weihrauch in Säcken, Affen und anderen Schätzen
des Landes beladen. (Nach Dümichen.)]

Später hat dann der dritte König von Israel, Salomo (993-953),
unter dem die jüdische Königsmacht ihren höchsten äußeren Glanz
erreichte, wohl in Nachahmung der ägyptischen Herrscher, ebenfalls
eine Handelsexpedition nach Punt und darüber hinaus nach dem Goldlande
Ophir, das wir neuesten Feststellungen zufolge in Rhodesia zu suchen
haben, entsandt. Die von ihm in Ezeon-Geber im Lande der Edomiter am
Ufer des Schilfmeeres erbauten Schiffe bemannte er mit der Schiffahrt
kundigen Knechten des phönikischen Königs Hiram von Tyrus, seines
Bundesgenossen. Jene Expedition brachte dem Salomo 420 Zentner Gold,
und da sie sich so überaus rentabel erwies, ließ er sie mehrfach
wiederholen. So heißt es in 1. Könige 26-28, wo ausführlich darüber
berichtet wird: „Die Schiffe Salomos aber kamen in dreien Jahren einmal
und brachten Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen“ -- letztere
von indischen Kaufleuten eingetauscht. Auch die Königin von Saba „aus
dem Lande Reich-Arabien“ -- wahrscheinlich die Königin Bilkis der
sabatäischen Inschriften -- kam, wie in 1. Könige 10, 2 zu lesen ist,
„gen Jerusalem mit sehr viel Volk mit Kamelen, die Spezerei trugen und
viel Goldes und Edelgestein“. Es sind dies dieselben Dinge, die bis
dahin die Minäer aus dem Lande Punt nach Ägypten und Syrien verhandelt
hatten. Später ließ dann auch der ägyptische König Nekau der 26.
Dynastie -- der Pharao Necho der Bibel (612-596 v. Chr.) --, dessen
Schiffe im Mittelmeere und im Roten Meere fuhren, und der den Kanal
von Bubastis nach Suez wollte erneuern lassen, von ihm dienstbaren
phönikischen Schiffsleuten ganz Afrika umfahren. Jedenfalls sind jene
damals auch in das Innere, nach Rhodesia, gelangt, wo man in den Ruinen
von Simbabwe allerlei phönikische und ägyptische Altertümer fand. Das
war die letzte Umseglung Afrikas, von der wir wissen, vor derjenigen
Vasco da Gamas im Jahre 1497; denn die um 460 v. Chr. unternommene
Afrikafahrt des karthagisch-punischen Admirals Hanno die Westküste
Afrikas entlang, wobei er die ersten Gorillas zu Gesicht bekam, endete
vor der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung.

[Illustration:

    Tafel 117.

Blick zum Terrassentempel der Königin Hatschepsut in der Gräberstadt
Der el Bahri westlich von Theben, in welchem die im Text abgebildete
und beschriebene Expedition nach dem Lande Punt zur Erlangung von
Weihrauchbäumen dargestellt ist.]

[Illustration: Ein Weihrauchbaum (~Boswellia carteri~) auf den
Kalkbergen von Fartak in Südarabien. (Nach einer in der Sammlung des
Bot. Instituts der Universität Wien befindlichen Photogr. von Prof.
~Dr.~ O. Simony.)]

[Illustration:

    Tafel 118.

Ernte von Orangenblüten auf den Feldern der Parfümerie B. Court in
Grasse.]

[Illustration: Jasminernte der Parfümeriefabrik B. Court in Grasse.]

Was den Schiffsverkehr der Ägypter nach Südarabien, dem Lande des
Weihrauchs, anbetrifft, so war er wieder besonders lebhaft zur
Ptolemäerzeit. Aber auch damals tat er den Handelsbeziehungen der
Sabäer zum Norden keinen bedeutenden Eintrag. Nach wie vor blieben
diese letzteren, wie uns eine Inschrift aus der Ptolemäerzeit beweist,
die Weihrauchlieferanten aller großen Tempel Ägyptens. Der Reichtum der
Sabäer war immer noch weltberühmt und ihre Unbezwingbarkeit bewährte
sich selbst gegenüber dem Feldherrn des römischen Kaisers Augustus,
der nach anfänglichen Erfolgen von dem uneinnehmbaren Marib abziehen
mußte. Noch heute zeugen die gewaltigen Ruinen, die 20 Stockwerke
hohe Burg Gomdān in Sanaa, der Tempel von Marib, dessen 9,5 m hohe
Mauern ellipsenförmig um eine natürliche Bodenerhöhung verlaufen
und die große Talsperre von Marib, deren Bersten die Araber mit dem
Untergange der Sabäermacht in Zusammenhang brachten, von der einstigen
hohen Kultur jenes Reiches, das außer durch seine eigenen Produkte,
vor allem Weihrauch und Myrrhe, durch seine Lage auf dem Wege von
Indien nach Ägypten und den Ländern am Mittelmeer zum Handelsstaate
prädestiniert war. Sein Machtbereich erstreckte sich bis nach Gaza
am Mittelländischen Meere und überall dem Handelswege entlang besaß
es befestigte Niederlassungen als Ablagen für den Handelsverkehr und
Stützpunkte seiner Macht. Aus spätsabäischer Zeit sind Gold-, Silber-
und Kupfermünzen der Herrscher, die zugleich oberste Priester ihres
Volkes waren, auf uns gekommen. Sie bekunden eine starke Abhängigkeit
von griechischen, später von römischen Vorbildern und zeigen uns die
Könige zuerst in altarabischer Haartracht mit frei herabhängendem,
langem Haar, später in geringelten, langen Strähnen und zuletzt im
kurzen Haar der römischen Imperatoren.

Wie bei den Ägyptern war auch bei den Vorderasiaten, namentlich den
Babyloniern, der Weihrauch ein bei den Gottesdiensten zu Räucherungen
viel gebrauchter Handelsartikel. Herodot berichtet uns im 5.
Jahrhundert v. Chr., daß die Araber alljährlich dem Perserkönige
Dareios (um 500 v. Chr.) einen Tribut von tausend Talenten (= 26200 kg)
Weihrauch abliefern mußten. Derselbe Autor sagt, daß die Weihrauchbäume
in Arabien von vielen kleinen, geflügelten Schlangen bewacht werden.
Wollen nun die Leute den Weihrauch holen, so müssen sie erst Styrax
(griech. ~stýrax~, der aus Stamm und Ästen des in Syrien und Arabien
wachsenden Styraxbaumes, ~Styrax officinalis~, gewonnene, zähflüssige,
graubraune, aromatisch riechende Balsam) anbrennen, um die gefährlichen
Tiere durch den Dampf zu vertreiben.

Welche Rolle dieses Räuchermittel auch bei den Juden spielte, ist uns
aus dem Alten Testament genugsam bekannt. Den Propheten des Alten
Bundes ist das um seiner kostbaren, wohlriechenden Harze wegen viel
beneidete Glücklich-Arabien, das Land der Sabäer, der Inbegriff des
Reichtums. So begreifen wir, daß Jesaias, der seit 740 v. Chr. in
Jerusalem wirkte, da er seinem Volke alle Herrlichkeiten der Erde
versprach, wenn es Jahve die Treue halte und ihm allein diene, ihm (in
Kap. 60, Vers 6) verhieß: „Dann wird die Macht der Heiden zu dir kommen
und die Menge der Kamele wird dich bedecken; sie werden aus Saba alle
kommen und Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.“
Und im Neuen Testament hat die sinnige, die Geburt des Heilandes mit
den verschiedensten außergewöhnlichen Begebenheiten ausschmückende Sage
als Beweis der besonderen Verehrung des Jesuskindleins die uns allen
von Jugend auf bekannte Geschichte von den Weisen (eigentlich Magiern)
aus dem Morgenlande erdichtet, die dem Sterne nach Bethlehem folgten,
um das Kind anzubeten. Und das Kostbarste, was jene Zeit sich erdenken
konnte, brachten sie dem Kindlein dar; so heißt es Matthäus 2, 16:
„und sie taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhen“.

Von den seefahrenden Phönikiern lernten die Griechen den Weihrauch
und seine gottesdienstliche und profane Verwendung als Räuchermittel
namentlich bei Begräbnissen und als Arzneimittel kennen. Das beweist
schon die Übernahme der semitischen Bezeichnung desselben ~lebonah~, d.
h. weiß, in die griechische Sprache als ~líbanos~, woraus dann später
die Römer, als sie diese Droge von den süditalischen Griechen kennen
lernten, ~olibanum~ machten. Später benutzten die Griechen auch die aus
dem griechischen ~thýein~ opfern gebildete Bezeichnung ~thýos~, woraus
das lateinische ~thus~ für Weihrauch wurde. Auch den Griechen war, wie
den Ägyptern und Vorderasiaten, der Weihrauch so sehr der Inbegriff
alles Herrlichen, daß der Dichter Pindar (522-442 v. Chr.), der
erhabenste Lyriker seines Volkes, in einer herrlichen Ode die Seelen
der Abgeschiedenen auf den Gefilden der Seligen unter Weihrauchbäumen
wandeln läßt, während sie noch bei Homer, der diese Droge
überhaupt noch nicht gekannt zu haben scheint, in der Unterwelt auf
Asphodeloswiesen (~Asphodelus ramosus~, einer in den Mittelmeerländern
in Menge wachsenden Lilienart mit weißen Blütentrauben, deren scharfe
Wurzelknollen als Arznei und ihres Reichtums an Stärkemehl wegen auch
als Nahrung gegessen wurden, so auch, wie Porphyrius uns erzählt,
vom Philosophen Pythagoras, der sie sehr liebte) wandelten und
sich hier vornehmlich mit Spiel und Jagd die Zeit vertrieben. Der
griechische Arzt Dioskurides (im 1. Jahrhundert n. Chr.) sagt in seiner
Arzneimittellehre: „Der Weihrauch (~líbanos~) wächst in demjenigen
Teile Arabiens, den man als das weihrauchtragende bezeichnet. Der
beste ist der sogenannte männliche, auch ~stagoniás~ genannt, von
Natur in walzigen Stücken. Er ist weiß, inwendig fettig und brennt,
an die Flamme gebracht, schnell. Man wendet den Weihrauch und den aus
verbranntem Weihrauch gewonnenen Ruß als Arznei an.“ In derselben Weise
wurden übrigens auch nach demselben Autor die Myrrhe und der Myrrhenruß
benutzt.

Der griechische Geschichtschreiber und Geograph Arrianus (ums Jahr 110
n. Chr. in Nikomedien geboren und unter Marcus Aurelius gestorben),
der einzige Schriftsteller des Altertums, der eine genaue Kenntnis der
arabischen Küste besaß, schreibt in seinem Buche über die Umschiffung
des Roten Meeres: „An der Südküste Arabiens liegt der Handelsplatz
Kane in der weihrauchtragenden Gegend. Landeinwärts von Kane liegt
die Hauptstadt des Landes, Sabbatha, in der der König wohnt. Nach
Kane wird der Weihrauch, der im Lande gewonnen wird, wie in ein
gemeinschaftliches Magazin gebracht, was teils auf Kamelen, teils auf
Fellbooten, teils auf eigentlichen Schiffen geschieht. Von Kane aus
wird der Weihrauch weiter verhandelt. -- Das Weihrauchland erstreckt
sich von Kane weiter ostwärts an der Küste hin bis zum Vorgebirge
Syagros und der sachalitischen Handelsstadt Moscha, ist bergig, sehr
schwer zugänglich, hat eine dicke, neblige Luft. Die Weihrauchbäume
sind nicht groß. Der Weihrauch quillt in Tropfen hervor und erstarrt an
der Rinde, wie bei uns in Ägypten das Gummi (~kómmi~). Er wird von den
Sklaven des Königs und verurteilten Verbrechern gesammelt. Die Gegend
ist ungeheuer ungesund, selbst für Leute, die nur vorbeischiffen. Die
Weihrauchsammler sind demnach einem sicheren Tode geweiht; dieser wird
oft noch durch Nahrungsmangel beschleunigt. Auch auf dem Vorgebirge
Syagros ist eine Burg mit einem Weihrauchmagazin und einem Hafen. --
Östlich vom Vorgebirge Syagros liegt an der Südküste Arabiens im
sachalitischen Gebiete die Hafenstadt Moscha, wohin der sachalitische
Weihrauch gebracht wird, welcher von königlichen Beamten verhandelt
wird. Der Weihrauch liegt hier auf einem großen Haufen, der gar nicht
bewacht wird, indem die Götter selbst den Ort schützen. Denn nimmt ein
Schiffer ohne Erlaubnis der königlichen Beamten auch nur ein Körnchen
heimlich oder offen, so ist das Schiff, durch Göttermacht gebannt,
nicht imstande, den Hafen zu verlassen.“

Arrian berichtet auch in seinem Buche über Indien, daß die Leute
Alexanders (des Großen) an der Mündung des Euphrat das Dorf Diridotis
fanden, wohin Kaufleute Weihrauch und anderes Räucherwerk aus Arabien
brachten, und Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Weihrauch und
Myrrhe (~thus et myrrha~) sind Erzeugnisse Arabiens, doch wächst
die Myrrhe auch im Lande der Troglodyten, der Weihrauch aber sonst
nirgends, und nicht einmal in ganz Arabien, sondern nur in der
Landschaft Saba, wo in einer gebirgigen Gegend die Weihrauchwälder
stehen. Der Weihrauch wird von Saba aus auf einer schmalen Straße,
welche durch das Land der Minäer geht, verführt. -- Den Baum selbst
kennen wir nicht, obgleich die römischen Waffen tief nach Arabien
hinein vorgedrungen sind. Die griechischen Beschreibungen weichen sehr
voneinander ab. -- Als Alexander (der Große) noch ein Kind war und
große Massen Weihrauch auf die Altäre warf, hatte ihm sein Erzieher
Leonides gesagt, er möge erst dann soviel davon vertun, wenn er die
Weihrauchländer erobert habe. Wie nun Alexander später Arabien erobert
hatte, schickte er dem Leonides eine ganze Schiffsladung Weihrauch,
damit er tüchtig räuchern könne. -- In Rom kostet jetzt das Pfund
des besten Weihrauchs 6 Denare (= 3 Mark), das der zweiten Sorte
5 Denare (= 2,50 Mark) und das der dritten Sorte 3 Denare (= 1,50
Mark). Jährlich wird jetzt eine ungeheure Menge von Weihrauch bei
Leichenbegängnissen verbrannt, während man in alten Zeiten den Göttern
nur etwas Mehl und Salz opferte, und gleichwohl waren sie damals
gnädiger als sie jetzt sind.“ Derselbe Autor berichtet weiterhin, daß
Kaiser Nero beim Leichenbegängnis seiner zweiten Gemahlin, Poppaea
Sabina, die er nach Verstoßung der achtbaren Oktavia durch schnöden
Freundschaftsbruch in seinen Besitz gebracht hatte, aber, ihrer
überdrüssig, sie im Jahre 65 durch Mißhandlung in hochschwangerem
Zustande tötete, als Opfer für die Götter mehr Weihrauch verbrennen
ließ, als nach der Berechnung Sachkundiger ganz Arabien in einem Jahre
hervorzubringen vermöge. Allerdings waren die Eigenliebe und die
Gefallsucht dieser Frau sehr groß. Obschon sie nicht mehr jung war,
lebte sie nur der Pflege ihrer Körperschönheit, trug zur Erhaltung
ihres zarten Teints eine Maske, die sie vor dem Sonnenbrande schützen
sollte, und führte auf ihren Reisen und während des Sommeraufenthaltes
stets 500 Eselinnen mit sich, um täglich in deren Milch baden und
so, wie sie glaubte, die Weiße ihrer Haut erhalten zu können. Ferner
berichtete Statius, daß, als der reiche Abascontius seine Gattin
Priscilla bestatten ließ, im langen Leichenzuge, als zur Verbrennung
bestimmt, alle Blumen, die Arabiens und Kilikiens Frühling erzeugt,
auch die Blumen des Sabäerlandes, die Gewürze Indiens, Weihrauch und
Balsam aus Palästina getragen wurden.

Außer als Räucherwerk spielte der Weihrauch bei den Griechen und Römern
auch medizinisch eine wichtige Rolle. Schon die Hippokratiker bedienten
sich seiner bei Asthma, Uterusleiden und äußerlich zu verschiedenen
Salben. Diese Verwendung blieb das Mittelalter hindurch, wie auch die
christliche Kirche von den antiken Kulten das Verbrennen von Weihrauch
in besonderen Räuchergefäßen, die vielfach mit großer Kunst hergestellt
wurden, übernahm und in den römisch- und griechisch-katholischen
Abzweigungen bis auf den heutigen Tag beibehielt. Auch die
katholisierende englische Hochkirche und die Sekte der Irvingianer
bedient sich noch dieses uralten Rauchopfers bei ihren Gottesdiensten.
Vom lateinischen ~incensum~, d. h. das, was (bei den Gottesdiensten)
verbrannt wird, hat der Weihrauch die Bezeichnung ~encens~ im
Französischen und ~incense~ im Englischen. Auch hier bewahrheitet
sich die immer wiederkehrende Tatsache, daß der Mensch in nichts so
konservativ ist, als in Sachen der Religion.

Bedeutende Mengen von Weihrauch verbrauchen auch die Chinesen zu
Opfern und bei Leichenbegängnissen. Sie erhielten ihn seit dem 10.
Jahrhundert von den Arabern. Auch in Indien wird seit dem frühesten
Altertum von einheimischen Commiphoraarten Weihrauch gewonnen und
bei den Gottesdiensten als Brandopfer verbrannt. So wird er schon
um 500 v. Chr. im ~Ayur veda~ Susrutas erwähnt. Dieser indische
Weihrauch, der schon im Altertum neben dem arabischen und heute
noch von den Muhammedanern mit Vorliebe verbraucht wird, stammt von
~Boswellia thurifera~, einer vom Gangesgebiet bis zur Koromandelküste
wachsenden, dem echten Weihrauchbaum sehr nahe verwandten Burserazee,
die Colebrooke 1809 in Ostindien entdeckte. Diesen Baum haben
wahrscheinlich schon die Griechen auf dem Alexanderzuge im Pandschab
kennen gelernt. Jedenfalls wurde auch dieser Weihrauch später neben dem
arabischen verwendet. Dioskurides bezeichnet ihn als ~syagrium~; er
sei bräunlich und werde mit der Zeit gelblich. Er werde absichtlich zu
walzigen Stücken geformt. Außer ihm gebe es noch eine geringe dunkler
gefärbte und eine geringe weiße Sorte. Verfälscht werde dieser wie auch
der arabische Weihrauch mit Pinienharz und Gummi; doch sei der Betrug
leicht zu merken, weil der Gummi nicht brennt, das Pinienharz sich in
Rauch verwandelt, der Weihrauch aber klar brennt. Auch der Geruch gebe
ein sicheres Merkmal, um den Unterschied festzustellen.

In derselben Weise diente auch das dunkelbraune bis grünliche Gummiharz
der im nordwestlichen Indien und in Belutschistan einheimischen
~Commiphora roxburghi~ und das mehr gelbrote ostafrikanische von
~Commiphora africana~. Beide wurden besonders zu Rauchopfern wie auch
arzneilich viel verwendet und kamen als +Bdellium+ in den Handel.
Dieses Bdelliumharz wurde schon von den alten Ägyptern für sich
allein oder mit Myrrhen, Weihrauch und Mastix (dem Harz von ~Pistacia
lentiscus~) in Form einer Kyphimischung zum Rauchopfer oder zur
Herstellung von Arzneien verwendet. Auch die Juden, die es hebräisch
~bdolah~ nannten, benutzten es wie Myrrhe, ebenso die Griechen, die
dieses Harz wie die übrigen Weihrauchharze durch Vermittlung der
Phönikier kennen lernten. Durch die Griechen wurden dann die Römer
damit bekannt gemacht. Plinius erwähnt es, und sein Zeitgenosse, der
griechische Arzt Dioskurides, sagt von ihm: „Das ~bdéllion~ tröpfelt
aus einem arabischen Baume. Das beste ist bitter, durchscheinend,
wie Leim anzusehen, fett, in der Mitte leicht erweichend, ohne
Beimischung von Holzteilen und andern Verunreinigungen. Auf glühende
Kohlen gestreut gibt es einen angenehmen Geruch. Eine zweite Sorte ist
schmutzig und schwarz, bildet größere Klumpen und kommt aus Indien.
Es kommt auch eine Sorte von Petra (der alten Hauptstadt der Nabatäer
in Nordwestarabien bei der Sinaihalbinsel); sie ist trocken, harzig,
bläulich und ist von zweiter Güte. Man verfälscht das Bdellium mit
(arabischem) Gummi; dann ist es aber nicht mehr so bitter und riecht
beim Räuchern nicht so angenehm. Es wird innerlich und äußerlich
angewendet.“ Außer Arrian, dessen Bericht über seine Umschiffung des
Roten Meeres wir vorhin erwähnten, nennt es auch Vegetius als ein
Produkt des fernen Morgenlandes.

Wie von Weihrauch und Myrrhe hat man in einigen altägyptischen Gräbern
auch Überreste von +Mekka-+ oder +Gileadbalsam+ gefunden, die alle
den Toten als Opfergabe mitgegeben wurden. Sein Erzeuger ist der
arabische Balsambaum (~Commiphora opobalsamum~), ein 5-6 m hoher
Baum mit papierdünner, ledergelber Rinde und rutenförmigen Ästen, die
nur nach den Winterregen belaubt sind. Wie sein naher Verwandter,
der echte Weihrauchbaum, ist er im Somalland in Nordostafrika und
im südlichen Arabien heimisch und wurde schon im Altertum nicht
nur in Arabien, sondern auch in Syrien zur Gewinnung eines höchst
wohlriechenden flüssigen Gummiharzes angepflanzt. Dieses ist der
Balsam der alten Schriftsteller, der zwar auch zu gottesdienstlichen
Räucherungen, besonders aber heute noch als hochgeschätzte Arznei
Verwendung findet. Die beste, von selbst ausfließende oder durch Ritzen
des Stammes und der Äste gewonnene Sorte ist dünnflüssig, blaßgelb,
riecht dem Zitronenöl ähnlich und kommt nicht in den Handel, da sie
von den vornehmen Orientalen ausschließlich für sich als Heilmittel
und zu feinen Parfüms und Salben verwendet wird. Eher ist der weniger
wohlriechende, gelbrötliche, trübe, dickflüssige Balsam im Orient zu
kaufen, der dort seit dem Altertum zu rituellen Zwecken und als Arznei
sehr begehrt ist.

Schon die alten Ägypter bedienten sich häufig seiner und nannten ihn
~aham~. Auch die Juden benutzten es gern zu gottesdienstlichen und
profanen Zwecken als Arzneimittel und zur Herstellung wohlriechender
Salben. Ebenso kannten ihn die Schriftsteller des Altertums sehr
wohl als Handelsartikel Arabiens. Der griechische Geograph Strabon
(um 25 n. Chr. gestorben) schreibt, der Balsam (~bálsamon~) werde
an der Küste des Sabäerlandes gewonnen, während ihn der römische
Geschichtschreiber Tacitus (54-117 n. Chr.) nur in Judäa von mäßig
großen Bäumen gewinnen läßt. Auch Theophrast und Plinius sagen, er
gehe nur aus letzterem Lande hervor. Ersterer schreibt in seiner
griechischen Pflanzengeschichte: „Der Balsam wird im syrischen
Tieflande gewonnen, aber, wie man sagt, nur aus zwei großen Gärten. Der
Baum soll die Größe eines Granatbaums und sehr viele Äste haben. Das
Blatt soll ähnlich der Raute, nur mehr weiß und dabei immergrün sein.
Die Frucht soll an Größe, Gestalt und Farbe derjenigen der Terebinthe
gleichen. Ihr Geruch soll ganz herrlich und lieblicher sein als der
Geruch der ausfließenden Tropfen. Um letztere zu gewinnen, soll man
zur Zeit der größten Hitze mit eisernen Nägeln den Baumstamm und
die Äste ritzen. Dann wird der Balsam bis zum Winter gesammelt. Der
Ertrag ist aber gering; denn ein Mann sammelt den Tag über nur eine
Muschel voll. Der Geruch ist ganz ausgezeichnet und so stark, daß
wenig Balsam für einen großen Raum genügt. Übrigens wird kein reiner
Balsam, sondern nur mit fremdartigen Zusätzen gemischter in den Handel
gebracht. Auch die Zweige riechen sehr gut und werden teuer bezahlt,
weswegen man den Baum oft beschneidet. Wilder Balsam soll nirgends
vorkommen. Aus dem größeren Balsamgarten soll man 36 Pfund, aus dem
kleineren 6 Pfund gewinnen.“ Und 350 Jahre später schrieb Plinius in
seiner Naturgeschichte: „Allen andern Wohlgerüchen wird der Balsam
(~balsamum~) vorgezogen, welchen nur Judäa erzeugt. Dort fand er sich
nur in zwei königlichen Gärten. Die zwei Vespasiane (Vespasian und sein
Sohn Titus, die den mit der Zerstörung Jerusalems und der Vernichtung
des jüdischen Volkes als Nation im Jahre 70 n. Chr. endigenden Krieg in
Judäa führten) haben dieses Bäumchen auch der Stadt Rom gezeigt. Das
Land, in welchem es wächst, gehört jetzt uns; es ist aber ganz anders
beschaffen, als es römische und ausländische Schriftsteller beschrieben
haben. Als die Römer Judäa eroberten, wollten die Juden den Balsambaum
ausrotten; allein die Römer verteidigten ihn, und so entstand ein
Kampf um einen Strauch. Jetzt wird er auf Staatskosten angepflanzt
und ist zahlreicher und höher als je. Seine Höhe erreicht nicht ganz
zwei Ellen. Man unterscheidet drei Sorten dieses Strauches. Der frisch
aus gemachten Ritzen fließende Saft heißt Saftbalsam (~opobalsamum~)
und sein Geruch ist ungemein lieblich. Die zarten Tröpfchen werden in
Hörner gesammelt und dann in neue irdene Gefäße gegossen. Der Balsam
gleicht anfangs einem dicken Öl und ist farblos, später wird er rötlich
und hart. Jeder Strauch wird jetzt im Sommer dreimal geritzt und später
abgeschnitten. Auch die Teile des abgeschnittenen Strauches kommen in
den Handel und haben nach der Eroberung Judäas in weniger als fünf
Jahren einen Ertrag von 80 Millionen Sestertien (etwa 12 Millionen
Mark) gegeben. Der Balsam, den man aus den abgeschnittenen Stücken
des Strauches kocht, heißt Holzbalsam (~xylobalsamum~) und wird unter
Salben gekocht. -- Die Verfälschung des reinen Balsams wird recht grob
und großartig betrieben, so daß ein Gefäß reinen Saftes, welches vom
kaiserlichen Schatzamte für 300 Denare (etwa 15 Mark) gekauft wird,
dann durch Verfälschung vermehrt für 1000 Denare (50 Mark) verkauft
wird.“ Der römische Geschichtschreiber Älius Lampridius meldet uns
vom schwelgerischen Heliogabalus, der im Jahre 218 17jährig durch die
Bemühungen seiner ehrgeizigen Großmutter Julia Maesa, der Schwägerin
des Kaisers Septimius Severus, von den Legionen in Syrien zum Kaiser
ausgerufen wurde und bis zu seiner Ermordung durch die Prätorianer im
Jahre 222 regierte, als Ausdruck höchster Verschwendung, er habe sogar
den kostbaren Balsam in Lampen gebrannt.

Im Mittelalter betrieben die Araber die Kultur des arabischen
Balsambaums. Noch der Venezianer Prosper Alpino, der 1617 64jährig
als Professor der Botanik in Padua starb, sah, als er Ägypten um 1590
besuchte, im Sultansgarten von Matarie, wenige Kilometer nordöstlich
von Kairo, den echten Balsambaum angepflanzt. Er berichtet uns darüber
in einem 1592 veröffentlichten eigenen Dialog. Seither wurde er erst
wieder im letzten Jahrhundert von Europäern gesehen. Einst besaß
dieser Balsam, den wir neben Myrrhe und Würze aller Art als Ladung
der von Gilead im Ostjordanland nach Ägypten ziehenden Karawane der
Ismaeliter erwähnt finden, an die Jakobs Söhne ihren später zu so
hoher Stellung in Ägypten gelangten Bruder Joseph verkauften, eine
große Bedeutung als Handelsartikel auch des Abendlandes. War er doch
ursprünglich das heilige Salböl der christlichen Kirche, das zum
sogenannten Chrisma -- deshalb bei uns auch Chrisam genannt -- benutzt
wurde, wie ihn die morgenländischen Kulte bereits in gleicher Weise
verwendeten. Erst als das den Balsam erzeugende Land Arabien und Syrien
in die Hände der Muhammedaner fiel und dieser Handelsartikel infolge
der gespannten Beziehungen mit den Christen immer seltener wurde und
schließlich fast gar nicht mehr zu haben war, ist dann nach Entdeckung
der Neuen Welt durch eine päpstliche Bulle im 16. Jahrhundert der aus
dem nördlichen Südamerika bezogene Perubalsam zum heiligen Salböl
befördert worden, als welches es seither ausschließlich dient. Übrigens
werden auch die nach Verletzung der Rinde ausgeschwitzten Gummiharze
einiger anderer amerikanischer Balsambäume als des Perubalsambaums, so
besonders dasjenige des in Westindien und dem nördlichen Südamerika
heimischen westindischen Elemibaumes (~Commiphora plumieri~ -- so
genannt nach dem 1646 zu Marseille geborenen Franziskaner Charles
Plumier, den Ludwig XIV. dreimal nach Amerika schickte, um besonders
von Guiana aus Heilpflanzen nach Frankreich zu bringen; er starb, als
er eine vierte Reise antreten wollte, im Hafen von Sta. Maria bei
Cadix), auch aus der Familie der Burserazeen oder Balsambäume wie
die Erzeuger der vorhin genannten wohlriechenden Gummiharze. Dessen
ausgeschwitzter Balsamharz wird als +westindisches Elemi+ bezeichnet,
im Gegensatz zum viel länger bekannten +ostindischen Elemi+, das in
Indien ebenfalls seit Urzeiten zu gottesdienstlichen Räucherungen, als
Arzneimittel und zur Herstellung von wohlriechenden Salben dient. Ein
dem westindischen Elemi sehr ähnliches wohlriechendes Gummiharz liefert
auch der im nördlichen Südamerika heimische +brasilische Elemi+baum
(~Commiphora ambrosiaca~), dessen nach Verletzungen aus der Rinde
ausfließender Balsam, an der Luft erhärtet und in großen, unförmlichen,
zusammengebackenen, blaßgelblichen Klumpen in den Handel gelangt. Es
riecht eigentümlich aromatisch und dient außer zu Räucherungen auch
zur Herstellung von Salben und Pflastern. In gleicher Weise wird das
+Caranna+- oder +Mararaharz+ von der am Orinoko wachsenden ~Amyris
caranna~, das die Eingeborenen Guianas von alters her bei Quetschungen
und Wunden gebrauchen, und das von dem ebenfalls in Guiana wachsenden
Baume ~Amyris heptaphylla~ gewonnene +Conimaharz+ verwendet. Letzteres
stellt eine Art Kopal dar und wird auch als solches zur Herstellung von
Firnissen und Lacken benutzt.

Auch verschiedene solche wohlriechende Gummiharze bergende Hölzer
werden zu gottesdienstlichen und medizinischen Räucherungen benutzt,
so das Holz des orientalischen Balsambaums (~Commiphora opobalsamum~)
und das ebenfalls balsamisch riechende +Gafaholz+ von ~Commiphora
erythraea~ auf den Dahlakinseln an der Küste der italienischen Kolonie
Erythräa am Südufer des Roten Meeres. Letzteres wird besonders in
der muhammedanischen Welt zu Räucherungen in den Moscheen und zum
Beräuchern der Wassergeschirre benutzt.

Als Surrogat der teuren orientalischen Myrrhe diente den Griechen,
wie wir von Dioskurides erfahren, zu Räucherungen und als Heilmittel
die kleingeschnittene Wurzel der +Pferdesellerie+ (~hipposélinon~),
einer besonders in Böotien wildwachsend gefundenen Pflanze (~Smyrnium
olusatrum~), die getrocknet als böotische Myrrhe in den Handel
gelangte. Am brauchbarsten sei sie, meint jener Arzt, wenn sie den
angenehmen Geruch der echten Myrrhe habe.

Ein wertvolleres Räuchermittel, das auch zur Herstellung von
Arzneien eine ziemliche Bedeutung besaß, war den Griechen wie den
vorderasiatischen Völkern, von denen sie seine Verwendung kennen
lernten, der +Styrax+, ein wohlriechendes Gummiharz, das bereits in
den hieroglyphischen Texten als ~minaki~ erwähnt wird. Bei den regen
Handelsverbindungen mit Syrien und Babylonien kann es uns nicht
wundern, daß dieses wohlriechende Balsamharz aus Syrien, wo es im
Altertum in ziemlicher Menge gewonnen wurde, schon frühe nach dem
Niltal gelangte, um so mehr die Ägypter einen so ungemein großen Bedarf
an solchen Räuchermitteln und wohlriechenden Drogen zur Herstellung
von gottesdienstlichen Räucherungen und Salben und Arzneien hatten.
Durch die Phönikier wurde dieses Gummiharz nach Griechenland gebracht,
was nach Herodots Aussage noch zu seiner Zeit, im 5. vorchristlichen
Jahrhundert, der Fall war. Die Hippokratiker bedienten sich seiner
vielfach als Heilmittel, besonders bei den Frauen zur Beförderung
der Menstruation. Der um 25 n. Chr. verstorbene griechische Geograph
Strabon aus Amasia am Südrande des Schwarzen Meeres gibt als Vaterland
des dieses Balsamharz liefernden Baumes Arabien und das Taurusgebirge
in Nordsyrien an. Er sagt darüber: „Hoch auf dem Rücken des
Taurusgebirges, bei der Stadt Selge, wächst der Styraxbaum (~stýrax~)
in großer Menge. Von ihm kommen die Styraxlanzenschäfte, welche denen
von der Kornelkirsche ähnlich sind. In den Stämmen dieser Bäume wohnt
eine Art Holzwürmer. Diese bohren sich Gänge durch die Rinde und aus
ihnen fällt dann das Wurmmehl, das sich unten um den Stamm sammelt.
Danach tropft auch eine Flüssigkeit heraus, welche wie Gummi leicht
zusammenbackt. Sie vermischt sich am Boden mit dem Wurmmehl und mit
Erde; ein Teil aber bleibt am Stamme kleben und ist rein. Auch der am
Boden liegende unreine Styrax wird gesammelt; er riecht besser als
der reine, ist aber in anderer Hinsicht schwächer wirkend. Er wird
besonders zum Räuchern gebraucht.“

Um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. sagt der aus Kilikien
stammende griechische Arzt Dioskurides von ihm: „Der Styrax (~stýrax~)
tröpfelt aus einem Baume, der dem Quittenbaum ähnlich ist. Für den
besten gilt der gelbe, fette, harzige, der weißliche Klümpchen enthält,
recht lange wohlriechend bleibt und beim Erweichen eine honigartige
Flüssigkeit ausschwitzt. So ist der syrische aus Gabale, ferner der
aus Pisidien und Kilikien beschaffen. Der dunkelfarbige, zerreibliche,
kleienartige taugt nichts. Selten ist der durchsichtige, gummi- und
myrrhenartige Styrax. Man verfälscht den Styrax mit dem aus dem Baume
kommenden Wurmmehl, dem man Honig, pulverisierte Schwertlilienwurzel
und sonst allerlei beimischt. Es gibt auch Leute, welche Wachs und
Talg mit Gewürzen und Styrax an der heißen Sonne kneten, dann durch
ein weites Sieb in kaltes Wasser treiben, wodurch wurmartige Stücke
entstehen, die als Wurmstyrax verkauft werden und bei Unerfahrenen für
echten Styrax gelten. -- Der Styrax hilft gegen mancherlei Übel, man
verbrennt ihn auch so, daß man viel Ruß gewinnt, den man ebenfalls
braucht (namentlich für schwarze Tinte zum Schreiben). Von Syrien wird
auch die Styraxsalbe in den Handel gebracht.“ Ähnlich drückt sich
sein Zeitgenosse Plinius aus. Er sagt nämlich: „Syrien erzeugt in der
oberhalb Phönikiens gelegenen Gegend den Styrax (~styrax~); auch wird
der von Pisidien, Sidon, Cypern und Kilikien gerühmt, nicht aber der
von Kreta. Der beste ist der braunrote, fettigzähe aus dem syrischen
Amanus. Verfälscht wird der Styrax mit Zedernharz und Gummi, auch mit
Honig und bittern Mandeln. Vom besten kostet das Pfund 17 Denare (etwa
10 Mark). Der Styrax wird innerlich und äußerlich gebraucht.“ Dieses
Styrax ist das der Benzoe verwandte balsamisch riechende Gummiharz
des Styraxbaumes (~Styrax officinale~), eines 4-7 m hohen, strauch-
bis baumartigen Gewächses mit kurzgestielten, eiförmigen, unterseits
weißfilzigen Blättern, endständigen Trauben wohlriechender Blüten und
filzigen, grünen Steinfrüchten. Er wächst in Südeuropa, Kleinasien,
Syrien, Cypern und Kreta.

An die Stelle dieses festen Styrax, der den alten Kulturvölkern allein
bekannt war, ist seit dem 17. Jahrhundert der +flüssige Styrax+
getreten, der aus dem unter der Rinde liegenden Splint des in Lykien
und Karien wachsenden Amberbaums (~Liquidambar orientalis~) durch
Kochen mit Wasser und Abpressen gewonnen wird. Das wiederum getrocknete
Holz dient mit gepreßter Borke in der griechischen Kirche als
+Christholz+ neben Weihrauch zu rituellen Räucherungen und kam früher
als +Weihrauchrinde+ in den Handel.

Außer dem Holz des Amberbaums wurden im Altertum wie heute noch im
Orient, besonders aber bei den verschiedenen südasiatischen Völkern,
andere wohlriechende Hölzer zu Kultzwecken, beim Gottesdienst und bei
feierlichen Opfern verbrannt. Unter ihnen sind das +Sandelholz+ und das
+Aloeholz+ weitaus die wichtigsten. Ersteres ist das höchst aromatisch,
rosenartig riechende, gelbe Kernholz oder Holz von älteren Stämmen des
an der Malabarküste heimischen, aber in ganz Vorder- und Hinterindien,
besonders auf den Sundainseln, angepflanzten Sandelbaumes (~Santalum
album~ -- weiß genannt, weil das geruchlose Splintholz weiß ist).
Die Hindus, Malaien und Chinesen benutzen das wohlriechende Holz zu
mancherlei kostbaren Gerätschaften und zu Götzenbildern. Die Buddhisten
schnitzen sich mit Vorliebe Rosenkränze daraus und die Chinesen
bedienen sich des Holzes zugleich mit Weihrauch als Räuchermittel
in den Tempeln und bei Leichenbegängnissen. Auch die wohlhabenden
Inder und Araber räuchern in ihren Häusern mit demselben und lassen
sich daraus Pfeifenrohre schneiden. Letzteres dagegen, das als Aloe
gerühmte Räucherwerk des Alten Testaments, ist ein dunkelbraunes, sehr
hartes und sprödes Holz, das von ~Aquilaria agallocha~, einem Baume
Hinterindiens stammt. Es enthält nur wenig wohlriechendes Harz; man
schneidet daher die harzfreien Teile weg oder gräbt die Stämme in die
Erde, wobei dann das ganze Holz gleichmäßig damit durchtränkt wird.
Die Kulturvölker des Altertums schätzten es hoch und bezahlten es sehr
teuer. Der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische
Arzt Dioskurides nennt es in seiner Arzneimittellehre ~agállochon~ und
sagt, es sei ein punktiertes, wohlriechendes Holz, das aus Indien und
Arabien gebracht werde und zum Kauen diene, um dem Munde Wohlgeruch zu
verleihen, auch zum Räuchern statt Weihrauch, und außerdem in manchen
Fällen als Arznei benutzt werde. Nach dem Untergange des Römerreiches
wurde es nur noch im üppigen Byzanz verwendet und kam erst wieder,
als das Abendland zur Zeit der Kreuzzüge mit dem Morgenlande in
Beziehungen trat, durch die Araber nach Europa. Es galt im Mittelalter
als besonders heilkräftig, während es jetzt noch in Ostasien in der
Parfümerie und zu Heilzwecken Verwendung findet. In seiner Heimat
Hinterindien wird es regelmäßig in den Tempeln verbrannt. Napoleon I.
benutzte es in seinen Palästen mit Vorliebe zu Räucherungen als Parfüm.

Endlich sind noch zwei nicht in den europäischen Handel gelangende
Produkte zu nennen, die bei den ostasiatischen Kulturvölkern eine
große Rolle spielen. Erstens der +Sumatra-+ oder +Borneokampfer+,
ein dem gewöhnlichen Laurineenkampfer ähnliches, zugleich aber etwas
nach Patschuli riechendes festes ätherisches Öl von weißer Farbe
und kristallinischem Aussehen, das in den Stämmen des hohen, auf
Sumatra und Borneo wachsenden Kampferbaums oft in großen, mehrere
Pfund schweren Stücken ausgeschieden wird, sonst das ganze Kernholz
zur Konservierung und zum Schutze vor Insektenfraß und Pilzinvasion
durchtränkt. Bevor der echte oder Laurineenkampfer aufkam, war er
wie heute noch in China und Japan der allein als Räuchermittel bei
gottesdienstlichen und andern feierlichen Handlungen verwendete, der
dort auch zum Einbalsamieren der Leichen Vornehmer dient. Er ist sehr
teuer und kam zu Beginn des Mittelalters als wertvolle Arznei und
kostbares Räuchermittel nach Syrien, wo ihn der griechische Arzt Aetios
aus Amida im 6. Jahrhundert als ~kaphura~ zuerst erwähnt. Ins Abendland
kam er durch die Vermittlung der sich seiner häufig bedienenden
arabischen Ärzte und wird um 1070 in Italien vom jüdischen Arzt Simon
Seth und um 1150 von der gelehrten Hildegard, Äbtissin des Klosters
Rupertsberg bei Bingen, erwähnt. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts
wurde er durch den weit billigeren ostasiatischen Laurineenkampfer
ersetzt. Zweitens der in Cochinchina, Java und Amboina aus der
Komposite ~Blumea balsamifera~ gewonnene +Blumea-+ oder +Ngaikampfer+,
der seiner Kostbarkeit wegen in seiner Heimat und in China nicht mehr
zu Räucherungen, wohl aber als Arzneimittel und in letzterem Lande auch
zum Parfümieren der feinen Schreibtusche verwendet wird.


  [2] Wenn neuerdings der nordamerikanische Forscher Breasted in
      seiner eben deutsch im Verlag von Carl Curtius in Berlin ~W~
      erschienenen, sonst sehr lesenswerten „Geschichte Ägyptens“ an
      dieser und an allen anderen Stellen das Wort ~anti~ mit Myrrhe,
      statt wie sämtliche übrigen Forscher mit Weihrauch übersetzt, so
      ist er darin vollkommen im Irrtum, wie mir der beste Kenner der
      Materie, Prof. G. Schweinfurth in Berlin-Schöneberg, auf eine
      persönliche Anfrage hin eingehend zu begründen die Freundlichkeit
      hatte.



XXVI.

Die pflanzlichen Wohlgerüche.


Die Hervorbringung von Duftstoffen ist eine ungemein verbreitete
Erscheinung in der Pflanzenwelt. Von den niederen Pilzen bis
hinauf zu den höchsten Blütenpflanzen wird dieser Weg mit Vorliebe
eingeschlagen, um die verschiedenen Insekten zur Verschleppung
der Sporen oder zur Befruchtung der Blüten durch Übertragung des
Blütenstaubs herbeizulocken. Auch bei den Tieren steht die Ausbildung
von Duftstoffen in engster Beziehung zur Fortpflanzung, und zwar wenden
sie hier die Männchen zur Anlockung und geschlechtlichen Erregung der
Weibchen an. Man denke außer vielen anderen nur an den Duftstoff der
Schmetterlinge, des Bibers, des Moschustieres und der Zibetkatze, welch
beide letzteren dem Menschen die stärksten überhaupt existierenden
Parfüme lieferten. Daß Wohlgerüche auch auf den Menschen anregend und
belebend wirken, ist eine längst festgestellte Tatsache, die neuerdings
auch durch wissenschaftliche Versuche belegt wurde. So konnte man
beispielsweise feststellen, daß ein Mann, der unter gewöhnlichen
Bedingungen am Ergographen 1 kg mit dem Daumen hochzuheben vermochte,
unter dem Banne des Geruches von Tuberosen 1 kg und 100 g hochhob.
In ähnlicher Weise die Psyche anregend und dadurch die Muskelkraft und
die körperliche Leistungsfähigkeit überhaupt steigernd wirken andere
Wohlgerüche. Vor allem wird aber die geistige Tätigkeit, besonders
die Phantasie durch gewisse Düfte angeregt, die bei den verschiedenen
Menschen ganz verschieden bevorzugt werden. So liebte der große Dichter
Friedrich Schiller beim Geruche faulender Äpfel, die er sich stets in
der Schublade seines Schreibtisches hielt, Viktor Hugo dagegen bei
demjenigen der wilden Winde zu dichten. Starke Düfte wie Moschus regen
auf, und unangenehme Gerüche können empfindsame Menschen geradezu
krank machen. So wurde der große Albrecht von Haller durch den Geruch
von Käse, der Herzog von Epérnay durch denjenigen des Hasen geradezu
ohnmächtig; Knoblauchgeruch entkräftete Heinrich III. von Frankreich,
spornte dagegen Heinrich IV. zu den tollsten Streichen an.

In besonders nahen Beziehungen stehen Wohlgerüche zur Mystik und
zum Geschlechtsleben. Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, wie
das Verbrennen wohlriechender Harze und solche enthaltender Hölzer
schon sehr früh in den Gottesdienst der orientalischen Kulturvölker
eingeführt wurde, um durch die Geruchsorgane die Sinne zur leichteren
suggestiven Aufnahme übersinnlicher Eindrücke in das für solche
Dinge empfängliche Gemüt vorzubereiten und es so in Ekstase zu
versetzen. Von den morgenländischen Religionen ging dieser Gebrauch
auf die abendländischen über und spielt heute noch eine bedeutende
Rolle im Kulte. Vom Verbrennen solch wohlriechender Drogen wie
Weihrauch, Myrrhen und bei den alten Europäern namentlich von Holz und
getrockneten Beeren des Wacholders, rührt auch der in den deutschen
Sprachgebrauch übergegangene französische Ausdruck Parfüm her, der aus
dem Lateinischen ~per fumum~ abzuleiten ist, was „durch den Rauch“,
d. h. durch die Verbrennung gewisser Substanzen erzeugter Wohlgeruch
bedeutet.

Alles deutet darauf hin, daß sich das Weib zuerst der Wohlgerüche als
sexuellen Reizmittels bediente und erst weit später dieselben zur
Verdeckung eigener übler Gerüche verwendete. Es ist durchaus kein
Zufall, daß bei allen Verführungsszenen im Alten Testament Parfüms
erwähnt werden. So weit wir in der Geschichte zurückzugehen vermögen,
finden wir wohlriechende Salben und Öle im Inventar vornehmer Frauen
und Hetären, und zwar war schon im alten Reiche in Ägypten die
Verwendung der Wohlgerüche so spezialisiert, daß für alle Körperteile
besondere Parfüms zur Anwendung gelangten. Von den Orientalen, die bis
auf den heutigen Tag große Liebhaber von Wohlgerüchen sind, so daß
sie sogar das Konfekt nach unserm Empfinden übermäßig parfümieren,
übernahmen die Griechen und Römer diese Vorliebe für Wohlgerüche. Als
die Makedonier im Gefolge Alexanders des Großen nach der Niederlage
des Dareios bei Gaugamela am 1. Oktober 331 v. Chr. die luxuriösen
Zelte des persischen Großkönigs Dareios plünderten, waren sie nicht
nur über die mancherlei darin befindlichen Kostbarkeiten, sondern
vor allem auch über den unermeßlichen Reichtum an wohlriechenden
Salben und köstlichen Gewürzen erstaunt. Doch bald lernten sie an
diesen Produkten einer verfeinerten Kultur selbst große Freude haben,
und so war bald auch in den reichen Griechenstädten der Luxus an
Parfümen ein gewaltiger, so daß sich schließlich die Gesetzgeber
genötigt sahen, dagegen einzuschreiten. Das von den Alten wegen der
in dieser Stadt herrschenden Vorliebe für diese wohlriechende Blume
als „veilchenduftend“ bezeichnete Athen trieb in den drei letzten
vorchristlichen Jahrhunderten die Parfümverschwendung so weit, daß für
die verschiedenen Teile des Körpers besondere Salben im Gebrauch waren.
Dort rieben die üppigen Frauen die Haare mit einem Parfüm aus Majoran
ein, Kinn und Nacken dagegen mit einem solchen aus Thymian und die Arme
mit einem aus Minze. In dem verweichlichten Rom der Cäsaren wurde die
Verschwendung mit Wohlgerüchen auf die Spitze getrieben. Damals war
das unter dem Konsulat des Licinius Crassus aufgebrachte Gesetz, das
in Italien den Verkauf ausländischer Parfümerien verbot, schon längst
als unhaltbar aufgegeben, und von weither bezog man die kostbarsten
Essenzen, den Veilchenduft von Athen, Rosenöl aus Kyrene, Nardensalbe
aus Assyrien, Hennablütenextrakt aus Ägypten usw. Die Verwendung der
Parfüms stand ganz im Dienste der Liebesgöttin Venus, und der Handel
mit den Wohlgerüchen wurde meist von Kurtisanen, Kupplerinnen und
Bordellwirten ausgeübt.

Man macht sich keinen rechten Begriff von den Unsummen, die damals in
Rom für Wohlgerüche und kostbare Salben ausgegeben wurden. Zahllos
sind die von den alten griechischen und römischen Schriftstellern
genannten Drogen, die zur Bereitung der täglich nach dem Bade zur
Geschmeidigmachung des Körpers angewandten Salben verwendet wurden.
Die hauptsächlichsten sind das Rosen-, Lilien-, Veilchen-, Narzissen-,
Myrten-, Majoran-, Thymian-, Minzen-, Basilikum-, Iris-, Narden-,
Kalmus-, Kardamom-, Balsamholz-, Zimt-, Kassia-, Malabathron- (von der
ostasiatischen Kassienart ~Cinnamomum dulce~), Safran-, Weihrauch-,
Myrrhen- und Galbanumöl.

In seiner Naturgeschichte berichtet uns der beim Vesuvausbruch, der
Pompeji und Herkulanum verschüttete, 79 n. Chr. umgekommene ältere
Plinius, daß wohl die Perser die Erfinder der Salben seien; „denn diese
schmieren sich bis zum Triefen damit ein. Das erste Salbenkästchen hat,
so viel mir bekannt, Alexander nach der Besiegung des Darius unter den
Sachen vorgefunden, die dieser König mit sich führte. Später hat sich
der Gebrauch der Salben auch bei uns verbreitet. Man schätzt sie hoch,
man glaubt, sie gehören zu den Annehmlichkeiten des Lebens, ja man geht
so weit, daß man die Leute noch einsalbt, wenn sie tot sind.“

Die Namen der Salben sind teils von ihrem Ursprung, teils von ihren
Bestandteilen, teils aus anderer Veranlassung hergenommen. Bald hat
man der einen, bald der andern den Preis zuerkannt, bald hat man die
einzelnen Salben am liebsten aus dem einen, bald aus dem andern Lande
bezogen. Sie bestehen aus einem mit einem Riechstoff imprägnierten
Öl und sind vorzugsweise mit Drachenblut (dem blutroten Harz des
Drachenblutbaumes von Sokotra, der bekannten Insel Ostafrikas) oder
Färberochsenzunge gefärbt. Dabei bewirkt eine Beimengung von Harz
oder Gummi, daß sich der Riechstoff nicht so schnell verflüchtigt.
Verfälscht werden die Salben auf vielerlei Art.

Es gibt Leute, welche die Salben lieber dickflüssig als dünnflüssig
haben, die sich also mit ihnen lieber beschmieren als begießen lassen.
Marcus Otho hat sogar den Kaiser Nero dahin gebracht, daß er sich die
Fußsohlen salben ließ, was doch wohl barer Unsinn ist. Man hörte auch
von einem einfachen Bürger, der die Wände seiner Bäder salben ließ.
Der Kaiser Cajus (Caligula) ließ die Badesessel salben, und später
machte sich auch ein Sklave des Nero dieses kaiserliche Vergnügen.
Die Liebhaberei für Salben hat sich sogar in die römischen Feldlager
eingeschlichen, und an festlichen Tagen werden die Adler der Legionen
und andere bestäubte, von Lanzenspitzen umstarrte Feldzeichen gesalbt.

Wann der Gebrauch der Salben sich unter den Römern verbreitet habe,
wage ich nicht zu sagen. Jedenfalls ist es aber gewiß, daß im Jahre der
Stadt 565 (188 v. Chr.), nach Besiegung des Antiochus (im Jahre 190)
und Asiens, die Zensoren Publius Licinius Crassus und Lucius Julius
Cäsar das Gesetz gaben, daß niemand ausländische Salben verkaufen
dürfe. „Jetzt aber ist es längst so weit gekommen, daß gar manche sie
sogar in die Getränke tun und sich so auch inwendig parfümieren. Es
ist auch eine Tatsache, daß Lucius Plotius, Bruder des Konsuls und
Zensors Lucius Plancus, als er von den Triumvirn geächtet war und sich
im Salermitanischen verborgen hielt, durch seinen Salbengeruch verraten
wurde. Wird ein solcher Mensch totgeschlagen, so erleidet die Welt eben
keinen großen Verlust.“ Plinius kann sich also mit diesem übermäßigen
Parfümgebrauch, der durch griechischen Einfluß aufkam, nicht recht
befreunden. Anderthalb Jahrhunderte später weiß uns der in Naukratis
in Ägypten geborene und im luxuriösen Alexandreia lebende Grieche
Athenaios manch interessanten Zug von der Salbenmanie der üppigen
Griechen jener reichen Handelsstadt zu erzählen. So sagt er, daß es bei
den Reichen Sitte sei, nach der Mahlzeit Salben in goldenen Gefäßen
herumzugeben und man sich den Spaß mache, einem schlafenden Gaste das
Gesicht tüchtig damit einzuschmieren.

Um zu zeigen wie sich ein echter griechischer Stutzer salbt, führt
dieser sehr belesene Grammatiker Athenaios eine Stelle aus der Alkestis
des Dichters Antiphanes an, wo es heißt: „Wenn er sich gebadet, läßt
er sich aus einem goldenen Becken Hände und Füße mit ägyptischer
Salbe einreiben, mit phönikischer Salbe dagegen Wangen und Brust,
mit Minzensalbe die Arme, mit Majoransalbe die Augenbrauen und das
Haupthaar, mit Thymiansalbe Knie und Hals.“ Dann führt er eine Stelle
aus dem Gedichte Prokris an, wo vorgeschrieben wird, wie dem Schoßhund
der Prokris abgewartet werden soll. ~A.~: „Mach dem Hündchen ein
weiches Lager aus milesischer Wolle zurecht und lege eine hübsche
Purpurdecke darüber.“ -- ~B.~: „Du lieber Gott!“ -- ~A.~: „Koch ihm
Weizengraupen mit Gänsemilch (wohl mit Honig gemischte Milch, worin
Lebern eingeweicht sind)!“ -- ~B.~: „Potz tausend!“ -- ~A.~: „Salbe ihm
die Füße mit megallischer Salbe!“ --

Derselbe Autor berichtet: „König Antiochos Epiphanes (A. IV., syrischer
König aus dem Stamm der Seleukiden, regierte 175-163 v. Chr., reizte
durch grausame Tyrannei die Juden zum Aufstand unter den Makkabäern
und machte einen erfolglosen Angriff auf Ägypten) pflegte sich in
öffentlichen Bädern unter der Menge des badenden Volkes mit zu baden
und ließ jedesmal ganze, mit den kostbarsten Salben gefüllte Fäßchen
mitbringen. Bei dieser Gelegenheit sagte einmal jemand zu ihm: ‚Ihr
Könige seid doch recht glücklich, daß ihr so herrliche Salben führt
und einen so angenehmen Wohlgeruch verbreitet!’ Der König gab keine
Antwort, kam aber am anderen Tage wieder, brachte ein gewaltiges Gefäß
mit, das mit der kostbaren Myrrhensalbe, welche ~stáktē~ heißt, gefüllt
war, und ließ es über dem Kopfe dessen, der ihn glücklich gepriesen
hatte, ausgießen. Sobald dies geschehen war, sprangen alle, die sich
im Badehause befanden, scharenweise auf, rannten herbei, um auch etwas
von der Salbe zu erwischen und sich damit einzuschmieren. Auch der
König rannte in derselben Art herbei, und wie nun der Boden schlüpfrig
war und einer über den andern herfiel, so gab es ein laut schallendes
Gelächter.“ Späterhin schreibt er: „Bei einem großen, feierlichen
Aufzuge, den derselbe König bei Gelegenheit der Daphnischen Spiele
abhielt, befanden sich auch 300 Weiber, welche aus goldenen Urnen
Salben umherspritzten.“

Auch bei öffentlichen Schaustellungen liebte man im üppigen Rom der
Kaiserzeit, das Publikum mit Wohlgerüchen zu bespritzen; so schreibt
der römische Philosoph und Tragödiendichter Lucius Annaeus Seneca (2-65
n. Chr.), besser als Erzieher und Leiter des jugendlichen Nero bekannt,
in einer seiner Episteln: „Heutzutage hat man sogar die Erfindung
gemacht, in verborgenen Röhren Wasser, das mit Safran gemischt ist,
bis zu einer ungeheuren Höhe emporzupumpen, um die Leute im Theater
damit zu bespritzen und zu parfümieren. Man hat die Kunst erfunden,
das Theater plötzlich mit Wasser zu füllen und es so in einen Teich
zu verwandeln, und wieder trocken zu legen; ebenso hat man die Kunst
erfunden, bei Schmausereien dem Speisesaal bei jedem Gericht eine neue
Decke zu geben.“

Von Kaiser Hadrian, der von 117-138 regierte, schreibt der
Geschichtschreiber Älius Spartianus: „Kaiser Hadrian teilte zu Ehren
seiner Schwiegermutter Gewürze (~aroma~) unter das Volk aus und ließ
zu Ehren (seines Vorgängers) Trajan über die Stufen des Theaters
(wohlriechenden Mekka-) Balsam und (zur Parfümierung in Wein gelösten)
Safran fließen.“ Zu dessen Zeit wurden auch die Statuen in den Theatern
mit duftenden Essenzen aller Art, besonders auch dem sehr beliebten
Safran gesalbt, von welchem nach dem griechischen Arzte Dioskurides
Thessalos behauptete, er sei das einzige wirklich gut riechende Ding.
Es gab damals auch hohle Bildsäulen aus Erz, die mit feinen Poren
bedeckt waren, aus welchen man wohlriechende Essenzen herauszupressen
vermochte, so daß die Luft ringsum mit Wohlgerüchen erfüllt war. Auch
bei Gastmählern der Vornehmen war die Einrichtung getroffen, daß aus
den Kuchen und dem Obst bei der geringsten Berührung wohlriechende
Parfüms, mit Vorliebe in Wein gelöster Safran herausflossen. Und von
Kaiser Heliogabalus (eigentlich Valerius Avitus Bassianus, wurde als
Oberpriester des syrischen Gottes Elogabalus, dessen Namen er selbst
annahm, auf Anstiften seiner Großmutter Julia Mäsa, der Schwägerin des
Kaisers Septimius Severus, 218 17jährig von den syrischen Legionen
zum Kaiser ausgerufen, zog 219 in Rom ein, wohin er den orgiastischen
Dienst seines Gottes verpflanzte und ein schwelgerisches, wollüstiges
Leben führte, bis er schon 222 von der Leibgarde, den Prätorianern,
ermordet wurde) berichtet sein Biograph Älius Lampridius: „Kaiser
Heliogabalus ließ die Polster, auf denen er mit seinen Gästen bei
Tische lag, oder die Betten, auf denen er ruhte, mit Rosenblättern
füllen, ließ die Säulenhallen mit Rosenblättern bestreuen und ging
auf diesen spazieren, oder er gebrauchte statt der Rosen allerlei
Blumen wie Lilien, Veilchen, Hyazinthen und Narzissen. Er badete nur
in Teichen, deren Wasser mit edlen Essenzen oder mit Safran gemischt
war. Die Polster, auf denen er gewöhnlich bei der Mahlzeit lag, waren
mit Hasenhaar oder Rebhuhnfedern ausgestopft. -- Einst lud Heliogabalus
die vornehmsten Herren zu Gast und wies ihnen als Sitz Sofas an, die
mit Safran gepolstert waren.“ Auch andere antike Schriftsteller melden
allerlei von solchem, erst durch orientalische Einflüsse in das Rom der
Cäsaren gekommenen extravaganten Luxus.

Nach dem Untergange der römischen Weltherrschaft beschränkte sich
die Anwendung der feineren Parfümerien wesentlich auf das an Kultur
höher stehende Morgenland und die Vornehmen von Byzanz, während das
die Weltflucht predigende Christentum des Abendlandes solchem Luxus
nicht gewogen war. Unter den Arabern, die, wie alle Orientalen,
Wohlgerüche sehr lieben, wurde mit den Parfümen besonders von Rosen
ein großer Luxus wenigstens unter den Vornehmen, die sich solches
leisten konnten, getrieben. Und diese Liebhaberei verbreiteten sie
überall in Nordafrika, Spanien und Sizilien, wo sie Fuß faßten. Hier
war im Gegensatz zum asketischen Christentum überall eine Stätte
frohen Lebensgenusses. Wie in Bagdad so wurden auch in Andalusien
Blumengärten angelegt und heitere Feste gefeiert. Zur Zeit der
Abbaditenherrschaft hatte Sevilla beispielsweise 400000 Einwohner und
war ganz Andalusien durch die Fülle seiner reichbewässerten Kulturen
ein Paradies, von dessen Herrlichkeiten sich als letzte Zeugen die
auf Mandelbäume gepfropften Rosen erhielten. Als Beispiel des hier
im Fürstenhause herrschenden Luxus sei erwähnt, daß, als einmal der
Lieblingsgattin des als Dichter hervorragend begabten Abbaditenfürsten
Muchtamid die Lust ankam, es den Weibern aus dem Volke nachzumachen,
die sie mit bloßen Füßen Lehm treten sah, dieser duftende Spezereien
zerreiben und auf den Boden des Saales ausstreuen ließ, so daß sie
ihn ganz bedeckten. Alsdann ward Rosenwasser darauf gegossen, und mit
Vergnügen wateten die vornehmen Damen in der schlammartigen Masse von
Myrrhen, Weihrauch, Zimt, Ambra und Moschus. Erst durch den Einfluß
der Kreuzzüge und der arabischen Ärzte kam auch im Abendlande die
Anwendung von Wohlgerüchen bei den Wohlhabenden auf und drang während
der Renaissance in breitere Volksschichten zunächst in den reichen
Städten Italiens, später auch Mitteleuropas ein. Aus ihrer Heimat
Florenz verpflanzte Katharina von Medici 1533 bei ihrer Vermählung mit
Franz I. Sohn, dem nachmaligen König Heinrich II., den übermäßigen
Gebrauch von Parfümen an den französischen Hof, der dann unter Ludwig
XIV. und XV. die Verwendung von Wohlgerüchen beinahe so weit trieb,
als es die Vornehmen im kaiserlichen Rom getan hatten. Wie der Kaiser
Nero seine Gemächer stets mit Rosenessenzen parfümiert haben wollte,
liebte Ludwig XIV. in einer stark nach Orangenblüten duftenden
Atmosphäre zu leben. Der allmächtige Minister Richelieu, der seit 1624
unter Ludwig XIII. die Geschicke Frankreichs leitete, verließ nur
selten sein scharfparfümiertes Arbeitszimmer. Zu seiner Zeit war der
Geruch faulender Äpfel sehr beliebt und man rieb deren zersetztes, mit
Gewürznelken und Zimt gespicktes Fleisch mit Fett zusammen, um sich
mit der so erhaltenen Masse die Haare zu parfümieren. Es ist dies die
Pomade, die von den faulen Äpfeln ~pommes~ ihren Namen erhielt und
deshalb eigentlich wie im Französischen Pommade geschrieben werden
sollte. So üppig auch der französische Hof war, so war er in bezug auf
Reinlichkeit kein Muster, und hier wurden die Parfüme zum großen Teil
zum Verdecken der eigenen üblen Gerüche verwendet. Im Gegensatz zur
Badfreundlichkeit des Mittelalters war jene Zeit sehr wasserscheu; bis
zum König hinauf mied man als Nachwirkung der mittelalterlichen Askese
nach Möglichkeit selbst das tägliche Waschen von Gesicht und Händen mit
Wasser, befeuchtete vielmehr nur diese Körperteile bei der Toilette
mit Parfümen, und war daneben äußerst sparsam mit dem Wechseln der
Leibwäsche, die viele Wochen anbehalten wurde, bis man sich endlich
zum Wechseln derselben entschloß. Besonders unter dem liederlichen
Ludwig XV. wurde die Verschwendung in der Anwendung von Parfümen eine
heillose, so daß dessen eine Mätresse, die Pompadour, jährlich dafür
mehr als eine halbe Million Franken ausgab. Und zwar waren damals die
stärksten Düfte die beliebtesten, so außer Peau d’Espagne besonders
Moschus, Zibet, Ambra und sogar ~Asa foetida~ (Teufelsdreck). In den
Räumen, in denen sich der König aufhielt, mußte jeden Tag mit den
Parfümen gewechselt werden. Noch die Kaiserin Josephine überfüllte ihr
Schlafzimmer mit Moschusduft, während der Kaiser Napoleon I. sich mit
Kölnischem Wasser überschwemmte.

Heute verwenden selbst die Vornehmen nicht mehr solch übertriebene
Parfümierung, die nur ein Zeichen stumpfer Geruchsnerven und unfeiner
Art ist. Am meisten Parfümluxus treiben noch die elegant sein wollenden
Frauen, deren Geruchsorgan, wie durch eingehende wissenschaftliche
Versuche festgestellt wurde, überhaupt weniger fein empfindet als
dasjenige der Männer, so daß ihnen ein Parfüm noch angenehm ist, das
letzteren vielfach schon unangenehm stark erscheint. Aber wenn auch
heute bedeutend weniger ausgiebig wie früher parfümiert wird, so ist
dennoch der Verbrauch an Parfümen sehr viel größer als je in der
parfümwütigsten Vergangenheit, weil derselbe sich nicht mehr auf die
höchsten Kreise, die sich diesen Luxus erlauben konnten, beschränkt,
sondern sich auf alle Volkskreise gleichmäßig ausgedehnt hat, so daß
die Herstellung derselben einen bedeutenden Industriezweig darstellt.
Und zwar wird heute im Gegensatz zum Altertum nicht sowohl der Körper,
als die getragene Leibwäsche und die Schränke und Behälter, in denen
sie aufbewahrt wird, parfümiert, wobei jedes Individuum am besten sein
eigenes, seiner Persönlichkeit entsprechendes Parfüm wählt und dann
auch beibehält. Denn es ist entschieden als ein Fehler zu bezeichnen,
daß man die Wohlgerüche alle Tage wechselt, wie es zwar auch manche
Modeköniginnen tun, die immer das Parfüm gebrauchen, das nach ihrem
Geschmack zur Farbe ihrer jeweiligen Toilette zu gehören scheint. Es
ist ein Zeichen viel höherer Kultur und feinerer Sitte, wenn Damen
unter allen Umständen den von ihnen als sympathisch empfundenen und
deshalb gewählten Wohlgeruch immer, als unzertrennlich von ihrer
Art und Person wählen, gleich der Rose, Lilie oder Nelke, die auch
stets nur ihren spezifischen, ganz zu ihnen gehörenden und mit zur
Kennzeichnung ihres Wesens dienenden Duft aufweisen. Am raffiniertesten
wird der Parfümgebrauch in Frankreich getrieben, wo die eleganten
Damen in die Säume ihrer Röcke und in die Achselseiten der Taillen
schmale Streifen getrockneten Parfüms in Pulverform einnähen lassen,
der bei jeder Bewegung des Rocksaumes und der Gestalt fein berauschend
emporwirbelt. Dabei wird das Haar niemals parfümiert, da es bei
jeder Person seinen eigenen Wohlgeruch hat, der sich nur bei der
allergrößten, peinlichsten Reinlichkeit bei Anwendung vielfacher
Waschung zeigt, und um so mehr hervortritt, je mehr das Haar gereinigt
und gepflegt wird. So soll, um nur zwei Beispiele anzuführen, nach Ada
von Gersdorff, das nun weiß werdende Blondhaar der deutschen Kaiserin
Auguste Viktoria einen feinen, an Veilchenduft erinnernden Geruch
aufweisen, während das einst dunkle, nun ebenfalls grau werdende
Haar der Königinwitwe Margarita von Italien einen zarten Ambraduft
aushauchen soll. Beide Fürstinnen parfümieren es niemals.

Europa verbraucht jährlich etwa 1 Million kg flüssiges Parfüm,
800000 kg Pomaden und Essenzen, außerdem aber ungeheure Mengen
parfümierter Seifen, Puder, Räucherkerzen, Waschwässer usw. Die
meisten Parfüms liefert Frankreich, das jährlich für über 12 Millionen
Franken davon ins Ausland versendet, während Deutschland in demselben
Zeitraum für gegen 2 Millionen Mark ein- und für 6½ Millionen Mark
ausführt. Erst neuerdings ist auch England in den Wettbewerb mit
jenen beiden Ländern getreten. In Frankreich ist die Südküste an der
Riviera der Produktionsort der meisten Wohlgerüche, und zwar ist
das Zentrum dieser Industrie das Städtchen Grasse, wenige Stunden
westlich von Nizza, dann auch Cannes und Nizza selbst, wo gewaltige
Kulturen wohlriechender Blumen angelegt sind, um dem Bedarfe der
Parfümfabriken zu genügen. Diese verarbeiten jährlich ebenfalls über 1
Million kg der verschiedensten wohlriechenden Blumen und Kräuter und
beschäftigen dabei etwa 15000 Menschen. Die Kunst der Parfümgewinnung
aus Blumen ist hier erst in der Neuzeit aufgekommen. Und zwar sind
die zur Parfümgewinnung verwandten Stoffe des Pflanzenreichs fast
stets ätherische Öle, die aus den Blüten, Blättern, Fruchtschalen
oder anderen Teilen der betreffenden Pflanze durch Auspressen, durch
Destillation mit Wasserdampf oder durch Zusammenbringen mit Fetten,
die sie aufnehmen, gewonnen werden. Die Destillation mit Wasserdampf
wird da angewendet, wo der Duftstoff, wie z. B. in den Blüten der
Rose, quantitativ ein für allemal ausgebildet ist. Dadurch würde man
nun bei anderen Blüten, wie Jasmin, Tuberose und dergleichen, die
während ihrer Blütezeit immer nur ganz geringe Mengen Parfüm auf einmal
bilden, da sie durch den Wasserdampf getötet werden, bloß minimale
Mengen des Duftstoffes gewinnen. Hier wendet man das Zusammenbringen
mit einem das Parfüm gierig aufsaugenden Körper wie Fett an. Bei
diesem Prozeß, den die Franzosen Enfleurage bezeichnen, kommen die
betreffenden wohlriechenden Blüten auf hölzernen Gestellen zwischen
zwei Fettschichten zu liegen, an die sie ihren Riechstoff abgeben,
indem das Parfüm der vom Fett durch Gaze getrennten Blüten durch
darüber geleitete Luft auf dieses Medium übertragen wird. Das Fett --
früher reines Tierfett, jetzt bevorzugt man das geruchlose Vaselin --
wird dann durch Extraktion mit Äther von dem eingedrungenen ätherischen
Öl befreit oder kommt direkt als Pomade in den Handel. Auch nach der
Extraktion ist meist noch so viel Duftstoff im Fett enthalten, daß
dieser Rückstand als Haarpomade verkauft werden kann. Aus 1000 kg
Jasminblüten lassen sich durch Destillation 200 g ätherisches Öl
entziehen; bei der Enfleurage aber gewinnt man aus demselben Quantum
etwa 1800 g ätherisches Öl und überdies noch die vorgenannte
Menge bei der schließlichen Destillation. Dies macht also zusammen
2 kg Duftstoff.

[Illustration:

    Tafel 119.

Ein Feld von zur Parfümgewinnung angepflanzten Tuberosen in
Südfrankreich.]

[Illustration: Rosenernte auf den Feldern der Parfümerie B. Court in
Grasse (Südfrankreich).]

[Illustration:

    Tafel 120.

Das Sortieren der Rosen zur Gewinnung von Rosenöl.

(Parfümerie B. Court in Grasse.)]

[Illustration: Das Extrahieren der ätherischen Öle im Wasserbad.

(Parfümerie B. Court in Grasse.)]

[Illustration:

    Tafel 121.

Rosenernte der Firma Schimmel & Co. in Miltitz bei Leipzig.]

[Illustration:

    Tafel 122.

Destillierraum für Rosenöl der Firma Schimmel & Co. in Miltitz bei
Leipzig.]

Je mehr Farbe und Gerbstoff eine Blüte ausbildet, um so weniger
Riechstoff entwickelt sie. Weiße Blüten bilden, besonders wenn sie auf
die Befruchtung durch in der Dämmerung fliegende Falter angewiesen
sind, sehr starke Wohlgerüche aus, dann kommen die mehr auf den Besuch
von Taginsekten eingerichteten gelben und roten und erst zuletzt die
blauen Blüten. Grüne Blüten sind stets geruchlos, während bräunliche
und schmutzigrote, faulendem Fleisch ähnlich gefärbte, zur Anlockung
der die Befruchtung bei ihnen vollziehenden Aasfliegen jenen angenehme,
für uns aber unangenehme indoloide Düfte entwickeln. Eine Überfülle
von Licht erhöht wohl die Menge des Parfüms, vermindert aber dessen
Feinheit; deshalb sind viele im Norden gezogene Duftstoffe an Qualität
viel feiner als im Süden gewonnene. So übertrifft deutsches Rosenöl
an Feinheit das bulgarische, das übrigens auch mit weniger Sorgfalt
gewonnen wird, und Südengland bringt das wohlriechendste Lavendel- und
Pfefferminzöl hervor.

Die meisten Pflanzen verdanken ihren Geruch einem komplizierten Gemisch
verschiedener Verbindungen, und gerade die charakteristischsten
darunter finden sich oft in äußerst geringer Menge, so daß die
naturgetreue künstliche Nachahmung derselben zu den schwierigsten
Aufgaben der chemischen Technik gehört. Seltener ist ein einzelner
Stoff der alleinige oder wesentliche Geruchsträger, wie das Iron der
Iris- oder Schwertlilienwurzel, das identisch ist mit dem Jonon in der
Veilchenblüte -- deshalb wird erstere im Volksmund auch Veilchenwurzel
genannt --, das Vanillin in der Vanilleschote, das Kumarin in der
Tonkabohne, im Waldmeister und Ruchgras, das Eugenol im Nelkenöl, der
Zimtaldehyd im Kassia- oder Zimtöl. Eine Analyse des Blumenduftes
ist deshalb meist ausnehmend schwierig, weil selbst Stoffe, die
quantitativ nur in Spuren vorhanden sind, oft die gewichtigsten
Faktoren im Konzert der verschiedenen Geruchskomponenten bilden. So
sind Hauptbestandteile des höchst aromatisch riechenden Nelkenöls die
schon längst bekannten beiden Duftstoffe Eugenol und Karyophyllen.
Mischt man nun auch diese beiden Körper im richtigen Verhältnis, wie
sie in den Gewürznelken enthalten sind, so hat diese Komposition
durchaus noch nicht den Geruch des Nelkenöls. Da wurde im Laboratorium
der größten deutschen Parfümfabrik, von Schimmel & Co. in Miltitz bei
Leipzig, die Beobachtung gemacht, daß das allererste Destillat des
ätherischen Öls ganz geringe Mengen eines äußerst intensiv und ganz
anders riechenden Körpers enthielt. Setzte man nur wenige Tropfen
von diesem dem Eugenol-Karyophyllengemisch zu, so erzielte man dann
erst den charakteristischen Geruch des natürlichen Nelkenöls. Eine
solche Substanz ist z. B. der Anthranilsäuremethylester, der dem
Orangenblütenöl seinen Duft verleiht; mit seiner Hilfe kann man eine
ganze Reihe noch anderer feiner Blumendüfte synthetisch erzeugen.
Allerdings sind das alles mehr oder weniger glückliche Nachahmungen
des Naturprodukts. Zu einem künstlichen Aufbau eines natürlichen
Parfüms gelangt man meist nur dann, wenn der Geruchsträger ein
einheitlicher Stoff ist. Eine solche Synthese gelang beim Vanillin
aus Eugenol und beim Veilchenduft Jonon (identisch mit dem Iron
der Schwertlilienwurzel) aus Geraniol, dem mit dem Rhodinol der
Rose identischen ätherischen Öl des Geraniums und wohlriechender
Grasarten. Ein Surrogat dagegen ist der künstliche Moschus, zu dessen
Herstellung ein Zufall geführt hat. Als Bauer nämlich das Butyltoluol
(das Toluol wird durch Destillation des Steinkohlenteers gewonnen)
mit Salpetersäure behandelte und dabei in jenes drei Nitrogruppen
einführte -- dieselben Gruppen, die beispielsweise aus dem Glyzerin den
gefürchteten Sprengstoff Nitroglyzerin hervorgehen lassen -- erhielt
er eine Substanz, die dem natürlichen, fast unerschwinglich teuren,
der sexuellen Anreizung des Weibchens dienenden Sekret des männlichen
Moschustieres täuschend ähnlich duftet.

Die Duftstoffe gehören den verschiedensten Körperklassen an. Die
ätherischen Öle sind Verbindungen von Kohlenwasserstoffen und enthalten
teilweise auch sauerstoffhaltige Körper. Viele scheiden beim Erkalten
einen Stearopten genannten festen Körper von anderer Zusammensetzung
als das flüssig bleibende Eläopten aus. Teilweise sind die Duftstoffe
Alkohole, wie das Geraniol (identisch mit Rhodinol), das riechende
Prinzip des kostbaren Rosenöls, oder das aus dem billigen Terpentinöl
gewonnene Terpineol, das dem Fliederparfüm seinen charakteristischen
Duft verleiht. Der Benzylalkohol ersetzt zusammen mit Benzylacetat den
Wohlgeruch des Jasmins, der Zimtalkohol duftet nach Hyazinthen, das
Menthol -- auch ein Alkohol -- gibt der Pfefferminze ihr würziges,
erfrischendes Aroma. Von Aldehyden ist das Citral der Träger des
Zitronengeruchs, Anisaldehyd derjenige des blühenden Weißdorns;
auch das Vanillin der Vanille und das Piperonal des Heliotrops sind
Aldehyde. Das Nitrobenzol ist das synthetische Bittermandelöl.
Künstlich gewinnt man auch das Neroliöl genannte Öl der Orangenblüten,
einen wesentlichen Bestandteil des Kölnischen Wassers. Eine wichtige
Gruppe bilden auch die Ester, Verbindungen aus organischen Säuren und
Alkoholen, weil sie nicht nur Geruchs-, sondern auch Geschmacksträger
sind, und zwar vermitteln sie gewöhnlich Geschmack und Geruch von
Obstsorten, wie Birne, Apfel, Ananas usw. Schon im Jahre 1850
erschienen sie als die ersten künstlich zusammengesetzten Parfüms im
Handel, und zwar zuerst auf dem englischen Markt als ~apple-oil~ und
~pear-oil~. Heute verwendet man sie meist für Limonaden, Fruchtbonbons
und dergleichen mehr. Geruch und Geschmack stehen ja in engem
Zusammenhang, und erst die Kombination von Geruchs- und Geschmackssinn
vermittelt die Geschmacksabstufungen. Der leichteste Schnupfen hebt ja
nicht nur die Geruchs-, sondern auch die Geschmacksempfindung mehr oder
weniger auf.

Manche Duftstoffe riechen verdünnt und unverdünnt ganz gleich,
so z. B. der Moschus; andere wieder duften nur in chemischer
Reinheit sehr angenehm, während die geringste Verunreinigung einen
widerwärtigen Mißgeruch bewirkt. Andere wieder, wie das Jonon,
Vanillin und Kumarin, riechen in konzentrierter Form unangenehm
scharf und kampferartig und erst in sehr großer Verdünnung lieblich.
Die Gegenwart mancher Duftstoffe läßt andere selbst in den kleinsten
Dosen stark hervortreten, so beispielsweise der Kampfer die im Schweiß
enthaltenen Duftstoffe. Daher kommt es, daß, wenn jemand ein kürzlich
erst aus dem kampferhaltigen Behälter geholtes Kleid anhat, er schon
beim leichtesten Schwitzen einen unangenehm starken Schweißgeruch
verbreitet. Wie sich einerseits das Geruchsorgan gegen bestimmte Düfte
abstumpfen kann, so daß man sie vorübergehend oder dauernd nicht mehr
riecht, so kann dasselbe andererseits auch durch Übung sehr verfeinert
werden, was uns die Tee-, Hopfen- und Zigarrenhändler beweisen, die
Unterschiede der von ihnen zu beurteilenden Ware herausriechen, die ein
Ungeübter gar nicht herauszufinden vermag.

Man sollte meinen, das Vermögen, die Wohlgerüche zum Teil genau zu
kopieren und auf künstlichem Wege vielfach in größerer Vollkommenheit
darzustellen, habe die betreffenden Naturprodukte langsam verdrängen
müssen. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, sondern der Verbrauch
der Drogen selbst steigt vielmehr und beide, Natur- und Kunstprodukt,
beherrschen nebeneinander den Markt, wie dies beispielsweise bei
der Vanille der Fall ist. Da viele Laien unbegreiflicherweise eine
unbezwingliche Scheu vor allen chemischen Kunstprodukten empfinden,
wird auch trotz allen Triumphen der Chemie in Zukunft stets das
Naturprodukt neben dem Kunstprodukt in Ehren gehalten werden und seine
alte Stellung behaupten.

Das älteste durch Destillation gewonnene ätherische Öl ist das
Rosenöl, das im 9. Jahrhundert n. Chr. zuerst in Persien durch
Ärzte aus den herrlich duftenden Centifolien des Landes gewonnen
wurde. Ihm folgten die Destillate von anderen wohlriechenden
Pflanzenteilen, besonders Orangenblüten, Levkojen, Moschusweide,
Pfefferminze und anderen. Bald war dieser neue Industriezweig an
seinem ältesten Herd, in Schiras in Persien, so verbreitet, daß der
Staat von den Darstellern solcher ätherischer Öle, unter denen das
Rosenöl an Bedeutung weit vorausstand, eine Steuer erhob. Die Kunst
der Destillation kam dann im 10. Jahrhundert durch die Araber nach
Spanien und drang von da über Frankreich allmählich nach Deutschland
vor, wo sie auch zum Extrahieren der verschiedensten ätherischen
Öle benutzt wurde. In Mitteleuropa war die Rose zu selten, als daß
es sich lohnte, aus ihr das Rosenöl darzustellen. Dazu benutzte man
die Fülle der wohlriechenden orientalischen Rosen. In Südeuropa ist
eine Haupterzeugungsstätte des Rosenöls Kasanlik am Südabhange des
Balkans in Bulgarien, wo die rote Damaszenerrose in solchen Mengen an
Hecken gezogen wird, daß trotz der höchst primitiven, unzureichenden
Destillation der Rosenblätter in kupfernen Retorten über direktem
Holzfeuer alljährlich an 3000 kg Rosenöl gewonnen werden. Bedenkt man
nun, daß 5000-6000 kg Blumenblätter der Rose nötig sind, um 1 kg
Rosenöl zu liefern, so kann man sich vorstellen, um was für Mengen von
Rosen es sich dabei handelt, die alle innerhalb eines Monats gepflückt
und bearbeitet werden müssen. Die aufbrechenden Blüten werden in den
ersten Morgenstunden, während welcher der Ölgehalt am größten ist,
gepflückt und sollen noch an demselben Tage destilliert werden. An
schönen, sonnigen Tagen, wenn der Rosenflor in überreicher Menge sich
entfaltet, kommt man mit dieser Arbeit kaum nach, so daß dann viele
Blüten unbenutzt stehen bleiben und verblättern. Welch herrlichen
Anblick diese blühenden Rosenhecken im Mai und Juni gewähren, kann
man sich leicht vorstellen. Bei der ungeheuren Menge an Blüten, die
erforderlich sind, um größere Mengen des Rosenöls zu erzeugen, ist es
kein Wunder, daß 1 kg davon im Großhandel gegen 800 Mark kostet.
Dieses von den Türken Athar, d. h. Äther genannte Rosenöl ist hellgelb,
von sehr intensivem Rosengeruch und erstarrt bei 15-22° C. Infolge
seiner Kostbarkeit ist es kaum je unverfälscht zu haben. Am meisten
dient dazu das denselben Riechstoff in reichem Maße enthaltende und
deshalb sehr ähnlich duftende ätherische Geraniumöl, das in Almeria
in Spanien, dann in Algerien und seit 1887 besonders auf der Insel
Réunion aus den Blättern des hochrote Blüten aufweisenden, bis 1,6 m
Höhe erreichenden Rosengeraniums (~Pelargonium roseum~) gewonnen wird.
Dieses wird wiederum mit dem indischen Lemongrasöl verfälscht, das
aus dem in Südindien heimischen bläulichgrauen Lemongras (~Andropogon
schoenanthus~) gewonnen wird. Wie mit diesen beiden ätherischen Ölen
wird das Rosenöl auch mit dem überaus wohlriechenden, balsamartigen
ätherischen Öle verfälscht, das aus dem Holz des in Argentinien und
Paraguay wachsenden, 18 m hohen Guajakbaumes (~Bulnesia sarmienti~)
gewonnen wird und eine Ausbeute von 5,4 Prozent liefert.

Meist wird von den bulgarischen Rosenölfabrikanten das billige
ostindische, als Palmarosaöl bezeichnete Lemongrasöl zum Verfälschen
benutzt, von dem jährlich an 1000 kg dort eingeführt werden. Demnach
ist also nicht weniger als ein Drittel des bulgarischen „Rosenöls“,
von dem 1 kg im Großhandel, wie gesagt, gegen 800 Mark kostet,
ostindisches Lemongras- oder Palmarosaöl, von dem 1 kg im Großhandel
auf 23 Mark zu stehen kommt. Dabei wissen die schlauen Bulgaren mit der
größten Raffiniertheit die Kontrolle des Staates zu umgehen und die
beaufsichtigenden Beamten zu überlisten. Sie wissen dem Lemongrasöl
durch längeres Stehenlassen an der Sonne seine Schärfe zu nehmen und
ihm einen dem Rosenöl ähnlicheren Geruch zu verleihen und besprengen
dann mit diesem Öl die frischgepflückten Rosenblüten schon auf dem
Felde, so daß der im Destillierraum die Prüfung vornehmende Beamte nie
andere als solche mit Lemongrasöl bespritzte Rosenblumenblätter zu
Gesicht bekommt. Wer nun auch immer für schweres Geld erworbene kleine,
längliche Glasfläschchen mit einigen Tropfen Inhalt aus der Türkei mit
nach Hause bringt, kann sicher sein, kein reines Rosenöl gekauft zu
haben; oft hat er nur Geranium- oder das noch billigere Lemongrasöl
eingehandelt.

Mehr Garantie für reine Ware bieten die südfranzösischen Destillerien
hauptsächlich in Grasse, ein tadelloses Produkt dagegen liefert die
deutsche Firma Schimmel & Co. (Inhaber Gebrüder Fritzsche) in Miltitz
bei Leipzig, die mit zielbewußter Energie die Rosenölgewinnung in
die Hand genommen hat. Schon vor zehn Jahren hatte diese Firma 35
Hektare mit der roten, auch in Kasanlik angepflanzten Damaszenerrose
angebaut, die über 260000 kg Blüten lieferten. Sie bringt jährlich
etwa 100 kg Rosenöl in den Handel, welches an Reinheit und
infolgedessen an Qualität das bulgarische Produkt weit übertrifft
und deshalb im Großhandel das kg auf 1500 Mark zu stehen kommt.
Doch liefert diese Firma auch ein künstliches Rosenöl zu 280 Mark als
Engrospreis. Die von ihr benutzten Vakuumdestillationsapparate, die
bis zu 45000 Liter zu fassen vermögen, entsprechen selbstverständlich
den höchsten Anforderungen der Gegenwart, und die hohe technische
Vervollkommnung bedingt bei gleichem Destillationsprinzip eine viel
rationellere Ausnutzung des Rohmaterials und die Gewinnung eines in
jeder Beziehung ausgezeichneten Produktes. Das Rosenöl selbst besteht
aus einem duftlosen, wachsartigen, festen und einem flüssigen Körper,
welch letzterer der eigentliche Duftträger ist und Rhodinol genannt
wurde. Später stellte es sich heraus, daß es mit dem im Geraniumöl
und Lemongrasöl enthaltenen Geraniol identisch ist, die Bulgaren also
für ihre Verfälschung auf ein ätherisches Öl gestoßen sind, dessen
wichtigster Bestandteil genau derselbe ist wie beim echten Rosenöl.
Die große Verschiedenheit des Duftes ist auf geringfügige Beimengungen
zurückzuführen, die trotz ihrer zurücktretenden Quantität den Charakter
des Duftes bestimmen.

Da nun dem Altertum die Kunst der Destillation fehlte, die, wie
gesagt, erst im 9. Jahrhundert n. Chr. von persischen Ärzten erfunden
wurde, ist das, was die Alten unter Rosenöl verstanden, etwas ganz
anderes, als was wir darunter verstehen. Ihr Rosenöl war eine Art Salbe
(griechisch ~mýron~), die wesentlich aus mit Rosenduft imprägniertem,
fettem Öl, und zwar Olivenöl bestand. In seiner Arzneimittellehre teilt
uns der um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische
Arzt Dioskurides ihre Zubereitung in folgenden Worten mit. „Rosenöl
(~ródinon élaion~) wird so bereitet: Es werden 5 Pfund und 8 Unzen
(lateinisch ~uncia~, im Gewicht von 1/12 Medizinalpfund oder rund
30 g) ~schoínos~ (Lemongras oder wohlriechendes Bartgras, ~Andropogon
schoenanthus~, von dem Dioskurides an einer anderen Stelle sagt, daß es
in Arabien, und zwar die beste im Lande der Nabatäer wachse, frisch,
mit der Hand gerieben, einen Rosengeruch verbreite, gekostet auf der
Zunge heftig brenne und vielfach als Arznei angewendet werde) klein
geschnitten, in Wasser geweicht, in 20 Pfund und 5 Unzen Olivenöl
gekocht und zuweilen umgerührt. Hierauf wird das Öl durchgeseiht und
es werden ihm die Blumenblätter (~pétalon~) von 1000 Rosen zugesetzt;
diese dürfen nicht naß sein, werden aber vorher mit wohlriechendem
Honig gesalbt und im Öle einen Tag lang zu wiederholten Malen mit den
Händen gedrückt und umgerührt. Hat sich nun etwas Hefeartiges zu
Boden gesetzt, so kommt die Masse in einen mit Honig ausgestrichenen
Mischkrug. Die Rosenblätter werden aus dem Öle genommen, ausgedrückt,
in ein anderes Gefäß getan, mit 8 Pfund 3 Unzen eingedickten Öles
übergossen und wiederum ausdrückt. Das letztere Verfahren gibt
die geringere Sorte Rosenöl. Man kann das Verfahren noch zweimal
wiederholen, wodurch man eine dritte und vierte Sorte Öl bekommt.
Jedesmal wird aber das Gefäß erst mit Honig ausgestrichen. Will man
alle diese Rosenölsorten recht stark machen, so wirft man in das zuerst
gewonnene Öl wieder ebensoviel frische Rosenblumenblätter, rührt sie
mit Händen, die mit Honig gesalbt sind, um, drückt sie aus und setzt
dieselben dann auch noch ebenso zur zweiten, dritten und vierten
Sorte. So kann man siebenmal neue Rosen ins Öl bringen, dann aber muß
man aufhören. Auch die Presse wird übrigens mit Honig bestrichen,
und endlich wird das Öl sorgfältig von dem Safte der Rosenblätter
getrennt; denn bleibt von diesem nur das Geringste darin, so verdirbt
das Öl. -- Manche Leute zerstampfen die Rosen, stellen die Masse an die
Sonne, werfen sie dann in Öl und stellen dieses an die Sonne. Manche
dicken vorher das Öl mit einem Zusatz von Kalmus und langdornigem
Ginster ein; andere tun, um ihm eine schöne (rote) Farbe zu verleihen,
Färberochsenzunge (~anchúsa~) hinzu, oder, um die Haltbarkeit zu
befördern, Salz. -- Das Rosenöl wird innerlich und äußerlich vielfach
gebraucht.“

Seit der Gewinnung des echten Rosenöls im 9. Jahrhundert bildet es
als persisches Athar einen sehr wichtigen Handelsartikel im ganzen
Orient und gelangte von Persien aus bis nach Indien und China, wo es
ebenfalls sehr geschätzt wurde. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
treten uns bestimmte Angaben über den Gebrauch dieses Rosenöls auch
in Europa entgegen. Seit dem 17. Jahrhundert verbreitete sich die
Rosenölindustrie von Persien aus weiter und gelangte damals auch nach
Bulgarien, wo sie aber erst im 19. Jahrhundert die jetzige große
Bedeutung erlangte. Die französische Rosenölindustrie begann um die
Mitte des 19. Jahrhunderts, die deutsche erst 1883.

Wie auf Ceylon und Malakka das in Arabien und Ostindien wildwachsende,
sehr gewürzhaft riechende und duftende Bartgras (~Andropogon
schoenanthus~) als Lemongras zur Gewinnung des wohlriechenden Grasöles
im großen angebaut wird, so ist dies in noch weit größerem Umfange
mit dem in trockeneren Gegenden Südasiens verbreiteten Citronellgras
(~Andropogon citratus~) der Fall, das sich von jenem durch seine
rote Behaarung, die schmalen Blätter und die kurzen Blütenähren
unterscheidet. Das 2-2,5 m hohe Gras wird aus Samen gezogen und
gerade vor dem Blühen geschnitten. Bei sorgfältiger Kultur gibt es zwei
bis drei Ernten im Jahr. In Südindien wird besonders auch das aus den
Wurzelstöcken von ~Andropogon muricatus~ gewonnene Kuskus- oder, wie
die Tamilen sagen, Votiveröl viel benutzt, aber in nicht sehr großen
Mengen nach Europa ausgeführt. Dort wird auch viel Sandelholzöl aus dem
in kleine Späne gehackten, rosenartig riechenden Kernholz des kleinen
Sandelbaumes (~Santalum album~) destilliert, das in allerdings weniger
ertragreicher Qualität auch auf den kleinen Sundainseln gewonnen und
exportiert wird. In der Medizin dient es zur Behandlung der Gonorrhoe
an Stelle des älteren Copaivabalsams. Das wohlriechende Holz dient
zum Fournieren von Möbeln, zur Herstellung von allerlei kleinen
Geräten, Götzenbildern und Rosenkränzen. Am meisten dient es -- bei den
Chinesen zugleich mit Weihrauch -- als Räuchermittel in Tempeln und bei
Begräbnissen; auch die wohlhabenden Araber räuchern mit demselben und
lassen sich daraus wohlriechende Pfeifenrohre schnitzen.

[Illustration:

    Tafel 123.

Einbringen des Lavendels zur Destillation von Lavendelöl in Barrême
(~Alpes maritimes~).]

[Illustration:

    Tafel 124.

Vorbereitung zur Destillerie von Lavendelöl in Barrême (~Alpes
maritimes~).]

Ebenfalls bei den Chinesen als Parfüm und Medizin sehr beliebt ist die
wohlriechende Wurzel der indischen Komposite ~Saussurea lappa~, die von
Kaschmir aus in bedeutenden Mengen über Kalkutta und Bombay dorthin
exportiert wird. So importiert allein der Hafen Hankau jährlich für
über 100000 Mark dieser Droge, die das ganze Mittelalter hindurch als
Costuswurzel auch in Europa zu den stark begehrten Handelsartikeln aus
dem Oriente gehörte. Auch im Morgenlande wurde sie viel gebraucht.
Während diese aromatische Wurzel heute in der abendländischen Medizin
keine Rolle mehr spielt, ist dies noch bei dem aus den gewürzhaft
riechenden Blättern zweier nahe verwandter australischer Bäume
destillierten Cajaputöl (vom malaiischen ~caju puti~, d. h. weißer
Baum, ~Melaleuca leucadendron~) und beim Eucalyptusöl (von dem bis
130 m Höhe erreichenden, äußerst rasch wachsenden und daher zur
Entsumpfung fieberreicher Gegenden benutzten ~Eucalyptus globulus~) der
Fall. Aus den Blättern einer anderen Myrtazee, ~Amomis caryophyllacea~,
wird in den kleinen Antillen, und zwar bis jetzt fast ausschließlich
von wildwachsenden Bäumen, das Bayöl gewonnen, während aus den Früchten
des hauptsächlich auf Jamaika kultivierten Pimentbaumes das Pimentöl
hergestellt wird. Gleicherweise destilliert man aus den verschiedenen
Gewürzen wie Zimt, Kassia, Gewürznelken, Muskatnuß, Cardamomen, Ingwer,
Kalmus, Anis, Sternanis, Fenchel, Koriander usw. die betreffenden
ätherischen Öle, die mancherlei Verwendung finden. Das gleiche ist
mit den wohlriechenden Lippenblütlern der Fall, wie Pfefferminze,
Fenchel, Melisse, Citronell, Krauseminze, Rosmarin, Lavendel, Thymian,
Basilicum und Salbei, zu denen als eines der wichtigsten tropischen
ätherischen Öle dasjenige eines Halbstrauchs von Indien, Ceylon und
Malakka, ~Pogostemon patschuli~, hinzukommt, das nach der bengalischen
Benennung +Patschuli+ heißt. Diese alle werden durch Destillation aus
den Blättern und übrigen krautigen Pflanzenteilen gewonnen. Mit dem
durchdringend riechenden Patschuli parfümieren die indischen Frauen
ihre Kopfhaare, die Kaufleute die teuren Schale und den Tabak, die
Chinesen ihre Tusche. Auch in Europa wird diese Essenz häufig zu
Parfümerien verwendet, da der Duft derselben der haltbarste unter allen
Pflanzengerüchen ist.

Mit dem Patschuliduft wurden übrigens die Europäer durch die damit
parfümierten indischen Schale bekannt, die früher zu ganz enormen
Preisen verkauft wurden. Einige französische Fabrikanten aber ahmten
sie in so ausgezeichneter Weise nach, daß die Kaufleute das indische
Fabrikat nur durch sein eigentümliches Parfüm zu unterscheiden
vermochten. Natürlich boten die französischen Fabrikanten alles auf, um
zu demselben Parfüm zu gelangen, damit kein Mensch mehr ihr Fabrikat
vom indischen unterscheiden könne und sie dafür dieselben hohen
Preise wie für jenes erhielten. Längere Zeit blieben ihre Bemühungen
erfolglos, bis es endlich gelang, das Geheimnis zu lüften. Das
getrocknete Patschulikraut kam nach Europa und der französische Schal
war fortan auch durch die Nase nicht mehr vom echt indischen, durch
Handarbeit hergestellten, zu unterscheiden.

Das in der Pflanze enthaltene Patschuliöl ist ein Beispiel dafür, wie
der Naturprozeß, durch den der Duftstoff entsteht, erst künstlich
eingeleitet werden muß. Die frisch gepflückten Blätter enthalten
nämlich das Öl noch nicht; sie werden halbtrocken in den Schiffsraum
verpackt und machen nun auf der Reise nach Europa eine Art Gärung
durch, bei welcher erst der Duftstoff entsteht. Ganz ähnlich ist es mit
der Entwickelung von anderen Duftstoffen, z. B. bei den Vanilleschoten,
die in frischem Zustande keine Spur Vanillin enthalten. Erst durch
einen künstlich eingeleiteten Gärungsprozeß kommt es zur Bildung dieses
wohlriechenden Stoffes, der dann in feinen, weißen Kristallen die durch
die Gärung schwarz gewordenen Schoten bedeckt. Ebenso entwickelt sich
das gleich zu besprechende Kumarin der Tonkabohne, des Waldmeisters
und verschiedener Grasarten erst nach dem Trocknen als Heu, wodurch
erst jene Substanzen den bekannten, ihnen eigentümlichen betäubenden
Duft erhalten.

Eines der feinsten und kostbarsten der flüchtigen Öle, dem in Südasien
sogar der allererste Rang eingeräumt wird, ist das +Ylang-Ylangöl+, das
aus den grünlichen Blüten des etwa 20 m hohen, auf den südasiatischen
Inseln heimischen, von den Malaien als Kananga bezeichneten Baumes
~Cananga odorata~, aus der Familie der Anonazeen, gewonnen wird. Es
kommt fast ausschließlich aus den Philippinen über Manila in den Handel
und wird aus den Blüten von kultivierten Bäumen, deren Duft sehr
viel feiner als derjenige der wildwachsenden ist, hergestellt; das
Öl der letzteren, das als Kanangaöl bezeichnet wird, kostet deshalb
auch fast zwanzigmal weniger, nämlich bloß 25 Mark das kg, während
das echte Ylang-Ylangöl von kultivierten Bäumen 480 Mark das kg im
Großhandel kostet. Es ist lichtgelb, etwas leichter als Wasser und von
großem Wohlgeruch. Durch die große Nachfrage und die sehr hohen dafür
bezahlten Preise veranlaßt, wurde es seit Anfang der 1860er Jahre
zuerst auf Luzon, dann auch auf Java dargestellt. Seit vier Jahren
sind mit der Kultur des Kanangabaumes auch auf der französischen Insel
Réunion bedeutende Erfolge erzielt worden, beträgt doch die Zahl der
blütentragenden Bäume dort bereits etwa 200000. Der Baum nimmt zwar
mit jedem Boden vorlieb, gibt aber den meisten Ertrag an Blüten auf
gutem Boden. Auch müssen die Pflanzungen vor dem Winde geschützt
werden, da die Zweige sich sonst durch Aneinanderreiben beschädigen.
Nur die Bäume, die in geschützten Vertiefungen und auf kräftigem,
feuchtem Boden gepflanzt wurden, haben sich als widerstandsfähig und
nutzbringend erwiesen. Bei guter Pflege trägt die Pflanze schon nach 1½
Jahren die ersten Blüten, die aber noch arm an dem wohlriechenden Öl
sind. Die erste volle Blüte pflegt vom vierten Jahre an einzutreten,
steigert sich bis zum zehnten Jahre und bleibt dann eine ganze Reihe
von Jahren auf demselben Ertrag. 10 kg Blüten von einem Baum
entsprechen einer Mittelernte, doch kann ein solcher ausnahmsweise 50
bis 60 kg liefern. Durchschnittlich kann man pro Hektar 2000 kg
Blüten rechnen, die 20 kg höchstwertigen Ylang-Ylangöles im Werte
von 9600 Mark, oder 40 kg minderwertigen Ylang-Ylangöles liefern;
es ist dies also eine mit Rücksicht auf die geringen Erzeugungskosten
sehr rentable Kultur, die auch für die deutschen Kolonien sehr
empfehlenswert wäre.

In Südasien werden schon lange die wohlriechenden Samenkörner einer
strauchartigen Malve (~Hibiscus abelmoschus~) als Parfüm benutzt, z.
B. zwischen die Wäsche gelegt. Sie riechen ähnlich wie Moschus und
kommen deshalb als +Moschuskörner+ in den Handel. Von Indien aus hat
sich der Strauch, dessen unreife Früchte als beliebtes Gemüse gegessen
werden, über die ganzen Tropen und Subtropen verbreitet und wird
besonders in Westindien, speziell Martinique, im großen kultiviert.
In den beiden letzten Jahrzehnten hat sich der Verbrauch des aus den
Moschussamen gewonnenen ätherischen Öles außerordentlich gesteigert.
Ihm im Geruche ähnlich ist das aus der bitteraromatischen Wurzel der
in der zentralasiatischen Steppe heimischen Sumbulpflanze, eines
Doldengewächses (~Ferula sumbul~), gewonnene andere Moschusöl, das
ebenfalls ein Surrogat des echten Moschusöles bildet.

Der echte +Moschus+ stammt bekanntlich von dem zwischen Nabel
und Geschlechtsteilen liegenden, 30-50 g schweren Beutel des
rehähnlichen, auf den Gebirgen Hinterasiens, besonders in Tibet
und der Mongolei lebenden, 1,15 m langen Moschustieres (~Moschus
moschiferus~), der mit einer bräunlichen, schmierigen Substanz von
sehr durchdringendem Geruch gefüllt ist. Diese dient zur Anlockung
und geschlechtlichen Erregung des Weibchens. Der beste Moschus kommt
von der Provinz Jün-nan im südwestlichen China in kleinen, verlöteten
Bleikästen zu 20-30 Stück in den Handel und kostet bis zu 3500 Mark
das kg. In ähnlicher Weise wird auch das +Zibet+ der männlichen
Zibetkatze und das +Bibergeil+ des Bibermännchens verwendet. Sie
sind nebst der +Ambra+ des Pottwales, die meist in größeren Knollen
freischwimmend auf dem Meere angetroffen und gefischt wird, die
einzigen aus dem Tierreiche gewonnenen Duftstoffe, denen in der
Parfümerie eine große Bedeutung zukommt. Obschon wir hier nur die
pflanzlichen Duftstoffe zu besprechen haben, müssen wir sie dennoch
erwähnen, da sie zur Geltendmachung der pflanzlichen Duftstoffe sehr
wichtig sind. So unangenehm sie konzentriert auf unser Geruchsorgan
wirken, so angenehm sind sie stark in Alkohol verdünnt. Was sie für die
Parfümerie so wichtig macht, ist nicht sowohl ihr eigenes Aroma, als
vielmehr ihre Fähigkeit, die Geruchsentwicklung der ihnen beigemischten
pflanzlichen Ingredienzen zu fördern und andererseits wieder zu
fixieren, d. h. eine etwas zu rasche Verflüchtigung zu verhindern.
Hierin werden sie am wirkungsvollsten von den künstlichen Riechstoffen
unterstützt, dem zweiten großen Faktor in der Parfümeriefabrikation,
den wir im wesentlichen der deutschen Riechstoffchemie zu verdanken
haben. Von ihnen war bereits die Rede, so daß wir hier nicht näher
darauf einzutreten brauchen.

Wie das in den Orchideenblüten nicht seltene +Vanillin+, das jetzt
auch künstlich hergestellt wird, sich in konzentrierter Form in den
gegorenen Schoten der Vanillepflanze vorfindet, so ist das in der
Pflanzenwelt als Duftstoff weitverbreitete +Kumarin+, das, wie gesagt,
dem Waldmeister, dem Ruchgras und dem Heu den charakteristischen
Geruch verleiht, in der südamerikanischen +Tonkabohne+ in besonders
hohem Maße angehäuft. Die sie hervorbringenden Tonkabäume (~Dipterix
odorata~) sind 20-27 m hohe Schmetterlingsblütler, die in den Wäldern
Guianas, Venezuelas und Nordbrasiliens heimisch sind. Von dort kommen
die über mandelgroßen, glänzend schwarzen, runzeligen Samen in den
Handel, die sich nach vorübergehendem Einlegen in Rum mit farblosen
Kumarinkriställchen bedecken. Während sie wie die Vanilleschoten
und das Kraut von Waldmeister und Ruchgras frisch fast geruchlos
sind, duften sie jetzt stark nach Heu, indem sich wahrscheinlich das
Kumarin, wie das Vanillin und ähnliche Duftstoffe, aus einer andern
leicht zersetzlichen Substanz erst bildet. Es dient vielfach zur
Parfümerie, als wohlriechende Beigabe zum Schnupftabak, zur Bereitung
von Maitrankessenz und zur Imprägnierung von gewöhnlichen, geruchlosen
Kirschbaumtrieben, die dann als Weichselrohr zur Herstellung von
Pfeifenrohren, Spazierstöcken usw. dienen. In der Medizin wird damit
der penetrante Geruch des Jodoforms gemildert.

Reichliche Verwendung finden auch die in den Blüten und Früchten der
Agrumen, wie auch in den wohlriechenden Blüten der verschiedenen
Gartenpflanzen, wie Veilchen, Reseda, Maiglöckchen, Heliotrop,
Hyazinthen, Tuberosen, Jasmin, Akazien usw. enthaltenen ätherischen
Öle. Die Stadt Grasse in Südfrankreich ist das Zentrum von deren Kultur
und Gewinnung. Dabei werden die gepflückten Blüten mit geschmolzenem
Fett übergossen und umgerührt, erstarrt 24 Stunden liegen gelassen.
Dann wird das Fett wieder geschmolzen und dieser Prozeß wiederholt,
bis das Fett mit dem Riechstoff gesättigt ist. Zur Erreichung dieses
Resultates sind von manchen Blüten bis 6 kg auf 1 kg Fett
erforderlich. Für die feinsten Gerüche verfährt man in der Weise, daß
man große, starke Glastafeln 0,5 cm hoch mit ebensolchem reinem Fett
-- früher Schweineschmalz und Rindstalg, jetzt meist Vaselin -- belegt
und in diese die Blüten, deren Duft man auffangen will, mit dem Kelch
nach oben steckt. Auf die Glastafel wird eine zweite, in derselben Art
zugerichtete gelegt, welche, als Deckel dienend, den Geruch nicht
entweichen läßt; darauf wird eine dritte wiederum mit Blüten besteckt,
Glasseite auf Glasseite gelegt, die man ebenfalls mit einer Deckplatte
versieht, und so fort. Nach 25-30 Tagen ist das Fett mit dem Dufte der
täglich gewechselten Blüten gesättigt. Diese als Pomaden bezeichneten
parfümierten Fette bilden die Grundlage der meisten Parfümartikel.
Aus ihnen kann man durch Extraktion mit Weingeist den Riechstoff als
Essenz erhalten und in einzelnen Fällen ihn auch als ätherisches Öl
für sich abscheiden. Der Sprit gibt dem Parfüm die Frische, und sein
Geruch hat etwas Belebendes. Um nun die verschiedenen, vielfach mit
Phantasienamen belegten Parfümwässer zu erhalten, werden die Essenzen
in mannigfaltiger, als Fabrikgeheimnis geheimgehaltener Weise gemischt
und zur gegenseitigen Durchdringung der Duftstoffe oft längere Zeit in
Holzfässern gelagert.

Mehr von historischem Interesse ist das uns allen aus der biblischen
Geschichte bekannte Nardenöl, mit dem auch die Füße des Heilands
von der Ehebrecherin gesalbt wurden und das im Altertum als
kostbares Parfüm eine große Rolle spielte. Es wurde bei den Alten
aus mehreren wohlriechenden Pflanzen, besonders aus der Familie
der Baldriangewächse, gewonnen. Die echte kostbare Nardensalbe des
Altertums wurde aus der im mittleren Himalaja wachsenden echten
+indischen Narde+ (~Nardostachys jatamansi~) bereitet. Ihre Wurzel
schmeckt bitter gewürzhaft und war neben dem Opium ein wichtiger
Bestandteil des aus etwa 60 verschiedenen Pflanzenstoffen mit Beigabe
der widersinnigsten tierischen Substanzen, wie z. B. des Fleisches von
Giftschlangen, hergestellten Theriaks, eines vom griechischen Leibarzte
des Kaisers Nero, Andromachos, erfundenen berühmten Gegenmittels
gegen den Biß giftiger Schlangen und alle tierischen Gifte überhaupt,
das dieser einst mit einem in Versen abgefaßten Rezept dazu jenem
Kaiser zu Füßen legte. Seither wurde jenes Mittel bis ins vergangene
Jahrhundert, wie das ebenfalls in der römischen Kaiserzeit von einem
andern griechischen Arzte, Menekrates, erfundene Diachylonpflaster, ein
durch Kochen von Bleioxyd in Öl mit Zugabe von Gummiharzen und Harzen
bereitetes Zugpflaster, das bis heute in sehr hohem Ansehen beim Volke
blieb, stets feierlich in aller Öffentlichkeit unter dem Schall von
Trompeten und Trommeln hergestellt. Noch im Jahre 1787 schmetterten die
Pauken und Trompeten bei der gewichtigen Darstellung dieses Theriaks,
zu dessen Herstellung die Vipern in Neapel noch unter den Bourbonen
unter staatlicher Aufsicht gefangen wurden. Das bei den vornehmen alten
Römern besonders zum Salben des Körpers nach dem Bade sehr beliebte
wohlriechende indische Nardenöl ist heute noch in seiner Heimat Indien
ein geschätztes Duft- und Heilmittel, weshalb die Nardenpflanze dort zu
diesem Zwecke von alters her angebaut wird.

Das aus einer anderen Baldrianart, ~Nardostachys grandiflora~, in
Nepal gewonnene Öl riecht weniger angenehm, aber stärker als das
aus der echten indischen Narde gewonnene. Die arabische Narde wurde
wahrscheinlich aus dem wohlriechenden Nardenbartgras (~Andropogon
nardus~) hergestellt, das wohl der griechische Schriftsteller Flavius
Arrianus (um 100 n. Chr. zu Nikomedia in Bithynien geboren, ward 136
unter Hadrian Präfekt von Kappadokien, starb unter Marc Aurel) in
seiner Darstellung von Alexanders des Großen Feldzug nach Asien im
Sinne hatte, als er schrieb: „Als Alexander durch eine Wüste gegen
das Land der Gedrosier (eine iranische Landschaft, etwa dem heutigen
Beludschistan entsprechend) vorrückte, fand er viele wohlriechende
Nardenwurzeln, welche von den Phönikiern gesammelt, vom Heere aber in
solcher Menge zertreten wurden, daß die ganze Gegend danach roch.“
Die italienische Narde dagegen wurde aus dem Lavendel, die kretische
Narde aus ~Valeriana italica~ und ~V. tuberosa~ und die gallische oder
keltische Narde aus ~Valeriana celtica~ und ~V. saliunca~ gewonnen,
deren Wurzeln noch jetzt von Triest aus nach dem Orient ausgeführt
werden, wo man sie zur Herstellung einer nach dem Bade zum Salben
des Körpers beliebten Salbe benutzt. Letztere Baldrianart hat ihren
Namen nach einer alten, schon vom griechischen Arzte Dioskurides im 1.
Jahrhundert n. Chr. erwähnten ligurischen Bezeichnung erhalten. Dieser
Autor schreibt nämlich in seiner Arzneimittellehre: „Die keltische
Narde wächst auf den ligurischen Bergen, wo sie ~saliunka~ genannt
wird. Es ist dies ein kleiner Strauch, der samt den Wurzeln gesammelt
und in Bündelchen gebunden wird. Die Blätter sind länglich, gelblich,
die Blüten quittengelb. Nur die Stämmchen und Wurzeln sind wohlriechend
und im Gebrauch.“ Außerdem unterscheidet er eine indische und syrische
Narde. „Letztere“, fährt er fort, „hat ihren Namen nicht davon, daß
sie wirklich in Syrien wächst, sondern nur deswegen, weil die Seite
des Gebirges, auf welchem sie wächst, nach Syrien zu liegt, während
die entgegengesetzte Seite sich nach Indien hinneigt. Letztere ist am
besten frisch, leicht, gelb, von starkem Wohlgeruch. Die indische Narde
dagegen, die nach dem Flusse Ganges ~gangitis~ heißt, ist kraftloser,
da sie auf nassen Stellen wächst. -- Aus diesen wird die Nardensalbe
(~nárdinon mýron~) auf verschiedene Weise mit allerlei Zusätzen
bereitet.“



XXVII.

Die Arzneipflanzen.


So lange es Menschen gibt, haben sie allerlei Verletzungen und
Krankheiten zu erleiden gehabt, gegen die sie Linderungs- und
Heilmittel anzuwenden suchten. Diese entnahmen sie zumeist der
sie umgebenden Pflanzenwelt, der sie Zauberkräfte mancherlei Art
zuschrieben, die sie sich zu Nutzen machten. So entwickelte sich in
engstem Zusammenhang mit der Ausübung von Zauberei die älteste Medizin
der Naturvölker, deren Spuren sich noch zahlreich in unserem Volkstume
nachweisen lassen. Und während fürsorgliche Frauen und mitleidige
Stammesgenossen die erste und in leichteren Fällen einzige Handreichung
taten, wurden in schwierigeren Fällen die erfahrenen Alten der Sippe
zur Übernahme der Behandlung zugezogen. Auf solche Weise erhoben sich
die Erfahrensten des Stammes, denen die Sippengenossen volles Vertrauen
entgegenbrachten, zu Zauberpriestern und Ärzten in einer Person. Manche
unter ihnen genossen nicht nur zeitlebens das größte Ansehen, sondern
wurden nach ihrem Tode als machtvolle Geister göttlich verehrt.

Ein solcher vergöttlichter Weiser und Arzt seines Volkes war dem
uralten Kulturvolke der Ägypter I-em-hotep („der in Frieden kommt“),
meist gekürzt Imhotep genannt, der uns als der älteste mit Namen
bekannte Arzt der Welt entgegentritt und später zum Gott der Heilkunde
erhoben wurde. Als solcher war er der gute Arzt der vergöttlichten
Menschengeister und der lebenden Menschen, dem man in Krankheitsfällen
Opfer und Gelübde darbrachte, damit er die Krankheit zum Guten wende
und Heilung eintreten lasse. Denn von jeher wurde der über die
Anwendung eines Heilkrautes gesprochene Heilsegen für wichtiger und
wirkungsvoller gehalten als seine guten Eigenschaften als solche,
und über allem stand das durch Opfer erlangte Wohlwollen solcher im
Geisterreiche waltender Heilgewaltiger. Daß nun dieser Heilgott der
alten Ägypter eine wirkliche, im Volksbewußtsein durch die Jahrtausende
lebendig gebliebene Persönlichkeit war, darüber kann durchaus kein
Zweifel bestehen. Und tatsächlich haben die neuesten Forschungen der
altägyptischen Literaturdenkmäler ergeben, daß der Gegenstand solch
nachhaltiger Verehrung, dessen Name als der eines weisen Priesters und
mächtigen Zauberers, eines geschickten Arztes und großen Baumeisters
durch die ganze ägyptische Geschichte hindurch unvergessen blieb, ein
Zeitgenosse des Königs Zoser war, mit dem Manetho, ein ägyptischer
Priester aus Sebennytos, der unter Ptolemäus I. (305-285 v. Chr.)
lebte und in griechischer Sprache eine leider bis auf die von Julius
Africanus und Eusebius uns mitgeteilten Bruchstücke und den kurzen
Auszug bei Josephus verloren gegangene Geschichte seines Landes
schrieb, die dritte Dynastie beginnen läßt. Dieser König Zoser
herrschte vor den Erbauern der großen Pyramiden bei Gise von etwa
2980 v. Chr. an und begründete die Vorherrschaft der unterägyptischen
Stadt Memphis, die er zu seiner Residenz erhob. Seiner Regierungszeit
gehören die ersten größeren Steinbauten des Niltals an, und unter
ihm begannen die in zunächst staffelförmigen Pyramiden errichteten
Königsgräber, statt aus ungebrannten, nur an der Sonne getrockneten
Lehmziegeln wie zuvor, aus Steinquadern gebaut zu werden. Unter ihm
hat nun als einflußreicher Beamter seines Hofes und sein Hauptratgeber
Imhotep gelebt, der sich schon im Leben solchen Ansehens bei seinem
Könige erfreute, daß er sein Grab dicht neben dem Grabe seines Königs
in der Stufenpyramide von Sakkara bei Memphis erhielt. Nach einer alten
Tradition hatte er den ehrenden Beinamen „Herr der Geheimlehre und der
Zahlen“. Die Gelehrtesten seines Volkes, die Schreiber, hatten ihn zu
ihrem Schutzherrn erwählt. Und wer unter ihnen fromm war, weihte ihm
regelmäßig eine Spende aus dem Wasserbehälter seines Schreibzeugs,
ehe er seine Arbeit begann. Noch nach Jahrhunderten kannte das Volk
die ihm zugeschriebenen Sprichwörter, und 2500 Jahre nach seinem Tode
war er zum Gott der Heilkunde geworden, in welchem die Griechen, die
ihn Imuthes nannten, ihren eigenen Heilgott Asklepios zu erkennen
glaubten. Als Gott wurde er auf einem Sessel sitzend abgebildet,
mit einem einfachen Lendentuche und Hals- und Armbändern wie seine
vornehmen Volksgenossen angetan, in der Rechten den Zauberstab mit
dem Kopf des Schakals, also des Tieres, das als Wächter des Eingangs
in die Unterwelt gedacht war, an der Spitze und in der Linken den
Nilschlüssel, das Symbol des Lebens, haltend.

Die ursprüngliche und angesehenste ärztliche Gottheit der alten Ägypter
war aber die Göttin Isis, der man nicht nur die Entstehung zahlreicher
Krankheiten, sondern auch die Macht zuschrieb, sie wieder zu heilen.
Ihre göttliche Wunder- und Heilkraft bewies sie dadurch, daß sie ihren
von Seth (der personifizierten Dürre) erschlagenen Sohn Horus (die am
Himmel aufsteigende junge Sonne) wieder zum Leben erweckte. Sie lehrte
dann die Menschen die Krankheiten erkennen und heilen. Die Erfindung
vieler Arzneimittel wurde auf sie zurückgeführt. Wegen der großen
Erfahrung, welche sie in der Arzneikunde besaß, brachte man Kranke
mit Vorliebe in ihren Tempel, damit sie während des Schlafes durch
einen von ihr eingegebenen Traum erführen, welches Mittel sie zu ihrer
Heilung anwenden sollten.

Als dritte medizinische Gottheit galt den alten Ägyptern der Gott
Thot (von den Griechen mit ihrem Hermes identifiziert). Von ihm heißt
es im ärztlichen Papyrus Ebers, so genannt, weil ihn der bekannte
Schriftsteller Prof. Georg Ebers während seines Aufenthaltes in
Theben-Luxor im Winter 1872/73 von einem dortigen Kopten erwarb -- er
befindet sich jetzt auf der Leipziger Universitätsbibliothek und ist,
trotzdem er zur Zeit der 18. Dynastie (1580-1350 v. Chr.) geschrieben
wurde, noch so gut erhalten, als ob der Schreiber, der ihn beschrieb,
erst sein Schreibrohr beiseite gelegt habe --, er sei derjenige, „der
da die Bücher macht, die Erleuchtung schenkt den Schriftgelehrten und
Ärzten, die sich in seiner Nachfolge befinden, um (die Menschen von
ihrer Krankheit) zu erlösen.“ Er hieß eigentlich Tehuti und wurde schon
zur Zeit der ersten Dynastie des Reichs um 3400 v. Chr. als Urheber und
Beschützer des Schrifttums bezeichnet, als „Schreiber der Wahrheit“,
„Herr der göttlichen Worte“, „Darreicher der Schriften“ usw. Beim
Aburteilen der Seelen in der Unterwelt durch die Götter führte er Buch
über die Wägung der Herzen. Er wurde ibisköpfig dargestellt, mit dem
Henkelkreuz als dem Zeichen des Lebens in seiner Rechten und einer
Papyrusrolle in der Linken. Der Mittelpunkt seiner Verehrung war die
Hohe Schule von Sesennu (dem Hermopolis der Griechen), wo vornehmlich
die Schreiber und Ärzte ausgebildet wurden. Der um 180 n. Chr. lebende
griechische Sophist Claudius Älianus leitet in seinen 14 Büchern
„Vermischte Erzählung“ den Namen dieses Gottes irrtümlicherweise
von ~thouod~ Säule her, weil er als Erfinder aller Künste und
Wissenschaften seine Weisheit in steinerne Säulen grub. Aus diesen
hieroglyphischen Inschriften schöpften die Priester in den ältesten
Zeiten ihr Wissen, merkten sich die dort verzeichneten Regeln der
Arzneikunde und trugen sie nach Erfindung des Papiers in die 42 Rollen
des Thot (von den Griechen entsprechend der Identifizierung des Thot
mit ihrem Hermes hermetische Bücher genannt) ein.

Da die Krankheit bei den alten Ägyptern wie bei allen Völkern durch
den Zorn der Götter herbeigeführt sein sollte und eine Versöhnung
mit denselben nach der später aufgekommenen Lehre nur durch die
Diener derselben bewerkstelligt werden konnte, so übten die Priester
zugleich die Arzneikunde aus. Sie wurden in den verschiedenen
Tempelschulen des Landes wie in den heiligen Schriften, so auch in
der Arzneikunde unterrichtet und gingen dann zum Abschluß ihrer
Studien nach Heliopolis, der berühmtesten medizinischen Hochschule
von Ägypten, wo sie sich zu Spezialärzten für die verschiedenen
Krankheiten des Menschen ausbildeten. Schon damals war die Heilkunde
weitgehend spezialisiert, und es gab Augenärzte, die wegen dem schon
damals verbreiteten Trachom sehr viel zu tun hatten und, nach einer
Stelle im Papyrus Ebers, die von der „Öffnung des Gesichts in den
Pupillen hinter den Augen“ handelt, offenbar schon Staroperationen
ausführten, dann Kopfärzte, Ohrenärzte, Zahnärzte, die, wie man an
den Kiefern mancher Mumien fand, bereits künstliche Zähne einzusetzen
verstanden, Bauchärzte, Gliederärzte usw. Zahlreiche auf den Denkmälern
abgebildete und in den Gräbern gefundene chirurgische Instrumente,
wie Scheren, Lanzetten, Messer, Rasiermesser, Pinzetten, Sonden,
Metallstäbchen zum Glühen, wie auch das Zubehör einer reichhaltigen
Reiseapotheke beweisen, daß man schon im 3. Jahrtausend v. Chr.
auch eine reiche chirurgische Tätigkeit entfaltete. Ferner sprechen
vorzüglich geheilte Knochenbrüche an Mumien für eine große praktische
Erfahrung im Einrichten von solchen und von Verrenkungen, wie auch
für die Wundbehandlung im allgemeinen. Szenen, welche uns das Anlegen
von Verbänden an diesem oder jenem Glied von Verwundeten und Kranken,
das Darreichen von Arzneien, das Anlegen von Schröpfköpfen, die
Vornahme verschiedener Operationen, wie Amputation und Kastration,
veranschaulichen, finden sich auf verschiedenen Denkmälern. Zur
durchgängig an den Knaben geübten Beschneidung, die wir beispielsweise
auf einer Darstellung am Tempel des Chonsu in Karnak an den Kindern
Ramses’ II. der 19. Dynastie (1292-1225 v. Chr.) dargestellt finden,
dienten wie zu andern chirurgischen Eingriffen des Kultes Messer aus
Feuerstein. Solche wurden auch in den Riten zahlreicher anderer Völker
noch lange nach Einführung der Metalle als Werkzeugmaterial wenigstens
bei gottesdienstlichen Handlungen beibehalten.

Die altägyptischen Ärzte übten keinerlei Privatpraxis aus, sondern
standen im Solde des Staates. Sie wohnten wie die übrigen Priester
mit ihren Familien in eigenen Häusern, bildeten aber unter sich eine
durch strenge Satzungen geordnete Korporation, die auch in der Ausübung
ihrer Kunst sich gewissenhaft an die vorgeschriebenen medizinischen
Regeln des Thot zu halten hatte. Befolgten sie dieselben und starb
der Kranke, so waren sie aller Verantwortung enthoben, hielten sie
sich aber nicht an die vorgeschriebene Norm und gingen sie eigene Wege
in der Methodik der Behandlung, so wurden sie mit dem Tode bestraft,
und zwar auch dann, wenn der Ausgang der Krankheit ein günstiger war.
Jeder Kranke wurde umsonst auf Staatskosten behandelt, mußte aber bei
seiner Erkrankung nicht in das Haus des Arztes, sondern in den Tempel
schicken, um ärztliche Hilfe zu erbitten. Dabei hatte der Bote genau
anzugeben, an welchem Übel der Betreffende erkrankt sei, worauf der
Arzt des Heiligtums nach irgend einem der Spezialisten des Kollegiums
sandte und ihn in das Haus des betreffenden Patienten beorderte. Wenn
auch die ärztliche Behandlung vollständig umsonst war, da ja die
Priester vom Staate besoldet wurden und zu ihrem Unterhalt besondere
Ländereien und sonstige Einkünfte erhielten, so war es doch Sitte,
daß die Patienten nach ihrer Genesung demjenigen Heiligtum, das ihnen
den Arzt gesandt hatte, je nach Vermögen einfache oder ansehnlichere
Geschenke darbrachten oder zum Unterhalt der in den Tempelhöfen
gehaltenen heiligen Tiere beitrugen.

Bei allen Völkern des Altertums waren die ägyptischen Ärzte um
ihrer großen Erfahrung und Geschicklichkeit in der Behandlung der
verschiedenen Krankheiten willen berühmt. Und obschon bei den Römern
zu Ende der Republik und zu Beginn der Kaiserzeit die sehr angesehenen
griechischen Ärzte eine überaus erfolgreiche Tätigkeit entfalteten,
ließ man beispielsweise, wie uns Plinius berichtet, unter der Regierung
des Kaisers Tiberius Claudius (41-54 n. Chr.) beim Ausbruch einer
schrecklichen und furchtbar verheerend wirkenden Seuche ägyptische
Ärzte nach Italien kommen, die mit ihren Kuren viel Geld verdienten.

Die als Ärzte die Heilkunde ausübenden Priester bildeten den niedersten
Stand der Priesterschaft. Weit höher standen im Ansehen des Volkes
die als Propheten bezeichneten Mitglieder des Priesterkollegiums,
die nicht durch äußere Mittel, sondern durch Beschwörungen und
Zaubermittel, wie auch durch Amulette allein mit Hilfe der Dämonen die
Krankheiten zu bannen verstanden. So wurde auch bei diesem Volke, als
es bereits sehr hoch in seiner Kultur gestiegen war, der beim Anwenden
eines Mittels gesprochene Zaubersegen als noch viel wirksamer als
die Arznei selbst betrachtet. Zu dieser Priesterkaste der Propheten
gehörten auch alle die Weisen, Wahrsager und Zauberer, welche in den
Büchern Moses, besonders im II. Kap. 7 und 8, als mächtige Zauberer
mit ihren Beschwörungen Wundertaten vor dem Pharao verrichteten, aber
von Mose, dem Jahve beistand, besiegt wurden. In den verschiedenen
auf uns gekommenen ärztlichen Papyri wird jeweilen nicht nur die bei
den verschiedenen Krankheiten anzuwendenden Heilmittel in genauer
Rezeptierung, sondern auch die bei deren Anwendung auszusprechende
Zauber- und Beschwörungsformel als das Allerwichtigste dabei sorgfältig
angegeben. Schon bei ihrer Herstellung in den als asit bezeichneten, in
besonderen Tempelräumen eingerichteten Laboratorien, an deren Wänden
die heiligen Vorschriften zur Bereitung der Arzneien angegeben waren,
mußten gewisse Zeremonien beobachtet und bestimmte Segen zu deren
Wirksammachung gesprochen werden. Manche Kombinationen von Heilmitteln
führte man direkt auf alte berühmte Heilkünstler oder gar Götter
zurück. Die zahlreichen auf uns gekommenen Rezepte sind recht kurz
gehalten und bestehen vielfach nur in Andeutungen, weil das einzelne
als althergebracht und also allgemein bekannt vorausgesetzt wurde. Zur
Herstellung der auf den medizinischen Papyri genannten Einreibungen,
Salben, Umschläge, Pflaster, Tränke, Abkochungen, Speisemischungen,
Klistiere usw., auf denen genau angegeben war, wann und wie sie zu
applizieren oder einzunehmen waren, wurden allerlei pflanzliche und
tierische Produkte, wie auch Mineralbestandteile zuerst sorgfältig
mit der Wage gewogen und dann gemischt. Außer Natron, Brechweinstein,
Antimon und Eisen bildeten zahlreiche pflanzliche Produkte nebst
Wasser, Wein, Palmenwein, Essig, Honig, Menschen- und verschiedene
Tiermilch, Blut, Galle, Fett und Exkremente der verschiedensten Tiere,
auch Männer- und Frauenurin usw. eine wichtige Rolle. Die Mittel wurden
für 4, 8, 9 oder 10 Tage verordnet. Die zahlreichen Rezepte zu Mitteln
gegen Hautkrankheiten lassen darauf schließen, daß dieses Übel trotz
aller Reinlichkeit damals im Pharaonenreiche sehr häufig war. Als
Beispiele lassen wir drei Rezepte folgen:

„Desgleichen ein Mittel zu bewirken das Harnen:

  Honig                             }
  pulverisierte Johannisbrotschalen }  je 1 Teil. Daraus eine Kugel zu
  pulverisierte Keuschbaumsamen     }    machen.

Arznei für Leibesöffnung:

  Milch ⅓ tena               }
  ~nequant~-Pulver ¼ Drachme }  zu kochen, umzuschütteln, zu essen.
  Honig ¼ Drachme            }    Für vier Tage.

  Weihrauch (~anti~)        } je 1 Teil. Gegen den Durst, das Stoßen,
  Blut von der Eidechse     }  das Stechen im Auge. Rupfe die Haare aus,
  Blut von der Wanze        }  schmiere es darauf, um gesund zu machen.“

Wie wir durch Aristoteles erfahren, galt für jeden ägyptischen Arzt
die gesetzliche Norm: die Entwicklung der Krankheit einige Tage zu
beobachten und erst am vierten Tage mit einem entsprechenden Heilmittel
wirksam einzugreifen. Die Kuren scheinen auch vielfach gelungen zu
sein, so daß sich der Ruf der ägyptischen Ärzte weithin über die
Mittelmeerländer verbreitete. Schon in Homers Odysse heißt es ja von
Ägypten und seinen Bewohnern:

    „... Dort bringt die fruchtbare Erde
    Mancherlei Säfte hervor, zu guter und schädlicher Mischung,
    Dort ist jeder ein Arzt und übertrifft an Erfahrung
    Alle Menschen ...“

Dieser Ausspruch hat insofern seine Berechtigung, als jeder Ägypter,
um das Gesamtwohl des Volkes zu fördern, sich außer der täglichen
äußerlichen Reinigung alle Monate einmal drei Tage hindurch durch
Brech- und Abführmittel, Waschungen und Klistiere auch innerlich
zu reinigen und gewisse diätetische Vorschriften zu beobachten
hatte, da nach althergebrachter Annahme die meisten Krankheiten aus
Unreinigkeiten des Magens, der Eingeweide und der Haut entstehen
sollten. „Eben dieser Diät wegen“, sagt Herodot im 5. vorchristlichen
Jahrhundert, „sind die Ägypter neben den Libyern das gesundeste Volk
der Erde.“ Das Volk lebte sehr einfach und badete täglich, um alle
Ansteckungsstoffe, namentlich den gefürchteten Aussatz, vom Körper
fernzuhalten. Aus denselben Gründen trug man auch nicht wollene,
sondern leinene Kleider und mied gewisse Speisen, wie Schweinefleisch,
Seefische und Saubohnen. Selbst den Königen war für den täglichen
Verbrauch ein bestimmtes Quantum von Speisen und Getränken
vorgeschrieben, das nicht überschritten werden durfte.

Da die altägyptischen Ärzte aus religiöser Scheu vor dem Leichnam ihn
nicht sezierten und die Einbalsamierer eine besondere Zunft bildeten,
die außerhalb des Priesterkollegiums stand und sich im allgemeinen
wohl keines besonders guten Rufes erfreute, da man ihnen schöne
Frauenleichen erst am dritten oder vierten Tage nach dem Tode überließ,
so herrschten bei den Ärzten höchst abenteuerliche Vorstellungen
über den anatomischen Bau des menschlichen Körpers, auf die wir hier
allerdings nicht eintreten können. Nur das eine sei erwähnt, daß man
glaubte, das Herz nehme bis zum 50. Jahre jährlich um zwei Quentchen
zu, um von da an jährlich um ebensoviel abzunehmen, so daß notgedrungen
der Tod vor dem vollendeten hundertsten Lebensjahre erfolgen mußte.

Dieselbe Stellung wie der Heilgott Imhotep bei den Ägyptern nahm
bei den alten Griechen der göttliche Asklepios ein, der etwa im 13.
vorchristlichen Jahrhundert in Thessalien gelebt haben soll. Die
ausschmückende Sage hat ihn zu einem Sohne des Lichtgottes Apollon
und der Königstochter Koronis gemacht, der zu Trikka in Thessalien,
der Wiege seiner Verehrung, geboren und nach dem frühen Tode seiner
Mutter vom weisen Kentauren Cheiron erzogen wurde, der ihn besonders
in der Heilkunst unterrichtete. Da er sogar Verstorbene erweckte,
erschlug ihn dann nach der Sage Zeus mit dem Blitz, in der Befürchtung,
die Menschen möchten durch ihn ganz dem Tode entzogen werden; nach
anderer Überlieferung geschah dies auf die Beschwerde des Gottes
der Unterwelt hin. Bei Homer und Pindar ist Asklepios noch als
einfacher Mensch gedacht, dessen Vergöttlichung eben begann. Seine
Söhne Podaleirios und Machaon erscheinen in der Ilias als Ärzte im
Heere der Griechen. Sie und ihre Nachkommen, die Asklepiaden, hatten
sich durch einen feierlichen Eid verpflichten müssen, ihre Kunst
nur den dazu Berechtigten und unter den herkömmlichen Bedingungen
zu lehren. Bei ihrer Behandlung spielte die Inkubation (griechisch
~enkoimésis~ genannt) die größte Rolle. Sie bestand darin, daß der
Kranke an geweihter Stätte -- eben im Tempel des Heilgottes -- auf
dem Felle des von ihm geopferten Tieres schlief, um im Traume vom
Heilgotte eine Offenbarung über das anzuwendende Mittel zu erlangen.
Meist leiteten die Priester, die zugleich Ärzte waren, die Inkubation
ein und legten die Träume der Kranken aus, oder träumten wohl auch
selbst für diese. Das übliche Opfer der Genesenen war ein Hahn, den
auch Sokrates nach seinem Tode (399 v. Chr.) durch das ihm auferlegte
Trinken des Schierlingsbechers dem Heilgotte darzubringen befahl. Und
zum Danke an den Gott hingen die Geheilten Votivtafeln mit dem Bericht
über die von ihnen angewandte Kur im Tempel auf. Eine größere Anzahl
derselben haben die neuesten Ausgrabungen zu Epidauros am äginetischen
Meerbusen in der Argolis, wo in Griechenland der Hauptsitz seiner
Verehrung war, zutage gefördert. Von diesem Orte aus verbreitete sich
der Asklepioskult über ganz Griechenland, die ägäische Inselwelt und
die Küste von Kleinasien, wo besonders in Kos, Knidos, Trikka, Pergamon
und Athen sich einst vielbesuchte Heiligtümer von ihm befanden.
Diese waren stets in gesunder Lage auf Anhöhen in heiligen Hainen,
in der Nähe von Quellen und Heilwassern errichtet, und auch die von
den Heilpriestern den Kranken befohlene Tempelkur bestand in auch
nach unseren viel weiter geförderten Anschauungen recht zweckmäßigen
hygienischen Verordnungen. So kann es uns nicht wundern, daß der
Asklepiosdienst sich mit der griechischen Kolonisation weithin in den
Ländern am Mittelmeer verbreitete. Das Symbol des Gottes, der von den
Bildhauern bärtig, im Gesichtsausdruck dem Zeus ähnlich, nur milder
und jugendlicher, dargestellt wurde, war die Schlange, und zwar die
gelbliche Natter (~Coluber aesculapi~), die in seinen Tempeln gehalten
und bei der Gründung neuer Kultstätten in diese übergeführt wurde. So
gelangte die Äskulapschlange mit dem Dienst des in Italien Äskulap
genannten Asklepios aus Epidauros nach Rom, als dort sein Kult im
Jahre 293 v. Chr. bei einer Pest auf Befehl der sibyllinischen Bücher
eingeführt wurde. In dieser Stadt stand der Tempel des Heilgottes
auf der Tiberinsel. Mit den Römern kam dann diese Schlangenart, die
sich in Südeuropa vornehmlich auf felsigem, spärlich mit Buschwerk
bestandenem Boden aufhält und hier eine Länge von 1,5 m erreicht,
an alle natürlichen Thermen nördlich der Alpen, wo Kranke Genesung
suchten. Deshalb wird dieses in jeder Beziehung anmutige Tier heute
noch überall, wo einst Römerbäder standen, z. B. in Schlangenbad, Baden
bei Wien usw., gefunden.

Bei den alten Germanen wurde kein besonderer Heilgott verehrt. Wie bei
allen Völkern auf primitiver Kulturstufe war bei ihnen die Heilkunst
kein Privileg einer besonderen Kaste, sondern wurde von sämtlichen
älteren und durch Erfahrung belehrten Volksgenossen, besonders weisen
Frauen, denen man besondere Zauberkräfte zuschrieb, ausgeübt. Als
Heilmittel wurden außer mineralischen und tierischen Produkten die
Säfte der verschiedensten Pflanzen verwendet, wie dies heute noch bei
allen Völkern der Erde geschieht. Hat man doch ausgerechnet, daß bei
diesen gegenwärtig noch etwa 40000 Pflanzen in arzneilichem Gebrauche
stehen. Die zufällige Entdeckung einer heilsamen Eigenschaft erweckte
begreiflicherweise die Begierde nach weiteren solchen Offenbarungen der
Natur, und wenn diese ausblieben, so bemächtigte sich die Phantasie des
Wunsches und dichtete vielen Gewächsen Heilkräfte an, die diese gar
nicht besaßen. So wurde aus geringem Wissen ein hoffendes Glauben und
aus diesem ein üppiger Aberglaube. Man glaubte, daß alle durch Gestalt,
Farbe und Entwicklungsweise ausgezeichneten Pflanzen besondere Kräfte
haben müßten, so beispielsweise das Farnkraut, das keine Blüten aufwies
und bei dem man auch keine Sämlinge fand. Dieses Kraut sollte in der
an Zauber reichen Johannisnacht seinen Samen fallen lassen, der sofort
tief in den Boden verschwinde und sich deshalb dem menschlichen Auge
entziehe. Das in den halbdunkeln Klüften goldigschimmernde Leuchtmoos
wurde als das Gold der Kobolde gedeutet, das wie die meisten Heilsäfte
aus Kräutern nur durch Zauber gewonnen werden könne. Man glaubte,
daß sich die geheimen inneren Kräfte der Pflanzen vielfach schon an
besonderen Merkmalen der äußeren Erscheinung erkennen lassen. Das
leberartig gestaltete Blatt des Leberblümchens (~Hepatica triloba~)
sollte heilsam sein bei Leberkrankheiten, das ohrförmige Blatt der
Haselwurz (~Asarum europaeum~) sollte gut sein gegen Gehörleiden,
die am Stengel entlang laufenden Blätter des Beinwells (~Symphytum
officinale~) sollten Knochenbrüche heilen, wie die um den Stengel herum
verwachsenen Blätter des Hasenohrs (~Bupleurum rotundifolium~) Wunden
zusammenschließen sollten.

Gegen alle möglichen Leiden wurde das Schellkraut (~Chelidonium majus~)
verwendet, das seinen Namen vom Vermögen Warzen abzulösen und die Haut
bei Krankheiten derselben abzuschälen -- vom althochdeutschen ~sceljan~
schälen -- erhielt. In Rußland wird es gegen Krebs gegeben und wurde
von dorther erst kürzlich auch bei uns als Krebsheilmittel empfohlen.
Sein dunkelgelber Milchsaft sollte Gelbsucht heilen und wurde von den
Alchemisten des Mittelalters vorzugsweise zum Goldmachen verwendet,
daher die Pflanze auch Goldwurz heißt. Wegen dieser seiner Fähigkeit,
die zugleich das Vermögen der Herstellung des „Steines der Weisen“ in
sich schloß, der nach dem damals allgemein verbreiteten Glauben seinem
Besitzer ewige Jugend und unermeßliche Reichtümer brachte, da er alle
vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser und Erde enthalten sollte, hieß das
Schellkraut bei den Alchemisten „~coeli donum~“, d. h. Himmelsgabe.
Der botanische Gattungsname ~Chelidonium~ ist aber nicht etwa daraus
hervorgegangen, wie man vermuten könnte, sondern aus dem griechischen
~chelidón~ Schwalbe. Die Pflanze hatte nämlich schon im Volksglauben
des Altertums mancherlei Beziehungen zu diesem Zugvogel. Sie blüht bei
der Ankunft der Schwalben und welkt nach deren Wegzug. Aristoteles, der
Vater der Naturgeschichte und Metaphysik (384-322 v. Chr.), der den
Gelehrten des Mittelalters als absolute Autorität galt, sagt von ihr:
die Schwalben hätten ihren erblindeten Jungen durch deren Milchsaft die
Sehkraft wieder verschafft: dadurch seien überhaupt die Menschen auf
die Heilwirkung der Pflanze aufmerksam geworden. Der 1590 als Leibarzt
des Pfalzgrafen Johann Kasimir in Heidelberg gestorbene berühmte Arzt
Tabernaemontanus (nach seinem Geburtsorte Bergzabern so genannt) gibt
in seinem Kräuterbuch, an dem er -- nebenbei bemerkt -- 36 Jahre
gearbeitet hat, etwa 30 Rezepte an, in denen das Schellkraut einen
wesentlichen Bestandteil bildet; in einem derselben wird der Blütensaft
mit Honig zu Sirup gesotten. Als Amulett sollte die Wurzel stets bei
sich tragen, wer bei seinen Mitmenschen zu hohem Ansehen gelangen
will. Und wer über den Ausgang einer schweren Krankheit Bescheid haben
möchte, der braucht die Pflanze dem Kranken nur auf den Kopf zu legen;
weint der Kranke dabei, so wird er genesen, singt er aber laut und
hell, so muß er sterben.

Auch die +Raute+ (~Ruta graveolens~) sollte mancherlei Zauber- und
Heilkräfte in sich bergen, weshalb sie schon bei den Römern in
hohem Ansehen stand. Aus ihr hergestellte Tränke sollten gegen die
verschiedensten Krankheiten, besonders aber gegen Kolikschmerzen
heilsam sein; gegen diese sollte schon ein über den Kesselbalken des
Herdes aufgehängtes Stengelbündel der Raute helfen. Stücke der Pflanze
um den Hals gehängt sollten Blatternkranken die Sehkraft erhalten;
wer sich vor Schlangengift schützen wollte, der brauchte nur die
Füße damit einzureiben. Der ums Jahr 180 n. Chr. lebende griechische
Sophist Claudius Älianus erzählt in seinen Tiergeschichten: das Wiesel
kenne diese Wirkung sehr wohl. Sobald es den Kampf mit Giftschlangen
zu unternehmen beabsichtige, fresse es Rautenblätter und dann könnten
ihm diese mit ihrem Gifte nichts anhaben. Besondere Bedeutung erlangte
die Raute durch das Christentum. Es sollte die bösen Geister und das
Ungeziefer vertreiben und, kreuzweise im Zimmer aufgehängt, gegen
Alpdrücken schützen. Aus Rautenöl wurde der „Diebsessig“ hergestellt,
der alle Ansteckungsstoffe unschädlich machen konnte und bis vor kurzem
ein in Apotheken erhältliches Desinfektionsmittel bildete. Seinen
Namen erhielt dieser Stoff von dem Umstande, daß ihn Diebe gewöhnlich
brauchten, um zu Pestzeiten ungefährdet die Wohnungen der Kranken
und Toten plündern zu können. Sie wurde und wird noch jetzt viel in
Bauerngärten angepflanzt und so mancher Bauer im östlichen Deutschland
genießt in jedem Frühjahr ein mit Raute bestreutes Brot, um den Magen
zu reinigen, das Jahr über guten Appetit zu haben und von Krankheiten
verschont zu bleiben.

Noch mehr Zauber wurde mit dem +Johanniskraut+ (~Hypericum perforatum~)
getrieben, dessen Blätter durch das Vorhandensein von Öldrüsen
durchsichtig punktiert erscheinen und dessen Blütenknospen einen an
der Luft sich rot färbenden Saft enthalten, weshalb es auch Blutkraut
genannt wurde. Nach der deutschen Sage war es zur Sommersonnenwende aus
dem Blute des von einem Eber geritzten Gottes Odin hervorgesproßen,
während die christliche Kirche das Kraut aus dem Blute Johannes des
Täufers hervorgehen ließ. An der Johannisfeier wurden Häuser und
Kirchen damit geschmückt, damit Leib, Seele und Besitztum vor Schaden
bewahrt blieben. Man trug das Blutkraut immer bei sich, um vor
Verwundung und Verhexung geschützt zu sein; gefolterte Hexen erhielten
einen aus ihm und Distelsamen gekochten Trank „~Olebanum~“, damit
der Teufel ausfahre und sie bekennen sollten. Deshalb war der Teufel
gegen das Kraut sehr erbost und wollte es vernichten. Zu diesem Zwecke
ließ er sich viele Nadeln machen und zerstach damit die Blätter; doch
verdorrte das Kraut nicht, aber seine Blätter zeigen die Nadelstiche
noch heute. Will man erkennen, ob ein Hexenmeister zugegen sei, so legt
man unter das Tischtuch von der Wurzel des Johanniskrauts, ohne daß
jemand es merkt; sitzt nun ein Zauberkundiger mit zu Tisch, so wird
es ihm sofort übel und er muß hinausgehen. Das Kraut dient auch zu
Liebeszauber, wenn man es sich an die Brust steckt und der betreffenden
Person, deren Liebe man sich zu erringen sucht, begegnen kann. Es kann
aber auch Liebe vertreiben, wenn man es der betreffenden Person in die
Schuhe oder in ein Kleid hineinpraktiziert.

Die +Springwurz+ (~Euphorbia lathyris~) ist eine aus dem
Mittelmeergebiet stammende Pflanze, deren Früchte bei der Reife mit
starkem Geräusch aufspringen, wobei die Samen heftig herausgeschleudert
und so verbreitet werden. Darin glaubte man die Kraft zu erkennen,
wonach die Pflanze die Fähigkeit besitze, alles Geschlossene oder Feste
aufzusprengen und Nägel, Pflöcke usw. auszuziehen. Schon Salomo soll
den „Schamir“ als felsenspaltendes Mittel beim Bau seines Tempels in
Jerusalem benutzt haben. Er hatte sich ihn dadurch verschafft, daß er
das Nest und die Brut eines „Urhahns“ mit einem „Kristall“ bedecken
ließ; der Vogel holte nun den Schamir herbei und wollte damit den Stein
wegsprengen, da liefen die Leute des Königs mit großem Geschrei herbei,
und der Urhahn ließ vor Schreck die Wurzel fallen, die man dem Könige
brachte. In Deutschland wuchs diese Springwurz nicht, man konnte sie
sich nur in der Weise beschaffen, daß man das Nest eines Schwarzspechts
mit einem Pflock verschloß, dann holte der Vogel die Springwurz herbei
und hielt sie an den Pflock, wie der ältere Plinius nach Demokrit und
Theophrast erzählen; in diesem Moment mußte man unter dem Nest einen
roten Mantel ausbreiten und ein lautes Geschrei erheben, dann erschrak
der Vogel und ließ die Springwurz zu Boden fallen. Der gelehrte
Konrad von Megenberg (um 1309 auf dem Schlosse Megenberg in Franken,
dessen Vogt sein Vater war, geboren und 1374 als Kanonikus am Dom zu
Regensburg gestorben), der Verfasser der ersten Naturgeschichte in
deutscher Sprache, bemerkt dazu, es sei nicht gut, wenn dieses Mittel
allgemein bekannt würde, denn dann wäre kein Schloß mehr sicher. Diese
Wirkung des Krautes galt als sehr weitgehend, indem bei Berührung mit
demselben dem Gefesselten die Ketten und Bande, wie dem Zahnkranken
die hohlen Zähne ausfallen sollten, das Pferd seine Hufeisen verliere
usw. Außer dem Specht kennen auch Elster, Rabe, Wiedehopf und Schwalbe
diese Eigenschaft des Krautes. Der Specht mit seiner Springwurz war im
römischen Altertum das Symbol des Blitzes; wie dieser alles spalten und
öffnen kann, so der Specht beziehungsweise die Springwurz. Auch in der
germanischen Göttersage spielt sie eine gewisse Rolle. Als sich nämlich
Gerda weigerte, Fros Weib zu werden, und selbst die Lockung durch die
goldenen Äpfel nichts nutzten, so drohte man ihr mit der Springwurz,
die sie schon zwingen werde. Deshalb wurde letztere auch Zähmezweig
genannt. Sonst dienten die Samen als Purgierkörner und der Saft als
Blutreinigungsmittel bei Flechten und anderen Hautausschlägen. Daher
empfahl Karl der Große den Anbau des „Pillenkrautes“.

Mit dem zauberkundigen jüdischen Könige Salomo hängt auch der
+Salomonssiegel+ (~Polygonatum anceps~ und ~P. multiflorum~) zusammen;
dieser soll die Siegeleindrücken gleichenden Narben der vorjährigen
Sprosse am wagrecht im Boden kriechenden Wurzelstock verursacht haben,
um anzuzeigen, daß der Pflanze besondere Kräfte innewohnen. Er soll sie
auch als Sprengmittel beim Tempelbau verwendet haben.

Einen ähnlichen unterirdischen Wurzelstock besitzt der +Wurmfarn+
(~Polystichum filix mas~), der nur in der an Zauber reichen
Johannisnacht mit goldenem Lichterglanz blüht. Es sind dies die Sporen,
die aber nur mit Hilfe des Teufels erlangt werden können, die von
großer Kraft gegen Verhexung, Irregehen und Erkrankung im allgemeinen
sein und immerwährende Jugend, Glück, Reichtum und die Erfüllung aller
Wünsche verleihen sollten. Wird der „Wünschelsame“ in den Schuhen
getragen, so sollte er unsichtbar machen.

Die +Siegwurz+ oder der +Allermannsharnisch+ verhilft zu Sieg und
schützt gegen Zauberei und Krankheit, die dem Menschen auf niedriger
Kulturstufe auch nur Folge von Verhexung ist. Und zwar unterschied
das Volk zweierlei Art: die weibliche Siegwurz war ~Gladiolus~ (von
~gladius~ Schwert) ~communis~. Schon die schwertförmigen Blätter
sollten die Schutzwirkung anzeigen, und die von netzigen Fasern, den
Resten der Blattgefäßbündel, bekleidete rundliche Knolle erschien
wie ein Panzerhemd oder Harnisch. Die männliche Siegwurz dagegen
war ~Allium victorialis~. Ihre längliche Zwiebel hat ebenfalls eine
netzfaserige Hülle; dem sie Tragenden sollen sieben Hämmer nichts
anhaben können, daher wird sie auch „Siebenhämmerlein“ genannt. Um
für alle Fälle die gewünschte Schutzwirkung zu besitzen, wurden die
beiden Wurzeln als Mann und Frau zusammengetan. Noch bis in unsere
Zeit verlangten die Bauern in Norddeutschland in den Apotheken „He un
Se“, d. h. Er und Sie, und nagelten sie zum Schutze gegen Zauberei
und Teufelsspuk an ihre Türen. Auch in der Schweiz hängt man ~Allium
victorialis~ gegen Unwetter und Hexerei in der Wohnung auf; aufs Bett
gelegt wirke es gegen Albdrücken und in ein Tuch eingebunden heile es
Zahnschmerzen und Kopfweh. Der vorhin angeführte Arzt Tabernaemontanus
sagt in seinem Kräuterbuch, daß die Bergknappen sie mit sich führen,
um damit die Gespenster und bösen Geister zu vertreiben, von denen
sie angefochten werden. Besonders aber ward sie von den Landsknechten
hochgehalten, die sie als Amulett stets bei sich trugen, um hieb-,
stich- und schußfest zu sein.

Das durch zwei hodenförmige, als Reservestoffbehälter dienende Knollen
ausgezeichnete +Knabenkraut+ (~Orchis maculata~) diente zu Liebeszauber
und war als „Heiratswurz“ gesucht. Wird die Pflanze am Johannistage
ausgerissen, so bleibt sie monatelang grün und hält alle Krankheit
von den Bewohnern fern. Wird sie in die Kleider genäht, so erwirbt
sie dem Träger derselben die Zuneigung der Menschen. Die handförmig
geteilten Knollen des breitblätterigen Knabenkrautes aber dienten
als „Teufelshand“ als Talisman gegen den bösen Blick, Verhexung und
Krankheit, die natürlich wie alles Unerklärliche auch auf Zauberei
zurückgeführt wurde. Wer sie bei sich trägt, hat Glück im Spiel und
immer Geld im Beutel; nur darf man sie nicht im Hause aufbewahren,
da sonst den Kühen die Milch schwindet. Sie ist aber nur dann eine
Glückshand, wenn sie am Johannistage mittags oder nachts 12 Uhr
ausgegraben wurde.

Besonders stark beschäftigte die Volksphantasie die so geheimnisvoll
nie auf dem Boden, sondern stets nur auf Bäumen wachsende +Mistel+
(~Viscum album~), die im Winter, während sonst alles abstirbt,
weitergrünt; deshalb vermochte sie allein den Sonnengott Balder zu
töten, als der tückische Loki den blinden Hödur bewog, einen aus
Mistelholz geschnitzten Pfeil gegen ihn abzuschießen. Besonders
zauberkräftig war die allerdings äußerst selten auf einer Eiche
wachsend gefundene Mistel, die die allerschlimmsten Krankheiten heilte,
alle Giftwirkung aufhob und allem Fruchtbarkeit verlieh. Schon bei den
Kelten genoß sie das größte Ansehen. War eine solche Rarität entdeckt,
so holten sie die Druiden in feierlichem Aufzuge am sechsten Tage nach
dem Neumond. Zuerst wurden unter dem Baum allerlei Opfer dargebracht,
dann schnitt der weißgekleidete Oberpriester die zauberkräftige Pflanze
mit goldener Sichel ab und verbarg sie in seinem Mantel. Als Sühne für
den Frevel wurden dann zwei weiße Stiere geopfert und bei dem darauf
folgenden Opferschmause besondere Riten beobachtet. Die Mistel heißt
noch heute in der Altmark „Heil allen Schaden“. Am wirksamsten ist
eine mit dem Pfeil vom Baume geschossene Mistel, die man, ehe sie zu
Boden fällt, mit der linken Hand auffängt; dazu muß aber die Sonne im
Zeichen des Schützen stehen und der Mond im abnehmenden Licht sein. Da
die Zweige der Mistel immer gabelig sind, so erblickte man darin eine
Wünschelrute, welche Türen zu verborgenen Schätzen öffnen und Diebe
bannen sollte. Sie hilft gegen Albdrücken und verleiht Fruchtbarkeit.
So wurde sie als segenspendendes Symbol am Julfest in der Halle
aufgehängt und band man Zweige von ihr in der Christnacht an die
Obstbäume, damit sie im kommenden Jahre recht reichlich Frucht tragen
möchten.

Geheimnisvolle Kräfte barg nach altgermanischem Glauben auch der dem
Donnar heilige +Haselstrauch+ (~Corylus avellana~). Wurden Runen in
einen Haselstock geschnitten und das richtige Zauberlied dazu gesungen,
so war das für die verschiedensten Dinge gut: es machte unverwundbar,
der fliegende Pfeil wurde dadurch im Fluge gehemmt, wunde Glieder
wurden geheilt, Feuer, Sturm und Wellen gedämpft, der Sieg errungen,
streitende Männer versöhnt, Gefangene gelöst und die Minne der Frauen
errungen. Diese Macht ist wohl dem frühen Blühen der Hasel, vor allen
anderen Pflanzen unserer Zone, zuzuschreiben. Daher war sie auch
ein Sinnbild des Lebens und seiner Neuerstehung nach dem Winter,
das Fruchtbarkeit verlieh. Hasel- und Holderzweig zusammengebunden,
schützten vor dem wilden Heer, verscheuchten die Irrlichter,
bewahrten vor Diebstahl und Verhexung, bannten Giftschlangen und
entzauberten verhexte Gegenstände. Unter dem Haselstrauch, der eine
Mistel trägt, wohnt der Haselwurm oder Schlangenkönig, eine weiße,
gekrönte Schlange von fabelhafter Stärke, die durch den dicksten
Eichbaum wie nichts hindurchfuhr. Um ihn einzufangen, mußte man den
betreffenden Haselstrauch im Namen Gottes begrüßen, ihn ausgraben, den
darunterliegenden Wurm durch Hersagen eines gewissen Zauberspruches
„besprechen“ und mit Beifuß bestreuen; das nahm ihm seine Kraft. Im
Besitze des Haselwurmes kannte man alle geheimen Kräfte der Pflanzen,
war gegen alle bösen Geister und alle Zauberei übelwollender Menschen
gesichert, fand alle verborgenen Schätze, konnte durch alle Türen
brechen, war unverwundbar und unsichtbar. Sogar der Böse mußte einem
zu Willen sein. Aber in jeder Nacht zwischen 11 und 12 Uhr mußte der
Haselwurm mit einem Ei und Raute gefüttert werden.

Auch der +Wacholderstrauch+ (~Juniperus communis~) galt den alten
Deutschen als mit wunderbaren Zauber- und Heilkräften begabt und
spielte als solcher in Sitte und Sage eine große Rolle. Noch heute
hält das Volk große Stücke auf den Kranawitt- oder Machandelbaum,
dessen Beeren und aus dem Holz gewonnenes Öl seit dem Altertum als
Volksheilmittel viel gebraucht werden. Wacholderreisig verwendeten die
alten Germanen zu ihren Opfern und beim Verbrennen der Toten. Nach
altem Volksglauben schützt der Rauch verbrannter Zweige vor Ansteckung
und vertreibt böse Geister und Schlangen.

Eine Allerweltszauberpflanze war ferner der +Alraun+ oder das Erd-,
Gold- oder Galgenmännlein, so genannt, weil er unter dem Galgen aus dem
Samen eines unschuldig gehängten jungen Diebes hervorgehen sollte. Doch
ist die Erlangung desselben mit allerlei Gefahren verbunden. Der in der
Wurzel hausend gedachte Geist schrie beim Herausgraben so entsetzlich,
daß man vor Entsetzen starb; daher benutzte man bei deren Gewinnung
einen schwarzen Hund, der aber bei diesem Geschäft das Leben einbüßte.
Die Wurzel mußte an einem Freitag vor Sonnenaufgang ausgegraben
werden, und zwar legte man sie zuerst ringsherum frei, schlug drei
Kreuze, sprach einen Zauberspruch, band einen Strick daran und ließ
sie durch den schwarzen Hund, an dem kein weißes Haar sein durfte,
vermittelst des Schwanzes herausziehen, nachdem man sich vorher die
Ohren sorgfältig mit Wachs verstopft hatte. Eben diese Gewinnungsart,
die stets gleich geschildert wird, erzählte eine alte Frau in Göttingen
~Dr.~ Crome. Das dabei im Jahre 1820 unter dem Hochgericht auf dem
Leineberge bei jener Stadt gewonnene „Alruneken“ habe den Mann, der
es sich mit Hilfe des Teufels verschaffte, sehr reich gemacht. Solche
Alraune verschafften nicht bloß Reichtum, sondern schützten vor allem
Zauber, machten ihren Besitzer unsichtbar, öffneten die verschlossenen
Türen, bewahrten vor Blitzschlag, gaben Glück zu jedem Tun, Gesundheit
und kinderlosen Frauen Fruchtbarkeit. Sie mußten sehr heimlich
gehalten, am besten in einem Holzkästchen verwahrt werden und wurden
bloß beim Schätzeheben, Wahrsagen und sonstiger von ihnen verlangter
Arbeit hervorgeholt. Man setzte ihnen bei jeder Mahlzeit etwas zu
essen und zu trinken vor, wusch sie alle Freitage oder Sonnabende mit
Wein oder Wasser, zog ihnen an Neumonden frische Kleider aus weißer
oder roter Seide an. Starb ihr Besitzer, so wurde der Alraun auf den
jüngsten Sohn vererbt; starb dieser aber vor dem Vater, so erhielt ihn
der älteste Bruder. Er war der beste Talisman gegen Erkrankung, und
da er sonst noch alle möglichen guten Eigenschaften aufwies, so wurde
er geradezu mit Gold aufgewogen und ein schwunghafter Handel mit ihm
getrieben.

Schon das früheste Altertum hat ihn gekannt und verehrt. Er wurde
ursprünglich aus der fleischigen Pfahlwurzel einer im ganzen
Mittelmeergebiet heimischen Nachtschattenart, der ~Mandragora
officinalis~ mit grünlichgelben Blüten und gelben Beeren von 1,5 cm
Durchmesser, gewonnen. Diese sollte der menschlichen Gestalt ähnlich
sein, was schon Pythagoras bezeugt, und wurde deshalb als ein
mit Zauberkraft wie alle Geister Verstorbener ausgestattetes
Erdmännlein oder Erdweiblein -- denn man unterschied auch hier
zweierlei Geschlechter -- angesehen. Aber ganz abgesehen von ihrer
Zauberkraft, barg die Wurzel betäubende Stoffe, weshalb man sie im
Altertum zur Schmerzlinderung vor chirurgischen Operationen gab. Noch
im Mittelalter wurde ihr Saft mit demjenigen von Bilsenkraut und
Mohn als Betäubungsmittel verabreicht. Im Abendlande, wo die echte
Mandragora nicht mehr gedeiht, ersetzte man sie vielfach durch die
rübenförmige Wurzel der +Zaunrübe+ (~Bryonia dioica~), die an Zäunen
und Hecken wächst. Ihr Saft dient seit alter Zeit als Abführmittel
und sie selbst als Alraun, der zu mannigfaltiger Zauberei, namentlich
aber zu Liebeszauber benutzt wurde. Noch heute ist auf dem Lande der
Glaube verbreitet, daß, wenn ein Mädchen auf dem Gange zur Kirmeß ein
Stückchen Wurzel der Zaunrübe in die Schuhe lege, ihr alle Burschen
zufliegen werden. Der ältere Plinius berichtet, daß sie vor Raubtieren
schütze und Knochensplitter aus Wunden ziehe, den Ertrag der Milch
vermehre und das Verderben derselben verhindere. Die Jungfrau von
Orleans soll einen Alraun besessen haben, daher ihre Erfolge. Der
in der Bibel mehrfach erwähnte ~dudaim~, von Luther mit „Lilien“
übersetzt, wird vielfach als Alraun gedeutet, ist aber wahrscheinlicher
die auch heute noch im Orient vielfach zu Liebeszauber benutzte Frucht
von ~Cucumis dudaim~.

Es würde uns zu weit führen, hier alle die zahllosen Pflanzen
anzuführen, die bei unseren Vorfahren als Arznei und Zaubermittel
gebraucht wurden, und wie bei ihnen war es bei den anderen Völkern.
Das erkennen wir deutlich an der Herkunft des griechischen Wortes
~phármakon~, das unserer Bezeichnung Pharmazie zugrunde liegt und
sowohl Zauber- als Heilmittel heißt. Pharmakis bedeutet die Zauberin,
und diese war bei den alten Griechen zugleich Ärztin, die mit eigener
Hand die mancherlei ihr als heilkräftig bekannten Kräuter sammelte
und daraus die verschiedenen Heiltränke bereitete. Erst sehr spät
wandten sich die Männer berufsmäßig dem Sammeln und Verkaufen der
pflanzlichen Rohstoffe zu. Die Griechen nannten sie Rhizotomen oder
Wurzelschneider, und erst als sie nach und nach auch die Zubereitung
und den Verkauf der von den Ärzten angewandten Arzneien übernahmen,
wurden sie ~pharmakopóles~, d. h. Arzneiverkäufer, genannt. Aus ihnen
wurden dann die Pharmazeuten im Sinne von Arzneibereitern, die später
auch Apotheker hießen nach der griechischen Bezeichnung ~apothékē~
Aufbewahrungsort (für Kräuter nämlich). Dieser von den Römern als
~apotheca~ übernommene Ausdruck bedeutete später überhaupt das
Lager der Arzneipflanzen, weshalb es im Mittelalter als Krauthausz
verdeutscht wurde. In der mittelalterlichen Klosterwirtschaft wurde
unter dem Wort Apotheke der Raum für die Heilkräuter verstanden, der
im 13. Jahrhundert auch auf städtische Kräuterläden, in denen meist
getrocknete Heilpflanzen feilgehalten wurden, überging. Nun verstanden
begreiflicherweise die darin waltenden Apotheker Hilfe suchenden
Kranken auch verwickeltere Arzneien, die zu Hause nicht so leicht
bereitet werden konnten, herzustellen, was gerne benutzt wurde. So
wurden sie allmählich von Heilkräuterverkäufern zu Bereitern von aus
den Heilkräutern hergestellten Arzneien. Bei der Arzneibereitung
war das Mischen der verschiedenen Stoffe das Wichtigste; der dafür
im mittellateinischen gebrauchte Ausdruck ~conficere~ mengen führte
dazu, das Produkt als ~confectum~ zu bezeichnen. Da nun die meisten
Arzneistoffe des besseren Einnehmens wegen in Honig und später in
Zucker eingebettet wurden, so bekam dann das Wort Konfekt mit der
Zeit den Sinn einer künstlich bereiteten Süßware überhaupt, wobei der
ursprüngliche Bezug auf Heilkraft mehr und mehr verschwand, so daß
heute dieser Ausdruck nur Zuckerzeug bedeutet.

Nach dem Untergang der antiken Welt waren es in erster Linie die Araber
gewesen, die von den Kulturvölkern des Altertums die Arzneikunde und
Kenntnis der dabei angewandten Heilmittel übernahmen, um sie zur Zeit
der Kreuzzüge den Abendländern zu vermitteln. Dabei lehrten sie diese
auch allerlei neue Arzneiformen wie beispielsweise die Sirupe bereiten,
die durchaus ein Geschenk arabischer Heilkunst sind. Aus dem arabischen
~scharâb~ Trank wurde das spanische ~scharope~, das italienische
~sciroppo~, ~siropo~, das französische ~sirop~ und schließlich im 12.
oder 13. Jahrhundert das deutsche Sirup. Es war dies ein dickflüssiger
Trank, der sorgfältig aus allerlei Kräutern und Gewürzen mit Hilfe von
Honig und später Zucker bereitet wurde. Häufig wurde er nach arabischem
Muster mit Rosen- oder Veilchenwasser parfümiert. Sonst waren die
wichtigsten Arzneiformen des Mittelalters die Elektuarien, im Deutschen
zu ~latweri~ und zuletzt ~latwerg~ umgebildet. Es waren dies durch
Kochen eingedickte Säfte verschiedener Heil- und Würzkräuter, die nach
dem Wortlaute der ursprünglich griechischen Bezeichnung ~ekleiktón~
zerleckt werden sollten. Sie wurden entweder wie Salben in Büchsen,
oder in Würfel geschnitten als Zeltelîn, oder in Stangenform gegossen,
wie heute noch der eingedickte Lakritzensaft, aufbewahrt. Höchst selten
gelangten Pulver und gar nie Pillen zur Anwendung, welch letztere erst
in der Neuzeit in Aufnahme kamen.

Abgesehen von der arabischen Hochschule von Cordova, in der neben
anderen Wissenschaften auch die Medizin und Alchemie reiche Pflege
fanden, war Salerno in Unteritalien die älteste Pflegestätte der
wissenschaftlich betriebenen Medizin in Europa. Im 12. Jahrhundert
erließ König Roger von Neapel die erste Medizinalverfassung, die dann
der seiner Zeit weit vorauseilende Kaiser Friedrich II. ausbaute und
zu der er die erste Arzneitaxe hinzufügte. Erst sehr viel später wurde
dann in Mitteleuropa die staatliche Überwachung über Zubereitung und
Verkauf der Arzneimittel eingeführt, nachdem vom Beginne des 12.
Jahrhunderts an sich in Frankreich, Deutschland usw. die Pharmazie von
der Medizin getrennt hatte und reguläre Apotheken eingerichtet worden
waren. Schon im 14. Jahrhundert erblühte eine freilich der Hauptsache
nach alchemistische Literatur über die verschiedenen Präparate und
Rohstoffe des Arzneischatzes, als deren vornehmste Träger Raimundus
Lullus, Basilius Valentius, Albertus Magnus und Roger Baco zu nennen
sind. Erst ganz allmählich und besonders durch die immer bedeutendere
Förderung von seiten der Chemie konnte die Arzneimittellehre eine
einigermaßen rationelle Gestaltung annehmen und sich von dem ungeheuren
Wust und Ballast befreien, den viele Jahrhunderte in ihr aufgehäuft
hatten. Immer mehr wurde die einst ganz unglaublich zahlreiche Menge
der in den Apotheken gehaltenen Arzneistoffe eingeschränkt, so daß
heute weitaus die Mehrzahl der einst arzneilichen Pflanzen nur
durch das Anhängsel „~officinalis~“ hinter ihrem Namen als solche
gekennzeichnet ist, jedoch keinerlei Verwendung mehr im Arzneischatze
findet. Im folgenden sollen nun Herkunft und Verwendung nur der
wichtigsten pflanzlichen Arzneimittel in Kürze besprochen werden.

Das Wort ~droga~ bedeutete ursprünglich einen wertvollen Arzneirohstoff
vorwiegend aus der Gruppe der aromatischen Stoffe; doch scheint man
bereits im 16. Jahrhundert den Begriff des Getrockneten damit verbunden
zu haben. Sonst nannten die Lateiner des Mittelalters die arzneilichen
Rohstoffe ~simplicia~ im Gegensatz zu den zusammengesetzten
Arzneimitteln, die man als ~composita~ bezeichnete. Nach Tschirch ist
heute noch in den holländischen Apotheken der Ausdruck ~simplicia~ für
Drogen in Anwendung, und auch in Frankreich nennt man sie ~médicaments
simples~.

Solche Drogen waren um so geschätzter und teurer, je schwieriger sie zu
beschaffen waren. Dabei spielte vielfach schon die Art der Gewinnung
eine wichtige Rolle. Bis in die Neuzeit hinein waren nämlich nicht nur
vom Volke, sondern auch von den Ärzten genau einzuhaltene Vorschriften
bei der Herstellung von solchen gefordert. Wie bei den Menschen auf
niederer Kulturstufe die bei der Einnahme einer Arznei gesprochene
Zauberformel viel wichtiger als diese selbst ist, so achtete man auch
bei uns bis vor noch nicht sehr langer Zeit genau auf die „Segen“,
die bei der Gewinnung gewisser Drogen und dann wiederum bei der
Herstellung der einzelnen daraus bereiteten Medikamente gesprochen
werden mußten, wenn sie wirksam sein sollten. So sind nicht nur in
den mittelalterlichen Kräuterbüchern, sondern auch in den bis ins 19.
Jahrhundert hinein von Ärzten, Apothekern, aber auch allen besseren
Familien, besonders des Adels geführten Arzneibüchlein, in denen die
verschiedensten, von Geschlecht zu Geschlecht vererbten Rezepte zur
Bereitung von Arzneien sorgsam zu allgemeinem Nutzen gesammelt wurden,
jeweilen auch gewissenhaft die bei der Bereitung und Anwendung der
betreffenden Heiltränke zu sprechenden „Segen“ notiert. Ließ man diese
außer acht, so glaubte man, werde auch die Arznei trotz sorgfältigster
Bereitung nicht die gewünschte Wirkung ausüben.

Wie für körperliche Krankheiten wurden Heiltränke aber auch für
Liebes- und andern Zauber von den Laien so gut als von den Ärzten und
Apothekern bereitet. Mit Vorliebe wurde das heilige Salböl und die
Hostie, die heute noch vom Volke kraft der Weihung durch den Priester
als mit besonderen Wunderkräften ausgestattet angesehen werden, zu
solchem Liebeszauber, wie auch zu Krankheitszauber aller Art benutzt.
Schon Kaiser Karl der Große verbot in einer Verordnung im Jahre 813 den
Priestern bei schwerer Strafe, solches unter keinem Vorwand zu Heil-
oder Zauberzwecken irgend welcher Art herzugeben. Und drei Jahrhunderte
später beschwor Bruder Berthold namentlich die Bauern, weder mit dem
Chrisma, noch gar mit der Hostie Zauberei zu treiben.

Auch ohne Beimengung von Pflanzenextrakten galt der +Wein+ an
sich schon als Heiltrank; er diente innerlich zum Kräftigen und
Wiederbeleben der Körperfunktionen, und äußerlich zum Waschen der
Wunden, bevor sie mit Öl getränkt wurden, wie dies ja schon im
Altertum der Fall war. Es sei hier nur an die bekannte Geschichte vom
barmherzigen Samariter erinnert. Mit Wein wurde unter anderm die im
Mittelalter sehr oft genannte ~potio Paulina~, der Trank des heiligen
Paulus bereitet, wohl so genannt mit Anspielung darauf, daß der
Apostel Paulus dem Thimotheus Wein gegen schwachen Magen und allerhand
Krankheitsbeschwerden empfiehlt. Diese ~potio Paulina~ war eine Art
Universalmittel, die alle Krankheiten des Kopfes, des Magens, der
Brust, Schlagfluß, Lähmung und Pest heilen und den Mensch verjüngen
und verschönen sollte; nur mußte sie häufig genossen werden, was sich
aber nicht jedermann leisten konnte. Die letztere Vorschrift hat nach
dem Berichte des Chronisten Thietmar von Merseburg (geboren 976 als
Sohn des Grafen Siegfried von Walbeck, seit 1009 Bischof von Merseburg,
gestorben 1019) der Markgraf Liuthar zu wörtlich befolgt; dadurch zog
er sich durch den paulinischen Trank einen schweren Rausch zu und starb
dabei plötzlich. Übrigens ist diese ~potio Paulina~ nichts anderes als
der aus dem Altertum überkommene, überaus geschätzte Alantwein, der aus
der Wurzel des +Alant+krautes (~Inula helenium~) mit Zusatz von Honig
durch ein umständliches Verfahren gewonnen wurde. Die Alantpflanze
ist eine hohe Staude mit großen, rauhen Blättern und umfangreichen
gelben, mit großen Strahlenblüten versehenen Köpfchen, die in ganz
Südeuropa bis Persien heimisch ist. Sie wurde schon bei den Griechen
und Römern kultiviert. Columella um die Mitte des 1. christlichen
Jahrhunderts gibt uns ausführliche Anweisungen über deren Anbau. Nach
ihm soll sie auf gut gedüngtem, tief gegrabenem Boden drei Fuß weit
auseinandergesät und möglichst wenig versetzt werden, damit sie besser
wachse. Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius (gestorben 79 n. Chr. beim
Vesuvausbruch, der Pompeji und Herkulanum verschüttete), sagt in seiner
Naturgeschichte, der Alant sei an sich dem Magen nachteilig, werde aber
durch Zusatz von Süßem sehr heilsam. „Man trocknet die Alantwurzel,
stößt sie zu Pulver, tut dann eine Süßigkeit hinzu, oder man kocht sie
mit einer Mischung von Essig und Wasser und gibt dazu noch eingekochten
Weinmost, Honig, Rosinen und saftige Datteln. Man genießt sie auch mit
Quitten, Spierlingsfrüchten (einer Art Mehlbeeren), Pflaumen, wozu
man auch wohl Pfeffer und Thymian hinzusetzt. In dieser Weise dient
die Alantwurzel als Magenstärkung, und es ist bekannt, daß Julia, die
Tochter des Kaisers Augustus, sie in dieser Weise täglich aß.“ Diese
Wertschätzung blieb der Alantwurzel das ganze Mittelalter hindurch
erhalten. Noch in dem 1604 gedruckten Hausbuch des deutschen Arztes
Colerus wird dem Alantwein, dessen Zubereitung ausführlich geschildert
wird, ganz dieselben Eigenschaften zugeschrieben, die im Mittelalter
von der ~potio Paulina~ gerühmt wurden; er sollte wider alle Gifte
dienen, Brust und Lunge säubern, das Herz stärken und erfreuen, den
verschleimten Magen reinigen, die Verstopfung der Leber und Milz
beseitigen, sowie alle kalte, phlegmatische Feuchtigkeit wegnehmen,
den Weibern die monatliche Reinigung fördern, gegen den Husten dienen,
der von der Erkältung der Brust kommt, den Gries und Stein austreiben,
die Gebärmutter stärken, die natürliche Hitze und Kraft erhalten,
fröhlich und lustig machen und noch manches andere. Helena habe in
Ägypten den Alantwein machen lernen als einen bewährten Trank für
alles Gift, Leid und Trauern. Schon Plinius berichtet, daß die Pflanze
~helenium~ genannt werde, weil sie aus den Tränen der schönen Gattin
des Agamemnon, Helena, hervorgegangen sein soll. Seit alter Zeit wird
sie als sehr heilkräftig auch in Deutschland kultiviert und findet sich
namentlich um Gebirgsdörfer herum verwildert. Ihr dicker Wurzelstock
ist noch heute offizinell, weshalb die Staude auch an einzelnen Orten
auf Feldern gebaut wird.

Seit dem hohen Altertum werden die Blätter und Wurzeln der 1-1,25 m
hohen +Eibisch+staude (~Althaea officinalis~) gegen Husten und als
schleimige Beimengung zu Latwergen und Pillen verwendet. Bei den
alten Griechen und Römern hieß sie ~althaea~, bei Scribonius Largus
~ebiscus~ und ~hibiscum~, zur Zeit Karls des Großen ~mismalva~ oder
~ibischa~, welch letzterer Name sich bei der heiligen Hildegard im
12. Jahrhundert allein vorfindet und zum süddeutschen Ibsche, wie
auch zum norddeutschen Eibisch wurde. Sie wächst auf feuchtem, am
liebsten salzigem Boden in Süd-, aber auch Mitteleuropa bis zur Ostsee,
im gemäßigten West- und Nordasien, in Nordamerika und Australien.
Die 1-1,25 m hohe Staude besitzt filzige Stengel und Blätter, große
fleischfarbene Blüten und wird zur Gewinnung des starken Rhizoms
besonders bei Bamberg, Nürnberg und Schweinfurt im großen kultiviert.
Diese wird im Herbst von der zweijährigen Pflanze gesammelt und frisch
geschält, ist weißgelblich, riecht süßlich, schmeckt fade schleimig und
enthält 35 Prozent Schleim, 37 Prozent Stärke, 10 Prozent Zucker und 2
Prozent Asparagin. Sie dient neben den schleimig schmeckenden Blättern
zur Bereitung von Brusttee. Der mit Zucker gekochte wässerige Auszug
der Wurzel wird zu Sirup und gummöser Paste, ohne Zucker dagegen bei
der Appretur und sonst vielfach verwendet.

Uralt ist auch die Verwendung des +Baldrians+ (~Valeriana
officinalis~), der bekannten Staude mit kurzem, aufrechtem, bis 1 cm
dickem, oft Ausläufer und zahlreiche dünne, stielrunde Nebenwurzeln
treibendem Rhizom, 30-150 cm hohem, oben verästeltem Stengel und
rispigen Dolden von fleischroten, wohlriechenden Blüten. Diese in
ganz Nordeuropa, Nordasien und Japan wachsende Pflanze liefert in
ihrer Wurzel ein sehr wichtiges Arzneimittel. Diese hat eine braune
Außenrinde, riecht nach dem Trocknen eigentümlich kampferartig
unangenehm -- doch lieben bekanntlich die Katzen den Geruch sehr --
und schmeckt gewürzhaft bitter. Sie enthält 0,5-1 Prozent ätherisches
Baldrianöl, das bei der ~kisso~ genannten japanischen Abart mit
schmäleren Blättern bis 6, ja 8 Prozent steigt. Bei den alten
Griechen und Römern war sie unter dem Namen ~phu~ bekannt, der sich
bis zum 15. Jahrhundert in der Literatur erhielt. Daneben kam seit
dem 11. Jahrhundert der Name ~valeriana~ auf, der nach Linné von der
deutschen, auch im Schwedischen gebräuchlichen Bezeichnung Baldrian,
d. h. Baldrs (des Lichtgottes, der als Sohn Odins und Freyas als der
reinste der Asen galt) Kraut abzuleiten ist, vielleicht aber nach dem
römischen Arzte Plinius Valerianus so genannt wurde, oder nur mit dem
lateinischen ~valere~ gesund sein zusammenhängt. Dieser Ausdruck ist
aber vorzugsweise nur von den Ärzten gebraucht worden. Beim deutschen
Landvolk war sie im Mittelalter unter dem Namen Denemarcha, noch früher
Tenemarg bekannt, ein Ausdruck, der sich in einem Teil der Schweiz bis
heute erhielt. Das Infus der Wurzel dient gegen Krämpfe und Hysterie,
wie auch als Reizmittel bei schwachen Nerven.

Ein sehr altes deutsches Volksmittel ist die Bergwohlverleih oder
Mutterwurz genannte ~Arnica montana~, eine auf Bergwiesen Süd- und
Mitteleuropas, in Norddeutschland dagegen in der Ebene wachsende
Komposite mit 30-60 cm hohem, drüsig-kurzhaarigem Stengel und
großen, goldgelben, aromatisch riechenden Blüten, die neben dem in
der ganzen Pflanze enthaltenen Arnizin ein kamillenartig riechendes
ätherisches Öl enthalten. Im schwach aromatisch riechenden und scharf
gewürzhaft, etwas bitter schmeckenden Wurzelstock ist neben Arnizin,
Inulin, Gerbstoff und Gummi zu 1 Prozent das in größeren Dosen Brechen
erregende Arnikaöl enthalten. In gepulvertem Zustand erregt die
Wurzel Niesen. Seit alter Zeit diente die gepulverte Wurzel, in Bier
getrunken, gegen Blutungen, Durchfall, Fieber, Lähmung und Epilepsie,
die im Juni und Juli gesammelten Blüten aber, mit Weingeist ausgezogen,
als vielgerühmtes zerteilendes und Wundmittel. Die schon zu Ende des
16. Jahrhunderts von Joel in Greifswald empfohlene Heilpflanze wurde
erst seit 1712 von den Ärzten häufiger verwendet. 1777 stellte Collin
die Arnikablüten als Fiebermittel den Chinarinden gleich. Da die
heilige Hildegard die Pflanze im 12. Jahrhundert als ~wolfisgelegena~
bezeichnet, muß der Name Wohlverleih auf ~wolfsgele~ (Wolfsgelb)
zurückgeführt werden, der sich übrigens schon vom 10. Jahrhundert an
nachweisen läßt. Das jüngere, von den gelehrten Botanikern erfundene
Wort Arnika ist vom griechischen ~arnákis~ Lammpelz -- wegen der
drüsigen, weichhaarigen Blütenhülle -- abzuleiten. Schon der gelehrte
Basler Botaniker Kaspar Bauhin (1560-1624) bemerkt, daß der gemeine
Mann die Pflanze Wohlverleih, der Arzt aber sie Arnica nenne.

Als Giftpflanze war die +Herbstzeitlose+ (~Colchicum autumnale~, nach
der Stadt Kolchis in Kleinasien, wo die Pflanze nach Dioskurides häufig
vorkam, so geheißen) schon im Altertum und Mittelalter bekannt. Sie
wurde auch Ephemeron genannt, weil man glaubte, daß derjenige, der eine
Zwiebel derselben esse, noch an demselben Tage sterben müsse. Erst
in der Neuzeit fand sie als Gichtmittel arzneiliche Verwendung. Zum
erstenmal finden wir sie 1618 in der englischen Pharmakopoe erwähnt;
in Deutschland aber kam sie erst 1763 durch Störck in Anwendung.
Zeitlose heißt sie, weil sie sich an keine Zeit wie die übrigen
Blütenpflanzen hält, im Herbst blüht und die Samen mit den Blättern
erst im darauffolgenden Frühjahr treibt. Weil sie aber zuerst im Jahre
die Frucht und erst im Herbste die Blüte zeitigt, nannten sie die
Alten auch ~filius ante patrem~, d. h. Sohn vor dem Vater. Statt der
zuerst angewandten, frisch widrig rettigartig riechenden Knollen werden
seit der Empfehlung von ~Dr.~ Williams in Ipswich im Jahre 1820 die
weit haltbareren, im frischen Zustande weißlichen, aber beim Trocknen
dunkelrotbraun werdenden Samen zur Gewinnung des Colchicins angewandt.

Neben der Herbstzeitlose haben wir in der Familie der Giftlilien den
auf den Gebirgswiesen Europas und Nordasiens verbreiteten +Germer+
(~Veratrum album~), auch fälschlich weiße Nießwurz genannt, zu
erwähnen. Die eigentliche +weiße Nießwurz+ (~Helleborus albus~)
ist eine der sogenannten Christrose verwandte Hahnenfußart; beider
Wurzelstock enthält das scharf giftige Veratrin und wurde unter dem
gemeinschaftlichen Namen ~helléberos~, was eine Pflanze, deren Genuß
tödlich wirkt, bedeutet, als eines der berühmtesten Arzneimittel des
Altertums von den Griechen und durch die Vermittlung dieser auch bei
den Römern verwendet. Letztere gebrauchten dafür den einheimischen
Namen ~veratrum~, das von ~verare~ wahrsprechen -- das Niesen deutete
ja nach ihrer Meinung die Bestätigung der Wahrheit an -- abzuleiten
ist. Schon der große Schüler des Aristoteles, Theophrast, unterschied
erstere als weiße und letztere als schwarze ~helléboros~. Erstere sei
selten, und die beste Art derselben wachse auf dem Oeta, letztere
dagegen wachse allenthalben in Griechenland. Nach Dioskurides müssen
die Wurzeln zur Zeit der Weizenernte ausgegraben werden, und zwar
hat man dabei nach Plinius folgende Maßregeln zu beobachten: „Erst
schneidet man um sie herum mit dem Schwert einen Kreis, dann blickt
man nach Osten, fleht zu den Göttern, daß sie gütigst die Erlaubnis
erteilen, sie zu nehmen, und beobachtet dabei den Flug des Adlers. Ein
solcher befindet sich in der Regel in der Nähe; fliegt er näher heran,
so ist dies ein Zeichen, daß derjenige, der die Wurzel geschnitten hat,
noch in demselben Jahre sterben muß.“ Beide Wurzelarten wurden gegen
die verschiedensten Krankheiten gegeben und sollten auch Wahnsinn und
Epilepsie heilen. Heute werden die scharfen in ihnen enthaltenen Stoffe
meist nur noch äußerlich bei Rheumatismus angewandt.

Den Alten nicht bekannt war der +Stechapfel+ (~Datura stramonium~),
der wahrscheinlich aus Persien stammt und durch Vermittlung der aus
Nordindien stammenden Zigeuner erst im 16. Jahrhundert nach Deutschland
gelangte, wo er jetzt überall an Wegen und auf Schutthaufen in der Nähe
von Dörfern und Städten, wo einst die Vertreter jenes Wandervolkes
rasteten, verwildert angetroffen wird. Er wurde von den Zigeunern wie
die weißblütige ~Datura metel~ in Ostindien und Arabien zur Herstellung
von Berauschungsmitteln mit Hanf, Opium, Gewürzen usw. verwendet.
Ebenso bereiteten die alten Peruaner aus den Samen der strauchartigen
~Datura sanguinea~ mit großen, hängenden, halb roten, halb gelben
Blüten einen ~tonga~ genannten berauschenden Trank, den einst die
Priester des Sonnentempels zu Sogamossa, dem peruanischen Orakelsitz,
tranken, um sich mit den Geistern der Verstorbenen in Verbindung zu
setzen; deshalb wird sie heute noch in jenem Lande ~yerba de huaca~, d.
h. Gräberpflanze genannt. Als Arzneimittel gegen Krämpfe, Asthma und
Rheumatismus werden die Blätter und Samen unseres Stechapfels erst seit
1762, da sie Störck in Wien empfahl, angewendet.

[Illustration:

    Tafel 125.

Der Baldrian. (Nach der Natur phot. von H. Dopfer.)]

[Illustration: Die Arnica. (Nach der Natur phot. von H. Dopfer.)]

[Illustration:

    Tafel 126.

Tollkirsche (~Atropa Belladonna~) in einer Waldlichtung bei Weidling
nächst Wien. (Nach einer im Besitz des Botan. Institutes in Wien
befindlichen Phot. von A. Ginzberger.)]

[Illustration: Baumartig kultivierter Rizinus auf den Kanarischen
Inseln. (Nach einer im Besitz des Botan. Institutes zu Wien
befindlichen Phot. von G. Kraskovits.)]

Ebenfalls irgendwo aus Westasien zwischen dem Kaspischen Meer und
Afghanistan scheint das +Bilsenkraut+ (~Hyoscyamus niger~) nach
Europa eingeführt worden zu sein, und zwar schon im Altertum. Der
aus Kilikien gebürtige griechische Arzt Dioskurides beschreibt vier
Arten des Bilsenkrautes, die alle in Griechenland wachsen. Unter ihnen
war die weiße Abart (~H. albus~) die gebräuchlichste und wurde schon
von den Hippokratikern angewandt. Als dem Apollon geweihtes heiliges
Kraut wurde es alljährlich von Kreta nach Rom gebracht und stand als
Liebestrank neben der Mandragora in hohem Ansehen. Daß es Wahnsinn
veranlassen könne, wußte schon Sokrates. Von der Beobachtung, daß
Schweine nach dem Genusse des Krautes in Krämpfe verfallen, soll nach
Helianus der Name ~hyoskýamos~, d. h. Schweinebohne, herrühren, während
Bilsenkraut das Kraut des keltischen Sonnengottes Beal bedeutet. Erst
seit dem Jahre 1762, da eingehende Erfahrungen über die Wirkung des
Bilsenkrautes bekanntgegeben wurden, fand es bei den wissenschaftlich
gebildeten Ärzten als Beruhigungs- und Schlafmittel Anwendung.

Eine dritte Nachtschattenart ist die in Laubwäldern der Gebirgsgegenden
Europas wachsende +Tollkirsche+ (~Atropa belladonna~), die zuerst von
deutschen Botanikern und Ärzten als Giftpflanze erwähnt wird. Erst im
16. Jahrhundert wurde sie in den Arzneischatz eingeführt und findet
sich 1771 in der Württemberger Pharmakopoe angeführt. Die Bezeichnung
Belladonna kam im 16. Jahrhundert in Italien auf, als die Frauen sich
ihrer als kosmetischem Mittel zur Erweiterung der Pupillen bedienten,
während ihr von Linné gewählter Artname von der unerbittlichen Parze
Atropos, d. h. der Unabwendbaren herrührt. Das aus ihr gewonnene
Alkaloid Atropin, das in der Augenheilkunde und als krampfstillendes
Mittel eine große Rolle spielt, wurde 1831 von Mein zuerst isoliert.
Einen ähnlichen Stoff stellten 1833 Geiger und Hesse aus dem
Stechapfel dar, dessen Identität mit Atropin dann Planta nachwies. Zur
Verarbeitung gelangen die in der Blütezeit im Juni und Juli gesammelten
Blätter 2-4jähriger Pflanzen, die bei 30° C. rasch getrocknet werden,
aber nicht über ein Jahr aufbewahrt werden dürfen. Die Blätter wilder
Pflanzen enthalten etwas mehr Alkaloid als diejenigen kultivierter
Pflanzen.

Auch die Geschichte des neuerdings als ausgezeichnetes Herzmittel zu
so großem Ansehen gelangten +rotblühenden Fingerhutes+ (~Digitalis
purpurea~) läßt sich als innerlich angewandte Droge nur bis zum 16.
Jahrhundert verfolgen; äußerlich wurde diese Pflanze teilweise schon
im 10. Jahrhundert in Form von Umschlägen oder als Blätterdekokt
gegen Geschwüre verwendet. Gegen Wassersucht brauchte sie zuerst der
englische Arzt Withering (1741-1799) in Birmingham, und 1783 wurde sie
in die Edinburger Pharmakopoe aufgenommen. Das Wort Digitalis, das
zuerst der als Professor der Botanik in Tübingen verstorbene Bayer
Leonhard Fuchs (1501-1566) 1542 aufbrachte, ist vom lateinischen
~digitabulum~ Fingerhut abzuleiten. Auch vom Fingerhut werden die
sorgfältig im Schatten getrockneten, am besten zu Beginn der Blütezeit
gesammelten Blätter wildwachsender Pflanzen verwendet.

Seit dem frühesten Altertum war der +Eisenhut+ (~Aconitum napellus~)
den Völkern gebirgiger Gegenden, in denen er mit Vorliebe wächst, als
äußerst starkes Gift bekannt. So dienten die knollig aufgetriebenen
Wurzeln, nach denen die Pflanze den Beinamen ~napellus~, d. h.
Rübchen hat, den alten Deutschen als Wolfswurz und den alten Griechen
als ~lykóktonon~, d. h. Wolftöter zum Vergiften wilder Raubtiere,
besonders des die Herden umschleichenden Wolfes, wie diejenigen
der noch giftigeren Art, ~Aconitum ferox~, des Himalaja von den
dortigen Bewohnern zum Vergiften der Pfeile benutzt wird. Nach dem
griechischen Mythos soll schon die zauberkundige Medeia, Tochter des
Königs Aetes von Kolchis, ein Gift daraus bereitet haben, womit sie
nach der Verstoßung durch ihren Gatten Jason ihre Kinder tötete.
Auch soll man nach einigen Angaben aus dem Altertum Verbrecher damit
hingerichtet haben; ebenso diente sie noch im 16. Jahrhundert den
Älplern zur Bereitung von Pfeilgift. Als Arzneimittel gegen Kopfweh
und Wechselfieber wurde sie seit dem 17. Jahrhundert in den Apotheken
geführt, kam aber erst durch die Empfehlung des Wiener Arztes A.
Störck seit 1762 allgemeiner in Gebrauch. In den Handel gelangen die
zu Ende der Blütezeit im Juli und August von wildwachsenden Pflanzen
gesammelten und rasch an der Luft getrockneten Knollen. Sie enthalten
bis 0,8 Prozent des 1833 von Geiger und Hesse entdeckten Alkaloids
Akonitin, das zur Herabsetzung von Temperatur und Puls im Fieber, wie
auch zur Herabminderung von Schmerzen peripherer Nerven dient.

Äußerst beliebt als Volksheilmittel gegen alle möglichen Beschwerden
ist die +Kamille+ (~Matricaria chamomilla~) seit dem Altertum, da
sie Hippokrates als ~euánthemos~, d. h. gute Blume, Dioskurides
als ~anthemís~ und ~anthýllis~ und Galenos als ~anthemís~ und
~chamaimḗlon~, d. h. am Boden wachsender Apfel, empfehlend erwähnen.
Aus letzterer Bezeichnung ging dann der Name Chamemilla hervor, der uns
bei Till Lants zu Ende des 17. Jahrhunderts zuerst entgegentritt.

Als beliebtes Bittermittel ist seit dem Altertum die Wurzel des auf
Bergwiesen wachsenden +Enzians+ (~Gentiana lutea~ u. a.) gebräuchlich,
von der meistens ein wässeriger Extrakt zur Anwendung gelangte.
Von den beiden Zeitgenossen Dioskurides und Plinius wird der Name
~gentiana~ auf den 167 v. Chr. verstorbenen König Genthius von Illyrien
zurückgeführt, der sie als Mittel gegen die Pest empfohlen haben soll.
Galenos und Cletius Abascantus benutzten sie gegen die Auszehrung,
Origines gegen Blutspeien und Coelius Aurelianus gegen Spulwürmer.
Nach Celsus und Scribonius Largus war die Wurzel auch als Antidot im
Gebrauch und bis zur Einführung der Laminariastifte wurde sie von den
Chirurgen auch als Quellstift benutzt. Seit dem Mittelalter wird auch
ein gegen Kolik dienlicher Schnaps aus ihr gebrannt, der besonders bei
den Älplern viel benutzt wird.

Die im mitteleuropäischen Gebirge und im nördlichen Europa bis
Sibirien heimische +Engelwurz+ (~Angelica officinalis~) dient in
ihrer Heimat als beliebtes Gemüse und fand von altersher -- so
haben wir diesbezügliche Berichte aus dem 10. Jahrhundert -- als
appetitbeförderndes und krampfstillendes Mittel Verwendung. In
Deutschland wurde sie im 14. und 15. Jahrhundert als Gewürzpflanze
eingeführt und galt bald als ein Hauptmittel gegen die Pest, diente
auch zur Bereitung des Angelikaschnapses, dessen Darstellung im Jahre
1500 von Brunschwig beschrieben wurde. Im 16. Jahrhundert finden wir
die Pflanze des öfteren erwähnt und bereits an vielen Orten kultiviert;
besonderen Ruf hatten zu jener Zeit die Angelikawurzeln aus den Gärten
der Mönchsklöster von Freiburg im Breisgau. Obschon die Pflanze in den
Mittelmeerländern nicht vorkommt und daher den Alten unbekannt war,
glaubten die alten deutschen Ärzte und Botaniker in ihr das ~Panas
heracleum~, das Smyrnion, ja selbst das Silphium der alten Griechen vor
sich zu haben, was natürlich völlig irrig war. Das destillierte Öl der
graubraunen, scharf gewürzhaft und etwas bitter schmeckenden Wurzel
wurde erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewonnen und wird
zum erstenmal 1582 in der Arzneitaxe der Stadt Frankfurt und 1589 im
~Dispensatorium noricum~ aufgeführt.

Die wurmabtreibende Wirkung der +Farnwurzel+ (von ~Aspidium filix mas~)
war schon dem Begründer der Botanik Theophrastos und den späteren
griechischen Ärzten bekannt. In der ganzen römischen Kaiserzeit und im
Mittelalter blieb die Wurzel des Wurmfarns gebräuchlich, findet sich
aber nur hier und da in den medizinischen Schriften erwähnt. Erst zu
Ende des 18. Jahrhunderts kam sie wieder mehr zu Ansehen und um 1775
bildete sie den Hauptbestandteil eines Geheimmittels, das von der
französischen Regierung der Witwe des Arztes Nuffer in Murten abgekauft
wurde, wie auch desjenigen Mittels, das Friedrich der Große von dem
aus Neuchâtel stammenden Apotheker Daniel Matthieu in Berlin erwarb.
Im Jahre 1825 führte der Genfer Apotheker J. Peschier das Ätherextrakt
davon ein, das neuerdings von der Filmaron genannten wirksamen Substanz
abgelöst wurde.

In Persien, Turkestan und Buchara, speziell der Kirgisensteppe,
wächst die Komposite ~Artemisia cina~, eine dem Wermut und Estragon
sehr nahe verwandte Beifußart, der +Wurmbeifuß+, dessen in der
zweiten Hälfte des Juli und im August unmittelbar vor dem Aufblühen
gesammelten eigenartig aromatisch riechenden Blüten, den +Zitwer-+
oder +Wurmsamen+ liefern, dessen wurmabtreibende Wirkung schon im
Altertum bekannt war. Nach Europa scheint die Droge erst durch die
Kreuzzüge eingeführt worden zu sein. Der später übliche Name ~semen
santonici~ wird auf eine Mitteilung des griechischen Arztes Dioskurides
zurückgeführt, der von einer beim keltischen Stamme der Santonen im
südlichen Gallien (Aquitanien) wachsenden Artemisiaart, dem Wermut
(~Artemisia absinthium~), berichtet. Danach wurde das wirksame Prinzip
des Wurmsamens, das heute fast nur noch verwendet wird, Santonin
genannt. In der besten Ware ist es zu 2,5 Prozent enthalten und wird
von an Ort und Stelle errichteten Fabriken in Taschkent und Tschimkent
gewonnen. In russisch Turkestan werden durch die Kirgisen teils
von wildwachsenden, neuerdings aber auch in zunehmendem Maße von
kultivierten Pflanzen etwa 2,5 Millionen kg jährlich geerntet und zum
größten Teil zur Extrahierung des Santonins verwendet.

Die +Pfefferminze+ (~Mentha piperita~) ist eine der ältesten aus
China nach Vorderasien und dann nach Europa gelangten Arzneipflanzen,
deren aromatische, während der Blüte gesammelte Blätter gekocht als
krampfstillendes Mittel gebraucht werden. In Ägypten findet sie sich
schon ums Jahr 1550 v. Chr. in dem Papyrus Ebers erwähnt und wurde
von Schweinfurth auch in einem Grabe in Abd-el-Quurnah aus der Zeit
von 1200-600 v. Chr. unter den Totenbeigaben nachgewiesen. Auch
die alten Griechen und Römer gebrauchten die Pflanze, die erstere
~míntha~, letztere dagegen ~menta~ nannten und im Gegensatz zur wilden
Wasserminze die zahme hießen. Im Mittelalter fehlte sie in keinem
Arzneigärtchen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde sie von den
Ländern Europas zuerst in England zur Gewinnung des ätherischen
Pfefferminzöles im Großen kultiviert, dann in Frankreich, Deutschland,
Rußland und seit 1816 besonders in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika. Die weitaus ältesten Pfefferminzkulturen, die schon vor
dem Beginn der christlichen Zeitrechnung begonnen wurden, besitzen
China und Japan, wo der kristallisierbare Mentholkampfer seit ebenso
lange gewonnen und als Heilmittel im Gebrauche gewesen sein soll. Das
bittere und deshalb fast ausschließlich zur Gewinnung von Menthol
dienende japanische Pfefferminzöl soll von ~Mentha arvensis~ stammen.
Die Jahresproduktion des Öles beträgt in Amerika 90000 kg, in
Japan 70000 kg, in England 9000 kg, in Frankreich 3000 kg, in
Deutschland 800 kg und in Italien 600 kg jährlich. Vielfach wird
es mit Rizinusöl, Weingeist und Petroleum verfälscht. Das englische Öl
enthält 58-66 Prozent Menthol.

Ebenfalls als Blähungen vertreibend werden seit dem Altertum
die Blätter der +Melisse+ (~Melissa officinalis~) bei Kolik und
Diarrhoe verwendet, neuerdings hauptsächlich in Form des Öles.
Sie, die ihren Namen vom griechischen ~melíssa~ Biene hat, weil
der Duft des Krautes die Bienen anlockt, ist die ~kalamínthē~ und
das ~melissophýllon~ der Griechen und das ~apiastrum~ (von ~apis~
Biene) der Römer. Im Mittelmeergebiet heimisch, ist sie ums Jahr 960
von den Arabern in Spanien kultiviert worden und kam früh in die
Arzneigärten Mitteleuropas. Gleicherweise verhält es sich mit der
ihr nahe verwandten +Salbei+ (~Salvia officinalis~), die ebenfalls
im Mittelmeergebiet heimisch ist und seit alter Zeit als eine der
vorzüglichsten Heilpflanzen für die verschiedensten Zwecke gebraucht
wird. Schon Karl der Große gebot dieses Kraut ~salvia~, das von
~salvare~ heilen benannt ist, in seinen Gärten zu pflanzen, und die
heilige Hildegard im 12. Jahrhundert rühmt die Heilkraft der von ihr
als ~selba~ bezeichneten Salbei.

Denselben Zwecken diente seit dem Altertum der +Rosmarin+ (~Rosmarinus
officinalis~), ein 1-2 m hoher immergrüner Strauch mit stark
aromatischen Blättern, die früher auch als Würze und beim Brauen
des Bieres dienten. Columella rühmt den Rosmarin auch als gutes
Bienenfutter, und Horaz berichtet in einer seiner Oden, daß mit ihm
und Myrten die kleinen Götterbilder der Penaten bekränzt wurden. Nach
Ovid bekränzte man sich auch bei Festen mit Rosmarin oder Veilchen
oder Rosen. Auch +Quendel+ (~Thymus serpyllum~) und +Thymian+ (~Thymus
vulgaris~) sind seit uralter Zeit benutzte Heil- und Gewürzkräuter,
die beide gleichförmig von den alten griechischen und römischen
Ärzten zum Vertreiben von Blähungen verwendet wurden. Der griechische
Pflanzenkenner Theophrast, der Schüler des Aristoteles, berichtet,
daß der von ihm als ~hérpyllos~ bezeichnete Quendel oder Feldthymian
allenthalben auf den Bergen und Hügeln wachse, besonders in Thrakien
gemein sei und eine treffliche Bienenspeise liefere. Ihm vor allem
verdankte der Honig des Berges Hymettos südöstlich von Athen seinen
Wohlgeschmack, der ihn deshalb weithin berühmt machte. Auch der
dort gesammelte Quendel wurde vor anderem geschätzt. Wie Theophrast
unterscheiden auch Dioskurides, Plinius und Columella neben dem
wilden den von ihnen als ~thýmos~, d. h. Kraft, Mut bezeichneten
Gartenthymian, der dann durch die Klöster in Mitteleuropa verbreitet
wurde. Weil der Thymian aus Italien nach Deutschland kam, wurde er als
welscher oder römischer Quendel bezeichnet. Im 16. Jahrhundert wurde
er hier allgemein angebaut und in den Apotheken geführt. Das aus ihm
gewonnene gelbrote ätherische Öl findet sich 1589 im ~Dispensatorium
noricum~ erwähnt, und 1719 fand Kaspar Neumann das Thymol, das
innerlich als fäulnis- und gärungswidriges Mittel gegen Fieber und
Eingeweidewürmer, wie auch als desodorierendes Mittel als Ersatz der
ätzenden und giftigen Karbolsäure verwendet wird.

Seit alter Zeit ist in China das +Mutterkorn+ (~Secale cornutum~, d.
h. gehörnter Roggen) -- französisch ~ergot~ --, das Sklerotium oder
Dauermycelium des Pilzes ~Claviceps purpurea~ in den von ihm bald
ganz aufgezehrten Fruchtknoten verschiedener Grasarten, besonders des
Roggens, als Arzneimittel gegen Blutungen speziell der Gebärmutter
im Gebrauch. Von griechischen Ärzten kannten Dioskurides und Galenos
die Droge, deren medizinische Verwendung bei uns erst aus dem Ende
des 16. Jahrhunderts datiert. 1588 verwendete Wendelin Thallius das
Mutterkorn, das gemutertes, d. h. verändertes Korn bedeutet, als
blutstillendes Mittel; aber erst zu Ende des 17. Jahrhunderts führte
es R. J. Camerarius in Tübingen in der Geburtshilfe als die glatten
Muskelfasern der Gebärmutter zum Zusammenziehen bringendes Mittel ein.
Die genaue Kenntnis seiner Wirkung verdanken wir 1820 den Amerikanern
Prescott und Stearns. 1853 erkannte Tulasne zuerst den Entwicklungsgang
des Pilzes, 1863 vervollständigte Kuhn denselben und wies nach, daß die
in langen Schläuchen erzeugten und deshalb als Askosporen bezeichneten
Sporen auf der Blüte des Roggens wieder Mutterkorn erzeugen. Das
hauptsächlich in Rußland, das den größten Teil der Handelsware liefert,
dann in Galizien, weniger in Spanien, Portugal und in noch geringerem
Maße bei uns ausschließlich vom Roggen, und zwar kurz vor dessen
Fruchtreife gesammelte Mutterkorn enthält als wichtigste Bestandteile
die Alkaloide Cornutin, Ergotinin und Ergotoxin. Unter Ergotin versteht
man Mutterkornextrakte verschiedener Herstellungsweise, von denen das
erste derartige 1842 von J. Bonjean in Chambéry (Savoyen) dargestellt
wurde. Die im Mutterkorn enthaltene Sphacelinsäure (vom griechischen
~sphákelos~ Brand) wirkt gangränbildend und ist vorzugsweise die
Ursache des Mutterkornbrandes, die seuchenartig als Kriebelkrankheit
oder Kornstaupe besonders in Hungerjahren auftrat, wenn feuchte
Witterung die Entwicklung des Mutterkornes begünstigte und damit
verunreinigtes Mehl, zu Brot verbacken, die Hauptnahrung des Volkes
bildete. Die erste sichere Nachricht über diese Krankheit findet
sich aus dem Jahre 857 in den Annalen des Klosters Xanten. Dann trat
sie besonders 922, 994, 1008, 1129 und in neuerer Zeit 1596, 1649 im
Vogtland und 1736 in Hannover auf. Kriebelkrankheit hieß sie, weil sich
zuerst durch Zusammenziehung zahlreicher Blutgefäße der Extremitäten
ein Kriebeln darin zeigte und diese erst hernach gefühllos wurden und
abstarben.

Als +Salepknollen+ oder +Geilwurz+ wurden von jeher die als
Hoden imponierenden Doppelknollen verschiedener Orchisarten als
Nahrungsmittel und als die Geschlechtstätigkeit anregendes Mittel
verwendet; denn das Altertum und das Mittelalter sahen in der
Hodengestalt eine „Signatur“, d. h. ein Hinweis darauf, daß sie
vorzüglich auf die Geschlechtsorgane einwirken. Bei Dioskurides und
Galen heißt der ~Salep órchis~ Hoden, woher die Pflanzengattung der
Orchideen überhaupt ihren Namen erhielt. Das Wort Salep ist aus
dem arabischen ~chusjata ssalab~ d. h. Fuchshoden verstümmelt. In
Deutschland wird der aus dem Orient eingeführte Salep zuerst um 1480
als ~radix satyri~ in dem Drogenverzeichnis von Nördlingen erwähnt.
Vom 16. Jahrhundert an sind in den Kräuterbüchern Abbildungen der
betreffenden Pflanzen anzutreffen. Die Hauptmasse der bei uns
hauptsächlich zur Bereitung von Schleim verwendeten Handelsware kommt
über Smyrna, teilweise auch über Konstantinopel aus Kleinasien; so
expediert Smyrna jährlich etwa 642500 kg der zur Blütezeit im Juni
oder kurz danach gegrabenen, nach der Reinigung von anhängender
Erde zwecks Abtötung zuerst in siedendem Wasser gebrühten und dann
an der Luft getrockneten Orchisknollen. Ansehnliche Mengen werden
übrigens auch bei uns gesammelt. In der Türkei und in Griechenland
dient Salepschleim mit Honig vermischt als tägliches Morgengetränk
und wird im Winter in besonderen Buden ausgeschenkt oder auch in
Blechbüchsen auf den Straßen als Salepschleim ausgerufen und noch
warm verkauft. Auch mit Fleischbrühe oder Schokolade gekocht gibt
Salep eine treffliche, leichtverdauliche und deshalb besonders für
Kranke angewandte Speise, mit der sich vornehme Haremsfrauen die im
Morgenlande als besondere Schönheit angesehene Körperfülle zu erwerben
suchen.

Seit Urzeiten ist als appetitanregendes Magenmittel der außer
ätherischem Öl von grüner Farbe den glykosidischen Bitterstoff
Absinthiin enthaltende +Wermut+ (~Artemisia absinthium~) benutzt
worden. Es ist dies eine zur Familie der Beifuße gehörende Komposite
mit weißgrauen seidenhaarigen Blättern und gelben Blüten, die, wie
deren Verwandte, namentlich der +baumartige Beifuß+ (~Artemisia
arborea~), schon im Papyrus Ebers (um 1600 v. Chr.) erwähnt wird; auch
die Hippokratiker wandten diese, wie auch den verwandten +Eberreiß+
(~Artemisia abrotanum~) als magenstärkendes und die Gelbsucht heilendes
Mittel an. Wie das ~apsínthion~ der alten Griechen und Römer ist
das althochdeutsche ~wermuota~ als ein Bittertrank charakterisiert,
das auch als Wurmmittel besonders beim Vieh im Gebrauch war. In den
ältesten medizinischen und botanischen Schriften Deutschlands wird der
Wermut meist an hervorragender Stelle angeführt. Im 12. Jahrhundert
finden wir ihn im Zürcher Arzneibuch, und im 13. Jahrhundert wurde das
Kraut bis nach Island und Norwegen gebracht. Das ätherische Öl war
Porta um 1570 bekannt; es dient als Erregungsmittel für die Nerven und
ist der Hauptbestandteil des besonders in Frankreich sehr beliebten
Likörs ~Extrait d’absinthe~. Neuerdings ist dieser giftige Trank in der
Schweiz verboten worden, so daß die Wermutpflanzer des Val de Travers
im Kanton Neuchâtel sich künftighin eine andere Pflanze zu ihren
Kulturen ausersehen müssen.

Ein in ähnlicher Weise die Verdauung anregendes Bittermittel ist das
+Tausendguldenkraut+ (~Erythraea centaurium~), eine auf Bergwiesen
wachsende Enzianart, die nach dem in der Kräuterkunde sehr erfahrenen
Lehrer des Herakles, Äskulap, Jason und anderer Heroen, dem Kentauren
Cheiron, schon von den alten Griechen als ~kentaúrion~ bezeichnet
wurde. Jener soll durch dieses Kraut eine Wunde an seinem Fuße geheilt
haben, wie Achilleus, ein weiterer Schüler des Cheiron, damit nach der
Ilias die Wunde des Eurypyles heilte. Es wird wie die Enzianwurzel
verwendet, ist aber gegenwärtig fast außer Gebrauch gekommen, wie auch
das einst vielbenutzte +Kardobenediktenkraut+ (~Cnicus benedictus~).
Diese in den Mittelmeerländern heimische Staude von distelförmigem
Aussehen wurde schon bei den Alten unter dem Namen ~hētéra knḗkos~
arzneilich verwendet, kam dann durch die Mönche nach Mitteleuropa und
wurde daselbst durch die Klöster verbreitet. Hier erhielt sie auch die
Bezeichnung ~carduus benedictus~, d. h. gesegnete Distel, weil man
darin die von Theophrast als besonders wirksam gepriesene ~akárna~
beziehungsweise die ~atráktylis~ des Dioskurides vermutete, deren
Blätter und Samen gegen Skorpionstich dienten. Wahrscheinlich sind
aber diese mit ~Carthamus lanatus~ identisch. Das Kardobenediktenkraut,
das noch vielfach in Gärten gezogen und u. a. bei Cölleda im Großen
kultiviert wird, dient immer noch als Volksheilmittel und ist ein
Bestandteil der Kölner Klosterpillen.

Uralte Volksheilmittel sind die +Schafgarbe+ (~Achillea
millefolium~), die schon von Plinius als Wundpflanze genannt wird,
der +Vogelknöterich+ (~Polygonum aviculare~), der als ~sanguinaria~
bei den Römern in hohem Ansehen stand und neuerdings seit 30 Jahren
mit der Angabe, ein in Sibirien neuentdecktes Heilmittel zu sein,
unter dem Namen Homeriana, Weidemanns russischer Knöterichtee usw. als
unfehlbares Mittel gegen Schwindsucht mit großer Reklame vertrieben
wird, der +Dosten+ (~Origanum vulgare~), den bereits Theophrast
und Dioskurides bei Lungen- und Leberleiden verwandten und der zur
Zeit Luthers als der Ysop der Bibel galt, das auf den semitischen
Sonnengott Adonai, d. h. Herr zurückgeführte +Adonisröschen+ (~Adonis
vernalis~), das Ovid aus dem Blute des sagenhaften Jünglings Adonis,
des Geliebten der Aphrodite, hervorgehen läßt. Heute noch wird es
mit Vorteil bei Wassersucht verwendet, da es das wertvolle Herzgift
Adonidin, einen Ersatz für Digitalis, enthält. Ferner das +Löffelkraut+
(~Cochlearia officinalis~), das seit der Empfehlung des brabantischen
Arztes Joh. Wier im Jahre 1557 gegen Skorbut gebraucht wird, der
+Hohlzahn+ (~Galeopsis ochroleuca~), der seit dem Mittelalter einen
Ruf als Heilmittel gegen Schwindsucht besitzt, das harntreibende
+Bruchkraut+ (~Herniaria glabra~) und das gleicherweise wirkende, schon
von den alten griechischen Ärzten verwendete, neuerdings wieder durch
Pfarrer Kneipp populär gewordene +Zinnkraut+ oder der +Schachtelhalm+
(~Equisetum arvense~), das Kraut des +Maiglöckchens+ (~Convallaria
majalis~), das von altersher vom russischen Volke gegen Wassersucht und
Herzleiden angewandt wurde und, seit Marmé die der Digitalis ähnliche
Wirkung des von Walz 1838 zuerst isolierten Glykosids Convallamarin im
Jahre 1867 erkannte, in Form des wässerigen Extraktes als wertvolles
Herzmittel auch bei uns oft an Stelle von Digitalis gegeben wird, da es
im Gegensatz zu jenem keine kumulative Wirkung besitzt. Außer diesen
wären noch viele andere einheimische Kräuter zu nennen, auf die wir
hier nicht näher eintreten können. Selbst der als Hinrichtungsmittel
beliebte giftige +Schierling+ (~Conium maculatum~), das ~kóneion~ der
alten Griechen, dessen Saft unter anderen auch Sokrates trinken mußte,
als er im Jahre 399 v. Chr. als Verächter der Götter und Verführer
der Jugend zum Tode verurteilt wurde, war bei den Hippokratikern als
innerliches und äußerliches krampfstillendes und betäubendes Mittel
sehr beliebt, wie früher bei uns gegen Zahnschmerz eine Abkochung
der scharfen, die Speichelabsonderung befördernden +Bertramwurzel+
(~Anacyclus officinalis~) gebraucht wurde.

Von einst viel gerühmten Wurzeldrogen sind noch zu nennen die Wurzeln
des auf sonnigen Hügeln wachsenden +Bibernell+ (~Pimpinella saxifraga~
und ~P. magna~), der sich schon in einem deutschen Manuskript des
8. Jahrhunderts als Bestandteil eines Universalmittels findet. Bei
den alten Griechen und Römern hieß die Pflanze ~kaúkalis~ und diente
als Zahnmittel, gegen Fieber und Steinbeschwerden. Aus dem deutschen
~bibernella~, das uns bei der heiligen Hildegard im 12. Jahrhundert
entgegentritt, ging dann die volkstümliche Bezeichnung ~pimpinella~
hervor, die den botanischen Namen lieferte. Die altdeutschen Ärzte
gaben der ~P. magna~ den Vorzug, welche besonders als Mittel gegen die
Pest hohen Ruf erlangte. Auch die Wurzel des +Löwenzahns+ (~Taraxacum
officinale~) war schon bei den Alten im Gebrauch als leichtes
Abführmittel bei Magen- und Leberleiden. Durch die arabischen Ärzte
wurde ihre Anwendung im Abendlande populär, wo sie noch heute als
Blutreinigungsmittel zu den sogenannten Frühjahrskuren mit anderen
abführenden Pflanzenprodukten dient.

Ein uraltes nordisches Heilmittel gegen Blasen- und Nierenleiden,
das schon im 13. Jahrhundert erwähnt, seit der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts von französischen, italienischen und spanischen Ärzten
benutzt wird und seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland
offizinell ist, sind die von April bis Juni von wildwachsenden Pflanzen
gesammelten und getrockneten kleinen, lederigen, glatten Blätter der
immergrünen +Bärentraube+ (~Arctostaphylos uva ursi~), die 3,5 Prozent
des mit dem Vacciniin der Heidelbeeren identischen glykosidischen
Bitterstoffes Arbutin enthalten. Außerdem enthalten sie auch reichlich
Gerbstoff, weshalb sie auch zum Färben und Gerben des Saffianleders
gebraucht werden. Der die glänzenden Blätter erzeugende Strauch ist
reich verzweigt, erhebt sich aber nur wenig über den Boden. Er wächst
mit Vorliebe auf Heiden und an Felsen und erzeugt rötliche Blüten und
rote Früchte, aus deren etwas mehligem Fruchtfleisch man im Norden Brot
backen soll.

Weiter hat uns der arktische Norden die +Renntierflechte+ oder das
+isländische Moos+ (~Cetraria islandica~) bescheert, die nicht bloß die
wichtigste Nahrung der Renntiere bildet, sondern auch von den Menschen
als Gemüse verzehrt und zu Brot verbacken wird. Sie enthält 70 Prozent
durch Jod nicht gebläute Flechtenstärke Lichenin, 11 Prozent durch Jod
gebläutes Dextrolichenin, die beide nährend und reizmildernd wirken,
und 2-3 Prozent des Bitterstoffes Cetrarin, der zwar appetitanregend
wirkt, aber vor dem Genusse durch den Menschen durch Mazeration mit
schwach alkalischem Wasser völlig entfernt werden muß. 1542 findet
sich bei Valerius Cordus eine Angabe, welche auf diese Droge schließen
läßt, doch wurde sie mit Sicherheit erst seit 1666 durch Bartolin
bekannt; 1671 empfahl sie Borrich als Abführmittel und 1683 Hjärne
gegen Lungenleiden. Als Mittel für Lungenkranke fand sie erst durch die
Empfehlung von Linné und Scopoli allgemeinere medizinische Anwendung;
auch als blutbildendes Mittel wird sie mit Erfolg angewandt, da die
Zahl der roten und weißen Blutkörperchen durch deren Genuß vermehrt
wird. Sie wird in größeren Mengen aus Skandinavien, den Alpen, den
Pyrenäen, dem Harz und dem Fichtelgebirge, nicht aber aus Island
eingeführt.

Als uraltes, reizmilderndes und stopfendes Mittel war wohl zuerst in
Westasien der als +Opium+ bezeichnete, durch Einritzen der unreifen
Fruchtkapseln des +Schlafmohns+ (~Papaver somniferum~) gewonnene und
durch Eintrocknen an der Luft durch Sauerstoffaufnahme eingedickte
Milchsaft in Gebrauch. Von den Anwohnern der kleinasiatischen Küste
lernten dann die alten Griechen den von ihnen ~mḗkon~ genannten
Schlafmohn und seine betäubenden Eigenschaften kennen. Vielleicht war
er schon in homerischer Zeit bekannt. Nicht nur wird in der Ilias die
Pflanze ~mḗkon~ erwähnt, sondern in der Odyssee auch ein ~nepénthes~
genannter, die Erinnerung auslöschender Zaubertrank genannt, der
möglicherweise aus Mohnsaft, vielleicht in Verbindung mit Hanfextrakt,
bereitet wurde. Diese betäubende Wirkung des Mohnsaftes muß sehr früh
auch ärztlich benutzt worden sein, obschon keine diesbezüglichen
Mitteilungen auf uns gekommen sind. Den anfänglich ~mēkṓnion~ und erst
viel später nach der griechischen Bezeichnung ~opós~ für Milchsaft als
~ópion~ bezeichnete eingedickte Mohnsaft, das Opium, hat der größte
griechische Arzt Hippokrates (460-364 v. Chr.) nicht gekannt oder doch
nicht benutzt, obschon er den Milchsaft der Blätter und Fruchtkapseln,
wie die Fruchtkapseln selbst leer oder mit den Samen als Heilmittel
anwandte. Wie die Hippokratiker, wendet auch der pflanzenkundige
Schüler des Aristoteles, Theophrast (390-286 v. Chr.), die Bezeichnung
~mēkṓnion~ auf den betäubenden Milchsaft einer Wolfsmilchart
(~Euphorbia peplus~) an. Erst die griechischen Ärzte Diokles von
Karystos und Herakleides von Tarent sollen im 3. vorchristlichen
Jahrhundert den eingedickten Mohnsaft als Medikament benutzt haben,
und Nikander von Kolophon in Ionien lieferte um 200 v. Chr. eine
Beschreibung der gefährlichen Wirkung desselben. Der um die Mitte
des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom lebende, aus Kilikien stammende
griechische Arzt Dioskurides kennt diese Droge genau und berichtet
bereits auch von deren Verfälschung. In dem von ihm auf uns gekommenen
Arzneibuch heißt es: „Die Abkochung der Blätter und Köpfe des Mohns
(~mḗkon~) macht schläfrig, was auch bei der Klatschrose (~rhoiá~)
der Fall ist. Letztere hat ihren Namen ~rhoiá~ davon, daß Milchsaft
(~opós~) aus ihr fließt (~rhei~). Der Milchsaft der Mohnarten, in
der Größe einer Erve (~órobos~) -- etwa einem kleinen Linsenkorn
entsprechend -- eingenommen, beschwichtigt Schmerzen, bringt Schlaf
und fördert die Verdauung. In größerer Gabe ist er gefährlich, da er
Schlafsucht und Tod bewirken kann. Der beste, durch Einschnitte mit dem
Messer in die unreifen Mohnköpfe nach dem Trocknen des Taues gewonnene
Mohnsaft (~opós~) ist dick, riecht stark, macht schon durch den Geruch
schläfrig, schmeckt bitter, löst sich leicht in Wasser auf, ist glatt,
weiß, weder rauh noch krümlig, schmilzt an der Sonne, brennt hell, wenn
er von der Flamme berührt wird und behält seinen Geruch, auch wenn man
ihn gelöscht hat. Man verfälscht ihn mit ~glaucium~ -- dem Saft des
großblütigen Schöllkrauts (~Chelidonium glaucium~), das in Italien und
Griechenland wild wächst --, mit Gummi -- und zwar arabischem Gummi
-- und dem Saft des wilden Salats (~thrídax~). Ist er mit ~glaucium~
verfälscht, so gibt er, mit Wasser vermengt, eine gelbe Farbe; enthält
er Saft vom wilden Salat, so ist der Geruch schwach und rauher; Gummi
dagegen macht ihn schwach und durchscheinend. Manche treiben den Unsinn
so weit, daß sie ihn sogar mit Fett verfälschen.“

Auch Plinius berichtet ausführlich über Gewinnung und Eigenschaften
des von ihm ~opion~ genannten Opiums, das damals schon nach ihm
hauptsächlich in Kleinasien gewonnen wurde. Er sagt ferner, daß nach
Andreas, dem Leibarzt des Ptolemaeus Philopator (221 bis 205 v. Chr.),
das Opium in Alexandrien verfälscht wurde. Im 6. Jahrhundert wird
~Opium thebaicum~ (aus Oberägypten) von Alexander Trallianus und im 7.
Jahrhundert von Paulus Aetius genannt. Das ägyptische Opium rühmt der
um 200 n. Chr. verstorbene griechische Arzt Galenos als das beste und
kräftigste, auch spricht er von libyschem und selbst spanischem Opium.
Der arabische Arzt Avicenna (eigentlich Ibn Sina, 980-1037) spricht
ebenfalls von ägyptischem Opium. Durch Araber soll bereits im 7.
Jahrhundert Opium nach Persien, im 8. nach Indien und im Laufe des 10.
nach China gekommen sein, wo es 973 in einem Arzneibuch erwähnt wird.
Die ersten Nachrichten über in Indien selbst gewonnenes Opium verdanken
wir Odoardo Barbosa, der solches 1516 auf dem Markte von Kalikut nebst
kleinasiatischem antraf. Derselbe Portugiese, der nach der Entdeckung
des Seeweges ums Kap der Guten Hoffnung nach Ostindien fuhr, gibt uns
auch die frühesten Nachrichten über Versendung indischen Opiums nach
China, wo allerdings der Schlafmohn schon seit dem 11. Jahrhundert zur
Gewinnung von Opium angepflanzt wurde. Doch wurde er auch hier zunächst
nur als Medizin benutzt und gelangte erst im 17. Jahrhundert in großem
Umfange als Genußmittel zum Rauchen zur Anwendung. Dieser Gebrauch
soll aus Formosa nach China gelangt sein, und Formosa soll sein Opium
aus Java bezogen haben. In einem zwischen 1552 und 1578 verfaßten
chinesischen Kräuterbuch wird die Gewinnung des Opiums und seine
Verwendung, aber nur in der Medizin, beschrieben.

Die europäischen Ärzte des Mittelalters hielten das Opium für sehr
gefährlich und wendeten es deshalb nur selten an, so daß sein Gebrauch
gegenüber dem Altertum stark abnahm. Meist wurden nur die Mohnfrüchte
verordnet, deren schlafbringende Wirkung man sehr wohl kannte. In
Deutschland soll das aus dem Orient eingeführte Opium erst durch
den weitgereisten Schwyzer Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) unter
der Bezeichnung ~laudanum~ eingeführt worden sein. In dem in regem
Handelsverkehr mit dem Morgenlande stehenden Italien war es schon viel
früher im Gebrauch; so erwähnt es 1290 Simon Jamensis, der Leibarzt
des Papstes Nikolaus IV. Als Bestandteil des bereits erwähnten
Theriaks wurde es in der Folge viel gebraucht. Die wissenschaftliche
Grundlage für die Verwendung des Opiums in der Medizin legte der
englische Arzt Sydenham (1624 bis 1689). Nachdem schon 1688 Ludwig
und nach diesem Wedelius, Hofmann und andere die narkotischen
Wirkungen des Opiums zum Gegenstand eingehender Untersuchungen
gemacht hatten, gelang es erst 1803 Derosne aus dem Opium eine
kristallisierbare Substanz, das Narkotin, herzustellen. 1804 stellte
dann der Paderborner Apotheker Sertürner die Mekonsäure und 1806 das
von ihm Morphin genannte „schlafmachende Prinzip“ dar. 1832 entdeckte
Robiquet das Codein und fast zu derselben Zeit Dublanc das Mekonin,
eine indifferente Verbindung. Heute kennen wir etwa 20 verschiedene
Alkaloide als Bestandteile des hauptsächlich zur Anwendung gelangenden
kleinasiatischen Opiums, unter denen das Morphin, das darin zu 10 bis
12 Prozent enthalten ist, die erste Rolle spielt. Nach ihm kommen an
Wichtigkeit das darin zu 0,2-0,8 Prozent enthaltene Codein, das zu
4-10 Prozent enthaltene Narkotin, das zu 0,2-0,3 Prozent enthaltene
Thebain, das zu 0,1-0,4 Prozent enthaltene Narcein usw. und schließlich
4 Prozent Mekonsäure.

Schon im Altertum benutzte man den Mohnsaft als Gegengift, und das
Opium war eines der wichtigsten Bestandteile des +Theriaks+, eines
Latwerges, das Neros Leibarzt Andromachos gegen den Biß giftiger
Schlangen erfunden haben soll und das nach dem Arzte Claudios Galenos
(133-200 n. Chr.) aus 70 Ingredienzen bestand. Dem Namen ~thēriakón
antídoton~ (von ~tḗr~ Tier und ~akéomai~ abwehren), d. h. Tierbiß
heilendes Gegenmittel, entsprechend war der Theriak eigentlich ein aus
giftigen Tieren bereitetes Gegengift gegen Tiergift, dem Grundsatze
der alten Heilkunde gemäß, daß das, was schädigt, auch heilen muß.
Dazu kamen später auch zahlreiche Pflanzengifte und die heterogensten
Stoffe hinzu und damit konnte es ebensogut gegen Pflanzen- und
mineralische Gifte genommen werden. Seit dem 12. Jahrhundert finden
wir das Mittel unter der volkstümlichen Bezeichnung ~Trîak~ oder
~Trîakel~ auch in Deutschland verbreitet. Der Verfasser der ersten
in deutscher Sprache geschriebenen Naturgeschichte, Konrad von
Megenberg (um 1309 auf dem Schlosse Megenberg bei Schweinfurt in
Franken als der Sohn des Schloßvogtes geboren und 1374 als Kanonikus
am Dom zu Regensburg gestorben), läßt ihn aus dem Fleisch der
Schlange ~tirus~ und aus anderen ähnlichen Dingen bereitet werden
und gegen jegliches Gift wirksam sein, mit Ausnahme desjenigen, das
von jener Schlange selbst kommt. Schon vor dem 15. Jahrhundert gab
es verschiedene Arten von Theriak, was daraus hervorgeht, daß damals
die „~grosz tiriaca~“ als die allein echte, nach altbewährtem Rezept
ausgeführte, den geringwertigen Surrogaten entgegengestellt wurde,
die von herumziehenden Quacksalbern als Universalmedizin ebenfalls
unter der reklamehaften Bezeichnung Theriak verkauft wurden. Letztere
enthielten eine mehr oder weniger große Zahl heilkräftiger Stoffe in
Honig gemischt. Der Hauptfabrikationsort für den echten Theriak war
Venedig, wo er unter großem Pomp beim Schalle von Trompeten und Pauken
öffentlich hergestellt wurde. Daneben bereitete man auch welchen in den
heimischen Apotheken unter Aufsicht von Ärzten aus den erlesensten
dazu gehörigen Sachen. Seine Anwendung geschah nicht nur innerlich,
sondern auch äußerlich; so galt er in die Nase gestrichen als das beste
Schutzmittel gegen Pestilenz.

Wie das Opium zum Stopfen bei Diarrhoe und seine Salze zur Herabsetzung
von Hustenreiz und Schmerzen aller Art dienen, so steht seit dem
Mittelalter die +Faulbaumrinde+ (von ~Rhamnus frangula~) als
Abführmittel in Gebrauch. Diese hat vor dem Gebrauch mindestens ein
Jahr zu lagern, da frische Rinde brechenerregend wirkt. Sie enthält als
wirksames Prinzip das Glykosid Frangulin, das in frischen Rinden fehlt,
dagegen reichlich in älteren vorhanden ist. Das Frangulin spaltet sich
in Rhamnodulcit und Frangulinsäure. Erst seit dem Jahre 1848 wird die
Faulbaumrinde in Deutschland medizinisch verwendet.

Demselben Zwecke dient auch die als +~Cascara sagrada~+ bezeichnete
nordamerikanische Faulbaumrinde (von ~Rhamnus purshiana~), die in
ihrer Heimat schon längere Zeit als mildes Abführmittel im Gebrauche
steht und 1878 von ~Dr.~ J. H. Bundy in Calusa (Kalifornien) gegen
gewohnheitsmäßige Verstopfung empfohlen wurde. Nach Europa kam zuerst
das Fluidextrakt und seit 1883 auch die Rinde, die infolge der
unsinnigen Ausbeutung des im westlichen Nordamerika (Kalifornien,
Oregon, Washington und Britisch-Kolumbien) heimischen Gewächses in
letzter Zeit sehr selten und deshalb auch sehr teuer geworden ist.

Als mildes Abführmittel dient sonst bei uns das sehr viel billigere
+Rizinusöl+, das von den Samen einer im tropischen Afrika heimischen
und von da über die ganze Welt verbreiteten Wolfsmilchart (~Ricinus
communis~) gewonnen wird. Dieses einjährige, sehr rasch zu gewaltiger
Höhe aufschießende und deshalb bei uns, wo es in mehreren Varietäten,
meist mit ~Canna indica~ zusammen, als Zierpflanze auf Rasen kultiviert
wird, auch als „Wunderbaum“ bezeichnete Kraut mit sehr großen,
gelappten Blättern und ansehnlichen, getrennt geschlechtlichen Blüten
ist überaus anpassungsfähig und läßt sogar noch in Christiania seine
Samen reifen. In Indien, wo es schon im frühen Altertum als Ölpflanze
eingeführt wurde, dienen seine Blätter der bengalischen Seidenraupe
(vom Eria-Seidenspinner, ~Saturnia cynthi~) als Futter, und in Italien
wird es als ~palma Christi~ geschätzt. Die von Luther mit Kürbis
übersetzte, aus einem kleinen Samenkorn zur schattenspendenden Staude
herangewachsene Pflanze ~kikajon~ vor des Propheten Jonas (im 8.
vorchristlichen Jahrhundert) Hütte, in deren Schatten er bei Ninive
ruhte und die dann ein Wurm stach, so daß sie verdorrte, kann nichts
anderes als eine Rizinuspflanze gewesen sein, die in der Tat gegen
Verletzungen sehr empfindlich ist.

Ihrer eiförmigen, marmorierten, ölreichen Samen wegen wird die
Rizinuspflanze schon seit sehr langer Zeit in Ägypten und Vorderasien
angepflanzt. So fand man solche als Totenbeigaben schon in ägyptischen
Gräbern aus der Zeit um 4000 v. Chr. Hier hieß die Pflanze ~dekam~
und deren Samen ~kiki~, und das aus den letzteren gepreßte Öl wurde
nach den Berichten von Herodot (484-427 v. Chr.) und Strabon (63 vor
bis 20 n. Chr.) ausschließlich als Brennöl und zum Salben verwendet.
Auch in Griechenland wurde die Pflanze, wie übrigens noch jetzt, unter
dem Namen ~kiki~ angepflanzt. Weil die Samen einer gehörig mit Blut
vollgesogenen Hundszecke (~Acarus ricinus~) täuschend ähnlich sehen,
wurde die Pflanze nach diesen im Altgriechischen auch ~króton~ genannt,
wie uns Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. berichtet.
Dieser Autor schreibt in seinem Arzneibuche: „Das Rizinusöl (~kíkinon
élaion~) wird folgendermaßen gewonnen: Man nimmt die reifen Samen
(~króton~) und trocknet sie in der Sonne, bis ihre Schale abfällt.
Dann wirft man sie, von der Schale befreit, in einen Mörser, stößt sie
sorgfältig, tut sie in einen mit Wasser gefüllten, verzinnten Kessel
und kocht sie; so geben sie ihr Öl von sich, es schwimmt auf dem Wasser
und wird abgeschöpft. Die Ägypter, die dessen mehr gebrauchen als wir,
verfahren anders. Sie reinigen die Samen gut, mahlen sie dann in einer
Mühle und pressen das Öl aus. Dieses Öl taugt nicht zur Speise, wohl
aber für Lampen und Pflaster.“ Dagegen wandte dieser griechische Arzt
die zerstoßenen Rizinussamen als Abführmittel an.

Durch die Kreuzzüge gelangte die Rizinusstaude als Zierpflanze
in die Gärten Mitteleuropas, wo sie noch im 16. Jahrhundert
gelegentlich anzutreffen war, doch geriet sie in der Folge bei uns
in Vergessenheit. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das
Rizinusöl von Westindien aus, wo es reichlich erzeugt wurde, in
Europa als Abführmittel eingeführt und fand hier bald in Ärztekreisen
Anerkennung. Durch eine 1764 veröffentlichte Dissertation von ~Dr.~
Cauvane wurde es in weiteren Kreisen bekannt. 1788 fand es Aufnahme
in der Londoner Pharmakopoe. Als offizinelle Handelsware ist in den
Apotheken heute nur das aus den geschälten reifen Samen kalt gepreßte
und mit Wasser ausgekochte Öl zulässig, das eine Ausbeute von 40-45
Prozent liefert. Es enthält im wesentlichen das Triricinolein, das
Triglycerid der laxierend wirkenden Ricinolsäure, daneben Tripalmitin
und geringe Mengen von Tristearin. In den Samen, den Preßrückständen
und im unreinen Öle findet sich das außerordentlich giftige Ricin,
welches durch Kochen des frisch gepreßten Öles mit Wasser ausgeschieden
wird. Prof. Ehrlich in Frankfurt a. M. berechnete, daß 1 g Ricin
genüge, um 1½ Million Meerschweinchen zu töten. Diese enorme Giftigkeit
übersteigt bei weitem diejenige des Zyankaliums und Strychnins. Durch
Einspritzung von immer größeren, nicht tödlichen Dosen von Ricin gelang
es Ehrlich, in den betreffenden Tieren durch Bildung eines Gegengiftes
eine so weitgehende Giftfestigkeit zu erzeugen, daß die tausend-, ja
zehntausendfache Dosis unbeschadet ertragen wurde. Dieses im Blutserum
der mit Ricin vorbehandelten Tiere kreisende Antitoxin vermag die roten
Blutkörperchen normalen Blutes sehr rasch in eine gallertartig-klumpige
Masse zu verwandeln, ganz analog dem bakteriellen Antitoxin, das die
Bakterien seiner speziellen Art sofort zusammenballt, zur Agglutination
bringt, während normales Blutserum diese Eigenschaft nicht besitzt. Das
unreine Rizinusöl dient endlich als Brennöl und zur Seifenfabrikation.
Vielfach kommt Verfälschung desselben mit gebleichtem Sesamöl vor.

Eine seit uralter Zeit in China als Abführmittel gebrauchte
Pflanzenwurzel ist der echte +Rhabarber+ (~Rheum officinale~), der als
„große gelbe Wurzel“ schon in einem angeblich von Kaiser Shen-nung um
2800 v. Chr. verfaßten Kräuterbuche erwähnt wird. Um die Wende der
christlichen Zeitrechnung scheint diese Droge in den Mittelmeerländern
bekannt geworden zu sein. Als erster erwähnt der griechische Arzt
Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. die Wurzel ~rha~,
nach dem Flusse Rha, der Wolga, aus welcher Gegend sie bezogen wurde,
so genannt. Sein Zeitgenosse Plinius spricht von einer ~rhacoma~, die
wohl auch als Rhabarber zu deuten ist. Bei den späteren Autoren werden
zweierlei Rhawurzeln nach ihrer Herkunft unterschieden, nämlich ein
~rha ponticum~, d. h. eine pontische Wurzel, nach ihrem Bezug aus der
Gegend des Schwarzen Meeres so geheißen, und ein ~rha barbarum~, das
von der Indusgegend über das Rote Meer und den alten Hafenort Barbarike
zunächst nach Alexandrien eingeführt wurde. Aus dieser letzteren
Bezeichnung, die allgemein im Sinne von „fremde, ausländische Wurzel“
gebräuchlich wurde, entstand dann unser Wort Rhabarber, während die
lateinische Bezeichnung ~Rheum~ aus dem ~rhéon~ des Galenos hervorging.
Im 6. Jahrhundert verordnete der Arzt Alexander Trallianus das eine
Mal ~Rheum~, das andere Mal ~Rheum barbarum~ und ~ponticum~. Darunter
wurden, wie schon Scribonius Largus und Celsus vom ~Rha barbarum~
und vom ~Rha ponticum~ berichten, verschiedene Rhabarberpräparate
verstanden, obschon diese Ausdrücke ursprünglich ein und dasselbe
bezeichneten. Im 11. Jahrhundert wußten die arabischen Ärzte schon,
daß der Rhabarber aus China komme. Der erste Europäer, der in die
Rhabarbergegend gelangte, war der Venezianer Marco Polo, der nach
seiner Rückkehr aus China im Jahre 1295 in seiner Reisebeschreibung
über Rhabarberkulturen in Tangut berichtet. Von dort und aus dem
Gebirge um den See Kuku-nor wurden die getrockneten Rhabarberwurzeln
an die Chinesen verkauft, welche sie nach Si-ning am Hwang-ho, d. h.
dem Gelben Flusse, brachten, das von jeher der Hauptstapelplatz dieser
Droge gewesen zu sein scheint.

Im Mittelalter war der Rhabarber sehr kostbar und selten und
wurde deshalb nur wenig gebraucht. Erst durch die Entdeckung des
Seeweges nach Ostindien und dadurch, daß die Russen mit den Chinesen
Handelsverbindungen anknüpften, wurde er wohlfeiler und gelangte
aus diesem Grunde auch mehr zur Anwendung. Bis zum Ende des 17.
Jahrhunderts wurde Rhabarber über Kanton und Macao verschifft,
teilweise aber auch auf dem Landwege in die Länder im Westen
gebracht. Dann suchten die Russen den Handel damit in ihre Hände zu
bekommen. Im Jahre 1704 gelang es ihnen, denselben durch Verträge mit
der chinesischen Regierung zu monopolisieren. Über die Grenzstadt
Kiachta, wo die getrockneten Wurzeln Stück für Stück geprüft und die
verdorbenen und unansehnlichen Stücke verbrannt wurden, gelangten sie
in einer Schlittenkarawane einmal jährlich über Irkutsk nach Moskau.
Hier wurden sie nochmals revidiert und die für brauchbar erkannten
Stücke dem Handel übergeben. Dieser vorzügliche „moskowitische“ oder
„Kronrhabarber“ war bis 1842 der einzige des Handels. In jenem Jahre
öffneten nämlich die Chinesen außer Kanton und Macao weitere Häfen dem
Fremdenverkehr, wodurch den chinesischen Rhabarberhändlern Gelegenheit
gegeben wurde, sich der strengen Kontrolle der Russen in Kiachta zu
entziehen und auch schlechtere Sorten zu verkaufen. Hierdurch und durch
den Taipingaufstand von 1852-1858, der die Karawanen an der sibirischen
Grenze sehr gefährdete, verringerte sich die Zufuhr über Kiachta immer
mehr und hörte 1860 ganz auf; 1863 wurde der Rhabarberhof daselbst ganz
aufgehoben. Seither gibt es keinen moskowitischen oder Kronrhabarber
mehr im Handel. Was so bezeichnet wird, ist nach Art dasselbe, d. h.
eine kantig beschnittene und durchbohrte, dunkelgefärbte, rotbrüchige
Sorte, während der gewöhnliche chinesische Rhabarber weniger stark
beschnitten und in der Qualität viel gemischter ist.

Die Stammpflanze des Rhabarbers blieb dem Abendlande unbekannt, bis im
Jahre 1758 durch die Vermittlung eines tartarischen Rhabarberhändlers
Samen einer Rheumart als die der echten Rhabarberpflanze von Kiachta
nach St. Petersburg kamen. Carl von Linné beschrieb 1762 die hieraus
gezogenen Pflanzen als ~Rheum palmatum~. 1867 sandte der französische
Konsul in Han-kau am Mittellauf des Blauen Flusses (Yang-tse-kiang),
~Dr.~ Dabry de Thiersant, lebende Wurzeln, die er durch Vermittlung
eines Missionars in Sze-tschwan aus dem östlichen Tibet erhalten
hatte, mit der Angabe nach Paris, daß sie von der echten, der
Rhabarbergewinnung dienenden Pflanze stammten. Abkömmlinge aus diesen
Wurzeln wurden dann von Baillon als ~Rheum officinale~, eine neue Art,
beschrieben, welche aber der vorigen nahe steht. Sie ist mit dem vom
russischen Reisenden Przewalski auf seinen Reisen in der westlichen
Mongolei und in Kan-su 1871-1873 in der Gegend von Kuku-nor und in
der Berglandschaft Tangut, dem Zentrum der Verbreitung der besten
Rhabarberpflanzen, gefundenen ~Rheum palmatum tanguticum~ der Lieferant
des echten Rhabarbers. Das Hauptverbreitungsgebiet der 1,5-2,5 m
hohen, breite, handförmige, dunkelgrüne Blätter und weiße Blüten
aufweisenden offizinellen Rhabarberpflanze ist das Hochplateau von
Osttibet und das westchinesische Gebirgsland zwischen dem Blauen und
Gelben Fluß, das zu den Provinzen Sze-tschwan und Kan-su gehört. Die
Hauptmasse des Rhabarbers kommt von ~Rheum officinale~ aus Osttibet
und der chinesischen Provinz Sze-tschwan, nur ein geringer Teil
nördlich davon aus der Provinz Kan-su von ~Rh. palmatum tanguticum~;
und zwar wird die beste Sorte von wildwachsenden Pflanzen gewonnen.
Der wahrscheinlich nur in geringen Mengen angebaute Rhabarber gilt
als minderwertig. Noch sehr viel geringer an wirksamer Substanz
ist natürlich der in Europa gepflanzte echte Rhabarber, was leicht
begreiflich ist, wenn man bedenkt, daß er in seiner Heimat in
3-4000 m Höhe gedeiht und bis 6300 m Höhe steigt. Zur Gewinnung der
offizinellen Droge benutzt man mindestens 8-10 Jahre alte Pflanzen,
deren Wurzelstöcke kurz vor der Blütezeit und wieder vor der Samenreife
gegraben, vom oberen Teil und der Rinde befreit, in kleinere Stücke
gespalten, durchbohrt und an Schnüre aufgezogen ziemlich oberflächlich,
teils an der Luft, teils am Ofen getrocknet werden. Dann gelangen
sie an die großen Häuser, die sie vollkommen putzen, sortieren und
noch besser trocknen. Die Ware kommt dann in großen, außen mit gelbem
oder rotem Papier überzogenen und mit chinesischen Schriftzeichen
signierten, innen mit Zinkblech ausgeschlagenen Kisten aus der Provinz
Schen-si dem Gelben Fluß entlang nach Tien-tsin und Peking, aus der
Provinz Sze-tschwan mit dem Hauptstapelplatz Kwan-juön dem Blauen
Fluß entlang nach Schang-hai und aus Tibet und Yün-nan zum Teil auch
dem südlicheren Perlfluß entlang nach Kanton in den Handel. Die
beste, orangegelbe Sorte stammt aus Schen-si und ist auch weitaus die
teuerste; die andern, billigeren Sorten sind ockergelb und werden
hauptsächlich von der großen Handelsstadt Han-kau am Mittellauf des
Blauen Flusses aus ausgeführt, von wo der meiste Rhabarber über
Schang-hai in den Welthandel gelangt.

Der Rhabarber enthält als primäre Bildungen der Pflanze zwei Gruppen
von Glykosiden, nämlich die abführend wirkenden Anthraglykoside und
deren Spaltungsprodukte, unter denen die Chrysophansäure, das Emodin
und das Rhein die wichtigsten sind, und die nicht abführend, wohl aber
zusammenziehend wirkenden Tannoglykoside und deren Spaltungsprodukte.
Daher kommt es, daß kleine Dosen Rhabarber stopfend durch letztere und
erst größere abführend durch erstere wirken, indem die Glykoside im
Darm langsam gespalten werden. Dabei wird gleichzeitig die Absonderung
der Galle angeregt.

[Illustration: Bild 71. Der Blütenstand der offizinellen
Rhabarberpflanze (~Rheum officinale~).]

Eine dem chinesischen Rhabarber ähnliche Wurzel liefert der in
Südrußland und Sibirien heimische +pontische Rhabarber+ (~Rheum
rhaponticum~), den man, als er durch den Botanikprofessor Prosper
Alpino in Padua bekannt wurde, lange Zeit für den echten Rhabarber
hielt. Wahrscheinlich wird der größte Teil des ~rha ponticum~ der
Alten aus ihm bestanden haben. Wenn auch schwächer als der chinesische
Rhabarber wirkend, wird er nicht nur in seiner Heimat und im
Morgenlande, besonders Persien, sondern auch seit der Mitte des 18.
Jahrhunderts in England, Frankreich, Deutschland, Österreich und Ungarn
im großen angepflanzt und in den Handel gebracht. Er wird namentlich in
der Tierarzneikunde seiner größeren Billigkeit wegen viel verwendet.
In England begann um 1800 der Apotheker Hayward in Hanbury bei Oxford
seine Kultur in größerem Stile, die dann seit 1845 einen bedeutenden
Aufschwung nahm. Die Hauptkulturen Frankreichs sind in den Departements
Morbihan, Doubs und Isère. Ein Teil der wirksamen Bestandteile der
echten Rhabarberwurzel fehlt in den von dieser Art gewonnenen Wurzeln,
die auch dünner sind.

Nach der Entdeckung Amerikas hielten bekanntlich die Spanier dieses
Land zuerst für den östlichen Teil Asiens und bemühten sich, außer
dem Gold, das sie in dem vom Venezianer Marco Polo als sehr goldreich
beschriebenen Lande Zipangu (Japan) zu finden hofften, auch die
wichtigsten asiatischen Gewürze und Arzneidrogen zu bekommen, um sich
an dem damit zu treibenden Handel zu bereichern. Unter den Drogen, die
Kolumbus in seinen ersten Briefen in die Heimat erwähnt, befindet sich,
so speziell in den Briefen vom 4. und 14. März 1493, auch Rhabarber.
Dieser amerikanische Rhabarber hat sich als die knollenförmig
angeschwollenen, abführend wirkenden Wurzeln verschiedener
Windengewächse erwiesen, unter denen die schon lange vor der Ankunft
der Spanier in Mexiko als Abführmittel verwendete +Jalapenwurzel+ seit
Anfang des 17. Jahrhunderts auch in den Arzneischatz Europas eingeführt
wurde. Diese seit 1536 deutlicher erkannte Wurzel, die der Spanier
Monardes zuerst in der Provinz Mechoacan in Mexiko kennen lernte und
als Rhabarber von Mechoacan in jenem Jahre beschrieb, figurierte in
den europäischen Drogenverzeichnissen des 17. und 18. Jahrhunderts
als Mechoacannawurzel, bis sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach
dem mexikanischen Bezugsorte Jalapa von den Marseillern den Namen
Jalapenwurzel erhielt. Die Mutterpflanze aber lernte man erst 1829
durch Cox in Philadelphia kennen. Sie kam dann 1830 zuerst nach
Europa durch Schiede, der ihr den Namen ~Convolvulus jalapa~ gab.
Heute wird sie aber meist nach Hayne als ~Ipomoea purga~ bezeichnet.
Die Jalapenwinde ist eine am östlichen Abhang der mexikanischen
Cordillere in Höhen von 1200-2400 m wildwachsende ausdauernde
Schlingpflanze, die auch an manchen Orten der Tropen wie auf Jamaika,
in Südamerika, auf Ceylon und in Ostindien kultiviert wird. Die walnuß-
bis faustgroßen Knollen werden das ganze Jahr hindurch, besonders
aber am Ende der Regenzeit im Mai gesammelt, an der Sonne, in heißer
Asche oder, in einem Netz aufgehängt, über freiem Feuer getrocknet. In
letzterem Falle erhalten sie ein berußtes Aussehen und etwas Harz tritt
aus. Um den Austrocknungsprozeß zu beschleunigen, werden die größeren
Knollen durchschnitten; nur kleine läßt man ganz. Sie sind hart, fest
und schwer, erscheinen außen dunkelbraun, runzelig, innen weißlichgrau,
faserig, riechen eigenartig und schmecken anfangs süßlich, ekelhaft,
dann scharf, im Rachen lange haftend. Haupthandelsplatz der nur von
wildwachsenden Pflanzen gesammelten echten mexikanischen Jalapa ist
der mexikanische Hafenort Vera Cruz, von wo die Droge in Ballen von
50 kg Gewicht exportiert wird. Als wichtigsten Bestandteil enthält
sie das zuerst 1634 durch Ausziehen der Wurzelknolle mit Weingeist
gewonnene, bis zu über 20, meist aber zu 10-13 Prozent darin enthaltene
Jalapenharz, das aus 95 Prozent eines in Äther unlöslichen harzartigen
Glykosids Convolvulin und zu 5 Prozent des in Äther löslichen Harzes
Jalapin besteht. Aus ersterem werden im Darm die Convolvulin- und
Purginsäure gespalten. In der Wirkung steht dieses Abführmittel in der
Mitte zwischen Rhabarber und Aloe, indem es nicht so leicht verstopft,
wie ersterer, und auch nicht so stark die Gedärme reizt, wie letztere.

Als drastisches Abführmittel wird das Gummiharz einer altweltlichen
Windenart (~Convolvulus scammonia~) als +Scammonium+ verwendet.
Dieses hat seinen Namen vom griechischen ~skámma~, das Gegrabene,
und wurde schon im Altertum gebraucht, aber nach Dioskurides schon
ebenso verfälscht wie heute. Von der im östlichen Mittelmeergebiet
bis zum Kaukasus heimischen, in Kleinasien und Syrien stellenweise
häufigen ausdauernden Pflanze wird der eingetrocknet bräunlichgelbe
bis dunkelbraune Milchsaft aus der bloßgelegten Wurzel vermittelst
Einschnittes gewonnen. Er schmeckt kratzend, bitter und riecht dem
Jalapenharz ähnlich, besteht aus 10 Prozent Harz, und zwar zum großen
Teil aus Jalapin, dann aus Zucker, Gummi und Gerbstoff. Im Mittelalter
wurde er öfter unter der Bezeichnung Diagrydium arzneilich verwendet,
kommt aber heute nur ganz ausnahmsweise zur Anwendung.

Häufiger wird das +Podophyllin+ angewandt, das von einer an schattigen,
feuchten Stellen der Laubwälder des atlantischen Nordamerika wachsenden
staudigen Berberidee mit 5-9lappigen Blättern, großen, weißen,
nickenden Blüten und eiförmigen, gelblichen, etwa einer kleinen Zitrone
ähnlichen, vielsamigen Früchten mit säuerlichem, eßbarem Fruchtfleisch
gewonnen wird, indem der weiße, kriechende Wurzelstock mit Alkohol
ausgezogen und dieser spirituöse Auszug mit Wasser gefällt wird. Das
so gewonnene Podophyllin stellt ein zitronengelbes bis orangebraunes
amorphes, bitteres Pulver dar, das 12 Prozent Harz mit den abführenden
Glykosiden Podophyllotoxin und Pikropodophyllin enthält. Auch äußerlich
wird die Droge als hautreizendes Mittel angewandt. Der Wurzelstock
dieser Pflanze wurde von alters her von den Indianern zum Laxieren
verwendet. Im Jahre 1820 wurde das daraus gewonnene Harz in die
Pharmakopoe der Vereinigten Staaten, 1864 in diejenige Englands, später
auch in das deutsche, österreichische und schweizerische Arzneibuch
aufgenommen. Dem Wurzelstock dieses nordamerikanischen ~Podophyllum
peltatum~ ist derjenige des ~Podophyllum emodi~ aus Kaschmir und dem
Südabhang des Himalaja auch in der Wirkung sehr ähnlich. Auch er wird
von den Eingeboren in derselben Weise gebraucht.

Uralt ist bei den Kulturvölkern Vorderasiens und des Mittelmeergebiets
die Anwendung der +Aloe+ als Abführ- und Wundheilmittel. Schon 2-3
Jahrtausende v. Chr. war sie in Ägypten und Babylonien im Gebrauch und
wurde unter der semitischen Bezeichnung ~halal~, was bitter bedeutet,
aus den Küstenländern Ostafrikas eingeführt. Die Griechen und Römer
lernten sie später unter dem Namen ~aloe~ kennen. Ähnlich wie der
ältere Plinius sagt sein Zeitgenosse Dioskurides von ihr: „Die meiste
Aloe wächst in Indien und von dort kommt auch ihr Saft in den Handel;
welche wächst auch in Arabien und Kleinasien, wie auch auf einigen
Inseln, z. B. Andros, doch wird ihr Saft an letztgenannten Orten nicht
gesammelt, aber man legt die zerquetschten Blätter auf Wunden. Man
unterscheidet zwei Arten von Aloe, eine sandige und eine leberfarbige.
Beide werden mit Gummi verfälscht, was sich jedoch durch den Geschmack,
den Mangel an Bitterkeit und durch den Geruch verrät, auch läßt sich
der verfälschte nicht zwischen den Fingern zu feinem Staube zerreiben.
Innerlich wird er vielfach als Arznei gebraucht, äußerlich aber in
Pulverform auf Wunden gestreut.“ Im mittleren und nördlichen Europa
war die Aloe seit dem 10. Jahrhundert im Gebrauch und wird zu dieser
Zeit in angelsächsischen Arzneibüchern angeführt. In Deutschland hat
besonders der gelehrte Dominikaner Albertus Magnus, Graf von Bollstädt
(1193-1280), viel zu ihrer Einführung beigetragen.

Die Droge ist der eingekochte Milchsaft aus den Blättern verschiedener
Aloearten aus dem tropischen und subtropischen Afrika, besonders
dem Kapland. Die offizinelle Kap-Aloe wird fast ausschließlich von
~Aloe ferox~ gewonnen, welche im südlichen und südöstlichen Kapland
öfters dichte Bestände bildet. Es ist dies eine Liliazee mit 1 bis
1,75 m hohem, meist einmal gegabeltem Stamm, bläulichgrünen,
unterseits weißgefleckten, nicht nur am Rande, sondern meist auch
an der Ober- und Unterseite stacheligen Blättern und einer großen
Traube von purpurroten, an der Spitze grünlichen Blüten. Die beste
Sorte von Aloe wird dadurch, und zwar meist von den Eingeborenen,
gewonnen, daß man die abgeschnittenen fleischigen Blätter mit der
Schnittfläche nach innen unten rings um eine über eine flache
Bodenvertiefung ausgebreitete gegerbte Rindshaut derart aufstapelt,
daß ein kuppelartiger Bau von etwa 1 m Höhe entsteht. Nach einigen
Stunden werden die Blätter einfach beiseite gestoßen und der von
selbst aus ihnen geflossene Saft in ein Gefäß gesammelt und abends
über freiem Feuer eingekocht, wobei fleißig gerührt werden muß, um das
Anbrennen desselben zu verhindern. Noch besser ist es, ihn langsam an
der Sonne eintrocknen zu lassen. In letzterem Falle scheidet sich das
Aloin des Saftes kristallinisch aus und es entsteht die, wie wir vorhin
erfuhren, schon von Dioskurides und den andern Ärzten des Altertums
unterschiedene matte, lederfarbene Aloe, während die eingekochte,
durchsichtig, glänzend und statt rot bis hellbraun wie die vorige
infolge von Überhitzung schwarz geworden ist. Eine geringere Sorte wird
durch Auspressen, und die schlechteste durch Auskochen der Blätter
gewonnen. Sie riecht eigentümlich und schmeckt widerlich bitter durch
den in ihr enthaltenen Bitterstoff Aloin, der in Wasser löslich ist und
stark abführend wirkt. Ferner sind darin 30-40 Prozent Aloeharz, 0,2
Prozent Aloe-Emodin und Spuren ätherischen Öles enthalten. Die durch
Auskochen der Blätter gewonnene geringste Sorte wird ihrer Wohlfeilheit
wegen nur von Tierärzten benutzt. Im 16. Jahrhundert gelangte die
Kultur der ~Aloe vulgaris~ nach Südeuropa und durch die Spanier nach
Westindien. Seit 1693 ist die Barbados-Aloe im englischen Handel,
während die Kap-Aloe erst seit ihrer Gewinnung durch den Buren Peter
de Wett aufkam. Aus der Barbados-Aloe stellte dann der Edinburger
Apotheker Thomas Smith 1850 als erster das Aloin dar. Die heute meist
von Curaçao stammende Barbados-Aloe wird in Kalabassen und diese dann
in Fässer verpackt, während die gebräuchlichere Kap-Aloe zum Teil in
Affenhäute, als dem billigsten Verpackungsmaterial, vernäht in Kisten
in den Handel gelangt und so auf den Londoner und Hamburger Auktionen
verkauft wird.

[Illustration: Bild 72. Die offizinelle Kap-Aloe (~Aloe ferox~).]

Von einem unscheinbaren Hülsenfrüchtler, der ~Cassia angustifolia~,
einem im mittleren Nilgebiet von Assuan durch Dongola bis Kordofan
heimischen, 30-60 cm hohen Strauch mit paariggefiederten Blättern,
stammen die vom Volke als Abführmittel sehr beliebten +Sennesblätter+,
die vom Juni bis Dezember gesammelt werden und getrocknet meist
über England in den Handel kommen. Sie sind 1 bis 3 cm lang,
eiförmig, lederig, mattgrün und enthalten außer Senna-Rhamnetin,
Senna-Chrysophansäure und Cathartinsäure als eigentlichen abführenden
Stoff das zu 0,8 Prozent darin enthaltene Senna-Emodin. Die alten
Griechen und Römer kannten diese Droge noch nicht. Sie wurde erst seit
dem 9. Jahrhundert durch arabische Ärzte unter der Bezeichnung ~sannâ~
in Europa bekannt, doch wurden im frühen Mittelalter die Fruchthülsen,
und nicht die Blätter der Pflanze von den arabischen Ärzten verwendet;
letztere kamen erst seit dem 11. Jahrhundert immer mehr in Gebrauch,
während man in neuerer Zeit wiederum den Hülsen mehr Aufmerksamkeit
zuwendet. Vom Jahre 1808-1828 war der Handel mit Sennesblättern in
Ägypten unter Muhammed Ali monopolisiert und verpachtet. Als dadurch
die Preise der Droge sehr in die Höhe stiegen, verpflanzten die
Engländer den Anbau des Sennesstrauches nach Südindien und Ceylon, von
wo heute die größte Menge unter der Bezeichnung Tinnevelly-Senna von
Tuticorin aus über England in den Handel kommt, während zur Zeit des
ägyptischen Monopols Triest der Hauptstapelplatz dafür war.

Als gelindes Abführmittel wird das säuerliche Fruchtmus einer anderen
Leguminose, der indischen +Tamarinde+ (~Tamarindus indica~), gebraucht.
Dieser im tropischen Afrika von Abessinien und dem oberen Nilgebiet
südwestlich bis zum Zambesi heimische Schmetterlingsblütler, der heute
überall in den Tropen meist als Alleebaum kultiviert wird, stellt einen
25 m hohen, bis 8 m Stammumfang aufweisenden schattigen Baum dar
mit paariggefiederten Blättern, gelblichen, purpurn geäderten Blüten
und gestielten 15 cm langen und 2,5 cm breiten Fruchthülsen, die in
zerbrechlicher, gelbbrauner, rauher Schale ein braunschwarzes Mus, und
in diesem rundliche, viereckige, glänzend rotbraune Samen aufweisen.
Für die trockenen, vegetationsarmen Binnenländer Afrikas sind die
als beliebtes Obst und zur Herstellung von erfrischendem Mus und
durstlöschenden Getränken benutzten Früchte von der größten Bedeutung.
Auch das gelbliche, oft rot gestreifte, harte, sehr dauerhafte und von
keinerlei Insekten, selbst nicht den Termiten, angegangene Stammholz
ist als Werk- und Drechslerholz hochgeschätzt. Die alten Ägypter
kannten den Baum als ~nutem~, d. h. Schotenbaum, und wandten das
angenehm säuerliche Mus seiner Früchte als abführende Arznei an. Die
übrigen Kulturvölker des Altertums erwähnen die Frucht noch nicht,
sondern erst die arabischen Schriftsteller des Mittelalters unter der
Bezeichnung ~tamar hindi~, d. h. indische Datteln, woraus dann unsere
Benennung Tamarinde hervorging. Durch Vermittlung der arabischen Ärzte
wurden die Tamarindenschoten und das daraus hergestellte Mus in die
europäischen Apotheken eingeführt. Der erste europäische Arzt, der
solches erwähnt und von dessen Anwendung als kühlendem Abführmittel bei
Gallenkrankheiten spricht, ist Johannes Actuarius im 13. Jahrhundert.
Bei den alten deutschen Ärzten findet sich dafür die Bezeichnung
~siliqua arabica~, d. h. arabische Schote. Seit dem 15. Jahrhundert
führen die deutschen Apotheken die Tamarinde, die aber niemals
besondere Geltung erhielt. Erst in neuerer Zeit ist das in Bonbonform
gebrachte Tamarindenmus von Frankreich aus als ~tamar indien~ zu
Abführzwecken mehr und mehr eingeführt worden. Ihre Wirkung wird durch
den Gehalt von 8 Prozent Weinstein und 15 Prozent Weinsäure bedingt.
Ein ausgewachsener Baum liefert 180-200 kg Früchte, deren Mus überall
in den Tropen gern als Kompott verspeist wird. Aus den Ländern am
oberen Nil kam der Fruchtbaum schon sehr früh nach Indien, wo er im
Ayur Veda Susrutas als ~ambika~ angeführt wird. Bereits 1570 traf ihn
Hernandez in Mexiko, und 1648 von Markgraf in Brasilien angepflanzt.

Gleichzeitig mit der Tamarinde wurden die von arabischen und persischen
Ärzten zuerst erwähnten getrockneten Früchte des ursprünglich ebenfalls
im oberen Nilgebiet heimischen und von da über die Tropen beider
Hemisphären verbreiteten, bis 18 m hohen und schöne Bäume bildenden
Schmetterlingsblütlers ~Cassia fistula~ unter dem Namen +Röhrenkassie+
in die europäischen Apotheken eingeführt. Actuarius im 13. Jahrhundert
beschrieb sie als ~Cassia nigra~ und erst Mesue führt sie als ~Cassia
fistula~ an. Das honigartig riechende, süßschmeckende, braune Mus,
das aus den 30-60 cm langen, 1,5-3 cm dicken, schwarzen oder
schwarzbraunen, zylindrischen, kurzgestielten, meist etwas gekrümmten
Hülsenfrüchten mit glatter, holziger Schale gewonnen wird, enthält
außer Gummi und Pektinstoffen über die Hälfte des Gewichtes Zucker
und wird als mildes Abführmittel für sich oder als Bestandteil
von Elektuarien benutzt. Die süßeste Ware kommt, wie das meiste
Tamarindenmus, aus Ostindien in zylindrischen, aus derben Rohrspänen
geflochtenen Körben in den Handel; daneben ist amerikanische und
afrikanische Röhrenkassie auf dem Markt. In Indien benutzt man die
jungen, unreifen Früchte, mit Zucker eingemacht, als Abführmittel.
Die sehr gewürzhaft riechende Rinde des Baumes, die der Pflanze die
sonst nur für eine Abart des Zimtbaums, die Zimtkassie, gebräuchliche
Benennung ~Cassia~ verschaffte, ist sehr reich an Gerbstoff und wird
deshalb vielfach zum Gerben benutzt.

Als drastisches Abführmittel bei Wassersucht diente früher noch mehr
als heute der eingedickte schleimige, gelbe Saft eines in Süd- und
Hinterindien wachsenden 15 m hohen Baumes, ~Garcinia hanbury~, der
als +Gummigutti+ in den Handel kommt. Von den Eingeborenen wurde er
schon längst arzneilich und technisch verwendet, als ihn die Europäer
kennen lernten. Zuerst erwähnt ihn ein chinesischer Reisender, der
von 1295-97 Kambodscha besuchte, unter dem Namen ~kiang-hwang~. Die
erste Probe davon brachte der holländische Admiral J. van Neck nach
Europa; von ihm erhielt Clusius 1603 davon unter der malaiischen
Bezeichnung ~gutah jemon~, d. h. heilkräftiges Gummiharz. 1611
machte ein Bamberger Arzt, Michael Reuden, den ersten medizinischen
Gebrauch davon. 1651 nahm Horstius das Mittel in seine ~Pharmacopoea
catholica~ auf, und 1751 erkannte Neumann die Natur der Droge als
ein Gummiharz. Von 20-30 Jahre alten Bäumen wird der gelbe Milchsaft
durch spiralig um den Stamm verlaufende Schnitte vor Eintritt der
Regenzeit, d. h. von Februar bis April gewonnen, in 50 cm langen
und 6-7 cm dicken Bambusrohren durch Erwärmen am Feuer erhärtet und
dann die stangenförmige rotgelbe Masse als Röhrengutti in den Handel
gebracht. Er enthält durchschnittlich 77 Prozent Harz, etwas in Alkohol
lösliches Gummiguttigelb und 12 Prozent Gummi. Die drastische Wirkung
der berüchtigten Morisonpillen ist wesentlich auf ihren Gehalt an
Gummigutti zurückzuführen, der in stärkeren Dosen leicht Vergiftungen
hervorruft.

Ein anderes, schon in sehr kleinen Mengen außerordentlich heftig
abführendes und, in die Haut eingerieben, in kurzer Zeit eine
starke Hautentzündung mit Pustelbildung hervorrufendes Mittel ist
das +Krotonöl+, das aus den zerstoßenen, geschälten, reifen Samen
einer 6 m hohen, sehr nahe mit der Rizinusstaude verwandten
Wolfsmilchpflanze, ~Croton tiglium~, bei gelinder Wärme ausgepreßt wird
und ein dickes, braungelbes, etwas unangenehm riechendes, zunächst
milde, aber sehr bald scharf brennend schmeckendes Öl darstellt.
Innerlich bringt schon ½ Tropfen mit Zucker verrieben nach einer halben
Stunde eine Ausleerung hervor, während 1 Tropfen -- übrigens die größte
Gabe, welche innerlich als Heilmittel verabreicht werden darf --
schon über ein Dutzend Ausleerungen mit starkem Drang hervorruft. Das
wirksame Prinzip ist das krotonolsaure Triglycerid und das Krotonharz,
auf welch letzterem die blasenziehende Eigenschaft des Öles beruht.
So dient es auch als Bandwurmmittel und äußerlich zu ableitenden
Salben bei Rheumatismus und Neuralgien. Die Bekanntschaft mit diesem
Öle verdankt das Abendland den arabischen Ärzten. Ums Jahr 950 war
es Serapion dem Älteren, und 50 Jahre später Avicenna (eigentlich
Ibn Sina, dem Leibarzte mehrerer Sultane, gestorben 1037 in Hamadan)
bekannt. 1578 lieferte D’Acosta eine genauere Beschreibung nicht nur
des Öles, sondern auch der in Ostindien heimischen Stammpflanze,
die außer hier und in Ceylon auf Java, den Philippinen und in China
kultiviert wird.

Ein uraltes Abführmittel sind endlich die faustgroßen, runden,
gelben Früchte der in großer Menge die Wüsten Nordafrikas und
Westasiens bewohnenden Bittergurke (~Citrullus colocynthis~),
die einst hauptsächlich den Straußen als Nahrung dienten und als
+Koloquinten+ arzneiliche Verwendung fanden. Sie finden sich bereits
im Alten Testament erwähnt, und wie schon Hippokrates, verwandte
sie auch Dioskurides unter der Bezeichnung ~kolokynthis~, d. h.
Eingeweidebeweger, als Arznei. Besonders von den arabischen Ärzten
wurde diese von ihnen ~handal~ genannte Droge viel verwandt und deshalb
die Koloquinte schon im 10. Jahrhundert auf Cypern und in Spanien
angepflanzt. Als Arzneimittel werden die Früchte in angelsächsischen
Arzneibüchern des 11. Jahrhunderts angeführt. Gegen halbseitiges
Kopfweh rühmte sie schon Alexander Trallianus im 6. Jahrhundert. Die
getrockneten, geschälten Früchte kommen aus Spanien, Marokko, Syrien
und neuerdings in komprimierter Form aus Persien und Ostindien in den
Handel und enthalten besonders im Fruchtfleisch einen glykosidischen
Bitterstoff, das Colocynthin, zu 0,6-2 Prozent. Die gerösteten Samen
der Koloquinte werden übrigens von der ärmeren Bevölkerung der Sahara
als willkommene Speise gegessen.

Eine schon im Altertum für den Arzneischatz wichtige Pflanze
bildete das +Süßholz+. Es ist dies die ungeschälte Wurzel der in
Südeuropa und im südwestlichen Asien bis Persien heimischen, bis
2 m hohen, ausdauernden Leguminose, ~Glycyrrhiza glabra~, mit bis
20 cm langen Fiederblättern und violetten Blüten in Trauben. In
den hippokratischen Schriften wird sie zwar nur einmal erwähnt, aber
die späteren griechischen Ärzte benutzten sie als ~glykýrrhiza~, d.
h. Süßwurzel, häufig als schleimlösendes Mittel bei Husten. Bei den
römischen Ärzten figurierte sie als ~radix dulcis~, was ebenfalls
süße Wurzel bedeutet. Noch Alexander Trallianus im 6. Jahrhundert
benutzte sie viel gegen Brustbeschwerden. Unter den von Karl dem
Großen in seinem ~capitulare de villis~ vom Jahre 812 zum Anbau
empfohlenen Nutzpflanzen findet sie sich nicht, doch wird sie von der
heiligen Hildegard, Äbtissin des Klosters Ruppertsberg bei Bingen
(1098-1179), als ~liquiricium~ aufgeführt, woraus dann das deutsche
Lakriz und das französische ~rêglisse~ hervorging, alles natürlich
Ableitungen des griechischen ~glykýrrhiza~, das uns schon bei dem
Schüler des Aristoteles, Theophrast (390-286 v. Chr.), entgegentritt.
Die bis 2 cm dicke, gelbe Süßholzwurzel enthält als wesentlichsten
Bestandteil das als Süßholzzucker bezeichnete Glycyrrhizin, ein an
Kalk gebundenes Glykosid, das zu 6-8 Prozent darin enthalten ist. Im
15. Jahrhundert wurde von den Benediktinern in Bamberg die Kultur des
Süßholzes in Deutschland eingeführt und meist von da aus die deutschen
Apotheken mit dieser Droge versorgt. Seit dem 13. Jahrhundert wird
es in Italien, vorzugsweise in Kalabrien und Sizilien, besonders
aber in Spanien kultiviert, von wo es, im Winter ausgegraben und
in Bündel von 30-35 kg Gewicht verpackt, in den Handel kommt.
Auch aus Südfrankreich, Mähren und Syrien, wo die Pflanze im großen
kultiviert wird, und aus der Umgebung von Smyrna, wo man sie von
wildwachsenden Exemplaren sammelt, wird sie teils als solche, teils
auf Lakrizensaft verarbeitet, exportiert. Der eingekochte Lakrizensaft
war schon dem Dioskurides und Plinius bekannt; in Deutschland erwähnt
ihn zuerst Konrad von Megenberg, der 1374 63jährig als Kanonikus
am Dom zu Regensburg verstorbene Verfasser der ersten in deutscher
Sprache geschriebenen Naturgeschichte. 1450 treffen wir ihn in der
Arzneiliste der Stadt Frankfurt a. Main. Er wird durch Auskochen
der zerquetschten minderwertigen Wurzeln in Wasser mit nachherigem
Eindampfen gewonnen und dient außer als Geschmackskorrigens für
Arzneien auch in der Bierbrauerei. Außer dem südeuropäischen und
asiatischen Süßholz kommt eine geschälte, sogenannte russische Abart
von der Varietät ~Glycyrrhiza glandulifera~ in großen, durch eiserne
Bänder zusammengehaltenen Ballen von 80-100 kg in den Handel. Sie
wird besonders bei Sarepta und den Inseln der Wolgamündungen im großen
angebaut und ihre Wurzeln werden roh über Astrachan nach Moskau und
St. Petersburg, wo sie erst geschält werden, ausgeführt. Ein anderer,
meist von wildwachsenden Pflanzen an den Ufern des Ural gesammelter
Teil kommt von Nishnij-Nowgorod aus auf den Markt. Diese eigenartig
süß schmeckende Droge gilt als das beste Süßholz; auch bei ihm ist die
Herbsternte reicher an Glycyrrhizin als die Sommerernte. Fast ebensogut
in der Qualität ist das in großen Mengen in Sibirien, Turkestan und
der Mongolei gesammelte und eine besondere Handelsmarke bildende
chinesische Süßholz von ~Glycyrrhiza uralensis~, das pharmakognostisch
wesentliche Unterschiede vom russischen und spanischen zeigt.

Von einigen dem vorigen sehr nahe verwandten Schmetterlingsblütlern
aus der Gattung ~Astragalus~ wird in Kleinasien, Syrien und Persien
der als Bindemittel in der Technik und Arzneikunde viel gebrauchte
+Tragantgummi+ gewonnen. Er tritt als bei gutem Wetter innerhalb 3-4
Tagen erhärtender Schleim, bei feuchter Witterung durch entsprechende
Volumzunahme freiwillig, beziehungsweise durch zufällige Verletzungen
der Rinde durch Insekten oder weidende Tiere, in der Regel aber
durch künstlich angebrachte Einschnitte aus Stamm und Ästen jener
dornigen Büsche und wird in farblosen, gelblichweißen bis bräunlichen
Blättern oder Körnern gesammelt. Die Sortierung in die verschiedenen
Handelssorten geschieht meist in Smyrna oder Konstantinopel, von
wo jährlich etwa ½ Million kg in den Handel gelangen. Besonders
groß ist der Bedarf in der Kattundruckerei als Verdickungsmittel für
Farben, in der Appretur von Seidenwaren und zum Glänzendmachen von
Sohlleder. Er quillt in Wasser stark auf, gibt gepulvert mit 20 Teilen
Wasser einen derben, vielfach auch zu Klistieren benutzten Schleim
und enthält außer einem in Wasser löslichen Gummi hauptsächlich das
in Wasser quellende, unlösliche Bassorin, ein Polysaccharid. Der
Tragant war schon den alten Griechen und Römern als ~tragacantha~
bekannt und wurde von ihnen technisch und medizinisch benutzt.
Theophrast nennt Kreta, den Peloponnes und Medien, d. h. das Gebirge
im Nordwesten des heutigen Persien als die Heimat der ihn liefernden
Pflanzen, und Dioskurides sagt, der beste sei durchsichtig, glatt,
fast süß. Er wirke wie (arabischer) Gummi, werde in Augenheilmittel
getan und gegen Brustleiden eingenommen. Sein Zeitgenosse Plinius
der Ältere nennt Medien und Achaja als Hauptbezugsgegenden der
Droge und fügt bei, daß ein Pfund davon zu seiner Zeit drei Denare
(etwa 90 Pfennige) kostete. Durch die arabischen Ärzte wurde dann
das Abendland mit dem Tragantgummi bekannt. Zum ersten Male findet
sich die Droge in Deutschland im 12. Jahrhundert erwähnt. Um 1340
berichtet der Italiener Pegolotti über ~draganti~ als Ausfuhrartikel
von Satalia (Adalia im südlichen Kleinasien) neben dem Tragant aus
Romania, dem heutigen Griechenland. Neuerdings wird als Surrogat des
Tragants der +Kuteragummi+ von der 6 m hohen Leguminose ~Maximilianea
gossypium~, mit großen, gestielten Blättern und gelben Blüten, in
Vorderindien gewonnen. Außer in seiner Heimat wird er in Cochinchina,
Senegambien und auf der Insel Mauritius angepflanzt und liefert den
dem Tragantgummi ähnlichen, in Wasser auch nur teilweise löslichen
Kuteragummi, der in derselben Weise wie der Tragant verwendet wird.

Ein seit dem frühesten Altertum sehr geschätzter Exportartikel
Afrikas ist der +arabische+ oder +Akaziengummi+, der hauptsächlich
aus Stamm und Ästen der im Nordosten Afrikas, besonders im oberen
Nilgebiet wachsenden, bis 6 m hoch werdenden Gummiakazie (~Acacia
senegal~) von den Eingeborenen gesammelt wird, um nicht nur an die
Fremden verkauft zu werden, sondern in erster Linie ihnen selbst
als wichtiges Nahrungsmittel zu dienen. Diese Gummiakazie bildet
in Senegambien und Kordofan, im Stromgebiet des Weißen Nil und des
Atbara ausgedehnte Wälder und besteht aus stacheligen Sträuchern oder
bis 6 m hohen Bäumen mit schirmartiger Krone, sehr hartem Holz,
grauer, rissiger Rinde und dicken Lagen gelben bis purpurroten Bastes,
kleinen, doppelgefiederten Blättern, schwarzen Stacheln, langen, gelben
Blütenähren und linealischen Fruchthülsen mit dunkeln Samen. Wenn im
Juli, August und September in dem sonst regenarmen Lande ausgiebige
Regengüsse stattfinden und daraufhin heiße Witterung eintritt, so
berstet durch die austrocknenden Ostwinde die Rinde der dann eben
blattlosen und sich mit den schönen, gelben Blütenähren bedeckenden
Gummiakazien, und aus der allmählich der „Vergummung“ anheimfallenden
Innenrinde fließt in oft größerer Menge der farblose Gummischleim aus,
der alsbald am Baume erhärtet. Mit dem Ausbrechen der Blätter hört dann
die Gummibildung auf. Je länger nun z. B. am Senegal der austrocknende
Wüsten-Ostwind weht, um so reichlicher ist die Ernte. Nach Busse soll
aber dieser Gummifluß nicht freiwillig stattfinden, wie man bis jetzt
allgemein glaubte, sondern sein Entstehen lediglich der Verletzung
durch die Rinde (und das Holz) anbohrende Insekten, besonders Ameisen,
verdanken. Jeder Gummiklumpen entspräche demnach einer kleinen Wunde,
und zwar färbt sich der austretende Gummi um so mehr rotbraun, je
tiefer die Wunde ist und je mehr sich infolgedessen gerbstoffartige
Stoffe beimischen. Smith endlich führt das Ausfließen von Gummi auf die
Tätigkeit eines von ihm als ~Bacterium acaciae~ bezeichneten winzigen
Pilzes zurück, der stets auf denselben Bäumen und an den Stellen,
wo sich Gummi bildet, aufgefunden wird. Nach Louvel beginnt die
Gummiabsonderung, sobald die Pflanze 7-8 Jahre alt ist, sie erreicht
im 30. ihren Höhepunkt und dauert bis zum 40. an. Nur selten wird die
Gummiakazie vom Menschen angeschnitten, um ihr wertvolles Produkt
zu erhalten. Am reichlichsten fließt der Gummi in den Monaten Februar
und März bis Mitte April, und zwar ist die Absonderung desselben in
abnorm heißen Jahren am stärksten. Früher richteten gelegentlich
Elefanten große Verwüstungen in den Gummiwäldern an, so daß der
Ertrag geschmälert wurde. Die beste Sorte kommt aus Kordofan in den
Handel; eine sehr gute Qualität liefert auch Südnubien und Abessinien.
Weniger geschätzt dagegen ist der von anderen Akazienarten in Ost- und
Südafrika, wie auch in Marokko und der Berberei gesammelte, mehr braune
Gummi. Letzterer löst sich nicht vollständig wie der echte, helle
arabische Gummi im doppelten Gewicht Wasser zu einem klebenden, aber
nicht fadenziehenden, geruchlosen, gelblichen Schleim auf.

[Illustration:

    Tafel 127.

Anpflanzung von Süßholz (~Glycyrrhiza~) an der Save bei Bosnabrod
in Bosnien. (Nach einer im Besitz des Botan. Institutes zu Wien
befindlichen Photographie von L. Adamovic.)]

[Illustration: In Europa wild wachsender Rhabarber (~Rheum undulatum~).]

[Illustration:

    Tafel  128.

    (Phot. von ~Dr.~ W. Beam.)

Anschlagen einer Gummiakazie (~Acacia verek~) in Kordofan.]

[Illustration:

    (Phot. von ~Dr.~ W. Beam).

Ausschwitzung von arabischem Gummi an einer angeschlagenen Gummiakazie
in Kordofan.]

Beim Einsammeln des Gummis ist vor allem darauf zu achten, daß nur
immer ein und dieselbe Art gesammelt wird, oder aber die Sorten
verschiedener Arten gleich an Ort und Stelle auseinander gehalten
werden. Dies ist deshalb von großer Wichtigkeit, weil sich die
verschiedenen Gummisorten in ganz verschiedenem Maße in Wasser lösen
und es so leicht vorkommen kann, daß Gummisorten gemischt werden, von
denen die eine ganz, die andere nur zu einem gewissen Teil löslich
ist. Eine solche Mischsorte würde dadurch fast vollständig entwertet.
Derartige minderwertige gemischte Sorten kommen meist fein gepulvert in
den Handel, finden aber nur schwer Absatz, weil ein solcher auch stark
verunreinigt zu sein pflegt. Es empfiehlt sich, nur möglichst helle
und gleichmäßig gefärbte Stücke derselben Akazienart zu sammeln und
die Sorten streng auseinander zu halten. Der beste Gummi ist farblos
bis hellgelb, ziemlich durchsichtig und bildet runde oder längliche
Körper mit glatter, teilweise rissiger Oberfläche. Die Härte entspricht
ungefähr derjenigen des Steinsalzes. Der Hauptbestandteil desselben
ist Arabin, eine Verbindung der Arabinsäure mit Kalk und kleinen
Mengen Kali und Magnesia, ferner wenig Bassorin und Spuren von Zucker,
Gerb- und Farbstoffen. Die Verwendung des Gummis ist eine äußerst
mannigfaltige. In der Medizin dient er als reizmilderndes, schleimiges,
einhüllendes Arzneimittel, besonders bei Magen- und Darmentzündung
und bei Vergiftungen, dann als Konstituens bei Emulsionen, Latwergen,
Pasten, Pastillen, Pillen usw., als Streupulver bei Wunden, speziell
Brandwunden, zu Klistieren, im großen aber in Färbereien, Druckereien,
Appreturanstalten für Seidenwaren und feine Spitzen, dann Tinten- und
Zündholzfabriken usw. als Klebemittel. Allein Deutschland bedarf seiner
im Werte von etwa 16 Millionen Mark jährlich. Frankreich importiert
jährlich aus dem Senegal zwischen 2 und 5 Millionen kg nach Bordeaux;
der größte Teil desselben wird im Lande selbst verarbeitet.

Schon die alten Ägypter bedienten sich des arabischen Gummis in der
Malerei, wie auch in der Appretur und beim Färben von Linnenstoffen.
Auf den ägyptischen Denkmälern aus den Jahren um 1500 v. Chr., die uns
am Grabtempel der Königin Hatschepsut in Der el Bahri an der Westseite
der einstigen Residenzstadt Theben erhalten sind, wird der Gummi als
~kami en punt~, d. h. Gummi aus dem Lande Punt (der Südspitze Arabiens
und der gegenüberliegenden Somaliküste) bezeichnet und neben Weihrauch
als eine begehrte Droge jenes Landes angeführt. Der ägyptische ~kami~
kam als ~kómmi~ zu den Griechen. Der große Pflanzenkenner Theophrast
sagt über ihn in seiner Pflanzengeschichte: „Die Akazie (~akántha~) in
Ägypten liefert den Gummi (~kómmi~); er fließt von selbst aus, oder aus
Wunden, die man absichtlich macht.“ Dioskurides nennt den ägyptischen
Gummibaum ~akakía~ (woraus unser Akazie entstand) und sagt, daß der
Gummi vielfach als Arznei verwendet werde. Dasselbe sagt Plinius von
der Droge, die er ~gummi~ nennt. Der ägyptische Gummi sei weitaus die
beste Sorte, habe eine dunkle Farbe und komme in wurmförmig gedrehten
Stücken in den Handel. Schon der große Hippokrates benutzte den
~kómmi~ als Arzneimittel, und der weitgereiste Herodot kannte ihn als
Bestandteil der Tinte. Nach dem um 25 n. Chr. gestorbenen griechischen
Geographen Strabon aus Amasia am Pontos kam der Gummi besonders aus
der Umgegend der ägyptischen Stadt Akanthos, deshalb treffe man in den
alten Schriften, z. B. bei Cornelius Celsus, die Bezeichnung ~gummi
acanthinum~; doch seien auch die Benennungen ~gummi thebaicum~ und
~g. alexandrinum~ gebräuchlich. Der Name „arabischer Gummi“ -- daher
stammend, weil er über arabische Häfen ausgeführt und durch die Araber
verbreitet wurde -- tritt uns zuerst beim jüdischen Arzte Ibn Serapion
im 11. Jahrhundert entgegen. Im Mittelalter wurde er im Abendlande nur
sehr wenig angewendet und kam auch in sehr geringen Mengen nach Europa.
Der Senegalgummi kam erst im 14. Jahrhundert durch die Portugiesen nach
Europa, im 17. Jahrhundert begann seine Verwendung in Frankreich, aber
erst vom Jahre 1832 an begann er zunächst in Frankreich den arabischen
Gummi zu verdrängen. Als durch den Mahdistenaufstand der Sudan für den
Gummiexport gesperrt wurde und infolge davon die Nilgummisorten sehr
selten wurden, eroberte sich der Senegalgummi den Weltmarkt und wird
jetzt überall da angewendet, wo das viel billigere Dextrin, der durch
Verkleisterung von Stärkemehl erhaltene Stärkegummi, nicht genommen
werden kann.

Surrogate des arabischen oder Akaziengummis sind der +indische+ oder
+Feroniagummi+, der aus dem verwundeten Stamm des Elefantenapfelbaums
(~Feronia elephantum~), eines großen Baumes in Ostindien bis Ceylon
mit anisartig duftenden, unpaarigen Fiederblättern, rötlichgrünen
Blüten und vielsamigen, apfelähnlichen Früchten mit harter Rinde und
genießbarem Fleisch, träufelt und in großen, gelben bis braunen,
durchsichtigen, in Wasser leicht löslichen Klumpen erstarrt. Er
klebt stark, wird wie arabischer Gummi benutzt und ist diesem für
Wasserfarben vorzuziehen. Ferner der in Westindien, besonders auf
Martinique und Guadeloupe, und Brasilien gesammelte +Cashawagummi+,
der aus Wunden des daselbst heimischen, jetzt überall in den Tropen
kultivierten Akajoubaumes (~Anacardium occidentale~), eines Verwandten
des Mahagoni, fließt. Es ist dies einer der schönsten Kulturbäume, der
sich durch hohen, dicken Stamm und mächtige Laubkrone auszeichnet.
Die Stiele der Früchte sind zu hühnereigroßen, birnförmigen, gelben,
süßlichsauren Scheinfrüchten geworden, die ein sehr beliebtes
Obst abgeben, während die als Anhängsel daraufsitzenden kleinen,
nierenförmigen eigentlichen Früchte als westindische Elefantenläuse
bezeichnete Steinfrüchte bilden, die auch eßbar sind und aus denen ein
in der Medizin und Technik verwendetes Öl gepreßt wird.

Ein angenehm styraxartig riechendes Harz wird als ~Ladanum~ aus
verschiedenen Arten von Cistrosen auf Cypern, Kreta, Naxos und in
Spanien gewonnen. Schon von den alten griechischen Ärzten wurde es als
erwärmendes und zusammenziehendes Mittel, innerlich bei chronischem
Katarrh und äußerlich auf Wunden und Geschwüre, verwendet. Noch jetzt
ist es im Orient sehr geschätzt und gilt dort als Schutzmittel gegen
die Pest, während es bei uns nur etwa zu Räucherungen und als Parfüm
dient. Ebenfalls bloß noch äußerliche Verwendung findet bei uns das
+Elemiharz+, das durch Anschneiden verschiedener auf den Philippinen
heimischer Kanariumarten, in Indien, Ostafrika, Venezuela und Brasilien
von anderen Burserazeen gewonnen wird. In frischem Zustande stellt
es eine klare, wenig gefärbte Auflösung von Harzen in ätherischen
Ölen dar, aus der sich das Harz durch Verdunsten dieser letzteren
ausscheidet. Der Geruch ist balsamisch, der Geschmack gewürzhaft,
bitter. Es dient bei uns als Heilmittel auf Wunden, während die
Eingeborenen es auch innerlich, namentlich gegen Kopfschmerz, und zu
Räucherungen verwenden.

Zu scharfen Einreibungen und als Zusatz zu blasenziehenden
Pflastern dient das +Euphorbium+, ein aus der geritzten Rinde
einer nordafrikanischen, bis 2 m hohen, fleischigen, blattlosen
Wolfsmilchart (~Euphorbia resinifera~) ausfließender und an der
Pflanze selbst erhärtender Milchsaft, der hellgelbliche, zerreibliche
Stücke bildet, die beim Erwärmen schwach weihrauchartig riechen und
auf der Zunge scharf brennen. Die Einschnitte in den Stamm und die
vierkantigen Zweige werden zur Fruchtzeit gemacht. Dieses Gummiharz
wird ausschließlich im marokkanischen Atlas gesammelt und kommt über
Mogador in den Handel. Schon im Altertum war es bekannt und wurde als
scharfes Abführmittel von den griechischen Ärzten verordnet. Juba
II., der Sohn Jubas I. von Numidien, der sich nach der Niederlage
der Pompejaner bei Thapsus im Jahre 46 v. Chr. das Leben nahm, ein
nach dem Sturze seines Vaters nach Rom gebrachter und dort erzogener,
wissenschaftlich gebildeter Mann, dem später Augustus wieder einen Teil
seines väterlichen Reiches verlieh, schrieb über diese Pflanze seiner
Heimat, die er nach seinem Leibarzte Euphorbos benannt haben soll, eine
kleine Schrift. Später ging die Kenntnis der Stammpflanze verloren, bis
Berg im Jahre 1863 aus im Euphorbium enthaltenen Bruchstücken die schon
1804 von Jackson erwähnte Pflanze bestimmte. Die ersten Exemplare der
Pflanze kamen 1870 in den großen botanischen Garten von Kew bei London.
1868 isolierte Flückiger das neben verschiedenen Harzen darin zu 34
Prozent enthaltene Euphorbon.

Ein anderes, ebenfalls kaum mehr innerlich, sondern als Bestandteil
reizender und zerteilender Salben und Pflaster nur noch äußerlich
gebrauchtes Gummiharz ist das +Ammoniacum+, der zur Zeit der
Fruchtreife durch Stiche von Insekten ausfließende und an der Luft zu
innen weißlichen, außen bräunlichen, eigentümlich unangenehm riechenden
und scharf bitter schmeckenden erbsen- bis walnußgroßen Körnern
erhärtende Milchsaft einer ausdauernden, bis 2,5 m hohen Umbellifere
der mittleren und östlichen Gegenden Persiens und der Wüsten um den
Aralsee, ~Dorema ammoniacum~. Er erweicht in der Hand, gibt mit Wasser
eine Emulsion, ist in Alkohol nicht vollständig löslich und enthält
schwefelfreie Harze und Gummi. Das von den griechischen Ärzten des
Altertums gegen mancherlei Krankheiten gegebene ~hammoniacum~ war
noch nicht dieses persische, sondern ein von der nordafrikanischen
~Ferula tingitana~ aus Marokko gewonnenes Produkt. Nach Plinius, der
es ~hammoniaci lacrima~, d. h. Ammoniakträne, nennt, wächst es in den
unterhalb des Negerlandes gelegenen Sandwüsten Afrikas. „Es kommt von
einem Baume, der beim Orakel des Jupiter Hammon vorkommt, heißt auch
~metopion~ und quillt wie anderes Harz oder Gummi in Tropfen hervor.
Es gibt zwei Sorten desselben; die beste ist zerbrechlich, die andere
fett und harzig und heißt auch ~phýrama~. Das Pfund des besten kostet
40 As (etwa 1 Mark und 60 Pfennige). Es erwärmt, zerteilt, löst auf
und dient gegen allerlei Leiden.“ Den Namen hat die Droge natürlich
von der Oase des Jupiter Ammon, von der sie einst bezogen wurde, und
so dürfte Don unrecht haben, der sie, da sie von den alten Autoren
bisweilen auch ~armoniacum~ geschrieben wird, nur als verdrehtes
~armeniacum~ aufgefaßt wissen möchte. Schon im 2. Jahrhundert n. Chr.
wurde sie allmählich durch das persische Gummiharz verdrängt, das
im 9. Jahrhundert von persischen, im 10. und 11. Jahrhundert auch
von arabischen Ärzten genannt wird, aber erst im 14. Jahrhundert
in Deutschland bekannt wurde. Die Stammpflanze wurde 1829 von Don
beschrieben und benannt.

Von einem andern Doldenblütler Irans, ~Ferula persica~, wird das
knoblauchartig riechende +Sagapenum+ gewonnen, das im Orient und in
Indien als Gewürz und Heilmittel heute noch Verwendung findet. Dieses
Gummiharz wurde schon in der römischen Kaiserzeit von den griechischen
Ärzten verwendet. Dioskurides beschreibt es in folgender Weise: „Das
~sagápēnon~ ist der Saft einer unserer Ferula ähnlichen Pflanze und
kommt aus Medien. Das beste ist durchscheinend, außen gelblich, innen
weiß; der Geruch hält die Mitte zwischen dem ~sílphion~ (Teufelsdreck)
und ~gálbanon~. Der Geschmack ist scharf.“

Ein der Ammoniakpflanze ähnlicher Doldenblütler Griechenlands und
Kleinasiens, ~Ferula opopanax~ oder ~Opopanax cheironium~, eine
schon von Theophrast nach dem kräuterkundigen Kentauren Cheiron in
Thessalien als ~pánakes cheirónion~ bezeichnete Heilpflanze, liefert
durch Einschnitte in die fleischige Wurzel das heute wenigstens bei uns
nicht mehr gebräuchliche Gummiharz +Opopanax+ (zu deutsch: Saft der
Panaxpflanze, d. h. der allheilenden Kraftwurzel). Im Altertum wurde
es arzneilich viel verwendet. Dioskurides, der die Pflanze vermutlich
nach dem damaligen Hauptbezugsorte der daraus gewonnenen Droge, der
Heraklesstadt in Bithynien am Schwarzen Meer, ~Herakleia pontica~,
einer bis zu den mithridatischen Kriegen (der letzte -- dritte --
derselben dauerte von 74-63 v. Chr.) sehr blühenden Hafenstadt
Kleinasiens, ~pánakes herakleíon~ nennt, sagt in seiner Arzneikunde
von ihr: „Das ~pánakes herakleíon~, aus welchem ein Saft gewonnen
wird, den man ~opopánax~ nennt und gegen viele Übel gebraucht, wächst
vorzüglich in Böotien und dem arkadischen Psophis, wird aber auch, da
der Saft mit Gewinn verkauft werden kann, in Gärten gezogen. Übrigens
wächst die Pflanze auch in Makedonien und dem libyschen Kyrene.“

Im Gegensatz zu diesem hat sich auch bei uns bis auf den heutigen
Tag ein anderes Gummiharz als wichtiges Arzneimittel und teilweise
auch sehr beliebtes Gewürz im Gebrauch erhalten, nämlich die +Asa
foetida+, im Deutschen wegen ihres abscheulichen knoblauchartigen
Geruchs als +Teufelsdreck+ bezeichnet. Die ihn liefernde Pflanze war
schon dem Hippokrates als medisches (im Gegensatz zum kyrenischen)
Silphion bekannt. Später sagt Dioskurides von ihm: „Der vom medischen
und syrischen ~sílphion~ kommende festgewordene Saft hat einen
durchdringenden Geruch und wird gegen sehr viele Leiden angewandt.“
Dieser eingetrocknete Milchsaft, den Plinius aus Persien, Armenien
und Medien kommen läßt, ~laser~ nennt und dem eingedickten Safte des
~silphium~ von Kyrene gleichend bezeichnet, ist das Gummiharz des
Stinkasantes (~Ferula asa foetida~), einer bis 2,5 m hohen Staude
aus der Familie der Umbelliferen, die in Persien, Afghanistan, dem
oberen Indusgebiet, besonders in den ausgedehnten Steppen und Wüsten
zwischen dem persischen Meerbusen und dem Aralsee heimisch ist und bei
Herat und anderswo auch kultiviert wird. Bei der geringsten Verletzung
tritt der Milchsaft aus der Rinde der Wurzel aus. Er wird in der Weise
gewonnen, daß die betreffenden Sammler, gewöhnlich Hirten, zur Zeit, da
die Blätter zu welken beginnen, etwa Mitte April, den oberen Teil der
Wurzel bloßlegen, rings um sie die abgeschnittenen Blätter, Stengel und
andere Pflanzen als Schutz der Wurzel vor Wind und Sonne anhäufen, von
dem mit einem dichten Schopfe von Blattresten versehenen Wurzelbeginne
eine dünne Scheibe abschneiden und die auf der Wundfläche angesammelte
dünne Milch abkratzen. Diese Prozedur wird nach jedesmaliger Ruhepause
von einigen Tagen noch zweimal wiederholt. Nachdem die Wurzel nun
wieder 8-10 Tage unberührt geblieben, liefert sie 2-3 Monate hindurch
einen dicken Milchsaft, der die gute ~Asa foetida~ bildet. Von einer
Wurzel wird bis zu 1 kg derselben gewonnen. Der frisch weiße
Gummiharzsaft wird außen herum durch die Einwirkung der Luft bald rot,
violett und schließlich gelbbraun und kommt in losen oder verklebten
Körnern und Klumpen in den Handel. Er ist bei gewöhnlicher Temperatur
wie Wachs schneidbar, erweicht bei geringer Erwärmung zu einer
klebenden Masse, riecht höchst unangenehm knoblauchartig, schmeckt
widerlich scharf bitter und aromatisch, gibt mit drei Teilen Wasser
verrieben eine weißliche Emulsion und besteht zu 61 Prozent aus dem in
Äther löslichen Ferulaester des Asaresinotannols, aus 30 Prozent Gummi,
7 Prozent ätherischem Öl, 1,5 Prozent freier Ferulasäure und Spuren
von Vanillin. Bei uns dient er als Beruhigungsmittel bei Krampfkolik,
Hysterie und Nervosität, als Stopfmittel gegen Diarrhöen beim Pferd
und sonst vielfach in der Tierarzneikunde. In Indien, Persien und dem
ganzen Morgenlande ist er zudem ein sehr beliebtes Speisegewürz, das
bis vor nicht sehr langer Zeit auch in der feineren Küche Europas sehr
beliebt war. War es doch in Frankreich, wo er noch unter dem ~ancien
régime~ in Mode gekommen war, bei jedem Gastmahl der Vornehmen Sitte,
die Suppenteller vorher mit einem Stück Stinkasant abzureiben, um
die Suppe dadurch wohlschmeckender zu machen. Überall im Orient gilt
er als die Verdauung befördernd; besonders wird stets das gebratene
Hammelfleisch damit bestrichen, um ihm den beliebten durchdringenden
Knoblauchgeruch zu verleihen. Im Orient schon lange im Gebrauch, wurde
er durch die arabischen Ärzte dem Abendlande bekannt. Die von der
arabischen Arzneiwissenschaft weitgehend beeinflußte Medizinschule von
Salerno in Unteritalien bediente sich seiner schon im 11. Jahrhundert.
Auch nach Deutschland kam die Droge sehr früh. Vom 12. Jahrhundert an
bildete sie einen Einfuhrartikel des italienischen Handels. Heute kommt
die beste Sorte durch Karawanen von Persien nach Bombay und von dort zu
Schiff nach Europa.

Einst auch in der Arzneikunde besonders des Orients vielgebrauchte
Gummiharze sind der +Weihrauch+ und die +Myrrhe+. Ersterer wird im
südöstlichen Arabien, in Nordostafrika und Indien aus verschiedenen
Boswellia-Arten durch im Frühjahr ausgeführte tiefe Einschnitte in
den Stamm der mäßig hohen Bäume in Form eines reichlich ausfließenden
milchweißen Saftes gewonnen und erstarrt nach einiger Zeit zu gelben
Körnern, die von den Stämmen abgelöst oder am Boden aufgelesen werden.
Seit dem frühen Altertum war er nicht nur zu rituellen Räucherungen,
sondern auch als Medizin hoch geschätzt. Die Hippokratiker bedienten
sich seiner bei Asthma, Gebärmutterleiden und äußerlich zur Herstellung
von Salben.

Fast ebenso alt ist der medizinische Gebrauch der Myrrhe, die ebenfalls
schon im Papyrus Ebers erwähnt wird und nach Herodot im alten Ägypten
vorzugsweise zum Einbalsamieren der Leichen und als Räuchermittel
im Kulte verwendet wurde. Zu letzterem Zwecke wurde sie dann bei
den gottesdienstlichen Handlungen aller vom Morgenlande beeinflußter
Religionen in derselben Weise wie der Weihrauch benutzt. Schon im Alten
Testament wird sie als kostbares Erzeugnis des „glücklichen“ im Sinne
von fruchtbaren Südarabien erwähnt, das uns später der griechische
Geograph Agatharchidas in seiner Schrift über das Rote Meer in
folgender Weise schildert: „Die Sabäer sind das größte und in jeder
Hinsicht glücklichste Volk Arabiens. Ihr Land bringt alles hervor,
was zur Annehmlichkeit des Lebens gehört. Die Herden sind zahllos;
das ganze Land duftet von dem herrlichen, unvergleichlichen Geruch,
den dort die in Menge wachsenden Gewürze wie Balsam, Kassia, Myrrhe,
Weihrauch, Zimt, Kalmus und Palmen aushauchen. Der Wohlgeruch, der aus
den Wäldern kommt, läßt sich mit Worten nicht beschreiben.“

Die Myrrhe stammt von verschiedenen Commiphora-Arten, und zwar die
beste von ~Commiphora abessinica~, einem 6-8 m hohen Bäumchen der
Berge von Abessinien, Erythraea und Südarabien. Der entweder freiwillig
aus Rissen der Rinde oder durch Einschnitte austretende Saft ist
anfangs milchig trübe, gelblich, trocknet aber bald an der Luft ein,
wobei er sich dunkler färbt. Er kommt in Form von nuß- bis faustgroßen
unregelmäßigen Knollen oder löcherigen Klumpen in den Handel. Am
häufigsten ist die von den Somalis gesammelte Myrrhe von ~Commiphora
playfairi~, die in Kisten von 50-100 kg von Aden aus direkt, oder
über Bombay, wo die Ware sortiert wird, nach Europa gelangt. Wie die
alten Ägypter benutzten auch die Hippokratiker die Droge äußerlich und
innerlich. In seiner Arzneimittellehre schreibt Dioskurides über sie:
„Die Myrrhe besteht aus Tropfen, die von selbst oder aus absichtlich
gemachten Wunden eines arabischen Baumes fließen. Es gibt verschiedene,
mit verschiedenen Namen bezeichnete Sorten. Aus den fettigen preßt man
das wohlriechende Myrrhenöl. Die beste Myrrhe kommt aus dem Lande der
Troglodyten, ist durchscheinend, grünlich, schmeckt beißend. Die Myrrhe
wird oft verfälscht, namentlich durch Gummi. Die echte, frische ist
zerreiblich, leicht, überall gleichfarbig, doch zerbrochen inwendig
weiß gefleckt; sie besteht aus kleinen Stücken, ist bitter, riecht gut,
schmeckt scharf. Sie erwärmt, macht schläfrig, bindet, trocknet, zieht
zusammen, wird innerlich und äußerlich gebraucht.“ Cornelius Celsus
spricht von einer schwarzen, bei Augenkrankheiten angewendeten Myrrhe.
Im Arzneischatz von Scribonius Largus, Valerius Cordus und Alexander
Trallianus aus dem 6. Jahrhundert spielt dieses Gummiharz eine nicht
unwichtige Rolle; auch die heilige Hildegard im 12. Jahrhundert
empfiehlt die Mirrha. Innerlich wird sie als austrocknendes Mittel,
häufiger aber äußerlich als Antiseptikum in Form von Mundwässern,
Salben und Pflastern verwendet. Sie besteht aus ätherischen Ölen,
Harzen und Gummi. Häufig wird ihr +Bdellium+ beigemischt, ein ähnlich
riechendes, bitter schmeckendes, ebenfalls beim Kauen erweichendes,
dunkelbraunes bis grünliches Gummiharz, das im nordwestlichen Indien
und in Beludschistan von ~Commiphora roxburghi~ gewonnen und in Indien
arzneilich verwendet wird. Das ostafrikanische Bdellium von ~Commiphora
africana~ ist mehr gelbrot und findet sich unter dem Senegalgummi. Es
war schon im alten Ägypten gebräuchlich, wird von Plinius, Arrianus,
Vegetius und anderen genannt und diente, was im Orient heute noch der
Fall ist, zu Salben, Pflastern und Räucherwerk.

Eine dickflüssige, starkriechende Mischung von Harzen mit ätherischen
Ölen stellen die +Balsame+ dar, die ebenfalls freiwillig oder nach
Verwundungen aus Stamm und Ästen mehrerer Pflanzenarten ausfließen,
oder durch Auskochen und Auspressen aromatischer Pflanzenteile gewonnen
werden. Sie riechen stark aromatisch, verlieren an der Luft den größten
Teil ihres Gehaltes an aromatischen, ätherischen Ölen, trocknen ein und
verharzen. Bei der Destillation mit Wasser geben sie die ätherischen
Öle ab und hinterlassen Harz. Ursprünglich verstand man unter Balsam
ausschließlich den von ~Commiphora opobalsamum~, dem Balsambaum
der Alten, gewonnenen Mekka- oder Gileadbalsam, übertrug aber den
Namen später auf verschiedene andere dickflüssige Pflanzensäfte von
aromatischem Geruch.

Der eigentliche, freiwillig oder durch Einschnitte in den Stamm
des 5-6 m hohen, in Nordostafrika und dem südwestlichen Arabien
wachsenden Balsambäumchens (~Commiphora opobalsamum~) ausfließende,
trübe, blaßgelbe, wohlriechende, aromatisch erwärmend schmeckende
+Mekkabalsam+ kommt überhaupt nicht in den europäischen Handel, sondern
nur der durch Auskochen der Zweige mit Wasser gewonnene dickflüssige,
gelbliche, etwas trübe, aber weniger angenehm riechende und bitterlich
schmeckende Balsam, der allmählich verharzt, 10 Prozent ätherische Öle
enthält, ähnlich wie der Kopaivabalsam wirkt, aber ausschließlich in
der Parfümerie benutzt wird. Früher wurde er, wie auch die kleinen,
meist rötlichen, geruch- und geschmacklosen eiförmigen Steinfrüchte
des Balsambäumchens viel arzneilich benutzt. Der griechische
Geschichtschreiber Diodorus Siculus schreibt um 50 v. Chr.: „In einem
Tale Syriens wächst der Balsam und liefert bedeutenden Gewinn, weil er
außer dort nirgends in der ganzen Welt gefunden wird und doch von den
Ärzten sehr gesucht ist.“ Und der 25 n. Chr. verstorbene weitgereiste
griechische Geograph Strabon sagt: „Außer an der Küste des Sabäerlandes
wird in der Nähe von Jericho, in einer gut bewässerten Gegend, der
Balsam aus einem Strauche gewonnen, in dessen Rinde man Einschnitte
macht. Den ausfließenden schleimigen Saft fängt man in Gefäßen auf.
Er heilt Kopfschmerzen wunderbar schnell, tut den Augen wohl und
ist um so teurer, weil er hier allein, und zwar in Gärten, gewonnen
wird.“ Plinius berichtet uns, daß er wegen seines hohen Preises viel
verfälscht werde, und daß außer dem feinen, wohlriechenden, durch
dreimaliges Ritzen im Laufe des Sommers ausfließenden Saftbalsam
(~opobalsamum~) der geringere, durch Auskochen von abgeschnittenen
Stücken des Strauches in Wasser gewonnene Holzbalsam (~xylobalsamum~)
in den Handel komme; letzterer werde hauptsächlich unter Salben
gekocht. Auch Dioskurides und Tacitus berichten ausführlicher über ihn.

An Stelle dieses sehr seltenen und teuren Balsams, der seit der Zeit,
da das Morgenland in die Hände der Muhammedaner gefallen war, nur
schwierig zu haben war, wurde nach der Entdeckung der Neuen Welt
der schon vor der spanischen Invasion von den Indianern benutzte
+Perubalsam+ im 16. Jahrhundert durch eine päpstliche Verordnung zum
offiziellen Chrisma der katholischen Kirche erhoben. Bei der Eroberung
Zentralamerikas durch die Spanier im Jahre 1530 wurde dieser Balsam
dort als Wundheilmittel im Gebrauch vorgefunden. Er kam dann mit
anderen Waren durch den peruanischen Hafenplatz Callao nach Spanien
und erhielt so den Namen ~balsamum peruvianum~, obschon er niemals in
Peru, sondern weiter nördlich in Südamerika bis Mexiko gewonnen wird.
In 300-700 m über dem Meer gelegenen Bergwäldern eines als Costa
del Balsamo, d. h. Balsamküste benannten schmalen Küstenstriches der
zentralamerikanischen Republik San Salvador wächst die Stammpflanze,
~Myroxylon pereirae~, in Form eines bis 20 m hohen immergrünen
Baumes aus der Familie der Schmetterlingsblütler mit kurzem, sich
schon 2-3 m über der Erde in wenige aufstrebende Äste teilendem
Stamm, unpaariggefiederten Blättern, lockeren Blütentrauben und bis
10 cm langen, 3 cm breiten Hülsen, in denen die ansehnlichen Samen
zwischen zwei mit dickflüssigem, schwachgelblichem Balsam gefüllten
Hohlräumen liegt. Aus letzteren wird der weiße Perubalsam gepreßt,
der nicht in den Handel gelangt, aromatisch nach Vanille riecht
und bitter aromatisch schmeckt. Der dunkelbraune, klare, in dünner
Schicht rubinrot durchscheinende, dickflüssige, nicht fadenziehende,
offizinelle Perubalsam wird aus den zwischen Rinde und Holz gelegenen
Balsambehältern durch stellenweise Entrindung der Basis des Stammes zu
Ende der Regenzeit in der Weise gewonnen, daß die entrindeten Stellen
zuerst während 4-5 Minuten durch Daranhalten von Fackeln geschwelt
werden. Dann legt man auf die entblößte Holzfläche, an der der Balsam
als anfänglich hellgelber, dicker Saft heraussickert, Zeuglappen, aus
denen, wenn sie damit getränkt sind, der Balsam durch Pressen und
Auskochen mit Wasser gewonnen wird. Eine geringere, dickflüssigere
Sorte wird durch Auskochen der losgelösten Rinde gewonnen. Dieses
Verfahren wird mehrmals während vier Wochen wiederholt, so daß ein
Baum vom 10. Jahre an 30 Jahre hindurch jährlich etwa 2,5 kg Balsam
liefert. Die Bäume besitzen eine erstaunliche Lebenskraft und gehen
selbst bei übertriebener Anzapfung kaum je ein, wenn nur die Wunden
durch Überstreichen mit Lehm gegen das Eindringen von Pilzen und
Insekten geschützt werden. Der wichtigste Bestandteil des Perubalsams
ist das Cinnamein oder Perubalsamöl, das zu 62-64 Prozent nebst freier
Zimtsäure und Vanillin, auch Peruviol, einem honigartig riechenden
Alkohol, darin enthalten ist. Er wird in der Medizin äußerlich und
innerlich in der verschiedensten Weise verwendet und spielt auch in
der Parfümerie eine sehr wichtige Rolle. 1565 beschrieb ihn zuerst
Monardes (1493-1578) und 1576 erhielt Philipp II. einen genauen Bericht
über dessen Gewinnung durch Don Diego. Anfangs kosteten 30 g hundert
Dukaten. Erst zu Ende des 16. Jahrhunderts, so beispielsweise 1582 in
der Arzneitaxe von Worms, findet er sich unter seinem jetzigen Namen in
den deutschen Apotheken. Im Jahre 1861 wurde der Perubalsambaum, der,
wie Cortez 1522 an Kaiser Karl V. berichtete, schon im alten Mexiko
in den berühmten königlichen Gärten von Hoaxtepec bei der Hauptstadt
Mexiko nebst anderen Arzneipflanzen kultiviert wurde, auch in den
Tropen der Alten Welt, nämlich auf Ceylon und Java, eingeführt.

Von einem dem vorigen sehr nahe verwandten Baum Südamerikas, der
besonders im unteren Stromgebiet des Magdalena in Kolumbien, auch
unweit der Stadt Tolu in Venezuela und westlich von diesen Gegenden in
den Wäldern zwischen den Cauca und dem Sinu heimisch ist, ~Myroxylon
toluifera~, wird der +Tolubalsam+ gewonnen, indem der Stamm an
zahlreichen Stellen ~V~-förmig eingeschnitten, an der Basis des
Einschnittes angebohrt und der heraussickernde Balsam in kleinen, vor
der Öffnung befestigten Gefäßen aufgefangen wird. Er wird dann, in
Schläuche von rohen Häuten gesammelt, an die Küstenplätze geschafft und
hier in Blechbüchsen eingefüllt. Im frischen Zustande ist er braungelb,
dickflüssig, in dünnen Schichten durchsichtig. Später erhärtet er zu
einer braunroten, in der Hand erweichenden Masse, welche erwärmt einen
vanille- und benzoëartigen Wohlgeruch ausströmt und einen aromatischen,
säuerlichen, nur wenig scharfen Geschmack besitzt. Er besteht aus 80
Prozent eines harzartigen Esters von Zimt- und Benzoësäure nebst diesen
Säuren in freiem Zustande und wird als Arznei innerlich und äußerlich,
besonders aber in der Parfümerie angewandt. Monardes erwähnt seine
Herkunft aus der Provinz Tolu zwischen Cartagena und Nomen Dei; 1581
brachte ihn Clusius von London mit nach Wien. Er kam mit dem Perubalsam
durch die Spanier nach Europa und war schon im 17. Jahrhundert in
England und Deutschland verbreitet.

Ebenfalls von einer stattlichen, bis 30 m und mehr hohen Leguminose
Südamerikas mit paariggefiederten, lederigen, durchscheinend
punktierten Blättern stammt der +Kopaivabalsam+, der seit alter Zeit
von den Indianern als Wundbalsam angewandt wurde, bis ihn im Jahre
1600 ein portugiesischer Mönch in Brasilien entdeckte. Seit dem ersten
Drittel des 17. Jahrhunderts steht er in Europa im Gebrauch; 1636 ist
er als ~Balsamum copaeyvae~ in der Amsterdamer Pharmakopoe angeführt.
Er kommt in großen Mengen aus dem ganzen nördlichen Südamerika in
den Handel. Die Stammpflanze ist meist ~Copaiba officinalis~; deren
Holzkörper ist von bis zu 2 cm mächtigen Kanälen durchzogen, die
besonders in ihrem unteren Ende so stark mit dem flüssigen Harzsafte
erfüllt sind, daß der Stamm oft mit lautem Knall berstet und lange
Sprünge entstehen, aus denen dann der Balsam austritt. Es wurde
festgestellt, daß diese durch eine nachträgliche Auflösung von
Zellgewebe entstandenen Harzgänge bis zu 50 kg Harzsaft enthalten
können. Die Harzsammler verlassen sich aber nicht auf diesen
freiwilligen Erguß des Harzes, sondern schlagen etwa 60 cm über
dem Erdboden mit der Axt tiefe Löcher bis ins Kernholz, wo sich die
Balsamgänge befinden. Darauf wird eine Rinne in das Loch gesteckt und
der klare, ziemlich dicke, gelbbräunliche, eigentümlich aromatisch
riechende Balsam fließt in dicken Tropfen aus. Bisweilen pausiert
der Erguß einige Zeit; nach einiger Zeit wird dann ein gurgelndes
Geräusch hörbar und alsbald findet wieder ein lebhafter Balsamerguß
statt. Als beste Sorte wird der dicke Maracaibo-Balsam betrachtet,
der 60 Prozent ätherisches Öl und den Rest Harzsäuren enthält. Er
befördert die Absonderung der Schleimhäute und dient außer bei
chronischem Lungenkatarrh besonders bei gonorrhoischer Harnröhren- und
Blasenentzündung.

Demselben Zwecke diente viel früher der +Kubebenpfeffer+, ein altes
indisches und arabisches Gewürz, das aus den vor der vollständigen
Reife gesammelten und durch Trocknen geschrumpften, balsamisch
riechenden, aromatisch scharf bitter, aber nicht brennend schmeckenden
Früchten von ~Piper cubeba~ besteht, einer im malaiischen Archipel
heimischen, bis 6 m hohen Kletterpflanze, die auch auf Java,
Sumatra, Westindien und Sierra Leone, meist an den Schattenbäumen
der Kaffeeplantagen emporrankend, kultiviert wird. Sie enthalten
außer Cubebin und Kubebenharzsäure ein hauptsächlich Kubebenkampfer
enthaltendes ätherisches Öl. Ihre harntreibende Wirkung wird schon vom
arabischen Arzte Ibn Sina (Avicenna) um 1006 angegeben. Vom 12. und
13. Jahrhundert an wurden sie durch Vermittlung der arabischen Ärzte
auch in Europa angewandt, gerieten aber später wieder in Vergessenheit,
bis 1818 ein englischer Arzt, der ihre Verwendung gegen Gonorrhoe
bei den Malaien kennen lernte, sie wieder empfahl. Sie haben ihren
Namen aus dem arabischen ~kababeh~ und wurden schon von Marco Polo
beschrieben, der sie auf seinen Reisen auf Sumatra und Java kennen
lernte. Wissenschaftlich bestimmt wurde die Pflanze erst durch Karl
von Linnés Sohn im Jahre 1781. Kubebenöl war 1582 auf der Frankfurter
Messe zu haben, und die Kubeben sind 1609 im Inventar der Ratsapotheke
in Braunschweig angeführt. Das Cubebin wurde 1839 von Soubeiron und
Capitaine zuerst dargestellt.

Ganz neuen Datums ist die Verwendung des gegen dieselben Affektionen
gegebenen +Sandelholzöls+, das aus dem Kernholz des in den trockenen
Teilen Vorderindiens in 600-1000 m Höhe im Gebirge wachsenden,
6-10 m hohen, dichtbelaubten, immergrünen Sandelbaumes (~Santalum
album~) gewonnen wird. Der Baum, der jetzt außer in fast ganz Indien
besonders auf den Sandelholz-Inseln des indischen Archipels (Sumba,
Timor, Flores, Sumbava, Lombok, Bali usw.) kultiviert wird, gibt, wenn
er ausgewachsen im Alter von 20-40 Jahren gefällt wird, durch langsame
Destillation des verkleinerten Holzes mit Wasserdampf das 80 Prozent
Santalol enthaltende dicke, farblose oder blaßgelbliche Sandelöl, das
Chapoteaut zuerst untersuchte.

Während das Altertum nur den vom 4-7 m hohen Styraxbaume in
Kleinasien und Syrien gewonnenen festen +Styrax+ kannte und vielfach
als Medizin verwandte, wird seit dem 6. Jahrhundert daneben auch der
heute ausschließlich verwendete flüssige Styrax oder +Styraxbalsam+
aus dem Splint des in Lykien und Karien in Schälwäldern kultivierten
Amberbaumes (~Liquidambar orientalis~) durch Auskochen der Rinde
mit Wasser und Abpressen gewonnen. Der bis zu 20 m, meist aber
nur 10-14 m hohe, platanenartige Baum hat ein sehr engbegrenztes
Verbreitungsgebiet und liefert aus dem Vilajet Aidin, wo der Ort
Mughla den Mittelpunkt der Styraxgewinnung bildet, jährlich etwa
40000 kg (aus einem Gebiet von 600 qkm). Er bildet eine graue,
undurchsichtige, zähflüssige, eigenartig nach Benzoë und Perubalsam
riechende, aromatisch und etwas bitter schmeckende Masse, welche außer
36 Prozent Harz Zimtsäureester, Styracin, Cinnamein und Benzoësäure
enthält. Der Styraxbalsam wird außer als billigerer Ersatz des teuren
Perubalsams zu innerlichem und äußerlichem Gebrauche in der Medizin,
besonders in der Parfümerie gebraucht.

Der ausschließlich im amerikanischen Handel befindliche Styraxbalsam
der Neuen Welt wird aus dem 9-12 m hohen, in Mittelamerika und
als Charakterbaum im ganzen atlantischen Nordamerika wachsenden
amerikanischen Amberbaum (~Liquidambar styraciflua~) mit tief gelappten
Blättern durch Auskochen des Holzes alter Stämme gewonnen. Neuerdings
wird dieser Baum vielfach auch bei uns als Zierbaum angepflanzt und
erträgt sehr gut unsere Winter, wenn er einmal eine bestimmte Höhe
erreicht hat.

Als ebensolches krankhaftes Produkt wie der Styraxbalsam fließt aus
dem Stamme verwundeter Benzoëbäume (~Styrax benzoin~) in Siam und auf
Sumatra das anfangs milchige, an der Luft zu einer rötlichgelben,
aromatischen Masse erhärtende +Benzoëharz+ aus, das einen balsamischen,
reizenden Geschmack hat und beim Kauen an den Zähnen haftet. Und
zwar geben ältere Bäume eine dunklere Benzoë als jüngere. Die beste
Sorte kommt aus dem äußersten Nordosten der Shanstaaten am linken
Ufer des Mekong. Dort in Siam wird die Rinde des mittelhohen Baumes
durch Längsschnitte und Losheben der Rinde so bearbeitet, daß sich das
Harz während zweier Monate zwischen Holz und Rinde ergießt und sich
hier ansammelt. Auf Sumatra schneidet man viermal im Jahre die Rinde
jüngerer Bäume durch gerade oder schräge Längsschnitte an und sammelt
den heraustretenden weißen, alsbald erhärtenden Milchsaft nach einiger
Zeit, um ihn in Form von größeren, zuweilen verklebten Körnern von
muscheligem Bruche in den Handel zu bringen. Er enthält bis über 20
Prozent freie Benzoësäure und 70-80 Prozent Benzoëharz und dient als
schleimlösendes Mittel bei chronischen Katarrhen, als gelind reizendes
Mittel bei torpiden Geschwüren, zu Räucherungen, Zahnwässern und
besonders reichlich in der Kosmetik. Die erste aus Sumatra stammende
Benzoë wurde 1461 unter anderen Kostbarkeiten dem Dogen von Venedig vom
Sultan von Ägypten als Geschenk gesandt. Die arabischen Ärzte machten
deren Verwendung zuerst im Abendlande bekannt. 1521 wird sie unter den
in Venedig verkauften Drogen aufgeführt und 1571 als ~Asa dulcis~ in
der Eßlinger Arzneitaxe erwähnt. Die Siam-Benzoë kommt erst seit 1853
nach Europa.

Seit alter Zeit wird in ganz Ostasien der eingedickte wässerige Extrakt
verschiedener gerbstoffreicher Hölzer als +Katechu+ beim Betelkauen
und als Arznei verwendet. Der Ausdruck bedeutet im Indischen Baumsaft
und wird von den Eingeborenen meist nur als Kat bezeichnet. Diese
Droge läßt sich erst seit 1514 als Kacho in der europäischen Literatur
nachweisen und wird seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in deutschen
Apotheken gehalten. Damals, als sie aufkam, war sie einer der teuersten
Stoffe der Arzneitaxe und wurde, wie schon der Name ~terra japonica~
sagt, für eine Mineralsubstanz gehalten. Erst seit 1827 erscheint
sie in bedeutenderen Mengen auf dem europäischen Markt, und zwar als
Pegu-Katechu, der besonders aus der Provinz Pegu in Britisch-Birma
über Rangun in den Handel gelangt. Erst später kam der Gambir-Katechu
auf, der über Singapur nach London und Hamburg verschifft wird. Die
ersten bestimmten Daten über diese Droge stammen aus dem Jahre 1780.
Der Pegu-Katechu wird von der Katechu-Akazie (~Acacia catechu~), einem
4-8 m hohen Baum Vorder- und Hinterindiens, wie auch des tropischen
Afrika in der Weise gewonnen, daß das in kleine Stücke zerhackte
Kernholz derselben etwa 12 Stunden lang mit Wasser in irdenen Töpfen
ausgekocht wird. Der dunkelbraune Auszug wird dann in Schalen so
weit eingedampft, daß er nach dem Ausgießen in der Form erstarrt. Je
nachlässiger das Eindampfen und Trocknen betrieben wird, um so dunkler
wird er. Er schmeckt zusammenziehend bitter und enthält bis 54 Prozent
Katechugerbsäure und 17 Prozent Katechin oder Katechusäure. Der gelbe
Gambir-Katechu dagegen wird aus den jungen Trieben und Blättern von
~Uncaria gambir~, einem kletternden Strauch Hinterindiens und der
Sundainseln aus der Familie der Rubiazeen oder Krappgewächse, der an
den Küsten der Halbinsel von Malakka, auf Sumatra, Java und neuerdings
auch auf Ceylon kultiviert wird, ebenfalls durch Auskochen in Wasser,
aber meist in gußeisernen Pfannen gewonnen und nach dem Eindampfen
gleicherweise in Formen, meist flachen Holzkästen, getrocknet. Er ist
gelb bis hellbraun, wird hauptsächlich von den Eingeborenen zum Kauen
mit gelöschtem Kalk, einem Stückchen Arekanuß und einem Blatt des
Betelpfeffers benutzt und enthält bis 47 Prozent Katechugerbsäure und
20 Prozent Katechin, daneben weniger Umsetzungsprodukte des letzteren
als der Pegu-Katechu. Beide dienen als zusammenziehende, stopfende
Mittel, daneben besonders der Gambir-Katechu in der Technik zum Gerben
und Färben.

Ähnlich dem Katechu, aber weniger in der Medizin, dafür besonders
in der Gerberei und Färberei verwandt, ist der +Kino+, eine
dunkelrotbraune bis schwärzliche, in dünnen Splittern rubinrot
durchscheinende Masse von stark zusammenziehendem Geschmack und den
Speichel rot färbend, die durch Einschnitte in die Rinde verschiedener
tropischer Bäume gewonnen wird. Unter diesem Namen kam zuerst um 1733
der eingetrocknete rote Saft des westafrikanischen Baumes ~Pterocarpus
erinaceus~, eines Schmetterlingsblütlers aus Senegambien, über London
in den Handel. Im Jahre 1811 wurde dieser Name auf den Saft des nahe
mit diesem verwandten indischen ~Pterocarpus marsupium~ übertragen, der
an der Malabarküste wächst und dort von den Eingeborenen in der Weise
angezapft wird, daß etwas über dem Boden rinnenförmige Einschnitte in
die Rinde gemacht werden, aus denen ein zäher, roter Saft ausfließt,
der aufgefangen oder, am Stamme erhärtet, gesammelt und an der Sonne
vollends getrocknet wird. In demselben Jahre 1811 wurde unter demselben
Namen der dem vorigen sehr ähnliche Saft verschiedener Eukalyptusarten
Australiens in England eingeführt, ebenso neuerdings aus Hinterindien
der von ~Pterocarpus indicus~ und ~wallichii~, aus Bengalen der von
~Butea frondosa~ und aus Westindien der von ~Coccoloba uvifera~.
Der Malabarkino enthält außer Kinoin und Kinorot bis 85 Prozent
Kinogerbsäure.

[Illustration:

    Tafel 129.

    (Stich von Ph. Gallo nach Joh. Stradanus.)

Darstellung der medizinischen Anwendung des Guajakholzes gegen die als
Franzosenkrankheit bezeichnete Syphilis.]

[Illustration: Der Botanische Garten zu Leiden.

(Nach einem in der graphischen Sammlung zu München befindlichen
Stiche.)]

[Illustration:

    Tafel 130.

Ein Kampferbaum im Botan. Garten zu Tokio in Japan. (Nach einer in
der Sammlung des Botan. Institutes der Universität Wien befindlichen
Photogr. von H. Hallier.)]

[Illustration: Stinkasant (~Asa foetida~).

(Nach einer Photographie aus dem Botanischen Garten zu München.)]

Ihm ähnlich, nur leichter zerbrechlich und schneller in Wasser
auflösbar ist der Extrakt der peruanischen +Ratanhiawurzel+, die
außer Ratanhiarot bis über 40 Prozent Ratanhiagerbsäure enthält und
gleicherweise als Adstringens in der Medizin, wie auch zum Gerben
verwendet wird. Ratanhia nannten die Indianer des altperuanischen
Quitschastammes die relativ große Wurzel eines in Peru wie in dem
angrenzenden Brasilien und Bolivien auf sandigen Abhängen der
Kordilleren in 1000-2500 m Höhe wachsenden Halbstrauchs aus der zu
den Leguminosen gehörenden Familie der Caesalpinieen, die sie seit
langer Zeit als Heilmittel verwandten. Sie benutzten sie auch als
ein das Gebiß konservierendes Mittel zum Reinigen der Zähne, wie
alle Naturvölker Wurzeln oder Zweige bestimmter Holzarten zum meist
fleißig von ihnen geübten Zahnputzen in Anwendung bringen. Als solches
Zahnputzmittel lernte der spanische Botaniker Ruiz die Ratanhiawurzel
bei den Frauen von Huanuco und Lima kennen und brachte sie nach
Spanien, von wo sich ihre Anwendung bald über Frankreich, England und
Deutschland verbreitete. Obschon bereits 1805 Wildenow in Deutschland
die Aufmerksamkeit der Ärzte auf diese neue Droge lenkte, wurde sie
doch erst um 1818 durch die Empfehlungen von Jobst, von Klein und
anderen bei uns allgemeiner. Als beste Ware kommt von Payta und Callao
in Peru aus die von wildwachsenden Pflanzen gegrabene und getrocknete
Wurzel in bis 60 cm langen und bis 1,5 cm dicken Stücken,
neuerdings auch der in der Heimat der Pflanze selbst aus der frischen
Wurzel durch Auskochen in Wasser gewonnene Extrakt in unförmlichen
braunroten, außen matten, innen aber glänzenden Stücken in den Handel,
um innerlich bei Diarrhoen, Nierenblutungen, äußerlich zu Mund- und
Gurgelwässern zu dienen.

Von Süd-, aber auch Mittelamerika kam im 16. Jahrhundert ebenfalls
die +Sarsaparillwurzel+ von verschiedenen Smilaxarten aus der Familie
der Liliengewächse als sehr geschätztes Heilmittel nach Europa, um
hier als Mittel gegen die von den spanischen Soldaten von Amerika
her eingeschleppte und bald ganz außerordentliche Verbreitung
findende Syphilis das bis dahin hauptsächlich gebrauchte Guajakholz
zu verdrängen. Das Wort stammt vom spanischen ~zarza parilla~, d. h.
stachelige Schlingrebe, galt ursprünglich der in Südeuropa heimischen
~Smilax aspera~ und wurde später auf die amerikanische Pflanze
übertragen, deren Wurzel zuerst der Spanier Pedro de Cieza de Leon,
der von 1535-1550 in Südamerika weilte und sie in der Provinz Guajakil
in Ekuador kennen lernte, als Heilmittel empfahl. Bald darauf ist auch
sein Landsmann Monardes (1493-1578) in Mexiko mit ihr bekannt geworden
und lernte etwas später eine bessere Sorte aus Honduras kennen, die
heute die allein offizinelle bei uns ist. Er wußte schon anzuführen,
daß die Wurzeln der Sarsaparille sehr weit in die Erde gehen und
daß man oft mannstief graben muß, um sie zu erlangen. Sie werden
fast ausschließlich von wildwachsenden Pflanzen gesammelt, und zwar
hauptsächlich im Hinterland der Westküste von Guatemala. Die Pflanze
bevorzugt feuchtes, flaches, etwas sumpfiges, den Überschwemmungen
der Flüsse ausgesetztes Waldland und läßt ihre stacheligen, verworren
durcheinander wachsenden Stengel an den Bäumen emporklettern. In der
trockenen Jahreszeit Januar bis Mai werden die Wurzeln ausgegraben,
gut gewaschen und an der Sonne getrocknet. Sie gehen von mächtigen
Rhizomen aus, sind bei einer Dicke von 7-8 mm bis 2 m lang,
gelbbraun, längsfaltig und zeigen auf dem Querschnitt eine mächtig
entwickelte, wie das zentrale Mark meist weiße, seltener blaßrötliche
Rinde und einen gelblichen Holzring. Sie sind fast geruchlos, schmecken
zuerst schleimig, dann kratzend und enthalten drei Sapotoxine:
Parillin, Smilasaponin und Sarsasaponin, welch letzteres am stärksten
abführend und als solches angeblich blutreinigend wirkt. Aus dieser
Droge wurde das einst weltberühmte Zittmannsche Dekokt gegen Syphilis
bereitet, das aber heute kaum mehr zur Verwendung gelangt, da wir in
den Quecksilberpräparaten und neuerdings in einem Arsenderivat viel
wirksamere und angenehmer einzunehmende Mittel haben.

Bevor diese Droge aufkam, galt zu Anfang des 16. Jahrhunderts auch
in Europa wie in Amerika, wo sie schon längst von den Indianern in
diesem Sinne gebraucht wurde, das harzdurchtränkte +Guajakholz+ als
bestes Mittel gegen die Syphilis. Es stammt hauptsächlich von der
Zygophyllazee ~Guajacum officinale~, einem bis 12 m hohen Baum des
nördlichen Südamerika und der Antillen mit intensiv blauen Blüten und
kommt in Form von oft mehrere Zentner schweren, vom gelblichweißen
Splint befreiten Stücken von dunkelgrünlichbraunem Kernholz in den
Handel. Außer verschiedenen Harzen, Guajak- und Guajakonsäure enthält
es Saponinsäure und Saponin, welch letzteres die hauptsächlich wirksame
Substanz ist, aber noch reichlicher als im Kernholz im Splint und
am allerreichlichsten in der Rinde vorhanden ist, so daß eigentlich
letztere vor ersterem weit den Vorzug verdiente. Guajak ist die
hispanisierte indianische Bezeichnung der Pflanze, die Fernandez de
Oviedo 1526 zuerst beschrieb und von der er angab, daß 1508 die erste
Sendung des Holzes nach Spanien gelangte, um gegen die dort herrschende
Syphilis zu dienen. Bald breitete sich ihr Ruhm über ganz Europa aus.
Schon 1517 rühmte sich in Deutschland der kaiserliche Leibarzt Leopold
Poll, 3000 Menschen mit dem Guajakholze von dieser damals äußerst
bösartig auftretenden Krankheit, die alle Volksschichten erfaßt hatte,
geheilt zu haben. Auch der 1523 auf der Insel Ufenau im Zürcher See an
den Folgen dieser ansteckenden Krankheit verstorbene Ulrich von Hutten
machte vier Jahre vor seinem Tode angeblich mit Erfolg eine Guajakkur
in Augsburg durch, über die er in seiner Schrift „~De Guajaci medicina
et morbo gallico liber unus~“ Mitteilung macht. 1525 beschaffte der Rat
der Stadt Straßburg 107 kg des Holzes für eine energische Behandlung
der an der Lustseuche erkrankten Bürger. In seiner zeitgenössischen
Chronik berichtet der Franzose Guiffrey von seinem Könige Franz I.,
daß dieser selbst mehrere Jahre nacheinander unter Führung eines
zuverlässigen Kapitäns eine Gallion -- es waren dies die größten
Segelschiffe des Mittelalters, die besonders zur Kriegführung dienten
und stark armiert waren, im Gegensatz zu den kleinen Karavellen, mit
denen beispielsweise Kolumbus vom spanischen Seehafen Palos ausfuhr, um
nach Indien zu segeln, wobei er, ohne es zu wissen, Amerika entdeckte
-- nach Brasilien sandte, um jeweilen eine Ladung Guajakholz zur
Behandlung seiner eigenen und seiner Hofleute Syphilis zu holen. Nur
einmal, im Jahre 1543, habe er bei einem Aufenthalt in La Rochelle von
normannischen Korsaren eine von ihnen erbeutete Schiffsladung gekauft,
in der sich unter anderem auch „~du gayet ou palme sainte~“ gefunden
habe.

Im Jahre 1545 beschrieb Brasavela in seiner in Venedig erschienenen
Drogenkunde bereits drei Sorten des Holzes, worunter auch das von der
westindischen Insel San Juan, dem heutigen Puerto Rico, stammende
~Palo santo~ oder ~Lignum sanctum~, d. h. heiliges Holz von ~Guajacum
sanctum~, das heute von den Bahamainseln und aus Florida in den
europäischen Handel gelangt, um vornehmlich zur Tischlerei und
Drechslerei zu dienen. In der Folge wurde letztere Sorte, so schon
1582 auf der Messe in Frankfurt am Main, als ~Guajacum parvum~, d.
h. kleiner Guajak von dem von ~G. officinale~ stammenden ~Guajacum
magnum~, dem großen Guajak, unterschieden. 1573 fand der Augsburger
Arzt Leonhard Rauwolf auf dem Basar der syrischen Stadt Aleppo
Guajakholz neben Chinawurzel als Heilmittel gegen Syphilis feilgeboten.
Die Arzneitaxe von Wittenberg brachte 1599 ~Lignum~ und ~Cortex
Guajacis~ (Holz und Rinde). Ein Jahrhundert hielt der Ruf dieser Droge
als Heilmittel gegen die Syphilis an, um dann, wie gesagt, von der
Sarsaparillwurzel verdrängt zu werden. Als man als Hauptbestandteil des
Holzes das darin enthaltene Harz erkannte, benutzte man von der Mitte
des 17. Jahrhunderts an vielfach an dessen Stelle das Guajakharz, das
seltener freiwillig ausfließt, sondern meist durch Einschnitte in den
Stamm mit nachherigem Schwelen gewonnen wird. Als solches kommt es in
haselnuß- bis walnußgroßen, dunkelrotbraunen, außen schmutzig grünlich
bestäubten Körnern in den Handel, während das durch Auskochen des
zerkleinerten Kernholzes hergestellte Präparat in unregelmäßigen, mehr
schwarzgrünen Massen verkauft wird. Letzteres schmeckt unangenehmer und
länger anhaltend kratzend als das vorige und dient heute nur noch als
Reagens für Fermente und von Blut.

Ebenfalls gegen Syphilis wurde eine Zeitlang das mittelamerikanische
+Quassiaholz+ verwendet, das schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts von
den aus Afrika importierten Negersklaven unter dem Namen ~quasci~
in Surinam gegen die bösartigen epidemischen Fieber des Landes
gebraucht wurde. Nach Fermins Angaben sollen bereits 1714 die großen
scharlachroten Blüten des Baumes noch vor dem Holz als geschätztes
Magenmittel von den Eingeborenen benutzt worden sein. Nach Albrecht
von Hallers Zeugnis besaß der Drogist Seba in Amsterdam schon 1730 das
Quassiaholz, und 1742 soll es bereits ein ganz gemeines Medikament
gewesen sein. Das gelblichweiße, dichte, geruchlose Quassienholz stammt
von einem kleinen, auf den Antillen und im nördlichen Südamerika
heimischen Baum aus der Familie der Simarubazeen mit gefiederten
Blättern und länglichen, schwarzen Steinfrüchten, dem Karl von Linné
1763 nach der Bitterkeit seines Holzes den wissenschaftlichen Namen
~Quassia amara~ gab. Er wird außer in seiner Heimat auch in einigen
Tropenländern der Alten Welt kultiviert und liefert das echte oder
surinamsche Quassiaholz, während das leichtere, weniger dichte
Jamaika-Quassiaholz von der verwandten, viel höheren und stattlicheren,
in Westindien, besonders Jamaika, heimischen ~Picrasma excelsa~ stammt.
Beide schmecken stark bitter, und zwar ersteres durch den Gehalt
des von Winkler 1834 zuerst dargestellten Bitterstoffs Quassiin,
letzteres dagegen durch das ähnliche Picrasmin; der ihn enthaltende
wässerige Auszug dient, wie in seiner Heimat, so auch bei uns als
appetitanregendes Mittel. Er besitzt schwach narkotische Eigenschaften
und diente früher als Bittermittel in der Bierbrauerei, ebenso als
Fliegengift.

In gleicher Weise früher als Heilmittel gegen Syphilis, während heute
hauptsächlich noch als Blutreinigungsmittel verwendet, wurden die im
Herbst ausgegrabenen, bis 20 cm dicken, ästigen, holzigen Wurzeln der
im östlichen Nordamerika, besonders in Florida, Virginien, Karolina
und Pennsylvanien heimischen Lorbeerart ~Sassafras officinalis~.
Als die Spanier 1512 unter Juan Ponce de Leon Florida entdeckten,
das sie, wie schon Kolumbus die südlicher davon gelegenen Länder,
nicht für eine neue Welt, sondern für einen Teil des asiatischen
Gewürzlandes Indien hielten, weshalb diese Gebiete auch den Namen
India erhielten, der erst später zur Unterscheidung vom eigentlichen
Indien in Westindien präzisiert wurde, hielten sie die bis 30 m hohen
diözischen Sassafrasbäume anfangs für den von ihnen so sehnlichst
erwünschten Zimt. Und der sie begleitende Mönch Monardes, der später
diese Entdeckungsreise beschrieb, sagt, daß das Holz auch wirklich
nach Zimt gerochen habe, was durchaus nicht der Fall ist. Was man zu
finden hofft, das bildet man sich schließlich ein gefunden zu haben!
Noch in späterer Zeit bezeichneten die Portugiesen die Sassafrasrinde
in Fortsetzung ihres holden Wahnes, es mit der Zimtrinde, die übrigens
von einer nahe verwandten Lorbeerart stammt, zu tun zu haben, als
~canela~. Die Pflanze, deren Holz schon von den Indianern Floridas als
Fiebermittel benutzt wurde, erhielt dann später, als sie einsahen,
daß sie nicht die Zimtpflanze sei, von den Spaniern die Bezeichnung
Sassafras vom spanischen ~salsafras~ = Saxifraga, weil man ihr dieselbe
Wirkung, Blasensteine zu zerkleinern, zuschrieb, wie dem Steinbrech.
Nach dem fenchelartigen Geruch und süßlich aromatischen Geschmack
erhielt die bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts von Spanien
aus über ganz Europa ausgebreitete holzige Wurzel des Sassafras in
Deutschland die Bezeichnung Fenchelholz. Bei den Indianern Floridas
hieß das Holz ~pavanne~, deshalb wird es in deutschen Apotheken, z.
B. 1582 in Frankfurt a. M. und 1587 in Hamburg, als ~Lignum Pavanum
seu Floridum~ oder ~Lignum Sassafras~ aufgeführt. Schon 1598 kannte
man einen ~Spiritus ligni Sassafras~. Der Holzteil und mehr noch die
Rinde der Wurzel enthalten bis 9 Prozent eines frisch destilliert
farblosen, später aber durch Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft
gelb bis braun werdenden ätherischen Öles, das 80 Prozent Safrol, 10
Prozent Phellandren, 6,8 Prozent Rechtskampfer, weiter Eugenol, Cadinen
usw. enthält. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika wird aus
dem Wurzelholz mit der Rinde ein dort viel verwendetes Fluidextrakt
hergestellt, während das daraus destillierte ätherische Öl sehr beliebt
zum Aromatisieren von Seifen, Getränken und Tabak ist.

Sehr viel wichtiger für die Arzneikunde und namentlich die Technik
als diese nordamerikanische Lorbeerart ist die gleichfalls dem Zimt
sehr nahe verwandte ostasiatische Art, der Kampferbaum (~Cinnamomum
camphora~), dessen Produkt, der +Kampfer+, ein altes chinesisches
Heilmittel ist. Aber nicht dieses ostasiatische, sondern ein ähnliches
südasiatisches Produkt, der Sumatra- oder Borneokampfer, der in den
Stämmen eines hohen Baumes Sumatras und Borneos aus der Familie der
Dipterocarpazeen (~Dryobalanops camphora~), der auch der ostindische
Kopalbaum (~Vateria indica~) angehört, in eigenen Behältern in oft
mehreren Pfund schweren Stücken abgesetzt wird, war schon im Altertum
in ganz Südasien als Heilmittel verbreitet und beliebt. Dieser
südasiatische Kampfer war als wertvolle Arznei auch in China und Japan
bekannt, wo er heute fast ausschließlich verbraucht und viel höher
geschätzt wird als der bei uns von dort her in den Handel kommende
Laurineenkampfer. Unter der Sanskritbezeichnung ~kapura~, d. h. weiß,
gebrauchten ihn die alten Inder. Nach der Zeit der Völkerwanderung war
er von Indien aus nach Westasien gelangt, wo ihn der griechische Arzt
Aētios aus Amida in Mesopotamien im 6. Jahrhundert unter dem Namen
~kaphura~ als kostbares Arzneimittel erwähnt. Auch den Arabern zur Zeit
Muhammeds war er bekannt; denn er wird im Koran als ein Kühlungsmittel
der Getränke der Seligen im Paradiese erwähnt. Mit der von ihnen
~kamfur~ genannten Droge machten dann die arabischen Ärzte das
Abendland bekannt, wo der Dipterocarpazeenkampfer im 11. Jahrhundert
in Italien und im 12. Jahrhundert in Deutschland als Mittel gegen
Gicht und Rheumatismus verwendet wurde. So erwähnen ihn um 1070 der
jüdische Arzt Simon Seth und um 1150 die gelehrte Äbtissin Hildegard im
Kloster Rupertsberg bei Bingen. 1293 lernte der venezianische Kaufmann
Marco Polo auf seiner mit Vater und Onkel unternommenen Rückreise von
China auf Borneo und Sumatra den dort heimischen Kampferbaum selbst
kennen, wie er in seinem Reisebericht erzählt. Zur Zeit des Paracelsus
(1493-1541) war der davon gewonnene Kampfer in Deutschland allgemein
als Arzneimittel im Gebrauch.

Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam in Europa der ostasiatische
Kampfer an Stelle des teueren Sumatra- und Borneokampfers auf, indem
inzwischen die Chinesen, von der Gewinnung jenes durch Fällen, Spalten
und Auslesen der Dryobalanopsbäume veranlaßt, dieselbe Droge von
einem einheimischen Baume, eben dem echten Kampferbaum, zu gewinnen
trachteten, was denn auch gelang. Dieser echte Kampferbaum ist
ein an der chinesischen Küste von Cochinchina bis zur Mündung des
Jang-tse-kiang und den vorgelagerten Inseln bis Südjapan wachsender,
8-10 m hoher, lindenähnlicher Baum mit brauner, runzliger Rinde
und knorrigen Ästen. Er hat immergrüne, eirunde, glänzende Blätter,
kleine, weiße, in Rispen stehende Blüten und dunkelrote, erbsengroße
Beeren mit pfefferähnlichem Samen. Alle Teile des Baumes, besonders
aber die Wurzeln, riechen und schmecken stark kampferartig. Er verlangt
ein warmes Klima und möglichst feuchte Luft. Besonders auf Formosa
und in ganz Südjapan wird er zur Gewinnung von Kampfer benutzt und
deshalb in ausgedehnten Waldungen gezogen. Junge Bäume sind für die
Kampferausbeutung wertlos. Je älter sie aber werden und je dichter
ihr Holz wird, um so höher steigt in ihnen der Kampfergehalt, bis
er etwa im 100. Jahr ein Maximum erreicht hat. Schon 40-50jährige
Bäume werden zur Kampfergewinnung gefällt. Dabei wurde das Holz,
besonders des Stammes, gespalten und ursprünglich wie beim Sumatra-
und Borneokampferbaum das in Spalten und Klüften ausgeschiedene feste
ätherische Öl ausgekratzt. Bald aber ging man dazu über, das in
kleine Späne geschnittene und zudem durch Klopfen faserig gemachte
Holz einer Destillation mit Wasserdämpfen zu unterwerfen, um den
Kampfer zu gewinnen. Da dieses feste ätherische Öl am reichlichsten
in den Wurzeln und unteren Teilen des Stammes enthalten ist, werden
lediglich diese Teile, außer den Wurzeln noch der Stamm bis etwa in
3 m Höhe, der meist auf sehr primitive Weise ausgeführten Destillation
unterworfen, wobei der Rohkampfer in Gestalt blaßrötlicher, körniger
Massen mit 20 Prozent flüssigem Kampferöl gewonnen wird. Als solcher
kommt er von Formosa in mit Bleiblech ausgeschlagenen Kisten von
50-60 kg Gewicht verpackt, von Japan dagegen in Bambusröhren oder Tubbs
genannten Holzbottichen von 80 kg in den Handel und wird in Europa
und Amerika, neuerdings auch schon in Japan und Hongkong, in eigenen
Kampferraffinerien durch weitere Sublimation gereinigt.

Der Kampfer, seiner chemischen Beschaffenheit nach ein Keton von
der Formel C_{10}H_{16}O, bildet sich im lebenden Kampferbaum aus
einem ursprünglich im Holz vorhandenen flüchtigen, farblosen Öl, dem
Kampferöl, das in frühzeitig in allen Teilen des Baumes angelegten
Ölzellen gebildet wird und sich später durch Sauerstoffaufnahme -- oft
erst jahrelang nach Entstehung des Sekretes -- in Kampfer umwandelt,
der dann vorzugsweise in den Spalten und Höhlungen des unteren Teiles
des Stammes zur Ausscheidung gelangt. Das vom rohen Kampfer vor dem
Raffinieren ausgepreßte und durch Zentrifugieren entfernte flüssige,
früher als wertlos beseitigte Kampferöl wird neuerdings auf Safrol
verarbeitet. Der raffinierte Kampfer, der in 1-5 kg schweren,
konvex-konkaven, in der Mitte durchlöcherten Kuchen in den Handel
gelangt, stellt eine weiße, durchscheinende, kristallinisch-körnige,
fettig anzufühlende, bei gewöhnlicher Temperatur allmählich ohne
Rückstand sich verflüchtigende Masse von durchdringendem Geruch
und brennend scharfem, hinterher kühlendem Geschmack dar, das
in der Medizin äußerlich als die Haut reizendes, ableitendes,
schmerzlinderndes Mittel bei rheumatischen Leiden, innerlich in
kleinen Dosen zur Beruhigung, in größeren zur Anregung und Belebung
des Nervensystems, der Atmung und Blutzirkulation, besonders aber in
der Technik als Mottengift und in sehr großem Maße zur Herstellung
von Zelluloid und rauchschwachem Pulver verwendet wird. Japan und
Formosa führen jährlich über 4 Millionen kg Kampfer aus, von denen
etwa 32 Prozent nach Deutschland, 31 Prozent nach Amerika, 22 Prozent
nach Frankreich, 13 Prozent nach England und 2 Prozent nach Indien
gehen. Zum eigenen Kampferöl bezieht Japan noch viel von Formosa, um
ihn bei der Lackbereitung zu verwenden. Bei der großen Wichtigkeit,
die dem Kampfer zukommt, werden zurzeit ausgedehnte Anpflanzungen von
Kampferbäumen von seiten der japanischen und chinesischen Regierungen
gemacht. Schon jetzt liefert die südchinesische Provinz Fo-kien über
120000 kg Kampfer jährlich. Auch werden später Madagaskar, Ceylon,
Deutsch-Ostafrika, Ägypten, Algerien und der Süden der Vereinigten
Staaten von Nordamerika sich an der Produktion beteiligen, wenn die
dort angelegten, sehr gut fortkommenden Kulturen des Kampferbaumes
zur Ausbeutung reif sein werden. Die neuerdings gehegte Hoffnung, den
Kampfer auch aus den Blättern des Baumes gewinnen zu können, ist bis
jetzt nur wenig erfüllt worden.

Außer den bereits erwähnten hat die Neue Welt noch eine ganze
Menge wichtiger Drogen aus dem Pflanzenreiche geliefert, so die
+Ipecacuanha-+ oder +Brechwurzel+, die heute noch in reichlichem
Maße Verwendung findet. Sie besteht aus der unterirdisch kriechenden
Achse eines niederen Halbstrauchs aus der Familie der Rubiazeen
oder Krappgewächse (~Cephaëlis Ipecacuanha~) mit nur 10-30 cm
hoch aufsteigenden Stengeln, länglichovalen Blättern, weißen Blüten
und erbsengroßen, blauen Beeren. Sie wächst in den feuchten,
schattenreichen Wäldern Südbrasiliens wild und wird neuerdings auch
auf der Halbinsel Malakka im Schatten einzelner Bäume kultiviert,
um über Singapur in den Handel zu gelangen. Die beliebteste Sorte
wird mit Ausnahme der Regenzeit das ganze Jahr hindurch in der
südbrasilianischen Provinz Matto Grosso gesammelt, indem man den
ziemlich oberflächlich horizontal unter der Erde verlaufenden,
höchstens 5 mm dicken, knotigen Stamm aushebt, aber die an den
Knoten entspringenden, größtenteils zu Stärkemehl aufspeichernden
Reservestoffbehältern gewordenen Wurzeln abschneidet, um sie im Boden
zu belassen oder, falls sie mit herauskamen, wieder einzupflanzen.
Sie bilden dann Adventivknospen, aus denen nach 3-4 Jahren ein neuer
Bestand ausbeutungsfähiger Pflanzen hervorgeht. Die in Abständen von
1 mm von ungleichen, rundlichen Wülsten, den Narben der einst hier
entsprungenen zahlreichen Seitenwurzeln, versehenen unterirdischen
Stammstücke werden so rasch als möglich getrocknet, am Tage der Sonne
ausgesetzt und nachts durch Bedecken vor dem Tau beschützt, und sind
nach 2-3 Tagen versandfähig. In sogenannten Seronnen von 40-42 kg
Gewicht werden sie von den Eingeborenen oft Tagereisen weit auf den
Köpfen aus dem Innern an die Küste getragen und gelangen über Rio
de Janeiro nach London zum Verkauf. In 15 cm langen Stücken, noch
häufiger aber fein geschnitten kommen sie in die Apotheken, um hier
meist zur Herstellung der bekannten Ipecacuanha-Aufgüsse verwendet zu
werden. Das wirksame Prinzip ist das 1817 von Pelletier und Magendie
gefundene Emetin neben Cephaëlin und Psychrotin. Es ist zu 4 Prozent
fast nur in der graubraunen Rinde und nur in Spuren im Holzkörper
vorhanden. Das offizinelle Ipecacuanha-Pulver soll 2 Prozent dieser
Alkaloide enthalten.

Diese brechenerregende und expektorierend wirkende Droge hat eine sehr
interessante Geschichte, die es wohl verdient, hier in Kürze mitgeteilt
zu werden. Der Name Ipecacuanha, den uns die Portugiesen vermittelten,
stammt aus der Tupisprache und ist aus ~i~ (klein), ~pe~ (am Wege),
~caá~ (Kraut), ~guéne~ (brechenerregend) zusammengesetzt, bedeutet also
„kleines Kraut, das am Wege wächst und Brechen erregt“. Die Tupi- und
andern Indianer Brasiliens verwandten sie als Brechmittel. Da sie aber
außer ihr noch andere Wurzeln als solches benutzten und mit dem Worte
„~pe-caá-guéne~“ -- zusammengezogen in ~pecacuém~ -- bezeichneten,
erhielt sie zur Unterscheidung von den größeren die Benennung ~i~
(klein), also ~I-pe-caá-guéne~. Der portugiesische Volksname der Droge
ist aber nicht Ipecacuanha, sondern Poaya. Zum erstenmal wird sie
1590 vom portugiesischen Mönch Michael Tristram, der von 1570-1600
in Brasilien lebte, unter dem Namen Igpecaya oder Pigaya erwähnt;
aber erst 1648 wurde sie durch den holländischen Arzt Wilhelm Piso
in Europa genauer bekannt. Auf einer von 1636-1641 unter Führung des
Grafen Moritz von Nassau-Siegen unternommenen Forschungsreise durch
Brasilien lernte er sie kennen und gab dann nach seiner Heimkehr die
erste Beschreibung und Abbildung der Pflanze, die er Ipecacuanha nennt.
Gleichwohl war man über die botanische Stellung der Pflanze noch lange
im unklaren. Réjus hielt sie für eine Art Einbeere (~Paris~), Moriceau
für eine Art Geißblatt (~Lonicera~) und der große Karl von Linné für
eine Art Veilchen, weshalb er sie ~Viola Ipecacuanha~ nannte. Erst
der portugiesische Marinearzt ~Dr.~ Bernardino Antonio Gomez gab 1801
die nötige Berichtigung über die von ihm in Brasilien kennen gelernte
Stammpflanze. 1804 beschrieb Wildenow die Pflanze als ~Cephaēlis
ipecacuanha~; später zog der Aargauer Müller das Genus ~Cephaēlis~ zu
~Psychotria~.

Größere Aufmerksamkeit erregte die Droge erst zu Ende des 17.
Jahrhunderts. 1672 brachte sie der Arzt Le Gras nach einem dreimaligen
Aufenthalte in Brasilien von dort mit; von ihm erhielt sie der
Apotheker Claquenelle, ebenso Lemery. Dann brachte der Arzt Daliveau
aus Montpellier, der die Pflanze in Brasilien gesehen und dort auch
ihre Verwendung kennen gelernt hatte, Nachrichten über sie mit nach
Europa. 1680 bekam ~Dr.~ Afforti von dem aus Brasilien zurückgekehrten
und nach schwerer Erkrankung von ihm geheilten Kaufmann Garnier
zum Dank eine Portion Ipecacuanha unter dem Namen der brasilischen
Ruhrwurzel. Afforti beachtete dieselbe nicht, gab aber davon dem
Studenten Joh. Adrian Helvetius, der damit nach seiner Etablierung in
Reims 1684 sehr gute Kuren bei Ruhr machte. Er erregte damit weithin
in Frankreich Aufsehen, so daß ihm Ludwig XIV. sein als Geheimnis
behandeltes Mittel um 1000 Louisdor abkaufte und ihm dazu noch ein
Privilegium des Alleinverkaufs erteilte. In Deutschland lenkte
besonders Leibnitz die Aufmerksamkeit auf das neue Mittel, über das er
in den Verhandlungen der Leopoldinischen Sozietät der Naturforscher
im Jahre 1696 eine Abhandlung: ~De novo antidysenterico americano~
veröffentlichte. Zwei Jahre später nahm sich Valentini der Droge im
besonderen an, doch ging es noch längere Zeit, bis sie allgemeinere
Verwendung fand. Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts
war sie in den Apotheken noch recht selten und dementsprechend teuer.
So kostete das Pfund nach Valentini 1704 30 Gulden und das Lot (10 g)
in Mülhausen 8 Pfennige. 1887 kamen dann die ersten Proben aus den
seit 1866, anfangs allerdings ohne Erfolg in Indien, besonders um
Kalkutta, angelegten Kulturen auf den Londoner Markt und erwiesen sich
als der brasilianischen Droge ebenbürtig. Von der von Hooker aus dem
botanischen Garten von Kew bei London gesandten Stammpflanze waren
1872 nur noch 12 Pflanzen als Nachkommen vorhanden. Eine Vermehrung
durch Stecklinge hatte größeren Erfolg; so erzielte man auf diese Weise
von 300 in den Jahren 1871 und 1872 in Sikkim vorhandenen Exemplaren
bereits 1873 6000 Stück. Doch hatte die Kultur der Ipecacuanha auch
hier erst rechten Erfolg, als man begann, den Bedürfnissen der Pflanze
nach Feuchtigkeit und Schatten Rechnung zu tragen.

Bei der Gesuchtheit der Droge kann es uns nicht wundern, daß sie
sehr oft mit falscher Ipecacuanha vermischt und so gefälscht wird.
Von solcher kommt die in Kolumbien wachsende ~Cephaēlis acuminata~
der echten am nächsten. Ihr unterirdisch kriechender Stamm ist
rötlichbraun und bis 8 mm dick. Man bezeichnet diese Sorte als
Cartagena-Ipecacuanha, weil sie vom gleichnamigen Hafen in Kolumbien
exportiert wird. Erheblich schwächer wirkend ist die aus dem nördlichen
Südamerika stammende dünnere, hellgraue bis graubraune „mehlige
Ipecacuanha“, so genannt, weil die mit nur schwachen Einkerbungen
versehene sehr dicke Rinde im Durchschnitt mehlig weiß ist. Sie stammt
von ~Richardsonia scabra~. Größer und stärker als die echte Rioware,
aber sehr arm an Emetin, ist die bis 8 mm dicke, außen graubraun
bis grauschwarze „schwarze Ipecacuanha“, die von der in Venezuela,
Peru und Kolumbien (dem vormaligen Neu-Granada) wachsenden ~Psychotria
emetica~ herrührt. Ganz emetinfrei ist die stark verästelte und mit
spärlichen Einschnürungen versehene grauweiße oder hellbraungelbe
„weiße Ipecacuanha“, die von der brasilischen Veilchenart ~Jonidium
ipecacuanha~ stammt, ebenso die von ~Viola itoubou~, von ~Polygala
violacea~ in Venezuela, von ~Chamaelirium luteum~ und ~Heteropteris
pauciflora~ in Brasilien und andern. Ganz schwach emetinhaltig ist
dagegen die mit sehr dünner Rinde und ohne Einschnürungen versehene
Trinidad-Ipecacuanha von ~Cephaëlis tomentosa~.

Ebenfalls durch die Portugiesen zuerst in Europa bekanntgeworden
ist die außer als appetitanregendes Mittel auch wie die Ipecacuanha
gegen Ruhr verwendete +Colombowurzel+, die von der in den Wäldern der
ostafrikanischen Küstenländer heimischen ~Jatrorrhiza palmata~ stammt.
Heute wird sie außer in Mozambique, wo sie die Portugiesen bei ihrer
Niederlassung von den Eingeborenen als stopfende Arznei kennen lernten,
in Deutsch-Ostafrika, auf Madagaskar, den Maskarenen, Seychellen
und Ceylon kultiviert. Die dem kurzen Wurzelstock entspringenden
rübenförmig verdickten, bis 30 cm langen und bis 8 cm dicken,
fleischigen Wurzeln der zu den Menispermazeen gehörenden ausdauernden,
strauchartigen Pflanze werden im März gegraben, gewaschen, in 2 cm
dicke Scheiben geschnitten, auf Schnüre gezogen und im Schatten
getrocknet. In von Matten umhüllten Ballen von etwa 50 kg Gewicht
kommen sie aus Mozambique, Sansibar oder Bombay nach Hamburg und London
in den Handel. Sie sind im Durchschnitt gelb und enthalten außer
reichlich Stärkemehl und Gummi, die dem daraus hergestellten Dekokt
eine schleimige Konsistenz geben, drei Alkaloide und zwei Bitterstoffe.
Der Name Colombo hat keinerlei Beziehung zur gleichnamigen Stadt auf
Ceylon, sondern rührt von der Bezeichnung ~kalumb~ her, die ihr die
Kaffern gaben. Zuerst empfahl der toskanische Arzt Francesco Redi 1675
die Calumba als giftwidriges Mittel. Als solches hat sie sich nun
nicht bewährt, wohl aber als tonisches Bittermittel und zum Stopfen
bei Durchfällen. Ihre Abstammung und Heimat wurde geheim gehalten,
bis Philipp Commerson 1770 die sie liefernde Pflanze im Garten des
Gouverneurs Poivre auf Isle de France (jetzt Mauritius genannt)
kultiviert fand. Erst seit sie der Arzt Gaubius in Leiden im Jahre
1771 angelegentlich empfahl, wird sie häufiger medizinisch verwendet.
Die sogenannte amerikanische Colombowurzel von der Gentianee ~Frasera
carolinensis~ aus Ohio, Carolina und Pennsylvanien enthält nur
Gerbsäure und ist minderwertig. Am meisten wird die Droge durch die mit
Ocker gelb gefärbte Wurzel der Zaunrübe (~Bryonia alba~ und ~dioica~)
verfälscht.

Von einem im atlantischen Nordamerika, namentlich Virginien, Florida
und Alabama heimischen immergrünen klimmenden Strauch (~Gelsemium
sempervirens~) aus der Familie der Loganiazeen, die sehr stark
giftige Vertreter, wie den das Strychnin liefernden Brechnußbaum,
den Curarebaum, aus dem die Indianer in Guiana und Venezuela ihr
berüchtigtes Pfeilgift, den schlingenden Upasstrauch, aus dessen
Wurzelrinde die Malaien Javas ihr nicht minder gefährliches Pfeilgift
Upas herstellen, und den vom Jesuiten Camelli 1699 nach dem Stifter
des Jesuitenordens, Ignatius Loyola, Ignatiusstrauch benannten
Schlingstrauch der Philippinen, der die äußerst giftigen Ignatiusbohnen
liefert, aufweist, stammt die +Gelsemiumwurzel+. Gelsemium ist der
ältere Name des Jasminum -- hergeleitet vom arabischen ~jasmin~ --,
der dieser Pflanze wegen ihrer Ähnlichkeit mit diesem orientalischen
Strauche gegeben wurde. Das Rhizom kommt meist in kleine Stücke
zerschnitten in den Handel und enthält vier Alkaloide, die als
schmerzbetäubendes Mittel bei Neuralgien, Zahnschmerz, Rheumatismus und
Brustfellschmerzen dienen. Die Indianer brauchten sie zum Vergiften der
Fische. Diese bei uns weniger angewandte Droge dient in Nordamerika
seit langer Zeit als Volksmittel gegen Fieber und Neuralgien. Die
Wirkung besteht in Schwächung der Motilität und Herabsetzung der
Sensibilität; in größeren Gaben verursacht die Droge Schwindel,
erweiterte Pupillen und Doppeltsehen, allgemeine Muskelschwäche und
schließlich Tod durch Atmungslähmung.

Der getrocknete Wurzelstock der kanadischen Gelbwurz (~Hydrastis
canadensis~) liefert die neuerdings auch bei uns wie in ihrer Heimat
vielgebrauchte +Hydrastis+, die schon lange vor Ankunft der Europäer
von den nordamerikanischen Indianern teils zu medizinischen Zwecken,
besonders bei Entzündungen der Augen, des Mundes und des Halses,
teils zum Färben des Gesichtes und der Kleidungsstücke benutzt wurde.
In derselben Weise wurde das Rhizom noch jahrhundertelang nach der
Entdeckung Amerikas als ~golden seal~, d. h. goldene Siegelwurz, als
Aufguß oder Tinktur weiter gebraucht, bis es 1860 in die Pharmakopoe
der Vereinigten Staaten aufgenommen wurde, nachdem es schon seit 1833
allgemeiner als Arznei verwendet und seit 1847 in größeren Mengen in
den Handel gebracht worden war. Die Verwendung in Europa datiert erst
seit 1883. 1851 entdeckte Durand das wichtigste der darin enthaltenen
Alkaloide, das Hydrastin, das bis zu 4,8 Prozent darin enthalten ist
und sich im Körper in Hydrastinin und Opiansäure spaltet. Hydrastis
wirkt gefäßverengend und darum Blutungen stillend. Besonders gegen
Gebärmutterblutungen wird es viel verwendet, außerdem auch bei
chronischem Magenkatarrh und äußerlich bei Augenentzündungen. Die
sie liefernde Pflanze ist eine in den feuchten Wäldern Kanadas und
besonders der nordöstlichen Vereinigten Staaten heimische ausdauernde
Schattenpflanze aus der Familie der Ranunculazeen mit 2-3 handförmig
gelappten Blättern und grünlichweißen Blüten, die wegen des erhöhten
Verbrauchs im wilden Zustande fast nicht mehr vorkommt und zurzeit
in den Staaten südlich von New York an schattigen Hügeln und in
Waldlichtungen in größerer Menge angepflanzt wird. Die Wurzelstöcke
sollen nur von der dreijährigen Pflanze im Herbst nach der Samenreife
gesammelt, gereinigt und, auf große Tücher ausgebreitet, an der Luft
getrocknet werden. In Ballen oder Säcke verpackt kommen sie meist über
Cincinnati zum Versand. Vielfach werden sie mit den Wurzelstöcken der
in den dortigen Waldungen heimischen ~Aristolochia serpentaria~ und
anderer ausdauernder Kräuter verfälscht.

Ebenfalls in Nordamerika heimisch ist die nach dem Stamme der
Seneka-Indianer oder Irokesen benannte +Senegawurzel+, die von
einer nördlich vom Tennesseeflusse vom Atlantischen Ozean bis zum
Felsengebirge vorkommenden ausdauernden Kreuzblumenart (~Polygala
senega~) gewonnen wird. Schon von den Indianern wurde sie als Mittel
gegen den Biß der Klapperschlange verwendet. 1736 wurde sie deshalb
von dem in Virginien ansässigen schottischen Arzte John Tennent
als ~Senega rattle snake root~ (S.-Klapperschlangenwurzel) in den
Arzneischatz eingeführt. Schon 1734 gab der Nürnberger Arzt Jakob Treu
eine Abbildung der Stammpflanze. Noch im Jahre 1779 war nach Murray
die Droge in Deutschland nur in wenigen Apotheken vorrätig. 1804
stellte dann Gehlen das bis zu 5 Prozent darin enthaltene, dem Saponin
ähnliche, in kaltem Wasser unlösliche Alkaloid Senegin dar, das neben
dem sauren Glykosid, der Polygalasäure und zwei neutralen Glykosiden
darin vorkommt. Die Wirkung der Droge ist eine schleimlösende,
schweißtreibende und leicht abführende. Wie die folgende wird sie auch
als Waschmittel benutzt.

Denselben Zwecken dient die gleicherweise meist als Abkochung
verordnete +Quillaia+- oder +Seifenrinde+, die von dem immergrünen, in
Chile, Peru und Bolivien heimischen Seifenbaume (~Quillaia saponaria~)
gewonnen wird. Den in seiner Heimat gebräuchlichen Namen Quilla hat
er vom spanischen Worte ~quillái~, das „waschen“ bedeutet; denn
seine Rinde wurde seit langer Zeit im Lande zum Waschen benutzt. Als
Wasch- oder Panamarinde kam sie zuerst von Panama aus zu Anfang der
1850er Jahre nach England und Frankreich, einige Jahre später auch
nach Deutschland. Seit dieser Zeit hat sie, da sie die Farben nicht
angreift, technisch statt Seife in den Wäschereien eine große Bedeutung
erlangt. Sie ist außen grob längsgestreift, oft rissig, weißlich oder
hellbraun, innen glatt und bräunlich, hat einen kratzend bitteren,
schleimigen Geschmack und enthält außer bis 10 Prozent Saponin die der
Polygalasäure sehr nahestehende Quillaiasäure, Sapotoxin und Lactosin.
Sie wird als Ersatz der Senega bei chronischem Lungenkatarrh in Form
einer beim Schütteln stark schäumenden Abkochung gegeben; auch kommt
ein als Saponin bezeichnetes Extrakt derselben in den Handel. Die Rinde
selbst wird jetzt direkt von Chile und Peru nach Hamburg und Havre
gebracht, die die Hauptstapelplätze dafür sind. Jährlich kommen davon
über 3 Millionen kg im Werte von einer halben Million Pesos (fast
ebensoviel Mark) allein aus Chile in den Handel. Auch das mittelharte
Holz ist dort geschätzt und wird zu feineren Geräten, besonders zu
den im Lande gebräuchlichen schuhartigen, hölzernen Steigbügeln, die
mit reichgemusterten Ornamenten in Kerbschnittmanier verziert sind,
verwendet. Der Quillái ist eine bis 10 m Höhe erreichende Rosazee,
deren bis gegen 2 m dicker Stamm, unbeschadet des Wohlbefindens der
Pflanze, öfter im Innern vermorscht. Er ist nicht besonders dicht
verzweigt und seine Äste gehen stark auseinander. Er hat elliptische,
glänzende, lederharte, hellgrüne Blätter und zu kleinen Trauben
vereinigte weiße Blüten. Er steigt über 2000 m ins Gebirge hinauf,
doch wird ihm leider von den Rindensammlern (~cascarilleros~), denen
man mit ihren schwarzbraunen Lasten oft begegnet, arg zu Leibe
gegangen. Früher entrindeten sie die Bäume meist nur so weit, als sie
reichen konnten, während sie jetzt mit Hilfe von Leitern die Entrindung
bis weit in das Astwerk hinein vornehmen.

Ebenfalls aus Südamerika stammt die erst seit 1871 durch Garcia Morena,
den damaligen Präsidenten von Ekuador, nach Europa gesandte und hier
bald als angebliches Heilmittel gegen Magenkrebs sehr überschätzte
und sehr teuer bezahlte +Condurangorinde+, d. h. Geierrinde. Schon
lange steht sie in ihrer Heimat gegen Schlangenbiß und krebsartige
Krankheiten bei den Indianern im Gebrauch. Ihre Stammpflanze ist eine
an den Westabhängen der Kordilleren zwischen Ekuador und Peru in
1500 m und mehr Höhe wachsenden Liane (~Marsdenia condurango~) aus
der Familie der Asklepiadazeen mit gegenständigen, breiten, samtartig
behaarten Blättern, paarigen Rispen kleiner Blüten und dicken, glatten
Fruchtkapseln. Ihre Rinde ist graubraun, schmeckt bitterlich, schwach
kratzend, riecht aromatisch und enthält als wichtigsten Bestandteil
ein als Condurangin bezeichnetes Gemisch von fünf Glykosiden, das
appetitanregend wirkt. Deshalb wird die Rinde auch heute noch gerne als
Stomachikum gegeben.

Sehr viel wichtiger als sie ist eine andere südamerikanische,
ebenfalls aus dem Andengebiet stammende Rinde, die +Chinarinde+, die
weitaus die wichtigste Droge ist, die uns der neue Weltteil geschenkt
hat; ja sie kann geradezu als das wichtigste Heilmittel aus dem
Pflanzenreiche bezeichnet werden, da sie beziehungsweise das aus
ihr gewonnene Chinin allein imstande ist, die weitaus verbreitetste
und bösartigste aller Krankheiten, besonders der warmen Länder, die
Malaria, an der bisher viele Hunderttausende von Menschen jährlich
zugrunde gingen, zu heilen, und dadurch der Weiterverbreitung dieser
schrecklichen Krankheit durch die Anópheles-Stechmücken zu wehren. In
Berücksichtigung der ungeheuren Bedeutung, die diesem Arzneimittel zur
Ausrottung der die schönsten und fruchtbarsten Gebiete der Tropen für
Weiße bisher fast unbewohnbar machenden Infektionskrankheit zukommt,
wollen wir etwas eingehender auf die Geschichte dieser Droge eingehen.

Zunächst ist festzustellen, daß die Bezeichnung China durchaus
nichts mit dem ostasiatischen Reiche der Mitte zu tun hat, sondern
der alten Inkasprache Perus angehört, in der es als ~quina~ (sprich
~kina~) Rinde bedeutet. Und zwar bezeichneten die Eingeborenen damit
eine bestimmte, von stattlichen Bäumen der Ostabhänge des nördlichen
Teiles von Peru und südlichen Gebietes von Ekuador in über 1000 m
Meereshöhe gewonnene, frisch blaßgelbe, durch Trocknen und Lagern aber
braun werdende Rinde, die sie gegen Fieber verwendeten. Im Gegensatz
zu anderen Rinden, die sie als Heilmittel verwandten, bezeichneten sie
die Chinarinde durch Verdoppelung des Wortes ~quina~ als ~quinaquina~
im Sinne von etwa guter Rinde. Als dann die verhaßten fremden
Eindringlinge, die Spanier, die so grausam gegen das Herrscherhaus
der Inkas verfuhren, das Land besetzten, wurde ihnen zunächst das
Geheimnis, das übrigens nur in einem beschränkten Gebiet der engeren
Heimat des Fieberrindenbaumes, nämlich in der Gegend von Loxa im
südlichsten Teil von Ekuador, bekannt war, nicht verraten. Erst 1630
wurde die Chinarinde durch die Vermittlung eines Jesuiten, der sich
durch seine Leutseligkeit das Vertrauen und die Liebe der Eingeborenen
zu erwerben wußte, den Spaniern im Innern von Peru bekannt. Der erste
Weiße, der damit vom Wechselfieber soll geheilt worden sein, war
der Corregidor oder Oberrichter -- eine Art vom König eingesetzter
Verwalter -- der Stadt Loxa, Don Juan Lopez de Canizares. Die
~cascara~ (Rinde) ~de quinaquina de Uritusingu~ empfahl er bei seinen
Bekannten weiter und durch seine Vermittlung wurde im Jahre 1638 die
Gemahlin des Vizekönigs von Peru, Gräfin Anna de Chinchon (sprich
Tschintschon), damit von einem hartnäckigen Wechselfieber geheilt. Ihr
zu Ehren wurde dann 1742 der Fieberrindenbaum durch Karl von Linné
Cinchona -- eigentlich sollte es Chinchona heißen -- genannt. Nach
ihrer Genesung ließ die Gräfin größere Mengen der so vortrefflich das
Fieber bekämpfenden Rinde aus Loxa kommen und verteilte sie bei den ihr
bekannten Malariakranken der Stadt Lima. So kam dieses neue Heilmittel
als „Gräfinnenpulver“ ~polvo de la condesa~ zunächst in Perus
Hauptstadt in Gebrauch. 1640 brachte Juan de Vega, der Leibarzt des
Grafen Chinchon, das erste Pfund der Rinde nach Sevilla in Spanien.

[Illustration:

    Tafel 131.

    (Phot. Vincenti, Daressalam.)

Ein Saatbeet für junge Chinabäume in Deutsch-Ostafrika.]

[Illustration:

    Tafel 132.

Ein Kussobaum in der Landschaft Schoa in Abessinien.

(Nach Photogr. von F. Rosen in „Karsten u. Schenck,
Vegetationsbilder“.)]

[Illustration: Chinabäume (~Cinchona succirubra~) auf Lembang in Java.]

In der Folge waren es besonders die Jesuiten, die sich des
einträglichen Handels mit der Chinarinde bemächtigten, weshalb sie
in Spanien als Jesuitenpulver, ~polvo de los jesuitos~, bekannt
wurde. Bis zum Jahre 1811 war ja der ganze Handel mit den spanischen
Kolonien durch das Mutterland monopolisiert. In Sevilla befand sich
die berühmte, 1503 gegründete ~casa de contractacion de Indias~, eine
zugleich verwaltende und richterliche Funktionen ausübende Behörde,
die dem 1511 eingesetzten Rate von Indien unterstellt war und die
oberste Aufsichtsbehörde für den amerikanischen Handel bildete. Kein
Schiff durfte nach Amerika absegeln oder, von dorther kommend, in
Europa landen, ohne von den Beamten der ~casa~ besichtigt und mit der
erforderlichen Erlaubnis versehen worden zu sein. Jeder spanische
Kapitän, er mochte auslaufen wo er wollte, durfte seine Rückfahrt
aus Amerika nur über Sevilla nehmen. Im Jahre 1529 erhielten auch
verschiedene andere Städte die Erlaubnis, Schiffe nach den Kolonien
zu senden, aber den Rückweg mußten alle über Sevilla nehmen, um die
Revision durch die Beamten der ~casa~ zu bestehen. Dieses ungeheure,
aber für den Handel äußerst hemmende Vorrecht besaß Sevilla bis zum
Jahre 1720, in welchem Cadix an seine Stelle trat, weil im Laufe der
Zeit der Guadalquivir durch Versandung so verflacht war, daß ihn
größere Schiffe nicht mehr befahren konnten.

Durch die Monopolisierung und den hohen Eingangszoll kam die
pulverisiert eingeführte Chinarinde, die sich in Spanien bald großer
Beliebtheit als Heilmittel gegen die Malaria zu erfreuen hatte, sehr
hoch zu stehen, so daß sich nur die Reichen ihrer bedienen konnten.
Kostete doch noch lange nach 1650 das Pfund derselben nicht weniger
als 400 Mark. Schon 1642 empfahl sie Barba, Professor der Medizin in
Valladolid. 25 Jahre später war sie in den größeren Städten Europas
bekannt und geschätzt. Zu dieser raschen Verbreitung der ~quinaquina~
trug namentlich die rührige Tätigkeit des Generalprokurators des
Ordens Jesu, des Kardinals de Lugo, viel bei, der in Rom den ersten
Stapelplatz des aus Südamerika neu eingeführten Heilmittels errichtete.
Auf seiner Durchreise empfahl er das Mittel in Paris dem höchst
einflußreichen Kardinal Mazarin gegen die Malaria, an der Ludwig XIV.
litt. Und als dieser davon geheilt wurde, wollte bald jedermann, dessen
Geldbeutel sich diesen Luxus leisten konnte, von der so wunderbar
schnell vom Fieber befreienden pulverisierten Rinde Gebrauch machen.
1653 war sie in Antwerpen, 1655 in London, 1663 in Königsberg,
1669 in Leipzig und Frankfurt am Main zu kaufen, doch kostete ein
Quentchen=1,66 g 50 Kreuzer, d. h. den zwölffachen Preis des Opiums
und den fünfundzwanzigfachen des Kampfers. Als Geheimmittel konnte sie
noch 1679 der englische Arzt Robert Talbot ausnutzen, der in jenem Jahr
dieses Fieber vertreibende Arcanum Ludwig XIV. für 2000 Louisdor und
eine Leibrente verkaufte.

Die erste rohe Beschreibung und eine allerdings sehr unvollkommene
Abbildung der Pflanze gab Blegny. Genauere Angaben über die Herkunft
und Gewinnung der Droge verdanken wir dem Franzosen La Condamine, der
von 1736-1744 Peru bereiste, 1737 bei Loxa die ~Cinchona officinalis~
sammelte und 1740 eine ausführliche Beschreibung nebst Abbildung der
Pariser Akademie der Wissenschaften vorlegen ließ. 1739 fand dann J.
de Jussieu ebenfalls bei Loxa die später als ~Cinchona pubescens~
bezeichnete Art. 1760 wurde der Botaniker Mutis und 1777 Ruiz und Pavon
vom spanischen Ministerium mit der genaueren Erforschung des Chinabaums
beauftragt. Ersterer beobachtete um die peruanische Stadt Bogota herum
4 verschiedene Cinchonaarten und letztere, die nach eingehendem Studium
von Peru und Chile erst 1788 nach Spanien zurückkehrten, beschrieben
1793 deren nicht weniger als 11 Arten. 1810 stellte der Apotheker Gomez
in Lissabon eine amorphe Masse aus der Chinarinde dar, in welcher 1827
die beiden Franzosen Pelletier und Caventou die zwei Alkaloide Chinin
und Cinchonin nachwiesen. Seit dieser Zeit wurden aus den Chinarinden
noch eine Anzahl anderer Alkaloide neben Säuren, einem bittern Glykosid
Chinovin und dem Chinarot dargestellt.

Die Chinarinde wird von verschiedenen nahe miteinander verwandten
prächtigen immergrünen Bäumen der zu den Rubiazeen oder Krappgewächsen
gehörenden Gattung Cinchona gewonnen. Die ursprünglich allein
verwendete gelbe Chinarinde von Loxa stammt von der hauptsächlich in
Ekuador wachsenden ~Cinchona officinalis~, deren in Bolivia heimische
Varietät ~C. ledgeriana~ heute besonders auf Java, Ceylon und in
Britisch Indien kultiviert wird. Sonst wird zur Gewinnung von Chinin
zurzeit namentlich auch die in Peru und Bolivia heimische ~C. calisaya~
gepflanzt, die die gelbe Königsrinde -- so genannt weil sie als die
beste erkannte Art früher für den spanischen Hof in Madrid bestimmt
war -- in starken Platten oder Röhren mit dunkler, tiefrissiger Borke
liefert. Außerdem ist die von Ruiz und Pavon beschriebene, in Nordperu
und dem südlichen Ekuador wachsende ~C. succirubra~ (d. h. rotsaftige
Cinchona) mit rötlicher Rinde sehr beliebt, ebenso die von denselben
Autoren geschilderte ~C. micrantha~ (d. h. kleinblütige Cinchona),
deren schön gelbe Rinde als Huanacorinde in den Handel gelangt.

Die bei weitem alkaloidreichste Chinarinde liefert die in den
bolivianischen Provinzen Enquisivi, Yungas, Larecaja und Caupolican
und in der südperuanischen Provinz Carabaya zwischen 1500 und 1800 m
Seehöhe wachsende ~C. ledgeriana~, so genannt, weil zuerst am Rio
Mamore in Bolivia mit Hilfe des Indianers Manuel Juera Mamani durch
den Engländer Charles Ledger 1865 gesammelte Samen von Bolivia der
englischen und holländischen Regierung gesandt wurden, welch letztere
sie auf Java anpflanzen ließ, während erstere damit Kulturen in
Ceylon und Indien beschickte. Dieser dickstämmige, hohe Chinabaum
mit ausgebreiteter, reichbelaubter Krone hat schmalelliptische,
unterseits rote, fast lederartige, kahle Blätter, kleine, gelbliche,
nickende Blüten in Rispen und kreisförmige, braune Fruchtkapseln, die
zahlreiche kleine, geflügelte Samen enthalten. Ebenfalls bis über
25 m hoch, bei einem Stammdurchmesser von fast einem Meter an seinem
Grunde, wird der Erzeuger der gelben Königsrinde ~C. calisaya~ mit
8-15 cm langen, eiförmigen Blättern mit rötlichen Blattstielen und
Mittelrippen und beinahe doldentraubigen Blütenrispen von fleischroten,
weichhaarigen, wohlriechenden Blüten. Große, saftiggrüne, kurz
behaarte, breitelliptische Blätter und große Rispen 2 cm langer, innen
kurz behaarter, rosenroter, ähnlich den Syringen duftenden Blüten
mit fünfzipfliger Blumenkrone besitzt der rotsaftige Chinabaum, ~C.
succirubra~. Beim Austritt aus der Knospe sind die jungen Blätter
purpurrot gefärbt, und an dieser Farbe gibt sich der die übrigen
Waldbäume meist überragende Chinabaum oft weithin zu erkennen.

Die Rinden der vorzugsweise die Ostabhänge der Anden des nördlichen
Südamerika zwischen 10° nördlicher und 19° südlicher Breite (die besten
Arten gedeihen von 7° nördlicher bis 15° südlicher Breite) in
1000-3400 m Höhe bewohnenden Chinaarten wurden von besonderen,
Cascarilleros genannten Sammlern aus den Wäldern geholt. Unter einem
Majordomo zogen sie in die Chinagebiete und säuberten zunächst an
den von ihnen entdeckten Bäumen mit einem säbelartigen Messer,
dem ~machete~, die Stämme von allen Lianen und Überpflanzen. Dann
entfernten sie die wertlose Borke und schnitten Längs- und Querrisse
in die Rinde, um diese in großen Stücken abzulösen. Zuletzt wurde der
Baum gefällt, um auch die dickeren Äste und dünneren Zweige von der
Rinde zu befreien, die möglichst rasch an Ort und Stelle meist über
einem gelinden Feuer getrocknet wurde. Zu diesem Zwecke wurden leichte
Hütten errichtet, auf deren Boden ein möglichst rauchloses Feuer aus
trockenem Holz unter Hürden von Palmblattstielen, auf denen die häufig
zu wendenden Rinden aufgeschichtet waren, entzündet wurde. Dabei mußte
zu starkes Feuer vermieden werden, weil durch eine hohe Temperatur die
wirksamen Bestandteile der Rinde zersetzt werden. Nach spätestens vier
Wochen waren auch die dickeren Rindenstücke genügend getrocknet, um als
haltbare Ware in den Handel zu gelangen.

Obschon in späterer Zeit den Cascarilleros vorgeschrieben war,
dort, wo sie einen Chinabaum gefällt hatten, einige Stecklinge der
Pflanze in den Boden zu stecken, so nahm doch mit der Zeit der Betrag
der jährlichen Ernte dermaßen ab, daß man mit Sorgen der Zukunft
entgegensah; denn bei dem nicht eigentlich massenhaften Auftreten der
Cinchonen und ihrer rücksichtslosen Ausbeutung erwuchs die berechtigte
Befürchtung der gänzlichen Ausrottung dieser kostbaren Bäume. Zuerst
machte der Deutsche Wedell die Kulturmenschheit auf den Schaden des
fortgesetzten Raubbaues aufmerksam, und der Straßburger Botaniker Fée
wies bald darauf auf die Wichtigkeit der Kultur der Chinabäume, um
zur wirksamen Bekämpfung der Malaria das aus ihrer Rinde gewonnene
Chinin zu einem möglichst billigen Preise in den Handel bringen
zu können. Zwischen 1830 und 1849 beschäftigten sich holländische
Botaniker wiederholt mit dem Gedanken der Kultur der Chinabäume in
den Hochtälern der südamerikanischen Anden. Dieser Anregung ist es
zweifellos zuzuschreiben, daß Jesuiten in der peruanischen Stadt
Cuzko, der einstigen Residenz der Inkas, 1849 junge Chinapflanzen nach
Zweigniederlassungen ihres Ordens in Algier sandten. Hier aber gediehen
die Kinder des Hochgebirges nicht, und auch 1850 und nochmals 1866
bewerkstelligte Nachsendungen aus Peru blieben erfolglos.

Nachdem auch La Condamines Bemühungen, lebende Cinchonen nach Europa
zu bringen, mißglückt waren, gelang es dem vorhin genannten Wedell,
wenigstens Samen herbeizuschaffen, die in Paris keimten. Damit auf
der Insel Réunion vorgenommene Akklimatisationsversuche brachten aber
keinen nennenswerten Erfolg. Glücklicher bei der Übertragung der so
wichtigen Arzneipflanze waren die Holländer, die das Gelingen des
für die Menschheit so überaus wichtigen Problems der Ansiedelung
von Chinabäumen in ihren indischen Kolonien in erster Linie den
unablässigen Bemühungen des holländischen Ministers Pahud, namentlich
von der Zeit an, da er Generalgouverneur von Java wurde, zu verdanken
haben. Auf Veranlassung des deutschen Botanikers Miquel, des Bruders
des einstigen preußischen Finanzministers, wurde 1852 der Deutsche
J. K. Haßkarl zur Gewinnung des erforderlichen Kulturmaterials
nach Peru gesandt. Oftmals vom Tode bedroht, gelang es ihm nach
Überwindung großer Gefahren und zahlloser Schwierigkeiten 1854 in 21
Wardschen Kulturkästen eine Menge von jungen Chinapflanzen nach Java
einzuschiffen. Auch in Europa wurden mittlerweile in den botanischen
Gärten von Paris und Leiden Chinapflanzen aus Samen gezüchtet, die
ebenfalls ihren Weg nach Java nahmen. Dort führte von 1855 an der
in holländischen Diensten stehende Deutsche Franz Wilhelm Junghuhn
(1819-1864) die Bepflanzung mit Chinabäumen in großem Maße durch, so
daß er den Bestand von 149 Pflanzen auf über 1 Million erhöhte. Im
Jahre 1876 besaßen die Holländer auf Java bereits über 2 Millionen
Cinchonen und seither haben die Chinaanpflanzungen auf jener Insel eine
solche Ausdehnung gewonnen, daß sie heute etwa 80 Prozent der gesamten
Weltproduktion von über 10 Millionen kg Chinarinde liefern.

Erst in weitem Abstand folgt auf Java Ostindien mit einer jährlichen
Produktion von nicht ganz 1½ Millionen kg Chinarinde, an
welchem Betrage Ceylon bloß mit einem Sechstel beteiligt ist. Die
Anregung zu diesem Unternehmen gab Royle der englisch-ostindischen
Handelsgesellschaft, wobei er die Nilagiris oder Blauen Berge an
der Malabarküste als besonders geeignet für die Kultur dieses
südamerikanischen Gebirgsbaumes empfahl. Die ersten Versuche damit
hatten einen wenig befriedigenden Erfolg. Erst als der mit den
Verhältnissen in Peru und Bolivia vertraute Markham durchsetzte, daß
man den in Ekuador sammelnden Botaniker Spruce mit der Gewinnung
des Samens der rotsaftigen Art beauftragte, blühte die Chinakultur
in Indien seit 1859, besonders durch Spruces Begleiter, den Gärtner
Croß, gefördert, sehr schnell auf. Die Hauptplantagen wurden nun in
Utakamund auf den Blauen Bergen und seit 1861 auf Ceylon zum Teil in
einer Höhe von 2600 m angelegt. Hier sowohl, wie in Java, vermochte
man nach und nach bessere Vermehrungsarten ausfindig zu machen und
besonders chininreiche Arten heranzuzüchten. 1867 kamen die ersten in
Indien gewachsenen Rinden auf den Londoner Markt und 1870 die ersten
javanischen Rinden nach Amsterdam. Der indische Export stieg dann
dermaßen, daß im Jahre 1886 Ceylon allein gegen 7 Millionen kg nach
London lieferte. Da aber sank der Preis des Chinins so sehr, daß die
Chinaplantagenbesitzer Ceylons es vorzogen, die Chinabäume, deren
im Jahre 1882 noch 90 Millionen sollen gestanden haben, abschlagen
zu lassen und das betreffende Land zur Teekultur zu verwenden. Noch
im Mai 1870 kostete das Kilogramm schwefelsaures Chinin 545 Mark,
dann sank der Preis, zuweilen wieder etwas ansteigend, im Juni 1889
auf 31 Mark. An diesem starken Preisabschlag war nicht sowohl die
große Produktion von Chinarinde schuld, als vor allem die durch die
Auffindung zahlreicher, das Fieber herabsetzender chemischer Stoffe,
wie Antipyrin, Antifebrin usw., bewirkte Ersetzung des Chinins durch
Surrogate. Einzig als Spezifikum gegen Malaria und teilweise als
Heilmittel gegen Keuchhusten ist das Chinin heute noch allein in
Frage kommend und deshalb von ungeheurem Werte für die Menschheit,
so daß die Kultur des Chinarindenbaumes nach wie vor von der größten
Wichtigkeit für die Weltwirtschaft ist. So hat man den Chinarindenbaum
seit 1865 erfolgreich auf Réunion, Mauritius, Madagaskar, Teneriffe
und seit 1900 und 1902 von Java aus auch in Kamerun angepflanzt. Der
anfänglich (1868) gute Resultate aufweisende Anbau auf St. Helena ging
infolge Vernachlässigung zugrunde. In Dardschiling in Sikkim, wo der
Chinabaum 1862 eingeführt wurde, wie auch in Neuseeland und Australien,
wohin der Anbau desselben 1862 beziehungsweise 1866 gelangte, hat die
Cinchonenkultur keinerlei Bedeutung erlangt. Die Bäume lieben ein
wechselvolles, feuchtes Klima und eine mittlere Temperatur von 12-20°
C. Diese klimatischen Verhältnisse finden sie in den Tropen besonders
in einer Höhe von 1600-2400 m. Dort wachsen sie, dem Charakter jener
Gebiete entsprechend, meist zerstreut, höchstens da und dort zu kleinen
Gruppen vereinigt.

Veranlaßt durch die große Konkurrenz der südasiatischen Kulturen
sind neuerdings auch im Heimatlande der Cinchonen, von Kolumbia
bis nach Bolivia, Chinaanpflanzungen angelegt worden und wird der
rationellen Gewinnung der Rinde erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. In
allen Plantagen nutzt man die Kulturbäume viel planmäßiger aus als
früher die wildwachsenden Bäume. Dabei beobachtet man ein doppeltes
Verfahren. Entweder richtet man den Niederwaldbetrieb ein, indem man
die Bäume 6-8 Jahre alt werden läßt und sie dann etwa 15 cm über dem
Boden abschlägt. Hierauf entsteht ein kräftiger Stockausschlag, mit
dem man nach 5-8 Jahren in gleicher Weise verfährt. Oder man zieht
den lebenden Bäumen etwa 4 cm breite Rindenstreifen der Länge nach
ab. Die Wunden werden dann sorgfältig mit einem Schutzmittel -- meist
Moos oder Lehm -- bedeckt, unter welchem eine merkwürdigerweise noch
alkaloidreichere Rinde erzeugt wird. Eine weitere Art der Gewinnung
besteht im Abschälen der Rinde mit scharfen Schabeisen bis auf das
Kambium, das dann neue Rinde erzeugt. Deutschland mit seinen vier sehr
bedeutenden Chininfabriken bezieht die Hauptmasse der Chinarinde aus
Java über Amsterdam und nur einen kleinen Teil über London und aus Peru
direkt, um aus ihr Chinin zu gewinnen. Doch wird neuerdings das meiste
Chinin auf Java und in Indien in inmitten der Pflanzungen gelegenen
Fabriken gewonnen, so daß die Einfuhr der Rinde nach Europa immer mehr
zurückgeht und keinen Maßstab mehr für den Konsum abgibt. Deutschlands
Einfuhr betrug im Jahre 1906 3678000 kg im Wert von 4781000 Mark.

Ältere Rinden weisen einen höheren Alkaloidgehalt auf als jüngere,
Stammrinden mehr als Zweigrinden, und zwar bei kultivierten Pflanzen
in weit höherem Maße als bei wildgewachsenen. In jungen Organen sind
die Alkaloide im Zellsaft gelöst, in älteren in festem, amorphem
Zustand in der Zelle, oft in gerbsaurer Verbindung, abgelagert.
Oxalsauren Kalk führende Zellen enthalten niemals Alkaloide. Im
parenchymatischen Gewebe der Mittelrinde findet man bei den in
ihrer Heimat wildgewachsenen Pflanzen nur etwa 2 Prozent Alkaloide,
während es die kultivierten Bäume Javas auf 10-17 Prozent daran
bringen. In europäischen Gewächshäusern, also unter ungünstigen
Bedingungen erzeugte Rinden enthalten dagegen gar kein Chinin, das
sonst bis zu 13 Prozent darin enthalten sein kann. Daneben sind in
den alkaloidreichsten Rinden bis 4 Prozent Chinidin, bis 8 Prozent
Cinchonidin, bis 8 Prozent Chinasäure, 2-3 Prozent Chinagerbsäure und
2 Prozent des bittern Glykosids Chinovin enthalten. Das wichtigste
Alkaloid, das Chinin, besitzt antipyretische und antiseptische Wirkung
und ist ein spezifisches Gift für die im Blute der Malariakranken
kreisenden ungeschlechtlichen Plasmodien besonders der Tertiana und
Quartana, weniger greift es die Erreger des bösartigen tropischen
Fiebers an und ist nur gegen die Geschlechtsformen der letzteren ganz
unwirksam.

Solange früher die offizinellen Chinarinden in Südamerika von
wildwachsenden Pflanzen gewonnen wurden, waren meist durch wertlose
Rinden verwandter Gattungen vorgenommene Verfälschungen häufig. Jetzt
kommen solche nur noch selten vor, da bloß Rinden kultivierter Pflanzen
Südasiens von den Arzneiverordnungen zugelassen werden. Im allgemeinen
kommt das Chinin allein den Chinabäumen zu. Einzig die den Cinchonen
verwandte, in Venezuela und Kolumbia wachsende ~Remijia purdieana~
enthält auch Chinin, und zwar bis zu 2 Prozent.

Ebenfalls als Fiebermittel und Stomachicum wie die Chinarinde wird die
von einer bis 6 m hohen, in Westindien, besonders den Bahamainseln
und Kuba, heimischen Wolfsmilchart, ~Croton eluteria~, gewonnene
+Cascarillrinde+ verwendet. Cascarilla heißt im Spanischen kleine
Rinde. Anfänglich (1640) hielt man diese schon damals gegen Ruhr und
Fieber angewandte Rinde für eine kleine Form der Chinarinde; daher
jener Name. Zu Ende des 17. Jahrhunderts wurde sie in Deutschland
als ~China nova~ oder ~Cortex eluterii~ bekannt. Sie kommt in
röhrenförmigen Bruchstücken von graugelber bis brauner Farbe,
eigenartig aromatischem Geruch und unangenehm bitterem Geschmack in den
Handel und enthält außer dem Bitterstoff Cascarillin 15 Prozent Harz,
Gerbstoff und ätherisches Öl.

Noch weniger wichtig als sie ist die einst als Ruhrmittel benutzte
+Simarubarinde+, die von ~Simaruba officinalis~, einem stattlichen, in
Französisch-Guiana und Nordbrasilien heimischen Baum gewonnen wird.
Heute kaum mehr gebraucht, kam die Rinde 1713 als Mittel gegen blutige
Diarrhoen aus Cayenne nach Paris; 1718 wurde sie daselbst gegen die
damals epidemisch herrschende Ruhr angewandt. 1723 brachte Barrère
eine größere Menge der Droge nach Europa und gab 1741 eine genauere
Beschreibung der Stammpflanze. Die früheste Nachricht über letztere
scheint von Desmarchais aus dem Jahre 1728 zu stammen, wobei er schon
von ~Simaruba~ oder ~bois amer~ spricht. 1775 gab dann der Apotheker
Aublet eine weitere eingehende Beschreibung der Pflanze unter dem Namen
~Simaruba amara~. Der jamaikanische Baum wurde 1772 von Wright entdeckt
und ein Jahr später von ihm als ~Quassia simaruba~ beschrieben. Die
gelbbraune, geruchlose, stark bitter und etwas schleimig schmeckende
Rinde der dicken Wurzeln, die meist über Ciudad Bolivar am Orinoko, der
vormals Angostura (weil an einem Engpaß gelegen) genannten Hauptstadt
von Venezuela, in den Handel gelangt, enthält ein benzoëartig
riechendes Öl, Harz, Gerbstoff und einen kristallisierbaren Bitterstoff.

Ebenso wie diese heute außer Gebrauch gekommen ist die nach demselben
Verschiffungsort als +Angosturarinde+ bezeichnete stark bittere
Wurzelrinde des im nördlichen Südamerika heimischen, 20-25 m hohen,
immergrünen Baumes ~Galipea officinalis~ (nach dem Indianerstamme
der Galiponen so genannt) aus der Familie der Terebinthineen oder
Balsamgewächse, die früher als Heilmittel gegen Wechselfieber berühmt
war. Im Gegensatz zu dieser echten bezeichnete man die Rinde des in
Südasien heimischen +Brechnußbaumes+ (~Strychnos nux vomica~) als
falsche Angosturarinde. Sie ist schwärzlich aschgrau, schmeckt sehr
bitter und wurde zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts
der außer als Fiebermittel auch als Heilmittel gegen Ruhr angewandten
echten Angosturarinde beigemischt.

Heute werden von dem in ganz Indien, Siam, Kochinchina und
Nordaustralien heimischen niederen Baum mit orangeähnlichen, etwa
4-5 cm langen, graugelben Früchten nur die in einem sehr trockenen,
gallertartig weichen Fruchtfleisch eingebetteten scheibenförmigen, am
Rande verdickten, 2,5 cm breiten und 0,5 cm dicken, graugrünlichen,
mit seidenglänzenden, in radialer Ausstrahlung angedrückten Haaren
dicht besetzten Samen als +Krähenaugen+ oder +Brechnüsse+ medizinisch
verwendet. Sie enthalten bis zu 5 Prozent der sehr giftigen Alkaloide
Strychnin und Brucin, beide annähernd zu gleichen Teilen, doch ist
das Strychnin meist in etwas geringerer Menge vorhanden. Sie sind
in der Pflanze an die Igasur- oder Strychnossäure gebunden. Weitere
Bestandteile sind Eiweiß, Zucker, Fett, Gerbsäure und in geringen
Mengen ein Loganin genanntes Glykosid. Wenn auch die giftigen Glykoside
im hornigen Nährgewebe der Samen in größter Menge vorhanden sind, so
ist doch die ganze Pflanze damit getränkt; gleichwohl soll der Inhalt
der Früchte von Vögeln unbeschadet genossen werden. Die Giftwirkung
beruht vorzugsweise auf dem Strychnin, das tetanische Krämpfe bewirkt
und zuerst die Atmungsmuskeln, dann auch die übrigen, mit vorwiegender
Beteiligung der Strecker, in Starrheit versetzt, so daß rasch der Tod
durch Erstickung eintritt. In kleinen Dosen erhöht es den Tonus der
Muskeln und Nerven; deshalb wird es mit gutem Erfolg bei Lahmheit der
Muskeln, namentlich der Darmmuskulatur, gegeben.

Die reifen, von wildwachsenden Bäumen gesammelten und getrockneten
Samen kommen meist aus Indien nach London auf den Markt. Aus ihnen
stellt man außer Extrakten und Tinkturen das Strychnin dar, mit dem man
die schädlichen Raubtiere vermittelst Köder vergiftet. In Südasien war
die Giftwirkung der Brechnüsse schon längst bekannt; auch wurden sie
dort in früherer Zeit zur Herstellung eines Pfeilgiftes, daneben auch
als Betäubungsmittel benutzt. So sollen sie nach Royle im ~Ayur veda~
Charakas als Narkotikum des indischen Arzneischatzes erwähnt werden.
In Europa wurden sie durch Vermittlung der Araber gegen Ende des 15.
Jahrhunderts in den Arzneischatz eingeführt; als solche führt sie
Brunfels 1531 unter dem Namen ~nux vomica~ an. Zuerst finden wir sie um
1500 als ~Kraen Eugeln~ im Inventar der Apotheke zu Zwickau angeführt.
1520 und 1521 werden sie als ~nux vomica~ neben ~nux indica~ (Kokosnuß)
in der Arzneitaxe von Annaberg erwähnt. 1561 gab Valerius Cordus eine
sehr gute Beschreibung der Samen, die er irrtümlich für Früchte hielt.
Auch Bauhin und Gesner berichten von ihnen; doch waren sie noch im
17. Jahrhundert wenig verbreitet und kaum je als Arznei gebraucht.
Als solche fanden sie erst von 1770 an Verwendung. Das in ihnen und
in anderen Strychnosarten enthaltene Strychnin wurde nicht zuerst
in ihnen, sondern 1819 und 1824 von Caventou in den einst ebenfalls
offizinellen +Ignatiusbohnen+ nachgewiesen. Dieselben stammen von
einem ebenfalls zur Familie der Loganiazeen gehörenden Schlingstrauch
der Philippinen (~Strychnos ignatii~), den der Jesuit Camelli 1699
als erster Europäer kennen lernte und nach dem Stifter seines Ordens,
Ignatius Loyala, Ignatiusstrauch nannte, und enthalten fast dieselben
Bestandteile wie die Brechnüsse. Früher wurden sie besonders gegen
Wechselfieber und Epilepsie gebraucht. Ein naher Verwandter desselben
ist der sich an den hohen Waldbäumen der Insel Java emporschlingende,
25-32 m lange +Upasstrauch+ (~Strychnos tieuté~), aus dessen
Wurzelrinde die Eingeborenen durch Auskochen mit Wasser und nachherigem
Eindicken zu Sirupkonsistenz ihr überaus gefürchtetes Pfeilgift
herstellen, das ebenfalls Strychnin als Hauptbestandteil enthält und
sehr rasch den Tod des damit getroffenen Tieres herbeiführt.

Gleicherweise bereiten die Indianer Venezuelas aus der Rinde des sich
um andere Urwaldbäume schlingenden +Curarestrauches+ (~Strychnos
crevauxii~, nach dem 1882 als Forschungsreisender in Südamerika
ermordeten französischen Arzte Crevaux so genannt) ihr nicht minder
wirksames Pfeilgift, das die Enden der motorischen Nerven lähmt,
die Tiere so bei erhaltenem Bewußtsein lähmt und durch Lähmung der
Atmungsmuskeln rasch den Tod herbeiführt. Deshalb wird es vielfach
bei physiologischen Untersuchungen benutzt, wobei man die Tiere, wenn
nötig, durch künstliche Atmung am Leben erhält; doch ist dies bei
kleineren Dosen durchaus nicht nötig.

Im Gegensatz zu diesem Curarin, das die motorischen Muskeln lähmt,
steht das +Strophantin+, das die Zusammenziehbarkeit der Muskeln,
besonders des Herzmuskels steigert, und deshalb bei Schwächezuständen
des Herzens vielfach als Ersatz der langsamer wirkenden und die
Verdauungsorgane mehr angreifenden Digitalis gegeben wird. Als eines
der stärksten Herzgifte, die es gibt, wird es in seiner Heimat,
Westafrika, vielfach auch als Pfeilgift benutzt. Sein Erzeuger ist ein
holziger Kletterstrauch Oberguineas aus der Familie der Apocynazeen
oder Hundsgiftgewächse -- zu denen u. a. auch unser Oleander gehört --
(~Strophantus hispidus~), der sich an den höchsten Bäumen des Urwalds
emporwindet und kreuzgegenständige, breitelliptische, rauhhaarige
Blätter, gelbe Blüten mit lang herabhängenden Blumenblattspitzen und
30 cm lange, an beiden Enden zugespitzten Kürbissen mit tief gefurchter
Oberfläche ähnliche Fruchtkapseln -- meist zwei nebeneinander --
besitzt, die bis 200 Samen enthalten. Letztere sind bis 15 mm lang
und 3,5 mm breit, braun und etwas filzig behaart und dienen den
Eingeborenen vorzugsweise zur Gewinnung von Pfeilgift, während eine
Abkochung der Wurzeln und der Rinde innerlich gegen Malaria und
Dysenterie und äußerlich zur Behandlung von Geschwüren aller Art, auch
des Guineawurms, dient.

Wie ~Strophantus hispidus~ von Senegambien bis Oberguinea wird in
Niederguinea und im ganzen Kongogebiet der gleicherweise kletternde
~Strophantus gratus~ bei allen Negerdörfern in Halbkultur angetroffen.
Seine Balgfrüchte werden kurz vor der Reifezeit gesammelt und bilden
ein nicht unwichtiges Handelsprodukt im Verkehr der Eingeborenenstämme,
indem diese aus den leuchtend gelben, unbehaarten, außerordentlich
stark bitter schmeckenden Samen ein sehr wirksames Pfeilgift
herstellen. In gleicher Weise werden in Ostafrika die graugrünen,
weißseidig behaarten Samen von ~Strophantus kombe~ benutzt, die heute
in den deutschen Apotheken ausschließlich offizinell sind. Die sie
erzeugende Liane wächst hauptsächlich am Sambesi und wird ebenfalls
vielfach von den Eingeborenen in Halbkultur um ihre Dörfer gehalten.
Schon David Livingstone machte auf seinen Forschungsreisen von
1858-1864 auf das ostafrikanische Pfeilgift ~kombe~ und auf die den
Herzschlag verlangsamende Wirkung desselben aufmerksam. 1861 ermittelte
dann der englische Konsul in Zanzibar, John Kirk, daß dieses Kombegift
aus Strophantussamen bereitet wird. Fagge und Stevens, später Fraser,
untersuchten dieses vom Sambesi erhaltene Kombegift und letzterer
stellte 1872 das Strophantin dar, dessen physiologische Wirkung er
auch klarlegte. Zugleich erkannte er die Identität dieses Giftes mit
dem 1864 von Pélikan untersuchten westafrikanischen Pfeilgift ~inée~
oder ~onage~ (von den Samen von ~Strophantus gratus~) aus Gabun. 1867
waren die Samen als neues Herzgift auf der Pariser Weltausstellung
ausgestellt. Schon 1802 beschrieb A. de Candolle den ~Strophantus
hispidus~ aus Sierra Leone.

Von weiteren Apocynazeen, die als wichtige Giftpflanzen bei den
Eingeborenen eine große Rolle spielen, ist der +Odallam+ und die
+Tanghinpflanze+ zu erwähnen. An den Küsten des Indischen Ozeans
bis Neuguinea wächst ersterer (~Cerbera odallam~) als häufige
Strandpflanze. Seine dicken, fleischigen Äste tragen ziemlich große,
breitlanzettliche Blätter und endigen in einer Rispe stark duftender,
weißer Blüten. Die Früchte sind faustgroße, dunkelgrün gefärbte
Steinfrüchte, in deren fleischiger Schale ein äußerst zähes Netz
eingebettet ist, das mit seinem Geflecht das Eindringen von Meerwasser
zu den Samen verhindern soll; denn die Früchte sind für den Transport
mit den Meeresströmungen eingerichtet. Auf diese Weise wird die Pflanze
über alle Küsten des Indischen Ozeans verbreitet.

Noch viel giftiger als er ist die berüchtigte Tanghinpflanze
(~Tanghinia venenifera~) von Madagaskar, deren Früchte bei den
Gottesurteilen des dort lebenden Malaienstammes der Hova Verwendung
finden. Derjenige, der im Verdacht steht, ein Verbrechen begangen zu
haben, muß von der Frucht genießen. Ist er schuldig, so geht er daran
zugrunde; ist er aber unschuldig, so erbricht er sie und kommt mit
dem Leben davon. Natürlich ist dabei die Hand der Zauberpriester im
Spiele, die solchen, die sie retten wollen, zugleich ein Brechmittel
verabreichen.

In der europäischen Medizin haben diese beiden Drogen noch keine
Verwendung gefunden, wohl aber eine andere, die bei den Gottesurteilen
der Neger Westafrikas eine nicht unwichtige Rolle spielt, nämlich
die +Kalabarbohne+. Ihr Erzeuger ist die vom Kap Palmas bis Kamerun
heimische, neuerdings auch in Indien und Brasilien eingeführte, mehr
als 15 m emporsteigende Leguminose ~Physostigma venenosum~ mit
holzigem Stamm von 4 cm Dicke, gefiederten Blättern, achselständigen,
hängenden Trauben von großen, purpurroten Blüten und etwa 14 cm
langen, leicht zusammengedrückten Hülsen, die 1-3 nierenförmige,
schokoladenbraune, glatte Samen mit einer tiefen, von erhabenen Rändern
umgebenen Rinne enthalten. Diese sind sehr giftig, wenn auch beinahe
geruch- und geschmacklos. Wer von den Eingeborenen der Zauberei
beschuldigt wird, muß davon genießen. Stirbt er daran, so ist er
schuldig, bricht er es aus, so ist er unschuldig. Letzteres hängt
natürlich auch wieder davon ab, ob ihm die allmächtigen Fetischpriester
wohlwollen oder nicht. Ist ersteres der Fall, so bekommt er im geheimen
ein Brechmittel mit seiner Dosis Gift eingeführt, das bald seine
Wirkung tut und den Schützling des Fetisches rettet. Die Pflanze
wurde 1840 durch Daniell bekannt, 1859 beschrieb sie Balfour, und
wenige Jahre später entdeckte Fraser ihre eigentümliche arzneiliche
Wirkung. Diese beruht auf dem Gehalt an dem Alkaloid Physostigmin =
Eserin, das farb-, geruch- und geschmacklose Kristalle bildet und
direkt lähmend auf das Zentralnervensystem, zuerst das Gehirn und dann
das Rückenmark, wirkt. Da es schon in minimalen Dosen eine starke
Zusammenziehung der Pupillen bewirkt, benutzen es die Augenärzte,
um die nach Atropineinträufelung entstandene Pupillenerweiterung zu
beseitigen, auch als Heilmittel bei Augenkrankheiten. Daneben wird es
bei Erschlaffung des Darmes mit Kotstauung und gasiger Auftreibung des
Leibes, bei Starrkrampf, Neuralgien, Epilepsie usw. gegeben. Neben
Physostigmin ist in den Kalabarbohnen noch das dem Strychnin ähnlich
wirkende Alkaloid Calabrin und ein indifferentes Physosterin enthalten.

Von einer nahen Verwandten dieser stammt die als Ersatz der Chinarinde
gegen Fieber 1878 nach Europa eingeführte Rinde des in Argentinien
heimischen +Quebracho+ (sprich kebratscho) (~Aspidosperma quebracho~).
Es ist dies ein Baum oder Strauch aus der Familie der meist ziemlich
giftige Vertreter aufweisenden Apocynazeen oder Hundsgiftgewächse
mit sehr hartem Holz, dünnen, hängenden Zweigen, kleinen, stachlich
zugespitzten, bräunlichgrünen Blättern, gelben Blüten und großen,
holzigen, rundlichen Fruchtkapseln. Die Quebrachorinde enthält
sechs verschiedene Alkaloide, die der Zusammensetzung nach einigen
Chinarindenalkaloiden ähneln. Heute wird sie nur noch gegen Asthma
gebraucht.

Häufigere Verwendung in der Arzneikunde finden die Blätter der
südamerikanischen Rutazee ~Pilocarpus pinnatifolius~ und anderer
verwandter Arten. Diese Rautengewächse aus der Verwandtschaft der
Zitronen-, Orangen- und Quassiabäume ist ein in Brasilien heimischer,
etwa 3 m hoher Strauch mit dicht rotgelb behaarten Zweigen,
lederigen, kurzgestielten, unpaariggefiederten, großen, unterseits
kurzhaarigen Blättern, dichten Trauben mit kleinen grünen Blüten und
einsamigen Kapseln. Die Blätter dieser Art, wie auch von ~Pilocarpus
jaborandi~ in Nordbrasilien, von ~P. selloanus~ und ~P. trachylophus~
in Südbrasilien und verschiedener anderer Arten wurden von den
Indianern zum Schweißtreiben bei Krankheiten, wie auch als Gegengift
bei Schlangenbissen unter dem Namen +Jaborandi+ verwendet. Die erste
Kunde über diese Droge findet sich in der 1648 erschienenen ~Historia
naturalis Brasiliae~ von Piso und Marcgraf; doch machte sie erst der
brasilianische Arzt S. Continho in Pernambuco 1873 bekannt. Er bediente
sich derselben als schweißtreibendem Mittel und sandte in jenem
Jahre Proben der Blätter zur Prüfung nach Paris. Diese riechen beim
Zerreiben aromatisch, schmecken scharf und enthalten als hauptsächlich
wirksame Substanz das 1875 gleichzeitig von Hardy und Gerrard isolierte
Pilocarpin, das die gesteigerte Absonderung von Schweiß-, Speichel-
und sonstigen Drüsen bewirkt, neben Pilocarpidin, Isopilocarpin, dem
atropinartig wirkenden Jaborin und Gerbstoff. Das Jaborin des Handels
ist ein Gemisch dieser letzteren mit einer Spur Pilocarpin. Der Gehalt
an freien Alkaloiden beträgt in den Jaborandiblättern durchschnittlich
0,75 Prozent. Nur infolge Beimengung minderwertiger Sorten wird er
geringer. Als Surrogat werden verschiedene andere Blätter von ähnlicher
Wirkung verwendet, auf die wir hier nicht eintreten wollen.

Weit größere Bedeutung haben in der modernen Medizin die gleichfalls
in Südamerika heimischen +Kokablätter+ erlangt, aus denen das zur
Schmerzbetäubung und zur Anregung der seelischen und motorischen
Zentren der Großhirnrinde in so reichem Maße dienende Cocain gewonnen
wird. Seit Urzeiten werden sie von den Indianern der Westküste
Südamerikas als ~koka~, d. h. Pflanze (also Pflanze ~par excellence~)
-- von den Spaniern ~coca~ geschrieben -- als Anregungsmittel und
zur Vertreibung der Müdigkeit während der Ruhepausen zusammen mit
etwas ungelöschtem Kalk oder der Asche von ~Chenopodium quinoa~,
einer dort viel angepflanzten Nährfrucht aus der Familie der Melden,
gekaut. Dadurch wird eine reichliche Absonderung grünen Speichels
bewirkt, daneben aber ein Gefühl der Leichtigkeit, eine lebhafte,
freudige Aufregung bewirkt, die es ermöglicht, ohne spürbare Ermüdung
schwerbeladen die anstrengendsten Märsche über die höchsten Pässe
der Anden zu bewältigen. Mäßig genossen haben die Kokablätter keine
schädliche Wirkung, nur in größeren Mengen und gewohnheitsmäßig
gebraucht, wirken sie lähmend und rufen einen als Kokakachexie
bezeichneten Zustand hervor, der sich durch Abmagerung, Verfall der
Körperkräfte und Herabsetzung aller geistigen Tätigkeit bekundet.

Daß nun die Peruaner schon sehr lange vor der Entdeckung ihres Landes
durch die Europäer eine für sie so wichtige Pflanze für heilig
hielten und sie um ihre Ansiedlungen herum kultivierten, kann uns
nicht wundern. Ihre Blätter waren im ganzen Lande sehr begehrt und
galten als beliebtestes Tauschmittel an Stelle des Geldes. Bei der
Eroberung Perus unter Francisco Pizarro 1532-1533 lernten die Spanier
dieses Genußmittel kennen, wandten es aber selbst nicht an; vielmehr
verboten sie auf Veranlassung der christlichen Priester die Kultur der
Pflanze. Nach wenigen Jahren aber gestatteten sie dieselbe wieder;
denn der Anbau dieser Pflanze war seit den ältesten Zeiten eine der
Hauptarbeiten der Eingeborenen. So kommt es, daß die ursprünglich wilde
Form derselben im Lande fast nicht mehr gefunden wird. Der 1,5 m
hoch werdende Kokastrauch mit bis 8 cm langen und halb so breiten,
oben oliven- und unten graugrünen, eiförmigen, lederartigen, kahlen
Blättern wird außer in Peru und Ekuador vorzugsweise in Kolumbia an
den östlichen Abhängen der Anden in einer Höhe von 1000-2000 m
in ausgedehnten, ~cocales~ genannten Plantagen angepflanzt. Alle
2-3 Monate werden die reifen Blätter, die einen Stich ins Gelbliche
zeigen, bei trockenem Wetter gesammelt und sofort getrocknet, um dann
fest in Wollsäcke eingepreßt versandt zu werden. Da sie aber durch
längeren Transport bis zur Hälfte ihres Gehaltes an wirksamer Substanz
einbüßen, werden sie vielfach schon an Ort und Stelle verarbeitet,
wobei 1 kg trockene Blätter 2 g Cocain geben. So nannte Niemann
1860 das höchstens bis zu 1 Prozent in den Kokablättern enthaltene
wirksame Alkaloid, das Gädicke 1855 zuerst entdeckt und Erythroxylin
genannt hatte. 1884 erst führten Freund und Koller das Cocain als
die damit bepinselten Schleimhäute unempfindlich machendes Mittel in
die Heilkunde ein. Bald wurde es auch innerlich als Anästhetikum der
Magenschleimhaut und die seelischen und motorischen Funktionen des
Gehirns anregendes Mittel gegeben und führte auch wie das Morphin
vielfach zu Mißbrauch.

Mit dem beginnenden starken Verbrauch der Droge in der ganzen
Kulturwelt wurde der in den östlichen Andengebieten Perus und Bolivias
in den nie vom Frost heimgesuchten warmen Hochtälern bis dahin
ausschließlich von den Indianern kultivierte Kokastrauch (~Erythroxylon
coca~) nach Westindien, Ostindien, Ceylon, Java, Australien, Zansibar
und Kamerun gebracht und dort im großen angepflanzt. Diese Länder
versorgen nun auch den Weltmarkt mit ihren Produkten. Am üppigsten
gedeiht der Strauch in feuchten Lagen; doch gewinnen seine Blätter
in trockenen Lagen an Güte, deshalb werden nur solche zum Anbau
ausgewählt. Schon nach 2½ Jahren geben sie vier Ernten im Jahr und
bleiben bis zum 40. Jahr ertragsfähig. Die ersten Nachrichten von
dieser Pflanze datieren von 1499. Im Jahre 1570 machte dann der
spanische Arzt Nicolaus Monardes nach seiner Rückkehr aus Südamerika
die Wirkung des Kauens der Kokablätter, die von über acht Millionen
Menschen im Andengebiet täglich geübt wird, in Sevilla bekannt, und
Joseph de Jussieu sandte 1750 die erste Kokapflanze aus Peru nach
Europa, wo sie im ~Jardin des plantes~ Aufnahme fand.

Ein narkotisches, krampfstillendes Harz liefert der +indische Hanf+
(~Cannabis indica~). Es ist dies eine Varietät des in Westasien
heimischen gewöhnlichen Hanfes (~Cannabis sativa~), die nur im warmen
Ostindien dieses Harz reichlich erzeugt und hier in erster Linie zur
Gewinnung desselben gepflanzt wird. Erst in gebirgigen, kälteren
Distrikten, wie z. B. im Himalaja, wo die Pflanze ihr narkotisches Harz
nicht mehr produziert, wird sie, wie bei uns, zur Gewinnung ihrer Faser
angebaut. Das schon unter 50° C. schmelzende Harz wird besonders
von den weiblichen Blütenständen der bis 2 m hoch werdenden Pflanze
ausgeschwitzt und durch eingeborene Arbeiter in der Weise gewonnen, daß
sie, in der Regel nackt und nur ausnahmsweise mit einem Lederanzuge
bekleidet, durch die Hanfpflanzungen hindurchgehen, wobei sich das Harz
an ihnen festsetzt. In Persien dagegen wird es meist dadurch erhalten,
daß man die in Blüte stehenden Spitzen und die Blätter der Pflanze
stundenlang kräftig auf rauhen, groben, wollenen Teppichen reibt, so
daß sich das Harz auf der Oberfläche des Teppichs ablagert, von wo es
mit einem Messer abgeschabt und zu Kuchen geformt wird. Die Stücke,
wie sie auf den Märkten Zentralasiens verkauft werden, stellen dicke
Tafeln von außen dunkelbrauner, innen grünlicher bis bräunlicher Farbe
und fester Konsistenz dar. Dies ist der Haschisch, ein persisches
Wort, das Kraut bedeutet, weil früher an seiner Stelle die harzreichen
Blütenteile selbst, sei es zum Rauchen, sei es als innerlich genommenes
Medikament, zur Anwendung gelangten. Der Haschisch enthält bis 37
Prozent Harz und ätherisches Öl, daneben 3,3 Prozent Cannabinol (ein
giftiges rotes Öl aus der Reihe der Phenole), das die hauptsächlich
wirksame Substanz darstellt. Die Droge muß sehr vorsichtig aufbewahrt
werden und verliert mit dem Alter bedeutend an Wirksamkeit. In Südasien
war die narkotische Wirkung des Hanfharzes schon im 8. Jahrhundert
v. Chr. bekannt; die Handelsnamen lassen sich alle auf Indien
zurückführen. Als Berauschungsmittel ist es in Vorderasien erst durch
die Muhammedaner eingebürgert worden. In Deutschland kam die Droge erst
im 17. Jahrhundert zur medizinischen Verwendung, und wissenschaftliche
Versuche über die Wirkung desselben wurden in der Mitte des 19.
Jahrhunderts auf Veranlassung von O’Shaughnessy in Kalkutta angestellt.

Sehr nahe mit dem Hanf verwandt ist der +Hopfen+ (~Humulus lupulus~),
dessen Fruchtzapfen außer Harz und einem ätherischen Öl, ein von
Griesmayer zuerst Lupulin, später aber, um Verwechslungen zu vermeiden,
Humulin genanntes Alkaloid von narkotischer, krampfstillender Wirkung
enthalten. Deshalb dienen sie außer in der Bierbrauerei auch in der
Medizin, seitdem sie 1813 der französische Apotheker Planche als
Heilmittel empfahl. 1821 destillierten dann Payen und Chevalier
zuerst das ätherische Hopfenöl. Später kam dann von Amerika her die
Bezeichnung Lupulin für die Fruchtzapfen der allein kultivierten
weiblichen Pflanze auf. Die Droge wird nur von in Kultur stehenden
Pflanzen gesammelt und gut getrocknet, vor Licht und Luft geschützt
aufbewahrt, hält sich aber auch so nicht über ein Jahr in voller
Wirkung.

Mit dem Oleander und dem westafrikanischen Strophantus zu den
Apocynazeen oder Hundsgiftgewächsen gehörig ist der +kanadische
Hanf+ (~Apocynum cannabinum~), dessen Wurzel seit langer Zeit von
den Indianern als Medikament verwendet wurde. Von ihnen lernten die
Weißen in Nordamerika sie kennen. Das neuerdings aus den Vereinigten
Staaten in größerer Menge besonders nach Rußland importierte, daraus
hergestellte Fluidextrakt enthält das nach Art der Digitalis auf das
Herz wirkende Glykosid Apocynin. Das Mittel verdient auch bei uns
öfter zur Anwendung zu gelangen, da ihm eine sehr gute Wirkung auf das
erkrankte Herz nachgerühmt wird.

Ebenfalls schon lange von den Indianern Nordamerikas medizinisch,
besonders als Wundmittel, benutzt wurde die nach ihrer Ähnlichkeit mit
unserer Haselnuß von den Weißen als Zauberhasel bezeichnete +Hamamelis+
von Virginien (~Hamamelis virginiana~). Dieser bis 7 m hohe Strauch
ist ein Hauptbestandteil der Wälder der atlantischen Staaten der
nordamerikanischen Union, der besonders viel zur bunten herbstlichen
Verfärbung der Wälder beiträgt. Seine holzige Kapseln darstellenden
Früchte öffnen sich mit solcher Gewalt, daß die Samen bis 4 m weit
fortgeschleudert werden. Das alkoholische Fluidextrakt aus der Rinde
enthält neben einem glykosidischen Gerbstoff und Fett etwa 8 Prozent
Hamamelitannin und wird als tonisches und adstringierendes Mittel gegen
Diarrhöen und Blutungen angewandt. Auch äußerlich wird dieses Hazeline
genannte Präparat als blutstillendes Mittel und gegen Hämorrhoiden
gegeben, daneben das aus der Hamamelis gewonnene Fett zu der höchst
angenehmen Hazelinecrême verarbeitet.

Als Tonikum und Sedativum des Uterus bei habituellem Abort ist
auch bei uns seit etwa 40 Jahren das aus Nordamerika eingeführte
Fluidextrakt der +Rinde+ des amerikanischen +Schneeballenbaums+
(~Viburnum prunifolium~) im Gebrauch. Es ist dies ein in den östlichen
und mittleren südlichen Staaten der Union bis zum Mississippi, aber
auch in Kanada, wenn auch dort kleiner an Wuchs, heimischer 3-5 m
hoher Strauch oder Baum, der neuerdings auch bei uns als Zierstrauch
gepflanzt wird. Das flüssige Extrakt der Wurzel-, Stamm- und
Zweigrinden enthält neben verschiedenen Pflanzensäuren und Gerbsäure
ein bitterschmeckendes, gelbbraunes Harz, welch letzteres in derselben
Beschaffenheit auch in unserem einheimischen Schneeball (~Viburnum
opulus~) enthalten ist, weshalb dessen Rinde in derselben Weise
arzneilich verwendet wird.

Ein im südlichen Teile der brasilianischen Provinz Bahia häufiger
Baum mit violetten Blüten aus der Familie der Schmetterlingsblütler
ist der +Ararobabaum+ (~Andira araroba~), der in kleineren und
größeren Hohlräumen des 1-2 m dicken Stammes eine zerreibliche, fast
erdige, gelbbräunliche, stark abfärbende Masse ausscheidet, deren
Anwendung als Heilmittel die in Brasilien eingewanderten Portugiesen
von den Indianern kennen lernten. Von dort brachten sie die Droge
nach ihrer ostindischen Besitzung Goa, wo sie hauptsächlich gegen
parasitäre Hautkrankheiten Anwendung fand. Dort lernte Kemp im Jahre
1864 das Mittel kennen und machte in der Folge die europäischen
Ärzte darauf aufmerksam. Da stellte Silva Lima 1875 fest, daß die
~araroba~ der brasilianischen Eingeborenen, die, weil von Bahia aus
verschifft, als ~Polvo de Bahia~ in den Handel gelangte, mit dem
~Polvo de Goa~ aus Ostindien identisch sei, und fast gleichzeitig
wies Attfield Chrysophansäure in derselben nach. 1878 erkannten
Liebermann und Seidler als Hauptbestandteil der Droge (nämlich 90
Prozent) das Chrysarobin, das sich bei Gegenwart von Luft und Alkalien
zu Chrysophansäure oxydiert; daneben sind noch 10 Prozent in Benzol
lösliche harzartige Substanzen darin enthalten. 1879 beschrieb Aguiar
die Stammpflanze als ~Andira araroba~. Das gelbbraune Ararobapulver
wird aus ihr in der Weise gewonnen, daß man die Bäume fällt, ihren
Holzkörper in Blöcke zersägt, spaltet und die mit der gesuchten
Masse gefüllten Hohlräume auskratzt. Die rohe Ware gelangt seit 1875
aus Brasilien direkt, statt wie früher aus Bahia über Goa, in den
europäischen Handel und wird in Europa von den darin enthaltenen
Holzsplittern und Rindenteilen gereinigt. Besonders zur Behandlung
der Psoriasis genannten Schuppenflechte hat sich das daraus gewonnene
Chrysarobin als außerordentlich nützlich erwiesen.

Neuerdings kommen aus Mittelchile die Früchte des +Bóldo+ (~Boldoa
fragrans~) als besonders gegen Leber- und Gallensteinleiden empfohlenes
Mittel nach Europa. Es ist dies ein immergrüner, stark duftender,
dicht belaubter kleiner Baum oder Strauch, der ziemlich häufig wild
angetroffen und nicht kultiviert wird.

In mannigfaltigster Weise wird innerlich und äußerlich in der Medizin
das +Terpentinöl+ verwendet, das von verschiedenen Fichtenarten
gewonnen wird. Beim Verwunden der Stämme derselben fließt eine
gelblichweiße, honigdicke, klebende, Terpentin genannte balsamartige
Masse aus, aus der dann durch Destillation mittels Wasserdämpfen das
neben wenig Harzen und Pflanzensäuren hauptsächlich Pinen, Dipenten
und polymere Terpene enthaltende ätherische Terpentinöl gewonnen wird.
Von Bedeutung für den Handel sind nur die nordamerikanischen, aus
~Pinus australis~ (teilweise aber auch aus der Hemlockfichte, ~Tsuga
canadensis~) gewonnenen, etwas nach Kolophonium riechenden Terpentinöle
und das noch bessere, von der Strandfichte ~Pinus pinaster~ gewonnene,
nach Wacholder riechende französische Terpentinöl. An dritter Stelle
kommt die Produktion Rußlands, die, wie die französische, zum
größten Teil im Lande selbst Verwendung findet. Die Produktion der
Vereinigten Staaten Nordamerikas beträgt jährlich nicht weniger als
470000 Fässer zu 50 Gallonen (etwa 150 kg) = 70 Millionen kg
Öl im Werte von 32 Millionen Mark, die mehr als zur Hälfte über
Savannah, den bedeutendsten Handelsplatz Georgias exportiert werden.
Die bedeutendsten europäischen Märkte dafür sind London, Hamburg und
Antwerpen.

Schon im klassischen Altertum war aus dem Harz verschiedener
Fichten gewonnenes ätherisches Öl meist unter dem Namen Zedernöl in
technischem und arzneilichem Gebrauch, während man unter Terpentinöl
(~terebínthinon élaion~), wie uns der um die Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. lebende griechische Arzt Dioskurides berichtet, das aus
den Früchten der in den Mittelmeerländern heimischen Terebinthe
oder Terpentinpistazie (~Pistacia therebinthus~) -- griechisch
~terébinthos~ -- gepreßte, später auch durch Einschnitte in den
Stamm des betreffenden Baumes gewonnene ätherische Öl verstand. Auch
in China und Japan hat auf Grund der frühen und hohen Entwicklung
der Lackindustrie die Gewinnung destillierter Koniferenöle schon in
früher Zeit stattgefunden. Aber mit der altweltlichen hat sich die
nordamerikanische Terpentinölindustrie erst seit dem Anfang des 18.
Jahrhunderts entwickelt.

Wie das Terpentinöl findet auch der durch trockene Destillation aus
dem Holze der Stämme und Zweige von Koniferen, vornehmlich ~Pinus
silvestris~, gewonnene ~Holzteer~ in der Arzneikunde innerlich als
sekretionsbeschränkendes Mittel und äußerlich bei Hautkrankheiten
vielfach Verwendung. Er bildet eine dickflüssige, braunschwarze
Masse von eigentümlichem brenzlichem Geruche und widerlich bitterem,
brennendem Geschmacke und enthält außer indifferenten Ölen und
Pflanzensäuren Paraffin, Kreosot, Brenzkatechin, Guajakol, Phenol oder
Karbolsäure, Kresol, Benzol, Toluol, Naphthalin und andere wertvolle
Stoffe, die teilweise daraus isoliert werden, um als solche gegeben
werden zu können. Der meiste Holzteer wird im waldreichen Nordeuropa
entweder in besonderen Teerschwelereien oder als Nebenprodukt der
Holzkohlenbereitung und der Holzessigfabrikation gewonnen. Schon
im Altertum kannte man dieses Produkt, das die Römer ~pix liquida~
nannten. Plinius beschreibt ausführlich dessen Gewinnung und Verwendung.

Ärmer an harzartigen Stoffen, dafür aber reicher an brenzlichen Ölen
als der Koniferenteer ist der aus dem Holz der Rotbuche (~Fagus
silvatica~) destillierte Buchenteer, aus welchem das bis zu 25 Prozent
in ihm enthaltene Kreosot gewonnen wird, und der hauptsächlich in
Rußland und Polen aus dem Holz von verschiedenen Birkenarten, besonders
~Betula verrucosa~, ~pubescens~ und ~alba~, destillierte Birkenteer
von an Juchtenleder (das auch damit behandelt wird) erinnerndem
Geruch. Eigentümlich naphthalinartig riecht dagegen der durch trockene
Destillation der Steinkohlen bei der Leuchtgasfabrikation erhaltene
Steinkohlenteer, der allerdings im Gegensatz zu den vorigen kaum in der
Medizin Verwendung findet, aber das Rohprodukt sehr zahlreicher aus
ihm gewonnener chemischer Stoffe bildet und daher für die chemische
Industrie von der größten Bedeutung ist.

Von Pflanzenstoffen, die zur Vertreibung von Bandwürmern dienen, ist
teilweise schon im Altertum neben der allerdings gebräuchlicheren
Wurzel des Wurmfarns (~Aspidium filix mas~), die wir bereits
besprachen, der Saft der Granatäpfel gebräuchlich gewesen. Schon der
ältere Cato (234-149 v. Chr.) empfiehlt ihn dagegen. Auch die sonst zum
Gerben dienenden Fruchtschalen des +Granatbaumes+ (~Punica granatum~)
waren im Mittelalter offizinell. Die Rinde von Stamm und Wurzel
desselben hat erst Buchanan 1807 als Bandwurmmittel empfohlen, nachdem
er diese Verwendung bei den Hindus in Indien kennen gelernt hatte. 1878
entdeckte dann der französische Apotheker Tancret die Alkaloide der
Rinde, unter denen das Pelletierin das wichtigste ist. Außerdem enthält
sie 22-28 Prozent Gerbsäure, dient daher technisch zum Gerben des
Marokkoleders (französisch ~marrocain~ genannt). Die meiste Granatrinde
kommt aus Algier und Südfrankreich in den deutschen Handel und wird in
der Regel nur von den als Obstbäume nicht mehr verwendbaren Exemplaren
geerntet. Sie wird als Pulver, Dekokt oder Extrakt verwendet.

Ein seit uralter Zeit in Abessinien, wo infolge des beständigen
Essens von rohem Fleisch, besonders Rindfleisch, fast jedermann an
Bandwürmern leidet und regelmäßig von Zeit zu Zeit das Mittel einnimmt,
gebräuchliches Anthelmintikum sind die getrockneten, abgeblühten
weiblichen Blütenstände des +Kusso+ genannten Baumes (~Hagenia
abyssinica~). Es ist dies ein in den gebirgigen Teilen Abessiniens, am
Kilimandscharo und im Usambaragebirge in Deutsch-Ostafrika wachsender,
bis 20 m hoher Baum mit zottig behaarten Zweigen, gefiederten
Blättern, großen Rispen reich mit Drüsen besetzter weißer Blüten
und eiförmigen Nüßchen. Die bis 30 cm langen, bereits abgeblühten
weiblichen Rispen, bei denen die ausgewachsenen Kelchblätter
dunkelpurpurrot geworden sind, bilden das offizinelle Kusso oder Koso,
das in Bündeln von etwa 50 cm Länge verpackt, mit gespaltenen Halmen
des gegliederten Zypergrases umwickelt, über die an Riffen reiche
Meerenge von Bab-el-mandeb, d. h. wegen der vielen dort gescheiterten
Schiffe „Tor der Tränen“ genannt, nach Aden gebracht wird, um dann
von dort aus in Säcken von 15 kg nach Triest, Livorno und Bombay in
den Handel zu gelangen. Der kräftige, charakteristische, unangenehme
Geruch und die verhältnismäßig lebhaftrote Farbe sind Zeichen für die
Güte der Droge, während alte, unwirksame Ware braun und schwachriechend
ist. Der Geschmack ist anfangs schleimig, dann unangenehm bitter und
zusammenziehend. Die Blüten enthalten neben 24 Prozent Gerbstoff
als hauptsächlich wirksamen Stoff das Kosotoxin, außerdem Kosidin,
Kosoin und Protokosin. Der erste Europäer, der den Baum auf seiner
Entdeckungsreise nach den Nilquellen 1769 bis 1771 in Abessinien
beobachtete und den Gebrauch der Blüten von seiten der Eingeborenen
gegen Eingeweidewürmer sah, war der Engländer James Bruce. Er beschrieb
ihn unter dem Namen ~Bankesia abyssinica~. Getrocknete Zweige mit
Blättern und Blüten des Baumes brachte 1822 der französische Arzt
Brayer nach Paris. Danach wurde die Pflanze von Knuth, der die ältere
Brucesche Bezeichnung nicht kannte, ~Brayera anthelminthica~ genannt.
1834 wurde die Droge in Deutschland eingeführt, gelangte aber erst
seit 1852 in größeren Mengen durch Jabot zu sehr teuren Preisen in den
Handel. Frische Kussoblüten befördern ebenso rasch als das Extrakt der
Wurmfarnwurzel und der Granatrinde die drei hauptsächlich in Betracht
kommenden Tänien-Arten aus dem Darm, in welchem sie schmarotzen.

In Ostindien und Indonesien werden vielfach die gepulverten
gerbstoffreichen +Arekanüsse+, von ~Areca catechu~, die sonst von
jedermann mit einem Blatte des Betelpfeffers und etwas gelöschtem
Kalk als Genußmittel gekaut werden, mit Kaffee oder heißer Milch
vermischt, zum Abtreiben von Würmern verwendet. Noch beliebter, weil
viel wirksamer, ist dort der von den etwa 1 cm großen Früchten
des kleinen, immergrünen +Kamála+baumes (~Mallotus philippinensis~)
abgeriebene drüsighaarige Überzug, der als ein leichtes, feines,
weiches, ungleichförmiges, nicht klebendes braunrotes Pulver ohne
Geruch und Geschmack in den Handel kommt. Der zu den Euphorbiazeen
oder Wolfsmilchgewächsen gehörende kleine Baum oder Strauch mit
abwechselnden, gestielten, ovalen, zugespitzten, unterseits filzig
behaarten und mit roten Drüsen besetzten Blättern, innen rotdrüsigen
Blüten in achselständigen Blütenständen und mit scharlachroten Drüsen
dicht besetzten kirschgroßen Kapseln wächst in mehreren Varietäten in
ganz Südasien, der malaischen Inselwelt, Neuguinea und Nordaustralien
und liefert in den Früchten ein zum Brennen und als Abführmittel
benutztes fettes Öl. Der als Kamála in den Handel gelangende drüsige
Überzug der Früchte dient in Indien außer als Bandwurmmittel auch seit
alter Zeit zum Färben von Seide und gibt ein schönes Orangebraun.
Siedendes Wasser wird von ihm nur schwach gelb gefärbt; Eisenchlorid
färbt diesen Auszug braun, Alkalien dagegen färben ihn dunkelrot. Die
wirksame Substanz im Kamála ist außer 80 Prozent Harz das von Anderson
in gelben Nadeln isolierte Rottlerin und ein gelber, kristallisierbarer
Farbstoff. Im ~hortus malabaricus~ hat Rheede 1678 den Kamálabaum
zuerst abgebildet. Die anthelminthische Wirkung des Drüsenüberzuges
seiner Früchte wurde erst 1841 von Irvine in Kalkutta empfohlen. 1864
wurde es in die englische Pharmakopoe, 1871 auch in die deutsche
aufgenommen. Man sammelt die Handelsware in Indien fast ausschließlich
von wildwachsenden Bäumen. Man pflückt die Früchte im März, schüttelt
sie in Sieben und reibt den Rest der Drüsen vollends ab. Zu einer
Bandwurmkur genügen 6-10 g davon. Vor dem Kusso hat es den Vorzug,
weniger leicht Übelkeit und Erbrechen zu erregen und zugleich abführend
zu wirken. Auch gegen Hautkrankheiten wird es benutzt.

In Südarabien und den gegenüberliegenden afrikanischen Ländern wird
seit alter Zeit ein als +Wurrus+ bezeichnetes, dem Kamála ähnliches
Präparat als Bandwurmmittel benutzt. Es sind die kleinen Drüsen der
jungen Hülsen eines Schmetterlingsblütlers (~Crotalaria erythrocarpa~),
die dem Kamála analoge Substanzen enthalten und Seide goldgelb färben,
und zwar noch intensiver als Kamála.

Als Volksmittel gegen Bandwurm sind endlich noch die +Samen+ des aus
Amerika bei uns eingeführten +Riesenkürbis+ (~Cucurbita maxima~) zu
erwähnen, die zu 60-80 Stück, zerstoßen und mit Wasser verrieben, als
Emulsion getrunken werden.

Im Klistier gegen Eingeweidewürmer, besonders aber äußerlich in Form
von Pulver oder Tinktur gegen Läuse werden die aus Mittelamerika
stammenden +Sabadillsamen+ oder Läusekörner benutzt. Sie werden von
einem stattlichen, bis 2 m hohen Zwiebelgewächs aus der Familie
der Liliazeen (~Sabadilla officinarum~) hervorgebracht, das in ganz
Mittelamerika und Venezuela heimisch ist und an den Küsten des Golfes
von Mexiko auch kultiviert wird. Die Handelsware wird vorzugsweise in
Venezuela meist von wildwachsenden Pflanzen gesammelt und kommt über
Caracas beziehungsweise La Guayra, dem Hafen von Caracas, an erster
Stelle nach Hamburg. Sie sind bis 8 mm dick, länglich, unregelmäßig
kantig und von einer dünnen, glänzend braunschwarzen Samenschale
umgeben. Sie enthalten etwa 4 Prozent Alkaloide, die das offizinelle,
käufliche Veratrin bilden. Dieses ist kein einheitlicher Körper,
sondern ein inniges Gemenge mehrerer Alkaloide, nämlich vorwiegend
Cevadin und Veratrin, außerdem Cevadillin, Sabadin, dem zum Teil an
Cevadinsäure und Veratrumsäure gebundenen Sabadinin und Veratramarin.
Die wichtigste Anwendung der Sabadillsamen ist die Gewinnung des
Veratrins, das bei Neuralgien, Rheumatismus und Lähmungen als Irritans
meist in Salbenform eingerieben wird.

Die Spanier lernten um 1570 als erste Europäer den Sabadillsamen als
Mittel gegen Läuse bei den Azteken Mexikos kennen. 1572 erhielt bereits
der Arzt Nikolaus Monardes in Sevilla ein Muster davon zugeschickt.
Dieser und der später lebende Hernandez, der eine Abbildung der Pflanze
1651 veröffentlichte, verglichen die Pflanze ihres Blütenstandes wegen
mit der Gerste, spanisch ~cebada~, und nannten sie im Gegensatz zu
jener mit dem Diminutiv ~cebadilla~, woraus dann später ~sabadilla~
wurde. Lemery bezeichnet die Pflanze direkt als eine Art Gerste. Im
Jahre 1726 bildete der Sabadillsamen einen wichtigen Bestandteil des
französischen „Kapuzinerpulvers“ und kam in der Folge auch unvermischt
zur Vertilgung von Ungeziefer in allgemeinen Gebrauch. Für den vom
Apotheker Wilhelm Meißner in Halle 1818 in den Läusesamen aufgefundenen
basischen Körper Sabadillin gebrauchte der Entdecker 1821 zum erstenmal
den Ausdruck „Alkaloid“, der dann zur Bezeichnung aller Pflanzenbasen
in Aufnahme kam. Die beiden französischen Apotheker Pelletier und
Caventou stellten 1819 zum erstenmal den von ihnen Veratrin genannten
Stoff dar. Die Stammpflanze wurde nämlich zu dieser Zeit mit der
wissenschaftlichen Bezeichnung ~Veratrum officinale~ belegt.

Schon im Altertum wurde der +Senf+ sowohl als Gewürz, als auch als
Arzneimittel innerlich und äußerlich gebraucht. Die Griechen nannten
ihn ~sinēpi~ oder ~nápy~, eine Bezeichnung, die dann die Römer mit
der Pflanze von ihnen übernahmen. Wahrscheinlich wurde im Altertum
vorzugsweise der schwarze Senf (~Brassica nigra~) angebaut, der heute
noch in Südeuropa bevorzugt wird. Wenigstens verlangt der um die Mitte
des 1. Jahrhunderts n. Chr. lebende griechische Arzt Dioskurides als
Merkmal eines guten Senfes, daß er gestoßen grün aussehe, womit nur
der schwarze Senf gemeint sein kann. Auch Palladius im 4. Jahrhundert
n. Chr. spricht sich in demselben Sinne aus. Die Hippokratiker wandten
ihn besonders bei Brustkrankheiten zur Beförderung des Auswurfs an.
Dioskurides sagt von ihm, er erwärme und ziehe, wenn er gegessen
wird, den Schleim an sich. Gepulvert geschnupft errege er Nießen. Er
werde außer innerlich auch äußerlich als Reizmittel verwendet. In
Wasser erweichte, dann zerriebene und mit Olivenöl gemischte Senfsamen
reibe man in schmerzende Stellen ein. Scribonius Largus und Alexander
Trallianus (im 6. Jahrhundert) empfehlen den Senf als Heilmittel. Auch
im Mittelalter wurde er als solches verwendet. 1607 wird Senfmehl in
der Apothekertaxe der Stadt Schweinfurt angeführt. 1608 meldet der
Italiener Porta, daß das aus den Samen gepreßte fette Öl flüssiger
und schärfer erhalten werde, wenn die Samen vorher in Wasser erweicht
würden. Die Notwendigkeit des Wassers zur Senfölbildung wies zuerst
Glaser 1825 nach, und 1840 fanden Boutron und Frémy, daß dabei ein
Ferment wirke. Heute wissen wir, daß in den Senfsamen außer Sinapin und
Sinapinsäure das aus myronsaurem Kalium bestehende Glykosid Sinigrin
enthalten ist, das unter dem Einfluß des ebenfalls darin enthaltenen
Fermentes Myrosin bei Gegenwart von Wasser (unter Aufnahme eines
Molekels desselben) Allylsenföl, Traubenzucker und Kaliumhydrosulfat
und als Nebenprodukte Allylcyanid, Schwefelkohlenstoff und freien
Schwefel liefert. Meist wird das Senfmehl als Senfteig und Senfpapier
zur Ableitung von allerlei Schmerzen und Entzündungen innerer Organe
äußerlich angewendet, wobei eine hauptsächlich durch das Allylsenföl
hervorgerufene Rötung der Haut eintritt.

Auch die 6 Prozent Schleim enthaltenden +Leinsamen+ wurden schon
im Altertum innerlich als reizmilderndes, einhüllendes Mittel
bei Darmkatarrh mit Diarrhöe und Blasenentzündung und äußerlich
zu Kataplasmen verwendet. Als solches benutzten sie sowohl die
Hippokratiker als die Ärzte der römischen Kaiserzeit. Im 12.
Jahrhundert empfahl sie die heilige Hildegard von Rupertsberg bei
Bingen zu Umschlägen. Zu letzteren ist das entölte Leinsamenmehl besser
als das ölhaltige, da es mehr Wasser als jenes bindet.

Die 22 Prozent Schleim enthaltenden +Quittenkerne+ wurden erst von den
Arabern medizinisch benutzt; von diesen lernten die europäischen Ärzte
deren Verwendung als einhüllendes Mittel und Beigabe zu Augenwässern.
Heute werden sie nur noch selten dafür gebraucht.

Als reizmilderndes, einhüllendes Mittel bei Husten wird seit 1837 in
Deutschland der durch Graefe nach Berlin gelangte krause +Knorpeltang+
(~Chondrus crispus~) verwendet. Dieser wächst überall an der felsigen
Küste des nördlichen Atlantischen Ozeans und dient den armen
Küstenbewohnern Irlands als Nahrungsmittel und Volksheilmittel. Von
der irischen Bezeichnung Carraigeen, d. h. Felsenmoos, rührt die bei
uns dafür gebräuchliche Bezeichnung +Carrageen+ her. In Dublin wurde
es 1831 als Ersatz des teuren arabischen Gummis angewandt. Außer dem
Norden und Nordwesten Irlands liefert die Küste von Massachusetts
in den Vereinigten Staaten die größte Menge der Droge in Form der
getrockneten, höchstens handgroßen, gelappten Vegetationskörper dieser
Meeresalge teilweise mit ~Gigartina mamillosa~ vermischt. Andere
Meeresalgen dürfen nur in sehr geringer Menge darin vorhanden sein.
Die im frischen Zustande schwarzrot, violettrot bis grünrot gefärbten
Algen werden in Fässern mit Süßwasser ausgewaschen, an der Sonne
gebleicht und getrocknet. Der rote, Phycoerythrin genannte Farbstoff
zersetzt sich in den toten Pflanzen und läßt sich mit Wasser ausziehen.
Die getrocknete Droge ist bräunlich- bis weißgelb, steifknorpelig,
durchscheinend und entwickelt, mit kaltem Wasser aufgequollen, den
charakteristischen Meeresgeruch. Sie schmeckt schleimig-fade und
enthält neben 6,3 Eiweißstoffen 80 Prozent Carrageenschleim, der in der
lebenden Pflanze den Zweck hat, sie während der Ebbe durch Zurückhalten
von reichlich Wasser vor dem Austrocknen zu bewahren. Außer in der
Medizin und als leichtverdauliches Nahrungsmittel finden die Carrageen
auch in der Technik als Klär- und Klebemittel, als Bindemittel bei
Wasserfarben usw. viel Verwendung. Die 18 Prozent Asche, die sie beim
Verbrennen zurücklassen, enthält reichlich Chloride und Sulfate,
weniger Jodide und Bromide. Letztere sind reichlicher in der Asche
anderer Meeresalgen enthalten, so vor allem im Blasentang (~Fucus
vesiculosus~) und seinen Verwandten, die als +Kelp+ oder +Varek+ an
den Küsten der Bretagne und Irlands gesammelt und getrocknet werden,
um nach ihrer Verbrennung daraus durch Destillation mit Braunstein
und Schwefelsäure das im Meerwasser nur in Spuren vorhandene Jod zu
gewinnen.

In derselben Weise wie die Carrageen dient eine im Indischen und
Stillen Ozean weitverbreitete Rotalge (~Eucheuma spinosum~) besonders
an den Küsten Chinas und Japans als Volksnahrungsmittel. Sie enthält
als Hauptbestandteil eine pektinartige Gelose und kam im Jahre 1840
unter dem Namen +Agar-agar+ als Heilmittel nach Europa. Sie dient in
der Appretur, Konditorei und Küche. Für die Heilkunde ist sie insofern
sehr wichtig, weil aus ihr die Gallerte gewonnen, die zur Herstellung
von festen Kulturböden zur Reinzucht von Bakterien in der Bakteriologie
eine so große Bedeutung erlangt hat, weil sie im Brutschrank bei viel
höherer Temperatur als die gewöhnliche Gelatine tierischen Ursprungs
noch in festem Zustande verharrt. Deshalb ist sie zur Kultur aller
nur bei Bluttemperatur gedeihender Bakterien unumgänglich nötig. Wie
sie enthält auch die an denselben Meeresküsten wachsende ~Gracilaria
lichenoides~ nicht unbedeutende Mengen von Nährstoffen und wird
daher ebenfalls sowohl direkt als Speise genossen als zu Agar-agar
verarbeitet.

In etwas höheren Wasserschichten als die Rottange siedeln sich an den
Meeresküsten die Brauntange an, die die Leitpflanzen der oberen,
zwischen Ebbe- und Flutgrenze gelegenen Litoralzone darstellten.
Vermöge ihrer durch den braunen Farbstoff Phycophäin, der das
Chlorophyll oder Blattgrün verdeckt, hervorgerufenen Braunfärbung
vermögen sie sogar direkte Besonnung zu ertragen, ohne Schaden zu
leiden. Außerdem entwickeln sie zum Schutze ihres Thallus oder
Vegetationskörpers allerlei Haarbildungen, die ihn „wie eine Wolke“
umgeben. Zu ihnen gesellen sich noch einige Rottange, die aber
hier zum Schutze gegen das grelle Sonnenlicht meist bräunlich oder
schwärzlich gefärbt sind. Solche Brauntange der Uferzone sind die
+Laminaria+-Arten, von denen die in den Polarmeeren verbreitete
~Lammaria digitata var. cloustoni~, der gelappte Fingertang, die
offizinellen ~Stipites laminariae~ liefert. Aus dem stammartigen Teile
des Thallus werden die in der Chirurgie und Frauenheilkunde früher mehr
als heute gebrauchten +Laminariastifte+ hergestellt, die zum Erweitern
von Kanälen, besonders des Uterushalses, dienen. Beim Eintrocknen der
Alge sind sie stark zusammengeschrumpft und dünn, quellen aber infolge
ihres großen Schleimgehaltes bei späterem Feuchtigkeitszutritt stark
auf und schaffen so eine ausgiebige Erweiterung der Kanäle, in die sie
eingelegt werden. Nur weil sie sich nicht sicher sterilisieren lassen,
sind sie neuerdings mehr und mehr außer Gebrauch gekommen.

Gleicherweise verhält es sich mit den blutstillenden Spreuhaaren von
den Stengeln verschiedener meist baumartiger Farne aus der Gattung
Cibotium, die in ihrer Heimat Südasien von alters her zur Blutstillung
auf Wunden gelegt wurden. Sie bilden sehr weiche, seidig-wollige,
goldgelbe oder gelbbraune, fast metallisch schimmernde Massen und
kommen als +Penghawar-Djambi+ (nach der Provinz Djambi auf Sumatra
so genannt) in den Handel. In Europa wurden sie erst gegen die Mitte
des vorigen Jahrhunderts bekannt. Sie enthalten außer ihrer auf die
Kapillarität zurückzuführenden Hauptwirkung Gerbstoff, Harz, Wachs und
Humussäure. Infolge der Endosmose füllen sich die Hohlräume zwischen
den einzelnen Härchen augenblicklich mit dem austretenden Blut und
bewirken so eine Gerinnung desselben. Früher wurden sie besonders
gegen Nasenbluten viel verwendet. Dies ist in ganz Südasien heute noch
der Fall, außerdem dienen sie vielfach zur Ausfüllung von Kissen und
Matratzen, da sie ein sehr weiches Polster liefern.

Endlich haben wir noch der +Bärlappsamen+ zu gedenken, die als
austrocknendes Streupulver bei Wunden (dasselbe ballt sich nicht
zusammen und wird vom Wundsaft so wenig als vom Wasser benetzt), zum
Bestreuen der Pillen, damit sie nicht zusammenkleben, zu Feuerwerk
und als Blitzpulver reiche Verwendung finden. Es sind dies die auf
ungeschlechtlichem Wege in besonderen Gehäusen der fruchtenden
Blätter von Wasserfarnen der Gattung ~Lycopodium~ entstandenen
Sporen, die einst als Erdschwefel, Druden- oder Hexenmehl zu allerlei
abergläubischen Kuren Verwendung fanden; auch wurden sie samt dem
sie erzeugenden Kraut als harntreibendes Mittel bei Blasenleiden
benutzt. Gegenüber der Mannigfaltigkeit und Größe der Bärlappgewächse
der paläozoischen Zeit, die besonders in der Karbonperiode in den
Sigillarien und Lepidodendren Riesen von 30-40 m Höhe hervorbrachten,
sind die heute noch lebenden Vertreter winzige Kräutlein, die
hauptsächlich in den Tropengebieten der Erde verbreitet sind; doch
kommen mehrere Arten auch bei uns vor und sind besonders im Gebirge
stellenweise sehr häufig. Der gewöhnliche Lieferant des Bärlappsamens
ist ~Lycopodium clavatum~, der „genagelte“ Bärlapp, nach den langen,
nagelförmigen Blättern so genannt. Im Deutschen Reich, in der Schweiz
und dem für uns als Hauptproduktionsland mit in Betracht kommenden
Rußland werden die endständigen, dachziegelartig sich deckenden
Fruchtblätter mit den an deren Innenseite befindlichen nierenförmigen,
zweiklappig aufspringenden Sporangien im Juli und August kurz vor
der Sporenreife geschnitten, an der Sonne getrocknet, ausgeklopft
und zum Ausscheiden von Verunreinigungen gesiebt. In manchen Teilen
Europas finden auch ~L. annotinum~ und ~complanatum~, seltener auch
~L. alpinum~ und ~innundatum~ Verwendung zur Gewinnung der Sporen, die
blaßgelb, sehr beweglich und leicht sind und sich fettig anfühlen. Die
verschiedenen Lycopodiumarten waren den alten Botanikern als „Erdmos“
bekannt. 1587 führte Dodonäus für ~L. clavatum~ die Bezeichnung ~pes
lupi~ (= griechisch ~lykopodion~) Wolfsfuß -- wegen der weichhaarigen
Zweigspitzen -- ein. Bock bildete die Pflanze unter dem Namen
„Beerlapp“, d. h. Bärenfuß -- nach der Form der Zweigspitzen -- ab.
1649 finden wir ~Lycopodium~ als Puder zum Bestreuen von Wunden
medizinisch verwendet, und seit 1664 wird es als ~Lycopodium~ in den
Apothekertaxen angeführt.



XXVIII.

Die Geschichte des Ziergartens.


Die ersten Gärten der Menschheit waren begreiflicherweise rohe,
ausschließlich für die Küche berechnete Nutzgärten, aus denen sich
erst auf einer beträchtlichen Höhe der Kultur eigentliche Ziergärten
entwickeln konnten, die nicht mehr nur praktischen Zwecken, sondern
vielmehr zur Befriedigung ästhetischen Lebensgenusses dienten.
Solche sind wohl zweifellos an den Urstätten menschlicher Kultur
in Zentralasien zuerst geschaffen worden. Beim kurzköpfigen,
uralaltaischen Volke von Sumer und Akkad, das den Grund zur
altbabylonischen Kultur in Mesopotamien legte, werden sie vor 6000 und
mehr Jahren ebensogut vorhanden gewesen sein, wie bei den ältesten
Chinesen, bei denen sich schon 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung
Ziergärten um die königliche Residenz und um die Landhäuser der
Vornehmen vermuten lassen. Gemäß den verfeinerten Lebensgewohnheiten
dieses uralten, aus Zentralasien stammenden Kulturvolkes schufen
sich dessen Herrscher und Fürsten in ihren geräumigen Gärten ideale
Landschaften, die in bunter Abwechslung allerlei Szenerien in
verkleinertem Maßstabe vorführten. Die älteste Beschreibung solcher
chinesischer Ziergärten verdanken wir dem Engländer William Chambers,
der in China gewesen war und in den Jahren 1757 und 1772 zwei Bücher
über chinesische Gebäude und chinesische Gärten herausgab, die
seinerzeit in Europa außerordentliches Aufsehen erregten und hier zur
Nachahmung wenigstens der letzteren reizten, woraus dann der neue
englische Landschaftsgarten hervorging. Nach seiner Beschreibung gab es
in diesen chinesischen Gärten bald sanft gerundete, bald felsige Berge
von wenigen Metern Höhe, von denen sich Wasserläufe in schäumenden
Kaskaden herabstürzten, um sich durch liebliche, baumbestandene und
grasige Ebenen zu winden und in mit Wasserpflanzen und Getier aller
Art belebten Seen zu sammeln. Brücken in allen möglichen Formen,
geschweift und eben, gerade oder im Zickzack, führten von einem
Ufer zum andern oder auf blumenbedeckte, kleine Felseninseln. An den
Ufern der Teiche, in den Ebenen zwischen Blumenpflanzungen und im
Schatten von majestätischen Baumgruppen, auf den Gipfeln der Berge
und Felsen standen die mannigfaltigsten, bunt bemalten und lackierten
Lusthäuschen, deren Dachecken mit zierlichen Glöckchen behängt
waren. Der ganze Garten war mit Leben erfüllt; im Gebüsch erscholl
der liebliche Gesang der Nachtigallen und anderer Sänger aus der
Vogelwelt, das Girren der Turteltauben, das Rufen der Pfauen, Gold- und
Silberfasanen, Hühner verschiedenster Art, Wachteln usw., während von
den Teichen das Geschnatter der Enten und Gänse erklang.

Ebenso lieblich wie diese waren die Parkgärten Japans, die in
Nachahmung der chinesischen, der Bevölkerungsdichte und dem damit
zusammenhängenden Raummangel des Landes entsprechend, in Verbindung mit
einer hoch ausgebildeten Liebe und Kenntnis der Natur eine gleichsam
potenzierte Ausbildung des chinesischen Gartenstils aufwiesen und
heute noch aufweisen. Alles im japanischen Garten ist noch weiter ins
Kleine und Feine reduziert und, um auf dem beschränktesten Raum einen
Park mit allem Zubehör errichten zu können, lernte man die sonst groß
werdenden Bäume in Zwergformen ziehen, so daß es möglich wurde, selbst
hundertjährige Exemplare in Töpfen zu halten.

Das Land, von dessen Gärten wir die ältesten geschichtlichen Urkunden
und ausführliche bildliche Darstellungen an den Wänden der Grabkammern
der Vornehmen besitzen, ist Ägypten. Um die Häuser, die, wie überall
im Morgenlande, aus einem rechteckigen, von Gemächern umgebenen Hofe
bestanden, zogen sich Reihen schattenspendender Bäume. Nach einer
Richtung verlängerten sie sich und umschlossen ein rechteckiges
Wasserbecken, das Lotosblumen und Teichrosen barg und zahlreichen
Fischen und mannigfaltigen Wasservögeln zum Aufenthalte diente.
Vielfach war es so ausgedehnt, daß es mit buntgeschmückten Gondeln
befahren werden konnte. Der Regenmangel des Landes erzeugte das
Bedürfnis, diese vornehmlich aus Sykomoren, Dattelpalmen, Zypressen
und Platanen bestehenden Baumgärten ausgiebig zu bewässern, indem man
das Wasser der aus dem Nil gespeisten Kanäle durch dieselben hindurch
in die Bassins leitete. Buntbemalte Lusthäuser luden zur Rast ein,
und im Schatten der Reblauben, Feigenbäume und anderer Obstbaumsorten
lustwandelte der reiche Ägypter, der sich solchen Luxus leisten konnte,
in seinen Mußestunden mit seiner Familie und seinen Freunden. Hier
saß er beim Brettspiel oder hörte auf die Musik der Harfen, Flöten
und Lauten und sah dem langsamen, feierlichen Tanze der Frauen zu,
während seine Kinder unter den Bäumen mit ihren Bällen und Puppen
spielten. Eine Menge von Dienern und Sklaven wartete der Befehle des
Herrn in Haus und Garten. Ein Verwalter führte die Aufsicht über Haus
und Grundstück, während ein Obergärtner die Sklaven in der Pflege des
Gartens anleitete.

Ein solcher von schattenspendenden Bäumen bestandener Garten galt den
alten Ägyptern als der Inbegriff des Reichtums und behaglichen Lebens.
In einem in Bulak aufbewahrten Papyrus spricht der alte Schreiber zu
einem begüterten Vornehmen: „Du hast dir ein bewässertes Grundstück
angelegt, du hast dein Gartenland mit Hecken umgeben, Sykomoren hast
du in Reihen gepflanzt, wohl sie ordnend auf dem ganzen Gebiete bei
deinem Hause. Du füllst deine Hand mit allen Blumen, welche dein
Auge erschaut...“ Und den Blumengärten wurde von den Ägyptern wie
den Gemüse- und Obstgärten große Aufmerksamkeit geschenkt. So sehen
wir einen solchen in einem Königsgrabe in Theben dargestellt. Alle
Blumenbeete sind darin halbmondförmig angelegt und die Blumen darin in
dem Beetrande parallel geschweiften Reihen gepflanzt. Jedes Beet trägt
andere Blumen, die wir jedoch nicht recht zu bestimmen vermögen.

Auf einem Gemälde des Grabes Amenhoteps III. aus der 18. Dynastie
(1411-1375) in Theben sehen wir eine Villa des Pharao mit Türmen,
Obelisken und einem tempelartigen Bau. Davor erstreckt sich ein
prächtiger Blumen- und Obstgarten, in der Mitte von einem Kanal
durchzogen und von einem Teich bewässert. In ihm wachsen Lotus
und Papyrus, und um ihn ragen verästelte Sykomoren. Die von ihren
Dienerinnen umgebene Herrin des Hauses empfängt hier eben Damenbesuch
und reicht einer der Geladenen einen schön gebundenen Blumenstrauß in
Gestalt eines Füllhorns dar. Auf einem andern Wandgemälde in Theben
blicken wir in Haus und Garten eines reichen Ägypters. Da bemerken
wir unter anderem eine Frau, welche sich einen Ölzweig gepflückt hat
und unter Granat- und Feigenbäumen dahinwandelt; eine andere tritt
eben zur Pforte ein. Sie führt an ihrer Hand zwei Kinder, die sich mit
Rebenranken geschmückt haben. Eine Dienerin trägt ihnen das Spielzeug
und ein Rebmesser nach, vermutlich um Trauben, die in Fülle am Spaliere
prangen, zum leckeren Mahle zu schneiden.

Damit die Seele, der ~ka~, des Verstorbenen sich im kühlen Schatten
laubreicher Bäume ergehen und an Farbe und Duft der Blumen erfreuen
könne, legte man vor den Gräbern kleine Gärten mit Wasserbassins
an, die aus benachbarten Kanälen gespeist wurden. Oft liest man auf
Grabstelen des neuen Reiches (1580-1205 v. Chr.) die Formel: „Möge
ich wandeln am Ufer meines Teiches Tag für Tag ewiglich; möge meine
Seele sitzen auf den Zweigen der Bäume in meinem Grabgarten, den ich
mir bereitet habe; möge ich mich erfrischen tagtäglich unter meiner
Sykomore.“ Eine dieser Epoche angehörende Stele aus Theben, die sich
nun im Museum von Bulak befindet, bringt eine Illustration zu diesen
Worten. Auf der annähernd perspektivisch gehaltenen Darstellung des
Grabgartens bemerken wir links, am Fuße einer Bergkette gelegen, drei
Totentempelchen. Seitwärts kniet mit in Anbetung erhobenen Händen der
Selige, der aus seiner Grabkammer herausgegangen ist, um im Garten
zu lustwandeln. In demselben stehen neben einer Sykomore zwei sehr
naturgetreu gezeichnete Dattelpalmen mit schweren Fruchtgehängen,
unter welchen auf einem Opfertisch Brote als Totenspeise liegen. Der
Grabgarten des zur Zeit der 18. Dynastie (1580-1530 v. Chr.) lebenden
vornehmen Anna in der Totenstadt von Theben enthielt nach dem auf uns
gekommenen Verzeichnis 90 Sykomoren, 170 Dattelbäume, 3 Mimosen, 5
Granatbäume, 2 Behennußbäume usw. und 12 Reben. Nach dieser bedeutenden
Zahl von Bäumen muß er also ziemlich groß gewesen sein.

Zu den vornehmsten Geschenken der ägyptischen Könige an ihre
Gottheiten, denen sie ihren Dank für Siege und sonstiges Wohlergehen
abstatten wollten, gehörten außer den prächtigen Tempeln, deren Wände
allseitig mit buntfarbigen Darstellungen aus dem Leben des Spenders
geschmückt waren, auch dementsprechende Gartenanlagen, die das
Heiligtum umgaben. So heißt es in der Schenkungsurkunde des Königs
Ramses III. (20. Dynastie, 1198-1167 v. Chr.) von den Gaben an den
Sonnengott in Heliopolis: „Ich machte dir große Gärten, versehen mit
ihren Bäumen, mit Reben und Ölbäumen. Ich versah sie mit Gärtnern,
zahlreichen Leuten, um reines, bestes Öl zu bereiten und damit
die Lampen in deinem prächtigen Tempel anzuzünden. Ich machte dir
Baumplätze und Gehölze mit Bäumen, Dattelpalmen, auch Weiher, versehen
mit Lotusblumen, Binsen, Gräsern und Beeten mit süßen, wohlriechenden
Blumen jedes Landes für dein schönes Antlitz...“

Besonders groß und prunkvoll mit hübschen Anlagen und Alleen von
Schattenbäumen geschmückt waren zur Zeit des neuen Reiches (1580-1205
v. Chr.) die Gärten um den Reichstempel, den großen Amonstempel in der
Hauptstadt Theben. Von dem prachtvollen Vorhof desselben in Luxor, der
alten südlichen Vorstadt von Theben, den die Baumeister Amenhoteps III.
(1411-1375 v. Chr.) mit unerhörter Kühnheit aus zwei Reihen mächtiger,
wohlproportionierter Säulen mit Kapitellen in Form von aufbrechenden
Papyrusknospen angelegt hatten, erstreckten sie sich bis zum glänzenden
Pylon, den derselbe König vor dem Tempel von Karnak errichtet hatte.
Mitten durch sie hindurch führte eine Doppelreihe von steinernen
Widdern, flankiert von Dattelpalmen, von einem Tempel zum andern. Die
Gesamtwirkung jener herrlichen Schöpfung muß außerordentlich imposant
gewesen sein. Die leuchtenden Farben der bunt bemalten Architektur
mit den vergoldeten Säulen und Toren und den mit Silber ausgelegten
Fußböden, darüber die an ihrer Spitze mit rot leuchtendem Kupfer
verkleideten Obelisken, hoch sich erhebend über die nickenden Wipfel
der grünen Palmen und des halb tropischen Blätterwerks, das wie ein
Rahmen das Ganze einfaßte und auf der Oberfläche des Tempelsees sich
spiegelte -- alles dies muß einen prächtigen Eindruck gemacht haben,
von dem die düstern Ruinen heute kaum eine Ahnung mehr geben.

Diese prunkvolle Anlage hat weit über ein Jahrtausend bestanden und
wurde von späteren Pharaonen vergrößert. So erfahren wir, daß noch
Ramses III. der 20. Dynastie, der von 1198-1167 v. Chr. regierte,
in seiner Residenzstadt Theben einen weiteren prächtigen Bezirk und
Garten für den Gott Amon errichten ließ, der nach einer uns erhaltenen
schriftlichen Urkunde nahezu 8000 Sklaven zu seiner Bedienung erhielt.
Schon diese große Zahl von Angestellten läßt auf die Größe der Anlage
schließen. Übrigens hatten alle größeren Tempelanlagen Ägyptens wie
ihren Teich zum Baden, so auch ihren Garten zum Lustwandeln für den
betreffenden Gott und seine Diener. Speziell von Ramses III. wird uns
auch durch Inschriften bekundet, daß er nicht nur in seiner Residenz-
und Hauptstadt Theben, sondern auch im ganzen Reiche zahlreiche Bäume
pflanzen ließ, die in einem Lande, dem die natürlichen Wälder fehlten,
erquickenden Schatten boten.

Viel weniger als von diesen Gärten der Ägypter wissen wir von
denjenigen der alten Babylonier, die unter ähnlichen klimatischen
Bedingungen Ruheplätze unter schattenspendenden Bäumen in von Wasser
durchströmten Gärten liebten. Sehr stark von diesen gewöhnlichen
Lustgärten Babyloniens wich eine besonders auffallende Anlage ab, von
der uns etwas eingehender von einigen Schriftstellern des Altertums
berichtet wird. Es sind dies die als eines der Weltwunder angestaunten
„hängenden Gärten“, die einst am Ufer des Euphrat bei der Stadt Babylon
errichtet wurden, wie die Sage erzählt, von der assyrischen Königin
Semiramis, die zahlreiche Züge der babylonischen Liebesgöttin Ischtar
trägt, aber gleichwohl eine historisch greifbare Persönlichkeit
darstellt, nämlich die auf den königlichen Inschriftsteinen von Assur
Scha-ammu-ramat genannte „Frau des Palastes Samsiadads, des Königs der
Welt, Königs von Assyrien, Mutter des (um 800 v. Chr. regierenden)
Adad-nirari, des Königs der Welt, Königs von Assyrien“. Sie war eine
Babylonierin und muß als tatkräftige Herrscherin in den Kämpfen der
Assyrer gegen das Reich Urartu, das die Stadt Van in seinem Mittelpunkt
hatte und sich bis zum Urmiasee erstreckte, eine bedeutende Rolle
gespielt haben. Auch scheint auf ihre Mitwirkung hin im Jahre 787 unter
ihrem Sohne Adad-nirari der Gott Nebo von Babylonien nach Assyrien
eingeführt, d. h. beide Reiche staatsrechtlich vereinigt worden zu
sein. Ihr Enkel wurde dann Unterkönig von Babylon. Daß dann später
die Meder, die sich um 600 v. Chr. des Quellgebiets des Euphrat und
Tigris bemächtigten, sie als Reichsgründerin von Assyrien betrachteten,
das doch zu ihrer Zeit schon 800 Jahre bestand, und ihr zahlreiche
Züge der Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar andichteten, beweist, daß
die Erinnerung an sie in Armenien noch lange Zeit nach ihrem Tode
lebendig blieb. Vollends sagenhaft wurde sie später bei den Persern.
Das erfahren wir aus dem Bericht, den Ktesias, der griechische Leibarzt
des persischen Großkönigs Artaxerxes II., um 400 v. Chr. in seiner
Erzählung von der Königin Semiramis von ihrem Leben gab. Jedenfalls hat
sie durchaus nichts mit den später so eng an ihren Namen geknüpften
„hängenden Gärten“ Babylons zu tun.

Der tatsächliche Erbauer dieses Wunderwerkes war einer jener
gewaltigen, mit unerhörter Machtfülle ausgestatteten Herrscher
des Landes, nach dem Berichte des Berosus, der zu Beginn des
3. vorchristlichen Jahrhunderts Belpriester in Babylon war und
in griechischer Sprache ein Buch, betitelt: „Babylonisches und
Chaldäisches“, schrieb, Nebukadnezar, der von 604-561 als Mehrer
des Reichs und Verschönerer seiner Hauptstadt Babylon herrschte und
gewaltige Kanalbauten anlegen ließ. Der griechische Geschichtschreiber
Diodoros berichtet in seiner zur Zeit Cäsars und Augustus’
geschriebenen „historischen Bibliothek“, daß dieser machtvolle
Assyrerkönig, der seine Herrschaft bis an die Grenzen Ägyptens
ausdehnte und im Jahre 586 Jerusalem zerstörte, diese hängenden Gärten
für seine Gemahlin Amyitis errichtet habe, die, im Berglande Medien
geboren, in der Euphratebene sich nach den Bergen und Wäldern ihrer
Heimat sehnte. Sie bestanden aus einer 50 m und mehr hohen, bis 400 m
breiten Pyramide mit mehreren übereinander getürmten Terrassen, die auf
dicken, in geringen Abständen errichteten Backsteinmauern ruhten. Sie
waren mit einer hohen Erdschicht bedeckt, in die nicht bloß Blumen
und Ziersträucher, sondern große Bäume gepflanzt waren, die mächtig
emporwuchsen und der ganzen Anlage das Aussehen eines bewaldeten
Berges gaben. Pumpwerke führten aus dem Euphrat Wasser auf die
oberste der Terrassen, um von hier in Röhren und Rinnen durch die
ganze Gartenanlage zu deren Bewässerung zu strömen und auch noch die
Bäder zu speisen, die mit allerhand anderen Gemächern und Grotten in
die Seitenwände der Terrassen eingebaut waren. Die Wurzeln der Bäume
mögen schließlich das Mauerwerk zersprengt und den Einsturz des ganzen
wunderbaren Baues herbeigeführt haben, dessen Ruinen man heute noch am
Euphrat erkennen zu können glaubt.

Über die Terrassengärten der Meder und Perser sind uns von den
Griechen allerlei Berichte erhalten. Sie waren an steilen Bergabhängen
angelegt, wo sich die Herstellung solcher von Mauern gestützter
ebener Gärten in Terrassen von selbst ergab. Sie waren mit Treppen
verbunden und von Wasserläufen durchzogen, die stellenweise anmutige
Fälle bildeten und mit Wasserpflanzen erfüllte Becken, die auch
Springbrunnen besaßen, speisten. Zwischen Reihen von schattenspendenden
Bäumen, die von Singvögeln aller Art bewohnt waren, müssen Beete von
märchenhafter Pracht der Rosen, Lilien, Safran und anderer Blumen
gestanden haben. Im Mittelpunkt der Anlage standen schloßartige Häuser
mit Säulenhallen, nach denen alle Wege führten. Außer solchen Gärten
besaßen die Könige und Großen des Reiches ausgedehnte Jagdgebiete in
Gestalt von eingehegten Parken, die von zahlreichem Wild belebt waren.
Vom persischen dafür gebrauchten Worte ~pardes~, das Park bedeutet,
stammt die griechische Bezeichnung ~parádeisos~ und das deutsche
Paradies für den in ähnlich wunderbarer Weise mit Bäumen bestandenen
und von der mannigfaltigsten Tierwelt belebten Garten Eden, in welchem
nach der jüdischen Schöpfungssage Gott die ersten Menschen aus Erde
geschaffen haben soll. Nach den Schilderungen der Griechen müssen die
Paradiese der Perserkönige Dareios und Kyros vollkommen parkartig
ausgesehen haben. Sie lagen den gut unterhaltenen Poststraßen des
Reiches entlang, auf denen ein regelmäßiger königlicher Postdienst mit
allen erst später unter den Römern und dann erst wieder in der Neuzeit
eingeführten Bequemlichkeiten eingerichtet war, und beherbergten
wohnlich eingerichtete Jagdhäuser, Scheunen und Stallungen für den
König und sein zahlreiches Gefolge samt deren Pferden. In seiner
Biographie des Alkibiades (um 450 in Athen geboren, veranlaßte
seine Vaterstadt 415 zum verhängnisvollen Zug nach Syrakus, der
über 8000 Athenern das Leben kostete, und wurde nach bewegtem Leben
404 in einem Schloß in Phrygien ermordet) sagt uns Plutarch: „Der
persische Satrap Tissaphernes, zu welchem Alkibiades (im Jahre 412)
geflohen, ehrte diesen so sehr, daß er sogar seinem schönsten Parke,
der mit Springbrunnen, anmutigen Wiesen und mit königlicher Pracht
ausgeschmückten Anlagen geziert war, den Namen Alkibiades gab, den der
Park seitdem behalten hat.“

Die von den Griechen als für sie etwas ganz Neues und Unerhörtes
angestaunte Pracht dieser orientalischen Gärten steht völlig im
Einklang mit der weichlichen Genußsucht ihrer Erbauer, die ihr Leben
inmitten ihres Harems in üppigen Palästen und Gärten verträumten.
Demgegenüber ist es bezeichnend, daß wir bis in die Zeit Alexanders
des Großen, der im Juni 323 unerwartet in seinem 34. Lebensjahr in
Babylon starb, nichts von Gärten der Griechen erfahren. In ihren
kleinen städtischen Gemeinwesen nahm die Teilnahme am öffentlichen
Leben, an der Politik und an den nationalen Wettkämpfen ihr ganzes
Interesse in Anspruch. Ihre Tage verlebten sie meist außerhalb des
Hauses, auf dem Marktplatz, wo es immer etwas Neues zu verhandeln gab,
und nur soweit ihr Gewerbe sie dort festhielt, waren sie in ihrer
schmucklos einfach eingerichteten Wohnung anzutreffen. Für die träge
Ruhe des Gartengenusses der Morgenländer hatten sie weder Zeit noch
Verständnis. Was uns der Künder altgriechischen Lebens, Homer, vom
Garten zu erzählen weiß, läßt nur auf Obst- und Gemüsegärten schließen,
von deren kunstmäßiger Anlage keine Rede ist. Wohl lagen die Tempel
der olympischen Götter in Gärten, aber es waren dies keine Ziergärten,
sondern des Schattens wegen angelegte heilige Haine, in denen vielfach
Bildsäulen und andere Votivgegenstände aufgestellt wurden. Auch die
Säulenhallen der Gymnasien, in denen die Knaben und Jünglinge vor
allem in der körperlichen Ausbildung erzogen wurden und später auch
die Philosophen ihre Schüler zu regelmäßigen Vorträgen versammelten,
scheinen nur von Baumalleen umgeben gewesen zu sein. Was der Grieche
an Blumen zur Ausschmückung der Tafel bei Gastmählern bedurfte, wurde
in Nutzgärten gezogen und auf dem Markte zum Kauf feilgeboten. Einzig
zwei Gärten werden uns im Athen der klassischen Zeit genannt, die als
öffentliche Versammlungs- und Erholungsorte für das Volk dienten und
in welchen den Männern, die sich um den Staat verdient gemacht hatten,
Denkmäler errichtet wurden. Der eine befand sich in nächster Nähe der
Akademie, dem Lehrorte Platons, und war in der zweiten Hälfte des
5. vorchristlichen Jahrhunderts unter dem Staatsmann Kimon angelegt
worden. Der andere lag am Lykeion, wo Aristoteles lehrte. Beide waren
durch gerade Wege und Alleen regelmäßig eingeteilt, enthielten außer
den Plätzen für die körperlichen Übungen schattige Alleen und Haine
von Platanen, Terebinthen, Ulmen, Ölbäumen usw. zwischen grünen
Rasenplätzen und waren mit Altären und Statuen geschmückt.

Viel später berichtet uns der griechische Geschichtschreiber und
Geograph Pausanias, der zwischen 160 und 180 n. Chr. in seiner
Periegesis eine wertvolle Schilderung der von ihm bereisten Länder
gab: „Zu Athen hatte Apollon einen wunderschönen Hain, der aus Bäumen,
die man in Gärten zu ziehen pflegt, und aus allen möglichen Pflanzen
bestand, welche auch, ohne Frucht zu tragen, angenehm duften und
lieblich anzusehen sind.“ Ein anderer Grieche, mit dem romanisierten
Namen Longus, schildert uns seinen, allerdings mehr praktischen Zwecken
dienenden Garten folgendermaßen: „Ich habe einen Garten, den ich
mit eigener Hand besorge, und der zu jeder Jahreszeit seinen Ertrag
liefert: im Frühling Rosen, Lilien, Hyazinthen und beiderlei Veilchen
(nämlich Blauveilchen und Weißveilchen oder Levkojen), im Sommer Mohn,
den weidenblättrigen Birnbaum und alle Äpfelarten.“

Weniger bescheiden als in Griechenland mögen die Gärten in den
reichen Handelsstädten Kleinasiens gewesen sein, wo der orientalische
Einfluß den schon zuvor vorhandenen einfachen Hausgarten in den
letzten Jahrhunderten der vorchristlichen Zeitrechnung immer größer
und üppiger, mit zahlreichem Blumenflor und schattigen Ruheplätzen
ausgestaltete. Dieser von künstlerischem Standpunkt, wie alles, was
die Griechen unternahmen, eingerichtete Garten trug mancherlei vom
Orient übernommene Blumen und Zierpflanzen, war aber im übrigen recht
einfach. So lernten ihn die Römer in Unteritalien kennen und ahmten
ihn bald nach. In dem Maße als das Bürgertum Roms wohlhabender wurde,
ward das vordem vom Rauch des Herdfeuers geschwärzte Atrium zu einem
als Empfangsraum benutzten weiten Vorraum umgewandelt, der in seiner
Mitte unter der Lichtöffnung ein kleines Wasserbassin zur Aufnahme des
vom Dach zusammengelaufenen Regenwassers aufwies. Im hinteren Hausteil
gruppierten sich die Gemächer um einen offenen, meist von Säulenhallen
umgebenen Hof, das Peristyl, das, wie wir aus den Funden von Pompeji
wissen, häufig sehr große Abmessungen hatte und mit der Zeit ganz in
einen Garten verwandelt wurde. Regelmäßig gestaltete Rasenflächen
und Blumenbeete zerlegten ihn in mehrere Rechtecke, die von niedrig
gehaltenen Buchshecken eingesäumt waren und außer Rosenstöcken
einzelne Sträucher von Lorbeer und Myrte trugen. In der Hofmitte
befand sich gewöhnlich ein Wasserbecken, und zwischen den Säulen
der ringsum laufenden Halle liebte man in der späteren Kaiserzeit
aus dem Morgenlande eingeführte Zedratzitronen in großen Tonkübeln
aufzustellen, wie zur Zeit Ludwigs XIV. in Holzkübeln gepflanzte und
in besonderen Orangerien überwinterte Pomeranzenbäume die Alleen der
Prunkgärten einfaßten. Die Wände des Peristyls trugen meist bunte
Malereien, die dem Ganzen ein vornehmes Gepräge verliehen, und aus dem
Grün der Vegetation leuchteten farbige Statuetten hervor. Plätschernde
Springbrunnen verbreiteten im Sommer angenehme Kühlung und im Gezweig
der in Alleen gestellten Bäume trieben Vögel ihr munteres Spiel.

Besonders in Syrien verwendete man nach Plinius viel Fleiß auf die
Gärten, zumal die Gemüsegärten, so daß ein griechisches Sprichwort
sagt: „Die Syrer haben vielerlei Kohl.“ Auch ihre Obst- und Ziergärten
müssen sehr sorgfältig gepflegt worden sein. Daß später die Römer mit
Vorliebe syrische Sklaven, die in der höheren Gärtnerei, im Veredeln,
Pfropfen, Vermehren und zweckmäßigen Beschneiden der Obstbäume einen
besonderen Ruf im Altertum genossen und in aller Gartentechnik Meister
waren, zum Besorgen ihrer eigenen Gärten und Obstkulturen benutzten,
davon war bereits bei der Besprechung der Fruchtbäume die Rede. Ein
ungenannter Grieche der hellenistischen Zeit gibt uns in den Geoponiká,
einer wahrscheinlich ums Jahr 912 n. Chr. veranstalteten Sammlung
von Auszügen aus guten alten griechischen Schriften über Land und
Gartenwirtschaft, folgende Ratschläge zur Anlegung eines Ziergartens:
„Der Garten (~parádeisos~) muß so liegen, daß man ihn von der Villa
aus sehen, sich an seinem Anblick laben und die durch den Blumenduft
gewürzte und dadurch gesündere Luft atmen kann. Er muß von einer Mauer
oder anderen Umzäunung eingefaßt sein. Die Pflanzen selbst dürfen
nicht unordentlich gemischt gepflanzt werden, als wenn gerade die
Verschiedenheit angenehm ins Auge fiele, sondern sie müssen nach den
verschiedenen Arten getrennt stehen, damit nicht die kleinen von den
großen gedrängt oder der Nahrung beraubt werden. Die Räume zwischen
den Bäumen müssen mit Rosen oder Lilien oder Veilchen oder Safran
ausgefüllt sein. Diese gewähren einen lieblichen Anblick, Wohlgeruch,
sind auch sonst zu brauchen, vermehren auch die Einkünfte und geben
den Bienen Nahrung. Die Bäume müssen von Bäumen stammen, die in
voller Kraft stehen; doch muß man im voraus wissen, daß die aus Samen
gezogenen in der Regel schlechter sind als die von Ablegern stammenden.
Noch besser als diese sind aber die veredelten, nicht bloß in betreff
der Schönheit der Früchte, sondern auch an Fruchtbarkeit und baldigem
Ertrag.“

Als die Römer sich den ihnen bekannten Erdkreis unterjochten, kamen sie
in ihren östlichen Provinzen mit der hellenistischen und asiatischen
Kultur in enge Berührung. Die Folge davon war, daß die Vornehmen dieses
einst rauhen, Ackerbau treibenden und Krieg führenden Volkes es in
der luxuriösen Lebensführung ihren asiatischen Vorbildern gleich zu
tun strebten. Mit dem Reichtum und den Kunstschätzen, die sie aus den
eroberten östlichen Provinzen heimbrachten, überführten sie auch mit
der Kenntnis orientalischer Sitten die dort altgewohnte Kunst, das
Leben fern vom ermüdenden Treiben der Stadt in gartenmäßig verschönter
Natur zu genießen. So füllte sich kurz vor und während der Kaiserzeit
nicht nur die nähere Umgebung Roms, sondern ganz Italien mit prächtigen
Gärten nach den Vorbildern des Ostens. In ihnen bildete die Villa,
das große Landhaus, den Mittelpunkt, von dem die Anlagen des Gartens
gleichsam ausstrahlten. Im Gegensatz zum Stadthaus, das auf engem Raum
stets in der hergebrachten Weise mit Atrium und Peristyl errichtet
wurde, pflegte man in der Villa den besonderen Liebhabereien des
Erbauers Rechnung zu tragen und als Fortsetzung der Wohnung in die
Natur hinaus ausgedehnte Gartenanlagen mit Frucht- und Zierbäumen zu
errichten.

Einer der ersten vornehmen Römer, der orientalischen Gartenluxus in
Rom trieb, war Lucius Licinius Lucullus, der Besieger der Könige
Mithridates von Pontus und Tigranes von Armenien, der nach seiner
Abberufung aus Kleinasien im Jahre 64 v. Chr., den Staatsgeschäften
fern, seinen Liebhabereien lebte. Wie er aus Kerasos im Pontusgebiet
den Kirschbaum nach Italien brachte, war er einer der ersten, der in
der Baumzucht und Blumenkultur gewandte orientalische Gärtner nach der
Heimat überführte, um hier solch schöne Gärten, wie er sie in den
Kulturzentren des Ostens gesehen hatte, für sich erstehen zu lassen.
Der griechische Schriftsteller Plutarch (50-120 n. Chr.) nennt die
einst von Lucullus eingerichteten Gärten, von denen der bedeutendste
auf dem heutigen Monte Pincio sich befand, geradezu märchenhaft.
Zwischen Alleen von Obstbäumen lagen blühende Blumenbeete. Von Hecken
versteckt befanden sich darin Mästereien für feines Geflügel und Teiche
mit feinen Speisefischen. Daß dieser Römer den Freuden der Tafel
huldigte, ist ja bekannt genug, so daß die Bezeichnung lucullische
Mahlzeiten bald in Rom das Nonplusultra von Üppigkeit bezeichnete, was
gewiß zu jener Zeit des aufkommenden Luxus etwas besagen wollte.

Die üppige Lebenshaltung dieses Lucullus läßt uns bereits den
unerhörten Luxus mancher Reicher in der Kaiserzeit ahnen. Plutarch
kennzeichnet uns sein Treiben mit folgenden Worten: „Nachdem Lucullus
ein berühmter Staatsmann und Feldherr geworden und ungeheure Reichtümer
gewonnen hatte, verwendete er diese auf Lustbarkeiten, Schmausereien,
Maskeraden, Fackeltänze, prunkende Gebäude, prachtvolle Alleen und
Bäder, auf Gemälde, Bildsäulen und andere solche Dinge, namentlich
aber auf seine Gärten, so daß noch zu unserer Zeit (2 Menschenalter
nach des Lucullus Tod), wo doch die Pracht und Verschwendung aufs
höchste gestiegen ist, die lucullischen Gärten unter den kaiserlichen
für die allerprächtigsten gelten. -- Er ließ auch am Meere und bei
Neapel gewaltige Bauten aufführen, die größten Berge durchstechen,
Kanäle und Seen, in die das Meereswasser geleitet wurde, rings um seine
Häuser graben, ließ auf dem Meere selbst Paläste bauen, so daß ihn der
Stoiker Tubero den römischen Xerxes nannte. Bei Tusculum hatte er eine
Menge Villen, sie hatten hohe Warten mit weit in die Ferne reichender
Aussicht und zahlreiche schöne Alleen und Pavillons. Dabei hatte er
die Einrichtung getroffen, daß er, wie er selbst äußerte, gleich einem
Kranich oder Storche zu jeder Jahreszeit eine andere Wohnung beziehen
konnte.“

Schon zu des Lucullus Zeit, zu Ende der römischen Republik, umspannte
ein reicher Kranz der schönsten Villen mit ausgedehnten Gärten die
Umgebung Roms. Nicht bloß die Abhänge des Sabinergebirges, sondern
auch die Campagna di Roma besaß ausgedehnte Villen, wie diejenigen des
Cicero, Quintilius, Pompejus, der Valerier, Voconier und Claudier.
Sie waren meist nach dem Muster eines Soldatenlagers angelegt und
das Hauptgebäude hieß auch ~Praetorium~, d. h. Feldherrnhaus.
Ihr Reichtum an Teichen, Fontänen, Pflanzen, seltenen Tieren,
Luxusgegenständen aller Art und architektonischen Nachahmungen
griechischer und orientalischer Vorbilder muß geradezu erstaunlich
gewesen sein. Einzelne Villen der Campagna hatten so große Gärten, daß
diese von zwei bis drei der öffentlichen Heerstraßen durchschnitten
wurden. Der Luxus stieg noch im Laufe der Kaiserzeit, während welcher
ein prunkvoller Garten mit schönen Gebäuden, Tempeln und Bildsäulen
sich an den andern reihte.

Einen guten Begriff der Anlage solcher Villen geben uns zwei
Beschreibungen aus Briefen des jüngeren Plinius, des Schwester- und
Adoptivsohnes des im Jahre 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch umgekommenen
älteren dieses Namens, der von 62-114 lebte und 103 Prokonsul in
Bithynien und Pontus war, von wo aus er dem ihm befreundeten Kaiser
Trajan Mitteilung von der bis dahin kaum gekannten Sekte der Christen
machte. Er beschreibt seine beiden eigenen Villen, von denen die
eine bei Ostia an der Tibermündung am Meere lag und nach der Fülle
von Lorbeergebüsch ~Laurentinum~ hieß, während die andere sich
in den Bergen Toskanas, also im Lande der Tusker befand, deshalb
~Tuscum~ hieß und ihrer kühlen Gebirgslage wegen im Sommer bewohnt
wurde. Die erstere beschreibt er in einem Briefe an seinen Freund
Gallus folgendermaßen: „Meine laurentische Villa, mein lieber Gallus,
macht mir sehr viel Freude. Von dem einen Speisesaal hat man weithin
die Aussicht aufs Meer, auf das Ufer und die reizendsten Villen. Ein
anderer Speisesaal liegt dagegen so, daß man in ihm vom Meere nichts
sieht und selbst bei tosendem Sturm das Brausen der Wogen kaum hört.
Dieser Saal hat aber die Aussicht auf den Garten und den ihn umgebenden
Weg für Wagen und Sänften. Derselbe ist mit Buchs und stellenweise
mit Rosmarin eingefaßt. Denn der Buchs gedeiht nur da üppig, wo er
von Häusern geschützt wird; wo er dagegen freisteht und vom Winde
getroffen wird, verdorrt er. An der einen Seite des Weges zieht sich
eine schattige Rebenpflanzung hin, in der man auch mit bloßen Füßen
weich und bequem gehen kann. Der Garten ist dicht mit Maulbeer- und
Feigenbäumen bepflanzt, denen dieser Boden ganz besonders zusagt,
während andere Bäume nicht sonderlich gedeihen. Mitten im Garten steht
ein Speisesaal, von dem man landeinwärts eine herrliche Aussicht hat.
Man sieht auch von hier nach der Villa und einem Wirtschaftsgarten. An
das Gebäude stößt ein bedeckter Gang, der an beiden Seiten Fenster hat,
welche bei heiterem, ruhigem Wetter alle geöffnet werden, bei windigem
aber nur auf der Seite, wo es windstill ist. Vor dem Gange ist eine von
Veilchen duftende Terrasse.“

Letztere dagegen schildert er in einem andern Briefe folgendermaßen:
„Mein tuskisches Landgut, lieber Apollinaris, liegt in einer sehr
gesunden Lage am Fuß des Apennins. Im Winter ist zwar die Luft so rauh
und kalt, daß Myrten, Ölbäume und andere Gewächse, die eine anhaltende
Wärme verlangen, absterben; doch gedeiht der Lorbeer ganz vortrefflich
und leidet zuweilen vom Frost, jedoch nicht mehr als bei Rom. Der
Sommer ist dagegen sehr mild und die Luft fast immer von sanften Winden
bewegt. Die ganze Gegend ist höchst reizend. Stelle dir ein ungeheures
Amphitheater vor, wie nur die Natur es schaffen kann. Eine sich weithin
dehnende Ebene wird von Bergen umringt; die Berge tragen auf ihrem
Rücken hohe, alte Wälder, in denen die Jagd reiche Beute gewährt. Am
Gebirgshang entlang zieht sich ein Schlagwald und zwischen diesem
erheben sich Hügel mit gutem, urbarem Boden. Der Wand entlang erstreckt
sich eine ununterbrochene Reihe von Weinbergen, die unten von Buschwerk
eingefaßt sind; dann kommen Wiesen und tiefgründige Felder. Die Wiesen
sind dicht mit Blumen wie mit lauter Edelsteinen übersät. Der Klee
und die übrigen Kräuter sind stets saftig; denn das Ganze wird durch
nie versiegende Bäche bewässert. Gleichwohl ist es nirgends sumpfig.
Mitten durch die Fluren fließt der Tiber und führt auf Schiffen die
Erzeugnisse des Bodens zur Stadt.

Meine Villa liegt am Fuße eines sanft ansteigenden Hügels. Vor der
Hauptfront derselben zieht sich eine Säulenhalle hin und vor dieser
eine Terrasse mit vielen, von Buchs eingefaßten Beeten. Weiter
unten kommt eine größere Rabatte und auf beiden Seiten derselben
stehen Buchsbäume, die so geschnitten sind, daß sie Gestalten von
verschiedenen Tieren vorstellen. Noch tiefer, da, wo der Boden
eben ist, wächst weicher, zarter Akanthus. Rings herum zieht sich
ein Heckengang mit niedrigem und mannigfach geschnittenem Gebüsch.
Gleich daran stößt eine Allee in Gestalt eines Zirkus mit niedrig
gehaltenem und in verschiedene Gestalten geschnittenem Buchs. Das
Ganze ist von einer Mauer umgeben, die treppenförmig gezogener Buchs
dem Auge entzieht. In einiger Entfernung liegt ein Wiesenplan, von
Natur ebensoschön wie die eben beschriebenen Kunstanlagen; weiterhin
erstrecken sich Felder und viele andere Wiesen und Gehölze.

Von dem Speisesaal aus übersieht man die Terrasse, die Wiese, das Feld
und den Wald. Es ist eine Rennbahn, ein Säulengang und weiter rückwärts
ein Sommerhaus vorhanden, das einen kleinen, von vier Platanen
beschatteten Platz einschließt. Auf ihm springt aus einem Marmorbecken
ein Brunnen, der die Platanen und den unter ihnen befindlichen
Grasplatz besprengt und erfrischt. Weiter unten im Garten sprudelt eine
kleine Quelle hervor, welche in ein Becken fließt und lieblich murmelt.
Es ist auch ein Teich im Garten, dessen Wasser sich in ein Marmorbecken
stürzt und sich dabei in lauter Schaum auflöst.

Die Rennbahn, welche zu der Villa gehört, dehnt sich weithin aus, ist
von Platanen umgeben, in der Mitte aber ganz frei. Die Platanen sind
von Epheu umrankt, also unten von fremdem Laub grün, oben von eigenem.
Der Epheu windet sich girlandenartig von einer Platane zur andern.
Unten steht Buchs zwischen den Platanen; er ist nach außen von Lorbeer
eingefaßt, dessen Schatten mit dem der Platanen zusammenfällt. Die
Rennbahn läuft eine Strecke gradaus, bricht am Ende im Halbkreis ab,
ist dort von Zypressen eingefaßt, durch deren dichteren Schatten kühl
und finster. In den innern Kreisen und Gängen dagegen wechselt kühler
Schatten mit Sonnenschein, und dort steht auch das Rosengebüsch. Aus
diesen sich mannigfaltig krümmenden Gängen kommt man wieder auf gerade
Wege, deren mehrere, von Buchs eingefaßt, nebeneinander laufen. Dort
findet sich auch ein kleiner Grasplatz, dort in tausend Gestalten
geschnittener Buchs und hier und da ist er selbst so geschnitten, daß
er Buchstaben bildet, welche den Namen des Herrn und den des Gärtners
darstellen. Dazwischen stehen kleine, zu Pyramiden geschnittene
Obstbäume. Dieser schöne Platz ist auch mit niedrig gehaltenen Platanen
geschmückt; hinter ihm steht glatter, sich ringelnder Akanthus (d. h.
kultivierter ~Acanthus mollis~ im Gegensatz zum wildwachsenden ~A.
spinosus~, dem stachligen A.) und auf diesen folgen wieder verschiedene
Gestalten und Namen.

Am Ende des Ganzen steht eine halbkreisförmige Bank von weißem Marmor,
beschattet von Weinreben, die sich um vier Säulen aus karystischem
Marmor schlingen. In der Bank sind Röhren angebracht, und aus diesen
fließt Wasser; dasselbe strömt in ein niedliches Marmorbassin, das
immer voll bleibt, ohne überzufließen. Will man auf der Bank speisen,
so werden die Schüsseln und schweren Gerichte auf den breiten Rand
des Beckens gestellt. Die leichteren schwimmen auf Schiffchen oder
künstlich gebauten Schwimmvögeln und können so zu jedem Gaste gelangen.
Dem Marmorbassin gegenüber steht ein Springbrunnen, dessen Wasser in
die Höhe getrieben, dann aber in Röhren aufgefangen und weitergeleitet
wird.

Nicht weit von der Bank steht ein Pavillon, um den sich bis aufs Dach
hinauf Reben freundlich emporranken. Man ruht hier wie im Walde, ist
aber in voller Sicherheit vor Regen. Auch hier ist ein Springbrunnen,
dessen Wasser gleich weiter fließt. Hier und da findet man Marmorbänke,
welche den Müden zu sanfter Ruhe einladen. An jedem Ruheplatz ist ein
kleiner Brunnen, und die Einrichtung überhaupt so getroffen, daß der
ganze Garten bewässert werden kann.“

In den Gärten der vornehmen Römer sorgte man vor allem für reichlichen
Zufluß von Wasser, um allenthalben Kühlung zu spenden, rauschende
Sturzbäche zu bilden, große, mit buntbemalten Marmorfiguren geschmückte
Bassins zu füllen und Springbrunnen und andere Brunnen zu speisen.
Hier ließ eine Nymphe Wasser aus einer Urne in ein Becken laufen,
dort entquoll es dem Schnabel einer von einem Knaben gebändigten Gans
als Springbrunnen. In seiner berühmten ~Villa tiburtina~, die sich
Kaiser Hadrian bei Tibur im Sabinergebirge erbaut hatte, war sogar ein
großer künstlicher See mit kunstvoll gezimmerten Miniaturschiffen, auf
dem sich der Kaiser Seeschlachten vorführen ließ. So zahlreich und
kompliziert waren in manchen dieser Gärten die Wasserkünste, daß außer
den zahlreichen Gärtnern ein eigener Wassertechniker, der ~aquarius~,
für ihre Instandhaltung angestellt werden mußte. Oft war auch ein
Tiergarten damit verbunden, indem in eingehegten Räumen allerlei
zahme Tiere, besonders Ziervögel, und in marmornen Becken Fische der
verschiedensten Art gehalten wurden. Durch Tacitus kennen wir den
Park am „Goldenen Hause“ des Kaisers Nero, der von beispielloser
Pracht war, nicht bloß in bezug auf den architektonischen und den
plastischen Schmuck, sondern auch was die zauberhaften Blumengärten und
mannigfaltigsten Wasserkünste betrifft.

Wie Vespasians üppiger Sohn Domitian, der nach seines älteren Bruders
Titus Tode am 13. September 81 den Thron der Cäsaren bestieg, um am 18.
September 96 unter den Schwertstreichen des Prokurators Stephanus, des
Gardeoffiziers Cornelius und mehrerer Gladiatoren aus sieben Wunden
blutend sein durch gräuliche Schandtaten und übermäßige Grausamkeit
verwirktes Leben auszuhauchen, die prunkvollste und ausgedehnteste
aller Kaiserbauten auf dem Palatin mit Riesensälen in einem Walde von
Säulen aus den kostbarsten Steinarten erbauen ließ, so ließ er sich
ein an Pracht mit seinem Schlosse wetteiferndes Lustschloß auf dem
Albanergebirge errichten. Es erhob sich in vier Terrassen, die ganze
Ebene um Rom beherrschend, und umschloß in seinen ausgedehnten Gärten
auch ein Theater und ein Amphitheater, in welchen zahllose Feste,
besonders zu Ehren Minervas, gefeiert wurden.

An Ausdehnung und Mannigfaltigkeit der Bauten wurde diese Villenanlage
Domitians noch weit durch die gewaltige, einen Umfang von 12 römischen
Meilen aufweisende Villa Hadrians in Tibur überboten, deren großer
künstlicher See vorhin erwähnt wurde. In seinem Landsitze, an dem
er vom Jahre 118 bis zu seinem Tode 138 bauen ließ, suchte er die
Erinnerungen seines rastlosen Wanderlebens durch die herrlichen
Schöpfungen der griechischen Welt festzuhalten. Zwischen prächtigen
Gartenanlagen erhoben sich über das Areal zerstreut zwischen Bergen
und Tälern mit Wäldern, Wasserfällen und Grotten ein Hippodrom und ein
Theater, eine griechische und eine lateinische Bibliothek. Großartige
Prunksäle für festliche Empfänge wechselten mit einfacheren Bauten
des täglichen Lebens, durch den erfreuenden Ausblick in mannigfache
Gärten belebt. Im Hintergrunde scheinen die beiden berühmten Stätten
attischer Philosophie, das Lykeion und die Akademie gelegen zu haben,
schattige Haine mit Ruheplätzen, der Erinnerung an die großen Meister
geweiht. Von ihnen gelangte man zu einem Prytaneion, einem kleinen
Kuppelbau, das Solons alten Bau auf dem Markte in Athen wiederholte.
In gleich spielendem Sinne hieß ein Bau die Poikile wie das athenische
Vorbild, das nach den farbigen Wandgemälden die „Bunte“ hieß und
vermutlich eine Gemäldesammlung barg. Zwischen ihnen lag die Canopus
genannte Anlage, wo sich der Kaiser in den Frohsinn des namentlich
von den lebenslustigen Griechen aus Alexandreia besuchten ägyptischen
Badeortes zurückversetzen konnte bei dem Anblick eines mit ägyptischen
Denkmälern geschmückten Wasserlaufs. An einer andern Stelle war das den
Musen geweihte idyllische Tempetal -- eine Nachahmung des thrakischen
Vorbildes --, dann der heitere Hain des Elysiums neben dem düstern
der Unterwelt zu sehen. Dazwischen sprangen wundervolle Wasserwerke,
die von Flußläufen aus dem nahen Sabinergebirge gespeist wurden und
den Kaiser, den Segner der griechischen Welt, der mit beispielloser
Freigebigkeit den Griechenstädten Wasserleitungen und Wasserwerke
wunderbarster Art erbaut hatte, an seine Tätigkeit als Kulturbringer im
Osten des Reiches erinnern sollten.

Einen schwachen Abglanz dieser altrömischen Kaiserherrlichkeiten
bewahrte das die Ansprüche des Imperiums an sich reißende Byzanz, bis
auch dieses in greisenhafter Entartung dahinzuwelken begann. Nach dem
endlichen Untergange der Weltherrschaft Roms verschwand in den Wirren
und der Not der Zeit allmählich alle diese bis dahin beispiellose
Pracht im Abendlande, wo die durch die Völkerwanderung mobil gewordenen
Barbarenstämme die Schöpfungen der Römer wohl anstaunten, aber kein
Verständnis für sie hatten, geschweige denn sie mit Sachverständnis
übernehmen und weiterbilden konnten. Die politischen und zugleich auch
geistigen Erben der Römer waren zunächst die Araber, denen im Laufe des
frühen Mittelalters der größte Teil des römischen Weltreiches, nämlich
Vorderasien, Afrika, Südspanien und Sizilien, zufiel. Aus den einstigen
umherschweifenden Hirtenstämmen waren seßhafte Stadtbewohner geworden,
die in den von ihnen eroberten alten Kulturländern die feinere
Lebensführung der unterjochten Völker verständnisvoll übernahmen und
ihren persönlichen Bedürfnissen anpaßten. So wurden die Villen und
Gärten ihrer Vorgänger, die sie überall auf ihrem Siegeszuge vorfanden,
für sie Vorbilder, nach denen sie ihre Städte mit einem Kranze üppiger
Gärten umgaben, wie sie heute noch beispielsweise die Stadt Damaskus
aufweist, eingeschlossen von hohen Mauern, wie es die Abgeschlossenheit
des häuslichen Lebens ihrer Bewohner verlangte. Es waren regelmäßige
Anlagen, mit breiten, geraden Hauptwegen und rechteckigen Feldern, auf
denen im bunten Wechsel ein reicher Blumenflor mit lauschigen Plätzen
von Schattenbäumen und farbigen Kiosken sich fanden. Auf abschüssigem
Boden senkte sich der Garten in Terrassen, die mit Treppengängen
verbunden waren. Mit raffiniertem Geschick war die Bewässerung,
namentlich in wasserarmen Gegenden, durchgeführt. Offene Kanäle und
unterirdisch geführte Ton- oder Kupferröhren durchzogen den Boden,
jeden der Bäume des Gartens besonders speisend. Unter diesen spielte
naturgemäß die Dattelpalme aus alter Anhänglichkeit die größte Rolle.

Im Garten des maurischen Sommerpalastes von Generalife (arabisch
~dschenat al arif~, d. h. Garten des Baumeisters) in der Nähe der
Alhambra (arabisch ~kelât al hamrah~, d. h. die rote Burg) bei Granada
aus dem 13. Jahrhundert führt ein in Marmor gefaßter Kanal das Wasser
aus weiter Entfernung vom Gebirge in den hoch gelegenen Garten. In
ununterbrochenen Kaskaden stürzt es in ihm hinab, um schließlich in ein
Becken mit einem hohen Springbrunnen zu fließen, von wo es dem Garten
in kleinen Rinnsalen zur Tränkung der Pflanzen zuströmt. Überaus groß
war der Blumenreichtum dieser Gärten. Eine arabische Inschrift an einem
der zierlichen Kioske dieses Gartens von Generalife sagt: „Dein Garten
ist geziert mit Blumen, die von ihren Stengeln die süßesten Düfte
aushauchen. Frische Luft durchstreicht den Zitronenbaum und verbreitet
den Wohlgeruch seiner Blüten weit umher. Rund um mich her verbreitest
du Harmonie, Blumen und Grün.“ Begreiflicherweise war der Eindruck,
den die abendländischen Kreuzfahrer von solchen arabischen Gärten des
Morgenlandes erhielten, ein sehr starker und nachhaltiger. „Darinne
stund manig zederbaum mit eßten laubes riche“ heißt es von einem
sarazenischen Garten in einem Gedicht des Minnesängers Heinrich von
Veldeke aus dem Jahre 1180, und man empfindet die große Bewunderung der
Beschauer, wenn in solchen Springbrunnen von „grunem mermelstein“ und
die das dazu nötige Wasser herbeiführenden Leitungen „mit funffzig hoen
swybogen“ beschrieben werden.

Es ist immerhin wenig, was wir von den arabischen Gärten des
Mittelalters wissen. Schlösser von märchenhafter Pracht mit den
prunkvollsten Gärten müssen nach den Schilderungen der arabischen
Schriftsteller aus jener Zeit die Kalifen aus dem Geschlechte der
Abbasiden in Bagdad, der damals größten und in bezug auf Industrie und
Wissenschaft bedeutendsten aller arabischen Städte, besessen haben.
Von dem damals hier getriebenen Luxus meldet uns ein Gesandter des
griechischen Kaisers in Byzanz, der im Jahre 917 mit einer Botschaft
an den Fürsten der Gläubigen von Mosul aus den Tigris hinunterfuhr.
Die Truppen bildeten vom Stadttor an im Paradeanzug Spalier und
saßen auf silbernen und goldenen Sätteln. Das Schloß wimmelte von
Hunderten von Kammerherrn nebst Tausenden weißer und schwarzer
Diener. 38000 der kostbarsten Teppiche waren überall aufgehängt und
22000 waren zum Beschauen ausgestellt. Im kostbaren, mit Arkaden aus
Marmor geschmückten Stall standen tausend Pferde, von denen jedes
von einem kostbar gekleideten Bereiter am Zaum gehalten wurde. Im
Tiergarten sah der Gesandte unter anderem vier prächtig aufgezäumte
Elefanten und hundert Löwen. Dann führte man ihn zu einem zwischen
zwei Wäldchen gebauten Pavillon. Darin war ein mit Zinn belegter
Teich, 30 Ellen lang und 20 Ellen breit, der wie Silber glänzte.
Darauf ruhten vier leichte, vergoldete und mit gestickter Leinwand
ausgeschlagene Kähne. Um den Teich herum standen 400 Palmen, den
unansehnlichen Stamm mit kostbarem indischen Tiekholz bekleidet, das
von vergoldeten Reifen zusammengehalten wurde. Am besten aber gefiel
dem Gesandten das „Baumhaus“; darin stand ein aus Silber und Gold
verfertigter Baum, dessen Blätter im Winde zitterten. In den Zweigen
saßen künstliche Vögel, welche sangen und girrten. In allen Teilen
des auf das kostbarste ausgestatteten Schlosses boten Diener und
Sklaven in Schnee gekühltes Wasser, Fruchtsäfte und Reisbier herum.
Zuletzt kam man vor den Kalifen, der in schwarzen, goldgestickten
Kleidern auf einem schwarzen Thron von Ebenholz saß, auf dem Haupte
die edelsteingeschmückte Mitra. Vor ihm standen fünf Söhne, drei zur
Rechten und zwei zur Linken. Die Audienz nahm den üblichen Verlauf.
Nachher schickte man dem Gesandten 50 Beutel mit je 4000 Mark in sein
Absteigequartier. Der Ehrenadjutant erhielt Ehrenkleider, da es noch
keine Orden gab.

Den von prunkvollen Gärten umgebenen Schlössern liebte man schöne
Namen zu geben, wie „das Liebesgestirn“, „die Braut“, „der König“,
„die Krone“, „der Liebende“, „der Geliebte“. Außen erschienen sie
ziemlich einfach, waren aber innen um so luxuriöser eingerichtet. Von
den üppigen Sitten der hier Wohnenden zeugt die eine Tatsache, daß,
als dem Statthalter Chumarnje vom Arzte Massage verordnet wurde, er,
um dem Daumen des Masseurs zu entgehen, den Teich seines Gartens mit
Quecksilber füllen und eine seidene, an goldenen Bolzen straffgespannte
Matte darauflegen ließ. Darauf wurde er die ganze Nacht hindurch
geschaukelt und so auf das Zarteste massiert.

Über die Privatgärten aus Bagdads Blütezeit sagt uns der Orientalist
A. Mez, dem wir auch obige Angaben verdanken: „Einen großen Garten am
Hause konnten sich nur die Allerreichsten leisten, die Wohlhabenden
hatten ihn draußen vor den Toren. Da es keinen Rasen gab und der
Palmstamm als häßlich empfunden wurde, so mußte man mit der Mischung
von Blumen und Wasser auskommen; dazwischen stand als Gartenbaum die
köstliche, ernste Zypresse. Blumenkönigin war auch hier die Rose,
danach kam die Narzisse. Gern wurde das helle Rot der Rosen mit dem
dunkeln der Anemonen zusammengestellt.“

    „Rosen stehen um Anemonen herum in deinem herrlichen Garten,
    Als ob Menschengesichter ringsum in eine Feuersbrunst starrten.“

    (Sanaubari in Schabuschtis Klosterbuch, Handschrift Berlin, Folio
      96 ~b~.)

Dann das Veilchen „im Trauerkleide“, Jasmin, weißer Mohn, Granaten,
Minze, Nelken, Lilien, Myrten und ein paar orientalische Spezialitäten:
Churram, Sausam und Behâr. Auf dem Teiche lag „wie große Goldstücke“
der Lotos. Also kein Vergleich mit der ostasiatischen und
amerikanischen Pracht, über welche der heutige Blumenfreund verfügt;
sogar die Tulpe fehlte. In diese bunte Welt wurde eine Loggia oder
ein Pavillon mit Kuppelhut hineingebaut; dorthin lud man die Freunde
ein, aß und trank, labte das Auge an Schänke und Schänkin, am Tanz
von Knaben und Mädchen, das Ohr am Singen der Vögel, an kunstreichem
Saitenspiel und Gesang. Man freute sich der Aussicht, wenn nachts der
Vollmond am Horizont lag „wie Gold auf blauen Hyazinthen“, oder bleich
und dünn der junge Mond „wie, was man sich vom Nagel abschneidet“,
wenn die Zypressen als hochgeschürzte junge Mädchen im Windeswehen
spielten. Hier zechte man gerne nachts beim Schall von Zithernlaute,
Flöte und Pauke. Das Gemach war mit Blumen bestreut. Die Zecher
trugen Blumenkränze auf dem Haupt und warfen sich Blumengrüße zu.
Sie erwarteten vom Wein und der Musik, daß „ihre Seele flog“; dann
„tanzten“ sie, hüpften auf einem Bein, seufzten oder rannten mit dem
Kopf gegen die Mauer, -- letztere Übung sah man auch an der Inbrunst
der Frommen gern.

[Illustration:

    Tafel 133.

Ein japanischer Tempelgarten in Kyoto.]

[Illustration: Ein altrömischer Hausgarten. (Das nach den Funden wieder
hergestellte Peristyl im Hause der Vettier in Pompeji).]

[Illustration:

    Tafel 134.

Der päpstliche Garten des Quirinal in Rom gegen das Ende des 17.
Jahrhunderts. (Nach dem Kupferstichwerk von G. B. Falda „~Li giardini
di Roma~“ 1683.)]

[Illustration:

    Tafel 135.

Die ursprüngliche Gartenanlage der Villa d’Este in Tivoli. (Nach einem
Stich von J. B. Piranesi).]

[Illustration:

    Tafel 136.

Gartenanlage von Schloß Linderhof in Südbayern.]

Derselbe Autor schildert uns einen vornehmen ägyptischen Garten des
Mittelalters nach der Beschreibung eines Zeitgenossen: „Im Garten
stand ein Pavillon auf vier Marmorsäulen an einem Teich, drum herum
Zitronenbäume, denen man die Früchte ließ, bis sie abfielen. Vier
Pumpen füllten den Teich, dessen Wasser oft gewechselt wurde. Darauf
lag ein Kahn aus ziseliertem Erz. Singvögel, Tauben und Pfauen
tummelten sich herum. Die Wege waren mit feinen, bunten Matten belegt,
als Tore dienten Ketten aus Eisen. Der Rosengarten lag besonders.
Dort wurde beim Rosenfest aus Girlanden ein Rosenschloß erbaut, in
dem gegessen und gesungen wurde. Auch Parke von großen Bäumen hatte
man, aber ohne Rasen. Und nirgends Wald! Dadurch sind dem Araber fünf
Sechstel unserer Romantik abgeschnitten und auch der romanischen; denn
selbst Ariosts Abenteuer spielen in Waldluft. Das romantische Land der
Muslims ist die Wüste.“

Im ganzen zeigen die muhammedanischen Hausgärten eine nicht weiter
überraschende Ähnlichkeit mit denjenigen der Römer, denen sie
nachgebildet waren. Indem der Orientale sein Haus in Nachahmung des
römischen, in welchem sich das häusliche Leben ebenfalls von der
Außenwelt abgekehrt abspielte, um innere von Säulen umgebene Höfe
aufbaute, wurden diese die Grundlage des Hausgartens, in welchem die
Familie sich an der frischen Luft erging. In der Mitte befand sich
wie beim römischen Hausgarten ein Brunnenbecken mit meist springendem
Wasserstrahl, ringsherum regelmäßige Rasenflächen mit Blumenbeeten und
Ziersträuchern, die Wege mit Marmorplatten belegt. Solche Höfe zeigt
uns heute noch das im 13. Jahrhundert erbaute maurische Königsschloß
der Alhambra bei Granada, allerdings ohne die ursprüngliche
Bepflanzung. Das durch seine äußerst zierliche und geschmackvolle
Architektur und Bemalung ausgezeichnete, in Abbildungen allgemein
bekannte Schloß besteht aus einer ganzen Reihe solcher rechteckiger
Gartenhöfe, deren größter der Hof der Alberca, auch ~Patio de los
arrayanes~, d. h. Myrtenhof, genannt ist. In ihm befindet sich eine der
drei im 16. Jahrhundert im Innern der Alhambra gefundenen berühmten
Vasen aus emaillierter Fayence. Der Länge nach durchschneidet ihn ein
schmales, marmornes Wasserbecken, das zwei Springbrunnen miteinander
verbindet. Östlich davon befindet sich der berühmteste dieser Höfe,
der Löwenhof, so genannt, weil in seiner Mitte eine von zwölf recht
mangelhaft geratenen steinernen Löwen getragene Doppelschale aus
Alabaster sich findet, die von einem Springbrunnen gekrönt wird. Das
von diesem abfließende Wasser ergießt sich durch die Löwenmäuler in ein
unteres Bassin, um von da weitergeleitet zu werden.

Wie die mittelalterliche Kirche des Abendlandes die getreue
Nachfolgerin der christlich-römischen war, so führten die Klöster des
Mittelalters das aus der Römerzeit übernommene Erbe in bescheidener
Weise fort. Auch ihnen bot das römische Haus ein willkommenes Vorbild
zu einer nach außen abgeschlossenen Wohnung. Dem Peristyle desselben
entsprach der Kreuzgang, und der von diesem eingeschlossene Hof hatte
anfänglich eine ganz ähnliche Teilung wie der Löwenhof der Alhambra,
wie der zu Anfang des 9. Jahrhunderts gezeichnete Plan für einen
Neubau des Klosters St. Gallen deutlich erkennen läßt. Die späteren
Klöster schmückten diese Höfe oft mit zierlichen offenen Brunnenhäusern
und legten diese unmittelbar an den Kreuzgang, so daß man vom
Refektorium oder Speisesaal aus einen reizvollen Durchblick durch das
Brunnenhäuschen auf die Büsche und Blüten des Hofes genoß.

Abgesehen von diesem Klosterhofgarten scheint nichts von der römischen
Gartenkunst auf die nordischen Völker im Mittelalter übergegangen
zu sein, obwohl die Römer auch in ihren nordischen Provinzen, in
Gallien, Germanien und Britannien, ebenso wie in den übrigen Teilen des
Reichs, ihre Villen und Villengärten besaßen, die als Vorbilder hätten
dienen können. Die Wirren der Völkerwanderung ließen solches nicht
zu, und auch als ruhigere Zeiten kamen, verhinderten die politischen
und sozialen Zustände die Ausbildung einer Gartenkunst, trotz des
lebendigen Gefühls für die Schönheit der Blumen, das in den Dichtungen
des späteren Mittelalters zum Ausdrucke kommt. Der Bürger saß in den
unruhigen, von Kriegslärm durchtosten Zeiten in der ihm Sicherheit des
Lebens und Eigentums gewährenden eng ummauerten Stadt, der Adelige auf
hohem, eingeschränktem Burgsitz. Hinter den Mauern der Befestigungen
hatte der eine so wenig wie der andere Raum für ein Gartenleben, wie
es die vornehmen Römer geführt hatten, ganz abgesehen von dem Fehlen
einer Kultur, die das Bedürfnis nach einem solchen Leben hervorgebracht
hätte. Das Einzige, was von römischer Gartenkultur in diesen Ländern
zurückblieb, waren der Weinstock, die verschiedenen Obstbäume, Gemüse
und Blumen, die von den einstigen Herren aus Italien mitgebracht worden
waren.

Nach und nach erwachten die Geister aus der dumpfen Enge der geistigen
Beschränktheit, in der sie das ganze Mittelalter hindurch verharrt
hatten. Langsam erwachte die Freude an dem bis dahin für sündliche
Fleischeslust gehaltenen Naturgenuß, das ästhetische Vergnügen an
schönen Landschaftsbildern, an zierlichen Pflanzen, an der Form und
Farbe ihrer Blüten. Aus dem praktische Zwecke verfolgenden Arzneigarten
wurde am Bauernhause das rein idealen Zwecken der Freude an schönen
Farben und Formen dienende Blumengärtchen. Gleicherweise fand dieser
Prozeß in den Gärten zwischen den Höfen der Bürgerhäuser und vor den
Stadtmauern, wie bei den Adeligen an der Burgmauer statt. Gleichzeitig
erwachte die Freude an schönen Bäumen; namentlich die Linde stand
neben der Eiche und der Eberesche in hohem Ansehen, wie im Orient die
Platane als Schattenbaum bevorzugt wurde. Um die Linde waren Bänke
errichtet, die zum Ruhen einluden, und der umgebende Rasen war mit
„geschachzabelten und gevierten“, d. h. in schachbrettartig, mit
Vierecken gemusterten Blumenbeeten ausgestattet, die dem Auge Freude
gewährten. Dazwischen fanden sich allerlei Gemüse und Arzneikräuter.
War der Besitzer reich, so schmückte ein Vogelhaus den Garten und
wurden seltene Tiere in Käfigen gehalten. Manchmal war in einer
lauschigen Ecke noch eine dichte Geißblattlaube vorhanden, in die
Liebende sich mit Vorliebe zurückzogen, um ihrem jungen Glücke zu leben.

Mit der Befestigung der politischen Zustände und dem allmählich durch
den regen Handel mit dem Morgenlande beförderten Wohlstand, der die
Vorbedingung einer die Gartenkunst übenden vornehmen Lebenshaltung
bildet, erwachte in den leitenden Kreisen der Stadtrepubliken und
Tyrannenstaaten Italiens, durch die noch von den Gelehrten und den
Vertretern der Kirche gesprochene lateinische Sprache und die Menge
der noch vorhandenen Erinnerungen und Denkmäler begünstigt, in der
Renaissance die Wiedergeburt antiken Denkens und Lebens. War schon am
Ausgange des Mittelalters namentlich in den Dichtungen der Minnesänger
das Naturgefühl wieder so weit zum Durchbruche gekommen, daß die
einfachsten Erscheinungen in der Natur, wie das Erwachen des Frühlings,
das Knospen und Blühen der Bäume, das wohltuende Grün des Grases und
der Blätter in Wald und Feld, der liebliche Gesang der Vögel, wieder
als etwas Schönes empfunden wurden, so entstand in den Italienern
mit der Renaissance zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte die
selbst den Gebildetsten des Altertums versagte Fähigkeit, die Gestalt
der Landschaft als Ganzes in ihrer mehr oder weniger ausgesprochenen
Lieblichkeit oder Grandiosität zu erfassen. Sie kommt in der Malerei
vom 15. Jahrhundert bereits zum Ausdruck, indem die Landschaft
nicht mehr nur mit dem Bestreben, einen Schein der Wirklichkeit
hervorzubringen, sondern schon mit der Absicht, ihr einen besonderen
poetischen Gehalt unterzulegen, dargestellt wird. Dieses modern
empfindende Naturgefühl kommt auch in der italienischen Literatur
dieser Zeit zum Ausbruch. So genießt der 1405 zu Pienza in Toskana
geborene Äneas Sylvius de Piccolomini, der von 1458-1464 als Pius
II. auf dem päpstlichen Throne saß, mit Entzücken das Panorama, das
sich ihm vom höchsten Gipfel des Albanergebirges, vom Monte Cavo aus,
darbot, oder die Schönheit des Hügellandes um Siena mit seinen Villen
und Klöstern auf den Höhen.

[Illustration: Bild 73. Anlage eines italienischen Renaissancegartens
mit Architektur.

(Nach J. B. Ferrarii „~De florum cultura~“ 1633.)]

Aus dem wachsenden Verständnisse für die landschaftliche Schönheit
erwuchs dem gebildeten Italiener eine Vorliebe für das Landleben,
die um so stärker zum Ausdruck kam, je größere politische und
polizeiliche Sicherheit die einzelnen Städte und Staaten gewährten.
Dabei waren von Sizilien und Unteritalien ausgehende Einflüsse, die
auf arabischen Einfluß zurückzuführen sind, nicht zu verkennen. Wie
die Normannen manche Feinheiten der arabischen Sitten angenommen und
an ihre Nachbarn, die Italiener des Festlandes weitergegeben hatten,
verbreitete sich die Freude an hübsch eingerichteten Gärten langsam
über die italienische Halbinsel. Und so füllte sich denn bald wieder
die Umgegend gewisser Städte, hauptsächlich Florenz, später auch Rom,
mit den Landhäusern der durch Handel und Industrie reich gewordenen
Städter. Damit war die Wiederanknüpfung an die noch vorhandenen Reste
einer der köstlichsten Schöpfungen des alten Römertums gegeben, um
so mehr, als inzwischen auch die Architektur bei den zahlreichen
Überbleibseln der altrömischen Baukunst in die Schule gegangen war und
einen neuen Baustil hervorgebracht hatte, eben den der italienischen
Renaissance. Denn der +italienische Garten der Renaissance+, der nun
entstand, war eine Schöpfung der Architektur, wie es wahrscheinlich
der altrömische Garten auch gewesen war. Die ihn schufen, waren
Architekten, jene Künstler der Renaissance, die nicht bloß Baumeister,
sondern Universalkünstler waren, die alle bildenden Künste
beherrschten und dadurch allen ihren Bauschöpfungen den Stempel völlig
einheitlicher Kunstwerke aufprägten. So kam es, daß der Garten in der
italienischen Renaissance nicht eine Kunstgattung für sich darstellte,
sondern stets Teil eines Kunstwerks war, indem Villa und Garten als ein
einheitliches Ganzes aufgefaßt wurden. Mit der Aufgabe, einen Palast,
eine Villa zu bauen, übernahm der Architekt zugleich die Aufgabe, auch
den dazu gehörenden Garten zu schaffen. Und da in dieser Verbindung
von Haus und Garten für die künstlerische Lösung der Aufgabe das
Haus mit seiner Lage und der Anordnung seiner Teile notwendigerweise
die Richtschnur abgab, so hatte sich die Einteilung des Gartens der
des Hauses unterzuordnen. Das Haus aber wurde von diesen Architekten
in der Anordnung der Räume, wie im ganzen Aufbau strenger Symmetrie
unterworfen; die Folge davon war, daß diese Gesetze auch auf den Garten
übertragen wurden.

Da nun Italien durchweg ein gebirgiges Land ist, und für die Lage der
Villen in erster Linie die Schönheit der Aussicht bestimmend war, sie
also meistens an den Abhängen errichtet wurden, so mußte der Garten
terrassiert werden, was an sich schon wesentlich dazu beitrug, ihn zu
einem architektonischen Kunstwerk zu gestalten. Die Anlage solcher
Terrassen aber erforderte das Aufführen von Mauern und Brüstungen,
und untereinander mußten die Terrassen durch Treppenanlagen verbunden
werden. So wurden die Terrassenanlagen mit ihren Brüstungsgeländern
und ihren Freitreppen zu dem Hauptelemente bei der architektonischen
Gestaltung, das den Charakter dieser italienischen Gärten bestimmte.
Der regelmäßigen Anlage des Ganzen entsprechend, wobei die Mittelachse
des Gebäudes sich in den Garten fortsetzte, traten auch die
schmückenden Pflanzengruppen und Blumenbeete in architektonischen
Formen auf und mußte sich der Pflanzenwuchs der Schere beugen. Die
Blumen wuchsen in geometrisch geformten Beeten, und dazwischen stellte
man die zahlreichen wieder ausgegrabenen, der Farbe beraubten,
antiken Statuen oder Nachahmungen derselben zum Schmucke als
willkommene Abwechslung für das Auge auf. Wenn immer möglich, durfte
zur Belebung des Ganzen auch das strömende Wasser nicht fehlen. In
rauschenden Kaskaden strömte es von oben herab, um, unten angelangt,
in Springbrunnen wieder aufzusteigen und sich schließlich in weiten,
gemauerten Bassins zu sammeln. Eine der ältesten solcher Anlagen war
diejenige der Villa Rucellai in Florenz, die die durch die Einführung
der Orseilleflechte aus dem Orient in die Färberei des Abendlandes
reich gewordenen Nachkommen des im 13. Jahrhundert in der aufstrebenden
Stadt ansässig gewordenen Deutschen Federigo, d. h. Friedrich, sich
bauten. In ihr waren zur Staffage zahllose antike Trümmer aufgestellt,
an denen der junge Michelangelo Studien als Zeichner und Bildhauer
machte.

Als später in der Architektur ein anderer Geschmack aufkam und die
noch maßvolle Hochrenaissance in die weniger ruhigen Formen des Barock
überging, nahmen die Wasseranlagen in den Gärten derart überhand,
daß sie in vielen Fällen durchaus den Eindruck beherrschten. Da
konnte man bald der Wasserkünste nicht genug bekommen. Zahllose
Springbrunnen in ganzen Alleen -- in der Villa d’Este in Tivoli bei
Rom z. B. zählte man deren an 1000 -- schleuderten ihre Wasser in
die Höhe, und die reiche, in Marmorfiguren wieder auflebende Welt
der heidnischen Götter und Halbgötter, die als plastischer Schmuck
sich nicht nur auf den Terrassen, den Treppen und ihren Balustraden
erhob, sondern auch die Springbrunnen und Wasserbecken belebte, spie
ebenfalls in oft recht geschmackloser Weise Wasser. Brunnen entsprangen
den Treppen, sprudelten aus den Wänden der Terrassen hervor und
selbst die Kaskaden, die sogenannten Wassertreppen, wurden von ihnen
unterbrochen. Die Bergwände wurden ausgehöhlt und die Grotten, die
man hier bildete, füllte man mit allerlei Wassereffekten. Schließlich
arteten die Wasserkünste in Spielereien aus. Man ließ in den Grotten
Wasser in hohle Röhren fallen und trieb dadurch die Luft hinaus in
eine Pfeife, die tönte. Aus einer Anzahl solcher Pfeifen stellte man
ganze Wasserorgeln her. Berühmt war in dieser Beziehung der Garten
der vom Neapolitaner Pierro Ligorio für den Kardinal Hippolyto
von Este erbauten Villa d’Este in Tivoli, in welchem zwischen den
architektonischen Prospekten nicht bloß Äolsharfen, sondern auch vom
Wasser getriebene Musikwerke für den Kardinal und seine Freunde ihre
Melodien erschallen ließen. Der Vogelbrunnen in baumbeschatteter Grotte
ahmte allerlei Vogelstimmen nach, bis das plötzliche Erscheinen einer
großen, künstlichen Eule den kleinen Vögeln Schweigen gebot. Außerdem
wurde das Wasser zu allerhand schlechten Scherzen gegen uneingeweihte
Besucher benutzt, die unvermutet bespritzt wurden, wenn sie in den
Grotten oder auf den beim Herumspazieren begangenen Wegen auf bestimmte
Stellen des Fußbodens traten. Betrügerische Sitze waren angebracht;
setzte man sich auf sie nieder, so spritzte ein Wasserstrahl unter den
Füßen des Sitzenden hervor. In manchen Grotten standen Bildsäulen, die
sich bei Berührung einer bestimmten Stelle umdrehten und den harmlosen
Zuschauer mit Wasser begossen, und andere dergleichen Späße mehr.

Eine weitere, noch bedenklichere Ausartung betraf den Pflanzenwuchs.
Die meisten Schmuckbäume des italienischen Gartens, vor allem die
Pinie und Zypresse, welch letztere in ihrer aufstrebenden, scharf
umrissenen Form etwas durchaus architektonisches hat, das keiner
Nachhilfe bedurfte, dann die immergrüne Eiche, der Orangenbaum, der
Lorbeer, ferner die Gesträucher, wie Myrten, Azaleen, Rhododendren
und andere, haben von vornherein so bestimmte, feste Umrißlinien,
daß die Versuchung, ihre Kronen zu beschneiden, durchaus fern lag.
Anders war es schon mit den Hecken, mit denen die verschiedenen
Teile des Gartens umschlossen waren. In den älteren Gärten waren die
Flächen zwischen den Hauptrichtungslinien, die durch die Achsen der
Villa bestimmt wurden, meist in quadratische oder doch wenigstens
rechteckige Felder aufgeteilt, wobei die Kreuzungspunkte der Wege durch
Baumgruppen, Springbrunnen oder Lauben geziert waren, während Alleen
von Zypressen, den wichtigsten Bäumen des italienischen Gartens, die
Hauptwege begleiteten. Die einzelnen Felder dieses Parterres, deren
Begrenzung mit der Zeit von der einfachen, geradlinigen Linienführung
zu gewundenen, selbst verschnörkelten Formen überging, waren in ihrem
Innern mit saftig grünem Rasen, mit blühenden Gesträuchern und Blumen
aller Art erfüllt. Da begann man statt der natürlich gewachsenen
Formen allerlei aus Buchs und Eibe geschnittene Figuren, wie sie
schon die Römer der Kaiserzeit geliebt hatten, zur Ausschmückung zu
verwenden. Manche der Felder wurden auch als sogenannte Labyrinthe
ausgebildet, d. h. zwischen mit der Schere zu grünen Wänden
beschnittenen Hecken führten verschlungene Wege zu einem Platze im
Mittelpunkt des Labyrinths, den man auffinden mußte, wobei man in
allerhand Sackgassen geriet. Alle diese Buchs- und Eibenhecken reizten
begreiflicherweise dazu, außer den geradlinig beschnittenen auch andere
Formen herzustellen, z. B. die Endpunkte der Hecken durch Halbkugeln
oder Kugeln auszuzeichnen oder den Heckenrändern statt einer geraden
eine geschwungene obere Begrenzung zu geben. Solche Gärten aus dem 16.
Jahrhundert finden wir noch andeutungsweise im heutigen Italien, z. B.
in der berühmten, jetzt leider stark verfallenen Villa Aldobrandini in
Frascati bei Rom, in den Giardini Giusti in Verona und Boboli hinter
dem Palazzo Pitti in Florenz. In ihnen sind allerdings die einst in
strengen Formen gehaltenen Gewächse der Schere entwachsen und haben
riesige Dimensionen angenommen, die das einstige Aussehen nicht mehr
wiedergeben, heute aber nach unserem Geschmack großartiger und schöner
wirken.

Italien galt damals für tonangebend in Geschmack und Sitten der großen
Welt. So konnte es nicht fehlen, daß die französischen Könige wie die
deutschen Kirchenfürsten seinen Gartenbau nachahmten. Claude Mollet,
der Gärtner Heinrichs IV. von Frankreich, errichtete in dieser Weise
die Gartenanlagen der Schlösser von Blois, Fontainebleau und St.
Germain en Laye. Zwischen den geradlinigen Alleen waren kunstvolle
als ~parterres en broderie~ bezeichnete Blumenbeete errichtet,
zwischen denen die Kavaliere und Damen des Hofes lustwandelten. Aus
verschiedenfarbigen Pflänzchen mühsam hergestellte Buchstaben und
Sinnsprüche erfreuten die Besucher. Aus Hainbuchen und Weißdorn schnitt
man Tiergestalten, Menschen und Schiffe, zwischen welchen weiße
Marmorstatuen eine wohltuende Abwechslung boten. Und während die Gärten
der Renaissance sich auf die nähere Umgebung der sie schmückenden
Paläste beschränkt hatten, ging man mehr und mehr zu dem weiten,
ausgedehnten Garten des folgenden Barock über.

Die Gärten der Barockzeit, wie sie uns in Italien in der Villa Borghese
und in der Villa Pamphili Doria in Rom, leider stark verballhornisiert,
entgegentreten, zeigen alle mehr oder weniger entwickelt schon
Vorboten des freien Landschaftstils in Gestalt von in rein natürlichen
Formen gehaltenen Waldpartien, die auf begrenztem Raum möglichst viel
Naturschönheit künstlich vereinigen. Nach diesem Muster entstand in
Frankreich allmählich der nach dem Architekten und Gartenkünstler
Le Nôtre benannte regelmäßige Gartenstil zur Zeit Ludwigs XIV., der
vorbildlich für ganz Europa wurde. Le Nôtre war 1613 als Sohn des
Palast- und Gartenintendanten der Tuilerien geboren und mag sich
schon früh mit Gartenangelegenheiten beschäftigt haben. Doch wurde
er zunächst Maler und ging als solcher nach Italien, wo er besonders
in Rom die dortigen Gärten kennen lernte. Die Eindrücke, die er hier
vom Zusammenwirken von Haus und Garten als einheitlichem Kunstwerk
und von der Wirkung und verschiedenen Verwendung des Wassers erhielt,
sind zweifellos bestimmend für sein späteres Schaffen gewesen. Als
Ludwig XIV. an Stelle des von Heinrich IV. angelegten und von Ludwig
XIII. erweiterten Jagdschlosses im Walde von Versailles mit einem
Aufwand von insgesamt mehr als einer Milliarde alter Franken eine üppig
ausgestaltete neue Residenz baute, berief er Le Nôtre zur Anlage
des gewaltigen, das Schloß umgebenden Gartens und fand in ihm den
geeigneten Mann zur Verwirklichung seiner großartigen Pläne. Bis an das
Ende seines langen Lebens -- er starb 87jährig im Jahre 1700 -- blieb
er im Dienste des Königs, der ihm stets seine volle Gunst zuwandte, und
schuf die Gärten der übrigen Königsschlösser der französischen Krone
um. Er hat das große Verdienst, aus dem bis dahin nur regelmäßigen
französischen Garten einen architektonischen geschaffen zu haben.
Nicht, daß er dazu etwas Neues hätte erfinden müssen, er wandelte
vielmehr nur um, was schon vorhanden war, unter dem Eindrucke dessen,
was er in Italien gesehen hatte. Er verband Haus und Garten zu einem
künstlerischen Ganzen und tat das in einer Weise, die dem nach
theatralischen Effekten verlangenden Geiste seiner Zeit durchaus
angemessen war.

[Illustration: Bild 74. „Wahrer Grundriß des weltberühmten kgl.
Lustgartens zu Versailles.“

(Nach einem Stich von M. Diesel.)]

Vor ihm hatte sich die Gartenkunst Europas nördlich der Alpen unberührt
von derjenigen der Renaissance entwickelt. Hier war man noch viel
ärmer als dort und fühlte sich außerhalb der ummauerten Städte und
Burgen nicht sicher genug, um den vorhandenen kleinen Ziergarten hinaus
in die Landschaft zu verlegen. Und als auch die wirtschaftlichen
und politischen Zustände sich hier so weit gebessert hatten, daß
man an ein Landhausleben wie in Italien denken konnte, so blieb die
Gartenanlage wie sie im Mittelalter gewesen war, eine „geschachzabelte
und gevierte“, d. h. eine schachbrettartig regelmäßig aufgeteilte,
ebene Anlage. So sehen wir diese Gärten, von denen kaum etwas erhalten
ist, noch in den Kupferstichwerken des 17. Jahrhunderts als eintönige,
regelmäßige Anlagen, deren meist gleich große quadratische Felder mit
geschnittenen Hecken umgeben waren. Die Wege waren oft mit Laubengängen
aus Gitterwerk überdacht, die zu zierlichen Pavillons führten. Auch
Springbrunnen und Skulpturen fehlten nicht, ebenso waren mit Vorliebe
verwickelte Gänge in Form von zu senkrechten Wänden geschnittenen
Buchs- und Eibenhecken als Labyrinthe vorhanden, die den Besucher nach
langer Irrfahrt endlich zu einem Platze im Mittelpunkt der Anlage
führte; doch war bei ihnen von einer einheitlichen Kunstwirkung,
zusammen mit dem Hause, keine Rede, wie sie im italienischen Garten
so eindrucksvoll durchgeführt war, ganz abgesehen davon, daß diese
kleinen Anlagen sich in der Ebene befanden und schon deshalb für einen
architektonischen Aufbau, wie im italienischen Garten, keine Keime in
sich trugen.

Schon zu Ende des 16. Jahrhunderts begann unter italienischem Einflusse
ein neuer großzügiger Geist in die Gartenanlagen der französischen
Königsschlösser zu kommen. Man brachte wie in Italien die Linien des
Hauptgebäudes, des Schlosses, mit dem Garten in Verbindung und schuf
damit einen weiten Durchblick, eine Perspektive; auch legte man um das
Schloß einen freien Platz, um dadurch das Gebäude als den Mittelpunkt
der ganzen Anlage hervorzuheben. Durch diese Neuerungen, die Claude
Mollet, der Gärtner Ludwigs XIII., an den königlichen Gärten von
Fontainebleau in Verbindung mit der Anlage großer Wasserbecken mit
Springbrunnen zuerst in Frankreich einführte, erhielt der Garten
einen Zug ins Großartige und begann sich damit dem Glanze der
französischen Kultur anzupassen, die im 17. Jahrhundert diejenige
der Nachbarländer, namentlich Deutschlands, das währenddem unter
den Schrecknissen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden hatte, weit
überragte. Ihren Höhepunkt erreichte diese Zeit unter der Regierung
des Sonnenkönigs, Ludwigs XIV., und die Gärten, die in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts für ihn und die Ersten des Landes angelegt
wurden, spiegeln deutlich die Eigentümlichkeiten des französischen
Hoflebens dieser Periode wieder mit der Gemessenheit und Steifheit
seines Zeremoniells und seiner theatralischen Grandezza, die ihren
bezeichnenden Ausdruck in den schwülstigen Allongeperücken und den die
Gestalt erhöhenden Stöckelschuhen fand.

Aus dem Geiste dieser vornehm tuenden Zeit heraus bildete André Le
Nôtre den regelmäßigen französischen Garten zum architektonischen um.
Das Haus, das Schloß, war der Brennpunkt seines Gartens und sollte
möglichst von allen Hauptpunkten der ausgedehnten Anlage sichtbar
sein; andererseits sollte vom Schloß aus der ganze Garten überblickt
werden können. Um dies leichter zu ermöglichen, wurde es auch in der
Ebene auf eine erhöhte Terrasse von gewaltigen Dimensionen gebaut,
wodurch es frei aus dem Garten herausgehoben wurde. Dasselbe Ziel
verfolgte die Hervorhebung der Mittelperspektive auf das Schloß
und vom Schlosse aus. Die von der Mitte des Schlosses ausgehende
Hauptallee durchschnitt den Garten seiner ganzen Länge nach und war mit
hohen geschnittenen Baumwänden eingefaßt. Längliche Wasserbecken in
derselben Richtung unterbrachen sie. In dieser Perspektive schweifte
nun der Blick über eine Fülle von Wasserbecken mit Springbrunnen
in die Ferne, und umgekehrt bot sich vom Ende des Gartens, ja von
weither gesehen, das Schloß auf seiner Terrasse eindrucksvoll dar.
Außer dieser Mittelperspektive wurden überall, kreuz und quer durch
den Garten, andere Durchblicke angelegt und damit das eintönige
Schema der schachbrettartigen Aufteilung der Fläche durchbrochen. Um
möglichst Abwechslung zu bringen, wurde jede dieser Nebenperspektiven,
deren meist mehrere strahlenförmig von einem Punkte ausgingen, mit
einem ~point de vue~, einer Fontäne, einer Statue, einem kleinen
Gartenhäuschen oder etwas Ähnlichem ausgestattet. Die abgelegenen
Gartenpartien wurden von hohen Heckenwänden, meist geschnittenen
Hainbuchen, umgeben und ihr Inneres mit Baumwuchs erfüllt, was
den Eindruck hervorrief, als seien alle den Garten durchquerenden
Perspektiven mit hohen grünen Kulissen umstellt. Zwischen diesen
stilisierten Anlagen waren, damit neben der strengen Form auch die
spielende Phantasie ihr Recht bewahre, allerlei Labyrinthe und
Irrgänge, Grotten, Naturtheater und verschieden ausgestattete Plätze
mit Lusthäusern aus Gitterwänden oder Springbrunnen und plastischen
Gruppen jeder Art zerstreut. Der ganze Garten war nach italienischem
Muster mit Statuen der antiken Götter- und Halbgötterwelt belebt, die
frei oder in nischenartigen Vertiefungen der Heckenwände aufgestellt
waren und mit ihrem Weiß das eintönige Grün des Hintergrundes
unterbrachen. Noch mehr als im italienischen Garten war das Wasser
zur Mitwirkung herangezogen. War es dort das lebendige, in Kaskaden
herabrauschende und in Fontänen aufsprudelnde Wasser gewesen, so waren
es hier ausgedehnte Wasserbecken, die an sich schon durch die Masse
wirkten, gleichfalls belebt von Springbrunnen, welche aus plastischen
Gruppen hervorschossen, und hintereinanderstehenden Wasserstürzen.

Als ein Hauptstück des Gartens breitete sich unmittelbar vor dem
Schlosse das Blumenparterre in Gestalt von Blumenteppichen aus,
wie es schon der ältere französische Garten, gleich demjenigen der
italienischen Renaissance, besaß. Um ihre Zeichnung gehörig zur Geltung
zu bringen, beschränkte man sich ebenso wie in Italien nicht auf
Blumen, die nicht ausreichten, als die Muster feiner und zierlicher
wurden, sondern man verwendete dazu Rasen und geschnittenen Buchs und
füllte die Zwischenräume zwischen den einzelnen Figuren mit gefärbtem
Sand, mit Ziegelmehl oder Kohlenstaub. In der Mitte der Blumenbeete
waren die hohen Ziergewächse, wie Sonnenblumen und Malven, gruppiert
und wurden von immer niedrigeren eingefaßt. Für den Frühling wurden
Tulpen, Hyazinthen und Narzissen in schachbrettförmiger Anordnung auf
die Beete gepflanzt, um nach dem Verblühen durch anderen Blumenflor
abgelöst zu werden. Selten fehlte auch die Orangerie, die meist ein
besonderes Parterre an geschützter Stelle bildete, an welche sich die
zum Überwintern nötigen Kalthäuser anschlossen. Hier standen in Reihen
südliche Gewächse in Kübeln, wie Orangen, Zitronen, Myrten und Lorbeer.
Aber ihre Verwendung war durchaus nicht auf die Orangerie beschränkt,
sie begleiteten vielmehr auch die Linien des Parterres und umgaben
die Wasserbecken. In diesen großartigen Anlagen, die durchaus keine
bürgerlichen Hausgärten waren, sondern den Bedürfnissen von Königen
und Herren mit großer Hofhaltung entsprachen, dienten als Schauplätze
glänzender Feste, ihre Boskets und ~cabinets de verdure~ waren
der Ort für die arkadischen Schäferspiele der Hofgesellschaft. Ihre
Kosten waren derart, daß sie nur entstehen konnten, wo den Launen eines
absoluten Herrn unbeschränkte Mittel zur Verfügung standen, die durch
rücksichtslose Besteuerung der Untertanen beschafft wurden.

Nächst Versailles war einer der schönsten von Le Nôtre angelegten
Gärten derjenige von Marly, von dessen wundervollen Wasserwerken uns
alte Kupferstiche ein gutes Bild geben. Der Garten von Groß-Trianon war
kleiner und einfacher. Auch den Garten von St. Cloud baute Le Nôtre
um und legte an der ziemlich steilen Talwand der Seine die berühmten
Wasserwerke an. Der Garten von Chantilly kam an Ausdehnung demjenigen
von Versailles gleich; er hatte einen Kanal von 3 km Länge, der 80 m
breit war, während derjenige von Versailles bei 1600 m Länge nur 60 m
Breite besaß. Auch die Gärten von St. Germain, Meudon und Fontainebleau
baute er um und machte die Pläne zu zahlreichen auswärtigen Gärten;
denn wie das Zeremoniell und die Sitten der Versailler Hofhaltung
überall in Europa Nachahmung fanden, so war auch der Versailler Garten
das vielbewunderte Muster für die übrigen Höfe, die es in allem dem
„Sonnenkönige“ gleichtun wollten. Gärten dieser Art schossen sozusagen
wie Pilze aus dem Boden hervor. Wir lernen sie wie die französischen
am besten durch die Kupferstiche kennen, in denen die berühmtesten
Gärten der damaligen Zeit abgebildet und beschrieben wurden. Da ist
z. B. in England der Garten von Hamptoncourt, in Rußland derjenige
von Peterhof, in Schweden derjenige von Drottningholm bei Stockholm.
Die meisten Nachahmer fand aber der französische Garten, wie andere
französische Dinge auch, in Deutschland, wo alle die zahllosen größeren
und kleineren, bis zu den kleinsten Höfen, die sich, so gut oder so
schlecht es ging, nach französischem Muster einzurichten suchten,
eine Nachahmung des Versailler Gartens zur Erhöhung ihres Glanzes für
unbedingt notwendig hielten. Von den vielen deutschen Anlagen dieser
Art sind vor allem die Gärten von Schönbrunn bei Wien, Nymphenburg und
Schleißheim bei München, Schwetzingen bei Heidelberg, Wilhelmshöhe bei
Kassel, dessen Kaskadenanlage allerdings eine Nachahmung derjenigen
der Villa Aldobrandini in Frascati bei Rom ist, dann in Hannover,
Charlottenburg usw. zu nennen. Auch die geistlichen Fürsten wollten
nicht hinter den weltlichen zurückbleiben; davon zeugen die Gärten der
Fürstbischöfe von Salzburg (Hellbrunn und Mirabellgarten), Olmütz zu
Kremster, Würzburg und Mainz. Einer der spätesten französischen Gärten
war auch die jetzt ganz veränderte Schöpfung Friedrichs des Großen in
Sanssouci, die bezeichnend für die Vorliebe des großen Königs für alles
Französische ist.

Le Nôtres Nachfolger suchten den Mangel großer Verhältnisse in ihren
Anlagen durch die Bereicherung der Einzelheiten zu ersetzen. Die als
Fortsetzung der Räume des Hauses gedachten, von glatt geschnittenen,
hohen Laubwänden umschlossenen Gartenräume des klassischen Le
Nôtreschen Stils erschienen ihnen langweilig, und so gaben sie den
langen Heckenwänden die bewegten Formen der Steinarchitektur, was sehr
unnatürlich aussah. Man versah sie mit Säulen, Pfeilern und Gesimsen,
man schnitt Tür- und Fensteröffnungen in sie hinein, bekrönte sie mit
Kugeln und Obelisken, alles aus dem lebendigen Grün geschnitten. Die
Laubengänge bildete man in Form von Kreuzgewölben oder gab ihnen aus
Laubwerk geschnittene Dächer. Damit nicht genug, ahmte man schließlich
ganze Gebäude, ja selbst Ruinen aus Heckenwerk nach. Mit dieser Unnatur
hielt die künstliche Behandlung der Buchs- und Eibenpflanzungen
Schritt, indem man von der Wiedergabe einfacher stereometrischer Körper
zu derjenigen von Tier- und Menschenfiguren, ja zu ganzen aus solchen
Figuren gebildeten bewegten Szenen überging. Je kleiner der Garten war,
um so mehr ging er in solchen Künsteleien auf und um so unnatürlicher
erschien er.

Die unausbleibliche Reaktion gegen diese Ausartung einer in ihren
Anfängen groß und ernst angelegten Kunstweise ging von England aus.
In diesem Lande, das durch seine Inselnatur vor den kriegerischen
Einfällen der Nachbarn geschützt war und sich schon seit dem 14.
Jahrhundert geordneter sozialer Zustände erfreute, hatte die
Kulturentwicklung keine Unterbrechung erfahren, und der zunehmende
Seehandel brachte dauernden Wohlstand und teilweise sogar bedeutenden
Reichtum weiter Kreise. Zu einer Zeit, da auf dem mitteleuropäischen
Festlande Adel und Bürger noch hinter ihren Mauern saßen, konnte
der englische Lord schon seine Burg, den ~keep~, verlassen und sich
ein bequemes Haus inmitten seines Gutsbezirkes bauen. Namentlich in
dem glücklichen Zeitalter der Königin Elisabeth von 1558 bis 1603
füllte sich das Land, das seit der Eroberung durch die Normannen
im 11. Jahrhundert das Übergewicht über die Städte erlangt hatte,
mit prächtigen Landsitzen, deren Gärten sich allerdings im großen
und ganzen nicht allzusehr von den gleichzeitigen in Frankreich und
Deutschland unterschieden. Die Einteilung in rechteckige Felder,
die Laubengänge und Irrgärten, die Wasserbecken und Springbrunnen
waren wie diejenigen der mitteleuropäischen Gärten. Dagegen spielte
bei ihm die terrassenförmige Anlage eine größere Rolle, vielleicht
als eine Folge der hügeligen englischen Landschaft, vielleicht
aber auch auf italienische Einflüsse zurückzuführen. Ferner hatte
der englische Garten eine ausgeprägte Vorliebe für beschnittene
Buchs- und Eibenpflanzungen, die wohl durch die Kenntnis des hierin
gleichgearteten holländischen Gartens verstärkt wurde, zumal zur Zeit
der Königin Elisabeth eine starke holländische Einwanderung stattfand.
Dieser Einfluß wurde naturgemäß mit dem Erscheinen Wilhelms von Oranien
in England und während seiner Regierung verstärkt.

Der holländische Garten war recht eigentlich, vermöge der Natur des
Landes, ein Garten der Ebene mit schachbrettartiger Einteilung der
von geradegeschnittenen Hecken umgebenen Felder. Da nun die kleinen
Landsitze, die sie aufwiesen, sich meist an den die holländischen
Provinzen in großer Zahl durchschneidenden Kanälen hinzogen, waren
sie von dorther reich mit geradlinigen Wasseradern durchzogen, ohne
Kaskaden und hohe Fontänen aufzuweisen. Selbst für die wenigen und
spärlich fließenden Springbrunnen war man auf Maschinen angewiesen,
die durch Wind- oder Pferdekraft in Bewegung gesetzt werden mußten.
Schon durch die meist geringe Größe der Gärten begünstigt, waren alle
seine Teile in kleinem Maßstabe gehalten, wodurch etwas Kleinliches,
Langweiliges, jeden großen Zuges, wie er z. B. durch Terrassenanlagen
in die Gärten hätte hineingelegt werden können, Bares in sie
hineingelangte. Die peinliche Ordnung und Sauberkeit seiner Wohnung
übertrug der Holländer in seinen Garten, dessen Baum- und Strauchwerk
stets unter der Schere gehalten, ja mit Vorliebe zum Ausschneiden
künstlicher Figuren benutzt wurde. Manchmal wurden sogar die Baumstämme
weiß angestrichen, um sie schöner und sauberer erscheinen zu lassen.
Die häufige Verwendung von künstlich gezogenen Zwergobstbäumen in
Kübeln und Töpfen, wie die Aufstellung von Muscheln, Korallenstücken,
Porzellanfiguren und anderen solchen Dingen, die der lebhafte Handel
des aufblühenden Landes in Menge aus fremden Ländern herbeibrachte,
war ein Ausfluß derselben Neigung. Was aber den holländischen Garten
vor allem auszeichnete, das war sein reicher Blumenflor. Es war wohl
eben jener Hang zum Kleinen und Zierlichen, der sich in der Freude
des Holländers an der Schönheit und Farbenpracht der einzelnen Blume
äußerte, namentlich der Tulpen und Hyazinthen, die in immer neuen
Farbenvariationen und Formen zu ziehen der die Gartenkunst völlig
beherrschende Ehrgeiz der Holländer wurde.

[Illustration:

    Tafel 137.

Der Rundtempel Monopteros im Englischen Garten in München.]

[Illustration:

    Tafel 138.

Der chinesische Turm im Englischen Garten in München.]

[Illustration:

    Tafel 139.

Die Wasserfälle im Englischen Garten in München.]

[Illustration:

    Tafel 140.

Ein Tempelteich bei Tokio mit der blaublütigen heiligen Lotosblume aus
Indien (~Nelumbium speciosum~).]

Trotz seiner Absonderlichkeiten übte der holländische Garten im 16.
und 17. Jahrhundert einen nicht geringen Einfluß auf die Gartenkunst
der übrigen Länder Mitteleuropas, namentlich auch auf England und
Deutschland aus. Es mag das wohl mit daran gelegen haben, daß
holländische Gärtner einen guten Ruf genossen, den sie sich in der
Baum- und Blumenzucht ihrer Heimat erworben hatten. Wir merken diesen
Einfluß heute noch in manchen absonderlichen Zieraten kleiner Gärten,
an der Verwendung von Muscheln und ähnlichen Dingen zum Einfassen
von Beeten, an glänzenden Glaskugeln und beschnittenen Bäumen und
Sträuchern. Als dann der französische Garten Le Nôtres sich dem
holländischen und englischen Geschmack unterwarf, da begegnete diese
Vorliebe seinem beschnittenen Buschwerk, und bald wurden darin wahre
Orgien gefeiert, aus den Bäumen und Sträuchern die bizarrsten Formen zu
schneiden, nicht bloß Nachbildungen von Tier- und Menschengestalten,
sondern auch die mannigfaltigsten frei erfundenen phantastischen
Gebilde. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der geniale
Reformator auf dem Gebiete der Wissenschaften und zugleich Staatsmann
Francis Bacon (1561-1626) -- seit 1619 Lordkanzler und Baron von
Verulam in einer Schrift „~Essay on the gardens~“ sich gegen die
geschmacklosen, aus Buchs und Eibe geschnittenen Figuren ausgesprochen,
die nur für Kinder paßten, und hatte Grundsätze aufgestellt, nach denen
der Garten anzuordnen sei. Derselbe solle aus drei Teilen bestehen,
von denen die beiden ersten nicht wesentlich von dem damals Üblichen
abwichen, während der dritte Teil eine Wildnis sein sollte. Es war dies
also schon ein deutlicher Anklang an den späteren Landschaftsgarten.
In der Folge erhoben sich immer mehr Stimmen gegen den herrschenden
Gartengeschmack. Sie trafen zusammen mit den Vorboten jener sentimental
romantischen Epoche, die auf das verschnörkelte, im Zeremoniell
erstarrte Zeitalter Ludwigs XIV. folgte. In England leitete Milton mit
seinem „verlorenen Paradies“ (zuerst gedruckt 1667), in Frankreich
Rousseau mit seinem „Emile“ (1761), in Deutschland Albrecht von Haller,
Kleist und Geßner mit ihren Naturdichtungen diese Periode ein, alle
predigten die Rückkehr zur Natur. Von diesem Standpunkte aus ging man
dem herrschenden französischen Garten zu Leibe, in welchem man in
seinem damaligen englischen Zustande allerdings ein Muster von Unnatur
erblicken konnte. Der englische Dichter Pope (1688-1744) verspottete
seine Baum- und Wasserkünsteleien; er und der englische Philosoph
Addison (1672-1719) waren unter den Ersten, die in der Praxis völlig
mit dem herrschenden Gartengeschmack brachen. Letzterer legte seinen
eigenen Garten nach dem philosophisch von ihm begründeten Grundsatze:
„Nachahmung der Natur“ an. Nach seiner eigenen Beschreibung sollte
sein Garten den Eindruck einer von selbst entstandenen Wildnis machen.
Küchengewächse und Blumen standen durcheinander wie wildwachsend auf
den Gartenplätzen; Feld- und Gartengewächse, Obst- und andere Bäume
wuchsen gemischt und eine Quelle war als Bach in vielen Windungen und
Verzweigungen durch den Garten geleitet.

Bei dieser absonderlichen Art der Naturnachahmung kam nichts
Vernünftiges heraus. Den ersten Schritt zu einer neuen Gartenkunst
tat im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts William Kent, der als
Landschaftsmaler sein Auge für die besonderen Reize der englischen
Natur geschärft hatte. Diese Naturschönheiten im Garten darzustellen,
also ein künstlerisch schönes Landschaftsbild mit dem Wechsel grüner,
vom Wasser belebter Wiesenflächen mit Baumgruppen und Gehölzen zu
schaffen, war sein Ziel. Dadurch mußte jede gerade Linie aus dem Garten
verschwinden, und um ihn mit der Umgebung zu verbinden und in Einklang
zu bringen, fielen auch die umgrenzenden Mauern und wurden durch Gräben
ersetzt. So sollte unter allen Umständen die Täuschung aufrechterhalten
werden, daß man sich nicht in einem Gebilde von Menschenhand, sondern
in der freien Natur befinde. Diese an sich gesunde Richtung artete
nun bald zur widerlichen Manier aus, als der phantasielose und nicht
das geringste Verständnis für malerische Naturschönheit besitzende
Gärtner des Königs in Hamptoncourt, Brown, sie in seiner Art in die
Praxis umsetzte. Als gesuchter Landschaftsgärtner gestaltete er um die
Mitte des 18. Jahrhunderts mit seinen Schülern die alten Gartenanlagen
Englands der Reihe nach um, durch seine armselige, handwerksmäßige
Manier jene verwüstend und ihren reizvollen alten Baumwuchs zerstörend.
Spott und Ärger über dieses Treiben konnten nicht ausbleiben. Der
vielgereiste Architekt William Chambers klagte, wie die Axt oft an
einem Tage das Wachstum eines Jahrhunderts vernichte, wie tausende
ehrwürdiger Bäume, ja ganze Wälder weggeschlagen würden, um schlechtem
Grase und einigen amerikanischen Kräutern Platz zu machen. Er
beschreibt sehr anschaulich die neuen Anlagen: wenn man sie betreten
habe, erblicke man ein weites grünes Feld, worauf in geringen Abständen
Bäume wachsen, umgeben mit einer verworrenen Einfassung von Gesträuchen
und Bäumen. Ein in regelmäßiger ~S~-Form geschlängelter Fußweg winde
sich zwischen Einfassungen von Gebüsch hindurch. Auf der andern Seite
des Gartens erblicke man genau dasselbe, was man vorher gesehen habe.
Nirgends biete sich Schatten, und wenn der Wanderer ermüdet und aus
Mangel an Erquickung sich entschließe, nichts mehr zu sehen, so bleibe
ihm doch nur die Wahl, den Weg weiter bis zum Ausgange zu verfolgen
oder umzukehren und den langweiligen Weg noch einmal zu machen.

William Chambers war in China gewesen und seine in den Jahren 1757
und 1772 herausgegebenen zwei Bücher über chinesische Gebäude und
Gärten erregten nicht nur in England, sondern auch in Frankreich und
Deutschland, wo sie in Übersetzungen erschienen, ungeheures Aufsehen.
Ohnehin fanden damals, unter der Herrschaft des Rokoko, Erzeugnisse
und Formen des chinesischen Kunstgewerbes in Europa weite Verbreitung.
Gegenüber der Eintönigkeit des damaligen Landschaftsgartens konnten
die Schilderungen, die Chambers in seinen Büchern vom chinesischen
Garten gab, ihren Eindruck nicht verfehlen. Dieser letztere war im
Gegensatz zum neuen englischen Garten sehr abwechslungsreich und
bildete eine Vereinigung aller möglichen landschaftlichen Szenerien,
wie zu Eingang geschildert wurde. Nach seinem Vorbilde errichtete
man Berge, türmte Felsen auf, über die das Wasser in rauschenden
Fällen herabstürzte, bildete Inseln, die man mit Brücken verband,
baute griechische Tempel, chinesische Pagoden, ägyptische Pyramiden,
türkische Moscheen mit Minarets. Um alles recht natürlich zu machen,
kostümierte man die Dienerschaft so, wie es der Stil der einzelnen
Gebäude verlangte. Da die führenden Geister der Zeit, wie Rousseau,
die Rückkehr zum einfachsten Leben, zum Urzustande der Menschheit
predigten, so errichtete man auch ländliche Gebäude und vor allem mit
Baumrinde bekleidete Einsiedeleien, die Eremitagen, die den rechten
Hintergrund für die Schäferspiele hergeben sollten, mit denen man in
seidenen Hirtengewändern und mit bebänderten Hirtenstäben dem Rufe nach
Natürlichkeit Folge zu leisten glaubte.

Das Ganze fand reichliche Nahrung an einem besonderen Zuge der Zeit, an
der Empfindsamkeit, an dem Verlangen nach Rührung, an der Sucht, große
Gefühle zu haben, wovon die ganze damalige Zeit erfüllt war. Man denke
nur an Werthers Leiden von Goethe. Auch der Garten sollte bestimmte
Empfindungen wecken, sollte nach dem Prinzip der Abwechslung mit seinen
einzelnen Teilen verschieden auf die menschliche Seele wirken. In
Deutschland wurde das alles mit bekannter Gründlichkeit in ein System
gebracht. Der Kieler Philosoph Hirschfeld gab in den Jahren 1777-1782
ein fünfbändiges Werk: Theorie der Gartenkunst heraus. Er dachte sich
den Garten als eine Anstalt, Bewegungen der Seele zu erregen wie
Vergnügen, Wonne, Schwermut, Erstaunen, Andacht, Ehrfurcht, Ruhe,
Frieden, und demgemäß unterschied er in ihm Teile, die solche seelische
Empfindungen auslösen sollten. Dem Anmutigen und Heitern sollte das
Erhabene oder Melancholische, dem Lieblichen und Sanften das Wilde oder
Romantische folgen. Eine Überraschung sollte die andere ablösen und
dadurch den Eindruck der Szenerien steigern. Dazu hatte man auch noch
andere Mittel, die zur Anwendung gelangten. Man erbaute Tempel, die der
Freundschaft, der Liebe, der Einsamkeit, der Tugend gewidmet waren.
Um menschliche Großtaten auf sich einwirken zu lassen, errichtete man
berühmten Männern, Helden, Dichtern, Gelehrten, Philosophen im Garten
Monumente. Die Schauer der Wehmut, denen man sich nur allzugern hingab,
weckte man an einsamen Stellen des Gartens durch Grabdenkmäler, durch
den Genius des Todes mit gesenkter Fackel, durch epheubewachsene
Sarkophage und von Trauerweiden beschattete Urnen. Da man gleichwohl
das Gefühl hatte, daß alles dies nicht ausreiche, um den gewünschten
Effekt zu erzielen, suchte man die nötige Stimmung durch Inschriften zu
erzeugen. Überall waren gereimte oder ungereimte Sprüche, meist Zitate
aus lateinischen und einheimischen Dichtungen, angebracht, in denen die
Natur mit bestimmten seelischen Erregungen in Einklang gebracht wurde.

Den Klassizismus löste die Periode der Romantik ab, und neue
Grundsätze wurden für den Bau der Gärten aufgestellt. Besonders
brachte der englische Gärtner Repton von 1794 an den Gartenbau auf
einen besseren Weg, indem er die Forderung aufstellte, daß der Boden,
auf dem der Garten angelegt werden soll, nach seiner natürlichen
Beschaffenheit zu benützen sei, womit er die künstlichen Berge, Seen
und dergleichen verwarf. Auch trennte er die nächste Umgebung des
Hauses, den ~pleasureground~, von der weiteren Umgebung, dem Park,
und forderte für ersteren eine architektonische Ausbildung unter
Wiedereinführung der blumengeschmückten Terrasse. Mit Repton schließt
die Entwicklung des englischen Landschaftsgartens ab; er fand keine
größeren Nachfolger, und seine Grundsätze blieben während des ganzen
19. Jahrhunderts herrschend. Wer heute dieses Land bereist, wird in
manchen Gegenden, wo die Landwirtschaft fast völlig durch die großen
Landsitze zurückgedrängt ist, den Eindruck bekommen, als ob das ganze
Land ein großer Park sei, so dicht reihen sich die einzelnen Anlagen
aneinander. Immer ist es dasselbe Bild: Wiesen, Waldstücke, Baumgruppen
und Einzelbäume, dazwischen die sanftgewundenen Bäche und Flüsse. Diese
in verschönertem Bilde sich zeigende typische englische Landschaft
suchte man seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts auf dem Kontinente
nachzuahmen, auch da, wo der Charakter der Gegend ein ganz anderer war,
also bei Befolgung der englischen Grundsätze ein durchaus anderes Bild
sich hätte ergeben müssen. Ein Landschaftsgarten in der Lüneburger
Heide z. B. würde einen ganz andern Charakter zeigen müssen, als ein
Landschaftsgarten im Harz. In diesen Fehler verfielen auch die ersten
Nachahmer des Reptonschen Gartens in Deutschland zu Beginn des 19.
Jahrhunderts, so von Sckell, dessen Hauptwerk der englische Garten in
München ist. Erst Fürst von Pückler (1785-1871) betrat in Deutschland
den richtigen Weg. Unter dem Eindruck der großen englischen Anlagen,
die er selbst studiert hatte, schuf er in den Jahren 1816-1845 den
Park der ihm gehörenden Standesherrschaft Muskau in Schlesien um und
gab 1834 eine Schrift über Landschaftsgärtnerei heraus, worin er seine
Anschauung begründete. Er unterscheidet vor allem scharf zwischen dem
Garten, der nach der Weise der älteren Gartenkunst eine Fortsetzung des
Hauses sein sollte, und dem Park in der weiteren Umgebung des Hauses,
der stets dem Charakter des Landes und des Klimas angepaßt sein müsse.
Nach diesen Grundsätzen schuf er aus Muskau eine mustergültige Anlage,
einen Park, der aus wirklichen, natürlichen Wäldern, Wiesen, Gewässern,
Hügeln und Tälern besteht. Unter seiner Mitwirkung entstanden in
der Folge eine große Anzahl fürstlicher Gärten, die heute zu unsern
schönsten Anlagen zählen, so z. B. diejenigen von Babelsberg und
Potsdam.

[Illustration: Bild 75. Plan einer englischen Gartenanlage. (Nach einem
Stich von 1802.)]

Fast gleichzeitig mit ihm war als ausübender Gartenkünstler der
spätere Generaldirektor der königlich preußischen Gärten Peter Joseph
Lenné tätig. In den Jahren von 1816-1866 schuf er ganz in dem vom
Fürsten Pückler geforderten Sinne um Potsdam herum die Schloßgärten
von Babelsberg, Klein-Glienicke und Sanssouci. Inmitten dieser reich
verschönerten Landschaft aber legte er 1825 im Vereine mit dem großen
Architekten Schinkel den Garten der lieblichen Villa Charlottenhof an,
die dem damaligen Kronprinzen, dem nachmaligen Könige Friedrich Wilhelm
IV., gehörte. Schinkel hatte das Haus nach Art einer altrömischen Villa
entworfen, und dem mußte sich der Garten anpassen. So entstand denn
hier ein überaus reizvoller Garten mit Terrassen, regelmäßig geordneten
Blumenbeeten, Laubengängen, Fontänen und Teichen. Nach der Beschreibung
des jüngeren Plinius, die wir zu Eingang gaben, wurde sogar ein
römischer Hippodrom angelegt. Die schon bei Lenné hervortretende
Neigung zum regelmäßigen architektonischen Garten entwickelten seine
Nachfolger weiter, wie z. B. der regelmäßige Königsplatz am Tiergarten
in Berlin beweist. Sie erwachte aber auch an andern Orten Deutschlands,
so in München, wo im Jahre 1862 von Effner das ausgedehnte Parterre im
französischen Garten des Schleißheimer Schlosses im Auftrage Ludwigs I.
wieder herstellte. Im Garten des Schlosses Linderhof in den bayrischen
Voralpen schuf dann Ludwig II. eine Anlage ganz italienischen
Charakters mit Terrassen, die sich vom Schlosse zu einem großen, in
Marmor gefaßten Wasserbecken senken, dessen Wasser in Kaskaden und
Fontänen, begleitet von Marmortreppen, hinter dem Schlosse von der
Berglehne herabströmt.

Zu einem Abschluß und zur theoretischen Begründung des neuen
Gartenbaustils, dem heute mehr oder weniger alle Gartenkünstler folgen,
brachte es erst der frühere königliche Hofgärtner in Sanssouci und
spätere städtische Gartenbaudirektor von Berlin, Gustav Meyer, dessen
berühmteste Schöpfungen der Marlygarten bei der Friedrichskirche in
Potsdam, der Friedrichs- und der Humboldtshain bei Berlin, der Bremer
Stadtpark usw. sind. Wie der Hausgarten zum Privatpark, so verhält sich
zum Stadtpark der öffentliche gartenmäßig geschmückte Platz im Innern
der Stadt. Auch er, der ganz von Häusern umgeben ist, hat sich nach
der neueren künstlerischen Anschauung den Gesetzen der Architektur
zu unterwerfen; doch kommen hier vor allem die Verkehrsrücksichten
in Betracht, denen sich die Anlage anzupassen hat. Ihn schmücken vor
allem Teppichbeete und Gruppen von Zierpflanzen, deren die moderne
Gartenkunst eine Menge besitzt.

Dadurch, daß man erkannt hat, welch große Bedeutung sowohl in
ethischer, als sanitarischer Beziehung der Gartenkunst zukommt,
hat man vor allem die durch die Beseitigung der Bollwerke um die
Städte zur Bepflanzung freigewordenen Plätze zur Herstellung von
Gartenanlagen benutzt, die den Erholung suchenden Städtern einen
angenehmen Aufenthalt darbieten. In den neueren Stadtteilen sucht man
von vornherein schattige Alleen und durch die Gärtnerkunst geschmückte
Anlagen zu schaffen, die mit ihrem frischen Grün und den bunten Farben
der in ihnen gepflanzten Blumen dem Auge eine wohltuende Abwechslung im
Einerlei der Häusermassen verschaffen. Und wie im öffentlichen Leben,
so ist auch in die Häuslichkeit der minder Bemittelten die Freude an
Pflanzengrün und Blütenschmuck immer mehr eingedrungen, besonders
seitdem der Jugend in der Schule die Liebe und das Verständnis zur
Pflanze zugleich mit einer Anleitung zu deren Pflege und Aufzucht
vermittelt wird. Um aber auch einen Wettstreit unter den Erwachsenen
hervorzurufen, durchwandern in vielen Städten die Mitglieder gewisser
Kommissionen die Straßen, um den am schönsten geschmückten Balkonen und
Fenstern Preise und Belobungen zu erteilen.

In den Großstädten sucht man immer mehr auf die Dächer der Häuser
ein Stückchen Natur zu bringen, indem man Blumen auf ihnen ansiedelt
und ganze Gärten darauf schafft. Schon in den großen Städten des
Altertums haben sich die ärmeren Leute, denen kein Stückchen Land zum
Bepflanzen zuteil geworden war, mit solchen Dachgärten beholfen, wie
uns die alten Schriftsteller berichten. Besonders liebte man Reblauben,
~pergulae~ genannt, anzulegen, welche die Terrasse oder den Garten
an der Wohnung anmutig beschatteten. Selbst größere Bäume wurden in
großen Tonkübeln in solcher Menge gezogen, daß bei manchen Autoren von
förmlichen Lusthainen auf den Dächern der großen Städte des Altertums
die Rede ist. Durch Pumpen hinaufgeleitetes Wasser sprang aus dem
marmornen Becken eines Springbrunnens, floß dann vielfach in geräumige
Fischbehälter und diente, rund um das Haus geleitet, zur Sicherung
desselben bei Feuersgefahr. Und wer zu arm für solchen Aufwand war, dem
mußten wie bei uns einige in den Fenstern seiner Wohnung in irdenen
Töpfen gezogene Blütenpflanzen genügen. Der sarkastische, unter Nero
aus Bilbilis in Spanien nach Rom gekommene und ums Jahr 102 verstorbene
römische Epigrammdichter Martialis ließ in einem uns erhaltenen
Gedichte einen seiner Gönner wissen: „Der Garten, lieber Lupus, den
du mir unter der Stadt geschenkt hast, ist sehr klein, fast kleiner
als das Gärtchen in meinem Fenster.“ Und daß dieser Schmeichler und
Günstling verschiedener Kaiser lange Zeit kärglich genug lebte, bezeugt
eine Stelle aus einem anderen seiner Poeme, worin er sagt: „Mein
Stübchen, guter Freund, ist im Winter eisig kalt und hat nicht einmal
einen ganzen Fensterladen; selbst Boreas (der Nordwind) würde sich für
eine solche Wohnung bedanken. Besser als ich sind deine Obstkulturen
daran; diese stehen hinter Scheiben von Marienglas (Glimmer), und
freundlich scheint von Süden die Sonne hinein.“

Wie einst die prachtliebenden Tyrannen der reichen griechischen
Handelsstadt Siziliens Syrakus, wollten auch die prunksüchtigen
Kaiser des weltbeherrschenden alten Rom Gärten sogar auf ihren großen
Lustschiffen haben. So ließ schon der spätere Bundesgenosse der Römer,
Hieron II., der von 269-215 v. Chr. über Syrakus herrschte, auf
seinem Prachtschiff einen ganzen schwimmenden Garten mit Lusthäusern,
Pergolen, Blumenrabatten, Schwimmbassins und Ringplatz anlegen. Diesen
Luxus suchten die römischen Kaiser noch zu übertrumpfen. So berichtet
uns der Geheimschreiber des Kaisers Hadrian, Suetonius (70-145
n. Chr.), von dem nach den Soldatenstiefelchen, die er als Kind im
Lager trug, Caligula genannten dritten römischen Kaiser, Gajus Cäsar,
Sohn des Germanikus und der Agrippina, der von 37-41 n. Chr. herrschte,
daß er sich Schiffe mit zehn Reihen von Ruderbänken übereinander
bauen ließ. Dieselben waren auf das Köstlichste eingerichtet und mit
Kunstgegenständen aus Gold und Edelsteinen reich geschmückt. Die
Segel waren buntfarbig, und große Bäder aus Marmor, Säulenhallen und
prunkvolle Speisesäle waren vorhanden. Weinstöcke und Obstbäume aller
Art standen in Menge auf dem Verdeck. Unter diesen lagerte sich der
Kaiser mit seinem Gefolge und fuhr unter schallender Musik den Küsten
Kampaniens entlang. Bekanntlich sind neuerdings prächtige Überreste
zweier solcher luxuriös eingerichteter altrömischer Kaiserschiffe
von 76 beziehungsweise 64 m Länge, die den prunkvollen Festen dieses
Kaisers und vielleicht auch schon seines Vorgängers Tiberius als
Hintergrund dienten, aus dem Nemisee nördlich von Rom gefischt worden.
Schon sie geben uns einen Begriff von der kostbaren Einrichtung dieser
Riesenschiffe, zu deren Hebung man eine zeitweilige Trockenlegung des
Sees plant, da man zahlreiche wertvolle Kunstgegenstände in ihnen zu
finden hofft.



XXIX.

Die Zierblumen.


Schon auf niederer Kulturstufe muß sich der Mensch an den bunten
Farben und am Wohlgeruche der Blumen mancherlei Art erfreut haben,
die ihm je und je auf seinen Wanderungen entgegentraten. Wenn sie
ihm auch nicht Nutzen gewähren konnten, es sei denn als Arznei, so
befriedigten sie wenigstens sein erwachendes ästhetisches Empfinden.
Deshalb pflückte er sie gelegentlich, um sich damit zu schmücken. So
bekränzen sich die leichtlebigen Bewohner der Samoainseln nicht bloß zu
festlichen Anlässen, sondern tagtäglich Haupt und Brust mit Girlanden
wohlriechender Blumen, was einen sehr hübschen Anblick gewährt.
Begreiflicherweise mußten solche Stämme sehr bald darauf verfallen,
solche Blütenpflanzen in der Nähe ihrer Wohnungen zu ziehen, damit sie
jederzeit den begehrten Schmuck zur Verfügung hatten.

Von den ältesten Blumengärten der Menschheit wissen wir nichts; denn,
ganz abgesehen davon, daß damals die Schrift noch nicht erfunden
war, hätte es niemand der Mühe wert erachtet, uns davon Kunde zu
geben. Das erste Volk, von dem wir Kunde haben, daß es sich gewisser
Blumen erfreute und diese teilweise auch anpflanzte, um sie in
genügender Menge zur Hand zu haben, war das uralte Kulturvolk der
Ägypter, das der +weißen+ und +blauen Seerose+ des Nils (~Nymphaea
lotus~ und ~coerulea~) ein besonderes Interesse, ja als Kinder des
lebenspendenden, heiligen Stromes geradezu Verehrung entgegenbrachte.
Nil und weiße Seerose -- von den alten Ägyptern ~suschin~, von den
Griechen jedoch ~lōtós~ geheißen -- gehörten nach seinem Empfinden
zusammen wie Mutter und Kind, eines ohne das andere undenkbar. Wenn der
heilige Strom nach den starken Regen in seinem äquatorialen Quellgebiet
anzuschwellen begann, erwachte der im Schlamme desselben wurzelnde
Lotos zu neuem Leben; wenn der Strom das Land weithin mit seinem
Fruchtbarkeit spendenden Naß überschwemmte, stand die Pflanze in voller
Blüte, und wenn er langsam zu sinken begann, so reiften ihre Früchte
heran, deren Samen der Bevölkerung eine willkommene Speise darboten
und als Nahrungsmittel eine wichtige Rolle spielten. So berichtet uns
der Vater der griechischen Geschichtschreibung, Herodot aus Halikarnaß
an der kleinasiatischen Küste (484-424 v. Chr.), der Ägypten selbst
bereiste, von der weißen Seerose: „Im Nil wachsen, wenn er die Felder
überschwemmt, viele Lilien (~krínon~), welche die Ägypter ~lōtós~
heißen. Deren mohnkapselartigen Früchte sammeln die Leute, dörren sie
an der Sonne, zermahlen dann deren Samen und backen mit Hilfe des
Feuers Brot daraus. Auch die Wurzel ist eßbar und schmeckt nicht übel;
sie ist rundlich und von der Größe einer Quitte. Außer diesem Lotos
haben die Ägypter noch andere im Wasser wachsende Lilien, deren Frucht
einer Wespenwabe gleicht, worin Samen, so groß wie Olivenkerne, in
Menge sitzen; man ißt sie frisch und gedörrt.“ Mit diesen letzteren
meint Herodot die erst kurz vor seiner Zeit in Ägypten eingeführte
rosenrote +indische Seerose+ (~Nelumbium speciosum~), deren Blüten
wenigstens ein Drittel größer als diejenigen unserer weißen Seerose
sind und einen angenehmen Anisduft aushauchen. Sie ist in Indien
heimisch, wo sie als ~padma~ in Sage und Kult der Inder dieselbe Rolle,
wie der heilige Lotos bei den Ägyptern spielt. Auf ihr, die der zweite
Gott der indischen Göttertrias (Trimurti), Wischnu, als er auf der
Milchstraße das Universum durchschwamm, um die Welt zu erschaffen,
als Symbol der entstehenden Erde aus seinem Nabel hervorgehen ließ,
ist dessen Gemahlin Lakschmi, die Göttin der Liebe, die Tochter des
Weltmeers und der Nacht, schwimmend gedacht. In der eben erschlossenen
Blüte sitzt sie in ihrem unvergleichlichen Liebreiz, wie später der
zum Gott erhobene Königssohn Siddharta aus dem Geschlecht der Sakja
-- daher auch Sakjamuni, d. h. Einsiedler der Sakja genannt, besser
aber unter dem Ehrennamen Buddha „der Erleuchtete“ bekannt (623-543
v. Chr.) -- in ihr sinnend als der Weisheit Fülle von seinen zahlreichen
Anhängern, den Buddhisten, dargestellt wurde. Deshalb rufen ihn seine
Anhänger tagtäglich unter der stehenden Formel: ~om mani padme hum~,
d. h. „du Juwel in der Lotosblume“ an, ein Gebet, das in zahllosen
Tempeln, wie auf den Gebetsmühlen der Tibeter geschrieben steht und in
dem sich die Religion der gedankenlosen Menge niedergeschlagen hat. Auf
einem schwimmenden Blatte der ~padma~ ist auch Brahma, der erste Gott
der indischen Götterdreiheit, der Ursprung aller Wesen, zu dem sie
auch zurückkehren, in der für die Inder charakteristischen Weise mit
gekreuzten Beinen sitzend gedacht. Diese heilige Pflanze ist dem Inder
das Symbol des sich stets erneuernden Lebens, das sichtbare Zeichen der
ungeschwächten Schöpfungskraft der Götter, der Inbegriff alles Schönen
und Lieblichen; mit ihren Blättern und Blüten schmückt er heute noch
wie vor Jahrtausenden die Tempel und Altäre seiner Gottheiten.

Dieser heilige indische Lotos, deren der Brause einer Gießkanne
ähnliche Früchte in ihren nach oben zu offenen Fächern vom Volke grün
oder getrocknet gerne verspeiste Samen von der Größe von Olivenkernen
enthalten, gelangte in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen
Jahrhunderts aus dem Gebiet des Ganges und Indus nach Persien und
eroberte sich erst ums Jahr 500 v. Chr. das Heimatrecht in den
Gewässern Ägyptens. Hier wurde er in der hellenistisch-römischen Zeit
als Zier- und Nutzpflanze im ganzen Lande viel angebaut, war aber
schon im 10. Jahrhundert n. Chr. wieder aus dem Lande verschwunden. Er
war also dem alten Ägypten fremd, und die weiße einheimische Seerose
(~Nymphaea lotos~), die heute noch mit der himmelblauen Verwandten in
den Wässern des Niltals wächst und zur Zeit der Nilüberschwemmung ihre
hübschen Blüten entfaltet, nach deren Zahl der Fellache den kommenden
Jahressegen abschätzt, war die heilige Pflanze der Ägypter, das Symbol
des Nils selbst und zugleich das hieroglyphische Wortbild für das ganze
Land Kemi, d. h. Ägypten. Ihre Blüte galt als Sinnbild der Lebensfülle
und des Überflusses, war das Zeichen der Zahl 1000, mit welcher der
Ägypter den Begriff der Menge und des Segens verband. Sie war den
Gottheiten Osiris, Isis, deren Sohn Horus, wie auch Hathor, der von
den Griechen mit ihrer Aphrodite identifizierten Göttin der Liebe und
des Lebensgenusses, heilig und wurde von diesen als Diadem getragen.
Osiris, der ägyptische Gott der schaffenden Kraft des Lichts und der
gleicherweise Leben spendenden Feuchtigkeit, das allverehrte Prinzip
des Guten und Schönen, der von seinem Bruder Seth, dem Dämon des Dürre
und Mißwachs erzeugenden Glutwindes der Wüste, getötet wurde, um dann
in der Unterwelt über die Geister der Verstorbenen zu herrschen,
war auf einem Lotosblatt thronend gedacht. Er wie seine Gemahlin
Isis, das weibliche, empfangende und gebärende Prinzip, waren mit
Lotosblumen geschmückt. Letztere wird mit Vorliebe, den Nilschlüssel,
das Zeichen der erschlossenen Fruchtbarkeit, in der Rechten, in einem
Papyrusnachen über die prangenden Blütenkelche der heiligen Pflanze
gleitend dargestellt, während ihr Sohn Horus (ägyptisch Har), der die
dem Leben feindliche Dunkelheit und Dürre überwindende Lichtgott, der
Rächer seines Vaters Osiris an dessen Mörder Seth, sich beim Schwinden
der Nacht in einer halbgeöffneten Lotosblüte als das Symbol der neu
aufwachenden Sonne aus den Fluten des Weltmeers erhebt. Wie er, seine
Eltern und seine Amme Hathor, die Göttin des Ehesegens und Freundin der
Kinderwelt, waren auch die ägyptischen Königinnen mit den Blüten der
heiligen Lotospflanze als ihrer schönsten Zier geschmückt.

Keine andere Pflanze, selbst nicht der in seiner Wurzelknolle ebenfalls
eine angenehme Speise darbietende Papyrus, auch ein Geschenk des Nils
und in der Hieroglyphik das Zeichen des Nordens, wo er in den Sümpfen
des Deltas in Menge wuchs, spielte im täglichen Leben des Ägypters als
Zier- und Opferblume eine so wichtige Rolle und hat seine ganze Kunst,
die Architektur, Skulptur und Malerei so weitgehend beeinflußt, wie
der heilige Lotos. Auf allen Darstellungen aus dem Leben der alten
Ägypter begegnen wir ihm, wo auch immer sich jemand auf oder am Wasser
beschäftigt, wo Opfertische gedeckt sind, wo Gesellschaften gegeben
werden. Wenn reichgeschmückte vornehme Damen beisammensitzen und
Sängern oder Lautenspielern zuhören oder Tänzerinnen zusehen, stehen
Blumenvasen mit Lotosblüten auf den Tischen und halten sie Lotosblüten
in den Händen. Von flüchtigen Skizzen bis aufs Feinste ausgeführte
Darstellungen wechseln die Lotosbilder durch die mehrtausendjährige
Geschichte Altägyptens. Und zwar war bis zum alten Reich ums Jahr
3000 v. Chr. speziell die weiße Lotosblume die heilige, die auch zur
Verzierung der Tempel bei Festen, wie auch zum Schmücken der Sarkophage
in Girlanden benutzt wurde. Von da an gewann der blaue Lotos -- von
den Ägyptern ~sarpat~ genannt -- die Überhand über den weißen und war
im mittleren und neuen Reiche die fast ausschließlich benutzte, bis
erst wieder zur Ptolemäer- und Kaiserzeit (333 vor bis 362 n. Chr.)
die weiße Lotosblume einigermaßen zu Ehren kam. Wie bei uns seit alter
Zeit die Rose, so war die Blüte des Lotos im alten Ägypten die Königin
der Blumen, die man überall antraf, die auf allen Märkten zu kaufen
war und an deren Farbe und zimtartigem Duft man sich in frohen Tagen
erfreute. Sie war auch das bevorzugte Geschenk der Liebenden und wurde
als Amulett aus Holz oder gebranntem Ton auf der Brust getragen. Wie
eintretenden Gästen als Zeichen des Willkomms eine einzelne Blüte oder
ein Strauß derselben von Dienern oder Dienerinnen überreicht wurde,
so prangte sie im schwarzen Haar der sorgfältig frisierten Dame. Im
neuen Reiche (1580-1205 v. Chr.) war es in feinen Kreisen Sitte, zu
Gastmählern Geladenen einen Kranz aus Lotosblüten um den Hals zu
hängen und ihr Haupt mit Blumengewinden zu zieren, aus denen eine
halberschlossene Lotosblüte über die Stirne herabhing.

[Illustration: Bild 76-78. Altägyptische Darstellungen von Lotosblumen.

Links ein Diener mit abgeschnittenen Blütenstengeln, in der Mitte und
rechts Vasen mit Lotosblüten. (Nach Lepsius und Woenig.)]

Bei keinem Opfer fehlte die heilige Pflanze, das Attribut der höchsten
Gottheiten. Weizenähren oder Lotosblüten in den Händen sehen wir die
mächtigen Herrscher sich den Götterbildern opfernd nahen und die
Götter sich gegenseitig beschenken. Und einst selbst eine „reine, in
den Strahlen der Sonne leuchtende, heilige Lotosblume im Garten des
Sonnengottes Ra“ zu werden, war, wie in den Totengebeten steht, der
sehnlichste Wunsch eines jeden Ägypters. Mehrere der in der Totenstadt
westlich von Theben aufgefundenen Königsmumien fanden sich noch mit
Kranzresten geschmückt, in denen sie vorherrscht. So war die noch im
Tode Ehrfurcht gebietende Mumie des großen Ramses II. der 19. Dynastie
(1292-1225 v. Chr.) mit Gewinden aus Blättern des von alters her der
Isis geheiligten Baumes ~Mimusops schimperi~, des „Lebensbaumes“ mit
in Form und Farbe den Hagebutten nicht unähnlichen Früchten mit dünnem
Überzug von mehligem, wohlschmeckendem Fruchtfleisch, abwechselnd
mit den blauen Blumenblättern des Lotos verflochten. Und zwar wurden
diese Blumengewinde dem beigegebenen Totenbuche zufolge bei einer zur
Zeit der 21. oder 22. Dynastie (1090 bis 745 v. Chr.) vorgenommenen
prunkvollen neuen Bestattung um die Mumie des großen Toten geschlungen.

Von anderen altägyptischen Gartenblumen sind uns nur spärliche Reste
erhalten geblieben. So fanden sich in einem die Brust der Mumie des
Königs Amenhotep II. aus der 18. Dynastie (1580-1547 v. Chr.)
bedeckenden Blumengewinde Reste des arabischen Jasmins, der
feigenblätterigen Malve und einer blauen Ritterspornart, die in
Westasien heimisch sind und im Niltal in Gärten gezogen worden sein
müssen. Zwischen ihnen hingen gelbe Blütentrauben der im Lande selbst
wachsenden Nilakazie und eines andern Schmetterlingsblütlers (~Sesbania
aegyptiaca~) mit rotgelben Blüten. In den Weidenlaubgewinden der
Prinzessin Nsi-Chonsu, der Tochter des Tont-hont-huti der 22. Dynastie
(945-745 v. Chr.) fanden sich neben Blüten der asiatischen Kornblume
diejenigen einer in Ägypten nur im April blühenden Komposite, eines
Bitterkrautes, die uns sogar von der Jahreszeit der Schmückung dieser
Leiche genaue Kunde geben. In einem Grabe der 20. Dynastie (1200-1090
v. Chr.) lagen die Blüten und vollständig geschwärzten Blätter der
Pfefferminze. Mehrfach haben sich auch bei Mumien dieser und späterer
Perioden Überreste der hochgelben Blüte einer Komposite, der kretischen
Wucherblume, neben denjenigen des rotblühenden Schotenweiderichs
gefunden.

Neben Girlanden sind auch Blumensträuße in größerer Zahl in den
Katakomben der Totenstadt von Theben gefunden worden. Sie lagen in den
Sarkophagen auf den Mumien, zwischen diese und die innere Sargwand
eingezwängt. Diese Sträuße, aus Feld- und Gartenblumen, Wedeln der
Dattelpalme (altägyptisch ~utu~ genannt) und verschiedenartigen
Laubblättern gefertigt, sind länglich, ähren- oder zapfenförmig und
kurz oder lang gestielt. Sie wurden in der Weise hergestellt, daß
man die Blumen und Blätter um einen kürzeren oder längeren Stab
mit Baststreifen umwickelte. Auch die Holzstiele der Sträuße waren
häufig kunstvoll mit Bast umflochten. Noch heutigentags werden die
Blumensträuße in Ägypten, wie im ganzen Orient, auf diese Weise
gebunden.

Wie zierlich geflochtene Hals- und Brustkränze trugen die alten
Ägypter, wie wir aus zahlreichen Darstellungen von Festen und Gelagen
besonders auf den Köpfen der Sängerinnen und Tänzerinnen bemerken,
auch mancherlei Stirnkränze. Zu allen Festen und Gelagen gehörten im
alten Ägypten nicht nur eine Ausschmückung der betreffenden Räume mit
blumengezierten Girlanden und auf den Tischen aufgestellten Blumen
in zierlichen Alabastervasen oder Krügen von gebranntem Ton mit einem
bis drei engen Hälsen, in denen auf den bildlichen Darstellungen noch
die hineingesteckten Blumen zu erkennen sind, sondern vor allem auch
Blumengewinde um Haupt, Hals und Brust, mit denen der Gastgeber seine
Gäste schmückte. Eine Korridorinschrift am großen Tempel der Hathor
in Denderah, welche die ausgelassene Techufeier zu Ehren der Göttin
zum Gegenstand hat, lautet: „Die Erde ist in Freude. Die Einwohner
von Denderah sind trunken von Wein, ein Kranz von Blumen ist auf
ihren Häuptern.“ Überhaupt sind die alten Ägypter nicht die düstern,
vom Gedanken an den Tod beherrschten Menschen gewesen, als die wir
sie wegen der weitgehenden Fürsorge für das Leben nach dem Tode zu
betrachten gewohnt sind. Sie waren vielmehr ein recht lebenslustiges
Volk, als welches sie uns bereits Herodot, der älteste griechische
Geschichtschreiber (484-424 v. Chr.), aus eigener Anschauung schildert.
Feste wurden viel gefeiert, und an ihnen ging es sehr hoch her.
Der Bedarf an Kränzen war demnach ein großer und das Kranzwinden
galt im Lande als geachtete Kunst, die gut lohnte. Der römische
Schriftsteller Plinius (23-79 n. Chr.) erwähnt unter den von den
ägyptischen Kranzwindern mit Vorliebe benutzten Blumen den brennend
roten alexandrinischen Amarant, dessen hahnenkammartig ausgebreitete
Blumenähre jedenfalls eine prächtige Zierde für Kränze abgab.

Eingehendere Nachrichten über die Bedeutung der Kränze im Altertum
haben uns verschiedene griechische Schriftsteller überliefert. So
berichtet der um 200 n. Chr. in Alexandreia und Rom lebende griechische
Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten in seiner Schrift
Deipnosophistai: „Es ist eine alte Sitte, den Gästen vor dem Nachtisch
Kränze und Salben herumzugeben. -- Hellanikos erzählt, daß Amasis,
welcher ursprünglich ein Mensch aus gemeinem Stande war (er stürzte den
König Hophra, regierte von 570-526 v. Chr., begünstigte den Verkehr
mit den Griechen, denen er die Stadt Naukratis überließ, und war ein
Freund des Tyrannen Polykrates von Samos), durch einen Kranz König von
Ägypten geworden sei. Er hatte nämlich den Kranz aus den prächtigsten
Frühlingsblumen geflochten und dem damaligen Könige Ägyptens, Patarmis,
gesandt, als dieser seinen Geburtstag feierte. Dieser freute sich
sehr über den herrlichen Kranz, lud den Amasis zur Tafel, behandelte
ihn seitdem als Freund und sandte ihn einstmals mit einem Heer gegen
rebellische Truppen. Diese wählten aber den Amasis als König.“

Dieser Autor bespricht eingehend die verschiedenen Arten von Kränzen,
die man zu seiner Zeit trug, aus Lotosklee, wie ihn schon der jonische
Lyriker Anakreon (550-478 v. Chr.) schildert, aus Dill, wie ihn die
griechische Dichterin Sappho aus Mytilene auf Lesbos (um 600 v. Chr.)
beschreibt, aus andern wohlriechenden Kräutern, wie Majoran, Thymian,
Salbei, Seifenkraut, dann aus Lorbeer, Myrte und verschiedenen
wohlriechenden Blumen. „Im schönen Alexandreia gibt es auch Kränze,
die man (zu Ehren des schönen Lieblings des Kaisers Hadrian, Antinoos
aus Bithynien, der sich im Jahre 130 als Opfer für den Kaiser unweit
Besa in den Nil stürzte und ertrank, worauf der Kaiser sein Andenken
vielfach feierte und auch ein Sternbild in der Milchstraße dicht
beim Adler nach ihm benannte) Antinoeios nennt; sie werden aus der
ägyptischen Seerose (~lōtós~) angefertigt. Diese Blume wächst in
Sümpfen und zeigt sich in der Mitte des Sommers. Sie kommt in zwei
Farben vor, entweder rosa, und dann nennt man den Kranz eigentlich
~Antinoéios stéphanos~, oder himmelblau, und dann heißt der Kranz
~lṓtinos stéphanos~.“ -- Ein ägyptischer Dichter namens Pankrates hatte
den Einfall, dem römischen Kaiser Hadrian (76-138 n. Chr.), als er in
Alexandreia war, die rosenfarbene Seerose zu zeigen, sie für ein Wunder
auszugeben und zu sagen, sie sei aus dem Blute des maurusischen Löwen
entsprossen, den Hadrian in Libyen, nicht sehr weit von Alexandreia,
auf einer Jagd mit eigener Hand erlegt hatte. Dieser Löwe war ein
ungeheures Tier und hatte lange so arg in Libyen gehaust, daß ein Teil
des Landes von den Bewohnern hatte verlassen werden müssen. Hadrian
fand seinen Spaß an der Erfindung des Pankrates und befahl, daß er
auf Staatskosten im Museion leben solle. -- In dem von Pankrates dem
Hadrian übergebenen Gedicht kam auch folgende Stelle vor: „Ehe die
Blume des Antinoos (der Lotos) von der Erde erzeugt war, dienten
behaarter Feldthymian, weiße Lilie, purpurrote Hyazinthe und Blätter
des weißen Schwalbenkrauts nebst Rosen, die sich beim Zephyr des
Frühlings öffnen, zu Kränzen.“

Athenaios fügt dem hinzu, daß es auch Sitte sei, die Türen derjenigen,
die man liebt, mit Kränzen zu schmücken. Homer habe den Gebrauch von
Kränzen noch nicht erwähnt, er müsse bei den Griechen erst späteren
Ursprungs sein. Später sei er sehr häufig getragen worden. Anakreon
spreche von Myrtenkränzen, die mit Rosen durchzogen waren, und
Theopompos erzählt im dritten Buch seiner Hellenika, die Ägypter hätten
dem Agesilaos, als er in ihr Land kam, unter andern Geschenken auch
Papyros zu Kränzen geschickt. Die Sybariten stellten oft öffentliche
Schmausereien an und ehrten diejenigen, die die größten Beiträge dazu
lieferten, mit goldenen Kränzen; ja sie bekränzten auch diejenigen
Köche, die die Speise am delikatesten zubereiteten. -- „Bei dem großen
Feste, das Ptolemaios Philadelphos (der Gründer des Museions und der
Bibliothek in Alexandreia, regierte 285-247 v. Chr.) zu Alexandreia
in der Mitte des Winters gab, war sein Prachtzelt von Lorbeer, Myrte
und andern Bäumen umschattet und der ganze Boden mit Blumen aller
Art bestreut. Ägypten bringt nämlich sowohl durch sein mildes Klima,
als durch die Kunst seiner Gärtner zu jeder Jahreszeit Blumen im
Überfluß hervor, so daß man z. B. Rosen, Levkojen usw. zu jeder Zeit
in beliebiger Menge haben kann. Bei dieser Gelegenheit war in einer
Jahreszeit, da in einer andern Stadt kaum zu +einem+ Kranze Blumen
aufzutreiben gewesen wären, bei diesem Feste in Alexandreia Überfluß
an Blumenkränzen für die ungeheure Menge der Festgäste, und der Boden
war so dick mit Blumen bestreut, daß er wirklich einer göttlichen
Wiese glich. Bei dem feierlichen Umzug, der bei dieser Gelegenheit
abgehalten wurde, kam auch alles zur Schau, was sich auf die Geschichte
der einzelnen Gottheiten bezog. Im Gefolge des Bacchos erschienen
40 Satyrn, um deren Lampen von Gold strahlende Efeublätter gewunden
waren. Viktorienbilder trugen Räucherpfannen von 6 Ellen Länge, die
mit Efeuranken und goldenen Zweigen umgeben waren. Ein Altar von 6
Ellen folgte, geschmückt mit goldenem Efeulaub und einem Kranze von
goldenem Weinlaub. Dem Altare folgten 120 Knaben, in Purpur gekleidet
und Weihrauch, Myrrhe und Safran in goldenen Gefäßen tragend. Nach
ihnen kamen 40 Satyrn, die mit goldenen Efeukränzen geschmückt waren
und einen großen, aus goldenen Reb- und Efeuranken bestehenden Kranz
trugen. Ihnen folgte ein ausgezeichnet großes und stattliches, reich
mit Gold geschmücktes Weib, das in der einen Hand einen Kranz aus Myxa,
in der andern einen Stab aus Dattelpalmenholz trug. Hinter ihr gingen
wieder Viktorien mit Räucherpfannen, die mit goldenen Efeugirlanden
geschmückt waren, und Satyrn mit goldenen Efeukränzen einher. Ihnen
folgte ein von 180 Menschen gezogener Wagen, der die Bildsäule des
Bacchos trug; diese goß aus einem goldenen Becher Wein und hatte neben
sich ein großes Weingefäß und eine Räucherpfanne mit zwei Schalen, die
mit Zimtkassia und Safran gefüllt waren. Über dem Bacchos wölbte sich
eine Laube, die aus Efeu, Weinrebe und allerlei Bäumen gebildet war.
Rings hingen auch Kränze, Bänder und mit Efeu und Reblaub umwundene
Stäbe. Hinter diesem Wagen gingen Bacchantinnen einher mit fliegendem
Haar, mit Schlangen oder Eichenlaub, Reben- und Efeuzweigen bekränzt.
Dann folgte ein von 300 Mann gezogener Wagen, 20 Ellen lang und 16
breit; auf ihm stand eine mit Trauben gefüllte Kelter, die 24 Ellen
lang und 14 Ellen breit war. 60 Satyrn traten die Trauben und sangen
unter Flötenspiel ein Kelterlied; dabei floß der Most auf den ganzen
Weg hin. Der nachfolgende von 60 Mann gezogene Wagen war 25 Ellen
lang und 14 Ellen breit, und trug einen ungeheuren, aus Pantherfellen
genähten Schlauch, aus welchem auf den ganzen Weg allmählich
auslaufender Wein floß usw. usw.“

Das Tragen von goldenen Kränzen galt im Altertum als besonders
feierlich und wird uns ziemlich häufig angegeben. So erzählt Athenaios
an einer andern Stelle: „Bei einem feierlichen Umzuge, den der König
von Syrien, Antiochos der Tolle (im 2. Jahrhundert v. Chr.) hielt,
befanden sich 3000 leicht bewaffnete, in Purpur gekleidete, mit
goldenen Kränzen geschmückte Kilikier, 2000 Reiter in Purpurkleidern,
von denen die meisten goldene Kränze trugen, und hinter den Soldaten
folgten 800 Jünglinge mit goldenen Kränzen.“

Im gewöhnlichen Leben waren Kränze von allerlei bunten und
wohlriechenden Blumen die gebräuchlichsten. Dabei sagt uns das
Onomastikon des Pollux: „Die Blumen, welche man zu Kränzen verwendet,
sind Rosen, Veilchen, Lilien, Minze, Anemonen, Feldthymian, Safran,
Hyazinthen, gelbe Strohblumen, rotgelbe Taglilie, grauer Thymian,
Königskerze, Nadelkerbel, Narzissen, Steinklee, Hundskamille, Kamille
und andere Blumen, die entweder schön oder wohlriechend sind.“ So sagt
ein nicht genannter Dichter: „Hier schicke ich dir einen Kranz, den ich
mit eigenen Händen aus schönen Blumen gewunden habe, aus Lilien, Rosen,
Anemonen, Narzissen und blauen Veilchen.“ Ein anderer singt: „Ich will
Levkojen, zarte Myrten, Narzissen und leuchtende Lilien winden, ich
will süßduftenden Safran, purpurrote Hyazinthen und liebliche Rosen
winden, und damit das lockige Haar der Heliodora bekränzen.“

Die Sitte, sich bei Festen zu bekränzen, übernahmen dann die Römer
von den Griechen. Der ältere Plinius (23-79 n. Chr.) schreibt darüber
in seiner Naturgeschichte. „Anfangs kannte das römische Volk nur
Kränze, die durch Kriegstaten erworben wurden; jetzt aber hat es mehr
Arten von Kränzen als alle andern Völker zusammen. Und zwar werden
zumeist Blumen dazu verwendet, die die Natur nur für Tage erschuf.
Einst hat das römische Volk nur einen Scipio, der den Beinamen Serapio
führte, mit Blumen geehrt. Er starb als Tribun und war beim Volke sehr
beliebt. Da er kein Vermögen hinterließ, so besorgte das Volk auf
eigene Kosten das Begräbnis, indem jeder das Seinige dazu beitrug, und
warf ihm überall, wo der Leichenzug vorbeiging, Blumen zu. Während in
Athen Jünglinge noch vor der Mittagsstunde die Versammlungen weiser
Männer mit einem Kranze auf dem Kopfe besuchten, herrschte in solchen
Dingen bei den Römern stets große Strenge. So wurde beispielsweise im
zweiten punischen Kriege (218-201 v. Chr.) der Geldwechsler Lucius
Fulvius kraft eines Senatsbeschlusses ins Gefängnis geführt und erst
am Ende des Krieges wieder in Freiheit gesetzt, als er sich unterfing,
bei hellem Tage aus seiner Bude mit einem Rosenkranze auf dem Kopfe
auf das Forum hinauszusehen. Auch den Publius Munatius ließen die
Triumvirn fesseln und ins Gefängnis abführen, als er von der Bildsäule
des Marsyas einen Blumenkranz nahm und sich aufsetzte. Er bat zwar
die Tribunen, ihm beizustehen; doch taten diese keinen Einspruch. --
Unter allen Kränzen aus Blumen haben diejenigen aus Rosen den größten
Vorzug, und zwar legt man denen den höchsten Wert bei, die nur aus
zusammengehefteten Rosenblättern bestehen. Heute aber nimmt man den
Stoff zu Kränzen aus Indien oder aus Ländern, die jenseits von Indien
liegen. Für die herrlichsten gelten die aus Nardenblättern, oder
die mit bunten, von wohlriechenden Salben triefenden Seidenstoffen
durchflochtenen. So weit geht jetzt die Verschwendung der Weiber!“

„In Sicyon wetteiferte die Kranzflechterin Glycera durch immer schönere
natürliche Kränze mit dem Maler Pausias, der ihre Kränze malte, so
daß Natur und Kunst sich gegenseitig zu übertreffen suchten. Auf dem
berühmten Gemälde, das Die Kranzflechterin (~stephanoplocos~) heißt,
und noch heutigentags vorhanden ist, hat er die Glycera gemalt. Dies
geschah nach der hundertsten Olympiade (um 380 v. Chr.). -- Wie man nun
einmal angefangen hatte, Blumen in die Kränze zu flechten, wurden auch
die Winterkränze Mode, deren Blumen, weil dann die Jahreszeit keine
natürlichen liefert, aus künstlich gefärbten Hornspänen bestehen. In
Rom schlich sich auch allmählich für die Kränze, wegen ihres zarten
Wesens, der Name ~corolla~, und dann der Name ~corollarium~ für Kränze
aus vergoldetem oder versilbertem Kupferblech ein. -- Zuerst ließ sich
der reiche Crassus (der wegen seines ungeheuren Reichtums von 30
Millionen Mark den Beinamen ~dives~ „der Reiche“ führende Triumvir,
geboren 115 v. Chr., besiegte als Prätor 72 den Sklavenaufstand unter
Spartacus, ward 70 mit Pompejus Konsul, schloß sich dann an Cäsar an
und bildete 60 mit diesem und Pompejus das 1. Triumvirat, ward 55 zum
zweitenmal Konsul, ging als Prokonsul nach Syrien und ward 53 nach der
Niederlage bei Carrhae gegen die Parther hinterlistig getötet) die
Blätter aus Gold nachbilden und verschenkte die daraus verfertigten
Kränze bei den Spielen, die er gab. Es kamen dann noch zur Erhöhung
der Schönheit der Kränze Bänder hinzu; an den etruskischen durften
nur goldene Bänder angebracht werden. Lange Zeit hindurch waren sie
einfach; erst Publius Claudius Pulcher ließ sie in getriebener Arbeit
darstellen und brachte sogar am Baste, womit die Kränze gewunden waren,
Goldblättchen an.“

„Zwei griechische Ärzte, Mnesitheos und Kallimachos, haben eigens über
die Kränze geschrieben, die dem Kopfe und somit der Gesundheit schaden.
Bei Wein und Fröhlichkeit kann der Blumenduft schaden, ohne daß man
daran denkt. -- Daß aber auch absichtlich durch die Kränze, die man bei
Gastmählern zu tragen pflegt, Unheil gestiftet werden kann, ersieht
man aus folgendem Beispiel: Vor der Schlacht bei Actium (Stadt und
Vorgebirge Aktion an der Westküste Griechenlands, südlich vom Eingang
des Ambrakischen Golfes, wo Octavianus -- der spätere Augustus -- am 2.
September 31 v. Chr. durch seinen Seesieg über Antonius und Kleopatra
die Alleinherrschaft gewann) begann Antonius den Verdacht zu fassen,
Kleopatra möchte einmal den Versuch machen, ihn durch Gift aus dem
Wege zu räumen, und genoß nichts mehr, bevor es von andern gekostet
war. Dies merkte nun die Königin. Bei einer lustigen Mahlzeit setzte
sie sich einen Kranz auf, dessen Blumen sie mit Gift bestrichen hatte,
und tat im Laufe des muntern Gesprächs den Vorschlag, die Blumen des
Kranzes zu zerpflücken und mitzutrinken. Antonius ahnte nichts Böses,
ließ die Blumen in seinen Becher werfen, setzte an und wollte trinken.
Da hielt Kleopatra schnell die Hand vor und sagte: „Sieh, Antonius, du
denkst dich dadurch zu schützen, daß du alle deine Speisen und Getränke
erst kosten lässest; aber das würde dir alles nicht helfen, wenn ich
nicht wüßte, daß ich ohne dich nicht leben kann.“ Sie ließ nun, um zu
beweisen, wie sie über Tod und Leben gebiete, einen Menschen aus dem
Gefängnis kommen und befahl ihm, aus dem Becher zu trinken. Er tat’s
und sank auf der Stelle nieder.“

Derselbe Plinius sagt, daß in alten Zeiten nur Göttern Kränze
gegeben worden seien; später sollen auch die Opfernden zu Ehren der
Götter Kränze auf ihr Haupt gesetzt und zugleich die Opfertiere
bekränzt haben. Dann seien sie auch bei den heiligen Kampfspielen in
Gebrauch gekommen, wurden aber eigentlich nicht dem Sieger, sondern
dessen Vaterland zugesprochen. Solche Siegeskränze pflege man als
Weihgeschenke in den Tempeln aufzuhängen. -- Der ums Jahr 1000 n. Chr.
lebende Suidas gibt dem Empfinden der antiken Welt Ausdruck, wenn er
sagt: „Den Toten gab man einen Kranz, weil sie den Kampf des Lebens
bestanden hatten.“ In diesem Sinne erzählt Valerius Maximus vom
karthagischen Feldherrn Hannibal, er habe den römischen Feldherrn
Marcus Marcellus, als er im Lande der Bruttier kämpfend gefallen
war, mit einem Lorbeerkranze schmücken und standesgemäß begraben
lassen. Auch der Scheiterhaufen, auf dem die Leiche verbrannt wurde,
pflegte mit Blumen, Weihrauch und anderem kostbarem Räucherwerk und
wohlriechenden Essenzen bestreut zu werden. War der Leichnam verbrannt,
so löschte man die glimmende Asche mit Wein, füllte sie in eine Urne
und stellte sie in einem Grabmal an der Heerstraße auf.

In der Biographie des Feldherrn des Achäischen Bundes, Philopömen, der
183 v. Chr., als er von den Messeniern gefangen genommen wurde, den
Giftbecher trinken mußte, sagt Plutarch, daß bei dessen Beerdigung
der Sohn des achäischen Feldherrn, Polybios, die Aschenurne trug, die
aber vor der Menge der Bänder und Kränze kaum zu sehen war. In den
Grabschriften der Heroen des um 309 in Burdigala (Bordeaux) geborenen
und nach 393 verstorbenen römischen Dichters Ausonius, der Christ und
Erzieher des Kaisers Gratian war, wird der Besucher aufgefordert:
„Besprenge die Gebeine mit Wein und lieblich duftendem Nardenöl,
füge purpurfarbige Rosen und Balsam hinzu.“ Der Dichter Properz
(45-22 v. Chr.) singt in einer seiner Elegien: „Wäre ich gestorben
und legte jemand meine Gebeine in zarte Rosenblätter, so würde mir
die Erde leicht sein.“ Sein Zeitgenosse Tibull (43 vor bis 20 n. Chr.)
aber meint: „In schwarzem Trauergewande mögen sie meine Gebeine
sammeln, sie mit Wein und dann mit Milch abwaschen, sie mit Tüchern
wieder abtrocknen, in ein Marmorgefäß tun und die Zwischenräume mit
morgenländischen Gewürzen füllen.“ Gerade diese letztere Sitte muß bei
den Vornehmen Roms zu Beginn der Kaiserzeit sehr beliebt gewesen sein.
So beschwört der produktivste und phantasiereichste aller römischen
Dichter, Ovid, der im Jahre 7 n. Chr. 50jährig von Augustus wegen
einer Skandalaffäre mit dessen Tochter Julia nach Tomi am Schwarzen
Meer verbannt wurde und 17 daselbst starb, seinen besten Freund mit den
Worten: „Bin ich tot, so lege meine Gebeine mit Blättern und Pulver von
~amomum~ (den aus Indien bezogenen Kardamomen) in eine kleine Urne und
bestatte sie in der Vorstadt Roms.“

Auch die Gräber wurden in der Antike mit Vorliebe durch Blumen
geschmückt. Schon Sophokles (497-406 v. Chr.) läßt in seiner Elektra
sagen: „Als ich an das alte Grab des Vaters kam, sah ich, daß auf die
Mitte frische Milch gegossen und der Rand rings mit Blumen aller Art
belegt war.“ In der Äneis Vergils (70-19 v. Chr.) läßt der Dichter
den Äneas, als er das Grab seines Vaters Anchises wieder besuchte,
zwei Becher Wein, dann zwei mit frischer Milch und zwei mit heiligem
Blute ausgießen und purpurfarbige Blumen darauf streuen; und an
einer andern Stelle jenes Epos, das den Ahnherrn des julischen
Geschlechts verherrlichen sollte, heißt es: „Streut mit vollen Händen
Lilien und purpurne Blüten auf das Grab!“ Tibull sagt in einer
seiner Elegien: „Bist du gut gewesen, so werden Tränen bei deiner
Bestattung fließen und werden deine alten Freunde jährlich deinen
Grabeshügel mit Blumengirlanden schmücken und sagen: „Schlummre sanft
den Todesschlummer!“ Selbst von dem Scheusal Nero weiß sein Biograph
Suetonius zu melden, daß es doch Leute gab, die noch viele Jahre lang
sein Grab mit Blumen schmückten.“

Bei diesem zweifellos großen Bedarf an Blumen, der uns nach den
Berichten der Schriftsteller des Altertums im ganzen Bereich der
hellenisch-römischen Kultur entgegentritt, ist es sehr merkwürdig,
daß so überaus selten von Blumengärten, die doch überall in der Nähe
der Städte vorhanden gewesen sein müssen, die Rede ist. Nur der
prosaische Cato (234-149 v. Chr.) rät in seiner Schrift über den
Landbau: „Wer einen Garten bei der Stadt hat, der ziehe Kranzblumen
aller Art.“ Schon der Vater der griechischen Botanik, der Schüler des
großen Aristoteles, Theophrast (390-286 v. Chr.), zog in seinem durch
die Freigebigkeit seines Kollegen Demetrios Phalereus, der von 318
bis 307 Athen verwaltete und für kurze Zeit dessen Blüte herstellte,
unterhaltenen Garten in Athen auch allerlei Blumen, wie Veilchen,
Nelken und Klebnelken, von denen er sagt, daß sie zur Ausschmückung von
Kränzen verwendet werden. Und der ältere Plinius weiß uns zu melden:
„Um die Pflanzen kennen zu lernen, bin ich bei Antonius Castor in die
Lehre gegangen, der zu unserer Zeit in dieser Wissenschaft das größte
Ansehen genoß. Ich besuchte ihn sehr oft in seinem Gärtchen, in welchem
er die meisten Pflanzen zog. Dabei war er schon über hundert Jahre
alt, hatte nie eine Krankheit gehabt und durch sein hohes Alter weder
an seinem Gedächtnisse, noch an seiner körperlichen Munterkeit eine
Abnahme erfahren.“

Wie wir aus einigen literarischen Angaben und Darstellungen auf
Vasen wissen, pflegten die Griechen der klassischen Zeit mit Erde
gefüllte, meist mit Henkeln versehene irdene Töpfe mit allerlei rasch
aufsprießenden Pflänzchen zu besäen. Wenn sie dann grün bewachsen
waren, trug man sie am Adonisfeste im feierlichen Zuge daher. Mit
diesen rasch dahinwelkenden „Adonisgärtlein“ wollte man den frühen
Tod des Jünglings andeuten, der ein Sinnbild des südlichen Sommers
darstellte, in welchem alles Grün unter der Glut der erbarmungslosen
Sonne allzuschnell dahinstirbt. Dieser Adonis war eigentlich ein
syrischer Naturgott, ein Abbild der nach kurzer Blüte immer wieder
ersterbenden Vegetation. Nach griechischem Mythos war er der Sohn
des Kypriers Kinyras und dessen Tochter Myrrha und wurde aus einem
Myrrhenbaum geboren, in welchen letztere verwandelt worden war.
Er erwuchs zu einem wunderschönen Jüngling, in den Aphrodite, die
Liebesgöttin, und Persephone, die Beherrscherin der Unterwelt, die
mit Bewilligung ihres Vaters Zeus zwei Drittel des Jahres bei ihrer
Mutter Demeter, der Erdgöttin, auf der Oberwelt zubringen durfte, sich
gleicherweise verliebten. Als er dann auf der Jagd von einem Eber
getötet wurde, stritten beide Göttinnen um seinen Besitz. Da entschied
Vater Zeus, daß er abwechselnd bei der ersteren auf der Oberwelt und
bei der letzteren in der Unterwelt leben sollte.

Wie schon bei den ältesten Ägyptern und Babyloniern wurden auch bei den
Griechen und Römern allerlei fremdländische, gegen die klimatischen
Verhältnisse empfindliche Pflanzen in Töpfen gezogen, die man über die
kälteste Zeit zum Schutze in die Häuser stellen konnte. So schreibt
Theophrast in seiner Pflanzengeschichte: „Die Stabwurz (~abrótonon~)
wird öfters in Blumentöpfe (~óstrakon~) gepflanzt wie die Adonisgärten
im Sommer.“ In späterer Zeit baute man zum Zwecke des Überwinterns
gegen Kälte empfindlicher Pflanzen eigentliche, mit Glimmerplatten
statt wie bei uns mit Glas gedeckte Treibhäuser. So berichtet uns der
witzige Epigrammendichter Martial, 40-102 n. Chr., daß man hinter
Scheiben von „durchsichtigem Edelstein“ feinere Obstsorten vor der
Winterkälte schütze; er dagegen habe in seinem Stübchen nicht einmal
einen ganzen Fensterladen und müsse dann beim eisigen Nordwind
nicht übel frieren. Und in der wahrscheinlich ums Jahr 912 n. Chr.
veranstalteten, Geoponika genannten Sammlung von Auszügen guter alter
griechischer Schriften über die Land- und Gartenwirtschaft steht zu
lesen: „Frühzeitige Rosen nennt man diejenigen, die in Körben oder
Töpfen gezogen und wie Kürbisse oder Gurken behandelt werden (d. h.
im Winter bei kaltem Wetter in sonnigen, mit Glimmer gedeckten Räumen
geschützt, bei mildem aber ins Freie getragen werden). Im Freien
stehende treibt man, wenn man will, dadurch, daß man zwei Hände breit
um sie herum einen Graben zieht und täglich zweimal Wasser in diesen
gießt.“

Als in den Wirren der Völkerwanderung die antike Kultur zu Grunde
gegangen war und nur noch in Byzanz eine länger dauernde, den Arabern,
nicht aber den Christen des Abendlandes zugute kommende Nachblüte
erlebte, ging auch die künstliche Zucht und das Treiben von Blumen
in Europa verloren. Erst mit dem Erwachen der Geister in der Neuzeit
kam sie, vom Morgenlande beeinflußt, bei uns in Flor. Der erste,
der die Treiberei von Blumen in größerem Maßstabe in Mitteleuropa
ausübte und zur Modesache bei den Vornehmen erhob, war der berühmte
Gärtner Ludwigs XIV., La Quintinie, der dafür sorgte, daß sein Herr
und Gebieter, der ein großer Blumenfreund war, stets in den Räumen
seines Schlosses irgend welche Blütenpflanzen, besonders Rosen, Tulpen,
Hyazinthen, Narzissen und Anemonen besaß. In der Folge ist dieser
Zweig der gärtnerischen Tätigkeit in hohem Maße gepflegt und mit allem
Raffinement ausgebildet worden.

Mit dieser gärtnerischen Kunstfertigkeit hängt auch die Einführung
neuer Blumenarten und die Züchtung neuer Sorten aus denselben und
den schon vorhandenen zusammen. Diese Zucht neuer Zierblumen ist
im wesentlichen eine Errungenschaft der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Sie ist der Ausfluß des Strebens der Handelsgärtner,
immer neue Formen hervorzubringen, um damit bei dem danach
lüsternen Publikum ein gutes Geschäft machen zu können. Für gewisse
seltene Formen und Neuheiten werden von den reichen Blumenfreunden
tatsächlich Unsummen bezahlt, und der große Gewinn treibt die Züchter
zu fortgesetzten Anstrengungen an, etwas Seltenes oder noch nie
Dagewesenes auf den Markt zu bringen. Das Hauptmittel dabei bildet das
Warmhaus, das die Kultur von Blumen und Ziergewächsen von der örtlichen
Lage unabhängig macht und die Vereinigung aller möglichen Pflanzen
gestattet, mit denen dann experimentiert wird.

Am häufigsten tritt in der Kultur, zunächst schon durch die bessere
Ernährung bedingt, eine Vergrößerung der Blüte ein. Solche Riesenformen
kehren aber bei der Weiterkultur, wenn sie nicht sehr kräftig ernährt
werden, leicht zur Stammform zurück. Nicht selten sind Änderungen
der Farbe, doch beschränken sie sich gewöhnlich auf einen bestimmten
Farbenkreis. So variiert Blau (durch Hinzutreten einer Säure zu dem
betreffenden Farbstoff) in Violett oder Rosa und schließlich Weiß,
Blutrot in Rosa oder Weiß, Zinnoberrot in Orange und Gelb, Violett
in Blau und Weiß, seltener in Rosa, Gelb fast nur in Weiß, Weiß
meist gar nicht oder allenfalls in Zartrosa oder Zartblau. Neben den
Farbenvariationen treten gefüllte Formen auf, indem sich Staubblätter
in Blumenblätter verwandeln. Diese beiden Veränderungen der Farbe und
die Füllung oder +Petalodie+ (von ~pétalon~ Blumenblatt) der Blumen
hängen nun ebenfalls vielfach mit Ernährungsursachen zusammen. So
füllen sich beispielsweise vielfach die Blüten der Levkojen, wenn
man die betreffenden Pflanzen eine Zeitlang kümmerlich ernährt. In
den weitaus meisten Fällen aber lassen sich solche Veränderungen
nicht erzwingen, sondern treten spontan, ohne für uns erkennbare
Ursache auf. Der Mensch muß sie abwarten und entdecken; dann aber
kann er großen Gewinn daraus ziehen. Da solche neue Varietäten ihre
besonderen neuen Eigentümlichkeiten auf ihre Nachkommen vererben,
hat der Mensch nichts anderes zu tun, als diese, wenn er sie
zufällig fand, weiter zu züchten. Dieses merkwürdige, für uns völlig
unerklärliche Auftreten neuer, bis dahin nicht existierender Formen
bezeichnet man als +Mutationen+ oder +Sprungvariationen+. Das älteste,
historisch beglaubigte Beispiel einer solchen Sprungvariation ist das
schlitzblättrige Schillkraut, das jetzt schon über 300 Jahre bekannt
ist. Eine der jüngsten dagegen ist die Erdbeere ohne Ausläufer.
Vilmorin fand sie in einem einzigen Exemplar unter einer Aussaat der
gewöhnlichen Erdbeere. Solche neue Formen sind je und je aufgetreten,
nur nahm man davon keine Notiz, bis in der Gegenwart die Wissenschaft
die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Tatsache lenkte. In dieser
Beziehung waren die Beobachtungen des holländischen Botanikers Hugo
de Vries bahnbrechend, die er an solchen neuen Sprungvarietäten einer
aus Nordamerika bei uns eingeführten gelbblühenden Nachtkerzenart
(~Oenothera lamarckiana~) machte. Über diese und andere bisher an
Mutationen festgestellten Beobachtungen und die daraus zu ziehenden
Schlüsse habe ich eingehend auf S. 464-471 des zweiten Bandes meiner
gemeinverständlichen Entwicklungsgeschichte des Naturganzen, betitelt
„Vom Nebelfleck zum Menschen“[3], berichtet, so daß ich Interessenten
darauf verweise.

Solche Sprungvarietäten und seltene, neue, wilde Arten nun hat der
Pflanzenzüchter unter Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln zu
kultivieren, bis er eine für den Verkauf genügende Menge Samen,
Wurzelknollen oder Zwiebeln besitzt. Dieses Ziel ist dann meist in 4-5
Jahren erreicht. In der Regel ist aber seine Aufgabe durchaus nicht
so einfach. Er muß in vielen Fällen erst ungünstige Eigenschaften der
neuen Arten ausmerzen und durch andere, bessere ersetzen. In anderen
Fällen ist es überhaupt nur eine einzige Eigenschaft, durch die sich
die neue Art auszeichnet, dann gilt es, diese auf die schon bekannten
alten Sorten zu übertragen. Dies geschieht durch +Kreuzung+ oder
+Hybridisation+, wie der technische Ausdruck lautet. Das Ergebnis ist
eine Nachkommenschaft von +Bastarden+ oder +Hybriden+, die wie die
Kinder verschieden gearteter Eltern die Mischung der mütterlichen und
väterlichen Eigenschaften in verschiedenem Grade zeigen. In der ersten
Generation sind sie noch einförmig. Der ganze Reichtum der Formenfülle
bricht erst bei weiteren Kreuzungen hervor. Der Züchter setzt die
Kreuzung so lange fort, bis die von ihm gewünschte Kombination von
Eigenschaften erreicht ist. Ist dies geschehen, so sucht man sie
samenbeständig zu machen. Dies gelingt oft durch wiederholte Inzucht.
Je länger die Inzucht fortgesetzt wird, um so größer wird die
Samenbeständigkeit. Dieser Weg muß bei den Pflanzen, die nur einmal
blühen und Frucht tragen und dann absterben, in den meisten Fällen
eingeschlagen werden. Bei allen Pflanzen, die erst nach mehreren
Jahren zur Blüte gelangen, also sehr vielen Stauden und Holzgewächsen,
wählt man die vegetative Vermehrung. Jede aus einem Steckling oder
Edelreis der neuen Form erwachsene Pflanze zeigt genau dieselben
Eigenschaften wie die Mutterpflanze, von der sie stammt. Hierauf
beruht die Vermehrung unserer meisten Obstarten, der Kartoffeln,
Georginen, Canna-, Coleusarten usw. Manche Pflanzen, wie Blattbegonien,
Gloxinien, Peperonien u. dergl., lassen sich auch ganz einfach durch
abgeschnittene Blätter vermehren, die im Boden alsbald Wurzel fassen.

Noch viel mehr als der höchst zufälligen und selten eintretenden
Mutation verdanken wir es der planmäßigen Hybridisation, daß wir
heute über eine solch ungeahnte Menge von Zierblumen, die noch nie
in der Vorzeit existiert haben, sondern erst in unserer Zeit aus oft
sehr unscheinbaren, einheimischen oder ausländischen Stammformen
hervorgezaubert wurden, besitzen. Wir werden im folgenden sehen, wie
überaus bescheiden und begrenzt der Besitz an Zierpflanzen bei den
Kulturvölkern des Altertums war, und wie unermeßlich dagegen die
Blumenfülle ist, über die wir heute verfügen. Alle Weltteile haben
ihren Tribut geliefert, um unsere Gärten und Gewächshäuser damit zu
füllen und unser Auge mit deren Farben- und Formenreichtum, wie unsere
Nase mit ihren teilweise herrlichen Düften zu erfreuen.

Beginnen wir nun mit der Betrachtung und kulturgeschichtlichen
Würdigung der wichtigsten Zierpflanzen des Menschen, unter denen schon
im Altertum die +Rose+ als die vornehmste galt. Wie wir dies heute
noch tun, betrachteten die alten Kulturvölker Vorderasiens, wie auch
die Griechen und Römer, die Rose als die Königin der Blumen. Dieser
Anschauung gibt Achilles Tatius beredten Ausdruck, wenn er sagt: „Wenn
Zeus der Blumenwelt eine Königin hätte geben wollen, so hätte er die
Rose dazu gemacht; denn sie ist die Zierde der Erde, der Stolz der
Pflanzenwelt, die Krone der Blumen, der Purpur der Wiesen, der Abglanz
des Schönen. Sie ist der Liebe voll und steht im Dienste der Aphrodite;
sie prangt mit duftenden Blüten und wiegt sich auf beweglichem Laube,
das sich des fächelnden Zephyrs erfreut.“ Sie war aber nicht blos
das Symbol der Liebesgöttin und ihr geweiht, sondern soll nach alter
griechischer Sage direkt von deren Blut die rote Farbe erhalten haben.
So sagt uns ein ungenannter griechischer Dichter in den Geoponika: „Die
Rose, so erzählt man, war ursprünglich weiß und geruchlos. Einst ritzte
Aphrodite ihren Fuß an einem Rosenstachel und von dem hervorquellenden
Blute der Göttin nahm die Rose ihre rote Farbe und den Wohlgeruch an.“

Diese also von der Liebesgöttin selbst gefärbte Blumenkönigin kam
mit der weißen Lilie erst nach dem ersten Viertel des letzten
vorchristlichen Jahrtausends von Westasien her nach Griechenland.
Die griechischen Bezeichnungen ~vródon~ und ~leírion~ dafür sind
Entlehnungen der Sprache Irans. Und wie die Namen, so stammen auch
die Pflanzen selbst aus dem Hochlande von Persien, wo aus einer nahe
Verwandten der in Südeuropa wachsenden wohlriechenden +Provencerose+
(~Rosa gallica~) mit fünf weißen bis rosenroten Blumenblättern
durch Umwandlung fast aller Staubblätter in Blumenblätter die als
Centifolie, d. h. Hundertblumenblättrige, bezeichnete gefüllte Form
hervorging. Weil diese Füllung auf Kosten der Möglichkeit Samen tragen
zu können geschah, so können diese Edelrosen nicht gesät werden,
sondern müssen auf vegetativem Wege vermehrt und fortgepflanzt werden.
Dies geschieht meist durch Okulieren, d. h. Einsetzen einer Knospe
(„Auge“) der edeln Pflanze auf einen Wildling. Als hochstämmige
Wildlinge dienen in erster Linie die ein- oder zweijährigen Stämmchen
der einheimischen +Hundsrose+ (~Rosa canina~), die selbst zur Züchtung
von Edelrosen nicht verwendet wird.

Jedenfalls waren aber die Centifolien der Alten noch lange nicht in dem
Maße gefüllt, wie sie es heute sind. Gleichwohl haben sie dieselben in
hohem Maße entzückt. In den homerischen Epen erscheinen sie mit der
Lilie als der Inbegriff des Wunderbaren und Göttlichen. Die Pflanzen
selbst scheint der Dichter derselben überhaupt noch nicht gekannt
zu haben; er nennt sie, oder besser gesagt, gewisse Eigenschaften
von ihnen, wenn er etwas unbestimmt Herrliches ausdrücken will. So
bezeichnet er die Morgenröte als rosenfingerig, und Aphrodite salbt
den Leichnam des ihr sympathischen Hektor mit rosenduftendem, d. h.
besonders herrlich duftendem Öl. Ajax soll eine lilienzarte Haut
besitzen, die Hektor mit seinem Speer durchbohren will. Auch bei dem
im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Böotien lebenden griechischen
Dichter Hesiod war es nicht anders. In seiner Theogonie spricht er von
zwei rosenarmigen Töchtern des Meergottes Nereus und bezeichnet die
Stimmen der Musen und Zikaden als Lilienstimmen, aber was Rosen und
Lilien tatsächlich sind, ist ihm völlig dunkel geblieben. Wie hätte er
auch diese Blumen kennen sollen, wenn noch in einem von der Forschung
in die Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts gesetzten Hymnus
des alteleusinischen Demeterdienstes erzählt wird, wie Persephone,
die Tochter des Zeus und der Erdgöttin Demeter, auf der Wiese mit
ihren Gespielinnen gespielt und außer Veilchen, Krokos, Hyazinthen
und Schwertlilien auch Rosen (nicht vom Strauch gebrochen und nicht
mit Stacheln bewehrt, wie wirkliche Rosen, sondern Phantasierosen)
gepflückt habe und die Wunderblume Narkissos „-- ein Wunder zu sehen
für Menschen und Götter -- die sich mit hundert Häuptern aus der Wurzel
erhebt, deren Duft Himmel, Meer und Erde erfreut“ (also ebenfalls
nicht die wirkliche, sondern eine Phantasienarzisse, die, wie der Name
bezeugt, der mit dem Wort Narkose zusammenhängt, eine exotische Blume
mit berauschendem Dufte bezeichnen sollte). An einer späteren Stelle
desselben Hymnus erzählt Persephone ihrer Mutter, wie sie auf einer
reizenden Wiese gespielt und „Kelche der Rosen und Lilien -- ein Wunder
zu schauen“ gepflückt habe. Dieser Zusatz des Wunderbaren erhebt ja
an sich schon diese Blumen ins Fabelhafte, Unglaubliche, noch nie
Geschaute.

In einem Fragment des um ein Menschenalter älteren griechischen
Lyrikers Archilochos von Paros (um 700 v. Chr.), der aber weiter
in der Welt herumgekommen zu sein scheint als der Verfasser jener
eleusinischen Tempelpoesie und außer den Ägäischen Inseln auch
Thrakien und Lydien kannte, tritt uns erst unverkennbar die Kenntnis
des Rosenstrauches entgegen, dessen schöne Blüte (~rodḗs te kalón
anthós~) der Dichter neben dem Myrtenzweig als Schmuck des Mädchens,
ohne Zweifel seiner Geliebten, der Neobule, erwähnt. Hundert Jahre
später war die Rose ein Liebling der Dichterin Sappho aus Mitylene
auf der Insel Lesbos (um 600 v. Chr.), von der sie häufig gepriesen
und als Gleichnis schöner Mädchen herangezogen wurde. Nach ihr hat
der lebensfrohe Lyriker Anakreon aus Teos in Ionien (550-478 v. Chr.),
der in Samos und Athen lebte, sie vielfach in seinen Gedichten
verherrlicht. Er sagt von dieser Blume: „Mit schönblühenden Rosen
bekränzt wollen wir trinken. Die Rose ist die herrlichste Blume; sie
ist bei den Göttern beliebt; mit ihr bekränzt sich der Sohn Kytherens
(der Liebesgott Eros -- bei den Römern Amor genannt), wenn er mit den
Grazien tanzt. So will auch ich mit Rosen bekränzt tanzen.“

Von da an finden wir die Rose neben der Lilie als beliebten
Blumenschmuck eingebürgert und bei keinem griechischen Feste fehlend.
Zweifellos war sie aus der Landschaft Phrygien im mittleren Kleinasien
über Thrakien und Makedonien nach Griechenland eingewandert. Das
nyseische Gefilde, auf dem Persephone nach dem homerischen Hymnus Rosen
und Lilien pflückt, ist nach den Angaben in der Ilias in Thrakien zu
denken, und der Name einer ihrer Gespielinnen, Rhodope, ist zugleich
derjenige des thrakischen Gebirges, in welches jene Nymphe verwandelt
sein sollte. Und Herodot aus der dorischen Stadt Halikarnassos an der
kleinasiatischen Küste südlich von Milet (484-424 v. Chr.) sagt: „In
einer Landschaft Makedoniens liegen die sogenannten Gärten des Midas,
des Sohnes des Gordios (eines phrygischen Königs und der Kybele, dem
Dionysos den Wunsch gewährte, daß alles, was er berühre, sich in Gold
verwandle, von welcher lästigen Wohltat er sich dann durch ein Bad im
Flusse Paktolos befreite, der seitdem Gold führt). In diesem Garten
wachsen die Rosen wild, jede hat 60 Blätter, und sie riechen besser als
andere Rosen.“ Gleicherweise drückt sich der bei Athenaios erwähnte
alexandrinische Dichter Nikander im zweiten Buche seiner Georgika aus,
wenn er sagt: „Midas von Odonien (einer Landschaft in Thrakien) erzog,
nachdem er die Herrschaft von Asis (in Kleinasien) verlassen, zuerst in
den Gärten von Emathia (einer Landschaft in Makedonien) die Rosen, die
mit 60 Blumenblättern umsäumt sind.“ Schon diese bei ihm und Herodot
hervorgehobene altbabylonische Zahl 60 weist auf die Herkunft dieses
Mythos aus Asien, woher mit dem Dienst der Aphrodite und des Gottes des
Natursegens Dionysos auch die ihnen geweihte Blume zu den Griechen kam.

Noch der pflanzenkundige Schüler des großen Aristoteles, Theophrast
(390-286 v. Chr.), schreibt in seiner Pflanzengeschichte, daß die
meisten reichgefüllten Rosen, die er bereits ~hekatonphylla~, d.
h. hundertblätterig -- identisch mit dem römischen ~centifolia~ --
nennt, in der Gegend von Philippi in Makedonien wachsen. An der
diesbezüglichen Stelle teilt er uns sein ganzes Wissen über diese
Pflanze mit: „Es gibt verschiedene Arten von Rosen (~ródon~); sie haben
mehr oder weniger Blumenblätter (~phýllon~), sind mehr oder weniger
rauh oder glatt, an Farbe und Wohlgeruch verschieden. Die meisten sind
fünfblätterig; es gibt aber auch zwölf- bis zwanzigblätterige, ja
die Zahl der Blumenblätter soll bis auf hundert steigen, und solche
nennt man ~hekatonphylla~. Die meisten Hekatonphyllen wachsen um
Philippi, wohin man sie vom (benachbarten) Pangaiosgebirge, woselbst
sie in Menge vorkommen, verpflanzt hat. -- Im allgemeinen richtet sich
bei den Rosen die Schönheit der Farben und der Wohlgeruch nach dem
Standort; jedoch kann auf demselben Boden der Geruch verschieden sein.
Den besten Geruch haben die Rosen von Kyrene (in Nordafrika zwischen
Tripolis und Ägypten); daher wird dort die kostbarste Rosensalbe
(~mýron~) gemacht. Man kann den Rosenstrauch (~rodōniá~) auch durch
Samen vermehren; dieser liegt unter der Blüte in der Frucht (~mélōn~,
eigentlich Apfel) und ist mit Wolle umgeben. Da aber das Wachstum aus
den Samen sehr langsam vor sich geht, so pflegt man die Rosen durch
Stecklinge zu vermehren. Übrigens trägt der Rosenstrauch schönere
Blumen, wenn man ihn abgebrannt oder abgeschnitten hat; dagegen treibt
er wilde Schößlinge, wenn man ihn nach Belieben wachsen läßt. Auch
durch oftmaliges Verpflanzen werden seine Blumen schöner. Die wilden
(~ágrios~) Rosen haben rauhere Zweige und Blätter, weniger stark
gefärbte und kleinere Blüten.“

Die ältesten Babylonier haben so wenig wie die übrigen
vorderasiatischen Völker und die Ägypter der älteren Zeit die Rose
gekannt. Erst bei den jüngeren Assyriern tritt sie uns als viel
gebrauchtes Ornament, nämlich stilisiert als Rosette, entgegen, und bei
den jüngern Babyloniern, wie sie uns der griechische Geschichtschreiber
Herodot aus eigener Anschauung um die Mitte des 5. vorchristlichen
Jahrhunderts schildert, hatte sie auch erst durch Vermittlung ihrer
persisch-medischen Überwinder Eingang gefunden. So schreibt er im
ersten Buche seines Geschichtswerks: „Jeder Babylonier trägt auf
seinem Stock das Bild entweder eines Apfels oder einer Rose oder einer
Lilie oder eines Adlers oder irgend eines andern Gegenstandes.“ Auch
die alten Hebräer zur Zeit Salomos (993-953 v. Chr.), der in seinen
wohlgepflegten Gärten eine Menge aus dem Auslande eingeführter neuer
Kulturpflanzen ziehen ließ und sich an seinem prunkhaften Hofe gern mit
einer so schönen Blume geschmückt hätte, wenn er es hätte tun können,
kannten die Rose, dieses herrliche Geschenk Irans, noch nicht. Wenn
Luther, der Auslegung der Rabbinen folgend, das hebräische ~susan~
mit Rose übersetzt, so ist dies ein heute vollständig klargelegter
Irrtum; es bedeutet vielmehr Lilie, und zwar nicht sowohl die weiße,
sondern die farbige Feuerlilie oder noch wahrscheinlicher eine überall
in Palästina wildwachsende, ebenfalls glockenförmige Blüten besitzende
Kaiserkrone. Dahin sind die Stellen zu berichtigen, wie z. B. bei
dem (im 8. Jahrhundert v. Chr. lebenden) Hosea, wo es in den bisher
gebräuchlichen Bibelübersetzungen heißt: „Ich will Israel wie ein Tau
sein, daß er soll blühen wie eine Rose“, oder an mehreren Stellen des
nicht lange nach der Salomonischen Zeit gedichteten Hohen Liedes,
wie: „Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal“, oder: „wie
eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern“
usw. Erst den Verfassern der schon in die griechische Zeit fallenden
Apokryphen war die Rose bekannt. Nach allem scheint diese Zierpflanze
von dem im Jahre 536 aus dem Exil in Babylon, wohin sie Nebukadnezar
nach der Zerstörung Jerusalems 586 geführt hatte, auf Grund der vom
Perserkönige Kyros erteilten Erlaubnis nach Palästina zurückgekehrten,
etwa 42000 Juden nach Syrien gebracht worden zu sein. Demgemäß wird sie
zuerst in den nach dieser Zeit verfaßten Büchern der Weisheit und Jesus
Sirach erwähnt.

Auch nirgends in den altägyptischen Inschriften und Papyri wird die
Rose angeführt. Auch Herodot, der Ägypten aus eigener Anschauung
kannte, erwähnt wohl die Lotosblume, die er als Lilie des Nils
bezeichnet, aber nicht die Rose als Zierpflanze Ägyptens. Erst etwa
ums Jahr 600 v. Chr. kam die Rose wahrscheinlich von Syrien her und
nicht durch Griechen, die allerdings der Handel schon damals zu den
Nilmündungen führte, wo ihnen dann König Amasis II. (570 bis 526
v. Chr.), der Freund des Polykrates von Samos, die Stadt Naukratis
überließ, nach dem Niltal, wo sie in der Folge besonders in der
Landschaft Arsinoe, dem heutigen Fajum, viel angepflanzt wurde. Zur
Zeit der Herrschaft der Ptolemäer (323-30 v. Chr.) und der Römer war
diese Landschaft bei allen Völkern des Mittelmeerbeckens wegen ihrer
Wein- und Rosengärten berühmt. Schon Theophrast berichtet, daß die
Rosen und Veilchen Ägyptens, die wie alle Blumen des Landes, außer der
Myrte, geruchlos sein sollten, um zwei Monate früher blühen als in
Griechenland. Diesen Umstand benutzten die üppigen Einwohner Roms zur
Kaiserzeit, um sich zu einer Zeit, da es noch keine blühenden Rosen im
eigenen Lande gab, welche von dort kommen zu lassen. So sagt Martial
(40-102 n. Chr.), der unter Nero aus seinem Vaterlande Spanien nach Rom
kam, in einem seiner Epigramme: „Im Winter schickt der Nil Rosen nach
Rom, aber mehr und schönere sendet Paestum (die griechische Pflanzstadt
Poseidonia in Unteritalien, dessen verhältnismäßig noch gut erhaltener
Poseidontempel aus Abbildungen genugsam bekannt ist).“ Diesen Tatsachen
entsprechend hat man erst in den der griechisch-römischen Periode
angehörenden Gräbern der Nekropole von Hawara im Fajum Überreste
der Rose gefunden, für die es auch keine einheimische ägyptische
Bezeichnung gab. In demotischen Texten findet sich dafür der Name
~uartu~, der semitischer Herkunft zu sein scheint, da er sich als
~uard~ im Arabischen wiederfindet. Dies würde für einen Import der
Rose durch semitische und nicht griechische Vermittlung sprechen.
Bekanntlich hat der Ägyptologe Georg Ebers diese Bezeichnung der Rose
als Name der Heldin seines Romanes Uarda benutzt.

Nach Unteritalien kam die orientalische Gartenrose schon früh mit den
ihre Kolonien daselbst gründenden Griechen. In ihrer Gesellschaft
befand sich jedenfalls auch die morgenländische weiße Lilie, deren
griechischer Name ~leírion~ in das lateinische ~lilium~, und der
griechische Pluralis ~róda~ in ~rosa~ verwandelt wurde. Im späteren
Italien hat diese heilige Blume der Aphrodite-Venus bei den Festen der
Vornehmen eine sehr bedeutende Rolle gespielt. Schon der Redner Cicero
(106-43 v. Chr.) nennt die Rose da, wo er ein Leben voll Üppigkeit
bezeichnen will. Und es war in der Tat orientalische Ausschweifung,
wenn, wie Athenaios (um 200 n. Chr.) uns berichtet, Kleopatra in
Kilikien, wohin sie dem Marcus Antonius, um ihn für sich zu gewinnen,
entgegengezogen war, diesen in Speisezimmern bewirtete, deren Boden
eine Elle hoch mit Rosen bedeckt war. Damit man sich nicht in ihnen
mit den Füßen verfing, war über sie ein feines Netz gezogen. Die
Kosten für diese kleine Überraschung betrugen ein Talent, d. h. 4500
Mark. Derselbe Athenaios berichtet von dem im 4. Jahrhundert v. Chr.
über Syrakus herrschenden grausamen Tyrannen Dionysios, daß er die
Fußböden seines Palastes mit Feldthymian und Rosen bedecken ließ und
sich dann darauf herumwälzte, um in Wohlgerüchen zu schwelgen. Es war
eine Nachahmung der üppigen Sitten bithynischer Fürsten, wenn sich der
römische Beamte Gajus Verres, der von 73-71 v. Chr. Statthalter von
Sizilien war und während seiner dortigen Amtsführung nicht weniger als
40 Millionen Sesterzien, d. h. 6 Millionen Mark erpreßte, weswegen
er im Jahre 70 angeklagt wurde, wobei Cicero als Anwalt der Bewohner
Siziliens seine berühmten Verrinischen Reden hielt, den für die
Begriffe der Römer der damaligen Zeit ganz unerhörten Luxus leistete,
mit Rosen bekränzt in seiner Sänfte auf Rosenkissen zu ruhen und
dabei ein mit Rosen gefülltes Netzchen an die Nase zu halten. Die
diesbezügliche Stelle in der Rede Ciceros gegen Verres lautet wörtlich:
„Als unser Feldherr Verres seine Residenz in Syrakus aufgeschlagen
hatte, ließ er sich, sobald es Rosen gab, in einer Sänfte herumtragen,
in welcher das Polster mit Rosen ausgestopft war; dabei hatte er einen
Kranz von Rosen auf dem Kopfe und einen andern solchen um den Hals, und
vor die Nase hielt er sich ein aus ganz zarten Leinfäden gestricktes,
engmaschiges, mit Rosen gefülltes Netzchen.“

Solche Verschwendung wurde noch bei weitem von den an Größenwahn
leidenden Cäsaren Roms übertrumpft. Berichtet doch Spartianus von
dem römischen Kaiser Aelius Verus, dem Adoptivsohn des Antoninus
Pius, der 161 von Mark Aurel zum Mitregenten erhoben wurde und 169 zu
Altinum in Venetien starb, er habe auf einem Bett geschlafen, das mit
Rosenblättern gefüllt war, denen das Weiße, also der Nagel, genommen
worden war. „Seine Decke bestand aus Lilien und sein Körper war mit
persischen Salben parfümiert. Von ebenso gereinigten Rosenblättern und
von Lilien ließ er oft die Polster machen, worauf beim Schmause die
Gäste lagen, desgleichen auch die Tische selbst.“ Es handelt sich also
hier um mit Rosen- und Lilienblättern gefüllte Kissen, die gelegentlich
auch von anderen üppigen Kaisern benutzt wurden, wenn es sich um
besonderen Pomp bei festlichen Anlässen handelte. So berichtet uns der
Geschichtschreiber Aelius Lampridius in seiner Biographie des Kaisers
Heliogabalus (der auf Anstiften seiner Großmutter Julia Maesa, der
Schwägerin des Kaisers Septimius Severus, 218 17jährig als Oberpriester
des Gottes Elagabal, dessen Namen er annahm -- er hieß eigentlich
Avitus Bassianus -- in Emesa in Syrien von den syrischen Legionen zum
Kaiser ausgerufen wurde, 219 in Rom einzog, wohin er den orgiastischen
Dienst seines syrischen Gottes verpflanzte und wo er schwelgerisch
und wollüstig lebte, bis er 222 von den Prätorianern ermordet wurde):
„Kaiser Heliogabalus speiste öfter auf Kissen, die mit Rosen(blättern)
gefüllt waren, hatte mit Rosen(blättern) ausgestopfte Betten und
spazierte in Säulenhallen, deren Boden mit Rosen bedeckt war. Er
wechselte auch mit der Blume und gebrauchte statt der Rosen Lilien,
Veilchen, Hyazinthen oder Narzissen. Er füllte auch Bassins mit Rosen-
oder Wermutwein, badete sich darin, trank sich dabei an dem Wein, worin
er saß, voll und lud zugleich das Volk ein mitzutrinken.“

Von Kaiser Gallienus (253 Mitregent seines Vaters Valerianus, von 260
an Alleinherrscher, bis er 268 in Mailand ermordet wurde) berichtet
uns Trebellius Pollio: „Kaiser Gallienus baute öfter im Frühjahr ganze
Villen von Rosen und Burgen aus Obst, bewahrte Trauben drei Jahre lang
auf, traktierte seine Freunde mit Melonen und setzte ihnen in Monaten,
in welchen eigentlich keine zu haben waren, frische Feigen und andere
Obstarten vor.“

Sich mit Rosen zu umgeben galt bei den Machthabern des Altertums als
ein Zeichen fürstlichen Prunkes. So berichtet Florus von dem syrischen
Könige Antiochos III., dem Großen, der seine Herrschaft über Kleinasien
auszudehnen suchte und infolge davon 192 mit den Römern in Krieg geriet
und nach zwei unglücklich verlaufenen Schlachten 190 ganz Kleinasien
diesseits des Taurus an jene abtreten mußte: „Als Antiochus, König von
Syrien, gegen die Römer Krieg führte, hatte er sich zur Winterszeit
auf Euboea gelagert; seine Zelte bestanden aus Gold und Seide, von
allen Seiten waren Rosen herbeigeschafft und Flötenspieler sorgten
für gute Unterhaltung.“ In diesem Bericht und in anderen ähnlichen
Inhalts besteht das Luxuriöse gerade darin, im Winter Rosen haben zu
wollen, wenn sonst niemand welche hatte. Dazu wurden sie entweder
in mit Marienglas gedeckten Kästen getrieben, wie uns dies Martial
in einem Epigramm für Rosen und Lilien mitteilt und auch Palladius
im 4. Jahrhundert n. Chr. noch erwähnt, oder aus wärmeren Gegenden,
besonders Nordafrika, bezogen. Auch Süditalien, wo, wie in Paestum
nach der Angabe des Dichters Vergil in seiner Georgica die Rosen
zweimal Blüten trugen, lieferte solchen Leuten, die sich nach der
Bezeichnung des Seneca, des Erziehers und Leiters des jugendlichen
Nero (2-65 n. Chr.), in einer seiner Episteln „durch naturwidrige
Mittel im Winter Rosen zu verschaffen suchen“, das Gewünschte. Hier
wurden die Rosen nach der Angabe des Plinius (23-79 n. Chr.) in der
Weise vorzeitig zum Blühen gebracht, daß man „einen Fuß von der Wurzel
des Stockes entfernt einen Graben zog und in diesen warmes Wasser
goß“. Dasselbe empfiehlt auch drei Jahrhunderte später Palladius,
der rät, zweimal täglich warmes Wasser hineinzugießen. Auf solche
Weise war es den Herren der Welt möglich, wie der jüngere Claudius
Mamertinus in seinem ~Panegyricus Juliani~, d. h. der Lobschrift
über den Kaiser Julianus Apostata (361-363), sagt, an den Tafeln bei
ihren Gastmählern „wunderbare Vögel und Fische aus fernen Meeren,
Obstsorten, die zu ganz anderer Zeit reifen, Schnee im Sommer, Rosen
im Winter beim Schmause zu verbrauchen“. Daß solche Extravaganzen
nicht billig zu stehen kamen, ist sehr wohl begreiflich. Doch in Rom,
das so viele andere Völker ausgeraubt hatte, gab es genug sehr reiche
Leute, die sich diese Vergnügungen leisten konnten. So berichtet der
römische Geschichtschreiber Suetonius (70-140 n. Chr.), der einstige
Geheimschreiber des Kaisers Hadrian, daß bei einer Festlichkeit, die
ein Freund des Kaisers Nero (geboren 37, regierte von 54-68 n. Chr.)
mitten im Winter gab, die Beschaffung der Rosen allein die Kleinigkeit
von 4 Millionen Sesterzien = 600000 Mark kostete.

Diese nun einmal zum Lebensgenuß gehörende schöne Blume zierte auch
die Liebenden, um so mehr, weil sie das Sinnbild der Liebesgöttin
selbst war. Wie die Reichen beim Schmause in Rosen lagen, schenkte der
Liebende seiner Geliebten die Blume Aphrodites. Schon beim römischen
Komödiendichter Plautus (254-184 v. Chr.) treffen wir als liebkosende
Anrede den Ausdruck ~rosa~, ~mea rosa~, meine Rose. Wie das Haupt
der Tänzerin, der Flötenspielerin und des weinschenkenden Knaben von
einem Rosenkranze umwunden war, bekränzte der Trinkende sich selbst
und seinen Becher mit der Dionysos selbst geheiligten Blumenzier. Von
Anakreon im 6. vorchristlichen Jahrhundert an tönt uns bei den Lyrikern
immer wieder als Ausdruck ausgelassener Lebensfreude die Aufforderung
entgegen: Laßt uns mit schönblühenden Rosen bekränzen und trinken! Vom
Griechen lernte der Römer, so daß bald auch bei ihm Sinnentaumel und
Rosen zusammengehörten. So singt Martial: „Wenn der Sorgenlöser rast,
wenn die Rose herrscht, wenn die Haare feucht sind vom Taumel, dann...“
Und wie Dionysos, der Gott des Natursegens, zugleich auch der Führer
und Herrscher der Abgeschiedenen war, so schmückte man auch die Toten
und deren Gräber mit Rosen. Wie der Lorbeer Ruhm, so bedeutete die Rose
Liebe und Verehrung, und beides wollten die Einwohner von Cremona dem
Kaiser Vitellius bezeugen, als er, nachdem sein Heer bei jener Stadt
im Herbst 69 von den Legionen Vespasians geschlagen worden war, das
Schlachtfeld besichtigte. „Da“, so sagt uns der Geschichtschreiber
Tacitus, „bestreuten die Cremonenser seinen Weg mit Lorbeer und Rosen,
errichteten ihm Altäre und brachten ihm Opfer dar.“

Auch zu wohlriechenden Essenzen und Salben fand die Rose vielfach
Verwendung. So findet Plinius, daß kein Land so passend sei zur
Bereitung wohlriechender Salben, als Ägypten und dann Campanien wegen
seines Überflusses an Rosen. Derselbe Autor gibt an, daß aus Rosen
das Rosenöl (~oleum rhodinum~) bereitet werde, worunter aber nicht
das von uns verstandene Produkt zu verstehen ist; denn die Kunst
der Destillation war dem Altertum noch unbekannt. Palladius im 4.
Jahrhundert n. Chr. sagt uns, wie solches bereitet wurde: „Um Rosenöl
(~oleum roseum~) zu bekommen, braucht man auf 1 Pfund Olivenöl 1
Unze gereinigte Rosenblätter und hängt die Mischung 7 Tage lang in
Sonnen- und Mondenschein.“ Sehr beliebt war auch der Rosenhonig und
der Rosenwein, deren Herstellung uns derselbe Autor in folgender Weise
schildert: „Rosenhonig (~rhodomeli~) entsteht, wenn man Rosensaft mit
Honig mischt und die Masse 40 Tage an die Sonne hängt. -- Der Rosenwein
(~vinum rosatum~) ist ein Wein, in welchem 30 Tage lang Rosenblätter
gelegen haben und der alsdann einen Zusatz von Honig erhält.“ Plinius
aber rät den Rosenwein in der Weise zu bereiten, „daß man zerstoßene
Rosenblätter in einem Leinwandsäckchen drei Monate in Most liegen
läßt. Man preßt auch die Blumenblätter entweder für sich samt den
Nägeln (~unguis~, d. h. den farblosen Blumenblattstielen), oder man
legt sie, nachdem man die Nägel abgeschnitten hat, in Öl oder Wein,
läßt sie so an der Sonne stehen und sondert sie dann durch Pressen von
der Flüssigkeit. Einige fügen auch Salz bei. Man nimmt auch recht gut
riechenden Blumenblättern die Nägel, zerreibt sie, preßt sie in dichter
Leinwand aus und kocht den Saft bei gelindem Feuer bis zur Honigdicke
ein.“ Auch Rosenplätzchen (~rodís~), die uns der griechische Arzt
Dioskurides um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. erwähnt, waren
beliebt, und sein 150 Jahre später in dem üppigen Alexandreia lebender
Volksgenosse Athenaios empfiehlt als Leckerbissen: „Es gibt eine
herrlich duftende Speise, welche ~rodoniá~ heißt. Um sie zu bereiten,
mischt man Rosenblätter, die im Mörser zerrieben sind, Gehirn von
Hühnern und Schweinen, Eidotter, Olivenöl, Fischsülze, Pfeffer, Wein,
reibt alles gut durcheinander und kocht bei gelindem Feuer.“

Plinius schreibt der Rose zusammenziehende und kühlende Eigenschaften
zu. Er sagt von ihr in seiner Naturgeschichte: „Von den Blumen unserer
Gärten werden fast nur Rosen und Veilchen zu Kränzen verwendet. Aber
noch mehr Rosen als zu Kränzen werden zu anderen Zwecken gebraucht.
Man legt sie in Öl, was schon zur Zeit Trojas geschehen ist; man
verbraucht sie zu Salben; auch werden sie zu Pflastern und Augenmitteln
verwendet; sie würzen die Speisen und solche Würze schadet nicht.
Unsere Gärtner geben den Rosen aus Praeneste (in Latium) und aus
Campanien den Vorzug; andere rühmen die milesischen (von Milet an der
kleinasiatischen Küste), welche die glühendste Farbe, aber nicht über
12 Blumenblätter haben. Überhaupt unterscheidet man die Rosen nach
der Menge der Blumenblätter, nach Farbe und Geruch und danach, daß
sie mehr rauh oder glatt sind. Die kleinste Zahl der Blumenblätter
ist 5; es gibt aber auch welche mit mehr, und selbst eine mit 100
Blumenblättern (~centifolia~), sie wächst in Campanien und bei Philippi
(in Mazedonien), zeichnet sich aber nicht durch Wohlgeruch aus. Caepio,
der unter Kaiser Tiberius schrieb, daß man die Centifolie nicht zu
Kränzen verwende, sie höchstens an den Enden solcher anbringe, da sie
sich weder durch ihren Geruch, noch durch Schönheit empfehle. Die in
der Cyrenaika (zwischen Tripolis und Ägypten) heimischen Rosen riechen
am besten und geben daher die beste Salbe. Die Rosen zu Karthago und
in Spanien blühen den ganzen Winter hindurch. Nur eine Rosenart wird
gepfropft, nämlich die blasse, stachelige mit 5 Blumenblättern.“ Und
Palladius empfiehlt: „Um Rosenknospen lange frisch zu erhalten, macht
man in ein grünes, stehendes Pfeilrohr (~canna~ = ~Arundo donax~) von
der Seite einen Spalt, schiebt die Knospe hinein und läßt das Rohr
sich wieder schließen. Zur Zeit, da man die Knospe wieder haben will,
schneidet man das Rohr durch. Manche tun auch Rosen in einen weder
ausgepichten, noch glasierten Topf, schließen ihn gut und vergraben ihn
unter freiem Himmel.“

Bei solchem großen Bedarf an Rosen ist es begreiflich, daß die Rosen
sehr häufig neben anderen Blumen in den Gärten der Griechen und
Römer gezogen wurden und vielfach von stationären und wandernden
Blumenhändlern feilgeboten wurden. Schon Varro empfiehlt in der
republikanischen Zeit Roms als vorteilhaft für solche, die in der Nähe
der Stadt ein Grundstück besitzen, Veilchen- und Rosengärten (~violaria
ac rosaria~) anzulegen. Wie solche zu behandeln seien, erklärt
Palladius. „Im Februar werden die Rosenbeete (~rosarium~) angelegt,
und zwar durch Stecklinge (~virgultum~) oder durch Samen. Nicht die
gelben Blütenteile (also die Staubbeutel) mitten in der Rose sind die
Samen, diese stecken vielmehr in den birnförmigen Beeren, deren Reife
man daran erkennt, daß sie braun und weich werden. Alte Rosenbeete
werden im Februar behackt und alle dürren Zweige an den Sträuchern
werden dann abgeschnitten. An leere Stellen pflanzt man aus Stecklingen
gezogene junge Stöcke. -- An warmen Stellen kann man die Rosenbeete
auch im November anlegen. Hat man nicht Reiser genug, um Stecklinge zu
machen, so schneidet man Zweige ab, legt sie wie Ableger (~propago~) in
die Erde und hilft mit Dünger und Wasser nach.“ Und in den Geoponika
rät ein griechischer Autor: „Will man Rosen haben, die früh blühen, so
setzt man sie in Blumentöpfe, stellt diese in der kalten Jahreszeit
bei Kälte in ein sonniges Zimmer, bei Sonnenschein und warmem Wetter
aber ins Freie, wie man es mit den Kürbissen und Gurken macht. Hält
man Rosen, die sich eben öffnen, in Schwefeldampf, so werden sie
augenblicklich weiß.“

Wie die Rose das Sinnbild der blühenden Jugend, der Liebe und
Fruchtbarkeit war, so galt sie den Römern auch, weil die zahlreichen
Blumenblätter das Innere verhüllen, als Zeichen der Verschwiegenheit
und wurde deshalb in den Speisesälen über der Tafel aufgehängt
und bei Trinkgelagen in Kränzen um die Becher gewunden, um vor
Plauderhaftigkeit in der Weinseligkeit zu warnen. Eine Nachahmung
dieses altrömischen Brauches war es, wenn der mönchisch strenge Papst
Hadrian VI. (1522-1523), der auf die Abstellung der kirchlichen
Mißbräuche und Zurückführung des römischen Hofs auf apostolische
Einfachheit bedacht war, als Symbol der Verschwiegenheit Rosen an den
Beichtstühlen anbringen ließ. Der bekannte Ausdruck: ~sub rosa~ (unter
der Rose, d. h. im Vertrauen) hat hierin den Grund seiner Entstehung.

Bei der Christianisierung des sich zersetzenden Römerreiches zog mit
dem Eindringen der neuen Religion die sogenannte Arkandisziplin, d. h.
Geheimlehre, welche die von den heidnischen Mysterien herübergenommene
Praxis, Taufe, Abendmahl, Salbung, Glaubensbekenntnis und Herrengebet
vor den Nichtgetauften geheim zu halten gebot, auch die Rose in ihren
symbolisierenden Kreis, indem sie das rote Blut Christi und rote
Rosen in Wechselbeziehung zueinander treten ließ, wie verschiedene
Katakombenbilder andeuten. Rosen und Rosenkränze wurden zu Symbolen
des Martyriums und dienten den die Gedenktage solcher Feiernden
zum Ausschmücken der Martyrergräber. Da mit der Erklärung des
Christentums als Staatsreligion durch Konstantin im Jahre 323 die
heidnischen Kulte unter christlichem Gewande weiterbestanden, so
ging die Rose von dem Dienste der Isis mit dem Horusknaben auf dem
Arm in denjenigen der gleicherweiser dargestellten und verehrten
Maria mit dem Jesusknaben auf dem Arm über. Als Himmelskönigin wurde
Maria durch die Rose symbolisiert (~rosa mystica~) und diese Blume
-- einst der Aphrodite-Isis heilig -- wurde die Marienblume ~par
excellence~, mit der man die Marienbilder im Marienmonat, dem Mai,
vorzugsweise schmückte und über die sich die Dichter des Mittelalters
in überschwenglichen Allegorien ergingen. In vielen Legenden wird sie
gefeiert und dient öfter als Veranlassung zur Gründung einer Kirche
oder Kapelle. Man denke nur an die berühmte Sage, die sich an den
uralten Rosenstock von Hildesheim knüpft. In anderen Fällen wird sie
als Liebeszeichen der Himmelskönigin vom Himmel auf die Erde gesandt,
und dieser zu Ehren wird auch die bei Buddhisten und Muhammedanern
gebräuchliche Gebetschnur, als deren Vorgänger sich christliche Mönche
und Einsiedler zum Abzählen ihrer Gebete und Psalmen loser kleiner
Steinchen bedienten, Rosenkranz genannt.

Im Mittelalter, wo so viele Kulturen zugrunde gingen, blieben doch
Rose und Lilie als besonders der Himmelsmutter geweihte und mit ihr
in Zusammenhang gebrachte Blumen, die zudem verhältnismäßig leicht
zu ziehen waren, in den Gärten Mitteleuropas gewöhnlich. Die Dichter
dieser Zeit, denen keine große Auswahl solcher Blumen für ihre
Schilderungen zu Gebote standen, sprechen öfter von diesen beiden
Edelblumen, die die himmlische Anmut und Reinheit der heiligen
Jungfrau darstellen sollten. Und wie gotische Kirchen sich mit
steinernen mystischen Rosen schmückten, so pflegte auf den Bildern
der Verkündigung der Erzengel Gabriel den schlanken Lilienstengel
zu tragen, deren weiße Blüten aber charakteristischerweise nur
Blumenkelche ohne Staubfäden -- zur Versinnbildlichung der unbefleckten
Empfängnis -- aufweisen.

Auch in die Wappensprache jener infolge des starken Vorherrschens
der Analphabeten bildlich denkenden Zeit gingen beide Blumen über.
Wie drei Lilien, die angeblich aus Lanzenspitzen hervorgegangen sein
sollten, seit 1150 das königliche Wappen und das Sinnbild des legitimen
Königtums Frankreich waren, die auch der Jeanne d’Arc, der Jungfrau
von Orleans, bei ihrer Erhebung in den Adelstand durch Karl VII. am
17. Juli 1492 verliehen wurden, so bildete im 15. Jahrhundert die rote
und die weiße Rose das Abzeichen der Parteigänger der Häuser Lancaster
und York in den Wirren, die bei der Schwäche des Königtums in England
wüteten.

Auch auf Münzen erscheint die Rose nicht selten; ferner gewann sie
als geheimnisvolles Symbol der mittelalterlichen Bauhütten eine große
Bedeutung, die sich bei den Freimaurern bis auf den heutigen Tag
erhielt. In den Kelchblättern der Rosenknospe ist nämlich deutlich
das Pentagramm oder der Drudenfuß, das wahrscheinlich von den alten
Ägyptern übernommene geheime Erkennungszeichen der Pythagoräer, das
auch bei den Kelten als Druidenfuß ein heiliges Zeichen war und auf
alten gallischen Münzen nicht selten abgebildet ist, in der spiraligen
Aufeinanderfolge der einzelnen Blätter zu erkennen. Die geometrischen
Proportionen desselben bezeichneten die Jünger der Baukunst seit dem
hohen Altertum als göttliche Proportionen oder goldenen Schnitt, weil
alle ästhetisch schöne Baukunst von den altägyptischen Tempeln bis zu
den gotischen Domen des Mittelalters bewußt oder unbewußt in deren
Gesetzen wurzelt. Am häufigsten sind sie im Grundriß des Hauptschiffes
und in der Fassadengliederung zu erkennen.

Wie bei den Kulturvölkern des Altertums wurden auch bei den
Deutschen und den anderen europäischen Völkern des Mittelalters als
Frühlingsfeier Rosenfeste in sogenannten Rosengärten gefeiert; es
waren dies von Rosenhecken umgebene Plätze, in denen die Festfeiernden
mit Rosen geschmückt zusammenkamen. Solche Rosengärten gab es bei
allen größeren Städten, in Worms sogar zwei. Und da später statt
~rosa~ mehrfach die Bezeichnung ~flos campi~ benutzt wird, so läßt
sich daraus schließen, daß sich die Rosengärten allgemein als mit
Blumen eingefaßte Plätze zur Abhaltung von Volksfesten umschreiben
lassen. Schon der altdeutsche Sänger sagt: „Diu rôse ist diu schoenste
under aller blüete“, daher ist auch jener höchst anspruchslosen
Zeit der Rosengarten der schönste unter allen Gärten, mit dem die
herrlichsten Dinge verglichen werden. Bei dieser großen Beliebtheit und
Volkstümlichkeit der Rosengärten ist es kein Wunder, daß sie dann auch
in Sage und Dichtung eine nicht unwichtige Rolle spielten. Es sei hier
nur an den zu Ende des 13. Jahrhunderts von einem ritterlichen Sänger
gedichteten „Kleinen Rosengarten“, der die Kämpfe Dietrichs von Bern
(des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen, der 489 Odoaker bei Verona
besiegte und deshalb in der Sage als Dietrich von Bern weiterlebt)
mit dem Zwergkönig Laurin und dessen Zaubergarten schildert, und
an den von demselben Verfasser stammenden „Rosengarten von Worms“
erinnert, welch letzterer, der neben Rosen auch andere schöne Blumen
trug, vom Nibelungenhelden Siegfried mit elf anderen Helden für die
von ihm in Liebe umworbene Kriemhild, der Tochter des Königs Giebich
von Worms, bewacht wurde. Auch bei den festlichen Veranstaltungen
der Ritterzeit, besonders des 14. Jahrhunderts, spielte die Rose mit
anderen Blumen eine große Rolle. In diesem kriegerischen Zeitalter
wurden mit Vorliebe, wie wir auch auf zeitgenössischen Malereien und
Elfenbeinschnitzereien sehen, von festlich geschmückten Damen eine
für diesen besondern Zweck erbaute sogenannte Minneburg verteidigt,
die dann von den Herren eingenommen werden mußte. Als Wurfgeschosse
dienten allerlei Blumen, besonders Rosen, dann kleine Früchte,
Kuchen und andere Leckereien, statt siedenden Wassers wurden Parfüms
herabgegossen, bis endlich die Ritter unter einem Blumenregen die Burg
erstürmten und die Damen gefangen nahmen.

Die bei den Römern noch in spätester Zeit gefeierten Rosenfeste,
~rosaria~ oder ~rosalia~ genannt, bei welchen man an verschiedenen
Tagen des Mai und Juni die Gräber mit Rosen schmückte und gemeinsame
Mahlzeiten abhielt, bei denen den Teilnehmern Rosen als die Gabe der
Jahreszeit verabreicht wurden, erhielten sich in Illyrien und auf der
Donauhalbinsel als ~rusalia~ weiter, und aus diesem mit Pfingsten in
Zusammenhang gebrachten Frühlingsfest entwickelte sich bei den Serben,
Slowenen, Weiß- und Kleinrussen, in ähnlicher Weise auch bei den
Walachen und Albanesen das fröhliche Naturfest ~rusalija~. Bei diesem
wurde dann in Mißverstehung des ursprünglichen Sinnes des von ~rosa~
her genannten Festes die Sage von Russalky geheißenen überirdischen
weiblichen Wesen abgeleitet, die um diese Zeit Feld und Wald beleben
und Fruchtbarkeit spenden sollen.

Mit diesem römischen Rosenfeste hängt auch die im Frühling, am vierten
Fastensonntage, dem Sonntage Lätare, vom Papst in feierlichem weißem
Gewande in Gegenwart des Kardinalkollegiums in einer mit Rosen
geschmückten Kapelle am Altare geweihte goldene Rose, die hernach
als segenbringend an Fürsten und Fürstinnen, auch Kirchen und Städte
verschenkt wurde. Er tauchte sie zuerst in Balsam, bestreute sie dann
mit Weihrauch, besprengte sie mit Weihwasser und betete indessen
zu Christus als der Blume des Feldes und zu Maria als der Lilie
des Tales. Als besondere Auszeichnung erhielt unter anderen auch
Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen kurz vor der Einführung der
Reformation, ebenso in jüngster Zeit die wahnsinnige Kaiserin Charlotte
von Mexiko und die bei aller Lasterhaftigkeit höchst bigotte Königin
Isabella II. von Spanien die goldene Rose. Nachrichten über diesen
Gebrauch, der auf altrömische Vorstellungen von der Bedeutung der Rose
als Symbol des Lebens und der Vergänglichkeit zurückgeht, gehen bis
ins 11. Jahrhundert, in die Zeit Leos XI., zurück. Dann werden in der
katholischen Kirche als weiterer Überrest der altrömischen ~rosalia~
bis auf den heutigen Tag am Pfingstsonntage, den ~pascha rosata~
(italienisch ~domenica de rosa~), Rosen von der Höhe der Kirche auf den
Boden herabgelassen.

Bei solch großer Bedeutung, die der Rose in Volkssitte und Religion
zukam, kann es uns nicht wundern, daß ihre von den Römern durch
Vermittlung der Klöster übernommene Kultur auch in den trüben Zeiten
des Mittelalters in Europa erhalten blieb und mancherorts sogar die
Kunst des Treibens derselben geübt wurde. So berichtet uns der Chronist
Johann von Beka von einem am 6. Januar 1249 vom gelehrten Dominikaner
Albertus, wegen seiner ausgedehnten Gelehrsamkeit Magnus, der Große,
zubenannt (1193-1280), in Köln Wilhelm von Holland gegebenen großen
Bankett, an welchem „durch wahrhaft magische Kunst“ -- wie sich der
erstaunte Berichterstatter ausdrückt -- blühende Rosen zu sehen
waren. Wenn diese Blume auch späterhin bei allen Völkern Europas die
wohlverdiente Wertschätzung genoß, so spielt sie doch im Leben des
an bunten Farben und Wohlgerüchen sich ganz besonders erfreuenden
Orientalen eine noch viel wichtigere Rolle. Speziell in ihrer alten
Heimat Persien blüht sie beinahe das ganze Jahr hindurch in köstlicher
Fülle und in herrlich duftenden gefüllten Sorten, die bei den auch dort
noch seit alter Zeit gefeierten Frühlingsfesten eine wichtige Rolle
spielen. Wie haben die persischen Dichter seit dem Firdûsi, d. h. der
Himmlische, genannten Abul Kâsim Mançûr (940-1020) bis heute die Rose
als Königin der Blumen immer wieder gefeiert und die Liebe zwischen
ihr und der Nachtigall (einer Bülbül genannten Kurzfußdrossel aus
der Gattung ~Pycnonotus~ und nicht unsere einheimische Nachtigall)
besungen. Welche Wichtigkeit kommt ihr nicht zur Herstellung des dort
allgemein beliebten Rosenzuckerwerks und der köstlichen Rosenessenz zu,
welch letztere persische Ärzte im 9. Jahrhundert zuerst destillierten.
Ersteres, das wie im ganzen Orient, so auch in der Türkei und in
Griechenland durch Einlegen der wohlriechenden Rosenblätter in Zucker
gewonnen wird, ist der volkstümlichste Leckerbissen, während mit Honig
gekochte Rosenblätter in Limonaden das beliebteste Volksgetränk der
muhammedanischen Welt bilden.

Der Gesandte des deutschen Kaisers Ferdinand II. am türkischen Hofe
in Konstantinopel, Ghislenius Busbequius, erzählt im ersten, 1554
geschriebenen Briefe aus jener Stadt, die Türken dulden nicht, daß ein
Rosenblatt auf der Erde liege, denn sie glauben, die Rose sei aus den
Schweißtropfen hervorgegangen, die Muhammed auf seiner nächtlichen
Himmelfahrt vergoß -- also die alte, nur islamisierte und ins
Prosaische übertragene Adonissage! Auf dem angeblichen Grabe des von
den schiitischen Persern verehrten 4. Kalifen Ali ben Abu Taleb, dem
treuesten Gefährten Muhammeds und Gemahl seiner Tochter Fatime, der 656
nach Othmans Ermordung zum Beherrscher der Gläubigen erhoben, aber 661
in Kufa ermordet wurde, bei Messar in der Nähe des heutigen Belch --
früher Bactra -- sah der Reisende Vambéry die wunderwirkenden roten,
angeblich aus dessen Blut hervorgesprossenen Rosen (~güli surch~), die
ihm in der Tat an Geruch und Farbe alle andern zu übertreffen schienen
und die, weil sie nach der islamitischen Lokalsage nirgends anderswo
gedeihen sollen, auch nirgends angepflanzt werden.

Diese aus Persien stammende und im Altertum über die Mittelmeerländer
verbreitete Centifolie, von der bisher ausschließlich die Rede war,
ist diejenige Unterart der in Südeuropa und Westasien heimischen
Provencerose (~Rosa gallica~), die hier im Altertum und Mittelalter
ausschließlich bekannt war. Nun wurde in der Folge die Centifolie
vielfach mit der Provencerose gekreuzt und ergab die ältesten
Rosenhybriden der Ziergärten des Menschen. Eine uralte Gartenrose
ging auch durch Kreuzung der Centifolie mit der Hundsrose hervor; es
ist dies die +Damascenerrose+, die uns wohl schon im Altertum als
zweimal blühend gerühmte Rose von Paestum entgegentritt. Wie die
Centifolie 1332 aus Persien zunächst nach Südeuropa gelangte, so
brachte der französische Ritter Robert von Brie schon vorher, zur Zeit
der Kreuzzüge, die Damascenerrose nach seinem Schloß Provins in der
Champagne, wo sie kultiviert und durch Ableger weiter verbreitet wurde.

Alle diese Rosen der älteren Gärten empfehlen sich durch
Widerstandskraft und Frosthärte von selbst, blühen aber nur einmal im
Jahre. Diesem Übelstand wurde erst in der Neuzeit abgeholfen durch
das Aufkommen der „Remontant“-Rosen, die auf verschiedene, sehr
lange Zeit blühende ostasiatische Arten zurückzuführen sind. Durch
die Einführung dieser hochkultivierten prächtigen ostasiatischen
Rosenarten nahm erst die Rosenkultur den großen Aufschwung, der
diese Pflanze heute noch mehr als früher zum bevorzugten Liebling
zahlreicher Blumenfreunde machte. Und zwar ist die +indische Rose+
(~Rosa indica~) die Ursprungsform der prächtigen ostasiatischen Rosen,
die besonders in China und Japan seit sehr alter Zeit kultiviert
werden, frühe nach Indien kamen und um 1698 aus China auch in unsere
Gärten gelangten. Zu ihnen gehören die +Bengalrosen+, die +Teerosen+
und die +Monatsrosen+. Letztere werden meist niedrig gehalten
und sind zur Einfassung von Rabatten, wie auch in Töpfen gezogen
als Stubenpflanzen beliebt und besitzen mehr flatterige, weniger
gefüllte, hellrosa Blüten. Bemerkenswerte Formen unter ihnen sind die
Hermosa und die Zwergröschen. Eine echte Edelrose ist die von ~Rosa
chinensis~ abstammende Teerose, deren Kreuzung mit der Provencerose
die Bourbonenrose, die ~Gloire de Dijon~ und ~Malmaison~ (nach der
Besitzung der rosenfreundlichen Gattin Napoleons I., Josephine,
so genannt), wie auch die ~La France~, die bevorzugte Rose der
deutschen Kaiserin, hervorgehen ließ. Letztere, die erst 1868 in den
Handel gelangte, will, wie so manche andere, nur durch Ableger auf
ungeschlechtlichem Wege sich fortpflanzende Form, schon jetzt nicht
mehr recht gedeihen. Alle diese prächtigen Rosen, zu denen auch die
angenehm duftende, gelbblühende Marschall Niel gehört, besitzen die
vorzügliche Eigenschaft, zu „remontieren“, d. h. nicht die Periode des
Blühens auf eine kurze Zeit zu beschränken, sondern ihre prächtigen
Blüten Wochen und Monate hindurch unausgesetzt zu entfalten. Sie
verdanken diese Eigenschaft der Einwirkung der indischen Rose, welche
überhaupt keiner Winterruhe bedarf und deshalb auch zur Kultur in den
Tropen empfohlen werden kann. Da aber die Stammart ein Kind der Tropen
ist, so müssen diese gegen Kälte empfindlichen Rosensorten im Winter
sorgfältig vor dem Erfrieren geschützt werden.

Schon in England, aber noch viel häufiger in Südeuropa, besonders
der Riviera, begegnet uns die in Südwestchina (Yün-nan) heimische
kletternde, stachellose +Banksrose+ (~Rosa banksiae~) mit
halbgefüllten hellgelben oder weißen Blüten und kleinen Früchten.
In unsern Gewächshäusern ist es nicht möglich, sie in so prächtiger
Entfaltung wie beispielsweise an der Riviera zu erhalten. Auch die
eigentlichen +Kletterrosen+ mit kleinen weißen oder rosenroten Blüten
in Büscheln sind in China und Japan heimisch. Zu ihnen gehört vor
allem die japanische +Büschelrose+ (~Rosa multiflora~), die mit ihren
pyramidenförmigen, reichblühenden Rispen in vielen Farben und Formen
unsere Lauben und Hauswände zieren. Die in dunkelroten, kleinblütigen
Büscheln blühende ~Crimson Rambler~ dagegen stammt von der Prärierose
des östlichen Nordamerika. Sie dauert auch in unserem Klima gut aus
und ist eine sehr anspruchslose, reichblühende Pflanze, die deshalb
sehr häufig bei uns angetroffen wird. Von Abessinien bis Yünnan in
Südwestchina heimisch ist die in den Mittelmeerländern verwilderte
+Bisamrose+ (~Rosa moschata~) mit weißen, angenehm nach Moschus
duftenden, kleinen Blüten in großen Endrispen. Sie wird neuerdings
auch bei uns kultiviert, muß aber gegen Kälte geschützt werden.
Ähnlich wie die schwarze Johannisbeere leicht nach Wanzen riechen
dagegen die dottergelben Blüten der von Kleinasien bis Afghanistan
heimischen, ebenfalls im Mittelmeergebiet häufig verwilderten +gelben
Rose+ (~Rosa lutea~), die mit den ostasiatischen Teerosen in keinerlei
verwandtschaftlicher Beziehung steht. Eine ähnliche Blütenfülle und
denselben Duft entwickelt die wahrscheinlich nur als eine Abart
dieser aufzufassende zweifarbige +Kapuzinerrose+ (~Rosa bicolor~),
deren Blumenblätter außen gelb, innen aber scharlachrot gefärbt sind.
Die +Zimtrose+ (~Rosa cinnamomea~) mit rosa bis karminroten Blüten
und braunroten Zweigen ist auf den Gebirgen Mittel- und Südeuropas
heimisch, während die auch bei uns als Fruchtstrauch kultivierte
„Kaiserin des Nordens“ mit rundlichplatten, großen, roten Früchten
in Nordasien zu Hause ist. Es ist dies ein Abkömmling der durch ihre
Frosthärte ausgezeichneten chinesischen +Runzelrose+ (~Rosa rugosa~),
die sich durch kräftiges, etwas runzliges Laubwerk auszeichnet, von
dem sich die großen dunkelpurpurroten Blüten ebenso prächtig abheben,
wie im Herbste die hochroten, kleinen Äpfeln nahekommenden Früchte,
deren Kelchblätter nicht einschrumpfen, sondern frisch und grün stehen
bleiben. Japan eigentümlich ist die +Chamäleonrose+, so genannt,
weil sie ihre Farbe wechselt. Im Schatten ist sie weiß, im Lichte
dagegen rot. Bei Nacht nimmt sie eine wachsartig weiße Farbe an.
Dies geschieht nicht auf einmal, sondern die Blüten wechseln durch
einen blauen Ton schnell zum blassen Rosa, um schließlich wachsweiß
zu werden. Bringt man die Rose dann wieder an das helle Sonnenlicht,
so nimmt sie sehr rasch wieder ihre Scharlach- oder Päonienfarbe an.
Die reizende +Moosrose+ aber ist ein Abkömmling der Centifolie, wie
die +französische+ oder +Essigrose+ mit gefüllten und halbgefüllten,
wohlriechenden, roten Blüten, die man zur Herstellung von Rosenbonbons
und Rosenlikör verwendet, ein solcher der Provencerose ist. Wie man
bei uns gelegentlich die Marschall Niel-Rose wegen ihres feinen Duftes
zur Herstellung von Bowle benutzt, so wird die herrlich duftende
morgenländische Centifolie zur Herstellung des kühlenden Scherbets,
d. h. arabisch Trank, wovon das italienische ~sorbetto~ stammt,
verwendet. Ihr gehören auch die Ölrosen von Kasanlik an, aus denen das
Rosenöl dargestellt wird. Aus zerstampften Rosenblättern fertigt man
in der Türkei mit Zusatz von Gummi schwarze Perlen an, und schwach
eingesalzene Rosenblätter finden in der Schnupftabakfabrikation
Verwendung.

Im Winter versorgt uns die Riviera mit Rosen, wie mit andern Blumen.
So führt Deutschland von dort jährlich für 3 Millionen Mark ein,
führt aber andererseits für 15 Millionen Mark veredelte Rosenpflanzen
aus. Überhaupt hat die Rosenzucht für die Gärtnerei eine sehr große
Bedeutung. Die Rosen variieren ungemein leicht und bis 1850 hat man
Neuheiten unter denselben fast nur durch Sammeln und Vermehren der
spontan entstandenen Sprungvarietäten gewonnen. Eine solche ist
beispielsweise die aus der Centifolie hervorgegangene Moosrose und
die Bourbonrose. Bei allen Pflanzen entstehen solche neue Formen
unvermittelt und zufällig. Der Mensch kann sie nicht erzeugen, nur
entdecken. Er kann dann allerdings nachträglich durch Kreuzung mit
einer verwandten Art, die gewisse, der Sprungvarietät abgehende Vorzüge
besitzt, diese seinen Wünschen entsprechend zu vervollkommnen suchen.
Die Kreuzung setzt er so lange fort, bis die gewünschte Kombination von
Eigenschaften bei seinen Pfleglingen eingetreten ist. Auf solche Weise
sind die meisten Neuheiten geschaffen worden, deren die Rosenzüchter in
ihren Katalogen insgesamt etwa 4000 aufzählen.

Noch der 1560 in Basel geborene und von 1588 bis zu seinem Tode 1624
als Professor der Botanik und Medizin daselbst wirkende gelehrte
Pflanzenkenner und Schöpfer der binären Nomenklatur, Kaspar Bauhin,
unterschied außer 19 wilden bloß 17 zahme Rosenarten. In solch
ungeahnter Fülle hat sich also seither unser Besitztum an Kulturrosen,
besonders seit der Einführung der ostasiatischen hochgezüchteten
Sorten, vermehrt. Und zwar kam zuerst 1780 die Bengalrose von niedrigem
Wuchs aus Kanton zu uns, dann 1807 die Banksrose aus Japan und China
und erst 1825 die hochstämmige Teerose ebenfalls von dorther. Die
neue Zeit vermehrte dieses Material durch Einführung weiterer neuer
Sorten und durch systematische Kreuzung. In Frankreich erreichte die
Rosenkultur durch Kaiserin Josephine in den Gärten ihres Schlosses
Malmaison und den wissenschaftlichen Begleiter Alexanders von Humboldt
auf seiner berühmten südamerikanischen Reise, den Botaniker Bonpland,
seit 1800 ihre höchste Entwicklung. In England geschah dies durch
verschiedene Privatpersonen, besonders in der Grafschaft Hertford. In
Deutschland war die Rosensammlung des kurfürstlichen Gartens in Kassel
berühmt; auch die Rosenau bei Koburg und die Pfaueninsel bei Potsdam
wiesen bedeutende Rosenkulturen auf. Die bedeutendste Rosensammlung
findet sich zurzeit im Schloßgarten zu Friedrichshof bei Kronberg im
Taunus, in denjenigen des Schlosses Monrepos bei Geisenheim am Rhein
und des Schlosses Königstein unweit von Homburg vor der Höhe.

Die Vermehrung der Edelrosen geschieht in der Weise, daß man ein Auge
auf einen Wildling der +Hundsrose+ (~Rosa canina~) überträgt, und
zwar am Wurzelhals, wenn man Buschrosen ziehen will, sonst aber auf
einem niedrigen, mittelhohen oder hohen Stamm. Auch durch Ableger,
Wurzelschnittlinge, Ausläufer und Stecklinge werden die Rosen vermehrt.
Sie können unter Umständen ein Leben von mehreren hundert Jahren
erreichen. So galt der mit seinen Ausläufern 6,5 m hohe und 7,5 m
breite Rosenstrauch auf dem Friedhof an der Außenmauer der Apsis
des Domes von Hildesheim schon im 17. Jahrhundert als uralt. Nach
Alexander von Humboldts „Ansichten der Natur“ wird dieses Rosenstocks
vermutlich schon im 11. Jahrhundert Erwähnung getan, und zwar durch
die Haushaltungsregister des Doms, in denen Ausgaben für die Pflege
eines Rosenstocks verzeichnet sind. Er ist über der Erde 50 cm dick.
Im Garten der Marineverwaltung von Toulon steht ein von Bonpland
eingesandter, 1813 gepflanzter Banksrosenstock, der heute über dem
Boden 90 cm Umfang hat und mit seinen Zweigen eine 25 m breite und
6-8 m hohe Mauer bedeckt und während seiner Blütezeit im April und
Mai oft 25000 Blüten zu gleicher Zeit aufweist. Der größte Rosenstock
Europas befindet sich aber im Wehrleschen Garten in Freiburg im
Breisgau. Dieser, ein Wildstamm, wurde von seinem Besitzer im Jahre
1881 mit einer Teerose okuliert. Diese Veredlung machte gleich gute
Fortschritte und trug im folgenden Jahre bereits 27 Blüten. Vor einem
Jahrzehnt hatte der Baum einen Flächenraum von 88 qm erreicht und
trug 7400 Blüten. Ein Jahr später entwickelte er 8000 Blüten; zwei
Jahre später nahm er schon einen Flächenraum von 89 qm ein und besaß
über 10000 Blüten. Heute wird diese Zahl noch weit überschritten. Der
1,10 m hohe Stamm besitzt einen Umfang von 34 cm. Das an Draht gezogene
Zweigwerk bildet eine große Laube.

Auch in China, das uns so herrliche Kulturrosen lieferte, wurde die
Rose seit dem hohen Altertum aus den einheimischen Wildlingen als
bevorzugte Gartenblume gezogen. Die Chinesen exportieren große Mengen
Rosenwasser, machen auch Riechkissen und Rosenbutter. In den Gärten des
chinesischen Kaisers werden Rosen in solcher Menge gezogen, daß die
daraus gewonnene Essenz jährlich gegen 100000 Mark einträgt. Aber nur
die kaiserliche Familie und die Mandarinen dürfen sich dieses Parfüms
bedienen.

Nächst der Rose ist die +weiße Lilie+ (~Lilium candidum~) eine der
vornehmsten und geschätztesten Zierpflanzen. Diese auf 1 m hohem
Stengel 5-20 reinweiße Blüten mit 5 langgestielten, in große gelbe
Antheren endigende Staubfäden tragende Pflanze wächst im östlichen
Mittelmeergebiet bis Persien und zum nördlichen Kaukasus wild,
verwildert auch sehr leicht und wurde ebenfalls in Westasien zuerst
vom Menschen in den Gärten kultiviert. Sie wird schon in den ältesten
auf uns gekommenen Gesängen der Perser und Syrier hoch gefeiert und
galt wegen der schneeweißen Farbe ihrer Blüten als das Sinnbild der
Unschuld und Reinheit. Wir sahen bereits, daß die im Alten Testament
als ~schuschan~ bezeichnete Blütenpflanze nicht die Rose, sondern eine
Lilienart, und zwar nicht sowohl die weiße, als eine farbige Lilie,
wahrscheinlich die ebenfalls glockige Blüten aufweisende Kaiserkrone
bedeutet. Mit dieser Bezeichnung einer auf dem Felde wildwachsenden
Lilie hängt auch der Name der persischen Hauptstadt Susa zusammen;
und zwar bedeutete dieses persische ~susan~ höchstwahrscheinlich die
weiße Lilie, nach der die Stadt genannt wurde. Spricht doch noch der
griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. von einer
Liliensalbe (~chrísma leírinon~), „die auch die von Susa stammende
(~súsinon~) genannt wird“, und meint damit bestimmt eine aus der
weißen Lilie hergestellte wohlriechende Salbe. Wenn nun in der
Bibelübersetzung Luthers steht, daß die Baumeister den Säulen und deren
Kapitälen die Gestalt von Lilienstengeln mit deren Blüten gaben, so ist
dies dahin zu berichtigen, daß damit die auch von den Griechen als
Lilie (~leírion~) bezeichnete weiße Lotosblume, die heilige Blume des
Nils, verstanden war, die die phönikischen Baumeister in Nachahmung
der ägyptischen Vorbilder an den Stützen des reich mit Gebälk aus
Zedernholz vom Libanon ausgestatteten Tempels Jahves in Jerusalem
darstellten.

[Illustration:

    Tafel 141.

Die Wasserrose des Amazonenstromes (~victoria regia~) im Botanischen
Garten von Buitenzorg auf Java.]

[Illustration: Der „tausendjährige“ Rosenstock am Hildesheimer Dom.]

[Illustration:

    Tafel 142.

Eine Tulpenanpflanzung in Hillegom (Holland).]

[Illustration: Eine Hyazinthenanpflanzung in Hillegom (Holland).]

Bei den alten Griechen erwähnt schon Homer die weiße Lilie als
~leírion~ mit dem schmückenden Beiwort ~tháuma idésthai~, d. h. ein
Wunder zu sehen, und nennt die als besonders schön weiß zu bezeichnende
Haut des Helden Ajax als ~leírios~, d. h. weiß wie die Lilie. Wie die
orientalische gefüllte rote Rose der Liebesgöttin Aphrodite-Venus,
so war die hehre weiße Lilie bei den Griechen und den später von
jenen hochgradig beeinflußten Römern der Hera-Juno, der Gattin des
höchsten der Götter, Zeus-Jupiter, heilig. Ein in den Geoponika uns
überlieferter griechischer Mythos tut uns kund, daß diese Blume aus der
Milch der Himmelsfürstin hervorgegangen sei. Es heißt dort nämlich:
„Als Alkmene (die Tochter des Königs Elektryon von Mykene und Gemahlin
des Amphitryon, Enkels des Perseus und Sohnes des Alkaios, Königs von
Tiryns) den Herakles -- den sie von Zeus empfing -- geboren hatte,
welcher eigentlich sterblich war, wollte ihm Zeus (sein Vater) die
Unsterblichkeit verleihen und legte ihn zu diesem Zwecke heimlich an
die Brust der schlafenden Hera. Der Knabe trank sich da tüchtig satt,
aber wie er abließ, floß noch Milch in Strömen aus, und was davon an
den Himmel kam, bildete dort die Milchstraße, was aber auf die Erde
lief, das brachte die Lilie hervor, die demnach die milchweiße Farbe
trägt.“

Im alten Griechenland wurde im Gegensatz zur einheimischen wilden
Lilie, die ~krínon~ hieß, die aus dem Orient dahin gelangte weiße Lilie
als ~leírion~ bezeichnet. Der griechische Komödiendichter Aristophanes
(455-387 v. Chr.) erwähnt aus ersterer hergestellte Kränze, letztere
dagegen beschreibt Theophrast in seiner Pflanzengeschichte. Von den
Griechen Unteritaliens lernten dann die Römer die weiße Gartenlilie
des Orients kennen, wobei sie das griechische ~leírion~ sich als
~lilium~ mundgerecht machten. In einer der Eklogen Virgils (70-19
v. Chr.) trägt der altitalische Wald- und Feldgott Silvanus einen Kranz
von (vermutlich bunten wilden) Lilien, und an einer Stelle der Aeneis
summen die Bienen um weiße Lilien (~candidum lilium~). Bei Columella
werden weiße Lilien für die Bienen in Gärten gezogen, und in einer
Elegie läßt Properz (45-22 v. Chr) das Wohlwollen der Nymphen durch
weiße Lilien gewinnen. Plinius schreibt über sie: „Fast so edel wie
die Rose ist die Lilie, die ebenso zur Herstellung von Salbe und Öl
benutzt wird; letztere heißt ~lirinon~. Die Lilie beginnt in der Zeit
zu blühen, da die Rosen in voller Blüte stehen, und gewährt dann,
zwischen ihnen stehend, einen herrlichen Anblick. Der Stengel, auf dem
die Blume steht, hat oft drei Ellen Höhe, die Blume selbst aber steht
auf einem schwachen Stiele, der nicht imstande ist, sie aufrecht zu
tragen. Sie ist blendend weiß, auswendig gestreift, am Grunde schmal,
nach außen allmählich becherförmig erweitert, mit zurückgebogenen
Rändern. Der Stempel (~pilum~) ist dünn, die Staubgefäße (~stamina~)
haben die Farbe des Safrans (~crocus~). Der Geruch des Kelches
(~calyx~) ist von demjenigen der Staubgefäße etwas verschieden: bei
Bereitung der Salbe und des Öles werden aber auch die Blätter nicht
verachtet.“

Wie die Lilie nach griechischem Vorbild der Juno heilig war, galt
sie den Römern auch als Sinnbild der Hoffnung und in der Kaiserzeit
als Emblem des Thronfolgers. Auf einigen römischen Münzen, die
solchen Thronfolgern galten, findet sich auf der Rückseite eine
Lilie abgebildet mit der Umschrift: ~spes populi romani~ (Hoffnung
des römischen Volkes). Die ältere antike Auffassung, die in dieser
reinweißen Blume ein Symbol der Reinheit und Unschuld sah, übernahm
dann die christliche Kirche, die die schöne, feierliche Blume der
Himmelskönigin Maria als Sinnbild ihrer reinen, unbefleckten Empfängnis
in die Hand gab. Später bemächtigte sich der Aberglaube dieser Blume
und ließ sie aus den Gräbern unschuldig Hingerichteter hervorwachsen.
Allgemein herrschte im Mittelalter der Glaube, daß der Mönch, der eine
Lilie in seinem Chorstuhle fand, drei Tage hernach sterben müsse. Ein
hochbegabter Abt der Benediktinerabtei Corvey an der Weser wurde,
wie eine Chronik meldet, durch einen solchen Fund in so gewaltigen
Schrecken versetzt, daß er den Tod davontrug. Sein Nachfolger bekannte
sich in seiner letzten Beichte schuldig, die Lilie selbst hingelegt zu
haben, um sich die angesehene Stellung seines Opfers zu verschaffen.

Wie in der Geschichte Englands die rote und weiße Rose, so spielte
in Frankreichs Geschichte die Lilie eine bedeutende Rolle. Nach der
Legende überreichte ein Engel dem Frankenkönig Chlodwig aus dem
Geschlechte der Merovinger, der 16jährig seinem Vater Childerich als
König der salischen Franken im heutigen Belgien folgte, 486 durch
den Sieg bei Soissons über den römischen Statthalter Syagrius das
Seinegebiet eroberte und 496 die Alamannen schlug, als er darauf mit
3000 Franken in Reims zum Christentume übertrat, einen Lilienstengel.
Später waren -- seit 1150 nachweisbar -- vermutlich aus Lanzenspitzen
zu stilisierten Blumen umgewandelte Lilien das königliche Wappen
Frankreichs, das von da an durch die ganze Geschichte Frankreichs
als Symbol des legitimen Königtums eine wichtige Rolle spielte, und
zwar waren es seit Karl VI. (1380-1422) deren in der Regel drei,
während vorher ihre Zahl unbestimmt gewesen war. Nicht nur in Wappen
und Siegel, auch auf Szepter, Kronenreifen, in Stickereien auf den
Gewändern der Könige und auf Wappenröcken der Herolde erschienen die
berühmten ~fleurs de lis~. Und nach dem Aussterben der Kapetinger
mit Karl IV. im Jahre 1328 hielt die Seitenlinie der Valois bis zur
Hinrichtung Ludwigs XVI. und dann von 1815-1830 die Bourbonen die drei
Lilien als königliches Abzeichen bei.

Daß eine solche schon in ihrem stolzen Aussehen wahrhaft königliche
Blume auch sonst ohne sinnbildliche Bedeutung dekorativ eine große
Rolle spielte und auf allerlei Geweben, besonders Tapeten, nachgebildet
wurde, ist selbstverständlich. Außerdem wurden von mehreren Regenten
auch Lilienorden gestiftet, so z. B. um 1413 von Ferdinand, König von
Arragonien, 1546 vom Papste Paul III. (Alexander Farnese, geb. 1468,
regierte von 1534-1549, bestätigte den Jesuitenorden, ordnete 1542
eine allgemeine Inquisition zur Unterdrückung des Protestantismus an,
eröffnete 1445 das bis 1563 dauernde Konzil von Trient, war ein Gönner
der Künstler und Literaten), und zuletzt 1814 von dem nach dem Sturze
Napoleons I. zum Könige erhobenen Ludwig XVIII. Die Anhänger der mit
ihm zur Herrschaft gelangenden Bourbonen trugen die Lilien als Protest
gegen das Veilchen, womit sich die Getreuen des gestürzten Korsen
kenntlich machten.

Wie im Altertum war auch im Mittelalter die Lilie neben der Rose der
Stolz der europäischen Gärten; während aber letztere in der Neuzeit
seit der Einführung der edlen ostasiatischen Schwestern durch Kreuzung
und Variation eine große Fülle verschiedener Sorten bildete, hat sich
die Lilie unverändert in ihrem alten Adel erhalten und bildet den
vornehmsten Repräsentanten der Zierblumen des ländlichen Gartens,
während sie in den Städten eher zurücktrat und erst neuerdings wieder
neben ihren seither eingeführten farbenprächtigen ostasiatischen
Schwestern einige Bedeutung erlangte. Schon im Altertum hören wir
einige Stimmen, die von bunten Lilien reden. So sagt Dioskurides im
1. Jahrhundert n. Chr.: „Manche behaupten, es gebe auch purpurfarbige
Lilien,“ damit soll wohl eine Abart der weißen Lilie verstanden sein,
die er selbst noch nie sah. Wie eine solche erzeugt werden könne, sagen
uns die Geoponika, in denen es heißt: „Florentinus behauptet, man
könne die Lilien rot färben, wenn man zwischen die Schuppen der Zwiebel
die Farbe streue, welche ~cinnabari~ heißt (damit ist das Drachenblut
genannte dunkelrote Harz des Drachenbaums der Insel Sokotra gemeint).
Mit anderen Farben kann man die Lilie anders färben.“ Ein anderes
Rezept dazu gibt ein anderer griechischer Schriftsteller in diesem
Sammelwerke: „Will man Lilien von Purpurfarbe haben, so reißt man 10
oder 12 blühende Lilienstengel aus und hängt sie in Rauch. Aus ihnen
wachsen kleine, zwiebelförmige Wurzeln hervor. Ist dann die Zeit des
Pflanzens da, so legt man den Stengel in Hefe von rotem Wein, bis sie
durch und durch rot sind. Nun pflanzt man sie in Erde und begießt sie
gehörig mit Hefe. Die aus solchen Stengeln wachsenden Lilien blühen
rot.“ Dieses phantastische Verfahren gibt dann Plinius als erwiesene
Tatsache wieder. Palladius (um 380 v. Chr.) schreibt: „Im Februar
bringt man die Lilienzwiebeln in die Erde, oder behackt sie, wenn
sie schon darin sind, mit großer Sorgfalt, damit die jungen Zwiebeln
nicht verletzt werden. Diese kann man später von der Mutterzwiebel
ablösen, verpflanzen und auf solche Weise neue Lilienbeete (~lilietum~)
erzielen.“ Nach Dioskurides wurden Lilienblätter auf Schlangenbiß- und
Brandwunden und mit Essig auf Quetschwunden gelegt und die gebratene
und mit allerlei anderen Stoffen vermischte Wurzel zu Heilzwecken
verschiedener Art benutzt; daneben war das Lilienöl als Arznei berühmt
und erhielt sich bis in die Gegenwart beim Volke in Ansehen. Ein
Rezept dazu gibt uns Palladius: „Um Lilienöl (~oleum liliaceum~) zu
bereiten, gießt man 1 Pfund Olivenöl auf 10 Lilienblüten, die sich in
einem Glase befinden, und stellt dieses 40 Tage an die Sonne.“ Ein
Konservierungsmittel für Lilien teilt uns ein Grieche in der Geoponika
mit: „Um Lilien das ganze Jahr hindurch frisch zu erhalten, verfährt
man folgendermaßen: Man pflückt die Blüten, ehe sie sich öffnen, samt
den Blütenstielen und legt sie in neue, irdene, nicht ausgepichte
Töpfe, deckt diese zu, und so bleiben die Blüten das ganze Jahr frisch.
So oft man welche brauchen will, nimmt man sie heraus, setzt sie der
Sonne aus, und sie öffnen sich, sobald sie warm werden.“

Im frühen Mittelalter wurde die Lilie, wie auch die Rose, mehr als
Arzneipflanze zur medizinischen Verwendung, denn als Zierpflanze
in den Gärten Mitteleuropas angepflanzt. Das besondere Lob der
Schönheit, das ihr der 849 verstorbene fränkische Mönch Walahfrid
Strabo spendet, als er sie im Klostergarten wachsen sah, beweist
aber, daß neben der Nützlichkeit auch die Freude an deren Schönheit
für die Kultur dieser Pflanze maßgebend war. Im späteren Mittelalter
bedienten sich die Ritter gerne der Gilgen oder Ilgen, wie damals
die Lilien im deutschen Sprachgebiet genannt wurden, als Zier, und
auch beim Volke waren sie beliebt, bis im Laufe der Neuzeit nach und
nach das Interesse an ihnen abnahm und sie infolgedessen nur noch
selten angepflanzt wurden. Erst in unserer Zeit ist wiederum eine
erhöhte Wertschätzung dieser prächtigen Zierpflanze, die nicht bloß
den schlichten Bauerngärten, sondern auch den schönen Parkanlagen der
Vornehmen sehr wohl ansteht, eingetreten. Dazu trug ganz wesentlich
die Einführung der nicht minder schönen ostasiatischen Lilien bei.
Eine erste Auswahl solcher brachte der 1796 in Würzburg geborene und
1866 in München gestorbene Arzt Philipp Franz von Siebold, der 1822
als Sanitätsoffizier in holländischen Diensten nach Batavia ging und
von 1823-1830 und abermals von 1859-1862 sich in Japan aufhielt, aus
letzterem Lande nach Europa. Unter diesen ist vor allem die auch als
Königin aller Lilien bezeichnete japanische +Goldlilie+ (~Lilium
auratum~) zu nennen, die wie die weiße westasiatische Lilie 1 m
hoch wird und bis 26 cm große, perlweiße, wohlriechende Blüten
mit rotbraun bis purpurn punktierten und dem Mittelnerv entlang,
goldgelb gebänderten Blumenblättern besitzt. Auch sie wird heute wie
die weiße Lilie in mehreren Varietäten bei uns kultiviert. Ebenso
die +prächtige Lilie+ (~Lilium speciosum~) aus Japan mit 0,6-1 m
hohem Stengel, eirunden Blättern und sehr großen, überhängenden, mit
zurückgeschlagenen rosenroten Blumenblättern gezierten, nach Vanille
riechenden Blüten und die +getigerte Lilie+ (~Lilium tigrinum~) aus
China und Japan, die an der Spitze des 2 m hohen Stengels zahlreiche
feuerrote, schwarzpunktierte Blüten in pyramidenförmiger Rispe trägt.
Von den feuchten Bergwäldern des Himalaja in 2000-3000 m Höhe stammt
die +Riesenlilie+ (~Lilium giganteum~) mit 2-3,6 m hohem Stengel,
gestielten, herzförmigen Blättern und weißlichgrünen, innen schwach
purpurgeflammten, höchst wohlriechenden Blüten, während die dem
einheimischen Türkenbund sehr nahe stehende ~Lilium superbum~ mit 2 m
hohem Stengel und scharlachroten Blüten aus Nordamerika zu uns kam.
Von Sibirien erhielten wir die +Prachtlilie+ (~Lilium pomponium~ --
seitdem Plinius eine gewisse Birnensorte nach einem gewissen Pomponius
benannte, pflegte man überhaupt schöne Früchte und auch Blumen
pomponisch zu nennen) mit einfarbigen, mennig- bis scharlachroten
Blüten. Ihr in bezug auf Gestalt und Farbe der Blüte sehr ähnlich ist
die im Orient und in Kleinasien heimische +Scharlachlilie+ (~Lilium
chalcedonicum~), die Frank-Leunis für die eigentliche ~krínon~
Theophrasts und die ~hēmerokallís~ des Dioskurides hält. Jedenfalls
scheinen die alten Griechen sie gekannt und gelegentlich auch in ihren
Gärten angepflanzt zu haben. Neben allen diesen werden aber auch
bescheidenere Lilienarten bei uns angepflanzt, so die aus dem Piemont
zu uns gekommene +Feuerlilie+ (~Lilium croceum~) und der in Laubwäldern
Mitteleuropas wachsende +Türkenbund+ (~Lilium martagon~) -- so genannt
weil seine Blüte mit den zurückgeschlagenen Blumenblattzipfeln an einen
türkischen Turban erinnert. Alle diese verschiedenen Zierlilien werden
bei uns besonders in Südfrankreich und den englischen Scillyinseln im
Ärmelkanal, in Nordamerika hauptsächlich in Südkarolina und auf den
Bermudasinseln im großen kultiviert, um von dort aus die Zwiebeln in
den Handel zu bringen. Noch viel mehr als hier werden aber die schönen
farbigen Zierlilien in Japan angepflanzt, von wo aus jährlich über 5
Millionen Zwiebeln derselben ausgeführt werden.

Eine der schönsten Zierpflanzen Ostindiens, speziell Malabars, ist
die auch bei uns in Gewächshäusern gezogene +rankende Prachtlilie+
(~Gloriosa superba~), während die aus Südrußland und der Tartarei
eingeführte +Zahnlilie+ (~Erythronium dens canis~) -- so genannt, weil
die Zwiebeln in 3-4 Zähne gespalten sind -- auch bei uns eine nicht
selten angetroffene Gartenzierpflanze ist. Die Zwiebeln der letzteren
Art dienen den Tartaren als Nahrungsmittel und ~Aphrodisiacum~, werden
in Rußland auch als Mittel gegen Eingeweidewürmer und Fallsucht
verwendet.

In Persien, Afghanistan und Kaschmir heimisch ist die häufig in
unseren Gärten angetroffene +Kaiserkrone+ (~Fritillaria imperialis~,
ersteres Wort stammt von ~fritillus~, Knobelbecher, aus dem die Würfel
geworfen werden), die zu Anfang des 16. Jahrhunderts von Persien nach
Konstantinopel und 1570 durch Vermittlung des deutschen Gesandten am
türkischen Hofe Gislenius Busbequius in die kaiserlichen Gärten zu
Wien eingeführt wurde, von wo aus sie sich bald in fast allen Gärten
Mitteleuropas einbürgerte. Sie wird bis 1,2 m hoch und trägt unter
einem Schopfe grüner Blätter hängende gelblich- bis bräunlichrote
Blüten in Büscheln. Sie wird in vielen Varietäten mit gelben,
orangefarbenen bis feuerroten Blüten kultiviert und blüht im ersten
Frühling, wenn noch wenig andere Blüten zu finden sind. Die Zwiebeln
werden alle drei Jahre verpflanzt. Sie sind stärkemehlreich, riechen
höchst unangenehm, sind sehr scharf, selbst giftig, und wurden früher
auch arzneilich benutzt. Sie sind nach dem Kochen genießbar, indem
dadurch der scharfe Stoff sich verflüchtigt. Seit einiger Zeit wird sie
besonders in Frankreich zur Stärkegewinnung kultiviert. Von 1 Hektar
soll man 6300 kg Stärkemehl erhalten. Der reichlich von den Blüten
zur Anlockung der die Befruchtung besorgenden Insekten ausgeschiedene
Honigsaft soll brechenerregend wirken. Die ihr nah verwandte
+schwarze Lilie+ (~Fritillaria kamtschatcensis~) mit schwarzpurpurnen
Blüten wächst in Ostsibirien, Kamtschatka, Japan und dem westlichen
Nordamerika. Für die Bewohner Ostsibiriens und Kamtschatkas sind ihre
rundlichen, stärkemehlreichen Zwiebeln ein wichtiges Nahrungsmittel.
Zu dem Zwecke werden sie den Sommer über mühsam auf den Grasfluren
eingesammelt, weil die Pflanze nie gesellig wächst; jedoch gewährt
ihnen dabei die Tätigkeit der Kamtschatkaratten oder Sammelmäuse
(~Hypudaeus oeconomus~) große Erleichterung, weil sie in ihren
Vorratskammern vorzüglich diese Zwiebeln als Winterproviant anhäufen,
die dann der Mensch für sich in Anspruch nimmt.

Als letzte Verwandte ist noch die +Brettspiel-+ oder +Schachblume+, in
Norddeutschland Kibitzei genannt (~Fritillaria meleagris~ -- letzteres
Wort heißt Perlhuhn, wegen der ähnlich gescheckten Zeichnung der
Blüte), zu nennen, die in Mitteleuropa bis Norwegen und Südrußland
sehr zerstreut auf feuchten Wiesen wächst. Die 30-40 cm hoch
werdende Pflanze treibt 1-2 hängende Blüten mit roten und weißlichen
viereckigen Flecken und wird in verschiedenen Varietäten: weiß, gelb,
gefleckt, rot, purpurrot, schwarz, braungefleckt und aschgrau als
Zierpflanze gezogen. Schon Kaspar Bauhin (1560-1624), der von seiner
Doktorpromotion im Jahre 1581 an als Botaniker in seiner Vaterstadt
Basel wirkte und von 1614 an an Stelle des verstorbenen Felix Platter
als Stadtarzt und Professor der Anatomie und Botanik daselbst amtete,
kannte früh- und spätblühende Spielarten der Schachblume. Diese muß
also schon recht früh in die Gärten übergesiedelt und in Kulturpflege
genommen worden sein.

In dieselbe Familie der Liliazeen gehören auch die +Tulpen+, die ihren
Namen vom türkischen ~tulbend~, d. h. Turban, erhielten. So nannten
die Türken die Gartentulpe, die wir von ihnen bekamen. Von den etwa
50 Arten, die von Mittel- und Südeuropa bis Japan am zahlreichsten
wildwachsend angetroffen werden, ist bei uns die 25 bis 50 cm hohe
+gelbe Tulpe+ (~Tulipa silvestris~) heimisch, die früher auf Waldwiesen
häufig war und jetzt vielfach in Obstgärten und Weinbergen in Menge
angetroffen wird. Sie hat als Kulturpflanze keinerlei Bedeutung
erlangt, wohl aber die +Gartentulpe+, die ein durch Kultur veredelter
Abkömmling der in den Steppen am Kaspischen Meer, im Gebiet des Don
und in der Krim heimischen ~Tulipa suaveolens~ mit sehr kurzem Stengel
und roten, am oberen Ende gelben, wohlriechenden Blüten ist. Unsere
Gartentulpe (~Tulipa gesneriana~, so genannt weil sie vom Züricher
Naturforscher Konrad Gesner 1559 zuerst beschrieben wurde) ist aber
keine einheitliche Art, sondern ein Sammelbegriff für zahlreiche in den
Gärten kultivierte Tulpensorten der verschiedensten, zum größten Teil
unbekannten Herkunft. Dem vorhin bei der Einführung der Kaiserkrone
in die Gärten Mitteleuropas erwähnten Gislenius Busbequius, dem
Gesandten Kaiser Ferdinands I. am türkischen Hofe in Konstantinopel,
verdanken wir die Einführung der türkischen Gartentulpe -- wohl der
~Tulipa suaveolens~ -- im Abendlande. Im Frühjahr 1554 sah er auf
einem Ritte zwischen Adrianopel und Konstantinopel die von den Türken
in mehreren Arten in Gärten kultivierte rotgelbe Tulpe zusammen mit
Narzissen und Hyazinthen blühen. Sie gefiel ihm so gut, daß er sich
alsbald Samen von ihr zu verschaffen suchte. Dies gelang ihm auch nach
einiger Mühe, und diesen sandte er nun an einen Freund in Deutschland,
dessen Name uns unbekannt ist. Auch dessen Wohnort kennen wir nicht;
wir wissen nur, daß der Züricher Naturforscher und Arzt Konrad Gesner
(1516-1565) die damals neu in Europa eingeführte Zierpflanze im April
1559 in Augsburg blühen sah und sie als erster Abendländer beschrieb.
Im Jahre 1573 erhielt sie der Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse,
geb. 1526 in Arras, 1573-1587 Hofbotaniker in Wien, von 1593 bis zu
seinem Tode 1609 Professor in Leiden) und kultivierte sie als große
Rarität in den kaiserlichen Gärten Wiens. Auch von Leiden aus war er
für die Verbreitung dieser schönen neuen Blumenart sehr tätig. Diese
war aber schon lange vor ihm nach den Niederlanden gekommen; denn wir
wissen, daß sie schon ums Jahr 1570 in Mecheln blühte und damals bei
den Holländern freudige Bewunderung gefunden hatte. 1577 kam sie nach
England und eroberte sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte ganz Mittel-
und Westeuropa.

Bevor wir uns weiter mit dem Triumphzuge der Gartentulpe durch das
Abendland beschäftigen, ist es am Platze, hier einige Worte über
die Türken, die sie uns mit der Kaiserkrone und den Hyazinthen
verschafften, und ihre Freude an Blumen zu sagen. Schon der
französische Reisende Belon spricht mit Bewunderung von den Gärten,
die er 1558 in der Türkei sah. Er sagt darüber: „Es gibt kein Volk,
das mehr die Blumen als Zierde liebt und sie höher schätzt, als die
Türken; dabei würdigen sie weniger deren Geruch, als besonders deren
Formen und Farben. Sie tragen mehrere Arten derselben in den Falten
ihres Turbans mit sich, ja, die Handwerker haben bei der Arbeit
Blumen von verschiedenen Farben in Wassergefäßen vor sich stehen. Das
Gartenwesen ist bei ihnen so gut als bei uns in großem Ansehen und sie
scheuen keine Kosten, sich fremde Bäume und Pflanzen zu verschaffen,
besonders solche, die schöne Blüten besitzen.“ Ähnlich drückt sich
Gislenius Busbequius aus, der von 1550 an als deutscher Gesandter
in Konstantinopel weilte, und fügt dem hinzu, daß die Türken häufig
Blumen verschenken und, obwohl geizig in andern Dingen, viel Geld
dafür ausgeben. Außer Rosen, Flieder, Veilchen, Anemonen, Lilien und
Hyazinthen zögen sie mit Vorliebe Tulpen. In jedem Frühjahre feierten
sie ein Tulpen- oder Lampenfest, indem sie den Tulpenflor abends mit
verschieden gefärbten Lampions beleuchteten. Einmal habe ein Großvezier
den Einfall gehabt, lebende Schildkröten zu Trägern seiner Lampen zu
verwenden; diese wandelnden Leuchter zwischen den blühenden Tulpen- und
Hyazinthenbeeten müssen allerdings dem Feste einen eigenartigen Reiz
verliehen haben.

Das türkische Erbe der Tulpen- und Hyazinthenverehrung traten die
Holländer an, die außer der Freude am Kleinen, Zierlichen besonders
die Farbenpracht der einzelnen Blüten schätzten. Und das Bestreben,
diese in immer neuen Farben und Formen zu züchten, beherrschte bei
ihnen vollständig die Gartenkunst. Diese sonst so nüchternen und ruhig
abwägenden Leute wurden bald von einer geradezu leidenschaftlichen
Begeisterung für diese schönen türkischen Ziergewächse ergriffen.
Schon lange vorher waren sie ja große Blumenfreunde gewesen. Der
französische Botaniker Lobel -- nach welchem die schönen Lobelien den
Namen erhielten -- betont in der Vorrede seiner 1576 erschienenen
~Histoire des plantes~ die Liebhaberei der Vlämen für die Blumen
schon während der Kreuzzüge und zur Zeit der reichen, prunkliebenden
burgundischen Herzöge. Als dann die Holländer deren Erbe antraten,
brachten sie von ihren ausgedehnten Handelsreisen aus der Levante und
beiden Indien verschiedene Blumensorten mit nach Hause und zogen sie
mit Erfolg in ihren Gewächshäusern. Lobel urteilt, daß sie besser als
irgend eine andere Nation die exotischen Pflanzen zu behandeln wüßten,
so daß man in ihren Gärten mehr seltene Gewächse finde als im ganzen
übrigen Europa. Leider seien dann durch die Bürgerkriege und den Kampf
der protestantisch gewordenen Bewohner gegen das sie bedrückende
katholische Haus Habsburg viele der schönsten Gärten zerstört und die
Blumenkultur vielfach vernachlässigt worden.

Vorbildlich wirkte später in Holland der 1577 angelegte botanische
Garten der Universitätsstadt Leiden, in welchem als erstem in Europa
1599 ein Gewächshaus für ausländische Pflanzen angelegt wurde. Im Jahre
1633 enthielt das Pflanzenverzeichnis des dortigen botanischen Gartens
bereits 1104 Arten. Damals beschäftigten sich Magistratspersonen,
Gelehrte und wohlhabende Bürger der verschiedensten Berufszweige
mit Vorliebe damit, durch Einführung neuer Pflanzen die Botanik und
besonders die Blumenzucht zu fördern. Kein Kauffahrteischiff verließ,
wie ein damaliger Gelehrter bemerkt, einen holländischen Hafen, dessen
Kapitän nicht dazu verpflichtet wurde, von allen Orten, an denen er
landete, Samen, Wurzelknollen und, wenn möglich, auch lebende Pflanzen
mit nach Holland zu bringen. Die angesehensten Bürger Hollands
zeichneten sich besonders durch oft recht kostspielige Bepflanzung
ihrer Gärten mit ausländischen Gewächsen aus, und es war ihnen eine
Freude, Ableger davon dem botanischen Garten in Leiden zu schenken.
Dieser Garten enthielt, als der berühmte Hermann Boerhave (geb. 1668
in Voorhout bei Leiden, seit 1709 Professor der Medizin und Botanik,
später auch der Chemie in Leiden bis zu seinem 1738 erfolgten Tode)
dort als Lehrer wirkte und alles tat, um ihn zu mehren, bereits 6000
Pflanzenarten. Dieser Gelehrte gab zuerst den Fenstern der Treibhäuser
eine schiefe Lage, indem so, wie er sagte, die größte Menge von
Sonnenstrahlen Einlaß finden konnte. In diesem für ganz Europa als
Vorbild dienenden Garten wurden übrigens zuerst zu Anfang des 18.
Jahrhunderts Pelargonien (Geranien) vom Kap der Guten Hoffnung und
andere ausländische Zierpflanzen, die bald die Gunst auch der Laien
erlangten, eingeführt und zu Zierpflanzen mit größeren Blüten gezüchtet.

Als zu Anfang des 17. Jahrhunderts in Holland zuerst aus den
orientalischen Gartentulpen gefüllte gezogen wurden, brach eine neue
Ära in der niederländischen Blumenzucht an. Im Jahre 1629 zählte der
Engländer Parkinson bereits 140 Spielarten von Tulpen auf, die dort
kultiviert wurden. Bald brach in Holland eine eigentliche Tulpomanie
aus, deren Hauptsitz das diese Zierpflanze vor allem züchtende Harlem
war und hier in den Jahren 1634-1640 ihren Gipfel erreichte. Diese
Tulpenliebhabersucht, die auf einmal in Tulpenzwiebeln das höchste,
kostbarste Gut der Erde sah, ergriff Hoch und Niedrig, Arm und Reich.
Fabelhafte Preise wurden für neu auftauchende Spielarten bezahlt, so
daß ein wahrer Taumel die sonst so kaltblütigen Holländer ergriff.
Jedermann spekulierte in Tulpen und ganze Vermögen wechselten ihre
Besitzer. Durch die Tulpe Van Eyck wurde ein blutarmer Handelsgehilfe
zum mehrfachen Millionär. Eine einzige blühbare Zwiebel der Sorte
~Semper Augustus~ brachte dem glücklichen Besitzer 13000 und eine
solche von Admiral Erckhuizen 6000 holländische Gulden ein, während
eine solche von Admiral Lietkens bis 5000 Gulden eintrug. Eine Zwiebel
der Marke ~Vive le roi~ wurde gegen 2 Lasten Weizen, 4 Lasten Roggen,
4 fette Ochsen, 8 Ferkel, 12 Schafe, 2 Oxthoft (= 450 Liter) Wein,
4 Tonnen Achtguldenbier, 2 Tonnen Butter, 1000 Pfund Käse, 1 Bündel
Kleider und einen goldenen Becher eingetauscht. Im Jahre 1637 wurden
nach Hirschfeld laut vorgelegtem Register in der kleinen Stadt Alkmar
zugunsten des Waisenstifts 120 Tulpen mit ihren Brutknollen für 9000
Gulden verkauft und ein einziges Exemplar der Sorte „Vizekönig“ trug
4203 Gulden ein. In Anbetracht des damaligen Geldwertes sind das
ungeheure Summen; denn zu jener Zeit galt ein Gulden in Holland so
viel, daß man damit 1 Bushel (= 36 Liter) Weizen kaufen konnte. Ganze
Vermögen wurden in Tulpen angelegt, so daß manche Reiche in ihren
Tulpenbeeten mehr als 500 klassifizierte Varietäten besaßen. Erst als
die Behörde 1637 ein Gesetz gegen das schwindelhafte Gebaren vieler
Tulpenhändler erließ, verlor sich nach und nach dieses Tulpenfieber
und wurde die Zucht dieser Zierblume, von der man später über 1000
Spielarten unterschied, in normale, gesunde Bahnen gelenkt.

Unsere Gartentulpen entstammen also mehreren Kreuzungsprodukten,
die allerdings nicht näher bekannt sind. Der wichtigste Grundstamm
derselben bildet jedenfalls die vorgenannte, in den Steppen Südrußlands
und Westasiens heimische ~Tulipa suaveolens~, von der auch direkt
mehrere Varietäten, zum Teil mit gefüllten Blüten gezüchtet wurden.
Eine der beliebtesten Formen derselben ist die bekannte ~Duc van Toll~.
Andere, im Orient wildwachsende Arten gelangten durch Kauffahrer
nach Italien und Südfrankreich, wo sie sich teilweise einbürgerten
und verwilderten, unter ihnen vor allem ~Tulipa clusiana~, die 1606
von Konstantinopel nach Florenz kam und von hier nach Südfrankreich
weitergegeben wurde. Von ihr und von der aus der Türkei eingeführten
~Tulipa turcica~, wie auch von der in Südfrankreich, Italien und
Kleinasien gedeihenden ~Tulipa praecox~ zog man die verschiedensten
Varietäten. Von ~Tulipa turcica~ speziell stammen die monströsen
Perroquetten oder Papageitulpen mit sehr großen Blumen von schöner
gelber und roter Farbe mit weit abstehenden, zerrissenen und gefransten
Blumenblättern. Auch die ~Tulipa greigi~ aus Turkestan mit bräunlich
gefleckten Blättern und purpur- oder scharlachroten, am Grunde
schwarzen Blumenblättern ist mehrfach zur Kreuzung herbeigezogen
worden. Durch Hybridisation dieser Wildlinge mit den bereits
vorhandenen Arten von Gartentulpen und der letzteren wieder unter
sich sind seit 1800 die verschiedenen, in der Färbung von Violett-
bis Blutrot durch alle Schattierung von Gelb ins Weiße spielenden,
ein- oder mehrfarbigen bis gefleckten „Neutulpen“ entstanden. Unter
diesen unterscheidet man gegenwärtig als Hauptvarietäten Früh- und
Spätsorten. Erstere, die Frühtulpen, mit kürzerem Stengel, blühen an
einem warmen Standorte schon im April oder noch früher und lassen sich
gut treiben. Unter den Spät- oder Landtulpen -- so genannt, weil ihre
Zwiebeln kaum je in Töpfe, sondern direkt ins Gartenland gepflanzt
werden -- unterscheidet man einfarbige oder Muttertulpen (~couleurs~),
buntfarbige oder gebrochene (~parangons~), und unter diesen wiederum
Bizarden mit gelbem und Flamandes mit weißem Blütengrund. Violette
Flamandes heißen mit einem holländischen Namen ~bijbloemen~, rote
dagegen nach den Franzosen ~roses~. Die gefüllt blühenden Varietäten
werden von den Blumisten den einfachen Sorten nachgesetzt und meist
zu Teppichbeeten und Gruppen benutzt. Die Kultur der Tulpen stimmt im
wesentlichen mit derjenigen der Hyazinthen, die alsbald besprochen
werden soll, überein. Die zur Erlangung neuer Spielarten aus Samen
gezogenen Tulpen blühen meist erst im 7. Jahre, während die aus
Zwiebeln gezogenen dies im 3., ja teilweise schon im 2. Jahre tun.

Südeuropäische Gartenzierpflanzen sind die +gelbe Taglilie+
(~Haemerocallis flava~) mit reingelber Blumenkrone, wie auch deren
Abarten, die ~H. fulva~ mit rotgelben und ~H. alba~ mit weißen
Blüten. Schon Theophrast und Dioskurides nennen sie unter der
Bezeichnung ~hēmerocallís~ und sagen, daß namentlich ihre Zwiebel
arzneilich gebraucht werde. Noch viel mehr war dies im Altertum mit
der +Meerzwiebel+ (~Scilla maritima~) der Fall, die nach diesen
beiden Autoren roh und noch häufiger, in Teig oder Lehm gehüllt, auf
glühenden Kohlen gebraten oder in Wasser oder Honig gekocht als Medizin
gegessen wurde. Außerdem diente sie zur Schärfung des Essigs. Plinius
beschreibt in seiner Naturgeschichte ausführlich die Herstellung des
Meerzwiebelessigs, der auch als Arznei genossen wurde. Er sagt von
ihm: „Er macht die Augen hell, ist bei Magenschmerz und Seitenstechen
heilsam, wenn man alle zwei Tage davon einnimmt. Übrigens ist er so
stark, daß man von ihm auf kurze Zeit halb ohnmächtig werden kann,
wenn man davon trinkt.“ Dieses an den Küsten des Mittelländischen wie
auch des Atlantischen Meeres wachsende Zwiebelgewächs wurde schon von
den alten Ägyptern arzneilich verwendet und hieß bei ihnen ~askili~,
woraus später das arabische ~askil~ hervorging, während die Griechen
es ~skílla~ und die Römer nach ihnen ~scilla~ nannten. Im Altertum
pflanzte man diese Zwiebelart auf Gräber und hing sie als Amulett vor
die Türe, um vor Zauber und namentlich Vergiftung geschützt zu sein. In
Arkadien pflegten die Landleute die Bilder des Wald- und Weidegottes
Pan bei dessen Festen mit Meerzwiebel zu bewerfen. In welch hohem
Ansehen diese Pflanze im Altertume als Arzneimittel stand, beweist
auch die Stelle des Plinius, worin gesagt wird: „Unter den Zwiebeln
(~bulbus~) steht die Meerzwiebel (~scilla~), obgleich sie nur als
Heilmittel und zur Schärfung des Essigs dient, in höchstem Ansehen.
Sie zeichnet sich durch Größe und scharfen Geschmack aus und wächst
vorzugsweise auf den balearischen Inseln, auf Ebusus (der Insel Iviza)
und in Spanien. Der Philosoph Pythagoras hat ein Buch über diese
Pflanze geschrieben, in welchem er ihre Heilkräfte zusammenstellt.“
Später wurde sie besonders durch die Klöster verbreitet; auch Karl
der Große hieß sie in seinen Gärten anpflanzen. Das ganze Mittelalter
hindurch bis in die Gegenwart wurde sie bei uns in Töpfen gezogen, um
als geschätztes Heilmittel zu dienen. Es gibt wohl kaum ein besseres
Bauernhaus, in welchem sie nicht zu finden wäre. Hier fristet sie
mit ihren faust- bis kindskopfgroßen Zwiebeln zwischen den blühenden
Geranien und Nelken auf den Gesimsen vor den Fenstern ein beschauliches
Dasein. Durch ihre harntreibende Wirkung findet sie besonders bei der
Behandlung von Wassersucht Verwendung, während die zerquetschten und
dann schleimigen Blätter auf Wunden gelegt werden. Von ihren näheren
Verwandten hat einzig die an bewaldeten Orten Süddeutschlands häufige,
in Norddeutschland dagegen seltene ~Scilla bifolia~ wegen ihrer schönen
blauen bis violetten Blüten besonders zur Einfassung von Blumenbeeten
in unsern Gärten Eingang gefunden.

Eine weit größere Rolle als diese bescheidene Frühlingsbotin spielt
in der modernen Blumenzucht die +Gartenhyazinthe+ (~Hyacinthus
orientalis~), die wie die Tulpe von den Türken aus den Gärten von
Bagdad und Aleppo nach Konstantinopel gebracht wurde und von da um die
Mitte des 16. Jahrhunderts nach Mitteleuropa gelangte. Die Stammform
derselben ist in den Steppen Westasiens heimisch und gelangte schon
im Altertum nach Kleinasien und Griechenland, wo sie verwilderte.
Bei den alten Griechen bedeutete sie die Blume der Trauer, die ihren
Namen nach der Sage von einem schönen spartanischen Jünglinge, dem
Sohne des Königs Amyklas von Lakonien, einem Lieblinge Apollons,
erhielt, der sich mit ihm gerne in Wettkämpfe einließ. Zephyros (der
Westwind) gönnte dem jungen Manne nicht die Gunst des Gottes, die +er+
vielmehr gerne besessen hätte, und beim Diskuswerfen lenkte er die
schwere Scheibe aus Erz so, daß sie den Kopf des Hyakinthos traf und
ihn tötete. Darüber war Apollon sehr betrübt. Wohl verstand er sich
auf die Heilkunst, aber über den Tod war ihm keine Macht gegeben. Um
wenigstens das Andenken an seinen Liebling der Nachwelt zu erhalten,
ließ er aus dessen Blut die würzig duftende Hyazinthe erstehen, deren
dunkelblaue Farbe Trauer bedeutet. Später war die ~hyákinthos~ auch
der Demeter ein Zeichen der Klage und der Trauer um ihre vom Gotte
der Unterwelt geraubte Tochter Proserpina. Doch wird sie bei den
alten Schriftstellern kaum je genannt. Der Grieche Pollux erwähnt sie
einmal in seinem Onomastikon als eine zu Kränzen verwendete Blume,
mit der sich vornehmlich junge Mädchen als Zeichen der Trauer beim
Verluste ihrer Gespielin bei deren Hochzeit schmückten. Und der Römer
Columella nennt die ~hyacinthus~ als die Blaue, in der Farbe des
Himmels Leuchtende, von der er auch eine weiße Abart als die schneeige
(~niveus~) erwähnt. Jedenfalls wurde sie im Altertum nur ausnahmsweise
als Gartenpflanze, höchstens etwa auf Gräbern wegen des ihr anhaftenden
Beigeschmacks der Trauer, kultiviert. Dem Morgenlande verdanken wir
ihre Zucht. Von den Arabern erhielten sie die Türken, die sie gerne in
ihren Gärten anpflanzten. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gelangte
sie aus Konstantinopel nach dem Abendlande, wo sie noch weiter veredelt
wurde und die violenblaue Farbe der Blumenblätter in Purpur, Karmin,
Rosa, Dunkelblau bis fast Schwarz, ferner in Weiß, Gelb und selbst
Orange verwandelte. In Holland, wo sie besondere Pflege gefunden hatte,
verdrängte sie sogar mit der Zeit ihre Schwester, die vormals so
vergötterte Tulpe. Besonders in Harlem wurde sie im großen gezogen und
aus ihr durch immer weitergeführte Kreuzung neue Spielarten geschaffen,
die für teures Geld ihren Besitzer wechselten. Außer einfachen erzielte
man auch zwei- und dreifach gefüllte Hyazinthen von großartiger
Pracht. Sie galten für wenigstens so wertvoll als die schönen und
seltenen Tulpensorten, und wenn eine neu auftauchende Varietät ihren
Namen erhalten sollte, gab es ein feierliches Tauffest, zu dem außer
den Verwandten und Nachbarn auch die Bewohner der Umgegend eingeladen
wurden und bei dem es hoch herging. Man konnte sich solches leisten;
denn trotz der hohen Spesen war das Geschäft infolge der sehr hohen für
neue Arten bezahlten Preise sehr einträglich.

Die erste Konkurrenz erwuchs der holländischen Hyazinthenkultur in
Berlin, dessen Sandboden diese Zucht in hohem Maße begünstigte. Der aus
Frankreich eingewanderte Kunstgärtner David veranstaltete hier 1740
die erste bedeutendere Tulpenausstellung und brachte dadurch diese
Blume in der Hauptstadt Preußens in Mode. Die in der napoleonischen
Zeit über Mitteleuropa hereinbrechenden kriegerischen und politischen
Ereignisse lenkten aber die Aufmerksamkeit des Publikums wieder
davon ab, doch erwachte sie nach den Freiheitskriegen von neuem. Die
Nachkommen Davids, seine Söhne Peter und David, unterhielten in der
Kommandantenstraße in Berlin prächtige Hyazinthenkulturen, die zu den
meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Berlins gehörten. Den Höhepunkt
erreichte hier die Hyazinthenzucht im Jahre 1830. Vor dem Schlesischen
Tor breitete sich ein 24 Morgen umfassendes Blumenparadies aus, in
welchem unter anderen Zwiebelgewächsen 4½ Millionen Hyazinthen gezogen
wurden. Ungezählte Scharen Neugieriger kamen zur Zeit der Blüte herbei,
um dieses wirklich sehenswerte Farbenwunder zu bestaunen.

Bis zum Jahre 1860 war sonst die Kultur der für den Handel gezogenen
Tulpen- und Hyazinthenzwiebeln fast ganz auf das Gebiet von Harlem
in Holland konzentriert. Hier wachsen diese schönen, genügsamen
Kinder der westasiatischen Steppe vorzüglich im Sandboden unmittelbar
hinter den Dünen. Jeder Gärtner spezialisiert sich begreiflicherweise
für eine gewisse Zahl von Typen, wodurch eine große Regelmäßigkeit
in der Produktion der Zwiebeln gewährleistet wird. Unbestritten
werden vor allem die Hyazinthen aus Harlem bezogen, wo man über 300
Spielarten derselben züchtet. Man zählt gegenwärtig in Holland mehr
als 2000 Blumenzwiebelzüchter und etwa 150 Exporthäuser, die diese
als Winterflor in Töpfen oder als erste Bepflanzung der Gartenbeete
sehr geschätzte Handelsware nach allen Weltteilen versenden. Jedes
Frühjahr gibt es öffentliche Versteigerungen in den Hyazinthen-
und Tulpenfeldern selbst. Außerdem wird wöchentlich einmal eine
Spezialbörse dafür in Harlem abgehalten. Die Blumenzwiebelkulturen
nehmen eine Oberfläche von etwa 3500 Hektaren ein und der Wert der
während der Saison exportierten Blumenzwiebeln erreicht 16 Millionen
Mark, was einem Bruttoertrag von beinahe 4800 Mark pro Hektar der
Kultur entspricht. 40 Prozent des Produkts wandern nach England;
Deutschland und Österreich nehmen 25 Prozent, die Vereinigten Staaten
18, die Nordländer, vor allem Dänemark, Schweden und Norwegen 9,
Frankreich und die übrigen latinischen Länder kaum 5 Prozent davon.

Die Vermehrung der holländischen Blumenzwiebeln, also der Hyazinthen
und Tulpen, erfolgt auf ungeschlechtlichem Wege durch Pflanzen der
Brutzwiebeln, von denen erstere mehrere, letztere dagegen meist nur
eine produzieren. Die Vermehrung durch Samen erfolgt, weil sehr langsam
vor sich gehend, nur, um die alten Varietäten zu regenerieren oder neue
zu erzielen. Während eine unverletzte Hyazinthenzwiebel nur eine kleine
Zahl Brutzwiebeln -- zwischen 1-6 oder höchstens 8, oft aber auch gar
keine -- bildet, liefert eine verletzte um die Verletzungsstellen herum
deren zahlreiche. Deshalb macht man zur Vermehrung der Blumenzwiebeln
gewöhnlich vier Schnitte durch den untern Teil derselben oder höhlt
ihn aus. Letzteres Verfahren liefert nämlich weitaus am meisten
Brutzwiebeln, während man vermittelst des Kreuzschnittes durch den
Zwiebelboden weniger, dafür aber, weil sie besser ernährt werden,
größere erhält, die sich rascher entwickeln und schneller zum Blühen
gelangen, nämlich meist schon ein Jahr nach der Verletzung der
Mutterzwiebel. Diese Operation wird meist im Juni vorgenommen, wenn
die Zwiebeln, die im Frühling blühten, aus dem Boden herausgenommen
werden, um erst wieder im Herbst ausgepflanzt zu werden. Früher
trocknete man sie einfach an der Sonne; jetzt aber setzt man sie nach
dem Einschneiden ihres Bodens der Luft aus, nachdem man sie mit Asche
oder Kalk bestäubt hat, wodurch die Wunden alsbald heilen. Sie werden
an einem luftigen Orte aufbewahrt und bilden an den Schnittstellen
bis zu 40 Brutzwiebeln. Im Oktober oder November pflanzt man die
Zwiebeln mit den Brutzwiebeln wie die gewöhnlichen Hyazinthenzwiebeln
in Erde, die das Jahr vorher mit Kuhmist gedüngt wurde. Viele dieser
Brutzwiebeln bilden im folgenden Jahre Blätter. Im Juni werden sie mit
den Mutterzwiebeln dem Boden entnommen, von letzteren abgelöst und
von der anhaftenden Erde gereinigt, getrocknet und an einem luftigen
Orte aufbewahrt. Im Oktober werden sie wieder wie gewöhnliche Zwiebeln
gepflanzt. Erst nach dem dritten Pflanzen erreichen sie eine genügende
Größe, um im folgenden Jahre blühen zu können. Als solche kommen sie
dann zum Verkauf.

Von den Verwandten der Gartenhyazinthe werden auch die auf Kulturboden
wie Äckern und Weinbergen bei uns wildwachsenden +perlblütige+ und
+Trauben-Bisamhyazinthe+ (~Muscari botryoides~ und ~racemosum~) mit
nach Moschus beziehungsweise Pflaumenduft riechenden, einfachen blauen
Traubenblüten gelegentlich als Zierpflanzen in den Gärten kultiviert.
Noch beliebter als diese, weil schöner blühend, ist die aus China
stammende +eiblätterige Funkie+ (~Funkia ovata~), mit gestielten,
breiteiförmigen Blättern und hellrosenroten Blüten. Ihr nahe steht
die aus Südasien, besonders Ceylon und Java stammende +Tuberose+
(~Polyanthes tuberosa~) -- Tuberose, d. h. die Knollenwurzelige
(von ~tubera~ Knollen) genannt --, deren 10-20 in langgestielter,
endständiger Traube stehenden wohlriechenden, weißen Blüten besonders
in Südfrankreich, wie übrigens auch die Hyazinthen, zur Parfümgewinnung
gepflanzt werden. In Amerika, wohin sie früh gelangte, ist sie
zum Liebling besonders der Bewohner Perus geworden, die mit ihr
vorzugsweise die Altäre in den Kirchen schmücken, während die Damen
sich mit Sträußen von ihr versehen, um möglichst oft daran riechen zu
können.

Als Topfzierpflanze ist bei uns auch die der vorigen ähnliche
+doldenblütige Schmucklilie+ oder +blaue Liebesblume+ (~Agapanthus
umbellatus~) -- von ~agápē~ Liebe und ~ánthos~ Blume -- mit reicher
Dolde von blauen Blüten auf 0,6 bis 1 m hohem Schafte vom Kap der
Guten Hoffnung beliebt, während das wohlriechende +Maiglöckchen+
(~Convallaria majalis~) mit seiner zierlichen Traube überhängender,
weißer Blüten zu unseren beliebtesten Frühlingsgartenpflanzen
gehört. Als sehr frühblühende Pflanze wird sie besonders in Berlin
wie der Flieder getrieben und die blühbaren Keime überallhin in
die Blumengeschäfte versandt. Ihre getrockneten Blüten bilden den
Hauptbestandteil des Nießpulvers und geben mit den gepulverten Samen
der Roßkastanie den bekannten „Schneeberger“ Schnupftabak, so genannt,
weil er zu Schneeberg im Königreich Sachsen zuerst bereitet wurde.

Auch der in Südeuropa heimische +ästige Asphodill+ (~Asphodelus
ramosus~) wird wie sein Verwandter, der +gelbe Asphodill+ (~A.
luteus~) in manchen Gärten gezogen. Ersterer, der an der Küste
überall auf Wiesen üppig wächst, wurde als Sinnbild der Trauer von
den alten Griechen auf die Gräber gesetzt und seine Wurzelknollen,
die nach Porphyrius auch der Philosoph Pythagoras gerne gegessen
haben soll, für die bevorzugte Speise der Geister der Abgeschiedenen
gehalten. Nach verschiedenen Stellen in der Odyssee wandeln nach
homerischer Anschauung die Geister der Verstorbenen in der Unterwelt
auf Asphodillwiesen (~asphodēlós leimṓn~), auf denen von ihnen auch
große Jagden abgehalten werden sollen. Plinius sagt von ihm: „Der
~asphodelus~ soll ein vorzügliches Mittel gegen Vergiftungsversuche
sein, wenn man ihn vor dem Tore der Villa pflanzt. Man ißt den Samen
und die Wurzel, nachdem man sie geröstet hat, was bei der letzteren in
der Asche geschieht, worauf man Salz und Öl hinzufügt und sie auch noch
mit Feigen zusammenstampft; es ist dies ein Gericht, das Hesiodus (der
im 8. Jahrhundert v. Chr. in Böotien lebende griechische Dichter) für
vorzüglich wohlschmeckend hält. Seine Wurzel gleicht einer mittelgroßen
Kohlrübe (~napus~), und keine Pflanze hat mehr Knollen (~bulbus~),
denn es sind deren oft 80 zu gleicher Zeit vorhanden. Es ist eine
Erfahrungstatsache, daß mit Gerstengrütze gekochte Asphodelusknollen
abgezehrten und schwindsüchtigen Leuten sehr gut bekommen und daß sie,
mit Mehl zusammengeknetet, ein sehr gesundes Brot geben. Nikander
braucht Stengel, Samen und Knollen gegen den Biß von Schlangen und
Skorpionen, legt sie auch als Schutzmittel gegen die genannten Tiere
unter das Kopfkissen. In Kampanien gehen die Schnecken dem Stengel
dieser Pflanze eifrig nach und saugen ihn aus. Man heilt übrigens mit
~asphodelus~ eine Menge Krankheiten, verjagt und tötet auch die Mäuse
damit, indem man mit ihm deren Löcher verstopft.“ Nach Hesiod dienten
die Wurzelknollen des Asphodill trotz ihres scharfen Geschmackes den
alten Pelasgern als Speise und lieferten in Verbindung mit Malven
ein „köstliches Gericht“ (wörtlich eine königliche Speise), während
Theophrast (im 4. Jahrhundert v. Chr.) sagt, daß sie nur von Armen
gegessen werden. Der Asphodill diente im Altertum auch als Schutzmittel
gegen Zauberei und wurde bei den mittelalterlichen Ärzten zu einem
der sieben Kräuter der Planeten erhoben, auf welche besonders Saturn
einen Einfluß ausüben und ihm die Eigenschaft erteilen sollte, jeden,
der ein Stück der Pflanze bei sich trage, vor bösen Geistern zu
schützen. Noch heute dienen die Wurzeln zur Bereitung eines nahrhaften
Mehles, das aus dem Orient, wo die Pflanze sehr gemein ist, in den
Handel gebracht wird. Wegen des reichen Gehaltes an einer schleimigen,
klebenden Substanz verwenden die Buchbinder, Schuster und Sattler
Toskanas und anderer Gegenden Italiens die gepulverten Wurzeln als
Kleister. Die goldgelbe, deshalb auch Goldwurz genannte Wurzelknolle
des gelben Asphodills diente früher äußerlich als Amulett und
innerlich als harntreibendes Mittel, während sie neuerdings besonders
in Algerien zur Zuckerfabrikation und Schnapsbereitung dient. Auf den
Höhen des Libanons dagegen wächst der ~Asphodelus kotschyi~ (nach
dem österreichischen, 1866 in Wien verstorbenen Botaniker Theodor
Kotschy, der Syrien bereiste und sie zuerst beschrieb, so genannt),
dessen stärkemehl- und gummireichen Wurzeln als ~nurtoak~ im Orient an
Stelle von Salep (Orchideenwurzelknollen) häufig Verwendung finden. Der
deutsche Reisende Strelack ernährte sich und seine Begleiter auf der
zweiten Reise durch Syrien vier Tage lang damit und brachte 1863 gegen
11000 kg derselben mit nach Deutschland, um das daraus gewonnene Mehl
als neues, billiges Nahrungsmittel in den Handel zu bringen.

Als Dekorationspflanze für Treppenaufgänge, Säulenhallen und in
Blumenbeeten dient die +Flachslilie+, der +neuseeländische Flachs+
(~Phormium tenax~), so genannt, weil ihre Blätter zur Gewinnung einer
äußerst zähen Faser gewonnen werden. Sie wurde von Solander und J.
Banks, den Begleitern von James Cook auf dessen erster Reise um die
Welt (1768-1771), in Neuseeland entdeckt, wo sie weite Strecken
bedeckt. Ihre Wurzelknolle ist wegen des Gehaltes an einem sehr bittern
Stoff nicht eßbar und dient den Maorimüttern dazu, ihre Brustwarzen
damit einzureiben, wenn sie ihre Kinder entwöhnen wollen.

Beliebte Treibhauszierpflanzen sind dagegen die wegen ihrer zwischen
Palmen und Lilien in der Mitte stehenden Tracht als +Palmlilien+
bezeichneten Yuccas, die sämtlich amerikanischen Ursprungs sind.
Namentlich wird die 1-1,3 m hohe, +schöne Palmlilie+ (~Yucca
gloriosa~) aus Peru in verschiedenen Formen mit oft bunten Blättern
in großen Töpfen gezogen. Sie treibt umfangreiche, rispige Ähren von
prächtigen, hängenden, weißen Blüten. Ihre Wurzelknollen werden von
den Indianern zu Mehl zerrieben und zu Brot verbacken; die Blätter
dagegen liefern einen Faserstoff. Wichtiger ist derjenige der in
Virginien heimischen +fadigen Palmlilie+ (~Yucca filamentosa~). Deren
Blattfäden werden in ihrer Heimat zur Herstellung von Geweben und
Stricken benutzt. Gleicherweise verwendet man die der in Westindien und
Mexiko heimischen +aloeblätterigen Prachtlilie+ (~Yucca aloifolia~),
deren Blüten als Gemüse verzehrt werden und deren Blätter in Mexiko zur
Herstellung von Papier dienen, während aus der Blattoberhaut künstliche
Blumen verfertigt werden. Alle Yuccaarten werden durch bestimmte
kleine, meist weißlich gefärbte Motten in der Weise befruchtet, daß
sie den Pollen in die ausgehöhlte Narbe der Blüte stopfen, damit die
aus den daraufgelegten Eiern sich entwickelnden Räupchen die zur
Erhaltung der Art nötige Nahrung finden. Wenn sie auch später einen
Teil der sich entwickelnden Samen verzehren, so hat dies nichts zu
bedeuten, da die Pflanze auch so über genügend Sämlinge verfügt, so daß
der Dienst dieses Tierchens, ohne den sie aussterben müßte, nicht zu
teuer belohnt ist. Weil diese kleinen Motten in Europa fehlen, tragen
die bei uns gezogenen Yuccaarten, auch wenn sie noch so schön blühen,
niemals Samen.

Im Altertum spielte auch die +rauhe Stechwinde+ (~Smilax aspera~)
-- rauh, wegen der Stacheln an Stengeln und Blättern genannt --
als Arznei- und Zierpflanze eine gewisse Rolle, während eine
amerikanische Verwandte die offizinelle Sarsaparillwurzel liefert.
Diese südeuropäische Schlingpflanze, welche in Italien und Griechenland
bis 16 m hoch, namentlich an den Platanen hinaufklettert, besitzt
wohlriechende, weiße Blüten, die bei den alten Griechen mit Efeu
zusammen bei den Dionysosfesten zu Kränzen gewunden wurden. Nach
alter Sage sollte das Gewächs durch Verwandlung der Nymphe Smilax
entstanden sein, welche aus unerwiderter Liebe zu dem Jüngling Krokos
starb. Theophrast beschreibt sie ausführlich als ~smílax~, Dioskurides
sagt: „Der rauhe Smilax (~smílax tracheía~) wird als ein wichtiges
Mittel gegen Gifte gebraucht,“ und Plinius schreibt über sie: „Der
~smilax~ stammt ursprünglich aus Kilikien, ist in Griechenland häufig,
hat kleine, nicht ausgeschnittene, übrigens denen des Efeu ähnliche
Blätter. Die Blüten sind weiß und riechen wie Lilien. Er ist bei
allen Opfern und Kränzen ein Unglückszeichen, weil er Trauer bedeuten
soll, indem ein unglückliches Mädchen namens Smilax in diesen Strauch
verwandelt wurde. Der großen Masse des Volkes ist dieser Umstand nicht
bekannt; es entheiligt daher seine Feste oft dadurch, daß es ihn statt
des Efeus verwendet, wiewohl doch eigentlich jedermann wissen sollte,
daß die Dichter dem Vater Bacchus und dem Silenus (nach griechischer
Sage Sohn des Hermes oder Pan, Erzieher und Gefährte des Bakchos, wird
in der Kunst als dickbäuchiger Alter mit Glatzkopf, Stumpfnase und
Ziegenohren mit einem Weinschlauch dargestellt) Efeukränze zuschrieben.
Aus dem Holze des ~smilax~ macht man auch Schreibtäfelchen; dieses
hat die Eigentümlichkeit, daß es, ans Ohr gehalten, einen leisen Ton
von sich gibt.“ An einer andern Stelle sagt dieser Autor: „Werden
Blätter zu Kränzen verwendet, so sind es vorzugsweise diejenigen des
~smilax~ und des Efeus.“ Noch jetzt sind weit mehr als die Blüten die
kugeligen, roten Früchte dieser Stechwinde in Griechenland eine Zierde
fast aller Blumensträuße und dienen den jungen Damen, in die Haare
geflochten, als schöner Kopfputz.

Als Arznei dagegen diente bei den alten Griechen und Römern der
+stechende Mäusedorn+ (~Ruscus aculeatus~), ein 30-60 cm hoher,
immergrüner Strauch mit blattförmigen, in einen Stachel auslaufenden
grünen Zweigen, auf deren Mitte die 3-5 grünlichen Blüten stehen.
Während aus dieser Pflanze in Italien häufig Besen gemacht werden,
wird sie bei uns nicht selten als Zierpflanze in Gärten gepflanzt.
Früher war sie als harntreibendes Mittel gebräuchlich. Theophrast
erwähnt sie als alexandrinischer Lorbeer und Dioskurides, wegen ihrer
Ähnlichkeit mit dem Myrtenstrauch, als wilde Myrte (~myrsínē agría~).
Er sagt von ihr: „Sie dient als Arznei, auch verspeist man die jungen
Sprossen als Gemüse; sie schmecken etwas bitter.“ Plinius aber schreibt
von ihr: „Der alexandrinische Lorbeer wächst in größter Menge am Ida
und bei Heraklea am Pontus, aber nur auf dem Gebirge. Er dient der
Kunstgärtnerei und zum Kranzflechten; die Wurzel dient als Heilmittel.“

Auch der in den Mittelmeerländern wildwachsende +gemeine Tamus+ (~Tamus
communis~) mit kugeligen, roten Früchten war bei den Alten offizinell.
Dioskurides bezeichnet ihn als „wilde Rebe“ und sagt von ihm: „Wurzel
und Früchte dienen als Arznei, die jungen Sprossen als Speise.“ Soweit
die Liliazeen.

Unter den Amaryllideen sind das +Schneeglöckchen+ (~Galanthus
nivalis~), das auf Bergwiesen Süddeutschlands wild wächst und
bisweilen verwildert auch in Obstgärten angetroffen wird, und die
+Frühlingsknotenblume+ (~Leucojum vernum~, -- ersteres Wort kommt
aus dem Griechischen ~leukón íon~, d. h. weißes Veilchen), die in
schattigen Laubwäldern Süd- und Mitteldeutschlands, sehr selten in
Norddeutschland angetroffen wird, beliebte Frühlingsgartenzierpflanzen.
Ihre Zwiebeln sind brechenerregend und giftig, während die viel
giftigeren der nahe verwandten südafrikanischen ~Buphone toxicaria~ den
Buschmännern einen Bestandteil ihres gefürchteten Pfeilgiftes liefern.

Was die Lilien für die Alte Welt bedeuten, das sind gewissermaßen
die +Amaryllis+arten der Neuen. Diese Pflanzenfamilie hat ihren
Namen von der vom römischen Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) in seinen
Hirtengedichten besungenen Hirtin oder Nymphe Amaryllis, einer
griechischen Bezeichnung, die die Glänzende, Leuchtende bedeutet.
Diese amerikanischen Lilien verdienen denn auch in der Tat wegen
ihrer schönen Blüten diesen sie auszeichnenden Namen. Unter ihnen ist
besonders ~Amaryllis formosissima~ zu nennen, die in ihrem Vaterlande
Südamerika oft ganze Ebenen bedeckt und zur Zeit der Blüte einen
wundervollen Anblick gewährt. Wegen ihrer großen, gelbroten, aber
duftlosen Blüten wird sie nebst den übrigen Arten und zahlreichen,
sehr verschieden gefärbten Bastarden häufig bei uns in Töpfen
kultiviert. Durch mannigfache Kreuzungen der Wildlinge wurden von
englischen, deutschen, holländischen und amerikanischen Gärtnern wahre
Wunderblumen gezüchtet. Die hauptsächlichste Stammutter der modernen,
im Herbste blühenden Sorten ist die schon im Jahre 1777 von den Ufern
der Batafogobai nach Europa eingeführten ~Amaryllis reticulata~,
während die im Winter und Frühling blühenden Sorten von anderen Arten
abstammen. Die aus Westindien stammende ~Amaryllis belladonna~ mit sehr
giftiger Zwiebel hat Dolden von zart rosafarbigen Blüten, während die
gerade zu Weihnachten blühende ~Amaryllis tettaui~ feuerrote Blüten
besitzt. Die übrigen, zu Ausgang des Winters und im Frühling blühenden
Formen wechseln vom zartesten Rosa bis zum dunkelsten Rot. Weiße Formen
sind sehr selten und werden, obschon sie noch unvollkommen in der Form
sind, beinahe mit Gold aufgewogen. Zu den schönsten Zwiebelgewächsen
aus der Gattung der Amaryllideen gehören auch die Eucharisarten, von
denen ~Eucharis amazonica~ und ~candida~ bei uns vielfach gezogen
werden.

Häufig gezogene Gartenzierpflanzen sind ferner die +Narzissen+,
von denen die +gelbe+ oder +gemeine Narzisse+ (~Narcissus
pseudonarcissus~) mit langer, glockiger, am Rande welliger, goldgelber
Krone an der blaßgelben Blüte -- die ~jonquille~ der Franzosen --
auf Bergwiesen wild wächst und manchenorts verwildert ist. Auf
Bergwiesen Griechenlands, Norditaliens und der Schweiz -- z. B. am
Nordufer des Genfersees bei Les Avants -- wächst dagegen die +echte
Narzisse+ (~Narcissus poeticus~) mit weißer Blüte und sehr kurzer,
schüsselförmiger Krone mit feingekerbtem, scharlachrotem Rande in Menge
wild, während die ebenfalls höchst wohlriechende +Tazette+ (~Narcissus
tazetta~) in Griechenland, an der Riviera und in Südspanien in
feuchten Niederungen und die +späte Narzisse+ (~Narcissus serotinus~)
in mittleren Lagen Südeuropas heimisch ist. Beide letztgenannte
Arten tragen mehrere Blüten auf einem Stengel, sind weiß und höchst
wohlriechend; letztere unterscheidet sich von der ersteren wesentlich
dadurch, daß sie regelmäßig im Herbste blüht. Tazetta ist das
Verkleinerungswort des italienischen ~tazza~ für Tasse, Schale und
wurde dieser Narzissenart wegen der Ähnlichkeit ihrer Blüte mit einem
Täßchen gegeben. Sie wurde durch Clusius (1526-1609) 1565 am Fuße des
Berges von Gibraltar und die Jonquille mit gelben Blüten und langer,
gelber Krone ebenfalls von ihm auf den Wiesen bei Cadix und Sevilla
gefunden und dann in unsere Gärten eingeführt. In Südfrankreich
bereitet man aus den wohlriechenden Blüten der Narzissen und Tazetten
feine Parfüms.

Unter Narzisse verstanden die alten Griechen und Römer die echte
und die späte Narzisse. ~Nárkissos~ hieß nach der griechischen, uns
in den Geoponika und durch Ovids Metamorphosen erhaltenen Sage ein
schöner Jüngling, der sich durstend an einer Quelle lagerte, dabei
im Wasserspiegel sein Bild sah, von dessen Schönheit bezaubert er es
umarmen wollte, dabei ins Wasser fiel und ertrank. Die mitleidigen
Götter sollen ihn dafür in jene schöne Blume verwandelt haben.
Theophrast meint offenbar die späte Narzisse, wenn er schreibt:
„Der ~nárkissos~ wird von vielen auch ~leírion~ (Lilie) genannt. Er
trägt wie die Lilie eine weiße Blume auf dem Stengel und erzeugt in
einer häutigen Hülle eine große, schwarze, längliche Frucht. Fällt
diese ab, so wächst aus ihr eine neue Pflanze; man sammelt sie aber
auch absichtlich zum Kultivieren oder pflanzt die Wurzel. Diese
ist fleischig, rund und groß. Die Blüte erscheint erst spät, nach
dem Aufgang des Arkturos und zur Zeit der Herbst-Nachtgleiche.“
Auch Vergil spricht von ihr, wenn er in seiner Georgica sagt: „Gern
möchte ich die üppig prangenden Gärten besingen, die zweimal im Jahre
blühenden Rosenbeete (~rosarium~) in Paestum, die bewässerten Endivien
(~intybum~), den am Ufer grünenden Sellerie (~apium~), die sich im
Grase dahinschlängelnde Gurke (~cucumis~) mit ihren schwellenden
Früchten, die spät in reichlicher Fülle blühende Narzisse, die
gebogenen Acanthusblätter, den bleichen Efeu, die den Strand liebenden
Myrten.“

Dioskurides dagegen meint mit seiner Beschreibung offenbar die echte
Narzisse, von der er sagt, daß sie am schönsten auf den Gebirgen
wachse und wohlriechend sei. Die gekochte zwiebelartige Wurzel bewirke
Erbrechen, werde aber mit Honig zusammengerieben auf Brandwunden gelegt
und sonst als Arznei gebraucht. Das aus ihr für den arzneilichen
Gebrauch mit Kalmus, Myrrhe und wohlriechendem Wein hergestellte
Narzissenöl werde zu arzneilichem Gebrauche bereitet, verursache aber
Kopfweh. -- Wegen des roten Saums der Blütenkrone wurde diese Narzisse
von Vergil als ~purpureus narcissus~ und von Plinius als ~purpureum
lilium~ bezeichnet. Letzterer schreibt in seiner Naturgeschichte: „Es
gibt auch purpurfarbige Lilien, deren Stengel zuweilen doppelt, deren
Wurzel eine einzige große Zwiebel ist; man nennt sie ~narcissus~. Die
eine Art hat eine weiße Blüte mit purpurfarbigem Becher (~calyx~).
Sie unterscheidet sich dadurch von den eigentlichen Lilien, daß sie
nur an der Wurzel Blätter hat. Die besten Narzissen wachsen auf den
Gebirgen Lykiens. Bei einer dritten Art ist alles ebenso, nur der
Becher ist krautartig. (?) Alle blühen spät, nämlich nach dem Aufgang
des Arkturus und während der Herbst-Nachtgleiche.“ Letztere Behauptung
hat er kurzweg dem Theophrast nachgeschrieben, der dies nur von der
späten Narzisse aussagt. Ein Grieche bemerkt in den Geoponika, daß die
Narzisse aus der Zwiebel gezogen werde.

Unter den +Irideen+ oder +Schwertliliengewächsen+ sind vor allem
die +Schwertlilien+ selbst zu nennen. Unter ihnen haben wir die
überall in stehenden Gewässern Europas wildwachsende, 0,6-1 m hohe
+gelbe Schwertlilie+ (~Iris pseudacorus~, d. h. falscher Acorus,
weil sie vor der Blütezeit mit dem Kalmus Ähnlichkeit hat). Sie hat
große, gelbe Blüten und einen kurzen, innen rötlichen, ausdauernden
Wurzelstock mit scharfem Saft, der früher als falscher Kalmus oder
Gilgenwurzel (Gilge ist die im Mittelalter gebräuchliche Bezeichnung
für Lilie) benutzt wurde. Dann die bis 1 m hohe +blaue+ oder
+deutsche Schwertlilie+ (~Iris germanica~) mit dunkelblauen Blüten.
Sie hat ihre Heimat im Mittelmeergebiet und wurde jedenfalls schon
von den Römern über die Alpen gebracht, wuchs vermutlich auch in den
Gärtlein der mittelalterlichen Burgen, und ist nicht nur an Orten, wo
solche standen, sondern auch sonst an sonnigen Abhängen und felsigen
Örtlichkeiten, an denen es ihr warm genug ist, völlig verwildert.
Sie zählt von alters her zu den beliebtesten Gartenpflanzen, ist bei
aller Anspruchslosigkeit äußerst dankbar und hat sich infolgedessen
überall leicht eingebürgert. Auch in England wurde sie vor dem Jahre
1597 angepflanzt. Sie hat mit der Zeit zahlreiche Spielarten mit
dunkelvioletten, bläulichweißen, hellgelben und andern Blumenblättern
hervorgehen lassen und findet vielfach zur Ausschmückung von Böschungen
Verwendung.

[Illustration:

    Tafel 143.

Beet verschiedenfarbiger Schwertlilien in einem japanischen Garten bei
Tokio.]

[Illustration: Eine Chrysanthemum-Ausstellung im kaiserl. Palast in
Tokio.]

[Illustration:

    Tafel 144.

Unter einer blühenden japanischen Glycine.]

[Illustration: Mit Blumen geschmückte japanische Sänfte.]

Ebenfalls in Südeuropa wie auch im Orient heimisch ist die +bleiche
Schwertlilie+ (~Iris pallida~) mit blaßvioletten, wohlriechenden
Blüten und die +florentinische Schwertlilie+ (~Iris florentina~) mit
weißen, an der Basis braun geaderten, wohlriechenden Blüten. Der
knollige Wurzelstock dieser drei Arten kommt als angenehm duftende
„Veilchenwurzel“ in den Handel. Zu dessen Gewinnung werden besonders
die blaue und bleiche Schwertlilie in Italien, speziell in Toskana
um Florenz herum, auf Hügeln oder an Bergabhängen zwischen Weinbergen
kultiviert. Nach drei Jahren wird der fleischige Wurzelstock
geschnitten, geschält, gereinigt und an der Sonne getrocknet. Dadurch
bekommt der frisch widerlich riechende und scharf bitter schmeckende
Wurzelstock einen angenehmen veilchenartigen Geruch und milden
Geschmack. Sein riechendes Prinzip Iron ist identisch mit dem Jonon
der Veilchenblüten. Es ist also der Name Veilchenwurzel sehr wohl
angebracht. Sie diente früher als Amulett gegen die Pest, während man
jetzt aus ihr Rosenkränze und kleine Schmucksachen schnitzt, Stäbchen
zum Daraufbeißen für zahnende Kinder schneidet und sie zur Herstellung
von Zahnpulver, Brusttee, Pulver zum Bestreuen von Pillen und
Aromatisieren von Haarpudern verwendet. Im Orient dient der gepulverte
Wurzelstock zum Schminken, indem die darin enthaltenen spitzigen
Kristallnadeln von kleesaurem Kalk beim Reiben die Haut für kurze Zeit
entzündlich röten. Aus den Abfällen der Wurzel destilliert man ein
ätherisches Öl.

Schon bei den alten Griechen und Römern fand die Veilchenwurzel
arzneiliche Verwendung. Theophrast sagt von ihr: „Es gibt eine
wohlriechende ~íris~, die in Illyrien besser ist als in Makedonien;
in Thrakien und kälteren Ländern hat sie gar keinen Geruch. -- Die
Heilpflanzenverkäufer und Wurzelgräber geben die Vorschrift, man
solle beim Ausgraben der wilden Iris einen aus Mehl von Sommerweizen
und Honig gebackenen Kuchen der Erde zur Belohnung geben; man solle
ferner drei Kreise mit einem zweischneidigen Schwerte beschreiben, das
zuerst abgeschnittene Stück der Wurzel in die Höhe halten und dann
erst das übrige ausgraben.“ Dioskurides teilt mit, daß die Pflanze den
sonst dem personifizierten Regenbogen zukommenden Namen Iris von der
Vielfarbigkeit ihrer Blüten erhielt, „die entweder weiß oder blaßgelb
oder quittengelb oder purpurfarbig oder blau sind. Die wohlriechenden
Wurzeln werden zerschnitten, im Schatten getrocknet und, an Fäden
aufgereiht, aufbewahrt. Die beste Iriswurzel kommt aus Illyrien und
Makedonien, und von dieser sind diejenigen die besten, die dicht, zäh,
blaßgelb, sehr wohlriechend und von brennendem Geschmack sind, auch
müssen sie, während sie gestampft werden, Nießen erregen. Die libysche
ist kraftloser, weiß, von bitterem Geschmack. Alle werden, wenn sie
altern, von Würmern durchfressen, riechen aber dann noch besser;
man gebraucht sie gegen vielerlei Leiden.“ Auch Plinius bespricht
die Iris in seiner Naturgeschichte ausführlich und sagt, die beste
Iriswurzel wachse in Illyrien, nicht an der Küste, sondern im Innern;
ihr nahe komme die makedonische und zuletzt komme die afrikanische,
die die größte ist und am bittersten schmeckt. „Auch die pisidische
ist brauchbar. Leute, welche Iriswurzeln sammeln, begießen sie drei
Monate vorher mit Honigwasser, um durch diese Opfer die Erde zu
versöhnen. Dann ziehen sie um die Iris mit der Spitze eines Schwertes
einen dreifachen Kreis und, haben sie dieselbe herausgenommen, so
heben sie sie sogleich zum Himmel empor. Sie ist von Natur hitzig und
erzeugt beim Anfassen eine Art Brandflecken. Früher wurde das beste
Irisöl (~irinum~) auf der Insel Leukas und in Elis bereitet, wo man
die Iris seit langer Zeit zu diesem Zwecke anpflanzt. Jetzt bekommt
man auch vortreffliches aus Pamphylien, Kilikien und aus dem Norden.
-- Man bindet den Kindern zum Schutz gegen Krankheit eine Iriswurzel
um, vorzüglich, wenn sie Zähne bekommen oder am Husten leiden; auch
kaut man die Wurzel, um den Geruch des Atems zu verbessern, braucht
sie ferner gegen viele Übel. Beim Sammeln wird die Vorschrift
beobachtet, daß man sie mit der linken Hand ausreißt und dabei sagt,
welchen Menschen und welche Krankheit man damit heilen will. Die
Kräutersammler verfahren übrigens beim Sammeln der Iris und einiger
anderer Pflanzen, z. B. des Wegerichs (~plantago~), ganz heimtückisch.
Sie behalten nämlich einen Teil der Pflanze zurück und graben ihn
wieder am Fundorte ein, wenn sie schlecht bezahlt werden, gewiß, um
so die Krankheit, welche durch die Pflanze geheilt wurde, wieder zum
Ausbruch zu bringen.“ Endlich wird in den Geoponika gesagt: „Die
illyrische Iris wird vom Januar bis zum April in Gärten gezogen, indem
man Wurzelsprossen von alten Stämmen trennt und einpflanzt.“

Neben diesen werden noch viele andere Arten von Schwertlilien in
unseren Gärten gezogen, so die ebenfalls aus den Mittelmeerländern
zu uns gekommene +bunte Schwertlilie+ (~Iris variegata~) mit gelben,
dunkelviolett geaderten Blüten, die +englische Schwertlilie+ (~Iris
anglica~) mit wohlriechenden, weißen Blüten, an deren Grunde sich
blaue oder purpurrote Flammen und Flecken befinden, die ähnlich
gezeichnete, nur noch farbenreichere +spanische Schwertlilie+ (~Iris
hispanica~), die +Zwergschwertlilie+ (~Iris pumila~) mit niedrigem
Stengel und dunkelvioletten Blüten, die in zahlreichen Varietäten
besonders zur Einfassung von Blumenbeeten verwendet werden. Ferner die
+sibirische Schwertlilie+ (~Iris sibirica~) mit schmalen Blättern und
hellblauen, violett geaderten Blüten, die auch in mehreren Varietäten
besonders in feuchtem Boden kultiviert wird. Gleichfalls viel Wasser
verlangt die prächtige, große Blüten besitzende ~Iris laevigata~
aus Sibirien und Japan und die ~Iris kämpferi~ aus Japan, die eine
besondere Ähnlichkeit mit unserer gelben Schwertlilie aufweist. Beide
wurden in verschiedenen Varietäten bei uns eingeführt und können,
da sie auch bei uns winterhart sind, zur Einfassung von Teichen und
Wasserläufen sehr empfohlen werden. Im Jahre 1830 kam aus Persien
die düstere, fast schwarzblühende ~Iris susiana~ und später aus dem
Kaukasus die ~Iris iberica~ zu uns. Alle diese Schwertlilienarten
lieben die Sonne, die für ihr reichliches Blühen unerläßlich ist. Neben
den bunteren Schwestern behauptet immer noch die mit am reichsten
blühende, in ihren Ansprüchen äußerst bescheidene deutsche Schwertlilie
eine wichtige Stellung unter dem Schwertlilienflor. In den alten
Sorten ziert sie die prunkvollen Herrschaftsgärten so gut wie die
bescheidenen Bauerngärtchen, in denen sie neben Rose und weißer Lilie
zum althergebrachten eisernen Bestande gehört. Besonders schön macht
sie sich in einer größeren Gruppe im grünen Rasen oder am Gebüschrande.

An die Irisarten schließen sich als deren nächste Verwandte die
+Gladiolen+ an, von denen die meisten Arten in Südafrika heimisch
sind. Ihr wichtigster südeuropäischer Vertreter ist die +Siegwurz+
(~Gladiolus communis~), die 1 m hoch wird mit purpurroten, weißen
oder fleischfarbigen Blüten. Siegwurz heißt sie, weil ihr süßlicher,
schwach veilchenartig riechender Zwiebelknollen unter dem Namen
Siegwurz oder Allermannsharnisch zum Heilen von Wunden und besonders
als Amulett gegen Verwundung besonders von den Soldaten getragen wurde.
Die wichtigsten, der abgeschnitten zu Bucketts und als Einzelpflanzen
in Vasen höchst beliebten modernen bunten Spielarten stammen von
~Gladiolus cardinalis~ mit scharlachroten Blüten und ~Gladiolus
psittacinus~ mit scharlachroten und gelben Blüten. Beide stammen aus
Südafrika und ergaben durch Kreuzung eine große Zahl von Hybriden. Eine
solche, besonders reichblühende und farbenprächtige Varietät sind die
von Van Houten in Gent gezüchteten +Genter Gladiolen+, die zunächst,
als von wärmeliebenden Eltern stammend, noch nicht bei uns winterhart
waren, bis sie es durch Kreuzung mit einer von William Bull 1870
eingeführten winterharten Varietät aus Natal wurden. Sie waren aber
gleichwohl wegen verschiedener Schönheitsfehler noch minderwertig und
konnten deshalb nicht direkt als Zierpflanzen verwendet werden. Dies
war erst möglich, als Lemoine in Nancy durch Kreuzung dieser Hybriden
mit der schönen südafrikanischen ~Gladiolus sandersi~, die nicht nur
winterharten, sondern auch buntgefärbten +Nancyer Gladiolen+ mit
auffallend großen, punktierten Blumenblättern züchtete. Sie können nun
im freien Lande kultiviert werden, ohne daß ihre Knollen herausgenommen
und wie noch diejenigen der Genter Gladiolen in frostfreiem Raume
überwintert werden müssen.

Der +eßbare Schwertel+ (~Gladiolus edulis~) in Südafrika hat eine
fast zusammengesetzte Blütenähre mit schönen Blüten und eßbaren
Zwiebelknollen. Die Zwiebeln des als Feldunkraut unter Getreide in
Südeuropa häufig anzutreffenden ~Gladiolus segetum~ mit 4 cm langen
purpurroten, rachenförmigen Blüten -- dem ~Xíphion~ der alten Griechen
und dem ~gladiolus~ der alten Römer, beides „Schwertchen“ wegen der
schwertförmigen Gestalt der aufrechtstehenden Blätter bedeutend --
diente im Altertum als Arznei und wurde zu Theophrasts Zeit mit Mehl
verbacken gegessen. Plinius sagt von ihr: „Man gräbt sie vor der Ernte
aus und trocknet sie zum Arzneigebrauch im Schatten.“

Wegen ihren bunten Farben als Gartenzierpflanzen sehr beliebte
Frühlingsblumen sind die in über 30 Spielarten gezogenen +Crocus+arten,
die zumeist Abkömmlinge des auf Bergwiesen Südeuropas wildwachsenden
+Frühlingssafrans+ (~Crocus vernus~) sind. Schon bei Homer wird der
Crocus erwähnt, indem es in der Ilias heißt: „Als Zeus sich auf dem
Berge Ida lagerte, ließ die Erde unter ihm frisches Gras, betauten
~lotós~-Klee, ~krókos~ und ~hyákinthos~ dicht und weich emporwachsen.“
Varro schreibt: „Im Herbste pflanzt man im Garten Lilien und Crocus“,
und Vergil in seiner Georgika: „Abends kehren die arbeitssamen Bienen
zum Stocke zurück; ihre Beine sind belastet mit Pollen vom Thymian,
auch suchen sie Nahrung am Erdbeerbaum (~arbutus~) an den grauen Weiden
(~salix~), an ~casia~ (wahrscheinlich einer Daphne-[Seidelbast-]Art),
rötlichem Crocus, fetten Linden (~tilia~), rostbraunen Hyazinthen.“
Columella schreibt in seinem Buche über Landbau: „In den Gärten
suchen die Bienen Nahrung an weißen Lilien, auch pflanzt man für sie
Zwiebelknollen von korykischem und sizilischem Crocus (Safran).“
Auf der Balkanhalbinsel, wo meist ~Crocus sativus~, der Safran, zur
Gewinnung der Blütennarben kultiviert wird, werden seine Knollen
roh und geröstet gegessen, wie in den Steppen Westasiens diejenigen
der dort wildwachsenden weißen Lilie. Solche eßbare Zwiebeln haben
auch ~Ixia bulbifera~ und ~I. crocata~, schönblühende Verwandte des
Crocus, von denen bei uns über 20 Arten, meist vom Kap der Guten
Hoffnung, in den mannigfachsten Farben kultiviert werden, dann der
+bermudische Schweinsrüssel+ (~Sisyrinchium bermudianum~), eine
beliebte Gartenpflanze von den Bermudasinseln mit violettblauen, im
Schlunde gelben Blüten und ~Haemodorum panniculatum~ Australiens,
dessen blutrote, scharfe Zwiebeln von den Eingeborenen geröstet gerne
verspeist werden. Endlich ist noch als letzte der Amaryllideen die
+rote Tigerlilie+ Mexikos zu nennen, die nach dem gelehrten Jesuiten
Giov. Battista Ferrari (1584-1653), der auch mehreres über Botanik
schrieb, ~Ferraria tigrina~ genannt wurde. Wegen ihrer prachtvollen,
innen scharlachroten, schwarzrot getigerten oder marmorierten Blüten
wird sie nicht selten in Gewächshäusern gezogen.

Unter den Liliazeen sind noch die in 16 Arten im Kapland, in Ostafrika
und in Madagaskar heimischen +Tritoma+arten zu nennen, von denen
mehrere wegen ihren schönen Blütenähren bei uns als Zierpflanzen
kultiviert werden, zum Teil auch im freien Lande aushalten. Besonders
die über 1 m hohe ~Tritoma uvaria~ mit 30 cm langer Ähre
scharlachroter, zuletzt gelber Blüten wird in vielen Varietäten
kultiviert. Ebenso schöne Gartenzierpflanzen haben die +Tradescantien+
geliefert. Es sind dies auf Amerika beschränkte krautartige Pflanzen
mit oft rispig zusammengestellten Blüten in kurzen Trugdolden, von
denen besonders häufig die ~Tradescantia virginica~ aus den südlichen
Vereinigten Staaten und aus Mexiko mit violettblauen Blüten, weil
winterhart, in unseren Gärten angetroffen wird. Viel empfindlicher ist
~Tr. discolor~ aus Brasilien mit weißen Blüten, die als Topfpflanze im
Zimmer gezogen wird. Als Ampelpflanzen dienen dagegen ~T. guianensis~
mit langen, hängenden Zweigen und selten erscheinenden weißen Blüten
und die ihr ähnliche, nur etwas empfindlichere ~T. zebrina~ mit
braunen, silberigweiß gestreiften Blättern.

Ebenfalls aus dem tropischen und subtropischen Amerika kamen die
verschiedenen +Canna+arten als beliebte Blattdekorationspflanzen, die
in Töpfen im Kalthause überwintern und im Frühjahr zu Gruppen ins
freie Land gesetzt werden, zu uns. Die älteste, schon im Jahre 1570
in Europa eingeführte und am meisten gepflanzte Art ist die 1,5-2,5 m
hohe ~Canna indica~ mit roten Blüten, deren erbsengroße, schwarze,
harte Samen zu Rosenkränzen und Halsbändern benutzt werden. Zu ihr
kamen erst im 19. Jahrhundert auch gelbe und buntgefärbte Arten, von
denen der Blumenzüchter Crozy in Lyon (Depart. Hyères) die wichtigsten
seit dem Jahre 1875 einführte. Diese wurden untereinander gekreuzt,
so daß eine Menge von Spielarten vorhanden sind. Die Wurzelstöcke
müssen frostfrei überwintert werden. Im Garten gedeihen sie besonders
in sehr nahrhafter, lockerer Erde auf einer meterhohen Unterlage
von Pferdemist bei reichlicher Bewässerung. Aus dem Wurzelstock
der westindischen, in Peru Adeira genannten ~Canna edulis~, die im
nördlichen Südamerika, besonders Brasilien, aber auch sonst in den
Tropen kultiviert wird, bereitet man das westindische Arrowroot. Auch
von anderen Arten wird der Wurzelstock als Gemüse gegessen. Mit den
verschiedenen Cannaarten wird meist die Rizinusstaude und werden einige
kleine Bananen, wie die seit 1829 aus Südchina in unsere Gewächshäuser
eingeführte ~Musa cavendishi~ (so genannt nach dem Londoner Chemiker
Henry Cavendish, 1731 bis 1810, der 1777 das Wasserstoffgas entdeckte)
in Gruppen angepflanzt. Nur wenig über 1 m hoch wird die von Südafrika
in unsere Warmhäuser eingeführte ~Strelitzia reginae~ mit eigentümlich
vogelartigen, blaugelben Blüten.

Dann werden von den drei am Kap der Guten Hoffnung heimischen Arten
der Amaryllideengattung ~Clivia~, Zwiebelgewächsen mit langen,
rinnenförmigen Blättern und glocken- oder röhrenförmigen Blüten,
in Dolden auf starken Schäften, ~Clivia miniata~ mit mennigroten
Blüten und ~C. nobilis~ mit scharlachroten Blüten, beide in mehreren
Varietäten im Gewächshaus wie im Zimmer kultiviert.

Als weitaus aristokratischste Mitglieder sind endlich unter
den Monokotylen die +Orchideen+ zu nennen, die in bezug auf
Mannigfaltigkeit und absonderliche Gestaltung und Färbung der Blüten
im Pflanzenreich ganz einzigartig dastehen. Sie erhielten ihren
Namen vom griechischen ~órchis~, was Hoden bedeutet, weil die damit
zunächst bezeichneten Erdorchideen der Gattung ~Orchis~ an dieses
Organ erinnernde doppelte Wurzelknollen besitzen, von denen die eine
jeweilen für das nächstfolgende Jahr angelegt wird. Schon im Altertum
wurden diese Knollen vom Menschen gesammelt und gegessen. Wegen ihrer
hodenartigen Gestalt glaubte man, daß ihr Genuß die sexuelle Potenz
beeinflusse. So schreibt schon Theophrast im 4. vorchristlichen
Jahrhundert: „Die ~órchis~ hat zwei Wurzelknollen, einen großen und
einen kleinen; der große soll sexuell kräftig machen, wenn man ihn
in Milch von einer auf den Bergen weidenden Ziege kocht, der kleine
soll aber die Kraft mindern.“ Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr.
schreibt: „Die ~órchis~ hat ihre Blätter an der Erde um den Stengel;
dieser wird eine Spanne hoch und trägt purpurrote Blüten. Die Wurzel
ist knollig, länglich, doppelt, olivenförmig; die eine steht höher,
die andere tiefer. Diese ist voll, jene weich und runzlig. Sie werden
zum Verspeisen gekocht. Die Pflanze wächst in steinigem und sandigem
Boden.“ Noch heute werden die Knollen von verschiedenen Orchisarten
gesammelt und getrocknet, um als +Salep+ oder +Geilwurz+ in den Handel
zu kommen. Das Wort Salep ist aus der arabischen Bezeichnung für
diese Doppelknollen ~chusjata sslalab~, d. h. Fuchshoden verstümmelt.
Bei allen polygamen Orientalen steht diese Speise als angeblich die
sexuellen Funktionen beförderndes Mittel in hohem Ansehen und wird von
vielen derselben mit Honig gekocht regelmäßig zum Frühstück gegessen.

Von Erdorchideen finden wir am häufigsten verschiedene der in
schattigen Bergwäldern Asiens, Europas und Nordamerikas auf kalkreichem
Humusboden wachsenden +Frauenschuh+arten in Gärten angepflanzt. So
zumeist den europäischen Frauenschuh (~Cypripedium calceolus~), der bis
nach Ostsibirien vorkommt und in Deutschland besonders in Buchenwäldern
auf Kalkboden vorkommt. Von anderen, noch prächtigeren Arten, die
als dankbar blühende und leicht zu erhaltende Zierpflanzen im Zimmer
kultiviert werden, sind zu nennen ~Cypripedium venustum~ aus Neapel mit
hellgefleckten Blättern, schönen rötlichgrünen, purpurrötlichen und
blaßbraun gezeichneten Blüten und ~C. barbatum~ in Südindien und auf
Java mit schwärzlichgrün, netzartig gezeichneten Blättern und schönen,
violett und weißgefärbten Blüten.

Gleich den Erdorchideen legen auch die als Überpflanzen (Epiphyten)
auf Bäumen der dichten, feuchten Wälder der Tropen lebenden
+Baumorchideen+, die ihre Nahrung und die zum Wachstum nötige
Feuchtigkeit vermittelst mehr oder weniger langer, weißer Luftwurzeln
aus der umgebenden Luft schöpfen, solche Reservestoffbehälter an.
Wie sie durch ihren buntfarbigen Blütenschmuck in Gesellschaft mit
den leuchtenden Blüten der Schlingpflanzen dem Urwald der heißen
Landstriche ihren besonderen Reiz verleihen, haben sie sich durch ihre
aparte Schönheit die Liebe vieler vornehmer Blumenfreunde erworben und
sind besonders beim Geburts- und Geldadel Englands zu eigentlichen
Modepflanzen geworden, für deren Kultur besondere Gewächshäuser
erstellt werden. Auch werden einzelne seltene Arten um ein Vielfaches
ihres Gewichtes mit Gold aufgewogen. Um diese verführerische
Blumenkönigin der von Malaria durchseuchten, von reißenden Tieren und
feindlich gesinnten Menschen bevölkerten Baumwildnis der Tropen zu
erlangen, sind schon unzählige, von den großen Orchideenimporteuren
ausgesandte Europäer in den Tod gegangen. Das gefährliche Geschäft des
Orchideensammelns im Urwald hat für die kühnen Menschen, die sich damit
abgeben, einen besonderen Reiz, sonst würden sie nicht ihr Leben wagen;
außerdem ist es eine sehr lohnende Arbeit und ein höchst einträgliches
Geschäft. Da ein solcher Mann seinen Auftraggeber nahezu 60000 Mark
jährlich kostet, und damit dessen Arbeit noch nicht einmal bezahlt
ist, kann es uns nicht wundern, daß es nur wenige Orchideenimporteure
gibt. Die vier bedeutendsten derselben leben in St. Albans in
England, in New Jersey in den Vereinigten Staaten, in Paris und in
Berlin. Die englische Firma besitzt ungefähr 15 Sammler in den dafür
einträglichsten Gebieten, nämlich in Mexiko, Venezuela, Guatemala,
Honduras, Nicaragua, Columbia, Brasilien, Bolivia, Peru, Neuguinea,
Holländisch-Indien, besonders Java und Sumatra, dann Borneo, Birma,
Assam und in den Gegenden am Fuße des Himalaja.

Wenn auch die Orchideen über die ganze Erde verbreitet sind, so
nimmt ihre Zahl nach dem Äquator hin bedeutend zu, und der heißen
Zone gehören alle Baumorchideen mit den mannigfaltigsten, größten
und schönsten Blüten an. Bis in die Neuzeit kannten die Europäer
nur die Erdorchideen mit weniger auffallenden Blüten. Schon die
Väter der Botanik beschäftigten sich eingehend mit ihnen, und manche
Tierähnlichkeit der schon unter ihnen auftretenden bizarren Blüten
verführte zu dem wunderlichsten Aberglauben. Mit der Entdeckung
Indiens und der Neuen Welt traten erst die tropischen Orchideen in
den Gesichtskreis der diese Länder zu Handelszwecken aufsuchenden
Europäer. Da diese Pflanzen keinen praktischen Nutzen gewährten, nahmen
die Krieger und Kaufleute, die die Tropenländer zuerst betraten,
keinerlei Notiz von ihnen. Als erster erwähnte der große französische
Arzt und Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, 1526 in Arras in
Nordfrankreich geboren und 1609 als Botanikprofessor in Leiden in den
Niederlanden gestorben) die Frucht der Vanille, als dem einzigen dem
Menschen Nutzen gewährenden Produkt der Orchideen im Jahre 1605. Erst
am Ausgange des 17. Jahrhunderts kamen Beschreibungen und Abbildungen
tropischer Baumorchideen nach Europa. Karl von Linné, der Begründer der
modernen Botanik (1707-1778), kannte 1764 nur insgesamt 102, meist der
gemäßigten Zone angehörende Orchideenarten und nur 30 Baumorchideen.
Der Berliner Botaniker Karl Ludwig Willdenow (1765-1812), der
bedeutendste Systematiker seiner Zeit, beschrieb 1805 391 Arten mit
140 Epiphyten. In seinem 1830-1840 erschienenen Hauptwerk beschrieb
der Engländer Lindley bereits gegen 2000 Arten, unter denen sich fast
1000 Baumorchideen befanden, und 1880 schätzte de Puydt die Zahl aller
bekannten Orchideen auf 6000! So sehr hat sich unser Gesichtskreis
in diesem Gebiet erweitert. Dennoch kennen wir noch lange nicht alle
überhaupt auf der Welt existierenden Orchideenarten, von denen sich
viele ganz hoch im Astwerk der Tropenbäume verstecken, so daß man sie
erst erlangt, wenn man aufs Geratewohl Bäume fällt und sie von den
höchsten Ästen jener ablöst.

[Illustration:

    Tafel 145.

Gruppe verschiedener Orchideen, zusammengestellt von der
Orchideengärtnerei von Otto Beyrodt in Marienfelde b. Berlin.]

[Illustration:

    Tafel 146.

Blumenstand am Viktualienmarkt in München.]

Was die Kultur der tropischen Orchideen betrifft, so gelang es erst
am Ausgange des 18. Jahrhunderts einige Epidendronarten in einem
europäischen Treibhause zu ziehen. Im Jahre 1813 kultivierte man in
dem weltberühmten botanischen Garten von Kew bei London nicht mehr als
40 Orchideenarten. In den 1830er Jahren befanden sich Orchideen in
Privatgärten Hamburgs und Dresdens, und 1851 kultivierte man im Garten
des Grafen Thun schon gegen 500 tropische Arten derselben. Bald wurden
an den verschiedensten Orten eigene Orchideenhäuser gebaut, und vor
etwa 40 Jahren begann das Populärwerden dieser Zucht bei den Vornehmen
besonders Englands. Gegenwärtig schätzt man die Zahl der kultivierten
Orchideenarten auf etwa 2000. Dabei hat die Liebhaberei für diese
eigenartig zierlichen Blütenpflanzen eine erstaunliche Höhe erreicht
und werden einzelne derselben mit Zehntausenden von Mark bezahlt.

Unglaublich mannigfaltig ist wie die ganze Form, so auch die Gestalt
und Farbe der verschiedenen Orchideenblüten. Manche der letzteren sehen
aus wie gewisse Insekten, Kraken, Vögel, besonders Pinguine, dann
kleine Gnomen usw.

In Mittelamerika wächst die San Espiridoorchidee, die ihren Namen
und eine sich daran anschließende fast abgöttische Verehrung bei den
bigotten Spaniern in ihrer Heimat davon erhielt, daß ihre zierliche
Blüte an eine herabschwebende weiße Taube erinnert, in Gestalt welcher
der heilige Geist sich auf Christus bei seiner Taufe im Jordan
herabgesenkt haben soll. Von den winzigsten, zu lang herabhängenden
Trauben vereinigten Blüten gibt es alle Übergänge zu solchen, die so
groß sind wie zwei zusammengelegte Männerhände, von weißen, einfachen
bis zu den in den leuchtendsten, buntesten Farben gefärbten, von
duftlosen bis zu solchen, die weithin einen fast betäubenden Wohlgeruch
aushauchen. Dabei sind die Orchideenblüten noch mehr als diejenigen der
anderen Blütenpflanzen dem Besuche ganz spezieller Insekten angepaßt;
und daß solche Besucher sie an ihren oft sehr versteckten Standorten
finden und die Befruchtung der Blüten vornehmen können, sind sie mit
einer im übrigen Pflanzenreich meist beispiellosen Dauerhaftigkeit der
vielfach sehr dicken, mit wachsglänzender Oberfläche versehenen Blüten
begabt, so daß sie unter Umständen viele Wochen warten können, bis
endlich das zur Vornahme der Befruchtung erwartete Insekt erscheint
und dieselbe vornimmt. Gerade diese Dauerhaftigkeit ihrer wunderbaren
Blüten macht sie zu besonderen Lieblingen aller Blumenfreunde, die sich
den Luxus einer solchen Kultur leisten können.

Der hohe Preis der für viele dieser Orchideen bezahlt wird, findet
sehr leicht seine Erklärung in der oft äußerst schwierigen und mit
Lebensgefahr verbundenen Beschaffung derselben; denn kaum eine andere
Beschäftigung bringt so viel Mühen und Abenteuer mit sich als diejenige
eines Orchideensammlers. Nur gesunde, intelligente, kühne und dabei im
Verkehr mit den Eingeborenen höchst diplomatisch handelnde, sprach-
und lebensgewandte Männer eignen sich zu diesem schweren, aber schönen
und gutbezahlten Beruf. Die besten unter ihnen sind die Deutschen, die
alle nach einem gewissen, bewährten System arbeiten und an Ort und
Stelle zahlreiche Eingeborene in ihren Dienst nehmen, ohne die sie
nur wenig ausrichten würden. Es ist eine überaus schwierige Sache,
den Standort seltener Orchideen, die sich so hoch in den Wipfeln
angesiedelt haben, daß man sie vom Boden aus überhaupt nicht zu sehen
vermag, auszukundschaften. Und ist dies endlich gelungen, so beginnt
erst die Mühe des Sammlers; denn, um sie zu erlangen, muß er oft
mächtige Urwaldstämme mit der Axt umhauen lassen, bis er endlich zum
heißerstrebten Ziele gelangt.

So wurde festgestellt, daß für drei Exemplare des schönen, durchaus
nicht seltenen ~Odontoglossum~ mindestens ein solcher Baum mühsam
gefällt werden muß. Wieviel Urwaldriesen haben schon ihr Leben lassen
müssen, um die zahlreichen Orchideensorten von oft sehr beschränkter
Verbreitung in unsere Orchideenhäuser zu liefern! Und sind endlich die
Orchideen glücklich erlangt, so heißt es, sie durch kunstgerechtes,
vorsichtiges Trocknen überhaupt versandfähig machen. Diese Prozedur
nimmt oft viele Wochen in Anspruch. Wenn dadurch alle austreibbare
Feuchtigkeit aus ihnen entwichen ist, werden sie in luftdurchlässige
Behälter gepackt und müssen auf den Köpfen von Menschen oft viele
Tagereisen weit über reißende Ströme und bodenlose Sümpfe, durch
gefährliche Dschungeln und schwer passierbare Gebirge mühsam
transportiert werden, bis sie auf die Eisenbahn gebracht und dann in
Schiffe verladen werden, und so die Reise nach ihrem Bestimmungsorte
antreten können. Wie vor Feuchtigkeit müssen sie gleicherweise auch
vor zu großer Hitze und vor Licht geschützt werden. Und hat man auch
alle diese Bedingungen sorgsam erfüllt, so ist es gleichwohl möglich,
daß schließlich die meisten oder gar alle Exemplare unterwegs Schaden
gelitten haben und zugrunde gegangen sind, so daß alle Arbeit und
alle Auslagen umsonst waren. Für solche Verluste kann der Sammler
natürlich nicht verantwortlich gemacht werden; sie gehören eben zum
selbstverständlichen Geschäftsrisiko, der oft viele Tausende von Mark
beträgt und deshalb diese wunderbaren Erzeugnisse der Tropen so teuer
macht.

Wie manche durch ihre Größe ausgezeichnete Diamanten, haben gewisse
Orchideen ihre eigene, vielfach höchst interessante Geschichte
aufzuweisen, die über ganze Menschenschicksale entschied und nicht
selten den Kühnen, die sie für die Bewunderung der Kultureuropäer
zu erobern suchten, den Tod brachte. Manche derselben sind an ganz
bestimmte Standorte und Höhenlagen, andere wieder an kleinere
Bezirke des Vorkommens gebunden, sterben leicht vollständig aus und
verschwinden vom Schauplatz, und an ihrer Stelle erscheinen dann
plötzlich zum Erstaunen der Blumenfreunde neue, bis dahin gänzlich
unbekannte Orchideenarten.

Ein Kenner, Oliver Bartlett, schreibt in bezug auf die Gewinnung
solcher seltener Orchideenarten: „Vor einigen Jahren bot eine Firma
in St. Albans ihrem Vertreter in Kalkutta die Summe von 1000 Pfund
(also 20000 Mark) für die Beschaffung eines blühenden Exemplars von
~Cypripedium fairrieanum~, von welchem ein Forscher eine einzelne Art
zufällig entdeckt hatte. Diesen hatte ein wilder Volksstamm auf dem
abgeschlossenen Gebiet von Bhutan ergriffen und gezwungen, an ihren
Kämpfen teilzunehmen, bei denen er schließlich den Tod fand. Noch
tragischer ist das Ende des berühmten französischen Orchideensammlers
Leon Humblot. Er ging vor einigen Jahren mit seinem Bruder und sechs
französischen Landsleuten nach Madagaskar. Sie alle waren engagiert,
um Insekten aller Art, Schmetterlinge, Vögel und Orchideen zu sammeln.
Humblot, der eine völlig unbekannte Gegend durchforschte, hatte das
Unglück, eine Ladung Vogelschrot in ein Götzenbild der Eingeborenen
zu schießen, worauf die erzürnten Priester des Stammes ihn mit Öl
begossen, anzündeten und lebendig verbrannten.“

Eine weniger tragische Geschichte weist die berühmte ~Cattleya
skinneri~ auf, die eine hervorragend schöne, fleckenlose Blüte
aufweist. Ihre Heimat ist Costarica, wo sie ursprünglich von
Jesuitenpatres entdeckt wurde, die sie schleunigst auf die Dächer ihrer
Kirchen verpflanzten; diese bedeckt sie nun zur Zeit der Blüte mit
ihren reizenden, schneeigen Blüten.

Auch die ~Cattleya labiata~ hat ihre Geschichte. Sie war die erste
ihrer Art, die, wie man vermutete, aus dem brasilianischen Organgebirge
bei Rio de Janeiro stammend, in Europa eingeführt wurde. Plötzlich
ging die Kenntnis ihres Standortes verloren, und da keine neuen
Exemplare eingeführt werden konnten, wurde sie, selbst unter der
geschicktesten Pflege, ganz außerordentlich selten. Verschiedene
kostspielige Expeditionen wurden nach Brasilien und den angrenzenden
Ländern gesandt, doch wurden nur andere wertvolle Cattleyas, nicht aber
sie entdeckt. So fanden z. B. Arnold die ~Cattleya gaskelliana~ im
schwer zugänglichen Carribogebirge und Seydl die herrliche ~Cattleya
laurentiana~. Jahre danach sandte der Forscher Bungeroth eine Pflanze
in die Heimat, die er als eine neue Abart mit dem Namen ~Cattleya
warroqueana~ bezeichnete, und die sich dann schließlich als die
langgesuchte ~Cattleya labiata~ erwies.

Ein deutscher Orchideensammler, der dem Ufer des gewaltigen Flyflusses
in Neuguinea entlang ging, stieß plötzlich auf eine papuanische
Begräbnisstätte, auf welcher die gewaltige, hochrotblühende Orchidee
mit dem Übernamen „Elefantenmotte“ in üppiger Fülle zwischen Knochen
und Schädeln wucherte. Als er sich daran machte, einige derselben
auszugraben, widersetzten sich die ihn begleitenden Eingeborenen
aufs energischste gegen solches nach ihrem Glauben frevelhaftes und
gefährliches Vorhaben. Erst nach langen Unterhandlungen und durch
Geschenke an Baumwollstoff, Kupferdraht und Perlen vermochte er die
abergläubischen Eingeborenen dazu zu bringen, ihn ungestört gewähren zu
lassen. Als diese Orchideen in London zur Versteigerung kamen, war ein
Exemplar derselben am meisten begehrt, das mit seinen prächtigen Blüten
aus der Augenhöhle eines menschlichen Schädels herauswuchs. Diese
Orchidee wurde für 120 Pfund (= 2400 Mark) verkauft.

Den Wert neu eingetroffener Orchideen kann auch der beste Kenner nicht
genau beurteilen. So durchstreifte eines Tages ein gewisser Herr
Harvey, ein begüterter Advokat aus Liverpool, die Treibhäuser von
Herrn Frederick Sander, als er plötzlich auf ein Exemplar der ~Laelia
anceps~ stieß, welche das Merkzeichen auf der Knolle viel höher trug,
als dies sonst üblich ist. Da Herr Harvey schon viel von den „Launen“
der Orchideen gesehen und gehört hatte, kaufte er die Pflanze sofort
für 48 Schilling (ebensoviel Mark), und in einer der späteren Saisons
verkaufte er sie wiederum an Herrn Sander um den Preis von 200 Pfund
Sterling (= 4000 Mark). Sie hatte Blüten getrieben, die einzig in ihrer
Art waren.

Ein anderes Mal erhielt Herr Sander eine große Anzahl von ~Cypripedium
insigne~ und bemerkte unter den Pflanzen eine, die statt der typischen
braunen Blütenstengel solche von hellgelber Farbe aufwies. Er stellte
die Pflanze besonders, und als sie zum Blühen kam, trieb sie Blumen
von einem herrlichen Goldgelb -- es war eine neue Spielart einer sehr
kostbaren Sorte.

Wenn eine solche Abart einzig in ihrer Art und als das Produkt einer
von der Natur selbst herbeigeführten Kreuzung dasteht, so wird sie
niemals ergiebig sein; denn die Blüten können nicht, wie dies sonst
üblich ist, mit dem Blütenstaub anderer Blüten befruchtet werden, und
das einzige Mittel, sie zu vermehren, besteht darin, das Original zu
teilen.

Für eine einzige Orchidee sind schon 2080 englische Pfund (gleich 41600
Mark) angeboten und abgelehnt worden, und 100 Pfund (gleich 2000 Mark)
sind für einen mikroskopisch kleinen Fleck Blütenstaub zum Bastardieren
bezahlt worden. In Privatgeschäften wurden von wohlhabenden Amateuren
1200 Pfund Sterling (24000 Mark) für ein Exemplar einer besonderen
Gattung und 700 Pfund Sterling (14000 Mark) für ein Duplikat oder eine
geteilte Pflanze bezahlt.

In den großen Treibhäusern bemüht man sich soviel wie möglich die
Bedingungen zu erfüllen, die zum Gedeihen der einzelnen Spielarten
unerläßlich sind. So muß man beispielsweise ein Gewächshaus, in
welchem Orchideen aus dem heißen Borneo kultiviert werden, fast noch
einmal so warm halten als ein anderes, in welchem Orchideen aus
den Hochtälern Mexikos und den luftigen Abhängen der Kordilleren
Südamerikas untergebracht sind. In einem dritten Treibhaus muß die Luft
mit Tabakrauch erfüllt sein. Ein großer europäischer Händler empfängt
jährlich 2 Millionen Pflanzen; dabei ist man so unsicher in bezug auf
ihr Fortkommen, daß sie auf der Versteigerung meist ohne Garantie
verkauft werden. Selbstverständlich sind so kostbare Pflanzen auf
die mannigfaltigste Weise miteinander gekreuzt worden und haben sehr
wertvolle Blendlinge ergeben. Man hat schon Bastarde von ihnen erzielt,
in welchen drei verschiedene Gattungen vertreten sind. Darin hat sich
der bereits erwähnte deutsche Gärtner Friedrich Sander, der in St.
Albans bei London und in Brügge in Belgien gärtnerische Riesenbetriebe
besitzt und seiner reichen Orchideengeschäfte wegen in England
allgemein als Orchideenkönig bekannt ist, hervorgetan. So hat er u.
a. zwei durch seinen Sammler Godseff in Neuguinea und Neukaledonien
gesammelte Acalyphaarten miteinander gekreuzt und damit wunderbar
schöne Hybriden erzielt, deren erste schon im April 1898 auf der großen
internationalen Gartenbauausstellung zu Gent in Belgien allgemeines
Aufsehen erregte. Die Blüten haben bis 50 cm lange Schwänze, sind
zuerst grünlichweiß und gehen dann in Rosa und Orangerot, bei manchen
auch in Gelb über. Sie sind, wie übrigens viele andere Orchideen,
besonders auch dadurch wertvoll, daß ihre Blütezeit sehr lange währt.

Von den Ranunkelgewächsen sind von den bei uns einheimischen nur wenige
als Zierpflanzen in unsere Gärten aufgenommen worden. Unter ihnen ist
die auf Wiesen auch in Deutschland wachsende +Trollblume+ (~Trollius
europaeus~) mit großen, geschlossenen, gelben Blüten zu nennen, die
wie ihre nordasiatische Verwandte (~T. asiaticus~) und andere Arten
als Zierpflanzen in Gärten kultiviert wird. Die weitaus schönste der
altweltlichen Ranunkeln ist die in Südeuropa heimische +Pfingstrose+
(~Paeonia officinalis~) mit unterirdischem, knollig verdicktem
Wurzelstock, 30-60 cm hohem Stengel und 5 cm im Durchmesser
haltenden karminroten Blüten. Sie wird in zahlreichen Varietäten
von Purpur bis Weiß meist in gefüllten Formen in Gärten kultiviert.
Wurzel und Samen wurden früher arzneilich benutzt. Die Blumenblätter
verwendet man wegen ihrer Farbe zu Räucherungen. Im Altertum galt
sie als Schutzmittel gegen die Neckereien der Faune, d. h. der als
„Wohlwollenden“ bezeichneten guten Geister der Fluren und Felder, die
nach dem Volksglauben namentlich dem Vieh Fruchtbarkeit und Schutz
gegen die Wölfe verliehen. Sie wurde von den alten Griechen ~paiōnía~
und von den Römern, die sie durch jene kennen lernten, ~paeonia~
genannt. Noch mehr als ihre wurden aber von ihnen die Wurzeln der in
den Mittelmeerländern heimischen korallensamigen Pfingstrose (~Paeonia
corallina~) arzneilich besonders gegen Gicht gebraucht, weshalb die
rosenrot blühende Pflanze auch Gichtrose genannt wird. Bei deren
Gewinnung mußten gewisse Riten geübt werden. Gegen die gebräuchlichste,
das Ausgraben bei Nacht, wendet sich schon der pflanzenkundige Grieche
Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. indem er sagt: „Es wird aber wohl
ohne Grund vorgeschrieben, man solle die Päonie (~paiōnía~), welche
auch ~glykysídē~ heißt, bei Nacht ausgraben; denn wenn man bei Tage
danach grübe und dabei von einem Specht gesehen würde, so erlitte man
Unglück.“ Ihre roten Samen wurden als Amulett getragen und sollten,
auf Fäden gereiht und um den Hals befestigt, Kindern das Zahnen
erleichtern, weshalb sie beim Volke Zahnkorallen heißen. Neben der
offizinellen Pfingstrose Südeuropas werden auch die schmalblättrige
Pfingstrose (~Paeonia tenuifolia~) aus Südrußland mit tiefroten Blüten
und die weißblühende Pfingstrose (~P. albiflora~) aus Südsibirien,
dem Himalaja und Japan, wie auch die 1-2 m hohe baumartige
Pfingstrose (~P. moutan~ -- letzteres ist ihr chinesischer Name) mit
5-10blätteriger Blumenkrone in zahlreichen, auch gefüllten Varietäten
bei uns als Zierpflanzen kultiviert. Letztere, die in China und Japan
hochgezüchtet wurde, eignet sich besonders zu Einzelpflanzungen
in Rasen, verlangt aber Winterschutz. Ihre stechend aromatische
Wurzelrinde wird in Japan arzneilich viel gebraucht.

Scharf giftig ist der blaue oder echte +Eisenhut+ oder +Sturmhut+
(~Aconitum napellus~), so genannt nach der helmartigen Form seiner
hübschen Blüten. Anderswo heißt er Mönchskappe, in Norwegen Tor-
oder Tyrhialm, d. h. Helm der Kriegsgötter Tor oder Tyr. ~Akṓniton~,
d. h. auf felsigem Boden (im Gebirge) wachsende Pflanze, nannten
sie die Griechen, und nach den Metamorphosen des römischen Dichters
Ovid (43 v. bis 7 n. Chr.) soll sie aus dem Geifer des Höllenhundes
Cerberus entstanden sein, als dieser von Herkules aus der Unterwelt
heraufgeschleppt wurde. Ihre giftige Wurzel wurde schon im Altertum
zum Vertilgen von Raubtieren, denen sie im Köder gegeben wurde,
benutzt, daneben auch als Arzneimittel gegen Gicht, Rheumatismus
und Lungenkrankheiten gegeben. Als offizinelle Pflanze kam sie
dann im Mittelalter in die Bauerngärten und hat sich hier das
Bürgerrecht erworben. Ebenso verhält es sich mit dem +Rittersporn+,
dessen südeuropäische, blau oder weißblühende Abart (~Delphinium
staphisagria~), die ~staphís agría~ der Griechen, ebenfalls arzneiliche
Verwendung fand. Ihre scharfschmeckenden, schwarzgelblichen Samen
dienten gepulvert und mit Olivenöl vermischt, wie uns der griechische
Arzt Dioskurides berichtet, zum Vertilgen von Läusen und Krätze.
Deshalb wurden sie von den Römern ~pedicularia~ (von ~pediculus~
Laus) und bei uns Läuserittersporn genannt. Meist werden in unseren
Gärten der in den Gebirgen Mitteleuropas wachsende hohe Rittersporn
(~Delphinium intermedium~), dann der aus dem Orient stammende
Gartenrittersporn (~D. ajacis~, nach dem homerischen Helden Ajax so
genannt, weil die Pflanze aus dessen Blut hervorgewachsen sein soll,
nachdem er sich aus Unmut, im Streite mit Odysseus besiegt worden zu
sein, selbst den Tod gab) und der aus Nordamerika zu uns gebrachte
dreifingerige Rittersporn (~D. exaltatum~) kultiviert.

Beliebte Gartenzierpflanzen sind auch die einheimische +gemeine
Akelei+ mit blauen und die +kanadische Akelei+ mit scharlachroten
Blüten (~Aquilegia vulgaris~ und ~canadensis~). Letztere stammt aus
den östlichen Vereinigten Staaten und Kanada. Beide werden auch
in gefüllten Spielarten gezogen. Ihrem Safte wohnen betäubende
Eigenschaften inne; doch werden sie nicht medizinisch verwendet. Dies
ist jedoch beim +Schwarzkümmel+ (~Nigella sativa~) der Fall, der aus
Südeuropa als Heilpflanze zu uns kam und nach den Verordnungen Karls
des Großen in den Gärten seiner Meierhöfe angebaut werden sollte. Wie
damals wurden schon im Altertum seine wohlschmeckenden Samen ins Brot
geknetet. Die Pflanze hieß bei den Griechen ~melánthion~ und bei den
Römern ~git~ und wurde gegen mancherlei Übel gebraucht. Gleicherweise
stammt aus den Mittelmeerländern die ihr nahe verwandte +Jungfer im
Grünen+ oder +Gretel im Busch+ (~Nigella damascena~), die häufig in
Bauerngärten gefunden wird, wie auch die verschiedenen +Adonisröschen+
(~Adonis flammea~ u. a.). Oft auch finden sich in Stadtgärten zur
Einfassung der Blumenbeete oder an Felspartien die blauen, selten roten
oder weißen +Leberblümchen+ (~Hepatica triloba~), die den Vorzug haben,
zu unsern ersten Frühlingsboten zu gehören. Wegen ihrer leberförmigen
Blätter wurde die Pflanze früher als Heilmittel gegen Leberleiden
verwendet.

Von den eigentlichen Anemonen ist vor allem die +Gartenanemone+
(~Anemone coronaria~) zu nennen, die in Südeuropa und im Orient
heimisch ist und große, dunkelrote oder weiße Blüten besitzt. Schon der
griechische Arzt Dioskurides unterschied die wilde ~anemṓnē~ von der
zahmen, in Gärten gepflanzten und sagt, letztere habe scharlachrote
Blüten, während die wilde weiße oder purpurrote Blüten besitze.
„Beide dienen als Arznei.“ Dem fügt sein Zeitgenosse Plinius bei, daß
die Anemonen (~anemone~) außerdem zu Kränzen dienen, wie auch die
Adonisröschen (~adonion~, von ~Adonis autumnalis~). In der Gegenwart
werden die Gartenanemonen in zahlreichen Varietäten mit großen
dunkelroten, blauen oder weißen Blüten, namentlich in Holland als
Zierpflanzen kultiviert. Ihr Wurzelstock wird nach dem Verblühen aus
der Erde genommen und bis zum Frühjahr trocken aufbewahrt. Ebenfalls
als Zierpflanzen geschätzt sind: die Sternanemone (~Anemone hortensis~)
aus Istrien und Italien, die ~Anemone fulgens~ mit scharlachroten
Blüten aus dem Mittelmeergebiet, die Pfauenanemone aus Südfrankreich
mit großen, aus 10-12 lanzettförmigen, spitzen, schmalen, feurig
karminroten Blumenblättern bestehenden Blüten, dann von ausländischen
die japanische Anemone mit rosa und weißen Blüten, deren bekanntester
Abkömmling die prächtige Honorine Joubert ist, und besonders die
großblütigen, in satten Farben von Rot bis Violett und Weiß prangenden
Himalajaanemonen, die die Zierde unserer Gärten bilden und leicht zu
ziehen sind.

An die Ranunkeln schließen sich die Mohnblütigen an, unter denen
neben +Klatschrose+ und +Schlafmohn+ in den mannigfaltigsten Farben
und mit gefüllten Blüten besonders der morgenländische Mohn (~Papaver
orientale~) als Zierpflanze unserer Gärten kultiviert wird. Letzterer
trägt auf dem bis 1 m hohen, borstigen Stengel nur eine bis 13 cm
im Durchmesser haltende scharlachrote, oft im Grunde mit schwarzblauem
Kreuze bezeichnete Blüte. Bescheidener als sie sind die ebenfalls als
Zierpflanzen kultivierten +Nachtviolen+, die eigentliche Nachtviole
(~Hesperis tristis~) mit schmutziggelben, purpurrot geaderten Blüten,
die abends herrlich duften -- sie wird in Südeuropa wegen der als
treffliches Viehfutter dienenden Blätter und ölreichen Samen angebaut
-- und die Gartennachtviole oder Matronale (~H. matronalis~) -- von den
Gärtnern auch ~Viola matronalis~, d. h. Frauenveilchen, genannt --,
deren rote, lila oder weiße, wohlriechende Blüten häufig gefüllt sind.
Vielfach ist sie aus den Gärten entwichen und verwildert.

Diesen nahe verwandt sind die +Levkojen+, die ihren Namen vom
griechischen ~leukóion~, d. h. Weißveilchen (~leukós~ weiß und ~íon~
Veilchen), ableiten. Unter dieser Bezeichnung verstanden die alten
Griechen die an den Mittelmeerküsten wild wachsende +Winterlevkoje+
(~Matthiola~ -- nach dem 1500 in Siena geborenen und 1577 in Trient
gestorbenen kaiserlichen Leibarzt in Wien Peter Andreas Matthiolus
so genannt -- ~incana~, d. h. die weißlichgraue), die wegen ihrer
wohlriechenden Blüten geschätzt wurde. Theophrast im 4. Jahrhundert
v. Chr. sagt von ihr: „Die Leukoje (~leukóion~) erscheint von den
schöneren Blumen zuerst, und zwar schon im Winter, wenn die Luft mild
ist. Sie dauert gewöhnlich drei Jahre, wird im Alter kleiner und bringt
dann weißere Blumen hervor.“ Vergil (70-19 v. Chr.) bezeichnet sie in
einer seiner Eclogen als ~paliens viola~, d. h. bleiche Viole, und
Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt von ihr: „Die Levkoje ist
allgemein bekannt, sie hat verschieden gefärbte, weiße, gelbe, blaue
und purpurrote Blüten. Die gelbblütige ist als Arznei im Gebrauch.“
Ebenso mannigfaltig gefärbt sind die Blüten der etwas größeren,
gleichfalls in Südeuropa heimischen +Sommerlevkoje+ (~Matthiola
annua~), die einjährig ist und wegen ihrer schönen, wohlriechenden
Blüten eine der beliebtesten Topfpflanzen bildet. Außer Sommer- und
Winterlevkojen in mehreren Klassen unterscheidet man auch mehrjährige
Levkojen, von denen manche Sorten mehr als zwei Jahre dauern und
strauchartig werden, dabei jedoch an Schönheit verlieren. Man zieht sie
deshalb jedes Jahr neu heran und behandelt sie wie zweijährige. Die
Levkojenkultur ist ein wichtiger Zweig der Handelsgärtnerei und wird
besonders in Erfurt stark betrieben.

Die gelbe Viole (~viola~) der Alten, von der die antiken Dichter, so
besonders Ovid und Vergil, häufig sprechen, die in besonderen Feldern
(~violaria~) kultiviert wurde und zu Kränzen gewunden auf den Markt
kam, ist unser +Goldlack+ (~Cheiranthus cheiri~ -- letzteres Wort,
das auch in der ersten Hälfte des Gattungsnamens enthalten ist, ist
die arabische Bezeichnung der Pflanze, die „Kraut mit wohlriechenden
Blüten“ bedeutet). Die Stammpflanze findet man an steinigen Stellen der
Küsten Griechenlands häufig wild. Sie wurde wegen ihrer wohlriechenden
Blüten sehr frühe in die Gärten herübergenommen und bildet bis auf
den heutigen Tag eine beim gemeinen Volke sehr beliebte Zierpflanze.
Ursprünglich nur mit braunen und violetten Blüten begabt, hat man
aus ihr sehr verschieden gefärbte Varietäten, auch mit gefüllten
Blüten, erzielt. Mit den Levkojen wurde sie auf eine sehr hohe
Stufe blumistischer Vollkommenheit gebracht und nimmt unter allen
Sommerblumen eine sehr wichtige Stellung ein. Auch sie wird besonders
in Erfurt angepflanzt.

Zum Unterschied vom weißen Veilchen, der Levkoje, nannten die alten
Griechen das +wohlriechende Veilchen+ (~Viola odorata~) schwarzes
Veilchen (~mélan íon~). In den Geoponika sagt ein griechischer Autor:
„Das Veilchen (~íon~) hat seinen Namen Ion daher bekommen, daß die
Erde es zu Ehren der von Zeus geliebten Jungfrau Io erschuf.“ Bei den
Hellenen war es das Symbol der jährlich wieder auflebenden Erde und der
jungen Freundschaft. Nach der Sage wurde die Tochter des Atlas, als
sie sich vor Apollon verbarg, in ein Veilchen verwandelt. Mit Veilchen
und Rosmarin wurden im Mai die Bildnisse der Hausgötter geschmückt
und verzierten die Bacchantinnen ihre Thyrsosstäbe. Unter allen
Griechen hatten die Athener eine besondere Vorliebe für diese Blume.
Mit Veilchen bekränzten sie sich und mit Veilchenwasser parfümierten
sie sich; deshalb hieß die Stadt bei den Alten „das veilchenduftende
Athen“. Um dem großen Bedarf zu genügen, wurden Veilchen in der
Umgebung Athens im großen kultiviert. Theophrast (im 4. Jahrhundert
v. Chr.) sagt: „Das Veilchen blüht, wenn es gut gepflegt wird, das
ganze Jahr hindurch.“ Der Komödiendichter Aristophanes (455-387
v. Chr.) sagt an einer Stelle seiner Acharner: „Früher nannte man
die Athener veilchenbekränzt (~iostéphanos~).“ Außer Varro (116-27
v. Chr.) spricht Vergil (70-19 v. Chr.) von Veilchenbeeten
(~violarium~), und letzterer sagt, sie müssen naß gehalten werden.
Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Veilchen (~viola~)
werden auf gut gedüngtem und gegrabenem Boden gezogen. Man setzt
Pflanzen vom vorigen Jahre in fußweite Gruben vor Anfang März. Übrigens
sät man den Veilchensamen entweder im Frühjahr oder im Herbst.“ Sein
Zeitgenosse Plinius sagt in seiner Naturgeschichte: „Das purpurne
Veilchen (~viola purpurea~) wächst an sonnigen und magern Stellen
wild, wird aber auch in Gärten aus Pflanzen gezogen. Man setzt
Veilchenkränze gegen Rausch und Schwere des Kopfes auf.“ Wie in den
reichen Griechenstädten, wurde auch im Rom der Cäsaren gelegentlich
ein großer Luxus wie mit anderen, so auch mit diesen Blumen getrieben.
So berichtet Älius Lampridius in seiner Biographie des Heliogabalus
(geb. 201, regierte 218-222): „Kaiser Heliogabalus ließ manchmal zum
Spaß über Gäste, die bei ihm schmausten, Veilchen (~viola~) und andere
Blumen in solcher Menge schütten, daß mehrere sich aus der Masse nicht
herausarbeiten konnten und erstickten.“

Im Mittelalter wurde das bescheidene Veilchen zwar gelegentlich
von Dichtern erwähnt, doch spielte es als Gartenpflanze eine sehr
unbedeutende Rolle. In der Neuzeit hat besonders Napoleons I. erste
Gattin Josephine es als ihre Lieblingsblume und ihren bevorzugten
Schmuck zu Ehren gezogen. Bei ihrer Hochzeit im Jahre 1796 mit dem
genialen, um 6 Jahre jüngeren Korsen, genügte ihr ein Veilchenstrauß,
und mit Veilchen war ihr Hochzeitsrock bestickt. Zu jeder Wiederkehr
dieses glücklichen Tages wünschte sie sich Veilchen als Festgeschenk
aus ihres Mannes Hand, und selbst im Donner der Schlachten vergaß
dieser nicht, für die Erfüllung dieses Wunsches zu sorgen, auch
dann, als er die Kaiserkrone trug. Als jedoch 1809 das bittere Wort
der Scheidung ausgesprochen war und die zu solch unerhörtem Glanze
emporgestiegene Tochter des einstigen Kapitäns von Martinique aus
Staatsraison der österreichischen Prinzessin Marie Luise weichen mußte,
blieben die Veilchen von Bonapartes Hand aus. Und als die gedemütigte
Frau am 29. Mai 1814 in Malmaison starb, lag auf ihrem Sarge im
Gartensaal unter Rosen und Zypressen ein frischer Veilchenstrauß
auf weißseidenem Kissen. 60 Jahre später schmückte Josephinens
Lieblingsblume, die inzwischen zum Sinnbild der Napoleoniden geworden
war, in unzähligen prachtvollen Sträußen und Kränzen ein anderes
Totenlager in Cambdenhouse zu Chiselhurst als letztes Lebewohl, das
dem dritten Napoleon von seinen Anhängern aus Frankreich nachgerufen
wurde. Das Veilchen war auch ein Liebling Goethes, der sich im Frühjahr
auf seinen Spaziergängen in Weimars Umgebung gern mit ihm schmückte.
Stets trug der Dichterfürst Veilchensamen bei sich, um ihn zu Seiten
des Wegs auszustreuen; und die Erde erwies sich dankbar für die Gabe
des Poeten und ließ den bescheidenen Frühlingsboten überall, wo er
gestreut ward, aufsprießen, damit sich die Vorübergehenden an ihm
erfreuen konnten. Zu der einfachen Sorte gewann man im Laufe des 19.
Jahrhunderts auch gefüllte und immerblühende Arten, ebenso solche mit
roten und weißen Blüten. Auch praktischen Zwecken wurden sie dienstbar
gemacht. Man benutzt sie zur Bereitung von Veilchensirup, Creme, Gelee,
Gefrorenem, feinem Backwerk, auch werden sie überzuckert gegessen und
in der Parfümerie verwendet. Doch wird das meiste Veilchenparfüm nicht
aus ihnen, sondern aus der Veilchenwurzel -- der früher besprochenen
Schwertlilie -- gewonnen.

Aus dem zwei- bis dreifarbigen Ackerveilchen (~Viola bicolor~ und
~tricolor~), das auf Äckern und Brachen gemein ist, hat die Kunst
zuerst der englischen Gärtner die äußerst mannigfaltig gefärbten,
großblütigen, fast das ganze Jahr hindurch blühenden +Stiefmütterchen+
oder +~Pensées~+ gezogen, die mit ihren zahllosen Spielarten
einen nicht unbedeutenden Handelsartikel der Kunstgärtner bilden.
Das dreifarbige wilde +Stiefmütterchen+ (~Viola tricolor~) mit
mannigfach variierenden Blüten, bei denen alle oder nur die oberen
Blumenblätter violett oder blaßblau und die übrigen oder alle gelb
sind, findet sich in ganz Europa, Nordafrika, Kleinasien, Sibirien
und Nordamerika. Seine Kultur als Gartenzierpflanze kam erst im 19.
Jahrhundert in England auf. Man kultiviert jetzt sehr großblütige
Varietäten, auch Bastarde mit ~Viola altaica~, ~Viola lutea~, dem
gelben Veilchen, das auf Galmeiboden variiert, und ~Viola cornuta~
als beliebte Gartenstiefmütterchen und unterscheidet grundfarbige,
gestreifte, weißrandige, goldrandige, fünffleckige (Odier), Cassier-,
Riesen- oder Trimardeau-~Pensées~. Diese Samtveilchen spielen in
England und Frankreich dieselbe Rolle wie das Vergißmeinnicht in
Deutschland und dienen besonders zum Schmucke der Gräber. Alle diese
hochkultivierten, großblütigen Formen hat natürlich weder das Altertum,
noch das Mittelalter gekannt; es sind ganz moderne Neuschöpfungen der
Gärtnerkunst, die uns beweisen, wie Großes durch Zuchtwahl und Kreuzung
geleistet werden kann. Die im Umriß dreieckige Blume der Stammpflanze
mit leuchtend gelbem, von schwarzen Strahlen durchzogenem Saftmal galt
im Mittelalter als Symbol der Dreieinigkeit. Seit dem 16. Jahrhundert
wird das Kraut des wilden Stiefmütterchens bei Hautausschlägen
verwendet, sei es zu Umschlägen, sei es innerlich als Tee. Da es
nachgewiesenermaßen Salizylsäure enthält, ist dies durchaus zweckmäßig
und recht wirksam.

Eine neuerdings in Mode gekommene Warmhaus- und Zimmerpflanze,
die wie die Gloxinien kultiviert wird und sich leicht durch
Blattstecklinge fortpflanzen läßt, ist das zu den Gesnerazeen gehörende
+Usambaraveilchen+ (~Saintpaulia ionantha~), eine in Felsspalten der
Usambaraberge in Deutsch-Ostafrika wachsende, ausdauernde, niedrige
Pflanze mit dicken, fleischigen Blättern und blauvioletten Blüten mit
dottergelben Staubgefäßen. Von den eigentlichen +Gesnerien+ -- nach dem
schweizerischen Naturforscher Konrad Gesner in Zürich (1516 bis 1565)
so genannt -- mit knolligen Wurzelstöcken, gezahnten Blättern und meist
sehr schönen, scharlachroten, röhrenförmigen, fünflappigen Blüten,
sämtlich im tropischen Südamerika, besonders in Brasilien heimisch,
werden verschiedene, so vor allem ~Gesnera magnifica~ und ~cardinalis~
in mehreren Varietäten, in Warmhäusern und auch im Zimmer kultiviert.
Ebenso werden von der Gesnerazeengattung ~Achimenes~ mit 25 Arten mit
meist roten bis violetten Blüten im tropischen Amerika mehrere, wie
besonders ~A. grandiflora~ mit purpurnen oder violetten Blüten, ~A.
mexicana~ mit großen blauen oder purpurroten Blüten, ~A. amabilis~ und
~tubiflora~ mit violetten Blüten bei uns in Warmhäusern ähnlich den
ihnen nahe verwandten Gloxinien kultiviert. Durch Kreuzungen sind aus
ihnen verschiedene dankbare Gartenpflanzen erzielt worden.

Den Gesnerazeen nahe stehen die Akanthazeen oder Bärenklaugewächse,
von denen der südeuropäische +echte Bärenklau+ (~Acanthus mollis~)
dadurch bekannt ist, daß die malerische Form seiner 50 cm langen
und 16-26 cm breiten, buchtiggelappten und gezähnten Blätter dem
genialen griechischen Bildhauer Kallimachos das Motiv zum Schmucke
des korinthischen Kapitäls gaben. Er wurde schon im Altertum zur
Einfassung der Gartenbeete benutzt. Vergil sagt: „Der Akanthus bildet
eine Zierde der Gärten;“ ähnlich drückt sich der ältere Plinius aus,
der dazu bemerkt, er werde an den Rand erhabener Beete gepflanzt.
Wurzel und Blätter dienten als Arznei. Eine in den Tropen der Alten
Welt, namentlich in Afrika, heimische Gattung der Akanthazeen sind
die +Thunbergien+, von denen viele Arten mit violetten oder blauen
Blüten bei uns in Warmhäusern kultiviert werden. ~Thunbergia alata~ aus
Südostafrika dagegen kann einjährig in freiem Lande kultiviert werden.
Sie klettert 1,5 m hoch und hat gelbe, schwarzgefleckte Blüten.

Unter den Resedagewächsen ist außer dem an Ackerrändern und auf
Schutthalden verbreiteten +gelben Wau+ (~Reseda lutea~) der +Färberwau+
(~Reseda luteola~) mit kleinen, gelblichweißen Blüten in Mitteleuropa
heimisch. Letzterer wurde schon von den neolithischen Pfahlbauern zum
Gelbfärben benutzt und zu diesem Zwecke im Altertum und Mittelalter
angepflanzt. Heute wird er zu diesem Zwecke nur noch in England
und Holland kultiviert. Der als Topf- und Gartenzierpflanze häufig
kultivierte wohlriechende Wau oder die +Gartenreseda+ (~Reseda
odorata~) ist ein Import aus Nordafrika. Sie erschien plötzlich um
die Mitte des 18. Jahrhunderts und verbreitete sich innerhalb weniger
Dezennien durch ganz Europa und überall, wohin europäische Kultur
vorgedrungen ist. Die Zeichen ihrer großen Beliebtheit finden sich
in der französischen Bezeichnung ~mignonette~, das als ~miglionet~
ins Italienische, als ~miñoneta~ ins Spanische und auch ins Englische
überging. Ihre so geheimnisvolle Herkunft wurde erst 1887 durch die
botanische Forschungsreise von Taubert nach der Cyrenaica, der sie
dort wildwachsend fand, aufgeklärt. Wegen ihres Wohlgeruches wurde sie
teilweise schon von den alten Ägyptern, besonders aber von den dort
heimischen Arabern zu Totenkränzen benutzt. Der französische Arzt N.
Granger, der 1733 nach dem Orient ging und 1737 in Basra starb, sandte
Samen der wohlriechenden Reseda, die er in der Cyrenaica gesammelt
hatte, an die Direktion des ~Jardin du roi~, des heutigen ~Jardin
des plantes~ in Paris. Von jenem Garten aus, wo sie zuerst in Europa
gepflanzt wurde, verbreitete sie sich über die botanischen Gärten
Europas. 1753 war sie aber noch nicht nach Upsala gelangt, sonst hätte
sie Carl von Linné in der ersten Ausgabe seiner ~Species plantarum~
erwähnt. Allmählich fand sie auch in Privatgärten Aufnahme und erlangte
trotz ihrer Unansehnlichkeit wegen des lieblichen Geruches ihrer
Blüten, der langen Blütezeit und der leichten Kultur weite Verbreitung.
Es existieren von ihr zahlreiche, wenn auch wenig vom Typus abweichende
Spielarten. Bei der Destillation liefern die Resedenblüten 0,002
Prozent dunkles, festes ätherisches Öl. Für praktische Zwecke
destilliert man 1 kg Geraniol (Geraniumöl) mit 500 kg frischen
Resedenblüten und bringt das Produkt als Resedageraniol in den Handel.

Die in allen Teilen durch einen reichen Gehalt an ätherischem
Öl starkriechende +Gartenraute+ (~Ruta graveolens~) wurde schon
im Altertum als beliebtes Gewürz und magenstärkendes, Blähungen
vertreibendes Heilmittel gepflanzt. Der Geruch des Krautes ist den
Katzen und Ratten zuwider. Sie hieß schon bei den Griechen ~rúta~ und
bei den Römern im Gegensatz zur wilden Raute ~ruta hortensis~, d.
h. Gartenraute. Der griechische Arzt Dioskurides schreibt in seiner
Arzneimittellehre: „Die Bergraute und überhaupt die wilde Raute wirkt
viel heftiger als die Gartenraute, ist deshalb zum Essen unbrauchbar,
kann, in Menge genossen, sogar töten. Am besten ist diejenige
Gartenraute, die neben Feigen wächst. Die Gartenraute wird als Gewürz
und auch sehr vielfach als Arznei verwendet.“ Durch Vermittlung der
Klöster kam dann diese Heilpflanze in die Bauerngärten nördlich
der Alpen, wo sie sich teilweise bis auf unsere Tage erhielt und
stellenweise auch verwilderte.

Während die zahlreichen einheimischen und ausländischen +Geranium+arten
oder Storchschnabelgewächse nur ganz ausnahmsweise in besonders
großblütigen Arten zu Gartenzierpflanzen erhoben wurden, war dies
in hohem Maße bei den vom Kap der Guten Hoffnung zu uns gekommenen
+Pelargonien+ oder Kranichschnäbeln der Fall. Fast alle 175 Arten
derselben sind auf Südafrika beschränkt. Da viele derselben durch
prächtige Blüten, wohlriechende, schöngezeichnete Blätter, den
anhaltenden Blütenreichtum und leichte Kultur ausgezeichnet sind,
ist es kein Wunder, daß sie zu Anfang des 19. Jahrhunderts allgemein
beliebte Modeblumen wurden, die meist in Töpfen gezogen wurden. Später
wurden sie meist wieder von Kakteen, Camellien und anderen Neuheiten
verdrängt, sind aber seit einigen Dezennien durch zahllose, besonders
von England eingeführte großblütige Spielarten und Hybriden wieder
beliebter geworden. In den Bauernhäusern haben sie sich mit den Nelken
die alte Gunst bewahrt. Die strauchartigen unter ihnen sind sehr
leicht zu kultivieren, während die krautartigen mit Knollenwurzel eine
sorgfältige Behandlung erheischen.

Die Mutterpflanze unserer meist rotblühenden Pelargonien, die vom
Volke gewöhnlich als Geranien bezeichnet werden, ist das in Südafrika
heimische, in Südspanien verwilderte ~Pelargonium inquinans~ mit
strauchigem, dickem, fleischigem Stengel, kreisrund nierenförmigen,
etwas gekerbten, gleich dem Stengel filzig schmierigen Blättern und
leuchtend scharlachroten Blüten in langgestielten Dolden. Neben ihm ist
auch das als „Brennende Liebe“ bezeichnete ~Pelargonium zonale~ mit
langgestielten Dolden mit rosaroten Blüten die Mutterpflanze vieler
Gartenpelargonien. Das Zitronengeranium (~Pelargonium odoratissimum~)
mit kleinen, weißen Blüten und das Rosengeranium (~P. roseum~), eine
Abart des raspelblätterigen Geraniums (~P. radula~), die 1,6 m hoch
wird und hellrote Blüten besitzt, werden besonders in Frankreich,
Spanien, Algerien und auf der Insel Réunion zur Gewinnung des angenehm
rosenartig riechenden, farblosen bis grünlichen ätherischen Geraniumöls
im großen kultiviert. Das darin wirksame Prinzip, das Geraniol, ist,
wie früher gesagt, identisch mit dem Rhodinol, dem ätherischen Öl
der Rosen. Es dient außer zu Parfüms -- auch zum Parfümieren des
Schnupftabaks -- hauptsächlich als Surrogat und zum Verfälschen des
Rosenöls, wird aber selbst wieder mit dem ätherischen Lemongrasöl von
~Andropogon schoenanthus~ u. a. verfälscht.

Vom blumistischen Standpunkte aus unterscheidet man: 1. Die sehr
großblumigen +englischen Pelargonien+, die meist von ~P. grandiflorum~
und ~P. quinquevulnerum~ abstammen. Sie sind teilweise auch
französischen Ursprungs und umfassen außerdem die für die Topfkultur
sehr geeigneten Odierpelargonien (nach ihrem Züchter, dem Franzosen
Odier, so genannt) mit 40-60 cm hohem, holzigem Stamm und großen,
fünffleckigen Blumen. Ihnen ähnlich sind die Diadempelargonien. 2. Die
+Fancy-+ (vom englischen ~fancy~, Einbildungskraft, Phantasie) oder
+Phantasiepelargonien+ von niedrigem Wuchs, mit zahlreichen zierlichen
Blumen von unregelmäßiger Form, aber lebhafter Zeichnung. Sie wurden
meist in Frankreich gezüchtet. 3. Die +Scharlachpelargonien+, die
aus den erwähnten ~P. zonale~ und ~inquinans~ gezüchtet wurden. Sie
sind meist von robustem Wuchs, mit einförmigen, nur mit einem Auge
versehenen oder anders gerandeten, roten, rosenroten, lachsroten oder
weißen Blüten, einfach, gefüllt und buntblätterig. Zu ihnen gehören
die Nosegay- oder Straußpelargonien mit sehr großen Blütendolden. Die
Mutterpflanze der +Efeupelargonien+ (oder Efeugeranien), von denen
einige mit niederliegenden Stengeln als Ampel- und Balkonpflanzen
kultiviert werden, ist das strauchige, fast 1 m hohe ~Pelargonium
peltatum~ mit ziemlich großen, blaßroten, auch weiß und roten Blüten.
Die ersten Pelargonien wurden 1690 vom Kap nach Europa gebracht. Ihre
Kultur zur Gewinnung von ätherischem Öl begann 1847 in Frankreich
und wurde später in Algerien eingeführt. In Spanien kultiviert man
sie besonders um Valencia und Almeria. Seit Ende der 1880er Jahre
liefert die französische Insel Réunion nächst Algerien das meiste
Geraniumöl. Die knollige Wurzel des ebenfalls südafrikanischen
~Pelargonium triste~ ist eßbar.

[Illustration:

    Tafel 147.

Anlegung eines Nutz- und Ziergartens durch die Schuljugend in der
Gartenstadt Port Sunlight (Südengland).

(Nach Berlepsch-Valendas, Die Gartenstadt München-Perlach.)]

[Illustration:

    Tafel 148.

Gärten von Arbeiterwohnhäusern in Port Sunlight.]

[Illustration:

    Tafel 149.

Blumengarten in Verbindung mit einem Gemüsegarten in Port Sunlight.]

[Illustration:

    Tafel 150.

Der Garten von Tafel 147 drei Monate nach seiner Anlegung.]

Ebenso werden die knolligen Wurzeln der mittelamerikanischen
+Sauerklee+arten ~Oxalis tuberosa~ und ~esculenta~ gegessen. Zu
diesem Zwecke werden diese Pflanzen in ihrer Heimat angebaut, wie
auch der dickstengelige Sauerklee (~Oxalis crassicaulis~), dessen
in Aussehen und Geschmack unsern Kartoffeln ähnliche Wurzelknollen
verspeist werden, während die Blätter als Salat dienen. Die dicken
Stengel sind reich an oxalsaurem Kalk, der aus dem ausgepreßten Safte
derselben in Kristallen aufschießt. Die ganze Pflanze dient auch zu
Rabatteneinfassungen. Gleicherweise enthält das Kraut des +gemeinen
Sauerklees+ (~Oxalis acetosella~) viel Oxalsäure, das früher daraus
gewonnen wurde und als Sauerkleesalz in den Handel kam. Zu 1 kg
desselben waren 150 kg Blätter nötig. Neuerdings wird dieses
künstlich hergestellt. Die Blätter des Sauerklees werden indessen
wie Sauerampfer zu Salat benutzt. Sie standen früher als heraldische
Pflanze im Wappen der Irländer. Als ~shamrock~ wurde die Pflanze von
englischen Dichtern häufig besungen. Alljährlich am 17. März, am Tage
des heiligen Patricius (Patrik), des Schutzpatrons von Irland, wird
ein Sauerkleeblatt von jedem patriotischen Irländer im Knopfloch
oder am Hut getragen, da jener Schutzheilige des Landes durch dieses
Sinnbild den Iren das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit erklärt
haben soll. Mit der Ausrottung der Wälder auf dieser Insel wurde auch
der nur in Wäldern wachsende Sauerklee ausgerottet und der kriechende
Klee (~Trifolium repens~) erschien durch die Kultur. Deshalb werden
nun die Blätter dieser Pflanze an Stelle derjenigen des Sauerklees als
~shamrock~ getragen und vielfach für das echte Nationalabzeichen der
Irländer gehalten.

Von den Malvengewächsen sind die +Moschus+- und +Rosenmalve+ (~Malva
moschata~ und ~alcea~), beide mit rosenroten, erstere ausnahmsweise
auch mit weißen Blüten, zu Gartenzierpflanzen erhoben worden. Die
+wilde+ oder +Roßmalve+ (~Malva silvestris~), auch Käsepappel genannt,
mit hellpurpurnen, dunkler gestreiften Blüten, die beim Kochen ihres
Krautes eine schleimige Lösung liefert, wird seit dem frühen Altertum
äußerlich zu erweichenden Umschlägen und innerlich zu Gurgelwässern
und als beruhigendes Mittel gebraucht. Außerdem wird sie auch als
Gemüse angepflanzt. Schon der griechische Dichter Hesiod erwähnt
sie unter der Bezeichnung ~maláchē~ als eßbar. Dioskurides im 1.
Jahrhundert n. Chr. sagt in seiner Arzneimittellehre: „Die im Garten
gezogene Malve (~maláchē~) paßt besser zur Speise als die wilde. Man
braucht die Pflanze auch äußerlich und innerlich als Heilmittel.“
Palladius (um 380 n. Chr.), der sie, wie schon der ältere Plinius,
~malva~ nennt, rät, sie im Oktober zu säen und sagt, daß man sie auch
im Februar säen könne. Sie liebe einen fetten, feuchten, gedüngten
Boden. „Haben die Pflänzchen 4-5 Blätter, so versetzt man sie; denn
ist sie größer, so wächst sie nicht leicht an. Sie schmeckt übrigens
besser, wenn sie nicht versetzt wird. Man kann sie dadurch zwingen,
nicht emporzuschießen, daß man auf ihre Spitze ein Steinchen oder
Erdklümpchen legt. Sie gedeiht am besten, wenn sie fleißig gehackt
wird, wobei man aber ihre Wurzeln nicht berühren darf.“

Von der in Syrien heimischen +krausen Malve+ (~Malva crispa~) wird
der Bast des Stengels als Gespinstmaterial gebraucht, ebenso von der
ostindischen +Hanfrose+ (~Hibiscus cannabinus~), einer einjährigen,
krautigen Pflanze, welche in ihrer Heimat seit alter Zeit in
ausgedehntem Maße kultiviert wird und den weißlichen, geschmeidigen,
weichen, dem Flachs ähnlichen +Gambohanf+ liefert. Auch der
+veränderliche Eibisch+ (~Hibiscus mutabilis~), dessen schöne Blüten
morgens beim Aufblühen weiß, mittags rosenrot und abends beim Verblühen
purpurrot sind, liefert einen guten Bast. Blätter und Blüten werden
in China und Ostindien als Heilmittel benutzt. Die Pflanze wird in
Südspanien kultiviert.

Ebenfalls strauchartig ist der +chinesische Roseneibisch+ (~Hibiscus
rosa chinensis~), der gleich dem vorigen in Ostindien und China als
schöne Zierpflanze kultiviert wird. Seine großen, stark variierenden
Blüten dienen dazu, Kopfhaare, Augenbrauen und auch Schuhe schön
schwarz zu färben. Auch sein Bast wird technisch verwendet. Der
+syrische Eibisch+ (~Hibiscus syriacus~), ein Strauch von 1,5-3 m
Höhe mit 8 cm breiten, violetten, roten oder weißen, im Grunde
schwarzroten Blüten, ist bei uns eine beliebte, im Freien unter
Bedeckung überwinternde Zierpflanze. Winterhärter ist der noch häufiger
in Gärten angetroffene, aus Südeuropa stammende +Stundeneibisch+
(~Hibiscus trionum~), dessen zarte Blüten sich zu bestimmten
Tageszeiten öffnen und nur wenige Stunden offen bleiben. Wegen dieser
Eigentümlichkeit wird er auch Stundenblume oder Wetterrose genannt.

Der arzneilich von uns gebrauchte +gemeine Eibisch+ (~Althaea
officinalis~) mit bis 1,25 m hohem, aufrechtem Stengel, beiderseits
weichfilzigen Blättern und weißen, ins Rötliche spielenden Blüten
wächst auf feuchten Wiesen, besonders auf Salzboden, wild und wird
in Mitteldeutschland im großen kultiviert. Er stand wegen seiner
Heilkraft seit den ältesten Zeiten bei den europäischen Völkern in
hohem Ansehen. Schon der griechische Pflanzenkenner Theophrast im
4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt ihn als ~althaía~, Vergil (70-19
v. Chr.) in einer seiner Eclogen als ~hibiscus~. Der griechische Arzt
Dioskurides schreibt von ihm: „Die ~althaía~ heißt auch ~ibískos~,
ihre Blätter sind rund, flaumig; die Blüte ist rosa, der Stamm zwei
Ellen hoch, die Wurzel schleimig, inwendig weiß. Die Pflanze leistet,
innerlich und äußerlich angewendet, treffliche Dienste und heißt eben
deswegen ~althaía~ (von ~althaínein~ heilen).“ Noch heute sind Blätter
und Blüten, besonders aber die Wurzel wegen ihres Schleims offizinell.

Ein beliebtes Hausmittel bei Bronchitis mit Husten zur leichteren
Lösung des Schleims und Beförderung des Auswurfs ist die aus einer
Abkochung der Eibischwurzel mit Eiweiß, arabischem Gummi und Zucker
hergestellte Eibischpaste oder weiße Lakritze. Bei Landleuten ist
auch die gelbe Eibischsalbe als Heilmittel sehr beliebt. Eine aus dem
Orient in unsere Gärten gekommene und als beliebte Zierpflanze in den
mannigfaltigsten Farben darin kultivierte Malvenart ist die 2,5 bis
3,8 m hohe +Stockmalve+ oder +Stockrose+ (~Althaea rosea~) mit einer
langen, aufrechten Ähre von ursprünglich roten bis weißen Blüten.
Letztere enthalten sehr viel Schleim und werden, wie diejenigen des
gemeinen Eibischs, zu schleimlösenden Medizinen gebraucht. Besonders
aber dienen die Blumenblätter der als schwarze Malve bezeichneten
schwärzlich blühenden Spielart zum Färben, speziell zum Rotfärben
des Weins. Jetzt geschieht dies noch mehr als mit dem Safte der
Heidelbeeren; deshalb sind sie von den Weinhändlern sehr gesucht. Aus
diesem Grunde breitet sich die Kultur der schwarzen Malve immer mehr
aus. Besonders groß ist ihr Verbrauch zum Färben von Zuckerwaren in
der Türkei. Die Bastfasern der Stengel können zur Papierfabrikation
verwendet werden.

Zu den Malven gehören auch die +Staudenpappeln+ (~Lavatera~), deren
20 Arten meist im Mittelmeergebiet heimisch sind. Mehrere derselben
dienen als Zierpflanzen, so ~Lavatera olbia~, ein schöner 2-2,5 m
hoher Halbstrauch mit purpur- bis rosaroten Blüten, der auf den
Inseln Südfrankreichs zur Umzäunung der Gärten benutzt wird, bei uns
aber im Kalthaus überwintert werden muß; dann die schöne, 1,25-2 m
hohe +Sommerpappel+ (~Lavatera trimestris~) mit rosenroten, dunkler
geäderten oder weißen Blüten und die ausdauernde ~Lavatera arborea~ mit
4 cm im Durchmesser haltenden purpurroten Blüten. Sie wächst in den
Mittelmeerländern und auf den Kanaren und eignet sich zur Anpflanzung
auf Rasenplätzen; doch muß sie bei uns im Kalthaus überwintert werden.

Außer als Küchengewächs findet sich wegen seiner großen Blätter sehr
häufig ~Rheum undulatum~, der +Rhabarber+ mit am Rande welligen
Blättern, als Zierpflanze in Anlagen angebaut. Die saftigen, dicken
Blattstiele geben mit Zucker gekocht ein treffliches Kompott. In
Schlesien wie in England wird die Pflanze auch zur Weinbereitung
angepflanzt. Nahe verwandt damit ist der +Amarant+ oder die
+Samtblume+. Von ihnen sind beliebte Gartenzierpflanzen: der aus
Persien stammende +rote Fuchsschwanz+ (~Amarantus caudatus~), der
oft über und über rot ist, mit sehr langer, schlaff überhängender,
hellroter Blütenähre. Dann der aus Ostindien zu uns gekommene
+dreifarbige Fuchsschwanz+ (~Amarantus tricolor~) mit grün, gelb
und hochrot gefärbten Blättern. Der mehlreiche Fuchsschwanz (~A.
frumentaceus~) liefert ein stärkemehlreiches, als wichtiges
Nahrungsmittel verbackenes Samenmehl und wird deshalb in Ostindien
im großen angebaut. In Brasilien dagegen dient als Gemüse und in
Westindien als Heilmittel ~Amarantus melancholicus~, dessen rote
Spielart als Dekorationspflanze in Gärten sehr beliebt ist. Nicht
minder häufig treffen wir in Gärten den in Mittelamerika heimischen
+blutroten Fuchsschwanz+ (~A. sanguineus~) mit sehr langer, aufrechter,
blutroter Rispenähre. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist der auf
bebautem Boden und auf Schutt angetroffene rauhhaarige Fuchsschwanz
(~A. retroflexus~) aus Amerika zu uns eingewandert.

Von den +Glockenblumen+ (~Campanula~) wird der einjährige
+Frauenspiegel+ (~C. speculum~) in mehreren Varietäten als Zierpflanze
kultiviert. Von den zweijährigen zieht man ebenso das +Marienveilchen+
(~C. media~) aus Südeuropa mit großen, blauen, auch rosaroten und
weißen, traubig oder rispig angeordneten Blüten, nicht selten mit
mehreren Kronen, auch kronenartigem Kelch und eßbarer Wurzel, und
~C. pyramidalis~ aus den Mittelmeerländern mit noch größeren Blüten
in straußförmiger Rispe. Von den ausdauernden Arten eignet sich die
von den Gebirgen Mitteleuropas stammende rasenartige ~C. caespitosa~
mit hellblauen Blüten in Trauben zur Verschönerung künstlicher
Felsenpartien und zu Einfassungen, ebenso die aus europäischen Gebirgen
genommene zierliche ~C. pusilla~ mit überhängenden, hellblauen Blüten.
Auch die in fast ganz Europa, wie auch in Sibirien heimische ~C.
persicifolia~ mit wenigen, aber schönen, großen, blauen Blüten wird
als Zierpflanze gezogen, während die zweijährige ~C. rapunculus~ aus
den Wäldern Europas wegen ihrer fleischigen, wohlschmeckenden Wurzel in
Frankreich und England als Gemüse gepflanzt wird.

Sehr zahlreiche Zierpflanzen für Garten- und Topfkultur hat die Familie
der +Nelken+ geliefert, deren wilde Vertreter die Poesie unserer
Wiesen bilden. Sie sind vorzugsweise in der gemäßigten, ja teilweise
in der kalten Zone und in höheren Gebirgsregionen heimisch. Bei den
Kulturvölkern des Altertums spielten sie als Gartenpflanzen keinerlei
Rolle. Der Gattungsname ~Dianthus~ (verkürzt aus dem Griechischen ~Diós
ánthos~ Zeusblume), den Karl von Linné den Nelken im engeren Sinne
verlieh, war schon den Alten bekannt. So spricht der Grieche Theophrast
im 4. Jahrhundert v. Chr. von ihr als einer zu Kränzen beliebten
Blume, und der Grammatiker Athenaios um 200 n. Chr. überliefert uns
ein Fragment des Dichters Nikandros, in welchem von der wohlriechenden
Zeusblume (~enôdēs Diós ánthos~) die Rede ist. Damit dürfte wohl die
strauchartige +Baumnelke+ (~Dianthus arboreus~), welche an den felsigen
Küsten des Ägäischen Meeres wild wächst, gemeint sein.

Jedenfalls haben die Griechen und Römer unsere klassische +Gartennelke+
(~Dianthus caryophyllaceus~ -- letzteres Wort bedeutet Nußblatt) nicht
gekannt. Die Stammpflanze derselben ist im Mittelmeergebiet heimisch,
wächst an felsigen Stellen und hat einzeln stehende, höchst angenehm
gewürzhaft riechende Blüten und treibt zahlreiche ästige, verlängerte
Stengel. Sie variiert in der Färbung der Blüten ganz außerordentlich
und wurde in der Neuzeit in allen nur erdenkbaren Farbenvarietäten
gezüchtet. Diese heute so außerordentlich beliebte Zierblume wurde
im muhammedanischen Orient zur Kulturpflanze erhoben und kam im 13.
Jahrhundert durch Kreuzfahrer von dort nach Mitteleuropa. In einer
noch wenig hochgezüchteten, fünfblättrigen Form finden wir sie in der
Hand des „Mannes mit der Nelke“ von Jan van Eyck (zwischen 1430 und
1440 in Brügge gemalt, jetzt in Berlin) als eine für die damalige Zeit
moderne Blume dargestellt, während sie in dem ebenfalls in Berlin
befindlichen, 1532 entstandenen Ölgemälde des deutschen Kaufmanns Georg
Gisse im Stahlhof in London von Hans Holbein dem Jüngeren, wo deren
drei in einer durchsichtigen Glasvase mit zwei Henkeln stehen, schon
in mehreren Nuancen von Rot in teilweise gefüllten Exemplaren zu sehen
sind. In dem noch später entstandenen Porträt des englischen Edelmannes
Simon George aus Cornwall von demselben Maler (jetzt im Städtischen
Museum zu Frankfurt a. M.) ist in der rechten Hand des mit hübschem
Barett geschmückten Mannes eine ungefüllte rote Nelke mit fünf ziemlich
großen Blumenblättern dargestellt. Damals müssen die einfachen,
ungefüllten Nelken in dunkleren und helleren Tönungen von Rot die fast
ausschließlich in Europa gezogenen Nelken gewesen sein.

In Frankreich begann die Nelkenzucht schon seit der Zeit Ludwigs
IX. des Heiligen (geb. 1215, folgte seinem Vater 1226 unter der
Vormundschaft seiner Mutter Blanca von Kastilien, unternahm 1248
einen Kreuzzug, von dem er gegen ein Lösegeld von 100000 Mark Silber
von den Sarazenen in Ägypten mit seinen Brüdern Karl und Alfons 1254
nach Frankreich zurückkehrte, unternahm im Juli 1270 einen Zug gegen
Tunis, auf welchem er am 25. August 1270 im Lager von Tunis starb).
Aber erst im 17. Jahrhundert war die Kultur dieser Gartenpflanze
in Mitteleuropa zu einiger Blüte gelangt. Der erste, von dem wir
wissen, daß er die Gartennelke leidenschaftlich liebte, war Ludwig II.
von Bourbon, Prinz von Condé, der große Condé genannt (1621-1668),
einer der hervorragendsten französischen Feldherren in den Kriegen
des 17. Jahrhunderts. Ihm zu Ehren trugen seine Soldaten, die er in
der Schlacht bei Rocroi am 19. Mai 1645 zu ruhmreichem Siege über
die Spanier, und am 3. August desselben Jahres zum Sieg über den
bayerischen General Mercy bei Allersheim geführt hatte, die Nelke als
Sinnbild der Tapferkeit und Unerschrockenheit. Zur Zeit der großen
französischen Revolution von 1793 war die rote Gartennelke, von der
bisher allein die Rede war und die wohl bis dahin allein gezüchtet
wurde, das Emblem der in stolzer Todesverachtung das Schaffot
besteigenden Royalisten. Wie sie heute die Blume des Volkes ist, war
sie damals noch die Blume der Aristokratie, wie in Frankreich, so auch
in England und den übrigen Kulturstaaten Europas. Bei den Briten heißt
der ganze Farbenbegriff Rot nach der roten Nelke ~pink~. Erst später
wurde sie beim Volke populär und wurde bei ihm die Blume der Liebe.
Zuletzt spielte sie eine vorübergehende Rolle als Erkennungsmittel der
Anhänger des revanchelustigen französischen Generals Boulanger, der
dann, als er seinen ehrgeizigen Plan scheitern sah, sich in Belgien am
Grabe seiner einstigen Geliebten erschoß.

Mit Vorliebe trägt der Torrero die rote Nelke als Kampfesschmuck und
weiht sie nach erlangtem Sieg über seinen spitzgehörnten Feind der Dame
seines Herzens. Wenn die junge Spanierin in Begleitung ihrer Duenna,
d. h. Hüterin, nach der Messe aus der Kirche tritt, richtet sich der
erste Blick ihres verstohlen draußen auf sie wartenden Amorosos auf
die Nelke, die auf einen Moment unter der graziös gelüfteten Mantilla
sichtbar wird. Die Farbe der Nelke bezeichnet ihm die Stunde, zu der
er die Angebetete ungestört sprechen kann. Auch bei anderen Romanen
wird ihr solch stumme Liebesbotschaft anvertraut, wie der Hyazinthe
bei den Türkinnen. Die Italienerin weiht vor dem Muttergottesbilde
am Kreuzweg den für ihren Geliebten bestimmten Nelkenstrauß durch
inbrünstiges Gebet und steckt ihn jenem als Schutz- und Gedenkzeichen
zu, bevor er mit den beladenen Maultieren den gefahrvollen Weg über
das Gebirge antritt. Auch der rote Nelkenstrauß am Hute des „Jagers“
gibt von der guten Aufnahme bei seinem „Dearndel“ Bescheid. Diese
selbst trägt Sonntags beim Kirchgang eines ihrer blutroten „Nagerle“
auf ihrem „Betbüchel“ als schönste Zier. Von Bauernhaus zu Bauernhaus
und von Pfarre zu Pfarre werden Nelkensenker getauscht und wird
so die schöne Blume, der besondere Liebling der Landbevölkerung,
überallhin verbreitet. In den Alpen heißt es, man soll die Nelken
beim Glockenklang säen, dann werden sie reich gefüllt. Überall ist
sie neben den als Geranien bezeichneten, in allen Farbennuancen
von Rot leuchtenden Pelargonien in Töpfen auf den Fenstersimsen
der Bauernhäuser zu finden und ist hier gleichsam das Symbol des
glücklichen Zusammenlebens und häuslichen Friedens. Und je höher man
ins Gebirge steigt, um so herrlicher leuchten die bunten Farben dieser
Wunderblume. So sind die Engadiner Nelken wegen der Intensität ihres
Kolorits und der Größe ihrer Blüten weltberühmt; auch die Blüten
von 14 : 9 cm Durchmesser aufweisenden, meist lachsrosa gefärbten
Harznelken erfreuen sich besonderer Beliebtheit.

Das Wort Nelke ist aus Nägelein, Nägelken -- wie sie heute noch beim
Volke heißt -- verkürzt. Ursprünglich bezeichnete man damit die
Gewürznägelein wegen ihrer Ähnlichkeit mit Nägeln; und als die Blume
aus dem Oriente bei uns eingeführt wurde, übertrug man diesen Namen
auf die ähnliche Nagelgestalt und nicht minder aromatischen Geruch
aufweisende Blütenpflanze. Gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts
machte der Lyoner Gärtner Léon Lille die Nelkenkultur zu seiner
Spezialität und von da an wurde die Zucht dieser schönen Blume auch
von zahlreichen anderen Gärtnern mit besonderem Eifer betrieben, so
daß es heute gegen 2000 Varietäten der Nelke gibt. Am beliebtesten
sind die +Remontantnelken+, d. h. solche, die nach dem Hauptflor an
neugebildeten Trieben nochmals blühen.

Ebenfalls als Gartenzierpflanze sehr geschätzt ist die leider duftlose
+chinesische Nelke+ (~Dianthus chinensis~), eine, wie schon der Name
sagt, aus China zu uns gekommene, hochgezüchtete, ein- oder zweijährige
Pflanze mit prachtvollen, bis 8 cm im Durchmesser haltenden, in
allen Nuancen von Rot, Purpur, Schwarzrot und Weiß leuchtenden,
außerordentlich zierlich gezeichneten, sowohl einfachen als gefüllten
Blüten. Die schönste derselben ist die von einem russischen Gärtner
eingeführte ~D. heddewigi~ (~Dianthus chinensis imperialis~), eine
ungefüllte Art mit fünf ganz zerschlissenen, karminroten Blumenblättern
mit weißen Saftmalen und schwärzlicher Zone. Die in Südosteuropa
heimische, ausdauernde +Federnelke+ (~D. plumarius~) mit 2-5 sehr
wohlriechenden, weißen oder blaßroten Blüten, die auch in gefüllten
Spielarten vorkommen, wird häufig zur Einfassung von Blumenbeeten
benutzt. Auch die +Studenten-+ oder +Bartnelke+ (~D. barbatus~), eine
rosenrot blühende süddeutsche Alpenpflanze, und ihre Spielart mit
breiteren Blättern (~D. latifolius~) sind beliebte Gartenzierpflanzen.
Nur ausnahmsweise kultiviert werden dagegen die auf feuchten Waldwiesen
ziemlich selten angetroffene +Prachtfedernelke+ (~D. superbus~) mit
fein zerschlitzten, blaßlila oder blaß rosenroten Blumenblättern, die
nach dem botanischen Schriftsteller und Reisenden Joh. Franz Suegier
genannte ~Dianthus seguieri~ in Süd- und Mitteldeutschland und die zu
Ehren der beiden Naturforscher Joh. Karthauser († 1777) und Friedrich
Karthauser († 1796) getaufte +Karthäusernelke+ (~D. carthusianorum~),
die ebenfalls blutrot, nur mit drei dunkleren Purpurstreifen durchzogen
ist. Einige dieser Nelken, besonders die Gartennelke, dienten früher
als Heilmittel.

Von den 10 Arten +Lichtnelken+ (~Lychnis~, nach der Theophrastischen
Bezeichnung ~lychnís~ d. h. Leuchte), die in der Alten Welt,
vornehmlich in Sibirien, wachsen, ist die 50-80 cm hoch werdende
„+brennende Liebe+“ oder +Feuernelke+ (~Lychnis chalcedonica~) mit
scharlachroten Blüten und zweiteiligen Blumenblättern aus Westsibirien,
Mittel- und Südrußland zu nennen. Sie wird auch in Varietäten mit
fleischfarbenen und weißen, auch gefüllten Blüten bei uns als
Rabattpflanze gezogen. Ihre Wurzel enthält Saponin und wird wie
die Seifenwurzel zum Waschen gebraucht. Auch die +Kranzlichtnelke+
(~L. coronaria~) mit an die Kornrade erinnernden purpurroten Blüten
und ungeteilten Blättern aus Südosteuropa wird bei uns häufig als
Zierpflanze kultiviert. Ebenso dienen die 20-30 cm hohe ~L.
fulgens~ aus Sibirien mit lebhaft roten, vierteiligen Blumenblättern,
~L. haageana~ aus Japan, wohl nur eine Kulturform der vorigen, mit
orangeroten, rosenroten oder weißen Blüten, ~L. grandiflora~ aus Japan
mit sehr großen, scharlachroten, ungeteilten Blumenblättern und ~L.
sieboldi~, ebenfalls aus Japan, mit noch größeren, weißen Blüten als
auch bei uns sehr geschätzte Gartenzierpflanzen.

Von +Abendlichtnelken+ (~Melandryum~) werden ~M. album~ mit weißen,
seltener rötlichen Blüten aus Mittel- und Nordeuropa, wie auch
Sibirien und die im arktischen Gebiete wachsende ~M. rubrum~ mit
hellpurpurnen Blüten, auch in gefüllten Formen als Zierpflanzen
kultiviert. Ebenso wird von +Pechnelken+ (~Viscaria~) besonders ~V.
viscosa~ aus Mittel-, Nordeuropa, dem Kaukasus und Westsibirien mit
roten Blüten in mehreren Varietäten, auch gefüllt, gezogen. Von den
+Klebnelken+ der Gattung ~Silene~ werden besonders das einjährige
+Marienröschen+ (~S. armeria~) aus Mitteleuropa, das aber auch nach
Nordamerika, Brasilien und Ostindien verschleppt wurde, mit karminroten
Blüten in großen Doldentrauben, dann die im Mittelmeergebiet heimische
~S. pendula~ mit rosaroten Blüten in mehreren Varietäten als
Zierpflanzen kultiviert. Sie dienen namentlich auch zu Einfassungen
auf Teppichbeeten und Felsgruppen. Für letztere eignet sich besonders
die niedrige, rotblühende, arktische und hochalpine stengellose
Klebnelke (~S. acaulis~). Endlich werden auch verschiedene Arten der
Gattung ~Statice~, deutsch +Strandnelken+ genannt, weil sie meist in
Küstengegenden oder Salzsteppen heimisch sind, aus Süd- und Osteuropa,
von den Kanarischen Inseln und aus Mittelasien als Zierpflanzen
kultiviert. Ihre ährigen oder traubigen Blütenstände dienen in der
Blumenbinderei, werden auch getrocknet für Dauersträuße benutzt.

Bei den alten Griechen und Römern wurde das +Seifenkraut+ (~Saponaria
officinalis~) an Stelle der fehlenden Seife verwendet und zu diesem
Zwecke auch kultiviert. Es enthält besonders in den Wurzeln das
Glykosid Saponin, das in Wasser wie Seife schäumt. Die Griechen nannten
es ~strúthion~. Theophrast sagt von ihm, es habe eine schöne, aber
geruchlose Blume. Columella gibt an, daß die Schafe vor der Schur
mit der Wurzel desselben gewaschen wurden, und Dioskurides meint:
„Das Seifenkraut, das die Walker zur Reinigung der Wolle gebrauchen,
ist allgemein bekannt. Seine Wurzel besitzt Schärfe und Heilkraft.“
Sein Zeitgenosse Plinius sagt: „Das Seifenkraut (~herba lanaria~) hat
eine große Wurzel, die man in Stücke schneidet und zum Waschen der
Wolle benutzt; diese wird dadurch außerordentlich weiß und weich. Man
kultiviert sie eigens zu diesem Zwecke.“ Ihre Wichtigkeit verlor sich,
als die in Germanien erfundene Seife den Römern bekannt wurde und ihre
Stelle einnahm.

Die fleischigen +Portulak+arten mit gelben oder roten Blüten, die sehr
kurze Zeit blühen und sich dann wie eine Gallerte auflösen, haben
vielsamige Fruchtkapseln, die sich mit einem Deckelchen (~portula~,
Türchen) öffnen. Daher der Name. Die mehr als 20 Arten derselben
wachsen in den Tropen und Subtropen der Alten, besonders aber der
Neuen Welt. Der in den Mittelmeerländern heimische +gemeine Portulak+
(~Portulaca oleracea~) mit kleinen, gelben oder gelblichweißen Blüten
wird in Gärten in mehreren Spielarten als ~P. sativa~ kultiviert.
Die jungen, sehr saftigen Blätter werden als Zutat zu Salat oder
Suppenkraut gegessen, auch mit Essig eingemacht. Früher wurden Kraut
und Same arzneilich benutzt. Die Pflanze hieß bei den Griechen
~andráchnē~. Dioskurides sagt von ihr, sie werde als Speise genossen
und gegen alle Übel gebraucht. Mehrere Arten werden als Zierpflanzen
angebaut, so besonders die einjährige ~Portulaca grandiflora~ aus
Brasilien mit hellpurpur- oder karminroten, weißen oder gelben, auch
gefüllten Blüten. Sie ist unter dem Namen „Portulakröschen“ bekannt.

Verschiedene +Mauerpfeffer+arten der Gattung ~Sedum~ werden in Gärten
kultiviert, so vor allem der weiße Mauerpfeffer (~Sedum album~) aus
den Mittelmeergegenden, dessen Kraut früher medizinisch verwendet
wurde. Jetzt noch dienen die zarten Blätter als Salat und Suppenwürze.
Dasselbe geschieht mit dem großen +Gartentripmadam+ (~S. anacampseros~)
mit purpurroten oder weißen Blüten. Die Stengel dieser Pflanze werden
in Spalten der Häuser gesteckt und dienen als Orakel für das Glück
und die Lebensdauer junger Ehepaare oder der Familienglieder. Auch
der +Felsenpfeffer+ (~S. reflexum~) wird hier und da kultiviert und
in derselben Weise benutzt. Die an sonnigen Plätzen Südeuropas bis
Kleinasiens wachsende +Schmerwurzel+ (~S. maximum~) mit 30-60 cm
hohem, aufrechtem Stengel mit weißen, grünlichgelben oder roten Blüten
wird noch heute arzneilich gebraucht. Zahlreiche ausländische Arten
werden als Zierpflanzen kultiviert, so vor allem die prächtige, 1830
von v. Siebold aus Japan eingeführte ~S. sieboldi~. ~Sedum japonicum~
mit blaugrünen, rotgesäumten Blättern und roten Blüten verwendet man
als Ampelpflanze oder zur Einfassung in Gärten. Auch das in Sibirien
heimische ~Sedum crassifolium~ mit roten Blüten in gedrängter Rispe,
dessen Blätter von den Kalmücken als Teesurrogat gebraucht werden, wird
bei uns häufig in Gärten gezogen.

Wie der +scharfe Mauerpfeffer+ (~Sedum acre~) als kleines ~aeízōon~
(d. h. immerlebend), wurde die +gemeine Hauswurz+ (~Sempervivum
tectorum~) als großes ~aeízōon~ schon im Altertum auf Dächern zur
Abhaltung des Blitzes gepflanzt. Daneben wurde sie nach Plinius
als Zierpflanze auch in irdenen Töpfen gezogen und ihr aus den
zerquetschten Blättern gewonnener Saft nach Dioskurides als kühlendes,
zusammenziehendes Mittel auf Brandwunden gelegt. Karl der Große befahl
die Anpflanzung der Hauswurz auf seinen Gütern. So wurde sie, auch
mit Hilfe der Klöster, in Mitteleuropa populär und spielte bis in die
Gegenwart in der ländlichen Arzneikunde eine wichtige Rolle, indem
der aus ihr gepreßte Saft gegen Halsentzündungen, wunde Brustwarzen,
Bienenstiche und Brandwunden verwendet wurde. Zur Hexensalbe mußten die
Blätter des „Donnerkrautes“ am Donnerstage gepflückt werden.

Von den +Steinbrechen+ (~Saxifraga~) dient die in den Pyrenäen und in
Irland heimische ~Saxifraga umbrosa~ mit weiß, gelb und rot punktierten
Blüten in länglichen Rispen ebenfalls zur Einfassung in Gärten, während
die aus China und Japan stammende ~S. sarmentosa~ mit rotbehaarten
Blättern und weißen oder blaßroten Blüten sich als Zierpflanze häufig
in Zimmern und Gewächshäusern findet.

Die +Primeln+ oder +Schlüsselblumen+ sind meist Hochgebirgsbewohner.
Die Mehrzahl der etwa 140 Arten wächst in Europa und Asien,
wenige kommen in Nordamerika vor und bilden auch hier den ersten
Frühlingsschmuck der Bergwiesen, weshalb sie überhaupt ihren Namen
erhielten. ~Primula~, das Verkleinerungswort des weiblichen ~prima~,
bedeutet nämlich der kleine Erstling. Diese Bezeichnung bekam die
Pflanze, weil sie mit dem Veilchen als erster Bote des Lenzes
erscheint und als solcher die Gemüter der aus der winterlichen
Enge in die ergrünenden Fluren Hinausziehenden doppelt erfreut. Im
Deutschen erhielt sie den Namen Schlüsselblume, weil sie als die
erste Frühlingsblume den Himmel gleichsam erschließt. Als Heilmittel
war seit dem Altertum besonders die +arzneiliche Schlüsselblume+
(~Primula officinalis~) mit gelben Blüten sehr hochgeschätzt. Daraus
bereiteter Tee galt als sehr nervenstärkend und heilsam gegen
Krämpfe, Nervenzufälle und Gemütsverstimmung. Schon die später heilig
gesprochene Hildegard, Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen
im 12. Jahrhundert, pries den ~hymelsloszel~ (Himmelschlüssel) wegen
seiner Heilkraft. Außer solcher sollte er aber auch noch das Vermögen
besitzen, den Zugang zu verborgenen Schätzen zu erschließen. Er hieß
deshalb auch Marien- oder Petersschlüssel. Bis in unsere Zeit wurden
wenigstens die Blüten arzneilich und die Wurzel als Niesmittel
gebraucht. Mit ihr wurde auch die gelbblühende ~Primula elatior~ von
den Wiesen und Rainen in die Gärten verpflanzt und in Kulturpflege
genommen. Beide Pflanzen werden jetzt in mehreren gelb, rot, braun,
auch gefüllt blühenden Varietäten als Zierpflanzen kultiviert, ebenso
die Hybriden oder Bastarde derselben mit ~Primula acaulis~. Letztere
mit sehr kurzgestielter Dolde und fünf safrangelben Flecken auf dem
flachen Saum der hellgelben Blumenblätter wächst im Mittelmeergebiet
und in Mitteleuropa. Bei manchen Varietäten entwickelt sich der Kelch
in der Form und Farbe der Blumenkrone, so daß zwei gleiche Blumen
ineinander zu stecken scheinen.

Noch beliebter als die Primeln waren im vergangenen Jahrhundert,
während welchem sie sehr viel gepflanzte, spielartenreiche Modeblumen
waren, die in der Gegenwart stark an Beliebtheit eingebüßt haben, die
+Aurikeln+, die ihren Namen von der ohrförmigen Gestalt ihrer Blätter
erhielten. Früher hieß man sie ~auricula ursi~, d. h. Bärenöhrchen.
Die Ausgangsform der Gartenaurikeln ist die auf Torfboden und an
Felsen der Voralpen und Alpen, wie auch des Schwarzwalds wachsende
~Primula auricula~ mit mehlig bestäubten Blättern und schwefelgelben,
wohlriechenden Blüten mit flachem Saum. Diese traf der Botaniker und
Arzt Clusius (Charles de l’Ecluse, 1526 bis 1609), damals Hofbotaniker
in Wien im Jahre 1582 im Gschnitztal südlich von Innsbruck und nahm
sie mit sich nach Wien und 1593 bei seinem Wegzuge nach Leiden.
Zugleich mit ihr führte Clusius die rotblühende ~Primula pubescens~,
die als ein Bastard der vorigen mit ~Primula hirsuta~ anzusehen
ist und bei Innsbruck wächst, in die Gärten ein. In der Mitte des
17. Jahrhunderts wurden beide Primelarten besonders in Belgien,
Holland, England und Deutschland in mehreren Farbenvarietäten mit
Vorliebe gezogen. In der Folge aber verschwand die beständigere ~P.
auricula~ wieder vollständig aus den Gärten und ~P. pubescens~ war
ausschließlich der Ausgangspunkt der mächtig aufblühenden Aurikelzucht,
die in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt
erreichte. Unter den über 1000 Spielarten unterscheidet man einfarbige,
zweifarbige (Dublettenaurikeln), mehrfarbige (Bizardaurikeln) und
verschiedenfarbige Aurikeln (Picottaurikeln). Eine holländische
Art heißt ~Luiker~, d. h. Lütticher. Englische Sorten werden als
„gepuderte“ unterschieden, weil sie eine starke Bestäubung der
Oberfläche mit Wachskügelchen aufweisen.

Wichtiger als die einheimischen sind aber gegenwärtig die
ostasiatischen Aurikeln, vor allem die ~Primula chinensis~ aus
Südchina mit Dolden sehr großer, hell lilafarbiger, rosenroter
oder weißer Blüten. Obschon sie erst im Jahre 1824 von China nach
England kam, zählt sie heute sehr viele Spielarten mit weißen und
roten, einfachen und gefüllten Blüten. Sie ist als Zimmer- und
Gewächshauspflanze gleich wertvoll, blüht das ganze Jahr hindurch
und liefert gutes Material für Buketts, was sehr wichtig ist.
Besonders die weißen, gefüllten Blüten sind für die Blumenbinderei
von großer Bedeutung. Ebenso stammt die sehr reichblühende ~Primula
obconica~ aus China; sie ist dadurch allgemeiner bekannt geworden,
daß die Drüsenhaare an der Oberfläche der Blätter eine gelblichgrüne
Flüssigkeit ausscheiden, die bei Berührung der Pflanze empfindliche
Hautentzündung mit beträchtlich gestörtem Allgemeinbefinden verursacht.
Es scheint bei gewissen Individuen eine besondere Disposition
vorhanden zu sein; oft tritt die Erkrankung erst mehrere Stunden oder
Tage nach der Berührung der Pflanze ein. Auch ~Primula cortusoides~
aus dem Osthimalaja und aus Jün-nan, wie auch ~Pr. japonica~ werden
in mehreren Spielarten in unseren Gärten kultiviert. Nicht minder
geschätzte Winterblüher als die chinesische lieferte die nach ihr
eingeführte Himalajaprimel, die mit den ostasiatischen und europäischen
Arten mehrfach gekreuzt wurde. Gelegentlich werden auch der +blaue
Speik+ (~Primula glutinosa~) mit violetten, wohlriechenden Blüten mit
abstehendem Saum, der in den Zentralalpen auf Urgestein zu finden ist,
und die zierliche, im hohen Norden heimische, als Relikt der Eiszeit
auf feuchten Alpenwiesen und auf Torfboden des norddeutschen Tieflandes
-- aber auch in der Magelhaensstraße -- angetroffene +mehlig bestäubte
Primel+ (~Primula farinosa~) mit fleischroten oder violetten Blüten
mit gelbem Schlunde in Töpfen angepflanzt oder in Gärten gehalten.
Gelegentlich geschieht dies auch mit der +Alpensoldanelle+ (~Soldanella
alpina~) mit ihren zierlichen bläulichen oder violetten Blütenglöckchen
mit gefranstem Saume.

Eine weitere, sehr geschätzte Zierpflanze der Alpen und Voralpen
ist das +Alpenveilchen+ (~Cyclamen europaeum~), wegen seiner
plattkuchenförmigen, fleischigen Knolle auch Erdscheibe genannt.
Letztere schmeckt in frischem Zustande brennend scharf und enthält
das Alkaloid Cyclamin, das, in den Magen gebracht, heftiges
Erbrechen bewirkt und ins Blut eingespritzt tötet. Früher wurden die
Wurzelknollen als drastisches Purgiermittel benutzt; sie verlieren
aber durch Kochen oder Braten in Asche ihre Schärfe und werden deshalb
von den Russen gegessen. Die Wildschweine sollen sie gerne und ohne
Nachteil fressen, deshalb wird das Cyclamen auch Saubrot genannt.
Das im einheimischen Gebirge wachsende südeuropäische Cyclamen war
unter dem Namen ~kykláminon~ schon bei den alten Griechen bekannt
und seine Wurzelknolle wurde als Heilmittel und zu Zauberei benutzt.
Plinius, der sie selbst in Anlehnung an die griechische Bezeichnung
~cyclaminon~ nennt, sagt, sie werde von den Römern Erdknollen (~tuber
terrae~) genannt, wachse im Schatten, habe purpurrote Blüten und eine
breite, einer Rübe ähnliche Wurzel mit schwarzer Rinde. Sie diene gegen
Schlangenbiß. „Sie sollte bei allen Häusern gezogen werden, wenn es
wahr ist, daß da, wo sie steht, kein Zaubermittel wirkt, weswegen sie
auch Amulett (~amuletum~) heißt. Wein, worin sie liegt, soll sogleich
berauschen. Die Wurzel wird zerschnitten und getrocknet oder bis zur
Honigdicke eingekocht und aufbewahrt.“ Wie die einheimische Art wird
auch das persische Alpenveilchen (~Cyclamen persicum~) aus Vorderasien
mit weißen, im Schlunde roten Blüten viel in Töpfen gezogen und ist
durch Kulturpflege zu Formen mit sehr großen Blättern und Blüten in
allen Nuancen von Rot neben Weiß gezüchtet worden. Dadurch, daß es im
Winter zum Blühen gebracht werden kann und lange Zeit hindurch im Flor
steht, ist es eine der am häufigsten angetroffenen Topfpflanzen der
Städter geworden. Durch Kreuzung des bunt gezeichneten efeublätterigen
Alpenveilchens mit kleinen Blüten mit dem persischen Alpenveilchen
mit weit schöneren, größeren Blüten wurden Hybriden erzeugt, die die
hübschen Blätter der ersteren neben den schönen Blüten der letzteren
aufweisen.

Ebenfalls als Blatt- und Zierpflanzen sehr beliebt und deshalb
häufig in Töpfen kultiviert angetroffen werden die +Begonien+ oder
+Schiefblätter+. Von den über 400 Vertretern der in den Tropen
wachsenden Familie haben sehr viele prachtvoll gefärbte Blätter,
wachsen sehr schnell und lassen sich sehr leicht aus Stecklingen
ziehen. Legt man nämlich ein von ihnen abgeschnittenes Blatt auf
feuchte Erde, so wachsen aus allen Stellen, an denen die Blattnerven
verletzt wurden, junge Pflänzchen hervor. Unter den vielen bei uns in
Gewächshäusern und als Zimmerpflanzen gezogenen Arten unterscheidet man
1. +Blattbegonien+, die wegen ihrer prachtvoll gefärbten, teilweise
sehr bunten Blätter gehalten werden. Sie sind seit dem Anfang der
1850er Jahre höchst beliebt geworden und stammen hauptsächlich von
dem ostindischen Königsschiefblatt (~Begonium rex~), dessen große,
dunkelgrüne Blätter ein breites Silberband mit gleichgefärbten Flecken
aufweisen. Es wurde mit anderen Formen aus den Tropen der Alten
Welt gekreuzt und ergab zahlreiche schöne Spielarten. 2. +Blüten-+
oder +Knollenbegonien+, die sämtlich aus Südamerika stammen und in
bezug auf Effekt, Blütenfülle und Blütendauer mit den außerordentlich
effektvollen Scharlachpelargonien wetteifern. Die wichtigsten
Stammformen sind ~Begonia boliviensis~ mit leuchtendroten Blüten
aus Bolivia, ~B. veitchi~ und ~davisi~ aus Peru und ~B. froebeli~
aus Venezuela. Die Blüten der durch Kreuzung dieser untereinander
erhaltenen Blendlinge variieren von Weiß und sattem Gelb bis zum
dunkelsten Rot, auch gibt es gefüllte Formen. Von den immergrünen,
strauch- oder halbstrauchartigen Begonien werden mehrere Arten
besonders aus Brasilien wegen ihrer Monate hindurch und mehrfach im
Winter erscheinenden Blüten kultiviert.

Südamerika lieferte uns auch die häufig als Zierpflanze, besonders
als Schlingpflanze zur Bekleidung von Lauben gezogene +vielblumige
Feuerbohne+ (~Phaseolus multiflorus~), die weiße oder hochrote Blüten
und eßbare Samen hervorbringt. Beliebte Gartenzierpflanzen liefern
auch die verschiedenen +Wicken+, vor allem die in Südeuropa heimische
+wohlriechende Wicke+ (~Lathyrus odoratus~) mit sehr großen, rot und
violetten oder rot und weißen, wohlriechenden Blüten. Sie blüht fast
den ganzen Sommer hindurch und eignet sich vorzüglich zur Verzierung
niedriger Geländer. Dann die +nordafrikanische Wicke+ (~Lathyrus
tingitanus~) mit großen, einfarbigen, violetten oder dunkelpurpurnen
Blüten, die +griechische Wicke+ (~L. climenum~) aus Griechenland und
Kleinasien mit blauen Blüten, an denen nur die Fahne rot ist, die
+Bukettwicke+ (~L. latifolius~) mit einer Traube von großen, purpur-
bis rosenroten Blüten, die +großblütige Wicke+ (~L. grandiflorus~)
mit besonders großen, aber schwach wohlriechenden, purpurroten
Blüten, beide aus Südeuropa. Alle diese werden in mehreren Varietäten
kultiviert.

Die Gattung der +Winden+ (~Convolvulus~) mit trichterförmigen Blüten
ist in den Gärten besonders durch die nichtwindende +dreifarbige Winde+
(~C. tricolor~) aus dem Mittelmeergebiet mit himmelblauen, im Grunde
gelben, in der Mitte weißen Blüten, dann durch ~C. mauretanicus~ mit
ebenfalls himmelblauen und durch ~C. dahurica~ mit rosenroten Blüten
vertreten. Verwandt damit sind die schlingenden ~Mina lobata~ und ~M.
lex~ aus Mexiko mit gelb und rot gefärbten Blüten in langgestielten,
gabeligen Blütenständen, die ebenfalls bei uns als Zierpflanzen
kultiviert werden.

Ebensolche windende Kräuter sind die in 24 Arten ausschließlich im
wärmeren Mittel- und Südamerika heimischen +Wunderblumen+ (~Mirabilis~)
mit großen, in der Nacht geöffneten Blüten. Unter ihnen werden die
60-120 cm hohe ~Mirabilis longiflora~ mit sehr langohrigen, weißen,
am Schlund purpurnen, sehr wohlriechenden Blüten aus den Bergen Mexikos
und die ebendort heimische ~M. jalapa~, die falsche Jalape, mit schönen
roten, gelben oder weißen, oder auch in diesen Farben gestreiften
und gesprenkelten, geruchlosen Blüten in zahlreichen Varietäten bei
uns kultiviert. Die Wurzel wirkt abführend und wurde früher wie die
offizinelle Jalape verwendet.

Zur Gattung der +Boretschgewächse+ gehört außerdem der als Gewürz und
geschätzte Bienenweide in nicht nur dunkel- bis hellblauen, sondern
auch roten und weißen Formen gezogene +gemeine Boretsch+ (~Borago
officinalis~), das in der gemäßigten Zone der Alten Welt in 30 Arten
wachsende +Vergißmeinnicht+ oder +Mäuseohr+ (~Myosotis~); unter diesen
ist das bei uns auf feuchten Wiesen und an Bächen wachsende gemeine
Vergißmeinnicht (~Myosotis palustris~) mit in der Knospe rötlichen,
später himmelblauen Blüten mit gelbem Schlund ein sehr beliebtes, auch
in Gärten angepflanztes Blümchen. Neben ihm werden die zweijährige,
mitteleuropäische ~M. silvatica~ mit der Abart ~M. alpestris~ mit
rauhhaarigen Stengeln und himmelblauen Blüten und noch manche andere
kultiviert. Das strahlendste Blau haben die Blüten von ~M. azorica~.
Blendlinge von ihr mit ~M. alpestris~ sind die ~M. semperflorens~
mit sehr langer Blütezeit und andere Formen, wie „Elise Fonrobert“.
Ebenso werden von +Hundszungen+ der Gattung ~Cynoglossum~ purpurrote,
himmelblaue und weiße Arten in Gärten gezogen.

In der Bukett- und Kranzbinderei, besonders für Gräberschmuck viel
verwendet werden die +Immortellen+, wie der französische Name
sagt „unvergängliche“ Blumen, aus der Familie der Kompositen oder
Korbblütler mit trockenhäutigen Blumenhüllblättern, die lange Zeit
nach dem Abschneiden ihre Form und ihr frisches Aussehen bewahren. Im
Deutschen bezeichnet man sie meist als +Strohblumen+, weil sie trocken
wie Stroh erscheinen. Durch diese völlig trockenhäutigen Hüllblätter
sind sie wie das ihnen sehr nahestehende, neuerdings ebenfalls als
Zierpflanze kultivierte +Edelweiß+ (~Gnaphalium leontopodium~) und
andere filzige Kräuter, mit diesem die Wärme schlecht leitenden Überzug
gegen zu starke Verdunstung an ihren von heißer Sonne beschienenen
felsigen Standorten geschützt. Die wichtigste derselben ist die
in ganz Südeuropa auf sonnigen, trockenen Felsabhängen wachsende
+gemeine+ oder +gelbe Strohblume+ oder +Gold-Immortelle+ (~Helichrysum
stoechas~) mit am Rande -- ebenfalls zum Schutze gegen zu starke
Verdunstung -- zurückgerollten, gerieben wohlriechenden Blättern und
goldgelben Blüten. Wegen letzteren nannten sie die alten Griechen
~helichrýsos~, d. h. Sonnengold. Sie, wie auch die Römer, verwandten
sie vielfach zum Winden von sehr dauerhaften Kränzen und als Arznei.
Der griechische Arzt Dioskurides (im 1. Jahrhundert n. Chr.) schreibt:
„Die Gold-Immortelle (~helíchrysos~) wird auch ~chrysánthemon~ (d. h.
Goldblume) und ~amáranton~ (d. h. die Unverwelkliche) genannt und dient
zur Bekränzung von Götterbildern. Sie wächst an trockenen, felsigen
Stellen und hat trockenen Trauben ähnliche, goldgelbe, runde Blüten.
Man gebraucht sie als Arznei, legt sie auch zwischen die Kleider,
um diese vor fressendem Gewürm zu schützen.“ Ähnlich meldet sein
Zeitgenosse, der ältere Plinius: „Die goldglänzenden, büschelweise
hängenden Blüten der Gold-Immortelle (~helichrysos~) welken nie und
dienen zur Bekränzung der Götterbilder. Namentlich hat Ptolemäus, König
von Ägypten, diese sehr sorgfältig damit geschmückt.“ 400 Jahre vor ihm
schrieb Theophrast. „Es gibt Quacksalber, welche behaupten, man erlange
einen guten Ruf, wenn man sich mit der Gold-Immortelle bekränzt und
sich dabei mit Salbe aus einem Gefäß von gediegenem Gold einreibt. Jene
Pflanze hat aber eine goldfarbene Blume, ein weißliches Blatt, einen
weißlichen, harten Stengel und eine oberflächliche, dünne Wurzel.“
In seinen Idyllen sagt der um 280 v. Chr. lebende Dichter Theokrit
aus Syrakus, der bedeutendste Dichter der alexandrinischen Periode,
ein Meister der dann von Bion und Moschos und später von Vergil
nachgeahmten bukolischen Poesie, d. h. der poetischen Darstellung des
Hirtenslebens: „Der Becher ist mit Efeu und Gold-Immortellen bekränzt“,
und „Ihr Haar war goldiger als Gold-Immortellen, ihre Brust glänzender
als der Mond“. Auch der Dichter Nikander spricht von ihr.

Zu dieser einen, im Altertum ausschließlich gebräuchlichen Strohblume
(~Helichrysum orientale~) kamen in neuerer Zeit eine Menge anderer
hinzu, so die auf den Inseln des indischen Archipels heimische
französische Immortelle, so genannt, weil sie besonders in der
Provence, dann in Erfurt kultiviert wird. Man gebraucht diese
Strohblume wie alle übrigen, auch gefärbt. Ebenso benutzt man die
Malmaison-Immortelle (~Helichrysum bracteatum~) und ~H. macranthum~
mit größeren Blüten. Beide stammen aus Australien und werden vielfach
kultiviert.

Zu den Immortellen rechnet man außerdem die südeuropäische
+Papierblume+ (~Xeranthemum annuum~) mit weißen und violetten
Blüten, welch letztere mit Säuren lebhaft rot gebeizt werden; dann
das australische ~Acroclinium roseum~ mit rosenroten und weißen und
die ebenfalls australische ~Rodanthe manglesii~ mit karminroten
Blumenblättern und gelber Scheibe. Ferner das vom Kap der Guten
Hoffnung stammende ~Helipterum speciosissimum~ mit weiß und braunen,
und ~H. corymbiflorum~ mit roten Blüten, die weißköpfige, geflügelte
Sandimmortelle aus Australien und die ostindische ~Gomphrena
globosa~ mit roten (rote Immortelle) und weißen Blüten. Weiter wird
auch ~Anaphalis margaritacea~ mit weißfilzigem Stengel, unterseits
filzigen, lineallanzettlichen Blättern und weißen Blüten als
virginische Immortelle zu Trockenbuketts benutzt. Endlich werden auch
die verschiedensten Disteln, vor allem die +Silberdistel+ (~Carlina
acaulis~) und die +Karden+ (~Dipsacus~) als Trockenblumen verwendet.

Sehr groß ist die Zahl der Kompositen, die zu Gartenzierpflanzen
erhoben wurden. Die wichtigsten derselben sind: die aus Südeuropa
stammende rote und weiße +Spornblume+ (~Centranthus~), die samtartig
schwarzrote +Knopfblume+ (~Scabiosa atropurpurea~), die neben der
violetten ~S. columbaria~ und purpurnen ~S. lucida~ kultiviert
wird, dann die ebenfalls aus Südeuropa zu uns gekommene goldgelbe
+Ringelblume+ (~Calendula officinalis~), deren Kraut zum Gelbfärben
der Butter und deren Blüten zur Verfälschung des Safrans dienen. Auch
von den +Kreuzkräutern+ (~Senecio~) werden verschiedene Arten als
Gartenzierpflanzen kultiviert, so ~Senecio cruentus~ mit purpurnen
Strahlen- und gleichgefärbten oder gelben Scheibenblüten von den
Kanarien in zahlreichen Varietäten mit großen, sehr verschiedenfarbigen
Blüten als Zimmerpflanze, dann ~S. elegans~ mit weißen oder roten
Blüten aus Afrika ebenfalls in mehreren Varietäten, ~S. kämpferi~ aus
Japan und ~S. giesebrechti~ als sehr dekorativer hoher Strauch aus
Mexiko für das Kalthaus.

Großer Beliebtheit erfreuen sich die sehr nahe mit diesen verwandten
+Cinerarien+ oder +Aschenkräuter+, die wegen der Aschenfarbe
der Unterseite der Blätter mancher Arten so genannt werden. Die
Bastardcinerarien der Gärtner haben unten meist weißfilzige Blätter
und bunte, purpurne, violette und weiße Blüten. Wegen der Schönheit
und Farbenfülle der letzteren gehören sie zu den beliebtesten
Topfzierpflanzen. Beliebt sind auch die auf steinigen, sonnigen
Plätzen wachsenden +Katzenpfötchen+ (~Antennaria~) mit weißen oder
purpurroten Blüten, ferner die stattliche +Sonnenblume+ (~Helianthus
annnus~), welche 1569 aus ihrer Heimat Mexiko nach Europa kam, und
vor allem die ebendaher stammende +verschiedenfarbige Dahlie+. Diese
nach dem schwedischen Botaniker ~Dr.~ Dahl, der 1787 zu Abo starb,
so benannte, aber von Willdenow nach der älteren, von Thunberg dem
berühmten Reisenden und Botanikprofessor Georgi in St. Petersburg
zu Ehren gegebene Benennung (~Georgina variabilis~) in +Georgine+
umgetaufte Zierpflanze mit knollig verdickter Wurzel, 1,5-1,8 m
hohem Stengel und seltener einfachen, meist gefüllten Blüten wurde
zuerst ums Jahr 1784 durch Vincent Cervantes, Professor und Direktor
des botanischen Gartens in Mexiko, an den spanischen Mönch und
Vorsteher des botanischen Gartens Cavanilles nach Madrid gesandt.
Dieser beschrieb sie 1791 als ~Dahlia pinnata~ (mit gefiederten
Blättern). Da aber der Name Dahlia von Thunberg bereits an eine andere
Pflanze vergeben war, nannte man sie nach dem Vorschlage von Willdenow
Georgina. Von Spanien aus verbreitete sich die prächtig blühende
Gartenpflanze nach allen Kulturländern der Alten Welt, kam 1787 nach
England, 1804 durch Alexander von Humboldt, der Samen aus Mexiko nach
Berlin sandte, nach Deutschland, wo im Berliner Botanischen Garten
zahlreiche Farbenvarietäten aus ihr gezüchtet wurden. Doch kannte man
die Georginen um 1800 schon in Dresden. Die erste gefüllte Georgine zog
1808 der Garteninspektor Hartwig in Karlsruhe, und 1824 begann Deegen
in Köstritz seine erfolgreichen Kulturen.

Weil die Georgine im Herbst bis zum Eintritt des ersten Frostes,
der allerdings das Laub derselben zum Absterben bringt, so daß sie
schwärzlich, wie verbrüht erscheint, ihre zahlreichen prächtigen Blüten
entfaltet, zu einer Zeit also, da die meisten anderen Gartenblumen
bereits verblüht haben, ist sie eine Lieblingspflanze unserer Gärten
geworden, mit der man in manchen Gegenden einen großen Kultus treibt,
indem man zur Zeit ihrer Blüte Georginenfeste arrangiert, bei denen
die Lokale mit den abgeschnittenen Blüten ausgeschmückt und aus den
verschiedenen Farben große Tableaus zusammengestellt werden. Von den
9 Arten, die sämtlich auf der mexikanischen Hochebene heimisch sind,
ist ~Georgina variabilis~ die Stammpflanze von über 2000 Varietäten.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war man bemüht, möglichst volle,
prall gefüllte Blumen in den verschiedensten Farben zu erzielen. Man
unterschied nach der Form der Blüten: anemonenblütige mit großen
Strahlenblüten und kleinen, in Form einer Halbkugel geordneten
Scheibenblüten -- heute werden sie nur noch selten gezogen --,
dann kugelblütige mit zahlreichen, gleichgeformten, sich nach
hinten zurücklegenden Blüten, flachblütige mit gleichgeformten,
flach ausgebreiteten, in der Regel zurückgebogenen Blumenblättern,
röhrenblütige mit röhrigen und ohrblütige mit ohrförmigen
Blumenblättern. Sie treten in allen Farbennuancen vom zartesten Weiß
bis zum intensivsten Gelb und zum dunkelsten Schwarzpurpur auf.
Die Liliputgeorginen haben sehr kleine, reizend geformte Blüten,
die Zwerggeorginen sind von niedrigem, zwerghaftem Wuchs und zur
Topfkultur geeignet. Seit Anfang der 1870er Jahre sind wieder einfach
blühende Spielarten unter dem Namen Dahlien in mannigfachen Farben und
Zeichnungen beliebt geworden, daneben auch die Kaktusdahlien, deren
Blüten von dem streng symmetrischen Bau der älteren gefüllten Dahlien
wesentlich abweichen und sich durch spitze, strahlige, nadelartige,
gewundene, namentlich aber gelockte Blüten auszeichnen. Sie haben
seit einigen Jahren die alten Georginensorten fast vollständig
verdrängt. Diese Abart der Georginen stellt eine typische, durch
Mutation plötzlich von selbst entstandene Sprungvarietät dar. Der alte
Georginenzüchter van den Berg in Jutphaas (Holland) verdankt sie einem
Zufall. Er hatte sich von einem Geschäftsfreund in Mexiko eine größere
Sendung mexikanischer Knollen, Wurzelstöcke und Zwiebeln kommen lassen.
Die Sendung war aber unterwegs bis auf eine einzige Knolle verdorben.
Nur diese trieb aus -- es war die Kaktusdahlie mit Blüten, die in
dieser Form in Mexiko selbst ganz unbekannt ist.

In bezug auf Größe und Form der Knollen, der Belaubung und namentlich
der Blüten, die wie bei allen anderen Kompositen dadurch gefüllt
werden, daß auch die Scheibenblüten wie die Strahlenblüten eine
farbige, zungenförmige Blumenkrone ausbilden, weichen die verschiedenen
Georginen so sehr untereinander ab, daß man kaum irgendwo in Gärten
die typische Form auffinden kann. Die zahllosen, mit dem Untergange
der Knollen wieder verschwindenden Spielarten entstanden und entstehen
durch künstliche Befruchtung und namentlich durch Samenzucht, die
alljährlich neue Varietäten liefert, die nie den vorjährigen ganz
gleich sind. Die gegen Kälte sehr empfindlichen Knollen müssen vor dem
Eintritt des Frostes aus der Erde genommen und im Keller überwintert
werden. Im Frühjahr, sobald keine Nachtfröste mehr zu fürchten sind,
werden sie 5 cm tief ausgepflanzt. Die Vermehrung geschieht durch
Teilung der Knollen oder durch Stecklinge, die man von den mit
überflüssigen Keimen versehenen Knollen ablöst, sobald sie etwa 10 cm
lang geworden sind. Neue Spielarten erzielt man aus Samen, den man
von den ersten Blüten besonders schöner Varietäten sammelt. Die
Wurzelknollen enthalten reichlich Inulin, eine dem Stärkemehl ähnliche
Substanz der Kompositenwurzeln, die sich in heißem Wasser löst, beim
Erkalten wieder ausscheidet und, mit Schwefelsäure zusammengebracht,
Zucker gibt. Aus diesem Grunde dienen die Dahlienknollen in ihrer
Heimat Mexiko als geschätztes Nahrungsmittel.

Sehr zahlreiche Zierpflanzen hat die artenreiche Familie der +Astern+
geliefert, deren Blüten neben den Georginen den Schmuck unserer Gärten
zur Herbstzeit, da sonst wenig andere Blumen mehr zu sehen sind,
bilden. Von den über 200 meist der nördlichen Erdhälfte, und zwar
vorzugsweise Nordamerika angehörenden Asterarten sind verschiedene vom
Menschen in Pflege genommen worden und haben sich im Laufe der Zeit
zu prächtigen Kulturpflanzen entwickelt. So finden wir nicht nur die
auf sonnigen, felsigen Hügeln Süd- und Mitteleuropas wildwachsende
+blaue Aster+ (~Aster amellus~), sondern auch die in Nordasien und
den höheren Gebirgen Mitteleuropas heimische +violette Aster+ (~Aster
alpinus~) seit langem in Gärten angepflanzt. Von ersterer spricht
bereits der römische Dichter Vergil in augusteischer Zeit, indem er in
seiner Georgica sagt: „Auf den Wiesen steht die Blume ~amellus~, welche
in dichter Menge wächst. Sie ist goldgelb und von dunkelvioletten
Blumenblättchen umgeben, hat einen scharfen Geschmack und dient zu
Kränzen. Ihre in Wein gekochte Wurzel dient als Arznei für kranke
Bienen.“ Letzteres sagt auch Columella und fügt hinzu, daß die Blumen
des ~amellus~ den Bienen angenehm seien. Die Griechen -- so Dioskurides
-- nannten sie ~astḗr~, und in Anlehnung daran spricht auch Plinius
in seiner Naturgeschichte von ihr als ~aster~. Außer diesen beiden
sind auch die am Meeresstrand und auf Salzboden gedeihende lilafarbene
+Strandaster+ (~Aster tripolium~) mit gelber Blütenscheibe und mehrere
andere ausdauernde Arten namentlich Nordamerikas als Herbstastern
in Gärten beliebt und teilweise auch verwildert. Mit prächtigen,
verschiedenfarbigen Strahlenblüten versehen sind die in China und
Japan heimischen +Gartenastern+ (von ~Callistephus chinensis~), die
sich von unseren Astern durch stark laubblätterige äußere Hüllblätter
unterscheiden und in etwa 60 gefüllten Formen in 6700 Farbenvarietäten
als die wichtigsten aller einjährigen Gartenpflanzen kultiviert werden.
Die ersten Vertreter dieser hauptsächlich vom uralten Kulturvolke der
Chinesen hochgezüchteten Formen, die von jenen mit Vorliebe auf den
Kunstgegenständen aus Porzellan und Seide dargestellt werden, kamen zu
Ende des 18. Jahrhunderts durch den Jesuiten d’Incarville aus China
nach Frankreich, um von hier aus durch Europa verbreitet zu werden. Sie
sind bei uns die weitaus verbreitetsten Astern.

Sehr nahe Verwandte der Astern, die vielfach zu ihnen gerechnet
werden, sind die +Wucherblumen+, die in den Goldastern oder
Chrysanthemen höchst wertvolle und neuerdings auch bei uns sich
zunehmender Beliebtheit erfreuende Zierblumen hervorgebracht haben.
Ihr bescheidenster Vertreter ist die ausdauernde +große Gänseblume+
oder +Marienblume+ (~Chrysanthemum leucanthemum~) mit weißen Strahlen-
und gelben Scheibenblüten, die in Europa auf Wiesen und Rainen gemein
ist und schon früh in die Gärten verpflanzt wurde. Mit den Europäern
wanderte sie in andere Erdteile und bürgerte sich in Nordamerika, wie
auch in Neuseeland ein. Ihre zarten Sprosse werden in Italien als
Salat gegessen; ihre Blüten dagegen werden wie diejenigen der ihr nahe
verwandten +Bertramwurz+ oder +Mutterkrautkamille+ (~Chrysanthemum
parthenium~) arzneilich verwendet. Beide werden in vielen Varietäten
als Zierpflanzen kultiviert, letztere besonders auch in Formen mit
goldgelben Blättern zur Bepflanzung von Teppichbeeten. Andere Arten
dieser Familie liefern das Insektenpulver, so besonders die beiden mit
rosa- oder fleischfarbenen Strahlenblüten versehenen ~Chrysanthemum
roseum~ und ~marschalli~ im Kaukasus, in Armenien und Nordpersien. Das
ebenfalls in Persien heimische ~Chrysanthemum cinerariaefolium~ mit
sehr kleinen, gelben Scheibenblüten und weißgelblichen Strahlenblüten
wird, wie auch das dalmatinische ~Chrysanthemum roseum~ in zahlreichen
Spielarten bei uns kultiviert; ebenso das nordafrikanische
~Chrysanthemum carinatum~ mit schwarzroten bis braunvioletten Scheiben-
und weißen Strahlenblüten. Sie variiert in den mannigfaltigsten Farben
und stellt eine der ausgezeichnetsten Florblüten dar. Ebenso ist das
südeuropäische ~Chrysanthemum coronarium~ mit gelber Blütenscheibe
und gelbem Strahl bei uns eine beliebte Gartenzierpflanze. Auch die
+Strauch-Marguerite+ der Kanaren (~Chrysanthemum frutescens~) wird in
hohen und zwerghaften Formen, weiß- und gelbblühend bei uns im Kalthaus
kultiviert und im Winter in großer Menge aus dem Süden eingeführt.

Nicht nur als Zierpflanze, sondern auch als Küchengewürz und
Arzneimittel gegen Würmer wird die in Südeuropa heimische +Frauenminze+
(~Chrysanthemum balsamita~) mit balsamisch riechenden Blättern und
gelben Blüten in unseren Gärten angepflanzt. Schon von Karl dem
Großen wurde sie als ~Costus hortensis~, d. h. Gartenkostus, zum Anbau
empfohlen und ihres würzigen Geruches wegen im Mittelalter an Stelle
des Hopfens als Bierwürze verwendet. Jetzt dient sie vielfach auch zur
Herstellung von Totenkränzen und anderem Gräberschmuck. Blumistisch
sehr viel wertvoller ist das ausdauernde +Herbstchrysanthemum+,
die +indische Goldaster+ (~Chrysanthemum indicum~), die noch mehr
als bei den Südasiaten bei den Ostasiaten, zumal den Japanern, zur
nationalen Lieblingsblume wurde. Schon lange vor dem Beginn der
christlichen Zeitrechnung wurde sie im Lande der aufgehenden Sonne in
den zahlreichsten Farbenvarietäten mit weißen, gelben, orangefarbenen,
braunen, roten, schwarzpurpurnen und zweifarbigen Blüten kultiviert.
Dabei unterscheidet man einfache Sorten, röhrenblütige, zungengefüllte,
anemonenblütige und Pomponchrysanthemen. Sowohl in ihrer Stammform,
dem einfachen Herbstchrysanthemum (japanisch ~nogiku~), als seinen
hochgezüchteten Kulturvarietäten (japanisch ~kiku~) spielt es wie
heute, so bereits in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung in
der Poesie und Malerei der Japaner eine sehr große Rolle. Nach der
Aussage der Japaner erreichte diese Blumenzüchtung im 16. Jahrhundert
ihren Höhepunkt. Ein aus jener Zeit stammendes Gemälde aus dem Besitze
der Familie Takatsukasa, auf welchem ein Chrysanthemumgarten in Kioto
dargestellt ist, erregte auf der letzten Pariser Weltausstellung
vom Jahre 1900 allgemeine Bewunderung. Noch heute werden im
ganzen Inselreich diese Blumen in tausenden von Spielarten in den
mannigfaltigsten künstlichen Formen und Zusammenstellungen, die
menschliche und Tiergestalten bis zu 10 m Höhe, ja historische und
dramatische Begebenheiten, Darstellungen aus Märchen usw. wiedergeben,
gezüchtet, und am 9. September feiert das ganze Volk das Fest der Kiku,
die zum Sinnbilde langen Lebens wurde.

Die meisten Varietäten dieser Zierpflanze in seinem Garten zu besitzen,
kann sich außer dem japanischen Kaiser angeblich noch der sehr reiche
Graf Okuma in Tokio rühmen. Sonst sehen es die Liebhaber der Kiku,
deren Zahl Legion ist, darauf ab, eine ihnen besonders zusagende Form
in möglichst eigenartiger Ausbildung zu erlangen. Als Beispiel für
die Mühe, die auf die Zucht neuer Rassen verwendet wird, soll hier
erwähnt werden, daß der Züchter Hayashi jedes Jahr 30000 Chrysanthemen
der Sorte ~ennichi-giku~, bei der es darauf ankommt, möglichst bizarr
gestaltete Blüten zu erzielen, kultiviert, unter denen sich höchstens
5 Exemplare finden, die seinen Anforderungen entsprechen und zur
Nachzucht verwendet werden. Zu möglichster Größe herangezüchtet ist das
Riesenchrysanthemum Zukuri, das über tausend Blumen tragen kann; das
Gegenstück dazu bildet die Zwergpflanze ~bonsai-zukuri~. ~Hironishi~
ist eine ungefüllte Rasse, deren Blumen nur 16 Blumenblätter enthalten
dürfen. Es ist dies die Kaiserblume, von der das Chrysanthemumwappen
der kaiserlichen Familie abgeleitet ist. Die ~ipon-zukuri~ ist eine
Rasse mit nur einer Achse und nur einer Blüte.

Schon im Jahre 1688 kultivierte man in Holland 6 aus Ostasien
eingeführte Spielarten von Chrysanthemen, aber erst hundert Jahre
später fand die Pflanze größere Verbreitung in Europa und wird seit
1826, wo dies in Toulon zuerst geschah, auch bei uns aus Samen
gezüchtet. In neuerer Zeit wurde sie namentlich in England, dann auch
in Deutschland zu großer Vollkommenheit gebracht; doch werden noch
immer viele Varietäten aus Japan und China eingeführt. Obwohl wir es
hierin noch lange nicht mit den Japanern aufnehmen können, so besitzen
wir bereits eine Menge von Spielarten derselben mit weißen, gelben,
orangefarbenen, braunen, roten, schwärzlich purpurfarbigen, auch
zweifarbigen Blüten mit den verschiedensten Formen der Blumenkrone und
ihrer einzelnen Blätter. Alle diese wunderbaren Abänderungen erzielen
die Züchter teils durch künstliche Auslese, teils durch Hybridation
oder Kreuzung und durch zufällig auftretende Mutationen. Die
wunderbaren, riesigen Blumen, die neuerdings auf Ausstellungen und in
Schaufenstern der Blumenläden unser Staunen erregen, gehören nicht, wie
man glauben könnte, einer besonderen Art an, sondern es sind anormale
Blütenstände, „Überblumen“, die durch eine eigene Kulturmethode erzeugt
werden. Man bringt die Chrysanthemen zu diesem Zwecke in ein Kalthaus,
wo sie ganz dicht am Fenster aufgestellt werden. An jeder Pflanze
läßt man nur wenige Blätter und schneidet die Blütenknospen gleich
nach ihrem Erscheinen bis auf eine einzige ab. Unter der Einwirkung
der sehr starken Düngung nimmt dann diese, mehr als sonst üblich
ernährte Blume einen riesigen Umfang an, der mitunter sogar demjenigen
eines Menschenkopfes gleichkommt. Dabei hängen die stark verlängerten
Blumenblätter, die zu lang sind, um sich selbst aufrecht halten zu
können, in graziösen Linien herunter und verleihen diesen Blüten einen
absonderlichen Ausdruck, der sehr dem modernen Geschmacke entspricht.
Das Straußenfederchrysanthemum mit bewimperten Blättern ist wie die
Kaktusdahlie eine vor einigen Jahren in einem einzigen Exemplare beim
Blumenzüchter Alphonse Hardy aufgetretene Sprungvarietät, die sich
infolge ihres absonderlichen Aussehens rasch einbürgerte.

Von weiteren bemerkenswerten Kompositen, die als Gartenzierpflanzen
kultiviert werden, ist die +Flockenblume+ (~Centaurea~) zu nennen,
deren 470 Arten meist im Mittelmeergebiet heimisch sind. Unsere +blaue
Kornblume+ oder +Cyane+ -- vom griechischen ~kýanos~ blau so genannt --
(~Centaurea cyanus~) ist ein Sommergewächs aus Sizilien, das mit dem
Klatschmohn (~Papaver rhoeas~) als Ackerunkraut wahrscheinlich schon
zur Pfahlbauzeit mit dem Getreide nach Mitteleuropa verbreitet wurde.
Diese einstige Lieblingsblume Kaiser Wilhelms I., die als solche bei
dessen Lebzeiten sich besonderer Gunst in ganz Deutschland erfreute,
wird heute in Arten mit mannigfach gefärbten Blüten als Zierpflanze
in Gärten kultiviert. Auch die auf Kalkbergen und Gebirgswiesen
wachsende +Bergflockenblume+ (~Centaurea montana~) mit größeren
himmelblauen, in der Mitte purpurrötlichen Blüten und die 2 m und
darüber hoch werdende ~Centaurea atropurpurea~ werden als Zierpflanzen
gezogen. Aus dem Orient und dem östlichen Mittelmeergebiet kam die
+Bisamflockenblume+ (~Centaurea moschata~) mit großen, weißen oder
violett gefärbten, schwach nach Bisam (Moschus) riechenden Blüten
zu uns, ebenso die ~Centaurea orientalis~, während die ~Centaurea
ragusina~ mit fein zerschlitztem, weißfilzigem Laub und gelben Blüten
aus Dalmatien stammt. Die niedrige, ebenfalls weißfilzige ~Centaurea
candidissima~ wird gerne zu Teppichbeeten verwendet, während die
~Centaurea macrocephala~ mit 90 cm hohem Stengel und goldgelben
Blüten von 9 cm Durchmesser mehr als Einzelpflanze auf Rasen
kultiviert wird.

Aus dem südlichen Nordamerika kam die +schöne Zinnie+ (~Zinnia
elegans~) als prächtige einjährige Gartenzierpflanze zu uns.
Ihren Namen erhielt sie nach Joh. Gottfried Zinn (1727-1759), der
zu Schwabach bei Nürnberg geboren wurde und als Professor der
Medizin in Göttingen starb. Er gab eine Beschreibung der um jene
Universitätsstadt wachsenden Pflanzen heraus. Die 12 Arten ~Zinnia~
wachsen in Mexiko, Arizona und Texas. Die ~Zinnia elegans~ wird
60-80 cm hoch, hat gegenständige Blätter, große Blütenköpfe mit
kleinen, gelben Scheibenblüten und großen, gelben Strahlenblüten. Sie
wird in vielen Varietäten mit goldgelben, purpur- und scharlachroten,
rosa, reinweißen, gestreiften, einfachen, gefüllten und krausen Blüten
bis zu Riesenformen kultiviert. Ebenso ~Z. haageana~ und ein Bastard
zwischen beiden, ~Z. darwini~, von dem wieder mehrere Spielarten
gezüchtet wurden.

Ebenfalls aus Nordamerika stammt das +zweifarbige Schöngesicht+
(~Calliopsis bicolor~), das in unseren Gärten wegen seiner goldgelben
bis braunen Strahlenblüten als schönblühende Zierpflanze allgemein
beliebt ist. Desgleichen verhält es sich mit der nordamerikanischen
+geschlitzten Rudbeckie+ (~Rudbeckia laciniosa~) mit bräunlicher
Scheibe und abstehenden, gelben Strahlenblüten. Sie wurde von Karl
von Linné nach dessen Lehrer und Freund Hans Rudbeck, Professor der
Botanik in Upsala in Schweden, wo er 1660 geboren wurde und 1740 starb,
genannt. Auch ~Silphium perfoliatum~ mit gelben Blüten ist eine aus
Nordamerika stammende Gartenzierpflanze, die teilweise verwildert ist,
wie die von ebendorther stammende +Meerambrosie+ (~Ambrosia maritima~).
Letztere erhielt von Linné diesen Namen wegen ihres angenehmen Geruchs,
der an die Ambrosia, die Nahrung der unsterblichen Götter, erinnern
sollte, erstere dagegen von dem berühmten Heilmittel und Gemüse
~sílphion~, das die Griechen aus Kyrene in Nordafrika bezogen und das
eine mit dem Stinkasant verwandte Doldenpflanze und keine Komposite wie
diese war.

Von den etwa 100 im wärmeren Amerika, besonders zahlreich in
Mittelamerika, wachsenden +Stevia+arten werden ebenfalls mehrere,
so die purpurrote ~Stevia purpurea~, die weiße ~S. serrata~ und
die fleischfarbige ~S. ivaefolia~ bei uns in Gärten kultiviert und
liefern ein beliebtes Material für die Blumenbinderei. Von den fast
ausschließlich nordamerikanischen +Goldruten+ (~Solidago~) wird
besonders die kanadische Goldrute (~Solidago canadensis~), die in
ihrer Heimat gegen den Biß der Klapperschlangen gebraucht wird und
deshalb Klapperschlangenkraut heißt, nebst einigen anderen Arten
als Zierpflanze kultiviert, findet sich aber auch mehrfach bei uns
verwildert.

Aus dem wärmeren Amerika, wo sie in 20 Arten vertreten sind, stammen
auch die +Toten-+ oder +Samtblumen+ (~Tagetes~) mit zierlichen Köpfchen
von gelben und orangefarbenen Blüten. Besonders ~Tagetes patula~ und
~T. erecta~, die beide einander sehr ähnlich sind und stark aromatisch
riechen, werden in mehreren Varietäten als Gartenpflanzen kultiviert.
Man kennt sie in Europa seit dem 16. Jahrhundert. Sehr schöne
Gartenpflanzen sind auch ~T. signata~ und ~T. lucida~.

Selbst das überall auf unsern Wiesen wachsende gemeine +Gänseblümchen+
oder +Tausendschönchen+ (~Bellis perennis~) mit gelben Scheiben- und
weißen oder roten Zungenblüten, das früher namentlich vom Landvolke
als Heilmittel gegen Auszehrung gebraucht wurde, ist vom Menschen in
Kulturpflege genommen worden und wird besonders in der rotblühenden
einfachen oder gefüllten Spielart mit teilweise sehr großen Blüten
zur Einfassung von Gartenbeeten und als Topfpflanze in Blumenfenstern
gezogen. Seinen deutschen Namen erhielt es davon, daß es besonders
häufig auf Feldern wächst, auf denen Gänse zur Weide getrieben werden,
und weil es gerne von diesen gefressen wird. Tausendschönchen heißt es
nach dem lateinischen ~bellis~, das von ~bellus~ schön herrührt und
etwa mit Schönchen übersetzt werden darf. Schon der ältere Plinius
(23-29 n. Chr.) erwähnt es in seiner Naturgeschichte und schreibt von
ihm: „Das Gänseblümchen (~bellis~) wächst auf Wiesen; die Blüte ist
weiß und spielt ins Rötliche.“

Eine der ältesten und wichtigsten Arzneipflanzen, die heute noch keinem
Bauerngarten fehlt, ist die +echte Kamille+ (~Matricaria chamomilla~)
mit gelber Blütenscheibe und weißem Strahl. Sie hat ihren griechischen
Namen ~chamaimélon~ (von ~chamai~ niedrig und ~mélon~ Apfel), woraus
dann das lateinische ~chamomilla~ entstand, nach dem älteren Plinius
vom apfelartigen Geruch ihrer Blüten. Letztere werden getrocknet in
den Apotheken, wie auch in fast allen Haushaltungen gehalten, um in
Krankheitsfällen Verwendung zu finden. Sie besitzen einen angenehmen,
etwas kampferähnlichen Geruch, den sie dem himmelblau gefärbten,
ätherischen Kamillenöl verdanken, dem krampfwidrige, beruhigende
Eigenschaften innewohnen. Außerdem enthalten sie Salizylsäure, wodurch
sie antiseptisch wirken. Ausschließlich Zierblume ist dagegen die
~Matricaria coccinea~ mit scharlachroten Blüten.

Endlich werden noch von Kompositen verschiedene +Kugeldisteln+, so
~Echinops sphaerocephalus~ mit weißen und ~E. ritro~ mit blauen,
metallisch glänzenden Blütenköpfen aus Südeuropa und Vorderasien, wie
auch allerlei +Gaillardien+ kultiviert. Von den 12 Arten der letzteren
sind 11 in Nordamerika und 1 in Südamerika heimisch. Von ~Gaillardia
pulchella~ wird die ~var. pieta~ in mehreren Formen als Zierpflanze
kultiviert. Sie ist 1-2jährig, 40-50 cm hoch, mit in ihrer
größeren Hälfte purpurroten, an der Spitze goldgelben, dreizähnigen
Strahlenblüten und schwarzpurpurnen Scheibenblüten. ~Gaillardia
aristata~ in Nordamerika ist ausdauernd und eignet sich für Rabatten.

Von den zahlreichen Wolfsmilchgewächsen wird die im Mittelmeergebiet
heimische, 60-90 cm hohe +kreuzblättrige Wolfsmilch+ (~Euphorbia
lathyris~) mit sehr großer Blütendolde viel in Gärten kultiviert.
Schon Karl der Große befahl sie in den Gärten der kaiserlichen
Domänen anzupflanzen. Dann wurde sie besonders von den Mönchen in den
Klostergärten als wichtiges Heilmittel gezogen. Ihre Samen wurden
nämlich im Mittelalter allgemein und werden im südlichen Frankreich
vom Volke heute noch unter dem Namen Purgierkörner als Abführmittel
gebraucht neben der Wurzel der +Zypressenwolfsmilch+ (~Euphorbia
cyparissias~), die den Namen Bauernrhabarber führt. Letztere wird
in Südfrankreich und Rußland noch heute häufig angewendet. Als
eigentliche Zierpflanzen sind dagegen in unsere Gärten eingeführt
worden: ~Euphorbia fulgens~, ein in Mexiko heimischer Strauch mit
leuchtendroten Blüten, ~E. pulcherrima~ aus Mexiko und Mittelamerika
mit später etwas verholzten Stengeln und unscheinbaren Blüten, die
von einer bis 25 cm im Durchmesser haltenden Rosette scharlachroter
Brakteen (Deckblätter) umschlossen sind, sowie ~E. splendens~ aus
Madagaskar mit lederigen, glatten Blättern und scharlachroten Blüten.

Aus Ostindien kam die +Gartenbalsamine+ (~Impatiens balsamina~) zu
uns, die in den verschiedenfarbigsten Spielarten als Zwerg-, Rosen-
und Camellienbalsamine kultiviert wird. Aus Zentralafrika dagegen
wurden die ~Impatiens holsti~ und die noch reicher blühende ~Impatiens
sultani~ eingeführt, die häufig neben dem ebendorther bezogenen
Usambaraveilchen in den Blumenläden anzutreffen sind. Aus Südafrika
kam das meist als +Kalla+ bezeichnete Aronsgewächs mit bis 1 m
langen, herzförmigen Blättern und großer, weißer, tütenförmiger
Blütenscheide zu uns, die als ~Richardia~ oder, nach dem 1797 zu Dolce
bei Verona geborenen späteren Physikprofessor Francesco Zantedeschi,
der verschiedene botanische Arbeiten verfaßte, als ~Zantedeschia
aethiopica~ bezeichnet wird. Die Benennung Kalla stammt von Plinius,
der zwei ganz verschiedene Pflanzen, die man als gefleckten Aronstab
und Färberochsenzunge deutet, ~calla~ oder ~calsa~ nannte. Wegen
ihrer schönen Blätter und Blüten ist die Kalla bei uns häufig auf
Blumentischen als Topfzierpflanze anzutreffen, wie auch der aus
Mittelamerika stammende, viel kleinere +Blütenschweif+ (~Anthurium~)
mit dunkelgrünen Blättern und scharlachroter Kolbenscheide, der
~Dr.~ Scherzer zu Ehren, welcher sie im Hochland von Guatemala
gesammelt hatte, den Beinamen ~scherzerianum~ erhielt. Außer dieser
mittelamerikanischen Art, welche außer in Guatemala auch in Costarica
gefunden wird, werden von den etwa 200 Arten dieses Aronsgewächses aus
dem tropischen Amerika verschiedene andere in unsern Gewächshäusern
kultiviert, so ~Anthurium leuconeuron~, ~magnificum~, ~andreanum~ und
~pedato-radiatum~. Durch Bastardierung wurden mehrere neue Arten
erhalten, die prächtige, teilweise bei guter Pflege auch im Zimmer
gedeihende Blattpflanzen bilden.

Eine beliebte Zimmerpflanze ist auch die zur Familie der Asklepiadazeen
gehörende kletternde +Wachsblume+ oder +Asklepia+ (~Hoya carnosa~) aus
Ostindien und China mit glänzenden, fleischigen Blättern und großen
Dolden blaßrötlicher, oben samtartig filziger, sehr wohlriechender
Blüten, die förmlich vom ausgeschiedenen Nektar tropfen. Als zarteste
aller Schlingpflanzen wird aber in Gärten zu verschiedenen Bekleidungen
der aus Nordamerika stammende +klimmende Erdrauch+, ~Fumaria~ -- oder
(nach dem nordamerikanischen Namen) ~Adlumia~ -- ~cirrosa~ gezogen,
während die ebenfalls aus der Neuen Welt zu uns gekommene ~Cobaea
scandens~ mit anfänglich grünen, dann violetten, glockenförmigen Blumen
als reichblühendes einjähriges Schlinggewächs sehr häufig angetroffen
wird. Sie bildet in ihrer Heimat Mexiko prächtige Girlanden von einem
Strauch oder Baum zum andern. Ebenfalls aus Mexiko erhielten wir die
rot- oder violettblühende Maurandia semperflorens, die gleicherweise
zur Bekleidung von Lauben und Wänden gezogen wird. Demselben Zwecke
dient die dieser sehr ähnliche rotblühende Kletterpflanze aus Mexiko
~Lophospermum scandens~. Eine der schönsten Ampelpflanzen dagegen ist
die aus Ostasien stammende einjährige ~Torenia asiatica~ mit lang
herabhängenden Stengeln.

Schon 1753 wurde von Karl von Linné der aus Nordchina zu uns gekommene
+Doppelsporn+ (~Dicentra spectabilis~) als ~Fumaria spectabilis~
beschrieben, aber erst etwa 1848 in unsere Gärten verpflanzt. Diese
0,5-0,6 m hohe Gartenzierpflanze mit rosenroten, herzförmigen,
hängenden Blüten in schlanken Trauben erfreute sich bald großer
Beliebtheit und wurde mit verschiedenen, von ihrer Form hergenommenen
Namen, wie Jungfernherz, flammendes oder hängendes Herz, bezeichnet.
Ihre zweite botanische Benennung ~Diclytra~ ist durch einen Druckfehler
aus ~Dielytra~, was „mit doppelter Hülle“ -- wegen der Form der Blüte
-- bedeutet, entstanden. Sie gedeiht auch in Sibirien. Die 14 übrigen
Arten der Gattung wachsen in Mittel-, Nord- und Ostasien, wie auch in
Nordamerika. Aus letzterem Lande kamen die dunkelrosarote ~Dexinia
purpurea~ und ~D. formosa~ zu uns. Beide halten im Freien aus, während
die gelbblühende ~Dexinia chrysantha~ aus Kalifornien frostfrei
überwintert werden muß.

Ein wunderhübsches, außer zur Verdeckung von Mauern auch als
allerliebste Ampelpflanze gezogenes Pflänzchen ist das +Zymbelkraut+
(~Linaria cymbalaria~) -- wegen der zymbelförmigen Form der Blätter so
genannt. Es ist aus Südeuropa bei uns eingewandert, wie auch das dort
auf Felsen und altem Gemäuer wachsende +große Löwenmaul+ (~Antirrhinum
majus~) mit dichten Trauben heller oder dunkler purpurroter, seltener
weißer Blüten mit meist gelbem Gaumen. Es wird in zahlreichen
Spielarten in den verschiedensten Farbenschattierungen, auch als
Zwergform in unsern Gärten gezogen und gelangte mit den europäischen
Auswanderern nach Nordamerika, wo es heute an vielen Orten verwildert
angetroffen wird. Auch verschiedene Arten von +Fingerhut+ (~Digitalis~)
haben ihren Weg in unsere Gärten gefunden, so der purpurrötliche,
blaßgelbe und weiße.

Aus Amerika kamen die der letzteren verwandten +Gauklerblumen+
(~Mimulus~ -- Diminitivum des griechischen ~mímos~ Gaukler,
Gebärdekünstler, wegen der Form der Blumenkrone so genannt) zu uns
und sind sehr geschätzte Zierpflanzen. Die wichtigsten sind: ~Mimulus
cardinalis~ aus Kalifornien mit dunkelrot gefleckten oder gestreiften,
über der Unterlippe gelbgebarteten Blumen, ~Mimulus luteus~, vom
südwestlichen Nordamerika bis nach Chile vorkommend, mit 3 cm langen,
reingelben, bisweilen im Schlund und auf den Lappen des Saums purpurrot
punktierten oder gefleckten Blüten, ~M. moschatus~ aus Oregon, Peru und
Chile mit gelben, auf dem Gaumen gebarteten, fein braun punktierten,
nach Moschus riechenden Blumen. Außer diesen werden noch andere Arten
in vielen Varietäten und Blendlingen als Garten- und Zimmerpflanzen
kultiviert. Unter dem Namen ~Mimulus duplex~ finden sich in Gärten
Varietäten verschiedener Arten mit blumenkronenartigem Kelch, z. B. ~M.
cupreus calycanthemus~, d. h. die kupferne, kelchblumige Gauklerblume.

Auch die +Salbei+arten haben verschiedene Zierpflanzen geliefert.
Schon seit dem Altertum wurde die als Arzneipflanze und Küchengewürz
in Südeuropa auf sonnigen Bergen wildwachsende +Gartensalbei+ (~Salvia
officinalis~) in Gärten angepflanzt. Es ist dies ein bis 1 m hoher
Halbstrauch mit angenehm riechenden, grauweißlichen Blättern und
blauen, auch roten und weißen Blüten. Aus in Dalmatien gezogenen
Pflanzen gewinnt man ein gelbliches, ätherisches Öl, das verschieden
verwendet wird. Die Römer, die sie ~salvia~, d. h. Heilkraut nannten
und arzneilich wie auch die Griechen verwendeten, brachten sie über die
Alpen.

In den Verordnungen Karls des Großen über die in seinen Gärten zu
kultivierenden Pflanzen findet sich auch die Salbei, die das ganze
Mittelalter hindurch und teilweise heute noch als Küchengewürz, zu
Gurgelwasser und gegen Nachtschweiße eine wichtige Rolle spielte. Stark
betäubend riecht die ihr nahe verwandte +Muskatellersalbei+ (~Salvia
sclarea~), ein in Südeuropa und im Orient heimisches zweijähriges
Gewächs mit bläulichweißen Blüten zwischen weißen Deckblättern, das
bei uns häufig in Gärten gezogen wird und in Westdeutschland hier
und da verwildert ist. Man setzt Kraut und Blätter dem Wein zu, um
ihm Muskatellergeschmack zu geben. Mit Zucker und Hefe der Gärung
unterworfen, gewinnt man aus ihm in England den ~clary wine~. Stark
gewürzhaft riecht auch die im östlichen Mittelmeergebiet heimische
~Salvia pomifera~, ein Strauch mit graufilzigen Blättern und auf der
Unterlippe weißgefleckten Blüten. Infolge des Stiches einer Gallwespe
entstehen an ihren jungen Trieben graue, runde, fleischige Auswüchse
von 5 cm Durchmesser, die sehr angenehm gewürzhaft schmecken. Auch
geben die Stengel mit Blättern und Blüten einen in Griechenland
beliebten Tee. Viele andere Arten, wie ~Salvia coccinea~ aus Florida
mit scharlachroten Blüten in sechsblumigen Quirlen, ~S. cyaniflora~
mit dunkelkornblumenblauen, quirlständigen Blüten in fast fußlangen
Ähren, ~S. fulgens~ mit scharlachroten, 5 cm langen Blüten, beide
aus dem Süden der Union, ~S. patens~ aus Mexiko, ~S. splendens~ aus
Brasilien mit leuchtend ponceauroten Blüten und Brakteen in langen
Ähren, ~S. argentea~ vom Parnaß mit großen, langwollig weißbehaarten,
auf dem Boden liegenden Blättern u. a. werden bei uns als Zierpflanzen
kultiviert.

Hübsche Zierpflanzen lieferte die in 90 Arten im tropischen und
subtropischen Afrika heimische Labiatenfamilie ~Coleus~. Von ihr
werden eine große Zahl buntblätteriger Spielarten kultiviert, die sich
besonders von ~C. scutellarioides~ in Ostindien und dessen Formen
~pectinatus~, ~verschaffelti~, ~blumei~, ~atropurpurea~ u. a. ableiten.
Manche Sorten derselben lassen sich nur in Gewächshäusern und Zimmern
ziehen, andere dagegen können im Sommer ausgepflanzt werden.

Weiter sind von den Lippenblütigen die aus Chile stammende +buchtige
Trompetenzunge+ (~Salpiglossis sinuata~) zu nennen. Diese bis
1,3 m hohe Zierpflanze mit schönen Blüten wird in zahlreichen
Spielarten in Töpfen gezogen und in Gruppen ins freie Land verpflanzt.
Nordamerikanischen Ursprungs sind die ausdauernde ~Pentastemon
grandiflorus~ mit verschieden gefärbten, schönen Blüten in traubigen
Rispen und die +glatte Schildblume+ mit roten oder weißen, in dichten
Ähren stehenden Blumen. Die Wurzel der letzteren wirkt abführend und
wird in ihrer Heimat, wie die sehr bittern Blätter, als Heilmittel
gebraucht.

In Asien und Europa heimisch sind die häufig als Zierpflanzen in Gärten
gezogenen +Wollkräuter+, unter denen die +großblumige+ oder gemeine und
die +kleinblumige+ oder echte +Königskerze+ (~Verbascum thapsiforme~
und ~V. thapsus~) die gebräuchlichsten sind. Unter ~thápsos~ oder
~thápsia~ verstanden die alten Griechen eine zum Gelbfärben benutzte
Doldenpflanze (~Thapsia garganica~), während die Königskerze bei ihnen
~phlómos~ hieß. Der ältere Plinius sagt in seiner Naturgeschichte:
„Die Königskerze (~verbascum~) heißt bei den Griechen ~phlómos~.
Geschwollene Drüsen heilt man so damit, daß man sie, samt der Wurzel
zerstoßen, mit Wein benetzt und in das Blatt gewickelt in Asche warm
macht und sie noch warm auflegt. Es gibt Leute, die versichern aus
eigener Erfahrung, dieses Mittel wirke am besten, wenn eine Jungfrau es
nüchtern dem Nüchternen auflege, es mit der oberen Handfläche berühre
und dabei sage: ‚Apollo sagt, jedes Übel werde gehemmt, dem eine
Jungfrau entgegentritt.’ Sie muß sodann die Hand umwenden, dreimal so
sprechen, und beide müssen dreimal ausspucken.“ Auch sein Zeitgenosse
Dioskurides, der eine weiße und schwarze Königskerze (~phlómos~)
unterscheidet, sagt, daß sie gegen verschiedene Krankheiten gebraucht
werde. Die alten Griechen benutzten die wolligen Blätter mehrerer Arten
als Lampendocht oder tauchten die ganze Pflanze in Pech, um sie als
Fackel zu gebrauchen; daher der Name ~phlómos~. Der Flaum der Blätter,
der aus baumförmig verzweigten Haaren besteht, diente früher als
Zunder. Im Volksglauben der Deutschen war die Königskerze das Symbol
der Königswürde. Die Jungfrau Maria wird vielfach ihren Blütenstand,
gewöhnlich Himmelbrand genannt, in der Hand haltend dargestellt. Ihre
süßlich-schleimig schmeckenden Blüten bilden heute noch einen wichtigen
Zusatz zu allen Brustteearten und werden vom Volke zu Tee angebrüht
gegen Bronchitis und leichte Fieberanfälle gebraucht. Gleicherweise
werden die Blätter des großen +Wegerichs+ (~Plantago major~), aus denen
man Hustenzeltchen fabriziert, gegen Luftröhrenkatarrh verwendet. Von
dem auf Sandboden in Deutschland wachsenden Sandwegerich (~Plantago
arenaria~) werden die Samenschalen wegen ihres großen Schleimgehalts
von Wäscherinnen zum Stärken von Wäsche, wie auch in der Färberei und
Kattundruckerei und zur Appretur von Lodenstoffen benutzt.

Auch mehrere Arten von +Ehrenpreis+ (~Veronica~), Sommergewächse,
Stauden und immergrüne Kalthaussträucher, letztere von exotischer
Herkunft, werden als Zierpflanzen kultiviert. Die Gattung hat ihren
Namen von der frommen Frau (angeblich mit dem griechischen Namen
Berenike, woraus die mittelalterlichen Lateiner, die diese Sage
ausbildeten, Veronika machten) in Jerusalem, die Jesus auf seinem
Todesgang ihr Kopftuch zum Abtrocknen von Schweiß und Blut darreichte
und zum Lohn dafür auf dem zurückgereichten Tuch den Abdruck seines
Antlitzes erhielt.

Als alte Arzneipflanze wird auch das an allen Teilen stark gewürzhaft
riechende und schmeckende +Liebstöckel+ (~Levisticum officinale~) mit
grünlichgelben Doldenblüten in Bauerngärten angepflanzt. Es stammt
aus den Gebirgen Südeuropas, wird bis 2 m hoch und wurde schon im
Altertum in Gärten gezogen. Es hieß bei den alten Römern ~ligusticum~,
woraus sich die deutsche Bezeichnung Liebstöckel bildete. Plinius sagt
von ihm: „Das ~ligusticum~ wächst in Ligurien und hat davon den Namen.
Übrigens wird es überall in Gärten gezogen, heißt auch ~panax~ (d.
h. Allheilmittel).“ Außerdem wurde es in Südeuropa als Einmachgewürz
benutzt. Columella im 1. Jahrhundert n. Chr. sagt von ihm, daß es
nebst andern gewürzhaften Kräutern für die Küche eingemacht werde.
Karl der Große empfahl dessen Anbau in den kaiserlichen Gärten. Im
Mittelalter wurde es häufig angewandt und war damals in allen Gewürz-
und Arzneigärten angepflanzt, ist aber heute ziemlich außer Gebrauch
gekommen.

Ein ähnliches Küchengewürz und Arzneimittel war den Alten das
+Bohnenkraut+ (~Satureja hortensis~), das bei den Griechen ~thýmbra~,
bei den Römern ~satureja~ hieß. Es wurde und wird ebenfalls in Gärten
gezogen und schmeckt dann milder als die wildwachsende Pflanze. Auch
dieses Kraut ließ Karl der Große in seinen Gärten anpflanzen. Vom
Mittelalter bis heute spielte es als Bohnenkraut beim Einmachen von
Gartenbohnen eine gewisse Rolle. Wichtiger ist die +Gartenmelisse+
(~Melissa officinalis~), die ebenfalls aus Südeuropa zu uns kam
und, seit sie durch die Mönche in die mitteleuropäischen Gärten
eingeführt wurde, wegen des angenehmen Geruchs der ganzen Pflanze
als Zier- und Heilpflanze überall angebaut wird. Aus ihr wird das
in der Wirkung dem Pfefferminzöl ähnliche ätherische Melissenöl und
Melissenwasser gewonnen; außerdem ist sie der Hauptbestandteil der
~species resolventes~, d. h. des zerteilenden Tees, und des früher
berühmten, von den Karmelitermönchen als Geheimnis ausgegebenen
Karmeliterwassers. Auch sie wurde von den alten Griechen und
Römern arzneilich gebraucht; da aber unsere Gartenmelisse nur auf
den Gebirgen Südeuropas vorkommt, gebrauchten sie gewöhnlich die in
den Ebenen wachsende ~Melissa altissima~. Sie hieß bei den Griechen
~melissóphyllon~ und bei den Römern ~apiastrum~. Ebenso wurde der an
felsigen Stellen Südeuropas wachsende +Ysop+ (~Hyssopus officinalis~)
arzneilich gebraucht. Columella sagt, daß man aus ihm auch einen
Würzwein mache. Heute noch wird diese an allen Teilen stark gewürzhaft
riechende Pflanze in Bauerngärten angepflanzt.

Ein auch bei uns allgemein kultivierter, einst hochgeschätzter Strauch
ist der in Südeuropa heimische, 1-1,3 m hohe, immergrüne +gemeine
Rosmarin+ (~Rosmarinus officinalis~) mit schmalen, lederigen, am Rande
zurückgerollten, unterseits weißfilzigen, stark balsamisch-kampferartig
riechenden Blättern und blauen Lippenblüten. Die Pflanze wächst in
Griechenland und Italien wild, wird aber auch in Gärten gehalten. Bei
den alten Griechen hieß sie ~libanōtís~ (von ~líbanos~ Weihrauch,
wegen des aromatischen Geruches ihrer Blätter) und wurden mit Rosen
und Veilchen viel zu Kränzen benutzt; die Römer dagegen nannten sie
~ros marinus~ oder ~ros maris~, was wahrscheinlich aus dem griechischen
~róps~ (niedriges Gesträuch) und ~mýrinos~ (balsamisch) abzuleiten
ist. Nach Dioskurides wurde der Rosmarin auch als Arznei verwendet;
er soll nach ihm erwärmende Eigenschaften haben. Ein Grieche erzählt
in den Geoponika über die Entstehung dieses wohlriechenden Strauches:
„Es lebte einmal ein Jüngling namens Libanos, der die Götter fromm
verehrte, und den neidische Menschen eben deswegen töteten. Da aber
brachte die Erde zur Ehre der Götter eine Pflanze hervor, welche nach
dem Namen des Ermordeten ~dendrolíbanon~ (Baumweihrauch, wie der
Rosmarin außer ~libanōtís~ von den Griechen genannt wurde) genannt
wird. Die Götter freuen sich mehr, wenn man ihnen einen Kranz von
diesem Baumweihrauch (Rosmarin) weiht, als wenn man ihnen einen
solchen von Gold aufsetzt.“ Außer den Götterbildern pflegten bei den
Römern auch die Bildsäulen der Laren mit Rosmarin bekränzt zu werden.
Karl der Große empfahl, ihn in seinen Gärten zu pflanzen. Noch heute
tragen nach uralter Sitte die Landleute, die diese Pflanze stets
in ihren Gärten ziehen, bei Leichenbegängnissen statt der älteren
Zitrone einen Rosmarinzweig in der Hand. Schöne, aus Nordamerika zu
uns gebrachte, höchst aromatisch duftende, großblütige Verwandte des
Rosmarins sind die in Gärten kultivierten +Monardaarten+ (~M. dydima~
und ~M. fistulosa~), die man in ihrem Vaterlande auch als Heilmittel
gebraucht. Ihren Namen erhielten sie von dem mehrfach erwähnten
spanischen Arzt Nikolaus Monardes in Sevilla (1493-1578).

Eine uralte Heilpflanze der europäischen Völker, die früher als
Universalmittel gegen viele Krankheiten galt, ist die ebenfalls zu den
Lippenblütlern gehörende +gemeine Verbene+ (~Verbena officinalis~)
mit blauen Blüten in rispigen Ähren. Sie wächst häufig an Wegen
und Dorfstraßen und galt schon den alten Ägyptern, die sie als der
Heilgöttin Isis geweihte Pflanze betrachteten, für heilig. Unter
~verbena~, das sich bei den alten römischen Schriftstellern häufig
findet, verstanden die alten Römer allgemein ein bei sakralen
Handlungen wie Opfern, Bündnissen und Kriegserklärungen gebrauchtes
Kraut. Der alte Grammatiker Acro sagt uns darüber: „Verbenen sind
alle Pflanzen, die bei festlichen Gelegenheiten zur Bekränzung der
Altäre gebraucht werden. Das Wort hat ursprünglich ~herbenae~ (von
~herba~ Kraut) geheißen, ist aber durch veränderte Aussprache des
~h~ in ~verbenae~ übergegangen, wie man auch statt ~Heneti Veneti~
(Venetier) und statt ~hesperus vesperus~ (Abendstern) sagt.“ In diesem
Sinne sagt Horaz (65-8 v. Chr.) in der neunten Ode des vierten Buches:
„Mein Altar ist mit Verbenen geschmückt, und ein Lamm soll geopfert
werden.“ Ähnlich schreibt Vergil (70-19 v. Chr.) in seiner achten
Ecloge: „Verbrenne Verbenen und Weihrauch!“ Dazu bemerkt der um 380
n. Chr. lebende Servius: „Verbenen sind immergrüne, wohlriechende
Zweige. Andere sagen, es seien überhaupt zu heiligen Handlungen
dienende Zweige. Noch andere meinen, darunter seien vornehmlich
Ölzweige zu verstehen; andere beziehen es auf den Rosmarin. Immer
kommts aber darauf hinaus, daß es grüne Zweige sind.“ An einer
anderen Stelle sagt derselbe Servius zu Vergils Äneide Buch 12, Vers
120, wo erzählt wird, Äneas habe mit Turnus ein feierliches Bündnis
schließen wollen und dabei seien die daran Beteiligten mit ~verbena~
bekränzt gewesen: „Verbena bedeutet an sich ein heiliges Kraut (~herba
sacra~), namentlich, wie viele glauben, den Rosmarin (~rosmarinus~),
den man (mit der griechischen Bezeichnung) ~libanotis~ nennt, wenn es
nämlich von der heiligen Stelle des Kapitols genommen wurde, und die
Fetialen und der ~pater patratus~ (beides Bezeichnungen für die im
Namen des Staats dergleichen Verhandlungen führenden Priester) sich
damit bekränzten, wenn sie Bündnisse schließen oder Krieg ankündigen
wollten.“ Statt ~verbena~ wird öfter auch der Ausdruck ~sagmina~
gebraucht. So erzählt Livius in I, 24, 4, daß der römische Fetial
Marcus Valerius bei Abschließung des Bündnisses zwischen dem Könige
Tullus (Hostilius, 3. römischen König, regierte von 672-640 v. Chr.)
und den Albanern „~sagmina~, nämlich reine Kräuter“ aus der Burg
geholt habe, und daß der Fetial alsdannn den Spurius Fusius zu seinem
Gehilfen (~pater patratus~, wörtlich gevaterter Vater) erwählte,
indem er dessen Haupt und Haar mit der ~verbena~ berührte. Der ältere
Plinius sagt: „Von jeher haben sich die Römer der ~sagmina~ bedient,
wo es sich um religiöse Feierlichkeiten handelte, durch die dem Staate
aufgeholfen werden sollte, zugleich auch bedienten sie sich bei Opfern
und Gesandtschaften der ~verbenae~. Jedenfalls bedeuten beide Wörter
dasselbe, nämlich ein samt dem daran haftenden Erdballen auf der Burg
(dem Kapitol) ausgerissenes Kraut, und immer hieß einer der an die
Feinde geschickten Gesandten ~verbenarius~.“ Und Festus gibt über
~sagmen~ folgende Erklärung ab: „~Sagmina~ heißen die ~verbenae~, d.
h. reinen Pflanzen, welche an einem heiligen Orte vom Konsul, Prätor
oder von abreisenden Gesandten, welche ein Bündnis schließen oder Krieg
verkünden wollen, geholt waren.“ Nach Stellen aus Vergil und Horaz
wurden Verbenen auch bei der Venus dargebrachten Opfern gebraucht.

Zum Unterschied zu der heiligen ~verbena~ benennt Plinius unsere
gemeine Verbene (~Verbena officinalis~), die beim Volk -- wohl wegen
ihrer starken vermeintlichen Wirkung als Heil- und Zauberkraut --
+Eisenkraut+ heißt, als ~verbenaca~, während sie die Griechen als
~peristereón hýptios~ oder heilige Pflanze (~hierá botánē~) oder
Zeusohr (~Diós ēlakátē~), ~erigénion~, ~chamailýkon~, ~sideritís~,
~kurítis~, ~persephónion~, ~kallésis~, ~hippársion~ oder ~dēmétrias~
bezeichneten. Schon diese zahlreichen Benennungen beweisen uns die hohe
Achtung, die das Eisenkraut bei den Kulturvölkern am Mittelmeer genoß.
Auch bei den Kelten galt das Eisenkraut als heilig und wurde unter
feierlichem Ritual beim Opfer dargebracht. Als Zierpflanzen sind von
den 80 meist amerikanischen Arten zu nennen: ~Verbena chamaedrifolia~,
ein Halbstrauch mit leuchtend scharlachroten Blüten aus Argentinien
und Südbrasilien, der 1829 durch Pater Feuille in die europäischen
Gärten eingeführt wurde, dann ~Verbena teucrioides~ aus Brasilien mit
weißen oder rötlichen, wohlriechenden Blüten. Ihre Blendlinge mit
der vorigen Art bezeichnet man als ~Verbena hybrida~. Sie sind es,
die in unseren Gärten als Zierpflanzen gezogen werden und wichtige
Florblumen darstellen. Sie haben ähnlich den Aurikeln ein weißes Auge
und werden in allen Farben kultiviert. Auch Kreuzungen dieser mit
der argentinischen ~Verbena tenera~ sind wichtig. Die gestreiften
italienischen Spielarten stammen aus Kreuzungen von ~Verbena
pulchella~ mit ~V. incisa~, die beide ebenfalls aus Argentinien zu
uns kamen. Die Gartenverbenen sind ungemein veränderlich, doch hat man
unter ihnen auch zahlreiche samenbeständige Farbenvarietäten.

Verwandt mit diesen Gartenverbenen ist die ebenfalls südamerikanische
~Aloysia citriodora~, ein 0,6-1,2 m hoher Strauch mit nach Zitronen
riechenden Blättern, die in seiner Heimat als Heilmittel gebraucht
werden. Bei uns wird er wegen derselben in Töpfen gezogen. Ebenso ist
die ihr verwandte +duftende Volkmarie+ (so genannt nach dem Präsidenten
der Kaiserlichen Akademie, dem Naturforscher Joh. Georg Volkmar aus
Nürnberg, 1616-1693) (~Clerodendron fragrans~), eine etwas filzige
Topfpflanze aus Japan mit fast herzförmigen, gezähnten Blättern, wegen
der weißlichen oder rötlichen, wohlriechenden Blüten bei uns als
Zimmerpflanze beliebt.

Nahe verwandt mit dem Oleander, der im nächsten Abschnitte
besprochen werden soll, ist das in den Laubwäldern Europas bis nach
Norddeutschland wildwachsende +kleine Immergrün+ (~Vinca minor~),
dessen zahlreiche nichtblühende Stengel niedergestreckt und reich
beblättert sind und Wurzeln schlagen, während die blühenden aufrecht
stehen. Die Blüten sind langgestreckt, blau, bei einigen Spielarten
weiß, violett, rot, purpurn, einfach oder gefüllt. Noch schöner ist
das in allen Teilen +größere Immergrün+ (~V. major~) mit kürzern
Blütenstielen und hellblauen Blumen. Eine seiner Spielarten hat
goldgelb gezeichnete Blätter, eine Varietät, die es übrigens auch
vom kleinen Immergrün gibt. Beide Arten benutzt man vorzugsweise zur
Ausschmückung schattiger und feuchter Stellen des Gartens, wo aus
Lichtmangel keine anderen Pflanzen gedeihen, außerdem als Schmuck von
Gräbern. Alle diese Arten blühen schon vom März an bis zum Juni und oft
noch einmal im Herbst. Man vermehrt sie durch Teilung der Stöcke und
durch Ausläufer, die sich häufig schon bewurzelt finden. Eine meist in
Gewächshäusern kultivierte, ausdauernde Art der Antillen ist ~Vinca
rosea~ mit langröhrigen, dunkelrosenroten, im Schlunde purpurnen Blumen.

Ein südasiatischer Strauch ist der in Gärten Südeuropas häufig
kultivierte +Jasmin+ (~Jasminum grandiflorum~), der seinen Namen vom
persischen ~jâasman~ oder ~jasmin~ hat. Seine langen, biegsamen Äste
sind als Pfeifenröhren, namentlich in der Türkei, sehr beliebt. Die
wohlriechenden weißen Blüten waren früher als Arznei gebräuchlich,
werden jetzt aber nur noch als Parfüm, sowie zur Bereitung des in der
Parfümerie geschätzten ätherischen Jasminöls gebraucht, indem man sie
mit dem zu Pomade beliebten Behenöl von ~Moringa oleifera~ übergießt.
Ein im Orient, in Süd- und Ostasien häufig angepflanzter Zierstrauch
ist der in Ostindien heimische +arabische Jasmin+ oder +Sambac+
(~Jasminum sambac~), dessen blaße Blüten wie bei allen Nachtblumen erst
nach Sonnenuntergang einen starken Wohlgeruch aushauchen, weshalb sie
als Opfer und zum Ausstreuen in Tempeln, wie auch zum Parfümieren des
chinesischen Tees dienen. Aus ihnen wird aber ebenfalls ein ätherisches
Jasminöl und ein dem Rosenwasser ähnliches Wasser dargestellt. Mit
den orangefarbenen Blumenkronröhren färbt man in Ostindien statt des
Safrans Speisen und andere Gegenstände gelb. In derselben Weise werden
die gelben Blüten des ihm verwandten ostindischen +Trauerstrauchs+
(~Nyctanthes arbor tristis~) verwendet.

Als +wilder Jasmin+ oder +wohlriechender Pfeifenstrauch+ wird der
aus China und Japan zu uns gekommene ~Philadelphus coronarius~ mit
starkriechenden, einfachen und gefüllten, grünlichweißen Blüten und
gefüllten Blättern kultiviert und ist auch stellenweise um Dörfer
herum verwildert. Seine geraden Schosse dienen zu Pfeifenröhren
und die Blüten zum Extrahieren des Parfüms. Auch ~Philadelphus
satsumi~ aus Japan, ~P. latifolius~, ~pubescens~ und ~gordonianus~
aus Nordamerika werden in unsern Parks gezogen. Dem wohlriechenden
Pfeifenstrauch ähnliche Blüten hat der sehr ästige, 1 bis 2 m hohe
japanische Zierstrauch, die rauhblätterige +Deutzie+ (so genannt nach
dem Amsterdamer Ratsherrn Joh. Deutz, dem Förderer von Thunbergs
botanischen Reisen), ~Deutzia scabra~, die in unsern Anlagen zu finden
ist, während die dieser ähnliche, aber kleinere zierliche Deutzie (~D.
gracilis~) als frühblühende Topfpflanze bei uns beliebt ist.

Ebenfalls in Japan und im nördlichen China heimisch ist die mit
den vorigen verwandte +Hortensie+ (~Hydrangea hortensis~), ein bis
1 m hoher Strauch mit ursprünglich rosenroten Blüten in oft 30 cm
im Durchmesser haltenden Trugdolden. Die „gefüllte“, d. h. nur mit
großen, unfruchtbaren Blüten versehene Abart wurde 1788 in den
berühmten, 1730 gegründeten botanischen Garten in Kew bei London
eingeführt und erhielt ihren Namen vom englischen Botaniker Commerson,
der sie 1767 in China entdeckte, nach seiner Freundin, Frau Hortense
Lapeaute, die ihren Gemahl, der als Astronom mit ihm zusammen an der
Bougainvilleschen Expedition teilnahm, begleitete. Die einfachblühende
Form mit fruchtbaren Blüten wurde erst in neuester Zeit eingeführt. Die
rotblühende Form kann man durch Zusatz von Eisen und Alaun in eine
blaublühende verwandeln. Zu diesem Zwecke setzt man dem Wasser, mit dem
man die in Töpfen gezogene Pflanze begießt, 5 g Eisen-Ammoniakalaun auf
1 Liter Wasser oder etwas Eisenvitriol bei. Die Gärtner pflegen der
Erde schon beim Einpflanzen im August etwas Eisenfeilspäne -- etwa
15 g auf 1 Liter Erde -- beizugeben. Am besten dient hierzu eisenhaltige
Erlenbruch- oder Sumpfmoorerde; in solcher entwickelt die Hortensie
beständig blaue Blüten. Sie findet sich auch in Japan und entsteht
bei uns zuweilen von selbst. ~Hydrangea paniculata~, ein Strauch mit
weißlichen, später rötlichen, unfruchtbaren Blüten, wächst in Japan
und auf Sachalin und wird bei uns besonders in großblumigen Varietäten
als winterharter Zierstrauch angepflanzt, wie auch die weißblütige
nordamerikanische +baumartige Hortensie+ (~Hydrangea arborescens~),
die in Virginien zu Hause ist und 3 m hoch wird. Die Blätter von
~H. thunbergi~ dienen den Japanern zum Tee, der von ihnen wegen des
Wohlgeschmacks Himmelstee genannt wird.

Die +Erikazeen+ mit etwa 420 Arten wachsen in Europa besonders
im Mittelmeergebiet, am reichsten aber im Kapland, und zwar fast
ausschließlich in der Nähe der Westküste. Von den einheimischen Arten
werden außer dem Alpenheidekraut, der +fleischroten Heide+ (~Erica
carnea~), auch einige Verwandte derselben in Gärten gezogen. Den
Namen erhielt die Pflanzengattung vom griechischen ~ereíkē~, womit
von den Alten die südeuropäische +baumartige Heide+ (~Erica arborea~)
wegen ihrer brüchigen Äste (von ~ereíkein~ brechen) bezeichnet wurde.
Dioskurides schreibt in seiner Arzneimittellehre: „Die Baumheide
(~ereíkē~) ist ein buschiger Baum, der Tamariske ähnlich, aber weit
kleiner. Aus ihren Blüten holen die Bienen einen Honig, der gar nicht
beliebt ist.“ Sein Zeitgenosse, der ältere Plinius, sagt: „Erice nennen
die Griechen einen Strauch, der der Tamariske ähnlich, wie Rosmarin
gefärbt ist, fast ebensolche Blätter hat und die Schlangen verscheuchen
soll.“ Diese Baumheide wird 10 m hoch, hat kleine, fast kugelige,
in Trauben vereinigte, wohlriechende Blüten, überzieht in manchen
Gegenden Griechenlands weite Strecken und liefert namentlich den
Bienen in Attika eine Hauptnahrung; doch hat der von diesen Pflanzen
gesammelte Honig (~eríka-méli~, Heidehonig) einen eigentümlichen Geruch
zum Unterschied des beliebten und teuren, schon im Altertum berühmten
Honig des Berges Hymettos, der vorzüglich von ~Rosmarinus~ und ~Thymus
capitatus~ von Bienen gesammelt wird. Das fleisch- bis ziegelrote
maserwüchsige Wurzelholz der auf den Kanaren bis 20 m hoch werdenden
Baumheide, das besonders aus Spanien, Südfrankreich und Korsika
ausgeführt wird, wird zu Schnitz- und Dreharbeiten, besonders aber zu
Pfeifenköpfen verwendet. Außer den einheimischen werden neuerdings
besonders viele Erika-Arten vom Kap der Guten Hoffnung als Zierpflanzen
kultiviert. Sie fordern eine besondere Behandlung in den sogenannten
„Kaphäusern“ und zeichnen sich durch große Zierlichkeit aus. Ihre
mannigfach geformten Blüten zeigen das reinste Weiß, zartes Rosa,
feuriges Rot, Purpur, seltener Gelb und Grün. Winterharte europäische
Arten, wie die +Sumpfheide+ (~Erica tetralix~) und ~E. ciliaris~
aus Südwesteuropa, besonders aber ~Erica carnea~ aus Südeuropa, ein
zeitiger Frühjahrsblüher mit weißen oder roten Blüten, kultiviert man
im Garten am Rande von Gebüschen, als Einfassungen und auf Moorbeeten.
In Australien und Ozeanien sind die Erika-Arten durch die Epakridazeen
vertreten, von denen ebenfalls zahlreiche zur Zierde in unseren Gärten
gezogen werden. Manche von ihnen haben eßbare Früchte, von denen die
der ~Styphelia sapida~ am meisten geschätzt werden.

Zu den Erikazeen gehören auch die +Rhododendren+ oder +Alpenrosen+.
Wörtlich übersetzt heißt das griechische ~rhododéndron~ Rosenbaum,
wegen der rosenroten Blüten. Im Altertume verstand man unter dieser
Bezeichnung den ebenfalls rotblütigen Oleander (~Nerium oleander~).
Öfter findet man in unseren Gärten die +rostblätterige Alpenrose+
(~Rhododendron ferrugineum~), die Königin der Alpenpflanzen,
angesiedelt. Als Schneerose ist sie schon viel besungen worden und
dient den Älplern als beliebter Schmuck. Auch zieren damit die
Bergwanderer ihre Hüte. Häufiger als sie werden ausländische Arten als
Zierpflanzen in Gärten und Gewächshäusern kultiviert, so vor allem
die aus den Bergen Kleinasiens zu uns gekommene +pontische Alpenrose+
(~Rh. ponticum~) mit mattvioletten Blüten, die +kaukasische Alpenrose+
(~Rh. caucasicum~) mit großen, blaßgelben Blüten aus dem Kaukasus,
die +goldblütige Alpenrose+ (~Rh. chrysanthum~) mit goldgelben
Blüten aus Sibirien. Sehr zahlreiche baumartige Rhododendren wachsen
an den Abhängen des Himalaja, so die +baumartige Alpenrose+ (~Rh.
arboreum~), die in Höhen von 1600-3300 m vorkommt und in ihrer
Heimat, von Kaschmir bis Nepal, 6-9 m hoch wird. Sie hat große,
dunkelrote Blüten, wird aber in verschiedenen Abänderungen in den
Gärten gezogen. Die Unterfläche der Blätter dieser Art ist mit einer
süßen, zuckerartigen Masse überzogen, die bisweilen in durchsichtigen
Tropfen hinabhängt und von den Gebirgsbewohnern Indiens gegessen wird.
Die eigentliche Alpenrose des Himalaja ist aber ~Rh. dalhousianum~
(der Lady Dalhouse zu Ehren benannt), die wohlriechende, weiße oder
rosafarbene Blüten von 13 cm Umfang mit dem feinsten Aroma erzeugt,
welche ohne Unterbrechung 2-3 Monate aufeinander folgen. Sie findet
sich im Sikkim-Himalaja in einer Höhe von 1600-2600 m, während ~Rh.
nivale~ daselbst nur an der Grenze des ewigen Schnees gedeiht. Aus
Nordamerika stammen ~Rhododendron maximum~, die der pontischen gleicht,
aber höher wird, mit zart fleischroten bis fast weißen, innen gelb und
grün gefleckten Blüten und ~Rh. catawbiense~ mit dunkelroten Blüten.
Alle diese Arten wurden untereinander gekreuzt und haben sehr viele
Blendlinge geliefert, die teilweise wundervolle Blüten aufweisen und
den Stolz unserer Gewächshäuser bilden.

Ähnlich verhält es sich mit den den Rhododendren verwandten
+Azaleen+, so genannt nach dem griechischen ~azaléos~ trocken,
dürr, weil sie meist an dürren Orten wachsen. Auch sie sind wie
jene sämtlich Hochgebirgspflanzen, die in zahlreichen Spielarten
und Kreuzungsprodukten mit den Rhododendren einen wichtigen Teil
unseres Frühlingsflors ausmachen. Die 40 Arten derselben wachsen in
Nordamerika, Ostasien und eine einzige im Kaukasus. Die prachtvollsten
Sorten kamen ums Jahr 1800 aus China zu uns, unter welchen ~Azalea
indica~ mit roten Blüten, die dort seit alter Zeit als beliebte
Zierpflanze kultiviert wird, die Stammmutter der meisten Spielarten ist
und in zahlreichen Varietäten und Blendlingen in unsern Kalthäusern
kultiviert wird. Sie ist wahrscheinlich auf vier Arten zurückzuführen
und wird in bezug auf Blütenreichtum, Glanz und Farbenpracht der Blumen
von keiner anderen Pflanzengattung übertroffen. Alle von der indischen
Art abstammenden Azaleen haben meist 10 Staubgefäße und bleibende
Blätter, weshalb sie auch zur Familie der Rhododendren gezählt werden.
Alle übrigen, die pontischen, japanischen und amerikanischen Arten
haben nur 5 Staubgefäße und abfallende Blätter. Die ersteren erfrieren
bei uns im Freien, können also nur in Kalthäusern gezogen werden,
während letztere unsere Winter im allgemeinen ertragen und mit nur
leichtem Schutz im Freien ausdauern. Am frühesten, nämlich schon seit
1793, wurde bei uns die in den Gebirgen des nördlichen Kleinasien
heimische +pontische Azalee+ (~A. pontica~) eingeführt. Es ist dies ein
1-2 m hoher Strauch mit großen, goldgelben, wohlriechenden Blüten.
Der Nektar ihrer Blüten ist sehr stark narkotisch, so daß der von ihm
gesammelte Honig betäubt und selbst Raserei zur Folge hat, wie schon
die zehntausend Griechen, die unter Xenophons Führung im Jahre 400
v. Chr. den berühmten Rückzug aus Mesopotamien über das armenische
Hochland nach Trapezunt am Schwarzen Meere machten, an sich erfuhren.
Außer ihr werden bei uns im Freien meist die amerikanischen Arten:
~Azalea punicea~, ~mucronata~, ~amoena~, ~calendulacea~, ~arborescens~
und ~viscosa~, wie auch deren Kreuzungsprodukte gezogen.

Ein anderer, wegen seiner wundervollen Blüten bei uns als Topfpflanze,
aber schon in wärmeren Lagen Norditaliens und Südfrankreichs im
Freien gezogener Zierstrauch, der aus Ostasien zu uns kam, ist die
+Camellie+ oder +japanische Rose+. Diese mit den Teegewächsen die
Familie der Ternströmiazeen (nach dem Schweden C. Ternström, der
China durchforschen wollte, aber 1745 vor Erreichung dieses Zieles
starb, so genannt) bildende Pflanze erhielt nach dem Abbé Berlese in
Paris, dem Verfasser einer Monographie der Camellien, ihren Namen von
Karl von Linné nach dem Jesuiten Georg Josef Kamell (~Camellius~),
der als gelernter Apotheker in Manilla auf den Philippinen 1639
allerlei Pflanzen, die medizinisch von Wichtigkeit sein könnten,
sammelte. Die Camellien sind dem Teestrauche ähnliche Sträucher im
Himalaja, in Cochinchina, China und Japan. Die prächtigste Art ist
die ~Camellia~ (oder ~Thea~) ~japonica~, ein 12-15 m hoher Strauch
mit lederartigen, immergrünen Blättern und reichlich erscheinenden,
endständigen, stiellosen, großen, roten Blüten, die sich leicht füllen.
Sie wird in Japan in Hecken und in China als Zierpflanze angebaut.
Aus ihren braunen Samen wird dort ein dem Olivenöl ähnliches Öl
gepreßt, das als Heilmittel und zum Hausgebrauch benutzt wird. Sie
wurde 1739 von Lord Petre von Japan nach England gebracht und hier mit
der erst gegen das Ende des 18. Jahrhunderts in Europa eingeführten
chinesischen Art vielfach gekreuzt. Man zieht heute von ihr mehrere
hundert prachtvolle Varietäten mit roten, rosenroten, weißen und
weißgestreiften, gesprenkelten oder gefleckten Blüten. Sie blühen bei
uns in Gewächshäusern von Februar bis April, doch bringt man viele
Sorten durch künstliches Antreiben schon im Oktober und November zur
Blüte. Bei sorgfältiger Pflege gedeiht sie auch im Zimmer, erträgt
aber sehr schlecht einen Wechsel des Standortes, da in solchem Falle
die Blüten regelmäßig abfallen. Die in China und Japan einheimische,
in letzterem Lande ~sasankua~ genannte kleinere, zartere Verwandte,
~Camellia sasankua~ mit stumpferen, weicheren Blättern und kleineren
Blüten, wird in ihrer Heimat häufig kultiviert. Nicht nur werden ihre
wohlriechenden, weißen Blüten vielfach dem chinesischen Tee beigemengt,
um ihn zu parfümieren, sondern auch die getrockneten Blätter unter die
Teeblätter gemischt, desgleichen für sich allein als Tee benutzt. Mit
einer Abkochung derselben waschen die Japanerinnen ihr Haar, und aus
den Samen gewinnt man ein geschätztes, wohlriechendes Öl. In Nepal
wird ~Camellia kissi~ mit stark wohlriechenden Blüten ebenfalls als
Teesurrogat verwendet und liefert aus den Samen ein gutes Öl. Nach den
japanischen Camellien gelangte dann auch aus China die reichblühende
~Camellia reticulata~ mit breiten Blättern und großen Blüten zu uns und
lieferte durch Kreuzung mit jenen zahlreiche Blendlinge mit schönen,
bunten Blüten.

Unter den Nachtschattengewächsen sind einige +Stechapfel+arten als
Zierpflanzen von Bedeutung, so die ~Datura metel~ mit nachts sich
öffnenden zarten, weißen, fast wie Lilien riechenden Blüten. Sie wächst
im Mittelmeergebiet, in Afrika und Südasien und wird in Indien, Persien
und Arabien zur Bereitung von Berauschungsmitteln mit Haschisch,
Opium und Gewürzen verwendet. ~Datura fastuosa~ (d. h. die schöne,
stolze) mit großen, weißen, bisweilen außen violetten, auch gefüllten,
wohlriechenden Blüten in Ost- und Südasien, dem malaiischen Archipel
und dem tropischen Afrika wird in Indien und China wie der Stechapfel
bei uns benutzt und als Zierpflanze kultiviert. Sie wird auch bei uns
in Töpfen gezogen, muß aber frostfrei überwintert werden. Gleicherweise
ist dies mit ~Datura suaveolens~ (d. h. der angenehm riechenden) und
der 3-4 m hohen ~D. arborea~ (d. h. der baumartigen) der Fall, die
beide in Chile und Peru heimisch sind und große, hängende, weiße,
besonders gegen Abend wohlriechende Blüten besitzen. Ebensolche
hängende, große, aber statt weiße von der Basis bis zur Mitte gelbe, in
der oberen Hälfte jedoch mattrote, mit blutroten Streifen durchzogene
Blüten weist die ebenfalls strauch- oder baumartige ~D. sanguinea~
in Peru auf. Aus deren Blüten bereiteten sich die Peruaner, wie wir
bereits erfuhren, einen berauschenden Trank, den einst die Priester des
Sonnentempels in Sagamossa, dem peruanischen Orakelsitze, tranken, um
sich mit den Geistern der Verstorbenen in Verbindung zu setzen. Deshalb
wird die Pflanze heute noch von den Peruanern ~yerba de huaca~, d. h.
Gräberpflanze, genannt. Von Nachtschattengewächsen werden auch manche
Arten des +Tabaks+ als Zierpflanzen kultiviert, so ~Nicotiana tabacum
var. purpurea latissima~ und die 3 m hoch werdende ~N. glauca~ aus
Mexiko, ferner ~N. longiflora~ und ~affinis~, letztere mit großen,
wohlriechenden Blüten, beide aus Chile, die gewaltige ~N. tomentosa~
aus Peru und die ~N. wigandioides~ mit 1 m langen und 60 cm breiten
Blättern aus Venezuela.

Ebenfalls südamerikanischer Herkunft sind die bei uns als
Gartenzierpflanzen so beliebten +Fuchsien+, die nach dem von Karl V.
geadelten Schwaben Leonhard Fuchs (1501-1565) so genannt wurden. Dieser
war zuerst Schullehrer in seinem Geburtsorte Wemding in Schwaben,
erwarb sich dann als Arzt und Botaniker großen Ruf und starb als
Professor der Medizin in Tübingen. Neben Otto Brunsfeld und Hieronymus
Bock (genannt Tragus) war er der Begründer der vaterländischen
Pflanzenkunde und gab die damals besten Pflanzenabbildungen heraus.
Sein in Basel gedrucktes New Kreuterbuch besaß einst großes Ansehen,
so daß es noch 1643 neu aufgelegt wurde. Die Fuchsien sind Sträucher
oder kleine Bäume mit vorherrschend roten Blüten mit gefärbtem Kelch,
vier Blumenblättern und kleinen, fleischigen, vielsamigen, dunklen
Beeren. Über 60 Arten derselben finden sich in den Gebirgen von Mexiko
bis zum Süden von Chile in Höhen von 1000-3000 m, wenige auf den
Antillen, in Guiana und Brasilien, auch in Neuseeland. Der französische
Botaniker Charles Plumier beschrieb 1703 die erste Fuchsia, die als
~F. coccinea~ 1788 in die europäischen Gärten eingeführt wurde.
Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts sind mehrere Arten in Kultur,
und gegenwärtig zählt man mehr als 800 Hybriden und Spielarten
derselben. Die hauptsächlichsten Stammeltern der jetzigen Fuchsien
sind außer ~F. coccinea~ mit dünnen, purpurrötlichen Ästen, kleinen
Blüten mit scharlachrotem Kelch, violettblauer Blumenkrone und lang
hervorragenden Staubfäden ~F. fulgens~ mit mennigroten, ~F. globosa~
mit prächtigen, scharlachroten und ~F. gracilis~ mit kleineren, aber
sehr zahlreichen, karminroten Blüten -- alle drei aus Mexiko -- und ~F.
corymbiflora~ aus Peru mit 13 cm langen Blüten mit karminrotem Kelch
und scharlachroter Blumenkrone. Lange Zeit war die Größe der Blume die
geschätzteste Eigenschaft dieser beinahe prächtigsten Blütenpflanzen
der Gewächshäuser, dann kamen die Sorten mit weißlicher Kelchröhre und
gefärbter Blumenkrone, später gestreiftblumige Sorten, darauf gefüllte
und fast gleichzeitig Fuchsien mit sehr dunkler Blumenkrone und
zurückgeschlagenen Kelchblättern, endlich die Sorten mit roten Kelchen
und weißer Blumenkrone auf. Bemerkenswert sind noch ~F. serratifolia~
aus Peru mit dunkelroten Ästen und roten Blüten, die in unserem Winter
-- dem Sommer ihrer Heimat -- erscheinen, und ~F. microphylla~ aus
Mexiko mit sehr kleinen Blättern und Blüten. Die Beeren mehrerer Arten
werden in Südamerika, mit Zucker eingemacht, gegessen, von andern dient
das Holz zum Schwarzfärben. Die Fuchsien wachsen leicht und willig,
blühen sehr reichlich und gedeihen am besten, wenn man sie an einem
luftigen, kühlen, nur eben frostfreien, wenn möglich etwas hellen Raum
bei spärlichster Bewässerung überwintert.

Nahe verwandt mit den Fuchsien sind die +Weidenröschen+ (~Epilobium~),
deren großblütige Formen als Zierpflanzen in den Gärten gezogen
werden, wie auch die bis 1 m hohe +gemeine Nachtkerze+ (~Oenothera
biennis~), deren schwefelgelbe Blüten sich abends öffnen und am
folgenden Morgen welken. Sie wächst bei uns auch wild auf feuchtem
Sandboden an Flußufern, stammt aus Virginien in Nordamerika und soll
sich seit 1614 von Padua aus über Europa als Zierpflanze verbreitet
haben. Durch große, wohlriechende, gelbe, abends zwischen 7 und 8 Uhr
sich erschließende Blüten ist ~Oenothera grandiflora~ ausgezeichnet,
die wie die vorige auch kultiviert wird, um deren rötliche, in der
Farbe Schinken ähnliche Wurzeln in Scheiben geschnitten im Winter wie
Sellerie als Salat oder auch mit Fleischbrühe als Gemüse zu essen.

Wie in Peru und Chile die leuchtend rotgelben Amaryllideen, sind
dort auch die meist violett getüpfelten +Gauklerblumen+ (~Mimulus~),
von denen bereits die Rede war, zu Hause. Von dort stammen auch
die +Pantoffelblumen+ (~Calceolaria~), deren prächtig gelbe oder
orangefarbene Blütenbüschel die Felsabhänge an den Füßen der
Kordilleren schmücken. Sie gehören mit dem Fingerhut in die Familie
der Scrophulariazeen und weisen 134 Arten vorzugsweise auf den Anden
Südamerikas, in Peru und Chile, einzelne bis Mexiko und zwei in
Neuseeland auf. In Chile speziell sind sie in fast 70 Arten bekannt und
haben sich den verschiedenartigsten Lebensverhältnissen in Gebirg und
Ebene angepaßt. O. Bürger schreibt über sie: „Die weithin leuchtenden
großen, vollen Blütenbüschel der in Peru und Chile beheimateten
Pantoffelblumen (~Calceolaria~) tragen wie wenig andere Pflanzen
zum Schmuck der chilenischen Landschaft bei: am Rande der Bäche, an
den Felsen und Hängen, welche die Wege begleiten, auf den heißen
Steinhalden oder auch zwischen dem trockenen Geröll der Flußläufe,
wo kaum ein Halm sprießt, haben sie Wurzel gefaßt. Und es ist ein
farbenfreudiges Geschlecht. Freilich in der großen Mehrzahl bevorzugen
sie Gelb oder Orange, aber andere glänzen mit purpurnen und noch andere
mit weißen Pantöffelchen, wie aus Atlas. Bei den Eingeborenen sind
sie sehr beliebt und sie sammeln große Sträuße der ~topatopa~ oder
~capachito~, wie sie in ihrer Sprache heißen, um das Zimmer damit zu
schmücken. Leider verwelken sie aber sehr rasch.“

Ebenfalls im tropischen Amerika heimisch sind die +Gloxinien+, deren
wundervolle, farbenprächtige Blüten die Zierde unserer Gewächshäuser
bilden. Diese Gattung aus der Familie der Gesnerazeen hat ihren Namen
nach dem Straßburger Botaniker P. B. Gloxin, der 1785 botanische
Beobachtungen veröffentlichte, und besteht aus ausdauernden Kräutern
mit knollenartigem Wurzelstock, saftigem Stengel, gegenständigen,
einfachen Blättern, einzeln oder gebüschelt stehenden, großen,
langgestielten, glockenförmigen Blüten mit ausgebreitetem, ungleich
fünflappigem Saum. Die sechs Arten sind von Mexiko bis Brasilien und
Peru zu Hause. Von ihnen werden vorzugsweise die ~Gloxinia speciosa~
von Brasilien und Hybriden von dieser und ~Gloxinia maculata~ mit
aufrechten, horizontalen oder hängenden, vielfach im Innern getüpfelten
blauen, roten oder weißen Blüten aus Brasilien kultiviert. Diese
prachtvollsten aller Florblumen gedeihen aber auch gut im Zimmer.
Zum Winter ziehen sie ein und die Knollen können trocken aufbewahrt
werden. Jedes Blatt entwickelt an dem der Quere nach abgeschnittenen
Blattstiel, aber auch, wenn man es auf Erde befestigt, an allen
durchschnittenen Blattnerven Knöllchen, so daß man von einem großen
Blatt deren fünfzig erzeugen kann. Übrigens werden unter dem Namen
Gloxinien auch zahlreiche Formen und Farbenspielarten der brasilischen
~Sinningia speciosa~, auch Kreuzungen derselben mit den eigentlichen
Gloxinien, bei uns kultiviert.

Gleicherweise südamerikanischen Ursprungs sind die +Petunien+, nach
~petun~, der brasilianischen Bezeichnung für den nahe mit ihnen
verwandten Tabak, mit dem man diese Pflanzenart wegen der Ähnlichkeit
der Blätter verwechselte, so genannt. Diese Gattung der Solanazeen
oder Nachtschattengewächse umfaßt mit klebrigen Drüsenhaaren besetzte
niedere Kräuter mit großen, vielfarbigen Blüten und vielsamigen
Kapseln. Die 14 Arten kommen ausschließlich in Südamerika, speziell
in Südbrasilien und Argentinien vor und wurden erst seit 1824 in
Europa bekannt. Durch Kreuzung von ~Petunia nyctaginiflora~, einem
Sommergewächs im Gebiete des La Platastromes mit weißen, und von
~Petunia violacea~, einem Sommergewächs in Argentinien, Montevideo und
Chile mit leuchtend dunkelkarminroten, im Schlund schwarzvioletten,
gestreiften Blüten hat man eine Menge schöner, auch gefüllter
Varietäten und Blendlinge (~Petunia hybrida~, ~P. grandiflora~)
erzeugt, die sich vorzüglich zur Bepflanzung von Gruppen auf
Rasenflächen, auch zur Kultur in Töpfen eignen und häufig zu sehen sind.

Weiter hat uns Südamerika mit der +spanischen+ oder +Kapuzinerkresse+
(~Tropaeolum~) beschenkt. Von den 35 ausschließlich dort vorkommenden
Arten dieser Gattung brachten die Spanier zuerst ~Tropaeolum minus~
1575 aus Peru nach Spanien, während die größere Art, ~Tropaeolum
majus~, erst 1684 von dorther nach der Iberischen Halbinsel kam,
von wo aus sie schon 1686 nach England gelangte. Alte Berichte tun
uns kund, wie groß das Entzücken der Blumenfreunde jener Zeit über
die Einführung dieser schönen, reich blühenden und anspruchslosen
einjährigen Staudenpflanzen war. Besonders ~Tropaeolum majus~ findet
sich jetzt als eine der gemeinsten Florblumen in zahlreichen Varietäten
in unseren Gärten. Am meist kletternden Stengel finden sich bei ihr
schildförmige Blätter und große, gelbe, orange- bis purpurbraune
Blüten, die geruchlos sind. Doch riecht und schmeckt die ganze Pflanze
durch ein ätherisches Öl kressenartig, was ihr zu ihrem Namen verhalf.
Sie wird als Salat gegessen; die Blütenknospen und die unreifen Früchte
werden auch in Essig und Salz eingelegt und wie Kapern gebraucht. Daher
wird sie oft „unechte Kaper“ genannt. Durch Kreuzung dieser Art mit
dem ähnlichen ~Tropaeolum minus~ werden zahlreiche Varietäten, auch
Zwergformen, gewonnen. ~Tropaeolum tuberosum~ mit knolligem Wurzelstock
und vierlappigen Blättern wird in ihrer Heimat Peru der genießbaren
Knollen wegen kultiviert und gedeiht auch bei uns. ~Tropaeolum
lobbianum~ aus Kolumbien mit leuchtend kapuzinerroten Blüten klettert
3-4 m hoch, dauert in Gewächshäusern aus und blüht dort auch im
Winter. ~Tropaeolum pentaphyllum~ aus Montevideo hat scharlachrote
Blüten mit spitzen, grünen Kelchzipfeln und hält bei uns im Freien
aus. Die kletternde +Kanarienvogelrebe+ (~Tropaeolum aduncum~) mit
schwefelgelben Blüten und zerschlitzten Blumenblättern eignet sich
besonders zur Bekleidung hoher Wände.

Wie die Kapuzinerkresse stammt auch die +Feuerbohne+ (~Phaseolus
multiflorus~) mit feuerroten bis weißen Blüten aus Peru, wo sie
schon von den Inkas zur Gewinnung der Samen als Speise kultiviert
wurde. Wie die Samen der gemeinen Schminkbohne fanden sie sich als
Totenbeigabe in den Gräbern der Peruaner. Bei uns wird sie nicht
sowohl als Nutz-, sondern vorwiegend als Zierpflanze kultiviert und
dient vorzugsweise zum Hinaufspinnen und zum Bekleiden von Lauben. Der
französische Arzt und Botaniker Clusius (Charles de l’Ecluse, geb.
1526 in Arras, 1573-1587 Hofbotaniker in Wien, seit 1593 Professor der
Botanik in Leiden, wo er 1609 starb) sah die Feuerbohne mit purpurnen
Blüten zuerst 1564 in einem Kloster zu Lissabon und bekam dort auch
Feuerbohnensamen aus Brasilien zum Geschenk. Diese brachte er nach der
Rückkehr in seiner Heimat zum Wachsen; sie blühten blaßrot. Die daraus
erzielten Samen schenkte er an Freunde weiter, die sie wiederum als
interessante Novität in ihren Gärten pflanzten. So verbreitete sich
diese schönblühende Kletterpflanze wie die übrigen südamerikanischen
Eßbohnenarten als „welsche“ (spanische) oder „Stangenbohnen“ immer
weiter unter den Völkern Europas.

Rein amerikanische Bäume und Sträucher mit ansehnlichen Blüten in
rispigen Blütenständen sind die +Jasmintrompeten+ (~Tecoma~), eine
Gattung der Bignoniazeen, die von Mexiko bis Argentinien, zumeist
aber in Brasilien heimisch ist. Ihnen nahe verwandt sind die beiden
kletternden Campsisarten, von denen ~C. radicans~ mit scharlachroten
Blüten den östlichen Vereinigten Staaten von Illinois bis Florida
und ~C. grandiflora~ mit größeren, mattfarbigen Blüten aus Japan bei
uns an warmen Mauern angepflanzt werden. In Mittel- und Südamerika,
besonders auf den Berghöhen Chiles und Perus wachsen die 81 Arten
Loasa, von denen ~L. lateritia~ mit gelbroten Blüten aus Chile bei uns
in Gärten, an Lauben usw. kultiviert wird. ~L. urens~ mit gelben Blüten
stammt aus Peru, ist einjährig und wird in ähnlicher Weise verwendet.
Im westlichen Nord- und Südamerika dagegen, besonders in Kalifornien,
sind die in etwa 20 Arten vorkommenden +Godetien+ heimisch. Es
sind einjährige Pflanzen mit großen, roten oder weißen Blüten in
beblätterten Trauben oder Ähren. Mehrere Arten derselben, wie besonders
~Godetia amoena~, ~romanzowii~ und ~whitneyi~ werden in verschiedenen
Varietäten als Zierpflanzen kultiviert.

In Peru und Ekuador ist der +Vanillenheliotrop+ (~Heliotropium
peruvianum~) heimisch, ein bis 2 m hoher Zierstrauch, der wegen
des köstlichen Vanillegeruchs seiner Blüten sehr beliebt ist und
in mehreren Spielarten mit weißen, hell- oder dunkelblauen Blüten
kultiviert wird. In Südfrankreich bereitet man aus seinen Blüten
die für die Parfümerie wichtige Heliotropessenz, doch wird der
Heliotropgeruch sehr oft auch durch Mischung von Vanille mit
Orangenblüten, Rosen und Bittermandelöl, ebenso mit Piperonal
nachgeahmt. Außer ihm wird das ebenfalls südamerikanische
~Heliotropium corymbosum~ mit größeren Blättern und dunkleren,
narzissenhaft duftenden Blüten in unseren Gärten kultiviert. Der mit
dem Vanillenheliotrop sehr nahe verwandte, ebenfalls in Südamerika
heimische Strauch ~Tournefortia heliotropioides~ dagegen wird in
Treibhäusern gezogen.

Ebenfalls südamerikanischer Herkunft sind die +Passionsblumen+
(~Passiflora~), die in etwa 250 Arten in ihrer Heimat den Schmuck
der Wälder bilden. Sie klettern dort von Baum zu Baum und entfalten
dabei ihre schönen, vielfach wohlriechenden Blüten, die meist angenehm
schmeckende Früchte hervorgehen lassen. Die erste Passionsblume,
die nach Europa kam, war die fleischfarbige ~Passiflora incarnata~,
die ein Jesuit 1609 nach Bologna brachte. Im Jahre 1625 kam sie
nebst der weißen ~P. coerulea~ mit blauem Fadenkranz unter dem Namen
„amerikanische Clematis“ nach Rom. In einem 1633 erschienenen Buch:
~de florum cultura~ gab ihr der 1653 in Siena verstorbene Jesuit J.
B. Ferrari den Namen ~Passiflora~, indem er die Blütenteile der ~P.
coerulea~ mit den Marterwerkzeugen Christi verglich. Die drei Narben
sollten die Nägel, mit der die Kreuzigung vorgenommen wurde, der
rotbesprengte Fadenkranz die Dornenkrone, der gestielte Fruchtknoten
den Kelch, die fünf Staubbeutel die Wunden, die dreilappigen Blätter
die Lanze, die Ranken die Geißeln, die weiße Farbe der Blumenblätter
die Unschuld des Erlösers darstellen. Daß die fromme Einbildungskraft
in den verschiedenen Teilen der seltsamen Blüte die Attribute des
Leidens Christi dargestellt fand, machte diese Zierpflanze im
katholischen Südeuropa, wo sie gut fortkam, bald so populär, daß sie
hier, wie in ihrer Heimat Peru und Brasilien, viel gepflanzt wurde,
um so mehr, da sie 5 cm lange, eiförmige, orangegelbe, eßbare
Beeren lieferte. Als eigentliche Fruchtpflanze wird in Südamerika die
+vierkantige Passionsblume+ (~P. quadrangularis~) wie der Weinstock an
Spalieren gezogen. Ihre 11 cm im Durchmesser haltenden, vanilleartig
riechenden Blüten mit weißen, purpurn und violett gescheckten
Blumenblättern lassen gänseeigroße, rötliche Früchte hervorgehen, deren
breiiges, süßliches Fruchtmark gerne gegessen, als Heilmittel und zur
Herstellung von wohlschmeckenden Getränken verwendet wird. Wegen der
Ähnlichkeit der Früchte mit Granaten wird diese, wie überhaupt alle
Passionsblumen, im Spanischen ~granadilla~ genannt. Noch größere,
ebenfalls häufig gegessene purpurne Früchte hat die +eßbare Granadilla+
(~P. edulis~) in Peru.

Ausschließlich amerikanisch sind auch die den Myrten verwandten 157
+Cuphea+arten, von denen mehrere bei uns als Zierpflanzen kultiviert
werden. Aus Mexiko stammen die 0,5 m hohe ~Cuphea silenoídes~, eine
der schönsten Gartenpflanzen, und ~C. platycentra~ mit scharlachroten,
röhrenförmigen Blüten. Von dorther stammt auch die unseren
Steinbrechen verwandte ~Echeveria metallica~ mit sehr großen, runden,
schön metallisch gefärbten Blüten, die in Gärten zu Einfassungen und
Teppichbeeten sehr beliebt ist, wie auch ~Cotyledon gibbiflora~ und
~secunda~ mit prächtigen, roten Blüten. Ihnen nahe verwandt sind die
als Topfzierpflanzen bei uns gehaltenen ~Crassula coccinea~ mit großen,
scharlachroten, wohlriechenden Blüten, und ~C. arborescens~, beide vom
Kap der Guten Hoffnung.

Von Kalifornien bis Mexiko wachsen in 10 Arten die zu den Mohngewächsen
gehörenden +Eschscholzien+, so genannt nach dem 1793 in Dorpat
geborenen und 1831 als Professor der Medizin gestorbenen Joh.
Friedr. Eschscholtz, der 1815 und 1823 Kotzebue als Arzt auf dessen
Entdeckungsreisen begleitete. Diese dem Mohn verwandten Pflanzen sind
durch einen verwachsenblätterigen Kelch ausgezeichnet, der, über seinem
Grunde umschnitten, in Form einer geschnäbelten Mütze abfällt. Häufig
findet man in unseren Gärten die 30 cm hohe ~E. californica~ mit
großen, glänzendgelben, im Grunde orangefarbigen Blüten; sie ist sehr
dankbar, vom Sommer bis in den Herbst blühend und ausdauernd, erfriert
zwar bei uns, sät sich aber von selbst aus und verbreitet sich dabei
sehr leicht. Sie enthält mehrere Alkaloide und wird in ihrer Heimat als
schlafmachendes und schmerzstillendes Mittel benutzt.

Eine Amerikanerin ist auch die bei uns beliebte +Flammenblume+
(~Phlox~, wegen der leuchtenden Blüten so, d. h. Flammenfeuer,
genannt). Von den 30 nordamerikanischen Arten werden mehrere wegen
ihrer schönen, vorherrschend roten Blüten in zahlreichen Spielarten
und Blendlingen als eine Hauptzierde unserer Gärten kultiviert. ~Phlox
drummondi~ (nach dem englischen Naturforscher James L. Drummond, der
1826 Nordamerika bereiste und 1835 auf Kuba starb, so genannt) aus
Texas mit lilafarbigen, am Schlunde dunkelpurpurrot gefleckten, auch
hell- und dunkelpurpurroten oder rosenroten und weißen Blüten ist
einjährig, und wurde 1835 von Drummond im Garten von Kew bei London
eingeführt, von wo aus sie bald nach dem Kontinent verbreitet wurde und
hier überall willige Aufnahme fand, da sie reich blüht, ausdauernd und
winterhart ist. Dieselben Vorzüge besitzt der 1 m hohe +Staudenphlox+
(~Ph. paniculata~) aus Nordamerika mit ursprünglich hellilafarbenen
Blüten in großen Doldentrauben. Er wird wie die ebenso hohe ~Ph.
divaricata~ und die übrigen Phloxarten in vielen Varietäten in den
prächtigsten Farben und Zeichnungen, auch in wohlriechenden Formen
gezogen. Unter ihnen eignen sich die niedrigen ~Phlox procumbens~ und
~reptans~ besonders zu Einfassungen.

Eine einjährige, 30-60 cm hohe Zierpflanze unserer Gärten aus
dem westlichen Nordamerika, die auch bei uns verwilderte, ist die
+großblütige Collomie+ (~Collomia grandiflora~) mit rötlichen
Blüten. Eine ebenso beliebte nordamerikanische Zierpflanze ist
das ausgezeichnete +Hainschönchen+ (~Nemophila insignis~) mit
kornblumenblauen, seltener weißen Blüten aus Kalifornien, während die
ihr nahe verwandte +himmelblaue Wasserwinde+ (~Hydrolea azurea~) eine
hübsche, kleine Treibhauspflanze aus Mexiko ist.

Verwandt mit dem südamerikanischen Chinabaum sind die +Bouvardien+,
kleinwüchsige Sträucher oder Kräuter mit präsentiertellerförmigen,
weißen, gelbroten oder roten, besonders am Abend sehr wohlriechenden
Blüten. Mehrere von den in Mexiko und Mittelamerika heimischen Arten
werden als Garten- und Zimmerpflanzen kultiviert, so besonders die
+langblütige Bouvardia+ (~B. longiflora~) mit langen, weißen, abends
herrlich duftenden Blüten, die in ihrer Heimat Zentralamerika als Flor
de San Juan (d. h. Johannesblume) sehr beliebt ist.

Aronsgewächse des tropischen Südamerika sind die +Caladium+arten,
von denen ~Caladium bicolor~ aus dem Gebiet des Amazonenstromes mit
pfeilförmigen Blättern, die einen großen rötlichen Fleck in der Mitte
aufweisen, und ~C. picturatum~ nebst deren Hybriden die zahlreichen
buntblätterigen Caladien lieferten, die als Zierpflanzen in Warmhäusern
gezogen werden. Im entwickelten Zustande halten sie bei guter Pflege
einige Zeit im Zimmer aus. Alle 10 Arten haben scharfschmeckende
Blätter und Knollen, wegen der letzteren werden manche Arten in ihrer
Heimat als Nährpflanzen kultiviert. Besonders zahlreich ist auch die
Pfeffergattung ~Peperomia~ in Amerika vertreten. Von ~P. scandens~ von
Peru bis zu den Antillen, ~P. elliptica~ auf den Maskarenen, östlich
von Madagaskar, und ~P. maculosa~ in Peru und auf San Domingo werden
die scharfschmeckenden Blätter wie Betel gekaut. Mehrere Arten, wie
~P. marmorata~ und ~P. arifolia~, kultiviert man als Blattpflanzen im
Warmhaus und Zimmer.

Eine ausschließlich amerikanische Pflanzengruppe sind endlich auch
die +Kakteen+, dickfleischige Gewächse, die wegen ihrer wunderlichen
Gestalt und schönen Blumen sich in der Gegenwart bei uns besonderer
Beliebtheit erfreuen. Sie sind Produkte der Anpassung der Pflanze an
die regenarme Wüste, Erzeugnisse der heißglühenden Sonne in einem
fast niederschlagsfreien Gebiet, wo mit jedem Tropfen Wasser gegeizt
werden muß. Ihr ganzer Leib besteht aus dem zu einem Wasserreservoir
verdickten Stengel, an welchem die Blätter zu spitzen Stacheln
geworden sind, die manchmal sich auch zu weißen, lufthaltigen
Haaren verdünnen wie beim Greisenhaupt. Neben der wechselvollen, an
Monstruositäten reichen Körperform liegt ein Hauptreiz der Kakteen in
ihren wundervollen Blüten, die es an Schönheit mit jeder andern im
Pflanzenreiche aufnehmen können. Während manche Kakteen nur selten
und erst im hohen Alter blühen, zeichnen sich andere durch einen
stattlichen Blütenflor aus. Besonders große und schöne Blumen treffen
wir bei den Säulenkakteen, namentlich bei denjenigen, die am Gestein
emporklettern; unter ihnen ist ja die „Königin der Nacht“ durch ihre
herrlichen, fein duftenden, leider nur eine Nacht über offenen Blüten
berühmt. Auch die zarten, köstlichen Blüten der andern Kakteen, die
bei den Säulenkakteen, Fackeldisteln und Igelkakteen meist weiß, bei
andern gelb und bei den Phyllokakteen in allen Nuancen von Rot gefärbt
sind, dauern oft nur wenige Stunden und im besten Falle einige Tage,
im Gegensatz zu den oft viele Wochen ausdauernden Orchideenblüten. Bei
einzelnen Arten, wie etwa bei ~Echinopsis eyriesii~, ist der Vorgang
des Blühens ein so kurzer, daß sich das Entfalten und Verwelken der
Blüten geradezu mit den Augen verfolgen läßt. Doch haben es die
Kakteenzüchter in neuerer Zeit verstanden, durch Kreuzbefruchtung
von rasch verblühenden Arten mit den länger blühenden Phyllokakteen
herrliche Bastarde, sogenannte Hybriden, zu erlangen, die zu den
hervorragendsten Blütenpflanzen überhaupt gehören, so z. B. den
herrlichen ~Phyllocactus pfersdorffii~.

Weil durchweg alle Kakteen in Verbindung mit großer Anspruchslosigkeit
eine außerordentliche Lebensfähigkeit besitzen, eignen sie sich ganz
besonders zur Zimmerkultur, wie sie bei uns gewöhnlich betrieben
wird. Deshalb werden in Europa zahlreiche Vertreter der etwa 900
ausschließlich dem warmen Amerika angehörenden Arten gezogen, da sie
bei aller Leichtigkeit der Kultur durch ihre interessanten exotischen
Formen und die prächtigen Blüten erfreuen. Wenn sie auch als Kinder
des Lichts die Sonne lieben und große Hitze ertragen, aber auch
erhebliche Mengen des oft genug verweigerten Wassers verlangen, so
ist es falsch, in ihnen Pflanzen zu sehen, die zu ihrem Gedeihen
unbedingt eine Backofentemperatur nötig haben. Ja, umfangreiche ältere
Exemplare mancher Arten haben sich bei uns so eingewöhnt, daß sie im
Winter ungedeckt im Freien aushalten, ohne Schaden zu nehmen. Von
wirklichen Kulturschwierigkeiten ist übrigens bei den Kakteen kaum die
Rede. Sie lassen sich mühelos durch Stecklinge, wie auch durch Samen
vermehren. Sind sie in letzterem Falle einmal dem Keimlingsstadium
entwachsen, dann sind selten noch Verluste zu befürchten. Allerdings
muß in der Kultur derselben bei uns die Wasserzufuhr regelmäßiger als
in ihrer Heimat erfolgen. Zudem nimmt man an ihnen vielfach Pfropfung
und Veredelung vor, um langsam wachsende Pflanzen zu kräftigerer
Entwicklung zu bringen und selten blühende Arten zur Entfaltung
ihrer Blumen zu veranlassen. Stets aber müssen sie die schöne,
frostfreie Jahreszeit im Freien zubringen, wenn sie gut gedeihen
sollen, und bedürfen der künstlichen Befruchtung, um keimfähige
Samen hervorzubringen, da bei uns die Insekten fehlen, die in ihrer
Heimat die künstliche Übertragung des Blütenstaubes auf die Narben
vollziehen. Unter den Krankheiten der Kakteen ist die Kaktusfäule
am verderblichsten. Als Schutzmittel dagegen muß man für reichliche
Zuführung von Luft und Licht und für angemessene Bewässerung sorgen.

Das Endziel der Kakteenpflege ist für uns die Erzielung von schönen
Blüten. Und man kann unbedenklich sagen, daß dieses Bestreben lohnend
ist; denn an Schönheit der Form, Größe und Farbenpracht vermögen,
wie gesagt, die Kakteenblüten mit allen Blüten des Pflanzenreichs zu
wetteifern. Die Nuancen der meist radförmigen oder trichterförmigen
Blüten sind durchweg leuchtend und überaus kräftig, dabei doch niemals
grell und scharf. Reinweiß, Schwefelgelb, Hochgelb, Dunkelrosa,
Scharlachrot und Orange herrscht vor. Dabei sind durch Kreuzung
zahlreiche Zwischenformen entstanden. So erscheinen mehrere Farben
der Skala an ein und derselben Blüte, aber niemals hart nebeneinander
gesetzt, sondern in Flammenform oder in zarter Verreibung und Tönung
ineinander übergehend. Die Prunkhaftesten und dabei doch wieder
zartesten in der Farbe sind die Blattkakteen, jene Epiphyllum-
und Phyllokaktusarten, die in den deutschen Häusern gewöhnlich um
Weihnachten ihre Blüten entfalten.

Der Deutsche mit seinem lebhaften Sinn für das Farbenfrohe, Leuchtende,
sah in diesen Blattkakteen, von denen besonders die Phyllokaktus in
etwa 12 Arten aus Mittel- und Südamerika, speziell aus Brasilien bei
uns eingeführt wurden, sogleich einen neuen geeigneten Schmuck seiner
Fenster, neben den von ihm bis dahin bevorzugten Geranien, Begonien
und großblütigen, gefüllten Nelken. Dieser Blumenliebe, namentlich der
Landbewohner, haben wir es zu danken, wenn wir bei unsern sommerlichen
Wanderungen durch die Dörfer neben jenen älteren auch diese in reichem
Maße antreffen.

Da man nun mit Recht vermuten kann, daß sich die Bauernfrauen mit
ihrer Kakteenpflege wohl kaum so viel Mühe geben, wie ihre Gatten
und Brüder beim Kartoffelbau, so läßt sich schon hieraus unschwer
schließen, daß die Pflege der akklimatisierten Amerikaner nicht
allzuschwer sein kann. Auch hier gilt, wie übrigens bei allen
Blütenpflanzen, durch vielfache Experimente begründete Regel, daß
möglichste Vernachlässigung und Schlechtgehaltenwerden der Stöcke sie
eher zu reichlichem Blühen bringt als sorgfältige Pflege und Hegung.

Die Gärtnereien haben die Sache von der praktischen Seite aufgefaßt.
Wiederum waren es namentlich die Phyllokakteen, die in Kreuzungen
und neuen Formen die Farbenskala fast erschöpften, -- allerdings
ohne jemals Blau hervorzubringen. „John Baker“, „Franceschi“, „Jules
Simon“, „Wrayi“ usw. gehen vom prachtvollsten Gelb und Rot bis zum
Kompromiß beider Farben, bis zur Halbblutorangefarbe von „Victoria“.
Die Erzeugung dieser neuen Arten ist ein ganz besonderes Kapitel
gärtnerischer Kunst, und man ist sehr auf dem Holzweg mit der Annahme,
daß solche praktisch verwertbare Kreuzung nur ein Kinderspiel sei.
Häufig kommt erst nach hundert Fehlschlägen ein Erfolg und auch dann
oft nur ein halber.

Merkwürdig bei diesen Blattkakteen ist, daß sie ähnlich wie die
Camellien mit ihren Blüten gewissermaßen eine Art sensiblen Empfindens
zeigen. Rückt man nämlich ein mit Blütenknospen bedecktes Epiphyllum
vom Fenster ab und gibt ihm nur eine leichte Drehung, so kann man
in neun von zehn Fällen darauf rechnen, daß der Blütenansatz binnen
wenigen Tagen abfällt, womit leider die Herrlichkeit für ein volles
Jahr vorbei ist. In ihrer Heimat sind diese Blattkakteen nicht am
Boden, sondern als Epiphyten auf Bäumen wachsende Überpflanzen, die mit
ihren hübschen Blüten im Verein mit den in nicht minder leuchtenden
Farben prangenden Lianenblüten den schönsten Schmuck der Urwaldbäume
des tropischen Amerika bilden.


  [3] Band II, „Das Leben der Erde“ behandelnd, mit 380 Abbildungen
      im Text und 21 Vollbildern, 1908, im Verlag von Ernst Reinhardt,
      München, erschienen.



XXX.

Die Zierbäume und Ziersträucher.


Die ältesten Baumbestände unserer Parks reichen in die Zeit zurück, da
die herrschaftlichen Landsitze ganz Mitteleuropas nach dem Beispiele
des Gartens von Versailles mit geraden Baumalleen durchzogen waren.
Damals mußten sich die Bäume der Schere beugen und ihre Kronen in
regelmäßige, geometrische Formen, meist Vierecke oder Kugeln, bringen
lassen. Gegen diese Unnatur erfolgte nun, wie wir im Abschnitt über die
Geschichte des Ziergartens erfuhren, von England aus durch den Einfluß
ostasiatischer Gartenkunst eine Reaktion, die im „englischen Garten“
die Rückkehr zu den Formen der natürlichen Landschaft sah. Während bis
dahin die Baum- und Straucharten dem heimischen Bestande entnommen
worden waren, ging man zugleich dazu über, auch einige südeuropäische
Vertreter der Pflanzenwelt, vor allem Platane, Roßkastanie, Flieder
und Goldregen in den Parkanlagen anzusiedeln. Dazu kamen mit der Zeit
zahlreiche amerikanische Gäste aus einem ausgedehnten Waldgebiet mit
vielen sehr schönen Formen mit dem mitteleuropäischen ähnlichen Klima.
Bereits im Jahre 1636 waren gegen 50 kanadisch-virginische Bäume und
Sträucher aus den französischen Kolonialgebieten Nordamerikas im
Pariser ~Jardin des plantes~ angesiedelt. Und bei den regelmäßigen
Verbindungen mit jenen konnte es nicht fehlen, daß die kleinen und
großen Parkbesitzer immer mehr der fremden, interessanten Typen
zusammenzubringen suchten. Für Deutschland gewannen die Anlagen in
Harbke und Tegel in der Mark Brandenburg eine führende Stellung. Hier
hatte man, von vorzugsweise praktischen Gesichtspunkten ausgehend,
um der überhandnehmenden Holznot zu steuern, die Verwendung der
fremden Bäume im heimischen Forstbetrieb versucht. Dabei zog man aus
den Erfahrungen Nutzen, die Freiherr von Wangenheim als Offizier des
1776 vom Kurfürsten Friedrich II. von Hessen-Kassel an die Engländer
zum Kampfe gegen die nordamerikanische Union verkauften hessischen
Feldjägerkorps -- im ganzen waren es 22000 Mann, für die jener elende
Monarch zur Bestreitung seiner Mätressenwirtschaft 21276778 Taler
„Blutgeld“ einstrich -- bis zum Jahre 1784 an Ort und Stelle zu sammeln
Gelegenheit hatte. In jener Zeit entstanden die Pflanzungen fremder
Baumarten, die heute durch ihre Größe in den Parks von Wilhelmshöhe
bei Kassel, von Schwetzingen bei Heidelberg, Wörlitz bei Dessau im
Anhaltischen und anderwärts unsere Bewunderung erregen. Dem 19.
Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Baumschätze des westlichen,
pazifischen Teiles von Nordamerika aufzuschließen und endlich auch
die wertvollen Bestandteile der ostasiatischen Baumvegetation sich
anzueignen. So wurden in den letzten Jahrzehnten besonders japanische
und mandschurische Arten in stets steigender Zahl bei uns eingeführt.

Alle in unsern Parkanlagen angesiedelten Bäume stammen aus einem der
großen Waldgebiete der nördlichen gemäßigten Zone, also Mitteleuropa
vom Kaukasus bis zu den Gebirgen Spaniens, vom atlantischen und von
diesem wesentlich verschiedenen pazifischen Teile von Nordamerika
und Ostasien. Die übrigen Teile der Erde und vor allem die ganze
südliche Erdhälfte haben nur ganz wenige und unbedeutende Arten
geliefert. Sprechen wir aber von der Einführung fremder Baumarten
nach Deutschland, so dürfen wir nicht vergessen, daß auch von den
heimischen Arten nicht wenige importiert sind. So ist die Lärche
nur in den Alpen heimisch und wurde von da nach den Niederungen
gebracht. Auch die Weißtanne ist im größten Teile Norddeutschlands
erst künstlich angesiedelt worden, und der Buchs tritt nach seiner
natürlichen Verbreitung nur am Hörnli bei Basel und an der oberen Mosel
auf deutsches Gebiet über. Die Stechpalme gedeiht bloß im Bereiche des
atlantischen Klimas.

Natürlich müssen bei der Einbürgerung fremder Arten vor allem die
klimatischen Verhältnisse in Berücksichtigung gezogen werden, wobei
vor allem die Länge und Intensität des winterlichen Frostes, die frühe
oder späte Jahreszeit, in welcher die zum Austreiben der Blätter
oder Sprosse nötigen Temperaturen erreicht werden, dann die Höhe der
sommerlichen Temperaturen während der Vegetationsmonate und schließlich
die Regenmengen während derselben maßgebend sind.

Mit die wichtigsten Zierbäume unserer Parks sind die +Nadelhölzer+,
unter denen die +Tannen+ und +Fichten+ am häufigsten angetroffen
werden. Neben der +Weißtanne+ (~Abies pectinata~) ist die 14
Tage später austreibende, durch ihre schöne, im Freistande länger
aushaltende Beastung ausgezeichnete, nach ihrem Entdecker benannte
+Nordmannstanne+ (~Abies nordmanniana~) aus dem Kaukasus zu nennen.
Dann die +kilikische Weißtanne+ (~A. cilicica~) aus dem Taurus, die
weniger frostempfindlich ist als die +griechische+ und +spanische
Tanne+ (~A. cephalonica~ und ~pinsapo~), welche nur in frostfreien,
geschützten Lagen gedeihen und durch ihren regelmäßigen Wuchs das
Auge erfreuen. Eine der schönsten nordamerikanischen Arten ist die
mattgrüne, durch ihre Frosthärte und ihre Raschwüchsigkeit in der
Jugend beliebte +Koloradotanne+ (~A. concolor~). Gleichfalls sehr
lange, aber unten hellere Nadeln als oben besitzt die ebenfalls bei uns
eingeführte kalifornische +Küstentanne+ (~A. grandis~), die in ihrer
Heimat 90 m hoch wird und damit die höchste aller Tannen ist. Sehr
viel niedriger, manchmal nur strauchartig sind die +Balsamtannen+,
die den für die Mikroskopie wichtigen Kanadabalsam liefern. Besonders
trifft man die +atlantische Balsamtanne+ (~A. balsamea~) als Parkbaum
nicht selten, während die ostasiatischen Tannen bis jetzt nur
wenig Eingang in unsere Gärten fanden. Die bei uns am häufigsten
angetroffene Vertreterin der in Nordamerika und in Ostasien heimischen
+Hemlockstannen+ der der ~Abies~ nahe verwandten Gattung ~Tsuga~
ist die kanadische +Schierlingstanne+ (~Tsuga canadensis~). Dichter
benadelt und raschwüchsiger, aber gegen Frost weniger widerstandsfähig
ist die +westliche Schierlingstanne+ (~T. mertensiana~). Eine der
schönsten und forstlich wertvollsten Errungenschaften aber ist die in
ihrem Aussehen der Fichte ähnliche, nach dem schottischen Botaniker
Douglas benannte +Douglastanne+ (~Pseudotsuga douglasii~), deren Nadeln
beim Trocknen nicht abfallen, darin also den Tannen gleichen, während
die Fruchtzapfen sich nicht entblättern wie bei diesen, sondern wie
bei den Fichten als Ganzes abfallen. Ihre Rinde ist von zahlreichen
Harzbeulen blasig aufgetrieben. Dieser wichtigste Waldbaum Nordamerikas
ist grün und zeichnet sich durch große Raschwüchsigkeit gegenüber
der blaugefärbten +Kolorado-Douglasie+ (~P. glauca~) aus, die aber
frosthärter ist. Im Süden ihres Verbreitungsgebietes ist letztere
geradezu bläulichweiß, so daß sie mit der ebenfalls im Felsengebirge
heimischen blauen Form der Stechfichte (~Picea pungens var. glauca~)
als Zierbaum in Wettbewerb tritt.

Zahlreicher und für unsere Parks von größerer Bedeutung sind die
Fichten, unter denen die +gemeine Fichte+ oder +Rottanne+ (~Picea
excelsa~) die verbreitetste ist. Sie ist mit Unrecht wegen ihrer
steifen Langweiligkeit verschrien, da sie in zahllosen Spielarten,
wie Hänge-, Trauer-, Schlangen-, Säulen- und Zwergfichten, auftritt.
Sie kann bis 60 m hoch werden und bei einem Alter von 700-800
Jahren einen Stammdurchmesser von 2 m erlangen. An sehr trockenen
Standorten bildet sie Kümmerformen, die durch niedrigen, langsamen
Wuchs und kurze Benadlung ausgezeichnet sind. Zweige solcher ähneln
dann der aus Kleinasien stammenden +Sapindusfichte+ (~P. orientalis~),
die von allen Fichtenarten die kleinsten, höchstens 1 cm langen
Nadeln besitzt. Sie wird 30 m hoch und bildet im Taurus und Kaukasus
ausgedehnte Bestände. An den Zweigen und Zapfen scheidet sie häufig
als Sapindustränen bezeichnete Harztropfen aus. Von europäischen
Formen sind noch die von Skandinavien durch ganz Nordasien heimische
+Altaifichte+ (~P. obovata~) und die auf den Bergen des Balkans
heimische, dort ~omorika~ genannte +Omorikafichte+ (~P. omorica~)
zu nennen. Letztere hat einen sehr schlanken Wuchs, wird bis 40 m
hoch und zeichnet sich ganz besonders durch ihre merkwürdig geringe
Empfindlichkeit gegen Beschädigung durch die giftigen Gase, speziell
die schweflige Säure, des Steinkohlenrauchs aus, was sie für alle Parks
um unsere schlotreichen Städte mit ihren zahlreichen Fabrikanlagen
doppelt wertvoll macht.

Als Zierhölzer so wichtig wie als Nutzhölzer sind die amerikanischen
Fichten, von denen die blaugrün erscheinende, bis 50 m hohe
+Weißfichte+ (~P. alba~) aus dem östlichen Nordamerika von Kanada bis
Nordkarolina und die etwa 25 m hohe, dunkelgrüne +Schwarzfichte+
(~P. nigra~) mit schwärzlicher Rinde, die im östlichen Nordamerika
ausgedehnte Wälder bildet, um 1700 nach Europa gelangten. Etwas
später, nämlich erst seit 1755 hier eingeführt, ist die bis 20 m
hohe frischgrüne +Rotfichte+ (~P. rubra~) mit rötlichem Holz, die
im nordöstlichen Nordamerika heimisch ist und an der Hudsonsbai in
buschigen Zwergformen die nördliche Grenze des Baumwuchses erreicht.
Leichter an den scharfstechenden, sparrig abstehenden, blauen oder
silbergrauen Nadeln kenntlich ist die erst 1863 ebenfalls aus
Nordamerika zu uns gebrachte +Stechfichte+ (~P. pungens~). Sie
wächst im Felsengebirge zwischen 2000 und 2800 m Höhe und hat
sich als zweifellos schönste unserer Koniferen besonders in der als
+Blaufichte+ (~var. glauca~) bezeichneten Varietät mit durch einen
Wachsüberzug als Verdunstungsschutz bläulichweißen Nadeln sehr rasch
in unsern Gärten verbreitet. Derselben prächtigen Färbung wegen wird
auch die als +Silberfichte+ (~var. argentea~) bezeichnete Varietät
der +Engelmannsfichte+ (~P. engelmanni~) als Zierbaum unserer
Gärten geschätzt. Seltener wird in unseren Parks die im pazifischen
Nordamerika -- auch auf der Insel Sitka im Territorium von Alaska --
heimische +Sitkafichte+ (~P. sitchensis~) angetroffen. Endlich ist auch
seit 1861 die außerordentlich schöne, bis 40 m hoch werdende ~Picea
alcockiana~ mit dunkelgrünen, unterseits bläulichgrünen Nadeln, die
wie alle vorigen ein sehr gutes Nutzholz liefert, aus Japan bei uns
eingeführt worden.

Während bei den bisher besprochenen Koniferengattungen die Nadeln
stets einzeln an den Zweigen sitzen, ist dies bei den +Kiefern+
(~Pinus~) nur in den allerersten Lebensjahren des Baumes der Fall. Alle
späteren Zweige, die weiterwachsenden Langtriebe, tragen nur häutige
Schuppen, in deren Achseln die langen Nadeln zu 2-5 an fast ganz
zurückgebildeten Kurztrieben sitzen. In der heimischen Baumwelt sind
die zweinadeligen Kiefern vor allem durch die bis 40 m hohe +gemeine
Kiefer+ oder +Föhre+ (~Pinus silvestris~) vertreten. Diese besitzt
unter den europäischen Nadelholzgewächsen die weiteste Verbreitung und
gedeiht am besten auf tiefgründigem, humosem Sandboden. Dann durch
die in Südeuropa verbreitete +Schwarzkiefer+ (~P. laricio~), die in
den österreichischen Alpen in der Abart der+ österreichischen Kiefer+
(~P. nigricans~) vertreten ist, und die subalpine +Knieholzkiefer+
oder +Legföhre+ (~P. montana~), die in den Alpen von 1400-2000 m
Höhe weite Flächen bedeckt und einen energischen Schutz gegen Lawinen
und Erdrutsche bildet. Dagegen stehen je 5 Nadeln beisammen bei der
im Hochgebirge heimischen +Arve+ oder +Zirbelkiefer+ (~P. cembra~)
und bei der aus Nordamerika zu uns gelangten +Weymouthskiefer+ (~P.
strobus~), einem Baume mit grauer, glatter Rinde und regelmäßiger,
kegelförmiger Krone. Sie bildet im atlantischen Nordamerika große
Wälder und erhielt ihren Namen daher, daß sie im Jahre 1705 durch Lord
Weymouth aus den Neuenglandstaaten nach Europa gebracht wurde. Dank
ihrer weichen, seidenglänzenden Benadlung ist sie jetzt überall bei
uns als Zierbaum sehr beliebt. Im pazifischen Teil Nordamerikas ist
sie durch die ihr sehr ähnliche, aber in unseren Gärten nur selten
angetroffene +Gebirgsstrobus+ (~P. monticola~) vertreten. Ihr sehr
ähnlich ist die im Himalaja heimische +Tränenkiefer+ (~P. excelsa~)
so genannt, weil deren Zweigspitzen und besonders die großen, bis
25 cm langen Zapfen meist mit tränenartigen Harztropfen besetzt sind.
Mit ihr trifft man in Gärten weiterhin die vielfach nur als örtliche
Varietät der vorigen angesehene +rumelische Strobus+ (~P. peuce~)
mit kürzeren, steifen Nadeln und kürzeren Zapfen an. Außerdem finden
wir nicht selten die größte Kiefernart, nämlich die kalifornische
+Zuckerkiefer+ (~P. lambertiana~) mit 40 cm langen Zapfen und die
nur wenig von ihr unterschiedene +Goyokiefer+ (~P. pentaphylla~) in
unsern Parks angepflanzt. Sonst kommen von den etwa 80 bekannten
Kiefernarten nur noch wenige für unsere Gärten in Betracht, so die
nordamerikanischen +Strauchkiefer+ (~P. banksiana~), die wegen ihrer
großen Anspruchslosigkeit an den Boden eine der wichtigsten forstlichen
Einführungen und aus dem gleichen Grund auch für den Park, besonders
bei Neuanlagen auf Schutt und Ödland, sehr wertvoll ist. Dreinadlige
Kiefern sind in den Parks selten anzutreffen. Unter ihnen ist die nur
in milden Lagen fortkommende +Gelbkiefer+ (~P. ponderosa~) aus dem
pazifischen Nordamerika wegen ihres üppigen Wuchses und der prächtigen,
bis 25 cm langen Nadeln auch bei uns sehr geschätzt.

Wie unter den Kiefern die vorgenannte +Arve+, ein an der Waldgrenze in
den Alpen wachsende, aber stark im Rückgang begriffene Nadelholzart,
wegen ihrer dichten Benadlung und ihres regelmäßigen Jugendwachstums
ein sehr beliebter Zierbaum unserer Gärten wurde, ist die gleichfalls
aus den Alpen stammende +Lärche+ (~Larix europaea~), trotzdem
auch sie ein echter Gebirgsbaum ist, in den Parks der Niederungen
angesiedelt worden und gedeiht hier ganz gut. Sie liebt einen
steinigen, tiefgründigen Boden und gedeiht nicht auf zu nassem oder
trockenem Boden. Aber erst in einem rauhen Klima entfaltet sie ihre
ganze Schönheit. Von den acht anderen Lärchenarten, die bei uns im
Freien aushalten, ist ihrer dekorativen Wirkung wegen die aus Japan
kommende +zartschuppige+ oder +Hondolärche+ (~L. leptolepis~) besonders
beliebt. Infolge eines zarten Wachsüberzuges zur Einschränkung der
Wasserverdunstung erscheinen ihre Nadeln blaugrün und gehen im Herbst
in Violett über; ihre jungen Triebe sind rotbraun, während sie bei
der europäischen Lärche graugelb sind. Nur in der Blütezeit ist ohne
weiteres die im Amurgebiet und im Kamtschatka heimische +sibirische
Lärche+ (~L. dahurica~) zu erkennen, und zwar an der grünen Farbe ihrer
weiblichen Blüten, die bei allen anderen Arten karminrot gefärbt sind.
Die 30 m hohe zierliche ~Larix pendula~ aus dem atlantischen und
die 40-80 m hohe schlanke ~Larix occidentalis~ aus dem pazifischen
Gebiete von Nordamerika werden nur ganz ausnahmsweise bei uns
angepflanzt.

Mit den Cedern zusammen tragen die Lärchen nur einzelne Nadeln an ihren
Trieben; dann erst bilden sich an diesen Langtrieben seitlich knopfige
Kurztriebe, an denen die Nadeln zu Büscheln gedrängt stehen. Während
die Nadeln aber bei den Lärchen weich und zart sind, da sie nur ein
Jahr auszudauern brauchen, weil diese Baumart regelmäßig im Herbst ihre
dann schön goldgelb gefärbten Nadeln abwirft, sind sie bei den Cedern,
weil bleibend, starr und stechend. Von den drei immergrünen Cederarten
steht die +Libanonceder+ (~Cedrus libani~) den Lärchen am nächsten und
unterscheidet sich von ihnen außer durch die bleibenden Nadeln durch
ihre äußere Erscheinung und die kugelige, aufrechte Zapfenform. Sie
trägt in der Jugend einen überhängenden Wipfel, bildet aber im Alter
eine prächtig aufgebaute schirmförmige Krone. Dieser Baum, der einst
auf allen Gebirgen Syriens und Kleinasiens prächtige Bestände bildete,
ist jetzt in seiner Heimat fast ausgerottet, gedeiht aber als Parkbaum
in Deutschland nur in sehr milden, luftfeuchten Lagen. Eher noch als
sie gedeiht bei uns die im nordafrikanischen Atlasgebirge heimische
+Atlasceder+ (~Cedrus atlantica~), die sich leicht an ihrem stets
aufrechten Gipfel erkennen läßt. Schwer dagegen kommt bei uns die in
Nepal und sonst am Südabhang des Himalajagebirges heimische +Himalaja+-
oder +Deodarceder+ (~Cedrus deodara~, letzteres ist die indische
Bezeichnung, die Gottesbaum bedeutet) von pyramidenförmiger Tracht mit
nicht hängenden Zweigen bei uns fort.

Mißbräuchlicherweise werden auch anders geartete Nadelhölzer als
Cedern bezeichnet, so die in ihrer Heimat ~sugi~ genannte japanische
+Kryptomerie+ (~Cryptomeria japonica~), die, seitdem sie Fortune 1844
in Europa einführte, hier und da in unseren Gärten kultiviert wird und
auch unsere Winter im Freien aushält. Obschon sie mit den echten Cedern
keinerlei Ähnlichkeit besitzt, ihre Benadlung viel eher an die im
Zimmer in Töpfen oder im Warmhaus häufig gezogene +Norfolk-Araukarie+
(~Araucaria excelsa~) erinnert, ist sie bei uns als „japanische Ceder“
im Handel. Sie ist das wichtigste, in vielen Formen gezogene Nutzholz
Japans, das in prächtigen alten Exemplaren die heiligen Haine und die
Tempel ziert und, wie in ihrer Heimat, so auch in unseren Gärten meist
durch Stecklinge vermehrt wird.

Das Gegenstück zu diesem altertümlichen Nadelholz Ostasiens bildet
in Kalifornien die nicht minder altmodische +Riesensequoie+ oder
die zu Ehren des britischen Feldherrn Arthur Wellesley, Herzog von
Wellington (1769-1852), +Wellingtonie+ genannte ~Sequoia gigantea~.
Beide sind, wie auch die +immergrüne Sequoie+ (~S. sempervirens~) im
Gebirge Kaliforniens und die im südlichen atlantischen Nordamerika
heimische +Sumpf+- oder +Eibencypresse+ (~Taxodium distichum~) Reste
einer im Tertiär weitverbreiteten Nadelholzgattung, die heute bis
auf diese wenigen Vertreter ausgestorben ist. Die in einem kleinen
Bezirke in Calaveras County in Kalifornien in 1500 m Höhe auf der
Sierra Nevada wachsenden Riesensequoien wurden 1850 vom britischen
Botaniker Lobb bekanntgemacht. Sie erreichen bei einem Durchmesser
von 10 m am Fuß des Stammes eine Höhe von 120 m und sind nach den
australischen Eukalypten die höchsten Bäume der Erde, die ein Alter
von 4000 Jahre erreichen können. Um die letzten ihres Stammes vor
Vernichtung zu schützen, ist das Gebiet, auf dem sie wachsen, zum
unantastbaren Nationalpark erklärt worden. Die kleinen, eiförmigen
Zapfen enthalten fast nie keimfähige Samen. Deshalb erfolgt ihre
Vermehrung wie diejenige der japanischen Kryptomerien in der Regel
durch Stecklinge. In unseren Parkanlagen begegnen wir ihnen als streng
kegelförmig gewachsenen Bäumen mit unten dickem, nach oben hin aber
rasch sich verschmälerndem Stamm. Die pfriemenähnlichen Nadeln erinnern
ganz an diejenigen der Kryptomerien, stehen aber allseitig um den
Trieb, während sie bei jenen sich in fünf Zeilen darum herum ordnen.
Bei der auch bei uns angepflanzten virginischen Sumpfcypresse stehen
die zarten, eibenähnlichen Nadeln an den Langtrieben einzeln, an den
Kurztrieben dagegen kammartig in zwei dichte Reihen geordnet. Das
auffallendste aber ist, daß im Herbst mit den Nadeln zugleich auch die
Kurztriebe abgeworfen werden. Die Sumpfcypresse, die in ihrer Heimat
in den Sümpfen wächst und darin zur Atmungsmöglichkeit der Wurzeln
eigentümlich geknickte, über das Wasser emporragende Pneumatophoren
bildet, verlangt bei uns im kälteren Klima einen trockeneren Standort,
um der Frostgefahr zu entgehen, und bildet in diesem Falle natürlich
auch keine geknickten Atemwurzeln, wie sie es in ihrer Heimat tut.
Erreicht auch dieser Baum an seinen natürlichen Standorten mit einem
Stammumfang von 10 m bei einer Höhe von 36 m ein ebenfalls
mehrtausendjähriges Alter, so wird er darin von der +mexikanischen
Eibencypresse+ (~Taxodium mexicanum~), die nicht auf sumpfigem, sondern
mäßig feuchtem Boden wächst, noch übertroffen. So ist in Tule bei
Oaxaca in Mexiko noch ein Mitglied dieser Pflanzenfamilie am Leben, dem
A. Decandolle ein Alter von 6000 Jahren beimißt. Jedenfalls ist dieser
auf beifolgender Tafel nach einer Originalaufnahme wiedergegebene Baum,
dessen Stamm 1 m hoch über dem Boden gemessen 31 m Umfang besitzt,
während die 35 m hohe Krone fast 100 m umspannt, das älteste Glied
der heutigen Schöpfung und erscheint schon dadurch ehrwürdig. Hat er
doch alles erlebt, was wir kurzlebige Menschen die Weltgeschichte
nennen. Als die mächtigen Pharaonen der 4. Dynastie ihre gewaltigen
Grabdenkmäler in Form der steinernen Pyramiden von Gise bauten, besaß
dieser Methusalem unter den Pflanzen bereits das respektable Alter von
1300 Jahren. Als die Neolithiker Mitteleuropas von Süden her mit den
ersten Metallschmucksachen und -Geräten bekanntgemacht wurden, war
er schon über 2000 Jahre alt. Und wenn wir alle, die wir heute uns
des Lebens freuen, nicht mehr sein werden, so wird dieser noch sehr
lebenskräftige Pflanzengreis weiterblühen und gedeihen. Was hat er
nicht schon alles erlebt und was wird er noch alles erleben, bis auch
er einst zugrunde geht!

Die echte +Cypresse+ (~Cupressus sempervirens~), deren
charakteristische Gestalt sich jedem Italienfahrer unauslöschlich
eingeprägt hat, vermag mit alleiniger Ausnahme der besonders mild
gelegenen Bodenseeinsel Mainau und ihrer Umgebung nirgends in
Deutschland jahrelang ungeschädigt im Freien auszuhalten. Dieses
außerordentlich stimmungsvolle, für die heutigen Mittelmeerländer
geradezu charakteristische Kind des warmen Südens ist ein 20 und mehr
Meter hoher Baum von spitz kegelförmigem Wuchs, der aber auch in einer
Abart mit sich seitwärts ausbreitenden Ästen vorkommt, mit dunkelgrünen
Blättern und 2-3 cm langen Fruchtzapfen. Es ist die bekannteste
der 12 Cypressenarten, die im Mittelmeergebiet, im gemäßigten Asien,
in Nordamerika und Mexiko zu Hause sind. Die Cypresse ist von den
Bergen des nördlichen Persien und dem Libanon bis nach Griechenland
heimisch und findet sich meist in Höhen von 600 bis 1400 m über dem
Meer. Dabei soll sie ein Alter von über 2000 Jahren erreichen können
und erzeugt ein harzreiches, außerordentlich dauerhaftes Holz, das
mancherlei Verwendung findet. Sie hieß bei den Assyriern ~burâsu~, bei
den Phönikiern ~berût~, und wahrscheinlich davon abgeleitet, bei den
Griechen ~kypárissos~. Überall bei den Semiten war sie seit Alters
der heilige Baum der Astarte-Aphrodite, so daß diese gelegentlich
auch ~baalat berût~, d. h. Göttin der Cypresse, genannt wird. Mit der
Verbreitung des Astartekultes durch die Phönikier gelangte sie mit
der Taube, die das heilige Tier der Göttin war, immer weiter westlich
überall dahin, wo jene Kolonien gründeten.

Durchaus falsch ist die übrigens sehr ansprechende Darlegung von
Victor Hehn, wonach die Cypresse von einem Ursitz auf dem Gebirge
von Busi westlich von Herat in Afghanistan, wie ihn Alexander von
Humboldt annimmt, im Gefolge des iranischen Lichtdienstes weiter
nach Westen verbreitet worden sein soll. In ihrer schlanken,
obeliskenartigen Gestalt soll die Zendreligion das Bild der heiligen,
zum Himmel aufstrebenden Flamme gesehen haben, und deshalb soll sie
vor den Feuertempeln und in den Höfen der Paläste gepflanzt worden
sein. Ebensowenig hat sie der Insel Cypern den Namen gegeben. Ihre
Beziehungen zur orientalischen Göttin der Fruchtbarkeit sind sehr viel
älter als ihre Verehrung bei den feueranbetenden Persern.

Aus ihrem duftenden, der Zeit und dem Wurmfraß widerstehenden Holze
-- schon Theophrast (im 4. Jahrhundert v. Chr.) nennt es: von Natur
unverwüstlich -- schnitzte man mit Vorliebe nicht nur Götterbilder
von außerordentlicher Dauer, sondern verfertigte allerlei Hausgerät
und baute daraus vor allem Schiffe. Schon in Homers Odyssee wird der
Baum genannt, indem erwähnt wird, daß um die Grotte der Kalypso Erlen,
Schwarzpappeln und wohlriechende Cypressen standen, und weiterhin:
als Odysseus als Bettler verkleidet nach seiner Heimatinsel Ithaka
zurückkehrte, setzte er sich auf die eschene Türschwelle und lehnte
sich an die cypressene Türstütze. Zahlreich waren die ~Xóana~, d. h.
die aus Holz geschnitzten ältesten Götterbilder in den griechischen
Heiligtümern -- bevor die noch dauerhafteren aus Stein, besonders
Marmor, aufkamen -- und auch die Türen in denselben aus Cypressenholz.
Aus Cypressenholz bestand auch die älteste Athletenstatue, die
Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr. im Olympia noch stehen sah. Sie
stellte den vor dem Jahre 540 v. Chr. lebenden Ägineten Praxidamas
dar, war von jenem in den heiligen Hain der Altis gestiftet worden und
hatte sich besser erhalten, als eine andere, etwas spätere, die aus
Feigenholz gearbeitet war. Ebenso bildeten die Römer ihre ältesten
Götterbilder mit Vorliebe aus Cypressenholz.

[Illustration:

    Tafel 151.

Die mexikanische Eibenzypresse (~Taxodium mexicanum~) von Tule bei
Oaxaca in Mexiko, das wohl älteste Glied unserer heutigen Schöpfung.
(Nach Photogramm von W. G. Bremer in Oaxaca.)]

[Illustration:

    Tafel 152.

Eine alte Eibe in der Nähe von Paterzell bei Weilheim in Oberbayern in
einem Bestand von etwa 400 großen Exemplaren.]

[Illustration:

    Tafel 153.

Zwei Zypressen inmitten von mit Mauern umgebenen Olivenhainen bei
Rovigno in Istrien.]

[Illustration: Hain von Steineichen, bekannt als „~Bosco sacro~“, in
der römischen Campagna.]

[Illustration:

    Tafel 154.

Pyramidenpappeln als Zierbäume vor der Villa Stuck in München.]

Wie die Phönikier haben auch die alten Griechen ihre Schiffe
vorzugsweise aus dem unverwüstlichen Cypressenholz gebaut, wie Plato
sagt: „Es ist ein rechtes Glück, wenn ein Staat weder Cypressen, noch
anderes zum Schiffsbau taugliches Holz hat, weil die Schiffahrt keinen
Segen bringt.“ Und der griechische Geschichtschreiber Diodor berichtet
vom König Antigonos, dem „Einäugigen“, dem Feldherrn Alexanders des
Großen (384-301 v. Chr., erhielt 323 bei der Teilung von dessen
Reich Großphrygien, Lykien und Pamphylien, führte aus Ehrgeiz und
Eroberungslust viele Kriege gegen die übrigen Diadochen, in denen er
Kleinasien und Syrien eroberte, nahm 306 mit seinem Sohn Demetrios
Poliorketes, d. h. dem „Städtebelagerer“, den Königstitel an und verlor
in der Schlacht bei Ipsos in Phrygien gegen Kassandros, Lysimachos
und Seleukos Reich und Leben), er habe zur Bekämpfung seiner über große
Flotten gebietenden Gegner, den einstigen Mitfeldherrn Alexanders, 8000
Mann mit dem Fällen von Cedern, Pinien und Cypressen auf dem Libanon
beschäftigt. Tausend Paar Lasttiere sollen das Holz zur Küste getragen
haben, wo von werkkundigen Zimmerleuten Schiffe daraus gebaut wurden.
Auch Gedenktafeln und Särge wurden mit Vorliebe aus dem dauerhaften
Cypressenholz verfertigt. So sagt Plato, daß die Landlose der Bürger in
den Tempeln auf cypressenen Gedenktafeln für die Nachwelt verzeichnet
werden sollten, und schreibt der griechische Geschichtschreiber
Thukydides. „Bei den Athenern ist es Sitte, die Gebeine der in einer
Schlacht Gefallenen erst öffentlich zur Schau zu stellen und sie
dann in Särgen zu begraben, die aus Cypressenholz gemacht sind.“
Nach demselben Autor umschlossen cypressene Schreine, je einer für
eine Phyle (Stamm, d. h. durch Abstammung von +einem+ Stammvater
verbundenen Teil eines Volkes, deren es seit Kleisthenes, dem Haupt der
Alkmäoniden, 510 v. Chr., 10 gab, welche wiederum in Demen eingeteilt
waren), die in die Erde zu bergenden Gebeine bei jener 430 zu Athen
gefeierten öffentlichen Bestattung der für das Vaterland Gefallenen
zu Beginn des peloponnesischen Krieges, bei welcher Perikles, der
schon das Jahr darauf von der Pest hinweggerafft wurde, seine berühmte
Rede zur Verherrlichung Athens hielt. Und was vor dem Zerstörtwerden
durch Insekten und deren Larven beschützt werden sollte, das wurde bei
den Griechen, wie auch später bei den Römern in cypressene Kästchen
eingeschlossen, so bei Horaz die Manuskripte der von ihm gedichteten
Lieder.

Wo immer der Kult der phönikischen Astarte Eingang fand, da wurden
Cypressenhaine vor deren Heiligtümern errichtet. So kam die Cypresse
durch die Vermittlung der süditalischen Griechen zu den Römern. Plinius
schreibt in seiner Naturgeschichte über sie: „Die Cypresse ist ein
ausländischer Baum, der anfangs nur mit großer Mühe gezogen wurde.“
Cato, der sie die Tarentinische nennt, weil sie von dorther in das
römische Gebiet gekommen ist, spricht über sie weitläufiger als über
alle andern Bäume. Ihr Vaterland ist Kreta. Dort entsteht überall, wo
jemand den Boden auflockert, durch Naturkraft ein Cypressenwald. (Ihre
kleinen Samen haben auf jeder Seite einen als Fallschirm dienenden
häutigen Rand, womit sie leicht vom Winde in die Weite getragen und
so in der Ferne angesät werden.) Auf den Gebirgen Kretas, dem Ida und
den Weißen Bergen, wächst sie auch da, wo der Boden nicht bearbeitet
ist, neben dem ewigen Schnee, was allerdings wunderbar ist, da sie
viel Wärme verlangt und in bezug auf den Boden sehr spröde tut. Sie
wächst sehr langsam, gewährt nicht den geringsten Nutzen (nämlich
an Früchten), hat widerliche (d. h. nicht wohlschmeckende) Früchte,
bittere Blätter, einen betäubenden Geruch, keinen angenehmen Schatten
(weil er infolge der Höhe des Baumes nur schmal ist), lockeres Holz.
Die Cypresse ist dem Gott Dis (Gott der Unterwelt) geweiht und wird
deshalb (in Gestalt von in Kübeln gepflanzten Exemplaren) an die Türe
der Häuser gestellt, in welchen sich ein Sterbefall ereignet hat. Ihr
säulenförmiger Wuchs empfiehlt sie zur Abwechslung mit Pinienalleen;
jetzt beschneidet man sie auch so, daß sie mauerdichte Zäune gibt, auch
bringt man sie durch Beschneiden dahin, daß sie Jagden, Flotten und
andere Bilder vorstellt, welche mit ihren zarten, kurzen, immergrünen
Blättern bekleidet sind.

Es gibt zwei Arten von Cypressen: Die eine, die man die weibliche
nennt, wächst dicht und säulenförmig (es ist dies die zu Eingang
erwähnte ~var. pyramidalis~ von ~Cupressus sempervirens~), die andere
heißt die männliche und breitet ihre Äste seitwärts aus (~var.
horizontalis~), sie wird beschnitten und dient auch als Stütze für
Weinstöcke. Beiden Arten schneidet man auch die Seitenäste weg und
zieht sie auf diese Weise zu Stangen und Pfählen, welche, wenn der
Stamm 13jährig ist, Stück für Stück einen Denar (= 60 Pfennige) kosten.
Es geht daraus hervor, daß ein solcher Cypressenwald sehr einträglich
ist; daher nannten die Alten solche Pflanzungen die „Aussteuer ihrer
Töchter“. Noch heutigen Tags heißt übrigens die Cypresse nach Fee
wegen dieses Brauches auf Kreta „Aussteuer der Tochter“ und wird in
größerer Anzahl bei der Geburt eines Kindes gepflanzt, wie man in
Frankreich bei solchem Anlasse einige hundert Pappeln pflanzt und sie
zu dessen Gunsten verkauft, wenn es erwachsen ist, oder in der Südsee
einige Brotfruchtbäume setzt, die das alleinige Eigentum des neuen
Familienmitgliedes bilden. Auch bei uns pflanzt mancher Bauer jedem
seiner Kinder bei deren Geburt einen oder einige Obstbäume, deren
Ertrag ausschließlich dem betreffenden Individuum gehört.

Auch die Grenzen der Grundstücke wurden mit Vorliebe durch solche
nur wenig Schatten verbreitende Cypressen bepflanzt. So schreibt der
gelehrte Varro (116-27 v. Chr.): „Die Grenze der Grundstücke (~fundus~)
werden oft durch Bäume bezeichnet, damit kein Streit entsteht. Manche
Leute pflanzen zu diesem Zwecke Pinien, was meine Frau im Sabinerlande
tun ließ, andere Cypressen, wie ich auf meinen Gütern am Fuße des
Vesuv, andere Ulmen, wie häufig im Crustumenischen zu sehen ist.“

Als den Gottheiten der Unterwelt geweihter Baum wurde die Cypresse
zunächst bei den vornehmen Römern, wie heute noch im Orient und
in Südeuropa von Griechenland bis Spanien, als Totenbaum auf die
Gräber gepflanzt. So war sie bei den Dichtern der augusteischen Zeit
der typische Baum der Trauer, mit dessen Zweigen Leichenaltar und
Scheiterhaufen besteckt wurden. So läßt Vergil in der Aeneis auf dem
Grabe des Polydorus einen großen Erdhügel aufschütten, mit dunklen
Florbinden umwundene Altäre bauen und daneben schwarze Cypressen
pflanzen. Weiterhin läßt er bei der Bestattung des Misenus von den
Trojanern einen ungeheuren Scheiterhaufen aus harzigem Kien- und
Eichenholz bauen, dessen Seiten mit schwarzem (Cypressen-)Laube
bedecken und davor als Zeichen der Trauer Cypressen aufstellen.
Dazu sagen Festus und Servius gleicherweise: es sei römische Sitte,
Cypressen oder Cypressenzweige vor die Haustüre der Toten zu stellen,
weil diese Bäume absterben, sobald sie gefällt sind, so wie der
Mensch, wenn er einmal gestorben ist, nicht wieder zum Leben gelangt.
Auch Lucanus sagt: „Die Cypresse ist das Zeichen der Trauer“, und
Statius schreibt in seiner Thebais: „Das Lager des Toten wird aus
Zweigen der traurigen Cypresse geflochten. Auf das Geflecht wird eine
Lage Stroh gelegt, auf diese eine Lage von Grasgirlanden, dann eine
Schicht bunter, dem Flammentode gewidmeter Blumen und diese werden mit
morgenländischem Weihrauch und Zimt (~cinnamum~) belegt.“ Bei Horaz
wird die „trauerverkündende Cypresse“ als Totenbaum gerne im Gegensatz
zum Genuß der heiteren Gegenwart gestellt. In einer seiner Oden heißt
es: „Im Tode mußt du alles, was dir auf Erden teuer ist, verlassen und
von den Bäumen, die du gepflegt, folgt dir nur die verhaßte Cypresse.“

In den Metamorphosen des Ovid wird die Entstehung der Cypresse in
folgender Weise erklärt: Ein Knabe, den Apollo liebte, hatte das
Unglück, unversehens einen den Nymphen geheiligten, prächtigen Hirsch
zu töten; untröstlich darüber, flehte er die Götter an, ihn wenigstens
in Ewigkeit trauern zu lassen. Deshalb wurde er durch das Mitleid der
Götter in einen Cypressenbaum verwandelt, der den schlanken Wipfel
hoch zum Himmel erhebt, von den Göttern betrauert und zugleich das
Unglück der Menschen betrauernd. Daß später alles, was irgendwie mit
der Cypresse zusammenhing und von ihr abstammte, die vornehmen Römer an
den Tod erinnerte und ihnen deshalb unangenehm war, beweist auch die
Erzählung des Geschichtschreibers Älius Spartianus in seiner Biographie
des römischen Kaisers Lucius Septimius Severus (der, 193 von den
pannonischen Legionen zum Cäsar ausgerufen und vom Senat anerkannt, die
Prätorianer auflöste, 195 den Gegenkaiser Pescennius Niger bei Kyzikos,
196 den andern Gegenkaiser Clodius Albinus bei Lyon schlug, gegen die
Parther zu Felde zog, 203 nach Rom zurückkehrte, 208 nach Britannien
ging und 211 in Eboracum -- der Stadt York in England -- starb): „Dem
Kaiser Severus begegnete kurz vor seinem Tode ein Neger, der zugleich
als Soldat und als Hanswurst diente, mit einem Cypressenkranze auf
dem Kopfe. Der Kaiser erschrak über die böse Bedeutung, die in der
schwarzen Farbe des Menschen und in der Cypresse lag, und befahl, den
Menschen sogleich aus seiner Nähe zu entfernen.“

Trotz aller Pflege von seiten des Menschen gedeiht die Cypresse auch
in Italien lange nicht so, wie in ihrer orientalischen Heimat. Als
nie recht eingebürgerter Fremdling bildet sie in diesem Lande keine
eigentlichen Haine, sondern steht meist einsam oder in kleinen Gruppen,
mit Vorliebe auf den Friedhöfen; nicht selten wird sie als Alleebaum
gepflanzt, wobei sie auch dann ihr düsteres und zugleich feierliches
Gepräge nicht verleugnen kann. Wie in der Ebene von Neapel der Blick
besonders häufig auf Pinien fällt, so im Arnotale auf Cypressen,
die der sonst heiteren Landschaft einen düsteren Akzent verleihen.
Wer aber den Baum in seiner feierlichen Schönheit bewundern will,
der muß nach dem Orient gehen, wo er die schönsten und höchsten
Exemplare auf den alten Friedhöfen der Türken findet, so schon in
Skutari, der asiatischen Seite von Konstantinopel, aber noch viel
majestätischer in Smyrna oder Brussa. Schon Plinius und Dioskurides,
beide im 1. Jahrhundert n. Chr., sagen, daß die verschiedenen Teile
der Cypressen als Heilmittel benutzt wurden. Auch bei den arabischen
Ärzten war dies der Fall, und in duftende Cypressenwälder schickten
sie die Brustkranken, damit diese durch den harzigen Geruch der dort
eingeatmeten Luft Genesung fänden.

Von anderen Cypressenarten, die auch in Südeuropa gepflanzt werden,
verdienen noch Erwähnung: die +blaugrüne Cypresse+ (~Cupressus
pendula~) aus Mexiko, die eine ziemlich durchsichtige, hell blaugrüne
Pyramide bildet, dann die gleicherweise aus höheren Lagen Mexikos
stammende +Weihrauchcypresse+ (~C. thurifera~), ein hoher Baum mit
abstehenden Haupt- und Nebenästen. Sie gleicht erwachsen einem
Lebensbaum (~Thuja~), hat grüne Fruchtzapfen und schwitzt ein
wohlriechendes, in ihrer Heimat wie Weihrauch zu Räucherungen benutztes
Harz aus. Dann die +Trauercypresse+ (~C. pendula~), ein ziemlich hoher
Baum mit ausgebreiteter Krone, überhängenden Ästen und mehrkugeligen
Zapfen aus China: er wird dort und auch in Nordostindien auf Gräber
gepflanzt und kam 1848 nach Europa.

Fälschlicherweise wird bei uns oft der +gemeine Lebensbaum+ (~Thuja
occidentalis~) Cypresse genannt. Dieses nordostamerikanische Nadelholz,
dessen flache, unterseits hellgrüne Zweige im Winter infolge einer
teilweisen Umwandlung des Chlorophylls oder Blattgrüns eine braungelbe
Mißfärbung annehmen, kam schon 1566 nach Europa, und zwar zuerst
nach Frankreich, als der moralisch schwache Karl IX. von 1560-1574
das Land beherrschte. Es hat sich vollständig bei uns eingelebt
und wird sehr häufig in Anlagen gepflanzt. Auch im Walde werden
neuerdings Lebensbäume zu pflanzen versucht, doch ist dies mehr mit
der pazifischen Art, dem in seiner Heimat 50 m Höhe erreichenden
+Riesenlebensbaum+ (~Thuja gigantea~) der Fall, dessen aromatisch
riechende, unterseits hellgrau gefärbte Zweige sich im Winter nur
wenig verfärben. In Anlagen finden wir außerdem die nordamerikanische
~Thuja plicata~ und die den Lebensbäumen nahe verwandte, im Wuchse
nur schlanker, cypressenartiger gestaltete kalifornische +Heyderie+
(~Libocedrus decurrens~), deren gewöhnliche, auch in der lateinischen
Benennung -- von ~líbos~ Flüssigkeit, Wasser und ~kédros~ Ceder -- sich
bekundender Name „Flußceder“ als irreführend besser nicht gebraucht
wird.

Schon seit längerer Zeit in Gärten und Friedhöfen verbreitet ist auch
der +chinesische Lebensbaum+ (~Biota orientalis~ -- vom griechischen
~biotḗ~ Leben, weil immergrün), dessen Zweige unterseits kleine
helle Flecken tragen. Der Baum ist sofort daran zu erkennen, daß
seine Zweige durchweg steil aufgerichtet stehen; deshalb, weil sie
nicht ausgebreitet liegen, sind sie nur sehr undeutlich in eine
dunklere Ober- und in eine hellere Unterseite geschieden. Auch die
blaubereiften, aus sechs dicken Fruchtschuppen gebildeten Zapfen sind
dadurch charakterisiert, daß sie außen eine rinnenartige Öldrüse
tragen, während sie bei den nordamerikanischen Lebensbäumen kugelig
erhöht sind.

Auch die +Halb+- oder +Lebensbaumcypressen+ (~Chamaecyparis~) werden
von den Gärtnern fälschlicherweise als Cypressen bezeichnet. Tragen
sie auch eine ähnliche Benadlung, so können sie gleichwohl in der
Schönheit des Wuchses nicht mit den echten Cypressen wetteifern.
Im Unterschied von diesen sind die Zweige der Halbcypressen nicht
gleichseitig vierkantig, sondern flach, mit deutlich verschiedener,
meist auch anders gefärbter Ober- und Unterseite. Die verbreitetste,
nicht nur in unseren Anlagen, sondern auch im deutschen Walde eine
ziemliche Rolle spielende Art, ist die aus dem pazifischen Nordamerika
zu uns gebrachte, nach dem schottischen Gärtner Lawson benannte
+Lawsoncypresse+ (~Ch. lawsoniana~), die an ihrem stark überhängenden
Gipfeltriebe sofort von den anderen Arten zu unterscheiden ist.
Weit verbreitet ist auch die auf beiden Seiten der Zweige fast
gleichmäßig dunkelgrüne, an der Nutkabucht in Nordwestamerika heimische
+Nutkacypresse+ (~Ch. nutkaensis~), ebenso zwei japanische Arten: die
durch schräg abstehende, scharfspitzige Kantenblätter ausgezeichnete
+Sawaracypresse+ (~Ch. pisifera~), die in mehreren Formen gezüchtet
wird, und die durch einwärtsgebogene, stumpfe Kantenblätter
charakterisierte +stumpfblättrige Halbcypresse+ (~Ch. obtusa~). Alle
diese Halbcypressen mit erwachsen schuppenartiger Belaubung tragen
in ihrer Jugend weiche, pfriemenartige Nadeln. Nun gelang es der
gärtnerischen Zucht, solche Jugendzweige als Stecklinge zu verwerten,
und daraus Pflanzen heranzuziehen, die auch im Alter nur nadelförmige
Primärblätter tragen. Solche Formen mit dauernd beibehaltenem
Jugendkleid, die früher als besondere Gattung ~Retinispora~ angesehen
wurden, sind heute noch unter diesem irrigen Namen im Handel. So ist
~Retinispora plumosa~ einfach die das Jugendkleid beibehaltende Form
der Sawacypresse (~Ch. pisifera~).

Aus der großen Zahl der cypressenartigen, oft schwer zu
unterscheidenden Nadelhölzer ist noch eine durch ihre oben
glänzendgrüne, unten aber bläulichweiße Färbung der Triebe
gekennzeichnete Art zu nennen, nämlich die in Japan große Wälder
bildende +Hiba+ (~Thujopsis dolabrata~), die, weil vollkommen
winterhart und gegen Beschattung wenig empfindlich, sogar für den
deutschen Wald empfohlen wird. Sie liefert ein sehr dauerhaftes Holz.

Von allen bisher genannten Nadelhölzern trennt die +Wacholder+arten
der fleischige Bau der Zapfen, deren Schuppen bei der Reife völlig
verwachsen und deshalb ganz den Eindruck einer Beere machen. Von den
etwa 30 Arten der nördlichen Halbkugel sind in unseren Parkanlagen
nur wenige zu finden, da die meisten bei uns nur in ganz milden
Lagen zu gedeihen vermögen. Aber auch unsere einheimische Art, der
+gemeine Wacholder+ (~Juniperus communis~), der in den Sagen und in
der Volksheilkunde unserer heidnischen Vorfahren eine so große Rolle
spielte, ist selten in Kultur zu treffen. Am häufigsten findet sich
noch der im Hochgebirge und im Polargebiet wachsende +Zwergwacholder+
(~J. nana~), der mit seinen zur Ausnützung der durch Sonnenbestrahlung
erzeugten Bodenwärme und zum Schutz durch Schnee niederliegenden
Ästen und den dichtgedrängten, weicheren und kürzeren Nadeln gern als
Gartenschmuck verwendet wird. Ebenso wird der ähnlich auf der Erde
liegende +nordamerikanische Wacholder+ (~J. prostrata~), dann der
+schuppige Wacholder+ (~J. squamata~) vom Himalaja und ~J. sphaerica~
mit kugeligen Beeren aus China gelegentlich in unseren Gärten
kultiviert.

Bisweilen findet sich in unseren Anlagen auch der in Südeuropa
heimische +Baumwacholder+ (~J. excelsa~), der nebst dem im östlichen
Mittelmeergebiet, besonders in Syrien und Phönikien heimischen,
in der Erscheinung der Cypresse ähnlichen, ebenfalls baumartigen
+Cedernwacholder+ (~J. phoenicea~) die Ceder der Alten bildete, deren
rötliches, wohlriechendes Holz als „der Verwesung widerstehend“, wie
schon Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. sagt, mit Vorliebe als
Werkholz benutzt wurde, während sie den gemeinen Wacholder als „kleine
Ceder“ (~kédros mikrá~) bezeichneten. Nach Homers Ilias war das
Bettgestell des Königs der Troer, Priamos, aus solchem Wacholderholz
gefertigt (~kédrinos~) und duftete lieblich. Nach der Odyssee aber
brannte in der Wohnung der Nymphe Kalypso, Tochter des Atlas, die den
auf die von ihr bewohnte Insel Ogygia verschlagenen Odysseus 7 Jahre
lang festhielt, ein Feuer von Baumwacholder (~kédros~) und Lebensbaum
(~thýon~ von ~thýein~ opfern, weil sein Holz beim Opfer verbrannt
wurde) und verbreitete weithin über die Insel Wohlgeruch. Rings um
die Wohnung der Nymphe standen Erlen (~klḗthrē~), Schwarzpappeln
(~aígeiros~) und wohlriechende Cypressen (kypárissos). Auf den
Bäumen nisteten Käuzchen (~skṓps~), Falken (~írēx~) und Rabenkrähen
(~korṓnē~). In Vergils Äneis erleuchtete die in der Odyssee als
Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide (Meerjungfrau)
Perseis genannte, auf der Insel Aeaea hausende Zauberin Kirke, die
die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt hatte, nachts ihren
stolzen Palast mit wohlriechendem Wacholderholz (~odorata cedrus~).
Nach demselben Epos standen in der alten Burg des Königs Latinus in
Latium (in Mittelitalien am Tyrrhenischen Meer zwischen den Flüssen
Tiber und Liris -- jetzt Garigliano -- gelegen) der Reihe nach die aus
Wacholderholz (~cedrus~) geschnitzten Bilder der Ahnen. Nach Plinius
wuchsen die besten Cedernwacholder (~cedrus~) auf Kreta, in Syrien und
in Afrika. „Das Holz (~materia~), das mit Cedernwacholderöl (~cedri
oleum~) getränkt ist, wird weder von Würmern, noch von Fäulnis
angegriffen. Der Baumwacholder (~juniperus~) hat dieselben guten
Eigenschaften wie der ~cedrus~. Er wird in Spanien und insbesondere
im Lande der Vaccäer sehr groß und sein Kernholz ist noch dichter
als dasjenige des ~cedrus~. Sein Holz hat ewige Dauer; deshalb macht
man aus ihm gerne Götterbilder. So z. B. ist der zu Rom in einem
Tempel aufgestellte sosianische Apollo, der von Seleucia (in Syrien)
gebracht wurde, aus Cedernholz (~cedrinus est~, in diesem Fall ist
jedenfalls das echte Cedernholz der Libanonceder gemeint). -- Aus
den Beeren des Baumwacholders bereiteter Wein (~vinum e junipero~)
wird von Ärzten denjenigen als besonders wohltuend empfohlen, welche
durch Waffenübungen oder Reiten ermüdet sind.“ Noch heute werden die
aromatisch riechenden Beeren dieses mittelländischen Wacholders, wie
im Orient diejenigen des Bauchwacholders, statt unserer schwarzen
Wacholderbeeren, in Apotheken wie im Haushalte gebraucht. Der
griechische Arzt Galenos im 2. Jahrhundert n. Chr. sagt von ihnen: „Die
Wacholderbeeren heißen ~arkeuthís~, haben einige Schärfe, sind etwas
süß, haben auch etwas Zusammenziehendes und Gewürzhaftes. Sie erwärmen,
reinigen Leber und Nieren, verdünnen die dicken, zähen Säfte und werden
deshalb den Gesundheitsmitteln zugesetzt. Viel Nahrung gewähren sie dem
Körper nicht. In allzu großer Menge fallen sie dem Magen beschwerlich
und verursachen Kopfschmerzen.“ Plinius sagt, man gebe sie gegen
Blähungen, Fieber und Husten, lege sie auch auf Geschwülste und salbe
sich mit Öl, in welchem sie zerrieben wurden, um vor Schlangenbiß
sicher zu sein. Ein sicheres Mittel, um Schlangen zu vertreiben, sei,
Sägemehl von Baumwacholder an die Orte zu streuen, wo sich welche
befinden. Daß dieses Mittel probat ist, wollen wir schon glauben; denn
wir wissen, daß die Schlangen ein empfindliches Geruchsorgan besitzen
und dieser starkriechenden Masse wie allen intensiven Gerüchen aus
dem Wege gehen. So ist es ein vielerprobtes Mittel der Neger an der
schlangenreichen Küste von Liberia, sich beim Passieren von daran
besonders reichen Strecken vor dem Gebissenwerden durch diese Reptilien
zu schützen, indem sie sich Füße und Unterschenkel mit Knoblauch
einreiben.

Von dem in den östlichen Mittelmeergegenden heimischen
+Weihrauchwacholder+ (~J. thurifera~) wird das Harz als schlechter oder
arabischer Weihrauch in den Handel gebracht und aus dessen Holz, wie
auch aus demjenigen des verwandten lykischen Wacholders (~J. lycia~) in
Kleinasien, ein in der Tierarzneikunde gebräuchliches Wacholderholz-
oder Kadeöl destilliert. In unseren Parks werden diese Arten kaum
angetroffen. Dagegen wird von alters her wegen seiner offizinellen
Eigenschaften der an den Nord- und Südabhängen der Alpen und Pyrenäen
heimische strauchartige +Sade-+ oder +Sevenbaum+ (~J. sabina~)
gezogen. Schon der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert
n. Chr. erwähnt ihn als ~bradý~ (von ~bradýs~ langsam, weil er sehr
langsam in die Höhe wächst). Er kommt in Griechenland zur Seltenheit
auf den nördlichen, höheren Gebirgen vor, hieß bei den Italienern im
Mittelalter ~sabina~, woher er den wissenschaftlichen Beinamen erhielt.
Früher wurden am Feste von Marie-Krautweihen an manchen Orten nebst
anderen grünen Pflanzen auch Sevenzweige geweiht, die das abergläubige
Volk zur Abhaltung des Teufels und der Hexen in den Wohnungen aufhing
und für heilsam gegen alle möglichen Übel hielt. Es wird auch eine
buntblätterige Abart als Zierpflanze gezogen, doch soll dieser Strauch
wegen seiner großen Giftigkeit, die schon Todesfälle bewirkte, und weil
er als Abtreibungsmittel gerne benützt wird, nicht in öffentlichen
Anlagen gehalten werden.

Den seinigen sehr ähnlich, nur nicht so unangenehm harzig riechend,
sind die Zweige des +virginischen Wacholders+ oder +Sadebaums+ (~J.
virginiana~), der um 1664 aus dem östlichen Nordamerika in Deutschland
als Zierbaum eingeführt wurde. Während er bei uns niedergedrückt,
strauchartig bleibt, bildet er in seiner Heimat stattliche Bäume,
deren wohlriechendes, rotbraunes Holz trotz seiner Leichtigkeit
sehr dauerhaft ist und kaum je vom Wurmfraß leidet. Es wird deshalb
zu Schiffsplanken, Schindeln und allerlei Möbeln, besonders aber
zu Zigarrenkisten und zur Umkleidung von Bleistiften benutzt. Der
Bleistiftfabrikant Faber in Stein bei Nürnberg führt jährlich viele
tausend Kubikmeter davon ein und pflanzt auch den Baum für sich bei
Fürth in größerem Maßstab. Ebenso wird er im Braunschweigischen mit
Erfolg angepflanzt. Außer dem virginischen liefert auch der auf den
Bermudasinseln heimische ~Juniperus bermudiana~ einen großen Teil des
amerikanischen Bleistiftholzes, das als „rotes Cedernholz“ in den
Handel gelangt.

Noch mehr als die fleischige Frucht des Wacholders weicht die prächtig
rote, seltener gelbe Scheinbeere der +Eibe+ (~Taxus~) von der sonst
üblichen Zapfenform der Koniferenfrucht ab; doch weisen die einzeln
stehenden, vorn spitzen Nadeln auf ihre Familienzusammengehörigkeit
mit jenen. Die 6-9 m hoch werdende +gemeine Eibe+ (~Taxus baccata~)
findet sich in Gebirgswäldern Europas, Asiens und Nordamerikas,
ist aber im deutschen Walde fast ausgestorben. In Park und Garten
dagegen, wo sie unter Schutz steht, ist sie eine der bekanntesten
Erscheinungen. Sie wächst sehr langsam, leidet nicht unter starker
Beschattung und besitzt ein für Nadelhölzer ganz erstaunliches
Ausschlagsvermögen, so daß sie sich leicht durch Stecklinge vermehren
und zu Hecken und Figuren nach Belieben zuschneiden läßt. Allerdings
enthalten ihre Nadeln, wie auch die hellvioletten Samen ein giftiges
Alkaloid, das Taxin, das besonders für Pferde, aber auch für Ziegen
und Schafe gefährlich ist. Der Samenmantel dagegen wird von den
Amseln und anderen Vögeln gerne verzehrt; dabei besorgen diese die
Weiterverbreitung der Samen, die erst in zwei oder drei Jahren keimen.
Die Eibe ist das einzige Nadelholz, das vollständig harzfrei ist.
Männliche und weibliche Blüten wachsen bei ihr meist getrennt auf
verschiedenen Individuen; doch kommt es nicht selten vor, daß ein
Stock, der jahrelang nur einerlei Blüten trug, plötzlich beiderlei
Blüten hervorbringt. In alten Exemplaren wird die Eibe baumförmig und
erreicht dann eine Höhe von 10-15 m. Bei dem geringen Dickenwachstum
deuten so große Eibenbäume, die dann Stämme von 1 m Durchmesser
aufweisen, auf ein Alter von über 1000 Jahren. Im Park von Hamptoncourt
bei London kennt man solche Bäume, deren Alter von über 1000 Jahren
historisch beglaubigt ist. Ein Eibenbaum bei Katholisch-Hennersdorf in
Schlesien wird auf 1400 Jahre geschätzt und gilt für den ältesten Baum
Deutschlands. Noch älter ist die Eibe auf dem Friedhofe zu Braburn in
England, die man -- jedenfalls übertrieben -- für 3000jährig ausgibt.
Größere Eibenbestände sind außer auf der Tucheler Heide, wo gegen 1000
Bäume grünen, nur noch im bayrischen Allgäu vorhanden. Kleinere Haine
von ebenfalls sehr alten Eiben findet man bei Treseburg im Bodetal im
Harz, dann auf dem Veronikaberge bei Ilmenau, in einem Forstrevier der
rauhen Röhn bei Dermbach im Großherzogtum Weimar, wo gegen 400 sehr
alte Bäume vorhanden sind. In Süddeutschland ist neuerdings auf einen
Eibenhain in der Nähe von Paterzell bei Weilheim südlich von München
mit teilweise über 1000jährigen, bis 18 m hohen Exemplaren durch
~Dr.~ F. Kollmann aufmerksam gemacht worden.

In den Mittelmeerländern wächst die Eibe als Strauch nur spärlich
auf höheren Gebirgen. Sie galt den Alten als ein Baum des Todes, so
daß sogar schon ein längerer Aufenthalt unter ihrem Schatten für
lebensgefährlich angesehen wurde. Deshalb warnt Dioskurides, in ihrem
Schatten zu schlafen. Lucanus und Silius Italicus nennen die Eibe
als einen den Göttern der Unterwelt geweihten Baum; deshalb bekränzte
man sich mit ihr als Zeichen der Trauer. Die Griechen nannten sie
smílax, die Römer dagegen ~taxus~. Zahlreiche Völker, so schon die
neolithischen Pfahlbauern an den Ufern der Schweizerseen, bedienten
sich der Eibenzweige zur Herstellung von Bogen und zu anderen
außerordentlich dauerhaften Geräten. Im Mittelalter verfertigte
man besonders die Armbrustbogen daraus. Schwarz gebeizt ist ihr
rötlichbraunes Holz kaum vom Ebenholze zu unterscheiden. Nach Plinius
sollten aus Eibenholz verfertigte Weinbecher den Tod bringen, wie man
in Gallien bemerkt habe. Cäsar schreibt in seinem Berichte über den
Krieg in Gallien: „Als Cäsar den Ambiorix besiegt hatte, tötete sich
Kativolcus, der über die eine Hälfte der Eburonen regierte, durch das
Gift der Eibe. Dieser Baum ist in Gallien und Germanien häufig.“ Nach
demselben Autor sollen manche Volksstämme der Gallier mit Eibensaft
vergiftete Lanzenspitzen benutzt haben. Heute noch wird eine Abkochung
aus Zweigen von ihm, wie aus solchen des Sadebaums, beim Volke zum
Fruchtabtreiben verwendet.

Von Ostasien, besonders Japan, kamen die den Eiben ähnlichen, nach
den zu 2-3 in Köpfchen zusammenstehenden weiblichen Blüten als
+Kopfeiben+ (~Cephalotaxus~) bezeichnete Ziersträucher zu uns.
Sie gedeihen aber nur in milden Lagen. Die gebräuchlichsten Arten
derselben sind ~C. harringtonia~, zu Ehren des Earl von Harrington
in Elvaston-Castle, der sie zuerst anpflanzte, so bezeichnet, und
~C. fortunei~. Ebenfalls ostasiatischen Ursprungs ist der häufig in
unseren Parkanlagen zu treffende +Gingkobaum+ (~Gingko biloba~ nach
Linné, neuerdings aber gewöhnlich als ~Salisburia~ -- nach Richard
Anton Salisbury -- ~adiantifolia~ bezeichnet). Er wird in Japan
~ginkyo~ geheißen und wurde um 1750 von dorther in Europa eingeführt.
Nach Belaubung, Verzweigung und Ausschlagsfähigkeit würde man ihn
für ein Laubholz halten; der Bau des harzfreien Holzes aber und der
Blüten weist ihn zu den eibenartigen Nadelhölzern, während die höchst
merkwürdige Befruchtung der letzteren, von der im 2. Band meiner
gemeinverständlichen Entwicklungsgeschichte des Naturganzen nach den
neuesten Forschungsergebnissen: Vom Nebelfleck zum Menschen[4] auf
Seite 258 eingehend die Rede war, große Ähnlichkeit mit derjenigen
der Palmfarne hat. Ist er doch neben diesen der einzige unter allen
Gymnospermen, der noch Spermatozoïden wie die niederen Farne erzeugt.
Und an einen Farn, das Frauenhaar (~Adiantum capillus veneris~)
erinnert auch der fächerförmige Bau und die Nervatur der Blätter,
die an den nichtblühenden Zweigen zweilappig sind und im Herbste
sämtlich abgeworfen werden, und zwar an den weiblichen Bäumen -- der
Gingko ist nämlich zweihäusig -- später als an den männlichen. Die
Blätter der blühenden Zweige sind ungeteilt, die der Stockausschläge
dagegen mehrspaltig-viellappig. Der Baum entspricht also der bei den
Laubhölzern in weitem Umfang geltenden Regel, wonach die Blätter der
Blütenzweige einfacher, die der Stockausschläge dagegen größer und
reicher gegliedert sind als die übrigen Blätter. Die männlichen Blüten
sind gestielte Kätzchen, welche zahlreiche Staubblätter mit je zwei
an der Spitze sitzenden Pollensäckchen tragen. Die weiblichen Blüten
sind länger gestielt und weisen am Ende meist zwei becherförmige
Fruchtblätter auf, die mit je einer aufrechten Samenanlage besetzt
sind. Die einer gelben oder grünlichen, großen Kirsche ähnliche Frucht
besitzt einen von einem umfangreichen, harzreichen Fruchtfleisch
umschlossenen zweikantigen, steinharten Kern, dessen Samen geröstet in
China als Nahrungsmittel dient.

[Illustration: Bild 79.

I Zweig mit Blättern und Blüten des männlichen Gingkobaumes
(~Salisburia adiantifolia~), III ein einzelnes Staubblatt mit zwei
Pollenfächern, II weiblicher Blütenstand mit einigen jungen Früchten.]

In seiner Heimat China und Japan ist der Gingko ein heiliger Baum,
der fast nur in den Hainen um die Tempel angepflanzt wird. Wild wird
er nur noch an wenigen Stellen in den Bergen der gegenüber der Insel
Formosa gelegenen chinesischen Provinz Fo-kien gefunden. Er ist
der letzte noch erhaltene Vertreter einer Pflanzengattung, die zur
mittleren Tertiärzeit auch in Europa lebte und sich seit dem Beginne
der mesozoischen Zeit kaum mehr veränderte. Was die Brückenechse
(~Hatteria~) in der Zoologie, das ist der Gingko in der Botanik -- ein
höchst interessantes lebendes Fossil!

Wie die Brückenechse eine Brücke zwischen den Alt- und Neuechsen
bildet, so führt der altertümliche Gingko ganz unmerklich von den
altmodischen Nadelhölzern hinüber zu den +Laubbäumen+, als deren
ersten Vertreter wir die +Buche+ (~Fagus~) besprechen wollen.
Von der +gemeinen+ oder +Rotbuche+ (~Fagus silvatica~) werden in
den Gartenanlagen mehrere Varietäten kultiviert, unter denen die
+Blutbuche+ (~var. purpurea~) mit dunkelbraunroten Blättern die
bekannteste ist und prächtige Kontraste hervorbringt. Von besonderem
Interesse ist der bei der Blutbuche zuerst gelungene Nachweis, daß
eine solche zufällig entstandene Bildungsabweichung, wie das rote
Laub, eine samenbeständige, vererbliche Eigenschaft sein kann. Als
Heckenpflanze wertvoll ist die +Weißbuche+ (~Carpinus betulus~), die
auch auf schlechtem Boden und im Schatten gedeiht. Durch ihre große
Ausschlagsfähigkeit ist sie wie geschaffen für regelmäßiges Beschneiden
und schützt ihre Umgebung im Winter gegen Wind und Schnee, indem ihr
dürres Laub zum großen Teil erst im Frühjahr abfällt. Neben ihr wird
auch nicht selten die ihr sehr ähnliche südeuropäische +Hopfenbuche+
(~Ostrya carpinifolia~) kultiviert, so genannt, weil die Fruchthüllen
sackartig die Nüßchen umschließen, so daß das Ganze an eine
Hopfenfrucht erinnert.

Auch die +Eiche+ (~Quercus~) ist ein beliebter Gartenbaum. Außer
den einheimischen Arten ist besonders die +ungarische Eiche+ (~Q.
hungarica~) und die ebenfalls südeuropäische +Zerreiche+ (~Q. cerris~)
wegen ihres schöngeformten Laubes beliebt. Durch ihre prächtigrote
Herbstfärbung sind einige bei uns eingeführte nordamerikanische
Arten ausgezeichnet, so vor allem die +Roteiche+ (~Q. rubra~) mit
spitzgelappten Blättern, die in ihren Blättern kaum mehr eine
Verwandtschaft mit den Blattformen der einheimischen Eichen aufweist.

Nicht selten trifft man als Parkbaum die +Edelkastanie+ (~Castanea
vesca~), die bei uns keine Früchte mehr zeitigt. Von weiteren
Kätzchenblütlern ist der +Nußbaum+ (~Juglans regia~) zu nennen,
der prächtige Kronen bildet; doch tritt sein Zierwert gegenüber
seiner Bedeutung als Fruchtbaum sehr zurück. Dies trifft bei den
nordamerikanischen Arten nicht zu, von denen der +Schwarznußbaum+ (~J.
nigra~) schon 1629 in Europa angepflanzt wurde. Seine sehr harten,
schwarzen Nüsse stecken in einer fast runden, gelblichgrünen Hülle.
Sie sind sehr ölreich, werden aber kaum je gegessen. Mehr in die Länge
gezogene schwarze Nüsse besitzt in klebrig behaarter grüner Schale die
ebenfalls nordamerikanische +Graunuß+ (~J. cinerea~), die klimatisch
noch härter als die übrigen Nußarten ist, aber einen etwas geringeren
Holzwert besitzt. Wenig Verbreitung haben dagegen bei uns die
+Hickory+arten gefunden, von denen die +weiße Hickorynuß+ (~Hicoria
ovata~) noch die bekannteste ist; sie ist aber besonders in der Jugend
sehr frostempfindlich und gedeiht nur an sehr geschützten Standorten.

Mit der heimischen +Haselnuß+ (~Corylus avellana~) wird auch die
stattliche +türkische Haselnuß+ oder +Baumhasel+ (~C. colurna~)
aus Kleinasien und die von ebendort stammende +Lambertsnuß+
(~C. tubulosa~), deren Früchte in der röhrenförmigen Hülle fast
verschwinden, in verschiedenen Zierformen gezogen. Das bald
schlitzblättrige, bald dunkelpurpurne Laub macht die Hasel zum
Schmuckstrauch, dem der große Vorzug zukommt, auch im Schatten anderer
Bäume als Unterholz prächtig zu gedeihen.

Von weiteren Kätzchenblütlern sind die +Erlen+ und +Birken+ zu
nennen. Den ersteren kommt, abgesehen von einigen Formen der +Rot+-
oder +Schwarzerle+ (~Alnus glutinosa~), für Park und Garten nur eine
untergeordnete Bedeutung zu. Die Birken dagegen, vor allem die durch
ihren prächtigen, weißen Stamm und ihre zierlichen, herabhängenden
Zweige ausgezeichnete +Weißbirke+ (~Betula verrucosa~), die nicht
nur ihrer hübschen Erscheinung wegen, sondern auch weil sie sehr
genügsam und raschwüchsig ist, verdienen die weiteste Verbreitung auch
in kleineren Hausgärten. Von fremden Arten ragt durch ihre schöne
Kronenbildung die nordamerikanische +Papierbirke+ (~B. papyracea~)
hervor, aus deren leicht ablösbarer Borkenhaut in ihrer Heimat eine
Art Papier gemacht wird. Ihr ähnlich ist die europäische +Hänge+- oder
+Trauerbirke+ (~B. pendula~), die ebenfalls sehr hübsch ist und äußerst
dekorativ wirkt.

An Schnellwüchsigkeit werden die Birken von +Weiden+ und +Pappeln+
übertroffen, die denn auch wichtige Gartenbäume liefern. Von den
mannigfachen Weidenarten ist die +Weißweide+ (~Salix alba~) häufig
anzutreffen; auf den Friedhöfen dagegen hat sich die +Trauerweide+ (~S.
babylonica~) als Sinnbild der Trauer eingebürgert. Dieser 3-7 m hohe
Baum mit überhängenden Ästen und Zweigen stammt aus Japan und China und
kam vor 200 Jahren nach dem Orient und von da zu uns. Doch besitzen
wir von ihm nur weibliche Bäume, weil alle unsere Exemplare von einem
und demselben weiblichen Steckreise abstammen, das zu Beginn des 18.
Jahrhunderts aus dem Orient nach Europa gebracht wurde. Die Trauerweide
wächst nicht in Babylonien und ist nicht der Baum, unter welchem die
Juden während ihrer babylonischen Gefangenschaft ihre Harfen aufhingen
und trauerten. Dieser im 137. Psalm als ~garab~ bezeichnete Baum war
vielmehr eine Pappel (~Populus euphratica~). Berühmt ist die ebenfalls
weibliche Trauerweide, die das Grab Napoleons I. auf St. Helena
beschattete.

Ein prächtiger Zierbaum unserer Gärten ist die in Südeuropa und
Westasien heimische +Silberpappel+ (~Populus alba~), die wegen ihrer
silberweißen, filzig behaarten Blätter so genannt wird. Unangenehm
kann sie nur dadurch werden, daß sie nach der Fruchtreife die in weiße
Flugwolle gehüllten Samen weithin verbreitet. Doch läßt sich dieser
Nachteil dadurch umgehen, daß man nur männliche Exemplare derselben
pflanzt. Ebenso schnellwüchsig ist die an feuchten Waldrändern und
Bachufern in ganz Europa heimische +Schwarzpappel+ (~P. nigra~), die
ihre mächtigen Äste weithin ausstreckt, während die an denselben
Standorten wachsende +Zitterpappel+ oder +Espe+ (~P. tremula~) nur
ein zierlich feines Astwerk entwickelt. Vielleicht ein Bastard dieser
beiden ist die aus dem Orient zu uns gekommene +graue Pappel+ (~P.
canescens~), die ebenfalls als Zierbaum beliebt ist. Wahrscheinlich
nur eine besondere Wuchsform der Schwarzpappel ist die zur Zeit
Napoleons I. überall als Straßeneinfassung gepflanzte +Pyramidenpappel+
(~P. pyramidalis~), die nicht von den Ufern des Mississippi, wie
es in allen Lehrbüchern steht, sondern aus Persien zu Ende des 17.
Jahrhunderts zuerst in einem Exemplar nach Warschau kam. Zu Beginn des
18. Jahrhunderts gelangte der Baum nach Oberitalien. Um 1740 wurde
ein männliches Exemplar aus der Lombardei in den Garten nach Wörlitz
gebracht, von wo aus die Pyramidenpappel sich in weitere fürstliche
Anlagen Deutschlands verbreitete. Da alle andern Exemplare in
Mitteleuropa Ableger dieses einen Baumes sind, ist es kein Wunder, daß
sie ausnahmslos männlich sind und die Art infolge der ausschließlichen
Fortpflanzung durch Steckreiser schon bedeutend an Lebensenergie
eingebüßt hat. Dieser in Zentralasien heimische und in Nordindien
von alters her angepflanzte Baum wurde seit seiner Einführung in
Mitteleuropa vor etwa hundert Jahren überall den Flüssen und Straßen
entlang als volkstümlichster Alleebaum kultiviert, bis zu Ausgang des
19. Jahrhunderts der Wechsel der Mode seine Herrschaft brach. Daß
er an den Landstraßen Obst- und andern Bäumen weichen mußte, dazu
trug vor allem der Umstand bei, daß er außerordentlich flache, über
35 m weit streichende Wurzeln bildet, die die angrenzenden Felder
stark aussogen und nicht selten auch die Schotterdecken der Straßen
in Unordnung brachten. Außerdem erreicht er kein hohes Alter, wird
bald häßlich wipfeldürr und bot allerlei Ungeziefer Unterschlupf,
wahrscheinlich alles nur Folgen der Schwächung der Pflanze durch die
fortwährende vegetative Vermehrung. In ganz Deutschland kennt man nur
acht nachträglich eingeführte weibliche Pyramidenpappeln, die sich
zur Bildung von Samen zur Fortpflanzung auf geschlechtlichem Wege zur
Rassenaufbesserung eignen würden.

Von den verschiedenen fremden Pappelarten übertrifft die in
mehreren Formen eingeführte +kanadische Pappel+ (~P. canadensis~)
an Raschwüchsigkeit alle einheimischen Holzarten. Sie ähnelt
außerordentlich der Schwarzpappel, hat nur zum Unterschiede von ihr
mehr in die Höhe strebende Äste und dreieckige, am Grunde gerade
abgeschnittene Blätter. Sie bildet eine längliche Krone, erreicht
auf gutem Boden schon in 30 Jahren eine Höhe von 30 m und wurde im
18. Jahrhundert aus Nordamerika nach Frankreich gebracht, von wo aus
sie sich schnell durch ganz Europa verbreitete. Da sie viel höheren
Holzertrag als die Schwarzpappel gewährt, hat sie letztere bei uns
stark zurückgedrängt. Schon wegen ihrer Raschwüchsigkeit ist sie für
Alleen und Parkanlagen sehr zu empfehlen.

Aus dem Orient kam die nach ihrer an die Weiden erinnernden Blattform
so genannte +schmalblätterige Ölweide+ (~Elaeagnus angustifolia~) zu
uns. Dieser 3-6,5 m hohe Baumstrauch wird seiner lanzettlichen,
unterseits silberweißen Blätter wegen ziemlich häufig in unsern
Parkanlagen angepflanzt. Die unscheinbaren, inwendig gelblichen, stark
duftenden Blüten sind eine gute Bienenweide und die süßlichen, mehligen
Früchte können gegessen werden und werden deshalb in Griechenland
und Vorderasien gesammelt. Infolge ihrer dekorativen Erscheinung
sind auch die noch hellere +nordamerikanische Silberölweide+ (~E.
argentea~) und die +doldige Ölweide+ (~E. umbellata~) aus Japan
als Ziersträucher sehr beliebt. Das gleiche ist mit den verwandten
graublätterigen +Shepherdien+ (nach John Shepherd, der in den 1820er
Jahren Inspektor des botanischen Gartens zu Liverpool war, so genannt)
der Fall. Es sind dies ~Shepherdia canadensis~ und ~argentea~, welche
beide aus Nordamerika stammen. In dieselbe Familie gehört auch der
an der Ost- und Nordsee und auf den Flußgebieten des Alpenvorlandes
heimische +Sanddorn+ (~Hippophaë rhamnoides~), ein bis 3 m hoher,
sparrig verästelter Strauch mit schmalen, unten ebenfalls silberweißen
Blättern und goldgelben, braunpunktierten, beerenähnlichen Früchten,
der undurchdringliche Hecken liefert und zur Befestigung von Dünen
und Dämmen benutzt wird. Das schöne Holz dient zu Drechslerarbeiten,
Blätter und Holz dienen zum Gelb- und Braunfärben. Die sauer
schmeckenden Beeren werden in nördlichen Ländern an Fischbrühen
gegessen, auch bereiten sich die Finnländer ein Mus daraus.

Aus Südeuropa kam der +Bocksdorn+ oder +dornige Jasmin+ (~Lycium
europaeum~) zu uns. Es ist dies ein bis 2,5 m hoher Strauch mit
überhängenden Zweigen, die wie beim Sanddorn in Dornen auslaufen. Er
hat nachtschattenartige, rotviolette Blüten, wie der ihm ähnliche,
ebenfalls im Mittelmeergebiet heimische +gemeine Bocksdorn+ (~L.
barbarum~), nur daß seine Staubfäden nicht wie bei diesem hervorragen.
Beide werden als Ziersträucher zu Hecken und niederen Wandverkleidungen
verwendet und sind in manchen Gegenden Deutschlands so sehr
verwildert, daß es schwer fällt, sie dort nicht für einheimisch zu
halten. Ebenfalls ein Südeuropäer, der schon in Südtirol wildwachsend
angetroffen wird und überall in unsern Anlagen gefunden wird, ist der
+Judasbaum+ (~Cercis siliquastrum~) -- so geheißen, weil sich der Sage
nach der Verräter Judas, genannt Ischariot, d. h. Mann von Kariot,
daran gehängt haben soll -- dessen schlanke Zweige sich im Mai mit den
büscheligen, rosaroten, wohlriechenden Schmetterlingsblüten schmücken,
kurz nachdem sich die einfachen, rundlichen Blätter entfaltet haben.
Die 10-16 cm langen, braunen Hülsenfrüchte, die man auch als falsches
Johannisbrot bezeichnet, bleiben bis tief in den Winter hinein an den
Zweigen hängen. Sie werden nicht gegessen, wohl aber die angenehm
scharf schmeckenden Blüten, die man gerne als Würze verwendet. Der Baum
ist im Morgenlande sehr gemein.

Nahe mit ihm verwandt ist die +dreidornige Gleditschie+ (~Gleditschia
triacanthos~) -- nach dem 1714 zu Leipzig geborenen und 1786 zu Berlin
als Aufseher des botanischen Gartens gestorbenen Joh. Theodor Gleditsch
so genannt -- ein in unseren Anlagen kultivierter, 9-12 m hoher Baum
mit paarig gefiederten Blättern und kleinen, grünlichen, in kurzen
Ähren stehenden Blüten. Sie ist stark bedornt, indem sich regelmäßig
oberhalb der Blattachseln besondere Nebensprossen in Form brauner
Dornen mit zwei Nebendornen bilden. Bei manchen Bäumen sind Äste und
Stamm förmlich mit solchen gespickt, während neben ihnen eine Form ohne
alle Dornenbildung als für den Garten angenehmer gezogen wird. Aus
dessen scharfbewehrten Zweigen soll die Dornenkrone Christi bestanden
haben, weswegen der Baum auch Christusdorn genannt wird. Doch ist der
Baum in Nordamerika zu Hause und kam erst im 18. Jahrhundert in die
Alte Welt. Da er rasch wächst und nur geringe Ansprüche an den Boden
stellt, findet er neuerdings vielfach auch als Straßenbaum Verwendung.
Daneben wird eine Form mit hängenden Zweigen in unseren Anlagen
kultiviert. Das süßliche Mark der großen, braunen, leicht gedrehten,
flachen Hülsen dient der Jugend als Leckerbissen, während man es in
Nordamerika als Arzneimittel verwendet und einen süßen Met daraus
bereitet.

Seltener trifft man den ebenfalls nordamerikanischen, 6-10 m hohen,
+Schusserbaum+ (~Gymnocladus canadensis~), dessen Samen so rund sind,
daß sie mit den Schussen oder Gluckern, den kleinen Spielkugeln, der
Kinder verwechselt werden können. Er besitzt doppeltgefiederte Blätter
und blüht in weißen Trauben. Die Rinde dient in seiner Heimat zum
Waschen, da sie Seifenstoff enthält, und aus den Samen bereitet man in
Kentucky ein Kaffeesurrogat.

Ebenfalls bei uns als Gartenzierbaum, auch in einer Form mit hängenden
Ästen, wird die ostasiatische ~Sophora japonica~ gepflanzt. Es ist
dies ein der gemeinen Robinie ähnlicher Baum Chinas und Japans mit
einfachen Fiederblättern, licht gelbgrünen Schmetterlingsblüten, aus
denen in seiner Heimat eine gelbe Farbe zum Färben gewonnen wird, und
perlschnurartigen Hülsen, die ihm den deutschen Namen +Schnurbaum+
verschafften. Nahe verwandt mit ihm ist die ebenfalls als Zierbaum
unserer Anlagen gezogene +gelbe Vergilie+ (~Cladrastis lutea~) --
nach dem römischen Dichter Publius Vergilius Maro so genannt -- aus
Nordamerika mit unpaarig gefiederten Blättern und in Trauben stehenden
gelben Blüten.

Überall bei uns wegen des schnellen Wachstums und der jasminähnlich
riechenden, honigreichen, weißen Schmetterlingsblüten in langgestielten
Trauben als Zierpflanze in Anlagen, aber auch als Nutzbaum auf
Eisenbahndämmen und Schutthalden, die sie mit seinem ausgedehnten
Wurzelsystem festzuhalten vermag, wird die +gemeine Robinie+ oder
+falsche Akazie+ (~Robinia pseudacacia~) gezogen. Sie erhielt ihren
Namen vom Gärtner Heinrichs IV. und dessen Nachfolgers Ludwig XIII.,
Jean Robin, der diesen Baum im Jahre 1600 aus Virginien nach Frankreich
brachte. Ein später, 1635, von seinem Sohne Vespasian Robin gepflanztes
Exemplar steht jetzt noch im botanischen Garten in Paris in voller
Kraft. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam dieser nordamerikanische
Fremdling nach Deutschland, wo sich besonders Friedrich der Große
(regierte von 1740-1786) für seine Verbreitung verwendete. Doch
erfüllte er nicht die auf ihn als Nutzbaum gesetzte Hoffnung, obschon
sein gelbliches, oft rötlich geadertes, ziemlich hartes Holz zähe, sehr
widerstandsfähig und leicht polierbar ist und zu feinen Tischler-
und Drechslerarbeiten dient. Zudem ist der bis 25 m hohe Baum
sehr genügsam, wenig empfindlich und zur Befestigung von Dämmen und
Flußufern sehr geeignet. Das Holz liefert eine ebenso schöne gelbe
Farbe als das Quercitronholz, die Rinde dient zum Gerben, die durch je
ein scharfes Dornenpaar in den Achseln geschützten Blätter kann man
als Viehfutter verwenden und die Samen geben ein fettes Öl. Unter den
verschiedenen, durch Kultur entstandenen Spielarten des vom Volke auch
als „Silberregen“ bezeichneten Baumes ist die +unbewehrte Robinie+
(~R. inermis~) mit fast glatten Ästen und die +Kugelrobinie+ (~R.
umbraculifera~) mit kurzen, unter der Blättermasse zusammengedrängten
Zweigen hervorzuheben. Der falsche Name +Akazie+ hat sich so sehr für
diese Baumart eingebürgert, daß sie meist unter diesem bekannt ist. Und
doch hat sie mit den echten Akazien fast keine Ähnlichkeit. Diese in
warmen Gegenden lebenden artenreichen Bäume, die u. a. den arabischen
Gummi und den Katechu liefern, kommen bei uns im Freien nicht fort,
werden aber im Gewächshaus und als Zimmerpflanzen in manchen Arten
gezogen. Im Vorfrühling werden die mit goldgelben, kugeligen Blüten
geschmückten Zweige verschiedener australischer Akazienarten in Menge
von der Riviera bei uns eingeführt, aber -- um den Wirrwarr noch
größer zu machen -- als „Mimosen“ verkauft. Die richtige +Mimose+
oder +Sinnpflanze+ (~Mimosa pudica~) ist ein in Brasilien heimischer
Schmetterlingsblütler, dessen zarte, gefiederte Blättchen so überaus
empfindlich sind, daß sie bei der geringsten Berührung zusammenklappen,
wobei die Blattstiele sich senken. Es ist dies also eine Stellung,
die sie bei den ersten sie treffenden Regentropfen und im Schlafe zum
Schutz gegen den Tau einnehmen. Erst wenn die Pflanze sich völlig
beruhigt hat, richten sich die Blattstiele wieder auf und legen
sich die Fiederblättchen auseinander. Diese zierliche, krautartige
Pflanze ist in vielen Gegenden der Tropen, so namentlich in Ostindien
verwildert und zu einem förmlichen Unkraut geworden, dessen man sich
kaum mehr zu erwehren vermag.

Unter den echten Akazien ist die wahrscheinlich aus Westindien
stammende, jetzt in den wärmeren Gegenden aller Weltteile gepflanzte
~Acacia farnesiana~ zu nennen, die bei uns als Topfpflanze kultiviert
wird, in Südeuropa jedoch im Freien gedeiht und häufig in den Gärten
Italiens, Griechenlands und Spaniens anzutreffen ist. Dieser dornige
Strauch mit doppeltgefiederten Blättern und gelben, langgestielten
Blütenköpfchen wird wegen des köstlichen veilchenartigen Duftes der
letzteren auch in Südfrankreich und an der Riviera gezogen, um die
fälschlich als Kassienblüten bezeichneten Blüten in der Bukettbinderei
und Parfümerie zu benutzen. Ihren Namen hat sie davon, daß sie in
Europa zuerst im Garten der Villa Farnese in Rom angepflanzt wurde.

Wie bei der Mimose sind übrigens auch bei der gemeinen Robinie die
Blätter in gewisser Beziehung reizbar. Ihre gewöhnlich, um das Licht
möglichst auszunutzen, flach ausgebreiteten Fiederblättchen stellen
sich bei zu starker Beleuchtung senkrecht, mit der Kante gegen das
Licht, so daß die Verdunstung in denselben herabgesetzt wird. Bei
kühler Witterung und abends, wenn die Sonne untergegangen ist, senken
sie sich nach unten und legen sich gewißermaßen, um sich gegenseitig
zu erwärmen, leicht gegeneinander. Steigt bei andauernder Hitze
der Wasserverbrauch in bedrohlichem Maße, so wirft der Baum, wie
übrigens noch verschiedene andere Pflanzen unter solchen Umständen
zur Verringerung der Transpirationsfläche, einen Teil seiner Blätter
ab. Gleich ihr kamen ebenfalls aus Nordamerika, und zwar Südkarolina,
die bis 25 m hohe +klebrige Robinie+ (~R. viscosa~) mit klebrigen
Drüsenhaaren an Zweigen und Hülsen und rötlichen Blüten, und die
+borstige Robinie+ (~R. hispida~), deren Äste und Zweige dicht mit
braunen Stachelborsten überzogen sind, mit größeren rosaroten Blüten,
zu uns.

Wichtiger noch als die Robinien sind für unsere Gärten der +Goldregen+
(~Cytisus laburnum~), ein mitunter baumartig werdender Strauch, der in
Südfrankreich und längs des Südfußes der Alpen bis nach Ungarn wild
wächst. Er ist unstreitig einer unserer schönsten Blütensträucher
und wird deshalb allgemein in den Gärten und öffentlichen Anlagen
angepflanzt, obschon er in fast allen Teilen, namentlich aber in den
kugeligen schwarzen Samen ein Cytisin genanntes, Erbrechen erregendes
und stark die Gedärme reizendes, abführendes Alkaloid enthält, das in
großen Dosen selbst den Tod herbeiführen kann. Deshalb sollten Kinder
unbedingt auf die Giftigkeit des Strauches aufmerksam gemacht werden.
Die geruchlosen, goldgelben, hängenden Blütentrauben gleichen in der
Form denjenigen der gemeinen Robinie, dagegen sind die Blätter nicht
gefiedert, sondern kleeartig dreigeteilt. Das dunkelbraun bis schwarz
gefärbte Kernholz wird an Stelle von Ebenholz verwendet und deshalb
falsches Ebenholz genannt.

In Norditalien, Kärnten und Kroatien wächst der +purpurne Goldregen+
(~Cytisus purpureus~) als ein niedriger Strauch mit meist unbehaarten
Blättern und seitenständigen roten Blüten. Auch er wird als Zierstrauch
kultiviert und ist, besonders auf den Stamm des eigentlichen
Goldregens gepfropft, ein schöner Kronbaum. An einem solchen
Pfropflinge fand der Pflanzenzüchter Adam in Vitry bei Paris an der
Verwachsungsstelle beider einen Trieb, der ein richtiger vegetativer
Bastard war und ohne ein Produkt geschlechtlicher Kreuzung zu sein,
in allen seinen Merkmalen die Mitte zwischen seinen Eltern hielt. Das
Entstehen solcher Pfropfbastarde ist eine sehr seltene Erscheinung und
verdient deshalb hier genannt zu werden.

Wie der Goldregen sind verschiedene seiner Verwandten, so die süd- und
mitteleuropäischen +Geißklee+- und +Ginster+arten, in den Garten geholt
worden. Der +Geißklee-+ oder +Bohnenstrauch+ (~C. arboreus~) wurde in
seiner Heimat am Mittelmeer seiner dreizähligen, kleeähnlichen, ein
treffliches Futter für Ziegen, Schafe und Rinder bildenden Blätter
wegen schon im Altertum kultiviert. Nach den römischen Autoren sollte
er besonders auf die Milchabsonderung günstig wirken, so daß selbst
säugende menschliche Mütter gerne eine Abkochung seiner Blätter mit
Wein vermischt zur Förderung der Milchabsonderung genossen. Der
Ackerbauschriftsteller Columella und der gelehrte Naturkundige Plinius
um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. verwundern sich beide darüber,
weshalb diese für die Viehzucht so nützliche Futterpflanze nicht noch
häufiger in Italien gepflanzt werde. Acht Monate lang liefere der Baum
den Tieren grünes Futter und den Rest des Jahres noch gute Nahrung
in getrockneter Gestalt. Nicht bloß dem eigentlichen Vieh, auch den
Hühnern sei er zuträglich und seine Blüten bildeten eine treffliche
Bienenweide. Dabei mache seine Kultur nur geringe Kosten, da er sich
mit dem magersten Boden begnüge und lange Trockenzeiten ertrage.
Man köpfte ihn und zog ihn niedrig, benutzte also vorzugsweise den
immer erneuten Stockausschlag. In der modernen Landwirtschaft der
Mittelmeerländer bildet der Strauch keine Rolle mehr, ist aber wie der
dieselben Landstriche Südeuropas bewohnende +kopfblütige Bohnenstrauch+
(~Cytisus capitatus~) eine geschätzte Zierde unserer Gärten geworden.

Ein vereinzelt schon in Süddeutschland wildwachsender
Schmetterlingsblütler ist der nicht sowohl durch seine wenig
zahlreichen braungelben Blüten, als vielmehr durch seine an Fischblasen
erinnernden häutigen Hülsen auffallende, 3-5 m hohe +gemeine
Blasenstrauch+ (~Colutea arborescens~). Die Hülse, an deren Innenwand
die Samen hängen, wird nämlich durch die von der Pflanze ausgeschiedene
sauerstoffreiche Luft zu einer Blase prall aufgetrieben, die nach der
Reife vom Wind entführt wird, bis sie, allmählich zerreißend, die
Samen entläßt und so für die Ausbreitung der Art sorgt. Die Knaben
pflegen sie mit starkem Knall zu zerdrücken. Die jungen Triebe färben
gelb, die Blätter führen wie die Sennesblätter ab und dienen deshalb
auch zu deren Verfälschung. Als Gartenzierstrauch kam aus Vorderasien
der etwas kleinere, nur 1,5-3 m hohe +blutrote Blasenstrauch+ mit
Trauben schmutzig blutroter Blüten und an der Spitze klaffenden
Fruchtblasen zu uns, während der verwandte, 2-3 m hohe +silberweiße
Salzstrauch+ (~Halimodendron argenteum~) mit seidenhaarigen
Fiederblättern und schönen, fleischroten bis lilafarbenen Blüten
wegen der letzteren aus den Salzsteppen am Irtisch in Westsibirien
in unseren Anlagen angesiedelt wurde. Ebenso kamen aus Sibirien der
+strauchartige+ und der +baumartige Erbsenbaum+ (~Caragana frutescens~
und ~arborescens~) zu uns. Der erstere wird bis 2 m, der letztere bis
5 m hoch. Beide haben gelbe Blüten und werden, weil anspruchslos,
häufig gepflanzt und besonders zu Hecken verwendet. Aus den Blättern
kann man eine blaue Farbe gewinnen, und die erbsenartigen Samen sind
als Geflügelfutter verwendbar. Von ihnen gibt es auch eine hängende und
eine buntblätterige Varietät.

Ab und zu trifft man in Ziergärten auch noch andere
schmetterlingsblütige Sträucher, doch hat sich keiner derselben auch
nur annähernd eine solche Beliebtheit erworben, wie der über 7 m
lange Schlingstrauch Chinas, die unter dem Namen +Glycine+ bekannte
~Wistaria chinensis~, die jetzt den Namen ~Kraunhia floribunda~
führt. An nach Süden gerichteten, einigermaßen geschützten Wänden
hält sie sogar den norddeutschen Winter im Freien aus und schmückt
im Frühjahr die von ihr bekleideten Hausfassaden und Lauben mit der
Pracht ihrer blaßvioletten, duftenden Blüten. Von dieser, kletternde
Sträucher umfassenden Leguminosengattung mit unpaarig gefiederten
Blättern und ziemlich langgestielten blauen, selten weißen Blüten in
endständigen nickenden oder hängenden, lockeren Trauben und langen,
gestielten Hülsen gibt es vier Arten in China, Japan und dem östlichen
Nordamerika. Die bei uns meist gepflanzte chinesische Glycine stammt
aus der Mongolei und China, wurde dort und dann besonders in Japan
viel zur Zierde kultiviert und kam von dort zu uns. Sie besitzt in
der Jugend seidenartig behaarte Blätter und klettert bis 30 m hoch.
~Kraunhia frutescens~ aus Virginia, Illinois und Louisiana ist in allen
Teilen kleiner als die vorige, blüht später und besitzt wohlriechende
Blüten. Sie ist empfindlicher gegen Kälte als vorige Art und wird in
mehreren Varietäten kultiviert. Eine Varietät, ~Kr. magnifica~, blüht
noch reicher als die Stammart und hat bläulichviolette Blüten mit
gelbem Fleck.

Früher sehr beliebte kletternde Sträucher mit meist matt gefärbten,
aber in der Abenddämmerung weithin einen herrlichen Duft aushauchenden
Blüten sind die +Loniceren+ aus der Gattung der Geißblattgewächse. Von
den über 100 Arten sind fast alle auf der Nordhalbkugel heimisch, und
zwar am zahlreichsten im östlichen Asien und im Gebiet des Himalaja.
Das gemeine oder +nördliche Geißblatt+ (~Lonicera periclymenum~)
ist ein Schlingstrauch Südeuropas, Westasiens und Nordafrikas mit
meist außen roten, innen gelben Blüten und roten Beeren. Es ist in
Blattform und Blütenfarbe sehr veränderlich und wird in Gärten zum
Überziehen von Lauben und Wänden usw. benutzt. In Südeuropa bis zum
Kaukasus wächst das +südliche Geißblatt+ (~L. caprifolium~) mit in der
Farbe wechselnden, 5 cm langen Blüten. Auch das nordamerikanische
immergrüne Geißblatt (~L. sempervirens~) mit glänzend dunkelgrünen
Blättern und prachtvoll scharlachroten Blüten mit sehr langer Röhre
wird häufig bei uns kultiviert. ~Lonicera brachypoda~ aus Japan wird
besonders in der Abart mit goldgelb geaderten Blättern zum Beziehen
kleiner Beete und Gitter, auch als Ampelpflanze gezogen.

Die nichtwindenden Geißblattarten bezeichnet man gewöhnlich als
+Heckenkirschen+, weil die paarig verwachsenden roten Früchte
einigermaßen an Kirschen erinnern. Unter ihnen werden als Ziersträucher
kultiviert: die bis 2,5 m hohe +gemeine Heckenkirsche+ oder
+Beinweide+ (~Lonicera xylosteum~), mit eirunden, behaarten,
besonders auf der Unterseite graugrünen Blättern, weißen, sich
später gelb färbenden Blüten und roten Beeren, dann die +tatarische
Heckenkirsche+ (~L. tatarica~), ein 2,5-3 m hoher buschiger
Strauch mit unbehaarten, hellgrünen Blättern, schönen rosenroten
Blüten und roten Beeren aus Mittel- und Südrußland und Sibirien,
ferner ~L. nigra~ mit rötlichweißen Blüten und schwarzen Beeren, und
~L. alpigena~ mit purpurnen Blüten und roten Beeren, beide aus den
Gebirgen Mitteleuropas. Auch die +kanadische Heckenkirsche+ (~L.
canadensis~) und die durch große, schönfarbige Blüten ausgezeichnete
~L. ledebouri~ findet man nicht selten in Ziergärten kultiviert. Doch
ist die Anpflanzung von Loniceren in der Nähe von Obstgärten nicht
ratsam, weil in ihren Früchten die Larve der Kirschfliege lebt. Von
der gemeinen Heckenkirsche wird das knochenharte Holz (Beinholz)
zu Peitschenstöcken, Pfeifenröhren, früher auch zu Ladestöcken und
Stricknadeln verarbeitet.

Eine nahe Verwandte der Geißblattarten ist die als Zierstrauch häufig
angepflanzte, 1 m hohe ~Diervillea canadensis~ mit eiförmigen,
zugespitzten, gesägten Blättern und traubigen, gelben, im Juni
hervorbrechenden Blüten. Sie hat ihren Namen davon, daß sie der
französische Arzt Dierville, ein Freund des Botanikers Tournefort,
diesem 1708 von Kanada aus nach Paris sandte. Vom April und Mai an
bis in den August blühen dagegen die bis 1,3 m hohen +Weigelien+,
deren rotblühende Formen meist auf die nordchinesische Weigelie
(~Diervillea florida~) zurückzuführen sind. Die nach dem Greifswalder
Botanikprofessor Chr. Ehrenfried Weigel (1748-1831) genannten Sträucher
haben längliche Blätter und meist rosarote, angenehm duftende,
kelchförmige Blüten, derentwegen sie bei uns eingeführt wurde und
häufig in Gärten anzutreffen ist.

Verwandt mit ihnen ist die +Schneebeere+ (~Symphoricarpus racemosus~)
ein allgemein bekannter nordamerikanischer Zierstrauch von 1,5 m
Höhe, mit unscheinbaren, fleischroten Blüten und kirschgroßen, weißen
Beeren, welche in dichten Knäueln den ganzen Winter über an den Zweigen
stehen bleiben. Da die eiförmigen Blätter viel Schatten ertragen und
der Strauch sehr leicht gedeiht, wird er häufig zur Ausfüllung von
Lücken und dunkeln Ecken verwendet.

Eine ähnliche Genügsamkeit in bezug auf Licht und Boden zeigt der
ebenso häufig angepflanzte einheimische +schwarze Holunder+ (~Sambucus
nigra~), der mit dem ihm nahe verwandten +gemeinen Schneeball+
(~Viburnum opulus~) und dem +wolligen Schneeball+ (~V. lantana~)
als Zierstrauch in unsere Gärten wanderte. Ebenso ist der in den
Mittelmeerländern heimische +~Laurus tinus~+, der +Gärtner+- oder
+Bastardlorbeer+ (~V. tinus~) bei uns als Topfpflanze allgemein
beliebt. Während bei der wilden Form des Schneeballs nur der äußerste
Kranz der Blütendolde aus sterilen Schaublüten zur Anlockung der
Insekten besteht, wird bei ihrer Kulturform die ganze Blütendolde aus
geschlechtslosen, blassen Schaublüten gebildet, so daß der Blütenstand
sich schneeballähnlich präsentiert, was dem Strauche den Namen gab. Die
roten oder schwarzen Beeren dieser Sträucher sind eine beliebte Speise
der Vögel, die für die Verbreitung der Art sorgen.

Aus Ostasien und Nordamerika kamen die +Pfeifensträucher+
(~Philadelphus~) zu uns. Von diesen ist der im 16. Jahrhundert aus
China und Japan bei uns eingeführte wohlriechende +Pfeifenstrauch+ oder
+wilde Jasmin+ (~Ph. coronarius~) mit starkriechenden, teils einfachen,
teils gefüllten weißen Blüten in Büscheln, die am häufigsten
angetroffene Art. Auch ~Ph. satsumi~ ist verbreitet, doch sind diese
ostasiatischen Arten in neuerer Zeit mehr durch nordamerikanische
Arten, wie ~Ph. latifolius pubescens~ und ~gordonianus~ verdrängt
worden. Den Namen Pfeifenstrauch führen sie von den schlanken, geraden
Schößlingen, aus denen man durch Entfernung des Markes Pfeifenröhren
macht. Wegen des starken Blütendufts wird der wohlriechende
Pfeifenstrauch teilweise auch zur Parfümgewinnung angepflanzt.

Nahe verwandt mit ihnen sind die nach dem Amsterdamer Ratsherrn
Johann Deutz, der botanische Forschungsreisen förderte, genannten
+Deutzien+ mit ähnlichen, nur etwas kleineren und geruchlosen Blüten.
Diese Ziersträucher sind japanischen Ursprungs und gehören zu den
dankbarsten Sommerblühern unserer Gärten. Durch Kreuzung sind aus
ihnen verschiedene Gartenformen, meist mit gefüllten Blüten, gezogen
worden. Die gewöhnlichste ist die 1-2 m hohe +gekerbte Deutzie+ (~D.
crenata~), deren rauhe Blätter zum Polieren dienen, und die häufig als
frühblühende Topfpflanze gezogene, kleinere +zierliche Deutzie+ (~D.
gracilis~), die schon im Mai über und über mit aufrecht gestellten
weißen Blütentrauben bedeckt ist.

Noch frühere Blüher sind die ihnen verwandtschaftlich nahestehenden
+Johannisbeeren+ (~Ribes~), unter denen zwei nordamerikanische Formen
als Ziersträucher die bescheideneren einheimischen Arten verdrängten.
Es sind dies die blutrot und goldgelb blühende Johannisbeere (~R.
sanguineum~ und ~aureum~). Von ersterer, die 1787 vom schottischen
Botaniker Menzies an der amerikanischen Nordwestküste entdeckt wurde,
aber erst 1826 in Gärten Europas Aufnahme fand, hängen die schon im
April noch vor der Entwicklung der Blätter hervorbrechenden purpurroten
Blütentrauben, während die goldgelben geruchlosen oder wohlriechenden
Blütentrauben der letzteren, die 1806 westlich vom Felsengebirge in
Nordamerika entdeckt und 1812 in unsere Gärten verpflanzt wurde, mehr
aufrecht gestellt sind. Sie hat insofern große Bedeutung erlangt, als
sie die Pfropfunterlage für die hochstämmig gezogenen Stachel- und
Johannisbeersträucher liefert. Beide Arten haben durch Kreuzung einen
interessanten Bastard hervorgebracht.

Einen ähnlichen traubigen Blüten- beziehungsweise Fruchtstand wie die
Johannisbeeren haben die +Sauerdorn+arten (~Berberis~). Vom +gemeinen
Sauerdorn+ (~B. vulgaris~) gibt es mehrere Gartenformen, die sich
teilweise durch weißbuntes oder dunkelrotes Laubwerk auszeichnen.
Da aber unser Sauerdorn auf seinen Blättern die Zwischenform eines
gefürchteten Getreiderostpilzes beherbergt, vermeidet man, ihn in der
Nachbarschaft von Getreidefeldern anzupflanzen. Daher trifft man an
seiner Stelle vielfach ausländische, teilweise immergrüne Arten.

Glänzende, dunkle, immergrüne Blätter haben auch die nach dem
amerikanischen Botaniker Bernhard Mac Mahon genannten, aus Nordamerika
in unsere Gärten gelangten +Mahonien+, von denen ~M. aquifolium~ mit
der Stechpalme ähnlichen Blättern, gelben Blüten und schwarzpurpurnen,
blaubereiften Beeren die verbreitetste ist. Ebenso häufig begegnen
wir dem ebenfalls aus Nordamerika zu uns gekommenen +Gewürzstrauch+
~Calycanthus floridus~, einer 2-2,5 m hohen Gartenzierpflanze mit
braunroten, besonders beim Welken starkriechenden Blüten, aus denen
bei uns nur selten Früchte hervorgehen. Aus Ostasien bezogen wir den
seltener zu findenden ~Calycanthus occidentalis~.

Diese auch in Wurzel und Rinde aromatisch-kampferartig duftenden
Sträucher sind die nächsten Verwandten der +Lorbeer+gewächse, unter
denen der 5-6,5 m hohe, immergrüne +edle Lorbeer+ (~Laurus nobilis~)
seines schönen Laubes wegen als Kalthauspflanze nicht selten gezogen
wird. Dieser in Südeuropa häufig kultivierte Baumstrauch ist in den
Mittelmeerländern heimisch und wurde nicht erst in geschichtlicher
Zeit aus Vorderasien hierher verpflanzt, wie V. Hehn irrtümlicherweise
annahm. Seine ästige Krone trägt glänzendgrüne, lederartige Blätter,
gelblichweiße Blüten und bläulichschwarze, eiförmige, einsamige
Früchte. Letztere schmecken aromatisch bitter und werden in der
Volksmedizin zur Stärkung des Magens, als Räuchermittel und in der
Veterinärpraxis verwendet. Durch Auskochen und Pressen gewinnt man
aus ihnen das grüne, stark gewürzhaft riechende, bei gewöhnlicher
Temperatur schmalzartige Lorbeeröl, das man zum Salben bei Entzündung
und zum Vertreiben der Fliegen benutzt. Ebenso werden die gewürzhaft
riechenden und schmeckenden Blätter seit dem höchsten Altertum
arzneilich verwendet, dienen gegenwärtig aber nur als Küchengewürz,
zu Essigen und Likören und zum Verpacken von Lakritzenstangen. Sie
kommen aus Italien, Frankreich und Spanien in den Handel. In den
Mittelmeerländern wird der Lorbeer vielfach kultiviert und findet sich
als Zierpflanze auch bei uns, muß aber im Kalthaus überwintert werden.

Wegen des scharfaromatischen Geruchs seiner Blätter und Früchte wurde
er frühe schon als eine mit besonderen Kräften begabte Pflanze
angesehen. Der Duft seiner Zweige sollte vor ansteckenden Krankheiten
und Verzauberung schützen. So suchte, wie berichtet wird, der
furchtsame Kaiser Commodus, der von 180 bis 192 n. Chr. regierte
und schließlich am 31. Dezember jenes Jahres auf Anstiften seiner
Geliebten Marcia erdrosselt wurde, in einem Lorbeerhaine Rettung, wenn
die Pest im Anzuge war. Kränze von Lorbeer legte man Wahnsinnigen um
Schläfe und Hals, in der Annahme, sie dadurch besänftigen zu können.
Lorbeerfrüchte und -Blätter genossen die Priester, wenn sie weissagen
sollten, und Lorbeerzweige trugen die Propheten, wenn sie eine Stadt
betraten. Der Lorbeer sühnte das vergossene Blut; deshalb reinigten
die römischen Legionen gleich nach dem Siege sich, ihre Waffen und
Feldzeichen mit Lorbeer. Dadurch wurde der Lorbeerzweig zur Trophäe,
zum Symbol des Sieges und zum Verkünder der glücklich vollbrachten
Waffentat. Der Lorbeerkranz schmückte die Stirne der siegenden Helden
und mit ihm wurden die Fasces, d. h. das zum Auspeitschen dienende
Rutenbündel der ihn begleitenden Lictoren oder öffentlichen Diener der
mit der Macht des Imperiums bekleideten höchsten Magistrate umwunden.
Lorbeergeschmückt (~laureatus~ vom lat. ~laurea~ Lorbeer) folgten
die Soldaten dem Wagen des triumphierenden Feldherrn bei seinem
Einzuge in Rom, um gleichsam von Mord und Totschlag gereinigt in die
Stadt einzuziehen. Später erklärte man, die Ursache, weshalb der
Triumphierende sich mit Lorbeer schmücke, liege darin, daß der Lorbeer
seinen Namen vom lateinischen ~laus~ Ruhm habe und einst ~laudus~ hieß,
was natürlich unrichtig ist.

Von der römischen Zeit an blieb der Lorbeer stets ein Abzeichen des
Ruhmes bis in unsere Tage, da junge Doktoren mit beerentragenden
Lorbeerzweigen geschmückt wurden, woher das Wort Baccalaureus sich
ableitet. Die reinigende Kraft des Lorbeers veranlaßte dessen
Verwendung zu Räucherungen wie auch zu Weihwedeln. Im Altertum
besprengte sich der Strenggläubige beim Eintritt wie beim Ausgang aus
dem Tempel mit dem Lorbeerzweig, der zuvor in Weihwasser getaucht
worden war; gern nahm er auch beim Herausgehen ein Lorbeerblatt vom
Sprengwedel in den Mund. Die römisch-katholische Kirche übernahm
dann allerdings diesen Gebrauch nicht aus dem römischen Heidentum,
sondern bevorzugte als Sprengwedel einen Strauß des dem Majoran
verwandten Lippenblütlers +Ysop+ (~Origanum smyrnaeum~), eines im
östlichen Mittelmeergebiet häufig angetroffenen Halbstrauches, den sie
zu demselben Zwecke von den Juden übernahm. Sonst gilt bei uns als
Ysop ein anderer, durch reichen Gehalt an ätherischem Öl aromatisch
riechender halbstrauchartiger Lippenblütler (~Hyssopus officinalis~)
aus Südeuropa, der teils als Zierpflanze, teils als Gewürzkraut häufig
auch in Deutschland kultiviert wird und hin und wieder an sonnigen
Schutthalden, namentlich in der Umgebung alter Burgen, verwildert
angetroffen wird. Das Kraut wurde arzneilich namentlich gegen
Magenleiden verwendet, weshalb die Pflanze heute noch besonders in
Bauerngärten häufig angepflanzt gefunden wird.

Der von den Griechen ~dáphnē~ genannte Lorbeerbaum war, weil er durch
den Duft seiner Blätter Moder und Verwesung verscheuchen sollte, dem
Apollon geweiht, der aus einer Personifikation der die Seuche sendenden
und daher auch von dieser befreienden Sonnenglut allmählich zum Gott
der Sühne für sittliche Befleckung und Erkrankung geworden war. Die
Sage meldet, daß, als der Sohn Agamemnons, Orestes, um sich vom Blut
der von ihm mit ihrem Buhlen Ägisthos in Mykenä erschlagenen Mutter
Klytaimnestra zu sühnen, sich mit seinem Freunde Pylades auf Apollons
Geheiß nach Taurien begab, das Bild der Artemis zu holen, und dort von
seiner als Priesterin waltenden Schwester Iphigeneia nach Landesbrauch
mit seinem Freunde geopfert werden sollte, er von ihr erkannt und
gerettet wurde. An seiner Stelle sei dann ein anderes Sühnopfer der
Göttin dargebracht worden, und, als die Reste desselben im Boden
vergraben wurden, sei aus ihnen der Lorbeerbaum hervorgesproßt. Apollon
soll, als er nach der Erlegung des die Gegend um Delphi am Fuße des
Berges Parnaß hausenden Drachen Python selbst der Sühne bedurfte, auf
Befehl des Zeus sich im Tal Tempe gebadet, sich mit Lorbeer bekränzt
und auch einen Lorbeerzweig in seine Rechte genommen haben und sei so
nach Delphi gezogen, wo er das dortige Orakel übernahm. In der Folge
hat sich der Lorbeer mit dem Kult des Apollon als diesem Gotte heilige
Pflanze überallhin verbreitet, wo jenem reinigenden, sühnenden Gotte
Heiligtümer errichtet wurden. Bei allen gottesdienstlichen Handlungen
des Apollonkultes wurden Zweige von ihm symbolisch verwendet, und
er verlieh dem im Dienste des Gottes stehenden Seher die Kraft,
Verborgenes zu schauen und den um ein Orakel Bittenden die Zukunft zu
enthüllen. So ward der Lorbeer auch das Abzeichen des im Dienste des
Gottes zur Begleitung der Leier seine Lieder singenden Sängers und,
da der Gott der Anführer der neun Musen war, auch aller mit diesen
zusammenhängenden Künste. Und wie zur ~Corona triumphalis~ geflochtene
Lorbeerzweige die Stirne des Siegers schmückten, so zierte der
Lorbeerkranz auch den im Dienste der Musen sich auszeichnenden Dichter
oder Künstler.

Der Lorbeer brennt, nach Plinius, nur widerwillig und zeigt dies durch
sein Knistern an. Der feuerabwehrenden Kraft des Lorbeers wurde es
zugeschrieben, daß bei dem großen Brande Roms unter den Konsuln Spurius
Postumius und Piso, als die Regia in Flammen stand, das ~Sacrarium~,
d. h. der Tempel des Apollo, unversehrt blieb, weil ein Lorbeer vor
ihm stand. Dann aber war es gerade das Lorbeerholz wegen seiner Härte,
das nach Theophrastos und demselben Plinius als Quirl zum Erzeugen des
Feuers durch Reiben diente, während als Unterlage, auf der gerieben
wurde, das weiche Holz des Efeus oder des Wegdorns (~Rhamnus~)
benutzt wurde. Ein reines Feuer zu den Opfern der Griechen und Römer
durfte nur der Reibung zweier wie dieser glückbringender Hölzer
entstammen, während man in späterer Zeit es vorzog, das reine Feuer zum
Gottesdienste mit Hilfe von Brenngläsern, vielfach aus Bergkristall,
oder von metallischen Hohlspiegeln zu gewinnen. Der Lorbeer sollte
auch die Blitze abwehren. Um vor dieser Gefahr beschützt zu sein,
bekränzte sich der abergläubische Kaiser Tiberius, der Schwiegersohn
und seit dem Jahre 4 n. Chr. auch Adoptivsohn des Augustus, der nach
dessen Tode im Jahre 14 zur Herrschaft gelangte und bis zum Jahre 37
n. Chr. regierte, wie der Geschichtschreiber Suetonius berichtet, mit
Lorbeer, wenn ein Gewitter am Himmel nahte. Solche Vorstellungen wurden
durch die vielfach gemachten Erfahrungen geweckt, daß nicht alle Bäume
gleichmäßig vom Blitze getroffen werden. Auch bei uns schlägt der
Blitz fast niemals in Walnußbäume und Buchen, am häufigsten aber in
Eichen, welch letztere deshalb von den alten Germanen dem Donnergotte
geheiligt waren. Es hängt dies mit der elektrischen Leitungsfähigkeit
des Holzkörpers zusammen, das bei den einzelnen Baumarten eine ganz
verschiedene ist. Ionesco hat auf Grund von genauen Untersuchungen
festgestellt, daß tatsächlich Bäume, die zur Jahreszeit der Gewitter
verhältnismäßig viel fettes Öl, wie auch der Lorbeer, in ihrem
Holzkörper führen, dem Blitzschlag am wenigsten ausgesetzt sind.
Abgestorbene Äste an einem Baume erhöhen für denselben die Blitzgefahr.

Wie der Lorbeer dem Apollon, so war die +gemeine Myrte+ (~Myrtus
communis~) bei den Griechen als Symbol der Jugend und Schönheit
der Liebesgöttin Aphrodite geweiht und wurde um ihre Heiligtümer
herum angepflanzt und bei ihren Festen und den Eleusinien vielfach
als Schmuck getragen. Schon von den alten Persern wurde sie bei
gottesdienstlichen Handlungen benutzt und galt deshalb bei ihnen
als heilige Pflanze. Sie ist ein immergrüner, 2-4 m hoher Strauch
oder kleines Bäumchen mit lanzettförmigen, wohlriechenden Blättern,
weißen, seltener auch rötlichen oder gefüllten Blüten und schwarzen,
aromatischen Beeren, die früher, bevor man den Pfeffer kannte, als
Gewürz und Arznei dienten. Bei den Römern gab es einen mit diesen
Beeren bereiteten Leckerbissen, der ~myrtatum~ hieß; vielfach wurde,
wie Columella berichtet, damit gewürzter Wein getrunken. Die Myrte
ist im ganzen Mittelmeergebiet heimisch und wächst hier mit Vorliebe
auf sumpfigem Boden. Der griechischen Sage zufolge soll sie, die von
den Hellenen ~myrsínē~ genannt wurde, in Attika entstanden sein. Hier
liebte einst Aphrodite eine schöne und mutige Jungfrau, und als diese
starb, schuf die Göttin zu ihrem Andenken die Myrte. Seither ist sie
das Ehrenabzeichen jungfräulicher Bräute bei ihrem Hochzeitsfeste, ein
Brauch, der sich bis auf unsere Tage erhielt.

Schon im Altertum wurden auch Myrtenwunder mit der Aphrodite, wie im
Mittelalter Rosenwunder mit der Gottesmutter Maria in Zusammenhang
gebracht. So schreibt der um 200 n. Chr. in Alexandreia und Rom lebende
griechische Grammatiker Athenaios aus Naukratis in Ägypten in seinen
~Deipnosophistai~, in denen er uns wichtige Nachrichten über das Leben
und die Sitten der alten Griechen überlieferte: „In dem Buche des aus
Naukratis stammenden Polycharmos, das von der Aphrodite handelt, habe
ich über den sogenannten Naukratitenkranz Aufschluß erhalten. Dort
heißt es: In der 23. Olympiade (im 7. Jahrhundert v. Chr. um 686)
reiste Herostratos, Bürger von Naukratis, in die Fremde, kam weit
umher und kaufte zu Paphos auf Cypern ein Bild der Aphrodite, das eine
Spanne hoch und uralt war, um es mit nach Naukratis zu nehmen. Auf der
Rückreise, als das Schiff in die Nähe Ägyptens kam, trat plötzlich
ein solches Unwetter ein, daß man das Land nicht mehr sehen konnte,
und keiner von der Bemannung des Schiffes wußte, wo er war. In der
Not nahmen sie alle ihre Zuflucht zum kleinen Bilde der Aphrodite
und flehten um Rettung. Da ließ die Göttin plötzlich auf dem ganzen
Schiff Myrten emporwachsen, und das Schiff füllte sich mit Wohlgeruch,
während die Mannschaft eben noch in Verzweiflung gewesen war, an
Seekrankheit stark gelitten und entsetzlich gespieen hatte. Mit einem
Male hörte das Erbrechen auf, die Sonne zeigte sich wieder, und das
Schiff gelangte glücklich nach Naukratis. Dort sprang Herostratos mit
dem Bilde der Göttin und mit Zweigen von Myrten ans Land, opferte der
Aphrodite, berief seine Verwandten und Freunde in den Tempel selbst zum
Gastmahl, gab jedem Gaste einen Myrtenkranz und nannte einen solchen:
Naukratitenkranz.“ Der jonische Dichter Anakreon, der in Samos und
Athen lebte (550-478 v. Chr.), spricht von mit Rosen durchflochtenen
Myrtenkränzen, die man bereits zu seiner Zeit zu Ehren der Aphrodite
trug.

Wie der Lorbeerkranz bei den Römern als Sühne für einen blutigen
Sieg getragen wurde, so zogen in Rom mit dem Myrtenkranze geschmückt
diejenigen Feldherrn ein, denen statt eines Triumphes eine Ovation
zukam. Dies war der Fall, wenn der Sieg mit wenig Blutvergießen oder
über verächtliche Feinde, wie Sklaven und Seeräuber, erfochten wurde.
Als Marcus Crassus im Jahre 71 v. Chr. die unter Spartacus fechtenden
Sklaven, die durch zahlreiche Zuzüge, besonders aus Fechterschulen,
ein Heer von 120000 Mann zusammenbrachten, besiegt und die den Kampf
Überlebenden sämtlich gekreuzigt hatte, erlangte er als besondere
Gunst vom Senat die Erlaubnis, bei seiner Ovation einen Lorbeerkranz
statt des Myrtenkranzes zu tragen. Marcus Valerius dagegen trug
infolge eines Gelübdes bei seinem Triumph in Rom neben dem Lorbeer-
auch einen Myrtenkranz. Und zwar wurde wie zu Vermählungen, so auch zu
Ovationen die kleinblätterige, kultivierte Myrte verwendet, während
man die großblätterige als die gewöhnliche Form der wildwachsenden
Pflanze zu Kränzen und Girlanden für Verstorbene verwendete, weshalb
sie auch Totenmyrte hieß. Die erbsengroßen Beeren der kleinblätterigen
+peruanischen Myrte+ sind zuckersüß und wohlschmeckend und werden
ebenso gegessen wie die schmackhaften Beeren der +Lumamyrte+ in Chile
und Peru. Die Beeren und Blüten der zentralamerikanischen ~Myrtus
caryophyllus~ kommen als mexikanisches Piment in den Handel.

Im Südwesten Mitteleuropas sind die +Stechpalme+ (~Ilex aquifolium~)
und der +Buchs+ (~Buxus sempervirens~) zu Hause. Beide erreichen in
Deutschland selten große Stärke. Der erstere ist besonders im Winter,
wenn die leuchtend roten Beeren reif sind, ein so dekorativer Strauch,
daß es sehr begreiflich ist, wenn er in verschiedenen Spielarten in
unseren Gärten gezogen wird. Letzterer ist in einer stets beschnittenen
Zwergform zur Einfassung der Wege in Gärten sehr beliebt. In Südeuropa
dagegen wächst der Buchs zu einem 6-8 m hohen Baum, dessen äußerst
schweres, hartes Holz seit der neolithischen Zeit zu Kämmen, Flöten,
Kreiseln, Büchsen usw. verarbeitet wurde. Unser Wort Büchse heißt:
aus Buchsholz hergestellt. Das deutsche Buchs kommt vom lateinischen
~buxus~, das seinerseits wieder vom griechischen ~pýxos~ sich ableitet.
~Pýxis~ hieß bei den alten Griechen Büchse (aus Buchsbaum). Schon
bei Homer wird in der Ilias erzählt, daß das Joch der Maultiere des
troischen Königs Priamos aus Buchsholz (~pýxinon zygón~) hergestellt
und mit schönen Ringen geziert gewesen sei. Der römische Dichter Ovid
(43 vor bis 7 n. Chr.) spricht vom Triller der Buchsflöte und vom
Buchskamme, mit dem das Haar gekämmt werde, während Vergil (70-19
v. Chr.) vom flott unter den Peitschenhieben herumtanzenden Kreisel aus
Buchsholz (~volubile buxum~) redet. Auch Claudianus spricht von der
Buchsflöte, die ein Sterbelied stöhne, wenn er sie blase, und Columella
sagt, daß bei der Käsebereitung der geronnene Käsestoff in eine Form
aus Buchsholz gespannt werde. Der ältere Plinius nennt das Buchsholz
als wegen seiner Härte hochgeschätzt, aber schlecht brennend und nur
geringwertige Kohlen gebend. Der auf den Pyrenäen häufig wachsende Baum
werde auf Korsika am dicksten, aber seine Blüten machen dort den Honig
bitter. Er sei in den Gärten veredelt worden, lasse sich zu dichten
Wänden ziehen und gut beschneiden. Martialis und Firmicus sprechen wie
der jüngere Plinius vom Buchsbaum, der in den römischen Gärten zu den
verschiedensten Gestalten, besonders von großen Tieren, beschnitten
wurde. Noch heute wird das harte Holz als das brauchbarste Material zu
Holzschnitten, zu Blasinstrumenten, wie Flöten und Klarinetten, wie
auch zu Dosen und Kämmen verarbeitet. Die Blätter wurden früher als
gelindes Abführmittel gebraucht.

Verwandt mit dem Buchs sind die +Rauschbeeren+ (~Empetrum~), von denen
der nur 0,3-0,5 m hohe +schwarze+ oder +Alpenrausch+ (~E. nigrum~)
eins der vorzüglichsten torfbildenden Gewächse ist und vielfach zur
Einfassung von sogenannten Moorbeeten in Gärten Verwendung findet.
Dieser hochnordische Strauch wächst als Relikt der Eiszeit auf Moor-
und Torfboden Norddeutschlands und der höheren Gebirge bis Grönland und
steigt in den Alpen bis 2300 m Höhe. Den Namen hat er davon, daß die
saftigen, aber sauer schmeckenden Beeren im Übermaß genossen berauschen
und Schwindel erregen sollen. Von den Nordvölkern werden sie roh und
als Mus gerne gegessen und dienen auch zur Bereitung eines Getränks.

Von den +Kreuzdorn+arten (~Rhamnus~) kam der +immergrüne Wegdorn+
(~Rh. alaternus~, mit letzterem Namen nennt ihn der ältere Plinius,
indem seine Blätter und Beeren im Altertum als Heilmittel dienten)
aus Südeuropa in unsere Gärten, während der einheimische +gemeine
Wegdorn+ (~Rh. carthartica~) zu Hecken benutzt wird, den Bienen
Nahrung und den Menschen ein treffliches, hartes Holz zu Drechsler-
und Tischlerarbeiten liefert. Die noch grünen Früchte dienen zum
Gelbfärben, die reifen schwarzen dagegen, wie auch diejenigen des
+Faulbaums+ (~Rh. frangula~), als Abführmittel. Von letzterem ist die
innere Rinde als Laxans offizinell, während das Holz zu Schuhstiften,
feinen Drechsler- und Tischlerwaren dient und die beste Kohle zu
Schießpulver bildet. Die Samenkerne liefern ein gutes Brennöl. Der
bis 2,5 m hohe Faulbaum ist ein beliebter Zierstrauch in Anlagen,
wo man außerdem auch die höchstens 2 m hohe ~Rh. alpina~ von den
Alpen und süddeutschen Gebirgen, sowie die ähnliche, aber größere
~Rh. grandifolia~ aus Persien und dem Kaukasus kultiviert. In Italien
wird der im Orient und in Südeuropa heimische +gemeine Stechdorn+
(~Paliurus aculeatus~) seiner starken Dornen wegen häufig zu Hecken,
bei uns aber wie die verwandte +Säckelblume+ (~Ceanothus americanus~)
aus den Vereinigten Staaten als Gartenzierstrauch angepflanzt. Aus den
Zweigen des nur in Palästina im Jordantale und am Toten Meer heimischen
+Judendorns+ (~Zizyphus spina Christi~) -- von den Arabern ~nebeg~
genannt -- soll die Dornenkrone Christi geflochten gewesen sein.

Der Stechpalme steht auch die +wirtelblütige Winterbeere+ (~Prinus
verticillatus~), ein 1-2 m hoher Strauch aus Virginien mit in
Wirteln gestellten, weißlichen Blüten nahe. Er wird wie die ebenfalls
nordamerikanische ~P. glabra~ besonders an feuchten Standorten unserer
Lustgärten gepflanzt. Als Gebüschpflanzen unserer Parks finden wir
außer den einheimischen Arten: dem +gemeinen Spindelbaum+ oder
+Pfaffenhütchen+ (~Evonymus europaeus~) Mitteleuropas, dem größeren,
bis 5 m hohen +breitblätterigen Spindelbaum+ (~E. latifolius~)
aus den süddeutschen Kalk- und Voralpen und dem nur bis 2 m hohen
+warzigen Spindelbaum+ (~E. verrucosus~) -- so genannt, weil seine
Äste dicht mit Korkwarzen besetzt sind -- aus den Gebirgswäldern des
östlichen Deutschland besonders auch den +japanischen Spindelbaum+
(~E. japonicus~) mit immergrünen, elliptischen Blättern angepflanzt.
Alle haben schön rot bis gelb gefärbte, heftig abführende und
Brechen erregende Früchte und ein hellgelbes, zu Drechslerwaren und
Schnitzwerk, zu Schusternägeln und besonders Zahnstochern beliebtes
Holz, das verkohlt auch zur Herstellung von Schießpulver dient und
die beste Zeichenkohle liefert. Besonders dient solchen Zwecken der
gemeine Spindelbaum, der auch zu Hecken gezogen wird, und von dem eine
Varietät mit hängenden Zweigen als Zierstrauch dient. Dem Spindelbaum
sehr nahe steht die in Gebirgswäldern Süddeutschlands heimische
+gemeine Pimpernuß+ (~Staphylea pinnata~), ein 3-6 m hoher Strauch
mit gefiederten Blättern und weißlichen, hängenden Blütentrauben,
die ebenfalls bei uns in Anlagen kultiviert wird. Das feste Holz
dient gleicherweise zu Drechslerarbeiten, die Früchte wirken gelinde
abführend und die Samen enthalten ein gutes Brennöl. Sehr nahe damit
verwandt ist der nordamerikanische +kletternde Baumwürger+ (~Celastrus
scandens~), ein 2-5 m hoher Schlingstrauch, der als Zierpflanze in
unseren Gärten vornehmlich zu Lauben und Wandbekleidungen dient.

Ebenfalls aus Nordamerika kam die als „+wilder Wein+“ allgemein
bekannte +Jungfernrebe+ (~Ampelopsis quinquefolia~) zu uns, deren
fünfzähliges Laubwerk mit seiner prächtigen, blutroten Herbstfärbung in
unserer einheimischen Pflanzenwelt einzigartig dasteht und deshalb sehr
häufig zur Bekleidung von Mauern und schattigen Lauben benutzt wird.
Zu seiner Befestigung an der Unterlage dienen zu verholzenden Ranken
ausgebildete Seitenzweige, deren Aufgabe darin besteht, geeignete
Stützen aufzusuchen, zu umwickeln und dann durch korkzieherartige
Einrollung den Hauptzweig nachzuziehen. Vermag aber eine solche
Pflanze, etwa an einem glatten Baumstamm, keinen Stützpunkt zu finden,
so findet in der Weise eine Anpassung statt, daß sich die Tastspitzen
der Ranken zu Saugscheiben verbreitern, die an der glattesten Unterlage
sich anzupressen und fest zu haften vermögen. Solche Haftscheiben
werden von manchen Arten des wilden Weins sogar regelmäßig gebildet.
Solche „selbstklimmende“ Formen sind zur Bekleidung von Hauswänden
und Mauern ganz besonders geeignet. Als solche findet besonders die
aus Ostasien zu uns gekommene, ebenfalls im Spätherbst, vor dem
Blätterfall, herrlich rot sich färbende +dreispitzige Jungfernrebe+
(~A. tricuspidata~) -- auch in der Abart ~A. veitchi~ -- mit
dreigelappten Blättern neuerdings weite Verbreitung.

An die Jungfernreben schließen sich als einheimische Lianen die
zu den Hahnenfußgewächsen gehörenden +Waldreben+ (~Clematis~) an,
die in verschiedenen importierten großblütigen Formen prächtige
Gartenzierpflanzen zur Bekleidung von Wänden und zum Überziehen von
Lauben bilden. Während die mitteleuropäische +gemeine Waldrebe+ (~Cl.
vitalba~) ganz bescheidene grüngelbe Blüten hat, besitzen schon die
südeuropäischen Arten viel größere und farbenprächtigere Blüten.
Von ihnen hat die +italienische Waldrebe+ (~Cl. viticella~), die
in vielen Varietäten zur Bekleidung von Lauben und Wänden bei uns
gepflanzt wird, einzeln stehende, langgestielte, blauviolette Blüten,
die in einer Abart purpurrot sind, während eine andere, ebenfalls
im Mittelmeergebiet heimische Art fast weiße, nur schwach riechende
Blüten aufweist. Die +glockenblütige Waldrebe+ (~Cl. viorna~) ist in
Nordamerika bis Mexiko heimisch, rankt 3-4 m empor und besitzt außen
purpurviolette, innen grünlichgelbe, 2,6 cm lange glockenförmige
Blüten, während die als Schlingstrauch nicht minder beliebte ~Clematis
coccinea~ aus Texas eine Unterart derselben mit zinnoberroten
glockenförmigen Blüten darstellt. Ebenfalls nordamerikanischen
Ursprungs sind die bis zu 2 m hoch rankende ~Clematis flammula~, die
von Juli bis Oktober ihre milchweißen, nach Orangenduft riechenden
Blüten entfaltet, die ebenso hohe, von Juli bis in den Herbst hinein
große weiße, rote, violette und blaue Blüten entwickelnde ~Cl.
jackmanni~ und die bis 15 cm große, halbgefüllte weiße, leicht lila
gefärbte, angenehm duftende Blüten entfaltende ~Cl. fortunei~. 3-4 m
hoch ranken die ebenfalls nordamerikanische ~Cl. campaniflora~, die von
Juli bis August bläuliche bis lilaweiße überhängende glockenförmige
Blüten entwickelt, die japanische ~Cl. lanuginosa~ mit großen
herzförmigen Blättern und hellblauen Blüten von 16 cm Durchmesser
und die ebenfalls aus Japan stammende ~Cl. patens~ mit schönen blauen
Blüten von 8 cm Durchmesser. Während alle vorgenannten bei uns des
Winterschutzes bedürfen, hält letztere den Winter Süddeutschlands sehr
wohl im Freien aus. Alle diese Arten wie auch die japanische ~Cl.
florida~ hat man untereinander und mit der italienischen Waldrebe (~Cl.
viticella~) gekreuzt und damit viele neue Formen mit sehr großen,
prachtvoll gefärbten Blüten gewonnen.

Durch ihre Genügsamkeit und Winterhärte ausgezeichnet ist die ebenfalls
als Gartenzierpflanze zur Bekleidung von Lauben beliebte +gemeine
Alpenrebe+ (~Atragene alpina~), die in den süddeutschen Alpen und
Voralpen heimisch ist und nur kleine violette oder weiße Blüten
aufweist.

Ein ebenfalls sehr beliebter windender Zierstrauch unserer Gärten ist
der aus dem südlichen Nordamerika zu uns gekommene und zur Bekleidung
von Lauben häufig angewandte +Pfeifenstrauch+ (~Aristolochia sipho~),
ein naher Verwandter unserer an Zäunen und in Gärten als Unkraut aus
Südeuropa eingewanderten +gemeinen Osterluzei+ (~A. clematitis~). Sie
trägt große, runde, schattenspendende Blätter und wie Tabakspfeifen
gekrümmte bräunlichgrüne Fallenblüten, die durch ihren Aasgeruch kleine
Fliegen zur Befruchtung anlocken und sie erst wieder entlassen, wenn
sie sich mit dem nach der Befruchtung der Stempelblüten ausstäubenden
Pollen beladen haben. Sie ist verwandt mit den in Warmhäusern gezogenen
Nepenthazeen oder Kannensträuchern aus dem tropischen Südasien und
Indonesien, die mit verdauendem Saft gefüllte Fallgruben an den
entsprechend umgewandelten Spitzen der Blätter besitzen und die darin
erbeuteten Insekten wie die Tiere in ihrem Magen verdauen.

Ein mit gruppenweise zusammengestellten kurzen, zu Haftorganen sich
umbildenden Luftwurzeln bis 16 m hoch kletternder immergrüner Strauch
ist der häufig in Europa und Asien an Bäumen und Mauern in bis zu
armdicken Stämmen emporsteigende +Efeu+ (~Hedera helix~), in alten
Schriften wegen seiner immergrünen Blätter auch Ewigheu genannt. Daraus
oder aus dem daneben gebräuchlichen Eibenheu hat sich das deutsche
Efeu gebildet. Bei den alten Griechen hieß die Pflanze ~kissós~,
bei den Römern ~hedera~ und diente, als dem Gotte des Weins und des
Natursegens, Dionysos-Bacchus, geweiht, zu Kränzen bei Festgelagen
und zur Umwindung des mit einem Pinienzapfen gekrönten Thyrsosstabes.
Um den reichen Bedarf danach zu decken, wurde der Efeu im Altertum
gepflanzt, und zwar rät Columella hochwachsenden Efeu (~orthocissus~)
und gemeinen Efeu (~edera~) in der letzten Hälfte des Februar zu
pflanzen. Alle Teile der Pflanze, auch das nur in südlichen Gegenden
ausfließende Harz, wurden arzneilich benutzt. Der ältere Plinius
wundert sich über die ihr erwiesenen Ehre, daß man sie als beliebtestes
Kranzmaterial verwende, „da sie den Bäumen schadet, Grabmäler und
Mauern sprengt und den Schlangen einen kühlen Zufluchtsort bietet.“
Diese noch heute weitverbreitete Meinung ist aber unrichtig, da
durch den Efeu niemals gesunde Mauern zerstört werden können, er
vielmehr die Unterlage vor Verwitterung schützt. Nur da, wo sich seine
Stämmchen durch bereits bestehende Fugen drängen, vermag er, wie alle
Holzpflanzen, im Laufe der Zeit durch sein geradezu unwiderstehliches
Dickenwachstum Steine auseinander zu sprengen. Der eigentlich dem
Dionysos geweihte heilige Efeu war ursprünglich der im Orient heimische
und mit dem Kulte des Gottes nach Südeuropa gelangte +goldfrüchtige
Efeu+ (~H. chrysocarpa~), ein sonst wie der gemeine Efeu benutzter
Strauch, der sich statt durch bereifte, schwarze, wie unser Efeu, durch
goldgelbe Beeren auszeichnet und vornehmlich zur Bekränzung der Dichter
diente. Auch bei ihnen blühen nur ältere Stämme.

Nahe Verwandte des Efeus sind die +Aralien+, von denen die in
China heimische ~Aralia edulis~ dort und in Japan kultiviert wird,
um die Wurzel und jungen Stengel als angenehmes Gemüse zu essen.
Die +japanische Aralie+ (~A. japonica~) ist eine der schönsten
Freiland-Dekorationspflanzen, muß aber Winters eingebunden werden. Auch
~A. spinosa~ ist ein hervorragendes Blattziergewächs, das im Warmhause
kultiviert und Sommers im Freien gehalten wird. Ebenso ~A. papyrifera~,
ein 2-4 m hoher Strauch Chinas, dessen bis 17 cm dicker Stamm in
seinem spiralig in dünne Blättchen geschnittenen Mark das samtweiche
+Reispapier+ liefert, das erst 1804 von ~Dr.~ Livingstone von China
nach England gebracht wurde.

Wegen ihrer noch vor dem Hervorbrechen der Blätter erscheinenden
großen weißen, außen rot überhauchten Blüten sind die +Magnolien+
sehr beliebte Gartenzierbäume. Sie haben ihren Namen nach dem
Botanikprofessor Pierre Magnol in Montpellier (1638-1745). Die
Stammformen der am meisten gezüchteten Arten sind hauptsächlich zwei
ostasiatische Arten, die angenehm duftende, rein weiße ~Magnolia yulan~
und die geruchlose, rote ~Magnolia obovata~. Später erst kamen die
nordamerikanischen Magnolien zu uns, die aber weniger beliebt als die
vorgenannten sind, obschon sie frosthärter sind, weil sich ihre Blüten
erst nach dem Aufbrechen der großen ovalen Blätter entfalten. Doch ist
ihr vorzügliches Holz für die Möbelindustrie von einiger Bedeutung.
Neuerdings wird sogar eine Art, die japanische Ho-Magnolie (~M.
hypoleuca~), als Nutzholz zur Anpflanzung im deutschen Walde empfohlen.

Nahe verwandt mit den Magnolien ist der ebenfalls seines Holzes wegen
wichtige nordamerikanische +Tulpenbaum+ (~Liriodendron tulipifera~),
der, wie die mächtigen Stämme unserer Parks beweisen, schon früh --
und zwar aus Virginien -- zu uns kam. Die tulpenähnlichen rotgelben
Glockenblüten treten erst an älteren Exemplaren auf und sind daher
meist weniger bekannt als die auffallend geformten Blätter. Letztere
tragen an den Aderwinkeln ihrer Unterseite in der Art der von unsern
Linden her bekannten Milbenhäuschen,[5] deren zahlreiche Bewohner
nächtlicherweile die Reinigung der Blattoberfläche besorgen.

Sehr häufig begegnet man in unseren Ziergärten der 1796 in Europa
eingeführten strauchartigen +japanischen Scheinquitte+ (~Chaenomeles
japonica~), deren büschelweise vereinigte scharlachrote Blüten im
ersten Frühjahr zwischen dem spärlichen Grün der häufig bedornten
Zweige hervorschauen. Bei uns bilden sich die Früchte nur in heißen
Sommern aus und sind ungenießbar, während sie in Japan zu Konfekt
eingekocht, zur Herstellung von Gelee und einer Art Likör benutzt
werden. Andere Arten von als Zierbäume zu uns gebrachten wilden Quitten
blühen blaßrot oder mennigfarben. Noch entzückender ist der aus China
zu uns gekommene +dreilappige Pfirsich+ (~Prunus triloba~), der auch
Mandelaprikose oder Röschenmandel genannt wird. An schlanken, fast
unverzweigten Ruten des meist in hohen Stämmchen gezogenen Strauches
erscheinen zuerst in dichten Reihen die zart rosafarbenen, meist
gefüllten und daher kleinen Röschen vergleichbaren Blüten und erst nach
deren Verblühen die länglichen, gesägten Blätter. Selten trifft man bei
uns die +echte Mandel+ (~Amygdalus communis~), die nur in besonders
geschützten Lagen ihre Früchte reifen läßt. Häufig dagegen ist die von
Ungarn bis Südsibirien heimische +Zwergmandel+ (~A. nana~), ein kleiner
Strauch mit lanzettlichen, feingesägten Blättern und dicht an den
vorjährigen Zweigen gedrängten, kleinen Rosablüten, denen zuliebe sie
vielfach in Gärten gepflanzt wird.

Auch unsere beiden als Obstbäume gezüchteten Kirschenarten, die
+Süß-+ und +Sauerkirsche+ (~Prunus avium~ und ~P. cerasus~) haben in
Formen mit weißen, gefüllten Blüten prächtige Zierbäume für unsere
Parks geliefert. Dabei können die Blumenblätter teilweise vergrünen,
d. h. wieder das Aussehen von Laubblättern annehmen, aus denen sie
sich ja stammesgeschichtlich entwickelt haben. Weniger der weißen,
rosaüberhauchten Blüten, als ihres schönen Laubwerkes wegen wird
eine +rotblätterige Form+ der +Kirschpflaume+ (~P. cerasifera var.
pissardi~) bei uns gepflanzt. Während die Blätter der gewöhnlichen
Kirschbaumarten nur bei der Entwicklung im Frühjahr zum Zwecke der
Wärmesteigerung und als Schutz gegen zu grelle Besonnung durch
Einlagerung des in saurer Lösung roten Anthocyans prächtig braunrot
gefärbt sind, behalten diejenigen dieser Art diese Verfärbung den
ganzen Sommer über. Solche einmal entstandene Varietäten werden auf
vegetativem Wege durch Pfropfung vermehrt, können aber gelegentlich,
wie besonders bei der Blutbuche beobachtet wurde, auch durch Samen
weitergezüchtet werden, indem der Samen eines rotblätterigen Baums zu
einem großen Teile rotblätterige Pflänzlinge liefert.

Wie die einheimische +Traubenkirsche+ und +Steinweichsel+ (~P. padus~
und ~P. mahaleb~) wird neuerdings vielfach auch die aus Virginien
in Nordamerika bei uns eingeführte +spätblühende Traubenkirsche+
(~P. serotina~) kultiviert. Sie unterscheidet sich von unserer
einheimischen Form durch lorbeerähnliche, glänzende Belaubung und
aufrechte Blütentrauben. Außer der bereits erwähnten flammendrot
blühenden Scheinquitte hat uns Ostasien in seinem +Blütenapfel+ (~Malus
floribunda~) und dessen Verwandten einige der schönsten Blütensträucher
des Frühjahrs geschenkt. Europa selbst bietet in verschiedenen Formen
der +Mehlbeeren+ (~Sorbus aria~ und ~suecica~), vor allem aber in deren
Bastardbildungen mit +Vogelbeere+ (~S. aucuparia~) und +Elsbeere+ (~S.
torminalis~) hübsche Zierbäume. Die Vogelbeere oder gemeine Eberesche,
die sich im Herbst mit den von den Vögeln bevorzugten prächtigroten
Früchtebüscheln schmückt, ist wegen ihres schönen Aussehens und raschen
Wuchses in Parks und als Alleebaum sehr beliebt und wird auch in einer
Varietät mit hängenden Ästen als Trauerbaum gezogen. Das weißlich oder
bräunlich geaderte, gegen den Kern zu oft dunkler geflammte, ziemlich
harte, feine Holz nimmt gute Politur an und ist deshalb von Tischlern
und Drechslern gesucht. Mit Vogelbeerzweigen besteckte man früher am
Walpurgisabend (1. Mai) die Stalltüren, um Hexen abzuhalten. Auch
peitschte man am nächsten Morgen die Kühe mit diesen Zweigen, damit
sie reichlicher Milch gäben. In Mecklenburg war das Quitzern, d. h.
das Schlagen mit den Zweigen des als Quitz bezeichneten Mehlbeerbaums,
noch im 18. Jahrhundert Sitte. Dabei mußte der Gequitzte dem, der ihn
quitzte, ein Geschenk geben.

Auch die beiden +Weißdorn+arten (~Crataegus oxyacantha~ und
~C. monogyna~) sind sowohl in der wilden Form, zu Hecken und
Einfriedigungen zugeschnitten, als besonders mit gefüllten roten Blüten
als Hochstamm gezogen in Park und Garten beliebt. Dieser rotblühende
Weißdorn wird häufig als „Rotdorn“ bezeichnet. Von Rot- und Weißdorn
hat man in den Gärten eine Varietät mit hängenden Zweigen und eine
solche mit gescheckten Blättern gezüchtet. Von den zahlreichen
fremden Arten ist besonders der aus dem östlichen Nordamerika zu
uns gekommene +scharlachfrüchtige Weißdorn+ (~C. coccinea~) mit
großen, rundlich gesägten Blättern beliebt, ebenso der virginische
+Hahnensporn-Weißdorn+ (~C. crusgalli~) und die gleichfalls von Kanada
bis Karolina gemeinen ~C. glandulosa~, ~prunifolia~, ~rotundifolia~,
~salicifolia~, ~punctata~, ~grandiflora~ u. a., während ~C.
sanguinea~ aus Sibirien, ~C. nigra~ aus Ungarn und ~C. melanocarpa~
aus dem Orient zu uns kamen. Ebenfalls wird der mit mispelgroßen,
glänzend roten oder gelben, eßbaren Früchten versehene und deshalb
in Vorderasien und in den Mittelmeerländern häufig kultivierte
+Azarol-Weißdorn+ (~C. azarolus~) mit weißen Blüten häufig in unsern
Gärten als Zierpflanze gezogen. Alle Weißdornarten haben nach ihrem
Weichwerden im Oktober nicht nur von den Vögeln begehrte, sondern
auch von den Kindern gerne gegessene, inwendig gelbe, mehlige Früchte
und ein hartes, von Drechslern gesuchtes Holz. Da aber viele Insekten
auf ihnen leben, die gerne von ihnen auf die Obstbäume übergehen, so
sollten sie nicht in der Nähe der letzteren gepflanzt werden.

Außer der süddeutschen +gemeinen Zwerg+- oder +Steinmispel+
(~Cotoneaster vulgaris~) und der +filzigen Steinmispel+ (~C.
tomentosa~), beide mit rosenroten Blüten und prächtigroten Früchten,
werden auch die aus Nordeuropa und Sibirien bei uns eingeführte
+schwarzfrüchtige Zwergmispel+ (~C. nigra~), die aus dem Orient
stammende +doldentraubige Zwergmispel+ (~C. racemiflora~) mit roten
Früchten, der bei uns im Winter schutzbedürftige südeuropäische
+immergrüne Feuerdorn+ (~C. pyracantha~ -- nach der schon von
Dioskurides genannten Bezeichnung ~pyrákantha~, d. h. Feuerdorn)
mit weißen Blüten und den Winter über hängenbleibenden feuerroten
Früchten, wie auch die immergrüne, rotfrüchtige +rundblätterige
Zwergmispel+ (~C. rotundifolia~) aus dem Himalaja in unsern Gärten und
Anlagen als Ziersträucher gepflanzt. Weiße Blüten, wie alle zuletzt
genannten, haben auch die gleicherweise wie jene in unsern Parks
gezogenen +Felsenmispeln+ (~Aronia~), von denen die laubarme +gemeine
Felsenmispel+ (~A. rotundifolia~) mit haselnußgroßen, schwarzblauen,
rundlichen Früchten und die +kanadische Felsenmispel+ (~A. canadensis~)
angenehm schmeckende Früchte liefern, welche besonders in Frankreich
als ~amélanches~ häufig gegessen werden.

Von den Rosenblütlern sind ferner die meist weiß, seltener rot
blühenden +Spiersträucher+ (~Spiraea~) zu nennen, von denen gegen
50 Arten und zahllose Kreuzungen dieser anspruchslosen Sträucher
bei uns angepflanzt werden, obschon sich ihre Blüten weder durch
Farbenpracht, noch durch Wohlgeruch auszeichnen. Als Gartenzierpflanzen
und zu Hecken beliebt sind der 1-2 m hohe rosenrot, aber auch weiß
blühende +weidenblättrige Spierstrauch+ (~Spiraea salicifolia~),
und der weißblühende +gamanderblätterige Spierstrauch+ (~S.
chamaedryfolia~), beide aus Sibirien, dann der +hainbuchenblätterige+
(~S. carpinifolia~), der +schneeballblätterige+ (~S. opulifolia~), der
+doldentraubige+ (~S. corymbosa~), der rotblühende +filzblätterige+
(~S. tomentosa~), alle aus dem östlichen Nordamerika, der
+Douglasische+ (~S. douglasii~) aus dem westlichen Nordamerika,
der hübsche +pflaumenblätterige+ (~S. prunifolia~) mit roten und
der +dreilappige+ und +prächtige Spierstrauch+ (~S. trilobata~ und
~callosa~) aus Ostasien, speziell Japan, beide mit weißen Blüten. Die
meisten dieser Formen trifft man nicht selten verwildert auch außerhalb
der Gärten an.

Statt der einfachen, meist gezähnten Blätter der Spiräen besitzen die
+Fiederspieren+ (~Sorbaria~) gefiederte Blätter. Die am häufigsten
angepflanzte Form derselben ist die 2-2,6 m hohe +vogelbeerblätterige
Fiederspiere+ (~S. sorbifolia~) mit bis 30 cm langer pyramidaler
Rispe von weißen Blüten aus Sibirien und Nordchina. Ebenfalls aus
Ostasien kam die bis 2 m hohe +japanische Kerrie+ (~Kerria japonica~)
-- zu Ehren des englischen Gärtners Kerr so genannt, der zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts nach China und Japan reiste und viele Pflanzen
von da in Europa einführte -- als Zierstrauch zu uns und wird wegen
ihrer schönen, goldgelben, fast immer gefüllten, vom Frühling bis zum
Herbst fortblühenden Blüten und der geringen Pflege, die sie verlangt,
fast überall in den Gärten angepflanzt. Da die Blüten nach Form und
Farbe sehr an diejenige der Hahnenfüße (~Ranunculus~) erinnern, wird
das Ziergewächs auch als Ranunkelstrauch oder japanische Honigrose
bezeichnet. Nahe mit diesen verwandt ist die auch bei uns als
Rasenzierstrauch kultivierte, nach dem deutschen Arzte Arnold Gillen,
der 1627 ein lateinisches Botanikbuch in Kassel herausgab, genannte
+dreiblätterige Gillenie+ (~Gillenia trifoliata~) aus dem östlichen
Nordamerika.

Von ebendort stammt der bei uns häufig in Anlagen zu treffende und
schon fast verwilderte, bis 5 m hohe ~Hirschkolben-Sumach~ oder
+nordamerikanische Essigbaum+ (~Rhus typhina~), so genannt, weil
seine sauren roten Früchte zur Verstärkung des Essigs dienen. Seine
weitreichenden, mit ihrem braunen Filz an ein im Bast stehendes
Hirschgeweih erinnernden Schößlinge und Wurzelausläufer sind
außerordentlich zäh und schlagen immer wieder aus. Das schöngefiederte,
sattgrüne Laub nimmt im Herbste wie dasjenige der gleichfalls aus dem
östlichen Nordamerika stammenden Jungfernrebe und zahlreicher anderer
Pflanzen jenes Erdteils eine prachtvolle rote Färbung an. Das Holz
dient als Nutzholz, und in seiner Heimat werden die Blätter zum Gerben
benutzt. Ebenfalls in Nordamerika heimisch ist der +glatte Sumach+
(~Rh. glabra~), dessen Fiedern unterseits nicht fein behaart, sondern
glatt sind. Seine Rinde wird in den Vereinigten Staaten zum Gerben
benutzt. Ihm ähnlich, aber in allen Teilen kleiner, ist der in den
Mittelmeerländern heimische +Gerber-Sumach+ (~Rh. coriaria~), dessen
zu Pulver zerkleinerte Zweige und Blätter unter dem Namen +Schmack+ in
den Handel gelangen und zum Gerben der Häute und Schwarzfärben dienen.
In Spanien wird damit das Saffian- und Korduanleder bereitet, dessen
Herstellung die christlichen Spanier von den Arabern übernahmen. Schon
die alten Griechen, namentlich die Bewohner von Megara, gerbten mit
seinem Holze Leder und färbten Wolle goldgelb. Außerdem benützten sie
die säuerlich schmeckenden, ebenfalls gerbstoffhaltigen Beeren zum
Stopfen bei Durchfall und als Gewürz, besonders zu Fleischspeisen.

Seiner Giftigkeit wegen gefürchtet und dennoch nicht selten zur
Bekleidung von Lauben angepflanzt wird der +Giftsumach+ (~Rh.
toxicodendron~). Er ist ein ebenfalls aus Nordamerika stammender
Kletterstrauch mit dreizähligen Blättern und kleinen, grünlichen
Blütenrispen. Alle Teile desselben enthalten einen gelblichweißen,
an der Luft schwarz werdenden Milchsaft, der bei der Berührung eine
Hautentzündung hervorruft, bei empfindlichen Personen sogar Schwindel-
und Krampfanfälle erzeugt. Ähnlich giftig ist der gleichfalls an der
Luft schwarzwerdende Saft des früher besprochenen ostasiatischen
+Firnis-Sumachs+ (~Rh. vernificera~), aus dem die Japaner ihren
berühmten Lack herstellen. Aus den Früchten des in China und Japan
heimischen +Wachs-Sumachs+ (~Rh. succedanea~) wird das in großen Mengen
aus Japan exportierte Japanwachs hergestellt, während vom ebenfalls in
Ostasien heimischen +geflügelten Sumach+ (~Rh. semialata~) die durch
Blattläuse (~Aphis chinensis~) erzeugten, langgezogenen, blasenförmigen
Gallen gewonnen werden. Von diesen, als Gerbmaterial wichtigen,
chinesischen Galläpfel erfuhren wir bereits, daß sie seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts einen wichtigen Handelsartikel bilden und in Menge
aus China ausgeführt werden. Auch diese Sumachart ist in unsere Gärten
eingeführt worden und an den eleganten, großen Blättern zu erkennen,
deren Spindel etwas geflügelt ist.

Viel gepflanzt wird bei uns auch der in Südeuropa und im Orient
bis nach China heimische +Perückenstrauch+ (~Rh. cotinus~), dessen
lockere Rispen von grüngelben Blüten zur Fruchtzeit die Blütenstiele
außerordentlich verlängern und aus den unfruchtbaren Blüten zahlreiche
rotbraune Wollfäden hervorsprossen lassen, so daß der Fruchtstand wie
eine wildzerzauste Perücke auf dem Strauche sitzt. Theophrast nennt
ihn ~kokkygéa~ und Plinius in Anlehnung an die griechische Bezeichnung
~coccygia~. Die gerbstoffreiche Rinde und die Blätter dienten schon im
Altertum zum Gerben und das Holz zum Gelbfärben von Leder zu Gürteln
und Schuhen. Noch heute wird es als ungarisches Gelbholz oder Fisetholz
zum Fournieren und Gelbfärben gebraucht.

Nahe verwandt mit den Sumacharten ist der +ostindische Tintenbaum+
(~Semecarpus anacardium~), welcher in seinen Früchten die
ostindischen Elefantenläuse liefert, die unreif zur Herstellung einer
unverlöschlichen schwarzen Tinte und eines Firnis, reif dagegen
zur Heilung von Hautkrankheiten benutzt werden. In der ganzen
Gattung sind scharfe Stoffe sehr verbreitet und zum Teil von so
gefährlicher Wirkung, daß man z. B. sich während des Regens fürchtet,
unter einen Baum von ~Semecarpus heterophylla~ zu treten, weil die
davon abfließenden Tropfen auf der Haut Entzündung hervorrufen. Am
allerbösartigsten in dieser Beziehung ist der an den Flußmündungen des
malaiischen Archipels nicht seltene +Renghasbaum+ (~Gluta rhengas~),
der Arbeitern, die ihn zu fällen versuchen, mit seinem Safte geradezu
lebensgefährliche Geschwüre verursacht, so daß ihn in seiner Heimat
kein Mensch anrührt, geschweige denn verletzt.

Mit den verschiedenen Sumacharten, speziell dem amerikanischen
Essigbaum, wird vielfach wegen der Ähnlichkeit der Blätter der
ebenfalls in unseren Parkanlagen als Schattenbaum angepflanzte
südchinesische +Götterbaum+ (~Ailanthus glandulosa~) verwechselt.
In seiner Heimat heißt er wegen der Höhe von 16-19 m Götter- oder
Himmelsbaum. Er wäre einer unserer wertvollsten Parkbäume, wenn er
nicht gar zu leicht das Opfer strenger Winter würde. Die Pflanze
besitzt ein außerordentlich rasches Wachstum und läßt sich, so
lange sie jung ist, in rohem, frisch aufgeschlossenem Boden leicht
versetzen, ist also für Neuanlagen von Gärten wie geschaffen. Dabei
sind die großen, rotüberlaufenen Fruchtstände im Herbst ein prächtiger
Schmuck, so unscheinbar auch die gelbgrünen, im Juli in dichten Rispen
erscheinenden Blüten sind. Neben den gewöhnlichen zwitterigen Bäumen
gibt es auch getrenntgeschlechtige, so daß nicht alle blühenden Bäume
auch Früchte tragen können. Die ölreichen Samen sitzen in der Mitte
eines schraubig gedrehten, zungenförmigen Flugblattes und werden durch
den Wind verbreitet. In China lebt auf diesem Baume die Raupe des
prächtigen, großen Ailanthus-Spinners (~Saturnia cynthia~), welche
in zwei Ernten jährlich so viel Seidenmaterial liefert, daß es dort
seit Jahrhunderten zur Herstellung von Kleidern vewendet wird. Die
Raupe ernährt sich von den bis 1 m langen gefiederten Blättern und
wurde zur Seidengewinnung mit seinem Nährbaum auch in Südfrankreich
und Algerien eingeführt. Ab und zu kann der Schmetterling auch bei uns
angetroffen werden.

Ein ebenfalls sehr schöner, 10-15 m hoher, sehr rasch wachsender,
aber wegen seiner Empfindlichkeit gegen Frost nur an geschützten
Stellen vorkommender und auch da nur selten blühender ostasiatischer
Baum ist der +japanische Kaiserbaum+ (~Pawlonia imperialis~ -- nach
Anna Pawlona, der Tochter des russischen Kaisers Paul I. und Gemahlin
Wilhelms II., Königs der Niederlande, so genannt). Er besitzt große,
langgestielte, ganzrandige, behaarte Blätter und aufrecht gestellte
Rispen von großen, hell blauvioletten, angenehm duftenden Blüten.
Drei kleeförmig geordnete Blätter desselben bilden das japanische
Kaiserwappen. Das leichte Holz findet vielfache Verwendung, und aus
dem Samen gewinnt man ein Öl, das in Japan zur Herstellung gewisser
durchsichtiger Papiersorten dient.

Dem ostasiatischen Ailanthus sehr nahe verwandt ist der aus dem
südlichen Nordamerika stammende und bei uns als Gartenzierstrauch
beliebte +gemeine Lederbaum+ (~Ptelea trifoliata~). Dieser bis 5 m
hohe Strauch mit dreizähligen Blättern, die beim Reiben unangenehm
riechen, bildet kreisrunde Flügelfrüchte aus, die an diejenigen der
Flatterulme erinnern.

Wegen noch größerer Frostempfindlichkeit bei uns in Töpfen kultiviert
und den Winter über im Keller oder Kalthaus aufgestellt wird der in
allen Teilen einen bitteren, giftigen Saft enthaltende +Oleander+
oder +Rosenlorbeerbaum+ (~Nerium oleander~). Diese, dem Immergrün
(~Vinca~) nahe verwandte, beliebte Schmuckpflanze unserer Wohnungen
und Gärten ist ein in den warmen Mittelmeerländern wildwachsender,
sehr leicht durch Stecklinge zu vermehrender baumartiger Strauch,
der von seiner in die Augen fallenden Eigenschaft, die Wasserläufe
und kiesigen Rinnen oder Schluchten, in denen sich nur vorübergehend
die Wildbäche nach heftigem Regen gegen das Meer hinabwälzen, zu
begleiten und einzufassen, von den Griechen den Namen ~nérion~, von
~nerós~ fließend -- es sei hier nur an Nereus, den Wassergott, und
die Nereiden, die Göttinnen des flüssigen Elements erinnert --,
erhielt. Diese Bezeichnung übernahmen dann die Römer. Trotz dieses
bevorzugten Standortes ist aber der Oleander durchaus keine eigentliche
Wasserpflanze und ersteigt auch die steinigen Halden der Berge, an
denen oft Nebel lagern. Merkwürdig ist, daß die Alten bis auf Plinius
und Dioskurides die so charakteristische Pflanze der südlichen
Landschaft nicht nannten, so daß V. Hehn auf die falsche Vermutung
kam, der Oleander sei in der Zeit zwischen Theophrast († 286 v. Chr.)
und dem Ende der römischen Republik (das auf den 2. September 31
v. Chr. durch den Sieg von Cäsar Octavianus, seit 27 v. Chr. Augustus
beigenannt, über Antonius und Kleopatra fällt) vermutlich aus dem
pontischen Gebirge zuerst nach Griechenland und von da später auch
nach Rom gekommen. Es ist dies offenbar eine Verwechslung mit der
pontischen Alpenrose (~Rhodondendron ponticum~), denn der von den
Griechen auch als ~rhododéndron~, d. h. Rosenbaum oder ~rhododáphnē~,
d. h. Rosenlorbeer, bezeichnete Oleander kommt im pontischen Gebirge
überhaupt nicht wild vor.

In der römischen Kaiserzeit war der Rosenlorbeer bei den Ärzten und dem
Volke in Italien so bekannt und als Gift gefürchtet wie heute, wo er in
Süditalien ~amazzo l’asino~, d. h. Eselmörder, heißt. Der aus Kilikien
gebürtige Arzt Dioskurides sagt in seiner Arzneimittellehre: „Der
bekannte Strauch ~nérion~ oder ~rhododáphnē~ oder ~rhododéndron~, der
längere und dickere Blätter hat als der Mandelbaum -- hier folgt die
weitere Beschreibung -- wächst in Paradiesen (vom persischen ~pardes~,
d. h. Park) und in Ufergegenden und an den Flüssen. Seine Blüten und
Blätter wirken schädlich auf Hunde, Esel, Maultiere und die meisten
Vierfüßler; den Menschen aber sind sie, mit Wein getrunken, heilsam
gegen den Biß von Tieren, besonders wenn man Raute hinzumengt. Kleinere
Tiere aber, wie Ziegen und Schafe, sterben, wenn sie einen Aufguß
davon trinken.“ Palladius, der im 4. Jahrhundert n. Chr. ein noch im
Mittelalter vielfach benutztes Werk über den Landbau in 14 Büchern
schrieb, erwähnt ihn als Mittel die Mäuse damit zu vertilgen, indem man
deren Gänge und Löcher mit Blättern dieses Baumes verstopft.

Während der Oleander in Südeuropa eine Höhe von 5, ja selbst 7 und
8 m erreicht, sieht man ihn in Deutschland in den Kübeln kaum über
3 m hoch werden. Die von Juni bis September erscheinenden duftlosen
Blüten sind bei der wildwachsenden Pflanze karminrot, doch hat man aus
Samen zahlreiche Spielarten mit einfachen und gefüllten, verschieden
nuancierten roten und weißen Blumen gezogen. Aus Indien stammt der
+wohlriechende Oleander+ (~N. odoratum~), der längere und schmälere
Blätter von frischem Grün und sehr angenehm duftende größere, weiße,
rosenrote oder fleischfarbene Blüten mit purpurnen Linien in der Röhre
besitzt. Die gelb blühenden Varietäten sind empfindlicher als diese und
deshalb auch weniger bei uns verbreitet. Der in Ostindien wachsende
+Färberoleander+ (~N. tinctorium~) liefert eine Art Indigo.

Ebenfalls ein Mitglied der immergrünen, mediterranen Strauchvegetation,
der wegen seiner schönen Belaubung häufig auch als Zierstrauch
kultiviert wird, bei uns aber über den Winter im Kalthaus untergebracht
werden muß, ist der zu den Erikazeen gehörende gemeine +Erdbeerstrauch+
(~Arbutus unedo~), dessen erdbeerähnliche, aber etwas fade schmeckenden
Früchte vom gelehrten römischen Schriftsteller Varro (116-27 v. Chr.)
mit Eicheln, Brombeeren und Holzäpfeln zu den Nahrungsmitteln der
Urzeit, also zu denen, die die jungfräuliche Erde dem Menschen von
selbst darbot, gerechnet wurde. Jetzt, da man bessere Früchte in Menge
besitzt, verschmäht man seine 2-2,5 cm dicken, scharlachroten Früchte
trotz ihres säuerlich-süßen Geschmacks, sowohl in Griechenland als auch
in Italien und überläßt sie den Vögeln, für die sie ja ursprünglich
von der Pflanze bestimmt waren; nur in Spanien, wo der schöne Strauch
namentlich in der Sierra Morena häufig zu finden ist, werden sie
zahlreich auf den Markt gebracht. In sehr großer Menge genossen, sollen
sie betäubend wirken und Kopfschmerzen verursachen. Sie enthalten
ziemlich viel Zucker und können auch zur Branntweinfabrikation benutzt
werden. Der stattliche Strauch oder kleine Baum von 3-5 m Höhe, mit
rotberindeten Zweigen und großen, lederartigen, denjenigen des Lorbeers
ähnlichen, immergrünen Blättern und hängenden Trauben von weißen oder
rosenroten Blüten findet sich in ganz Europa wild und wird wie sein
Verwandter, der in Griechenland und im Orient heimische ~Arbutus
andrachne~, in wärmeren Gegenden in Gärten kultiviert. Letztere Art
fällt durch ihren glatten, rötlichen Stamm auf. Die lateinische
Bezeichnung ~arbutus~ hängt wohl nicht mit ~arbor~ Baum, sondern
mit einer noch im althochdeutschen ~ertberi~ (Erdbeere) erhaltenen
indogermanischen Benennung der Frucht nach ihrer Ähnlichkeit mit der
Erdbeere zusammen.

Auch die trockene, sonnige Standorte liebenden +Ginsterpflanzen+
sind in den Macchien reich vertreten. Verwandt mit dem +Gaspeldorn+
(~Ulex europaeus~), der als englischer Ginster (jetzt ~broom~ genannt)
dem englischen Königsgeschlecht der Plantagenet -- von ~planta
genista~ Ginsterpflanze -- seinen Namen gab, und dem +Besenstrauch+
(~Sarothamnus vulgaris~), welche beide prächtig gelb gefärbte
Blütentrauben hervorbringen, mit denen sie einen wirklichen Schmuck
mancher sonst an Vegetation armer Gegenden bilden, sind die früher
besprochenen Cytisusarten, zu denen unser Goldregen gehört.

Ebenso typische Repräsentanten der mediterranen Strauchvegetation
sind die bis 1,6 m hoch werdenden +Cistrosen+ (~Cistus~), von den
alten Griechen ~kístos~ und in Anlehnung daran von den Römern ~cistus~
genannt. Sie besitzen an reichverzweigten Ästen bräunlichgrüne,
klebrige Blätter und weiße bis rosenrote Blüten mit zahlreichen gelben
Staubfäden. Gepflückt welken sie äußerst rasch, doch entfalten sich
an Zweigen, die man ins Wasser steckt, alsbald neue Blüten. Diese
aromatisch duftenden Ciststräucher tragen nicht wenig dazu bei,
den Macchien ihren charakteristischen Geruch zu verleihen, den die
Schiffer, z. B. in der Nähe von Korsika, im offenen Meer schon aus
weiter Ferne riechen zu können angeben. Nach diesem würzigen Duft
seiner Heimatinsel sehnte sich auch Napoleon I. auf St. Helena vor
seinem Ende zurück. Das Gummiharz, das die Ciststräucher ausschwitzen,
war unter dem Namen ~ladanum~ oder ~labdanum~ früher ein berühmtes,
von orientalischen und griechischen Ärzten vielbenutztes Heilmittel.
Heute wird es nur noch zum Räuchern verwendet. An den Wurzeln der
Cistrosen schmarotzt die brennend gelbrote, große Blüten ohne Blätter
entwickelnde Rafflesiazee ~Cytisus hypocystis~, der nördlichste
Vertreter der sonst auf die Tropen beschränkten Familie, die in der auf
Sumatra heimischen und von Elefanten verbreiteten ~Rafflesia Arnoldi~
die größte Blüte der Welt mit 1 m Durchmesser hervorbringt.

Ebenfalls sehr häufig in den Macchien ist die +Mastixpistazie+
(~Pistacia lentiscus~), die hier nur als Strauch auftritt, während sie
unter anderen Bedingungen, vor allem freistehend, zu einem etwa 4,5 m
hohen Baume emporwächst. Sie hat dunkelgrüne, paarig gefiederte,
lederartig zähe, oben glänzende Blätter, die sich durch einen harzigen
Geruch auszeichnen, und in roten Trauben beieinanderstehende kleine
Blüten. Die Frucht ist eine kugelige, schwärzliche Steinfrucht. Als
ein Hauptbestandteil der immergrünen Macchien ist sie im ganzen
Mittelmeergebiet heimisch und wird vielfach kultiviert, so besonders
im nördlichen Teile der Insel Chios, wo durch Einschnitte in den Stamm
und die Zweige der aus kleinen, weißen oder gelben, durchscheinenden,
in der Hitze wohlriechenden Körnern bestehende Mastix gewonnen
wird. Seinen Namen, im Griechischen ~mastíchē~ (von ~mastázo~ ich
kaue) hat er von der im Orient von alters her besonders bei den
Frauen gebräuchlichen Sitte, ihn zur Kurzweil zu kauen, wie es die
Nordamerikaner mit ihrem ~gum~ tun. Er erweicht nämlich im Munde und
soll das Zahnfleisch stärken und den Atem parfümieren. Jährlich kommen
etwa 500000 kg Mastix im Werte von einer halben Million Mark in den
Handel; bei uns findet er vornehmlich zur Bereitung von Räucherpulver,
Firnissen und Lacken Verwendung. Das harte Holz dient zur Anfertigung
von Zahnstochern und Einlegearbeiten, aus den Blättern bereitet man in
Algerien einen als ~lentisque~ bezeichneten Gerbstoff und aus den Samen
preßt man Öl.

Mit der Mastixpistazie ist die +Terpentinpistazie+ (~Pistacia
terebinthus~) verwandt. Auch sie ist durch das ganze Mittelmeergebiet
verbreitet, entfernt sich aber mehr von der Küste als die vorige Art
und wird in Tirol noch bei Bozen angetroffen. Sie wächst auf trockenen,
sonnigen Hügeln, ist in den Macchien gewöhnlich strauchartig, wird
aber sonst zu einem kleinen Baum und trägt auffallende, unpaarig
gefiederte Blätter, große, aus zahlreichen Blüten zusammengesetzte
Trauben und kleine, dunkelrote Früchte. Durch Einschnitte in die Rinde
liefert sie den cyprischen Terpentin oder den Terpentin von Chios,
ein feines, flüssiges Harz, das besonders früher als ein geschätztes
Heilmittel verwendet wurde. An den Enden der Äste entstehen durch
die Stiche einer Blattlaus (~Aphis pistaciae~) große bockshornartig
gestaltete, dickwandige, harte, grünrote, harzreiche Gallen, die 60
Prozent Gerbsäure und 15 Prozent Gallussäure enthalten. Früher wurden
auch sie als Medikament benutzt, doch dienen sie heute fast nur noch
zum Färben von Seide und Wein. Aus den angenehm bitteren Samen, die in
Griechenland heute noch als ~kokonetza~ gegessen werden, preßt man ein
fettes Öl.

Schon die Jugend der alten Perser wurde angehalten, im freien Felde
zu leben und sich von Terebinthenfrüchten, Eicheln und wilden Birnen
zu ernähren. Als der Mederkönig Astyages auf dem Throne sitzend sah,
wie sein Heer von den Scharen des Cyrus geschlagen wurde, rief er
entsetzt aus: „Wehe uns, wie tapfer sind diese terebinthenessenden
Perser.“ In Syrien und Palästina wird die Terpentinpistazie zu einem
stattlichen Baum, dem in den ältesten Zeiten göttliche Ehren gespendet
wurden. Schon Abraham schlug sein Zelt unter den Terebinthen Mamre zu
Hebron auf und baute dem Herrn daselbst einen Altar. Dort erschien
ihm der Herr und gab ihm seine Verheißung, er werde trotz des hohen
Alters der Sarah einen Sohn bekommen und ein großes Volk werde aus
ihm hervorgehen, das werde gesegnet sein unter allen Völkern. Die
Stätte, wo der Hain Mamre gestanden, wurde noch viele Jahrhunderte
nach Abrahams Tod als geweihter Ort verehrt, an welchem man Opfer
darbrachte und wo die Umwohner Markt abhielten. Eine andere heilige
Terebinthe war die des Jakob zu Sichem, unter der zu Josuas Zeit die
Bundeslade stand und von Josua ein steinerner Altar errichtet wurde.
Dort versammelten sich noch zur Zeit der Richter alle Männer von Sichem
und erhoben Abimelech zum König. Auch zu Gideon kam der Engel des Herrn
unter einer Terebinthe zu Ophra, und Gideon baute daselbst einen neuen
Altar, nachdem er die hölzerne Bildsäule der Aschera der Midianiter
umgehauen hatte. Endlich hat auch die Terebinthe zu Jabes historische
Berühmtheit durch ihre Erwähnung im Alten Testamente erlangt. In
späterer Zeit, als der Jahvekultus geistiger geworden war, stießen sich
die Propheten besonders an diesem sonst heidnischen Baumkult speziell
der Terebinthe, unter der auch die Toten -- es sei hier nur an Rebekkas
Amme Debora erinnert -- mit Vorliebe begraben wurden.

Während diese wärmeliebenden Kinder des Südens nicht zu uns gelangten,
ist die +gemeine Roßkastanie+ (~Aesculus hippocastanum~) einer
unserer häufigsten Parkbäume geworden. ~Aesculus~ oder ~esculus~ (vom
lateinischen ~edere~ essen) hieß bei den alten Römern die immergrüne
Speiseeiche (~Quercus aesculus~), welchen Namen Karl von Linné auf
diesen, den Alten unbekannten Baum übertrug. ~Hippokástanon~, d. h.
Pferdekastanie, nannte er sie, weil die denjenigen der eßbaren Kastanie
(~Castanea vesca~) ähnlichen Samen von den Türken, gemahlen und unter
das Futter vermengt, ihren Pferden gegen Husten und Dämpfigsein
(Schweratmen infolge Lungenemphysem) mit gutem Erfolg gegeben werden
sollen. Trotz der Ähnlichkeit der Früchte hat aber die Roßkastanie,
die zu den Sapindazeen oder Seifenbaumgewächsen gehört, keinerlei
Verwandtschaft mit der Eßkastanie, die mit Eiche und Rotbuche die
Familie der Fagazeen bildet. Dieser 19-25 m hohe Baum mit den
bekannten 5-7zählig gefingerten Blättern und weißen, rot und gelb
gefleckten Blüten hat, wie erst neuerdings nachgewiesen werden konnte,
seine Heimat in den Gebirgen von Nordgriechenland, Thessalien und
Epirus unterhalb der Tannenregion in einer Meereshöhe von 1000-1300 m
und wächst auch in der Berglandschaft von Imeretien im Kaukasus wild.
Die Türken brachten ihn ums Jahr 1557 nach Konstantinopel, von wo 1576
der österreichische Gesandte Freiherr von Ungnad die ersten Früchte
nach Wien sandte. Dort pflanzte Clusius die Roßkastanie zuerst im
kaiserlichen Garten und beschrieb Matthiolus die Pflanze als ~Castanea
equina~, auch bildete er einen Fruchtzweig derselben ab. Erst um 1616
gelangte der Baum von Konstantinopel nach Frankreich, von wo er sich,
wie auch aus Wien, über ganz Mitteleuropa verbreitete und so gemein
wurde, daß er hier heute der häufigste Schatten- und Alleebaum ist. Um
die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er auch in Nordamerika angesiedelt
und fand hier ebenfalls weite Verbreitung, da er sehr rasch wächst,
durch seine weit ausgebreitete, dichte Krone ausgiebigen Schatten
spendet, durch seine prächtigen Blütenkerzen im Frühjahr das Auge
erfreut und im Herbst die großen, glänzendbraunen Samen liefert, die 60
Prozent Nährstoffe, darunter 40 Prozent Stärkemehl enthalten. Trotzdem
haben sie als menschliches Nahrungsmittel bis jetzt keine Verwendung
gefunden, da sie durch einen ziemlichen Gehalt an Saponin unangenehm
schmecken. Dieser kann nun durch Behandeln mit Alkohol entfernt werden,
wodurch man ein wertvolles Nährpräparat beziehungsweise Stärkemehl zur
Spiritusfabrikation gewinnt. Unverändert bilden sie ein treffliches
Viehfutter, das durch den Gerbstoffreichtum der Schale ein treffliches
Gegenmittel für die unvermeidlichen Folgen der Fütterung mit
Grünfutter bildet. Sie lassen sich leicht aufbewahren, indem man sie
an einem luftigen Ort gut trocken hält; doch dürfen sie nicht zu hoch
aufeinander liegen, da sie dann schwer trocknen und leicht schimmeln.
Die hart gewordene Frucht läßt man vor dem Verfüttern 24 Stunden in
Wasser aufquellen, wodurch ihre Bitterkeit teilweise verschwindet. Aus
den rohen Samen kann man einen trefflichen Kleister für Buchbinder
und Tapezierer bereiten, der den Vorteil hat, wegen seiner Bitterkeit
vor der Einnistung von Insekten geschützt zu sein. Aus den zu Kohle
verbrannten Schalen gewinnt man eine ganz schöne schwarze Farbe. Die
Blüten sind eine sehr ergiebige Bienenweide; das gelblichweiße oder
rötliche, weiche und schwammige Holz dagegen ist wenig als Werkholz
geschätzt, da es grobfaserig ist und leicht fault. Trotz ihrer langen
Züchtung hat die Roßkastanie keine nennenswerten Spielarten oder
Kulturformen hervorgebracht.

Kleiner als sie und mit röhrigem statt glockigem Kelch, mit
zusammengeneigten statt wie bei jener ausgebreiteten Blumenblättern ist
die schmutzigrot blühende +rote Pawie+ (~Pawia rubra~), ein aus dem
südwestlichen Nordamerika bei uns eingeführter Zierbaum von nur 4-7 m
Höhe und glatter brauner statt stacheliger grüner Samenkapsel. Letztere
sind gleich den Blättern und Samen giftig und deshalb unbrauchbar als
Viehfutter, was bei der altweltlichen Roßkastanie nicht der Fall ist.
Mit ihren zerriebenen und zu einem Teige geformten Früchten betäubt
man beim Fischfang die Fische. Die zerstoßene und gekochte Wurzel
und Rinde enthält viel Saponin und wird in Amerika statt Seife zum
Waschen von Wollzeug gebraucht. Ihren Namen erhielt sie zu Ehren des
um die Mitte des 17. Jahrhunderts als Professor der Botanik in Leiden
verstorbenen Peter Paw. Sie wird bei uns recht selten angepflanzt
und bildet nur selten größere Bäume. Sehr häufig dagegen treffen
wir in den Gärten und Anlagen die +rotblühende Kastanie+ (~Aesculus
carnea~), ein Kreuzungsprodukt der altweltlichen Roßkastanie mit der
neuweltlichen Pawie. Der Bastard hält in seinen Merkmalen so ziemlich
die Mitte zwischen seinen Eltern inne. Seine rote Blumenkrone ist nicht
ausgebreitet wie bei der Roßkastanie, sondern leicht zusammengeneigt
und die bräunlichgrüne Fruchthülle nur spärlich bestachelt. Er wird
größer als die Pawie, wenn auch nicht so groß wie die Roßkastanie; er
wächst nicht so schnell wie letztere, blüht auch 2-3 Wochen später
als diese. Da die rotblühende Kastanie durch Pfropfung auf den jungen
Stamm der gemeinen Roßkastanie vermehrt wird, aber weniger in die Dicke
wächst als diese, so entsteht meist eine sehr auffallende Stammform,
indem sich dieser an der Pfropfstelle plötzlich verschmälert, eine
Erscheinung, die man nicht selten auch bei Obstbäumen, besonders
Apfelbäumen -- aus derselben Ursache entstanden -- beobachtet.

Etwas größer als die rote Pawie wird die +gelbblühende Pawie+ (~Pawia
lutea~) mit langen gelben Blumenblättern und unbehaarten Staubbeuteln,
während die +glattblätterige Pawie+ (~P. glabra~) mit kurzen gelben
Blumenblättern und behaarten Staubbeuteln kleinwüchsig ist. Diese sind
ebenfalls Bewohner des südwestlichen Nordamerika und lassen sich am
Laube nur schwer voneinander unterscheiden. Durch schlankere Form der
glatten Blättchen zeichnet sich bloß die strauchartige +kleinblütige
Roßkastanie+ (~Aesculus parviflora~) aus den Bergwäldern des östlichen
Nordamerika aus. Sie blüht später als die andern Arten und an den erst
im Sommer erscheinenden auffallend langen und schmalen Blütenrispen
treten die Staubfäden weit aus den großen, weißen Blüten heraus.

An allgemeiner Beliebtheit als prächtiger Schattenbaum wetteifert mit
der Roßkastanie die +Platane+. Sie wächst rasch, bildet einen mächtigen
Stamm mit kraftvoll ausgestreckten Ästen und hellgrünen, gelappten,
handnervigen Blättern, die, wie diejenigen der Roßkastanie, im Herbst
abgeworfen werden. Sie vereinigt die Schnellwüchsigkeit der Pappel mit
dem Brennwert der Buche, weshalb es sich empfiehlt, sie besonders
als Alleebaum anzupflanzen. Die dunkle, in beständiger Erneuerung
begriffene Borke des Stammes blättert fortwährend in regellosen Stücken
ab, so daß die jüngere, hellgefärbte Rinde zutage tritt und der Stamm
malerisch gefleckt erscheint. Unscheinbar hängen die kleinen gelben
männlichen und tiefroten weiblichen Blüten getrennt am Baume, bevor die
Blätter zum Vorschein kommen. Aus letzteren gehen zu beinahe nußgroßen
Kugeln vereinigte Früchte hervor, die noch im Winter am Baume pendeln.
Aus ihnen lösen sich die mit zarten Flughaaren versehenen Früchte ab,
um vom Winde verbreitet zu werden. Da der Baum sich leicht in den Ästen
zurückschneiden läßt, wird er vielfach stark gescheitelt. Wer aber nur
die mißhandelten, durch übermäßiges Stutzen nieder und breit gehaltenen
Bäume, wie sie vielfach vor den Gasthäusern und in den Biergärten zu
sehen sind, kennt, der ahnt nicht, welche Schönheit die Platane da
entfaltet, wo man ihr frei und unbehindert ihre breit ausladenden Äste
aus dem schlanken Stamme herauszustrecken erlaubt.

Das Geschlecht der mit den Feigen-, Brotfrucht- und Ulmenbäumen zu
den Nesselgewächsen gehörenden Platanen besaß zur Tertiärzeit mit den
ihnen sehr nahe verwandten Liquidambarbäumen eine viel ausgedehntere
Verbreitung als heute. Während des mittleren und oberen Tertiärs waren
sie durch ganz Europa, Nordasien und Nordamerika bis weit über den
Polarkreis hinaus verbreitet und wuchsen sogar in Grönland und auf
Spitzbergen. Vom spättertiären ~Platanus aceroides~ dürften die beiden
heute noch existierenden und in der Kulturwelt angepflanzten, 10-20 m
hohen Platanenarten stammen: die +morgenländische Platane+ (~Pl.
orientalis~) der Alten Welt und die +abendländische Platane+ (~Pl.
occidentalis~) von Nordamerika. Erstere hat stärker gelappte Blätter
mit grünen Blattstielen und ein mehr in die Breite wachsendes Astwerk,
während letztere nur schwach gelappte, unterseits flaumhaarige Blätter
mit braunen Blattstielen besitzt und ihre Zweige mehr aufrecht stellt.
Da die neuweltliche Platane die Winterkälte viel besser erträgt als
die dagegen weit empfindlichere altweltliche, wird sie in Mitteleuropa
häufiger als jene angepflanzt. Doch ist die bei uns fast ausschließlich
gepflanzte Form das Kreuzungsprodukt beider Arten, die +ahornblätterige
Platane+ (~Pl. acerifolia~), die der amerikanischen Form näher steht
und wie diese winterhart ist. Ihre Vermehrung erfolgt stets durch
Stecklinge.

Die morgenländische Platane findet sich an Gebirgsbächen in Wäldern
unterhalb der Cedernregion bis zu 1600 m Höhe vom Himalaja bis
Griechenland und Makedonien, auch auf Zypern, dem südlichen Anatolien
und Persien. Sie hieß bei den Griechen ~plátanos~, von ~platýs~ breit,
weil sie ihre Äste weit ausreckt. Schon in der Ilias wird sie erwähnt.
Als nämlich die Griechen sich mit ihren Schiffen in der Stadt Aulis
am Euripos in Böotien zum Zuge nach Troja sammelten, da lagerten
sie sich „an einer Quelle unter einer schönen Platane.“ Nach Homer
erwähnt dann der Dichter Theognis aus Megara um 560 v. Chr. einen
Platanenhain in Lakonien, der an einem Teiche stand, mit dessen Wasser
ein Winzer seine Reben tränkte. Durch ihre Größe und durch ihr Alter
ehrwürdige Exemplare galten den Umwohnern als heilig. Solche heilige
Platanen werden uns von alten Schriftstellern aus Lykien und Karien in
Kleinasien erwähnt. Eine ähnliche Sitte muß auch in Persien geherrscht
haben; denn Herodot berichtet uns vom persischen Großkönig Xerxes, daß,
als er auf seinem Kriegszuge gegen Griechenland 485 v. Chr. auf dem
von Phrygien nach der Hauptstadt von Lydien, Sardes, führenden Wege
eine prächtige Platane traf, „er ihr einen goldenen Schmuck schenkte
und einen besonderen Wächter für sie einsetzte.“ Bis in unsere Zeit
findet man in Persien, Kleinasien und Griechenland solche ehrwürdige
alte Platanen von einer Höhe von 30 m und einem Stammumfang bis
16 m, deren ausgehöhlter Stamm Hirten und Jägern zu vorübergehendem
Aufenthalte dient. Auch der Grieche Pausanias, der im 2. Jahrhundert
n. Chr. den Bädeker des Altertums schrieb, weiß auf seiner Wanderung
durch Griechenland und Kleinasien hin und wieder von solchen
Riesenplatanen zu erzählen, die noch mit der Heroenzeit in Verbindung
gebracht wurden. So berichtet er von der bei Kaphyai in Arkadien
wachsenden hohen und herrlichen Menelais, so genannt, weil sie, nach
der Sage der Umwohner, vom Könige Menelaos selbst vor der Abfahrt
nach Troja an der betreffenden Quelle gepflanzt worden sein soll. Und
beim Flusse Pieros bei Pharai in Achaja sah er Platanen von solcher
Größe, daß man in der Höhlung der Stämme einen Schmaus halten und nach
Belieben darin auch schlafen konnte.

Der griechische Pflanzenkundige Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr.
sagt: „In Griechenland wächst die Platane an einigen Stellen sehr
häufig. Am Adriatischen Meere dagegen sollen kleine Platanen wachsen,
ausgenommen beim Heiligtum des Diomedes (auf der Insel Diomedea an der
apulischen Küste). In ganz Italien soll der Baum selten sein, obgleich
es reich an Flüssen ist; das dortige Klima ist ihm nicht günstig. Der
ältere Dionysios (431-367 v. Chr.), der Tyrann, hatte einige Platanen
in einen Garten bei Rhegion (das er 387 erobert hatte) gepflanzt, wo
man sie jetzt in der Ringschule sieht; aber sie wollen trotz aller
Pflege nicht recht gedeihen. Auf Kreta soll bei Gortyna eine Platane
stehen, welche ihr Laub nicht abwirft, während alle benachbarten es
abwerfen. Eine ähnliche soll auf Zypern stehen.“

Zweifellos ist die Platane durch Griechen zuerst nach Unteritalien
und von da später nach Mittelitalien zu den Römern gekommen, die
zugleich mit dem Baum deren griechische Benennung übernahmen. Zu
Ende der römischen Republik war es eine Liebhaberei der Vornehmen,
raschwüchsige Platanen in den Gärten ihrer Villen anzupflanzen und
sie, statt mit Wasser, mit Wein zu begießen, da ein Aberglaube solchen
Trank den Fremdlingen heilsam erklärte. So wird beispielsweise vom
berühmten Redner Hortensius berichtet, er habe einmal bei einer
Gerichtsverhandlung seinen Kollegen Cicero gebeten, mit ihm die Reihe
im Reden zu tauschen, da er notwendig auf seine Villa nach Tuskulum
hinaus müsse, um seine Platane eigenhändig mit Wein zu begießen. Mit
Vorliebe ruhte man in der Kaiserzeit im Schatten solcher liebevoll
aufgezogener Platanen und gab sich, wie die römischen Dichter es
mehrfach besangen, der Ruhe und dem Genusse des Weines hin. So
bezeichnet Ovid die Platane als einen dem Lebensgenuß dienenden Baum,
und Horaz empfindet es als eine Entweihung des heiligen Bodens, die
fruchtspendende Erde statt mit einem nützlichen Obstbaum mit solch
einem nutzlosen Schönheitsbaum zu bepflanzen. Auch Plinius bemerkt in
seiner Naturgeschichte: „Die Platane (~platanus~) ist wunderbarerweise
nur ihres Schattens wegen aus weiter Ferne zu uns verpflanzt worden.
Erst wurde sie über das Ionische Meer auf die Insel des Diomedes
gebracht, um des Helden Grab zu beschatten; von da gelangte sie nach
Sizilien und von dort endlich nach Italien. Jetzt steht sie sogar im
Lande der Moriner (am belgisch-französischen Strand -- doch ist dies
wohl eine Verwechslung mit dem nordischen Ahorn, den Plinius selbst den
gallischen oder weißen Ahorn nennt), also auf zinspflichtigem Boden, so
daß auch ihr Schatten versteuert werden muß. -- Die Platanen sind jetzt
zu so hohen Ehren gekommen, daß sie nun sogar mit reinem Wein begossen
werden. Die Erfahrung lehrte, daß der Wein den Wurzeln gut bekam, und
so hat man sie denn in der Kunst des Weintrinkens unterrichtet.

In früherer Zeit waren die Platanen der Akademie in Athen berühmt,
deren 33 Ellen lange Wurzeln noch über die Zweige hinausgingen. Jetzt
ist eine Platane in Lykien berühmt. Sie steht bei einer lieblichen,
kühlen Quelle, neben einer Straße. Ihr Inneres gleicht einem Hause;
denn sie ist hohl und ihre Höhlung mißt 81 Fuß. Ihr Wipfel gleicht
einem Haine, ihre langen Äste gleichen Bäumen und werfen ihre Schatten
weithin über die Felder. Ihre Höhlung ähnelt einer Felsengrotte,
enthält auch rings eine Bank von bemoostem Tuffstein. Sie ist so
wunderbar, daß Licinius Mutianus, der dreimal Konsul und noch neulich
Legat in Lykien war, für die Nachwelt die Bemerkung hinterließ, er
habe mit 18 Begleitern im Baume einen Schmaus abgehalten. Zu Polstern
habe man das Laub des Baumes genommen. Vor jedem Windhauch war die
Gesellschaft sicher. Dann habe er noch im Baume geruht und sei da
besser aufgehoben gewesen, als in Sälen mit schimmernden Marmorwänden,
bunten Gemälden und vergoldeten Prachtdecken.

Zu Gortyna auf der Insel Kreta steht eine Platane, die in griechischen
und lateinischen Schriften besprochen wird; unter ihr soll nach
der Sage selbst Jupiter einst geruht haben. Sie besitzt die
Eigentümlichkeit, ihre Blätter nie zu verlieren. Junge Platanen, die
man von ihr auf Kreta zog, haben diesen Fehler ihres Stammbaumes
beibehalten; denn es ist ja ein Vorzug jedes Baumes, wenn er im Winter
die Sonnenstrahlen durchläßt. Unter der Regierung des Kaisers Claudius
(41-54 n. Chr.) hat Aeterninus, der Freigelassene des Marcellus, diese
Platanensorte auf seine Güter bei Rom verpflanzt. Diese ausländischen
Wunder stehen noch jetzt in Italien neben anderen, die in diesem Lande
selbst durch Kunst erzeugt wurden. -- Durch eigentümliche Fortpflanzung
und Beschneidung zwingt man die Platanen zu unglückseligen
Verkrüppelungen. Ganze solche Krüppelwälder stammen von ihrem Erfinder,
dem Ritter Gajus Matius, einem Freunde des Kaisers Augustus.“

Heute wäre der Ahorn noch vor der Roßkastanie dazu berufen, als
Alleebaum im Innern der Städte die bisher dazu bevorzugten Linden zu
verdrängen, die gegen die zahlreichen sie treffenden Schädigungen
besonders empfindlich sind und deshalb sehr leicht eingehen, wenn
sie nicht von alters her standen und schon stark genug waren, um den
modernen Gefahren, besonders den Ausströmungen von Leuchtgas, zu
trotzen. Wie wenige der zahlreichen Lindenalleen und Gruppen alter
Linden bleiben am Leben, wenn die wachsende Stadt sie erreicht. Nicht
nur ist die +Linde+ (~Tilia~) dem Deutschen durch Sage und Sitte teuer,
sondern auch wegen ihres schnellen Wachstums, ihrem dichten Schatten
und dem angenehmen Duft ihrer Blüten. Sie bildet bei uns keine reinen
Waldbestände, sondern findet sich auch im Walde immer nur einzeln;
dagegen wächst sie in den russischen Ostseeprovinzen in größeren
Beständen. Überall in Deutschland ist die +kleinblätterige+ oder
+Winterlinde+ (~Tilia parvifolia~) mit beiderseits kahlen, unterseits
meergrünen, schon Mitte Mai ausschlagenden Blättern und einem größeren
Blütenreichtum die gemeinere, während die schon anfangs Mai ihr Laub
hervortreibende +großblätterige+ oder +Sommerlinde+ (~T. grandifolia~)
mit unterseits kurzbehaarten, beiderseits grünen Blättern und weniger
zahlreichen Blüten häufiger angepflanzt wird, da sie eine größere
Stärke und ein höheres Alter erreicht. Die guten Eigenschaften beider,
Blattgröße und Blütenreichtum, vereinigt ein durch Kreuzung beider
Arten gezogener Bastard, noch mehr aber eine andere Gartenform, die
als Kreuzung zwischen Winterlinde und der besonders großblätterigen
nordamerikanischen +Schwarzlinde+ (~T. americana~) aus Kanada
aufzufassen ist. Größere Bedeutung hat von fremden Arten außer der
+abendländischen Silberlinde+ (~T. alba~) aus Nordamerika mit auf der
Unterseite schwachbehaarten Blättern und großen Blüten hauptsächlich
die in Ungarn, der Türkei, in Griechenland und Kleinasien heimische
+morgenländische Silberlinde+ (~T. argentea~), die ~philýra~ der alten
Griechen, von der Plinius sagt, daß man sie zum Binden von Kränzen
gebrauche und seit alter Zeit in Ehren halte. Der niedere Baum ist
durch seine wunderbar regelmäßige, eiförmige Krone von unterseits dicht
weißfilzigen Blättern ein ganz besonderer Parkschmuck und hat zudem
den Vorzug, erst anfangs Mai zu blühen, wenn die einheimischen Linden
schon längst verblüht haben. Er verlängert also die Herrlichkeit der
Lindenblüte um einen vollen Monat, was nicht nur der Naturfreund,
sondern auch der Imker zu schätzen weiß. Die nicht selten gepflanzte
+grüne Linde+ (~T. euchlora~) aus dem Orient ähnelt der Winterlinde,
trägt aber größere, nicht rostfarbene Bärtchen in den Aderwinkeln wie
sie, sondern graue Haare und bleibt im Herbste länger grün.

Statt der Linden werden in den Straßen unserer Städte, wie auch
auf Dorfplätzen vielfach +Ulmen+ oder +Rüstern+ (~Ulmus~, aus
dem Keltischen ~elm~) angepflanzt. Wenn ihnen auch der Reiz des
Blütenduftes fehlt, so sind sie dafür widerstandsfähiger gegen
die Gefahren der Großstadt; doch dürfen sie nicht zu nahe an die
Häuserreihen angepflanzt werden, da ihre Wurzeln mit Vorliebe in die
Grundmauern dringen und da eine bedeutende Sprengwirkung ausüben
können. Leider werden deren Blätter sehr häufig von Blattläusen
besiedelt und durch allerlei Gallen verunstaltet. Von unseren
heimischen Arten ist die +Feldulme+ (~Ulmus campestris~) mit kurz
zugespitzten, eiförmigen Blättern weniger verbreitet als die +Bergulme+
(~U. montana~) mit verkehrteiförmigen, lang zugespitzten Blättern.
Beide bilden mancherlei Spielarten, von denen besonders die hängenden
Formen für kleine Gärten sehr geeignet sind, in denen sie mit ihrer
dichten, nach allen Seiten überhängenden Schirmkrone jede künstliche
Laube überflüssig machen. Daneben finden sich Formen mit streng
pyramidenförmigem Wuchse, bei andern ist das Laub dunkelrot oder
weißgefleckt oder eigenartig gekräuselt. Bei den alten Griechen hieß
die auch in Südeuropa noch gedeihende Feldulme ~pteléa~, bei den
Römern dagegen +ulmus+, und wurde hauptsächlich gepflanzt, um den
Weinreben als Stütze zu dienen. Mit Ulmenstöcken peitschten die Alten
ihre Sklaven, wenn sie sich etwas hatten zuschulden kommen lassen. Ihr
Holz, das in bezug auf Dauerhaftigkeit dem Eichenholze kaum nachsteht,
eignet sich vorzüglich als Bau- und Werkmaterial. Da es sich nicht
wirft, wurden aus ihm nach Theophrast besonders Türen angefertigt.
Columella unterscheidet außer der inländischen eine gallische Ulme,
die er ~atinia~ nennt und vorzugsweise anzupflanzen rät, da sie
üppiger als die italienische wachse und ihr Laub vom Rindvieh viel
lieber gefressen werde. Deshalb diente sie den Alten als wichtigster
Futterbaum und wurde als solcher nie aus Samen gezogen, sondern durch
Wurzelsprossen vermehrt. Außer den altweltlichen Ulmen werden in unsern
Anlagen auch noch einige amerikanische Arten, wie ~Ulmus americana~ und
~fulva~, angepflanzt. Zu ihnen kam neuerdings die +japanische Ulme+
(~Zelkowa keaki~), die ein treffliches Nutzholz liefert. Sie ist daran
erkenntlich, daß ihr scharf gezacktes Laub im Herbst sich prächtig rot
färbt und so einen überaus malerischen Anblick gewährt.

Den Ulmen nahe verwandt ist die als Zierstrauch bei uns angepflanzte
+hainbuchenblätterige Planere+ (~Planera carpinifolia~), nach dem
Erfurter Professor Joh. Jakob Planer (1743-1789) so genannt. Sie ist
im Kaukasus heimisch, gleicht den Ulmen, hat aber ungeflügelte Samen.
Ebenso wird in unsern Anlagen der winterharte +nordamerikanische
Zürgelbaum+ (~Celtis occidentalis~) kultiviert, der sich von den echten
Ulmen hauptsächlich durch seine Früchte unterscheidet. Diese sind
kirschenähnliche, orange- bis braunrotgefärbte, säuerlich schmeckende
Steinfrüchte. Größere, schwarze, süßliche Früchte hat der ihm sonst
ähnliche nordafrikanische, auch noch in Südeuropa wildwachsende
+gemeine Zürgelbaum+ (~C. australis~), der in Oberitalien und Südtirol
nicht selten angetroffen wird, zumal sein festes Holz von der
Landbevölkerung zu Peitschenstöcken und Blasinstrumenten begehrt wird;
bei uns gedeiht er aber nur in den wärmeren Lagen.

Gleichfalls in Südeuropa regelmäßig angebaut, um das Laub den
Seidenraupen zu verfüttern, wird der ostasiatische +weiße Maulbeerbaum+
(~Morus alba~). Bei uns wird er neben dem westasiatischen +schwarzen
Maulbeerbaum+ (~M. nigra~) mit schwarzvioletten statt wie bei jenen
weißen, süßlich sauer schmeckenden Früchten als Zierbaum in Parks
angepflanzt, kommt aber auch nur in wärmeren Lagen fort. Ebenso verhält
es sich mit dem aus dem südlichen Nordamerika als Zierbaum bei uns
eingeführten +amerikanischen Amberbaum+ (~Liquidambar styraciflua~)
mit handförmig gelappten Blättern. In seiner Heimat liefert er durch
Auskochen der zerkleinerten Zweige den zu Ofenlack und Räucherkerzen
verwendeten weißen Liquidambar.

Sehr beliebte Parkpflanzen sind auch die verschiedenen +Ahorn+arten
(~Acer~), deren doppelte Flügelfrucht die Kinder als Nasenreiter
benutzen. Sie sind am nächsten mit den Roßkastanien verwandt und
besitzen verschieden gelappte Blätter. Mehr in der Ebene und
auf niedrigem Gebirge bis zu einer Höhe von 1100 m wächst der
+spitzblätterige Ahorn+ (~Acer platanoides~), auch +deutscher
Zuckerahorn+ genannt, da sein Frühjahrssaft Zucker gibt, dessen
Gewinnung indessen nicht lohnt. Er ist ein allgemein beliebter
Alleebaum, der im Harze bis zu 450 m hinaufgeht und hier die
Nordgrenze seiner Verbreitung in Deutschland erreicht. Dagegen
ist der ebenfalls 20-25 m Höhe erreichende +Bergahorn+ (~Acer
pseudoplatanus~) ein echter Gebirgsbaum, der auf den Alpen bis 1600 m
gefunden wird, nördlich bis Dänemark und Gothland geht und bei uns als
einer der schönsten Bäume in Parkanlagen kultiviert wird. Sein Saft
enthält ebenfalls Zucker, der aber nicht ausgebeutet wird. Sein hartes,
weißes Holz mit vielen bräunlichen Spiegeln nimmt sehr leicht Politur
an und ist als Werkholz geschätzter als das mehr gelbliche, weniger
feine des spitzblätterigen Ahorns. Von ihm sind mehrere Spielarten
mit weißgescheckten, gelb panachierten und dunkelroten Blättern
vorhanden. Letztere Form ist nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls
bei uns kultivierten nordamerikanischen +Rotahorn+ (~A. rubrum~), der
den Namen von den schon im April vor dem Erscheinen der dreispitzigen
grünen Blätter erscheinenden roten Blüten erhielt. Als Ziersträucher
pflanzt man den oft nur 3 und nur ausnahmsweise 10 m hoch werdenden
einheimischen +Feldahorn+ (~A. campestre~) und den nur 2,5-3 m hohen
+südfranzösischen Ahorn+ (~A. monspessulanum~, d. h. von Montpellier),
der an felsigen Orten am Mittelrhein wild wächst.

Sehr häufig findet sich bei uns auch der 1734 durch Collinson zuerst
nach England gebrachte und von da auf den europäischen Kontinent
herübergekommene nordamerikanische +Zuckerahorn+ (~A. saccharinum~),
der seinen Namen davon hat, daß sein Frühjahrssaft auf Zucker
verarbeitet wird. Er hat unserm Spitzahorn ähnliche, nur unten
statt glatte grüne, leicht behaarte, bläulichgrüne Blätter, die im
Herbst eine prachtvolle orangerote Färbung annehmen, woran der Baum
leicht zu erkennen ist. Trotz seiner Schönheit und Winterhärte hat
aber dieser Zuckerahorn bei uns nicht die Verbreitung gefunden, die
er verdient, wohl weil ihm frühzeitig schon in dem nicht minder
prächtigen, ebenfalls bereits im 18. Jahrhundert aus Nordamerika bei
uns eingeführten +Silberahorn+ (~A. dasycarpum~) mit außerordentlich
zierlichem, tiefeingeschnittenem, unterseits silberhaarigem Laub ein
gefährlicher Mitbewerber entstand. Auch unsere +Mistel+ (~Viscum
album~) hat bereits von dem schönen Fremdling Besitz ergriffen, ja, sie
ist auf wenigen Bäumen so häufig wie auf dem Silberahorn. Er hat eben
ein sehr weiches Holz, so daß er wegen des geringen Holzwertes nicht
für den Anbau im Walde in Betracht kommt, während der Zuckerahorn dafür
vielfach empfohlen wird.

Auch der nordamerikanische, ebenfalls zur Zuckergewinnung benutzte
+schwarze Ahorn+ (~A. nigrum~) ist häufig in unsern Anlagen zu
treffen; ebenso der strauchartige, in ganz Rußland, besonders an
der Wolga, wildwachsende +tatarische Ahorn+ (~A. tataricum~) mit
herzförmigen, gesägten Blättern und lange nach diesen in dichten Rispen
hervorbrechenden weißen Blüten, die unsern Ahornarten ähnliche rote
Früchte hervorgehen lassen, und der sich durch dreiteilige Blätter mit
langem Mittellappen von ihm unterscheidende +mandschurische Ahorn+ (~A.
ginnala~). Südeuropa lieferte uns die ebenfalls strauchartigen ~Acer
italicum~ und ~A. creticum~. Diese nannten die Griechen ~sphéndamnos~,
während die Römer unter ~acer~ wohl den noch in Norditalien
vorkommenden Spitz- und Bergahorn verstanden. Aus dem lateinischen
Eigenschaftsworte ~acernum~ (ahornen) soll die deutsche Bezeichnung
Ahorn entstanden sein.

Am meisten vom Ahorntypus weichen die Blätter des ebenfalls aus
Nordamerika in unsere Anlagen gebrachten, bis 12 m hohen zweihäusigen
+Eschenahorns+ (~Acer negundo~) ab. Sie sind 3-5zählig gefiedert, haben
aber gleichwohl keine besondere Ähnlichkeit mit dem Eschenblatte.
Dieser Baum wird in seiner Heimat nächst dem Zuckerahorn am meisten
zur Zuckergewinnung benutzt und weist verschiedene Spielarten mit
weißbunten und gelbbunten Blättern auf. Diese panachierten Formen
werden bei uns noch viel häufiger als die normale Form des Eschenahorns
kultiviert. Die kronenlosen Blüten erscheinen lange vor dem Ausbruch
der Blätter, und die in langen, schlaffen Trauben herabhängenden
Doppelfrüchte sind sehr klein und ihre Flügel krümmen sich so weit
gegeneinander, daß sie sich am freien Ende nahezu berühren.

Prächtige Zierbäume unserer Anlagen bilden auch die verschiedenen
Arten von +Eschen+ (~Fraxinus~). Die in feuchtem Humus-, nicht aber
auf Sandboden gedeihende +gemeine Esche+ (~Fraxinus excelsior~),
die ~melía~ der Griechen und der ~fraxinus~ der Römer, spielt in
der nordischen Mythologie eine große Rolle. Sie ist der mit seinen
weitreichenden Wurzeln alles umfassende Weltenbaum Ygdrasil, und der
altgermanischen Sage nach ging aus ihr der Mann hervor, während aus
der Erle das Weib entstand. Bei den alten Deutschen hieß nach der
Esche ~ask~ der allgemein benutzte (eschene) Speer ~asks~. Noch im
Mittelalter pflanzte man in der Nähe der Burgen Eschen an, um aus
ihrem Holze Lanzenschäfte, Streitaxtstiele und andere Waffenteile und
Geräte anzufertigen. Schon in der Ilias ist der eschene Speerschaft der
vorzugsweise gebräuchliche. Da ihr Laub vom Vieh, besonders von Schafen
und Ziegen, gerne gefressen wird, pflanzte man sie nach Columella bei
den Römern in besondern Plantagen an. Außer der gewöhnlichen Form
werden in unsern Gärten verschiedene Zierformen derselben gezogen;
so die +Traueresche+ mit im Bogen abwärts gekrümmten Seitenästen.
Sie wird häufig in der Weise verwertet, daß solche Hängezweige auf
einen 2-3 m hohen Stamm gepfropft werden, so daß mit der Zeit eine
dichte, nach allen Seiten gleichmäßig abwärts gewölbte Schirmlaube
entsteht, für die ein weiteres Höhenwachstum natürlich ausgeschlossen
ist. Dann die +Goldesche+ mit goldgelb gescheckten, die +Krausesche+
mit faltig gekräuselten Blättern, eine einfachblätterige Spielart mit
der eiförmigen, ungeteilten Urform des Blattes mit allen Übergängen
zum fiederteiligen Eschenblatte und eine solche mit weißgescheckten
Blättern.

Von fremden Eschen begegnen wir am häufigsten der auch in unsern Wald
eingeführten +Weißesche+ (~Fraxinus americana~), die durch rostbraune
Knospen und gelbliche Triebe kenntlich ist, der +pennsylvanischen+ oder
+Rotesche+ (~Fr. pennsylvanica~) und der +Schwarzesche+ (~Fr. nigra~),
alle drei aus dem atlantischen Gebiete Nordamerikas. Ebenso finden
wir als Zierbaum in unsern Anlagen die 6-9 m hohe südeuropäische
+Blumen-+ oder +Mannaesche+ (~Fr. ornus~) mit dreipaarig gefiederten
Blättern und unverkümmerten, sondern als Kelch und Blumenkrone
vierspaltig ausgebildeten weißen oder rötlichen Blüten. Aus ihrer Rinde
fließt durch das Anstechen der Mannazikade, am häufigsten aber durch
täglich ausgeführte Kreuzschnitte ein süßer, an der Luft erhärtender
Saft, der getrocknet den Mannazucker liefert, welcher in großer Menge
von Südeuropa, besonders von Sizilien und Kalabrien, wo der Baum
in großen Plantagen angebaut ist, in den Handel gebracht wird, um
besonders als gelindes Abführmittel für Kinder zu dienen.

Nahe mit den Eschen verwandt sind die Forsythien, der Jasmin und der
Flieder. Die erstgenannten haben ihren Namen vom englischen Botaniker
W. A. Forsyth, der 1791 über Krankheiten der Bäume und 1802 über die
Kultur der Obstbäume schrieb, und stammen aus China und Japan. Die bei
uns häufigste Art ist die zu Frühjahrsbeginn, oft schon im März, ihre
großen, vierzipfligen, gelben Blüten vor dem Ausbrechen der einfachen,
leichtgesägten Blätter hervortreibende +hängende Forsythia+ (~F.
suspensa~) mit anfangs aufstrebenden, später überhängenden braunen
Zweigen. Seltener ist die gegen Kälterückschläge empfindlichere +grüne
Forsythie+ (~F. viridissima~) mit grünen Zweigen, an denen die Blätter
fast gleichzeitig mit den ebenfalls gelben Blüten erscheinen. Wie
sie stammt auch als weiterer Frühblüher der mit ihr verwandte +gelbe
Jasmin+ (~Jasminum nudiflorum~), den man in geschützten Lagen häufig
mit ihr zusammen antrifft, aus China. Dessen grüne, vierkantige Zweige
schmiegen sich gern an Mauern und Zäune an. Die dreiteiligen Blättchen
brechen erst hervor, wenn die an Schlüsselblumen erinnernden gelben
Röhrenblüten verblüht haben.

Ähnliche, nur viel kleinere, dafür aber viel zahlreichere, in Rispen
vereinigte, sehr wohlriechende, meist violette Blüten hat der +gemeine
Flieder+ (~Syringa vulgaris~), auch +türkischer+ oder +spanischer
Flieder+ und nach der türkischen Benennung der Pflanze ~lilas~ auch
+Lila+ genannt. Dieser 3-7 m hohe Strauch mit herzförmigen Blättern
und den schönen, angenehm duftenden „Lilablütensträußen“ stammt aus
Vorderasien und ist schon so lange in Kultur, daß von ihm eine Menge
auch weiß und rötlich blühender Varietäten gezüchtet wurden. Ja, es
gibt von ihm sogar eine gefüllte Form, die der Gärtner Lemoine in Nancy
zuerst in den Handel brachte; dieselbe stammt von einem ungefüllten
Flieder und entstand als Sprungvarietät im Garten eines Privatmannes in
Luxemburg, von dem sie Lemoine erwarb. Dieser im modernen Park wie im
altmodischen Bauerngarten gleich beliebte Zierstrauch stammt von einem
Exemplar, das Ghislenius Busbequius, der Gesandte Kaiser Ferdinands I.,
1560 aus der Türkei zuerst nach Wien brachte. Seitdem ein französischer
Gärtner in Vaugirard bei Paris vor 60 Jahren durch Zufall fand, daß
sich beim Flieder leicht die winterliche Ruhezeit abkürzen läßt, so daß
er schon im Winter wieder zum Blühen gebracht werden kann, wird er in
ausgedehntem Maße „getrieben“. Hierzu dient entweder vorübergehendes
Betäuben durch Ätherisieren, d. h. Einwirkenlassen von Ätherdämpfen,
oder eine genau abgestimmte Hitzewirkung, meist ein Bad in warmem
Wasser. Jetzt ist die Fliedertreiberei besonders in Frankreich sehr
ausgedehnt. So bringt beispielsweise eine einzige Gärtnerei bei Paris
von Mitte November bis zum Mai 100000 Fliederpflanzen zum Treiben. Zur
Anzucht dieser gewaltigen Pflanzenmasse dient eine Baumschule von 80
Hektaren, in welcher die Stecklinge bis zum 5. bis 9. Jahre gezogen
werden. Dann kommen die Fliederbüsche in ausgedehnte Treibhäuser,
wo sie bei 28-30° C. zuerst im Dunkeln gehalten werden. Man läßt
an jedem Zweig nur 2-4 Blütenknospen und 2 Blattknospen stehen und
entfernt alle übrigen Knospen, damit der Saft die Blüten und Blätter
der stehenbleibenden Knospen möglichst kräftig ernähre. Nach 20 Tagen
sind die reinweißen Blüten erschlossen, strömen einen köstlichen
Wohlgeruch aus und können in der an Blumen so armen Winterszeit zu
guten Preisen verkauft werden. Auch in Südfrankreich und an den
übrigen Orten der Parfümgewinnung wird der Flieder zur Gewinnung des
Blütenduftes im großen angepflanzt. Dabei dient die daraus gewonnene
Fliederessenz häufig als Ersatz der Tuberosenessenz.

Auch im Freien hat man mehrfach beobachtet, daß Fliederbüsche, die im
Herbst, etwa bei einer Feuersbrunst, großer Hitze ausgesetzt waren,
soweit sie dadurch nicht zerstört wurden, bald darauf wieder zu treiben
und zu blühen begannen. Frühblühend und zum Treiben verwendbar ist auch
der sonst zartere +persische Flieder+ (~Syringa persica~), an dessen
mit schmaleren Blättern besetzten Zweigen sich mehr lockere, duftigere
Blütenbüschel wiegen. Vom +chinesischen Flieder+ (~S. chinensis~),
dessen reichblühende Zweige sich unter der Last der dichten, schwach
duftenden Blüten zur Erde neigen, steht nicht fest, ob er nicht
nur eine Gartenform, ein Kreuzungsprodukt darstellt. Während alle
diese frühblühenden Fliederarten durch glatte, unbehaarte Blätter
ausgezeichnet sind, gibt es auch späterblühende Arten mit behaarten
Blättern, die uns noch im Juli mit ihrem Blütenschmuck erfreuen. Zu
ihnen gehört der wohlriechende +Emodi-Flieder+ (~S. emodi~), so genannt
nach seiner Heimat, dem Distrikt Emodi im westlichen Himalaja. Er trägt
länglichlanzettliche Blätter, deren weißliche Unterseite die zum Teil
rauhbehaarten Blattnerven deutlich hervortreten läßt. Ferner der in
Siebenbürgen vorkommende, nach seiner Entdeckerin, der ungarischen
Freifrau Rosalie von Josika, benannte +Josika-Flieder+ (~S. josikea~)
mit bewimperten Blättern und sehr langen, dunkelvioletten Blütenrispen.

In der heimischen Pflanzenwelt ist dem Flieder am nächsten verwandt der
wenigstens in Süddeutschland wildwachsende +Liguster+, auch +Rainweide+
genannt (~Ligustrum vulgare~), der im Juni in weißen Rispen blüht und
als „Tintenbeeren“ bezeichnete schwarze, beerenähnliche Steinfrüchte
hervorgehen läßt. Wie diese werden verschiedene fremde Arten, so
besonders die sehr reichblühende +japanische Rainweide+ (~L. ibota~),
gerne zu Hecken benutzt, da sie sich leicht schneiden lassen, ihr
grünes Laub zum Teil im Winter behalten und durch ihren dichten Wuchs
den Vögeln vollkommene Nistplätze, daneben in ihren Beeren auch Futter
spenden.

Ein beliebter Gartenzierstrauch ist endlich auch die +Tamariske+
(~Tamarix~), die ~myríkē~ der Griechen und Römer, die nach Plinius --
von manchen für einerlei mit der ~tamarice~ gehalten -- beim Volke
als Unglücksbaum galt, „weil sie nichts trägt und nirgends gepflanzt
wird“. Viel häufiger als die 1-2,5 m hohe, buschige +deutsche
Tamariske+ (~Myricaria germanica~) mit kleinen rosenroten Blüten
in langen Ähren an den Zweigenden, deren Samen von den Bergbächen
in die Ebene herabgeschwemmt wird, so daß sie neben dem bereits
besprochenen Sanddorn (~Hippophaē rhamnoides~) ein häufiger Gast auf
den Flußgeschieben des Alpenvorlandes ist, wird die in Südeuropa an
feuchten Plätzen häufige +französische Tamariske+ (~Tamarix gallica~)
zur Verzierung von Strauchgruppen in Gärten gepflanzt. Ihre fein
zerteilten, überaus zarten Blätter trugen ihr den begründeten Namen
„Federstrauch“ ein. Wenn sie blüht, stehen die in außerordentlich
dichten Ähren hervorbrechenden kleinen, blaßvioletten Blüten so
gehäuft, daß darunter das Grüne der Blätter vollkommen verschwindet.

Nachdem wir nun die um ihrer Schönheit willen gewürdigten
Ziersträucher einer eingehenden Besprechung unterzogen haben, wollen
wir noch kurz die nützlichen unter denselben würdigen, die in ihren
Früchten nicht nur den Vögeln, sondern auch dem Menschen eine
willkommene Speise darbieten. Unter ihnen ist zunächst der +Holunder+
(~Sambucus nigra~) zu nennen, von den Griechen ~aktḗ~, von den Römern
~sambucus~ genannt. Er war schon im frühesten Altertum eine bekannte
und geschätzte Heilpflanze, deren Blüten als schweißtreibender Tee und
deren schwarze Beeren als Hustenmittel genossen werden. Daneben sind
letztere vielfach auch, so besonders in Norddeutschland, ein beliebtes
Genußmittel geworden. Die Früchte des +Zwergholunders+ (~Sambucus
ebulus~) sind nur in vorgeschichtlicher Zeit, so von den anspruchslosen
Pfahlbauern der neolithischen Zeit, zusammen mit den Beeren des
gemeinen Holunders als Obst genossen worden, doch waren sie nebst
andern Teilen der Pflanze schon im Altertum als Heilmittel geschätzt.
Bei Dioskurides um die Mitte des 1. christlichen Jahrhunderts heißt er
~chamaiáktē~, d. h. niederer Holunder, bei den Römern ~ebulus~ und bei
den Deutschen ~atich~, das sich später in Attich verwandelte. Seine
Beeren sollen nach dem schweizerischen Botaniker Oswald Heer, der die
Samenkerne in neolithischen Pfahlbauten der Ostschweiz fand, schon
von den Pfahlbauern am Ende der Steinzeit zum Färben mit einem hellen
Blau verwendet worden sein. Jedenfalls wurden sie, wie diejenigen des
gemeinen Holunders, noch im klassischen Altertum zum Färben benutzt. So
sagt Theophrast, daß der weinfarbige Saft der unreif rötlichen, reif
aber schwarzen Beeren des Holunders den Leuten dazu dient, um sich
Hände und Kopf zu färben. Nach Plinius dienten sie besonders zum Färben
der Kopfhaare, und in einer Ekloge Vergils heißt es: „Das Gesicht des
Gottes Pan war mit den blutigen Beeren des Zwergholunders (~ebulus~)
gefärbt.“

Die +Berberitze+ (~Berberis vulgaris~) wird zum erstenmal im
Drogenverzeichnis des Platearius aus dem 12. Jahrhundert erwähnt;
ihr Name scheint arabischen Ursprungs zu sein. Im 16. Jahrhundert
erfreute sie sich großer Beliebtheit und wurde aus ihren Beeren in
Frankreich und Deutschland ein Wein gemacht. Der +Brombeerstrauch+
(~Rubus fruticosus~), dessen Früchte ein beliebtes Kompott geben und
von jeher vom Menschen gerne gegessen wurden, hieß bei den Griechen
~bátos~, bei den Römern dagegen ~rubus~ und seine Frucht wegen deren
Ähnlichkeit mit der Maulbeere ~morum~. Dioskurides und Plinius sagen,
daß der Brombeerstrauch den Menschen die eßbaren Früchte liefere, die,
wie auch die Blätter, zu Heilzwecken gebraucht werden. Und Palladius im
4. Jahrhundert n. Chr. schreibt: „Im September sammelt man Brombeeren,
preßt ihren Saft aus, läßt ihn etwas gären, mischt dann ein Drittel
Honig hinzu und kocht die Mischung bis zur Honigdicke ein.“ Wie im
Altertum wurden auch im Mittelalter neben den Früchten die Blätter und
jungen Schößlinge der Brombeere als Arznei benutzt. In Karls des Großen
~Capitulare de villis~ vom Jahre 812 wird ein mit Honig und Gewürzen
bereiteter Brombeerwein als ~moratum~ erwähnt, der ebenso wie das aus
Maulbeeren hergestellte gleichlautende Getränk das ganze Mittelalter
hindurch in Klöstern wie in Bürgerhäusern gerne getrunken wurde.
In den lateinischen Glossen des Abtes Caesarius von Heisterbach im
Siebengebirge bei Bonn aus dem 13. Jahrhundert heißt es: „Unsere Leute
werden gehalten, Brombeeren zu sammeln zur Bereitung des Moratum für
Feierlichkeiten, kranke Klosterbrüder und hohen Besuch.“

Im Altertum wie im Mittelalter wurde sprachlich nicht zwischen
Brombeere und Himbeere unterschieden. Der griechische Arzt Dioskurides
nennt beide ~bátos~ und unterscheidet letztere von der ersteren durch
den Zusatz ~idaía~, weil sie in Menge auf dem (Berge) Ida wachse.
Er sagt von den beiden: „Der Himbeerstrauch ist viel zarter als der
Brombeerstrauch, hat nur kleine Stacheln und findet sich auch ganz ohne
Stacheln (was übrigens auch jetzt noch der Fall ist). Man benutzt beide
Sträucher in derselben Weise.“ Nach dem griechischen Beispiele nannten
auch die Römer (z. B. Plinius) die Himbeere im Gegensatz zur Brombeere
~rubus idaeus~. Die +Himbeere+ (~Rubus idaeus~), aus deren Früchten
ebenfalls ein wohlschmeckender Beerenwein gekeltert werden kann, wurde
teilweise schon im Mittelalter in Klostergärten angepflanzt. Vom 16.
Jahrhundert an wurde sie dann auch sehr häufig in den Gärten der
Bürgersleute kultiviert. Der im Jahre 1560 in Basel als Sohn eines
Refugianten aus Amiens in der Picardie geborene Kaspar Bauhin sagt in
einem 1598 in Frankfurt a. Main erschienenen Werke botanischen Inhalts,
daß die Himbeere in Böhmen aus den Wäldern in die Gärten verpflanzt
sei, und Clusius unterscheidet in seiner 1610 in Antwerpen erschienenen
Geschichte seltener Pflanzen rote und weiße (gelbe) Himbeeren. Zu
unserer einheimischen kam im 19. Jahrhundert die +kanadische Himbeere+
(~R. odoratus~), deren große, rote, in Doldentrauben gehäufte Blüten
mit leichtem Wohlgeruch flache, rötliche Früchte hervorgehen lassen,
die aber zum Essen keinen besonderen Genuß gewähren. Deshalb wird der
mit großen, mehrlappigen Blättern besetzte Strauch bei uns nur als
Zierpflanze kultiviert.

Die +Erdbeere+ (~Fragaria vesca~) finden wir zum erstenmal bei Ovid
und Vergil im 1. Jahrhundert v. Chr. als ~fragum~ erwähnt. Plinius der
Ältere vergleicht die Frucht mit derjenigen des Erdbeerbaums (~unedo~)
und sagt, daß beide sich durch ihre Substanz unterscheiden. Nutzpflanze
war sie auch im Mittelalter nicht bloß ihrer Früchte, sondern auch
der Blätter wegen, die vielfach als Heilmittel benutzt wurden.
Kulturpflanze aber wurde sie erst im 16. Jahrhundert. In einem 1537 in
Basel erschienenen botanischen Werke erzählt Ruellius, daß die Erdbeere
in die Gärten verpflanzt werde, damit sie größere Früchte gebe, und
daß dabei die roten Früchte sich teilweise in weiße umgeändert hätten.
Ähnliche Angaben finden sich auch bei den deutschen Vätern der Botanik.
Bei Elsholtz 1690 werden noch dieselben Varietäten der Walderdbeere als
Gartenpflanzen genannt, ebenso bei Weinmann in Regensburg 1737. Es hat
also lange gedauert, bevor amerikanische Erdbeeren nach Deutschland
gelangten; denn nach Alphonse de Candolle wurde die frühreife
+nordamerikanische Erdbeere+ (~Fragaria virginiana~) mit großen, fast
kugeligen, tiefgrubigen, scharlachroten Früchten aus Virginien erst
1629 in englische und die +chilenische Erdbeere+ (~F. chilensis~) mit
den größten Früchten unter allen Erdbeerarten 1715 in französische
Gärten eingeführt. Letztere Art wurde zuerst am ~Musé d’histoire
naturelle~ in Paris gepflanzt und von da verbreitete sie sich nach
England, Deutschland und den übrigen Ländern Europas. Bastardformen
beider hat dann die europäische Gartenkultur in den Ananaserdbeeren
hervorgebracht, deren große, wohlschmeckende Früchte heute in solchen
Mengen auf den Markt kommen, daß sich auch der Unbemittelte an ihnen
für wenig Geld erlaben kann.

Über die chilenischen Erdbeeren schreibt Professor Otto Bürger in
seinem 1909 erschienenen Buche: Acht Lehr- und Wanderjahre in Chile:
„Die erste Frucht des Frühlings ist die +Erdbeere+. Ende Oktober bis
in den Dezember hinein hört man schon früh morgens die Frutilleros,
die Erdbeerenverkäufer, welche von Renca und Conchali kommen, ihre
Ware, die in zwei Körben aus rohen Häuten über einem Maultiere hängt,
ausrufen: „~la frutilla, la frutilla~“ oder „~el frutillero, el
frutillero; compra la frutilla~!“ Und dann kann man 100 Mammuterdbeeren
anfänglich für 60-50 (1 Mark bis 85 Pfennige), später für 40-30
Centavos (68-51 Pfennige) erstehen.“

„Die Frutilla (~Fragaria chilensis~) ist eine einheimische Art, in den
mittleren und südlichen Provinzen, vornehmlich in der Vorkordillere
von Nuble und im Bereich der Küste von Concepción bis zum Rio Palena
und vielleicht bis zur Magelhaensstraße verbreitet. Die Erdbeere ist
das einzige chilenische Gewächs, welches wegen seiner Früchte nach
Europa verpflanzt wurde. Dem französischen Gelehrten und Reisenden
Frezier gebührt solches Verdienst. Er nahm im Jahre 1712 oder 1713
fünf Pflänzchen von Concepción mit, von denen er aber zwei dem Kapitän
seines Schiffes als Vergütung für das zum Begießen erforderliche süße
Wasser zu belassen hatte. Die übrigen drei brachte er nach Frankreich,
und sie riefen alle jene großen Kulturen ins Leben, welche es bis
1820 gab; dann erst gestattete die größere Handelsfreiheit einen
Nachschub (Cl. Gay, ~Agricultura~, Bd. 2, S. 113-114). Nachdem sich
die chilenische Erdbeere in Europa veredelt hatte und zu riesigen
Dimensionen gezüchtet worden war, wurde sie wiederum nach Chile
verschifft und gab hier jenen ausgedehnten Erdbeerchacras (~chacra~,
aus der indianischen Quetschuasprache Perus entnommener Ausdruck
für kleines Landgut) den Ursprung, wie sie bereits in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts um Santiago herum bestanden. Namentlich von
Kindern wird noch eine kleine Sorte als ~fresa~ angeboten, die der
Chilene gern zur Bowle nimmt -- er braut sich ein solches Getränk aus
zerquetschten Erdbeeren und Weißwein. Diese stammt von der gemeinen
europäischen Erdbeere ab, die 1830 nach Chile eingeführt wurde.“ Von
den über 400 Erdbeerarten, die von unseren Gärtnern durch Kreuzungen
und Kulturpflege erzielt wurden, ist außer den vorgenannten besonders
auch die +großblumige+ oder +Ananaserdbeere+ (~Fragaria grandiflora~)
aus Surinam mit großen, scharlachroten, verschieden geformten, meist
breiter als hohen, unregelmäßigen, oft fast gelappten Scheinbeeren zur
Bastardierung benutzt worden.

Die +rote Johannisbeere+ (~Ribes rubrum~) war den Griechen und Römern
unbekannt. In Griechenland wächst dieser Strauch überhaupt nicht und
in Italien nur auf den Gebirgen im Norden des Landes und dort auch
nur spärlich. Sonst ist diese Pflanze in ganz Mittel- und Nordeuropa,
in Skandinavien, Nordrußland und Sibirien, wie auch auf dem Himalaja
heimisch. Der Johannisbeerstrauch soll angeblich durch die Normannen
nach Frankreich, von da nach Spanien und der Schweiz gekommen sein,
was aber sicher unrichtig ist. In den Schriften des Mittelalters wird
die Johannisbeere vor dem 15. Jahrhundert nicht erwähnt. Überhaupt
hat man in Mitteleuropa, wie Lauenstein feststellte, bis zur ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts noch keinerlei Beerensträucher kultiviert,
dafür sammelte man die wildwachsenden Beeren. Erst zu Beginn des 15.
Jahrhunderts wird die Johannisbeere zum erstenmal in einem Manuskript
genannt, das die Glosse „~ribes sunt Johannesdrübel~“ enthält. Noch in
den Jahren 1484 und 1494 wird sie in einem Mainzer und Passauer Herbar
als ~sant johans trublin~ sehr mangelhaft abgebildet. Der aus den
zerdrückten Früchten ausgepreßte Saft wurde zu Sirupdicke eingekocht
und gegen Magenleiden und Fieber gegeben. Noch im Jahre 1557 wurde sie
in England nicht kultiviert, da sie nicht auf der Liste der damals dort
angebauten Beerenobstarten figuriert, und selbst im Jahre 1597 war
sie in Frankreich eine Seltenheit und besaß noch keinen Eigennamen.
Sie wurde damals dort als ~groseille d’outremer~ bezeichnet, wie sie
jetzt noch in Genf ~raisin de mare~ und im Kanton Solothurn in der
Schweiz Meertrübli genannt wird, indem man sich einbildete, sie sei
übers Meer in die betreffenden Gegenden gekommen, was sicher unrichtig
ist. Nur das eine läßt sich aus solchen Ausdrücken erkennen, daß die
Johannisbeere als etwas Fremdes, von auswärts Importiertes in diese
Länder kam.

Der Name ~ribes~, den die Pflanze in den Arzneibüchern des 16.
Jahrhunderts erhielt, beruht auf einer Verwechslung. Die Araber
benutzten nämlich unter dieser Bezeichnung eine auf den Gebirgen
Syriens wachsende Rhabarberart (~Rheum ribes~), die in Europa
vollständig fehlt, als geschätztes Heilmittel. Der Arzt Serapion,
der im 13. Jahrhundert in Spanien oder Marokko gelebt haben soll,
weiß noch, daß der echte ~ribes~ in Syrien wächst, aber er sagt, daß
einige Autoren den Sauerampfer, ~acetosa~, darunter verständen. Der
Arzt Mattheus Sylvaticus führt außer Sauerampfer auch noch ~coccus~
als Surrogat des echten ~ribes~ der Araber an. Letzteres sind aber
die Kermeskörner, die durch den Stich der Kermesschildlaus (~Coccus
ilicis~) hervorgerufenen Auswüchse der in Südeuropa und im Orient
einheimischen Kermeseiche (~Quercus coccifera~), die als rote,
runde, etwas säuerliche Kermeskörner bis vor etwa hundert Jahren in
den Apotheken gebräuchlich waren und deren frischer Saft mit Zucker
eingekocht als Alchermeskonfekt feilgeboten wurde. Beim weiteren Suchen
nach der arabischen Heilpflanze ~ribes~ kam man dazu, die Beeren des
Johannisbeerstrauches in Nordeuropa arzneilich zu verwenden und der
Pflanze diesen Namen zu geben, der ihm als ~ribs~ im Dänischen und
~rips~ im Schwedischen bis auf den heutigen Tag verblieb.

Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts kam der Johannisbeerstrauch
zuerst in Süddeutschland in Kultur, indem seine Beeren medizinische
Verwendung fanden. Hier reift er schon um Johanni (24. Juni) und wurde
deshalb in Verbindung mit seiner Ähnlichkeit mit den Trauben als ~sant
johannis trübelin~ bezeichnet. In dem 1539 zum erstenmal in Straßburg
herausgegebenen „Kreuterbuch“ des Hieronymus Bock heißt es von ihm:
„Das holdselige beumlin, daz die wolschmeckende rohte Johanns Treublein
bringet, würt fast inn den Lustgärten gepflantzet.“ Von hier aus hat
sich die Kultur des Beerenobstes nach Westen und Norden verbreitet.
In Norddeutschland finden wir es zum erstenmal im niederdeutschen
„Gaerde der suntheit“, Lübeck 1492, wo es Ribes und Sunte Johansdruuen
genannt wird. Von Frankreich, wo die Johannisbeere zuerst in einem
1536 in Basel gedruckten dreibändigen lateinischen Werke von J.
Ruellius erwähnt wird, kam sie nach Belgien und Holland und von da nach
England. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts kannte man verschiedene
Kulturrassen der Johannisbeere, und C. Clusius erhielt im Jahre 1589
aus Amsterdam eine vermutlich in England gezüchtete weißbeerige Form,
die vorher nicht bekannt war.

Im 16. Jahrhundert, als man überall bestrebt war, neue Pflanzen in
die Gärten aufzunehmen, hat man die Johannisbeere zuerst nach Italien
gebracht. In einem 1561 in Straßburg gedruckten lateinischen Werke
des Zürchers Konrad Gesner wird erwähnt, daß in Florenz eine rote
Johannisbeere vorkomme mit haselnußgroßen Früchten von sehr saurem
Geschmack. Heutigentags wird die Johannisbeere in Italien so gut wie
gar nicht kultiviert, denn sie gedeiht dort sehr schlecht. Das gleiche
ist in Griechenland der Fall, wo die Früchte ~tá phrangkostáphyla~,
d. h. Frankentrauben, genannt werden. Da nun die Griechen alle
Westeuropäer Franken nennen, so gibt dieser Name an, woher die
Johannisbeere nach Griechenland gelangte.

Die +schwarze Johannisbeere+ (~Ribes nigrum~), gleich der vorigen mit
Blütentrauben versehen, von ihr aber durch schwarze Beeren verschieden,
war im Altertum den Griechen und Römern ebensowenig als die rote
Johannisbeere bekannt. Sie hat wie diese ihre Heimat weiter nördlich
in Mittel- und Nordeuropa, durch ganz Sibirien bis zum Amur und im
Westhimalaja und wächst in feuchten Wäldern. Erst in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts wurde man auf sie aufmerksam, zunächst wohl durch
ihre Ähnlichkeit mit der roten Johannisbeere. Aber die Früchte, die
einen entschiedenen Geschmack nach Wanzen haben, fand man zunächst
durchaus nicht angenehm. Erst später gewöhnte man sich daran und
viele fanden ihn sogar höchst angenehm, so daß man seine Früchte wie
diejenigen der roten Johannisbeere zu Konfitüre und Gelee einmachte.
R. Dodonaeus gibt in seiner 1583 zuerst erschienenen Botanik eine gute
Abbildung von ihr, sagt aber, daß sie nur selten in Gärten angebaut
werde. Le Grand d’Aussy berichtet in seinem 1782 veröffentlichten
Buche ~Histoire de la vie privée des Français~, daß der von ihm
~cassis~ genannte Strauch seit kaum 40 Jahren in den Gärten Frankreichs
gepflanzt werde, und zwar nur infolge einer Broschüre, die dieser
Pflanze alle nur erdenkbaren guten Eigenschaften andichtete. Aus seinen
Früchten wird ein beliebter, sehr wohlschmeckender Likör bereitet.

Wie die rote und schwarze Johannisbeere ist die +Stachelbeere+ (~Ribes
grossularia~) im gemäßigten und nördlichen Europa und im sibirischen
Waldgebiet bis zur Mandschurei und Nordchina, ebenso im westlichen
Himalaja und auf dem Atlasgebirge einheimisch. Die Griechen und Römer
kannten sie nicht, auch nicht in wildem Zustande. Der Strauch wird
zuerst in einem Psalmenbuch des 12. Jahrhunderts als ~groiselier~ zur
Bezeichnung eines Dornenstrauchs und die Frucht vom Trouvère (= dem
provenzalischen Troubadour) Rutebeuf im 13. Jahrhundert als ~groiselle~
erwähnt. Die Umstände, unter denen dies geschieht, sind aber solcher
Art, daß diese Bezeichnung nach den Ausführungen von Fischer-Benzon
eher auf den Weißdorn als auf die Stachelbeere zu beziehen sind.
Jedenfalls kann in diesen beiden Fällen nur eine wildwachsende Pflanze
gemeint sein. Die erste unzweideutige Erwähnung des Stachelbeerstrauchs
finden wir im bereits erwähnten, 1536 in Basel gedruckten lateinischen
Buche von J. Ruellius, der darin von ihr folgendes sagt: „Die Beere
des dornigen Strauches wird im unreifen Zustande wegen einer nicht
unangenehmen Säure statt saurer Trauben zu Saucen oder Suppen benutzt.
Da sie gleichsam das Aussehen einer Feige (~grossulus~) aufweist,
nennt das Volk den Strauch ~grossularia~ (~groseillier~) und die
Frucht ~grossula~ (~groseille~). Nach erlangter Reife wird die Beere
so süß, daß sie gegessen werden kann; dennoch wird sie bei üppigen
Mahlzeiten verschmäht, wohl aber von schwangeren Frauen begehrt.“
Weiter sagt er, daß die Stachelbeere in den Gärten häufig zu finden
sei. Da er 1474 geboren wurde, so reicht seine Erinnerung bis in das
15. Jahrhundert zurück, und wir müssen annehmen, daß er sie allerdings
in sehr wenig veredelter Form schon als Kind kannte. In Deutschland
erwähnen sie zuerst Hieronymus Bock 1539 und Konrad Gesner 1542 als
noch wenig bekannte Gartenpflanze. Sie nennen sie Grosselbeere und
~grossularis~ und empfehlen sie in erster Linie als Heckenpflanze. Erst
gegen das Ende des 16. Jahrhunderts war die Kultur der Stachelbeere
in Deutschland ziemlich allgemein geworden und erzog man bald
bessere, großfrüchtige Sorten. Im Jahre 1589 erhielt der Franzose
Carolus Clusius, Botanikprofessor in Leiden, von Carolus de Tassis,
Bürgermeister von Amsterdam, eine aus England erhaltene Stachelbeere
mit roten Früchten und 1514 sah er im Garten zu Leiden eine Sorte mit
dunkelroten Früchten, während er vorher nur grüne Stachelbeeren mit
größeren Früchten als die wilden Arten gekannt hatte. Das eine steht
fest, daß die Stachelbeere als Kulturpflanze von Westen nach Osten
und Norden wanderte. In Leiden gedeiht sie schlecht, noch schlechter
als die Johannisbeere. Das französische ~groseillier~ und ~groseille~
bezeichnete ursprünglich den Stachelbeerstrauch und seine Frucht,
während die Johannisbeere durch die Zusätze ~rouge~ und ~d’outre mer~
von ihm unterschieden wurde, heute bedeutet es die Johannisbeere, von
der man die Stachelbeere als ~grosseille à maquereaux~ unterscheidet.
Gegenwärtig werden als reife Speisebeeren die zum Teil taubeneigroßen
Formen bevorzugt, welche ursprünglich in England gezüchtet wurden
und gern hochstämmig gezogen werden. Hierzu pfropft man die Stachel-
wie die Johannisbeeren auf Stämmchen der früher besprochenen,
1812 aus Nordamerika in unsere Gärten verpflanzten goldgelb
blühenden Johannisbeere (~Ribes aureum~). Mehrere amerikanische
Stachelbeersträucher werden bei uns als Ziersträucher kultiviert.

Wie Johannis- und Stachelbeere hat der Mensch auch die Himbeer- und
Brombeerstaude in Pflege genommen und durch Kulturauslese bedeutend
veredelt, während Heidel- und Preißelbeeren nach wie vor nur im wilden
Zustande bekannt sind und noch immer wie in der Urzeit dem Menschen
reichen Ertrag liefern. Die +Heidelbeere+ (~Vaccinium myrtillus~)
durchzieht den Waldboden mit ihren unterirdischen braunen Sprossen wie
ein dichtes Netzwerk, treibt grüne, kantige Stengel, deren jeweilige
Triebspitze bald das Wachstum einstellt, während seitlich unter ihr ein
neuer Trieb abzweigt. Dadurch erhalten die beblätterten Stengel ihre
eigenartige Verzweigung. Die rötlichgrünen, kugeligen Blüten hängen
einzeln an den Ästchen und lassen nach der Befruchtung durch Insekten
jene wohlbekannten schwarzblauen, dunkel bereiften Beeren hervorgehen,
die vermöge der Färbekraft ihres dunkelroten Saftes vielfach der
„Rotwein“fabrikation dienen. Die eiförmigen, dünnen Blätter der
Heidelbeere fallen im Herbste ab, während dies bei den lederigen
Blättern der immergrünen +Preißelbeere+ (~V. vitis idaea~) nicht der
Fall ist. Letztere ist nicht nur im Walde zu Hause, wie erstere,
sondern bedeckt auch weite Strecken auf dürrem Heideboden. Ihre
rötlichweißen, glockigen Blüten drängen sich in Trauben am Triebende
zusammen. Die leuchtendroten Beeren reifen erst nach den Heidelbeeren
und werden weniger frisch verwendet als diese, um so mehr aber in
eingemachtem Zustande.

Seltener ist die auf Moorboden wachsende +Rauschbeere+ oder
+Sumpfheidelbeere+ (~V. uliginosum~), deren große, schwarze,
hellbereifte Früchte ebenfalls eßbar, aber von fadem Geschmack, wenn
auch nicht berauschend sind, wie man früher fälschlicherweise glaubte,
weshalb man sie Rauschbeeren nannte. Sie sind indessen narkotisch
und bewirken, in Menge genossen, Kopfschmerzen und Erbrechen. Die
Pflanze mit viel größeren und kantigen, braunroten Zweigen wie bei
der Heidelbeere und bläulichgrünen, ganzrandigen Blättern, trägt viel
zur Torfbildung bei. Die +Moosbeere+ (~V. oxycoccos~) dagegen, die
besonders auf den mit Torfmoos überzogenen Moorgründen der Hochmoore
gedeiht, ist ein kleines Sträuchlein mit fadenförmigem Stengel,
zierlichen, immergrünen Blättchen und an langem Stiele nickenden
rosenroten Blüten. Die roten, erst nach einem Froste genießbaren Beeren
sind nur für Nordeuropa, wo die Pflanze häufig vorkommt, wichtig und
werden wie die Preißelbeeren eingemacht. Eine größere Bedeutung hat
neuerdings die in Nordamerika einheimische, unserer Moosbeere sehr
ähnliche, nur größere +Kronsbeere+ (~V. macrocarpum~) erlangt, welche
ihrer genießbaren Früchte wegen auch bei uns zum Anbau auf Torfboden
empfohlen worden ist. In ihrer Heimat hat man sie, die man dort
~cranberry~ nennt, auf feuchtem Gelände in größerem Maße angepflanzt.
Sie gibt dort reiche Erträge an Beeren, die größer und billiger als
die Preißelbeeren sind. Viel kürzere Zeit sind zwei Brombeerarten
in Kultur, nämlich die nordamerikanische +Loganbeere+, die 4-6 cm
lange rotbraune Früchte von angenehmem Geschmack liefert, und die
japanische +Weinbeere+, die hellrote, von einem rotbraun behaarten
Kelch eingeschlossene, wohlschmeckende Beeren von der Größe einer
Himbeere liefert. Auch um die Veredelung des Beerenobstes hat sich
der Amerikaner Luther Burbank in Kalifornien in hohem Maße verdient
gemacht. Welch große volkswirtschaftliche Bedeutung die einheimischen
Waldbeeren besitzen und welchen Verdienst sie der sie meist kostenlos
einsammelnden ärmeren Bevölkerung bringen, kann man aus der Angabe
ermessen, daß der Ertrag daran in besonders guten Jahren für das Gebiet
einer einzigen Oberförsterei bis 100000 Mark betragen kann.

[Illustration:

    Tafel 155.

Johannisbeer-Anpflanzung, teils buschig, teils hochstämmig gezogen, mit
dazwischen gepflanzten Erdbeeren.

(Anlage der Konservenfabrik Lenzburg.)]

[Illustration:

    Tafel 156.

Zierbäume und Sträucher des Botanischen Gartens zu München. Im
Hintergrund der Glaspalast.]

Von weiteren Beerenfrüchten sind endlich noch diejenigen der +Mistel+
(~Viscum album~) zu nennen, deren zähschleimiger Inhalt bei uns zur
Herstellung von Vogelleim benutzt wird, während in Südeuropa hierzu
derjenige der +Riemenblume+ (~Loranthus europaeus~) dient. Dieser
Schmarotzer wächst vorzugsweise auf Eichenarten und Kastanien. Schon im
Altertum wurden die Beeren des Loranthus, der bei den Griechen ~ixía~
und bei den Römern ~viscum~ hieß, in dieser Weise verwendet, weshalb
der Vogelleim selbst bei jenen ~íxos~ und bei diesen ~viscum~ hieß. So
schreibt Dioskurides: „Der beste Vogelleim wird von der runden Frucht
eines Strauches bereitet, der auf der Eiche wächst und dessen Blätter
dem Buchsbaum (~pýxos~) ähnlich sind. Die Frucht wird zerstoßen, dann
gewaschen und in Wasser gekocht. Manche stellen den Vogelleim auch
kurzweg durch Kauen der Frucht her.“ Sein Zeitgenosse Plinius drückt
sich ihn ähnlicher Weise aus. Er sagt: „Der beste Vogelleim kommt
vom ~viscum~ der Steineiche (~robur~). Diese werden zur Erntezeit
gesammelt, wenn sie noch unreif sind; denn bei später folgenden
Regengüssen wachsen sie zwar noch, aber der Leimstoff nimmt ab. Man
trocknet sie, zerstößt sie in einem Holzmörser und kocht sie in Wasser,
bis nichts mehr obenauf schwimmt. Die zähe Masse wird dann, bevor sie
zum Vogelfang verwendet wird, mit Nußöl zusammengeknetet. Sie wird auch
zu erweichenden Pflastern verwendet. Manche glauben, das ~viscum~ werde
durch religiöse Einwirkung kräftiger, wenn man es nämlich bei Neumond
und ohne Eisen anzuwenden von der Steineiche sammle. Es sei dann auch
in andern Fällen wirksam, vorausgesetzt, daß es die Erde nicht berührt
habe.“

Daß diese Schmarotzer nur auf Bäumen und nicht auf der Erde gedeihen,
hat schon die Gelehrten des Altertums beschäftigt. Interessant ist, daß
schon Theophrast im 4. Jahrhundert v. Chr. von der Verbreitung dieser
Misteln wußte, daß sie durch Vögel (vorzugsweise von der Misteldrossel)
bewirkt wird. Er schreibt in seiner Pflanzengeschichte: „Jedenfalls ist
es ein Wunder, daß die Ixia-Arten, welche doch eine tüchtige Frucht
haben, durchaus nicht in der Erde keimen. Sie wachsen nur auf Bäumen
und entstehen jeweilen aus Samen, die von Vögeln verschluckt worden und
mit deren Kot auf die Bäume gekommen sind. Manche Eichen tragen sowohl
die Riemenblume (~ixía~) als die Mistel (~hýphear~), und zwar wächst
erstere auf der Nordseite und letztere auf der Südseite des Baumes.“

Die Mistel ist neuerdings dadurch sehr interessant geworden, daß
verschiedene, äußerlich nicht unterscheidbare Rassen von ihr
festgestellt wurden, die jeweilen nur auf bestimmten Baumarten
gedeihen. So geht die auf unsern Apfelbäumen und Schwarzpappeln
verbreitete Form wohl auf andere Laubhölzer, am seltensten auf
Eichen, nicht aber auf Nadelhölzer über, während die Tannenmistel
ausschließlich auf der Weißtanne wächst, Kiefern und Fichten dagegen
gemeinsam eine dritte Form zu besitzen scheinen. Daß die mitten im
Winter in den kahlen Baumkronen grünenden Büsche in der Mythologie
und im Volksglauben unserer Vorfahren eine gewisse Rolle spielten,
ist sehr begreiflich. Nach der germanischen Sage wurde der lichte
Gott des Sommers, Baldur, vom blinden Wintergott Hödur durch einen
Mistelpfeil getötet. Es ist dies der strahlende Sonnengott, der
im Winter von der Macht der Finsternis dahingerafft wird, um im
Frühling aufs neue in jugendlicher Pracht zu erstehen. Und daß dies
der Fall sein werde, dafür bietet der Mistelzweig Gewähr, den man
in Nachahmung angelsächsischer Sitte am Julfest neuerdings auch bei
uns bei der Wintersonnenwende in den Wohnungen aufhängt; denn der
gabelige Mistelzweig ist das Symbol der Wiederbelebung der erloschenen
Sonnenkraft, die nach altem Volksglauben in der Mistel allein lebendig
bleibt, wie schon äußerlich ihr Weitergrünen auf den im Winter wie
erstorben ihrer Blätter beraubt dastehenden Laubbäumen beweist.
Daher rührt die allheilende und belebende Kraft desselben gegen alle
Übel. Am Tage von Baldurs Neugeburt, wenn die größte Sonnenschwäche
vorüber ist, am Julfest oder am Neujahr, sammelte man feierlich die
„Allheilende“, um die Wohnung während der Festzeit damit zu schmücken
und zu weihen. Ähnliche mythologische Beziehungen haben unzweifelhaft
auch zu der außerordentlichen Verehrung Veranlassung gegeben, die
die Mistel bei den keltischen Volksstämmen genoß. Ihre Priester, die
Druiden, berichtet Plinius, kennen nichts Heiligeres als die Mistel
und ehren auch den Baum, auf dem sie wächst, namentlich wenn es eine
Eiche ist. Dies ist aber nur äußerst selten der Fall. Hatte man nun
ausnahmsweise eine solche auf dem dem Donnergotte heiligen Eichbaum
entdeckt, so wurde sie mit großer Feierlichkeit am sechsten Tage nach
dem Neumond zu Jahresbeginn eingeholt. Nachdem man unter dem heiligen
Baum die gehörigen Opfer dargebracht und die Festmahlzeit veranstaltet
hatte, bestieg der in weiße Gewandung gekleidete oberste Druide den
Baum, schnitt mit einer goldenen Sichel die Mistel ab und warf sie
in seinen Mantel. Diese von den Kelten die „Alles heilende“ genannte
Pflanze durfte den Boden nicht berühren und half dann angeblich gegen
alle Leiden, wurde nach Plinius insbesondere zur Heilung der Epilepsie
verwendet. Derselbe römische Autor bezeichnet das Neujahrsfest als
den Hauptsammeltag für die Mistel, und in Frankreich hat sich noch
in manchen Gegenden die uralte Sitte erhalten, daß Kinder am Neujahr
mit einem Mistelbusch von Haus zu Haus laufen und mit dem Ruf:
~Aguillaneuf~ (entstanden aus: ~au gui l’an neuf~) Eßwaren und ein
Geldgeschenk verlangen. In Deutschland scheint der Ruf „Guthyl“ und das
Neujahrs-„Anklopfen“ mit grünen Ruten dem zu entsprechen. Zum Schluß
soll noch die Eigentümlichkeit erwähnt werden, daß auf den faulenden
Stengeln der Mistel ein besonderer Pilz (~Tubercularia visci~) und auf
den Blüten ein bestimmter Blattfloh (~Psylla visci~) lebt.


  [4] 2. Band betitelt: +Das Leben der Erde+ mit 380 Abbildungen im
      Text, 21 Vollbildern und 2 Stammbäumen, München 1908, Verlag von
      Ernst Reinhardt.

  [5] S. Näheres nebst Abbildung in dem Abschnitt über akarophile
      Gewächse auf Seite 492 ff. in Band II des: Vom Nebelfleck
      zum Menschen, betitelt das Leben der Erde, Verlag von Ernst
      Reinhardt, München 1908.



XXXI.

Die Nutzhölzer.


Eines der wichtigsten Rohprodukte des Pflanzenreiches, das auf allen
Gebieten menschlicher Tätigkeit die mannigfaltigste Verwendung
findet, ist das Holz. Aus ihm hat sich der tertiäre Urmensch neben
den aufgelesenen Steinen seine ersten Werkzeuge und Waffen zur
Unterstützung und Verlängerung seiner Arme gemacht, bevor er sich noch
Geräte aus Feuerstein herzustellen begann. Und je höher er später
in der Kultur fortschritt und je mehr er zum Herren der Erde wurde,
um so größere Bedeutung gewann für ihn das Holz als unentbehrliches
Rohmaterial für alle Bedürfnisse des täglichen Lebens, zu allerlei
Hantierung und zum Brennen.

Unter den mannigfaltigen Holzarten, die ihm in verschiedenen Gegenden
und zu verschiedenen Zeiten in wechselnder Menge und Beschaffenheit
zu Gebote standen, wußte er dabei für die verschiedenen Zwecke eine
Auswahl zu treffen, indem er bald die Eigenschaften der verschiedenen
Holzarten kennen lernte. Dabei stand ihm gerade in unserm Kontinent
gegenüber Ostasien und besonders Nordamerika eine sehr geringe Auswahl
von Holzarten zur Verfügung. So setzen kaum 40 einheimische Baumarten
den Wald des nördlichen Europa zusammen, den Wald der Vereinigten
Staaten dagegen 400. Die Zahl der Eichenarten ist in Europa ganz
außerordentlich gering, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko
dagegen recht groß; die Zahl der Kiefernarten beträgt in Europa 10, in
Nordamerika aber 40; selbst Kanada weist noch 15 Nadelhölzer auf.

Aber nicht bloß sind im nordamerikanischen Wald fast alle Baumgattungen
des europäischen Waldes in einer größeren Artenzahl vertreten, so
Eichen und Eschen in 13 Arten, Ahorne in 8 Arten, Birken in 7 Arten,
Ulmen und Nußbäume in je 5 Arten usw., sondern es sind in ihm eine
große Zahl von Gattungen vorhanden, die dem europäischen Walde
vollkommen fremd sind, darunter die Hickorybäume (~Carya~) mit 9
weitverbreiteten Arten, die Magnolien mit 7, die Platanen mit 3, die
Catalpa mit 2 Arten, der Tulpenbaum (~Liriodendron~), der Sassafras,
die Sequoia mit 2 Arten, die Douglastanne und verschiedene andere. Die
beiden zuletzt genannten Gattungen, ebenso wie die Riesentanne (~Abies
gigantea~), die Riesenceder (~Thuja gigantea~), die Zuckerkiefer
(~Pinus lambertiana~) mit ihren vielfach über 100 m emporragenden
und mehrere Meter dicken Stämmen veranschaulichen zugleich am besten,
zu welcher Riesenhaftigkeit sich der nordamerikanische Baumwuchs nicht
nur in Kalifornien und Oregon, sondern auch im appalachischen Osten
gestaltet, wo die Weiß- und Roteichen (~Quercus alba~ und ~Q. rubra~),
die Magnolien (~M. grandiflora~), die Kastanien (~Castanea americana~),
die Platanen und Pappeln vielfach gewaltige Baumgestalten darstellen.

Noch artenreicher als selbst das appalachische Gebiet an der
atlantischen Seite Nordamerikas ist das asiatische Florenreich,
das zudem eine auffallende Ähnlichkeit mit ersterem zeigt; hat es
doch nicht weniger als 250 Arten in 65 Gattungen mit jenem gemein.
Beide Florenreiche aber stehen dem tertiären Florenreiche Europas
zum größten Teil ziemlich nahe. Zur Tertiärzeit wuchsen nämlich
in Europa Riesencedern, Sumpfcypressen, Storax- und Walnußbäume,
Liquidambar, Tulpenbäume, Catalpa und Sassafras, die vor der von
Norden her vordringenden Vereisung im südlichen Teil Nordamerikas eine
Zuflucht fanden und am Leben blieben, während sie bei uns vernichtet
wurden, und zwar ganz wesentlich infolge der ostwestlich gerichteten
Gebirge, die ein Entweichen nach dem Süden über den Wall der Alpen und
Karpaten nicht erlaubten. Auch ein Entweichen nach Osten war durch die
Verbindung des Kaspischen Meeres mit dem Mittelmeere verhindert. So
war ein Zurückweichen und ein Wiederkehren wie in Nordamerika weder im
Süden, noch im Osten Europas möglich.

Als die niederschlagsreichen, kalten Winter der Eiszeit nachließen und
die letzte Vereisung wich, drangen in Europa von Süden nach Norden
Bäume ein, die geringere Wärmemengen als die einstigen tertiären
zur Vollendung ihrer Vegetationsperiode verlangen. So war nach den
Ablagerungen in den Torfmooren die +Kiefern+periode die älteste
Waldperiode der mittel- und nordeuropäischen Länder. Nur in Dänemark
scheint der Kiefernperiode eine ganz kurze Übergangszeit mit Espen und
Birken vorausgegangen zu sein. Mit dem Wärmerwerden des Klimas folgten
der Kiefer die Eiche nebst Spitzahorn, Esche, Mistel und Efeu und
gelangten in der jüngeren Ankyluszeit, während noch die Landbrücke
zwischen Jütland und Schonen bestand, auch nach Schweden. In diese
+Eichen+zeit fällt die frühneolithische Stufe der Kjökkenmöddinger mit
ihren Abfallhaufen von Meereskonchylien, die zu einer Zeit entstanden
sein müssen, als das Meer an der Ostsee noch salziger und wärmer war
als heute. Auf diese wärmere Eichenzeit folgte mit der Entstehung der
vom Meere erfüllten Litorinasenkung eine Klimaverschlechterung, welche
zur Folge hatte, daß zunächst die +Fichte+ und dann die +Buche+ immer
weiter nach Norden rückten. In diese Zeit fällt die ältere nordische
Steinzeit. Während der jüngeren Stein- und Bronzezeit war der häufigste
Nadelholzbaum der Schweiz die +Weißtanne+, die wir neben viel Eichen
und besonders auch Buchen, seltener Kiefern, als hauptsächlichstes
Nutzholz der Pfahlbauzeit antreffen.

Damals so wenig als in früherer prähistorischer Zeit war übrigens
Mitteleuropa von einem geschlossenen Urwalde bedeckt, vielmehr
waren die Wälder in großem Umfange von Steppengebieten, Mooren,
Heiden und andern waldfreien Flächen durchzogen. Und gerade die
Steppenstriche waren für die älteste menschliche Siedelungsgeschichte
von hervorragender Wichtigkeit, denn die ältesten Ansiedler folgten
durchweg bei der Besiedelung des Landes den waldfreien Strecken.
Erst in dem Maße als später die Bevölkerungsdichte zunahm und
leistungsfähige Metallwerkzeuge zum Roden und dann Verbrennen des
Waldes aufkamen, wurde mit der zunehmenden Waldvernichtung begonnen,
die selbst heute noch nicht überall zum Stillstand gekommen ist.

Viel schlimmer als einst unsere Vorfahren haben neuerdings die
Nordamerikaner mit dem Walde, dem größten Reichtum ihres Landes,
gehaust. Weite Gebiete der Vereinigten Staaten sind durch den größten
Raubbau des einst sie bedeckenden Waldes verlustig gegangen, was auch
direkt durch Klimaverschlechterung für die Einwohner fühlbar wurde.
In Florida, Georgia und Carolina wurden von den Terpentinausbeutern
die Wälder der Küstenkiefer, welche unter einer maßvolleren Methode
jahrhundertelang die beste Einnahmequelle für die Bevölkerung der
Südwestküste hätte bilden können, in einer Weise ausgeraubt, daß 9/10
des Terpentingehaltes jedes Baumes weggeworfen und der ausgeraubte
Baum gefällt und seinem Schicksal überlassen wurde, bis das ganze
Land verödet war. In derselben Weise sind die schier endlosen
Pinienwälder von Wisconsin und Michigan, die ausgedehnten Gebiete der
weißen Rieseneiche im westlichen Ohio, Indiana, Illinois, Kentucky,
Missouri und Arkansas und die unvergleichlichen Wälder der schwarzen
Walnuß, welche die Ländereien von Indiana und Illinois bedeckte,
vernichtet worden. Aus einer jungen Weißeiche stellte man eine einzige
Eisenbahnschwelle her und ließ den Rest verfaulen. Das beste Holz war
in solchem Überflusse vorhanden, daß es völlig wertlos schien. Und so
wirtschaftete der rücksichtslose Amerikaner gedankenlos weiter, bis
das Holz begann selten zu werden; da erst dachte man daran, die Wälder
zu schützen. Ginge nun der Raubbau in der bisherigen Weise weiter, so
würde in etwas mehr als 25 Jahren Amerika keine Wälder mehr besitzen.
Man hat ausgerechnet, daß das Land infolge Schwindens der Wälder mehr
als 100 Quadratmeilen fruchtbaren Boden jährlich durch Austrocknung
verliert. In genauem Verhältnis zum Raubbau der angrenzenden Wälder
vermindern sich die Wassermassen des Mississippi; denn die Wälder sind
es, die die rasche Verdunstung des gefallenen Regens verhindern und
überhaupt die Niederschläge veranlassen oder wenigstens begünstigen.
Nimmt man die Wälder fort, so nimmt man den Flüssen ihre Nahrungsmittel
weg, wenigstens das, was ihnen Nahrung mittelbar zuführt.

Was nicht die Gier nach Gewinn am Walde sündigte, das
verschuldete in der Union der grenzenlose Leichtsinn und die
Schlechtigkeit der Holzarbeiter, Jäger und Abenteurer, denen jedes
Verantwortlichkeitsgefühl abgeht. Unfreiwillig oder freiwillig
gelegt, entflammt sich alljährlich in der Trockenzeit, bald hier,
bald dort der unheimliche Waldbrand, nimmt durch die Lässigkeit der
spärlichen Einwohner meist ungeheure Dimensionen an und vernichtet das
Baumwachstum vieler Jahrzehnte. In den letzten 20 Jahren sind durch
Waldbrände in den Vereinigten Staaten etwa 2000 Menschen umgekommen
und ist für verschiedene Milliarden Mark Materialschaden erwachsen.
Der jährliche Durchschnittsverlust an Holz durch solche Waldbrände
läßt sich auf etwa 100 Millionen Mark schätzen. Der Waldbrand des
Jahres 1910, von dem in den Zeitungen zu lesen war, hat hunderte von
Menschenleben, zahlreiche Ortschaften, 8 Städte und Wälder im Wert von
50 Millionen Mark zerstört. Er war klein zu nennen gegenüber demjenigen
von 1908, der herrliche Wälder in einer Längenausdehnung von 300 km
im Werte von 400 Millionen Mark zerstörte, oder gar gegenüber
demjenigen von 1871, der für über 8 Milliarden Mark, d. h. mehr als der
zehnjährige Holzverbrauch des Landes beträgt, Wald vernichtete.

Zu den Waldbränden kommen noch die gewöhnlichen Feuersbrünste, die
jedes Jahr für nahezu 1000 Millionen Mark Gebäude und Einrichtungen in
den Vereinigten Staaten zerstören. Natürlich nimmt diese Zerstörung das
Kapital der Wälder in entsprechendem Maße in Anspruch. Dazu kommt der
stetig wachsende Verbrauch von Holzpapier, der ausgedehnten Waldungen
das Leben kostet. Die zahlreichen Zeitungen allein verschlingen
jährlich etwa 3000 Millionen kg Holz. Die Menge des jährlich in
der Union geschlagenen Holzes ist schon jetzt dreimal größer als
der jährliche natürliche Zuwachs. So hat man ausgerechnet, daß das
unermeßlich erscheinende Kapital, das die Union in ihren Waldungen
besaß, schon in einem oder spätestens zwei Generationen aufgebraucht
sein wird, wenn nicht vorher dem unsinnigen Holzkonsum Halt geboten
wird.

Während das Holz für unsere Altvordern außer dem Verbrennungswert noch
einen gewissen Wert als Bau- und Werkmaterial besaß, ist in unserer
Zeit seine Verwendungsmöglichkeit ins Ungeheure gestiegen; denn wir
machen nicht nur Papier damit, aus welchem ganze Häuser und selbst
Eisenbahnräder hergestellt werden, sondern wir verfertigen daraus sogar
Kunstseide, die immer weitere Verwendung findet. Welche Wertsteigerung
dabei das Holz erfährt, können wir aus einer diesbezüglichen
Zusammenstellung ersehen. Ein Raummeter Holz wiegt nach O. N. Witt
400-500 kg und kostet im Walde 3 Mark. Derselbe Raummeter, als
Brennholz an Ort und Stelle befördert, erhöht seinen Wert auf 6 Mark.
Durch Kochen mit Soda oder Sulfitlauge lassen sich aus dem Holze etwa
150 kg Zellstoffasern isolieren; da 100 kg davon einen Wert von
15-20 Mark besitzen, läßt sich der Nutzungswert des Raummeters auf etwa
30 Mark schätzen. Wandelt man die Zellstoffaser durch dünnes Ausbreiten
auf der Papiermaschine zu Papier um, so ergibt sich ein Wert für die
Zellulose des angewandten Raummeters Holz von 40-60 Mark. Verspinnt
man die Zellstoffaser zu Zellstoffgarn für Jute- und Baumwollersatz,
so erzielt man Verkaufswerte von 50-100 Mark. Überführt man die
Zellstoffaser durch Lösen in einer Mischung von Kupferoxyd und Ammoniak
(Salmiakgeist) und Pressen durch feine Düsen in eine Säurelösung, in
der sie sofort zu einem feinen Faden erstarrt, in künstliche Seide, so
kommt man zu einem Werte von 3000 Mark pro Kubikmeter. Und gewinnt man
schließlich ein für spezielle Zwecke ganz besonders wertvolles Produkt
künstlicher Seide daraus, so stellt sich der Wert auf den angewandten
Raummeter Holz, der also ursprünglich 3 Mark wert war, auf reichlich
5000 Mark. Diese Kunstseide wird hauptsächlich zur Herstellung von
Spitzen, Borden, Bändern und Quasten verwendet. Auch für Krawatten-
und Möbelstoffe, Vorhänge und Tapeten bildet die Kunstseide ein
ausgezeichnetes Material, das in immer steigendem Maße in den Handel
gelangt. Schon heute wird die Gesamtwelterzeugung dieser jungen
Industrie auf 5 Millionen kg -- allerdings gegen etwa 50 Millionen
kg Naturseide -- geschätzt. Allein Deutschland verbraucht etwa 1,5
Millionen kg im Jahresdurchschnitt, und das Inland war 1909 imstande,
Kunstseide im Betrage von etwa 10 Millionen Mark an das Ausland
abzugeben.

In bezug auf Holzertrag sind die +Nadelhölzer+ die ausgiebigsten und
werden daher vielfach in Waldgebieten, die früher ausschließlich
Laubwälder trugen, in ausgedehnter Weise angebaut. Ihr Holz ist viel
einfacher gebaut als dasjenige der Laubbäume; Gefäße fehlen ihm
ganz, doch enthalten die meisten Arten besondere Harzgänge, die beim
Eröffnen durch Einschnitte in der Richtung des Stammes das balsamartige
+Terpentin+ liefern. Die Lärche wird hierzu im Frühjahr nahe dem Boden
angebohrt, das Bohrloch durch einen Zapfen verschlossen und im Herbst
entleert. Bei der Tanne sammelt sich das Terpentin in Harzhöhlen der
Rinde an und fließt nach Öffnung der Beulen ab. In Österreich gewinnt
man auf den Stamm jährlich 2 kg Terpentin, in Westfrankreich etwa
3,6 kg. Von starken Fichten, besonders alleinstehenden, auf deren
Erhaltung es nicht ankommt, kann man bis 40 kg Terpentin gewinnen. In
Frankreich werden Bäume im Alter von 20-40 Jahren 20-40 Jahre hindurch,
kräftigere Individuen noch längere Zeit, auf Terpentin ausgebeutet.
Meist wird dort die Strandkiefer (~Pinus maritima~) dazu verwendet. Das
deutsche Terpentin gewinnt man von der Kiefer (~Pinus silvestris~) und
Fichte (~Picea excelsa~), das Straßburger Terpentin von der Weißtanne
(~Abies pectinata~), das venezianische Terpentin in Südösterreich
von der Lärche (~Larix europaea~), das amerikanische Terpentin
hauptsächlich von ~Pinus australis~, ~P. palustris~ und ~P. taeda~ und
den Kanadabalsam von der Balsamtanne (~Abies balsamea~ und ~fraseri~).
Letzterer unterscheidet sich vom gewöhnlichen Terpentin vor allem
durch seine starke Lichtbrechung, weshalb er besonders zur Einbettung
mikroskopischer Präparate dient.

Eine weitere wichtige Nutzung der Nadelhölzer ist die Gewinnung von
+Holzteer+, die in folgender Weise von Fichten gewonnen wird: Die
betreffenden Stämme werden im Juni von Ästen und Rinde bis zum Holz
in der Höhe von etwa 2,5 m befreit. Nur an der nördlichen Seite der
Baumstämme wird ein etwa 5 cm breites Band der Rinde gelassen, um
den Baum am Leben zu erhalten. Man läßt den Baum 2-5 Jahre so stehen,
worauf die Rinde in derselben Weise von den Stämmen abgeschält wird,
doch etwa 1,5 m höher, so daß die Stämme jetzt 4 m hoch kahl
sind, mit Ausnahme des Bandes der nördlichen Seite. Wiederum läßt man
den Baum 2 Jahre so stehen. Dabei bedeckt sich der kahle Teil der
Stämme mit einer dicken Lage von Harz. Dann schneidet man den an der
nördlichen Seite gelassenen Rindenstreifen los. Die Bäume werden im
Oktober oder November gefällt und das so behandelte Holz zum Meiler
gebracht, wo es etwa 1,8 m hoch aufgestapelt wird. Hierauf wird das
Holz der Länge nach gespalten und nach dem Trocknen im kommenden Sommer
in Teermeilern unter Luftabschluß verbrannt. Ist dann in 4-5 Tagen das
Brennen beendet, so sind bei der trockenen Destillation etwa 7500 Liter
Teer von dunkelbrauner Farbe und sirupartiger Konsistenz ausgeflossen.
Er wirkt durch seinen Gehalt an Kreosot fäulniswidrig und dient daher
zum Anstreichen von allem der Feuchtigkeit ausgesetztem Holz und
Tauwerk. Bei der fraktionierten Destillation gibt er zuerst leichte,
dann schwere Teeröle, zuletzt Kreosot und als Rückstand Pech ab, womit
die Schiffe kalfatert werden. Birkenholzteer dient zur Bereitung von
Juchtenleder. Aus Torf- und Braunkohlenteer bereitet man Leuchtöle,
Schmieröle und Paraffin. Der übelriechende, schwarze Steinkohlenteer
gibt bei der Destillation zuerst leichte Kohlenwasserstoffe (Benzol,
Toluol usw.) ab, die, mit Schwefelsäure und Natronlauge gereinigt und
rektifiziert, als Benzin in den Handel kommen. Bei weiterem Erhitzen
erhält man die leichten Teeröle, die hauptsächlich zur Darstellung der
Anilinfarben, als Leuchtöle und zum Lösen des Kautschuks dienen, dann
schwere Teeröle, die zum Imprägnieren des Holzes und als Schmieröle
dienen. Aus ihnen wird die Karbolsäure isoliert. Weiterhin werden
wiederum Kohlenwasserstoffe gewonnen, die als Schmieröle verwendet
werden. Aus ihnen isoliert man auch Naphthalin und Anthracen,
die Farbstoffe und einige pharmazeutische Produkte liefern. Der
Destillationsrückstand ist das Steinkohlenpech, das als Asphaltsurrogat
und zu Firnissen dient. In Europa werden jährlich über 700 Millionen
kg Teer verarbeitet, wovon über die Hälfte allein in England. Wird
Teer bei unzureichendem Luftzutritt verbrannt, so scheidet sich
viel Kohlenstoff ab, der als +Ruß+ benutzt wird. Der Teer ist seit
dem Altertum bekannt und gebräuchlich. Der ältere Plinius berichtet
eingehend über die Herstellung und Verwendung desselben, den er ~pix
liquida~ nennt.

Zur Erzeugung intensiver Hitze überall da, wo Rauch- und
Flammenbildung vermieden werden muß, z. B. im Schmiedefeuer, beim
Erhitzen von Gegenständen, wie Bügeleisen, im Zimmer usw. benutzt man
+Holzkohle+, die ein weiteres wichtiges Produkt der Holzausbeutung
ist. Sie wird durch Erhitzen von Holz bei Luftabschluß gewonnen.
Bei dem aus dem Altertum stammenden Meilerbetrieb wird das Holz
in annähernd halbkugelförmigen Haufen, Meiler genannt, in großen
Scheiten regelmäßig um drei in der Mitte errichtete Pfähle aufgesetzt
und mit einer Decke von Rasen, Erde und Kohlenklein bedeckt. Unter
dieser Decke entzündet man das Holz und leitet die Verbrennung bei
sorgsam geregeltem, sparsamem Luftzutritt in der Weise, daß nicht
mehr Holz verbrennt, als erforderlich ist, um die gesamte Holzmasse
auf die Verkohlungstemperatur zu erhitzen. Im wesentlichen sollen
nur die aus dem erhitzten Holze sich entwickelnden Gase oder Dämpfe
verbrennen. Ist die Verkohlung vollendet, was man an der Farbe des
entweichenden Rauches erkennt, so läßt man den Meiler abkühlen und
nimmt ihn auseinander. Runde oder eckige gemauerte Meileröfen gestatten
eine leichtere, vollständigere Gewinnung der Nebenprodukte, wie Teer
und Holzessig, die beim Meilerbetrieb verloren gehen, liefern aber
geringere Ausbeute und weniger gute Kohle. Eine bessere Leitung
des Verkohlungsprozesses erreicht man bei Anwendung von Retorten.
Hierbei gewinnt man „destillierte“ Kohle, wie sie besonders für die
Schießpulverfabrikation erforderlich ist.

Das bei uns in Süddeutschland und der Schweiz weitaus populärste
Nadelholz ist die +gemeine Fichte+ oder +Rottanne+ (~Picea excelsa~).
Sie ist eine der schönsten und ergiebigsten Waldbäume, die bei
einem Alter von 700-800 Jahren eine Höhe von 64 m bei einem
Stammdurchmesser von über 2 m an der Basis erreichen kann. Am
rötlichbraunen Stamm mit pyramidenförmig spitzer Krone hängen die
unteren langen Hauptäste fast herab oder sind niedergebogen, während
die kürzeren oberen kräftiger und aufgerichtet sind. Die 15-25 mm
langen, geraden oder schwachgekrümmten, zweischneidig vierseitigen,
spitzen, dunkelgrünen Nadeln bleiben bis zum 7. Jahre stehen und
fallen im Gegensatz zu denjenigen der Weiß- oder Edeltanne beim
Trocknen des Zweiges ab. Die (männlichen) Staubblüten sitzen zu
eiförmigen gelben, bei der Fichte im Gegensatz zur Weißtanne allmählich
rot werdenden Knäueln hoch oben am Ende starker Äste zwischen den
Nadeln der letztjährigen Triebe, bei der Fichte mehr vereinzelt, bei
der Weißtanne zahlreicher. Wenn sie im Mai den gelben Blütenstaub
entlassen, weht ihn der Wind zwischen die Schuppen der bei der Fichte
roten bis dunkelvioletten, bei der Weißtanne dagegen grünlichgelben
(weiblichen) Samenblüten. Nach der Befruchtung schließen sich die
geöffneten Zäpfchen der letzteren, senken sich nach abwärts und
öffnen sich erst im Oktober, wenn der Same voll ausgereift ist und
sie braun geworden sind, wieder, um die geflügelten Samen durch den
Wind verbreiten zu lassen. Doch fliegen sie meist erst im folgenden
Jahre aus, wonach erst die leeren Zapfen als Ganzes abfallen. Bei der
Weißtanne dagegen bleiben die Fruchtzäpfchen aufrecht auf ihren Zweigen
stehen; zwischen den einzelnen, breiten Schuppen wachsen die Enden
der Deckblätter (Brakteen) zierlich heraus, und im September, nach
der Reife, öffnet sich der Zapfen nicht, sondern er entblättert sich
allmählich und verliert seine graubraunen Schuppen, bis zuletzt nur die
kahle Spindel übrig bleibt. Wer also einen richtigen Tannenzapfen der
Weißtanne zu haben begehrt, der muß warten, bis etwa ein Baum vor der
Samenreife gefällt wird oder der Sturm einige Äste mit Fruchtzapfen
herunterreißt. Samenjahre kehren bei der Fichte durchschnittlich alle
fünf Jahre wieder. Dabei bleibt der Samen 3-5 Jahre keimfähig. Auch
im Alter erreicht die Fichte wie die Lärche nie eine eigentliche
Kronenabwölbung. Sie wächst ziemlich schnell, hört aber in der Ebene
mit 60-80 Jahren auf zu wachsen; im Gebirge dagegen wächst sie weiter
und wird nicht selten 400-600 Jahre alt.

Die Fichte ist nämlich mehr ein Baum des Gebirges als der Ebene, geht
nach Norden nicht so weit als die genügsamere Kiefer, liebt einen
frischen, steinigen, humusreichen, nicht zu flachgrundigen Boden und
viel Bodenfeuchtigkeit, da sie ausgiebig Wasser verdunsten läßt.
Während sie erst in Nordostdeutschland, besonders in der Niederlausitz,
in Schlesien, Ostpreußen und jenseits der Weichsel in die Niederungen
steigt, ist sie mehr südlich und westlich durchaus ein Gebirgsbaum.
Im deutschen Mittelgebirge ist sie der herrschende Baum. Auch im
deutsch-österreichischen Bergland hat sie bedeutende Massenverbreitung
und dringt bis in die italienischen Alpen und in Frankreich bis zu den
Pyrenäen vor. In Serbien erreicht sie etwa bei 43° nördlicher Breite
ihre Südgrenze, geht aber durch Südsibirien östlich bis zum Amurlande.
In den Alpen steigt sie bis in die Legföhrenregion hinauf, höher als
die Kiefer, reicht aber in Lappland nicht über den 69. Grad hinaus,
während die Kiefer hier bis zum äußersten Saum der Wälder reicht. In
Westdeutschland, Belgien, den Niederlanden und den britischen Inseln
war sie ursprünglich nicht heimisch, sondern wurde hier erst seit 1780
zur Aufforstung großer Ödflächen eingeführt. Sie eignet sich nämlich
vorzüglich dazu, verödeten und verwilderten Boden rasch zu decken und
zu verbessern. Sie ist eine der zähesten Waldbaumarten, ganz besonders
dazu geeignet, auf kümmerlichen Standorten den Kampf ums Dasein mit
Erfolg zu beginnen und, wenn auch nicht siegreich zu beenden, so
doch nicht zu unterliegen und als energischer Pionier der nächsten
Generation von Bäumen eine bessere Stätte zu bereiten.

Man bewirtschaftet die Fichtenbestände meist in 70-100jährigem
Umtriebe. In Norddeutschland verjüngt man wegen der Sturmgefährlichkeit
in kleinen Kahlschlägen, in denen der herrschenden Windrichtung
entgegen fortgeschritten wird. Im mittleren und südlichen Deutschland
ist man aber bei der „Fichten-Dunkelschlagwirtschaft“ geblieben.
Wegen des Rüsselkäfers läßt man das zu bebauende Land ein Jahr ruhen.
Dann pflanzt man die drei- oder vierjährigen, in Saatbeeten erzogenen
Pflänzchen in das Kulturfeld, und zwar je 3 oder 4 Exemplare zusammen.
Man mischt sie auch zweckmäßig mit Buchen und Tannen, aber nicht mit
Kiefern oder Eichen. Bei 100jährigem Umtriebe rechnet man auf den
mittleren Fichtenstandorten ungefähr 6 Festmeter vom einzelnen Baum.
Kaum eine andere Holzart ist zur Massenerzeugung so geeignet und
liefert ein so günstiges Resultat als die Fichte. Das weiche Holz
schwindet stark und ist außer als Brennstofferzeuger besonders als
Bau- und Werkholz beliebt. Die Rinde nicht zu alter Bäume dient zum
Gerben. Erzeugung und Verbrauch dieser Materialien lassen sich nicht
überblicken.

Im Gegensatz zur flachbewurzelten Fichte läßt die +Weiß+- oder
+Edeltanne+ (~Abies pectinata~) ihre Wurzeln tief in den Boden
eindringen und ist dadurch sturmfest; auch ist sie dem Schneebruch
und Insektenschäden weniger ausgesetzt als jene. Sie kann 10-15 Jahre
von andern Bäumen unterdrückt stehen und gedeiht, freigestellt,
dennoch gut. Sie erholt sich leicht, wenn sie jung vom Wild beschädigt
wird, und ihre verlorene Spitze ersetzt sie sofort durch eine oder
zwei andere. Ihre glatte, graue, innen braune, ziemlich dicke Rinde
ist an den Stellen, an denen sich Terpentin ansammelt, beulenartig
aufgetrieben. An dem bis über 45 m hoch werdenden Stamm stehen
die Haupt- und Seitenäste zu drei bis sechs quirlförmig horizontal
ausgebreitet. Die 13-26 mm langen, 2 mm breiten, flachen Nadeln
mit stumpfer, eingekerbter Spitze sind oben glänzend dunkelgrün mit
vertiefter Mittellinie, unten dagegen blaugrau mit zwei deutlichen,
aus je einer Reihe weißer Punkte -- den Spaltöffnungen -- gebildeten
Längslinien. Sie starren nur an den aufrechten Gipfeltrieben rings um
den Trieb herum, an den Seitenzweigen ordnen sie sich kammförmig zu
beiden Seiten des Triebes, so daß sämtliche Nadeln ihre blattgrünreiche
Oberseite dem Lichte zuwenden. Auf die Eigentümlichkeiten der
Fruchtbildung wurde bereits hingewiesen. Da die Fruchtzapfen bei
der Reife, wenn der Samen ausfällt, verblättern, werden sie für die
Forstnutzung im September gepflückt. Die junge Pflanze erscheint
zeitig im Frühjahr, oder 3-4 Wochen nach der Frühjahrssaat mit 4-8
Keimblättern, die sich von denjenigen der Fichte durch ihre breitere,
flachere Form unterscheiden. Sie wird im ersten Jahre etwa 2,6 cm,
im zweiten 5,2 cm hoch. Der Zuwachs ist auf die Dicke des Stämmchens
und auf ein oder zwei Seitenästchen gerichtet, die sich in horizontaler
Richtung über den Boden hin verbreiten. Das Längenwachstum aber ist
in dieser Zeit sehr unbedeutend. Im 14. oder 15. Jahre hat die junge
Weißtanne erst eine Höhe von 15-60 cm erreicht, während die viel
schneller wachsende Fichte in dieser Zeit bedeutend größer geworden
ist. Bis zum 100. Jahre wächst nun die Weißtanne jährlich um etwa
30 cm, von da an weniger. Vom 30. Jahre an beginnt sie Früchte zu
tragen. Auch sie kann 400 bis 600 Jahre alt werden und eine Höhe von
63 m bei einem Umfang von gegen 6 m erreichen.

Die Weißtanne fordert wie die Rotbuche einen höheren Feuchtegrad der
Atmosphäre und gemäßigtere Temperatur als die Fichte. Sie liebt daher
im Gebirge vorzugsweise die westlichen und nördlichen Einhänge. Den
besten Weißtannenboden liefern die feldspatreichen Urgebirgsarten,
Granit und Gneis, ferner tonreiche Schiefer und Konglomerate. Der
Boden muß tiefgründig und humusreich sein. Als Waldbaum gehört
sie den höheren Stufen des mitteleuropäischen Berglandes und den
südosteuropäischen Gebirgslandschaften meist in einer Höhe von
800-1200 m über Meer im mittleren, von 1200-1700 m im südlichen Europa
an. Zur höchsten Vollkommenheit gedeiht sie nur im „Bestandsschluß“,
da sie einen erheblichen Schneedruck erträgt und in der Jugend
des Schutzes durch Altstämme bedarf. Wird sie in reinen Beständen
angepflanzt, so gehört ein Umtrieb von 140 bis 160 Jahren dazu.
Häufiger mischt man sie unter Buchen und Fichten. Die Tannenbestände
werden am besten in frostfrei liegenden Samenschlägen verjüngt. Man
sät wegen der Frostgefahr und des Mäusefraßes im Frühjahr und bedeckt
die Samen höchstens 0,8 cm tief mit Erde. Sind die Pflänzlinge 2 Jahre
alt, so werden sie umgepflanzt, werden aber erst mit 6 Jahren an ihren
definitiven Standort gebracht. Verwendet man Wildlinge, so sind sie mit
Ballen einzusetzen.

Aus der Weißtanne gewinnt man das beste Terpentin von hellgelber Farbe,
mit zitronenartigem Geruch und einem Gehalt von 34 bis 35 Prozent
Terpentinöl. Das weiße, leicht spaltbare Holz steht im Verbrennungswert
um 0,2 niedriger als dasjenige der Fichte, dagegen um 0,14 höher als
dasjenige der Kiefer und um 0,16 höher als dasjenige der Rotbuche. Es
gibt ein treffliches Bauholz, das an Dauer, Tragkraft und Elastizität
ein wenig hinter dem Fichtenholz zurücksteht und darin ungefähr dem
Kiefernholz gleichkommt. Es wird besonders zu Span- und Schnitzholz,
zu Schachteln, Siebrändern, Böttcherarbeiten und gedrechselten Waren
sehr geschätzt. Da die Stämme, soweit sie astrein sind, ziemlich
gleichstark bleiben, eignen sie sich vorzüglich zu Mastbäumen. Das Holz
junger Stämme gibt die besten Resonanzböden für Musikinstrumente. Meist
benutzt man junge Weißtannen mit farbigen Bändern geziert zu Maibäumen
und beim Aufpflanzen auf den Giebel neu aufgerichteter Häuser, ebenso
als Weihnachtsbaum, da diese Baumart vor den Fichten den Vorzug hat,
beim Trocknen die Nadeln nicht zu verlieren. Schon die alten Germanen
schmückten beim Julfest ihre Behausung mit Tannenzweigen als Symbol
der Unvergänglichkeit des Naturlebens. Dieses heidnische Julfest wurde
nach der Einführung des Christentums zum Weihnachtsfest umgedeutet, das
aber erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durch einen geschmückten
Weihnachtsbaum mit angezündeten Kerzchen gefeiert wird. Der erste
nachweisbare Weihnachtsbaum brannte in Straßburg.

In Skandinavien, Nord- und Ostrußland und ganz Nordasien ist die
+Altaifichte+ (~Picea obovata~) heimisch, während im Morgenlande
die +Sapindusfichte+ (~P. orientalis~) als ein 30 m hoher Baum
mit dichter, feiner Verzweigung, sehr gedrängt stehenden, kurzen,
glänzend dunkelgrünen Nadeln und harzreichem Holz auf dem Taurus
und Kaukasus dichte Wälder bildet. In Serbien, Bosnien, Montenegro
und Bulgarien bildete die über 40 m hoch werdende +Omorikafichte+
(~P. omorika~) von sehr schlankem Wuchs, mit silberweißen Streifen
auf der Unterseite der glänzend dunkelgrünen Nadeln große Wälder,
ist aber heute durch anhaltende Raubwirtschaft auf wenige Standorte
beschränkt. Diese, wie auch die im Kaukasus und im pontischen
Gebirge heimische +Nordmanns-Weißtanne+ (~Abies nordmanniana~) mit
schwärzlichgrauer Rinde, unterseits bläulichweiß gestreiften Nadeln
und sehr großen, mit Harz bedeckten Fruchtzapfen, die in Griechenland
heimische +griechische Tanne+ (~A. cephalonica~) mit spitzen
Nadeln, die schöne, über 60 m hoch werdende +spanische Tanne+ (~A.
pinsapo~), die in den Gebirgen Südspaniens und Nordafrikas noch
Bestände bildet, und die +sibirische Tanne+ (~A. sibirica~) werden
bei uns kultiviert. Desgleichen kultiviert man von amerikanischen,
die in ihrer Heimat eine große Bedeutung als Nutzhölzer haben, die
+Schwarzfichte+ (~Picea nigra~), einen etwa 25 m hohen Baum mit
schwärzlicher Rinde, dunkelgrünen, durch die weißlichen Spaltöffnungen
blaugrün erscheinenden Nadeln und 3 cm langen, in der Jugend schön
violetten Zapfen. Sie bildet mit der +Rotfichte+ (~P. rubra~), einem
bis 20 m hohen Baum mit rötlichem Holz und frischgrünen Nadeln,
und der +Weißfichte+ (~P. alba~), einem 25-30 m hohen Baum mit
graugrünen, blaugrün erscheinenden Nadeln und 3-4 cm langen Zapfen im
nordöstlichen Nordamerika größere Bestände. Ihr Holz ist dauerhafter
als das der beiden zuletzt genannten Arten.

Während in unsern Mittelgebirgen die mehr wärmeliebende Tanne die
tieferen Lagen, die meist auch besseren Untergrund haben, einnimmt,
und die Fichte höher hinaufsteigt, vermögen beide nicht auf sonnigen,
trockenen Hängen oder auf schlechtem, steinigem Boden zu gedeihen.
Dagegen tut dies die +Kiefer+ oder +Föhre+ (~Pinus silvestris~), die
ihre Wurzeln tief durch die engsten Felsspalten zu zwängen versteht und
wie im kargen Felsboden, so auch im magersten Sandboden fortzukommen
vermag. Nicht weniger als ⅖ der gesamten Waldfläche Deutschlands,
besonders die von der letzten Eiszeit herrührenden sandigen Gebiete
des Nordostens, sind mit ihr bestanden. Durch sie ist es überhaupt
für den Menschen möglich geworden, die unfruchtbaren Sand-, Heide-
und Moorgegenden Norddeutschlands zu besiedeln. Im Naturwald kommt
die Kiefer nur auf ganz nahrungsarmem Boden rein vor. Überall auf
den mittleren und besseren Bodenarten sind die Bestände mit Eichen,
Birken und Buchen durchsprengt. Von den Grenzen Italiens bis Lappland
wird sie gefunden und reicht von Frankreich bis nach Sibirien. Sie
gedeiht im hohen Norden Rußlands noch, wo kein Baum mehr fortkommt,
und geht in Norwegen bis zum 70. Grad nördlicher Breite, wo die
nördlichsten Kiefernwaldungen der Erde sind. In Südeuropa wächst
sie nur auf Gebirgen; in Griechenland, namentlich auf den Gebirgen
Makedoniens, wird sie in über 2000 m Höhe, wie an der Baumgrenze im
Norden, strauchartig. Der 25-33 m hohe Baum bildet nach erreichtem
Höhenwachstum seine zuvor pyramidenförmige Krone schirmförmig aus. Der
0,6-1,2 m dicke Stamm ist mit dicker, längsrissiger Borke bedeckt,
die unten schwarzgrau, weiter oben rotbraun und zu oberst leuchtend
braungelb gefärbt ist. Im freien Stande ist sie der Länge nach mit
Ästen besetzt und blüht vom 15. Jahre an, während sie in geschlossenen
Beständen bis hoch hinauf die infolge Lichtmangels abgestorbenen Äste
abwirft, nur eine unbedeutende, lockere Krone bildet und erst vom 50.
Jahre an blüht. Durch die tief in den Boden eindringenden Wurzeln ist
die Kiefer sturmfester als die nur ein oberflächliches Wurzelwerk
ausbildende Fichte, leidet aber an ihrer weit ausgreifenden, fast
kuppelförmig gewölbten Krone mehr durch Schneedruck als jene. Die
Nadeln der Kiefer sind länger und dünner als diejenigen der Fichte und
Tanne, 2,5 bis fast 8 cm lang, matt blaugrün, sind im Querschnitt
halbkreisförmig und kommen, mit der abgeflachten Seite gegeneinander
gestellt, zu je zweien aus einer häutigen Scheide, die eigentlich ein
stark verkürzter Seitentrieb ist. Sie werden im Alter dunkler grün,
sind von mehreren Harzgängen durchzogen und fallen im Herbst des
dritten oder vierten Jahres ab. An der Spitze der hellgrünen, jungen
Triebe erscheinen im April und Mai gestielte, kugelige Zäpfchen von
bräunlichroter Farbe, die Samenblüten, während am Grund anderer die
reich mit goldgelbem Pollen gefüllten grünen, männlichen Blütenkätzchen
hervorbrechen. Dieser ergießt sich so reichlich, um vom Winde auf die
weiblichen Blüten getragen zu werden, daß er nach einem Gewitterregen
die Oberfläche von Wasserrinnen und Gräben dicht überzieht; so ist
es begreiflich, daß man einst, bevor man die Natur dieses Überzuges
erkannt hatte, die Fabel vom Schwefelregen erfinden konnte. Die Zapfen
der Kiefer sind erst im Spätherbst des zweiten Jahres ausgereift, sie
sind dann mattgrau, eiförmig, öffnen sich aber erst im März des dritten
Jahres durch Auseinanderweichen der holzigen Fruchtblätter, um die nach
oben in einen langen, häutigen Flügel auslaufenden Samen vom Winde
entführen zu lassen. Aber auch wenn sie geleert sind, bleiben sie noch
lange am Baume hängen, bis sie der Wind abreißt. Dann werden sie als
„Kienäpfel“ vielfach gesammelt und geben ein gutes Brennmaterial.

Die junge Kiefer braucht zu ihrem Gedeihen reichliche Belichtung und
ist deshalb mit sehr raschem Jugendwachstum ausgestattet, das ihr
erlaubt, sich bald über die langsamer wachsenden Holzarten ihrer
Umgebung hinauszuheben. Dabei kommt der regelmäßige Aufbau der
jährlichen Astquirle besonders klar zum Ausdruck, zumal die Kiefer
niemals Ästchen zwischen den Quirlen entwickelt. Auch ihre lichte
Zweigstellung weist darauf hin, daß sie mehr Sonne und Licht bedarf
als Tanne und Fichte. Da in diesem Falle der Stamm besonders der
Erwärmung ausgesetzt ist, kann ihm die dicke Schutzborke, durch die
sich die Licht liebenden Hölzer im allgemeinen von den Schatten
ertragenden Baumarten unterscheiden, nur von Vorteil sein. Um junge
Kiefernpflanzen zu erzielen, sät man den Samen in Rillen und verpflanzt
in der Regel die einjährigen, seltener die zweijährigen Pflänzchen
in die Bestände, die vierjährigen müssen, wenn sie nicht eingehen
sollen, sorgfältig mit Ballen versehen sein. In Mischbeständen bleibt
die Kiefer gesunder als in reinen Beständen. Sie wächst in der ersten
Hälfte ihres Lebens viel schneller als in der zweiten, vom 50. bis 80.
Lebensjahre wächst sie langsamer, aber gleichmäßiger fort und erreicht
ein Alter von ungefähr 300 Jahren. Das gelbliche bis rötlichweiße
Holz besonders der nicht zu rasch aufgeschossenen Stämme ist infolge
seines Harzreichtums sehr dauerhaft und deshalb besonders zu Erd- und
Wasserbauten viel begehrt. Früher wurden mit Vorliebe Schiffsmasten aus
ihm hergestellt, während man es neuerdings mehr zu Eisenbahnschwellen
und zur Holzpflasterung verwendet. Besonders gut eignet sich dazu das
engringige skandinavische Kiefernholz, während als Zimmerholz dasjenige
der amerikanischen Kiefern, besonders das ~pitchpine~, vorgezogen wird.
Aus dem harzreichen Stockholze gewann man früher mehr als heute Kienöl
und Kienruß; außerdem liefert die Kiefer Terpentin, Teer und Pech, die
Rinde Gerbstoff. Die gallertartige, süße Borke wird in Schweden roh und
zubereitet gerne gegessen. Die Kiefer hat besonders unter den Insekten
eine große Anzahl gefährlicher Feinde, unter denen der Kiefernspinner,
die Nonne, die Kieferneule, der Kiefernspanner, der große und kleine
Kiefernrüsselkäfer, die große und kleine Kiefernblattwespe und der
Kiefernmarkkäfer zu nennen sind.

Im Gebirge ist die Kiefer durch die +Bergkiefer+, auch +Knieholzkiefer+
oder +Legföhre+, +Latsche+ genannt (~Pinus montana~ früher ~P.
pumilio~) vertreten. Sie ist außerordentlich anpassungsfähig an die
verschiedensten Standorte, wechselt dementsprechend außerordentlich
in bezug auf Wuchs, Form und Aussehen, so daß schon Sachkenntnis
dazu gehört, sie unter allen Umständen zu erkennen. In der baumlosen
Hochgebirgsregion -- in den Alpen von 1400-2000 m Höhe -- überzieht
sie als niederes, dem Boden angedrücktes Knieholz sehr weite Flächen
und bildet einen vortrefflichen Schutz gegen Lawinengefahr, da sie,
wegen ihrer großen Biegsamkeit den Schneedruck aushaltend, große
Schneemassen festzuhalten vermag. Andererseits gedeiht sie auch
im lockeren Flugsande der Dünen, wo sie, besonders in Dänemark,
zur Festhaltung des Sandes angepflanzt wird. Zu ihren natürlichen
Standorten gehören auch die ausgedehnten Hochmoore des Alpenvorlandes,
wo sie bald strauchartig ihre Äste bogenförmig vom Boden erhebt, bald
als aufrechter, bis 15 m Höhe erreichender Baum mit Kiefern und
Birken vermischt kleine Bestände bildet. Diese letztere Form wird auch
als „Spirke“ bezeichnet, während bei der eigentlichen Legföhre der
Stamm dem Boden anliegt und erst gegen die Spitze zu sich allmählich
aufrichtet, um der Sonne entgegenzustreben.

Alle Formen der Bergkiefer unterscheiden sich von der gemeinen Kiefer
durch eine nach Stärke und Färbung viel mehr an die Fichte als an die
Kiefer erinnernde Borke, durch gedrungenen Wuchs, durch dauerhaftere,
dunkelgrüne, kürzere und dickere Nadeln und kleine nicht mattgraue,
sondern glänzend braune, nach dem Aufspringen fast kugelige Zapfen. Das
dichte, feine Holz dient zu Drechslerarbeiten und Schnitzereien; auch
gewinnt man aus ihm statt Terpentinöl das besonders zu Inhalationen bei
Bronchitis beliebte Latschenöl, das ein altes Volksheilmittel ist und
besonders in Bayern und Tirol viel angewandt wird.

Vom Wienerwald bis Sizilien, von Südspanien bis nach Kleinasien findet
sich, zumeist in Korsika, im Apennin und in Bithynien, die der gemeinen
Kiefer ähnliche, aber mit grauschwarzer Borke und dunklen, grünen
Nadeln versehene, 30-38 m hohe +Schwarzkiefer+ (~Pinus laricio~) mit
pyramidenförmiger Krone, die sich erst im Alter wölbt. Sie ist der
schon mehrfach in der Ilias als ~peúkē~ genannte Baum, der schon bei
den alten Griechen zur Terpentin- und Harzgewinnung ausgebeutet wurde.
Das harzreiche Holz wurde, weil nicht faulend, besonders zu Pfählen,
dann aber auch zur Herstellung von Fackeln verwendet. Die Fackelmacher
bildeten im alten Griechenland ein besonderes Gewerbe. In derselben
Weise wurde sie bei den Römern ausgebeutet. Heute wird sie besonders in
Frankreich zur Harzgewinnung kultiviert, wie in den österreichischen
Alpen ihre Abart, die +österreichische Kiefer+ (~Pinus nigricans~).
Bei uns wird neuerdings die aus Österreich eingeführte Schwarzkiefer
infolge ihrer überaus großen Genügsamkeit in bezug auf den Boden zur
Aufforstung von Ödland verwendet; doch kann sich ihr Holz an Güte mit
demjenigen unserer gemeinen Kiefer nicht messen.

Ebenfalls zur Harznutzung wird die in Südeuropa und Kleinasien im
Gebirge nahe der Meeresküste häufig angetroffene +Strandkiefer+ (~P.
maritima~) benützt. Im Westen von Algerien bildet sie noch ausgedehnte
Wälder. Der schöne, 25-30 m hohe Baum mit pyramidenförmiger Krone,
langen, dunkelgrünen, etwas gekrümmten Nadeln und braunen Zapfen ist in
fast alle am Meere gelegene Länder eingeführt worden. Vornehmlich aber
der Terpentingewinnung dient die als +Terpentinkiefer+ (~P. pinaster~)
bezeichnete Abart derselben. Der sehr hoch werdende Baum hat einen
grauschwarzen Stamm, sehr rauhe Äste mit ziemlich dicken, lebhaft
grünen Nadeln und grauen Zapfen und wird auf dem dürren Heideboden
der Landes in Südwestfrankreich im großen zur Terpentingewinnung
kultiviert. Ihr wurde von der Wissenschaft die Bezeichnung der alten
Römer für Kiefer, ~pinaster~, gegeben.

Den lateinischen Namen ~pinus~ dagegen erhielt von den Römern die in
Südeuropa heimische +Pinienkiefer+ oder +Pinie+ (~Pinus pinea~), ein
12-16 m hoher Baum mit malerischer Schirmkrone, 13-20 cm langen
Nadeln mit 11-13 cm langen Zapfen mit eßbaren Samen, Piniennüsse
oder, nach dem italienischen ~pignoli~, als Pignolen bezeichnet. Er
bildet heute noch stellenweise in Griechenland und Italien Wälder, von
denen der Pineta genannte Pinienwald bei Ravenna der bekannteste ist.
(Taf. 97.) Der ältere Plinius gibt uns eine eingehende Beschreibung
der Kultur der Pflanze, von der der Dichter Vergil sagt: „Die Pinie
(~pinus~) ist der schönste Baum der Gärten, die Esche (~fraxinus~)
der schönste Baum der Wälder, die Pappel (~populus~) der schönste der
Flüsse, die Tanne (~abies~) aber der schönste der Hochgebirge.“ Das
häufigste und nützlichste Nadelholz Griechenlands aber war die von den
alten Hellenen ~pítys~ genannte +Aleppokiefer+ (~Pinus haleppensis~)
mit 7-9 cm langen, fadenförmigen Nadeln und 8-10 cm langen,
übergebogenen, kegelförmigen Zapfen. Mit letzterem, der auch von der
gemeinen Pinie genommen wurde, war der mit Efeu und Weinlaub umwundene
Thyrsosstab der Bacchanten gekrönt, weil mit dem von diesem Baume
gewonnenen Harz der Wein zur Konservierung „resiniert“, d. h. geharzt
wurde. Mit einem Kranze aus seinen Zweigen wurden die Sieger der dem
Meergotte Poseidon zu Ehren alle zwei Jahre abgehaltenen Isthmischen
Spiele an der den Peloponnes mit dem übrigen Griechenland verbindenden
Meerenge von Korinth geschmückt. Seine Stämme lieferten den Griechen
außer Harz und Terpentin das beste Schiffsbauholz.

Von nordamerikanischen Kiefern, die eine über ihr Vaterland
hinausgehende Bedeutung erlangt haben, ist die hauptsächlich das
amerikanische Terpentin liefernde +Weihrauchkiefer+ (~Pinus taeda~)
mit fast weihrauchartigem Harz, dann die ebenfalls im atlantischen
Gebiet der Union ausgedehnte Wälder bildende +Pechkiefer+ (~P.
rigida~), ferner die +Terpentinkiefer+ (~P. palustris~) zu nennen,
deren gelbrotes Holz als ~pitchpine~ wegen des verhältnismäßigen
billigen Preises in großer Menge bei uns eingeführt und besonders zu
Fußböden, Vertäfelungen, Innenausstattung von Trambahnwagen, seltener
zu Möbeln Verwendung findet. Unter demselben Namen wird auch das
Holz der auf dem Felsengebirge noch in großen Beständen vorkommenden
+Gelbkiefer+ (~P. ponderosa~) in den Handel gebracht, während das
ebenfalls gelbe Holz der in den Südstaaten der Union und in Mexiko
wachsenden +Besenkiefer+ (~P. australis~) als ~yellow pine~ reiche
Verwendung findet. Auch sie liefert viel Harz und Pech sowie Terpentin.
Noch größer als sie werden +Coulters-+ und +Sabines-Kiefer+ (~P.
coulteri~ und ~P. sabineana~), die wie die vorigen als Zier- und
Nutzbäume bei uns kultiviert werden. Die größte Bedeutung kommt aber
als Zier- und Nutzholz der schlanken +Weymouthskiefer+ (~P. strobus~)
aus dem atlantischen Gebiet Nordamerikas zu, die seit 1705, als sie
Lord Weymouth nach Europa brachte, das Bürgerrecht bei uns erworben
hat. Sie besitzt 10-16 cm lange, hellgrüne, fein geriefte Nadeln und
langgestreckte, großschuppige Fruchtzapfen. Sie ist durch ihr rasches
Wachstum ausgezeichnet und liefert ein weißes, geradfaseriges Holz, das
bei uns hauptsächlich zu Kisten, Rolläden usw. verarbeitet wird.

Noch weit größer als sie wird die 80-96 m Höhe bei einem
Stammdurchmesser von 4,8 m erreichende kalifornische +Riesenkiefer+
(~P. lambertiana~), die durch blaugraue, 10-13 cm lange, am Rande
fein gezähnelte Nadeln ausgezeichnet ist. Bei ihr entspringen wie bei
der Weymouthskiefer und den folgenden Kieferarten einschließlich der
Arve die Nadeln zu 5 aus einer Scheide. Nur etwa 38 m hoch mit
8-10 cm langen, gekielt dreikantigen Nadeln und 40 cm langen Zapfen
wird die im Süden der Union und in Mexiko wachsende +Acahuitfichte+
(~P. ayacahuitle~) -- bei den alten Mexikanern ~ayaquahuitl~ genannt
--, deren Holz außerordentlich harzreich ist und aus deren Zapfen ein
klares, wohlriechendes Terpentin tropft, das in seiner Heimat vielfach
Verwendung findet.

Wie die Pinie eßbare, als Zirbelnüsse bezeichnete Samen, hat auch
die +Zirbelkiefer+ oder +Arve+ (~P. cembra~) genießbare Früchte.
Dieser stattliche Baum mit 10-13 cm langen, steifen, dreikantigen
Nadeln und 8-10 cm langen, eiförmigen Zapfen ist bei uns ein
ausgesprochener Bewohner des Hochgebirges, der bis an die Baumgrenze
(über 2000 m) hinansteigt und hier dem Wanderer als eine prächtige
Erscheinung entgegentritt. Leider ist aber dieser Baum in den Alpen
entschieden im Rückgang begriffen, da er den erfolgreichen Wettbewerb
lebenskräftigerer Arten nicht aushält. In den Karpaten steigt er tiefer
hinab als in den Alpen und bildet in Sibirien auf dem flachen Lande
ausgedehnte Wälder. Auf den Gebirgen Asiens und im äußersten Nordosten
Sibiriens bildet die Arve eine der Legföhre entsprechende, als Legarve
bezeichnete Form. Diese nordische Arve ist durch gewisse biologische
Unterschiede von der alpin-karpatischen verschieden, sie keimt und
wächst rascher, wird höher (35-42 m, während sie im ersteren Gebiet
sehr selten 20 m hoch wird und nie über 24 m hinausgeht), ist mit
einem Wort noch lebenskräftiger als die mehr im Süden vorkommende.
Ihr rötlich gelbes Holz dient mit Vorliebe zum Bau der Alphütten, zur
Vertäfelung der Zimmer der Gebirgsbewohner (z. B. im Engadin) und
liefert wegen seiner Gleichmäßigkeit ein vortreffliches, viel benutztes
Material zu Schnitzarbeiten.

Gleicherweise ein Hochgebirgsbewohner wie die Arve, aber ein solcher,
der im Gegensatz zu jener von seinem ursprünglichen Wohngebiet
hinabstieg und vom Menschen weithin auch in den Niederungen angesiedelt
wurde, ist die +Lärche+ (~Larix decidua~), die insofern von allen
europäischen Nadelhölzern eine Ausnahmestellung einnimmt, als sie
nicht immergrün ist, sondern im Herbst regelmäßig ihre Nadeln abwirft.
Diese müssen also viel zarter gebaut sein, als die der übrigen
Nadelhölzer. Sie sind nur 2,5 cm lang und stehen an den jungen
Trieben einzeln in spiraliger Anordnung; im zweiten Jahr aber bilden
sich kurze, knopfförmige Seitentriebe, an denen die Nadeln, zu 15-30
vereinigt, hellgrüne Büschel bilden. Sowohl die hängenden, gelben
Pollenblüten, als die aufrechten, roten Fruchtblüten bilden sich an
älteren Zweigen, und die 4 cm langen, eiförmigen Zapfen bleiben
mehrere Jahre am Baum; die Samen aber werden an dem auf die Blüte
folgenden Frühjahr daraus entlassen. Die ursprüngliche Heimat dieses
25-45 m hohen Baumes mit anfangs gelbbrauner, später grauer, rauher,
rissiger Rinde ist Nordrußland und Sibirien, von wo sie zur Eiszeit
mit der weniger anpassungsfähigen Arve nach Süden kam und mit dem
Wärmerwerden des Klimas sich wiederum nach Norden und auf die kühlen
Gebirgslagen zurückzog. Im Flachlande leidet sie sehr durch einen Pilz
(~Peziza willkommi~), der krebsige Wucherungen am Holze hervorruft,
und durch die Lärchenminiermotte (~Coleophora laricinella~), deren
Larve die Nadeln ausfrißt. Wenn sie trotzdem immer wieder bei uns
angepflanzt wird, so ist daran die hervorragende Güte ihres im
Kern auffallend braunroten Holzes schuld, das seiner Festigkeit
und durch seinen reichen Harzgehalt bedingten außerordentlichen
Dauerhaftigkeit wegen ein vortreffliches Bauholz liefert. Die junge
Rinde wird als Gerbmaterial derjenigen der Fichte vorgezogen, und
durch tiefe Bohrlöcher wird der hauptsächlich im Kernholz enthaltende
„venezianische“ Terpentin in den Südtälern der Alpen, vorzugsweise
um Meran, Bozen und Triest, gewonnen. Von der im mitteleuropäischen
Gebirge wachsenden Lärche ist die +sibirische Lärche+ (~L. dahurica~)
nur durch die nicht überhängenden Zweige, durch die weniger zahlreich
gebüschelten Nadeln und durch die am Rande etwas eingebogenen
Zapfenschuppen verschieden. In Japan wächst die +zartschuppige Lärche+
(~L. leptolepis~), während im westlichen Nordamerika die 40 bis
80 m hohe ~Larix occidentalis~ von schlankem Wuchs und festem Holz
ausgedehnte Waldungen bildet. Im östlichen Nordamerika dagegen bildet
von Virginien bis Kanada die zierliche, leicht bezweigte ~Larix
pendula~ von 30 m Höhe große Bestände und liefert ein gutes Nutzholz.

Mit der Lärche verwandt und hauptsächlich durch auch im Winter
bleibende Nadeln und größere, 9 cm lange, mehrere Jahre zur Reife
bedürfende Fruchtzapfen, sowie ihre schirmförmige Krone verschieden
ist die +Ceder+ (~Larix cedrus~). Die bekannteste Art ist die auch als
~Cedrus libani~ bezeichnete Libanonceder, die einst auf allen Gebirgen
Syriens und Kleinasiens ausgedehnte Waldungen bildete, welche aber im
Laufe der Zeit bis auf geringe Reste dem Menschen zum Opfer fielen, da
ihre mächtigen Stämme ein treffliches Bau- und Schiffsholz abgaben,
das sehr gesucht war und weithin ausgeführt wurde. Das Cedernholz,
das schon im Gesetze des Moses als Opfergabe genannt wird, ist das
weißeste und am wenigsten harzhaltige unter allen Nadelhölzern; es
ist sehr geradfaserig und deshalb leicht spaltbar. Noch zur Zeit
des Königs Hiram von Tyrus (1001-967 v. Chr.), des Freundes und
Bundesgenossen der jüdischen Könige David und Salomo, war der ganze
Libanon, wie der Antilibanon, das Taurus- und Amanusgebirge von
ausgedehnten Cedernwäldern bedeckt, aus denen die umliegenden Fürsten
das nötige Bau- und Schiffsholz holen ließen. Schon der altbabylonische
Priesterkönig Gudea von Lagasch ließ nach den uns erhaltenen
Inschriften um 2000 v. Chr. Cedernholz zur Bedachung seines Tempels vom
Amanusgebirge an der Küste des Mittelmeers holen. Dasselbe berichten
uns mehr als 1000 Jahre später die großen Assyrerkönige. In der Bibel
wird erzählt, wie König Salomo das Gebälk zu dem von ihm erbauten
herrlichen Tempel Jahves in Jerusalem von den Cedernhainen des Libanons
beschaffen ließ.

Wie im holzarmen Mesopotamien war auch in Ägypten die Ceder das die
größten Balken liefernde Nutzholz. Die hier vorkommenden Baumarten,
die Sykomore, Dattelpalme, Akazie und Tamariske gaben ein für größere
Bauobjekte durchaus ungeeignetes Material, und so wurde schon zur Zeit
des alten Reiches Cedernholz aus Syrien und Ebenholz aus Nubien auf
den großen, zum Transport von Getreide und Vieh dienenden Lastschiffen
nach Ägypten zum Bau der großen Tempel eingeführt. Auch zur Herstellung
der größeren Fahrzeuge wurde mit Vorliebe Cedernholz benutzt. Daraus
war nicht nur das jetzt im Fieldmuseum in Chicago befindliche, 9 m
lange, 2 m breite und 1,2 m tiefe Totenschiff des von 1887-1849
v. Chr. regierenden Sesostris III. aus der 12. Dynastie gemacht --
es stammt aus seiner Ziegelpyramide bei Daschur --, sondern auch die
großen Handels- und Kriegsschiffe, mit denen bereits die Könige des
alten Reichs bis weit ins Mittel- und Rote Meer hinausfahren ließen, um
allerlei kostbare Erzeugnisse zu holen oder Kriege zu führen. So besaß
schon Snofru, der Erbauer der ältesten Pyramide (2930-2906 v. Chr.),
Flußschiffe von 50 m Länge, und sein Vorgänger, der letzte König
der 3. Dynastie, trieb bereits einen regen Handel mit dem Norden und
entsandte eine Flotte von 40 Schiffen nach der phönikischen Küste, um
von den Abhängen des Libanon Cedernbalken für seine Bauten in Memphis
zu holen.

[Illustration:

    Tafel 157.

Gruppe von Libanon-Zedern im kilikischen Taurus. (Nach einer in der
Sammlung des Botan. Institutes der Universität Wien befindlichen
Photogr. von W. Stehe, Mersina.)]

[Illustration: Momentaufnahme der Fällung der Mammutkiefer (~Sequoia
gigantea~) „Mark Twain“ in Kalifornien. Der im folgenden Bilde
dargestellte Querschnitt der Stammbasis desselben ist im ~American
Museum of National History~ in New York aufgestellt (nach Sherwood).]

[Illustration:

    Tafel 158.

Querschnitt durch die im Jahre 1891 gefällte Mammutkiefer „Mark Twain“,
deren Alter sich nach den Jahresringen auf 1341 Jahre bestimmen läßt.
Dieser Baum begann demnach sein Dasein im Jahre 550 n. Chr., als
Kaiser Justinian I. das Reich der als Arianer für ihn den Athanasianer
ketzerischen Ostgoten in Italien durch den Obereunuchen Narses mit
starker Heeresmacht zerstören ließ. Die oberste Reihe von Karten gibt
die wichtigsten Daten der Weltgeschichte von diesem Jahre an wieder,
die folgende die Geschichte der Philosophie, die dritte dunklere Reihe
die Aufeinanderfolge der Jahrhunderte, die vierte die Entwicklung der
Biologie, die fünfte diejenige der vergleichenden Anatomie, die sechste
(eine einzige Karte) die Begründung der Paläontologie, die siebente die
Entwicklung der Embryologie (nach Sherwood).]

Weiter entnehmen wir auf uns gekommenen Inschriften von Amenemhet I.
aus der 12. Dynastie, der von 2000-1970 v. Chr. regierte, daß er auf
einem Feldzuge nilaufwärts nach Aethiopien 20 große Cedernschiffe
mit sich führte. Später erfahren wir von Thutmosis IV. aus der 18.
Dynastie, der von 1420-1411 über Ägypten herrschte, daß er aus dem
von ihm eroberten Syrien eine Ladung Cedernholz für die heilige
Barke des Gottes Amon nach Theben mitbrachte. Ferner wird uns durch
inschriftliche Urkunden von Ramses III. aus der 20. Dynastie, der
von 1198-1167 v. Chr. regierte, bezeugt, daß er, wie seine mächtigen
Vorgänger besonders der 18. und 19. Dynastie, zahlreiche große
seetüchtige Schiffe bis nach Cypern und dem Land Punt in Südarabien
beziehungsweise Ostafrika sandte, um die Erzeugnisse jener Länder gegen
einheimische Waren umzutauschen. Damals besaßen auch die mächtigen,
mit ungeheurem Besitze und einem entsprechenden Einkommen von
den siegreich aus ihren Feldzügen nach Vorderasien und Aethiopien
zurückkehrenden Pharaonen ausgestatteten Priesterschaften der großen
Tempel des Amon, Ra und Ptah je ihre eigenen Flotten auf dem Mittelmeer
und im Roten Meer, welche die Erzeugnisse von Phönikien, Syrien und
Punt in die Schatzkammern der betreffenden Gottheiten lieferten. Ramses
III. spricht in einer Tempelinschrift von einer von ihm gestifteten
heiligen Barke des thebanischen Amon von mehr als 67 m Länge, die aus
ungeheuren Cedernbalken vom Libanon auf seinen Werften gebaut worden
war.

Auch die Phöniker und Chethiter verwendeten das Cedernholz viel, wie
zu Bauten und Schiffen, so auch zur Herstellung großer Götterbilder.
So erbeutete der ägyptische König Thutmosis III., wie uns in einer
Inschrift seines daraufhin errichteten Tempels bezeugt ist, nach seinem
ruhmvollen Siege vor Megiddo am Ostabfall des Karmel über das Heer
der vorderasiatischen Verbündeten unter dem Oberbefehl des Königs von
Kadesch am 14. Mai 1479 v. Chr. außer 924 Kriegswagen, 2238 Pferden und
202 Waffenrüstungen auch das prachtvolle Zelt des Königs von Kadesch
mit dessen reicher Einrichtung, darunter sein Königszepter, eine
silberne Statue -- wahrscheinlich die seines Gottes -- und eine Statue
von ihm selbst aus Cedernholz, mit Gold und Lapislazuli verziert, sowie
ungeheure Mengen an Gold und Silber. Der Grieche Theophrast kennt die
Ceder Syriens und sagt, daß deren Holz zu Schiffen mit drei Reihen von
Ruderbänken übereinander verwendet werde: „Auf den Gebirgen Syriens
wachsen gewaltig hohe und dicke Cedern (~kédros~); es gibt einzelne,
die von drei Männern nicht umspannt werden können, und in den Parks
werden sie noch größer und schöner.“ Der ältere Plinius berichtet:
„Die Könige von Ägypten und Syrien sollen in Ermanglung von Tannen
(~abies~) Cedern zu ihren Flotten verwendet haben. Die größte davon
soll auf der Insel Cypern gestanden haben; Demetrius ließ sie zu einem
Schiffe verwenden, das 11 Reihen von Ruderbänken übereinander besaß;
sie war 130 Fuß hoch und so dick, daß sie gerade von drei Mann umspannt
zu werden vermochte.“ Wie das Dach des Dianatempels zu Ephesus, ruhten
auch diejenigen zahlreicher großer Tempel der hellenistischen und
christlichen Zeit im Orient, so beispielsweise der Kirche, die die
Mutter Kaiser Konstantins des Großen (274-337 n. Chr.), Helena, über
dem Heiligen Grab erbauen ließ, auf mächtigen Cedernbalken.

Bei allen Kulturvölkern des Altertums war das Cedernholz durch seine
Unverwüstlichkeit bekannt und überaus geschätzt. Deshalb verwendete
man es mit Vorliebe zur Herstellung von Götterbildern, von Särgen und
Kisten, zum Aufbewahren von kostbaren Gegenständen, besonders auch
Schriftrollen. So spricht der römische Dichter Horaz von ~carmina
linenda cedro~ im Sinne von der Unsterblichkeit werte Gedichte, und
Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr. berichtet: „In Olympia befindet
sich ein berühmter Kasten aus Cedernholz; er ist mit Bildern bedeckt,
die teils aus Gold und Elfenbein, teils aus dem Cedernholze selbst
gearbeitet sind. In diesem Kasten ist Kypselos, der später König von
Korinth wurde (657-629 v. Chr.), als Kind von seiner Mutter versteckt
worden, als er von seinen Feinden überall gesucht wurde.“ Heute kommt
das syrische Cedernholz kaum mehr in den Handel, wohl aber dasjenige
der im nordafrikanischen Atlasgebirge heimischen +Atlasceder+ (~Cedrus
atlantica~) und der am Südabhang des Himalaja wachsenden +Deodarceder+
(~Cedrus deodara~), die sich nur wenig von der Libanonceder
unterscheiden. Wie alle Cedernarten besitzen auch sie ein leichtes,
weiches, sehr wohlriechendes Holz von hell braunrötlicher Farbe und
sehr großer Dauer; soll es doch selbst von den gefürchteten Termiten
nicht angegriffen werden. Es findet für viele Zwecke, namentlich zu
Furnieren, Galanterie- und Drechslerarbeiten Verwendung. Aus ihm werden
auch die Rennbote gebaut, die zu den berühmten Wettfahrten auf der
Themse zwischen auserwählten Mannschaften der Universitäten Cambridge
und Oxford im Gebrauch stehen.

Die alten Griechen bezeichneten mit dem Worte ~kédros~ auch noch
andere kostbare Nadelhölzer, die sich durch stark balsamischen Geruch
ihres Holzes auszeichneten, und stellten sich aus ihnen mottensichere
Kisten zur Aufbewahrung ihrer Wollkleider her. Darunter war vor
allem dasjenige einer heute noch im westlichen Nordafrika, auf dem
Atlasgebirge und seinen Vorbergen, wachsenden stattlichen Cypressenart,
die wir bei der Besprechung des Sandaraks im Abschnitt über Harze als
+Sandarakcypresse+ (~Callitris quadrivalvis~) kennen lernten, in hohem
Ansehen. Durch die Griechen Süditaliens wurden die Römer mit diesem
kostbaren Holze bekannt, wobei sie aus dem griechischen ~kédros~ das
lateinische ~citrus~ machten. Außer durch seine Unverwüstlichkeit
war es vor allem durch seine prächtige Maserung berühmt und wurde
zur Herstellung von Luxusmöbeln und zum Furnieren gebraucht.
Letzteres besteht darin, daß man minderwertige Hölzer (Blindhölzer)
mit dünngeschnittenen Blättern (Furnieren) wertvollerer Holzarten
überkleidet. Als Blindhölzer dienen weichere, wenig arbeitende und sich
werfende Hölzer, wie Fichte, Tanne, magere Kiefer, Linde, vornehmlich
aber die verschiedenen Pappel- und Weidenarten. Das Furnieren ist
nicht sowohl aus Gründen der Billigkeit so beliebt, sondern aus
Zweckmäßigkeit, weil dadurch dem Werfen und Reißen entgegengewirkt
wird. Zudem sind die am schönsten gemaserten und gewellten Holzarten
zur Verwendung in massiven Stücken unbrauchbar, können aber auf
diese Weise leicht verwendet werden. Diese Kunst des Furnierens ist
übrigens keine Errungenschaft der Neuzeit, sondern wurde schon bei den
Kulturvölkern des Altertums, besonders bei den Griechen und Römern
geübt. So schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte:
„Zu dünnen Platten, womit man anderes Holz überzieht, verwendet man
vorzugsweise das Holz der (schönmaserigen) Citrum-Cypresse (eben
der Sandarakcypresse), der Terpentinpistazie, der Ahornarten, des
Buchsbaums, der Stechpalme, der Ilexeiche, der Holunderwurzel, der
Pappel; auch die Erle liefert, wie Lebensbaum (~Thuja~) und Ahorn
Knorren zum Furnieren.“

Im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt der pflanzenkundige Theophrast die
Sandarakcypresse als ~thýon~. Der Baum gleiche in allen Teilen der
wilden, jetzt auf Kreta, Bithynien und Persien wachsenden Cypresse
mit seitwärts ausgebreiteten Ästen (~Cupressus expansa~) und wachse
im Gebiet von Kyrene und beim Tempel des Amon. „In großer Menge stand
der Baum früher da, wo jetzt die Stadt steht, auch sollen dort noch
einige alte Dächer von ihm gebaut sein. Sein Holz widersteht der
Fäulnis für immer, und besonders die Wurzel ist gemasert; man macht
aus ihr die herrlichsten Kunstwerke.“ Spätere Schriftsteller bemerken,
daß das schön gemaserte Holz vorzugsweise zu Tischplatten, die weithin
Liebhaber fanden, und andern schönen Möbeln verwendet wurde. So erzählt
uns der römische Dichter Lucanus, der Neffe Senecas (39-65 n. Chr.):
„Kleopatra (68-30 v. Chr.) besaß große, scheibenförmige, aus den
Wäldern des Atlas stammende Tische“, und in seiner Geschichte Roms
berichtet der uns 19 v. Chr. geborene Vellejus Paterculus, der als
~praefectus equitum~ (Reiteroberst) Tiberius auf dessen Feldzügen in
Germanien und Pannonien begleitete: „Julius Cäsar (100-44 v. Chr.) hat,
als er über Gallien triumphierte, gallische Geräte aus ~citrus~, als
die Hauptmerkwürdigkeit dieses Landes zur Schau tragen lassen“. Damals
(51 v. Chr.) müssen solche Möbel in Rom noch selten gewesen sein, sonst
hätte Cäsar nicht damit prunken können. Späterhin allerdings haben
auch die Vornehmen Roms solche kostbare Möbel, besonders Tische, aus
dem Holz der Cypresse des Atlas gerne in ihren Häusern aufgestellt und
damit ihren Reichtum kund gegeben; denn sie waren, wie wir gleich hören
werden, außerordentlich teuer und nur für sehr Reiche erschwingbar.
Die Schriftsteller der römischen Kaiserzeit erwähnen diese Citrusmöbel
sehr häufig, so der witzige römische Epigrammendichter Martialis (um
40 n. Chr. zu Bilbilis in Spanien geboren, kam unter Nero nach Rom,
Schmeichler und Günstling der Kaiser, starb um 102) nicht weniger als
8 Stellen seiner auf uns gekommenen Gedichte, die sämtlich bezeugen,
welchen hohen Wert die Römer seiner Zeit auf diese Citrusmöbel
legten. Unter ihnen waren besonders die Tische beliebt, denen man
vielfach Füße von Elfenbein gab. Der östliche Teil des Atlasgebirges
scheint schon damals von den großen dazu erforderlichen Exemplaren
der Callitriscypresse völlig beraubt gewesen zu sein, so daß man
sich solches Rohmaterial aus den fernen Wäldern Maurusiens, auch
Mauretanien genannt, kommen lassen mußte. Deshalb schreibt der vorhin
erwähnte Geschichtschreiber Lucanus (39-65 n. Chr.): „In die Wälder des
entlegenen Maurusien sind die römischen Äxte eingedrungen, und dort
werden für die Römer Tische geholt.“ Und der um 25 n. Chr. gestorbene
weitgereiste griechische Geograph Strabon aus Amasia am Pontos sagt in
seiner Geographika: „Maurusien ist ein gesegnetes Land, hat nur wenig
Einöden, dagegen einen Reichtum an Flüssen und Seen. Namentlich liefert
es den Römern die größten Tische aus +einem+ Stück, die auch herrlich
bunt sind.“

Am ausführlichsten spricht sich der gelehrte ältere Plinius (geb. 23
n. Chr. in Como, bekleidete unter Nero und Vespasian mehrere höhere
Zivil- und Militärämter, war zuletzt Befehlshaber der Flotte bei
Misenum und kam als solcher, als er dem bedrohten Pompeji zu Hilfe
kommen wollte, 79 beim Ausbruch des Vesuvs um) über den Citrusbaum
aus. Er schreibt in seiner Naturgeschichte darüber: „Der Citrus ist
bei Leuten, welche die Pracht lieben, außerordentlich beliebt. Er
kommt aus dem Atlasgebirge, das noch sehr wenig bekannt ist, obgleich
schon öfter römische Feldherren dahin vorgedrungen sind und sich 5
römische Kolonien in dieser Provinz befinden. Besonders häufig findet
er sich noch in Maurusien. Aus seinem Holz werden Tische gemacht,
nach deren Besitz die römischen Männer ebenso unsinnig gierig sind,
wie die römischen Frauen nach Perlen. Es ist noch jetzt ein solcher
Tisch vorhanden, den Cicero (106-43 v. Chr.) zu jener Zeit, da das
Geld (in Rom) noch gar nicht im Überfluß vorhanden war, mit einer
Million Sesterzien (= 150000 Mark) bezahlte. Es wird auch ein anderer
erwähnt, der dem Gallus Asinius gehörte und 1100000 Sesterzien (165000
Mark) kostete. Es sind ferner zwei vom Könige Juba (II., der von
Kaiser Augustus einen Teil des von seinem Vater Juba I. im Jahre 46
v. Chr. nach der Schlacht bei Thapsus, in welcher er sich das Leben
nahm, verlorenen Reiches Numidien zurück erhielt) versteigert worden,
von denen der eine 1200000 Sesterzien (= 180000 Mark), der andere
etwas weniger kostete. Noch kürzlich ist ein solcher Tisch, der von
den Cethegen stammte und 1400000 Sesterzien (= 210000 Mark) gekostet
hatte, durch eine Feuersbrunst verloren gegangen. Für einen solchen
Preis könnte man die schönsten Landgüter kaufen. Der größte bis
jetzt bekannte Tisch von Citrusholz stammt vom mauretanischen Könige
Ptolemäus; er ist aus zwei Halbkreisen zusammengesetzt, hat 4½ Fuß
Durchmesser und ¼ Fuß Dicke. Das wunderbarste an ihm ist der Umstand,
daß er so zusammengefügt ist, daß man davon durchaus keine Spur sieht.
Ein anderer derartiger Tisch, welcher von einem Freigelassenen des
Kaisers Tiberius den Namen hat, besteht aus einem einzigen Stücke,
ist fast 4 Fuß breit und ½ Fuß dick. Derjenige, den Kaiser Tiberius
selbst besaß, hatte 4 Fuß 2¼ Zoll Durchmesser, jedoch nur 1½ Zoll
Dicke. Solche Prachttische werden aus dem angeschwollenen Wurzelstock
gemacht und um so höher geschätzt, wenn dieses unter der Erde gewachsen
ist. Dergleichen Wurzelmasern sind seltener als die am Stamm oder an
Ästen. Übrigens sind alle diese Masern eigentlich ein Erzeugnis des
fehlerhaften Wachstums dieser Bäume, deren Dicke man natürlich nach
diesen Querschnitten beurteilen kann.

Die Hauptschönheit dieser Tische besteht darin, daß die Masern wie
gekräuseltes Geäder oder kleine Wirbel aussehen. Bildet das Geäder in
die Länge gezogene Streifen, so heißt das Holz getigert (~tigrinus~),
besteht es aber aus geschlossenen Wirbeln, so heißt es gepanthert
(~pantherinus~). Manches Citrusholz ist auch wellenförmig gekräuselt
und wird um so höher geschätzt, je mehr die Figuren den Augen des
Pfauenschweifs ähneln. Nächst diesen gemaserten Holzarten steht
dasjenige im höchsten Preise, das wie dicht mit Körnern besät aussieht;
man nennt dieses gebient (~apiatus~). Bei all diesen Sorten kommt es
übrigens vorzugsweise auf die Schönheit der Farbe an. Hierzulande
gefällt diejenige am besten, die wie Met aussieht und glänzende Adern
hat.

Auch auf die Größe des Stammes kommt viel an, und man liebt die Tische,
die aus einem einzigen großen Stück bestehen, jedoch auch solche,
die aus mehreren Stücken von großen Stämmen zusammengesetzt sind.
Fehlerhaft sind diejenigen Citrustriebe, die nicht gemasert sind,
sondern wie gewöhnliches Holz aussehen, ferner wenn Spältchen oder
haarförmige Ritzchen vorhanden sind, wie das durch Einwirkung von
Hitze und Wind leicht vorkommt. Fehlerhaft ist ferner ein schwarzer,
muränenartiger Streifen, überhaupt jede schwarze oder sonst unangenehme
Farbe.

Die Barbaren bestreichen die frisch gefällten Stämme mit Wachs und
vergraben sie in die Erde; die Kunsttischler dagegen legen sie
wiederholt 7 Tage lang auf Getreidehaufen und nehmen sie dann wieder
7 Tage herunter, wodurch sie merkwürdig viel an Gewicht verlieren.
Neulich ist man durch Schiffbrüche auf die Entdeckung gekommen, daß
auch dieses Holz durch Seewasser austrocknet und so dicht, hart und
unverwüstlich wird, wie auf keine andere Weise. Reibt man solche
Tische mit trockener Hand, besonders nach dem Bade, so fördert das
ihre Schönheit. Wein schadet ihnen nicht und man gebraucht sie
besonders gern bei Tischgelagen. Die Citrusbäume sind, was Stamm,
Blätter und Geruch anbetrifft, der wilden Cypresse ähnlich. Der Berg
im diesseitigen Mauretanien, der sonst das berühmteste Citrusholz
lieferte, jetzt aber erschöpft ist, heißt Ankorarius.“ Da, wo es
heimisch und in größerer Menge zu haben ist, wird das Holz der
Cypressen, wie auch der Lebensbäume (~Thuja~), das von Farbe im Kern
meist graubraun, sehr leicht, weich, und von aromatischem Geruch ist,
wegen seiner Dauerhaftigkeit gern zu feineren Schreiner-, Drechsler-
und Schnitzarbeiten verwendet.

Von außereuropäischen Nadelhölzern liefert die in sumpfigen
Flußniederungen der Südoststaaten der nordamerikanischen Union
wachsende +Sumpfcypresse+ (~Taxodium distichum~) ein sehr wichtiges
Nutzholz. Es ist braun, leicht, weich, sehr tragkräftig und
außerordentlich dauerhaft und wird in Deutschland vielfach zu Decken-
und Wandvertäfelungen gebraucht. Noch riesenhafter als sie werden
die in Kalifornien heimischen +Wellingtonien+ (~Sequoia giganta~),
die eine Höhe von über 100 m bei einem Stammdurchmesser bis zu 16 m
und einem nachweisbaren Alter von über 4000 Jahren erreichen, somit
zu den ältesten und höchsten Bäumen der Erde zählen. Bei diesen
Riesen erscheint das Innere, vor Jahrtausenden gebildete Holz noch
so absolut gesund, als wäre es erst vor wenigen Jahren entstanden.
Von dieser Baumgattung kommt vornehmlich das Holz der ~Sequoia
sempervirens~ als ~redwood~ oder „amerikanisches Rotholz“ nach Europa.
Es besitzt einen lebhaften roten Kern, ist leicht, weich, hat sehr
enge, scharf gezeichnete Jahresringe und ist ebenfalls durch große
Dauer ausgezeichnet. Wegen seiner Politurfähigkeit ist es besonders
zu Vertäfelungen, Deckenkonstruktionen usw. beliebt, wird aber auch
vielfach zu Bleistiftfassungen verwendet. Zu letzteren dient aber
in der Regel, wie wir im vorhergehenden Abschnitt sahen, das trotz
seiner Leichtigkeit sehr dauerhafte und kaum je vom Wurm angegriffene
rotbraune, wohlriechende Holz des +virginischen Wacholders+
(~Juniperus virginiana~), das auch mit Vorliebe zur Herstellung von
Zigarrenkistchen benutzt wird.

Als +falsches „Cedernholz“+, +Cedrelen+- oder Zigarrenkistchenholz
kommt aus Mittelamerika ein wohlriechendes, rotbraunes Holz nach
Europa, das in der Struktur dem Mahagoniholz sehr nahe kommt, aber
von ~Cedrela odorata~ stammt. Es ist dies ein den Mahagonibäumen
sehr nahe verwandter, mit jenen in die Familie der Terebinthen
oder Balsamgewächse gehörender hoher Baum des brasilianischen und
mittelamerikanischen Urwaldes mit 3-5paarig gefiederten Blättern. Es
kommt als westindisches oder spanisches Cedernholz oder ~Cedrelate~,
d. h. Cedertanne (vom griechischen ~kédros~ Ceder und ~eláté~ Tanne)
in den Handel, ist leichter und weicher als Mahagoni und wird
hauptsächlich zu Kisten für Zigarren, Zucker und Gewürze verwendet.
Britisch-Honduras allein führt davon für 150000 Mark jährlich aus. Doch
kann der heutige Bedarf nicht mehr mit Cedrelenholz gedeckt werden, so
daß einheimische Arten wie Erle und Rotbuche dafür eintreten müssen.

Aus Australien kommt unter dem Namen „+Pinkosknollen+“ nicht selten
ein Holz auf den europäischen Markt, das von rotgelber bis dunkelroter
Farbe, schwer, sehr zähe und harzreich ist, sich aber nach allen
Richtungen gut bearbeiten läßt, daher ein vorzügliches Material
für Drechsler und Holzschnitzer bildet. Die Abstammung ist noch
unbekannt; doch sind es wahrscheinlich die Ast- und Wurzelknoten einer
Schmucktanne.

Von allen Laubhölzern Europas liefert die +Eiche+ (~Quercus~) das
in fast allen Gewerben am meisten gebrauchte Holz, da es unser
bestes und dauerhaftestes Nutzholz ist, gleich vorzüglich im Hoch-
und Wasserbau, wie auch als Möbelholz. Und wenn die Eiche nicht so
langsamwüchsig und so anspruchsvoll an den Boden wäre, würden die
Eichenwälder heute noch so verbreitet sein, wie im Mittelalter. Da
die Eiche sehr lichtbedürftig ist, bildet sie allein nur lichte
Wälder, in denen reichlich Unterwuchs, auch Gras, gedeiht. Sie war
also der geeignetste Baum für die Waldweide, die vor Einführung der
Stallfütterung für Mitteleuropa außerordentlich wichtig war. Außerdem
bot sie den Schweineherden in ihren nahrhaften Früchten neben den
Bucheckern das beste Mastfutter, eine Nutzung, die einst viel wichtiger
war, als der Wert des damals noch im Überfluß vorhandenen Holzes.
Durch die Ausdehnung der Landwirtschaft seit 1750 sind inzwischen
viele frühere Eichenböden an die Landwirtschaft übergegangen, und die
mehrhundertjährigen Eichenbestände, wie sie z. B. noch im Spessart
stehen, stellen ein riesiges Vermögen dar. Man kultiviert die Eiche
als Hochwald mit 120-180jährigem Umtriebe oder als Oberholz des
Mittelwaldes, daneben aber auch im Niederwaldbetrieb von meist
15-20jährigem Umtrieb als Eichenschälwälder zur Gewinnung von
Eichenrinde.

Die malerische Gestalt alter Eichen, die als mächtige Riesen ihre
Nachbarn weit überragen und mit ihren knorrigen Ästen Wind und Wetter
Jahrhunderte hindurch Trotz geboten haben, lassen die Verehrung
begreifen, die nicht nur die Deutschen, sondern auch andere Völker
diesem Baume zollten. Schon in Homers Ilias heißt es, die Eiche sei
dem Zeus geheiligt, und in der Ilias wird erzählt, daß man im ältesten
griechischen Orakelsitze Dodona „den Willen des Göttervaters Zeus
aus dem Rauschen einer hochwipfligen Eiche (~drýs~) höre.“ Auch in
Italien war die Eiche dem Jupiter ~fulgurator~, wie bei den Germanen
dem Donnergotte Thor, geweiht, weil der Blitz mit Vorliebe in solche
hochragende Eichen schlug, während er andere Bäume, wie beispielsweise
die Buche, ganz verschonte. In heiligen Eichenhainen opferten die
alten Kelten und Germanen und hielten dort ihre Opferschmäuse ab.
Unter einer großen Eiche, der Mahleiche, versammelte sich die Sippe zu
Beratungen, und, wie bei den Römern die Bürgerkrone (~corona civica~),
die einem Bürger verliehen wurde, wenn er einen andern Bürger in der
Schlacht gerettet hatte, aus Eichenlaub gewunden war, so war der Kranz
aus Eichenlaub bei den alten Deutschen eine Auszeichnung, die heute
noch in dauerhafter Nachahmung bei Freischießen an die besten Schützen
verliehen wird. Auch bei den slavischen Volksstämmen hielt man die
Eiche für heilig und gebrauchte nur Eichenholz zu Opferfeuern. Als dann
das Christentum nach Deutschland und in die Länder der Ostsee drang,
wurden zur Ausrottung der heidnischen Opfergebräuche viele alte heilige
Eichen umgehauen. So soll insbesondere eine heilige Eiche bei Geismar
in Hessen berühmt gewesen sein, die vom angelsächsischen Apostel der
Deutschen, Bonifazius (eigentlich Winfried 680-755), gefällt wurde. Im
Mittelalter spielte das Eichenlaub in der gotischen Ornamentik eine
wichtige Rolle.

Die etwa 200 Eichenarten sind vorwiegend in Nordamerika und
Westasien heimisch. Man unterscheidet bei ihnen je nach der Zeit der
Fruchtreife zwei Hauptgruppen, nämlich Eichen mit im ersten Jahre
reifenden Früchten und solche, deren Früchte erst im zweiten Jahre
reifen. Erstere sind die verbreitesten, und unter ihnen unterscheidet
man wiederum Arten mit im Herbst fallenden Blättern und immergrünen
Blättern. Unter den altweltlichen Eichen mit im Herbst fallenden
Blättern unterscheiden wir als nur ganz abgesprengte Posten der
zahlreichen Eichenfamilie die beiden wichtigsten bei uns wachsenden
Arten nach der Beschaffenheit der weiblichen Blüten als Stiel-
und Traubeneiche, wenn diese, wie bei der letzteren, in kleinen
traubenförmigen Knäueln dicht an der Spitze des neuen Triebes, oder,
wie bei der ersteren, vereinzelt an einem besonderen Stiele sitzen.
Die +Stiel-+ oder +Sommereiche+ (~Quercus pedunculata~) ist ein bis
57 m hoch werdender Baum mit kurzgestielten Blättern. Der Stamm ist
während der ersten 50 Jahre glatt, bildet aber im höheren Alter eine
rissige Borke. Die Krone ist nie dicht und wird von vielfach gekrümmten
und geknickten Ästen und Zweigen gebildet. Die Pfahlwurzel dringt
bis 2,5 m tief in den Boden, außerdem treibt der Stamm zahlreiche
Seitenwurzeln, die ihn außerordentlich fest verankern. Am besten
gedeiht die Stieleiche auf fruchtbarem, lockerem Auboden der Ebene,
wächst aber noch in lehmigem, frischem Sandboden, während sie in
höheren Lagen der Traubeneiche weicht. Sie findet sich in ganz Europa
und Westasien, bildet in Ungarn und Kroatien ausgedehnte Wälder und im
russischen Tiefland einen breiten Waldgürtel zwischen dem Finnischen
Meerbusen und der Steppengrenze. Wie nach Norden geht sie im Osten über
die Buche, doch nicht über den Ural hinaus. Sie fordert zur Belaubung
eine etwas höhere Temperatur -- nämlich 11-12 Grad Celsius -- als die
Buche, verliert aber im Herbst die Blätter erst, wenn die tägliche
Wärme tiefer gesunken ist als zu Anfang der Vegetationsperiode. In den
Alpen geht sie etwa bis 1000 m. In Deutschland kommen die schönsten,
wenn auch niemals ganz reinen Stieleichenwälder in der fruchtbaren
mitteldeutschen Ebene und am Niederrhein vor. Die Stieleiche wird bis
2000 Jahre alt und weist häufigere Samenjahre als die Buche auf. Ihr
Holz hat sehr breite und dicke Markstrahlen, sogenannte Spiegel, d.
h. Streifen, in denen die Gefäße radiär zum Mark verlaufen, ist sehr
dauerhaft und dient in der Technik als sehr geschätztes Bau-, Nutz-
und Werkholz. Besonders gern wird es zu Möbeln und Furnieren, und das
Holz der slovenischen Stieleiche als bestes Faßholz verwendet. Unter
Wasser wird es dunkler, fester, schwerer. Stämme, die sehr lange unter
Wasser lagen, sind als Wasser- oder Mooreichenholz zur Herstellung von
Möbeln sehr geschätzt. Man lagert deshalb auch absichtlich Eichenholz
mehrere Jahre unter Wasser, beizt freilich auch frisches Eichenholz, um
es dem Wassereichenholz ähnlich zu machen. Als Brenn- und Kohlenholz
steht es dem Buchenholze etwas nach. Die Rinde wird wegen des großen
Gehaltes an Gerbstoff als wichtiges Gerbmaterial benutzt. Aus demselben
Grunde werden auch die infolge ihres Gerbstoffgehaltes zusammenziehend
schmeckenden Eicheln zu Eichelkaffee und Eichelkakao verarbeitet. In
der Kultur befinden sich zahlreiche Varietäten der Stieleiche.

Ihr gegenüber bleibt die +Trauben-+ oder +Wintereiche+ (~Quercus
sessiliflora~), die man wegen ihres härteren Holzes auch als
+Steineiche+ bezeichnet, niedriger, gedrungener. Sie hat langgestielte
Blätter, wird nur 30-40 m hoch, erreicht kein so hohes Alter und
verbreitet sich nicht so weit nach Osten und Norden als die vorige,
geht auch in unsern Gebirgen nicht über 700 m Höhe. Beide ertragen
bis -31 Grad Celsius Kälte und öffnen zuletzt von unsern Waldbäumen die
Knospen. Dabei entfalten sie gleichzeitig Blätter und Blüten, und zwar
die Traubeneiche meist 10-14 Tage später als die Stieleiche. Auch von
ihr werden mehrere Varietäten angepflanzt.

In Süddeutschland kommt vereinzelt die in Südeuropa heimische, östlich
bis zum Kaspischen Meer reichende, in besonderem Formenreichtum
in Ungarn und Siebenbürgen wachsende +weichhaarige Eiche+ (~Q.
lanuginosa~) vor, so genannt, weil ihre Blätter in der Jugend auf
beiden Flächen grau behaart sind, später aber kahl werden. Sie bleibt
kleiner als unsere Eichen. Noch kleiner, meist strauchartig, ist die
in Rumelien, Griechenland, Cypern und Persien heimische +Galleiche+
(~Q. infectoria~), die zu den Eichen mit im zweiten Jahre reifenden
Früchten gehört. Sie ist sehr buschig, wird 2 m hoch und liefert
an den kurzgestielten Blättern die durch die Gallwespe (~Cynips
gallae tinctoriae~) erzeugten, 1,5-2,5 cm im Durchmesser haltenden
Galläpfel, während die ihr sehr ähnliche südeuropäische +Kermeseiche+
(~Q. coccifera~) in den durch die Kermesschildlaus (~Coccus ilicis~)
hervorgerufenen erbsengroßen, braunroten, mit rotem Safte gefüllten
Kermeskörnern einen ebenfalls wichtigen Handelsartikel erzeugt. Ihre
Wurzelrinde wird wie die weniger wertvolle Stammrinde zum Gerben
benutzt. Sie gehört zu den Eichen mit immergrünen Blättern, desgleichen
die in den Küstenländern Südeuropas wachsende +immergrüne Eiche+ (~Q.
ilex~), die außer gutem Nutzholz eßbare Früchte hervorbringt. Sie ist
die ~drýs~ der alten Griechen, eine Bezeichnung, die von ~drýssein~
einzäunen herrührt. Noch heute wird ihr Holz in Griechenland zum
Umzäunen der Schäferhürden benutzt. Auch die Früchte der ebenfalls in
den Mittelmeerländern heimischen +langfrüchtigen Eiche+ (~Q. ballota~)
und der +Speiseeiche+ (~Q. esculus~) -- der ~phēgós~ der alten Griechen
von ~phágein~ essen -- werden noch heute wie im Altertum roh und
geröstet gegessen. Die Rinde dieser sparrigen, 2,5-3,8 m hohen Eichen
wird gleicherweise zum Gerben benutzt.

Bedeutend wichtiger als diese ist die +Korkeiche+ (~Quercus suber~),
ein 10-12, höchstenfalls bei einem Stammdurchmesser von 0,8-1 m 16 m
Höhe erreichender und etwa 200 Jahre alt werdender, immergrüner Baum
des westlichen Teils des Mittelmeergebiets, der noch in Istrien
und Thessalien, aber nicht mehr weiter östlich wild vorkommt. Die
Nordgrenze seiner Verbreitung fällt mit der Linie einer mittleren
Jahreswärme von +13,5 Grad Celsius zusammen. Er verlangt ein warmes
oder doch gemäßigtes Klima; daher steigt er nirgends hoch ins Gebirge.
In Spanien, Portugal und Südfrankreich wird er bis zu 500 m, in Algier
und Marokko bis zu 1000 m Meereshöhe angetroffen. Ein lebhafter
Luftwechsel und eine Fülle von Licht ist ihm sehr zuträglich, daher
zieht er die Abhänge den Ebenen und die Küste dem Binnenlande vor.
Dabei ist eine Südlage seinem Wachstum am günstigsten; doch hindert
auch eine andere Lage sein Gedeihen durchaus nicht, vorausgesetzt, daß
die übrigen Wachstumsbedingungen erfüllt sind. In wildem Zustande soll
der Baum nach den Angaben eines erfahrenen französischen Forstmannes
nur auf Granit- oder Schieferboden angetroffen werden. Tatsächlich
bildet er auf solchem Boden die beste Rinde. Jedenfalls darf der Boden
nicht kalkreich und nicht sumpfig oder gar brackig sein. Wie schon aus
den klimatischen Verhältnissen seines Verbreitungsgebietes hervorgeht,
stellt er in bezug auf Boden- und Luftfeuchtigkeit recht bescheidene
Ansprüche, liefert aber auf feuchtem Boden eine für technische Zwecke
unbrauchbare Rinde.

Heute wird der Baum, dessen teilweise recht süße Eicheln eine sehr
gute Schweinemast bilden -- so wird der Wohlgeschmack der berühmten
Schinken von Bayonne auf die Mästung der Schweine mit den Früchten der
Korkeiche zurückgeführt, während in Spanien diejenigen der immergrünen
Eiche (~Quercus ilex~) zur Schweinemast vorgezogen werden -- zum
Zwecke der Korkgewinnung in seiner Heimat vielfach angepflanzt und
wurde neuerdings auch in den Südstaaten und an der atlantischen Küste
südwärts von Virginien eingeführt. Die Anpflanzung erfolgt durch Legen
der frisch gereiften Eicheln, was meist im Herbst geschieht. Da die
jungen Bäumchen die ersten Jahre hindurch beschattet werden müssen,
benutzt man dazu Reben, die zu gleicher Zeit in Reihen gepflanzt
werden. Die Bodenbearbeitung, die für die Reben unerläßlich ist und
sich durch deren Erträgnisse lohnt, kommt auch den jungen Korkeichen
zugute. Mit dem 20. Jahr sind letztere so weit gediehen, daß die Reben
durch deren Beschattung leiden und deshalb ausgerottet werden müssen.
Zu dieser Zeit sind die Korkeichen ertragsfähig geworden und bleiben es
ununterbrochen bis wenigstens zum 150. Jahr. Dann leben sie zwar noch
fort, aber mit ihrer Rindenproduktion geht es scharf bergab, so daß sie
dann bei geregeltem Forstbetrieb umgehauen werden.

Bis zum 4. Jahre sind Stamm und Äste mit der glatten Oberhaut bedeckt.
Diese wird dann durch den sich von da an bildenden Korkmantel
gesprengt. Läßt man diesen natürlichen Korkmantel bestehen, so
bleibt er dünn, brüchig und für technische Zwecke unbrauchbar. Er
wird deshalb, sobald der Stamm eine Dicke von 5-10 cm erreicht
hat, mit Messern und Hacken entfernt, ein Vorgang, den man im
Hauptproduktionsgebiet des Korkes, in Algerien, als ~démasclage~
bezeichnet. Diese erste Rinde hat einen sehr geringen Handelswert und
wandert gewöhnlich in die Gerbereien. Die vom Baume neugebildete Rinde
erreicht eine bedeutendere Dicke als die erstgebildete und besteht aus
weicheren, gleichmäßigen Korkelementen. Mit jeder folgenden Ernte wird
die Qualität des Korkes besser.

Nach etwa 8-10 Jahren ist die Korkschicht so mächtig -- etwa 5-20 cm
dick -- geworden, daß sie geschält wird, und dies kann am Stamm in
regelmäßigen Intervallen von 8-9 Jahren, an den Hauptästen von 10-12
und an den kleinen Ästen von 16-20 Jahren wiederholt werden. Um eine
natürlich wertvollere dickere Rinde zu erhalten, die zur Herstellung
von Champagnerpfropfen geeignet ist, wartet man auch am Stamm 10,
12, ja 18 Jahre mit der Abschälung der Korkrinde. Diese geht in der
Weise vor sich, daß im Juni oder Juli, wenn der Saftfluß des Baumes in
lebhaftem Gange ist, der Stamm in weiten Abständen am Fuß und unter
den Hauptästen mit einer am Stielende keilförmig zugeschärften Axt
geringelt wird. Diese Ringschnitte werden bei dünneren Stämmen durch
zwei, bei dickeren durch drei bis vier Längsschnitte miteinander
verbunden. Diese Arbeit wird mit der größten Vorsicht ausgeführt, denn
nur die tote Borke, nicht der lebende Bast darf dabei angeschnitten
werden. Dann wird die Rinde mit Hilfe des Beiles gelöst, an der
Außenseite gereinigt, indem man die Epidermis abschabt und eine Rinde
nach der andern, oder auch mehrere nebeneinander mit ihrer Hohlseite
nach unten über eine mit glühenden Kohlen gefüllte Grube legt und
mit Steinen oder Holz beschwert, damit sie flach werden. Sobald sie
angekohlt sind, werden sie auf die andere Seite gelegt, damit auch
diese, aber in geringerem Grade, angekohlt werde. Das Ankohlen gibt dem
Kork das, was die Stopfenschneider „Nerv“ nennen; es bewirkt ferner ein
Schließen der Poren, welche sonst Feuchtigkeit aufnehmen und damit den
Kork untauglich zur Verwendung als Stopfen machen würden. Zu stark darf
aber die Rinde nicht angekohlt werden, da sie sonst ihre Elastizität
verliert. Ist sie dagegen zu wenig angekohlt, dann ist sie nicht fest
genug für das Messer des Korkschneiders. Seltener wird die Rinde vor
dem Ankohlen in Wassergruben geworfen und mit großen Steinen beschwert,
bis sie platt geworden sind. Die geringwertige Korkrinde, welche nicht
für die Stopfenschneidereien bestimmt ist, wird einfach auf Haufen an
der Luft getrocknet. Nach zwei Monaten haben sie ein Fünftel ihres
Gewichtes verloren und werden dann als verkäuflich betrachtet, während
die angekohlten Rindenstücke sofort nach der Behandlung mit Feuer auf
beiden Seiten oberflächlich mit rauhen Tüchern gereinigt und auf Haufen
gesetzt werden, bis die benachrichtigten Käufer erscheinen und sie
übernehmen.

Sofort nach der Aberntung werden zwei Längsschnitte, zuweilen auch
drei oder vier in den Bast gemacht, soweit er entblößt ist. Dies
geschieht, um zu verhüten, daß die sich bildende neue Rinde an der
Oberfläche berstet. Doch dürfen die Schnitte niemals an der Nordseite
gemacht werden. Wenn die Korkeiche auf einmal geschält wird, bildet
sich ihre neue Rinde langsamer, sie wird aber von besserer Qualität,
als wenn sie abteilungsweise in Pausen geschält würde. Wenn die Rinde
nicht abgeschält wird, so verliert sie nach einer gewissen Zeit ihre
Brauchbarkeit. Dieser wertlose Zustand kündigt sich durch Risse und
Löcher an, die immer zahlreicher werden, bis die Rinde im 50. oder 60.
Lebensjahre gleich derjenigen anderer Bäume in kleinen Stücken abfällt.
Solange die Korkeiche lebt, fällt ihre Rinde niemals insgesamt oder
in großen Streifen ab, wie manchmal behauptet wird. Wäre dem so, dann
würde die Korkeiche eine in dieser Hinsicht einzig stehende Ausnahme in
der Pflanzenwelt bilden.

Alle erstgeschälte Rinde ist, wie gesagt, zur Verwendung als Kork
wertlos und muß zu einem Spottgeld hauptsächlich als Gerbmaterial
verkauft werden. Auch wenn Korkeichen ein reifes Alter erlangt haben,
ohne daß sie abgeerntet werden, und sie sollen fortan ausgenutzt
werden, so ist ihre Rinde ebensowenig wert als diejenige junger Bäume.
Erst durch das Geschältwerden wird sie in der Weise verändert, daß sie
sich als Kork verwenden läßt, und zwar wird die Qualität des Korkes,
wie gesagt, mit jeder folgenden Ernte besser.

Die in verschiedener Weise zu Ballen vereinigte Korkrinde kommt in
verschiedenen Qualitäten in den Handel. Die beste ist elastisch, weder
holzig, noch löcherig und von rötlicher Farbe. Die gelb gefärbte ist
geringwertiger, am schlechtesten aber ist die weiße. Kork, der Risse
hat, wird als Ausschuß betrachtet; ebenfalls solcher, der weich und
schlaff ist. Letzteres ist gewöhnlich ein untrügliches Zeichen dafür,
daß er auf feuchtem Boden erzeugt wurde.

Ein in gutem Zustande gehaltener Korkeichenwald liefert in jedem 10.
Jahr eine Ernte, die zu zwei Dritteln aus ordinärem und Bastardkork
und zu einem Drittel aus zur Stopfenfabrikation brauchbarem dickem
und dünnem Kork von 5-20 cm Dicke besteht. Die Korkrinde enthält so
viel Gerbsäure wie die beste Rinde anderer Eichen; aus diesem Grunde
färben sich eisenhaltige Flüssigkeiten, die in Berührung mit dem Kork
kommen, durch Bildung von gerbsaurem Eisen mit der Zeit schwärzlich.
Die spanischen Gerber, namentlich diejenigen von Cadix, verwenden
Korkrinden mit Vorliebe zum Gerben; doch wird sie ihnen nur in sehr
beschränktem Maße zugänglich gemacht. Es ist begreiflicherweise viel
einträglicher, die Korkeichen zur Korkgewinnung als zu Lohschlägen
zu verwenden. Nach einer zuverlässigen französischen Quelle werfen
so benutzte Korkeichenwälder eine viermal höhere Rente ab als andere
Eichenwälder. Während die Jungfernernte von einem Baume nur etwa
5 kg Kork liefert, beträgt die Ernte von einem vollkräftigen Baum
einschließlich der Äste 100-150 kg. Der Durchschnittspreis für 100 kg
Kork schwankt zwischen 170 und 180 Mark. Die Gesamtkorkproduktion
der Welt läßt sich nicht genau feststellen; doch ist das sicher, daß
es sich dabei um einen Wert von gegen 100 Millionen Mark handelt.
Verbraucht doch England allein für weit über 20 Millionen Mark dieses
für die moderne Kultur ganz unentbehrlichen Rohmaterials jährlich,
Deutschland und Frankreich nicht viel weniger.

Die Korkrinde wird hauptsächlich zur Herstellung von Flaschenkorken
verwendet, die früher allgemein mit der Hand, neuerdings aber
vorzugsweise mit Maschinen geschnitten werden. Der Verlust an Material
ist dabei ein sehr großer und beträgt bis zu 60 Prozent. Doch finden
auch die Abfälle Verwendung, so besonders zur Herstellung von Linoleum
und vielen andern technischen Erzeugnissen, wie Umhüllungsmassen von
Dampfröhren, Amboßunterlagen, Stoßkissen auf Schiffen, Schwimmgürteln
usw. Außer Korkstöpseln werden auch Korksohlen, Korkjacken,
Schwimmer von Fischernetzen und Angelhaken und dergleichen aus Kork
hergestellt. Der beste Kork, der ausschließlich zur Herstellung von
Champagnerkorken benutzt wird, kommt aus den spanischen Provinzen
Catalonien und Andalusien in den Handel. Er darf beim Einpressen
in die Flaschenmündung keine Haarrisse bekommen, durch welche die
Kohlensäure entweichen könnte, und muß so elastisch sein, daß er selbst
nach jahrelangem Gebrauch, mit Wasser gekocht, seine ursprüngliche
zylindrische Gestalt und seinen ursprünglichen Umfang wieder erhält. Er
kann bis zu 60 Jahre im Dienst aushalten.

Der Kork ist ein Artikel, den schon die alten Ägypter, Griechen und
Römer kannten und zu verschiedenen Zwecken verwandten. So benutzten ihn
die erstgenannten zur Herstellung von Särgen, die letzteren dagegen
zu Bienenstöcken, wie uns Varro mitteilt, der im 1. Jahrhundert
v. Chr. schreibt: „Die besten Bienenstöcke sind die aus Rinde
(~cortex~) gemachten.“ Unter dem lateinischen ~cortex~, das zunächst
Rinde im allgemeinen bedeutet, ist in diesem Falle vorzugsweise die
Rinde der Korkeiche zu verstehen. Aus dem lateinischen ~cortex~ ist
dann unser deutsches Wort Kork entstanden. Obschon die Korkeiche
nicht mehr in Griechenland wächst, beschreibt sie Theophrast im 4.
Jahrhundert v. Chr. allerdings nur vom Hörensagen und deshalb nicht
ganz richtig. Er sagt von ihr: „Die Korkeiche (~phellós~) wächst in
Tyrrhenien (Etrurien), hat einen einfachen Stamm, wenig Äste, ist hoch
und hat festes Holz. Die Rinde ist sehr dick, zerrissen wie bei der
Pinie (~pítys~), jedoch in größere Stücke gespalten. Das Blatt ist
wie bei der Esche (~melíē~), dick und länger (damit meint er wohl die
einzelnen Blättchen des Eschenblattes). Der Baum ist nicht immergrün
(tatsächlich sind die Blätter der Korkeiche immergrün), sondern
läßt die Blätter fallen. Die Frucht ist eichelartig wie diejenige
der Ariaeiche (~aría~). Man schält die Rinde ab und behauptet, sie
müsse ganz abgeschält werden, sonst leide der Baum. Diese ersetzt
sich in etwa drei Jahren.“ Besonders wurde die schon von Theophrast
hervorgehobene Fähigkeit des Schwimmens auf dem Wasser als die
schätzenswerteste Eigenschaft dieses Produktes ausgenutzt. So erzählt
Plinius, daß der Kork, den er als ~suber~ bezeichnet, von den Fischern
als Schwimmer für ihre Netze und sonst allgemein als Bojen für die
Anker der Schiffe benutzt werde.

Mögen nun auch die Völker des Altertums den Kork zu den verschiedensten
Zwecken benutzt haben, so ist doch das eine sicher, daß sie ihn nicht
wie wir zum Stopfen brauchten. Erstens hatten sie keine enghalsigen
Flaschen wie wir im Gebrauch, wozu er sich in erster Linie eignet, und
für die später von den Römern Galliens von den keltischen Einwohnern
des Landes angenommenen Holzfässer aus Dauben war ein hölzerner
Spund das gegebene Verschlußmaterial. Die Vorratsgefäße der Alten
waren große amphorenartige Tonkrüge, von den Griechen ~píthos~, von
den Römern ~dolium~ genannt, die mit Deckeln aus demselben Material
mit Zuhilfenahme einer dicht verschließenden Masse wie mit Wasser
angerührtem Lehm oder gebranntem Gips, auch mit einem Kitt aus Harz,
Kreide und Öl luftdicht verschlossen wurden. Wurde der Deckel nicht
luftdicht verschlossen, damit man jeweilen vom Vorrate seinen Bedarf
zu holen vermochte, so wurde die Verdunstung durch Aufgießen einer
Schicht Öl, also in der Regel Olivenöl, z. B. auf Wein, verhindert,
wie wir dies noch auf den Chianti- und anderen Weinflaschen Italiens
sehen. Erst als die enghalsigen Glasflaschen aufkamen, die vor dem 15.
Jahrhundert nirgends in Europa erwähnt werden, fand der Kork seit dem
17. Jahrhundert zur Herstellung von Pfropfen zum Verschließen derselben
zunehmende Verbreitung und bald allgemeine Verwendung, nachdem auch
hier vorher Wachs- und Holzpfropfen zu deren Verschluß gedient
hatten. Dank seiner Wasserdichtigkeit, Elastizität, Dauerhaftigkeit
und Leichtigkeit hat sich der Kork nunmehr den Kulturvölkern der
ganzen Erde vollkommen unentbehrlich gemacht und wird auch in seiner
herrschenden Stellung nicht so leicht von einem andern Stoffe verdrängt
werden können. Allerdings ist dem Korkstopfen im letzten Jahrzehnt
ein nicht zu unterschätzender Konkurrent entstanden in dem bekannten
Patentverschluß mit Gummidichtung, der namentlich bei Bierflaschen
fast allgemeine Verwendung findet und den Vorteil bietet, daß die
Flasche ohne Zuhilfenahme einer Korkmaschine verschlossen und ohne
weiteres geöffnet werden kann. Diese Leichtigkeit, den Verschluß zu
öffnen, hat aber auch ihre Schattenseiten, zu denen sich noch andere
Nachteile gesellen, so daß gleichwohl für sehr viele Zwecke der
Flaschenverschluß durch Kork dauernd beibehalten wird. Was durch
diesen Patentverschluß, der auch für die Flaschen zum Sterilisieren
der Kindermilch allgemeine Aufnahme gefunden hat, der Korkrinde an
Absatz verloren geht, wird reichlich ersetzt durch die von Jahr zu
Jahr steigende Verwertung gemahlener Korkrinde zur Herstellung des
Linoleums. Dieser Stoff wird als Fußbodenbelag, der leicht zu reinigen
ist und sonst viele Vorteile bietet, sich immer mehr die Wertschätzung
aller Schichten der Bevölkerung erobern und bald in jeder Wohnung zu
finden sein.

[Illustration:

    Tafel 159.

Korkeiche (~Quercus suber~) bei Cannes an der Riviera.

(Nach einer in der Sammlung des Botan. Institutes der Universität Wien
befindlichen Photographie.)]

[Illustration:

    Tafel 160.

Waldstudie von J. van Ruisdael.]

[Illustration:

    Tafel 161.

Nadelholzwälder an der oberen Isar bei Schäftlarn.]

[Illustration:

    Tafel 162.

Holzflößerei auf der Isar.]

Vor allem wird die Champagnerfabrikation sich voraussichtlich noch
lange des Korkzapfens als unvergleichlich wertvollem Verschlußmaterial
ihres Produktes bedienen. Hat doch die Einführung desselben in Europa
überhaupt erst die Champagnerfabrikation möglich gemacht. Der Erfinder
des Champagners, der Benediktinermönch Dom Pérignon (1636-1715),
Pater Kellermeister in der Abtei von Hautvilliers in der Champagne,
war zugleich der Erfinder des Champagnerkorkes, der ihm den unbedingt
erforderlichen festen Verschluß zur Zurückhaltung der sich bildenden
Kohlensäure verbürgte.

Von neuweltlichen Eichen mit im ersten Jahre reifenden Früchten und im
Herbst abfallenden Blättern ist die wegen ihrer grauweißen, in breiten,
dünnen Stücken sich ablösenden Rinde als +Weißeiche+ (~white oak~ --
~Quercus alba~) bezeichnete Art zu nennen. Der schöne, bis 25 m hohe
Baum bildet in den Vereinigten Staaten ausgedehnte Wälder und liefert
viel Gerbrinde. Seine Blätter verfärben sich nicht im Herbst. Auch die
+großfrüchtige Eiche+ (~Q. macrocarpa~) mit mildschmeckenden Früchten
und die +Kastanieneiche+ (~Q. prinus~) sind in Nordamerika sehr
verbreitet und liefern zum Gerben sehr geschätzte Rinden. Zu den Eichen
mit im zweiten Jahre reifenden Früchten haben wir in der Neuen Welt
die auf der Westseite Nordamerikas heimische +weidenblätterige Eiche+
(~Q. phellos~). Der etwa 20 m hohe Baum hat der Silberweide ähnliche
Blätter. Ebenfalls im westlichen Nordamerika gedeiht an feuchten
Stellen die +Wassereiche+ (~Q. nigra~). Im östlichen Teil Nordamerikas
dagegen wachsen die +Färbereiche+ (~Q. tinctoria~), die ihr ähnliche
+Scharlacheiche+ (~Q. coccinea~) mit braunroten Blättern, die sich im
Herbst scharlachrot verfärben. Sie bildet in den Vereinigten Staaten
große Wälder und ihr Holz wird vielfach nach England ausgeführt. Ferner
die nach der prächtigen scharlachroten Verfärbung ihrer Blätter so
genannte +Roteiche+ (~Q. rubra~), die vom Huronensee bis Florida und
Texas in ausgedehnten Beständen wächst und wegen ihrer Raschwüchsigkeit
auch in unsere Forsten eingeführt wurde. An feuchten Stellen gedeiht
dort die ebenfalls sehr schnellwüchsige +Sumpfeiche+ (~Q. palustris~),
die, wie alle vorgenannten, viel Gerbrinde liefert. In Südeuropa bis
Syrien dagegen wachsen von den Eichen mit im zweiten Jahre reifenden
Früchten die +Zerreiche+ (~Q. cerris~), ein großer Baum mit ungemein
festem, hartem Holz, eßbaren Früchten und gerbstoffreicher, zum
Gerben dienender Rinde, und in Rumelien, Griechenland und Kleinasien
die ebenfalls bis 19 m hohe +Knopperneiche+ (~Q. vallonea~), deren
schuppige, 3-4,5 cm im Durchmesser haltende Fruchtbecher als Valonen
in den Handel kommen und zum Gerben und Schwarzfärben dienen.

Wie die Eichen gehören die +Buchen+ (~Fagus~) in die Familie der
Cupuliferen oder Näpfchenfrüchtler. Unter ihnen ist die +gemeine Buche+
oder +Rotbuche+ (~Fagus silvatica~) der schönste und für uns wichtigste
Vertreter der Gattung. Dieser stattliche Baum, dessen glatter Stamm mit
hellsilbergrauer Rinde emporstrebt, um hoch oben die volle Besonnung
verlangenden grünen Blätter an zierlichen Ästen auszubreiten, bildet
den von den Dichtern viel besungenen „grünen Waldesdom“ und soll
die Anregung zur gotischen Bauart gegeben haben. Die Buche ist der
Hauptrepräsentant des deutschen Laubholzwaldes und gedeiht am besten in
nicht zu feuchtem, aber auch nicht zu trockenem, kalkhaltigem Hügel-
und Bergland, bildet aber auch auf dem frischen, humösen Sandboden
der norddeutschen Ebene mächtige Bestände. Im sandigen Flachlande hat
sie allgemein den Nadelhölzern weichen müssen; nur vereinzelt und
deshalb vom Naturfreund doppelt geschätzt ragen dort die Buchenwälder
wie Oasen aus dem Einerlei der Kiefern. Der Buchenhochwald bedeckt in
ganz Deutschland rund 15 Prozent der gesamten Waldfläche. Die Buche
eignet sich forstlich für den Hoch-, Mittel- und Niederwaldbetrieb. Das
weißliche bis braunrötliche, harte, dichte, schwere, gut spaltbare,
aber wenig elastische, stark schwindende und arbeitende Holz weist
zahlreiche wie Atlas glänzende Spiegel als Reservestoffbehälter
des Holzkörpers auf und verstockt leicht im Wechsel von Nässe und
Trockenheit, ist aber stets im Wasser oder stets im Trocknen ziemlich
dauerhaft. Absolut unbrauchbar ist es zur Verwendung im Freien, dagegen
wird es von Wagner und Drechsler, wie auch zum inneren Ausbau unserer
Häuser vielfach verwendet. In heißem Wasserdampf erweicht, wird es
biegsam und dient zur Herstellung gebogener Möbel. Österreich-Ungarn
besitzt etwa 40 Fabriken zur Herstellung solcher gebogener Möbel,
denen 350000 Hektar Buchenwaldungen das Material liefern, die 35000
Menschen beschäftigen und gegen 230000 Meterzentner gebogener
„Wiener Möbel“ jährlich exportieren. Deutschland besitzt nur wenige
solcher Fabriken, da das Buchenholz hier weit schwieriger zu haben
ist und die Arbeitslöhne teurer als in Österreich-Ungarn sind.
Imprägniert dient Buchenholz neben dem dafür weit besseren Eichenholz
zu Eisenbahnschwellen, gebeizt und gefärbt als Zigarrenkistenholz. Es
liefert ein vorzügliches Brennholz, dessen Wert als solches aber durch
die Einführung der Steinkohle als üblichstem Heizmaterial bedeutend
herabgesetzt wurde. Es gibt auch die besten Holzkohlen und dient
zur Darstellung von Holzessig und künstlichem Indigo. Die chemische
Fabrik Laufach im Spessart verwendet zur Holzessigfabrikation jährlich
etwa 25000 Ster Spessarter Buchenholz. Endlich liefert es auch den
vortrefflichen Buchenholzteer mit reichem Gehalt an Kreosot, der meist
daraus gewonnen wird. Der Gehalt des Buchenholzrauches an Kreosot ist
es, der als viel angewandtes Konservierungsmittel beim Räuchern von
Schinken und Würsten dient. Die gerbstoffhaltige Buchenrinde kann als
Lohe beim Gerben benutzt werden: die Buchenholzasche gibt die beste
Pottasche und Lauge zum Waschen. Die ölreichen Buchennüsse (Bucheln
oder Bucheckern) bilden nicht nur eine treffliche Schweinemast, sondern
liefern auch dem Menschen ein gutes Speiseöl. Nicht im Öl, wohl aber
in den Häuten und im zurückbleibenden Kern der Nüsse ist ein Fagin
genanntes Gift enthalten, das in größeren Dosen, namentlich bei Kühen
und Pferden, lähmend auf das Rückenmark und die Atmung wirkt.

Die im Herbste abfallenden eiförmigen, in der Jugend weißhaarig
bewimperten, glatten, leicht gewellten Blätter geben eine gute Streu
für den Waldboden. Sie brauchen zu ihrer Verwesung etwa drei Jahre und
bilden dann eine schwärzliche, von Pilzfäden durchzogene Modermasse,
die von zahllosen Regenwürmern und anderen kleinen Tieren gefressen
und verarbeitet wird. An ihrer Auflösung und chemischen Umsetzung
arbeiten auch zahlreiche Fadenpilze und Bakterien. Die so zugerichtete
Bodenschicht, der Humus, ist der Nährboden für die höheren Pflanzen,
für deren Ansiedlungsmöglichkeit die Buche mit ihren abfallenden
Blättern einen wichtigen Faktor bildet. In milden, warmen Lagen
gewinnen die das Laub schnell zersetzenden Bakterien die Oberhand
und reiche Humusböden schaffen üppiges Gedeihen für Feld und Wald.
Bei allzuviel Sonne und zuviel Niederschlägen, wenn ihnen der Boden
ungeschützt preisgegeben ist, wird ihr Wachstum gehemmt, nur Fadenpilze
vermehren sich weiter und durchziehen die oberen Schichten, mit deren
Zersetzung sie aber allein nicht fertig werden. So entsteht fester,
saurer „Rohhumus“, den die Regenwürmer nicht mehr zu verzehren und
in ihrem Darmkanal durchzuarbeiten vermögen, und der einst stämmige
Hochwald wird zu unfruchtbarem Heide- und Moorland. Gegen diese
Gefahren ist gerade die Buche eine treffliche Pionierin und ihr
reichliches Laub ist besonders im Nadelwald ein vortreffliches Material
für die Humusbildung. Dabei vermag ihr an der Spitze fein verästeltes
und mit zarten Pilzfäden, die ihr zur Gewinnung des Stickstoffs
behilflich sind, umsponnenes Wurzelwerk überallhin durch den Boden zu
dringen und die zum Gedeihen und Wachstum nötige Nahrung zu schöpfen.[6]

Auch die Buche erträgt wie Stiel- und Traubeneiche bis 31° C. Kälte.
Sie findet sich hauptsächlich in Mitteleuropa, geht westwärts bis
Mittelspanien und Nordportugal, südlich bis Sizilien und Apulien,
östlich bis zum Kaukasus. Hier überall ist sie ein entschiedener
Gebirgsbaum, der je südlicher, um so höher hinangeht. Am Ätna steigt
sie bis 1880 m, in den bayrischen Alpen bis 1300 m, in den
norddeutschen Gebirgen aber bis etwa 650 m. In Norwegen findet sie
sich bis zum 59.° nördlicher Breite. Ihre nördliche Grenze berührt
die schwedische Westküste von Gothenburg, geht an der Ostküste nur
bis Kolmar bei 57° und durchschneidet fast geradlinig den Kontinent
von Königsberg aus über Polen bis Podolien und zur Krim. Jenseits
dieser Linie würde die Vegetationsperiode auf weniger als fünf Monate
beschränkt werden, was die Buche nicht verträgt.

Im Frühjahr zersprengt das Keimpflänzchen die Buchennuß, streckt
zuerst das Würzelchen heraus und sucht sich im Boden zu befestigen und
Nahrung und Wasser daraus zu holen. Das Öl der zwei zusammengefalteten
Keimblätter verwandelt sich zunächst in Zucker und allmählich in neue
Pflanzensubstanz. Sobald die Wurzel hinreichend lang ist, entfalten
sich die Keimblätter, werfen die sie einzwängende Schale ab, breiten
sich aus und werden grün, um mit Hilfe des Chlorophylls neuen Zucker
zu bereiten. Bis zum 6. Jahre wächst die Buche langsam, dann aber
streckt sie sich bedeutend und nimmt jährlich 16-24 cm an Länge
zu. Vor dem 60. Jahre blüht sie selten. Die Blüten finden sich an
heurigen Trieben und entfalten sich gleichzeitig mit dem Ausbruch
des Laubes. Seitensprosse haben fast nur langgestielte, hängende,
kugelige, männliche Blütenstände in Form von Kätzchen, der Gipfeltrieb
trägt männliche und weibliche Blüten, wobei wiederum die männlichen
am unteren, die weiblichen dagegen am oberen Teil des Sprosses sich
befinden. Mit 120-150 Jahren vollendet die Buche gewöhnlich ihr
Wachstum und kann dann bei 0,9-1,25 m Stammdurchmesser über 30 m
hoch sein. Sie liebt volle, geschlossene Bestände und gedeiht nur,
wenn der Boden vollständig gedeckt ist. Sie war einst mit der Eiche
im ganzen westlichen und in ausgedehnten Waldgebieten des südlichen
und mittleren Deutschland der herrschende Baum. Seit 1780 ist sie aber
vielfach den rascher wachsenden und früher einen nutzbaren Holzertrag
liefernden Nadelhölzern gewichen. Die Begründung von Beständen erfolgt
unter dem Schatten der den Samen abwerfenden Mutterbäume. Man erzieht
die Buchen leicht in Saatbeeten und verpflanzt sie drei- bis vierjährig
zu mehreren zusammen ins Freie, wo sie aber gegen Sonnenbrand geschützt
werden müssen. Gegenwärtig erzieht man nicht reine Buchen-, sondern aus
Eichen, Buchen, Ahorn, Eschen usw. gemischte Bestände, in welchen die
Buche den Boden schützt und ihn durch reichlichen Blattfall verbessert,
daneben auch die genannten Nutzholzarten durch kräftigen Bestandsschluß
zu günstiger Stammausbildung zwingt. Die Buche ist auch wichtig als
Bodenschutz oder Treibholz im älteren Eichen- und Kiefernbestand
und gibt bis 10 Prozent der gesamten Holzmasse als Nutzholz. In
guten Jahren sammelt man pro Hektar etwa 100 Scheffel Buchnüsse im
120jährigen Betrieb.

Eine sehr große Anzahl Insekten und Pilze leben auf der Buche, doch
lange nicht so viel als auf der Eiche, die darin weitaus an erster
Stelle unter allen Holzgewächsen steht. Obgleich die Rotbuche nicht
im alten Griechenland vorkam, kannte sie doch Theophrast als ~oxýa~.
Auf den Gebirgen Norditaliens wuchs sie dagegen häufig und wird von
den römischen Autoren mehrfach als ~fagus~ erwähnt, eine Bezeichnung,
die aus Verwechslung von der griechischen Bezeichnung ~phēgós~ für
Speiseeiche (von ~phágein~ essen) abzuleiten ist. Macrobius rechnet die
Buche zu den glücklichen Bäumen (~felices arbores~), weil man aus ihrem
Holze Opfergeschirre mache. Bei den alten Germanen war die Buche der
Göttin des Herdes und der Ehe, Freya, geweiht. In Nordamerika und Japan
wird die Buche durch verschiedene nahe Verwandte vertreten, die wir
hier übergehen können.

Ebenfalls zu den Kätzchenträgern gehört die +Hain+- oder +Weißbuche+
(~Carpinus betulus~), von den vorgenannten Cupuliferen durch das
Auftreten einer falschen, aus einem Blatte gebildeten ~cupula~
ausgezeichnet. Sie ist am nächsten mit den Haselnußarten verwandt. Mit
der Rotbuche hat sie wenig Merkmale gemein, außer daß der Stamm bei
beiden dieselbe glatte, silberweiße Rinde mit fehlender Borke aufweist.
Beide Baumarten wollen im Schatten des Waldes leben und aufwachsen.
Müssen sie trotzdem sich in freiem Stande entwickeln, so schützen
sie sich durch tief bis zum Boden herabreichendes Astwerk gegen die
allzu warm scheinende Sonne. Besonders auf alten Weideplätzen stehen
oft solche prächtige, rings beastete „Weidebuchen“. Ist aber der
Baum im Bestand erwachsen und wird er plötzlich durch eine Lichtung
der Sonne ausgesetzt, ohne daß er Zeit hat, sich allmählich daran zu
gewöhnen, so wird die Rinde auf der Sonnenseite gar bald schwarz und
brandig, sie stirbt und löst sich ab und der Baum geht an sogenanntem
„Rindenbrand“ langsam zugrunde. Der bis 6 m hohe Stamm ist selten
gerade, sondern mehr oder weniger eckig, durch tiefe Furchen der Länge
nach eingeschnitten, mit deutlichen, den Stamm spiralig umziehenden
Längswülsten, wie man sagt „spannrückig“, zudem oft mit starken Beulen
und Buckeln versehen. Schon bei 2-3 m Höhe teilt sich der Stamm in
starke Äste und setzt sich nach der Astteilung zwar gerade, aber nur
schwach fort. Alte Bäume zeigen Astlöcher mit tiefen Aushöhlungen
und weisen einen wunderlich gekrümmten Astbau auf. Die Belaubung ist
infolge der feinen Verzweigung dicht. Die Krone bildet an jüngeren,
kräftig wachsenden Bäumen eine breite, stumpfe Pyramide mit so vielen
tiefeckigen Einschnitten, als Hauptäste vom Stamme ausgehen. Mit
zunehmendem Alter krümmen sich die Zweige infolge der schweren, fast
alljährlichen Fruchtlast abwärts, welchem Drucke endlich auch die Äste
folgen, und so mildert sich die vorher etwas starre Form der Krone
durch Abrundung der Spitzen und Ausgleichung der Einschnitte.

Gleichzeitig mit dem Ausbruch der Blätter erscheinen im April und
Mai die männlichen und weiblichen Blütenstände. Die Frucht ist eine
sehr hartschalige, flache Nuß mit Längsrippen. Die Früchte fallen im
November und später, nach den Blättern, wie Kreisel sich drehend zu
Boden. Die Hainbuche wächst in der Jugend lange buschig und trägt
frühzeitig und reichlich Samen. Sie ist unempfindlich gegen Frost
und periodische Überschwemmungen und hat wenig von Krankheiten zu
leiden. Sie erträgt viel Schatten und dient daher als Bodenschutzholz
in lichten Eichenwaldungen. Im Niederwaldbetrieb ist die Hainbuche
durch ihre bedeutende Ausschlagsfähigkeit von Wert; auch ist sie, weil
sie den Schnitt gut erträgt, zur Anlage von Hecken geeignet. Sie kann
ein Alter von 300-400 Jahren erreichen, steht aber im Massenertrage
von Holz der Rotbuche weit nach. Ihr gelblichweißes Holz ist sehr
schwer, hart und schwierig zu spalten und zu bearbeiten, arbeitet
stark und besitzt nur im Trockenen lange Dauer. Es ist ein gutes
Werkholz zur Herstellung von Hobelkästen, Kammrädern in Mühlen,
Maschinenbestandteilen usw., überhaupt von allem, was Reibung und Stoß
auszuhalten hat. An Brennkraft kommt es demjenigen der Rotbuche gleich,
gibt auch gute Kohlen und reichlich Pottasche. Die Rinde kann zum
Gerben benutzt werden, die Blätter geben Ziegen, Schafen und Pferden
ein gutes Futter.

Die Hainbuche war den alten Griechen und Römern nicht bekannt, wohl
aber die bei ihnen wachsende +Hopfenbuche+ (~Carpinus ostrya~) --
~ostrýa~ von den Griechen und ~carpinus~ von den Römern genannt.
Cato preist deren Holz als das beste zur Herstellung von Ölpressen.
Die Festigkeit und Zähigkeit des Holzes der Hainbuche hat die
Redensart vom „hanebüchenen Mann“ entstehen lassen, der aber oft auch
„hanebüchen grob“ sein kann. In Ostpreußen sollen einzelne Hainbuchen
einen Stammumfang von 5 m besitzen. Eine selbständige Art ist
die +orientalische Hainbuche+ (~Carpinus orientalis~), während die
+amerikanische Hainbuche+ (~C. americana~) bei uns als Zierpflanze
kultiviert wird.

Der als Fruchtbaum aus dem warmen Süden zu uns gekommene +Nußbaum+
(~Juglans regia~) hat ein hochgeschätztes braunes Holz, das mit
Vorliebe zu Möbeln, Gewehrschäften, Drechsler- und Bildhauerarbeiten
verwendet wird. Es ist gleichmäßig schwer und hart, leicht zu
bearbeiten und polierfähig, schwindet aber stark und ist nur im
Trockenen dauerhaft. Der Nußbaum liefert auch das meiste Furnierholz.
Die Wurzelstöcke, welche gleichfalls zu Furnieren geschnitten werden,
besitzen oft eine herrliche Maserung. Die getrockneten Schalen der
grünen Nüsse enthalten einen zum Braunbeizen vielverwendeten Farbstoff,
die Nuß- oder Körnerbeize. Sein ausgezeichnetes Holz hätte dem Nußbaum
den Weg in den Wald geöffnet, wenn nicht seine große Empfindlichkeit
hindernd im Wege stünde. An seine Stelle tritt deshalb im Wald vielfach
die aus Nordamerika stammende, weniger empfindliche +Schwarznuß+
(~Juglans nigra~), die ebenso wie die +Graunuß+ (~J. cinerea~) wegen
ihres schönen, gleichmäßig rotbraunen Holzes besonders zur Herstellung
von Möbeln hochgeschätzt ist und dem Holz der einheimischen Walnuß
vorgezogen wird. Ein hervorragend zähes und elastisches Holz, das
für den Wagenbau große Bedeutung erlangt hat, liefert die ebenfalls
aus Nordamerika in verschiedenen Arten in unsere Wälder verbrachte
+Hickorynuß+ (besonders ~Carya alba~). Von allen dreien, die durch ihre
Fiederblätter gekennzeichnet sind, bedarf sie bei uns allerdings der
größten Pflege.

Ein vortreffliches Bau-, Werk- und Faßholz liefert die +Edelkastanie+
(~Castanea vesca~), die aber bei uns nur im Rheintal am Fuß des
Schwarzwaldes und der Vogesen in wärmeren Lagen, wo der Weinstock
und feinere Obstarten gezogen werden, gedeiht. Hier wird sie im
Niederwaldbetrieb bewirtschaftet, um aus den jungen Schößlingen
sehr brauchbare Rebstecken zu gewinnen. Ihr Holz besitzt fast alle
Eigenschaften, wie auch die Farbe des Eichenholzes, ist jedoch durch
das Fehlen der mit freiem Auge deutlich sichtbaren Markstrahlen sofort
von jenem zu unterscheiden. Im Gegensatz zum Holze der Edelkastanie
ist dasjenige der +Roßkastanie+ (~Aesculus hippocastanum~) von nur
geringem Werte, da es leicht, schwammig, weich und von sehr geringer
Dauer ist, namentlich in der Nässe rasch fault. Andererseits reißt und
wirft es sich wenig, nimmt Farbe und Politur gut an und wird nicht von
Würmern heimgesucht. Es wird von Drechslern und Tischlern ähnlich wie
das Lindenholz verwendet, kann auch zu Holzschuhen verarbeitet werden.
Sonst wird für letztere das weiche Linden- und noch häufiger Erlenholz
verwendet.

Auch die +Erlen+ (~Alnus~), von denen es 14 Arten auf der nördlichen
Halbkugel gibt, sind Kätzchenblütler und dadurch bemerkenswert,
daß sie wie die Schmetterlingsblütler in Symbiose mit Rhizobien
genannten Knöllchenbakterien leben, die an den Wurzeln orangefarbene,
knollenförmige Auswüchse erzeugen. Indem diese Bakterien den
Stickstoff der im Boden enthaltenen Luft binden und in salpeter-
und schließlich salpetrigsaure Verbindungen überführen, leisten sie
der Erle außerordentlich wichtige Dienste zur Gewinnung dieses für
ihr Gedeihen so notwendigen Nährmaterials. Mit Hilfe dieser kleinen
Wohltäter vermögen diese Bäume auf stickstoffarmem Boden gut zu
gedeihen und durch Stickstoffanreicherung diesen zu verbessern. Von
den vier deutschen Erlenarten ist die an Bachufern und in feuchten
Niederungen wachsende +Schwarzerle+ (~Alnus glutinosa~) die häufigste.
Sie bildet ihren schlanken, dunkeln Stamm von 4-25 m Höhe bis zum
Gipfel aus und trägt an den schräg abstehenden Ästen die im ersten
Frühjahr sich entfaltenden männlichen und weiblichen Blütenstände. Aus
den weiblichen Kätzchen gehen eine Menge brauner Zäpfchen hervor, aus
denen im Winter die ungeflügelten Samennüßchen ausfallen. Die Blätter
sind glänzend dunkelgrün, fühlen sich klebrig an und sind an der Spitze
stark abgestumpft im Gegensatz zu den zugespitzten, weichhaarigen,
niemals klebrigen Blätter der +Weiß+- oder +Grauerle+ (~Alnus
incana~), die im übrigen der Schwarzerle sehr ähnlich ist. Sie hat
ihren Namen von der glänzend silbergrauen, glatten Rinde, wächst meist
strauchartig, erreicht aber als Baum eine Höhe von 10 m. Sie liebt
weniger nassen humosen Boden als die vorige, gedeiht auch an Berghängen
und auf Gebirgskämmen. Sie spielt in der nordischen Mythologie eine
große Rolle: aus ihr soll die Frau hervorgegangen sein, während aus
der Esche der Mann hervorging. Varietäten beider Arten werden als
Ziergehölze kultiviert.

Beide Erlenarten sind durch ganz Europa verbreitet, doch steigt die
Weißerle im Gebirge höher hinauf als ihre Verwandte und geht auch
weiter nach Norden, was ihr den Namen „nordische Erle“ eintrug. Die
+weichhaarige Erle+ (~A. pubescens~) ist wahrscheinlich ein Bastard
dieser beiden Arten. Ihre Rinde ist graubraun und ihre mehr stumpfen
Blätter sind nur zu äußerst spitz auslaufend. Eine besonders auf
Granit in der Knieholzregion des Gebirges, namentlich der Alpen, des
Schwarzwaldes, des Jura und Böhmerwaldes, wachsende strauchartige, sich
am Boden schmiegende Art ist die +Grünerle+ (~A. viridis~), die, was
ihre Verwertung betrifft, nur als Brennholz in Betracht kommt. Alle
Erlen verfügen über ein starkes Ausschlagsvermögen, indem sie nach dem
Verlust von Ästen aus „schlafenden“ Knospen neue hervorzubringen und so
Schädigungen leicht auszugleichen vermögen. Das Holz der Schwarzerle
ist frisch gelbrot, trocken rostrot, das der Grauerle dagegen heller
und das der Grünerle weiß. Es ist leicht, weich und fest, aber
ziemlich grob, leicht brüchig und wenig elastisch. Es verträgt keinen
Wechsel, ist aber im Wasser dauerhaft und wird deshalb außer zum
Brennen hauptsächlich als Wasserbauholz verwendet. Außerdem dient es
zum Schnitzen und Drechseln, wird zu Bürsten und Zigarrenkistchen
verarbeitet und in Nachahmung von Mahagoni und Ebenholz gebeizt, auch
zu Galanteriewaren, Pfeifenköpfchen usw. verwendet.

Neben Haselnuß und Erle gehören die ihnen nahe verwandten +Weiden+
und +Pappeln+ zu den ersten Verkündern des Frühlings, indem sie wie
jene sehr früh ihre schon im Herbst unter der Knospenhülle ziemlich
weit entwickelten Blüten hervortreten lassen. Beide Arten von
Kätzchenträgern sind zweihäusig, indem jedes Individuum entweder nur
männliche oder nur weibliche Blüten hervorbringt. In Europa, Mittel-
und Nordasien bis China und Japan heimisch und teilweise in Nordamerika
verwildert sind Silber-, Schwarz- und Zitterpappel. Die +Silber+-
oder +Weißpappel+ (~Populus alba~), die sich in unseren Anlagen neben
der Schwarzpappel in wundervollen, 28-30 m hohen Exemplaren findet,
hat auf der Unterseite weißfilzige, an den jungen Trieben handförmig
gelappte, an den älteren Zweigen rundlich eiförmige Blätter. Ihr Holz
ist sehr geschätzt, da es sich wegen seines gleichmäßigen Baues sehr
wenig verzieht und deshalb vorzügliche Reißbretter liefert. Ähnlich
ist dasjenige der +Schwarzpappel+ (~P. nigra~), die wir hauptsächlich
im lockeren, feuchten Boden der Flußufer und an feuchten Waldrändern,
aber auch häufig in Anlagen angepflanzt treffen. Sie ist die ~aígeiros~
der alten Griechen, die siebenmal in der Odyssee und einmal in der
Ilias genannt wird, während die Weißpappel bei diesen ~acherōís~ hieß.
Ein Scholiast, d. h. Grammatiker des Altertums, erklärt letzteren
Namen daher, daß Herakles den Baum aus der Unterwelt, dem ~achérōn~,
an die Oberwelt gebracht habe. In Anlehnung an diesen Mythus nennt
der römische Dichter Vergil in seinen Eklogen die Pappel (~populus~)
dem Herkules, den Weinstock aber dem Bacchus angenehm. Diese Sage
von der Herkunft aus der Unterwelt rührt von der düsteren Rinde
her, die schon sehr früh eine dicke, schwärzliche Borke bildet, im
Gegensatz zu der lange glatt bleibenden Rinde der +Zitterpappel+ oder
+Espe+ (~P. tremula~). Dieser in feuchten Laubwäldern und an Bächen
häufige, bis in die Alpen und auf den Brocken hinaufgehende Baum
ist dadurch bekannt und sprichwörtlich, daß seine an einem dünnen,
langen, seitlich abgeplatteten Stiel sitzenden rundlichen, gebuchteten
Blätter beim geringsten Lufthauch zittern. Während er sich bei uns
vorzugsweise in den Flußniederungen angesiedelt findet, bildet er in
Ostpreußen und Rußland als Waldbaum reine Bestände und erreicht eine
Höhe von 20 m. Er ist der ~kerkís~ der alten Griechen, findet sich
aber in Griechenland sehr selten. Sein grauweißes, glänzendes, eine
glattere Bearbeitung als dasjenige der vorgenannten Arten erlaubendes,
weiches Holz wird besonders zur Herstellung von Zündhölzchen und
Zündholzschachteln, daneben auch in der Holzstofffabrikation verwendet.

Vielleicht nur ein Bastard von Zitter- und Silberpappel ist die
im Orient heimische, nicht selten in unsern Anlagen kultivierte
+Graupappel+ (~P. canescens~), die 20-30 m hoch wird, während die
bis 35 m hoch wachsende +Pyramidenpappel+ (~P. pyramidalis~) mit
purpurnen Kätzchen und steilaufstrebenden Ästchen, die dem Baum eine
säulenförmige Gestalt verleihen, wahrscheinlich nur eine Abart der
Schwarzpappel ist. Wenn wir von Pappeln sprechen, so meinen wir sie.
Dennoch ist sie kein Kind unserer Heimat, sondern hat ihre Heimat
in Zentralasien; sie kam zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Persien
nach Europa und gelangte im Jahre 1740 in einem männlichen Exemplar
aus Norditalien in den Garten nach Wörlitz. Bis auf acht erst viel
später eingeführte weibliche Exemplare stammen alle deutschen
Pyramidenpappeln, die seit der napoleonischen Zeit sich reihenweise
den Flüssen und Landstraßen Mitteleuropas entlangziehen und der
Landschaft ein äußerst charakteristisches Gepräge verleihen, von diesem
+einen+ männlichen Baume ab und wurden durch Stecklinge erzielt. In
den Boden gesteckte abgeschnittene Zweige schlagen sehr leicht Wurzel.
Wahrscheinlich ist diese ungeschlechtliche Vermehrung in Verbindung mit
der Senkung des Grundwasserspiegels infolge Regulierung der Wasserläufe
der Grund des in letzter Zeit häufig zu bemerkenden frühzeitigen
Absterbens der Pyramidenpappeln. Dieses beginnt mit Wipfeldürre und
läßt schließlich den ganzen Baum eingehen. Neuerdings pflanzt man außer
der etwas kleineren +Balsampappel+ (~P. balsamifera~) besonders die
ebenfalls aus Nordamerika zu uns gebrachte, bis 20 m hohe +kanadische
Pappel+ (~P. monilifera~). Beide sind außerordentlich raschwüchsig und
liefern dabei vielseitig brauchbares Holz, sind daher nicht bloß als
Zierpflanzen, sondern auch für die Forstwirtschaft von Bedeutung. Alle
Pappelhölzer sind leicht, weich, wenig werfend und liefern deshalb
vorzügliches Blindholz für furnierte Möbel und Packkisten, sind auch
treffliche Papierstofflieferanten. Nur ganz im Trockenen lassen sie
sich längere Zeit unzersetzt aufbewahren, im Wasser faulen sie rasch.

Dieselbe geringe Bedeutung wie das Pappelholz besitzt auch im
allgemeinen das Holz der +Weiden+ (~Salix~), das ebenfalls sehr
weich und leicht, wenig fest und dauerhaft ist, also als Bauholz
gleicherweise unbrauchbar ist. Die Farbe des Kernholzes ist rötlich,
braun- oder rötlichgelb. Es wird wie das Pappelholz vorzugsweise
als Blindholz, dann zu Packkisten, Spielwaren usw. verwendet. Von
den 160 Weidenarten finden sich gegen 50 in Deutschland. Um sie
alle auseinander zu halten, braucht es ein besonderes Studium. Eine
der bekanntesten derselben ist die von allen Weiden zuerst blühende
+Salweide+ (~Salix caprea~), die in Mittel- und Nordeuropa, wie auch in
Nordasien heimisch ist. Ihre Zweige sind es, die unser katholisches
Volk an Stelle der in unserem Klima fehlenden Palmzweige am Palmsonntag
zur Weihe bringt, weshalb diese Weidenart auch Palmweide heißt. Nach
altgermanischem Glauben schirmen ihre Zweige das Haus, in welchem
sie aufbewahrt werden, gegen Zauber, Hexenspuk und böse Geister.
Dieser heute noch beim Volke geltende Glaube ist ein Nachklang aus
germanischer Vorzeit, in der die Weiden mit der Geisterwelt der
Verstorbenen in Zusammenhang gebracht wurden.

Neben der Salweide wird besonders auch die +Weißweide+ (~Salix alba~)
mit fein behaarten, schmalen Blättern den Bächen und Wegen entlang
als „Kopfweide“ gezogen, d. h. der Stamm wird in bequem erreichbarer
Höhe, etwa an der Gabelungsstelle von Leitästen, geköpft. Die dann aus
der Wundstelle hervorbrechenden dünnen, schmiegsamen Ruten werden als
beliebtes Flechtmaterial für Körbe und andere geflochtenen Gegenstände
verwendet, während das Holz des Stammes als Nutz- oder Brennholz dient.
Die weiße Weide galt im Altertum als Symbol der Keuschheit, weshalb
die Frauen in Hellas bei den Thesmophorien ihr Lager mit unfruchtbaren
Zweigen von männlichen Bäumen dieser Weidenart bestreuten. Es war
dies ein zu Anfang November, nach der Bestellung der Wintersaat zu
Ehren der Demeter ~thesmóphoros~, d. h. der Gesetze gebenden Göttin
der fruchtbaren mütterlichen Erde gefeiertes Fest. Diese galt als
die Gründerin des Ackerbaus, der bürgerlichen Gesellschaft und der
rechtmäßigen Ehe und ihr Fest wurde von den Frauen unter strengem
Ausschluß der Männer gefeiert.

Während die Zweige der +Bruch+- oder +Knackweide+ (~S. fragilis~)
sehr leicht brüchig sind und deshalb nur als Brennholz Verwendung
finden, sind die dottergelben Zweige der nur deretwegen angepflanzten
+Dotterweide+ (~S. vitellina~), weil durch besondere Zähigkeit
ausgezeichnet, als Material zum Binden sehr geeignet. Ebenfalls zum
Binden und zur Korbflechterei sehr geeignet ist die +Band+- oder
+Korbweide+ (~S. viminalis~), die in Europa und Nordasien sehr gemein
ist und häufig an fließenden und stehenden Gewässern angebaut wird.
Sie hat eine grünlichgelbe Zweigrinde und sehr lange, zugespitzte,
unterseits weißhaarig glänzende Blätter. Sie besitzt ein sehr kräftiges
Ausschlagsvermögen, so daß die Korbruten jährlich geerntet werden
können. Um Reifstäbe für Bandholz um Fässer und Kübel zu erhalten, sind
dagegen 3-6 Jahre nötig. Ihr weit ausstreichendes Wurzelwerk macht
Bandweidenpflanzungen zur Befestigung von Uferböschungen vorzüglich
geeignet. Noch besser als sie erträgt den jährlichen Schnitt eine
Bastardform zwischen ihr und der +Purpurweide+ (~S. purpurea~), so
genannt wegen ihrer purpurnen, statt wie sonst gelben Staubbeutel. Auch
sie wird an feuchten Stellen und Ufern häufig angebaut, ebenso die
aus Rußland bei uns eingeführte +kaspische Weide+ (~S. acutifolia~)
und die feine Flechtware liefernde einheimische +Mandelweide+ (~S.
amygdalina~), so genannt nach ihrem an die Mandelblätter erinnerndem,
unterseits bläulichweiß bereiftem Laubwerk. Auch von diesen gibt
es verschiedene in Kultur stehende Bastarde. Alle diese werden
ausschließlich durch Stecklinge vermehrt, da sich abgeschnittene und in
den Boden gesteckte Zweige sehr rasch bewurzeln und es zu langwierig
wäre, diese Weidenpflanzen aus Samen zu ziehen.

Besonders in Nieder-Österreich, im Neckartal und in Holland werden
diese Weiden für die Flechtindustrie im großen gezüchtet und liefern
als Nebenprodukt eine zum Gerben geeignete Rinde mit einem mittleren
Gerbstoffgehalt von 8 Prozent, außerdem zum Flechten von Matten und
Taschen und zum Drehen von Stricken dienenden Bast. Das leichte, weiche
Weidenholz dient im Oderbruch zum Schnitzen von Holzschuhen und wird
sonst viel benutzt, auch zum Brennen von Kohle. Nach Theophrast gaben
die alten Griechen dem leichten Weidenholz zu Schilden den Vorzug.
Derselbe Autor sagt in seiner Pflanzengeschichte, daß die Weide
(~itéa~) am Wasser wachse und in vielen Arten vorkomme, doch seien die
Ruten der Purpurweide schöner und besser zu Flechtwerk als diejenigen
der weißen Weide. Die Griechen und besonders die Römer pflanzten die
Weiden in bedeutender Menge zu den verschiedensten Zwecken. Nach
Plinius hielt der ältere Cato die Weidenzucht für einen der wichtigsten
Teile der Landwirtschaft und nannte die Weide die nützlichste aller
Wassergewächse. Er schreibt: „Es gibt verschiedene Arten von Weiden
(~salix~). Die einen liefern Stangen für Weinberge und in ihrer Rinde
Material zum Binden; andere geben Ruten, welche durch ihre Biegsamkeit
und Zähigkeit zum Binden tauglich sind; andere liefern zarte Ruten
zu feinem Flechtwerk, wieder andere starke Ruten zu Körben und
anderem Gebrauch in der Landwirtschaft. Werden die Weidenruten durch
Schälen weiß und behandelt man sie sorgfältig, so geben sie Körbe,
die nachgiebiger sind, als wenn sie aus Leder gemacht wären, liefern
auch die besten Lehnstühle. Geköpfte Weiden treiben neue Äste, und
diese wachsen sogar aus den Köpfen um so dichter. Jedenfalls ist die
Weide ein Baum, dessen Anpflanzung bei geringen Kosten einen sicheren,
auch von jeder Witterung unabhängigen Ertrag gibt.“ Sehr ausführlich
behandelt sein Zeitgenosse Columella die Weidenkultur durch Stecklinge,
die, bevor sich noch die Blattknospen geöffnet haben, in 2,5 Fuß tief
umgegrabenem feuchten Boden je zwei Fuß auseinander gepflanzt werden
sollten. In den ersten drei Jahren lockere man in den Weidenpflanzungen
den Boden öfters durch Graben auf, später genüge es, solches dreimal
jährlich zu tun. Bei Unterlassung dieser Pflege verkümmerten die Weiden
bald.

Heute ist die Kultur und Verarbeitung von Korbweiden zu Korb- und
Stuhlarbeiten eine sehr ausgedehnte und beschäftigt viele Tausende von
Menschen. Deshalb verdienen sie noch häufiger, als dies geschieht,
angepflanzt zu werden, da die Flechtreiser in manchen Gegenden
Deutschlands noch vom Auslande bezogen werden müssen. Die Flechtruten
müssen einjährig, 1,3-2,8 m lang, gerade, möglichst dick und
ohne Knoten und Abzweigungen sein. Sie werden um die Mitte August
geschnitten und dann entweder noch mit der Rinde oder vorteilhafter
schon entrindet (weiß) in den Handel gebracht, indem man sie vorher
in Wasser gelegt und dann durch eine mit der Hand zusammengepreßte
Holzklammer gezogen hat, um die als Bast bezeichnete Rinde von ihnen
zu entfernen. Letztere wird zum Gerben benutzt. Die Ruten aber dienen
weiß oder gefärbt zum Flechten. Durch das Abschneiden der jährigen
Triebe schwillt das obere Ende der Kulturweiden unverhältnismäßig
an und wird als Kopf bezeichnet; häufig bersten sie oben und faulen
durch den eindringenden Regen. Nicht geköpfte Baumweiden, namentlich
Bruch- und Weißweiden, können etwa 150 Jahre alt werden und dienen
dann in 10-15jährigem Umtriebe und als Kopfholz in 1-2jährigem Abhiebe
zu Brennholz. Das Weidenlaub dient heute noch, wie im Altertum, auch
getrocknet, als gutes Viehfutter und die Bienen, welche die Ursache
der so häufigen Verbastardierung der Weiden sind, finden in den
frühblühenden Weidenarten eine wertvolle Nahrung. Als Zierbaum steht
die +Trauerweide+ (~Salix pendula~) obenan. Dieser 3-7 m hohe Baum
mit überhängenden Ästen und Zweigen stammt aus Japan und China, kam
vor 200 Jahren nach dem Orient und von da zu uns, aber nur in einem
weiblichen Exemplar, so daß alle unseren, aus Stecklingen gezogenen
Trauerweiden weiblich sind. Er wird bei uns vorzugsweise als Trauerbaum
kultiviert.

Ebenfalls zu den Amentazeen oder Kätzchenbäumen gehören die +Birken+
(~Betula~, aus dem ~betulla~ der Römer), die in 35 Arten die
Nordhemisphäre in der gemäßigten und kalten Zone bewohnen und die
nördlichsten Holzpflanzen überhaupt repräsentieren. Außerordentlich
malerisch ist der Anblick der nordischen Birkenwälder. Auf hohen,
schlanken, bis zu einer Höhe von 18 m kaum eine Spur von Astbildung
zeigenden, blendend weißen Stämmen wiegt sich eine leichte Krone von
zarten, hängenden Blättern. Dabei ist der Boden mit einem weichen
Teppich von Moos und Flechten bedeckt, zwischen denen, soweit das
Licht eindringen kann, eine blaße, dem Edelweiß naheverwandte
Immortelle (~Gnaphalium dioicum~) üppig emporsprießt. Ähnlich den ihnen
nahestehenden Erlen bilden auch die Birken die männlichen, zu zweit am
Ende der Zweige hängenden Kätzchen schon im Vorwinter aus; die zarten,
grünlichen Kätzchen der Fruchtblüten aber erscheinen erst im Frühjahr
und ragen seitwärts oder aufrecht an kleinen Seitentrieben hervor. Im
Herbst fallen dann die nunmehr hängenden Samenkätzchen auseinander und
überlassen dem Wind, wie die Befruchtung, so auch die Ausbreitung der
gelben, geflügelten Samenkörnchen, die oft weithin den Boden bedecken.
Oft werden sie vom Winde auf weite Strecken fort und bedeutend hoch in
die Luft gewirbelt. Deshalb trifft man nicht selten junge Birken hoch
oben auf Felsenspitzen, auf Mauern von Ruinen und auf Dächern; sie
können da, wenn man sie gewähren läßt, recht groß werden, da die Birke
von allen Bäumen die kleinste Wurzelverbreitung besitzt und auch im
freien Stand mit einer kleinen Menge Erde vorlieb nimmt.

Sämtliche drei Baumbirken, die zu den Nutzhölzern gehören, wachsen in
Deutschland. Der nördlichste Baum Europas, der bis in die Nähe des
Nordkaps unter 71 Grad nördlicher Breite geht, ist die +Warzen-+ oder
+Weißbirke+ (~Betula verrucosa~), ein 20-25 m hoher Baum Mittel-
und Nordeuropas, der östlich bis Kamtschatka geht und auch in ganz
Nordasien außerordentlich verbreitet ist. Bei uns in Mitteleuropa
häufiger als diese mehr nordische Weißbirke ist die wahrscheinlich
nur eine Abart derselben bildende +Hänge-+ oder +Trauerbirke+ (~B.
pendula~), deren dünne Äste im Gegensatz zur vorigen weit herabhängen.
Diese liebt einen sandigen, etwas lehmigen Boden, findet sich bei uns
in kleinen Hainen und wird in Gartenanlagen angepflanzt, häufig auch
im Mischwald und als Gesträuch im Buschwald, kommt auch auf Hochmooren
vor. Sonst ist auf sumpfigen, moorigen Stellen und in feuchten Feldern
die +Haar-+ oder +Ruchbirke+ (~B. pubescens~) heimisch, die als
mäßig hoher Baum oder noch häufiger, namentlich in höheren Lagen,
strauchartig in den Alpen und den mitteldeutschen Gebirgen bis an die
Baumgrenze geht, in Norddeutschland aber auch in der Ebene wächst.
Während, wie die Blätter, auch die jungen Triebe der erstgenannten
beiden gemeinen Birken kahl, höchstens von Wachsausschwitzungen rauh
und warzig sind, sind diese bei der Haarbirke in der Jugend mit einem
dichten, weichen Haarfilze überzogen, der im erwachsenen Zustande
ganz schwindet oder nur auf die bärtigen Aderwinkel der Unterseite
der Blätter beschränkt bleibt. Die Rinde von Weiß- und Hängebirke ist
reinweiß, während sie bei der Haarbirke etwas ins Graue geht. Dafür
behält letztere ihre glatte, in papierdünnen Bändern sich ablösende
Rinde bis ins Alter am ganzen Stamm, während Weiß- und Hängebirke
im höheren Alter am unteren Stammteil eine dicke, tiefrissige Borke
von schwärzlicher Farbe und außerordentlicher Härte bilden. Da die
Borke einen Schutz gegen Erwärmung und Verdunstung bildet, ist es
begreiflich, daß die auf nassem Boden wachsende Haarbirke dieses
Schutzes weniger bedarf als jene. Die Form der ziemlich dünnen,
langgestielten Blätter sind bei Weiß- und Hängebirke dreieckig bis
rautenförmig, bei der Haarbirke dagegen mehr oval.

Alle drei Birkenarten sind, besonders in der Jugend, sehr raschwüchsig
und vermögen bei ihrer leichten Verbreitungsfähigkeit durch den Wind im
Wald entstandene Lücken schnell auszufüllen. Dabei können aber Weiß-
und Hängebirke durch das Hin- und Herpeitschen ihrer warzenbedeckten,
lang herabhängenden Zweige im Winde die Nachbarpflanzen ziemlich
belästigen, während die Zweige der Haarbirke sperriger und weniger
hängend sind. Sie wird deshalb als Mischholz vorzugsweise zwischen
Nadelbäume gepflanzt, da es wegen dieses Umsichschlagens der Zweige
im Winde selten ein Laubbaum in ihrer Nachbarschaft aushält. Auch
als Oberholz im Mittelwald und als Schutzbäume leisten die Birken
gute Dienste. Sie bedürfen nur wenig Sonnenwärme, um ihr Wachstum zu
beginnen, belauben sich schon, wenn die Tageswärme über 7° C. steigt,
und verlieren ihre Blätter im Herbst, wenn dieser Wärmegrad nicht mehr
erreicht wird. Dies befähigt sie, wenigstens zu Sträuchern verkrüppelt,
bis zu den baumlosen Polarländern vorzudringen. Sie gedeihen am besten
in frischen, nicht zu windigen Lagen auf feuchten, humusreichen
Sandböden. Ihre Polargrenze stimmt mit derjenigen der Nadelhölzer nahe
überein. Man erzieht die Birken leicht und sicher durch Pflanzung zwei-
bis fünfjähriger Pflänzlinge, welche aus den Schlägen genommen werden,
wo sie aus angeflogenem Samen von selbst wachsen.

Die Weißbirken bilden östlich der Weichsel ausgedehnte reine
Bestände. Ihr Anbau in Deutschland datiert erst aus dem Beginne des
19. Jahrhundert, als man die durch lange Mißwirtschaft ermüdeten und
verödeten Waldbestände wieder aufzufrischen suchte. Jetzt werden
sie als Nutzholz häufig gepflanzt. Ihr dichtes, feines, sehr zähes,
gelblichweißes Holz bildet keinen Kern, besitzt geringe Härte,
arbeitet stark und wird in feuchter Luft sehr schnell morsch. Es dient
hauptsächlich zu Leiterbäumen, Felgen, Deichseln, Zahnrädern und zu
groben Schnitzwaren, wie Trögen, Holzschuhen usw.; als Brennholz
rechnet man es zu den Harthölzern. Es brennt hell, gibt viel Hitze
und, wie auch die daraus gebrannte Kohle, ein beständig lebhaftes
Feuer. Die Ruten liefern das Material zu unsern gewöhnlichen braunen
Besen, werden auch zu Strafruten, zu Dachreisig und als Wieden zum
Binden gebraucht. Oft werden die Birken speziell zur Gewinnung von
Reisig angepflanzt und die Bäume dann geschneitelt, d. h. die einzelnen
Äste werden abgehauen, um ähnlich wie bei Kopfweiden jährlich die
Schößlinge ernten zu können. Die harzreiche weiße Rinde ist fast
unverweslich, man legt sie unter die Schwellen und Balken, die feucht
oder auf Steinen zu liegen kommen, und benutzt sie zur Unterlage der
Rasendächer, auch stellt man Körbe, Schnupf- und Tabaksdosen daraus
her. Wegen ihres hohen Gerbstoffgehaltes wird sie auch zum Gerben
benutzt. In Rußland wird aus der Birkenrinde und Birkenwurzel durch
trockene Destillation der Birkenteer gewonnen, der zur Bereitung
des Juchtenleders dient, dem er den eigentümlichen Geruch verleiht.
Die Blätter dienen als Schaffutter, sind als harntreibendes Mittel
beliebt und geben mit Alaun eine grüne Farbe, das Schüttgrün, und mit
Kreide das Schüttgelb. Birkenknospen geben Birk- und Auerhühnern ein
angenehmes Futter und den Finnländern einen beliebten Tee. Alte Stämme
liefern beim Anbohren im Frühjahr einen durch 2 Prozent Traubenzucker
süßen Saft, der zur Bereitung von Birkenwein und Birkenbier verwendet
wird. Ein aus dem Stamm gewonnenes Harz dient in Rußland gegen Gicht
und scheint schon in vorgeschichtlicher Zeit als Amulett zu gleichem
Zwecke benutzt worden zu sein. Gemasertes Birkenholz gibt schönes
Furnierholz, das meist unter dem Namen „schwedische Birke“ im Handel
ist. Der bei der Verbrennung des Holzes entstehende Ruß findet zur
Bereitung von Buchdruckerschwärze und Malerfarben Verwendung. Aus
der Asche gewinnt man eine gute Pottasche. Zu Pfingsten abgehauene
Birken werden als „Maien“ vor die Häuser, Kirchen und selbst in die
Stuben gesetzt. Dieser Gebrauch ist ein Nachklang des Frühlingsfestes
der alten Germanen. Daß die Birke bei diesen in hohem Ansehen stand,
beweist, daß der zweite Buchstabe der Runenschrift ~b~ seinen Namen
~biârkan~ von der Birke hatte. Nach altem Volksglauben reiten die
Hexen auf einem Birkenbesen zum Blocksberg. Die bis in unsere Zeit bei
Studenten beliebten, „Birkenmaier“ genannten Becher aus Birkenstämmen
mit der Rinde bildeten die Trinkgefäße der alten Germanen. Da die Birke
in Griechenland, wie überhaupt im südöstlichen Europa, nicht wächst,
kannten die Griechen diesen Baum nicht, wohl aber die Römer, die ihre
~fasces~ genannten Strafruten außer aus Ulmenzweigen gelegentlich
auch aus Birkenreisig herstellten. Sie kommt in Norditalien noch auf
der Nordseite hoher Berge wild vor. Der ältere Plinius schreibt in
seiner Naturgeschichte: „Der Spierlingsbaum (~sorbus~) und die Birke
(~betulla~) lieben einen kalten Standort. Die Birke ist eigentlich ein
gallischer Baum; ihre Rinde ist blendend weiß und dabei sehr dünn.
Die Obrigkeiten gebrauchen ihre Ruten zum Strafen; sie dienen auch
zu Reifen und Korbrippen. In Gallien kocht man aus Birken auch Teer
(~bitumen~).“

Außer den besprochenen Baumbirken wächst als Vertreter der im
Hochgebirge heimischen Strauchbirken auf den Mooren Norddeutschlands
und auf den kalten Hochmooren Bayerns, wie der Alpen die +Strauchbirke+
(~Betula humilis~), während ebenfalls als Relikt der Eiszeit auf den
Alpen und auf den höchsten Mooren des Riesengebirges, des Erzgebirges
und des Harzes die +Zwergbirke+ (~B. nana~) als ein fast kriechender
Strauch von höchstens 1 m Höhe mit selten über fingerdick werdendem
Stämmchen gedeiht. In ihrer eigentlichen Heimat Nordeuropa, Nordasien
und Kanada kann sie gelegentlich 6 m Höhe erreichen, während sie
in Grönland und auf Spitzbergen sehr klein bleibt. Aus ihren feinen
Wurzelfasern verfertigen die Lappländer ganz schöne Decken.

In Kanada und in den nördlichen Staaten der Union, aber auch in
Sibirien und Japan wächst als ein bis 25 m hoher Baum mit weißen, in
dünnen Häuten sich ablösender Rinde die +Papierbirke+ (~B. papyracea~),
aus deren Gesamtrinde man sehr leichte und dennoch dauerhafte Boote
(~canoes~) verfertigt. Ebenfalls in Nordamerika, und zwar im östlichen
Teile jenes Kontinents sind die +weißbuchenblätterige Birke+ (~B.
carpinifolia~) mit bräunlichgelber bis dunkelbrauner, selten hellgrauer
Rinde, die 20 m hohe +Schwarz+- und +Gelbbirke+ (~B. nigra~ und
~lutea~) mit schon sehr bald rissiger, schwarzer beziehungsweise
gelber Rinde und die +Zuckerbirke+ (~B. lenta~) zu Hause, werden aber
oft in unseren Anlagen als Zierbäume kultiviert. Die Zuckerbirke wird
24 m hoch und besitzt eine braunschwarze, in dicken, breiten Stücken
sich ablösende Rinde von gewürzhaftem und süßem Geschmack, weshalb sie
den Indianern als Kaumittel und zur Bereitung erfrischender Getränke
dient. Sie liefert bei der Destillation ein ätherisches Öl, das als
+Gaultheria-+ oder +Wintergrünöl+ in den Handel gelangt. In Japan und
in der Mandschurei sind die +pappelblätterige Birke+ (~B. populifolia~)
und die +ulmenblätterige Birke+ (~B. ulmifolia~) zu Hause, während im
Himalaja die zur Anfertigung von Papier dienende +Bhojpatra-+ oder
+Churjibirke+ (~B. utilis~) mit brauner Stammrinde heimisch ist. Damit
wären die wichtigsten Birkenarten aufgezählt.

Ihres Holzwertes wegen verdienen auch die bei uns meist nur als
Zierbäume gepflanzten +Platanen+arten (~Platanus~) Beachtung. Das
ziemlich feine, feste, harte und gut polierbare Holz dieser Kernbäume
ist von zahlreichen ansehnlichen Markstrahlen durchsetzt und in
Farbe und Eigenschaften unserem Rotbuchenholz sehr ähnlich. Wie
dieses ist es des lästigen Arbeitens wegen in massiver Verwendung zu
besseren Möbeln wenig brauchbar, wohl aber zu Furnieren, sowie zu
Galanterie- und Drechslerwaren, ist aber weniger haltbar als jenes. Die
überall bei uns verbreitete, durch Stecklinge vermehrte Art ist die
+ahornblätterige Platane+ (~Platanus acerifolia~), ein Kreuzungsprodukt
der wetterhärteren nordamerikanischen und griechischen Platane (~Pl.
occidentalis~ und ~orientalis~). Ihre großen Blätter sind dem Ahornlaub
ähnlich handförmig gelappt und der schlanke Stamm stößt fortwährend die
Borke in unregelmäßigen, dünnen Schuppen ab, so daß der Schaft glatt
bleibt und gelblich gefleckt erscheint.

Vielseitiges Nutzholz liefern die +Ahorn+arten (~Acer~), von denen
wir den +Bergahorn+ (~Acer pseudoplatanus~), den +Spitzahorn+ (~A.
platanoides~) und den +Feldahorn+ oder +Maßholder+ (~A. campestre~)
unterscheiden. Die handförmig fünflappigen Blätter erinnern beim
Bergahorn durch ihre abgerundeten Ecken lebhaft an das Weinlaub,
während sie beim Spitzahorn scharf ausgezogene Spitzen besitzen
und etwas denjenigen der Platane ähneln. Während letzterer die
abwärts hängenden Blütentrauben erst nach der Entfaltung der Blätter
entwickelt, läßt ersterer seine aufrechten gelben Blütendolden schon
im April und Mai leuchten. Die Früchte sind einsamige Nüßchen, die je
zu zweit miteinander verwachsen sind und sich in lange grüne Flügel
fortsetzen, damit sie der Wind in spiraliger Bahn um sich selbst
wirbelnd davontrage. Diese Flügel der Doppelfrucht stehen beim
Bergahorn in spitzem Winkel zusammen, beim Spitzahorn dagegen bilden
sie einen stumpfen Winkel und beim Feldahorn, bei dem die Früchte
filzig behaart sind, stehen sie wagrecht auseinander. Bei letzterem,
der nur selten zum stattlichen Baum heranwächst und uns in der Regel
nur als Buschwerk am Waldrand und in Feldhölzern entgegentritt,
sind die ebenfalls fünflappigen Blätter kleiner als bei den andern
beiden Arten, die Lappen der letzteren sind abgerundet und ziemlich
ganzrandig. Wie der Name schon sagt, ist der Bergahorn ein echter
Gebirgsbaum, der in den Alpen bis 1600 m hoch steigt und nördlich
bis Dänemark und Gothland geht; der Spitzahorn, der ebenfalls 20-25 m
hoch wird, steigt weniger hoch, geht aber weiter nach Osten und Norden
als ersterer. Das Holz dieser Ahornarten ist gelblichweiß, beim
Feldahorn meist ins Rötliche übergehend, mittelschwer, mäßig hart, sehr
fein mit oft kaum sichtbaren Jahresringen, glatt zu bearbeiten und
leicht polierbar; vermöge seiner Eigenschaft, nur mäßig zu schwinden
und zu reißen, ist es für furnierte und massive Möbel, Tischplatten
und zur Herstellung musikalischer Instrumente vorzüglich geeignet. Es
ist auch ein gutes Drechslerholz und findet in der Hausindustrie zu
Schnitzwaren, Küchengeräten, Laubsägearbeiten und Schuhmacherleisten
vielseitige Verwendung. Seine Dauerhaftigkeit ist aber nur im Trockenen
eine gute; doch wird es hier, wenn nicht luftig gehalten, gern von
Würmern angegangen. Der Ahornmaser ist sehr schön, ebenso das wellige
(flammige) Holz, das meist dem Spitzahorn eigen ist und an alten
Stämmen durch Welligwerden der Jahresringe, entsprechend den Rissen der
rötlichbraunen Borke, entsteht. Trotzdem das Holz des Feldahorns seiner
schönen Maserung wegen sehr gesucht ist, wird der Baum seines langsamen
Wuchses wegen nicht im Hochwald angepflanzt, dagegen sichert ihm seine
Ausschlagsfähigkeit im Niederwaldbetrieb einen Platz. Der besonders
im Frühjahr stark zuckerhaltige Saft der Ahornarten wird bei uns kaum
genutzt, wohl aber in Nordamerika, wo der im Herbst ein orangefarbenes
Laubwerk aufweisende +Zuckerahorn+ (~A. saccharinum~) zu Hause ist
und vorzugsweise dazu verwendet wird. Dieser Baum ist als durchaus
winterhart auch in unsere Wälder eingeführt worden, spielt aber darin
noch keine nennenswerte Rolle. Noch weniger ist dies beim ebenfalls
aus Nordamerika bei uns eingeführten +Silberahorn+ (~A. dasycarpum~)
der Fall, dessen zierliches, scharf eingeschnittenes Laubwerk ihn
als Park- und Straßenbaum empfiehlt. Als solcher ist er besonders in
Süddeutschland eingebürgert, ferner der gleichfalls nordamerikanische
+Eschenahorn+ (~Acer negundo~), so genannt wegen seiner unpaarig
gefiederten Blätter. Außer diesen ist er an seinen lange vor dem
Ausbruch des Laubes erscheinenden, hängenden Blütenbüscheln und den
kleinen, mit den Flügeln sich berührenden Doppelfrüchten erkenntlich.
Auch er wird wie der gleicherweise nordamerikanische +Schwarz-+ und
+Rotahorn+ (~A. nigrum~ und ~rubrum~) in seiner Heimat zur Gewinnung
von Ahornzucker angezapft und ist eine Zierde unserer Anlagen und
Alleen. Die Spielart des Eschenahorns mit weißbunten und gelbbunten
Blättern wird als die Krone unserer panachiertblätterigen Bäume
angesehen. Zu den schönsten Schmuckhölzern zählt eine Maserbildung des
Ahorns, die besonders häufig und in großer Schönheit am amerikanischen
Zuckerahorn auftritt und unter dem Namen „Vogelaugenmaser“ als
Furnierholz die höchsten Preise erzielt. Da die Maserbildung für
gewöhnlich nur in den äußeren Stammschichten auftritt, erfolgt das
Schneiden der Furniere durch Abschälen um den Stamm. Grau gebeizt sind
diese Furniere unter dem Namen „Maple“ im Handel.

Von den 39 in der gemäßigten und subtropischen Zone der Nordhemisphäre,
besonders in Nordamerika, Ostasien und dem Mittelmeergebiet, heimischen
+Eschen+ (~Fraxinus~) ist die bei uns vorkommende +gemeine Esche+
(~Fraxinus excelsior~, d. h. die hochragende) einer unserer schönsten
Waldbäume mit hohem, schlankem Stamm, in der Jugend hellgrauer,
glatter, im Alter braungrauer, rauher, durch quere Borkenrisse
ausgezeichneter Rinde, großen, schwarzen Knospen an den glatten,
graugrünen Trieben, mit 3-6paarigen Fiederblättern und vor dem Laub
erscheinenden, nackten, d. h. kronenlosen Zwitterblüten, die mit ihren
roten bis violetten Staubgefäßen in dichten Büscheln an den alten
Trieben sitzen und nach der Befruchtung in einen zungenförmigen,
deutlich geaderten Flügel auslaufende längliche Früchte hervorgehen
lassen. Als große Seltenheit trifft man auch Eschen mit ungefiederten,
höchstens am Grunde gelappten Blättern, die als Rückbildung zur
ursprünglichen, einfachen Form angesehen werden müssen. Ist die
Gipfelknospe eines Triebes durch Frost oder Insekten zerstört worden,
so übernehmen zwei gleichstarke Seitenknospen die Führung und
verursachen eine typische Zwieselbildung.

Die gemeine Esche findet sich in ganz Europa bis 60° nördlicher Breite,
ebenso in Nordasien und im Orient in feuchten Wäldern, dann an Fluß-
und Bachufern. Sie gedeiht noch in Sümpfen, nicht aber auf Sandboden,
erreicht eine Höhe von 40 m und steigt in den Alpen bis 1200 m
hinauf. Sie verlangt frischen, fruchtbaren Boden, kann aber dank
ihres außerordentlich weit verzweigten Wurzelsystems, das überall das
versinkende Oberflächenwasser aufzunehmen vermag, auch auf lockeren
Schutthalden von Kalkgebirgen, wie z. B. auf der Schwäbischen Alp und
im Schweizer Jura, fortkommen. Die Wurzel dringt nicht weit in den
Boden, breitet sich aber nach allen Seiten weit aus, so daß sie den
Boden dennoch von aller in ihm enthaltenen Feuchtigkeit auszusaugen
vermag. Außer Bodenfeuchtigkeit braucht sie Licht, ist aber gegen
Frost und Hitze empfindlich. Sie meidet daher wie den Sandboden, so
auch die rauheren Gebirgslagen. Man pflanzt sie in Laubholzbeständen
an, kultiviert sie aber am häufigsten im Niederwaldbetrieb. Ihr von
jungen Bäumen weißes, von älteren dagegen bräunlichgelbes, mit breiten
Jahresringen, aber feinen Spiegeln versehenes Holz ist dicht, hart,
sehr zähe und elastisch, gut spaltbar, nicht leicht reißend und sehr
tragfähig. Diese Eigenschaften machen es zur Herstellung von Axt- und
Hammerstielen, von Drechsler- und Wagnerarbeiten, landwirtschaftlichen
Werkzeugen, Turn- und Sportgeräten, besonders Schneeschuhen und
Schlitten, aber auch als Tischlerholz vorzüglich geeignet. Vornehmlich
geschätzt ist der ungarische Eschenmaser von alten Stämmen mit
welligem Verlauf der Holzfasern. Furniere mit solchem Maser werden
mit 10-12 Mark pro Quadratmeter bezahlt. Im Brennwert rangiert das
Eschenholz dicht hinter dem Eichenholz. Das Laub wird von Schafen und
Ziegen gerne gefressen und ist ein gutes Viehfutter, das als solches
besonders in Steiermark und Kärnten, aber auch in den grasarmen
Mittelmeerländern viel benutzt wird. Wie das junge Eschenholz auch zu
Faßreifen, werden die jungen Triebe zu Lanzenschäften, Peitschenstielen
usw. verwendet. Schon Homer, der allerdings von der weiter im Süden
wachsenden +Blumen-+ oder +Mannaesche+ (~Fraxinus ornus~) als ~melíē~
in Ilias und Odyssee mehrfach spricht -- die gemeine Esche wächst nur
auf den Gebirgen Makedoniens und am Südabhang der Alpen -- sagt von
der Esche, sie wachse in Gebirgstälern und diene zu Speerschäften,
Türschwellen und -Pfosten. Auch die Römer haben diese im Auge, wenn sie
von ~fraxinus~ sprechen. So sagt der Ackerbauschriftsteller Columella:
„Die Esche gibt ein Laub, das Schafen und Ziegen sehr angenehm und
auch für Rindvieh recht brauchbar ist. Man zieht sie deswegen in
eigenen Pflanzungen.“ Sein Zeitgenosse Plinius aber schreibt in seiner
Naturgeschichte: „Die Esche wurde ihres Holzes wegen geschaffen. Ihr
Wuchs ist hoch und schlank; ihre Blätter sind gefiedert (~pinnatus~).
Sie ist durch Homer und des Achilles Lanze berühmt geworden. Das
Holz ist jedenfalls zu vielerlei Gebrauch gut. Das Holz der auf dem
Ida in der Landschaft Troas wachsenden Eschen ist dem Cedernholze so
ähnlich, daß es kaum davon unterschieden werden kann, wenn es geschält
ist. Griechische Schriftsteller behaupten, Eschenlaub sei Pferden
und Maultieren tödlich; in Italien ist dies jedenfalls nicht der
Fall. Dagegen ist der aus ihnen gepreßte Saft, getrunken und auf die
schwellende Bißwunde gelegt, das beste Mittel gegen Schlangengift.
Die Wirkung ist so groß, daß jede Schlange den Eschenbaum von weitem
flieht und seinen Schatten selbst dann meidet, wenn er früh und abends
am längsten ist. Ich habe selbst gesehen, daß eine Schlange, welche
in einen Kreis zwischen Eschenblätter und Feuer gelegt wurde, sich
lieber ins Feuer stürzte, als die Blätter berührte. Es ist eine große
Wohltat der Natur, daß die Eschen früher blühen, als die Schlangen
erscheinen, und daß sie nicht eher die Blätter abwerfen, als bis die
Schlangen zur Winterruhe gegangen sind.“ Natürlich ist dies Aberglaube,
wie er in damaliger Zeit selbst bei den Gebildetsten weit verbreitet
war. Die Blumen- oder Mannaesche, von der hier die Rede ist, findet
sich in Bergwäldern Südeuropas, waldbildend namentlich im Karst, in
Kroatien, Slavonien, Dalmatien und im Orient und wird besonders in
Sizilien kultiviert, da sie durch im Frühjahr in ihre Rinde gemachte
Einschnitte die +Manna+ als einen süßen, an der Luft erhärtenden Saft
liefert. Bei uns findet sie sich nur als Zierholz angepflanzt. Sie ist
ein buschiger kleiner Baum oder Strauch, dessen Blüten grüne Kelch- und
weiße Kronblätter tragen.

Von der gemeinen Esche, die in der germanischen und nordischen
Mythologie eine bedeutende Rolle spielt -- man denke nur an die
Weltesche Ygdrasil und die Abstammung des Mannes von der Esche,
während die Frau aus der Erle hervorging -- kultiviert man als
Zierbäume verschiedene Abarten, wie die +einblätterige Esche+, die
+Trauer-+ oder +Hängeesche+, die +Goldesche+ mit rötlichgelber Rinde
usw. In Parkanlagen werden auch mehrere nordamerikanische Arten, wie
die +Weiß-+, +Rot-+, +Schwarz-+ und +Blauesche+ angepflanzt. Unter
ihnen ist besonders die Weißesche (~Fraxinus americana~), weil viel
frosthärter und später als die gemeine Esche austreibend, neuerdings
auch in einzelnen Versuchspflanzungen als Waldbaum bei uns angesiedelt
worden. Auf einer Esche (~Fraxinus chinensis~) in Südchina und
Annam wird die Wachsschildlaus (~Coccus pe-la~) gezüchtet, die das
chinesische Wachs liefert.

Der Baum, der am innigsten mit dem deutschen Volksleben verwachsen
ist, ist die +Linde+ (~Tilia~). Sie galt den alten Germanen und Slaven
als heiliger Baum und war der weiblichen Gottheit Herka oder Frau
Holle, bei den Slaven der Liebesgöttin Krasopani geweiht. In Sitte
und Sage spielt sie eine sehr wichtige Rolle. Wie heute noch alle
Volksfeste sich unter der alten Dorflinde abspielen, so kamen unsere
Vorfahren mit Vorliebe unter ehrwürdigen Lindenbäumen zusammen. So gibt
es in Deutschland noch viele Gerichts-, Vehm-, Blut-, Geisterlinden
usw. An Gerichtsstätten standen wenigstens drei, meist aber sieben
Linden. Das in der Regel am Hauptbaume befestigte roh geschnitzte
Götterbild hieß Wigbild, woraus später Weichbild, im Sinne von Grenze
des Gerichts, später Stadtgrund, entstand. Berühmt ist namentlich die
altehrwürdige Vehmlinde bei Dortmund. Auf Burgen und in Klöstern war
die Linde Hausbaum. Dort wurde der Gast im Sommer bewirtet, dort wurde
erzählt, gezecht, gespielt und der fahrende Spielmann oder Sänger
angehört. Wie auf den Burgen war die Linde auch im Kloster der Baum
der Erholung und als solcher meist am Brunnen gepflanzt. Weil der
Baum als Bildstock für Marien- und Heiligenbilder benützt zu werden
pflegte, wurde er wie diese selbst mit dem Nimbus der Heiligkeit und
Wundertätigkeit umgeben, zu dem man nicht selten Wallfahrten unternahm.
Am meisten beschäftigen sich Lindensagen mit der Mutter Gottes als der
Nachfolgerin der heidnischen Herka oder Frau Holle. Außer religiösem
Aberglauben hat die Volksmeinung, wonach der Blitz nicht in Linden
einschlagen soll, viel dazu beigetragen, daß häufig Linden an Feldwege
und auf Viehtriften zum Schutze der Hirten und Feldarbeiter gepflanzt
wurden. Auch zum Verbrennen der Toten wurde, wie uns die Kohlenreste
alter Grabhügel beweisen, mit Vorliebe Lindenholz als dasjenige eines
heiligen Baumes genommen. Zahlreiche Ortschaftsnamen weisen auf die
Linde, so vor allem auch Leipzig, das Lindenstadt bedeutet. Der Name
ist aus dem slavischen Worte Lipsk entstanden, das aus ~lipa~ Linde
gebildet ist. Die berühmteste Linde Deutschlands ist die zu Neustadt
am Kocher in Württemberg, von welcher die Stadt auch Neustadt an der
Linde heißt. Sie hat an ihrem Fuße 12 m Umfang. Ihre mächtigen Äste
wurden schon im Jahre 1392 durch 60 steinerne Säulen gestützt, und ein
Gedicht von 1408 sagt: „Vor dem Thor eine Linde staht, die 67 Säulen
hat.“ Im Jahre 1831 wurden diese Stützsäulen auf 166 vermehrt. Ein
abgebrochener Ast gab 7 Klafter Holz. Diese Linde muß gegen 800 Jahre
alt sein. Die stärkste Linde Deutschlands ist aber diejenige auf der
Burg zu Nürnberg, welche bei nur 18 m Höhe einen Stammumfang von 14 m
aufweist. Ihr Stamm ist so weit hohl, daß man durch ihn wie durch ein
Tor zu Pferde hindurchreiten kann. Sie ist wohl über 800 Jahre alt.
Unter der Schirmfläche der Linde zu Vilsen im Hannoverschen versammeln
sich jeden Sonntag 13 Gemeinden zum Gottesdienst. Unter der Linde von
Augustusburg, die einen Stammumfang von 12 m besitzt, hatten einst
120 Speisetische Platz. Vom Kurfürsten August von Sachsen, der das
Schloß Augustusburg baute, existieren noch viele Verordnungen, die mit:
„Gegeben unter der Linde“ unterzeichnet sind. In alten Linden, die in
der Nähe von Kirchen stehen, findet man zuweilen noch eiserne Ringe und
Klammern. Diese dienten einst als Klammern für diejenigen, die hier
öffentlich Kirchenbuße zu leisten hatten.

Man unterscheidet bei uns zwei Arten von Linden: Die +kleinblätterige+
oder +Winterlinde+ (~Tilia parvifolia~) und +großblätterige+ oder
+Sommerlinde+ (~T. grandifolia~). Letztere ist in Deutschland weniger
verbreitet als erstere. Beide haben eine weitverzweigte, tiefgehende
Wurzel, einen kräftigen Stamm mit im Alter ziemlich dicker, graubrauner
oder schwarzgrauer, rissiger Rinde. Die Innenrinde liefert einen
trefflichen Bast. Die Äste beginnen schon tief unten am Stamm und
breiten sich ringsum nach allen Seiten hin aus. Die unteren halten sich
fast wagrecht; je weiter nach oben, desto mehr streben auch die Äste
aufwärts. An den wagrecht ausgebreiteten oder niederhängenden Zweigen
stehen die rundlichen, zugespitzten, scharf gesägten und am Grunde
ausgeschnittenen Blätter, die bei der Winterlinde kleiner, oberseits
dunkelgrün, unterseits blaugrün und kahl sind, während sie bei der
anfangs Mai, statt wie die vorige Mitte Mai, ausschlagenden Sommerlinde
unterseits hellgrün und kurz behaart sind. In den Winkeln der
Blattnerven der Unterseite stehen als Acarodomatien oder Milbenhäuschen
kleine Haarbüschel, die bei der Winterlinde rostfarbig, bei der
Sommerlinde dagegen gelblichweiß sind. Die gelblichen Zwitterblüten
hängen in Trugdolden geordnet an langem, mit zungenförmigem Deckblatte
verwachsenem Stiele zu 5-7 bei der Winterlinde und zu 2-3 an der 14
Tage später, d. h. Ende Juni bis Mitte Juli blühenden Sommerlinde. Sie
liefern einen als Hausmittel vielgebrauchten Tee. Die filzig behaarten
Nußfrüchtchen benutzen das gemeinsame Deckblatt als Flugapparat,
bleiben aber, besonders bei der später reifenden Winterlinde, oft bis
zum Frühjahr am Baume. Die Keimung erfolgt wie bei manchen anderen
Bäumen erst im zweiten Frühjahr. Die zwei Keimblätter sind handförmig
geteilt, im Gegensatz zu der sonst gültigen Regel, nach der sie
einfacher geformt sind als das spätere Laubblatt. Die zweijährigen
Pflänzlinge werden umgepflanzt: damit sie recht erstarken, empfiehlt
es sich, sie etwa im fünften Jahre ein zweites Mal im Pflanzbeet
umzulegen. Die Linde zeigt von Jugend an ein freudiges Wachstum und
bildet einen anfangs fast immer walzenrunden, glänzend bräunlichen, mit
weißlichen Warzen überstreuten Stamm, der schon in geringer Höhe Äste
ausstreckt, welche sich gern flach ausbreiten. Die Krone wölbt sich
frühzeitig ab und wird mit dem Alter immer dichter und umfangreicher.
Die tiefgreifende und sich weithin verzweigende Wurzel befähigt die
Linde den stärksten Stürmen zu trotzen.

Die Winterlinde bevorzugt den frischen, feuchten Waldboden der niederen
Vorberge und Ebenen, während die Sommerlinde auch in trockeneren
Lagen wächst. Beide gedeihen schlecht im Nassen. Sie bilden bei uns
keine reinen Waldbestände wie in den russischen Ostseeprovinzen,
sondern finden sich immer nur einzeln in Wäldern, werden bis 30 m
hoch und erreichen ein tausendjähriges Alter. Die Winterlinde ist
in Deutschland überall die gemeinere, die Sommerlinde dagegen wird
häufiger angepflanzt und geht auch höher in die Gebirge. Wegen ihres
schnellen Wuchses, ihres dichten Schattens und angenehmen Geruches
der Blüten sind sie als Alleebäume beliebt. Ihr rasches Wachstum,
die Fähigkeit vom Stamm und der Wurzel wieder auszuschlagen und
gleich der Buche den Boden zu verbessern, machen sie auch forstlich
wichtig. In 8-10 Jahren sind sie als Reißholz, in 20-25 Jahren als
Schlagholz und in 60-80 Jahren als Bauholz verwendbar. Doch legt der
Forstmann wenig Wert auf Linden, weil der Brennwert ihres Holzes
nur ein Drittel desjenigen des Buchenholzes beträgt und die Linde
gleichwohl denselben Boden fordert, wie die edleren Harthölzer. Das
weißlichgelbe bis rötlichweiße, feine, weiche, gut zu bearbeitende und,
wenn richtig getrocknet, wenig arbeitende Holz eignet sich vermöge
der Eigenschaft, sich in jeder Richtung schnitzen, drehen und hobeln
zu lassen, vorzüglich als Bildhauer- und Modellschreinermaterial.
Namentlich werden Heiligenbilder aus Lindenholz geschnitzt, weshalb
es früher als „Heiligenholz“ bezeichnet wurde. Noch mehr dient es zum
Schnitzen von Spielwaren, Löffeln, Wurfschaufeln usw., zu Reißbrettern,
massiven Möbeln, die besonders in Rußland sehr beliebt sind, und als
Blindholz für furnierte Arbeiten. Dauer behält das dem Wurmfraß nur
wenig ausgesetzte Holz bloß im Trockenen, für freie Lagen dagegen,
in denen es dem Wechsel unterworfen ist, ist es unbrauchbar. Die
festen, leichten Lindenkohlen dienen als Reißkohle zum Zeichnen,
zur Fabrikation von Schießpulver, Zahnpulver und Räucherkerzen.
In Rußland und Westamerika benutzt man mit Maschinen geschnittene
Lindenholzfasern als Füllmaterial für Bettmatratzen fürs gemeine Volk.
Die Rinde verwendet man in Rußland zu Schlittenkörben, Wagen, Kisten
und zum Dachdecken. Der innere Bast wird im Mai von 20-30 jährigen
Stangenhölzern in Streifen von 6-9 cm Breite abgeschält, wie Flachs
in Wasser gerottet, im Oktober dann durch Klopfen und Waschen von den
leichter zersetzbaren Bestandteilen befreit, so daß nur die ein feines
Maschennetz bildenden, sehr dickwandigen Bastzellen zurückbleiben,
worauf man die einzelnen Jahreslagen voneinander trennt. In Rußland,
das den meisten Lindenbast liefert, verfertigt man daraus Körbe,
Decken, Stricke, Siebe, besonders aber die zum Verpacken von Waren
dienenden Bastmatten; man verwendet ihn auch zum Anbinden von Blumen.
Ein Baum von 10 m Höhe und 30-40 cm Stammumfang liefert 45 kg
Bast, für 10-12 Matten ausreichend. Rußland liefert jährlich 14
Millionen Stück Matten. Die herrlich duftenden Lindenblüten erfreuen
nicht nur den Menschen, sondern liefern eine treffliche Bienenweide
und einen vielbenutzten schweißtreibenden Tee, auch das offizinelle
Lindenblütenwasser. In trockenen Jahren schwitzen die Blätter, auch
ohne daß Blattläuse im Spiele sind, den Honigtau als eine süße,
klebrige, bald an der Luft verdickende Flüssigkeit aus, welche ihnen
das Aussehen gibt, als seien sie mit Firnis überstrichen. Nach einigen
Tagen wird diese Ausschwitzung teerartig und schwarz, dabei werden
die Blätter ganz schlaff. Da sich leicht Schmarotzerpilze darauf
entwickeln, wenn der Honigtau nicht bald vom Regen abgewaschen wird, so
ist er für die Pflanze schädlich.

Auf den griechischen Gebirgen wächst die von Ungarn bis Westasien
heimische +morgenländische Silberlinde+ (~Tilia argentea~) mit an der
Oberseite matten, unterseits aber dicht weißfilzigen Blättern. Sie
ist die ~phílyra~ der Griechen, die Theophrast beschreibt. Sie ist
jedenfalls auch der Baum, den die Römer als ~tilia~ bezeichneten; denn
die Winter- und Sommerlinde kommen als Südgrenze ihrer Verbreitung
nur noch auf den Bergen Norditaliens vor. Plinius schreibt von ihr:
„Man unterscheidet bei den Linden (~tilia~) männliche und weibliche
Bäume. Der Saft der Blätter und Rinde ist süß, aber die Frucht rührt
kein Tier an. Zwischen Rinde und Holz liegt ein häutiges Gewebe, der
Bast, aus welchem man Bänder macht, die ~tiliae~ heißen die feinsten
nennt man ~philyrae~, braucht sie zum Binden von Kränzen und hält sie
seit alter Zeit in Ehren. Das Holz ist dem Wurmfraß nicht unterworfen,
mäßig hoch, aber nützlich. Die Blätter dienen als Arznei.“ Außer
dieser morgenländischen wird auch die +abendländische Silberlinde+
(~Tilia alba~) aus Nordamerika mit auf der Unterseite schwach filzig
behaarten Blättern und großen Blüten neben der von ebendort stammenden
+Schwarzlinde+ (~T. americana~) in Anlagen gepflanzt, doch nur
ausnahmsweise bei uns als Nutzholz gezogen.

Sehr beliebte Alleebäume sind auch die +Ulmen+ oder +Rüstern+
(~Ulmus~), deren Zweige lange, starre Ruten bilden, die mit zwei
Reihen gleichlaufender Kurztriebe, an ihrem jüngsten Teile mit ebenso
laufenden eiförmigen, scharf zugespitzten und gesägten Blättern besetzt
sind. Leider sind letztere sehr oft von Blattläusen dicht besetzt und
unterseits eingerollt, auch häufig durch Gallen verunstaltet. Abgesehen
von diesen Nachteilen gehören die Ulmen zu den schönsten Zierbäumen und
wachsen unter günstigen Umständen sehr rasch. Ihr ziemlich schweres,
hartes, schwer spaltbares, aber glattes, elastisches, zähbiegsames,
im Splint gelblichweißes, im Kern hellbraunes bis dunkelrotbraunes,
oft fleckiges und maseriges Holz gehört mit zu den festesten und
dauerhaftesten Holzarten, sowohl bei Verwendung im Trockenen, als
auch im Freien und unter Wasser. Es ist ein ausgezeichnetes Wagner-
und ein in neuerer Zeit auch viel verwendetes Möbelholz; doch ist es
seiner schwierigen Bearbeitung wegen bei den Tischlern nicht besonders
beliebt. Da es in der Dauer dem Eichenholze kaum nachsteht und auch
dem Wurmfraße fast gar nicht ausgesetzt ist, eignet es sich besonders
zu Bau- und Werkholz, ist auch der auffälligen Maserung wegen zu
feinen Furnieren sehr gesucht, liefert ferner gute Kohlen. Das Holz
gibt Pottasche; die getrockneten und frischen Blätter geben ein gutes
Schaffutter. Die jüngere Rinde dient zum Gerben und Gelbfärben. Am
häufigsten ist bei uns die +Feldulme+ (~Ulmus campestris~), ein bis
30 m hoher, ein Alter von mehreren hundert Jahren erreichender
Baum, der im Gebirge bis 800 m hoch steigt und sich von Nordafrika
durch Europa bis Sibirien und Kleinasien findet. Man kultiviert ihn
in zahlreichen Varietäten. Noch höher steigt die +Bergulme+ (~U.
montana~), bei der die Flughaut statt am oberen Rande der Frucht
in der Mitte derselben liegt. Bei beiden sitzen die Früchte dicht
am Zweige, bei der +Flatterulme+ (~U. effusa~), die in Wäldern und
Vorhölzern von Gebirgsgegenden wächst und bei uns häufig in der Nähe
von Ortschaften angepflanzt wird, flattern sie an einem langen Stil und
tragen außerdem am Rand einen feinen Wimperkranz. Letztere nimmt mit
ärmeren Böden als die beiden erstgenannten vorlieb und ist vornehmlich
im Flachland zu Hause. In neuester Zeit werden aber die meisten
Anpflanzungen von der +Waldulme+ (~U. scabra~) gemacht, die in Europa
und Nordasien bis zum Amur heimisch ist.

Auch das Holz der schon im Jahre 1600 aus Virginien nach Frankreich
gebrachten nordamerikanischen +gemeinen Robinie+ oder +falschen
Akazie+ (~Robinia pseudacacia~) wäre ein vorzügliches Bau- und
Konstruktionsholz und würde jedenfalls auch als Wagner-, Drechsler-
und Möbelholz benutzt, wenn es in größerer Menge zur Verfügung stände.
Der Kern zeigt ein gelb- bis rötlichbraunes Holz, das schwer, hart,
elastisch, zähe und schwierig zu bearbeiten ist, aber eine große
Festigkeit und sehr große Dauer besitzt. Wenn sich diese Holzart in
unsern Gegenden überhaupt gehalten hat, so ist daran nur ihre große
Anspruchslosigkeit an die Bodenverhältnisse schuld, nicht aber der
Mensch, der zu ihrer Verbreitung nur wenig getan hat und sie nur selten
rationell zu großen Bäumen zieht, sondern sie stets noch jung abholzt,
um sie zu Rebstöcken und Stützen anderer Pflanzen zu verwerten.

Dem Ulmen- und Akazienholz sehr ähnlich ist dasjenige der
+Maulbeerbäume+ (~Morus~). Es ist sehr hart, schwer, dauerhaft und
wird in der verschiedensten Weise, in Südeuropa und Asien auch
als Faß- und Schiffsbauholz, zu Straßenpflaster und Hafenbauten
verwendet. Ebenso hart und fest, doch leider stark reißend und sich
werfend ist das Holz der verschiedenen Sorbusarten. Dasjenige des
+Vogelbeerbaums+ (~Sorbus aucuparia~) liefert ein vorzügliches Holz für
den Wagner, auch für Drechsler und Holzschnitzer, während dasjenige
von +Spierling+ (~S. domestica~) und +Mehlbeerbaum+ (~S. aria~)
besonders für Maschinenbauer, Formstecher und Instrumentenmacher hohen
Gebrauchswert besitzt. Auch unsere Obstbäume liefern vorzügliche und
vielseitig verwendbare Hölzer. Das Holz des +Birnbaums+ ist schwer,
dicht und hart, sehr fein und im Trockenen dauerhaft, es wirft sich
zudem wenig und nimmt eine vorzügliche Politur an. Es ist deshalb
ein hochgeschätztes Schreinerholz, das besonders schwarz gebeizt als
Ebenholzimitation für feine Möbel viel verwendet wird, ferner ein
gutes Drechsler- und vorzügliches Schnitzholz, vornehmlich für den
Holzschneider bildet, der es als Surrogat für das seltenere und teurere
Buchsbaumholz in Verwendung nimmt; deshalb wird das Birnbaumholz auch
als „deutscher Buchsbaum“ bezeichnet. Das Holz des +Apfelbaums+ ist
zwar härter und fester, aber weniger beliebt, da es sich stärker
wirft und reißt. Man verwendet es mit Vorliebe für Werkzeuge. Das
rötlichweiße +Kirschbaumholz+ ist mäßig hart und schwer, sehr fein, gut
zu beizen und zu polieren, schwindet aber sehr stark. Gut getrocknet
ist es ein schönes, in neuerer Zeit wieder sehr beliebtes Möbel- und
Drechslerholz. Das rotbraune Holz der +Pflaumen+- und +Zwetschenbäume+
ist auch sehr fein, hart und ausgezeichnet polierbar, aber sehr spröde
und stark reißend. Es wird vornehmlich für feine Kunstschreiner-,
namentlich aber für Drechsler- und Holzschnitzarbeiten verwendet.

Sehr schwer, fest, hart und zähe ist auch das Holz von
+Kornelkirsche+, +Hartriegel+ und +Weißdorn+; man verwendet es zu
kleineren Dreharbeiten, Hammerstielen, Radkämmen, Spazier- und
Regenschirmstöcken. Ein sehr brauchbares Wagner- und Drechslerholz
liefert der schwarze +Holunder+. Aus seinen Wurzelstöcken, die
häufig schönes Maserholz besitzen, werden mit Vorliebe Pfeifenköpfe
geschnitzt. Zu letzterem Zwecke werden namentlich auch die Wurzelstöcke
der in Südfrankreich und auf Korsika vorkommenden +Baumheide+ (~Erica
carnea~), die unter dem Namen Bruyèremaser im Handel sind, benutzt.
Vorteilhafte Verwendung zu feineren Drechsler- und Einlegearbeiten,
Zahnstochern und dergleichen findet das, wenn zur richtigen Zeit
gefällt, schön gelbe, ziemlich harte, feine und leicht zu schneidende
Holz des +Spindelbaums+ oder +Pfaffenhütchenstrauchs+ (~Euonymus
europaeus~). Ein unübertreffliches Material für Räder, Wagendeichseln,
besonders aber Peitschenstöcke liefert der in Südeuropa wachsende
+Zürgelbaum+ (~Celtis australis~), dessen Holz demjenigen der ihm
sehr nahe verwandten Ulme ähnelt, aber zäher und elastischer als
dieses ist. Auch der +gemeine Flieder+ (~Syringa vulgaris~), die
+Stechpalme+ (~Ilex aquifolium~), die +Berberitze+ (+Berberis
vulgaris+), der +Goldregen+ (~Cytisus laburnum~) und der +Essigbaum+
(+Rhus coriaria+) liefern vorzügliches Holz für kleinere Drechsler- und
Kunstschreinerarbeiten.

Neben all diesen heimischen Holzarten werden eine Menge
außereuropäischer Hölzer als Schmuckhölzer bei uns eingeführt, um
zu Klaviergehäusen, Salonmöbeln, Billardtischen usw. verarbeitet zu
werden. Unter ihnen ist wohl das +Ebenholz+, das seit ältester Zeit
im Gebrauch stehende und teilweise wertvollste aller Schmuckhölzer.
Unter diesem Namen faßt man eine Menge schwerer, dunkler und äußerst
harter Hölzer von hoher Politurfähigkeit, aber großer Sprödigkeit
zusammen, die von verschiedenen in den wärmeren bis tropischen
Regionen gedeihenden Bäumen der Gattung ~Diospyros~ abstammen. Das
gebräuchlichste derselben ist dasjenige des +indischen Ebenholzbaums+
(~Diospyros ebenaster~), eines Baumes aus der Familie der Ebenazeen mit
bis 26 cm langen wechselständigen Blättern, achselständigen, auch
aus altem Holze entspringenden, gelblichweißen oder grünlichen Blüten
in Trugdolden und bis 10 cm langen olivengrünen, als „Mehläpfel“
bezeichneten eßbaren Früchten mit gelbem, schleimigem, säuerlichem
Fleisch. Der in Vorder- und Hinterindien, wie auch im indischen
Archipel sehr verbreitete Baum wird auf Mauritius kultiviert und ist
neuerdings auch im tropischen Amerika eingeführt worden. Er liefert
einen Teil des indischen Ebenholzes, besonders des Ceylonebenholzes.
Das Splintholz junger Bäume ist weißlich und hin und wieder mit weißen,
nach dem Kerne hin sich vermehrenden schwärzlichen Adern durchzogen.
Bei alten Bäumen jedoch ist das Weiße kaum fingerdick, alles übrige
ist schwarz und von so gleichmäßiger Textur, daß man die Spiegel und
Jahresringe nicht leicht bemerkt. Dadurch und durch die größere Schwere
unterscheidet sich das echte Ebenholz leicht von schwarzgebeizten
hiesigen Holzarten, namentlich vom Eichenholz.

Neben dem indischen gibt es auch afrikanisches Ebenholz, von dem das
+Madagaskarebenholz+ von ~D. haplostylis~ mit weißem Splint und tief
blauschwarzem Kern als das schönste gilt. Das +Sansibar+-, +Kamerun+-
und +Makassarebenholz+ von verschiedenen anderen Diospyrosarten ist
weniger schön, von oft grauer bis braunschwarzer Farbe. Ein reh-
bis kaffeebraunes, oft regellos schwarz gestreiftes, wie mit Tinte
übergossenes, aber schönes und seltenes Holz ist unter dem Namen
+buntes+ oder +streifiges Ebenholz+, auch +Koromandelebenholz+ von
~D. hirsuta~, so genannt, weil es zumeist von der Koromandelküste in
Ostindien ausgeführt wird, im Handel. Alle diese Ebenhölzer kommen
in Stämmen von oft gewaltiger Größe zu uns, gehören zu den schönsten
und teuersten Schmuckhölzern und waren das geschätzteste Holz des
Altertums. Schon im Alten Testament wird es als Luxusholz erwähnt. Im
5. Jahrhundert schreibt der griechische Geschichtschreiber Herodot:
„Die Abgaben, welche die an Ägypten grenzenden Neger dem Perserkönig
Dareios alle zwei Jahre entrichteten und noch entrichten, bestehen in
Gold, 200 Stämmen Ebenholz (~ébenos~), 5 Negerknaben und 50 großen
Elefantenzähnen. Überhaupt ist das Negerland reich an Gold, Elefanten
und Ebenholz.“ Strabon und Plinius sagen, daß in dem südlich von
Ägypten gelegenen Negerland die Wälder nebst Palmen vorzüglich aus
Ebenholzbäumen bestehen. Des letzteren Zeitgenosse, der griechische
Arzt Dioskurides, schreibt in seiner Arzneimittellehre: „Für das beste
Ebenholz gilt das aus dem Negerland stammende schwarze, aderlose, das
so glatt ist wie poliertes Horn und, zerbrochen, wie eine dichte Masse
erscheint. Gekaut schmeckt es beißend und schwach zusammenziehend. Auf
Kohlen gelegt brennt es mit Wohlgeruch und ohne Rauch. Frisch ans Feuer
gebracht, brennt es wegen seines Ölgehaltes an; an einem Wetzstein
gerieben, wird es blaßgelblich. Es gibt auch indisches Ebenholz,
das weiße und gelbliche Striche und Flecken hat, aber das schwarze
(afrikanische) ist besser. Manche Leute verkaufen Holz vom Maulbeerbaum
oder von Mimosen als Ebenholz, weil es durch seine Ähnlichkeit täuscht.
Das Ebenholz wird gegen einige Krankheiten in Anwendung gebracht.“

Der Grieche Strabon und der Römer Vergil nennen Indien als die Heimat
des schwarzen Ebenholzes, das im Lateinischen in Anlehnung an das
Griechische ~ebenum~ hieß, woraus dann die deutsche Bezeichnung
hervorging. Ersterer fügt hinzu, daß sich die Inder ihren Körper mit
glatten Walzen von Ebenholz zu streichen pflegen, weil sie das für
gesund halten, und Theophrast sagt in seiner Pflanzenkunde: „Ein
eigentümlicher Baum Indiens ist der Ebenholzbaum (~ebénē~). Übrigens
gibt es davon zwei Arten, wovon die seltenere mit glattem Stamm (der
echte Ebenholzbaum) schönes, die häufige, ein Strauch, schlechtes Holz
liefert. Die schöne Farbe des Ebenholzes ist von Natur vorhanden und
erscheint nicht erst beim Aufbewahren.“

[Illustration:

    Tafel 163.

Lindenallee am Kanal vor dem Nymphenburger Schloß bei München.]

[Illustration:

    Tafel 164.

Ein gefällter Mahagonistamm in den Urwäldern von Zentralamerika.]

[Illustration:

    Tafel 165.

(~Copyright by Underwood & Underwood.~)

Eisenholzbäume am Isthmus von Tehuantepec in Mexiko.

Im Vordergrund eingeborene Fruchtverkäufer.]

[Illustration: Junger Tiekbaum (~Tectona grandis~) im Botan. Garten von
Buitenzorg auf Java. (Nach einer in der Sammlung des Botan. Institutes
der Universität Wien befindlichen Photogr. von C. Lang.)]

[Illustration:

    Tafel 166.

    (Nach Phot. von H. Dopfer.)

Kohlenmeiler vor der Verkohlung.]

[Illustration:

    (Nach Phot. von H. Dopfer.)

Torfstich am Schluifelder Moos bei München.]

Als +grünes Ebenholz+ kommt neuerdings ein sehr hartes und schweres
Holz in dünnen Stämmchen aus Südamerika nach Europa. Es stammt von
~Bignonia leucoxylon~ und besitzt in frisch geschnittenem Zustand eine
bräunliche Farbe mit einem Stich ins Grüne, der sich aber an der Luft
etwas verliert. Trotz seiner Härte ist es gut schneidbar und kann wie
das echte Ebenholz, jedoch nur für kleinere Gegenstände, verwendet
werden. Unter demselben Namen oder als +Grünherzholz+ kommt ein Holz
von Britisch-Guinea in großen, roh behauenen Blöcken auf den Markt.
Es stammt von ~Nectandra rodiaei~ und wird meist zur Stockfabrikation
und im Schiffbau verwendet. Für Möbel- und Schreinerarbeiten ist
es nicht nur seiner großen Härte wegen, sondern vor allem, weil es
den Leim schlecht hält, ungeeignet. Ein sehr wertvolles Holz zu
Kunstschreiner- und Drechslerarbeiten, Fächern, Parkettböden (z. B. im
Schloß Herrenchiemsee) ist das +blaue Ebenholz+ oder +Veilchenholz+.
Es stammt von der südaustralischen ~Acacia homalophylla~, ist
dunkelblaubraun bis olivengrün und besonders im frischen
Zustande durch den Veilchengeruch ausgezeichnet. Ebenso beliebt als
Kunstholz für Drechsler, Holzbildhauer, Parketböden und die Stock- und
Bürstenindustrie ist das im frischen Schnitt unscheinbar rötlichgraue,
unangenehm riechende, an der Luft aber durch Sauerstoffaufnahme sich
schön violett bis blutrot färbende +violette Ebenholz+, +Purpur-+
oder +Amarantholz+. Es ist hart, sehr schwer und stammt von
südamerikanischen und westindischen Bäumen, wie ~Copaifera bracteata~
und ~Machaereum violaceum~. Als +rotes+ oder +braunes Ebenholz+, auch
+Grenadille-+ oder +Kongoholz+ kommen rötliche bis kaffeebraune, sehr
schwere und harte, aber elastische und schöne Politur annehmende Hölzer
meist aus Afrika zu uns, die zumeist von ~Dalbergia melanoxylon~
stammen.

Unter +Eisenholz+ versteht man eine Menge sehr harter, mit gewöhnlichen
Äxten nicht angreifbarer Hölzer verschiedener botanischer Abstammung,
welche von Ostindien, Australien, der Südsee und von Madagaskar nach
Europa gelangen und besonders in der Kunsttischlerei und Drechslerei
Verwendung finden. Das wichtigste derselben ist dasjenige des in
feuchten Wäldern Ostindiens wild wachsenden +Eisenholzbaums+ (~Mesua
ferrea~), dessen Blüten auch getrocknet veilchenartig riechen
und in der Parfümerie verwendet werden. Ebenfalls dunkelrot bis
schokoladebraun mit oft tiefschwarzen Adern, schwer, hart und gut
polierbar ist das amerikanische +Palisander-+ oder +Jakarandaholz+, das
von verschiedenen Bäumen des nördlichen Südamerika und Mittelamerikas
stammt. Als Stammpflanze des echten Palisanderholzes gilt ~Jacaranda
brasiliana~, ein schöner Baum mit doppelt gefiederten Blättern,
unterseits wolligfilzigen Fiederchen, mit großen Blüten in lockeren
Rispen und rundlichen, zusammengedrückten Kapseln mit geflügelten
Samen. Das Holz zählt zu den edelsten Kunsthölzern und liefert
vornehmlich Furnierholz zu Luxusmöbeln, Klavierkästen, Billardtischen
u. dgl. m.

Als Möbel- und Kunstschreinerholz unbrauchbar, aber für Kegelkugeln,
zu Lagern an Maschinen, die eine starke Reibung auszuhalten haben, zu
Tischen für Gerber usw. sehr geschätzt ist das +Guajakholz+, von dem
bereits im Abschnitt für Arzneipflanzen die Rede war. Sehr wertvolle
Zierhölzer sind die +Rosenhölzer+, die von verschiedenen Bäumen
des Tropenwaldes stammen. Sie haben diesen Namen teils von ihrer
rosenroten Farbe, die von hellrosa oder fleischrot bis tief karminrot
wechselt, teils von dem kräftigen und angenehm rosenähnlichen Geruche.
Interessant ist die Tatsache, daß die Farbe aller stark riechender
Rosenhölzer im Lichte verblaßt, während die geruchlosen, zu denen
vornehmlich das +ostindische Rosenholz+ von ~Dalbergia latifolia~
zählt, meist lichtecht und deshalb zu Möbeln besser geeignet ist. Das
+echte Rosenholz+ stammt von der von Brasilien bis Peru heimischen
~Physocalymna scaberrima~, einem 6-8 m hohen Baum mit gegenständigen
Blättern und großen Blütentrauben, die schon zur Zeit der Entlaubung
erscheinen. Es ist sehr hart, dicht und schwer mit rosen- bis tief
karminroten Streifen.

Rothölzer sind auch das +Pernambuk-+ oder +echte Brasilholz+ von dem im
nördlichen Südamerika und auf den Antillen einheimischen bestachelten
Schmetterlingsblütler ~Caesalpinia echinata~, ferner das +ostindische
Rotholz+ von der verwandten ~Caesalpinia sappan~, deren beste Sorte
aus Siam in den Handel kommt (es ist in Europa schon zu Anfang des 14.
Jahrhunderts als ~lignum presillum~ nachweisbar), das +afrikanische
Rotholz+, Cambal- oder Camwoodholz von ~Baphia nitida~, einem 12-16 m
hohen Schmetterlingsblütler in Sierra Leone, und das ostindische
+rote Sandel-+ oder +Kaliaturholz+ von ~Pterocarpus santalinus~. Alle
diese Arten besitzen ein Holz mit teilweise angenehmem Geruch und
zeigen auf der frischen Schnittfläche gelbrote bis intensiv rote Farbe,
die jedoch durch Einwirkung der Luft hell- bis dunkelrot, ja selbst
bräunlichschwarz wird. Außer Nutzhölzer sind sie vor allem Farbhölzer.
Die Caesalpiniaarten enthalten den durch Oxydation sich bildenden
Farbstoff Brasileïn, welcher zum Rot- und Violettbeizen dient, während
beim ostindischen roten Sandelholz der rote Farbstoff Santalin wirksam
ist, der mit verschiedenen Metallsalzen rote bis braune Farbbeizen
liefert; beide werden heute vielfach durch Anilinfarben ersetzt.

Ein ähnliches Farbholz ist das +Campesche-+ oder +Blauholz+ von der
zentralamerikanischen Caesalpiniazee ~Haematoxylon campechianum~, von
dem, wie vom Pernambuk- oder Brasilholz, bereits auf Seite 127 die
Rede war. Es ist ein hartes, feines, schwer zu bearbeitendes, doch
gut polierbares Holz von angenehmem Geruch im frischen Schnitte und
kräftig blutroter Farbe, die an der Luft violett bis schwärzlich wird.
Als Werkholz verwendet man es zu Drechsler- und Galanteriewaren, wie
auch zu Violinbögen. Die Hauptmasse jedoch wird in den Fabenfabriken
verraspelt, um den blauen Farbstoff, das Hämatoxylin zu gewinnen,
das sich in Alkalien mit violetter Farbe löst und außer als
Kernfärbungsmittel in der mikroskopischen Technik hauptsächlich zum
Schwarzfärben dient.

Ebenfalls in Zentralamerika heimisch ist das +echte Gelbholz+ oder der
+Fustik+, der vom Färbermaulbeerbaum (~Machusa tinctoria~) stammt und
den gelben Farbstoff Morin enthält, der heute noch trotz der Konkurrenz
der Anilinfarben mit Vorteil zu gelben, braunen und olivengrünen Beizen
dient. Als +ungarisches Gelbholz+ oder +Fiset+ kommt dagegen das Holz
des Färbersumachs oder Perückenbaums (~Rhus cotinus~) zur Verwendung.
Es enthält denselben gelben Farbstoff wie die Quercitronrinde
der nordamerikanischen Färbereiche (~Quercus tinctoria~), das
Quercitrin. Ohne extrahierbaren Farbstoff gelb gefärbt und deshalb oft
fälschlicherweise Gelbholz genannt ist das +gelbe Sandelholz+, das
von dem in Ostindien heimischen Sandelbaum (~Santalum album~) stammt.
Es ist gelblich, stellenweise rötlich und besitzt einen starken,
angenehmen Geruch durch das in ihm enthaltene und durch Destillation
daraus gewonnene offizinelle Sandelöl.

Zu den bekanntesten, schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Europa
verwendeten ausländischen Hölzern gehört das +Mahagoniholz+, das von
verschiedenen, nur im tropischen Amerika vertretenen 25-30 m hohen
Bäumen der nach dem Leibarzte der Kaiserin Maria Theresia Gerard van
Swieten (1700 zu Leiden geboren, starb in Wien 1772) ~Swietenia~
genannten Meliazeengattung aus der Familie der Terebinthen oder
Balsamgewächse stammt. Das frische Holz ist gelbrot bis bräunlich,
färbt sich aber mit der Zeit dunkelbraun bis fast schwarz. Es ist
schwer und hart und bildet auch wegen des geringsten Schwindens
unter allen technisch verwendeten Hölzern ein hochgeschätztes
Möbel-, Kunstschreiner- und Furnierholz. Die wichtigste Art ist die
in Westindien und im tropischen Amerika in einer verhältnismäßig
schmalen Zone zwischen dem 11. und 23. Grad nördlicher Breite
heimische ~Swietenia mahagoni~, die bei einem Stammdurchmesser von
4 m bis 33 m hoch wird. Der Baum besitzt einen weit ausgebreiteten,
dicht belaubten Wipfel, trägt paarig gefiederte Blätter, kleine,
gelblichweiße Blüten in achselständigen Rispen mit beinahe faustgroßen,
braunen, holzigen Kapseln mit zahlreichen flachen Samen. Er wächst
außerordentlich langsam und soll seine volle Größe erst im Alter von
200 Jahren erreichen. Man findet den Baum nirgends in geschlossenen
Beständen, vielmehr steht er einzeln als ein Riese unter den anderen
Bäumen des tropischen Waldes. Fünf Mahagonibäume auf den Hektar
gelten schon als ein dichtes Vorkommen; meist sind die Bäume noch
spärlicher verteilt. Das Fällen derselben wird von Juni bis Januar
vorgenommen, und zwar verlegt man wegen der drückenden Hitze, welche
tagsüber herrscht, die Arbeit gern auf die mondhellen Nachtstunden.
Die gefällten Stämme werden vierkantig behauen und auf Ochsen- oder
Maultierkarren dem nächsten Wasserlaufe zugeführt, wo sie entweder
einzeln oder zu Flößen verbunden nach dem Meere geflößt werden. Während
sie aber im Süßwasser ohne Schaden beliebig lange verbleiben können,
muß ihr Aufenthalt im Meerwasser so kurz als möglich sein, da sie darin
leicht vom Bohrwurm angegriffen werden. Zur Ausfuhr kommen in der Regel
nur die besten und größten Stämme, die kleineren Stücke und die Abfälle
verarbeitet man an Ort und Stelle.

Die erste Bekanntschaft mit dem Mahagoniholz machten die Europäer bald
nach der Entdeckung Amerikas. Schon zur Zeit des Fernando Cortez und
seiner Begleiter soll das Holz zum Bau von Schiffen benutzt worden
sein. Ebenso verwendete es der britische Seefahrer Walter Raleigh
in Westindien zur Ausbesserung seiner Fahrzeuge. In unbearbeitetem
Zustande gelangte es erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts als Ballast
eines von Westindien zurückkehrenden Schiffes nach England. Der
Schiffskapitän schenkte die großen Blöcke seinem Bruder, einem
angesehenen Arzte in London, der sie lange Zeit unbenutzt in seinem
Hof lagern hatte, bis seine Gattin durch den Schreiner Wollaston
einen Kasten daraus verfertigen ließ. Dieser gefiel so gut, daß der
Doktor sofort noch einen Schreibtisch für sich daraus herstellen
ließ. Die schöne Farbe und glänzende Politur des Möbels ließen in der
Herzogin von Buckingham den Wunsch aufkommen, für sich auch solche
zu bestellen. Es war dies im Jahre 1724. Die Nachfrage nach diesem
ausländischen Zierholz nahm dann in der Folge langsam zu, so daß
schon im Jahre 1773 allein aus Jamaika 520000 Kubikfuß davon nach
England eingeführt wurden. Da es damals noch sehr selten war, sahen
sich die Tischler schon aus Sparsamkeitsgründen dazu gezwungen, es
fast nur als Furnierholz zu gebrauchen. Besonders schöne Stücke
desselben erzielen heute noch recht hohe Preise; so bezahlte eine
Pianofortefabrik vor nicht sehr langer Zeit für einen einzigen, in
drei Blöcke zerschnittenen Mahagonifurnierstamm die ansehnliche Summe
von 60000 Mark. Besonders geschätzt ist das geflammte, sogenannte
Pyramidenmahagoni. Es kommt in verschiedener Qualität aus Kuba, Mexiko
und Zentralamerika zu uns. Britisch-Honduras führt jährlich für gegen
3 Millionen Mark davon aus. Als +weißes Mahagoni+ wird das Holz des in
Westindien heimischen Acajoubaums (~Anacardium occidentale~) verwendet,
während das +afrikanische Mahagoni+ von verschiedenen Khajaarten aus
Westafrika gewonnen wird. Das +australische+ oder +Bastardmahagoni+
dagegen stammt von verschiedenen Eucalyptusarten Australiens. Diese
bis zu 150 m erreichenden Bäume, die somit zu den höchsten Bäumen
der Erde zählen, haben ein rotbraunes, sehr hartes und dauerhaftes,
von Insekten nicht angegangenes Holz. In Südeuropa wird wegen seiner
Schnellwüchsigkeit und der aromatischen Ausdünstung seiner Blätter
seit der Einführung durch Ramel im Jahre 1856 der +blaue Gummibaum+
(~Eucalyptus globulus~) angepflanzt, der 1792 von Labillardière
in Tasmanien entdeckt wurde, eine Höhe von 110 m erreicht und
ein vorzügliches Bauholz liefert, das mit Vorteil zum Schiffsbau
dient, da es im Wasser nicht leicht fault. Durch die Fähigkeit, auch
auf sumpfigem Boden schnell zu wachsen und zu dessen Entwässerung
beizutragen, soll der Baum günstig zur Bekämpfung des Wechselfiebers
wirken. Ein aus ihm hergestelltes ätherisches Öl wird vielfach in der
Medizin verwendet.

Eines der wertvollsten Zierhölzer für Drechsler und zur Herstellung
von Einlegearbeiten ist das schön rötlichbraune +Schlangen-+ oder
+Tigerholz+, so genannt, weil es einer Schlangenhaut ähnlich, mit
größeren und kleineren dunkelbraunen Flecken gezeichnet ist. Es ist
sehr hart, dicht und schwer und kostet pro 100 kg wenigstens 1600
Mark. Es kommt in mittelstarken Stämmchen von Nordbrasilien und Guiana
in den Handel und wird zur Anfertigung von Spazierstöcken, Geigenbogen,
Furnieren und eingelegten Arbeiten benutzt. Ob es von der Morazee
~Brosimum aubletti~, von der Leguminose ~Machaerium schomburgki~ oder
von einem andern Baum stammt, ist ungewiß. Ebensowenig sind die Bäume
bekannt, die das +Ferolia-+ oder +Satinholz+ liefern, das aus Ost- und
Westindien zu uns gelangt. Mit Rücksicht auf die Farbe unterscheidet
man gelbes, rotes und braunes Satinholz. Letzteres ist am häufigsten
und wird als „Nußsatin“ für Möbel fast allgemein verwendet. Es ist
leicht, weich, von mattbrauner Farbe und unserem Nußholz sehr ähnlich,
doch von feinerem Gefüge, während das gelbe Satinholz schwer, hart,
wunderschön atlasglänzend und in manchen Arten auch wohlriechend ist.
Mit diesem letzteren wird vielfach das +Zitronenholz+ (von ~Citrus
medica~) verwechselt, das in neuerer Zeit wegen seiner schönen
gelben Farbe und seidenartig geflammten Struktur ein sehr beliebtes
Furnierholz für Möbel geworden ist.

Ein sehr schönes und wertvolles Zierholz kommt unter dem Namen
+Königsholz+ von Sumatra und Java, aber auch aus Westindien, namentlich
Jamaika, nach Europa. Es stammt vom Tembesubaume (~Fagrea peregrina~),
doch werden noch verschiedene andere Arten als Königshölzer bezeichnet.
Der Name stammt daher, daß die Häuptlinge der betreffenden Gegenden den
Handel mit diesen Holzsorten als ihr Monopol betrachten. Ihre Farbe ist
violett bis schwarzbraun, oft mit rötlichen Adern durchzogen. Aus dem
tropischen Amerika kommt das kaffeebraune, mit dunkleren, unregelmäßig
verteilten Längsstreifen schön gezeichnete +Ziricota-+ oder echte
+Zebraholz+, ferner das tief rötlichbraune mit teils helleren, teils
dunkleren, oft auch welligen Tupfen gezeichnete +Patridge-+ oder
+Rebhuhnholz+, sowie das im frischen Schnitte lebhaft gelbrote, später
braunrot werdende, äußerst schwere und harte +Kokoboloholz+ in den
Handel. Die Abstammung aller dieser drei Hölzer ist ungewiß. Sie dienen
hauptsächlich für Einlegearbeiten, als Bürstenhölzer und für die
Stockindustrie.

Ein wegen seiner prächtig hellroten Farbe für Möbel, Einlegearbeiten
usw. sehr geschätztes Holz ist das aus Indien und von den Sundainseln
stammende +Padukholz+ von ~Pterocarpus macrocarpus~, während das aus
dem tropischen Amerika kommende +Panakoko-+ oder +Pferdefleischholz+
von ~Robinia tomentosa~, so genannt, weil es frischem Pferdefleisch
ähnlich bräunlich mit roten oder grünschwarzen Schattierungen
ist, hauptsächlich zu Geigenbögen, Einlegearbeiten, sowie in der
Stockindustrie Verwendung findet.

Als das wichtigste Holz für den Schiffbau muß das im tropischen
Asien heimische +Tiekholz+ bezeichnet werden, das einen bedeutenden
Handelsartikel bildet. Es ist hell braunrot mit starkem, an Kautschuk
erinnerndem Geruch. Weil manche Sorten äußerlich unserem Eichenholze
ähnlich sind, wird es auch als „indisches Eichenholz“ bezeichnet. Es
ist aber dauerhafter als dieses und hat vor ihm den Vorzug, daß es von
Insekten nicht angegangen wird und vor allem auch dadurch, daß mit ihm
in Verbindung gebrachte eiserne Nägel, Schrauben, Bolzen usw. nicht
rosten, was beim Eichenholz nicht vermieden werden kann. Daneben ist es
außerordentlich fest und schwindet kaum. Der echte Tiekbaum (~Tectona
grandis~, aus der malabarischen Bezeichnung ~tekka~ für diesen Baum
entstanden) ist ein in Ostindien, Hinterindien von Birma bis Malakka,
und auf Java heimischer, sehr großer Baum mit gegenständigen, großen,
eiförmigen, unterseits weißfilzigen Blättern, weißen Lippenblüten in
großen, endständigen Rispen und im vergrößerten Kelch eingeschlossenen,
haselnußgroßen Früchten. Er gedeiht am besten auf trockenem Waldboden,
meidet aber die immergrünen Bergwälder, wie auch das Meeresufer und
steigt in den Gebirgen bis zu 1300 m empor, gedeiht aber schon bei
1000 m Meereshöhe nicht mehr so gut wie am Fuße der Gebirge. Auf
angeschwemmtem Boden erreicht er in 80 Jahren, im Gebirge dagegen
kaum vor 200 Jahren seine höchste Entwicklung. Der Stammumfang mißt
dann bis 7 m und die großen Äste stehen bis 30 m über dem Boden.
Der Baum wird seines Holzes halber viel kultiviert und ist auch auf
Sumatra, Cochinchina und in Südchina eingeführt worden. Sehr ausgedehnt
sind die Tiekwälder in Birma und Siam. Gewöhnlich fällt man die Bäume
zwischen dem 40. und 60. Jahr, wenn sie eine Höhe von 17-20 m und
eine Stammstärke von 1 m erreicht haben. Um recht trockenes Holz
zu erhalten, ringelt man in Indien am untern Teil des Stammes Rinde
und Splintholz ab und läßt den schnell absterbenden Baum zwei Jahre
lang stehen. Da aber dadurch das Rissigwerden des Holzes begünstigt
wird, ist diese Methode neuerdings auf Malabar verlassen worden. Das
Holz wird in Indien vielfach benutzt, aber auch in großen Mengen nach
Europa und Nordamerika eingeführt, wo es außer als Schiffbauholz zu
großen Konstruktionen und zum Bau von Eisenbahnwagen verwendet wird. Es
enthält in frischem Zustande ein Öl, das in Indien häufig das Leinöl
ersetzt. Die Rinde benützt man zum Gerben, mit den Blättern färbt man
Seide und Baumwolle purpurrot, auch dienen sie wie die Blüten als
Heilmittel.

Ein sehr leichtes und weiches Holz kommt von Nordamerika in großer
Menge nach Europa und findet hier hauptsächlich als Blindholz für
furnierte Arbeiten, dann zu Wagenkastendecken und als Füllungen
im Wagenbau, wie auch zu leichten Möbeln ausgedehnte Verwendung.
Es ist dies das +amerikanische Pappelholz+ oder ~white wood~, das
von dem auch bei uns als Zierbaum angepflanzten nordamerikanischen
+Tulpenbaum+ (~Liriodendron tulipifera~) stammt. Auch das Holz des in
China heimischen +Kampferbaums+ (~Laurus camphora~) findet außer zur
Kampfergewinnung wegen seiner schön blaßrötlichen Farbe, vornehmlich in
gemaserten Stücken, als Furnierholz vielseitige Benutzung.

Die +Palmenhölzer+, deren Farbe im Querschnitt gewöhnlich einen
hellbräunlichen Grundton mit einer Menge kleiner, tiefschwarzer Punkte
zeigt, die wie Fliegenkot aussehen, finden meist nur als Furnierhölzer
zu Einlegearbeiten Verwendung. Damit hätten wir die für uns in Betracht
kommenden Nutzhölzer erschöpft.


  [6] Siehe das Nähere über die „Pilzwurzel“ oder ~Mycorrhiza~ im 13.,
      die Pflanzengenossenschaften behandelnden Abschnitt meines
      Werkes: Das Leben der Erde, Verlag von Ernst Reinhardt, München
      1908.



XXXII.

Die Nutzpflanzen der Wüste.


Nicht nur die mit atmosphärischen Niederschlägen gesegneten Gebiete
der Erde haben ihre Nutzpflanzen, sondern auch die niederschlagsarmen
und infolge ihrer Trockenheit allem Leben so feindlichen Wüsten.
Und in diesen Wüsten sind solche begreiflicherweise von Tieren und
Menschen, die ihnen begegnen, doppelt geschätzt. Nun sind alle
Wüstenpflanzen vor allem darauf angewiesen, möglichst haushälterisch
mit dem ihnen so spärlich zu Gebote stehenden Wasser umzugehen. Deshalb
haben sie alle stark das Wasser verdunstenden Organe, so namentlich
die Blätter, vielfach ganz abgeschafft oder doch bis auf kleine,
bedeutungslose Schüppchen reduziert und haben außerdem, sei es in
den unterirdischen Zwiebelknollen, wie bei den Lilienarten, sei es
im oberirdischen Stamm, wie bei den sämtlich in Amerika heimischen
Kakteen, teilweise sehr umfangreiche Wasserspeicher angelegt, während
bei den altweltlichen, fast ausschließlich in Afrika vorkommenden
Euphorbiazeen oder Wolfsmilchgewächsen und Aloëarten der Stamm auf
ein Minimum reduziert ist und dafür die fleischigen Blätter zu Wasser
aufspeichernden Organen geworden sind. In diesen schwammigen Geweben,
die als Wasserreservoire dienen, ist das Wasser, um es nach Möglichkeit
zurückzubehalten, an einen dicken, gallertartigen Schleim gebunden.
Die ganze Pflanze ist von einer lederartigen, festen Oberhaut umgeben,
die die Atmungsöffnungen auf das geringste Maß vermindert hat, um dem
angesammelten Wasser keinen Durchlaß zu gewähren. Außerdem schränken
Haare, Stacheln und Wachsüberzüge die Verdunstung fast bis zur
Unmöglichkeit ein.

[Illustration:

    Tafel  167.

    (Nach Photogr. von O. B. Waite in Mexiko.)

Säulenkaktus (~Cereus~) als Wegeinfassung auf dem Hochlande von Anahuac
in Mexiko.]

[Illustration:

    Tafel 168.

    (Nach Photogr. von ~Dr.~ H. Roß.)

Typische Kakteenlandschaft in den Bergen östlich von Tehuacan in
Mexiko.]

[Illustration:

    (Nach Photogr. von O. B. Waite.)

Baumartig verzweigter Säulenkaktus (~Cereus~) am Wege von Oaxaca nach
Mitla in Mexiko.]

Die +Kakteen+ sind der Typus solcher Wüstenpflanzen. Sie sind
lebende Wasserreservoire in der trockenen Wüste und deshalb für
ihre wasserlosen Standorte so überaus bedeutsam. Die Hauptmasse
eines jeden besteht aus an Schleim gebundenem Wasser, was ihnen in
den wasserfreien Gegenden, auf die sie beschränkt sind, für Tiere
und Menschen die größte Wichtigkeit verleiht. In Mexiko und in den
mittel- und südamerikanischen Bergländern entscheiden sie durch ihr
Vorhandensein oder ihre Abwesenheit geradezu über Leben und Tod. Und
was dort der Mensch mit seinem langen Buschmesser, dem ~machete~,
bewirkt, nämlich die zu ihrem Schutze an der Pflanze haftenden
Stacheln abschlagen, um sie ergreifen und essen zu können, das erzielt
das Maultier mit seinen Hufen. Mit derselben Leidenschaft, wie bei
uns die Esel den Spuren der Disteln folgen, so geben sich dort die
Maultiere mit wahrer Virtuosität dem Sport des „Kaktusschlagens“
hin, um in der wasserlosen Gegend zum allzu verlockenden saftigen
Bissen zu gelangen. Allerdings werden sie dabei nur zu oft zu
Krüppeln, indem die eisenharten, langen Stacheln tief in den Huf der
Tiere eindringen, so daß viele dieser Einhufer mit gelähmten Beinen
herumhumpeln. Nichtsdestoweniger müssen sie meist mit Gewalt von ihrer
leidenschaftlichen Begierde nach dem leckeren Mahle abgehalten werden.
Für den Menschen gibt es zwar angenehmere Getränke als den schleimigen,
kühlen Saft der Kakteen; nichtsdestoweniger hat dieser klebrige Trunk
verschmachtende Reisende, ja, ganze Expeditionen oft genug vom Tode des
Verdurstens gerettet.

Außer durch ihr saftiges Mark sind die Kakteen auch durch ihre Früchte
Tieren und Menschen in der Wüste nützlich. Unter diesen Kakteenfrüchten
sind am bekanntesten diejenigen des von den Mexikanern Tuna genannten
+Tuna-Feigenkaktus+ (~Opuntia tuna~). Sie sind bis apfelgroß, hellrot,
angenehm säuerlich und werden nach Entfernung der dicken, stacheligen
Schale frisch oder gedörrt in Menge vom Menschen gegessen; aus den
unreifen Früchten gewinnt man durch Kochen ein an Apfelmus erinnerndes
Kompott. Einige Indianerstämme rösten auch die saftigen, süßen Stengel,
bevor sie sie essen. Ein naher Verwandter von ihm ist der +gemeine
Feigenkaktus+ (~Opuntia ficus indica~), der bald nach der Entdeckung
Amerikas von den Spaniern nach ihrer Heimat gebracht wurde und sich
von da über das ganze Mittelmeergebiet, Nordafrika und Westasien
verbreitete und dem Menschen ein geschätztes Obst liefert.

Die weitaus wohlschmeckendsten Früchte unter allen Kakteen besitzt
aber der in Westindien heimische ~Cereus triangularis~. Man nennt sie
+Erdbeerbirnen+, da sie an beide Früchte erinnern. Sie haben die Größe
eines Gänseeis und sind außen und innen scharlachrot. Der in Mexiko
heimische, 6-13 m hohe und 0,6-1,3 m dicke +Riesenkaktus+ (~Cereus
giganteus~) besitzt birnenförmige, grünlichgelbe Früchte in der Nähe
des Wipfels, die innen schön rot und schmackhaft sind und viele kleine,
schwarze Samen enthalten. Ihre Schale ist weichfaserig, saftig und
süß. Für die Indianer sind die Früchte, die in bezug auf Geschmack an
Feigen erinnern, nur viel saftiger sind, wahre Leckerbissen, mit denen
sie sich als einziger Nahrungsquelle begnügen, solange sie solche haben
können. Das Mark der Früchte wird von ihnen in luftdicht verschlossenen
irdenen Töpfen konserviert, auch wird daraus ein klarer, lichtbrauner
Sirup gepreßt.

Noch besser als die Früchte des Riesenkaktus sollen nach dem Urteil
der Mexikaner diejenigen des +Thurberschen Kaktus+ (~Cereus thurberi~)
schmecken, die ebenfalls in großen Mengen von ihnen gegessen werden.
Sie sind etwa hühnereigroß und mit langen, schwarzen Stacheln besetzt.
Sobald sie reif sind, was an ihrer rötlichen Farbe erkennbar ist,
fallen die Stacheln ab, die Schalen bersten und lassen reichlich ein
rotes, saftiges Mark, mit kleinen, schwarzen Samen durchsetzt, zutage
treten. Dieser, wegen seiner süßen Früchte von den Mexikanern ~pitahaja
dolce~ genannte Kaktus wird 5,5-6 m hoch und 15-20 cm dick und
wird nach den Begriffen der Indianer und Mexikaner kultiviert, d. h.
diese streuen den Samen der von ihnen gegessenen Früchte irgendwohin
und überlassen das übrige der Natur. Auch aus dem saftigen, süßen
Fruchtfleisch dieser Kaktusart läßt sich ein feiner Sirup gewinnen.

Ebenso nützlich ist der +Seeigelkaktus+ (~Echinocactus wislizeni~), der
bei einem Durchmesser von 0,5 m nur 3 m hoch wird. Das Stengelmark
dieses von den Mexikanern ~visnaga~ genannten, sehr stark bestachelten
Kaktus schmeckt im Innern angenehm säuerlich und den Durst löschend,
wenn es gekaut wird, während das Mark der Früchte sauer ist und deshalb
nur selten als Speise dient; dagegen wird aus den kleinen schwarzen
Samen durch Mahlen ein schmackhaftes Mehl bereitet. Die Reisenden in
den Wüsten des nördlichen Mexiko und südlichen Arizona sind höchst
erfreut, wenn sie ihm begegnen, da sie bei ihm ihren Durst auf
angenehme Weise zu löschen vermögen. Fast alle an beiden Seiten der
Wüstenwege wachsenden Seeigelkaktusse zeigen große Löcher, die von den
durstigen Reisenden gebohrt wurden. Einzelne Abschnitte des Stammes
werden als Kochgeschirr benutzt. Wenn ein wandernder Indianer sich ein
Mahl zu bereiten wünscht, sucht er einen großen Echinokaktus, haut ein
etwa 1 m langes Stammstück ab und höhlt es zu einem Troge aus. In
diesen wirft er den weichen Markkern, welchen er bei der Aushöhlung
gewann, und was er sonst Genießbares an Wurzeln oder Fleisch besitzt
und fügt Wasser hinzu. Dann erhitzt er einen Feldstein im offenen
Feuer so stark wie möglich und wirft ihn in den Trog. Ist der Stein
abgekühlt, so wird er abermals erwärmt und ein zweites Mal in den Trog
geworfen. Das genügt gewöhnlich zum Durchkochen der Masse; nur selten
ist eine dritte Erwärmung des Steines notwendig.

Die Papajoindianer schälen die Rinde mit den Stacheln vom Stamm
dieses Kaktus ab ohne ihn umzuhauen, lassen ihn einige Tage der
Sonne ausgesetzt, spalten dann den Stamm, um den weichen Markkern zu
gewinnen, den sie in Stücke schneiden und in dem aus den Früchten des
Riesen- und Thurberkaktus bereiteten Sirup kochen. Wenn diese Stücke
getrocknet sind, sollen sie einen Geschmack wie Zitronat besitzen.

Der in Zentralamerika heimische +Melonenkaktus+ (~Melocactus
communis~), der eine 30-60 cm hohe, runde oder ovale, längsgefurchte
Masse bildet, wird in Zeiten der Dürre besonders vom Vieh aufgesucht,
das ihn mit den Hörnern von den Stacheln zu befreien und aufzubrechen
sucht, um sich am saftigen Stamme zu laben. Seine angenehm säuerlich
schmeckenden Beeren werden nicht bloß in Zentralamerika, sondern auch
in Westindien häufig gegessen.

Alle Sorten von Kakteen dienen dem Vieh als Futter. Auf den großen
Hazienden des nordwestlichen Mexiko wäre auf dem grasarmen Boden die
als einzig lohnender Zweig der Landwirtschaft betriebene Viehzucht
nicht möglich, wenn die Kakteen nicht wären, die die Rinder, Pferde
und Maultiere geradezu am Leben erhalten. Und auch getrocknet
dienen die Stämme als Nutz- und Brennholz, das nicht nur gegen alle
Witterungseinflüsse unempfindlich, sondern auch so überaus leicht ist,
daß ein Maultier die zehnfache Menge desselben an Stelle gewöhnlichen
Holzes tragen kann.

Endlich hat einst zur Blütezeit der Cochenillezucht eine bestimmte
Art derselben, die ~Nopalea coccinellifera~ in Mexiko, dem Dorado
aller Kakteen, und in der Folge auch in anderen Tropenländern, wo
diese lukrative Industrie eingeführt wurde, als Nährpflanze der
Cochenilleschildlaus eine große wirtschaftliche Bedeutung gehabt;
gehört doch das aus jenen Läusen gewonnene Karmin auch heute noch zu
den edelsten Farbstoffen. Dadurch aber, daß die billigen Anilinfarben
mit ihm in Konkurrenz traten, wurde der Cochenillekarmin als nicht mehr
konkurrenzfähig in den Hintergrund gedrängt.

Da doch die verschiedenen Kakteen für alle wasserarmen und daher
für eine andere Vegetation als diese ungeeigneten Gegenden so
überaus wertvoll sind, ist es sehr zu verwundern, daß man sie nicht
eigentlich durch systematische Züchtung zu verbessern suchte. Den
ersten vielverheißenden Anfang dazu hat neuerdings der berühmte
Pflanzenzüchter Luther Burbank in Santa Rosa in Kalifornien gemacht,
dem es gelang, eine stachellose, großstengelige und überaus saftige
Abart der Opuntie zu züchten, die sich außerordentlich einfach,
durch Stecken eines Stückchens des fleischigen Stengels in den
Boden, fortpflanzen läßt und außerdem ebenfalls stachellose, sehr
wohlschmeckende und nahrhafte, feigengroße, rötliche Früchte zeitigt.
Ein solches Zuchtprodukt ist für die Menschheit von unschätzbarem
Wert, da es ihr auch die sterilsten Wüsten zu besiedeln gestattet.
Erst mit einer solchen Nutzpflanze, die auch ohne Bewässerung gedeiht,
kann sie sich mit ihren Haustieren in den ihr bisher verschlossenen
Gebieten festsetzen und so weite Länderstrecken der Kultur erschließen,
die bisher lebenfeindliche Öde und Wildnis waren. Durch solche
Neuerungen ist der Menschheit, mag sie sich noch so sehr vermehren,
auf unübersehbare Zeiten hinaus Raum genug zur Ausdehnung auf unserem
Planeten gegeben. Welch herrliche Gärten werden dann die unendlichen,
bisher toten Wüsten der Erde sein, wenn der Mensch auch die Sonnenwärme
sich als Energiequelle dienstbar gemacht und überall durch Staubecken
oder Pumpen Wasser zu seinen leiblichen und industriellen Bedürfnissen,
wie auch zum Tränken seiner Haustiere und Nutzpflanzen, die desselben
zu ihrer Existenz bedürfen, zur Verfügung haben wird!

Außer den Kakteen gibt es noch viele andere wenig bekannte
Wüstenpflanzen, die schon heute in ihrer unveredelten, wilden Form
dem Menschen von teilweise recht großem Nutzen sind. Es seien hier
nur einige der wichtigsten kurz angeführt. So wächst im Gebiet der
Kakteen, speziell auch in Mexiko, die noch auf trockenem, sandigem
Boden gedeihende ~Yucca baccata~, von den Spaniern ~bayonett~ genannt.
Sie liefert alle Jahre 1-6 Früchte, die in reifem Zustande in Form
und Größe Bananen ähneln. Deren Farbe ist grünlichgelb und das
Fruchtfleisch, in welchem große, schwarze Samen eingebettet sind, ist
süß und schmackhaft. Ihre unreifen Früchte werden wie Kartoffeln in der
Asche geröstet. Die kurz vor dem Aufbrechen gepflückten Blütenknospen
werden ebenfalls geröstet und in diesem Zustande als Leckerbissen
betrachtet. Aus den Blättern wird ein grober, aber sehr dauerhafter
Faserstoff gewonnen.

Von dem Werte der auf dürrem, vulkanischem Boden Mexikos, Arizonas
und Südkaliforniens wachsenden +Agaven+, die von den Mexikanern im
großen kultiviert werden, ist an anderer Stelle bereits die Rede
gewesen. An ihnen ist mancherlei nutzbar. Die Wurzeln werden geröstet
genossen. In Wasser gekocht gibt die frisch geschnittene, kopfgroße
Blütenstengelknospe einen guten Sirup und ein sehr angenehmes Gericht.
Meist wird sie aber vor dem Ausbrechen vertieft abgeschnitten und der
sich reichlich in die Höhlung ergießende Zuckersaft gesammelt, um durch
Vergärung eine Art Wein, den Pulque, das Nationalgetränk der Mexikaner,
daraus zu gewinnen.

In den westlichen Steppen Nordamerikas wächst die +Kama+ (~Camassia
esculenta~), deren walnußgroße Zwiebelknollen von den Indianern
sehr geschätzt sind, da sie wie Kartoffeln, nur süßer schmecken.
Ihr Zuckergehalt muß ein beträchtlicher sein, da sie zerstampft und
in Wasser gekocht einen guten Sirup liefern. Noch vor kaum mehr als
einem Menschenalter hat diese bevorzugte Speise der Indianer im Staate
Idaho zu einem blutigen Kriege, dem berüchtigten Kamakriege, geführt.
Das Vieh der Ansiedler vernichtete diese Pflanze, welche sie, die
Indianer, für ihren Lebensunterhalt nicht entbehren könnten. So lautete
wenigstens die Begründung der Kriegserklärung gegen die Weißen. Aber
auch die Blaßgesichter essen die Kamawurzel gern; denn nicht wenige
Farmer lassen zur Erntezeit dieser Knollen im Juni und Juli von ihren
Kindern Vorräte für die Küche sammeln.

Sehr geschätzt in den Wüsten um den Salzsee von Utah sind die
walnußgroßen, äußerst schmackhaften Wurzelknollen der als +wilder Sago+
bezeichneten Liliazee ~Calochortus luteus~, die von den Indianern
eifrig ausgegraben und gesammelt werden. Deren Kinder schätzen sie um
des süßlichen Geschmackes willen wie Zuckerzeug. Als die Mormonen,
die sich selbst „Heilige des Jüngsten Tages“ nennen, von ihren
„heidnischen“ Nachbarn im Staate Illinois fortwährend befehdet, 1847
nach Westen über das Felsengebirge auswanderten, um sich in dem später
als Utah in die Union aufgenommenen Territorium am großen Salzsee eine
neue Heimat zu gründen, die sie der Wüste abringen mußten, da bildeten
diese Wurzeln im ersten Jahre ihres dortigen Aufenthaltes einen sehr
wichtigen Bestandteil ihrer Nahrung. Was das Manna der Wüste den nach
dem Lande Kanaan ziehenden Juden war, das wurde der wilde Sago den
unter dem Präsidenten Brigham Young (1801-1877) das Land der Verheißung
suchenden Mormonen.

Eine andere ausdauernde Lilienart, die in Nordamerika und Texas
weite Strecken steiniger, unfruchtbarer Hügelhänge hauptsächlich in
Erhebungen von 150-200 m mit ihren hellgrünen, 0,9-1,2 m langen,
schmalen Blättern bedeckt, ist der +Sotol+ (~Dasylirion texanum~).
Alle 3-4 Jahre treibt er einen saftigen, zuckerreichen, starken
Blütenstengel bis zu 3 m Höhe empor. Dieser ist das für den Menschen
Wertvollste an der Pflanze, da er vorzugsweise zu Schaffutter, aber
auch zur Nahrung des Menschen dient. Der Schäfer, der seine Herde auf
eine Sotolweide führt, geht ihr mit dem langen Haumesser, ~machete~
genannt, voraus und spaltet die Stengelköpfe, deren weiches, saftiges
Mark von den Schafen gerne gefressen wird. Nach einiger Vertrautheit
mit diesem Futter wissen sich die Schafe selber zu helfen; sie
warten die Vorbereitung ihres Hirten nicht ab, sondern zerreißen
selbst die Blätter des Sotol und dringen nagend in den Stengelkopf
ein. Dieses Futter ist nahrhaft und zugleich durstlöschend, so
daß es überflüssig wird, die Schafe, die sich von diesem Futter
ernähren, zur Tränke zu führen. Während der heißen Monate wird der
Sotol in seinem Verbreitungsgebiet als das wertvollste Schaffutter
betrachtet. Jedenfalls würde ohne sein Vorhandensein die Ernährung des
gegenwärtigen bedeutenden Schafbestandes in jenen sonst so dürren und
pflanzenarmen Gegenden nicht möglich sein.

Die Mexikaner verspeisen die jungen Stengelköpfe des Sotol gekocht
oder geröstet. Die letztere Zubereitung ist weitaus die beliebteste
und geschieht in folgender Weise: Es wird ein Loch gegraben, das 6-8
Köpfe aufnehmen kann, und mit einem darin angezündeten und längere
Zeit unterhaltenen Feuer gründlich erhitzt. Alsdann wird das Feuer
herausgeschaufelt, bis auf ein Bett glühender Kohlen, auf das die Köpfe
geworfen und mit Erde bedeckt werden. Nach 10-12 Stunden sind sie
gar. Sie haben dann ein braunes, saftiges Aussehen und schmecken ganz
angenehm süßlich.

Nach diesem Bratprozeß können die zuckerreichen Köpfe auch zur
Destillation eines als Sotolmescal bezeichneten Branntweins benutzt
werden, was sehr häufig geschieht. Dieser ist sehr stark, hat einen
eigentümlichen durchdringenden Geruch und ist bei den niederen
Volksklassen Mexikos sehr beliebt. Er wird etwa für 1¼ Mark per Liter
ausgeschenkt und berauscht sehr schnell, was als ein Vorzug angesehen
wird. Endlich kann aus den Blättern des Sotol ein grober Faserstoff
gewonnen werden, der zur Herstellung von allerlei Flechtwerk und Seilen
dient.

Die fleischigen, als Wasser- und Reservenahrungsbehälter dienenden
Wurzeln der verschiedensten Wüstenpflanzen liefern dem Menschen wie
den Tieren eine willkommene Nahrung, so auf den trockenen Plätzen
der nordamerikanischen Steppen die hühnereidicke, zarte, weiße,
stärkemehlreiche, einen angenehmen süßlichen, an Rüben erinnernden
Geschmack besitzende Wurzel der +Brotwurzel+ genannten ~Psoralea
esculenta~ und die zarte, spindelförmige Wurzel einer von den
Indianern +~yampah~+ genannten Umbellifere, die von den Shoshone-
und Schlangenindianern geradezu als die beste Nahrung aus dem
Pflanzenreiche betrachtet wird. Sie bildet bei mehreren nordwestlichen
Indianerstämmen einen geschätzten Handelsartikel und wird auch von den
weißen Bewohnern dieser Gegenden als Suppenwürze benutzt.

Die Nez Percés-Indianer sammeln die saftigen, fingergroßen Wurzeln
der an den öden Gebirgsabhängen des östlichen Oregon wachsenden
Umbellifere ~Carum gairdneri~, um sie wie Kartoffeln zu kochen. Sie
schmecken dann sehr angenehm rahmartig. Übrigens haben auch wir eine
in der Rheingegend als Unkraut gemeine Kümmelart, den knolligen Kümmel
oder die +Erdkastanie+ (~Carum bulbocastanum~), deren bis 5 cm dicke
Wurzelknollen kastanienähnlich schmecken und gekocht, gebraten und als
Salat gegessen werden. Besonders in der Moldau-Walachei sind sie eine
sehr geschätzte und viel gesammelte Nahrung, deren Anbau sich sehr
lohnen würde. Dieselben Indianer Oregons sammeln auch die schwarzen
Wurzeln einer andern auf dürrem, vulkanischem Erdreich wachsenden
Umbellifere, ~Oenanthe sarmentosa~, einer nahen Verwandten unseres
Roßkümmels (~Oenanthe phellandrium~), um sie geröstet zu verspeisen.
Beim Kochen berstet sie und zeigt einen weißen, stärkemehlartigen
Inhalt. Sie schmeckt süß, rahmartig und gilt deshalb bei den Indianern
als ein Leckerbissen ersten Ranges.

Ferner sammeln die Indianer die Wurzeln der in der Südhälfte des
Felsengebirges und im Wasatchgebirge vorkommenden Umbellifere
~Peucedanum ambiguum~, die von den Weißen als +Biskuitwurzel+
bezeichnet wird. Die Pflanze wächst auf so dürren Gehängen, daß sie
nicht einmal dürftiges Gras hervorbringen. Die Wurzeln werden im
Mai, zur Zeit der Blüte, gegraben und sind so außerordentlich reich
an Stärkemehl, daß dieses auch ohne Mahlen beim Trocknen förmlich
herausfällt. Es ist sehr weiß und angenehm zu essen, besitzt einen
milden Selleriegeschmack und hält sich viele Monate hindurch.
Ebenso sammeln sie die großen, spindelförmigen Wurzeln der in öden
Gebirgsgegenden Kaliforniens wachsenden weißblühenden Portulakart
~Lewisia rediviva~, die als sehr nahrhaft gilt und auch für den
Winterbedarf getrocknet wird.

Eine andere Knollenpflanze der dürren Gegenden von Neu-Mexiko, Arizona
und Kalifornien, die tiefe Sandansammlungen weithin bedeckt, ist eine
von den Spaniern als ~canaigre~ bezeichnete Sauerampferart, ~Rumex
hymenosepalus~. Die dunkelbraunen, im Durchschnitt zitronengelben,
batatenähnlichen Knollen von 10-20 cm Länge und 2-5 cm Dicke
schmecken stark zusammenziehend durch einen Gehalt von 9,6 Prozent
Gerbsäure und können deshalb auch zum Gerben verwendet werden. Dieser
Gerbstoffreichtum macht sie allerdings für den Menschen nur im Notfalle
eßbar.

In diesen dürren Gegenden bieten auch allerlei wildwachsende Samen eine
erwünschte Speise. So gedeiht an den trockenen, felsigen Hängen der
Gebirgswüsten von Mexiko, Kalifornien und Arizona bis zu 2700 m Höhe
eine nur unter günstigen Verhältnissen 9 m Höhe erreichende Fichte
(~Pinus edulis~), die von der spanisch redenden Bevölkerung ~piñon~,
von der amerikanischen jedoch +Nußfichte+ genannt wird, weil ihre
bohnengroßen, öligen Samen in Menge gesammelt und als vortreffliche
Speise wie Nüsse gegessen werden. Sie haben einen süßen, angenehmen
Geschmack, der durch Rösten bedeutend verfeinert wird. Sie dienen auch
vielfach zur Gewinnung eines guten Speiseöles, dessen Überschuß über
den Selbstgebrauch einen nicht unwichtigen örtlichen Handelsartikel
bildet. Nur hat es den einen Nachteil, bald ranzig zu werden. Das
leichte und weiche, aber sehr dauerhafte Holz dient vorzugsweise zur
Bereitung geschätzter Kohlen.

Auch die sehr eiweiß- und mehlreichen Samen eines in den Wüsten
von Utah, Colorado, Arizona und Nordamerika an tiefgelegenen
sandigen Stellen wachsenden strauchartigen Hülsenfrüchtlers, der
+Schraubenbohne+ (~Prosopis strombulifera~), von der spanisch redenden
Bevölkerung ~tornilla~ genannt, werden gesammelt und geben gekocht eine
ausgezeichnete, selbst vom verwöhnten Weißen gern gegessene Grütze.
Wegen dieser Samen schätzen die Indianer diesen Bohnenstrauch hoch, und
auch viele Soldaten der Union halten ihn in dankbarem Andenken; denn
auf den strapaziösen Kriegszügen gegen die Indianer in der trostlosen
Wildnis, die seine Heimat bildet, hat er es ihnen ermöglicht, nicht
nur Feuer anzuzünden, sondern hat auch ihren erschöpften, hungrigen
Pferden und Maultieren in den Blättern und mehr noch in den Samen eine
wohltätige Labung geboten. Alles Vieh frißt diese Bohnen, selbst wenn
es in gutem Futterstande gehalten wird und sonst genug zu fressen hat,
mit augenscheinlicher Begierde; deshalb dürfte auch dieser Strauch sich
zur Besiedelung sandiger Wüsten eignen.

Ein noch viel weiter südlich, nämlich vom Coloradofluß bis nach
Chile vorkommender und bei einiger Pflege einen bis 12 m hohen
Baum bildender Verwandter dieses Bohnenstrauches ist der +Mesquite+
(~Prosopis juliflora~). Mit seiner runden Krone und seinen
dornenbewehrten Ästen erinnert er lebhaft an unsere, übrigens derselben
Familie angehörende Akazie. An den trockenen Hügelhängen seiner
Heimat wächst er oft als einziger Vertreter der Pflanzenwelt so weit
das Auge reicht und läßt im Juni und Juli seine 15-20 cm langen,
flachen, etwas gekrümmten und zwischen den Samenkörnern eingeschnürten
Schoten in ganzen Büscheln reifen. Diese enthalten, wie diejenigen der
verwandten Tamarinde, ein süßes, schwach säuerliches Fruchtfleisch,
das nicht weniger als 26 Prozent Traubenzucker enthält und, grob
zerstoßen und mit Wasser übergossen, zur Herstellung eines nahrhaften
und erquickenden Aufgusses dient. Um ihren angenehm schmeckenden Atole
zu bereiten, verfahren die Mexikaner etwas anders. Zunächst kochen sie
die Schoten in Wasser, dann ersetzen sie das warme Wasser durch kaltes,
zerquetschen die Schoten in demselben und seihen nach einiger Zeit die
Flüssigkeit ab. Durch Stehenlassen kann man die zuckerreiche Abkochung
in alkoholische Gärung bringen und erhält dadurch ein berauschendes
Getränk, das viele Liebhaber findet.

Die reifen Schoten, die gerne vom Vieh aufgesucht und gefressen
werden, sind sehr der Entwicklung von Maden ausgesetzt, so daß die
Mexikaner und Indianer keine andere Abwehr dieser lästigen Gäste
kennen, als die gesammelten Schoten samt den Bohnen sofort in einem
Mörser zu feinem Mehl zu zerstoßen und dasselbe möglichst gut
verschlossen aufzubewahren, bis sie es zum Backen eines groben Brotes
gebrauchen wollen. Die Maden sind jedenfalls schon bei der Ernte in
den Schoten, worein sie wohl durch eine Art Kleinschmetterling gelegt
worden sind, vorhanden und werden durch das Mahlen getötet und so in
ihrer weiteren Entwicklung zerstört. So erklärt es sich, daß sich
das so gewonnene Mehl viel länger als die Schoten aufbewahren läßt.
Übrigens ist den Indianern das Auftreten der Maden durchaus nicht
unlieb, denn sie sehen in ihnen einen erwünschten Nahrungszuwachs; nur
die kultivierten Mexikaner denken anders und treffen entsprechende
Vorkehrungen. Diese Schoten bilden begreiflicherweise eine wichtige
Nahrung für die Indianer und mexikanischen Mischlinge, wie für ihre
Pferde und Maultiere. Auch die Unionssoldaten haben sie auf ihren
Kriegszügen gegen die Indianer als Pferdefutter schätzen gelernt,
und ein mit Vermessungen betrauter Offizier der Vereinigten Staaten
ging in seinem Bericht an das Kriegssekretariat sogar so weit, zu
behaupten, der Erfolg seiner Expedition wäre ohne das Vorhandensein der
Mesquiteschoten überhaupt nicht möglich gewesen.

Das läßt uns den ungeheuren Wert des Mesquite für die Bewohner der
unfruchtbarsten Gegenden seines Verbreitungsgebietes begreifen. Diese
wüßten wohl kaum, wie sie sich ohne ihn durchs Leben schlagen sollten.
Ratlos würden sie sich auch nach Brennmaterial umsehen, wenn er nicht
vorhanden wäre; denn solches wird an vielen Orten ausschließlich vom
Mesquite geliefert. Und welch treffliches Brennmaterial bietet er
nicht! Beim Verbrennen seines Holzes strömt eine Hitze aus wie aus
Steinkohlen. Für die Kohlenbrennerei wird schwerlich ein besseres Holz
aufzufinden sein als das seinige. Zudem liefert er, wenn die Stämme
eine genügende Dicke erreicht haben, ein für die Möbeltischlerei sehr
gesuchtes Werkholz, dessen Kernholz gelbrot bis purpurn leuchtet und
scharf gegen den fahlgelben Splint absticht. Beide nehmen eine schöne
Politur an, was ihren Wert als Nutzholz erhöht. Außerdem ist es so
hart, daß es verschiedenen mexikanischen Städten zur Pflasterung der
Straßen dient und sich dabei sehr bewährt hat.

Vom Mai bis September schwitzt ein bernsteingelber Gummi aus den
Mesquitestämmen, das wie arabischer Gummi schmeckt, sich leicht in
drei Teilen Wasser auflöst und dann einen guten Klebstoff bildet, der
den arabischen Gummi völlig ersetzt. Von diesem unterscheidet er sich
chemisch dadurch, daß er nicht wie jener von essigsaurem Blei gefällt
wird und damit einen weißen Niederschlag gibt. Je älter der Stamm und
je dicker und geborstener die Rinde ist, um so reichlicher ist die
Ausschwitzung von Gummi, der auch aus allen Astlöchern sickert. Ein
großer Baum liefert eine Ernte von etwa 120 g; doch kann dieselbe bis
auf 400 g erhöht werden. Als Mesquite- oder Sonoragummi wird er zu
etwa 10000 kg jährlich hauptsächlich nach Mexiko exportiert, wo ihn
viele Apotheken als Ersatz des arabischen Gummis führen.

Auch die an Erbsen erinnernden braunen Samen eines andern, zu den
Leguminosen gehörenden Baumes, des +Eisenholzes+ (~Olneya tesota~),
der an öden, felsigen Stellen in den wasserärmsten Gegenden des
nordwestlichen Mexiko und in Arizona wächst, werden von den Indianern
roh und geröstet gegessen. In letzterem Zustande sollen sie wie
Erdnüsse schmecken. Das Stammholz liefert gutes Brennmaterial und
eignet sich zur Anfertigung von allerlei Geräten. Schon um dieser
Eigenschaft willen verdient der Baum Beachtung zur Nutzbarmachung von
Wüsten.

Ein anderes nicht unwichtiges Wüstengewächs ist die die öden,
sandigen Strecken von Texas und Arizona bewohnende, 0,6-1,8 m hohe
strauchartige +Zwergpflaume+ (~Prunus fasciculata~), deren karminrote,
süße, etwas größer als die der Schlehe werdenden Früchte sowohl frisch
als gedörrt und zu Mus verarbeitet gerne gegessen werden. Wenn sie zu
reifen beginnen, wandern die Indianer von weit her zur Ernte herbei, um
möglichst große Vorräte von ihnen einzuheimsen.

Endlich ist noch als ein höchst zierliches Blumenkind der
nordamerikanischen Wüste die +Coloradolilie+ (~Hesperocallis undulata~)
zu erwähnen, deren 3-5 cm dicke Wurzelknollen 30 cm tief in der
Erde ruhen, bis ein alle 10-12 Jahre eintretender gründlicherer Regen
sie aus ihrem Scheintod zu neuem Leben erweckt. Dann treiben sie aus
dem nackten, schattenlosen Sande je einen 60-90 cm langen, mit
dunkelgrünen, tiefgekerbten Blättern umkränzten Blütenstengel, der im
Laufe von wenigen Wochen 30 bis 40 aus 6 weißen Blumenblättern mit
einer grünlichpurpurnen Mittelrippe bestehende Blüte hervortreibt.
Milchweiß, wenn sie sich öffnen, werden sie im Laufe des Tages perlweiß
und am Abend -- der Zeit ihrer größten Schönheit -- halb durchsichtig.
Die märchenschönen Glocken schließen sich um Mitternacht, um dann
abzusterben und jüngeren Geschwistern Platz zu machen, die am frühen
Morgen in entzückender Jugendfrische aus den gesprengten Knospen
hervortreten. Eine große Pflanze treibt 5-6 Blüten im Tage, die vom
Augenblicke ihrer Entfaltung an, zumal am Abend, einen starken,
süßen Duft ausströmen lassen. Daher hat man dieser Gattung den Namen
Hesperocallis, d. h. Abendschön, gegeben. Nach der Befruchtung zeitigen
die Blüten eine 3 cm lange, mit schwarzen Samen dichtgefüllte Kapsel.
Besonders wenn die Mesquiteschoten knapp sind, graben die Indianer
eifrig nach den Wurzelknollen der in ihrer Sprache ~ethulia~ genannten
Blume, um sie als willkommene Speise zu verzehren.

Wenn nun allein die nordmexikanische Wüste eine solche Menge nutzbarer
Pflanzen beherbergt, die es verdienten, vom Menschen in anderen,
dieselben ungünstigen Lebensbedingungen aufweisenden Wüsten angesiedelt
zu werden, so kann man sich denken, was für wertvolles Pflanzenmaterial
die verschiedenen Wüstengebiete der Erde zusammen darbieten. Es sei
hier beispielsweise nur an die südafrikanische Kalahariwüste erinnert,
auf der nach den ersten Schauern der kurzen Regenzeit eine ihre Ranken
weithin über den Wüstensand treibende Cucurbitazee, die +Zamamelone+
(~Cucumis zama~), eine Verwandte unserer aus Wüsten desselben Erdteils
Afrika stammenden Wassermelone, hervorsprießt. Bald erscheinen an
ihr gelbe Blüten, aus denen außerordentlich saftige Früchte von
der Größe eines Straußeneis hervorgehen. Diese dienen Tieren und
Menschen als willkommene Nahrung und besonders auch durstlöschendes
Mittel, das ihnen das fehlende Wasser ersetzt. Den Buschmännern,
jenen zwergartigen, gelbhäutigen, unstet dem Wilde als ihrer
Hauptnahrung nachwandernden Jägern der weiten Kalahari, ist diese wilde
Wassermelone, die nach einer guten Regenzeit strichweise die wasserarme
Steppe bedeckt, neben den saftigen Wurzeln verschiedener Pflanzen die
wichtigste pflanzliche Nahrung, die sie eifrig aufsuchen und von der
sie Depots im Boden anlegen, um sie sich bei ihrer Rückkehr von der
Jagd zu sichern. In Zeiten, da sie nicht zu haben sind, vergraben die
Buschmänner mit Wasser gefüllte Straußeneier als Reservewasserbehälter
in den Sand, um sich damit zur Zeit der Dürre vor dem Verdursten zu
schützen.

Im Norden der Kalahari wächst eine von den Betschuanen -- wie diese
behaupten -- dort eingeführte +süßliche Melone+, von ihnen ~mangotan~
genannt, die ihnen mühelos Stillung des Hungers, wie des Durstes
gewährt. Sollen solche Melonen, an denen der Mensch durch künstliche
Zucht noch größere und wohlschmeckendere Früchte zu erzielen vermöchte,
planmäßig angebaut, nicht die Wüste bewohnbarer machen helfen? Man
sollte denken, daß die Zeit nicht mehr fern ist, da solche Schätze der
Natur von dem sich über immer weitere Gebiete der Erde ausbreitenden
Menschen willig in Kulturpflege genommen und durch systematische
Veredlung noch nutzbarer gemacht werden dürften. Denn wir sind noch
lange nicht am Ende der menschlichen Entwicklung angelangt. Wir
befinden uns vielmehr erst am Anfange derselben und unsere Nachkommen
werden weiterführen, was wir und unsere Vorfahren begonnen haben, bis
die ganze Erde mit allen ihren Wüsten dem Leben und der menschlichen
Kultur erobert ist.

Außer diesen Melonen dienen noch mancherlei andere Pflanzen dem
Menschen, der diese dürren, pflanzenarmen Gebiete jagend durchstreift,
zur Nahrung. So graben die Buschmänner und Betschuanen besonders nach
den schmackhaften Zwiebeln von Ixias und anderen Lilienarten. Diese
bilden neben dem fleischigen Kern der gewaltigen, sehr tiefgehenden
Wurzel des Elefantenfußes (~Testudinaria elephantipes~) und dem
stärkemehlreichen Mark des Palmfarns Zamia einen Hauptbestandteil ihrer
Nahrung.

In den Wüsten Nordafrikas und Westasiens gedeiht ein kleiner, dorniger
Baum von abschreckendem Aussehen aus der Familie der Simarubazeen aus
der engeren Verwandtschaft der Terebinthe und des Weihrauchbaums.
Dieser von den Arabern +Zachun+ genannte ~Balanites aegyptiaca~ mit
einpaarig gefiederten Blättern, grünlichweißen Blüten und walnußgroßen,
im reifen Zustande grünlichen, ölreichen Früchten wehrt sich so tapfer
wie irgend ein anderes Wüstengewächs gegen die verheerenden Sandstürme,
die mit ihrem Gluthauch alles Lebendige zu verschlingen drohen. Seine
Früchte waren schon von den alten Ägyptern, denen doch besseres Obst
als Nahrungsmittel zu Gebote stand, geschätzt und wurden von ihnen
ihren Toten als Speise für das Geisterreich mitgegeben. Als solche
hat man sie öfter in Gräbern der 12. Dynastie (2000-1788 v. Chr.) im
Gräberfelde von Kahun und in anderen Nekropolen des mittleren Reichs
gefunden. Aus den Samen pressen die Araber heute noch ein Öl, dem
sie heilende Wirkung zuschreiben. Aus dem Verkaufe dieses Öls an die
Reisenden, zumal an die Pilger, machen die in Palästina wohnenden
Araber ein einträgliches Geschäft. Und das sehr harte Holz des Zachuns
wird von den Drechslern Jerusalems zu den verschiedensten Gegenständen,
hauptsächlich aber zu Spazierstöcken verarbeitet.

In den Wüsten der Mongolei wächst der +Sulchir+ (~Agriophyllum
gobicum~), ein kaum 1 m Höhe erreichender, stacheliger Strauch, der
auf kahlem Flugsande gedeiht, im August blüht und im September seinen
Samen reifen läßt. Dieser letztere ist das Korn der Wüstennomaden,
der „Segen der Wüste“. In regenreichen Jahren ergibt er eine gute
Ernte, in trockenen dagegen verkommt der Strauch und dann hungert
der Mongole. Die Sulchirernte ist höchst einfach: Die Früchte werden
gesammelt und die Samen auf einer von Sand freien, lehmigen Bodenfläche
ausgedroschen. Dann werden letztere geröstet, durch Stampfen in
Holzmörsern von den Hülsen befreit, in Handmühlen gemahlen und geben
ein ziemlich schmackhaftes Mehl, das mit Backsteintee zusammen gekocht
wird und dem Mongolen als willkommene Speise dient.

Dieselbe zentralasiatische Wüste bewohnt der 3-4 m hohe, bis 15 cm
dicke +Saxaulstrauch+, der vereinzelt im kahlen Sande gedeiht. Er
besitzt keine Blätter und schattenlos streckt er seine langen Zweige
aus, und doch baut der Mongole neben ihm seine Jurte auf, um hinter
ihm Schutz gegen die eisigen Winterstürme, wie gegen den sengenden
Sonnenbrand zu suchen. Im Frühling bedeckt sich der Saxaul mit kleinen,
gelben Blüten, aber seine Samen sind nur für Tiere, nicht für den
Menschen genießbar. Dagegen ist sein hartes, sprödes Holz außer dem
getrockneten Mist seiner Haustiere das einzige Brennmaterial, das dem
Nomaden zur Verfügung steht, um seinen geliebten ~tsamba~ zu kochen.

Ebenso widerstandsfähig gegen Hitze und Dürre, wie auch den eisigen
Frost des Winters ist die die Wüsten Zentralasiens und Südostrußlands
bewohnende +Wüstenweide+ (~Salix acutifolia~). Auch sie gewährt dem
Menschen keinen anderen Nutzen, als daß sie ihm Brennholz liefert. Aus
ihren Zweigen kann allerlei Flechtwerk hergestellt werden. Sie eignet
sich besonders zur Humusbildung auf magerstem Boden, wodurch derselbe
für anspruchsvollere Gewächse vorbereitet wird. Auf fruchtbarem Boden
entwickelt sie sich zu einem schönen, stattlichen Baum.

In den Wüsten Australiens sind als Holzerzeuger sehr nützlich die
verschiedenen +Eukalyptusbäume+, die ihre Wurzeln außerordentlich
tief in den Boden hinabsenken, um ihm alle Feuchtigkeit zu entnehmen,
andererseits aber auch eine ganz außerordentliche Größe erreichen, wie
sie selbst nicht von den kalifornischen Mammutfichten, den Giganten
der Pflanzenwelt, erreicht wird. Wie die neben ihnen wachsenden
Akazien liefern sie außer Brennholz auch gutes Bau- und Werkholz, das
vorteilhaft zur Kohlen- und Teerbrennerei Verwendung findet. Aus den
Blättern läßt sich das wohlriechende Eukalyptusöl destillieren, das zur
Lackbereitung und in der Parfümerie dient.

Jedenfalls würden sich außer den hier genannten noch verschiedene
andere Wüstenpflanzen zum Anbau bei der ersten Besiedelung von
Wüsten durch den Menschen empfehlen. Einmal gepflanzt würden diese
wetterharten, der lebenfeindlichen Umgebung durch zahllose Generationen
angepaßten Pioniere aus der Pflanzenwelt ohne Mithilfe des Menschen
gedeihen und ihm ausgedehnte Gebiete der Erde, die heute öde Flächen
sind, dem Leben und der Kultur erobern helfen.



XXXIII.

Die Feinde der Nutzpflanzen.


Nur ausnahmsweise und gelegentlich ist in den vorangegangenen
Abschnitten auch von manchen verderblichen Krankheiten der Nutzpflanzen
die Rede gewesen. Unsere Betrachtung wäre unvollständig, wenn wir
zum Schlusse nicht anführen wollten, daß gerade die in der Regel in
ganz unnatürlicher, einseitiger Anhäufung unter oft ungünstigen,
ihren natürlichen Standorten und Lebensbedingungen durchaus nicht
entsprechenden Lebensverhältnissen auf einem in seiner Zusammensetzung
ungeeigneten, vielfach ausgesogenen Boden angebauten und meist durch
vielhundertjährige Kultur von seiten des Menschen verweichlichten
Nutzpflanzen Krankheiten unendlich viel leichter anheimfallen als ihre
robusten, unter den natürlichen Lebensbedingungen lebenden Wildlinge
gebliebenen Verwandten. Dabei ist zu bedenken, daß durch ungünstige
klimatische oder Bodenverhältnisse in Verbindung mit mangelhafter
Pflege durch den Menschen die verschiedenen Krankheitserreger viel
größere Bedeutung für die Kulturpflanzen gewinnen als für die übrigen,
in ihren natürlichen, ihren Bedürfnissen angepaßten Verhältnissen
lebenden Pflanzen. So kann es uns nicht wundern, daß, je länger eine
Nutzpflanze in menschlicher Pflege steht und je höher kultiviert sie
ist, sie um so zahlreicheren Erkrankungen ausgesetzt ist und von um so
mehr tierischen und pflanzlichen Feinden bedroht wird.

Wie für die Menschen und die Tiere sind auch für die Kulturpflanzen
winzige Pilze die gefährlichsten Krankheitserreger. So entstehen
schwere Schädigungen unserer Getreideernten, ja völliger Mißwachs
dieser für uns Menschen so wichtigen Brotfrüchte besonders durch
die +Brandpilze+, die die Ähren und Körner unter Umwandlung in eine
schwärzliche Masse vernichten, dann durch mancherlei +Rostpilze+,
die die Blätter und Halme abtöten und dadurch die Fruchtbildung
verunmöglichen, ferner durch den +Mutterkornpilz+, der sich in der
Ähre an Stelle des Kornes entwickelt, außerdem durch eine Reihe erst
neuerdings aufgefundener +Blattpilze+, die die grünen Blätter besonders
des Weizens befallen und vorzeitig abtöten, endlich auch die jüngst
entdeckten Pilze, der „Roggenhalmbrecher“ und „Weizenhalmtöter“, die
sich im untersten Grunde des Halmes und in den Wurzeln entwickeln und
dadurch den wertvollen Getreidepflanzen vorzeitigen Tod bringen.

So haben unsere wichtigsten Körnerfrüchte, wie Weizen, Gerste und
Hafer, außer unter besonderen Arten von Flugbrand, deren Sporen nach
Auszehrung der Fruchtanlage in der Blüte in braunen Massen ausstäuben,
um immer wieder dieselbe Getreideart, niemals aber eine andere zu
befallen, noch unter anderen spezifischen Brandarten zu leiden, so
der Weizen durch den +Steinbrand+, die Gerste durch den +Hart-+ oder
+Schwarzbrand+ und der Hafer durch den +gedeckten Haferbrand+, alles
nicht zur Blütezeit der betreffenden Getreidearten ausstäubenden und
umherfliegenden Brandarten, sondern solchen, die den Keimling anstecken
und erst beim Dreschen ihre schwärzlichen Sporenmassen frei werden
lassen, um an gesunde Körner zu gelangen. Diesen haften sie äußerlich
an und gelangen, falls solches Korn zur Saat benützt wird, mit dem
Getreidekeimling zum Austreiben, wobei sie ihre Schläuche in ihn
eindringen lassen und mit ihm wachsen, bis sie ihn zugrunde gerichtet
haben. Diese letzteren Brandarten bekämpft man durch sogenanntes
Beizen des Saatgutes mit Kupfersalzen, Formalin und heißem Wasser. Die
ersteren dagegen können nur durch rechtzeitiges tägliches Entfernen der
den Flugbrand in den Blüten aufweisenden Exemplare oder noch besser
durch isolierte Züchtung brandfreier Getreidestämme vermieden werden.

Verschiedene +Rostpilze+ schädigen den Mais, den Klee, die Bohnen
und Erbsen und weisen denselben Wirtswechsel wie die früher
besprochenen Getreiderostarten auf. So gedeihen die Wintersporen
des Erbsenrostes nur auf den Blättern der Cypressenwolfsmilch, um
regelmäßig ihre Sommersporen auf den Erbsen zu entwickeln. Die
Wintersporen des orangeroten Becherrostes der Stachelbeeren gedeihen
nur auf der Unterseite der Blätter der scharfen Segge, wo sie schwarze
Sporenhäufchen bilden. Der ebenfalls orangerote Gitterrost, der die
Blätter des Birnbaumes befällt, erzeugt rotgelbe Gallertklumpen
ausschließlich an Stamm und Zweigen des Sadebaumes (~Juniperus
sabina~). Zwei gefürchtete Getreideschädlinge, der +wahre Rost+ und der
+Kronenrost+, entwickeln ihre Wintersporen ausschließlich, der erstere
auf den Blättern der Ackerochsenzunge, der letztere auf denjenigen
des Faulbaums. Und so geht es ins Endlose, ohne daß wir bis jetzt
von den meisten solchen Rostpilzen den Gang der Entwicklung und den
Zwischenwirt überhaupt erkannt hätten.

Den Blättern und Früchten der Apfel- und Birnbäume sind die Schorf-
und Fusicladiumpilze gefährlich. Die Moniliakrankheit verdirbt die
Blüten und jungen Triebe der Kirschbäume, der Gnomoniapilz bewirkt die
Seuche und das Abfallen ihrer Blätter wie auch das Verderben ihrer
Früchte. Verschiedene Kulturpflanzen leiden unter dem Mehltau, unter
ihnen besonders der Weinstock; dabei bildet sich ein weißer, dünner
Überzug auf braunwerdenden Flecken der Blätter und jungen Weinbeeren.
An letzteren stirbt dadurch die Haut ab, noch ehe die Frucht die Hälfte
ihrer normalen Größe erlangt hat und zerreißt bei weiterer Ausdehnung
des Beerenfleisches, so daß die Beere abstirbt und verfault. Der weiße
Überzug besteht aus dem echten Mehltaupilz (~Oidium tuckeri~), dessen
Sporen vom Regen und Wind auf benachbarte Blätter und Trauben weiter
verbreitet werden, wo sie bei Vorhandensein von Feuchtigkeit leicht
keimen. Regenreiche Jahre begünstigen die Ausbreitung dieser Krankheit,
die seit 1845 von England durch Frankreich nach Südeuropa, der Schweiz
und Deutschland wanderte und sehr großen Schaden anrichtete. Man
bekämpft die Krankheit erfolgreich durch Schwefeln, d. h. Überpudern
der Weinstöcke mit Schwefelblumen, wodurch der Pilz getötet und
gesunde Pflanzen geschützt werden. Der falsche Mehltau dagegen wird
von ~Peronospora viticola~ hervorgerufen. Der Pilz zeigt sich nur auf
der Unterseite der Blätter als weißer Filz, während auf der Oberseite
rundliche, braune Flecken entstehen. Die Krankheit trat zuerst in
Amerika auf, wurde hernach in Frankreich und dann in andern Ländern
Europas beobachtet und hat seitdem große Verheerungen angerichtet.
Sie wird durch Bespritzen der Reben zur Zeit der Rebenblüte und 4-6
Wochen später noch einmal mit 1-1,5 kg Kupfervitriol und 2-2,5 kg
gelöschtem Kalk in 100 Liter Wasser erfolgreich bekämpft. Der
Pinselschimmel (~Penicillium glaucum~) verdirbt den Most, weshalb die
von ihm befallenen, eine schmutzige, hellgrüne bis gelbliche Färbung
zeigenden faulen Beeren vor dem Keltern der Trauben entfernt werden
müssen. Nicht ungünstig dagegen ist die durch ~Peziza funckeliana~
hervorgerufene Edelfäule der Trauben, indem dieser Pilz in den Beeren
mehr Säure als Zucker verzehrt, wodurch ein stärkerer Wein entsteht.
Dieser Pilz ruft aber nur bei wenigen Traubensorten, deren Bukett er
erzeugt, solch gutartige Veränderungen hervor, so namentlich beim
Riesling, dessen Bukett er zwar zerstört, dafür aber ein anderes, dem
Sherry ähnliches erzeugt. Alte Weinkenner am Rhein behaupten, daß man
erst im Jahre 1822 gelernt habe, aus edelfaulen Trauben die feurigen,
edlen Weine des Rhein- und Moselgaues zu bereiten. In jenem Jahre war
der Sommer dem Weinstock außerordentlich günstig, so daß schon gegen
Ende September eine Überzeitigung eintrat und gelesen werden mußte. Da
dann die Weinbauern nicht auf eine so frühe Ernte vorbereitet waren,
wurde meist eine „faule Brühe“ gelesen, die aber einen so guten Wein
lieferte, daß man diese Edelfäule später künstlich herbeiführte. Auch
die Phytophthorakrankheit der Kartoffeln, die Blätter und Knollen
dieser wichtigen Nutzpflanze zum Absterben bringt, ist Mitte des
vorigen Jahrhunderts aus Nordamerika zu uns gekommen.

[Illustration: Bild 80. Echter Mehltau des Weinstocks (~Oidium
tuckeri~).

~a~ ein vom Pilze befallenes Rebenblatt, ~b~ eine von ihm zerstörte
Traube, ~c~ der Pilz selbst (stark vergrößert).]

Außer diesen die grünen Teile der Pflanze angreifenden Pilzen gibt es
eine Menge anderer, die die Wurzeln befallen und dadurch die Pflanze
zum Absterben bringen. Solche Wurzeltöter bedrohen besonders die
verschiedenen in Kultur befindlichen Leguminosen. Aber noch weit mehr
als durch pflanzliche sind besonders die Wurzeln durch +tierische
Feinde+ bedroht. Diese bestehen ebenfalls meist aus winzigen Lebewesen,
vorzugsweise aus der Familie der Würmer, Milben und Insekten. Unter
den letzteren, die meist ziemliche Größe aufweisen, gibt es manche,
die sich nicht auf bestimmte Pflanzen beschränken, sondern sämtlichen
Gewächsen schädlich werden können. Dazu gehören z. B. die Maikäfer,
deren Larven als Engerlinge drei bis vier, ja in Ostpreußen sogar
fünf Jahre im Boden leben und hier den Wurzeln fast aller Pflanzen
gefährlich sind, ferner die schmalen, gelben Drahtwürmer, die Larven
des Saatschnellkäfers, die die Wurzeln besonders der Getreidearten,
Kartoffeln und Gemüsepflanzen zerfressen, wie auch die verschiedenen
Erdraupen, auf die wir hier nicht näher eintreten können.

[Illustration: Bild 81. Falscher Mehltau des Weinstocks (~Peronospora
viticola~).

~a~ davon befallene Traube mit kranken Beeren, ~b~ aus einer
Atmungsöffnung der Unterseite des Blattes hervorgewachsene gestielte
Sporenträger des Pilzes, deren Sporen teilweise schon vom Winde verweht
wurden.]

Unendlich viel größer als die Zahl dieser allgemeinen Schädlinge
ist diejenige solcher tierischer Schädlinge, die immer nur auf
eine bestimmte Nährpflanze angewiesen sind und ihr durch ihre
große Menge ebenso arg zuzusetzen vermögen wie die verschiedenen
speziellen Krankheitspilze. Für die Getreidearten sind die Larven des
unübersehbaren Heers der Kornkäfer, deren man jetzt schon über 10000
Arten unterscheidet, dann Frit- und andere Fliegen, ferner Blasenfüße,
allerlei Halmwespen und Zwergzikaden gefährlich, für die Zucker-
und Futterrüben außer zahlreichen Insekten besonders Rundwürmer.
Eines der gefährlichsten Würmchen dieser letzteren Art ist neben dem
Rübenälchen das Weizenälchen, welches das sogenannte Gichtigwerden
und den Faulbrand des Weizens hervorruft und dadurch oft gewaltigen
Schaden anrichtet. Diese sind so zählebig, daß sie selbst nach zwanzig
und mehr Jahren völliger Austrocknung nach Befeuchten wieder aufleben.
Naturgemäß tritt der durch sie hervorgerufene Faulbrand in nassen
Jahren stärker als in trockenen auf. Zum Schutze gegen sie müssen alle
gichtischen Körner des Weizens am besten durch Verbrennen vernichtet
werden und darf zum Aussäen nur gesundes, in einer halbprozentigen
Kupfervitriollösung gebeiztes Saatgut verwendet werden.

Die Kleefelder werden durch das Stockälchen, die Bohnen, Erbsen
und andere Leguminosen durch Blattläuse, der Raps durch einen
Glanzkäfer schwer geschädigt. Sehr groß ist die Zahl der Obstfeinde
im Tierreiche. Die Raupen gewisser Schmetterlinge, wie die des
Frostspanners, des Schwammspinners usw., zerstören das Laub und
damit auch den Ertrag der Obstbäume. Blüten und Blätter werden
verdorben durch den Apfelblütenstecher, durch die Larven mehrerer
Wickler, die das Madigwerden und das Abfallen der Äpfel und Birnen
verursachen, durch die Kirschenfliege, die die Maden in den Kirschen
erzeugt, und dergleichen kleine Insekten mehr. Die Blutläuse sind
für die Apfelbaumstämme wie die verschiedenen Schildläuse für andere
Obstbaumarten von der größten Gefährlichkeit. Ein schrecklicher Gegner
ist dem Weinstock die aus Amerika eingeschleppte, zuerst im Jahre 1863
in Europa bemerkte, seitdem aber in allen Weingegenden verbreitete
Reblaus, die von 1869 an innerhalb acht Jahren in Frankreich allein
den dritten Teil des gesamten mit Reben bepflanzten Areals vernichtete
und dadurch dem Nationalvermögen dieses Landes nach durchaus nicht
übertriebener Schätzung einen ersten Schaden von wenigstens 13
Milliarden Franken verursachte. Der seit ihrem Auftreten in diesem
Lande verursachte Gesamtschaden wird auf mehr als 20 Milliarden Franken
geschätzt. Auch der Traubenwickler ist für den Rebbau eine große
Kalamität; denn der sogenannte Heu- oder Sauerwurm, das Räupchen dieses
Schmetterlings, zerstört namentlich in feuchten Jahren die Blüten und
zarten jungen Beeren der Rebe.

Großen Schaden verursachen auch zahllose Blattkäfer und Blattflöhe.
Unter den ersteren ist besonders der in Nordamerika heimische
Kolorado-Kartoffelkäfer berüchtigt, der sich seit etwa vierzig Jahren
über das ganze Land ausgebreitet hat und oft einen Ausfall von 30
Prozent und mehr der Kartoffelernte bewirkte, ja manchenorts so
zahlreich auftrat, daß die durch ihn angerichteten Verwüstungen den
Menschen zwangen, den Anbau der Kartoffeln zeitweise ganz einzustellen.
Trotzdem er durch amerikanische Saatkartoffeln nach Europa verschleppt
wurde, hat er sich glücklicherweise bei uns nicht einbürgern können, da
ihm offenbar das Klima hier nicht behagt.

Es ist völlig unmöglich, dem geneigten Leser auch nur einen
annähernden Begriff von der Zahl der tierischen Schmarotzer zu geben,
die neben den pflanzlichen Krankheitserregern unsere verschiedenen
Kulturpflanzen bedrohen. Es genüge, hier als Beispiel nur die
Baumwollstaude anzuführen, an der die praktischen, für die Erkenntnis
der Schädlinge der Kulturpflanzen äußerst verdienten Nordamerikaner
außer 30 verschiedenen Pilzkrankheiten nicht weniger als 470 Tierarten
gelegentlich oder ausschließlich schmarotzen. Unter diesen befinden
sich drei Schädiger ersten Ranges, nämlich die Baumwollraupe, die
Kapselraupe und der mexikanische Kapselkäfer. Sie alle vermehren
sich in fabelhafter Weise und richten da, wo sie auftreten, großen
Schaden an. Bedenkt man, daß eine einzige die Räupchen hervorbringende
Motte wenigstens 500 Eier legt, die sich im Laufe eines Sommers in
fünf Generationen zu unzählbaren Millionen fortpflanzen, so begreift
man, daß der Mensch völlig außerstande wäre, seine verschiedenen
Kulturpflanzen gegen ihre zahllosen Schädiger in erfolgreicher Weise zu
schützen, wenn nicht jeder der letzteren wenigstens einen Spezialfeind
in der niederen Tierwelt besäße, der ihm das Leben sauer macht. Im
Bunde mit diesen seinen Freunden und Bundesgenossen führt der Herr
der Schöpfung einen unausgesetzten Kampf gegen das große Heer der
Schädlinge und bedient sich dabei der verschiedensten Hilfsmittel,
unter denen das Spritzen mit ätzenden, giftigen Stoffen und die
Fangkulturen in erster Linie stehen. Unter den letzteren versteht man
gewisse zwischen den Hauptkulturen gesetzte Pflanzungen, die sich
früher entwickeln als diese und die nur zum Zwecke angelegt werden,
um die tierischen Schädlinge anzulocken und dann mit diesen zusammen
vertilgt zu werden. So benutzt man beispielsweise bei der Baumwolle
dazu eine frühreifende Maisart, die auf schmalen Beeten zwischen den
Baumwollfeldern angepflanzt wird.

Endlich werden auch manche tierische Schmarotzer durch ihre natürlichen
Feinde zu bekämpfen gesucht. So wird seit einigen Jahren der
Kapselkäfer der Baumwolle in Amerika durch eine rote Ameise bekämpft,
die man in Massen züchtet und auf den Baumwollfeldern ansiedelt.
In neuester Zeit hat man auf Java die sogenannte Kakaowanze, die
die Kakaobäume vernichtet und den Ertrag der betreffenden Plantagen
auf Jahre hinaus zerstört, in ähnlicher Weise und mit gutem Erfolg
mit Hilfe einer schwarzen Ameise zu bekämpfen gesucht, die sich
als Vernichterin jener Schmarotzerin vorzüglich bewährt hat. Die
Nester dieser Ameise werden in Kisten aus Blech gefaßt und in den
Kakaobäumen aufgehängt. Von hier aus beginnen die Ameisen alsbald ihr
Vernichtungswerk und töten rasch die gefürchteten Wanzen.

Sehr leistungsfähige staatliche Insektenzuchtinstitute besitzen
besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Unter ihnen
ist dasjenige von Sakramento in Kalifornien das bekannteste, das
alljährlich große Lieferungen an Private besorgt. So hat dieses
Institut beispielsweise im vergangenen Monat April nach den
Zeitungsberichten 52 Millionen Marienkäfer in Gewicht von 1000 kg in
besonderen Eisenbahnwagen nach den Melonenfeldern von Imperial Valley
in Kalifornien spediert, wo ihnen die Aufgabe zufällt, Blattläuse und
Insekten aller Art zu vertilgen, die die Melonenpflanzungen verheeren.

Der beste Schutz gegen die Schädlinge ist und bleibt aber die peinlich
sorgfältige Pflege der Kulturpflanzen und ein tadellos gesundes
Saatgut, soweit die Vermehrung durch Aussäen des Samens bewerkstelligt
wird. Auch müssen bei der Einführung von Setzlingen nicht nur der
Stamm und die Zweige, sondern vor allem auch die Wurzeln mit allen
ihren Ausläufern genau auf die Anwesenheit von Schmarotzern untersucht
werden. Hätte man dies getan, so wäre beispielsweise auch die in
Amerika bei den viel kräftigeren einheimischen Reben nur geringen
Schaden anrichtende Reblaus nicht nach Europa eingeschleppt worden und
hätten die gewaltigen Verluste, die hier die Rebbau treibenden Länder
erleiden mußten, vermieden werden können.

Die weitaus wichtigsten Gehilfen des Menschen sind aber die +Vögel+,
die infolge ihres beinahe unersättlichen Hungers -- die Folge ihres
äußerst raschen Stoffwechsels und ihrer maximalen Lebensintensität
-- die größten Feinde der meisten Schädlinge unserer Nutzpflanzen
sind. Haben wir mit der einseitigen Anpflanzung weiter Gebiete mit
denselben zu unserem Nutzen gezogenen Pflanzenarten auch die Schädlinge
derselben in einer Weise, wie dies in der freien Natur, wo aber auch
keine solche Anhäufung derselben Pflanzenart vorkommt, sondern überall
gemischte Bestände vorhanden sind, unmöglich ist, sich vermehren
lassen, so liegt es in unserem eigenen Interesse, auch die Zahl ihrer
Feinde, der Vögel, möglichst zu vermehren. Statt daß man dies tat
und diesen unseren größten Wohltätern durch Vogelschutzmaßregeln und
Bieten von Nistgelegenheiten zu ungestörtem Brüten die Möglichkeit
einer Existenz und der ausgiebigsten Vermehrung verschaffte, hat man
sie in der grausamsten und kurzsichtigsten Weise aus Roheit, aus
Leckerei und Modetorheit verfolgt und in der unglaublichsten Weise
dezimiert. Damit hat sich die Kulturmenschheit leider nur ins eigene
Fleisch geschnitten. Erst dann, wenn sie dies eingesehen hat und danach
handelt, wird dieser Übelstand sich bessern und statt Fluch Segen
hervorgehen. Wenn der Mensch durch seine Kultur das Gleichgewicht
in der Natur gestört hat, so ist es seine absolute Pflicht, diese
Störung nach Möglichkeit wieder auszugleichen. Hat er die einseitige
Verbreitung der Kulturpflanzen bewirkt, so muß er auch vor allem die
Feinde der künstlich heraufgeschraubten Kulturpflanzenvernichter
künstlich heraufschrauben, d. h. so viel er kann die Vögel vermehren.
Dies soll nicht nur durch möglichst weitgehenden Vogelschutz, sondern
vor allem auch durch Darbieten von künstlichen Nistgelegenheiten zum
ungestörten Brüten geschehen. Was wir in unseren Kulturländereien nötig
haben, das sind dazwischen errichtete dornige „Nistgehölze“, durch
die das Raubzeug und zugleich das größte Raubtier, der unkultivierte
Mensch, am Beunruhigen der brütenden Wohltäter und dem Ausnehmen ihrer
Nester verhindert werden.

Überall, wo solches bisher geschehen ist, hat es die reichsten Früchte
getragen und der Land- und Forstwirtschaft den größten Nutzen gebracht.
Dafür sei nur ein Beispiel unter vielen angeführt. So schreibt der
verdiente deutsche Vorkämpfer des Vogelschutzes, Freiherr B. von
Berlepsch: „Als im Frühjahr 1905 der gesamte, mehrere Quadratmeilen
große, südlich von Eisenach gelegene Hainichwald gänzlich vom
Eichenwickler (~Tortrix viridana~) kahlgefressen war, blieb mein Wald,
der durch über 2000 daselbst aufgehängte Nistkästen einen reichen
Meisenbestand aufweist, +völlig davon verschont+. Er hob sich von den
umliegenden Waldungen tatsächlich wie eine grüne Oase ab. Erst etwa
einen halben Kilometer jenseits der Grenze machten sich die ersten
Spuren des Fraßes bemerkbar, nach weiterem halben Kilometer war er aber
bereits in vollem Umfange eingetreten. Ein deutliches Zeichen, wie weit
die Meisen und Genossen während des Winters, überhaupt außerhalb der
Brutzeit, gestrichen waren.“ Gleiche Beobachtungen bei den Verwüstungen
der Raupe desselben Schmetterlings wurden auch in großherzoglich
hessischen Forsten gemacht, in denen ebenfalls der Vogelschutz seit
einiger Zeit betrieben wird.

Aber nicht nur von Insekten, die unseren Kulturen schädlich sind
und sie zugrunde richten, auch von solchen, die uns selbst lästig
fallen, befreien uns die Vögel. Ungezählte Massen von Stubenfliegen,
die Verbreiter verschiedener menschlicher Krankheiten, fangen die
Schwalben ab, die unermüdlich gerade ihre Hauptbrutstätten, die
Ställe und Düngerhaufen, nach ihnen abfliegen. Sie dezimieren auch die
lästigen Stechmücken, in Süddeutschland Schnaken genannt, wie die im
Wasser lebenden oder darin, wie die Enten, ihre Nahrung suchenden Tiere
ihrer Brut nachstellen und uns so nützen.

Welchen Nutzen beispielsweise die verschiedenen Wildhühner ihren
Standorten erweisen, daß können wir aus Beobachtungen von ihren
gezähmten Verwandten, den Haushühnern, schließen. So wurden in einem
Versuche von Professor Eckstein (Prometheus, 1908) Hühner in einen
vom Kiefernspanner (~Bupalus piniarius~) befallenen Wald getrieben,
damit sie die unter dem Moos auf dem Boden überwinternden Puppen
auffräßen. Da zeigte es sich, daß jedes Huhn täglich etwa 4500 Puppen
dieses schlimmen Forstschädlings verzehrte, und die Nachsuche ergab,
daß auf dem Geviertmeter, der vorher 25-140 Puppen enthalten hatte,
nach dem Absuchen durch die Hühner nur noch 2-3 dieser schädlichen
Schmetterlingspuppen vorhanden waren.

Sehr groß ist auch der Nutzen der mäusefressenden Vögel, vor allem
des Turmfalken, der verschiedenen Bussarde und Eulen, die sich, wie
ausgedehnte Untersuchungen des Mageninhaltes geschossener Tiere
bewiesen, zu 90 Prozent von diesen den Kornfrüchten und zahlreichen
andern Kulturpflanzen des Menschen so überaus schädlichen Nagern
ernähren. Jedenfalls sollte noch mehr als bisher von jedem Menschen der
Ausspruch beherzigt werden:

    „Die Tiere schützen
    Heißt, dem Menschen nützen!“



Sachregister.


    ~Abies~ 568, 661.

    ~Acanthus mollis~ 509.

    ~Acer~ 634, 707.

    ~Aconitum napellus~ 290, 503.

    ~Aesculus~ 626.

    ~Agathis australis~ 197.

    ~Agave rigida~ 56, 733.

    Ahorn 634, 707.

    Akazie (falsche) 595, 717.

    -- (Gummi) 320.

    Akelei 503.

    Alantwurzel 284.

    Alkanna 122.

    Aloe 236, 341.

    Alraun 278.

    Amaryllis 486.

    Ambra 199, 259.

    Ampelopsis 610.

    ~Anchusa tinctoria~ 123.

    Anemone 504.

    Aralie 612.

    ~Arbutus unedo~ 622.

    ~Areca catechu~ 144, 374.

    Arnika 286.

    ~Artemisia absinthium~ 296.

    Arve 571, 669.

    Ärzte (ägyptische) 268.

    ~Asa foetida~ 326.

    Asphodelus 481.

    Astarte 577.

    Aster 533.

    Aurikel 524.

    Azaleen 552.


    Baldrian 285.

    Balsam 231, 329.

    Balsamine 540.

    Bambus 85.

    Bärenklau 509.

    Bast 66.

    Battikfärberei 117.

    Baumwolle 93.

    Baumwollspinnerei 101.

    Bdellium 230, 329.

    Begonie 527.

    Belladonna 289.

    ~Bellis perennis~ 538.

    Benzoëharz 334.

    Bernstein 199.

    Bernsteinlack 204.

    Bibergeil 259.

    Bilsenkraut 288.

    Birke 700.

    Blauholzbaum 127, 722.

    Blumenkränze 430.

    Blumenzwiebeln 480.

    ~Boehmeria tenacissima~ 64.

    Bohnenkraut 545.

    Boretsch 528.

    Brache 4.

    Brandpilz 743.

    Brasilholz 127, 722.

    Brechnuß 361.

    Brennessel 65.

    Brombeere 640.

    Buche 589, 690.

    Buchs (~Buxus~) 607.


    ~Caesalpina echinata~ 127, 722.

    ~Calceolaria~ 557.

    Camellie 554.

    ~Campanula~ 516.

    Campescheholz 127, 722.

    ~Cananga odorata~ 258.

    Canna 493.

    ~Cannabis sativa~ 52.

    ~Carludovica palmata~ 73.

    ~Carthamus tinctorius~ 139.

    ~Carum~ 735.

    ~Cascara sagrada~ 303.

    ~Castilloa elastica~ 180.

    Ceder 671.

    ~Cedrela odorata~ 679.

    ~Ceiba pentandra~ 67.

    ~Cereus~ 729.

    ~Chamaecyparis~ 581.

    ~Chelidonium~ 272.

    Chinarinde 351.

    Chromgerberei 154.

    Chrysanthemum 535.

    Cistrosen 623.

    Clematis 610.

    Cochenille 126.

    Colombowurzel 347.

    Coloradokäfer 749.

    Coloradolilie 739.

    Condurango 351.

    ~Convolvulus~ 527.

    ~Corchorus capsularis~ 63.

    ~Coriaria myrtifolia~ 148.

    ~Crocus sativus~ 138.

    -- ~vernus~ 492.

    Curare 362.

    Curcuma 137.

    Cyclamen 525.

    ~Cyperus papyrus~ 74.

    Cypresse 575, 674.

    Cypripedium 495.

    ~Cytisus laburnum etc.~ 596.


    Dahlie 531.

    Dammarharz 192.

    Datura 288, 555.

    Der el Bahri 221.

    ~Dianthus~ 517.

    Digitalis 289, 542.

    Dividivi 147.

    ~Dracaena draco~ 143.

    Drachenblut 143.

    Dreifelderwirtschaft 3.

    Drogen 282.


    Ebenholz 718.

    Efeu 612.

    Eibe 585.

    Eibencypresse 574.

    Eibisch 285, 514.

    Eiche 679.

    Eichenrinde 149.

    Eisenholz 721, 738.

    Eisenhut 290, 503.

    ~Elaeagnus~ 592.

    Elemiharz 191, 233.

    Engelwurz 291.

    Enzian 290.

    Erdbeere 642.

    Erika 551.

    Erle 590, 696.

    Esche 636, 709.

    Esparsette 24.

    Espartogras 59, 83.

    Eukalyptus 742.

    Euphorbium 324.

    Evonymus 609.


    ~Fagus~ 589, 690.

    Färberdistel 139.

    Färberei 114.

    Färbereiche 136.

    Färberochsenzunge 123.

    Farnwurzel 291.

    Fichte 659.

    ~Ficus elastica~ 178.

    Fingerhut 289.

    Firnis 193.

    Flachs 33.

    Flieder 637.

    Föhre 665.

    ~Fraxinus~ 636, 709.

    ~Fritillaria~ 470.

    Fuchsie 556.


    Galläpfel 151, 156.

    Gallustinten 158.

    Gartenkunst 381.

    Geilwurz 295.

    Geißblatt 599.

    Gelbholz 723.

    Gelbwurzel 137.

    ~Gelsemium~ 348.

    Georgine 531.

    Gerberei 153.

    Gesnerazeen 509.

    Gingko 587.

    Gladiolen 491.

    Gleditschia 593.

    Glockenblume 516.

    Glycine 598.

    ~Glycyrrhiza glabra~ 317.

    Goldlack 506.

    Goldregen 596.

    ~Gossypium barbadense~ 94.

    Grabschmuck 579.

    Guajakholz 338.

    ~Gummi arabicum~ 320.

    Gummigutt 136, 316.

    Guttapercha 181.


    ~Haematoxylon campechianum~ 127.

    Halfa 59, 83.

    Hanf 52.

    Haselstrauch 277, 590.

    Hatschepsut 221.

    Hauswurz 523.

    Henna 123.

    Herbstzeitlose 287.

    ~Hevea brasiliensis~ 167.

    Hibiscus 285, 514.

    Holzkohle 659.

    Holzteer 372, 657.

    Honigklee 25.

    Hortensie 550.

    Hyazinthen 473.

    Hybridisation 442.

    ~Hydrastis~ 349.

    ~Hypericum perforatum~ 274.


    Imhotep 263.

    Immergrün 549.

    Indigo 128, 130.

    Indigo, künstlicher 133.

    Ipecacuanha 344.

    Irideen 488.

    ~Isatis tinctoria~ 113, 128.


    Jalapenwurzel 309.

    Jasmin 549, 593, 600.

    Johannisbeeren 601, 643.

    Johanniskraut 274.

    Judasbaum 593.

    Jungfernrebe 610.

    Juniperus 583, 679.

    Jute 63.


    Kakteen 563, 728.

    Kalabarbohne 364.

    Kamille 290, 539.

    Kampfer 237.

    Kapok 67.

    Kapuzinerkresse 559.

    Kastanie 696.

    Katechu 144, 335.

    Kattun 107.

    Kaugummi 184.

    Kaurikopal 197.

    Kautschuk 162.

    Kermeseiche 125.

    ~Kickxia elastica~ 175.

    Kiefer 571, 665.

    Kino 336.

    Klee 27.

    Knabenkraut 276.

    Koka 366.

    Kokosnußfaser 71.

    Königskerze 544.

    Kopaivbalsam 332.

    Kopallack 194.

    Korkeiche 683.

    Kornblume 537.

    Kränze 433.

    Krapp 120.

    Krotonöl 316.

    Kubebenpfeffer 333.

    Kühn, Julius 8.

    Kusso 373.


    Lacke, japanische 208.

    ~Larix~ 572, 670.

    ~Lathyrus~ 23.

    ~Laurus~ 602.

    Lebensbaum 581.

    Lederfabrikation 153.

    Lein 32.

    ~Levisticum~ 545.

    Levkojen 505.

    Lilie 469.

    Linde 632, 712.

    ~Linum~ 32.

    ~Lonicera~ 599.

    Lorbeer 602.

    Lotosblume 425.

    Lupine 21.

    Luzerne 18.

    ~Lyceum europaeum~ 593.

    ~Lychnis~ 520.


    Magnolie 613.

    Mahagoni 723.

    Maiglöckchen 481.

    Malven 513.

    Mandragora 279.

    Mangabeira 171.

    Mangroven 149.

    Manilahanf 54.

    Mastix 190, 623.

    Maulbeerbaum 717.

    Mäusedorn 485.

    Medicago 18.

    Mehltau 746.

    Mekkabalsam 230, 329.

    Melilotus 25.

    Melisse 293, 545.

    Melone 740.

    Mesquite 737.

    ~Mimosa pudica~ 595.

    Mistel 277, 649.

    Mohn 299, 505.

    Moschus 259.

    ~Musa textilis~ 54.

    Mutterkorn 294.

    Myrrhe 211, 327.

    Myrte 605.


    Nachtkerze 557.

    Nachtviole 505.

    Nadelhölzer 657.

    Narde 261.

    Narzisse 486.

    Nelke 517.

    ~Nelumbium speciosum~ 426.

    Nesseltuch 65.

    Nießwurz 287.

    Nußbaum 695.

    Nußfichte 736.

    ~Nymphaea lotus~ 425.


    Oleander 620.

    Opium 299.

    Opopanax 325.

    Opuntie 729.

    Orchideen 494.

    Orth Alb. 10.

    ~Oxalis tuberosa~ 513.


    ~Paeonia~ 502.

    ~Palaquium gutta~ 181.

    Panamapalme 73.

    ~Papaver somniferum~ 299.

    Papierfabrikation 80.

    Pappel 591, 698.

    Papyrus 74.

    Paradies 387.

    Parfümfabrikation 248.

    Passifloren 561.

    Patschuli 257.

    Pawlonia 620.

    Pelargonien 511.

    Pernambukholz 127, 722.

    Perubalsam 330.

    Petunie 558.

    Pfefferminze 292.

    Pfriemengras 58.

    ~Phaseolus~ 560.

    Phlox 562.

    ~Phormium tenax~ 483.

    Piassave 69.

    ~Picea~ 569, 659.

    Pilze 743.

    ~Pinus~ 571, 665.

    ~Pistacia lentiscus~ 190, 623.

    -- ~therebinthus~ 189, 624.

    Platane 628, 707.

    Podophyllin 341.

    ~Populus~ 591, 699.

    Portulak 522.

    ~Primula~ 523.

    ~Prosopis~ 736.

    ~Prunus~ 614.

    Punt 220.

    Purpur 114, 135.


    Quassiaholz 340.

    Quebracho 395.

    Quendel 239.

    Quercusarten 681.

    ~Quercus coccifera~ 125.

    -- ~tinctoria~ 136.

    ~Quillaia~ 350.


    Ramie 64.

    Raphiapalme 70.

    Ratanhiawurzel 336.

    Raute 273.

    Renntierflechte 298.

    Reseda 510.

    Rhabarber 305, 516.

    ~Rhamnus~ 608.

    ~Rheum officinale~ 305.

    -- ~undulatum~ 516.

    Rhododendron 552.

    ~Rhus~ 617.

    Ribes 602, 644.

    Rizinusöl 303.

    Robinia 594, 717.

    Röhrenkassie 315.

    Rosen 444.

    Rosenholzbaum 722.

    Rosenöl 252, 452.

    Rosmarin 293, 546.

    Roßkastanie 625.

    Rostpilz 744.

    Rotang 89.

    Rotholz 127, 722.

    ~Rubia tinctorum~ 120.

    ~Rubus~ 641.

    Runen 278.

    ~Ruscus aculeatus~ 485.

    ~Ruta graveolens~ 511.


    Sabadill 375.

    Sabäer 219, 231.

    Safran 138.

    -- als Zierblume 492.

    Sago, wilder 733.

    Salbei 542.

    Salben 241.

    Salepknolle 295.

    ~Salix~ 699.

    Salomo 224, 274.

    Salomonssiegel 275.

    ~Sambucus~ 600, 640.

    Sandarak 193.

    Sandarakcypresse 674.

    Sandelholz 236.

    Sandelholzöl 334.

    Saponaria 521.

    Sarsaparillwurzel 337.

    Sauerklee 513.

    Scammonium 340.

    Schellack 205.

    Schellkraut 272.

    Schminke 160.

    Schneeglöckchen 485.

    Schraubenbohne 736.

    Schwertlilie 488.

    Scilla 476.

    ~Secale cornutum~ 294.

    Seegras 60.

    Seerose 425.

    Seidenbaumwolle 67.

    Seifenkraut 521.

    Senegawurzel 350.

    Senf 376.

    Sennesblätter 313.

    Shepherdie 592.

    Siegwurz 276.

    Simarubarinde 360.

    Sisalhanf 56.

    ~Smilax aspera~ 484.

    Sotol 734.

    Springwurz 274.

    Stechapfel 288, 555.

    Stechwinde 484.

    Stiefmütterchen 508.

    Strophantus 363.

    Strychnin 361.

    ~Styrax~ 234, 334.

    Sumach 148, 617.

    Sumatrakampfer 237.

    Sumpfcypresse 678.

    Süßholz 317.


    Tamarinde 314.

    Tamariske 639.

    Tanghinpflanze 364.

    Tannen 569, 654.

    Tausendguldenkraut 296.

    Taxus 585.

    ~Tectona grandis~ 726.

    Terpentin 187, 371, 657.

    Teufelsdreck 326.

    Thaer, Albr. 6.

    Theriak 261, 302.

    Thuja 581.

    Thymian 293.

    Tiekholz 726.

    Tollkirsche 289.

    Tolubalsam 331.

    Tonkabohne 260.

    Tradescantien 493.

    Tragantgummi 319.

    Trollblume 502.

    Tropacolum 559.

    Tuberose 481.

    Tulpe 471.

    Tulpenbaum 613.

    Türkenbund 470.


    Ulme 633, 716.


    Vanillin 260.

    Veilchen 506.

    Verbascum 544.

    Verbenen 547.

    Veronica 545.

    Versailles 413.

    ~Viola odorata~ 506.


    Wacholder 278, 583, 679.

    Waid 113, 128.

    Waidbau 656.

    Weide 699.

    Weihrauch 210, 214, 327.

    Wermut 296.

    Wiesenkultur 14.

    Wiesenplatterbse 23.

    Wohlgerüche 240.

    Wurmsamen 292.


    Ylang-Ylang 258.

    ~Yucca gloriosa~ 483.


    ~Zinnia~ 537.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Kulturgeschichte der Nutzpflanzen, Band IV, 2. Hälfte" ***

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