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Title: Komet und Weltuntergang
Author: Bölsche, Wilhelm
Language: German
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produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.)



    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
    ist _so ausgezeichnet_.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Wilhelm Bölsche

    Komet und Weltuntergang

    [Illustration]

    Erstes bis siebentes Tausend

    Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1910



Vorwort


Es besteht das Bedürfnis, in diesem Frühjahr den Weltuntergang
infolge eines Zusammenstoßes der Erde mit dem Halleyschen Kometen zu
proklamieren. Mehrere Menschen empfinden daraufhin den Wunsch, durchaus
ethisch zu werden; andere meinen, daß nunmehr aller gute Wein, den
die Menschheit auf Reserve angesammelt hat, ausgetrunken und alle
schönen Mädchen abgeküßt werden müßten. Für diese an sich löblichen
Bestrebungen können streng wissenschaftliche Grundlagen aus Anlaß
vorliegender Kometentheorien zurzeit noch nicht in ausreichendem Maße
gegeben werden. Das zu untersuchen und zu klären ist der Zweck des
vorliegenden Büchleins, das übrigens auch _nach_ dem Weltuntergang noch
mit Nutzen gelesen werden kann.

                _Wilhelm Bölsche_

    _Friedrichshagen_
    Ostern 1910



Der Himmel rötet sich von einer nordlichtartigen Glut. In sprachloser
Erstarrung stehen die Menschen. Es ist kein Nordlicht: es ist der
Weltbrand. Walhalla brennt, und nun muß alles mit.

Wir alle kennen die Gewalt dieses Schlußbildes in Wagners Dichtung.
Es ist der höchste Abschluß, den die Tragödie erreichen kann. Das
Schicksal siegt, und mit dem Vorhang fällt die Welt.

Die Götter haben Schuld begangen, sie haben die heiligen Verträge
gebrochen. Nun zieht der unerbittliche Urgrund der Dinge den logischen
Schluß. Die Schuld muß gesühnt werden, also muß Walhalla brennen. Da
unten aber steht das arme Häuflein Menschen und weiß: die da droben
fallen, so müssen auch wir kleinen Kerle nach in den Weltenbrand. Die
Walküre hat ihnen noch von der Seligkeit der Liebe gesungen. Aber
das galt schon einem späteren, einem vielleicht einmal bleibenden
Geschlecht. Was heute Mensch heißt, das muß mit in den schauerlichen
Hochofen, der da oben zu glühen beginnt. Götterdämmerung! Die
Menschendämmerung ist dann nur noch ein Anhängsel.

Immer, wenn ich das sah, haben mir diese Menschen leid getan, die
mit als Opfer fallen, weil das Schicksal den Schluß zieht aus der
Schuld derer da oben. Schon in der Ilias hat das so ergreifenden
Ausdruck gefunden. Die da oben wirtschaften ins Tolle; sie haben einen
ungeheuren Krieg inszeniert; die hier unten müssen bluten, und all ihr
Heldenmut erreicht zuletzt doch nur, daß Patroklus sinkt und Hektor und
schließlich auch Achilles.

Es ist aber ein eigentümliches Ding in der Welt: die Namen wechseln,
aber die Mächte und die Nöte bleiben immer wieder die gleichen.

Im alten Babylon sind einst aus den Sternen Götter geworden. Für uns
heute sind die antiken Götter wieder in Sterne eingegangen. Und doch
hat sich die Situation wenig geändert.

Auch für uns, naturwissenschaftlich geschulte Menschen, Bewohner des
fern im Sonnenraum mit dreißig Kilometer Geschwindigkeit in der
Sekunde dahinsausenden Planeten Erde, moderne Menschen von heute,
auch für uns bewegen sich auf der Weltenbühne immer wieder die drei
Mitspielenden.

In der Tiefe das unergründliche Geheimnis der Natur. Diese dunkle Macht
hinter Leben und Tod, der wir verdanken, daß überhaupt etwas ist; aus
der wir aufblühen, in der wir versinken, wir, Sterne wie Menschen;
die nicht lobt und nicht anklagt, die überhaupt nicht redet, die,
wie Angelus Silesius singt, »ein ew'ge Stille« ist; aber die aus dem
Unnahbaren dieser ewigen Stille vollzieht, und deren unerbittliche
Waffe die ewige Logik ist, das ewige Kausalgesetz. Was getan ist, das
zieht seine Folgen nach, unabänderlich.

Vor diesem absoluten Naturgrunde aber spielen sich zwei engere Szenen
ab.

Im Raume schweben Gestirne. Sonnen um die Planeten kreisen. Unfaßbar
lange Zeiten hindurch halten sie sich in geregelten Bahnen ohne
Zusammenstöße. Auf uralten Verträgen scheint ihr Dasein über Äonen
fort aufgebaut. Will man es weniger vermenschlicht ausdrücken, so mag
man es Balancen nennen. Vielleicht sind sie in ganz grauen Tagen erst
selber mühsam erworben worden, die Balanceverhältnisse etwa unseres
Planetensystems. Als Ergebnisse unendlicher Kämpfe. Bis alles sich in
natürlicher Auslese des Passendsten, des Harmonischsten endlich so
zurechtgesetzt hatte, daß es nun auf lange Zeiträume hin wirklich hielt
wie in einem ehernen Garantievertrag.

Erst jenseits dieser kosmischen Garantien tauchen dann die
Menschen auf. Entwickelt in der Ruhe eines solchen Planeten,
der jahrmilliardenlang ohne Stoß, ohne Katastrophe um seinen
Sonnenschwerpunkt, seinen Vertragsmittelpunkt, jahraus jahrein
friedlich kreiste. In gewissem Sinne selbständig, sind diese Menschen
doch unlösbar gekettet an diesen oberen Zusammenhang. Mit ihrem Stern
hängen sie in der großen Sternenbalance. Unablässig rollt die Erde
sich mit ihnen um sich selbst, um die Sonne, mit dieser Sonne auf
das Sternbild des Herkules los. Von überall her starren die Augen
der anderen Oberwelten sie leuchtend an, wenn ihr Blick zum Himmel
geht. Sie mögen für sich treiben, was sie wollen, diese Menschen da
unten, kleine Götter spielen, gut sein oder schlecht; immer ist all
ihr Spiel nur garantiert durch die Vertragstreue, die Harmonie, die
Balancesicherheit derer da oben.

Und nun die alte Angst: wenn die dort einmal ihre Verträge
brächen. Wenn Sterne gegeneinander liefen. Wenn unserer Erde
kosmische Katastrophen drohten. Wenn diese heilige Himmelsruhe sich
lockerte, sich löste. Das unerbittliche Schicksal der Logik, der
Naturgesetzlichkeit würde auch hier den Schluß ziehen, ohne mit
der Wimper seines schwarzen Rätselauges zu zucken. Seht ihr, wie
der Himmel sich rötet. Ein Weltensturz kommt, eine Sternen-, eine
Planetendämmerung. Ein kosmischer Störenfried bricht den uralten
Erdvertrag. Weltbrand, und was seid ihr Menschen plötzlich da unten,
mit müßt ihr in die Hölle, in den planetarischen Hochofen. Der Krieg
der Götter ist entbrannt, und ihr müßt mit, der Held bei euch wie der
Feigling, unerbittlich.

Andere Zeiten, andere Worte. Aber das gleiche Spiel, die gleiche Angst,
das gleiche Mitleid bleibt mit den armen Menschen. Die Himmlischen
inszenieren Troja und wir müssen brennen.

Eines ist aber doch nicht mehr gleich heute. Seit den Tagen Homers
oder der Edda sind wir Menschen hier auf unserm irdischen Posten der
großen Mysterienbühne unvergleichlich viel kühner, viel stolzer, viel
selbstbewußter geworden.

In der Zwischenzeit liegt unsere eigentliche große Mündigerklärung
zur technischen Erdherrschaft. Eine ganze Masse Dinge, die hier unten
damals noch kleine Götter spielten, haben wir selber in die Hand
genommen als gereifte, diesen Gewalten endgültig gewachsene Titanen.
Poseidon wird in unserer Kultur ein derber Arbeiter, der Blitz muß
unsere Apparate treiben. Wenn die Pest wütet, so zittern wir nicht mehr
vor den Pfeilen Apollons, sondern wir wenden mit Erfolg Bakteriologie
und Antiseptik an. Es ist auf dem Punkt, daß wir wirklich hier auf
dieser Erdoberfläche mit dem, was hier noch an »Oberen« spukte,
endgültig fertig werden. Prometheus siegt hier, wer kann daran nach den
letzten Jahrhunderten der Technik noch zweifeln. Es ist eine heillose
Arbeit gewesen und fordert noch eine heillose. Aber die entscheidende
Wende ist überschritten. Es hat doch etwas wie ein Symbol (wenn es
auch, das gehört zu den Resignationen des Lebens, im Moment der
Lächerlichkeit ausgeliefert ist), daß der Fuß des Menschen sich jetzt
auf den Pol setzt. Wenn das lenkbare Luftschiff darüber weg steuert,
so wird auch die letzte Lächerlichkeit des »Objektteufels« vor der
heiligen Stunde kapitulieren, wie immer.

Kleine Schlappen, die wir auf diesen Gebieten noch erleiden, zählen
nicht. Gewiß: wir machen noch Dummheiten; wir bauen eine Stadt auf die
Zuglinie sich verschiebender Landmassen und sie stürzt im Erdbeben
ein; wir regulieren einen Strom nicht ausreichend und Paris steht
unter Wasser. Das sind aber keine Weltuntergänge, sondern wir wissen
eigentlich schon selber recht genau, worin wir es dabei versehen
haben und wie es künftig besser zu machen wäre. Es ist alles eher
als eine Utopie, daß wir zuletzt alle Ströme, die an Kulturstädten
vorbeifließen, wirklich ausreichend regulieren werden, daß wir die
besonders durch Erdbeben bedrohten Erdstellen abschätzen lernen und
eventuell Häuser konstruieren werden, die auch einen derben Stoß
aushalten.

Und noch um ein Schwereres ringen wir: das Raubtier Mensch zu zähmen
in uns selber, Mensch mit Mensch uns zu vertragen (wir sind doch nun
einmal die Brüder von der gleichen Schicht des großen Mysteriendramas),
den heillos simpeln Gedanken uns endlich einzuprägen, den uns schon die
ganze niedere Lebensentwicklung zuschreit, daß man sich besser liebt
als frißt. Auch das geht noch durch seine Momente der Müdigkeit (die
ethische Resignation kommt sooft wie die technische), aber durch bricht
es doch zuletzt.

Was wir in all dieser heißen, inbrünstigen Arbeit brauchen, das ist
bloß noch Zeit, noch Fortsetzung der Dinge bei uns, noch Folgen von
Generationen, die weiter schaffen, wo wir die Axt sinken lassen. Der
Einzelne: ja da muß auch manches resignieren; mindestens müssen wir
ihn dem Geheimnis zuletzt überlassen. Aber das ist doch das immer
wieder Befreiende, Erhebende, daß auch dieser Einzelne in seinen
paar Lebensjahren immerzu in seinen besten Momenten in größeren
Zusammenhängen der Menschheit wirken und gestalten darf, auf Dinge
hin, die ihn überleben sollen, die fortleben sollen bei wieder jungen,
wieder frischen, wieder neu blühenden Menschen. Ein Rächer soll aus
unsern Knochen auferstehen, lautete das alte Wort; uns ist Rache nicht
mehr so wichtig; wir erwarten einen Fortsetzer, einen Vollender, einen
Benutzer unserer Arbeit.

Und doch sind wir Titanen der Erde machtlos gegen die da oben!

Wir haben ja angefangen, auch sie zu studieren, wie der kluge
Odysseus anfängt, seine Götter etwas mit Schläue zu sondieren,
zu diplomatisieren. Wir haben begonnen, die Sternverträge selber
zu prüfen, die Balancen ängstlich durchzurechnen. Wir haben die
Erde gewogen, ihre Schwungkraft gemessen, Sonnen- und Siriusweiten
festgestellt, das himmlische Billardspiel der ganzen Planetenbahnen
durchgeprobt auf seine Garantien. Aber eine unermeßliche Kluft trennt
uns von jeder Möglichkeit, deshalb nun da oben selber mitzuspielen,
selber einzugreifen.

Wenn sich da oben etwas verschiebt, das alle planetarischen
Sicherheitsverträge zu bedrohen beginnt, so können wir's gerade zur
Not kommen sehen: ändern aber können wir's nicht. Wenn die Erde in ihr
Verderben rennt: _wir_ haben keine Macht, sie zu hemmen.

Es gibt eine höchst amüsante, wenn auch wissenschaftlich nicht gerade
sehr tiefe Geschichte von Jules Verne, in der drei Menschen in einer
Bombe aus Aluminium zum Mond sausen; aus Langeweile gehen sie während
der Fahrt die Rechnungen vom Observatorium zu Cambridge noch einmal
durch, die ihnen die Ankunft auf dem Mond garantieren sollen, und dabei
stellen sie einen Fehler fest, der alles umschmeißt und ihnen Rücksturz
und Verderben bedeutet; angenehme Entdeckung, während sie schon
fliegen! Aber ganz genau so fliegen wir alle längst durch den Raum, und
wenn irgendeine schauerliche Rechnung uns heute beweisen sollte, daß
ein fremder Weltkörper sich geradlinig auf uns los bewegt mit einer
Bahnlage, die absolut notwendig zu einer entsetzlichen Katastrophe
führen muß, so sitzen wir zugleich genau so hilflos eingeschlossen in
unserem Gehäuse wie die Helden Jules Vernes und müssen wahllos in unser
Verderben fliegen.

Unsere wissenschaftliche Phantasie kann sich dabei heute schon recht
reinlich vorstellen, was geschehen müßte, wenn ein einigermaßen großer
und schwerer Weltkörper auch nur ganz nahe an uns herankommen würde.

Durch die Anziehung müßte eine unglaublich hohe Springflut bei uns
entstehen, deren doppelter Wasserberg mit der Erddrehung rasch um
unsern ganzen Planeten wanderte, alles in einer katastrophalen Sintflut
ersäufend. Gleichzeitig würden alle unsere Vulkane in tobenden
Eruptionen ausbrechen, da die vom Druck jäh entlasteten Lavaherde und
Dämpfe der Tiefe alle zugleich hochquellen müßten. Das Einströmen der
Flutwasser in diese Feueressen aber müßte Explosionen erzeugen, bei
denen weite Landgebiete wie Trümmer eines platzenden Dampfkessels
in die Luft flögen; die berühmte Explosion des Krakatau von 1883 an
der Sundastraße, bei der auch der Ozean in den ausbrechenden Krater
geflossen zu sein scheint und eine Dampfsäule von fünfzig Kilometer
Höhe entstand, in deren Gefolge längere Zeit Änderungen der gesamten
Erdatmosphäre (abnorme Dämmerungsfarben durch Beimischung feiner
Vulkanasche) eintraten, wäre ein harmloses Kinderspiel dagegen.

Bei noch weiter fortschreitender Entlastung würden aber allmählich
auch die tieferen Massen des Erdinnern unruhig werden. Man nimmt
heute ziemlich allgemein an, daß der eigentliche Sitz des Magmas, das
in unseren Vulkanen aufquillt, noch nicht in sehr großer Tiefe der
Erdrinde sei. Was noch tiefer liegt, das wird durch den wachsenden
ungeheuerlichen Druck der auflastenden Massen normalerweise so
gebändigt, daß es gar nicht mehr bis zu uns aufbegehren kann. Nach
gangbarer Hypothese liegen der Temperatur nach eigentlich gasförmige
Stoffe gegen den Erdkern zu infolge des Drucks in einem Stadium,
das sehr nahe der äußeren Erscheinungsform des Flüssigen oder gar
Festen kommt. Eine plötzliche Erregung dieser sonst heilsam gedeckten
Innensubstanzen würde erst das wirklich Grauenhafteste auslösen.

Man kennt ja die Geschichte jener kleinen Fische, die in der Tiefsee
unter einem beständigen Wasserdruck bis zu tausend Atmosphären
leben; in ihrer Tiefe sind sie hübsch körperlich auf diesen Druck
eingestellt; wenn man sie aber plötzlich im Netz an die Oberfläche
bringt, platzen sie jämmerlich auseinander. Jener Inhalt des Erdkerns
würde entlastet sich ebenfalls als titanischer Explosivstoff bewähren
müssen. Mit unhemmbarer Gewalt würde er losbrechen, die Erde würde
statt einfacher Vulkanausbrüche Protuberanzen entwickeln nach Art
jener fürchterlichen roten Eruptionen von glühendem Wasserstoff und
Calcium, die viele Tausende von Kilometern hoch über die Oberfläche der
Sonne emporzuspritzen pflegen. Eine wirkliche Berührung der Erde mit
jenem zweiten Weltkörper würde, abgesehen von der dabei entstehenden
mechanischen Umsatzwärme, durch direktes Zertrümmern der schützenden
Deckschale der Erde endlich eine Gesamtexplosion dieser Kernsubstanz
mit ihrer so lange verhaltenen Energie hervorrufen, die für unsere
irdischen Verhältnisse geradezu als Götterdämmerung bezeichnet werden
könnte.

Schon ein geringer Teil dieser Ereignisse würde aber genügt haben, das
dünne schillernde Schleimhäutchen von der Erdrinde fortzusterilisieren,
das wir (mit Einschluß des Menschendaseins) Leben nennen. Dieses
Häutchen, in mancherlei Gestalt von Schleimtröpfchen protoplasmatischer
Art über eine geringe Schicht der Erdoberfläche lose verteilt, ist
seinem innersten Wesen nach zwar seit alters ein wahrer Ahasver und
Proteus zugleich an Zähigkeit, wenn man ihm Zeit läßt, sich gegen
äußere Bedingungen langsam einzustellen und raffinierteste Anpassungen
fertigzubekommen. Es ist aber ebenso schwach, wehrlos, hinschmelzend
wie eine Qualle in der grellen Sonne, hinsprühend wie eine Hand voll
Spreu in der Flamme gegenüber jeder katastrophalen Bedrohung.

Ein paar Stichflammen, wie jene schauerliche von Martinique, die in
einem Moment über dreißigtausend Menschen vernichtete, durch die
Kontinente rasend, würden das Land sofort veröden, eine auch nur
momentane Erhöhung der Meerestemperatur auf Siedehitze die Ozeane.
Als letzte Überlebende dürften noch Sporen von Milzbrandbakterien,
die hundert Grad trockener Hitze aushalten, und gewisse Algenpflanzen
der heißen Quellen des Yellowstoneparks in Nordamerika eine Weile
ausdauern, binnen kurzem aber natürlich auch ohne Erfolg. Der Mensch
mit heutiger Technik wäre jedenfalls längst vorausgegangen im Tode.

Unwillkürlich verweilt der Gedanke auf dem Antlitz dieser Menschheit
bei sich nähernder Gewißheit eines solchen Endes.

Es wäre eine letzte, furchtbar ernste Probe auf unsere geistige Kraft,
auf den letzten Stärkeschatz, der sich angesammelt im Verlauf dieses
wunderbaren, unwahrscheinlichen Märchens, das wir als Entwickelung der
Menschheit und Menschenintelligenz auf dieser Erde haben.

Noch einmal würden sie wohl beide in letzter Kraft erscheinen, die
beiden Gestalten, die um diesen Menschen immer wieder gerungen haben
in all den Jahrtausenden seiner Geschichte: das alte Raubtier,
das mit allen Mitteln die Erdherrschaft an sich riß, das von dem
alten Kannibalenhügel von Krapina, wo sie noch Neandertalmenschen
geschlachtet haben, bis auf unsere Zeiten immer auf einer roten
Spur von Blut durch diese Geschichte gewandelt ist; und das ewige
Sonnenkind, das aus der anderen Tiefe der Natur, aus der schon der
Paradiesvogel den Sinn nahm, spielend seine Hochzeitslaube mit
bunten Federn und Beeren zu schmücken, die Kunst zog, das auf Denken
und hingebende Forschung, auf Weltanschauung, auf Liebe und Ethik
loswanderte, als die großen Neuländer, die mehr waren als alle noch so
hoch gesteigerte Raubtierkraft.

Die Energie brutaler Rücksichtslosigkeit würde sich noch einmal
ausleben wollen, fast glücklich, daß sie endlich noch einmal alle
Fesseln brechen kann, mit denen sie wenigstens die Kritik des
verfeinerten Menschentums heute überall eingeengt hat; wie eine kleine
Explosion notdürftig gebändigter, unter den Kulturdruck gestellter
Innengewalten und Urgewalten des Menschen selber würde das schon bei
dem Gedanken an den Untergang entlastet vorbrechen, ehe noch jene
zerstörende Entlastung des Planetenkerns der Erde begönne.

Aus einer andern wieder entlasteten Schicht würde über Tausende und
Tausende von uns die Gedankenwelt sich noch einmal als zäher Lavastrom
ausbreiten, wie sie in ihrem typischsten noch lebenden Beispiel Sven
Hedin kürzlich so anschaulich aus den Klosterstädten Tibets geschildert
hat: jene absolute Einstellung des ganzen wirklichen Lebens auf die
Welt eines geglaubten anderen, nachkommenden. Der Glaube, der Menschen
veranlaßt, viele Jahre ihres Lebens in einer bis auf einen schmalen
Spalt zugemauerten Zelle freiwillig zu verbringen und tagaus tagein, ob
nun die Sonne draußen scheint oder Wolken die Dinge verfinstern, den
ganzen Inhalt dieses Lebens auf das ewig gleiche mechanische Drehen
einer Gebetmühle zu verwenden, im felsenfesten Vertrauen, daß so eine
bestimmte Suggestion auf dieses Jenseits ausgeübt werde!

Umgekehrt würde für diesen fieberhaften letzten Moment aber zweifellos
auch noch einmal das wie eine wirkliche Lösung, ein wirklicher Trost
hervorblühen, was dem armen, ringenden, blutenden Einzelmenschen
so unzählige Male immer wieder schon in diesem Leben geholfen hat:
der göttliche Leichtsinn des Menschen mit all seiner Grazie und
Liebenswürdigkeit; der heilige Leichtsinn, der sich, wenn unten die
Pest als Schnitter durch die Garben geht und uns alle mähen wird, in
eine lustige Halle setzt und Boccacciosche Märchen erzählt, dem Tode
einen goldenen Becher zutrinkt aus dem Wein, den sonst erst die Enkel
haben sollten, und von der heißen Lippe des schönen Mädchens geküßt
wird, von dem ihn sonst alle heiligen und profanen Wasser dieser Erde
auf ewig hätten trennen müssen.

Schließlich glaube ich aber doch auch noch an ein letztes kleines
Häufchen von Menschen (Fazit des reinsten Entwicklungsgoldes der
Menschheit heute schon, wenn es auch nur eine kleine Schar ist), die im
Anblick des rot aufstrahlenden Himmels der Götterdämmerung das Beste
aus all diesen wechselnden Zügen der Kraft nach bewähren würden ohne
die Schlacken; die aus der eisernen Stärke des wilden Kämpfers, aus dem
tiefsten Sehnen und Resignieren des echten religiösen Kerngehalts, wie
aus dem sprühenden Trotz, der dem Tode zutrinkt, endlich den Heldenmut
der freien Seele in diesem letzten Scheidefeuer sich schmieden würden,
von dem des Dichters Wort gilt:

    »Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal,
    So ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.«

... Auch ein solcher Mensch würde aber doch die ganze Trauer empfinden,
die uns beim Tode eines Jünglings ergreift. Die Mummelgreise des
blasierten Denkens lügen ja: die Menschheit ist noch nicht alt. Sie ist
noch jung bis zur grünsten Dummheit. Sie wollte erst anfangen, wollte
erst beginnen, etwas zu leisten. Erst eben fing eine endlose dunkle
Naturarbeit an, in ihr einen Sinn zu bekommen. Nun ein glühender Hauch,
und das alles soll wieder umsonst gewesen sein.

Vielleicht registrieren sie das Aufflammen der Erde auf einem andern
Stern. Einmal wieder eine kleine kosmische Veränderung. Wer weiß, nach
wieviel Zeit erst. Das Licht nimmt ja vierzigtausend Meilen in der
Sekunde und braucht doch Jahrtausende bis zu den entfernteren Sternen
unseres Milchstraßensystems. Dort schieben sich die Geschehnisse durch
die verspätete Lichtpost immer weiter und weiter zurück. Wenn die Welt
wirklich, wie der Kalender will, erst um 3761 v. Chr. erschaffen worden
wäre, so müßte dieses merkwürdige Ereignis für unsere Gegend schon auf
Sternen von mittlerer Entfernung jetzt noch unmittelbar beobachtet
werden.

Nehmen wir an, es sei nicht zu einer vollkommenen Explosion des
Erdinnern gekommen, sondern es hätten bloß die Springfluten
und Basaltergüsse beim nahen Vorbeipassieren eines himmlischen
Störenfriedes die Menschheit vernichtet, so wäre es denkbar, daß nach
Äonen andere, mit weit erhöhter Technik wandernde Intelligenzwesen
diesen toten Ball besuchten. Vielleicht, daß sie bei künstlichem
Licht durch Schachte in die rätselhafte ungeheure Erstarrungsdecke
des ehemals glühend ausgeströmten Basalts eindrängen, wie wir heute
uns mit Fackeln hinableuchten lassen in die gespenstischen Räume des
Theaters von Herkulaneum, über das einst die heißen Schlammströme des
neu explodierenden Vesuv geflossen sind. Wie in jenem verschütteten
Theater würde da und dort eine Stufe, ein Säulenrest, eine geköpfte
Statue, eine Inschrift von der toten Menschheit zeugen und staunende
Neugier, gemischt mit einem Gefühl des Grauens, wecken. Ein
verklungenes Märchen, in der Nacht, der Tiefe versunken. Wie Atlantis,
wie Vineta der Sage. Nicht einmal seine Glocken klingen mehr. Lava
hält energischer im Bann als Wasser. Das ausgeträumte Märchen der
Menschheit ...

       *       *       *       *       *

Lassen wir die Grauen und nehmen ein ganz aktuelles, überaus anmutiges
Naturbild.

Die meisten von uns haben es in den letzten Tagen des Januar dieses
Jahres genossen.

Nicht als Götterdämmerung, sondern in ihren gewohnten roten Abendfeuern
ging die Sonne zur Rüste. In dem zauberhaften Farbenbogen, der aus
duftigstem, durchsichtigstem Orangegelb, Mattgrün und ganz oben
Violettblau sich noch eine Weile leise abklingend im Westen hielt, trat
plötzlich hineinblitzend und dann rasch im eigenen Weißfeuer wachsend,
bis sie als neuer Mittelpunkt das Ganze beherrschte, die Venus vor.
Dieser schöne schneeweiße Planet, der uns so nahe ist und von dem wir
doch so rein gar nichts wissen, weil ein ewiger dichter Wolkenschleier
zäh das Geheimnis seiner Oberflächengestalt hütet.

Dann aber, rechts von dem strahlenden Auge des Abendsterns, jetzt
ein zweites, ganz feines Himmelsgebilde. Wie ein phosphoreszierendes
Federchen eben hingehaucht vor den blassen Kristall des abdunkelnden
Himmels. Ein schwaches Sternchen, das aussah, als sei es an der
freien Wölbung da oben ein Stückchen weit auf die Sonne zugekrochen
und habe dabei eine feine Silberspur auf dem Untergrunde hinterlassen.
Im Fernrohr erschien ein goldener Kern in einer weißlich verwaschenen
Nebelhülle, nicht unähnlich einem ausgeschütteten rohen Ei; von dem
floß jene Silberspur dann als langer Schweif aus, mit der starren
Geradlinigkeit nicht eines Körpers, sondern viel eher eines breiten
weißlichen Lichtstrahls. Nahm man den Kern als ein gelbes Schiffchen,
das in einer Nebelwolke fuhr, so ergab sich mit großer Anschaulichkeit
auch das Bild eines Scheinwerfers, mit dessen langem schleppenden
Lichtbande die Gegend jenseits der Sonne von Bord aus abgesucht wurde.

Dieses höchst eigenartige Gebilde, das ein paar klare Abende lang
die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, um dann still wieder
zu verschwinden, wie es gekommen, war der sogenannte Komet von
Johannesburg. Bahnschaffner im fernen Kapland, wo Johannesburg mit
Kapstadt durch eine Schienenlinie verknüpft ist, hatten von einem
andern kommenden Kometen gehört und zuerst die Kunde verbreitet, daß
jetzt wirklich ein Komet am Westhimmel glänze; es war aber nicht der
erwartete, sondern ein ganz neuer.

Aus den ungeheuren Raumesfernen zwischen der Sonne und den nächsten
Fixsternen kam dieser Komet herangewandert, wie ein Zugvogel in
den Schleiern der Nacht kommt. Wie solchen Vogel wohl die jäh
auftauchende Flamme eines Leuchtturms auf einer einsamen Klippe über
den nachtverhangenen Wassern ablenkt, daß er sich wie gebannt vom
Licht ihr nähern muß, so wirkte bei einer gewissen Nähe mit bestimmtem
Zuge auch unsere Sonne auf den kosmischen Wanderer. Er stürzte nicht
mehr geradlinig fort wie ein Stein, der in den unendlichen Brunnen der
Raumesewigkeit geworfen war. Er bog aus, beschrieb eine Kurve um den
Sonnenleuchtturm.

Im Ganzen war es nur eine kurze Episode. Eine Verbeugung ohne
Verweilen. Sehr bald sollte ihn wieder die alte ungestüme Kraft des
freifallenden Körpers in der offenen Raumesöde packen und davonstürzen
lassen in den Brunnengrund des Alls. Aber in der kurzen Spanne, da
der kosmische Zugvogel in einem raschen Bogen an der strahlenden
Leuchtturmkuppel näher hinglitt, als wolle er sie wirklich einmal
ganz umkreisen: in diesem flüchtigen Moment geschah es, daß von einer
kleineren einsamen Klippe in der Nähe der großen der vorbeischwebende
Vogel _gesehen_ wurde.

Diese Klippe empfing ihr Licht ganz von dem Leuchtturm. Auf ihr aber
standen Hütten; Menschen wohnten dort. Und diese Menschen beobachteten
vorübergehend den seltsamen Wanderer. Die Gelehrten erkannten in ihm
etwas wieder, was man schon öfter beobachtet hatte, eine besondere
Spezies kosmischer »Vögel«. Komet nannte man solche Gebilde seit
alters; das Wort heißt Haarstern; also ein Stern, der hinter sich her
ein langes silbernes Gelocke wallen läßt: den Schweif.

Es ist aber ein recht sonderbares Ding gerade um dieses Sternenhaar.

Wenn der Komet einsam da draußen, sonnenfern durch den unermeßlichen
Brunnen des Raumes einfach fällt und fällt, besitzt er keinen Schweif.
Er gleicht dann wirklich einem kleinen Sternchen gewöhnlicher Art, nur
blasser, verwaschener. Etwas von einem Wölkchen hat er wohl immer,
nur daß es jetzt noch ein rundes punkthaftes Wölkchen in kompaktester
Zusammenziehung ist. Aber indem die engere Kurve an der Sonne vorbei
beginnt, ändert sich da etwas.

Das Kernköpfchen hat sich im Bann dieser Sonne, wie gesagt, bequemt,
eine kleine Reverenz zu machen. Aber dabei ist es jetzt vielfach
wirklich, als werde etwas in seiner Frisur unruhig. Wie Haar, das
sich sträubt, wogt seine Nebelhülle von dem eigentlichen Sternkopf
empor. Erst ist es, als fasse die Magie der nahen Sonne sie stärker.
Auf wallt sie gegen die Sonne hin. Aber alsbald auch scheint die
Sonnenhand wieder abzuwinken. In der gesträubten Masse über dem
Kometenhaupt entsteht ein Scheitel: rechts, links fließen für unsern
Anblick die Nebelhaare des wunderlichen kosmischen Gesellen rückwärts
gegen sein Hinterhaupt, entgegengesetzt zur Sonne, ab. Dort aber
entfalten sie jetzt, als löse sich nochmals ein engeres Gewebe, erst
ihre ganze Länge. Wie mit einem unsichtbaren Kamm strähnt die Sonne
sie weit, immer weiter von dem Kometenkopf fort, bis sie als endloser
Nebelschweif hinauswallen in den Raum, der die Sonnenklippe von den
andern Klippen des Systems trennt. Immer aber weht dieser Schweif fort
von der Sonne, so lange der Komet im ganzen seine Sonnenreverenz macht.

So entsteht jenes famose Bild eines kolossalen Scheinwerfers,
der nach zähestem Gesetz nie auf die Sonne selber, sondern immer
entgegengesetzt gerichtet werden muß. Und das eigentlich ist es, was
für uns auf der fernen Erdenklippe die größeren Kometen zu einem so
wunderbaren Schauspiel macht: dieser erst sich entwickelnde Schweif
in der Sonnennähe, dieses plötzlich erst losgebundene und wie in
einem magischen Sturm von der Sonne weggewehte Lockenhaar gerade in
der Zeit, da doch im ganzen die anziehende Kraft dieser Sonne diesen
Gesamtkometen so gepackt hat, daß er in kühnster Schwenkung ganz nahe
an ihr vorbei muß; so nahe, daß dem Rechner bangt, ob es dem Kopf
nicht gehen werde wie so manchem Zugvogel auf unserem Helgoland, der
direkt auf Tod und Verderben bei zu kurzer Kurve wider die Kuppel des
Leuchtturms selber prallt.

Der Komet von Johannesburg trat erst in unsere Schau, als er bereits
in voller Pracht seines weithin wallenden Schweifes florierte. Wir
hatten von unserm Klippenstande aus sein Herankommen zur Sonne und die
Schweifentwickelung also selbst nicht beobachten können. Erst als die
ganze Locke längst majestätisch dahinwogte, glänzte er plötzlich vor
uns auf. Schon aber ging auch sein ganzes Sonnengastspiel damit zu
Ende. Keinerlei wirkliche engere Gemeinschaft fesselte diesen Wanderer
dauernd an unsern Leuchtturm. Frei sollte er jetzt wieder hinausfallen
in den Brunnen der Unendlichkeit. Mit der Sonnennähe muß aber zugleich
auch sein »Haarsträuben« wieder abnehmen, die erregten Nebellocken
werden wie ermattet wieder sinken, der geheimnisvolle Zug, der die
langen Strähnen von der Sonne fortjagte, muß im gleichen Verhältnis
schwächer werden, wie der ganze Kometenkopf die Sonnenanziehung
verläßt und selber wieder auf eigene Faust in die dunkle Weite strebt.
Als wieder beruhigtes, gleichsam wieder ganz eingerolltes, ringsum
geglättetes Sternköpfchen würden wir das seltsame Gebilde endlich
verschwinden sehen, wenn wir ihm so lange mit unserm freien Blick
folgen könnten.

Das Erlebnis dieses Johannesburger Kometen ist, wie gesagt, nur eines
unter vielen. Wenn noch einmal das Gleichnis des Zugvogels gelten
soll, so muß aus den Tiefen des Raumes zu unserer Sonne herauf ein
unablässiger Wanderstrom solcher Vögel erfolgen. In dichtem Zuge
kommen sie, schweben an, umkreisen die Leuchtklippe unseres Systems
halb und entschweben wieder, einer nicht endenden Kette himmlischer
Wildgänse gleich, in deren beständigem Zuge durch die Äonen der Zeit
das momentane Abbiegen, die kleine Halbkurve vor dem Hemmnis der
Sonnenklippe durchweg nur ein winzigstes Intermezzo ist.

Durchweg; doch nicht immer. Es gibt Fälle, wo der Wanderer dauernd
gefesselt wird.

Denken wir uns im Bilde der Wildgans einen Vogel, der bei zu tiefem
Fluge nicht einer einzelnen Klippe begegnet, der er in einer Kurve
ausweichen kann. Er soll in ein Gewirre himmelhoher Schären geraten;
wo er hin will, sperren ihm neue Klippenzacken den geraden Weg; ratlos
beginnt er um die Hauptklippe zu kreisen. Das ist nach Lebensanalogie
gedacht. Streng bloß auf Schwereverhältnisse umgesehen, bedeutet
es für den Kometen, daß er bei seiner Kurve zu eng in die gesamten
Anziehungslinien eines Systems, wie es unser Sonnensystem darstellt,
sich hineinverheddert hat. Dieses System ist ja ein unendlich
verwickelter Zugapparat. Von allen Seiten zerrt und drängelt es da.
Eine gewisse zu kühne Kurvenwendung zur Sonne: und der Komet rollt
nicht mehr über sie hinaus, sondern muß auch auf der andern Seite in
eine Kurvenbiegung hinein. Die Halbkurven schließen sich aneinander zum
gestreckten Kreis: der Komet ist gefangen von der Sonne.

Nun muß er dauernd gleich den schon vorhandenen Planeten um die große
Leuchtklippe kreisen. Die alten Planeten selber helfen ihn dabei
gründlich abfangen. Speziell unser System ist darin bedenklich für
solche Eindringlinge, daß es eine leise Neigung zu dem hat, was bei
andern am Fixsternhimmel sichtbaren vielfach offen proklamiert ist,
nämlich zur Bildung eines Doppelstern-Systems. Der Planet Jupiter vor
allem ist so groß, daß er neben der Sonne wirklich schon fast eine Art
Nebensonne spielt, mit der zusammen im Kräftespiel die Zugverhältnisse
eines Doppelsterns beginnen. Der Jupiter wird, sobald ihm ein Komet
zu nahe kommt, auch schon zum gefährlichsten Beuger und Ablenker. Im
Engeren wie als Gesamtaddition wirken aber auch alle andern Planeten
schon mit. Kurz: in so und so viel Fällen wird es dem Kometen
unmöglich, wieder loszukommen. Aus der flüchtigen Reverenz wird eine
Vasallenschaft. Mag er noch so regellos, ohne allen Anschluß an die
alten Verträge der Glieder gerade dieses Systems hineingeplatzt sein;
mag er rückwärts laufen in der Richtung, wo alle Planeten vorwärts
gehen; mag er mit seiner Bahn sozusagen auf dem Kopf der andern stehen;
mag er in der Not einen Kreis zur Sonne als Bahn bekommen haben, der
das schier unmöglichste an Kreisstreckung duldet; mag er bei jedem
Sonnenumlauf alle Planetenbahnen schneiden mit einer Kühnheit, die alle
Urverträge hier geradezu zum Spott macht: mitlaufen muß er zunächst auf
gut Glück um die Sonne, wie die Planeten es allgemein vertragsmäßig
tun. In geschlossener Bahn, die nach gewisser Zeit allemal wieder in
sich selbst zurückführt.

Ein solcher Komet, den die Sonne zu irgendeiner Zeit einmal aus dem
großen Brunnenabgrund des freien Raumes eingefangen hat, ist nicht der
Johannesburger; wohl aber ist es der andere, der seit kurzem in aller
Welt Munde ist, der berühmteste, denkwürdigste Haarstern unserer ganzen
menschlichen Kultur überhaupt: _der Halleysche Komet_; benannt nach dem
großen englischen Mathematiker und Astronomen Edmund Halley, geboren zu
Haggerston bei London 1656, nach einem Leben voll intensivster Arbeit
und glänzendstem Erfolge als Beobachter, als Rechner, als Weltreisender
im Dienste astronomischer und magnetischer Spezialuntersuchungen,
zuletzt als Direktor der weltberühmten Sternwarte zu Greenwich
gestorben 1742.

Als jene schlichten Entdecker im Januar den Johannesburger Kometen
auffanden, meinten sie, er sei selber der Halleysche. Bis dorthin also
war bereits die große Sensation gedrungen, die gegenwärtig bei uns die
breitesten Wellen schlägt. Etwas ganz Ungeheuerliches, so hören wir,
soll sich nämlich in diesem Jahre (1910) mit dem Halleyschen Kometen
zutragen.

Der Separatvertrag, zu dem dieser Halleysche Komet seit seiner Aufnahme
in unser System vom Gesetz der Schwere gezwungen wurde, lautete auf
eine Umkreisung der Sonne in (rund gerechnet) je 76 Jahren. Umkreisung
ist dabei aber nicht so zu verstehen, daß der Komet in einem echten
mathematischen Kreise laufen müßte. Er verfolgt nur eine Bahn, die nach
Art des Kreises wieder in sich selbst zuletzt zurückläuft. Im übrigen
hat sie die Gestalt eines langgestreckten Eies. Ihre eine Ecke ragt bis
über die Bahn des äußersten uns bekannten Planeten, des Neptun, vor,
ihre andere biegt dagegen noch weit innerhalb unserer Erdbahn ganz nahe
um die Sonne herum. Alle 76 Jahre muß der Komet also einmal bis über
die Neptunbahn hinaus und einmal zwischen dem Abstande der Erdbahn und
der Sonne durchschweifen. Da er immer langsamer bummelt, je mehr er
sich in dieser Zeit von der Sonne entfernt, bleibt er aber den größten
Teil der 76 Jahre in den entlegeneren Regionen, so fern von uns, daß
wir ihn von der Erde aus gar nicht wahrnehmen können. Wie ein Rennpferd
in einer ungeheuer ausgedehnten Arena entzieht er sich selbst dem mit
Ferngläsern bewaffneten Blick der Insassen unserer Erdenloge, die so
relativ nahe dem einen Ende des Zirkus, der Sonne, liegt. Und erst
ganz dicht vor dem Termin, da für die Sonnenecke die 76 Jahre wieder
einmal abgelaufen sind, sehen wir ihn jedesmal plötzlich auftauchen.
In rasendem Tempo stürmt er dann daher, um in vollem Galopp die
Sonnensäule zu nehmen.

Seit man die Ziffer seines Umlaufs im Ganzen kennt, ist es diese
kurze Spanne je im 76. Sonnenjahre, wo man die Ferngläser nach der
Gegend, von wo er kommen kann, zu richten beginnt. Und man wußte nun
längst schon, daß mit der Wende von 1909 zu 1910 dieser Termin wieder
einmal eingetreten sei. Das wilde Roß mußte auftauchen. Und es ist
aufgetaucht, programmäßig wie je.

Zuerst nur im stärksten Fernrohr; dann bereits im schwächeren;
endlich an der Grenze des bloßen Auges; binnen kurzem wird es jeder
mit freiem Blick genießen können, obwohl innerhalb gewisser Grenzen
der Pracht; denn gerade der Halleysche Komet ist zwar, wie gesagt,
der denkwürdigste aller Kometen, aber er hat deshalb nie zu denen
allerersten Ranges an Schönheit der himmlischen Entfaltung gehört.

Aber eine andere Kunde sichert ihm dafür gerade diesmal das allergrößte
Interesse in der ganzen Kulturbreite des Menschenvolkes, das die
Erdenloge füllt.

Bleiben wir einmal einen Moment bei dem Bilde des Zirkus. Hier sitzen
wir in der Loge. Nahe vor uns steigt in strahlender Pracht die eine
goldene Meta auf, die ragende Säule des diesseitigen Eckziels, um das
der Renner oder das Gespann, was es nun sei, herumsausen müssen. Lange
harren wir. Da endlich dampft eine dicke Staubwolke auf, es kommt,
es kommt. Aber auf der goldenen Metasäule wird gleichzeitig etwas
Besonderes inszeniert. Ein großer Ventilator ist dort in Kraft gesetzt,
dessen schwirrende Drehräder den Staub des Wettrenners beständig von
der blanken Meta selber wegblasen, daß er jenseits in weitem Zipfel
in die Arena hinausschatten muß. Jetzt der höchste Moment: der Renner
umsaust die Metaecke. Im Moment aber, da er unter brausendem Jubel
genau zwischen der Goldsäule und unserer Loge durchpassiert, geht
über uns die äußerste Ecke des senkrecht von der Meta fortgetriebenen
Staubzipfels als flüchtiger Schleier weg.

Der Renner, der sich in rasendem Laufe heranstürzt, ist der Halleysche
Komet. Die goldene Meta, die er nehmen muß, ist (nach Ablauf wiederum
von 76 Jahren) die Sonne. Die Loge voll gespannter Beobachter nahe
dieser Meta ist die Erde. Dicht gedrängt stehen sie in höchster
Erwartung, viele mit Gläsern vor den Augen. Der Komet ist aufgetaucht,
in eine geheimnisvolle Nebelwolke gehüllt. Je mehr er sich der
strahlenden Sonne nähert, desto deutlicher ist es aber, als blase
von dieser Sonne irgendwie etwas in den Dunst hinein und jage ihn in
langem staubartigem Schweif beständig senkrecht von der Sonne selber
fort weit in die Planetenarena hinaus. Und nun ein höchster Moment
auch hier: der Komet passiert für eine kurze Spanne genau zwischen der
umbogenen Sonnensäule und unserer Erdenloge hindurch. Jenes Etwas, das
den Schweif des Kometen senkrecht von der Sonne abpustet, richtet seine
Kraft für einen flüchtigen Moment genau auf uns. Und der Schweif ist so
lang, daß er durch die ganze Arenabreite von dem dampfenden Renner aus
bis zu uns tatsächlich herüberschleift: seine äußerste Spitze erreicht
uns, streift uns, fegt über uns fort ...

Im Zirkus gibt es etwas Staubschlucken, Knirschen auf den Zähnen,
Streichen mit dem Taschentuch. Die allgemeine Begeisterung über das
große Schauspiel reißt rasch darüber fort. Wie aber wird das Bild
hier weiter passen? Wie wird es werden, wenn der Schweif des Kometen
wirklich über unsere Erde fegt?

Als Datum, an dem der Halleysche Komet eine Stunde lang zwischen Sonne
und Erde durchpassiert, ist (falls nicht noch unberechnete Störungen
der Bahn eintreten) die Nacht vom 18. zum 19. Mai dieses Jahres
angesetzt.

Kurz vorher, um den 1. Mai, fegt der Kometenschweif aus viel größerer
Nähe über die Venus. Falls den planetarischen Logen durch den
kometarischen Staubwirbel ernsthaft ein Schaden geschehen sollte,
würden wir also schon zu diesem früheren Termin den Effekt an der
Venus studieren können. Wenn die Loge dort in äußerlich sehr grober
Weise unter einem Sandsturm einstürzen oder durch sprühende Funken
in Brand gesetzt werden sollte, so werden wir das auf jeden Fall
mit ansehen, ehe es uns selber noch entsprechend geht. Feinere
Wirkungen, die speziell nur das zarte planetarische Häutchen des
Lebens betreffen würden (ob es ein solches auch auf der Venus gibt,
wissen wir unmittelbar überhaupt noch nicht), ließen sich allerdings
auch so nicht ablesen. Zum Beispiel, wenn der Staub so dick wäre,
daß die Logeninsassen rein an ihm erstickten, ohne daß die Loge im
Ganzen zusammenstürzte. Oder gar, wenn es sich um eine Art kosmischen
Auto-Wettrennens handelte, bei dem die Schweifwolke, die über die
Loge fortginge, aus derartig konzentrierten Giftgasen im Sinne
hochgesteigerten Benzingestanks bestände, daß sie alle Zuschauer
vergiftete.

Durch den realen Schweif eines fremden Weltkörpers, eines Kometen, soll
die Erde gehen! Stoff eines weithin sichtbaren, offenbar riesengroßen
kosmischen Gebildes soll von außen unsere Erde berühren. Es liegt
doch eine seltsame Stimmung über diesem Moment. Wer hat das Gefühl
nicht einmal gehabt: man geht in der vollkommenen Dunkelheit und
zuckt plötzlich zusammen, aus dem Unsichtbaren scheint einen etwas
zu berühren, eine Hand. Eine solche dunkle Hand aus dem All rührt an
uns mit dem Kometenschweif. Wenn in der Nacht der Himmel sich rötete!
Götterdämmerung ...

Wenn man die Garantien sich vergegenwärtigt, die sonst unsere
Menschenloge im All schützen, so liegt die stärkste in den gewaltigen
Entfernungen, die im allgemeinen die großen Weltkörper voneinander
trennen. In rascher Bewegung, mit explosibeln Substanzen innerlich
geladen wie Bomben, bildete jeder für den andern eine beständig
brennende Gefahr, wenn eben nicht diese starken Abstände wären.

Scheiner, der ausgezeichnete Astrophysiker, hat das gelegentlich in
ein anschauliches Bild gebracht. Denken wir uns die Sonne in den
Größenverhältnissen der Domkuppel zu Berlin. Dann liefe der nächste
Planet durch das Berliner Reichstagsgebäude. Die Venus schnitte durch
Tiergarten und Humboldthain. Die Erde berührte den Bahnhof Tiergarten.
Die Bahn des Mars läge bei Tempelhof, die des Jupiter über Spandau und
jenseits Erkner. Saturn kreuzte Liebenwalde und Nauen, Uranus schon
Wittenberg und Frankfurt a. O. Für den Neptun reichte Preußen nicht
mehr überall. Er kreiste dicht vor Leipzig und schnitte Stettin und
Magdeburg.

Nehmen wir in diesen Abständen Eisenbahn- oder Hochbahnlinien, so
wird keiner an Zusammenstöße denken; es gibt keine Weichen, keine
bedrohlichen Gleisdreiecke. Nun aber gar in dem gleichen Bilde die
Entfernung der Sonne und dieses ganzen Systems bis zum nächsten
Fixstern. Wenn der Blick das Firmament sucht mit seinem Sterngewimmel
und man hört, daß der einheitliche bleiche Schein der Milchstraße
bloß für unser Auge entstehe durch die Zusammendrängung unendlicher
Sternmassen auf diesem Fleck, so kann die Frage kommen, ob in diesem
rinnenden Silbersande nicht beständig Sternenstäubchen gegeneinander
prallen müssen. Aber was für Räume liegen in Wahrheit zwischen diesen
Punkten, die für uns wie wehender Silberstaub durch die Himmelsweite
regnen! Wenn die Domkuppel die Sonne ist und der Neptun durch Magdeburg
passiert, so ist der schöne Doppelstern Alpha im Sternbild des
Centauren, unser nächster Fixstern, nahezu um das Doppelte der wahren
Entfernung des Mondes von der Erde von dieser Domkuppel entfernt, also
fast zweimal 51000 Meilen. Es hat etwas Schauriges, sich die lieben
Lichtpünktchen da oben, die so dicht gereiht glänzen und vereint die
hübschesten Sternbilder formen, gesondert zu denken durch solche kalten
Abgründe des Raumes, in denen den Wanderer das entsetzlichste Gefühl
der absoluten Öde ergreifen müßte. Und doch liegt eben in dieser Öde
die große Garantie für uns. Sie ist der heilige Grenzrain, der die
Karambolagen verhütet, sie schützt den Frieden der Gestirne.

Keine der Bahnen unserer großen Planeten kreuzt eine andere. Nur
bei den kleinsten Körpern des Systems, wie den durchweg winzigen
Planetoiden, kommen Schnittpunkte der Bahnen vor; der eine oder andere
solcher Zwerge durchbricht die Jupiterbahn, einer, der Eros, schneidet
weit in die Marsbahn hinein. Aber gerade dieses unruhige Kleinvolk
liegt doch wie im Ganzen gebändigt und in eine ungefährliche Ecke
zusammengestrudelt an einer bestimmten Stelle des Systems aufgehäuft,
anstatt frei zu schwärmen; speziell unsere Erde wandelt ihm schon
sehr fern im wieder gereinigten Feld. Eine überaus günstige Stellung
für die Balance des ganzen Riesenapparats nehmen umgekehrt die beiden
Kolosse darin ein, Saturn und vor allem der Jupiter, der, wie gesagt,
dem Ganzen fast den Charakter eines Doppelstern-Systems gibt. Man kann
das ohne direkte Teleologie so ausdrücken, daß man sagt: die Balance
des Ganzen war eben nur möglich bei solcher Einstellung, und nur als
diese Lage sich endlich fand, erhielt das System endlich Dauer; das
entspricht dem Darwinschen Gedanken von der Erhaltung des Passendsten
aus vielen durchgeprobten Möglichkeiten; so lange sind die Dinge in
Urzeiten vielleicht immer wieder zusammengebrochen, bis sich die einzig
mögliche Dauerform endlich in dieser Anordnung herausgelesen hatte.
Gegen die geschichtliche Deutung in diesem Sinne ist gar nichts zu
sagen, aber das Resultat, das uns heute die glücklichste Stabilität der
ganzen Flugmaschine unseres Systems garantiert, bleibt das gleiche für
uns.

Alfred Russel Wallace, der alte Mitstreiter Darwins, hat gelegentlich
ein dickes Buch darüber geschrieben, wie ausgesucht sicher für
eine lange ungestörte Fortexistenz intelligenter Wesen doch gerade
unsere Erde inmitten all dieser kosmischen Garantien sei. Mit den
sinnreichsten astronomischen Einfällen und Aussichten hat er das
durchgeführt. Herr Wallace ist, obwohl er selber seinerzeit der
Mitbegründer jener Theorie der natürlichen Zuchtwahl war, heute
der wunderlichen Ansicht, in uns Menschen steckten nicht nur
höchstentwickelte Intelligenztiere unseres Planeten selbst, entwickelt
hier in der jahrmillionenlangen ungestörten Ruhe dieses Planeten. Ihm
sind die menschlichen Gehirne vielmehr Wohnstätten fernher gewanderter
kosmischer Geister; aber diese Geister sollen sich eben die Erde
ausgesucht haben als gesichertste Wohnstätte im All. Eine spaßhafte
Idee an sich, die aber doch in der Phantasie eines kenntnisreichen und
geistvollen Forscherkopfes dafür zeugt, _wie_ sehr sich die glückliche
Raumlage der _Erde_ aufdrängt, von wo immer man an sie herangehe.

Auch wer in die Zukunft spekulieren will, sich denkt, daß dort einmal
die Planetenbahnen sich änderten, daß die Sonne erkalten könnte, daß
nach Tausenden vielleicht von Billionen von Jahren die Eigenbewegung
der Sonne und der nächsten Fixsterne doch einmal zu einer uns
mitreißenden Fixstern-Karambolage führen könnte (Dinge, die notabene
alle heute nicht etwa bewiesen werden können, sondern im breitesten
Spielraum des reinen Spekulationsvergnügens liegen), wird aus dieser
bestehenden Lage doch mindestens noch eine Zukunftsgarantie für Frieden
ohne Katastrophe auf viele Jahrmillionen hinaus zugeben müssen.

Auch daß der Raum, durch den wir alljährlich einmal mit der Erde
wandern, normalerweise niemals absolut leer ist, liegt aller bisherigen
Erfahrung nach nicht in der Linie ernsthafter Gefahr. Feine, unsere
Bahn kreuzende Stoffteilchen verpuffen schon an den obersten Schichten
des großen Deck- und Puffermantels, den unsere Atmosphäre bildet,
allnächtlich zu völlig harmlosen Sternschnuppen. Mikroskopischer
kosmischer Staub, der sich da und dort auch aus solcher Quelle bei
uns anhäuft (z. B. in der Tiefsee), geniert niemand. Einzelne größere
meteorische Metall- oder Steinbrocken, die gelegentlich doch noch in
einer gewissen derben Greifbarkeit zu uns herunterkommen, haben eine
eigentlich verderbliche Rolle auch noch nie gespielt. An sich sind sie
so selten und meist so unauffällig, daß lange genug wissenschaftlicher
Streit sein konnte, ob sie überhaupt vorkämen. Das ist nun zwar heute
erledigt, aber die Wahrscheinlichkeit, daß auch nur ein Einzelmensch
gerade von einem Meteorstein vernichtet werden solle, liegt weit
unter der, daß der Betreffende zweimal hintereinander das große Los
gewinnen solle. Selbst einzelne größere Blöcke, die man nachträglich
gefunden und mit mehr oder weniger Sicherheit als meteorisch bestimmt
hat, können nur so minimalen Schaden auf winzigem Fleck getan haben,
daß die geringste irdische Vulkaneruption als wahre Riesenkatastrophe
dagegen erscheint.

Alle diese normalen Verträge aber, darüber ist nun wirklich kein
Zweifel, bricht der Komet. Er rennt unter Umständen nicht nur senkrecht
in die Planetenkreise hinein, sondern er entwickelt auch aus sich
heraus körperliche Größenverhältnisse, die jene planetarischen
Zwischenräume belanglos machen. Es gibt Kometen, die in der Sonnennähe
Schwänze von zwanzig Millionen Meilen Länge entwickelt haben. Das ist
nahezu das Dreifache unserer kleinsten Erdentfernung vom Mars und fast
das Vierfache von der Venus. Wenn ein solcher Komet beinahe viermal
so weit wie die Venus von uns entfernt stände und seinen Schweif auf
uns eingestellt hätte, müßte dieser Schweif uns noch energisch über
den Kopf schlagen, angenommen, daß er die Beschaffenheit einer harten
Pritsche hätte. Er könnte dabei auf der Sonne sitzen und uns doch über
den ganzen Zwischenraum hindurch, quer durch Merkurbahn und Venusbahn,
einen Stüber versetzen. Wenn der Komet wirklich mit einer Pritsche
hauen kann oder wenn er uns in seinem Schweif mit etwas anpustet, das
uns versengen oder vergiften muß, so sind wir bei solcher Sachlage
einfach verloren. Das Damoklesschwert hängt bei der notorischen Menge
der Kometen immerfort über uns. Das Unheil, das uns jetzt in der Nacht
vom 18. zum 19. Mai drohen soll, ist nur die Krisis eines chronischen
Leidens, das auch außerhalb des angesagten Termins jeden Tag ausbrechen
kann. Der Halleysche Komet ist ja einer der wenigen in ihrem Lauf
sicher berechneten. Andere kommen beständig unverhofft; so eben der
Johannesburger. Wenn ihre Pritsche zufällig so liegt, daß sie zu uns
heranlangt, kann täglich, stündlich die große Katastrophe eintreten.
Die offene kosmische Garantielosigkeit ist hier proklamiert.

Wenn ... ja, wenn der Komet eine Pritsche oder sonst irgend etwas
Gefährliches hat. Das ist die entscheidende Frage. Was ist ein Komet?

Von den Planeten wissen wir, daß sie Lokomotiven sind. Ein
Zusammenprall bedeutete eine entsetzliche Katastrophe. Aber wenn
von der Lokomotive eine lange Dampfwolke in die grüne Wiese hinein
verloren wird und dieser Dampfschwaden einen Spaziergänger für einen
Moment einhüllt, so ist das keine Katastrophe. Wenn auf dieser Wiese
im Herbstabend Erlkönig seine Nebelschleier spinnt und die Lokomotive
durch diese Schleier saust, so ist das keine Katastrophe. Ist der
Komet eine kraftzitternde ungeheure Lokomotive ... oder ist er eine
harmlose Rauchsäule, ein Nebelstreif aus den Wiesen des Alls? Sein oder
Nichtsein für uns, das ist hier die Frage.

       *       *       *       *       *

Still glänzt das silberne Wölkchen da oben, das jetzt nachweisbar seit
rund zwei Jahrtausenden alle sechsundsiebzig Jahre immer einmal wieder
in unser Menschenwesen hineingeschaut hat. Immer wieder hat es uns
dabei in neuen Stadien dieser Frage gefunden. Wenn der Halleysche Komet
ein Geschöpf wäre wie wir, das Erinnerungen sammeln und wiedererzählen
könnte, so würde er uns ein merkwürdiges Buch schreiben können von Wahn
und Hoffnung der Menschen, wie sie in diesen Abständen auch gravitiert
haben um das dunkle Zentrum jener Frage. Zweimal tausend Jahre hat er
uns Zeit gelassen, endlich Stellung zu ihm zu nehmen.

Das Jahr 11 vor Christi Geburt ist das älteste Datum, bis zu dem man
ihn ziemlich sicher verfolgen kann. Wenn man die je 76 Jahre nur als
runden Wert nimmt, bedeutet das für heute also gerade das Jubiläum
seiner fünfundzwanzigsten Wiederkehr.

In Bezug auf Störungen wie Zerstörungen (wir haben von diesem Begriff
bei Kometen gleich noch zu reden) muß er in dieser langen Zeit eine
relativ recht glückliche Lage gehabt haben, es steht also nichts im
Wege, sich zu denken, er komme in Wahrheit sogar schon viel länger.

So mag er schon in die Zeiten der alten Babylonier hineingeleuchtet
haben, in jenen ersten Frühling astronomischer Forschung, aus dem uns
gerade über Kometen schon eine Meinung und zwar eine gleich zu Anfang
überraschend treffende überliefert ist. Wie Fische, hieß es, tauchten
sie ab und zu in die Tiefen ihres Meeres, der fernen Himmelsräume, so
daß man sie nicht mehr sehen könne; zu ihrer Zeit kehrten sie aber
wieder aufsteigend in unsere Nähe zurück. Der Begriff des wandernden
Weltkörpers, der gleich den Planeten in einer Bahn lief, war damit zum
erstenmal gefaßt. Und diese Ansicht sollte in der ganzen Antike bis zu
ihrem Schluß nie mehr ganz verloren gehen.

Als der Komet in die Glanztage von Hellas hineinleuchtete, war sie die
Lehrmeinung der Pythagoreer, die sogar direkt annahmen, im Kometen
stecke eine Art Planet. Als er aber wiederkam kurz nach dem Tode des
Aristoteles, hatte sich eine zweite Deutung entgegengestellt, die nun
auch ein zähes Leben haben sollte, obwohl sie den verhängnisvollsten
Irrtum enthielt.

Aristoteles lehrte, ein solcher Komet sei alles andere eher als ein
frei kreisender Weltkörper. Eine flüchtige Erscheinung unseres engeren
Luftkreises sei er nur; ein vom Erdboden aufgedunstetes leuchtendes
Wölkchen also, das sich bildete und zerfloß; wir heute würden sagen:
etwa wie ein Nordlicht, das man damals auch für brennenden Nebel hielt.
In dieser Zeit war zwar noch nicht abzusehen, was Aristoteles für
eine Macht werden sollte weit über die ganze Antike hinaus. Aber zwei
Meinungen gingen fortan durch diese Antike selbst, die sich gegenseitig
grell ausschlossen.

Die erste historisch bezeugte Wiederkehr des Kometen nach Christi
Geburt, um das Jahr 65, fiel in das Todesjahr des geistvollen
Römers Seneca. In einem liebenswürdigen kleinen Plauderbuche über
naturwissenschaftliche Fragen, das man vielleicht als die früheste
erhaltene populärwissenschaftliche Feuilletonsammlung bezeichnen kann,
bekannte sich Seneca durchaus noch zu der pythagoreischen Idee. Die
Kometen sind ihm Gestirne wie Sonne und Mond, in festen Bahnen laufend;
eine Zeit werde kommen, da man diese Bahnen sicher berechnen werde;
eine erste gute Prophezeiung, die von einem feinen Kopf vor Kometen
gewagt wurde.

Aber eben in diesen Tagen lebte auch der dicke Admiral Plinius, der
eine Art Konversationslexikon des damaligen Wissens zusammenstoppelte,
in seiner Art ein grandioses Werk, das uns unendlich viel gerettet hat.
Herr Plinius, der »große Meyer« also jener Zeit, urteilt selten, meist
kompiliert er verschiedene Ansichten. Auch von den Kometen weiß er,
daß die einen sie für echte Gestirne halten, die andern für brennenden
Qualm, der aus Feuchtigkeit und Feuerstoff entsteht und sich bald
wieder auflöst.

Aber dazu bringt er nun einen aparten Qualm, aus dem plötzlich deutlich
wird, was für eine dritte Meinung sich allmählich im Volk und speziell
bei den Kulturrömern durchgekämpft hatte und zur Stunde unabhängig von
aller Wissenschaft sozusagen auch offizielle Hof- und Staatsräson des
römischen Cäsarenhauses war. Die Kometen hatten nicht nur allerhand
seltsame Gestalten; Plinius unterscheidet Bartsterne, Schießsterne,
Schwertsterne, Scheibensterne, Tonnensterne, Hornsterne und
Lampensterne. Sie erschienen auch nicht nur ab und zu ganz plötzlich.
Sondern sie _bedeuteten_ etwas. Sie selber taten uns nichts, aber sie
verkündeten, daß etwas geschehen werde. Sie hatten sozusagen einen
moralischen Sinn außerhalb aller unmittelbaren Naturerklärung.

Diese Vorstellung führte aus allem naturwissenschaftlichen Denken
heraus, sie war der einfache Bankerott jeglicher Wissenschaft
überhaupt. Aber in der breiten Volksmasse jener Zeit war sie
offenbar damals bereits längst die beliebteste, und es war bloß
charakteristisch, daß sie jetzt auch nach oben zu sich anschickte, das
Denken zu erobern und die dort gefundene Logik wieder zu entthronen.

Charakteristisch ist aber zugleich, wie der menschliche Pessimismus
sich mit ihr der Sache bemächtigte. An sich ist eine moralische
Vorbedeutung doch indifferent, sie könnte auch Gutes bedeuten. Plinius
selbst erzählt von Augustus, dem schlauen Herrschaftskünstler, der
sich alles mit Geschick zurechtzulegen wußte, wie er einen herrlichen
Kometen seiner Zeit, der »in allen Ländern gesehen wurde«, als
Glückszeichen seines Regimentsantritts nahm und ihm sogar einen
besonderen Tempelkultus weihte. Aber dieser Optimismus hielt nicht
stand.

Von allen andern Kometen weiß der große Kompilator nur Schauderhaftes
an Vorbedeutung zu berichten, Bürgerkrieg und Blut und Gift. Mit
einem Kometen kommt der böse Nero zur Regierung, und mitten in seinen
Greueln taucht schon wieder einer auf, der »lange sichtbar und von sehr
schlimmem Einfluß war«. Über den letzteren kann kaum ein Zweifel sein:
es ist eben unser Halleyscher von Senecas Todesjahr. Also er selber
jetzt Unglücksprophet!

Alles an den Kometen dient nun dieser amtlichen Magie, selbst das
Sternbild, vor dem sie erscheinen; geschieht es im Gestirn der
Schlange, so bedeutet das nach Plinius Vergiftung; trifft es auf
gewisse Leibesstellen der imaginären Sternbilderhelden, so kommen
skandalöse Sittenzustände. Zu diesen Dingen hatte das finsterste
Mittelalter und Nachmittelalter wenig hinzuzufügen: das ganze Rezept
ist schon bei Plinius fertig.

Viermal hat der Halleysche Komet darum doch noch in den großen
Abendglanz der echten freien Antike hineinleuchten dürfen. Als er 373
n. Chr. wieder in seine Sonnennähe kam, lehrte zu Alexandria noch
der Mathematiker Theon (ein Zeitgenosse des bekannten Pappus), und
er lehrte, wohl im letzten verglühenden Rot des Pythagoreertums, daß
die Kometen reisende Lichtwolken seien. Dieses liebenswürdigen Mannes
geniale Tochter Hypatia bestieg selber einen Lehrstuhl der Astronomie
und Mathematik. Sie aber wurde, zum vollgültigen Beweise, daß die große
Weihezeit des antiken Gedankens nun wirklich zu Ende sei, folgerichtig
von fanatischen Mönchen auf offener Straße zu Tode mißhandelt;
der Halleysche Komet befand sich zu dieser Zeit in der Gegend der
Neptunbahn.

Mehr als ein dutzendmal mochte er aber jetzt wiederkehren, ohne daß die
endgültig festgefahrene Sache sich rückte und regte.

Für die Wissenschaftler des Abendlandes wurde Aristoteles zur
naturgeschichtlichen Bibel, im besten Falle blieben die Kometen also
für mehr als tausend Jahre Kulturdenken jetzt durchaus nur brennende
atmosphärische Dünste; kein Araber ist zum Beispiel darüber mehr
hinausgegangen. An Stelle der Kausalerklärung für diese Qualmphänomene,
wie sie Aristoteles selber noch gefordert hätte, trat aber in ganzer
Breite, im Volk, bei Hof und amtlich und schließlich auch auf weitaus
den meisten Professorenstühlen die einfache rohe Moraldeutung: der
Brandqualm war von Gott als Fackel entzündet, damit wir aufmerksam
wurden, es kam etwas, und zwar natürlich etwas Unangenehmes. Auf der
katholischen wie später der reformierten Kanzel sah man im Kometen
ein Bußzeichen. Fatales hatten die Zeiten ja genug, Pest, Hungersnot,
Wasserfluten, Hunnen und Türken, böses Regiment und streitenden
Glauben. In der Menge gingen Verschen um, daß ein Komet am Himmel acht
Hauptstücke bedeute: »Wind, Teurung, Pest, Krieg, Wassersnot, Erdbeben,
Ändrung, eines Herren Tod.« Die armen Menschenkinder hatten sozusagen
zum Schaden den Spott. Nach ließ das Schicksal ihnen nichts, und aus
eigener Kraft konnten sie's so rasch auch nicht andern; so stand die
Kometenprophezeiung am Himmel wie ein Tort, bloß damit man sich auch
schon vorher ängstige. Mit mehr Haß sind die »Lichtwolken« Theons wohl
nie angeschaut worden als damals, wie denn sogar eine launige Sage
einen resoluten Papst, Calixtus III., gegen unsern Halleyschen Kometen
bei seiner Wiederkehr von 1456 den Kirchenbann schleudern läßt wegen
ungehöriger Beunruhigung der Christenheit.

Der Komet wanderte nach diesem luftigen Intermezzo abermals auf
seine Neptunsecke zu, als zu Thorn Kopernikus geboren wurde.
Kopernikus lebte noch, als er 1531 wiederkam. Die größte Tat
der Astronomie war aber bereits geschehen, die neue Ansicht vom
Bau unseres Sonnensystems handschriftlich niedergelegt und im
engsten Freundeskreise bekanntgegeben. Sie bedeutete auch für die
alte babylonisch-pythagoreische Lehre, nach der die Kometen in
planetenhaften Bahnen liefen, den großen Fortschritt, daß jetzt Planet
wie Komet ausschließlich um die Sonne statt um die Erde gingen; eine
Ahnung dieses Sachverhalts hatte freilich in ihrer besten Zeit auch die
Antike selber schon einmal gehabt.

Gerade die Kometentheorie war aber inzwischen so verbaut worden, daß
die Halleysche Lichtwolke noch gut zweimal wandern konnte, ehe man nur
so weit war, den antiken Obergedanken für sie aus all dem Wust wieder
zurückzufinden. Verlangte man doch lange nach Kopernikus noch vielfach
bei der Zulassung eines Professors das ausdrückliche Zeugnis, daß er
nicht nur überhaupt mit Aristoteles, sondern auch speziell mit seiner
Kometenerklärung als brennendem Luftqualm einverstanden sei.

Rücken mußten die Dinge indessen endlich doch. Die Hochflut
astronomischer Ketzerei, die der sanfte Domherr zu Frauenburg angeregt,
ließ sich dauernd nicht mehr eindämmen. Als der Komet 1607 wiederkam,
bereitete sich gerade der Hauptschlag bei Galilei vor: das Fernrohr war
erfunden worden, und wenig später kamen jene heiligen Entdeckernächte,
da zum erstenmal ein brennendes Menschenauge die Monde des Jupiter, die
Bergschatten auf dem Monde, die Sichelgestalt der Venus, den Saturnring
und die Sternmyriaden in der Milchstraße sah. In diesen Nächten tagte
es für den Geist unaufhaltsam.

Der Halleysche Komet war noch nicht zwanzig Jahre wieder auf der
Neptunfahrt, da sprach Kepler aus (was schon Tycho de Brahe vermutet
hatte): die Kometen könnten nicht Gebilde unseres Luftkreises
sein, denn sie ständen laut simpler Messung von zwei verschiedenen
Beobachterposten aus mindestens höher am Himmel als der Mond. Damit
war die Natur als »Gestirne« wenigstens wiederhergestellt, der Komet
aus Moralqualm und aristotelischem Luftqualm neu für die Astronomie
gerettet. Kepler selbst glaubte dabei noch an lauter fast geradlinige
Bahnen neben der Sonne hin, so daß also niemals der gleiche Komet
wieder zu uns zurückkehren könnte. Die Kugel begann aber zu rollen.
Das ungeheuer beschleunigte Tempo erneut freien wissenschaftlichen
Forschens, das sich bis heute hält, hatte eingesetzt, und vor ihm
bedeuteten 76 Jahre, die man früher hatte verzehnfachen müssen, um
über das einförmige Denken einer Epoche zu kommen, auf einmal einzeln
sehr viel.

Nur noch viermal ist der Halleysche Wanderer seitdem wiedergekommen,
jede Rückkehr gab aber jetzt einen geradezu kolossalen Einschlag.

Als er 1682 seine goldene Sonnenmeta nahm und dabei neu auch in
Menschenaugen glänzte, schrieben zwar eifrige Theologen noch
Traktätchen über die Zauberkraft des Gestirns, aus Rom berichtete man
von einem wunderbaren, mit dem Bilde eines Kometen versehenen Ei, das
eine Henne in solcher Kometenstunde gelegt haben sollte, und in Glarus
exemplifizierte jemand eben an Halleys Komet noch einmal mustergültig
hübsch in einer besonderen Schrift die vorsätzliche Zuchtruten-Natur
aller Kometen, womit Gott den Menschen zu verstehen geben wolle, »daß
sie sich des Rutenschlagens öfters sollten erinnern«.

Aber in der ernsten Gelehrtenzelle gingen Dörfel und Bernoulli
zur gleichen Stunde schon unbeirrt an die Bahnberechnung dieser
Eierzauberer und Gottesruten.

Dörfel erfaßte das Gesetz der großen Bahnbiegung, die auch ein
ursprünglich geradlinig wandernder Komet in der Sonnennähe erleiden
müsse, er faßte also endgültig etwa das, was uns heute der
Johannesburger Komet, den die Sonne zwar zu sich heranbiegt, aber nicht
dauernd fangen kann, vormacht.

Bernoulli träumte (im Kern auch mit einem richtigen Ansatz) von der
engeren Vasallenschaft der Kometen zu unbekannten Planeten jenseits der
Saturnbahn; wenn aber irgendwo eine solche Vasallenschaft »gefangener«
Kometen schon existierte, so mußte sich auch für sie eine dauernd
zurückführende Bahn berechnen lassen: ihre periodische Wiederkehr zur
Sonne mußte sich vorher verkündigen lassen.

Aus allem Wust und Nebel blödsinniger Prophezeiungen, die der
Komet selber tun sollte, hob sich endlich wieder die alte Form
wissenschaftlicher Prophezeiung vom Menschenstandpunkt aus gegenüber
dem Kometen, wie sie Seneca schon verkündet hatte, indem er
prophezeite, man werde noch einmal in dieser Form prophezeien können.

Es war das Problem des Halleyschen Kometen jetzt selber, das erste
Gestalt annahm, obwohl noch niemand direkt an ihn dabei dachte.

1759 war nach seinem kosmischen Vertrage das nächste Jahr seiner
Wiederkehr. Als diesmal der Termin kam, schauten vollkommen neue Augen
auf ihn. Das Größte war inzwischen wirklich getan. Menschengeist hatte
diesen Vertrag begriffen. Und auf Grund dieses Vertrages war die
Wiederkehr des Kometen zu diesem Jahr auf Grund wissenschaftlicher
Rechnungen tatsächlich prophezeit worden.

Halley hatte die Tat getan. Noch einmal stand ein überragender Genius,
einer der ganz Großen, zwischen der letzten und dieser Kometennähe:
Newton. Seine Methode himmlischer Rechnung war für Halley schon
maßgebend, als er 1705 eine der scheinbar einfachsten und doch damals
noch kühnsten Vergleichungsarbeiten der ganzen Astronomie unternahm. Er
verglich die von ihm errechneten Bahnen von drei Kometen der letzten
beiden Jahrhunderte, von 1531, 1607 und 1682. Und aus den gleichmäßigen
Ziffern zog er den Schluß, daß es sich um ein und denselben Kometen
handeln müsse, der in rund gerechnet 76 Jahren je einmal in
geschlossener Bahn die Sonne umkreise, also alle 76 Jahre auch einmal
so in unsere Erdnähe kommen müsse, daß wir ihn sehen könnten.

Damit war der Vertrag dieses Kometen in Halleys Hand. Er konnte nach
drei sicheren Vergangenheitsziffern wagen, auch eine Zukunftsziffer
aus ihm herauszulesen. Auf der Wende von 1758 zu 1759 mußte der Komet
wiederum sichtbar werden.

Menschengeist dringt über Äonen der Zeit, über unermeßliche Weiten
des Raumes. Aber die enge Schale, aus der diese wunderbare Flamme
lodert, verzehrt sich rasch selbst. Hier gilt es resignieren. Als
Halley seine grandiose Prophezeiung wagte, stand er bereits dicht vor
dem fünfzigsten eigenen Lebensjahr. Mehr als fünfzig Jahre sollten
noch einmal darüber hingehen, ehe sein Komet wiederkam. Er hat ihn
selber nicht mehr erlebt. Aber als er wirklich kam, unter höchster
Spannung aller Wissenden genau zu dem Termin erschien: da erinnerte
man sich, daß es »sein Komet« für alle Zeiten bleiben müßte. Statt
einer Jahresziffer erhielt zum erstenmal ein Komet einen Menschennamen:
Halleys Komet nannte man ihn.

Einer jener glücklichen Autodidakten, wie sie in der Geschichte der
Wissenschaft immer wiederkehren, ein Bauersmann bei Dresden, der hinter
seinem Pfluge ging, dabei aber Botanik und Trigonometrie, Physik und
Philosophie auf eigene Faust bis zu gründlichster Tiefe studierte,
Johann Georg Palitzsch, hatte um Weihnachten 1758 den großen Fund
gemacht und als erster im Fernrohr den _erwarteten_ Kometen gesehen.

Das Symbol der unberechenbaren Weltordnung, die mit dem Wunder des
Kometen das Wunder irdischer Schrecken ansagte, besiegt durch die
Ziffern wissenschaftlicher Rechnung! Diese Wiederkehr von 1758/59,
die in das Zeitalter Friedrichs des Großen und Voltaires fiel, zehn
Jahre nach Goethes Geburt, ist ein Weltanschauungswert für unsere
ganze Kultur geworden weit über alle engere Kometentheorie hinaus. Mit
unerwartet andersartigen Zinsen zahlte sich jetzt der kühne Streich
aus, der aus solchem himmlischen Lichtwölkchen einen _moralischen_ Wert
gemacht hatte.

Inzwischen ging der Komet selber, der jetzt an einer Stelle seines
Systems, dem er angehörte, einen Namen besaß, wieder ungestört auf
seine Neptunswanderung. Er überschlug die ganze Epoche Goethes und
fand sich erst, übrigens durchaus programmäßig, im August 1835 bei uns
wieder ein.

Im ganzen war die Luft jetzt gereinigt; wir wollen milde sagen, noch
nicht auf der ganzen Linie der Weltanschauung, aber doch zweifellos
in der Kometentheorie. Die Kometen gehörten selbst im weiteren Kreise
nicht mehr der überweltlichen Pädagogik, sondern dem Gravitationsgesetz
an.

Im Jahre 1770 hatte Herr Semmler, Mathematikprofessor zu Halle, schon
als Friedensweg vorgeschlagen, es könne nichts schaden, beim Anblick
der Kometen jedesmal an die sittliche Besserung zu denken, aber einen
wirklichen Einfluß »in die sichtbare Körperwelt, in die Reiche,
Republiken und Regierungen der Menschen, könne man den Kometen nicht
zuschreiben, weil sie so weit von der Erde entfernt bleiben, daß sie
nicht das Geringste in derselben wirken können«. Die Welt war aber
infolge von Spinoza, Voltaire, Goethe und andern inzwischen so verderbt
geworden, daß sie sogar über Herrn Semmler eine stille Heiterkeit nicht
ganz unterdrücken konnte.

Indessen, seltsam genug, der Halleysche Komet fand eine neue Stimmung
vor, die doch in einem Punkte wiederum gegen die offene und helle
Entdeckerfreude von 1759 bedenklich abstach.

Gerade die damals so wundervoll bestätigte Idee, daß also wirklich
Kometen wie echte planetarische Vasallen regelmäßig um die Sonne laufen
könnten, hatte sich in der Zwischenzeit so fest eingebürgert, daß
sie auch die phantasiefrohen, zu weitesten Spekulationen aufgelegten
Elemente der Denkerwelt notwendig umfassen und anregen mußte. Nachdem
in der jäh eingetretenen Sintflut neuer und freier Ideen die alte
biblische Schöpfungslegende arg verschwemmt worden war, hatten sich
alle möglichen kühnen Weltbau-Spekulationen vorgewagt. Buffon, Kant,
Laplace hatten das Sternsystem nach natürlichen Prinzipien entstehen
lassen. Dabei konnten zumeist doch auch die Kometen jetzt nicht aus
dem Spiel gelassen werden. Buffon besonders baute eine grandiose
Spekulation auf, wie ansausende Kometen in Urtagen die Sonne geradezu
angerempelt, wie sie glühende Brocken von ihr abgerissen und in weiter
Schwungbahn hinausgeschleudert hätten; aus solchen Sonnenbrocken
seien die Planeten geworden. Der Komet erschien in solchem Falle
wenigstens in seinem Kern als ein wahres Ungetüm, das über alle
Planeten selber ging, ein rasender Stoßwidder, vor dem selbst die Sonne
Fetzen lassen mußte. Die kosmogonischen Ideen von Kant und Laplace
haben später diesen kühnen Weltentraum des genialen Mannes in den
Hintergrund gedrängt; längere Zeit aber galt er als wahre »natürliche
Schöpfungsgeschichte«, und wer sich heute die Mühe macht, ihn zu
lesen, staunt noch immer über die Schärfe der Gedanken (mit damaligem
Wissensmaterial natürlich) und die Herrlichkeit der Schilderung.

Die Kehrseite aber war, daß die Leute den wirklich sehr nahe liegenden
Schluß zogen, so etwas könne »rein natürlich« doch auch heute noch
geschehen. Die Kometen passierten nicht nur heute noch höchst
bedenklich dicht die Sonne, sondern sie durchschnitten, wenn sie
selber periodische Sonnenvasallen geworden waren, wie der Halleysche,
fortgesetzt Planetenbahnen. Warum also nicht auch aktuelle Gefahr
der fürchterlichsten Karambolagen mit den Planeten? Die Erde war nur
ein Planet ... warum nicht auch mit ihr? Kein besonderer Zorn Gottes
... aber eine ganz reale astronomische und eben deshalb auch dem
Nüchternsten äußerst fatal plausible Möglichkeit!

Und ganz still, aber treffsicher kroch von hier das Gespenst einer
neuen Angst in die breite Masse hinein. Nicht weil man den rechnenden
Astronomen diesmal ablehnte, sondern gerade weil man ihm glaubte, aus
diesem Glauben aber dann gewisse Schlüsse zog, die wieder einmal nichts
weniger als angenehm sein konnten.

Das Jahr 1835 bedeutete in dem Punkte eine wahre erste Krisis. Einmal,
1773, war die Sache schon in Frankreich etwas akut geworden. Es hieß,
die Fachastronomie habe bestimmt _ausgerechnet_, daß die Erde am 12.
Mai durch einen Kometenstoß untergehen werde. Sie halte es nur geheim
auf Wunsch der hochwohllöblichen Polizei. Ausgerechnet! Das Wort hatte
auf einmal einen scheußlichen Klang. Kometen ließen sich errechnen.
Kometen »bedeuteten« nicht mehr das Eintreten anderer Übel. Sie »waren«
selber etwas. Aber dieses Etwas war nun selbst am Ende gefährlich. Und
so stand schließlich gerade in der Rechnung diesmal der Weltuntergang!
Der angesetzte Termin war indessen ohne Krach verlaufen und das
hatte zunächst genügt; es scheint sogar nicht, daß kometarisch viel
überflüssiger Wein vorher ausgetrunken und viel überflüssig geküßt
worden ist; ein sehr realer Krach, nämlich die große französische
Revolution, lag schon zu sehr in der Luft, und wer reserveküßte, tat
es auf diesen »Weltuntergang«. Dagegen soll die Geistlichkeit großen
Zuspruch gehabt haben.

Gerade im Anfang der Dreißiger des neuen Jahrhunderts war aber nun die
Sensationsbombe bei uns in Deutschland erst recht eigentlich geplatzt.

Einige Jahre vorher hatte ein österreichischer Hauptmann, Wilhelm
von Biela, festgestellt, daß ein schon mehrfach früher beobachteter
Komet periodisch sei und zu bestimmten, diesmal sehr kurzen Terminen
wiederkehre. Als dieser nach ihm benannte Bielasche Komet für 1832
wieder fällig war, hieß es (ganz korrekt) aus astronomischen Kreisen,
er habe eine so eigentümliche Bahn, daß er am 29. Oktober des Jahres
mit seinem Kopf die Erdbahn streifen werde. Wohlverstanden: die
Erdbahn. Das große Publikum mit Einschluß der Zeitungsredaktionen
verstand aber nicht wohl, sondern las: die Erde. In Wahrheit war die
Erde selbst damals gerade 11 Millionen Meilen von der kritischen
Schnittstelle ihrer Bahn entfernt. Der bekannte Astronom Littrow mußte
mit einer wahren Proklamation eingreifen, um eine allgemeine Panik zu
verhüten.

Aber die Angst war nun einmal eingeimpft und wollte nicht mehr zu Ruhe
kommen. Und im Grunde hatten auch die Fachastronomen kein so ganz
reines Gewissen beim Beruhigen. Gewiß: es lag zurzeit keine bekannte
Kometenbahn so, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich war. Aber eine
Garantie gab das noch lange nicht. Entscheiden konnte nur, wenn einer
nachwies, ein solcher Zusammenstoß sei für die Erde ungefährlich. Würde
man das aber einmal beweisen können?

Nicht seine Bahn, sondern seine Beschaffenheit war in diesem Sinne das
eigentliche Wissens- wie Angstproblem, als der Halleysche Komet auch
1835 pünktlich erschien.

Bessel nahm ihn besonders aufs Korn, ein Mann, gleich stark als
Theoretiker wie als Beobachter. Zum erstenmal wurde jenes erwähnte
Phänomen sehr im Detail gesehen: wie der Komet in der Sonnennähe
seine Hülle erst gegen die Sonne wolkenhaft hebt, dann aber ebenso
energisch rückwärts als Schweif von der Sonne fortfließen läßt. Daß
die Entstehung dieses Schweifs den Angelpunkt aller Theorien über die
innere Natur der Kometenkörper bilden müsse, hatte man früh begriffen.
Schon Kepler hatte sich daran versucht. So setzte auch Bessel hier ein
und wagte Vermutungen. Aber noch blieb alles in der Schwebe, als der
Halleysche Komet schon wieder in seinem entfernteren Bahnabschnitt
verschwand. Zunächst schien er diesmal nur neue und zum Teil bange
Rätselfragen hinterlassen zu haben.

Es war sein letztes Verschwinden vor dem heutigen Termin. Noch einmal
waren 76 Jahre Frist gegeben, um sich durch Nachdenken und Vergleichen
mit andern inzwischen auftauchenden Kometen in der Beschaffenheitsfrage
schlüssig zu werden.

Die Rechnung selbst war allerdings nicht mehr rückgängig zu machen. Sie
lief und läuft, und sie läuft heute auf das wirkliche und wahrhaftige
Zusammentreffen von Erde und Kometenschweif. Diesmal ist es keine
Verwechslung und keine Zeitungsente. Es fragt sich also doppelt
brennend, was die letzten 76 Jahre noch hinzugetan haben, uns zu
wappnen; denn der Streich wird diesmal (falls die Bahn sich nicht noch
ändert) vollführt, das bleibt fest.

Und da ist es denn doch noch einmal sehr viel, was wir hinzubekommen
haben. Ja es ist das wirklich Entscheidende erst.

       *       *       *       *       *

Zunächst haben wir einen geradezu durchschlagenden Indizienbeweis
in diesen letzten siebeneinhalb Jahrzehnten bekommen, einen
Indizienbeweis: daß die Begegnung mit Kometen unmöglich so gefährlich
sein kann, wie die nächste Phantasie sie sich ausgemalt hatte.
Folgendes der einfache Gedankengang, dessen Logik auch jeder Laie
nachprüfen kann.

Man kennt gegenwärtig etwa achthundert ungefähr beglaubigte
Kometenerscheinungen. Dabei haben wir erst seit dreihundert Jahren
Fernrohre und kaum viel länger ernsthafte astronomische Aufzeichnungen
zum Zweck. Wie rasch sich bei systematischem Suchen mit dem Rohr
die Zahl vermehren läßt, zeigen einzelne fleißige Beobachter, die
als professionierte »Kometenjäger« allein ein bis drei Dutzend
aufgefunden haben. Dabei kann es sich aber stets und auch bei emsigster
Jagd nur um die Kometen des Systems handeln, die uns überhaupt so
nahe kommen, daß man sie von der Erde sehen kann. Eine sehr mäßige
Wahrscheinlichkeitsschätzung würde für unser ganzes Planetenbereich
jederzeit etwa rund 6000 als vorhanden aus jener Sichtbarkeitsziffer
für unsere zufällige Erdlage ableiten.

Die Wahrscheinlichkeitsziffer der fremden Passanten, die in unser
System hineinsausen, um es bloß einmal zu schneiden und gleich wieder
zu verlassen, kommt schon bei noch nicht zehntausend Jahren auf eine
volle Million.

Bei solcher Sachlage ist es nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern
es ist einfach eine Forderung, daß im Laufe auch nur kurzer Zeiträume
Planeten mit Kometen zusammentreffen _müssen_.

Bei den inneren Planeten muß das Durchpassieren durch die ungeheuren
Schwänze schlechterdings etwas Gewöhnliches sein, sobald wir den Dingen
auch nur etwas Geschichtsperspektive geben.

Und auch die Erde kann sich dieser schlichten Ziffernotwendigkeit
nicht entziehen. Wie sie heute eine Schwanzberührung erlebt, so muß
sie es historisch schon soundso oft erlebt haben. Schon für die
letzten hundert Jahre ist es bei der Bahnlage einzelner Kometen und
der Riesigkeit ihrer um die Sonne geschleiften Schwänze fast nicht
zu glauben, daß die Sache selbst da schon ohne Schwanzkarambolage
abgegangen sein solle. Was sind aber hundert und tausend, was sind
selbst zehntausend Jahre in der Erdgeschichte!

Man ist noch nicht einmal aus der zusammenhängenden orientalischen
Kultur damit. Dahinter aber kommen erst die eigentlichen
Geschichtsziffern, die imponieren. Ein mehrfaches jener zehn
führt erst etwa auf die prähistorischen Magdalenier im Vezère-Tal
in Südfrankreich, die schon eine hohe Kunstblüte hatten.
Jahrhunderttausende kommen mindestens auf die Eiszeit, die damals
schon zu Ende ging. Wenn der Mensch, wie gewisse bearbeitete Steine
(Eolithen) noch zu beweisen scheinen, mit Anfängen der Kultur bis in
die mittlere Tertiärzeit reicht, so gibt das mehr als eine Million
Jahre gesamtes Kulturalter. Das wahre Entstehungsalter des Menschen
wird dann bei zwei Millionen liegen. Die geringste Schätzung für das
Gesamtalter der geologischen Schichten unserer Erdrinde, aus denen
wir noch erhaltene Lebensspuren entnehmen können, ergibt aber hundert
Millionen Jahre. An ihrem Ausgangspunkt, in den algonkisch-kambrischen
Schichten, tauchen jedoch schon so hohe Lebensformen auf, daß wir noch
einen vielleicht ebenso langen Zeitraum davor annehmen müssen.

In diesen ganzen ungeheuren Geschichtsräumen fehlt uns nun aber _jede_
Andeutung einer _Katastrophe_ der früher geschilderten Art, wie sie aus
dem Zusammenstoß der Erde mit einem umfangreichen anderen Weltkörper
notwendig hervorgehen müßte.

Niemals ist die Erdoberfläche darin ganz von Wassern überflutet,
niemals mit kompaktem Basalt übergossen, niemals durch plötzliche
Gluthitze sterilisiert worden, und niemals ist die Atmosphäre
vergiftet worden, so daß das zarte Häutchen des Lebens eingehen mußte.
Kontinuierlich vielmehr ist dieses Leben in all jenen Jahrmillionen!

Unablässig hat es sich durch die Geschlechterfolgen weitergegeben, ohne
Riß im ganzen.

Ein ununterbrochener Stammbaum der Entwicklung verknüpft die Tier- und
Pflanzenformen. Gewisse ältere Formen sind gelegentlich ausgestorben,
aber niemals durch allgemein vernichtende Katastrophen, sondern langsam
durch besondere irdische Einzelursachen.

Einzelne unserer bekanntesten Tiergattungen, zum Beispiel der Igel,
leben heute schon mindestens zwei Millionen Jahre lang unverändert auf
der Erde fort, in ungezählten gleichzeitigen Exemplaren und unfaßbar
vielen einander folgenden Generationen, auf Riesengebieten dieser Erde.
Der Mensch selber ist offenbar eine solche zähe Gattung. Auf einigen
Klippen der neuseeländischen Küste haust aber gegenwärtig sogar noch
einer der alten Saurier der Triaszeit, die sogenannte Brückeneidechse;
sein Alter muß nach Dutzenden von Millionen eingeschätzt werden.
Ebenso alt ist der australische Molchfisch Ceratodus. Das wurmähnliche
Schaltier Lingula aber lebte in gleicher Gattung schon in jener
algonkisch-kambrischen Urepoche, die hundert Millionen Jahre hinter uns
zurückliegt.

In der ungestörten Ruhe dieser geologischen Epochen von schier
endloser Ausdehnung haben jene Steinkohlenwälder und später jene
Braunkohlenwälder in unendlicher Generationenfolge gegrünt, deren
Reste wir heute als Brennmaterial verwerten: sie alle sind nicht
durch Kometen verbrannt worden, sondern am Fleck selbst vertorft und
versteint in reinen Friedensprozessen. Korallentiere und Kalkalgen
haben in absoluter Friedensarbeit Riffe aufgehäuft, die wir jetzt als
die Dolomitalpen bestaunen.

Hundert und mehr Millionen Jahre! Eine so ungeheure, erdrückende
Wahrscheinlichkeit von Kometen-Karambolagen in solcher Zeit! Und dann
doch keine leiseste Spur einer störenden, katastrophenhaften Wirkung im
feinsten, zartesten Erdleben in all diesen Zeiträumen!!

Dieser Indizienbeweis ist erst unser heutiger Besitz. In jenem letzten
Halley-Jahre 1835 glaubten noch fast alle Geologen tatsächlich an eine
ganze Reihe periodisch wiederholter, entsetzlicher Katastrophen in der
Erdgeschichte.

Immer einmal wieder alle paar tausend Jahre sollte die gesamte
Erdoberfläche einen entsetzlichen Chok durchgemacht haben. Alle
Lebewesen waren dabei vertilgt worden. Auf dem durch und durch
gereinigten, sterilisierten Plan hatte dann eine unbegreifliche
Neuschöpfung stattgefunden. Nie hatte eine Tier- oder Pflanzenform sich
lebend über eine solche Katastrophe fort in die nächste geologische
Epoche gerettet. Das letzte große Reinmachen dieser Art hatte die
Mammute vernichtet. Menschen konnte es mit denen zugleich also
noch nicht gegeben haben, denn der Mensch lebte ja noch. Er war
ein erst einige Jahrtausende altes fix und fertiges Neuprodukt des
nachdiluvialen Schöpfungstages.

Wie nahe lag es bei solchen Annahmen (die, wie gesagt, um 1835 noch von
fast allen Fachautoritäten auf allen Lehrstühlen der Geologie vertreten
wurden) an wirkliche Kometenstöße zu denken. Was konnte billiger die
lebentötenden Sintfluten, Feuerschrecken, Giftgase hergeben, die der
Geolog so verschwenderisch brauchte!

Heute klingt uns das alles aber nur noch wie ein amüsantes Märchen.
Die neuerwachende Geologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat
mit all dem Spuk mehr als gründlich aufgeräumt. Die Entwicklungslehre
Darwins hat sich mit ihr verbündet, die Gespenster jener Katastrophen
auszuräuchern bis zum letzten Schatten. Von hier ist kein Material mehr
zu holen, nie mehr.

Geschweige, daß Kometen dem Leben auf den Kopf gefallen sind und etwa
die Mammute totgeschlagen haben (die der Mensch selber in Masse gejagt,
gegessen, abgezeichnet hat, die Bilder besitzen wir noch von seiner
Hand), läßt sich nicht einmal geologisch in all den Zeiten auch nur ein
verstärktes Fallen jener kleinen gelegentlichen Meteorsteine irgendwo
nachweisen. Einmal hat es in junger geologischer Epoche an mehreren
Orten kleine meteorische Glassplitter geregnet, die wir als sogenannte
Moldavite dort finden. Vielleicht ist ein größerer Glasmeteorit damals
an unserer Erdatmosphäre zerplatzt. Aber er ist eben zerplatzt ohne
irgendeinen Stoßschaden zu tun; mit ein paar Glasscherben schlägt man
das irdische Leben nicht entzwei, das so viel Vulkanausbrüchen unserer
Erde selber ruhig getrotzt hat in den Jahrmillionen seiner Existenz.

Für mein Gefühl ist dieser Indizienbeweis gegen die Gefährlichkeit der
Kometen _allein genügend_, um das ganze Spiel im wesentlichsten für
_gewonnen_ zu erklären.

Wenn von diesen reisenden Lichtwolken wirklich harte Pritschen uns
über den Kopf schlagen könnten, wenn glühende oder vergiftende Dämpfe
uns bei ihrer Berührung einhüllen müßten, so wären wir dem längst alle
erlegen. Wir wären ihm erlegen schon in Urweltstagen, als der Mensch
noch im Tier steckte. Es gäbe keine organische Entwicklung auf Erden,
keinen Menschen, keine Kultur.

Das Schwert des Damokles, das an einem Haar hing, ist eine sehr nette
Geschichte. Aber wenn wir hören, daß es hundert Millionen Jahre lang
über etwas geschwebt haben soll, ohne Schaden zu tun: so werden wir
uns zuletzt doch wohl sagen, daß kein Haar so lange hält, daß aber,
wenn wirklich kein Schaden geschehen ist, das Schwert wohl nur ein
Strohwisch war.

Auf jeden Fall steht die himmlische Schachpartie längst nicht mehr
gleich für Optimismus und Pessimismus. Der Optimismus ist mit der
Logik dieses Indizienbeweises ein geradezu ungeheueres Stück voraus.
Von diesem Boden aus lassen sich jetzt aber auch eine ganze Reihe
wirklicher Beweisstücke, die nicht bloß auf Indizien gehen, aus dem
_Tatsachen_-Arsenal der besagten letzten 76 Jahre heranholen.

       *       *       *       *       *

Zunächst hat in der Zwischenzeit jene Geschichte vom Bielaschen
Kometen, dem Angstkometen von 1832, noch ein bedeutsames Nachspiel
bekommen.

Dieser Komet lief in einer ganz kurzen Bahn (noch nicht sieben Jahre
lang hin und zurück), und diese Bahn kreuzte dabei nicht nur die Bahn
eines anderen Kometen, sondern jedesmal ausgespart auch gerade unsere
Erdbahn. Damals, 1832, hatte es damit, wie gesagt, nichts Schlimmes
auf sich gehabt, denn der Komet ging durch den kritischen Punkt einen
ganzen Monat früher als wir. Aber mit Behagen konnte doch kein Astronom
die weitere Entwicklung dieser kuriosen Sachlage ansehen. Ein solches
Ungeheuer alle paar Jahre so dicht vor oder hinter uns und das bei den
bekannten Schwankungen solcher Bahnen: was für Eventualitäten!

Das Ungeheuer wurde ganz besonders genau aufs Korn genommen, es
war aber auch, als wenn es sich dafür erkenntlich erweisen wollte.
Als es 1845 wiederkehrte, bekam es sozusagen vor den Augen der
Astronomen Junge. Wie jene einzelligen Urtiere, deren Fortpflanzung
einfach darin besteht, daß sie sich in zwei Stücke teilen, von denen
jedes selbständig weiterlebt, so sonderte sich auch das rätselhafte
Kometenwesen in zwei Teile auseinander. Aus dem Kern wurden in ganz
ruhiger Lösung zwei Kerne, die sich zunehmend voneinander entfernten.
Jeder Teilkern entsandte sein Schwänzchen. Statt des einen Ungeheuers
hatte man jetzt in paralleler Bewegung zwei. Da das etwas kleinere Kind
eine Weile an Helligkeit zunahm, durfte man der Vermutung Raum geben,
jedes der Stücke werde sich wieder zur ganzen Vatersgröße auswachsen,
womit dann die Gefahr also gründlich verdoppelt war. Doch zeigte die
Wiederkehr 1852 davon nichts; nur der Abstand der Zwillinge war immer
größer geworden; über dreihunderttausend geographische Meilen lagen
nun schon zwischen ihnen. Das Publikum kümmerte sich jetzt wenig um
diese interne Sache, und doch wäre, wenn je, vor dieser unberechenbaren
Entwickelung der Dinge ein leiser Schauder am Platze gewesen.

1859 konnte man den Kometen wegen zu ungünstiger Lage von der Erde aus
nicht fassen. Dagegen war er 1866 mit Glanz fällig. Man wußte genau, wo
seine Stücke zu stehen hatten. Verlorene Liebesmühe. Sie kamen nicht
wieder!

In den sieben Jahren war ihnen irgend etwas so Gründliches weiter
passiert, daß man aus unserer Entfernung überhaupt nichts mehr sah.
Waren weitere Teilungen erfolgt, ohne daß die Teilkinder wuchsen? Dann
mußten die Einzelstücke natürlich bald wirklich so klein werden, daß
wir sie aus unserer Ferne überhaupt nicht mehr erblicken konnten. Ein
ganzer Haufen solcher kleinen Wölkchen trieb sich dann in der Nähe der
unangenehmen alten Bahnstelle herum.

Gelöst war das Fatale so für uns jedenfalls noch lange nicht. Wir
liefen jetzt aufs ungewisse einer Kreuzungsstelle, wo, allerdings
zunächst unsichtbar, eventuell ein ganzer Kometenschwarm sich,
Gott wußte wie verzettelt und die Karambolagengefahr durch breite
Schlachtlinie vermehrend, herumtrieb. Und nur eins war allerdings
merkwürdig.

Ein Haufen Wölkchen, sagte ich. Ja, wie eine Art Wolke, wenn
auch eine kosmische und nicht eine atmosphärische, hatte sich
dieses Bielaungeheuer wirklich benommen bei dem Ganzen. Nicht im
Schweif, sondern gerade im Kernteil, im Kopf. Nicht das mindeste
hatte darauf hingewiesen, daß eine Stoßkatastrophe, irgendein
Zusammenprall, es auseinander gespalten hätte. Ganz genau so hatte
die Geschichte ausgesehen, als sei, entweder durch die äußeren
planetarischen Zugkräfte von fern her oder durch geheimnisvolle
innere Abstoßungskräfte, ganz, ganz gemächlich eine eigentlich und
ursprünglich schon wolkenhaft lose Masse bloß auseinandergetrieben
worden. Wie voneinander schwimmend waren die Kinderstücke
dahingeflossen.

Es ging wirklich nicht gut an, man mochte die Sache drehen und wenden
so viel man wollte: daß ein in sich solider, etwa bloß mit einer
eigenen Dunstatmosphäre umhüllter, aber in Herz und Kern planetenhaft
steinharter kosmischer Klotz gerade dieses Spiel vollführt haben
sollte, nicht aufzustoßen, zu platzen, zu explodieren, sondern
wirklich im Bilde wie eine weiche lebendige Amöbe bei uns, die mit
ihrem Zell-Leibe in Selbstteilung tritt, ganz sanft, langsam, aber
unaufhaltsam auseinander zu fließen, also daß zuletzt zwei Kerne, jeder
nach außen nebelig verschwimmend und hinten geschwänzt, vorhanden waren.

Der Kometenkopf mußte ernstlich eine Art Wolkennatur besitzen. Fragte
sich nur, was der Begriff »Wolke« bei einem Gebilde, fern einsam
zwischen die Planetenbahnen hinausgestreut, selber besagen sollte.

Aus was für Stoff sollte diese leuchtende Wolke, die zerfließen, sich
auflösen konnte, wie eine irdische, und sicherlich doch keine Luftwolke
in unserm Erdensinne war, bestehen?

Der Bielasche Komet, den man nach 1866 bereits aufgegeben hatte, war so
freundlich, uns auf diese Frage noch zu antworten.

Nach der alten Rechnung hätte er 1872 wiederkehren sollen, es geschah
aber für unsere Augen konsequent so wenig mehr wie 1866. Dagegen
schnitten wir mit der Erde am 27. November auch dieses Jahres seine
alte Bahn, und zwar an einer Stelle, die er nach dem Brauch vor
seiner Zerstückelung schon einige Zeit vorher passiert haben müßte.
Wenn man sich dachte, daß in dieser Bahn am alten Fleck jetzt nicht
mehr ein einzelner Komet lief, sondern möglicherweise ein ganzer
Trupp kometarischen Kleinzeugs mit eigenen Köpfen herumbummelte, und
wenn man sich vergegenwärtigte, daß schon die Zwillinge von 1852
sich Hunderttausende von Meilen voneinander entfernt hatten, so war
immerhin eins von neuem bedenklich. Es konnte sich irgendeiner der
kleinen Bummler auf der Hauptbahn so verspätet und über Monate zurück
verzettelt haben, daß wir (blind wie wir jetzt auch im Sinne unserer
Astronomen vor dem Ganzen standen) doch an dem Tage ihm begegneten.

Und nun in der Tat ging in dieser kritischen Novembernacht ein
ungeheures Ereignis los.

Der Himmel erstrahlte aus einer ganz bestimmten Richtung (vom
Sternbild der Andromeda her) im Feuerwerk eines märchenhaft schönen
Sternschnuppenregens. In Göttingen beispielsweise gab es in noch nicht
drei Stunden 7651 Sternschnuppen, also rund eine pro Sekunde.

Sternschnuppen gehören zu den himmlischen Gebilden, vor denen die große
Menge von je am wenigsten Angst gehabt hat, und das aller Erfahrung
nach mit Recht. Ältere Ansicht sah auch in ihnen nur atmosphärische
Fünkchen, die man mit den Irrlichtern verglich, aber nicht mit so
bösen Sagen zu umgeben pflegte. Heute ist man sich sicher, daß zu
jeder Sternschnuppe ein kleines, sehr rasch bewegtes kosmisches
Staubteilchen gehört, das bei der Reibung an dem dicken Erdenpolster
unserer Atmosphäre aufglimmt und verpufft. In der Regel ist damit auch
schon alles zu Ende. Ist die Masse etwas größer, so daß sie nicht bloß
auf diesem Wege verflüchtigt werden kann, so kommen, durchweg nach
sichtbarlich heftiger Explosion, auch wohl einzelne Bruchstücke in
Gestalt sogenannter Meteorsteine herunter. Wie selten dieser letztere
Fall gerade auf menschliche Beobachter stößt und relativ überhaupt
sein muß, erhellt am besten aus der Seltenheit und Kostbarkeit solcher
Himmelsgeschenke in unsern Museen. In der Regel wird man bei der
echten Sternschnuppe durchaus nur von einem ganz flüchtigen Aufglühen
meteorischen Staubes reden können.

Von Zeit zu Zeit gibt es nun auch sonst einmal eine Nacht, in der
Sternschnuppen zahlreicher fallen als gewöhnlich. Gewisse Augustnächte
sind zum Beispiel dafür berühmt. Die Leuchtfunken pflegen auch dann
von ein und der gleichen Stelle am Himmel auszustrahlen, die irgendein
Sternbild für uns markiert. Natürlich kommen sie aber nicht von diesen
Sternen selbst, sondern es handelt sich nur um ein kleines kosmisches
Staubwölkchen, das unsere Erdbahn gerade so schneidet, daß die
Schnittstelle sich auf jene Gegend projiziert.

Ab und zu geht das aber nochmals ins Große. Dann kommt mit dem einen
oder andern Jahr ein Lichtregen, bei dem die Schnuppen fallen wie
Hagel. Das heißt: auch dann nur fürs Auge. Echter Hagel wäre schon
mißlicher. Denn gerade aus solchem Schnuppengewimmel heraus ist noch
nie etwa ein wirklicher Meteoritenregen herunter gekommen: gerade diese
dichteren kosmischen Staubwirbel scheinen ganz besonders energisch
schon in den oberen Atmosphäreschichten zu verpuffen ohne derberen
Rückstand.

Wiederholt hatte man aber schon beobachtet, daß solcher Schnuppenregen
in periodischen Abständen sich mehrfach wiederholte. Die Idee lag
nahe, daß unsere Erde gelegentlich immer wieder da ein größeres
kosmisches Staubgewölk passiere, das sich selber um die Sonne bewege
und bei jeder Kreuzung den luftigen Feuerzauber erneue. Lose wie
solche Wolke sein mußte und selber bei jedem Durchgang um ein gut Teil
ihrer Staubpartikelchen geschmälert, konnte man natürlich hier keine
so sichere Gewähr erwarten, wie bei anderen Himmelsgebilden; wie denn
wirklich eine Wolke der Art, die im 19. Jahrhundert dreimal in ziemlich
genauen Abständen von je 33 Jahren die Himmelsfreunde ergötzt hat,
zuletzt, beim vierten Mal, so gut wie ganz wieder ausgeblieben ist.
Die Wölkchen von fern schon im ganzen zu sehen und so etwas schärfer zu
kontrollieren, dazu waren sie offenbar auch durchweg zu dünn; es ging
uns eben wie dem einzelnen mit einem Mückenschwarm, den man zumeist
auch erst summen hört, wenn man mit dem Kopf durchgeht.

Kein Zweifel jetzt: eine solche ebenso amüsante, wie harmlose
Staubwolke hatte uns auch in dem Moment eingehüllt, da wir die alte
Bahn des Bielaschen Ungeheuers schnitten und die Gefahr bestand,
daß wir eines der »Jungen«, in die sich sein Kern aufgelöst, in der
Schnittstelle anrempeln könnten. Ein Beobachter glaubte sogar die
in der Kometenbahn weiterziehende Wolke noch auf einen Moment als
Ganzes in direkter Kometengestalt gesehen zu haben, doch ist das
strittig geblieben. Daß aber eine kosmische Wolke, die sich als
Sternschnuppenregen äußerte, im Moment in der Kometenbahn gestanden
hatte, konnte nicht strittig sein.

Die Sache war wirklich sehr eindeutig.

Der Kopf des Bielaschen Kometen hatte sich vor uns wolkenhaft
aufgelöst. Im Moment, da wir hinter ihm durchschnitten, gerieten wir
in eine kosmische Sternschnuppen-Wolke. Wir hatten einfach einen der
Fetzen des Biela-Kerns passiert!

Ganz dem Bilde entsprechend, das die Auflösung früher geboten hatte,
war dieser Fetzen loses Material. Da es sich bei jener Auflösung um
echte Kerntrennung gehandelt hatte und nicht etwa bloß um Verlieren
von Hüllnebeln oder Schwanzmaterial, mußte es Kernmaterial sein.
Kometenschwänze liefen ja auch nicht in der Bahnlinie von Kometen
selber, sondern nur Kernköpfe; in der Bahnlinie aber hatten wir die
Wolke getroffen. Wir hatten also Kometen-Kernmasse erlebt, einen
»Zusammenstoß« mit ihr erlebt, und es war ein absolut harmloser
Sternschnuppenregen geworden!

Es gibt wenige astronomische Wahrscheinlichkeitsschlüsse, bei denen
alle Teile so glatt ineinander passen, wie hier.

Die Sache hat aber noch eine Probe auf ihr Exempel erfahren. Am 27.
November 1885 berührte die Erde abermals die alte Biela-Bahn an einer
Stelle, die der Komet im alten Sinne diesmal einige Zeit nachher hätte
durchsausen müssen.

Und wiederum ging eine ungeheure Sternschnuppenwolke gerade über den
Fleck.

Wieder regnete es stundenlang in pompösestem Schauspiel bei uns
Sternschnuppen. Aus dem Scheitelpunkt der Andromedagegend flammten
den Berichten nach ganze »Raketengarben« nieder. An einzelnen Orten
zählte man über 40000 Schnuppen in einer knappen Stunde, zeitweise fünf
pro Sekunde und mehr. Feuerkugeln in allen Farben waren dabei, die
Lichtstreifen blieben vielfach längere Zeit hell stehen, sich wirbelnd
windende und zerreißende Schnuppen wurden beobachtet. Es war eine
Pracht über alle Maßen.

Und wieder »passierte« dabei nichts; auch nicht ein Stück Meteorstoff
ist nachweislich dabei bis zu uns heruntergestürzt, alles flammte auf
und starb zugleich wieder im Feuerwerk.

Zum zweitenmal hatten wir ein Stück Kometenkern erlebt und wieder
gefahrlos. Das Ungeheuer, das uns fressen sollte, war ein brillanter
Feuerwerker, sonst nichts.

Seither scheint es, als habe selbst diese größere Wolkenbildung in
der Bielabahn ganz aufgehört, das Sternschnuppenmaterial scheint sich
mehr oder minder regellos verzettelt zu haben. Damit standen wir
möglicherweise jetzt wirklich auch bei einem realen Kometentod.

Das gibt aber bei diesem wunderbaren »Fall Biela« noch wieder für sich
zu denken.

Kometenkerne sind also nichts Ewiges. Eben weil sie wolkenhaft lose
Gebilde sind, können sie nicht nur in ihrem wilden Lauf zwischen den
Planeten im ganzen bald so, bald so abgelenkt, sondern sie können auch
bei dieser Gelegenheit (zum Beispiel durch Macht des Riesen Jupiter
oder auch sonst) in sich selbst angebrochen, zerstückelt, ja endlich
völlig verpulvert werden. Je verwickelter ihre Bahn besonders in die
engeren Planetenbahnen hinein verknotet ist, desto wahrscheinlicher
muß solches Los (Biela ist redendes Exempel) werden. Je größer das
Stadium der Materieverzettelung, desto harmloser müssen sie aber für
diese Planeten selbst werden. Es erscheint da etwas wie der Schatten
einer am Ende seit alters fortgesetzt tätigen Regulierungsmaschine. Die
Planeten machen immerzu frisch eintretende Kometen ungefährlich, um sie
endlich ganz aufzureiben, zu töten, und diese Selbstregulierung wächst
im gleichen Maße rein mechanisch, je enger ein solcher Komet ihnen auf
den Hals rückt und mit verhedderten, gekreuzten Bahnen droht. Die Sache
sieht wie eine doppelte Versicherung aus, wobei aber die überhaupt
und zu Beginn doch schon lose Wolkennatur der Kometenköpfe allgemeine
Voraussetzung auf beiden Seiten bleibt.

Die Idee, daß alle Kometen sich zuletzt auflösen müßten, hatte
übrigens schon Kepler zu einer Zeit, da er noch gar nicht an wirkliche
geschlossene Kometenbahnen zwischen den Planeten dachte. Er ging dabei
vom Schweif aus, den die Kometenkerne in der Sonnennähe entwickelten.
Auch hier schon schien ihm durch jene eigenartige Sonnenkraft, die
abstoßend wirkte, fortgesetzt Materie des Kerns auf Niemehrwiederkommen
in den offenen Raum hinausgeblasen zu werden, und das mußte doch
endlich die Quelle erschöpfen. »Ich halte dafür,« sagt der immer
vorahnend scharfsinnige Mann wörtlich, »daß der Kometenkörper sich
verwasche, verändere, auseinandergezogen und zuletzt vernichtet werde,
und daß, wie die Seidenwürmer durch das Herausspinnen ihres Fadens,
so auch die Kometen durch das Ausströmen ihres Schweifes aufgezehrt
und endlich dem Tode überliefert werden.« Der Gedanke ist an sich ein
durchaus folgerichtiger und würde erst recht gut gerade zu dem passen,
was der »Fall Biela« lehrt. Dabei mag er uns aber überhaupt auf das
Problem des Schwanzes zurückführen.

Wenn der Kometenkern wirklich nur aus mehr oder minder losem
Meteoritenstoff in wolkenhafter Anhäufung besteht: was ist dann der
Kometenschwanz?

Tatsächlich läßt ihn die Nähe der Sonne erst aus dieser Wolke
herauswirbeln, wie Staub unter einem blasenden Luftzug wirbelt. Der
nächstliegende Gedanke wäre also gewiß, wenn man von der Bielawolke
kommt: auch er ist bloß feinstes Sternschnuppenmaterial, das irgend
eine Sonnenkraft noch einmal besonders aus der Kernwolke fortpafft.
Natürlich, wenn es so ist, muß diese Wolke sich in Keplers Sinn auch
davon schon bei jedem Sonnenumlauf etwas mehr verzetteln und verlieren,
diesmal meist direkt abseits von ihrer Bahn, also wohl gänzlich auf
Niemehrwiederfinden.

Für uns heute wäre aber aktuell gerade diese Erklärung das
allerwichtigste. Denn wir hängen für die kritische Nacht vom 18. zum
19. Mai ja nicht an Biela, sondern an Halley. Und das bedeutet: nicht
Kopf, sondern Schwanz.

Der Halleysche Komet liegt ganz offenbar seit langer Zeit so, daß er
mit seinem Kopf gerade _nicht_ allzu eng ins Gedränge der mittleren
Planetenbahnen kommt. Deshalb würden sie ihn in jenem Sinne auch
seit mindestens zweitausend Jahren noch nicht in diesem Kopfteil
auseinandergerissen haben. Was an ihm aber, eben wegen dieser dauernden
Kopfstärke, nun für uns momentan bedenklich wird, das ist die
Produktivität dieses Kopfes in der Schwanzbildung. Dieser Schwanz und
nicht der Kopf soll zum Termin über uns wegfegen. Nach dem Fall Biela
erscheint es aber so gut wie unmöglich, daß der Kopf eine kompakte
harte Stoßmasse ist, wie viel weniger also der Schweif. Was wir auch
hier erwarten müßten, wäre fortgewirbelte Sternschnuppenmaterie,
die, in unsere Erdbahn übertretend und uns umwirbelnd, tatsächlich
auch eine Art »Fall Biela« schüfe: einen mehr oder minder starken
Sternschnuppenregen ohne alle Gefahr.

Unsere Erfahrungen seit 1835 widersprechen aber selbst dem bei dem
Schweif noch als »zuviel«. Dazu sind allerdings wieder weitere
Tatsachen auch über den Fall Biela hinaus nötig, Tatsachen, die
zuallernächst noch einmal mitten in den großen Chok und Schreck vor
jeglicher Kometenbegegnung gerade hineinführen.

In die letzten sechsundsiebzig Halley-Jahre fällt die Entdeckung der
Spektralanalyse.

Wir haben mit ihr bekanntlich eine Methode gewonnen, die uns unter
Umständen aus dem Licht direkt ablesen läßt, was für ein Stoff in
der Lichtquelle brennt. Das Licht wird mit Hilfe eines mehrseitig
geschliffenen Glases, eines Prisma, zerlegt und in dem entstehenden
Farbenbande (Spektrum) zeigen sich gewisse charakteristische
Unterschiede je nach den verschiedenen leuchtenden Substanzen, die
ein solches Urteil in sehr vielen Fällen ermöglichen. Auf diesem Wege
haben wir Aufschluß gewonnen über die Gase, die in der äußeren Hülle
der Sonne und der anderen Fixsterne glühen, wie über den leuchtenden
Stoffinhalt ferner Nebelflecke. Wir können aus dem Spektrum entnehmen,
ob auf solchem entlegenen Weltkörper glühende Gase leuchten oder
festere Stoffe in Weißglut. Die Gase sind dann infolge ihrer in allen
Einzelfällen höchst charakteristisch angeordneten bunten Linien im
Spektrum meist aufs treffsicherste mit irdischen, uns direkt zum
Vergleich zugänglichen zu identifizieren.

Diese sinnreiche Methode wurde nun auch auf die Kometen angewandt,
soweit solche in der Zeit disponibel waren.

Das erste feste Resultat war, daß vom Kometen bei seiner
Sonnenannäherung nicht bloß einfaches Sonnenlicht zu uns herüberglänzt,
das er zurückwirft wie unsere Erde oder die Venus oder der Mars, ohne
selber etwas dazu zu tun. Außer solchem reflektierten Licht leuchtet
der Komet durchweg noch mit etwas Besonderem, etwas Eigenem. Aus diesem
Eigenlicht würde sich also eventuell etwas über seine stoffliche
Beschaffenheit ablesen lassen, und in der Tat glückt das.

Im Kometen leuchten Gase, und zwar in immer verstärktem Maße, je
näher er der Sonne kommt. Und zwar sind es Gase, deren Spektrum eine
Identifizierung mit bestimmten, uns auf der Erde gut bekannten Stoffen
ebenfalls möglich macht.

In erster Linie kommt der Stoff in Betracht, der in unserm irdischen
Petroleum brennt, nämlich Kohlenwasserstoff. Ferner konnten Kohlenoxyd,
Cyan und reiner Wasserstoff nachgewiesen werden. Endlich zeigten
einige Kometenköpfe in den Momenten, da sie außerordentlich nah an
der Glutoberfläche der Sonne vorüberglitten, unverkennbar deutlich
das gelbe Licht des Natriums, also des verdampfenden Kochsalzes, und
merkbar zuletzt auch Eisendämpfe.

An sich können diese Befunde nicht überraschen.

Wenn der Kometenkopf eine Wolke aus Meteorsubstanz ist, so muß diese
Substanz unter der Einwirkung der Sonnenglut notwendig anfangen, Gase
auszuhauchen, ja in nächster Sonnenbegegnung geradezu bis auf ihren
schwersten Metallgehalt (Eisen) zu verdampfen.

Die Stoffe, die sich dabei zeigen, vor allem Kohlenwasserstoff und
Natrium, treten mit ihrem charakteristischen Spektrum genau so hervor,
wenn man einen zu uns herabgefallenen Meteorstein künstlich erhitzt.
Auch wenn man den spektroskopischen Apparat auf unsere allnächtlichen
Sternschnuppen richtet, kann man öfter die unverkennbare gelbe Linie
des Natriums aufleuchten sehen, die vorblitzt im Moment, da der feine
Meteorstaub in solcher Schnuppe völlig verdampft.

Die engere Art allerdings, wie in der Sonnennähe des Kometenkopfes das
Kohlenwasserstofflicht gelegentlich von dem Natriumlicht ausgelöscht
wird, kann man nur nachmachen, wenn man in geschlossener erhitzter
Glasröhre durch ein Gemisch von Kohlenwasserstoff und verdampfendem
Natrium einen elektrischen Strom leitet. Man muß also noch die
Hilfserklärung machen, daß auch in dem Kometen elektrische Prozesse
tätig sind.

Und das gibt sogar wieder eine sehr gute Ergänzung ab zur Erklärung des
sonst seltsamen Umstandes, daß Kometen sich schon bei einer Entfernung
von der Sonne wenigstens schwach selbstleuchtend zeigen, wo eine
wirkliche Erhitzung ihrer Substanz bis zum eigentlichen Glühen von
seiten der Sonne höchst unwahrscheinlich wird; hier wirken in ihnen
eben rein elektrische Entladungen, die als solche schon Licht erzeugen.

So zwanglos nun alle diese Dinge sich in jenes andere Bild fügen, so
steckt in ihnen doch plötzlich auch ein neues Angstmotiv.

Wenn aus dem Kometenkern Kohlenwasserstoff, Kohlenoxyd, Wasserstoff,
Natrium, Cyan, Eisen verdampfen, so würden wohl auch im Schweif ganz
besonders solche Dämpfe abqualmen müssen. Unter den genannten Stoffen
sind aber böse Sachen für den Fall, daß dadurch eine derbe Erdberührung
statthätte.

Kohlenoxyd und Cyan sind hochgradig giftig und würden, in
größeren Massen plötzlich in unsere Erdatmosphäre hineingedampft,
schlechterdings alles organische Leben vernichten.

Ein Petroleumregen würde sich augenblicklich an der ersten Flamme
hier unten zur fürchterlichsten Explosion entzünden und auch die
Erde veröden; eine Feuerwelle wie im kleinen eine der brennenden
Erdgasquellen von Baku müßte um unsern ganzen Planeten schlagen.

Eine hochgradige Erdversalzung würde ebenfalls ein schlechter
Spaß sein. Eine Weile hielten vielleicht noch gewisse salzfestere
Steppenpflanzen und jene Artemia-Krebschen, die in eingedickter
Salzsohle leben können, stand; aber zuletzt würden auch sie in der
allgemeinen Pökelrinde der armen Erde eingehen.

Dazu noch zwei weitere Möglichkeiten.

Entweder kämen im Kometenschweif noch direkt heißglühende Dämpfe zu
uns, zum Beispiel ein konzentrierter Strahl Eisendampf aus dem in der
Sonnennähe geschmolzenen und verdampften Meteoritenmaterial.

Oder es schlügen entsetzliche elektrische Entladungen mit
allverheerenden Blitzen aus dem Schweif zu uns nieder, die der
Menschheit im ganzen das Los eines jener Opfer auf den bekannten
elektrischen Hinrichtungsstühlen der Nordamerikaner schüfen.

In allen Formen laufen gerade diese bösen Hypothesen heute wieder
herum. Der Halleyschweif soll uns in der kritischen Stunde mit Cyan
vergiften oder versengen oder zerblitzen, auch wenn sonst nur ein
Sternschnuppenregen durch seine eigentliche Stoßsubstanz entstände.

Wir hätten die Wahl wie die Leute in Pompeji und Martinique. Der
dicke Plinius selber erstickte bekanntlich bei jenem schrecklichen
Vesuvausbruch, auch ohne einen Stein dabei an den Kopf zu bekommen; in
Martinique gab es eine versengende Stichflamme alle Häuser entlang, die
schnell wie ein Blitz zuckte; auch echte Blitze schlagen aber aus jeder
Vulkanwolke. Eine angenehme Wahl um den gleichen Preis!

So hübsch auch das aber wieder einmal ausgedacht ist, um uns durchaus
kometarisch tot zu kriegen: es hapert auch hier.

Jene Funde der Spektralanalyse sind an sich auf jeden Fall wichtig. In
ihnen selbst steckt aber bereits ein merkwürdiger Fingerzeig nach ganz
bestimmter Seite.

Der spektroskopische Nachweis gewisser Substanzen, wie Kohlenoxyd oder
Natrium, in einer solchen fernen Lichtwolke gibt für sich noch keinen
direkten Anhalt, wie _dicht_ der betreffende Stoff in der gesamten,
doch offenbar so ungeheuerlich weit ausgedehnten kometarischen Wolke
enthalten sei; er kann enorm verdünnt sein. Wenn der Stoff, wie zum
Beispiel das Natrium, sich im Kometenkern bei dessen Sonnennähe erst
sichtbarlich entwickelt und dann in einem Schweif von da abdampft,
der mehrere Millionen Meilen lang und entsprechend als breites
Lichtband ungeheuerlich dick in die Weite geht, so wird die stärkste
Verdünnung, zumal gegen das Ende des Schweifs (also das, was uns bei
dem Halleyschen Ungeheuer allein packen kann), die wahrscheinlichere
werden. Wie weit wir das aber treiben wollen, dafür wird zunächst jene
elektrische Erwägung schon bedeutsam.

Elektrische Leuchtprozesse der bezeichneten Art werden wir uns im
allgemeinen nur bei einem Gebilde vorstellen können, dessen Substanz
sich mindestens in den hierfür in Betracht kommenden Partikelchen in
einem Stadium höchst beträchtlicher Verdünnung befindet. Gerade solche
feinsten und allerfeinsten Partikelchen werden wir uns aber bei der
allgemeinen Sachlage doch am liebsten im Schweif ausströmend denken.

Schon sehr frühen Beobachtern und späteren, kritischeren immer mehr
ist nämlich aufgefallen, wie dünn doch dem reinen Anblick nach schon
die Schweifmaterie aussehe. Seneca wußte schon (und es werden es also
wahrscheinlich schon die Pythagoreer und die alten Babylonier gewußt
haben), daß man durch diese ungeheuren Leuchtbänder durch und durch
sehen könne bis auf die dahinter schimmernden Sterne. Bessel und
Struve haben das mit den feinsten Messungen dahin präzisiert, daß man
faktisch auch nicht die geringste Ablenkung des Lichts bei solchen
durchscheinenden Sternen im Kometenschweif nachweisen könne.

Das ist gewiß eine ganz außerordentlich frappante Sache. Bei unserem
Erdmond vermißt man, wenn ein Stern seinem Rand nahe kommt, ebenfalls
jede Spur einer solchen Lichtbrechung, und man zieht den Schluß
daraus, daß der Mond noch keine Atmosphäre haben könne, die auch nur
ein Tausendstel von der Dichtigkeit unserer irdischen besitze. Die
allgemein auch in Laienkreisen verbreitete Annahme, daß der Mond
absolut »luftlos« sei, gründet sich auf diesen Schluß. Ein Mensch würde
also, in solchen Kometenschweif versetzt, zunächst überhaupt wegen
kompletten Luftmangels für seine Lunge _ersticken_.

Dabei sieht man aber in den dickeren Kometenschweifen ganz bestimmt
durch eine Lichtwolke von vielen tausenden (bis zwanzigtausend) Meilen
Tiefe. Zwanzigtausend Meilen tief ein dauerndes Lichtglimmen, durch
das für uns der Anblick der Schweifdicke entsteht: und doch auf dieser
ganzen Strecke kein Stoff, der auch nur dem Tausendstel unserer Erdluft
entspräche! Man ahnt, um was für homöopathische Verdünnungen der
Stoffe es sich hier handeln muß, einerlei, ob das nun gefährliche oder
ungefährliche Stoffe für unsere Lebensprozesse sein sollen.

Schon der französische Akademiker Babinet hat also auch das Wort
geprägt vom »sichtbaren Nichts«, als das solcher Kometenschweif sich
allen gröberen chemischen Sondierungen gegenüberstellen müsse.

Olbers dachte sich die einzelnen Schweifteilchen so weit und einzeln
zerstreut im allgemeinen Äther der Planetenräume herumschwirrend, wie
auf unserer Erde unendlich feine Wasserteilchen in gewissen von fern
glänzenden Nebeln weit getrennt schweben, Nebeln, die doch in Hinsicht
der Strahlenbrechung des Lichts und anderer Wirkungen sich nicht im
mindesten anders verhalten als pure Luft. Als eine Art Äthernebel ginge
der Kometenschwanz vor uns dahin, nur von weitem wie ein neckendes
Phantom dem Auge sichtbar, beim Versuch des Ergreifens aber (und wäre
die greifende Hand auch nur der Lichtstrahl) völlig unfaßbar gleich den
Gespenstern des Märchens.

Hier aber muß sich jetzt noch ein Gedanke einmischen, der von einer
dritten Seite in die gleiche Richtung lenkt.

Was treibt denn überhaupt die Schweifmaterie von der Sonne fort?

Was bewirkt eben das, was uns heute mit dem Halleyschen Kometen in
Berührung bringen soll, wenn sein Kopf zwischen uns und der Sonne steht?

Der Kometenkopf, mag er selber auch ein noch so leichtes
Meteoritenwölkchen sein, dessen Stoff auch bereits in sehr weiter
Zerstreuung schwebt, folgt als Ganzes doch unabänderlich noch dem
allwaltenden Gesetz der Schwere, der Riesin Gravitation. Jedes
beliebige meteorische Einzelstäubchen, das als Sternschnuppe bei uns
verpufft, tut das ja noch, warum nicht er? Wäre es nicht der Fall, so
hätte die Sonne ja nie über ihn Macht gewinnen, seine Bahn zu sich
heranbeugen, ja ihn unter Umständen (wie bei dem Halleyschen Gebilde)
in die Verträge ihrer festen Vasallen mit hinein schmieden können. Als
absoluter Gravitationssklave stürzt solch ein gefangener Kern wie der
Halleysche allemal wieder in seinem 76. Jahr an uns vorbei zur Sonne
hin und in wirbelnder Jagd ganz nahe um sie herum.

Aber gleichzeitig macht sich mit dieser seiner Sonnenannäherung auch
etwas von hier aus schlechterdings Rätselhaftes geltend, nämlich eben
das Abströmen des Schweifes vom Kern direkt von der Sonne fort.

Die Schweifmaterie _widersteht_ der Gravitation!

Auf sie wirkt die Sonne nicht ziehend, wie auf den Kern, sondern
umgekehrt abstoßend.

Treibt den Kern die Gravitation wie ein unhemmbarer Sturm so nah
wie seine Eigenbewegung nur irgend zuläßt an die Sonne heran, so
wirkt diese gleiche Sonne auf den Schweif wie ein Gegenwind, der ihn
senkrecht fortwirbelt!

Schon eine ganze Weile, ehe der Kometenkopf seine größte
Sonnenannäherung erreicht hat, macht sich dieser Gegenwind, wie bereits
erzählt ist, geltend, der Schweif beginnt von ihm abzuwehen, wie Korn
aus einem undichten Sack, der als Ganzes senkrecht nach der Schwere
fällt, dessen ausfliegende Frucht aber zugleich ein Konträrwind lang
hinter ihm fortwirbelt.

Dieses Abströmen ist auch mit der Hitze, die in Sonnennähe auf die
Meteoritenwolke des Kerns wirkt, nicht erklärt. Mag diese Hitze
Kohlenwasserstoffe aus den einzelnen Meteorteilchen vorlocken, mag
sie auch allmählich einen Teil ihres Salzinhalts verflüchtigen und
in gelben Flammen verbrennen, mag sie endlich gar Eisenteile dort so
verdampfen, daß wir es dicht an der Verdampfungsstelle spektroskopisch
wahrnehmen können, obwohl der Kern in solchem höchsten Moment selber
stets weit, weit von uns entfernt ist und Sonnennähen erlebt, die
wir niemals mitmachen können: das alles kann bei ihm jedenfalls
nur aufsteigende Wolken auf seiner Sonnenseite erzeugen, wie wir
sie ja auch tatsächlich dann sehen. Daß aber schon ganz früh eine
gewisse Kernmaterie sich sonnenabgekehrt einem phosphoreszierenden
Schatten gleich von diesem Kern hinterwärts über Millionen von Meilen
auszugießen beginnt; daß selbst jene Hitzewolken immerfort eine
Tendenz zeigen, fontänenhaft rückwärts mit gewissen ihrer Teile auch
in diesen Ausguß wieder abzufließen: das erklärt an sich die Hitze so
wenig wie die Gravitation. Auf diese »gewissen Teile«, diese »gewisse
Kernmaterie« muß noch ein aparter Bann für sich wirken.

Ein Bann, der der Gravitation entkommt: es liegt wahrlich schon
für die allgemeinste theoretische Erwägung nahe, auch hier nur an
_allerfeinste_ Teilchen zu denken, Teilchen, für die das Bild auch
nur eines meteorischen Staubkorns, das einzeln an unserer Atmosphäre
bei der Berührung als helle Sternschnuppe aufglänzen könnte,
_außerordentlich viel zu derb_ wird.

Eine erste Theorie hat auch hier an elektrische Wirkungen gedacht.

Bessel, als er 1835 eben bei dem vorletzten Erscheinen des Halleyschen
Kometen das Wunder der Wolkenbildung und Schweifablenkung dort zum
erstenmal genau studierte, war schon darauf gekommen. Er sowohl wie
sein Freund Olbers und ihr gemeinsamer großer mathematischer Berater
Gauß sahen klärlich ein, daß es sich um eine Abstoßungskraft zwischen
gewissen feinsten Kometenteilchen und der Sonne handeln müsse, und man
hatte für solche Abstoßung zunächst nur eine einzige Naturwirkung zur
Verfügung, nämlich die bekannten Abstoßungserscheinungen gleichartiger
Elektrizitäten.

Wenn der Komet der Schauplatz eigener intensiver elektrischer Prozesse
war; wenn in der Sonnennähe außer der wachsenden Sonnengravitation auch
die eigenen elektrischen Wirkungen der Sonne sich immer mehr merkbar
machten; wenn die Kometenelektrizität und die Sonnenelektrizität
gleichartig waren und somit dem Gesetz unterlagen, daß gleichartige
Elektrizitäten sich abstoßen: so erhielt man zunächst als Basis
überhaupt eine abstoßende Macht. Nahm man nun Kometenteilchen von einer
Feinheit der Stoffzerstreuung an, daß diese elektrische Abstoßung die
Gravitation in ihnen überbieten mußte, so ließ sich eine abstoßende
Fortbewegung im Gegensatz zur Schwererichtung konstruieren, die diese
Teilchen als »Schweif« senkrecht von der Sonne aus dem Kern und seinen
Wolken in die Planetenräume hinausjagte.

Zöllner hat ähnliche Gedanken später zu einer großen Theorie ausgebaut.
Heute kann man sie in der veränderten Symbolsprache moderner
Elektrizitätsanschauungen ausdrücken, ohne daß doch das Grundbild,
scheint es, dabei ein wesentlich anderes würde. Gewisse leise
Schwierigkeiten sind stets in der Art geblieben, wie man sich die volle
Übermacht der elektrischen Abstoßung über die Gravitation denken sollte.

Inzwischen ist in neuester Zeit aber noch eine andere sinnreiche
Erklärung aufgetaucht, wie man sich bei Annahme ungemein winziger und
zerstreuter Teilchen eine solche Abstoßung auch in größter Sonnennähe
vorstellen könnte.

Die Schweifmaterie, sagte ich, erscheint so fein und so weitmaschig
verpulvert, daß sie durchströmendes Sternenlicht für uns nicht
ablenken kann. Aber es fragt sich, ob sie selber gerade in solchem
Zustande nicht durch das Licht, das Sonnenlicht in ihrer Sonnennähe,
dahingetrieben werden müßte.

Ein ganz alter Kometengedanke kommt hier noch einmal zu Ehren, den fast
drei Jahrhunderte Physik verschüttet hatten. Der Satz, den Seneca schon
schreibt: »Die Kometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen«, hatte
dem großen Kepler zu denken gegeben. Konnten es nicht die Lichtstrahlen
der Sonne selber sein, die den Schweif vor sich herjagten?

Nach der Physik jener Zeit war das »Licht« etwas Körperliches in dem
Sinne, daß von der Lichtquelle aus dabei beständig wirkliche winzige
Körperchen in den Raum hinausgeschleudert wurden. Jede Kerzenflamme
bombardierte uns so mit ihren Lichtkörperchen. Die große Sonne aber
entsandte fortgesetzt einen wahren Hagel dieser Art um sich her. Wo
diese Körperchen auf einen Widerstand, auf andere, entgegenstehende
Körper stießen, da mußten sie prallend einen Stoß, einen Druck ausüben.

Nun, sie waren winzig. Bei irgendwie größeren Dingen im Raum konnte
dieses liliputanische Lichthändchen nicht viel wollen. Wenn ich meine
Hand einer Kerzenflamme näherte, so fühlte ich den Lichtgegendruck gar
nicht, geschweige denn, daß er meine Hand beiseite drücken könnte.
Aber wenn man sich entsprechend winzige Einzelkörperchen, etwa ganz,
ganz feinen Staub, dachte, auf die einzeln grade so ein Lichtteilchen
anprallen konnte, so war doch recht gut denkbar, daß diesmal das
Stäubchen vor dem Stäubchen wirklich etwas rückwärts wich.

Nun hielt Kepler zwar den Kometen schon für ein kosmisches Gebilde,
aber doch für eine recht lose Wolke. Und wenn nun von dieser Wolke ein
Teil im Schweif wirklich gerade vor den Sonnenlichtstrahlen zu fliehen
begann: warum sollte es sich da nicht um allerfeinste Teilchen dieser
Kometenwolke handeln, die wirklich und wahrhaftig von dem feinen Hagel
der Lichtkörperchen dieser Sonne in die Flucht geschlagen wurden?
Klein, sehr klein müßten die Kometenteilchen ja dann wohl sein; aber
sonst ging die Sache unverkennbar nett, vorausgesetzt, die Lichttheorie
mit ihren Körperchen war richtig.

Allerdings war die Gravitationslehre damals noch nicht wissenschaftlich
scharf entwickelt, man übersah die Macht selbst noch nicht genügend,
der diese Wirkung die Stange halten sollte. Das sollte erst Newton
nachholen. Newton selbst aber war wieder der Keplerschen Idee nicht
hold, obwohl er an der Lichttheorie in dieser Form noch festhielt.

Wenig später fiel aber dann auch diese ganze Lichttheorie dahin: man
faßte das Licht jetzt überhaupt nicht mehr als ein Aussprudeln eigener
Lichtkörperchen, sondern entschied sich für eine Wellenbewegung im
Äther. Und damit schien der alte Gedanke völlig antiquiert. Ein solches
Wellenschaukeln konnte wohl nichts von der Stelle rücken, auch das
kleinste Stäubchen nicht.

Euler war der einzige, der im 18. Jahrhundert warnte. _Irgend_einen
Druck, meinte er, müßten doch auch solche Lichtwellen ausüben. Es
sollte aber noch weit über hundert Jahre dauern, bis einer auch nur
darauf wieder zurückkam.

Maxwell tat es tief im 19. Jahrhundert, bei Gelegenheit seiner Revision
der ganzen Wellenlehre. Auch ihm schien die Annahme eines solchen
»Strahlungsdrucks« wieder unvermeidlich, doch hielt er ihn noch für
unmeßbar winzig, so daß auch jetzt die alten Fragen noch nicht wieder
eigentlich akut wurden.

Wider Erwarten ließ sich die Messung indessen nachher bewerkstelligen.
Für entgegenstehende Stäubchen oder Tröpfchen von gewisser Größe konnte
der Strahlungsdruck (der des Lichtes, wie der jeder andern Strahlung)
wirklich nicht belanglos sein.

Der bekannte schwedische Physiker Svante Arrhenius legte sich in diesem
Punkte dann endlich auf genaues Rechnen.

Er kam zu dem Resultat, daß ein solches Stoffteilchen in der Nähe
der Sonne bei dem Gewicht etwa von Wasser einen Durchmesser von rund
dem Sechshundertstel eines Millimeters haben müsse, um vom reinen
Strahlungsdruck so in seinem Fall nach der Schwere (also auf die Sonne
los) gehemmt zu werden, daß es frei und einsam schwebend still stand.
Das kleine Händchen der Strahlung hielt in dem Falle der Riesenfaust
der Gravitation, die sonst alles zur Sonne riß, mitten im offenen Raum
die Wage!

Ging man von da ab dann bei solchem Gegenstäubchen noch im Durchmesser
herunter, so begann der Strahlungsdruck allen Ernstes das Stäubchen der
Gravitation zum Trotz von der Sonne fortzutreiben.

Bei dem Sechstausendstel eines Millimeters war dieser Gegendruck unter
Umständen schon zehnmal so stark wie die Gravitation. Unaufhaltsam
wurde das winzige Stäubchen in die Planetenräume hineingetrieben.

Arrhenius hat sehr hübsch ausgemalt, wie das weitere Schicksal eines
solchen Schiffleins, das der Lichtdruck dahinbewegt, bei ungestörten
Verhältnissen verlaufen müßte.

Das Licht fließt und fließt und drängelt sein Schifflein unaufhaltsam
weiter. Wenn ein solches Stäubchen die Erdbahn passierte, so würde es
durch den Lichtdruck der Sonne noch immer so bewegt werden, daß es
schon nach 20 Tagen den Zwischenraum, der die Erdbahn von der Bahn
des Mars trennt, durchschwommen hätte. Nach 80 Tagen überschritte
es die Jupiterbahn, nach 14 Monaten die des Neptun. Wenn fremder
Strahlungsdruck es nicht in Windstillen und Gegenwind seiner Richtkraft
brächte, müßte es nach 9000 Jahren das nächste Fixsternsystem bei
jenem Doppelstern Alpha im Sternbilde des Zentauren erreichen.

Der Gedanke hat an sich seine Größe. Er lehrt, wie Materie in
stäubchenhaft winzigster Zerstreuung beständig von unserer Sonne zu
allen ihren Planeten, ja in ferne Fixsternsysteme getrieben werden
könnte.

Wenn ein Planet wie unsere Erde feinsten Staub irgendeiner Art
gelegentlich selber aus seiner Atmosphäre verlöre, so müßte auch er an
solchen Weltfahrten teilnehmen, einfach, weil das Sonnenlicht auf ihn
scheint.

Mancherlei Perspektiven könnten hier auftauchen, die trotz der
grenzenlosen Raumesöden, die Sonne und Planeten, Sonnen und andere
Sonnen trennen, ein beständiges geheimes Hin- und Herfluten kleinster
Stoffteilchen denkbar machen.

Immer freilich gilt die Transportmöglichkeit nur von _sehr_ kleinen
Stäubchen. Durch Verminderung des Gewichts (z. B. für allerzarteste
Rußflöckchen) könnte man sie noch beweglicher machen. Aber der minimale
Durchmesser müßte bleiben. An Körperchen vom Durchmesser eines solchen
Sechstausendstels eines Millimeters wären 470 Billionen nötig, um auch
nur ein Kubikzentimeter Wasser zu bilden. Immerhin wäre man noch nicht
auf der Grenze der Moleküle. So weit dürfte man aber auch gar nicht
gehen. Denn ein Molekül ist _so_ winzig, daß das Händchen des Lichtes
(bildlich gesprochen) es gar nicht mehr umfassen kann. Dort versagt
also der Strahlungsdruck von neuem: reine Moleküle fallen nach der
Gravitation genau so wie schwerere Staubteilchen.

Von hier ist nun bloß ein einfacher Schritt (und Arrhenius hat ihn
sofort selbst getan), um auf die alte Grundidee Keplers vor den
Kometenschweifen zurückzukommen.

Die meteorische Kernwolke des Kometen folgt der Gravitation, stürzt
also gegen die Sonne. Eine gewisse Auslese ihrer losen Stoffteilchen
aber, die gerade jener kritischen Größe entspricht, wird, je näher das
Ganze der Sonne kommt, immer energischer vom Strahlungsdruck dieser
Sonne erfaßt und als Schweif umgekehrt aus der Hauptmasse fortgetrieben
werden müssen.

Arrhenius denkt in der größeren Kernnähe und bei den kürzeren Schweifen
besonders an vereinzelt schwebende Kohlenwasserstofftröpfchen der
angesetzten Größe. Bei ihrer Kondensierung sollen elektrische
Prozesse, die als solche wieder die Sonne in der Kometenwolke erzeugt,
mitwirken, also die gleichen Vorgänge, in deren Gefolge dann auch die
abwirbelnde Schweifmaterie noch auf weite, weite Strecken hin wie
phosphoreszierend aufglimmt. Für die ganz langen, schier endlosen
Schweife dagegen nimmt er nur noch feinste Rußteilchen als eigentliches
Objekt des Strahlungsdruckes an, die durch Verkohlung solcher
Kohlenwasserstofftröpfchen entstanden sind und bei einem überaus
geringen Gewicht mit einer Abstoßungskraft dahinbewegt werden können,
die die Schwerewirkung der Sonne um das Vierzigfache übertrifft.

Vor Jahren schon und ohne jede Rücksicht auf die Idee des
Strahlungsdrucks hatte nämlich der Astronom Bredichin aus den
verschiedenen Schweiflängen der einzelnen Kometen verschiedene Grade
der dabei wirkenden Abstoßungskraft zu errechnen gesucht und war dabei
für die längsten, am geradlinigsten von der Sonne abgekehrten Schweife
auf weit höhere Ziffern als für die kurzen, dicken und sozusagen nur
widerwillig gekrümmten gekommen. Ganz folgerichtig riet auch er dabei
schon auf verschiedene Substanzen in diesen Abstoßungsklassen, und
wenn (wie es wiederholt beobachtet worden ist) ein und derselbe Komet
(z. B. der herrliche Donatische von 1858) mehrere ungleich lange und
ungleich gerade Schwänze in der Sonnennähe von sich abwirbeln ließ, so
schloß er, daß hier verschiedene disponible Kernmaterien sich je nach
ihrer verschiedenen Schwere bald mehr, bald weniger dem Abstoßungsdruck
entsprechend angeordnet hätten. Das fügte sich jetzt sehr hübsch in
Arrhenius' Erklärung ein.

Für unsern praktischen Fall mit dem Halleyschen Kometenschwanz im Mai
aber würde es gerade das Entscheidende werden; geht doch hier nicht ein
kurzer Kernschweif, sondern gerade recht das fernste Ende eines langen
Millionenmeilenschwanzes über uns fort; im Sinne von Arrhenius bekämen
wir also wohl nur noch solche allerfeinsten Rußpartikelchen wie vom
Schlotqualm eines endlos fern an uns vorbeifahrenden Dampfschiffs ab.

Wie Arrhenius sich die Sache denkt, kann man sich direkt im Experiment
vormachen.

In einer nach unsern Kräften luftleer gepumpten Sanduhr (einem alten
Stundenglase) läßt man etwas Schmirgelpulver, vermischt mit in Rotglut
vorher verkohlten Sporen eines Bovistpilzes von oben nach unten
durchlaufen. Gegen den niederrieselnden feinen Staubstrahl richtet
man jetzt von der Seite her das durch eine Linse konzentrierte Licht
einer elektrischen Bogenlampe. Das schwerere Schmirgelpulver fällt
einfach der Gravitation nach abwärts, ohne sich um den Lichtdruck
zu kümmern. Die absinkenden Kohlestäubchen dagegen werden eben von
diesem Lichtdruck abgelenkt und in langem Schweif zur Seite getrieben.
Im engen Bilde erscheint, was der Komet als _ungeheures kosmisches
Experiment_ in seinem luftleeren Weltraum uns nach Arrhenius auch
nur vormacht! Dem Schmirgel gleich fällt die meteorische Staubmasse
des Kernes nach dem Gravitationsgesetz zur Sonne. Die feinen
Rußpartikelchen fliehen dagegen unter dem Lichtdruck dieser Sonne als
Millionen Meilen langer Schweif dahin.

Auf jeden Fall führen die verschiedensten Wege, wie man sich die
Abstoßung denken mag, alle unerläßlich auf eine Schweifmaterie von ganz
außerordentlicher Winzigkeit und Zerstreuung des Inhalts.

Keine leiseste Theorie existiert, die solche Abstoßung, sei sie nun
elektrischer Natur oder Strahlungsdruck, auch nur noch auf solchen
feinen Meteorstaub, wie er in unsern Sternschnuppen verpufft, anwendbar
dächte. Es muß sich um eine noch viel, viel minutiösere Stoffauslese
handeln.

Kein Gedanke, daß sich etwa ein einheitlicher dicker Giftqualm
einschmuggeln könnte, der unsere ungeheure, rasend schnell
vorbeibewegte und in ihren tieferen, dichteren Schichten, in denen wir
atmen, wie eine Art hygienischen Watteschutzes um die Erde gewundene
Atmosphäre völlig durchsetzen könnte.

Keine entfernteste Möglichkeit heißer Dampfstrahlen etwa aus
glühendem Wasserstoff oder Eisendämpfen, die der Komet nach Art
der Sonnenprotuberanzen zu uns herüberschleudern könnte. Der
ungeheure Sonnenball selbst hat wahrlich andere Explosivmittel und
Stoffmaterialien als solches Kometenwölkchen zur Verfügung, er wirft
unter Umständen wirklich glühende (wenn auch stofflich sehr dünne)
Wasserstoffgarben in die Höhe, die siebzigtausend Meilen ansteigen
können; keine dieser Sonnenprotuberanzen könnte aber auch nur die Bahn
des innersten Planeten, des Merkur, bedrohen, der immer noch rund
sieben Millionen Meilen über der höchsten Protuberanz dahinzieht.
Um aus einem Kometenschweif eine glühende Wasserstoffprotuberanz zu
machen, müßte man den zur Sonne so schwachen Kometenkern aber Garben
werfen lassen bis zu zwanzig Millionen Meilen. Das Unsinnige liegt
schon so zutage, abgesehen von all den andern Gegengründen.

Das elektrische Glühen der unendlich feinen Schweifmaterie wird man
sich auch nur als einen beständigen schwachen Ausgleich zwischen den
winzigen Einzelteilchen denken müssen im Sinne des Aufleuchtens der
außerordentlich verdünnten Materie in unsern Geißlerschen Röhren.

Es ist ja erstaunlich, in was für Stadien der Verdünnung sich kosmische
Körper offenbar befinden können, ohne doch die Fähigkeit des Leuchtens
und die Wirksamkeit für unsere Spektralapparate zu verlieren.

Jeder hat von den echten Nebelflecken gehört, ungeheuren Gebilden,
in denen leuchtende Gasmassen sich über unfaßbar riesige Gebiete
des Raumes ausdehnen. Diese Nebelflecken geben trotz ihrer enormen
Entfernung so viel Licht, daß wir sie photographieren können; einzelne,
wie der Orionnebel, erscheinen schon in kleinen Fernrohren als
imposantes Objekt. Im Spektroskop erkennt man sehr gut auch noch die
hellen Linien der Gassubstanzen, die da glühen, und man darf daraus
mit Sicherheit auf Wasserstoff, Stickstoff und Helium schließen.

Die ältere Annahme hielt nun auch solchen Nebelfleck für ein echtes
höllenhaftes Glutmeer, in dem unsere Erde augenblicklich verpuffen
würde wie eine Sternschnuppe. Neuere Astronomen denken dagegen genau
umgekehrt an Gase, die leuchten, weil sie so außerordentlich _verdünnt_
sind und bei sehr _niedrigen_ Temperaturen im kalten Raume schweben.
Auch hier mag man irgendein elektrisches Glühen vermuten, für das Gase
gerade in diesem Zustande besonders geeignet erscheinen. Über die
wirklich kolossale Verdünnung kann aber bei den Raumverhältnissen in
diesem Falle kein Zweifel sein.

Arrhenius berechnet in einem Nebelfleck, dessen Gas den vielfachen Raum
der Neptunbahn einnähme, die Dichte des Gases nur auf ein Billionstel
der Dichte unserer Luft. Und doch erscheint der Nebel, in fernen
Fixsternräumen schwebend, noch als Lichtgebilde für uns und gibt
Stofflinien im Spektralapparat ganz wie ein Komet, der relativ dicht
neben uns um unsere Sonne geht!

Dem Laien pflegt durch die allgemein verbreitete Kant-Laplacesche
Bildungstheorie die Vorstellung ganz besonders geläufig zu sein, daß
unser eigenes Sonnensystem mit all seinen Planeten und Monden einst
auch eine einheitliche gashafte Nebelmasse dieser Art gebildet habe,
wobei die jetzt zur Sonne und ihren Planeten und Monden geballte
Materie sich bis über die Neptunsbahn einheitlich lose ausgedehnt
hätte. Scheiner hat gerade das aber gelegentlich auch einmal exakt
durchgerechnet, und er hat als Resultat bekommen, daß unsere Atemluft
an der Erdoberfläche 240000 Millionen mal so dicht sei, als diese
anfängliche Nebelmaterie höchstens gewesen sein könne. Das sogenannte
Vakuum unter unsern Luftpumpen, das wir gern stolz als »leeren Raum«
bezeichnen, stellt im guten Falle erst ein Hunderttausendstel unserer
Luftdichte dar. Man bekommt hier einen Begriff, was wirklich leerer
Raum hieße.

Bei jenem 240000 Millionstel unserer Luft stehen wir tatsächlich noch
bei realen Körpern, die selbständig leuchten und ein Lichtspektrum
geben, das ihre Elemente verrät! Erst weit jenseits dieser Werte würde
aber die Welt des Lichtäthers selbst beginnen, auf deren Wellendruck
Arrhenius seine Kometenteilchen in den Schweifen dahinsegeln läßt.

Man muß diese Vergleichsbilder kennen, wenn auf der einen Seite ein
Forscher sagt, ein Kometenschweif erscheine ihm wie ein »leuchtendes
Nichts« ... und auf der anderen Weltuntergangsängste umlaufen, die
unter dem gleichen Gebilde sich ein Ding etwa wie eine weißglühende
Stange vorstellen, die mit zerschmetternder Vehemenz gegen unsere Erde
schlagen wird ...

       *       *       *       *       *

Resümieren wir also noch einmal unser Los in der kritischen Nacht vom
18. zum 19. Mai.

Nach der vorläufig besten und neuesten Berechnung liegt die eigentlich
bedeutsame Nachtstunde für uns in Deutschland _genau zwischen morgens
3 Uhr 22 Minuten und 4 Uhr 22 Minuten_. Sie gehört also nach unserer
bürgerlichen Datierung bereits dem 19. Mai an, während der Astronom
sie nach seiner Berechnungsart noch zum 18. Mai zählt. Über eventuelle
Verschiebungen des engeren Termins werden im letzten Momente ja noch
alle Zeitungen wie bei einer wichtigen Theaterpremiere berichten.

In dieser Stunde also geht der Komet genau zwischen der Sonne und
unserer Erde durch. In Australien, in der Südsee und in Ostasien
wird man direkt beobachten können, wie der Kometenkopf scheinbar in
die Sonnenscheibe eintritt, um sie erst nach einer ganzen Stunde des
Vorbeipassierens wieder zu verlassen.

Während dieser Stunde aber wird die Erde selbst durch den
Kometenschweif gehen, und wenn dieser Schweif angetan wäre, wirklich
unsere Atmosphäre mit irgend etwas Schrecklichem zu versetzen, so
würde sich dieses Schreckliche dann alsbald unaufhaltsam durch unsern
gesamten Luftkreis verbreiten müssen.

Was ist nun in Wahrheit zu erwarten?

Da uns nicht ein Kometenkopf berührt, sondern nur der Ausläufer
eines Kometenschweifs, ist es nicht wahrscheinlich, daß wir
direkt noch meteorischen Staub von der Stärke in unseren obersten
Atmosphäreschichten erhalten, daß ein Sternschnuppenregen auftritt;
schade, denn dieses Schauspiel wäre ebenso ungefährlich wie schön, und
es lohnte, daß man eine Nacht darum aufbliebe.

Ausgeschlossen sind nach aller bestehenden Theorie sowohl
katastrophenhafte Stoßerscheinungen, wie Gefahren durch explosible oder
giftige Stoffe.

Denkbar wäre dagegen zu dem kritischen Termin eine bestimmte Sorte
irdischer Feinwirkung, die wir diesmal zum erstenmal genau feststellen
könnten, weil wir zum erstenmal die nötigen Apparate dafür zur
Verfügung haben. Auch ihr geht jeder katastrophenhafte, uns und
unsere Technik gefährdende Charakter ab, dagegen handelt es sich um
die Möglichkeit von sowohl wissenschaftlich wie technisch wertvollen
Feststellungen.

Es wäre nämlich immerhin möglich, daß der Kometenschweif gewisse feine
_elektromagnetische Störungen_ auf unserer Erde hervorriefe.

Bekanntlich gibt es auf unserm Planeten höchst eigentümliche zeitweise
Störungen und Stürme innerhalb der geheimnisvollen Kraftbetätigungen,
die wir elektromagnetische nennen und deren Wirksamkeit wir erst in
neuerer Zeit genauer zu erforschen und zu verwerten begonnen haben.
Unsere Magnetnadeln geraten dabei in mehr oder minder lebhafte
Unruhe. In stärkeren Fällen durchsausen gewaltige elektrische
Erdströme die Oberflächenschicht des Planeten und bringen alle unsere
Telegraphenleitungen für eine kurze Weile in heillose Unordnung, ja
außer jeglicher brauchbaren Funktion. Zugleich wird bis in Gegenden,
wo man an dergleichen nicht gewöhnt ist, eine völlig ungefährliche,
aber sehr auffällige Lichterscheinung unserer Atmosphäre merkbar,
die sich sonst auf eine gewisse Nähe der magnetischen Pole unserer
Erde beschränkt: nämlich das sogenannte Polarlicht oder (für unsere
Nordhalbkugel) Nordlicht.

Obwohl diese oft plötzlichen und für unsere modernen Verkehrsapparate
mindestens momentan lästigen elektromagnetischen »Unwetter« zunächst
durchaus irdische Phänomene sind (auch mit Einschluß des Nordlichts),
so hat man doch allmählich gelernt, daß bei ihnen irgendein weiterer
kosmischer Zusammenhang zweifellos auch noch besteht.

Sie fallen nämlich durchweg zeitlich genau zusammen mit bestimmten
Erscheinungen auf der Sonne.

Die Sonne zeigt an ihrer Oberfläche gelegentlich gewisse Anzeichen,
die auf eine lebhaftere eruptive Tätigkeit schließen lassen. Als
sichtbarlichstes Gebilde gehören (in irgendeinem Zusammenhang, der an
sich noch nicht völlig geklärt ist) hierher die Sonnenflecken. Diese
Sonnenflecken treten in bestimmten Perioden stärker und dann wieder
schwächer auf; bald ist die Sonnenscheibe von ihnen fast bedrohlich
besetzt, bald wieder scheinen sie so gut wie ganz zu verschwinden.

Mit großer Sicherheit hat man nun eine elfjährige Periode dieser Art
feststellen können, in der einmal eine Steigerung bis zu einem Maximum
eintritt, dann aber wieder ein ebenso konsequentes Sinken folgt.

Ganz genau die gleiche elfjährige Periode beobachtet man aber auch
in einem bestimmten Schwanken unserer Magnetnadeln. Hier _muß_ ein
Zusammenhang bestehen.

Bei bestimmter Häufung und Größe einzelner Sonnenflecken wird dann auch
eine unmittelbare Wirkung deutlich. Mit dem Auftreten des Fleckenfeldes
auf der Sonne, ja noch enger genau mit dem Moment, da es sich innerhalb
der Sonnenrotation gerade unserer Erde senkrecht gegenüberstellt,
pflegt bei uns ein erhöhtes elektromagnetisches Gewitter (mit wilden
Magnetnadel-Ausschlägen, abnormen elektrischen Erdströmen und starken
Nordlichtern) einzutreten.

Die Sonne ist von uns rund 20 Millionen Meilen entfernt. Trotzdem ist
es, als greife von ihr in solchem Moment etwas Unsichtbares wie ein
Scheinwerferstrahl bis zu uns herüber und störe unsere Apparate.

Man hat wirklich an solche Wurfstrahlen gedacht. Bei den
Sonnenfinsternissen sieht man einen sonst unsichtbaren Kranz ungeheurer
Stoffstrahlen, die leuchtend weithin von der Sonne auszufließen
scheinen, die sogenannte Korona. Es könnte sein, daß bei großen
Eruptionen dort solche Strahlen stärker aufschießen und bei bestimmter
Einstellung bis zu uns kommen. Unendlich feine Materie jedenfalls,
haben sie nichts zu tun mit jenen erwähnten wirklichen glühenden
Wasserstoff-Protuberanzen der Sonne, die nie entfernt so weit
reichen könnten. Ihre einzige Wirkung, die sie bei uns tun können,
ist offenbar nur eben jene ganz feine elektromagnetische, die sich
in Magnetnadelschwankungen, Nordlichtern und (nur in unsern feinen
Apparaten merkbaren) Erdströmen andeutet. Arrhenius denkt auch hier
an feinste Stoffteilchen jener kritischen Größe, die, durch engere
Sonneneruptionen zunächst hochgeschleudert und verstreut, dann zum Teil
vom Strahlungsdruck bis in die Planetenräume hinausgetrieben und so
auch bis zu uns gebracht würden. Die elektrische Ladung dieser Teilchen
würde dann die Erdphänomene erklären.

Wie man sich das nun im einzelnen ausmalen mag: jedenfalls gibt diese
Kette offensichtlicher elektromagnetischer Zusammenhänge zwischen Sonne
und Erde und ihre Wirkung bei uns einen _vagen_ Anhalt, was auch ein
Kometenschweif als irgendwie elektrisch tätiger »Scheinwerfer« bei uns
erzeugen _könnte_.

Nehmen wir an, auch er enthält elektrisch erregte Teilchen, so wäre
es immerhin denkbar, daß auch sie bei ihrer Mischung mit unserer
Erdatmosphäre, wenn denn sonst bei ihrer Winzigkeit absolut nichts, so
doch einen gewissen »elektromagnetischen Sturm« erregten, also unsere
Magnetnadeln ausschlagen ließen, unsern elektrischen Betrieb momentan
durch unkontrollierbare Erdströme störten und (als sinnfälligsten
Effekt) vielleicht bis in unsere dichtesten Kulturbreiten hinein
brillante bunte Nordlichter aufflammen ließen.

Wenn ein besonders großer Sonnenfleck das kann, indem er uns
vielleicht über zwanzig Millionen Meilen fort einen besonders langen
elektromagnetisch geladenen, aber sonst für uns ganz unsichtbaren
Koronastreifen zuschickt, bei dessen Berührung hier unten alles dieser
Kraft speziell Untertane zittert, wie toll verkehrt klingelt und
endlich den Himmel mit zuckenden magnetischen Strahlen rötet: warum
soll _das_ nicht der Komet auch vielleicht vollbringen? Vielleicht!
Bewiesen ist es natürlich nicht.

Möglich ist ja, daß solcher Komet in seiner Sonnennähe wie eine Art
Konzentrierer und Kondensator der ausfließenden Sonnenkraft selber
wirkt. Nach Arrhenius würde er massenhaft in nächster Sonnennähe
elektrisch geladenen Koronastaub der Sonne direkt an sich ziehen und
nachher im Strahlungsdruck konzentriert wieder auspulvern gegen die
Planeten hin: hier wirkte er also tatsächlich wie eine Art Scheinwerfer
für Sonnenenergie.

Es ist auch bereits behauptet worden, daß die Kometenschweife sich
stärker entwickelten in Jahren der Sonnenflecken-Maxima, sei es, daß
sie dann mehr direkten Eruptionsstaub der Sonne zu ihrem Eigenmaterial
noch hinzuerhielten, sei es, daß die dann ohnehin stärker ausströmende
elektrische Wirkung sie bloß auf stärkere Strecken hin zum elektrischen
Leuchten brächte und so den Schweif größer erscheinen ließe.

Ein Grund aber, sich diese problematische elektromagnetische Wirkung
abnorm groß vorzustellen, liegt jedenfalls wieder nicht in dem ganzen
Sachverhalt.

Wenn es im höchsten Grade wahrscheinlich, ja so gut wie gewiß ist, daß
wir früher schon so und so oft durch Kometenschweife hindurchgegangen
sind (_jeder_ Komet, der für uns _vor_ der Sonne herging und einen
_langen_ Schweif hatte, kommt ja historisch dafür in Betracht),
so haben wir damals eben überhaupt nie etwas gemerkt (es sei denn
Nordlichter, die man früher aber nirgendwo einzuregistrieren wußte und
deshalb durchweg überhaupt nicht registrierte), einfach, weil unsere
Technik noch nicht mit elektromagnetischen Feinapparaten arbeitete.
Wie jung diese Arbeit ist, lehrt klärlich wohl die kleine Reminiszenz,
daß bei der vorigen Wiederkehr des Halley-Kometen, 1835, eben zwei
Jahre verflossen waren, seit zum erstenmal und zunächst rein als
Privatexperiment zwei Göttinger Gelehrte, Gauß und Weber, zwischen
der Sternwarte und dem physikalischen Kabinett ihres Göttingen eine
elektrische Telegraphenverbindung primitivsten Stils hergestellt hatten.

Wichtig ist aber auf _jeden_ Fall, daß auf diese Symptome, und seien
sie noch so geringfügig, _geachtet_ werde. Nicht als Angstobjekt,
sondern als willkommenes kosmisches Experiment sollen wir diese
Kometennacht verstehen und werten.

Von der schönen Treptower Volkssternwarte, die gewiß zu den edelsten
Errungenschaften kulturell ersprießlicher Wissenschaft gehört, die wir
in den 76 Jahren seit dem letzten Halley-Termin gewonnen haben, wird
dabei besonders aufgefordert, es möchten doch in der Nacht vom 18. zum
19. Mai und tunlichst schon etwas vorher auf der Erde alle Versuche mit
den Apparaten der elektrischen Wellentelegraphie unterbleiben, damit
sich eventuelle elektrische Wirkungen des Kometen als solche von den
fein gestimmten Empfangsapparaten ablesen ließen.

Und so gibt es noch mehrere andere Punkte, auf die auch gerade von dort
her besonders aufmerksam gemacht worden ist als auf Dinge, die sorgsam
zu beachten wären.

Ob eine abnorme Aufhellung des Himmels einträte.

Ob sich besondere bunte Dämmerungserscheinungen hinterher geltend
machten, die auf das Eindringen allerfeinster Staubteilchen in unsere
oberen Luftschichten deuten könnten.

Ob Änderungen an dem sogenannten Zodiakallicht, einem für gewöhnlich
schon recht rätselhaften Lichtkegel, der sich gelegentlich am Abend-
oder Morgenhimmel zeigt, merkbar würden.

Ob »leuchtende Nachtwolken«, d. h. ungewöhnlich silberglänzendes
Cirrusgewölk, das in außerordentlichen Höhen schwebt und mit dem es
auch irgend eine ganz aparte Bewandtnis zu haben scheint, sich gerade
jetzt wieder sehen ließen.

Bei fast allen diesen Dingen kann auch jeder Laie registrieren helfen.

Auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, daß der Kometenschweif selber
diesmal vermehrtes Sternschnuppenmaterial liefert, so sollten doch auch
Sternschnuppen und größere meteorische Feuerkugeln mit größter Sorgfalt
nach Zeit und Ort aufgezeichnet werden, und es sollte das Material,
auch wenn es wirklich noch so geringfügig erscheint, einer Sternwarte
zugesandt werden.

Arbeit, kleine Arbeit gilt es da mitzutun. Aber aus solcher Arbeit,
Stein um Stein und seien sie klein wie Meteorstäubchen, baut sich die
Forschung, -- nicht aus vergänglichen Sensationen.

Ob ein vielleicht zu erwartender elektromagnetischer Kleinsturm auch
auf unsere Witterung einen bescheidenen Einfluß haben könnte? Ob
eine bestimmte jähe barometrische Luftdrucksänderung wenigstens ein
_schwacher_ Hilfsanlaß zu dem einen oder andern etwas intensiveren
lokalen Vulkanausbruch oder Erdbeben werden könnte?

Anhalt haben wir gerade dafür _nicht_.

Ein Einfluß jener elfjährigen Sonnenfleckenperiode auf unsere irdischen
Witterungsverhältnisse ist _bisher_ nicht sicher nachgewiesen. Daß
wir im ganzen heute auf eine Epoche stärkeren Vulkanismus wie (im
Zusammenhang mit vielleicht wieder einsetzender Gebirgsbildung)
stärkerer Erdbeben losgehen, ist an sich wahrscheinlich (daher
Martinique, Messina und so weiter), es fragt sich aber durchaus, ob
da der Barometerstand des Augenblicks wirklich im größeren Sinne
mitspielen kann, und abermals fragt sich, ob elektromagnetische
Erdstörungen nun wieder diesen Barometerstand beeinflussen.

Schließlich: hier überall könnten wir nur lernen, und wir _wollen_
lernen. Gibt die Kometenkrisis einen besonders heftigen Wettersturz,
so wäre das eine lehrreiche Tatsache. Wahrscheinlich nach dem bisher
Vorliegenden ist sie nicht, aber dieses »Vorliegende« ist stets nur ein
»Vorbericht«. Unfehlbar ist sein Votum nie.

Ja: unfehlbar!

Hier wollen wir natürlich nicht ins Übertriebene fallen.

Alle Forschungsergebnisse bis heute sind nur ein Annäherungswert.

Es kann schlechterdings Unbekanntes geben, das die Erde, das
Sonnensystem, die ganze Fixsternwelt in diesem Moment, da diese Zeile
gelesen wird, in unfaßbaren Hitzegraden zu Gas verflüchtigt. Es kann.
Die Forschung gibt ihre Argumente, zu mehr ist sie nicht verpflichtet.
Der Arzt kann einen Menschen untersuchen und für kerngesund erklären
und er kann im nächsten Moment am Herzschlag sterben. Die Erde kann im
Moment, da wir auf den Kometen warten, durch eine unzusammenhängende
Katastrophe, die von Alpha Zentauri über acht oder zehn Billionen
Meilen zu uns herübergreift, vernichtet werden. Jeder von uns kann
in Monte Carlo die Bank sprengen; damit zu rechnen ist aber nicht
empfehlenswert, obwohl diese Wahrscheinlichkeit sicherlich sehr
viel geringer ist, als daß eine Welt, die seit hundert und mehr
Jahrmillionen ohne kosmische Katastrophe sich glatt weiterentwickelt
hat, gerade uns Eintagsfliegen dieser lebenden Menschengeneration den
Gefallen tun sollte, unterzugehen.

       *       *       *       *       *

Herr Professor Semmler zu Halle um 1770 betonte (es ist erzählt),
daß Kometen keinen direkten physischen Einfluß auf unsere Reiche,
Republiken und Regierungen hätten, daß es hingegen dem beschaulichen
Menschen frei stehe, sich bei ihnen das eine oder andere Erbauliche
auch ohne besonderen Zusammenhang ins Gedächtnis zu rufen. Der Mann hat
in einem Punkte recht.

Wenn wir heute beinah etwas betrübt hinzufügen müssen, daß es auch
mit der neueren Sensation des Versengens, Vergiftens, Versalzens
und Bombardierens seitens des Kometenschweifs aller menschlichen
Voraussetzung nach nichts ist, so muß uns doch unbenommen bleiben, in
der kommenden Kometenstunde das eine oder andere zu denken, das zwar
keinerlei Zusammenhang mit dem Kometen da oben hat, aber an sich hübsch
und nützlich zu denken ist in allen ernsten und guten Stunden.

Mögen wir ein Glas weihen in jenem Moment eben der rastlosen Arbeit,
wie sie auch in diesem Ringen des Forschergeistes um die Kometenfrage
so denkwürdig zum Ausdruck kommt.

Schließlich ist es doch diese Arbeit selbst, die auch in die dunkelsten
Träume eines physikalischen Weltuntergangs den letzten Trost bringen
würde.

Denken wir uns, daß ein solcher Untergang in unendlichen Fernen der
Zeit, in Billionen oder Trillionen von Jahren, einmal eintreten
könnte; nicht durch einen Kometen; aber vielleicht weil die Sonne in
ihrem Lauf endlich den ungeheuren Raum doch durchmessen hätte, der
sie heute von den nächsten Fixsternen trennt, und einen Zusammenstoß
dort erlebte. Wenn wir sehen, was menschliche Geistesarbeit heute
schon geleistet hat, so ließe sich, bei gleicher Weiterarbeit, wohl
die Frage aufwerfen, was für Intelligenzwesen in jener fernen Zeit
unsern Planeten oder unser ganzes System bewohnen würden, Wesen, die
aus uns geworden wären, wie wir einst aus Amöben des Urstrandes uns
heraufentwickelt haben, aber Wesen, deren Intelligenz und Technik so
hoch über unserer heutigen ständen, wie ein Mensch heute über der Amöbe
steht. Und es ließe sich fragen, ob diesen fernen Wesen ein solcher
Zusammenstoß noch gefährlich werden könnte; ob sie nicht wirklich
längst in realer Erfüllung jenes Wallaceschen Märchens vorher Mittel
und Wege gefunden hätten, sich, wie vor der Erkaltung dieser Sonne, so
auch vor ihrem berechneten Zusammenstoß irgend sonst wohin im All in
Sicherheit zu bringen.

Der Gedanke läßt sich aber noch steigern. Sollte solche Möglichkeit
nicht gegeben sein oder sollte lange vorher schon die Schicksalsparze
den Sonnenfaden oder Erdenfaden abschneiden: auch dann hat die Idee der
rastlosen Arbeit etwas Befreiendes.

Wohl wäre _unsere_ Arbeit zunächst zu Ende. Aber nicht die Arbeit der
Entwicklung. Aus dem eingestampften, vielleicht wieder zum Nebelfleck
verflüchtigten System würde neue rastlos wühlende Naturarbeit sich von
neuem stufenweise emporringen, wieder bis zu Leben, bis zu Intelligenz.
Und vielleicht würde dieses neue System auf sichereren Verträgen
inmitten einer abermals gereinigteren Auslese des Harmonischeren,
Passenderen, Angepaßteren beruhen und so eine längere Entwicklungsdauer
haben als unseres.

Auch der wildeste Götterdämmerungstraum der Sage schloß immer wieder
mit diesem ganz fernen, ganz blassen, aber doch wieder lichteren Bilde.
Aus der Asche des Weltenbrandes stieg endlich, endlich doch wieder eine
grüne Wiese, wo neue Götter, neue Menschen, gereinigt von der alten
Schuld, die goldenen Kugeln wieder fanden und weiterspielten. Auch dem
Blick des Naturforschers müßten sich die goldenen Kugeln im All immer
wieder fügen aus jedem Zusammenbruch.

Denn das Naturgesetz und die Logik der Werdearbeit stürben in keinem
dieser Brände mit.

Und auch ihm bleibt der große Gedanke Darwins, auf alles Kosmische
erhöht, daß jeder Einsturz nur eine Stufe der Unvollkommenheit
beseitigt, herausreinigt aus der unablässig wachsenden
Allgemeinbalance, Allgemeinanpassung, Allgemeinharmonie.

Sie werden aber nichts mehr von uns wissen, diese Kommenden, diese
Besseren, diese Geklärteren: so raunt der trübe Gedanke. Die jungen
Götter der Sage, die wieder mit neuen goldenen Kugeln spielen,
erzählen sich die Geschichte der alten Schuld, die im Weltenbrande
gesühnt wurde, als ein wunderbares Märchen. Von uns wird nie wieder
einer erzählen; von den eingestampften Opfern eines kosmischen
Fortschrittsexperiments.

Vielleicht gibt es aber doch All-Träume, die selbst dem standhalten,
wenn auch wir zu träumen wagen.

Im All geht in Wahrheit nichts verloren. Auch keine Form. Nichts, was
einmal war. Unser Bild wandert noch nach Äonen mit Lichtpost zu fernen
Sternen. Aber es lebt auch verborgen in allem folgenden fort. Wer die
Formel weiß, kann es ewig aus seinen Wirkungen wieder zusammensetzen.
Nur darum ist ja schon bei uns eigentlich Geschichte möglich. Darum
beleben sich die alten Ichthyosaurier wieder vor unserm Blick.
Geschichte ist der Triumph der geheimen Allgegenwart aller Dinge.

Auch Sehnsucht nach Geschichte, nach Aufdecken, Wiederfinden der
Vergangenheit liegt aber von gewisser Stufe ab in aller Arbeit der
Natur. Intelligenz muß immer wieder hierher lenken. Nun denken wir uns
Intelligenz unendlich über unserer, die aus wenigen Formeln das ganze
Farbenbild der Vergangenheit wieder ablesen, wieder erwecken könnte.
Unendliche Zukunftsarbeit würde in diesem Sinne auch eine unendliche
Rückwärtsarbeit werden. Ein unendliches Wiederfinden aller abgerissenen
Fäden über noch so viel Weltenbrände hinaus. Was haben aber auch wir
eigentlich schon mehr als das in unserm individuellen Leben, jeder von
uns, innerhalb unserer eigenen Kultur: als ein rastloses Arbeiten im
Augenblick, in dem gerade bei uns die große Naturflamme lodert; und
ein Hörensagen von andern vor uns, die keiner mehr direkt sieht, eine
Geschichtstradition von früheren, toten Generationen, denen die Fackel
aus der müden Hand gesunken ist; das muß uns genügen und genügt uns
doch zu frohem Tagesschaffen. Ob die Nacht zwischen dir und diesem oder
jenem alten Forscher und Denker nun nicht bloß durch Menschengräber
und Kinderlachen, sondern wirklich durch Weltenstürze und neue goldene
Weltkugeln geht: was würde es ändern?

Hinter allem aber (darauf weihe auch dein Glas, sei es nun wirklicher
Goldwein oder bloß Geistestrank) muß zuletzt doch das große
Naturgeheimnis bleiben, mit seinem dunkeln Auge, das immer gleichmäßig
auf uns weilt, das nie zuckt, was sich auch vollziehe. Es muß jeden
einzelnen von uns über kurz oder lang aufnehmen. Stellen wir ihm auch
die Menschheit anheim. _Wenn_ einer es je einmal zur Antwort bringt,
kann das auch nur in der Linie unendlicher rastloser Arbeit geschehen.
Dann löst diese Arbeit es aber rückwärts für uns alle mit. In diesem
dunkeln Auge des Geheimnisses finden wir uns alle wieder ...

Das sind Gedanken, die jetzt mit dem Kometen wirklich nicht mehr zu tun
haben, als daß auch sie etwas durch Neptunsweiten schweifen.

Bleiben wir näher. Sagen wir uns, daß dieses silberne Wölkchen da oben
nun abermals seine 76 Jahre von uns fern weilen wird, uns so lange aus
dem Gesichtskreise verlieren wird.

Nehmen wir ihn als alten Menschenfreund und alten Menschenkenner,
diesen einsamen Weltenwanderer da droben, der schon so viel mit
uns durchgemacht hat, so viel Menschenglauben und Menschentand hat
zerschellen und immer doch (wir hoffen es) etwas saure Menschenarbeit
hat triumphieren sehen. Was wird er finden, wenn er nach seinen 76
Jahren wiederkehrt?

Ein Glas dem Problematischen, das doch noch in all unserer Wissenschaft
steckt. Ein Klang der einen großen Wahrheit, daß noch niemand ganz
recht hat; daß noch keine unserer Weltanschauungen ganz recht haben
_kann_; und daß zum _Glück_ noch keine ganz recht hat. Was wird er
finden?

Wird unsere Naturforschung in 76 Jahren ganz zur äußerlichen Technik
geworden sein, die sich von allen _tiefsten_ Denkwerten abgelöst hat?
Oder wird sie den Anschluß gefunden haben, der für ihren höheren
Menschheitswert der entscheidende sein muß: an eine echte idealistische
Weltansicht? Oder ist das noch zu früh?

Werden wir einen neuen Humanismus erhalten, in dem auch die
Naturforschung, die einst vergessen worden war, ihre Stätte findet,
nicht als verrohende Macht, sondern veredelt, geläutert vom
humanistischen Gedanken?

Und wird dieser erweiterte, verklärte Humanismus nicht beschränkt
bleiben auf die Gelehrtenzelle, sondern eine wärmende Sonne werden für
das ganze Volk?

Wird in 76 Jahren die Sternwarte, zu der wir jetzt wandern, um dieses
kleine unheimliche Silberfederchen, das da im eisigen Raum treibt,
anzustarren, eine ethische Erziehungsstätte sein?

Es ist die letzte Strandwelle des alten Glaubens, daß der Komet etwas
prophezeien könne, was in solchen Fragen lebt. Er prophezeit aber
nichts. Nur die Kraft und die Tat und die Arbeit prophezeien. Als die
Menschheit _seine_ Wiederkehr prophezeite, da war sie bei der Arbeit,
da taten die Dinge einen Ruck, da wurden sie größer.

Weltuntergang! Wir wollten trinken und küssen, alle Reserven auftrinken
und aufküssen. Es braucht keine Reserven mehr, morgen ist Weltfeiertag.

Und nun soll das alles wieder nichts sein.

Ja wäre es nicht eigentlich doch eine Wohltat gewesen, diese Stimmung
in der scheußlichen Langeweile unserer Zeit?

Wir arbeiten so heillos viel, wir haben das Recht, das Arbeiten auch
einmal für einen Greuel zu erklären, zwischendurch.

Nun will uns die grämliche Wissenschaft auch das wieder nicht erlauben.

Im elenden Trott sollen wir wieder weiterschuften, immer mit kleinen
Sparrationen, wie Südpolfahrer; Vorsicht, morgen ist noch ein Tag und
die Woche hat noch fünf, hebt Reserven auf, Reserven für die Enkel und
Urenkel.

Gewiß, auch das läßt sich sagen. Aber zuletzt ist es auch nur der
uralte Kometen-Pessimismus, der selbst damit nicht zufrieden ist, daß
die Welt _nicht_ untergeht ...

Und schließlich glauben wir doch alle nicht daran, wir Menschen von
1910, mit unserer Kraft und unserer Sehnsucht.

Nein. Laßt uns die heilige Kometenstunde (um denn endlich das darin zu
finden, was von je wirklich das Grundgegenteil aller Kometengedanken
gewesen ist) mit einem stillen Glas und vielleicht einem stillen Kuß
auf schöne Lippen dem ewigen Wunder des Gedankens, der Liebe und der
Schönheit weihen, dem unbesiegbaren Sonnenzauber dieser alten Welt, den
keine kalten Sterne jemals haben bedrohen können.

Und dann ...?

»Worauf«, spricht ein alter Chronikschreiber, der das letzte Wort haben
mag, (nachdem sie nämlich wieder einmal vergebens auf den Weltuntergang
gewartet hatten) »Worauf alle wieder an ihre Arbeit gingen, als wenn
garnichts geschehen wäre.«



Von _Wilhelm Bölsche_ erschien im gleichen Verlage


W. Bölsche, Das Liebesleben in der Natur. Eine Entwickelungsgeschichte
der Liebe. Stark vermehrte und umgearbeitete Ausgabe. 2 Bde. 30.-35.
Tausend. br. à M. 6.--, geb. à M. 7.50

_Neue Weltanschauung_: Das bekannteste Werk Bölsches erscheint
jetzt in einer neuen zweibändigen Ausgabe und zu einem wesentlich
_ermäßigten_ Preise, so daß es auch Kreisen zugänglich wird, denen
die dreibändige Ausgabe zu teuer war. Daß der Verfasser bei der
Neuausgabe alle Fortschritte der Wissenschaft berücksichtigt hat,
braucht kaum bemerkt zu werden. Im Mittelpunkt der ganzen Darstellung
steht der Grundgedanke, daß der Mensch mit seinem ganzen Wesen im
Tierreich wurzelt, daß er ein Teil desselben ist, sich aus ihm im Laufe
ungezählter Millionen Jahre historisch entwickelt hat. Der eigentliche
Gegenstand des Buches ist eine allgemeinverständliche Darstellung der
Zeugungs- und Entwickelungsverhältnisse im Tierreich mit Einschluß
des Menschen. Bölsche beschränkt sich dabei nicht darauf, aus der
umfangreichen Fachliteratur die einschlägigen Tatsachen herauszusuchen
und zusammenzustellen, sondern er betrachtet diese Tatsachen lediglich
als ein Gerüst, das seine oft weit ausgreifenden naturphilosophischen,
künstlerischen und ästhetischen Ausführungen stützen soll. Da, wo
mitunter -- nach Ansicht gewisser Leute -- sogar heikle Dinge berührt
werden mußten, läßt der Verfasser auch den Humor zur Geltung kommen.
Es ist gewiß keine leichte Aufgabe, für ein Laienpublikum eine solche
Entwicklungsgeschichte der Fortpflanzung zu schreiben, und gar ohne
Abbildungen.


W. Bölsche, Die Mittagsgöttin. Roman. 2 Bände. 4. Aufl. br. M. 7.--,
geb. M. 9.--

_Velhagen & Klasings Monatshefte_: Ein Werk, reich wie das Leben
selbst, vom frischesten Wirklichkeitshauch durchweht und doch
zugleich von hoher Idealität erfüllt, eine Weltanschauungsdichtung im
großen Stil. Humor und Tragik, Pathos und Pikanterie, Realistik und
Romantik, Zartes und Derbes in buntem Gemenge, in sprießender Fülle.
Charakterzeichnungen von einer Schärfe und Deutlichkeit in jeder Linie
und psychologisch so vertieft, daß sie den Vergleich mit keinen anderen
Gebilden der neueren Literatur zu scheuen haben. Und als Untergrund
ein Mosaik von Großstadt- und Landschaftsschilderungen, in denen sich
ebenso glänzend die Akribie des Naturforschers wie die Stimmungsgewalt
des Lyrikers offenbart. Die Farbenpracht dieser Schilderungen hat
etwas Berauschendes; nur hier und da wirkt die Überfülle des Details
ermüdend und verwirrend. Berlin und der Spreewald bilden den Schauplatz
des Romans; was diese packenden Gegensätze an Reiz und Inhalt bieten,
das hat der Dichter so gut wie ausgeschöpft. Inhaltlich führt der
Roman mitten in die Geisteskämpfe der Gegenwart. Seinen Stoff entnimmt
er dem spiritistischen Treiben unserer Tage, aber Bölsche erfaßt den
Gegenstand tief genug, um in dem Werke die gesamten Gegensätze des
heutigen Weltanschauungskampfes widerzuspiegeln. Und dieser Kampf
vollzieht sich nicht in einem Für und Wider von abstrakten Deduktionen,
sondern in der Seele einer bedeutenden Persönlichkeit, die ein
leidenschaftliches Streben nach Wahrheit erfüllt.



Essaybände von Wilhelm Bölsche


W. Bölsche, Naturgeheimnis. 8. Tausend. br. M. 5.--, geb. M. 6.50

_Weserzeitung_: Goethe und Haeckel -- wie oft hat Bölsche diese beiden
großen Pioniere schon in seiner eigenartigen geistreichen Weise
behandelt und auch im »Naturgeheimnis« bringt er sie wieder zusammen
und läßt uns den Gleichklang vernehmen, der durch das Leben und
Streben der beiden Forscher gegangen. Diesen volltönenden harmonischen
Gleichklang, der aus einer großen Wahrheit hervorschauerte und
ständig das Streben der beiden in wundervollen Rhythmen durchklang
-- aus der »Grundwahrheit Goethes von der Einheit der Natur«. »Und
in dieser Einheit liegt alles, auch das Schöne«. Zu neuen Welten
sucht Bölsche neue Wege. In jenem selten gefundenen Gleichbesitz von
naturwissenschaftlicher und dichterischer Befähigung erschließen
sich ihm unendliche Weiten zu jenen fernen Weihnachtsinseln einer
glücklicheren Zukunft, wie in den »Visionen auf dem Palatin«, oder in
dem grandiosen »Gespräch mit der Peterskuppel«. Wie die Geheimnisse
ihn dort umstellen, dort »wo so unsagbar viel Menschensehnsucht
sich verblutet« und er sich dann durch alle die Weltirrungen und
Wirrungen hindurchfindet an der Hand der großen Weltlogik und der
Naturgesetzlichkeit. So weiht er schließlich die schönste Kuppel der
Erde »einer lichteren Zeit, freieren Menschen mit reinerem Sinn«, einer
ferneren Zeit, da die Forschung eine religiöse Tat und jeder echte
Forscher ein Priester sein wird.


W. Bölsche, Vom Bazillus zum Affenmenschen. 10. Tausend. br. M. 5.--,
geb. M. 6.--

_Aus dem Inhalt_: Bazillus-Gedanken -- Wenn der Komet kommt -- Das
Geheimnis des Südpols -- Die Urgeschichte des Magens -- Ein lebendes
Tier aus der Urwelt -- Der Affenmensch von Java -- Das Märchen des Mars.

_Deutsche Rundschau_: Gleicht die wissenschaftliche Forschung dem Abbau
eines Bergwerkes mit edlen Metallen, so entspricht die Arbeit der
Popularisierung derjenigen der Hüttenwerke, in denen man das Metall
befreit von den umgebenden Gestein. Da ist es denn sehr erfreulich,
in Wilhelm Bölsche bei jener vermittelnden Arbeit einen Mann tätig zu
wissen, der als der Freund solcher Gelehrter wie Haeckel nicht nur
des Vertrauens, sondern als Publizist von seltenen Fähigkeiten auch
der Liebe seines Publikums jeder Zeit sicher ist. Der Titel deutet
an, in welcher Richtung sich die Ausführungen bewegen. Den Gedanken
einer natürlichen Entwicklung, die in ununterbrochener Arbeit die
höheren Arten langsam aus den niederen entstehen ließ, jenen großen
Gedanken, auf dem unsere gesamte moderne Naturwissenschaft basiert,
möchte auch das vorliegende Buch Wilhelm Bölsches einem weiteren Kreise
verständlich machen. Hier soll gezeigt werden, daß die ewigen Gesetze
des Werdens sich an kleinen und kleinsten Fällen ebensogut beobachten
lassen wie an den gewaltigsten.



Essaybände von Wilhelm Bölsche. Wille. Emerson


W. Bölsche, Hinter der Weltstadt. Friedrichshagener Gedanken zur
ästhetischen Kultur. 4. Taus. br. M. 5.--, geb. M. 6.--

_Deutsche Rundschau_: Dieser Band gesammelter Aufsätze und
Betrachtungen beschäftigt sich mit bedeutenden Männern und
Erscheinungen des 19. Jahrhunderts, in dem sichtlichen Bestreben, aus
der gesamten Natur- und Geisteswissenschaft dasjenige herauszustellen,
was für das 20. Jahrhundert noch fortwirkende und vielleicht neu
begründende Kraft haben dürfte. Das, worauf der Autor über ähnliche
Bestrebungen weg hinaus will, bezeichnet er als ästhetische Kultur.
Ein Zug von Nichtbefriedigtsein mit der Gegenwart, aber auch von
Unverzagtsein der Zukunft gegenüber geht durch die aus diesem Buche
zu uns sprechende Weltanschauung. Der Autor hat sich, wie er im
Vorwort erzählt, aus dem Lärm der Hauptstadt Berlin in die Ruhe
des weit draußen gelegenen Vorortes Friedrichshagen geflüchtet und
überschaut nun von da aus auf seine Weise die Erträge des abgelaufenen
Jahrhunderts. Er beginnt mit Novalis und endet die Reihe mit Fechner,
den er gleichsam als naturwissenschaftliche und naturphilosophische
Ergänzung des Dichters Novalis betrachtet. Dazwischen erscheinen
Fontane, Heine, die Gebrüder Hart, Gerhart Hauptmann, Herman Grimm und
die Ebner-Eschenbach. Seine März-Träumerei und der, wie mir scheint,
sehr bemerkenswerte Aufsatz über die Freien Universitäten zeigen
Bölsche in Ideen lebend, die weit verschieden von denen waren, welche
ein Teil der von ihm behandelten Männer vertrat. Reicher Inhalt und
anregende Kraft wohnen den »Friedrichshagener Gedanken« inne.


Bruno Wille, Offenbarungen des Wacholderbaums. Roman eines Allsehers.
5. Tausend. 2 Bände. br. M. 8.--, geb. M. 10.--

_Friedr. Paulsen_: In Goethe waren Philosophie und Poesie eins, ihn
verehrt darum auch unser Verfasser als seinen Schutzpatron. Ich
erblicke in dieser Dichtung ein Anzeichen, daß die neue Fechnersche
Naturphilosophie, wie sie mit der mathematischen Naturwissenschaft in
enger Beziehung steht, so auch mehr ein dauerndes Bündnis zwischen
Philosophie und Poesie bedeutet, als die alte, dem Namen nach
spekulative, dem Wesen nach logisch-schematische Naturphilosophie.


Ralph Waldo Emerson, Natur und Geist. 2. Tausend. br. M. 3.--, geb.
M. 4.--

_Pädagogisches Jahrbuch_: Emerson will, daß wir »uns die Freuden eines
ursprünglichen Verkehrs mit dem Universum sichern«, er möchte uns zum
inneren Schauen verhelfen, und das innere Auge für die Natur öffnen.
Überall wird hinter der Natur und durch die Natur der Geist, das
eigentlich Schöpferische, sichtbar. Mit reichem Tatsachenmaterial sucht
er die Zusammenhänge zwischen realen Dingen und menschlichen Gedanken,
die unmittelbare Abhängigkeit der urwüchsigen Sprache von der Natur,
die Umbildung der Lebenserscheinungen draußen zu Typen des inneren
Erlebens nachzuweisen.



Neue naturwissenschaftlich-philosophische Anschauungen


Georg Rothe, Die Wünschelrute. Historisch-theoretische Studie. br.
M. 2.--, geb. M. 2.80

Georg Rothe zeigt auf Grund historischer und wissenschaftlicher
Forschungen, daß das Phänomen der Wünschelrute nichts Übernatürliches
an sich hat, sondern lediglich ein Stück Natur ist, dessen Gebiet
infolge der ablehnenden Haltung der Schulwissenschaft noch
nicht genügend erforscht ist. Gleichwie der Hypnotismus heute
wissenschaftlich anerkannt und zu Heilzwecken verwendet wird, so sollte
auch die Wünschelrute den Physikern, Physiologen und Psychologen als
Untersuchungsobjekt geeignet erscheinen, um ihre sehr wesentlichen
Erfolge zu erklären und weiter ausnutzen zu können. Rothe gibt die
erste wissenschaftliche Erklärung.


Wilhelm Fließ, Vom Leben und vom Tod. Biologische Vorträge. br.
M. 2.--, geb. M. 3.--

Hans Schlieper, Der Rhythmus des Lebendigen. br. M. 2.50, geb. M. 3.50

Wilhelm Fließ hat auf rein wissenschaftlicher Grundlage zwei neue
Naturgesetze entdeckt, nämlich das Gesetz der zweifachen Periodizität,
sowie das der Doppelgeschlechtigkeit aller Menschen. Sie erklären
überzeugend, woher z. B. das konstante Verhältnis der Überzahl
männlicher Geburten kommt, sie weisen nach, warum Krankheitsbazillen
plötzlich erlöschen, z. B. bei Pest und Cholera. Fast klingt es wie
ein Märchen, die neue Entdeckung führt den Nachweis, daß die Geburten
innerhalb einer Familie in engem Zusammenhange mit den Todestagen der
Vorfahren stehen. Schlieper führt die Untersuchungen im Tierreich
weiter.


Maurice Maeterlinck, Die Intelligenz der Blumen. 3. Taus. br. M. 4.50,
geb. M. 5.50

_Über Land und Meer_: Der tief in die Geheimnisse der Natur eingeweihte
Dichter legt uns hier mit ebensoviel Liebe und Innigkeit wie Geist und
scharfer Beobachtungsgabe an einer Reihe der merkwürdigsten, erst in
unserer Zeit recht gewürdigten Tatsachen dar, welch ungeheures Maß von
Klugheit, Erfindungsgabe, List, Mut und andern seelischen Eigenschaften
in der ganzen Pflanzenwelt fortwährend gegen die zahlreichen
feindlichen Mächte aufgeboten und betätigt wird, um die Erhaltung der
einzelnen Arten durchzusetzen. Er zeigt uns, daß jede Blume »ihre Idee,
ihr System, ihre erworbene Erfahrung« hat und daß sie zuweilen irre
geht in ihren Bestrebungen, genau wie der menschliche Geist.


Maurice Maeterlinck, Das Leben der Bienen. 13. Tausend. br. M. 4.50,
geb. M. 5.50


Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig



    Weitere Anmerkungen zur Transkription

    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

    Korrekturen:

    S. 21: Menschenlage → Menschenloge
      sonst unsere {Menschenloge} im All schützen





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