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Title: »Meine Brüder im stillen Busch, in Luft und Wasser«
Author: Braeß, Martin
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
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    ~so markiert~.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    »Meine Brüder
    im stillen Busch, in Luft
    und Wasser«

    von

    Martin Braeß

    4. Band der Heimatbücherei
    des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz
    Dresden 1923



        Otto Wigand'sche
        Buchdruckei in
        Leipzig



        Den Deutschen in Nordböhmen

        als Dank für ihre
        dem Landesverein »Sächsischer Heimatschutz«
        in schwerer Zeit geleistete Hilfe



Inhalt


    Das Tier im Landschaftsbild unserer Heimat                      5

    Die volkstümlichsten Tiere der deutschen Märchen und Fabeln    41

    Allerlei Fischräuber, bepelzt und befiedert                    75

    Malepartus, die Raubburg und Kinderstube von »Reinke de Vos«  109

    Swinegel un sine Sippschaft                                   120

    Vogelnester                                                   148

    Im Teichgebiet der sächsischen Lausitz                        161

    Die heimatliche Vogelwelt im deutschen Volksglauben           179

    Schutz den schutzlosen Kriechtieren und Lurchen!              201

    Sechsbeinig, achtbeinig und ohne Beine                        230



Das Tier im Landschaftsbild unserer Heimat


Das Leben auf unserer Erde kennt keine Schranke, kein Grenzstein
ist ihm gesetzt. Und es sind nicht nur die niedrigsten Lebewesen,
einzellige Algen, Pilze, Infusorien, die sich sozusagen überall
einstellen, nein, wenigstens von der Tierwelt gilt es, daß sich gerade
ihre höchsten Vertreter, die _Wirbeltiere_, die ganze Welt erobert
haben.

Aus den größten Tiefen der Ozeane, wo längst keine Pflanze mehr
gedeiht, wo ewige Finsternis herrscht, bis auf die Flammen, die
sich die Tiere selbst anzünden, hat man eine erstaunliche Artenzahl
wohlorganisierter Fische ans Licht befördert, und hoch über der
Waldgrenze der Gebirge, wo nur noch kurzrasiges Gras an dem Steilhang
emporklettert und niedrige Alpenblumen ihre farbensatten Sterne dem
Sonnenstrahl öffnen, ja noch höher droben, wohin keine blühende Pflanze
mehr folgt, wo der zackige Felsengrat nackt und tot aus dem Firnschnee
zum Himmel emporstarrt, da haftet der Fuß der flüchtigen Gemse, des
Steinbocks, da pfeift im Steintrümmermeer das Murmeltier vor seiner
Höhle. Über allem Irdischen aber, an der blauen Glocke des Himmels,
schwebt in erhabener Ruhe der Adler, der König der Lüfte.

In solcher Einsamkeit _herrscht_ dann das Tier als einzige Staffage der
Landschaft: der nackten Felsenzinnen oder des einförmigen Wüstensandes,
der weiten Meeresfläche oder des unermeßlichen Luftozeans, und nirgends
sonst erreicht der Eindruck des Lebendigen solche Stärke.

Im übrigen aber vermag die Tierwelt nur in besonderen Ausnahmefällen
der Landschaft einen bestimmten Wesenszug aufzuprägen; sie tritt in
dieser Beziehung hinter der Pflanzenwelt weit zurück. Diese ist es, die
das Bild beherrscht; an ihr haftet das Auge.

Düster, in blauschwärzlicher Färbung schaut der Nadelwald von den
Höhen herab auf die Ebene, wo unter der weißen Decke das Samenkorn
schlummert. Halbverschneite Hecken am Wege, ein einzelner Baum am
Rain, ein kleines Feldgehölz, das seine kahlen Äste und Zweiglein zum
bleigrauen Himmel erhebt, abgestorbene Stauden, deren Samenrispen
zwischen den Schneewehen emporragen, erhöhen den Eindruck der
Einsamkeit. Totenstille in der Natur.

Die freundliche Au, vom gewundenen Bächlein durchfeuchtet, hat der
Frühling mit tausend Blüten geschmückt; lebensfroh schauen sie zum
Lichte empor. Vergißmeinnicht: ihr Blau ein Abbild des Himmels;
Löwenzahn, Ranunkulus, Dotterblume: goldenen Sonnen vergleichbar. Aus
den alten Weidenstümpfen streben rötliche Triebe empor mit gelbgrünen
Schmalblättern, während das Erlengestrüpp sein junges, glänzendes
Laub über das plätschernde Wasser ausbreitet, in dem sein Spiegelbild
zittert wie vor Erwartung seligster Lust.

Vom stahlblauen Himmelsgewölbe strahlt die Julisonne herab auf die
Fruchtebene. Ein einziges Getreidefeld, wohin man nur schaut. Die
braungoldenen Weizenähren wogen wellenförmig im heißen Lufthauch, der
tosend über sie hinstreicht. Ein Bild der einförmigen Steppe; kein
Baum, kein Strauch. Hier herrschen die Fruchtgräser, von der Hand des
Landmanns angebaut. Nur am Rain glüht es rot, großblütiger Mohn, und
tiefblau schaut die Zyane aus dem lichtgelben Halmenmeer hervor.

Der herbstliche Laubwald: in allen Farben und Tönen glänzt es und
gleißt es, vom zartesten Rosa bis zum sattesten Rot, vom lichtesten
Gelb bis zum tiefsten Bronzeton. Und wenn die goldne Oktobersonne vom
wolkenfreien Himmel herab all die Farbenflecke mit einer Fülle von
Licht, von brennender Glut überschüttet, wenn sie lange Schlaglichter
tief in den Wald wirft und helle Zitterkringel auf den Boden malt, daß
auch das abgestorbene Laub noch einmal aufleuchtet: ein Farbenbild von
wunderbarem Reiz, ein Farbeneinklang, der nicht seinesgleichen hat.

Im Kreislauf des Jahres die _Pflanzenwelt_ ist's, die unsern
heimatlichen Landschaftsbildern ein ganz bestimmtes Gepräge verleiht.
Ihr ordnet sich alles unter, selbst der geologische Aufbau des Bodens,
der doch gleichfalls von allergrößter Bedeutung ist. Das _Tier_ aber
erscheint dem gegenüber als eine viel weniger wichtige Zugabe zum
Landschaftsbild, mehr zufällig bloß; man achtet seiner, nur weil man's
gerade bemerkt. Fehlte es, der Anblick, der ganze äußere Eindruck
wäre dennoch der gleiche; nur in besonderen Fällen wird man sich der
fehlenden Tierwelt als eines wirklichen Mangels der Landschaft bewußt.

Und doch, wo immer es sei: ob sich die Pflanzenwelt in Macht und
Fülle aufbaut, daß die Baumriesen ihre Äste und Zweige zu gotischem
Dach über dem Wanderer wölben, oder ob nur spärliche Gräser die weite
Fläche dürftig bedecken; zu welcher Jahreszeit immer: ob der Winter
seine Herrschaft führt, daß der Waldbach, in eisige Fesseln gebannt,
nur leise plätschernd unter dem starren Panzer dahinmurmelt und der
Stamm des Hochwaldes vor Frost tiefächzend zersplittert; zu welcher
Stunde des Tages auch: ob die Mittagsglut auf der Flur liegt, drückend
schwül, kein atmendes Lüftchen, ob der Mond sein silbernes Licht
über den schlafenden Waldsee ergießt oder ob Morgennebel das Tal in
dichte Schleier hüllen -- nur ein einziges Tier in solchem Bild, ein
einziger Schrei oder Ruf, die Strophe nur eines Vögleins, und sofort
wird der Reiz der Landschaft erhöht, der ganze Eindruck in einer Weise
gesteigert, daß wir das Bild vor uns wie mit einem Schlage in ganz
anderem Lichte sehen.

Woher dieser Zauber? Wir sind nicht mehr allein, nicht mehr die
einzig fühlende Brust; ein anderes Wesen nimmt teil an dem, was unsre
Sinne schauen, unser Herz bewegt. Das _Tier_ ist's, durch das Mutter
Natur zu uns redet, das beseelte Geschöpf. Seine Erscheinung, sein
Leben und Treiben, sein Ruf, seine Stimme: das ist der uns Menschen
verständlichste Ausdruck im Reiche der Schöpfung.

Der nächtliche Sternenhimmel redet eine erhabene Sprache -- ach,
wie klein ist der Sterbliche doch, der andächtig zu den tausend und
abertausend funkelnden Sonnen emporschaut! Das Meer braust heran,
Woge auf Woge, ewig, gewaltig, unermeßlich, furchtbar im Sturm --
eine Nußschale der riesige Dampfer, das Menschenleben ein Nichts.
Der massige Fels erzählt uns seine Geschichte aus nebelhaft grauer
Vorzeit, wie ihn die bebende Erde gebar, wie Jahrmillionen ihn formten,
auch das Unvergänglichste wandelnd -- wer versteht seine Sprache,
die uns allen so fremd ist! Der Krystall funkelt und gleißt, in
spiegelblanken Flächen bricht sich das Licht -- aber er spricht von
starren, toten Gesetzen.

_Nur das Leben redet zum Leben in lebendiger Sprache_, in unsrer
Sprache, in der Muttersprache, die allen eignet, die niemand erlernt,
keiner zu erlernen braucht, die man nicht begreift mit dem Verstande,
sondern die uns von Anfang an innewohnt, tief im fühlenden Herzen.
Der Wald spricht mit uns, die einsame Wettertanne auf erhabener
Felsenwacht, die Blume am Bachesrand, das flüsternde Schilf, die
Heckenrose am Wege -- aber: »Fleisch von unserm Fleisch und Bein von
unserm Bein«, das gilt doch noch in weit höherem Grade von den Tieren,
von unsern »Brüdern«, wie sie Goethe in jenem bekannten Wort an den
»erhabenen Geist« nennt:

    »Du führst die Reiche der Lebendigen
    Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
    Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.«

Die Sprache des Tieres, der Ausdruck seines Fühlens, seines Wollens
ist unsrer Sprache verwandt; dem Tiere schreiben wir, wie uns selbst,
eine Seele zu, die erkennt, die fürchtet und hofft, die liebt und
haßt. Und wenn uns der Verstand auch immer wieder zuruft, daß das
Geschöpf nicht anders handeln kann, als es handelt, daß es einem
inneren Triebe folgt, einer Naturnotwendigkeit, und daß der Tierfreund
in tausend Fällen die eignen Empfindungen und Gefühle erst in die
Brust des Tieres hineinträgt und so das Tier bis zu gewissem Grade
vermenschlicht -- warum, so frage ich, sollen wir das, was wir sehen,
nicht in unsre Sprache übersetzen? warum sollen wir absichtlich den
Eindruck zerstören, den eine sinnige Naturbetrachtung auf jedes
unverdorbene Gemüt ausübt? Der strengen Wissenschaft mag ihr Recht
bleiben, aber auch dem schlichten Naturfreund, der es im Verkehr mit
seinen Lieblingen alltäglich erfährt, daß wenigstens das höhere Tier
keineswegs eine bloße Maschine ist, ebensowenig wie der Mensch ein
willenloses Rädchen im Uhrwerk des Weltgetriebes.

Zwischen unserm eignen Leben und dem Leben der höheren Tiere bestehen
innere Beziehungen, die schon das Kind, ja dieses vielleicht noch mehr
als der Erwachsene empfindet, und diese Fäden, die wir hinüberspinnen
zu jedem beseelten Wesen, sie sind, wenn mich mein Naturempfinden nicht
täuscht, die eigentliche, die tiefste Ursache für die _hohe Bedeutung
des Tieres im Landschaftsbild_ -- ganz gleich, ob das Lebewesen durch
seine Bewegung das Auge auf sich lenkt, ob es durch seine Färbung uns
ergötzt, durch seine Stimme unsre Aufmerksamkeit fesselt, ob es einzeln
auftritt und so den Eindruck der Einsamkeit verstärkt, oder ob ganze
Scharen das Bild beleben.

Ach, wieviel würde uns fehlen, wenn wir durch unsern deutschen
Frühlingswald gingen und kein Vöglein würde sein Lied anstimmen, kein
Kuckucksruf, kein Trommeln der Spechte, wenn am Sommerabend kein Reh
zur Äsung auf die Waldwiese oder das Kleefeld träte, wenn die bunten
Falter nicht mehr über den Wiesenblumen gaukelten, am schilfbewachsenen
Teich der Chor der Frösche für immer verstummt wäre, wenn die
wandernden Vogelscharen nicht mehr am herbstlichen Himmel gen Süden
zögen, oder wieviel trauriger noch und öder unser nordischer Winter,
wenn die schneebedeckten Felder und das Geäst des entblätterten Baumes
nicht belebt wären von unsern gefiederten Freunden, die der Herrschaft
des rauhen Gewalthabers trotzen!

       *       *       *       *       *

Keine Klasse des Tierreichs vermag das Landschaftsbild auch nur
annähernd so reizvoll zu beleben, wie die muntere Schar der _Vögel_.
Der Flug durch die Lüfte -- nicht an die Scholle gebunden wie
Vierfüßler oder Kriechtiere, sondern frei und froh, Überwinder der
irdischen Schwere -- dazu die auffallende Stimme, von dem zweisilbigen
Lockruf der Bachstelze oder dem einfachen Liedchen der Haubenlerche
an bis zu dem seelenvollen Gesang der Nachtigall und dem jauchzenden
Überschlag des Plattmönchs: das sind die Gaben, mit denen Mutter Natur
ihre und unsre Lieblinge wie kein anderes ihrer Geschöpfe ausgezeichnet
hat. Und durch diese beiden Eigenschaften tragen die Vögel an erster
Stelle zur Belebung des Landschaftsbildes bei.

_Der freie Flug!_ Fühlt nicht jeder das Walten der Schönheit, wenn die
Möwenschwärme den meerumbrandeten Küstenfelsen umkreisen, wenn die
Schwalbe niedrig über dem glitzernden Dorfteich dahinschießt, ihre
Brust flüchtig ins Naß tauchend, um dann blitzschnell emporzusteigen,
höher als die schlanken Pappeln am Uferrand, wenn die Dohlen das alte
Gemäuer des Stadtturms umschwärmen, die Kiebitze über der feuchten
Wiese ihre Flugkünste zeigen, wenn der Kuckuck falkenartig von einem
Talhang zum andern hinüberwechselt, die langschwänzige Elster wie ein
Bolzen die Luft durchschneidet, oder der kleine Baumpieper von einem
Ästchen aus schief emporsteigt und sich dann in schön geschwungenem
Bogen wieder zu seinem Lieblingsplätzchen herabläßt!

Und erst der _Raubvogel_, der König der Lüfte! Ob es ein Adler ist,
der stolz wie ein Flugzeug auf ausgebreiteten Schwingen ohne jede
Bewegung durch den Luftozean gleitet, oder ein niedliches Fälkchen,
das im Morgenglanz rüttelnd sein Spiel treibt, ein Wanderfalk, der in
rasendem Flug seiner sicheren Beute nachstürzt, der mächtige »Auf«,
der im Mondlicht lautlos durch sein Revier zieht, daß sein riesiger
Schatten gespensterhaft über die Geröllhalden und die waldumgrenzte
Gebirgswiese gleitet, oder nur ein Schleierkauz, der am dämmernden
Abend weichen Flugs über dem Sturzacker schwebt: der Anblick jedes
Raubvogels in der freien Natur löst in uns immer ein besonders starkes
Gefühl aus. Vielleicht weniger -- ich gebe es zu -- weil das Malerische
der Landschaft durch solch stolze Erscheinung gesteigert wird, als
vielmehr aus dem Grunde, weil wir uns dabei bewußt werden, noch einen
Ausschnitt, einen letzten Rest urwüchsiger Natur in unsrer leider so
verarmten Heimat vor uns zu haben. Ein Flugzeug -- ein Adler, hoch,
hoch im weiten Himmelsraum: vielleicht ist der Anblick ganz ähnlich,
aber die Wirkung auf den Beschauer, der zu beiden emporblickt, im
tiefsten Grunde verschieden! Dort stolze Bewunderung, daß es dem
Menschen gelungen ist, seinen Fuß von der Scholle zu lösen und sich
ins Reich der Lüfte zu schwingen; hier edle Freude an reiner, starker
Natur, ein Gottseidank, daß sie doch noch nicht völlig aus unserm
Lande, aus unsrer Zeit gewichen ist. Welcher Eindruck der stärkere
ist, das hängt ganz vom Beschauer selbst ab.

Am sonnigen Frühlingsmorgen zwei _Steinadler_ über der Ebene, aus der
gegen Mittag die bayrischen Alpen aufsteigen. In schönen Spiralen
schraubt sich das Paar höher und höher, ohne Flügelschlag einander
umkreisend; bald schwebt dieser, bald jener über seinem Genossen. Den
Hochzeitsreigen üben die mächtigen Vögel; er trägt sie in unermeßliche
Höhen, daß sie dem Auge nur noch wie dunkle Punkte erscheinen. Schnell
wie der Blitz dann herab; jetzt ruhiges Schweben, und jetzt so
mächtiges Schlagen der stählernen Schwingen.

Vom Fels zum Meer! Auf niedriger Düne stehend, begrüß' ich die Ostsee.
Nichts, nichts zu sehen als die unbegrenzte tiefgrüne See, deren
weiße Wellenkämme in endloser Folge heranrollen, und der weite Himmel
darüber -- kein Dampfer, kein Segel. Schnurgerade streckt sich die
Düne, mit Sandhafer nur dürftig bewachsen; hinter ihr Buchenwald und
ein paar Strandkiefern. Eine einzelne Seeschwalbe, ein Krähenpaar,
eine weiße Bachstelze am Strand -- aber sie sind nicht imstande, das
Gefühl der Einsamkeit und der endlosen Größe von Sand und Wasser zu
mildern. Plötzlich ein Schrei, und gleich braust es heran, dicht über
mir der gewaltige _Seeadler_. Er umkreist mich so niedrig, daß ich jede
einzelne Schwinge, die goldgelben Augen, das spitze, weißliche Gefieder
an Hals und Nacken, die orangefarbenen Fänge mit ihren schwarzen
Krallen ganz deutlich erkenne. Weiß leuchtet der Stoß. Da, noch ein
zweiter Adler, das etwas kleinere Männchen; mit hellem Schrei stürzt es
herbei.

Ich bin in das Gebiet der Gewaltigen eingedrungen; eine hohe Kiefer
trägt ihren Horst. Wo ich auch stehe, die Adler umkreisen mich,
immer aufgeregt schreiend. Schwerfälliger ist ihr Flug als der des
Steinadlers, aber mächtig der Eindruck, mächtig und kraftvoll wie das
Astwerk der noch blattlosen Buchen, wie die rotbraunen Stämme der
uralten Föhren, gewaltig wie die Wogen der brausenden See: ein Bild
urwüchsiger Kraft.

Auf der Seenplatte, die Norddeutschland von Ostpreußen bis Holstein
durchzieht, haust noch ein anderer Adler. Nicht zu den Größten
gehört er unter den Großen, aber er ist der Edelsten einer des edlen
Geschlechtes. Ein herrlicher Anblick, wenn der _Fischadler_ über
seinen Jagdgründen schwebt! Kaum hebt sich am Morgen der wallende
Nebel über dem dunkeln Waldsee, so erscheint, langsam die Fittiche
schwingend, der stolze Fischer über seinem Jagdgrund! Er senkt sich in
schöner Schraubenlinie herab und umkreist dann den See. Jetzt hemmt
er den Flug; wie ein Falke hängt er im Luftraum. Einen Fisch hat sein
Adlerauge entdeckt. Plötzlich, mit vorgestreckten Fängen stürzt er ins
Wasser; aber noch ehe die Wellenkreise das nahe Ufer erreicht haben,
erscheint der kühne Taucher schon wieder, den Flossenträger in den
wehrhaften Klauen. Die Wassertropfen schüttelt er vom Gefieder; dann
fliegt er heim nach seinem Horst. Still ruht wieder der Waldsee.

Soll ich noch weiter Bilder entwerfen von dem gaukelnden Spiel der
_Turmfalken_ über den Steilwänden und zwischen den Felsenzinnen der
Talschlucht, von dem reißenden Flug des beutegierigen _Sperbers_,
der vom Gehölz her mitten in die Schar der Feldsperlinge stürzt, daß
sie die rettende Hecke kaum noch erreichen, von dem sanften, ruhigen
Schweben hoch über der Flur und noch höher über den Wipfeln des
Waldes, wie es die _Milane_ üben, der rote und der schwarzbraune, oder
von dem lautlosen Dahingleiten der _Rohrweihe_, ganz niedrig über dem
Schilf und dem im Sonnenstrahl glitzernden Wasser -- wer nur einmal
Zeuge solch eindrucksvoller Naturbilder ward, der denkt sein Lebtag
daran.

Im Hochgebirge, wo die Felsenzinken zum tiefblauen Himmel emporstarren,
in der Flachlandschaft, die den See grün umgibt, im Hochwald unsrer
Mittelgebirge, oder draußen am Meeresgestade, wo die brandende Welle an
den Klippen zerschellt: überall bildet die Erscheinung eines Raubvogels
die wirkungsvollste Bereicherung des Landschaftsbildes, eine wertvolle
Zugabe, die den Beschauer alles andere ringsum vergessen läßt.

Aber die Raubvögel sind nicht die einzigen Meister im Flug. Oft ist's
die Wirkung der Massen, die zur Geltung kommt. Wie prächtig ist doch
der Anblick eines nach Tausenden zählenden Schwarmes ziehender _Stare_
im Herbste! Wahre Wolkenzüge, die fortwährend ihre Form ändern, bald
breiter, bald schmäler werden, jetzt sich teilen und jetzt sich von
neuem zu einem Riesenballe vereinen, der durch die Luft rollt. Oder
der schier endlose Zug der _Krähen_, die in lockeren Gruppen am
geröteten Abendhimmel nach ihren nächtlichen Ruheplätzen im Walde über
der Schneelandschaft lautlos dahinstreichen -- wie malerisch, wie
stimmungsvoll dieser Anblick! Anders wieder der Zug der _Kraniche_, den
man an hellen Herbsttagen bisweilen beobachten kann. Sie ziehen immer
so, daß sie einen spitzen Winkel mit zwei ungleich langen Schenkeln
bilden, jeder einzelne Vogel mit Hals und Beinen eine schnurgerade
Linie darstellend. Ein ganz eigentümliches Bild, diese zwei dunkeln,
in einem Punkt sich vereinigenden Striche, wie sie am Herbsthimmel
gen Süden stürmen, im Verein mit dem fallenden Laub, den abgeernteten
Feldern, der letzten Rose im Garten von stärkstem Eindruck auf unser
Gemüt. Werden wir sie wiedersehen, die Boten des Frühlings, noch einmal
die lieblichen Bilder erleben, die in trüben Wintertagen die Sehnsucht
nach dem erwachenden Lenz uns vor die Seele zaubert? -- --

Wenn die grünen Spitzen der Saat aus der leichten Schneedecke
hervorschauen, wenn das Schneeglöckchen sein Köpfchen erhebt und an den
Ruten der Haseln die Kätzchen den Blütenstaub ausstreuen, dann begrüßt
vor seinem Bretterhäuschen Freund _Star_ den aufgehenden Sonnenball mit
jauchzenden Rufen. Von den bereiften Ästen herab schwatzt der muntere
Bursche seine bescheidenen Strophen hinein in den goldenen Morgen.
Nicht genug kann er sich tun vor Freude und Lust: daheim, wieder
daheim! Im schönsten Farbenschmuck, metallisch grün und tief purpurn
läßt die Sonne sein dunkles, weißbetropftes Gefieder erscheinen:
ein liebliches Stimmungsbild, das die selige Hoffnung auf den bald
einziehenden Lenz weckt -- »Frühling, Frühling wird es nun bald!«

Nur wenig Wochen, und die _Lerche_ steigt am Ostermorgen zum Himmel
empor, als wollte sie mit ihrem Siegesruf auch die fernsten Fernen des
Weltalls erfüllen. Höher und höher flattert das kleine Vöglein über der
lenzfrohen Saat, bis es schließlich unserm Auge entschwindet. Aber der
Lobgesang, mit dem die Sängerin dort oben die ersten Sonnenstrahlen
begrüßt, bleibt noch immer vernehmbar. Bald hallt der ganze Himmel
wider von den Jubelchören der singenden Lerchen. Nichts predigt
so laut und eindringlich das Auferstehungsfest der Natur, wie das
»melodisch gewirbelte Lied« der Lerchen, die hoch über dem sprossenden
Grün oder dem samenauswerfenden Landmann, »im blauen Raum verloren«,
jauchzen und jubilieren -- ein Lied ohne Ende, »bei dem die Saaten
lachen«.

       *       *       *       *       *

Wohl ist das Auge der schärfste Sinn, aber die Pforte, die noch tiefer
in unser Innerstes führt, noch unmittelbarer zu Herz und Gemüt, ist das
Ohr. Und kein Zweifel, die Bedeutung der Vögel für das Landschaftsbild
beruht noch weit mehr auf ihrer hervorragenden _Stimmbegabung_, als auf
ihrer bloßen Erscheinung. Dabei wollen wir nicht nur an den jauchzenden
Ruf der Singdrossel, an die Flötenstrophe ihrer Base, der Amsel, an
Rotkehlchens sehnsuchtsvolles Lied, an die kecke Fanfare des Zaunkönigs
oder an den unvergleichlichen Gesang der Nachtigall denken, sondern
auch an andere anspruchslosere Lautäußerungen, zumal bisweilen ein
einzelner Schrei oder ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr, aber auch ein
feiner Lockruf von der stärksten Wirkung ist und dem Landschaftsbild
eine ganz bestimmte Färbung verleihen kann.

Vielleicht ist es nur Einbildung, nur eine schönklingende Redeweise,
wenn man behauptet, eine Beziehung herstellen zu können zwischen den
vielfältigen Stimmen der Natur und den verschiedenen Örtlichkeiten,
die durch solche Lautäußerungen belebt werden, ein leeres Geschwätz,
wenn man meint, der Lobgesang der Lerchen stimme zu der Frühlingssaat,
da unaussprechlich innige Seufzen und Schluchzen der Philomele zu
dem nächtlich dunkeln Gebüsch am Rande des Weihers; nur zu der
Meereswoge, vom heulenden Sturm gegen die Klippen gepeitscht, passe
der heisere Schrei der Möwe, und zu dem nächtlichen Hochwald der
unheimliche Eulenruf; der liebliche Gesang des Rotkehlchens gehöre
in den lichten, maiengrünen Laubwald und das Schackern der Elster
auf die beschneite Flur. Möglich, daß Vogelstimme und Örtlichkeit
wirklich nichts miteinander zu tun haben, obgleich ich darauf hinweisen
könnte, wie z. B. der Lehrmeister der Wasseramsel ohne Zweifel das auf
steinigem Grunde dahinplätschernde Gebirgsbächlein gewesen ist, mit
dessen leisem Rieseln der Gesang des am Wasser aufgewachsenen Vogels
verglichen werden kann, wie das bunte Allerlei der quecksilbernen
Rohrsänger in seiner ganzen Färbung etwas vom Froschkonzert und vom
Gurgeln des Wassers am unterwaschenen Uferrand hat; aber angenommen
auch, es seien nur liebe Erinnerungsbilder -- das jungbelaubte Eichen-
oder Buchenwäldchen im Talgrund, das beim Pirolruf vor unsrer Seele
auftaucht, der schneebedeckte Fichtenbestand, den die Strophe des
Kreuzschnabels uns vorzaubert -- soviel steht jedenfalls fest, daß
unsre Einbildung, diese oder jene örtlichen und zeitlichen Verhältnisse
harmonierten mit ganz bestimmten Vogelstimmen, durchaus lebendig ist
und täglich neue Nahrung empfängt. _Wo wir aber Harmonie empfinden,
empfinden wir Schönheit._ Nicht darauf kommt's an, ob solcher Einklang
wirklich besteht, ob der Verstand ihn ablehnt oder begründet, sondern
allein auf unsre _Empfindung_.

Nur ein paar Beispiele, die den tiefen Eindruck der Vogelstimmen auf
unser Gemüt weit besser erläutern als viele Worte.

Den Ruf der _Wachtel_ kennt jeder, und jedermann liebt ihn. Und doch
anmutig und lieblich kann man ihn kaum nennen. Dazu ist er zu kurz und
namentlich zu hart abgebrochen, in der Nähe sogar ziemlich gellend und
scharf. Nur aus drei Silben besteht der Ruf, ein Daktylus, der stets
wiederholt wird. Wie erklärt sich also der nachhaltige Eindruck des
Wachtelschlags und unsere Vorliebe für ihn? _Die Stimmung, die Färbung
der ganzen Umgebung, das ist die Lösung des Rätsels._

Dem rastlosen Treiben der Stadt haben wir den Rücken gekehrt, der
drückenden Schwüle in den staubigen Straßen sind wir entflohen. Die
heiße Sommersonne ist untergegangen, ein erfrischender Abendhauch weht
aus dem Saatgefilde. Vor uns das Dorf, in blaue Dämmerung gehüllt:
ein Bild des Friedens. Der Lerche bunte Lieder sind verstummt; nur
das gleichmäßige Zirpen der Grillen zittert einschläfernd durch die
weite Flur. Das blühende Weizenfeld hat sich dem Schlaf überlassen;
wie im Traum nickt die geschlossene Blüte des Mohns, und nur ein
paar Abendfalter taumeln über der ruhenden Flur. Da steigt der
Mond am östlichen Himmel auf, und nun tönt es vom Rande des Feldes
»pickwerwick, pickwerwick,« zehn- oder zwölfmal, dann eine Pause.
Eine zweite Wachtel gibt Antwort; in der Ferne schlägt eine dritte,
und je mehr sich die Mitternacht nähert, um so hitziger schallt es.
Erst in den frühesten Morgenstunden verstummt allmählich der muntere
Schlag. Wenn aber dann der junge Tag den nordöstlichen Himmel zu
röten beginnt, tönt es wieder gar eifrig durchs ganze Gelände, das
freundliche »Pickwerwick«, und die ersten Lerchen in der Höhe stimmen
mit ein in den Gesang des Feldes tief unter ihnen.

Schade, ewig schade, daß die vielen Wachteln, deren Schlag mich in
meinen Jugendtagen zur Sommerszeit allabendlich erfreute, bis auf
einzelne Ausnahmen in meiner Heimat verschwunden sind. Unersetzliche
Stimmungswerte sind mit ihnen verloren gegangen; die friedlichen
Feierabende des Dorfs haben eine schwere Einbuße erlitten, und das
Leben des Landmanns ist ärmer geworden.

Von stärkster Wirkung ist auch der _Eulenruf_. An sich unschön, ja
häßlich, heulend und schreckhaft; aber wir glauben gleichfalls eine
Harmonie mit Zeit und Ort zu fühlen, und so dürfen wir auch hier von
einer ästhetischen Bedeutung solch seltsamer Lautäußerungen sprechen.

Der nächtliche Wald oder das einsame zerfallene Gemäuer weckt die
Einbildungskraft, so daß auch der nüchternste Mensch sich nur schwer
eines gewissen Grauens erwehren kann. Aus jedem größeren Wald,
selbst aus manchem Park erschallt um die Zeit von Frühlings Tag- und
Nachtgleiche der Ruf des Waldkauzes; oft wiederholt klingt er wie
heulendes Hohngelächter. Was ist dieser Ruf aber gegen das schauerlich
widerhallende »Buhu« des mächtigen »Aufs«, das der König der Nacht
zur Paarungszeit fast ununterbrochen hören läßt. Wer in uhureicher
Gegend, z. B. in den Waldgebirgen Bosniens nur einmal eine mondhelle
Nacht erlebt hat, wird es begreifen, daß der Uhuruf im Aberglauben,
in Märchen und Sagen eine große Rolle spielt. Unheimlich klifft und
klafft es, heult und wiehert, lacht und jauchzt es durch den dunklen
Gebirgswald.

In unsrer engeren Heimat finden sich die weitaus größten
_Vogelgesellschaften an den Teichen und Seen_ der Lausitz. Sie
verleihen dem Landschaftsbild zu allen Jahreszeiten einen ganz
besonderen Reiz, an dem sich Auge und Ohr des Naturfreundes immer von
neuem ergötzen.

Schon aus der Ferne vernimmt man im zeitigen Frühling, wenn kaum die
ersten grünen Spitzchen des jungen Schilfs über der Wasserfläche
hervorschauen, ein vieltöniges Stimmengewirr. Enten der verschiedensten
Art schreien und quälen; die Kiebitze, die eben von der Reise zurück
sind und von denen einige uns umgaukeln, seltsamen, wuchtelnden
Flugs, stoßen ihre zweisilbigen Klagerufe aus; Bläßhühner lassen ihre
scharfe Lockstimme hören; mit tiefem »grök grök« melden sich die
großen Haubentaucher, während ihre kleinen Vettern, die niedlichen
Zwergtaucher, hell kichern und trillern, die Rothalstaucher aber, die
lautesten ihrer Sippe, seltsam grunzen und quieken, daß man's weithin
hört von einem Teich zu dem andern. Lachmöwen sind auch schon da;
unruhig flattern sie durch die Luft. Aber noch vielmehr mögen sich
in jener Bucht verbergen, die das abgestorbene Schilf unsern Blicken
entzieht; denn hundertfach tönt das nimmermüde »Krrriäh« aus dem
geschützten Winkel.

Wenn aber in ein paar Wochen Drossel- und Teichrohrsänger von der
Reise zurück sein werden, dann geht's noch viel lauter zu; dann hat
diese kleine quecksilberne Sängergesellschaft das Wort; »karrakiet,
karrakiet,« den ganzen Tag fast, besonders am frühesten Morgen und am
Abend bis spät in die Nacht. Kaum zur Geisterstunde gönnt man sich
eine Pause. Es ist, als wollten sie wetteifern mit dem Gequak und
Geknarr der Froschsänger, deren Stimmen die ganze Frühlingsnacht nicht
müde werden.

Und nun treten wir durch das Röhricht ans Ufer. Da schwimmt es auf dem
Gewässer, flattert empor, taucht unter, rennt flügelschlagend über den
Wasserspiegel oder segelt hoch in der Luft. Lachmöwen wirbeln umher
wie riesige Schneeflocken oder ruhen, weißen Seerosen zu vergleichen,
in der lauschigen Bucht, die sie sich zur Brutstätte erkoren haben;
einzelne Trauerseeschwalben schießen durch die Luft; Rotschenkel
ziehen, unermüdlich rufend, ihre Kreise; hinter der Ente flattert der
Erpel von einem Teich zu dem andern: Taucher und Tauchenten üben ihre
Kunst: weg sind sie, mit einemmal verschwunden, um dann an anderer
Stelle wieder aufzutauchen. Das grünfüßige Teichhühnchen macht seinem
Weibchen den Hof; weißstirnige »Blässen« schlagen mit ihren Lappenfüßen
das Wasser; neue Ankömmlinge -- kleine Krikenten sind es -- brausen mit
seltsam schwingenden Flugtönen herbei, und ein paar Rothalsmännchen
bekämpfen einander, bellende und quiekende eifersüchtige Kriegsgesänge
ausstoßend. In der Tat, ich kann mir einen solchen Flachlandsee
meiner Heimat kaum denken ohne das bunte, vielgestaltige Leben seiner
gefiederten Bewohner, und ich weiß nicht zu entscheiden, ob es das
Auge ist oder das Ohr, durch dessen Vermittlung uns dieses nimmermüde
Treiben wirkungsvoller zum Bewußtsein kommt. Ach, wie wäre solch Teich-
oder Seenlandschaft unsrer Heimat mit einem Schlage all ihres Reizes
bar, wenn ihr plötzlich dies reiche Leben geraubt würde!

Und diese Gefahr liegt vielleicht nicht so fern, wie die meisten wohl
glauben. Die Entenscharen haben schon hie und da in erschreckender
Weise abgenommen; wie viele Lachmöwenkolonien sind bereits völlig
verschwunden, wie viele in den letzten Jahrzehnten kleiner und kleiner
geworden! Nicht ein einziges Reiherpaar horstet mehr auf sächsischem
Boden, und der merkwürdigste Vogel unsrer Lausitzer Seenlandschaft,
die _große Rohrdommel_, ist auch bereits so selten geworden, daß man
sie für Sachsen heute schon als ein Naturdenkmal bezeichnen muß. Und
gerade das tiefe »Prumb«, das dieser reiherartige Vogel in der Stille
der Nacht ausstößt, daß man's wohl eine halbe Wegstunde weit hört, ist
wie der Uhuruf im Hochwald oder das Orgeln und Röhren des Platzhirschs
im Herbst von allergrößter Wirkung. Seltsam hört sich's an, und manches
abergläubische Männlein und Weiblein meint, ein Gespenst treibe auf der
schilfbewachsenen Insel im Teich sein unheimliches Wesen.

Auch Instrumentalmusik wird von einigen Vögeln geübt. Da sind zunächst
die _Spechte_ zu nennen. Ihr ganzes Dasein, von der Wiege bis zur
Bahre, steht in innigster Beziehung zum Holz. Kein Wunder also, daß
sich ihre musikalische Betätigung von Anfang an dem Xylophon zugewandt
hat; sie spielen es meisterhaft. Man soll nur versuchen, es ihnen
nachzumachen, man bringt's nicht. Unser Trommeln auf irgendeinen
dürren Ast bleibt Stümperei gegenüber dem kräftigen Schnurren, wie
es besonders der Schwarzspecht, aber auch die kleineren Buntspechte
üben. Sobald der trommelnde Specht nach einem andern Baumzacken fliegt
und mit seinem Instrument wechselt, gleich gibt's einen andern, d.
h. höheren oder tieferen Ton. Dieses Lied ohne Worte ist auch ein
Liebeslied. Es paßt zu der ganzen seligen Frühlingsstimmung im Wald und
im Park und in der lenzgrünen Au, es paßt zu dem ersten Kuckucksruf und
zu dem liebeflehenden Gurren der Wildtaube, zum süßen Lied des Fitis,
wie zum kecken Reiterstückchen des Buchfinken. Den Frühlingstagen
in der sonnigen Heide würde ein eigener Reiz fehlen, wenn sich die
gefiederten Trommler nicht mehr hören ließen.

Und nun unsre _Störche_. Kein Vogel vermag dem Dorfbild so viel
Stimmung und Reiz zu verleihen wie Adebar, unser Langbein; selbst die
lieblichen Schwalben, deren Flug und Gezwitscher das Dorf so anmutig
beleben, müssen in dieser Beziehung hinter ihm zurücktreten. Sie sind
die Schützlinge jedes einzelnen Gehöfts, der Storch aber ist der
Freund der ganzen Gemeinde, gewissermaßen ihr Vertreter innerhalb der
gefiederten Welt. Ich bin so froh, daß wir in der sächsischen Lausitz
noch eine kleine Anzahl besetzter Storchnester haben. Ist's nicht ein
hübsches, gemütliches Bild, wenn die Störche kurz vor Sonnenuntergang
zu ihrem Horst heimkehren und nun am First der strohgedeckten Scheune
stehen, wo sie sich so gut vom geröteten Abendhimmel abheben! Jetzt
vernimmt man auch ihr seltsames Klappern. Es klingt nicht schöner, als
wenn ein Stock schnell über einen hölzernen Zaun hinfährt; aber Poesie
ist's doch, Dorfpoesie, wie das Mühlengeklapper, das Dengeln der Sense,
das Klipp-klapp der Dreschflegel auf harter Tenne. Urgemütlich hallt
es von der Höhe herab durch die ganze Gemeinde zu jedermanns Freude.
Wer es nicht fühlt, daß das Klappern der Störche mehr ist, als bloßes
Geräusch, der hat keinen Sinn für die Reize des Landlebens, kein
Verständnis für das friedliche Dorfbild des Niederlandes, ja es fehlt
ihm die rechte Liebe zur Heimat.

       *       *       *       *       *

Viel geringer in ihrer Bedeutung für das Landschaftsbild sind die
hübschen _Farben_ und _Zeichnungen_ des Vogelkleides. Mutter Natur
handelt gar fürsorglich; sie hat ihre Lieblinge so ausgestattet, daß
selbst ein bunter Vogel, wenn er ruht, nicht besonders auffällt. Der
weiße Bürzel des Eichelhähers oder der Hausschwalbe, der goldgelbe
des Grünspechts, das Weiß und Schwarz der Kiebitze, selbst das
buntschillernde Gewand des Eisvogels, das tropische Farbenkleid der
Blaurake oder des Pirols: das alles kommt doch erst während des Flugs
zur Geltung. Die Bewegung bleibt immer die Hauptsache.

Wie ein leuchtender Funken schießt der _Eisvogel_ an uns vorüber,
metallisch grün und seidig blau, ein blitzender Edelstein von
unvergleichlicher Schönheit. Besonders in der Winterlandschaft,
wenn der Gebirgsbach das schimmernde Eis, das ihn einzwängen will,
mit weißem Gischt überschäumt und das Licht sich in den glänzenden
Schneekristallen tausendfach bricht, dann ist der wunderbare Vogel eine
geradezu märchenhafte, ich möchte sagen überirdische Erscheinung. Ist's
Wirklichkeit oder ist es ein Traum, der unser Auge getäuscht hat?

Eine prächtige Zierde des winterlichen Waldes sind auch die
_Kreuzschnäbel_, nordische Gäste, die uns freilich nicht in jedem
Jahre reichlich besuchen. Ihr Kleid ist wundervoll johannisbeerfarben.
Wenn auf jedem Zweig dichter Schnee liegt und nur hie und da zwischen
dem reinen Weiß die schwarzgrünen Nadeln hervorschauen, dann kann man
sich an dem Farbenreiz der kleinen roten Geschöpfe, wie sie an den
Spitzen der Ästchen oder an den Zapfen herumklettern, nicht satt sehen.
Natürlich wird die Wirkung der Farbe erhöht, wenn die geselligen Vögel
in möglichst großer Zahl auftreten. Denn der einzelne dieser kleinen
Gesellschaft ist ja nur ein Punkt in dem weiten Landschaftsbild; es
müssen sich schon mehrere zu einem bunten Fleck vereinigen, ehe von
einer Farbenwirkung gesprochen werden kann. Und Sonne gehört dazu,
strahlende Sonne!

Ist's bei den Blumen nicht ebenso? Die einzelne Blüte des Mohns,
des Windröschens, der Dotterblume, selbst ein einzelner Busch des
blühenden Heidestrauchs, der Schlehe, des Ginsters geht trotz aller
Farbenpracht in dem großen Gemälde verloren. Viele tausend gleichartige
Blumen sind dazu nötig, auf der Wiese gelbe oder blaue Flecken zu
malen, den Schlehdorn, den Obstbaum in duftigen Schnee zu hüllen, der
sandigen Heide im Spätsommer das lichtviolette Kleid zu weben, den
Berghang in Gelb oder Rosa zu tauchen, und nur wenn wir ganz nah an ein
enger begrenztes Bild herantreten, da genügen auch einzelne Blumen,
einen farbigen Eindruck hervorzurufen: ein paar Rosen am Gartenhaus,
feurige Mohnblumen am Feldrain oder ein paar Schwertlilien am kleinen
schilfumgrenzten Weiher.

Aber gerade den farbenprächtigsten Vögeln begegnet man nur selten
in größerer Anzahl, wenigstens in unserer Heimat. Ich entsinne mich
nur ein einziges Mal einen Trupp von zwölf oder fünfzehn _Pirolen_
angetroffen zu haben. Sie flogen zwischen den Pappelreihen der Straße
eine lange Strecke vor meinem Wagen her; dabei setzten sie sich in
regelmäßigen Zwischenräumen auf die Bäume und warteten, bis das Gefährt
herankam, um dann wogenden Flugs wieder voranzueilen. Ein bezaubernder
Anblick war's, wie das goldgelbe Kleid dieser Vögel abwechselnd
aufblitzte und verlöschte, je nachdem das grelle Sonnenlicht sie
umflutete oder die schwarzen Schatten der hohen Pappeln auf sie fielen.
Also auch hier Hand in Hand Bewegung und Farbe.

Bei der bunten _Mandelkrähe_ habe ich einmal in der Lausitz ganz
Ähnliches erlebt; aber es waren nur vier oder fünf, die mich durch die
sandige Heide ein gut Stück begleiteten.

Im Gesamtbild der Landschaft tut's immer erst die Masse, und in dieser
Beziehung wüßte ich keinen Vogel zu nennen, dessen Farbenkleid seinem
Aufenthaltsort so zum Schmucke gereicht, wie der weiten Wasserfläche
die schneeige _Lachmöwe_ mit ihrem zartblauen Mantel. Den vollen Genuß
gewährt aber auch hier erst die Bewegung, wenn die langflügligen
Vögel zu Hunderten in der Luft wirbeln und ihre kreischenden Stimmen
hören lassen. An der Meeresküste übertönen die _Sturm-_ oder die
_Silbermöwen_ selbst die Wogen der brandenden See, so laut diese
auch gegen die Klippen krachen und donnern. Wenn irgendein Vogel das
Geschöpf einer bestimmten Landschaft genannt werden kann, so ist es die
Möwe. Der Sturm hat ihr die bangen Armknochen und die starken Schäfte
der Schwingen gegeben; die See hat die Ruder gebildet von höchster
Vollendung: der kurze Lauf, seitlich zusammengedrückt, und Schwimmhäute
zwischen den Zehen. Das Blau des Himmels, an dem die weißen Wolken
dahinziehen, das Blau der See, mit dem Weiß der Wellenkämme geschmückt:
die Möwe trägt die gleichen Farben auf ihrem Kleid. »Flatternd schwebt
sie am Himmel, dicht fliegt sie über den Wellen; den lichten Seglern
folgt sie hinaus übers Meer, mit den Wolken zieht sie ins Land. Wo
ein See oder Teich des Himmels Bläue mit den schneeweißen Wolken
wiederspiegelt, da erkennt sie die Heimat -- die Mutter ist's, das
unendliche Meer, das blauen Auges emporschaut -- wo ein Schiff auf dem
Rücken des Stromes langsam dahinzieht, da flattert die Möwe: Grüß mir
das Meer und die felsigen Klippen am Strand und die Brandung im Sturm.«
(Aus des Verf.s Abhandlung über die Möwen in den »Lebensbildern aus der
Tierwelt«, R. Voigtländers Verlag.)

An Farbenpracht ihrer Geschöpfe wird unsre nördliche Heimat von
südlicheren Zonen weit übertroffen. Man hat deshalb wiederholt
versucht, diesem Mangel etwas abzuhelfen, indem man sich Mühe gab,
_fremdländische Vögel_ in Deutschland einzubürgern. Jäger und
übereifrige Vogelfreunde nahmen sich der Sache an. Jene wollten sich in
ihrer Lust an Hege und Jagd nicht genügen lassen mit unsern Feld- und
Waldhühnern, mit Enten und andern Wasservögeln; diese dachten sich's so
schön, die Farbenpracht fremder Zonen in unsre Parks, Gärten und Wälder
zu verpflanzen. Beides Versuche, gegen die sich glücklicherweise die
Natur selbst wehrt. Nur eine einzige Vogelart hat sich wirklich dankbar
gezeigt, der Fasan, dessen Einbürgerung restlos gelungen ist, obgleich
nicht nur das Prachtgefieder, sondern auch das ganze Gebaren des Tieres
den Fremdling noch immer auf den ersten Blick verrät. Dagegen sind
Schopf- und Baumwachtel, Rot- und Moorhuhn sehr bald wieder von der
Bildfläche verschwunden, ebenso der amerikanische Wildputer. Und von
den chinesischen Nachtigallen, Papageien, roten Kardinälen und andern
Ausländern hat man nicht selten an dem Tage, da man sie aussetzte, das
letzte bunte Federchen gesehen. Und das ist gut so. Diese Fremdlinge
passen ebensowenig in die heimatliche Landschaft, wie Weymouthskiefer,
Roßkastanie, Robinie, amerikanische Eiche in den deutschen Wald,
während man in Gärten und Parks sich diese fremdländischen Bäume wohl
kann gefallen lassen.

Anders das _zahme Hofgeflügel_, das ja, soweit es, zur artenreichen
Familie der Hühner gehört, gleichfalls fremdländischen Ursprungs ist.
Hier handelt es sich um Genossen des Menschen, die seine Wohnstätte
mit ihm teilen und dieser tatsächlich zu hoher Zierde gereichen; zur
freien, unberührten Natur aber würden sie gleichfalls im Widerspruch
stehen. Einen Bauernhof, und sei er noch so klein, ohne die muntere
Schar der Hühner, geführt vom farbenprächtigen Hahn, kann man sich
ebensowenig denken, wie das herrschaftliche Gut ohne den kollernden
Puter mit seinen Hennen, und wenn auf der Freitreppe vor dem Schloß
der Pfau sein glänzendes Rad schlägt, so paßt solche Farbenpracht
recht wohl zu dem Reichtum, von dem das Bild zu uns spricht. Tot
ist die Dorfstraße, wenn nicht schillernde und buntscheckige Hühner
umhertrippeln oder an den Hoftoren in den flachen Löchern ruhen, die
sie sich im Schatten des blühenden Hollers ausgescharrt haben. Wie
anmutig auch der Blick in die Höhe, wenn die Tauben ihre Flugkünste
zeigen, in weiten schön geschwungenen Bogen die ganze Ortschaft
umfliegend, bald sich trennen, bald sich wieder vereinen, um sich
endlich flatternd auf dem Dach niederzulassen, unter dem sie wohnen.

Auch unser _zahmes Wassergeflügel_, dessen Stammväter und -mütter
bei uns Heimatrecht genießen, die Gänse und Enten und vor allem die
Schwäne, sind recht wohl imstande, das Landschaftsbild aufs reizvollste
zu beleben. Die Enten am Bach oder Dorfteich -- ach, wie gemütlich
ihr eifriges Schnattern -- die Gänseherde, die durch das Gras zieht,
militärisch in langer Reihe, aber watschelnden Ganges, der stolze
Schwan, gleich einem Schiff mit geblähten Segeln über den Spiegel des
Schloßteichs gleitend: man erfreut sich doch immer wieder an solchem
Anblick, so oft man's auch schon geschaut hat.

       *       *       *       *       *

Hinter dem Vogel bleiben alle andern Tiere in ihrer Bedeutung für das
Landschaftsbild weit zurück. Namentlich gilt das von den _Säugetieren_,
in erster Reihe von den wildlebenden. Mäuse auf dem Felde, niedliche
Spitzmäuse zwischen dem herbstlichen Buchenlaub am Boden, ein Wiesel,
ein Igel -- von einer Bereicherung des Landschaftsbildes kann man
bei ihnen kaum sprechen, nicht einmal wenn ein paar Jungfüchse oder
Karnickel vor ihrem Bau spielen, oder wenn Freund Lampe Fersengeld
gibt, daß seine weiße Blume bei jedem Sprung im Krautacker hell
aufleuchtet wie ein Fetzen Papier, mit dem der Wind sein lustiges Spiel
treibt.

Mit mehr Berechtigung könnten wir schon das muntere _Eichhorn_
anführen, an dessen Kletterkünsten alt und jung sich erfreut. Man kann
dem netten, zierlichen Tierchen kaum gram sein, obgleich es viele
Untugenden hat; wo es dem deutschen Walde fehlt, da vermissen wir's
ungern. Auch die _Fledermäuse_ beleben den dämmernden Abend, der sich
über die Flußlandschaft senkt, in eigenartiger Weise. Viele Freunde
haben sie nicht unter den Menschen, und doch im Vorfrühling ist mir die
erste Fledermaus, die sich aus dem Winterversteck gewagt hat und deren
Zickzackflug sich so seltsam vom geröteten Abendhimmel abhebt, eine gar
liebe Erscheinung, ein Frühlingsbote, den ich ebenso freudig begrüße,
wie den ersten Zitronenfalter, den ersten Flötenruf der Amsel, das
erste Quaken der Frösche.

Von den wildlebenden Säugetieren kommt eigentlich nur das _Hochwild_
für das Landschaftsbild in Betracht: Rot- und Rehwild, in manchem
Herrschaftspark Damwild, weiter das Schwarzwild und im Hochgebirge
das Krickelwild. Ein schmucker _Sechserbock_ im Buchenwalde, mit dem
geperlten Gehörn zwischen den Lauschern, wie er erhobenen Kopfes
verhofft, um dann in weiten Fluchten leichtfüßig über Stock und Stein
zu setzen, eine Ricke mit ihrem Kitzchen auf der Waldwiese äsend,
_Rotwild_, das gegen Abend aus dem Dunkel des Hochwaldes tritt, oder
halbzahmes _Damwild_, das sich im Schloßpark unter dem Schatten
mächtiger Baumriesen gelagert hat: liebliche Bilder sind es, die
keineswegs nur das Herz des Jägers entzücken, sondern jeden erfreuen,
der im Verkehr mit der Natur Genuß und Befriedigung findet. Und wenn im
Herbst der _Brunfthirsch_ orgelt und schreit, in der Dämmerung abends
oder frühmorgens, daß es dröhnend und röchelnd über die Waldblöße
schallt, ich glaube, es kann sich niemand des Eindrucks solcher Laute
entziehen. Ein Stück ursprünglicher, unverdorbener Natur tritt uns in
ihnen entgegen, um so wertvoller, je seltener wir Großstadtmenschen
uns dem unmittelbaren Verkehr mit der Natur hingeben können. Dankbar
erkennen wir's dann an, daß allein einem streng durchgeführten
Jagdschutz solch erhebende Stimmungsbilder auf unserm heimatlichen
Boden zu verdanken sind. Der Uhuruf ist in unsern sächsischen
Gebirgswäldern verhallt; möge nie die Zeit kommen, wo man nicht mehr
den Schrei des Brunfthirsches vernimmt, der seinen Gegner zum Zweikampf
fordert! Ein gut Stück urwüchsigen Waldeszaubers wäre für immer dahin.

Wie ein Recke aus vergangenen Tagen mutet uns das _Wildschwein_ an.
Seine ganze Erscheinung hat gewiß wenig Anziehendes an sich; ein
rauher, borstiger Geselle ist solch ein Keiler, und auch sie, die
Bache, ist eine ungemütliche Dame, aller Anmut, jedes Reizes bar.
Aber im Winter, wenn der Forst tief verschneit ist und das Leben
erstorben scheint, bis auf ein paar Krähen, die sich mit heiserem
Schrei im Wipfel der hohen Föhren einschwingen, daß der Schnee, einer
leichten Staubwolke gleich, dahinfliegt, dann vermögen zwei oder drei
»Schwarzkittel« der Landschaft eine Stimmung von außerordentlicher
Stärke zu verleihen. Die gedrungenen dunkeln Gestalten heben sich so
gut von der weißen Schneedecke ab. Dampf hüllt sie ein, Rauhreif deckt
ihr borstiges Kleid, und am Rüssel haftet der Schnee bis hinauf zu den
Sehern. Sie verachten den eisbärtigen Herrscher des Nordens, der ihnen
nichts anhaben kann; unter dem Schnee wühlen sie doch ihre Nahrung
hervor. Selbst die härteste Schneekruste, die das Reh laufkrank macht,
daß es leicht dem Fuchse zur Beute fällt, brechen sie auf, und die
Kälte fürchten sie noch weniger; denn sie haben sich im Herbst, dank
der Eichel- und Buchelmast, feist herangefressen.

Im Hochgebirge ist es die _Gemse_, welche die nackten Felsengrate und
Steintrümmermeere, die Steilhänge und die höchsten Alpenmatten reizvoll
belebt. Wem nur einmal das Glück geworden ist, vielleicht am frühen
Morgen ein Rudel zu belauschen, das seinen Durst an dem schwarzblauen,
goldumränderten Meerauge tief unten im starren Felsenzirkus löscht und
dann den Menschen bemerkt und erschrickt -- hei! wie schnell geht's in
dem harten Gestein hinauf bis zum zackigen Grat, hinter dem eins nach
dem andern verschwindet -- der vergißt's sein Lebtag nicht wieder.

Im Gewänd kletternde _Hausziegen_ mögen, aus weiter Ferne gesehen,
einen ganz ähnlichen Anblick gewähren, wie ruhig äsendes Krickelwild,
und so mancher Alpenbesucher, der nur das friedliche Haustier
beobachtete, wird in dem Wahn, er habe Gemsen belauscht, hochbefriedigt
aus den Bergen heimkehren. Gewiß, die äußere Erscheinung bietet
viel Ähnliches, aber der Gefühlswert ist in beiden Fällen doch ganz
verschieden. Dort ein Tier der freien Natur, hier ein vom Menschen
abhängiges Geschöpf; dort Freiheit und Ursprünglichkeit, hier Zwang
und Kultur. Wie grundverschieden die Stimmungen, die solcher Gegensatz
im Beschauer auslöst! Wir sehen ja nicht nur mit unserm leiblichen
Auge, sondern zugleich mit einem inneren Sinn. Damit soll jedoch nicht
geleugnet werden, daß auch unsern vierfüßigen _Haustieren_ eine große
Bedeutung für das Landschaftsbild zukommt. Tausend Gemälde älterer und
neuerer Maler führen es uns immer wieder vor Augen.

Wir brauchen nur an die buntscheckigen _Rinder_ zu denken, die auf dem
grünen sonnigen Plan weiden oder wiederkäuend im Schatten hoher Bäume
ruhen, an die blökende _Schafherde_, die langsam am Berghange hinzieht,
an die munteren _Fohlen_, die sich in der Koppel nach Herzenslust
tummeln: anmutige Bilder, die den Frieden des Landlebens atmen. Aber
selbst ein einzelnes Tier, ein einzelnes Gefährt kann der Landschaft
einen bestimmten Stimmungsgehalt geben: der breitstirnige Stier vor dem
Pflug, wie der Postwagen auf der Landstraße.

       *       *       *       *       *

Den kaltblütigen Wirbeltieren, also _Kriechtieren_, _Lurchen_ und
_Fischen_, brauchen wir kaum unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Ihr
verstecktes Leben bringt es mit sich, daß sie auf das Landschaftsbild
nicht bestimmend einwirken, wobei ich jedoch nicht leugnen will, daß
kleine Ausschnitte der Landschaft, z. B. ein Tümpel im verlassenen
Steinbruch durch Tritonen und Salamander, ein steiniger Hang durch
schnelle Eidechsen, ein Gebirgssee oder ein Waldbach durch die hübsch
gepunkteten, flinken Forellen, die hie und da emporschnellen, um nach
Insekten zu schnappen, an Reiz gewinnt.

Aber in einer Hinsicht spielen doch auch ein paar Amphibien keine ganz
unwichtige Rolle. Ich meine gewisse _Froschlurche_, den Wasserfrosch,
den Laubfrosch und die Unke, deren Einzel- oder Chorgesang weithin
durch die stille Landschaft schallt. Wenn wir auf der Stufenleiter der
Tiere aufwärts steigen, so sind es diese Lurche, bei denen wir zuerst
einer wirklichen Vokalmusik begegnen, einer Lautäußerung durch die
Stimme, dem Uranfang einer Sprache. Alle andern tiefer stehenden Tiere,
namentlich die Insekten, üben höchstens Instrumentalmusik aus[1]; der
Frosch aber ist der erste Sänger. Kraftvoll versteht er seine Stimme
zu gebrauchen; bestimmte melodische Sätze wechseln und kehren in
regelmäßiger Folge wieder, und sein angeborenes Gefühl für die Zeitmaße
ist hervorragend, man muß es ihm lassen.

    [1] Wenn man auch bei den brummenden und summenden Insekten,
      den Bienen, Hummeln, Fliegen u. a., von Stimmorganen, wenn
      man vom »Singen« der Mücken redet, so ist nicht viel dagegen
      einzuwenden; denn in der Tat werden solche Lautäußerungen mit
      Hilfe der Atemluft hervorgerufen, die durch die Atemlöcher,
      die sog. »Stigmen« streicht. Aber die Art der Insektenatmung
      ist doch eine ganz andere, als die der höheren Tiere, bei
      denen die Stimmbildung in der Hauptsache der Luftröhre und
      dem Kehlkopf zukommt.

Ein lauwarmer Frühlingsabend hat sich über den schilfumsäumten Teich
gesenkt. Wir sind ans Ufer getreten. Die _Frösche_, deren Chorgesang
uns aus der Ferne entgegenschallte, schweigen jetzt, vergrämt durch
die leisen Erschütterungen des Bodens infolge unserer Tritte. Nur
die Wellen glucksen am Uferrand, und leise flüstert das Schilf im
Abendhauche. Die Rohrsänger sind es, die zuerst die feierliche Stille
unterbrechen: schnarrende, quietschende, pfeifende Töne, ein buntes
Durcheinander, aber immer im Takt. Horch, jetzt auch ein paar gurgelnde
Laute aus der Tiefe des Schilfs: »gluck, gluck«, und zwei oder drei
knarrende Töne: »koax, koax«. Bald wagen's auch andere, hohe Tenöre
und tiefe Baßstimmen, trillernd und volltönend, bis sich die ganze
Gesellschaft an diesem Singsang beteiligt: »brekeke koax, brekekeke,
tuu tuu«. Je mehr der Mond, der hinter den alten Weiden auftaucht,
sein volles Licht über den Teich ergießt, um so eifriger schallt es:
Frösche und Rohrsänger im Wettgesang, daß es weithin schallt über die
schlafende Flur. Die Motive verschieden, die Stimmen höher und tiefer
in seltsam wechselnden Sprüngen hinauf und hinab, ein musikalischer
Mischmasch; aber es paßt alles zusammen, zumal das ganze Konzert von
einem streng innegehaltenen Rhythmus beherrscht wird. Dieser wird
noch besonders dadurch betont, daß einzelne Sängergruppen auf einmal
ein Weilchen schweigen, um dann mit voller Kraft wieder einzufallen.
Jetzt singt es hier, jetzt da; bald knarrt und quakt nur eine kleine
Gesellschaft noch, bald singt wieder der ganze Chor, als sollte er das
Versäumte nachholen. Solches Ab- und Anschwellen wirkt besonders in
größerer Entfernung recht auffallend; es ist, als ob uns der Nachtwind
bald mehr, bald weniger Tonwellen zutrüge, ein rhythmischer Wechsel,
der den Reiz des Froschkonzerts wesentlich erhöht.

Fleißigere Sänger gibt's nicht, als Rohrsänger und Frösche. Selbst die
Nachtigall macht 'mal eine längere Pause zu mitternächtiger Stunde; der
Nachtschwalbe »Spinnen« schweigt mitunter ein Weilchen, und auch die
verliebten Käuze im Kiefernwald gönnen sich hin und wieder ein wenig
Ruhe. Nur der Singsang des Teichs verstummt nie völlig; seine Bewohner,
so scheint es, bedürfen des Schlafs nicht. Das gilt besonders von den
unermüdlich quakenden Fröschen. Kaltblüter nennen wir sie. Gewiß, ihre
schlüpfrige Haut fühlt sich kalt an, ihr Fleisch und ihr Blut; aber
drin im Herzen, da sitzt es, unsichtbar, das Herz im Herzen, glühend
heiß, voll Sehnsucht, voll Liebe, und wes das Herz voll ist, des geht
der Mund über.

Zu allen Zeiten ist man sich des Reizes bewußt gewesen, der vom
Froschgesang ausgeht, und es sind nur naturfremde oder krankhafte
Menschen, die solchen Minnesang verwünschen. Wieviel ärmer wäre die
Frühlingsnacht an unsern Teichen, wenn deren Bewohner, die grünen
Wasserfrösche, ebenso stumm wären, wie ihre braunen Vettern im Grase,
von denen man höchstens ein paar knurrende Laute vernimmt. Da ist mir
der grüne Teichsänger doch hundertmal lieber. Sein Lied stimmt zu den
andern Schilfliedern, bringt Leben in die Natur, und wo Leben und
Stimmung, wo Bewegung und Einklang, da erkenne ich Schönheit.

Auch der _Laubfrosch_, unser Wetterprophet, läßt sich bisweilen die
ganze Nacht hören. Er hat sich einen Sängerplatz in der Höhe, im Grün
von Baum oder Strauch erkoren, von wo nun sein hastig hervorgestoßenes
»äpp, äpp, äpp« durch die Frühlingsnacht hallt, seltsam anzuhören und
lustig zugleich. Der kleine Kerl dünkt sich so wichtig.

Von tieferem Eindruck auf unser Gemüt ist der Einzelruf oder auch der
melodische Rundgesang der _Unken_, die den Dorfweiher oder den Tümpel
draußen im Wiesental bewohnen. Wie Glocken läutet's geheimnisvoll
aus der Tiefe »ung, ung, ung ...«, feierlich, ernst, schwermütig und
traurig, fast immer derselbe Ton, von gleicher Stärke und Höhe. Zu dem
dunkeln, ernsten Weiher mit den Wasserrosen, die im Mondlicht nur matt
und unsicher leuchten, während die schwarzen Schatten der Pappeln auf
der Wasserfläche erzittern, stimmen die melancholischen Glockentöne der
Unken so wunderbar, daß jeder den Eindruck dieser Naturlaute empfindet.

       *       *       *       *       *

Auch manche _Insekten_, namentlich wenn sie in größeren Scharen
auftreten, sind für das ganze Landschaftsbild von Bedeutung. Wir
brauchen nur an die graziösen _Libellen_ zu denken, die jedem Gewässer,
dem Fluß und Bach mit ihren erlenbestandenen Ufern, dem schilfumsäumten
Teich, selbst dem reizlosen Mühlgraben zur Zierde gereichen.
»Wasser-« oder auch »Schlankjungfern« hat sie das Volk getauft, um
den bezaubernden Reiz dieser zarten Wesen zum Ausdruck zu bringen,
im Flug wie im Sitzen von einer Anmut, die nicht ihresgleichen hat.
Oder wer möchte sie missen, die _Bienen_ und die andern Hautflügler,
die mit Gesumm und Gebrumm im Mai den schneeigen Obstbaum, im Juli
die duftende Linde, im August die blühende Heide besuchen! Ein zartes
Getön, wie von Millionen silberner oder gläserner Glöckchen erfüllt die
sonnige Luft. Oder soll ich an die Musik der _Heupferde_ erinnern, die
in der sommerlichen Mittagsglut die Blumen und Gräser zum Schlummer
einlullt, oder an das Zirpen der _Grillen_, das so stimmungsvoll am
Abend durch die Flur zittert. Das einzelne Tierchen leistet wohl wenig
als Musikant, aber tausend und abertausend vereinigt erzeugen ein
eindrucksvolles Getön, das leise über die Landschaft dahinschwebt,
einem zarten Schleier aus gesponnenem Glas vergleichbar.

Von weit höherer Bedeutung ist die artenreiche Gruppe der
_Tagschmetterlinge_. Wie stimmen doch diese leichtbeschwingten, zarten
Geschöpfe, die Sinnbilder eines heiteren, frohen Lebensgenusses, zu
dem sommerlichen Naturbilde mit der Fülle des Lichts und der Farben!
In anmutigstem Spiel gaukeln sie von einer Blume zur andern, haschen
und fliehen sich, bringen Bewegung und Leben. Möchtest du sie missen
auf der sommerlichen Heimatflur? Oder denke an die Frühlingsboten,
den ersten Zitronenfalter, das erste Pfauenauge! Ein trügerischer
Sonnenblick hat den Winterschläfer geweckt, daß er sein sicheres
Versteck verlassen hat und nun über der blumenleeren Erde ruhlos
dahinflattert. Armes Tier, Schneewolken ziehen auf, hinter denen sich
die Sonne versteckt; wie bald bist du erstarrt! Aber umsonst gelebt
hast du nicht. Wir sind dem Frühling begegnet! so jubelt's in uns. Ein
vorzeitig »Sommervöglein« nur, und doch etwas Großes!

Leider sind die schönen Falter in unsrer Heimat seit ein paar
Jahrzehnten recht selten geworden, namentlich in der Nähe der
großen Städte. Selbst die gewöhnlichsten Arten, wie Trauermantel,
Admiral, Distelfalter u. a., haben in ganz auffallender Weise an Zahl
abgenommen. Segelfaltern und Schwalbenschwänzen, die unser Jungenherz
in der schönen Jahreszeit täglich erfreuten, begegnet man nur noch
ausnahmsweise, und die selteneren Nachtschmetterlinge, wie rotes und
blaues Ordensband, Wolfsmilch-, Ligusterschwärmer u. a., die auch vor
einem halben Jahrhundert durchaus nicht häufig waren, scheinen heute
fast schon ausgestorben zu sein. Gewiß tragen die Schmetterlingssammler
einen Teil der Schuld; aber die Hauptursache dieser bedauerlichen
Verarmung der Natur liegt in der fortgeschrittenen Kultivierung des
Bodens, wodurch den Raupen vielfach ihre Nahrungspflanzen entzogen
worden sind. Jedes Winkelchen wird ausgenutzt, alles Unkraut beseitigt;
die Aussaat des Getreides ist reiner als ehemals, die Siedelungen der
Menschen sind gewachsen und der Verkehr ist gestiegen.

       *       *       *       *       *

Die Bedeutung der Tierwelt für das Landschaftsbild kommt uns vielfach
erst dann so recht zum Bewußtsein, wenn dieser Reiz, der von dem
beseelten Geschöpf ausgeht, irgendwo völlig fehlt. Das Tier bildet
einen wesentlichen, zum Ganzen gehörigen Teil der Heimat. Die Harmonie,
die Schönheit ist beeinträchtigt, sobald die dem Landschaftsbild
eigentümlichen Vertreter der Tierwelt verschwunden sind. Der Reichtum,
die Mannigfaltigkeit der Natur hat dann eine schwere Einbuße erlitten
-- schweigend steht der Wald, tot liegt der See, öde die Flur. Verarmt
ist die Heimat und mit ihr unser Leben.

Alle, deren Beruf in Beziehung zur Natur steht, an erster Stelle
der Landmann, der Förster, der Gärtner, der Fischer, sollten sich
der vielfach hart bedrängten Tierwelt der Heimat annehmen. Nicht um
klingende Münze, sondern um edlere Güter handelt es sich, um den
unermeßlichen Wert einer reichen, unverdorbenen Natur.



Die volkstümlichsten Tiere der deutschen Märchen und Fabeln


Wenn ich mir als Kind das Paradies der Schöpfungsgeschichte vorstellte,
da war es nicht etwa die oasenartige Landschaft mit ihren Palmen und
Fruchtbäumen, mit ihren sprudelnden Quellen und Wasserbächen und mit
all den unbekannten, üppig wuchernden Stauden und fremdartigen Blumen,
wie sie die Bilderbibel mir zeigte, sondern das freundliche grüne
Flußtal meiner sächsischen Heimat. Kein schöneres Fleckchen Erde konnte
ich mir denken, als diese sanfte, von bewaldeten Höhenzügen umgrenzte
Au, durch die mein lieber Heimatfluß zwischen sattgrünen Wiesen seinen
Weg nimmt. Hier eine Gruppe mächtiger Eichen und silberstämmiger
Buchen, dort dunkles Erlen- und lichtes Weidengestrüpp, das seine
Arme weithin über das Wasser breitet; an anderer Stelle, inselartig
abgegrenzt, ein dichtes Fichtenwäldchen, ein Laubholzbestand aus Ulmen
und Ahornbäumen, mit Haseln und Wildrosen umsäumt, daneben ein Busch
junger Birken; am Fuße der Talhänge aber große und kleine Felsblöcke in
wirrem Durcheinander, über die das Grün des Adlerfarns schirmartig sich
breitet und Weidenröschen ihre roten Blütentrauben erheben, während
weißflockige Johanniswedel ihr Bild im Wasser schauen, das sich hier
dicht an den Steilhang hinandrängt.

Mitten hinein in die Herrlichkeit dachte ich mir nun Adam und Eva
gesetzt, und ich bevölkerte die liebliche Au mit dem »Gevögel, dem Vieh
und Gewürm«, davon uns die Bibel erzählt. Aber nicht an die Riesen der
Tierwelt dachte ich, Elefant, Giraffe und Nashorn, auch nicht an die
Affen und Papageien, die der Bibelmaler auf dem Bilde so friedlich
vereinigt hatte, die _Tiere der Heimat_ waren es, die sich hier
wirklich ein Stelldichein gaben. Und sie genügten mir, ich kannte sie
aber auch alle.

Das Hochwild trat am Abend aus dem dunklen Tann zur Äsung auf die
Wiese; die Fähe schnürte von ihrem Bau, vor dem die Jungfüchse
spielten, nach dem andern Talhang hinüber; rote Eichkätzchen
kletterten die glatten Stämme der Fichten empor und knapperten an
den Jungtrieben; die Igelmutter führte ihre hoffnungsfrohe Schar
durch das raschelnde Laub; auf dem feuchten Grund des Buchenwaldes
gelbfleckige Erdsalamander; im Sumpf Ringelnattern und Frösche; in den
Wassergräben gelbbauchige Unken, Kamm- und Teichmolche; auf der Wiese
Schmetterlinge ohne Zahl, Heupferde, Maulwürfe und Schermäuse. Und erst
im und am Flusse, welch fröhliches Leben: zierliche Wasserjungfern
mit tiefblauen oder glasartigen Netzflügeln, Wasserläufer und kleine
silberglänzende Fischchen in unendlicher Menge. Überall aber das
fröhliche Heer der gefiederten Welt: Schwälbchen, die so hurtig über
dem Wasser dahinschossen; von dem Eichenhain her lustiger Kuckucksruf,
dem des Pfingstvogels Flöte Antwort gab; im Unterholz das geschwätzige
Plauderliedchen der Gartengrasmücke oder der jubelnde Überschlag des
Plattmönchs; im Hochwald das Gezeter zänkischer Eichelhäher, das
Trommeln der Buntspechte, das Gurren der Ringeltauben; über allem aber,
hoch am strahlenden Himmel ein Bussardpaar, einander umkreisend, ohne
Flügelschlag schwimmend im Luftozean.

Aber auch _Haustiere_ fanden ihren Weg nach meinem Garten Eden. Am
Hange hütete Thomas, der alte Schäfer vom Rittergut, seine sanfte
Herde; am Ufer Jungvieh auf eingekoppelter Weide, und auf dem Fluß
schnatternde Gänse und Enten. Brauchte ich da noch andere Tiere aus
fernen Zonen? Oh, es war eine große, eine unübersehbare Reihe, die da
vor Adam in geordnetem Zuge vorbeimarschierte, hüpfte, schwamm oder
kroch, als der Schöpfer all die Tiere zum Menschen brachte, »daß er
sähe, wie er sie nennete«; denn wie jener sie nannte, so sollten sie
heißen ihr Leben lang.

Da hüpfte die vorlaute Elster heran im schwarzweißen Kleid;
wohlgefällig wippte sie ihre grün und purpurn schillernde Schleppe auf
und ab und schaute neugierig zu dem ersten Menschen hinüber, wobei sie
mit Markolf, dem Eichelhäher, fortgesetzt plauderte. »Plapperelster
sollst du heißen dein Leben lang, du schwatzhaftes Wesen«, sagte Adam,
und schackernd schwang sich der langschwänzige Vogel in die Wipfel
der Bäume. Da nahten zögernd die sanften Wollenträger, der Bock mit
den geringelten Hörnern und neben ihm seine hornlose Gattin. »Schaf
sei euer Name hinfort!« entschied der Mensch, »denn ihr seht ebenso
dumm aus, wie ihr in Wirklichkeit seid!« Schon trabte das Borstenvieh
grunzend herbei, Füße und Rüssel vom schlammigen Boden besudelt, in dem
es soeben noch gewühlt hatte. »Schwein nenne ich dich -- frage nicht
weiter; du weißt schon warum!« und so ging's vorüber in endlosem Zug:
Adler und Gimpel, der stachlige Igel, der furchtsame Hase, Frosch
und Unke, Käfer und Spinne, das Gewürm, das im Grase herankroch, und
die Fische im Fluß, zwei-, vier-, sechs-, achtbeinig und ohne Beine,
befiedert, bepelzt, beschuppt und nackthäutig; sie alle bekamen ihre
Namen, die sie heute noch tragen. Was war doch der erste Mensch für ein
weises Geschöpf!

Und von dieser Weisheit hatte auch ich kleines Menschenkind ein
Stückchen geerbt. Denn in der kindlichen Phantasie liegt Weisheit und
Wahrheit wie im kindlichen Spiel, Weisheit und Wahrheit wie in jenen
köstlich-naiven Worten des biblischen Schöpfungsberichts. Nicht die
leblose Welt ist's, nicht Erde, Wasser und Stein, nicht die blitzenden
Krystalle sind's, die farbigen Kiesel, ja nicht 'mal die Bäume und
Sträucher im Wald oder Garten, nicht die bunten duftenden Blumen, die
das Interesse des ersten Menschen zuerst auf sich lenken, sondern die
_Tiere_.

Und wie Adam, der erste Mensch, am Schöpfungsmorgen dem »Gevögel,
dem Vieh und dem Gewürm« seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte
und nichts von den andern Herrlichkeiten sah, die Gottvater um ihn
aufgebaut hatte -- die Tiere mußten erst ihre Namen haben, ehe er sich
den Fruchtbäumen des Gartens Eden zuwandte -- _so bringt auch heute
noch jedes Kind seine erste Teilnahme, seine erste Liebe den Tieren
entgegen_. Noch ehe unsre Kleinen Worte zu lallen beginnen, hören sie
auf die Stimme des Vogels und beobachten die Bewegungen von Katze und
Hund. Und sie geben, wie Johannes Fischart so reizend sagt, »nach jrer
Notturfft Namen, brauchen den ererbt Adams gwalt, der jedem Geschöpff
ein Nam' gab bald«. »Wauwau« der Hund und »Miau« die Katze, »Muh«
die Kuh und »Piep-piep« das Spätzlein. Ja es kommt vor, daß solch
kleines Menschenkind mit den genannten Tieren seiner Umgebung innigere
Freundschaft geschlossen hat, als mit dem strengen Papa, den es nur
selten sieht und vor dem es sich fürchtet. Es ist auch, als ob die
Tiere diese Zuneigung der Kinder fühlen:

    »Solch blüend alter frisch,
    Vmbsonst so lieblich gstalt nit ist,
    Auch offt das Wild vnd Vieh bewegt,
    Da es, zu dem ein gfallen trägt.«

Und wenn dann der Kleine seine ersten Entdeckungsreisen in Hof und
Garten unternimmt, wie weitet sich da der Kreis solcher Freundschaft!
Das bunte Marienkäferchen, die Schnecke mit ihren spaßhaften
Fühlhörnern, der summende Maikäfer oder der Schnellkäfer, das hüpfende
Heupferd sind seine Lieblinge. Der Tag, an dem der Star das erstemal
wieder vor seinem Bretterhäuschen sitzt, wird zum Festtag. Klopfenden
Herzens lauschen die Kinder dem stillen Glück der Hausrotschwänzchen,
die im verborgenen Winkel der Gartenlaube ihre Jungen aufziehen, bis
endlich die Stunde kommt, wo die kleinen grauen Federbällchen den
ersten Schritt in die Welt wagen.

Und dann die Geschichten und die Lieder, die unsre Kleinen am liebsten
hören und singen, die Bilderbücher, die sie am liebsten besehen,
handeln nicht die meisten von Tieren? Der böse Wolf, der Rotkäppchen
verschlang, der Fuchs, der die Gans gestohlen hat, der Storch, der den
Eltern die Kinder bringt, eins nach dem andern, bisweilen auch zwei auf
einmal, der »gestiefelte Kater«, die »Bremer Stadtmusikanten«; ja auch
in _den_ Geschichten, in _den_ Bilderbüchern, wo Tiere nicht gerade die
Hauptrolle spielen: zur Vervollständigung und zum Schmuck der Erzählung
oder des Bildes sind sie unentbehrlich für das Kind. Wäre es denkbar,
das Märchen von Aschenbrödel ohne die Tauben, die beim Erbsenlesen
helfen: »die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen«, das
Märchen von der Gold- und der Pechmarie ohne den krähenden Haushahn?
Und warum besehen die Kinder so gern die hübschen Bilder unsers
Landsmanns Ludwig Richter? Weil er wie kaum ein anderer Maler die
Kindesseele verstanden hat, und weil sich in jeder Familienstube, die
er so anheimelnd zeichnet, ein Haustier findet, ein Hund, eine Katze.
Und auch im Freien, wo sich die Kinder tummeln, da schaut auf jedem
Bilde ein Spitz zu oder ein Spatz, ein Taubenpaar oder irgend ein
Singvogel, und dieser scheinbar so geringfügige Umstand ist für den
kleinen Beschauer von allergrößtem Reiz.

Als ich ein Kind war, da standen mir -- ich muß es gestehen -- die
Tiere meiner Umgebung näher, und es verband mich mit ihnen ein
innigeres Verhältnis als mit den Menschen, abgesehen natürlich
von Eltern und Geschwistern. Lange ehe ich etwas von Darwins
Abstammungslehre hörte, war ich schon unbewußt ein kleiner Darwinianer;
denn mit dem Star und dem Finken, dem Hund und der Katze, der
Ringelnatter und der Kröte, dem Marienkäferchen und der Schnecke
verkehrte ich, als seien es meine Brüder und Schwestern. Und auch viel
später noch, wenn man mir vom »unvernünftigen Vieh« sprach, habe ich
nie so ganz die unüberbrückbare Kluft begriffen, den gähnenden Abgrund,
der sich zwischen dem Menschen und dem höheren Tiere auftun soll.

Doch was rede ich von mir? Es haben's ja alle genau so oder ähnlich in
den Tagen der Kindheit getrieben. Dem Hahnenschrei legen die Kinder die
Worte unter: »Kikerikieh, ich bin das schönste Vieh«; der Goldammer
versichert sie seiner Zuneigung: »Wie, wie hab' ich dich lieb!« und
mit dem kecken Meislein spielt man Verstecken: »Sitz i da, sitz i da!«
rufen sie beide einander zu, das Vöglein droben im grünen Baum und
unten der Kleine, der zu ihm aufschaut.

Warum ich dies alles erzähle? Weil ich nicht eindringlich genug daran
hinweisen kann, daß _das innige Verhältnis des Menschen zur Tierwelt
der Heimat etwas Ursprüngliches ist, etwas Angeborenes, daß es etwas
Triebartiges an sich hat_ und sich am reinsten in der Kindheit
offenbart, sowohl beim einzelnen Kind jeder Familie, jedes Volksstammes
und aller Zeiten, wie bei der Kindheit des Menschengeschlechts in
grauer Vergangenheit. Nur wenn wir dies wirklich erkannt haben, wird es
uns klar, warum die _Tiere_ eine so große Rolle in _Sage_ und _Märchen_
und _Fabel_ spielen und warum der _Aberglaube_ des Volks sie mit einem
Kranz buntfarbiger Blumen umgeben hat.

In dieser Beziehung herrscht unter allen Völkern die größte
Übereinstimmung, mögen wir an die dichtende Phantasie der uns
verwandten Kulturnationen denken oder an die zum Teil unbeholfenen
Erzählungen unzivilisierter Horden. Sie alle besitzen uralte Sagen und
Märchen, die meisten auch Fabeln und Parabeln, in denen _Tieren_ eine
Hauptrolle zukommt. Und so sind »diese kleinen spielenden Kinder der
allgegenwärtigen Muse der Poesie« _Gemeingut der Menschheit_. Ja die
Gemeinsamkeit solches Besitzes geht so weit, daß einzelne Tiermärchen
oder Tierfabeln in den entferntesten Zonen, wo eine Überlieferung oder
auch nur mittelbare Beeinflussung völlig ausgeschlossen erscheint,
durchaus miteinander übereinstimmen und vielen Tieren hier wie dort die
gleichen Wesenszüge zugeschrieben werden. Selbst unsre lieben deutschen
Märchen, die Großmütterchen am Herd ihren lauschenden Enkelkindern
erzählt, haben ihre Wurzeln zumeist nicht in der grauen Vorzeit der
germanischen Volksstämme, sondern sind im fernen Indien geboren, wie
die Forschungen der vergleichenden Literaturwissenschaft überzeugend
dargetan haben. Aber bei keinem andern Volke, das dürfen wir getrost
behaupten, sind sie mit gleich gemütvollen Zügen, namentlich auch aus
der Tierwelt, ausgestattet worden, wie bei uns Deutschen und höchstens
noch bei den Slawen. Ihnen darf man mit Recht nachrühmen, im innigsten
Verhältnis zur Tierwelt zu stehen. Die Kinder- und Hausmärchen -- ich
meine, so gemütvoll, wie sie von Gebrüder Grimm erzählt werden --
kann kein anderes Volk aufweisen, und Fabeldichter haben gerade wir
Deutschen in reichster Fülle von Ulrich Boner und Burkard Waldis an bis
Leixner, Fulda, Bierbaum, Etzel, Ewers u. v. a.

       *       *       *       *       *

Den freundlichen Leser, der mir bis hierher gefolgt ist, möchte ich
nun einladen, sich auf dem bemoosten Felsblock niederzulassen, der
einst unserm gemeinsamen Stammvater zum Sitz gedient hat, und möchte
an seinem geistigen Auge einen kleinen Teil der Tiere vorüberführen,
von denen unsre Märchen und Fabeln erzählen, die also unserm deutschen
Volke am nächsten stehen, die _volkstümlichsten_ sind. Dabei schalte
ich aber alle fremdländischen Tiere, selbst den König des großen
Reiches aus, ebenso unsre Haustiere. Denn ich möchte an erster Stelle
unsre »Brüder«, die mit uns die Heimaterde bewohnen, allen Lesern
recht warm an's Herz legen und Teilnahme für sie wecken. Gerade die
volkstümlichsten unter ihnen, wenigstens eine große Zahl dieser
Märchenhelden und Fabeltiere, wenn ich sie so nennen darf, bedürfen
dringend des _allgemeinen Schutzes_, sollen sie nicht in längerer oder
kürzerer Zeit spurlos aus der Heimat verschwinden.

Der Nutzen und Schaden, den die einzelnen Tiere dem Menschen bringen,
ist bereits im Übermaß immer und immer wieder erörtert worden, und
die Bestrebungen des Naturschutzes, solch einseitiges Urteil doch
nicht als einzigen Maßstab unseres Verhaltens den Tieren gegenüber
gelten zu lassen, sind bereits Allgemeingut geworden, so daß ich kein
Wort hierüber zu verlieren brauche. Der Hinweis aber, daß eine reiche
Tierwelt zur Belebung der Landschaft in erfreulichster Weise beiträgt,
ist im vorigen Abschnitt behandelt worden, auch habe ich bereits an
anderer Stelle betont, wie eine mannigfaltige, möglichst ursprüngliche
Tierwelt für die Wissenschaft von hervorragender Bedeutung ist. Aber
ich meine, auch die _Volkstümlichkeit_ mancher Tiere -- ich denke z. B.
an den Fuchs und den Igel, den Storch, die Schwalbe, den Kuckuck,
an alle Eulen -- sollte ein recht wesentlicher Grund sein, für den
unbedingten Schutz solcher Tiere einzutreten.

Der volkstümlichste Held des deutschen Märchens wie der deutschen
Fabel ist entschieden der _Fuchs_. Schlauer und verschlagener als alle
andern Geschöpfe, spielt er die Rolle des Betrügers. Er überlistet
die Wildente und den Hasen, den Gockel und seine Hennen, die Gans,
den Raben, den Igel, den Dachs, kurz alle Tiere in Feld und Wald, in
Haus und Hof. Selbst seinen großen Vetter Isengrim mit dem gewaltigen
Wolfsrachen, oder Braun, den Bär, der ihn mit einem Schlage seiner
mächtigen Pranken zu Boden strecken könnte, fürchtet der Spitzbube
nicht. Er kennt die Schwächen jedes einzelnen, weiß seine Gegner alle
zu foppen und spielt ihnen aufs übelste mit; selbst den Jäger führt
der Schlaue oftmals hinter's Licht. Soll es wirklich dahin kommen, daß
solch volkstümliches Tier, von dem jedes Kind zu erzählen weiß, völlig
aus unsrer Heimat verschwindet? Soll es dahin kommen, daß nie mehr ein
Fuchs unsern Weg kreuzt in sandiger Heide und daß wir den Roten nur
noch hinter den Gittern sehen im zoologischen Garten oder ausgestopft
im Museum? Das wäre doch traurig.

Oder der _Storch_. Von ihm gilt dasselbe. Alle Kinder kennen ihn aus
den Bilderbüchern, aus mancherlei Reimen, aus dem Märchen vom »Kalif
Storch«. Daher die ganz unsagbare Freude, wenn man einen wirklich
'mal sieht droben am Strohdach der Scheune, oder einherstolzierend
auf feuchter Wiese oder auf dem Rain zwischen den Äckern, wenn man
sein gemütliches Klappern vernimmt und den ersten Flugübungen der
drei oder vier Jungen zuschaut, die den Horst zaghaft verlassen. Soll
wirklich die Zeit kommen, wo auch das letzte brütende Storchenpaar
und der letzte Horst aus unserm engeren Vaterlande verschwunden sein
wird, wie der Adler, der Reiher, der Kolkrabe und so manche andre.
Wie viel Schönheit, wie viel Poesie wäre dahin, für alle Zeiten
unwiederbringlich dahin! Mögen alle, die's angeht, dafür sorgen, daß
diese gefährdeten Tiere vor dem drohenden Untergang bewahrt bleiben
und daß sich auch noch unsre Enkelkinder an ihnen erfreuen können, wie
unsre Altvordern, die so viele gemütvolle Märchen und unterhaltsame
Fabeln von diesen Tieren zusammenreimten.

Freilich die _großen Raubtiere_ sind längst aus unserm Lande gewichen.
Sie passen nicht mehr in unsre heutigen Verhältnisse, und es wäre
töricht, sie zurückzuwünschen. Braun, der _Bär_, der grobe, aber
gutmütige Gesell, hat innerhalb der deutschen Grenzen seit etwa hundert
Jahren das Heimatrecht verloren, und es vergeht bisweilen mehr als
ein Jahrzehnt, ehe sich 'mal wieder einer, aus Tirol versprengt,
in den bayrischen Alpen zeigt. Wie häufig aber ehemals auch in den
deutschen Mittelgebirgen Meister Petz war, das beweisen die vielen mit
»Bär« zusammengesetzten Ortsnamen, auch hier in Sachsen: Bärenfels,
Bärenhecke, Bärenburg u. a.

Unsre Vorfahren, die alten Germanen, kannten den Bären recht gut,
hatte er doch sein Heim in allen Dickungen aufgeschlagen, von wo
er die mühsam dem Walde abgerungenen Felder heimsuchte und in die
Viehherden einbrach. Mit dem Speer bewaffnet, die Hunde zur Seite,
so zogen die germanischen Jäger auf die Bärenhatz. Das Wildbret des
gewaltigen Tieres war ihnen ebenso willkommen wie das zottige Fell,
auf dem sie, wie es im Liede heißt, lagen und -- »immer noch eins«
tranken. Mit der fortschreitenden Bodenkultur und der zunehmenden
Bevölkerung aber mußte die Zahl des großen Raubtiers zurückgehen. Dazu
kamen mancherlei Verbesserungen der Jagdwaffen und die Einführung
besonderer Jagdarten, die eine Verringerung herbeiführten. In der Zeit
von 1611 bis 1717, also innerhalb 106 Jahren, wurden in dem damaligen
Sachsen, das allerdings wesentlich größer war als unser heutiges,
nach den aufbewahrten Jagdverzeichnissen noch immer 709 Bären zur
Strecke gebracht. Heute ist der Bär selbst in den österreichischen,
den schweizer und italienischen Alpen recht selten geworden; dagegen
beherbergt ihn noch so manches Hochtal der langen Karpatenkette, sowohl
in der Slowakei wie in den rumänischen Südkarpaten. Die Bären unsrer
zoologischen Gärten stammen zum größten Teil aus Siebenbürgen, das auch
heute noch mit Recht als »Bärenland« bezeichnet wird. Ich habe die
Spuren des mächtigen Herrn der dortigen Gebirgswelt auf meinen Reisen
wiederholt beobachten können. In den ehemals ungarischen Karpaten
wurden noch vor kurzer Zeit in einem einzigen Jahre -- es steht mir die
Zahl vom Jahre 1908 zur Verfügung -- noch immer 245 Bären erlegt.

Mit dem Bären ist vielleicht der _Dachs_ am nächsten verwandt. In
Fabel und Märchen spielt er als Meister »Grimbart« eine große Rolle.
Alle Waldgebirge Deutschlands beherbergen wohl noch den griesgrämigen
Einsiedler; aber die letzten Jahrzehnte haben doch auch mit ihm stark
aufgeräumt. Ich habe die meisten Gebirgswälder unsrer deutschen Heimat
durchstreift, bin Reineke oftmals begegnet und habe mich an dessen
hoffnungsfroher Jugend erfreut, selbst den Edel- und den Steinmarder
habe ich in freier Natur angetroffen; aber alt bin ich geworden, ehe
mir Grimbart über den Weg gelaufen ist. Das ist gewiß nur persönliches
Mißgeschick gewesen; indessen, wenigstens für unsre engere Heimat,
muß man einen besetzten Dachsbau doch bereits zu den Naturdenkmälern
zählen. In andern Gegenden freilich ist Meister Grimbart etwas häufiger.

Der Dachs ist übrigens weit weniger Raubtier als seine entfernte
Vetternschaft, die Sippe der Marder. Wohl verschmäht er einen Junghasen
nicht, Fasanen und Hühner mögen sich vor ihm hüten; aber er vertilgt
auch Mäuse, Kerbtiere, Schnecken und Würmer, und gern frißt er allerlei
Beeren, worauf schon sein Gebiß mit den schwachen Reißzähnen hinweist.
Und so ist die Schonzeit gerechtfertigt, die er bei uns vom 1. Februar
bis zum 31. August genießt. Er ist leider das einzige Raubtier, das
sich eines solchen Vorzugs erfreut.

Ein viel schlimmerer Geselle, mit dem Dachs gar nicht zu vergleichen,
auch nicht mit dem Bär, ist oder war der _Wolf_. Wir hören noch gern
die netten Geschichten, die das deutsche Märchen von Isengrim zu
erzählen weiß, wie er von dem schlauen Reineke, dem er an Stärke weit
überlegen ist, immer überlistet wird, wie ihn sein sprichwörtlich
gewordener »Wolfshunger« in hundert Abenteuer verwickelt und an den
Rand des Verderbens lockt; wir gedenken so gern noch der verschiedenen
Rollen, die der Wolf in der Fabel spielt, wo er im Verein mit seinem
Vetter, dem Hund, auftritt oder mit der Wildsau, dem Pferde, dem Lamm,
der Gans, dem Löwen, wie er in den meisten Fällen tüchtig verprügelt
wird oder wie er im Angesicht des Todes sein Testament macht; ja, wir
gedenken seiner noch gern als eines der volkstümlichsten Tiere, aber
wir trauern nicht um ihn und wünschen ihn nicht zurück.

Ehemals mag der Wolf fast überall in deutschen Landen in recht großen
Scharen aufgetreten sein, in den Mittelgebirgen sowohl, wie namentlich
in den weiten Ebenen des Ostens. Wurden doch in jenen 106 Jahren allein
in Sachsen 6937 Wölfe zur Strecke gebracht, wobei die nur gelegentlich
von einzelnen Bauern erlegten nicht mitgezählt sind. Man kann sich
denken, welch furchtbare Geißel Isengrim damals für die Herden wie für
das Wild war, daß die Bewohner von Einzelhöfen, ja ganze Dorfschaften
sich zusammentaten und Treibjagden gegen den Bösen unternahmen oder
ihn in Wolfsgruben fingen und erschlugen, und daß die fürstlichen wie
geistlichen Jagdherren ihm nachstellten und Belohnungen auf seine Haut
ausschrieben, i. J. 1614 z. B. nicht weniger als vier Taler, i. J.
1730 zehn Taler, ein schönes Stück Geld damals. Vielleicht hat der
Wolf weniger der Kultur des Landes, als der fortgesetzten Verfolgung
zwangsweise weichen müssen. Für seinen Wolfshunger gab es in unserm
Vaterlande eben keinen Raum mehr. Nach Osten ist er verdrängt worden,
von wo er gegenwärtig nur vereinzelt einmal in recht strengen Wintern
über die deutsch-polnische Grenze wechselt. Im Wasgau, ebenso in der
Eifel erscheint wohl auch noch ab und zu ein versprengter Isengrim, der
dann gewöhnlich sehr schnell einer Kugel zum Opfer fällt. In Sachsen
war es bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit den Wölfen vorbei;
ja schon kurz vor dem Siebenjährigen Krieg können die Raubgesellen
hier als ausgerottet bezeichnet werden, und nur einzelne Namen wie
Wolfsgrün, Wolfsschlucht, Wolfsheim, Wolfsberg, Wolfshügel erinnern
noch an die einstige Glanzzeit der mordgierigen Bande. Aus unsrer
Dresdner Gegend scheint der Wolf schon recht frühzeitig gewichen zu
sein; wenigstens galt er hier zu Anfang des 17. Jahrhunderts bereits
als Seltenheit, sonst würde man ihm nicht i. J. 1618 eine sog.
»Wolfssäule« im Friedewald, in der Nähe der Landstraße von Meißen
nach Moritzburg, errichtet haben. Die Inschrift der 6 Meter hohen
Steinsäule, auf der ein sitzender Wolf ruht, besagt, daß Kurfürst
Johann Georg I. diesen Wolf »behetzet und beschossen« habe. Das Denkmal
ist oftmals ausgebessert worden, zuletzt i. J. 1919.

Ein zweites Wolfsmal steht in der Heide zwischen Ottendorf und
Laußnitz, seitwärts der Königsbrücker Landstraße, am Wolfsberg. Es
erinnert an einen Wolf, der am Martinstag 1740 hier abgeschossen ward,
der erste wieder in dieser Gegend seit 56 Jahren.

Bekannt ist auch die nur etwas über 2 Meter hohe, pyramidenförmig
zugespitzte Wolfssäule in der Dippoldiswalder Heide, an dem Wege
von Malter nach der Heidemühle. Sie zeigt in recht unbeholfenem
Flachrelief einen Wolf, darunter die Inschrift mit der Zeitangabe
6. März 1802. Ohne Zweifel ist dieser »letzte« sächsische Wolf, wie
ihn der Volksmund bezeichnet, nur ein Überläufer aus den böhmischen
Wäldern gewesen. Dort, ebenso in Schlesien, hat sich der Wolf bis zu
Beginn des 19. Jahrhunderts erhalten. Oft hört man erzählen, daß die
Wölfe i. J. 1813 der vernichteten Armee Napoleons in ganzen Rudeln
nach Deutschland, insbesondere auch nach Sachsen, gefolgt seien; doch
es fehlt der Beweis für solche recht wenig wahrscheinliche Annahme.
Wenn im letztvergangenen Jahrhundert, ja noch 1904, in Sachsen oder
nahe der sächsischen Grenze hier und da ein Wolf erlegt worden ist,
so handelte es sich um gefangene, irgendeiner Menagerie entsprungene
Tiere, falls nicht die Phantasie des glücklichen Schützen in einem
wildernden wolfsähnlichen Hunde den leibhaftigen Isengrim erblickte.
Ausführliches über die Geschichte des Wolfs in Sachsen enthält ein
Aufsatz A. Klengels in den Mitteilungen des Sächsischen Heimatschutzes,
Bd. 9, S. 97 ff.

Auch der kleinere Vetter, der _Fuchs_, hat viel unter der Feindschaft
des Menschen zu leiden, der ihm mit Eisen und Blei und mit vergiftetem
Köder nachstellt. Aber noch immer hat es der Erzschelm verstanden, sich
zu behaupten. Jeden sucht er zu prellen, zu betrügen, der seinen Weg
kreuzt. Eine Legion lustiger Geschichten und unterhaltsamer Späße, die
sich die dichtende Phantasie zusammengereimt hat, von den Tagen Äsops
an bis zu Goethes Tierepos und den Fabeldichtern unsrer Tage.

In jedem größeren Revier, auch bei uns im so stark bevölkerten Sachsen,
gibt es noch Füchse. »Mehr als genug!« denkt mancher Grünrock, der
seine Niederjagd liebt. Ja, in den vergangenen Kriegsjahren haben
sich die Roten eher vermehrt als vermindert. »Das Raubzeug hat im
deutschen Wald überhand genommen,« so klagte man mir, »ganz besonders
die Füchse«. Das Versäumte, glaube ich, wird bald wieder nachgeholt
sein. Der hohe Preis von Reinekes Winterbalg ist gewiß ein gewaltiger
Ansporn für den Jagdberechtigten, den Fuchs zu schießen oder ihn im
Eisen zu fangen -- ein schönes Sümmchen, das solch ein Balg bringt, der
Mühe schon wert, einmal zu nachtschlafender Zeit das warme Bett mit dem
klirrenden Frost draußen am Hochsitz zu vertauschen, auch wenn's kein
feiner »Silberfuchs« ist -- andererseits wird solch hoher Preis den
Wunsch stärken, den Fuchs im Revier nicht völlig zu missen. Heute wird
es der Jäger wohl unterlassen, falls nicht besondere Gründe vorliegen,
die Welpen mit dem noch wertlosen Balg aus ihrem Bau auszugraben, und
so wird die Zeit hoffentlich recht fern sein, wo auch der Fuchs aus dem
deutschen Walde verschwunden ist, wie Wolf, Luchs und Wildkatze.

In den Kreisen der Landwirte und Forstleute hat man schon seit
einiger Zeit begonnen, die _Bedeutung der Raubtiere_ mehr und mehr
einzusehen, und wenn auch heute noch hie und da ein einzelner Jäger ein
geschworener Feind alles »Raubgesindels« ist, so beweist er nur, daß er
von der Lebensweise der Raubtiere, der bepelzten wie der gefiederten,
keine rechte Vorstellung hat. Gerade der Fuchs vertilgt eine Unmenge
von Mäusen, und er ist so lüstern auf dies winzige Wildbret, daß er
sich trotz aller Vorsicht und Schlauheit durch leises »Mäuseln« des
Jägers heranlocken läßt. Daneben aber frißt er auch Kerbtiere und
deren Larven, namentlich Maikäfer, Saateulenraupen und Drahtwürmer.
Daß er nur von Hühnern und Fasanen, von Hasen und Kaninchen lebe, ist
eine böse Verleumdung. Natürlich, was er überlisten kann, nimmt er
mit; selbst das Reh fällt ihm zum Opfer; aber doch nur, wenn es an den
Läufen klagt, die die harte Schneekruste ihm zerschnitten hat, und wohl
auch ohne Hilfe des Fuchses eingegangen wäre. Reineke, und das sollte
man ihm nie vergessen, ist aber auch jagdlich insofern von Nutzen, als
er an erster Stelle kümmernde, kranke und schwache Stücke erbeutet
und dadurch der Ausbreitung von Seuchen vorbeugt, sowie durch solche
Auslese den ganzen Stand des Wildes hebt und stärkt.

Bei Bekämpfung des Raubzeugs kennen einzelne Jäger keine Rücksicht,
und es läuft ebenso häßliche wie unnötige Roheit und Tierquälerei
da mit unter. Oder ist es keine Roheit, die Fähe in der Heckezeit
abzuschießen, daß die Welpen im Bau elend verhungern müssen, oder
das Habichtsweibchen am Horst wegzuknallen und so die Jungvögel
einem elenden Tode preiszugeben? Ist's nicht Tierquälerei, den Fuchs
vierundzwanzig Stunden im Eisen sich abquälen und Eulen oder Bussarde
tagelang mit zerschmetterten Fängen in dem Marterinstrument hängen
zu lassen? Wo der Jäger sich des »Raubgesindels«, wie er's nennt,
nicht anders glaubt erwehren zu können, als daß er Fallen legt und
Eisen stellt, da hat er die Pflicht und Schuldigkeit, am frühen
Morgen nachzusehen, ob sich ein Tier gefangen hat. Wer es unterläßt,
macht sich ebenso der Aasjägerei schuldig wie einer, der auf fünfzig
Schritt Rehe oder Rotwild mit Schrot anspritzt oder ein angeschweißtes
Stück Wild nicht nachsucht. Aber den Räubern gegenüber befinden sich
die Jäger noch oft, wie _Löns_ schreibt, in einem mittelalterlichen
Irrwahn; »der Fuchs ist ihnen ein Dämon, der nachts umgeht und suchet,
was er verschlinge«.

Von anderem Raubwild weiß das Märchen nur wenig. Den _Luchs_, der in
Deutschland bereits völlig ausgestorben ist, kennt es kaum, und wo
die Katze auftritt, da handelt es sich in den meisten Fällen um unsre
Hausmiez, nicht um die _Wildkatze_. Diese ist bis auf wenig Reste
aus den deutschen Forsten verschwunden; nur die zusammenhängenden
Waldungen, die Dickungen und Felsenklüfte an der Mosel und im Südharz
bieten Hinz, dem Kater, dem kraftstrotzenden, gelenkigen Räuber, noch
gute Verstecke. In bewohnteren Gegenden kann man die Wildkatze nicht
dulden; sie hat der Kultur weichen müssen. Aber noch recht häufig kommt
sie in den Karpaten vor, wurden doch im Jahre 1908 noch 5045 Wildkatzen
im damaligen Ungarn zur Strecke gebracht.

Und nun unser gemütlicher _Igel_. Wer kennt es nicht, das köstliche
Märchen von »Swinegel un siner Fru«, wie sie beim Wettlauf den
flüchtigen Lampe betrügen, und die lustige Lehre, die Gebrüder Grimm
hinzufügen, »datt et gerahden is, wenn eener freet, datt he sick 'ne
Fru ut sienem Stande nimmt, un de just so uutsäht es he sülwst. Wer
also en Swinegel is, de mutt tosehn, datt siene Fro ook en Swinegel
is«. Oder wer kennt sie nicht, die Fabel vom Igel und dem Hund, der
sich an dem stachligen Gesellen die Nase blutig sticht, oder die
Geschichte vom Igel, der auswandert, weil er von allen Tieren seiner
Stacheln wegen mißachtet und beschimpft wird, und zufällig ins Land der
Stachelschweine kommt, wo alle Einwohner ganz entzückt ausrufen:

    »... welch schöne Augenweide!
    Sieh nur den Fremdling mit dem Haar von Seide!«

Woran H. H. Ewers die Moral knüpft:

    »Ja, also ist's! und schelten auch die einen
    Voll Hohn dich eine Borstenkreatur,
    Ein struppig Stacheltier -- so mußt du wandern:
    Als Seidenviehchen loben dich die andern.«

Ein köstliches Bild, wenn man 'mal im raschelnden Herbstlaub einer
Igelmama mit ihren vier oder fünf »lütjen Kinners« begegnet, kleinen,
spaßhaften Stachelkugeln, die man gern 'mal in die Hand nimmt. Und
dieser Mäuse- und Insektenvertilger wird -- man sollte es kaum glauben
-- gleichfalls von manchem Jäger verfolgt, da sein schnupperndes
Näschen natürlich auch 'mal ein bodenständiges Nest findet und der
Igel dann nicht lange danach fragt, ob es ein paar Regenwürmer sind
oder Jungvögel, die er entdeckt hat. Ich kenne wenig Tiere, die als
Mäusefänger so nützlich, zugleich aber in ihrer ganzen Erscheinung und
in ihrem Gebaren so lustig und interessant sind wie der Igel, und ich
möchte alle Leser bitten, Swinegel und seiner Familie das allergrößte
Wohlwollen entgegenzubringen.

_Lampe, der Hase_, kommt gleichfalls oftmals in Märchen und Fabeln vor;
er ist immer das arme, geplagte, verfolgte Tier: alles, alles will ihn
fressen, zumal der Mensch. Um sein Aussterben brauchen wir aber kaum
Sorge zu tragen. Der strenge Jagdschutz nimmt sich seiner an; denn der
Hasenbestand ist meistens der Wertmesser des ganzen Reviers, wenigstens
im Niederland. Freilich, wer in den letzten Jahren lediglich den
Ladentischen unsrer Wildbrethandlungen seine Aufmerksamkeit geschenkt
hat, die fast immer »hasenrein« waren, der muß zu der Ansicht gekommen
sein, daß man entweder Lampe neuerdings aus der Liste der jagdbaren
Tiere gestrichen und ihm ewige Schonzeit zugebilligt habe, oder daß es
mit dem Hasenfuß auf unsern Fluren für immer vorbei sei. Aber die Sache
hat andere Gründe, die ich hier nicht erörtern will.

Allerdings mit der Jagd steht es heute schlimm genug. Überall
Wilddiebe, die ihr dunkles Gewerbe treiben! In manchem Revier sind
schon alle _Rothirsche_ abgeschossen, in fast jedem ihre Zahl stark
gezehntet worden. Und wie die fürstlichen Jagdherren gewiß manchmal
in nicht gerechtfertigter Weise zum Schaden des Landwirts, auch der
Forstwirtschaft, das Hochwild über die Maßen hegten und pflegten,
so verfällt man jetzt ins Gegenteil. Man knallt alles nieder oder
wenigstens weit mehr als nötig ist. Es erinnert dieser Vorgang ans Jahr
1848. Auch damals hat man den Rotwildstand, z. B. in unserm Sachsen,
so arg abgeschossen, daß ernstlich die Frage erörtert wurde, ob damit
nicht das Ende des Rotwilds für alle Zeiten gekommen sei. Und heute
stehen Naturfreund und weidgerechter Jäger vor derselben bangen Frage.
Nur ist keine Aussicht vorhanden, daß irgendein Jagdherr in Zukunft in
der Lage sein wird, sein Wild so zu schützen, zu hegen und zu pflegen,
wie es bisher der Fall war.

Es tut einem das Herz weh, wenn man bedenkt, daß der _Hirsch_, von dem
die Tierfabel so manches zu berichten weiß, daß sogar das zierliche
_Reh_, das in vielen Märchen eine besonders liebliche Rolle spielt,
vielleicht in recht naher Zeit aus unsern heimatlichen Wäldern, wenn
auch nicht völlig verschwinden, so doch hier immer seltener werden
soll[2]. Die Freude an der Natur, an der Jagd, an dem Wild liegt unserm
Volke im Blut, ein Erbgut aus Urväterzeit. Und wenn es gewiß auch
eine falsche Vorstellung ist, daß die alten Germanen nur von der Jagd
lebten -- im Gegenteil, sie waren seßhafte Ackerbauern und hatten es
schon zu Beginn unsrer Zeitrechnung in der Art, wie sie ihre Ländereien
bestellten, weiter gebracht, selbst als die Römer -- so war doch die
Jagd von großer Bedeutung für sie.

    [2] Bis vor kurzem wenigstens war das zu befürchten; erst
      in allerletzter Zeit scheint sich der Rehstand hier und da
      wieder erfreulich gehoben zu haben.

Aber ist sie es nicht auch noch in der Gegenwart? Es sind sich
wenig Menschen, auch die nicht, die gern einmal einen Hasenbraten
oder eine Rehkeule verzehren, darüber klar, welche ungeheuren Werte
unser Wildbestand darstellt. Man hat berechnet, daß unmittelbar vor
dem Kriege die jährliche Ausbeute an Wildbret im Deutschen Reiche
20 Millionen Kilogramm betrug, damals im Werte von wenigstens
25 Millionen Mark, daß die Decken, Schwarten, Bälge einen Marktpreis
von gegen 1½ Millionen besaßen, daß der Erlös an Geweihen und Gehörnen
etwa 1 Million betrug. Das Reich nahm beinahe 6 Millionen Mark aus
den Jagdscheinen ein, die Gemeinden schlugen 40 Millionen aus den
Jagdpachten heraus. Dazu kommen die Millionen, die Jagdaufseher,
Treiber, Hundezüchter, Waffen-, Munitions-, Jagdbekleidungsfabrikanten
u. a. verdienen. (Vgl. _H. Löns_, Kraut und Lot, S. 105 ff.)

Aber diese volkswirtschaftliche Bedeutung der Jagd ist nicht die
Hauptsache. Der Jagdschutz, wenn er streng durchgeführt wird, erhält
uns das Wild als ein wertvolles Stück der heimatlichen Natur zur
Freude nicht nur des Jägers, sondern jedes Naturfreundes, und da sich
die Wildhege mit Erfolg immer nur in einem Gelände ausüben läßt, das
noch bis zu gewissem Grade das Gepräge der Urwüchsigkeit zeigt --
ursprüngliche Wälder, Brüche, Moore, Heiden -- so haben wir es zu
nicht geringem Teil der Jagd zu verdanken, wenn noch nicht überall
die Ackerbausteppe und der durchforstete Nutzwald in unserm Vaterland
herrschen, sondern auch noch ab und zu ein Stück Land ein mehr oder
weniger ursprüngliches Gepräge zeigt. Jagd und Jagdpflege sind der
unbewußte Anfang des Naturschutzes und der Naturdenkmalpflege gewesen,
und daher ist es die Pflicht des Heimatschutzes, die edle weidgerechte
Jagd, deren Hauptaufgabe in der Hege und Pflege eines angemessenen
Wildstandes besteht, hochzuhalten und alle jagdlichen Bestrebungen nach
der gekennzeichneten Richtung hin zu unterstützen. »Jagdschutz« also
auch in dem Sinne: »Schutz der Jagd!«

       *       *       *       *       *

Ungleich zahlreicher noch als die Säugetiere sind die _Vögel_, die sich
besonderer Volkstümlichkeit erfreuen und deshalb in vielen Märchen
und Fabeln auftreten. Gleich jenen haben auch die Vögel ihren König,
den _Adler_, nicht wie der Löwe ein Tier fremder Zonen, sondern ein
Bewohner unsrer Heimat. Aber wie wenige meiner Leser werden den stolzen
Vogel aus der freien Natur kennen! Bei uns in Deutschland stehen
sämtliche Adler auf der Aussterbeliste. Der _Steinadler_ horstet wohl
noch in ein oder dem andern Paar in den bayrischen Alpen, während er in
den Wäldern Ostpreußens seit Beginn unsers Jahrhunderts ausgerottet zu
sein scheint. Und doch war dieser wahrhafte König der Lüfte noch vor
hundert Jahren in manchem deutschen Mittelgebirge Brutvogel, ebenso
weitverbreitet im Niederland, in Pommern, Westpreußen, der Mark so gut
wie im Böhmer Wald oder im Riesengebirge.

Etwas besser steht es noch heute um _See-_ und _Fischadler_; doch sind
deren Horste an der Ostseeküste und auf der norddeutschen Seenplatte
gleichfalls gezählt. Den Nachstellungen des Menschen ist der König
der Vögel zum Opfer gefallen. Auch in den Alpen ist der Anfang vom
Ende da, gezählt sind die Tage seiner Herrschaft. In Sachsen horstet
schon längst kein Adler mehr. Aber der Wanderzug führt stets noch
einige Seeadler, auch Fischadler durch unser Land. Sie kommen von der
Wasserkante oder weit aus den russischen Wäldern. Ein gefährlicher Flug
ist's. Es vergeht kein Jahr, wo nicht ein oder der andere der stolzen
Vögel von einem Schießer heruntergeknallt wird, der sich dann als
kühner »Adlerjäger« brüstet.

Mit den nächtlichen Raubvögeln, den _Eulen_, hat sich die Märchen-
und Fabeldichtung gleichfalls viel beschäftigt; Und das ist kein
Wunder. Erst wenn die Dämmerung eintritt, beginnen die Eulen ihre
Streifzüge. Dank ihrem seidenweichen Gefieder gleiten sie geräuschlos
und deshalb geisterhaft an dem nächtlichen Wanderer vorüber, und
unheimlich klagend heult ihre Stimme aus dem dunklen Walde. Gleich
glühenden Kohlen funkeln die Riesenaugen im nächtlichen Schatten --
wieviele Spukgeschichten mögen ihnen ihr Dasein verdanken! Das Märchen
verwendet, um die Stimmung recht gruselig zu machen, die funkelnden
Eulenaugen außerordentlich oft.

Ich glaube, es gibt wenig Menschen, die eine besondere Vorliebe für
diese unheimlichen Gespenstertiere besitzen. Das tut mir leid, einmal
der Eulen wegen und dann auch um meiner selbst willen, da ich mich
mit meiner ausgesprochenen Passion für Käuze und Eulen aller Art
ziemlich vereinsamt fühle. Ein rechtes Verständnis für die Anmut der
Eulen habe ich nur bei den Italienern gefunden; diese betrachten ihre
Steinkäuzchen als wirkliche Hausfreunde und richten dunkle Brutplätze
unter den Dächern mit bequemen Eingängen für sie her. Allerdings
ist ihre Vorliebe für Käuze nicht frei von Eigennutz; denn der
Italiener bedient sich seiner Freunde zum Fang von Kleinvögeln. Auch
die alten Griechen, denen Verständnis und Gefühl für Schönheit doch
wahrhaftig nicht abgesprochen werden kann, erkannten die eigenartige
Eulenschönheit. Die Eule war der Pallas Athene heilig, die selbst als
»eulenäugig« bezeichnet wird; zugleich war sie das Wappentier der
Hauptstadt, das Sinnbild der Weisheit, und sogar als Glücksbotin findet
sie Erwähnung.

Wieviel könnten wir Deutschen doch von den alten Griechen in dieser
Beziehung lernen! Bei uns heißt es: »Häßlich wie eine Nachteul'«, und
Eulenaugen gelten nicht gerade als Schönheit. Dazu ist die Eule in
deutschen Landen so recht der Unglücksvogel, dessen nächtlicher Ruf
Krankheit und Tod kündet. Auch im deutschen Märchen ist der Kauz viel
weniger der Vogel der Weisheit, als der böse Geist, der Dämon, der
Hüter verborgener Schätze, dem Menschen feindlich gesinnt, vertraut
mit der schwarzen Kunst, mit Zauberei; in der Fabel aber ist er ein
Griesgram und rechter Philister.

Ebenso bedauerlich wie auffallend ist der Rückgang der Eulen in unsrer
Heimat. Von dem _Uhu_ will ich nicht reden -- das letzte Paar brütete
noch um die Wende unsers Jahrhunderts in den Felswänden des Hohnsteiner
Reviers. Ich fürchte, der Schutz, den man heute in allen Staatsforsten
dem seltenen Räuber gern gewähren möchte, kommt bereits zu spät, um
den »König der Nacht« zu retten. Aber auch die mittelgroßen Eulen,
wie _Wald-_ und _Schleierkauz_, _Wald-_ und _Sumpfohreule_, selbst
die kleinen _Käuzchen_ sind heutzutage viel seltener geworden als zu
meiner Jugendzeit. Man mag eine Eule aus dem Gehöft verjagen, wenn man
den Mäusejäger durchaus glaubt entbehren zu können; aber eine Eule
töten, bleibt eine Roheit und Gemeinheit, wenn auch vor unsern ganz
unzureichenden sächsischen Gesetzen der Frevler frei ausgeht. Alles,
was bewehrte Fänge und einen Krummschnabel trägt, gehört in Sachsen zu
den jagdbaren Vögeln, und auf diese findet das deutsche Reichsgesetz
keine Anwendung. Der Freibrief, den dieses mit Recht dem Turmfalken,
dem Schrei- und Seeadler, dem Bussard, der Gabelweihe und _sämtlichen
Eulen_, mit Ausnahme des Uhus, ausstellt, hat also für Sachsen keine
Gültigkeit. Hierin endlich einmal Wandel zu schaffen, ist eine
dringende Forderung des Naturschutzes an die Gesetzgebung.

Viel mehr als die lichtscheue Eule ist im deutschen Märchen der _Rabe_
der Vogel der Weisheit. Er hat die Gabe, in die Zukunft zu schauen
und wird so zum Verkünder kommender Ereignisse. Das hängt zweifellos
damit zusammen, daß bei unsern Altvordern der Rabe der Vogel Wodans
war, der Götterbote, der den Verkehr zwischen dem Herrscher des Himmels
und den Bewohnern der Erde vermittelte. Seine Verwandten, die Krähen
und Elstern, gelten als diebisches, zänkisches Gesindel, letztere als
besonders schwatzhaft.

Ein anderer Götterbote war der _Storch_; doch spielt dieser in
orientalischen Erzählungen und Märchen eine weit größere Rolle als in
unserm deutschen Märchenschatz. Auch in der deutschen Fabel begegnet
man dem klappernden Hausfreund nur selten. Dagegen hat unser Volk
um Leben und Treiben des Storchs einen reichen Kranz abergläubischer
Vorstellungen gewunden, deren Ursprung sich in graue Vorzeit verliert.

Unter den Wasservögeln ist wohl der _Schwan_ das vornehmste Märchen-
und Sagentier. Wir denken an das lustige Märchen »Schwan, kleb an!«, an
die reizende Geschichte vom kleinen »häßlichen Entlein«, das aber einem
Schwanenei entschlüpft war und bald zum bildschönen Schwan heranwuchs;
wir denken an Lohengrins Schwan und an die Schwanenritter oder an die
Schwanenjungfrauen, die auf der Donau den Nibelungen erschienen und
sie vor der Fahrt warnten, die allen den Untergang bringe. In Sachsen
brütet der Wildschwan leider nirgends; dazu sind unsre Teiche zu klein
und unsre Elbe mit ihren gemauerten Ufern viel zu nahrungsarm und zu
unruhig. Wer aber die ostpreußischen Seen kennt, der wird sich mit
Freude der anmutigen Schwimmvögel erinnern, die so manchem dieser
Gewässer einen besonderen Schmuck verleihen. Auch Seen in Brandenburg
und Mecklenburg oder der Unterlauf der Warnow unterhalb Rostock
beherbergen noch immer eine erfreuliche Anzahl der stolzen Geschöpfe.
Freilich haben die bösen Verhältnisse der Nachkriegszeit auch in ihre
Reihen starke Lücken gerissen, so daß es ernstlich an der Zeit ist,
für den Schutz dieser Tiere zu sorgen. Besonders lieblich sind die
Familienbilder, die sie zu Sommers Anfang dem Beschauer bieten, wenn
die Schwanenmutter ihre Kleinen das erstemal durchs Schilf auf die
freie Wasserfläche führt oder die grauen Dunenbällchen auf den Rücken
nimmt und mit dieser leichten Bürde zurück zum Neste gleitet.

An zweiter Stelle wäre auch der _Gänse_ zu gedenken. Unsre geliebte
Hausgans, deren Braten alljährlich an meinem Namenstage so manchen
Mittagstisch verschönt -- im vorigen Jahre nach längerer Pause auch
den meinen, da eine freundliche Fee den köstlichen Vogel in mein Haus
flattern ließ -- stammt von der Graugans her, die gleichfalls noch
in Norddeutschland brütet und gelegentlich ihrer Herbstreisen auch
an unsre sächsischen Gewässer kommt. Sie ist eleganter in der Figur,
als unsre Haus- und Hofgenossin, auch leichter im Flug, gewandter im
Schwimmen; denn das Gänsefett belästigt sie nicht so stark wie jene.
Auch die _Ente_ mit dem goldnen Krönchen erscheint im Märchen, und
in der Fabel tritt sie zumeist mit dem Fuchs auf, der ihr den Kragen
umdrehen möchte.

Unter den Singvögeln sind vielleicht die volkstümlichsten _Nachtigall_
und _Lerche_. Ihr Gesang hat von jeher den Menschen begeistert.
In hundert Volksliedern wird die Nachtigall erwähnt, ja bei den
Minnesingern, die sich nicht genug tun können, die kleinen Waldvöglein
zu preisen, ist die Sängerin der Nacht so ziemlich der einzige
Vogel, der mit Namen genannt wird. Die Lerche aber ist die Sängerin
des Tages, die zum Licht emporsteigt, die mit der Morgenröte sich
erhebt, um den ganzen Himmelsraum mit ihrem Jubel zu erfüllen, zum
Preise des Schöpfers. Neben ihnen spielen in Märchen und Fabeln die
andern Kleinvögel, wie Zeisig, Rotkehlchen, Zaunkönig und Star, nur
bescheidene Rollen; sie treten in der Regel nicht allein auf, sondern
in Begleitung jener Sänger. Ich erinnere an die Fabeln vom Zeisig, vom
Kuckuck oder auch vom Wiedehopf und der Nachtigall, von der Schwalbe
und der Lerche.

Die _Schwalbe_ ist der Vogel, der das innigste Bündnis mit dem
Menschen geschlossen hat; denn während recht viele zutrauliche Vögel
wohl die Nähe menschlicher Siedlungen aufsuchen und ihre Wohnung an
unsern Häusern, auf und unter dem Dach, am Gesims, auf einem Balkenkopf
oder in irgendeinem versteckten Winkel aufschlagen, sind es die
niedlichen Rauchschwälbchen mit dem gabelartig verlängerten Schwanz
und der rostroten Stirn, die fast ausnahmslos im Innern der Gebäude
Herberge nehmen. Dem Tragbalken des Vorhauses, der Decke des Kuh- oder
Pferdestalles, wohl auch dem Schirm einer elektrischen Lampe vertrauen
sie ihr Nestchen an. Und solche Anhänglichkeit an uns Menschen verdient
Gegenliebe, wie man sie allgemein in deutschen Landen den lieblichen
Vögelchen entgegenbringt. Eine Schwalbe zu töten oder auch nur ihr Nest
zu zerstören, ist ein schwerer Frevel, der von der rächenden Gottheit
mit langem Siechtum bestraft wird. Wo die glückverheißenden Vögel den
Hof verlassen haben und im kommenden Frühjahr nicht wieder Einkehr
halten, da zieht Unfrieden im Haus ein oder es stirbt ein Bewohner. Wer
möchte es wünschen, daß solch frommer Aberglaube doch endlich in die
Rumpelkammer längst überlebter mittelalterlicher Vorstellungen, die
nicht mehr in unsre aufgeklärte Zeit passen, geworfen werde!

Sinnig sind manche Sagen, die von der Schwalbe berichten. Bei der
Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies flog eine Schwalbe
blitzschnell an dem Flammenschwerte des zürnenden Engels vorüber, um
das arme, verstoßene Menschenpaar in seine neue unbekannte Heimat zu
begleiten. Hier ward sie ihm zur treuesten Freundin im Glück und im
Unglück. Eine andere Sage erzählt: Als Christus am Kreuze hing und, vom
Durst gequält, um Wasser flehte, da hörte eine Schwalbe des Heilands
Bitte: »Mich dürstet«. Schnell eilte sie an eine Quelle, küßte dann
des Sterbenden Lippen und träufelte einige Tropfen Wasser auf sie.
Hierauf umflog sie das Haupt des Heilands, mit ihren langen Schwingen
ihm Kühlung zufächelnd. Dabei streifte sie die blutenden Wunden, so
daß sich Stirn und Kehle rot färbten. Ähnliches weiß die Sage auch
vom _Kreuzschnabel_ zu erzählen. Bei dem Versuch, die Nägel aus dem
Kreuzesstamm zu zerren, hat sich sein Schnabel verbogen, sein Gefieder
gerötet.

Nur ein Wort noch vom _Wiedehopf_. Er steht nicht im besten Geruch und
ist doch mit seiner Federholle und dem ansprechenden Farbenkleid ein
wunderhübscher Vogel. Heute kenne ich den Wiedehopf als sächsischen
Brutvogel nur aus der Lausitz, wo er allerdings außerordentlich selten
ist. In meiner Jugendzeit aber brüteten alljährlich mehrere Paare
in den alten Kirschbäumen, die die Viehweide des Rittergutes meiner
Heimat umgaben. Ein ganz abscheulicher Gestank, wenn man die Nase
in den Eingang solcher Kinderstube bringt; selbst die ausgeflogenen
Jungen müssen sich noch tagelang gewissermaßen auslüften, ehe sie den
Geruch verlieren, so fest sitzt er ihnen im Gefieder. In der Fabel ist
der Wiedehopf seines gekrönten Hauptes wegen der eitle Vogel, dessen
armseliger Ruf sich mit dem Gesang der unscheinbaren Nachtigall nicht
messen kann.

Die Zahl der Vögel, die das Märchen, ganz besonders aber die deutsche
Fabel auftreten läßt, ist so groß, daß man leichter die Arten aufzählen
könnte, von denen das Volk nichts zu erzählen weiß. Kuckuck und Pfau,
Hahn und Sperling, Wachtel und Taube, Kranich und Reiher, Gimpel und
Zeisig müßte ich nennen, und ich würde noch keineswegs allen gerecht
werden. Gerade der Vogel ist von jeher der Liebling des Menschen
gewesen; seine anmutige Gestalt, sein hübsches Farbenkleid, vor allem
aber seine Stimme haben von Anfang an die Aufmerksamkeit eines jeden
auf ihn gelenkt.

       *       *       *       *       *

Die _kaltblütigen Wirbeltiere_ stehen unserm Volke nicht so nahe; das
Verhältnis zu ihnen ist weniger innig. Ganz besonders gilt das von
den _Fischen_. In dem deutschen Märchen spielen sie eine nur sehr
bescheidene Rolle, und auch in den Fabeln tritt nur hie und da mal
der gefräßige Hecht oder der stumpfsinnige Karpfen auf. Die Fische
haben wenig zu sagen, sie sind stumm; daraus erklärt sich wohl solche
Vernachlässigung.

Aber unter den _Lurchen_ gibt es ausgezeichnete Sänger, die mit
ihrem Lied die ganze Frühlingsnacht erfüllen: die _Frösche_ sind es.
Unsern Seen- und Teichlandschaften verleiht ihr Chorgesang einen ganz
eigentümlichen Reiz. Freilich handelt es sich dabei nur um die eine
Art, den _grünen Wasserfrosch_, während man von dem andern, dem braunen
Grasfrosch, der auf der feuchten Wiese oft in großer Anzahl vor unsern
Schritten aufspringt, nur selten einen knurrenden Laut vernimmt; ~rana
muta~, d. i. der Stumme, nannte ihn deshalb der Zoolog. Um so lebhafter
der andere, der Wasserfrosch. Er ist es, von dem das Märchen so viel
zu erzählen weiß, von seinem Schloß tief unten im feuchten Element,
wo der Froschkönig sein Reich aufgeschlagen hat und seine Herrschaft
über die ganze pausbäckige Gesellschaft ausübt. Meist handelt es sich
um Verwandlungsmärchen, um einen Fürstensohn, der in einen Frosch
verzaubert ward und dann durch die Guttat eines Menschenkindes erlöst
wird. Oder ich erinnere an Georg Rollenhagens »Froschmäuseler« aus dem
Jahre 1595, ein langatmiges Reimwerk, dem Homers »Froschmäusekrieg«
zur Grundlage diente. Die ganze wunderliche Hofhaltung der Frösche
und Mäuse wird uns hier geschildert und die blutige Schlacht zwischen
den Bewohnern des Wassers und den kleinen graufelligen Nagern des
Feldes. Und dann, wieviel alte und neue Fabeln handeln doch von dem
kaltblütigen Sänger, der bald mit der Nachtigall, bald mit dem Kuckuck
den Wettgesang anstimmt!

Auch die _Kröte_ mit der goldenen Krone ist eine Märchengestalt,
die auf Erlösung harrt. Ich glaube, ihr schönes goldenes Auge, das
treuherzig blickt, voll Wehmut und Sehnsucht, hat es dem Menschen
angetan. Wer es fertig bringt, eine Kröte in roher Weise zu töten, muß
bar jedes Gemüts sein.

Von den _Schlangen_ ist im Märchen manchmal die Rede. Sie sind die
Behüterinnen verborgener Schätze oder werden nur nebenbei erwähnt,
um die gruselige Stimmung, die einsame, dunkle Orte dem Menschen
einflößen, noch zu erhöhen. Selten wird eine bestimmte heimische
Schlangenart genannt, auch die giftige Kreuzotter nicht. Dagegen tritt
unter dem Namen »Hausunke« die Ringelnatter auf; ihre gelblichen oder
weißen Halbmondflecken am Hinterkopf und Hals werden als Krone gedeutet.

Es würde zu weit führen, auch den _wirbellosen Tieren_ unsre
Aufmerksamkeit zu widmen. Auch von ihnen gibt es recht viele, die
wahrhaft volkstümlich geworden sind und besonders in der deutschen
Fabel häufig auftreten. Ich erinnere nur an Ameise, Biene, Feldgrille,
Heupferd, Leuchtkäfer oder an die Schnecke.

       *       *       *       *       *

Schutz der Tierwelt! Es wird so viel darüber geklagt, daß die
großen Tiere der Tropen und der Polarzonen durch die unsinnige
Jagdleidenschaft der weißen Rasse ihrem Untergang mit Riesenschritten
entgegeneilen, daß die Elefanten, Giraffen und Flußpferde, ebenso die
großen Walsäugetiere oder die Büffel, die einst in ungeheuren Scharen
die weiten Ebenen Nordamerikas belebten, recht bald der Vergangenheit
angehören werden. Und nicht etwa nur die wirtschaftliche Einbuße und
der Verlust, den die Wissenschaft dadurch erleidet, rechtfertigen diese
Klage und Anklage, sondern der Frevel an der Natur ist es, der das Herz
eines jeden mit Bitterkeit und Trauer erfüllt. Aber näher doch als jene
Tiere ferner Zonen sollte uns die _heimatliche_ Tierwelt stehen. An
ihrer Erhaltung ist nicht etwa nur dem einzelnen Naturfreund gelegen,
sondern unserm ganzen Volk im allerweitesten Sinne. Wir dürfen nicht
engherzig nach Nutzen und Schaden fragen, sondern die höheren Tiere
sind mit ganz wenig Ausnahmen -- ich denke z. B. an die Kreuzotter oder
an kleine Säugetiere, die namentlich auf den Feldern als verheerende
Landplage auftreten können -- um ihrer selbst willen des allgemeinen
Schutzes wert. Wenn wir aber aus der großen Masse einige besonders
hervorheben wollen, deren Untergang am meisten beklagenswert wäre,
ein unersetzlicher Verlust nicht nur für die deutsche Landschaft,
sondern für unser ganzes Volk, so sind es die _volkstümlichen Tiere der
deutschen Märchen und Fabeln_.



Allerlei Fischräuber, bepelzt und befiedert


Die Ziele und Bestrebungen der Menschen sind verschieden und müssen es
sein. Was bringt mir Nutzen und Gewinn? was ist für mich persönlich
von Vorteil? was kann mir schaden? was steht mir im Wege, mein Ziel zu
erreichen? Das sind die täglichen Fragen des einzelnen.

Aber der einzelne vermag wenig. Gleichgesinnte haben sich deshalb zu
Verbänden zusammengeschlossen, um mit vereinten Kräften das gemeinsame
Ziel zu verfolgen. Solcher Vereine oder Verbände gibt es unzählige,
und wo sie lediglich äußere Vorteile im Auge haben, wo die Frage
nach Nutzen und Schaden im Vordergrund steht, da kreuzen sich ihre
Interessen vielfach, und es treten Gegensätze hervor, die oftmals zu
erbitterten Kämpfen führen.

Der Landwirt, der Jäger, der Fischzüchter, der Obstgärtner, der Imker
u. a., sie glauben ein Recht zu haben, mit allen Mitteln die Ziele zu
verfolgen, die ihnen ihr Beruf setzt. Sie vergessen aber nur zu leicht
dabei die Rücksichtnahme, die sie ihren Mitmenschen schuldig sind, und
nicht nur diesen, sondern unserer gemeinsamen Mutter, der Natur, der
wir alles verdanken.

Der Jäger sucht die Feinde seines sorgsam gehegten Wildstandes
unschädlich zu machen; er stellt also auch den Raubvögeln nach, deren
herrlicher Flug das Auge und Herz des Naturfreundes erfreut, und er
fragt wenig danach, ob er dadurch den Landwirt schädigt, zu dessen
treuesten Verbündeten im Kampfe gegen die Mäuse gerade sehr viele
Raubvögel gehören. Der Fischereiberechtigte leidet den farbenprächtigen
Eisvogel nicht und fängt ihn in kleinen Tellereisen, obgleich die
Vogelfreunde sich bemühen, diesen herrlichen Edelstein der heimatlichen
Vogelwelt vor völligem Untergang zu bewahren, oder er setzt Prämien
für die Erlegung des Fischadlers und anderer Fischfeinde aus, bepelzt
und befiedert, deren Vernichtung auch die Wissenschaft beklagen muß,
sobald es sich um seltene Naturdenkmäler handelt. Der Bienenzüchter
ist den Meisen und Rotschwänzchen feindlich gesinnt, die ihm manche
Biene wegschnappen; er vergißt dabei, daß gerade diese Vögel dem
deutschen Forstmann wie dem Obstgärtner von allergrößtem Nutzen sind.
Der Pächter von Kirschplantagen klagt darüber, daß der Vogelfreund
den Star durch Aushängen von Nistkästen in mancher Gegend unseres
Vaterlandes in einer Weise vermehrt habe, daß die Kirschenernte durch
diesen Vogel arg geschmälert werde. Die Katze, die dem Gutsbesitzer
unentbehrlich ist, wird geschossen, wenn sie sich am Waldrande zeigt,
oder der Vogelschützler fängt sie in der Falle, die er in seinem Garten
aufgestellt hat. Und so geht es weiter: _überall Gegensätze, überall
Meinungsverschiedenheiten_ zwischen den Jagdschutz-, Fischereischutz-,
Vogelschutz-, Obstbau-, Bienenzüchter-, Gärtner-, Naturschutzvereinen
und ihren einzelnen Vertretern, und _jeder glaubt im Recht zu sein_,
wenn er sich über die Handlungsweise des Nachbarn bitter beklagt.

Und doch, nur ein klein wenig gegenseitiges Verständnis, ein wenig
Rücksichtnahme, freundliches Entgegenkommen von der einen Seite wie
von der andern: wahrhaftig, mancher Streit könnte beigelegt, mancher
Zusammenstoß gemildert werden. Wir wollen doch nicht ganz aufgehen
in unsern persönlichen Interessen, nicht immer nur nach Nutzen und
Schaden fragen, nach eignem Vorteil und Gewinn. Auf eine höhere Warte
müssen wir uns stellen und das große Ganze überblicken, nicht den
einzelnen im Auge haben, sondern die Gesamtheit. So verschieden die
Bestrebungen und Ziele auch sein mögen: in dem _einen_ großen und
idealen Ziele finden wir uns schließlich doch alle zusammen: _die Natur
unsrer Heimat möchten wir so gern in ihrer heiligen, unverletzlichen
Schönheit erhalten wissen_, soweit es ohne wesentliche Schädigungen
_berechtigter_ Sonderinteressen nur irgend möglich ist. _Schutz unsrer
Heimat!_ das muß unsre Losung sein; alles andre hat sich diesem
allgemeinen Ziel unterzuordnen.

Wer den großen, gar nicht hoch genug einzuschätzenden Vorzug besitzt,
daß ihn sein Beruf in die innigste Berührung mit der Natur bringt, der
darf nie vergessen, daß er dieser unsrer Allmutter, wie seinen weniger
begünstigten Mitmenschen gegenüber Verpflichtungen schuldet, die den
eignen persönlichen Interessen vorangehen. Und so sollten sich all
diese Begünstigten die Hand zum Bunde reichen und sich zusammenfinden
in der _Idee des Heimatschutzes_, der kein kleinliches Partei-, kein
einzelnes Berufsinteresse kennt. Die gefährdeten Geschöpfe unsrer
Heimat gilt es zu erhalten, nicht zu vernichten! Wir haben kein Recht,
die Natur zu verstümmeln. Wir wollen uns nicht nur der nützlichen und
harmlosen Tiere annehmen, sondern auch derjenigen, die sich in vielen
Einzelfällen als schädlich erweisen, und wollen diese wenigstens soweit
dulden, daß sie nicht völlig von der Bildfläche des Lebens schwinden --
unrettbar, unwiederbringbar!

       *       *       *       *       *

Die _Fischerei_ hat über die Menge der tierischen Feinde vielleicht
noch mehr zu klagen als die Jagd. Dabei wollen wir die kleineren
Räuber, die den Kerbtieren angehören, ganz unberücksichtigt lassen:
den Gelbrand und seine Larve, die nicht nur die junge Brut überfallen,
sondern sich auch nicht scheuen, mit ihren scharfen Freßwerkzeugen
selbst größere Fische anzubeißen, oder den Rückenschwimmer, auch
Wasserwanzen und Wasserskorpion, ebenso die äußerst räuberischen
Larven mancher anmutigen Libellen, die als fertige Insekten zu
den harmlosesten Tieren gehören. Wir wollen nur an die vielen
Fischfeinde oder, besser gesagt, an die Fischliebhaber denken, die dem
Fischereiberechtigten aus der Reihe der Wirbeltiere mancherlei Schaden
verursachen.

Ein wirkliches Raubtier, der _Fischotter_, der Familie der
Marder angehörend, ist wohl am meisten gefürchtet. Töricht und
ungerechtfertigt wäre es, vom Fischereiberechtigten zu verlangen,
diesen bösen Fischräuber unbehelligt zu lassen. Wo er sich in unsern
Teichgebieten zeigt, die vornehmlich der Karpfen- und Schleienzucht
dienen, da bleibt dem Besitzer oder Pächter gar nichts anderes übrig,
als den Otter im Eisen zu fangen oder auf dem Anstand zu schießen
oder auch durch scharfe Otterhunde und Teckel ihn in seinem Bau
aufzustöbern; denn der Schaden, den der gewandte Schwimmer hier
anrichtet, ist unberechenbar groß, zumal der Fischotter ungleich mehr
Fische vernichtet, als er zu verzehren vermag. Auch den Möweneiern,
der Kiebitzbrut, jungen Gänsen und Enten, zahmen wie wilden, stellt
der mordgierige Räuber nach. Aber es gibt doch auch Gewässer in unserm
Vaterland, Flüsse und Bäche, wo von größerem Fischreichtum nie die
Rede sein kann. Wenn sich hier 'mal ein Fischotter zeigt und der
Fischereiberechtigte fängt nun an zu rechnen: 6 Pfund Fische täglich
zum Fraß und noch doppelt so viel aus reiner Mordlust, macht 18 Pfund
auf den Tag oder 65 Zentner im Jahre; alles halbpfündige Forellen
vielleicht -- mir schwindelt der Kopf, wenn ich dran denke, wieviel
Tausende Papiermark das ausmacht: so ist solches Rechenwerk einfach
lächerlich; denn so viel Fische beherbergt der ganze Fluß nicht, selbst
wenn man die winzigsten Schneider mitrechnet. Oder hofft der Fischer
etwa, wenn er den Übeltäter erst 'mal hat nun die 65 Zentner Fische
selbst einheimsen zu können? Vergebliche Hoffnung! Zu fischreichen
Gründen, wie sie es vielleicht ehemals waren, als die Fabriken durch
ihre Abwässer den Flußlauf noch nicht verunreinigt hatten, werden
derartige Gewässer niemals wieder sich umwandeln, ob man den Otter
gewähren läßt oder ihn wegfängt.

Zum Glück ist der Herr der Seen und Flüsse ein kluges Geschöpf,
vorsichtig, mißtrauisch; die geringste Veränderung in der Nähe seines
Baues und Ausstieges bemerkt er sofort, und so müht sich der Fänger
in vielen Fällen vergeblich ab, den Fischräuber zu überlisten. Wir
dürfen hoffen, daß das interessante »Fischsäugetier« unserer Heimat
trotz aller Nachstellungen, wenn auch in verschwindend geringer Anzahl,
erhalten bleibt.

Auch die Verwandten, die Mitglieder der eigentlichen _Marderfamilie_,
stellen gelegentlich den Karpfen und Schleien und selbst den flinken
Forellen nach. Gute Schwimmer sind sie alle, und was sie erreichen
können zu Land und zu Wasser, wird erbarmungslos gemordet. Aber gerade
die Vielseitigkeit ihres Speisezettels -- Eichkatzen, Wildtauben,
Häher, Krähen, allerlei Kleinvögel und ihre Eier, Mäuse und Frösche,
Ratten, Junghasen, Kaninchen, Fasanen, Eidechsen, Fische, Maikäfer usw.
-- beweist, daß sowohl die größeren Arten, Baum-, Hausmarder und Iltis,
als auch die kleineren, Hermelin und Mauswiesel, neben beträchtlichem
Schaden, den sie vor allem der Niederjagd zufügen, doch auch manchen
Nutzen stiften. Wo sie sich zu stark vermehren, da soll man ihnen
Einhalt gebieten; aber sie auszurotten, wäre eine sehr bedenkliche
Maßnahme. Mäusefraß und Rattenschaden, übermäßige Vermehrung der
Eichhörnchen oder auch der Krähen und Wildtauben würden solchen
Weltverbesserern beweisen, daß sie auf dem Holzwege sind.

Auch die kleine _Wasserspitzmaus_ wird des Fischraubes beschuldigt, und
gewiß mag ihr manche Elritze, mancher Stichling zum Opfer fallen; aber
wenn man bedenkt, daß die flinken, ewig hungrigen Spitzmäuse jedes Tier
auffressen, das sie überwältigen können, Schnecken, Egel, Libellen- und
Schwimmkäferlarven, Flohkrebse, Uferwanzen, Heuschrecken, Regenwürmer,
Raupen, Larven von Köcherfliegen u. a., wird der Fischpächter
versöhnlicher gestimmt werden und den kleinen muntern Schwimmern auch
'mal ein Fischchen gönnen.

Über die _Wasserratte_, die im Gegensatz zu den bisher genannten
Fleisch- und Insektenfressern zu den Nagetieren zählt, sind die
Ansichten geteilt. Die einen meinen, die Wasserratte rühre kein
Fischlein an; andere dagegen behaupten, kleine Fische fielen ihr häufig
zum Opfer, und wo Fischzucht getrieben wird, dürfe es daher keine
Wasserratten geben. Allzugroß wird der Schaden jedenfalls nicht sein,
zumal der Nager durch den Fang fischfeindlicher Wasserinsekten manchen
Verlust wieder auszugleichen mag.

       *       *       *       *       *

Aber _gefiederte_ Fischräuber gibt es viel mehr als bepelzte --
leider, leider! Man kann es den Fischereiberechtigten wirklich nicht
verargen, wenn sie sich gegen die Konkurrenz, die ihnen von dieser
Seite zweifellos in oft recht empfindlicher Weise gemacht wird, zur
Wehr setzen. Auf der andern Seite sind gerade unter diesen gefiederten
Fischliebhabern einige, die zu den schönsten Mitgliedern der Vogelwelt
gehören und unsern Teich- und Seenlandschaften zum reizvollsten Schmuck
gereichen, so daß deren Verfolgung den Naturfreund außerordentlich
schmerzlich berühren muß. Hier ist eine Verständigung sehr schwierig.
Es muß der Fischer dem Vogelfreund ein wenig entgegenkommen, und dieser
jenem. Schon wenn jeder sich bemüht, den Standpunkt des andern zu
verstehen und zu würdigen, wird viel gewonnen sein.

Ich denke, man sollte zunächst einmal unterscheiden, ob es sich um
_einzeln_ lebende Fischräuber handelt, z. B. den Fischadler, den
Schwarzstorch, den Eisvogel, die also mehr oder weniger als Einsiedler
hausen und ein weites Revier für sich beanspruchen, oder um solche
Vögel, die _in größerer Menge_ auftreten, wie Reiher, Möwen, Taucher
u. a. Bei jenen darf man wohl erwarten, daß der einsichtsvolle Fischer,
dem doch auch die Erhaltung der heimatlichen Natur am Herzen liegt,
ein Auge zudrückt, falls die Verhältnisse nicht besonders ungünstig
sind; es kann ja hier höchstens von einem örtlichen, nicht aber
von einem allgemeinen Schaden die Rede sein. Bei den in größerer
Anzahl auftretenden Schädlingen aber sollte man sich damit begnügen,
sie auf ein gewisses Maß zu beschränken. Und dieses Maß, das nicht
überschritten werden darf, scheint mir allerdings für manche Gegend
bereits erreicht zu sein. Indessen allgemeine Regeln, die in jedem
Einzelfall zu beachten sind, lassen sich nicht aufstellen.

Wer den _Eisvogel_ aus dem Bereich der Fischzuchtanstalten vertreibt,
dem wird man es nicht verargen können; denn wo diese gefiederten
Fischer in größerer Anzahl regelmäßig bestimmte Setzteiche besuchen,
da wird der Schaden nicht unerheblich sein, obgleich sie nur
kleinfingerlange Fischchen erbeuten. Solche Fälle aber sind Ausnahmen.
Jedes Pärchen beansprucht ein großes Gebiet und duldet kein zweites
in unmittelbarer Nähe. Und gerade in unserer Heimat sind die Eisvögel
bereits so selten geworden, daß ich nicht weiß, ob jeder meiner Leser
schon einmal in freier Natur den leuchtenden Funken, rotgoldig glänzend
und seidig blau, an sich hat vorüberschießen sehen, oder ob er ihn
nur im ausgestopften Zustande kennt. Jedenfalls ist es selbst für
den, der mit der gefiederten Welt der Heimat vertraut ist, immer ein
Ereignis, wenn er dem Eisvogel an unsern Bächen, Flüssen und Teichen
begegnet. Ihn _überall_, wo er sich zeigt, wegzuknallen oder in kleinen
Tellereisen zu fangen, ist eine Versündigung an der Natur. An unsern
Gebirgsbächen, an unsern Flüssen, an allen Teichen, die nicht gerade
der Fischzucht dienen, sollte man den einsamen Fischer ruhig gewähren
lassen. Oder ist wirklich jemand der Meinung, der Eisvogel trage die
Schuld, daß die heimatlichen Gewässer so arm an Fischen sind?

In dem überaus heißen und regenarmen Sommer des Jahres 1911, wo bei uns
alle Quellen versiegten, jedes Bächlein, jeder Graben austrocknete, da
sammelten sich einige Eisvögel an dem einzigen größeren Bach meiner
Heimat, der noch etwas Wasser führte; der Hunger trieb sie hierher.
Aber dem Tode entging vielleicht keiner; man schoß ab, so viel man
erreichte. Wozu? Hier, wo von gewinnbringender Fischerei nicht die
Rede sein kann, wo nur gelegentlich ein paar Forellen gefangen werden,
hätte man doch wahrhaftig den schönen Vögeln den kleinen Tribut gönnen
können, den sie beanspruchten; nach kurzer Zeit würden sie sich wieder
über ein weites Gebiet, aus dem sie die Trockenheit vertrieben hatte,
verstreut haben. Ist der Fischereiberechtigte der sogenannten wilden
Fischereien wirklich in so bedrängten Verhältnissen, daß es ihm auf
ein paar winzige Fischchen ankommt? so fragt man sich. Nimmt er lieber
den Unwillen der vielen Naturfreunde, die solche Handlungsweise mit
Recht verurteilen, auf sich, als daß er auf eine kleine Anzahl zum Teil
fast wertloser Schuppenträger verzichtet? Man möchte solch engherzigem
Pfennigrechner den geringen Verlust gern aus eigner Tasche ersetzen.

Und nun die weitere Frage: Hat der Fischereipächter ein gesetzliches
Recht, den Eisvogel zu töten? Nach dem deutschen Vogelschutzgesetz
ist der Eisvogel ebenso geschützt wie jeder Singvogel. Bei uns in
Sachsen wird er laut eines Beschlusses des Finanzministeriums vom
3. Juni 1912 als jagdbar angesehen, »da er wirtschaftlich wesentlich
schädlich« sei[3]; doch soll er die allgemeine Schonzeit vom 1. Februar
bis mit 31. August genießen. Die Dienststellen der Forstverwaltung
sind angewiesen, ihn durchaus zu schonen. In Preußen dürfen die
Fischereiberechtigten den Eisvogel ohne Anwendung von Schußwaffen
fangen und töten, in Sachsen nicht. In Bayern aber, in Württemberg,
Baden, Mecklenburg und in fast allen andern deutschen Einzelländern ist
der Eisvogel unbedingt geschützt. Man ist sich in vielen Kreisen über
diese rechtliche Stellung unseres Vogels noch gar nicht im klaren.

    [3] Nach meiner persönlichen Auffassung ist dieser Beschluß
      nicht haltbar. Alle »kleinen Feld-, Wald- und Singvögel«
      sind vom Jagdrecht ausgenommen. Zugegeben auch, daß der
      Eisvogel unter diesen Begriff nicht recht zu bringen ist, ein
      »Wasservogel« -- und als solcher nur wäre er jagdbar -- ist
      er aber gleich der Bachstelze und der Wasseramsel doch nur im
      biologischen, nicht im systematischen Sinne. Und daß Nutzen
      oder Schaden bei der Beurteilung, ob jagdbar oder nicht
      jagdbar, berücksichtigt werden sollen, davon sagt das Gesetz
      nichts.

Sehr bedauerlich ist es auch, daß oftmals lediglich die hervorragende
Schönheit des Vogels den Anreiz zu seiner Verfolgung gibt, wie es auch
von der Mandelkrähe, dem Pirol und andern auffallend gefärbten Vögeln
gilt, die man doch gerade ihrer Schönheit wegen besonders schonen
sollte -- »Schönheit« und »schonen« sind sprachlich verwandte Wörter!
Jede Schule ist stolz darauf, wenn sie unter ihren Anschauungsobjekten
auch einen Eisvogel besitzt, und als vor einigen Jahren die Mode
aufkam, die Schüler im Zeichenunterricht ausgestopfte Vögel zeichnen
und malen zu lassen -- wie kann ein ausgestopfter Vogelbalg das Leben
in freier Natur ersetzen! -- da war die Nachfrage nach Eisvögeln
besonders stark, und trotz aller Schongesetze wurde unter den
prächtigen Vogelgestalten tüchtig aufgeräumt. Wenn der Bestand der
gefiederten Fischer weiter in dem Maße abnimmt, wie innerhalb der
letzten 30 bis 40 Jahre, so wird der schöne Vogel in kurzer Frist,
bei uns wenigstens, nur noch der Sage angehören, und die Enkel, die
vielleicht in der »guten Stube« der Großeltern den ausgestopften
Eisvogel bewundern, wie er da zwischen den goldumrandeten Tellern
und Tassen im Glasschrank seinen Platz gefunden hat, werden es nicht
glauben wollen, daß solch herrliche, tropisch gefärbte Vögel einstmals
in unsrer Heimat gelebt haben. »Warum schoß man sie ab?« so fragen die
Enkel dann, »was taten sie den bösen Menschen zuleide?« »»So manches
Fischlein holten sie sich aus Bächen und Flüssen; da ließ man keinen am
Leben!««

Es nützt wenig, den Fischpächter darauf hinzuweisen, wie doch auch der
Eisvogel gerade für ihn, den Fischer, einigen Nutzen stiftet, indem
er allerlei Kerbtiere und deren Larven wegfängt, die der Fischerei
großen Schaden zufügen; man denkt immer nur an die Konkurrenz durch
den gefiederten Fischer. Gewiß, seine Hauptkost bilden die kleinen
Flossenträger, die er, von seinem Sitzplatz aus eräugt und nun, ins
Wasser hinabstürzend, zu fassen sucht. Aber nicht immer wird ihm ein
Fisch zur Beute; oft ist's nur ein grauer Rückenschwimmer oder die
Larve einer Wasserjungfer, einer Köcherfliege, die er erwischt; noch
öfter aber geht der Stoß fehl. Sehr genaue Forschungen über die Nahrung
der Eisvögel hat _Liebe_ angestellt. Die Untersuchung des Kropfinhaltes
ergab, daß bei 78 v. Hdt. Fischreste, bei 22 aber die Reste von
Kerbtieren überwogen. Damit stimmen auch die Magenuntersuchungen
_Ecksteins_ überein, der in 34 Magen Fischreste, in 12 Magen
Insektenteile fand. Namentlich wenn der Eisvogel Junge im Nest hat,
treibt er eifrig Kerbtierfang; denn zunächst füttert er die Kleinen mit
Insekten und deren Brut, erst später mit Fischen aller Art. Daß er mit
Vorliebe kleine Forellen fange, ist eine grundlose Behauptung.

Wirklich nachweisbaren Schaden wird der Eisvogel nur dort
anrichten, wo künstliche Fischzucht getrieben wird, außerdem wo er
an reichen Fischgewässern ausnahmsweise einmal in größerer Anzahl
auftreten sollte. Wenn ihn der Fischereiberechtigte, namentlich der
Forellenzüchter, an solchen Stellen zu vertreiben sucht, wird kein
verständig Urteilender etwas einzuwenden haben, und wir sollten
meinen, wie in Weinbergen und Kirschplantagen der Gebrauch des
Schießgewehrs zur Abwehr der Vögel gestattet werden kann, so dürfte
es zweckmäßig sein, wenn die Polizeibehörde -- der Stadtrat bzw. die
Amtshauptmannschaft -- ermächtigt würde, die gleiche Erlaubnis den
Besitzern von Forellenzuchtanstalten in bezug auf den Eisvogel zu
erteilen, natürlich nur nach gründlicher Prüfung jedes Einzelfalles und
bloß auf eine bestimmte kurze Zeit. Ganz verwerflich aber ist es, den
herrlichen und bei uns in Sachsen schon recht seltenen Vögeln an jedem
Orte, wo man sie antrifft, nachzustellen.

Und was vom Eisvogel gilt, das gilt in noch erhöhtem Maße von der
_Wasseramsel_. Zwar entbehrt dieser Vogel der tropischen Farbenpracht,
aber er ist trotzdem eine der anmutigsten, lieblichsten Erscheinungen
an unsern Gebirgsbächen, und ein hübsches Kleid besitzt er auch. Das
weiße Vorhemd, das sich wirkungsvoll von der rostbraunen Unterbrust
abhebt, steht ihm ganz allerliebst. In den Bewegungen, besonders dem
fortwährenden Zucken des kurzen Schwänzchens, hat die Wasseramsel
etwas vom Zaunkönig, mit dem sie auch verwandt ist. Sie gehört zu den
Singvögeln und besitzt einen zwitschernden, grasmückenartigen Gesang.
Dem Rieseln des Wassers, das auf steinigem Grunde dahinfließt, ist das
plaudernde Lied zu vergleichen. Und wer je das Glück gehabt hat, die
Wasseramsel beim Schwimmen und Tauchen zu beobachten, der wird immer
mit Vergnügen an sie denken.

Mit dem feuchten Element ist die Wasseramsel von frühester Jugend
an vertraut. Ihre Kinderwiege stand in einem Felsenloch am Ufer
des Gebirgsbachs oder in einem ausgehöhlten Pfahl am Wehr, hinter
dem sich das Wasser staut, vielleicht auch in dem Schaufelrad der
alten verfallenen Mühle, die längst das Klappern verlernt hat. Hier
verträumte das Vögelchen die ersten Tage seiner Kindheit. Es hörte das
Rauschen des Bächleins; es sah, wie der Sonnenstrahl in dem rieselnden
Naß unruhig glitzerte, wie die Mutter mit tropfenden Flügeln aus dem
Wässerlein auftauchte, allerlei Leckerbissen im Schnabel, den Kindern
zur willkommenen Speise. Und dem Bächlein bleibt der Vogel nun auch
sein lebenlang treu. Gewissenhaft folgt er, talab oder talauf fliegend,
all seinen Krümmungen; es ist, als müsse die Wasseramsel das rieselnde
Wasser stets unter sich haben, auf das immer ihr schöner, großer
Augenstern gerichtet ist. Und Furcht vor dem Wasser kennt unser
Vögelchen nicht. Auf einem Stein sitzt es, mitten im Strudel; dann
läuft es hinein in den schäumenden Gischt. Bis zur weißen Hemdbrust
schon reicht ihm das Wasser, jetzt bis zu den Augen, und jetzt ist
das ganze Persönchen in dem klaren Waldbach verschwunden. Mit Flügeln
und Füßen arbeitet der Vogel kräftig gegen die Strömung; dann taucht
er wieder empor und surrt, die Tropfen vom Gefieder abschüttelnd,
nach einem Ästchen, das niedrig über dem Bächlein herabhängt. Aber
nur kurz ist die Ruhe. Dicht über dem Wasser fliegt das Vöglein
weiter talaufwärts, wo es von einem andern Stein aus das Spiel von
neuem beginnt. Selbst den kleinen Wasserfall fürchtet es nicht; im
Flug durchschneidet es ihn und sucht hinter der herabstürzenden Flut
nach Nahrung, die ihm der Bach allezeit spendet. Auch im härtesten
Winter bleiben einige Stellen des lustig von Stufe zu Stufe hüpfenden
Wässerchens eisfrei, daß der niedliche Vogel auch dann keine Not
leidet. Ja mitunter läßt er schon mitten im Winter, wenn die Bäume
ringsum unter der Schneelast sich neigen und über vereistem Grund das
Bächlein talab hüpft, sein kleines Lied hören, und der kleinste der
Kleinen, Zaunkönigs Majestät, gibt ihm Antwort: »Winter, wir fürchten
dich nicht!«

Die Nahrung der Wasseramsel besteht aus allerlei Kleingetier, wie es
jedes klare fließende Wasser am Grunde zwischen und unter den Steinen
reichlich bietet: Larven und Puppen der Wasserkäfer, der Ufer- und
Eintagsfliegen, Wassermotten, Wasserwanzen, Flohkrebschen, wohl auch
eine Wasserschnecke, gelegentlich eine Elritze oder ein Stichling.
An Forellenteichen wird es natürlich auch vorkommen, daß sich die
Wasseramsel an Forellenbrut vergreift. Aber der Schaden, den der
hauptsächlich auf Insektenkost angewiesene Vogel der Fischerei zufügt,
ist so geringfügig, daß wirklich kein Grund vorliegt, ihn zu verfolgen,
wie es noch manchmal geschieht, obgleich das Gesetz ihn unter seinen
Schutz nimmt.

Die Talgründe unserer Heimat, z. B. die anmutigen Seitentäler der Elbe,
namentlich aber auch droben im Gebirge, wo nur immer ein klarer Bach
zu Tal rinnt, beherbergen noch immer den reizvollen Vogel. Möge er uns
erhalten bleiben, damit wir uns auch in Zukunft an dem anmutigen Leben
und Treiben des Vögleins erfreuen können! Gleich dem Eisvogel gereicht
es jedem Gebirgsbach zum lieblichsten Schmuck.

       *       *       *       *       *

Einer der seltensten Brutvögel im Deutschen Reiche ist der
_Schwarzstorch_. Bis auf einige Paare ist er aus unserm Vaterlande
verschwunden. Unsre engere Heimat kennt ihn überhaupt nicht, höchstens
daß er ausnahmsweise einmal an einem unsrer Gewässer auf seiner Herbst-
oder Frühjahrsreise Rast macht. Ich habe den schönen Vogel wiederholt
in Bosnien und in der Herzegowina angetroffen, während ich in
Deutschland seinen Horst nur im Hannöverschen und am Darß (i. J. 1913)
gesehen habe. In Ostpreußen soll es noch mehrere besetzte Horste geben,
auch im Kreise Neu-Ruppin zählte man vor einigen Jahren noch drei Stück.

Wenn wir wünschen, daß dieses Naturdenkmal uns wenigstens in seinen
spärlichen Resten erhalten bleibe, so werden uns sicher alle
Verständigen zustimmen, obwohl der Schwarzstorch ein großer Liebhaber
von Fischen ist.

Unser gemütlicher Hausfreund, der _weiße Storch_ treibt gelegentlich
auch Fischfang. Sollen wir ihm deshalb böse sein? In Sachsen brütet
der Storch fast nur noch in der Lausitz, wo sich aber heute nicht
einmal ein Dutzend besetzter Horste befinden. Die Gemeinde, die ein
Storchenpaar besitzt, ist stolz auf den gefiederten Kinderfreund,
und mit Teilnahme beobachtet groß und klein alle Vorgänge, die sich
am Horst abspielen. Wer den Vögeln ein Leid antut, setzt sich dem
allgemeinen Unwillen der Bevölkerung aus. Trotzdem kommt es bisweilen
noch immer vor, daß ein Storch abgeschossen wird; man findet einen
solchen mitunter verendet im Teichgebiet. Wer ihn auf dem Gewissen
hat, weiß man nicht. Man sollte aufhören, die wenigen Störche, die
unser Sachsen noch beherbergt, mit Pulver und Schrot zu verfolgen. Sind
wir wirklich so arm geworden, daß unsre sächsischen Gewässer nicht
einmal mehr ein paar Dutzend Störchen eine kleine Zubuße zu ihrer
täglichen Nahrung spenden können? Aber auch in noch storchreichen
Gegenden Mecklenburgs, Pommerns usw. hat die Anzahl der Störche in
erschreckender Weise abgenommen. Es ist höchste Zeit, daß wir alle
unsre schützende Hand über diesen Vogel halten, der, wie die Schwalben,
zu den volkstümlichsten Erscheinungen der gefiederten Welt gehört, lieb
und wert schon unsern Voreltern in längst vergangenen Tagen.

Auch für den _Fischadler_, der besonders das norddeutsche Seengebiet
bewohnt, habe ich schon manches gute Wort eingelegt und freundliches
Gehör gefunden. Für unser Sachsen ist der stolze Fischer als Brutvogel
schon längst verschwunden; aber auf dem Zuge weilt er gern ein paar
Tage an unsern stehenden Gewässern. Hoch über dem See zieht er dann
seine Kreise; in Spiralen schraubt er sich tiefer. Plötzlich steht
er, wie ein Falke rüttelnd, im Luftraum. Da stürzt er mit angezogenen
Schwingen hinab. Das Wasser schlägt über ihm zusammen; aber im Nu
taucht er wieder empor, einen Fisch in den Fängen. Ist es wirklich
nötig, daß man diesen herrlichen Vogel sofort, wenn er sich zeigt,
mit Pulver und Schrot empfängt? Ein paar Fische mag sein Besuch
dem Teichpächter kosten; aber wie bald ist der edle Vogel wieder
verschwunden!

       *       *       *       *       *

Neben den bisher angeführten nur _einzeln_ auftretenden Fischräubern
gibt es aber auch Fischerei-Schädlinge, die _kolonienweise_ brüten.
Ihre Anzahl auf ein gewisses Maß zu beschränken, sie »kurz zu halten«,
wie der Jäger sagt, das ist das unveräußerliche Recht aller, die ein
unmittelbares Interesse an dem Blühen und Gedeihen der Fischerei haben.
Freilich sind dabei große Unterschiede zu machen, und _ein Kampf bis
zur Vernichtung ist unter allen Umständen verwerflich_.

Die _Möwen_, die nur ganz geringen Schaden anrichten, da sie zu wenig
Taucher sind, um sich im tiefen Wasser der schnellen Flossenträger
bemächtigen zu können und nur an ganz seichten Stellen oder dort, wo
kleine Fische in Pfützen geraten sind, dem Fischfang obliegen, sollte
man als herrliche Zierde unsrer Gewässer ruhig gewähren lassen. Bei
uns im Binnenland handelt es sich lediglich um die _Lachmöwe_, an der
schokoladebraunen Gesichtsmaske kenntlich, die sie im Sommer trägt.
Manche Kolonie an unsern Teichen ist eingegangen, fast alle sind
schwächer geworden; der Rückgang seit zehn oder zwanzig Jahren ist
ganz auffallend. Er hängt wohl weniger damit zusammen, daß übereifrige
Fischer die Vögel beim Brutgeschäft stören, um sie zu vertreiben, als
mit dem Eierraub, der oft in rücksichtslosester Weise Jahr für Jahr
ausgeübt wird, bis die Vögel den unwirtlichen Ort verlassen und der
Besitzer der Kolonie das Nachsehen hat.

Der Nutzen, den die Möwen für den Landwirt haben, ist unbestreitbar.
Hinter dem pflügenden Landmann flattern und schreiten sie einher, die
Insekten auflesend, die die Pflugschar freigelegt hat; ja, man kann
beobachten, wie sie selbst der Mäusejagd auf den Feldern obliegen.
Ihre Jungen füttern sie ausschließlich mit Kerbtieren, unter denen
sich viele Fischereischädlinge befinden; ich habe niemals Fischreste
an ihren Brutplätzen entdeckt. Auch an der Wasserkante macht sich der
Rückgang aller Möwenarten von Jahr zu Jahr immer mehr bemerkbar. Früher
sah man besonders bei stürmischer Witterung in den deutschen Seestädten
viele Tausende von Möwen an und über den Hafengewässern, heute nur
eine geringe Zahl. Jedenfalls hat der Fischer keinen stichhaltigen
Grund, die Möwen zu verfolgen, und wenn Badegäste am Strand und
vom Boot aus die anmutigen Segler der Lüfte, lediglich aus Übermut
und um der Schießlust zu frönen, wegknallen, so sollte die dortige
Bevölkerung den Frevlern solch verächtliches Handwerk gründlich legen.
Den Schießern als Ziel zu dienen, dazu sind die Möwen, die so recht
ein Gottesgeschenk für unsre Küstengewässer wie Binnenseen bedeuten,
wahrhaftig nicht da.

Auf und an fast allen größeren Teichen brüten, meist in mehreren
Paaren, unsre vier _Taucher_, von denen der stattliche schöne
_Haubentaucher_ der seltenste ist. Er beansprucht eine größere
Wasserfläche als die andern und kommt deshalb, namentlich auf den
kleineren Gewässern unsrer Heimat, gewöhnlich nur vereinzelt oder in
wenigen Paaren vor. Der Fischer ist sehr schlecht auf ihn zu sprechen;
er betrachtet ihn als einen argen Räuber. Leider kann man diese Anklage
nicht widerlegen. Selbst der Hinweis darauf, daß der Vogel doch auch
viele Insekten vertilge, wird den Fischereiberechtigten kaum milder
stimmen. »Insekten?« so entgegnet er uns, »die hätten ja auch den
Fischen zur Nahrung dienen können; die Taucher verkürzen also auch noch
jenen das tägliche Brot und schädigen mich so auf doppelte Weise.« Es
ist schwer, dagegen etwas zu sagen, wenn man nicht immer wieder an
die vielen räuberischen Insektenlarven erinnern will. Das Eine aber
steht fest: bei solch einseitiger Betonung ganz bestimmter Interessen
dürfte es bald aus sein mit dem Reichtum und der Mannigfaltigkeit der
Natur. Mit demselben Recht würde der Brieftaubenzüchter fordern, daß
er alle Raubvögel, der Imker, daß er Meisen und Fliegenschnäpper, der
Obstzüchter, daß er Stare und Pirole abschießen dürfe. Wohin sollte
das führen? Die kleineren Taucher, die _Rot-_ und die _Schwarzhälse_,
namentlich aber der winzige _Zwergtaucher_, tun der Fischerei wenig
Abbruch; man sollte sie ruhig gewähren lassen. Den großen Haubentaucher
aber sollte man gleichfalls schonen, weil er selten ist, nur vereinzelt
vorkommt und dem Gewässer zur schönsten Zierde gereicht. Freilich von
Brut- und Streckteichen muß er ferngehalten werden.

Viel schlimmere Fischräuber sind die _Kormorane_. Aber für die
deutsche Fischerei kommen diese Vögel nicht mehr in Betracht, da sie
auf deutschem Gebiet sehr stark gezehntet worden sind. Sie waren bis
zu Anfang des vorigen Jahrhunderts für ganz Norddeutschland ziemlich
selten. Um 1810 legten sie aber auf Fünen eine große Kolonie an; hier
wurden sie von den Fischern vertrieben. Ein Teil ließ sich auf Rügen
nieder, wo die Vögel das gleiche Schicksal ereilte. Dann wanderten
sie südwärts nach der Odermündung, und da man ihnen auch hier keine
Ruhe gönnte, zogen sie weiter die Oder hinan bis in die Spreegegend.
Pulver und Blei haben ihnen hier ein Ende bereitet. Es gab noch vor
50 Jahren an den verschiedensten Örtlichkeiten Deutschlands kleinere
Kolonien dieser gefräßigen Fischer, z. B. an der Müritz, am Pinnower
See bei Schwerin, am Mecklenburger Strand, an der Ostseeküste
Schleswig-Holsteins, im Oderbruch oberhalb Stettins, auf der Danziger
Nehrung, am Frischen und am Kurischen Haff, am Mauersee in Masuren
u. a. O. Heute ist das alles vorbei, und wenn wir von ein paar
vereinzelten und unsicheren Brutstätten dieser Ruderfüßler absehen,
so ist die Kormorankolonie im Kreise Schlochau in Westpreußen die
letzte des Landes. Obgleich die Kormorane großen Schaden anrichten, so
werden sie hier doch nicht vertilgt, »weil der Besitzer an den schönen
interessanten Vögeln seine Freude hat«. (Vgl. Naumann, »Die Vögel
Mitteleuropas«.)

       *       *       *       *       *

Viel allgemeiner und auch viel gerechtfertigter sind die Klagen der
Fischer über die Schädigungen durch den _Fischreiher_, gehört doch
dieser stattliche Vogel auch heute noch vielen deutschen Ländern als
Brutvogel an. Freilich auch seine Zahl ist, wie die aller größeren
Vögel, außerordentlich zurückgegangen, und die wirklich reichbesetzten
Reiherkolonien oder Reiherstände, welche Hunderte von Horsten
vereinigen, gehören bereits zu den Seltenheiten. Viele Reiherstände
sind völlig verschwunden. Nichts erinnert mehr daran, daß einst in
den hohen Buchen und Eichen zahlreiche Horste standen; andere wieder,
erst vor kurzem erloschen, zeigen noch in den Wipfeln der Bäume die
verlassenen Brutstätten, bis schließlich ein Wintersturm die ineinander
geflochtenen Reiser zerstreut. Jedenfalls sind die Zeiten vorbei, wo
man sicher sein konnte, im Frühling und Sommer an jedem Fluß, an jedem
See wenigstens einige dieser schönen Vögel anzutreffen.

Im Mittelalter und auch später noch, bis ins 17. Jahrhundert, erfreuten
sich edle Herren und Damen an der Reiherbeize. In frohem Zuge ritt
man von der Burg herab, gefolgt von Jagdgästen, Falkonieren und der
bellenden Meute. Zeigte sich ein Reiher, so ließ der Jagdherr und
gleich darauf eine der Damen die schnell entkappten Falken steigen,
die nun versuchten, das immer höher gehende Beutetier gemeinsam unter
sich zu bringen. »Wie auf der Fuchshatz sausen Reiter und Reiterinnen
durch dick und dünn, den sich in der Ferne fast verlierenden Kämpfern
nach. Endlich hat ein Falk die Fänge in die dicken Schwingen des
Reihers gehakt, und beide Partner wirbeln zur Erde. Der erste Reiter
packt sie, bekappt den Falken und stellt den Reiher der Dame vor.« Die
unbeschädigten Reiher, denen man nur ein paar Schmuckfedern nahm, ließ
man dann oft wieder fliegen; doch tötete man sie auch bisweilen, weil
ihr Wildbret auf vornehmen Tafeln sehr geschätzt war.

Der Reiher gehörte damals zur »hohen Jagd«, deren Ausübung das Vorrecht
hochstehender Personen, geistlicher und weltlicher Würdenträger, war.
Die Strafen, mit denen die unbefugte Tötung eines Reihers bedroht
ward, waren äußerst hart. Kein Reiherhorst durfte zerstört, kein Ei
genommen werden, und nur dem Fischereiberechtigten war es allergnädigst
gestattet -- Scheuchen aufzustellen. In Sachsen erreichte die Falknerei
unter August dem Starken ihren Höhepunkt; es wurden stattliche Summen
für diesen Jagdsport ausgegeben, und wenn die Falken auch auf das
verschiedenste Federwild, z. B. Trappen, Gänse, Schwäne, Rebhühner,
Wachteln, losgelassen wurden, die Beizjagd des Reihers blieb doch immer
die Hauptsache.

Wie haben sich die Zeiten gewandelt! Das deutsche Vogelschutzgesetz
hat die Reiher, sowohl den grauen Fischreiher, wie den Nachtreiher und
die Rohrdommel, auf die Liste der Geächteten gesetzt; es gewährt ihnen
in keiner Weise irgendwelchen Schutz, und die preußische Jagdordnung
vom 15. Juli 1907, die doch alle Sumpf- und Wasservögel als jagdbare
Tiere bezeichnet, schließt die grauen Reiher -- ebenso die Taucher,
Säger, Kormorane und Bläßhühner -- von diesem Vorrecht aus. In
Preußen entbehren also die Fischreiher des Jagdschutzes, während die
andern Reiherarten, eingeschlossen die Rohrdommeln, jagdbar sind. Der
Fischreiher unterliegt somit in Preußen dem freien Tierfang, d. h. er
darf auch vom Nichtjagdberechtigten allezeit gefangen, getötet und
seiner Brut beraubt werden; er ist völlig schutzlos, der Willkür eines
jeden preisgegeben.

Bei uns in Sachsen liegen die Verhältnisse insofern etwas anders,
als die Reiher jagdbar sind. Es hat also nur der Jagdberechtigte ein
Anrecht auf sie. Irgendwelche Schon- und Hegezeit ist den Reihern
freilich versagt. Das Gesetz über die Ausübung der Fischerei vom
15. Oktober 1868 gestattet aber auch den Fischereiberechtigten, den
Fischreiher -- ebenso den Fischotter -- zu fangen und ohne Benutzung
des Schießgewehrs zu töten. Innerhalb 24 Stunden sind die auf diese
Weise erbeuteten Vögel an den Jagdberechtigten auszuliefern. Auf die
andern Reiherarten steht dem Fischer kein Anrecht zu. Ähnlich lauten
die Bestimmungen in den meisten deutschen Einzelländern. In Bayern,
Sachsen-Weimar, Hessen ist der Fischreiher wie bei uns jagdbar, in
Württemberg, Baden, Mecklenburg, Oldenburg vogelfrei wie in Preußen.

Ich wüßte keinen einheimischen Vogel zu nennen, dessen Geschlecht in
den letzten 150 bis 200 Jahren so blutigen Verfolgungen ausgesetzt
gewesen wäre, wie der Fischreiher, und wenn diese Verfolgungen heute
auf ein geringeres Maß zurückgegangen sind, so liegt der Grund hierfür
nur in der Tatsache, daß die Reiher an Zahl außerordentlich stark
abgenommen haben. Der Haß, mit dem man dem Fischräuber begegnet, ist
der gleiche geblieben. Wo sich der schöne, schon durch seine Größe
auffallende Vogel zeigt, und sei es auch nur auf der Wanderung,
wenn er ein wenig rastet, da sucht man seiner habhaft zu werden; an
den Horstplätzen aber wird zur Brutzeit unter den Alten sowohl, wie
namentlich unter den bald flugbaren Jungen, die auf dem Horstrand
hocken, oftmals das furchtbarste Blutbad angerichtet. Am Wasser stellt
der Fischer versteckte Fangeisen auf; tollkühne Burschen klettern an
den hohen Horstbäumen empor und wagen sich bis zu den Nestern, die
häufig auf den schwankenden Enden der Äste ihren Platz haben; sie
rauben die licht-grünlichblauen Eier, deren das volle Gelege meist 4
bis 5 Stück zählt. Prämien, von Fischereivereinen gewährt, locken immer
mehr zu rücksichtsloser Vertilgung. In der Tat, man muß sich wundern,
daß es auch heute noch im Deutschen Reiche eine Anzahl von Reiherhalden
gibt -- gegen früher allerdings nur spärliche Reste. Ich fürchte sehr,
daß auch diese in einem halben Jahrhundert fast völlig verschwunden
sein werden, und daß dann der Reiher für Deutschland als Brutvogel
ebenso selten sein wird, wie heute schwarzer Storch, Kolkrabe, Uhu oder
Wanderfalk.

In Süddeutschland, d. h. südlich des Mains, gibt es schon jetzt kaum
noch ein paar kleinere Kolonien; sie sind fast alle in den letzten 30
oder 50 Jahren vernichtet oder versprengt worden, so daß sich nur noch
hie und da einzelne Reiherhorste finden. Als fast einzige Ausnahme
ist die Kolonie bei Schloß Morstein an der Jagst, auf der Besitzung
des Freiherrn von Crailsheim, hervorzuheben; aber auch sie ist stark
zurückgegangen, und von den 200 Horsten, die sie vor einigen Jahren
zählte, wird wohl kaum noch die Hälfte besetzt sein, obgleich die
Besitzer von jeher den schönen Tieren Schutz gewährten und auf manche
Vorteile verzichteten. Es ist leicht möglich, daß diese Kolonie das
ehrwürdige Alter von mehr als einem halben Jahrtausend erreicht hat;
denn eine Nachricht aus dem Jahre 1586 besagt, daß die Reiher hier
schon »seit vielen hundert Jahren« horsten. Die Maingegend zählt noch
einige Reiherstände; in Mittelfranken beherbergte z. B. der Windheimer
Stadtwald Schoßbach im Forstamte Ipsheim noch vor einiger Zeit eine
Kolonie von 20 bis 25 Horsten; wie es heute um sie steht, weiß ich
nicht. Auch im Hessischen gibt es noch einige kleine Reiherhalden,
während die Kolonien bei Nürnberg, Neuhaus in der Fränkischen Schweiz
u. v. a. der Vergangenheit angehören. In ganz Elsaß-Lothringen scheint
der Fischreiher nur als Strichvogel und auch nur ausnahmsweise
vorzukommen, und in der Rheinprovinz ist sein Brutgebiet ganz
beschränkt.

In den übrigen Ländern Mittel- und namentlich Norddeutschlands ist der
Reiher noch häufiger; er fehlt als Brutvogel wohl keiner preußischen
Provinz völlig und tritt ebenso in Oldenburg und in Mecklenburg in
mehreren Kolonien auf. Aber es gibt doch auch weite Gebiete, wo man
heute vergeblich selbst nach nur einzelnen Reiherhorsten suchen würde.
Unserm Sachsen fehlt der Reiher als Brutvogel völlig, nachdem die
letzte Kolonie auf den alten Eichen einer Insel im »Horstsee« bei
Schloß Hubertusburg durch Fällen der Bäume i. J. 1888 vernichtet worden
ist. Einige Reiher zogen sich wohl nach dem Wermsdorfer Wald zurück,
sind aber auch dort schon längst völlig verschwunden.

Die letzte Kolonie ganz in der Nähe der sächsischen Grenze, nur 10 oder
11 ~km~ von ihr entfernt, nördlich von Königswartha, die ich i. J.
1912 besuchte, stand in einem öden Kiefernwald bei Weißkollm. Ich
konnte im ganzen 16 Horste zählen, die bis auf einen sämtlich besetzt
waren: mächtige Bauwerke aus starken Reisern, 1½ bis gegen 2 ~m~ im
Durchmesser, mit weißem Kot übertüncht. Generationen haben an diesen
Horsten gebaut, die seit Menschengedenken von den schönen Vögeln
bewohnt wurden. In jedem Jahr die gleiche Anzahl von Reiherfamilien,
nicht mehr und nicht weniger. Ein herrlicher Anblick, wenn die stolzen
Segler der Lüfte ruhigen Flugs über den uralten Föhren, die ihre Nester
tragen, in schwindelnder Höhe kreisen! Kopf und Hals sind auf den
Rücken gelegt, daß nur der lange Schnabel hervorschaut; die Ständer
werden weit nach hinten gestreckt, und in dem schönen Federbusch am
Kropf spielt lustig der Wind. Dann läßt sich ein oder der andere Reiher
auf dem Horstrand nieder und füttert die Jungen mit Fischen, die er
ihnen aus weiter Ferne im Kehlsack bringt; denn ein Gewässer findet
sich nicht in der Nähe. Wie ich mit großem Bedauern höre, ist in den
letzten Jahren die Kolonie stark zurückgegangen, vielleicht ganz
verschwunden.

Hannover, Schleswig-Holstein, Pommern, West- und Ostpreußen beherbergen
noch immer eine stattliche Anzahl von Reiherhorsten; Posen, Schlesien,
Brandenburg, die Provinz Sachsen sind schon ärmer daran. Man sieht,
der Reiher bevorzugt im allgemeinen die Niederungen mit ihren ruhig
fließenden oder stehenden Gewässern, dazu die Meeresküste. Ob das
Jagdgebiet mehr oder weniger im freien Gelände liegt, ob dichtes
Gebüsch die Ufer besetzt oder ob finsterer Wald den See von allen
Seiten umgibt, das ist den Reihern gleich, sobald sich nur seichte
Uferstellen finden, wo sie, im flachen Wasser stehend, dem Fischfang
ungestört obliegen können.

Die größte Reiherkolonie habe ich vor ein paar Jahren -- es war in der
zweiten Hälfte des Mai -- an der deutschen Ostseeküste besucht. Den
Ort verschweige ich; ebenso verrate ich nicht, wieviel besetzte Horste
hier auf den hohen Eichen stehen mögen. Sonst fangen die pommerschen
Boddenfischer, wenn sie's hören, sofort an zu multiplizieren, erst
die Anzahl der Reiherpaare mal zwei bis drei Dutzend spannenlanger
Fische, das Produkt mal 180 -- so viele Tage ungefähr weilt der Reiher
an seinem Brutplatz -- dann wird dividiert, nun weiß man die Kilo, und
wieder multipliziert -- man hört ganz deutlich die Goldstücke klimpern,
die man ohne die Reiher einheimsen könnte. Aber von dem Schaden, den
die Fischer sich selbst dadurch zufügen, daß auch sie so oft alles
kleine Fischgewürm, das sich in den Netzen gefangen hat, mit zu Gelde
machen, davon wollen die Leute nichts hören.

Wenigstens 20 bis 25 ~m~ schätzte ich die Höhe der Horste. Manche
Eiche trug deren fünf oder sechs. Die Alten fütterten eifrigst, viele
brüteten aber auch noch. Die großen Vögel kreisten schreiend über den
Horstbäumen. Ihre riesigen Schatten huschten ganz eigentümlich zwischen
den Eichen, deren Kronen noch ziemlich unbelaubt waren, dahin. Es sah
noch leidlich reinlich im Nistrevier aus: ein paar Eierschalen, etwas
weißer Kot und nur ausnahmsweise ein verwesender Fisch. Wie anders,
wenn man später kommt! Da muß man in solchem Unrat förmlich waten, wie
es mir erging, als ich vor vielen Jahren einmal im Sommer eine große
Reiherkolonie an der Elbe, unterhalb Wittenberg, besuchte.

An einem der folgenden Tage sollten einige Reiher abgeschossen werden.
Auf höheren Befehl mußte sich der Oberforstmeister dazu bequemen; denn
die Fischer hatten sich schon ein paarmal bei der Regierung beklagt,
daß man hier die Reiher, die doch so grenzenlosen Schaden anrichten,
ruhig gewähren lasse, ja sie geradezu hege und züchte. »Zwölf Stück,
nicht mehr!« so lautete die strenge Weisung, die der Oberforstmeister
uns gab, »und nicht zwei von demselben Horstbaum abschießen, damit der
Überlebende des Paares die Brut weiter aufzieht, auch peinlich darauf
achten, daß kein Reiher dabei in den Horst fällt, wodurch die Jungen
elend umkommen müssen, also nicht schießen, wenn der Reiher gerade über
seinem Nest schwebt!« Wir hatten das Dutzend schnell zusammen; denn
wenn auch nach jedem Schuß die Vögel abstreichen, sie kommen doch recht
bald wieder, falls man sich nur ein wenig hinter den Stämmen versteckt.
Die Mutterliebe läßt sie die Gefahr nicht achten.

Die armen zwölf Stück! Für die andern hatten sie das Leben gelassen
-- Opfer des Vogelschutzes, so seltsam es klingt. Ein mäßiger Abschuß
war eben unbedingt nötig, um den Klagen der Fischer etwas gerecht zu
werden. Nur auf diese Weise läßt sich die Brutkolonie dauernd erhalten.
Wir banden die prächtigen Tiere, damit sie von allen Dorfbewohnern
gesehen würden, an den Jagdwagen und fuhren durch ein paar Dörfer mehr,
als nötig gewesen wäre, wieder heimwärts. Schaut, ihr Fischer, wie man
sorgt, daß ihr die Fischräuber los werdet, und haltet den Mund nun!

An unsern sächsischen Teichen, ja sogar an Gebirgsbächen halten sich
die Reiher, namentlich auf ihrer Wanderung, gern auf; es findet sich
überall ein Plätzchen, wo selbst das schnellfließende Wasser seinen
eiligen Lauf unterbricht. Den Hals niedergebogen, den Schnabel gesenkt,
den spähenden Blick auf den Wasserspiegel gerichtet, so schleichen
die schlanken Gestalten mit behutsamem Tritt am Ufer entlang; sie
gehen nur so weit ins Wasser, daß es ihnen höchstens an die Fersen
reicht. Bisweilen verharren sie auch stundenlang unbeweglich fast auf
demselben Fleck. Nur von Zeit zu Zeit schnellt blitzartig der Hals vor,
so daß der Schnabel, oft auch zugleich der Kopf unter der Wasserfläche
verschwindet. Selten nur geht der Stoß fehl; das Bajonett trifft sein
Ziel mit großer Sicherheit. Der zappelnde Fisch wandert sofort in den
unersättlichen Schlund.

Außer Fischen fängt der Reiher auch Frösche, Kaulquappen, größere
Wasserkäfer, Libellen und ihre Larven, Regenwürmer; selbst den Mäusen
stellt er nach, ebenso jungen Sumpf- und Wasservögeln, und manchmal muß
er seinen Hunger mit dünnschaligen Teichmuscheln stillen. Aber Fische,
von den kleinsten angefangen bis zur Größe von etwa 20 ~cm~, daß er sie
gerade noch hinabzuwürgen vermag, sind ihm doch die liebste Kost. Nach
der Art der Flossenträger fragt der Reiher dabei nicht im geringsten.
Kleine Karpfen, Hechte, Forellen, Karauschen, die verschiedenen
Weißfischarten, Aale, Schleien, selbst Barsche und Stichlinge -- es ist
ihm alles willkommen, mehr auf die Menge sieht er als auf die Güte.

Unter solchen Umständen kann man es dem Fischereiberechtigten nicht
verdenken, wenn er auf den hochbeinigen Mitbewerber sehr schlecht zu
sprechen ist, und es wäre jeder Versuch, diesen weißwaschen und seine
Diebereien beschönigen oder gar leugnen zu wollen, von vornherein
lächerlich. An ganz fischarmen Gewässern richtet der Räuber natürlich
keinen Schaden an, schon aus dem Grunde nicht, weil er sich dort nie
lange aufhalten wird; ebenso meidet er alle Gewässer, die sofort am
Ufer so tief einsetzen, daß er darin nicht waten kann. Auch wo regerer
Menschenverkehr Unruhe bringt, zeigen sich nur ausnahmsweise einmal
ein paar Reiher. Der Vogel findet es sehr schnell heraus, wo eine
reiche Beute seiner wartet, und sein regelmäßiges Vorkommen in einer
bestimmten Gegend ist -- ich möchte sagen, der erfreuliche Beweis
dafür, daß die Gewässer der Umgebung sehr fischreich sind.

Naturfreunde haben zur Ehrenrettung des Reihers darauf hingewiesen,
daß dort, wo »wilde Fischerei« betrieben wird, wie vielfach in
den Gräben der Elb- und Wesermarsch, der Fischer dem Vogel nichts
vorzuwerfen habe: Raubfischerei üben sie beide, indem sie ernten, wo
sie nicht säten. Ist aber die Konkurrenz deswegen weniger ärgerlich?
Zur Brutzeit, so hat man weiter gesagt, fange der Reiher nur kleine
Fische, »Seitenschwimmer«, wie sie sich massenhaft in der Nähe der
Ufer herumtummeln. Indessen, die Horstjungen entwickeln sich schnell
und bedürfen sehr bald größerer Bissen, und außerdem aus der Unmenge
kleiner Fischlein würden doch im Laufe der Zeit wenigstens einige
große wertvolle Fische heranwachsen. Viele Flüsse und namentlich die
Boddengewässer am Meer, hat man gemeint, seien so reich an Fischen,
daß der Abbruch, den die Reiher zufügen, nicht der Rede wert wäre. Wer
so urteilt, der hat sich's sicher noch nicht klar gemacht, daß eine
größere Reiherkolonie von hundert Horsten und mehr gewiß auch gegen
hundert Zentner alljährlich an Nahrung bedarf. Freilich gefangen werden
müßte diese Menge auch erst von den Fischern, eine Arbeit, die ihnen
die Reiher abnehmen.

Nur das eine wird man bis zu gewissem Grade gelten lassen: es fallen
mehr die Raubfische im weitesten Sinne, wie Aale, die dem Fischlaich
nachstellen, Hechte und Barsche, die den Jungfischen verderblich
werden, und minderwertige Weißfische den Reihern zur Beute, weil sich
die genannten mehr an jenen Örtlichkeiten aufhalten, wo die Vögel mit
Erfolg zu fischen vermögen, während andere, z. B. Karpfen und Schleien,
die Tiefen vorziehen und die Nähe der Ufer gewöhnlich meiden. Auch
die Forelle, die sich mit Vorliebe an steilen Ufern aufhält und unter
Steinen und Wurzeln gern Deckung sucht oder in starker Strömung auf dem
Anstand steht, ist dadurch vor den Reihern einigermaßen gesichert. Wo
aber künstliche Fischzucht getrieben wird, wo ein nach vielen Tausenden
zählendes Kapital sich verzinsen muß, da kann man den regelmäßigen
Besuch der Reiher unter keinen Umständen dulden.

Wie bei so vielen Fragen, muß auch hier immer von Fall zu Fall
entschieden werden. Es gibt sicher unzählige Gewässer im Deutschen
Reich, wo man nicht sofort jeden Fischreiher zu fangen oder
niederzuknallen braucht, wenn sich mal einer zeigt, und ich kenne
manchen Fischereiberechtigten, der gern eine kleine Einbuße erleidet,
weil auch er an dem herrlichen Vogel, der die Landschaft belebt, seine
Freude hat. Es gibt aber auch genug Besitzer oder Pächter, die selbst
mit geringen Summen rechnen müssen. Könnte hier nicht -- natürlich
nur von Fall zu Fall -- der Staat eintreten und den Schaden ersetzen,
oder sollten sich bei der großen Naturschutzbewegung unsrer Tage
nicht einige begeisterte Vogelfreunde finden, die bereit wären, ein
Scherflein zu opfern, um ein paar Reiher, vielleicht die einzigen in
einer weiten Landschaft, zu retten? Unwirtschaftlich, so wird man
diesen Vorschlag nennen. Mag sein -- aber ich frage: Läßt sich der
Nutzen und Schaden eines Tieres immer nur berechnen nach Geld und
Geldeswert?

Soviel steht fest: durch die maßlose Verfolgung ist der schöne Vogel
für viele Gegenden unseres Vaterlandes dem Aussterben nahegebracht. Mag
man ihn dort, wo er noch in größerer Zahl auftritt und empfindlichen
Schaden anrichtet, auch weiter kurz halten, _ein paar Reiherhorste
sollte man doch zu erhalten suchen, auch ein paar größere Kolonien
unter staatlichen Schutz stellen_.

       *       *       *       *       *

Zu der Familie der Reiher gehört auch die _große Rohrdommel_. Sie
ist selbst in unserer sächsischen Lausitz, wo ich ihrem unheimlichen
nächtlichen Liebeslied oft und oft gelauscht habe, recht selten
geworden. Zum Glück führt sie ein verstecktes Leben, sonst wäre wohl
auch der letzte dieser interessanten Vögel schon längst verschwunden;
denn der Fischer ist auch auf die große Rohrdommel schlecht zu
sprechen. Gewiß, ihre Hauptnahrung mag in Fischen und Fischbrut
bestehen, wenn sie daneben auch viele schädliche Insekten frißt; aber
sie ist im Gegensatz zum Fischreiher ein ungesellig lebender Vogel,
der schon aus diesem Grunde nicht allzuviel Schaden anrichten wird.
Dazu kommt, daß die eigentlichen Brutteiche von der Rohrdommel gemieden
werden, weil dort gewöhnlich nicht so viel Rohr und Schilf wächst, daß
sich der scheue Vogel gut verstecken kann. Wo die große Rohrdommel
so selten ist, wie in unserer Lausitz, da sollte man sie schonen und
ihr den kleinen Tribut an Fischen gönnen. Namentlich möchte ich alle
Jäger bitten, den seltenen Vogel, wenn er gelegentlich der Entenjagd
sein Versteck verläßt, nicht abzuschießen. Es wäre doch schön, wenn er
unsrer Heimat erhalten werden könnte! Die seltene _kleine Rohrdommel_,
ein allerliebstes Zwergreiherchen, das behend im Rohrwald auf- und
abklettert, wird noch viel weniger schädlich sein; solch kleiner Magen
bedarf nicht viel. Die andern Reiher aber, _Nacht-_ und _Purpurreiher_,
sind so seltene Gäste unsrer Gewässer, daß es die Pflicht jedes
Jagdberechtigten sein muß, das Gastrecht diesen Fremdlingen gegenüber
zu wahren.

Außer den genannten mögen auch wilde _Enten_, _Gänse_ und _Schwäne_,
dazu an der Meeresküste der mächtige _Seeadler_ manchen Schaden
anrichten, besonders wenn man bedenkt, daß doch neben den Fischen
selbst auch deren Laich für viele an und auf den Gewässern lebende
Vögel einen Leckerbissen bildet. Schließlich ist vielleicht kein
einziger Sumpf- und Wasservogel ganz freizusprechen. Wollte man sie
alle ihre gelegentlichen Übergriffe büßen lassen, so wäre es bald
vorbei mit dem reichen Leben, das die meisten Teiche und Seen noch
immer beherbergen.

Nur einen Fischereischädling aus der Klasse der Kriechtiere wollen wir
noch erwähnen, die _Ringelnatter_. Sie ist bekanntlich eine vorzügliche
Schwimmerin. Ein wahres Vergnügen, ihr zuzusehen, wie der schlanke,
geschmeidige Schlangenleib in auserlesen schönen Windungen an der
Oberfläche des Wassers dahingleitet, den breiten Teich durchquerend
oder die Strömung des Flusses überwindend. Selbst weit hinaus ins
Meer schwimmt sie, habe ich doch einmal eine Ringelnatter im Barther
Bodden, wohl 5 ~km~ weit vom Land, vom Fischerboot aus beobachtet
und gefangen; ein fingerlanges Fischchen erbrach sie vor Schreck. An
und in unsern Fischteichen in der Lausitz gibt's Ringelnattern genug,
und ich verstehe es, daß die Fischereiberechtigten ihnen recht feind
sind, wenn es sich auch nur um kleine Flossenträger handelt, denen
die Nattern nachstellen. Im übrigen aber sind diese Schlangen ganz
unschuldige Geschöpfe, die man an jedem Gewässer, das nicht gerade der
Fischwirtschaft dient, ruhig gewähren lassen sollte.

Wenn jeder, den es angeht, erkennen wollte, daß die _allgemeinen_
Interessen _höher stehen_ als die besonderen des einzelnen, dann würde
uns die Sorge um den Fortbestand der sogenannten »Fischräuber« von der
Seele genommen.



Malepartus, die Raubburg und Kinderstube von »Reinke de Vos«


Fröhlichen Ringelreihen tanzen Buben und Mädel auf maigrünem Anger.
»Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her«, singen die
hellen Kinderstimmen dazu, und dann folgt ein anderes ausgelassenes
Spiel mit tüchtigem Rennen und Jagen; »der Fuchs kommt«, nennen sie's,
jeder spielt es so gern.

Ja, in aller Munde ist er und allen vertraut, Freund Reineke mit der
buschigen Lunte und dem ergötzlichsten Schelmengesichtchen der Welt;
selbst das kleine Nesthäkchen auf Mutters Schoße kennt das Konterfei
des schlauen Betrügers im Bilderbuch ganz genau, und die älteren
Geschwister wissen manche Geschichte von ihm: wie er dem eitlen Raben
den Käse abschmeichelt, die unschuldigen Tauben berückt, den stolzen
»Gockelmann« packt, wie er seinem größeren Vetter, dem Wolf, so arg
mitspielt, den Hasen um seinen Schwanz bringt, wie er aber bisweilen
auch selbst genarrt wird, von der Katze und vom Hahn, ja sogar vom
harmlosen Häschen. Das Lesebuch enthält all diese schönen Geschichten,
die Brüder Grimm, Ludwig Bechstein, Hagedorn, Simrock und besonders
Robert Reinick -- es liegt schon im Namen -- den Kindern erzählt haben;
sie werden nicht müde, die hübschen Märchen und Fabeln immer von neuem
zu lesen. Und dann das plattdeutsche Epos »Reinke de Vos«, das 1498 zu
Lübeck gedruckt ward, und endlich der ganz große Dichter, hat er nicht
auch dem Fuchs ein Denkmal gesetzt, seine lustigen Streiche für alle
Zeiten verewigt!

Ein Denkmal -- ach ja, das ist der richtige Ausdruck! Als Goethe sein
Tierepos schrieb, da galt es noch einem Lebenden; heute ist der Fuchs
aus manchem deutschen Gau verschwunden, und wenn man ihm weiter so
rücksichtslos nachstellt mit Gift und Fangeisen und tödlichem Blei,
wenn der Jäger im Frühling jeden Bau seines Reviers ausgräbt und die
niedlichen Jungfüchse den mordlustigen Hunden erbarmungslos preisgibt,
so wird es auch über kurz oder lang von Reineke heißen, wie vom Wolf,
vom Luchs und von der Wildkatze: vergangen, vorbei! Wohl lebt er dann
noch weiter im Bild, im Lied und im Märchen -- »es war einmal ...«,
aber draußen in freier Natur auf sonniger Heide läuft dem Wanderer
nie ein Fuchs mehr über den Weg, und Malepartus, die Raubburg, liegt
tot und verlassen. Höchstens hoppeln Karnickel vor ihren Eingängen;
die haben jetzt gute Zeit, wie die Mäuse im Haus, wenn die Katze vom
bösen Nachbar in der Kastenfalle gefangen und dann grausam ersäuft
ward. Vielleicht sehe ich zu schwarz. Der schlaue Betrüger hat es ja
noch immer verstanden, dem Jäger ein Schnippchen zu schlagen, und in
den größeren waldreichen Revieren, im Gebirge wie im Niederland, haust
Reineke auch heute noch und fristet sein Leben, so gut er's vermag. Ja,
während der Kriegszeit haben die Füchse, so sagte man mir, hier und da
stark an Zahl zugenommen; die Männer vom grünen Tuch standen an der
Front und hatten wichtigere Arbeit, als Jungfüchse zu graben oder den
alten Rüden und Fähen nachzustellen. Aber seit der Preis eines guten
Winterbalgs eine schwindelnde Höhe erreicht hat, ist auch die Gefahr
für den Roten, dem Jäger zum Opfer zu fallen, erheblich gestiegen.

's ist doch gar ein lieber Kerl trotz aller bösen Ränke und Schliche,
und erst seine hoffnungsvollen Sprößlinge -- ergötzlichere Kinder,
allezeit lustig, übermütig, flink und täppisch zugleich, gibt es weit
und breit in keiner andern Familie.

Ich weiß einen Fuchsbau, der liegt mitten drin in der einsamen Heide.
Außer mir weiß nur noch der Förster davon, und der ist mein Freund. Er
hat mir versprochen, in diesem Jahr die alte Fähe und ihre Jungen zu
schonen, weil es der einzige Fuchsbau in dem ganzen Revier ist. Die
Karnickel unterwühlen den lockeren Boden in entsetzlicher Weise und
benagen die jungen Bäumchen der Schonung, daß man wirklich nur froh
sein kann, wenn sie jemand in Schach hält.

Folgt mir hinaus an die Stelle! Jetzt im April ist's am lustigsten
dort. Die Birken am Weg haben ihr duftiges Brautkleid angezogen, das
sich so schön von den dunkeln Nadeln der ernsten Föhren abhebt; die
Singdrossel jubelt im Wipfel des einsamen Überständers; der Specht ist
an seiner Arbeit, und richtig -- der erste Kuckuck! Wohl hundertmal
ruft er; man freut sich doch in jedem jungen Lenz wie ein Kind, wenn
man den lieben Ruf von neuem vernimmt.

An einem sanften Hang zwischen niedrigen Kiefern ist eine Lichtung.
Dornige Sträucher, Heidekraut, allerhand Gräser und Stauden bedecken
den Boden, auch ein Paar Bäumchen mit gelbbraunen vertrockneten Nadeln
liegen, die Stämmchen gekreuzt, wirr umher; der Herbststurm im vorigen
Jahre entwurzelte sie, denn der unterhöhlte Boden gab ihnen keinen
sicheren Halt. Ja, an zwei Stellen ist das lockere Erdreich in die
Tiefe gesunken, unregelmäßige Löcher, etwa einen Meter im Durchmesser.
Früher hauste der Dachs hier; jetzt sind es die Eingänge von Reinekes
Wohnung, zu der enge »Röhren« hinabführen. Weiter oben ist noch ein
ähnliches Loch, nicht ganz so groß, und etwas abseits ein viertes; das
ist aber verschüttet.

Daß der Bau wirklich bewohnt ist, erkennt man sofort. Die Einfahrten
sind glatt getreten, und aus dem Innern dringt uns ein unangenehmer
Geruch entgegen, daß wir den Atem anhalten. Diesen Fuchsgeruch zu
beschreiben, ist nicht möglich; wer aber das durchdringende Parfüm nur
ein einziges Mal frisch an der Quelle eingesogen hat, der bringt's so
leicht nicht wieder aus der Nase, und unverlierbar bewahrt er's in
seinem Gedächtnis. Auch die Reste der Mahlzeiten, die hier und da vor
dem Bau liegen, verpesten mit ihren Verwesungsdüften die Luft, und
nur die vielen Schmeißfliegen, die sie umschwärmen, haben ihre Freude
daran. Hier der Flügel einer Krähe, dort eine angefressene Ratte,
daneben der Lauf eines Rehs, unter dem Kieferngestrüpp der Kopf eines
Karnickels, verschieden große Fetzen vom Fell eines Hasen, mit Blut
besudelte Federn der Ringeltaube und ganz nah an der einen Einfahrt
sogar der bleiche Schädel einer Hirschkuh; irgendwo hat die Füchsin
das verendete Tier aufgefunden und dann den abgebissenen Kopf mühsam
hierhergeschleppt. Dies alles bildet ein Stilleben eigentümlicher Art;
es redet eine deutliche Sprache von List und Gewalt, von Mordgier und
-- Mutterliebe!

Die Sonne neigt sich zur Rüste, die Wipfel der einzelnen hohen Föhren,
die auf das Jungholz herabschauen, in purpurnes Licht tauchend. Da wird
es lebendig vor dem Fuchsbau. Ein verschmitztes Gesichtchen erscheint
in einem der Eingänge; es blinzelt nach links und nach rechts und
hinauf zu dem tiefblauen Himmel. Dann mit einemmal ist der kleine Kerl
draußen. Auf den Hinterbeinen hockend, richtet er sein Köpfchen altklug
empor, als wollte er schauen, was für Wetter es heut abend gibt und wie
für morgen die Aussichten sind. Das feine Näschen schnuppert dabei nach
allen Richtungen, und das dichte Wollkleidchen an der Brust zittert; so
heftig und schnell atmet die Lunge die Luft ein und aus. Das Füchslein
sichert, es »wittert«, ob sich etwa eine Gefahr in der Nähe versteckt
hält; von der Frau Mutter hat's der Kleine gelernt und macht es nun
auch so wie sie -- oder liegt ihm diese Vorsicht von Haus aus im Blut?
Nun schüttelt das Füchslein sein licht gelblichgraues Kinderkleid, das
beim langen Schlaf in dem engen Raum etwas verdrückt ward, fährt mit
dem einen, dann mit dem andern schwärzlichen Pfötchen über die Lauscher
und über's Gesicht; aber plötzlich mit einem Hops ist es wieder
am Röhreneingang und äugt scharf in die Tiefe, ob die Geschwister
nicht nachkommen. Alle Muskeln gespannt, ohne jede Bewegung; nur der
horizontal ausgestreckte Wollschwanz schwingt ganz leise nach rechts
und nach links.

Ein täppischer Satz zur Seite -- da ist schon der erwartete Bruder.
Er blinzelt gegen die untergehende Sonne, deren letzter Strahl sein
grau-grünliches Auge trifft. Nun kann es beginnen, das fröhliche,
ausgelassene Spiel. Mit den Perlenzähnchen haben sie einander gepackt,
jetzt im dichtwolligen Nacken, jetzt an den Pfoten, dann an der Lunte
oder am Ohr. Sie zerren ganz tüchtig, balgen und kollern sich mutwillig
am Boden umher, richten sich gegenseitig auf, mit den Vorderpfoten
einander umarmend, überschlagen sich und kugeln den Hang ein Stückchen
hinunter; doch mit raschen Sprüngen geht's wieder hinauf. In geduckter
Haltung kauern sie jetzt einander gegenüber, jeder zu neuem Angriff
bereit und einer vom andern erhoffend, daß er das hübsche Spiel wieder
beginne. Da springt der eine Partner plötzlich empor: Brüderchen hasch'
mich! Keuchend mit hängender Zunge geht es rings um den Bau, bis sie
sich wieder gepackt haben.

Erst wenn die ausgelassenen Füchslein müde und ganz außer Atem sind,
rasten sie ein wenig in hockender oder in liegender Stellung, »alle
Viere« weit ausgestreckt. Aber während die Lunge noch keucht, daß Brust
und Weichen sich heftig bewegen, sinnt das kluge Gesichtchen mit den
listigen Augen und den aufrecht gestellten Lauschern schon wieder nach
neuem, noch tollerem Spiel. Sie zerren am Krähenflügel, machen sich
jeden Fetzen vom Hasenbalg streitig -- was der eine packt, das will der
andre gerade auch haben, »man weiß, wie Kinder sind« -- dann suchen sie
den schwirrenden Roßkäfer täppisch mit den dunkeln Pfoten zu erwischen
oder schnappen nach dem Abendfalter, der ihnen um die Nase herumfliegt.
Unterdessen sind auch die drei andern Geschwister auf der Bildfläche
erschienen, und nun geht es noch lustiger zu. »Der Jäger kommt!«
spielen sie gern. Das machen sie so: keins darf sich rühren, nicht mit
den Ohren zucken, keinen Muskel bewegen. Plötzlich springt eins in die
Höhe; einen Haken schlagend, rennt der kleine Kobold davon, so schnell
er nur kann. Im Nu stieben die andern ebenso auseinander, und in wenig
Augenblicken haben sie sich dann alle fünf auf ihrem Tummelplatz wieder
vereinigt, um das hübsche Spiel von neuem zu beginnen.

Die Sonne ist untergegangen; grau senkt sich die Dämmerung über die
Heide. Da erscheint der Kopf der alten Füchsin im Höhleneingang; mit
Lauschern und Windfang prüft sie vorsichtig, ob alles ganz sicher sei,
fährt knurrend wieder zurück, weil etwas im Kieferngeäst raschelt --
ein Vogel, der sein Schlafplätzchen sucht -- doch endlich steht sie im
Freien. Sie streckt sich, schüttelt den Sand und den Staub aus ihrem
rothaarigen Wams, leckt und liebkost die Kinder, die sich herandrängen,
und beteiligt sich schließlich auch ein wenig an dem muntern Spiel, da
die Kleinen gar so sehr betteln.

Eine gute Figur macht die Alte um diese Jahreszeit nicht; sie ist
dürr und hager am ganzen Leib, und der Pelz ist verdrückt, am Bauche
sehr schütter und nicht mehr so frisch in den Farben. Das ist kein
Wunder; fünf Kinder auf einmal! Sie wollen alle gesäugt und gewärmt
sein, da kommt man schrecklich herunter. Wochenlang konnte die Füchsin
nur auf Stunden den dunkeln Bau verlassen, um den nagenden Hunger zu
stillen. Und wenn sie nichts anderes fand, als nur ein paar Mäuschen
oder irgendeinen Kleinvogel, so mußte sie kaum halbgesättigt zu den
ungeduldigen Kindern zurück; die verlangten nach Speise und fragten
nicht, ob auch der Mutter eine Mahlzeit geworden. Seit acht oder
vierzehn Tagen sind nun die Kleinen entwöhnt. Das war nicht so leicht;
immer und immer wieder suchten sie nach dem Milchquell, wenn auch die
Mutter ärgerlich knurrend sie gar unsanft zurückstieß. Die von Tag zu
Tag fester zupackenden Zähnchen konnte die Fähe an dem zarten Gesäuge
aber nicht länger ertragen, und so gab's manchen Klaps mit den Pfoten,
und das Fell wurde den Kindern oftmals ganz tüchtig geschüttelt, bis
sie schließlich begriffen, daß die Tauben und Hühner, die jungen
Karnickel oder die Mäuschen, die die Mutter mit heimbrachte, den Hunger
ebenso stillen.

Jetzt gießt der aufgehende Mond sein silbernes Licht über die
schlafende Heide; da denkt die Alte: nun ist's Zeit für den Pirschgang!
Sie wittert nochmals nach allen Seiten; dann schleicht sie davon,
zwischen dem Pflanzengestrüpp leise dahinkriechend, daß der Bauch fast
den Boden berührt. Ein paarmal fährt sie knurrend zurück, wenn eins der
Kleinen ihr zu folgen versucht, aber bald ist sie unter den Ästen der
jungen Kiefern verschwunden. Nun seid auf der Hut, ihr Bewohner des
Feldes, ihr Mäuse, Hamster und Maulwürfe, die ihr gleichfalls so gern
zur nächtlichen Stunde aus eurer Wohnung hervorkommt: der böse Feind
ist hinter euch her! Oder ihr Fasanen- und Rebhuhnmütter, wie wird's
euch ergehen! Der Fuchs schleicht leise heran, die Nase immer gegen den
Wind, daß er die Beute von fern schon wittert -- ein Sprung, ein fester
Griff, und ihr seid in seiner Gewalt! Dem Junghäschen, das in einer
Feldfurche schläft, dem unerfahrenen Karnickel, das draußen am Waldrand
noch im Mondschein äst, der Ratte, die am Schweinekoben des Bauernhofs
sich zu schaffen macht, ergeht es nicht besser, und wehe den Hühnern
und Gänsen, wenn der Geflügelstall nicht ganz gut verwahrt ist!

Sobald die Füchsin eine Beute gemacht hat, kehrt sie zu ihrer Wohnung
zurück; an ihre Kinder denkt sie immer zuerst; meist wird es Morgen,
ehe sie den eignen Magen befriedigt. Aber wie vorsichtig ist die Fähe,
wenn sie sich dem Bau nähert! Nie wird sie den geraden Weg nehmen; sie
umkreist vielmehr, oft stehenbleibend und lauschend, in weitem Bogen
ihr Heim. Wittert sie irgend etwas Verdächtiges, so kläfft sie, ähnlich
wie ein Hund, doch mit verhaltener Stimme, daß sich die Füchslein
in den schützenden Bau flüchten; erst wenn ihr alles ganz sicher
erscheint, schleicht sie heran. Das ist dann eine Freude! Die hungrigen
Kinder fallen über die leckere Beute her, balgen und beißen sich drum,
und jedes sucht das beste Stück zu erwischen.

Ein Weilchen schaut die Mutter ihrer munteren Schar zu, hilft wohl
auch beim Zerlegen des Bratens; aber dann tritt sie von neuem den
nächtlichen Pirschgang an. Sind alle gesättigt, daß sie mit den Resten
der Mahlzeit nur noch ihr ausgelassenes Spiel treiben, so holt die
Füchsin vom Felde vielleicht noch ein lebendes Mäuschen, und nun geht
es dem graufelligen Tierchen nicht anders, als wenn eine Katze es
erwischt und ihren Jungen gebracht hätte.

So kommt der Morgen heran. Schon jubelt die Drossel, Rotkehlchens Lied,
die weiche Stimme des Fitis durchzittert die Luft, und hell schmettert
der Fink seine Fanfare -- da zieht sich die ganze Gesellschaft, eins
nach dem andern, still in die Höhle zurück; sie schlafen hier bis gegen
Abend. Nur manchmal währt die Ruhe ein oder dem andern vorwitzigen
Fuchskind zu lang. Es schaut dann zu dem Höhleneingang sehnsuchtsvoll
hinaus, blinzelt mit den listigen Augen -- die Sonne scheint ihm auch
gar zu hell ins Gesicht -- und schließlich versucht es ein Schläfchen,
mitten im Toreingang zur unterirdischen Burg, wie sein zahmer Vetter,
der Hofhund, der die Vorderpfoten zur Tür seiner Hütte herausgestreckt
hat und nun gemütlich schlafend mit Schnauze und Kopf auf diesem
natürlichen Kissen ruht. Bisweilen wagen sich die Jungfüchse auch
schon mittags auf ihren Spielplatz, wenn die Maisonne hoch vom Himmel
zwischen den schlanken Stämmen auf den Fuchsbau herabscheint; aber
wirklich lustig wird's doch immer erst gegen Abend.

Sind die Füchslein ein paar Monate alt, so dürfen sie die Mutter auf
ihren nächtlichen Streifzügen begleiten, zuerst bis zum Waldrand,
später weiter hinaus ins Saatfeld, ins Röhricht am Weiher, oder gar bis
zu den ersten Bauerngehöften des Dorfes.

Wie man das Karnickel beschleicht, einen Junghasen würgt, den
schlafenden Vogel erwischt, zeigt ihnen die Alte. Sie begreifen
gar schnell; denn es liegt ihnen im Blut, sich mäuschenstill
heranzupirschen, jede Deckung zu benutzen und selbst in der Freude über
den gelungenen Raub keinen Augenblick die eigene Sicherheit aus dem
Auge zu lassen.

Ein Vierteljahr mögen die Geschwister alt sein oder wenig darüber, da
unternehmen sie bereits auf eigene Faust kleine Streifzüge. Sie stellen
sich gegen Morgen gewöhnlich in der gemeinsamen Kinderstube wieder ein;
aber gelegentlich suchen sie auch ein anderes Versteck auf.

So lösen sich ganz allmählich die Beziehungen zwischen Mutter und Kind
und zwischen den Spielkameraden. Wenn der Herbststurm durch die kahle
Heide braust, kennt keins das andere mehr, jedes geht nun seine eigenen
Wege und schlägt sich selbständig durchs Leben, das ihm der Gefahren so
viele bringt.

Und der Vater?

Er kümmert sich um seine Familie fast gar nicht und ist selten zu
Hause; kommt er einmal, gleich gibt's Zank, Beißen und Kläffen zwischen
den Eltern, und die Mutter ruht nicht eher, als bis Vater Reineke
wieder »verduftet«, in des Worts vollster Bedeutung.

Die Erziehung der Kinder liegt allein auf den Schultern der Fähe;
der Rüde hält von Pädagogik nicht das geringste. Seine Losung heißt:
»Selber essen macht fett«; darum sieht er auch im Frühjahr wohlgenährt
aus, und tadellos ist sein rotbrauner Pelz. Nur wenn die Alte durch ein
herbes, Geschick den Jungen geraubt ward, mag es bisweilen vorkommen,
daß sich die Väter der vor Hunger kläffenden Kinder erbarmen und ihnen
Futter zuschleppen.

Zur Osterzeit gibt's immer junge Füchslein im bewohnten Bau, meist fünf
bis sechs, einmal waren es sogar acht.

Möge sich dieser Kreislauf des Lebens mit jedem Lenz, wenigstens hie
und da, in unsern deutschen Forsten erneuern!

Es wäre traurig, wenn man ihn ganz ausrottete, den listigen, Ränke
schmiedenden Schelm! Dann würde wohl der Förster unsre Enkel an eine
Stelle im Wald führen und ihnen erzählen: »Hier färbte die rote Tinte
den letzten Fuchs im Revier; man hat ihm das hübsche Denkmal gesetzt
wie drüben im Nachbarrevier seinem Vetter, dem Wolf!« Aber mit dem
fröhlichen Leben, dem ausgelassenen Spiel vor Malepartus, der Raubburg,
wär's dann für immer vorbei.



Swinegel un sine Sippschaft


Ob wohl ein oder der andere meiner Leser schon einmal junge Igel
gesehen hat, so im Alter von fünf oder sechs Wochen? Das sind die
niedlichsten Dinger der Welt, die man sich denken kann, und es lohnt
schon der Mühe, im Spätsommer Gärten und Hecken, Parkanlagen, lichte
Laubwälder und namentlich Feldgehölze ein bißchen zu durchstöbern, um
-- wenn man Glück hat -- die reizendste Familienidylle zu belauschen:
eine Igelmutter, die ihre vier oder fünf Kinder spazieren führt.

Wie das im Laub raschelt von all den trippelnden Füßchen, und
wie schnell die kleinen, kurzen Beinchen laufen können, wenn die
stachlige Mutter einen Regenwurm entdeckt hat und ihn aus dem Versteck
hervorzieht, um die kleine Beute den lüsternen Kindern zu überlassen.
An jedem Ende des Unglücklichen zerrt eine der niedlichen Stachelkugeln
-- zusammengerollt ist sie nicht größer als ein Billardball -- während
ein drittes Igelchen den straff gespannten, in die Länge gezerrten Wurm
mit den weißen Zähnchen zerbeißt, um schließlich für seine Mühe nichts
zu erhalten als ein Tröpfchen Saft, das sich der Kleine wohlgefällig
von dem dunkeln Schnäuzchen ableckt.

Da ist ein Mäusebraten schon eine standfestere Grundlage der Mahlzeit,
von der doch jedes der Kinder ein Stückchen bekommt. Man muß es
selbst gesehen haben, wie schnell die Igelmutter hinter dem kleinen
Nager her ist, wenn sie dessen leises Pfeifen oder das fast unhörbare
Rascheln im Bodengestrüpp gemerkt hat. Einen Augenblick verharrt die
Alte in gestreckter Haltung; die Kopfstacheln sträuben sich ein wenig,
senken sich und sträuben sich wieder. Ein paar Schritte schleicht
sie vorwärts, und jetzt ein kleiner Satz ins Gestrüpp. Mit sicherem
Griff ist das Mäuschen gepackt; ein kurzer Aufschrei, und das Genick
des kleinen Nagers ist zerbissen. Hurtig wird das Wildbret von der
schnaufenden Mutter in mehrere Teile zerlegt, und bald sitzt jedes der
Kinder knuspernd und leise schmatzend vor seinem Stückchen, während die
Alte weiter trippelt, nach neuer Beute zu schauen. Ein Maulwurf wäre
kein schlechter Fang; aber den erwischt man nur am dämmernden Abend.
Eine Schermaus wäre gleichfalls willkommen; aber schließlich tun's auch
ein paar Mist- oder Brachkäfer, Ackerschnecken, Schmetterlingspuppen,
eine fette Werre, und wohlgenährte Regenwürmer fehlen fast nirgends.

Nichts Trolligeres gibt es, als zu sehen, wie es die kleinen naseweisen
Igelchen der Mutter nachmachen -- was ein Häkchen werden will,
krümmt sich beizeiten. Überall kratzen und scharren sie mit ihren
krallenbewehrten Pfötchen; in jedes Loch am Boden, in jeden Winkel
zwischen dem Wurzelgeflecht und Pflanzengewirr stecken sie schnuppernd
ihr Schnäuzchen, hängen der Mutter am Rock, wenn sie glauben, jetzt hat
sie 'was Gutes gefunden, oder sie gehen auch schon ihre eignen Wege,
den Steilhang hinauf, von dem eins der Kindchen wieder herabkugelt,
trinken vom Wasser, das sich zwischen den Baumwurzeln angesammelt
hat, und schauen verdutzt dem Roßkäfer nach, der vor ihrem Näschen
vorbeisurrt. Wenn es noch heutzutage irgendwo, wie im Märchen, eine
Prinzessin gibt, die niemals in ihrem Leben gelacht hat, ich würde sie
zu solch kleiner Igelgesellschaft führen; da lernte sie aus Herzenslust
lachen.

Einst beobachtete ich eine Igelfamilie an einem Wiesenhang, wo ein vom
Baum gefallener Apfel die Aufmerksamkeit der stachligen Gesellschaft
auf sich lenkte; von Obst aller Art sind ja die Igel große Freunde.
Durch einen unvorsichtigen Stoß kam der Apfel ins Rollen; sofort
sausten die Kleinen hinter ihm her, überstürzten sich aber und kugelten
lustig den Hang hinab, wie wir's als Kinder auch so gern taten. Unten
lag dann der Apfel im Graben am Wege und drei Igelchen neben ihm.
Schnell rollten sich diese auf und hatten bereits tüchtige Löcher in
die süße Frucht gefressen, als endlich auch die Mutter mit den beiden
Geschwistern ankam, die von oben her dem lustigen Treiben zugeschaut
hatten.

Man sagt, der Igel trage abgefallenes Obst in der Weise in sein
Versteck, daß er es auf seine Stacheln spieße; wo viel Birnen oder
Pflaumen im Obstgarten liegen, da wälze er sich am Boden, und mit der
willkommenen Last trolle er heim. Natürlich ist das Ganze ein nett
ersonnenes Märchen. Weder mit dem Schnäuzchen, noch mit den Füßen kann
der Igel seinen Rücken erreichen; wie sollte er also das Obst fressen
oder auch nur abstreifen können? Als Junge habe ich einmal mit den
grünen Früchten der Kartoffel -- wir nannten sie »Kartoffelschneller«
-- nach einem Igel geworfen. Eins der ungefährlichen Geschosse blieb
an seinem Stachelkleid hängen. Das machte mir solchen Spaß, daß ich
mir den Igel fing und ihm im Übermut seinen ganzen Rücken mit dem
seltsamen Zierrat besteckte. Dann ließ ich ihn laufen. Am folgenden Tag
sah ich ihn wieder, und da trug er noch immer eine Anzahl der grünen
Beeren auf seinem borstigen Kleid. Nicht den geringsten Versuch machte
er, sich von dem aufgedrungenen Schmuck zu befreien.

Das Volk fabelt ferner, der Igel trage, wenn er sich sein Winterlager
zurechtmache, auf seinen Stacheln all die Stoffe zusammen, die ihn
wärmen sollen, Stroh, Laub, Moos u. dgl. Das ist auch nicht wahr. In
die natürliche oder selbstgegrabene Höhlung kratzt und schiebt er diese
Dinge mit Füßen und Schnäuzchen hinein und verwahrt besonders den
Eingang. Aber solch fester Winterschläfer, wie Bilch oder Haselmaus,
ist der Igel durchaus nicht, habe ich ihn doch mehr als einmal mitten
im Schnee angetroffen, wo er ganz lustig einhertrippelte.

In einem unterirdischen oder wenigstens gut versteckten Lager zwischen
trockenem Laub, Gräsern und sonstigem Pflanzenwust werden die
Swinegelchen geboren. Anfangs sind es kleine, rosige Dinger, blind und
zahnlos und die winzigen weißlichen Stacheln ganz weich -- es wäre auch
sonst bei der Geburt höchst unangenehm gewesen für Mutter und Kind. Die
Alte muß auf der Hut sein, daß sie die vier oder fünf zarten Jungen mit
ihren nadelspitzen Stacheln nicht verletzt; sie deckt die Kleinen mit
den ziemlich weichen, rötlichgelben Haaren ihrer Bauchseite, zwischen
denen die Milchdrüsen liegen. Tagsüber ist säugen ihr Geschäft; in der
Nacht geht sie jagen. Die ganze Last der Kindererziehung liegt auf
ihren Schultern; der Papa lebt getrennt von der Familie, ein rechter
Einsiedler und Griesgram, und von Erziehung will er nichts wissen.
In dem warmen Lager, von der zärtlichsten Mutter behütet, wachsen
die Kleinen sehr schnell heran. Schon sind sie mit spitzen Stacheln
und scharfen Zähnchen bewaffnet, hell blicken die Äuglein, die Füße
trippeln so hurtig: bereits ganz Papa und Mama, nur klein noch und
zierlich. Wir können der Versuchung nicht widerstehen und nehmen eins
der Tierchen in die Hand -- eine Roßkastanie in stachliger Hülle.
So leicht ist die Kugel, daß wir uns an den Spitzen nicht verletzen
können. Wie wenig schüchtern der kleine Kerl doch ist! Es dauert nicht
lange, so rollt er sich auf, beschnüffelt unsre Finger und verschwindet
schließlich im Rockärmel. Wart', Kleiner, du sollst belohnt werden!
Etwas lauwarme Milch, in ein Näpfchen gegossen, wird sofort gierig
geschlürft. Dann trollt unser Igelchen weiter. Sie werden's schon
wiederfinden hier an der Hecke oder dort im Gestrüpp des Unterholzes
zwischen den Bäumen.

Unter den freilebenden Vierfüßlern unsrer Heimat gibt es kaum ein
anderes Tier, das ich so gern habe wie den Igel, keine interessantere
Gesellschaft als eine Igelfamilie. Gesetzt, die Natur hätte den
stachligen Gesellen nicht geschaffen, die kühnste Phantasie des
Menschen würde sich solch' abenteuerliche Gestalt niemals ausgedacht
haben. Zwei besondere Eigenschaften sind es, die der Igel vereinigt:
das stachlige Kleid und die Kunst, sich zusammenzurollen. Und
diese beiden Eigenschaften machen ihn zu einem der merkwürdigsten,
seltsamsten, ja wunderlichsten Geschöpfe.

Erfindungsreich ist der Mensch, in unserer Zeit namentlich auch auf
sozialem Gebiete. Aber alle Erfindungen haben wir doch schließlich
der Natur abgelauscht: die Ruder und das Steuer des Bootes den
Flossenträgern, die Bereitung des Holzpapiers den Wespen, und das
Neueste, mehr auf geistigem Gebiete gelegen, die »passive Resistenz«
dem Igel. Kein anderes Tier bringt diese moderne Methode der Abwehr,
der Verteidigung besser zum Ausdruck, und der Erfolg lehrt ihre
Berechtigung. Den Stärkeren angreifen? nein. Oder sich mit Krallen
und Zähnen verteidigen? warum denn? Kann man es wissen, wie's endet?
Ich ziehe mich lieber in mein Innerstes zurück, schließe mich von der
rauhen Außenwelt ab. Ich bin die Welt, ich allein; mein Wille regiert.
Schau du zu, wie du mich faßt! Deine Sache ist's, wenn du dir die
Finger blutig stößt oder die Schnauze, Gesicht, Nase und Augen! Mach'
mit mir, was du willst, ich habe Zeit und Geduld; wollen mal sehen,
wer's länger aushält, ich oder du?

Vor uns liegt der kuglige Ballen auf dem Tisch der herbstlichen Laube.
Hei, wie das springt von winzigen Flöhen zwischen den Stacheln und hoch
in die Luft hinauf, ein Dunstkreis fröhlichen Lebens! Glaube nicht, daß
er's fühlt, all das Gekribbel, Gekrabbel. Ein schrecklicher Zustand
wär's, wie ihn wohl die mittelalterlichen Ritter in der schweren
Eisenrüstung gekannt haben: jetzt zwickt es hier, und jetzt juckt es
da, und man kann sich nicht kratzen! Unbeweglich die Kugel, nur leise
atmet's im Innern, sanft hebt und senkt sich die Wölbung -- kreuz und
quer stehen die Stacheln, durchaus nicht in der Richtung der Radien.
Bald legt sich einer nieder, ein anderer richtet sich steiler empor,
von unsichtbarer Kraft bewegt; denn es treten mehrere Hautmuskeln
an jeden einzelnen Stachel heran. Auf der Mitte des Rückens sind
die nadelspitzen Gebilde am längsten, 2 ~cm~ etwa oder noch etwas
mehr. Hübsch gezeichnet sind sie: in der Mitte lichter, am Grund und
namentlich an der Spitze viel dunkler; doch gibt's auch hellere Igel
mit gelblichen Stachelspitzen, also Brünette und Blonde, wie unter uns
Menschen. Vollkommen stielrund sind die Stacheln nicht; sie zeigen
Längsfurchen, den Blutrinnen an den Säbeln und Seitengewehren zu
vergleichen. Aber so fein sind diese Furchen, daß wir genau zusehen und
den Kopf drehen und wenden müssen, um sie bei verschieden auffallendem
Lichte zu erkennen. An einem Querschnitt kann man mittels der Lupe
leicht feststellen, daß etwa 25 Längsrinnen an jedem Stachel hinziehen,
bald mehr, bald weniger. Zwischen den Stacheln stehen weißgraue bis
rostgelbe Borsten, besonders nach den Seiten zu; ja am Bauche und im
Gesicht, an den Schenkeln und Füßen, wovon freilich jetzt nichts zu
sehen ist, haben diese borstigen Haare die Alleinherrschaft. Stacheln
wären dort nur vom Übel.

Schon währt's uns zu lange. Willst du dich nicht endlich in deiner
natürlichen Gestalt zeigen, du Trotzkopf? Wir drehen die Kugel
vorsichtig um, daß sie auf dem Rücken liegt. Aber nur enger und fester
zieht sich der Igel zusammen. Mit Gewalt ist auch nichts zu erreichen.
Der mächtige Hautmuskel, der wie ein Mantel oder eine Kapuze vom
Rücken her das ganze Tier umgibt, ist kräftiger als unsre Hand; je
mehr wir uns mühen, auch mit Nichtachtung der stechenden Stacheln die
Kugel auseinander zu bringen, um so fester schließt sie sich. Biegsam
wie eine Weidenrute muß die Wirbelsäule unsres Freundes sein, und
auch dafür, daß sie bei dieser Zusammenrollung nicht zu stark auf das
Rückenmark drückt, hat die Natur gesorgt. Schon in den Brustwirbeln
löst sich dieses in Einzelstränge auf, die den Druck leichter vertragen.

Aber jetzt greifen wir zu einem teuflischen Mittel, denn erschöpft
ist unsre Geduld. Tabak und Stummelpfeife kommt her! Blaue Wolken
steigen empor, die Luft mit Wohlgeruch füllend; denn Pfälzer ist's,
edles Gewächs. Wie sie springen, die Flöhe! Wirst uns noch dankbar
sein für die Entlausung! Lebhafter bewegen sich jetzt die einzelnen
Stacheln; wie eine Welle läuft's dann ganz leise über die Rundung. Die
Kugel dreht sich allmählich und löst sich ein wenig; der Rücken zeigt
wieder nach oben. Der ambrosische Duft, an den der Nichtraucher so gar
nicht gewöhnt ist, scheint ihm nicht zu behagen. Noch ein kräftiger
Gasangriff von unten her, tief hinein zwischen die borstigen Haare, und
unser Igelchen streckt sich ganz sacht und verstohlen; niemand soll's
merken, daß es endlich nachgeben will. Schon schaut ein Füßchen hervor
mit fünf starken Nägeln, zum Graben und Scharren geschaffen, jetzt ein
zweites und vorn ein niedliches Schnäuzchen; schnuppernd hebt sich's
aus der stachligen Kugel. Jetzt zeigt sich schon das Gesichtchen.
Prächtige Physiognomie! So naseweis und verschmitzt, und so lustig
blitzende Äuglein, wie schwarze Perlen auf lichtem, graubaunem Grunde.
Fein sind die Ohren gebildet, alles niedlich und spitz: das Näschen,
die dunklen Schnurren, die feinen Stichelhaare im Antlitz, darüber ein
Wall längerer Borsten, einem Helm zu vergleichen. Aber das Hübscheste
bleibt doch das verlängerte, vorn etwas aufgeworfene Schnäuzchen, das
sich schnüffelnd bald aufwärts wendet, bald abwärts, bald nach links,
bald nach rechts. Es bildet die verlängerte und freibewegliche Nase,
zugleich ein Tastorgan von höchster Vollkommenheit. In der Haut der
beweglichen Rüsselscheibe drängen sich nämlich unzählige Tastkörperchen
zusammen, mit denen der nächtliche Jäger die Gegenwart oder die Nähe
seiner Beute unter dem Laube, im feuchten Boden, im Mull von Baumhöhlen
gewissermaßen »schmeckt«, noch ehe er sie erreicht hat, gleich der
Waldschnepfe, die mit ihrem Stecher würmt, an dessen empfindlicher
Spitze ebenfalls Hunderte von Nervenendkörperchen sitzen, die dem Vogel
die leichteste Erschütterung des Erdbodens anzeigen.

Von meinem Pfälzer, das kann ich mir denken, ist die feine Nase des
Igels nicht begeistert; er trippelt deswegen auf seinen niedrigen
Beinen an die andre Seite des Tisches, um frische Luft zu schöpfen,
wobei er uns den Genuß gewährt, auch sein winziges Schwänzchen zu
bewundern, das steif schräg nach unten gerichtet ist, wie das kurze,
fest zusammengedrehte Zöpfchen eines kleinen Mädels. Über den Geschmack
ist nicht zu streiten und über den Geruch ebensowenig. Und ob dem
unverbesserlichen Nikotinverächter der Rauch meines edlen Krautes noch
unangenehmer ist als uns der Bisamduft, den er im zeitigen Frühjahr
ausströmt, wenn er der Gattin den Hof zu machen pflegt, das können
wir nicht entscheiden. Der Igelin freilich scheint der parfümierte
Ritter zu gefallen; ihr ist's lieber, als wenn er sich ein Sträußchen
Parmaveilchen angesteckt hätte. »Wat dem einen sin Uhl, is dem annern
sin Nachtigall«. Aber nun komm wieder ins Tuch, in dem wir dich
hergebracht haben! Wir klopfen mit dem Stock auf den Tisch, sofort
rollt sich die Kugel zusammen. Wir bringen sie nun zurück zur Hecke,
von wo wir sie holten. Ein paar Minuten noch, und der Igel trollt ab.

Schade, daß wir ihm nicht in den Mund sehen konnten; dort stehen
perlenartig aneinandergereiht 36 der niedlichsten Zähne. Denk ich sie
mir zu den Maßen eines Löwengebisses vergrößert, ein schauderhaft
mächtiges Zerstörungswerk würde es sein, obgleich die Eckzähne fehlen.
Oben und unten 6 Schneidezähne, schräg nach vorn gerichtet, dann
jederseits oben 2 Lückenzähnchen, unten nur eins, scharf wie ein
Meißel, und endlich die Backzähne, 5 oben, 4 unten auf jeder Seite, mit
scharfspitzigen Höckern versehen, so recht zum Zermalmen der Beute. Die
stärksten Knochen der Maus und der Ratte, des Frosches, der Eidechse,
die Chitinringe der Insekten, selbst Brustharnisch und Flügeldecken des
Hirschkäfers zersplittern wie Glas zwischen dem festen Gebiß, und auch
größeren Schlangen zerbeißt der stachlige Räuber im Nu die Wirbel.

Es ist bekannt, daß sich der Igel selbst vor der Kreuzotter nicht
fürchtet und die bösartige Schlange sehr schnell bewältigt und
auffrißt. Man sagt, er sei gefeit gegen ihr Gift, genau wie der Storch.
Beides ist nicht ganz richtig. Unser Hausfreund, der Storch, frißt
die Kreuzotter nur deshalb ungestraft, weil er es versteht, ihr mit
dem Bajonettschnabel den Kopf zu zermalmen, bevor sie imstande ist,
ihren Feind mit den Giftzähnen zu verletzen. Wohin sollte sie ihn
auch beißen? In die Ständer, den Schnabel? Die Haut dieser Glieder
führt wenig Blutgefäße, und die Gefahr einer Vergiftung wäre gering.
Ähnlich wie der Storch macht es der Igel. Flink und gewandt zerbeißt
er dem unheimlichen Kriechtier Kopf und Genick. Freilich muß er schon
etwas Erfahrung besitzen, wenigstens fallen junge Igel, wenn man
sie zu einer Kreuzotter bringt, dieser gewöhnlich zum Opfer, nicht
aber alte, erfahrene Herren. Die getötete Schlange zu fressen, ist
ungefährlich, kein Fakirkunststück; denn im Verdauungskanal ist das
Gift ganz unschädlich. Es wirkt nur, wenn es ins Blut kommt. Gewiß ist
die Widerstandskraft gegen das Schlangengift beim Igel größer als bei
andern Warmblütern. Der Jahrtausende währende Kampf, den er gegen die
Otter führt, hat ihn ziemlich giftfest gemacht; aber wirklich gefeit,
wie manche wohl glauben, ist er durchaus nicht. Igel, die man von
Kreuzottern in Zunge und Mundwinkel beißen ließ, wurden ziemlich krank
und litten tagelang an den Folgen der Vergiftung; sie gesundeten aber
später wieder vollkommen. Auch unmittelbaren Gifteinspritzungen setzten
sie großen Widerstand entgegen. Die Dosis, die ein Meerschweinchen
schnell tötet, muß verzehnfacht werden, ehe ein Igel nur vorübergehend
erkrankt. Auch andere natürliche Gifte verträgt unser Stachelträger
sehr tapfer; so macht er sich gar nichts daraus, auch einmal ein paar
grüne Spanische Fliegen zu fressen, deren Genuß bei andern Tieren
den Tod, wenigstens fürchterliche Schmerzen im Rachen und in der
Speiseröhre verursacht.

Pflanzenkost verschmäht der Igel aber auch nicht. Obst, das sahen wir
schon, ist ihm eine Lieblingskost, ebenso Beeren aller Art, desgleichen
saftreiche Wurzeln, wie Mohr- und Steckrüben; ob er auch Schwämme
verzehrt, kann ich nicht sagen. Reich ist der Speisezettel, den Mutter
Natur für ihn bereit hält. Nur das eine sollte der Gefräßige lassen,
nämlich das Plündern bodenständiger Nester; dadurch schadet der Igel
vielleicht mehr, als man denkt. So mancher Forstmann klagte mir schon,
daß der Bursche Fasaneneier getrunken, junge Schnepfen gefressen, ja
Rebhuhneier, während die Henne darauf saß und sie heftig verteidigte,
zu rauben versucht habe. Selbst junge Häschen sollen ihm bisweilen zum
Opfer fallen (?). Und der Strafe entzieht sich der stachlige Raubritter
stets; sofort ist die Kugel gebildet: greife mich an, wenn du's wagst!
Nur dem Uhu darf er's nicht sagen. Der kümmert sich nicht drum. Mit
seinen wehrhaften Krallen packt er kühn zwischen die Stacheln, und mit
dem mächtigen Schnabel löscht er dem Igel das Lebenslicht aus.

Eigentlich sollte man meinen, die Verminderung der Raubvögel müsse den
Igeln zugute kommen wie etwa den Mitgliedern der Krähensippe oder den
Spechten. Mag sein, aber andre feindliche Kräfte sind am Werk, diesen
Vorteil aufzuheben; es scheint mir, man begegnet heute viel seltener
einmal einem Igel, als in früheren Zeiten. Der Jäger ist ihm feindlich
gesinnt; ja manche Jagdschutzvereine hatten früher den Igel mit in
die Liste des Raubzeugs aufgenommen, für dessen Erlegung Belohnungen
gezahlt wurden. Gegen jede Verfolgung sollten aber die Landwirte
entschieden Einspruch erheben, denn für sie ist der Igel als treuester
Verbündeter gegen die Mäuse ein sehr nützliches Tier. Vier, sechs
Feldmäuse zu einer Mahlzeit mit Haut und Haar zu verzehren, ist ihm
eine Kleinigkeit, und auf Insekten hat er immer Appetit; solch kleines
Getier ist überhaupt nicht zu rechnen, denkt er bei sich.

Nur in einer Beziehung ist der Igel genügsam, im Trinken. Es muß
schon recht heiß sein, ehe er einmal aus einer Pfütze am Wege trinkt
oder aus einem der kleinen Wasserbecken, die der Wald zwischen dem
oberirdischen Wurzelgeflecht der Bäume für seine durstenden Bewohner
allzeit bereit hält. Auch die Igel, die ich tage- und wochenlang in
Gefangenschaft hielt, haben nur selten von dem Wasser geleckt, das
ich nie versäumte, in den Raum zu stellen, den ich ihnen anwies. »Mit
Wasser bleib mir ferne!« scheint ihr Losungswort zu sein. Sie verhalten
sich also ähnlich wie die meisten Raubvögel, die ja auch zugleich mit
ihrer blutigen Kost so viel Flüssigkeit aufnehmen, daß sie tagelang des
Wassers entbehren können, obgleich es auch Ausnahmen gibt. So tauchte
ein Schleierkauz jedes Stückchen Fleisch, das ich ihm gab, ins Wasser,
ehe er's verschlang. Merkwürdig ist's, daß die Igel, die alten wie
die jungen, sehr gern etwas Milch schlürfen, wobei sie wohlgefällig
schmatzen, so gut schmeckt es ihnen.

Wollten wir als Kinder einen Igel, wenn ich so sagen darf,
»aufwickeln«, so kannten wir bei dem streng befolgten Rauchverbot nur
zwei Mittel. Das eine war Musik. Wir machten in seiner Nähe durch
Trommeln auf der Gießkanne einen Höllenspektakel. Aber das Mittel
versagte bisweilen; denn oft zog sich Meister »Struppig« nur noch
enger in sein Innerstes zurück: »Lärmt wie ihr wollt, ich halte meine
Öhrlein verschlossen!« Das andere Mittel wirkte schneller und sicherer:
ein tüchtiges Brausebad. Mitunter haben wir die stachlige Kugel auch
den Wiesenhang hinabgekollert, geradenwegs in den Bach und uns dann
teuflisch belustigt, wie sich der Igel im Wasser sofort aufrollte und,
obgleich er's nie gelernt, doch äußerst geschickt, das Näschen über dem
Wasser haltend, nach einer Stelle am Ufer schwamm, wo er am leichtesten
wieder festen Grund unter den kleinen Füßen fassen konnte. So völlig
durchnäßt, rollte er sich nie wieder sofort zusammen, sondern ließ
uns ruhig seine ganze Person betrachten, den Kopf, die Füße, das
Schwänzchen. Die Nässe des Unterleibs war offenbar seinem Schnäuzchen
viel zu unangenehm, als daß er es zwischen den triefenden Borstenhaaren
versteckt hätte. Auch der Fuchs soll den Igel ins Wasser rollen, um ihn
dann zu bewältigen. Ob es wahr ist, weiß ich freilich nicht.

Den Igel zu essen, fällt bei uns niemand ein, obgleich sein fettes
Fleisch im Herbst gewiß ebenso gut schmecken mag, wie das des Dachses,
mit dem er ja in der Lebensweise wie in der äußeren gedrungenen Gestalt
manches gemein hat. In Spanien hat man ihn ehemals während der Fasten
häufig gegessen; ich möchte die Ausrede kennen, die man gebraucht
haben mag, um solchen Fleischgenuß zu rechtfertigen. Bekannter ist die
Vorliebe der Zigeuner für einen Igelbraten. Im Lande der Stephanskrone
war ich einst Zeuge, wie sich die braunen »Söhne Pharaos« auf dem
Felde ein Igelgericht zubereiteten. Drei Stück, die sie gefangen und
erschlagen hatten, wurden von den urwüchsigen Gesellen notdürftig
ausgeweidet, dann wieder zu einer Kugel zusammengerollt, mit feuchtem
Lehm dick umgeben und schließlich in der glühenden Asche gebacken, wie
Schinken in Brotteig. Als nach geraumer Zeit der Lehm zu bröckligem
Ziegel gebrannt war, stieß der Oberkoch mit dem Fuß die heißen Klumpen
aus der Asche heraus und zerschlug die Umhüllung. Die Stacheln und
die meisten harten Borsten blieben in ihr stecken. Was mit dem toten
Ungeziefer geschah, das weiß ich nicht, ging mich auch weiter nichts
an. Mürb war der Braten und saftig, und er schmeckte dem genügsamen
Völkchen allem Anschein nach großartig.

Mancher Igel hat in früheren Zeiten auch für die Gesundheit des
Menschen sein Leben lassen müssen; denn der Igelleib bot bei dem oder
jenem Gebreste der leidenden Menschheit so manches sicher wirkende
Heilmittel. Selbst dem Gewerbe kam die stachlige Haut zu statten;
sie diente im alten Rom zum Karden der wollenen Tücher, desgleichen
als Hechel. Auch noch später bildete sie zu ähnlichen Zwecken einen
Handelsartikel.

Das Volk will zwei Abarten des Igels unterscheiden: »Hundsigel« und
»Schweinsigel« -- der letztere ist der bekanntere, schon wegen des
reizenden Märchens »Swinegel un sine Fru«. Der Zoolog aber kennt
bei uns nur die eine Spezies: ~Erinaceus europaeus~. Freilich in
Südostrußland, in den Niederungen um den Kaspischen See und östlich
bis zum Baikalsee kommt noch eine andre Form vor mit etwas längeren
Ohren und kürzerem Schwanz, unten sehr hell behaart, sonst unserm
europäischen Igel ganz ähnlich. ~Erinaceus auritus~, langohriger Igel
nennt ihn der Zoolog.

Unser Landsmann ist in fast ganz Europa heimisch, mit Ausnahme der
nördlichsten Länder, etwa vom 63° n. Br. an. Auch die waldreichen
Gebirge bewohnt unser Igel; in den Alpen steigt er bis gegen 1500 ~m~
an, im Kaukasus gar bis 2000 ~m~. Die Wälder und Fruchtauen, die Felder
und Gärten der Ebenen und Hügelländer sind ihm aber doch lieber.
Sehr zahlreich kommt er in den weiten russischen Ebenen vor, auch im
nördlichen Asien ist er verbreitet. Dort und namentlich in Afrika
stellen sich dann auch manche andere Arten der stachelborstigen Familie
ein. Das Stachelschwein aber, das seine Heimat in den Mittelmeerländern
hat -- in Nordwestafrika, in Griechenland und in Süditalien bis
nordwärts zur römischen Campagna trifft man es an -- gehört nicht
hierher, sondern zu den Nagetieren.

Im Verborgenen führst du dein Leben, du seltsamer Einsiedler, drolliger
»Bruder im stillen Busch«, von den Menschen wenig beachtet, von vielen
verkannt. Nur einen Ort weiß ich, der bringt dich zu Ehren, ja er nennt
sich nach dir, Iglau in Mähren. Er hat sich dein Konterfei ins Wappen
gesetzt, wie Griechenlands Hauptstadt die Eule, das Sinnbild der Pallas
Athene. Lustige Igel sind's in dem einen Feld, in dem andern aber
züngelnde Löwen mit aufgerissenen Rachen. Noble Gesellschaft, nicht
wahr? Laß sie nur spotten, die andern Tiere des Waldes: struppiges
Stacheltier, Borstenträger, Schweinigel und wie sie dich schimpfen --
_du_ gabst der Stadt ihren Namen und nicht der König der Tiere!

       *       *       *       *       *

Die nächsten Verwandten des Igels, die _Spitzmäuse_, sind
Gnomengestalten, die kleinsten unter den Säugetieren; ja das winzigste
Geschöpfchen, die Zwergspitzmaus, wird nur 9 ~cm~ lang, wobei das
Schwänzchen sogar mitgerechnet ist, und die häufigste Art, unsre
Waldspitzmaus, ist auch nicht viel größer: 11 ~cm~, wovon reichlich
4 ~cm~ auf den Schwanz kommen; der kleine Finger des Menschen ist meist
noch etwas größer. Alles ist zierlich an diesem Zwergengeschlecht: das
rüsselartig verlängerte Näschen, die winzigen schwarzen Perlen der
Äuglein, die niedlichen Ohren, die Pfötchen, und das Fell so weich,
ein Samthabitchen, wie es auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen
gibt. Und gar erst die Zähnchen: köstlich diese winzigen Gebilde,
32 an Zahl, dolchspitz, scharfhöckerig; gleich den Schneiden der
Schere passen sie aufeinander oben und unten, zum Zermalmen der
harten Chitinpanzer, wie sie die Insekten tragen, geschaffen und zum
Zerschneiden von Haut und Muskeln der kleinen Beutetiere geeignet.

Aber die Waffe allein tut's nicht, die Spitzmäuse verstehen sie auch
zu führen, und eine Tapferkeit, ja Todesverachtung steckt in diesem
Pygmäengeschlecht, daß kein Wesen sicher vor ihnen wäre, wenn sie
eben nicht zu den kleinsten Warmblütern gehörten. Wehe, wenn sich
ein anderes Tier in das Bereich der Kleinen verirrt! Jede Maus wird
angefallen und bald überwunden. Kampf auf Leben und Tod! Pardon geben,
das kennen die Spitzmäuse nicht, und der Sieger frißt den Besiegten.
Ein paar Wollfleckchen bleiben übrig, vielleicht auch das Schwänzchen.
Die Zähne vermögen selbst die stärksten Knochen der Maus zu zerknacken.
Erbitterte Kämpfe auch unter den Artgenossen, sogar unter den nächsten
Blutsverwandten. Die Mutter beißt ihr Kind tot, das sie entwöhnt hat,
wenn's wieder zu ihr zurückkehrt, und frißt es mit Stumpf und Stiel --
nun wird's das Wiederkommen vergessen; der Gatte frißt die Gattin, die
Geliebte den Freier, der Bruder den Bruder. Keins fühlt sich sicher vor
seinen Genossen; es kommt nur darauf an, wer der Stärkere ist. Gewalt
geht vor Recht.

Auch ihre Wohnung hat sich die Spitzmaus meist mit Gewalt erobert, ein
Mauseloch ist's. Der rechtmäßige Besitzer ist den Weg alles Fleisches
gegangen und seine hoffnungsfrohe Kinderschar mit ihm. Oft genügt der
Spitzmaus auch eine Höhlung im Wurzelgeflecht einer Buche, einer Eiche
oder eine kleine Bodenvertiefung zwischen allerlei Pflanzenwust zur
Aufnahme ihres Wochenbetts. Ende Mai, Anfang Juni ist die Kinderstube
voll jungen Lebens: fünf bis zehn winzige Dinger, nackt und unbeholfen,
blind noch und zahnlos. Piepend und winselnd suchen sie nach dem
Milchquell, wenn die Alte sich sorgsam über die rosigen Körperchen
legt. Dann herrscht Ruhe am häuslichen Herd; nur das saugende Atmen
vernimmt die glückliche Mutter, bis schließlich eins nach dem andern
die Zitze freigibt. Nun sind sie gesättigt und schlafen, und die Mutter
kann auf kurze Zeit ihre Kinder verlassen, um für die eigne Nahrung zu
sorgen.

Nach vier Wochen schon wird sie von der kleinen Gesellschaft begleitet,
meist gegen Abend, wenn die Sonne zur Rüste gegangen ist. Fürs helle
Licht taugen die Äuglein nicht; da werden sie zugekniffen, daß sie
vollständig im Samtfellchen verschwinden. Und selbst im Dunkel der
Nacht folgen die Spitzmäuse gewiß nicht dem Auge, vielleicht auch nur
selten dem Ohr; in dem Rüsselchen haben sie, was sie bedürfen, einen
feinen Spürsinn und feinen Geruch, der Insekten und Würmer wittert
und dem Jäger die geringsten Erschütterungen des Bodens verrät, die
solch' kleine Beute verursacht. Die Spitzmäuse sind ausschließlich
Fleischfresser; sie verhungern lieber, als daß sie irgendwelche
Pflanzenkost anrühren. Und deshalb gehören sie für den Menschen zu den
nützlichsten Tieren, zumal ihr Appetit außerordentlich groß ist. Hunger
längere Zeit zu ertragen, wie etwa der Frosch es vermag, das ist einer
Spitzmaus unmöglich. Wieviel Leben steckt aber auch in dem kleinen
Warmblüter, mit dem Stumpfsinn des Lurchs nicht zu vergleichen!

Selbst im kalten Winter sind die Spitzmäuse munter und guter Dinge;
von einem regelrechten Winterschlaf wollen sie nichts wissen. Ja ich
habe die kleine Gesellschaft nie so lebhaft gefunden, wie gerade in
der kalten Jahreszeit. Da kommen die Spitzmäuse gern von den Feldern
und Waldrändern herein nach den Ställen und Schuppen der Landwirte,
huschen nach Mäuseart überall herum und suchen, wie sie ihren Hunger
stillen. Im verborgenen Winkel zwischen dem Gebälk schlummert so manche
Insektenpuppe, und mancher Falter hat sich hier zur langen Winterruhe
zurückgezogen; Spinnen gibt's auch überall, und wenn man Glück hat,
läuft einem auch ein Mäuschen über den Weg -- dann wehe dem kleinen
Nager!

Die Spitzmäuse haben wenig Freunde unter den Menschen. »Mäuse« sind's,
denkt der Bauer und schlägt sie tot oder zertritt sie roh mit dem
Stiefel. Da sind Spitz und auch der alte erfahrene Kater weit klüger,
als ihr Herr und dessen ganze Familie. Spitzmäuse und Mäuse können
die beiden gar wohl unterscheiden. Freilich der Kater läßt sich auch
täuschen, doch nur im ersten Augenblick; er fängt die Spitzmaus wie
jedes Mäuslein und beißt sie tot -- ein kurzer Aufschrei, dann ist
alles vorbei. Aber statt die Beute zu fressen, läßt er sein Opfer
unbeachtet liegen und wischt sich den Mund, als habe er etwas Unreines
berührt. Und der Spitz? Er fährt wohl auch auf das samtige Tierchen
los, aber er packt's nicht; denn der Moschusgeruch, den die Spitzmaus
ausströmt, ist so stark, daß keine feine Hundenase dazu gehört, um
zu erkennen, um wen sich's hier handelt. Einem anständigen Hund ist
nichts widerlicher, als solch mit Moschusparfüm behaftetes Wildbret --
pfui Pudel! denkt sich der Spitz. Selbst Fuchs, Iltis und Steinmarder
mögen von der Spitzmaus nichts wissen, obgleich sie selbst doch
auch nicht gerade nach Veilchen oder Maiglöckchen duften. Nur die
gefiederten Mäusejäger, die Tagraubvögel, vor allem der Bussard, ebenso
die nächtlichen Eulen sind nicht so empfindlich. Sie fragen nicht
lange: ist's Spitz- oder Feldmaus? Mit ein paar Schnabelhieben wird
die Beute getötet und zerteilt, oder sie schlucken das ganze Tierchen
auf einmal hinunter, wie wir eine bittere Pille; da merkt man von dem
Moschusgeruch und dem üblen Geschmack nur wenig.

       *       *       *       *       *

Der Dritte im Bunde der Sippe ist ein ganz abenteuerlicher Gesell; er
lebt unter der Erde, und nur in der Nacht erscheint er bisweilen an der
Oberfläche: der _Maulwurf_. Ein Samtkleidchen hat er an, so fein und
so weich wie die Spitzmaus. Das ganze Persönchen ist in dichten Pelz
eingehüllt, an dem weder Nässe noch Erdkrümchen haften; nur die Pfoten,
die Spitze des Rüssels und das letzte Ende des Schwänzchens schauen
aus dem Samtfell hervor. Die Ohren liegen versteckt und ebenso die
winzigen Äuglein. Der Plüschanzug kommt nie aus der Ordnung, mag sich
sein Träger vor- oder rückwärts in dem dunklen Erdgang bewegen; denn es
fehlt ihm der »Strich«, und nirgends zeigt sich ein »Wirbel«, wie sonst
im Fell glatthaariger Tiere. Und wie schön ist die Färbung des Kleids,
oft tiefschwarz mit fast metallischem Glanz, ins Stahlblau spiegelnd,
oft bräunlich, bisweilen auch silbergrau oder gelblich; selbst weiße
Maulwürfe finden sich, regelrechte Albinos, wenn auch nur selten. Und
weiter, die Unterseite ist selbst zwischen den Beinen ebenso dicht
behaart wie der Rücken und ebenso dunkel gefärbt.

Heute zählt der Maulwurf gleich Marder und Hermelin mit zu den
Pelztieren, eine Ehre, die Tausende schon mit dem Leben bezahlt haben.
Aber wie klein sind die einzelnen Fellchen, eine mühsame Arbeit für den
Kürschner! Doch die Leute bezahlen's, solange es die Mode gebietet.
Und die Nachfrage nach diesem Pelzwerk war, wenigstens in den Jahren
1919 und 20, so stark, daß damals märchenhafte Preise gezahlt wurden
-- 20, ja 25 Mark für solch winziges, noch nicht einmal zugerichtetes
Fellchen! Ich hätte das Gesicht unsers alten Tobias vom Rittergut sehen
mögen, wenn er das gehört hätte; die Pfeife wäre seinem zahnlosen Munde
entfallen, und wie ein Kettenhund hätte er geheult, daß ihm sein Lebtag
der Verwalter nie mehr als 12 Pfennige für einen Maulwurf bezahlt
hat. Der Alte verstand seine Kunst. In die Laufröhre, gleich neben
dem aufgestoßenen Erdhaufen, senkte er die Drahtschlinge, befestigte
ganz lose das hölzerne Häkchen daran, das bei der geringsten Berührung
heraussprang, bohrte den biegsamen Stock tief in die Erde und zog ihn
mit einem Strick zu der klug ersonnenen Falle herab. Nun geht dir's ans
Leben, du unterirdischer Wühler! Stößt du mit deinen Schaufelhänden nur
ein wenig an den hinterlistigen Haken, gleich wippt die Schlinge empor
und erwürgt bist du, noch ehe der Galgen wieder zur Ruhe gekommen ist.

Als Kind habe ich oft dem Tobias in sein Handwerk gepfuscht und
manche Falle zerstört; denn ich hatte es gelesen, was Bechstein und
Lenz von dem Maulwurf erzählen, wie er ein gar nützliches Tier sei,
da er Regenwürmer und Engerlinge verzehre, und nur Dummheit sei's,
wenn man ihn töte. Diese Dummheit hatte sich vor ein paar Jahren
zum Wahnsinn gesteigert: Tagediebe lauerten auf Feldern und Wiesen
dem unterirdischen Gesellen auf; ja es gab Landwirte, die solchen
Maulwurfsfängern ihren Grund und Boden geradezu als Jagdrevier gegen
ein schönes Sümmchen verpachteten. Glaubt der Bauer wirklich, daß
dieser Judaslohn hinreicht, den Schaden quitt zu machen, den das Heer
der Regenwürmer und der Insektenlarven, die nun ungestört ihr Handwerk
treiben können, der jungen Saat zufügt! In mancher Gegend hat dieser
Unfug schon dazu geführt, daß die Maulwürfe selten geworden, ja hie und
da bereits verschwunden sind. Die Maulwurfshaufen, über die du dich oft
so geärgert hast, bist du los, dummer Bauer, aber ebenso deine besten
Bundesgenossen im Kampfe gegen das Ungeziefer, das nun überhand nimmt.
Zum Glück beginnt man bereits einzusehen, wie töricht es ist, den
Maulwurf zu vertreiben. In Bayern hat man ein Gesetz zum Schutze dieses
Insektenfressers geschaffen; in Sachsen freilich ist eine gleiche
Gesetzesvorlage unter den Tisch des Hauses gefallen, hauptsächlich
deshalb, weil die Mode sich von dem Pelzwerk wieder abgewandt hat, die
Fellchen infolgedessen im Preise außerordentlich gefallen sind und so
der Anreiz zur Maulwurfsjagd nicht mehr besteht.

Auch der Nutzen des Maulwurfs wird von mancher Seite stark
angezweifelt. Regenwürmer vertilgt er; Regenwürmer aber sind nützliche
Tiere, die den Boden düngen, lockern und durchlüften. Gewiß, wo aber
diese Würmer allzu zahlreich austreten, da richten sie doch recht
merkbaren Schaden an der Saat an, indem sie die jungen Pflänzchen
massenhaft hinab in ihr unterirdisches Reich ziehen und dann von
den verwesenden Stoffen leben. Aber der Maulwurf frißt nicht nur
Regenwürmer, sondern er stellt auch den Engerlingen, diesen schlimmen
Gesellen, nach. Er folgt ihnen selbst in ihre tiefer gelegenen
Schlupfwinkel, wohin sie sich in der kalten Jahreszeit zurückziehen.
Denn zu den Winterschläfern gehört der Maulwurf ebensowenig wie die
Spitzmaus. Tag für Tag, selbst wenn bitterer Frost die oberste Schicht
der Erde in Bann hält und der Bauer denkt, es ist draußen alles Leben
erstorben, arbeitet der unterirdische Wühler unermüdlich zum Nutzen des
Landmanns, der ihm seine verborgene Tätigkeit nur allzuoft mit Undank
vergilt. Auch bei lang anhaltender Trockenheit im Sommer, wenn die
Engerlinge und andre Insektenlarven sich tiefer in die Erde eingraben,
verlegt der Maulwurf seine Jagdgründe dahin. Es wird behauptet,
daß er für die Zeit der Not auch Nahrungsspeicher einrichte, wie
weiland Joseph in Ägypten in den sieben fetten Jahren, gewissermaßen
Regenwurmmagazine, eingebaut in die Wandungen seiner unterirdischen
Gänge. Weil er aber tote Tiere nicht gern frißt, sondern allezeit
frisches Fleisch haben will, so bringe er den Würmern nur einen Biß
bei, der die Ganglienkette zerstöre, so daß sie nicht recht sterben
und nicht recht leben, auf keinen Fall aber entfliehen können. Man
will Hunderte von Würmern in ganzen Haufen beieinander gefunden haben,
denen ihr Feind die vorderen Ringe des Körpers, namentlich den sog.
»Kopflappen«, aufgerissen habe. Und vielleicht sei es weniger der Biß
selbst, als der Speichel des Maulwurfs, der die Lähmung der Würmer
verursache.

Das Nahrungsbedürfnis unseres Insektenfressers ist, wie das aller
kleinen Warmblüter, außerordentlich groß, und deshalb kann sein Nutzen
nach dieser Richtung hin nicht hoch genug angeschlagen werden. Außerdem
durchlüften seine Gänge den Boden, was den Pflanzen zum Vorteil
gereicht. Die Erdhaufen, die er auf den Wiesen aufwirft, wird man ihm
leicht verzeihen können; mit dem Rechen läßt sich alles schnell in
Ordnung bringen. Und wenn auch durch die unterirdischen Wühlereien
ein paar Saatpflänzchen gelockert werden oder das Gras der Wiese
über dem einen oder andern Reviergang des Insektenjägers nicht recht
gedeihen will, weil die Wurzeln bloßgelegt sind, so wird das nicht viel
bedeuten. Nur im Ziergarten kann man den Maulwurf nicht dulden; aber
nach Falle und Galgen braucht man nicht gleich zu greifen. Es gibt
andre Mittel, durch die er sich leicht vertreiben läßt. Mit Petroleum
getränkte Lappen oder Heringsköpfe kann er nicht erriechen; parfümiert
man seine Gänge damit, so vergrämt man den Maulwurf. Noch sicherer ist
es, um kleine Blumenbeete Dornen oder Glassplitter ein bis zwei Fuß
tief einzugraben; sein empfindlicher Rüssel ist ihm zu lieb, als daß er
ihn sich an solchen Dingen verletzen ließ.

Die Wohnung des Maulwurfs, eine kesselförmige Höhlung, liegt etwa einen
halben bis dreiviertel Meter unter der Erde, an einer Stelle zumeist,
die schwer zugänglich ist, z. B. unter dem Schutz einer Mauer, eines
Erdhaufens oder dichten Wurzelgeflechts. Mit Laub, Moos, Stroh ist die
Höhle gepolstert; denn sie dient nicht nur zur Wohn-, sondern auch zur
Schlaf- und bisweilen zur Wochenstube. Von dem Kessel aus erstrecken
sich strahlenförmig nach allen Richtungen mehrere Gänge, die meistens
wieder untereinander durch einen Rundgang verbunden sind. Diese Gänge
vereinigen sich in einiger Entfernung zu einer Laufröhre, die nach
dem Jagdgebiet führt. Auch vom Boden des Kessels senkt sich ein Gang
in die Tiefe, um jedoch bald wieder aufzusteigen und gleichfalls jene
Laufröhre zu erreichen. Die Wände der Röhren sind sorgfältig und sauber
geglättet; denn der Hohlraum wird hier weniger dadurch gewonnen, daß
der Maulwurf Erde auf die Oberfläche befördert, sondern dadurch, daß er
mit seinem walzenförmigen Körper den lockeren Boden zusammendrückt.

Die sog. Maulwurfshaufen sind in der Regel auf das Jagdgebiet
beschränkt, das oftmals 60 oder 80 ~m~ vom Wohnkessel entfernt liegt.
Dieses Revier durchwühlt der Maulwurf nach allen Richtungen hin
gründlich. Täglich baut er neue Gänge, wobei er die Erdmassen mit
Nacken und Hals an die Oberfläche befördert. Wenn er »aufstößt«, bleibt
er aber in weiser Vorsicht immer noch etwas unter der Erde. Trotzdem
wird er bei dieser Tätigkeit nicht selten von einem Feind überrascht
und gepackt, vom Fox, der schnell seine Schnauze in die lockere Erde
stößt, oder vom Storch, der mit dem Bajonettschnabel tief in den
aufgeworfenen Haufen sticht. Auch der alte »Tobias« hat so manchem
Maulwurf schon aufgelauert, wenn er gerade aufstößt, was dreimal am
Tage, früh, mittags und abends, mit genauer Zeiteinteilung geschehen
soll. Schnell das Grabscheit in die Erde stoßen und herauswerfen, was
es gefaßt hat! Der überlistete Wühler fliegt mit in die Luft und ist
dann verloren.

Wer noch nie junge Maulwürfe gesehen hat, der kann sich kaum eine
Vorstellung davon machen, wie spaßhaft diese winzigen Wesen aussehen.
Sie sind, eben geboren, nicht viel größer als eine weiße Bohne,
nackt, ganz unbehilflich, alle Glieder unfertig, Schweinsembryonen zu
vergleichen. Dabei sind sie dick und wohlgenährt, rundlich, und die
fein gefaltete Haut ist trotzdem auf Zuwachs der Leibesfülle berechnet.
Nach zehn Tagen etwa sind die Körperchen mit zartem Flaum überzogen,
durch den die rosige Haut aber noch immer durchschimmert, bis sich
die Haare zu dem weichsten Samtfellchen schließen. Noch zwei Wochen
vergehen, dann werden die Kleinen allmählich entwöhnt; Regenwürmer
und allerlei Kerbtiere trägt die Mutter herbei und verfüttert sie
stückweise an ihre Kinder. Droht eine Gefahr, so gräbt sie in Eile
eine andere Höhle und trägt ihre Jungen im Maule dahin. Namentlich
Hochwassergefahr, aber auch die Nachstellungen anderer Maulwürfe, den
Vater nicht ausgenommen, veranlassen die Mutter zu solcher Fürsorge.
Nach vieler Mühe sind die Jungen endlich so weit, daß sie der Alten auf
ihren Pirschgängen folgen können, bis sich schließlich eins nach dem
andern von der Familie trennt und nun ein selbständiges Leben beginnt.
Noch ein zweites Mal wirft die Mutter vier oder fünf Junge, die aber
erst im kommenden Frühjahr einen eigenen Hausstand gründen.

Es gibt kaum ein anderes Säugetier, dessen Körperbau sich den
Verhältnissen, unter denen es lebt, so vollkommen angepaßt hat, wie der
Maulwurf. Oder richtiger: beim Maulwurf läßt sich die Übereinstimmung
des äußeren und inneren Baus mit der Lebensweise so deutlich erkennen,
wie wohl bei keinem andern Säugetier. Zur unterirdischen Wühlarbeit hat
die Natur den Maulwurf bestimmt, und nur unter diesem Gesichtspunkt
wird sein seltsamer Körperbau verständlich. Die Vorderfüße sind
zu wirklichen Händen umgebildet worden mit fünf Fingern, an denen
krallenartige Schaufelnägel sitzen. Sie stehen seitwärts am Körper,
die Handfläche nach hinten, der kleine Finger nach oben gerichtet.
Ihr Arbeitsradius reicht beiderseits so weit, daß der walzenförmige
Leib des Tieres in dem gegrabenen Tunnel gerade Platz findet. Kräftig
sind jene Schaufeln gebaut; ihr kurzer Stiel, den Ober- und Unterarm
darstellend, ist ganz im Körper verborgen. Starke Muskeln treten
von dem gekielten Brustbein an die Knochenwülste der Arme heran und
vermitteln diesen die Kraft, die schwere Arbeit zu leisten. Die
Hintergliedmaßen sind viel schwächer; sie haben den Körper nur vorwärts
zu schieben und zeigen deshalb gewöhnliche Füße mit Zehen und Sohlen,
wie sie auch Igel und Spitzmäuse besitzen. Auffallend stabartig
gebildet sind Hüft- und Sitzbeine; sie legen sich der Wirbelsäule an
und steifen sie, um das Vorwärtsschieben der lebendigen Bohrmaschine zu
erleichtern.

Daß auch die winzigen Äuglein, nicht größer als ein Stecknadelkopf,
zu dem unterirdischen Leben passen, liegt auf der Hand. Im Dunkel der
Erde sind sie ganz überflüssig, und wenn auch der Maulwurf in der
Nacht aus seiner Grube hervorkommt, so genügt es ihm wohl, hell und
dunkel unterscheiden zu können. Mehr braucht er nicht; das Geruchsorgan
und der feine Tastsinn seines Rüssels verraten ihm, was er zu wissen
bedarf. Die Ohrmuscheln fehlen völlig. Sie würden als Fangtrichter für
Erdkrümchen nur hinderlich sein; auch leitet der Boden die Schallwellen
weit besser als Luft. Noch manche andere Anpassungen lassen sich
auffinden: die Halswirbel, die einander teilweise überdecken; es kommt
ja nicht auf Beweglichkeit, sondern im Gegenteil auf eine gewisse
Starrheit dieses Körperteils bei der Minierarbeit an; die Hautfalte
der Oberlippe, die sich an die Unterlippe fest anlegt und den Mund
vollkommen abschließt, daß auch den feinsten Erdteilchen der Eintritt
gewehrt wird; eine Hautfalte an der Ohröffnung, die demselben Zweck
dient usw.

Man wird zugeben, daß der Maulwurf in seiner ganzen Erscheinung
ein besonders interessantes Tier unserer Heimat ist, dazu eins der
nützlichsten Geschöpfe, zugleich aber auch ein volkstümliches Tier, von
dem manche Fabel zu berichten weiß. Ich erinnere nur an den »Weißen
Maulwurf« von Otto Julius Bierbaum, dem die Ehre ward, daß man ihn im
Maulwurfs-Pantheon beisetzte, oder an den Maulwurf G. A. Bürgers, dem
alle Tugend nichts half; der Gärtner schlug ihn tot, weil er die schön
geebneten Blumenbeete durch seinen Aufwurf verunziert hatte.

Kurzsichtig, töricht und vor allem undankbar ist der Mensch. Wieviel
Feinde haben doch gerade die nützlichsten Tiere! _Igel_, _Spitzmaus_,
_Maulwurf_, ein Kleeblatt, an dem jeder seine Freude haben sollte! Ich
möchte all meinen Lesern die Samtfellchen Maulwurf und Spitzmaus, ganz
besonders aber auch meinen Liebling, den stachelborstigen Igel, recht
fest an das tierfreundliche Herz drücken. Möge nie die Zeit kommen, wo
eins von diesen Dreien durch Unverstand und Roheit aus unsrer Heimat
verdrängt sein sollte!



Vogelnester


Von jeher hat die Bautätigkeit der Tiere die Aufmerksamkeit des
Menschen in hohem Grade auf sich gelenkt. Besonders zwei Tiergruppen
sind es, die Insekten und die Vögel, denen wir in dieser Beziehung
die höchste Bewunderung zollen müssen. Während aber bei jenen nur
eine verhältnismäßig geringe Zahl sich durch allerdings staunenswerte
Baukunst auszeichnet, verstehen es die meisten Vögel mehr oder weniger
kunstvolle Nester zu errichten. Grundverschieden sind diese nach
Bauart, Form und Material; ja sogar der einzelne Vogel derselben Art
baut bisweilen ganz abweichend -- bald frei in luftige Höhe, bald auf
den Boden, bald ins Dunkel einer Höhle -- immer aber versteht er es,
sein Nest in vollendeter Weise der Umgebung wie seinen Bedürfnissen
anzupassen, so daß jeder Architekt von dem kleinen Vogel lernen könnte.

In der freien Natur gibt es wohl keinen Platz, der diesem oder jenem
Vogel nicht willkommen wäre, keine Örtlichkeit, die nicht Zeuge des
lieblichsten Familienlebens werden könnte. Unsre kleinen Sänger
vertrauen ihre niedlichen Nester dem Zweigwerk von Baum und Strauch
an; sie schlüpfen durch ein Astloch des Obstbaums oder stellen ihr
Nest ins Gestrüpp und dürre Laub auf den Boden. Raubvögel bauen meist
auf Felsen und hohen Bäumen; sie sind stark genug, freistehende
Horste verteidigen zu können. Auch andere große Vögel verhalten
sich ähnlich: Reiher, Störche, selbst Raben, Krähen und Elstern. Die
Rebhühner, Trappen, Lerchen und andere Feldbewohner brüten am Boden;
die Spechte, diese echtesten Baumvögel, meißeln sich eine Höhle in den
Baumstamm, die später auch von andern Höhlenbrütern benutzt wird. Die
Sumpfvögel bauen auf den Boden am Rande des Wassers, die Wasservögel
ins Röhricht von Fluß und See; die Lappentaucher errichten nicht
selten ein freischwimmendes Nest. Strandvögel vertrauen Eier und Brut
dem flachen Kies oder der steilen Klippe an, wo die Woge brandet. Die
lichtscheuen Eulen brüten an dunklen Orten, in Fels- und Mauerspalten,
in Baumhöhlen; der winzige Zaunkönig wählt für sein kugliges
Nestchen irgendeinen der tausend Schlupfwinkel seines Reviers, ein
Wurzelgeflecht, das Mauerloch einer Brücke, Lücken in einer Waldhütte,
einer Holzklafter usw.

Aber es gibt auch Ausnahmen, die wir Menschen uns nicht so einfach
zusammenreimen können. So brüten Rohr- und Kornweihe, diese
fluggewandten Räuber, auf dem Boden; der Fischer Kormoran errichtet
seinen ungefügen Bau auf hohen Bäumen, nicht selten auch manche
Wildentenart; so brütet die Schellente bei uns mit Vorliebe in
Asthöhlen, oft recht hoch über dem Boden, und die Stockente hat
sich schon Elsternhorste als Kinderstube gewählt. Der weiße Storch
sucht den Schutz des Menschen auf, desgleichen die Haus- und die
Rauchschwalbe, während deren Base, die Uferschwalbe, obwohl sie im
übrigen ähnliche Lebensweise führt, in steile Lehm- und Erdwände Röhren
gräbt, einen Meter tief und darüber. Wer würde es dem farbenprächtigen
Eisvogel ansehen, daß er gleichfalls ins unterirdische Dunkel eines
selbstgegrabenen Stollens schlüpft, um seine Jungen zu ätzen, wer der
Hohltaube, daß sie ihr Zwillingspärchen in einem Astloch aufzieht oder
in einer verlassenen Spechtshöhle, während doch Ringel- und Turteltaube
freistehende Nester bauen! Warum errichtet der Gartenlaubvogel die
Wiege seiner Jungen in der Astgabel niedriger Bäume, alle andern
Laubvögel aber am Boden oder unmittelbar darüber, in der Vertiefung
eines alten Baumstocks u. dgl.? Warum dort ein offenes Nest, hier aber
ein kugelförmiges mit engem Eingang, geformt wie ein Backofen? Ja, wer
es wüßte!

Strenger noch als an einer bestimmten Örtlichkeit hält jeder Vogel
an der Wahl gewisser Niststoffe fest. Kein Goldammer verzichtet auf
Pferdehaare oder Schweinsborsten; keine Entenart brütet die Eier aus,
ohne mit zartem Flaum das Innere des Nestes auszupolstern. Krähen und
Elstern tragen Erde und kleine Rasenstücke in ihren Horst; Amsel und
Ziemer verbinden die eigentlichen Niststoffe mit Lehm und mit feuchter
Erde, wodurch das unförmliche Nest oft außerordentlich schwer wird,
während ihre Verwandte, die Singdrossel, fein zerkleinerten Holzmull,
den sie mit Speichel vermischt, gleichmäßig und glatt über die
Innenwand ihres saubern Baues streicht. Feuchte Erdklümpchen benutzt
die Hausschwalbe, zartes Moos der Zaunkönig; dürres Laub bildet die
Grundlage für das Nest der Nachtigall; Flechten und Insektengespinst
verwenden Buchfink und Goldhähnchen -- kurz, jeder Vogel hat eine
ausgesprochene Vorliebe für ganz bestimmte Stoffe, und nur im Notfall
einmal wird er sie durch ähnliche Dinge ersetzen.

Wie sich die besondere Nistweise, an der die einzelne Art mehr oder
weniger festhält, bis zu der gegenwärtigen Musterform entwickelt
hat, ist eine offene Frage. Wir wissen nicht einmal, sind die
bodenständigen Nester oder die in den Zweigen der Bäume erbauten als
die ursprünglicheren anzusehen; nimmt der Vogel, der in Höhlen brütet,
eine tiefere Stufe ein als der sogenannte Freibrüter, oder lassen uns
nicht gerade viele Höhlenbewohner, die ihr oft recht hübsch gebautes
Nestchen in ein Astloch, eine Mauerspalte stellen, vermuten, daß sie
ehemals Freibrüter waren, aber um die Sicherheit für Eier und Junge
zu erhöhen, zu dieser vollkommeneren Methode fortgeschritten sind?
Wenn wir im folgenden einige besonders eigenartige Vogelbrutstätten
betrachten wollen, und zwar in der Anordnung, daß wir von den scheinbar
einfachsten Verhältnissen ausgehen und uns zu immer kunstvollerer
Bauweise wenden, so möchten wir doch keineswegs damit behaupten, daß
dieser Gang nun auch wirklich der natürlichen Entwicklung der bei den
Vögeln geübten Baukunst entspreche.

Einzelne Vögel begnügen sich mit der einfachen Reptilienmethode, indem
sie ohne weitere Fürsorge ihre Eier auf den Boden legen. So vertrauen
die meisten Strandläufer, viele Schnepfenvögel, Seeschwalben, manche
Möwen die Eier dem bloßen Kies an oder der kurzen Grasnarbe, ohne
daran zu denken, ein wirkliches Nest zu bauen. Auch die Nachtschwalbe
kennt ein solches nicht; auf plattem Boden brütet sie ihre beiden Eier
aus, oder auf dichtem Heidekrautgestrüpp, auf dem Moos eines niedrigen
Baumstocks u. dgl.

Bei sehr vielen Höhlenbrütern kann man gleichfalls nicht von wirklichem
Nestbau reden; sie begnügen sich damit, die Eier ohne besondere
Unterlage einem Mauerloch, einer Felsenspalte oder einer Baumhöhle
anzuvertrauen. Die natürliche Hohlform hält Eier und Wärme zusammen;
ein wenig Erde oder Holzmull findet sich fast in jedem solchen Raume,
wodurch den Eiern wenigstens ein leidlich weiches Lager wird, und der
Schutz für den brütenden Vogel wie für die Brut ist doch ungleich
höher hier in der dunklen Höhle als draußen im Freien. Spechte, der
Wendehals, manche Eulen, die Hohltauben, der Wiedehopf u. v. a. brüten
in dieser Art, die indessen nur einen kleinen Fortschritt bedeutet im
Vergleich mit der einfachen Nistweise der Nachtschwalbe. Natürliche
Bodenvertiefungen, die dem Körper des Vogels mehr oder weniger angepaßt
waren, Verstecke im Pflanzengestrüpp und ausgefaulte Löcher im
Baumstumpf mögen die Verbindungsglieder gewesen sein.

Etwas mehr Sorgfalt zeigen unsre Rebhühner, Trappen, manche
Seeschwalben, Möwen, Rallen u. v. a. Sie scharren eine seichte
Vertiefung in den Boden, knicken Stengel und Halme um oder bilden durch
häufiges Drehen des Körpers eine geeignete Stelle, die sie nun mit ein
paar trocknen Gräsern oberflächlich ein wenig auspolstern. Wozu sollten
auch die Jungen, z. B. die des Rebhuhns, eines künstlichen warmen
Nestes bedürfen? Sobald die Eihülle gesprengt und der Flaum getrocknet
ist, laufen sie ja doch davon, um vielleicht nie wieder an den Ort
zurückzukehren, wo sie das Licht der Welt erblickt haben. Vögel, deren
Junge längere Zeit im Neste verbleiben, sogenannte »Nesthocker«,
verwenden stets mehr Fleiß auf die Niststelle; doch verdient diese bei
vielen, die auf dem Boden oder in Höhlen brüten, noch kaum den Namen
eines eigentlichen Nestes. Die Feldlerchen z. B. suchen sich eine
kleine Vertiefung zwischen Erdschollen oder im Grase, erweitern und
runden sie nach Bedarf und tragen nun Stoppeln, Halme, zarte Wurzeln
zusammen. Mit ihrem Körper formen sie alles zu einem tiefen Napf, den
sie schließlich noch mit einzelnen Pferdehaaren u. dgl. auspolstern.
Unsre niedlichen Blaumeisen begnügen sich, falls die Höhle, die sie
gewählt haben, sehr eng ist, mit einem recht einfachen Bau: feine
Brocken faulenden Holzes, darüber ein paar Federn und Haare, das ist
alles. In weiten Hohlräumen aber sorgen sie für eine dichte Unterlage
und für ein weiches Haar- und Federpolster. Ähnlich verhalten sich auch
die andern Meisen mit Ausnahme der Schwanzmeisen.

Einen Fortschritt zeigen schon die sogenannten »Halbhöhlenbrüter«,
welche für die Wiege ihrer Jungen irgendeinen Winkel wählen, wie
Hausrotschwanz, grauer Fliegenschnäpper, weiße Bachstelze u. a.;
auch das Rotkehlchen gehört hierher, das sich ein Versteck in einem
ausgefaulten Baumstumpf, zwischen Wurzelgeflecht, eine weite Erdhöhle
u. dgl. aussucht. Sein Nest stellt ein lockeres, kunstloses Gewebe dar,
meist auf einer Grundlage dürren Laubes. Beim Hausrotschwänzchen kann
man es genau beobachten, um wieviel vollkommener der Vogel baut, wenn
er das Nest auf einen freien, nur von oben geschützten Balkenkopf oder
hinter einen Dachsparren stellt, als wenn er sich ins Halbdunkel einer
Höhle zurückzieht. Hier nur eine ungeordnete Anhäufung von Niststoffen,
dort aber ein dichtes Gewebe mit sorgfältig gepolsterter Aushöhlung
eines zierlichen Napfes.

Wirkliche Kunstbauten finden wir jedoch erst bei den sogenannten
Freibrütern, und zwar besonders bei denjenigen, die sich losgemacht
haben von der Scholle des Bodens und im Astwerk von Baum und Strauch
oder am Schilfhalm ein lustiges Nest bauen. Doch dürfen wir auch
manchen Höhlenbrütern, wie den Baumläufern, dem Star, Gartenrotschwanz,
Trauerfliegenfänger, eine gewisse Fertigkeit nicht absprechen. Nach
unsrer Meinung stellten diese Vögel, wie wir schon angedeutet haben,
ehemals freistehende Nester her; die seit alters geübte Bauweise
pflegen sie aber auch heute noch weiter, trotz der veränderten
Verhältnisse, nur daß sie dabei weniger sorgfältig verfahren. Man
vergleiche z. B. das Nest der Spechtmeise, die sich ein Astloch
erwählt, mit dem Bau der freibrütenden Schwanzmeise, einem der
kleinsten Vögelchen unsrer Heimat. Bei jener eine schlechte Unterlage
aus lockern Stückchen von Buchen- und Eichenblättern oder ein Wulst
dünner Schalen der Kiefernrinde; das Nest der Schwanzmeise dagegen
ein Kunstbau, kugelförmig, mit einem Schlupfloch, zusammengefilzt
aus Astmoosen, Baumflechten, Birkenschalen, Schuppen der Eichenrinde
und Haaren, überkleidet mit Spinnen- und Raupengespinst, innen aber
ausgefüttert mit Federn und Wolle. Überhaupt zeichnen sich die
kleinsten der kleinen Baumeister durch höchste Kunstfertigkeit aus.
Hoch in die herabhängenden Zweigenden einer Fichte oder Tanne hat das
winzige Goldhähnchen sein beinahe kugelförmiges Nestchen aufgehängt. In
die ziemlich glatte Außenwand sind die Spitzen der dünnen Triebe des
Nadelbaums geschickt eingeflochten, daß der kleine Bau frei in der Luft
schwebt; oben führt eine enge Öffnung ins Innere, das mit wärmenden
Federchen dicht ausgekleidet ist. Oder das Nest des Zaunkönigs: außen
nicht selten ein wüster Haufen von Stengeln, Wurzeln und Blättern,
innen aber eine dicht gefilzte Lage von grünem Moos, auf welche
schließlich das weiche Federpolster folgt.

Auch die Finkenvögel bauen sehr hübsche Nester, an erster Stelle unser
frohschmetternder Buchfink. Hier steht ein solches auf dem hohen Stumpf
eines Fliederstrauchs, dessen Fortsetzung es nach Stellung und Form zu
bilden scheint; aufs peinlichste ist es mit Lebermoosen überzogen, wie
sie der Stamm trägt, und mit kleinen braunen Rindenstückchen beklebt,
wie sie am Boden liegen. Dadurch, daß der Vogel die Niststoffe aus
der Umgebung nimmt, paßt er das Nest dieser gewöhnlich aufs schönste
an, wodurch die Sicherheit erhöht wird. Ob dabei bisweilen auch kluge
Berechnung eine Rolle spielt, möchte ich nicht entscheiden. Ich habe
Finkennester gefunden, in deren Wand Fetzen weißen Papiers sehr
geschickt eingewebt waren -- sie standen auf weißstämmigen Birken --,
ein Nest des Zaunkönigs, das durch Verwendung grauen Mooses und grauer
Algen die Farbe der granitenen Brücke täuschend nachahmte, unter die
es gebaut war, und ein andres, dessen grüner Moosüberzug mit dem Grün
seiner Umgebung vollkommen übereinstimmte. Vielleicht ist es so, daß
der Vogel durch einen auffallenden Farbengegensatz des Nestes mit
dessen Umgebung unangenehm berührt wird und ohne viel Nachdenken die
Stoffe wählt, die in der Farbe zu der unmittelbaren Nachbarschaft
des Nestes passen. Ich entsinne mich aber auch einiger Nester, wo
von solcher Übereinstimmung nicht die Rede sein konnte; so hatte
ein Schwanzmeisenpärchen ein ganz lichtes, aus heller Baumrinde und
Laubmoosen gefilztes Nest in das dunkle Grün einer Jungfichte gestellt,
daß es weithin erkennbar war.

Ein sehr zierliches Nest bauen auch die Rohrsänger. Von ein paar
Schilfstengeln, die in die Wandungen eingewebt sind, wird der
kegelförmige Bau getragen, die Spitze nach unten. Gespaltene
Schilfblätter, schmales Gras und biegsame Halme bilden die kunstvoll
geflochtene Wandung, in der jede Lücke mit Pflanzenwolle verstopft
ist, namentlich von der Weide. An allen Bewegungen der Halme nimmt der
luftige Bau teil, wenn der Wind durchs Schilf saust und die Spitzen
hinabbiegt bis in die Wellen des Teichs; aber der Napf ist so tief, daß
die Eier so leicht nicht herausfallen.

Freilich gibt es auch unter unsern kleinen Sängern einige, die recht
liederlich bauen. Das gilt z. B. von unsern Grasmücken. Ich habe
Nester der kleinen Zaungrasmücke gefunden, deren Boden so locker
gewebt war, daß man kaum begreift, wie sie die Wärme zusammenhalten
können. Noch weniger dicht sind die sehr flachen Nester der Ringeltaube
gebaut; nicht selten sieht man die weißen Eier zwischen den Lücken
hindurchleuchten. Ja, es kommt vor, daß sie unter dem brütenden Vogel
durch den Boden fallen, so daß ich glaube, die Ringeltaube ist erst
nachträglich zum Freibrüter geworden, während sie früher, wie Hohl- und
Felsentaube noch heute, in Höhlungen brütete.

Gleich der Ringeltaube verwenden fast alle größeren Vögel stärkere
oder dünnere Reiser für die äußere Wandung, wie dies das Nest des
Eichelhähers zeigt, oder die kleinen Horste der Elstern und Krähen und
die bisweilen gar gewaltigen Reisighaufen, welche Raubvögel, Reiher
und Störche zusammenschleppen. Solch ein Adlerhorst, ich denke an den
eines Fischadlers, der auf dem vertrockneten Wipfel einer uralten
Eiche stand, ist einer mächtigen Stammburg zu vergleichen. Nicht das
Paar, das jetzt droben haust, hat den riesigen, fast mannshohen Bau
gegründet, sondern vielleicht seine Großeltern vor vielen Jahren.
In jedem Frühling wird das Schloß der Väter von neuem bezogen und
mit frischen Baustoffen belegt und ausgebessert; in seinen untern
Schichten, gewissermaßen in den Kellerwohnungen, haben sich ein paar
Meisen häuslich niedergelassen, wie ja auch in der Wandung alter
Storchnester, die gleichfalls alljährlich von unsern Hausfreunden
wieder bezogen werden, nicht selten Meister Spatz seine zahlreiche
Nachkommenschaft großzieht. Verlassene Raubvogel- und Krähenhorste
dienen übrigens manchen Vögeln zur willkommenen Wohnung; am häufigsten
scheinen Waldohreule und Turmfalke von solch herrenlosem Eigentum
Besitz zu nehmen.

Zu den hübschesten Nestern unsrer Heimat gehört das des gelbschwarzen
Pfingstvogels, des Pirols. Freischwebend hängt es, einem Klingelbeutel
vergleichbar, zwischen den Enden einer Astgabel; aus Bast, Halmen,
Wollfäden, Oberhäutchen der Birkenrinde, feinen Hobelspänen u. dgl.
ist es gar zierlich gewoben. Man begreift nicht, wie es dem Schnabel
im Verein mit den Zehen möglich ist, aus dünnen Fasern solch feines,
braungelbliches Gewebe herzustellen.

Von den Zimmerleuten unsrer Wälder, den Spechten, war schon die
Rede; auch der Wendehals und manche Meisenarten verstehen sich auf
dies Handwerk, insofern sie vorhandene Höhlen nach ihrem Bedürfnis
vergrößern. Ähnlich ist die Tätigkeit der Minierarbeiter; nur haben
es diese nicht mit Holz, sondern mit Lehm, Sand oder Erde zu tun,
wie die Uferschwalbe, der Eisvogel und der ebenso farbenprächtige
Bienenfresser, der freilich unsrer Heimat fehlt, den ich aber an
manchen Gewässern Südungarns beobachten konnte.

Mit Lehm und mit Erde arbeiten ferner die Maurer, zu denen unsre
Schwälbchen gehören. Unterhaltend ist es, den emsigen Tierchen
zuzuschauen. Zuerst werden feuchte Klümpchen -- meist ist es Straßenkot
-- eins neben das andre in flachem Bogen an die Baustelle geklebt;
dann ruht die Arbeit bis zum nächsten Morgen. Ist jetzt das Mauerwerk
völlig trocken, so wird eine zweite Lage von Erdklümpchen so angesetzt,
daß sie die erste Schicht überragt; am dritten Morgen wird in gleicher
Weise fortgefahren. Schon geht die Arbeit leichter von statten, denn
die Vögelchen brauchen sich nicht mehr an der Hauswand anzuklammern,
sondern können auf dem bereits gemauerten fingerbreiten Rand Fuß
fassen. Schicht folgt auf Schicht, wobei auch einige Halme, Borsten,
Haare mit eingeklebt werden. Nach zwei Wochen etwa ist das kugelrunde
Nestchen der Hausschwalbe oder das halbkugelförmige der Rauchschwalbe
fertig; es bedarf nur noch der Auspolsterung mit Federn und Haaren.

Auch die Spechtmeise versteht sich auf Mörtel und Kitt; ist das
Eingangsloch zur Baumhöhle, in der sie ihr kunstloses Nest erbaut, zu
weit, so vermauert sie es ringsum mit eingespeichelten Lehmklümpchen,
daß dem Eichhörnchen und andern Räubern der Zugang gewehrt wird.

Im allgemeinen beteiligen sich Männchen und Weibchen am Nestbau; sehr
oft beschränkt sich aber die Tätigkeit des Männchens auf das Aufsuchen
und Herbeitragen der Niststoffe, während das Weibchen gewöhnlich die
eigentliche Künstlerin ist. Wer beispielsweise den Pirol oder den
Buchfink, bei denen sich die Geschlechter leicht unterscheiden lassen,
belauscht, wie Männchen und Weibchen gemeinsam das Nest bauen, wird
diese Verteilung der Arbeit bestätigen können.

Das Nest ist für den Vogel weit weniger ein Wohnhaus, als man
gewöhnlich annimmt; zunächst dient es nur den Zwecken der
Fortpflanzung, und bloß gelegentlich benutzt es das Elternpaar, bei
ungünstiger Witterung darin Schutz zu finden. Auch die Nacht verbringt
der Vogel, abgesehen vom brütenden oder die Jungen wärmenden Weibchen,
meist nur in der Nähe der Niststelle. Manche bauen sich auch besondere
Schlafnester, so der Zaunkönig; andere wieder sog. Spielnester,
indem sie, wie die Grasmücken, hier und da mit dem Nestbau beginnen,
ihn aber bald wieder einstellen, um an anderer Stelle von neuem zu
probieren. Namentlich die Männchen können es im Frühjahr oft gar nicht
erwarten, daß ihr Weibchen nun endlich mit dem Nestbau Ernst mache,
und sie tragen deshalb allerlei Baustoffe ins Gezweig, um die Gattin
aufzufordern: nun ist es Zeit.

Nicht genug staunen kann man über die peinliche Reinlichkeit der
meisten Nester -- »ein schlechter Vogel, der sein Nest beschmutzt«. Den
Kot der Jungen tragen die Höhlenbrüter im Schnabel fort, und bei den
Freibrütern -- ich denke an Schwalben, Störche u. a. -- lernen es die
Kleinen sehr bald, ihre Kehrseite so zu wenden, daß der Kot über den
Nestrand befördert wird.

Das ganze Leben und Treiben unsrer kleinen Sänger spielt sich während
ihres kurzen Aufenthalts in der nördlichen Heimat am Nest und in dessen
nächster Umgebung ab, bis der große Tag kommt, wo das Vöglein seine
Schwingen erhebt, um dem fernen Süden zuzueilen. Nur einen einzigen
Vogel beherbergt unser Vaterland, der sich weder um Nestbau noch um
Aufzucht der Brut kümmert, das ist der Kuckuck; von ihm gilt das
lustige Sprüchlein:

    Der g'scheitste Vogel muß der Gugezer sei',
    Die andern bau'n d' Nester, und er setzt sich nei'!



Im Teichgebiet der sächsischen Lausitz


Eigentlich war's zu einem ornithologischen Ausflug nach unserm
sächsischen »Tausendseen-Land« noch ein wenig früh im Jahre. Doch was
half's! Ich kann nicht verlangen, daß das Osterfest mit seinen Ferien
bloß meinetwegen um einige Wochen verschoben wird. Und im vorigen
Jahre konnte ich mich -- genau wie 1911 -- wenigstens einigermaßen mit
dem Ostertermin aussöhnen. Der 16. April ist doch ein ziemlich später
Zeitpunkt für das Fest, und da ich mich erst am »dritten Feiertag«
(18. April) auf den Weg machte, durfte ich hoffen, wenn auch bei weitem
noch nicht die volle Entfaltung des Vogellebens in jenem Gebiet, so
doch immer schon den vielversprechenden Anfang dazu anzutreffen.

Es war also Aussicht vorhanden, daß ich von Dresden her ganz
gleichzeitig mit dem oder jenem Bekannten, der aus Kleinasien, Ägypten,
von den Ägäischen Inseln usw. in diesen Tagen heimzukehren pflegt, in
Baselitz, Milstrich, Königswartha oder Commerau eintreffen würde. Mit
Freund Langbein, dem Storch, klappte es auf die Minute, als ob wir
uns verabredet hätten. Freilich mancher gefiederte Nachzügler fehlte
noch; aber das schadete schließlich nicht viel. Der Vogelfreund sieht
doch auch die, die nicht da sind, und interessiert sich auch dafür,
welcher Vogel einer Gegend noch fehlt, sei es, daß er regelmäßig
recht spät kommt, oder daß er sich gegen seine Gewohnheit verzögert
hat. Den rotrückigen Würger, den Mauersegler, die Nachtschwalbe, den
Gartenlaubsänger, den Pirol, die Wachtel und namentlich die Rohrsänger
konnte ich natürlich noch nicht erwarten.

Trotz dieser und anderer Lücken war es mir möglich, 71 Vogelarten in
meine »unblutige Schußliste« einzutragen.

Der etwas einförmige Weg von Kamenz über Jesau nach Deutsch-Baselitz
bot nichts Besonderes. In großer Menge saßen die Stare auf Wiesen
und Feldern. Der Gesang der Lerchen erfüllte die Luft; Buchfinken
schmetterten; Kohlmeisen ließen in jedem Obstgarten ihre hellen
Glöckchenstimmen erklingen; Goldammern gaben mir ab und zu das Geleit,
während ihre plumperen Vettern, die Grauammern, von den Straßenbäumen
herab mit unermüdlicher Ausdauer ihr wenig musikalisches »zick zick
zick schnirrrrps« zirpten. Haus- und Feldsperlinge natürlich in
ausreichender Menge; ein Elsternhorst auf einer hohen Erle; aus der
Ferne der durchdringende Ruf des Grünspechts; einige Nebelkrähen,
schwerfälligen Flugs meinen Weg kreuzend, und -- eine besondere
Überraschung, daß er schon da ist -- ein Gartenammer oder, wie er
gewöhnlich heißt, ein »Ortolan«. Er saß an der Straße auf einem Baum,
ließ sich aber nicht hören.

Deutsch-Baselitz liegt an dem größten stehenden Gewässer Sachsens,
umfaßt doch der »Großteich« etwa 400 sächs. Scheffel, das sind mehr
als 110 Hektar. In der Nähe noch einige kleinere Teiche, die alle der
sehr ergiebigen Karpfen- und Schleienzucht dienen. Der Pächter des
Guts war so freundlich, mir ein Boot zur Verfügung zu stellen und
einen Fährmann zugleich. Noch ehe man die weite Wasserfläche sieht,
hört man bereits die hellen Lockrufe der Bläßhühner, das tiefe »grök
grök« der Haubentaucher, das Grunzen und scharfe Lärmen der Rothälse,
die garstigen Schreie auffliegender Stockerpel und die wohlklingenden
Stimmen kleiner Krikenten. Einzelne Kiebitze gaukelten unruhig umher,
taumelnden Flugs, und weiße Lachmöwen tummelten sich hoch in den Lüften.

Wir durchschreiten das abgestorbene Röhricht, um das Boot zu erreichen.
Da fesselt ein _grünfüßiges Teichhühnchen_ meine Aufmerksamkeit. In
prachtvoller Balzstellung trippelt es am Ufer vor seinem Weibchen
gar zierlich hin und her. Überraschend groß erscheint der Vogel in
dieser verliebten Haltung. Den Schwanz hat er emporgerichtet, daß
sich dessen schneeweiße Unterseite wirkungsvoll von dem übrigen
dunkeln Gefieder abhebt. Die rote Stirnplatte und der hochgelbe
Schnabel leuchten wie grellfarbige Blumen aus dem welken Schilf, und
dieselben Farben wiederholen die koketten Strumpfbänder, die der Vogel
an den Fersengelenken trägt. Jetzt läßt sich das Paar ins Wasser
gleiten; auch hier wird das Männchen nicht müde, seiner Angebeteten
den Hof zu machen. In zierlichen Bogen umschwimmt es sie, bald den
weißen Federstrauß des Schwanzes, bald die feurige Pelargonie an
der Stirnplatte ihr zukehrend -- aber plötzlich sind die beiden
verschwunden. Sie haben es wohl gemerkt, daß ich ihrem Liebesspiel
gelauscht, und sind nun untergetaucht, sich mit ihren langen Zehen im
Schilf unter dem Wasser festhaltend.

Wir betreten das Boot und fahren ein Stück hinaus auf die Fläche.
Hunderte von Wasservögeln sind hier vereinigt. In kleineren und
größeren Trupps, auch nur in einzelnen Paaren schwimmen Bläßhühner und
Enten aller Art, Taucher und Möwen. Oft verschwinden ganze Gruppen wie
auf Kommando unter die Wasserfläche, während andere wieder auftauchen.

Es erfordert einige Mühe, in das Durcheinander der schwimmenden,
tauchenden, niedrig über dem Wasserspiegel und hoch in den Lüften
fliegenden Arten Ordnung zu bringen.

Die _Bläßhühner_ freilich bieten keine Schwierigkeit; sie sind sofort
zu erkennen: hühnerartig plump ihre Gestalt, das ganze Gefieder
tiefschwarz bis auf die kreideweiße, weithinleuchtende Stirnplatte.
Unruhig sind sie und recht laut; denn eifersüchtige Kämpfe werden jetzt
fast beständig unter ihnen ausgefochten. Mit gesenkten Köpfen rudern
die Nebenbuhler aufeinander los und prallen heftig schreiend zusammen,
oder sie jagen sich, die Wasserfläche mit ihren Lappenfüßen schlagend,
über den halben Teich hin, um sich dann schließlich schwerfällig in die
Luft zu erheben oder im Schilfwald einzufallen.

Unter den Enten sind die zierlichen _Tafelenten_ die häufigsten; mein
Bootsführer, auch andere Leute in der Lausitz nennen sie »Brandenten«,
was aber falsch ist. Sie zeigen wenig Scheu, erheben sich beim Nahen
unseres Nachens immer zuletzt oder vertrauen auf ihre Fertigkeit im
Tauchen. Dreifarbig ist das Kleid des Männchens: rostbraun Kopf und
Hals, zartes Grau auf Flügeln und Rumpf; Brust und Hinterteil aber
tiefschwarz. Mit etwas eingezogenem Hals schwimmen sie friedlich in
großen Trupps umher, kein eifersüchtiges Gezänk, nur zärtlich pfeifende
Laute, tauchen gemeinschaftlich, oder es umschwärmen auch ein paar
Männchen ein einzelnes Weibchen, diesem immer getreulich folgend, wohin
es den Weg nimmt.

Auch die kleinen _Krikenten_ sind in großen Scharen vertreten. Das
Gefieder des Erpels ist graugewellt; der dunkelbraune Kopf zeigt einen
grünglänzenden Streifen, der sich bis zur Hälfte des Halses herabzieht,
aber selbst mit dem Feldstecher aus größerer Entfernung schwerer zu
erkennen ist, als der metallisch-grüne und schwarze, weiß eingesäumte
Spiegel an den Flügeln. Die Weibchen sind unscheinbar graubraun; doch
tragen auch sie, gewissermaßen als Familienwappen, jene Flügelzier. Die
kleinsten sind immer die beweglichsten und geschäftigsten. Leicht wie
eine Feder erheben sie sich von der Wasserfläche, umkreisen in leichtem
Flug den Teich, wobei wir, sobald sie sich uns nähern, deutlich ihre
eigentümlich schwingenden Flugtöne vernehmen, und fallen dann wieder in
einer seichten Bucht ein, um hier zu gründeln, wobei, wie bei unsern
Hausenten, der hintere Körperteil senkrecht aus dem Wasser emporragt;
denn ganz unterzutauchen ist nicht ihre Art.

Bedeutend größer als Tafel- und Krikenten sind die _Stock-_ oder
_Märzenten_, die Stammeltern unsres zahmen Hofgeflügels. Sie sind
bereits mit dem Nestbau beschäftigt, schwimmen zu Paaren umher oder
erheben sich paarweise in die Lüfte, wobei das galante Männchen stets
dem Weibchen den Vortritt läßt. Der Stockerpel ist ein prächtiges
Tier. Das metallische Grün von Kopf und Oberhals wird durch einen
schneeweißen Ring von dem Braun des Unterhalses und der Brust scharf
getrennt, und der violett-blau-grüne Spiegel ist gleichfalls ein
hübscher Schmuck. Es gibt viele unter unsern Hausenten, die sich Form
und Farbe der Federn genau so schön erhalten haben, wie wir's an den
wilden »Stocken« bewundern.

Auch die sog. _Mittelente_ bewohnt die weite Fläche des Teiches,
wenigstens in einigen Paaren. Aus der Entfernung gesehen, erscheinen
diese Enten anspruchslos grau, das Männchen mit einem schwarzen, das
mehr bräunliche Weibchen mit einem gelbroten Schnabel.

Viel auffallender sind die _Schellenten_ wegen ihres scheckigen
Kleides. Zwei große Felder auf den Flügeln, ebenso Brust und Hals,
auch ein Fleck an der Wange hinter dem Schnabel leuchten schneeweiß,
während der Rücken tiefschwarz gefärbt ist. Ich habe Schellenten,
allerdings nie in besonders hoher Zahl, auf fast allen größeren Teichen
der Lausitz gesehen; sie sind, obgleich ihre eigentliche Heimat weiter
im Nordosten gelegen ist, für unser Sachsen seit einiger Zeit in recht
erfreulicher Zunahme begriffen, und das ist um so verwunderlicher,
als sich diese kleinen Enten mit Vorliebe Baumhöhlen, die doch immer
seltener werden, zur Brutstätte auswählen. Mir ward von meinem Fährmann
eine solche Höhle gezeigt, wo im vorigen Jahre eine »Schelle« ihre
Jungen erbrütet hatte: ein Loch in einem wagrechten Ast einer uralten
Föhre, gegen 3 ~m~ hoch über dem Wasser, der Eingang so eng, daß man
nicht recht begreift, wie eine Ente sich hindurchzwängen kann. Hätte
wohl sehen mögen, wie die kleinen Entchen aus der dunkeln Höhle mutig
den Kopfsturz ins Wasser gewagt haben, ähnlich wie die Lummen von ihrer
Helgoländer Felsklippe hinab in die bewegte See.

Die Schellenten hatten sich bei meinem Besuch noch nicht in Pärchen
aufgelöst, sondern hielten in größeren Trupps kameradschaftlich
zusammen. Ein Vergnügen war's, ihnen zuzuschauen, wie sie unaufhörlich
im Wasser verschwanden und dann leicht wie ein Kork wieder auftauchten;
bald waren nur wenige, bald gar keine, bald war wieder die ganze
Gesellschaft auf der Oberfläche zu sehen.

Von den Taucherarten beherbergt der Teich den großen Haubentaucher
in mehreren Paaren, die kleineren Rothalstaucher und die noch viel
kleineren Zwergtaucherchen, die in großer Anzahl ihre Künste zeigten,
während ich Schwarzhalstaucher hier nicht bemerkte.

Die _Haubentaucher_, deren weiße Brust bei jeder Wendung des Vogels
aufblitzt und wieder verschwindet, waren ziemlich mißtrauisch; sie
versanken im Nu unter dem Wasser, wenn sich ihnen unser Boot näherte
und tauchten erst in großer Entfernung wieder auf oder erreichten,
unter dem Wasser schwimmend, die Nähe des Ufers, wo sie das Schilf
unsern Blicken entzog.

Viel weniger Scheu zeigten die _Rothalstaucher_; ja ein Pärchen,
das mit dem Nestbau eifrigst beschäftigt war, ließ mich bis auf
wenige Meter herankommen. Wie schön sind doch auch diese Taucher!
Rostrot der Hals, die Kehle und zwei Wangenflecken weiß; statt der
eigentlichen Haube aber zwei schöne nach hinten gerichtete Federohren.
Unermüdlich tauchten die Vögel nach allerlei Wasserpflanzen und legten
diese Baustoffe auf die Schilfkaupe, die sie sich zur Niststelle
erkoren hatten. Es war schon ein großer Klumpen, naß, schlammig und
übelriechend, zusammengetragen; aber den beiden schien's immer noch
nicht genug.

Der kleinste der Tauchersippe, der niedliche _Zwergtaucher_, ließ
oft seine trillernde Stimme hören, eine ganze Kette perlender, etwas
absinkender Töne, die das Tierchen jedem verraten, der's nur einmal
gehört hat. Aber dem Auge zeigte sich das Taucherchen immer nur auf
kurze Sekunden; am Rande des Schilfwaldes trieb es das lustigste
Versteckspiel oder tauchte unter, sobald es sich beobachtet sah.

Die _Lachmöwen_, die ihre braune Gesichtsmaske bereits aufgesetzt
hatten, waren wohl nur zu Besuch gekommen. Ihr eleganter Flug belebte
das Landschaftsbild reizvoll; einige ruhten auch auf der Wasserfläche
aus, weißen Seerosen zu vergleichen, oder saßen eng aneinandergereiht
auf einer Planke am Ufer. Ihre nächsten Brutplätze haben sie an manchem
Teich der preußischen Lausitz.

Von Seeschwalben war natürlich noch keine Art zu erblicken; denn die
_Fluß-_ und _Zwergseeschwalben_ kommen erst Anfang Mai. Dagegen zeigte
sich in der Höhe ein _Fischadler_, weite Kreise über dem Gewässer
ziehend und dann langsam in der Ferne verschwindend. In der sächsischen
Lausitz brütet der edle Fischer nicht mehr; vielleicht daß die Lohsaer
Forsten jenseits der preußischen Grenze seinen Horst noch beherbergen.

Aber einen andern Vogel, den wir auch heute noch mit Stolz als
sächsischen Landsmann bezeichnen dürfen, konnte ich hier in
Deutsch-Baselitz begrüßen, den _weißen Storch_. Es war mir eine große
Freude, den Weitgereisten unmittelbar bei seiner Ankunft willkommen zu
heißen.

Wir saßen gerade beim Mittagessen, als das jüngste blondhaarige
Töchterchen unsers freundlichen Gastgebers ins Zimmer stürzte: »Der
Storch, der Storch ist da!« Alle sprangen auf und liefen nach der
Rückseite des Hauses. Dort stand er auf seinem alten Horst im Wipfel
einer schlank gewachsenen Linde und klapperte nach Herzenslust. So
schmuck sah er aus; geradezu blendend das Weiß seines Gefieders und
leuchtend das Korallenrot von Schnabel und Ständern. Herzerfreuend
war es zu beobachten, wie sich auf der Dorfstraße alt und jung vor
dem Storchennest einfand und strahlenden Auges zu dem »Glücksbringer«
emporschaute. Besonders ein kleines flachsköpfiges Mädel von drei
oder vier Jahren war voller Begeisterung, und altklug belehrte es
mich, daß später der Klapperstorch kleine Kinder -- ich verstand
nicht, ob bringen oder haben würde. Auch noch andere Ortschaften
der Lausitz beherbergen Störche; ich sah einen besetzten Horst beim
Rittergut Kauppa in der Nähe von Commerau, einen andern in Wartha bei
Königswartha, in Döbra, in Skaska, und überall waren die Störche, wie
man mir sagte, am gleichen Tage, am 18. April, angekommen.

Nachmittags besichtigte ich die Einrichtungen der _Fischzucht_. Es
handelt sich fast ausschließlich um Karpfen und Schleien; bei dem
rationellen Betrieb sind die Erträgnisse außerordentlich gewachsen:
viele hundert Zentner alljährlich. Aber es gibt Herrschaften in der
Lausitz, die noch einmal so viel Fische züchten, ja das Rittergut
Königswartha, zu dem allerdings 119 Teiche gehören -- die meisten
bereits im Preußischen gelegen -- bringt unglaubliche Mengen dieser
wohlschmeckenden Flossenträger auf den Markt; dennoch sei die
Fischzucht, wie mir der dortige Fischmeister sagte, noch einer großen
Steigerung fähig.

Darüber ließe sich viel Wissenswertes berichten; aber nicht den stummen
Bewohnern des Wassers, sondern dem sangesfrohen und geschwätzigen
Völkchen der Vögel galt mein Besuch. Während ich mich auf den
Teichdämmen unter den duftigen Jungbirken erging und bei jedem Schritt
ein halbes Dutzend Frösche, wiederholt auch sich sonnende Ringelnattern
aufjagte, sang der Fitis unermüdlich aus jedem Gebüsch sein weiches
Lied; die Singdrossel jubelt, der Zaunkönig schmettert, Blaumeischen
zetert, der Weidenlaubsänger gibt sein einförmiges »Zilp-zalp« zum
besten; aus dem Fichtenwald der häßliche Balzruf des Fasans, das Gurren
des Ringeltaubers, das Trommeln des Buntspechts und Rotkehlchens
sehnsuchtsvolle Strophe: überall selige Frühlingsstimmung.

Gegen Abend noch eine Fahrt auf dem Großteich. Das Kollern der
_Birkhähne_, die auf einem freien, von Hochwald umsäumten Platz balzen,
schallt weithin über die Wasserfläche. Behutsam nähern wir uns. Drei
Hähne sind es, die mit ausgebreitetem »Spiel«, mit vorgestreckten
Hälsen und hängenden Flügeln umherspringen. Wir sind so nahe, daß
wir auch das Zischen der aufgeregten Tiere vernehmen und trotz der
Dämmerung das leuchtende Weiß im Federkleid und die purpurne »Rose«
über dem Auge ganz deutlich erkennen. Einige Hennen, klein und
unscheinbar, sind in der Nähe; sie laufen, Nahrung suchend, umher,
als kümmerten sie sich gar nicht um das unblutige Kampfspiel ihrer
verliebten Ritter. Jetzt hat uns die Gesellschaft bemerkt; da flattern
sie lautlos davon. Auch unser Nachen zieht leise auf seiner Bahn
weiter. Aber es dauert nicht lange, da hören wir wieder das »Rodeln«
oder »Kollern« der Hähne aus derselben Gegend. Das Birkwild ist nicht
eben scheu; es läßt sich nicht so leicht vergrämen wie der balzende
Auerhahn.

Immer mehr senkt sich die Dämmerung über den See. Enten und Bläßhühner
werden stiller, aber das Froschkonzert schallt lauter und lauter.
Welch ohrenbetäubender Lärm wird aber in ein paar Wochen am Abend
und die ganze Nacht hindurch bis zum goldnen Morgen hier herrschen,
wenn die _Teich-_ und _Drosselrohrsänger_ zurückgekehrt sind und
nun ihr vielstimmiges Konzert geben. Heute ist's ein anderer, wenig
bekannter Nachtschwärmer, dessen weithin schallender und doch weicher
Flötenton uns erfreut. Es ist der _Triel_, der die sandigen Felder
der Lausitz, die lichten Kiefernwälder und Waldblößen bewohnt; auch
in der sächsischen Flachlandschaft westlich der Elbe ist der scheue
Dämmerungsvogel, der zu den Regenpfeifern gehört, nicht selten. Seine
Rufe -- meist zwei oder drei sich eng aneinanderschließende Flötentöne
von überaus angenehmem Wohlklang -- erhöhen den Reiz der lauwarmen
Frühlingsnacht.

Von Eulen ließ sich in der Nähe des Dorfes nur das _Steinkäuzchen_
hören. Erst rief ein Männchen ein paarmal sein pfeifendes »Guhk«, dann
antwortete ihm ein zweites mit demselben Gruß, und bald lockte ein
Weibchen mit hohem »Kuwiff, kuwiff«.

Am Morgen des nächsten Tages, den als erster Sänger Hausrotschwänzchen
mit klirrender Strophe begrüßte, zeigte sich am Ufer des Großteichs in
den hohen Eichen ein _Wiedehopf_. Ich vernahm seinen kuckucksähnlichen
Ruf »upupupup« schon längst, ehe ich den hübschen Vogel mit dem
aufrichtbaren, lockeren Federbusch und dem langen, dünnen Schnabel zu
Gesicht bekam. Der muntere Bursche war außerordentlich scheu; bis auf
50 Meter nur ließ er mich herankommen. Dann flog er immer ein Stückchen
weiter auf eine andere Eiche, bis er schließlich in zuckendem,
unregelmäßigem Flug über die breite Wasserfläche setzte.

Durch Wiesen und Felder führte mich der Weg weiter nach Milstrich. Die
reizenden Flugspiele der _Kiebitze_, die mich so nah umflatterten, daß
ich das seltsame »Wuchteln« ihrer Schwingen deutlich vernahm, belebten
die freundliche Landschaft; auch ein paar _Turmfalken_ zeigten ihre
Künste. Im Dorf sah ich die ersten Schwälbchen, zwei oder drei Paar
_Rauchschwalben_, auch eine einzelne _Hausschwalbe_; sie zwitscherten
seelenvergnügt, froh, daß die schlimme Zeit nun vorüber und Wärme und
Sonnenschein das kleine Volk der Insekten zu neuem Leben geweckt hatten.

Zu dem Milstricher Rittergut gehören gleichfalls viele, zum Teil
recht ansehnliche Teiche. Sie sind von nur geringer Tiefe, vielleicht
einen Meter im Mittel. Das ist ein Vorzug aller stehenden Gewässer
der Lausitz; denn das Wasser erwärmt sich dadurch schnell bis auf den
Grund, was der Fischzucht förderlich ist. Außer den schon genannten
Enten, Tauchern, Wasserhühnern belebten auch kleine _Moorenten_ die
Teiche in der Nähe des Gutes. Ziemlich unscheinbar sehen diese Entchen
aus. Selbst das »Prachtkleid« des Erpels verdient kaum solchen Namen;
denn das dunkle Kastanienbraun des Kopfes und die Rostfarbe der Brust
sind nur ein bescheidener Schmuck. Die Moorenten tauchen vorzüglich.
Sobald ich mich nur ein wenig näherte, gleich waren sie unter dem
Wasser, wenn sie nicht vorzogen, unter »grrr-grrr«-Rufen abzuziehen,
stets paarweise, erst das Weibchen und hinter ihm das etwas größere
Männchen. Während des Schwimmens sehen die Moorenten sehr klein aus,
weil sie den Hals einziehen und mit dem Rumpf tiefer ins Wasser
eintauchen als andere Enten, so daß man geradezu überrascht ist, wenn
das Entchen beim Auffliegen gewiß noch einmal so groß erscheint, als
man erwartet hätte.

Recht häufig vernahm ich den angenehmen Trillerpfiff des kleinen
_Rotschenkels_; er ist unser verbreitetster »Wasserläufer«, an den
orangeroten Füßen und dem weißen Bürzel leicht zu erkennen. Die weithin
hörbaren Lockrufe »tü, tütü, dili, dideli« und die schwirrenden Triller
sind so charakteristisch, daß es jeder Vogelkenner sofort weiß, welcher
Vogelkehle diese wohllautenden Töne entstammen. Besonders eifrig rufen
die Rotschenkel gegen Abend; dann antworten ihnen die Zwergtaucher mit
gleichfalls trillernder Strophe.

_Weiße Bachstelzen_ und die noch zierlicheren _Gebirgsbachstelzen_
sah ich sehr häufig; auch die reingelbe _Wiesen-_ oder _Schafstelze_,
die ungefähr drei Wochen später kommt als ihre Verwandten, war schon
da und wippte graziös von einem Schilfinselchen zum andern. Auf den
Feldern ließen sich gegen Abend die _Rebhühner_ eifrig hören, und
auch _Heidelerchen_ sangen noch spät ihr zartes, aus einer Reihe von
Pfeiflauten bestehendes Lied aus luftiger Höhe herab.

Der folgende Tag galt dem Besuch des Königswarthaer Teichgebiets im
Norden der Ortschaft. Teich an Teich in unübersehbarer Folge, und fast
auf jedem eine stattliche Zahl von Wassergeflügel, daß dem Naturfreund
das Herz lacht. Zehntausend Morgen an Wasserfläche gehören zum
Rittergut, der kleinere Teil davon im Königswarthaer Flurgebiet, der
größere schon auf preußischem Boden. Einige von ihnen sind 50 bis
72 Hektar groß. Hier fielen mir besonders die zahlreichen _Löffelenten_
auf. Möglich, daß ich diese schöne Ente auf den früher besuchten
Teichen übersehen oder vielleicht aus der Entfernung mit der Stockente
verwechselt hatte: jedenfalls gehört sie in dem Königswarthaer
Teichgebiet zu den ganz allgemein verbreiteten Arten. Eigentümlich ist
für sie der große, am Grunde schmale, vorn aber stark verbreiterte,
gewölbte Schnabel, dessen Form der Ente den Namen gegeben hat. In
seinem Prachtkleid führt das Männchen viel Weiß, das weithin leuchtet,
besonders am Kropf, Hals und Oberflügel. Der Kopf erglänzt schwarzgrün
wie beim Stockerpel. Unterbrust und Bauch zeigen ein schönes
Kastanienbraun. Vor dem goldgrünen, weiß eingefaßten Spiegel liegt über
der Schulter ein himmelblaues Feld, eine Farbe von eignem Reiz; sie ist
in unsrer deutschen Vogelwelt außerordentlich selten. Öfters sah ich
Löffelenten ganz in der Nähe, immer paarweise; sie sind so wenig scheu,
daß sie auch dann noch unbesorgt umherschwimmen oder gründelnd sich auf
den Kopf stellen, wenn Bläßhühner, Stockenten, selbst die zutraulichen
Tafelenten unter Geschrei geflohen sind. Fliegen auch sie endlich ab,
so geschieht es ohne jeden Laut; ohne Plätschern erheben sie sich aus
dem Wasser, und ohne jedes Geräusch fallen sie wieder ein.

Im Parke hinter dem Herrenhause fand ich all die Vögel, die ich
hier erwarten konnte. Von den noch nicht erwähnten nenne ich nur
Wendehals, Gartenrotschwanz, Sumpfmeise, Kleiber, Baumläufer, denen
die höhlenreichen Bäume willkommene Wohnung gewähren, dazu Freibrüter
wie Hänfling und Girlitz. Auch ein paar Eichelhäher kreischten in den
Baumkronen.

Den folgenden Tag fuhr ich nach Neschwitz, von wo aus ich die nahen
Holschaer und Quooser Teiche, den schön gelegenen Mädelteich, den
Litschen- und Neuteich, die Mauerlöcher, ferner die Radiborer Teiche
an der Luppaer Grenze, die Luttowitzer Teiche, den Bockauer Großteich,
und endlich die schönsten von allen, die Milkener Teiche besuchte.
Die ganze Gegend mit dem reichen Wechsel von Wasser, Wald, Wiese und
Feld, mit den freundlichen, zumeist wendischen Ortschaften ist von
hohem landschaftlichen Reiz, und ich freue mich, daß man all diese
liebliche Schönheit hier ungestört genießen kann. Die Gegend ist
eben noch nicht »entdeckt«, und so verliert sich wohl nur selten mal
ein Tourist in diesen Winkel der »wendischen Türkei«. Es ist nicht
möglich, alle Beobachtungen aufzuzählen, die Auge und Ohr eines
aufmerksamen Wanderers jede Minute beschäftigen: die anheimelnde
Bauart der ländlichen Höfe, die sich um den unkenreichen Dorfteich
gruppieren, die blühenden Obstbäume, die Rehe am Waldessaum, der
kreisende Mäusebussard, die Karnickel vor ihrem Bau, der wohlklingende
Ruf des Schwarzspechts, das Rucksen der Hohltaube, hier Reinekes Spur,
der seine Besuchskarte abgegeben hat, dort Gewölle vom Waldkauz, hier
die Fegstelle eines Rehbocks an zwei jungen Erlenstämmchen, ein Igel
im Gestrüpp, die Fährte des Iltis, oder manche interessante Pflanze:
im schattigen Wald die Einbeere, Knabenkraut auf der feuchten Wiese,
Sumpfveilchen auf moorigem Boden, Pestilenzwurz, Leberblümchen
u. a. Ein Eisvogel flog wie ein glühender Juwel vorüber und weckte
die Erinnerung an jenen gleichfalls farbenprächtigen Vogel, die
_Mandelkrähe_ oder _Blaurake_, die leider in Deutschland immer seltener
wird, aber im östlichen Sachsen, so bei Königswartha und in den hohen
Eichen an den Quooser Teichen noch regelmäßig als Brutvogel vorkommt.
Diesmal freilich konnte ich den wunderbar gefärbten Vogel noch nicht
begrüßen, da er erst recht spät aus seiner Winterherberge zurückkehrt.

Nach _Fischreihern_ habe ich scharf Ausschau gehalten; aber erst am
vierten Morgen glückte es mir, einem dieser schönen Vögel zu begegnen.
Ich hatte in Commerau übernachtet und saß auf dem Damm eines der vielen
Teiche in der dortigen Heide beim Frühstück. Auf einmal hinter meinem
Rücken ein aufgeregtes Kreischen der Lachmöwen. Ich wende den Kopf --
kaum zwanzig Schritt von mir ein Reiher, der von den Möwen bis unter
die Bäume am Damm verfolgt ward, wo sie ihn nun in die Enge treiben. Er
wird mich gewahr, schlägt heftig mit den dunkeln Fittichen, wendet und
bahnt sich den Weg mitten durch die ihn umschreiende Schar.

Fischreiher horsten nicht mehr in der sächsischen Lausitz; aber im
nahen Lohsa-Weißcollmer Revier findet sich auf hohen Kiefern wohl auch
heute noch der Rest einer uralten Kolonie. Im Juli und August, wenn die
Jungen ausgeflogen sind, erscheinen dann mit ziemlicher Regelmäßigkeit
die schönen Fischer auch im sächsischen Teichgebiet, nicht selten mehr
als ein Dutzend auf einmal, zum Ärger der Teichbesitzer, die über die
preußischen Fischdiebe schimpfen und manchem das Lebenslicht ausblasen.

Der merkwürdigste Vogel jener Gegend ist aber die _große Rohrdommel_.
Ihretwegen war ich nach Commerau gewandert, und ich hatte das Glück,
die ganze Nacht ihrem Liebeslied von meinem Bett aus zu lauschen.
Obgleich der Standort des Vogels mindestens eine halbe Stunde von
dem Gasthaus entfernt war, hörte ich das tiefe »Prumb« doch ganz
deutlich. Es klingt ähnlich wie das Brüllen eines Rindes, weshalb der
Vogel beim Volk »Moorochse« genannt wird. Meist hörte ich, selbst
bei dieser Entfernung, auch den viel leiseren Vorschlag. Die Silben
»ü-prumb« geben den Ruf ziemlich gut wieder. Auch am hellen Morgen, den
ganzen Vormittag, selbst in den Mittagsstunden schwieg die Rohrdommel
nicht, nur daß sie jetzt ihren Ruf statt fünf- oder sechsmal, nur
etwa dreimal hintereinander wiederholte und dann eine Pause von ein
paar Minuten eintreten ließ. Wie man bei der Birkhahnbalz aus dem
Kollern allein, das dem sog. Schleifen vorangeht, den Standort des
Hahns nur schwer bestimmen kann, so verhält sich's auch mit dem tiefen
»Prumb«-Laut des reiherartigen Vogels; es dauerte ziemlich lange,
ehe ich feststellen konnte, daß auf einer Insel in einem Teich ganz
nahe dem Rittergut Kauppa die Rohrdommel ihren Standplatz bezogen
hatte. Die Leute sagten, seit zwei bis drei Wochen ließen sich diese
unheimlichen Laute hören; daß sie von einem Vogel herrühren, wollte mir
niemand glauben. In der Nähe klingt das »Prumb« -- wohl der tiefste
Ton, den irgendein Vogel unsrer Heimat erzeugt, denn er erreicht das
~F~ der großen Oktave -- etwa so wie der Laut, den man mittels einer
recht großen Gießkanne erzeugen kann, wenn man mit voller Kraft Luft
zur Ausflußröhre hineinbläst. Ein Explosionslaut ist es, der nicht
mit dem Kehlkopf, sondern mit der Speiseröhre erzeugt wird, aus der
die hinuntergeschluckte und zusammengepreßte Luft mit großer Gewalt
herausgestoßen wird, eine Art Dudelsack, auf dem der scheue Vogel sein
unheimliches Liebeslied spielt.

Auch im Neschwitzer Teichgebiet ließ sich die große Rohrdommel
unermüdlich hören. Leider bekam ich sie aber weder hier noch dort zu
Gesicht. Der Schilfwald hält sie versteckt, und wenn man sich ihrem
Standort nähert, so flüchtet sie geduckt durch das Röhricht, wie
der kleine Wachtelkönig durch das hohe Gras der Wiese. Aufzufliegen
entschließt sich der Vogel nur schwer; er weiß, wo er Schutz findet.

Vielleicht gelingt es mir später, den nächtlichen Musikanten von
Angesicht zu Angesicht zu sehen, vorausgesetzt, daß er unsrer Heimat
erhalten bleibt. Ich habe sehr darum gebeten, ihn bei den Entenjagden
als interessantes Naturdenkmal zu schonen und ich wiederhole auch hier
meine Bitte.



Die heimatliche Vogelwelt im deutschen Volksglauben


Jahrhundertelang fließt der Fluß in dem errungenen Bett. Wann sprang
sein Quell zum erstenmal aus dem Felsen hervor? Wird einst das Wasser
verrinnen, wird die Spur verwehen, die es in das Antlitz der Erde
gegraben hat? Beharrungsstreben in der Natur trotz allen Wechsels --
wie viele selbst der kleinsten Bächlein mögen heute noch genau so
fließen, wie weiland vor tausend Jahren!

Mit der Kultur des Menschengeschlechts ist's, ebenso. Unerforschlich
ihr Ursprung, unbekannt Ziel und Ende, und bei allen Wechselfällen, bei
allen Umwälzungen des Lebens das Gesetz der Beharrung. Greife heraus,
was du willst, Gebräuche und Sitten, Anschauungen, Sagen und Märchen,
Sprache, Werkzeug und Kunst -- uralter Besitz ist's, vererbt von
Geschlecht zu Geschlecht. Manches wohl tot -- nur die Erinnerung, daß
es einst war, ist noch geblieben -- vieles nur scheintot -- zu neuem
Leben kann es erwachen -- das meiste aber noch frisch und in Urkraft,
wie in den Tagen der Väter.

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet der denkende Mensch auch den
Aberglauben oder sagen wir lieber -- denn gemütvoller klingt es --
den _Volksglauben_, den er noch heute im aufgeklärten zwanzigsten
Jahrhundert bei seinen Zeitgenossen antrifft. Ihn bis in die
nebelgraue Vergangenheit zurückzuverfolgen, seine verborgenen Quellen
und die vielen Bächlein aufzusuchen, die ihn immer von neuem gespeist
haben, das ist der Reiz, den solches Studium gewährt. Der andere aber
mag nichts davon wissen; er sagt: »Die Dummen werden nicht alle!« Kennt
er sich selbst so genau? Ist er wirklich ganz frei, ganz unbefangen,
oder schlummert nicht vielleicht doch irgendein kleines Überbleibsel,
ein winziger Rest dieser oder jener uralten abergläubischen
Vorstellung, ihm selbst nicht bewußt, in seiner so aufgeklärten Seele?

Wir wählen ein eng umgrenztes Gebiet, den _Volksglauben_, der sich auf
die _gefiederte Welt unsrer Heimat_ bezieht, und zwar nur so weit, als
er _noch heute bei unsern Volksgenossen lebendig ist_.

Da gibt es zuerst _naturwissenschaftliche Irrtümer_, die nur insofern
die Bezeichnung Volks- oder Aberglauben verdienen, als sie so seltsam
sind, jeder Erfahrung so völlig widersprechen, daß eine starke Gabe von
Leichtgläubigkeit und kindlicher Einfalt dazu gehört, wenn jemand noch
immer an solchen Widersinnigkeiten festhält.

Ob man mir's glaubt? Das Märlein vom _Kuckuck_, unserm lieben
Frühlingsboten, der sich alljährlich im Herbst in einen raubgierigen
_Sperber_ verwandeln soll, ist auch heute bei unserm Volk noch
nicht völlig verklungen. Zehn Jahre sind's her, da saß ich mit zwei
Landwirten am Biertisch im Kretscham eines Lausitzer Dorfs. Beide
waren Jäger; so kam die Unterhaltung bald in Fluß, und wir erörterten
schließlich jene seltsame Verwandlungsgeschichte. Es waren die
vernünftigsten Menschen der Welt; aber sie ließen sich doch nur halb
überzeugen. Zwar an die Verwandlung glaubten sie nicht; aber daß der
Kuckuck auch im Winter unsrer Heimat treu bleibe und daß er, sobald
die Raupennahrung spärlicher werde, der Kleinvogelwelt nachstelle,
daß er dann ein schlimmer Räuber sei, das ließen sich beide nicht
ausreden. Der eine der Streithähne wollte einmal mitten im Winter
einen Kuckuck geschossen haben, als dieser gerade einen Finken würgte;
der andere aber hatte an einem sonnigen Maimorgen beobachtet, wie
sich der Kuckuck-Sperber oder der Sperber-Kuckuck, der eben noch
seinen prophetischen Ruf zum besten gegeben hatte, auf ein singendes
Rotkehlchen stürzte.

Schon zu des seligen _Äsops_ Zeiten meinte man, aus dem Kuckuck werde
im Herbst ein Sperber oder ein Habicht, und dieser verwandle sich
im Frühjahr wieder in den Lenzesboten. Auch _Aristoteles_ erwähnt
den gleichen Aberglauben, dem er jedoch mit aller Entschiedenheit
entgegentritt. _Plinius_ aber muß den großen Gelehrten mißverstanden
haben, wenigstens berichtet er wieder: »Der Kuckuck entsteht aus einem
Raubvogel.« Damit war diese Transmutationslehre für viele Jahrhunderte
gesichert; bei den »Naturkündigern und Philosophi« erhielt sie sich das
ganze Mittelalter hindurch, und ein oder der andere Mann aus dem Volk
glaubt heute noch an das einfältige Märchen.

Wer Kuckuck und Sperber kennt, wird über die Entstehung des sonderbaren
Aberglaubens nicht im Zweifel sein. Der unschuldige Kuckuck ahmt den
gefürchteten Sperber so vollkommen nach in Gestalt, Größe und Farbe, ja
sogar in der Art seines Fluges, daß der Beobachter leicht getäuscht
wird. Die Unterseite weißlich mit dunklen Querwellen, der Fächer des
Schwanzes lang und breit, das hochgelbe Auge, die gelbliche Wurzel
des Oberschnabels, der blaßgelbe Fuß, dazu der Flug, leicht, elegant
und reißend schnell wie der unsrer kleinen Raubvögel: dies, alles
sind Merkmale, die Freund Kuckuck mit dem verhaßten Sperber teilt.
Ich zweifle keinen Augenblick, daß es beim Flug über freies Feld dem
harmlosen Lenzesboten bisweilen gelingen wird, durch diese Maske seine
Feinde, die gefiederten Räuber, zu täuschen.

Denselben Eindruck, daß der Kuckuck ein Raubvogel sei, haben offenbar
auch die Kleinvögel, wie Grasmücken, Laubvögelchen, Würger, Bachstelzen
u. a.; ihnen allen ist der Kuckuck ein gar unheimlicher Geselle.
Zeigt sich einer in ihrem Gebiet, so flattern sie erschreckt von Ast
zu Ast, ängstlich rufend, oder sie versuchen es, den vermeintlichen
Angriff gemeinsam zurückzuschlagen, indem sie den Ruhestörer mit
lautem Geschrei verfolgen. Oder sollten sie es wissen, daß ihnen
das Kuckucksweibchen sein Ei ins Nest legt, und sollten sie es nun
mit allen Mitteln versuchen, das Danaergeschenk zurückzuweisen? Ich
glaube es kaum. Durch solche Zeichen von Furcht und Aufregung unter
den Kleinvögeln wird natürlich auch der menschliche Beobachter leicht
irregeführt.

Andere berichten, der Kuckuck verkrieche sich im Herbst in hohle Bäume,
besonders gern in Weidenstämme, auch unter Steine und in die Erde. Hier
liege er wie tot, und zwar nackend, auf seinen Federn, gleichsam in
einem warmen Bett, »faulen vnd vngefäder«, wie es beim alten _Geßner_
heißt, dem Plinius am Ausgange des Mittelalters.

Es ist überhaupt merkwürdig, daß man sehr vielen Vögeln, von denen
wir heute wissen, daß sie Zugvögel sind, einen _Winterschlaf_ hier in
ihrer Heimat andichtete. Die Erscheinungen in der Welt der Säugetiere,
Reptilien und Amphibien mögen einen solchen Ähnlichkeitsschluß
nahegelegt und manche Einzelbeobachtungen diese irrige Annahme bestärkt
haben. Rotschwänzchen, Turteltaube, Amsel, Nachtigall, Wachtel u. a.
verkriechen sich, so meinte man, in Baumhöhlen, Felsenritzen, unter
Baumwurzeln, in die unterwaschenen Flußufer und verbringen hier die
rauhe Jahreszeit im Halbschlaf oder in festem Winterschlaf, wobei sie
-- namentlich die Wachteln -- von ihrem Fett zehren, wie Dachs oder Bär.

Am merkwürdigsten aber waren die fabelhaften Erzählungen über das
Winterquartier von _Schwalbe_ und _Storch_. Diese Vögel sollten auf dem
Grund von Teichen, Seen und Sümpfen, ja selbst im Meer überwintern.
Hier, vom Schilfe verdeckt, ruhen die müden Geschöpfe und erquicken
im Schlaf, der dem Tode gleicht, die ermatteten Glieder. Noch vor
wenig mehr als anderthalb hundert Jahren wird diese sonderbare Ansicht
in _Kleins_ »Historie der Vögel«, Danzig 1760, auf das bestimmteste
gegen alle Einwände verteidigt, so daß man sich nicht wundern darf,
wenn weit über zweihundert Jahre früher _Luther_ in seiner Erklärung
zum 1. Buch Mose sagt: »Das Wunderwerk von den Schwalben ist aus der
Erfahrung bekannt, daß sie nämlich den Winter hindurch in dem Wasser
für tot liegen und im Sommer wieder aufleben, welches gewiß ein großer
Beweis unsrer Auferstehung ist.« Auch Luthers Zeitgenosse, der alte
_Geßner_, führt in seinem »Vogelbuch« diesen Gedanken aus; er sagt ...
»welches ich für ein wunderbar werck halt vnd für ein anbildung der
auferstentnuß vnserer cörpeln.«

An diesem Wunderglauben hält heute wohl niemand mehr fest; aber daß
unsre Schwalben, wenigstens ein großer Teil von ihnen, in hohlen
Bäumen, unter dürrem Laub und zwischen Grasbüscheln oder auch in
ihren eigenen Nestern einen regelrechten Winterschlaf halten, dieses
Märlein spukt noch immer in unserm Volke und in den Zeitungen fort und
ist trotz aller Aufklärung seitens der Wissenschaft, wie es scheint,
nicht aus der Welt zu schaffen. Es werden selten ein paar Jahre
vergehen, wo dieser Irrtum und Aberglaube nicht immer wieder durch
einzelne »einwandfreie« Beobachtungen neue Nahrung erhielte. Und das
erklärt sich so: Vor dem Abzuge suchen die Schwalben gern gemeinsame
Schlafplätze auf, wie das Schilf an Teichen, das Fachwerk der Häuser,
auch einmal eine weite Baumhöhle. Sind die Tierchen, die vielleicht
wegen verspäteter Brut den Anschluß an die große Masse der Wanderer
versäumt haben, infolge Nahrungsmangels halb verhungert, so kann es
geschehen, daß sie in kalter Herbstnacht dutzendweise dahinsterben,
und wer sie findet, meint dann, die Schwalben hätten sich hier zum
Winterschlaf niedergelassen. Auch _Lenz_ ist überzeugt, daß diese Vögel
in Europa, wenn auch nur ausnahmsweise, einen Winterschlaf halten.

Solche Fälle stehen durchaus nicht so vereinzelt da, wie wohl mancher
denken mag. In den letzten Jahrzehnten haben wir es mehrmals erlebt,
daß Schwalben in den naßkalten Herbsttagen -- sehr verhängnisvoll
waren für sie z. B. die ersten Oktobertage 1905 -- nicht nur einzeln,
sondern in ganzen Scharen zugrunde gingen. Selbst unter dürres Laub,
unter Grasbüschel und dergleichen hatten sich ermattete Rauchschwalben
versteckt, gemeinsam die Todesstunde erwartend. Daß man auch zwischen
dem Schilf »ganz aneinanderhangende Bündel« von Schwalben aus dem
Wasser gezogen haben will, erscheint unter solchen Umständen durchaus
nicht so unmöglich, sondern ist leicht zu erklären. Wenn aber jeder
Vogel, den einmal ein Fischer aus dem schilfigen Teich oder See
herauszieht, nun sofort als Winterschläfer ausposaunt wird, wie es
ehemals oft geschehen ist, so gibt es für solche Leichtgläubigkeit und
Urteilslosigkeit keine Entschuldigung; denn das weiß jedes Kind, daß im
Sommer und Herbst mancher Vogel den Hunden des Schützen, der auf Enten
oder andere Wasservögel jagt, nur zu leicht dadurch entgeht, daß er
zwischen das Schilf flattert und dort ins Wasser fällt. Auch der beste
Hund findet nicht jede einzelne Beute.

Noch ein Schwalbenmärchen, das freilich mit Aberglauben gar nichts zu
tun hat -- nur das ewige Leben teilt es mit ihm -- sei hier erwähnt.
Dem _Sperling_, der sich in ein Schwalbennest einquartiert hat, so
heißt es ganz allgemein, gehe es schlecht. Die erzürnten Schwälbchen
kümmerten sich nicht um das »Besetzt, besetzt!« das ihnen der
Eindringling zuruft, und mauerten den Spatz aus Rache einfach ein, daß
er elend umkommen müsse.

Ein Märchen ist es. Wohl flattern und schreien die rechtmäßigen
Besitzer, wohl schnappen sie im Fluge nach dem frechen Sperling;
doch der weicht nicht von der Stelle. Nach ein oder zwei Tagen geben
dann die Schwalben in der Regel ihre Angriffe auf, und der Spatz
hat nun Ruhe. »Gesiegt, gesiegt!« so höhnt er, sobald noch ein Vogel
vorüberfliegt. Wie sollten sich die ängstlich umherflatternden
Schwalben auch soviel Ruhe und Überlegung bewahren, daß sie unmittelbar
vor dem Kopf ihres zeternden Feindes die Öffnung des Nestes zumauerten,
und -- nun kommt die Hauptsache -- so dumm ist unser Spatz, »der
Allerweltsvogel, der pfiffige Gassenjunge, der Lausbub«, wahrhaftig
nicht, daß er sich solch Einmauern bei lebendigem Leibe gutmütigst
sollte gefallen lassen. Er hat auch einen Schnabel und weiß sich zu
wehren.

Recht sonderbar ist der auch heute noch beim gemeinen Mann verbreitete
Glaube, das Nest des grünen _Erlenzeisigs_, der so gern als Stubenvogel
gehalten wird, sei unsichtbar. Ja man wollte mich sogar einmal Lügen
strafen, als ich behauptete, den Zeisig beim Füttern seiner Nestjungen
beobachtet zu haben, und das von mir vorgezeigte Nest, das mir einst
ein Junge vom Baume herabgeholt hatte, wurde für ein solches vom
Stieglitz oder vom Hänfling erklärt.

Es ist gar keine Frage, das Nest vom Zeisig gehört zu den Vogelnestern,
die recht schwer aufzufinden sind. Meist steht es hoch oben in den
Fichten oder Tannen, von Nadelzweigen und Flechten so gut verdeckt, daß
es von unten und von den Seiten her in der Regel nicht gesehen werden
kann, und wenn man in diesem Sinne von einer »Unsichtbarkeit« des
Zeisignestes sprechen will, laß ich's wohl gelten. Selbst wer den Baum
erklettert, findet es oftmals nicht, so genau er sich auch die Stelle,
wo er die Vögel bauen oder mit Futter herzufliegen sah, gemerkt hat.
Dazu steht das Nest meist auf dem schwanken Ende eines Astes, daß es
höchstens von einem waghalsigen Jungen erreicht werden kann.

Ich habe auch einmal sagen hören, falls der Zeisig überhaupt brüte und
sich nicht etwa auf eine »unnatürliche Art« fortpflanze, so müsse das
während des Winters, wo die Vögel umherstreichen, in einer fremden
Gegend geschehen; bei uns zulande wenigstens habe noch kein Mensch ein
einwandfreies Zeisignest gefunden. Nun, ich kann nur feststellen, daß
in den Nadelwäldern unsrer Mittelgebirge, wie im Thüringer Wald und im
Harz, alljährlich genug Zeisige ihr Fortpflanzungsgeschäft im Frühjahr
ganz ebenso betreiben, wie andere Finkenvögel auch. Und wenn man weiter
fabelt, das Nest enthalte einen Stein, der ihm jene Unsichtbarkeit
erst verleihe, und nur auf einer Wasserfläche spiegele es sich ab, so
daß man dort wohl sein Bild, nie aber das wirkliche Nest sehen könne,
so trägt solch Gerede auch nicht dazu bei, die Sache glaubwürdiger zu
machen.

Besonders sind es unsre Hausfreunde, wie Storch, Schwalbe,
Rotschwänzchen, um die man einen ganzen Kranz abergläubischer
Vorstellungen gewunden hat. Zwar an den Storch als Kinderbringer, den
»_Adebar_«, der die Mutter ins Bein beißt, daß sie das Bett hüten muß,
glauben heutzutage selbst die kleinen sechsjährigen Mädel nicht mehr
recht und die Buben gleich gar nicht; aber daß Störche auf dem Haus
eine nahe _Hochzeit_ oder _Kindersegen_ bedeuten, daran hält man in
unsrer Lausitz, wo es zum Glück noch immer ein paar besetzte Horste
gibt, ebenso fest, wie in andern Gauen des niederdeutschen Flachlandes,
die sich zahlreicherer Störche erfreuen. Soviel Junge im Nest,
soviel Kinder sollen auch die Neuvermählten bekommen -- natürlich
nacheinander, im Laufe der Jahre; denn in Adebars Kinderstube werden
gewöhnlich vier, bisweilen auch fünf Stück zur Welt gebracht.

Ebenso allgemein ist der Glaube, daß ein auf dem Hause brütendes
Storchenpaar jede _Feuersgefahr_ abwende; namentlich wird der
Blitzschlag ein solches Gehöft nie einäschern. Ich kenne einen Fall in
der Lausitz, wo eine Feuersbrunst tatsächlich vor einem durch Störche
gefeiten Gute halt machte. Dadurch wird natürlich der Glaube, daß das
Feuer dem Vogel und seinem Horst nichts antun könne, zur Gewißheit;
noch die Urenkel werden davon erzählen, während die Fälle, wo sich der
Schutz nicht bewährte, recht bald der Vergessenheit angehören. Ich
werde der letzte sein, der es versucht, dem Lausitzer Bauer seinen
Glauben auszureden; denn der liebe Mitbewohner des Hauses erscheint
ihm ja wegen des Feuerschutzes, den er dem Hofe gewährt, nur um so
wertvoller.

Fast ein _heiliges_ Tier ist unser Hausstorch wie bei den Ägyptern der
Ibis oder in Indien der Geier. Wehe wer einen Storch tötet oder ihm
ein Junges raubt -- Krankheit und Armut werden des Mörders Los. Ja,
der Glaube an die Unverletzlichkeit und Heiligkeit des gefiederten
Hausfreundes ist unserm Volke so in Fleisch und Blut übergegangen,
daß selbst Forstbeamte -- es sei ihnen zur Ehre angerechnet -- davon
abstehen, einen Storch zu schießen, auch wenn sie davon überzeugt sind,
daß in ihrem Revier der langbeinige Vogel manchen Schaden anrichtet,
indem er in den Feldern weidwerkt und neben Mäusen auch 'mal einen
Junghasen erwischt oder ein bodenständiges Nest ausnimmt. Aber der
Jagdberechtigte weiß auch, daß er gut daran tut, ein Auge zuzudrücken.
Die ganze Gemeinde würde mit Recht empört sein, wenn es hieße, der
Storch, ihr Gemeindestorch, sei dem Schrot des Jägers zum Opfer
gefallen. Ich kenne einen solchen Fall aus unserer Heimat; doch steht
er zum Glück vereinzelt da.

Wie der Storch, so sind es unsre beiden Schwalbenarten, die _Rauch-_
und die _Mehlschwalbe_, die nicht nur in unsrer Heimat, sondern in ganz
Deutschland und weit über die deutschen Grenzen hinaus als günstige
Vorzeichen gelten. Fliegen die Schwalben über einem Hause häufig hin
und her, auch wenn sie dort nicht ihre Nester gebaut haben, so wird ein
Mädchen in diesem Hause bald Braut. Glück und Segen winkt dem kommenden
Ehestand, wenn das erste, was die Brautleute beim Austritt aus der
Kirche erblicken, ein zwitscherndes Schwalbenpärchen ist. Vom Himmel
gesandt sind diese Vögel; »Himmelsvögelchen« nennt sie der Volksmund.

Wie dürfte jemand solch liebem Tierchen ein Leid zufügen! Wer ein
Schwalbennest zerstört, sagt der Volksmund, zerstört sein eignes Glück,
und gar eine Schwalbe zu töten ist eine schwere Sünde, die gen Himmel
schreit; der Frevler wird furchtbar bestraft mit Krankheit oder mit
schnellem Tod. Dieser fromme Aberglaube ist bei unsern Landleuten auch
heute noch so lebendig, daß sie die Belästigung seitens der Schwalben
durch Schmutz und Kot gern mit in Kauf nehmen. Selbst an heiliger
Stätte duldet man die Vögel und läßt sie ruhig ihre Nester bauen;
für jeden Kirchgänger ist's ja doch nur ein fröhlicher, trauter,
anheimelnder Anblick, wenn die heiligen Vögel durch das Heiligtum des
Herrn über der Gemeinde hin und her fliegen und ihre zwitschernden
Jungen ätzen. Auch der Araber sagt: »Die Schwalbe preist Gott und
beschmutzt die Moscheen.«

Der Aberglaube ist der wirksamste Geleits- und Schutzbrief für unsre
Schwalben, mehr wert als jedes Gesetz. Und wer für seine Person auch
nicht solchem Aberglauben zustimmt, den Anschauungen seiner Väter und
Urväter gegenüber sollte er doch so viel Ehrfurcht haben, daß er sie
als heilige Überlieferung aus längst vergangenen Tagen beachtet und sie
weiter an seine Kinder und Enkel vermittelt. Auch von andern Tieren
läßt sich eine ganze Reihe anführen, der Storch, der Marienkäfer, die
Kreuzspinne u. a., für die alle der Aberglaube gewissermaßen die Krippe
ist, die sie nährt, und der Schutzwall, der sie und ihr Haus sichert.
Der Aberglaube hat eben auch seine guten Seiten.

Schwalben erfreuen sich auch als _Wettervögel_ eines besonderen
Rufes. Wenn sie am Morgen hoch in den Lüften segeln, so sagt man
allgemein, wird der Tag schön, und sollten schon Gewitterwolken den
Himmel bedecken, das Unwetter zieht seitwärts. Wenn die Schwalben
aber unruhig unmittelbar über dem Boden oder an den Hauswänden dicht
vorüberflattern, so bedeutet dies Regen »nach aller Vernünftigen
Urteil«. Daß sich trotzdem einzelne der wetterkundigen Hausgenossen
bisweilen verrechnen können, ersieht man aus dem bekannten Sprichwort:
»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.«

In der _Volksmeteorologie_ spielen gerade die Vögel eine hervorragende
Rolle; sie werden sehr häufig befragt. Für Schwankungen im
Feuchtigkeitsgehalt, im Druck der Atmosphäre, sowie für Änderungen
der Luftelektrizität haben sie, die leichtbeschwingten Bewohner des
Luftmeers, gewiß eine viel feinere Empfindung als wir Menschen. Wer
aber die Meinung vertritt, daß man aus dem Verhalten gewisser Vögel die
Witterung auf Wochen oder Monate vorausbestimmen könne, daß die Vögel
ein »Vorgefühl« für künftige Witterungsverhältnisse besäßen, noch ehe
irgendwelche Veränderungen in der Atmosphäre eingetreten seien, der
stellt Behauptungen auf, die jeder Begründung entbehren und die --
wenigstens teilweise -- mit unter den Begriff des Aberglaubens gehören.

Hätten die Zugvögel ein sicheres Vorgefühl für die kommende Witterung,
so würde es ihnen nicht einfallen, so oft in ihr Unglück zu fliegen,
wie Stare, Lerchen und Schwalben, die häufig unter einem strengen
Nachwinter leiden müssen, und wenn sie den regenreichen Sommer geahnt
hätten, so würden manche Schafstelzen, Goldammern, Wachtelkönige u. a.
ihre Nester doch ein Stückchen mehr vom Wasser abgerückt haben, um der
Hochflut nicht zum Opfer zu fallen. _Wetterregeln_, aus Beobachtungen
an unserer Vogelwelt abgeleitet, gibt es unzählige. Bestätigen sie
sich, so spricht man davon; treffen sie nicht zu, so vergißt man's. Wie
beim Lotteriespiel ist's: der _eine_ Gewinn läßt die Unmasse der Nieten
verschmerzen; sie sind bald aus dem Gedächtnis verschwunden.

Nur einige solcher Regeln will ich anführen. Der Landbewohner
schwört auf sie auch heute noch im Zeitalter des Barometers und der
Wetterwarten mit ihren täglichen Prognosen. Er will weiter in die
Zukunft blicken als nur 24 oder 36 Stunden.

Klappert der Storch fleißig im März, so gibt es einen schönen Frühling
und einen warmen Sommer. Wenn die Stare zeitig im April brüten, so ist
ein »Wonnemond« zu erwarten, der diesen Namen auch wirklich verdient.
So lange die Lerche vor Lichtmessen (2. Februar) singt, so lange
schweigt sie, des Nachwinters wegen, nach Lichtmessen still. Auf tiefen
Schnee mag man sich vorbereiten, sobald die Saatgänse ziehen oder
Bergfinken und andere Wintergäste einfallen. Spätbrütende Rebhühner
prophezeien einen späten Winter.

Aus dem Ruf mancher Vögel schließt der Bauer auf Regen. Wenn die
Elster viel gackert, der Pirol unausgesetzt flötet, der Wiedehopf
so eigentümlich klagt, der Wendehals schreit und der Regenpfeifer
seine Stimme hören läßt, dann soll man eilen, das ausgebreitete Heu
zusammenzuraffen, denn der Regen ist im Anzuge. Andere wieder halten
den schmucken Buchfink für den besten Wetterpropheten; wenn er seinen
bekannten schrillen »Rulschton« hören läßt: »jörk, jörk«, dann dauert's
nicht mehr lange, und es regnet in Strömen. »Gut-Wetter-Bot« ist
dagegen die Bachstelze, das »Ackermännchen«, wenn es dem Bauer hinter
dem Pfluge folgt, und die Lerche, wenn sie sich fröhlich trillernd in
die Lüfte erhebt, nicht aber zwischen den Ackerfurchen sitzend eintönig
ruft.

Der Hahn auf dem Hof ist schon seit alters ein guter Wetterprophet.
Wenn er in den Nachtstunden kräht oder sonst auch nur heftig mit
den Flügeln schlägt, so kommt Regen und Sturm; kräht er aber am
Morgen anhaltend, so folgt ein schöner Tag. Das wußte schon _Älian_,
und noch heute heißt's bei unsern Bauern genau so. Aber gleich den
wissenschaftlichen Meteorologen ist auch der Hahn nicht gegen jeden
Irrtum gefeit, und so hat man, damit er trotzdem in allen Fällen recht
behalte, den schönen Reim ersonnen:

    »Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,
    Ändert sich's Wetter oder -- 's bleibt, wie's ist.«

Sobald es zu regnen beginnt, soll man auch die Hühner beobachten.
Treten sie sogleich unter Dach oder suchen sie den Stall auf, so wird
der Regen bald vorübergehen; laufen sie aber anfangs nur unschlüssig
hin und her und lassen sie sich endlich durch die Nässe kaum noch
stören, so hält der Regen wenigstens einen vollen Tag an. Auch wenn
sich Hühner und Tauben im Sande baden, bedeutet es Niederschläge.

Man könnte ein ganzes Buch füllen, soviele Wetterregeln leitet der
Bewohner des Landes aus dem Verhalten der Tiere, ganz besonders aus dem
der Vögel ab. Der Ackersmann, der Schäfer, die Bäuerin, die daheim das
Regiment führt, der Jäger, der Fischer, der Gärtner, der Waldarbeiter,
der Seemann, kurz jeder, dessen Arbeit und Erwerb von der Witterung
unmittelbar abhängig ist, hat seine Erfahrungen gesammelt. Außer den
bereits genannten Vögeln wären noch Kranich und Fischreiher, der große
Brachvogel -- er wird geradezu »Gewittervogel« genannt -- Misteldrossel
und Ziemer, die verschiedenen Krähenarten, Dohle, Wachtel, Bekassine,
Turtel- und Hohltaube, Schwarz- und Grünspecht, Wald- und Steinkauz,
Sturmschwalbe, Möwe, Eisvogel, Sperling, Gans, Ente, Schwan,
Perlhuhn, Pfau u. v. a. zu erwähnen, die alle mehr oder weniger gute
Wetterpropheten sind.

Diese volkstümlichen Voraussagen schlechtweg unsinnig zu nennen, wäre
töricht; aber wo die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit, zwischen
Einbildung und wirklicher Erfahrung liegt, ist nicht festzustellen,
handelt es sich doch wohl niemals um genaue Beobachtungen, die längere
Zeit fortgesetzt worden wären.

Nur eine Prophezeiung will ich noch herausgreifen, die alle an
Kühnheit der Logik übertrumpft. Sie weckt mir liebe Erinnerungen
aus der Kinderzeit, indem sie meinem geistigen Auge, Geruchs- und
Geschmacksorgan den verheißungsvollen Anblick, den lieblichen Duft und
den köstlichen Genuß der gebratenen Gans daheim im Elternhaus wieder
vorzaubert. Der liebe Martinsvogel stellte sich am 11. November,
meinem Namenstage, stets ein. Sieht an diesem Tage das Brustbein
des festlichen Bratens braun aus, so folgt ein frostreicher, aber
schneefreier Winter; hat es dagegen eine weiße Färbung, so gibt's
Schnee in Menge.

Ungemein groß ist die Rolle, welche die Tiere in der _Volksmedizin_
früherer Zeiten, besonders im 16. und 17. Jahrhundert, gespielt haben.
Man braucht nur die alten Medizinaltaxen oder Apothekerordnungen jener
Zeit durchzusehen, und man wird über die Menge allein der einfachen
Arzneimittel, der sogenannten »Simplicia« erstaunt sein, die dem
Tierreich entnommen wurden.

Dresden schlug mit der Reichhaltigkeit seiner Hofapotheke jeden
Mitbewerber auf diesem Gebiete aus dem Felde. Die sächsische Residenz
galt von jeher als eine vornehme Stadt; war es nicht vornehm, daß sie
auch viele und seltene Krankheiten in ihren Mauern beherbergte und
die Hofapotheke für eine jede ein unfehlbares Heilmittel besaß? Die
Apothekertaxe vom Jahre 1652 zählt nicht weniger als 190 Stücke aus dem
Tierreich auf, darunter Augen, Gehirn, Fett, Galle, Magen, Federn,
Mist der verschiedensten Vögel. Mit dieser Herrlichkeit ist's heute
vorbei. Aber das Volk hat sich doch noch so manches erhalten; denn die
Völker haben ein gutes Gedächtnis und bewahren, ganz wie die einzelnen
Menschen, Eindrücke aus früher Kindheit gar getreu bis ins Alter.

Noch heute glaubt man ganz allgemein, nicht nur in unserm Erzgebirge
oder im Thüringer Wald, sondern z. B. auch im Salzkammergut, daß
der _Kreuzschnabel_, den die Gebirgsbewohner so gern im engen
Drahtbauerchen halten, Gicht, Rheumatismus und alle »Flüsse« anziehe.
Auch das Wasser, in dem sich der Kreuzschnabel gebadet hat, sei gut
gegen die Gicht wie gegen Krämpfe. Nicht selten stirbt ja gerade dieser
Vogel unter krampfartigen Erscheinungen schon nach kurzer Zeit der
Gefangenschaft, und oft bezeugen es knollige Anschwellungen an seinen
Füßen ganz deutlich, daß die Gichtknoten seines Pflegers auf ihn
übergegangen sind.

Wer Kügelgens »Jugenderinnerungen eines alten Mannes« gelesen hat,
der wird sich mit Vergnügen des originellen Landgeistlichen Roller,
Pfarrherrn zu Lausa, erinnern, der alljährlich an die hundert _Elstern_
im Backofen verkohlte und das so gewonnene schwarze Pulver als Medizin
weithin versandte, sogar nach dem Harz und nach Schlesien, nach
Hamburg, Königsberg und Wien. Ein fechtender Handwerksbursche hatte
dem Pfarrer »die Tugenden« der gebrannten Elster, Alster, Schalaster,
Hester, oder wie der langschwänzige Vogel sonst noch genannt wird,
gepriesen, und Roller probierte die Sache nun an seinem Bruder
Jonathan, der an epileptischen Krämpfen litt. Schon nach Monatsfrist
war das Übel behoben; der Pfarrer aber, der von der Wirksamkeit des
seltsamen Mittels fest überzeugt war, freute sich nun, daß ihm Gott
einen Weg eröffnet habe, sich für die Heilung seines Bruders dankbar zu
erweisen und wehrte beharrlich jede Bezahlung ab. Er verlangte nichts
anderes von seinen Patienten, als einen gewissenhaften Bericht, wie die
Medizin bekommen sei.

Noch heute ist »gebrannte Elster« ein Volksmittel gegen die
»hinfallende Krankheit«. Einige wollen wissen, nur die »in den
Zwölfen«, d. h. in den zwölf Tagen zwischen Weihnachten und Heil.
Dreikönige (6. Jan.) geschossenen Elstern seien bei Krämpfen und
Epilepsie heilsam; denn um diese heilige Zeit habe die Natur all
ihre Wunderkräfte beisammen. Man glaubt auch, die Elster selbst sei
mit der »schweren Krankheit« behaftet, und deshalb vermöge sie beim
Menschen das Leiden zu heilen. Gleiches soll eben durch Gleiches
vertrieben werden. Vielleicht hat das unruhige, allzeit quecksilberne
Wesen der Elster Veranlassung gegeben, bei ihr epileptische Zufälle
anzunehmen; doch scheint es mir näherliegend, daß man die Elster, die
ein Hexentier ist, d. h. ein solches, in das sich Hexen und andere
Dämonen gern verwandeln, aus dem Grunde mit Veitstanz und Fallsucht in
Zusammenhang gebracht hat, weil dies Krankheiten sind, mit denen nach
dem Volksglauben dämonische Mächte den Menschen heimsuchen.

Das leitet uns über auf das Gebiet des eigentlichsten Aberglaubens.

Bekannt ist das _Kuckucksorakel_: so viel mal der Vogel ruft, so
viele Jahre hat der Frager noch zu leben. Schon i. J. 1221 wendet
sich Cäsarius Heisterbach mit Entrüstung gegen diesen altheidnischen
Aberglauben, und um dieselbe Zeit war's, da brach ein schon betagter
Mönch sein Klostergelübde, weil ihm der Gauch noch 22 Jahre geweissagt
hatte. Ob der prophetische Vogel in diesem Falle recht behalten hat,
wird leider nicht berichtet. Sollte mich freuen, wenn's so gewesen wäre.

Heute wird wohl niemand mehr ähnliche wichtige Entscheidungen von dem
Lenzesboten abhängig machen; man zählt die einzelnen Kuckucksrufe
nur zum Spaß und aus alter Gewohnheit. Und doch, ich kenne Personen,
die ganz still und niedergeschlagen wurden, als der Kuckuck, den sie
befragten, nur zwei- oder dreimal seinen Ruf hören ließ. Solche Macht
haben uralte abergläubische Vorstellungen noch in unserm Jahrhundert,
auch wenn man sie als Dummheit erkennt.

Der Kuckuck war als Frühlingsbote, ebenso wie der Storch, dem Donar
geweiht, der nicht nur als Herr des Gewitters, sondern auch als
Frühlingsgottheit verehrt ward. Donar weckte das Leben auf der Erde,
gab reichen Erntesegen und beschenkte die Ehen mit Nachkommenschaft. So
ward sein Bote, der Kuckuck, zum _Lebensvogel_, den man nach der Zahl
der Lenze befragt, die uns die Gottheit noch beschieden hat, der durch
seinen oft wiederholten Ruf dem Landmann Berge von Gold verspricht, daß
er die Geldstücke im Sack schon klappern hört, wenn auch nur erst die
grünen Spitzen der Saat aus dem Boden hervorschauen und die Obstbäume
nur aus ihrem Blütenansatz auf eine reiche Ernte hoffen lassen.
Auch den heiratslustigen Dorfschönen erteilt der Kuckuck auf manch'
vorwitzige Frage bereitwilligst Auskunft.

Ob er einst verklingen wird in ferner Zukunft, dieser Glaube an den
göttlichen Vogel? Weit länger als ein Jahrtausend ist's her, da hat
christlicher Eifer die heidnischen Götter entthront und zu Dämonen
gestempelt; aus den ihnen geweihten Tieren aber hat er Teufel und Hexen
gemacht. »Hol dich der Kuckuck!« -- »Geh zum Kuckuck!« -- »In Kuckucks
Namen« und was derartige schöne Redensarten mehr sind, bei denen
sich hinter dem Kuckuck der Teufel versteckt. Der »Lebensvogel« wird
aber über diese barbarische Vergewaltigung seiner Person schließlich
doch den Sieg davontragen. Ich glaube, so lange der Kuckuck in
unsern deutschen Ländern seinen Ruf erschallen läßt, so lange wird
auch unser Volk sich den alten Glauben an die prophetische Gabe des
geheimnisvollen Vogels bewahren. Jedes Frühjahr weckt ihn von neuem --
unsterblich die Erinnerung des Volks an seine Kindheit.

Rechte Hexentiere sind auch die _Eulen_, die einst als Sinnbild der
Wachsamkeit, der Weisheit, des tiefen Denkens und unermüdlichen
Forschens von einem nach Schönheit und Weisheit strebenden Volk der
helläugigen Pallas Athene geweiht waren. In der christlichen Kunst ward
die Eule zum Symbol heidnischer oder irdischer Torheit; ein Kreuz, das
man häufig über ihrem Kopfe anbrachte, sollte den Sieg der Kirche über
jede teuflische Lehre bedeuten. Und noch heute bekreuzigt sich mancher,
wenn das niedliche, harmlose Steinkäuzchen sein helles »kuwitt« und
dann das gedämpfte »boh boh« hören läßt. »Das Leichen- oder Totenhuhn,
die Wehklage oder Klagemutter ruft: komm mit, komm mit, auf den
Kirchhof, hof, hof! Der Vogel kündet den Tod an.« Und nicht etwa nur
das ungebildete Volk, nein auch viele andere, die sich unendlich
erhaben dünken, glauben dem Unheil kündenden Vogel; oder wenn sie's
auch nicht glauben, sie können sich doch eines unbehaglichen Gefühls
nicht erwehren, wenn sie das Käuzchen schreien hören.

Natürlich hat in erster Reihe das nächtliche Treiben die Eulen in
Verruf gebracht. Völlig geräuschlos, geisterhaft wie ein Schatten
gleiten sie an dem Wanderer vorüber, und es funkeln ihre riesigen
Augen. Wenn sich der Uhuruf mit dem Brausen des Sturms paart, der im
Hochwald tobt, daß die Bäume ächzen und stöhnen, gibt's ein grausig
Geheul. An dem Mond jagen die Wolken vorüber, daß sein Licht bald
verdeckt wird, bald wieder hell hervortritt zwischen den im Sturme
schwankenden Baumkronen. Selbst des Mutigsten Seele wird mit Bangen
und Grauen erfüllt. Ist es ein Wunder, daß unsre Altvordern gerade
der wilden Sturmes- und Wolkengöttin die Eule als ihr Tier neben
der nächtlichen Wildkatze geweiht haben! Zu Hexentieren sind beide
unter dem christlichen Einfluß geworden, gehaßt und verfolgt vom
unverständigen Volk. Und unter diesem Haß hat die Hauskatze, die die
Stelle ihrer wilden Verwandten eingenommen hat, noch heute ebenso
zu leiden wie sämtliche Eulen, die nützliche Schleiereule wie der
niedliche Steinkauz.

In meiner Jugendzeit sah man es gar nicht selten, daß der Landwirt eine
Eule mit ausgebreiteten Flügeln an das Scheunentor oder an die Tür des
Viehstalls genagelt hatte. Ich glaubte, diese Unsitte habe sich längst
überlebt; aber erst vor kurzem hat mich der gleiche Anblick -- es war
in der Lausitz -- von neuem überzeugt, wie tief doch abergläubische
Vorstellungen in unserm Volk wurzeln. Vor Verhexung will der Bauer sein
Gehöft schützen. Den herumstreichenden Dämonen, die das Vieh mit bösem
Zauber bedrohen, soll das gekreuzigte Tier gewissermaßen zurufen:
»Laßt ab von dem Gut! ihr seht, wie's solch nächtlichem Gelichter
ergeht!« Allen Verständigen aber, die es sehen, ist die angenagelte
Eule nur ein Zeichen dafür, daß Dummheit, Aberglauben, Undankbarkeit
und Bosheit unter den Menschen nicht aussterben.

Eine mittelalterliche _Hexenküche_ ohne Eulen wäre nicht denkbar. Und
wenn auch das Licht der Wissenschaft in diese Werkstätten menschlicher
Afterweisheit hineingeleuchtet hat, es wird doch auch noch heute in
verborgenen Winkeln mit Geisterbeschwören, Schatzgraben, Bereitung von
allerlei Tränklein viel Hokuspokus getrieben, und die Rolle dämonischer
Tiere, wie Elster, Eule, aber auch Katze, Fledermaus, Schlange, Kröte,
Salamander u. v. a. ist noch immer nicht ausgespielt.

Zäh hält das Volk an den alten Vorstellungen fest -- jahrtausendelang
fließt das Wasser in dem einmal errungenen Bett.



Schutz den schutzlosen Kriechtieren und Lurchen!


Unter den Wirbeltieren sind die _Kriechtiere_ und _Lurche_ die
einzigen, die jedes gesetzlichen Schutzes entbehren. Strenge
Jagdgesetze nehmen sich vieler Säugetiere und einer großen Anzahl von
Vögeln an; nur der Jagdberechtigte darf sie erlegen, und wenn es nicht
gerade Raubtiere sind, so genießen sie fast alle eine gesetzliche
Schonzeit, die sich freilich in den einzelnen Ländern des Deutschen
Reichs auf etwas verschiedene Zeiten erstreckt. Außerdem stehen die
meisten nicht-jagdbaren Vögel unter der schirmenden Hand des deutschen
Vogelschutzgesetzes, das sich ihrer und ihrer Brut in weitgehendem
Maße annimmt. Jedes Schutzes bar sind nach diesem Gesetz nur wenig
Vogelarten, ja nach unsern sächsischen Gesetzen keine einzige; selbst
die Sperlinge sind nur unter gewissen Einschränkungen »vogelfrei«.
Für die Fische sorgen Fischereigesetze in den einzelnen Ländern --
nur die _Kriechtiere und Lurche_ sind _rechtlos_, »_vogelfrei_«, der
Willkür eines jeden preisgegeben. Wenn es sich nicht gerade um Ärgernis
erregende Tierquälerei handelt, kann jeder mit diesen Geschöpfen
machen, was er will, wozu ihn die Laune treibt. Ungestraft darf er sie
und ihre Brut vernichten; da ist kein Gesetz, das ihn hindert. Jedem
Tagedieb steht es frei, hinauszuziehen an den Teich, an den Sumpf, an
den feuchten Graben der Wiese, an die steinige Halde, in den Buchenwald
und dort einzufangen, so viel immer er will, die Läden der Händler
in der Großstadt zu füllen. Und wenn es die letzte Ringelnatter am
Bachesrand wäre oder der einzige Tümpel in der ganzen Umgebung, den
Tritonen und Salamander beleben: er darf, falls sonst kein Einspruch
des Besitzers aus besonderen Gründen erhoben wird, das Gewässer
ausfischen, den Berghang absuchen und alles mitnehmen, was ihm zur
Beute wird, bis auf den letzten Rest.

Was ist der Grund für solche Vernachlässigung und Zurücksetzung der
genannten Geschöpfe gegenüber dem weitgehenden Schutz, den namentlich
die Vogelwelt allenthalben genießt?

Die Antwort ist nicht schwer. Der leichtbeschwingte, sangesfreudige
Vogel ist der Liebling nicht etwa nur einzelner Naturfreunde, sondern
aller Kreise unseres Volkes, und wo die Vogelwelt vielleicht doch
noch nicht ganz die Teilnahme gefunden hat, die sie verdient, da ist
es uns Naturfreunden leicht, für sie einzutreten und um Schutz und
Pflege zu werben. Dabei wird man wohl zuerst den großen Nutzen, den so
viele Vögel für den Land- und Forstwirt, den Gärtner und Obstzüchter
besitzen, ins rechte Licht stellen; denn in der Natur des Menschen
ist's nun einmal begründet, daß er in oft recht engherziger Weise
zunächst nach seinem eignen Vorteil fragt. Dann aber wird man auch
an den freien, fröhlichen Flug erinnern, an die holdselige Stimme so
vieler Vögel, an ihr Familienleben, sowohl an das innige Verhältnis der
Gatten zueinander, wie an die aufopfernde Liebe der Eltern zu ihren
Kleinen, ja selbst zu fremden verwaisten Vogelkindern. In all diesen
Wesenszügen wird der Vogel kaum von einer andern Tierklasse erreicht,
von keiner übertroffen. Und so sind die Vögel, die Lieblinge der
Schöpfung, auch die Lieblinge des Menschen geworden. Sie stehen unserm
Herzen, unserm ganzen Gefühlsleben näher als alle andern Geschöpfe,
wenigstens wenn wir von den Haustieren absehen.

Wie anders dagegen Eidechsen, Frösche, Molche oder gar Kröten und
Schlangen! Ihr bloßer Anblick flößt, wenn auch ungerechtfertigterweise,
vielen Menschen _Ekel und Abscheu_ ein. Die schwerfälligen Bewegungen
der Kröten und Erdsalamander, die gewiß, ich gebe es zu, der Anmut
entbehren, sind manchen geradezu widerlich; aber auch der hastige Lauf
der zierlichen Eidechsen, wenn sie über das kurzrasige Gras oder den
steinigen Weg hurtig wie die Mäuse dahinhuschen, flößt schreckhaften
Menschen Angst ein; das lautlose Hingleiten der Schlangen ist vielen
unheimlich, und selbst der hüpfende Frosch ruft in schwachbesaiteten
Gemütern Entsetzen hervor. Fast auf jede Weise bewegen sich die
Kaltblüter fort: sie kriechen und hüpfen, sie schwimmen und rennen;
aber immer finden die Menschen etwas daran auszusetzen. Selbst wenn die
Kröten und Echsen fliegen könnten, ich glaube, es würde auch keinem
recht sein.

Es gibt Menschen, denen sind Spinnen und Würmer ebenso schreckliche
Wesen, und ich kenne Damen, die laut aufkreischen, wenn ihnen 'mal ein
summender Maikäfer oder ein Mistkäfer in die Nähe kommt oder gar eine
Fledermaus ihnen um die wuschligen Haare flattert, die echten oder die
falschen -- entsetzlicher Gedanke! Aber es scheint mir, die Abneigung
gegen die Kriechtiere und Lurche ist doch noch viel allgemeiner
verbreitet; es findet sich so selten 'mal einer, der diesen verachteten
und verfolgten Tieren freundlich gesinnt ist. Und selbst wenn man mit
verständigen Gründen solche Vorurteile zu widerlegen sucht und gütlich
zuredet, sich doch den Salamander, die Blindschleiche, den Frosch
genauer zu betrachten, die Tiere wohl auch 'mal in die Hand zu nehmen,
so begegnet man bei fast allen dem hartnäckigsten Widerwillen. »So kalt
und so naß!« heißt's beim Frosch, bei der Schlange: »so glatt!« und bei
der Kröte: »so ekelhaft und giftig ihr Schleim; ich werde mich hüten.«

Doch nicht bloß ihre äußere Erscheinung, auch die _Lebensweise_ der
Kriechtiere und Lurche ist vielen höchst unangenehm. An dunkeln Orten,
in feuchten Löchern hausen sie, in Morästen und Sümpfen; sie scheuen
vielfach das Licht des Tages, wie Kröten und Unken, die erst gegen
Abend recht lebendig werden: kurz, es sind unheimliche Geschöpfe. Kein
Wunder daher, daß sich der _Aberglaube_ ihrer bemächtigt hat, mehr
als irgend einer andern Tierklasse. Die meisten Menschen wissen nicht
viel von unsern Kaltblütern zu sagen; wenn sie aber etwas von ihnen
berichten, dann sind's gewöhnlich erlogene, abergläubische Märchen; auf
jeden Fall aber ist's etwas Böses.

Gern räume ich ein, daß es auch gescheite Leute gibt -- meine Leser
rechne ich alle dazu, auch bin ich so glücklich, persönlich solche zu
kennen -- die nichts wissen wollen vom bösen Blick der Schlangen, vom
Unglück verkündenden Unkenruf, und was derartige Märchen mehr sind;
aber diese abergläubischen Vorstellungen, teils Jahrtausende alt,
liegen gewissermaßen in der Luft; sie umgeben die Tiere, von denen
wir sprechen, wie ein übler Dunstkreis und tragen wesentlich zu dem
Abscheu bei, den die große Menge beim Anblick unsrer Kriechtiere und
Lurche empfindet.

»Geh mir mit solch giftigem Gewürm ein für allemal aus dem Wege!«
wie oft habe ich's hören müssen, wenn ich als Junge seelenvergnügt
eine Ringelnatter in der Hand hielt oder in der Einmachbüchse, die
ich der Mutter entwendet hatte, später in meiner »zoologischen
Botanisiertrommel« Eidechsen oder ein paar buntfleckige Molche mit
heimbrachte! Und wie oft sehe ich's heute noch: am Wiesenweg eine
Natter, die man in roher Weise gesteinigt hat, am Waldesrand eine mit
Rutenschlägen getötete Blindschleiche, an der Parkmauer eine halbtote
Kröte; erst wenn die Sonne untergeht, kann sie sterben, behauptet der
Volksglaube.

Der _Haß_ gegen diese Tiere und ihre Verwandten ist ganz allgemein;
jeder glaubt ein Recht zu haben, sie zu vernichten, ja er schwatzt
sich's vor, es sei seine Pflicht, und mancher dumme Junge fühlt sich
als ein Held, als ein Ritter Georg, weil er eine unschuldige Natter
oder Blindschleiche erschlagen hat. Immer nur Ausnahmen, wenn sich 'mal
jemand dieser hart verfolgten Tiere erbarmt, und wer für sie eintritt,
findet kaum je Gehör, ja mit Spott und Hohn antwortet man ihm.

Aber gilt es nicht auch von diesen Kleinen und Schwachen, den
Verachteten und Verfolgten, daß sie _Kinder der Natur_ sind, unsrer
gemeinsamen Mutter, der wir Verehrung und Liebe zollen sollen? Gehören
sie nicht auch mit zu denen, die der große Dichter »meine Brüder im
stillen Busch und im Wasser« nennt? Ihr Leben mutwillig zu vernichten,
dazu haben wir kein Recht. Hat sich die Schöpfung etwa nur deshalb
mit Pflanzen und Tieren geschmückt, »ein jegliches nach seiner Art«,
daß wir uns an ihnen vergreifen sollen, sei es aus Roheit, sei es
aus törichter Selbstüberschätzung? Heißt das nicht zerstören und
verstümmeln, was uns erheben, erquicken, erbauen und erziehen soll!
Naturschänder sind es, die anders denken und handeln, und Naturschänder
sind mir immer als die erbärmlichsten Menschen erschienen. Die Natur,
die uns der Inbegriff alles Schönen sein soll, muß uns auch ein
_Heiligtum_ sein, in noch höherem Grade unverletzlich und unantastbar
als das größte Kunstwerk. Dieses hat Menschengeist ersonnen und
Menschenhand gebildet; die Natur aber trägt den Stempel der Gottheit.

Wer an der Natur frevelt, vergeht sich aber nicht nur an dieser,
sondern zugleich an seinen Nebenmenschen, deren natürlichste und
deshalb heiligste Rechte er mißachtet und beeinträchtigt. Denkt denn
der Frevler, der eine Blindschleiche, eine unschuldige Schlange
niederschlägt, nicht daran, daß noch andere des Weges kommen, denen der
Anblick eines solchen Tieres Freude bereitet, die den schlängelnden
Bewegungen der Natter mit Vergnügen zuschauen, ebenso dem flinken Lauf
der zierlichen Eidechsen, wenn deren Gewand im Sonnenstrahl funkelt und
gleißt, als sei es mit hundert Smaragden geschmückt, die auch gern 'mal
solch Tierchen in die Hand nehmen, um es noch genauer zu betrachten:
das allerliebste Schuppenkleid, die wie Perlen blitzenden Äuglein,
die tastende Zunge. Nun sieht man das Tier, das noch vor kurzem sich
seines Lebens freute und so manchen Naturfreund erfreut hätte, kläglich
erschlagen am Boden. Der Frevler hat mit roher Hand allem ein Ende
bereitet: dem unschuldigen Tierchen und der unschuldigen Freude. Hat
nicht jeder, auch der Ärmste ein Anrecht an die Natur?

Von mancher Seite hat man der _Terrarien- und Aquarienliebhaberei_ den
Vorwurf gemacht, daß sie wesentlich zur Verödung der Natur beitrage.
In der Tat hat diese Liebhaberei während der letzten Jahre vor dem
Weltkriege in weiten Kreisen unsrer Bevölkerung bei jung und alt
Eingang gefunden, zum Teil auf Kosten der Stubenvogelpflege, während
in meiner Jugendzeit meist nur wir Kinder solch innigen Verkehr mit
unsern heimischen Kaltblütern pflegten. Das wachsende Interesse an den
genannten Geschöpfen kann ich nur mit Freude begrüßen. Wer Gelegenheit
hat, diese Tiere näher kennen zu lernen, wird sie auch lieben lernen.
Was man aber liebt, das sucht man zu erhalten und zu schützen. Und
so liegt es mir ganz fern, den Freund und Pfleger von Schlangen,
Eidechsen, Molchen u. dgl. tadeln zu wollen, wenn er im Frühjahr
auszieht, um seinem Terrarium oder Aquarium daheim, an dem er seine
Freude hat, Ersatz zu schaffen für das, was ihm der Winter geraubt hat.
Der verständige Freund der Natur wird durch Schutz und Pflege seiner
Lieblinge draußen in Wald und Flur, in Sumpf und Teich der Heimat
reichlich vergelten, was er ihr raubt. Das gilt vom Terrarien- und
Aquarienliebhaber genau so wie vom Freund und Pfleger der heimatlichen
Stubenvögel.

Aber den Umstand beklage ich tief, daß nun _Fänger von Profession_
diese an sich erfreuliche Liebhaberei zu einem Geschäft ausnutzen,
indem sie im Frühling Tag für Tag mit ihren Fanggeräten zu erbeuten
suchen, so viel sie nur können, Massenfang treiben der übelsten Art.
Der _Händler_ nimmt alles, je mehr, desto besser; er hat für alles
Verwendung. Was bei unsachgemäßer Pflege krepiert, kommt in Spiritus
und findet auch dann seine Abnehmer. Und so wimmelt es zu manchen
Zeiten in den zur Schau gestellten Glaskästen der sog. »Zoologischen
Handlungen« der Großstädte von zierlichen Eidechsen, von Nattern
und Blindschleichen, von Erdsalamandern, von Tritonen und Molchen.
Wirkliche _Raubzüge_ werden gegen die heimatliche Natur unternommen.
Nicht die Tierpflege an sich verurteile ich, sondern den Massenfang,
wie er zumeist von arbeitsscheuen, recht zweifelhaften Personen Jahr
für Jahr des Geldgewinns wegen betrieben wird. Ihnen sollte wie
den Vogelstellern durch gesetzliche Bestimmungen das lichtscheue
Handwerk gründlich gelegt werden. Freilebende Tiere zur Massenware zu
erniedrigen, ist ein Unrecht.

Was nun aber fast ebenso schlimm, jeder kann diese lebende Ware für
verhältnismäßig wenig Geld beim Händler erstehen. Da mag so mancher,
der die Tiere im Schaufenster sieht, denken, solch ein Behältnis mit
Schlangen und Eidechsen, solch Wassergefäß mit Molchen könntest du dir
in deinem Zimmer auch einrichten, und er setzt nun die Ringelnatter,
den Laubfrosch, den Erdsalamander den ganzen Tag der Sonnenbestrahlung
aus, bringt die Tritonen in ein gefülltes Wasserglas, wo sie kein
Plätzchen zum Ausruhen finden, und um die Nahrung der Tiere kümmert
er sich auch nur wenig. Die ist schwer zu beschaffen; wen der Hunger
plagt, so denkt er, wird nicht wählerisch sein. Unter solchen Umständen
gehen die armen Geschöpfe natürlich sehr bald zugrunde. Dann ist die
ganze Herrlichkeit aus, und am Ende freut sich der Besitzer, der von
Tierpflege keine Ahnung hat, daß er die Sache wieder los ist. Der
Händler aber hat für die ganz zwecklos geopferten Tiere schon längst
wieder Ersatz.

Das sind natürlich Auswüchse der Tierliebhaberei, Nebenerscheinungen,
die aber vom Standpunkte des Naturschutzes aus sehr zu beklagen sind.
Freilich den meisten Menschen wird's gleichgültig sein, handelt es sich
dabei doch bloß um Eidechsen, Molche und ähnliches Getier, und solch
»Ungeziefer« hat keinen wirtschaftlichen Wert, wie ihn z. B. der Vogel
besitzt, ist auch für den Haushalt der Natur ganz gleichgültig.

Dieser allgemein verbreiteten Ansicht kann nicht scharf genug
widersprochen werden. Gewiß, unserm Fühlen, unserm ganzen Innern
steht der Vogel viel näher als Blindschleiche oder Unke; aber was den
wirtschaftlichen Nutzen der Vogelwelt betrifft, da sind doch nicht
wenige unsrer gefiederten Freunde, die manchen Schaden und Ärger
anrichten und die das Gesetz doch in seinen Schutz nimmt, und zwar mit
größtem Recht; denn der Geldbeutel allein darf nicht den Ausschlag
geben.

Wie steht es aber in dieser Beziehung mit den Kriechtieren und
Lurchen? Ich muß diese leidige Frage nach _Nutzen und Schaden_, so
sehr es meinem Gefühl zuwider ist, hier in den Vordergrund stellen,
weil man bei unsern Tieren so gar nichts anerkennen will, was ihnen
Daseinsberechtigung geben könnte. Das Quaken der Frösche ist den
Anwohnern des Teiches verhaßt, die Schlangen sind allen greulich,
heimtückisch, gefährlich, widerlich die ganze Gesellschaft. Ich sprach
mit einer jungen Dame über unsre heimische Tierwelt und wie so viele
schuldlos verfolgte Geschöpfe dringend unseres Schutzes bedürfen.
»Sie wollen sich doch nicht etwa auch noch der giftigen Schlangen
und Salamander, der Eidechsen und Molche annehmen?« fiel sie mir ins
Wort. »Sagen Sie 'mal, Herr Professor, wozu sind denn eigentlich die
entsetzlichen, scheußlichen Kröten auf dieser Welt?« »Wozu, mein
verehrtes Fräulein,« entgegnete ich, »sind denn eigentlich Sie da?
Sie haben Ihren Beruf zu erfüllen im Haus, in der Familie, in der
menschlichen Gesellschaft, genau wie jedes andere Geschöpf in seinem
Kreise, und wenn Sie Ihrer Aufgabe in allen Stücken so treu und
gewissenhaft nachkommen wie die Kröten, die Ihnen so zuwider sind, dann
alle Hochachtung vor Ihnen! Übrigens haben Sie sich eine Kröte gewiß
noch nicht genau angesehen; sonst müßten Sie wenigstens etwas Schönes
an ihr finden, und das sind -- erschrecken Sie nicht! -- ihre Augen.«

In mildem Goldglanz schauen die Krötenaugen uns so treuherzig und
innig an, als wollten die Tiere sagen: Tu uns nichts zuleide! Es
liegt etwas unaussprechlich Wehmütiges in diesem milden Blick, etwas
von der stillen Poesie des Weihers mit seinen Nixen und Elfen, die
sich nach dem Reiche der Menschen sehnen, etwas von märchenhaftem
Waldeszauber, etwas Ahnungsvolles und Unwirkliches. Man denkt an den
verwunschenen Prinzen, an die Kröte mit dem goldnen Krönchen, von
denen die Großmutter uns Kindern so oft erzählte. Krötenaugen blicken
ebenso sanft und träumerisch, so innig und seelenvoll wie die schönen
Augen meines Rotkehlchens oder draußen am Waldbach die großen braunen
Augensterne der Wasseramsel, und ich kann's nicht verstehen, daß
Krötenaugen geradezu zum Sinnbilde der Häßlichkeit geworden sind. Wenn
man eine Dame anschwärmen würde: »Sie einzig Verehrte, mit Ihren
Krötenaugen!« so würde das, so ehrlich es der Freund und Kenner jener
Tiere vielleicht auch meint, als eine Beleidigung gelten. Nun, eine
Beleidigung, ich gebe es zu, mag es in manchen Fällen auch tatsächlich
sein, wo man solchen Vergleich zieht, aber niemals eine Beleidigung für
das weibliche Wesen.

Doch zurück zur Frage nach _Nutzen_ und _Schaden_. Raubtiere sind sie
alle, die Reptilien so gut wie die Lurche, nur daß letztere in ihrem
Jugendzustande, z. B. als Kaulquappen, an verwesenden Pflanzenstoffen
herumnagen. Außer Daphnien, Cyklopiden und andern Krebstierchen werden
von allen _Lurchen_ die verschiedenen Mückenarten, Würmer, Schnecken,
Larven und Puppen von Wasserinsekten, daneben die Jugendformen der
eignen Verwandtschaft verzehrt. Der gewalttätigste Lurch ist unser
_Wasserfrosch_, der Musikant. Insekten und Insektenlarven aller Art,
Spinnen, Schnecken, Würmer, Kaulquappen, Fischbrut, selbst kleine
Fischchen, aber auch junge Blindschleichen, Wassermolche: alles
würgt er hinunter. Der zierliche _Laubfrosch_ hat es auf Fliegen,
Kleinschmetterlinge, glatte Räupchen und auf allerlei Würmer abgesehen.
Die _Kröten_ und _Unken_ leben gleichfalls von Insekten, Asseln,
Spinnen, Tausendfüßern, Nacktschnecken und Würmern.

Auch unsre _Kriechtiere_ sind Räuber; sie erjagen lebende Beute.
Die _Kreuzotter_ nährt sich von Mäusen aller Art, von Spitzmäusen,
auch Eidechsen, die sie durch ihren giftigen Biß sehr schnell tötet;
selbst jungen Vögeln mag sie bisweilen gefährlich werden. Die _glatte
Natter_, auch Haselnatter genannt, macht besonders gern auf Eidechsen
Jagd, während die _Ringelnatter_ mit Vorliebe Laub- und Grasfrösche
frißt. Als gute Schwimmerin jagt sie aber auch im Wasser nach kleinen,
etwa fingerlangen Fischen und Salamandern. Vor der gelbbauchigen
Unke freilich und dem Erdmolch scheut sie sich, gleich allen andern
Lurchjägern; denn schwarz und gelb, unsre Dresdner Stadtfarben, sind
Schreckfarben -- natürlich nur in der Tierwelt. Die _Eidechsen_ sind
hinter allerlei Kerbtieren her und und verstehen sie sehr geschickt zu
erwischen: Grillen, Heuschrecken, Schmetterlinge, Fliegen, Käfer; dazu
fressen sie Würmer, Nacktschnecken, ja sie überfallen selbst schwächere
Artgenossen, während die _Blindschleichen_, schwerfälliger in ihren
Bewegungen, auf den Fang von Regenwürmern, Schnecken und glatten Raupen
angewiesen sind.

Aus diesen Beispielen ergibt sich, daß von einem besonderen Schaden
der Reptilien und Amphibien nicht die Rede sein kann, abgesehen von
der giftigen Kreuzotter, die aber doch nur in einzelnen Gegenden
Deutschlands häufig auftritt. Ja, die meisten Mitglieder dieser
beiden Wirbeltierklassen stiften durch die Vertilgung von Würmern und
Nacktschnecken ganz entschieden Nutzen. Daß sie auch viele Insekten
verzehren, wollen wir ihnen nicht besonders anrechnen; denn unter den
Kerbtieren gibt es nützliche, wie schädliche Arten, und in dieser
Beziehung wird keine Echse, kein Lurch eine Auswahl treffen. Daß
aber manche Wasserinsekten, die der Fischerei Schaden bringen, den
Ringelnattern und Fröschen zum Opfer fallen, darf nicht unerwähnt
bleiben.

Besonders groß erscheint mir der Nutzen der _Kröten_. In Gärten,
besonders wo Erdbeeren oder Salat gepflanzt sind, da sollte man sich
nur freuen, wenn man ein paar Kröten begegnet; sie sind die stärksten
Vertilger der schädlichen Nacktschnecken. Das wußte schon vor einem
halben Jahrhundert mein Vater; er hieß uns Kinder, wenn wir 'mal auf
einem Spaziergang eine Kröte antrafen, den Lurch mitnehmen und ihn
in unsern Gemüsegarten setzen. Wir freuten uns stets, wenn wir dort
den dicken, wohlgenährten Kröten begegneten und sagten ihnen für ihre
freundliche Unterstützung im Kampfe gegen mancherlei Ungeziefer »danke
schön!« Später habe ich gelesen, daß englische und belgische Gärtner
den Nutzen der Kröten schon seit langer Zeit erkannt haben und daß
bei ihnen hier und da Kröten auf den öffentlichen Märkten feilgeboten
werden, um als Schutztruppe in den Gärten Verwendung zu finden.

Unsre Kaltblüter haben eine große Menge _natürlicher Feinde_,
infolgedessen es ganz ausgeschlossen erscheint, daß Kriechtiere und
Lurche, selbst wenn wir ihnen jeden erdenkbaren Schutz gewähren
wollen, überhandnehmen könnten. Die gegen früher veränderten
Kulturverhältnisse, die sich nicht wieder zurückschrauben lassen, haben
die Lebensbedingungen unsrer Kaltblüter sehr ungünstig gestaltet,
und so wird es uns höchstens gelingen, einzelne seltene Arten, deren
Bestand gefährdet erscheint, vor dem völligen Untergang zu retten. Die
große Masse aber muß zusehen, daß ihre starke Vermehrung die Verluste
immer wieder ausgleicht, die ihnen so viele Feinde bringen. Die
_Eidechsen_ werden von den Schlangen verfolgt, von Raubvögeln, Krähen,
Würgern, von Reihern, Störchen, Haushühnern, von Marder und Wiesel, von
Igel, Dachs, Fuchs u. a., und fast all diese Eidechsenjäger sind auch
Feinde, oder besser Liebhaber der Schlangen. Selbst der _Kreuzotter_
hilft ihr tödliches Gift nichts; sie wird vom Storch überwältigt,
ebenso vom Igel.

Den _Lurchen_ geht es nicht besser wie den Kriechtieren; »alles, alles
will sie fressen!« Störche und Reiher, Bussarde, Krähen, Dohlen,
Elstern, Fischottern, Dachs, Wiesel, Iltis sind hinter ihnen her. Dazu
haben sie viele Feinde in ihren eignen Reihen und unter den Schlangen.
Die zarten Froschkeulen erfreuen sich auch im Tierreich vieler Verehrer.

Natürlich bin ich weit entfernt, den genannten Lurch- und
Reptilienjägern einen Vorwurf zu machen. Sie sind es ganz gewiß nicht,
denen der Rückgang unsrer Kaltblüter zur Last fällt. _Den Menschen_
trifft die _Schuld an der Verödung_ der Heimat, an der Vernichtung
ganzer Tiergeschlechter. Man vergegenwärtige sich nur, wie die
_Landwirtschaft_ heute jedes Winkelchen ausnutzt, die feuchten Wiesen
entwässert, die Feldgehölze und Hecken vielfach beseitigt. Sümpfe
werden ausgetrocknet und in Ackerboden verwandelt, Flußläufe geregelt,
daß das Wasser zwischen öden, geradlinigen Steinmauern in einer Rinne
dahinfließt; die Bäche werden ihrer natürlichen Ufervegetation beraubt,
Teiche, Flußarme und Altwässer zugeschüttet und die schönen Auenwälder
dem Untergange preisgegeben. Die _Forstwirtschaft_ begünstigt immer
mehr das Nadelholz, Kiefern und Fichten, wenigstens ist im Laufe
der Jahre an die Stelle so manches schönen Buchenbestandes, der
den Boden feucht hielt, einförmiges Fichtenholz getreten. Unter
all diesen Maßnahmen unsrer Zeit haben Lurche und Reptilien schwer
gelitten, schwerer noch als die Vogelwelt; ihrer versteckten Wohnsitze
sind sie beraubt worden. Die Vögel wandern aus, wo sie nicht mehr
ihre Lebensbedingungen finden; aber die Amphibien eines Sumpfes,
eines Teiches gehen samt ihrer Brut zugrunde, sobald das Gewässer
zugeschüttet wird. Die _Industrie_ ist unsern Tieren auch feindlich
gesinnt. Die Fabriken, die heute auch in das entlegenste Gebirgstal
vorgedrungen sind, verseuchen und vergiften fast jeden Graben, jeden
Bach; die Kläranlagen sind ja doch nicht imstande, dem Wasser seine
natürliche Beschaffenheit wiederzugeben. Ist's da ein Wunder, wenn die
Bewohner des fließenden Elements, die Amphibien, Fische u. a. immer
seltener werden, ja aussterben?

In dem trocknen Sommer 1911 weilte ich in meiner Heimat an der
Freiberger Mulde. Das war kein Wasser mehr, was im Flußbett talab
floß, sondern ein Sammelsurium chemischer Lösungen, in denen kein
höheres Lebewesen sich hätte aufhalten können. Ein paar »Jungens«
kauerten am kahlen Uferrand und machten sich den Spaß, die Gasblasen
anzubrennen und explodieren zu lassen, die auf dem Wasser schwammen.
Es war just dieselbe Stelle, die mir vor vierzig Jahren als Jagdrevier
auf Ringelnattern so lieb war. Dann führte mich der Weg nach dem
Nachbardorf, in dessen Mitte ich den Dorfteich mit seiner reichen
Pflanzenwelt vergeblich suchte. Großstädtisch war alles geworden:
ein Promenadenplatz mit sein paar gußeisernen Bänken. Die Bauern
waren sehr stolz auf diesen Fortschritt der Kultur; mich aber stimmte
es traurig. Ich dachte an die Frösche und Unken, die einst die
Sommernacht mit ihrem Chor- oder Einzelgesang so reizvoll belebten, an
die Ringelnattern, die ehemals bei unserm Nahen sich von dem grünen
Uferrand hinab ins Wasser gleiten ließen, an die munteren Tritonen, die
an seichten Stellen hin und her schwammen, und an die Wasserkäfer, die
zwischen dem Entengrün ihre munteren Spiele trieben. Vergangen, vorbei!

Der Leser wird sagen: das ist alles ganz schön, oder richtiger: das
ist alles sehr traurig, aber wir können daran nichts ändern. Wegen
der Salamander und Ringelnattern, der Frösche und Unken, die dabei
zugrunde gehen, wird sich der Landwirt nicht abhalten lassen, einen
Sumpf zu entwässern, eine feuchte Wiese trocken zu legen, wenn er's für
nötig oder vorteilhaft hält, und die Anlage von Fabriken kann auf die
Kleintierwelt erst recht keine Rücksicht nehmen. Wohin sollte solche
Rücksichtnahme auch führen?

So meine ich das selbstverständlich auch nicht. Immerhin bin ich der
Ansicht, daß ein einzelner Grundbesitzer oder auch ein Gemeinwesen,
eine Behörde in allen Fällen recht eindringlich darüber nachdenken
sollte, ob es sich auch lohnt, solch eingreifende Veränderungen
der natürlichen Verhältnisse, wie sie die Trockenlegung eines
Sumpfes, eines Teiches zur Folge hat, herbeizuführen, und ob es
unbedingt nötig ist, gerade _den_ Graben zuzuschütten oder mit
Fabrikabwässern zu verseuchen, der schöne Molche und ein paar seltene
Fischchen beherbergt, auch im Kreise der Naturfreunde als Fundstätte
interessanter Wasserinsekten, Krebstierchen, Polypen usw. bekannt
ist. Oder ob es sich nicht vermeiden läßt, das kleine Feldgehölz
niederzuschlagen, ob die Weißdornhecke am Wege, das Gestrüpp am
steinigen Hang nicht erhalten werden kann. Dort wohnen Blindschleichen
und Eidechsen in frohem Verein; es wäre doch schade um diese
Kleintierwelt, wenn sie etwa nur einer plötzlichen Laune zum Opfer
fallen sollte.

Vielleicht ließe sich auch auf _gesetzlichem_ Wege etwas für unsre
Kaltblüter tun. An das Vogelschutzgesetz habe ich oben erinnert.
Warum, so frage ich, gibt es nicht ein ähnliches Gesetz zum Schutze
der Reptilien und Amphibien? Ich sehe keinen Grund ein, diesen
Gedanken abzulehnen. Sie alle, die unter den heutigen Verhältnissen
so hart bedrängt werden, die Schlangen -- natürlich mit Ausnahme der
giftigen Kreuzotter -- die Eidechsen und Blindschleichen, die Kröten,
die Salamander und Teichmolche, die Laubfrösche und bis zu gewissem
Grade auch alle andern Frösche verdienen und bedürfen gesetzlicher
Maßnahmen, wollen wir sie unsrer Heimat erhalten. Und wenn es
vielleicht auch nicht an der Zeit ist, ein Reichsgesetz zu befürworten,
so könnten doch bereits jetzt einzelne Länder und Behörden mit gutem
Beispiel vorangehen und durch besondere Landesgesetze oder wenigstens
Polizeiverordnungen den Reptilien- und Amphibienjägern von Profession
das Handwerk genau so legen wie den Vogelstellern und Eierräubern.
Warum soll nur _der_ zur Verantwortung gezogen werden, der sich an
einem Vogel oder seiner Brut vergreift, während der Frevler, der eine
Kröte, eine Unke oder ihren Laich, eine Eidechse oder eine harmlose
Schlange lediglich aus Roheit vernichtet, frei ausgeht?

Ich weiß es, daß gesetzliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes
im allgemeinen wenig nützen. Aber unser Reichsvogelschutzgesetz
möchte heute doch kein einziger Naturfreund missen; es hat im Laufe
der Jahre durchaus segensreich gewirkt. Und so verspreche ich mir
auch von einem _Reptilien- und Amphibienschutzgesetz_ manches Gute.
Dabei wäre wohl zu erwägen, ob ein solches Gesetz nicht etwas mehr
Rücksicht auf die Terrarien- und Aquarienliebhaber nehmen könnte, als
unser Vogelschutzgesetz auf die Freunde der Stubenvogelpflege. Nur dem
Massenfänger und dem Händler müßte das Handwerk gelegt werden.

Freilich, mehr als gesetzliche Bestimmungen helfen _Belehrung_ und
_vernünftige Erziehung_. Wer soll belehrt und erzogen werden? Natürlich
die Jugend. Aber nicht etwa nur von den Lehrern, sondern an erster
Stelle von den Eltern. Die _Schule_ hat es bereits bewiesen, daß es ihr
Ernst ist, die ihr anvertrauten Kinder zum Naturschutz zu erziehen.
Davon zeugen so manche Verordnungen und Maßnahmen der Schulbehörden,
die alle darauf zielen, in der Jugend die Liebe zur Heimat und die
Achtung vor der Natur und ihren Geschöpfen zu wecken und zu pflegen,
und davon zeugt in gleicher Weise die freundliche Stellung, welche die
gesamte Lehrerschaft in Dorf und Stadt, an Volksschulen wie an höheren
Schulen dem Naturschutzgedanken gegenüber von Anfang an eingenommen
hat. Ja viele, viele Lehrer sind für unsre Bestrebungen mit freudigster
Begeisterung eingetreten und haben sich im Kampfe für sie mit in
die vorderste Reihe gestellt. Einmal um der Sache selbst willen,
sodann aber auch, weil sie erkannt haben, eine wie hohe erzieherische
Bedeutung dem Heimat- und Naturschutz sowohl für den einzelnen Menschen
wie für unser ganzes Volk zukommt.

Heute treibt der Lehrer naturgeschichtlichen Unterricht nicht
nur innerhalb des Schulzimmers, sondern er führt die Kinder oder
jungen Leute hinaus ins Freie, daß sie Pflanzen und Tiere in ihrer
natürlichen Umgebung beobachten, die _lebenden_ Wesen: die Blume am
Wegrand, die Blindschleiche am moosigen Boden, die Eidechsen an der
Geröllhalde, den Falter über der Wiese. Der trockene »beschreibende«
Naturgeschichtsunterricht, der sich mit der Betrachtung von Herbarien,
von ausgestopften Vögeln, von Spirituspräparaten aus dem Reich der
Kaltblüter, von aufgespießten Insekten begnügte, ist wohl für alle
Zeiten verlassen. Das Leben redet heute zur Jugend, und es lehrt, ohne
daß der Erzieher es nötig hat, viel Worte zu machen, Achtung vor der
Natur, vor jedem einzelnen Wesen, das ein Glied des Ganzen ist, und
damit auch Achtung vor der Gesamtheit der Schöpfung. Wenn es heute
scheinen will, daß die traurigen, tief beklagenswerten Verirrungen auf
diesem Gebiet, daß die Verrohung weiter Kreise unseres Volks, von der
man mit Recht spricht, damit nicht in Einklang zu bringen sind, so
glaube ich darin einen Trost finden zu dürfen, daß es sich nur um eine
Krankheitserscheinung handelt, die wohl überwunden werden kann. Möge
die Schule unentwegt auf dem eingeschlagenen Wege weiter schreiten! Es
ist der richtige, und er muß zum Ziele führen.

Aber das _Elternhaus_ hat nicht gleichen Schritt gehalten. Wie
gleichgültig stehen doch die meisten Erwachsenen der heimatlichen
Tierwelt gegenüber, wenn es sich nicht gerade um ein Säugetier oder
einen Vogel handelt. Ja, Grauen und Furcht, Ekel und Abscheu flößen sie
ihren Kindern vor Schlangen, vor Kröten und Salamandern, vor Fröschen
und Kaulquappen und vor all dem »giftigen Gewürm« ein. Sie untergraben
damit die natürliche Zuneigung, die jedes unverdorbene Gemüt der
Tierwelt entgegenbringt, statt durch das eigene Beispiel das Interesse
der Kinder an den »Brüdern im stillen Busch, in Luft und Wasser« zu
pflegen und zu fördern. Da heißt es: »Was fällt dir ein, wirst doch den
ekligen Frosch nicht in die Hand nehmen!« oder: »Geh weg, dort sitzt
eine giftige Kröte!« oder: »Pfui, pfui, welch scheußliche Raupe, gleich
mach sie tot!« oder: »Eine Schlange! wie gut, daß ich die heimtückische
Otter mit dem Stock noch getroffen!« Wollte ich in gleichem Tone
fortfahren, so würde ich sagen: »Pfui Spinne, was sind das für
törichte, unwürdige, geschmacklose Redensarten Kindern gegenüber!«

Die Kleinen, die anfangs wahllos jedes Tier in die Hand nehmen,
glauben es schließlich, was die Erwachsenen sagen; sie kreischen beim
Anblick einer Natter auf, sie graulen sich, den feuchtkalten Frosch
zu berühren und steinigen die unschuldige Kröte. »Wie die Alten
sungen, so zwitschern die Jungen.« Die Schule wird erst dann vollen
Erfolg haben, wenn die Eltern die Hand mit ans Werk legen. Häßliche,
ekelhafte Geschöpfe gibt es nicht. »Gott sahe«, sagt die Bibel in ihrer
schlichten Weise, »daß es gut war.« Und noch ein Bibelwort möchte ich
den Eltern zurufen; das lautet: »Werdet wie die Kinder!«, d. h. wie die
natürlichen, von eurer unvernünftigen Erziehung noch nicht verdorbenen
Kinder!

Vor ein paar Jahren setzte ich einen vierzehnjährigen Bengel zur
Rede, der eben eine Ringelnatter in grausamer Weise getötet hatte.
In Glashütte war's, dem erzgebirgischen Städtchen. Der Junge kam
von der Wiese herein nach dem Marktplatz und trug die Schlange, in
eine Astgabel geklemmt, triumphierend vor sich her. Eine gröhlende
Kinderschar umgab ihn, so daß ich an den Anfang der Schillerschen
Ballade vom »Kampf mit dem Drachen« erinnert ward. Der Knabe sagte
natürlich, es sei eine giftige Schlange. Und dann berichtete er mir,
sein Vater habe gesagt, man müsse jede Schlange, der man begegne,
totschlagen, es könnte immer eine Kreuzotter sein. Die verstellten sich
manchmal. Genau dieselbe Ansicht haben mir gegenüber auch Erwachsene
geäußert, die ich wirklich für ein wenig verständiger gehalten hätte.
Man ist eben zu gleichgültig oder zu faul, sich die Merkmale unsrer
drei Schlangenarten einzuprägen, und schlägt nun alles tot, was einer
Kreuzotter ähnlich aussieht, selbst die so harmlose Blindschleiche. Ich
möchte auch wissen, wieviel Haselnattern alljährlich als Kreuzottern
an die Behörden eingeliefert und von diesen prämiiert werden. Erst
lerne man die drei Schlangenarten -- es handelt sich tatsächlich im
wesentlichen nur um drei Arten -- sicher unterscheiden, und dann,
meinetwegen, töte man die Kreuzotter, wenn man eine solche antrifft.

Jene Kinderschar, von der ich erzählte, habe ich natürlich über das
begangene Unrecht belehrt und jedem einzelnen Kind die Merkmale der
unschuldigen Natter genau eingeprägt. Selbst die größeren Jungen
gingen hierauf still und beschämt davon. Einem kleinen blondlockigen
Mädchen aber standen die Tränen im Auge; es weinte über den Tod dieser
Schlange, genau wie es über ein verendetes Vöglein geweint haben würde.

       *       *       *       *       *

Schlangen leben in allen Zonen der Erde; selbst in dem kalten Lappland
kommt die Kreuzotter noch bei 67° n. Br. vor, und überall werden diese
Reptilien vom Menschen gefürchtet, gehaßt und verfolgt; denn wo
immer Schlangen sich finden, da gibt es unter ihnen neben harmlosen
Geschöpfen auch tückische Wegelagerer, die den offenen Kampf scheuen
und ihrem Opfer aus dem Hinterhalt mit vergiftetem Dolch auflauern.
Namentlich in den heißen Ländern ist die Zahl der Giftschlangen sehr
groß; aber selbst in Europa leben 6 oder 7 Arten, von denen für
Mitteleuropa nicht weniger als 4 in Betracht kommen.

Freilich nur die _Kreuzotter_ erfreut sich in unserm Vaterlande
allgemeiner Verbreitung. Ihr ist jede Örtlichkeit recht, wo sie Wärme
und Nahrung findet. Nur dem Innern großer, dunkler Wälder, die kaum
einen Sonnenstrahl durchlassen, bleibt sie fern, auch der sumpfigen
Wiese, die ihr kein trocknes Plätzchen bietet. Die andern drei,
viel selteneren Giftschlangen aber haben ihr Heim weiter südlich
aufgeschlagen, die ursinische Viper in Niederösterreich, die Sand- und
die Aspisviper namentlich in Südtirol.

Aber selbst wenn Europa als einzige Giftschlange lediglich die
Kreuzotter beherbergte, ja wenn diese, wie es für manche deutsche
Landschaft gilt, überall außerordentlich selten wäre, ich glaube
die Schlangenfurcht unter uns Mitteleuropäern würde doch ebenso
allgemein verbreitet sein. Der gute Ruf einer Familie wird eben nur
zu leicht durch ein aus der Art geschlagenes Mitglied untergraben;
die andern müssen darunter mit leiden, in unserm Falle die giftlose
Ringel- und Haselnatter und selbst die ganz harmlose schlangenähnliche
Blindschleiche. Überall bringt man diesen Kriechtieren Mißtrauen
entgegen, und die Furcht vor dem »Otterngezücht« ist ganz allgemein.

Auf Grund eigner Erfahrungen muß ich nun aber der Ansicht, die
_Schlangenfurcht_ sei dem Menschen _angeboren_, ganz entschieden
_widersprechen_. Ich habe darüber schon berichtet, sowohl in den
von der »Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen«
herausgegebenen »Vorträgen und Aufsätzen« wie im »Kosmos«. Führe
ich ein kleines, etwa drei- oder vierjähriges Kind ruhig an eine
Schlange heran, an eine Ringelnatter, die durch's Gras schlüpft, an
eine Haselnatter, die sich am steinigen Hang sonnt, so ist von einer
angeborenen, instinktiven Furcht des Kindes vor dem Reptil nicht das
geringste zu spüren. Im Gegenteil, das kleine Menschenkind betrachtet
das ihm bisher unbekannte Geschöpf mit dem größten Interesse. Ja, fasse
ich die Natter und bringe sie dem kindlichen Beschauer ganz nahe, so
bedarf es kaum noch des Zuredens, das Kinderhändchen greift nach ihr
und betastet das glatte Schuppenkleid; selbst vor der beweglichen Zunge
der Schlange weicht es nach einem Weilchen nicht mehr zurück. Dabei
muß ich selbstverständlich voraussetzen, daß das Kind seine natürliche
Unbefangenheit noch bewahrt hat, daß es nicht bereits Zeuge ward von
dem törichten Aufkreischen erwachsener Personen, mit dem gewöhnlich
eine Schlange, die sich 'mal zeigt, eine Blindschleiche oder Eidechse
begrüßt wird. Ich habe mehrfach derartige Versuche angestellt. Kam es
einmal zum Schreien, so trug entweder meine eigne Ungeschicklichkeit
die Schuld, oder besonders heftige Bewegungen der Natter, ein weites
Aufreißen ihres Mundes, ein unheimliches Zischen schüchterten den
kleinen Naturforscher ein. Einer jungen Katze oder einem Kaninchen
gegenüber verhält sich das Kind nicht anders.

Wenn man mir aber entgegnet, mein eigenes ruhiges Verhalten, ja
meine bloße Gegenwart habe die Kleinen ermutigt, ihre angeborene
Schlangenfurcht zu überwinden, so antworte ich, daß es mit einem
sogenannten ursprünglichen Instinkte nicht weit her sein kann, wenn
er durch solch einfache Mittel zu überwinden, ja in sein Gegenteil
umzuwandeln ist. Auch kann ich noch folgendes Erlebnis berichten.
An einem sonnigen Maimorgen beobachtete ich ein mir bekanntes, etwa
vierjähriges Mädchen, an einem Abhang kauernd, wo es um diese Zeit
von Eidechsen geradezu wimmelte. Das Kind bemerkte mich nicht.
Seine ungeteilte Aufmerksamkeit war auf die grünschillernden Echsen
gerichtet, die aus ihren Löchern hervorkamen, um im Sonnenschein zu
spielen. Die Kleine griff nach den flinken Tierchen, sie zu fangen, was
ihr freilich niemals gelang, und laut jauchzte sie auf in heller Freude
an dem neckischen Spiel. Kein Zweifel, mit Kreuzottern oder Skorpionen
hätte sich das Kind ebenso lustig unterhalten.

Aber auch an meine eigne Jugend darf ich erinnern, bin ich doch
gewissermaßen unter Schlangen aufgewachsen. Ringelnattern waren im
Frühjahr und Sommer meine täglichen Spielgenossen; sie bewohnten in
großer Anzahl die Uferränder des Bächleins, das durch unsern Garten
floß. An warmen Sommertagen sah man mich selten ohne solches Reptil,
oft in jeder Faust eine Schlange, wie Herkules, zum Entsetzen meiner
lieben Mutter. Aber erwürgt hab ich sie nicht -- die Schlangen nämlich.
Daß ich selbst Erwachsenen mit meinen Freunden Furcht einjagen konnte,
machte mir Spaß, um so mehr als ich solch törichte Angst nicht begriff.
Mein Vater hatte durch die ruhig verständige Art, wie er mit dem Kinde
alles, was kriecht und fliegt, voll Teilnahme betrachtete und besprach,
mich vor jeder Ansteckungsgefahr durch abergläubische Personen zu
hüten gewußt, und bald war ich einsichtsvoll genug, daß mir die
Schlangenfurcht anderer nichts anhaben konnte. _Anerzogen_ ist diese
Furcht, _nicht angeboren_, das behaupte ich aus vollster Überzeugung.

Man redet von dem Paradies der Kindheit. Ins Paradies aber gehören
Tiere, und mit allen ist das Kind gut Freund. Indessen, die Erwachsenen
sind es, die solch paradiesisches Verhältnis unsrer Kinder zur Tierwelt
oft in unverantwortlicher Weise stören, die natürliche Teilnahme der
Kleinen zu allem, was kriecht und fliegt, untergraben, vielleicht ohne
daß sie es wollen und wissen. Wenn etwas dem Menschen angeboren ist, so
ist's nicht die Furcht vor gewissen Tieren, sondern im Gegenteil die
_Zuneigung zu allen Geschöpfen_, eine Tatsache, die in wirklich rührend
naiver Weise in der Schöpfungsgeschichte der Bibel zum Ausdruck kommt,
wo erzählt wird, daß Gott alle Tiere auf dem Felde und alle Vögel unter
dem Himmel zum ersten Menschen brachte. Freilich gleich hinter dieser
lieblichen Erzählung steht das böse, an die Schlange gerichtete Wort
des Schöpfers: »Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe,
zwischen deinem Samen und ihrem Samen.« Kein Zweifel, dieses Wort
des zürnenden Gottes trägt ein gut Teil Schuld an der übertriebenen
Schlangenfurcht, die selbst in unsern Tagen noch so viele Gemüter
beherrscht.

Die _Kreuzotter_ -- es kann nicht oft genug wiederholt werden -- ist
die einzige Giftschlange in unsrer Heimat. Sie kann auch dem Menschen
gefährlich werden; doch gehören Unglücksfälle zu den seltenen
Ausnahmen, und gestorben ist infolge eines Kreuzotterbisses, so viel
ich weiß, in dem letzten halben Jahrhundert in Sachsen überhaupt
niemand. Eine gewisse Vorsicht, besonders an Waldrändern, sonnigen
Hügeln ist anzuraten, wenn man sich auf den Boden niederläßt; auch
vor dem Barfußgehen an solchen Stellen ist zu warnen. Aber man soll
auch nicht übertrieben ängstlich sein und durch solche Angst sich den
Genuß an der Natur beeinträchtigen lassen. Am wenigsten aber soll
man vor jeder Schlange Reißaus nehmen. Die Kreuzotter flieht, sobald
sie den Menschen bemerkt; nur wenn sie überrascht wird und keinen
andern Ausweg weiß, sucht sie sich zu verteidigen. Man präge sich doch
die Artmerkmale der Kreuzotter ein. Ihre Länge beträgt etwa 50 bis
60 ~cm~; jedenfalls ist eine Schlange, die gegen 1 ~m~ mißt, nie eine
Kreuzotter. Die Färbung kann recht verschieden sein; grau, braun oder
olivenfarben ist der Grundton. Die eigentümliche dunkle Zackenlinie,
die längs des ganzen Rückens hinläuft, hebt sich mehr oder minder gut
ab; sie besteht aus aneinanderstoßenden Rhomben. Die Unterseite ist
niemals hell oder auffallend gezeichnet. Der eigentliche Schwanz,
der sich ziemlich deutlich vom Körper absetzt, ist sehr kurz, nur
etwa 1/8 oder 1/10 der Gesamtlänge. Die Bewegungen der Otter sind
langsam, lassen auch die geschmeidigen Wendungen vermissen, die wir
an den Nattern bewundern. Jede einzelne Schuppe trägt längs der Mitte
eine kielartige Erhöhung im Gegensatz zu den ganz glatten Schuppen
der Haselnatter. Mit der bedeutend größeren _Ringelnatter_ kann man
die Kreuzotter nicht verwechseln. Deren Oberseite ist blaugrün oder
grünlichgrau gefärbt, die fast schwarzen Schilder der Bauchseite sind
weiß eingefaßt. Das untrüglichste Merkmal dieser Natter bilden aber die
beiden gelben oder weißlichgelben Halbmondflecken hinter dem Kopfe.

Wenn behauptet wird, auch die _Kröten_ seien giftig und sie
schleuderten ihrem Feinde, dem wirklichen oder dem vermeintlichen, aus
ihren Hautdrüsen einen giftigen Saft entgegen, so ist dies eine falsche
Vorstellung. In der Angst spritzt die Kröte Urin aus, der übel riecht,
im übrigen aber ganz wirkungslos bleibt. Man muß den Lurch schon
kräftig anfassen, ehe er aus seinen Drüsen die so gefürchtete ätzende
Flüssigkeit fahren läßt. Aber auch diese ist dem Menschen gegenüber
ganz harmlos, höchstens daß sie an zarten Stellen die Haut etwas
rötet, und nur derjenige, der sich sehr viel mit Kröten beschäftigt,
wird über unangenehme Wirkungen dieses Saftes, aus dem der Chemiker
allerdings stark wirkende Giftstoffe herstellen kann, zu klagen haben.
Ähnlich verhält es sich mit dem _Feuersalamander_, der ja auch als
giftig beim Volke verschrien ist. Überhaupt glaubt der gemeine Mann,
je bunter und auffallender die Farben solch eines Kaltblüters leuchten
und glänzen, um so giftiger sei das Tier, und er hält deshalb z. B. das
grünschillernde Männchen der Zauneidechse für viel gefährlicher als das
einfacher gefärbte Weibchen. Daß solch Merkmal bei der Kreuzotter gar
nicht stimmt, macht keinem das Herz schwer. »Die Kreuzotter ist eine
Schlange, und die Schlangen sind ohne Ausnahme giftiges Otterngezücht!«
so heißt es ganz allgemein.

Wollen wir unsre kaltblütigen Wirbeltiere der Heimat erhalten,
so kommt es an erster Stelle darauf an, solchen und ähnlichen
Aberglauben, der sich aus dem dunkelsten Mittelalter bis in unsre Tage
herübergerettet hat, endlich einmal auszurotten. Hierbei sollte uns
neben der Schule auch das Haus unterstützen. Außerdem aber erwachsen
den _Aquarien-_ und _Terrarienvereinen_ manche dankbaren Aufgaben. Wie
man Vogelschutzgebiete eingerichtet hat, so lassen sich auch Maßnahmen
treffen, die den Schutz der Kriechtiere und Lurche an bestimmten,
vielleicht nur eng begrenzten Örtlichkeiten bezwecken. Selbst ein
kleiner Verein, dem bloß geringe Mittel zur Verfügung stehen, könnte
einen steinigen, unfruchtbaren Berghang oder auch nur eine Schutthalde
erwerben, wo Eidechsen und Schlangen ihre Wohnung aufgeschlagen haben,
ebenso einen Tümpel, einen Wassergraben, einen kleinen Teich, der von
Unken und Fröschen, von Tritonen und Molchen belebt wird. Hier könnten
die Mitglieder des Vereins ihre schützende Hand über diese Tiere
halten. In vielen Fällen würde es auch genügen, einen Pachtvertrag
auf längere Zeit abzuschließen oder den Besitzer gegen eine geringe
Abfindungssumme zu verpflichten, alle Veränderungen innerhalb des
Schutzgebiets zu unterlassen, welche die Daseinsbedingungen der
schutzbedürftigen Kleintierwelt schmälern könnten.

Namentlich wenn es sich um besondere _Seltenheiten_ handelt, sollte
man sich der bedrohten Tiere annehmen. Zu solchen Seltenheiten, ja
schon zu den eigentlichen Naturdenkmälern gehören die Sumpfschildkröte,
die Würfel- und Äskulapnatter, die Smaragd- und die Mauereidechse,
die Bergunke, die Geburtshelferkröte u. a. Sind es doch nur ganz
wenig Örtlichkeiten in Deutschland, die als Fundstätten des einen
oder des andern der genannten Kaltblüter in Betracht kommen. So
ist die Sumpfschildkröte außer in Westpreußen und den benachbarten
Gebieten nur noch im Regierungsbezirk Lüneburg, an der Unterweser,
in Schleswig-Holstein, in der Altmark, im Braunschweigischen und
in Schlesien an ganz wenig Orten bekannt. Die Äskulapnatter kommt
vereinzelt im Taunus und bei Passau vor, die Würfelnatter hat man
in der Meißner Gegend und an der Nahe angetroffen, die herrliche
Smaragdeidechse am Oberrhein und bei Passau, während es sich bei
verschiedenen preußischen Fundstellen wahrscheinlich nicht um ein
ursprüngliches Vorkommen handelt. Und so lassen sich bei einer
ganzen Reihe von Kriechtieren und Lurchen die wenigen Angaben über
ihre Wohnstätten in Deutschland an den Fingern einer Hand aufzählen.
Mag es auch wahrscheinlich, ja sogar sicher sein, daß diese Angaben
Lücken aufweisen, so viel steht jedenfalls fest, daß die genannten
Tiere über kurz oder lang ganz aus unsrer Heimat verschwinden werden,
wenn sich nicht Naturschutz-, Aquarien- und Terrarienvereine, sowie
Einzelliebhaber der hart Bedrängten tatkräftig annehmen. Auch durch
behördliche Verordnungen läßt sich wohl manches erreichen.

_Die Erhaltung der heimatlichen Tierwelt_ muß das gemeinsame Ziel aller
Naturfreunde sein. Die verschiedensten Wege führen dahin. Möge selbst
den gefürchteten Schlangen und den verachteten Kröten gegenüber solche
Aufforderung eine freundliche Aufnahme finden! Es handelt sich um eine
ideale Aufgabe, um

        _Schutz den Schutzlosen_!



Sechsbeinig, achtbeinig und ohne Beine


Auch unter der niederen Tierwelt haben wir gute Bekannte und liebe
Freunde. Freilich weniger die Erwachsenen, als die Kinder. Jene
wenden sich meist mit Abscheu oder lächerlichem Widerwillen von dem
»Insektengesindel, dem Spinnengezücht und all dem Gewürm« ab --
unnützes Ungeziefer, zu nichts anderem auf der Welt, als die Menschen
zu ängstigen und zu quälen, vom bösen Feind erschaffen, der ja auch das
Unkraut zwischen die Fruchthalme der Felder gesät hat -- während die
Kinder diesen Geschöpfen viel näher stehen. Ihr Verhältnis zu ihnen ist
weit inniger, ursprünglicher, noch ungetrübt durch den Verstand, der
immer nur Nutzen und Schaden berechnet, einzig in einem tiefen, wahren,
natürlichen Gefühl wurzelnd. Solange das Kind von dem albernen Gerede
der Erwachsenen noch verschont geblieben ist, sieht es in jedem Tier,
auch dem geringsten, ein ihm bis zu gewissem Grade verwandtes Wesen,
etwas Beseeltes, das gleich ihm empfindet. In Einfalt ahnt es den Sinn
der Dichterworte:

      »Aber du Frühlingswürmchen,
    Das grünlichgolden neben mir spielt,
    Du lebst und bist vielleicht
    Ach, nicht unsterblich?«

eine Frage, die der Erwachsene nur mitleidig belächelt. Ohne Scheu
nimmt das Kind den Käfer, die Raupe, die Spinne, die Schnecke,
den Regenwurm in die Hand, freut sich an ihren Bewegungen, stellt
allerlei Fragen an sie und läßt sich von seinen Freunden erzählen.
Die geschmacklosen Redensarten, wie: »eklige Raupe« oder »pfui,
die häßliche Spinne!« verdanken gewiß nicht einem Kindermund ihre
Entstehung.

Unter den Käfern spielt natürlich der »_Sohn des Mai's_« bei unsrer
Jugend eine hervorragende Rolle. Sobald die Birken ihre schwanken
Hängeruten mit zartem Grün übersponnen haben, ziehen die Buben mit
durchlöcherten Pappkästen oder Zigarrenkisten in den Wald, um die
braunen Gesellen von den Bäumen zu schütteln und nach Hause zu bringen.
Habe es auch nicht anders getrieben -- selige Kinderzeit, wo man sich
reich fühlte, wenn man ein paar Dutzend Maikäfer sein eigen nannte!

Wir spielten mit ihnen nach Herzenslust. Sie mußten seiltänzern, einen
kleinen Wagen oder Schlitten ziehen; auch als Handelsartikel waren sie
hochgeschätzt, besonders die mit rotem Brustschild, die »Franzosen«.
Später freilich, wenn die Käfer matt und langweilig wurden, war es aus
mit der Freundschaft, und wir warfen sie den Hühnern vor.

In manchen Jahren traten die Maikäfer so massig auf, daß sie auch
uns Kindern zuwider wurden, und wenn wir die Verheerungen sahen, die
sie anrichteten, wie sie die jungbelaubten Eichen ganz kahl fraßen
und unsre Stare mit den Übeltätern nicht mehr fertig werden konnten,
zogen auch wir gegen sie zu Felde, genau so wie im Sommer 1922 die
Schuljugend den Kampf gegen die Nonne geführt hat.

Andre Käfer erfreuten sich unsrer dauernden Liebe und Teilnahme. Der
goldig-grün glänzende _Rosenkäfer_, wie er mitten in der duftenden
Zentifolie sitzt, von deren zarten Blättchen er speist, war unser
Entzücken; wir hätten ihm ebensowenig ein Leid zufügen können wie
den verschiedenen _Marienkäferchen_ oder Sonnenkälbchen, die uns für
heilige Tiere galten.

Auch der seltene _Puppenräuber_ war unser Stolz, nicht weniger so
mancher _Bockkäfer_ -- der kraftvolle Weberbock mit den lederartigen
Flügeldecken, der große Eichenbock, der zierliche Zimmerbock mit seinen
riesigen Fühlern -- alle Kameraden beneideten uns um unsern Besitz,
an dem wir uns doch nur ein paar Tage erfreuten. Ich schenkte den
Gefangenen, wenigstens damals, als ich noch keine Käfersammlung besaß,
die Freiheit bald wieder. Die Schädlinge zu töten, das kam mir nicht in
den Sinn.

Längere Zeit, ja wochenlang hielten wir die Riesen der deutschen
Käferwelt, die _Hirschschröter_, in Gefangenschaft; mit Zuckersaft, den
sie sehr gern lecken, fristeten wir ihr Leben. In das Aquarium, das
mit Teichmolchen besetzt war, brachten wir allerlei _Schwimmkäfer_,
den Gelbrand, den pechschwarzen Wasserkäfer, den kleinen Taumelkäfer.
Wir freuten uns an ihrem lebhaften Treiben, bis wir die raubgierige
Gesellschaft, die uns die Molche und die kleinen Fischchen anfraß,
verbannen mußten. Auch die Wasserläufer, die wie auf Schlittschuhen
über das Gewässer hingleiten, erregten unsre besondere Aufmerksamkeit.

Das höchste Entzücken haben mir aber die _Leuchtkäfer_ bereitet, die
»Johanniswürmchen«, wie wir sie nannten. Ich war schon mindestens zehn
Jahre alt, als ich das Wunder der fliegenden Funken in einer warmen,
gewitterschwülen Sommernacht zum erstenmal anstaunen durfte. Es steht
mir der Augenblick unvergeßlich im Gedächtnis, wo solch geheimnisvolle,
dem Kinde bisher völlig fremde Wunderwelt mich umgab: leuchtende
Funken, die man in die Hand nehmen konnte, ohne sich zu verbrennen,
ein »Feuerzauber«, der mich völlig in seinen Bann zog. Noch heute sind
mir die Leuchtkäfer, die so still durch das nächtlich-dunkle Gesträuch
ziehen oder wie leuchtende Lämpchen am Boden ruhen, ein geheimnisvolles
Wunder, das mich immer wieder beglückt.

Mit den Jahren erwachte natürlich der _Sammeltrieb_ in mir; wir Jungen
spornten uns gegenseitig an und wetteiferten miteinander. Die in der
Äthernarkose getöteten und dann sauber aufgespießten und in dem Kasten
systematisch angeordneten Käfer haben mir große Freude bereitet. Ich
darf wohl sagen, vieles habe ich dabei gelernt, in der Hauptsache aber
doch nur dadurch, daß ich mir selber die Sammlung anlegte. Einige
seltenere Prachtstücke, die ich später erwarb oder die mir geschenkt
wurden, sagten mir wenig, wie mir denn allezeit die _lebenden_ Insekten
beredtere Lehrmeister gewesen sind, als ihre toten, in Reih und Glied
aufgestellten Leiber. Und so bin ich denn heute von Käfersammlungen
in der Hand von Kindern kein besonderer Freund; in den meisten Fällen
kommt nicht viel dabei heraus. Der Feuereifer, mit dem die Sache
begonnen wird, flaut oft schon im ersten Jahre ab, und bald steht die
kleine Sammlung unbeachtet in einem Winkel.

Wo man aber doch einem Jungen, der sich für die Kleintierwelt unsrer
Heimat besonders interessiert, gestattet, sich eine derartige Sammlung
anzulegen, da sollte das Eltern- und Erzieherauge darüber wachen.
Sonst geht es ohne Tierquälerei und Versündigung an der Natur nicht
ab; denn es liegt auf der Hand, daß es auch der jugendliche Sammler
sehr bald hauptsächlich auf Seltenheiten abgesehen hat, die ihm, wenn
er seine eignen Bedürfnisse befriedigt hat, als Austauschobjekte gegen
andre Seltenheiten wertvoll sind. Keinesfalls darf das Sammeln zum
Selbstzweck werden; die _Beobachtung des lebenden Insekts in freier
Natur_ muß immer die Hauptsache bleiben.

Ein Junge, der sich auf den Totengräber, den Ameisenlöwen, den
Goldschmied stürzt und nur daran denkt, die Tiere in die Ätherflasche
zu stecken, um sie daheim der Sammlung einzuverleiben, der bringt
sich um das beste Teil. Beobachte die Totengräber in ihrer bunten
Livree, die Aaskäfer im dunkeln Trauergewand bei ihrer Arbeit, wie
sie herbeirennen oder herbeifliegen, wenn sie den Leichnam eines
Vogels oder eines kleinen Säugetiers aus der Ferne gewittert haben,
wie sie die Erde unter dem toten Körper wegscharren und ihn gleichsam
begraben, damit die Larven, die später den Eiern der geschäftigen Käfer
entschlüpfen, sogleich Nahrung finden. Beobachte die Laufkäfer, wie sie
einen Wurm, eine Kerbtierlarve überfallen, den Ameisenlöwen, wie er
mit gehobenem Kopf und geöffneter Kieferzange in seinem Sandtrichter
sitzt und auf einen Fang lauert, die Schnell- oder Springkäfer --
»Schmiede« sagten wir Kinder -- wie sie, lebendige Stehaufchen, so
lustig emporschnellen, um aus der Rückenlage wieder auf alle Sechse
zu kommen, die grünen Sandkäfer, wie sie auf dem öden Ufergelände
stoßweise vor dir auffliegen, oder die scharlachroten Lilienhähnchen,
die durch Aneinanderreiben der Hinterleibsringe gegen die Flügeldecken
eine so seltsam piepende Musik erzeugen, -- und du hast mehr erlebt,
als dir die Sammlung zu geben vermag.

Die Kinder, die so glücklich sind, sich viel in freier Natur tummeln
zu dürfen, werden mit den Eigentümlichkeiten der genannten und noch
vieler anderer Kerbtiere sehr bald bekannt sein. Der seltsame Ölkäfer,
»Maiwurm« hieß er bei uns, aus dessen Beingelenken ein gelber, öliger
Saft tritt, die »spanische Fliege«, die sich zu Zeiten massenhaft
auf Eschen und andern Bäumen einfindet, die Rüsselkäfer mit ihrem
igelähnlichen Gesicht und dem stahlharten Chitinpanzer, die metallisch
glänzenden Erdflöhe u. v. a.: sie alle sind selbst dem kleinen Kind
gute Freunde. Aber doppelt glücklich die Kleinen, wenn sie sehen,
daß auch die Erwachsenen ihren Lieblingen Teilnahme entgegenbringen!
Wie leicht ist es doch, die jugendlichen Beobachter auf diese oder
jene Eigentümlichkeit ihrer sechsbeinigen Spielkameraden hinzuweisen,
ihnen allerlei Geschichten aus deren Leben zu erzählen und ihnen so
immer mehr Liebe zur Natur und zugleich Achtung vor allen Werken der
Schöpfung einzuflößen. Gerade an dieser Achtung und Ehrfurcht fehlt
es nicht selten! Vielleicht auch ist es mehr Neugier und Spieltrieb,
als Mutwille und Zerstörungssucht, wenn Kinder sich der wehrlosen
Insektenwelt gegenüber allerlei Grausamkeiten zu schulden kommen
lassen; durch ein gutes Wort, einen Hinweis auf das Wunderwerk der
Natur, das sich auch im unscheinbarsten Lebewesen offenbart, kann viel
Unheil verhütet werden, Unheil, das weniger die Schöpfung bedroht, als
-- die Kindesseele.

Auch _Schmetterlinge_ habe ich in großer Anzahl gesammelt, nachdem ich
die Kunst erlernt hatte, sie auf dem Spannbrett zu präparieren, daß sie
dann im Sammelkasten mit ausgebreiteten Flügeln ihre ganze Farbenpracht
zeigten. Damals als Kind sah ich mich auf dem Lande von einem Reichtum,
einer Mannigfaltigkeit an Groß- und Kleinschmetterlingen umgeben, daß
mir die Artenzahl unerschöpflich schien. Heute ist das anders geworden,
namentlich in der Nähe der Großstädte. Eine Verarmung an Faltern ist
eingetreten, die ich tief beklage; denn gerade die leichtbeschwingten,
bunten »Sommervöglein« sind es, die eine Landschaft aufs reizvollste
beleben, wenn sie in großen Scharen über der Wiese ihr anmutiges Spiel
treiben, von einer Blume zur andern gaukeln, sich haschen, ausgelassen
herumwirbeln, hoch in die Lüfte steigen und dann schnell wieder
herabflattern, um sich auf dem Blütenstern niederzulassen, der ihnen
Nahrung verspricht. Farbe, Bewegung, Leben -- ewig schade, daß wir
heute so selten Gelegenheit haben, uns solcher Anmut zu erfreuen!

Gewiß, auch vor einem halben Jahrhundert waren manche
Großschmetterlinge in meiner Heimat ziemlich selten, und nicht jeden
Tag flog mir ein Segelfalter ins Netz oder ein Schwalbenschwanz, und
wenn es uns gelang, manche größere Schwärmer oder Eulen, Liguster-
oder Wolfsmilchschwärmer oder gar ein rotes Ordensband mit Hilfe
von Apfelschnitten, auf die viele Nachtfalter sehr lüstern sind, zu
erbeuten, so waren wir glücklich.

Aber heute fehlen vielerorts auch solche Falter, die früher zu den
gewöhnlichsten Erscheinungen gehörten. Den Schmetterlingsraupen
mangelt es hier an den zur Entwicklung nötigen Nahrungspflanzen.
Wir sagten es schon: man nützt jedes Winkelchen aus und duldet kein
Unkraut; das Saatgetreide ist viel reiner geworden, und gewiß ist auch
die künstliche Düngung dem Entwicklungsgang mancher Falter höchst
nachteilig.

Mich verdrießt es, wenn ich Jungen mit Schmetterlingsnetzen durch
die Wiesen rennen sehe: Raubzüge gegen die Natur, aus denen nichts
Ersprießliches entspringt -- in den meisten Fällen wenigstens. Nicht
übertriebene Empfindsamkeit ist es, die mich dies absprechende Urteil
fällen läßt; die Natur ist auch grausam, und dem Schmetterling wird's
gleich sein, ob er im Rachen einer Eidechse endigt, im Schnabel einer
nächtlichen Eule oder in der Äthernarkose des Sammlers. Es sind auch
kaum pädagogische Gründe -- wie verhärtet müßte mein Herz Pflanzen und
Tieren gegenüber geworden sein, wenn Schmetterlings- und Käfersammeln,
wenn Pflanzenpressen das Gemüt verrohen müßten -- nein, Schutz der
Natur ist es, wozu ich nicht eindringlich genug mahnen kann.

Die Zeiten haben sich eben geändert, wollte auch nur ein kleiner
Bruchteil unsrer Schuljungen sich eine Schmetterlingssammlung anlegen,
so wäre es bald vorbei mit den bunten Faltern, und nur noch Weißlinge
würden in unsern Gärten flattern. Auch die Schulen sollten Maß halten
im Sammeln von Seltenheiten; einige häufiger vorkommende Vertreter der
einzelnen Gattungen und Familien genügen vollkommen. Eine Schulsammlung
soll kein Museum sein.

Die Falter im Sammelkasten zeigen wohl ihr buntes Farbenkleid, aber
ihr Leben und Treiben kannst du doch erst in freier Natur kennen
lernen, ja selbst die Bedeutung der Farben und ihre verschiedene
Verteilung auf Vorder- und Hinterflügel bei Tag- und Nachtfaltern wirst
du erst begreifen, wenn du die leichtbeschwingten Geschöpfe in ihrer
natürlichen Umgebung beobachtest, wie sie ihre bunte Herrlichkeit
uns zeigen und dann plötzlich dank ihrer Schutzfärbung unserm Auge
entschwinden.

Viel wertvoller als Schmetterlinge zu sammeln erscheint es mir, wenn
unsre Jugend sich mit der Aufzucht von Raupen beschäftigt und dann die
Falter, die den Puppen entschlüpfen, freiläßt. Die Knaben und Mädchen
lernen dabei gar manches und haben dann draußen im Freien, wenn sie
einen Schmetterling sehen, noch die besondere Freude, möglicherweise
einem guten Bekannten, der ihrer Zucht entstammt, begegnet zu sein.

Viele Feinde unter den Menschen haben die _Spinnen_; selbst der
weitverbreitete Glaube, daß Spinnen Glück bringen, hilft ihnen nur
wenig. Auch diese interessanten Tiere zu beobachten, findet sich oft
für Kinder Gelegenheit, die auch von dem Erzieher wahrgenommen werden
sollte: die Kreuzspinne, wie sie ihr kunstvolles Netz baut, an dessen
Fäden sie eiligst dahinrennt, ohne sich zu verstricken, wie sie aus
ihrem Versteck hervorschießt, die Fliege packt, die ins Netz geraten
ist, und sie umspinnt, oder der seltsame Weberknecht, der »Kanker«,
wie er tagsüber in einem staubigen Winkel sitzt und gegen Abend seine
acht lächerlich langen Beine in Bewegung setzt, um auf die Jagd nach
winzigen Insekten und Spinnen zu gehen, oder die Wasserspinne, die
sich gut im Aquarium beobachten läßt; an den Wasserpflanzen spinnt
sie sich einen Wohnraum, einer Taucherglocke vergleichbar, von wo sie
hervorschießt, sobald ein kleines Wasserinsekt in die Nähe kommt.
Überhaupt das Aquarium -- in Schule und Haus gibt's kaum ein besseres
Anschauungs- und Erziehungsmittel! Tag für Tag ein unversiegbarer Born
der Belehrung.

Daneben natürlich die Beobachtung in freier Natur, die niemals fehlen
darf. Durch den Garten, der zu meinem Elternhaus gehörte, floß ein
klares Bächlein. Nur wer selbst an solch einem Gewässer aufgewachsen
ist, vermag zu beurteilen, was das für ein empfängliches Kinderherz
bedeutet. Die hübsch gepunkteten Forellen wurden belauscht, wie sie
unbeweglich im Wasser »stehen« und dann blitzschnell davonschießen;
den Krebsen stellten wir nach, die in den Uferlöchern ihre Wohnung
hatten, gleich neben der Wasserratte; die seltsamen »Hülsenwürmer«,
die ihren weichen Hinterleib in einem Köcher bergen, den sie
aus Pflanzenstengeln, Schneckenhäuschen, Steinchen gar zierlich
zusammenfügen, erregten unser Interesse, wie die »Rattenschwanzlarven«
der Schlammfliegen und die Larven und Puppen der Stechmücken, die zu
Tausenden in einer Pfütze neben dem Bach ihrer weiteren Entwicklung
entgegensahen. Rückenschwimmer und Wasserläufer, Larven der blauen
Libellen und Eintagsfliegen, Schlammschnecken mit ihrem spindelförmigen
Haus und Tellerschnecken -- »Posthörnchen« nannten wir sie -- es ist
nicht möglich, all meine Jugendfreunde hier aufzuzählen.

Viel Freude hatte ich als Kind an _Schneckenhäusern_. Eine kleine,
nette Sammlung, die ich mir damals anlegte. Die niedlichen Gebilde sind
oftmals so hübsch gezeichnet, und so mannigfaltig ist die Färbung auch
bei derselben Art, daß man immer wieder Neues entdeckt. Ich möchte die
Schneckenhäuser der sammellustigen Jugend aufs wärmste empfehlen; denn
ohne Sammeln, das weiß ich, geht's nun 'mal nicht ab. Beschränkt man
sich auf leere Schneckenhäuser, so tut solch Sammeln niemand weh.

Auch Muscheln bereicherten meinen Besitz, besonders als mir eine
befreundete Familie hunderte solch zierlicher Gebilde, wie sie am
Strande herumliegen, von ihrem Seeaufenthalt mitgebracht hatte. Zu
meiner besonderen Freude fehlten auch prachtvolle tropische Formen
nicht; denn überall in den deutschen Seebädern werden auch solche
verkauft. Mein Jungenherz schwelgte in dem ungeahnten Reichtum an
Formen und Farben.

Nur ein klein wenig Verständnis, ein klein wenig Teilnahme seitens der
Eltern solchen und ähnlichen Liebhabereien und Neigungen der Kinder
gegenüber! Der Sinn für die Natur empfängt gerade durch den schon in
jungen Jahren gepflegten Verkehr mit unsrer heimatlichen Kleintierwelt
die stärkste Anregung und damit unsre Naturschutzbewegung -- es ist
dies meine vollste Überzeugung -- die wirksamste Förderung.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 55: Dippoldiswaldaer → Dippoldiswalder
      Wolfssäule in der {Dippoldiswalder} Heide





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