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Title: Kampf und Tod Karls des Zwölften - Historische Erzählungen
Author: Heidenstam, Verner von
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kampf und Tod Karls des Zwölften - Historische Erzählungen" ***

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ZWÖLFTEN ***



    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
    ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text
    ist ~so markiert~.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



[Illustration: Cover]



Langens Mark-Bücher

Band 21



    Langens Mark-Bücher

    Eine Sammlung moderner
    Literatur

    Einundzwanzigster Band

    Verner von Heidenstam

    Kampf und Tod
    Karls des Zwölften

    [Illustration: Signet]

    Albert Langen, München



    Verner von Heidenstam

    Kampf und Tod
    Karls des Zwölften

    Historische Erzählungen

    [Illustration: Signet]

    Albert Langen, München



Die in diesem Bändchen veröffentlichten drei Erzählungen stellen Proben
dar aus dem großen Werke:

Verner von Heidenstam

Karl XII. und seine Krieger

Historische Erzählungen

Deutsch von Gustaf Bergman

Zwei einzeln käufliche Bände

Umschlag- und Titelzeichnungen von W. Schulz

Einbandzeichnung von Felger

    Preis jedes Bandes geheftet 4 Mark,
    gebunden 6 Mark, in Leder 15 Mark

Verlag von Albert Langen in München


~Copyright 1917 by Albert Langen, Munich~

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten

    Albert Langen      Verner von Heidenstam



Inhalt


                         Seite

    Das befestigte Haus      7

    Der Königsritt          32

    Fredrikshall            75



Das befestigte Haus


Von der Winterkälte überrumpelt, hatten die Schweden in Gedränge und
Wirrwarr hinter den Mauern von Hadjatsch Quartier genommen. Da fand
sich bald kein Haus mehr, das nicht von Frostkranken und Sterbenden
gefüllt war. Das Jammergeschrei hörte man auf der Straße, und hie
und da lagen daneben auf den Treppenstufen abgeschnittene Finger,
Füße und Beine. Die Fuhrwerke waren ineinander festgefahren und
standen vom Stadttor bis zum Markt so dicht aufeinander gepackt, daß
die bleichgefrorenen Soldaten, die von allen Seiten herbeiströmten,
zwischen den Rädern und Kufen durchkriechen mußten. In ihr Sattelzeug
verstrickt, vom Winde abgewandt und mit weißgefrorenen Lenden, standen
die Pferde seit mehreren Tagen ohne Futter. Niemand kümmerte sich um
sie, und einige von den Troßkutschern saßen totgefroren, die Hände in
die Ärmel gesteckt. Einige Wagen glichen langen Kasten oder Särgen,
und aus der Luke des flachen Deckels stierten düstere Gesichter
hervor, die im Gebetbuch lasen oder fieberkrank und sehnsuchtsvoll
nach den schützenden Häusern schauten. Tausend Unglückliche riefen
halblaut oder im Stillen Gott um Barmherzigkeit an. An der Innenseite
längs der Stadtmauer standen die Soldaten reihenweise tot, viele mit
roten Kosakenröcken über den zerrissenen, schwedischen Uniformen und
mit Schaffellen um die nackten Füße. Waldtauben und Spatzen, die so
steifgefroren waren, daß man sie mit den Händen fangen konnte, hatten
sich auf die Hüte und Schultern der aufrechtstehenden Leichen gesetzt
und schlugen mit den Flügeln, wenn die Feldprediger vorbeigingen, um
einem Sterbenden das Abendmahl in Branntwein zu geben. Oben am Markt
lag zwischen abgebrannten Grundstücken ein größeres Haus, aus dem man
laute Stimmen hörte. Ein Soldat gab einem Fähnrich ein Reisigbündel,
das in der Tür stand und als der Soldat die Straße hinunter zurückging,
zuckte er mit den Achseln und sagte dem, der ihn hören wollte:

»Es sind nur die Herren von der Kanzlei, die sich zanken!«

Der Fähnrich an der Tür war soeben mit den Truppen Lewenhaupts
angekommen. Er trug das Reisigbündel ins Zimmer hinein und warf es
auf den Herd. Die Stimmen drinnen verstummten sogleich, aber sobald
er die Tür hinter sich zugemacht hatte, begannen sie mit erneutem
Eifer. Es war Exzellenz Piper selbst, die mitten im Zimmer stand, mit
runzeligem und gefurchtem Gesicht, mit erhitzten Wangen und zitternden
Nasenflügeln.

»Ich sage, daß das Ganze Wahnsinn ist,« brach er los, »Wahnsinn,
Wahnsinn!«

Hermelin mit seiner spitzigen Nase bewegte beständig die Augen und
Hände und lief im Zimmer hin und her, wie eine kleine zahme Ratte, aber
der Feldmarschall Rhensköld, der schön und stattlich am Herd stand,
pfiff und summte vor sich hin. Wenn er nicht gepfiffen und gesummt
hätte, würde das Zanken jetzt zu Ende gewesen sein, denn alle waren sie
für diesmal vollständig einig, aber dieses, daß er pfiff und summte,
statt zu schweigen oder wenigstens zu sprechen, das war mit der Zeit
unerträglich. Lewenhaupt am Fenster schnupfte und trommelte mit der
Schnupftabaksbüchse. Seine pfefferbraunen Augen schossen aus dem Kopf,
und es sah aus, als wäre seine lächerliche Perücke größer und immer
größer geworden. Wenn Rhensköld nicht fortgefahren hätte, zu pfeifen
und zu summen, würde er sich beherrscht haben, heute wie gestern und
alle anderen Male, aber jetzt stieg ihm der Zorn zu Kopfe, er schlug
die Tabakbüchse zum letzten Male zu und murmelte zwischen den Zähnen:

»Ich verlange nicht, daß Seine Majestät was von Staatskunst begreifen
soll. Aber kann er Truppen führen? Zeigt er wirkliches Verständnis
bei einer einzigen ~rencontre~ oder ~attaque~? Geübte und
alte Krieger, die nie ersetzt werden können, opfert er täglich für eine
eitle ~bravour~. Sollen unsere Leute eine Mauer erstürmen, wird
es für überflüssig gehalten, daß sie sich schützende Reisigbündel oder
Schirme binden, und deshalb werden sie auch armselig massakriert. Offen
gesagt, meine verehrten Herren, einem ~studiosus upsaliensis~ kann
ich manchen Bubenstreich verzeihen, aber von einem Feldherrn ~in
castris~ fordere ich was anderes. Es wird wahrlich niemand zum
Vorteil gereichen, eine ~affaire~ unter dem Kommando eines solchen
Herrn zu führen.«

»Auch inkommodiert Seine Majestät,« antwortete Piper, »gegenwärtig
den Herrn General nicht mit irgendwelchen schwierigen Befehlen. Im
Anfang, ehe der eine sich mehr als der andere ausgezeichnet hatte, ging
alles besser, aber jetzt muß Seine Majestät herumgehen und vermitteln
und versöhnen, mit einem blödsinnigen Lächeln, das einen zur Raserei
bringen kann.«

Er hob die Arme in die Höhe, mit einem Zorn, dem jede Besinnung und
jedes Maß fehlte, ungeachtet dessen, daß er mit Lewenhaupt ganz einig
war. Während er noch redete, wendete er sich um und ging heftig seines
Weges nach den inneren Zimmern. Die Tür schlug mit einem solchen Knall
zu, daß Rhensköld sich noch mehr veranlaßt fühlte, zu pfeifen und zu
summen. Wenn er doch nur etwas hätte sagen wollen! Aber nein, das tat
er nicht. Gyllenkrok, der am Tisch saß und die Marschroute prüfte, war
glühheiß im Gesicht, und ein kleiner, trockener Herr an seiner Seite
flüsterte ihm gereizt ins Ohr:

»Ein Paar Diamantohrringe an die Gräfin von Piper würden vielleicht
Lewenhaupt noch zu neuen Anstellungen verhelfen.«

Falls Rhensköld jetzt aufgehört hätte, zu pfeifen und zu summen, hätte
Lewenhaupt sich noch bemeistern und die Papierrolle, die er unter dem
Rock trug, aufheben und sich ans Tischende setzen können, aber statt
dessen wurde der ehrwürdige und sonst wortkarge Mann böser und böser.
Er wandte sich unschlüssig um und ging nach dem Ausgang, dort blieb
er aber mit einemmal stehen, richtete sich auf und schlug die Hacken
zusammen, als wäre er ein geringer Gemeiner. Jetzt wurde Rhensköld
still. Die Tür ging auf. Ein eisiger Windzug drang in die Kammer,
und der Fähnrich meldete mit so hoher und gedehnter Stimme wie eine
Schildwache, die ihre Kameraden ins Gewehr ruft:

»Sei--i--ne Majestät!«

Der König war nicht mehr das geblendete und verwunderte, halberwachsene
Kind von ehedem. Nur die knabenähnliche Gestalt mit den schmalen
Schultern war dieselbe. Der Rock war rußig und schmutzig. Die Falte um
die aufgeworfene Oberlippe war tiefer und ein wenig grinsend geworden.
Auf der Nase und der einen Wange hatte er Frostwunden, und die
Augenlider waren gerändert und von langwieriger Erkältung geschwollen,
aber um das zu früh kahl gewordene Haupt stand das aufgekämmte Haar wie
eine zackige Krone.

Er hielt die Pelzmütze in beiden Händen und suchte seine Verlegenheit
und Scheu hinter einer steifen und kühlen Geziertheit zu verbergen und
verbeugte sich lächelnd vor jedem der Anwesenden.

Sie verbeugten sich jedesmal noch tiefer, und als er bis mitten ins
Zimmer gekommen war, blieb er stehen und verbeugte sich noch ein
paarmal nach den Seiten, obwohl ein wenig schneller und scheinbar ganz
und gar mit dem beschäftigt, was er sozusagen dachte. Danach blieb er
eine Weile stumm stehen.

Sodann ging er zu Rhensköld vor und nahm ihn mit einer kurzen
Verbeugung an einem der Rockknöpfe:

»Ich möchte bitten,« sagte er, »daß Exzellenz mir zwei bis drei Mann
von den Gemeinen verschafft zur Deckung bei einer kleinen Exkursion.
Ich habe schon zwei Trabanten mit.«

»Aber Majestät! Die Gegend ist von Kosaken überschwemmt. Es war schon
ein Wagstück, vom Quartier Eurer Majestät hierher in die Stadt zu
reiten mit so kleiner Bedeckung.«

»Oh, Lappalien! Lappalien! Exzellenz soll tun was ich gesagt habe.
Jemand von den anwesenden Generalen, der frei ist, kann auch aufsitzen
und einen Mann von den Seinen mitnehmen.«

Lewenhaupt verbeugte sich.

Der König betrachtete ihn ein wenig zaghaft, ohne zu antworten, und
blieb stehen, nachdem Rhensköld hinausgeeilt war. Niemand von den
anderen im Ring hielt es für gebührlich, das Schweigen zu brechen oder
sich zu bewegen.

Erst nach einer ganz langen Weile verbeugte sich der König wieder vor
jedem einzelnen und ging hinaus ins Freie.

»Na,« fragte Lewenhaupt und klopfte dem Fähnrich mit wiedergewonnener
Natürlichkeit auf die Schulter. »Herr Fähnrich soll mitkommen! Das ist
das erstemal, daß der Fähnrich Aug in Aug mit Seiner Majestät gestanden
hat.«

»Ich hatte ihn mir anders vorgestellt.«

»Er ist immer so. Er ist zu königlich, um zu befehlen.«

Sie folgten dem König, der über Wagen und gestürzte Tiere kletterte.
Seine Bewegungen waren gewandt, aber niemals hastig, sondern maßvoll
und ziemlich langsam, so daß er keinen Augenblick seine Würde verlor.
Als er sich schließlich durch das Gedränge im Stadttor den Weg gebahnt
hatte, stieg er mit seinem Gefolge, das sich jetzt auf sieben Mann
belief, in den Sattel.

Die Pferde glitten auf der Eisstraße aus, und einige stürzten,
aber Lewenhaupts Einwendungen lockten den König nur, die Sporen
noch herzloser zu benutzen. Der Lakai Hultman hatte ihm die ganze
Nacht laut vorgelesen oder Märchen erzählt und ihn schließlich
mit der Wahrsagung zum Lachen gebracht, daß er, wäre er nicht von
Gott zum König erkoren, sein ganzes Leben lang ein menschenscheuer
Stubenhocker geworden wäre, der viel wunderlichere Verse als der selige
Messenius in Disa auf »Bollhuset« ausgedacht hätte, vor allem aber
die gewaltigsten Kampfgesänge. Er versuchte, an Rolf Götriksson zu
denken, der immer selbst zuvorderst vor seinen Leuten ritt, aber es
wollte ihm heute nicht glücken, seine Gedanken in die Spielstube der
Sage einzuschließen. Die Unruhe, die in der letzten Zeit ihre Krallen
in sein Gemüt geschlagen hatte, wollte die königliche Beute nicht
loslassen. Er hatte jetzt eben auf der Kanzlei die erhitzten Gesichter
gesehen. Von den Aufzügen der Kinderjahre her noch immer in seiner
eignen früheren Einbildungswelt gefangen, war er für die schrillen
Notschreie am Wege taub und wurde mißtrauisch gegen jeden, der ein
empfindliches Gehör zeigte. Heute wie auch sonst merkte er kaum, daß
man ihm das ausgeruhteste Pferd und das frischste Brot angeboten hatte,
daß man am Morgen einen Beutel mit fünfhundert Dukaten in seine Tasche
gesteckt hatte und daß die Reiter beim ersten Tumult einen Ring um ihn
schlagen und sich dem Tod weihen würden, den er herausforderte. Dagegen
merkte er, daß die Soldaten ihn mit einem unheimlichen Schweigen
grüßten, und die Mißgeschicke hatten ihn sogar gegen seine Nächsten
mißtrauisch gemacht. Der vorsichtigste Widerspruch, die verdeckteste
Mißbilligung bemerkte er, ohne sich zu verraten, und jedes Wort lag
da und nagte an seiner Seele. Es deuchte ihn, als ob er mit jeder
Stunde einen Offizier verliere, auf den er früher vertraut hatte, und
sein Herz wurde immer kälter. Sein gekränkter Ehrgeiz krümmte sich
und blutete unter der Last des Mißlingens, und er atmete leichter, je
weiter er das Hauptquartier hinter sich ließ.

Plötzlich blieb Lewenhaupt stehen und drehte um, in der Hoffnung, auf
den König einwirken zu können.

»Mein guter Ajax!« sagte er und streichelte das dampfende Pferd. »Wohl
bist du ein alter Krippenbeißer, aber ich kann dich für nichts und
wieder nichts nicht voranjagen, und selbst fange ich an zu altern wie
du. Aber in Jesu Namen, ihr Kerle! Es folge dem König, wer kann!«

Als er den ängstlichen Seitenblick des Fähnrichs nach dem König hin
sah, äußerte er mit gedämpfter Stimme:

»Sei ruhig, mein Junge! Seine Majestät braust nie auf, wie wir anderen.
Er ist zu königlich, um schimpfen oder zanken zu können.«

Der König tat, als ob er nichts merke. Wilder und wilder setzte er über
Eis und Schnee den stummen Wettritt ohne Ziel und Sinn fort. Er hatte
jetzt nur vier Begleiter.

Eine Weile später stürzte das eine Pferd mit gebrochenem Vorderbein,
und der Reiter schoß ihm aus Barmherzigkeit eine Kugel durchs Ohr, um
nachher selbst allein und zu Fuß in der Kälte ungewissen Schicksalen
entgegenzugehen.

Schließlich war der Fähnrich der einzige, der dem König zu folgen
vermochte, und sie waren jetzt zwischen Gebüsch und Jungwald gekommen,
wo sie nur im Schritt vorwärts konnten. Auf dem Hügel über ihnen lag
ein großes und rußiges Haus mit engen Gitterlöchern und einer Mauer um
den Hof.

Im gleichen Augenblick fiel ein Schuß.

»Wie ging das?« fragte der König und sah sich um.

»Der kleine Satan pfiff nicht schlecht, als er mir am Ohr vorbeiflog,
aber er biß nur in die Hutecke,« antwortete der Fähnrich, ohne die
geringste Erfahrung, wie er sich dem König gegenüber verhalten sollte.
Er hatte einen schwachen Smaaländischen Akzent und lachte vergnügt mit
seinem ganzen hellen Gesicht. Vom Glück berauscht, so unter vier Augen
mit dem, der ihm mehr als alle anderen Sterblichen schien, zusammensein
zu dürfen, fuhr er fort.

»Wir werden wohl da hinaufgehen und sie am Bart nehmen?«

Die Antwort gefiel dem König aufs höchste, und mit einem Sprung stand
er auf dem Boden.

»Wir binden die Gäule hier an die Sträucher,« sagte er ausgelassen und
mit starker Farbe auf den Wangen. »Sodann gehen wir hinauf und stechen
jeden nieder, daß es nur so pfeift.«

Sie verließen die keuchenden Pferde und kletterten vorgebeugt durch das
Gebüsch hinauf. Oberhalb der Mauer blickten einige Kosakenköpfe mit
hängendem Haar und gelb und grinsend wie geköpfte Missetäter herunter.

»Siehe,« flüsterte der König und klatschte in die Hände. »Dort
versuchen sie das morsche Tor zuzuziehen, die Fuchsschwänze!«

Sein vorhin noch nichtssagender Blick wurde jetzt abwechselnd unstet,
weit und glänzend. Er zog den Haudegen und hob ihn mit beiden Händen
über seinen Kopf.

Gleich einem Gott der Jugend stürmte er durch das halboffene Tor. Der
Fähnrich, der an seiner Seite hieb und stach, war oft nahe daran,
hinter ihm von seiner Waffe getroffen zu werden, und ein Musketenschuß
schwärzte die rechte Schläfe des Königs. Vier Mann wurden im Torweg
niedergehauen, und der fünfte der Schar floh mit einer Feuerschaufel
nach dem Hof hinein, vom König verfolgt.

Dort strich der König auf dem Schnee das Blut vom Degen, legte zwei
Dukaten in die Feuerschaufel des Kosaken und brach in zunehmender
Heiterkeit aus: »Es ist kein Pläsier, sich mit diesen Tröpfen zu
schlagen, die nie zurückhauen, sondern nur laufen. Komm zurück, wenn du
dir einen ordentlichen Degen erstanden hast!«

Der Kosak, der nichts verstand, stierte die Goldmünzen an, schlich sich
der Mauer entlang nach dem Tor und entfloh. Immer weiter und weiter
draußen auf dem Felde rief er seine umherstreifenden Kameraden mit
einem unheimlichen und klagenden: Ohaho! Ohaho! zusammen.

Der König sang leise vor sich hin, wie um einen unsichtbaren Feind zu
reizen: »Kosakenmännlein, Kosakenmännlein, sammle deine Schelme!«

Die Mauern rings um den Hof waren schimmelig und schwarz. Aus dem Boden
hörte man einen endlos gesponnenen Mollton wie von einer Äolsharfe,
und forschend stieß der König die Tür zum Wohnhaus auf. Das bestand
aus einem einzigen, großen und halbdunklen Zimmer, und vor dem Feuer
lag ein Haufen blutbefleckter Kleider, die die Leichenplünderer von
gefallenen Schweden genommen hatten. Die Tür wurde vom Zug wieder
zugeworfen, und der König ging nach dem Stallgebäude nebenan. Da gab es
keine Tür, und den Laut hörte man immer deutlicher. Drinnen im Dunkeln
lag ein zu Tode gehungertes Pferd, das an eine der eisernen Ösen in der
Wand gebunden war.

Ein erhobener Haudegen würde den König nicht gehindert haben, aber die
ungewisse Dämmerung erregte seine Einbildungskraft, daß sie ihn auf der
Schwelle zum Stehen brachte. Doch ließ er sich nichts anmerken, sondern
rief den Fähnrich. Sie stiegen eine steile Treppe zu einem Keller
hinunter. Dort war ein Brunnen, und an dem Kran der singenden Winde,
die das Wasser heraufholte, kutschierte ein tauber Kosake mit Peitsche
und Zügel, ohne die geringste Ahnung einer Gefahr, eine menschliche
Gestalt in schwedischer Offiziersuniform.

Als sie die Stricke lösten und an die Stelle des Gefangenen den
Kosaken banden, erkannten sie den Holsteiner Feuerhausen, der als Major
in einem geworbenen Regiment diente, aber von den Kosaken weggeschnappt
und wie ein Vieh vor ihr Wasserwerk gespannt worden war.

Er kniete und stammelte in gebrochenem Schwedisch:

»Majestät. Ich traue nicht meinen Augen ... Meine
~reconnaissance~ ...«

Der König fiel ihm heiter ins Wort und wendete sich zum Fähnrich:

»Führe die beiden Pferde hinauf in den Stall! Drei Männer können nicht
behaglich auf zwei Pferden reiten, und deshalb bleiben wir hier, bis
einige Kosaken vorbeikommen, denen wir ein neues Pferd nehmen können.
Der Herr selbst steht Wache am Tor.«

Danach ging der König nach dem Wohnhaus zurück und machte die Tür
hinter sich zu. Die ausgehungerten Pferde, die gierig die Rinde von den
Sträuchern nagten, wurden währenddessen in den Stall hinaufgeführt, und
der Fähnrich begann Posten zu stehen.

Langsam vergingen die Stunden. Als es gegen Abend ging, vergrößerte
sich die Gewalt des Sturmes, und der Schnee irrte im Sonnenuntergang
über die trostlosen Schneesteppen. Leichengelbe Kosakengesichter
spähten über das Gebüsch, und weit draußen im Sturme tönte das Ohaho!
Ohaho! Ohaho! umherstreifender Plünderer.

Da trat Feuerhausen aus dem Stall, wo er zwischen den Pferden gesessen
hatte, um nicht Frost in die Wunden zu bekommen, die von den Stricken
herrührten, mit denen er gebunden gewesen war. Er ging an die
verschlossene Tür des Wohnhauses.

»Majestät!« stammelte er. »Die Kosaken sammeln sich mehr und mehr,
und die Dunkelheit bricht bald an. Ich und der Fähnrich sitzen auf
einem Pferd. Zögern wir hier, so wird diese Nacht die letzte der
Großmächtigsten Majestät sein, was Gott durch seinen geheimen Ratschluß
verhüten möge.«

Der König antwortete von innen:

»Es muß bei dem bleiben, was wir gesagt haben. Drei Mann reiten nicht
bequem auf zwei Pferden.«

Der Holsteiner schüttelte den Kopf und ging zum Fähnrich hinunter.

»So ist die Majestät, Ihr verdammte Svenske! Ich habe ihn vom Stall
aus hin und her gehen hören. Krankheit und Gewissensbisse sind
gekommen. Wie ein ~pater familias~ steht der moskowitische Zar
unter seinen Untertanen. Einen Zuckerbäckergesellen erhebt er zu
seinem Freund und ein geringes Dienstmädchen auf seinen glorwürdigen
Thron. ~Détestable~ sind seine Gebärden, wenn er pokuliert, und
er handhabt das Frauenzimmer ~à la françois~; aber seine erste
und letzte ~parole~ lautet immer: ›Auf Rußlands Wohl!‹ König
Carolus verläßt seine Länder als rauchende Aschenhaufen und besitzt
keinen Freund, nicht einmal unter seinen Nächsten. König Carolus ist
einsamer als der ärmste Troßkutscher. Hat nicht einmal den Schoß eines
Kameraden, wo er sich ausweinen kann. Unter Durchlauchten und Mätressen
und Perücken kommt er wie ein Gespenst aus einem tausendjährigen
Mausoleum, -- und Gespenster gehen am liebsten ohne Kompagnie. Ist
er ein ~homme d'état~? Oh Gott! Keinen Sinn für das Allgemeine!
Ist er Feldherr? Keinen Sinn für die Massen! Nur Brücken schlagen,
Schanzkörbe stellen, in die Hände klatschen wegen einer eroberten
Standarte und zweier Pauken. Keinen Sinn für Staat und Armee, nur für
Menschen!«

»Dafür kann man auch Sinn haben!« antwortete der Fähnrich.

Er ging heftig auf und ab, und die Finger waren schon so steif vor
Kälte, daß er kaum den gezogenen Haudegen halten konnte.

Der Holsteiner zog den zerrissenen Rockkragen um die Backen und fuhr
mit gedämpfter Stimme und eifrigen Gebärden fort:

»König Carolus lacht entzückt, wenn die Brücke bricht und Menschen und
Vieh elendiglich ertrinken. Kein Herz im Busen. Zum Henker mit ihm!
König Carolus ist so ein kleines schwedisches ~demi-génie~, das in
die Welt hinauswandert, nur trommelt und paradiert und Fiasko macht;
und das Parterre pfeift. Uhi!«

»Und gerade deshalb gehen die Schweden in den Tod für ihn,« antwortete
der Fähnrich, »gerade deshalb.«

»Nicht so hitzig, Liebster! Ich lachte ja, daß ich alle Zähne zeigte,
als wir uns zuerst sahen.«

»Ich höre Herrn Major gern sprechen, aber ich friere. Wollen Herr Major
nicht hinaufgehen und an der Tür des Königs horchen?«

Der Holsteiner ging zur Tür hinauf und horchte. Als er zurückkam, sagte
er:

»Er geht nur und geht und seufzt schwer wie ein Mensch in Seelenangst.
So pflegt das jetzt beständig zu sein. Die Majestät schläft nie mehr
des Nachts. Der Komödiant fühlt sich der Rolle nicht gewachsen, und von
den Lebensqualen soll der blessierte Ehrgeiz die bitterste sein.«

»Dann soll es auch das Letzte sein, was wir belachen. Darf ich den
Herrn Major bitten, meine rechte Hand mit Schnee einzureiben, denn
jetzt schläft sie ein.«

Der Holsteiner tat, was er verlangte, und kehrte zu der Tür des Königs
zurück. Er schlug sich mit beiden Händen vor die Stirn. Der graue und
borstige Schnurrbart stand gerade aus, und er murmelte:

»Gott! Gott! Bald wird es zur Retraite zu dunkel sein.«

Der Fähnrich rief:

»Lieber Herr, darf ich Sie bitten, mein Gesicht mit Schnee einzureiben.
Die Backen erfrieren. Von den Schmerzen in meinem Fuß will ich nicht
reden. Oh, ich halte es nicht mehr aus.«

Der Holsteiner füllte die Hände mit Schnee.

»Lassen Sie mich Schildwache stehen,« sagte er, »nur eine Stunde.«

»Nein, nein, der König hat befohlen, daß ich hier am Eingang stehen
soll.«

»Ach, dieser König! Ich kenne ihn. Ich will ihn froh machen,
Philosophie reden, ~histoires galantes~ erzählen. Es amüsiert
ihn, immer von Liebhabern zu hören, die abenteuerlich durchs Fenster
steigen! Er sieht oft das Frauenzimmer von der Seite an, wenn es schön
ist. Es ist für seine Imagination da, nur nicht für sein Fleisch, denn
er ist ohne Gefühl. Und er ist schüchtern. Will die Schöne ihn einmal
unter ihren Seidenschuh bekommen, muß sie selbst ihn attackieren, aber
tun, als ob sie flöhe, und alle die anderen müssen der ~liaison~
widerstreben. Seine allergroßmächtigste Frau Großmutter hat alles
dadurch ruiniert, daß sie schrie: ›~Mariage, mariage!~‹ König
Carolus ist vom Scheitel bis zur Sohle der schwedischen Königin
Kristina ähnlich, obwohl er männlichen Geschlechts ist. Die beiden
hätten miteinander verheiratet und auf denselben Thron gesetzt werden
müssen. Das wäre ein nettes Pärchen gewesen. Oh, pfui, pfui! Ihr
Schweden! Reitet ein Mann seine Pferde tot und läßt zu, daß Volk
und Reich massakriert werden, er ist aber doch von reinem Herzen
und ~supremus~ unter allen, sein Blut ist nur zu träge für
Amouren. Oh, laßt mich in Frieden! Ich kenne reinherzige Heroen, die
getreulichst in zwei, drei verschiedene Jungfrauen oder Frauen in
derselben Woche verliebt waren.«

»Ja, wir sind so, wir sind so. Aber um Christi Barmherzigkeit willen,
reibt mir noch einmal meine Hand! Und verzeiht mir mein Jammern und
mein Stöhnen.«

Dicht innerhalb des Tores, das man nicht verschließen konnte, lagen die
niedergehauenen Kosaken, vom Reif weiß wie Marmor. Der gelbe Himmel
wurde grau, und immer mehrstimmiger und näher tönten die klagenden Rufe:

»Ohaho! Ohaho! Ohaho!« Jetzt öffnete der König seine Tür und kam über
den Hof herunter. Die Schmerzen im Kopf, an denen er zu leiden begann,
waren durch den Ritt schlimmer geworden und machten seinen Blick
schwer. Das Gesicht trug Spuren von Seelenkämpfen der Einsamkeit, aber
da er sich näherte, nahm der Mund wieder sein gewöhnliches, verlegenes
Lächeln an. An der Schläfe war er noch rußig von dem Musketenschuß.

»Es wird kühler,« sagte er und zog einen Brotkuchen aus der Tasche
hervor und brach ihn in drei Teile, so daß jeder ein gleich großes
Stück bekam, wie er selbst. Dann zog er seinen Reitermantel aus und
legte ihn selbst um die Schultern des wachthabenden Fähnrichs.

Über seine eigene Handlung verlegen, faßte er dann den Holsteiner
heftig am Arm und führte ihn über den Hof hinauf, während sie an dem
harten Brot kauten.

Jetzt, wenn je, dachte der Holsteiner, gilt es, mit einem schlauen
Wortspiel die Aufmerksamkeit des Königs zu gewinnen und nachher
vernünftig mit ihm zu reden.

»Bessere Herberge kann man finden,« begann er immerwährend kauend
und beißend. »Du liebe Zeit! Das erinnert mich an eine galante
~aventure~ in der Nähe von Dresden.«

Der König hielt ihn immer noch am Arm, und der Holsteiner senkte
die Stimme. Die Erzählung war witzig und schlüpfrig, und der König
wurde neugierig. Die gröbsten Zweideutigkeiten lockten aber immer nur
sein steifes Lächeln hervor. Er horchte gleich einem verzweifelten,
halb abwesenden Menschen, mit dem Bedürfnis nach Zerstreuung für den
Augenblick.

Erst als der Holsteiner mit listiger Geschicklichkeit das Gespräch mit
einigen Worten auf die augenblickliche Gefahr überzuleiten begann,
wurde der König wiederum ernst.

»Bagatelle, Bagatelle!« antwortete er. »Es ist gar nicht der Rede wert,
wenn wir uns nur gut halten und unsere Reputation bis zum letzten Mann
~soutenieren~. Kommen die Schelme, so stellen wir uns alle drei
ins Tor und stechen mit dem Degen.«

Der Holsteiner strich sich über die Stirn und brach ab. Er begann von
den funkelnden Sternen zu sprechen. Er stellte einen Satz auf über das
Messen ihrer Entfernung von der Erde. Der König hörte ihm jetzt mit
einer ganz anderen Art von Aufmerksamkeit zu. Er ging auf die Frage
ein, antwortete scharfsinnig, erfinderisch und mit einer unermüdlichen
Lust daran, neue überraschende Sätze nach seinem Sinn auszudenken.
Die eine Behauptung reichte der anderen die Hand, und bald weilte das
Gespräch beim Universum und der Unsterblichkeit der Seele, um nachher
aufs neue zu den Sternen zurückzukehren. Sie funkelten heller und
heller, und der König sagte, was er von der Sonnenuhr wußte. Er stieß
seinen Haudegen mit dem Griff in den Schnee und stellte die Spitze auf
den Polarstern ein, so daß sie am nächsten Morgen die Zeit ablesen
könnten.

»Der Kern des Universums,« sagte er, »muß entweder die Erde oder der
Stern sein, der über dem Lande der Schweden steht. Nichts darf mehr als
das Schwedische gelten.«

Draußen vor der Mauer riefen die Kosaken, aber sobald der Holsteiner
das Gespräch auf ihren drohenden Anschlag lenkte, wurde der König
wortkarg.

»Bei Tagesgrauen ziehen wir uns nach Hadjatsch zurück,« sagte er. »Wir
wollen bis dahin nur ein drittes Pferd fangen, so daß jeder bequem im
eigenen Sattel reiten kann.«

Nachdem er so geredet hatte, ging er in das Wohnhaus zurück. Der
Holsteiner kam mit heftigen Schritten zum Fähnrich herunter, und gegen
die Tür des Königs zeigend, rief er:

»Geben Sie ~pardon~, Fähnrich! Wir Deutschen verschwenden keine
Worte, wenn uns die Striemen von den Stricken schmerzen, aber ich
strecke den Degen und gebe dem Herrn die Viktorie, denn auch ich kann
mein Blut lassen für diesen Mann. Ob ich ihn liebe! Niemand versteht
ihn, der ihn nicht gesehen hat. -- Aber Fähnrich, Sie dürfen nicht
länger draußen im Unwetter bleiben.«

Der Fähnrich antwortete:

»Kein Mantel hat mich je herrlicher gewärmt als der, den ich jetzt
trage, und ich werfe all meine Sorgen auf Gott. Aber um Christi willen,
Major, gehen Sie zu der Tür zurück und horchen Sie. Der König könnte
sich ein Leid antun.«

»Die Majestät fällt nicht von der eigenen Klinge, aber sie sehnt sich
nach der eines anderen.«

»Jetzt höre ich seine Schritte bis hier herunter. Sie werden heftiger
und unruhiger. Er ist so einsam. Als ich ihn in Hadjatsch unter den
Generalen sich verbeugen und verbeugen sah, konnte ich nur denken: wie
er doch einsam ist!«

»Kommt der kleine Holsteiner mit dem Leben davon, dann wird er sich
allzeit der Schritte erinnern, die wir heute nacht hörten, und wird
diese Herberge allzeit die Gethsemane-Feste nennen.«

Der Fähnrich nickte Beifall und antwortete:

»Gehen Sie in den Stall hinauf, Herr Major, und suchen Sie eine Stunde
Ruhe und Schutz zwischen den Pferden. Und dort können Sie durch die
Wand den König besser hören und über ihn wachen.«

Danach begann der Fähnrich mit lauter Stimme zu singen:

    »Befiehl du deine Wege ...«

Der Holsteiner ging über den Hof in den Stall zurück, und mit der Zunge
vor Frost stotternd, stimmte er mit dem anderen ein:

    ... »Und was dein Herze kränkt
    Der allertreusten Pflege
    Des, der den Himmel lenkt ...«

»Ohaho, Ohaho!« antworteten die Kosaken im Sturm, und es war schon
späte Nacht.

Der Holsteiner duckte sich zwischen die beiden Pferde hinein und
horchte so lange, bis die Müdigkeit und der Schlaf seinen Kopf beugten.
Erst gegen Morgen wurde er von einem Lärm geweckt. Er sprang ins Freie
hinaus; der König stand schon auf dem Hof und betrachtete das als
Sonnenuhr ausgestellte Schwert.

Am Tor hatten sich die Kosaken versammelt, aber als sie die
unbewegliche Schildwache sahen, schauderten sie abergläubisch zurück
und dachten an die Gerüchte von den Zauberkünsten der schwedischen
Soldaten gegen Hieb und Schuß.

Als der Holsteiner zum Fähnrich herangekommen war, faßte er ihn fest am
Arm.

»Was nun?« fragte er. »Branntwein?«

Im gleichen Augenblick ließ er den Arm fallen.

Der Fähnrich stand zu Tode gefroren da, mit dem Rücken gegen die Mauer
und mit den Händen auf dem Degengriff, in den Mantel des Königs
gehüllt.

»Da wir jetzt nur zwei sind,« sagte der König und zog seine Waffe aus
dem Schnee, »können wir uns auf den Weg machen, jeder auf seinem eignen
Pferd, wie ich es gesagt habe.«

Der Holsteiner stierte ihm mit wiedererwachendem Haß in die Augen und
blieb stehen, als habe er nichts gehört. Schließlich führte er doch die
Pferde hinaus, aber seine Hände zitterten und ballten sich, so daß er
kaum den Sattelgurt festschnallen konnte.

Die Kosaken schwenkten ihre Säbel und Piken, aber die Schildwache stand
auf ihrem Posten.

Da sprang der König ungestüm in den Sattel und setzte das Pferd in
Galopp. Seine Stirn war klar, seine Wangen färbten sich rötlich, und
der Haudegen glänzte wie ein Sonnenstrahl.

Der Holsteiner blickte ihm nach. Sein bitterer Ausdruck wurde milder,
und er murmelte zwischen den Zähnen, während er selbst in den Sattel
stieg und mit der Hand am Hut an der Schildwache vorbeijagte:

»Das ist nur die Freude eines Helden daran, den schönen Tod eines
Helden zu sehen. ~Merci~, Kamerad!«



Der Königsritt


Der Hofkanzler von Müller saß auf einer Fußbank vor seinem Stubenherd
im Hause des schwedischen Königs in Demotica und buk Pfannkuchen. Er
hob den einen vertragenen Rockschoß in die Höhe gegen das Feuer und
besichtigte ihn.

»Zwar hängen die Galonen noch fest an dem Rock,« sagte er zu Oberst
Grothusen, der daneben stand und sich wärmte, »aber schändlich schwarz
sind sie geworden. Und das übrige schwedische Gefolge fängt an, der
Teufel hole sie, gerade wie Zigeunerpack auszusehen. Ich sage mit
Fabrice: Ich kann mich bald nicht mehr erinnern, wie Geldstücke
aussehen, ob sie rund oder viereckig sind.«

»Sie sind so rund, daß sie wie Räder rollen!« antwortete Grothusen
und rieb sich vergnügt die Hände. »Ein König, ein Hof, eine kleine
Armee ohne was anderes als ein wenig zusammengepumptes Kleingeld in
der Tasche ... Und das in einem türkischen Marktfleckchen, Hunderte
von Meilen von dem eigenen Vaterland! Zu welcher Zeit sahest du
dergleichen? Gott verzeih' mir, aber ist das nicht ein so kostbarer
Anblick, daß es nichts tut, wenn es mit dem Zucker auf dem Pfannkuchen
zuweilen knapp ist? Von der Pforte kriegen wir keinen einzigen Beutel
mehr. Obwohl ich kaum Zeit habe, nachts zu schlafen, sondern nur daran
arbeite, das Reisegeld von allen Schacherern der Welt aufzutreiben,
so weiß ich doch kaum, wie wir ehrenhaft von hier wegkommen sollen.
Ich habe Seiner Majestät gesagt, wir müssen die ganze Reihe Gläubiger
mit uns nehmen, als Nachzug bis nach Schweden, und sie in Karlshamn
einquartieren, bis sie bezahlt sind. Denk einmal: das kleine Karlshamn
vollgepfropft von Türken, die in den Straßenecken knien und Allah
anrufen! Jaa, mein Lieber! Wenn wir nur wegkämen! Wir müssen unter
Paukenschlag und Trompeten wegziehen, wie es Schweden ansteht,
verstehst du? Glücklicherweise haben wir den Staat noch da vom
vorigen Sommer, als ich in der Abschiedsaudienz beim Sultan war. Sie
sind sicherlich weder wattiert noch gefüttert, die Schabracken, aber
außen sitzt um so mehr Messingzeug und Troddeln ... Und das ist die
Hauptsache ... Und selbst sehe ich ja aus wie eine ganze Exzellenz!
Nicht? Spitzenkrause, Schnupflöffel aus reinstem Dukatengold ... Im
Schrank einen Ehrenpelz, vom Sultan geschenkt, ein Paar abgetretene
Pantoffeln, eine Nachtmütze und einen seidenen Schlafrock, den Düben
froh sein sollte, in der Hochmesse tragen zu dürfen. Aber das ist auch
so das letzte und läßt erkennen, was von der ganzen Herrlichkeit übrig
bleibt, bis wir heimkommen!«

Je länger Grothusen sprach, desto munterer wurde er. Schließlich ging
er ans Fenster und riß es sperrangelweit auf.

»Was gibt's?« fragte Müller und zog fröstelnd den Rock zusammen.

»Es ist ein Haufe Türken, der da steht und wartet, daß man Seine
Majestät ausreiten sehe. Es ist nämlich ein Platzregen, und da können
sie ja begreifen, daß man nicht im Haus bleiben will.«

Grothusen tastete und suchte in seinen Rockschößen, und da er ein paar
große Silbermünzen fand, warf er sie durch das Fenster und rief:

»So sieht Geld aus! Es leben die Schweden und ihr freigebiger, großer,
mächtiger König!«

»Ist das dein eigenes oder des Königs Geld?«

»Wenn ich's wüßte!«

»Du brauchst ja nur dein eigenes Geld in der linken Rocktasche und des
Königs Geld in der rechten zu tragen.«

»Aber der linke Rockschoß hat das gnädige Zugeständnis, nur in der
Notdurft die Zwangsarbeit von der rechten zu übernehmen. Mein Lieber,
ich lege ehrlich Rechenschaft ab. Jeden Abend rechne ich nämlich nach,
wieviel sich noch im ganzen übrig findet.«

Das Volk murmelte, aber mürrisch brummend hob Müller die Pfannkuchen
vom Feuer.

»Du hast deinen leichten Sinn, Bruder! Dennoch hätte ich euch nie
zugetraut, daß ihr so vornehm werden würdet, daß ihr einen Freiherrn
und Hofkanzler zum Leibkoch machtet, aber ich bin froh, daß meine
Pfannkuchen den Herren schmecken. Oft habe ich mich gefragt, wie wir
hier unten so willig und froh alle diese Jahre hindurch es haben
aushalten können.«

»Das werde ich dir erklären. Es liegt für Menschen ein so eigener
Zauber darin, täglich und stündlich mit dem zusammen zu sein, der über
ihr Wohl und Weh bestimmt, daß man fragen kann, ob auch die himmlische
Seligkeit einmal in gerade dem gleichen bestehen wird.«

»Es wäre gut, wenn dergleichen Zeitvertreib die Menschen auch edler und
besser machte.«

»Ich danke dir, Bruder! Das Wort war für mich! Ich weiß genugsam, daß
mein Rücken unter euch allen wenig geschont wird. Ihr nennt mich einen
leichtsinnigen Tausendsasa, einen ... Ja, gleichwohl! Ein Skeptiker und
Philosoph wie ich, der den Frühgottesdienst bedenklich verschläft, hat
nicht viel Liebe unter euch Schweden zu erwarten. Ich tue wohl, mich
damit zu trösten, daß der König selbst weniger empfindlich darin ist
als ihr! Zu Hause gilt es zu fallen, und dann wirst du sehen, Bruder,
daß die schwarze Perücke des alten Grothusen nicht hinter dem Glied
bleiben wird.«

»Dort zu Hause, sagst du. Antworte mir ehrlich! Hofft Seine Majestät
wirklich, dort frische Truppen sammeln zu können?«

»Das tut er ... Und er wird es auch können. Es wird ein Reichsfechten,
wie die Welt seinesgleichen noch nie gesehen ... Meinetwegen! In der
Stunde der Not die Wucherer zu rufen, du, das ist eine Sache ... Und
die Ritter könnten selten werden, wenn es keine Wucherer gäbe ... Aber
die Ehre und der Degen, das ist was anderes!«

»Und deshalb bricht er nun endlich auf? Ich habe doch zu bemerken
geglaubt, daß er sich noch nicht ganz im klaren ist über die nächste
Zukunft?«

»Je näher er gen Norden kommt, desto klarer wird sie ihm.«

»Du denkst an die Feinde, die alten und die zu erwartenden ... Sachsen,
Rußland, Preußen, Hannover, Dänemark ... Sechs feindliche Völker zu
bekriegen!«

»Sieben! Du vergissest den jüngsten und gefährlichsten Feind!«

»Welchen?«

»Die Schweden!«

Müller erhob sich von der Fußbank, und die beiden einäugigen Herren
standen einander gegenüber.

»Gott im Himmel, rede nicht so! Du pflegst ja sonst zu denen zu
gehören, die nicht verzweifeln. Dies ist eine fremde Sprache in deinem
Mund.«

»Seitdem Seine Majestät die volle Gewißheit hat, daß seine Untertanen
anfangen, ihn herauszufordern und ihm zu trotzen, reitet er mit der
gleichen Hitze heimwärts wie zu einer Schlacht ... Was soll man auch
nach den letzten Neuigkeiten glauben? Das Land ist ohne Regierung ...
Die Ämter stehen still wie das Mühlrad an einem versiegten Bache. Die
Reichstags- und die Ratsherren sprechen von Absetzen ... Wir hätten
einen brennenden Aufruhr, wenn die Schweden nicht ein so gesetztreues
Volk wären ... Und dann ist es eben das, daß er der Fürst ist! Wimmre
und jammre nur nicht, lieber Müller, denn alles das ist ja nur dein
eigenes altes Lied ... Und sei nicht so verflucht geizig mit dem
Zucker, sondern schütte des Mannes ganze Tüte über die Pfannkuchen aus
... Und halte den Kopf hoch! Adieu!«

Müller stand bekümmert und ohne antworten zu können mitten im Zimmer.
Auf seinem Gesichte malte sich die größte Verwunderung, denn er hörte
durch die Tür Grothusen einem kleinen Tambour zurufen:

»August! Such einmal eine ordentliche Trommel heraus! Häng sie dir um,
und komm mit mir in den Basar.«

Müller schüttelte den Kopf und setzte sich wieder zu seinen Pfannkuchen.

»Was in Jesu Namen wird Grothusen jetzt für Tollheiten begehen mit der
Trommel?«

       *       *       *       *       *

Am nächsten Morgen zogen die Schweden frühzeitig von Demotica aus, um
endlich die Heimfahrt nach der Ostseeküste anzutreten. Hunderte von
Meilen hatten sie zu wandern durch Bergpässe und durch Wälder. Hinter
ihnen ritt eine lange Reihe Türken, Juden und Armenier mit ihren Säcken
und Bündeln. Es waren ihrer siebzig der gierigsten Gläubiger. Der König
war froh und strahlend, und die Stadtbewohner mit ihren verschleierten
Frauen flehten Gottes Segen herab auf den fortziehenden Helden. Nur
Grothusen blieb zurück, denn seine türkischen Freunde hielten ihn noch
in der Tür fest. Der eine stopfte ihm ein Tintenfaß in die Hand, der
andere steckte ihm eine Tabakspfeife in den Mund, und die schwarzen
Diener zogen ihn an seinem Rock. Seine großen Nasenlöcher hielt er
hoch in die Luft, und mit Grandezza entleerte er seine Rockschöße über
die Hände der Diener. Dann öffnete er das Schloß zu seiner Kleiderkiste.

»Liebster, liebster Freund,« sagte er, »diese ausgesuchte Nachtmütze
habe ich eigens für dich anfertigen lassen und selbst benutzt, damit
sie dir ein wirkliches Andenken an mich werden solle ... Und du, mein
Vater! Diese splitterneuen Pantoffel ... Du wunderst dich, daß sie so
niedergetreten sind ... In höchst eigner Person bin ich fleißig in
ihnen gegangen, um herauszufinden, ob sie nicht zu hart für deine Füße
sind ... Und du nimm diesen seidenen Schlafrock ...«

Wie ein Verfolgter sprang er auf seinen Wagen und befahl dem Kutscher,
davonzufahren.

Als die Schweden am Abend nach Timurtasch kamen, überreichte ein Pascha
dem König, als Geschenk vom Sultan, ein seidenes Zelt und einen Säbel
mit edelsteinbesetztem Handgriff.

»Jetzt geht mein Zobelpelz dahin!« sagte Grothusen halblaut zum König.
»Eine andere Gegengabe ist nicht aufzutreiben, und Eure Majestät selbst
haben ja nichts als einen verstaubten Rock und ein halbes Dutzend
grober Soldatenhemden.«

»Leihe mir auch das Tintenfaß und die Pfeife, die du neuerdings
bekamst,« antwortete der König, den Schalk im Auge. »Ich müßte dem
Häuptling des Janitscharengeleites auch etwas verehren.«

»Schenke den ganzen alten Grothusen als Eunuchen in des Sultans
Serail!« jubelte Grothusen und rieb sich die Hände und wurde immer
mutwilliger, je spaßiger es ward. In dem Augenblick fiel sein Blick
auf seinen kleinen Tambour, der mit den Schlegeln unter dem Arm mutlos
seines Weges ging.

»Deine Trommel hat keine Stimme im Maul! Da steckt irgend etwas
Gestohlenes drin!« riefen die Kameraden des Knaben höhnend.

Als sie die Trommel untersuchten, fanden sie, daß sie mit vier Siegeln
versiegelt war, und dem Knaben standen große Tränen in den Augen.

»Schlage du nur tapfer deine verstimmte Trommel!« befahl Grothusen.
»Ich war es, der sie versiegelte wie Pilatus Christi Grab ... Und ein
wenig Trauermusik müssen wohl doch die türkischen Wucherer hier hinter
uns haben, die nun ins Exil reiten müssen an unserer Stelle.«

Aber abends, wenn die Schweden einige kurze Stunden beim Schein des
Lagerfeuers ruhten, klopften und rüttelten die Musikanten an der
Trommel und meinten, daß sie gefüllt sei mit unterschlagenem Königsgeld
und Wertpapieren.

»So ein Spitzbube!« flüsterten sie. »Es ist keine Kunst, freigebig die
linke Rocktasche zu leeren, wenn man die langen Finger in die rechte
steckt!«

Schon um zwei Uhr in der Nacht ließ der König zum Aufbruch blasen. Er
sprengte bei dem Lagerlicht zwischen den Felswänden hervor. Als er sich
in Pitesti wieder an der Grenze der Christenheit befand, begegneten
ihm die in Bender zurückgelassenen Scharen, und die letzten Saporoger,
die in so manchen Gefahren treu geblieben waren, nahmen kniend seine
Abschiedsworte entgegen. Dann ging er zu Grothusen.

Dieser war gerade im Begriff, die Gulden zu zählen, die einer von den
Trabanten, der aus gewesen war, in Siebenbürgen aufgetrieben hatte. Der
König sagte zu ihm:

»Mein Paßbrief ist nun fertig. Ich werde Kapitän Frisk heißen, und mit
Rosen und Düring reite ich spornstreichs nach Stralsund.«

Da nahm Grothusen seinen galonierten Hut und seine Perücke ab und gab
sie dem König.

»Pantoffeln, Nachtmütze, Ehrenpelz und seidenen Schlafrock ... Suche
sie, suche sie! ›Alles ist weg!‹ Jetzt gehen Perücke und Hut! In der
Verkleidung und dem tabakbraunen Leibrock werden Eure Majestät so zur
Unkenntlichkeit ausstaffiert sein, daß, hätten nicht alle Rosen Glück
bei den Frauen, keine Wirtshausmagd -- ~salvo honore~ -- den
Herren ein Glas Wasser würde anbieten wollen. Ich für mein Teil bin
dankbar, den Leib auf dem Königsritt quer durch Europa nicht opfern zu
müssen ...«

Grothusen selbst setzte sich jedoch sogleich auf den Reisewagen, um
zuerst hinzugelangen und seinen Herrn am schwedischen Meer empfangen zu
können, längs dessen Küsten der Feind jetzt seine Festungen und Städte
baute.

Tag und Nacht übte der König unter wilden Ritten seine zwei
auserwählten Begleiter und die Trabanten, die ihm in eintägigem Abstand
folgen sollten. Als endlich die Stunde schlug, da er die Verkleidung
anlegen und in den Sattel springen durfte, gab er seinem Wallach mit
solcher Heftigkeit die Sporen, daß Düring und Rosen gleich beinahe
ein paar Pferdelängen zurückblieben. Es war nicht nur die schwere
Perücke, die seine Wangen erglühen machte. Er sah aus wie am Morgen vor
einem Treffen. Er, der frisch und gesund Monate in einem Krankenbette
ausgehalten hatte, um einer demütigenden Audienz beim Sultan zu
entgehen, und der jahrelang seine Tage in einer türkischen Kleinstadt
vertan hatte, in der Hoffnung, ein großes Heer als Gefolge sammeln zu
können, ritt nun ungeduldig von dannen mit seinen zwei Kameraden und
ohne einen einzigen Diener.

Die Hufe klirrten wider die Steine wie die eines durchgehenden
Pferdes, und der erwachte Winzer sprang in seiner Hütte zur Tür.

»Wer reitet dort so ängstlich?« fragte er. »Ist es ein armer,
verfolgter Deserteur, so mag er hier unter mein Dach steigen, und meine
Frau und ich werden ihn verbergen und ihn auf Stroh betten ...«

»Hüte dich, Vater, vor des Ritters Degen!« antwortete Düring. »Er sitzt
bei Tag lose in der Scheide. Es ist ein Offizier, der ausgeschickt ward
nach einem ungetreuen Freund und Anverwandten, und der eifrig ist, ihm
zu begegnen ...«

Aber für sich selbst flüsterte er:

»Der Anverwandte heißt das schwedische Volk ... So sollte das unser
letzter Kampf werden!«

Mit der versiegelten Trommel unter Körben und Kantinen auf dem
Kutscherbock rüttelte Grothusen unterdessen gen Stralsund. Sein
Herz schlug wie das eines Jünglings, als er zum erstenmal den Namen
der Stadt auf einer schiefen Wegweisertafel las. Bald hörte er den
Stundenschlag von der Nikolaikirche. Er unterschied die vereinzelten
Lichter bei den Wachen und Kranken, und auf der Zugbrücke sprang er aus
dem Wagen und rief dem Wächter zu:

»Der König, der König! Wo ist er? Welche Nachrichten?«

Der Wächter wußte nichts, und jeden Morgen spähte Grothusen von dem
Wall aus nach seinem heimkehrenden Herrn. Die Züge vom klarsten
Mondschein überstrahlt, kam der König eines Nachts in Dükers Haus
an, und schon den nächsten Morgen, nachdem die Stiefel von seinen
geschwollenen Füßen weggeschnitten worden waren, stieg Grothusen in
seine Kammer mit der frohen Begrüßung:

»Majestät! Bin verliebt!«

Der König nahm ihn herzlich bei der Hand.

»Liebster Grothusen, wir werden hier etwas anderes zu bestellen haben,
als Demoiselles aufzuwarten.«

»Es ist gar keine Demoiselle! Sie ist sicherlich sowohl Mutter wie
Großmutter ... Ich kenne sie übrigens nicht ... Aber ich bitte
demütigst, jetzt wie früher bei allen meinen Tollheiten Eure Majestät
als geheimen Vertrauten behalten zu dürfen.«

Grothusen breitete seine Papiere vor dem König aus und deutete mitunter
auf eine Ziffernkolonne, aber um die Arbeit leichter und lustiger zu
machen, erzählte er unterdessen von seinem Abenteuer.

»Es war eines Mittags, gerade als ich mich hier zu Düker begeben
sollte. Beim Knipertor lag in der Sonnenglut ein Haus, das so weiß
war, daß es mir in die Augen stach und mich zwang, aufzuschauen. Da
saß sie am Fenster ... Nein, nun sind Eure Majestät an einer falschen
Ziffernkolonne! ... Die zweitausend Gulden, die hier fehlen, habe
ich für eigne Rechnung verzehrt ... Ja, da saß sie am Fenster unter
einer Gardine mit weißen Fransen. Auch sie war beinahe weiß, aber
schön aufgekämmt, und ihr Antlitz war schmal und von unendlicher Milde
überstrahlt ... Sie ist sicher über siebzig Jahre, -- aber sie ist ja
immerhin eine Frau! Es gibt nichts so Vornehmes und Edles, gnädigster
Herr, als eine alte Dame anzubeten. Man sehnt sich nicht danach, sich
ihr zu nähern. Sie steht oben am Fenster wie eine Erinnerung, eine
heilige Legende. Man grüßt sie nur verehrungsvoll mit dem Degen, wenn
man mit seinen Truppen vorbei ...«

»Es ist ganz spaßig, Grothuschen wieder zu hören. Meine alte Schwäche
für geistreiche und verrückte Menschen scheint mit den Jahren
zuzunehmen. Dieser holsteinische Görtz, der bald hierher kommt, muß
auch so ein riesig behaglicher und beredter Herr sein mit großen
Seelengaben.«

»Ich selbst habe seine Dienste Eurer Majestät allzeit anempfohlen,
obgleich ich weiß, daß ich und Feifen dann allerschönstens in den
Schatten kriechen dürfen. Ade! Ade! So ein kleiner Finanzenpfuscher
wie ich taugt nicht länger in diesen schweren Tagen, da das ganze Reich
auf dem Spiele steht. Hier bedarf es eines großen Höllenministers
des Auswärtigen ... Görtz ist kühn und geistreich, ein Krieger in
den Staatskünsten, und er hat den Administratoren von Holstein Geld
wie Gras aufgetrieben. Er ist schlauer als zehn Grothusens und
fünfzig Müllerns oder Feifens. Aber was mir Kopfzerbrechen macht, ist
die Frage, wie man ein ~Billett d'amour~ aufsetzt an eine so
hochbejahrte Dame, wie meine Schöne am Knipertor.«

Wieder leuchtete der Schalk aus des Königs Auge, er reichte Grothusen
die Feder hin.

»Stell dich ans Tischende und schreibe, so werde ich diktieren.«

Der König überlegte eine Weile, danach begann er:

»Edelste Dame! Ein schmutziger, alter Kriegsmann, wie ich, darf gewiß
nicht um eine Audienz bei einer so edelen Dame wie Madame betteln,
aber die edle Dame könnte vielleicht günstiglichst ihm ihr Konterfei
schicken, aber bald, denn mein König sagt, daß hier bald alles mit
fallen endigen wird, so daß es gewaltig eilt mit dem Konterfei ...«

Grothusen lachte und schrieb und lachte, und von Zeit zu Zeit sprach
er von Rechnungen und Staatsgeschäften und von Görtz. Als das Billett
fertig war, faltete er es und küßte seines königlichen Freundes
Hand, und nicht viel später marschierte er den Weg hinunter nach dem
Knipertor.

Da geschah es schließlich eines Tages, daß Müllern, welcher endlich
auch in Stralsund angekommen war, mit Grothusen im Vorgemach des Königs
saß und arbeitete. Ein Lakai öffnete die Türe und meldete:

»Herr Baron Georg Heinrich von Görtz!«

Einäugig, ritterlich, mit perlmutterbesetztem Griff am Kammerdegen und
Orden auf dem kostbaren Sammetgewand, schritt Görtz über die Schwelle.
Er faßte Grothusens und des verwirrten Müllerns Hände und legte sie
auf seine Brust. Auf diese Weise blieben die drei einäugigen Herren
voreinander stehen.

»Sagen Sie mir aufrichtig,« sagte Görtz und deutete mit dem Kopf nach
des Königs geschlossener Tür, »wie lange ist es eigentlich her, seit
unser Held zuletzt badete?«

Grothusen antwortete:

»Laß mich sehen! Er badete das letztemal vergangenen Sommer zu Demotica
... Aber er ließ sich in der Zwischenzeit mit Eiswasser übergießen ...
Über so etwas kann die Exzellenz gut mit ihm spaßen ... Nur eines will
ich raten. Sprechen Sie nicht unnötigerweise von den Schweden!«

Görtz schloß die Augen und nickte und ging zum König hinein.

Ein leiser Schatten flog über Grothusens faltige Stirn, und er murmelte
Müllern zu:

»Während Seine Majestät sich dem Teufel verschreibt, gehe ich, glaube
ich, auf den Jahrmarkt hinunter und verjage die Gedanken.«

       *       *       *       *       *

Als Görtz den König begrüßte, trat er mit einer manierlichen
Ungezwungenheit und ohne ein einziges schmeichlerisches Wort vor ihn
hin.

»Wunderlich!« sagte er, »lassen Sie in einem großen Saale eine Münze
fallen, so rollt sie über den ganzen Boden, bis daß sie sich unter dem
Schrank versteckt.«

Der König, der gegen den fremden Glücksfreier noch teilweise
mißtrauisch war, nahm einen Dukaten aus der Börse, die zufällig über
den Papieren auf dem Tische offen dalag, und warf die Münze auf den
Boden. Sie rollte im Kreis und blieb gerade vor ihm liegen.

»Sapristi!« sagte Görtz. »Sapristi! Will man, daß das Geldstück unter
den Schrank soll, so bleibt es mitten auf dem Boden liegen.«

Im gleichen Augenblick geschah es aus Versehen, daß der König mit dem
Degengriff gegen die Börse stieß, so daß alle Dukaten klingend auf den
Boden fielen. Wie eine Herde erschreckter Schafe jagten sie mit ihrem
runden Rücken nach allen Seiten und versteckten sich unter dem Schrank
und Tisch und schließlich sogar hinter dem Ofen.

Nun erst begann Görtz sich tief und tiefer zu bücken.

»Sehen Sie! Ich bin klein in Glaubenssachen, das bekenne ich ehrlich,
aber in einem Stück bin ich doch abergläubisch. Eine Bombe kann mitten
in ein dichtgedrängtes Bataillon fallen, ohne einen einzigen Mann
zu verwunden, aber noch nie ist es in der Welt vorgekommen, daß ein
Butterbrot auf den Boden fiel, ohne mit der Butterseite nach unten im
Staube liegen zu bleiben. Es gibt in der Luft eine Art von Kobolden,
die vom Teufel selbst eingedrillt sind. Wären sie nicht unsichtbar,
so würden sie kleinen bräunlichen, umherfliegenden Bienen gleichen.
Sie verursachen ihrerseits keine großen Übel, sondern nur kleine
Ärgernisse, aber da, wo der Ärgernisse zu viel werden, kann es zuletzt
mit einem großen Unglück endigen. Es sind diese kleinen unsichtbaren
Kobolde, die gereizt und gelockt werden von den gezogenen schwedischen
Waffen. Soll nun eine Flagge gehißt werden, so reißt der Strang. Soll
ein Soldat über ein gefrorenes Grab schreiten, so bricht das Eis.
Einfacher gesagt, Eure Majestät werden nun gleich eifrig vom Unglück
verfolgt wie ehedem vom Glück.«

Der König trällerte leise:

    »Wie, wenn man wollte,
    Mit Absätzen sollte
    Man treten Kobolde?«

»~Quilibet fortunae suae faber!~ Man verscheuche sie. Um
anzufangen weise man aus seiner Nähe alle kleinlichen Menschen, denn
solches Volk hat eben so viel unsichtbare Kobolde im Hosengurt, wie ein
Troßknecht Flöhe. Dann ziehe man den Degen gegen die ganze Welt und
folge seines Willens Stern ...«

»Die schwedischen Herren versichern, daß zu Hause bald kein Rundstück
mehr aufzutreiben sei.«

»So lasse man neue Rundstücke schlagen! Was ist Geld? Schuldzettel auf
vorhandene Werte. Ob das Stück Königreich, das da oben liegt, nicht
ein Wert ist, auf den man beinahe so viel Schuldverbindlichkeiten
ausschreiben könnte, als man wollte?«

»Ich habe selbst längst an eine Notmünze gedacht. Aber wäre das
rechtschaffen? Ein Herrscher soll ehrlich sein. Es darf sich kein
Flecken an seiner Ehre finden lassen. Seien Sie des eingedenk!«

»Gewiß, gewiß! Die Notmünze ist zu borgen! Im Jahre des Segens gibt
man das Echte zurück und wirft die Notmünze in den Ofen. Wer hoch
zielen will, darf sich auch nicht fürchten, selbst Luzifern die Pfeile
schmieden zu lassen!«

Des Königs kühner Gedankenflug warf sich sogleich auf die Frage wie
in ein Handgemenge gegen einfältige Vorurteile. Selbst hatte er nicht
einmal in der Wüste die Hand in die Tasche gesteckt, ohne sie mit
Dukaten füllen zu können. Gleichgültiger gegen seine Kleidung und seine
Herberge als ein Bettler, hatte er doch nie einen Gegenstand gesehen,
den er wirklich Sehnsucht gehabt hätte zu kaufen. Seine Dukaten hatte
er nie zu etwas anderm verwandt, als um andere aufzumuntern und zu
belohnen. Das Geld war für ihn ein Staatsmittel. Hingegen sah er
täglich, daß, sobald er den anderen befahl, ihr Geld dem Heere zu
geben, sie anfingen zu murren und Ausflüchte zu suchen, und seine
Verachtung gegen solche Diener knäulte sich schlangengleich mit seiner
unbezwinglichen Sehnsucht nach Genugtuung, nach Rache an seinen
Feinden, die ihn angesichts der Welt in einen solchen Abgrund gestürzt
hatten. War er nicht ein König, Herr über Millionen Menschen! Warum
wurde er dann beständig gehindert und gebunden von solchen an sich
wertlosen, kleinen Metallplatten, die hier Reichstaler und dort Gulden
genannt wurden? Es war dies eine Erfindung, mit der der niedrige Sinn
den Menschenwert umdrehte und die Ehrlichkeit betrog, um selbst zu
schwelgen. Wäre es irgendein Verbrechen, an einer solchen Erfindung
einige Schrauben umzusetzen? Eigentlich müßte das Geld ganz und gar
abgeschafft werden.

Nach einigem Überlegen sagte der König:

»Und die Bedingungen?«

»Daß ich holsteinischer Untertan verbleibe, aber frei meinen Mithelfer
wählen darf und nur vor Eurer Majestät mich zu verantworten habe. Die
Ämter sollen umgeformt werden mit größerem Nutzen für die Königsmacht.
Das Heer ...«

Der König fiel ihm sofort in die Rede.

»Aber nicht ein Fußbreit Erde von dem väterlich ererbten Reich darf
an den Feind abgetreten werden durch Friedensschluß oder Kaufvertrag.
Lieber mögen wir alle sterben und mag ganz Schweden verbrennen. Ich
fing den Krieg nicht an. Die Nachbarn legten sich in den Hinterhalt,
als ich noch ein unerfahrenes Kind war.«

Jetzt erst kniete Görtz.

»Die Welt kann nie den Helden verstehen, der lieber bei seiner
beschworenen Abrede verbleibt, als den schlauen Politiker spielt; aber
feig ist, wer sich dem entzieht, einer solchen Standhaftigkeit zu
dienen. Es standen schwache Zeichendeuter an der Wiege Eurer Majestät.
Des Löwen Sternbild sahen sie wohl, aber sie lasen nicht in den
Gestirnen, daß die Feuersbrunst schwedischer Großmacht schon dahinter
angedeutet stand ... unwiderruflich ohne Abhilfe. Der Kämpe, der aus
dem Steinhaufen stieg, um die Schweden in dem großen Streit zu sammeln,
er braucht Männer. Ich bin ein Fremdling, aber so gewiß ich lebe, rede
ich von Herzen und in Wahrheit. So lange meine Kräfte reichen, will ich
von Ost und Westen das Holz zusammenschichten zu einem Bollwerk dieser
Art, das nur schlimm genug gezimmert werden kann mit Nägeln von gutem
Dukatengold.«

»Dies Spiel kann gefährlich werden.«

»Das Gefährliche ist das Lustige. Ein braver Diplomat muß jeden Tag für
das Schafott bereit sein, wie ein Krieger für die Kugeln. Mißglückt
alles, ja, dann soll auch das Bollwerk ein Scheiterhaufen werden, der
die Nacht ringsum zum lichten Tage macht, und die Feinde zu bloßen
Schatten und Schemen. Mir bleibt dann nur der Ehrentod, selbst auf
dem Scheiterhaufen verbrennen zu dürfen bei meinem Herkules. Unsres
guten Luthers »Wein, Weib und Gesang« hat mir immer zu sehr nach dem
Wirtshaus geschmeckt, und ich will lieber die Worte setzen:

    »Wer nicht liebt Weib, Ruhm und Macht,
    der bleibt ein Narr bis in die Todesnacht!«

Angefeuert durch die augenblickliche Aufrichtigkeit und seine eigene
Wärme, hatte Görtz vergessen, das Wort »Weib« zu streichen, aber der
König achtete nicht darauf, sondern ging ihm mit blitzenden Augen
entgegen.

»Mein Bild darf nicht auf die Notmünze gesetzt werden!«

»Wir können ja den ganzen Olymp nach abgedankten Göttern plündern.«

Der König stand lange schweigsam. Dann fügte er mit leiser und
unsicherer Stimme hinzu:

»Es darf auch nicht das Wappen des schwedischen Reiches darauf gesetzt
werden!«

Über seine gerunzelten Augenbrauen legte sich eine tiefe, finstere
Schwermut.

Betroffen, unschlüssig und eilig stand Görtz vom Boden auf und ging ans
Fenster und deutete auf den Platz hinunter.

»Wenn Eure Majestät nochmals bittere Gedanken überkommen, so gehe sie
nur ans Fenster und schaue auf den Platz hinunter. Da wird es nicht
schwer, herzlich zu lachen.«

»Es ist schon lange her, seit ich von Herzen lachte ...«

Unten auf dem Platz unter den Mädchen beim Brezelstand ging Grothusen
auf und ab, und hinter ihm stand ein kleiner Tambour mit der
versiegelten Trommel.

»Schlage nur einen kühnen Wirbel, und trommle die Mägde zusammen,«
befahl Grothusen.

Der Knabe rührte die Schlegel, und als alle Mädchen neugierig
herzugesprungen waren und rings herumstanden, brach Grothusen die
Versiegelung auf und spannte das Trommelfell ab. Danach hob er aus
der Trommel alle möglichen frauenhaften Spielereien, die er während
des letzten Abends in Demotica auf dem Basar eingehandelt hatte. Es
waren kleine Tücher und Schleier und Spiegel und Rosenölfläschchen und
Halsbänder mit Halbmonden und Münzen. Er schwenkte die Tücher hoch
in die Luft. Mit zurückgeworfenem Haupt und Schweißtropfen auf dem
pfefferbraunen Antlitz rief er seine Waren aus und hielt eine Auktion.
Für die eine Kleinigkeit verlangte er einen Kuß, für die andere eine
Umarmung, für die dritte einen Tanz auf offenem Platze.

»Schau, schau,« fuhr Görtz fort, »wie unser Oberst seine heidnischen
Tücher dem christlichen Frauensvolk zustopft! Er ist ein ~bon
garçon~ unser Freund da unten, aber Männer solchen Schlages sind
doch nicht gewachsen, einem Karl dem Zwölften zu dienen ...«

Der König begann nun sich zu verneigen, zum Zeichen, daß Görtz abtreten
könne.

»Der Verleumder hat auch behauptet, daß Sie, Baron, ein arger Schelm
seien. Eines will ich Ihnen sagen. Wenn wir in Zukunft zusammen
arbeiten, soll der Baron nie schlecht sprechen von irgendeinem
Abwesenden, denn dann nehme ich immer die Partei des Abwesenden.
Wieviel Schlimmes hat man nicht versucht, mir ins Ohr zu flüstern
wegen der Trommel dort unten ... Und was enthält sie? Ja, harmlose
Spielereien und Lappalien! Wenn Grothusen auch ein verschwenderischer
Diener war, so hat er wenigstens nie etwas in den eigenen Sack gesteckt
... Jetzt will ich ein paar Akte durchgehen.«

Görtz biß sich in die Lippen, aber als er herunter kam, winkte er mit
einer hochmütigen Gebärde seinen Freund Grothusen ans Wagenfenster.

»Der kranke und blutende Löwe von Ukraine und Poltava hat seine Tatzen
so lange ausgeruht, daß die Klauen länger und schärfer geworden sind
denn je. Drücket den Hut fest auf den Kopf und knöpfet den Rock, meine
Herren, und haltet euch bereit! Die Herbststürme beginnen!«

       *       *       *       *       *

Die geringzählige Besetzung von Stralsund hörte bald das Kanonenspiel
des Feindes außerhalb der Mauern. Glockenschläge riefen die Mannschaft
zu den Wällen oder zu brennenden Häusern. Gegen Morgen legte sich
der König mit dem Hut über dem Gesicht zu einer Stunde Ruhe auf das
Steinpflaster im Frankentor. Wach stierte er in den dunkeln Hut,
aber die Knechte, die mit der Handlaterne auf ihn leuchteten, fanden
nur das Kinn und die Lippen, über denen noch ein Lächeln schwebte,
zusammengebissen und kalt, als hätte es nur zu seiner Gesichtsbildung
gehört. Dann flüsterten sie, daß sie nie einen freimütigeren Helden
gesehen hätten, aber abseits im Sternenlicht standen viele hohe
Offiziere und sprachen davon, daß nur sein Tod das schwedische Reich
retten könne.

Er wußte, wovon sie sprachen, obgleich er es nicht merken ließ. Das
Volk, von dem er seine größten Träume geträumt hatte, erblickte bereits
in seinem Tod die Erlösung. Wann erlitt ein König ein entsetzlicheres
Geschick? War er denn nur geboren worden, um die Schweden in ihrem
letzten großen Streit anzuführen und dann weggeworfen zu werden wie
ein verbrauchtes Werkzeug? Seiner Schwester Gemahl schielte schon nach
seiner Krone, und der Sohn seiner dahingeschiedenen Lieblingsschwester
hob schon gegen ihn die Kinderhand.

Bei der Abendmahlsfeier demütigte er sich und betete mit aufrichtigen
Tränen, aber nie weinte er über seine eigenen Mißgeschicke. Waren
sie nicht einfach Feinde, denen er mit des Rächers Zorn zu begegnen
hatte? Er wurde härter und kälter gegen die Offiziere und sprach
öfter mit geballter Faust, aber er befahl auch um so strenger über
sich selbst und seine eigenen Gedanken. Freilich vernachlässigte er
immer mehr seine Kleidung, so daß er vierzehn Tage dasselbe schmutzige
Hemde tragen konnte, aber er bezwang seinen hinkenden Gang. Sein Haar
schimmerte schon silbrig, obgleich er kaum dreiunddreißig Jahre alt
war, aber wenn er wachend in seinen Hut aufsah, wiederholte er für sich
selbst: Es muß der Wille Gottes sein, dem ich folge. -- Sodann richtete
er sich auf wie ein ausgeruhter Jüngling und reichte seinen Mantel
einem frierenden Graukopf, -- aber wenn die Heimat oder die Schweden
genannt wurden, dann zupfte er an seinen Rockknöpfen und schwieg.

Eines Tages exerzierte Grothusen mit größerem Eifer als gewöhnlich
seine Soldaten unten vor dem Fenster der Schönen am Knipertor.
Regungslos wie ein Bild saß die alte Dame hinter den Blumentöpfen, und
als Grothusen seinen Hut abzog, blinkten die neuen Galonen.

Er winkte seinem kleinen Tambour.

»Noch hat deine Trommel nicht ihre volle Sprache. Laß sie uns öffnen.
Hier liegt ein Paar der niedlichsten kleinen, goldgestickten Schuhe.
Geh hinauf zu der Dame, und sage ihr, daß dies eine Abschiedsgabe von
Grothusen sei. Nun ist die Trommel leer.«

»Herr General! Es liegt eine türkische Goldmünze auf dem Boden.«

»Meiner Treu! Die ist in der Eile da hineingeraten. Es ist Königsgeld!
Jetzt sollen wir hinaus nach Rügen, wo die Preußen und Dänen die
Absicht haben, ans Land zu steigen, um uns auch von der Seeseite
einzuschließen. Geh mit der Münze zum König und bitte ihn, sie als
Erinnerung an die Jahre entgegenzunehmen, in denen Grothusen das
Glück hatte, ihm in fernem Land dienen zu dürfen. Möge das Gold in
friedlichen Zeiten im Tiegel umgeformt werden zu ehrbarem Geld, auf
dem die Schweden wieder sowohl ihr Wappen wie ihren König betrachten
können. Sag all dieses in Demut vom Grothusen!«

Als alles zum Aufbruch geordnet wurde, salutierte Grothusen mit dem
Haudegen vor seiner siebzigjährigen Dame. Während er die Straßen
entlang ritt, winkte er den neugierigen Mädchen an Fenstern und in
zusammengeschossenen Verkaufsbuden, und zum erstenmal seit Demotica
donnerte seine Trommel mit voller Stimme. Es gab ein solches Echo von
den Kirchenmauern, daß es dem dumpfen Rollen feindlicher Feldstücke
glich. Unerschrocken, erregt ratschlagte Düker unten vor seiner
Treppe mit dem König. Auf Bassewitzens erbittertes Geflüster über
Görtz horchend, ritt Daldorff unter den Generalen, und der kleine
Cronstedt klopfte seinem Stückjunker auf die Schulter. Bald eilte er
nach der einen Seite, bald nach der anderen. Er untersuchte seine
schnellfeuernden Kanonen, wie ein guter Stallmeister seine Pferde, und
mitunter polierte er mit dem Zipfel seines Mantels die neuerfundenen
Polhemschen Richtschrauben.

»Es wird ein harter Kampf,« sagte er, »und erst wenn Seine Majestät auf
schwedischem Boden steht, will ich den Königsritt geglückt nennen.«

       *       *       *       *       *

Die Herbststürme brausten in ihrem Dämmerlicht über Rügen, und es
ächzte und stöhnte in den Klüften und an der Küste. Kein Stern erzählte
von Gottes Güte, und als die Truppen zum Gottesdienst aufgestellt
waren, erscholl aus des Predigers Mund das alte Rächerwort des
Testamentes. Die Schweden hatten jetzt solchen Mangel an Leuten, daß
sie als Vorposten angebundene Hunde ausstellen ließen, deren klagendes
Geheul das Rauschen der Brandung unterbrach.

»Es bedeutet den Tod, wenn die Hunde winseln,« sagten die Soldaten.

Das Landvolk wurde mit Äxten und Sensen bewaffnet, aber durch den
Regennebel geschützt, näherten sich die Feinde dem Strande und setzten
schließlich draußen am nächsten unbewachten Dorfe, Stresow, mehr
als zehntausend Mann an Land. Der Wind riß die Nebel weg, und der
Mond stieg klar auf über der verödeten Gegend. Schon um die dritte
Stunde der Nacht krochen die von den Feinden ausgestellten Feldwachen
vorsichtig über den Sand zurück und meldeten, daß die Schweden sich
näherten.

Der König stand einen Augenblick, um seinen Mantel abzuhaken, und
wandte sich zu Daldorff und den Leibtrabanten:

»Die Jahre sind verflossen. Wir haben es gut zusammen gehabt! Wer weiß,
wann das Blei im Schmelzlöffel siedet, das unser Tod wird.«

Grothusen zog von seiner Brust einen gelben Handschuhstulpen zwischen
den Rockknöpfen hervor und antwortete:

»Ich nahm den Handschuh bei Bender von meinem gnädigen Herrn, und keine
Frostnacht ist so kalt gewesen, daß der Handschuh nicht mein Herz
erwärmt hätte.«

Da entblößte Daldorff sein Haupt:

»Wenn ich meine Kugel bekomme, -- könnte dann mein armer und
zerfleischter Staub noch lächeln und reden, in der Erde würde er sich
nach den abziehenden Truppen wenden und eines dankbaren Mannes Segen
über die rechtschaffenen Waffenbrüder herabflehen ... Ach, daß der
Segen nur noch einmal unserem Wege leuchtete! Gleich dem Landmann, der
es für nützlich erachtet, den alten Acker zuzuschütten und ihn neu zu
besäen, so zerstückt und verändert Gott Reich und Macht. Wenn er die
neuen Grenzzeichen gesetzt hat, erlaubt er niemandem, die Marksteine an
ihren früheren Platz zurückzutragen. Wir verstehen nicht seinen Willen,
wir erkennen bloß, daß er gegen uns ist.«

Der König antwortete:

»Gott ist _mit_ uns. Es kann nicht sein Wille sein, daß das
schwedische Reich zerstückt werde. Ist es so, so möge er uns das
Zeichen dadurch geben, daß er uns einen nach dem anderen sterben lasse.«

»Das sind einfache und wahre Worte!« antwortete Daldorff. Die
Offiziere, die außerhalb des Stadttors von Stralsund abseits im
Sternenlicht miteinander geflüstert hatten, erinnerten sich nicht mehr
ihrer düsteren Gedanken. Sie drängten sich statt dessen mitten unter
die Leibtrabanten, um dem König möglichst nahe zu kommen. Es schien
ihnen, als ob sie in seinem Wesen etwas von Gottes eigner, harter und
unbarmherziger Liebe für das Rechtschaffene und für die Erfüllung
seines Willens wiedererkennten.

Das Gespräch brach ab. Die Trompeten tönten nicht, die Trommeln wurden
nicht gerührt, die Fahnen wurden zusammengerollt und gesenkt getragen.
Mit gezogenem Degen schritt der König vor seiner Schar. Er hatte kaum
dreitausend Mann. Die sollten jetzt kämpfen drei gegen zehn und die
Feinde überrumpeln und ins Meer zurückjagen.

Er hielt inne:

»Was ist denn das? Hier stehen spanische Reiter, und im Mondlicht
sehe ich eine Redoute! Die Feinde haben die Zeit gut ausgenutzt ...
Vorwärts!«

Längs des Schanzdammes sprühten in demselben Augenblick eine Reihe von
Feuerstrahlen empor, und die erste Salve krachte durch die Nacht, aber
die Schweden stießen die spanischen Reiter beiseite und stürmten gegen
den Wall hinan.

Cronstedts Kanonenkugeln sausten über ihren Köpfen und warfen Steine
und Sand auf, wo sie die Verschanzung trafen. Der Boden bebte,
und von allen Seiten blitzte das Musketenfeuer. Es schwirrte und
schrie, als ob ein Heer hungriger Weihe über den Strand segele, die
Pulverwolken häuften sich so hoch, daß das Mondlicht nur an einzelnen
Stellen durchzudringen vermochte und daselbst auf dem Boden weiße
Flecken wie von Schnee hinmalte. Noch lange konnten die Kämpfenden,
wenn das Geräusch eine Zeitlang nachließ, aus der Ferne das Geheul
der angebundenen Hunde hören, aber bald wieder wurde das Getöse so
heftig, daß die Soldaten nicht einmal die Kommandorufe der Offiziere
aufzufangen vermochten. Die Fäuste um den Degengriff geballt, stürzten
die Schweden vorwärts wie Berserker beim Holmgang. Da blieb es nicht
mehr ein geordnetes Treffen mit Anführern und gehorsamen Bataillonen.
Es waren die letzten Kämpfer aus dem Heer, das durch Europa gezogen
war, die nun im Herbst ihrer Taten zum letzten Male im Süden des
schwedischen Meeres ihr Blut opferten. Es galt hier, Brust gegen Brust
in einem Handgemenge auf Tod und Leben, ewige Heldenehre oder Schande.
Der Oberst Jakob Torstenson lag schon gefallen, aber sein Bruder Karl
Ulrik brach sich Bahn über den Wall mit seinen Leibtrabanten und focht
mitten in der feindlichen Verschanzung. Langsam zurückgedrängt, rief
er, mit dem Rücken gegen die Erdmauer gedrückt und den sterbenden
Hauptmann Adlerfeldt zwischen den Füßen:

»Haltet tapfer stand, liebe Kameraden! Mein Großvater führte das ganze
Heer der Schweden und ich strecke den Degen nur vorm alten Dessauer
selbst!«

Barhaupt und mit der Flamme des Zornes und der Begeisterung auf
der Stirn, hieb der König sich seinen Weg zwischen den Klingen und
Kolben. Er ging den mordenden Degenspitzen mit Herbststürmen in seinem
Sinn entgegen, demütig, gleichgültig gegen Schmerz und Tod. Noch
einmal grinste des Fähnrichs Aaberg zahnloses und männlich häßliches
Gesicht an seiner Seite, und Seved Tolfslag brach Schädel und Waffen.
Das Musketenfeuer sprühte nach allen Seiten und sengte des Königs
zerrissenen Soldatenrock. Er durchbohrte und schoß. Von derben Händen
wurde er um den Leib gepackt, und er rang Arm in Arm mit gemeinen,
fluchenden Soldaten. Ein dänischer Offizier, der ihn erkannte, faßte
ihm mit der einen Hand in das dünne Haar und suchte ihm den Degen
abzuringen, aber der König riß die Pistole aus der Scheide und schoß
dem Dänen durch den Leib, so daß er tot niederfiel. Dann sprangen
neue Feinde hervor, und Dessauers Reiter und Feldstücke fielen die
Schweden von den Seiten an, so daß sie in dem Dunkel der stürmischen
Novembernacht von einem Ring von stechenden Degen und flackerndem
Donner umschlossen waren.

Der Generalmajor Strömfelt gab dem König sein Pferd, aber das Tier
stutzte im Dunkel vor einem spanischen Reiter, stürzte bei einer
Stückkugel zusammen und blieb auf dem Boden über dem König liegen.
Als er sich frei zu machen versuchte, wurde er vor der Brust von
einer verlaufenen Stückkugel getroffen, so daß das Blut ihm von den
Lippen floß. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, und er sank zurück,
besinnungslos und halb im Sand begraben, aber die Hand noch um den
Degen geballt.

Der Oberstleutnant Tranfelt stritt mitten in einem Schwarm von Dänen.
In jeder Hand schwang er eine Waffe, und unter seinem aufgerissenen
Rock und Hemd sah man drei Wunden auf der bloßen Brust. Als er nicht
länger zu stehen vermochte, kämpfte er auf den Knieen, bis daß er fiel
und den Geist aufgab.

Cronstedt war, verwundet und blutend, auf eines seiner Feldstücke
emporgehoben worden.

»Das sind die Römer des Nordens,« sagte er, »die in der Nacht für ihre
letzten Provinzen fallen!«

Vor ihm lag ein gestürzter Stückjunker mit der noch brennenden Lunte,
und mitten durch das Getöse der Schlacht und des Sturmes klang ganz
nahe eine betende Stimme. Es war ein Feldprediger, der hinter den
Fechtenden sich über die Verwundeten und Sterbenden beugte.

»Du König aller Könige! Rufe uns nicht zu wie den Kindern aus Jerobeams
Haus: der, welcher stirbt in der Stadt, den sollen die Hunde fressen,
wer aber auf dem Felde stirbt, den sollen die Vögel des Himmels
fressen, denn der Herr hat es geredet! Warum versagst du uns das
Zeichen, daß du noch mit uns seiest? Warum vergönnst du uns nicht, den
Frieden des Sieges den Unseren zu verkünden, welche bluten, auf daß das
harte Bett ihnen weich werde ...«

Bassewitz wurde schon auf zwei Musketen sterbend aus dem Handgemenge
getragen, und Daldorff, der Veteran, der schon in so manchem Streite
mitten unter den gefallenen Trabanten blutend das Leben des Königs
gerettet und unter seinen Augen die Smaaländer Reiter bei Holofzin
dem Tod entgegengeführt hatte, lag auf seinem ausgebreiteten Mantel,
leichenblaß. Die Schüsse warfen ihr plötzliches Licht über die hauenden
und gekreuzten Degen und über die Schatten gleichenden kämpfenden
Soldaten. Beim Schein eines Feldstückes erkannte der Trabantenkorporal
Baumgarten schließlich den König und hob ihn auf sein Pferd und umgab
ihn mit den zurückgeschlagenen Schweden.

Da drang ein anhaltendes und heftiges Trommeln an des Königs Ohr, und
als er sich forschend zur Seite wandte, unterschied er beim Grauen des
Tages in einigem Abstand einen kleinen Tambour, der, mit den Schlegeln
in der Hand, noch gegen den Feind gewendet da stand. Neben ihm lag ein
Offizier auf dem Rücken, beide Arme gerade ausgestreckt. Der große,
galonierte Hut saß noch stattlich und vornehm auf seinem Kopf. Das
Halstuch aus französischen Blonden wehte rot befleckt im Winde, und
rings um die abgetragenen Rockschöße schimmerten durcheinander in dem
tauigen Heidekraut Konfektbissen und Silbermünzen.

»Wer ist der Gefallene?« fragte der König.

Rittmeister Ridderstadt antwortete:

»Es ist ein tapferer Kriegsmann vor Gott, von vielen Menschen aber
geschmäht ... Es ist ein bevorzugter Freund Eurer Majestät ... Es ist
Grothusen!«

Als Ridderstadt dies geantwortet hatte, ging er selbst in das
Handgemenge zurück und erlitt den Tod.

       *       *       *       *       *

Es war finstere Winternacht, als der König endlich in seiner
Sechsruderschaluppe das unter Stückkugeln und Bomben rauchende
Stralsund verließ. Düring, der so unermüdlich die Mühsale des
Königsrittes geteilt hatte, war außerhalb der Stadtmauern in seinem
Blute gefallen, aber sein Bruder saß am Steuer auf dem Rücksitz.
Eine Menge Arbeiter gingen mit Keulen und Haken zu beiden Seiten der
aufgebrochenen Eisrinnen, und Rosen, der zuvorderst stand, war dem
König so lebendig ähnlich, daß sie ihm den Abschied winkten.

Von feindlichen Kugeln verfolgt, erreichte die Schaluppe das offene
Meer. Vergebens spähte jedoch Rosen nach den beiden schwedischen
Schiffen »Snapp-opp« und »Snare-Sven«, die zur Begegnung hierher
befohlen, aber vom Sturm zurückgeworfen worden waren. Da stieg der
König mit seinen beiden Begleitern und einem Lakaien an Bord einer
schweren Lastgaleote, die, mit roten Lappen auf ihrem dunkeln, elenden
Segel, den Anker lichtete. Wo schwamm wohl jetzt die stolze Flotte,
auf deren Deck er vor fünfzehn Jahren, jung und siegesgewiß, des
alten Piper frohes Händeklatschen vernommen hatte! Die drohende Reihe
von Masten, die Rosen am Horizonte auskundschaftete, war die von
Tordenskiold. Erst weit draußen im Meer begegnete ihnen die Brigantine
»Snapp-opp«, und mit zornigen Befehlen und düsteren Augen betrat der
König das verspätete Schiff. War das der gnädige Herr, von dem die
Seeleute hatten erzählen hören, daß er mit zierlichen Verbeugungen den
Hut unter den Arm zu stecken pflegte? Er hob die Hand, um die Besatzung
zu begrüßen, aber er beugte sich langsam und steif, und strafend fielen
seine ersten Worte unter schwedischer Kriegsflagge:

»Der Schiffer von ›Snapp-opp‹ wird gestäupt werden! Aber der von
›Snare-Sven‹, der ganz ausgeblieben ist, er soll füsiliert werden!«

Der Sturm hob eine Eisscholle empor. Sie streckte ihren weißen Hals
über den Plattbord wie die Geister Ertrunkener, aber als die Dunkelheit
sich wieder ausbreitete, stand der König noch schweigend beim Mast
... Wäre er nicht ein Fürst gewesen, so hätte er sich noch wenden
und eine versteckte Freistatt suchen können, aber jetzt würden ihm
die Menschen bald nachlaufen und ihn mit sich ziehen. Er hätte eine
Kaperflotte wehrhaft machen und auf dieser seine Jahre zwischen Degen
und Schüssen verbringen können, nun aber befahlen ihm seine Untertanen,
sich heimzuwenden, um ihrer Düngerhaufen und Sennhütten zu warten. Je
mehr er sich dem Schonenwall näherte, desto deutlicher deuchte es ihn,
daß es gelte, unter Feinden ans Land zu steigen. Er erinnerte sich des
frühen Morgens an Karlbergs Königshof, als er, ehe die Großmutter und
Schwestern erwacht, sich mit Hultman die Treppe hinunter stahl und in
den Krieg ritt. Er wollte die bekannten Gesichter nicht wiedersehen.
Er wollte nicht durch Stockholms Straßen reiten und das Volk mit
Pechfackeln einen verschlagenen und schiffbrüchigen König begrüßen
sehen. Wohl sah er, daß diese Schweden stets ihr Leben für ihn und
das Stückchen Land ließen, das noch ihr Eigentum war, aber er wußte
auch, daß viele unter ihnen in ihren stillen Gebeten Gott anriefen,
er möge ihm einen schnellen Tod geben. Er sah das alles ebenso klar,
als er es ehedem undeutlich gesehen hatte. Er dachte nicht an Frieden
und Versöhnung. Er konnte nicht vergessen, daß die Tausende, die ihm
gefolgt waren, ihre Kugel bekommen hatten, und daß seines Volkes
Wehklagen und Segnungen sie in ihren überwachsenen Gräbern weich
gebettet hatten, daß sie heilige Männer geworden waren, deren Sünden
vergessen, aber deren Taten gepriesen wurden. Für einen Krieger gab es
nur zwei Wege zur Versöhnung mit Gott und den Menschen, das war der
Sieg oder die Todeswunde.

Als er in strömendem Nachtregen an dem Schonenwall ans Land
stieg, kniete er nicht und zeigte keinen Seufzer der Wehmut oder
Erleichterung. Eilig und ohne ein einziges Wort ging er zu einem
großen Stein, der Stafstein genannt wurde. Er, der Reiter von Demotica,
der Soldat, der unbekümmert sich auf Schneewehen zur Ruhe gelegt hatte,
vergaß sich so ganz in dieser Stunde, daß er an der Leeseite hinter
einem Stein Schutz suchte gegen einige harmlose Wassertropfen. Hier
blieb er stehen.

Es läutete nicht in den Kirchen. Es wurde nicht geputzt und gefeuert in
den Königshöfen. Während der Nachtregen in den Dachrinnen platschte,
schliefen die Schweden in ihrem Heim und ahnten nicht, daß ihr König
nach fünfzehn Jahren märchenhafter Siege und namenlosen Elendes und mit
dem Zorne des Verunglückten in seiner Seele den Boden seines Reiches
betrat, von niemand empfangen und begrüßt. Er sah nicht länger zurück,
nur vorwärts. Rache! Dies Wort arbeitete wie ein Hammer in seinem
Gehirn, Rache an den Wortbrüchigen, Rache an der Welt, die ihn zu
einem armseligen Flüchtling stempelte, ohne Geld, ohne Macht ... aber
eine große königliche Rache! Er wußte, daß am nächsten Tage viele von
seinen Untertanen jubeln würden, aber daß auch viele zitternd Galgen
und Schafott voraussahen. Er lächelte dazu. Seine Erbitterung war die
des Schamgefühles und der verwundeten Liebe. Aus diesem Grund hatte
er in den letzten Jahren es vermieden, von Schweden zu sprechen. Er
wollte diese letzten Feinde bestrafen und besiegen, aber nicht auf dem
Richtplatz. Ruhig und befehlend beabsichtigte er den Boden zu betreten,
den sie nahe gewesen waren ihm zu entreißen. Er wollte sich mitten
unter die düsteren Angesichter stellen. Gleich sorglos wie ein Hirte
unter dem Gebüsch des Waldes, wollte er mitten unter den Verschworenen
schlafen, falls sich welche fänden, und sie noch einmal zwingen, die
Fahnen zu senken und ihm zu folgen, wohin er ginge. Er wollte die
schwedischen Feinde besiegen, dadurch daß er ihnen zeigte, daß sie noch
getreu waren.

Der Tag begann zu grauen, und einige Erdarbeiter kamen vom Feld, aber
alle Farben leuchteten so hart und stark. Alles schien ihm so kalt und
fremd.

»Ist das nun Schweden,« murmelte Rosen hinter seinem aufgeschlagenen
Kragen. »Ich erkenne es kaum wieder.«

»Eure Augen sind vom Winde gerötet,« antwortete der König. Danach fügte
er hinzu: »Wenn wir nicht alles hier zu Hause wieder erkennen, so
werden andere uns wiedererkennen!«

Er ließ sich von einem der Feldarbeiter den Weg nach Trelleborg
zeigen. Mit dem ruhigsten Gesicht sprach er von seiner Sehnsucht, die
gelehrten Professoren in Lund und den großen Polhem zu treffen, die
ihm helfen sollten, einen Kanal quer durch Schweden zu bauen. In des
Reiches unterster Ecke gingen die drei Herren zwischen den Planken und
Schlafhütten der Kleinstadt gleich schiffbrüchigen Abenteurern, die im
eigenen Lande fremd geworden sind, und unter dem tief herabgezogenen
Hut weinte Rosen wie ein Kind.

Als der König dem Wegweiser seinen Lohn geben wollte, merkte er,
daß alle Dukaten während der Fahrt weggeschenkt worden waren. Er
fand nur die türkische Münze, die Grothusen in der Trommel mit sich
geführt und ihm mit dem Wunsche geschenkt hatte, daß das Gold einmal
in Friedenszeiten möge umgeschmolzen werden zu einem ehrlichen
schwedischen Geldstück. Es war des Königs letzte Münze, und sie war
nicht sein, denn sie war von einem türkischen Juden geborgt. --

Ohne ein Wort legte er die fremde Münze in die Hand des schwedischen
Bauernsohnes.



Fredrikshall


Die Landeshauptleute riefen jetzt die Bevölkerung zusammen und
rechneten einem jeden fünfzig Taler auf den Tisch, der gutwillig
Reiter, und hundert einem jeden, der Fußsoldat wurde. Viele
Widerspenstige hieben ihre Finger ab oder schnitten sich mit dem
Messer, um zum Kriegsdienst untauglich zu werden, aber sie wurden zu
fünfzig Rutenstreichen verurteilt oder zu lebenslänglicher Strafarbeit
auf Marstrand gesetzt. Wilde Soldatenhorden zogen Gewalt ausübend
durch die Gegenden. Wenn der Bauer ihre Stimmen am Weidenzaun hörte,
ließ er die Schlüssel im Schloß stecken und verbarg sich unter
Heuhaufen oder floh mit Gesinde und Vieh nach der Wildung hinauf. Zu
Stockholm schlossen sich die Ratsherren in ihre Stuben ein, um nicht
gesehen und befragt zu werden. Von Gardisten begleitet, streiften die
Untersuchungsleute von Tür zu Tür und brachen Keller und Vorratskammern
auf, und die Wölfe kamen bis auf die Straßen. Es gab keine Waren in den
Kaufläden, kein Getreide in den Mühlen, keine Hände, die den Hammer
schwangen, kein frohes Lachen, keine gemütlichen Winterabende um das
Feuer des Heimes.

Das ganze Volk war von einer prophetischen Ahnung durchschauert. An
der Kirchentür oder in der verschlossenen Stube sprach man davon,
daß Gott, der Schweden die Krone des Martyriums aufgesetzt hatte,
bald die Dornen abfallen und das Laub in schönem, neuem Frühjahrsgrün
ausschlagen lassen werde und daß der König bald stürbe. Tag für Tag
wurde die Botschaft erwartet, daß er gefallen sei, und man wunderte
sich nur, daß es so lange dauerte. Alle wußten, daß er an Hecken und
Zäunen kämpfte wie ein gemeiner Soldat. Die meisten stellten ihre
tägliche Arbeit ein und gingen in Furcht und düsterer Erwartung umher.
Ein Ratsherr zu Stockholm klagte schon, daß er nicht wisse, wo man
Trauerstoff und Geld für die Beerdigung herbekommen solle. Selbst Görtz
lag jeden Morgen schlaflos, wenn sein Diener mit dem Holz für den Ofen
kam. Schweden glich dem zusammenstürzenden Königshaus bei Bender, aber
über dieser brennenden Ruinenstadt, wo der Jammer in einem wartenden
Schweigen dahinstarb, schossen gleich Sternschnuppen geistreich
leuchtende Zukunftspläne und Vereinfachungen, von denen fernsichtige
Wahrsager prophezeiten, daß sie erst nach Jahrhunderten eintreten und
sich verwirklichen würden.

Zu der Zeit lebte in Uppsala ein bettelnder Studiosus, der Pfarrer
werden wollte, aber nie etwas anderes zu tun vermochte, als zu würfeln
oder zu raufen oder zu Hochzeiten und Begräbnissen Verse auf Schwedisch
wie Lateinisch zu verfertigen. Er hieß Tolle Aarasson. Hände und Füße
waren viel zu schlank und fein für seinen großen Körperbau, aber auch
wenn er hungerte, blühte sein bartloses Kindergesicht immer gleich
voll und rosig. Keinem Menschen wollte er etwas anhaben, wenn er nur
frei wie die Vögel leben, seine eigenen Wege gehen und in Ruhe des
Morgens schlafen durfte, aber die Kameraden meinten, daß er zwischen
gut und böse nicht unterscheiden könne. Als die Werber eines schönen
Sonntags mit ihrem Lärmen in der Stadt begannen, wurde er ganz fromm
und verbarg sich mit den leeren Einbanddecken seiner lateinischen
Grammatik in den Kirchenbänken. Es war in der Dreifaltigkeitskirche.
Mitten während des Gottesdienstes drangen die Werber mit einem Bündel
Handschellen auf den Achseln lärmend und dröhnend ein, aber Tolle
Aarasson beugte sich über seine leeren Bucheinbände. Er wiegte seinen
Leib vor und zurück und sang mit einer Innerlichkeit und Andacht, daß
keiner daran dachte, ihn zu nehmen, obgleich er zu dem untauglichen
Gelehrtenvolk gehörte, das dem königlichen Plakat gemäß für das Heer
ausgewählt werden sollte. Danach fand er es doch für ratsam, sein
Bündel über den Rücken zu hängen und auf Abenteuer zu ziehen. Entsetzt
sah er sich in dem lieben Vaterlande um, das Pest und Krieg so sehr
verödet und verwandelt hatten. War das Schweden, das Land, das seine
Väter erbaut und gehütet hatten wie ihren Augapfel, die geliebte, die
gefürchtete Großmacht des Nordens? Auf den Wegen traf er jammernde
Bauern, die in langen Zwangsfuhren ihre Getreide nach dem Hauptquartier
in Norwegen oder bis hinauf nach der Schanze Hjerpe im Jämtland
befördern mußten. Umgestürzte Ladungen und tote Pferde lagen auf jeder
Anhöhe. Oben auf den verödeten Gehöften der Wälder guckten zerlumpte
Herumstreicher aus den Stubenfenstern, und er trug beständig sein Geld
im Stiefelschaft versteckt. In der Nähe der Bauerngehöfte standen
Schlafbänke, Schlitten und Haustiere auf dem Rasen aufgereiht, und
unter Weinen und Wehklagen tönte der Schlag des Auktionshammers an das
Türholz. In den Herrschaftsküchen erzählten sich die Diener, wie die
Familie des Hausherrn ihr Silber vergrub, denn Görtz hatte befohlen,
daß nicht nur alles wirkliche Geld, sondern auch das Hausgeräte von
Edelmetall ausgeliefert werden sollten gegen Notmünzen, auf daß der
König das ganze Eigentum der Untertanen bekäme. Tolle Aarasson erfuhr,
daß nicht einmal mehr die Prinzessin in Stockholm genug Silberzeug
für ihre Tafel habe, und daß der König selbst von Eisenblech esse.
In den verlassenen Schmieden, außerhalb deren der Fluß ungehemmt dem
Meere zuströmte, an stillstehenden Rädern und geöffneten Dammluken
vorbei, plauderte er mit dem einzigen zurückgelassenen Schmied der zu
alt und gebrechlich für das Feldleben war. Er erfuhr, daß, sobald etwas
Eisen geschmiedet wurde, es gleich gegen ein Säckchen Notmünzen im
Vorratshaus des Reiches aufgelegt werden solle. Am liebsten aber saß er
doch und wärmte sich in den Pfarrhäusern, wo seine Bibelkundigkeit und
sein Latein ihn gern gesehen machten, und mitunter konnte es geschehen,
daß der Pfarrer sich mit ihm bis in die Dämmerung unterhielt. Dabei
flüsterte man, es würde erwogen, die Schul- und Armenkasse, ja selbst
das Geld der Bank zu nehmen; nicht einmal Schreibfedern und Papier gäbe
es noch, und die Ämter müßten geschlossen werden, wenn die Herren nicht
die Finger in das Tintenfaß tauchen und auf dem bloßen Tische schreiben
wollten. Ein ergrauter Kaplan sagte ihm, daß die Landeshauptleute
abgesetzt oder unter Aufseher gestellt würden, wenn sie nicht mehr
wüßten, wem sie gehorchen oder befehlen sollten; und der Alte
beschrieb, wie er selbst die Bibel und den Predigermantel versetzen und
Dünnbier in die Abendmahlskanne habe einschenken müssen.

Auf diese Weise wanderte Tolle Aarasson von Gegend zu Gegend und
verdiente mitunter einen Pfennig durch das Mitnehmen von Briefen und
Amtsnachrichten. Die Postburschen waren nämlich zum Heer befohlen
worden, und die ungestümen Gastwirte wurden Postmeister, aber sie
verstanden ihr neues Geschäft nicht, sondern die Mütter und Vaterlosen
umdrängten sie täglich vergebens und riefen umsonst nach Briefen ihrer
Angehörigen in Sibiriens Urwäldern und Bergwerken. Mitten unter den
murrenden Bauersleuten durfte er in der Kirche zu Slätthög mit den
Fingern den goldgestickten Ehrenpelz eines Sultans streicheln, der als
Altardecke dahing. In der Stadt Kalmar wurde er mit dem Artilleristen
Edstedt, der gerade ein Dienstmädchen geheiratet hatte, aber selbst
gar kein Mann, sondern ein verkleidetes Fräulein Stalhammer war,
Duzbruder. Auf Visingsö spielte er Würfel mit den zerfetzten russischen
Kriegsgefangenen, und in Karlshamn bummelte er mit Polacken, Armeniern
und Juden und zupfte die feierlichen, türkischen Gläubiger an den
Turbantroddeln. Er überredete sie sogar, Wein zu versuchen, schlug aber
dann das verunreinigte Glas entzwei, so daß es auf dem Pflaster tönte.
Zu Lund hörte er unter den bewaffneten Studenten der aufwiegelnden
Rede des Professors Ihre zu und schoß nach dem Professor Rydelius, der
den Sturm beschwören wollte. Nachdem er das halbe Land durchstreift
hatte, stand er schließlich eines Abends in Göteborg, wo der König auf
der Durchreise als Gast bei dem Seeräuber Gatenhjelm abgestiegen war im
Haus am Stigbergplatz. Staubig und durstig setzte sich Tolle Aarasson
in die Kaffeestube der Dorothea Ek, wo die Bürger laut lachend und
weinend sich umarmten und erzählten, daß die entsetzlichen Seeräuber
von Madagaskar nun die Erlaubnis erhalten sollten, mit sechzig
reichbeladenen Kaperschiffen zu kommen und sich in der Stadt häuslich
niederzulassen, um den Gewerben aufzuhelfen.

Da konnte er nicht länger an sich halten und ließ sein Licht leuchten
und erzählte auf schwedisch wie auf lateinisch seine Erfahrungen und
Abenteuer der Wanderschaft. Bald bemerkte er, daß zwei Männer, die mit
aufgeschlagenen Mantelkragen ihm zunächst saßen, zu sprechen aufhörten,
um ihm zuzuhören, und das machte ihn nur noch mitteilsamer.

»Jetzt müssen die Schweden die Eisenhandschuhe fühlen wie nie zuvor
seit der Heidenzeit,« sagte er und betrachtete seine glänzenden Nägel.
»Der König hat sein Schwert gegen die Völker nacheinander geführt,
und nun wendet er es gegen sein eigenes. Konnte das wohl anders
enden? Aber unheimliche Ahnungen werden rings im Volke geflüstert.
Er hinterläßt keinen Sohn. Was sollte auch ein solcher Mann mit
einem Sohn? Im Pult der Ratsherren liegt schon der Entwurf zu einer
englischen Verfassung. Nie sollten wir von einem anderen erdulden,
was wir jetzt willig ertragen. Vielleicht morgen ... vielleicht heute
abend, während wir uns hier unterhalten, sitzt ein munterer Knecht vor
einem Gluthaufen an der Felswand und schmilzt Blei in einem Tiegel
... Vielleicht hält er gerade jetzt in der Kugelschere den schwarzen
Tropfen, der für ewig den größten unter den Helden einschläfern soll.«

Ein schon hochbetagter Kaufmann mit dem weißesten Haar und den
sorgenschwersten Augen klopfte ihm auf die Hand.

»Wir Menschen urteilen alle nach dem Schmerz in unserer eigenen Wunde,
aber laß nun einen alten Mann reden. Wenn unser harter Eisenkönig
gleich nie geboren worden wäre, so hätten die stets mächtigeren
Nachbarn doch begonnen, dies Reich zu zerstückeln ... Langsam, Jahr für
Jahr, Tag für Tag würden unsere Kinder und Kindeskinder unterhandelt
haben, gedemütigt und einer Provinz nach der anderen beraubt worden
sein. Es wäre nie zur Ruhe, aber auch nie zur Ehre gekommen. Es ist
ein lumpiges Schauspiel, einen angebundenen Löwen zu sehen, dem das
Blut langsam nach kleinen Fingerhüten ausgesogen wird! So will ich denn
lieber mit einem Mal die Flamme in den Wolken und einen Mann vor uns
sehen! Wann befahl er uns mehr zu opfern, als er selbst opferte? Hat er
nicht gehungert, hat er nicht gefroren, und jetzt breitet sich über uns
die Ahnung, daß er auch mit uns fallen wird.«

Tolle Aarasson änderte die Stimme. Er wollte sich nicht verstellen,
aber es schien ihm beständig, der, welcher zuletzt sprach, hätte recht.

»Schätzte ich nicht Freiheit und ein gemachtes Bett, so würde ich mich
hinter dem König einherschmiegen, um den Mund auf seine Fußspuren in
dem norwegischen Schnee drücken zu dürfen. Bald kann es zu spät und die
Kugel gegossen sein ...«

Wie er diese Worte aussprach, erhoben sich auf ein heimliches,
gegenseitiges Zeichen die beiden Männer, die ihm zunächst saßen; und
seine Furcht vor dem Soldatenrock war so groß, daß er erblich, als er
blanke Messingknöpfe unter ihren Mänteln bemerkte.

»Mein gewogener Junker!« riefen sie ihm ins Ohr und führten ihn wie
einen Gefangenen an beiden Armen. »Wenn Er so schmuck reden kann, so
ist es auch nicht zu viel Ehre, daß Er in der Nähe stehen darf, wo
die Kugel pfeift ... Jetzt haben wir einen aufgeblasenen Vogel auf der
Leimrute gefangen! Wir sind Werber, wir mein Herrchen ... Versteht Er?
Und jetzt marsch nach Norwegen!«

»Ich habe all mein Lebtag nach nichts anderem verlangt, als Soldat
zu werden!« antwortete er sogleich mit so weicher und freundlicher
Bestimmtheit, daß sogar er selbst seinen Worten glaubte. »Jetzt legt
nur schön das Werbegeld in meinen Hut!«

So mußte er denn endlich den blauen Rock anziehen, vor dem er eine
solche Furcht hegte; und einen Tag nach dem anderen erlebte er neue
und unerwartete Begebenheiten mitten in dem Land, wo ehemals der
Pflug ruhig seine Furchen in die Erde gegraben hatte. Kaum war er ein
Stück oberhalb von Strömstad angekommen, als er große Galeeren auf
trockenem Boden zu sehen bekam. Er selbst wurde mit Bauern, Pferden
und Ochsen zusammen vor den Steven gespannt, um die Fahrzeuge über die
Landzungen zwei und eine halbe Meile bis Idefjord zu schleppen. Zoll
für Zoll wurden die Schiffe über Knüppeldämme und Reisighaufen gezogen,
des Nachts bei Pechfackeln und des Tags in der Hitze der Julisonne.
Ein kleiner Mann in violettem Samtrock und buschiger Perücke und mit
breiten Goldspangen an den Schuhen ging aufmunternd zwischen dem
Volke hin und her. Es war Emanuel Svedenborg, und Polhem hatte ihm
aufgetragen, diese seltsame Tat auszuführen. Als er Tolle Aarassons
ansichtig ward, beschattete er seine Augen mit der Hand und sagte:

»Das ist eine der fettesten und blühendsten Gesundheiten, die ich seit
vielen Jahren gesehen habe. Verfahrt dennoch nicht zu hart mit diesem
Mann, meine lieben Korporale, denn ich erkenne wohl, daß er keine
rechte Kraft in den Gliedern besitzt!«

Das war das erste mitleidige Wort, das Tolle Aarasson gehört hatte,
seitdem er mit seinen Kameraden in Uppsala angestoßen hatte, und
alsbald mußte er mit tränenden Augen die runde Hand vorstrecken und
betteln.

»Ich bin ein verunglückter, armer Kerl,« flüsterte er in einem Gemisch
von Schwedisch und gelehrtestem Latein, »und ich würde für eine einzige
Prise Schnupftabak segnen und danken.«

»Schnupfen und der Krone dienen ist zweierlei!« antwortete Svedenborg
ernst und ging weg, aber noch am gleichen Abend, als es zum Ablösen
blies, kam er mit seinem Schnupftabakshorn.

»Nimm das ganze Horn und behalt es und sprich nicht weiter davon!«
flüsterte er und war wieder verschwunden, wie ein Wanderer, der
plötzlich auf dem Wege auftaucht.

Die Menschen sind gut, dachte Tolle Aarasson sofort und versuchte
sich in sein Schicksal zu finden. Bald hatte er jedoch seine letzten
Kupfergötter und den ganzen Inhalt seines Schnupftabakshornes
verschwendet, um sich des Morgens mitunter eine Stunde längeren
Schlafes zuzuschwindeln. Alsbald meinte er wieder, daß die Menschen
schlecht seien.

Als endlich das letzte Schiff mit seinem goldenen Siegesgott am
Vorderteil über Idefjord ins dunkle Meer hinausglitt, wurde er von
neuem zum Marsch befohlen. Viele fremde und inländische Offiziere
schlossen sich allmählich der Schar an, und von Hof zu Hof wanderte der
lange Zug der letzten ausgeschriebenen Söhne des Landes.

Da ereignete sich es eines Mittags bei einer Gastwirtstation, daß Tolle
Aarasson hinter einem Wagenschuppen saß und mit dem Hut auf den Knien
schlief. Als die Trommel wirbelte und er erwachte, lag im Hut ein
blanker Speziestaler auf einem zusammengefalteten Papier.

Dies war ein unverhoffter Anblick, und er rieb sich die Augen, um zu
wissen, ob er träumte. Er schlug mit dem Fingerknöchel auf die Münze
und wog sie in der Hand. Zuletzt wickelte er das Papier auf und las:

»Zu Tistedahl bei der Möllerhütte steht eine trauerbirke, Armleuchter
genannt, denn haben sie drei arme an einem stamm. Falls seine
königliche Majestät vor feindes kugeln fällt, du sollen die selbe nacht
das wunder bezeugen, daß ein beutel liegen mit fünfzig ducaten dicht
bei dem Armleuchter in dem erde.«

»Dies Schwedisch hat irgendein ausländischer Teufel geschrieben!«
stieß Tolle Aarasson beinahe jammernd und wimmernd hervor und zerriß
das Papier in kleine Fetzen, die er um sich herum streute. Er scharrte
mit dem Fuß Erde darüber und trat darauf. Sodann steckte er den
Speziestaler in die Hosentasche, um zu den anderen zu gehen, aber kaum
hatte er einige Schritte gemacht, als er das Geld wieder herausriß, als
hätte es seinen Körper und seine Kleider gebrannt. Er warf es weit von
sich in den Sumpf hinaus.

Als er sein Gepäck auf den Rücken geschnallt hatte, begann er wieder
zu marschieren mit seinem gewöhnlichen Kinderlächeln, als ob vieles in
der Welt sehr wunderbar und doch durchaus gleichgültig sei, aber die
nächste Nacht träumte er von der weißen Birke mit den drei hohen Armen.

Die waldigen Alpenrücken wurden immer umwölkter, die Wege immer
steiler, die Töpfe der Marketender immer leerer, aber keine
Mühseligkeiten konnten die Wohlgenährtheit von den runden Wangen und
Gliedern Tolle Aarassons nehmen. Die Stiefel fielen in Stücken von
seinen Füßen und die Hosen der Krone, die auf ein verhungerndes Heer
zugeschnitten worden, waren so unzulänglich, daß er sie über dem Magen
mit einer Schnur zusammenbinden mußte. Sein gutes Aussehen und seine
leuchtende Stirn ärgerten die abgemagerten Kameraden, so daß sie ihn zu
prügeln gelobten, aber darum, daß er einen Kopf höher als jeder andere
einherging, wagte zuletzt keiner, ihm zu nahe zu kommen.

Obgleich er nichts verriet, grübelte er vom Morgen bis zum späten Abend
über das absonderliche Schreiben. Warum wünschten böse Menschen gerade
ihn zu ihrem Werkzeug zu wählen? Er konnte an nichts anderes denken.
Als die bestaubte Schar schließlich im Hauptquartier zu Tistedahl
unter die Zelte und Reisighütten einzog, blieb er plötzlich stehen,
und ohne daß er mehr wußte, was er tat, deutete er auf eine entlaubte
Trauerbirke.

»Die Birke, die Birke dort! Das ist der Armleuchter! Ich weiß es ...
sie muß so heißen!«

»Hier hast du zu schweigen und zu gehorchen!« antwortete der Korporal
und stellte ihn gleich als Flügelmann ins Glied zur Musterung.

Als ihn der Korporal am Arm faßte, fühlte er, daß die Sehnen weich
waren, und daß der großgewachsene Rekrut bei seinem Anfassen ohne
Kraft wackelte.

»Den hätten wir besser weggelassen!« bezeugte der Korporal. »An dem
Kerl ist alles mürb und weich!«

       *       *       *       *       *

An einem Novembertag machten einige Truppenabteilungen in einem Bergpaß
halt, und obgleich die Uhr erst drei zeigte, herrschte schon Dämmerung.
Braungebrannt von der Steppensonne und noch mit einem türkischen
Tabaksbeutel an der Brust, betrachtete mancher gealterte Offizier
sinnend das Winterreich, in dessen waldigen Wildnissen das Heer jetzt
neuen Abenteuern entgegenzog. Gefangene Buschjäger erzählten wilde
Sagen von Waldgöttinnen und Hexengeschrei, und männlich hochgewachsene
Frauen mit flachsgelben Haaren kamen des Nachts zum Lagerfeuer und
hieben mit ihren Äxten erschöpfte und schlafende Schweden nieder.

Es schneite, und tief unten aus der Kluft warf die Sonne einen goldenen
Schein über das Alpengehölz und die hängenden Felsstücke der Bergwand.

Es war ein Heer von bleichen Fünfzehnjährigen, von halbwüchsigen
Kindern, die in der Schneewehe bei ihren Waffen standen.

Die kleinen Westgoten mit den scharfen Nasen und den unsteten Augen
flüsterten miteinander:

»Der König soll sagen, wenn wir nicht verhungern wollen, so müßten wir
die Nahrung aus den norwegischen Bergen graben ...«

»So müssen wir denn wohl graben,« antworteten die Smaaländer gedehnt
und klagend.

Die Dalekarlier und Bohusläner stützten sich schwermütig auf ihre
Musketenläufe, aber die Bataillone von Södermanland begannen zu murren.
Da hielt der Oberst Rutger Fuchs sein Pferd an und blieb vor der Front
stehen. Sein einer Fuß saß schräg im Steigbügel, denn bei Gadebusch,
wo man ihn vom Schlachtfeld getragen, war ihm das Bein von einer Kugel
zerschmettert worden.

»Pfui, ihr Södermanländer!« rief er mit seinem Schonendialekt. »Bekommt
ihr nicht Zukost zum Brot der Krone, ihr Butterbuben, so fangt ihr
gleich an zu knurren. Ich höre, daß ihr alle verzagt seid. Aber nun
gilt es tapfer ertragen, denn das sage ich euch, daß zu keinen Zeiten
die schwedischen Männer mehr einem solchen Helden dienen werden wie
unserem königlichen Herrn, und willig lasse ich für ihn mein Blut. Seht
auf mich! Wie nennt man mich? Nun, heraus damit!«

»Den reichen Fuchs!« antworteten die Soldaten einmütig, und ihre Züge
leuchteten.

»Das stimmt. All mein Lebtag habe ich der reiche Fuchs geheißen ... Nun
ja, worin liegt denn Fuchsens Reichtum? Wer heraustreten und antworten
kann, bekommt zwei Rundstücke.«

Keiner wagte sich vor.

Da zog der reiche Fuchs seine Brieftasche aus der Brust und schlug nach
und blätterte in den Seiten und hielt folgende Rede:

»Was Teufel will das heißen, reich zu sein! Das ist eine
Buchführungssache, Kinder. Glaubt ihr vielleicht, daß alles Eigentum
zinsbringend sei? Ja, versucht! Jetzt hört zu, was ich lese! Schulden:
Null, Null. Das ist die erste Hälfte von Fuchsens Reichtum. Dann haben
wir des seligen Schlippenbach Schlafrock ... Habt ihr schon den seligen
Schlippenbach vergessen, euren früheren Oberst, der mir sowohl seinen
Schlafrock als auch sein Regiment im Testament vermachte, die zwei
liebsten Gegenstände, die er auf der Welt besaß? Der Schlafrock ist mir
so wertvoll, daß ich ihn nicht für weniger als fünftausend Reichstaler
verkaufen wollte. Da ist er denn auch für mich gerade die Summe wert.
Demnach, hört nun zu! Vermögen:

Des seligen Schlippenbach Schlafrock: fünftausend Reichstaler,

Sörmlands Regiment: zehntausend Reichstaler,

meine geliebte Frau Greta, daheim: siebzigtausend Reichstaler,

der Köter von Holstein: tausend Reichstaler,

meines königlichen Herrn Gnade: achtzigtausend Reichstaler,

das Wirtshaus zum Goldesel: zweitausend Reichstaler ...

Hol' mich der Teufel, ist das nicht alles niedrig gerechnet, aber es
ist auch das einzige, was ich in der Welt habe. Nun, was ist denn das
Wirtshaus zum Goldesel für ein Ding?«

»Es ist des gnädigen Herrn Oberst Leinwandzelt!« murmelten alle
Soldaten durcheinander.

»Ganz recht, ja! In dem Wirtshaus bekommt jedermann das Frühstück
umsonst, denn es ist nicht das geringste zu bekommen ... Laßt uns
nun rechnen! Summe des Vermögens: einhundertachtundsechzigtausend
Reichstaler. Aber war Null Null Schulden die Hälfte meines Reichtums,
so muß ja die Hälfte auch einhundertachtundsechzigtausend wert
sein. Folglich und beweislich habe ich somit, zusammengelegt,
dreihundertsechsunddreißigtausend Reichstaler. Seht ihr, Jungen, das
ist, was Görtz Finanzen nennt, und solches ist nützlich zu können,
begreift ihr. Lernt nur, Buch zu führen und den richtigen Wert auf
alles zu setzen, dann seid ihr schön reich und braucht nicht den Kopf
zu hängen, wenn der Magen auch knurrt.«

»Vivat! Vivat, der reiche Fuchs!« schallte es die Reihen entlang, aber
im gleichen Augenblick flogen alle Degen aus den Scheiden. Die Musketen
präsentierten, und die Trommeln donnerten. In dem Schein an der
Felswand bewegte sich der hohe, vergrößerte Schatten eines hinkenden
Mannes mit runder Pelzmütze auf dem Kopf und einem knotigen Stock in
der Hand.

Es war der König.

Er kam zwischen den Föhren, von Trabanten gefolgt, die, ihre Haudegen
gezogen, in langer Reihe ihre Pferde führten. Er selbst ging zuvorderst
und bahnte den Weg im Schnee. Sein narbiges und zusammengebissenes
Gesicht war mit den Jahren durch Sonne und Frost in der Farbe dunkel
geworden, und zwischen den Augenbrauen lag eine tiefe Falte. Als er die
Pelzmütze unter den Arm steckte und nach allen Seiten hin die Begrüßung
der Truppen erwiderte, fiel der Schnee über sein kahles Haupt. Die
Generale versammelten sich allmählich um ihn, und die Trabanten hieben
mit den Degen einige Föhrenzweige ab und breiteten sie auf den Boden.
Während der ganzen Zeit stand er barhäuptig im Schneewirbel, und die
ergrauten und an der Schläfe zurückgestrichenen Haarsträhnen glichen
zuletzt einem Kranz bereifter Blätter. Er befahl den Soldaten, die
Musketen zusammenzustellen und den Reisighaufen anzuzünden, aber
die Musikanten blieben an der Felswand stehen, mit der Order, bis
Sonnenuntergang zu spielen.

»Die Norweger sind ein lustiges Volk, um sich mit ihnen zu stoßen,«
sagte der König. »Solche Männer wie ihr, Kruse und Kolbjörnsen,
sollten, wenn sie fallen, in Goldsärgen begraben werden.«

Der Feldmarschall Mörner antwortete:

»Wir haben gerade neuerdings einige norwegische Schnapphähne
eingefangen, die hier in den Büschen versteckt lagen, um auf Eure
Majestät zu schießen. Sollen wir sie henken?«

»Nein. Gib einem jeden einen Dukaten für vergeudete Zeit, und bitte
sie, nicht weiter in das Soldatenhandwerk zu pfuschen.«

Mörner ließ die Stimme sinken.

»Es gibt auch andere, mit Höherem betraute Buschkriecher. Ich habe
vorhin von Pfarrer Brenner einen neuen Angebebrief erhalten über
heimliche Verschwörung gegen Krone und Leben. Sollte man ihm Glauben
schenken, so stünden in diesem Augenblick auf kaum fünf Armlängen
Abstand gefährliche Feinde hier herum.«

»So mögen sie stehen, wenn es ihnen nicht behagt, zu sitzen. In
Kriegstagen ist keine Zeit zum Untersuchen.«

Mörners Zwerg, Luxemburg, trat jetzt mit der Wasserflasche vor. Als
der König getrunken hatte, reichte er dem Zwerg seinen abgenutzten
Wacholderstock, wie um den Kleinen auszurüsten, und sagte zu ihm:

»Ein Türk hat mir geweissagt, ich solle mich vor Narren hüten. Du
kannst nun erproben ob ich recht habe.«

Luxemburg nahm den Stock und zupfte und spielte auf ihm wie auf einer
Gitarre und stimmte eine französische Liebesweise an.

Mörner trat dann dem König näher und flüsterte hinter dem Hut:

»Die Mannschaft verhungert.«

»Möge der Soldat treu seinen Dienst tun.«

»Aber ein ausgehungerter Soldat läßt die Muskete fallen.«

»Wenn man Schnee schmelzt, wird er zu Wasser. Wenn man auf einen
Tannenzweig beißt, kann der Hunger sehr wohl für lange Zeit betäubt
werden.«

»Das Volk hier haben wir wenigstens unter den Augen ... Aber die Leute
daheim ... Die Pfarrer lehren jetzt offen von der Kanzel, die Rache von
oben herabzurufen. Sie meinen, seitdem Gott die Schweden geschlagen und
das Zeichen gegeben hat, daß ihr Reich zerstückt werden muß, fechte
Eure Majestät für die eigne Ehre allein.«

»Sind denn ihre Ehre und die meine zwei getrennte Dinge geworden? Sie
trotzten, und ich antwortete. Ich will sie zwingen, bis zum äußersten
auszuhalten. Ist es nicht ebensowohl für ihre Schuld als für die meine?
Sie sagen, daß ich Gott versuche. Ich antworte, daß ich ihm folge. Das
ist mein Königswort! Im Namen der Gerechtigkeit, das ist mein Eid! Wer
ist Schiedsrichter?«

Mit diesen Worten setzte der König die Pelzmütze auf, schlug den
Mantelkragen in die Höhe und legte sich so ruhig zum Schlafen auf die
Tannenzweige, als wäre kein Feind auf Gottes Erdboden zu finden gewesen.

Düker rief mit Eifer den Offizieren seine Befehle zu. Mörner schlief,
stehend gegen eine Föhre gelehnt, ohne länger den Einfällen des
kleinen Cronstedt zuhören zu können, und der verschmitzte Stjernroos,
der ausgewesen war und spioniert hatte, kam, in eine Schafpelzjacke
verkleidet, mit Holzschuhen und mit einem Fäßchen auf dem Rücken.
Selbst der König schlief schon regungslos, ohne einen Gedanken an Brief
und Drohung. Er hatte sich seinen Soldaten anvertraut.

Aber es waren zwei Augen, die ihm folgten. Tolle Aarasson, der am
vorhergehenden Tage in das Regiment Södermanland gesteckt worden war
als Korporal und Führer für die Holzhauer, konnte sich nicht zwingen,
von dem Schlafenden wegzuschauen. Die Worte des reichen Fuchs lagen ihm
noch im Sinn.

»Ich könnte vielleicht auch ein Haushaltungsbuch führen,« dachte er.
»Fünfzig Dukaten in der Erde bei der Armleuchterbirke!«

Er stierte mit seinen klaren und freundlichen Augen so starr auf den
König, daß er nicht merkte, wie der reiche Fuchs ihm auf den Leib
rückte.

»Was ist's mit ihm?« sagte Fuchs und klopfte ihm seelengut auf die
Schulter. »Hier ist ein Rapport nach Tistedal, denn jetzt sollen wir
hinauf gegen die Festung Fredriksten und tüchtig einheizen. Nimm zwei
Mann und zwei Bündel Kienspäne zum Leuchten mit ... und lauf' rasch!
Wer einen so prächtigen Mundvorrat unter der Haut hat, braucht weder zu
biwakieren, noch öfter als jede dritte Nacht zu essen, wenn er nur mit
Gottes Gaben weiter hauszuhalten weiß.«

Tolle Aarasson begab sich mit seinen zwei Soldaten abseits in den Wald
hinein, aber noch in weitem Abstand wendete er sich zwischen den Tannen
um und sah nach dem König.

Als er bei Tagesanbruch zum Dorf Tistedal kam, blieb er unter der
Armleuchterbirke stehen und steckte den letzten Kienspan in den Boden,
mit dem brennenden Ende nach unten.

»Ich bin weit umhergestrichen, um zu studieren und zu lernen,« sagte
er zu den Soldaten. »Ich bin guten wie schlechten Menschen begegnet.
Ob wohl die Tiere und Bäume auch gut und böse sein können? Bei jeder
Mittagsrast, wenn ich mit den Holzhauern ausgewesen bin, habe ich mich
zum Schlafen hierher gelegt, aber nie kam mir ein Schlummer in die
Augen. Es lastet ein Fluch auf dem Baum! Seht ihr, da oben in den einen
Ast habe ich eine Axt fest eingehauen. Es wird ein Morgen kommen, da
setze ich die Axt an die Wurzel ...«

Er blieb noch zurück und betrachtete den erlöschenden Kienspan.

»Gute Menschen und böse, sagte ich ... Nie sah ich einen herrlicheren
Mann als unseren großen König, aber die Jahre machen ihn immer strenger
und härter. Er hat weder mit dem Wimmern der Tiere noch mit dem der
Menschen Mitleid. Ein Jammerschrei kann ihn nicht einmal verlocken,
den Kopf zu wenden. Sein Winter mit dem langsamen Tod ist gekommen.
Wie würden wir ihn beweint haben, wenn er in seinen jungen Jahren
hätte fallen dürfen! Keine Zeit würde einen größeren und reineren
Mann gegrüßt haben als die seine. Seht diesen Kienspan, wie langsam
er erlischt, wie er raucht und die Luft verpestet mit seinem feuchten
Brandgeruch! Warum nicht lieber mit einer einzigen kleinen Handbewegung
ihn tief hinunterdrücken, ohne Säumen ... daß er noch hell glühend in
die Erde kommt ...«

Die Soldaten verstanden ihn nicht, sondern antworteten schließlich:

»Möge unserem geliebten Herrn und König nie etwas Böses geschehen!«

Er tat ein paar Schritte, um ihnen zu folgen, aber die Armleuchterbirke
streckte beschwörend ihre Äste über ihn, und er blieb abermals stehen
und sprach mit sich selbst:

»Wer denkt an Böses? Tolle Aarasson faßt die Muskete, er, der
Verachtete, der Ausgestoßene, der von Hof zu Hof hat wandern müssen, um
das Gnadenbrot zu erbetteln. Er faßt die Muskete und legt den Finger
auf den Hahn. Der Schuß wird das ganze Volk zur Versöhnung rufen. Wenn
auch alle Kanonen von Fredriksten durch die Nacht donnern, niemand
wird sie hören. Die Soldaten werden finden, daß es so still ist wie
auf einem entlegenen, zugefrorenen Alpsee. Sie werden nur den einzigen
Schuß hören. Der wird Nacht um Nacht, Tag um Tag widerhallen, so
lange die Menschen auf der Erde leben. Wenn ich die fünfzig Dukaten
ausgegraben habe, werde ich zu den Generalen vortreten und alle
Geldstücke über ihre Hüte und Perücken werfen und sagen: Heraus mit
den Handschellen, gute Herren! Hier habt ihr das Trinkgeld für die
Bemühung. Trinkt meine Gesundheit mit echtem Wein! Ich bin es, der
Seine Königliche Majestät erschossen hat! Von euch wird niemand reden,
aber so lange _sein_ Name lebt, so lange lebt der meine. -- Und
dann werden die Handschellen zusammengeschraubt. Ich werde auf den
Henkerskarren gesetzt und fahre die Götegatan hinauf in Stockholm, aber
es wird kein Fenster, keinen Treppenabsatz, kein Dach geben, wo die
Menschen sich nicht drängen werden, um Tolle Aarasson zu sehen. Und
auf den Herrenhöfen, wo ich am Küchentisch zu essen bekam, und in den
Pfarrhäusern, wo ich mich für einen Teller Biersuppe verbeugen mußte,
da wird es heißen: In dem Stuhl saß Tolle Aarasson, aus der Pfeife
rauchte Tolle Aarasson, auf diesem Türgriff hielt er den Finger, der
den Schuß abdrückte. Die Studenten in Uppsala, die hochmütigen, die
falschen Freunde, die sich zuletzt für zu gut hielten, um mich eine
Regennacht über zu beherbergen ... sie werden altern, sie werden weiß
werden auf dem Schädel, aber nie werden sie ermüden, zu sagen: Wir
kannten Tolle Aarasson, wir nannten ihn du. -- So wird es gehen. Und
so oft ein Reisewagen in die Stadt Stockholm einfährt, wird der eine
Herr durch das Fenster zeigen und sagen: Hier ist der Galgenhügel! --
Es können hundert Hingerichtete in dem Acker liegen, aber er wird nur
sagen: Da liegt Tolle Aarasson, der elende Lump! -- Und dann antworten
die anderen Herren: Der Volksbefreier!«

Tolle Aarasson hob den Arm, um sich zu stützen, aber in dem Augenblick,
wo er die Hand gegen die glatte, kalte Rinde des Birkenstammes lehnte,
riß er sie mit einem unterdrückten Ruf des Entsetzens zurück.

Die Soldaten blieben stehen und wendeten sich um. Er winkte ihnen zu,
weiter zu gehen, und folgte ihnen nach, aber er war bleich geworden wie
ein toter Mann.

       *       *       *       *       *

Der König hatte sich auf dem Bergrücken vor dem Laufgraben der Festung
eine Bretterhütte erbauen lassen, und ein Bett, ein Tisch und ein
Stuhl wurden dorthin gebracht. Keine Soldaten standen mit geladenen
Musketen Posten an der Tür, und der wachthabende Adjutant wurde oft in
verschiedenen Angelegenheiten fortgeschickt. Der König überwand sogar
seine frühere Scheu vor der Einsamkeit der Nacht und ließ nicht länger
mehr zu, daß ein Page neben seinem Bette schlief. Erschöpft von des
Tages Mühen, schlief er mitunter draußen auf dem Walle ein, mitten
vor den feindlichen Kanonen und den in dem Laufgraben arbeitenden
Soldaten. Jeder hätte in der Dunkelheit sich zu ihm schleichen und
sein Leben mit einem Degenstoß auslöschen können. Die schlaflosen und
angsterfüllten Nächte der Ukraine nach dem ersten zerschmetternden
Schlage des Schicksales waren nur noch als Narbe in der Falte zwischen
den Augenbrauen zurückgeblieben. Er hatte seine Seele in Mißgeschicken
so abgehärtet wie seinen Körper in Strapazen. Er grübelte keine
Minute mehr über die Gefahr, aber er wußte, daß sie näher als je ihre
schwarze Wolke über sein Haupt gehängt hatte, und dies erfüllte ihn
mit der getrosten Ruhe einer entschwundenen Jugend. Seine Stimme war
hart geworden, aber die befehlende Ruhe entzündete ihren verjüngenden
Glanz in seinen Augen. Alles, alles, was Elend und Untergang Finstres
verbergen, erhob sich rings um ihn, und er stützte sich auf seinen
Wacholderstock, und, oftmals ungeduldig scheltend, leitete er die
Arbeit der Soldaten.

Zeitweise betrachtete er den Himmel und suchte die Sternbilder heraus,
die er kannte, aber wenn der Nebel sich senkte und die Dunkelheit
tiefer wurde, schloß er mitunter die Augen und rechnete an den
Fingern: Dreihundert ... dreihundertfünfundachtzig ... neunzig ...
vierundneunzig ... vierhunderttausend Reichstaler! -- Ob Görtz
wirklich so viel bis Dezember würde auftreiben können? Wie sollte
wohl sonst das Heer instand gehalten werden? Und ob wohl Görtz schon
innerhalb zweier Tage ankommen würde? War es nicht die Erwartung
seiner Ankunft, die im Lager solche Aufregung verbreitete? Was war in
der Beziehung zu tun? Der König kannte keine Skrupel, denn er war ein
Wegelagerer geworden, der Geld und Eigentum verachtete. Hatten ihn
die Schweden nicht einen Verrückten genannt und die Hand nach seiner
Krone ausgestreckt? Nun wohl, das verzieh er ihnen, seitdem er ihnen
geantwortet hatte; aber bis zum äußersten wollte er sie zusammenhalten,
wenn auch Grund und Boden brennen sollte. War das nicht der Auftrag,
war das nicht das Gottesgebot, das er in seiner Seele beschworen hatte?
Es war jetzt keine Zeit für Faulenzer, die am liebsten daheim in ihren
Lukenbetten lagen. Und Görtzens Plakat, das auf jedem Gemeindehaus
seinen königlichen Namen unter Meineiden von Frieden und dem Wohl der
Untertanen hatte prahlen lassen? Wo hatte er während seines Feldzuges
die Fürsten in der Stunde der Not wohl anders handeln sehen? Und waren
sie nicht dennoch weise und gut genannt worden, wenn es ihnen geglückt
war? Wenn der Sturm vorüber war, wollte er Gericht halten und Recht
schaffen. Strenge hatte er befohlen, nie mit Wissen Ungerechtigkeit.
Nun galt es, die Festung Fredriksten zu erobern, die vor ihm auf dem
Felsrücken mit ihren grauen Mauern und den scharfen Ecken den Weg nach
Norwegen hinauf verschloß. War nicht das Außenwerk Gyldenlöw schon mit
dem Degen in der Hand genommen? -- Mit dem Degen in der Hand? -- Er
schloß die Augen, wie er oft zu tun pflegte, wenn er ungesehen war,
und wiederholte leise die Worte. -- Sie meinen, daß ich dich versuche,
ewiger, wunderlicher Gott, heiliger Geist, meine Freude, meine Wonne,
mein Labsal. Immerzu sagen sie: bleib' auf halbem Wege stehen, wo wir
stehen bleiben, sonst versuchest du Gott; setze dich nieder, wo wir
ermatten, sonst nennen wir dich nicht länger unseren Gideon. -- Du,
der du Schiedsrichter bist, vor dir demütige ich mich in meiner Not,
ich zerknirschter Sünder. Bin ich jetzt irre gegangen auf der Erde, so
schlage mich tot darnieder!«

»Der König ist auf seinem Posten eingeschlafen,« sagten die Soldaten,
als sie ihn mit gesenktem Haupt und dem heruntergezogenen Hute sahen.

Er hörte sie, sah auf und antwortete:

»Noch nicht!«

Am ersten Sonntag im Advent stieg der König zu Pferd und ritt durch
den Nebel nach dem Möllerhäuschen in Tistedal hinunter. Er war trüben
Sinnes, und um seine Schwermut zu übermannen, setzte er sich auf die
Bank am Kaminfeuer und sah seine Papiere durch. Es waren Bittschriften
und alte Briefe und durchkreuzte Rechnungen, noch von dem Aufenthalt
in Lund. Seine Augen blieben schließlich auf zwei Halbbogen haften,
die mit einer Messingnadel aneinander befestigt und mit seiner eigenen
schwerleserlichen Schrift beschrieben waren. Er las:

»~Anthropologia Physica.~ Der natürliche Trieb alles Lebendigen
ist das, was Passion oder Genuß der Wollust genannt wird. Die Wollust
ist von zweierlei Art, nämlich Wollust der Seele und des Körpers.
Wollust der Seele wird die genannt, an der der Körper keinen Teil haben
kann. Aber Wollust des Körpers wird die genannt, die der Körper mitsamt
der Seele fühlt ... Die drei Teile des Körpers sind: Die materielle
Gestalt, wodurch die Figur des Körpers mit ihren äußeren und inneren
Teilen geformt wird; die fließende Materie, die aus dem Blut mit dem,
was dazu gehört, besteht; der materielle Spiritus oder Geist, als die
allerfeinsten Teile der materiellen Wesenheit, ist die Kraft und das
Lebendige in dem Blute selbst und empfängt das Leben und die Empfindung
von dem lebendigen Geist oder Seele, und dieselben verursachen den
ganzen Leib. Dieser vergeht auch von sich selbst, sobald irgend ein
Körper oder Glied abstirbt ... Die Ursache, warum die Seele beider
Wollusten teilhaftig ist, und daß der Körper einzig und allein die
fleischliche Wollust fühlt, ist die, daß das Leben eigentlich eine
Eigenschaft der Seele ist, da es der Leib, der in sich selbst eine tote
Wesenheit ist, durch der Seele Werk empfängt ... Das, was gemeiniglich
unter dem Namen der fünf Sinne verstanden wird, besteht nur in einem,
was Empfindung genannt wird, und ist eine Wirkung der Seele, die, nach
einer jeglichen Beschaffenheit des Körpers und der Gestaltung, sich auf
fünferlei Weise dartut ...«

Er stand von der Bank auf und faßte den eintretenden Feldmarschall
Mörner am Gürtel.

»Wäre Mörner nicht ein gleich schlechter Philosoph, als er guter
Hausvater ist, so würde er hier eine schwere Nuß zu knacken bekommen.
Nein, lies das Geschriebene nicht ... es sind nur einige Lappalien,
die ich eines Abends da unten in Lund aufsetzte. Immer, wenn ich
nach einiger Zeit den Gedankenbau wiedersehe, den ich aufzurichten
versuchte, bekomme ich Lust, mich als Feind zu verkleiden und meine
eigene Redoute zu stürmen. Ob wirklich das Vergnügen des Gedankens
in dem Gefecht selbst liegt? Die Wollust, die Glückseligkeit, die
vollkommene Zufriedenheit ... wäre das das Lebensziel, dann wäre das
Ziel etwas Endliches, ein Stück klares und blankes, aber totes und
regungsloses Gold. Warum das Leben als eine Basis betrachten und
oberhalb derselben die Zwecke sammeln wie ein Bündel Linien in einer
Winkelspitze, in einem einzigen Punkt? Warum nicht das Leben zu dem
Punkt machen, aus dem die Zwecke ausstrahlen wie unendliche Linien, wie
Stamm und Äste an einem Baum, dessen Krone in Ewigkeit immer weiter
und belaubter wird? Warum nicht sagen: es gibt kein Schlußziel, aber
Billionen Zwecke, die sich, ein jeder für sich, in Unendlichkeit zu
Billionen neuer auseinanderzweigen? Wie viel größer wird dann doch das
irdische Leben jedes einzelnen Menschen!«

Mörner antwortete:

»Eure Majestät sind ein schwerer Zweikämpfer in gelehrten
Disputationen, und nie höre ich meinen gnädigen Herrn so beredt wie
in derlei Fehden, aber ich kann nicht wie Grothusen selig die Spitze
bieten. Ich kann nur dies antworten: Wenn aus einem Erdenleben in das
Unendliche Äste empor wachsen, dann birgt auch die kleinste Handlung
der Stunde eine ewige Verantwortung ...«

Er riß seinen Rock mit Eifer auf und reichte dem König einige
versiegelte Briefe hin.

»Bedenkt, Majestät, auch die lumpigste Anzeige _kann_ wahr sein
und für Jahre die Sense aus der Hand des Sensenmannes schlagen.«

Der König kannte im voraus diese Schriftstücke, die mit zierlich
geschriebenen Druckbuchstaben und ohne Unterschrift seine Nächsten
anschwärzten und ihm einen plötzlichen Tod voraussagten. Die Drohung
mit dem Tod ängstigte ihn nicht mehr als das Schwirren einer Kugel. War
er nicht sozusagen seit seinen Knabenjahren jeden Morgen aufgewacht,
bereit, vor dem Dunkelwerden unter den Gefallenen auf dem Feld zu
liegen. Er warf die drei Briefe unerbrochen ins Feuer, einen nach dem
anderen, und stand in dem niedrigen Möllerhäuschen so ruhig, als hätte
sein letztes Heer erschöpfter und ausgehungerter Jünglinge alle Kronen
Europas auf einem Troßwagen mitgeführt.

»Antworte mir aufrichtig!« sagte er nach einigem Schweigen. »Auf wie
viele kann ich mich noch verlassen ... ich meine nicht in einem Treffen
... sondern wenn alles gegen uns geht?«

»Muß ich antworten? Ist es Befehl?«

»Ja, auf wie viele kann ich mich noch verlassen?«

»Auf keinen!«

Die Trommeln rollten dumpf außerhalb des Häuschens, wo die Truppen zum
Gottesdienst aufmarschierten, und Hultman trat mit den Worten herein:

»Ich muß untertänig melden, daß die Hochmesse jetzt beginnen wird. Der
Text des Tages handelt von unseres Herrn Christi Einritt in Jerusalem.«

Der König wusch nun allen Ruß von Gesicht und Händen und zog beinah
neue Kleider aus blauem Stoff und gelbe Elchlederhandschuhe an. Während
Hultman sein Haar puderte, so daß es weiß wurde wie das eines Greises,
stützte er einen Fuß auf das Holz im Kamin und sagte ganz leise und
hauptsächlich zu sich selbst:

»Der Text ist mir ganz lieb ... Aber das Volk breitete die Kleider auf
den Weg, und andere hieben Zweige von den Bäumen, und streuten sie auf
den Weg. Das Volk aber, das voranging und nachkam, schrie und sprach:
Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommet im Namen des
Herrn! Hosianna in der Höhe!«

»Ja, ja, gnädigster Herr,« antwortete Hultman beinahe flüsternd, »so
sollen auch die Heiligen rufen, jedesmal wenn ein rechtschaffener Held
Gottes in das himmlische Salem einreitet.«

Dann wendete sich der König vom Feuer weg und schritt hinaus
zu den Truppen. Mit entblößtem Haupt stellte er sich unter die
Armleuchterbirke. Die Soldaten, die es gewohnt waren, seinen
Wacholderstock und seine befleckte Kleidung zu lieben, erkannten ihn
kaum wieder.

Den ganzen Tag blieb er im Lager, und erst nach dem Abendgottesdienst,
wenn der Nebel zu sinken begann, ritt er auf seinem Pferd »Engländer«
den waldigen Bergrücken hinauf bis zur Bretterhütte am Laufgraben.

Tolle Aarasson arbeitete mit seinen Soldaten in dem äußersten Graben.
Von dem Franzosen Maigret angeführt, krochen die Schweden mit ihren
Spaten voran und rollten Schritt für Schritt die Reisigbündel und
Schanzkörbe vor sich her, zum Schutz gegen die Kugeln der Festung. Der
Widerhall des feindlichen Feuers donnerte in den Alpen wie das Getöse
von Riegeln und Schlössern, wie Keulenschläge auf Eisenpforten zu
unterirdischen Gefängnissen und Gewölben.

Um ihre Schüsse lenken und sich vor Überrumplung schützen zu können,
stellte die Mannschaft lange Stangen mit brennenden Pechfackeln aus,
und die darumgeschlungenen Leuchtkugeln warfen ihr plötzliches Licht
über die Felsenplatten. Feuer und Rauch sprühte aus den Festungsmauern
Fredrikstens, und oberhalb des mit Rasen belegten Walles der Schweden
erkannte Tolle Aarasson des Königs großen Hut und seinen kleinen Kopf.

Unten im Schatten des Grabens verborgen, riß er die Muskete eines
gefallenen Kameraden an sich und ging gekauert ein Stück gegen den
Erdwall zurück. Erst als er so nahe gekommen war, daß er des Königs
Worte an die Offiziere hören konnte, die im Graben auf der anderen
Seite des Walles standen, blieb er stehen.

»Sonderbar!« dachte er. »In den Laufgräben hier fallen fast jede Nacht
eine Menge Soldaten ... Woher kommt da die Macht, Hunderte von Menschen
zwingen zu können hier stehen zu bleiben und zu fallen, ohne daß sie
wagten, einander die drei einfachen Worte zuzurufen: Wir gehorchen
nicht! ...«

Er wollte knieen und den Himmel um Verzeihung bitten und sich selbst
einreden, daß seine Handlung gerecht sei, aber er vermochte es
nicht. Er wußte nie, was er selbst wollte; und wenn ein Kind ihm
zugerufen hätte, die Muskete hinzuwerfen, würde er gehorcht und den
Rat gelobt haben. Aber niemand redete ihn an, und niemand sah ihn,
und er fürchtete sich nur, weiter zu zögern, seine eigene angstvolle
Ungewißheit zu verlängern. Er spannte den Hahn. Er legte die Muskete
an die Backe. Er zielte nach dem, für den er seine Landsleute
unterwürfig fallen und verbluten sah ... Aber der Finger lag zitternd
und lahm am Drücker.

Schritte näherten sich. Es war der grauhaarige Hultman, der in
Knöpfschuhen und weißen Strümpfen und den Hut ehrfurchtsvoll unter den
Arm gesteckt, über die Felsen kam, mitten zwischen den schwirrenden
Stückkugeln. Vor sich trug er die mit einer Serviette zugedeckte
Blechschüssel, die des Königs Abendessen enthielt. Sobald er den Wall
heraufgekommen war, breitete er die Serviette über den Hut, stellte
sodann die Schüssel darauf und bot sie dem König an, der stehend
speiste und hin und wieder seinen treuen Diener am Rockknopf packte.
Tolle Aarasson senkte die Muskete und hörte ihn sagen:

»Hultman fängt an im Gang ebenso steif zu werden, wie der alte
Brandklepper es auf seine alten Tage war ... Aber niemand ist mir
treuer gefolgt, wohin es auch ging, und deshalb ernenne ich ihn auf
der Stelle zum Küchenmeister. Mit den Jahren bleiben immer weniger der
Alten von ehedem übrig ...«

»Gott, barmherziger Gott!« murmelte Tolle Aarasson und wiegte sich mit
der Muskete in den Armen hin und her.

Er sah, wie Hultman wieder seinen Weg durch den Kugelregen machte und
der König, die Wange gegen die linke Hand gestützt, sich über den Wall
hinüber lehnte. Der Mond, der in seiner Fülle stand, stieg jetzt klar
und groß über dem Fichtenwald empor.

Schwedische, deutsche, italienische und französische Offiziere
unterhielten sich nahebei in ihren verschiedenen Sprachen und
ratschlagten, wie sie den König von seinem bloßgestellten Posten
herunterlocken könnten. Maigret, der jetzt auch dazu gekommen war, zog
ihn leise am Mantel und sagte:

»Dies ist kein Posten für Eure Majestät ... Kartätschen und
Musketenkugeln haben nicht mehr Achtung vor einem König als vor dem
gemeinsten Soldaten.«

Da hob Tolle Aarasson die Muskete wieder mit beiden Armen. Er warf sie
zu Boden, daß der Schuß abbrannte und der Knall in dem Krachen des
feindlichen Feuers erstarb.

»Nie,« stammelte er. »Niemals! Ein schwedischgeborener Mann kann das
nie, warteten auch fünfzig Dukaten unter jeder Birke Norwegens. Dann
lieber desertieren oder selbst fallen. Was frage ich nach den Dukaten
... Es war sein _Leben_, das ich nehmen wollte ... Und ich vermag
es nicht! Ich könnte es erst, wenn ich die Augen zumachte. Gibt's hier
keinen fremden Scharfschützen, der mit geschlossenen Augen einen König
erschießen kann?«

Tolle Aarasson merkte nicht, daß der Mond schon in den Graben
hineinschien und seinen eigenen Schatten mit den runden Gliedern und
den lächelnden Knabenwangen auf den Abhang des Walles warf.

»Was machst du hier, mein Lieber?« fragte der König. »Immer voran und
auf den Feind los!«

Tolle Aarasson fuhr empor, drehte sich auf dem Absatz herum und begann
auf die Festung loszumarschieren. Hinter sich hörte er noch, wie die
Offiziere den König ermahnten, herunterzusteigen.

Der König antwortete ihnen:

»Fürchtet nichts!«

Da griff Tolle Aarasson nach den Hutecken, ohne länger zu wissen, was
er tat, und fing an über Schanzkörbe und Reisighaufen zu springen,
immer vorwärts und auf den Feind los. Viele schwedische Soldaten, die
ihn sahen, standen auf, um ihm zu folgen und zu desertieren. Er blieb
stehen und schlug mit der Hand nach ihnen, und jedesmal, wenn er sich
umdrehte, erkannte er den König auf dem Wall. Warum ergriff er da nicht
einen Spaten und fing an zu graben. Das war es doch wohl, was der
König gemeint hatte. Statt dessen lief er immer heftiger und blinder,
und zuletzt wußte er nicht, ob er dies tat, um zu gehorchen, oder um zu
desertieren. Er suchte Schutz hinter Baumstümpfen und in Klüften, aber
dennoch kam er der Festung immer näher. Seine weichen Glieder bluteten
schon aus drei Wunden, aber er achtete nicht auf die warmen Tropfen,
die unter dem Handschuh herunterflossen, sondern sagte Gebete und
Psalmen her und nannte sich einen ewig verlorenen Verbrecher, der über
den Verkauf seiner Seele gebrütet hätte.

Er kam an ein entzweigeschossenes Außenwerk von geringer Größe, das
verlassen schien, aber als er Stimmen norwegischer Soldaten hörte,
verbarg er sich zwischen den Schanzkörben.

Einige Schritte von ihm entfernt stand ein Feldstück auf zerstörten
Rädern, braunrot vom Rost und mit der Mündung gegen des Königs
Wall. Es war mit Grieß und altem Eisenschrot geladen. Angefressene
Musketenkugeln lagen da, die vor hundert Jahren ein betrunkener
Seeräuber gleichgültig in seiner Kugelzange gegossen hatte, während
er ein liederliches Lied für seine Dirne summte. Verbogene Schlüssel
und Nägel lagen da, die vor langen Zeiten aus der Scheune eines Bauern
gefallen waren, und zu hinterst lag ein zusammengebogener Klöppel, der
einst in dem sonnigen Hochgebirge in einer Kuhschelle beim Walljodeln
der Mägde geläutet hatte.

Lange, zerrissene Wolken eilten weißschimmernd über den Mond, und Tolle
Aarasson lag zwischen den Schanzkörben, blutend, mit gefalteten Händen.

»Dies ist so eine Nacht,« stammelte er, »da der Himmel weit offen
steht und Gott die Erde in so tiefen Gedanken betrachtet, daß die
Menschen seinen Blick fühlen. Sie mögen entfliehen ... sie mögen sich
verbergen ... sie mögen Verbrecher sein, wie ich, oder Heerführer, sie
spüren doch seinen Blick ... Ein Held ... was ist ein Held? Das ist
Standhaftigkeit bis zum letzten, Standhaftigkeit gegen Widersacher,
gegen Freunde. Aber du dort oben, du bist dein Rächer wie der Menschen
Rächer; und wenn das Stundenglas deiner Gnade abgelaufen ist, hebst du
in Allmacht deinen Finger und der Held lehnt seinen Kopf zur Erde ...
und liegt versöhnt ...«

Tolle Aarasson bog die Weidenruten des zunächst liegenden Schanzkorbes
zur Seite und hörte den norwegischen Konstabel mit den Soldaten reden.

»Ihr Jungen, es hat keinen Zweck, länger Mannschaft und Artillerie
auf diesem Schanzwerk zu verschwenden, aber da das alte Feldstück zu
gebrechlich ist, um weggeschleppt zu werden, hat mir der Kommandant
befohlen, es abzufeuern, ehe wir gehen. Immerhin kann wohl der Schuß
den Schweden einigen Schaden verursachen, wenn das Geschütz nicht in
Stücke springt.«

Während er sprach, legte er vorsichtig die Lunte auf das Feldstück, und
von seinen Leuten begleitet, kehrte er dann mit raschen Schritten und
singend nach der Festung zurück.

Tolle Aarasson verfolgte mit dem Auge die gelbliche Flamme der
Lunte, die sich dem Zündloch immer näher schlängelte. Er stieß die
Reisigbündel und Erdsäcke weg, um sich Bahn zu brechen und die Lunte
wegzureißen, und er sprach laut, als spräche er zur Nacht:

»Ich wollte den Mann töten ... und jetzt will ich ihn erretten, nur
weil ich ihn eben gesehen habe und ihn sprechen hörte! So macht er uns
alle mit einem Blick zu seinen Dienern! Mein Verstand erlischt, und ich
kann nicht länger denken.«

Er hieb die Weidenruten mit geballter Faust entzwei, aber das
Pfahlwerk versperrte den Zugang, und die ganze Zeit sah er die Flamme
am Zündloch. Mitunter erstarb sie und war nahe daran, ausgelöscht zu
werden, dann aber schlug sie wieder klar und groß in die Höhe.

Dies sei ein Zeichen, meinte Tolle Aarasson, daß die Menschen heute
Nacht nicht mehr versuchen sollten, zu handeln, und er stieg in die
Klüfte hinunter, die gegen das Tal und die schwarzen Schornsteine in
dem abgebrannten Fredrikshall abstürzten. Noch aus der Ferne sah er die
Flamme. Klar brannte sie in weiter Ferne zwischen den Schanzkörben,
aber er stieg tiefer und tiefer hinunter in die Felsen. Da hörte er den
Knall des Schusses, und der Felsen zitterte.

Seine Kräfte waren erschöpft, und sein Verstand wurde umnachtet. Er
erinnerte sich nicht mehr, warum er gegen den Feind gegangen war. Er
fürchtete nur dunkel, gesehen und ergriffen zu werden. Er stierte in
die Nacht hinauf, und gleich den Wagen Asa-Thors rollten die Donner der
Festung über die Alpen.

Er wußte nicht, wie lange er unter den Wacholderbüschen umher
schwankte, und nicht, wohin er ging. Zuletzt vernahm er Schritte von
schweren, eisenbeschlagenen Stiefeln und hörte Kies und Steine stürzen.
Zwölf Soldaten aus der Garde kamen mit einer Bahre den jähen Hügel
herunter.

Er hielt sich hinter den Wacholderbüschen und wartete. Auf der Bahre
lag ein Gefallener, von zwei einfachen Soldatenmänteln umhüllt und mit
einer weißen, über das Gesicht gezogenen Lockenperücke unter dem in die
Stirn gedrückten galonierten Hute.

»Wer ist der Gefallene?« flüsterte er so leise, daß Oberst Carlberg,
der vorn die gesenkte Seite der Bahre stützte, nichts merkte.

»Der Oberst sagt, daß es ein kecker Offizier sei,« antwortete der
hinterste Träger, aber als er dabei den Kopf drehte, um den einsamen
Nachtwandler zu betrachten, stolperte er und fiel unter seiner Bürde
aufs Knie.

Die geliehene Perücke und der Hut glitten von dem Kopf des Toten, so
daß das Mondlicht klar auf das Antlitz mit der durchschossenen Schläfe
fiel.

»Der König! Unser großer geliebter König!« murmelten die Träger und
wollten die Bahre niedersetzen.

Der Gefürchtete, dem gerade zugeflüstert worden war, daß er sich länger
auf keinen verlassen könne, lag entwaffnet, und alte Kriegsleute,
beschmutzt von Lehm und Ruß, rangen ihre verfrorenen groben Hände über
seiner Leiche und wimmerten und stöhnten:

»Unser großer, unser geliebter König!«

Der Oberst mußte ihnen mit strenger Rede drohen, daß sie still sein und
nicht mit ihrem Jammer verraten sollten, was geschehen war.

Schwer und langsam trugen sie den König weiter, auf derselben
ungehobelten Bahre, auf der er während der verflossenen Nächte so
manchen schon vergessenen Soldaten ohne Namen gesehen hatte, der,
seinem Willen gehorsam, gestorben war.

Mitternacht war schon vorbei, als die Bahre auf einem offenen
Rasenplatz zwischen den Häuschen des öden Dorfes Tistedal niedergesetzt
wurde. Nachdem die Träger die Notmünzen als Trinkgeld bekommen hatten,
entfernten sie sich alle. Der Oberst blieb zurück; grübelnd und laut
seufzend, setzte er sich auf die eine Stange der Bahre. Die Salven
krachten noch in der Ferne auf dem Waldfirst, aber sonst war alles
schweigsam, und das Mühlrad unten am Flusse stand still. Alle Scheiben
waren dunkel, und der selbe Vollmond, der dem verkleideten Reiter
durch das Stadttor Stralsunds und zu dem düstern Handgemenge auf
Rügen geleuchtet hatte, schien heute nacht auf das Gras, wo ein alter
verweinter Oberst bei seinem gefallenen König Wache hielt.

Schritt für Schritt war Tolle Aarasson nachgeschlichen und blieb erst
dicht an dem Rasen unter den unbeweglich herunterhängenden Zweigen
der Armleuchterbirke stehen. Halblaut zu sich selbst sprechend, ging
er rings um den weißen Stamm, in immer engeren und engeren Kreisen
und träufelte die großen Tropfen aus seinem verwundeten Arm über die
Erdschollen, um die bösen Dukaten, die da unten lagen, zu ewigem
Schlaf, ewiger Vergessenheit zu beschwören.

»Schlafen, schlafen unterm Fluch! Warum werden nicht die Trommeln
gerührt? Die Bahre dort steht so allein. Hier weinen keine Frauen,
keine Kinder, keine vertrauten Freunde. Ach, du Mond, der du kamst
und gingst und so vieles anschautest, nie werde ich dich über einem
schwedischen Wald sehen, ohne der Bahre zu gedenken.«

Er ergriff die Axt, die in einem Zweige saß, und die er einige Abende
zuvor den Soldaten gezeigt hatte. Die Holzsplitter flogen, und seine
Hiebe gegen den Stamm der Armleuchterbirke hallten weit durch die
Stille.

Dann zog er wiederum seine Hand zurück, und ein neuer Schimmer vom
Licht des Verstandes zog durch seine Seele.

»Allmächtiger, rächender Gott! Er, vor dem der bezahlte Mörder seine
Waffen hinwarf, er, der lächelnd unzähligen Todesgefahren begegnete,
er fällt still wie eine geknickte Ähre am Weg, da du das Maß seines
Verhängnisses fülltest. Er fällt beinahe in der Einsamkeit, eines
Nachts auf dem Walle, gleich einem geringen Soldaten auf dem Posten. Er
stirbt von der Kugel eines ausgedienten und verrosteten Feldstückes,
auf das ein paar Soldaten gleichgültig und singend ihre Lunte geworfen
haben. Oder ... woher kam wohl auf dein Geheiß die Kugel? Was weiß ich,
ein einfacher Mann ... Ich weiß nur das, wovon ich soeben Zeuge war,
und muß daher glauben ... Aber es waren so viele fremde Stimmen da oben
in der Finsternis.«

Noch immer saß der Oberst auf der Stange der Bahre bei dem in
Soldatenmäntel gehüllten Toten, und immer erschöpfter fielen durch die
Nachtruhe die Schläge der Axt gegen den dicken Stamm der Birke. Als
schließlich der Baum stürzte, setzte sich der unbekannte Holzhauer
schweigend auf den Stamm.

Die Stunden wurden ihm lang. Es ging schon dem Morgen zu, als ein
paar nachgeschickte Diener sich näherten, um den gefallenen Herrn
hereinzutragen. Zwischen ihnen ging ein Hauptmann mit dem Degen des
Königs und erzählte, daß dessen Hand im Augenblick des Todes so heftig
um den Griff gefaßt habe, daß die Klinge zur Hälfte aus der Scheide
gezogen worden sei.

Jedem Worte lauschend, bog Tolle Aarasson die Zweige der
Armleuchterbirke zur Seite.

»Dieser Degen ...« fragte er sich. »War es ein verstockter und zu
früh ergrauter Greis, der diesen Degen zog gegen das Andenken jenes
Lichtfürsten, der einst seinen Namen trug? Oder ob ...?«

Er trat vor, gerade dem Hauptmann in den Weg, und flüsterte unterdrückt:

»Dieser Degen ... gegen wen wurde dieser Degen gezogen? Unter meinen
blutigen Korporalskleidern steckt ein ebenbürtiger, ein vielleicht
kundigerer Mann als Ihr, obgleich er vor den Menschen tief gesunken
ist. Weist mich daher nicht fort, sondern antwortet aus Barmherzigkeit.«

»Mein Freund, ich verstehe deine Frage nicht.«

»Gegen wen, sage ich? Gegen wen wurde dieser Degen gezogen? ... Ich
weiß es jetzt selbst. Gegen wen, frage ich? Gegen alle! Ist diese
Antwort uns nicht genug? Ist es nicht so, daß ein Held sterben muß? ...
Er glaubte. Er glaubte an die Gerechtigkeit seiner Berufung ... Solchen
Trotzern verzeiht Gott, der Herr ... Solchen Trotzern verzeihen sogar
die Menschen!«



Von _Verner von Heidenstam_ erschien im Verlag von _Albert
Langen_


Karl der Zwölfte und seine Krieger

Historische Erzählungen in zwei Bänden

4. Auflage

Preis jedes der einzeln käuflichen Bände geh. 4 M., geb. 6 M., in Leder
15 M.

_Das Literarische Echo, Berlin_: Wir sind reicher geworden um
ein wundervolles Buch. Ein schwedisches Buch, das in alle Literaturen
gehört, so schwedisch sein Geist, seine Liebe auch ist. Denn es ist
ein ganz reines Dichtwerk, geboren aus dem Urgrund einer Nation, einer
ganz einzigen Volksseele und doch bestimmt für die ganze weite Welt,
so lesen kann. Das ideale Schullesebuch wird einmal Stücke daraus
enthalten. Denn es paßt für jedes Alter und alle Geschlechter. Noch
trotzige Rein-Männer werden da ein Buch finden, das sie lesen dürfen,
ohne ihrer edlen Literatur-Abgewandtheit etwas zu vergeben. (In diesem
Buch fehlt fast ganz die Frau; und doch läßt sich denken, daß höhere
Frauen darüber weinen.) ... Man soll kritisieren. Aber fängt man auch
mit den besten Vorsätzen, gezücktem Bleistift und Zettelvorrat die
Lektüre an: sie reißt einen so schnell mit sich fort, erfüllt mit so
feurigem Entzücken, so dankbarer Liebe zum Dichter, daß nichts aus
kühlem Wertemessen und bedachtem Wägen wird. Soll man nicht froh sein?
Man gibt sich diesem Buch hin wie einem geliebten Bade im See, einer
Bergschau, einem Wiesenschlaf, einem angebeteten Mädchen: gefühlsselig,
selbstvergessen, aufgegangen im Gegenstande seiner Liebe. Man sucht
Gott -- und wird selber Gott. Erst dann hat man ihn gefunden. Wer
anbetet, ist selbst eines Gebetes wert. Und so kann man dieses
wunderbare Buch nicht anders lesen, als indem man es erlebt. Und, ganz
darin untergegangen, kann man nichts anderes von ihm sagen als eben nur
feststellen: ich liebe es, wundervoll ist es. Und Liebe kennt nicht
Einwand, sieht nicht Fehler. Aber keiner, der dies Buch liest, wird
auch etwas dagegen einwenden können.


Früher erschien

Die Schweden und ihre Häuptlinge

Ein Buch für Junge und Alte

Preis jedes der einzeln käuflichen Bände geh. 4 M., geb. 5,50 M.

_Die Neue Rundschau, Berlin_: Ein Ganzes ... das nicht durch
seinen Kunstwerk allein, sondern durch seine Absicht schon die
freudigste Beachtung verdient. Es handelt sich bei dieser Arbeit um
nichts Geringeres als den Versuch: die Geschichte eines gesamten
Volkes dichterisch zu gestalten, die Vergangenheit zum lebenatmenden,
lebenspendenden Bild vor dem Auge des Heute erstehen zu lassen.
Wo die Wissenschaft versagt, weil sie nur Erkenntnis begehrt und
nicht schaffende Wirkung, tritt die hier lange verpönte Kraft der
poetischen Einbildung wieder an den Stoff der toten Jahrhunderte heran
mit dem alten, wundertätigen Schöpferwort: Stehe auf und wandle.
Die Dinge sind zu diesem Punkte herangereift, langsam, unmerklich,
aber unwiderstehlich folgerichtig ... Diese Aufgabe hat nun Verner
von Heidenstams oben genanntes Buch gelöst. Seine Darstellung der
schwedischen Geschichte, die er uns hier geschenkt hat, ist ganz
Tatsächlichkeit im besten Sinn und zugleich dort ganz Bild und
blutreiches Leben ... die wundervolle künstlerische Bewältigung des
Werdegangs einer Nation, die nirgends bei ihm versagt. Damit hat er
mit Meisterhand das geleistet, worauf es ankam, und niemand in seiner
Heimat war so befähigt dazu wie er.

_Hamburgischer Korrespondent_: Verner von Heidenstam behandelt in
diesem Buch die schwedische Geschichte von den sagenhaften Urvölkern an
bis zur Neuzeit. Aber es ist beileibe kein trockenes Geschichtswerk,
keine nüchterne Aneinanderreihung von Haupt- und Staatsaktionen --:
in wundervoll lebendigen einzelnen Bildern schildert uns Heidenstam
mit Meisterhand das Volk der Schweden in seiner Entwicklung, in seinem
Wachsen und Werden, in seinem Glück und Leid. Ein Dichter hat sich in
die Vergangenheit seines Volkes versenkt, und ein Dichter erzählt uns,
was sein Auge geschaut hat.


Folke Filbyter

Erzählung

3. Auflage

Preis geh. 4 M., geb. 6,50 M., in Halbfranz 7,50 M.

_Münchener Neueste Nachrichten_: In diesem Buche wird von Folke
Filbyter, dem Stammvater des schwedischen Königshauses der Folkunger,
erzählt; in einem Ton, der noch etwas von dem Klang alter Heldenlieder
an sich hat. Das Donnern ungezwungener Wasserströme gibt den Grundton,
die Bäume des Urwaldes rauschen darein, der Sturm, der Wikingerschiffe
nordwärts treibt, der Heimat zu, braust darüber hin.

_Königsberger Allgemeine Zeitung_: Es ist halb Geschichte, halb
Sage und halb Dichterwerk, was Heidenstam in meisterlicher Weise
erzählt. Groß angeschaut, echt dichterisch erfaßt und wiedergegeben,
ermangelt dieses Buch doch keineswegs psychologischer Vertiefung
und Feinmalerei, sowie machtvoller Charakterisierungskunst. Auch
die reiche, blühende Sprache voll wunderbar plastischer Bildkraft,
Sinnfälligkeit und künstlerischen Schwunges ist zu loben. Wenn irgendwo
erhält das geheimnisvolle Dämmer nordisch-germanischer Vorzeit just in
Heidenstams Werk die beste Darstellung ... Es ist kein mit billiger
Bücherweisheit vollgepropfter geschichtlicher Roman, sondern ein
blutvolles, lebendiges Bild aus der Urväterzeit ...


Die Erben von Bjälbo

Erzählung

Preis geh. 4 M., geb. 6,50 M., in Halbfranz 7,50 M.

_Berliner Morgenpost_: Das ist es, was Heidenstams großen
Geschichtsromanen in seinem Heimatlande so lebhafte Sympathien schafft
und was sie dem Auslande wertvoll macht: er schildert die Schwedenseele
so plastisch, so klar, daß man ein farbiges Transparentbild vor sich
zu haben meint. In diesem Bilde sieht man ein Volk, das uns Respekt
und Liebe abzwingt; ein charakterfestes, ernstes, religiöses, tief
veranlagtes Volk, das schweigsam seine Pflicht tut; nach außen
verschlossen, im Herzen seinen Gott und seine Heimat.


Hans Alienus

Roman

Zwei Bände, geh. 6 M., geb. 9,50 M.

_Vossische Zeitung, Berlin_: Dieses merkwürdige Buch eines
geistvollen Verfassers hat den seltenen Mut, mit Form und Inhalt
über den modernen Romantypus weit hinauszuschweifen ... Dieser Hans
Alienus ist ein Kämpfer gegen seine Zeit, der sich allerdings trotz
naher Verwandtschaft hütet, an Nietzsche, den großen Unzeitgemäßen zu
erinnern, um sein weltumsegelndes Schifflein mehr in das Fahrwasser des
»Faust« und des Byronschen »Don Juan« zu bringen. Man muß dem Dichter
Heidenstam erkenntlich sein, weil er uns mit seinem Roman einmal von
der nahen, lastenden Wirklichkeit erlöst hat, weil er Phantast genug
ist, um wie der Derwisch in Tausendundeine Nacht den Bann von Raum und
Zeit durch ein Zauberwort zu brechen.


Der Wald rauscht

Erzählungen

Preis geh. 2,50 M., geb. 4 M.

_Neue Freie Presse, Wien_: Ein Dichter hat dem schwedischen Volk
seine Helden und seine Landschaften, das Licht seiner Sommernächte,
den Duft seiner Wälder und die schlichte Größe und Reinheit seiner
Menschen in einer Verklärung geschenkt, wie sie der Geschichte eines
Landes nicht schöner zuteil werden kann ... »Der Wald rauscht.« Dieser
Titel ist ein Grundakkord, ein Leitmotiv für die ersten acht Novellen
des Bandes. »Der Wald rauscht!« -- das war das geheime Losungswort für
die letzten Getreuen der alten Asagötter, wenn sie einander vor Gefahr
warnen wollten ... Es sind Stücke da von sehr verschiedenem Wert, aber
in allen ist die Klaue des Löwen kennbar, und in allen rauscht es von
Urwaldstimmen und den Regungen einer gewaltigen Zeit. In den Spielen
und Gleichnissen, die ein Drittel des Bandes füllen, zeigt sich der
Dichter als Meister der leichten, anmutigen mythischen Fabel. Grazie,
Ironie, feine Charakteristik wechseln mit Szenen von tiefer Symbolik ...


Verlag von Albert Langen, München



Langens Mark-Bücher

Eine Sammlung moderner Literatur


Bis jetzt erschienen

    Band 1. Ludwig Thoma, Assessor Karlchen

    Band 2. Max Dauthendey, Der Garten ohne Jahreszeiten

    Band 3. Knut Hamsun, Abenteurer

    Band 4. Selma Lagerlöf, Die sieben Todsünden

    Band 5. Grazia Deledda, Sardische Geschichten

    Band 6. Peter Scher, Die Flucht aus Berlin

    Band 7. Alexander Castell, Das Fenster

    Band 8. Otto Julius Bierbaum, Die Haare der heiligen Fringilla

    Band 9. Ernst W. Freißler, Der Hof zu den Nußbäumen

    Band 10. Korfiz Holm, Schloß Übermut

    Band 11. Gustav Meyrink, Der heiße Soldat

    Band 12. Bruno Frank, Der Himmel der Enttäuschten

    Band 13. Ludwig Thoma, Das Aquarium

    Band 14. Björnstjerne Björnson, Mutters Hände

    Band 15. Ernst v. Wolzogen, Vom Peperl

    Band 16. Otto Soyka, Die Liebesfalle

    Band 17. Walter von Molo, Die ewige Tragikomödie

    Band 18. Heinrich Mann, Bunte Gesellschaft

    Band 19. F. Gräfin zu Reventlow, Das Logierhaus zur
        schwankenden Weltkugel

    Band 20. Otto Alscher, Die Kluft

    Band 21. Verner von Heidenstam, Kampf und Tod Karls des Zwölften

_Sozialistische Monatshefte, Berlin_: Man sehe Langens Markbücher,
die neue hübsche Bibliothek der Erzähler ... Format und Ausstattung
sind ebenso zu rühmen wie die literarisch feine Auswahl des Gebotenen.


Verlag von Albert Langen in München


    Druck von Hesse & Becker in Leipzig
    Einbände von E. A. Enders in Leipzig



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

    Korrekturen:

    S. 7: neben → daneben
      lagen {daneben} auf den Treppenstufen



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Kampf und Tod Karls des Zwölften - Historische Erzählungen" ***

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