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Title: Tom Sawyers Neue Abenteuer
Author: Twain, Mark
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter,
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    Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original
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    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.

[Illustration: Cover]

[Illustration: S. L. Clemens

(Mark Twain)

Gezeichnet von _Henry Rauchinger_.]



    Tom Sawyers

    Neue Abenteuer

    Von

    Mark Twain

    Autorisiert

    Tom Sawyer im Luftballon

    Tom, der kleine Detektiv

    [Illustration]

    Stuttgart

    Verlag von Robert Lutz

    1903.



Alle Rechte vorbehalten.


Druck von A. Bonz’ Erben, Stuttgart.



_Tom Sawyer_ im _Luftballon_.

[Illustration]



Erstes Kapitel.


War nun Tom Sawyer zufrieden nach all seinen Abenteuern? Ich meine die
Abenteuer auf dem Fluß, als wir den Nigger Jim frei machten und Tom den
Schuß ins Bein kriegte.[1]

    [1] Humor. Schriften, Bd. 2 (Fahrten des Huckleberry Finn).

Nein, er war _nicht_ zufrieden! Es fraß an ihm, er wollte nur
noch mehr. Ja, als wir drei auf dem Fluß zurückkamen von unserer
langen Reise, in voller Glorie -- so kann man wohl sagen -- und als
das Städtchen uns mit einem Fackelzug und mit Ansprachen und mit
allgemeinem Hurra und Jubelgeschrei empfing, -- ja, da waren wir
Helden, und darnach war ja Tom Sawyers Sehnsucht immer gestanden.

Eine Zeitlang war er denn auch wirklich zufrieden. Alle Leute feierten
ihn, und er trug seine Nase hoch und ging mit einer Miene im Städtchen
herum, als ob es ihm ganz allein gehörte. Einige nannten ihn ›Tom
Sawyer den Reisenden‹, und dieser Titel machte ihn so aufgeblasen, daß
er beinahe geplatzt wäre. Natürlich stand er ganz anders da, als ich
und Jim, denn wir waren ja auf einem gewöhnlichen Floß stromabwärts
gefahren und nur stromauf mit dem Dampfer, Tom aber hatte den Hin-
sowohl wie den Rückweg auf dem Dampfboot gemacht. Die Jungens
beneideten Jim und mich nicht wenig, aber vor Tom -- ach, du liebe
Zeit, da krochen sie geradezu im Staube.

Vielleicht wäre nun Tom doch zufrieden gewesen, wäre nur nicht der
alte Nat Parsons dagewesen. Das war der Postmeister, ein riesenlanger
und dünner, gutmütiger und ein bißchen beschränkter Mann, mit ganz
kahlem Kopf -- denn er war schon sehr alt -- und so ziemlich das
schwatzhafteste alte Geschöpf, das ich je gesehen habe. Volle dreißig
Jahre lang war er im Städtchen der einzige berühmte Mann gewesen;
berühmt war er als Reisender, und natürlich war er über alle Maßen
stolz darauf, und man hatte ihm nachgerechnet, daß er im Lauf der
dreißig Jahre mehr als eine Million Male die Geschichte von seiner
Reise erzählt und jedesmal wieder selber eine kindliche Freude daran
gehabt hatte. Und nun kommt da auf einmal ein Bengel von noch nicht
fünfzehn, und jedermann reißt Mund und Augen auf über _dessen_ Reisen!
Natürlich brachte das den alten Herrn außer Rand und Band. Es machte
ihn ganz krank, wenn er mit anhören mußte, wie Tom erzählte und wie die
Zuhörer dabei fortwährend riefen: »Ach Herrjeh,« »Nee, aber so was!«
»Ach du himmlische Barmherzigkeit!« usw. usw. Aber trotzdem mußte er
immer wieder zuhören; er war wie die naschhafte Fliege, die mit einem
Hinterbein in der Sirupschüssel festsitzt Und jedesmal, wenn Tom eine
Pause machte, dann fing der arme alte Herr von seiner abgedroschenen
alten Reise an und quälte sich ab, sie so recht zur Geltung zu bringen
-- aber sie war wirklich schon _zu_ abgedroschen und zog nicht mehr,
und es konnte einem wirklich leid tun, wenn man’s mit ansah. Dann kam
Tom wieder an die Reihe und dann wiederum der Alte -- und so fort, und
so fort, eine Stunde lang und noch länger, und jeder wollte immer den
andern übertrumpfen.

Mit Parsons Reise verhielt es sich so: Als er eben die
Postmeisterstelle gekriegt hatte und noch ein ganz grüner Neuling war,
da kam eines schönes Tages ein Brief für jemand, den er nicht kannte,
denn einen Mann mit solchem Namen gab’s im Städtchen überhaupt nicht.
Er wußte denn nun absolut nicht, was er anfangen sollte, und so lag
denn der Brief da, von einer Woche zur andern, bis der bloße Anblick
dem Postmeister übel machte. Das Porto für den Brief war nicht bezahlt
und das war ebenfalls ein Grund zu Sorgen. Wie sollte er denn nur die
10 Cents einziehen? Und dann, wer konnt’s wissen, vielleicht machte
die Regierung ihn verantwortlich dafür und setzte ihn ab, weil er das
Strafporto nicht eingezogen hatte ...

Zuletzt konnte er’s einfach nicht länger aushalten; er konnte nachts
nicht mehr schlafen, konnte nicht mehr essen und war zu einem Schatten
abgemagert. Trotzdem wagte er’s nicht, jemand um Rat zu fragen; denn
der Ratgeber konnte ja womöglich hinterlistig sein und der Regierung
die Geschichte von dem Brief mitteilen. Er hatte den Brief unter dem
Fußboden versteckt, aber auch das half nichts. Wenn zufällig mal jemand
auf der betreffenden Stelle stand, so bekam der Postmeister eine
Gänsehaut; schwarzer Verdacht bemächtigte sich seiner und er blieb auf,
bis die Stadt still und dunkel war; dann schlich er sich an die Stelle
und holte den Brief wieder hervor und verbarg ihn an einem andern
Platz. Natürlich wurden die Leute scheu und schüttelten die Köpfe und
flüsterten allerlei, denn aus seinen Blicken und Bewegungen schlossen
sie, er hätte einen Menschen totgeschlagen oder sonst irgend was
Fürchterliches begangen -- und wäre er ein Fremder gewesen, so hätte
man ihn gelyncht.

Also, wie gesagt, er konnte es nicht länger aushalten, und so beschloß
er denn in seinem Sinn, er wollte nach Washington machen und geraden
Wegs zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gehen und frei von der
Leber weg sprechen und den Brief herausholen und ihn vor der ganzen
Regierung offen hinlegen und sagen:

»So! da ist er! Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Aber der Himmel ist
mein Zeuge: ich bin unschuldig und verdiene nicht die volle Schwere
der gesetzlichen Strafe, und ich lasse eine Familie zurück, die ohne
mich Hunger leiden muß und doch gar nichts mit der Geschichte zu tun
gehabt hat. Und das ist die reine Wahrheit und darauf kann ich einen
Eid leisten!«

Gedacht, getan. Er fuhr ein Stückchen mit dem Dampfer und ein Stückchen
mit der Postkutsche, aber den ganzen übrigen Teil der Reise machte er
zu Pferde, und er brauchte drei Wochen bis Washington. Er sah viele
Länder und unzählige Dörfer und vier große Städte. Acht Wochen lang war
er fort und nie zuvor war in unserem Städtchen[2] ein Mann so stolz wie
er, als er nun wieder daheim war. Durch seine Reisen war er der größte
Mann in der ganzen Gegend geworden; von keinem hatte man je so viel
gesprochen; dreißig Meilen weit kamen die Leute angereist, ja sogar
von Illinois her, bloß um ihn zu sehen -- und da standen sie dann und
glotzten ihn an und er plapperte. So was war noch niemals dagewesen.

    [2] Hannibal am Mississippi.

Nun war denn natürlich die Frage, wer der größte Reisende sei: Nat
oder Tom. Einigkeit war darüber nicht zu erzielen; die einen sagten,
Nat wäre es, die anderen schworen auf Tom. Jedermann gab zu, daß Nat
dem jüngeren Nebenbuhler in der Länge der Reise über war, aber dafür
war Tom denn doch in einem ganz anderen Klima gewesen. Die Wage hielt
so ziemlich das Gleichgewicht. Jeder von den beiden mußte deshalb seine
gefährlichsten Abenteuer in die Wagschale werfen. Die Kugel in Toms
Bein war für Nat sozusagen eine harte Nuß zu knacken, aber Nat knackte,
so gut er konnte. Er war jedoch dabei entschieden im Nachteil, denn Tom
saß nicht still, wie er eigentlich hätte tun sollen, sondern er hinkte
fortwährend im Zimmer herum, während Nat das Abenteuer ausmalte, das er
seiner Zeit in Washington gehabt hatte. Tom hinkte nämlich noch, als
seine Wunde schon längst wieder heil war; er übte sich nachts in seiner
Schlafstube im Hinken und konnte es daher natürlich großartig.

Mit Nats Abenteuer nun verhielt es sich folgendermaßen: Ob die
Geschichte ganz wahr ist, das weiß ich nicht; vielleicht hatte er sie
in einer Zeitung gelesen oder sonstwo aufgeschnappt; aber das muß ich
sagen: er verstand sie zu erzählen! Es schauerte einem durch alle
Glieder und der Atem stand einem still, wenn er sie vortrug, und Frauen
und Mädchen wurden manchmal so blaß und schwach dabei, daß sie gar
nicht mehr wußten, wo sie hin sollten. So gut ich’s vermag, will ich
ihm die Geschichte nacherzählen:

Er kommt also nach Washington und stellt sein Pferd ein und holt seinen
Brief heraus und fragt nach dem Weg zu des Präsidenten Haus. Man sagt
ihm, der Präsident sei auf dem Kapitol und wolle nach Philadelphia
reisen -- keine Minute sei zu verlieren, wenn er ihn noch sprechen
wolle. Nat fiel beinahe in Ohnmacht, so schlecht wurde ihm zumute. Sein
Pferd stand abgesattelt im Stall; was sollte er nun bloß anfangen? Aber
gerade in dem Augenblick kommt ein Nigger mit seiner alten rumpligen
Droschke vorbeigefahren. Sofort erfaßt Nat die Situation; er stürzt auf
die Straße und schreit:

»’nen halben Dollar, wenn du mich in ’ner halben Stunde nach dem
Kapitol fährst, und ’n viertel extra, wenn du’s in zwanzig Minuten
machst!«

»Schön!« sagt der Nigger.

Nat also springt in die Droschke und schmeißt den Schlag zu, und
los geht’s holterdipolter über das fürchterlichste Pflaster, das
man sich denken kann, und das Gerumpel und Geratter war geradezu
schauerlich. Nat steckt die Arme durch die Halteriemen und hält sich
aus Leibeskräften fest, aber nicht lange, da stößt die Karre an einen
großen Stein, und fliegt, hops!, hoch in die Luft empor und der Boden
fällt heraus, und als die Droschke wieder unten ist, da sind Nats
Füße auf dem Grund und er sieht sofort, daß er in verzweifelter Lage
ist, wenn er nicht so schnell laufen kann, wie die Droschke fährt. Er
hatte einen fürchterlichen Schreck bekommen, aber er ging mit aller
Macht ins Zeug und hielt sich an den Armriemen und streckte die Beine,
daß es eine Art hatte. Er schrie und rief dem Kutscher zu, er sollte
halten, und alle Menschen auf der Straße schrieen ebenfalls, denn sie
sahen unter dem Wagen seine dünnen Beine entlang wirbeln und durch die
Fenster seinen Kopf und seine Schultern immer auf und nieder fahren,
und merkten, daß er in fürchterlicher Gefahr war. Aber je mehr sie
riefen, desto lauter kreischte und gröhlte der Nigger und hieb auf die
Pferde los und rief: »Habben keine Bange nich der Herr; gemachen muß es
werden und ich machen’s!«

Denn natürlich dachte er, sie wollten ihn zum Schnellfahren antreiben,
und von Nats Rufen konnte er vor dem Geratter nichts hören. Und so
ging es denn, hast du nicht gesehen, immer weiter, und den Leuten, die
es sahen, standen die Haare zu Berge. Und als sie schließlich beim
Kapitol ankamen, da war’s die schnellste Fuhre, die je ’ne Droschke
gemacht hat, das sagten alle. Die Pferde waren ganz matt und Nat troff
vor Schweiß und war wie gerädert, und er war voll Staub, die Kleider
hingen in Fetzen an seinem Leibe und seine Stiefel hatte er verloren.
Aber er war zur rechten Zeit da, und zwar gerade noch im allerletzten
Augenblick. Er kam vor den Präsidenten und gab ihm den Brief und alles
war in schönster Ordnung. Der Präsident begnadigte ihn auf der Stelle
und Nat gab dem Nigger drei Vierteldollars extra statt nur eines; denn
das sah er ja ein, hätte er nicht die Droschke gehabt, so hätte er auch
nicht annähernd zur rechten Zeit kommen können.

Es war tatsächlich ein großes Abenteuer, und Tom Sawyer mußte sich alle
Mühe geben, um mit seiner Kugelwunde dagegen aufzukommen.

Nun, wie’s so geht, nach und nach verblaßte Toms Ruhmesglanz, denn es
kamen andere Gesprächsstoffe auf, worüber die Leute schwatzen konnten:
erst ein Wettrennen, und dann eine Feuersbrunst, und dann der Zirkus,
und darauf die Sonnenfinsternis; und diese brachte dann, wie es
meistens der Fall ist, eine Wiederbelebung der Frömmigkeit zuwege, und
so war denn von Tom nicht mehr viel die Rede, und das machte ihn ganz
krank und vergällte ihm alle Freude am Leben.

Es dauerte nicht lange, so war er den ganzen Tag verdrießlich und
reizbar und wenn ich ihn fragte, warum er denn nur in solcher Stimmung
sei, dann antwortete er, es bräche ihm beinahe das Herz, wenn er
daran dächte, wie die Zeit verränne und daß er immer älter und älter
würde, ohne daß ein Krieg ausbräche und er auch nur die geringste
Menschenmöglichkeit sähe, sich einen Namen zu machen. So denken ja nun
freilich alle Jungen, aber er war der erste, den ich diese Gedanken
frei und offen aussprechen hörte. Er sann also Tag und Nacht auf einen
Plan, wie er berühmt werden könnte. Bald hatte er denn auch einen
und er bot Jim und mir an, an seinem Ruhme teil zu nehmen. In dieser
Hinsicht war Tom Sawyer immer edelmütig. Viele Jungen sind über die
Maßen gut und freundlich, wenn einer was Gutes hat, aber wenn sie
selber mal was Gutes kriegen, dann sagen sie einem kein Wort davon und
versuchen es für sich allein zu behalten. So war Tom Sawyer niemals,
das kann ich ihm wohl nachsagen. Viele Jungen schlängeln sich an einen
heran, wenn man einen Apfel hat und bitten einen um das Kernhaus. Aber
wenn sie dann selber einen haben, und man bittet sie um’s Kernhaus und
erinnert sie daran, daß man ihnen auch ’mal ein Kernhaus gegeben hat --
jawohl, da heißt’s ›Prost die Mahlzeit‹, aber vom Kernhaus sieht man
nichts. Da kann man sich den Mund wischen.

Wir gingen in das Gehölz auf dem Berg, und Tom sagte uns, was es war.
Es war ein Kreuzzug.

»Was ist ein Kreuzzug?« fragte ich.

Tom sah mich geringschätzig an, wie er’s immer tut, wenn ihm jemand
leid tut. Dann sagte er:

»Huck Finn, du willst doch nicht behaupten, daß du nicht weißt, was ein
Kreuzzug ist?«

»Nee,« sag’ ich, »ich weiß es nicht. Und ich mache mir auch nichts
daraus. Ich habe so lange gelebt und bin gesund gewesen, ohne es zu
wissen. Aber so bald du mir es sagst, was es ist, dann weiß ich’s
ja, und das ist früh genug. Ich sehe nicht ein, wozu ich mir Sachen
austifteln und mir meinen Kopf damit vollpfropfen soll, wenn ich
vielleicht niemals ’ne Gelegenheit habe, davon Gebrauch zu machen.
Na, was ist denn also ein Kreuzzug? Aber eins kann ich dir zum Voraus
sagen: wenn’s was zum Patentieren ist, da ist kein Geld mit zu machen.
Bill Tompson ...«

»Zum Patentieren?« rief Tom. »Hat man je so einen Schafskopf gesehen?
Ein Kreuzzug ist eine Art von Krieg.«

Ich dachte, er hätte seinen Verstand verloren. Aber nein, er meinte es
in vollem Ernst und fuhr ganz ruhig fort:

»Ein Kreuzzug ist ein Krieg, um das heilige Land von den Heiden zu
erlösen.«

»Was für’n heiliges Land?«

»Na, das heilige Land -- es gibt doch bloß eins.«

»Was sollen wir denn damit anfangen?«

»Nanu, begreifst du denn das nicht? Es ist in den Händen der Heiden,
und ’s ist unsere Pflicht, es ihnen abzunehmen.«

»Warum haben wir’s ihnen denn überlassen?«

»Wir haben’s ihnen gar nicht überlassen. Sie haben es immer gehabt.«

»Ja, Tom, dann muß es aber doch ihnen gehören, nicht wahr?«

»Natürlich gehört es ihnen. Wer hat denn was anderes gesagt?«

Ich dachte über seine Worte nach, konnte aber nicht recht
herausbekommen was er meinte. Ich sagte daher: »Das ist für mich zu
hoch, Tom Sawyer. Wenn ich ’ne Farm hätte, und die wäre mein, und ein
anderer wollte sie haben, wäre es dann recht, wenn er ...«

»Ach, Quatsch, Huck Finn! Es handelt sich um keine Farm, es handelt
sich um ganz was anderes. Höre mal zu, die Sache ist so: ihnen gehört
das Land, aber bloß das Land und nichts weiter; aber _wir_, wir Juden
und Christen, haben’s zum _heiligen_ Land gemacht und darum haben sie
dort gar nichts zu suchen. Es ist ’ne wahre Schande und wir können es
keine Minute länger dulden. Wir sollten gegen sie ausziehen und es
ihnen wegnehmen.«

»Hm, die Sache kommt mir denn doch über alle Maßen verzwickt vor. Wenn
ich ’ne Farm hätte und ein anderer ...«

»Sagte ich dir nicht, es hat mit ’ner Farm gar nichts zu tun? Ein
Farmer hat ein Geschäft, ein ganz gewöhnliches alltägliches Geschäft;
weiter kann man darüber nichts sagen. Aber dies hier -- das ist was
Höheres -- das ist Religion, also ganz was anderes.«

Jim schüttelte den Kopf und sagte:

»Massa Tom, gewiß sein da eine Irrung -- ganz gewiß. Ich selber haben
Relion und kennen viele andere mit Relion, aber nie haben ich gehört
von so was.«

Darob wurde Tom hitzig und er rief:

»Wahrhaftig, so eine vernagelte Dummheit kann einen ja ganz krank
machen! Wenn einer von euch beiden ’was von Weltgeschichte gelesen
hätte, so würde er wissen, daß Richard Kördeloon und der Papst und
Gottfried von Buloon und ’ne Masse andere höchst edelherzige und fromme
Leute mehr als zweihundert Jahre lang auf die Heiden losgedroschen und
losgehackt haben, um ihnen ihr Land wegzunehmen, und daß sie die ganze
Zeit über bis an den Hals in Blut wateten -- und hier erlauben sich ein
paar Dummköpfe von Hinterwäldlern am Missouri die Anmaßung, besser als
alle jene Helden wissen zu wollen, was Recht und was Unrecht an den
Kreuzzügen gewesen sei. Quatscht ihr und der Deubel!«

Na, das ließ natürlich die Sache in einem ganz andern Licht erscheinen,
und Jim und ich kamen uns recht gering und unbedeutend vor und wir
dachten bei uns, wir hätten lieber nicht so vorlaut sein sollen. Ich
konnte keine Worte finden und Jim brachte ’ne Zeit lang auch nichts
heraus; endlich aber sagte er:

»Nu, so ich denken, alles sein in die Richte; denn wenn sie nix
wußten, wie sollten wir arme dumme Leut’ versuchen, was zu wissen?
Und so, wenn’s unsere Schuldigkeit is, nu, so müssen wir Werk in
Hand nehmen und tun, was möglich sein. Aber die arme Heidenvolk tun
mir leid. Sein es nix hart, Leut’ zu Tode zu machen, das man nie hat
gesehen? Seh’ Sie, Massa Tom, das sein es! Aber dann ...«

»Dann? wann dann?«

»Hem, Massa Tom, ich haben eine Gedank. Es tun nu mal nix helfen, wir
können die arme Fremders nix zu Tode machen, was uns nie nix getan
haben. Erst müssen wir uns in die Todmacherei üben, Massa Tom --
jawoll, das müssen wir! jawoll, ich wissen, es gehen sonst nix. Wenn
wir nu aber eine Beil nehm’ oder zwei, ich meinen bloß Sie, Massa Tom,
un Jim un Huck, un husch husch über die Fluß, wann heut nacht die Mond
nix mehr scheinen, un schlagen die kranke Leut’ tot da oben auf die
Hügel un brennen ihre Haus nieder un ...«

»O, ihr macht mir Kopfweh!« rief Tom, »Ich will mich auf gar keine
Worte mehr mit Leuten wie du und Huck einlassen, die nie bei der
Sache bleiben können und nicht mal’n Ding begreifen, das so gut und
gesetzlich ist wie die schönste Theologie!«

Nun, das war aber nicht schön von Tom Sawyer! Jim meinte es doch nicht
böse und ich auch nicht. Wir wußten vollkommen, daß er im Recht war
und wir Unrecht hatten, und wir wollten ja bloß das ›Warum?‹ wissen
und weiter nichts. Und wenn er’s nicht so auseinandersetzen konnte,
daß wir’s verstanden, nun so lag das einzig und allein an unserer
Unwissenheit; unwissend waren wir und ein bißchen gar zu schwer von
Begriff auch, das leugne ich nicht. Aber, du lieber Gott, das ist doch
kein Verbrechen!

Aber er wollte nun ’mal nichts mehr davon hören; sagte bloß, wenn wir
die Sache richtig begriffen hätten, so hätte er ’n paar tausend Ritter
aufgebracht und hätte sie von Kopf zu Fuß in Stahl gekleidet, und ich
wäre Leutnant geworden und Jim sein Marketender. Und er selber hätte
’s Kommando übernommen und hätte die ganze Heidenwirtschaft ins Meer
gefegt wie Fliegen und wäre als Sieger in einem Glorienschein wie
Abendgold durch die Welt gegangen. Aber wir wüßten ja nicht mal so ’ne
Gelegenheit zu benutzen, sagte er, und darum wollte er sie uns auch
nicht wieder bieten. Und dabei blieb’s. Wenn er sich mal was in den
Kopf gesetzt hatte, dann war nichts zu machen.

Aber darum ließ ich mir keine grauen Haare wachsen. Ich bin von
friedfertiger Anlage, und was soll ich mich mit Leuten ’rumschlagen,
die mir nichts zuleide tun? Ich dachte bei mir: wenn die Heiden
zufrieden sind, mir solls Recht sein, und dabei wollen wir’s belassen.

Diese ganze Geschichte hatte sich Tom aus dem Buch von Walter Scott,
worin er immer las, in den Kopf gesetzt. Und es war ’ne wilde Sache,
denn meiner Meinung nach hätte er die Ritter nicht zusammengebracht,
und wenn schon, so hätte er höchst wahrscheinlich mit samt all seinem
Kriegsvolk Klopfe gekriegt. Ich machte mich nachher auch über das Buch
her und las es von A bis Z, und, soweit ich daraus klug werden konnte,
hatten die meisten Leute, die ihre Bauernhäuser verließen und auf die
Kreuzzüge gingen, nicht gerade ein sanftes Leben davon!



Zweites Kapitel


Tom dachte sich denn nun also ein Ding nach dem andern aus, aber
ein jedes hatte seine schwache Stelle und mußte daher auf die Seite
geschoben werden. Zuletzt war er in heller Verzweiflung. Auf einmal
standen in den Zeitungen von St. Louis lange Geschichten von dem
Luftballon, der nach Europa segeln sollte; Tom dachte wohl daran, auch
hinzufahren und sich das Ding anzusehen, konnte aber nicht recht zu
einem festen Entschluß kommen. Die Zeitungen schrieben jedoch immerfort
darüber; so dachte er denn, wenn er nicht hinginge, würde sich ihm
vielleicht nie wieder ’ne Gelegenheit bieten, ’nen Ballon zu sehen.
Außerdem erfuhr er, Nat Parsons wolle auch hinfahren, und das brachte
ihn natürlich zum Entschluß. Er konnte doch nicht leiden, daß Nat nach
seiner Rückkunft überall von dem Luftballon schwadronierte, den er
gesehen; da hätte er dabeisitzen müssen und ruhig den Mund halten! Er
bat also mich und Jim mitzukommen und wir reisten ab.

Es war ein prächtiger großer Luftballon mit Flügeln und dergleichen,
ganz anders als die Ballons, die man abgebildet sieht. Die
Auffahrtsstelle befand sich weit draußen am Rande der Stadt, auf
einem leeren Bauplatz an der Ecke der zwölften Straße. Eine dichte
Menschenmenge stand herum und machte schlechte Witze über das
Luftschiff und über den Mann, einen mageren blassen Herrn mit jenem
bekannten Mondscheinblick im Auge. Sie sagten fortwährend, das Ding
würde nicht gehen. Er wurde ganz wild darüber, drehte sich alle
Augenblicke nach den Leuten um und rief mit geballten Fäusten, sie
wären blindes Viehzeug, aber eines Tages würden sie merken, daß sie
einen von den Männern vor sich gehabt hätten, durch welche Nationen
hochgebracht würden und denen allein alle Fortschritte der Zivilisation
zu verdanken wären. Ja, dann würden sie merken, daß sie nur zu dumm
gewesen wären, um das zu sehen, und hier auf dem Fleck würden ihre
Kinder und Enkel ein Denkmal errichten, das ein Jahrtausend überdauern
würde; sein Name aber würde das Denkmal überdauern!

Darauf brüllte dann wieder die Menge vor Lachen und allerlei Fragen
hagelten auf ihn nieder: wie er vor seiner Heirat geheißen hätte, und
was er haben wollte, wenn er’s bleiben ließe, und wie die Großmutter
von seiner Schwester Katze hieße usw., wie eben der große Haufe sich
benimmt, wenn er ’nen Mann vor sich hat, den er gehörig plagen kann.
Na, einiges von dem, was sie sagten, war wirklich lustig, -- gewiß,
und sogar sehr witzig, das leugne ich nicht, aber trotzdem war’s nicht
schön und war keine Heldentat: alle diese Leute mit behendem und
scharfem Mundwerk gegen den einen Mann, der seine Zunge absolut nicht
zu gebrauchen wußte. Aber freilich, wozu um Gottes willen mußte er
überhaupt seinen Mund auftun? Sie _waren_ ihm nun doch mal über. Aber
ich vermute, ’s lag so in seiner Natur und er konnte nichts dafür. Er
war gewiß ein ganz guter Kerl, eine harmlose Seele, aber er war, wie
die Zeitungen sagten, ein Genie und das war doch nicht seine Schuld.
Wir können nicht alle vernünftig sein und wie wir sind, so müssen wir
eben verbraucht werden. Wenn ich die Sache recht verstehe, so meinen
Genies, sie wissen alles, und hören darum nicht auf das, was andere
Leute sagen, sondern gehen ihre eigenen Wege, und deshalb wenden sich
denn alle von ihnen ab und sprechen verächtlich über sie, wie es ja
ganz natürlich ist. Wenn sie bescheidener wären und auf andere Leute
hörten und was zu lernen sich bemühten, so wären sie besser daran.

Das Ding, worin der Professor war, sah aus wie ’n Boot, groß und
geräumig, und auf der Innenseite liefen rings herum wasserdichte
Behälter, um alle möglichen Sachen aufzubewahren; man konnte auf ihnen
sitzen und sie auch als Bettstellen benutzen, wenn man schlafen wollte.
Wir gingen an Bord. Es waren ungefähr zwanzig Leute darin, die überall
herumschnüffelten und sich alles ansahen, und der alte Nat Parsons war
auch dabei. Der Professor machte sich eifrig mit den Vorbereitungen
zum Aufstieg zu schaffen und die Besucher stiegen daher wieder aus,
einer nach dem andern, und Nat Parsons war der letzte. Natürlich ging
es nicht an, daß er nach uns das Luftschiff verließ, denn wir mußten
unbedingt die Letzten sein, um Toms und seines Publikums willen.
Deshalb blieben wir ganz ruhig in der Gondel.

Endlich aber war er draußen; es wurde daher auch für uns Zeit
auszusteigen. Ich hörte ein lautes Geschrei und drehte mich um --
die Stadt sank unter uns in die Tiefe als wäre sie aus einer Kanone
geschossen! Mir wurde vor Angst ganz übel. Jim wurde grau und konnte
kein Wort herausbringen und Tom sagte ebenfalls nichts, sah aber
ganz aufgeregt aus. Die Stadt sank immer tiefer, tiefer, tiefer; wir
selber aber schienen ganz still immer auf demselben Fleck in der Luft
stehen zu bleiben. Die Häuser wurden kleiner und immer kleiner, und
die Stadt schob sich zusammen, dicht und immer dichter, und Menschen
und Fuhrwerke sahen aus wie herumkrabbelnde kleine Ameisen und Käfer
und die Straßen wurden zu Fäden und feinen Spalten. Dann schmolz
alles ineinander zusammen und es war überhaupt keine Stadt mehr da
-- nur ein großer Fleck auf der Erde, und es kam mir vor, als könnte
man tausend Meilen stromaufwärts und tausend Meilen weit stromabwärts
sehen -- obwohl es natürlich nicht so viel war. Allmählich wurde
die Erde zu einer Kugel von düsterer Färbung, die kreuz und quer von
hellen Streifen durchgezogen -- das waren Flüsse. Witwe Douglas hatte
mir immer schon erzählt, die Erde sei rund wie ’ne Kugel, aber ich
mochte auf ihren abergläubischen Kram nicht hören und hatte natürlich
auch diesen Unsinn nicht weiter beachtet, denn ich sah ja selber, daß
die Welt flach ist wie ’n Teller. Ich war sogar auf den Berg gegangen
und hatte mich mit eigenen Augen umgeguckt, um mich zu überzeugen --
denn ich bin der Meinung, man kriegt am besten ’nen richtigen Begriff
von einer Sache, wenn man sie sich selbst ansieht, und sich nicht auf
das verläßt, was andere Leute sagen. Aber nun mußte ich zugeben, daß
Witwe Douglas recht gehabt hatte. Das heißt: sie hatte recht mit Bezug
auf den übrigen Teil der Welt; aber der Teil, worauf unser Städtchen
liegt, der ist und bleibt flach wie ’n Teller, darauf will ich ’nen Eid
leisten! Der Professor war die ganze Zeit über ruhig gewesen, beinahe
als ob er schliefe; aber auf einmal brach er los und rief in bitterem
Zorn:

»Die Idioten! Sie sagten mein Schiff würde nicht fliegen, und
wollten’s untersuchen und darauf herumspionieren und das Geheimnis aus
mir herauslocken! Aber ich hab’ sie angeführt! Kein Mensch kennt das
Geheimnis außer mir. Niemand außer mir weiß, was das Schiff treibt;
’s ist ’ne neue Kraft -- ’ne ganz neue, tausendmal so stark als alles
andere auf Erden. Dampf ist Kaff dagegen. Sie sagten, ich könnte nicht
nach Europa fahren. Nach Europa! Bah, ich habe Kraft für fünf Jahre
an Bord und Lebensmittel für drei Monate. Sie sind verrückt! Was
verstehen sie davon? Und dann sagten sie, mein Schiff sei zerbrechlich!
Zerbrechlich! Fünfzig Jahre lang kann’s aushalten. Ich kann mein
ganzes Leben lang in den Lüften herumfahren, wenn ich Lust habe, und
kann es steuern, wohin ich will. Und sie lachten mich aus und sagten,
ich könnt’s nicht. Könnt’ nicht steuern! Komm her, Junge; das wollen
wir gleich mal sehen. Du drückst bloß auf die Knöpfe, die ich dir
bezeichne.«

Er ließ nun Tom das Schiff nach allen Richtungen hin steuern und
Tom lernte es im Handumdrehen; er sagte uns, es ginge ganz leicht.
Der Professor ließ ihn das Schiff beinahe ganz auf den Erdboden
herunterbringen, und es strich so dicht über die Felder von Illinois
hin, daß man mit den Landleuten hätte sprechen können, denn wir hörten
ganz deutlich jedes Wort, das sie sagten. Und der Professor warf ihnen
bedruckte Zettel zu, darin stand allerlei über den Ballon, und daß wir
nach Europa segelten. Dann brachte der Professor Tom bei, wie er den
Ballon zu landen hätte. Auch das lernte er famos, er setzte uns ganz
sanft und leise auf die Wiese nieder. Aber sowie wir Miene machten
auszusteigen, rief der Professor: »Nä, das nicht!« und ließ den Ballon
wieder in die Lüfte emporschießen. Jim und ich begannen zu flehen,
aber das machte den Mann bloß ärgerlich, er fing an zu toben und vor
Wut die Augen zu verdrehen, und ich kriegte ’ne Höllenangst vor ihm.
Dann fing er wieder von den bösen Menschen an und brummte und knurrte
darüber, wie man ihn behandelt hätte; und besonders darüber, daß die
Leute gesagt hatten, sein Schiff sei zerbrechlich, konnte er, wie’s
scheint, nicht hinwegkommen. Und dann hatte man gesagt, das Luftschiff
sei nicht einfach genug und werde fortwährend in Unordnung geraten. In
Unordnung! Das regte ihn fürchterlich auf; er rief, der Ballon würde so
wenig in Unordnung geraten wie ’ne Sonnenzisterne.[3]

    [3] Eine kleine Verwechselung mit dem Sonnensystem.

Es wurde immer schlimmer mit ihm und ich habe niemals einen Menschen in
solcher Wut gesehen. Beim bloßen Anblick überlief mich ’ne Gänsehaut
und Jim ging’s nicht besser. Allmählich wurde sein Sprechen zu lautem
Geschrei und Gekreisch; er schwor, die Welt sollte sein Geheimnis
überhaupt nicht kennen lernen; man hätte ihn zu niederträchtig
behandelt. Er wollte mit seinem Ballon um den ganzen Erdball
herumfahren, um ihnen zu zeigen, was er damit leisten könnte, und dann
wollte er den Ballon und sich selber und uns dazu ins Meer versenken.
Es war ’ne verflucht ungemütliche Lage für uns, und dabei brach auch
noch die Nacht herein.

Er gab uns was zu essen und befahl uns dann, nach dem hinteren Ende
der Gondel zu gehen. Er selbst streckte sich auf einer von den Bänken
aus, von wo aus er den ganzen Mechanismus hantieren konnte, legte seine
alte Revolver-Pfefferbüchse unter seinen Kopf und sagte, wenn einer
von uns so verrückt wäre, das Luftschiff landen zu wollen, den würde er
totschießen.

Wir saßen aneinander geschmiegt und machten uns recht viele Gedanken,
sprachen aber wenig -- wir hatten zu große Angst. Allmählich senkte
sich die Nacht hernieder. Wir segelten ziemlich niedrig, und im
Mondschein sah alles so hübsch und lieblich aus; wir hörten die
Geräusche, die von den Gehöften kamen, und wünschten, wir wären dort
unten. Aber wie ein Geisterhauch schwebten wir über sie hin, ohne eine
Spur zu hinterlassen. Spät in der Nacht -- man hörte den Geräuschen von
drunten an, daß es spät war, und man merkte es an der Luft, ja man roch
es ihr sozusagen an -- dem Gefühl und Geruch der Luft nach dachte ich,
es müsse etwa zwei Uhr sein -- spät in der Nacht also sagte Tom, der
Professor wäre jetzt so still, er müßte wohl eingeschlafen sein, und
darum sollten wir ...

»Sollten wir ... was?« fragte ich flüsternd. Und mir war ganz schlimm
dabei zu Mute, denn ich wußte, woran Tom dachte.

»Wir sollten uns zu ihm heranschleichen und ihn binden und mit dem
Luftschiff landen!« antwortete er.

Ich sagte: »Um Gottes willen nicht! Rühr’ dich nicht vom Fleck, Tom
Sawyer!«

Und Jim -- ja, dem blieb vor Angst einfach die Luft weg. Er sagte:

»O, Massa Tom, tu Sie ja nich! Wenn Sie ihn anrühren, es sein alle mit
uns, warraftig alle mit uns! Ich tät’ ihm nich zu nah kommen, nich für
nix auf die Welt! Er sein verrückt wie ’ne ...«

»Eben drum!« flüsterte Tom. »Eben drum _müssen_ wir das tun. Wäre er
nicht verrückt, so gäbe ich, ich weiß nicht was, darum, um bloß hier
auf dem Luftschiff zu sein; keine zehn Pferde sollten mich von hier
wegkriegen, jetzt wo ich mit dem Ding umzugehen weiß und die erste
Angst, als wir plötzlich den festen Grund unter den Füßen verloren,
überwunden ist. Wenn er nur seinen rechten Verstand hätte! Aber mit so
’nem Menschen ’rumzugondeln, der ’ne Schraube verloren hat und sagt,
er wolle um die Welt segeln und nachher uns alle ersäufen -- nee, das
geht nicht. Wir _müssen_ was tun, sage ich euch, und zwar bevor er
aufwacht, sonst haben wir vielleicht niemals wieder ’ne Gelegenheit
dazu. Kommt!«

Aber uns überlief ’ne eiskalte Gänsehaut bei dem bloßen Gedanken
daran, und wir rührten uns nicht von der Stelle. Tom sagte darauf,
er wollte allein an den Professor herankriechen und versuchen, ob er
nicht an den Steuerapparat herankommen und den Ballon landen könnte.
Wir baten und flehten, er möchte es nicht tun, aber es half uns
nichts. Er kroch auf Händen und Füßen Zoll um Zoll vorwärts, und uns
stockte der Atem, als wir das mit ansahen. Als er in der Mitte der
Gondel angekommen war, fing er an noch langsamer zu kriechen, und mir
kam es vor, als vergingen Jahre darüber. Zuletzt aber sahen wir, wie
er bei des Professors Kopf war; da richtete er sich halb auf und sah
ihm ins Gesicht und lauschte. Dann kroch er wieder Zoll um Zoll zu
des Professors Füßen herunter, wo die Steuerknöpfe waren. Er kam auch
richtig an und griff langsam und bedächtig nach den Knöpfen; aber dabei
stieß er an irgend etwas an. Es gab ein Geräusch, und plumps! lag er
flach auf dem Boden der Gondel.

Der Professor fuhr empor und rief: »Was ist das?«

Aber wir hielten uns alle mäuschenstill; er brummte und gähnte und
streckte sich wie jemand, der aus dem Schlaf aufwacht, und ich dachte,
ich sollte vor Angst und Zagen umkommen.

Auf einmal schob sich eine Wolke vor den Mond, und ich hätte vor Freude
beinahe laut aufgeschrieen. Der Mond verschwand immer tiefer in den
Wolken und es wurde so dunkel, daß wir Tom nicht mehr sehen konnten.
Dann begannen Regentropfen zu fallen und wir hörten, wie der Professor
an seinen Stricken und Knöpfen herumbastelte und auf das Wetter
fluchte. Wir fürchteten jede Minute, er könnte Tom entdecken -- und
dann wären wir alle rettungslos verloren gewesen. Aber Tom war schon
auf dem Rückweg und auf einmal fühlten wir seine Hände auf unseren
Knieen. Da ging mir vor Angst plötzlich die Luft aus und das Herz fiel
mir in die Hosen; denn in der finsteren Nacht konnte ich nicht wissen,
ob es nicht der Professor wäre; und ich dachte wirklich, er wär’s.

O je, die Freude, als wir ihn nun wirklich zurück hatten! So vergnügt
kann bloß einer sein, der mit einem Verrückten in der Luft ’rumfährt!
Im Dunkeln kann man mit einem Luftballon nicht landen; ich hoffte
daher, der Regen möchte andauern, denn ich wünschte durchaus nicht, daß
Tom noch ’mal sein Glück versuchte und uns wieder in die unbehagliche
Angst versetzte. Na, mein Wunsch ging in Erfüllung. Den ganzen übrigen
Teil der Nacht regnete es immer sachte weg; das war nun freilich keine
sehr lange Zeit, uns aber kam sie endlos vor.

Mit Tagesanbruch heiterte der Himmel sich auf und die Welt sah über
alle Maßen lieblich und hübsch aus in ihrem grauen Dunst, und was für’n
schöner Anblick war’s, Felder und Wälder wieder zu sehen! Und Pferde
und Ochsen standen so klar und deutlich da und sahen so nachdenklich
aus. Dann kam in heiterer Pracht die Sonne herauf, und wir fühlten auf
einmal wie müde und kaput wir waren, und ehe wir’s uns versahen, waren
wir alle drei fest eingeschlafen.



Drittes Kapitel.


Als wir einschliefen, war es ungefähr vier Uhr und gegen acht
wachten wir auf. Der Professor saß auf seinem Platz und machte ein
verdrießliches Gesicht. Er warf uns etwas zum Frühstück zu und sagte
uns, wir dürften nicht weiter gehen als bis zum Mittelschiffs-Kompaß;
dieser befand sich ungefähr in der Mitte der Gondel.

Wenn man so einen rechten Hunger gehabt hat und dann auf einmal sich
ordentlich satt essen kann, dann sieht man die Welt mit ganz anderen
Augen an; es wird einem beinahe ganz behaglich zu Mute, selbst wenn
man mit einem Genie sich in einem Ballon hoch oben in den Lüften
befindet. Nach dem Essen rückten wir drei näher zusammen und begannen
zu plaudern. Besonders ein Umstand war da, der mir gar nicht aus dem
Kopf wollte, und im Lauf des Gesprächs bemerkte ich:

»Tom, fahren wir nicht nach Osten?«

»Ja.«

»Wie schnell sind wir gesegelt?«

»Na, du hörtest doch selber, was der Professor sagte, als er gestern
so herumtobte. Manchmal, sagte er, machten wir in der Stunde fünfzig
Meilen[4], manchmal neunzig, manchmal hundert; wenn er mit einem
tüchtigen Sturm segelte, so könnte er jederzeit dreihundert machen,
und wenn er einen Sturm haben wollte, so brauchte er bloß den Ballon
höher steigen oder tiefer sinken zu lassen, bis er den Sturm und die
gewünschte Richtung hätte.«

    [4] englische.

»Na ja, das hatte ich mir gedacht: der Professor log!«

»Warum?«

»Wenn wir so schnell gefahren wären, so hätten wir doch schon über
Illinois hinaus sein müssen, nicht wahr?«

»Gewiß.«

»Na, so weit sind wir aber nicht!«

»Woher weißt du das?«

»Ich seh’s an der Farbe. Wir sind immer noch mitten über Illinois. Und
du kannst selber sehen, daß Indiana noch nicht in Sicht ist.«

»Was ist denn bloß dir in die Krone gefahren, Huck? Du sagst, du siehst
es an der Farbe?«

»Natürlich!«

»Was hat denn die Farbe damit zu tun?«

»’ne ganze Masse! Illinois ist grün, Indiana hellrot. Nun zeig mir mal
da unten auch nur den kleinsten hellroten Fleck, wenn du kannst! Gibt’s
gar nicht -- ’s ist alles grün!«

»Indiana hellrot?! Donnerwetter, was bist du für ein Lügenbeutel!«

»Nichts von Lügen! Ich hab’s auf der Karte gesehen, und Indiana ist
hellrot!«

Machte aber der Tom Sawyer ein ärgerliches Gesicht! Endlich sagte er:

»Weißt du, Huck Finn, wenn ich so dämlich wäre wie du, da spränge ich
lieber gleich über Bord! Hat’s auf der Landkarte gesehen!! Huck Finn,
meintest du wirklich, die Oberfläche jedes einzelnen Staates wäre von
derselben Farbe, wie sie auf der Karte dargestellt ist?«

»Tom Sawyer, was hat ’ne Landkarte für ’nen Zweck? Man soll doch wohl
Tatsachen draus ersehen können?«

»Natürlich.«

»Schön! Wie kann man aber das, wenn die Karte lügt? Das möcht’ ich wohl
wissen!«

»Du bist ein Quatschkopf! Sie lügt ja gar nicht!«

»Ach nee! wirklich nicht? lügt sie nicht?«

»Natürlich nicht!«

»Sehr gut! Na, wenn die Landkarte nicht lügt, dann gibt’s keine zwei
Staaten von derselben Farbe. Was sagst du _dazu_, Tom Sawyer?!«

Er sah, ich hatte ihn fest und Jim sah es auch; und ich muß sagen, ich
war mächtig stolz darauf, denn Tom Sawyer war einer, mit dem man in
einem Wortgefecht nicht so leicht fertig wurde. Jim schlug sich auf den
Schenkel und rief:

»Donnawetta! Das is fermost! Das is einfach fermost! Da is nix zu
sagen, Massa Tom; diesmal hat Huck Finn Sie fest! Jawoll!« Und dabei
schlug er sich noch einmal auf den Schenkel und sagte: »Junge, Junge!
Das war warraftig fermost!«

Nie in meinem Leben war ich innerlich so stolz gewesen, und dabei hatte
ich gar kein Bewußtsein davon gehabt, daß ich so was Berühmtes sagte,
als bis es heraus war. Ich plapperte eigentlich bloß so in den Tag
hinein, aber auf einmal, paff!, da schoß es aus mir heraus!

Aber Tom war ärgerlich und sagte, Jim und ich wären zwei unwissende
Windbeutel und es wäre besser, wenn wir unseren Mund hielten. Ich habe
herausgefunden, daß fast jeder ärgerlich wird, wenn er auf einen guten
Einwand nichts zu erwidern weiß.

Auf einmal bemerkte er ganz tief, tief unter uns einen Kirchturm;
er nahm ein Fernrohr zur Hand und sah nach der Turmuhr, holte seine
silberne Taschenuhr hervor und sah nach der Zeit, und dann wieder auf
den Turm und nochmals auf die silberne Zwiebel und sagte schließlich:

»Das ist komisch! Die Uhr da geht beinahe ’ne Stunde vor!«

Er zog seine Taschenuhr auf; dann bemerkte er einen andern Kirchturm
und sah wieder hin, und wieder ging die Uhr ’ne Stunde vor. Das machte
ihn nachdenklich und er sagte:

»Die Geschichte ist wirklich sonderbar. Wie das zugeht, versteh’ ich
nicht!«

Wieder nahm er das Fernrohr und suchte sich noch einen Kirchturm, und
richtig -- auch diese Uhr ging ’ne Stunde vor. Auf einmal riß er die
Augen ganz weit auf und machte ein paarmal den Mund auf und zu, als
müßte er nach Luft schnappen, und dann plötzlich rief er:

»Hei--li--ges -- Don--nerr--wet--terrr! ’s ist der Längengrad!«

Ich kriegte einen ganz gehörigen Schreck und fragte:

»O je, o je, was ist denn nun wieder los?«

»Nichts weiter, als daß diese alte Blase ganz mir nichts dir nichts
über Illinois und Indiana und Ohio weggesaust ist und daß wir da unter
uns die Ostseite von Pennsylvanien oder New York oder so ’ne ähnliche
Gegend haben!«

»Tom Sawyer, das ist doch nicht dein Ernst!«

»Jawohl, das ist es, und die Sache steht bombenfest! Seit wir gestern
nachmittag aus St. Louis abfuhren, haben wir ungefähr fünfzehn
Längengrade gekreuzt, und die Uhren da unten gehen richtig! Wir haben
an die achthundert Meilen gemacht.«

Ich glaubte ihm das nicht, aber trotzdem lief mir eine eiskalte
Gänsehaut über den Buckel. Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß man zu
einer solchen Strecke auf einem Floß den Mississippi herunter beinahe
zwei Wochen gebraucht.

»Seht mal!« belehrte Tom uns. »Der Zeitunterschied beträgt für jeden
Längengrad ungefähr vier Minuten. Fünfzehn Grade machen ’ne Stunde,
dreißig zwei Stunden usw. Wenn sie in England Dienstag morgen um ein
Uhr haben, so ist es in New York Montag abend um acht.«

Jim rückte auf seiner Bank ein Stück von Tom ab, und man konnte ihm
ansehen, daß er beleidigt war, denn er schüttelte fortwährend den Kopf
und brummte vor sich hin; ich schob mich darum nahe zu ihm heran und
tätschelte ihn auf die Beine und gab ihm gute Worte und brachte ihn
denn auch schließlich so weit, daß er seinen Gefühlen Luft machte.

»Massa Tom!« sagte er. »Quassel Sie nix sowas! Dingsdag auf’m einen Ort
un Mondag auf’m annern, un beides auf’m selben Dag! Huck, hier is nix
gut zu spaßen, hier ganz oben, oben in die Luft! Zwei Dage auf einen
Dag?! So? Wie kriegt man denn zwei Dage in _einen_? Kann Sie zwei
Stunden in _eine_ kriegen, häh? Kann Sie zwei Nigger in _eines_ Niggers
Haut kriegen, häh? Kann Sie zwei Maß Whisky in ’ne Kruke kriegen, wo
bloß _ein_ Maß ringeht, häh? Nu, guckemal, Huck -- wenn nu dieser
Dingsdag Neujahrsdag wär’ -- was dann? Will da einer behaupten, ’s wär
am einen Ort Neujahr, un am annern Ort Altjahr, akkrat in dieselbigte
Minute? Das is ja ’n vermaledeiter Unsinn! So was kann ich gar nix mit
anhören, ach du lieber großer Gott, nä!«

Auf einmal fängt er an zu zittern und wird ganz grau und Tom sagt:

»Na, was ist denn nun los? Was hast du denn?«

Jim kann gar kein Wort hervorbringen, aber endlich sagt er:

»Massa Tom, Sie mach’ nix Spaß, un es _is_ so?«

»Nein, ich denke nicht dran, und es ist wirklich so!«

Jim kriegt wieder das Zittern und sagt:

»Denn könnt’ ja der Dingsdag der Jüngste Dag sein, un denn hätten sie
in England keinen Jüngsten Dag, un denn würden die Doten nix geruft. Da
dürfen wir nix hingehn, Massa Tom! Bitte, krieg Sie ihm dazu, daß er
umkehrt; ich will un muß dabei sein, wenn der Jüngste Dag ...«

Auf einmal sahen wir was und sprangen alle miteinander auf unsere Füße
und vergaßen alles und jedes und konnten bloß staunen und die Augen
aufreißen. Und Tom rief:

»Ist das nicht ...?« Ihm ging die Luft aus, aber dann fuhr er fort:
»Jawohl, er ist’s! Sowahr ich lebe! ’s ist der Ozean!«

Da blieb auch Jim und mir die Luft weg! Wie versteinert standen wir
alle drei da, aber glücklich! Denn keiner von uns hatte je ’nen Ozean
gesehen oder auch nur gedacht, daß uns mal so etwas beschieden sein
könnte. Tom brummelte fortwährend vor sich hin:

»Atlantischer Ozean -- Atlantischer! Herrgott, klingt das großartig!
Und da unten _ist_ er -- und wir, wir sehen ihn mit unseren eigenen
Augen -- wir! Das ist ja so was Wundervolles, daß man sich gar nicht
getraut, es zu glauben!«

Dann sahen wir ’ne dicke Wolke von schwarzem Rauch, und als wir
näher kamen, da war’s ’ne Stadt, und zwar ein riesiges Ungetüm von
einer Stadt, mit einem dicken Kranz von Schiffen an der einen Seite;
und wir dachten, ob das wohl New York sein möchte, und stritten uns
darüber herum und ehe wir’s uns versahen, da war die Stadt unter uns
weggeglitten und lag weit, weit hinter uns -- und da waren wir mitten
über dem Ozean selber und fuhren dahin mit der Schnelligkeit einer
Windsbraut. Da wurden wir aber mit einem Mal ganz hell wach, das kann
ich versichern! Wir stürzten nach hinten und erhoben ein Jammergeheul
und baten den Professor himmelhoch, er möchte doch umkehren und uns an
Land setzen, aber er riß sein Pistol aus der Tasche und schrie uns an,
wir sollten zurückgehen -- und wir gingen, aber wie jämmerlich uns zu
Mute war, davon wird kein Mensch je sich einen Begriff machen können.

Das Land war verschwunden, bloß noch ein kleiner Streif, so schmal
wie ’ne Schlange, war am Rande des Wassers, und in der Tiefe unter
uns, da war nichts als Ozean, Ozean, Ozean -- Millionen Meilen von
Ozean und das hob sich und warf sich und wirbelte, und weißer Gischt
sprühte von den Wogenkämmen, und im ganzen Gesichtskreise waren bloß
ein paar Schiffe, die wurden hin- und hergeschleudert und legten sich
erst auf die eine Seite und dann auf die andere und fuhren bald mit
dem Bug, bald mit dem Stern in die Tiefe. Und es dauerte nicht lange,
dann waren überhaupt keine Schiffe mehr zu sehen und wir waren ganz
mutterseelenallein zwischen dem hohen Himmel und dem endlosen Meere
-- und es war die weiteste Fläche, die ich je gesehen hatte, und die
grenzenloseste Einsamkeit.



Viertes Kapitel.


Und einsamer wurde es und immer einsamer. Ueber uns war das riesige
Himmelsgewölbe -- leer und furchtbar tief; und unter uns war der Ozean,
auf dem wir bloß die Wellenköpfe sahen. Rund um uns her war ein Ring,
in welchem Himmel und Wasser zusammenliefen; ja ein riesengroßer Ring
war es und wir waren genau in dessen Mitte. Wir sausten dahin mit der
Schnelligkeit eines Prairiebrandes; aber das machte in der Entfernung
keinen Unterschied, allem Anschein nach kamen wir über unseren
Mittelpunkt nicht hinaus; so viel ich sah, konnten wir dem Ring nicht
um Zollbreite näher kommen. Es wurde einem ganz seltsam dabei zu Mute;
es war so eigentümlich und so unerklärlich.

Und dabei war alles so furchtbar still, daß wir unwillkürlich anfingen
leise zu sprechen, und die Einsamkeit machte uns immer bänger und
benahm uns die Lust zu plaudern und schließlich hörte das Gespräch ganz
auf und wir saßen bloß da und ›denkten‹, wie Jim sich ausdrückt, und
sagten kein Wort mehr.

Der Professor rührte sich nicht, bis die Sonne über unseren Köpfen
stand; da richtete er sich auf und hielt eine Art Dreieck vor seine
Augen, und Tom sagte, das wäre ein Sextant, und er nähme die Stellung
der Sonne, um zu sehen, wo der Luftballon sich befände. Hierauf
rechnete er ein bißchen und sah in einem Buche nach und dann kriegte
er wieder seinen Anfall. Er sprach eine Menge wildes Zeug und sagte
unter anderem, er wollte dieses Hundertmeilentempo bis zum nächsten
Nachmittag beibehalten und dann würde er in London landen.

Wir sagten, dafür würden wir ihm in tiefster Seele dankbar sein.

Er hatte sich umgedreht, aber als wir das sagten, da sprang er auf
einmal ganz wild wieder herum und warf uns einen ganz abscheulichen
langen Blick zu -- selten habe ich einen so boshaften und mißtrauischen
Blick gesehen! Dann sagte er:

»Ihr wollt von mir gehen! Versucht nicht, das abzuleugnen.«

Wir wußten nicht, was wir antworten sollten, und hielten deshalb den
Mund und sagten gar nichts.

Er ging nach hinten und setzte sich wieder hin, aber augenscheinlich
konnte er diesen Gedanken nicht wieder los werden. Von Zeit zu Zeit
rief er uns irgend etwas zu, was darauf Bezug hatte, und versuchte eine
Antwort aus uns heraus zu bringen; aber wir wagten nicht zu sprechen.

Immer drückender wurde das Gefühl der Einsamkeit, und es kam mir
vor, als könnte ich’s bald nicht länger aushalten. Als die Nacht
hereinbrach, wurde es damit noch schlimmer. Auf einmal kneift mich Tom
und flüstert: »Sieh mal hin!«

Ich gucke nach hinten und sehe, wie der Professor einen Schluck aus
’ner Flasche nimmt. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ab und zu nahm
er wieder einen Schluck und es dauerte nicht lange, so fing er an zu
singen. Es war jetzt dunkel -- eine schwarze und stürmische Nacht.
Er sang fortwährend, immer wilder und wilder, und der Donner begann
zu grollen, und der Wind zu brausen und im Tauwerk zu heulen -- und
das alles zusammen war fürchterlich. Es wurde so dunkel, daß wir den
Professor überhaupt nicht mehr sehen konnten, und wir wünschten, wir
hätten ihn auch nicht hören können -- aber da hätten wir keine Ohren
haben müssen.

Dann wurde er still. Aber als er noch keine zehn Minuten still gewesen
war, da wurde uns das noch unheimlicher, und wir wünschten, er möchte
wieder mit seinem Spektakel anfangen, damit wir wenigstens wüßten, wo
er wäre. Auf einmal zuckte ein Blitz und wir sahen, daß er aufzustehen
versuchte, aber er stolperte und fiel wieder hin. Wir hörten ihn in die
Finsternis hineinschreien:

»Sie mögen nicht nach England gehen? Auch recht; ich will den Kurs
ändern. Sie wollen von mir gehen. Jawohl, ich weiß, sie wollen es!
Schön, sie sollen’s -- und zwar _jetzt gleich_!«

Ich kam vor Angst beinahe um, als er dies sagte. Dann war es wieder
still -- eine so lange Zeit, daß ich’s gar nicht mehr aushalten konnte,
und es kam mir vor, als wollte der Blitz niemals wieder kommen. Aber
schließlich da kam so ein ersehnter Blitz, und richtig, da war der
Professor; er kroch auf Händen und Knieen und war keine vier Fuß weit
von uns entfernt. O, was machte er für fürchterliche Augen! Er machte
einen Satz auf Tom zu und rief:

»Ueber Bord mit dir!«

Aber es war schon wieder pechdunkel und ich konnte nicht sehen, ob er
ihn kriegte oder nicht, und Tom war mäuschenstill.

Dann kam wieder ein langes gräßliches Warten! Dann wieder ein Blitz
und ich sehe außerhalb des Bootes Tom seinen Kopf niederducken und
verschwinden. Er war auf der Strickleiter, die vom Dollbord herunter
frei in der Luft hing. Der Professor stieß einen Schrei aus und tat
einen Satz, und im Nu war’s wieder pechfinster, und Jim stöhnte:

»Arme Massa Tom, er is hin!«

Damit wollte Jim sich auf den Professor stürzen, aber der Professor war
nicht da.

Dann hörten wir zwei entsetzliche Schreie -- dann noch einen, nicht
ganz so laut -- und noch einen, der kam ganz tief von unten her, und
man konnte ihn gerade eben noch hören. Und Jim sagte:

»Arme Massa Tom!«

Dann wurde es grauenhaft still; man hätte, glaube ich, bis viertausend
zählen können, bis der nächste Blitz kam. Als es blitzte, sah ich
Jim auf den Knieen liegen; die Arme hatte er über die Bank gestreckt
und sein Kopf lag auf seinen Armen und er weinte. Ehe ich über Bord
sehen konnte, war alles wieder dunkel, und das war mir lieb, denn ich
_wollte_ nichts sehen. Aber als der nächste Blitz kam, da war ich mit
meinem Kopf schon über’m Bootsrand, und da sehe ich unter mir jemanden
auf der schaukelnden Strickleiter -- und es ist Tom!

»Komm ’rauf!« schrei’ ich. »Komm ’rauf, Tom!«

Seine Stimme war so schwach und der Sturm brüllte so fürchterlich, daß
ich nicht verstehen konnte, was er sagte; aber es kam mir vor, als
fragte er, ob der Professor bei uns oben sei. Ich schrie:

»Nein! Der ist unten im Ozean! Komm ’rauf! Können wir dir helfen?«

Dies alles ging natürlich in düsterster Finsternis vor sich.

»Huck! wen rufst du da?« stöhnte auf einmal Jim.

»Ich rufe Tom.«

»O, Huck, wie kannst du? Du weißt doch, arme Massa Tom ...«

Weiter kam er nicht; er stieß einen fürchterlichen Schrei aus und
gleich darauf noch einen und warf seinen Kopf und seine Arme hintenüber
-- denn gerade in dem Augenblick kam ein weißer Blitz und über dem
Dollbord hob sich Toms Gesicht, ganz schneeweiß, empor und sah ihm
gerade in die Augen. Er dachte natürlich, es sei Toms Geist.

Tom kletterte an Bord, und als Jim merkte, daß er’s _wirklich_ war
und nicht sein Geist, da herzte er ihn und gab ihm alle möglichen
Kosenamen und tat, als wäre er vor Freuden ganz verrückt geworden. Als
schließlich ein bißchen Ruhe eintrat, fragte ich:

»Worauf wartetest du denn, Tom! Warum kamst du nicht gleich wieder
herauf?«

»Durfte ich nicht, Huck! Ich merkte, daß jemand bei mir vorbei
plumpste, aber in der Dunkelheit wußte ich nicht, wer es war. Es hätte
Jim sein können oder auch du, Huck Finn!«

Das war der echte Tom Sawyer -- immer vernünftig! Er kam nicht eher
nach oben, als bis er wußte, wo der Professor war.

Der Sturm hatte sich inzwischen zu seiner höchsten Gewalt entwickelt;
es war fürchterlich, wie der Donner brüllte, wie die Blitze blendend
zuckten, wie der Wind im Tauwerk heulte und pfiff und wie der Regen
herniederströmte. In der einen Sekunde konnte man nicht seine Hand
vor Augen sehen und in der nächsten konnte man die Fäden im Rockärmel
zählen und sah durch einen Regenschleier eine ganze weite Wüste von
rollenden schäumenden Wellen. Ein solcher Sturm ist das Prächtigste,
was es auf der Welt gibt -- aber nicht wenn man oben unter dem Himmel
fährt, wo man in der Einsamkeit den Weg nicht weiß, wenn man bis auf
die Haut durchnäßt ist, und gerade eben einen Todesfall in der Familie
gehabt hat!

Wir saßen am Bugspriet zusammen gedrängt und sprachen leise vom
Professor; und uns allen tat er leid, der arme Mann, den die Welt
verspottet und hart behandelt hatte, während er ihr doch sein Bestes
gab; und dabei hatte er keinen Freund oder sonst einen Menschen gehabt,
um ihn zu ermutigen und ihn aufzuheitern, wenn die trüben Gedanken über
ihn kamen, die ihn schließlich verrückt machten.

Am andern Ende der Gondel waren Kleider und Decken und dergleichen in
Hülle und Fülle; aber wir ließen uns lieber durchnaß regnen als daß wir
in jener Nacht etwas davon angerührt hätten.



Fünftes Kapitel.


Wir versuchten irgend einen Plan aufzustellen, konnten aber nicht einig
werden. Jim und ich waren dafür, umzukehren und wieder nach Hause zu
fahren. Tom aber meinte, wir sollten lieber den Tagesanbruch abwarten,
um ordentlich sehen zu können; bis dahin aber würden wir so nahe bei
England sein, daß wir ebensogut dorthin fahren könnten; wir könnten
dann zu Schiff zurückkehren, und was wäre das nicht für ein Ruhm, wenn
wir später so etwas von uns sagen könnten!

Gegen Mitternacht legte sich der Sturm; der Mond kam hervor und
beschien die Meeresfläche; uns wurde ganz behaglich zu Mute und der
Schlaf kam über uns. Wir streckten uns auf den Bänken aus und schliefen
ein und wachten nicht früher auf, als bis die Sonne am Himmel stand.
Die See funkelte wie von lauter Diamanten und es war schönes Wetter und
sehr bald waren alle unsere Sachen wieder trocken.

Wir gingen achter, um uns etwas zum Frühstück zu suchen, und das
erste, was uns in die Augen fiel, war ein trübes Lichtchen, das in
einem Kompaß unter ’nem Glasdeckel brannte. Tom machte sich sofort
Gedanken darüber und sagte:

»Ihr könnt euch wohl denken, was das bedeutet! Nichts anderes, als daß
hier jemand auf Wache stehen und dies Ding steuern muß, genau wie ein
Schiff gesteuert wird. Denn wenn der Ballon nicht gesteuert wird, so
treibt er sich in der Luft herum und segelt, wohin der Wind ihn führt.«

»Hm,« sagte ich, »was hat denn unsere Gondel gemacht, seit wir ... eh
... seit wir den Unfall hatten?«

»Sich herumgetrieben,« antwortete er, ein bißchen aus seiner Ruhe
gebracht, »sich herumgetrieben -- ohne allen Zweifel! Jetzt haben wir
einen Wind, der uns südöstlich treibt; wir können nicht wissen, wie
lange wir schon diesen Kurs halten.«

Er stellte das Steuer wieder auf Osten und sagte, er wolle so lange
aufpassen, bis wir das Frühstück fertig gemacht hätten. Der Professor
hatte sich so gut verproviantiert, wie man’s nur wünschen konnte.
Da war alles in Hülle und Fülle vorhanden. Milch gab es allerdings
nicht zum Kaffee, aber Wasser war vorhanden und alles, was man sonst
nötig hatte, auch ein Kochofen mit Holzkohlenfeuerung und mit dem
erforderlichen Geschirr, und Pfeifen und Zigarren und Zündhölzer.
Ferner Weine und Liköre -- wofür _wir_ allerdings keine Verwendung
hatten; dann Bücher und Land- und Seekarten und ’ne Ziehharmonika
-- und Pelze, Decken und eine unendliche Menge von allerlei Tand,
wie Messingperlen und dergleichen Zierat. Das war, wie Tom bemerkte,
ein sicheres Anzeichen, daß er darauf gerechnet hatte, mit Wilden
zusammenzukommen. Auch Geld war da. Ja, der Professor war nicht
schlecht ausgerüstet.

Nach dem Frühstück zeigte Tom mir und Jim, wie das Steuer gehandhabt
wurde; dann verteilte er die Wachen, für jeden immer vier Stunden.
Als er mit seiner Wache fertig war, löste ich ihn ab, und er holte
des Professors Papier und Schreibzeug heraus, und setzte sich hin und
schrieb einen Brief nach Hause an seine Tante Polly. Darin erzählte er
ihr alles, was uns passiert war, und als er fertig war, datierte er
den Brief:

›Im Firmament, in der Nähe von England‹, und faltete ihn säuberlich
zusammen und versiegelte ihn mit einer roten Oblate. Dann adressierte
er ihn und über der Adresse schrieb er mit dicken Buchstaben:

        _Von Tom Sawyer, dem Erronauter_

und er sagte, wenn der Brief mit der Post ankäme, da würde der alte Nat
Parsons, der Postmeister, einfach auf den Rücken fallen.

Ich äußerte meine Meinung, wir wären ja doch nicht im Firmament,
sondern in einem Luftballon; aber über so etwas war mit Tom nun einmal
nicht zu diskutieren. Im Grunde wußte ich auch nicht so recht, was
eigentlich ein Firmament ist; Tom wollte es mir erklären, aber Jim und
ich bekamen trotzdem keinen rechten Begriff davon, und schließlich
ließen wir es sein und sprachen davon, was ein Erronauter sei.

Ein Erronauter, sagte Tom, wäre ein Mensch, der in Luftballons
’rumführe, und es wäre ganz was Anderes und viel was Feineres, wenn
er sich ›Tom Sawyer, den Erronauter‹ nennen könnte, als wenn er bloß
›Tom Sawyer, der Reisende‹ wäre. Man würde überall auf der ganzen Welt
von uns sprechen, wenn wir nur das Ding zum rechten Ende brächten, und
darum hustete er von jetzt an was drauf, ›Tom Sawyer, der Reisende‹ zu
heißen.

Als die Mitte des Nachmittags herankam, machten wir alles zum
Landen fertig, und uns war recht leicht ums Herz und wir fühlten
einen mächtigen Stolz in uns. Wir guckten fortwährend durch unsere
Ferngläser, wie Kolumbus, als er Amerika entdecken wollte. Aber wir
sahen nichts als lauter Ozean und Ozean. Der Nachmittag verstrich, die
Sonne ging unter und immer noch war nirgendwo Land zu sehen. Die Sache
kam uns sonderbar vor, aber wir dachten, sie würde schon in Ordnung
kommen. Wir blieben also dabei, ostwärts zu steuern, nur stiegen wir
etwas höher hinauf, damit wir nicht im Dunkel gegen einen Berg oder
sonstige Hindernisse anstoßen möchten.

Von acht Uhr abends bis Mitternacht hatte ich die Wache, dann löste Jim
mich ab; aber Tom blieb auf, weil Schiffskapitäne, wie er sagte, das
immer täten, wenn sie dicht beim Lande wären.

Als es nun Tag wurde, da stieß auf einmal Jim ein lautes Geschrei aus
und wir sprangen auf und guckten über den Rand der Gondel und richtig!
da war das Land -- rund um uns herum nichts als Land, soweit das Auge
reichte, und vollkommen flach und ganz gelb! Wir wußten nicht, wie
lange wir schon über dem Land gewesen waren, denn da waren weder Bäume,
noch Berge, noch Felsen, noch Städte, und Tom und Jim hatten gedacht,
es sei das Meer, das spiegelglatt unter ihnen daläge; übrigens hätte
es von der Höhe aus, in der wir uns befanden, spiegelglatt ausgesehen,
selbst wenn die Wellen haushoch gegangen wären.

Wir waren jetzt alle riesig aufgeregt und nahmen schnell die Ferngläser
vor die Augen und suchten überall nach London, aber da war nicht das
geringste weder von London noch überhaupt von einer menschlichen
Niederlassung zu sehen -- nicht ’mal ein See oder ein Fluß war zu
erblicken. Tom war ganz kleinlaut geworden. Er sagte, so einen Begriff
hätte er sich von England nicht gemacht; er hätte immer gemeint,
England sähe genau so aus wie Amerika. Er schlug schließlich vor, wir
wollten lieber unser Frühstück essen und dann den Ballon herunterlassen
und uns erkundigen, wie wir auf dem kürzesten Wege nach London kämen.
Mit dem Frühstück waren wir sehr schnell fertig -- unsere Ungeduld war
zu groß. Als wir nachher uns in niedrigere Regionen herabließen, begann
das Wetter milde zu werden, und sehr bald zogen wir unsere Pelze aus.
Aber es wurde immer noch milder, und im Nu war’s beinahe zu milde. Wir
waren nämlich jetzt dicht über dem Erdboden und da herrschte geradezu
eine Backofenhitze.

Ungefähr dreißig Fuß über dem Lande machten wir Halt; ich sage ›Land‹,
indem ich annehme, daß man so etwas Land nennen darf; denn da gab es
nichts als reinen Sand! Tom und ich kletterten die Leiter herunter und
fingen an zu laufen, um unsere Beine wieder ein bißchen geschmeidig zu
machen; den Beinen tat denn auch die Bewegung wunderbar gut -- aber
den Füßen weniger, denn der Sand verbrannte uns die Sohlen, als wären
wir auf glühende Kohlen getreten. Nicht lange, so sahen wir jemanden
herankommen, und sofort liefen wir ihm entgegen; aber wir hörten
Jim schreien und drehten uns nach ihm um und sahen, daß er wie ein
Besessener herumsprang und Zeichen machte und schrie. Was er sagte,
konnten wir nicht verstehen, aber wir kriegten es doch mit der Angst
und liefen so schnell wir konnten nach dem Luftschiff zurück. Als wir
nahe genug gekommen waren, unterschieden wir seine Worte, und mir wurde
ganz übel zumute, als ich sie hörte:

»Rennt!« schrie er. »Rennt, wenn euch euer Leben lieb is. Das is ’n
Löwe! Ich seh ihm durch die Fernglas! Rennt Jungens! Rennt, was das
Zeug halten will! Er is gewiß aus die Menascherie gelaufen un da is
niemand, der ihn wieder kriegen kann!«

Tom flog wie ein Pfeil dahin, aber mir schlotterten die Beine, als wenn
ich gar keine Knochen mehr drin gehabt hätte. Ich konnte mich bloß so
hinschleppen, wie’s einem im Traum manchmal passiert, wenn ein Gespenst
hinter einem her ist.

Tom war natürlich der Erste bei der Leiter; er kletterte ein Stück
hinauf und wartete auf mich; sobald ich glücklich auf der untersten
Stufe stand, rief er Jim zu, er sollte losrutschen. Aber Jim hatte
völlig den Kopf verloren und sagte, er wüßte nicht mehr, wie’s gemacht
würde. Tom kletterte daher weiter hinauf und sagte, ich sollte
nachkommen; aber der Löwe war schon ganz in der Nähe und stieß bei
jedem Sprung ein ganz fürchterliches Gebrüll aus; davon zitterten
mir die Beine dermaßen, daß ich nicht wagte, mich von der Sprosse zu
rühren, denn ich dachte, wenn ich den einen Fuß hochhöbe, so würde der
andere allein mich nicht mehr tragen können.

Inzwischen aber hatte Tom sich in die Gondel hineingeschwungen; er ließ
den Ballon ein Stück in die Höhe gehen, hielt aber sofort wieder an,
als das Ende der Strickleiter zehn oder zwölf Fuß über dem Boden war.

Und da war auch schon der Löwe. Wie tobte er unter mir herum, wie
brüllte er, wie sprang er in die Höhe und schnappte nach der Leiter!
Es sah aus als verfehlte er sie nur um Viertelszollbreite. Es war ja
köstlich, wirklich köstlich, außer seinem Bereich zu sein, und ich
empfand dies als ein ungeheuer angenehmes Gefühl, wofür ich herzlich
dankbar war; andererseits aber hing ich hilflos da und konnte nicht
hochklettern, und dabei wurde mir denn wieder sterbensübel zu Mute.
Es kommt wohl sehr selten vor, daß jemand derartig gemischte Gefühle
empfindet, und im großen und ganzen kann ich eine derartige Situation
nicht für empfehlenswert erklären.

Tom fragte mich, was er anfangen sollte, aber ich konnte ihm daraufhin
keinen Bescheid geben. Er meinte, ich könnte mich vielleicht so lange
festhalten, bis er nach einem sicheren Platz gesegelt wäre, wohin der
Löwe nicht so schnell mitlaufen könnte. Ich antwortete, es würde mir
wahrscheinlich möglich sein, wenn er den Ballon nicht höher steigen
ließe; aber wenn er höher ginge, so würde ich ganz gewiß schwindlig
werden und herunterfallen.

»Halt dich nur ordentlich fest!« rief Tom, und damit segelte er los.

»Nicht so schnell!« schrie ich. »Mir wird schon gelb und grün vor den
Augen!«

Er war nämlich mit Blitzzugsgeschwindigkeit abgefahren. Tom mäßigte die
Schnelligkeit und wir glitten langsamer über den Sand hin; aber es ist
und bleibt doch im höchsten Grade ungemütlich, wenn man in lautloser
Stille den Boden so unter sich weggleiten sieht.

Mit der Lautlosigkeit nahm es indessen sehr bald ein Ende, denn der
Löwe kam uns nachgesprungen. Und sein Gebrüll wurde beantwortet. Wir
sahen die Bestien aus allen Himmelsrichtungen herangehopst kommen und
im Nu waren ein paar Dutzend unter mir. Sie sprangen nach der Leiter
und fauchten sich gegenseitig an und schnappten nacheinander. So
rutschten wir übers Land hin und die braven Löwen taten, was in ihren
Kräften stand, um uns das Erlebnis unvergeßlich zu machen; und es
kamen immer mehr Bestien -- sie schienen es nicht für nötig zu halten,
eine Einladung von uns abzuwarten -- und das Getümmel unter uns wurde
unbeschreiblich.

Wir sahen ein, so konnte es nicht weiter gehen. Wenn wir nicht
schneller segelten, wurden wir die Löwen nicht los, und ich konnte mich
nicht ewig an der Strickleiter festhalten, denn dazu reichten meine
Kräfte nicht.

Tom dachte über den Fall nach und kam auf eine andere Idee: einer von
den Löwen mußte mit des Professors Revolver totgeschossen werden, und
während die anderen Halt machten, um ihren Kameraden zu verspeisen,
konnten wir verschwinden.

Gedacht, getan! Tom hielt den Ballon an, schoß eine von den Bestien
über den Haufen und der Spektakel ging los, ganz wie wir’s erwartet
hatten. Wir segelten eine Viertelmeile weiter und Tom und Jim halfen
mir in die Gondel hinein.

Kaum waren wir damit fertig, so war auch die Löwenbande wieder da.
Aber es war zu spät für sie. Und als sie sahen, daß sie uns nicht mehr
kriegen konnten, da setzten sie sich auf ihre Hinterbacken und sahen
uns mit so schmerzlich enttäuschten Gesichtern nach, daß die armen
hungrigen Löwen uns wirklich leid taten.



Sechstes Kapitel.


Ich war so angegriffen, daß ich an gar nichts weiter dachte, als mich
schnell hinzulegen. Ich streckte mich daher auf meiner Bank aus, aber
in solcher Backofenhitze war nicht daran zu denken, wieder zu Kräften
zu kommen; Tom befahl daher, das Luftschiff höher steigen zu lassen,
und Jim führte seine Weisungen sofort aus.

Wir mußten eine volle Meile aufsteigen, bis wir in eine angenehme
Luftschicht kamen, wo eine erfrischende Brise wehte und es weder zu
kalt noch zu warm war. Bald war ich wieder völlig bei Kräften. Tom
hatte die ganze Zeit über still und nachdenklich dagesessen, aber auf
einmal sprang er auf und sagte:

»Ich will tausend gegen eins wetten: ich weiß, wo wir sind! Wir sind in
der Großen Sahara -- das ist bombensicher!«

Er war so aufgeregt, daß er weder Arme noch Beine still halten konnte;
mich regte seine Mitteilung weniger auf; ich fragte bloß:

»So? Na, wo ist denn die Große Sahara? In England oder in Schottland?«

»Weder da noch dort -- sie ist in Afrika.«

Da riß aber Jim die Augen auf! Mit riesiger Neugierde sah er sich das
Land an; und das war auch kein Wunder, denn da waren ja seine Vorfahren
hergekommen. Aber ich selber konnte es nur so halb und halb glauben;
mir schien denn doch, eine so kolossale Reise könnten wir unmöglich
gemacht haben.

Tom indessen war voll von seiner ›Entdeckung‹, wie er es nannte. Die
Löwen und der Sand, sagte er, das bedeutete ganz bestimmt die große
Wüste.

Jim sah immer noch durch das Fernrohr auf den Sand herunter. Auf einmal
schüttelte er den Kopf und sagte:

»Massa Tom, da muß woll was nix richtig sein! Ich hab noch gar keine
Nigger nix gesehen!«

»Das will nichts sagen! Sie leben nicht in der Wüste. Aber was ist denn
das? Da hinten ganz in der Ferne? Gebt mir ’mal ’n Fernrohr!«

Er sah lange durch das Glas und sagte, es sähe aus wie ein langer
schwarzer Strich, der sich über den Sand hinzöge, aber er könnte nicht
begreifen, was es wohl sein möchte.

»Na,« sagte ich, »vielleicht hast du jetzt ’ne Möglichkeit, genau
festzustellen, wo der Luftballon ist. Denn höchstwahrscheinlich ist das
doch eine von den Linien, die auf der Karte verzeichnet sind, und die
du Meridianlängen nanntest; wir brauchen bloß ’runterzugehen und uns
die Nummer anzusehen und ...«

»O, Huck Finn! Was für ein Blödsinn! So einen Quatschkopf wie du bist
habe ich noch nie gesehen! Meinst du im Ernst, die Längenmeridiane sind
_auf der Erde_?«

»Tom Sawyer, sie sind auf der Karte abgebildet, das weißt du recht
gut, und hier ist ja eine, das kannst du doch mit deinen eigenen Augen
sehen!«

»Natürlich stehen sie auf der Karte; aber das beweist noch nichts! Auf
dem _Erdboden_ gibt es selbstverständlich keinen.«

»Tom, weißt du das gewiß?«

»Natürlich!«

»Nun, dann hat die Landkarte wieder mal gelogen. So eine Lügerei wie
auf der Karte ist mir noch gar nicht vorgekommen!«

Das brachte nun wieder Tom in hellen Eifer; aber ich wußte ihm mit
Worten zu dienen und Jim, der ganz meiner Meinung war, kam auch in
Hitze, und es ist gar nicht unmöglich, daß unsere Beweisführungen ein
bißchen handgreiflich geworden wären -- aber auf einmal warf Tom das
Fernrohr hin und klatschte in die Hände, wie wenn er den Verstand
verloren hätte, und schrie aus vollem Halse:

»Kamele! Kamele!«

Ich nahm schnell ein Fernrohr und Jim guckte auch darnach; aber ich war
enttäuscht und sagte: »Deine Großmutter hat wohl Kamele! Das sind ja
Spinnen!«

»Spinnen in ’ner Wüste, du Schafskopf? Spinnen, die in einer langen
Reihe marschieren? Streng’ mal ’n bißchen deinen verehrlichen Schädel
an, Huck Finn, -- aber es kommt mir allerdings fast so vor, als hättest
du nichts drin! Du denkst wohl gar nicht dran, daß wir ’ne volle Meile
hoch oben in der Luft sind und daß der Streifen von Krabbeltieren zwei
oder drei Meilen entfernt ist. Spinnen -- heiliger Bimbam! Spinnen so
groß wie ’ne Kuh? Willst du nicht vielleicht runtergehen und eine von
ihnen melken? Aber verlaß dich nur darauf, was ich sage: es sind und
bleiben Kamele. ’s ist ’ne Karawane, ganz einfach ’ne Karawane, und sie
ist ’ne Meile lang!«

»Na, denn wollen wir doch runtergehen und sie uns ansehen! Ich glaube
es nun ’mal nicht und werde nicht eher dran glauben, als bis ich’s
genau und deutlich selber sehe!«

»Meinetwegen!« rief Tom und kommandierte: »Tiefer mit dem Ballon!«

Als wir in die heiße Luftschicht kamen, da konnten wir denn sehen,
daß es wirklich Kamele waren -- eine endlose Reihe von bedächtig
schreitenden Tieren, die große Ballen auf ihren Rücken trugen. Auch
mehrere hundert Männer waren dabei, die hatten lange weiße Gewänder an
und um ihre Köpfe trugen sie lange Binden gewickelt, von denen Troddeln
und Fransen herniederhingen. Einige von ihnen hatten lange Flinten und
andere hatten keine; einige ritten und andere gingen zu Fuß. Und die
Hitze -- na, wir kamen uns vor, wie wenn wir auf ’nem Bratrost lägen.
Und wie langsam krochen sie durch die Wüste hin! Wir ließen uns nun
plötzlich hernieder und stoppten, als wir ungefähr hundert Meter über
ihnen waren.

Die Männer schrieen alle miteinander plötzlich laut auf, und einige
warfen sich platt auf den Bauch, andere fingen an, mit ihren Flinten
nach uns zu schießen, und der Rest stob nach allen Windrichtungen
auseinander -- Menschen, Pferde und Kamele.

Wir sahen, daß wir Wirrwarr anrichteten, und stiegen deshalb wieder
auf, bis wir ungefähr in der alten Höhe von einer Meile uns befanden,
wo die kühle Luftschicht war; von dort aus sahen wir uns alles an.
Sie brauchten beinahe eine Stunde, bis sie wieder alle zusammen und
in der richtigen Marschordnung waren; dann brachen sie wieder auf,
aber wir konnten durch unsere Fernrohre beobachten, daß sie bloß für
unseren Luftballon Augen hatten. Wir fuhren in ihrer Richtung weiter,
indem wir sie durch unsere Gläser genau betrachteten; das war ein sehr
interessanter Anblick. Auf einmal sahen wir einen großen Sandhügel und
jenseits desselben eine Menge Gestalten, die wir für Menschen hielten;
und oben auf dem Hügel lag etwas -- dem Anschein nach ein Mann; der
hob alle Augenblicke mal den Kopf in die Höhe und sah sich um -- ob
nach uns oder nach der Karawane, das konnten wir nicht unterscheiden.
Als die Karawane näher gekommen war, rutschte er auf der anderen Seite
des Hügels herunter und lief schnell zu den anderen Menschen -- wir
sahen jetzt, daß es solche waren -- die neben ihren Pferden hinter
dem Sandberg auf der Lauer gelegen hatten. Im Nu waren sie im Sattel
und wie ein Donnerwetter kamen sie hervorgesprengt, einige mit Lanzen
bewaffnet und andere mit langen Flinten, und alle miteinander schrieen
und heulten sie aus vollem Halse.

Eins, zwei, drei waren sie bei der Karawane und in der nächsten Minute
prallten die beiden Parteien aufeinander. Dann folgte ein wildes
Durcheinander und ein Flintengeknatter, wie wir’s nie gehört hatten,
und die Luft war so voll von Pulverdampf, daß wir nur ab und zu einen
schnellen Blick auf das Handgemenge werfen konnten.

Es müssen wohl mindestens sechshundert Mann an der Schlacht beteiligt
gewesen sein, und der Anblick war fürchterlich. Allmählich lösten
sie sich in einzelne kleine Abteilungen und Gruppen auf, die in
verzweifelter Wut miteinander kämpften und nicht abließen, wie wenn sie
sich ineinander verbissen hätten. Wenn der Pulverqualm sich auf kurze
Augenblicke ein wenig verzog, konnten wir tote und verwundete Menschen
und Kamele überall auf dem Boden verstreut liegen sehen, und die Tiere
liefen wie toll nach allen Richtungen davon.

Schließlich sahen die Räuber ein, daß sie nichts ausrichten konnten;
ihr Hauptmann blies ein Signal und was von ihnen noch am Leben war,
sprengte über die Wüste davon. Der Letzte von den Räubern riß noch ein
Kind an sich und warf es vor seinem Sattel über das Pferd, und ein
Weib rannte schreiend und flehend hinter ihm her, bis sie eine weite
Strecke von ihren Leuten entfernt war. Sie konnte ihn nicht einholen
und schließlich gingen ihr die Kräfte aus und wir sahen, wie sie auf
dem Sande zusammenbrach und das Gesicht mit den Händen bedeckte.

Da sprang Tom ans Steuer; wie der Sturmwind sausten wir auf den
Schurken los und unsere Gondel traf ihn, daß das Pferd niederfiel und
Räuber und Kind aus dem Sattel flogen. Er hatte eine ganz gehörige
Schramme gekriegt, aber das Kind war heil und ganz und lag mit Armen
und Beinen strampelnd da, wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen
ist und nicht wieder hoch kommen kann. Der Mann humpelte davon, um
wieder sein Pferd zu besteigen; er machte ein ganz verblüfftes Gesicht,
weil er nicht wußte, was ihn umgeschmissen hatte, denn wir waren
inzwischen schon wieder drei- bis vierhundert Meter hoch oben in der
Luft.

Wir dachten, das Weib wäre nun hingegangen und hätte sich ihr Kind
geholt; aber das tat sie nicht. Wir sahen durch unsere Ferngläser,
wie sie noch immer auf derselben Stelle saß, den Kopf auf die Kniee
gesenkt. Sie hatte deshalb natürlich von dem ganzen Vorgange nichts
bemerkt und glaubte, ihr Kind wäre ihr von dem Mann für ewig geraubt.
Sie mochte eine halbe Meile von der Karawane entfernt sein und das
Kind lag etwa eine Viertelmeile von ihr auf dem Sand. Wir beschlossen
daher, es aufzuheben, denn vor den Leuten der Karawane brauchten wir
keine Angst zu haben; sie konnten nicht so schnell zu uns herankommen;
außerdem hatten sie noch für eine gute Weile alle Hände voll zu tun, um
für ihre Verwundeten zu sorgen. Deshalb beschlossen wir, das Wagnis zu
unternehmen.

Wir gingen bis auf den Grund herab; Jim kletterte die Leiter herunter
und hob das kleine Kindchen auf; es war ein hübscher dicker Bengel und
er jauchzte und kreischte vor Vergnügen, was in Anbetracht der Umstände
eine anerkennenswerte Leistung war -- denn er hatte doch gerade eben
eine große Schlacht mitgemacht und war von einem Pferde abgeworfen
worden.

Darauf segelten wir an die Mutter heran; wir hielten dicht hinter
ihrem Rücken und Jim kletterte wieder heraus und ging leise mit dem
Kind auf dem Arm zu ihr heran, und das Kleinchen lallte und quiekte
und sie hörte es und fuhr mit einem Freudenschrei herum. Dann nahm sie
ihr Kind und herzte und küßte es und setzte es wieder hin und herzte
und küßte Jim und hing ihm eine goldene Kette um, und fiel ihm wieder
um den Hals. Und dann riß sie wieder ihr Kind an sich und drückte es
gegen ihren Busen und schluchzte und jauchzte immer durcheinander. Jim
sprang schnell nach der Strickleiter und war im Nu oben bei uns in der
Gondel. Eine Minute darauf waren wir wieder hoch oben unterm Himmel,
und da stand das Weib und sah uns nach, den Kopf ganz tief in den
Nacken zurückgeworfen, und das Kind hatte die Aermchen um ihren Hals
geschlungen.

Und so stand sie und sah uns nach, bis wir vor ihren Blicken tief im
Himmel verschwunden waren.



Siebentes Kapitel.


»Mittag!« sagte Tom. Und so mußte es wohl sein, denn sein Schatten
bildete nur einen kleinen Fleck um seinen Fuß herum.

Wir hatten in unserer Gondel zwei Uhren, die nebeneinander befestigt
waren und ganz verschiedene Zeiten anzeigten. Tom sagte, es wären
Chronometer, und der eine zeigte die Zeit von St. Louis, der andere
die von Grinnitsch. Wir sahen nun auf diesen nach und es war beinahe
aufs Haar zwölf Uhr. So sagte denn Tom, Grinnitsch -- oder London,
denn das wäre ein und dasselbe -- wäre entweder direkt nördlich oder
direkt südlich von uns; aus der Hitze aber und dem Sand und den Kamelen
schlösse er, daß London wohl eher nördlich läge und zwar ’ne ganz
gehörige Anzahl Meilen -- etwa soweit wie von New York nach der Stadt
Mexiko.

Jim meinte, ein Luftballon wäre doch wohl das schnellste Ding auf
der Welt; wenn nicht etwa irgend ein Vogel noch schneller wäre --
vielleicht ’ne wilde Taube oder ’ne Eisenbahn.

Aber Tom sagte, er hätte gelesen, daß in England mit der Eisenbahn auf
kurze Strecken bereits eine Geschwindigkeit von hundert Meilen in der
Stunde erzielt worden wäre, und es gäbe auf Erden keinen Vogel, der
eine solche Leistung fertig brächte -- mit Ausnahme eines einzigen, und
das wäre ein Floh.

»Ein Floh? Hm, Massa Tom, erst mal is ein Floh sozusagen kein Vogel
nix ...«

»Ist kein Vogel, häh! Na, was ist er denn?«

»Ich weiß nix so genau, Massa Tom, aber ich denk beinah, es is woll
bloß so ’n Art Tier. Oder nein -- das is woll auch nix richtig -- denn
for’n Tier is er nix groß genug. Er muß ’n Käfer sein -- jawoll, das
muß er -- ’n Käfer muß er sein.«

»Ich will wetten, er ist keiner -- aber einerlei! Was hast du für’n
›Zweitens‹ vorzubringen?«

»Nu, zweitens: Vögel machen ’ne weite Entfernung, aber ’n Floh nix.«

»Nicht? Wirklich nicht? Na, denn sag mir mal, was ist denn wohl ’ne
weite Entfernung?«

»Nu, Meilen! ... ne Masse Meilen! Das weiß doch eine jede Kind!«

»Kann ein Mensch meilenweit laufen?«

»Jawoll, kann er!«

»So viel Meilen wie ’ne Eisenbahn?«

»Jawoll, wenn er Zeit haben tut.«

»Kann ein Floh das auch?«

»Nu, hm, o jawoll ... warum nix? Wenn er _viel_ Zeit haben tut.«

»Aha! Nun fängst du wohl an zu begreifen, daß es nicht auf die
Entfernung an sich ankommt, sondern auf die Zeit, die man braucht, um
eine Entfernung zurückzulegen, nicht wahr?«

»Hm, nu ja, es sieht so aus -- aber ich hätt’s nix geglaubt, Massa Tom!«

»Es kommt aufs _Verhältnis_ an, mein Lieber; und wenn ihr über die
Schnelligkeit eines Geschöpfes urteilen wollt, so müßt ihr dessen
verhältnismäßige Größe in Betracht ziehen. Und wo bleibt da euer
Vogel und euer Mensch und eure Eisenbahn, wenn ihr damit einen Floh
vergleicht? Der schnellste Mensch kann laufend nicht mehr als ungefähr
zehn Meilen in der Stunde zurücklegen -- nicht viel mehr als das
Zehntausendfache seiner eigenen Länge. Aber in jedem Buch könnt ihr
lesen, daß ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte hundertfünfzigmal
so weit springt wie er selber groß ist; und in einer Sekunde kann er
fünf Sprünge machen -- das ist das Siebenhundertfünfzigfache seiner
eigenen Länge, in einer einzigen kleinen Sekunde, denn er verliert
keine Zeit damit, daß er anhält und einen neuen Anlauf nimmt; das
macht er sofort in _einem_ ab. Ihr könnt das selber sehen, wenn ihr
versucht, einen Floh unter euren Finger zu kriegen. Nun, das leistet
ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte; nehmt aber mal erst einen
erstklassigen italienischen, der sein Leben lang der Liebling der hohen
Aristokratie gewesen ist und gar nicht weiß, was Not und Hunger ist:
der macht Sprünge, die das Dreihundertfache seiner Länge betragen, und
der hält eine Leistung von fünfzehnhundert Flohlängen in der Sekunde
einen ganzen Tag aus! Nun nehmen wir mal an, ein Mann könnte in einer
Sekunde fünfzehnhundert Mannslängen zurücklegen -- das macht ungefähr
anderthalb Meilen. In einer Minute neunzig Meilen und in einer einzigen
Stunde beträchtlich mehr als fünftausend Meilen. Na, wo bleibt jetzt
euer Mensch? und euer Vogel und eure Eisenbahn und euer Luftballon?
Auf ihre Geschwindigkeiten hustet ja unser Floh! Ein Floh ist an
Geschwindigkeit geradezu ein Komet im kleinen!«

Jim war ganz verblüfft -- und ich nicht weniger. Schließlich sagte Jim:

»Sein auch diese Zahlen ganz genau, un is es kein Spaß nix un keine
Lüge nix, Massa Tom?«

»Ja, die Zahlen stimmen ganz genau!«

»Nu, denn alle Achtung vor eine Floh! Ich hab’ nix grad viel Achtung
gehabt vor die Floh ... aber die Floh verdient sie ... das is gewiß!«

»Na, das will ich meinen! Er ist nicht bloß schneller, sondern auch
klüger und verständiger als irgend ein Geschöpf auf der Welt -- immer
im Verhältnis zu ihrer Größe. Man kann Flöhe fast zu allem abrichten:
und sie lernen es schneller als jedes andere Wesen. Sie können in
vollem Geschirr kleine Wagen ziehen, und gehen damit hierhin oder
dorthin -- je nachdem der Befehl lautet. Und marschieren und exerzieren
tun sie wie richtige Soldaten und so stramm aufs Kommando, wie nur der
beste Soldat. Sie haben alle möglichen schwierigen und anstrengenden
Uebungen gelernt. Angenommen, man könnte einen Floh züchten, der die
Größe eines Mannes erreichte und seine angeborene Klugheit und geistige
Regsamkeit nähme dabei im selben Verhältnis zu, wie das Wachstum seiner
Glieder -- was meint ihr wohl, wo bliebe da das Menschengeschlecht?
_Der_ Floh würde Präsident der Vereinigten Staaten werden -- dagegen
wäre ebensowenig was zu machen, wie wir verhindern können, daß es
blitzt!«

»O du liebe große Gott, Massa Tom! Davon hatt’ ich ja nie nix ’ne
Ahnung, daß die Floh so eine gewaltige Tier sei! Warraftig, das kam mir
nie nix in Sinn, un das sag _ich_!«

»Im Verhältnis zu seiner Größe übertrifft er, und zwar bei weitem,
jedes andere Geschöpf, Mensch wie Tier. Er ist das interessanteste von
allen. Man redet so viel von der Stärke einer Ameise, eines Elefanten,
einer Lokomotive. Quatsch! An ’nen Floh können die nicht tippen! Der
kann das Zwei- oder Dreihundertfache seines eigenen Gewichts heben. Das
kann sonst niemand auch nur annähernd. Außerdem macht so’n Floh sich
seine eigenen Gedanken; er ist ein origineller Kopf und läßt sich kein
X für ein U machen; sein Instinkt oder seine Ueberlegung -- oder was es
sonst ist -- ist vollkommen gesund und klar und irrt sich niemals. Die
Leute meinen, ’nem Floh sei ein Mensch so lieb wie der andere. Aber das
stimmt nicht. Gewissen Menschen kommt er niemals zu nahe, mag er noch
so hungrig sein, und zu diesen Menschen gehöre ich. Ich habe in meinem
ganzen Leben niemals ’nen einzigen Floh auf mir gehabt.«

»Massa Tom!!«

»Ja, so ist’s. Ich spaße nicht.«

»Nanu! Da mussen ich sagen: sowas hab’ ich in mein Leben nix gehören!«

Jim konnte es nicht glauben, und ich auch nicht. So mußten wir denn den
Ballon ’runterlassen, uns auf den Sand setzen und ’ne Anzahl Flöhe auf
uns ’rauf hüpfen lassen; denn so eine wunderbare Geschichte wollten wir
mit eigenen Augen sehen. Tom hatte recht. An mich und Jim gingen sie
zu Tausenden ’ran, aber kein einziger ließ sich auf Tom nieder. Eine
Erklärung gab’s dafür nicht, aber die Tatsache war da -- darum ließ
sich nicht ’rumkommen. Er sagte, es sei schon immer so gewesen und er
wolle sich ganz ruhig unter ’ner Million von Flöhen niederlassen; sie
würden ihn weder anrühren noch sonstwie belästigen.

Wir stiegen in die kalte Luftschicht empor, um die Flöhe durch den
Frost zu vertreiben; da blieben wir ’ne kleine Weile und begaben uns
dann wieder in die behagliche Temperatur. Wir bummelten ganz gemütlich
mit ’ner Geschwindigkeit von zwanzig oder fünfundzwanzig Meilen in der
Stunde durch die Luft. So hatten wir’s die letzten paar Stunden schon
gemacht; denn je länger wir in dieser feierlichen friedvollen Wüste
waren, desto mehr schwand alle Hast und Unruhe aus unseren Herzen, und
desto glücklicher und zufriedener ward uns zu Mute; die Wüste gefiel
uns immer besser und schließlich liebten wir sie geradezu. So hatten
wir denn, wie gesagt, die Geschwindigkeit beträchtlich gemindert und
faulenzten so recht mit Behagen, indem wir bald mal durch die Fernrohre
guckten, bald uns auf den Bänken ausstreckten und lasen, bald ein
bißchen druselten.

Das klingt eigentlich komisch -- denn wie eilig hatten wir’s noch ganz
kurz vorher gehabt, an Land zu kommen und auszusteigen! Aber daran
dachten wir gar nicht mehr. Wir waren mit dem Luftschiff jetzt völlig
vertraut und hatten keine Angst mehr und wünschten uns gar nichts
Besseres, als nur so weiter zu fahren. Wir fühlten uns wahrhaftig ganz
wie zu Hause; mir kam’s beinahe vor, als sei ich in dem Luftballon
geboren und aufgewachsen; und Jim und Tom sagten, ihnen sei’s auch so.
Und ich hatte ja immer eklige Menschen um mich ’rum gehabt, die mich
ausschalten und pufften, und fortwährend dies und das zu tadeln hatten
und bald dies bald jenes anders gemacht haben wollten und überhaupt
fortwährend was für mich zu tun hatten und gerade immer etwas, wozu
ich keine Lust hatte. Und wenn ich mich dann natürlich drückte und
irgendwas anderes machte, gab’s Keile, daß mir gar manchmal das ganze
Leben zur Last war. Aber hier oben in den himmlischen Lüften, da war’s
so still und sonnenwarm und lieblich; dabei zu essen, so viel man
mochte, und schlafen können, so oft man Lust hatte, und merkwürdige
Dinge zu sehen, und kein Nörgeln und Schimpfen, keine braven Leute
und immerzu Sonntag! Herrgott -- ich hatt’s wahrhaftig nicht eilig,
unser Luftschiff zu verlassen und mich wieder mit der Zivilisation
’rumzuschlagen. Zu den ekligsten Eigenschaften der Zivilisation gehört
es, daß jeder, der ’nen unangenehmen Brief gekriegt hat, damit zu einem
kommt und einem die ganze Geschichte haarklein erzählt, daß einem
hundeelend zu Mute wird; und die Zeitung teilt alles Widerwärtige mit,
was auf der ganzen Welt passiert, so daß man fast immer trübsinnige
und katzenjämmerliche Gefühle hat -- und das ist für ’nen einzelnen
Menschen wirklich ’ne schwere Last. Ich hasse diese Zeitungen! ich
hasse Briefe! und wenn’s nach mir ginge, dürfte niemand einen, den er
gar nicht kennt, am andern Ende der Welt mit seinen Schauergeschichten
anöden. Na, hoch oben in ’nem Luftballon gibt’s so was nicht und
deshalb ist so’n Luftballon das reizendste Ding auf der ganzen Welt.

Wir aßen zu Abend und dann kam die Nacht; und diese Nacht war eine von
den schönsten, die ich je erlebt habe. Der Mond schien so hell, daß
wir denken konnten es sei Tag; nur war das Licht viel viel sanfter.
Einmal sahen wir ’nen Löwen, der ganz einsam dastand, wie wenn er auf
der weiten Welt mutterseelenallein wäre, und auf dem Sand lag sein
Schatten wie ein schwarzer Tintenklex. Das ist gerade die richtige
Sorte Mondschein!

Die meiste Zeit über lagen wir auf dem Rücken und plauderten; zum
Schlafen hatten wir gar keine Lust. Tom sagte, wir seien jetzt mitten
drin in Tausendundeiner Nacht. Gerade hier müsse die Gegend sein, wo
mal eine von den verschmitztesten Geschichten sich zugetragen habe. Wir
guckten über den Rand unseres Luftballons und sahen uns die Gegend an,
während er erzählte; denn nichts ist so interessant anzusehen, als ’ne
Gegend, die in ’nem Buch vorkommt. Die Geschichte handelte von ’nem
Kameltreiber, der sein Kamel verloren hatte; er läuft in der Wüste ’rum
und trifft ’nen Mann und sagt:

»›Bist du nicht heute einem verlaufenen Kamel begegnet?‹

»Und der Mann sagt:

»›War es auf dem linken Auge blind?‹

»›Ja.‹

»›Hatte es einen von den oberen Vorderzähnen verloren?‹

»›Ja.‹

»›War es auf dem rechten Hinterfuß lahm?‹

»›Ja.‹

»›War es auf der einen Seite mit Hirse, und auf der anderen mit Honig
beladen?‹

»›Ja! Aber du brauchst keine Einzelheiten mehr anzuführen. Es ist mein
Kamel, und ich hab’s eilig. Wo hast du es gesehen?‹

»›Gesehen hab ich’s überhaupt nicht‹, sagt der Mann.

»›Was? Ueberhaupt nicht gesehen? Wie kannst du’s denn so genau
beschreiben?‹

»›Das ist ganz einfach! Wenn einer seine Augen zu benutzen weiß, so hat
alles was er sieht, Sinn und Bedeutung; aber die meisten Leute wissen
mit ihren Augen gar nichts anzufangen. Daß ein Kamel vorbeigelaufen
war, wußte ich, weil ich seine Spur sah. Ich wußte, daß es auf dem
rechten Hinterfuß lahmte, weil es diesen Fuß geschont hatte und leicht
damit aufgetreten war. Das sah ich an der Spur. Auf dem linken Auge
mußte es blind sein, weil es nur rechts vom Wege das Gras abgerupft
hatte. Einen von den oberen Vorderzähnen mußte es verloren haben, weil
in der Zahnspur im Grase eine Lücke war. Die Hirse war an der einen
Seite herausgerieselt -- das erzählten mir die Ameisen; an der anderen
Seite war Honig herniedergeträufelt -- das erzählten mir die Fliegen.
Also wußte ich von deinem Kamel ganz genau Bescheid; aber gesehen hab’
ich’s nicht.‹«

»Weiter, Massa Tom!« ruft Jim. »Das is ein riesig guter Geschicht, un
mächtig intressant!«

»Das ist alles,« sagt Tom.

»Alles?« schreit Jim verblüfft. »Was werd denn aus die Kamel?«

»Weiß ich nicht.«

»Massa Tom, stehen nix von in das Geschicht?«

»Nein.«

Jim denkt kopfschüttelnd ’ne Minute nach; dann sagt er:

»Warraftig! Das is der verflixteste Geschicht, wo ich kennen! Grad an
die Platz, wo die Neugier werden gluhig heiß -- schwapp ab! Warraftig,
Massa Tom, in ein Geschicht, der sich so benehmen tun, is kein Sinn nix
un keine Verstand. Habbe Sie keine Idee nix, ob die Mann seinen Kamel
wieder kriegen tun oder nix?«

»Habe keine Ahnung.«

Ich sah selber ein, in der Geschichte war kein Sinn und Verstand, denn
was soll das heißen, daß es plötzlich alle ist, ehe es zum Schluß
kommt? Aber ich wollte lieber nichts sagen, denn Tom machte schon ein
ganz saures Gesicht, weil Jim richtig wieder den wunden Punkt von der
Geschichte angetippt hatte, und ich find’s nicht schön, wenn sich alle
auf einen stürzen, der schon unterliegt. Aber Tom dreht sich nach mir
um und fragt:

»Was meinst du denn zu der Geschichte?«

Na, da mußte ich denn natürlich aus dem Loch heraus und Farbe bekennen;
und so sagte ich, mir käm’ es auch so vor wie Jim: daß die Geschichte
gerade in der Mitte abbräche und gar nicht zu Rande käme; und darum
wär’s überhaupt nicht der Mühe wert, sie zu erzählen.

Tom ließ sein Kinn auf die Brust sinken; aber er wurde nicht wild, wie
ich gedacht hatte, als er mich seine Geschichte tadeln hörte, sondern
er wurde bloß traurig und sagte:

»Es gibt Leute, die sehen können, und es gibt welche, die’s nicht
können -- gerade wie der Mann in der Geschichte sagte. Da könnte ’ne
Windhose vorbeikommen geschweige denn ein Kamel -- _ihr_ Dämelsäcke
würdet keine Spur davon sehen!«

Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht und erklären tat er seine
Worte nicht; es war wohl eine von seinen ›Irrulevanzen‹, wie er die
Dinger selber nannte -- manchmal war er ganz voll von denen, nämlich
besonders, wenn er in die Enge getrieben war und nicht wußte, wie er
wieder ’rauskommen sollte. Aber ich machte mir weiter nichts draus. Wir
hatten ihm einen aufgemutzt und der hatte gesessen -- davon konnte er
nichts abstreiten. Und ich glaube, das wurmte ihn, obwohl er sich Mühe
gab, sich nichts merken zu lassen.



Achtes Kapitel.


Zeitig am Morgen frühstückten wir etwas; dann guckten wir wieder auf
die Wüste ’runter und das Wetter blieb fortwährend so mollig und warm,
aber nicht heiß, obwohl wir nicht sehr hoch über der Erde schwebten.
Nach Sonnenuntergang muß man nämlich immer tiefer herabsteigen, weil
die Luft sich so schnell abkühlt; und so streicht man denn um die Zeit
der Morgendämmerung ganz dicht über den Sand weg.

Wir sahen zu, wie der Schatten unseres Ballons über den Boden hinglitt,
und ließen dann und wann mal die Blicke über die Wüste streifen, ob
sich nicht irgendwo was regte -- da sahen wir plötzlich unmittelbar
unter uns eine Menge Menschen und Kamele auf dem Sande verstreut
herumliegen. Und sie lagen so ruhig, wie wenn sie schliefen.

Wir stellten die Bewegungskraft unseres Luftschiffs ab und hielten
still, und da sahen wir, daß sie alle tot waren. Ein kalter Schauer
überlief uns, wir wurden ganz kleinlaut und sprachen leise wie Leute
bei ’nem Leichenbegängnis. Langsam ließen wir unser Schiff zur Erde
nieder und hielten still; Tom und ich stiegen aus und gingen zu den
Toten. Es waren Männer, Weiber und Kinder. Sie waren von der Sonne
gedörrt und die Haut war zusammengeschrumpft und sah aus wie Leder --
genau wie die Abbildungen von Mumien, die man in den Büchern sieht. Und
trotzdem sahen sie ganz menschlich aus, wie wenn sie nur schliefen --
wenn ich’s nicht selber gesehen hätte, ich würde es nicht glauben.

Einige von den Menschen und Tieren waren zum Teil mit Sand bedeckt, die
meisten aber nicht, denn der Sand bildete an jener Stelle nur eine
dünne Schicht über felsigem Erdreich. Die Kleider waren ihnen fast
gänzlich vom Leibe gefault; wenn man ein Stück Zeug anfaßte, blieb es
einem zwischen den Fingern wie Spinnewebe. Tom meinte, sie müßten schon
jahrelang dagelegen sein.

Den Männern lagen zum Teil rostige Flinten zur Seite; andere waren mit
Schwertern umgürtet und hatten lange Binden um den Leib gewickelt,
in denen große silberbeschlagene Pistolen staken. Alle Kamele trugen
noch ihre Lasten auf dem Rücken, aber die Bündel waren geborsten
oder zerfallen und ihr Inhalt hatte sich über den Boden ergossen.
Uns dünkte, die Toten könnten mit ihren Säbeln ja doch nichts mehr
anfangen; deshalb nahm jeder von uns einen zu sich, dazu auch mehrere
Pistolen. Auch nahmen wir ein kleines Kästchen, weil es so hübsch
und mit so feiner Arbeit eingelegt war. Gern hätten wir dann die
Leute begraben; aber obwohl wir lange darüber nachdachten, wollte
uns nicht einfallen, wie wir das bewerkstelligen könnten, denn wir
hatten bloß Sand zur Verfügung, und der wäre natürlich sofort wieder
auseinandergefegt worden.

Hierauf stiegen wir wieder in die Lüfte empor und segelten weiter,
und gar bald war der schwarze Fleck auf dem Land außer Sicht und wir
dachten, die armen Menschen da unten würden wir auf dieser Welt wohl
niemals wiedersehen. Wir stellten allerlei Mutmaßungen auf, wie sie
wohl an jene Stelle in der Wüste gekommen wären und was ihnen alles
passiert sein könnte, aber wir wußten nicht, was wir daraus machen
sollten. Zuerst dachten wir, vielleicht hätten sie sich verirrt und
wären in der Wüste herumgezogen, bis ihr Essen und Trinken ihnen
ausgegangen und sie verhungert und verdurstet wären; aber Tom sagte,
weder wilde Tiere noch Geier hätten ihre Leichen angerührt, und deshalb
könnte diese Vermutung nicht richtig sein. Schließlich gaben wir’s auf,
uns den Kopf darüber zu zerbrechen, und nahmen uns vor, gar nicht mehr
daran zu denken, denn es versetzte uns in eine traurige Stimmung.

Dann öffneten wir das Kästchen: Edelsteine und Schmucksachen waren
darin -- ein ganzer Haufen! Dazu auch mehrere kleine Schleier von
derselben Art, wie wir sie an den toten Frauen bemerkt hatten; die
Säume dieser Schleier waren mit sonderbaren Goldmünzen besetzt, wie
wir sie nie in unserem Leben gesehen hatten. Wir überlegten voller
Erstaunen, ob wir nicht lieber wieder umkehren und die Kostbarkeiten
zurückgeben sollten; Tom bedachte sich aber die Sache noch einmal und
sagte: nein! Die ganze Gegend wäre voll von Räubern und die würden
die Sachen stehlen; und dann würde die Sünde auf uns fallen, weil wir
sie in Versuchung gebracht hätten. So segelten wir denn weiter; ich
dachte aber bei mir selber, am besten wär’s gewesen, wir hätten den
Toten _alles_ abgenommen, was sie bei sich hatten; denn dann wäre es
überhaupt nicht mehr möglich gewesen, daß andere Leute in Versuchung
kamen.

Wir waren da unten zwei Stunden lang in der sengenden Hitze gewesen und
hatten einen fürchterlichen Durst, als wir wieder an Bord gingen. Wir
stürzten uns auf unser Wasserfaß, aber das Wasser war schlecht geworden
und bitter und außerdem recht hübsch heiß, so daß es uns beinahe den
Mund verbrannte. Wir konnten es nicht trinken. Es war Mississippiwasser
-- ›das beste der Welt‹ -- und wir rührten den Bodensatz auf, um mal
zu sehen, ob das nicht vielleicht hülfe -- aber nein, der Schlamm
machte das Wasser auch nicht besser!

Na, so _übermäßig_ durstig waren wir vorher, solange uns das Schicksal
jener verirrten Menschen interessierte, eigentlich nicht gewesen --
aber nun waren wir’s, und sobald wir sahen, daß wir nichts zu trinken
haben konnten, da waren wir fünfunddreißigmal so durstig als ’ne
Viertelminute zuvor. Wahrhaftig, es dauerte nicht lange, so sperrten
wir vor Durst den Mund auf und keuchten wie Hunde.

Tom sagte, wir müßten nur nach allen Himmelsrichtungen recht scharfen
Ausguck halten, denn jedenfalls würden wir ’ne Oase finden oder es
würde uns sonst irgendwas Merkwürdiges passieren. Das taten wir denn
auch. Die ganze Zeit bestrichen wir mit den Ferngläsern den Horizont,
bis unsere Arme so lahm waren, daß wir die Dinger nicht mehr halten
konnten. So vergingen zwei Stunden -- drei Stunden -- wir guckten und
guckten: aber da war nichts als Sand, Sand, _Sand_, und der flimmernde
heiße Dunst zitterte über dem Erdboden. O je, o je! was es heißt, sich
so recht hundeelend zu fühlen, das weiß man erst, wenn man fortwährend
einen fürchterlichen Durst hat und dabei denkt, man wird überhaupt
niemals mehr Wasser zu sehen kriegen. Zuletzt konnte ich’s nicht mehr
aushalten, immerzu auf diese backofenheiße Ebene zu gucken; ich gab es
auf und streckte mich auf der Bank aus.

Auf einmal aber stößt Tom ’nen Jauchzer aus -- und richtig, da war
das Wasser! Ein großer glänzender See, von schläfrig wiegenden Palmen
umsäumt, die sich ganz wunderbar zart und fein im Wasser spiegelten.
Es war eine tüchtige Entfernung bis zu dem See; aber was machte das
uns aus? Wir zogen einfach den Knopf der Hundertmeilengeschwindigkeit,
sodaß wir nach unserer Berechnung in sieben Minuten dort sein mußten.
Der See blieb aber immerzu in derselben Entfernung; wir vermochten ihm
nicht um Haaresbreite näherzukommen; auf mein Wort: er blieb immer
glänzend und fern vor uns liegen wie ein Traumbild. Aber näher kamen
wir nicht; und auf einmal -- war der See verschwunden!

Tom riß die Augen ganz weit auf und rief:

»Jungens, es war ’ne Fata Morgana!«

Er sagte das, als ob’s ihn riesig freute; ich sah aber durchaus nichts,
worüber er sich hätte freuen können und sagte:

»Kann sein. Wie der See heißt, ist mir ganz schnuppe. Aber eins möchte
ich wohl wissen: wo ist er hingekommen?«

Jim schlotterte an allen Gliedern und hatte solchen Schreck gekriegt,
daß er kein Wort sprechen konnte; aber ich sah ihm an, daß er genau
dasselbe fragen wollte wie ich.

»Wo er hingekommen ist?« rief Tom. »Na, ihr seht doch selber, daß er
verschwunden ist!«

»Na, das weiß ich. Aber _wohin_ ist er verschwunden?«

Tom sieht mich von oben bis unten an und sagt:

»Na, Huck Finn, wo sollte er denn wohl hingekommen sein? Weißt du denn
nicht, was ’ne Fata Morgana ist?«

»Nee. Was ist es denn für’n Ding?«

»Nichts als Einbildung. ’s ist überhaupt nichts Reelles dran.«

Es fuchste mich ein bißchen, daß er so ’nen Unsinn redete, und ich
sagte:

»Wie kannst du bloß so quatschen, Tom Sawyer? Hab’ ich denn nicht den
See gesehen?«

»Ja -- du glaubtest, du sähest ihn.«

»Geglaubt hab’ ich ganz und gar nichts. Ich _hab’_ ihn gesehen!«

»Ich sage dir, du hast ganz und gar nichts gesehen -- denn es war
überhaupt nichts da.«

Jim war ganz verblüfft, Tom so reden zu hören; er konnte nicht länger
den Mund halten und sagte traurig und in flehendem Ton:

»Massa Tom, bitte, bitte -- sagen nix so ’ne Sach’ in so ’ne
schröcklicher Zeit wie nu! Sie riskier nix bloß ihr eigenes Haut,
sonnern auch unsern sein -- grad wie Anna Nias un Siffira. Die See
_waren_ da -- ich sahen ihm ganz genau so wie ich in diese Minuten
Ihnen un Huck sehn tu!«

»Was willst du denn, Jim?« ruf ich. »Tom sah ihn ja selber! Er war ja
der Allererste, der ihn zu allererst sah! Na, also!«

»Ja, Massa Tom, das is so -- Sie könn’ es nix leugnen. Wir sahen ihm
alle, un das _beweisen_, ihm war da!«

»Beweist? Wieso _beweist_ es das?«

»So wie vor die Gerichte un überall, Massa Tom! Eine Mensch könnten
betrunken sein oder was träumen oder in Dussel, un könnten sich irren
-- un auch zwei könnten. Aber ich will Sie was sagen, Massa Tom: wenn
drei ein Ding sehen, un sie sind nüchtern oder betrunken, denn is es
so. Da kann Sie nix gegen sagen, Massa Tom, un das weiß Sie wohl!«

»Ich weiß von nichts. Früher haben vierzigtausend Millionen Menschen
existiert, die alle sahen, daß Tag für Tag die Sonne von der einen
Seite des Himmels nach der anderen ’rüberwanderte. Bewies das, daß die
Sonne sich wirklich bewegte?«

»Natürlich bewiesen es! Un was brauchte das erst bewiesen zu sein? Wenn
eine Mensch eine kleine bißchen Grips hat, wie kann sie zweifeln? Gucke
Sie, Massa Tom -- da segeln sie über das Himmel, wie sie jeden lieben
Tag tun!«

Da dreht Tom sich nach mir um und sagt:

»Und was sagst _du_ dazu -- steht die Sonne still?«

»Tom Sawyer, was hat’s für’n Zweck, so ’ne quatschige Frage zu tun?
Jeder, der nicht blind ist, kann sehen, daß die Sonne nicht still
steht!«

»Na ja!« ruft Tom. »Da segle ich nun hoch im Himmel herum mit zwei
dummen Biestern, die von diesen Geschichten nicht mehr wissen als vor
drei- oder vierhundert Jahren ein Universitätsrektor.«

Das war nicht schön von Tom, daß er so was sagte, und ich gab ihm das
auch zu verstehen. Ich sagte:

»Mit Schimpfereien beweist du nichts, Tom Sawyer.«

»O meine himmlische Güte! O meine gütige Barmherzigkeit! Das is das See
wieder!« kreischt Jim gerade in diesem Augenblick. »Nu, Massa Tom, was
will Sie nu sagen?«

Jawohl, das war der See wieder! ganz fern hinten am Rand der Wüste,
vollkommen deutlich mit Palmen und allem anderen, genau wie vorher. Ich
sage:

»Ich denke, nun bist du überzeugt, Tom Sawyer!«

Aber er antwortete vollständig ruhig:

»Ja, überzeugt, daß kein See da ist.«

Da ruft Jim:

»O, sprech Sie nix so, Massa Tom -- ich kriegen die Zitter, wenn Sie so
reden. Es is so heiß un Sie haben so große Durst, daß Sie nix ganz wohl
sein, Massa Tom. O, wie sieht doch das See schön aus! Ich können es gar
nix mehr abwarten, daß wir da sein. Ich haben so fürchterliche Durst!«

»Nu, du wirst eben warten müssen; und du wirst an dem See nicht viel
Freude haben, denn ich sage dir: es ist gar kein See da!«

»Jim!« sage ich; »laß den See nur nicht aus dem Auge; ich werde
ebenfalls scharf hingucken, damit wir ihn nicht wieder verlieren.«

»O, wie werden ich weggucken! Un wenn ich auch wollen, ich konnten es
ja gar nix!«

Wir flogen mit aller Geschwindigkeit auf den See zu, Meile auf Meile,
wie wenn’s gar nichts gewesen wäre. Aber nicht um einen Zoll kamen wir
ihm näher, und auf einmal -- da war er wieder weg! Jim schwankte auf
den Füßen und wäre beinahe umgefallen. Als er endlich wieder zu Atem
kam, schnappte er wie ein Fisch nach Luft und sagte:

»Massa Tom -- es is ein _Gespenst_! Das is diese See, un ich hoffen zu
die liebe Gott, wir sehen ihm nu nix mehr! Eine See _waren_ da un mit
die See is was passieren un sie is tot geblieben un wir sahen seine
Geist von diese See; wir sahen ihm zweimal un das is eine _Beweis_.
Der Wüste is behext, ganz gewiß sein ihm behext! O, Massa Tom, laß uns
fort. Lieber wollen ich sterben, als daß die Nacht uns überfallen in
diese Wüste, un der Gespenst und das See kommen un packen uns wenn wir
in Schlaf liegen un gar nix wissen, daß wir in eine Gefahr sein!«

»Ein Gespenst, du Gänserich! Es ist weiter nichts als Luft und Hitze
und die Einbildungskraft von ’nem Menschen, der großen Durst leidet.
Wenn ich -- gib mir mal das Fernrohr!«

Er nahm das Glas und fing aufmerksam an, nach rechts vor uns den
Horizont zu beobachten. Schließlich sagte er:

»Es ist ein Vogelschwarm; er fliegt nach Sonnenuntergang zu und wird
unsern Kurs in gerader Linie kreuzen. Sie haben es eilig und fliegen
nicht zu ihrem Vergnügen -- vielleicht suchen sie Nahrung oder Wasser
oder beides zugleich. Steuerbord, Huck! Einen Schlag herum! So! Halt’
ein bißchen ’ran! Nun ist’s recht, -- vorwärts, geradeaus!«

Wir mäßigten die Fahrgeschwindigkeit ein bißchen, um nicht bei den
Vögeln vorbeizusegeln, und fuhren immer ein paar hundert Meter hinter
ihnen her. Als wir anderthalb Stunden so gesegelt waren, wurden wir
immer mutloser und unser Durst war rein unerträglich geworden. Da sagt
Tom auf einmal:

»Nehme mal einer von euch das Fernrohr und sehe, was da gerade vor den
Vögeln ist!«

Jim sah zuerst durch und plumpste halb ohnmächtig auf die Bank nieder.
Ganz weinerlich schrie er:

»Das is sie wieder, Massa Tom! Da is diese See, un nu wissen ich, ich
müssen sterben, denn wenn eine Mensch einen Gespenst das dritte Mal
sehen tun, dann sein es alles aus! O! Wenn ich doch nie un nie in
diese Ballone gekommen wäre! O, nie un nie!«

Er wollte gar nicht mehr durchs Fernrohr gucken, und seine Worte
machten mir ebenfalls Angst, denn ich wußte, er hatte ganz recht; genau
so geht es mit Gespenstern immer zu. Und darum wollte ich auch nicht
durchgucken. Wir baten beide Tom, er möchte doch abstoppen und in ’ner
anderen Richtung segeln, aber das wollte er nicht; er sagte sogar, wir
seien alle beide unwissende, abergläubische Windbeutel. Jawohl! dachte
ich bei mir selber, das wird ihm recht bald schlecht bekommen; daß er
Geister auf solche Weise beleidigt. ’ne Zeitlang sehen sie’s vielleicht
geduldig mit an, aber immer lassen sie sich es nicht gefallen; denn
wer auch bloß ein bißchen mit Geistern Bescheid weiß, der weiß, wie
empfindlich und leicht beleidigt und wie rachsüchtig sie sind.

So waren wir denn alle drei ruhig und still: Jim und ich, hatten Angst,
und Tom machte sich mit dem Steuerapparat zu schaffen. Nach ’ner
kleinen Weile ließ er das Luftschiff ganz stillstehen und sagte:

»Na, nun mal den Kopf hoch und euch umgeschaut, ihr Wasserköpfe!«

Wir taten’s, und richtig -- da war Wasser gerade unter uns! Klar und
blau und kalt und tief, und von einer leichten Brise gekräuselt --
der reizendste Anblick, den man sich nur denken kann. Die Ufer waren
ringsherum mit Gras und Blumen bewachsen, mit schattigen Wäldchen von
großen Bäumen bestanden, zwischen denen sich Weinreben rankten. Und
alles sah so friedlich und so gemütlich aus -- so wunderschön, daß man
hätte geradezu laut herausweinen mögen.

Jim weinte wirklich und tanzte dazu und heulte dann wieder, so dankbar
war er und vor Freuden ganz außer sich. Ich hatte die Wache und mußte
daher an Bord bleiben; aber Tom und Jim kletterten runter und tranken
jeder ein Faßvoll und ließen mir auch was zukommen, und ich habe in
meinem Leben Manches genossen, was gut schmeckte, aber nichts, was sich
mit diesem Wasser auch nur annähernd vergleichen ließe!

Dann gingen Tom und Jim ins Wasser und schwammen ein Stückchen; hierauf
kam Tom an Bord und löste mich ab, und ich schwamm mit Jim in den See
hinaus. Dann löste Jim wieder Tom ab, und ich und Tom veranstalteten
einen Wettlauf und ein kleines Boxen. Und ich glaube, so wohlig hab’
ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt. Die Hitze war gar nicht
so übermäßig, weil es schon auf den Abend zuging; außerdem hatten wir
nicht ein einziges Stück Zeug an. Kleider sind ja ganz schön und gut
in der Schule und in Städten und meinetwegen auch auf Bällen, aber es
wäre ja gar kein Sinn und Verstand drin, Kleider zu tragen, wenn keine
Zivilisation mit all ihrem Getue und Genörgele in der Nähe ist.

Auf einmal schreit Jim:

»Löwen! Löwen kommen! Schnell, Massa Tom! Lauf was du kannst, Huck!«

O, wie rannten wir! Wir hielten uns nicht mal damit auf, unsere
Kleider aufzunehmen, sondern walzten, hast du nicht gesehen!, auf die
Strickleiter los. Jim verlor völlig den Kopf -- das geht ihm nämlich
immer so, wenn er in Aufregung und Angst gerät. Anstatt den Ballon ein
kleines bißchen höher steigen zu lassen, so daß die Bestien die Leiter
nicht mehr erreichen konnten, ließ er die ganze Kraft los, und hoch
in den Himmel sausten wir hinauf, an unserer Strickleiter baumelnd!
Zum Glück merkte er sofort, was für einen Unsinn er gemacht hatte. Er
stoppte also ab; nun hatte er aber völlig vergessen, was er zunächst zu
tun hatte -- und da hingen wir denn oben in der Luft, so hoch, daß die
Löwen wie Schoßhündchen aussahen, und trieben vor dem Winde.

Aber Tom kletterte an Bord, stellte den Steuerapparat wieder richtig
und ließ den Ballon langsam zur Erde hinunter und zwar wieder nach dem
See zurück, wo ’ne Menge Bestien versammelt waren, wie wenn sie da
Biwak halten wollten. Ich dachte, er hätte gerade wie Jim seinen Kopf
verloren, denn er wußte doch, daß ich vor Angst nicht die Strickleiter
’raufklettern konnte. Er wollte mich doch nicht etwa mitten zwischen
den Löwen und Tigern auf den Erdboden setzen?

Aber nein -- in seinem Kopf war alles richtig, er wußte ganz genau,
was er wollte. Er ließ den Ballon nieder, bis er ungefähr dreißig oder
vierzig Fuß über dem Wasserspiegel schwebte und genau über der Mitte
hielt er still und rief:

»Laß los und hops’ hinein!«

Das tat ich; mit den Füßen voran schoß ich ins Wasser, und es kam mir
vor, als tauchte ich ’ne Meile, bis ich auf den Grund kam; und als ich
wieder nach oben kam, sagte Tom:

»Nun leg’ dich auf den Rücken und laß dich treiben, bis du dich
ausgeruht und wieder deine ganze Schneid beisammen hast; dann will
ich die Leiter bis ins Wasser ’runterlassen, und du kannst an Bord
klettern.«

So machte ich es denn. Na, und diese Strategik war riesig schlau
von Tom; denn wenn er nach irgend ’ner anderen Stelle gesegelt wäre
und mich da auf den Sand gesetzt hätte, so wäre die ganze Menagerie
ebenfalls dahin gelaufen, und so hätten sie uns vielleicht nach einer
sicheren Stelle herumsuchen lassen, bis ich schließlich schwindlig
geworden und von der Leiter gefallen wäre.

Und während dieser ganzen Zeit stritten die Löwen und Tiger sich um
unsere Kleider, und versuchten sich so darin zu teilen, daß jeder von
ihnen etwas kriegte; aber es gab fortwährend Meinungsverschiedenheiten
unter ihnen, indem alle Augenblicke irgend eine Bestie sich mehr
anzueignen versuchte, als auf ihren Anteil kam. Es dauerte nicht lange,
so gab es wieder Aufruhr, und so etwas wie diesen Anblick hat die Welt
noch nicht erlebt! Es müssen ihrer ein Stücker fünfzig gewesen sein,
alle in einem wilden Kuddelmuddel, fauchend, brüllend, schnappend,
beißend, kratzend -- Beine und Schwänze hoch in die Luft, und man
konnte die einzelnen Biester nicht mehr unterscheiden, und rings um
sie herum stoben Haare und Sand. Und als sie fertig waren, da lagen
mehrere tot da, andere humpelten verwundet davon und die übrigen saßen
auf dem Schlachtfeld ’rum. Die einen beleckten ihre Wunden, die anderen
guckten zu uns empor, als ob sie uns einladen wollten, wir möchten doch
’runterkommen und den Spaß ein bißchen mitmachen. Aber wir dankten für
den Spaß -- wir brauchten keinen.

Von Kleidern war nichts, aber auch rein gar nichts mehr vorhanden. Die
Bestien hatten sie bis auf den letzten Fetzen verschlungen; und ich
glaube, sie dürften ihnen nicht sonderlich gut bekommen sein, denn es
waren eine beträchtliche Menge Messingknöpfe dran, und in den Taschen
befanden sich Messer, Rauchtabak, Nägel, Kreide, Marmeln, Angelhaken
und andere solche Sachen. Aber mir war’s einerlei. Nur das machte mich
ein bißchen nachdenklich, daß wir jetzt bloß des Professors Kleider
hatten. Die Auswahl war ja allerdings reich genug, aber die einzelnen
Stücke waren nicht gerade danach gemacht, um mit ihnen in Gesellschaft
zu gehen -- für den Fall, daß wir einer begegnet wären. Denn die Hosen
waren so lang wie Eisenbahntunnel und die Röcke usw. dementsprechend.
Schließlich brauchten wir aber doch bloß ’nen Schneider, um das alles
in Ordnung zu bringen, und Jim hatte so ’nen kleinen Begriff von der
Schneiderkunst, und er sagte, er könnte uns wohl ein paar Anzüge
zurecht machen, die uns einstweilen genügen würden.



Neuntes Kapitel.


Ehe wir weiter segelten, hatten wir aber noch ein kleines Geschäftchen
zu besorgen, und zu diesem Zweck mußten wir doch mal den Löwen und
Tigern ’nen Besuch abstatten. Der größere Teil von des Professors
Mundvorrat bestand in Büchsenkonserven von einer gerade damals
erfundenen neuen Art; der Rest war frisches Fleisch. Nun, wenn man
Missouribeefsteak nach der Großen Sahara mitnimmt, so muß man ein
bißchen vorsichtig damit umgehen und sich in den kühleren Luftschichten
halten. Wir dachten daher bei uns selber, es wäre am besten, wenn wir
die Löwenversammlung besuchten und mal sähen, was da zu machen wäre.

Wir zogen die Strickleiter ein und ließen das Luftschiff sinken, bis
wir gerade über den Bestien waren; dann ließen wir ein Tau mit ’ner
Schlinge nieder und haspelten einen toten Löwen an Bord, einen kleinen
zarten, und außer diesem noch einen jungen Tiger. Wir mußten die
Versammlung mit dem Revolver in respektvoller Entfernung halten, sonst
hätten die verehrlichen Tiere sich an dem Spaß beteiligt und uns ein
bißchen geholfen.

Wir schnitten uns von den beiden Tieren einen guten Vorrat herunter,
zogen ihnen die Felle ab und warfen den Rest über Bord. Dann versahen
wir einige von des Professors Angelhaken mit Ködern von dem frischen
Fleisch und fingen an zu fischen. Wir schwebten gerade in der
richtigen Entfernung über dem Seespiegel und fingen eine Menge von den
reizendsten Fischen, die man sich nur denken kann. Nachher hatten wir
ein ganz großartiges Abendessen: Löwensteak, Tigerschnitzel, gebackene
Fische und warme Maiskuchen. Was Besseres verlange ich meiner Lebtage
nicht.

Zum Nachtisch hatten wir Obst. Dieses kriegten wir aus der Krone
eines riesengroßen Baumes. Es war ein sehr schlanker Baum, der vom
Fuß bis zum Wipfel nicht ’nen einzigen Ast hatte; oben aber brach er
auseinander wie ein Flederwisch. Natürlich war’s ein Palmbaum; ’nen
Palmbaum kennt jedermann in der ersten Minute, wo er ihn sieht, nach
den Abbildungen. Wir suchten in diesem Palmenwipfel nach Kokosnüssen
-- aber ’s gab keine, sondern da waren bloß große Bündel von ’ner Art
von überlebensgroßen Weintrauben, aber es waren auch keine Trauben,
sondern Datteln, wie Tom uns erklärte; denn die Beschreibungen in
Tausend und einer Nacht und in den anderen Büchern, sagte er, paßten
ganz genau auf sie. Natürlich konnten wir nicht wissen, ob’s wirklich
welche waren; sie konnten ja auch giftig sein. Darum mußten wir denn
ein Weilchen warten und aufpassen, ob die Vögel von diesen Früchten
äßen. Sie taten’s, und darum taten wir’s auch und sie schmeckten über
alle Maßen gut.

Inzwischen waren riesengroße Vögel herangekommen und hatten sich auf
den toten Bestien niedergelassen. Es waren freche Geschöpfe; sie
zerrten ganz munter am einen Ende von ’nem toten Löwen, an dessen
anderem ein andrer Löwe nagte. Wenn der Löwe den Vogel wegjagte, nützte
ihm das auch nicht viel; sobald der Löwe wieder am Knabbern war, war
auch der Vogel an seinem Ende schon wieder da.

Es war seltsam und unnatürlich anzusehen, wie Löwen Löwenfleisch
fraßen; wir dachten, vielleicht wären sie nicht miteinander verwandt,
aber Jim sagte, das machte keinen Unterschied. Eine Sau, sagte er,
fräße auch mit Vorliebe ihre eigenen Kinder, und ’ne Spinne machte
es gerade so; und er meinte, vielleicht wäre auch ein Löwe annähernd
ebenso grundsatzlos, wenn auch nicht ganz so schlimm. Ein Löwe würde
wahrscheinlich nicht seinen eigenen Vater fressen -- vorausgesetzt,
daß er ihn erkannt hätte, -- aber seinen Schwager z. B. würde er
doch wohl verspeisen, wenn er ganz besonders hungrig wäre, und seine
Schwiegermutter würde unter allen Umständen dran glauben müssen. Aber
das alles waren Mutmaßungen, mit denen nichts bewiesen wurde. Man kann
die Zeit berechnen, wann die Kuh nach Hause kommen muß -- aber ob sie
wirklich kommt, das ist ’ne andere Frage. Darum gaben wir’s denn auch
auf und zerbrachen uns nicht länger den Kopf darüber.

Für gewöhnlich war’s sehr still in diesen Wüstennächten, aber diesmal
hatten wir Musik. Eine ganze Schar von anderen Tieren kam zum Mahl;
schleichende Kläffer, die, wie Tom uns erklärte, Schakale waren, und
andere, bucklige: Hyänen. Und diese ganze Gesellschaft unterhielt
ein unaufhörliches Gebell. In dem Mondschein boten sie einen ganz
eigenartigen Anblick. Wir hatten unser Luftschiff mit einem Seil an
einem Baumwipfel festgemacht und brauchten deshalb keine Wache zu
halten, sondern legten uns alle zum Schlafen hin. Aber zwei- oder
dreimal war ich auf, um mir die Biester anzusehen und ihre Musik
anzuhören. Ich saß sozusagen mit ’nem Freibillet auf dem ersten Rang in
’ner Menagerie. Sowas war mir in meinem Leben noch nie passiert, und
deshalb wäre es ja ’ne Dummheit gewesen zu schlafen und die Gelegenheit
nicht nach Möglichkeit auszunutzen; denn wer konnte wissen, ob sie sich
mir jemals wieder bieten würde?

Mit dem Morgengrauen fingen wir wieder Fische; nachher faulenzten wir
den ganzen Tag im tiefen Schatten einer Insel; indessen hielten wir
abwechselnd Wache, damit nicht irgend ’ne Bestie uns auf den Hals käme
und sich ’nen Erronauter zum Mittagessen holte. Wir hatten die Absicht,
den nächsten Tag weiter zu fahren, konnten’s dann aber doch nicht
übers Herz bringen -- es war zu reizend!

Als wir endlich am dritten Tag himmelwärts flogen und nach Osten
davonsegelten, konnten wir die Augen nicht von dem lieblichen Ort
wenden, bis er nur noch als ein kleines Fleckchen in der Wüste
erschien, und ich kann versichern, uns war gerade so zu Mute, wie wenn
wir auf Nimmerwiedersehen von einem lieben Freunde Abschied nähmen.

Jim hatte schon ’ne Zeitlang nachdenklich vor sich hingeguckt; zuletzt
sagte er:

»Massa Tom, wir sein nu bald an die Ende von die Wüste, denken ich.«

»Warum?«

»Nu, das sagen uns doch bissel Vernunft! Sie weiß, wie lange wir schon
über sie gondeln tun. Muß aus lauter Sand gemachen sein. Sand müssen
ein Ende nehmen, denn wo sollen die viele Sand herkommen?«

»Unsinn! ’s gibt Sand genug auf der Welt -- darum brauchst du keine
Sorgen zu haben!«

»O, habben ich keine Sorgen nix, Massa Tom. Aber ich wundere mir. Die
liebe Gott haben viele Sand, daran zweifle ich nix; aber ihm werden
doch gewiß seine Sand nix _verschwenden_! Un ich sagen: dies Wüste is
nu viel groß genug, so wie sie sein, un größer können sie nix werden,
wenn nix liebe Gott seine Sand verschwenden.«

»O, laß dich begraben! Wir sind auf unserer Reise über die Wüste kaum
erst ein hübsches Stück über den Anfang weg. Die Vereinigten Staaten
sind ein recht tüchtig großes Land, nicht wahr? Nicht wahr, Huck?«

»Ja,« sag’ ich, »größere Länder gibt’s überhaupt nicht, so viel ich
weiß.«

»Na, diese Wüste ist ungefähr so groß wie die Vereinigten Staaten,
und wenn du sie oben auf unser Land legtest, so wäre von diesem
nichts mehr zu sehen -- gerad’ wie wenn du ’n Tuch drübergedeckt
hättest. Ein kleines Eckchen würde da oben bei Maine ’rausgucken
und auch im Nordwesten eins, und Florida würde herausragen wie’n
Schildkrötenschwanz -- aber das wäre alles. Vor’n paar Jahren haben
wir ja Kalifornien den Mexikanern abgenommen; dieser Teil von der
Pazifikküste ist also jetzt auch unser, und wenn ihr die Große Sahara
so hinlegtet, daß ihr Rand genau am Stillen Ozean entlang liefe, so
würde sie die ganzen Vereinigten Staaten bis New York bedecken und
noch ein sechshundert Meilen breites Stück vom Altlantischen Ozean
obendrein!«

»O du himmlische Güte!« ruf’ ich. »Hast du das schwarz auf weiß
gesehen, Tom Sawyer?«

»Jawohl, ich kann’s dir sogar schwarz auf weiß zeigen. Sieh’ selber
in diesem Buch nach. Mit der Wüste könntest du jeden Quadratzoll von
den Vereinigten Staaten zudecken und unter den überschießenden Teil
könntest du England, Schottland, Irland, Frankreich, Dänemark und
Deutschland ’reinstopfen. Jawoll! Die Heimat der Braven und all die
anderen Länder könntest du mit der Großen Sahara zudecken und hättest
noch ’ne hübsche Menge Quadratmeilen reinen Sand über!«

Wir unterhielten uns noch lange über die Ausdehnung der Wüste, und je
mehr wir sie mit diesem und jenem und sonst ’nem Ding verglichen, desto
nobler und gewaltiger und großartiger kam sie uns vor. Schließlich fand
Tom aus seinen Zahlentabellen ’raus, daß sie genau so groß ist wie das
chinesische Reich. Dann zeigte er uns, was für ’nen großen Raum das
Kaiserreich China auf der Landkarte einnimmt und was für ein großes
Stück von der ganzen Welt chinesisch ist. Man konnte sich’s wirklich
kaum vorstellen, und ich rief unwillkürlich:

»Ich hab’ ja von dieser Saharawüste schon oft sprechen hören, aber nie
hab’ ich ’ne Ahnung gehabt, wie bedeutend sie ist!«

»Bedeutend?« sagte Tom. »Die Sahara bedeutend! Ja, so reden die Leute!
Wenn etwas groß ist, ist es bedeutend! Danach beurteilen sie alles;
sie sehen immer bloß den Umfang. Nun, sieh dir mal England an. Das ist
das allerbedeutendste Land auf der Welt; und dies Land könntest du
in Chinas Westentasche stecken und nicht nur das -- du würdest es in
dieser Westentasche ’ne verflixt lange Zeit zu suchen haben, wenn du’s
das nächste Mal brauchtest. Nun sieh dir auch mal Rußland an. Das dehnt
sich nach allen Seiten aus und hat trotzdem auf dieser Welt nicht mehr
zu bedeuten als Rhode Island, und du findest in ganz Rußland nicht
halb so viel wie in Rhode Island, was des Suchens wert ist.«

In der Ferne erblickten wir jetzt einen kleinen Hügel, der gerade am
Ende der Welt stand. Tom unterbrach sich, griff ganz aufgeregt nach dem
Fernrohr, sah hindurch und rief:

»Das ist er -- das ist ganz bestimmt gerade der, nach dem ich schon
lange ausgeschaut habe! Ganz gewiß ist das der Berg, in den der
Derwisch den Mann hineinführte, um ihm all die Schätze zu zeigen.«

Wir guckten natürlich uns den Berg ganz genau an, und Tom begann uns
die Geschichte davon zu erzählen, wie sie in Tausend und einer Nacht
steht.



Zehntes Kapitel.


Tom sagte, die Sache hätte sich folgendermaßen zugetragen:

»Ein Derwisch wanderte durch die Wüste; es war ein sengend heißer Tag
und er ging zu Fuß und hatte schon seine tausend Meilen hinter sich
und war sehr arm und hungrig und abgerissen und müde, und hier in der
Gegend, wo wir jetzt sind, begegnete er einem Kameltreiber mit hundert
Kamelen und bat ihn um ein Almosen. Der Kameltreiber sagte aber, er
möchte ihn entschuldigen, leider könnte er ihm nichts geben.

»›Gehören dir denn nicht diese Kamele?‹ fragte der Derwisch.

»›Ja, sie gehören mir.‹

»›Hast du Schulden?‹

»›Wer -- ich? Nein!‹

»›Nun, ein Mann, der hundert Kamele besitzt und keine Schulden hat, der
ist reich -- und nicht nur reich, sondern sogar sehr reich. Nicht wahr?‹

»Der Kameltreiber räumte ein, dies sei richtig. Da sagte der Derwisch:

»›Gott hat dich reich gemacht und Er hat mich arm gemacht. Er hat
Seine Gründe und sie sind weise -- gesegnet sei Sein Name! Aber Er hat
befohlen, daß Seine Reichen Seinen Armen helfen und du hast dich von
mir, deinem Bruder, in seiner Not abgewandt; Er wird dir das gedenken
und es wird zu deinem Schaden sein.‹

»Dem Kameltreiber wurde unbehaglich zumute, als er diese Worte hörte;
er war aber von Natur gewaltig aufs Geld erpicht und mochte nicht einen
Cent missen. So begann er denn zu winseln und allerlei Entschuldigungen
vorzubringen: es seien harte Zeiten, er habe zwar eine volle Ladung
nach Balsora zu befördern, und bekomme dafür ein schönes Stück Geld,
aber er könne in Balsora keine Rückfracht erhalten und darum werde
seine Reise ihm nichts Rechtes einbringen. So machte denn der Derwisch
sich wieder auf seinen Weg und sagte zum Abschied bloß:

»›Na, meinetwegen -- wenn du’s riskieren willst. Aber ich glaube,
diesmal hast du ’nen Irrtum gemacht und ’ne gute Gelegenheit verpaßt.‹

»Natürlich wollte nun der Kameltreiber wissen, was für ’ne Gelegenheit
er verpaßt hätte, denn es hätte ja Geld dabei zu verdienen sein können.
Er lief daher dem Derwisch nach und bat ihn so lange und so inständig,
er möchte doch Mitleid mit ihm haben, daß der Derwisch zuletzt nachgab
und sagte:

»›Siehst du den Berg dort hinten? In jenem Berge sind alle Schätze der
Erde, und ich suchte gerade einen Mann mit einem recht guten milden
Herzen und einem edlen hochsinnigen Charakter; denn wenn ich so einen
Mann finden könnte, so hab’ ich hier ’ne Salbe bei mir, die ich auf
seine Augen streichen würde; er könnte dann alle Schätze sehen und sie
aus dem Berge hervorholen.‹

»Da kam der Kameltreiber in riesige Aufregung; er weinte und bat und
ließ nicht nach, warf sich auf seine Kniee nieder und rief, er sei
gerade so ein Mann, wie ihn der Derwisch suche, und er könne tausend
Zeugen beibringen, die alle bestätigen würden, daß die Beschreibung
ganz über alle Maßen genau auf ihn zutreffe.

»›Nun, dann meinetwegen!‹ sagte der Derwisch. ›Wenn wir deine hundert
Kamele beladen, kann ich dann die Hälfte von ihnen abbekommen?‹

»Der Kameltreiber war so vergnügt, daß er kaum an sich halten konnte;
und er rief:

»›Das soll ein Wort sein!‹

»Sie schüttelten sich also zur Bekräftigung des Handels die Hände,
und der Derwisch holte seine Büchse heraus und rieb dem Kameltreiber
mit der Salbe das rechte Auge ein: Da tat sich der Berg auf und er
ging hinein, und richtig -- da lagen Haufen neben Haufen, Goldstücke
und Juwelen, die funkelten, wie wenn alle Sterne vom Himmel
heruntergefallen wären.

»Der Derwisch und der Kameltreiber machten sich nun fix an die Arbeit
und beluden jedes Kamel mit einer Last, so schwer es sie nur zu tragen
vermochte; dann nahmen sie Abschied von einander und jeder von ihnen
zog mit seinen fünfzig von dannen. Aber es dauerte nur einen ganz
kleinen Augenblick, da kam der Kameltreiber dem Derwisch nachgelaufen,
holte ihn ein und sagte:

»›Du lebst ja doch eigentlich nicht unter den Menschen und darum
brauchst du wirklich nicht all die Schätze, die du gekriegt hast.
Willst du nicht so gut sein, mir zehn von deinen Kamelen abzulassen?‹

»›Na,‹ sagt der Derwisch, ›was du da sagst, ist ja ganz vernünftig;
dagegen kann ich nichts einwenden.‹

»Er tat es also; sie nahmen wiederum Abschied, und der Derwisch zog mit
seinen vierzig weiter. Aber gleich darauf läuft der Kameltreiber wieder
mit Halloh hinter ihm her und fängt an zu winseln und zu betteln, er
möchte ihm doch noch zehn Kamele geben, denn mit dreißig Kamelladungen
Gold und Juwelen könnte ein Derwisch sich ganz gut durchs Leben
schlagen. Bekanntlich leben ja die Derwische sehr einfach und haben
keine eigene Wohnung, sondern ziehen in der Welt ’rum und quartieren
sich bald hier bald dort ein.

»Aber damit war’s noch nicht zu Ende. Der gemeine Hund kam immer und
immer wieder, bis er sich alle Kamele zusammengebettelt hatte und
die sämtlichen hundert besaß. Dann war er zufrieden und sogar riesig
dankbar und sagte, er wollte es dem Derwisch sein Lebenlang nicht
vergessen, und niemand sei je zuvor so gut gegen ihn gewesen und so
freigebig; so schüttelten sie sich denn die Hände, sagten sich Lebewohl
und gingen auseinander, der eine hierhin und der andere dorthin.

»Aber wißt ihr -- es waren noch keine zehn Minuten verstrichen, da war
der Kameltreiber schon wieder unzufrieden -- er war das allergemeinste
Reptil in sieben Grafschaften -- und kam wieder hinter dem Derwisch
hergerannt. Und diesmal wünschte er, der Derwisch solle ihm auch auf
sein anderes Auge ein bißchen von der Salbe streichen.

»›Warum?‹ fragte der Derwisch.

»›O! Du weißt schon!‹ antwortete der Kameltreiber.

»›Was denn?‹

»›Na, mir kannst du nichts weismachen!‹ sagt der andere. ›Du möchtest
mir irgendwas verheimlichen, das weißt du selber recht gut. Ich denke
mir aber, wenn ich die Salbe auch auf dem anderen Auge hätte, so könnte
ich ’ne ganze Menge noch viel wertvollere Sachen sehn. Also bitte --
streich’ sie mir auf!‹

»Sagt der Derwisch:

»›Ich habe dir nicht das allergeringste verhehlt. Aber ich will dir
sagen, was dir geschehen würde, wenn ich dir die Salbe auf das linke
Auge striche: du würdest niemals wieder sehen können -- du wärest
stockblind bis ans Ende deiner Tage.‹

»Aber, versteht ihr, das Biest wollte ihm nicht glauben. Nein, er
bettelte und bettelte und winselte und flennte, bis zuguterletzt der
Derwisch seine Büchse aufmachte und ihm sagte, er möchte sich die Salbe
selbst aufstreichen, wenn er’s durchaus wollte. Der Mann tat es und
richtig -- in Zeit von ’ner Minute war er so blind wie ’n Maulwurf.

»Da lachte der Derwisch ihn aus und verhöhnte ihn und sagte:

»›Leb wohl! Ein Blinder braucht kein Gold und keine Juwelen.‹

»Dann machte er sich mit seinen hundert Kamelen davon und der Blinde
mußte arm und elend und hilflos bis an sein Lebensende in der Wüste
umherirren.«

Jim sagte, er wollte wetten, das wäre ’ne gute Lehre für ihn gewesen.

»Ja,« sagte Tom, »und ’ne Lehre, wie’s die allermeisten sind, die man
kriegt. Sie nützen einem nichts, weil derselbe Vorfall einem niemals
wieder passieren wird, ja gar nicht passieren kann. Als damals Hen
Scovil den Schornstein ’runterfiel und sich das Rückgrat brach, daß er
für immer krumm blieb, da sagte ein jeder, es würde ’ne Lehre für ihn
sein. Was für ’ne Lehre denn? Was konnte er mit der Lehre anfangen? Er
konnte nicht mehr in Schornsteine ’raufkriechen und hatte kein Rückgrat
mehr zu brechen.«

»Aber einerlei, Massa Tom, es sein doch was Wahres dran, daß eine von
die Erfahrung klug werden. In die Gute Buch stehen: die gebrannte Kind
tun den Feuer scheuen.«

»Nu ja, ich leugne ja nicht, daß etwas ’ne gute Lehre sein kann, wenn’s
was ist, was zweimal passieren kann. Es gibt ’ne Masse solche Sachen,
und dadurch gerade wird ’n Mensch erzogen, wie Onkel Abner immer zu
sagen pflegte; aber es gibt vierzig Millionen Sachen von der andern
Sorte -- Sachen, die nie sich zweimal auf dieselbe Weise zutragen --
und die haben absolut keinen reellen Wert, die lehren einen Menschen
genau so wenig, wie wenn er die Pocken kriegt. Wenn man sie mal erst
hat, so nützt es einem nichts, daß es einem klar wird, man hätte sich
sollen impfen lassen; und sich nachträglich impfen zu lassen, hat auch
keinen Zweck, weil man die Pocken bloß einmal kriegt. Andererseits,
sagte Onkel Abner, lernt einer, der mal ’nen Bullen an den Schwanz
gefaßt hat, sechzig- oder siebzigmal so viel wie einer, der das nicht
getan hat, und einer, der mal ’ne Katze am Schwanz nach Hause gezerrt
hätte, sagte Onkel Abner, der lernte dadurch allerlei, was ihm mal von
Nutzen sein würde und was sich nie in seiner Erinnerung verwischen
würde. Aber ich kann dir sagen, Jim: auf _die_ Leute, die aus allem
immer ’ne Lehre ziehen wollen, auf die war Onkel Abner nicht gut zu
sprechen; denn es wäre doch nicht einerlei, ob ...«

Aber Jim war eingeschlafen. Tom guckte ein bißchen verlegen drein, denn
es ist ja immer ein unangenehmes Gefühl, wenn man etwas ganz besonders
Schönes sagt und wenn man denkt, der andere hört ganz andächtig und
bewundernd zu, und wenn dann der andere ganz mir nichts dir nichts
einschläft. Natürlich hätte er nicht einschlafen sollen -- denn das ist
schäbig; aber je schöner jemand redet, desto sicherer schläfert er den
anderen damit ein, und wenn man sich die Sache richtig überlegt, so hat
eigentlich keiner von ihnen schuld -- oder sie haben alle beide schuld.

Auf einmal fing Jim an zu schnarchen -- zuerst sanft und süß, dann ein
langes Sägen, hierauf ein noch stärkeres und dann ein halbes Dutzend
ganz fürchterliche Schnarcher, wie wenn in ’ner Badewanne der letzte
Rest Wasser in das Abflußloch hineingesaugt wird -- hierauf dieses
letzte halbe Dutzend noch einmal, aber noch stärker und mit etlichen
Schnörkeln verziert, wie wenn ’ne Kuh in den letzten Zügen liegt -- und
wenn ein Mensch _so_ schnarcht, so hat er den Höhepunkt der Leistung
erreicht und kann einen aufwecken, der in der nächsten Straße mit ’nem
Eimer voll Opium im Leibe schläft, aber er selber wacht nicht auf,
obwohl der ganze gräßliche Spektakel keine drei Zoll von seinen Ohren
entfernt ist. Und das ist, wie mich dünkt, das Allersonderbarste dabei.
Aber reibe ein Streichholz an, um das Licht anzuzünden, und dieses
leise Geräusch wird ihm in die Glieder fahren! Ich möchte wohl wissen,
was der Grund hiervon ist, aber der läßt sich, wie’s scheint, nicht
feststellen.

Unser Jim schnarchte also, daß er die ganze Wüste in Aufruhr brachte;
auf Meilen in der Runde stürzten die wilden Tiere aus ihren
Schlupfwinkeln hervor, um zu sehen, was denn da oben in der Luft los
sei; kein Mensch und kein Tier und kein Ding war dem Lärm so nahe wie
Jim selber, und doch war er in der ganzen Gegend das einzige Geschöpf,
das sich nicht dadurch stören ließ. Wir schrieen und brüllten ihn an --
nützte alles nichts; aber sowie ein leises ungewohntes Geräusch gemacht
wurde, da wachte er auf. Wahrhaftig, ich habe mir den Kopf darüber
zerbrochen und Tom auch, aber wir haben’s nicht herausbringen können,
warum ein Schnarcher sich nicht schnarchen hört.

Jim sagte, er habe nicht geschlafen; er habe bloß die Augen zugemacht,
um besser zuhören zu können.

Tom sagte, ihm hätte ja niemand einen Vorwurf gemacht.

Da machte Jim ein Gesicht, wie wenn er wünschte, er hätte lieber gar
nichts gesagt. Und ich glaube, er wollte die Unterhaltung auf was
anderes bringen, denn auf einmal fing er an, über den Kameltreiber
herzuziehen. Er ließ kein gutes Haar an ihm, und ich mußte ihm recht
geben; und den Derwisch erhob er bis in den siebenten Himmel, und auch
darin mußte ich ihm beistimmen. Tom aber sagte:

»Das weiß ich denn doch nicht so gewiß. Ihr nennt den Derwisch so
fürchterlich freigebig und gut und selbstlos -- aber ich bin davon
nicht so ganz überzeugt. Er suchte in der Wüste nicht nach ’nem andern
armen Derwisch, nicht wahr? Oder? Nee, fiel ihm gar nicht ein. Wenn er
so selbstlos war -- warum ging er nicht einfach selber in den Berg,
nahm ’ne Tasche voll Juwelen ’raus und ging damit zufrieden weiter?
Aber nein -- was er suchte, das war ein Mann mit hundert Kamelen. Er
wollte so viele Schätze fortschleppen, wie er nur irgend konnte.«

»Abers, Massa Tom, ihm wollten doch teilen -- ehrliche halb und halb!
ihm wollten bloß fufzig Kamele haben!«

»Weil er wußte, daß er sie schließlich doch alle hundert kriegen würde.«

»Massa Tom, er sagten abers zu die Mann, das Salbe täte ihm blind
machen tun!«

»Ja, weil er den Charakter des Mannes kannte. Es war gerade die Sorte
von ’nem Mann, wonach er gesucht hatte -- ein Mann, der nie an eines
andern Wort oder Ehrlichkeit glaubt, weil er selber gar nicht weiß, was
ein wahres ehrliches Wort ist. Ich glaube, es gibt viele Leute, die’s
genau so machen, wie dieser Derwisch. Sie gaunern nach rechts und nach
links, aber richten es immer so ein, daß es so aussieht, als ob gerade
der andere der Gauner sei. Sie bleiben stets innerhalb des Buchstabens
der Gesetze, und darum kann man sie nie erwischen. _Sie_ legen nicht
die Salbe auf -- o nein! Das wäre ja Sünde! Aber sie wissen den
anderen so an der Nase zu führen, daß er sich selber damit beschmiert
-- und dann hat er sich eben selber blind gemacht. Ich glaube, der
Derwisch und der Kameltreiber waren ein edles Brüderpaar: ein schlauer,
gerissener, verschmitzter Schurke und ein plumper, roher, unwissender
-- aber Schurken alle beide, der eine wie der andere!«

»Massa Tom, glauben Sie, daß es auf diese Welt noch so ein Salben geben
tun?«

»Ja, Onkel Abner sagt, es gibt welche. In New York, sagt er, haben sie
sie und sie schmieren sie dem Landvolk auf die Augen und zeigen ihnen
alle Eisenbahnen von der Welt und sie fallen drauf ’rein und schaffen
sie ’ran; und dann reiben sie sich auch das andere Auge mit der Salbe
ein und der kluge Mann sagt ihnen Adieu und geht mit ihren Eisenbahnen
ab. Na, hier sind wir beim Schatzberg! Tiefer mit dem Ballon!«

Wir landeten, aber es war nicht so interessant, wie ich erwartet hatte,
weil wir nämlich die Stelle nicht finden konnten, wo sie ’reingegangen
waren, um die Schätze zu holen. Immerhin war es noch sehr interessant,
auch nur den Berg zu sehen, wo eine so wunderbare Geschichte sich
zugetragen hatte. Jim sagte, er hätte nicht für drei Dollars bei dem
Berg vorbeifahren mögen, ohne sich ihn näher anzusehen, und ich war
ganz derselben Meinung.

Aber das Allerwundervollste war für mich und Jim, wie Tom in so’n
großes fremdes Land kam wie dies und einfach geradeswegs auf so ’nen
kleinen Steinhaufen lossegeln und ihn in ’ner Minute aus ’ner Million
von anderen geradeso aussehenden Bergen ’rauskennen konnte, und ohne
irgend welche fremde Hilfe, bloß durch sein eigenes Wissen und seine
eigene Schläue. Wir besprachen das lange Zeit, konnten aber nicht
’rausbringen, wie er’s anfing. Er hatte den besten Kopf, den ich je
gesehen, und ihm fehlte weiter nichts als das richtige Alter, um sich
’nen Namen zu machen wie Kapitän Kidd, der große Seeräuber, oder George
Washington. Ich will wetten, die wären alle beide in ’ner häßlichen
Verlegenheit gewesen -- trotz all ihrer Klugheit -- wenn sie den Berg
hätten ausfindig machen sollen. Aber für Tom Sawyer war das ganz und
gar nichts; der ging quer über die Sahara drauf los und tippte ihn
mit dem Finger an -- so leicht, wie man ’nen Nigger aus ’nem Haufen
Engelein ’rauskennen würde.

Ganz in der Nähe fanden wir einen Salzwasserteich, von dessen Rändern
wir einen Vorrat Salz einsammelten; damit rieben wir die Löwen- und die
Tigerhaut ein, so daß sie sich halten konnten, bis Jim Zeit kriegte,
sie richtig zu gerben.



Elftes Kapitel.


Einen Tag oder zwei strolchten wir nach unserem Behagen in den
Lüften herum, und dann, gerade als der Vollmond den Erdboden auf der
anderen Seite der Wüste berührte, sahen wir eine Reihe von kleinen
schwarzen Gestalten quer an der großen silberglänzenden Scheibe
vorüberziehen. Man sah sie so deutlich, wie wenn sie mit Tinte auf
den Mond aufgezeichnet gewesen wären. Es war wieder ’ne Karawane.
Wir stellten unseren Apparat auf mäßige Geschwindigkeit und fuhren
hinter ihr her, bloß um ein bißchen Gesellschaft zu haben, obwohl wir
dadurch eigentlich von unserem Wege abkamen. Diese Karawane war ein
ganz mächtig großes Ding und ein großartiger Anblick war’s am andern
Morgen, als die Sonne flammend über die Wüste schien und die langen
Schatten der Kamele langbeinig-knickebeinig in Prozession über den
goldenen Sand hinmarschierten. Wir kamen der Karawane niemals ganz
nahe, weil wir mit solchen Sachen jetzt besser Bescheid wußten und
nicht mehr friedfertigen Leuten die Kamele bange machen und ihre
Karawane in Unordnung bringen wollten. Es war der bunteste lustigste
Zug, den man sich nur denken kann, alles in reichen Gewändern und fein
herausgeputzt. Einige von den Häuptlingen ritten auf Dromedaren; es
waren die ersten, die wir je in unserem Leben sahen, und mächtig große
Viecher, die wie auf Stelzen gehen und den Mann, der auf ihnen sitzt,
beträchtlich schütteln und ihm das Essen, das er im Leibe hat, ganz
gehörig durcheinander rütteln; aber sie reiten ein ganz famoses Tempo
und ein Kamel kann es an Schnelligkeit auch nicht annähernd mit ihnen
aufnehmen.

Den mittleren Teil des Tages über hielt die Karawane Lagerruhe; in den
Nachmittagsstunden zog sie weiter. Es dauerte nicht lange, so fing die
Sonne an, ganz merkwürdig auszusehen -- erst wie Messing, dann wie
Kupfer und schließlich wie eine blutrote Kugel; die Luft wurde heiß
und beklemmend und im Nu war der ganze westliche Himmel verdunkelt und
dunstig, daß es ganz fürchterlich anzusehen war -- so wie wenn man ihn
durch ’nen roten Glasscherben ansieht. Wir sahen ’runter und bemerkten,
daß in der Karawane ein großer Wirrwarr herrschte, ein Hin- und
Herlaufen, wie wenn die Leute eine entsetzliche Angst hätten. Und auf
einmal warfen Menschen und Tiere sich platt auf den Boden nieder und
lagen da vollständig still.

Gleich darauf sahen wir etwas herankommen. das sah aus wie eine riesig
hohe Wand, und reichte von der Wüste in den Himmel empor, daß die Sonne
dahinter verschwand, und es kam heran wie ein heiliges Donnerwetter.
Dann wehte eine ganz schwache Brise uns an, dann wurde der Wind stärker
und auf einmal flogen Sandkörner uns in’s Gesicht, die brannten uns wie
Feuerfunken, und Tom schrie auf:

»’s ist ein Sandsturm -- dreht ihm den Rücken zu!«

Das taten wir; und ’ne Minute später blies es uns an wie ein Orkan und
der Sand flog wie mit Schaufeln geworfen gegen uns an, und die Luft
war so dick, daß wir überhaupt nichts mehr sehen konnten. Binnen fünf
Minuten war unser Luftschiff bis an den Rand voll, und wir saßen auf
unseren Bänken, bis ans Knie in Sand begraben, und bloß unsere Köpfe
guckten oben ’raus und wir konnten kaum noch Luft kriegen.

Dann wurde der Sturm schwächer und der Sand dünner und wir sahen, daß
die ungeheure Wand quer über die Wüste weitersegelte -- und es war
fürchterlich anzusehen, das kann man mir wohl glauben! Wir wühlten
uns aus dem Sand ’raus und sahen nach der Erde hinunter -- und an der
Stelle, wo vorher die Karawane gewesen war, da war jetzt gar nichts
mehr als bloß der Sandozean, und alles war still und ruhig. All die
Menschen und Kamele waren erstickt und tot und begraben -- begraben
unter einer Sandschicht, die nach unserer Schätzung zehn Fuß tief sein
mußte, und Tom meinte, es könnte Jahre dauern, ehe der Wind sie wieder
bloßlegte, und all die Zeit über würden ihre Freunde nicht wissen, was
aus der Karawane geworden wäre. Und Tom sagte:

»Jetzt wissen wir auch, was den Leuten passiert war, denen wir die
Säbel und Pistolen abnahmen.«

Ja, so verhielt sich’s ganz genau -- das war uns jetzt so klar wie
der helle Tag. Sie wurden in einem Sandsturm begraben, und die wilden
Tiere konnten nicht an sie ’rankommen, und der Wind deckte sie nicht
eher wieder auf, als bis sie zu lederartigen Mumien vertrocknet und
nicht mehr zu essen waren. Mir war’s damals so vorgekommen, als sei
uns das Schicksal jener armen Menschen so tief zu Herzen gegangen und
habe uns so traurig gemacht, wie sich’s nur denken läßt -- aber das
war ein Irrtum von uns: der Untergang dieser zweiten Karawane ging uns
tiefer zu Herzen, _viel_ tiefer! Nun, das kam davon, daß die andern
eben völlige Fremde für uns gewesen waren; so hatten wir denn gar
nicht das Gefühl gehabt, als seien wir überhaupt mit ihnen bekannt
gewesen -- ausgenommen vielleicht ein bißchen mit dem Mann, der das
Mädchen in seinen Armen zu schützen gesucht hatte. Aber mit dieser
letzten Karawane war es ganz was anderes! Wir hatten eine ganze Nacht
und beinahe einen vollen Tag um sie herumgeschwebt, und da hatten wir
ein wirklich freundschaftliches Gefühl für sie gefaßt; sie waren für
uns Bekannte geworden. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß es kein
besseres Mittel gibt, herauszufinden, ob Leute einem lieb oder zuwider
sind, als daß man mit ihnen zusammen eine Reise macht. Genau so ging
es uns mit diesen. Sie gefielen uns eigentlich gleich von Anfang an,
und im Verlauf der Reise gewannen wir sie wirklich lieb. Je länger die
Reise dauerte, und je mehr wir mit ihren Manieren vertraut wurden,
desto besser gefielen sie uns und desto größer wurde unsere Freude, daß
wir sie getroffen hatten. Einige von ihnen kannten wir bald so genau,
daß wir sie bei ihren Namen nannten, wenn wir von ihnen sprachen, und
wir gingen schließlich so vertraulich mit ihnen um, daß wir sogar das
›Herr‹ oder ›Fräulein‹ fortließen und einfach ihre Namen nannten, wenn
wir von ihnen sprachen; und das klang ganz und gar nicht unhöflich,
sondern im Gegenteil ganz natürlich. Selbstverständlich waren es nicht
ihre richtigen Namen, sondern die Namen, die wir ihnen beigelegt
hatten. Da war Herr Alexander Robinson und Fräulein Adaline Robinson,
Oberst Jacob Mc Dougal und Fräulein Harriet Mc Dougal und Richter
Jeremiah Butler und der junge Buschrod Butler, und diese Herrschaften
waren meistens große Häuptlinge mit prachtvollen großen Turbanen
und Handscharen, und angezogen wie der Groß-Mogul, nebst ihren
Familienmitgliedern. Aber sobald wir sie recht kannten, und sie so gern
hatten, da gab’s für uns kein ›Herr‹, ›Richter‹ oder dergleichen mehr,
sondern bloß Alex und Addy und Jake und Nattie, Jerry, Buck usw.

Als sie ihr Lager aufschlugen, da hielten auch wir unmittelbar über
ihnen still, tausend oder zwölfhundert Fuß hoch in der Luft. Als sie
ihre Mahlzeit verzehrten, da speisten wir auch, und es war wirklich
ein behagliches Gefühl, uns dabei in ihrer Gesellschaft zu wissen.
Während der Nacht feierten sie eine Hochzeit, und Buck und Addy wurden
miteinander verheiratet; da putzten wir uns zur Feier dieses festlichen
Anlasses mit des Professors schönsten Kleidern heraus, und als bei
ihnen das Tanzen losging, da schwangen wir oben in unserer Höhe auch
ein bißchen das Tanzbein.

Aber am allernächsten werden die Menschen doch durch Kummer und Leid
zusammengebracht, und so ging es auch uns, als sie am nächsten Morgen
in der ersten Dämmerung einen begruben. Wir wußten nicht, wer der
Abgeschiedene war, und er war ja nicht mit uns verwandt, aber das
machte gar keinen Unterschied; er gehörte zur Karawane -- das genügte,
und es wurden keine aufrichtigeren Tränen über seinem Grabe vergossen,
als die unsrigen, die aus einer Höhe von elfhundert Fuß herabfielen.

Ja, der Abschied auf ewig, den wir von dieser Karawane nahmen, war viel
bitterer, als der Abschied von jenen anderen Toten, die im Vergleich
mit diesen nur Fremde für uns waren, und die zudem schon so lange tot
waren. Aber diese hatten wir bei Lebzeiten gekannt und hatten sie gern
gehabt -- und nun kam der grimmige Tod und riß sie vor unsern Augen
weg und wir blieben mitten in der großen Wüste so einsam und verwaist
-- das tat uns so weh und wir wünschten, wir möchten auf unserer Reise
lieber gar keine Freunde mehr gewinnen, wenn wir sie auf solche Art
wieder verlieren sollten.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, war’s uns ein bißchen fröhlicher
ums Herz; denn wir hatten großartig gut geschlafen, weil Sand das
allerbequemste Bett auf der ganzen Welt ist, und ich begreife nicht,
warum Leute, die’s haben können, sich nicht eine solche Ruhestatt
leisten. Außerdem ist Sand auch ein schrecklich guter Ballast; unser
Ballon war nie zuvor so ruhig gesegelt wie jetzt.

Tom meinte, wir hätten wohl zwanzig Tonnen Sand an Bord, und dachte
darüber nach, was wir wohl am besten damit anfangen könnten; es war
guter Sand und es schien uns unvernünftig zu sein, ihn fortzuschmeißen.
Da sagte Jim:

»Massa Tom, können wir nix mit ihm zu Hause nehmen un die Sand
verkaufen? Wie große Zeit brauchen wir zu die Reise?«

»Das kommt auf den Weg an, den wir fahren.«

»Nu, Massa Tom, die Sand is zu Haus mehr als eine Viertel Dollar for
die Wagenladung wert, un ich glauben, wir haben zu ’s allermindeste
zwanzig Wagenladungen. Wieviel würden die machen?«

»Fünf Dollars.«

»Bei Jingo, Massa Tom, laß Sie uns auf die Stelle zu Haus reisen! Das
machen ja mehr als annerthalb Dollars auf jede von unsere drei Köpf --
nich?«

»Ja.«

»Na! Das is doch so leicht Geld verdient, wie ich in meine Leben nie
nix erleben tun! Die Sand is ja bloß so ’reingeregnet -- kost uns nix
’n bissel Arbeit. Laß Sie uns gleich hinfahren, Massa Tom!«

Aber Tom dachte nach und rechnete so eifrig und so aufgeregt, wie ich
ihn nie gesehen habe. Und nach ’nem kleinen Augenblick sagte er:

»Fünf Dollars -- pah! Hört mal zu: dieser Sand ist wert ... wert ...
na, er ist ’n ganz kolossalen Haufen Geld wert!«

»Wie denn, Massa Tom? Erzähl Sie, süßes Herrchen, erzähl Sie!«

»Na -- sobald die Leute wissen, ’s ist _echter_ Sand aus der _echten_
Wüste Sahara, da werden sie sich sofort in den Kopf setzen, sich ein
bißchen davon zu verschaffen und es als Kuriosität in ’ner Phiole
mit ’nem Zettel dran auf den Nippstisch zu stellen. Wir brauchen
nichts weiter zu tun, als ihn in Phiolen zu füllen, über den ganzen
Vereinigten Staaten ’rumzugondeln und ihn zu zehn Cents das Stück zu
verhökern. Wir haben in unserem Schiff für mindestens zehntausend
Dollars Sand!«

Ich und Jim sprangen vor Freuden beinahe in Stücke und sangen:
»Hupjamborihu!« und Tom sagte:

»Und wir brauchen ja bloß wieder zurückzusegeln und neuen Sand zu
holen und das immer fortzusetzen, bis wir zuletzt die ganze Wüste
’rübergeschafft und phiolenweise verkauft haben; und Konkurrenz
brauchen wir nicht zu befürchten, denn wir lassen uns einfach ein
Patent darauf geben.«

»Himmlische Güte!« rief ich. »Wir werden ja so reich sein wie Kreosot
-- was, Tom?«

»Ja -- wie Kresus, meinst du. Hört mal -- der Derwisch suchte in jenem
kleinen Berg nach den Schätzen der ganzen Welt und wußte nicht, daß er
tausend Meilen weit auf lauter wirklichen Schätzen gegangen war. Er war
blinder als der Kameltreiber durch ihn wurde!«

»Massa Tom -- wie sehr reich, mein’ Sie, daß wir werden tun?«

»Ja, das weiß ich noch nicht. Das muß erst ausgerechnet werden -- und
das ist gar nicht so leicht, denn es sind mehr als vier Millionen
Quadratmeilen Sand zu zehn Cents die Phiole.«

Jim war fürchterlich aufgeregt, aber diese letzte Bemerkung gab ihm
einen beträchtlichen Dämpfer. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Massa Tom -- all die Violen können wir nix beschaffen -- kein König
nix hat so viele Violen. Wir mussen lieber nix die ganze Wüste wollen
haben -- Massa Tom, die Violen wer’n uns zu Grunden richten, warraftig!«

Toms Erregung ließ jetzt ebenfalls bedeutend nach und ich dachte, es
sei von wegen der Phiolen -- aber nein. Er saß da und dachte, und sein
Gesicht wurde immer saurer und finsterer, und zuletzt sagte er:

»Jungens -- die Sache wird nicht gehen. Wir müssen sie aufgeben!«

»Warum denn, Tom?«

»Wegen der Zollgebühren. So oft man über eine Grenze kommt -- ’ne
Grenze ist der Rand von einem Lande, wie ihr wohl wißt -- so findet
man dort ein Zollamt; und dann kommen die Zollbeamten heran und wühlen
einem in den Sachen herum und erheben eine hohe Gebühr davon -- und
wenn wir nicht die Gebühr bezahlen, so beschummeln sie uns um unsern
Sand. Sie nennen das ›konfiszieren‹ -- aber damit können sie keinem
Menschen was weismachen -- es ist ganz einfach beschummeln. Wenn wir
nun versuchen, den Sand auf dem Wege heimzubringen, auf dem wir jetzt
sind, so müssen wir über so viele Grenzen wegsteigen, daß wir bald müde
sein werden -- denn da kommt Grenze hinter Grenze: Aegypten, Arabien,
Hindustan usw., und an jeder stehen sie mit ihrer Zollgebühr bereit.
Ihr seht also klar und deutlich: diesen Weg können wir nicht segeln!«

»Nu, Tom,« sagte ich, »wir können doch einfach über ihre ollen Grenzen
wegsegeln. Wie sollten _die_ uns daran hindern?«

Er sah mich betrübt an und sagte ganz ernst:

»Huck Finn -- meinst du, daß das ehrlich sein würde?«

Derartige Unterbrechungen hasse ich, darum erwiderte ich gar nichts
darauf, und Tom fuhr fort:

»Na, der andere Weg ist uns ja ebenfalls versperrt. Wenn wir den Weg
zurücksegeln, den wir gekommen sind, so ist da das New Yorker Zollamt,
und das ist schlimmer als alle anderen zusammen, von wegen der Fracht,
die wir führen.«

»Warum?«

»Ja, Saharasand können sie in Amerika natürlich nicht produzieren;
und auf alles, was dort nicht produziert werden kann, beträgt die
Zollgebühr vierzehntausend Prozent, wenn man versucht, es aus dem
Ursprungsland einzuführen.«

»Da liegt ja gar kein Sinn und Verstand drin, Tom Sawyer!«

»Wer hat denn das behauptet? Wie kannst du so zu mir sprechen, Huck
Finn? Warte doch ab, bis ich sage, es sei Sinn und Verstand drin, ehe
du solche Beschuldigungen gegen mich erhebst!«

»Schon gut, Tom! Nimm an, ich bereue und beweine meinen Fehler. Weiter!«

Da sagt Jim:

»Massa Tom -- packen Sie diese Gebühre auf alle Dinge, wo nix in
Amerrika waxen un mach Sie gar nix keine Unterschied nix?«

»Nee, das tun sie nicht.«

»Massa Tom -- is nix die Segen von liebe Herrgott die wertvölligste
Ding auf diese Welt?«

»Ja, das ist er.«

»Stehen nix das Preddiger auf die Kanzel un ruf die Segen nieder auf
die Volk?«

»Ja.«

»Wo kommen die Segen her?«

»Vom Himmel.«

»Jawoll -- da hab Sie ganz recht -- ganz recht, mein süßes Herrchen --
die Segen komm’ von die Himmel un die Himmel is eine fremde Land. Nu --
nehm’ sie auch Zollgebühr von die Segen?«

»Nein, das tun sie nicht.«

»Natürlich tu’ sie nix! Un so is es klar, daß Sie sich tun irren, Massa
Tom! Sie nehm’ doch ganz gewiß nix Gebühr von armselige Sand, die keine
Mensch zu haben brauchen un lassen die beste Ding, wo niemand ohne sein
können, frei von die Gebühr!«

Da saß Tom Sawyer fest! Er sah auch wohl selber ein, daß Jim ihn
gefaßt hatte und daß er sich nicht rühren konnte. Allerdings versuchte
er sich herauszuwinden, indem er sagte, sie hätten bloß _vergessen_,
auch darauf eine Abgabe zu legen, aber ganz gewiß würden sie bei der
nächsten Kongreßtagung daran denken und sie nachträglich einführen --
aber das war nur eine armselige lahme Ausrede, und Tom wußte es ganz
gut. Er sagte, es gäbe außer diesem einzigen nichts Ausländisches,
was nicht mit ’ner Zollgebühr belegt wäre, und darum müßten sie diese
Abgabe ebenfalls festsetzen, denn sonst wären sie nicht konsistent oder
konsequent, und Konsistenz wäre die erste Regel in der Politik. Er
blieb dabei, sie hätten’s bloß aus Versehen ausgelassen und würden sich
ganz gewiß beeilen, dies Versehen wieder gut zu machen, ehe man sie
darob ertappte und auslachte.

Aber ich hatte für seine Auseinandersetzungen kein Interesse mehr, da
wir nun doch mal mit unserem Sand nichts mehr anfangen konnten; denn
das machte mich ganz niedergeschlagen und Jim auch. Tom versuchte uns
wieder aufzuheitern, indem er sagte, er wollte eine andere Spekulation
ausdenken, die für uns gerade so gut und noch besser wäre -- aber das
half nichts, denn wir konnten nicht glauben, daß irgend eine andere so
großartig sein könnte. Es war wirklich sehr hart für uns: vor einer
ganz kleinen Weile noch waren wir so reich, hätten uns ein ganzes Land
kaufen und ’n Königreich drin einrichten können -- und jetzt waren wir
wieder so arm und so ordinär und saßen da mit all unserm Sand. Vorher
hatte der Sand so reizend ausgesehen, wie lauter Gold und Diamanten,
und er war so weich und so seidig und so angenehm anzufühlen gewesen
-- aber jetzt konnte ich nicht mal seinen Anblick mehr ertragen; es
machte mich ganz krank, ihn bloß zu sehen, und ich wußte, mir würde
nicht eher wieder wohl sein, als bis wir den Krempel los wären, der
uns fortwährend daran erinnerte, was wir hätten sein können und nun
nicht mehr waren. Den andern beiden war ganz genau so zumute wie mir.
Das merkte ich ihnen an und sie wurden auf einmal ganz lustig, als ich
ihnen sagte: »Laßt uns das ganze Zeug über Bord werfen!«

Na, das war ja nun ’ne ganz tüchtige Arbeit, und darum teilte Tom sie
im Verhältnis zu unserer verschiedenen Stärke ein. Er sagte, er und ich
sollten jeder ein Fünftel von dem Sand über Bord schaffen und Jim die
andern drei Fünftel. Dem Jim gefiel diese Einteilung aber nicht recht
und er sagte:

»Natürlich sein ich die Stärkste un will auch meine Teil größer mach’
-- abber bei Jingo: Sie lad’ ein bissel zu viel auf alte Jims Buckel --
tu’ Sie nix, Massa Tom?«

»Na, das glaub’ ich eigentlich nicht, Jim; aber du kannst ja selber
sagen, wie die Arbeit verteilt werden soll und nachher können wir dann
sehen.«

Jim meinte nun, es sei nicht mehr als recht und billig, wenn Tom und
ich jeder _ein Zehntel_ von der Arbeit täten. Tom drehte sich um und
verzog seinen Mund zu einem Grinsen, das sich nach Westen zu über die
ganze Sahara bis an den Atlantischen Ozean erstreckte. Dann wandte er
sich wieder zu Jim und sagte, die Einteilung sei ganz schön und gut und
er sei ganz damit einverstanden, wenn sie Jim ebenfalls recht sei. Jim
war sie recht.

So maß denn Tom unsere zwei Zehntel im Bug des Schiffes ab und den
Rest bekam Jim. Und es überraschte den guten Jim sehr als er sah, wie
groß der Unterschied war und was für eine fürchterliche Menge Sand
auf seinen Anteil kam. Er sagte, er sei doch mächtig froh, daß er
zur rechten Zeit den Mund aufgetan habe, und daß der erste Vorschlag
abgeändert worden sei; denn selbst so wie’s jetzt sei, meinte er,
möchte auf seinen Teil wohl mehr Sand als Vergnügen kommen.

Dann fingen wir an. Es war ’ne mächtig heiße Arbeit und dazu sehr
langwierig; sie war tatsächlich so heiß, daß wir zu ’ner kühleren
Luftschicht aufsteigen mußten, sonst hätten wir’s einfach nicht
aushalten können. Tom und ich lösten uns ab, und der eine ruhte sich
immer aus, während der andere arbeitete, aber niemand war da, um den
armen Jim abzulösen, und er machte diesen ganzen Teil von Afrika
naß, so schwitzte er. Wir konnten nicht recht arbeiten, weil wir
fortwährend lachen mußten, und Jim wollte immerzu wissen, warum wir
alle Augenblicke laut herausprusteten. Da mußten wir denn irgend einen
Vorwand ersinnen, und unsere Vorwände waren wirklich recht kümmerlich,
aber schließlich genügten sie, denn Jim glaubte uns. Als wir endlich
mit unserem Teil fertig waren, da waren wir halb tot, aber nicht von
der Arbeit, sondern vom Lachen. Jim war beinahe ganz tot, aber von der
Arbeit; da lösten wir ihn denn abwechselnd ab, und er war uns dafür so
dankbar, wie wir nur wünschen konnten; er setzte sich aufs Dollbord und
trocknete sich den Schweiß ab und keuchte und schnaufte und sagte, wie
gut wir doch zu ’nem armen alten Nigger wären und er wollt’s uns nie
vergessen. Er war immer der dankbarste Nigger, den ich je gesehen habe,
mochte man ihm auch nur die geringste Gefälligkeit erwiesen haben.
Nigger war er überhaupt nur äußerlich -- innerlich war er so weiß wie
du und ich.



Zwölftes Kapitel.


Unsere nächsten Mahlzeiten waren recht sandig, aber das macht nichts
aus, wenn man hungrig ist; und wenn man nicht hungrig ist, so hat man
ja vom Essen doch keinen Genuß und nach meiner Meinung kommt’s auf so’n
kleines Sandkörnchen im Essen überhaupt nicht an.

Endlich kamen wir an den Ostrand der großen Wüste, indem wir einen
nordöstlichen Kurs einhielten. Fern am Rande des Sandes, in einem
zarten rosenroten Licht, sahen wir drei kleine scharfe Dächer wie Zelte
sich abheben und Tom sagte: »Das sind die ägyptischen Pyramiden!«

Da fing aber mein Herz an zu puppern! Ich hatte ja so manches, manches
Bild von ihnen gesehen und hatte hundertmal von ihnen erzählen hören
-- aber als ich sie so ganz plötzlich vor mir sah und fand, daß sie
_wirklich_ existierten und nicht bloß in der Phantasie, da stand mir
vor Ueberraschung beinahe der Atem still. Es ist sonderbar -- je mehr
man von ’nem großartigen Ding oder Menschen hört, desto mehr nimmt es
sozusagen was Traumhaftes an und wird schließlich zu ’ner übergroßen
verschwommenen Figur aus lauter Mondschein, aber ohne ’nen soliden
Inhalt. Gerade so ist’s mit George Washington -- und so ist’s auch mit
den Pyramiden.

Außerdem war es mir immer so vorgekommen, als ob die Geschichten,
die man von den Pyramiden erzählte, zum größten Teil ganz gewaltige
Uebertreibungen seien. Da war mal einer, der kam zu uns in die
Sonntagsschule und hatte ein Bild von ihnen und hielt ’ne Rede drüber
und sagte, die größte Pyramide bedeckte eine Fläche von dreizehn
Morgen und wäre beinahe fünfhundert Fuß hoch; sie wäre ein richtiger
steiler Berg, aufgebaut aus lauter Steinblöcken, die so groß wären wie
’ne Kommode und in regelmäßigen Reihen lägen wie Treppenstufen. Na,
dreizehn Morgen für ein einziges Gebäude -- das ist ja ’ne Farm! Wär’
ich nicht in der Sonntagsschule gewesen, so hätte ich die Geschichte
für ’ne Lüge gehalten; und sobald ich draußen war, hielt ich sie auch
wirklich dafür. Und er sagte, in der Pyramide wäre ein Loch und man
könnte mit Fackeln da hineingehen und dann immer einen langen schrägen
Tunnel hinauf, bis man schließlich zu einem großen Raum mitten im
Bauch dieses Berges käme und da fände man einen großen Steinkasten mit
’nem König drin -- und der wär’ viertausend Jahre alt! Als ich das
hörte, sagte ich bei mir selber: wenn das keine Lüge ist, will ich den
König sehen, d. h. wenn er da ist; denn _so_ alt war ja nicht mal
Methusalem, und kein Mensch denkt daran, viertausend Jahre alt werden
zu wollen.

Als wir ein bißchen näher herankamen, sahen wir auf einmal den gelben
Sand mit einem langen graden Rand aufhören -- ganz scharf abgeschnitten
wie ein großes Tuch -- und mit dem Rand an diesen Sand anstoßend ein
weites Land von hellem Grün, durch das ein langer heller Streifen sich
in Schlangenwindungen hindurchzog, und Tom sagte, das sei der Nil.
Da fing mein Herz wieder an zu puppern, denn der Nil war auch so ein
Ding, das ich eigentlich nie für Wirklichkeit gehalten hatte. Nun, so
viel ist todsicher: wenn man über dreitausend Meilen gelben Sandes
weggegondelt ist, wenn dieser Sand so von Hitze flimmert, daß einem vom
bloßen Hinsehen das Wasser aus den Augen läuft, und wenn man beinahe
’ne ganze Woche über diesem Sand war -- dann wird einem das grüne Land
wie Heimat und Himmel erscheinen und es wird einem _wieder_ das Wasser
aus den Augen laufen.

So ging es mir und so ging’s auch Jim.

Und als Jim merkte, daß er wirklich auf Aegyptenland ’runterguckte, da
wollte er nicht stehend in dieses Land hineinsegeln, sondern er warf
sich auf seine Kniee und nahm den Hut ab, denn für einen armen alten
Nigger, sagte er, schicke es sich nicht, anders in ein Land zu kommen,
wo Moses und Joseph und Pharao und die andern Propheten gelebt hätten.
Jim war Presbyterianer und hatte einen sehr tiefen Respekt vor Moses,
der, wie er sagte, ebenfalls ein Presbyterianer gewesen war. Er war
ganz aus dem Häuschen und rief:

»Das is die Aegyptenland, die Aegyptenland! -- un ich dürfen sie mit
meine eigene Augen ansehn! Un da is die Fluß, das zu Blut wurden, un
ich sehen auf dieselbige Stellen ’runter, wo die Pest un die Läusen un
die Froschen un die Hauschrecken un die Hagel gewesen sein tun -- un wo
die Türpfosten gezeichnet war un die Engel des Herrn kam un schlugen
allen Erstgeburt in ganze Aegyptenland. Alte Jim is nix würdig, diesen
Tag zu sehn!«

Und dann warf er sich hin und weinte vor lauter Dankbarkeit. Da gab
es denn zwischen ihm und Tom ein langes Gespräch: Jim war aufgeregt,
weil das Land so voll von Weltgeschichte war: von Joseph und seinen
Brüdern, von Moses in den Binsen, von Jakob, der nach Aegypten kam, um
Korn zu kaufen, vom silbernen Becher im Sack und von all den anderen
interessanten Sachen. Und Tom war gerade so aufgeregt, weil das Land so
voll von Weltgeschichte war, die in _sein_ Fach schlug: von Nurreddin
und Bedreddin und ähnlichen ungeheuren Riesen, bei deren Beschreibung
Jims Wollhaar zu Berge stand, und von ’ner ganzen Menge anderer Leute
aus Tausend und einer Nacht, die nach meiner Meinung nicht die Hälfte
von all dem getan haben, was sie getan haben wollen!

Dann erlebten wir eine Enttäuschung, denn es erhob sich ein Frühnebel
und wir durften nicht über ihn hinwegsegeln, weil wir sonst gewiß auch
über ganz Aegypten weggesegelt wären. Wir hielten’s daher für das
beste, nach dem Kompaß in geradem Kurs auf die inzwischen immer mehr
im Dunst verschwindenden Pyramiden zuzuhalten, so dicht wie möglich
über dem Boden hinzufahren und scharf Ausguck zu halten. Tom nahm
das Steuer, ich stand neben ihm, um, wenn’s nötig wäre, den Anker
auszuwerfen, und Jim hockte auf dem Bug, um mit den Augen durch den
Nebel zu bohren und etwaige Gefahren rechtzeitig zu bemerken. Wir
fuhren ein stetiges Tempo, aber nicht sehr schnell, und der Nebel wurde
dicker und dicker -- so dick zuletzt, daß von Jim nur noch schwache
Umrisse zu erkennen waren. Es war beängstigend still und wir sprachen
leise und waren aufgeregt. Ab und zu rief Jim:

»Eine Strich höcher ’rauf, Massa Tom, eine Strich höcher!« und dann
ließ Tom das Schiff ein paar Fuß höher steigen, und wir fuhren scharf
über das flache Dach einer Lehmhütte weg und über die Leute, die
gerade eben aufgestanden waren und noch gähnten und sich streckten.
Einmal hatte ein Bursche sich auf seinen Hinterbeinen so recht hoch
aufgerichtet, um besser gähnen und sich strecken zu können; der bekam
von unserer Gondel einen Puff in den Rücken, daß er auf den Bauch fiel.
So verging ungefähr eine Stunde; alles war totenstill und wir spitzten
unsere Ohren und hielten den Atem an, damit uns kein Laut entginge; da,
ganz auf einmal wurde der Nebel ein bißchen dünner, und Jim schrie in
fürchterlicher Angst:

»O, um die liebe Heiland willen, steuer Sie rückwärts, Massa Tom! Hier
is die größte Riese aus die Tausendste Nacht un kommen auf uns los!«

Und damit fiel er rücklings in die Gondel hinein.

Tom stürzte sich auf einen Hebel und gab dem Schiff Gegenkraft,
und als wir infolgedessen plötzlich stillstanden -- da guckte ein
Menschengesicht so groß wie unser Haus daheim in unsere Gondel und ich
fiel um und war tot. Denn ich muß wirklich ’ne Minute lang oder so tot
gewesen sein. Schließlich kam ich wieder zu mir und da hatte Tom ’nen
Bootshaken in die Unterlippe des Riesen eingehakt und hielt damit den
Ballon fest, und dabei hatte er den Kopf hintenübergelegt und sah mit
einem langen festen Blick das fürchterliche Riesenantlitz an.

Jim lag auf den Knieen und sah mit gefalteten Händen das Ding an und
bewegte betend die Lippen, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Ich
warf bloß einen Blick auf den Riesenkopf und wollte gerade wieder in
Ohnmacht fallen, da sagte Tom:

»Es ist ja gar nicht lebendig, ihr Narren! Es ist die Sphinx.«

Nie hab’ ich Tom so klein gesehen -- er sah wahrhaftig nicht größer aus
als ’ne Fliege, aber das kam davon, daß der Riesenkopf so schrecklich
groß war. Groß und schrecklich, ja, das war er -- aber er machte einem
doch keine Angst mehr, denn man konnte wohl sehen, daß es ein edles,
beinahe trauriges Antlitz war und daß es gar nicht an uns Menschlein
dachte, sondern an was Anderes, Größeres. Es war aus Stein, rötlichem
Stein, und Nase und Ohren waren verstümmelt, so sah es aus, als ob es
mißhandelt sei, und das tat einem unwillkürlich in der Seele weh.

Wir hielten ein Stück von dem Bildwerk ab und segelten rund darum
herum und dann darüber weg, und es war einfach großartig. Es war
der Kopf eines Mannes oder vielleicht auch einer Frau, auf einem
hundertfünfundzwanzig Fuß langen Tigerleib, und zwischen seinen
Vorderpranken stand ein süßer kleiner Tempel. Viele hundert Jahre lang
-- vielleicht Tausende -- war das ganze Bildwerk mit Ausnahme des
Hauptes unter dem Sand begraben gewesen; aber gerade vor ganz kurzer
Zeit hatten sie den Sand weggeräumt und den kleinen Tempel gefunden.
Es war jedenfalls ’ne mächtige Masse Sand nötig, um so ’ne Kreatur zu
begraben -- wohl mindestens so viel wie um ein Dampfschiff zu begraben.

Wir setzten Jim oben auf dem Kopf der Sphinx ab, nachdem wir ihm, da
wir im Ausland waren, zum Schutz ’ne amerikanische Flagge gegeben
hatten. Dann segelten wir ab und besahen uns das Werk bald aus dieser,
bald aus jener Entfernung; das war, wie Tom sagte, nötig, um die
richtigen Effekte und Perspektiven und Proportionen herauszukriegen.
Und Jim tat wirklich sein Bestes, indem er die allerverschiedensten
Stellungen einnahm, die er sich nur ausdenken konnte; am besten
gefiel er uns aber, als er auf dem Kopf stand und wie ein Frosch mit
den Beinen spaddelte. Je weiter wir wegsegelten, desto kleiner wurde
Jim und desto großartiger die Sphinx, bis er zuletzt sozusagen wie
’ne Stecknadel auf einem Dome aussah. Auf diese Weise bringt die
Perspektive die richtigen Proportionen zuwege, sagte Tom; er sagte,
Cäsars Nigger hätten nicht gewußt, wie groß er war, weil sie zu nahebei
gewesen wären.

Dann segelten wir immer weiter und weiter weg, bis wir Jim überhaupt
nicht mehr sehen konnten, und da machte die große Figur den
edelsten Eindruck -- so still und feierlich und einsam blickte sie
über das Niltal herüber, und all die schäbigen kleinen Hütten und
Menschenwerklein, die rings um sie herum zerstreut waren, sie waren
völlig verschwunden und rund um sie herum nur noch eine weiche große
Decke von gelbem Sammet, nämlich der Wüstensand.

Das war die richtige Stelle, um Halt zu machen, und das taten wir auch.
Eine halbe Stunde lang hielten wir da und guckten und dachten und
keiner von uns sagte ein Wort, denn uns wurde so ruhig und feierlich zu
Mute, wenn wir daran dachten, daß die Sphinx schon seit Jahrtausenden
gerade so über das Tal hinübergeschaut und ihre majestätischen Gedanken
so ganz für sich gedacht hatte -- ihre Gedanken, von denen kein Mensch
sagen kann, was sie sind.

Zuletzt nahm ich das Fernrohr zur Hand und da sah ich mehrere kleine
schwarze Dinger auf dem Sammetteppich herumspringen und andere, die auf
den Rücken der Sphinx hinaufkletterten, und dann sah ich zwei oder drei
weiße Rauchwölkchen aufpuffen, und ich sagte Tom, er möchte auch mal
hinsehen. Er tat das und sagte:

»Das sind Käfer. Nein -- wart’ mal; sie -- wahrhaftig, ich glaube, es
sind Menschen. Ja, es sind Menschen -- Menschen und auch Pferde. Sie
legen gerade ’ne lange Leiter an den Rücken der Sphinx an -- ist das
aber komisch! Und nun versuchen sie, die Leiter hinaufzuziehen -- da
sind auch wieder Rauchwölkchen -- das sind Flinten! Huck, sie machen
Jagd auf Jim!«

Wir ließen die ganze Kraft los und segelten wie das heilige
Donnerwetter auf die Sphinx zu. Im Nu waren wir da und sausten mitten
unter die Menschen hinein, daß sie nach allen Seiten auseinanderstoben,
und ein paar von denen, die die Leiter hinaufkletterten, um Jim zu
fangen, verloren den Halt und fielen herunter. Wir sausten hinauf und
fanden Jim keuchend und beinahe besinnungslos auf dem Kopf der Sphinx
liegen. Er hatte eine lange Belagerung ausgehalten -- eine Woche,
sagte er, aber das war nicht wahr; sie war ihm nur so lang vorgekommen,
weil ihm die Leute so nahe auf den Leib gerückt waren. Sie hatten
auf ihn geschossen und der Kugelregen war um ihn herumgerasselt,
aber getroffen war er nicht; und als sie merkten, daß er nicht mehr
aufstand, und daß ihre Kugeln ihn nicht mehr treffen konnten, wenn er
auf dem Bauch lag, da holten sie die Leiter, und da wußte er, daß es
mit ihm aus wäre, wenn wir nicht _sehr_ bald kämen. Tom war höchst
entrüstet und fragte ihn, warum er denn nicht die Flagge gezeigt und im
Namen der Vereinigten Staaten ihnen befohlen hätte, Frieden zu halten?
Jim sagte, das hätte er ja getan, sie hätten sich aber gar nicht darum
gekümmert. Tom sagte, er wollte dafür sorgen, daß diese Sache in
Washington in die Hand genommen würde.

»Und ihr sollt sehen,« rief Tom, »sie werden sich wegen Insultierung
der Flagge zu entschuldigen haben und werden obendrein noch ’ne
Indemnität bezahlen müssen!«

Sagt Jim:

»Was is ein Indemmität, Massa Tom?«

»Bares Geld ist’s!«

»Un wer kriegen es, Massa Tom?«

»Na, natürlich wir!«

»Un wer kriegen die Entschuldigung?«

»Die Vereinigten Staaten. Oder wir können sie auch nehmen, wenn wir
wollen. Wenn uns die Entschuldigung besser gefällt, können wir die
nehmen, und die Regierung kriegt dann das Geld.«

»Wie viele Geld werden es sein, Massa Tom?«

»Na, in einem Fall wie dieser, wo erschwerende Umstände dabei sind,
mindestens drei Dollars pro Kopf und möglicherweise sogar noch mehr.«

»Nu, denn wolle wir die Geld nehm’, Massa Tom; zum Kuckuck mit die
Entschuldigung! Meinen Sie nix auch, Massa Tom? Un du auch, Huck?«

Wir besprachen die Sache ein bißchen und kamen zum Schluß, es wäre gar
nicht so übel, wenn wir’s so machten; also wurden wir uns einig, wir
wollten das Geld nehmen. Für mich war das ’ne ganz neue Geschichte und
ich fragte Tom, ob Staaten immer sich entschuldigen, wenn sie was
Unrechtes getan hätten, und er antwortete:

»Ja, die kleinen tun’s.«

Wir segelten nun herum und sahen uns die Pyramiden an und ließen
uns schließlich auf der abgeplatteten Spitze der größten von ihnen
nieder; und wir fanden, daß alles genau so war, wie der Mann in der
Sonntagsschule gesagt hatte. Das Ding sah aus wie vier Treppenfluchten,
die, am Boden breit, immer enger werdend schräg aufsteigen und sich
oben in einer Spitze treffen. Nur konnte man diese Treppenstufen nicht
hinaufsteigen wie irgend ’ne andere Treppe -- denn jede Stufe war so
hoch, daß sie ’nem gewöhnlichen Menschen bis ans Kinn reichte, und man
mußte sich von hinten hinaufheben lassen. Die beiden andern Pyramiden
waren nicht weit von der unsrigen entfernt, und die Leute, die zwischen
den Pyramiden sich auf dem Sand bewegten, sahen aus wie krabbelnde
Käfer, so hoch waren wir über ihnen.

Tom war gar nicht mehr zu halten vor lauter Freude und Erstaunen,
daß er an so ’nem berühmten Ort wäre, und er schwitzte sozusagen
Weltgeschichte aus jeder Pore -- wenigstens kam es mir so vor. Er
sagte, er könnte es kaum glauben, daß er genau auf demselben Platz
stände, von dem der Prinz auf dem Bronzepferde aufgeflogen wäre. Die
Geschichte stände in Tausend und einer Nacht, sagte er. Irgend einer
gab dem Prinzen ein bronzenes Pferd mit ’nem Zapfen in der Schulter;
und er konnte sich auf dies Pferd setzen und durch die Luft fliegen wie
ein Vogel und die ganze Welt bereisen, und er konnte es steuern, indem
er den Zapfen drehte, und konnte hoch und niedrig fliegen und landen,
wo er nur wollte.

Als Tom die Geschichte zu Ende erzählt hatte, da entstand ein Schweigen
-- jenes bekannte Schweigen, das sich einstellt, wenn jemand einen
Unsinn erzählt hat und wenn den Zuhörern das leid tut und sie gerne
das Gespräch auf ein anderes Thema bringen möchten, aber nicht wissen,
wie sie das anfangen sollen, und ehe sie sich richtig besonnen haben,
da ist das Schweigen schon da und macht die Stimmung unbehaglich. Ich
war verlegen, Jim war verlegen und keiner von uns konnte ein Wort
herausbringen. Tom sah mich ’ne Minute lang an und sagte dann:

»Na, heraus damit! Was denkst du?«

Ich sage:

»Tom Sawyer, _du_ glaubst die Geschichte doch selber nicht?«

»Warum sollte ich nicht? Was könnte mich daran hindern?«

»Hindern kann dich nur eins: sie kann nicht passiert sein -- weiter
nichts.«

»Und warum kann sie _nicht_ passiert sein?«

»Sag’ du mir doch, warum sie passiert sein _kann_?«

»Unser Ballon ist ein ganz guter Beweis dafür, sollt’ ich meinen.«

»Wieso?«

»Wieso? So ’nen Idioten hab’ ich nie gesehen! Sind denn nicht dieses
Luftschiff und das bronzene Pferd genau das gleiche, nur unter
verschiedenen Namen?«

»Nein, das sind sie nicht. Das eine ist ’n Luftballon und das andere
ist ’n Pferd. Das ist ein großer Unterschied. Nächstens wirst du wohl
gar sagen, ein Pferd und ’ne Kuh seien ein und dasselbe.«

»Bei Jackson! Da hat Huck ihm wieder fest! Da könn’ Sie nix um
’rumkommen, Massa Tom!«

»Halt den Mund, Jim! Du weißt nicht, was du redest! Und Huck auch
nicht. Hör’ mal zu, Huck, ich will euch beiden die Sache klar machen,
und dann werdet ihr mich verstehen. Seht mal: wenn man von zwei Dingen
sagt, sie seien sich ähnlich oder unähnlich, so kommt es dabei nicht
bloß auf ihre Form an, sondern vor allem auf ihr _Wesen_; und das Wesen
ist in beiden das gleiche. Versteht ihr mich jetzt?«

Ich bedachte mir seine Worte bei mir selber und sagte dann:

»Tom, das zieht nicht! So ’n Wesen ist ja recht schön und gut, aber
damit kommen wir nicht um die eine große Tatsache herum: wenn ein
Luftballon etwas machen kann, so ist das absolut noch kein Beweis, daß
ein Pferd dasselbe machen kann.«

»Quatsch, Huck! Du hast die ganze Geschichte noch gar nicht begriffen!
Nun hör’ mal ’ne Minute zu -- es ist alles vollkommen einfach! Fliegen
wir nicht durch die Luft?«

»Ja.«

»Schön! Fliegen wir nicht hoch oder niedrig, grad’ wie wir Lust haben?«

»Ja.«

»Steuern wir nicht, wohin wir wollen?«

»Ja.«

»Und landen wir nicht, wann und wo es uns Spaß macht?«

»Ja.«

»Wie bewegen und steuern wir unser Luftschiff?«

»Indem wir auf die Knöpfe drücken.«

»Na, _jetzt_ denke ich, wird die Geschichte dir endlich klar sein. Bei
dem Pferde geschah die Bewegung und Steuerung, indem ein Zapfen gedreht
wurde. Wir drücken auf einen Knopf, der Prinz drehte ’nen Zapfen. Du
siehst, es ist kein Atom von ’nem Unterschied vorhanden. Ich wußte
wohl, ich würde dir’s in den Schädel trichtern, wenn ich mir nur Mühe
gäbe!«

Und Tom fühlte sich so glücklich, daß er zu pfeifen begann. Aber ich
und Jim blieben still; und so brach Tom überrascht sein Pfeifen ab und
sagte:

»Höre mal, Huck Finn, siehst du’s immer noch nicht ein?«

»Tom Sawyer,« antwortete ich, »ich möchte ’ne Frage an dich richten.«

»Nur zu!« sagt er; und ich sehe, wie Jim ein ganz helles Gesicht macht
und mächtig aufhorcht.

»Wenn ich die Sache recht verstehe,« sag’ ich, »so kommt es bei dem
ganzen Ding nur auf die Knöpfe und den Zapfen an -- der Rest ist
Nebensache. Ein Knopf sieht anders aus als ein Zapfen -- aber darauf
kommt es wohl nicht an?«

»Nein, darauf kommt es ganz und gar nicht an, wenn nur beiden dieselbe
Kraft innewohnt.«

»Schön! Was ist die Kraft, die ’ner Kerze und ’nem Streichholz
innewohnt?«

»Das Feuer.«

»Diese Kraft ist also in beiden die gleiche?«

»Ja, ganz genau die gleiche in beiden.«

»Schön! Angenommen, ich zünde mit einem Streichholz ’ne
Tischlerwerkstatt an -- was wird damit passieren?«

»Sie wird aufbrennen.«

»Und angenommen, ich zünde mit ’ner Kerze diese Pyramide an -- wird
sie auch aufbrennen?«

»Natürlich nicht!«

»Schön! Nun ist aber doch beidemale das Feuer das gleiche. _Warum_
brennt denn also die Tischlerwerkstatt, und die Pyramide nicht?«

»Weil die Pyramide nicht brennen _kann_.«

»Aha! _Und ein Pferd kann nicht fliegen!!!_«

»O du meine liebe Heiland! Da haben Huck ihm _wieder_! Diesmal haben
Huck ihm richtig auf die Sand gesetzt -- Junge, Junge! Un ...«

Aber Jim mußte so furchtbar lachen, daß er beinahe erstickte und
nicht weiter sprechen konnte, und Tom fuhr beinahe aus der Haut,
als er sah, wie elegant ich ihn abgeführt hatte, indem ich seine
eigene Beweisführung gegen ihn wandte und sie in Stückchen und Fetzen
zerpflückte. Und er wußte nichts weiter zu sagen, als daß er jedesmal,
wenn er Jim oder mich disputieren hörte, sich des Menschengeschlechts
schämte. Ich sagte gar nichts mehr, aber ich war innerlich sehr mit mir
zufrieden. Wenn ich jemandem auf solche Weise heimgeleuchtet habe, so
ist es nicht meine Art ’rumzugehen und zu krähen, wie’s manche Leute
machen, denn ich glaube, wenn er an meiner Stelle wäre, so wär’s mir
auch nicht angenehm, wenn er über mich krähte. Es ist besser, man ist
edel und hochherzig -- das ist _meine_ Meinung.



Dreizehntes Kapitel.


Nach einem Weilchen ließen wir Jim im Luftschiff allein in der Nähe
der Pyramiden herumgondeln und wir selber kletterten bis zu dem Loch
hinunter, durch das man in den engen Gang kommt. Wir nahmen einige
Araber und Kerzen mit, und mitten in der Pyramide da fanden wir
ein Gemach und einen großen Steinkasten drin, worin sie den König
aufbewahrt hatten -- genau wie der Mann in der Sonntagsschule es uns
erzählte. Aber er war jetzt nicht mehr da; irgend einer hatte ihn
mitgenommen. Ich hatte aber kein rechtes Vergnügen in dieser Kammer,
denn es konnten ja natürlich Geister drin hausen -- wenn auch gerade
keine neuen, aber ich mag mit Geistern überhaupt nichts zu tun haben.

Wir gingen also wieder hinaus und mieteten uns ein paar kleine Esel und
ritten ein Stück; dann fuhren wir ein Stück in ’nem Boot auf dem Nil,
dann ritten wir wieder auf Eseln und so kamen wir nach Kairo. Und der
ganze Weg war so wunderschön glatt und eben, wie ich nur je in meinem
Leben einen Weg gesehen habe; auf beiden Seiten der Straße wuchsen
große Dattelpalmen, und überall krochen nackte Kinder herum und die
Menschen waren so rot wie Kupfer und feingebaut, kräftig und schön. Und
die Stadt war ’ne Sehenswürdigkeit. Diese engen Straßen -- es waren
wahrhaftig nur Gäßchen -- dicht gefüllt mit beturbanten Männern und
verschleierten Weibern und alles in hellen, bunten Gewändern! Und man
wunderte sich, wie die Kamele und Menschen in solchen engen Gäßchen
beieinander vorbeikommen konnten -- aber es ging. Aber zusammenpressen
mußten sie sich wie Pökelheringe und dabei machten sie alle einen
Heidenlärm. Die Läden waren nicht so groß, daß man in sie hineingehen
konnte, aber das war auch gar nicht nötig: der Verkäufer saß mit
übergeschlagenen Beinen nach Schneiderart auf seinem Ladentisch,
rauchte seine lange Pfeife mit dem Schlangenschlauch und hatte all
seine Sachen in Reichweite um sich herum.

Ab und zu sauste ein Würdenträger in einer Kutsche vorbei;
buntaufgeputzte Männer liefen laut rufend vor dem Wagen her und
schlugen jeden, der nicht schnell auswich, mit einem langen Stecken.
Nach einer Weile kam sogar der Sultan zu Pferde an der Spitze einer
Prozession geritten und uns blieb beinahe der Atem stocken, als wir
seine glänzenden Kleider sahen. Jeder warf sich platt auf die Erde
nieder und blieb auf dem Bauch liegen, bis er vorüber war. Ich vergaß
es, mich hinzuwerfen, aber da war einer, der mir daran zu denken half.
Es war einer von denen, die mit ’nem langen Stecken vorausliefen.

Kirchen waren auch da, aber die Leute da sind noch zu dumm, um den
Sonntag zu heiligen; sie heiligen den Freitag und schänden den Sabbath.
Wenn man hineingeht, muß man die Schuhe abziehen. Ganze Haufen von
Männern und Knaben waren in der Kirche, hockten in Gruppen auf dem
Fußboden und machten einen endlosen Spektakel -- Tom sagte, sie
lernten was aus dem Koran auswendig, den sie für ’ne Bibel halten.
Ich hatte in meinem Leben nicht so ’ne große Kirche gesehen; sie
war ganz fürchterlich hoch, so daß einem schwindlig wurde, wenn man
hinaufschaute; unsere Stadtkirche zu Hause ist gar nichts dagegen; man
könnte sie in diese hineinstellen und die Leute würden denken, sie sei
’ne Putzwarenschachtel.

Was ich am meisten zu sehen wünschte, das war ein Derwisch, denn
für Derwische interessierte ich mich wegen ihres Kollegen, der dem
Kameltreiber den bösen Streich gespielt hatte. Wir fanden denn auch
einen ganzen Haufen von ihnen in ’ner Kirche, und sie nannten sich
Tanz-Derwische. Und tanzen taten sie, das muß ich sagen. So was hatte
ich in meinem Leben nicht gesehen! Sie hatten zuckerhutförmige Mützen
auf und leinene Unterröcke an, und sie wirbelten und wirbelten und
wirbelten herum wie Kreisel und die Röcke standen ganz schräg von ihnen
ab; es war riesig nett anzusehen, und ich wurde vom Hingucken wie
betrunken. Sie waren alle Moslim, wie Tom mir erzählte, und als ich
ihn fragte, was ein Moslim sei, da sagte er, das wäre einer, der nicht
Presbyterianer wäre. Dann gibt’s also in Missouri sehr viele Moslim,
obwohl ich davon bisher nichts wußte.

Wir sahen uns nicht die Hälfte von den Sehenswürdigkeiten von Kairo
an, weil Tom so wild darauf versessen war, Oertlichkeiten aufzusuchen,
die in der Weltgeschichte berühmt geworden sind. Wir hatten eine
abscheuliche Mühe, den Speicher aufzufinden, worin Joseph vor der
Hungersnot das Korn aufgespeichert hatte, und als wir ihn endlich
fanden, war eigentlich gar nichts daran zu sehen, denn es war bloß ein
altes, verfallenes Gerümpel. Aber Tom war sehr befriedigt und machte
mehr Redensarten darüber, als ich Worte sagen würde, wenn ich mir
’nen Nagel in den Fuß getreten hätte. Wie er die Scheuer überhaupt
herausfand, das ging über meinen Horizont; denn wir waren bei mehr als
vierzig ganz gleichen schon vorbeigekommen und ich wäre mit jeder von
diesen Scheunen zufrieden gewesen, aber er mußte natürlich durchaus
die echte haben -- anders tat er’s nicht. Ich habe nie einen Menschen
gesehen, der in dieser Beziehung so heikel war wie Tom Sawyer. Sowie
er die richtige sah, erkannte er sie sofort, so leicht wie ich mein
anderes Hemd erkennen würde (wenn ich eins hätte), aber wie er das
machte, das vermochte er mir so wenig zu erklären, wie er fliegen
konnte. So sagte er selber.

Als wir zurück kamen, landete Jim, und wir stiegen ein. Bei dieser
Gelegenheit lernten wir einen jungen Mann kennen mit ’nem roten
betroddelten Fez und einer schönen seidenen Jacke und Sackhosen, mit
’nem Tuch um den Bauch und mit Pistolen in diesem Tuch. Er konnte
englisch sprechen und bat uns, wir möchten ihn als Führer annehmen;
er wollte uns nach Mekka und Medina und Zentralafrika und überallhin
bringen und verlangte nur einen halben Dollar täglich nebst freier
Verköstigung. Wir nahmen ihn an und fuhren mit voller Schnelligkeit
los, und als wir mit unserem Mittagessen fertig waren, da schwebten wir
gerade über der Stelle, wo die Israeliten durch das Rote Meer gezogen
waren und wo Pharao sie eingeholt hatte und von den Gewässern ereilt
wurde. Da machten wir denn natürlich Halt und guckten uns die Stelle
ganz in aller Ruhe an, und Jim hatte seine Freude dran, sie zu sehen.

Hierauf fuhren wir weiter, so schnell wir konnten, und segelten um den
Berg Sinai herum und sahen die Stellen, wo Moses die steinernen Tafeln
zerbrach, und wo die Kinder Israels in der Ebene lagerten und das
goldene Kalb anbeteten, und es war alles ungeheuer interessant und der
Führer kannte jedes Plätzchen so genau, wie ich bei uns zu Hause im Ort
Bescheid weiß.

Aber jetzt hatten wir einen Unfall, und der hemmte alle unsere Pläne.
Toms alte ordinäre Maiskolbenpfeife war so alt und aufgeschwollen und
krumm geworden, daß sie trotz allen Schnüren und Bindfäden, die er
herumwickelte, nicht mehr zusammenhalten wollte, sondern in Stücke
zerfiel. Tom wußte nun gar nicht, was er jetzt anfangen sollte. Des
Professors Pfeife konnte ihm nichts nützen, denn die war bloß von
Meerschaum; und jeder, der sich mal an Maiskolbenpfeifen gewöhnt hat,
der weiß, daß sie himmelhoch über allen anderen Pfeifen der Welt
stehen, und so einer läßt sich nicht dazu kriegen, ’ne andere Pfeife
zu rauchen. Meine wollte Tom nicht nehmen, so sehr ich ihn auch zu
überreden versuchte. So saß er denn da in der Patsche.

Er überlegte den Fall und sagte, wir müßten ’ne Rundfahrt machen und
versuchen, ob wir nicht in Aegypten oder Arabien oder daherum eine
auftreiben könnten, aber der Führer sagte, das hätte keinen Zweck,
denn solche Pfeifen hätte man da nicht. Tom saß eine Weile recht
verdrießlich da, plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf und er
sagte, er hätte ’ne Idee und wüßte jetzt, wie die Sache gemacht werden
müßte. Nämlich:

»Ich habe noch ’ne andere Maiskolbenpfeife, sogar ’ne ganz
ausgezeichnete und beinahe neue. Sie liegt auf dem Wandbrettchen gerade
über dem Küchenherd bei uns zu Hause. Jim -- du und der Führer, ihr
fahrt hin und holt sie, und ich und Huck kampieren hier auf dem Berge
Sinai, bis ihr wieder hier seid.«

»Aber, Massa Tom, wir könnte nix finden die Städtchen. Ich könnten
wohl die Pfeife finden, weil ich die Küche kennen tun, aber o du liebe
Heiland: wir können niemals nix unser Stadt oder Sent Luis oder die
andere Orte finden! Wir tun ja nix die Wegen kennen, Massa Tom!«

Das war ’ne unbestreitbare Tatsache, und Tom wußte ’ne Minute lang
nichts zu erwidern. Dann sagte er aber:

»Hör’ mal zu: die Sache läßt sich trotz alledem machen, und ich will
dir sagen, wie. Du nimmst die Richtung mit dem Kompaß und segelst
gerade wie ein Pfeil immer westlich, bis du die Vereinigten Staaten
findest. Ein Versehen ist dabei nicht möglich, denn es ist das erste
Land, das du auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans antriffst.
Wenn du bei Tage ankommst, so fährst du gleich weiter, direkt
westlich vom oberen Teil der Küste von Florida und in eindreiviertel
Stunden stößt du auf die Mündung des Mississippi -- wenn du mit der
Geschwindigkeit fährst, die ich dir vorschreiben werde. Du wirst so
hoch oben in der Luft sein, daß dir die Erde sehr gekrümmt vorkommen
wird -- ungefähr wie ’ne umgestülpte Waschschüssel -- und du siehst
da unten ’ne Menge Flüsse durcheinander krabbeln, lange schon, ehe
du in die tieferen Luftschichten herunter kommst; den Mississippi
wirst du ohne jede Schwierigkeit dazwischen herausfinden, denn er ist
bei weitem der größte von ihnen. Dann folgst du in beinahe nördlicher
Richtung dem Lauf des Flusses, eindreiviertel Stunden lang, bis du den
Ohio einmünden siehst; nun mußt du anfangen scharf aufzupassen, weil
du jetzt schon in die Nähe kommst. Zu deiner Linken aufwärts siehst
du einen anderen Strom einmünden, das ist der Missouri, ein bißchen
oberhalb der Stadt St. Louis. Du steigst dann noch tiefer herab,
damit du während der Fahrt die kleinen Städte dir ansehen kannst.
In den nächsten Viertelstunden wirst du ungefähr bei fünfundzwanzig
vorbeikommen, und du wirst unser Städtchen erkennen, sobald du’s siehst
-- und wenn du’s nicht erkennst, so brauchst du bloß ’runterzurufen und
zu fragen.«

»Is das so leicht, Massa Tom, so denken ich, wir können es machen --
jawoll, ich wissen, wir können.«

Der Führer war ebenfalls davon überzeugt und meinte, er würde es in
einer ganz kleinen Weile lernen, seine Wache zu halten.

»Jim kann Euch die Geschichte in ’ner halben Stunde beibringen,« sagte
Tom. »Der Luftballon ist so leicht zu handhaben wie ein Kanoe.«

Dann holte Tom die Karte hervor, zeichnete den Kurs hin und maß den Weg
aus und sagte:

»Der westliche Weg ist der kürzeste, wie ihr seht. Es sind bloß
etwa siebentausend Meilen. Wenn ihr östlich fahrt, so ist’s mehr
als doppelt so weit.« Dann wandte er sich an den Führer und fuhr
fort: »Ich wünschte, daß ihr alle beide während eurer Wache auf den
Geschwindigkeitsanzeiger acht gebt, und wenn er nicht dreihundert
Meilen in der Stunde angibt, so steigt ihr höher oder tiefer, bis ihr
eine Orkanströmung findet, die in eurer Richtung weht. Der alte Kasten
hier macht seine hundert Meilen in der Stunde, ohne daß man überhaupt
den Wind zu Hilfe zu nehmen braucht. Zweihundert-Meilen-Stürme findet
ihr, so oft ihr einen haben wollt. Manchmal werdet ihr ein paar Meilen
hoch steigen müssen, und da oben wird es verflixt kalt sein; meistens
aber werdet ihr euren Sturm ein gutes Stück tiefer finden. Wenn ihr
nur ’nem Zyklon begegnen könntet -- das wär’ für euch ein gefundenes
Fressen. Ihr werdet aus des Professors Büchern sehen, daß sie in diesen
Breiten westlich ziehen, und noch dazu in geringer Höhe.«

Hierauf rechnete Tom ein Weilchen und fuhr dann fort:

»Siebentausend Meilen -- dreihundert Meilen in der Stunde -- ihr könnt
die Spazierfahrt in einem Tag, also vierundzwanzig Stunden, machen.
Heute haben wir Donnerstag; ihr werdet also Samstag nachmittag wieder
hier sein. So, nun packt mir ein paar Decken, Lebensmittel, Bücher und
dergleichen für mich und Huck aus, und dann könnt ihr gleich abfahren.
Von Rumtrödeln mag ich nichts wissen -- ich muß meine Pfeife haben, und
je schneller ihr sie mir bringt, desto besser.«

Alle Mann halfen beim Auspacken; binnen acht Minuten lagen unsere
Sachen draußen und der Ballon war segelfertig für Amerika. Wir
schüttelten uns also zum Abschied die Hände und Tom gab seine letzten
Befehle:

»Jetzt ist es zehn Minuten vor zwei, Sinaizeit. In vierundzwanzig
Stunden seid ihr zu Hause, das ist sechs Uhr früh nach dortiger
Zeit. Ihr landet ein bißchen seitwärts vom Ort auf dem Gipfel des
Hügels, im Walde, so daß man euch nicht sieht. Dann springst du in
die Stadt, Jim, und steckst beim Posthaus diese Briefe in den Kasten,
und wenn schon jemand auf den Beinen sein sollte, ziehst du dir
den Schlapphut ins Gesicht; so wird man dich nicht erkennen. Dann
schlüpfst du von hinten in unsere Küche hinein und nimmst die Pfeife
und legst diesen Zettel auf den Küchentisch; leg’ irgend ’was drauf,
damit er nicht ’runterfliegt. Dann schleiche dich hinaus und mach’
dich dünne und lass’ ja nicht Tante Polly oder sonst jemand dich zu
Gesicht kriegen. Lauf so schnell du kannst nach dem Ballon und sause
mit Dreihundertmeilen-Geschwindigkeit nach dem Berg Sinai zurück. Du
wirst dich nicht länger als ’ne Stunde aufzuhalten haben. Um sieben
oder acht, heimatliche Ortszeit, wirst du wieder abfahren und bist
in vierundzwanzig Stunden zurück, kommst also um zwei oder drei Uhr
nachmittags, Sinaizeit, hier an.«

Den Zettel las Tom uns vor. Er hatte darauf geschrieben:

    »_Donnerstag nachmittag._ Tom Sawyer, der Erronauter, sendet
    seiner Tante Polly herzliche Grüße vom Berge Sinai, wo die
    Arche war;[5] desgleichen Huck Finn; und sie wird den Zettel
    morgen früh um halb sieben kriegen.

            Tom Sawyer, Erronauter.«

    [5] Dieser Irrtum in Betreff der Arche ist wahrscheinlich nicht
        Tom, sondern Huck auf Rechnung zu setzen.

            M. T.

»Da wird sie die Augen aufreißen und die Tränen werden ihr
’rausschießen,« sagte Tom. Und dann:

»Achtung! Eins -- zwei -- drei -- los!!«

Und los segelte der Ballon! Wahrhaftig, in einer Sekunde war er aus
unserem Gesichtskreis ’rausgewirbelt.

Dann fanden wir eine sehr bequeme Höhle mit ’ner prachtvollen Aussicht
über die ganze weite Ebene; und da biwakierten wir und warteten auf die
Pfeife.

Der Ballon kam pünktlich und heil zurück und brachte die Pfeife. Aber
Tante Polly hatte Jim abgefaßt, als er sie aus der Küche holte, und nun
kann sich wohl jeder denken, wie es weiter kam: Tom sollte nach Hause
zurück. So sagte denn Jim:

»Massa Tom, Tante Polly stehen vor die Haustür un haben ihr Aug oben an
die Himmel, un sie sag’, sie rühren sich nix von den Fleck, bis Massa
Tom wieder da sein. Das geben eine nasse Jahr, Massa Tom, warraftig!«

So schoben wir denn ab nach Hause, und nicht gerade mit sehr lustigen
Gefühlen.



Tom, der kleine Detektiv.

Von Huck Finn erzählt.

[Illustration]



Erstes Kapitel.


Ein Jahr war herum, seitdem Tom Sawyer und ich unsern alten Neger Jim
befreit hatten, der auf der Farm von Toms Onkel Silas in Arkansas
als fortgelaufener Sklave in Ketten gelegt worden war. Nun wurde es
Frühling; der gefrorene Boden taute auf und mildere Lüfte wehten.
Immer näher winkte die Zeit, wo man wieder barfuß gehen konnte; dann
kam das Murmelspiel an die Reihe, später Kreisel und Reifen oder man
ließ den Drachen steigen, und wenn es endlich Sommer geworden war
ging’s zum schwimmen. Doch das lag unabsehbar fern, und der Gedanke,
wie lange es noch dauern muß, bis der Sommer kommt, macht unsereinen
ganz schwermütig. Dann schleicht so ein armer Junge trübselig umher;
er seufzt und stöhnt und weiß nicht was ihm fehlt. Er sucht sich ein
einsames Fleckchen hoch oben am Berghang, wo er weit hinausschauen
kann, wie der große Mississippi sich um eine Landzunge nach der andern
windet, bis er mit der dämmerigen Ferne verschwimmt. Alles ist so still
und feierlich wie beim Begräbnis, und man wünscht, man wäre selber tot
und begraben, damit das Erdenleid ein Ende hätte.

Wißt ihr, wie die Krankheit heißt? Man nennt sie Frühlingsfieber. Und
wenn sie einen befällt, hat man immerzu Herzweh, man weiß nicht wonach.
Man möchte weit weg von dem ewigen Einerlei der alltäglichen Dinge,
die einem zum Ueberdruß sind. Etwas Neues sehen und als Wanderer in
fremde Länder ziehen, wo alles wunderschön, geheimnisvoll und noch nie
dagewesen ist -- ja, danach sehnt man sich. Doch nimmt man allenfalls
auch mit einer kleineren Wanderschaft fürlieb und ist froh, wenn man
überhaupt fort kann.

Also, wir beide litten stark am Frühlingsfieber, Tom Sawyer und ich.
Aber es war gar keine Aussicht vorhanden, daß Tom etwa die Schule
versäumen und über Land gehen durfte; seine Tante Polly hielt das
für Zeitverschwendung und hätte es nie zugegeben. Recht mutlos und
niedergeschlagen saßen wir eines Tages gegen Sonnenuntergang draußen
auf den Steinstufen und bliesen Trübsal; da kam Tante Polly mit einem
Brief in der Hand gegangen.

»Tom,« sagte sie, »du wirst wohl dein Bündel schnüren müssen, um dich
nach Arkansas auf den Weg zu machen -- Tante Sally verlangt nach dir.«

Ich hätte vor Freude aus der Haut springen mögen und glaubte nicht
anders, als daß Tom seiner Tante um den Hals fallen und sie halbtot
herzen würde; aber er saß stockstill da und that keinen Mucks. Warum er
nur solch ein Narr war, die herrliche Gelegenheit, die sich ihm bot,
nicht beim Schopf zu fassen? Sie konnte ihm leicht entgehen, wenn er
jetzt nicht bald den Mund aufthat und sagte, wie froh und dankbar er
wäre. Ich war ganz außer mir und dem Weinen nahe, als er immer weiter
lernte und lernte und zuletzt ganz gelassen sagte:

»Es thut mir sehr leid, Tante, aber davon kann wirklich jetzt keine
Rede sein!« -- Da hätt’ ich ihn totschießen können.

Tante Polly war wie vor den Kopf geschlagen und so voll Zorn über die
freche Antwort, daß sie eine ganze Minute lang sprachlos dastand und
mir Zeit ließ, Tom einen Puff zu geben und ihm zuzuflüstern:

»Bist du denn übergeschnappt? Wie kannst du ein solches Glück wegwerfen
und mit Füßen treten?«

Aber das machte ihm keinen Eindruck. »Schweig still, Huck Finn,«
brummte er, »soll sie’s etwa merken, daß ich für mein Leben gern hin
möchte? Gleich würden ihr tausend Zweifel kommen -- lauter eingebildete
Krankheiten, Gefahren und Hindernisse. Im Handumkehren hätte sie die
Erlaubnis zurückgenommen. Laß mich nur machen, ich weiß schon, wie man
sie behandeln muß.«

Na, so was wäre mir nie eingefallen; aber Tom hatte recht, wie immer.
Ein Schlaukopf erster Sorte und nie unbesonnen -- der läßt sich nicht
verblüffen. Jetzt hatte Tante Polly sich vom Schreck erholt, und nun
ging’s los:

»So -- davon kann nicht die Rede sein? Hat man je so was gehört! Und
das sagst du mir ins Gesicht? -- Auf der Stelle gehst du hinauf und
packst deine Siebensachen. Kein Wort mehr, das bitt’ ich mir aus --
sonst setzt’s Hiebe.«

Sie gab ihm noch eine Kopfnuß mit dem Fingerhut als wir uns duckten
und rasch an ihr vorbeiliefen. Tom fing an zu flennen und wir sprangen
die Treppe hinauf. Oben in seinem Zimmer fiel er mir um den Hals und
war wie wahnsinnig vor Freude, weil’s nun auf die Reise ging.

»Sie wird’s bald bereuen, daß sie mich fortgelassen hat,« sagte er.
»Aber nun weiß sie keinen Ausweg und kann’s nicht wieder rückgängig
machen, dazu ist sie viel zu stolz.«

In zehn Minuten war Tom mit packen fertig, bis auf das, was seine Tante
und Mary an Sachen dazu thun würden; dann wartete er noch zehn Minuten,
damit sich ihr Zorn abkühlen und sie wieder sanft und freundlich werden
sollte. »Wenn sie nur halb aus dem Häuschen ist,« sagte er, »braucht
sie zehn Minuten sich zu erholen; habe ich sie aber ganz wild gemacht,
dann dauert es zwanzig Minuten, und das ist jetzt so ein Fall.« Nun
gingen wir rasch hinunter, weil wir vor Neugierde brannten zu hören,
was Tante Sally eigentlich geschrieben hatte.

Der Brief lag auf Tante Pollys Schoß und sie saß ganz in Gedanken
versunken da. Als wir Platz genommen hatten, sagte sie:

»Unsere Leute dort unten sind in großer Trübsal; sie hoffen, ihr werdet
sie zerstreuen, du und Huck Finn, und ein rechter Trost für sie sein.
Na, ihr beide seid mir ein paar nette Tröster! -- Die Sache ist nämlich
so: Ein Nachbar von ihnen, Brace Dunlap, hat vor drei Monaten um die
Hand ihrer Benny angehalten. Sie haben lange mit der Antwort gezögert
und ihm endlich geradeheraus erklärt, daß aus der Heirat nichts werden
könnte. Das hat er ihnen sehr übel genommen, und nun machen sie sich
Kummer darüber. Mir scheint, sie wollen’s nicht ganz mit dem Nachbar
verderben, denn um ihn zu versöhnen haben sie seinen nichtsnutzigen
Bruder als Gehilfen auf der Farm in Dienst genommen, obgleich ihre
Mittel das kaum erlauben und der Mensch ihnen so wie so nur im Wege
ist. Wer sind denn diese Dunlaps?«

»Sie wohnen etwa eine Meile von Onkel Silas’ Besitzung, Tante -- alle
Farmen dort in der Gegend sind gleich weit von einander entfernt. Brace
Dunlap ist viel reicher als die andern Nachbarn und hat einen ganzen
Haufen Neger. Er ist ein kinderloser Witwer, sechsunddreißig Jahre alt,
dabei sehr stolz und hochfahrend, so daß alle Welt vor ihm zu Kreuze
kriecht. Vermutlich hat er gedacht, er brauchte nur bei irgend einem
Mädchen anzuklopfen, das er zur Frau wollte; es wird ihn nicht wenig
gewundert haben, daß er Benny nicht bekommen kann. Sie ist nur halb
so alt wie er und das süßeste, reizendste -- -- na, du kennst Benny
ja selbst. Mir thut nur der arme alte Onkel Silas leid, der sich aufs
äußerste einschränken muß und einen Thunichtgut wie den Jupiter Dunlap
in Dienst nimmt, bloß um seinem hochnasigen Bruder einen Gefallen zu
thun.«

»Ist das ein Name -- Jupiter! Wo hat er den her?«

»Es ist nur ein Spitzname; wie er eigentlich heißt, weiß wohl kein
Mensch mehr. Man nennt ihn schon siebenundzwanzig Jahre lang so,
seit er zum erstenmal baden ging. Da sieht der Schulmeister, daß er
am linken Bein über dem Knie ein rundes braunes Mal hat, so groß wie
ein Zehnpfennigstück und vier kleinere Mäler drum herum und sagt, es
erinnere ihn an Jupiter und seine Monde. Den Kindern kam das komisch
vor, sie fingen an ihn Jupiter zu nennen, und der Name ist ihm
geblieben bis auf den heutigen Tag. Er ist groß und faul, verschmitzt,
hinterhältig und feige, dabei aber doch wieder gutmütig. Keinen roten
Heller nennt er sein eigen; Brace giebt ihm das Gnadenbrot und seine
abgelegten Kleider, auch seine Verachtung obendrein. Jupiter trägt
langes Haar, aber keinen Bart; er ist ein Zwilling.«

»So? Wie sieht denn der andere Zwillingsbruder aus?«

»Man sagt, er gleicht Jupiter auf ein Haar; wenigstens früher -- jetzt
hat man ihn seit sieben Jahren nicht gesehen. Als er neunzehn oder
zwanzig Jahre alt war, wurde er bei einem Einbruchsdiebstahl ertappt
und ins Gefängnis gesteckt. Aber er entkam nach dem Norden und beging
bald hier bald dort Raub oder Diebstahl; doch das ist lange her. Jetzt
ist er tot; das heißt, die Leute behaupten es -- man hört eben nichts
mehr von ihm.«

»Wie hieß denn der?«

»Jack.«

Es entstand eine Pause; die alte Dame war offenbar mit ihren Gedanken
beschäftigt. Endlich sagte sie:

»Am meisten macht sich Tante Sally Sorge darüber, daß der Onkel immer
in so furchtbaren Zorn gerät über diesen Jupiter.«

»Was,« rief Tom verwundert, »Onkel Silas? Das ist wohl nur ein Scherz
-- der kann ja gar nicht zornig werden!«

»Die Tante schreibt, er wird oft so wütend, daß sie immer fürchtet, er
könnte sich thätlich an dem Mann vergreifen.«

»Da hört aber alles auf! -- Onkel ist ja so sanft wie ein Lamm.«

»Er soll wie ausgewechselt sein durch das ewige Zanken und Streiten.
Die Nachbarn reden schon darüber und schieben alle Schuld auf den
Onkel, weil er ein Prediger ist und Frieden halten müßte. Tante Sally
sagt, er schämt sich ordentlich, auf die Kanzel zu steigen; auch hat
die Gemeinde das Vertrauen zu ihm verloren und er ist gar nicht mehr so
beliebt wie früher.«

»Wie sonderbar! Onkel war doch immer so sanft und freundlich, so
zerstreut, so träumerisch, so voller Einfalt und Herzensgüte, kurz ein
wahrer Engel. Wie kann das nur zugegangen sein?«



Zweites Kapitel.


Wir hatten riesiges Glück. Auf einem Raddampfer, der vom Norden gerade
nach der Sumpfgegend von Louisiana steuerte, kamen wir den ganzen
Mississippi bis zur Farm in Arkansas hinunter und brauchten nicht
einmal in St. Louis das Boot zu wechseln. Eine Fahrt von fast tausend
Meilen in einem Zug.

Man fühlte sich recht einsam auf dem Dampfer, denn die wenigen
Passagiere waren alte Männer, die weit von einander auf Deck saßen
und schliefen oder sich still verhielten. Vier Tage dauerte die Fahrt
auf dem Oberen Mississippi, weil wir so oft auf den Grund gerieten,
aber langweilig fanden wir Jungen es gar nicht -- wie kann man sich
langweilen, wenn man auf Reisen ist! --

Gleich nach der Abfahrt hatten Tom und ich herausgebracht, daß in der
Kajüte neben unserer jemand krank liegen müsse, weil das Essen immer
hineingetragen wurde. Wir erkundigten uns danach, und der Kellner
sagte, der Mann da drinnen sähe gar nicht krank aus.

»Aber, er muß doch krank sein.«

»Wohl möglich -- ich weiß nicht -- mir scheint, er stellt sich nur an.«

»Woher glaubt Ihr das?«

»Na, wenn er krank wäre, würde er sich doch mal ausziehen, aber das
thut er nicht. Wenigstens seine Stiefel behält er immer an.«

»Ist das möglich? Auch wenn er zu Bett geht?«

»Auch dann.«

Ein Geheimnis! Das war Wasser auf Toms Mühle.

»Wie heißt denn der Mann?«

»Phillips; in Alexandria ist er an Bord gekommen.«

»Und hat er noch andere Eigenheiten?«

»Nein -- nur schrecklich ängstlich ist er. Tag und Nacht hält er seine
Thür verschlossen, und wenn man klopft macht er nur ein Ritzchen auf
und guckt erst wer da ist.«

»Wahrhaftig, den möchte ich gern zu sehen bekommen. Sagt mal -- könntet
Ihr nicht die Thür weit aufmachen, wenn Ihr wieder hineingeht, so
daß -- --«

»Bewahre. Das würde auch wenig nützen. Er stellt sich immer hinter die
Thür.«

Tom dachte eine Weile nach.

»Wißt Ihr was? Gebt mir Eure Schürze und laßt mich morgen das Frühstück
hineintragen. Ihr bekommt auch einen Vierteldollar.«

Der Kellner war es zufrieden, wenn der Oberkellner nichts dagegen hätte.

»Mit dem will ich’s schon abmachen,« sagte Tom. Und richtig, am
nächsten Morgen hatten wir jeder eine Schürze um und trugen die Speisen
hinein.

Tom hatte die ganze Nacht wach gelegen und sich den Kopf zerbrochen
über Phillips und sein Geheimnis. Das war verlorene Mühe nach meiner
Ansicht; viel besser, wir kamen selbst dahinter wie die Sachen wirklich
standen, statt uns erst allerlei Falsches auszudenken. »Ich kann’s ja
abwarten,« dachte ich und ließ mich im Schlaf nicht stören.

Als Tom morgens an die Thür klopfte, guckte der Mann durch die Spalte,
ließ uns herein und schloß rasch hinter uns zu. Aber, Donnerwetter --
als wir ihn ansahen, hätten wir vor Schreck fast die Kaffeebretter
fallen lassen.

»Du meine Güte -- Jupiter Dunlap -- wo kommt Ihr denn her?« rief Tom.

Natürlich war der Mann überrascht und zuerst sah er aus als ob er
nicht wüßte, sollte er sich fürchten oder freuen. Er war ganz bleich
geworden, doch bald bekam er wieder Farbe im Gesicht und fing an mit
uns zu plaudern, während er sein Frühstück aß.

Nach einer Weile sagte er: »Ich bin gar nicht Jupiter Dunlap; doch
heiß’ ich auch nicht Phillips. Wenn ihr schwören wollt reinen Mund zu
halten, will ich euch offenbaren wer ich bin.«

»Wir verraten nichts,« rief Tom; »aber wenn Ihr nicht Jupiter Dunlap
seid, braucht Ihr mir Euern Namen nicht erst zu sagen.«

»Wieso?«

»Weil Ihr ihm gleicht wie ein Ei dem andern. Ihr seid sein
Zwillingsbruder Jack.«

»Da kannst du recht haben. Aber, sag’ mal, Junge, woher kennst du uns
denn alle beide?«

Nun erzählte ihm Tom, was wir im vergangenen Sommer für Abenteuer auf
Onkel Silas’ Farm erlebt hatten. Als er hörte, daß wir alle seine
Familienverhältnisse und seine eigene Lebensgeschichte kannten, wurde
er ganz offenherzig und mitteilsam. Er sagte, er wäre von jeher ein
Thunichtgut gewesen, auch jetzt sei er ein schlechter Kerl und
würde wohl sein Lebtag ein Taugenichts bleiben. Freilich sei es ein
gefährliches Ding und -- --

Er brach plötzlich ab und hielt die Hand ans Ohr um zu lauschen. Wir
sprachen kein Wort; ein paar Sekunden blieb alles mäuschenstill. Man
hörte nichts als das Knarren des Holzwerks und das Bumbum der Maschine
im Schiffsraum.

Um ihn zu beruhigen fingen wir an, ihm allerlei von seiner Familie zu
berichten: daß Brace seine Frau vor drei Jahren verloren hätte und als
er Benny heiraten wollte von ihr einen Korb bekommen habe, daß Jupiter
bei Onkel Silas in Arbeit stehe, der immer in Streit mit ihm sei, und
dergleichen mehr. Auf einmal lachte er laut auf.

»Jungens,« rief er, »euer Geplapper versetzt mich ganz in alte Zeiten
zurück; mir wird ordentlich wohl dabei. Seit länger als sieben Jahren
hab’ ich so was nicht mit angehört. Was spricht man denn aber von mir
in der Nachbarschaft?«

»Von Euch spricht man schon lange nicht mehr; höchstens alle Jubeljahr
wird Euer Name einmal erwähnt.«

»Ist’s möglich! Und wie kommt denn das?«

»Weil man Euch für längst gestorben hält.«

»Wirklich? Sprichst du auch die Wahrheit?« Er war in großer Erregung
aufgesprungen.

»Mein Wort zum Pfande. Kein Mensch glaubt, daß Ihr noch am Leben seid.«

»Hurra, dann bin ich gerettet! Ich kann mich nach Hause wagen. Gewiß
werden mir meine Verwandten beistehen und mich verbergen. Nicht wahr,
ihr haltet reinen Mund! Schwört mir’s noch einmal. Schwört, daß ihr
mich nun und nimmermehr verraten werdet. Jungens, habt Erbarmen mit mir
armem Teufel, der Tag und Nacht keine Ruhe findet und sich nirgends
sehen lassen darf. Ich hab’ euch nie etwas zuleide gethan und meine
es nur gut mit euch, so wahr Gott im Himmel ist. Schwört, daß ihr
schweigen wollt, und rettet mir das Leben.«

Natürlich thaten wir ihm den Willen und leisteten den Schwur. Er dankte
uns von ganzem Herzen, der arme Kerl, ich glaube, er hätte uns am
liebsten umarmt und geküßt.

Wir plauderten noch lange zusammen; dann holte er einen kleinen
Reisesack herbei, öffnete ihn und bat, wir möchten nicht hinsehen. Wir
drehten ihm den Rücken, und als wir uns wieder umwenden durften, war
er ganz und gar verändert. Er hatte eine blaue Brille auf und einen
langen braunen Knebel- und Schnauzbart, der ihm sehr natürlich zu
Gesicht stand. Seine eigene Mutter hätte ihn nicht wiedererkannt. »Sehe
ich jetzt noch meinem Bruder Jupiter ähnlich?« fragte er.

»Nein,« sagte Tom, »nichts erinnert mehr an ihn, außer Euer langes
Haar.«

»Das lasse ich mir kurz scheren, ehe ich nach Hause komme. Er und Brace
werden mein Geheimnis bewahren und ich kann als Fremder bei ihnen
wohnen, ohne daß die Nachbarn Argwohn schöpfen. Wie gefällt euch mein
Plan?«

Tom dachte eine Weile nach, dann sagte er:

»Huck und ich, wir werden natürlich kein Wort verraten, aber wenn Ihr
nicht selber schweigt, so lauft Ihr doch Gefahr, erkannt zu werden.
Es würde den Leuten auffallen, daß Eure Stimme genau so klingt,
wie die von Jupiter, und dann erinnern sie sich vielleicht an den
Zwillingsbruder, den sie für tot gehalten haben und der sich die ganze
Zeit unter einem falschen Namen verborgen haben kann.«

»Alle Wetter, bist du klug!« rief er; »aber recht hast du. Ich muß mich
taubstumm stellen, sobald ein Nachbar in meine Nähe kommt. Es hätte
eine schöne Geschichte gegeben, wäre mir das nicht eingefallen. Aber
ich wollte ja eigentlich gar nicht nach Hause, sondern nur an irgend
einen Ort, wo ich vor den Burschen sicher bin, die mich verfolgen.
Dann dachte ich den Bart und die Brille anzulegen, auch andere Kleider
und -- --«

Mit einmal lief er nach der Thür, hielt das Ohr daran und horchte. Er
war bleich geworden und sein Atem flog.

»Es klang ganz als würde der Hahn einer Flinte gespannt,« flüsterte er.
»Herr des Himmels, ist das ein erbärmliches Leben!« Matt und kraftlos
sank er auf einen Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn.



Drittes Kapitel.


Von da ab waren wir fast immer bei ihm; meist schlief einer von uns in
seiner obern Koje. Er hatte sich so schrecklich einsam gefühlt und es
war ihm ein Trost in seiner Not, jemand um sich zu haben, mit dem er
reden konnte. Wir brannten natürlich vor Neugier, hinter das Geheimnis
zu kommen; aber Tom sagte, wir sollten uns ja nichts merken lassen,
dann würde er einmal ganz von selbst anfangen davon zu sprechen.
Wollten wir ihn ausfragen, so würde er gleich Argwohn schöpfen und
verschwiegen sein wie eine Auster. Es traf auch genau so ein. Daß er
uns alles gern erzählt hätte, merkte man ihm leicht an, aber jedesmal
wenn wir dachten: jetzt kommt’s! überfiel ihn die Angst und er lenkte
das Gespräch auf etwas anderes. Wir erfuhren’s aber doch noch, und
das ging so zu: Er hatte angefangen, uns in scheinbar gleichgültigem
Ton nach den Passagieren im Zwischendeck zu fragen, die heraufkamen,
um sich am Schenktisch Branntwein zu kaufen; wir versuchten sie zu
beschreiben, aber das genügte ihm nicht, er wollte alle Einzelheiten
wissen. Tom gab sich die größte Mühe und als er bei der Schilderung
eines der rohesten und zerlumptesten Kerle angekommen war, fuhr Jack
Dunlap schaudernd zusammen.

»O Jemine, das ist einer von ihnen! Sie sind wahrhaftig an Bord --
dachte ich mir’s doch! Ich hoffte, ich wäre ihnen entwischt, aber
zweifelhaft war mir’s immer. Nur weiter!«

Als Tom nun noch einen andern groben und schäbigen
Zwischendecks-Passagier beschrieb, ward Dunlap schreckensbleich. »O
weh, das ist der zweite, was fang’ ich nur an? Hätten wir doch eine
stürmische pechfinstere Nacht und ich könnte das Ufer erreichen.
Aber sie haben gewiß jemand bestochen, den Stiefelputzer oder den
Kofferträger, um mich zu bewachen. Gelänge es mir auch unbemerkt
fortzukommen, so würde keine Stunde vergehen, bis sie es wüßten.«

Unruhig ging er auf und ab. Es dauerte gar nicht lange, da fing er an
zu erzählen, wie es ihm bald gut bald schlecht ergangen sei, und ehe
wir’s uns versahen, kam er ins rechte Fahrwasser.

»Wir hatten alles genau verabredet,« sagte er. »Es handelte sich
um zwei wunderschöne Diamanten, so groß wie Haselnüsse, in einem
Juwelierladen zu St. Louis, die von jedermann bewundert wurden. Wir
zogen feine Kleider an und spielten den Streich bei hellem Tage. Die
Diamanten ließen wir uns ins Hotel kommen, als ob wir sie kaufen
wollten, wenn sie uns gefielen, und schickten dem Juwelier statt dessen
zwei Glaspasten, die wir in Bereitschaft gehalten hatten, mit dem
Bescheid zurück, die Diamanten seien nicht vom reinsten Wasser und wir
fänden den Preis von zwölftausend Dollars zu hoch.«

»Zwölf -- tausend -- Dollars!« rief Tom. »Waren sie denn wirklich so
viel Geld wert?«

»Keinen Cent weniger.«

»Und ihr habt euch damit aus dem Staube gemacht?«

»Ohne alles weitere. Der Juwelier weiß vielleicht heutigen Tages
noch nicht, daß er bestohlen worden ist. Aber wir hielten es doch
für unklug, in St. Louis zu bleiben. Wir überlegten hin und her und
beschlossen nach dem Obern Mississippi zu reisen. Vorher aber wickelten
wir die Diamanten in ein Papier, schrieben unsere Namen darauf und
übergaben das Päckchen dem Hoteldiener mit der Anweisung, es keinem
von uns wieder einzuhändigen, wenn nicht die beiden andern als Zeugen
zugegen wären. Dann machten wir einen Gang in die Stadt, aber jeder für
sich allein; ich glaube, wir hatten alle den gleichen Plan, obgleich
ich es nicht gewiß behaupten will.«

»Welchen Plan?« fragte Tom.

»Die andern zu berauben.«

»Was -- einer sollte alles nehmen, nachdem er es erst mit Hilfe der
andern bekommen hatte?«

»So meine ich’s.«

Tom war ganz empört darüber; er sagte, es wäre der schändlichste,
niederträchtigste Streich, von dem er je gehört hätte. Aber Jack Dunlap
versicherte ihm, daß es in seiner Zunft nichts Ungewöhnliches sei.
Wer sich einmal diesem Beruf gewidmet hätte, müßte selber auf seinen
Vorteil bedacht sein, weil kein anderer Mensch das für ihn besorgen
würde. Dann fuhr er in seinem Bericht fort:

»Es war natürlich schwierig, zwei Diamanten unter drei Leute zu teilen,
das werdet ihr wohl einsehen. Hätten wir drei Diamanten gehabt, ja dann
-- -- Aber, wozu noch weiter darüber reden; mehr als zwei waren es nun
einmal nicht. So trieb ich mich denn in den Hintergassen umher und
dachte nach, wie ich es wohl anstellen könnte, der Diamanten habhaft zu
werden. War mir dies geglückt, dann wollte ich mich so verkleiden, daß
mich niemand erkennen sollte, und auf und davon gehen. Ich kaufte mir
zu diesem Zweck den falschen Bart, die blaue Brille und den bäuerischen
Anzug, in dem ihr mich hier seht, und that alles in einen Reisesack,
den ich mitgenommen hatte. Als ich vor einem Laden vorbeikam, in dem
allerlei Waren feilgeboten wurden, sah ich durchs Fenster. Drinnen
stand Bud Dixon, einer von meinen Spießgesellen. ›Ich will doch mal
sehen, was der kauft,‹ dachte ich bei mir und verbarg mich, beobachtete
aber alles genau. Na, was glaubt ihr wohl, daß er gekauft hat? -- Doch
das ratet ihr euer Lebtag nicht, Jungens. Nichts als einen winzig
kleinen Schraubenzieher.«

»Wie sonderbar. Was wollte er denn damit?«

»Das fragte ich mich auch. Ich zerbrach mir den Kopf, konnte aber nicht
ins reine kommen. Bei einem Trödler erstand er nun noch ein rotes
Flanellhemd und zerlumpte Kleider; dieselben, die er jetzt anhat nach
eurer Beschreibung. Nachdem ich das gesehen hatte, ging ich nach der
Werft und versteckte meine Sachen auf dem Flußboot, mit dem wir fahren
wollten. Als ich dann abermals durch die Straßen schlenderte, sah ich
auch meinen andern Kameraden seine Einkäufe machen. Gegen Abend holten
wir uns die Diamanten aus dem Hotel und gingen an Bord.

»Jetzt waren wir alle übel daran, denn wir durften uns nicht zu Bette
legen; wie hätten wir sonst ein wachsames Auge aufeinander haben
können. Es war nämlich schon seit ein paar Wochen böses Blut zwischen
uns, und wir hielten nur zusammen, solange es das Geschäft erforderte.
Zwei Diamanten für drei Personen, das war eben die Verlegenheit. Erst
aßen wir zu Abend, dann rauchten wir und schlenderten dabei auf dem
Deck umher bis gegen Mitternacht. Endlich gingen wir in meine Kajüte,
schlossen die Thür zu, überzeugten uns, ob die Diamanten wirklich noch
im Papier waren und legten sie auf die untere Koje, wo wir sie alle
drei im Auge behalten konnten. Nun saßen wir stockstill und wurden
immer schläfriger. Bud Dixon ließ sich endlich von der Müdigkeit
übermannen; der Kopf sank ihm auf die Brust und er schnarchte, daß
es eine Art hatte. Da deutete Hal Clayton zuerst auf die Diamanten
und dann nach der Thür. Ich verstand ihn, streckte die Hand nach dem
Papier aus und nahm es an mich. Wir warteten nun eine Weile, aber Bud
schlief fort und regte sich nicht. Leise drehte ich den Schlüssel um
und drückte auf die Klinke, dann schlichen wir auf den Zehen hinaus und
machten die Thür geräuschlos hinter uns zu.

»Das Boot glitt ruhig durch die Flut; Wolken verbargen den Mond und
wir wurden von niemand bemerkt. Ohne ein Wort zu reden schritten wir
geradeswegs hinauf nach dem Sturmdeck und setzten uns am äußersten Ende
neben das Deckfenster. Was das zu bedeuten hatte, wußten wir beide; es
bedurfte keiner Erklärung. Wenn Bud Dixon aufwachte und sah, daß die
Diamanten fort waren, würde er gleich hinter uns dreinkommen, denn er
kannte keine Furcht. Dann wollten wir ihn über Bord werfen, oder bei
dem Versuch unser Leben lassen. Mir schauderte, wenn ich nur daran
dachte, denn ich bin nicht so mutig wie mancher andere; doch durfte
ich meine Angst nicht zeigen, das wäre mir schlecht bekommen. Ich
hoffte immer noch, das Boot würde irgendwo anlegen, so daß wir ans Land
springen und allen Skandal vermeiden könnten, denn mit Bud Dixon war
nicht zu spaßen.

»Aber eine Stunde nach der andern verging, wir schifften immer weiter
und der Mensch kam nicht auf Deck. Als der Morgen zu dämmern anfing
und Bud sich noch nicht sehen ließ, erwachte unser Argwohn. ›Er hält
uns vielleicht zum Narren, meinte Hal, mach’ das Papier auf!‹ Das that
ich und meiner Seel’, es war nichts darin, als ein paar Zuckerkrümel.
Deshalb also hatte er die ganze Nacht so ruhig schnarchen können. Ein
schlauer Kerl, so wahr ich lebe. Er muß zwei ganz gleiche Papiere
bereit gehalten und sie vor unserer Nase vertauscht haben.

»Wir waren nicht wenig verblüfft, doch hatten wir bald einen
neuen Plan fertig. Es schien uns am klügsten, leise in die Kajüte
zurückzuschleichen, das Papier wieder an Ort und Stelle zu legen und zu
thun, als hätten wir nicht gemerkt, daß er uns mit seinem verstellten
Schnarchen nur zum Besten hielt. Wir wollten ihm nicht von der Seite
gehen und ihn am ersten Abend nach der Landung betrunken machen, seine
Kleider durchsuchen, die Diamanten nehmen und ihm womöglich den Garaus
machen; denn er würde uns immer auf den Fersen sein, um uns die Beute
wieder abzujagen, und wir wären keinen Augenblick unseres Lebens
sicher. Das Gelingen des Plans war mir jedoch sehr zweifelhaft. Bud
betrunken zu machen, hatte keine Schwierigkeit, aber was nützte es,
wenn wir hernach suchten und suchten und doch nichts fanden.

»Plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, der mir fast den
Atem benahm; doch dann wurde mir auf einmal ganz froh und leicht zu
Mute. Ich hatte nämlich gerade meinen Stiefel in der Hand, um ihn
anzuziehen, und als ich einen Blick auf die Sohle warf, mußte ich an
den rätselhaften kleinen Schraubenzieher denken. Erinnert ihr euch noch
daran?«

»Das will ich meinen,« rief Tom ganz aufgeregt.

»Na, wie ich den Absatz ansah, wußte ich auf einmal, wo Bud die
Diamanten versteckt hatte. Schaut her -- das Stahlplättchen hier ist
mit kleinen Schrauben festgemacht; die einzigen Schrauben, die der
Mensch an sich trug, waren an seinem Stiefelabsatz, und wenn er einen
Schraubenzieher brauchte, so wußte ich wohl wozu.«

»Ist das nicht famos, Huck?« rief Tom dazwischen.

»Als wir in die Kajüte kamen, schnarchte Bud Dixon noch immer, und auch
Hal Clayton schlief bald ein, aber ich nicht -- in meinem Leben war ich
noch nicht so wach gewesen; ich spähte auf dem Boden umher nach einem
Stückchen Leder. Lange konnte ich nichts entdecken, aber endlich fand
ich’s. Es war ein rundes, kleines Pflöckchen, fast von der Farbe des
Teppichs und etwa so dick wie die Spitze meines kleinen Fingers. ›Aha,‹
dachte ich, ›in dem Nest, wo das herausgekommen ist, liegt jetzt ein
Diamant.‹ Auch das zweite Pflöckchen fand ich nach einigem Suchen.

»Nun stellt euch einmal diese Unverschämtheit vor! Der Kerl hatte
sich ganz genau überlegt, was wir thun würden und wir Dummköpfe waren
blindlings in die Falle gerannt. Während wir ihn oben auf dem Sturmdeck
erwarteten, um ihn ins Wasser zu werfen, saß er unten, schraubte sich
in aller Gemütsruhe die Stahlplättchen ab, schnitt Löcher in seine
Absätze, steckte die Diamanten hinein und schraubte die Plättchen
wieder fest. Ein Schlaufuchs erster Sorte, nicht wahr?«

»Nein, so was ist mir noch nicht vorgekommen!« rief Tom voller
Bewunderung.



Viertes Kapitel.


»Es war ein saueres Stück Arbeit, den ganzen Tag über noch zu thun,
als ob wir einander beobachteten, das versichere ich euch. Gegen Abend
landeten wir bei einem Städtchen in Missouri, kehrten in einer Schenke
ein und ließen uns nach dem Nachtessen ein Schlafzimmer zu dreien
im obern Stock geben. Der Wirt ging mit dem Licht voran und wir im
Gänsemarsch hinterdrein, die Treppe hinauf. Ich kam zuletzt und schob
meinen Reisesack unter den tannenen Tisch auf dem dunkeln Vorplatz. Wir
ließen uns eine tüchtige Portion Whisky bringen und spielten Karten
um Fünfcentstücke. Als wir die Wirkung des Whisky spürten, hörten wir
beide auf zu trinken, schenkten aber Bud immer wieder ein, bis er toll
und voll war. Er fiel vom Stuhl, lag am Boden und schnarchte.

»Nun ging es ans Geschäft. Ich schlug vor, wir wollten ihm die Stiefel
ausziehen und unsere auch, damit es keinen Lärm machte, wenn wir ihn
um und um kehrten und ihn durchsuchten. Das geschah, und ich stellte
meine Stiefel neben Buds, damit ich sie bei der Hand hätte. Wir zogen
ihn aus, befühlten alle Nähte seiner Kleider, suchten in seinen
Taschen und Socken, auch inwendig in seinen Stiefeln, kurz überall;
auch sein Bündel machten wir auf, fanden aber keine Diamanten. Als der
Schraubenzieher zum Vorschein kam, fragte Hal: ›Was kann er wohl damit
wollen?‹ Ich sagte, das wüßte ich nicht, aber sobald er sich abwandte
steckte ich ihn ein. Endlich sah Hal ganz niedergeschlagen aus und
meinte, wir müßten es aufgeben. Darauf hatte ich nur gewartet.

»›Etwas haben wir noch nicht durchsucht.‹

»›Was denn?‹ fragte er.

»›Seinen Magen.‹

»›Wahrhaftig, daran habe ich nicht gedacht. Das ist die Lösung des
Rätsels, so wahr ich lebe. Wie wollen wir’s anfangen?‹

»›Na,‹ sagte ich, ›bleib’ du hier bei ihm, und ich will in die Apotheke
gehen und ein Mittel holen, das die Diamanten rasch ans Tageslicht
fördern soll.‹

»Er war’s zufrieden, und ich zog vor seiner Nase Buds Stiefel an statt
meiner eigenen, ohne daß er’s merkte. Ein wenig zu groß waren sie
mir freilich, aber das schadete nicht so viel, als wenn sie zu klein
gewesen wären. Ich tappte im Dunkeln durch den Vorplatz, nahm den
Reisesack mit und war in der nächsten Minute zur Hinterthür hinaus.

»Mit Siebenmeilenschritten ging’s nun am Fluß entlang; mir war dabei
gar nicht schlecht zu Mut, ich marschierte ja auf Diamanten. Nach der
ersten Viertelstunde hatte ich schon eine große Strecke zurückgelegt.
Alle fünf Minuten dachte ich daran, wie Hal Clayton auf meine Rückkehr
wartete und immer unruhiger wurde. ›Jetzt fängt er an zu fluchen,‹
sagte ich zu mir, ›und allmählich geht ihm ein Licht auf. Er bildet
sich ein, ich hätte die Diamanten gefunden, als wir Bud durchsuchten,
sie heimlich in die Tasche geschoben und mir nichts merken lassen.
Natürlich wird er gleich meiner Spur folgen, aber ich habe doch
wenigstens einen guten Vorsprung.‹

»Indem kam ein Mann auf einem Maultier dahergeritten, und ohne zu
überlegen sprang ich ins nächste Gebüsch. Das war dumm! Eine Weile
hielt der Mann still, um zu sehen, ob ich wieder herauskäme, dann ritt
er weiter. Das konnte mir sehr zum Nachteil gereichen, wenn er etwa auf
Hal Clayton stieß und der ihn ausfragte.

»Um drei Uhr morgens kam ich nach Alexandria und als ich den Raddampfer
vor Anker liegen sah, war ich heilfroh und glaubte, jetzt sei ich
gerettet. Es dämmerte bereits und ich ging an Bord, ließ mir die Kajüte
hier geben, zog diese Kleider an und setzte mich neben das Ruderhaus,
damit mir nichts entgehen könne. Ich wartete mit großer Ungeduld auf
die Abfahrt des Bootes, aber es rührte sich nicht. Die Maschine wurde
erst ausgebessert, doch davon hatte ich keine Ahnung.

»Es wurde Mittag bis wir absegelten und ich hatte mich längst in der
Kajüte eingeschlossen. Schon vor dem Frühstück sah ich nämlich von
fern einen Mann herankommen, dessen Gang mich an Hal Clayton erinnerte
und mir wurde übel und weh. Wenn er mich hier auf dem Boot ausfindig
machte, so saß ich wie eine Ratte in der Falle. Er brauchte nur zu
warten bis ich ans Land ging und mir zu folgen. An einem abgelegenen
Ort würde er mich zwingen die Diamanten herauszugeben und dann -- ja
dann war’s um mich geschehen. O, es ist gräßlich -- entsetzlich! Und
wenn ich mir nun vorstelle, daß der _andere_ auch an Bord ist! Sagt
selbst, Jungens, ist das nicht ein schreckliches Mißgeschick? -- Aber,
nicht wahr, ihr verlaßt mich nicht! Ihr helft einem armen Teufel durch,
den man zu Tode hetzen will. Auf den Knieen will ich euch verehren,
wenn ihr mir beisteht und mich rettet.«

Wir thaten was wir konnten, um ihn zu beruhigen: wir versprachen ihm
unsere Hilfe, machten allerlei Pläne und redeten ihm seine übergroße
Furcht aus. Da wurde er bald wieder zuversichtlicher und zuletzt
schraubte er gar die Plättchen von seinen Absätzen und hielt die
Diamanten bald so bald so gegen das Licht. Nein, wie sie funkelten
und glitzerten und ihr Feuer nach allen Seiten ausstrahlten! Es war
schön, das muß ich sagen. Aber er kam mir doch vor wie ein rechter
Narr. Ich an seiner Stelle hätte den beiden Spießgesellen die Diamanten
ausgeliefert und ihnen gesagt, nun sollten sie ans Land gehen und mich
in Ruhe lassen. Doch das fiel ihm gar nicht ein. Er meinte, es wäre ein
ganzes Vermögen; der Gedanke es zu verlieren schien ihm unerträglich.

Zweimal mußten wir anlegen, um die Maschine in Ordnung zu bringen, was
eine ganze Weile dauerte. Die Nacht war aber nicht dunkel genug; er
hätte sich schwerlich unbemerkt aus dem Staube machen können. Gegen
ein Uhr nachts kamen schwarze Wolken am Himmel herauf, ein Gewitter
war im Anzug. Wir hatten an einem Holzhof angelegt, noch etwa vierzig
Meilen von Onkel Silas’ Farm, und Jack hielt die Gelegenheit für
günstig. Es regnete stark, der Sturm brach los, und die Leute, die das
Holz einluden, zogen sich zum Schutz grobe Säcke über den Kopf. Auch
Jack verschafften wir einen. Er nahm seine Reisetasche, lief aufs
Hinterdeck, kam dann wie die andern Matrosen nach vorn marschiert und
ging mit ihnen ans Land. Als er aus dem Bereich der Fackeln war und in
der Finsternis verschwand, holten wir tief Atem und waren voller Dank
und Freude. Allein das Vergnügen dauerte nicht lange. Kaum zehn Minuten
vergingen, da stürmten die beiden schlimmen Gesellen auf Deck; sie
sprangen ans Ufer und wir sahen sie nicht wieder. Bis zum Morgengrauen
warteten wir und hofften sie würden zurückkommen, allein vergebens.
Vielleicht hatten sie aber doch Jack nicht mehr einholen können und
seine Spur verloren; darauf setzten wir unser ganzes Vertrauen.

Er wollte am Fluß entlang gehen und sich in dem Ahornwäldchen hinter
Onkel Silas’ Tabakfeld verbergen. Dort hatten wir versprochen ihn zu
treffen, sobald es dämmerig würde und ihm Nachricht zu bringen, ob
seine Brüder Brace und Jupiter zu Hause wären und keinen fremden Besuch
hätten.

Tom und ich sprachen lange darüber, wie es ihm wohl ergehen würde.
Rannten seine Verfolger flußaufwärts statt abwärts, dann war er
gerettet. Aber das ließ sich kaum erwarten. Wahrscheinlich, meinte
Tom, würden sie ihm tagsüber auf den Fersen bleiben, ohne daß er
Argwohn schöpfte, und sobald es dunkelte ihn umbringen und ihm die
Stiefel fortnehmen. -- Das betrübte uns sehr.



Fünftes Kapitel.


Erst spät am Nachmittag war die Maschine fertig ausgebessert. Als wir
nicht weit von Onkel Silas’ Farm anlegten, ging die Sonne bereits
unter. So liefen wir denn zuerst spornstreichs nach dem Ahornwäldchen,
um Jack den Grund der Verzögerung mitzuteilen, damit er auf uns
wartete, bis wir bei Brace gewesen wären und wüßten, wie die Sachen
standen. Gerade als wir keuchend um die Ecke bogen und die Ahornbäume
schon von fern sahen, kamen zwei Männer quer über den Weg in das
Wäldchen gesprungen und wir hörten einen gräßlichen Hilfeschrei,
der sich mehrmals wiederholte. »Jetzt haben sie den armen Jack
umgebracht,« sagten wir und flohen voll Todesangst nach dem Tabakfeld.
Kaum hatten wir uns dort versteckt und zitterten noch wie Espenlaub,
als wir abermals zwei Männer an uns vorbeilaufen und in dem Wäldchen
verschwinden sahen. Schon im nächsten Augenblick kamen ihrer vier
wieder heraus: zwei hatten die Flucht ergriffen und zwei verfolgten sie.

Kalter Angstschweiß perlte uns auf der Stirn, während wir auf dem
Boden lagen und horchten; doch vernahmen wir keinen andern Laut als
das Pochen unserer Herzen. Immer mußten wir an den Ermordeten drüben
im Wäldchen denken und uns gruselte als wäre uns ein Gespenst in
nächster Nähe. Plötzlich kam der Mond hinter den Baumwipfeln hervor,
groß, rund und glänzend, wie ein Gesicht, das durch die Eisenstäbe der
Gefängniszelle guckt. Schwarze Schatten und weiße Flecken huschten
hierhin und dorthin; es war unheimlich still ringsum, nur der Nachtwind
stöhnte in den Zweigen. Da flüsterte Tom auf einmal: »Sieh! -- was ist
das?«

»Du brauchst mich nicht noch unnötig zu erschrecken; ich bin sowieso
schon halb tot,« rief ich.

»Aber, so sieh doch, was da aus dem Ahornwäldchen herauskommt!«

»Hör’ auf, Tom!«

»Eine riesige Gestalt; sie kommt auf uns zu!«

Er hatte vor Erregung kaum Atem genug zum flüstern. Ich wollte nicht
hinsehen und doch that ich’s. Wir knieten jetzt beide auf der Erde,
stützten das Kinn auf den Lattenzaun und starrten in Schweiß gebadet
die Straße ’runter. Die Gestalt ging im Schatten der Bäume, man konnte
sie erst ordentlich sehen, als sie dicht in unserer Nähe war und ins
helle Mondlicht hinaustrat. Da fielen wir um wie vom Donner gerührt --
kein Zweifel, es war Jack Dunlaps Geist! --

Ein paar Minuten lagen wir regungslos da; als wir wieder aufsahen war
das Gespenst verschwunden.

»Du,« flüsterte Tom, »Gespenster sehen doch immer grau und neblig aus,
als ob sie lauter Dunst wären; aber dieses gar nicht.«

»Nein; ich hab’ seine Brille und den Schnurrbart ganz deutlich erkannt.«

»Ja, und den Anzug -- die grün und schwarz gewürfelten Hosen --«

»Die feuerrote Weste von Baumwollsammet mit den gelben Punkten --«

»Die ledernen Stege unten am Hosenbein -- einer war nicht
angeknüpft --«

»Ja, und der Hut -- eine richtige hohe Angströhre mit breiter Krempe.«

»Glaubst du, Huck, daß es ebensolches Haar hatte wie er?«

»Ja -- doch bin ich nicht ganz sicher.«

»Ich auch nicht; aber den Reisesack hab’ ich in seiner Hand gesehen.«

»Haben denn Gespenster einen Reisesack, Tom?«

»Warum nicht, Huck? Aber natürlich aus Gespensterstoff, wie die Kleider
und alles. Stell’ dich doch nicht so dumm an!«

Jetzt kamen Bill Withers und sein Bruder Hans an uns vorüber. Sie waren
in ihr Gespräch vertieft, wir verstanden aber alles, was sie sagten:

»Es sah aus als könnte er es kaum mehr schleppen,« meinte Bill.

»Jawohl, schwer schien es zu sein. Es war gewiß ein Neger, der dem
alten Pfarrer Silas Korn gestohlen hat,« sagte Hans.

»Das dachte ich gleich und that, als bemerkte ich ihn nicht.«

»So hab’ ich’s auch gemacht. Hahaha!«

Also, Onkel Silas war so unbeliebt geworden, daß die Leute lachten,
wenn ihm ein Dieb sein Korn stahl! Wie war das nur möglich?

Bald hörten wir wieder Stimmen; je näher sie kamen, um so lauter wurde
das Gespräch. Es waren zwei Nachbarn, Lem Beebe und Jim Lane.

»Wer?« fragte Jim, -- »Jupiter Dunlap?«

»Ja, ganz gewiß,« entgegnete Lem.

»Hm. Vor etwa einer Stunde, eben als die Sonne unterging, hab’ ich
ihn mit dem Spaten gesehen; sie gruben ein Stück Land um, er und der
Pfarrer. Seinen Hund wollte er uns leihen, sagte er, aber er selber
käme heute abend wahrscheinlich nicht.«

»Er wird wohl zu müde sein von der schweren Arbeit.«

»Verlaß dich drauf. Haha!«

Sie gingen lachend weiter; Tom sprang auf und wir folgten ihnen
von fern. Dem Gespenst ganz allein zu begegnen, wäre doch gar zu
unbehaglich gewesen.

Dies alles geschah am 2. September, einem Sonnabend. Den Tag werde ich
nie vergessen; man wird bald erfahren weshalb.



Sechstes Kapitel.


Schon sahen wir die Lichter vom Hause zu uns herüberscheinen, und die
Hunde kamen alle herbeigelaufen, uns zu begrüßen, da sagte Tom:

»Warte noch ’nen Augenblick. Wenn wir jetzt ’reinkommen, meinst du
wohl, ich müßte gleich unser ganzes Abenteuer erzählen, daß alle Mund
und Nase aufsperren vor Verwunderung?«

»Versteht sich; solche Gelegenheit wirst du dir doch nicht entgehen
lassen, Tom.«

»Na, da irrst du dich gewaltig. Kein Sterbenswörtchen verraten wir
davon und zwar aus sehr nahe liegenden Gründen. Sag ’mal, Huck -- ging
das Gespenst barfuß?«

»Bewahre, es hatte ja Stiefel an.«

»Hast du das wirklich gesehen? Kannst du ’nen Eid darauf leisten?«

»Jawohl, das kann ich.«

»Ich auch. Und das ist der beste Beweis dafür, daß die Diebe die
Diamanten nicht gefunden haben. Natürlich nicht -- die zwei andern
Männer haben sie ja vertrieben, ehe sie der Leiche die Stiefel
ausziehen konnten; deshalb trug sie das Gespenst auch noch.«

»Stiefel aus dem Geisterstoff wie die andern Kleider, nicht wahr, Tom?«

»Freilich. Und weißt du, Huck, was nun geschieht? Die zwei Männer
erzählen, sie hätten das Geschrei gehört, die Mörder verjagt, aber den
Fremden nicht retten können. Nun kommt die Totenschau, besichtigt alles
an Ort und Stelle, und ehe man die Leiche begräbt, werden ihre Sachen
versteigert, um die Kosten herauszuschlagen. Dann ist unser Glück
gemacht.«

»Wieso?«

»Na, das ist doch klar: Wir kaufen die Stiefel für zwei Dollars.«

»Und kriegen die Diamanten?«

»Versteht sich. Eines schönen Tages wird man eine hohe Belohnung dafür
bieten -- wenigstens tausend Dollars. Und das ist unser Geld. -- Jetzt
komm ins Haus; aber von den Räubern, den Diamanten und dem Mord weißt
du keine Silbe -- das merke dir.«

»Wie sollen wir es aber Tante Sally erklären, wenn sie fragt, warum
wir erst so spät kommen und wo wir so lange geblieben sind?«

»Das überlasse ich dir; du wirst schon eine Ausrede finden.«

Das sah Tom ganz gleich. Er war viel zu wahrheitsliebend um selbst eine
Lüge zu sagen.

Wir gingen nun quer über den Hof, wo wir zu unserer Freude alles
unverändert fanden, und kamen in den bedeckten Gang zwischen dem
Holzschuppen und der Küche. Da hingen noch mancherlei Gegenstände,
die wir kannten, unter anderm auch Onkel Silas’ grüner Arbeitskittel
mit der Kaputze und dem weißen Flicken zwischen den Schultern, der
immer aussah, als hätte ihn jemand mit ’nem Schneeball geworfen. Rasch
drückten wir auf die Klinke der Stubenthür und traten ein.

Tante Sally wirtschaftete im Zimmer herum; in einer Ecke saßen die
Kinder auf einem Häufchen, in der andern las der Onkel im Gebetbuch.
Tante fiel uns gleich vor Freuden um den Hals, dann zauste sie uns bald
an den Haaren, bald drückte sie uns ans Herz, während ihr helle Thränen
über die Backen liefen, so froh war sie, uns wiederzusehen.

»Wo habt ihr Taugenichtse euch denn so lange herumgetrieben?« rief
sie. »Ich hab’ mir um euch schier die Seele aus dem Leib geängstet.
Eure Siebensachen sind schon vor ’ner Ewigkeit angekommen, und viermal
hab’ ich das Essen wieder aufgewärmt, damit ihr nicht zu warten
braucht. Die Haut sollte man euch über die Ohren ziehen. Aber nun setzt
euch nur, ihr müßt ja halb verhungert sein; setzt euch, ihr armen
Jungen, und laßt’s euch schmecken.«

O, wie behaglich saß sich’s dort an der reich besetzten Tafel! Onkel
Silas sprach sein längstes Tischgebet und bald stand ein aufgehäufter
Teller an meinem Platz. Als ich gerade im besten Schmausen war, fragte
die Tante plötzlich, wo wir denn gewesen wären.

Ich hatte mir’s schon zum voraus überlegt:

»Wir sind zu Fuß durch den Wald gegangen,« sagte ich, »da sind uns
Lem Beebe und Jim Lane begegnet und haben uns aufgefordert mit ihnen
Heidelbeeren zu suchen; Jupiter Dunlap wollte ihnen seinen Hund dazu
leihen, das hatte er ihnen gerade versprochen -- --«

»Wo haben sie ihn gesehen?« fiel mir der alte Silas auf einmal so
hastig in die Rede, daß ich verwundert dreinschaute und ganz verwirrt
wurde, weil er mich mit durchbohrenden Blicken ansah. Aber ich nahm
mich zusammen und antwortete: »Als Ihr mit ihm das Stück Land umgrubet,
bei Sonnenuntergang.«

»Hm,« sagte er mit enttäuschter Miene und nahm weiter keine Notiz von
mir, während ich fortfuhr: »Wir gingen mit, und -- --«

»Schweig still mit deinem Unsinn, Huck Finn,« rief jetzt Tante Sally
entrüstet; »wer hat je davon gehört, daß man bei uns im September
Heidelbeeren pflückt und obendrein zur Nachtzeit? Was soll der Hund
dabei -- vielleicht die Heidelbeeren aufspüren?« --

»Sie sagten -- sie hätten eine Laterne -- --« stammelte ich.

»An dem allen ist kein wahres Wort. Ich weiß, ihr habt irgend einen
dummen Streich gemacht, da müßte ich euch beide nicht kennen. Na, Tom,
heraus mit der Sprache, nicht erst lange gefackelt!«

Tom nahm eine gekränkte Miene an. »Wie kannst du nur den armen Huck
schelten, Tante, bloß weil er sich versprochen hat. Er meint natürlich
Erdbeeren, wenn er Heidelbeeren sagt. Das weiß doch ein jedes Kind,
daß man in der ganzen Welt -- nur nicht hier in Arkansas -- einen Hund
und eine Laterne mitnimmt, wenn man Erdbeeren suchen geht.«

Nun riß aber Tante Sally der Geduldsfaden; sie wurde ernstlich böse
und schüttete einen ganzen Schwall von Worten, die sie gar nicht
schnell genug heraussprudeln konnte, über unsere schuldigen Häupter
aus. Darauf hatte Tom aber wie gewöhnlich gerechnet. Er ließ sie sich
immer in Zorn reden und schwieg mäuschenstill, bis ihre Hitze verflogen
war; dann wollte sie meist vor Aerger keine Silbe mehr über die ganze
Angelegenheit hören. So kam es auch diesmal. Als sie sich heiser
gesprochen hatte und einen Augenblick Atem schöpfen mußte, sagte Tom in
aller Seelenruhe:

»Und trotzdem weiß ich doch, Tante --«

»Schweig’ still,« rief sie; »du thust den Mund nicht mehr auf, das sage
ich dir!«

So kamen wir aus aller Verlegenheit und von der Verzögerung unserer
Ankunft war nicht mehr die Rede. Das hatte Tom wirklich schlau
eingerichtet.



Siebentes Kapitel.


Benny machte ein sehr ernstes Gesicht und seufzte auch hin und wieder;
aber bald fing sie an sich nach Toms Geschwistern Mary und Sid zu
erkundigen und besonders nach Tante Polly. Allmählich erheiterte sich
auch Tante Sallys Miene, ihre gute Laune kehrte zurück, sie fragte
uns dieses und jenes und war wieder so gut und lieb wie immer, so daß
unser Abendessen noch einen ganz lustigen Verlauf nahm. Nur der alte
Silas beteiligte sich nicht an der Unterhaltung; er war unruhig und
zerstreut, auch stieß er oft so tiefe Seufzer aus, daß es einem in der
Seele wehthat, ihn so verstört und bekümmert zu sehen.

Eine Weile nach dem Abendessen klopfte es an die Thür; ein Neger
steckte den Kopf herein, er trug seinen alten Strohhut in der Hand und
sagte unter vielen Bücklingen und Kratzfüßen, sein Herr, Massa Brace,
warte draußen am Zaun und lasse den Massa Silas fragen, wo sein Bruder
wäre, der zum Essen nicht nach Hause gekommen sei.

Da fuhr Onkel Silas so heftig auf, wie ich es noch nie von ihm gehört
hatte: »Bin ich etwa seines Bruders Hüter?« Gleich nachher war es ihm
aber wieder leid, er sank in sich zusammen und sprach im sanftesten Ton:

»Du brauchst ihm das nicht zu wiederholen, Billy, ich bin seit einigen
Tagen gar nicht wohl und so reizbar, daß ich meine Worte nicht wägen
kann. Er ist nicht hier, sage ihm das.«

Als der Neger fort war, ging der alte Mann ruhelos in der Stube auf und
ab, wobei er fortwährend unverständliche Worte murmelte und sich mit
den Händen ins Haar fuhr. Es war recht jämmerlich anzusehen; doch Tante
Sally flüsterte uns zu, nicht acht auf ihn zu geben. Sie sagte, seit so
viel Mißgeschick über ihn gekommen sei, gerate er oft tief in Gedanken
und wisse kaum mehr, was er thue und treibe. Auch bei Nacht wandle er
viel häufiger als früher im Schlaf, entweder nur im Hause oder auch
draußen im Freien. Wenn wir ihn einmal dabei beträfen, sollten wir ihn
ruhig gehen lassen und ihn ja nicht aufwecken. Es könne ihm niemand
helfen, außer Benny, die ihn am besten zu behandeln verstehe.

Auch diesmal schlich sie sich an seine Seite, als er anfing müde
zu werden von dem ewigen Hin- und Herwandern. Sie schlang ihren Arm
um ihn und ging mit, bis er lächelnd auf sie herabschaute und sich
niederbeugte um sie zu küssen. Allmählich wich der gequälte Ausdruck
aus seinem Gesicht und er ließ sich von ihr auf sein Zimmer geleiten.
Es war eine Freude, den liebevollen Verkehr von Vater und Tochter zu
sehen.

Tante Sally mußte nun die Kinder zu Bett bringen und da Tom und ich
anfingen uns zu langweilen, machten wir noch einen Gang bei Mondschein
in das Feld, wo die reifen Wassermelonen standen. Wir aßen nach
Herzenslust und besprachen dabei mancherlei. Tom meinte, er hege nicht
den geringsten Zweifel, daß Jupiter ganz allein an dem Streit schuld
sei. Bei erster Gelegenheit werde er sich Gewißheit darüber verschaffen
und dann Onkel Silas nach Kräften bereden ihn fortzuschicken.

Wohl zwei Stunden lang schwatzten, rauchten und schmausten wir dort.
Als wir ins Haus zurückkehrten war es ganz still und dunkel; alle
hatten sich zur Ruhe begeben.

Tom, dem nichts entging, bemerkte jetzt, daß der alte grüne
Arbeitskittel seltsamerweise von dem Nagel verschwunden war, wo er ihn
noch vorhin hatte hängen sehen. Dann suchten wir unsere Schlafkammer
auf.

Im Nebenzimmer hörten wir Benny noch lange herumhantieren; sie sorgte
sich gewiß um ihren Vater und fand keinen Schlaf. Auch wir waren
viel zu aufgeregt, um zu Bette zu gehen; so blieben wir denn wach,
unterhielten uns im Flüsterton und waren in recht trübseliger Stimmung.
Wir sprachen immer wieder von dem Ermordeten und dem Gespenst, bis uns
so unheimlich und gruselig zu Mute wurde, daß von Einschlafen keine
Rede sein konnte.

Es war schon spät in der Nacht, als mich Tom plötzlich mit dem
Ellenbogen stieß und nach dem Fenster deutete. Ich sah hin; drunten im
Hof trieb sich ein Mann herum, doch konnte ich ihn bei der Dunkelheit
nicht erkennen. Jetzt kletterte er über den Zaun und da kam gerade der
Mond heraus und schien auf den weißen Flicken des alten Arbeitskittels.

»Siehst du den Nachtwandler,« sagte Tom. »Ich wollte, wir dürften ihm
folgen und sehen, wo er hingeht mit der langen Schaufel, die er über
der Schulter trägt. Er biegt nach dem Tabakfeld ein -- nun ist er
verschwunden. Der arme Onkel, -- es thut mir so leid, daß er gar keine
Ruhe findet.«

Wir warteten lange, aber er kam nicht zurück; vermutlich hatte er einen
andern Heimweg eingeschlagen. So legten wir uns denn endlich nieder
und verfielen in einen unruhigen Schlaf, der uns mit tausenderlei
Beängstigungen quälte. Im Morgengrauen waren wir schon wieder wach; ein
Gewitter war heraufgezogen, Blitze zuckten, der Donner krachte, der
Wind schüttelte die Bäume, der Regen fuhr in Strömen nieder und die
Rinnsteine wurden zu rauschenden Bächen.

»Höre mal, Huck,« sagte Tom, »mir kommt’s sehr seltsam vor, daß man
noch gar nichts von Jack Dunlaps Ermordung gehört hat. Die Männer, von
denen Hal Clayton und Bud Dixon verjagt wurden, haben die Sache doch
in der nächsten halben Stunde sicherlich überall erzählt und sie muß
sich wie ein Lauffeuer von Farm zu Farm verbreitet haben. Solche große
Neuigkeit kommt doch alle dreißig Jahr höchstens zweimal vor. Es ist
wirklich merkwürdig, Huck, ich kann es nicht begreifen. Wäre nur erst
das Gewitter vorüber, damit wir hinauskönnten um zu sehen, ob nicht
irgend jemand auf der Straße davon anfängt. Wir müssen dann natürlich
sehr überrascht und entsetzt sein.«

Es war schon heller lichter Tag, als der Regen aufhörte. Wir
schlenderten die Straße hinunter, begrüßten jeden, der uns begegnete,
sagten wann wir angekommen wären, wie wir die Unserigen verlassen
hätten, wie lange wir zu bleiben gedächten, und dergleichen mehr;
aber kein Mensch äußerte eine Silbe über den Mord, was uns höchlich
wundernahm. Tom meinte, wenn wir in das Ahornwäldchen gingen, würde die
Leiche ganz einsam und verlassen daliegen und keine Menschenseele weit
und breit zu sehen sein. Wahrscheinlich hätten die Verfolger die Mörder
tief in den Wald hinein gejagt, diese hätten sich endlich umgewendet
und sich auf sie geworfen. Nachdem sie einander alle umgebracht, wäre
natürlich niemand mehr am Leben gewesen, um die Nachricht zu verbreiten.

Während dieser Reden waren wir unversehens nach dem Ahornwäldchen
gekommen. Mir lief der kalte Schweiß den Rücken hinunter und ich
wäre um nichts in der Welt auch nur einen Schritt weiter gegangen.
Doch Tom ließ es keine Ruhe -- er mußte wissen, ob der Ermordete die
Stiefel noch anhatte. So kroch er denn ins Dickicht, kam aber schon im
nächsten Augenblick in größter Erregung wieder heraus.

»Huck, er ist fort,« rief er.

»Im Ernst, Tom?« fragte ich starr vor Staunen.

»Jawohl, er ist wirklich fort; es ist nichts mehr von ihm zu sehen. Der
Boden ist nur etwas zertrampelt und wenn blutige Spuren da waren hat
sie der Regen verwaschen; es ist lauter Schmutz und Morast da drinnen.«

Nun faßte ich mir ein Herz und überzeugte mich mit eigenen Augen, daß
kein Leichnam mehr da war.

»Verwünscht,« rief ich, »die Diamanten sind weg!«

»Glaubst du nicht, daß die Mörder zurückgekommen sind und ihn
fortgeschleppt haben?«

»Höchst wahrscheinlich. Wo meinst du wohl, daß sie ihn versteckt haben
können?«

»Wie soll ich das wissen?« sagte er ärgerlich. »Es ist mir auch
einerlei. Mir war nur an den Stiefeln etwas gelegen. Nach der Leiche
werde ich den Wald nicht durchsuchen; meinetwegen mag sie sein wo sie
will. Die Hunde werden sie sowieso bald aufspüren.«

Wir schlichen betrübt und enttäuscht nach Hause zurück. Mein Lebtag
hatte mich noch keine Leiche so geärgert und betrogen wie diese.



Achtes Kapitel.


Beim Frühstück ging es nicht sehr munter zu. Tante Sally sah alt und
müde aus; sie ließ die Kinder unter einander zanken und streiten ohne
ihnen zu wehren, wie sie es sonst immer that. Tom und ich waren so
voller Gedanken, daß wir gar nicht sprachen und Benny mochte wohl die
ganze Nacht kein Auge zugethan haben. So oft sie den Kopf ein wenig hob
und nach ihrem Vater hinschaute, mußte sie mit den Thränen kämpfen. Der
Alte ließ das Essen auf seinem Teller kalt werden, er rührte keinen
Bissen an, redete kein Wort, sondern sann und sann nur immer vor sich
hin.

Als die Stille am allerdrückendsten war, steckte der Neger wieder den
Kopf durch die Thür und sagte, Massa Brace hätte schrecklich Angst um
seinen Bruder Jupiter, der noch immer nicht heimgekommen wäre. Massa
Silas sollte doch so gut sein und -- --

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, denn Onkel Silas hatte sich
plötzlich aufgerichtet. Er sah den Neger an und zitterte dabei so, daß
er sich am Tisch festhalten mußte. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt;
erst nach einer Weile stammelte er mühsam:

»Er glaubt wohl -- er glaubt wohl -- was denkt er sich eigentlich?
-- Sag’ ihm -- sag’ ihm --« kraftlos sank er wieder in seinen Stuhl
zurück. »Geh fort -- geh fort!« murmelte er so leise, daß man es kaum
verstehen konnte.

Der Neger machte sich erschrocken aus dem Staube, während Onkel Silas
die Hände rang und seine Augen verdrehte, als läge er im Sterben; es
war ein schrecklicher Anblick. Wir saßen alle da, wie festgebannt, nur
Benny erhob sich leise, Thränen liefen ihr die Wangen herunter, sie
trat neben den Stuhl ihres Vaters, bettete sein graues Haupt an ihrer
Brust und streichelte ihn sanft und liebevoll. Dann winkte sie uns, wir
sollten fortgehen, und wir verließen das Zimmer so still, als läge ein
Toter darin.

In furchtbar ernster Stimmung schlugen Tom und ich den Weg nach dem
Walde ein. Wie ganz anders war es doch hier bei unserm Besuch letzten
Sommer gewesen: alles so glücklich und friedevoll, Onkel Silas so
heiter, so wunderlich und voll kindlicher Einfalt und dabei so
hochgeachtet von jedermann. Jetzt hatte er entweder den Verstand schon
verloren, oder man mußte doch jeden Augenblick fürchten, daß er von
Sinnen käme.

Es war ein sonniger, herrlicher Tag; weiter und weiter gingen wir über
die Hügel nach der Ebene zu und konnten uns nicht satt sehen an den
Bäumen und Blumen ringsum. Daß es in dieser schönen Welt auch Unglück
gab, schien uns ganz unbegreiflich. Traurig zu sein, kam uns wie ein
Unrecht vor.

Auf einmal fühlte ich, daß mir der Atem stockte; ich hielt Tom am Arm
fest und mein Herz pochte wie ein Schmiedehammer.

»Da ist es!« rief ich; wir sprangen hinter einen Busch und Tom
flüsterte:

»St! -- Mach’ keinen Lärm.«

Es saß gerade am Ende der kleinen Waldwiese auf einem Holzblock und
stützte den Kopf in die Hand. Vergebens bemühte ich mich, Tom zur
Flucht zu überreden; er rührte sich nicht vom Fleck, denn er meinte,
vielleicht würde er sein Lebtag keine so günstige Gelegenheit mehr
haben, ein Gespenst zu sehen, deshalb wollte er dieses nach Herzenslust
betrachten und wenn es sein Tod wäre. So blieb ich denn auch da und riß
die Augen auf, obgleich mir’s gar nicht wohl dabei zu Mute war.

»Der arme Jack,« raunte mir Tom zu, denn schweigen konnte er nicht;
»alle seine Sachen hat er an, wie er’s uns vorausgesagt hat. Auch das
Haar hat er sich kurz geschoren. Daß ein Gespenst so natürlich aussehen
könnte, hätte ich nie gedacht.«

»Ich auch nicht; man würde es überall wiedererkennen.«

»Ganz wie bei Lebzeiten. Und am meisten wundert mich noch, daß es
bei Tage umgeht. Die andern kommen immer erst nach Mitternacht zum
Vorschein. Du, Huck, mit dem ist’s nicht ganz richtig; es hat kein
Recht, sich jetzt hier herumzutreiben, das kannst du mir glauben. Jack
wollte sich taubstumm stellen, weil ihn die Nachbarn sonst an der
Stimme erkannt hätten. Meinst du, das Gespenst würde das auch thun,
wenn ich’s jetzt anriefe?«

»Tom, ums Himmels willen, du wirst doch so was nicht wagen!«

»Sei nur ganz ruhig, ich denke nicht dran. Aber, was ist das -- jetzt
kratzt es sich am Kopf -- ein Gespenst kann’s doch nicht jucken, das
ist ja aus lauter Dunst! Wahrhaftig, Huck, ich glaube, es ist gar kein
wirkliches Gespenst, es müßte doch sonst --«

»Was denn, Tom?«

»_Durchsichtig_ sein, so daß man die Büsche dahinter sehen könnte.«

»Du hast recht, sein Körper ist so fest wie der einer Kuh. Weißt du,
ich fange an zu glauben --«

»Jetzt nimmt es den Mund voll Tabak und fängt an zu kauen -- das ist ja
unmöglich, es hat doch keine Zähne. Höre, Huck!«

»So sprich doch!«

»Es ist gar kein Gespenst, sondern Jack Dunlap wie er leibt und lebt!
-- Haben wir etwa eine Leiche im Ahornwäldchen gefunden?«

»Nein, keine Spur.«

»Weißt du auch warum? -- Weil nie eine da war.«

»Aber Tom, wir haben doch das Geschrei gehört!«

»Ist das etwa ein Beweis, daß jemand umgebracht worden ist? -- Erst
sahen wir vier Männer laufen und dann kam dieser aus dem Wald gegangen.
Wir hielten ihn für einen Geist, aber es war so wenig ein Geist wie
du einer bist. Es war Jack Dunlap selbst und der sitzt jetzt dort
drüben und spielt den Fremden und Taubstummen, ganz wie er’s mit uns
verabredet hatte. Der -- ein Gespenst! Nein, Fleisch und Bein ist er,
da wett’ ich alles drauf.«

Ich sah nun auch unsern Irrtum ein, und wir waren beide herzlich froh,
daß Jack nicht umgebracht worden war. Was sollten wir aber jetzt thun?
Ihn anreden oder vorgeben, ihn nicht zu kennen? Tom hielt es für das
beste, ihn selber zu fragen, wie er es haben wolle. Also ging er
geradeswegs auf ihn zu, während ich mich etwas im Hintergrund hielt,
für den Fall, daß es doch ein Gespenst wäre.

Als Tom ganz nahe bei ihm war sagte er: »Guten Tag! Wir freuen uns
sehr, Euch wiederzusehen, Huck und ich. Fürchtet nur nicht, daß wir
Euch verraten. Wenn Ihr es für besser haltet wollen wir thun, als
hätten wir Euch nie gekannt. Sagt nur, ob Euch das recht ist. Ihr
könnt Euch dann fest auf uns verlassen; wir würden uns eher die Hand
abhacken als Euch Schaden thun.«

Zuerst zeigte er sich sehr überrascht uns zu sehen und keineswegs
erfreut; aber bei Toms Rede erhellte sich sein Gesicht und zuletzt
lächelte er, nickte mehrmals mit dem Kopf, machte allerlei Zeichen
mit den Händen und sagte: »Goo -- goo -- goo -- goo,« ganz wie ein
Taubstummer.

Indessen sahen wir ein paar von Steffen Nickersons Angehörigen, die
jenseits der Wiese wohnten, daherkommen. »Ihr macht Eure Sache ganz
ausgezeichnet,« sagte Tom, »natürlich müßt Ihr Euch üben so viel Ihr
könnt, an uns so gut wie an den andern, damit Ihr auf Eurer Hut seid
und niemals aus der Rolle fallt. Wir wollen Euch auch so wenig wie
möglich in den Weg kommen und keiner Seele verraten, daß wir Euch
kennen. Laßt es uns aber ja wissen, wenn Ihr einmal Hilfe braucht.«

Als wir den Nickersons begegneten, hielten sie uns natürlich an und
wollten wissen, wer der Fremde dort drüben sei, wie er heiße, woher
er komme, ob er Baptist oder Methodist, liberal oder konservativ wäre
und was dergleichen Fragen mehr sind, die wir Amerikaner bei jeder
neuen Erscheinung gleich auf der Zunge haben. Tom erwiderte jedoch,
er hätte aus den Zeichen des Taubstummen und seinen Naturlauten nicht
klug werden können. Mit großer Spannung beobachteten wir nun von ferne,
wie sie Jack auszuforschen begannen. Erst als wir ihn seine Zeichen
machen sahen und wußten, daß alles gut ablaufen würde, beruhigten wir
uns wieder und machten, daß wir weiter kamen, weil wir gern während der
Zwischenstunde beim Schulhaus sein wollten.

Es war recht ärgerlich, daß uns Jack nicht erzählen konnte, was sich
in dem Ahornwäldchen zugetragen hatte und ob er fast umgebracht
worden wäre; aber Tom bemerkte ganz richtig, daß ein Mensch in Jacks
Lage nicht vorsichtig genug sein könne und am besten thäte still zu
schweigen, um sich keiner Gefahr auszusetzen.

In der Zwischenstunde ging es sehr lustig zu, alle Knaben und Mädchen
freuten sich, uns wiederzusehen. Die beiden Hendersons waren auf ihrem
Schulweg dem Taubstummen begegnet und wurden deshalb von den übrigen
sehr beneidet, da alle vor Neugier brannten, ihn zu sehen, und von gar
nichts anderm reden mochten.

Es kostete Tom keine kleine Ueberwindung, nichts zu verraten. Hätten
wir alles erzählen dürfen, wie würde man uns bewundert haben! Aber
viel heldenhafter war es doch noch, Stillschweigen zu bewahren. Unter
Millionen Jungen hätte man nicht zwei finden können, die das fertig
brachten. Davon war Tom wenigstens überzeugt und schließlich mußte er
es doch am besten wissen.



Neuntes Kapitel.


In den nächsten zwei oder drei Tagen ging der Taubstumme bei den
Nachbarn aus und ein und war bald allgemein beliebt. Jeder war stolz,
mit einer so merkwürdigen Persönlichkeit zu verkehren; man lud ihn zum
Frühstück, zu Mittag und zum Abendessen ein, bewirtete ihn aufs beste
und wurde nicht müde, ihn anzustarren. Gern hätten die Leute mehr über
ihn erfahren, aber seine Zeichen verstanden sie nicht -- er wußte wohl
selbst nicht, was sie bedeuteten. Seine Naturlaute bewunderten sie
dagegen sehr und freuten sich, so oft er sie hören ließ. Auch reichte
er eine Tafel herum nebst Schieferstift, damit man Fragen an ihn
stellen könne; die Antworten, die er aufschrieb, konnte aber niemand
lesen, außer Brace Dunlap, dem es freilich auch Mühe machte; doch fand
er häufig wenigstens den Sinn heraus. Er sagte, der Taubstumme käme von
weit her und habe früher im Wohlstand gelebt, dann sei er Schwindlern
in die Hände gefallen, die sein Vertrauen mißbraucht hätten. Jetzt sei
er arm und wüßte nicht, wie er sein Brot erwerben solle.

Man lobte Brace allgemein, daß er sich des Fremden so hilfreich annahm.
Er hatte ihm ein kleines Blockhaus zur Wohnung angewiesen, seine Neger
mußten es in Ordnung halten und ihm zu essen bringen so viel er wollte.

Auch in unser Haus kam der Taubstumme öfters, weil es Onkel Silas Trost
gewährte, einen Menschen zu sehen, der auch von Trübsal heimgesucht war
wie er. Tom und ich thaten, als hätten wir ihn noch nie erblickt, und
auch er stellte sich uns gegenüber ganz fremd. Der Familienkummer wurde
in seiner Gegenwart ohne Scheu besprochen, was ja im Grunde nichts
schadete. Gewöhnlich schien er gar nicht acht darauf zu geben, aber
manchmal that er es doch.

Als drei Tage vergangen waren, fingen die Nachbarn an, sich über
Jupiter Dunlaps Ausbleiben zu beunruhigen. Einer fragte den andern,
wo er wohl hingeraten sein könne; man schüttelte den Kopf und fand es
höchst seltsam und unerklärlich. Abermals verstrichen ein paar Tage;
da entstand ein Gerücht, daß er vielleicht ermordet wäre. Das machte
natürlich großes Aufsehen und ein endloses Gerede. Am Samstag zogen die
Leute truppweise in den Wald, um die Leiche aufzustöbern. Tom und ich
gingen auch mit und halfen suchen. Tom konnte vor Aufregung tagelang
weder essen noch schlafen und glühte vor Eifer, weil er meinte, wenn
wir den Leichnam fänden, würden wir berühmt werden und unser Name in
aller Munde sein.

Die andern bekamen es zuletzt satt und gaben das Suchen auf. Aber Tom
Sawyer dachte nicht daran, er war unermüdlich. Die ganze Nacht schloß
er kein Auge, er sann über einen Plan nach und als der Morgen dämmerte,
war ihm ein Licht aufgegangen. In größter Hast kam er und holte mich
aus dem Bette.

»Rasch Huck, wirf deine Kleider über,« rief er, »ich hab’s! Wir
brauchen einen Schweißhund.«

Zwei Minuten später liefen wir im Dunkeln am Fluß entlang nach dem
Dorfe zu. Der alte Schmied Jeff Hooker hatte einen Hund, den wollte
sich Tom von ihm borgen.

»Die Spur ist zu alt,« sagte ich, »und geregnet hat es auch.«

»Das schadet nichts, Huck. Wenn der Leichnam irgendwo im Walde steckt,
findet ihn der Hund gewiß. Er wird es schon wittern, an welcher Stelle
man den Ermordeten verscharrt hat. Auch auf die Spur des Mörders wird
er uns helfen, und wenn wir die erst haben, verfolgen wir sie ohne
Unterlaß, bis wir den Kerl fangen. Dann werden wir berühmt, so wahr ich
lebe.«

»Na, laß uns nur erst die Leiche finden,« sagte ich, um sein Feuer
etwas zu dämpfen, »daran werden wir wohl für heute genug haben. Wer
weiß, ob überhaupt eine da ist; vielleicht ist der faule Jupiter
einfach durchgebrannt und gar nicht ermordet worden.«

Doch davon wollte Tom nichts hören. »Wie kannst du nur so reden,
Huck, das ist ganz abscheulich. Schämst du dich nicht, ein solcher
Spielverderber zu sein, wenn wir gerade die beste Gelegenheit haben
uns auszuzeichnen und unsern Ruhm zu begründen.«

»Ach was, ich nehme alles zurück; mache es nur ganz wie du willst, Tom.
Ob Jupiter tot ist oder lebendig, kümmert mich im Grunde wenig.«

Bald war Tom wieder Feuer und Flamme für das Unternehmen, bis wir
vor die Schmiede des alten Jeff Hooker kamen, der seine Begeisterung
gewaltig abkühlte.

»Den Hund könnt ihr haben,« sagte er, »aber ihr werdet keinen Leichnam
finden, weil keiner da ist. Die Leute haben ganz recht, daß sie nicht
weiter suchen. Sobald sie anfingen nachzudenken, mußte sich eben jeder
sagen, daß von einem Mord gar keine Rede kein kann. Ich will euch
auch sagen weshalb: Wenn jemand einen Menschen umbringt, thut er es
doch nicht ganz ohne Grund, das werdet ihr mir zugeben. Na, und warum
sollte man wohl dem Jupiter Dunlap, diesem Schafskopf, nach dem Leben
trachten? Etwa aus Rache? Meint ihr, daß irgend jemand einen Groll
gegen solchen Menschen hat?«

Tom fand kein Wort der Erwiderung; von diesem Gesichtspunkt aus hatte
er sich die Sache noch nicht überlegt.

»Oder glaubt ihr, man hätte ihn berauben wollen? Haha! Das wird’s wohl
sein. Die Hosenschnallen hat man ihm gestohlen und deshalb -- --«

Der Alte wollte sich vor Lachen ausschütten; er mußte sich die Seiten
halten, um nicht zu bersten. Tom machte ein ganz verblüfftes Gesicht;
ich sah’s ihm an, daß er sich meilenweit weg wünschte, während Jeff
Hooker von neuem anhub: »Wer irgend Grütze im Kopf hat, mußte sich’s
ja gleich sagen, daß der Faulpelz nur ausgekniffen ist, weil er nach
seiner schweren Arbeit eine Weile herumbummeln wollte. Paßt auf, nach
ein paar Wochen kommt er wieder und lacht sich ins Fäustchen. -- Wenn
du aber nach seinem Leichnam suchen willst, Tom, so nimm den Hund und
thu’s, ich werd’ dich nicht hindern.«

Tom war zu weit gegangen, er konnte nicht mehr zurück. »Na, also, macht
ihn nur von der Kette los,« sagte er. Der Alte that es und sah uns
lachend nach, während wir beschämt abzogen.

Der Hund kannte uns, wedelte mit dem Schwanz und sprang mit lustigen
Sätzen vor uns her, im Genuß seiner Freiheit. Aber Tom verzog keine
Miene, er war tief gekränkt, daß der alte Hooker ihn lächerlich
gemacht hatte, und verwünschte das ganze Abenteuer.

In düsterm Schweigen schlichen wir durch die Hintergassen heim. Als
wir eben um die Ecke unseres Tabakfeldes bogen, stieß der Hund ein
klägliches Geheul aus. Wir eilten herzu und sahen, wie er mit aller
Macht die Erde aufwühlte und dann und wann den Kopf laut heulend zur
Seite wandte.

In dem vom Regen durchweichten Boden ließ sich deutlich ein
eingesunkenes längliches Viereck erkennen, das aussah wie ein Grab.
Stumm standen wir da und sahen einander an. Der Hund hatte kaum ein
paar Zoll tief gegraben, als er einen Gegenstand zu packen bekam und
ihn herauszerrte; es war ein Männerarm, der im Aermel steckte.

»Komm fort, Huck,« stieß Tom keuchend heraus, »die Leiche ist gefunden.«

Mich durchrieselte es kalt. Rasch liefen wir nach der Landstraße und
holten die ersten besten Leute, die uns begegneten. Sie nahmen einen
Spaten mit und gruben den Leichnam aus. Nein, war das eine Aufregung!
Sein Gesicht konnte man nicht mehr erkennen, aber das war auch nicht
nötig. Alle riefen:

»Der arme Jupiter; das sind die Kleider, die er zuletzt getragen hat.«

Ein paar Männer eilten ins Dorf, um die Nachricht zu verbreiten und dem
Friedensrichter Anzeige zu machen, damit die Totenschau gehalten werden
könnte. Auch Tom und ich liefen spornstreichs nach Hause; ganz atemlos
kamen wir zu Onkel Silas, Tante Sally und Benny hereingestürzt und Tom
rief:

»Wir zwei, ich und Huck, haben ganz allein mit einem Schweißhund
Jupiter Dunlaps Leiche gefunden. Alle hatten es aufgegeben; ohne uns
hätte man sie niemals entdeckt. Er ist doch ermordet worden, mit einem
Knüttel hat man ihn totgeschlagen; aber ich will den Mörder schon
finden, er soll mir nicht entgehen, so wahr ich Tom heiße.«

Tante Sally und Benny sprangen bleich und erschrocken auf, aber Onkel
Silas fiel vorn über vom Stuhl auf den Boden und rief ächzend: »Gott
erbarme sich meiner -- _du hast ihn schon gefunden_!« --



Zehntes Kapitel.


Bei diesen gräßlichen Worten standen wir wie zu Stein erstarrt und
konnten wohl eine Minute lang kein Glied rühren. Sobald wir uns etwas
von dem Schreck erholt hatten, hoben wir den alten Mann auf und setzten
ihn wieder in seinen Stuhl; er ließ sich von Benny streicheln und
küssen, auch die arme Tante versuchte ihn zu beruhigen. Doch waren sie
beide so verwirrt und außer sich, daß sie kaum wußten, was sie thaten.
Am allerunglücklichsten war aber Tom selbst. Daß er seinen Onkel
vielleicht ins Verderben gestürzt hatte, war ihm fürchterlich. Hätte er
nicht solchen Ehrgeiz gehabt, berühmt zu werden und hätte das Suchen
nach der Leiche aufgegeben, wie die andern Leute, so wäre es ja am Ende
nie herausgekommen. Doch nicht lange, da besann er sich und änderte
seine Gedanken:

»Sag’ das nicht noch einmal, Onkel Silas; solche Reden sind gefährlich
und es ist auch kein Körnchen Wahrheit daran,« versicherte er mit
Bestimmtheit.

Tante Sally und Benny atmeten erleichtert auf bei diesen Worten; aber
der Onkel schüttelte traurig den Kopf.

»Nein, nein -- ich hab’s gethan -- der arme Jupiter -- ich hab’s
gethan!« -- sagte er im Ton der Verzweiflung, während ihm die Thränen
über die Backen liefen. Es war schrecklich mit anzuhören.

Dann erzählte er weiter, es sei an dem Tage geschehen, als Tom und ich
ankamen, bei Sonnenuntergang. Jupiter hatte ihn gequält und geärgert,
bis ihn der Zorn übermannte und er ihm mit seinem Stock über den Kopf
schlug, daß er zu Boden stürzte. Sofort bereute er seine Hitze; er
kniete neben Jupiter hin, hob ihm den Kopf auf und bat, er solle doch
sprechen und sagen, daß er nicht tot sei. Der kam auch bald wieder
zu sich; doch als er sah, wer ihm den Kopf hielt, sprang er, wie zu
Tode erschrocken, auf, war mit einem Satz über den Zaun, lief nach dem
Walde zu und verschwand. Da hoffte Onkel natürlich, er hätte ihm keinen
Schaden gethan.

»Aber ach,« fuhr er fort, »nur die Furcht hatte ihm dies letzte
Fünkchen Lebenskraft eingeflößt, das rasch erlosch; im Gebüsch ist
er dann zusammengebrochen, wo ihm niemand beistehen konnte, und ist
gestorben.«

Der alte Mann jammerte und weinte, er sagte, er sei ein Mörder, er
trüge das Kainszeichen und brächte seine Familie in Schande und
Schmach. Seine Missethat würde entdeckt werden und ihn an den Galgen
bringen.

»Davon ist gar keine Rede,« sagte Tom. »Du hast ihn gar nicht
umgebracht. Ein einziger Schlag ist nicht gleich tödlich. Den Mord hat
ein anderer begangen.«

»Nein, ich habe es gethan, sonst niemand. Wer hätte auch außer mir
etwas gegen ihn haben sollen?«

Er sah uns an als hoffte er, wir würden jemand nennen können, der dem
harmlosen Menschen grollte; allein das war vergebens, wir mußten alle
verstummen. Als er das sah, überfiel ihn die Trauer von neuem; seine
jammervolle Miene war zum erbarmen.

»Aber halt,« rief Tom plötzlich, »jemand muß ihn doch begraben haben.
Wer kann das denn --«

Weiter kam er nicht. Ich wußte wohl warum, und es überlief mich kalt.
Hatten wir doch beide Onkel Silas in jener Nacht mit der langen
Schaufel über der Schulter gesehen. Auch Benny mußte ihn bemerkt haben;
sie hatte einmal etwas davon erwähnt. Tom war nun eifrig bemüht, Onkel
zu überreden, daß er sich nicht verraten solle; wir andern stimmten ihm
bei und sagten, wenn Onkel schwiege, würde man es nie erfahren und er
dürfe sich nicht selbst anklagen, weil es uns allen das Herz brechen
würde, wenn ihm ein Leid geschähe. Es würde niemand Nutzen bringen und
die Seinigen nur unglücklich machen. Zuletzt versprach er es denn auch
und wir suchten ihn nun nach Kräften zu trösten und aufzuheitern. Ueber
der ganzen Sache würde bald Gras wachsen, sagten wir, und kein Mensch
würde mehr daran denken. Gegen Onkel Silas Verdacht zu schöpfen könne
niemand auch nur im Traum einfallen; er stehe in viel zu gutem Ruf und
sei so lieb und freundlich gegen jedermann.

»Ueberlegt es doch nur,« sagte Tom mit großem Nachdruck, »es liegt
ja auf der Hand: Seit so und so vielen Jahren ist Onkel Silas hier
Prediger gewesen ohne einen Pfennig Gehalt; alles mögliche Gute hat
er gethan, von Alt und Jung wird er geliebt und geachtet. Wie sollte
er, der friedliebendste Mensch von der Welt, der sich nie in fremde
Angelegenheiten gemischt hat, dazu kommen, sich thätlich an jemand zu
vergreifen? Es kann gar kein Argwohn gegen ihn entstehen; das ist
ebenso gut ein Ding der Unmöglichkeit wie -- --«

»Im Namen und Auftrag des Staates Arkansas verhafte ich Euch als den
Mörder des Jupiter Dunlap,« rief in diesem Augenblick der Sheriff an
der Thür.

Es war furchtbar. Tante Sally und Benny klammerten sich weinend und
schreiend an Onkel Silas und wollten ihn nicht fortlassen; auch die
Neger liefen heulend herbei, es war ein herzzerreißender Auftritt und
ich machte, daß ich zum Haus hinauskam.

Als er nach dem kleinen Dorfgefängnis geführt wurde, begleiteten wir
ihn alle, um ihm Lebewohl zu sagen. Tom hatte schon einen Plan fix und
fertig im Kopf, wie wir ihn in einer dunkeln Nacht heldenmütig befreien
wollten. Aber als er gegen Onkel etwas davon verlauten ließ, kam er
übel an. Der arme Alte meinte, es sei seine Pflicht, zu dulden, was
das Gesetz über ihn verhänge; selbst wenn die Thür des Gefängnisses
offen stünde, würde er von dort nicht wanken und weichen. Natürlich war
Tom sehr enttäuscht, doch mußte er sich drein ergeben. Den Gedanken,
seinen Onkel zu befreien, gab er aber deshalb noch lange nicht
auf; er betrachtete das als seine Schuldigkeit, denn er fühlte sich
gewissermaßen verantwortlich für ihn.

Er versprach auch Tante Sally, daß er Tag und Nacht nicht ruhen würde,
bis er Onkels Unschuld ans Licht gebracht hätte, sie solle sich nur
keinen Kummer machen. Tante umarmte ihn zärtlich, dankte ihm und sagte,
sie sei überzeugt, er werde alles thun, was in seinen Kräften stehe.
Dann bat sie uns noch, wir möchten Benny helfen das Haus und die Kinder
zu versorgen, und nachdem wir mit Thränen von ihr Abschied genommen
hatten, kehrten wir nach der Farm zurück. Tante wollte bei der Frau des
Gefängniswärters wohnen bleiben, bis im Oktober die Gerichtsverhandlung
stattfand.



Elftes Kapitel.


Der nächste Monat war für uns alle sehr traurig. Die arme Benny nahm
sich zusammen, so gut sie konnte; auch Tom und ich trugen unser
möglichstes zur allgemeinen Aufheiterung bei, aber das half wenig.
Wir besuchten die alten Leute jeden Tag, was furchtbar trübselig war.
Onkel Silas hatte meist schlaflose Nächte oder er wandelte im Schlaf;
sein Aussehen war erbärmlich, auch nahm er körperlich und geistig so
sehr ab, daß wir alle fürchteten, er würde vor Kummer krank werden und
sterben.

Wenn wir ihm Mut zusprachen, schüttelte er nur den Kopf und meinte, wir
wüßten nicht, welche Last es wäre, einen Mord auf der Seele zu tragen,
sonst würden wir anders reden. Wie oft wir ihm auch wiederholten, daß
es kein Mord, sondern fahrlässiger Todschlag wäre, er ließ sich nicht
davon abbringen. Ja, als der Tag der Verhandlung näher rückte, war er
ganz bereit einzugestehen, er habe den Mann mit Vorbedacht getötet. Das
verschlimmerte die Sache natürlich hundertfach; Tante Sally und Benny
verzehrten sich fast vor Angst. Doch nahmen wir Onkel das Versprechen
ab, daß er im Beisein anderer keine Silbe von dem Mord sagen wolle und
das war wenigstens ein Trost.

Den ganzen Monat über zerbrach sich Tom den Kopf, um einen Ausweg zu
finden. Viele Nächte mußte ich mit ihm aufbleiben und Pläne schmieden,
aber wir arbeiteten uns nur unnütz ab, es führte alles zu nichts.
Ich war zuletzt so mutlos und niedergeschlagen, daß ich Tom riet es
aufzugeben; doch er war anderer Meinung und ließ nicht nach, sich mit
immer neuen Entwürfen das Hirn zu zermartern.

So kam Mitte Oktober der Tag der Gerichtsverhandlung. Wir waren alle
da und der Saal natürlich gedrängt voll. Der arme alte Onkel Silas sah
selbst fast aus wie ein Toter, so hohläugig, abgezehrt und jämmerlich.
Benny und Tante Sally saßen ihm rechts und links zur Seite, tief
verschleiert und gramerfüllt. Aber Tom saß bei unserm Verteidiger
und redete in alles mit herein; der Anwalt ließ ihn gewähren und der
Richter auch. Manchmal hielt er’s für besser, dem Verteidiger die Sache
ganz aus der Hand zu nehmen, denn der war nur ein Winkeladvokat und
verstand so gut wie gar nichts.

Die Vereidigung der Geschworenen war vorüber und der öffentliche
Ankläger hielt seine Rede. Er sagte so schreckliche Dinge von Onkel
Silas, daß Tante Sally und Benny zu weinen anfingen. Was er über den
Mord berichtete, nahm uns fast den Atem, es war so ganz anders als
Onkels Erzählung. Er sagte, er werde beweisen, daß zwei zuverlässige
Zeugen gesehen hätten, wie Onkel Silas den Jupiter Dunlap umgebracht
habe. Es sei mit Vorbedacht geschehen, denn er habe gerufen, er wolle
ihn kalt machen, während er mit dem Knüttel zuschlug, dann habe er
Jupiter ins Gebüsch geschleppt, der sei aber schon ganz tot gewesen.
Später sei Onkel Silas wiedergekommen und habe die Leiche ins Tabakfeld
geschafft, was zwei Männer bezeugen könnten. In der Nacht habe er sie
dann begraben und sei auch dabei von jemand beobachtet worden.

Ich sagte mir, der arme alte Onkel müsse uns belogen haben, weil er
sich darauf verließ, daß ihn niemand gesehen hätte und er Tante Sally
und Benny nicht das Herz brechen wollte. Daran hatte er ganz recht
gethan; jeder, der nur das geringste Gefühl im Leibe hatte, würde auch
gelogen haben, um den beiden, die doch gar nichts dafür konnten, Kummer
und Herzeleid zu ersparen. Unser Verteidiger machte ein bedenkliches
Gesicht und auch Tom war einen Augenblick wie auf den Mund geschlagen,
doch nahm er sich rasch wieder zusammen und that ganz zuversichtlich
-- aber es war ihm schlecht dabei zu Mute, das weiß ich. Unter den
Zuhörern entstand eine furchtbare Aufregung während der Rede.

Als der Ankläger fertig war, setzte er sich und die Zeugen wurden
aufgerufen. Zuerst kamen mehrere um zu beweisen, daß Onkel Silas dem
Ermordeten feindlich gesinnt gewesen war. Sie sagten, sie hätten ihn
öfters Drohungen gegen Jupiter ausstoßen hören; es sei zuletzt so
schlimm geworden, daß alle Welt darüber gesprochen habe. Der Ermordete,
dem um sein Leben bangte, habe gegen mehrere von ihnen geäußert, Onkel
Silas würde ihn gewiß noch einmal umbringen.

Das Kreuzverhör, das Tom und unser Verteidiger mit diesen Zeugen
anstellten, nützte nichts; sie beharrten bei ihrer Aussage.

Zunächst betrat Lem Beebe den Zeugenstand. Das rief mir den Tag unserer
Ankunft ins Gedächtnis, wie Lem mit Jim Lane an uns vorbeigegangen war
und gesagt hatte, er wollte sich einen Hund von Jupiter Dunlap borgen.
Alles zog wieder an meiner Erinnerung vorüber: Bill und Hans Withers,
die von einem Neger redeten, der Onkel Silas Korn gestohlen hatte, und
unser Geist, der aus dem Ahornwäldchen kam und uns so erschreckte.
Der saß jetzt leibhaftig vor mir und nahm als Taubstummer und Fremder
obendrein einen besondern Stuhl innerhalb der Schranken ein; da konnte
er gemütlich die Beine übereinander schlagen, während die übrigen
Zuhörer so zusammengepfercht waren, daß sie kaum Platz zum Atemholen
hatten.

Lem Beebe leistete den Eid und begann: »Am zweiten September gegen
Sonnenuntergang ging ich mit Jim Lane am Zaun des Angeklagten vorbei.
Da hörten wir lautes Reden und Streiten, ganz in unserer Nähe, nur das
Haselgebüsch war dazwischen. Wir erkannten die Stimme des Angeklagten,
welche rief: ›Ich hab’ dir’s oft gesagt, ich bringe dich noch um!‹ dann
sahen wir einen Knüttel, der hoch emporgehoben wurde und wieder hinter
dem Gebüsch verschwand; wir hörten einen dumpfen Schlag und gleich
darauf ein Aechzen. Nun krochen wir leise näher und als wir durch den
Zaun guckten, sahen wir Jupiter Dunlap tot am Boden liegen und neben
ihm stand der Angeklagte mit dem Knüttel in der Hand. Er schleppte die
Leiche fort, um sie zu verbergen; wir aber duckten uns, damit wir nicht
gesehen würden und machten, daß wir wegkamen.«

Es war schrecklich. Den Zuhörern erstarrte fast das Blut in den Adern
und im ganzen Saal herrschte lautlose Stille. Erst als der Zeuge
fertig war, hörte man die Leute seufzen und stöhnen und sie sahen
einander mit entsetzten Mienen an.

Am meisten mußte ich mich aber über Tom verwundern. Bei den ersten
Zeugen hatte er aufgepaßt wie ein Schweißhund und sobald einer mit
seiner Aussage zu Ende war, fuhr er drauf los und that alles, was
er konnte, um ihn auf Unwahrheiten zu ertappen und sein Zeugnis zu
entkräften. Auch jetzt, als Lem anfing und nichts davon sagte, daß
er mit Jupiter gesprochen hatte und sich seinen Hund borgen wollte,
glühte Tom vor Eifer und ich merkte, wie er nur darauf lauerte, Lem ins
Kreuzverhör zu nehmen. Dann dachte ich, würden wir beide als Zeugen
auftreten und erzählen, was wir aus Lems eigenem Munde gehört hatten.
Ich sah wieder zu Tom hin, aber der war auf einmal wie ausgewechselt.
Er hörte gar nicht mehr auf das, was Lem sagte, sondern saß ganz in
sich versunken da, als schweiften seine Gedanken in weiter, weiter
Ferne. Als Lem fertig war, stieß unser Verteidiger Tom mit dem
Ellenbogen an; einen Augenblick sah er verwirrt auf und meinte: »Nehmen
Sie den Zeugen ins Verhör, wenn Sie wollen; aber mich lassen Sie in
Ruhe -- ich muß nachdenken.«

Na, da hörte doch alles auf; es ging über meine Begriffe. Ich sah
auch wie Benny und ihre Mutter den Schleier zurückschoben und mit
angstvoller Miene nach Tom hinschauten, um seinem Blick zu begegnen,
aber sie bemühten sich vergebens, er starrte immer nur auf einen Fleck.
Der Winkeladvokat nahm zwar den Zeugen vor, brachte aber nichts heraus
und verdarb die Geschichte noch vollends.

Dann wurde Jim Lane aufgerufen; er erzählte den Vorgang genau ebenso.
Tom aber gab gar nicht acht; er saß noch immer in tiefen Gedanken da
und merkte nicht, was um ihn her vorging. Der Verteidiger mußte wieder
ganz allein fragen, und auch das Ergebnis war das gleiche. Nun schaute
der öffentliche Ankläger sehr befriedigt drein, aber der Richter machte
ein verdrießliches Gesicht, denn Tom versah fast die Stelle eines
richtigen Advokaten. In Arkansas durfte der Angeklagte nämlich nach
dem Gesetz wen er wollte, zum Beistand seines Verteidigers wählen. Tom
hatte Onkel Silas überredet, ihm den Fall anzuvertrauen, und nun that
er nichts zur Sache, was dem Richter natürlich unangenehm war.

Schließlich fragte der Verteidiger Lem und Jim: »Warum habt ihr nicht
gleich angezeigt, was ihr gesehen hattet?«

»Wir fürchteten, selbst in die Sache verwickelt zu werden,« lautete die
Antwort. »Als wir aber hörten, daß nach dem Leichnam gesucht wurde,
sind wir gleich zu Brace Dunlap gegangen und haben ihm alles erzählt.«

»Wann war das?«

»Samstag abend, den 9. September.«

Hier ließ sich der Richter vernehmen:

»Sheriff,« sagte er, »verhaften Sie diese beiden Zeugen als Hehler des
Mordes.«

»Herr Richter,« rief der Ankläger in großer Erregung, »ich erhebe
Einspruch gegen dieses außergewöhnliche -- --«

»Setzen Sie sich,« erwiderte der Richter und legte sein Dolchmesser vor
sich auf den Tisch. »Ich bitte, daß Sie dem Gerichtshof die schuldige
Achtung erweisen.«

Der nächste Zeuge war Bill Withers.

Nach seiner Vereidigung sagte er aus: »Ich kam am Samstag den 2.
September gegen Sonnenuntergang mit meinem Bruder Hans am Feld des
Gefangenen vorbei, da sahen wir einen Mann, der eine schwere Last auf
dem Rücken trug. Wir konnten ihn nur undeutlich sehen, aber es schien,
als schleppe er einen Menschen, dessen Glieder so schlaff herabhingen,
daß wir meinten, er müsse wohl betrunken sein. Nach dem Gang des Mannes
zu urteilen, war es Pastor Silas und wir dachten, er hätte vielleicht
den Trunkenbold Sam Cooper, den er schon lange zu bessern versucht, im
Straßengraben gefunden und schaffte ihn nun nach Hause.«

Den Leuten grauste, als sie sich vorstellten, wie der alte Onkel Silas
den Ermordeten in seine Tabakpflanzung geschleppt hatte, wo der Hund
hernach die Leiche aufwühlte. Viel Mitgefühl war aber nicht in den
Gesichtern zu lesen, und einer sagte zu seinem Nachbar: »Schauderhaft,
den Toten so herumzutragen und dann im Boden zu verscharren, wie das
erste beste Tier -- und so was kann ein Pastor thun!«

Auch diesen Zeugen mußte der Verteidiger allein vornehmen; Tom war wie
blind und taub, er rührte sich nicht.

Nach Bill kam Hans Withers und wiederholte alles, was sein Bruder
gesagt hatte.

Dann wurde Brace Dunlap aufgerufen. Der sah so kummervoll aus, als ob
ihm das Weinen nahe wäre. Im Saal entstand eine große Bewegung; alle
horchten auf, um ja kein Wort zu verlieren; die Weiber flüsterten: »Der
arme Mensch!« und viele sah man sich die Augen trocknen.

Brace Dunlap leistete den Eid, dann sagte er:

»Ich war schon lange in Sorge um meinen armen Bruder, doch hoffte ich
immer noch, die Sachen stünden nicht so schlimm wie er sie schilderte.
Wie hätte ich auch denken sollen, daß es irgend jemand übers Herz
bringen würde, einem so harmlosen Geschöpf ein Leid anzuthun. Und daß
gar der Pastor ihm nach dem Leben trachtete, konnte mir gar nicht in
den Sinn kommen. Aber nie, nie werde ich mir vergeben, daß ich der
Sache nicht gleich ein Ende gemacht habe; hätte ich das gethan, so
wäre mein armer unschuldiger Bruder heute noch am Leben, und nun liegt
er dort drüben -- grausam ermordet.« Die Rührung übermannte ihn; er
mußte eine Weile warten, weil ihm die Stimme versagte. Von allen Seiten
wurden teilnahmvolle Worte laut und die Weiber weinten. Dann entstand
eine feierliche Stille; nur der arme alte Onkel Silas stöhnte aus
tiefster Brust, so daß es jedermann hörte.

Brace fuhr fort: »Samstag den 2. September kam er nicht zum Nachtessen
heim. Als es spät wurde, schickte ich einen meiner Neger nach der
Wohnung des Angeklagten; aber dort war mein Bruder nicht. Meine Unruhe
wuchs; zwar legte ich mich zu Bette, aber an Schlaf war nicht zu
denken. In der Nacht stand ich noch einmal auf, ging nach dem Hause
des Angeklagten und irrte da lange umher in der Hoffnung, meinen armen
Bruder zu treffen. Ach, ich wußte ja nicht, daß er schon aus aller
Not in ein besseres Jenseits entrückt war.« Wieder versagte ihm die
Stimme und man hörte die Weiber schluchzen. Bald nahm Brace einen neuen
Anlauf: »Das Warten war vergebens. Ich ging heim und legte mich nieder.
Ein paar Tage später gerieten die Nachbarn auch in Sorge und fingen
an, von den Drohungen zu reden, die der Angeklagte ausgestoßen hatte.
Ihre Ansicht, daß mein Bruder ermordet sei, teilte ich nicht; aber
das Gerücht verbreitete sich, man fing an, nach der Leiche zu suchen.
Ich war der Meinung, mein Bruder habe sich irgendwohin geflüchtet, um
etwas Ruhe zu haben und er werde über kurz oder lang zurückkehren. Da
kamen am Samstag den 9. Lem Beebe und Jim Lane noch spät abends zu
mir und erzählten mir alles -- so erfuhr ich den gräßlichen Mord, der
mir fast das Herz brach. Zugleich erinnerte ich mich an einen Umstand,
auf den ich vorher kein großes Gewicht legte, weil ich gehört hatte,
der Angeklagte sei ein Nachtwandler und thue im Schlaf allerlei, wovon
er kein Bewußtsein habe. In jener schrecklichen Nacht, am Samstag
nämlich, als ich voll Sorge und Kummer umherirrte, kam ich auch an
die Tabakpflanzung des Angeklagten und hörte ein Geräusch, als ob der
Boden aufgegraben würde. Ich schlich näher und sah durch die Hecke
einen Mann, der Erde in ein Loch schaufelte, das schon fast zugefüllt
war. Er stand mit dem Rücken nach mir, aber im Mondlicht erkannte ich
den Angeklagten an seinem alten grünen Arbeitskittel mit dem weißen
Flicken zwischen den Schultern, der aussieht, als hätte ihn jemand mit
einem Schneeball geworfen. Er war gerade beschäftigt, den Mann, _den er
erschlagen hatte, im Boden zu verscharren_.«

Weinend und schluchzend sank Brace auf seinen Stuhl nieder und
durch den ganzen Saal ging ein Klagegestöhn. »Wie schauderhaft, wie
gräßlich!« klang es von allen Seiten; die Unruhe nahm mit jeder Minute
zu. Da auf einmal erhob sich der alte Onkel Silas; er sah so weiß aus,
wie ein Tuch und rief:

»_Es ist alles buchstäblich wahr -- ich habe ihn mit kaltem Blute
umgebracht!_«

Die Leute waren erst starr vor Schrecken, dann entstand ein wilder
Lärm. Jeder sprang von seinem Sitze auf und reckte den Hals, um besser
sehen zu können. Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch und
der Sheriff kreischte: »Ruhe und Ordnung im Gerichtssaal -- Ruhe!«

Von alledem schien Tom Sawyer nicht das mindeste zu merken. Wahrhaftig,
da saß er, starrte ins Leere und schaute auch nicht ein einzigesmal
nach Onkel Silas hin.

Unterdessen stand der alte Mann noch immer hoch aufgerichtet, mit
glühenden Blicken und an allen Gliedern bebend da. Er wehrte seine
Frau und Tochter ab, die sich an ihn klammerten und flehten, er solle
schweigen. Nein, er _wollte_ das Verbrechen nicht mehr auf der Seele
haben, er _wollte_ die Last abwälzen, unter der er erliegen mußte,
keine Stunde länger wollte er sie tragen. Und während alle Zuschauer
ihn entsetzt anstarrten, während der Richter, die Geschworenen, die
Anwälte nach Atem rangen, während Benny und Tante Sally schluchzten,
daß es einen Stein erbarmen konnte, floß dem alten Mann sein grausiges
Bekenntnis über die Lippen, wie ein Strom, der aus seinen Ufern bricht:

»Ich habe ihn umgebracht. Ich bin der Schuldige! Doch hatte ich noch
nie im Leben daran gedacht, ihm Schaden oder Leid zuzufügen, bis zu dem
Augenblick, als ich den Stock erhob. Daß ich ihm schon früher gedroht
haben soll, ist nicht wahr. Ganz plötzlich ward es mir eiskalt ums
Herz, alles Mitleid war verflogen, ich wollte ihn töten und schlug zu.
In dem Moment kam mir alles zum Bewußtsein, was ich erlitten hatte,
aller Schimpf, den mir der Mann und sein schurkischer Bruder dort
angethan, die zusammen darauf ausgegangen waren, mich bei den Leuten in
Verruf zu bringen, mir den guten Namen abzuschneiden und mich solange
zu quälen, bis ich eine That beging, die mich und die Meinigen ins
Verderben stürzte, während wir ihnen doch, weiß Gott, nie etwas zuleide
gethan hatten. Es war nichts, als gemeine Rache von ihnen. Und wofür?
-- Bloß weil meine arme unschuldige Tochter hier den reichen, frechen
und feigen Nichtsnutz, den Brace Dunlap, nicht heiraten wollte, der
jetzt solchen Schmerz um seinen Bruder heuchelt, dem er sein Lebtag
nichts Gutes gegönnt hat. -- In jenem Augenblick vergaß ich mein
Seelenheil und dachte nur an meinen bittern Groll -- ich schlug zu, um
meinen Feind zu töten -- verzeih mir’s Gott! -- Sofort that mir’s von
Herzen leid, mich überfiel die Reue; doch dachte ich an die Meinigen
und um ihretwillen wollte ich meine Missethat verbergen. Erst schleppte
ich die Leiche ins Gebüsch und später in das Tabakfeld. Im nächtlichen
Dunkel schlich ich mich dorthin und begrub den Erschlagenen -- --«

Auf einmal schnellte Tom von seinem Sitz in die Höhe: »Jetzt hab’
ich’s,« rief er triumphierend und streckte die Hand mit förmlich
hoheitsvoller Gebärde nach dem alten Mann aus.

»Setz’ dich, Onkel! Es ist zwar ein Mord verübt worden, aber du bist’s
nicht gewesen, der ihn begangen hat.«

Im Nu wurde es totenstill im Saal. Der Alte sank verwirrt auf seinen
Stuhl; Tante Sally und Benny starrten Tom mit offenem Munde an und
auch die übrigen Anwesenden wußten kaum, wo ihnen der Kopf stand, vor
maßlosem Staunen und unbeschreiblicher Ueberraschung.

»Darf ich reden, Herr Präsident?«

»Um Gottes willen ja -- so sprich doch!« rief der Richter, der seinen
Ohren nicht traute.

Tom stand und wartete noch ein paar Sekunden -- um die Wirkung zu
erhöhen, wie er es nennt -- dann begann er mit größter Gelassenheit:

»Seit etwa zwei Wochen ist hier vorn am Gerichtshause eine
Bekanntmachung angeschlagen, in der eine Belohnung von 2000 Dollars
für Wiedererlangung von zwei großen Diamanten geboten wird, die in St.
Louis gestohlen worden sind. Die Diamanten sind zwölftausend Dollars
wert. Doch darauf komme ich später zurück. Jetzt will ich von dem Mord
reden und sagen, wie es dazu kam, wer ihn begangen hat -- und alle
Einzelheiten.«

Nein, wie sie alle die Köpfe vorstreckten und horchten, damit ihnen
kein Wort entginge! --

»Der Mann hier, der jetzt so um seinen toten Bruder jammert, für
den er, solange er lebte, keinen Pfifferling gegeben hätte, wie ihr
recht wohl wißt -- dieser Brace Dunlap wollte das junge Mädchen dort
heiraten, aber sie nahm ihn nicht. Da drohte er Onkel Silas, das
sollte ihnen noch allen teuer zu stehen kommen. Onkel wußte, daß er
gegen solchen Mann nichts auszurichten vermochte; das ängstigte ihn
sehr und er that alles Erdenkliche, um ihn zu besänftigen und wieder
zu versöhnen. Er nahm sogar seinen nichtsnutzigen Bruder Jupiter als
Arbeiter auf die Farm und sparte sich und den Seinigen den Lohn, den
er ihm zahlte, am eigenen Leibe ab. Jupiter aber that alles, was sein
Bruder nur ersinnen konnte, um Onkel Silas zu beleidigen, zu ärgern und
zu quälen, damit Onkel sich vom Zorn fortreißen ließe und so um seinen
guten Ruf kam. Der Plan gelang. Alle wandten sich von Onkel ab und
glaubten den ausgestreuten Verleumdungen. Das nahm sich der alte Mann
so zu Herzen, daß er vor lauter Kummer und Trübsal oft gar nicht recht
bei Sinnen war.

»An jenem schrecklichen Samstag nun, kamen die zwei Zeugen Lem Beebe
und Jim Lane an dem Acker vorüber, wo Onkel Silas und Jupiter bei der
Arbeit waren -- so viel von ihrer Aussage ist wahr, das übrige sind
lauter Lügen. Sie haben weder Onkel Silas sagen hören, daß er Jupiter
umbringen wollte, noch haben sie ihn den Schlag führen sehen. Den
Leichnam haben sie auch nicht erblickt und ebenso wenig, daß Onkel
etwas im Gebüsch verborgen hat. -- Seht sie nur an, wie sie jetzt
dasitzen und wünschen, sie hätten ihre Zungen besser im Zaum gehalten.
Sie werden noch ganz andere Gesichter machen, wenn ich alles erst ins
reine gebracht habe.

»An dem nämlichen Samstag abend haben Bill und Hans Withers gesehen,
wie ein Mann den andern auf der Schulter fortschleppte. Soweit haben
sie die Wahrheit gesprochen, das andere ist erlogen. Zuerst glaubten
sie, ein Neger hätte dem Onkel Silas Korn gestohlen. -- Seht nur, wie
verdutzt sie jetzt dreinschauen, weil sie erfahren, daß jemand sie das
hat sagen hören. Später ist’s ihnen sonnenklar geworden, wer die Leiche
fortgeschafft hat, und sie wissen recht gut, warum sie hier vor Gericht
geschworen haben, sie hätten Onkel Silas am Gang erkannt. Er war’s aber
doch nicht, und das wußten die meineidigen Zeugen ebenfalls.

»Es ist möglich, daß ein Mann beim Mondenschein gesehen hat, wie der
Leichnam in der Tabakpflanzung vergraben wurde -- aber Onkel Silas hat
nichts damit zu thun gehabt. Der lag zu selbiger Zeit daheim in seinem
Bett.

»Ehe ich weiter erzähle, möchte ich die Anwesenden noch daran erinnern,
daß viele Menschen, wenn sie tief in Gedanken geraten oder innerlich
erregt sind, die Gewohnheit haben, irgend etwas mit ihren Händen zu
thun, ohne es zu wissen. Sie fassen sich ans Kinn oder an die Nase,
drehen an einem Knopf oder ihrer Uhrkette, streichen sich übers Haar
oder den Bart. Manche zeichnen sich auch mit dem Finger ein Bild
oder einen Buchstaben ins Gesicht. Das ist meine Manier. Wenn mich
etwas quält oder ärgert, oder wenn ich recht nachdenke, male ich mir
immerfort ein großes ~V~ auf die Backe oder das Kinn und meistens merke
ich selbst gar nichts davon.«

Komisch! Mir geht das ebenso. Nur mache ich ein ~O~. Ich sah auch, wie
die Leute im Saal einander anstießen und zunickten, was so viel heißen
sollte, wie: Ja, so ist’s!

»Am selben Samstag -- nein, es war am Abend vorher --« fuhr Tom fort,
»lag ein Dampfboot an der Landungsbrücke vierzig Meilen flußaufwärts
von hier; es stürmte und regnete, was nur vom Himmel wollte. An Bord
war der Dieb, der die zwei großen Diamanten gestohlen hatte, von
denen die Bekanntmachung hier am Gerichtshaus redet. Er schlich sich
mit seinem Reisesack ans Land, ging in die dunkle Sturmnacht hinaus
und hoffte, diese Stadt mit heiler Haut zu erreichen. Allein auf dem
Dampfboot hielten sich auch zwei seiner Genossen verborgen, welche, wie
er wußte, nur auf die Gelegenheit lauerten, ihn umzubringen, um die
Diamanten zu bekommen. Die drei Spießgesellen hatten die Edelsteine
nämlich miteinander gestohlen, jener erste Dieb aber hatte sie
eingesteckt und sich damit aus dem Staube gemacht.

»Na, er war kaum zehn Minuten fort, als seine Genossen Lunte rochen.
Sie sprangen ans Land und jagten hinter ihm drein. Wie sie seine Spur
gefunden haben, weiß ich nicht, aber den ganzen Samstag über blieben
sie ihm auf den Fersen und gaben dabei acht, daß er sie nicht zu
Gesicht bekam. Gegen Sonnenuntergang erreichte er das Ahornwäldchen
bei Onkel Silas’ Tabakpflanzung und schlich hinein, um die Verkleidung
anzulegen, die er im Reisesack trug und in der er sich den Leuten
zeigen wollte. -- Das geschah ungefähr zur selben Zeit, als Onkel
Silas den Jupiter Dunlap mit dem Knüttel schlug -- denn, daß er ihn
geschlagen hat, ist richtig.

»Kaum hatten aber die Verfolger ihren Diebsgenossen in das Wäldchen
treten sehen, als sie aus dem Gebüsch sprangen und ihm nachliefen. Ohne
Gnade und Barmherzigkeit fielen sie über ihn her und schlugen ihn tot,
wie laut er auch heulte und schrie.

»Zwei Männer, die auf der Straße gelaufen kamen, hatten das
Angstgeschrei gehört; sie drangen in das Wäldchen ein, -- das ohnehin
ihr Ziel gewesen war -- verjagten die Mörder und verfolgten sie in
atemloser Hast. Aber nur eine Strecke weit; dann kehrten die zwei
Männer verstohlen nach dem Ahornwäldchen zurück.

»Was thaten sie aber dort? -- Das will ich euch sagen: Sie fanden
den Ermordeten samt dem Reisesack, der alles enthielt, was zu der
Verkleidung gehörte. Die legte nun einer der Männer an, nachdem er
seine eigenen Kleider ausgezogen hatte.«

Hier machte Tom eine kleine Pause -- natürlich wegen der Wirkung --
dann sagte er mit Nachdruck: »Der Mann, welcher die Verkleidung des
Erschlagenen anlegte, war -- _Jupiter Dunlap_!«

»Gerechter Himmel!« Ein Schrei der Ueberraschung ging durch den Saal
und in Onkel Silas’ Gesicht spiegelte sich maßloses Erstaunen.

»Ja, es war Jupiter Dunlap, der folglich nicht tot sein konnte. Er zog
dem Ermordeten die Stiefel aus und vertauschte sie gegen seine eigenen
abgetragenen Schuhe; diese, sowie seine übrigen Sachen wurden der
Leiche angelegt. Jupiter Dunlap blieb nun wo er war, der andere Mann
aber schleppte den Leichnam im Dämmerlicht nach der Tabakpflanzung; um
Mitternacht schlich er sich dann in Onkel Silas’ Haus, nahm den grünen
Arbeitskittel von dem Nagel im Gang zwischen dem Haus und der Küche,
wo er immer hängt, zog ihn an, holte die große Schaufel und ging damit
nach dem Feld, wo er den Toten begrub.«

Jetzt stand Tom wohl eine Minute schweigend da. Dann fuhr er fort:
»Wer aber glaubt ihr, daß der Ermordete war? -- Kein anderer, als Jack
Dunlap, der längst verschollene Einbrecher!«

»Gerechter Himmel!«

»Und der Mann, der ihn begraben hat, war sein Bruder -- Brace Dunlap.«

»Gerechter Himmel!«

»Der Fremde dort aber, der jetzt ein so blödsinniges Gesicht macht und
sich seit Wochen gestellt hat, als ob er taub und stumm wäre, das ist
-- Jupiter Dunlap!«

Solches Gebrüll, solcher Wirrwarr wie jetzt entstand, ist mir all
mein Lebtag nicht vorgekommen. Tom sprang auf Jupiter zu, er riß ihm
die Brille samt dem falschen Bart herunter und siehe, da stand der
Ermordete leibhaftig da und war ganz und gar nicht tot. Tante Sally
und Benny fielen Onkel Silas um den Hals und erstickten ihn fast mit
ihren Küssen und Liebkosungen, so daß der alte Mann noch erstaunter und
verwirrter dreinschaute, als je zuvor.

Nun aber fing die ganze Versammlung an zu schreien: »Tom Sawyer, Tom
Sawyer! Er soll weiter reden! Stille! Stille! Tom Sawyer soll uns alles
berichten!«

Na, das schmeichelte Tom nicht wenig. Ich weiß, ihm ist nichts lieber,
als wenn er in der Oeffentlichkeit auftreten und eine Heldenrolle
spielen kann, wie er’s nennt. Als sich der Lärm wieder gelegt hatte,
sagte er:

»Der Rest ist bald erzählt. Es war dem Brace Dunlap gelungen, Onkel
Silas durch seine Quälereien so zur Verzweiflung zu bringen, daß
er fast von Sinnen kam und seinem nichtsnutzigen Bruder den Schlag
versetzte. Nun lief Jupiter nach dem Wald, um sich da zu verstecken,
und der Plan war vermutlich, daß er bei Nacht außer Landes gehen
sollte. Dann konnte Brace das Gerücht verbreiten, Onkel Silas habe
seinen Bruder umgebracht und die Leiche irgendwo versteckt. Dadurch
war Onkel zu Grunde gerichtet; er mußte den Ort verlassen, ja er kam
vielleicht an den Galgen. Als die beiden aber den Toten im Wäldchen
fanden -- ohne zu wissen, daß es ihr Bruder war, denn die Mörder hatten
ihn arg zugerichtet -- da änderten sie den Plan. Sie verkleideten
alle beide, begruben Jack und als die Leiche aufgefunden wurde, hatte
sie Jupiters Kleider an. Jim Lane und die andern Zeugen ließen sich
bestechen, ein paar Lügen zu beschwören, die in Brace Dunlaps Kram
paßten. Seht nur, wie übel ihnen jetzt zu Mute ist -- ich hab’s ja
vorausgesagt.

»Wir sind nämlich auf dem Dampfboot mit den Dieben flußabwärts
gefahren, Huck Finn und ich. Da erzählte uns der Tote von den Diamanten
und sagte, seine Genossen würden ihn umbringen, sobald sie könnten und
wir versprachen ihm nach Kräften beizustehen. Eben wollten wir nach dem
Ahornwäldchen, da hörten wir sein Todesgeschrei; als wir aber am frühen
Morgen nach dem Gewitter wieder hinkamen, fanden wir keine Leiche
und meinten, es wäre am Ende gar kein Mord begangen worden. Wir sahen
Jupiter in derselben Verkleidung herumstolzieren, die Jack uns gezeigt
hatte und die er anziehen wollte. Natürlich glaubten wir, es wäre Jack
selbst, der sich taubstumm stellte, wie verabredet war.

»Nun suchten wir, Huck und ich, nach der Leiche, als die andern es
aufgaben; wir fanden sie auch und waren zuerst stolz darauf. Aber Onkel
Silas jagte uns einen furchtbaren Schreck ein mit der Behauptung, er
hätte Jupiter totgeschlagen.

»Da der Leichnam durch uns ans Tageslicht gekommen war, fühlten wir uns
verpflichtet, für Onkels Rettung zu sorgen; aber das war ein schweres
Stück Arbeit, denn Onkel wollte sich nicht aus dem Gefängnis befreien
lassen, wie damals unser alter Neger Jim.

»Den ganzen Monat lang dachte ich über ein Mittel nach, Onkel
Silas loszukriegen, doch mir fiel nichts ein. Als ich heute zur
Gerichtsverhandlung ging, wußte ich weder Rat noch Hilfe, mir kam kein
rettender Gedanke. Nicht lange aber, da beobachtete ich etwas, nur eine
winzige Kleinigkeit, aber sie brachte mich zum Nachdenken. Während
ich nun scheinbar im Sinnen verloren dasaß, war ich fortwährend auf
der Lauer und richtig, gerade als Onkel Silas uns all den Unsinn
auftischte, wie er Jupiter Dunlap umgebracht hatte, sah ich das Ding
wieder. Da sprang ich auf und unterbrach die Verhandlung, weil ich
wußte, daß Jupiter Dunlap dort leibhaftig vor mir saß. Ich erkannte ihn
an etwas, das er zu thun pflegte, als ich letztes Jahr hier war und das
er jetzt wieder that.«

Tom wartete die Wirkung ein Weilchen ab, machte dann eine Bewegung,
als ob er sich setzen wollte und sagte in gleichgültigem Ton: »Na, ich
glaube, das ist alles!«

Ein Geschrei aus hundert Kehlen ging durch den Saal: »Was hat er
gethan? Was war es, das du gesehen hast? Bleib’ stehen, du Teufelsjunge
und sag’ es uns. Denkst du, wir lassen uns so abspeisen, nachdem du uns
den Mund wässerig gemacht hast!«

»O, es war gar nicht viel. Ich sah, wie er immer ängstlicher und
aufgeregter wurde, während sich Onkel Silas um den Hals redete, wegen
eines Mordes, der gar nicht begangen worden war -- auf einmal fuhr er
mit den Händen hin und her, hob seine Linke in die Höhe und zeichnete
sich mit dem Finger ein Kreuz auf die Backe -- da war ich meiner Sache
sicher.«

Nun begann ein Beifallklatschen, ein Stampfen und Hochrufen, bis Tom
Sawyer sich kaum zu lassen wußte, vor lauter Stolz und Glück. Der
Richter blickte über den Tisch nach ihm hin und sagte:

»Mein Sohn, hast du denn die verschiedenen Einzelheiten dieser
seltsamen Verschwörung und Tragödie, die du uns schilderst, alle selbst
gesehen?«

»Nein, Herr Präsident, gesehen habe ich nichts davon!«

»Nichts gesehen? -- Aber du hast uns ja die ganze Geschichte von Anfang
bis zu Ende erzählt, als ob du Augenzeuge gewesen wärest. Wie ist das
möglich?«

»Ich habe nur die Thatsachen zusammengestellt, und dies und jenes
daraus gefolgert,« erwiderte Tom leichthin. »Es war ein kleines Stück
gewöhnliche Detektiv-Arbeit, die jedermann ausführen könnte.«

»Ganz und gar nicht! Unter Millionen hätten das nicht zwei fertig
gebracht. Du bist wirklich ein merkwürdiger Junge!«

»Tom Sawyer hoch! Hurra Tom Sawyer!« klang es wieder durch den Saal,
und Tom hätte den Triumph nicht für eine ganze Silbermine hergegeben.
Dann sagte der Richter:

»Bist du denn aber auch sicher, daß sich die Geschichte ganz so
verhält, wie du sagst?«

»Jawohl, Herr Richter. Da sitzen ja die Zeugen und niemand weiß ein
Wort dagegen zu sagen, weder Brace Dunlap noch sein Bruder. Auch
die andern, die sich ihre Lügen haben bezahlen lassen, sind jetzt
muckstill. Falls aber Onkel Silas Widerspruch erheben sollte, so würde
ich ihm nicht glauben und wenn er es eidlich versicherte.«

Das kam den Zuhörern sehr komisch vor; sogar der Richter gab seine
würdevolle Haltung auf und lachte. Tom strahlte ordentlich vor Freude,
und als alle sich wieder gefaßt hatten, sagte er:

»Herr Präsident, hier im Saal ist ein Dieb.«

»Was, ein Dieb?«

»Ja. Er hat die Diamanten für zwölftausend Dollars bei sich.«

»Wo -- wo ist er? -- Wer ist es? -- Zeige ihn uns!« schrien alle
durcheinander.

»Nenne ihn mir, mein Sohn, der Sheriff soll ihn festnehmen. Wer ist
es?« sagte der Richter.

»Jupiter Dunlap, der Totgeglaubte.«

Wieder entstand die grenzenloseste Aufregung; aber Jupiter, der vorher
schon ganz verdutzt gewesen war, schien jetzt förmlich versteinert vor
Ueberraschung. Endlich rief er in weinerlichem Ton:

»Herr Präsident, das ist wirklich erlogen. Ich bin ja schon schlecht
genug ohne das. Alles andere habe ich gethan und bereue es jetzt sehr.
Brace hat mich dazu überredet und mir versprochen, er wollte mich über
kurz oder lang zum reichen Manne machen. Aber die Diamanten habe ich
nicht gestohlen. Gewiß und wahrhaftig, ich habe keine Diamanten, der
Sheriff kann mich durchsuchen soviel er will.«

»Herr Präsident,« warf Tom ein, »es war vielleicht nicht richtig, daß
ich ihn einen Dieb genannt habe. Er hat die Diamanten gestohlen, ohne
es zu wissen. Sein Bruder Jack stahl sie den andern Dieben und Jupiter
stahl sie seinem Bruder Jack, als er tot am Boden lag. Seit einem Monat
läuft er mit den Zwölftausend-Dollar-Diamanten hier herum, als wenn er
ein armer Mann wäre. Auch jetzt trägt er diesen ganzen Reichtum bei
sich.«

»Durchsucht ihn, Sheriff,« sagte der Richter.

Der Sheriff durchsuchte ihn von Kopf bis zu Fuß: seinen Hut, die
Socken, die Nähte seiner Kleider, die Stiefel, kurz, alles. Tom stand
ruhig dabei und paßte auf den geeigneten Moment. Endlich gab es der
Sheriff auf. Enttäuschung malte sich in allen Mienen und Jupiter sagte:

»Da seht ihr doch, daß ich recht hatte!«

»Diesmal hast du dich wohl geirrt, mein Sohn,« äußerte der Richter.

Tom nahm eine nachdenkliche Stellung an; er schien sich aus allen
Kräften zu besinnen und kratzte sich verlegen den Kopf. Plötzlich
machte er ein vergnügtes Gesicht.

»Jetzt hab’ ich’s,« sagte er aufschauend. »Ich hatte es bloß vergessen.«

Tom sprach nicht die Wahrheit, das wußte ich; doch er fuhr ruhig fort:

»Will jemand so gut sein mir einen kleinen Schraubenzieher zu leihen?
In dem Reisesack Eures Bruders, den Ihr Euch angeeignet habt, Jupiter,
ist einer gewesen, aber den habt Ihr wohl nicht mitgenommen?«

»Nein, ich konnte ihn nicht brauchen und hab’ ihn weggegeben.«

»Weil Ihr nicht wußtet, wozu er dienen sollte.«

Sobald Tom den Schraubenzieher bekam, forderte er Jupiter auf, der nach
der Durchsuchung die Stiefel wieder angezogen hatte, einen Fuß auf den
Stuhl zu stellen; dann kniete er nieder und schraubte das Plättchen
vom Absatz ab. Als er den großen Diamanten zum Vorschein brachte und
ihn im Sonnenschein funkeln ließ, waren die Leute ganz außer sich vor
Verwunderung. Nun holte Tom auch den Diamanten aus dem andern Absatz
und Jupiters Miene wurde immer trübseliger. Er mochte wohl denken, daß
er hätte auf und davongehen und als ein reicher, gemachter Mann im
Ausland leben können, wäre er klug genug gewesen, zu erraten, wozu der
Schraubenzieher im Reisesack steckte. Jetzt erntete Tom Lob und Ruhm
nach Herzenslust. Der Richter nahm die Diamanten an sich, stand auf,
schob seine Brille in die Höhe, räusperte sich und sagte:

»Ich werde sie verwahren und dem Eigentümer Anzeige machen. Wenn er
sie dann abholen läßt, wird es mir ein großes Vergnügen bereiten, dir,
mein Sohn, die zweitausend Dollars Belohnung einzuhändigen. Du hast
aber nicht nur dies Geld verdient, sondern auch den aufrichtigen Dank
der ganzen Bürgerschaft. Durch dich ist eine unschuldige Familie vor
Schmach und Verderben gerettet worden und ein ehrenwerter Mann vor dem
Verbrechertode. Obendrein ist es dir gelungen, die Schändlichkeit eines
grausamen, verruchten Schurken und seiner elenden Helfershelfer ans
Licht zu ziehen und der Gerechtigkeit einen großen Dienst zu erweisen.«

Wäre nur noch ein Musikchor zur Stelle gewesen, um einen Tusch zu
blasen, so hätte nach meiner Meinung die Sache gar keinen schöneren
Abschluß finden können; darin stimmte Tom Sawyer ganz mit mir überein.

Der Sheriff nahm nun Brace Dunlap und seine Spießgesellen in Haft;
einige Wochen später ward ihnen der Prozeß gemacht und sie erhielten
ihre gerechte Strafe. Onkel Silas und die Seinigen aber standen von
jetzt ab wieder in hohem Ansehen bei der Gemeinde; seine kleine alte
Kirche war immer gedrängt voll und man erwies ihnen so viel Liebes
und Gutes, als man nur konnte. Mit der Zeit kam der alte Mann auch
wieder zu Verstande und seine Predigten waren nicht besser und nicht
schlechter, als sie früher gewesen. So war denn die ganze Familie
seelenvergnügt und Tom Sawyer wurde aus lauter Dankbarkeit gepflegt
und verhätschelt, wie noch nie; ich aber auch, obgleich ich nichts
gethan hatte. Als dann die zweitausend Dollars kamen, gab mir Tom die
Hälfte ab und sagte keinem ein Wort davon, worüber ich mich gar nicht
verwunderte, denn ich kannte ihn ja.

[Illustration]



Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=.

Memoirenbibliothek

Bisher erschienen 24 Bände.

Jedes Werk ist einzeln käuflich.

[Illustration]

Die hier angekündigten Memoirenwerke bergen

_eine Fülle der besten Unterhaltungslektüre für den Gebildeten._

Die »Kreuzzeitung« schrieb: »Solche Werke sind für gebildete Laien
eine =weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die Mehrzahl aller
Romane=.«

Siehe die Urteile über die einzelnen Memoiren. -- Die Werke von
=Boyen=, =Bourgogne=, =Macdonald=, =Marbot=, =Ryan=, =Genast= und
=Helen Keller=, eignen sich auch für _=die reifere Jugend=_.

[Illustration]

_Ausführliche Prospekte über jedes einzelne Werk stehen zur Verfügung._



_General Marbot_

Memoiren 1789--1815

Deutsche Ausgabe nach der 40. Auflage des Originals.

=3 Bände=, 70 Bg. m. Porträt, brosch. Mk. 13.50, geb. Mk. 16.50, in
Halbfrz. Mk. 19.50.

=I. Band=: Genua -- Austerlitz -- Jena -- Eylau. =II. Band=: Madrid --
Aspern -- Torres-Vedras. =III. Band=: Polozk -- Beresina -- Leipzig --
Waterloo.

[Illustration]

Es dürfte dem hochinteressanten Werke zur besonderen Empfehlung
gereichen, dass es eine =Lieblingslektüre des Fürsten Bismarck= in
seinen letzten Jahren gewesen ist.

            Bohemia, Prag.

Marbots Aufzeichnungen in ihrer vorliegenden Verdeutschung halten
sich von jeder Anstössigkeit frei, sei es der Tendenz nach, oder in
sittlicher Beziehung, und sind dabei =mit einem Elan geschrieben=, der
auf =junge Leser= unfehlbar seine Wirkung tun muss. Es ist so recht ein
Buch, das auf den Weihnachtsgabentisch eines Soldaten in spe gehört.

            Nordd. Allg. Ztg.

Ruhig muss man diese Memoiren geniessen, mit der frischen
Empfänglichkeit der Jugend. Dann sind sie einfach bezaubernd.
Französische Eleganz, gallischer Esprit, loyale Gesinnung auch gegen
den Feind, Stimmungen vom lautersten Humor bis zur tiefernsten Rührung
durchziehen das Ganze.

            St. Galler Blätter.

... Wenn wir Marbots erfolgreiches Buch überschauen, müssen wir
zugeben, dass keine anderen Memoiren aus jenen Tagen =eine solche Fülle
von Ereignissen umspannen= ... Niemand, der sich vom inneren Wesen
jener Zeit ein Bild machen will, kann das Buch entbehren.

            Carl Bleibtreu, Pester Lloyd.

Die Memoiren Marbots leuchten mit besonderer Klarheit in die Zeit des
ersten Napoleon hinein, weil sie von einem ehrlichen und unbefangenen
Manne geschrieben sind, der, von einem seltenen Glück begünstigt,
Teilnehmer fast aller damaligen Feldzüge gewesen ist und fast alle
entscheidenden Katastrophen miterlebte.

            Ueber Land und Meer.



_Feldmarschall Boyen_

Denkwürdigkeiten und Erinnerungen 1771--1813

=2 Bände=, 49 Bog. m. Porträt. =Preis= brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb.
Mk. 11.--, in Halbfrz. Mk. 13.--.

[Illustration]

=Zu den schönsten Memoirenwerken= und überhaupt zu den =Perlen der
deutschen Literatur= gehören die Denkwürdigkeiten des Feldmarschalls
v. Boyen; sie geben ein mächtiges Bild von der Individualität des
Verfassers und von dem Geiste seiner Zeit.

            Preuss. Jahrbücher.

Beim Lesen der Memoiren wird jeder erkennen, dass ein =grosser Geist=
mit offenem Auge und völliger Beherrschung der Verhältnisse dieselben
geschrieben hat.

            Histor. Monatsbl. f. Posen.

Diese Darstellung einer der wichtigsten Epochen der deutschen
Geschichte ist wie wenige Bücher geeignet in der =reiferen deutschen
Jugend= vaterländische Gesinnung und Opferfreudigkeit zu entfachen.

            Südwestd. Schulblätter.

Wie ein ernstes, erhabenes Drama, dem es aber bei aller Härte doch
auch an behaglichen und idyllischen Zügen nicht fehlt, lässt sich der
Verfasser die Blumen- und Dornenkette seiner Tage durch die Erinnerung
gleiten.

            Westerm. Monatshefte.

Man wird in Zukunft Boyens Denkwürdigkeiten nicht ausser Acht lassen
dürfen, wenn man sich über Persönlichkeiten, Stimmungen und Ereignisse
der Befreiungskriege unterrichten will.

            Allg. Schweizer Zeitg.

Man wird von Seite zu Seite aufs Neue gefesselt, und ehe man
sich dessen versieht, hat man die 2 Bände von Anfang bis zu Ende
durchgelesen.

            Posener Zeitung.

Boyens Denkwürdigkeiten vereinigen jedenfalls =eine Fülle von
hochinteressanten Erlebnissen=, die umso prägnanter wirken, als
sie uns in der eleganten Darstellung eines hochgebildeten und
scharfbeobachtenden Mannes entgegentreten.

            Düna-Zeitung. Riga.



_C. F. von Holten_

Vom dänischen Hofe

Erinnerungen aus der Zeit Friedrichs VI., Christians VIII. und
Friedrichs VII.

16 Bg. m. 4 Porträts. Preis brosch Mk. 4.50, in Lwd. geb. Mk. 5.50,
Halbfranz Mk. 6.50.

[Illustration]

Wir durchschreiten gewissermassen eines jener alten dänischen
Königsschlösser, die träumerisch auf den grauen Sund hinausschauen,
und betrachten die Porträts: die Herrscher und ihre Gemahlinnen, die
fürstlichen Verwandten, den Hofstaat, die Grössen der Wissenschaft, der
Kunst, der Politik, die sie umgeben -- -- -- Holten hat eine charmante
Art, das =Charakteristische= an den Personen herauszuheben und ergötzt
oft durch humoristische Darstellung.

            Kleines Journal, Berlin.

Sein Werk macht nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches zu sein;
es bringt uns in schlichtem Plauderton die Grossen der Welt näher und
lässt uns mancherlei Blicke in ihr privates Leben tun. Viele werden
gerne zu dem Buche greifen, und die Stunden nicht bereuen, welche sie
bei der harmlosen Lektüre verbracht haben.

            Nord-Ostsee-Zeitung.

Das Buch, =das sich spannend wie ein Roman= liest, ist voll von
Anekdoten vielfach heiterer Natur: Eine Menge von Originalen zieht
an uns vorüber; der Hofstaat dreier Könige, sie selbst nebst ihren
Familien, darunter die vielgenannte Gräfin Danner. =Bezaubernd ist
der Freimut=, mit dem der liebenswürdige Verfasser ungeniert über all
diese internen Dinge zu plaudern weiss. Für jeden, der den dänischen
Verhältnissen in den 30er Jahren und dem ganzen Zeitraum bis 1864
Interesse entgegenbringt, werden diese Memoiren lehrreich und amüsant
sein.

            Düna-Zeitung, Riga.



_François Bourgogne_

Sergeant der franz. Kaisergarde

Kriegserlebnisse 1812--13

Mit 16 Vollbildern von Faber du Faur und Yvon. =2. Aufl.= (4.--5.
Tausend.) 363 Seiten. Preis brosch. M. 6.--, in Lwd. geb. M. 7.50, in
Halbfranz. M. 8.50.

[Illustration]

Bourgognes Memoiren gehören zu den Büchern, bei denen der Leser die
Schläge der Mitternachtsstunde überhört; und viele Scenen, wie die
des brennenden Posthauses zwischen Moskau und Smolensk, die an den
Lederstrumpf erinnernden Jagden der Kosaken vor der Beresina, die
Uebergangsszenen, und die letzten Abenteuer bei Wilna und Kowno prägen
sich dem Leser unverlöschlich ins Gedächtnis.

            Literar. Echo.

Der =spannendste Roman=, die interessanteste Reiseschilderung =kann
kaum fesselnder sein=, als hier das Buch des schlichten Sergeanten. Oft
wenn er von den Schrecknissen des Winters, der fürchterlichen Kälte,
die bis zu 28 Grad stieg, erzählt, bei der die todesmüden Krieger
marschieren, kampieren und die grössten Entbehrungen erdulden mussten,
wird man lebhaft an Nansens Wanderungen in Nacht und Eis erinnert.

            Leipziger Tageblatt.

... Es sind =erschütternde Bilder= des Elends und tiefsten Jammers, die
sich vor unsern Augen entrollen, aber auch echter Kameradschaft und
Menschenliebe, die sich =unvergänglich ins Herz graben=.

            Generalanzeiger, Hamburg.

Diese Schlichtheit und Ehrlichkeit gerade sichert seiner ganzen
Darstellung die Glaubwürdigkeit und hebt Bourgognes so ungemein
inhaltsreiches Buch über allen Verdacht romanhafter Erfindung hoch
empor auf die =Wertstufe weltgeschichtlicher Dokumente=, wie es ihrer
gleich ergreifende und erschütternde nur wenige gibt.

            Westerm. Monatsh.

Die ausserordentliche Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung
dieser durch ihre Ursprünglichkeit sich auszeichnenden Denkwürdigkeiten
wird noch unterstützt durch Reproduktionen der 15 charakteristischsten
Blätter aus dem seltenen Illustrationswerk des württembergischen
Offiziers Faber du Faur, der den russischen Feldzug von 1812 mitgemacht
hat.

            Ill. Zeitung, Leipzig.



_Fürst Krapotkin_

Memoiren eines Revolutionärs

Mit Vorwort von =Georg Brandes=. 3. Auflage.

=2 Bände=; 44 Bg. mit 3 Porträts.

Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--.

[Illustration]

Die Schilderungen sind von einer Intimität und einem Stimmungsgehalt,
die an Turgeniew erinnern. Ein Künstler ersten Ranges gibt hier seine
Erlebnisse und Eindrücke wieder ...

... Aus der Schlichtheit und Wahrhaftigkeit seiner Darstellung, aus
dem Begreifen der russischen Volksseele, aus dem unerschöpflichen
Reichtum einer gross und edel angelegten Natur entstand ein =Buch mit
Ewigkeitswerten= ...

            Die Nation.

... Der Adel der Gesinnung, der aus den Memoiren spricht, ein Adel
ohne jedes Pathos und ohne heroischen Aufputz, macht ihre Lektüre
zum ungewöhnlichen Genuss, und wo die nüchterne Kritik nicht fehlt,
auch zum ausserordentlichen Gewinn. Niemand soll es versäumen, diese
geradezu =klassisch geschriebenen Memoiren mit Andacht zu lesen=.

            Neue freie Presse.

Nicht der Nihilist und nicht der Anarchist stehen in erster Reihe, wenn
diese Memoiren gewürdigt werden sollen, sondern der =Mensch= Krapotkin
selbst. Die beiden Bände Memoiren verdienen dem modernen Plutarch
angereiht zu werden.

            Neues Wiener Tagblatt.

Dass er ein unermüdlicher Kämpfer für die Revolution, dass er ein
bedeutender Gelehrter war und ist, wussten wir schon lange. Jetzt aber
hat er uns bewiesen, dass er auch ein feinsinniger Künstler und ein
edler guter Mensch ist, ein Mensch voll Milde und Herzlichkeit. -- --
Vor uns ersteht die Sittengeschichte jener Zeit, wie sie packender,
treffender und plastischer kein Geschichtsforscher und kein Romancier
gezeichnet hat.

            Prager Tagblatt.

In der Memoirenliteratur kann das vorliegende Buch einen ganz
hervorragenden Platz beanspruchen; denn der Verfasser hat wie kaum
einer die Höhen und Tiefen des modernen Lebens, besonders in Russland,
kennen gelernt.

... Das ganze russische Volk hat hier einen =Darsteller ersten Ranges=
gefunden.

            Kölnische Zeitung.



_Henri Rochefort_

Abenteuer meines Lebens

Autorisierte deutsche Bearbeitung von =Heinr. Conrad=.

=2 Bände=; 50 Bg. mit Porträt. Preis brosch. Mk. 10.--, in Lwd. geb.
Mk. 12.--, in Halbfranz Mk. 14.--.

[Illustration]

Es sind fesselnde, mit zahlreichen unterhaltenden und pikanten
Einzelheiten durchwirkte Bilder aus dem öffentlichen und privaten Leben
Frankreichs während der letzten 2 Drittel des vergangenen Jahrhunderts
-- Bilder von scharfer Einseitigkeit, gesehen und gezeichnet von der
prononcierten Persönlichkeit eines hitzigen Draufgängers, und deshalb
hinsichtlich ihrer vollen Wahrheit wohl mancher Korrektur bedürftig,
aber in ihrer individuellen Beleuchtung =in hohem Grade interessant=.

            St. Petersburger Zeitung.

Der Stil des Werkes ist äusserst lebendig, geistreich und
epigrammatisch; ein richtiger Journalistenstil, der sich nur an
Tatsachen hält, alles Ueberflüssige und allen Wortprunk verschmähend.
=Wer sich über die letzten 40 Jahre Zeitgeschichte in amüsanter Weise
unterrichten will, der greife zu diesem Werke.=

            Elberfelder Zeitung.

Die Uebersetzung ist so mustergültig, dass es für jeden gebildeten
Leser schon an und für sich ein hoher Genuss ist, hier der liebevollen
und geistreichen Arbeit des Herausgebers zu folgen, der es verstanden
hat, den eigenartigen, geist- und witzfunkelnden Stil Rocheforts stets
sinngemäss und treffend wiederzugeben.

            Dresdener Anzeiger.

Die Darstellung Rocheforts unterhält durch ihre ausserordentliche
Farbigkeit und Beweglichkeit, sie ist unvergleichlich amüsant, und auch
historisch nicht wertlos als ein grosses Stück erlebter Zeitgeschichte.

            Vossische Zeitung.

Das Werk ist mit einer =solchen Frische und Anschaulichkeit
geschrieben=, dass man bei der Lektüre glaubt, =einen Roman vor sich
zu haben=. Die Szenen aus dem Gefängnisleben, die verschiedenen
Fluchtversuche, und die endlich glücklich erreichte Befreiung aus
Neu-Kaledonien stellen sich ähnlichen Kapiteln aus Dumas’schen oder
Sue’schen Romanen würdig an die Seite.

            Pester Lloyd.



_D. Thiébault_

Friedrich der Grosse

und sein Hof

Persönliche Erinnerungen an einen 20jährigen Aufenthalt in Berlin.
Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=.

2 Bände, 49 Bogen mit 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb.
Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--.

[Illustration]

Diese Erinnerungen, in einer kritisch revidierten, abgekürzten
Ausgabe, füllen zwei stattliche Bände, die aber durch ihre anziehende
Darstellung nichts Ermüdendes haben und gewiss alsbald jene Popularität
sich erwerben werden, die sie um ihres Gegenstandes und ihrer Form
willen verdienen.

Es hat wohl nie einen moderneren Herrscher gegeben als diesen
»aufgeklärten Despoten« aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Zuweilen glaubt man nicht von einem, =der da war=, sondern von
einem, =der da kommen wird=, zu lesen. So reif, so vorschauend, so
grossdenkend, so frei von Vorurteilen war dieser Monarch!

            Neue freie Presse.

=Ein Muster französischer Memoiren sind die Thiébaults= über seinen
Aufenthalt am Hofe Friedrichs des Grossen. Es mag einer noch so viele
historische Werke über jene Zeit gelesen haben, Friedrich II. wird
ihm ein genialer Feldherr, ein grosser König, ein merkwürdiger Mensch
sein; er lese diese Memoiren, und der Feldherr, der König, der Mensch
steht leibhaftig vor ihm mit all seinen Tugenden und Fehlern, in seiner
Herrscherglorie und seiner menschlichen Schwäche.

            Wiener Allg. Zeitung.

In der reichen französischen Memoirenliteratur gibt es nur
wenige Werke, die für uns Deutsche ihrem ganzen Inhalte nach ein
so =hervorragendes historisches Interesse= darbieten, wie die
Denkwürdigkeiten D. Thiébaults.

            Karl Witte, Berlin.

Das Buch ist von Anfang bis zu Ende in allen Einzelheiten fast gleich
interessant. Ausserdem ist es durchweg in dem Ton des feinsinnigen,
gebildeten Mannes gehalten, der auch delikate Dinge mit Geschmack und
Anstand behandelt.

            Hamb. Korrespondent.



_General Gourgaud_

Napoleons

Gedanken und Erinnerungen

St. Helena 1815--18

Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=. =3. Auflage.= 25 Bg. m. 6
Porträts. Preis brosch. Mk. 5.50, geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50.

[Illustration]

Man gewinnt ein höchst anschauliches Bild davon, wie das grösste
militärische und administrative Genie, der hervorragendste Gesetzgeber
und Finanzmann, den die neuere Geschichte kennt, sich nach Abschluss
seiner meteorhaften Laufbahn den wenigen Getreuen gegenüber, die sein
Exil teilten, gab und aussprach, wie er über seine Feldherren, ihre
Vorzüge und Fehler, wie er über seine eigenen Taten und Untaten dachte,
wie er seine Zeitgenossen und Gegner, wie er die Politik der Gegenwart
und Zukunft beurteilte, wie er grollte und wie er scherzte.

            Petersburger Zeitung.

Das Buch bringt eine =Fülle der interessantesten=, man kann sagen
lehrreichsten =Aussprüche des Kaisers= über wichtige Ereignisse
seines tatenreichen Lebens; es verbreitet Klarheit über viele Seiten
seines Charakters, besonders über die dunkeln, beleuchtet mit grellem
Licht seinen grenzenlosen Ehrgeiz, seine Verachtung des menschlichen
Geschlechts und seine widerwärtige, man kann sagen niederträchtige
Beurteilung der Frauen.

            Monatsschr. f. Stadt u. Land.

Sind wir mit der Lektüre des Werkes fertig, so steigen Zweifel in uns
auf in Bezug auf all die andern von uns gelesenen Werke über jene
Epoche, und wir haben die Ueberzeugung gewonnen, dass dieses =der
Wahrheit, der ungeschminkten Wahrheit= am nächsten kommt.

            Lord Rosebery.

Abgesehen von den Erwägungen, zu denen Napoleons Gedanken und
Erinnerungen Anlass geben, enthält das Buch eine solche Fülle =der
interessantesten Einzelheiten=, dass wir uns kaum eine Lektüre denken
können, die den Leser mehr fesseln und anregen würde, als Gourgauds
Tagebuch in deutscher Bearbeitung.

            Neue Zürcher Zeitung.



_Dr. med. Ryan_

Unter dem roten Halbmond

=Erlebnisse eines Arztes= b. d. türk. Armee i. Kriege 1877/78.

Autor. Übersetzung von =H. von Natzmer=. -- 24 Bg. m. Portr. Osman
Paschas. Preis brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz
Mk. 7.50.

[Illustration]

... =Beispiele heldenmütigster Aufopferung im Dienst edelster
Menschlichkeit, sympathische Züge der Kameradschaft und des Edelmuts=
gegen den überwundenen Gegner treten uns hier mit dramatischer
Lebendigkeit entgegen. ... Aber mit diesen =spannenden Schilderungen
der Kriegsereignisse=, mit den =glänzenden Malereien des Schlachten-
und Lagerlebens=, die dem Buch unter den militärischen Schriften einen
=hervorragenden Rang sichern=, sind die Vorzüge desselben keineswegs
erschöpft ...

            Hamburger Neueste Nachrichten.

=Ryan ist ein Erzähler ersten Ranges, dem man mit wahrem Vergnügen
lauscht=, mag er uns von seinen =tollen Fahrten und lustigen Streichen=
berichten oder =ergreifende Schilderungen= von grenzenlosem Elend geben.

            Reichs-Medizinal-Anzeiger.

Seinen eigentümlichen Reiz gewinnt das Buch dadurch, dass neben den
erzählten ernsten Dingen =eine fast erstaunliche Fülle von Humor=
platzgreift.

            Hamburg. Correspondent.

=Hier lernen wir wahres Heldentum kennen=, Heldentum im mutigen
Angriff, Heldentum im stummen Ertragen fürchterlicher Qualen, =höchste
Entsagungsfähigkeit= und =wahrhaft ideale Glaubenszuversicht=.
Aufregende Kampfesbilder aus der Zeit der glänzenden türkischen
Ruhmestaten während der Belagerung von Plewna ziehen an dem Leser
vorüber, so =greifbar plastisch=, als ob man =all das Aufregende,
Fürchterliche vor seinen Augen sich abspielen sähe= ... Das Ryan’sche
Werk ist in ganz vorzüglicher Weise von H. v. Natzmer übersetzt.

            Internat. Literaturberichte.



_General Thiébault_

Memoiren a. d. Zeit d. frz. Revolution u. des I. Kaiserreichs

Deutsche Bearbeitung von =F. Mangold=, Major a. D.

=3 Bände= m. 15 Porträts berühmter Männer d. Revolution u. d.
Kaiserreichs. Brosch. Mk. 15.--, in Lwd. geb. Mk. 18.--, in Halbfranz
Mk. 21.--.

[Illustration]

Das Werk ist im =höchsten Grade kulturgeschichtlich interessant=, ist
flott und elegant geschrieben und eignet sich daher =in hohem Masse als
Unterhaltungslektüre= für Gebildete. Jedenfalls sind solche Werke für
gebildete Laien =eine weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die
Mehrzahl aller Romane=.

            Kreuzzeitung.

Das ebenso glänzend wie spannend geschriebene Werk bringt ein =so
reiches Material an Erlebnissen des Augenzeugen=, dass man nicht müde
wird, immer wieder darin zu lesen.

Das Werk umfasst alle Geschehnisse, alle Personen, und lässt sie wie in
einem grossen Wandelpanorama an uns vorüberziehen. Oft liest sich das
Werk =wie ein gewaltiges Schlachtenbuch, oft wie ein spannender Roman
über Hof- und Feldlager-Intrigue=.

            Neueste Nachrichten, Berlin.

... Die Zeit von 1789 bis 1815 hat selten eine so intensive Beleuchtung
erfahren wie bei Thiébault, der nicht bloss hinter die Kulissen der
Weltgeschichte, der mit psychologischem Scharfblick auch den Menschen,
die die Fäden der Weltgeschichte zogen, in die Seele geblickt hat.

            Westermanns Monatshefte.

Schicksale und Herzen haben in Thiébault einen =Beobachter und Kenner
gefunden, der seinesgleichen sucht=.

            Vossische Zeitung, Berlin.



_Marschall Macdonald_

Memoiren 1785--1825

Deutsche Bearb. nach der =7. Auflage= des =Originals= von =H. v.
Natzmer=, Generalmajor z. D.

22 Bg. m. Porträt. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in
Halbfranz Mk. 7.50.

[Illustration]

Die Memoiren geben in festen, markigen Zügen das Bild einer
geschichtlich stark bewegten Zeit wieder, und zeigen den Verfasser als
eine voll ausgeprägte Persönlichkeit. Alle Soldatentugenden und unter
dem Kanonendonner der Schlacht dennoch ein warm empfindendes Herz,
bringen uns den Marschall nicht nur als Soldaten, sondern vor allem als
Menschen nahe. =Die Schilderung der Ereignisse ist von dramatischer
Spannung und Beweglichkeit=, jeder äussere Vorgang wird bei diesem Mann
zum inneren Erlebnis. Und dies gerade macht das Buch so packend, so
interessant.

            Deutsche Zeitung.

Mit Genuss wird ein jeder, der dies Memoirenwerk einmal gelesen hat, es
wieder und wieder zur Hand nehmen.

            Leipz. Zeitung.

=Ein ausgezeichnetes Werk=, dem wir recht viele Leser wünschen. Eine
von Anfang bis zu Ende fesselnde Lektüre.

            Berner Bund.

Wir möchten das schön ausgestattete Buch noch besonders =für die
reifere Jugend=, und =zur Anschaffung für Schülerbibliotheken=
empfehlen.

            Südwestd. Schulblätter.

Keine einzige Zeile ermüdet -- keine ist da, die man nicht gern gelesen
haben möchte.

            Allg. Zeitung.

Die Memoiren lesen sich von Anfang bis zu Ende wie ein spannender Roman.

            Hamb. Korresp.



_Eduard Genast_

Aus Weimars klassischer und nachklass. Zeit

Erinnerungen eines weimarischen Hofschauspielers Neu herausgegeben von
=Rob. Kohlrausch=.

=3. Auflage.= 24 Bg. m. 2 Porträts. Brosch. Mk. 4.50, in Lwd. geb.
Mk. 5.50, in Halbfranz Mk. 6.50.

[Illustration]

=Wie Eckermanns »Gespräche mit Goethe« dürfte auch Genasts Buch in
keiner Bibliothek der deutschen Leser fehlen.=

            Hamburger Nachrichten.

In seiner =jetzigen= Gestalt ist das Werk =wie ein Zauberspiegel=, in
dem die längst schlafen gegangenen Gestalten unserer grossen Dichter
wieder lebendig werden.

Das Erinnerungsbuch sollte seinen =Platz in jeder Klassikerbibliothek=
finden.

            Hamburger Fremdenblatt.

Eine =Fundgrube= von =fesselnden Darstellungen= aus dem literarischen
und künstlerischen Leben Deutschlands der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ... =Eines der wertvollsten Bücher=, dem kein Gebildeter
sein Interesse wird versagen können.

            Kölnische Zeitung.

... So wird das Buch zu einem =wertvollen Beitrage= zur deutschen
=Literatur-= und =Musikgeschichte=, aus dem wir, die Kinder einer
späteren Zeit, zum Verständnis der geistigen Strömungen des
verflossenen Jahrhunderts =manchen bleibenden Gewinn= schöpfen können.

            Pustets Deutscher Hausschatz.

Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass Genasts Aufzeichnungen allen
Literatur- und Theaterfreunden eine Quelle edelsten Genusses sind.

            New-Yorker Staatszeitung.

Zu den interessantesten und belehrendsten Bänden der Memoirenbibliothek
gehören zweifellos die Erinnerungen Eduard Genasts.

            Tageblatt Altona.

=Eines der interessantesten Bücher der Memoirenliteratur= und ein
treues Bild des weimarischen Theaterwesens zu Goethes Zeiten.

            Wiesbadener Tageblatt.



_Helen Keller_

Die Geschichte meines Lebens

Autorisierte Deutsche Ausgabe.

=23. Auflage.= 23 Bg. mit 8 Bildern. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb.
Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50.

[Illustration]

Erzieher und Eltern werden in dem Buche viele =Anregungen= finden.
Aber nicht nur Erzieher und Eltern; =jeder Mensch=, der an Frischem
und Klugem Gefallen hat, =muss mit Freude das Buch der Helen Keller
lesen=. =Dem Schriftsteller, dem Künstler, dem Gelehrten= eröffnet es
neue Aussichtspunkte. =Leute, die in Krankheit und Trübsal am Leben
verzweifeln wollen, richtet es auf=: denn es zeigt ihnen, wie nichts so
hoffnungslos ist, dass es nicht Trost und Linderung fände. =Uebermütige
lehrt es Demut, Leichtfertige Besinnung.= Es ist ein Werk, das keiner
vergessen kann, der es einmal gelesen hat.

            Berliner Tageblatt.

... O, ich könnte das ganze Buch zitieren! Es ist voller =Sonnenschein
und Liebe und Glückseligkeit=. Und Sonnenschein strahlt es in unsere
müden Herzen.

            Dr. M. Wilhelm Meyer.

... =Das Buch enthält Schönheiten über Schönheiten, Wahrheiten tief wie
ein Bergsee, Lichtquellen der Seele, die leuchten wie die Sonnen der
Ewigkeit.=

            Ill. Sonntagszeitung.

Dieses Buch repräsentiert entschieden =die originellste und
interessanteste Autobiographie, die je geschrieben worden ist=. ... Wir
haben es mit einem Interesse gelesen, wie selten ein anderes; diese
Lektüre möchten wir einem jeden unserer Leser gönnen.

            Alte u. Neue Welt (Einsiedeln).

Und mit dem =erhebenden Bewusstsein=, ein neues Stück menschlichen
Heldenmuts in diesen beiden Frauen kennen gelernt zu haben, legt
man diese, wohl =in der ganzen Weltliteratur einzig dastehende
Selbstbiographie= aus der Hand.

            Kölnische Zeitung.



_Herbert Spencer_

Eine Autobiographie

Autorisierte Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. =Ludwig= und =Helene Stein=.

=2 Bände.= 47 Bg. Brosch. Mk. 14.--, in Lwd. geb. Mk. 16.--, in
Halbfranz Mk. 18.--.

[Illustration]

Ein autobiographisches Werk von der Wahrheit und Exaktheit des
vorliegenden =hat in der ganzen Weltliteratur nicht seines Gleichen,
und es sollte auf dem Büchertisch keines Gebildeten fehlen=.

            Posen. Neueste Nachricht.

Ein deutscher Leser der Autobiographie schreibt: ... Dann aber hat das
Buch den =immensen Vorzug=, dass es den Philosophen in ihm kennen zu
lernen gestattet, ohne dass man seine Werke zu lesen braucht.

Es ist zweifelhaft, ob je ein Denker von schöneren Anlagen unter
unserem Volke aufgetreten ist. Wir sind überzeugt, dass die hübsch
ausgestattete deutsche Ausgabe auch über den Kreis der eigentlichen
Fachinteressenten hinaus eifrige Leser finden wird.

            Hamb. Korrespondent.

... Doch genug des Nörgelns! Spencers nachgelassenes Werk bleibt trotz
alledem eine der interessantesten und originellsten Selbstbiographien,
die es in der Weltliteratur gibt.

            Münchener Neueste Nachr.

Dies Buch ist ein Dutzend Bücher in einem. =Dem Psychologen, dem
Künstler, dem Romanschriftsteller, dem Moralisten, dem Lehrer, dem
Prediger, dem Kritiker, dem Dichter, dem Philosophen= -- allen diesen
bietet das Buch =eine besondere Quelle des Genusses=.

            Chicago Herald.



_W. Debogory-Mokriewitsch_

Erinnerungen eines Nihilisten

(Ein Seitenstück zu Fürst Krapotkins Memoiren.)

Autorisierte Deutsche Ausgabe von =Dr. H. Röhl=. Mit Vorwort von =Alex.
Ular=.

=2. Auflage.= 22 Bg. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in
Halbfranz Mk. 7.50.

[Illustration]

Die vorliegenden »Erinnerungen eines Nihilisten« bieten in mehr
als einer Hinsicht grosses Interesse. Schon als rein persönliche
Erinnerungen genommen, bilden die Aufzeichnungen =eine äusserst
spannende Lektüre=. Aber der Schwerpunkt der Erinnerungen liegt in
der =glänzenden Charakteristik der politischen Zustände und der
revolutionären Bewegung unter Alexander II. und Alexander III.=

            Neue freie Presse.

Es ist zweifellos, dass das Werk in mannigfacher Weise Interesse, ja
Aufsehen erregen wird ... Als rein persönliche Erinnerungen genommen,
geben diese Aufzeichnungen eine Lektüre, =die den Leser zuweilen in
fieberhafte Spannung versetzt=, wie sie der kunstvollst aufgebaute
Roman nicht zu erregen vermöchte.

            Berliner Börsen-Courier.

... Dann kam die Flucht aus Sibirien. Hier häufen sich =die aufregenden
Momente des Buches zu einer wahren Seelenfolter für den Leser=. =Man
zittert mit dem Flüchtigen= bei den mannigfachsten Gefahren, und
man glaubt, die Hetzjagd, welche von den Behörden auf Mokriewitsch
gerichtet ist, gegen sich selbst ausgeführt zu empfinden.

            Neues Wiener Journal.

Aus der Zeit der ernstlich beginnenden revolutionären Bewegung, die
jetzt in Russland alle Dämme überflutet, weiss dieses Buch interessante
Ereignisse und Erlebnisse zu erzählen.

            Münchener Neueste Nachrichten.



Mark Twains

Ausgew. humoristische Schriften.


Inhalt:

    Bd. I.    =Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.=

    Bd. II.   =Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.=

    Bd. III.  =Skizzenbuch.=

    Bd. IV. { =Leben auf dem Mississippi.=
            { =Nach dem fernen Westen.=

    Bd. V.    =Im Gold- und Silberland.=

    Bd. VI.   =Reisebilder u. verschiedene Skizzen.=

Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden. Preis aller 6 Bände,
zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden.


_Neue Folge_:

    Bd. I.       =Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.=

    Bd.  II.     =Querkopf Wilson.=

    Bd. III./IV. =Meine Reise um die Welt.= 2 Abt.

    Bd.  V.      =Adams Tagebuch= u. a. Erzähl.

    Bd.  VI.     =Wie Hadleyburg verderbt wurde=
                 u. a. Erzähl.

Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden. Preis _aller 6 Bände_,
zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Der Werbeteil ist im Original in Antiqua gesetzt, auf eine
    entsprechende Auszeichnung wurde verzichtet.





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