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Title: Chodowiecki
Author: Kaemmerer, Ludwig
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Chodowiecki" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der 1897 erschienenen Buchausgabe
  so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
  Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
  altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
  unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert.

  Einige Abbildungen wurden zwischen die Absätze verschoben und zum
  Teil sinngemäß gruppiert, um den Textfluss nicht zu beeinträchtigen.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
  Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen
  gekennzeichnet:

      Unterstrichen: _Unterstriche_
      Fettdruck:     =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:      +Pluszeichen+
      Antiqua:       ~Tilden~

  ####################################################################



                          Liebhaber-Ausgaben

                            [Illustration]



                         Künstler-Monographien

                In Verbindung mit Andern herausgegeben

                                  von

                              H. Knackfuß

                                  XXI

                              Chodowiecki

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                    +Verlag von Velhagen & Klasing+

                                 1897



                              Chodowiecki

                                  Von

                           Ludwig Kaemmerer

            +Mit 204 Abbildungen nach Gemälden, Radierungen
                           und Zeichnungen+

                            [Illustration]

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                    +Verlag von Velhagen & Klasing+

                                 1897



Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös
ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe

_eine numerierte Ausgabe_

veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier
hergestellt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert
(von 1-100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis
eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf
welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.

  Die Verlagshandlung.


Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.



[Illustration: Abb. 1. +Daniel Chodowiecki.+ Ölbild von Anton
Graff in der königl. Akademie der Künste zu Berlin.]



[Illustration: Abb. 2. +Titelvignette zu Cramers Unterhaltungen.+
Berlin 1781. ~E.~ 376.]



Vorbemerkung.


Über Daniel Chodowiecki ist mehr geschrieben worden, als von ihm
zu sagen ist. Mit einer die Gewissenhaftigkeit des Meisters selbst
fast noch übertreffenden Sorgfalt hat Wilhelm Engelmann in seinem
beschreibenden Verzeichnis[1] alles zusammengetragen, was wir über
die Radierungen Chodowieckis, ihre Zeitfolge und ihre verschiedenen
Abdrucksgattungen wissen, und unlängst erst ist aus der Feder
Wolfgangs von Oettingen eine umfassende und eindringende Darstellung
seines Lebens und seiner Kunst erschienen, die wohl auf lange Zeit
die Chodowieckiforschung abschließt. Die Abbildungen unseres Buches
indes, die in solcher Fülle bisher noch keinem Werk über den Meister
beigegeben wurden, rechtfertigen allein schon den Versuch, Chodowiecki
auch dem großen Kreise näher zu bringen, für den er besonders
gearbeitet: dem deutschen Hause, der deutschen Familie. Sehen ist in
der Kunst mehr als Lesen, und Chodowieckis Kunst recht sehen lehren
sollen vor allem die nachfolgenden Blätter.

  +Berlin.+

  =Ludwig Kaemmerer.=

  [1] W. Engelmann, Daniel Chodowieckis sämtliche Kupferstiche.
      Leipzig 1857. Die Nummern dieses Verzeichnisses werden im
      Folgenden mit ~E.~ bezeichnet.


[Illustration: Abb. 3. +Chodowiecki im Kreise seiner Familie.+
1772. ~E.~ 75.]



[Illustration: Abb. 4. +Studien.+ 1771. ~E.~ 80.]



Daniel Chodowiecki.


In meines Vaters Arbeitszimmer, dessen Wände zahlreiche Kupferstiche
und Schabkunstblätter zierten, und das mir früh schon traulicher
wurde als die Kinderspielstube, hing über einem Klapptisch, den
altväterischer Hausrat, fridericianische Tabaksdosen, Zinnteller
und Meerschaumpfeifen bedeckten, in schlichtem Mahagonirahmen eine
Radierung, die sich meiner kindlichen Einbildungskraft besonders tief
einprägte -- wohl, weil sie gleich einem Spiegel das Behagen, das
uns hier so oft umfing, verdoppelte: um einen runden Tisch drängen
sich fünf Kinder; das älteste Mädchen beugt sich über einen großen
schweinsledernen Band mit Kupferstichen, ihr gegenüber zeichnet ein
etwa zehnjähriger Knabe eifrig, ohne sich von dem kleinen neugierig
zudrängenden Brüderchen stören zu lassen, während die ältere Schwester
für die Sorgfalt, mit der sie sich des Jüngsten annimmt, von der
herantretenden Mutter mit dankbar liebevollem Blick belohnt wird.
Diese zärtliche Gruppe hebt sich von dem halbdunklen Hintergrund des
mit Kunstwerken überreich geschmückten Zimmers ab, in dessen einer
Ecke am hohen, hellen Fenster der Familienvater vor einem kleinen
Zeichentischchen sitzt und, den Pinsel in der Hand, scharf über die
Brille weg zu den Seinen hinüberblickt. Das Blatt trug die Inschrift:
„~Cabinet d’un peintre~“, doch da das Interesse für Bilder früher
in mir wach war, als das Verständnis des Französischen, bat ich meinen
Vater um eine Erklärung. Mit wachsender Teilnahme hörte ich, daß der
Mann in der Ecke sich selbst und die Seinigen dargestellt habe just
in dem Moment, wie er sie malte, daß er aus unserer Vaterstadt Danzig
stamme und ein berühmter Kupferstecher gewesen sei.

Solche Jugendeindrücke bestimmen oft unser Urteil für alle Zeit. Die
Empfindung oder Wahrnehmung, die uns an Erlebnisse, Zustände und
Gefühle der Jugendzeit erinnert, gewinnt schon dadurch an Stärke
und meist auch an Wohligkeit. So hat der Anblick des geschilderten
Blattes von +Daniel Chodowiecki+ stets in mir das Gefühl jener
Traulichkeit ausgelöst, die wir so gern im Alter der sorglosen
Kinderzeit andichten. Aber dies ist doch wohl nicht nur dem Zufall
zuzuschreiben, der mich als Kind mit einer der liebenswürdigsten
Schöpfungen meines Landsmannes bekannt machte, sondern auch der Kraft,
die dessen Kunst schon auf ein Kindergemüt wirken ließ, jener Macht,
über die nur ein +echtes Kindergemüt+ selbst verfügt. Wenn man
Chodowiecki ein Kind seiner Zeit nennt, darf man den Ton ebensowohl auf
Kind wie auf Zeit legen. Und damit ist des Künstlers Wesen in seinem
Kern gefaßt, wie es auch aus den Zügen seines Antlitzes spricht, die
der van Dyck des achtzehnten Jahrhunderts, Anton Graff, und andere
Maler uns überliefert haben (Abb. 1), damit der Faden gefunden, auf
den sich die zierlichen Perlen seiner liebenswürdigen Kunst aufreihen
lassen.

                               *       *
                                   *

[Illustration: Abb. 5. +Christus auf dem Weg nach Gethsemane.+

Email. Im Besitz des Geheimen Rat Professor du Bois-Reymond. Berlin.]

Chodowieckis Leben ist bald erzählt. Zwar besitzen wir, wie von so
vielen Männern seiner schreibseligen und memoirenlustigen Zeit, auch
von ihm eine große Menge von Aufzeichnungen, Tagebüchern und Briefen,
die Antwort geben auf Fragen, wie sie auch die zudringlichste Neugier
zu stellen nicht wagen möchte, aber sie enthüllen uns doch nur Weniges,
was wir über den Künstler nicht auch aus der Betrachtung seiner Werke
erfahren könnten. Flossen doch seine Tage meist ruhig dahin, Erlebnisse
oder Ereignisse, die sein Inneres heftig bewegt und erschüttert und vor
allem für die Richtung seiner künstlerischen Laufbahn entscheidende
Bedeutung gehabt hätten, sind äußerst selten in seinem Leben.

[Illustration: Abb. 6. +Christus am Ölberg.+ Email. Besitzer s.
Abb. 5.]

[Illustration: Abb. 7. +Christi Gefangennahme.+ Email. Besitzer s.
Abb. 5.]

[Illustration: Abb. 8. +Petrus verleugnet Christum.+ Email.
Besitzer s. Abb. 5.]

[Illustration: Abb. 9. +Bonbonnière mit Emailmalereien.+ Im Besitz
von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Die alte Hansestadt Danzig galt zu der Zeit, als Daniel Chodowiecki
in ihr das Licht der Welt erblickte, zwar noch als Freistaat, aber
in dem schwedisch-polnischen Kriege, welcher der Stadt große Opfer
auferlegt und die Umgebung arg verwüstet hatte, war sie mehr und mehr
in Abhängigkeit von Polen geraten. Zahlreiche polnische Familien
lebten hier; auch die Chodowieckis stammten aus Polen, wenngleich sie
schon seit zwei Generationen vor Daniels Geburt in Danzig ansässig
waren. Dessen Vater betrieb einen einträglichen Kornhandel und war
der aus einer französischen Refugiéfamilie stammenden Marie Henriette
Ayrer vermählt. In der Heiligengeistgasse, einer der wenigen Straßen
der Stadt, die auch heute noch ihr altehrwürdiges Äußere bewahrt
haben, wurde am 16. Oktober 1726 in einem stattlichen zweistöckigen
Giebelhause unser Künstler geboren. Doch lassen wir ihn selbst von
seiner Jugend erzählen; in einer Selbstbiographie, die er im Jahre
1780 verfaßte, berichtet Chodowiecki: „Mein Vater, ein Kaufmann, malte
zu seinem Vergnügen in Miniatur und gab mir die erste Anleitung in
dieser Kunst; da er mich aber eigentlich zur Handlung erzog und schon
1740 starb, hatte ich im Zeichnen und Malen noch sehr wenig gelernt.
Meiner Mutter Schwester, Mamsell Ayrer, die besser malte als mein
Vater, gab mir nach seinem Tode noch einigen Unterricht; aber bald
darauf wurde ich in eine Spezereihandlung in die Lehre gegeben, wo
ich wegen Verfall der Handlung nur anderthalb Jahre blieb, und Anno
1743 nach Berlin zu meiner Mutter Bruder in eine andere Handlung
gesandt.“ Thatsächlich begann Chodowieckis eigentliche künstlerische
Ausbildung erst hier in Berlin, aber die Eindrücke, die er in seiner
frühesten Jugend in der malerischen Vaterstadt, im Elternhause
empfangen, sind für seine Neigung zur Kunst wohl mitbestimmend
gewesen. Wissen doch die Reisenden des achtzehnten Jahrhunderts die
Lage und Schönheit Danzigs nicht genug zu rühmen. So schreibt Hermes
1771 in seinem vielgelesenen Briefroman: „Sophiens Reise von Memel
nach Sachsen“: „Diese Stadt ist unvergleichlich. Die Aussicht auf den
Bergen, und in den Gärten; die Gegend von Oliva; der Wohlstand der
Bauern im Werder und anderen zur Stadt gehörigen Dörfern; der Blick
auf die See; das Große der segelnden Schiffe; das Gewühl unzähliger
Fremder aus allen Nationen, Kaufleute, Schiffer, Arbeiter -- mir
ist das alles, als hätte ich es noch nie gesehen; so sehr scheint
es dieser Stadt eigentümlich zu sein.“ Chodowiecki selbst verrät in
den Zeichnungen, die er bei seiner späteren Reise in die Heimat in
jenem köstlichen Skizzenbuche von 1773 angefertigt hat, wie er den
malerischen Reiz der schmalen Gassen mit ihren hohen Giebelhäusern,
ihren „Beischlägen“ mit schattenspendenden Linden und Ulmen davor und
ihren in trauliches Zwielicht getauchten Hausfluren mit den lauschigen
Winkeln zwischen den großen eichenen Schränken und Vertäfelungen zu
würdigen verstand. Mit besonderer Liebe aber wendet er sich auch
in diesen Skizzen immer wieder dem Haus der Eltern zu. Hier hatte
schon der achtjährige Knabe mit ungeübter Hand ein Miniaturporträt
des unglücklichen Polenkönigs Stanislaus Lesczinski entworfen, für
dessen Unterstützung Danzig gerade in jenen Tagen mit einer schweren
Belagerung durch die Russen büßen mußte; hier hatte er -- wohl nach
den Kupfern einer Zeichenschule -- die Elemente der Kunst mit heißem
Bemühen, aber kaum mit nennenswertem Erfolg sich zu eigen zu machen
versucht. Eine Federzeichnung aus der Lehrzeit in der Spezereihandlung
hat sich im Besitz von Nachkommen der Familie erhalten: sie stellt
den Laden der Witwe Bröllmann mit seinen Käufern und Verkäufern dar.
Es ist bezeichnend für die Richtung seiner Begabung, daß Chodowiecki
entgegen dem ganz konventionellen Elementarunterricht, den er
genossen, sich gleich an einem Gegenstand versuchte, der ihm durch
tägliche Beobachtung nahe gerückt war: das ihn umgebende Leben mit dem
Zeichenstifte festzuhalten, in allen Einzelheiten treu und gewissenhaft
wiederzugeben, das sollte die Aufgabe werden, der er sein ganzes
Künstlerleben widmete. Daß dieses Leben ein ganz anderes Aussehen
erhielt, als der siebzehnjährige Handlungsgehilfe 1743 nach der
preußischen Hauptstadt übersiedelte, wo seine Kunst erst triebkräftige
Wurzeln zu schlagen begann, versteht sich von selbst. Aber zunächst
war es ihm noch nicht beschieden, die Anregungen, die sich in dieser
neuen, bunten Welt dem Auge und Sinn boten, seinen künstlerischen
Absichten dienstbar zu machen: er blieb bei seinem Ohm Ayrer zunächst
an das Buchhalterpult gefesselt. „Bey müßigen Stunden freilich,“ so
erzählt er selbst, „malte ich Miniaturbilderchen, in Tobacksdosen zu
setzen, die er (Ayrer) an die hiesigen Kaufleute verkaufte. (Ayrer
besaß ein so genanntes Quincailleriegeschäft.) Er ließ mich auch die
Behandlung der Emaillemalerei lernen und eine große Menge emaillirter
Dosen malen; aber all dieses war nicht im Stande, mich zu einem
Künstler zu bilden, weil ich gar keine Anweisung weder im Zeichnen noch
im Komponiren bekam, auch mit keinem Künstler Bekanntschaft hatte.
Ich fühlte wohl, daß alles, was ich machte, sehr unrichtig in der
Zeichnung und unvollkommen im Kolorit war; an Zusammensetzung wurde gar
nicht gedacht, sondern alles nach Kupferstichen kopirt. Mein Vetter
(richtiger Oheim) war ein Kaufmann; ihm war es mehr um Gewinn zu thun
als um meinen Fortgang in der Kunst; malerische Kenntnis besaß er gar
nicht; er glaubte, alles, was ich machte, wären Meisterstücke, und ich
glaubte es beynahe auch. Endlich sah ich bei dem Manne (ein Augsburger,
Nahmens Haid), der mir die Emaillemalerey lehrte, akademische und
andere Zeichnungen, hörte von ihm, wie ein Künstler studiren müßte;
denn er besaß mehr Theorie als Practik. Dieses fachte bey mir ein
verborgenes Feuer an; ich fing an einzusehen, daß ich noch gar nichts
konnte. Zur Handlung hatte ich alle Lust verlohren; was sollte aus
mir werden? Andere Künstler kannte ich nicht, hatte bisher auch nicht
gewußt, daß, um von ihnen zu profitiren, ich sie aufsuchen müßte. Die
Malerakademie war A. 1742 abgebrannt, und die an die Stelle derselben
gekommene Zeichenschule mit sehr schlechten Lehrern besetzt, so daß,
wenn ich mich an sie gewandt hätte, ich doch nicht viel gelernt haben
würde.“

[Illustration: Abb. 10. +Emailporträt Friedrichs d. Gr.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 11. +Miniaturporträt.+

Im Besitz von Frl. Chodowiecka. Berlin.]

[Illustration: Abb. 12. +Miniaturporträt.+

Im Besitz von Frl. Chodowiecka. Berlin.]

[Illustration: Abb. 13.

+Miniaturporträt Friedrichs d. Gr. auf Elfenbein.+

Im Besitz von Fräulein Lucy du Bois-Reymond. Berlin.]

[Illustration: Abb. 14. +Miniaturporträt.+

Im Besitz von Frau Cäcilie Rosenberger. Kösen.]

[Illustration: Abb. 15. +Bleistiftstudie.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Aus diesen Aufzeichnungen des Meisters klingt noch deutlich die Rat-
und Hilflosigkeit heraus, die den jungen Anfänger in den neuen, fremden
Verhältnissen überkam. Sein Brotherr Ayrer, der gleichzeitig auch
Daniels Bruder Gottfried in seine Dienste genommen hatte, verlangte,
daß er seine künstlerische Begabung für das Geschäft nutzbar machte
und kleine Miniaturbilderchen auf Elfenbein oder Pergament sowie
Emailmalereien in möglichst schneller Zeit anfertigte, wie sie dem
Geschmack und besonders auch dem Geldbeutel des kauflustigen Publikums
zusagten. Der Berliner war in dieser Hinsicht wenig verwöhnt und zu
großen Ausgaben nicht geneigt. Die Emailmalerei war erst im Anfange
des Jahrhunderts von dem in London und Paris dafür ausgebildeten F.
C. Théremin in der preußischen Hauptstadt eingeführt worden, und
die wenigen Künstler, die sich diesem halb kunstgewerblichen Beruf
widmeten, wie die Brüder Huant und Samuel Blesendorf, hatten nicht
vermocht, die künstlerischen Ansprüche der Käufer zu steigern. Doch
die französische Mode verlangte nun einmal, daß man diese zierlichen
Miniaturporträts, die etwa die Rolle unserer Photographien spielten,
als Berloques oder Schmuck der Tabatieren trug, und es bemächtigte sich
dieses in Frankreich zu großer Virtuosität ausgebildeten Kunstzweiges
in Berlin bald die Industrie, die auch damals schon das harte Motto:
billig und schlecht verdiente.

Sicher beglaubigte Arbeiten unseres Meisters aus dieser frühesten
Zeit sind uns nicht erhalten bis auf eine getuschte Federzeichnung
im Großherzoglichen Museum zu Weimar, die augenscheinlich auf
einer Meßreise in Krakau entstanden ist und einen polnischen
Volksgottesdienst darstellt. Sie trägt die Inschrift: „Ein polnisches
Jubeljahr und Bus-Predigt, in Cracau gezeichnet 1750. ~D. Chodowiecky
del(ineavit) Cracovia~“ und ist, wie seine erste Danziger
Zeichnung, Beweis dafür, daß der junge Geschäftsmann stets geneigt
war, Vorgänge in seiner Umgebung, die irgendwie die Aufmerksamkeit zu
fesseln vermochten, künstlerisch festzuhalten. Auch eine Folge von
zweiundvierzig mit Feder und Tusche gezeichneten Illustrationen zu
der Geschichte des Blaise Gaulard aus dem Jahre 1752 (im Besitze der
Großherzogin Sophie von Sachsen) hat nur insofern Wert, als sie uns
den ersten Versuch Chodwieckis auf dem Gebiete zeigt, dem er seinen
Nachruhm vor allem verdankt: der Illustration.

[Illustration: Abb. 16. +Bleistiftstudie.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Daß die kleinen, zum Verkauf in Ayrers Geschäft bestimmten Email-
und Miniaturmalereien großenteils verschollen sind, ist leicht
begreiflich, da derartige Erzeugnisse der Kleinkunst meist schneller
Vergessenheit anheimfallen, aus der sie, zumal wenn sie den Namen
ihres nachmals berühmt gewordenen Verfertigers nicht tragen, kaum je
wieder auftauchen. Nach dem, was sich aus späterer Zeit an verbürgten
Arbeiten der Art von unserem Meister erhalten hat, wie den sechs Emails
mit Passionsscenen nach Stichen Sebastien Leclercs (im Besitz des
Geheimen Rats Professor du Bois-Reymond-Berlin); ausgestellt in der
historischen Abteilung der Berliner Kunstausstellung von 1896 (Abb.
5 bis 8), der kleinen Emailbonbonnière mit Puttenspielen (im Besitz
der Frau ~Dr.~ Ewald-Berlin: ausgestellt ebenda, Abb. 9), einem
Emailbildnis Friedrichs des Großen aus gleichem Besitz (Abb. 10) und
anderem zu urteilen, dürfen wir den Verlust älterer Emailmalereien
nicht allzu sehr beklagen. Auch diese werden meist unselbständige
Kopien nach französischen Vorbildern gewesen sein, wenig erfreulich
in der Wahl der Farben, wie die genannten Passionsscenen, hinter den
Pariser Arbeiten der Zeit technisch zurückstehend und kaum geeignet,
der Charakteristik Chodowieckis einen wesentlich neuen Zug hinzuzufügen.

[Illustration: Abb. 17. +Aktstudie in Rötel.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 18. +Aktstudie in Rötel.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 19. +Aktstudie in Rötel.+

Im Besitz von Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 20. +Bleistiftstudie zu dem Ölbild+ Abb. 21.]

[Illustration: Abb. 21. +Gesellschaft am Fenster.+ Ölbild im
Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Jedenfalls war diese kunstgewerbliche Thätigkeit einträglich, denn
schon im Jahre 1755, nachdem er aus dem Geschäft seines Oheims
ausgetreten war, ging Chodowiecki daran, sich eine eigne Häuslichkeit
zu gründen, indem er sich mit Jeanne Barez, der Tochter eines
Goldstickers aus der französischen Kolonie Berlins, verlobte und
bald auch (am 18. Juli desselben Jahres) verheiratete. Das junge
Paar bezog ein Haus in der Brüderstraße (jetzige Nr. 7), wo auch
Daniels Bruder Gottfried mit seiner Gattin sein Heim aufschlug. Erst
1777 übersiedelte er nach dem Hause in der Behrenstraße 31, das,
mittlerweile umgebaut, heute eine Gedenktafel zu Ehren seines einstigen
Bewohners trägt. Es galt jetzt für die Familie zu sorgen, die sich
schnell vermehrte, und mit redlichem Fleiß widmete sich der Künstler
nach wie vor der Miniaturporträtmalerei, die er sich, nachdem seine
Arbeiten einmal den Beifall weiterer Kreise gefunden hatten, gut
bezahlen ließ (Abb. 11-14). Sein Streben war aber auf höhere Ziele
gerichtet; mit rührender Ausdauer studierte er die damals in Blüte
stehende kunsttheoretische Litteratur, die ihm freilich kaum mehr als
pedantische Schulmeisterregeln eines verzopften Eklekticismus bot,
und übte sich unablässig im Skizzieren nach der Natur. Es entstanden
einige jener reizenden Bleistiftzeichnungen, die uns wie künstlerische
Tagebuchblätter aus dem Familienleben des achtzehnten Jahrhunderts
anmuten, frisch und unmittelbar aufgefaßt und oft seinen ausgeführten
Arbeiten an Wirkung überlegen (Abb. 15, 16). „Ich zeichnete nebenher,“
so berichtet er in seiner ungedruckten Selbstbiographie, aus der zum
erstenmal Oettingen interessante Auszüge mitgeteilt hat,[2] „war ich
in Gesellschaft, so setzte ich mich so, daß ich die Gesellschaft oder
eine Gruppe aus derselben oder auch nur eine einzige Figur übersehen
konnte, und zeichnete so geschwind, oder auch mit so vielem Fleiß, als
es die Zeit oder die Stätigkeit der Personen erlaubte. Bat niemals
um Erlaubnis, sondern suchte es so verstohlen wie möglich zu machen;
denn, wenn ein Frauenzimmer (und auch zuweilen Mannspersonen) weiß, daß
man’s zeichnen will, so will es sich angenehm stellen und verdirbt
alles, die Stellung wird gezwungen. Ich ließ es mich nicht verdrießen,
wenn man mir auch, wenn ich halb fertig war, davonlief; es war doch so
viel gewonnen. Was habe ich dabei zuweilen für herrliche Gruppen mit
Licht und Schatten, +mit allen den Vorzügen, die die Natur, wenn sie
sich selbst überlassen ist, vor allen den so gerühmten Idealen hat+,
in mein Taschenbuch eingetragen! Auch des Abends bei Licht habe ich das
oft gethan; kein besseres Studium, um große Partien, Licht und Schatten
hervorzubringen. Ich habe stehend, gehend, reitend gezeichnet; -- --
ich habe nach Gemälden wenig, nach Gips etwas, viel mehr nach der Natur
gezeichnet. Bei ihr fand ich die meiste Befriedigung, den meisten
Nutzen: sie ist meine einzige Lehrerin, meine einzige Führerin, meine
Wohlthäterin.“ Daneben zeichnete Chodowiecki eifrig bei Bernhard Rode,
dem bekannten Berliner Schnell- und Vielmaler, Akt (Abb. 17-19), um
auch für die Malerei großen Stils sich vorzubilden.

  [2] W. von Oettingen, Daniel Chodowiecki. Berlin 1895, ~p.~ 63.

[Illustration: Abb. 22. +Gesellschaft beim Kartenspiel.+ Ölbild im
Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 23. +Die Wochenstube.+ Ölbild im Besitz von
Herrn Wilhelm Chodowiecki. Berlin.]

Seine ersten Versuche in der Ölmalerei fallen in das Jahr 1757. Trotz
des fieberhaften Eifers, den er dieser Beschäftigung widmete, mußte
er nur zu bald einsehen, daß seine Begabung ihn nach einer anderen
Richtung wies. Das älteste uns erhaltene Ölbildchen seiner Hand -- es
war 1896 in der historischen Abteilung der Berliner internationalen
Ausstellung unverbürgt als Travestie der biblischen Scene: Jakob bei
Laban ankommend ausgestellt (Nr. 3395 des Katalogs) -- ist zwar sehr
charakteristisch in Zeichnung und Ausdruck der Köpfe, aber in der
Farbe durchaus unerfreulich und verfehlt, ja geradezu unmalerisch. Es
stellt novellistisch zugespitzt die Werbung eines plumpen alten Freiers
um ein junges Mädchen dar, das ihre Gunst bereits einem jüngeren
Liebhaber geschenkt zu haben scheint.

[Illustration: Abb. 24. +Familienscene bei Kerzenlicht.+ Ölbild im
Besitz des Herrn Direktor Wichern. Altona.]

Ein Idyll aus der Patriarchenzeit, die dem Geschmack des Jahrhunderts,
seiner Sehnsucht nach gefühlvoller Einfalt, Familienglück und
Redlichkeit besonders zusagte, „Elieser und Rebekka“ -- ebenfalls in
den fünfziger Jahren entstanden -- ist seither verschollen. Es wird
kaum den späteren Ölbildern, von denen weiter unten die Rede sein
soll, überlegen gewesen sein. Am besten gelangen Chodowiecki auch in
dieser Technik die bürgerlichen Familienscenen, wie jene in silbrigem
Gesamtton gehaltenen Genrebildchen bei Frau ~Dr.~ Ewald in Berlin,
die uns eine Gesellschaft am Fenster und eine Lhombrepartie (datiert
1757, ausgestellt in Berlin 1896, Nr. 3389 und 3390 des Katalogs, Abb.
21 u. 22), vorführen, oder die kleinbürgerliche Wochenstube im Besitz
eines Urenkels des Künstlers (Abb. 23) und das trauliche Interieur bei
Kerzenlicht (Abb. 24). Hier sind die stillen Freuden des Privatlebens
mit anheimelnder Intimität und überzeugender Wahrheit geschildert.
Chodowiecki offenbart sich in ihnen als der unübertroffene Meister der
„~peinture familière et domestique~.“

[Illustration: Abb. 25. +Die Kinderstube.+ 1764. (~E.~ 24.)]

Im Jahre 1757 entstand auch die erste Radierung seiner Hand, „~le
Passe dix~ oder der Würfler“ genannt (~E.~ 1). Ein verkommener,
buckliger Knopfstempelmacher der französischen Kolonie, Nikolaus
Fonvielle, der sich in den Wirtshäusern der Stadt herumtrieb und --
eine maskierte Bettelei -- mit den Gästen, denen er als Pickelhering
Spaß machte, um Bier würfelte, hat Chodowiecki dazu Modell gestanden.
Die neue Technik, in der unser Meister später so große Triumphe
feiern sollte, machte ihm anfangs viele Schwierigkeiten; Chodowiecki
bezeichnete die Arbeit selbst als einen „mutwilligen Versuch“ und
betrieb zunächst die Radierung überhaupt nur als gelegentliche
Nebenbeschäftigung: Studienköpfe und Genrefiguren (Abb. 25, 26,
~E.~ 24 u. 35), die er mehr zu seinem Vergnügen auf die Platte
brachte, überwiegen in den ersten Jahren seiner Radiererthätigkeit. So
sehen wir die Demoiselles Quantin, Bekannte seiner Familie, wie sie
eines Morgens im Negligée dem Maler die freudige Nachricht einer von
den Preußen gewonnenen Schlacht überbringen (Abb. 27, ~E.~ 10),
Bauern- und Betteljungen und anderes derart im Geschmack Jean-Siméon
Chardins, mit dem unser Meister überhaupt mehr Berührungspunkte, als
mit irgend einem anderen französischen Vorgänger hat, entstehen.

[Illustration: Abb. 26. +Drei Damen am Fenster.+ 1764. (~E.~
35.)]

Als die ersten russischen Gefangenen 1758, von preußischem
Militär eskortiert, durch Berlin zogen, erregte der Anblick der
zerlumpten Gestalten nicht nur sein Mitgefühl, sondern auch seinen
Darstellungstrieb. Mit seiner Gattin eilte er auf den Schloßplatz und
verteilte Almosen und Liebesgaben an die halbverhungerten Krieger,
die ihm zugleich als Modelle für eine Radierung dienten (~E.~
12). Ebenso fesselte das malerisch aufgeputzte Gefolge des türkischen
Gesandten Achmet Effendi, der 1764 nach Berlin kam, lebhaft sein
Interesse (~E.~ 25, 43, 44).

[Illustration: Abb. 27. +Die Demoiselles Quantin.+ 1758.
(~E.~ 10.)]

[Illustration: Abb. 28. +Allegorie auf die Vermählung der Prinzessin
Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen mit dem Prinzen Wilhelm
V. von Oranien.+ 1767. (~E.~ 46.)]

[Illustration: Abb. 29. +Der Abschied des Calas von seiner
Familie.+ Ölbild in der Gemäldegalerie der königl. Museen zu Berlin.
1767.]

[Illustration: Abb. 30. +Der Abschied des Calas von seiner
Familie.+ 1767. (~E.~ 48.)]

[Illustration: Abb. 31. +Jeannette Chodowiecka, die älteste Tochter
des Künstlers.+ 1763.

Ölbild im Besitz des Fräulein Maria Chodowiecka. Berlin.]

[Illustration: Abb. 32. +Illustration zu S. Geßners Idyllen im
Berliner Genealogischen Kalender+ 1773. (~E.~ 69.)]

[Illustration: Abb. 33. +Illustration zu Basedows Agathokrator.+

Leipzig 1771. (~E.~ 71.)]

Den glücklichen Sieger von Roßbach stellte Chodowiecki an der Spitze
der Gardekürassiere in einem größeren 1758 datierten Blatte dar
(~E.~ 9), das jedenfalls schon für den Verkauf bestimmt war. Auch
Aufträge zu Titelkupfern begannen allmählich bei ihm einzulaufen.
So mußte er für die vom französischen Konsistorium herausgegebene
Übersetzung des Psalters einen Titel stechen (~E.~ 19), der
freilich die Schwäche seiner Erfindung auf religiösem Gebiet
unzweideutig offenbart. Die größere allegorische Darstellung „Der
Friede bringt den König wieder“, eine recht matte Verherrlichung des
Friedensjubels nach dem Abschluß des siebenjährigen Krieges, trug
dem Künstler 1763 sogar eine Audienz bei dem Großen König ein, die
aber wenig seinen darauf gesetzten Hoffnungen entsprach. Im Jahre
darauf wurde er als Miniaturmaler in die Königliche Akademie der
Künste aufgenommen, der er nachmals als Direktor vorstehen sollte.
Das Glück begann dem rastlos Vorwärtsstrebenden zu lächeln. Schon ein
Porträt der Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, der
nachmaligen Gattin Wilhelms V. von Oranien, 1767 in größerem
Format zierlich nach einem Ölbilde radiert und mit einer gefälligen
Umrahmung versehen (~E.~ 45), hatte lebhafte Aufmerksamkeit der
kunstfreundlichen Kreise Berlins und Amsterdams erregt, nicht minder
die nach unserem Geschmack etwas frostige Allegorie auf die Vermählung
derselben Fürstin (Abb. 28, ~E.~ 46), und vollends entschied
der im selben Jahre gemalte (Abb. 29) und dann radierte Abschied
des Calas von seiner Familie, der sogenannte „große Calas“ (Abb. 30,
~E.~ 48) den Ruf Chodowieckis als Radierer. Dieses Blatt dankte
seinen großen Erfolg wohl mit seinem Gegenstande, der die Gemüter
damals lebhaft beschäftigte. Jean Calas von Toulouse war 1762 als Opfer
katholischer Unduldsamkeit auf dem Folterrade gestorben, obwohl er
der Anklage gegenüber, seinen zum Katholicismus übergetretenen Sohn
ermordet zu haben, stets seine Unschuld beteuert hatte. Voltaire hatte
den Prozeß zum Anlaß einer leidenschaftlichen Schrift genommen, in der
er die Intoleranz der katholischen Geistlichkeit in grellstem Lichte
darstellte, und thatsächlich ergab eine Revision der Verhandlungen
die Unschuld des Hingerichteten. Die Erbitterung gegen die Ankläger
war in ganz Europa und besonders auch in der französischen Kolonie
Berlins ebenso lebhaft, wie das Mitgefühl mit dem Opfer dieses
Justizmordes und seiner Familie. Ein Kupferstich von Delafosse
nach Carmontelles Zeichnung „~la malheureuse famille de Calas~“,
der 1765 erschienen war, hatte Chodowiecki zu einer Ölkopie angeregt,
die erst vor kurzem im Besitz des Großherzogs von Hessen aus ihrer
Verschollenheit wiederauftauchte (Schloß Fischbach in Schlesien),
und dieser ließ er 1767 als Gegenstück seine Radierung „~les
adieux de Calas~“ folgen. Der Gefangene ist im Kerker mit seiner
zwischen Trost und Jammer schwankenden Familie dargestellt, wie er
von den Seinen gerührten Abschied nimmt. Der Kerkermeister löst ihm
die Fußschellen; an der Thüre, durch die zwei Mönche hereintreten,
steht die Wache, die den Verurteilten zum Richtplatze geleiten soll.
Das Ganze ist im Geschmack der ~comédie larmoyante~ und in
der Formensprache Greuzes gehalten, auch technisch keine sonderlich
imponierende Leistung. Chodowiecki hatte, wie er selbst erzählt,
alle gedruckten Urkunden des Prozesses durchstöbert und sich mit
sichtlicher Liebe in den Gegenstand vertieft. Dieser verschaffte
dem Blatte, wie gesagt, wohl hauptsächlich seine große Popularität.
Das klingt auch durch Lavaters begeisterte Anerkennung durch, der
in seinen „physiognomischen Fragmenten“ das Blatt als „eines der
herrlichsten, natürlichsten, kräftigsten Stücke“ feierte, die er
je gesehen. „Welche alles beherrschende Wahrheit!“ so ruft er aus:
„Welche Natürlichkeit! welche Zusammensetzung! welche Festigkeit ohne
Schärfe! Welche Zartheit ohne Kleinmeisterei! welche Bedeutung im
Ganzen und in einzelnen Teilen! Welcher Kontrast in den Charaktern und
welche Einheit und Harmonie im Ganzen! und immer und immer Wahrheit
-- und immer Natur, und solche Wahrheit, solche Natur, daß man sich
nicht einen Augenblick kann einfallen lassen, daß der Auftritt, daß
die Zusammensetzung, irgend eine einzige Person oder der geringste
Umstand erdichtet sey -- nichts übertrieben! alles Poesie, und nicht
ein Schein von Poesie -- Ihr vergeßt das Bild, und seht, und seht
nicht! Ihr seid da im Gefängnis der leidenden Unschuld!“ Erscheinen
uns solche hohlen Tiraden heute auch stark überschwenglich, so sind
sie doch ungemein bezeichnend für die Zeit und die Begeisterung, mit
der man vor Chodowieckis Bild Thränen „wehmütiger Wollust“ vergoß.
Der Künstler selbst hat in einer leise satirisch gefärbten Zeichnung,
die Johann Heinrich Lips stach, die Wirkung dieses Bildes auf die
vier Temperamente geschildert. Da sehen wir den Sanguiniker zornig
die Faust gegen die Mörder ballen, den Melancholiker seine Thränen
der Rührung trocknen, den Choleriker brütend auf die Gruppe starren,
während der fettgemästete Phlegmatiker auf einem Lehnstuhl sitzend,
blöde und gleichmütig vor sich hinstiert. Der künstlerisch gebildete
Blick eines französischen Diplomaten, der die Radierung irrtümlich für
eine Nachbildung von fremder Hand nach dem Originalgemälde Chodowieckis
hielt, war schärfer; er sagte zum Künstler: „~Vous avez été bien
mal gravé!~“ „Sie können sich vorstellen,“ fügt Chodowiecki
freimütig der Erzählung dieser Anekdote hinzu, „daß ich nicht sagte:
‚~Je l’ai gravé moi-même.~‘“ Gleichviel, das Blatt machte seinen
Schöpfer bekannt, und die Anträge der Leipziger und Berliner Verleger
zur Übernahme von Illustrationskupfern mehrten sich bald nach dem
Erscheinen des Calas in überraschender Weise. Insbesondere wurde auch
der Philanthrop +Johann Bernhard Basedow+ auf den talentvollen
Radierer aufmerksam. Im Anschluß an Rousseaus Bestrebungen zur Reform
der Jugenderziehung hatte dieser Schriftsteller ein „Elementarbuch
der menschlichen Erkenntnisse“ vorbereitet, das von der Wichtigkeit
des Anschauungsunterrichts ausgehend, die Grundlagen einer neuen
Pädagogik entwickeln sollte. Für solche Aufgabe war der scharfblickende
Kinderfreund Chodowiecki ein besonders willkommener und bereiter
Helfer. Gleich nach den ersten Verhandlungen über das Unternehmen
machte er sich 1769 an die Arbeit, die Illustrationen für das auf vier
Bände berechnete „Elementarwerk“ zu zeichnen und zum Teil auch selbst
aufs Kupfer zu bringen. Im Verlauf von fünf Jahren hatte er mit einem
Stab von Stechern und Radierern die Arbeit so weit gefördert, daß
das Werk erscheinen konnte. Der Erfolg war über Erwarten groß; das
Buch wurde in verschiedene Sprachen, sogar ins Russische übersetzt
und überallhin verbreitet, wo man für die philanthropischen Pläne
Rousseaus und Basedows eingenommen war. Und das war damals fast ganz
Europa. Nicht wenig trugen zu dieser schnellen Verbreitung Chodowieckis
Kupfer bei. Er, der so liebevoll sich in die innersten Regungen der
Kinderseele vertieft hatte, der den Wert traulichen Familienlebens
aus eigener Erfahrung kannte, war entschieden am ehesten befähigt
und berufen, Basedows Anschauungen künstlerisch zu propagieren.
Gerade in jenen Jahren hatte er in dem „~Cabinet d’un peintre~“
(Abb. 3) die Freuden im Schoß der Familie in so rührender Schlichtheit
geschildert und schon früher in dem Bildnis seiner kleinen Tochter
Jeanette, einer der liebenswürdigsten und glücklichsten Arbeiten seines
Pinsels (Abb. 31), den Beweis geliefert, wie die Lust an der Wiedergabe
kindlichen Lebens alle seine Fähigkeiten zu steigern vermochte.

[Illustration: Abb. 34. +Das Blindekuhspiel.+ Ölbild in der
Gemäldegalerie der königl. Museen zu Berlin.]

[Illustration: Abb. 35. +Gesellschaft im Tiergarten zu Berlin.+
Ölbild im städtischen Museum zu Leipzig.]

[Illustration: Abb. 36. +Titelkupfer zu Sulzers Theorie der schönen
Künste.+ Leipzig 1771. (~E.~ 76.)]

[Illustration: Abb. 37. +Bei den Zelten im Tiergarten zu Berlin.+
Ölbild im Besitz der Familie Rosenberger.]

[Illustration: Abb. 38. +Chodowiecki wird vom Kaufmann Gerdes zu
seiner kranken Frau geführt.+ Zeichnung aus dem Tagebuch der
Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 39. +Chodowiecki malt die Gräfin Czapska.+
Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 40. +Die Zelte im Tiergarten zu Berlin.+ 1772.
(~E.~ 83.)]

Die Abbildungen des Elementarwerks sollten die Jugend mit allem
bekannt machen, was im Leben ihre Fragelust wecken würde. So
führt uns Chodowiecki zuerst im bürgerlichen Hause umher, läßt
uns einen Blick in seine verschiedenen Räume thun, dann hinaus
in die Natur, auf den Markt, in die Werkstätten der Handwerker,
die Amtsstuben der Behörden u. s. w., überall mit den Augen eines
Kindes umherspähend und in lehrhafter Weise Bestimmung und Wesen
des Erspähten erläuternd. Uns Nachgeborenen ist das Kupferwerk aber
mehr als ein einfaches Bilderbuch für die Jugend, mehr als ein
Denkmal der pädagogischen Bestrebungen der Aufklärungsepoche, wir
schätzen in ihm ein Nachschlagewerk zur deutschen Kulturgeschichte
des vorigen Jahrhunderts, das fast überall, auch über die kleinen
und scheinbar unbedeutenden Einzelheiten des damaligen Lebens,
wahrheitsgetreue, belehrende Auskunft gibt. Künstlerisch ist die
Ausführung der Kupfer, die zum großen Teil von Gehilfen Chodowieckis
besorgt wurde, recht ungleich, auch der Zeichnung merkt man hier und
da an, daß der Meister nicht ganz bei der Sache war, aber, wo er
seine gelegentlichen, aus Freude an den Motiven entstandenen Skizzen
benutzt, kommt die ganze Frische seiner Naturauffassung hervor. Auch
für ein zweites pädagogisches Werk, den Agathokrator, der sich mit der
Erziehung der Fürstenkinder beschäftigte, nahm Basedow Chodowieckis
Hilfe in Anspruch, freilich in weit geringerem Umfang, als bei dem
Elementarwerk. Eines der Blätter des Agathokrator zeigt uns den
in neuen Projekten unermüdlichen Philanthropen selbst, wie er in
Gegenwart der fürstlichen Familie in Dessau den jugendlichen Prinzen
die Wirkungen der Luftpumpe demonstriert (Abb. 33, ~E.~ 71), ein
zweites die „Educationshandlung“, ein Kaufhaus, das nach Basedows
Plänen als Bezugsquelle aller für den Anschauungsunterricht notwendigen
Modelle, Instrumente und Maschinen dienen sollte (~E.~ 72).

[Illustration: Abb. 41. +Abendgesellschaft bei dem Kaufmann
Gerdes.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 42. +Chodowiecki malt seine Mutter.+ Zeichnung
aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 43. +Chodowiecki malt den Grafen Poboski.+
Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 44. +Chodowiecki zeichnet Frau Gerdes.+
Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 45. +Dame im Straßenkostüm.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

Neben den Arbeiten, die dieser Verbindung mit Basedow ihre Entstehung
verdanken, gehen zahlreiche andere her, die von der Fruchtbarkeit des
bald mit Aufträgen überhäuften Illustrators einen erstaunlichen Begriff
geben. So die Titelkupfer zu den genealogischen Kalendern, die in
Berlin unter Approbation der königlichen Akademie der Wissenschaften
herausgegeben wurden. Das vorige Jahrhundert hatte eine starke Vorliebe
für zierliche Taschenkalender, die in Frankreich besonders mit
raffiniertem Luxus, oft in allerwinzigstem Format hergestellt wurden,
so daß man sie als Berloques an der Uhr tragen konnte. Sie waren das
beliebteste Weihnachts- und Neujahrsgeschenk. Chodowiecki verspottet
gelegentlich in seinem ~Centifolium stultorum~ (~E.~ 440),
das selbst einen Kalender schmückte, die „~manie d’almanacs~“.
Deutschland hatte bisher auf diesem Gebiet des Illustrationswesens
künstlerisch hinter Frankreich erheblich zurückgestanden und
erst Chodowieckis Thätigkeit führte hier einen Umschwung herbei.
Das Taschenbuchformat, in dem die von genealogischen Tafeln der
Fürstenhäuser eingeleiteten Kalender und Almanache meist erschienen,
lag seiner kleinmeisterlichen Begabung vortrefflich, und einige
der Kalenderfolgen zählen zu dem Vollendetsten, was seine Radiernadel
hervorgebracht.

[Illustration: Abb. 46. +Die Starostschenka Ledikowska.+ Zeichnung
aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 47. +Porträtsitzung der Frau Oehmchen.+
Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 48. +Dame im Straßenkostüm.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 49. +Herr Mila.+ Zeichnung aus dem Tagebuch
der Danziger Reise. 1773.]

Besonderes Interesse haben die Kupfer des Kalenders von 1770, in
denen Chodowiecki zwölf Scenen aus dem volkstümlichsten Stücke
+Lessings+, der Minna von Barnhelm, zu illustrieren unternahm
(~E.~ 51, 52). Vor sechs Jahren war das „erste deutsche
Nationallustspiel“ erschienen und bei seiner Berliner Aufführung
1768 mit lauter Begeisterung aufgenommen worden. Die ganze Anlage
des Stücks, der kecke Realismus seiner Charaktere, die naturwahre
Schilderung des bürgerlichen Lebens der eignen Zeit mußten Chodowiecki
packen, und aus der eindringlichen Art, in der er trotz dem
kleinen Format auch seinerseits jeder der Gestalten Lessings eine
kennzeichnende Gebärde, einen sprechenden Ausdruck zu verleihen weiß,
lesen wir etwas von der Liebe und Geistesverwandtschaft heraus, die
den Illustrator zu dem großen Dichter hinzog. Ein moderner Regisseur,
der die Minna von Barnhelm zu inscenieren hat, wird Chodowieckis
Kupfer nicht ohne Nutzen betrachten; denn sie sind nicht etwa freie
Erfindungen des Stechers, in denen er gewissermaßen die Dichtung
glossiert, sondern sie geben zweifellos auch die Eindrücke wieder,
die Chodowiecki von der Bühnenaufführung im Schuchschen deutschen
Komödienhause zu Berlin erhielt.

[Illustration: Abb. 50. +Strasnik Czapski und Starostin
Ledikowska.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 51. +Bürgermeister Conradi.+ Zeichnung aus dem
Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 52. +Spazierfahrt der Familie Gerdes.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

[Illustration: Abb. 53. +Demoiselle Metzel.+

Zeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773.]

Wenn die realistische Neigung, die Lust an lebensvoller
Charakterzeichnung unseren Künstler mit Lessing verband, so lockte
ihn die zarte Empfindsamkeit, das innige Naturgefühl des Schweizer
Idyllendichters +Salomon Geßner+, sich auch einmal auf diesem
Felde zu versuchen. Ursprünglich für den Berliner genealogischen
Kalender für 1772 bestimmt, erschienen die bereits ein Jahr vorher
ausgeführten zwölf Blätter zu Geßners Idyllen erst 1773 (Abb. 32,
~E.~ 69). Der gefeierte Schweizer hatte versucht, die ~scènes
bergères~ ihres französischen Rokokokostüms zu entkleiden, den
natürlichen Hain an die Stelle der architektonisch zugeschnittenen
Parkdekoration, echte Empfindung an die Stelle der sentimentalen Phrase
zu setzen. Selbst künstlerisch begabt, hatte er seine Idyllen mit
eignen Radierungen herausgegeben, die indessen einige dilettantische
Unsicherheit im Technischen nicht verleugnen konnten. Darin war ihm
Chodowiecki, der seine Radiertechnik inzwischen bis zu einer fast
an französische Vorbilder heranreichenden Gewandtheit ausgebildet
hatte, zweifellos überlegen, für den elegischen Ton und die Tiefe
des Naturgefühls, wie es aus den Gedichten Geßners hervorquillt,
dagegen fehlt es dem Berliner, durch unzählige, zum Teil wenig
erfreuliche Aufträge bedrängten Stecher an Beschaulichkeit und an
intimem Verständnis der ländlichen Scenerie. Gerade der letztere Mangel
verletzt in Chodowieckis Schöpfungen immer wieder unser Auge; er, der
den Menschen so tief in die Seele zu sehen verstand, hatte keinen Blick
für die Reize der freien Gotteswelt. Seine Bilder, wie zum Beispiel
die 1768 gemalten Parkscenen in der Berliner Gemäldegalerie, die uns
eine elegante Gesellschaft beim Hahnenschlag- und Blindekuhspiel zeigen
(Abb. 34), und das Konversationsstück im Leipziger Museum (Abb. 35)
wirken durch die Behandlung des landschaftlichen Beiwerks in Form und
Farbe konventionell, doppelt unharmonisch, weil sich die lebensvoll
bewegten Figuren vom Hintergrund wie von einer schlecht gemalten
Theaterdekoration abheben. Auch ist es bezeichnend, daß unter den
zahllosen Skizzen und Entwürfen von Chodowieckis Hand sich so gut wie
gar keine landschaftlichen Studien finden. Damit haben wir eine Grenze
seiner Begabung berührt, aber auch für die allegorische Darstellung
versagt seine Kraft. Er verfällt ins Äußerliche, Leere, wenn es gilt,
eine Idee zu versinnlichen. So ist der 1771 radierte Titel zu Sulzers
Theorie der bildenden Künste (Abb. 36. ~E.~ 76), dem beliebtesten
Kunsthandbuch der Zeit, wenig gelungen, der offenbar dem Künstler im
Einzelnen vorgeschriebenen Komposition fehlt alle Klarheit und Schärfe
des Ausdrucks; nur mühsam vermag man die Hieroglyphenschrift der
gehäuften Attribute zu entziffern, obzwar man billig eingestehen muß,
daß die Zeitgenossen künstlerisch meist noch schlimmer beraten waren.

[Illustration: Abb. 54. +Frau von Rosenberg+ (?).

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Daß dem frisch in die Welt blickenden Realisten, in dem die Lust
zum Schaffen einzig durch Eindrücke der Außenwelt geweckt wurde,
die romantische Phantastik eines Ariost und Cervantes verschlossen
bleiben mußte, kann nicht verwundern und wird durch die wenig
erfreulichen Kalenderkupfer von 1770 und 1771, in denen er je zwölf
Scenen aus dem Don Quixote (~E.~ 58) und dem Rasenden Roland
(~E.~ 74) illustrierte, nur allzu deutlich erwiesen. Als wollte
er sich von solchen mühseligen und undankbaren Aufgaben erholen,
sehen wir ihn hinauswandern vor die Thore der Stadt, um die bei den
„Zelten“ im Tiergarten lustwandelnden Berliner zu studieren (Abb.
37), die Stelldichein der verliebten jungen Welt, die feierlich
einherstolzierenden Bürgerfamilien, unter denen uns auch rechts im
Vordergrunde die berühmten Mimen Brockmann und Doebelin begegnen,
die schwatzenden und klatschenden Alten, die sich im Schatten
der Lindenbäume an dem von einer Florastatue geschmückten Rondel
niedergelassen haben (Abb. 40, ~E.~ 83). Ähnlich hatte 1751
Saint-Aubin die elegante Welt der Seinestadt in seiner von Courtois
gestochenen „~Promenade des remparts de Paris~“ geschildert.
Oder Chodowiecki wirft mit wenigen raschen Strichen einige Studien
von Figuren und Gruppen auf die Kupferplatte (Abb. 4, ~E.~ 80),
wie sie ihm just bei seinen Spaziergängen in den Wurf kamen. Gerade
in solchen flüchtigen Skizzen, wie er sie auch nicht selten in den
Rand der Platte größerer Kompositionen mit der Radiernadel einzuritzen
liebte -- in den sogenannten Randeinfällen -- offenbart sich die Anmut
seiner Gestaltungsgabe, die unverwüstliche Frische seiner Beobachtung
am glücklichsten.

[Illustration: Abb. 55. +Gräfin Kayserling.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin. 1773.]

Im Frühjahre 1773 entschloß sich Chodowiecki zu einer Reise nach der
Vaterstadt, an der er mit treuer Liebe hing, in der seine kränkelnde
alte Mutter mit Sehnsucht auf ein Wiedersehen mit dem Lieblingssohne
harrte. Seit seinem Abschied vom Elternhause waren dreißig Jahre
verflossen, auf die er mit Genugthuung, ja mit Stolz zurückblicken
durfte. Die Stellung und der Ruf, den er in der neuen Heimat genoß,
waren durch eisernen Fleiß und unerschütterliche Pflichttreue errungen.
Gehobenen Hauptes konnte er jetzt vor seine Verwandten treten, die
einst mit frommen Wünschen und banger Sorge seine Wanderung zu
ungewissen Zielen begleitet hatten. Es ist begreiflich, daß auch
er von der Bedeutung eines solchen Wiedersehens tief durchdrungen
und bewegt ward. Mit einer Ausführlichkeit, die selbst bei seiner
gewissenhaften Art, sich von allem Erinnernswerten schriftliche
Auszeichnungen zu machen, überrascht, hat Chodowiecki in einem
französisch geschriebenen Tagebuche alle, noch so gleichgültigen
Erlebnisse dieser Reise beschrieben, und, nicht genug damit, auch
den Zeichenstift zu Hilfe genommen, um sich und den Seinen jeden
Augenblick dieser schönen Zeit möglichst deutlich stets wieder in
die Erinnerung zurückrufen zu können. Die zahlreichen Skizzen führte
er dann später nach seiner Rückkehr sorgfältig mit Feder und Tusche
aus, und so entstanden jene prächtigen hundertundacht Blätter, die
gegenwärtig die königliche Akademie zu Berlin als kostbares Vermächtnis
ihres einstigen Direktors bewahrt. Sie bezeichnen in mancher Beziehung
den Höhepunkt seiner Kunst; zugleich gewähren sie uns einen Einblick
in das Leben und Treiben des vorigen Jahrhunderts, der sie zu einem
sittengeschichtlichen Dokument ersten Ranges erhebt.

[Illustration: Abb. 56. +Vertreibung der Familie Nothanker aus dem
Pfarrhause.+ (~E.~ 101.)

Illustration zu Nicolais Sebaldus Nothanker. Berlin. 1774.]

[Illustration: Abb. 57. +Sebaldus am Sterbebette.+ (~E.~ 102.)

Illustration zu Nicolais Sebaldus Nothanker. Berlin. 1774.]

[Illustration: Abb. 58. +Sebaldus erbittet Almosen.+ (~E.~
157.)

Illustration zu Nicolai’s Sebaldus Nothanker. Berlin. 1776.]

Mit der ganzen Umständlichkeit jener Zeit wurde die Reise, die der
Künstler zu Pferde machen mußte, da er das Fahren nicht vertrug,
vorbereitet. Schon im April des Jahres erhandelte er nach reiflicher
Überlegung einen Falben, der uns in seinen Zeichnungen freilich nicht
gerade den Eindruck macht, als sei er den Strapazen eines so weiten
Rittes sonderlich gewachsen gewesen, der aber gleichwohl unterwegs
oft die Tauschlust anderer Pferdebesitzer erregte und also doch wohl
seine Vorzüge gehabt haben muß. Am 3. Juni nahm er Abschied von seiner
Familie und trabte, das Felleisen auf den Sattel geschnallt, über die
schlecht gepflegten Landstraßen der Mark und Hinterpommerns mit kurzen
Nachtrasten gen Danzig. Oft genug nahm er unterwegs die Zügel zwischen
die Zähne, um die Hände zum Zeichnen frei zu haben. In Freienwalde läßt
er sich mit einer Fähre über die Oder setzen, zieht dann über Massow,
wo eine übermütige Gesellschaft seine Nachtruhe stört, nach Plathe;
hier begegnet ihm eine Berliner Putzhändlerin, die ebenfalls auf der
Fahrt nach Danzig begriffen ist. Kleine Unfälle, wie das Hineingeraten
seines Pferdes in einen Sumpf, ein stürmisches Unwetter auf dem Wege
nach Köslin, scheinen ihm romantisch und wichtig genug, um mit seinem
Zeichenstift davon Nachricht zu geben. Auch die Reisegesellschaft,
die er unterwegs trifft -- seien es nun Bauern auf elenden Gäulen,
fahrendes Volk oder ein Kopenhagener Kaufmann, der mit seinem
einspännigen Meßwagen nach Königsberg zieht -- regt ihn zu Skizzen an,
die oft von köstlichem Humor beseelt sind. Bald nähert er sich der
Heimatstadt: an den prächtigen Landsitzen Danziger Patrizier in Oliva
und Pelonken geht es vorüber, der Blick schweift zur Linken auf die
von Segelschiffen belebte Ostsee, und endlich nach anstrengender Fahrt
tauchen die Türme Danzigs vor dem Blick des Reisenden auf. Am Olivaer
Thor, durch das er die Stadt betritt, begegnet ihm in vierspänniger
Staatskarosse der Bürgermeister Conradi, vor dem die Stadtwache
salutiert. Der wackere Falbe wird in einen Pensionsstall eingestellt,
und mit jenem wunderlichen Mischgefühl, das uns das Wiedersehen der
Heimat nach langer Trennung weckt, schreitet Chodowiecki über das
altgewohnte Pflaster der Langgasse, vor deren Beischlägen ihm die Ulmen
und Linden wie alte Bekannte ein Willkommen zurauschen, zum Vaterhause.
Im Hausflur, von dessen massiven Eichenschränken saubere Delfter
Vasen herabblinken, erwartet ihn bereits seine Schwester Concordia.
Oben, in dem nach dem Hof heraus gelegenen Zimmer angelangt, in dem
seine Schwestern ihre Schülerinnen zu unterrichten pflegten, umarmt
er in überquellender Freude des Wiedersehens seine greise Mutter.
Dies Blatt zählt zu den liebenswürdigsten der ganzen Folge: durch
das breite, unverhängte Fenster flutet die Sonne über die zärtliche
Gruppe, spielt auf dem Lehnsessel und den Kinderstühlchen, die zur
Seite der Betten stehen. Auf dem Klavier, das die eine Längswand des
Raumes einnimmt, liegen noch die Bücher, aus denen die Schwestern,
die jetzt mit neugierigen Blicken den Heimgekehrten mustern,
unterrichtet haben, der Nähkorb auf einem Klapptisch, die Töpfe und
Vasen auf dem Eckschränkchen, alles verleiht der sonst sehr einfach
eingerichteten Stube den Ausdruck der Wohnlichkeit, und man begreift,
mit welcher Liebe das Auge des Künstlers an all diesem traulichen
Hausrat herumtastete, mit welchem Behagen er die langentbehrte, wohlige
Atmosphäre des Vaterhauses nach langer Trennung in sich einsog. Immer
redseliger wird sein Zeichenstift, je länger sich sein ursprünglich
nur auf zwei Wochen berechneter Aufenthalt in der Heimat ausdehnt. Da
werden Bekannte und Kunstgenossen, wie die Maler Wessel, Lohrmann,
der Kupferstecher Deisch und andere besucht, Ausflüge in die schöne
Umgebung der Hansestadt wechseln mit Gastereien, Visiten (Abb. 38,
41) und Studien in Kirchen und Gemäldesammlungen; die vornehme und
im ganzen sehr exklusive Gesellschaft der alten Hansestadt reißt
sich förmlich um den Besuch des berühmten Künstlers, der niemals
sein Skizzenbuch bei solchen Gelegenheiten mit neuen anmutigen
Familienscenen zu füllen vergißt. Auch als Porträtist und Miniaturmaler
wird er vielfach, namentlich von der polnischen Aristokratie, an deren
Spitze der Graf Podoski, Erzbischof von Gnesen stand, in Anspruch
genommen. Chodowiecki selbst berechnete später seine Einnahmen
aus solcher Beschäftigung während seines zweimonatlichen Danziger
Aufenthaltes auf 760 Thaler. Da er mit Vorliebe sich selbst bei der
Arbeit schilderte und namentlich oft auch in dem Zimmer seiner Mutter
(Abb. 42) Bekannte porträtierte, radierte er eine Platte, die das
Zimmer und ihn am Zeichentisch darstellte, und zeichnete dann später in
die einzelnen Abdrücke dieser Platte die verschiedenen Personen hinein,
die ihm dort Modell gesessen. Wenn uns diese Art, Arbeit zu sparen,
heute auch wenig künstlerisch erscheint, so wirft sie andrerseits ein
bezeichnendes Licht auf die lebhafte Nachfrage nach Bildnissen seiner
Hand.

[Illustration: Abb. 59. +Marianne und Herr von Sängling in der
Gartenlaube überrascht.+ (~E.~ 104.)

Illustration zu Nicolais Sebaldus Nothanker. Berlin. 1774.]

[Illustration: Abb. 60 ~a~. +Die Kleidertracht der Berlinischen
Prediger.+]

[Illustration: Abb. 60 ~b~.

Illustration zu Nicolais Sebaldus Nothanker. Berlin. 1775.]

Der Fürst Primas, Graf Podoski, gab ihm den Auftrag zu einem großen
Aquarellporträt, bei dem wir auf einem Blatte seines Skizzenbuchs
den Maler beschäftigt sehen, während die behäbige Intendantin des
geistlichen Herrn, Frau Oehmchen, in selbstbewußter Haltung die
zierliche Begrüßung eines jungen Kavaliers entgegennimmt (Abb. 43).
Weniger förmlich geht es in der bürgerlichen Wohnung der Damen
Kaemmerer und Claude zu (Abb. 44), wo man den Künstler mit frischem
Obst bewirtet. Als er einmal zur Gräfin Czapska geht, um sie zu
malen, wird er nicht vorgelassen, da die Herrschaften bei der Tafel
sind; eine jugendliche Freundin des Hauses aber, die Tochter des
Starosten Ledikowski, kommt persönlich in den Hausflur heraus, um die
Nichtannahme des Besuches zu entschuldigen (Abb. 46). Überall sonst war
er willkommen und als intimer Hausfreund begrüßt (Abb. 38). Selbst Frau
Oehmchen ließ sich zu einer Sitzung herbei (Abb. 47), und zahlreiche
andere Damen und Herren der polnischen und einheimischen Gesellschaft
wanderten mit oder gegen ihren Willen in sein Skizzenbuch (Abb. 45, 48
bis 55). Nur ungern widersteht man der Versuchung, all den Einzelheiten
nachzugehen, von denen uns seine Zeichnungen und sein Journal Kunde
geben. Aber, seine Ausführlichkeit nachahmen, hieße ein Buch im Buche
schreiben. Wir müssen daher den Leser auf die Zeichnungen selbst,
von denen eine beträchtliche Zahl hier reproduziert ist, sowie auf
die vollständige Publikation derselben, die unlängst bei Amsler und
Ruthardt in Berlin in zweiter Auflage erschienen ist, verweisen.

[Illustration: Abb. 61. +Streit der Prediger über die Zulassung eines
calvinistischen Taufzeugen.+ (~E.~ 132.)

Illustration zu Nicolais Sebaldus Nothanker. Berlin. 1775.]

[Illustration: Abb. 62. +Illustration zu Gellerts Fabeln im
Genealogischen Kalender für Westpreußen.+ 1777. (~E.~ 160.)]

[Illustration: Abb. 63. +Illustration zu Gellerts Fabeln im
Genealogischen Kalender für Westpreußen.+ 1776. (~E.~ 141.)]

[Illustration: Abb. 64. +Illustration zu Gellerts Fabeln im
Genealogischen Kalender für Westpreußen.+ 1777. (~E.~ 160.)]

[Illustration: Abb. 65. +Illustration zu Gellerts Fabeln im
Genealogischen Kalender für Westpreußen.+ 1777. (~E.~ 160.)]

Am 18. August nach Berlin zurückgekehrt, fand er zahlreiche neue
Aufträge vor, darunter auch einen, der ihn zu einer zweiten Reise
veranlaßte. Der durch die Errichtung der Berliner Porzellanmanufaktur
bekannt gewordene, aber durch verschiedene andere Unternehmen in feinen
Vermögensverhältnissen stark zurückgekommene Kaufmann Gotzkowski, der,
selbst ein eifriger Kunstsammler, in späteren Jahren auch gelegentlich
Kunsthandel trieb, hatte die Absicht, die Gemäldesammlung der Gräfin
von Kosel auf Sabor zu erwerben, und wollte dieselbe vorher von einem
Sachverständigen taxieren lassen. Chodowiecki, der als Gemäldesammler
und Kenner ebenso bekannt war, wie als Maler, war zu diesem Geschäft
ausersehen. Er benutzte die Gelegenheit, um, einem langgehegten Wunsche
folgend, Dresden einen kürzeren Besuch abzustatten. Nachdem er die
Schloßgalerie in Sabor eingehend besichtigt und der Besitzerin den Rat
gegeben, ihre Forderung an Gotzkowski erheblich zu reduzieren, reiste
er weiter durch die Niederlausitz nach Elbflorenz, wo er am 24. Oktober
anlangte.

[Illustration: Abb. 66. +Gil Blas als Diener des Gonzaley
Pacheco.+ (~E.~ 285.)

Illustration zu Le Sage’s Gil Blas. Berlin. 1779.]

[Illustration: Abb. 67. +Illustration zu Philippine Engelhards
Gedichten.+ Göttingen. 1782. (~E.~ 420.)]

Hatte Chodowiecki in Danzig von den dort ansässigen Künstlern
viel Klagen hören müssen über die schlechten Zeiten, in denen die
Kunstfreunde rarer seien, als weiße Raben, hatte man von hier
mit stillem Neid auf seine einträgliche Beschäftigung in Berlin
geblickt, so mußte er am Elbstrand einsehen, daß die Streusandbüchse
des Deutschen Reichs doch wohl nicht den besten Nährboden für die
Früchte der Kunst abgebe. Wie ärmlich erschien das Kunstleben der
fridericianischen Hauptstadt neben dem prunkvollen Mäcenatentum der
polnisch-sächsischen Dynastie! Die Kunstschätze der kurfürstlichen
Residenz hatten seit lange Weltruf. Dichtete doch schon am Anfange des
Jahrhunderts ein nassauischer Hofmedicus mit mehr Begeisterung als
Geist:

  Das Auge sieht sich nimmer satt,
  Sagt Salomo in seinen Sprüchen;
  Ach, daß er Dresden nicht gesehen hat!
  Vermutlich hätt’ er diesen Satz
  Geändert, wo nicht ausgestrichen.

    --  --  --  --  --  --  --  --

  Denn das, was man in Dresden schauet,
  Und was August vollführt und bauet,
  Sieht man sonst nirgends in der Welt!

Hier hatte Winckelmann gewirkt, Ludwig von Hagedorn und Raffael
Mengs hatten litterarisch zur Verbreitung der Kunstinteressen
beigetragen, letzterer wurde „von ganz Europa als der bedeutendste
Maler des Jahrhunderts“ gepriesen. Auch Anton Graff, der gefeierte
Bildnismaler, weilte hier, und Chodowiecki versäumte nicht, diesem
alten Freunde und künstlerischen Gesinnungsgenossen einen Besuch
abzustatten, ebenso wie er auch die übrigen Mitglieder der Dresdener
Maler- und Kupferstecherkolonie aufsuchte, um bei ihnen, wie in den
kurfürstlichen und privaten Sammlungen reichste Anregung zu finden. Der
Kupferstecher Zingg führte ihn zu dem Antiquar Lippert, der in seiner
Daktyliothek sich die erste umfassende Kollektion von Abdrücken antiker
geschnittener Steine und Gemmen angelegt hatte. Der schwerhörige und
griesgrämige alte Herr im polnischen Schnürrock reizte den Künstler
zu einer Zeichnung, die ihn im Gespräch mit dem genannten Zingg
darstellte. Noch nach fünfundzwanzig Jahren benutzte er diese Scene,
die nicht eines gewissen humoristischen Beigeschmacks entbehrt, als
Vorlage zu einer Radierung (~E.~ 882).

[Illustration: Abb. 68. +Erfindung der Buchdruckerkunst.+
(~E.~ 517.)

Illustration zum Almanac de Gotha. 1785.]

[Illustration: Abb. 69. +Naturzustand der Menschheit.+ (~E.~
517.)

Illustration zum Almanac de Gotha. 1785.]

Der Aufenthalt in Dresden regte in unserem Künstler zeitweilig die
Erwägung an, ob er nicht ganz dorthin übersiedeln sollte; als ihm
jedoch 1777 der Antrag gemacht wurde, die Stellung eines Inspektors
am kurfürstlichen Kupferstichkabinett zu übernehmen, lehnte er ab.
Die Rückreise führte Chodowiecki über Leipzig, wo er Friedrich Oesers
Bekanntschaft machte, der durch seine Beziehungen zu Winckelmann und
später zu Goethe mehr als durch seine manierierten Malereien bekannt
geworden ist.

[Illustration: Abb. 70. +Titelvignette zu Salzmanns Carl von
Carlsberg.+ Leipzig. 1784. (~E.~ 495.)]

Viel Muße, die auf den Reisen empfangenen Eindrücke und Anregungen
daheim zu verarbeiten, fand Chodowiecki nach seiner Heimkehr nicht.
Von allen Seiten kamen Aufträge, häuften sich die Bestellungen, die er
nur in den seltensten Fällen auszuschlagen sich entschließen konnte.
Zwei Schriftsteller besonders bemühten sich, ihn für ihre Zwecke zu
gewinnen: Friedrich Nicolai und Johann Kaspar Lavater.

[Illustration: Abb. 71. +Modekupfer zum Göttinger
Taschenkalender.+ 1778. (~E.~ 195.)]

[Illustration: Abb. 72. +Fortgang der Tugend und des Lasters.+
(~E.~ 188.)

Illustration zum Göttinger Taschenkalender. 1778.]

[Illustration: Abb. 73. +Fortgang der Tugend und des Lasters.+
(~E.~ 188.)

Illustration zum Göttinger Taschenkalender. 1778.]

+Christoph Friedrich Nicolai+ spielt in der deutschen Litteratur
der fridericianischen Epoche eine ähnliche Rolle, wie Chodowiecki
in der gleichzeitigen Kunst. Vom Buchhändlerlehrling zum Gelehrten
aufgestiegen, suchte er in Verbindung mit Lessing und Moses Mendelssohn
der neuen Aufklärung eine möglichst allgemeine Verbreitung zu geben.
Die Forschungsergebnisse und Anschauungen der Gelehrtenwelt sollten
eine läuternde Umwälzung des Denkens und Empfindens in den breitesten
Volksschichten bewirken, und dieser Aufgabe dienten die von Nicolai
herausgegebenen Zeitschriften ebenso wie seine Romane. So versucht er
in dem „Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker“, die
engherzige und heuchlerische protestantische Orthodoxie zu geißeln,
die den Titelhelden, einen der neuen Denkart geneigten Dorfprediger,
auf jede mögliche Weise zu drangsalieren versucht. Chodowiecki war
bestrebt, die allzu nackt und grell hervorgekehrte Tendenz dieses
Romans in seinen Illustrationen zu mildern. Die sentimentalen Scenen,
wie die Vertreibung der Familie Nothanker aus dem Pfarrhause (Abb.
56, ~E.~ 101), Sebaldus am Sterbebette seiner Gattin (Abb.
57, ~E.~ 102) und die Schilderung der Notlage des Verfolgten,
der schließlich Almosen anzunehmen sich gezwungen sieht (Abb. 58,
~E.~ 157), gelingt dem Zeichner offenbar besser, als die Satire
auf die hoffärtige Adelsgesellschaft (Abb. 59, ~E.~ 104) und die
streitsüchtige Geistlichkeit, deren Vertretern Nicolai lächerliche
Namen wie Puddewustius, Buhkvedderius und Wulkenkragenius beigelegt
hatte (Abb. 61, ~E.~ 132). Weit feiner als dem Autor gelang es
dem Zeichner, die Scheinheiligkeit und hohle Würde dieser Herren
zu ironisieren -- in dem zierlichen Blatt ~E.~ 122, das die
„Kleidertrachten der berlinischen Prediger“ scheinbar ohne jeden
tendenziösen Beigeschmack darstellt (Abb. 60 ~a~ u. ~b~).
Außer diesem dreibändigen Roman Nicolais, der sich einer großen
Verbreitung und Anerkennung erfreute, illustrierte unser Künstler
später noch zahlreiche andere von demselben Verfasser herausgegebene
Schriften, wie die „Freuden des jungen Werther“, die dem beispiellos
eingeschlagenen Erstlingsroman Goethes ein Paroli bieten sollten
(~E.~ 120), die Anekdoten von Friedrich II., ein Chodowiecki
besonders willkommener Vorwurf, den „feynen kleynen Almanach“ (1777
~E.~ 167) und zahlreiche Bände der „allgemeinen deutschen
Bibliothek“, in deren einem (1776) wir auch ein Jugendporträt Goethes
von Chodowieckis Hand (~E.~ 166) vorfinden.

[Illustration: Abb. 74.

+Bücherzeichen Chodowieckis.+ (~E.~ 192.)]

[Illustration: Abb. 75. +Illustration zu Shakespeares Macbeth.+

Skizze zu ~E.~ 541.]

[Illustration: Abb. 76. +König Friedrichs II. Wachtparade in
Potsdam.+ 1777. Zweiter Zustand. (~E.~ 196). (Verkleinert).]

[Illustration: Abb. 77. +Illustration zu Hippels Lebensläufen.+
Berlin. 1778. (~E.~ 302.)]

[Illustration: Abb. 78. +Illustration zu Shakespeares Lustigen
Weibern zu Windsor.+ (~E.~ 568.) Göttinger Taschenkalender.
1787.]

+Johann Kaspar Lavater+, von dessen überlautem Entzücken über
Chodowieckis „Calas“ wir bereits oben berichteten, gehört zu den
originellsten Persönlichkeiten der Aufklärungsepoche: phantastisch
und zur Mystik geneigt, ohne jede Mäßigung, wenn es galt, seine
Ideen zu verfechten, fromm und bekehrungssüchtig, -- kurz in allem
der schroffste Gegensatz zu dem kühl vernünftelnden, nüchternen
Nicolai, der ihn auch aufs heftigste befehdete -- hatte dieser seltsame
Schwärmer sich vorgesetzt, eine neue Ära jener schon von den Astrologen
und Zeichendeutern des Mittelalters geübten Kunst der Physiognomik
heraufzuführen. Aus Beschaffenheit und Form der Gesichtszüge das
Seelenleben und die Eigenschaften des Menschen zu erkennen, war das
Ziel dieser Orakelkunst. Um dem großen Publikum eine Vorstellung von
der Art seines Vorgehens zu geben, das eine neue Wissenschaft vom
inneren Menschen begründen sollte, verband er sich mit dem Künstler,
dem er als Charakterschilderer die größte Befähigung zutraute, mit
Daniel Chodowiecki. Dieser mußte ihm die erläuternden Kupfer zu seinen
„Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und
Menschenliebe“ liefern. Nicht alle Tafeln konnte Chodowiecki auch
eigenhändig radieren und beschränkte sich daher bei vielen auf die
Vorzeichnung, die andere Stecher aufs Kupfer brachten. Was von ihm
selbst in Radierung in den Jahren 1774 und 1775 ausgeführt wurde, sind
etwa 14 Blatt, ungleichwertig in Erfindung und Ausdruck. Die größeren
Köpfe, wie Lavaters Vater auf dem Totenbett (~E.~ 124), haben
etwas Ängstliches und Gequältes, jedes Fältchen, jede Runzel soll
etwas aussagen und beweisen, die graue Theorie guckt überall hervor.
Chodowiecki schrieb von einem Blatt derart selbst halb unwillig:
„Nach einer weitläufigen Beschreibung von Lavater gezeichnet.“
Glücklicher sind die kleinen, nur in scharfen Umrissen angedeuteten
Köpfe von Personen aus verschiedenen Zeitaltern, Nationen, Ständen und
Lebensaltern: hier konnte sich der Zeichner frei bewegen, plünderte
nach Lust seine älteren Skizzenbücher und Mappen, und wir bewundern,
wie scharf er in dem kleinen Format und mit anspruchslosesten Mitteln
die verschiedenen Charaktere zu kennzeichnen versteht, wenngleich er
notwendigerweise auch hier manchmal dem lehrhaften Zwecke zuliebe in
Übertreibung verfällt.

[Illustration: Abb. 79.

+Heiratsantrag des Einfaltspinsels.+

Illustration zum Taschenbuch für 1782. Göttingen. (~E.~ 382.)]

Sehr viel bequemer lag Chodowiecki der natürliche und schalkhafte Ton
von +Gellerts+ Fabeln und Erzählungen, ja man darf vielleicht
sagen, daß Gellerts Schrifttum seiner Griffelkunst am meisten kongenial
war. In dem Genealogischen Kalender für Westpreußen erschienen 1776
zwölf Blätter, die die Pointen von zwölf Gellertschen Fabeln zum
Gegenstand haben (~E.~ 141); im folgenden Jahr an gleicher
Stelle zwölf weitere Radierungen der Art (Abb. 62, ~E.~ 160).
Wie treffend weiß der Kleinmeister hier die hohle Aufgeblasenheit und
den Zorn des verspotteten alten Dichters (Abb. 63, ~E.~ 141) zu
charakterisieren, oder den Greis, dessen Lebensinhalt die lakonische
Grabschrift umfaßt: Er lebte, nahm ein Weib und starb! (Abb. 64). Wie
hübsch ist der Zug, in den beiden heiratslustigen Mädchen (Abb. 65) die
natürliche Anmut und die gefallsüchtige Geziertheit zu kennzeichnen: ob
schlicht, ob verzogen, sie hoffen beide „Worauf? Gewiß auf einen Mann.“

[Illustration: Abb. 80. +Weibliche Dienstboten.+ (~E.~ 368.)

Illustration zu Lichtenbergs Vorschlag zu einem Orbis pictus.

Im Göttingischen Magazin der Wissenschaften. 1780.]

[Illustration: Abb. 81. +Der Große Kurfürst empfängt die
französischen Emigranten.+ (~E.~ 460).

Illustration zu Ermans Memoires. Berlin. 1782.]

[Illustration: Abb. 82. +Der Große Kurfürst preist die gewerblichen
Erzeugnisse der Réfugiés.+ (~E.~ 560.)

Illustration zu Ermans Memoires. 1786.]

Wie Gellert hat auch Chodowiecki stets nur ein gutmütiges Lächeln
für die Thorheiten dieser Welt, nie drängt sich Verbitterung
oder Verbissenheit gehässig hervor. Alles weiß er zum Guten zu
wenden. Als er einst -- es war im Sommer 1775 -- seiner Familie
einen Sonntagsausflug nach dem damals beliebten Vergnügungsorte
Französisch-Buchholz versprochen hatte, das schlechte Wetter und das
Ausbleiben des Wagens aber das Vorhaben vereitelte, wußte er schnell
der üblen Laune zu begegnen, indem er die Seinen durch eine lustige
Zeichnung der projektierten Fahrt entschädigte. In feierlicher
Prozession zieht die Familie zu Fuß nach Buchholz: Susette, die
zweitälteste Tochter des Hauses, Würste und Brezeln auf einer Heugabel
tragend, voran, die anderen folgen mit Torten und einem gefüllten
Weinkorb, Vetter Kolbe schließt lustig fiedelnd den Zug der „Wallfahrt
nach Französisch Buchholz,“ die der Erfinder des heiteren Schwanks vier
Jahre später auch noch in Kupfer verewigte (~E.~ 337). Als im
selben Jahr sein Freund, der Eisenhändler Barthelemy, Hochzeit machte,
entwarf er die Tischkarte, die ebenfalls mit schalkhaften Einfällen und
Anspielungen gespickt ist (~E.~ 133). Allein zu solchen Scherzen
blieb dem rastlos Arbeitenden in diesen Jahren, wo sich die Aufträge
so häuften, daß er oft die Nacht durch arbeiten mußte, wenig Zeit. Es
hieße, eine Litteraturgeschichte jener Tage schreiben, wollte man all
die Titelkupfer, Vignetten und Illustrationen eingehender behandeln,
die Chodowieckis Presse verließen. Seit dem Jahre 1771 hatte er sich
nämlich in seinem Hause eine Kupferdruckpresse aufgestellt, während
er früher für das Drucken seiner Platten auf fremde Hände angewiesen
war. Belletristische Werke, Erbauungs- und Schulbücher wechseln mit
Zeitschriften, Kalendern und Almanachen, deren Ausstattung durch
unseren Meister geradezu vorbildlich wurde. So verdrängten seine Kupfer
allmählich die französischen Arbeiten aus dem Gothaischen Hofkalender,
der von allen Almanachen zweifellos das größte Ansehen auch im Auslande
genoß. Diese Arbeit war Chodowiecki schon deshalb willkommen, weil
ihm hier oft freie Wahl der Gegenstände gelassen wurde. So brachte er
bald, wie in dem Lauenburger Kalender von 1777, zwölf Monatskupfer,
die ihrerseits den Dichter L. Haken zu einer Erzählung inspirierten
(~E.~ 123), bald Modekupfer, für die ihm nicht selten die Damen
seines Bekanntenkreises Modell standen, wie die extravaganten Berliner
Haartrachten im Göttinger Taschenkalender für 1778 (Abb. 71, ~E.~
195), aber auch moralisierende Folgen, wie den „Fortgang der Tugend
und des Lasters“ (Abb. 72, 73, ~E.~ 188), zu dem der bekannte
Satiriker Lichtenberg, der Kommentator William Hogarths, Erläuterungen
schrieb, das „Leben eines schlecht erzogenen Frauenzimmers“ (~E.~
279), ein Gegenstück zu dem bereits früher erschienenen „Leben eines
Liederlichen“ (~E.~ 90) u. a. m. Trotz des Anklangs an die
Titel, die der eben genannte englische Sittenschilderer für seine
Kupferstichserien wählte, ist doch Chodowieckis Auffassung von der
Aufgabe eines künstlerischen Moralisten von der eines Hogarth, mit
dem er so oft verglichen wurde, grundverschieden, und er hat sich
wiederholt dagegen gewehrt, dem Engländer verglichen zu werden, dessen
Bitterkeit, die sich am Häßlichen weidete, ihm durchaus fremd war.
Goethe hat treffend die Neigung unseres Meisters zur Milderung und
Ausgleichung schroffer Gegensätze charakterisiert: „Unser wackerer
Chodowiecki hat manche Scenen der Unnatur, der Verderbnis, der Barbarei
und des Abgeschmacks trefflich dargestellt; allein, was that er? Er
stellte dem Hassenswerten sogleich das Liebenswürdige entgegen, Scenen
einer gesunden Natur, die sich ruhig entwickelt, einer zweckmäßigen
Bildung, eines treuen Ausdauerns, eines gefälligen Strebens nach Wert
und Schönheit.“ Man möchte meinen, Goethe habe diese Worte vor den
eben erwähnten Kupferfolgen, denen sich auch noch die „Natürlichen
und affektierten Handlungen des menschlichen Lebens“ (~E.~ 256)
und die „Beweggründe zum Heiraten“ (~E.~ 598) anreihen lassen,
niedergeschrieben.

[Illustration: Abb. 83. +Titelkupfer zu Cramers Übersetzung der
Nouvelle Héloise von Rousseau.+ Berlin. 1785-1787. (~E.~ 535.)]

[Illustration: Abb. 84. +Titelvignette zu Hermes’ Zween litterarische
Märtyrer.+ Leipzig. 1780. (~E.~ 610.)]

In dieser Zeit, als die Bibliothek des emsigen Illustrators sich so
schnell mit den zahllosen von ihm selbst geschmückten Büchern füllte,
entstand auch das ~Ex-libris~, das er nach einer damals weit
verbreiteten, in unseren Tagen wieder neuaufgelebten Sitte in die ihm
gehörigen Bände einzukleben pflegte: Der geflügelte Genius der Kunst
führt einen jungen Künstler zu den Brüsten der Natur -- ein schlichtes
und ehrliches Bekenntnis seiner Anschauungen vom Wesen und den Zielen
aller Kunstübung und Kunstbegeisterung (Abb. 74, ~E.~ 192).

[Illustration: Abb. 85. +Aufführung der Minna von Barnhelm im
Kuhstall.+ (~E.~ 490.)

Illustration zu Müllers Siegfried von Lindenberg. Leipzig. 1783.]

Eine größere Arbeit des Jahres 1777 freilich, die Wachtparade
Friedrichs II. in Potsdam (~E.~ 196, Abb. 76), die er in zwei
Wiederholungen stach, mahnt uns auch wieder bedenklich an die
Schranken, die seiner Kunst gesetzt waren. Fast immer, wenn er über das
Taschenbuchformat sich hinauswagt, glauben wir mit ihm die Unsicherheit
des nur all zusehr an kleine Maßstäbe gewöhnten Zeichners zu empfinden.
Schon die zeitgenössische Kritik tadelte an dem genannten Blatte
einige Zeichenfehler, wie den zu weit vorgerückten Vorderfuß des
kronprinzlichen Pferdes, den Chodowiecki auch in der zweiten Platte
„den Unkennern zu gefallen“, wie er selbst schrieb, korrigierte, aber
auch abgesehen von solchen kleinen „Pentimenti“ ist bei jeder größeren
Platte des Meisters eine Abnahme der Lebendigkeit in der Bewegung
der Gestalten, eine Steifheit und ein gewisser Mangel an Raumsinn
zu verspüren, den die kleinliche technische Behandlung nur um so
auffälliger macht. Freilich bleibt für uns die Wachtparade Friedrichs
des Großen, ganz abgesehen von ihrem künstlerischen Wert, immer ein
kostbares zeitgenössisches Dokument, da wir mit Recht annehmen dürfen,
daß an Treue in der Wiedergabe aller Einzelheiten ein so gewissenhafter
Schilderer, wie Chodowiecki nichts versäumt haben wird. So wird denn
diesem Blatte die Popularität erhalten bleiben, die schon zu Lebzeiten
seines Schöpfers, der nicht weniger als vierunddreißig Kopien danach
kannte, eine außerordentliche war. Auch ein größeres Porträt, das
uns die Züge des Philanthropen und Pädagogen Friedrich Eberhard von
Rochow erhalten hat, ist in diesem überaus arbeitsreichen Jahre 1777
entstanden (~E.~ 191). Der Besteller entrüstete sich anfangs
einigermaßen über den hohen Preis von hundert Thalern für die Platte,
was ihn aber nicht abhielt, sie einige Jahre später für die doppelte
Summe weiterzuverkaufen.

[Illustration: Abb. 86. +Skizze zu+ ~E.~ 390, s. Abb. 89. Im
Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 87.

+Das trojanische Pferd.+ (~E.~ 611.)

Illustration zu Blumauers Äneide im Großbritannischen Genealogischen
Kalender. Lauenburg. 1790.]

Von den zahllosen Illustrationen aus der zweiten Hälfte der siebziger
Jahre, der reichsten Ernte- und Reisezeit, will ich nur als die
hervorragendsten folgende erwähnen: das Titelkupfer zur zweiten
englischen Auflage von Goldsmiths „Vicar of Wakefield“ (~E.~
149), dessen Inhalt Chodowiecki auch zu zwölf Kalenderkupfern
(~E.~ 159) anregte, die zierlichen und stimmungsvollen beiden
Darstellungen aus Goethes Werther, die eine französische Übersetzung
des Werkes schmücken (~E.~ 151, 152), und die der Dichter zu
seinen Lieblingskupfern zählte, die vierundzwanzig Scenen eines damals
vielgelesenen fünfbändigen Romans von Hermes: Sophiens Reisen von Memel
nach Sachsen (~E.~ 172, 182), der ersten ausführlichen Schilderung
der Sitten und Charaktere des deutschen Mittelstandes im achtzehnten
Jahrhundert, daher Chodowieckis Begabung gut gelegen, Bürgers Gedichte
(~E.~ 232-239), Hippels Lebensläufe in aufsteigender Linie
(~E.~ 246-251, 298-303, Abb. 77), ein auch heute noch lesenswertes
Buch, während die humoristischen Romane Wezels „Peter Marks“
(~E.~ 292-297) und „Die wilde Betty“ (~E.~ 280-284) nur
durch ihre Kupfer, die zu den technisch gewandtesten unseres Meisters
gehören, noch einiges Interesse zu wecken vermögen. Schließlich die
Monatskupfer des Gothaer Kalenders von 1780, die ihren Stoff Lessings
Fabeln und Erzählungen entlehnten (~E.~ 320). Diese Blätter
zogen Chodowiecki eine sehr heftige Kritik in Meusels Miscellaneen
zu, gegen die der Angegriffene sich bescheiden, aber mit Nachdruck in
der gleichen Zeitschrift verteidigte. Uns scheint der große Aufwand
an Worten und theoretischen Erörterungen für die Beurteilung solcher
liebenswürdigen Kleinigkeiten recht abgeschmackt, aber wir lernen
daraus, eine wie eingehende Aufmerksamkeit die Zeitgenossen gerade dem
Illustrationswesen zuwendeten. Von der Wahl des geeigneten Moments der
Darstellung bis zu jedem Fältchen in Mienen und Gebärden der Figuren
wurde alles damals peinlich unter die Lupe des in enge Theorien
eingezwängten Kunstverstandes genommen und zergliedert, freilich, ohne
daß man dem Wesen der Sache damit erheblich näher gekommen wäre.

[Illustration: Abb. 88.

+Illustration zu Blumauers Äneide im Großbritannischen Genealogischen
Kalender.+ Lauenburg. 1790. (~E.~ 611.)]

[Illustration: Abb. 89. +Titelkupfer zu dem Roman: Philipp von
Freudenthal.+ Berlin. 1780. (~E.~ 390).]

[Illustration: Abb. 90. +Illustration zu Coventrys Roman: Der kleine
Cäsar.+ Leipzig. 1782. (~E.~ 431.)]

Sehr kurios muten uns auch die Scenen aus Shakespeares Hamlet
(~E.~ 213, 214) an, die Chodowiecki, angeregt durch Brockmanns
vielbewundertes Auftreten in Berlin, als künstlerische Beigabe zu zwei
Aufsätzen über das Spiel des großen Tragöden in der Litteratur- und
Theaterzeitung von 1778 radierte. Brockmann, der einem Garrick und Kean
an die Seite gestellt wurde, zählte den Hamlet zu seinen Paraderollen,
aber seine kleinbürgerliche Maske, wie sie Chodowiecki getreulich
wiedergibt, würde uns schlechterdings alle Illusion zerstören. Nicht
vergessen darf man dabei, daß Shakespeare damals erst unlängst für die
Bühne wieder entdeckt war und auch von Schauspielern dargestellt, die
lediglich am bürgerlichen Drama geschult waren, das Publikum durch die
Wucht seiner grandiosen Charakterschilderung und packenden Sprache
zu lautem Enthusiasmus hinriß. An diesen Shakespeareaufführungen
berauschten die Dichter der Sturm- und Drangperiode ihre steuerlose
Einbildungskraft. Chodowiecki indes sah mit nüchternen Sinnen nur
das, was auf der Bühne dem Auge sich bot, auch seine späteren
Shakespeareillustrationen, wie die zu Hamlet (~E.~ 252), Coriolan
(~E.~ 571), König Heinrich IV. (~E.~ 539), Macbeth
(Abb. 75, ~E.~ 514) und dem Sturm (~E.~ 583) zeugen dafür,
daß ihm die Leidenschaft und der stürmische Feuergeist des großen
Briten innerlich fremd blieb. Am nächsten lag seinem Naturell noch der
Humor der Lustigen Weiber von Windsor, die er 1786 für den Göttinger
Taschenkalender (Abb. 78, ~E.~ 568) illustrierte. Aber stets fühlt
man auch hier die Fessel durch, die ihm der fremde Vorwurf anlegte.
Wie viel freier bewegt er sich, wenn es gilt, seinen eignen Humor
leuchten zu lassen, z. B. in den beiden Kupferstichfolgen: Natürliche
und affektierte Handlungen des Lebens (~E.~ 256 u. 329)! Was
in jener Zeit Natürlichkeit hieß, erscheint uns freilich heute noch
immer reichlich affektiert, die Tracht der Zeit, die Schnürleiber
und gepuderten Perücken, die Stöckelschuhe hemmten die freie
Bewegung, Erziehung that das Ihrige dazu, aber die Lächerlichkeit
der Incroyables und Merveilleusen, die tänzelnden Schrittes
einherstolzieren, selbst in der Kirche nicht ihre gespreizten Alluren
ablegen, ist doch von Chodowiecki, der auch hier vielfach nur seine
treue Beobachtungsgabe zu benutzen brauchte, meisterhaft in Gegensatz
zu der Natürlichkeit des schlichten Bürgers gestellt.

[Illustration: Abb. 91. +Entführung.+ Illustration zu Bunkels
Leben. Skizze zu ~E.~ 222. Berlin. 1778.]

Das Jahr 1779 brachte unserem Meister einen schmerzlichen Verlust:
seine geliebte Mutter, die schon lange gekränkelt, erlag am 30. Mai
in Danzig ihren Leiden. Für die in recht bescheidenen Verhältnissen
zurückgebliebenen Schwestern zu sorgen, war dem Bruder Pflicht und
Bedürfnis. Im Juli des nächsten Jahres rüstete er sich daher wiederum
zu einer Reise nach der Heimat. Das Haus in der Heiligengeistgasse
wurde verkauft und die Schwestern eingeladen, nach Berlin
überzusiedeln. Trotz den mannigfachen Geschäften, die seine Zeit
während des diesmal nur kurzen Aufenthalts in der Vaterstadt in
Anspruch nahmen, fand der an unablässige Thätigkeit gewohnte Künstler
hier noch Muße, einige Platten zu radieren (~E.~ 369-374). Sie
waren für eine deutsche Übersetzung des „Lobes der Narrheit“ von
Erasmus von Rotterdam bestimmt, das im sechzehnten Jahrhunderts bereits
Hans Holbein den Jüngeren zu einer Reihe köstlicher Federzeichnungen
inspiriert hatte; die Verspottung menschlicher Thorheit und Eitelkeit,
die Chodowiecki hier mit Glück modernisierte, lag ihm freilich in
jenen Tagen trüber Stimmung wohl weniger am Herzen, als ein anderes
Thema, dessen klassische Prägung die deutsche Kunst ebenfalls Holbein
verdankt: der Totentanz. Der Sensenmann, der eben mit grausamer Hand
in seine Lebenskreise eingegriffen und ihm das Teuerste geraubt,
wird von Chodowiecki in einer Reihe von Scenen (~E.~ 662)
geschildert, deren Motive sich zwar im allgemeinen an die herkömmlichen
Totentanzbilder anlehnen -- es sind die einzelnen Stände, die der Reihe
nach dem Ruf des Allgewaltigen folgen müssen -- aber uns überrascht die
dämonische Größe der Auffassung, zu der sich der sonst so nüchterne
Beobachter des alltäglichen Kleinlebens hier nicht selten erhebt. Erst
zwölf Jahre später wurden die Zeichnungen in Kupfer gebracht und dem
Lauenburger genealogischen Kalender beigegeben, nachdem man lange den
Gegenstand als Kalenderschmuck beanstandet hatte: „so revolvant war bey
jedem der Gedanke, einer Dame den Todt in so mancherlei Gestalten zum
Weynachts- oder Neujahrsgeschenk zu machen.“

[Illustration: Abb. 92. +Herzog Leopold von Braunschweig eilt den
durch Wassersnot Bedrängten zu Hilfe.+ 1785. (~E.~ 540.)]

Mehr in freiem Wettstreit mit den von Lichtenberg gemachten
Vorschlägen, als von ihnen abhängig, entstanden 1780 die Kupfer zu
einem ~Orbis pictus~, kleine, überaus zierliche und geistreiche
Charakterfigürchen, von denen wir eines in Abbildung (Abb. 80,
~E.~ 368) wiedergeben. Lichtenberg wollte „der Armut unserer
dramatischen Schriftsteller sowohl als auch der Schauspieler und
Künstler dadurch zu Hilfe kommen, daß er frappante Züge ... aus
allerley Ständen des bürgerlichen Lebens“ sammelte und herausgab,
eine Aufgabe, die für Chodowiecki wie geschaffen schien, um seine
zahlreichen Beobachtungen und Studien nach dem Leben in zwangloser
Folge zu veröffentlichen. So sehen wir auf dem mitgeteilten Blatte
die Typen weiblicher Dienstboten von der Kammerfrau und Zofe bis
zum Waschweib in höchst lebendiger Weise vereinigt. In solchen
Charakterfigürchen kleinsten Maßstabes offenbart sich die ganze
Liebenswürdigkeit und Schalkheit seines Wesens, die ganze Feinheit
seiner Radiernadel, ähnlich wie in den gleichzeitigen „~Occupations
des Dames~“ (~E.~ 355), den beiden Folgen von „Heiratsanträgen“
verschiedener Freier (Abb. 79, ~E.~ 345 und 382) und der
Verspottung der Steckenpferdreiterei (~E.~ 357). Dazwischen klingt
dann wieder in der anmutigen Titelvignette zu Cramers „Unterhaltungen“
(Berlin 1781, Abb. 2, ~E.~ 376) der innige Ton häuslichen
Familienglücks durch, dessen herzerquickende Schilderung zu den
vornehmsten Ruhmestiteln Chodowieckis zählt.

[Illustration: Abb. 93. +Satire auf die Nachdrucker.+ (~E.~
394.)]

[Illustration: Abb. 94. +Titelvignette zu Gotters Gedichten.+
Gotha. 1788. (~E.~ 592.)]

[Illustration: Abb. 95. +Lenorens Todesritt.+ (~E.~ 612.)
Titelvignette. 1789.]

[Illustration: Abb. 96. +Illustration zum Gothaischen
Hofkalender.+ 1790. (~E.~ 614.)]

[Illustration: Abb. 97. +Illustration zum Berliner
Historisch-Genealogischen Kalender.+ 1793. (~E.~ 687.)]

Aber auch Aufgaben, die seinem Wesen und seiner Begabung durchaus
fernlagen, durfte sich unser Meister nicht entziehen. Durch seine
Beziehungen zur französischen Kolonie Berlins war er auch mit dem
Prediger der französischen Gemeinde Erman bekannt geworden, dessen
Geschichte der Refugiés er illustrierte (Abb. 81, 82, ~E.~ 460,
493, 560), und der ihm 1780 den Auftrag des Konsistoriums überbrachte.
Entwürfe für die plastische Ausschmückung des von Carl von Gontard
neu wiederhergestellten französischen Doms auf dem Gendarmenmarkt zu
liefern. Einen Kleinmeister wie Chodowiecki mit solcher Aufgabe zu
betrauen, war ein Mißgriff, der sich notwendigerweise rächen mußte. In
der That gehören die Statuen und Reliefs des „französischen Turmes,“
die in den Jahren 1781-1784 von den Bildhauern Föhr und Bardou nach
diesen Entwürfen ausgeführt wurden, zu dem Unglücklichsten, was die
ohnehin schwächliche Monumentalkunst jener Zeit hervorgebracht hat.
Immerhin bezeugt das Vorgehen der Baubehörde, das auch vom Könige
gebilligt wurde, welche große Bedeutung man dem einst kärglich
bezahlten Miniaturmaler jetzt auf allen Gebieten bildender Kunst in
der Residenzstadt beimaß. Sein Gutachten wurde auch von auswärts oft
bei Abschätzung von Kunstsammlungen eingeholt: so galt es, 1781 die
Kupferstichsammlung des Hamburger Großkaufmanns Sillem zu ordnen und zu
inventarisieren, was Chodowiecki zu einem anregenden vierwöchentlichen
Besuch der mit Kunstschätzen reich gesegneten Hansestadt veranlaßte.
Das umfangreiche Verzeichnis der Sammlung Sillem erschien im folgenden
Jahre im Verlage von Decker in Berlin.

[Illustration: Abb. 98. +Naturforscher am Mikroskop.+ (~E.~
585.)

Titelkupfer zu Blumenbachs Naturgeschichte. 1787.]

Immer schwerer wird es, aus der Hochflut illustrativer Arbeiten, mit
denen Chodowiecki den deutschen Büchermarkt in den nächsten Jahren
überschwemmte, diejenigen Leistungen hervorzuheben, die als Marksteine
seiner künstlerischen Entwickelung gelten könnten. In gewissem Sinne
war diese -- namentlich was die Technik anlangt -- bereits mit den
siebziger Jahren des Jahrhunderts abgeschlossen. Aber lange noch hält
er sich auf der einmal erreichten Höhe, erst im letzten Jahrzehnt
seines Lebens glauben wir eine Abnahme der Künstlerkraft wahrnehmen
zu können. Wagte er sich damals doch sogar in einen Wettkampf mit den
französischen Illustratoren, die er bisher nur als Vorbilder betrachtet
hatte, indem er es unternahm, die von Gravelot und Charles Eisen mit
entzückenden Radierungen ausgestatteten Werke eines Voltaire und
Rousseau von neuem zu illustrieren (Abb. 83, ~E.~ 208, 380, 438
und 535), wobei man freilich seinem Mut und seiner Selbständigkeit
ein besseres Gelingen hätte wünschen mögen. Das etwas schwüle und
frivole Milieu der Neuen Heloise, des Einsiedlers von Montmorency
und namentlich der Dichtungen Voltaires war eine fremde Welt für
den ehrbaren deutschen Sittenmaler, die leichtfertige Grazie der
französischen Romanciers nicht seine Sache.

[Illustration: Abb. 99. +Illustration zum Großbritannischen
Genealogischen Kalender.+ Lauenburg. 1794. (~E.~ 714.)]

Dagegen mußte ihn die Kleinmalerei und Empfindsamkeit des englischen
Familienromans, wie ihn +Samuel Richardson+ unter dem lebhaftesten
Beifall eines Lessing und Klopstock in die Weltlitteratur eingeführt
hatte, aufs sympathischste berühren und zu künstlerischem Nachgestalten
anregen. Richardsons Clarissa Harlowe, einer unendlich weitschweifigen,
aber an fein beobachteten Zügen des Seelenlebens überreichen
moralischen Erzählung in Briefform, verdanken wir eine Reihe von
Arbeiten Chodowieckis, die zu seinen reifsten und besten gehören
(~E.~ 521-527, 550-557). Nicht minder trefflich sind die Kupfer zu
Lorenz Sternes „Empfindsamen Reisen“ (~E.~ 464), jenem ebenfalls
klassisch zu nennenden Charakterroman des unter Thränen lachenden
englischen Jean Paul.

[Illustration: Abb. 100. +Illustration zum Berliner
Historisch-Genealogischen Kalender.+ 1793. (~E.~ 687.)]

[Illustration: Abb. 101. +Illustration zum Großbritannischen
Genealog. Kalender.+ Lauenburg. 1794. (~E.~ 714.)]

[Illustration: Abb. 102.

+Friedrich der Große gibt den Auftrag, nach der Schlacht bei Sorr
das Tedeum singen zu lassen.+ (~E.~ 712.) Illustration zum
Historisch-Genealogischen Kalender. 1794.]

[Illustration: Abb. 103. +Illustration zur Deutschen
Monatsschrift.+ Leipzig. 1798. (~E.~ 904.)]

[Illustration: Abb. 104. +Aufrichtige Teilnahme.+ (~E.~ 713.)
Illustration zum Göttinger Taschenkalender. 1794.]

[Illustration: Abb. 105.

+Illustration zu Gellerts Fabel: Der fromme General.+ (~E.~
680.) Kleiner Taschenkalender. Berlin. 1795.]

[Illustration: Abb. 106.

+Illustration zu Hagedorns Fabel: Der Fischer mit dem Schatz.+
(~E.~ 680.) Kleiner Taschenkalender. Berlin. 1795.]

Richardson machte in Deutschland Epoche; nachdem einmal das
bürgerliche Kleinleben litteraturfähig geworden war, die einfachen
Lebensverhältnisse der Bourgeoisie den Schriftstellern nicht mehr
als ~quantité négligeable~ galten, wendete sich auch das
Interesse der eleganten Gesellschaft dieser scheinbar neuentdeckten
Welt zu. Namentlich erhielt der Humor im Schrifttum neue ergiebige
Nahrung, der komische und der Reiseroman zählten von jetzt ab zu
den beliebtesten Gattungen der Prosadichtung. Chodowiecki hat auch
dieser neuen Richtung mit vielem Erfolg seine Künstlerkraft geliehen.
So geht er auf die derbe, oft sogar recht platte Komik von Müllers
Siegfried von Lindenberg (Abb. 85, ~E.~ 480, 487-490), Hermes’
litterarischen Märtyrern (Abb. 84, ~E.~ 610) und dem anonymen
Roman Philipp von Freudenthal (Abb. 86 und 89, ~E.~ 390) ein,
illustriert die satirische Lebensgeschichte des kleinen Cäsar, eines
verhätschelten Bologneserhündchens, von Coventry (Abb. 90, ~E.~
428-431) und weiß Vergils Äneis noch lustiger als der Jesuit Aloys
Blumauer zu travestieren, indem er unter das Volk Trojas Berliner
Straßenfiguren, wie die Hökerfrau und die Schornsteinfegerbuben
mischt (Abb. 87, ~E.~ 611). Auch den Lustspielcharakter trifft
er glücklich in Illustrationen zu Großmanns Schwänken (~E.~
395) und Bretzners „Eheprokurator“ (~E.~ 515), während der
Falstaffhumor von Shakespeares König Heinrich IV. (~E.~ 539) in
dem zierlichen Format seiner Kleinkunst allzu plump und grimassenhaft
erscheint (Abb. 78). Daß so bald nach den trüben Erlebnissen am Anfang
der achtziger Jahre -- hatte er doch bald nach seiner Mutter auch
seinen Bruder Gottfried verloren -- sich die kindliche Heiterkeit
seines Gemüts wieder einstellte, ist vielleicht auch den freudigen
Familienereignissen zuzuschreiben, die seinem Heim neue fröhliche
Genossen zuführten. Seine Tochter Jeanette verlobte sich mit dem
Prediger Jacques Papin und wenige Monate später freite Jean Henry,
ebenfalls ein Geistlicher aus Emigrantenkreisen, mit denen Chodowiecki
stets in enger Verbindung blieb, um die zweite Tochter Susette. Der
Tag freilich, der für die Hochzeit des letzteren Paars bestimmt war,
sollte der Familie einen neuen schweren Schicksalsschlag bringen: im
Frühling des Jahres 1785 hatte die Gattin des Meisters bereits zu
kränkeln begonnen und erlag am 1. Juni ihrem Leiden. Nach dreißig
Jahren glücklichen Zusammenlebens mußte sich Chodowiecki von seiner
treuen Lebensgefährtin trennen, er, dessen Glück und Zufriedenheit
so ganz im traulichen Familienverkehr wurzelte, sah sich mehr und
mehr vereinsamen, denn auch seine beiden Töchter verließen nach ihrer
Trauung Berlin, um ihren Gatten nach deren Wirkungsstätten zu folgen.
Trotz trüben Stimmungen und körperlichen Leiden, die sich um diese Zeit
bei ihm einstellen, sehen wir seine Zuversicht nicht wanken: „es gibt
doch mehr Freuden als Leiden,“ schreibt er am 6. November 1785, „nur
machen die Leiden den tieferen Eindruck.“ Das sicherste Mittel, sich
des Trübsinns zu erwehren, blieb für den nie Rastenden die gleichmäßig
fortgesetzte Thätigkeit in seinem Beruf, die ihm zum Grübeln keine Zeit
ließ. Er, der selbst der Aufrichtung bedurfte, widmete in jenen Tagen
seine Arbeit in hochherziger Weise der Nächstenliebe: als durch die
Ueberschwemmung im Frühjahr 1785 zahlreiche Bewohner der Dammvorstadt
von Frankfurt an der Oder brotlos geworden waren, bestimmte Chodowiecki
den Erlös einer Radierung den durch die Überschwemmung Verunglückten.
Bescheiden feierte er in diesem Blatt die größere Heldenthat des
menschenfreundlichen Herzogs Leopold von Braunschweig, der bei seinen
Rettungsversuchen in jenen Tagen der Not seinen Tod in den Fluten
der Oder gefunden (Abb. 92, ~E.~ 540). Nicht weniger als 1759
Thaler steuerte er damit zur Linderung des Elends bei. Auch auf die
Darstellung einer, historisch übrigens unbeglaubigten, Scene zwischen
Zieten und Friedrich dem Großen, der den greisen Reitergeneral nötigt,
sitzen zu bleiben, als dieser sich ehrerbietig vor seinem König
erheben will (~E.~ 565), eröffnete Chodowiecki, der das Bild der
Witwe des eben verstorbenen Helden gewidmet hatte, eine Subskription.
Mochten diese größeren Blätter, zu denen auch die Anekdote vom
schlafenden Zieten (~E.~ 948) zu zählen ist, immerhin einen
reicheren materiellen Gewinn ergeben, der weniger gut bezahlten und
ungleich mühsameren Kleinkunst der Illustration machten sie unseren
Meister, der sich der Sonderart seines Talentes bewußt blieb, nicht
abtrünnig. Wie viel mehr Anmut und Feinfühligkeit entfaltete er z. B.
in den wenige Zoll großen Kupfern des kleinen Taschenkalenders für
das Jahr 1785 (~E.~ 513), die wieder selbständig erfundene
Charaktertypen aus der Gesellschaft hinstellten, als in den großen
Abbildungen zu A. Kleins „Leben und Bildnisse der großen Deutschen“
(~E.~ 436. 463. 479. 500. 534. 576), bei denen ihm überdies die
Kostümfrage viel Unbequemlichkeiten schuf! Namentlich die heroische
Stimmung altgermanischer Scenen vermag er nicht zu treffen, ähnlich
wie ja auch Klopstock in seiner Hermannschlacht aus sentimentaler
Lyrik sich selten zu leidenschaftlichem Schwunge zu erheben weiß. Das
Gefühlsleben des achtzehnten Jahrhunderts stand diesen Dingen zu fern;
man besaß damals überhaupt zu wenig historisches Anpassungsvermögen
und Abstraktion, um in das Wesen älterer Geschichtsepochen tiefer
eindringen zu können. Dafür liefern auch Chodowieckis zahlreiche
Illustrationen zu Ermans Geschichte der französischen Refugiés,
die ja nur in das Zeitalter des Großen Kurfürsten zurückgeht,
offenkundigen Beweis. Trotz der hier besser gewahrten Kostümtreue
stehen diese Schilderungen der edelmütigen Haltung Friedrich Wilhelms
des Großen gegen die verfolgten Emigranten (Abb. 81, 82) kaum auf
einer wesentlich höheren Stufe, als die erwähnten Bilder aus dem
Leben der Deutschen. Überall, wo die Naturanschauung ihm fehlt,
wie z. B. in den vielen Illustrationen historischer Werke, die in
der Folgezeit ihn beschäftigen, kommt Chodowiecki sehr selten aus
konventioneller Befangenheit heraus. Auch mit dem wunderlichen Gemisch
von französischer Romantik und antikisierender Sinnlichkeit, wie es
in Wielands Idris zu Tage tritt, weiß Chodowiecki wenig anzufangen
(~E.~ 607 und 608). Die Naivetät dem Stoffe gegenüber entlockt
dem modernen Beschauer ein ironisches Lächeln, während die Geziertheit
der Bewegungen ihn geradezu abstößt.

[Illustration: Abb. 107. +Titelkupfer zu Wiesingers Gedichten.+
Berlin. 1793. (~E.~ 697.)]

[Illustration: Abb. 108. +Häusliches Glück.+ (~E.~ 788.)
Illustration zu Karl Langs Almanach für 1796. Heilbronn.]

[Illustration: Abb. 109. +Geheuchelte Teilnahme.+

Illustration zum Göttinger Taschenkalender. 1794.]

Ungelenk und wenig selbständig sind die biblischen Kompositionen, wie
die Heimsuchung und die Geburt Christi, die er zu Lavaters heute mit
Recht völlig vergessenem Messias entwarf (~E.~ 465, 466, 484-486,
512, 528, 532). Das vorige Jahrhundert hat den überkommenen Typenvorrat
religiöser Stoffe durch eigene Erfindung nicht vermehrt, es zehrt
vielmehr unbefangen von dem Vorhandenen und die Kunstlehren jener Zeit
beschränken sich darauf, dem angehenden Künstler die Wahl unter den
Vorbildern zu erleichtern. Um unserem Meister gerecht zu werden, dürfen
wir indes nur seine Darstellungen etwa mit den oberflächlichen und
ganz unselbständigen biblischen Historien des Radierers Bernhard Rode
vergleichen, der als Direktor der Berliner Akademie eine bedeutende
Stellung einnahm und viel gefeiert wurde.

[Illustration: Abb. 110. +Der Geburtstag des Vaters.+ (~E.~
852.)

Illustration zu Karl Langs Almanach. Heilbronn. 1799.]

War der Begriff geistigen Eigentums auf künstlerischem Gebiet wenig
scharf abgegrenzt -- und Chodowiecki selbst fand in späteren Jahren
oft genug Gelegenheit, sich über Kopisten und Fälscher zu beklagen
--, so fehlte es auch in der Litteratur und dem Buchhandel nicht an
unlauteren Elementen, die sich durch unrechtmäßigen Nachdruck Vorteile
zu verschaffen suchten. Gegen diese richtet sich ein satirisches Blatt,
das Chodowiecki 1781 im Auftrage des Berliner Buchhändlers Himburg
radierte: ein Buchhändler wird von Räubern, die ihre Beute in einer
finsteren Höhle bergen, bis aufs Hemde ausgeplündert. Vergebens weist
er auf die Gestalt der Gerechtigkeit, die am Wege niedergesunken, ihr
Haupt verhüllt (Abb. 93, ~E.~ 394). Seltsam wirkt dieser Appell
an die Justiz freilich bei einem Buchhändler wie Himburg, dessen Name
gerade durch seine Nachdrucke Goethes wenig rühmlich auf die Nachwelt
gekommen ist.

Das Jahr 1786 brachte Chodowiecki, dessen Ansehen in der Berliner
Kunstwelt in stetem Wachsen blieb, trotz mancher hämischen Kritik, an
der es auch nicht fehlte, neue Pflichten und Arbeiten. Der Minister
von Heinitz, der als Kurator der königlichen Akademie der Künste sich
große Verdienste um dieses lange vernachlässigte Institut erwarb,
suchte eine durchgreifende Reorganisation der akademischen Zustände
herbeizuführen. Zwar blieb Bernhard Rode Direktor der Anstalt, aber
die Zahl der Rektoren wurde vermehrt, und Daniel Chodowiecki als
erster unter diesen zum Sekretär der Akademie ernannt. Gleichzeitig
wurden jährlich akademische Kunstausstellungen eingerichtet, die das
Interesse an künstlerischen Dingen im Publikum beleben und wachhalten
sollten. Auch eine Monatsschrift und öffentliche Sitzungen der Akademie
wurden eingeführt. Chodowiecki lag besonders die Vorbereitung der
Ausstellungen ob, deren erste am 18. Mai des Jahres 1786 in den Räumen
des Akademiegebäudes eröffnet wurde; ihm war auch die Abfassung des
Ausstellungskatalogs übertragen worden.

[Illustration: Abb. 111. +Friedrich Wilhelm II. im Kreise
seiner Familie.+ (~E.~ 832.)]

[Illustration: Abb. 112. +Der Schauspieler de Vollange.+
(~E.~ 884.)]

[Illustration: Abb. 113. +Der Schauspieler de Vollange.+
(~E.~ 884 ~a.~)]

[Illustration: Abb. 114. +Der Schauspieler de Vollange.+
(~E.~ 884 ~b.~)]

[Illustration: Abb. 115. +Illustration zu Langbeins Schwank: Der
Bieresel.+ Dresden. 1792. (~E.~ 682.)]

[Illustration: Abb. 116. +Kleidermoden.+ 1798. (~E.~ 886.)]

Damit war neues frisch pulsierendes Leben in die Kunstzustände der
preußischen Hauptstadt gekommen, und als 1790 Friedrich Wilhelm II.
das Protektorat der Akademie übernahm und neue Mittel zur Verfügung
stellte, die es ermöglichten, den Lehrplan zu erweitern, wurde
Chodowiecki, der sich mit gewohntem Eifer in den Dienst der guten Sache
gestellt hatte, die Genugthuung zu teil, zum Vicedirektor ernannt zu
werden. Obwohl er damit mannigfache zeitraubende Pflichten übernommen,
ließ der Meister die Radiernadel nicht ruhen, und die zahllosen
Illustrationen aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre lassen kein
Erschlaffen des mittlerweile gealterten Künstlers in Auffassung und
Technik bemerken. Mit Recht durfte er den Preis für die Platte, auf
der er die zwölf Kupfer zu Ifflands Jägern geätzt hatte (~E.~
559) von 200 auf 300 Thaler erhöhen, denn die völlige Gleichartigkeit
der Begabung des Dichters und Illustrators ließ hier ein einheitliches
Meisterwerk entstehen, das den Vergleich mit keiner der Arbeiten
aus jüngeren Jahren zu scheuen braucht. Auch die Abbildungen zu dem
französischen Roman Karoline von Lichtfield, die den Gothaischen
Hofkalender des Jahres 1788 schmückten (~E.~ 569), zählen zu den
technisch subtilsten und pikantesten Radierungen unseres Meisters.
Leichtigkeit der Nadelführung und diskreten Ziergeschmack bewundern
wir ebenfalls in der Einfassung des Blanketts, das bestimmt war, das
Ernennungsdekret neuer Akademiemitglieder aufzunehmen (~E.~
563). Die kleine Titelvignette zu dem humoristischen Roman von Hermes
„Zween literarische Märtyrer“ (Abb. 84, ~E.~ 610, 3) zeugt von
der Sorgfalt und Liebe, die Chodowiecki auch solchen Kleinigkeiten
zuwandte, die ein anderer vielleicht als schlechtbezahlte Nebenarbeit
oberflächlich abgethan hätte. Man kann vielmehr beobachten, daß in
solchen Vignetten, die, unter der Inschrift des Titelblatts angebracht,
den ganzen künstlerischen Schmuck eines Bandes bildeten, sich die
Intimität seines Schaffens mehr konzentriert, als in den Serien von
Kupfern, die er für Kalender und umfangreichere Werke stach. So würde
man ungern das kleine, zierlich umrahmte Rundblatt: Lenorens Todesritt
nach Bürgers bekannter Ballade (Abb. 95, ~E.~ 612) gegen die
Folgen von historischen Anekdoten eintauschen, die Chodowiecki Ende der
achtziger und im Verlauf der neunziger Jahre lebhaft beschäftigten,
wie die Blätter zur Geschichte des holländischen Krieges (~E.~
602), die Anekdoten von Peter dem Großen (~E.~ 613), die
Darstellungen aus der neueren Geschichte (~E.~ 614, 686, 689),
die Illustrationen zur brandenburgischen Geschichte (Abb. 96, 97, 99,
~E.~ 687) und die Kupfer zur mittleren und neueren Geschichte
(~E.~ 688). Es ist bezeichnend, daß gerade bei diesen historischen
Folgen (Abb. 100-103, ~E.~ 687) Chodowiecki zum erstenmal auf
den Gedanken kam, auf dem Plattenrand mit der kalten Nadel sogenannte
Randeinfälle anzubringen: kleine Figuren, Gruppen, Karikaturen, Köpfe,
Landschaften, Tiere u. s. w., die nach den ersten Abzügen von der
Platte wieder ausgeschliffen wurden. Seine von dem vorgeschriebenen
Gegenstand nicht sonderlich angeregte Phantasie scheint sich Luft zu
machen in diesen willkürlichen Kritzeleien, die festhielten, was ihm
gerade durch den Kopf schoß. Freilich waren seine Gründe später, als
er einsah, daß Liebhaber für diese Abdrücke „mit den Randeinfällen“
höhere Preise zahlten, wohl nicht immer ganz frei von kaufmännischer
Überlegung; aber selten nur finden wir Randeinfälle auf Platten, deren
Darstellung ihn ganz in Anspruch nahm. Dazu gehörten zweifellos die
genannten Schilderungen historischer Ereignisse nicht. Selbst die
vielbewunderten Anekdoten aus dem Leben Friedrich des Großen (~E.~
600) sind in der Erfindung ziemlich armselig, in der Technik auffallend
trocken und spröde und müssen hinter anderen Werken seiner Radiernadel
zurückstehen.

[Illustration: Abb. 117. +Die Kolonie.+ (~E.~ 664.)
Illustration zu Ziegenhagens Verhältnislehre. Hamburg. 1792.]

[Illustration: Abb. 118. +Berlinsche neueste Moden.+ (~E.~
760.)

Illustration zum Kalender. Berlin. 1796.]

[Illustration: Abb. 119. +Die Neujahrswunschverkäuferin.+
(~E.~ 946.)]

[Illustration: Abb. 120. +Susette Chodowiecka.+ Rötelzeichnung im
Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Die großen weltbewegenden Ereignisse, die sich um die Wende des achten
und neunten Jahrzehnts in Frankreich vollzogen, die Schrecken der
Revolution werden nur schwach reflektiert von der Kunst Chodowieckis:
die beiden Kupfer des historisch-genealogischen Almanachs von 1792,
in denen er die Gefangennahme Ludwigs XVI. und die Annahme
der Konstitution schildert (~E.~ 692 und 693) begnügen sich
damit, sentimentale Familienscenen aus dem Leben des recht einfältig
dreinschauenden Königs zu geben, dessen philiströse Rentiersgestalt
in lächerlichem Gegensatz steht zu den hochtönenden Phrasen, die die
Textunterschrift ihm in den Mund legt. Auf seine Weise opponiert
Chodowiecki gegen die „Freiheit und Gleichheit ohne Hosen“ in einem
harmlosen kleinen Blättchen, das eine lustige Berliner Straßenscene
zeigt: ein Schornsteinfegerjunge mit Jakobinermütze erlaubt sich,
ein Mädchen auf der Straße zu karessieren „und sind die Folgen der
ohnbehoseten Freiheit und Gleichheit“ fügt er handschriftlich hinzu
(~E.~ 723).

[Illustration: Abb. 121. +Die Enkel Chodowieckis.+ Aquarell im
Besitz des Fräulein Maria Chodowiecka. Berlin.]

[Illustration: Abb. 122. +Clérys Kinder.+ 1799. (~E.~ 919.)]

Freilich wäre es unbillig, von dem still dahinlebenden Sechziger, der
ganz mit den überkommenen Anschauungen der vorrevolutionären Zeit
verwachsen war, eine tiefgehende Wandlung seines Wesens oder auch
nur eine energische Stellungnahme zu den Ereignissen der gärenden
Zeitgeschichte zu verlangen. Chodowieckis beschaulichem Wesen lagen
politische Händel und Parteigezänk ohnehin fern; er selbst hat uns in
der kleinen Radierung ~E.~ 696 das Gehirn eines Malers, wie er
es sich vorstellte, geschildert: ein buntes Gewirr von Menschen- und
Tierköpfen, über denen sich lustige Putten tummeln; da blickt neben
den Charakterköpfen Friedrichs des Großen und Voltaires ein antik
stilisierter Jünglingskopf hervor, Bauer, Mönch, Ritter, Prediger,
Bauer, Jude, Eremit und Sibylle vertragen sich wohl oder übel mit ihren
Nachbarn aus dem Tierreich, Eber, Löwe, Affe, Stier, Ziegenbock, Ente,
Hahn und Puter. Es sind die Eindrücke, die die Einbildungskraft des
Malers aus dem ihn umgebenden Leben erhalten, nicht aber Sinnbilder
eigener Ideen, die Chodowiecki hier als Inhalt des Künstlerhirns
hinstellt: ein aufrichtiges Bekenntnis seines Realismus, dem der
Ritt ins romantische Land allzu beschwerlich und gefährlich schien.
Trotzdem blieben ihm, wie wir sahen, nicht immer die Grenzen seiner
Begabung bewußt; so beteiligte er sich 1791 an einem Wettbewerb für
das Monument Friedrichs des Großen, den die Königliche Akademie
ausgeschrieben hatte, mit einem gezeichneten Entwurf, dessen Verlust
und Nichtausführung die Nachwelt kaum zu beklagen Grund haben dürfte.
Daß er, wie wir aus gleichzeitigen Berichten wissen, den „Alten Fritz,“
den er in seiner gebrechlichen Leibeshülle so oft geschildert hatte,
ohne daß je ein Beschauer darüber die geistige Größe des Heldenkönigs
hätte vergessen können, für diesen „monumentalen“ Zweck in ein antikes
Idealgewand hüllte, mag noch hingehen, zumal die Auffassuug der Zeit
und die Akademie solche Mummerei forderte; daß er aber, um die unter
Friedrichs Regiment „eingerissene“ Aufklärung zu versinnlichen, dem Roß
eine mit dem Bilde der Sonne verzierte Schabracke gab, kann man nicht
ohne mitleidiges Lächeln vernehmen.

[Illustration: Abb. 123. +Soldatenschlägerei.+ 1794. (~E.~
750.) Nach einer Zeichnung des Professor Erman.]

Wie fest stand unser Meister dagegen auf dem gesunden Boden seiner
natürlichen Begabung, wenn er Gellert, Gleim, Hagedorn, Lichtwer und
Pfeffel illustrierte (Abb. 105, 106, ~E.~ 680 und 711), wenn er
die lustigen Schwänke Langbeins mit zierlichen Vignetten (Abb. 115,
~E.~ 682) schmückte, oder mit dem poetisierenden Amtsassessor
Wiesiger aus Treuenbriezen verbunden, der Menschheit den Weg zur
„liebenswürdigen Sittlichkeit und schuldlosen Freude“ wies (Abb. 107,
~E.~ 697). Wie anheimelnd weiß er auch jetzt noch, wo es um ihn zu
Hause einsam geworden war, die stillen Freuden des häuslichen Glücks
zu schildern (Abb. 108, 110, ~E.~ 669, 670, 788, 851, 852), wie
scharf Heuchelei von Aufrichtigkeit der Empfindungen zu trennen (Abb.
104, 109, ~E.~ 713)! Alles in seiner Umgebung interessierte ihn
noch wie früher. Wenn Friedrich Wilhelm II. an der Spitze der Truppen
zur Parade auszog, war er mit seinem Zeichenstift zur Stelle (~E.~
648); auch daheim im Kreise der zahlreichen Familie zeichnete er den
König (Abb. 111, ~E.~ 832).

Ein französischer Schauspieler Mr. de Vollange, der gleichzeitig als
Guitarrenspieler sich hervorthat, muß wohl damals eine besondere
Beliebtheit in Berlin genossen haben. Sehr hübsch glossieren die
drei Zustände einer Platte, auf der Chodowiecki den Vielbewunderten
darstellte (Abb. 112-114, ~E.~ 884), die Persönlichkeit und
ihren Eindruck. Der erste Zustand der Platte zeigt Vollange allein in
ländlicher Einsamkeit, einen elegischen Gesang mit Guitarrenakkorden
begleitend; im zweiten Zustand fügte der Künstler drei am Waldessaum
lauschende ätherische Schwärmerinnen hinzu, die sicherlich den
Schauspieler vergöttern, während auf dem dritten sich als neuer Zuhörer
ein nüchterner Kritikus dazufindet, dessen etwas breitspurige, durchaus
nicht respektvolle Haltung auf wenig Sympathie mit dem angebeteten
Künstler schließen läßt.

[Illustration: Abb. 124. +Illustration zum Lauenburger Genealogischen
Kalender.+ 1780. (~E.~ 306.)]

[Illustration: Abb. 125. +Entwurf zu einer Scene aus Shakespeares
Hamlet.+

Federzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 126.

+Entwurf zu einer Scene aus Cervantes’ Don Quixote.+

Federzeichnung im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

[Illustration: Abb. 127. +Entwurf zu der Radierung ~E.~ 176.+
Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Die Aufklärung, die sich vergebens abmühte, den Aberglauben zu
bekämpfen, unterstützte er mit satirischen Kalenderblättern (~E.~
634 bis 637) und wenn es galt, philanthropischen Unternehmungen und
populärphilosophischen Bestrebungen künstlerisch das Wort zu reden, war
er gern bereit, seine Radiernadel in den Dienst der Sache zu stellen,
obwohl manchmal der Stoff recht trocken und widerspenstig war; so z. B.
in Ziegenhagens Verhältnislehre, deren Theorie von allgemeiner
Menschenbeglückung durch lehrhafte Einführung in die Werke der
Schöpfung schließlich nur Stoff abgab für einige lustige Genrebilder,
neben denen die Darstellung einer idealen Kolonie (Abb. 117, ~E.~
654) durch ihre pedantische Regelmäßigkeit der Anlage und die Fülle
unzusammenhängender Einzelheiten ein recht charakteristisches Abbild
gibt von der Nüchternheit der von Ziegenhagen verfochtenen Ideen.
Besser sind die Interieurs geraten, die Handwerker und Gelehrte bei
ihrer Arbeit schildern. Hier ließ den Künstler seine Beobachtungsgabe
nicht im Stich, das waren Scenen aus dem Leben, wie er es erlebt,
nicht wie er es erträumte. Immer wieder sehen wir ihn auch in diesen
Jahren zurückkehren zu der Aufgabe, die ihm wie keine andere am Herzen
lag: alles, was ihn umgab, mit treuem Griffel festzuhalten und damit
Urkunden zu liefern, die das Leben und Treiben in der preußischen
Hauptstadt am Ende des achtzehnten Jahrhunderts der Nachwelt mit
unmittelbarer, überzeugender Lebenswahrheit vor Augen führen. So
bespöttelt er 1794 mit echt berlinischem Witz in sechs Kupfern eine
Polizeivorschrift, nach der ein jeder in den Straßen der Stadt seinen
Hund an der Leine zu führen habe, und schildert uns die lustigen
Scenen, zu denen diese neue Maßregel Veranlassung gab (~E.~ 749:
Berliner Folgsamkeit). So reizen ihn die Straßenfiguren in der neuen
Modetracht (Abb. 116, 118, ~E.~ 760 u. 886), die jetzt Frack und
Cylinder aus England importierte. Den unverfälschten Geist des alten
Spreeathen atmet auch die Neujahrswunschverkäuferin aus dem Jahre
1800, um deren unter einer Straßenlaterne errichtete Auslage sich
alt und jung mit neugierig-kritischen Blicken drängt, während sie
mit echt berlinischer Zungengeläufigkeit ihre Schätze anpreist (Abb.
119, ~E.~ 946). Das Blatt ist nur in einfacher Umrißzeichnung
ausgeführt und offenbar auf Illuminieren mit Wasserfarben berechnet,
ähnlich den später viel verbreiteten Berliner Straßenscenen von
Hosemann und anderen.

[Illustration: Abb. 128.

+Lotte, dem Bedienten Werthers die Pistolen reichend.+ Rötelstudie
im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald in Berlin.]

Unter den Bildnissen, die Chodowiecki im letzten Jahrzehnt seines
Lebens radierte, sind die zierlichen Brustbilder des Malers Graff und
des Hofrats Wilhelm Becker (~E.~ 742), sowie das Porträt des
Geheimrats Höpfner (~E.~ 784) die bestgelungenen. Eine Episode
seiner Reise nach Dresden vergegenwärtigt eine Radierung aus dem Jahre
1795, die nach der Ansicht einzelner Kenner von seinem Sohne Wilhelm
herrühren soll, der nur eine Zeichnung des Vaters dazu benützte. Da
sehen wir eine Kavalkade von vier Männern in Reisetracht -- der Maler
Krüger, Wilhelm Chodowiecki, dessen Schwager Prediger Papin und den
Meister selbst -- über die Landstraße dahintrotten (~E.~ 793).
Chodowiecki konnte offenbar auch hier der Lust nicht widerstehen,
während des Reitens den Griffel zu führen. Hatte ihm doch einmal
solches Wagnis den Verlust einiger Zähne eingetragen, als er, um die
Hände zum Zeichnen frei zu haben, die Zügel mit den Zähnen festhielt,
und das Pferd stolpernd seinen Reiter abwarf.

[Illustration: Abb. 129.

+Herbstfreuden.+ Entwurf zu der Radierung ~E.~ 472.

Federzeichnung im Besitz des Direktor Wichern in Altona.]

[Illustration: Abb. 130. +Entwurf zu der Radierung.+
Federzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin. (~E.~
447.)]

[Illustration: Abb. 131. +Entwurf zu einer Radierung aus der
Folge.+ Lavierte Federzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald.
Berlin. (~E.~ 306.)]

[Illustration: Abb. 132. +Entwurf zu einer Radierung aus der
Folge.+ Lavierte Federzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald.
Berlin. (~E.~ 306.)]

Die Freuden des genügsamen Alters im Schoß der Familie bildeten auch in
den letzten Jahren seiner Thätigkeit ein Lieblingsthema Chodowieckis,
das er mit unverwüstlicher Frische immer wieder und wieder behandelt.
So in Langs Almanach für häusliche und gesellschaftliche Freuden
von 1797 (~E.~ 789-792) und 1798 (~E.~ 847 bis 850). Er
läßt dabei gewissermaßen alle schönen und schweren Tage seines
eigenen Lebens in der Erinnerung an seinem Auge vorüberziehen. Daß
ihm in solcher beschaulichen Stimmung Vossens Familienidyll Luise
willkommenen Stoff zur Illustration (~E.~ 838 bis 842) bot, ist
nur zu begreiflich. Der wackere Eutiner Schulmeister konnte sich
keinen besseren Interpreten für seine behaglichen Familienbilder aus
dem Pfarrhause wünschen, ebenso wie Goethes bürgerliches Epos Hermann
und Dorothea (~E.~ 877 u. 878) in wirklich kongenialer Weise von
unserem Meister illustriert wurde. Auch Richardsons Clarissa, die
inzwischen von Kosegarten in nicht weniger als acht Bänden ins Deutsche
übersetzt war, beschäftigte Chodowiecki von neuem. Dreiundzwanzig
Kupfer lieferte er zu dieser Übersetzung, die 1796 in Leipzig erschien
(~E.~ 797-820). Das bürgerliche Milieu blieb nach wie vor die
Domäne seiner Kunst, wie auch die zierlichen Illustrationen zu Ungers
Roman Julchen Grünthal (~E.~ 853-856) aufs deutlichste darthun.
Hier durfte er nur sein eigenstes Wesen, seine Herzensgüte, sein
Kindergemüt sprechen lassen, um von allen verstanden und bewundert zu
werden. Wie herzlich konnte er sich an den ausgelassenen Spielen seiner
Enkel erfreuen, die er 1789 in einem liebenswürdigen Bilde verewigte
(Abb. 121) und, wenn er in den sauber gepflegten Garten seines Hauses
in der Behrenstraße hinabstieg, saßen die Kinder seiner Hausgenossin,
der Witwe des französischen Kammerdieners Cléry, auf der Bank unter
der Linde und mochten kaum ahnen, daß sie dem freundlichen alten Herrn
mit dem Kindergesicht als Modell dienten für eine Radierung, die zu
den besten seiner letzten Zeit zählt (Abb. 122, ~E.~ 919):
die älteste Tochter Clérys, der als Kammerdiener König Ludwig XVI.
die Schrecken der Revolution aus nächster Nähe mit erlebt hatte,
schneidet den Brüdern, stämmigen Burschen, die mit ungeduldiger Neugier
zuschauen, Weidengerten, angethan mit der koketten Dormeuse und dem
hochgegürteten Empirekleid, das mittlerweile auch seinen Einzug in
die Auslagen der Berliner Modegeschäfte gehalten hatte. Wie oft mag
der gute Alte an diesem traulichen Plätzchen die Nachmittagsstunden
verplaudert haben mit den kleinen Franzosen, die ihm den Anblick seiner
fernen Enkel ersetzen mußten.

[Illustration: Abb. 133. +Das Scharmützel.+ (~E.~ 79.)]

[Illustration: Abb. 134.

+Titelkupfer zu Gräters Bragur.+ Leipzig 1796. (~E.~ 833.)]

[Illustration: Abb. 135. +Porträt Chodowieckis.+ Ölbild von Frisch
im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 136. +Federballspiel.+ Ölbild im Besitz der
Frau Cäcilie Rosenberger. Kösen.]

[Illustration: Abb. 137. +Figurenstudie.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 138.

+Studie zu der Radierung.+ Tuschzeichnung im Besitz des Direktor
Wichern. Altona. (~E.~ 252.)]

Doch auch die Sorgen und Beschwerden des Alters blieben nicht aus.
Schon 1790 hatte er viel unter Anschwellung der Beine zu leiden,
aber er suchte die Schmerzen durch rastloses Arbeiten zu betäuben
und ließ sich sogar einen Tisch herstellen, an dem er vom Bett aus
zeichnen konnte. Im Jahre 1793 klagt er seinem Freunde Graff: „da
sitze ich nun unter den Händen eines Wundarztes und habe ein Bein
rundum vom Fußgelenk bis an die Wade voller Löcher und singe das
Hallesche Studentenlied: Ich bin ein armer Teufel, ich kann nicht mehr
marschieren u. s. w., aber vom Kopf bis an die Knie gehts ganz gut“;
aber noch drei Jahre vor seinem Tode hören wir ihn ganz wohlgemut über
seinen Gesundheitszustand sich äußern: „Jetzt geht alles wieder gut,
bis auf ein krankes Bein befind ich mich sehr wohl, mit dem besten
Appetit esse ich alles was mir vorkommt von des Morgens bis in die
Nacht, denn wenn ich vom Tisch aufsteh, so nehme ich allemal ein Stück
Roggenbrod mit und das Eß ich gegen ein Uhr zu Mittag wenn das Essen
nicht zeitig genug auf dem Tisch ist und um 1 Uhr in der Nacht wenn
ich aufhöre zu arbeiten (oder bey der Arbeit) mit dem größten Appetit
von der Welt und nachher gehe ich mit eben dem Appetit zum schlafen zu
Bett und denke offt dabey daß ich eben so freudig ins Grab gehen werde
wenn Gott mich abruffen wird, und in 5 Minuten schlaf ich ein, binde
einen Faden an meinen Wecker an der Uhr (denn mein Bette steht gerade
vor ihr) um meinen Daumen und um 7 Uhr bin ich wieder da, und mit dem
Tage an die Arbeit, da kommen denn oft angenehme, uninteressante, auch
unangenehme Besuche, die mich die kurzen Tage noch kürzer machen, aber
ich habe Geduld mit allen und hole des Abends wieder ein waß sie mich
bey Tage versäumt haben.“

[Illustration: Abb. 139. +Figurenstudie.+

Bleistiftstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 140. +Figurenstudie.+

Bleistiftzeichnung im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

Nach dem Tode Bernhard Rodes wurde 1797 Chodowiecki zum Direktor der
Kunstakademie gewählt, obwohl er sich nicht, wie Gottfried Schadow,
der Maler Darbes und der Archäologe Hirt um diese Stelle beworben
hatte. Neue Repräsentationspflichten und Amtsgeschäfte wurden damit
auf seine Schultern gewälzt, aber mit rüstiger Energie ging er an die
Aufgabe, wenngleich er mit vielen Einrichtungen der Anstalt sich nie
ganz einverstanden erklären konnte. Im Jahre nach seiner Ernennung zum
Direktor wurde ihm von der Kunstakademie in Siena das Diplom eines
~accademico associato libero~ zugestellt. All diese Ehren und
Anerkennungen vermochten seine Bescheidenheit nicht zu alterieren,
leider auch nicht den Schwund der Kräfte aufzuhalten, der sich mehr
und mehr geltend machte. Im Februar 1800 erlitt er einen leichten
Schlaganfall in der Akademie und ein Jahr darauf, am 27. Februar 1801
schloß er für immer seine Augen.

                               *       *
                                   *

[Illustration: Abb. 141. +Fräulein Gralath, die Kirche betretend.+

Federzeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773. Berlin.
Königl. Akademie.]

[Illustration: Abb. 142. +Figurenstudien aus einer Danziger
Kirche.+

Federzeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773. Berlin.
Königl. Akademie.]

[Illustration: Abb. 143. +Porträtskizze der Frau Oehmichen.+

Bleistiftzeichnung aus dem Tagebuch der Danziger Reise. 1773. Berlin.
Königl. Akademie.]

Wenn wir das künstlerische Lebenswerk Chodowieckis überblicken,
erregt zunächst die erstaunliche Fruchtbarkeit des Meisters unsere
Bewunderung. Seine Radierungen allein füllen im königlichen
Kupferstichkabinett zu Berlin, das allerdings wohl das vollständigste
Chodowieckiwerk von allen öffentlichen Sammlungen besitzt, nicht
weniger als zweiunddreißig große Foliomappen; Engelmanns Verzeichnis
zählt 2075 Darstellungen auf, die von ihm, und zwar fast +durchweg
nach eigener Erfindung+, radiert sind. Dazu kommen die zahllosen
Zeichnungen in öffentlichem und privatem Besitz, die Ölbilder,
Miniaturmalereien und Emails seiner Hand. Nur rastlose Emsigkeit,
nimmermüder Fleiß kann uns dafür die Erklärung geben. In der That
hat die Welt wohl selten einen arbeitsameren Künstler gesehen: oft
opferte er den Schlaf der Arbeit oder ruhte doch nur wenige Stunden
in seinen Kleidern während der Nacht, um am frühen Morgen seine
Thätigkeit wieder aufzunehmen. So schreibt der nahezu Siebzigjährige
1794 an den Hofrat Becker: „Ich saß vorgestern zwischen Eins und
Zwey und zeichnete, schlief ein, und viel Seitlings vom Stuhle zur
Erden;“ eine dem Briefe beigefügte launige Zeichnung erläutert die
besonderen Umstände des Unfalls. Freilich wäre es ihm trotz solcher
Ausdauer nicht möglich gewesen, alle die Aufträge auszuführen, die
ihm zu teil wurden -- so hat er z. B. im Jahre 1780 allein 145 Kupfer
radiert -- hätte er nicht über eine absolute technische Sicherheit
verfügt. Von der Schnelligkeit seines Arbeitens gab er einmal einen
schlagenden Beweis: man saß bei seinem Hausgenossen und Freunde
Professor Erman in lustiger Unterhaltung beisammen, als dieser eine
kleine von ihm selbst gefertigte Skizze einer Soldatenschlägerei in
der Behrenstraße hervorholte. Chodowiecki nahm das Blatt, verschwand
damit, um nach wenigen Minuten den verblüfften Freunden die mit der
kalten Nadel gestochene Platte und einige Abdrücke derselben auf Papier
vorzulegen (Abb. 123, ~E.~ 750; die kleinen Straßenfigürchen
am unteren Teil der Platte, sowie die Inschrift sind erst später
hinzugefügt). Und doch ging unser Meister bei der Vorbereitung und
Ausführung seiner Radierungen gemeinhin sehr sorgsam zu Werke. Zunächst
wurde die Darstellung mit leichten, aber sicheren Bleistift- oder
Federstrichen auf Papier skizziert (Abb. 125 bis 132), gewissenhaft
auch die perspektivischen Hilfslinien, insbesondere bei Interieurs,
gezogen (Abb. 129, 130), mit Rotstift und Tusche sodann noch
einzelne Drucker hineingesetzt, und die Schattenpartien ausgeführt;
und erst, nachdem der Zeichner sich so von der bildmäßigen Wirkung
der Komposition überzeugt, wobei er nicht selten verfehlte Stellen
überklebte und neu ausführte (Abb. 131, 132), wurde die Zeichnung
auf den mit Ruß geschwärzten Ätzgrund der Kupferplatte gepaust. Nun
begann die eigentliche Thätigkeit des Radierens, indem der Künstler
mit der Radiernadel die gepausten Linien in den Ätzgrund (eine
zusammengeschmolzene Masse von Wachs, Harz und Asphalt, die mit
einem Tampon auf der Kupferplatte verteilt war) einritzte. Die so
freigelegten Stellen des Kupfers wurden durch ein wiederholtes Bad in
Scheidewasser tief geätzt, und damit war schließlich die Platte, an der
man überdies noch Retouchen mit der Schneidenadel anbringen konnte, für
den Abdruck vorbereitet. Mit Druckerschwärze eingerieben und sorgfältig
gewischt, so daß die Schwärze nur in den Vertiefungen der gezeichneten
Striche haften blieb, kam sie darauf in die Kupferdruckpresse, von
der Papierdrucke in beliebiger Zahl -- bis zu dreitausend Exemplaren
-- abgezogen werden konnten. Dieses umständliche und öfterem Mißraten
ausgesetzte Verfahren besorgte Chodowiecki in späteren Jahren, als
er sich eine eigene Presse im Hause hielt, vielfach selbst mit einem
Druckergehilfen. Größere Folgen von Illustrationskupfern pflegte er
auf eine Platte zu bringen, und erst das Papierexemplar wurde zur
Verwendung in den Büchern in seine einzelnen Teile zerschnitten.
Oft veränderte er nach den ersten Abzügen -- den sogenannten Ätz-
oder Probedrucken -- noch die Arbeit auf der Platte, um Einzelheiten
schärfer herauszuheben und durchzuarbeiten. Von einigen dieser
Ätzdrucke finden sich Exemplare, welche noch die Bleistiftkorrekturen
seiner Hand zeigen, die bei späteren Abdrucksgattungen berücksichtigt
sind. Begreiflicherweise nutzt sich die Kupferplatte bei starker
Inanspruchnahme schnell ab, und die ersten Abzüge, die der Sammler
an den fehlenden Zusätzen und Retouchen leicht erkennt, sind die
frischesten und klarsten im Druck. Die Kalender- und Almanachverleger
sahen sich daher bei der großen Auflage oft genötigt, die schon stark
mitgenommenen Platten neu aufzuätzen und zu retouchieren, wodurch die
späteren Abdrücke an Zartheit natürlich Einbuße erlitten. Alle diese
Verschiedenheiten alterieren den Wert der einzelnen Abdrucksgattungen,
und Chodowiecki, dessen Betriebsamkeit geschäftliche Vorteile sich
ungern entgehen ließ, versäumte nicht, recht zahlreiche Plattenzustände
(Etals) herzustellen, da deren vollzähliger Besitz früh schon zu den
Liebhabercapricen der Sammlerwelt gehörte. Auch die Randeinfälle,
jene bereits oben erwähnten, flüchtig mit der Schneidenadel in den
Plattenrand eingeritzten kleinen Darstellungen (Abb. 133), dienen als
Merkzeichen früherer Zustände, und häufig machten sich Fälscher diesen
Umstand zu nutze, indem sie ausgedruckte Platten auch später noch mit
solchen Einfällen versahen, die natürlich ein geübtes Kennerauge nur
selten täuschen werden.

[Illustration: Abb. 144. +Lesendes Mädchen.+ Rötelstudie im Besitz
der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 145. +Stickende Mädchen.+

Bleistiftstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 146. +Sitzendes Mädchen.+

Bleistiftstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 147. +Alte Frau.+

Rötelstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 148.

+Stehendes Mädchen.+ Rötelstudie im Besitz der Frau ~Dr.~
Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 149. +Lesende Dame.+

Rötelstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Chodowieckis Radiertechnik hat mannigfache Wandlungen durchgemacht;
anfangs verraten die mageren und locker gefügten Strichlagen noch
Unsicherheit in der Handhabung des ungewohnten Ausdrucksmittels (Abb.
25-27). Der Maßstab der Figuren ist größer gewählt, die Lichtführung
und Wiedergabe stofflicher Besonderheiten bereitet dem Anfänger
offenbare Schwierigkeit. Allmählich sehen wir, wie der Vortrag
immer zierlicher wird, wie das Auge sich für die Feinheiten der im
kleinsten Maßstabe gehaltenen Details schärft. Für die Köpfe und die
Fleischpartien wählt der Künstler jetzt die weiche Punktiermanier,
eine dichte Hintergrundschraffierung gibt den Gestalten kräftigeres
Relief. Diese zweite Entwickelungsstufe seiner Radiertechnik wird
vielleicht am besten in dem Porträt der Prinzessin Friederike Sophie
Wilhelmine von Preußen (~E.~ 45) und den Kupfern zu Lessings
Minna von Barnhelm (~E.~ 51) erkannt. Den vollen Reiz solcher
Subtilität offenbaren freilich nur ganz frische Abdrücke der genannten
Blätter. Mit der Beherrschung der Mittel wächst dann die Neigung, der
Schwarzweißkunst reichere malerische Effekte abzuzwingen. Ein Beispiel
dafür bildet die Folge von zwölf Illustrationen zu Geßners Idyllen
(Abb. 32, ~E.~ 69), während in den neunziger Jahren die Absicht,
durch möglichst scharfe Kontraste von Licht und Schatten zu wirken,
sowie die Sorglosigkeit der Durchführung und Abtönung nicht selten
störend wirkt (Abb. 133). Es wäre indessen verkehrt, anzunehmen, daß
sich die eben angedeutete Entwickelung mit durchaus gesetzmäßiger
Folgerichtigkeit vollzieht. Wir müssen auch hier unterscheiden zwischen
den Arbeiten, denen der Künstler von vornherein Enthusiasmus und Liebe
entgegenbrachte, und solchen, von denen er selbst sagte: „Ich mache,
was man mir in Auftrag gibt, und lasse die anderen reden.“

[Illustration: Abb. 150. +Sitzendes Mädchen.+

Rötelstudie im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 151. +Figurenstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz
der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Besonderes Interesse verdient auch ein Versuch in Schabkunst, der zu
den früheren und sehr seltenen Arbeiten des Meisters gehört (~E.~
20). Hier wurde die Kupferplatte mit dem Granierstahl aufgerauht und
dann mit dem Schabeisen die Stellen, die im Abdruck hell erscheinen
sollen, ausgeglättet, so daß sie keine Schwärze annehmen. Trotzdem
dieser Versuch ganz gut gelang, hat Chodowiecki später fast niemals
wieder diese Technik angewandt, und wir hören aus seinem Danziger
Reisejournal, wie er sich bei dem Kupferstecher Deisch über die
Einzelheiten dieses Verfahrens -- freilich vergebens -- näher zu
informieren versuchte.

[Illustration: Abb. 152. +Figurenstudie zum Schließer des Calas.+

Bleistiftzeichnung im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

[Illustration: Abb. 153. +Studie zum Schließer des Calas.+
Bleistiftzeichnung im Besitz der Frau Geheimrat Rosenberger. Kösen.]

Wir verweilten länger bei diesen halb technischen, halb
kunsthändlerischen Dingen, weil Chodowieckis Radierungen recht
eigentlich ein Objekt der Sammelleidenschaft sind. Der eingefleischte
Kupferstichliebhaber, der abends die Mappen und Portefeuilles mit den
Blättern des Meisters hervorholt und nun mit eifersüchtigem Behagen die
verschiedenen Etats einer Folge von Radierungen durchstöbert, seine
Beobachtungen auf dem Untersatzbogen notiert und mit Stolz jeden neuen
Fund in sein Exemplar des Verzeichnisses von Engelmann einträgt, -- er
wird geringschätzig herabblicken auf diejenigen, die nur oberflächlich
die Chodowieckimappen durchblättern und lediglich ihr Auge an der
künstlerischen Vollendung einzelner Blätter weiden. Und jene
beschauliche Sammlerstimmung, jene eindringliche Betrachtung ist just
die rechte zum Genuß der beschaulichen Kleinkunst unseres Meisters.
Sie ist auch keine müßige Spielerei, da sie den Feinblick schärft für
das geheime Triebwerk künstlerischen Schaffens, das Auge empfindlich
macht für Qualitätsunterschiede, die bei allen Schöpfungen der subtilen
graphischen Kunst eine wichtige Rolle spielen.

[Illustration: Abb. 154. +Aktstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz der
Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 155. +Aktstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz der
Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 156. +Die Herzogin von Angoulême.+

Bleistift- und Kreidestudie im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

[Illustration: Abb. 157.

+Figurenstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~
Ewald. Berlin.]

Doch Chodowiecki gehört nicht dem Sammler allein. Was er uns von seiner
Zeit erzählt, und wie er es erzählt, wird jeden, der rückschauender
Kunstbetrachtung überhaupt fähig ist, lebhaft fesseln. Zwischen den
Schaffenden und den Genießenden hat sich ein Jahrhundert geschoben,
das zwar unser unmittelbares Interesse an den geschilderten Vorgängen
und Zuständen etwas erkalten ließ, aber auf der anderen Seite auch
unsere Neugier rege macht, wenn wir einen naiven und ehrlichen
Zeugen der alten Zeit vernehmen. In das vorige Jahrhundert spinnen
sich vielfach noch familiäre Erinnerungen hinüber, der Hausrat
unserer Urgroßeltern, die Porträts aus ihren Tagen strömen noch
immer persönlichen Hauch aus, unsere Pietät redet diesen Dingen
gegenüber lauter, als etwa vor den Schöpfungen der Renaissance und
des Mittelalters. Und wie wird das alles wieder lebendig in der Kunst
Chodowieckis! Die friedliche Sonntagsstimmung unserer Altvordern
umfängt uns, jene ruhige Zufriedenheit, die in den nüchternen und
doch so anheimelnden Stuben des damaligen Kleinbürgertums nistet.
Alles ist hier auf einen Ton gestimmt, die ruhigen Linien und kahlen
Flächen der Wände, der unscheinbare, aber gediegene Hausrat, die
saubere und wohlanständige Tracht der Bewohner, ihr behäbiges und
zugleich graziöses Gebaren: wir atmen mit dem Künstler die Luft jener
Tage, freuen uns an der patriarchalischen Einfalt und Unverdorbenheit
bürgerlicher Sitten, lächeln mit ihm über die mattherzige Empfindelei
und alberne Aufgeblasenheit der eleganten Welt, über die Schrullen
der Sonderlinge, die in unserer nivellierenden Zeit mehr und mehr von
der Bildfläche verschwinden. Er versteht es, wie kaum ein zweiter,
munteres Behagen um die dargestellten Dinge zu breiten, das sich dem
Beschauer unwillkürlich mitteilt. Die Bonhomie, die überall aus seinen
Schilderungen hervorblickt, erwärmt uns für den Schaffenden wie für das
Geschaffene, die Lebendigkeit und Frische des Vortrags bewirkt, daß wir
uns mit ihm hineinversetzen in den bunten Jahrmarkt des Lebens, wie er
sich auf dem Berliner Pflaster des vorigen Jahrhunderts abspielte.

[Illustration: Abb. 158. +~Ecce homo.~+ (~E.~ 216.)

Email im Besitz des Geheimrat E. du Bois-Reymond. Berlin.]

[Illustration: Abb. 159. +Christus vor Kaiphas.+

Email im Besitz des Geheimrat E. du Bois-Reymond. Berlin.]

[Illustration: Abb. 160. +Anbetung der Hirten.+ Illustration zu
Lavaters Messias. Winterthur 1783. (~E.~ 466.)]

[Illustration: Abb. 161. +Titelkupfer zu den Memoiren des Grafen
Grammont.+ Leipzig 1780. (~E.~ 367.)]

[Illustration: Abb. 162. +Trachtenbild aus dem 17. Jahrhundert.+
Almanac de Gotha. 1795. (~E.~ 517.)]

Mitteilsamkeit bis zur Geschwätzigkeit war ein Herzensbedürfnis
seiner Zeit: „Unmitgeteilte Lust muß Überdruß erwecken“ heißt es
in einem Gedichte Geßners. Daß aber Chodowieckis Redseligkeit
fast niemals langweilig wird, ist ein deutlicher Beweis starker
+Künstlerkraft+. Freilich, seine Kunst stellt dem Forscher
keine tiefen Probleme. Sie bedeutet keinen epochemachenden Umschwung
der Entwicklung, wie die eines Michelangelo oder Rembrandt; und
dennoch ringt auch in seinen Schöpfungen etwas Neues nach Ausdruck,
das sie in natürlichen, kaum geahnten Gegensatz zur Überlieferung
und Umgebung bringt: der +instinktive Realismus+. Nicht in
leidenschaftlichem Kampf, in wildem Aufbäumen gegen alles Überkommene,
wie sie der Litteratur der Sturm- und Drangperiode das Gepräge
verliehen, entwickelt sich seine Selbständigkeit: sie war von
Anbeginn in ihm vorhanden als Naturanlage, die langsam, wie eine
wohlgepflegte Pflanze, wuchs, sie bestand in jener, sein ganzes
Wesen am besten kennzeichnenden +kindlichen Naivetät+. Sie zu
besitzen und bewahren, war in unserem Vaterlande zu seiner Zeit kein
Leichtes. Das ganze deutsche Geistes- und Kunstleben des achtzehnten
Jahrhunderts stand unter französischer Vormundschaft. In Berlin hatte
kein Geringerer als der Große König selbst die Parole ausgegeben, daß
es nur eine Kunst und Litteratur gäbe: die französische. Voltaire
war sein Lieblingsschriftsteller, Franzosen seine Hofmaler. Mit
urteilsloser Bewunderung blickte man hinüber zu den koketten Feerien
des französischen Rokoko, die lediglich eine Hof- und Theaterkunst
repräsentieren. Die leichtfertige Anmut eines Boucher, Pater und
Lancret, die technische Virtuosität der Illustrationen eines Gravelot,
Choffard, Marillier erschienen den deutschen Künstlern als das
höchste und letzte Ziel, dem zuzustreben alle Kräfte eingesetzt
werden mußten, selbst zu einer Zeit, als jenseits der Vogesen bereits
ein Widerspruch gegen die verzärtelte Geschmacksbildung der älteren
Generation sich erhob. Diderot hatte in seinen Salonkritiken den Krieg
gegen die Unnatur der Rokokomalerei begonnen. Im Jahre 1761 schreibt
er von Boucher: „~Cet homme a tout, excepté la verité.~“ und
fügt 1765 hinzu: „~J’ose dire, qu’il n’a jamais connu la verité. Je
vous défie de trouver dans toute une campagne un brin d’herbe de ses
paysages.~“ Das neue Schlagwort „~la verité~“ konnte nirgends
ein kräftigeres Echo wecken, als bei Chodowiecki. Wir haben oben (S.
15) aus seinen Selbstbekenntnissen eine Stelle citiert, die ihn als
rückhaltlosen Verteidiger ungeschminkter und ungepuderter Natürlichkeit
in der Kunst kennzeichnet; nicht ohne Bitterkeit schrieb er in einem
wohl für den Druck bestimmten Aufsatz „über den Verfall der Künste“
die Sätze nieder: „Könige wissen sich selten in dem, was die Kunst
betrifft, selbst zu rathen ... des Königs (Friedrichs II.) Geschmack
wurde auch französisch. Er schaffte sich vatteauxsche und lancretsche
Gemählde an und behängte damit die Wände in Sanssouci.“ Für den
begeisterten Apostel künstlerischer Wahrhaftigkeit hatte Friedrich
der Große so wenig einen Blick, wie für Lessing, der den Kampf gegen
welschen Schwulst und Abgeschmack auf litterarischem Gebiet aufnahm.
In der bildenden Kunst wurde dieser Kampf, das wird jeder Unbefangene
eingestehen müssen, allerdings mit recht ungleichen Waffen geführt. Auf
seiten der Franzosen geistsprühende graziöse Beweglichkeit, raffinierte
Technik, durch alte Kultur anerzogene Kunstgewöhnung, bei den Deutschen
philiströse Schwerfälligkeit, mangelhafte technische Erziehung, ein
künstlerisch ungebildetes Publikum. Klagt doch Ewald von Kleist
gelegentlich, daß man „in dem großen Berlin kaum drei bis vier Leute
von Genie und Geschmack“ träfe. Unter solchen Verhältnissen verdient
jeder Versuch, sich aus der Sphäre deutscher Unzulänglichkeit zu neuen
Zielen aufzuraffen, doppelte Bewunderung. Aber Chodowiecki gab sich
über die Bedeutung seines Wirkens darum keinen Illusionen hin, seine
bescheidene Selbstgenügsamkeit spricht sich in den Versen aus, die
er einem Kalenderkupfer von 1779 (~E.~ 306, 5) als Unterschrift
beifügte:

  Mein Gärtchen ist nur klein
  Doch groß genug, mich zu ernähren
  Und frisch genug, mich zu erfreun.
  Willst du mir, Himmel, einen Wunsch gewähren,
  So müßte stets mein Glück so wie mein Gärtchen seyn.

[Illustration: Abb. 163. +Segest übergibt Germanicus die Burg.+

Illustration zu Kleins Leben der großen Deutschen. Mannheim 1785.
(~E.~ 354.)]

Und doch war dieses stillbeschlossene Gärtchen in dem großen Lande
deutscher Kunst eines der am saubersten gepflegten und blütenreichsten,
das auch heute noch, wo andere Gebiete im Staub der Vergessenheit
versunken sind, den Blick des Wanderers immer wieder und wieder anzieht.

[Illustration: Abb. 164. +Illustration zu Wielands Idris.+
Lauenburger Kalender. 1790. (~E.~ 608.)]

[Illustration: Abb. 165. +Allegorie auf den Tod Friedrich des
Großen.+

Göttinger Taschenkalender. 1792. (~E.~ 661.)]

[Illustration: Abb. 166. +Vignette zu Müllers Verschanzungskunst.+

Potsdam 1782. (~E.~ 458.)]

[Illustration: Abb. 167. +Porträt der Babette Renelle.+
Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Wie hat sich Chodowiecki dies Glück der Unsterblichkeit errungen?
Versuchen wir dem Wege nachzugehen, der ihn in den Kreis derer
führt, die als Fixsterne am deutschen Kunsthimmel glänzen. Von dem
unablässigen Fleiß, der keine Feierstunden kannte, ist gesprochen
worden. Die technische Gewandtheit aber, die seinem Wollen das Gelingen
sicherte, die glückliche Beobachtungsgabe und Frische der Auffassung,
die ihn bis ins hohe Alter nicht verließ, waren nicht nur Ergebnis
eifriger Studien, sie waren Geschenke der Natur. Wenn wir des
Künstlers Skizzen betrachten -- gerade sie sind die glaubwürdigsten
Zeugen für die Echtheit des Talents, das sich in flüchtigen
Augenblicken glücklicher Inspiration am reinsten offenbart -- so
entdecken wir eine Leichtigkeit der Hand, ein Unterscheidungsvermögen
für Charakteristisches und Gleichgültiges, eine Fähigkeit, mit wenigem
alles zu sagen, die wir aus den ausgeführten Arbeiten mit ihrer nicht
selten kleinlich erscheinenden Accuratesse und ängstlichen Durchführung
niemals herauslesen könnten. Diese flüchtigen Zeichnungen, wie die
hier abgebildeten Studien eines vom Rücken gesehenen Kavaliers (Abb.
139), einer am Tisch stehenden Dame (Abb. 137), eines Mädchens, das ein
Gepäckstück im Arm hält (Abb. 140) -- sie alle sind in ausgeführten
Werken, für die der Meister stets seine Mappen plünderte, benutzt
-- zeugen von einer gottbegnadeten Schärfe des Blicks, sie atmen
ein Leben und eine Beweglichkeit, die, wie gesagt, oft den nach
ihnen ausgeführten Arbeiten zu mangeln scheint. Selbst das, was man
Chodowiecki zuletzt zutrauen möchte, leidenschaftliches Temperament,
kommt in einzelnen Skizzen, wie in dem Entwurf zur Figur des Hamlet
(Abb. 138, ~E.~ 252) zum Ausdruck. Man glaubt hier die Erregung
des Augenblicks zu spüren, wo Shakespeares Gestalt in der genialen
Interpretation Brockmanns die Einbildungskraft des Meisters zu
ungewohnter Lebhaftigkeit entflammte. Zu diesen glücklichen, scheinbar
direkt von inneren Impulsen angeregten Augenblicksschöpfungen zählen
auch einige Blätter der Danziger Reise, wie die Kirchgängerinnen (Abb.
141, 142), das polnische Starostenpaar (Abb. 50), den Bürgermeister
Conradi (Abb. 51), Frau Öhmichen (Abb. 143) und jene köstlichen
Rötelzeichnungen, die uns Frauen und Mädchen bei ihrer Arbeit oder in
träumerischer Selbstvergessenheit schildern (Abb. 144-146). Hier ist
Chodowiecki dem Charme eines Watteau so nahe gekommen, wie sonst nie;
aber es steckt in seinen Gestalten unendlich größere Ehrlichkeit, viel
mehr Respekt vor der Natur und sogar etwas mehr Energie der Technik
(Abb. 147 bis 151).

[Illustration: Abb. 168. +Porträt der Françoise Renelle.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 169. +Porträt von Chodowieckis Schwiegervater
Jean Barez.+ Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald.
Berlin.]

[Illustration: Abb. 170.

+Rötelporträt.+ Im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 171.

+Porträt von Frau Chodowiecka.+

Miniatur auf Elfenbein im Besitz von Frau A. Haslinger. Berlin.]

Anderes wieder, wie z. B. die Figur des Gefangenwärters aus
dem „Großen Calas“ (Abb. 153), zeigt uns, wie gewissenhaft die
Einzelheiten größerer Kompositionen ausgefeilt wurden. In Meusels
„Miscellancen artistischen Inhalts“ erzählt Chodowiecki selbst von den
Schwierigkeiten, die ihm die Platte zum Calas gemacht, und erwähnt
dabei auch diese Studie: „Als ich die Platte zu ätzen anfing, benahm
ich mich so ungeschickt mit dem Scheidewasser, daß der erste Abdruck
mir ganz unbrauchbar schien. Man riet mir, die Platte noch einmal mit
Firnis zu überziehen, mit der Radiernadel nachzugehen und noch einmal
zu ätzen. Ich that’s und der Erfolg war eben so wenig befriedigend,
als beim erstenmal. Hieraus entstanden zweierlei Abdrücke, die, da
sie in sehr geringer Anzahl gemacht wurden, äußerst selten sind.
Nun ließ ich die Platte abschleifen; mittlerweile retouchierte ich
noch mein Gemälde, +machte zu der Figur des Schließers noch eine
Zeichnung nach der Natur+ und malte ihn ganz wieder über.“ Fuß
und Hände des knieenden Mannes sind auf dem Blatt zum Gegenstand
besonderer Studien geworden. Damit fing die eigentliche Arbeit an,
bei der Chodowiecki niemals die Unsicherheit des zwar glücklich
beanlagten, aber doch ängstlichen Dilettanten ganz verließ. Seine
Ausbildung war niemals systematisch geleitet worden, er war und blieb
in vielen Dingen durchaus Autodidakt. Auch die zahlreichen Aktstudien
in Rötel, die wir von seiner Hand besitzen -- meist Früchte jener
Abendstunden, die er anfangs in Rodes Atelier, später in der Akademie
zubrachte -- (Abb. 154, 155), lassen uns trotz der Sorgfalt, mit der
sie den sichtbaren Einzelheiten der Körperbildung nachgehen, doch die
tiefere Kenntnis der Struktur des menschlichen Leibes und das Gefühl
für richtige Verhältnisse vielfach vermissen. Dabei machen sie den
Eindruck des Gequälten, Ungelenken, die Freude an der Beobachtung
scheint beeinträchtigt durch die pedantischen Schulmeisterregeln, von
denen sich der Zeichner nicht zu emanzipieren vermochte, obwohl er
genau ihre Gefahren erkannte. So schreibt er in der mehrfach citierten
Selbstbiographie: „Jedoch die Manier ist immer ein Abweichen von der
Wahrheit und jede Abweichung von derselben ein Fehler. Wer nun einen
anderen Künstler in seiner Manier nachahmt, der übertreibt sie noch,
erreicht seine Schönheit nicht und vergrößert nur seine Fehler oder
macht sie noch auffallender: ebenso wenn ein Mensch die Physiognomie
eines anderen nachäffen will, so übertreibt er das, was der zum
Auffallen an sich hat, und macht eine unangenehme Grimasse.“ „Dieses
akademische Aktzeichnen,“ so heißt es an einer anderen Stelle derselben
Schrift, „währte aber nur wenige Jahre. Und das wäre nicht genug? wird
ein schon ausgelernter Künstler fragen. -- Nein, lieber Mann! Wenn
du dein ganzes Leben nach dem Leben zeichnest, so wirst du am Ende
desselben fühlen, daß dir noch vieles zu lernen übrig blieb, und du
nicht zu viel gezeichnet hast.“ In der That hat auch Chodowiecki bei
allem guten Willen, bei allen noch so eifrigen Studien vor der Natur
da, wo er frei erfand, niemals die Fesseln der herrschenden Manier
ganz abzustreifen vermocht. So fallen uns bei den meisten seiner
Gestalten die überschlanken Verhältnisse auf; oft gibt er den Figuren
acht bis neun Kopflängen (Abb. 56, 59, 63, 107). Auch die Art, wie
seine Menschen einherschreiten und sich bewegen, ist nicht immer ohne
konventionelle Gespreiztheit. Man betrachte z. B. die Blindekuhspieler
auf dem Gemälde im Berliner Museum (Abb. 34) und verschiedene
Radierungen (Abb. 69, 109, 110, 121) daraufhin. Fast immer erkennt man
auf den ersten Blick, welche Gestalten in seinen Kompositionen nach der
Natur gezeichnet sind, und welche er frei erfand.

[Illustration: Abb. 172. +Porträt des Pastor Hermes+ (?).

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 173. +Weibliches Porträt.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 174. +Männliches Porträt.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 175. +Porträt der Frau Catel.+

Rötelzeichnung im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

Chodowieckis Erfindungskraft ist ohnehin nicht groß. Das lehren
uns deutlich seine +allegorischen, historischen und biblischen
Kupfer+. Die Fähigkeit, zu gestalten, erlahmt, sobald ihr die
Stütze der Naturbeobachtung und Vergleichung fehlt. Schon die frühen
Emailbilderchen, wie jene oben erwähnten sechs Passionsscenen (Abb. 5
bis 8 u. 158, 159) verraten die Unselbständigkeit seiner Phantasie:
sie sind Kopien nach Kupfern Sebastien Leclercs, und die religiösen
Darstellungen aus Lavaters Jesus Messias (Abb. 160) sind ebenfalls
nichts weniger als originell und tiefgründig. Gleichwie Raffael Mengs
sehen wir Chodowiecki zwischen den Vorbildern der italienischen
Renaissance und denen der großen Niederländer des siebzehnten
Jahrhunderts ohne eigene Einfälle einherschwanken.

Trotz seiner starken Religiosität, die er 1799 gegen den
freidenkerischen Nicolai in einem längeren Aufsatz verteidigte, glauben
wir aus seinen biblischen Kompositionen herauszufühlen, daß ihm ein
innerliches Verhältnis zu diesen Dingen abging, daß ihm das Bedürfnis
fehlte, durch seine Kunstsprache die Gläubigen zu erbauen oder zu
eigener Auffassung zu bekehren. Dafür spricht schon die auffallend
kleine Zahl von religiösen Darstellungen, die sich in seinem Werk
finden. Auch darin erkennen wir seine nie verleugnete Ehrlichkeit
wieder. Zu den Fragen, die in der Aufklärungsepoche so viele Gemüter
leidenschaftlich erhitzten, nahm er einen versöhnlichen Standpunkt
ein, wie er sich ausspricht in den folgenden Worten des eben erwähnten
Schreibens an Nicolai: „Kein Freydenker ist verwünschenswerth, aber zu
beklagen ist ein jeder, der es ist, und man muß sich wohl hüten, keinem
Gelegenheit zu geben, es zu werden.“

[Illustration: Abb. 176.

+Porträt eines polnischen Knaben.+ Rötelzeichnung im Besitz der
Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: +Weibliches Porträt.+

Rötel- und Kreidezeichnung im Besitz von Prof. Max Koner in Berlin.]

[Illustration: Abb. 177. +Frau Chodowiecka.+ Ölbild von Anton
Graff in der königl. Akademie zu Berlin.]

Die +historischen Darstellungen+ unseres Künstlers fordern den
modernen Beschauer, der stolz darauf ist, sich „in den Geist der
Zeiten“ zurückversetzen zu können, zu herber Kritik, ja oft zum Spott
heraus. Bei aller Gründlichkeit seiner Kostümstudien, die damals
dem Maler nicht so erleichtert wurden, wie in unserem Zeitalter der
Museen und Publikationen, weiß er doch mit Stoffen aus einer weiter
zurückliegenden Zeit wenig anzufangen. Durch Panzer und Pluderhosen
blickt überall das achtzehnte Jahrhundert mit seiner Zierlichkeit und
bürgerlichen Wohlhäbigkeit durch (Abb. 161, 162). Vollends die alten
Germanen, nach Klopstocks Vorgang als Kelten frisiert, eigentlich
aber Weißbierphilister in Statistenhaltung, vermögen uns nicht zu
überzeugen (Abb. 163), und die Antike, der seit Winckelmanns Tagen
so viel aufmerksames Studium sich zuwandte, behält in Chodowieckis
Gestaltung den ballettmäßigen Anstrich der Rokokokunst (Abb. 164).
Die Formensprache der klassischen Kunst mit ihrer Einfalt und stillen
Größe blieb für ihn stumm. Am schlimmsten aber steht es um seine
+sinnbildlichen Einfälle+, die ein unerquickliches Gemisch von
halbverstandenen und deshalb dem Beschauer unverständlichen Symbolen
und nüchtern aufdringlicher Deutlichkeit darstellen. Das Bemühen,
möglichst viel in die Allegorie „hineinzugeheimnissen,“ verdirbt ihm
meist das künstlerische Konzept, und für das heroisch Große, das
er versinnlichen möchte, fehlt ihm Linien- und Formengefühl. Wie
mesquin wirkt z. B. seine Darstellung des Fürstenbundes, wo Friedrich
der Große, natürlich antik gewandet, den Kurfürsten und Herzögen
die Hand über dem Altar der Einigkeit reicht, die Allegorie auf den
Tod des Großen Königs (Abb. 165) oder das theatralische Pathos der
Kriegsgöttin Bellona, die den schulbubenhaften Genius des Kampfes zum
Entwerfen von Verschanzungsplänen anleitet, während rechts vor ihren
Füßen eine Granate platzt (Abb. 166); mit Recht rief Friedrich, als
ihm eine allegorische Verherrlichung seiner Siege (~E.~ 21) von
Chodowiecki vorgelegt wurde: „~Ce costume n’est que pour les héros du
theâtre!~“ und befahl sogar die Vernichtung dieser Platte, von der
sich in der That nur ganz wenige Abzüge erhalten haben.

[Illustration: Abb. 178. +Porträt der Jeanette Chodowiecka.+ 1774.

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 179. +Die Demoiselles Quantin.+ 1758.

Bleistiftzeichnung im Besitz von Rosenbergers Erben.]

[Illustration: Abb. 180. +Porträt der Susette Chodowiecka.+
Rötelporträt im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 181. +Isac Heinrich Chodowiecki.+

Rötelzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Chodowieckis +Porträts+ sind von ungleichem Wert; viele von
ihnen verdanken ihre Entstehung offenbar Aufträgen, die lediglich
den Geschäftsmann, aber nicht den Künstler in ihm angingen. Mit
staunenswerter Behendigkeit wußte er die wesentlichen Züge eines Kopfes
in anscheinend sorgfältiger Röteltechnik auf das Papier zu bringen,
wobei er, dem bequemen Vorbild eines Saint-Aubin u. a. folgend, die
Profilstellung bevorzugte. Die charakteristische Umrißlinie mußte zur
Ähnlichkeit das Beste thun, die Modellierung und Innenzeichnung wurde
etwas flüchtiger abgethan, und die gleichmäßige Kreuzschraffierung
des Hintergrundes sorgte für das plastische Hervortreten der Köpfe.
Gewissenhaft gab er die Einzelheiten der weiblichen Coiffure wieder
(Abb. 168, 175, 180), was sicherlich nicht wenig dazu beitrug, daß
die Damen ihn gern als Verewiger ihres Exterieurs in Anspruch nahmen.
Mit Stolz berichtet Johanna Schopenhauer, die Mutter des großen
Philosophen, daß ihr als kleinem Kind das Glück wurde, von unserem
Meister in Danzig porträtiert zu werden, und zahlreiche andere Damen
der Danziger Gesellschaft waren eifersüchtig auf die Ehre, während
seines Aufenthaltes in der Vaterstadt ihm zu einem Konterfey sitzen
zu dürfen. Aus seinen eigenen Zeichnungen (Abb. 47) erfahren wir,
wie es dabei zuging. Der Künstler rückte sich ein kleines Tischchen
ans Fenster, um gutes Licht zu haben, setzte das Modell, nachdem die
Vorhänge der übrigen Fenster herabgelassen waren, in passende Positur,
und nun arbeitete er, der frühzeitig schon seiner Kurzsichtigkeit
wegen sich einer Brille bediente, unter stetem Vergleichen und
Hinüberblicken, an seiner Aufgabe. Der Miniaturmaler verleugnet sich
nicht in der Art und Weise, wie er, dicht über das Blatt gebeugt,
seine Zeichnung ausführt, und seine Kurzsichtigkeit erklärt uns die
verkleinlichende Durcharbeitung der Einzelheiten, die ihm vielfach den
Blick für das Ganze trübte. Nicht selten nahm Chodowiecki auch von den
in Rötel gezeichneten Porträts, die übrigens meist in einem sehr viel
größeren Maßstab gehalten sind, als seine radierten Bildnisse, einen
Abklatsch in der Kupferdruckpresse, der sich durch Unklarheit der
Linien, und, falls sich Schrift darauf befindet, durch die rückläufige
Richtung derselben zu erkennen gibt.

[Illustration: Abb. 182. +~Dr.~ Solander.+ Ölbild in der
Gemäldegalerie der königl. Museen. Berlin.]

[Illustration: Abb. 183. +Joseph Banks.+ Ölbild in der
Gemäldegalerie der königl. Museen. Berlin.]

[Illustration: Abb. 184. +Illustration zum Kgl. Großbritannischen
Kalender.+ 1783. (~E.~ 689.)]

[Illustration: Abb. 185.

+Porträt Hoeltys.+

Titelkupfer zu Voß’ Musenalmanach. 1778 (~E.~ 197.)]

[Illustration: Abb. 186. +Porträt des englischen Admirals Hawser
Trunion.+ Titelkupfer des Berliner Genealogischen Kalenders. 1786.
(~E.~ 547.)]

Am liebenswürdigsten und lebendigsten sind die Bilder von Mitgliedern
seiner Familie, wie das ebenfalls in roter Kreide ausgeführte Profil
seines Schwiegervaters, des ehrsamen Seidenstickers Jean Barez aus
der Champagne (Abb. 169) oder der aus einem bauschigen Tüllschleier
freundlich herausblickende Kopf seiner Frau, eine Miniatur auf
Elfenbein (Abb. 171), der man das Bestreben anmerkt, die von Anton
Graff nicht ganz glücklich getroffenen Züge (Abb. 177) noch schärfer zu
individualisieren; ferner das allerliebste Kinderporträt seiner etwa
zweijährigen Tochter Jeanette, die, an einem mit Spielzeug beladenen
Stuhl stehend, mit schelmischen Augen dem Beschauer entgegenlacht
(Abb. 31); als dreizehnjährigem, altklugem Backfisch begegnen wir
ihr wieder in einem Rötelprofil (Abb. 178). Ebenso besitzen wir von
der zweitältesten Tochter des Künstlers, Susette, ein Kinderporträt
(Abb. 120) und eine Zeichnung aus späterer Zeit (Abb. 180). Auch die
Züge seiner Söhne Wilhelm und Isac Heinrich (Abb. 181), sowie seiner
Enkel (Abb. 121) sind in Bildern des Vaters auf uns gekommen. Die
schelmischen Mädchengesichter der Schwestern Quantin schließlich, die
ihm für eine seiner frühesten Radierungen Modell standen (Abb. 27),
glauben wir in der ungewöhnlich frischen Bleistiftstudie im Besitz von
Nachkommen Chodowieckis (Abb. 179) wiederzuerkennen.

[Illustration: Abb. 187. +Entwurf zu der Radierung.+
Bleistiftzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.
(~E.~ 455.)]

[Illustration: Abb. 188. +Entwurf zu der Radierung.+
Bleistiftzeichnung im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.
(~E.~ 445.)]

[Illustration: Abb. 189. +Titelvignette zu Storchs Gemälde von
Petersburg.+ Riga 1794. (~E.~ 700.)]

[Illustration: Abb. 190. +Katharina II. von Rußland.+ Kopie
Chodowieckis nach einem Gemälde Titelbachs im königl. Schloß zu Berlin.
1772. Im Besitz des Direktor Wichern. Altona.]

[Illustration: Abb. 191. +Porträt des Kaufmanns Levin.+ Ölbild in
der Gemäldegalerie der königl. Museen. Berlin.]

Die beiden englischen Naturforscher Solander und Banks, die
1772 durch die Entdeckung der Basaltsäuleninsel Staffa bei Island
die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt auf sich gelenkt hatten,
porträtierte Chodowiecki in zwei kleinen Ölbildern, die sich heute
in der Berliner Galerie befinden (Abb. 182, 183). Künstlerisch ihnen
überlegen ist das in derselben Sammlung bewahrte Bildnis des Kaufmanns
Levin, des Vaters der durch ihre litterarischen Beziehungen zu den
Romantikern des Berliner Dichterkreises bekannten Rahel, nachmaligen
Gattin Varnhagens von Ense (Abb. 191). Auch dies Porträt hält sich,
wie die beiden oben erwähnten, erheblich unter Lebensgröße, aber es
besitzt für eine Ölmalerei Chodowieckis ungewöhnlich gute koloristische
Haltung; es wirkt trotz seiner Kleinheit nicht kleinlich und reicht in
der lebensprühenden Wiedergabe des dargestellten Charakters fast an die
berühmten gleichzeitigen Leistungen Anton Graffs heran, vor denen es
sogar eine gewisse malerische Breite voraus hat.

[Illustration: Abb. 192. +Titelkupfer zur Geschichte eines
Genies.+ Leipzig 1780. (~E.~ 346.)]

[Illustration: Abb. 193. +Illustration zum Kgl. Großbritannischen
Kalender.+ (~E.~ 689.)]

Unter den radierten Bildnissen steht das Brustbild der Prinzessin
Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, einer Nichte des
Großen Königs und späteren Gemahlin des Generalstatthalters der
niederländischen Provinzen Wilhelm V. von Oranien (~E.~ 45), in
Auffassung und Zierlichkeit der Technik obenan. Aus der großen Zahl
der übrigen, die vielfach schematisch und leer im Ausdruck wirken
und dem Beschauer nicht die Überzeugung zu wecken vermögen, daß sie
sonderlich ähnlich seien, ist das des Hofpredigers Stosch (~E.~
461), die Brustbilder von Graff und Becker (~E.~ 742), sowie die
Porträtvignette der Schriftstellerin Sophie Schwarz (~E.~ 659) als
besonders gelungen hervorzuheben. Daß die vielbegehrten und deshalb
fabrikmäßig nach fremden Vorlagen hergestellten Miniaturporträts sich
selten über das Niveau der Mittelmäßigkeit erheben, ist begreiflich.
Sie besitzen so wenig individuelle Haltung, daß es schwer hält,
unbezeichnete Stücke der Art mit Sicherheit für unsern Meister zu
reklamieren.

[Illustration: Abb. 194. +Das Weihnachtsfest.+ (~E.~ 851.)

Illustration zu Langs Almanach. Heilbronn 1799.]

Wenn man Chodowieckis +Bedeutung als Illustrator+ würdigen will,
muß man sich vor allem den Charakter und die verschiedenen Strömungen
des gleichzeitigen Schrifttums vergegenwärtigen. Seine ganze Kunstart
fordert dazu heraus, ihn mit den litterarischen Zeitgenossen zu
vergleichen: ist er doch, wie sie, vorzugsweise ein erzählender
Künstler.

[Illustration: Abb. 195. +Titelkupfer.+ (~E.~ 596.)]

Vor dem Auftreten unserer großen Klassiker hielt Kritik und verständige
Nüchternheit die freie Produktion Deutschlands in engen Schranken.
Lehrhafte Neigung überwog; Fabel und Parabel bildeten die beliebteste
Gattung der Poesie. Erst durch Lessings Auftreten wurde Berlin zum
Mittelpunkt geistiger Regsamkeit. Obzwar Chodowiecki in manchen Zügen
Wahlverwandtschaft mit dem Dichter der Minna von Barnhelm verbindet,
der gleich ihm das deutsche Bürgerleben für die Kunst entdeckt hat,
wäre es doch verwegen, ihn etwa den Lessing der Malerei zu nennen. Wohl
aber spüren wir in seinem Wesen und seiner Auffassung der Dinge, die um
ihn her geschehen, Etwas von der kindlichen Naivetät des Wandsbecker
Boten Claudius, dem Witz Hippels, der Innigkeit Pestalozzis, der
Satire Lichtenbergs, Etwas von Matthissons Sentimentalität, Ifflands
theatralischem Geschick, Nicolais und Johann Jacob Engels Nüchternheit,
Krummachers Gemütseinfalt und Seumes männlicher Art, und all das nicht
in widerspruchsvollem Nebeneinander, wie etwa bei Lavater, sondern
in ausgeglichener Mischung als Ausdruck einer anpassungsfähigen und
doch kernhaften Natur. Auch die Werke der älteren Dichtergeneration
bringen einzelne Saiten seines Ichs zum Mitschwingen. Gewinnen auch
Hagedorns tändelnde Anakreontik und Gottscheds Franzosenkultus keine
ausgeprägte Gestalt in seinen Werken, so gemahnt uns Vieles bei ihm an
Rabeners bürgerliche Satire, Gellerts Klarheit und Biedersinn, Pfeffels
Humanität und Gleims patriotisches Pflichtbewußtsein.

Daß wir all diesen mannigfachen Regungen der schöngeistigen Bewegung
Deutschlands in Chodowieckis Kunst begegnen, erhöht den Reiz ihrer
Betrachtung, und selbst da, wo die litterarische Fassung der Zeitideen
für unser Empfinden bereits verblaßt ist, belebt ihr künstlerisches
Spiegelbild unser nachfühlendes Interesse von neuem. Das naiv
Menschliche in des Meisters Gestalten ist es, was uns immer von neuem
anzieht und festhält. Wir beschäftigen uns mit ihnen, ohne weiter viel
an die besondere litterarisch fixierte Situation zu denken. Und, wie es
Menschen gibt, deren Liebenswürdigkeit uns die Trivialitäten überhören
läßt, die sie vorbringen, so kann man auch Chodowiecki nicht böse sein,
wenn er gelegentlich ins Platte verfällt. Sicherlich wäre er selbst der
letzte gewesen, der sich beleidigt gefühlt hätte, wenn man das, was
er ernst gemeint, einmal komisch fand. So wird es Manchem wohl schwer
werden, das Erdbeben in Calabrien (~E.~ 614) oder den Heldentod
Schwerins (~E.~ 567) in Chodowieckis Darstellung tragisch zu
nehmen, selbst der Tod Friedrich des Einzigen (Abb. 96, ~E.~
614) oder des Fürsten Potemkin (Abb. 184, ~E.~ 689) haben etwas
ungewollt Komisches, wie nicht minder die Ohnmacht Heloisens (~E.~
535, Abb. 83) und der Raub der Helena (~E.~ 731). Hier unterliegt
seine Gestaltungskraft durchaus der Beschränktheit zeitgenössischer
Auffassung.

[Illustration: Abb. 196. +Rückseite der Zeichnung Abb. 197.+]

[Illustration: Abb. 197. +Fächerentwurf mit Wertherscene.+ Im
Besitz der Frau Prof. Koner. Berlin.]

Bei den Illustrationen zu Romanen wählt unser Künstler keineswegs immer
die dramatisch zugespitzten Wendepunkte der Erzählung aus, sondern
die Vorgänge, die seiner Neigung zur Schilderung idyllischen Behagens
am meisten zusagen. Wenigstens sind dies die gelungensten unter den
zahllosen Romanbildern seiner Hand. Wie reizend mutet uns z. B. die
Scene aus Pestalozzis Lienhard und Gertrud an, wo die letztere mit
ihrem Jüngsten im Arm an den Schloßherrn herantritt, um sich über die
Bedrückungen des Vogts Hummel zu beklagen (Abb. 187, ~E.~ 445,
Zeichnung dazu), oder die Begrüßung von Lienhard und Gertrud im Hause
des armen Käthners Rudi (Abb. 188, ~E.~ 455, Zeichnung dazu), das
Titelkupfer zu Schummels Wilhelm von Blumenthal (~E.~ 348) oder
die lustige Episode aus Sternes empfindsamen Reisen (~E.~ 464)!
Das sind Genrebildchen von einer Einfachheit und zum Herzen sprechenden
Wahrheit, die jeden litterarischen Kommentar entbehrlich machen.

[Illustration: Abb. 198. +Figurenstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz
der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

[Illustration: Abb. 199. +Figurenstudie.+ Rötelzeichnung im Besitz
der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Wo der Text Witz oder Humor verlangt, steht Chodowiecki meist
seinen Mann. Wenn auch Cervantes’ Don Quixote und Le Sages Gil
Blas (~E.~ 285) nicht eben Stoffe waren, die ihn zu besonders
glücklichen Leistungen anregen konnten, so gelang ihm dafür um so
besser die Travestie Blumauers mit ihrer spießbürgerlichen Komik
(Abb. 193), die Verspottung trottelhafter Beschränktheit und
Einfaltspinselei, wie sie in Nicolais Sebaldus Nothanker (Abb. 59,
~E.~ 131, 132, 104), in Müllers Siegfried von Lindenberg, -- dem
die köstliche Liebhaberaufführung von Lessings Minna entlehnt ist
(Abb. 85, ~E.~ 490) -- und in dem komischen Roman Philipp von
Freudenthal (Abb. 89, ~E.~ 390) so köstlich gegeißelt werden,
sowie die gutmütige Satire in Gellerts Fabeln (Abb. 62-65, ~E.~
141, 160). Unwiderstehlich komisch wirkt das starre Entsetzen der
vettelhaften Meta aus der „Geschichte eines Genies“ beim Anblick der
Untreue ihres geliebten Syrup (Abb. 192, ~E.~ 346). Aber auch
ernste Empfindungen, leidenschaftlichen Schmerz, herzbewegende Trauer
bringt die Radiernadel des Meisters oft zu wirksamem Ausdruck, wenn
das Milieu des bürgerlichen Standes, der ihm von Jugend auf vertraut
war, mit dem er fühlte und dachte, gewahrt bleibt. So ergreifen uns
die Sterbescenen aus Sebaldus Nothanker (Abb. 57, ~E.~ 102) und
Hippels Lebensläufen (Abb. 77, ~E.~ 302) durch ihr echtes Gefühl,
wenn sie auch der mattherzigen Rührseligkeit der Zeit etwelchen
Tribut zollen. Einzelheiten des Ausdrucks in der Haltung und den
liebevoll durchgeführten winzigen Gesichtern fallen dabei mehr ins
Gewicht, als die Gesamtstimmung, die er den Interieursscenen zu geben
versucht. Es sind eben -- aber- und abermals muß es betont werden --
die sympathischen Grundzüge in Chodowieckis Wesen, seine Ehrlichkeit
und sein Kindergemüt, die selbst aus einer geschmacklosen Fassung mit
dem Glanz echten Edelgesteins hervorleuchten. Daß die Schilderung der
harmlosen und innigen Freuden bürgerlichen Familienglückes am stärksten
solche Vorzüge erkennen läßt, dürfen wir auch an dieser Stelle nicht
unwiederholt lassen (Abb. 2, 108, 110). Schon aus diesem Grunde und
zugleich seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung wegen wird Chodowieckis
„Weihnachtsabend“ in Langs Almanach von 1799 (Abb. 194, ~E.~ 851)
stets einen besonderen Reiz auf den Beschauer ausüben. Bildet doch
diese kleine Radierung einen der wenigen Belege dafür, daß die für
unser Gefühl mit der Weihnachtsfeier so unzertrennlich verbundene Sitte
der Ausschmückung eines Tannenbaums am Ende des vorigen Jahrhunderts
in Deutschland noch keineswegs allgemein eingebürgert war; wir sehen
hier vielmehr ein hölzernes oder metallenes Gestell zur Aufnahme des
Lichter- und Geschenkschmucks auf dem Gabentisch errichtet, zu dem die
Eltern ihre jubelnden Kleinen führen. Solch ein Beispiel erinnert uns
von neuem daran, daß Chodowieckis Darstellungen eine unerschöpfliche
Fundgrube für den Kulturhistoriker bilden, wie sie denn von dem
bedeutendsten Schilderer fridericianischer Zeit in diesem Jahrhundert,
von Adolf Menzel, der in mehr als einer Beziehung auf unseres Meisters
Schultern steht und lebhafte Verehrung für seinen großen Vorläufer
hegt, mit Vorliebe benutzt worden sind.

[Illustration: Abb. 200. +Rötelstudie im Besitz der Frau ~Dr.~
Ewald.+ Berlin.]

[Illustration: Abb. 201. +Die Karawane und Rembrandtstudie.+
(~E.~ 50.)]

Geringere Ausbeute gewährt das Chodowieckiwerk dem +Ornamentiker+.
Zwar entbehrt seine ornamentale Erfindung nicht der Zierlichkeit
und Grazie, die dem „Zeitalter der Vignette“ durchweg eignet,
aber wir treffen viel seltener selbständige dekorative Entwürfe
unter seinen Radierungen, als etwa in den Werken der französischen
Illustrationsstecher, deren Vignetten, Titelbordüren, Culs de lampes
und Randleisten von liebenswürdigen Einfällen förmlich übersprudeln
und oft ihren figürlichen Darstellungen überlegen sind. Chodowiecki
beschränkt die Zierkunst auf die Rahmen kleiner Rundbilder und
auf Titelkartuschen. Eine glatte Umfassung, die oben mit einer
Bandschleife, einigen Blütenzweigen oder Emblemen belebt ist, genügt
ihm meist für den erstgenannten Zweck (Abb. 185, 70, 94, 95, 115),
seltener finden wir einen Frucht- oder Blumenkranz dazu verwendet.
Seine Schlichtheit, seine Abneigung gegen pomphaften Apparat prägt sich
auch in solchen Nebendingen aus. Reicher, aber mit ihren emblematischen
Zuthaten nicht immer erfreulich, sind die Kalendertitel bedacht
(Abb. 195). Strenge architektonische Stilisierung vermeidet er zu
Gunsten naturalistischen Beiwerks, in dessen Anordnung sich zumeist
ein geläuterter Geschmack bekundet (Abb. 28). Der Wertherfächer im
Besitz von Frau Professor Koner in Berlin (Abb. 197), mit seinen
landschaftlichen Beigaben (Abb. 196), mag als Zeugnis für die Begabung
des Meisters auf kunstgewerblichem Gebiet an dieser Stelle erwähnt
sein.

Der stete Verkehr mit alten Kunstwerken mag eher auf seinen Geschmack
bildend gewirkt haben, als die pedantische Erziehung der Akademie. Wir
hörten, welchen Ruf er als +Kunstkenner und Sammler+ genoß, und
der Blick, den er uns in dem ~Cabinet d’un peintre~ in sein Heim
gewährt, sowie das Verzeichnis der nach seinem Tode zur Versteigerung
gelangten Kunstsammlung, lehren seine Neigungen näher kennen. Er
selbst rühmt in der Unterschrift eines Blattes aus der Folge der
Steckenpferdreiterei (~E.~ 857) vom Kupferstichliebhaber:

  Sein Pferd hat viel Bescheidenheit,
  Es pralt mit keinem Raub der farbigen Natur,
  Und führet doch so leicht und weit
  Wie jede Kunst, zu jeder Schönheitsspur.

[Illustration: Abb. 202. +Die von der Brandstätte heimkehrende
Löschkolonie der Charitédirektion.+ 1769.

(Der letzte in der Reihe ist Chodowiecki.) Aquarellierte Federzeichnung
im Besitz der Frau ~Dr.~ Ewald. Berlin.]

Die Zahl der von ihm gesammelten Stiche und Radierungen betrug --
mit Ausschluß seiner eigenen Arbeiten -- rund zehntausend Blatt.
Darunter waren besonders die französische und deutsche Schule
reich vertreten. Von dem ihm vielfach verwandten lothringischen
Sittenschilderer des siebzehnten Jahrhunderts, Jacques Callot, hatte
Chodowiecki ein Werk von 250 Nummern zusammengebracht. Auch unter den
zahlreichen Zeichnungen alter Meister, die er besaß, muß, wenn anders
wir den Angaben des Kataloges trauen dürfen, manches wertvolle Blatt
gewesen sein. Eine Rembrandtstudie hat er in einer seiner frühesten
Radierungen (~E.~ 50, Abb. 201) mit so viel Feingefühl und
Verständnis reproduziert, daß der Schluß erlaubt ist, er habe bei
der Erwerbung seiner Kunstschätze, unter denen uns Gemälde von Paolo
Veronese, Rubens, Wouverman, Govaert Flinck, Pesne u. a. begegnen, es
an strenger Kritik nicht fehlen lassen. Daß er gelegentlich auch aus
dem Kunsthandel Vorteile zu ziehen nicht verschmähte, wird niemand
überraschen, der mit den Gepflogenheiten der Künstlerwelt jener Zeit
einigermaßen bekannt ist. Die zahlreichen Besucher seines Ateliers,
darunter Prinzen, Prinzessinnen und Kavaliere der Hofgesellschaft,
werden gelegentlich vorgezogen haben, eines seiner Sammlungsobjekte zu
erwerben, statt ihm selbst einen Auftrag zu geben. Denn das Honorar,
das er für seine Leistungen beanspruchte, erschien nach damaligen
Begriffen oft exorbitant. Sein Hauptbuch aus dem Jahre 1766 enthält
z. B. unter der Rubrik: Miniaturporträts, die ihm ungemein rasch von
der Hand gingen, und die er meist nach fremden Vorlagen ausführte, den
ansehnlichen Posten von 575 Thalern, die er allein für die Arbeiten
eines Vierteljahres zu beanspruchen hatte. Die Platte der Radierung,
die Ziethen vor dem Könige sitzend darstellt (~E.~ 565), schätzte
er auf 500 Thaler.

Die Preise seiner Zeichnungen haben im Lauf des seit seinem Tode
verstrichenen Jahrhunderts eine erstaunliche Steigerung erfahren, so
wurde z. B. eine Federzeichnung, die 1801 mit 2 Thalern gut bezahlt
galt, in der Auktion Hebich 1895 mit 135 Mark bewertet, die fünfzehn
Tusch- und Bisterzeichnungen zu den Kupfern der Clarissa brachten
1801: 5 Thaler 16 Groschen, 1895: 230 Mark. Zwar wäre es voreilig, aus
solchen Anzeichen allein die wachsende Wertschätzung des Meisters zu
folgern, aber einen gewissen äußeren Maßstab für die Beurteilung, die
die Nachwelt seinem Schaffen angedeihen ließ, bilden sie zweifellos.
Daniel Chodowiecki steht auch heute noch vor uns als „kerngesunder
Mann in krankhafter Zeit,“ als treuer Bewahrer und fleißiger Mehrer
dessen, was die Natur ihm an Gaben und Fähigkeiten gegönnt, was er in
emsigem Streben errungen, und bis heute ist die Prophezeiung nicht zu
Schanden geworden, die an seinem frisch geschlossenen Grabe erklang:
„+Wenn Teutschland gegen seine vorzüglichsten Männer nicht ungerecht
ist, so wird sein Name stets ehrenvoll in den Annalen der Kunst genannt
werden!+“

[Illustration]



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