Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Zweiter Band.: Von der Renaissance bis zur Gegenwart
Author: Cohn-Wiener, Ernst
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Zweiter Band.: Von der Renaissance bis zur Gegenwart" ***

This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document.

DER STILE IN DER BILDENDEN KUNST. ZWEITER BAND. ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der 1917 erschienenen Buchausgabe
  so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
  Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
  nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
  unverändert; fremdsprachliche Begriffe wurden nicht korrigiert.

  Das Original enthielt einen Gesamtkatalog der Buchreihe „Aus
  restlichen Buchanzeigen wurden zusammengefasst am Ende des Texts
  wiedergegeben.

  Dieses Buch enthält Verweise auf Passagen im ersten Band, welcher

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
  Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen
  gekennzeichnet:

      kursiv:        _Unterstriche_
      fett:          =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:      +Pluszeichen+
      Antiqua:       ~Tilden~
      unterstrichen: #Rautenzeichen#

  ####################################################################



                       Aus Natur und Geisteswelt

     Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen

                             318. Bändchen

                      Die Entwicklungsgeschichte
                   der Stile in der bildenden Kunst

                                  Von

                     ~Dr. phil.~ Ernst Cohn-Wiener

      Dozent an der Humboldt-Akademie -- Freie Hochschule Berlin

                             Zweiter Band:

                          Von der Renaissance
                           bis zur Gegenwart

                            Zweite Auflage

                      Mit 42 Abbildungen im Text

     Verlag und Druck von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1917

                            [Illustration]



Inhaltsverzeichnis.


                                                                   Seite

  Erstes  Kapitel. Die italienische Renaissance                        1

  Zweites    „     Die bürgerliche Gotik in Deutschland und die
                   sogenannte deutsche Renaissance                    20

  Drittes    „     Der Barockstil                                     38

  Viertes    „     Der Stil Régence und der Rokokostil                63

  Fünftes    „     Der Stil Louis XVI. und der Stil Empire            73

  Sechstes   „     Die Kunst des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart   81

  Siebentes  „     Das Wesen des Stilwerdens und die historische
                   Stellung der gegenwärtigen Kunst                   94


         Schutzformel für die Vereinigten Staaten von Amerika:

             ~Copyright 1917 by B. G. Teubner in Leipzig.~


   Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.



Erstes Kapitel.

Die italienische Renaissance.


In keiner anderen Äußerung des menschlichen Geistes heben sich
die Hauptrichtungslinien so eindeutig klar heraus, wie in der
Kunstgeschichte, unterjochen so tyrannisch feindliche Strömungen
oder lassen sie in provinziellem Dunkel. Der Grund dafür könnte
sein, daß das Kunstwerk, als anschauliches Resultat eines sehr
verwickelten seelischen Vorganges, doch fixierter ist als die
Gedankengänge beispielsweise der Literatur oder die Tonfolgen der
Musik, die sozusagen durch ganze Abfolgen von Stunden laufen, während
das Kunstwerk als Objekt in jedem Augenblick dasselbe bleibt. Kein
Land zeigt jene Einzigkeit des kunstgeschichtlichen Stilvorganges
deutlicher als Italien, das im Mittelalter neben den Ländern des
Nordens nur vegetiert, um seit dem 15. Jahrhundert ihre maßgebende
Führerin zu werden. Obgleich das italienische Mittelalter eines der
am wenigsten erforschten Gebiete der Kunstgeschichte ist, weil der
glänzende Mantel der Renaissance es allzulange dem Auge entzog, ist
es doch fraglos, daß, während sich nördlich der Alpen die wichtigsten
Stilbewegungen vollziehen, Italien zwar eine Fülle interessanter
Stilerscheinungen, aber keinen einheitlichen Stil geschaffen hat. Seine
Lage im Schnittpunkte der großen mittelalterlichen Kunstkreise mit
Frankreich, Deutschland, dem maurischen Spanien und dem Byzantinischen
Reich als Zentren, dazu die fortwährenden Kämpfe auf seinem Boden, die
allen diesen Ländern für längere oder kürzere Zeit Anteil am Lande
selbst gaben und ihnen so den direktesten Einfluß sicherten, all
das brachte es mit sich, daß in Italien fast alles Autochthone mit
fremden Anregungen verschmilzt und eine Fülle der verschiedenartigsten
Erscheinungen ausbildet. Während im Norden die romanische und gotische
Kathedrale sich entwickeln, behält die kirchliche Architektur Italiens
den altchristlichen Basilikatypus mit dem Eingange an der Schmalseite
und dem freistehenden Campanile bis in den Beginn der Renaissance
hinein bei; die eigengeschaffenen romanischen und die übernommenen
gotischen Formen werden nicht Stilglieder, sondern nur Schmuck.

Man kann sagen, daß die Gotik auch in Italien alle anderen Formen
verdrängt, aber wesentlich als Stil des Wimpergs und der Fiale
angewandt wird. Während man ihre Gewölbekonstruktion und ihre
Dekoration verwertet, scheut man doch jede konsequente Durchführung
der Vertikalen. Vollends dekorativ gestaltet das Land dort, wo es mit
orientalischen Stilelementen in Berührung kommt, wie in romanischer
Zeit in Süditalien, in gotischer in Venedig. Hier verwandeln sich die
gotischen Formen in eine elegante Steindekoration von der feinen Arbeit
durchbrochener Spitzen. Man arbeitet, um die Zartheit des Eindrucks
zu steigern, selbst mit Kontrastwirkungen, setzt auf zarte Arkaden
ein derbes mauerfestes Obergeschoß, wie beim Dogenpalast, während man
doch das Verhältnis umgekehrt erwartet, oder neben sie als Gegensatz
das geschlossene Mauerwerk, wie an Ca d’oro. Nur daß in romanischer
Zeit Oberitalien, allerdings wiederum mit Ausnahme Venedigs, in engem
Zusammenhang mit Deutschland stehend, an dessen Formenergie Anteil
nimmt.

Mit dieser Art, den Charakter der Bauten durch ihre Dekoration
bestimmen zu lassen, stimmt es überein, daß Plastik und Malerei als
Werte im Gesamtbild die Architektur überwiegen, im Gegensatz zum
Norden, und die große Zahl überlieferter Künstlernamen beweist, daß
sie ihren Wert kennen. Dabei ist es natürlich kein Zufall, daß auch
hier die Bewegung gleichzeitig mit der Loslösung der Plastik von der
Baukunst einsetzt, d. h. mit dem Ende der romanischen Periode, daß
also auch hierin Italien an den nordischen Bewegungen teilnimmt.
Aber das geschieht ganz unwillkürlich, genau so selbstverständlich,
wie die Glieder in den Blutumlauf des Herzens miteinbezogen sind.
Als Formvorbilder dienen nicht die französischen Schöpfungen,
sondern die antiken Überreste im Lande, und man hat geradezu von
einer Proto-Renaissance (Ur-Renaissance) gesprochen, zumal diese
Zeit die Vorbilder willenloser, weniger umformend übernimmt,
als später die Renaissance. Die Frucht ist in Mittelitalien die
antikisierende Umgestaltung des Architektur-Ornaments und die Kunst
des ersten Meisters aus dem Kreis der Pisani, des Niccolo, tätig
zwischen 1260-1280, dessen malerisch hohe Kanzelreliefs ohne das
Vorbild der römischen Sarkophage schlechterdings nicht denkbar sind.
Noch intensiver ist diese Bewegung in Süditalien, wo die geniale
Persönlichkeit des Hohenstaufen Friedrich II. für die Kunst dieselbe
Rolle spielt, wie Karl der Große für die karolingische Renaissance. Er
errichtet Triumphbögen mit Skulpturen, in deren Überresten antiker
Geist seltsam lebendig ist. Er schreibt ein Buch über die Falkenjagd,
und die Illustrationen dazu geben die Tierformen mit der subtilen
Genauigkeit eines zoologischen Werkes. Man muß freilich feststellen,
daß der Einfluß der hohen maurischen Kultur gerade hier den Boden sehr
geebnet hatte.

In der gotischen Generation, repräsentiert durch den Sohn des Niccolo,
Giovanni (um 1250-1328), wirkt das jetzt voll entfaltete Frankreich
stärker ein. Doch wird der Stil niemals weich, und in der Malerei
vollends wird die ganz byzantinisierende romanische Generation durch
den Gotiker Giotto (1266 bis nach 1317) abgelöst, der als Übergang zur
Renaissance anzusehen ist. Wenn auch die religiöse Inbrunst in seinen
Darstellungen aus dem Leben des heiligen Franziskus ganz gotisch im
Gefühl, die Gebundenheit seiner Formen noch mittelalterlich ist, so ist
doch die Bestimmtheit des Gefühlsausdruckes bei ihm die Ankündigung des
neuen Zeitalters.

Für uns Heutige hat das Wort +Renaissance+ nicht mehr den Sinn, den es
einst hatte: Wiedergeburt der Antike. Wir, die wir einen Stil nicht
mehr äußerlich nach den Detailformen analysieren, sondern nach dem
Sinn, den sie im Stilbild haben -- wir sehen, daß die Renaissance die
antiken Formen nur in den Dienst ihrer ganz selbständig gerichteten
Absichten stellt. Für uns bedeutet sie eine Wiedergeburt der starken
Persönlichkeit, der schaffenden Kraft des Menschen, welche die Formen
der antiken Kunst, die sie vor Augen hatte, als Hilfsmittel für das
eigene Wollen mit eigenem Ausdruck übernahm. Von hier aus beantwortet
sich auch die Frage, warum man gerade an die römische Antike anknüpfte
und nicht an die hellenische, deren Werke doch in Unteritalien noch
vor aller Augen standen. Die Begründung, man hätte die römische Kunst
gewählt, weil die italienischen Städte stolz waren, ihren Ursprung
von Rom abzuleiten, scheint uns zu äußerlich für Erscheinungen, die
so gesetzmäßig verlaufen. Vielmehr scheint dafür entscheidend gewesen
zu sein, daß die Freude dieser enthusiastischen Zeit am Reichtum und
am Prunk, die in ihren Festen und Bauten so hohen Ausdruck findet,
in den reichbewegten Formen der römischen Bauornamentik sich eher
befriedigen mußte, als in den schlichten, griechischen Architekturen,
dann, daß die Renaissancebauten Mauerbauten waren, bei denen vor allem
Wände dekoriert werden sollten, so daß sie in den reich dekorierten
Mauern römischer Bauten ihr gegebenes Vorbild hatten: der strenge
griechische Säulenbau mit seinen frei tragenden Stützen konnte für
diese Aufgaben keine Lösungen bieten. Dafür, daß die Antike für die
Renaissance im Grunde keine Triebkraft, sondern nur ein Hilfsmittel
war, ist beweisend, daß sie sich nicht im päpstlichen Rom entwickelte,
wo die meisten und reichsten Römerbauten damals noch standen, sondern
in Florenz, das fast ohne antike Überreste war, wo aber ein freies
und starkes Bürgertum sich entwickelte in einem Kampf, der halb
kaufmännische Konkurrenz, halb Ringen um die Macht war.

Diese Entwicklung der Persönlichkeit ist das wichtigste Ergebnis der
vorhergehenden Jahrhunderte und die Schöpferin der Renaissance, die man
meist um 1420 beginnen läßt. An Stelle der christlichen Demut tritt
der bürgerliche Stolz, an Stelle der Aufgabe der Persönlichkeit ihre
Pflege, an Stelle des Feudalismus die städtische Freiheit. Durch ihren
Handel erstarkt, erobern sich die Städte mit geworbenen Söldnern oder
Bürgerheeren einen Platz in der Reihe der Fürsten. Waren sie bisher
um ihres Reichtums willen Objekt des Streites zwischen diesen, so
erwerben sie jetzt mit diesem Reichtum das Recht ihrer Freiheit. Diese
neue Macht hat in Italien vielleicht früher ihre Erfolge errungen,
als nördlich der Alpen. Es genügt an die Schlacht von Legnano zu
erinnern, wo der langobardische Städtebund Friedrich Barbarossa schlug.
Es war der Stolz des Bürgers, Glied einer freien Stadt zu sein, die
er mitregierte, und so entstanden alle jene kleinen, aber mächtigen
Stadtrepubliken. Aber es war derselbe Bürgerstolz, der den einzelnen
antrieb, in diesem Staat unter den Mitbürgern sichtbar zu sein,
hervorzuragen durch Macht und Wissen, und so erscheinen jetzt alle jene
Mäzene, alle jene geschmackvollen Dilettanten, erwacht jenes große
bewegte Leben der Epoche, das uns Heutigen noch in seiner leuchtenden,
blühenden Triebkraft wie das Ziel einer Sehnsucht vor Augen steht. In
keiner Zeit war der Ehrgeiz so allgemeine Triebfeder für den Feldherrn
wie für den Staatsmann, den Gelehrten wie den Künstler, in keiner Zeit
aber wurde auch der Tüchtige so geschätzt. Es ist bezeichnend für die
Differenz zweier Weltanschauungen, wenn Dürer aus Venedig schreibt:
„Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.“ Der Künstler des
Mittelalters war fast stets anonym gewesen. Je mehr man sich der
Renaissance nähert, auf desto mehr Künstlernamen trifft man. Während
noch die Meister der Frührenaissance selten ihre Bilder signieren, und
nur die allgemeine Wertschätzung das Ziel ihres Ehrgeizes ist, während
Botticelli Truhenbretter bemalt, und Verocchio Turnierfahnen, also das
Gefühl eines Unterschiedes zwischen Kunst und Handwerk noch völlig
fehlt, setzt man später auf jedes lächerlich geringfügige Bildchen
seinen Namen und arbeitet ebenso für seinen Ruhm wie für das Werk,
bis schließlich die Arroganz eines Barockmeisters wie des Cellini
unerträglich wird. Das geht so weit, daß man schon in der frühen
Renaissance von dem kaum verlassenen Stil mit allertiefster Verachtung
spricht, so daß damals das Wort „Gotik“ geprägt wird im Sinne einer
barbarischen Kunst, über die man sich hoch erhaben fühlte.

Allein dieser Gegensatz war nicht so einschneidend, wie die Epoche
glaubte. Das neue Kunstwollen ist zwar von vornherein sehr stark, die
Problemstellung sehr neu, aber die Lösungen entwickeln sich auf der
Basis der gotischen. Der erste Florentiner Renaissance-Architekt,
Brunelleschi (1377-1446), stellt die Tendenzen des neuen Stiles fast
dogmatisch fest, und doch hat seine Kuppel des Florentiner Domes noch
viel gotische Streckung, und seine Capella Pazzi noch die Dreiteilung
mittelalterlicher Kirchen in Vorhalle, Hauptraum und Altarnische,
ohne daß die Kuppel über dem Mittelraum für mehr als nur für diesen
ein Sammelbecken wäre. Erst die Hochrenaissance bringt in Bramantes
Tempietto die absolute Vereinheitlichung des Raumes unter einer Kuppel.
Wichtiger ist in diesem unkirchlichen Zeitalter der Profanbau, für
den ebenfalls die Gotik den Typus, zugleich mit der bürgerlichen
Gesinnung überhaupt, schon vorgebildet hat (Abb. 1). Die Rathäuser der
Städte mußten in jenen Zeiten der Kämpfe von Stadt gegen Stadt, von
Partei gegen Partei feste Gebäude, Kastelle im kleinen sein, Bauten,
deren starke Mauern nur von kleinen Fenstern durchbrochen werden
durften, während im Hofraum freiere Dekoration sich entfalten konnte.
Das ist die gegebene Form der Feste, wie schon die deutschen Burgen
der romanischen Zeit sie haben, und wie sie selbst dem Heidelberger
Schloß noch zugrunde liegt. Diese kleinen Städte Italiens aber geben
vielleicht ihre reinste Form, weil dort die kirchlichen Einbauten
fehlen, die in Deutschland üblich sind, und nicht die Plattform einer
Bergkuppe ihren Grundriß bedingt. Er ist so knapp wie denkbar, rein
quadratisch, die Mauern sind nur in ganz kleinen Fenstern und knappen
Türen nach außen geöffnet, der kraftvoll horizontale Abschluß des
Daches ist mit wehrhaften Zinnen gekrönt; aber die kleinen Simse, die
sich unter den Fenstern um das Gebäude herumziehen, zeigen doch, daß
man sich der gedrungenen Kraft dieser Horizontalen bewußt ist und ihr
durch die Parallele Nachdruck geben will. Nur der Turm durchbricht,
senkrecht emporsteigend, die Richtung dieser ruhenden Linien, ein
ungesucht starker Akzent in diesem Bau, der als Ganzes die Energie
eines neuen bürgerstarken Zweckgefühls in Formen von selbstbewußter
Klarheit ausspricht. Nach dem Hof zu aber öffnen sich schon jetzt
im Erdgeschoß säulengetragene Arkaden, umgürten weitgeöffnete
Fensterreihen die oberen Stockwerke.

[Illustration: Abb. 1. Florenz. Palazzo Vecchio.]

[Illustration: Abb. 2. Florenz. Palazzo Strozzi.]

[Illustration: Abb. 3. Rom. Fenster der Cancelleria.]

Und nun ist das Verhältnis dieser gotischen Form zum Palazzo der
Frührenaissance dasselbe, wie das der frühchristlichen zur romanischen
Basilika. Was vorher dumpf war, wird jetzt klar funktionell
ausgedrückt, wobei allerdings wichtig ist, daß dieses Zeitalter
an und für sich bewußter schafft als das Mittelalter. Der Palazzo
Strozzi (Abb. 2) drückt die Bauwerte viel redender aus, als St.
Michael in Hildesheim, und bei ihm und seinen Stilverwandten ist
die Wagerechte nicht allein Zweck- sondern schon Ausdrucksform. Ein
weit ausladendes Kranzgesims ist an die Stelle des Zinnenkranzes
gesetzt worden, mit der ästhetischen Funktion, das Haus in stark
betonter Horizontallinie abzuschließen. Am Fuß des Gebäudes wirken
die starken wagerecht fortlaufenden Ruhebänke ebenso als Sockel,
und zwischen diesen Hauptlinien wiederholt sich die Wagerechte
zweimal in den Simsen, die unter den Fensterreihen hinlaufen und
hier nicht mehr, wie beim gotischen Palazzo, schmale Linien, sondern
regelrechte Simse von äußerst kräftiger Profilierung sind. Hier
eine Parallele zur Energie der Wagerechten im romanischen Stil
zu sehen, ist ganz logisch. Aber sie ist hier mehr, als nur der
Steinschichtung abgewonnene Begrenzungslinie, wie auch die Wand mehr
Absichten hat, als nur Raumabschluß oder Dachstütze zu sein. Indem
die Renaissance die Mächtigkeit der einzelnen Quader innerhalb des
Gefüges dadurch ausdrückt, daß sie die Fugen tief als beschattete
Linien einschneidet (sog. Rustika), erzielt sie mehr den Eindruck von
Körper als von Fläche, von Mauer als von Wand. Fenster und Türen sind
nicht mehr bloße Öffnungen in der Mauer, wie noch im Palazzo Vecchio.
Symmetrisch angeordnet, bestimmen sie die Gliederung der Wand, und es
ist ausdrucksvoll, wie die Rustika, daß man den Bogen, der sie oben
abschließt, in seiner Technik, dem Keilschnitt, angibt. Nun sieht man,
wie fest die Steine ineinander verkeilt sind, und weiß, wie sicher der
Bogen die darüber lastende Mauermasse trägt. Später wird sogar der
mittelste Keilstein, wie der Schlußstein im gotischen Gewölbe, durch
seinen Schmuck noch besonders hervorgehoben (Abb. 4), weil er dem
Bogen den sicheren Zusammenhalt gibt. Ebenso schließt sich der Hof mit
offenen Bogengängen im Erdgeschoß an den ursprünglichen Plan der Gotik
an; aber alle gotisch eckig profilierten Formen sind auf einfachere
Querschnitte unter Zugrundelegung antiker Formen zurückgeführt --
aus Pfeilern, die Spitzbögen trugen, sind korinthisierende Säulen
mit Rundbögen geworden, besonders aber bevorzugt man den Pilaster
als Rahmenform für Fenster und Türen, als Stützform bei Grabmälern
oder als Wanddekoration. Aber all diese Formen werden viel schlanker,
dünner und graziler; ja man kann sagen, daß in der Betonung der
kantigen Randlinien beim Pilasterschaft ein Rest gotischen Gefühles
liegt und ebenso in der knolligen Behandlung der Akanthusblätter,
die, in springbrunnhaft aufsteigender Anordnung auf der eingesenkten
Mitte des Pilasters angebracht, dessen Bewegung mit ihrem Aufsteigen
begleiten. Erst allmählich mit dem wachsenden Vollklang des Stiles
werden diese Formen breiter, üppiger und gesammelter. Zugleich wird
die Palastfassade auf größere Wirkungen gestimmt. Allein auch zum
16. Jahrhundert, der Hochrenaissance, vollzieht sich der Übergang
ganz allmählich. Ein Palast, wie die um 1500 von Bramante gebaute
Cancelleria (Abb. 3), geht noch auf einen Typus der Frührenaissance
zurück, in dem indessen Keime für Zukünftiges lagen. Fest im Umriß und
in der Begrenzung, sind auch bei der Cancelleria die Horizontallinien
der unter den Fenstern durchgeführten Simse noch die wichtigsten
Gliederungen, scheint die Wand um die kleinen Fenster von ungebrochener
Festigkeit. Aber in der Gliederung der Mauerflächen machen sich dennoch
neue Tendenzen fühlbar, wenn auch nur in den beiden oberen Geschossen,
während das untere der starke Träger bleibt. Man muß eine ruhige
Wandfläche, wie die des Palazzo Strozzi, damals beinahe schon als kühl,
als unbelebt empfunden haben. Wie die Stärke der Zeit im Widerspiel
der strebenden Kräfte sich äußert, so gestaltet man die Mauer
ausdrucksvoller, indem man außer der wichtigen Horizontale, die die
Hauptlinie bleibt, die Vertikale als Wandgliederung anwendet, zwar nur
schüchtern als antikisierender Pilaster zwischen die horizontalen Simse
gestellt und wenig aus der Wand hervorspringend, aber um so wirksamer,
als sie zugleich den Fenstern, die sie aus der Wand herauslöst, ihren
besonderen Wert innerhalb der Fläche gibt. Das Fenster ist jetzt nicht
mehr ein Loch in der Mauer, sondern selbständiger Bauteil. Es wird
durch einen Rahmen gegen die Mauerfläche abgegrenzt, außerordentlich
energisch dadurch, daß dieser nur innen den Konturen des Fensters
folgt, außen aber rechteckig ist, wie die Wandglieder. Allein obgleich
diese Zusammenfassung sehr geistvoll ist, wird man gerade hier
einen Zwiespalt fühlen, der für die neue Absicht charakteristisch
ist. Keine Frage: gegenüber der strengen Folgerichtigkeit der Wand
beim Palazzo Strozzi stellt sich nun als Gliederung eine Dekoration
ein, die ihren eigenen Ausdruck hat und die Struktivität der Mauer
vernichtet. Es ist kein Zufall, daß das Kranzgesims hier weit weniger
vorragt, an den äußersten Ecken Pilaster die scharfen Kanten der
zusammenstoßenden Wände abschwächen, die horizontalen Simse verdoppelt
werden, und dadurch den Hauptlinien viel von ihrer Kraft genommen
wird, sie gewissermaßen zerfließen. Unzweifelhaft bedeutet auch hier
der neue Reichtum des Ausdrucks eine Schwächung der Gesetzmäßigkeit.
Und nun kann man stufenweise die konsequente Weiterentwicklung dieser
Prinzipien verfolgen, wie Fenster und Pilaster allmählich immer
kräftiger, die Wände immer schwächer werden, bis schließlich die
Bauten des Palladio (1508-1580) in Vicenza oder des Jacopo Sansovino
die letzte Stilstufe bezeichnen, auf der eine einheitliche Wirkung,
allerdings bereits von ganz malerischer Art, noch möglich ist. Die
Wand des Untergeschosses von Sansovinos Markusbibliothek in Venedig
(Abb. 4) öffnet sich in weiten Bögen, die durch dekorierende Säulen
voneinander getrennt sind. Noch ziehen über ihnen die Simse und
Friese in horizontalen Reihen, aber die beherrschende Kraft ihrer
Linien zersetzt sich. Ein dorischer Fries mit Tropfenregula, von
deren vermittelndem Sinne schon die Rede gewesen ist, führt vom
Untergeschoß aufwärts, und ebenso allmählich oberhalb des trennenden
Simses die Balustergalerie. Es kommt dazu, daß nicht nur die oberen
Säulen mit den unteren korrespondieren, sondern daß die oberen Säulen
innerhalb der Balustergalerie auf isolierten Sockeln stehen und so
die Linien der unteren für das Auge geradezu fortsetzen. Wie die
Fenster dieses Stockwerks eleganter, zierlicher sind als die Bögen des
Untergeschosses, auf denen es lastet, so ist auch die abschließende
Horizontale noch weicher behandelt als das trennende Sims zwischen
beiden. Sie ist geradezu aufgelöst, nach unten in ein breites Friesband
von kränzetragenden Putten, durchbrochen von kleinen Fenstern, nach
oben in eine freistehende Balustergalerie (Attika), die den ganzen
Bau weich in die Luft sich lösen läßt. Allein auch diese Auflösung
wird von den vertikalen Linien unterstützt. Die Putten im Fries nehmen
die Linien der Säulen auf und führen sie in eine Basis hinauf,
auf der jedesmal eine Statue steht, von allegorischer Bedeutung,
was nebensächlich ist, aber mit der Funktion, auch die letzte
Horizontallinie, die obere Begrenzung der Attika, zu zerstören und den
Abschluß noch weicher zu gestalten. Es beginnt also die Auflösung der
Wagerechten zugleich mit der Auflösung der Wand weiter vorzuschreiten
und zu ihrer tatsächlichen Zerstörung durch die Durchbrechung gesellt
sich ihre optische durch das starke Wechselspiel von Licht und Schatten
in der reichen Dekoration. Während die frühe Renaissance ganz flache
Formen isoliert benutzt (Abb. 3), häuft die Hochrenaissance weit
ausspringende Glieder. Es ist von derselben Art, wenn sie in der
Flächenfüllung an Stelle der einfachen, dünnen, aber klargeführten
Ranken der frühen Zeit das volle, quellende Ornament bringt, die
breithängenden Kränze und schweren Füllungen (Abb. 4). Der Ausdruck
bleibt also groß, wird nicht etwa spielerisch. Aber immerhin tritt das
Pathos an die Stelle der Sachlichkeit. Ein Bau wie etwa der bereits dem
Barock zugerechnete Palast Pesaro in Venedig führt alle diese Absichten
zur letzten Konsequenz. Hier ist die Wand völlig verschwunden.
Selbst der Rest, der in der Bibliothek Sansovinos an den Seiten der
Säulen steht, hat einer Säule Platz gemacht. Ebenso ist neben die
Horizontallinie nun völlig gleichberechtigt die Vertikale getreten.
Die Gesimse verkröpfen sich oberhalb der Säulen und das Auge wird ohne
Hindernis vom Erdboden bis hinauf ans Dach geführt. Dieser Widerstreit
zwischen den Richtungslinien wird noch ausdrucksvoller durch das starke
Vor- und Zurückspringen der Gliederungen, das im malerischen Wechsel
von Licht und Schatten die Fläche vollends ausschaltet. Kurzum, die
Absicht ist möglichster Reichtum auf Kosten des tektonischen Ausdrucks,
von dem nun auch nicht mehr das geringste Element äußerlich sichtbar
in die Erscheinung tritt. Wand und Dach sind durch die Dekoration
vollkommen verdrängt, und über die Fassade hin gleitet von oben nach
unten, von Seite zu Seite im regelmäßigen Wechsel des Vordrängens
und Zurücktretens das Licht, so daß eine vollkommene Wellenbewegung
entsteht. Auf diesen Tendenzen baut sich dann der Barockstil auf.

[Illustration: Abb. 4. Venedig. Markusbibliothek.]

Die Einheit des Gesamtkunstwerkes, die diese Zeit bewußter fordert,
als jede voraufgegangene, hält die Ausstattung des Hauses und dieses
selbst in jedem Augenblick in derselben Stilphase. Das Zeitalter ist
nicht reich an Möbelformen; die wichtigste, die Truhe, ist in der
bürgerlichen Gotik des Palazzo Vecchio ein schlichter Kasten, mit
stilisierter Bemalung von Wappen oder Ornamenten. Die Hochrenaissance,
die für ihre Prunksäle auch monumentalere Möbelformen, wie den Thron,
ausbildet, betont den Formgehalt der Truhe, stellt sie auf eine schwer
profilierte Basis, rahmt die reich bemalte oder mit Stuckornamenten
gezierte Wand durch Pilaster oder Wappenhalter und macht den oberen
Abschluß ebenso ausdrucksvoll (Abb. 5). In der Spätrenaissance
überwuchert hier wie am Palast der Schmuck. Man stellt das Gerät auf
katzenartig vorschnellende Löwenklauen, die einerseits die Truhe vom
Boden anheben, ihr jede Schwere des Stehens nehmen, andererseits den
Körper des Möbels in weichen Linien in den Boden führen. Das Gerät
nimmt diese Linien auf. Der Leib der Truhe biegt sich nach der Mitte
zu aus, um nach dem Deckel zu wieder schmäler zu werden und so die
bewegte Form des Gerätes als weiche Kurve endigen zu lassen. Ist
schon durch so starke Bewegung dem Gerät das Kastenartige genommen,
so tritt die überaus lebhafte Dekoration des Körpers mit reichem
figürlichen und ornamentalen Schnitzwerk dazu, um vollends jede
Fläche zu zerstören. Die Keramik beginnt, von maurischen Erzeugnissen
angeregt, mit übersichtlich geformten Kannen und Schüsseln, deren
Ton durch durchsichtige Glasur mitwirkend sichtbar ist und deren
Wandungen einfaches, aber sehr großzügiges Ornament unterstützt. In der
Hochrenaissance will auch der Töpfer prunken. Die großen Manufakturen,
wie Faenza (von dem die Technik den Namen Fayence erhält) und Urbino
fertigen Majoliken von großen bauchigen Formen, bei denen nur die
undurchsichtige Glasur, die Haut also, statt des Kernes, sichtbar
und also wirksam ist und figürliche Malereien trägt, die über jede
Gefäßteilung, selbst über Rand und Boden der Schüssel gleichmäßig
hinweggehen. Das Gerät ist nur noch Malgrund, kein zweckgeschaffenes
Gebilde.

[Illustration: Abb. 5. Florentiner Truhe. Berlin.]

Dieses Übergewicht der freien Kunst, das schon von der Gotik übernommen
wird, läßt die Einheit im Zweck, die alle Künste im dorischen Tempel
oder in der romanischen Kirche organisch verband, hier nicht zu. Daß
die langen Freskenreihen des Gozzoli und Ghirlandajo Wandschmuck sind,
setzt der Plastik ihres Ausdrucks keine Grenzen und schreibt ihrem
Stil keine Gesetze vor. Vielmehr trifft die beginnende Renaissance
Plastik und Malerei bereits als selbständige Künste von großer
Freiheit des Ausdrucks an und mit der Tendenz, jede Ausdrucksform
durch eine noch freiere abzulösen. In derselben Weise etwa, wie
die archaische griechische Kunst aus dem Steinblock und den späten
Formen griechisch-mykenischer Kunst allmählich den menschlichen
Körper entwickelt, seine Glieder immer stärker zu beherrschen lernt,
entwickelt die Renaissance unter den Gewandmassen, mit denen die
Gotik die Gestalten verbirgt, die menschliche Form zu immer größerer
Freiheit, zu immer sichererem Verständnis. Die disziplinierte Kraft,
die im Rahmen des Gesamtkönnens das Höchste leistet, fehlt diesem
erregten Zeitalter des Individualismus, das die Fülle erzeugt. Der Weg,
den Hellas in fast drei Jahrhunderten zurückgelegt hat, wird in kaum
drei Generationen durchmessen.

Mißt man ihn an der Plastik, die die Aufgabe am engsten, auf eine
oder wenige umgrenzte Gestalten konzentriert und so die schöpferische
Bildnerin des Körpers wird, so sind Ghiberti (1378-1455) Donatello
(1386-1466) und Verocchio (1435-1488) die Marksteine. Ghiberti ist in
der kurvigen Bildung seiner Gestalten, unter deren weichgleitenden
Gewändern der Körper noch nicht gefühlt ist, fast noch Gotiker. Die
beiden anderen, von der Tradition sich befreiend, sind schöpferische
Menschen der Renaissance, Donatello ein Ekstatiker, tiefster seelischer
Erschütterungen voll, seine Puttenreigen wirbelnde Tänze, seine
Antoniuslegenden erregte Dramen, seine Propheten und Täufer tief
innerlich durchflammte Visionäre, bei denen der Ausdruck im gepreßten
Munde, in gekrampften Händen und tief durchfurchten Gewändern verhalten
aber glühend wirksam ist. Er stellt das plastische Problem nicht
nur als Form-, sondern als Inhaltsproblem, läßt seinen Gestalten
die Anlehnung an architektonische Hintergründe, die Entwicklung der
Bewegungen für eine Ansicht und entblößt vom Körper nur, was der
innere Ausdruck fordert. Mit dem Problem der körperlichen Klarheit
stellt Verocchio der nächsten Generation die Aufgabe, ja, man kann
sagen, daß die nach Erkennen strebende Renaissance erst mit ihm
ihr erstes Wort spricht. Es ist frappant, hier, wie im klassischen
Altertum, die wissenschaftliche und gestaltende Analysis nebeneinander
hergehen zu sehen; wie Polyklet sucht auch Verocchio das Wesen der
Schönheit in der menschlichen Proportion, erforscht die Perspektive
und treibt mathematische Studien. Ebenso aber studiert er Bewegung
und Zusammensetzung des Menschen- und Pferdekörpers, differenziert
die Muskeln und Gelenke in seinen Skulpturen, so daß man selbst
unter dem Panzer des jugendlichen David noch jede Muskel, jede
Hautfalte spürt. Kraft dieser Kenntnis werden die Drehungen seiner
Gestalten ausdrucksfreier als bei Donatello, bis zu Werken, die ohne
Hintergrund, frei inmitten eines Hofes stehend von allen Seiten
reizvolle Ansichten gewähren. Wenn Donatellos Gattamelata der klug
überblickende Heerführer war, auf seinem Pferde sitzend, wie auf einem
Thron, so ist Verocchios Colleoni, in Bewegung und Gegenbewegung
von gespanntester Führerenergie. Diese klare Formulierung der neuen
Probleme und die Vielseitigkeit des Mannes, der zugleich auch Maler und
Goldschmied war, machen ihn wie die ihm verwandten Brüder Pollajuolo
zu Lehrmeistern der ganzen zweiten Generation, auch ihrer Maler.

[Illustration: Abb. 6. Ghirlandajo. Abendmahl. Florenz.]

[Illustration: Abb. 7. Lionardo da Vinci. Das Abendmahl. Mailand.]

Denn die Entwicklungslinie der Malerei ist im ganzen die gleiche. Von
den Zeitgenossen Ghibertis war Fra Angelico noch Gotiker gleich ihm,
während Masaccio, der erste, der seinen Menschen standfeste Realität
und ein Größenverhältnis zu den Häusern und Dingen in der Landschaft
gibt, zugleich noch aus der gotischen Verallgemeinerung der Form
ihre Größe gewinnt. Mit ihm hört das mittelalterliche Gedränge auf,
und die Dinge werden plastisch. Nun setzt die schöpferische Kraft
des Zeitalters mit all ihrer Fülle ein. Padua, wo Mantegna in harter
Zeichnung sich um Menschencharaktere und Perspektive müht, Venedig,
wo die Farbe herrscht, Umbrien, das weiche, idealistische Gestalten
sucht, und am vielseitigsten Florenz, wo neben Gegenwartsmalern
wie Ghirlandajo, Theoretikern, wie eben Verocchio, tiefe Empfinder
schaffen, wie Fra Filippo Lippi und sein Schüler, der Mystiker
Botticelli (1444 bis 1510), diese beiden letzten die deutlichsten
Repräsentanten der zwei Frührenaissance-Generationen in der Malerei.
Allein die Entwicklung kommt hier nirgends vom Tektonischen her.
Das Wandgemälde sucht durchaus die Tiefe, den Raum. Lionardo da
Vinci (1452-1519), der die Hochrenaissance einleitet, ist durchaus
nur Fortbilder dieses Suchens, wenn er den Gestalten dadurch die
Freiheit im Raum gibt, daß er ihren Umrissen die Härte nimmt und sie
so schwebend unsicher machte, wie man sie sieht. Auch Ghirlandajos
Abendmahl (Abb. 6) war räumlich gemeint. Was Lionardo (Abb. 7) vor
ihm voraus hat, ist die größere Intensität der Gesten, die jedem
Ausdruck die Bestimmtheit gibt, die bedeutendere Komposition, die
das Nebeneinander der Apostel zu großen Hauptgruppen sammelt. Es
ist dieselbe Entwicklung, die von den gleichmäßigen Wänden der
Frührenaissance-Paläste zu den sammelnden Achsen des Sansovino
(Abb. 4) führt. Wohl gibt es einmal in einem tektonischen Stil eine
gleichartige Komposition: der Giebel von Ägina (Bd. 1, Abb. 12) faßt
seine vier Einzelgruppen so durch die Säulen zusammen, wie Lionardo
durch die Tischböcke und läßt ihre Bewegung ebenso an der göttlichen
Mittelfigur abprallen. Aber der entscheidende Unterschied ist, daß
die Wand hinter dem Renaissance-Werk verschwindet, während die antike
Komposition nur in und mit der Architektur Bedeutung hat. Gewisse
Gleichartigkeiten in der Entwicklung sind jedoch auch hier nicht zu
verkennen. So entstehen auch hier aus der strengen, dabei zaghaften
Auffassung des Frührenaissancemeisters Können und Pathos, aus dem
unsicheren Vielerlei die Einheit der großen Bewegung, und es darf
uns nicht wundernehmen, hier die Antithese von Skopas und Praxiteles
wiederzufinden, die Steigerung des Ausdrucks zu gleicher Zeit nach den
beiden scheinbar entgegengesetzten Richtungen zartester Lieblichkeit
und kräftigsten Bewegungsausdruckes. Zog sich dieser Gegensatz schon
durch die ganze Frührenaissance, in der der umbrische Kreis ausnützte,
was Florenz sich erarbeitet hatte, wie Athen einst das Körperstudium
der Dorer, so gewinnt er jetzt in Raffael und Michelangelo seinen
stärksten Ausdruck. Raffael (1483-1520) fängt noch ganz altertümlich
an; seine Vermählung Mariä ist keineswegs als räumlicher Organismus
verstanden, der Vorgang im Vordergrund ist ohne Beziehung zum Raum, in
dem hier und da einzelne Gestalten ohne Zusammenhang mit der Handlung
verteilt sind. In seinen reifen Werken aber, etwa von 1506 ab, schmiegt
sich die Handlung vollkommen mit dem Raum zusammen. Die Komposition
wird räumlich gegliedert, während andererseits die Verteilung der
Gestalten den Raum in allen seinen Teilen belebt und zugleich die
Entfernungen bestimmt. Ebenso wie Raffael gelernt hat, den Menschen in
seinen Bewegungen zu verstehen und zu formen, hat er aus dem Bild einen
bewegten Organismus geschaffen, in dem alles Flächenhafte sich gelöst
hat. Allein er bleibt dabei immer ruhig und zart bis zur Weichheit. Er
zeichnet gelassen stehende, ruhig schreitende und lagernde Gestalten
und seine Komposition beruht nicht auf der Wirkung von Kontrasten,
sondern auf der weichen Führung der Bildlinien, auf feinster Abstufung
im Nebeneinander der Gestalten. Ganz anders Michelangelo. Er empfindet
nicht nur Schönheit, sondern seelische Erschütterungen. Seine Menschen
sind in scharfen Richtungskontrasten bewegt, so daß ihr Ausdruck
sich bis aufs äußerste steigert, und die Komposition seiner Werke
beruht nicht auf feinfühliger Abstufung, sondern auf der Dramatik des
Gegensätzlichen. Man nehme seine Erschaffung Adams aus den Fresken
an der Decke der Sixtinischen Kapelle (Abb. 8). Zwei Massen begegnen
einander. Gottvater durch die machtvollen Linien des Mantels mit
den Engeln zusammengeballt, und Adam, dessen stark differenzierte
Bewegung durch die Linien des Hügels hinter ihm zusammengenommen ist.
So treffen sich die Hände, von deren Berührung die bewegende Kraft in
den Körper strömt, im leeren Raum, und der Kontrast verbindet sich
zur Einheit. Zu diesem räumlichen Gegensatz tritt der Gegensatz der
Gestalten. Gottvater und sein Gefolge erscheinen als eine ungeheure
Masse. Man sollte meinen, gegenüber dem machtvoll thronenden Gott der
frühen Renaissance müsse dieser heranfliegende würdelos erscheinen.
Allein daran ist nicht zu denken. Gott und die ganze Masse von Engeln
um ihn sind durch gewaltige horizontale Linien zusammengeschlossen,
und er überspannt mit der Wucht seines Körpers ihre ganze Schar. Der
Akt Adams ist dagegen aufs feinste gegliedert. Mit beabsichtigter
Gegensätzlichkeit sind der rechte Arm und das linke Bein gebeugt,
liegen das rechte Bein und der linke Arm wagerecht. So bekommt
der Körper Schwere und ist doch alle seine Bewegung durch diese
Wendungen und die Drehungen in Hüfte und Hals Gottvater zugewandt. Die
Differenzierung der Gelenke geht bis in die Finger, von denen nicht
ein Glied ohne Beugung, ohne Bewegung ist. Dieses Verständnis des
menschlichen Körpers in seinem dreidimensionalen Wert, vor dem auf
unserem Bilde alles Landschaftliche zurückstehen muß, ist die neue
Erkenntnis Michelangelos, auch wenn sie ihm selbst nur Ausdrucksmittel
ist. Der letzte Gedanke an die Fläche des Gemäldes ist verschwunden;
die Gestalten bewegen sich vollkommen im Raum. Man wird von hier aus
verstehen, warum Michelangelo, der von der Plastik herkommt, seine
stärksten Gedanken über die Bewegung des Aktes im Gemälde niedergelegt
hat, wo die räumlichen Entwicklungen reicher ausgesprochen, mehrere
Gestalten zueinander in Gruppenbeziehung gesetzt werden konnten.
Die Bildfläche ist völlig zerstört; die Decke hat ihren Sinn als
Raumabschluß völlig verloren. Die Fresken der Frührenaissance waren
wenigstens noch annähernd durch die Wand gebunden. Michelangelos
flächensprengende Fresken an der Decke der Sixtinischen Kapelle aber,
zu denen auch die Erschaffung Adams gehört, bedeuten den vollkommenen
Verlust des tektonischen Zweckgefühls.

[Illustration: Abb. 8. Michelangelo. Erschaffung Adams. (Rom,
Sixtinische Kapelle.)]

So ist die Stilentwicklung der Renaissance festgelegt: Architektur
und Kunstgewerbe beginnen noch sachlich; dann nimmt die Dekoration
überhand, und der Schmuck vernichtet die Form. Plastik und Malerei
gehen parallel. Sie beginnen mit flächenmäßig entwickelten Gestalten,
um dann mit gestärktem Körper- und Raumbewußtsein die Grenzen zu
sprengen. Auch hier ist, wie in der Antike, die Lockerung in der
Haltung des Menschen die Folge; eine Gestalt wie der Adam des
Michelangelo ist ohne Beispiel. So wird es als Parallelbewegung
verständlich, daß in der Frührenaissance die gerade, fast steife
Haltung, in der Hochrenaissance die gelöste, ungezwungene
gesellschaftlich als vornehm gilt. Es ist dieselbe Differenz wie
zwischen dem Apollo von Tenea und der Art der Praxitelischen Zeit, und
auch hier führt sie zu immer stärkerer Vernichtung des Tektonischen im
Gefüge des Kunstwerks, zum Barock.



Zweites Kapitel.

Die bürgerliche Gotik in Deutschland und die sogenannte deutsche
Renaissance.


Wenn es noch irgend eines Beweises dafür bedürfte, daß die Bewegungen
der Kunst mit den allgemeinen Kulturbewegungen zusammentreffen, so
würde ihn die Erscheinung geben, daß zur Zeit der Gotik und der
Spätgotik, die in Deutschland erst nach 1500 der Renaissance weicht,
das deutsche Bürgertum wie das italienische sich in seinem Erstarken
einen Stil der Profankunst schafft, der vollkommen gotisch und doch
von sachlicher Formbildung ist. Eine stärkere bauliche Logik läßt
sich kaum denken, als in der Anlage des spätgotischen Rathauses
von Saalfeld in Thüringen (Abb. 9). Es ist notwendig, dem Nahenden
den Eingang zum Hause kenntlich zu machen, entweder mit leiser
Selbstverständlichkeit, wie bei der romanischen Kirche und dem Palast
der italienischen Frührenaissance, oder mit lauterem Hinweis, wie im
Stil der Gotik und der Spätrenaissance. Allein der Stil des deutschen
Bürgertums ist hier von besonders fein durchbildendem Gefühl. Er
empfindet den Eingang zusammen mit der Treppe als den Verkehrsweg im
Haus, als einen einheitlichen Teil gegenüber dem Gesamtorganismus. So
wird die Wendeltreppe hier hinter einem von spätgotisch krausen Linien
gerahmten Portal in einem gekanteten Treppenturm geführt und dieser
halb aus der Mauer hinausgelegt, so daß er in ihrer gleichmäßigen
Fläche die stärkste Bedeutung erhält. Zugleich aber ergibt sich ein
Vorteil für den Innenraum, der diese Anlage mit veranlaßt haben muß.
Sie ermöglicht es nämlich, die emporführende Treppe auf mehr als
die Hälfte jeder Windung von Fenstern begleiten zu lassen und so
auch hier die gleichmäßige Lichtverteilung des Zimmers zu erzielen.
Um die Vollkommenheit dieser Lösung zu erkennen, genügt es, darauf
hinzuweisen, wie bei den eingebauten Treppen unserer Zeit, auf die in
jedem Stockwerk nur ein Fenster führt, dieses Fenster unerträglich
blendet, während fast die ganze Länge der Treppe im Dunkel bleibt.
Wollte man nun aber in der Treppe tatsächlich einen bequemen
Verkehrsweg schaffen, so war es notwendig, den Treppenturm so zu
legen, daß von ihm aus alle Teile des Hauses gleichmäßig leicht zu
erreichen waren. Daher kommt es, daß die Treppentürme in den Höfen
des Merseburger und Marburger Schlosses in die Ecken gelegt sind,
während der Turm des Saalfelder Rathauses nahezu in der Mitte liegt.
So werden beim viereckigen Schloßhof die Ecken betont, während der
Turm hier die Wandfläche gliedert, nicht nach dem Gesichtspunkt der
Symmetrie, sondern mit zweckvoller Notwendigkeit. Die unsymmetrische
Anlage der Erker, die von vollkommener Schönheit ist, ist ebenso rein
aus dem Zweck gewonnen. Es ist nicht nur Eigentümlichkeit des Rathauses
von Saalfeld, sondern fast Regel in dieser Zeit, in die Wandfläche
Erker von viereckigem, an die Hausecke, wenn sie zugleich Straßenecke
ist, Erker von rundem Querschnitt zu legen, um von der Ecke aus den
vollkommenen Umblick, von der Wand aus sowohl den Überblick über die
eigene, wie über die gegenüberliegende Straßenseite zu gestatten. Man
kann an den Bauten der Gegenwart überall sehen, wie viereckige Erker
an der Ecke jeden weiten Blick, flachrunde in der Wandfläche das
Überschauen der darunterliegenden Straßenseite unmöglich machen. Den
energischen Abschluß gibt dann dem Saalfelder Rathaus das hohe Dach,
kräftig belebt durch die großen Linienführungen der Quergiebel, die den
Treppenturm begleiten.

[Illustration: Abb. 9. Saalfeld. Rathaus.]

Dieselbe Logik des Zweckbewußtseins bedingt die Einheitlichkeit im
Verhältnis von Innenbau und Außenbau. Die Anlage der Fenster ist
natürlich innen und außen dieselbe; wenn aber etwa beim Fachwerkhaus
dieser Zeit jedes Stockwerk über das darunterliegende etwas vorragt,
so werden die Unterzugbalken des Innenraumes einfach nach außen
weitergeführt, tragen so den überhängenden Gebäudeteil und geben dem
Außenbau nicht nur dieselbe Klarheit der baulichen Konstruktion wie dem
Innenbau, sondern motivieren ihn geradezu durch diesen.

Dessen Durchführung ist ebenso tektonisch bedingt. Ein gotisches
Zimmer, wie etwa das, in das Albrecht Dürer seinen heiligen
Hieronymus gesetzt hat (Abb. 10), ist von sicherer Klarheit der
architektonischen Konstruktion. Zwei mächtige Unterzugbalken, senkrecht
zur Fensterwand durchs Zimmer geführt, tragen eine Balkenlage, auf
der die eigentliche Decke ruht. So kennt man genau die Festigkeit der
Decke. Sie gibt zusammen mit der klaren Ruhe der Wand dem Zimmer jenes
Sicherheitsgefühl, das für den Bewohner die Behaglichkeit bedeutet.
Die warme Farbe der Holztäfelungen und die Verteilung des Lichtes
durch die Anlage der Fensterwand wirkt hierzu mit. Sie ergibt sich
mit zwingender Logik aus der geringen Intensität des Lichtes im
Norden; während unter dem klaren Himmel Italiens das Fenster schmal und
hoch ist, nimmt es in Deutschland den oberen Teil der Wand in seiner
ganzen Breite ein und ergibt so eine gleichmäßig ruhige Verteilung
des Lichtes. Es ist kein Zufall, daß die Gemälde dieser Epoche, die
in unseren Museen hängen, nicht bei hellem Sonnenschein, sondern bei
dem gleichmäßigen Licht des bedeckten Himmels die höchste Kraft ihrer
Farben entwickeln und geradezu von innen heraus zu leuchten beginnen.
Sind sie doch für das ebenso gleichmäßige und wenig intensive Licht des
breiten Butzenscheibenfensters gemalt worden.

[Illustration: Abb. 10. Albrecht Dürer. Der heilige Hieronymus.]

[Illustration: Abb. 11. Niederrheinische Schnelle.]

So erklärt sich der Eindruck harmonischer Schönheit bei den Bauten der
bürgerlichen Gotik. Außenbau und Innenbau sind in vollkommener Einheit,
weil beide allein abhängig sind vom Zweck und damit jeder durch den
anderen bedingt ist; nirgends drängt sich das Ornament vorlaut in die
ruhige Klarheit des organischen Gefüges. Es gibt überhaupt kein Haus in
dieser Zeit, das nur gebaut ist, um schön auszusehen, und eben deshalb
sind die unverletzt erhaltenen Häuser und Straßenzüge von vollkommener
Schönheit. Denn nicht nur die Schönheit des einzelnen Baues, auch die
des größeren Organismus, der Stadt, ist wesentlich Zweckschönheit.
Die Art, wie der Marktplatz aufgebaut ist, wie Brunnen und Rathaus
und Zunfthäuser auf ihm stehen, wie die Straßen einmünden, ist genau
geregelt nach den Forderungen des zuströmenden Marktverkehrs, die
Anlage der Stadt den Terrainverhältnissen angepaßt und nicht, wie
heute, das Terrain einem willkürlichen Schönheitsgesetze unterworfen.
Daher jener erstaunliche Zusammenhang mit der Natur in Nürnberg oder
Heidelberg, daß es scheint, als wüchse die Architektur wie eine
wurzelnde Pflanze aus dem Boden.

Allerdings leben die Stilelemente der kirchlichen Spätgotik fort,
aber sie werden nur dort wirksam, wo Schmuck gefordert wird, also an
bürgerlichen Prunkbauten wie dem Rathaus von Münster in Westfalen.
Noch widerstreitender erscheint dieses Nebeneinander von bürgerlichem
Zweckstil und prunkhafter Spätgotik im Kunstgewerbe. Der Tisch
in Dürers Hieronymus (Abb. 10) ist ganz konstruktiv gewonnen. Man
stellt zwei Bretter hin, die die Platte tragen, steckt zwei schmale
Balken durch dazu ausgeschnittene Löcher in ihnen und hält das Ganze
durch außen vorgelegte Keile zusammen. Aber gleichzeitig entstehen
elegante, hochbeinige Prunkmöbel wie der Stollenschrank, deren Flächen
aufgelöst sind in dem graziösen Maß- und Krabbenwerk des spätgotischen
Ornamentes. Beim Gerät greift diese Spaltung der Formstile noch
tiefer ein. Das Gebrauchsgerät, aus dem billigen Ton, ist absolut
tektonisch. Beispielsweise ist die niederrheinische Schnelle (Abb. 11)
ein walzenförmiges Gefäß, dessen obere und untere Begrenzung durch
ringförmige Säume ausgedrückt, dessen Oberfläche aus dem Eigenmaterial
des unglasierten Tones gebildet ist. Das goldene Prunkgerät dagegen
wird zunächst spätgotisch reich bewegt und geziert, um dann schnell zu
ebenso reichen Renaissanceformen überzugehen (Abb. 14 und 15). Denn die
italienische Renaissance wird in Deutschland nicht tektonisch, sondern
nur ornamental wirksam. Ihre Formen treten einfach an die Stelle der
spätgotischen Schmuckelemente, ohne das Gerüst wesentlich zu ändern.

Schon in der Kunst der römischen Kaiserzeit überraschte die
Leichtigkeit, mit der man fremde, selbst exotische Formen aufnahm und
sich assimilierte. Hier -- bei der deutschen Spätgotik -- finden wir
die gleiche Fähigkeit, und das Rokoko hat sie ebenso besessen. Denn
das Streben nach Formenreichtum, das im Charakter dieser dekorativen
Epochen liegt, mußte in den Gebilden fremder Kunst viel reichere
Vorbilder sehen, viel stärkere Ausdrucksmöglichkeiten finden, als
in den mit dem Geschmack des Stiles entwickelten und daher für ihn
weniger interessanten eigenen Formen. So erklärt sich die Freude
an den zu Trinkgefäßen gefaßten Straußeneiern und Nautilusschalen,
ja, es findet sich selbst zartes chinesisches Seladon-Porzellan in
gotische Silberstreifen gefaßt, wie später in die Bronzeranken des
Rokoko. So erklärt sich aber auch die Gier, mit der sich die deutsche
Spätgotik auf die Formen der italienischen Renaissance stürzte, sie
vollkommen zusammenhanglos in die eigene Dekoration mit aufnahm und
die eigenen Formen in sie wandelte, Pfeiler in Baluster, Laubwerk in
Akanthus, Fialen in Obelisken, Maßwerk in Voluten, ohne daß dadurch
etwa ein einheitlicher Renaissance-Stil in Deutschland entstand. Es
ist eben falsch, den Stil nur nach dem Ornament zu benennen. Vielmehr
kann man durchaus sagen, daß die sogenannte deutsche Renaissance
nur eine deutsche Spätgotik mit italienisierendem Ornament ist.
Vielleicht versteht man auch von hier aus, wie es möglich war, eben
bei Albrecht Dürer, dem Hauptmeister der deutschen Renaissance,
dessen Hieronymus-Stich gleichzeitig ist mit der sixtinischen
Decke Michelangelos, so rein die Formen der deutschen Spätgotik
wiederzufinden.

[Illustration: Abb. 12. Dürer. Der Sündenfall.]

Gerade bei Dürer (1471 bis 1528) wird es deutlich, daß der Stil
dieser Zeit mit allen Wurzelfasern in der Spätgotik haftet. Der Kampf
zwischen den alten Formen und dem neuen Kunstwollen war es, der bei
ihm alle Schaffenskraft entwickelte. So stark wie er hat keiner um
die neue Schönheit gerungen; ihm genügt es nicht, die Vorbilder der
Italiener verstehend nachzubilden, ihm genügt es nicht, die Schönheit
zu schaffen, sondern er ringt um sie, wie Verocchio, und sucht ihrer
Gesetze Herr zu werden im Studium der Proportionen. Daß er es an dieser
formalen Schönheit nicht Genüge sein ließ, sondern in seinen Bildern
phantastisch reichen Formen und Gefühlen Ausdruck gab, unterscheidet
ihn vom Italiener der Renaissance. Allein eben dieses Interesse am
Gedanken, das naturgemäße Resultat der gotischen Geistesrichtung,
gehört zum Spätgotischen seiner Erscheinung. So erklärt sich im
Hieronymusblatt die fein empfundene Stimmung des Gelehrtenzimmers,
so aber erklärt es sich auch, daß er selbst in dem Werke, in dem er
vielleicht dem italienischen Schönheitsgefühl am nächsten gekommen
ist, im Sündenfall von 1504 (Abb. 12), dessen Gestalten ganz auf Grund
seiner Proportionsstudien entstanden sind, in wesentlichen Zügen
Spätgotiker bleibt. Man sieht freilich, es ist eine neue Schönheit
in diesen Gestalten, die mit stolzer Bewußtheit zur Schau gestellt
wird. Allein schon die Art, wie der Akt uns hier vor Augen tritt, ist
Beweis einer neuen Gesinnung. Zwar, auch das Mittelalter hat Adam
und Eva nie anders als nackt geformt (Bd. I, Abb. 45). Aber erst in
der Renaissance wird die Nacktheit des menschlichen Körpers die
entscheidende Form seiner Schönheit, während sie vorher nur Symbol
war, und Dürers Stich ist das wichtigste Denkmal der neuen Gesinnung
in Deutschland. In diesen schlanken und doch kraftvoll geformten
Gestalten ist von dem überzierlichen Schönheitsgefühl der gotischen
Kurve keine Spur. Großlinig werden die Körper umgrenzt, großflächig
durchgeformt, und die ruhig fließende, durch keine Einschnürung
zerstörte Linie des Frauenkörpers steht der Antike so nahe, wie weniges
damals selbst in Italien. Die Freude an so großen einfachen Formen
hatte dann die fast primitive Anordnung im Gefolge, die in diesem
Kupferstich die Körper in breiter Vorderansicht zur Schau stellt,
die Köpfe aber ins Profil wendet. Allein die krause Zeichnung des
zierlichen Lockenhaares verrät noch das spätgotische Gefühl, und ebenso
die Bevorzugung des leichtgestützten Spielbeines. Es ist ungemein
bezeichnend, daß das erste Problem, das Dürer aus der italienischen
Renaissance übernimmt und mit hartnäckiger Intensität studiert, gerade
dieses zwanglose Stehen mit gehobenem Fuße ist. Es liegt noch ein
Rest von der Spitzfüßigkeit der späten Gotik in seinem Interesse an
dieser Art des Stehens. Ja, das Problematische des Zeitalters, sein
innerer Widerstreit, macht das ganze Blatt zwiespältig. Diese klassisch
gedachten Akte stehen vor einem Hintergrunde von spätgotischem Reichtum
und spätgotischer Enge, ohne auch nur den Versuch zu machen, mit
ihm zur Bildeinheit zu verschmelzen. Spätgotisch gefühlt ist diese
Zerlegung des Waldes in Einzelstämme, ihre Überschneidung durch das
ornamenthaft knorrige Geäst mit seinen krausen Blättern. Allerdings gab
Italien damals die klarste Antwort auf viele Fragen der Raumgestaltung
und Körperbildung, die schon das 15. Jahrhundert gestellt hatte, und
das erklärt den Enthusiasmus, mit dem Dürer und seine Zeitgenossen,
besonders Hans Holbein d. ä., seine Lösungen ergriffen. Aber eine
Einheit, ein Stil entsteht auch in der Malerei nicht. Dürer gelingt
in den Werken seiner letzten Jahre eine Synthese deutschen Reichtums
mit italienischer Größe, die ihm das innere Gleichgewicht, seinen
Werken die monumentale Sicherheit gibt. Aber noch in der nächsten
Generation steht neben Hans Holbein d. j. (1497-1543), dessen Werke
die renaissancehafte Ruhe erreicht haben, Mathias Grünewald, der die
gotische Gefühlserregtheit bis zur Ekstase treibt und seine Altäre mit
gotischem Laubwerk krönt.

[Illustration: Abb. 13. Peter Vischer. Sebaldusschrein (sog.
Sebaldusgrab) in Nürnberg. St. Sebald.]

Genau dieselbe Aufnahme der Renaissanceformen in das Stilgefühl der
Spätgotik, wie in der Malerei, findet auch in der Plastik statt. Am
meisten von ihnen berührt wird Peter Vischer. Sein Sebaldusgrab in
Nürnberg, das geradezu als das Hauptwerk der deutschen Renaissance
gilt, ist trotz seiner italienischen Balusterformen das Werk eines
echten Spätgotikers (Abb. 13). Es ist schon bezeichnend, daß man das
früher geformte Reliquiar überhaupt mit einem dekorativen Gehäuse zu
umkleiden für nötig hielt. Die Art, wie der ganze Aufbau nicht fest
auf dem Boden steht, sondern auf Schnecken ruht, die als Füßchen
dienen, wie man das Reliquiar und die Reliefs durch das davorgelegte
kleinformige Gerüst zerschneidet, schließlich die Auflösung des oberen
Abschlusses durch die drei ornamental zerlegten kleinen Kuppeln,
all das ist vollkommen im Sinne der Spätgotik empfunden, und es ist
nicht nur äußerlich interessant, sondern sehr bezeichnend, daß die
Apostelfiguren des Grabes stilistisch den Gestalten des Italieners
Ghiberti so ähnlich sind, den wir ja als einen von gotischer Schulung
noch sehr stark abhängigen Künstler kennen lernten. Peter Vischers
künstlerische Entwicklung geht ähnlich wie die Dürers von der
spätgotischen Zerfaserung zu einer renaissancehaften Beruhigung der
Formen.

Damit ist die kunsthistorische Stellung von Malerei und Plastik
in dieser Epoche gegeben. Sie ist der letzte Ausläufer derselben
Bewegung, die mit der Gotik als Reaktion gegen die zweckvolle
romanische Kunst begann, und in allen Beziehungen ihre höchste
Steigerung. Plastik und Malerei gingen hier denselben Weg, den sie
unter parallelen Entwicklungsbedingungen in der hellenistisch-römischen
Zeit gegangen sind, befreien sich von den Fesseln der Architektur,
werden Freiplastik, Hochrelief und Tafelmalerei, steigern ihre
Ausdrucksformen bis zur höchsten Freiheit des Malerischen und
ihre Ausdrucksmöglichkeiten über die Genrekunst hinaus bis zur
Charakteristik des Menschen, zum Realismus. Aber es ist kein starkes
Bewußtwerden seiner Kraft wie in Italien, sondern die letzte Konsequenz
gotischen Gefühls. So erklärt es sich, daß sich Malerei und Plastik
nicht verhalten wie der neue tektonische Bürgerstil, sondern wie
der spätgotisch kirchliche. Denn sie sind Kirchenschmuck wie die
Monstranz. So bleiben sie noch mittelalterlich dumpf. Erst das bewußte
Erkennen der Umwelt, der Struktur des Raumes und des Menschen konnte
sie zu einer Vollkommenheit bringen, die sie aus eigener Kraft nicht
erreichen konnten. Um so begieriger ergriff das Zeitalter Dürers die
italienischen Lösungen all dieser Probleme: die Erkenntnisse von
Perspektive, Proportion und Anatomie. Das geschieht in derselben
Weise, in der der Norden den Humanismus versteht. Er ist als Trieb
zur wissenschaftlichen Erkenntnis genau so die höchste Steigerung
spätgotisch-mystischer Gefühlserregtheit auf weltlichem Gebiet, wie
die Reformation auf religiösem. Man hat es also keineswegs, wie oft
behauptet wird, in Italien und in Deutschland mit derselben Strömung
realistischer Kunst zu tun. Vielmehr beginnt diese Stilbewegung in
Italien mit der Frührenaissance und erreicht den höchsten Ausdruck
im Barock, während es in Deutschland noch die mittelalterliche Kunst
ist, die hier die letzten ihrer Werke schafft, um unmittelbar darauf
zu erlöschen. Die sogenannte deutsche Renaissance ist so sehr eine
Episode, der eigentlichen Stilbewegung Deutschlands so fremd, daß
die Anlehnung an Italien nur ein letzter Notbehelf ist, um das Ende
dieser tausendjährigen Entwicklung aufzuhalten. Gegen 1550 gibt es in
Deutschland keinen bedeutenden Maler oder Plastiker mehr.

[Illustration: Abb. 14. Gotischer Pokal von 1462 in Wiener-Neustadt.]

Die Aufnahme der italienischen Formen in Architektur und Kunstgewerbe
geschieht ebenso unter Zugrundelegung der alten gotischen.
Die tragkräftigen Balkenköpfe an der Außenseite des deutschen
Fachwerkhauses verwandeln sich in dekorative Konsolen, die hohen Füße
des Stollenschrankes in italienisierende Säulen, ohne das Gerät oder
die Hausfront, geschweige den Grundriß wesentlich umzuwandeln. Das
Resultat ist natürlich ein Kompromiß. So, wenn bei einem Tafelaufsatze
des berühmten Goldschmiedes Jamnitzer die weibliche Figur, die ganz
renaissancemäßig die Schale trägt, aus feinstem Gras- und Pflanzenwerk
emporsteigt, das das Stehen ihrer Füße verunklärt und von genau
derselben Art ist, wie das feinlinige Pflanzenwerk der Spätgotik. Die
Entwicklung eines einzelnen Gerätes, etwa des Pokals, kann den Weg der
neuen Formen vielleicht am klarsten aufzeigen.

Die Gliederung des gotischen Pokals (Abb. 14) ist nicht Klarlegung,
wie beim romanischen Kelch (Bd. I Abb. 46), sondern Bewegung des
Gefäßes. Auf schmaler, durch hohe Buckel zerteilter Platte hebt ein
dünner, steil ansteigender Fuß den nach oben sich verbreiternden Leib
des Gefäßes empor. Buckel begrenzen die Kuppa am oberen und unteren
Rand, aber von ihnen laufen Zungen aus, die sich lückenlos ineinander
verzahnen und so diesen Teil des Gefäßes in sich zusammenschließen.
Wenn von seinem unteren Rand aus loses Rankenwerk nach unten
weiterleitet, so führt das den Fuß ebenso in sich zurück, wie die
Doppelvolute die ionische Säule. Obgleich der Deckel durch einen
schmalen Rand gegen das Gefäß abgegrenzt wird, bildet er doch in allen
Linien dessen unmittelbare Fortsetzung. Dann erst stockt die Bewegung,
und hastig endet der Pokal in einen dünnen Stab, der nicht Deckelgriff
ist, sondern den Sinn der gotischen Kreuzblume hat. Das Verhältnis
des gotischen Pokals zum romanischen ist also dasselbe, wie das der
gotischen Kirche zur romanischen. War für den Eindruck des romanischen
Kelches nur der Zweck seiner Teilung bestimmend, so geht hier die
Absicht auf eine Eleganz, die in dem Aufbau ebenso zum Ausdruck kommt,
wie in der Ausgestaltung der einzelnen Teile. Schlank und schmal steigt
das Gerät pfeilschnell in die Höhe, und alle größeren Formen an ihm
sind zerspalten durch Buckel und Ornamente in Treibarbeit oder in
plastisch aufgelegtem Email, so daß auch in der Dekoration an Stelle
der flächenmäßigen romanischen Verzierung die plastische getreten ist.
Und nun werden gegen das Ende des Jahrhunderts die Einzelformen immer
stärker herausgehoben gegenüber der Grundform, die Buckel stärker
herausgetrieben, die Zungen in Windungen um den Pokalleib gelegt,
so daß er geradezu in Drehung befindlich scheint, wie die Säulen
des Braunschweiger Domes. Allein das bedeutet zugleich eine erhöhte
Wichtigkeit der Buckelreihen, die nicht mehr mit den gegenüberliegenden
eng verflochten sind, sondern einen Wert bekommen, der sie dann im
Buckelpokal der Renaissance zur wichtigsten Gliederung macht (Abb.
15). Seine Abstammung vom spätgotischen Pokal ist evident; es ist
derselbe schmale Fuß, derselbe breite Leib, dieselbe schmale Endigung
im Deckelgriff. Allein hier handelt es sich nicht mehr um Bewegung,
sondern um Ordnung, nicht mehr um die gotische Senkrechte, sondern um
die renaissancehafte Wagerechte. Die drei Buckelreihen von Körper und
Deckel wollen allein von der Proportion aus verstanden sein. Von der
mittleren aus, die so energisch ausladet, der oberen des Pokalleibes
also, wird die Gliederung im Gleichgewicht gehalten. Nicht nur, daß
die untere Buckelreihe des Leibes und die des Deckels, daß Fuß- und
Deckelgriff sich in den Gliederungen entsprechen: es ist aufs genaueste
abgewogen, daß, wenn auf den kleinen Deckelgriff der Deckel mit breiter
Ausladung folgt, über dem hohen Fuß ein schmalerer Buckelkranz sich
anschließt. Allein das ist nur eine schmückende, keine funktionelle
Teilung, nur vom Aussehen, nicht vom Zweck des Gerätes aus gewonnen. Es
will dabei gar nichts besagen, daß die eleganten Formen der Spätgotik
durch die knollige, derbere Art der Renaissance verdrängt worden ist,
etwa der kantige Fuß durch den italienischen Baluster. Darin spricht
sich nur die Absicht auf den wuchtigen, massigeren Eindruck aus. Ein
Ornament an und für sich kann nie konstruktiv sein, sondern wird es
erst durch seine Anwendung. So ist für den untektonischen Sinn dieser
Epoche die Vorliebe für den sog. Ornamentstich ganz bezeichnend, den
Stich ornamentaler Blätter als Vorlage für den ausführenden Handwerker.
Ist schon die Arbeitsteilung zwischen entwerfendem Künstler und
ausführendem Arbeiter charakteristisch für den Sinn der Zeit, so war
es außer Frage, daß diese Vorlagen in den Händen von Handwerkern mit
geringem Stilgefühl ebenso sehr verderblich wirken mußten, wie sie
andererseits das energische Durchdringen der fremden Formen erklären.

[Illustration: Abb. 15. Buckelpokal aus Lüneburg.]

[Illustration: Abb. 16. Zimmer aus Schloß Höllrich. Berlin.]

So wandelt sich auch das gotische Zimmer (Abb. 10) in das der
Renaissance (Abb. 16). Aus der Balkendecke, die als Stützform des
Plafonds dem Raum Sicherheit gab, wird die italienische Kassettendecke,
die nur den oberen Abschluß des Zimmers ausdrückt; aus der wandhaften
Holztäfelung, die das Klima verlangt, wird eine bloße architektonische
Dekoration. Bei einer Lübecker Täfelung (Abb. 17) teilen paarweis
gestellte korinthische Säulen, deren Schaft mit einer reich
ornamentierten Trommel beginnt, die Wand in Felder. Ist schon die Säule
durch diese phantastische Zusammenstellung italienischer Elemente mehr
Schmuck- als Trageform, so ist sie auch tatsächlich funktionslos -- sie
und das Gebälk, das sie tragen sollte, sind als bloße Scheinarchitektur
vor die Wand gesetzt, um deren Erscheinung zu bereichern. Geradezu
peinlich ist dann der Eindruck des Mittelfeldes. Denn hier ist eines
der kraftvollsten Architekturmotive als bloße Dekoration verwertet.
Wir sprachen beim Palast der italienischen Frührenaissance davon, wie
klar die Tragkraft des Bogens sich zum Ausdruck bringt, wenn man seinen
Organismus dadurch klarlegt, daß man die Keilsteine aufzeigt, und den
Schlußstein, der die ganze Konstruktion zusammenhält, figürlich betont.
Dieses edle Motiv wird nun hier aus jedem Zusammenhang gerissen und
einfach als Rahmung verwandt für eine Wappentafel, bei der willkürlich
verknüpfte Architekturteile mit gleicher Unsachlichkeit als bloßes
Rahmenwerk verwertet sind. Es wird also nicht nur der architektonische
Sinn der Wandtäfelung durch die Dekoration verschleiert -- diese
selbst verwendet architektonische Trageformen widersinnig dekorativ
und wendet Steinformen als Holzformen an. Die Vorbedingung hierfür war
gegeben durch das kirchlich spätgotische Stilgefühl, das mit seinen
eigenen Bauformen ebenso umsprang (Bd. I Abb. 62), nur geht die
Ausdrucksabsicht jetzt nicht mehr auf Zierlichkeit, sondern auf Würde,
nicht mehr auf Zerlegung, sondern auf Ordnung.

[Illustration: Abb. 17. Lübeck. Täfelung im Fredenhagenschen Zimmer.]

[Illustration: Abb. 18. Braunschweig, Gewandhaus.]

So kommt es, daß die Fassade, die Schauseite des Hauses, nun plötzlich
eine Wichtigkeit erhält, die sie bis dahin nicht besessen hat, und
unabhängig von der Innenarchitektur zu einem eigenen Ausdruckswert
gelangt (Abb. 18). Zwar die breiten Fenster, die eine so gute
Lichtverteilung schufen, sind noch beibehalten, auch die klaren
Horizontallinien der Simse, die außen anzeigen, wo die Stockwerke innen
sich scheiden. Aber genau so wie in Italien und abhängig von ihm stellt
auch in Deutschland die Hochrenaissance vertikale Gliederungen zwischen
die horizontalen, setzt an die Stelle des sachlichen Ausdrucks den
ästhetischen.

Die Front des Braunschweiger Gewandhauses, 1591 errichtet (Abb.
18), ruht auf einem Laubengang von drei wuchtigen, gleich breit
gespannten Bogen. Durch Säulen sind sie voneinander geschieden, und
Säulen wiederholen in den drei darüberliegenden Stockwerken dieselbe
Einteilung. So ist das eigentliche Gebäude gegenüber dem Giebel zu
einem festen Organismus zusammengeschlossen. Tatsächlich wird hier
ein Gegensatz beabsichtigt: über das Sims, das den Giebel vom Hause
scheidet, geht keine der Gliederungen hinweg. Über ihm setzt eine
neue, reichere Dekoration ein. Die Horizontalsimse verdoppeln sich;
damit sind die scharfgezogenen Grenzlinien zwischen den Stockwerken
zwar verwischt, aber die Mauerfläche ist stärker belebt. Wurden
im eigentlichen Hause je zwei Fenster durch die Säulen zu einer
Einheit zusammengeschlossen, so wird im Giebel jedes Fenster durch
einen Pilaster oder eine Herme vom Nachbarfenster geschieden. In
jedem Giebelstockwerk nehmen diese vertikalen Teilungen die des
darunter liegenden Stockwerks auf, die horizontalen Linien eines
jeden Simses werden durch gleitende Voluten am Rande zum nächsten
Sims emporgeführt, und allegorische Gestalten oder kleine Obelisken
sammeln diese Linien und führen sie über den Umriß des Hauses hinaus
in die Luft. Allein auch das ist Kulisse, ein Randornament, das mit
dem wirklichen Giebelrand nichts zu tun hat, genau so wenig, wie diese
ganze Gliederung mit dem ganz traditionell beibehaltenen Grundriß- und
Aufbautypus dahinter.

Auch in diesem Fassadenaufbau ist gotisches Gefühl überall lebendig.
Gotisch ist das entschiedene Betonen des Aufstiegs, trotz aller
wagerechten Gliederungen. Schon im ersten Geschoß über der Laube
sondert sich das Mittelfenster durch seine Breite heraus, die
Mittelfenster der darüber liegenden Geschosse stehen geradezu isoliert,
in denen des Giebels geht die Linie weiter, steigt immer steiler an
und schließt sich zuletzt mit der Linienführung des Giebels in der
krönenden Figur auf der Spitze zusammen. Man kann nicht umhin, auch
bei seinen Obelisken und Figürchen an gotische Fialenarchitektur zu
denken, wie sich auch zwischen allem Renaissanceornament spätgotisches
Maßwerk als Brüstung im ersten Stock findet, so gleichwertig, daß man
fühlt, wie hier ein dekorativer Stil von einem anderen abgelöst wird,
der nicht strenger empfindet. Tatsächlich geht die Verwandtschaft
bis ins einzelne, und die ganze Fassade ist schließlich nur die
Übersetzung einer spätgotischen, wie der des Rathauses von Münster,
in die Renaissance. Es ist hier dieselbe malerische Tendenz in der
wellenförmigen Bewegung der Wand durch das weiche, regelmäßige
Ineinanderströmen von Licht und Schatten, dieselbe malerische Tendenz
in der Verwischung der Randkontur. Es ist frappant, wie auch hier
eine große Vertikalachse durchgeht und zugleich jeder Rest, den sie
im Ansteigen läßt, von den kleinen Obelisken und Figürchen, die an
der Stelle der Fialen stehen, in die Luft geführt wird. Allein der
Unterschied ist derselbe wie zwischen den spätgotischen Zaddeln und
der frühbarocken Spitzenmanschette in ihrem Verhältnis zum Gewand.
Der Turm der gotischen Kirche und der Giebel des gotischen Hauses
wachsen, wie der Deckel aus dem gotischen Pokal, mit vollkommener
Selbstverständlichkeit aus dem Gebäude hervor, die Renaissance aber
gliedert, grenzt diese Dinge gegeneinander ab und vereinigt sie dann
in überlegter Harmonie. Auch das ist keine funktionelle Teilung, wie
man wohl gemeint hat, sondern eine symmetrische Gliederung durch die
Dekoration mit der Absicht einer bestimmten Schönheit. So wirken die
Fassaden der deutschen Renaissancearchitektur sehr harmonisch, aber
eigentlich nur, solange man sie als Bilder und nicht als zweckbedingten
Aufbau betrachtet.

[Illustration: Abb. 19. Saal im Rathaus zu Danzig.]

Man hat Bauten vom Ende des 16. Jahrhunderts, wie das Braunschweiger
Gewandhaus, schon dem deutschen Barock zugerechnet, und nicht mit
Unrecht. Ist doch gerade das Pathos in der Dekoration das spezifische
Kennzeichen des italienischen Barockstiles. Und es ist bezeichnend,
daß erst in diesem völlig dekorativen Stil eine Eingliederung der
deutschen Kunst in die allgemeine Stilentwicklung erreicht wird. In der
Sommerratsstube des Danziger Rathauses vom Anfang des 17. Jahrhunderts
(Abb. 19) ist die Verschmelzung mit dem italienischen Frühbarock
vollkommen. Alle Täfelungen, Türfüllungen und Möbel sind hier in
pathetisch-schweren Formen gehalten. Die Decke hängt geradezu über dem
Raum, alle ihre Formen wirken nach unten. Allein diese Schwere ist
nicht die Ruhe konstruktiver Ehrlichkeit, sondern das Pathos, das durch
große Formen imponieren will. Während die gotische Zimmerdecke fest auf
Stützbalken lag, die Renaissancedecke, in ihrer Konstruktion weniger
entschieden, in quadratische Kassetten geteilt das Zimmer objektiv
abschloß, hängen hier gewaltige Zapfen, schwer profilierte Kassetten
geradezu von der Decke herab. Sie wird also für das Auge nicht mehr von
den Balken getragen, wie es natürlich wäre, sondern läßt sie von sich
herabhängen; die Dekoration ist nicht mehr logischer Schmuck, sondern
Feind der tektonischen Bedingungen, und strebt danach, an Stelle des
konstruktiven den Stimmungsausdruck, Wucht und Würde, zu setzen. Es
ist von derselben Art, wenn jetzt in der Kleidung die großen, sog.
„Mühlsteinkrausen“ aus Spitzen kommen, die die wichtige Ansatzstelle
des Halses, das eigentliche Scharnier zwischen Kopf und Rumpf, einfach
überbrücken, um die Silhouette der ganzen Gestalt einheitlich zu machen.

So gerät zu dieser Zeit Deutschland völlig in künstlerische
Abhängigkeit von Italien, dessen Kunstformen es zwar nicht
unverarbeitet, aber doch in allem Wesentlichen übernimmt. Im Anfang
des 17. Jahrhunderts vernichtet der Dreißigjährige Krieg Deutschlands
letzte Volkskraft. Das Resultat ist für Deutschland dasselbe, wie
das der dorischen Wanderung für die kretisch-mykenische Kultur, das
der Völkerwanderung für Italien. Im 17. Jahrhundert ist Deutschland
künstlerisch als eine Provinz Italiens anzusehen, im 18. gerät es
wie unter die politische auch unter die künstlerische Suprematie der
französischen Kultur.



Drittes Kapitel.

Der Barockstil.


Während italienische Formen immer stärker in die Kunst Deutschlands,
Frankreichs, der Niederlande eindringen, hat Italien selbst, das so
fast ganz Europa sich künstlerisch unterworfen hat, den Bauausdruck
immer stärker im Gegensatz zur Zweckform entwickelt. Jene Tendenz
auf das Pathos groß wirkender Bauformen, die schon der Renaissance
zugrunde lag, wird im Barock zu einer architektonischen Geste, die,
weit ausholend, an der Villa den Park, vor der Kirche den ganzen Platz
in den Dienst desselben Eindruckes stellt. Der Name des Stiles, der die
bizarre Krümmung der Bauformen bezeichnet, trifft hier so wenig wie
sonst sein Wesen. In Wahrheit handelt es sich um so tiefe seelische
Erschütterungen, daß Visionäre auftreten, wie Ignatius von Loyola, daß
die Kunst überwiegend kirchlich wird und ihre Wirkungen sich bis zur
Ekstase steigern. Kein Stil war innerlich der Gotik verwandter.

Wo die Renaissance vom Kirchenbau sprach, war die Absicht, wie im
Profanbau, äußerste Konzentration der Anlage bei strenger Betonung
von Ecke und Wand. Der fast quadratische Grundriß ist ebenso straff
wie der des Palazzo, und an die Stelle des sammelnden Hofes tritt die
Kuppel. So ist der Idealgrundriß einer Kirche gedacht, den Filarete in
seiner theoretischen Schrift entwirft, und auch Michelangelos berühmte
Kuppel für St. Peter in Rom war so beabsichtigt. Machtvoll sollte sie
den Kirchenraum zusammenfassen, machtvoll den Außenbau krönen. Und
nun ist es charakteristisch für die Stilwandlung, zu sehen, wie das
Barock, der Vollender des Baues, die Absichten des Schöpfers umgeformt
hat. Es hat ein tonnengewölbtes Langschiff vor diese Kuppel gelegt,
so daß am Ende des düsteren Tunnels ihr leuchtender Glanz über dem
Altare um so heller strahlt. Und im Außenbau nimmt die Kuppel die
Formen der Fassade auf; ihre aufwärts fließenden Linien bedeuten für
sie die Auflösung nach oben. So ist sie in Außen- und Innenbau gleich
eindrucksvoll aufgenommen; allein man muß sich fragen, wie es möglich
war, Michelangelos Kuppel in einer Weise zu vollenden, die für unser
Auge die vollkommene Vernichtung der Absichten des Meisters bedeutet.
Hat doch das Barock sich überall an Michelangelo angeschlossen und ihn
gefeiert wie nie einen zweiten.

Die Lösung gibt eine zweite scheinbare Vergewaltigung. Michelangelos
gewaltiger Moses ist vom Barock in S. Pietro in Vincoli in eine viel
zu enge Nische gestellt worden, die uns Heutigen unerträglich auf
das Bildwerk zu drücken scheint. Allein man hat festgestellt, daß
das Barock es liebte, Skulpturen in einen engen Raum zu stellen, um
so ihre Bewegung um so sieghafter erscheinen zu lassen. Von diesem
Gesichtspunkt genommen, ist die Aufstellung des Moses zu ihrer Zeit
eine Idealaufstellung gewesen, trotz der anderen Wirkungsabsicht des
Schöpfers, der eben einer früheren Periode angehörte. Und genau so muß
die Verwendung der Kuppel Michelangelos für den Barockgeschmack eine
außerordentliche Steigerung ihrer Wirkung bedeutet haben. Um das zu
verstehen, ist es notwendig, den Kirchenbau des neuen Stiles genauer
kennen zu lernen.

Es ist dabei fast gleichgültig, wo man seine Denkmäler aufsucht.
Niemals vorher ist der Katholizismus so international gewesen wie
gerade jetzt. Das liegt nicht nur an der Arbeit des Jesuitenordens,
nicht nur an der Arbeit der Kirche selbst; diese ist vielmehr
Gegenwirkung gegen die Loslösung der politischen Faktoren von der
kirchlichen Macht, die ihrerseits immer weniger weltlich, immer mehr
Religion werden muß. Es ist dieselbe Scheidung, die jetzt Wissenschaft
und Religion, welche die Scholastik in sich vereint hatte, voneinander
trennt, und das Endresultat ist die Gesinnungsfreiheit Friedrichs
des Großen: „Hier muß ein jeder nach seiner Façon selig werden.“ Der
Absolutismus der Fürsten, der sich jetzt als Regierungsform entwickelt,
erlaubt der Kirche keine tatsächlichen Eingriffe in die aktive Politik;
allein sie herrscht mittelbar durch ihren Einfluß, der international
und um so gefährlicher ist. Auch dieser staatliche Absolutismus konnte
sich nur als internationaler Gedanke entwickeln. Die Landesgrenze ist
keineswegs mehr die Grenze des Volkes, und über dessen Bedürfnisse
hinweg, oft ohne sie zu kennen, strebt der Fürst nach Idealen
internationaler Kultur, die sein Volk nicht begreift. Wohin das führt,
zeigen die ehrgeizigen Prachtbauten kleiner Fürsten, die es Ludwig XIV.
gleich tun wollten, zeigen aber auch die Versuche Peters des Großen
und Josephs II., ihr Volk zu kultivieren. So ist es kein Zufall, wenn
das Barock nach einem internationalen katholischen Kirchenbaustil
einen ebenso internationalen Palaststil ausgebildet hat. Es ist ganz
bezeichnend, daß die Kirchen des Protestantismus, wenn auch aus
denselben Stilelementen gebildet, doch wesentlich ruhiger geformt sind,
und die protestantische Dresdener Frauenkirche ein Bau von erhabenster
Größe ist.

So haben wir ein Recht, das Beispiel für den katholischen Kirchenbau
nicht aus dem Italien des Vignola, Maderna und Bernini zu holen,
sondern aus dem katholischen Bayern, wo die Zahl der Barockkirchen
schlechterdings Legion ist. Die Theatiner-Hofkirche in München (Abb.
20) bietet nicht nur ein besonders edles Beispiel des Stiles, sondern
gestattet selbst, seine beiden Entwicklungsphasen zu erkennen,
deren jede am Bau Teile, wie Jahresringe, angesetzt hat. In der
Hauptsache 1661-1675 errichtet, ist der mittlere Hauptteil der
Fassade durchaus ein Beispiel des strengen römischen Stiles. In zwei
Geschosse zerlegt, fließt in jedem die Bewegung in großen Wellen
dahin, mit Doppelpilastern im Untergeschoß beginnend, über andere
Pilaster der Mittelachse zugeführt. Das Barock liebt den schweren
Wandpilaster; nur wo die Welle dieser Bewegung einen Moment gehemmt
wird, vor dem Mittelportal, das durch diese Pause seine Betonung
bekommt, steht, überleitend, eine runde Säule. Auf jeder Seite
dieser Mittellinie symmetrisch an- und abschwellend fließt die Welle
über die ganze Fassade, um sich in der Mitte mit großem Schwung zu
erheben. Hier strebt der Bau energisch aufwärts. Was die Reihe der
übereinanderstehenden Pilaster, die durch die Vasen in die Luft gelöst
wird, vorbereitete, gipfelt in der Kontur des Giebels, die allmählich
steigend nach der Mitte sich erhebt. Es ist die Funktion dieses
wichtigsten zusammenfügenden Bauteiles, die in St. Peter von der Kuppel
übernommen wurde. Die Kuppel der Theatinerkirche ist für die Fassade
überhaupt ohne Wert, und eben das ist beweisend für die Absicht, der
Kuppel Michelangelos in der heutigen Verwendung eine beherrschende
Stellung in der Fassade zu sichern. So ist die Wandauflösung
vollkommen. Ihren Eindruck bestimmt nicht der Innenbau, sondern eine
wagerecht durchgeführte und in der Senkrechten gesammelte Bewegung von
erstaunlicher Lebhaftigkeit, vergleichbar dem musikalischen Gebilde der
Fuge, und es ist vielleicht kein Zufall, daß auch diese derselben Zeit
ihre Entstehung dankt.

[Illustration: Abb. 20. München, Theatiner-Hofkirche. Äußeres.]

Die Türme, 1690 hinzugefügt, zeigen in jeder Linie die Absicht, die
Fassadenbewegung noch zu verstärken, zeigen die Ekstase vom Ende des
Stiles. Vom Erdboden bis in den Turmhelm gehen hier die Linien der
Pilaster über die verkröpften Simse hinweg. Und die Weichheit dieser
Übergänge von der Basis in den Pilaster, vom Pilaster in den Architrav,
vom Architrav in das horizontale Sims, vom Sims in die Pilasterbasis
des zweiten Stockwerks und weiter bedeutet für das Auge eine Bewegung
der Wand in vertikaler Richtung, deren Wellen viel leiser, aber auch
viel unabirrbarer ziehen als die des Mittelschiffes. Es ist von
derselben Art, wenn auch die seitlichen Begrenzungen der Türme nicht
streng sind, wenn ihre Wände an den Ecken nicht in scharfen Kanten
zusammenstoßen, vielmehr durch Abstufung der Pilaster in weicher
Biegung über die Ecken hinweggeführt werden. Da diesen Pilastern
nach der Wandfläche zu ebensolche Halbpilaster vorgelegt werden, so
entsteht eine zweite Bewegung in horizontaler Richtung, die der ersten
entgegenarbeitet und dadurch die lebhafte Bewegung des ganzen Bauteiles
bewirkt. Es ist ungemein interessant, daß die Voluten am Turmhelm
keineswegs die Linien der Hauptpilaster weiterführen, sondern von
ihnen aus einander genähert werden, und zwar bis zum gleichen Abstand
voneinander. So hört im Turmhelm die Betonung der Ecke auf, entsteht
eine vollkommene Rundung, die in der Auflösung des Turmes nach oben
zugleich eine Auflösung seiner Motive bewirkt.

Überraschend ist die Verwandtschaft der Fassade mit der Front der
gotischen Kathedrale (Bd. I, Abb. 58). Daß das Malerische der
Gliederung, die auch hier wesentlich als Abfolge von Licht und Schatten
wirkt, die Auflösung durch zwei Türme und einen Mittelgiebel oder durch
Fialen, an deren Stelle hier die Vasen stehen, und anderes an beiden
Kirchenfronten sich findet, ist mehr als bloßer Zufall. Hören wir doch
gerade im Barock von gelegentlicher Wiederbelebung der Gotik. Hat es
doch unzählige romanische Kirchen in seinen Geschmack umzugestalten
für nötig befunden, da sie ihm kahl und nüchtern schienen, aber
keine einzige gotische. Tatsächlich ist zwischen diesen malerisch
empfindenden Stilen eine innerliche Verwandtschaft. Auch im Barock ist
die Ausgestaltung eine lediglich dekorative. Ihre Absicht geht auf eine
Bewegung, die groß und würdig ist. Sie ist zweifellos erreicht, allein
nicht mit der sachlichen Würde etwa des romanischen Stiles, sondern mit
dem Pathos dekorativer Gesten.

[Illustration: Abb. 21. München. Theatiner-Hofkirche. Inneres.]

Wie in der Gotik ist auch hier das Verhältnis zum Innenraum kein
tektonisches, ist nicht bedingt durch den Grundriß des Baues, sondern
durch den wirkungsvollen Eindruck. Auf die in ihren großen Formen
verhältnismäßig ruhige Front folgt ein Kirchenraum von überraschender
Größe des Raumgefühls und, bei aller Pracht, fast klassischen Formen
(Abb. 21). Die Großlinigkeit dieser korinthischen Säulen, Gebälkfriese
und kassettierten Bögen steht zu den kleinen Teilungen derselben
Formen in der deutschen Renaissance (Abb. 17) in völligem Gegensatz.
Nichtsdestoweniger zeigt eine so häufige Form wie die spindelförmig
gedrehten Säulen am Altar wieder eine innere Verwandtschaft mit der
Gotik. In deren Spätstil wurden solche geschraubten Säulen erwähnt,
aber was dort ein Aufwirbeln bedeutet, ist hier ein mühevolles
Sichemporwinden gegen eine drückende Last. Ebenso ist der gebrochene
Giebel darüber zu verstehen, der hier auch im Außenbau vorkommt und
überhaupt charakteristisch für den Stil ist. Zu ebenso großer Bewegung
wie der Einzelteil sammelt sich der ganze, festlich geschmückte
Innenraum. Auf antikisierender Bogenarchitektur ruhend, mit schweren
Tonnengewölben geschlossen, führt das Hauptschiff unter der Kuppel
weg bis zum Altarraum; das Sims vor allem, das die Obermauer des
Mittelschiffs von der Stützenreihe scheidet, ist hier führende Linie.
Die Absicht geht allerdings darauf, im Innen-, wie schon im Außenbau,
die Teile zu großen Wirkungen zu verschmelzen, an Stelle ihrer
tektonischen Scheidung den Zusammenfluß zu geben. So verkröpfen sich
die dekorativen Säulen des Mittelschiffes im darübergelagerten Sims,
um, als Gurtbögen fortgesetzt, das Gewölbe in sich einzubeziehen.
So wächst die Kanzel als Form geradezu aus der Säule heraus, an der
sie befestigt ist, bildet auch der Altar nur einen Bestandteil des
Altarraumes, keinen selbständigen Organismus. Nicht nur, daß das
Fenster in der Kirchenmauer als leuchtendes Auge Gottes zu einem
Glied des Altars wird, ebenso werden seine gedrehten Säulen durch die
Linien der Gewölbe fortgesetzt. Auch der Beginn dieser Tendenz liegt
in Italien. Ihre Geburtsstätte ist vielleicht die Mediceerkapelle
Michelangelos, wo der Meister die Fensteranlage zusammen mit der
Grabanlage schuf, nicht nur mit der Absicht, die volle Beleuchtung
zu erzielen, sondern um bestimmte Ausdrucksakzente in die Figuren zu
legen, etwa durch die Beschattung von Giulianos nachdenklichem Kopf.
Allein wir sehen nun, daß solche Verschmelzung jeden Teil um den
klaren Ausdruck seiner Funktionen bringt und eine charakteristische
Eigenschaft untektonischer bewegungsuchender Stile ist. In der späten
Gotik fanden wir sie ebenso wie im Stil der ausgehenden Antike. Während
der romanische Altar eben nur ein Tisch war, war beim spätgotischen
der Aufsatz Hauptsache geworden, der für das Auge seine feinen Spitzen
mit den ruhelos aufwärts strebenden Pfeilerlinien verflicht. Man wird
nun auch den Außenbau der Barockkirche und seinen Parallelismus zur
gotischen Fassade verstehen. Es handelt sich in beiden Fällen nicht
nur um eine Verknüpfung der horizontalen Geschosse, sondern zugleich
auch um eine weiche Auflösung nach oben, nach Analogie der eben
festgestellten Wirkung um eine Art Verschmelzung mit dem Luftraum.
Und es ist nur natürlich, wenn wir eine parallele Erscheinung auch
im Innenraum der Barockkirche finden. Hier ist die Kuppel zugleich
Zusammenfassung und Auflösung; nach ihr zu öffnen sich Hauptschiff,
Seitenschiffe und Altarraum in mächtigen Bögen. Sie faßt den Raum in
sich zusammen und läßt ihn mit ihrer großen Zahl von Fenstern in den
Luftraum verströmen. Sie beherrscht den Raum, und es war daher keine
Pietätlosigkeit, sondern im Gegenteil die Absicht einer besonderen
Wirkungssteigerung, die der leuchtenden Kuppel Michelangelos ein
düsteres Langschiff vorlegte.

Die Kuppel der Barockkirche ist keine tektonische Verknotung der
Bauteile, wie die der romanischen Kirche (Bd. I, Abb. 41). Sie
schließt den Bau nicht als Architekturglied zusammen, sondern wirkt
durchaus malerisch und zwingt durch ihr Licht das Auge nach der Stelle
des intensivsten Ausströmens hin. Sie ist nicht so sehr Körper wie
Beleuchtungseffekt, ja neben der ruhigen Architektur der romanischen
Kuppel ist sie geradezu formlos. Nicht nur weil bei dieser nur vier
Fenster in den Ecken die Struktur betonen, während hier acht Fenster
das ganze Rund durchbrechen und in Schein und Widerschein ihre Konturen
und die Konturen der Kuppelteilungen verwischen; auch der Dekor wirkt
an dieser Zersetzung mit. Zwar noch werden die Hauptlinien, die
Begrenzungen der Kuppel und der Zwickel, von denen sie getragen wird,
festgehalten, allein überall hinein setzt sich schon das lebhafteste
Ornament, Ranken, die in kompliziertesten Kurven bewegt sind, oder
figürlicher Schmuck. Gerade er gibt den Formen die Überleitung zur
Nebenform, so, wenn der Schlußstein der Bögen, in denen sich das
Hauptschiff nach dem Seitenschiff öffnet, und dem eigentlich ein
ganz tektonisches Gefühl zugrunde lag, in eine Ranke umgeformt wird,
von der aus ein kleiner Engel mit den Händen bis in die Obermauer
hinübergreift, oder wenn die Zwickel, auf denen die Kuppel ruht,
diese wichtigen struktiven Glieder, nicht nur mit reichverschlungenem
Bandornament gefüllt, sondern von ihm geradezu zerrissen und am Rand
vollkommen aufgelöst werden. Für diesen Aufputz fand man im Stuck
den schmiegsamen Stoff, der sich willig jeder Form fügte. Gerade
dieses Material hat ungeheure Verheerungen in den romanischen Kirchen
angerichtet, die man mit seiner Hilfe sehr leicht barock umdekorieren
konnte.

Die vollkommene Überwindung der Zweckbedingungen durch technische
Gewandtheit und die reichste Ausbildung der dekorativen Formen macht
also das Bauwerk frei für jede Art des künstlerischen Ausdrucks. Die
vollkommene Sprengung des früher durch seine natürlichen Bedingungen
begrenzten Raumes ist seine erste Absicht, ihr Resultat an der Fassade
die Auflösung der Stockwerksbegrenzungen nach oben, im Innenbau die
Raumauflösung durch die Kuppel. Daß man andererseits danach strebt, die
Bauteile möglichst miteinander zu verknüpfen, ist nur scheinbar ein
Paradoxon. Vielmehr bedeutet beides eine Aufhebung der funktionellen
Differenzierungen zugunsten einer einheitlich dekorativen Wirkung.

Damit aber hört die Kirche auf, allein ihrem Zwecke zu dienen, und
wird ein künstlerisch repräsentatives Monument. Der Architekt selbst
wird ein großer Hofherr mit vielen Titeln, den man sich von weit her,
in Deutschland meist aus Italien oder Frankreich kommen läßt. Das Wort
„Künstler“ bekommt damals schon jenen Sinn des herrischen Gegensatzes
zum Handwerk. Und die Zünfte führen oft einen verzweifelten Kampf
gegen Leute, die ihnen nicht angehören und unmittelbar im Dienste der
Fürsten an den einträglichsten Stellen stehen. Wie die Kirche wird
auch die Messe aus einem Gottesdienst immer mehr zu einem ekstatischen
Schauspiel. Ihr Eindruck liegt nicht mehr in ihren klaren Worten,
sondern in der Musik, die ausdrucksvoller Träger ihrer Stimmung wird.
Hier bedeutet Bachs Hohe Messe in ~H~-Moll den Höhepunkt. Man darf
die Rückkehr unserer Zeit zu Bach nicht als Rückkehr zum Primitiven
ansehen, wie das wohl geschehen ist. Er ist nicht primitiv. Die
mittelalterliche Messe mochte es sein, die ihre Musik aus dem Rhythmus
des gesprochenen Textes folgerte. Bach ist der echte Barockmeister, wie
Mozart in seinem gesteigerten Ausdruck der echte Rokokomeister ist.
Wie im Credo der ~H~-Moll-Messe sich die Oboe um die Solostimme legt,
das hat seine frappantesten Parallelen im Verhalten der Barockranke zu
den gedrehten Säulen, in deren tiefe Windungen sie sich einschmiegt.
Mit der Messe wird auch ihre Zelebration zum Schauspiel. Wie der Römer
an die Stelle der kunstreichen griechischen Arbeit das Prunken mit
pfundschweren Goldarmbändern setzte, so tritt nun an die Stelle der
fein geformten Geräte die Pracht reicher Gewänder, mit Edelsteinen
übersäter Mitren und Bischofsstäbe. Es macht einen seltsamen Eindruck
von kultivierter Barbarei, im Domschatz zu Limburg a. L. neben den
edlen mittelalterlichen Emailreliquiaren Ornatstücke des Barock zu
finden, die in der Form ohne jede Feinheit sind, bei denen aber die
Fülle der Perlen und glitzernden Edelsteine kein Fleckchen des Grundes
freiläßt.

Diese Absicht, Repräsentation und Prunk geradezu zum Zweck des
Lebens zu machen, ist der Grund dafür, daß sich diese Kultur in den
öffentlichen Bauten ihren wichtigsten Ausdruck geschaffen hat. Die
bürgerliche Baukunst tritt hinter ihnen zurück, sucht jedoch ebenso das
Pathos wuchtiger Formen, wie der Danziger Innenraum (Abb. 19) zeigte.
Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts aber ist die Stilbewegung in eine
neue Phase getreten. Was Italien bisher für das kirchliche Barock ist,
wird Frankreich jetzt für das profane Barock, und sein Einfluß auf die
gesamte europäische Kunst ist nicht geringer dank der Hilfsquellen, die
dem Absolutismus Ludwigs XIV. zu Gebote standen, und der Rolle, die
er im politischen Leben Europas spielte. Es ist ungemein interessant,
hier die Pfade zu verfolgen, die Politik und Kultur verbinden. Sicher
in der Absicht, Frankreichs Kunstindustrie zu heben, verpflanzt der
tüchtige Finanzminister Colbert fremde Techniken nach Frankreich und
gründet hier jene königliche Manufaktur, die unter der künstlerischen
Leitung des Malers Lebrun eine Zentrale des Barockgeschmacks in
Frankreich wird. Zusammen mit den charakteristischen Werken des
Königs, seinen Schloßbauten, wie Versailles, deren bedeutende Meister
Hardouin Mansard und Robert de Cotte sind, wird sie der eigentliche
Träger des Zeitgeschmackes. Aber es ist gar keine Frage, daß diese
offizielle Kunst den letzten Rest der Volkskunst überwinden mußte,
weil sie an Geldmitteln und Nachfrage konkurrenzlos war, und daß sie
in Frankreich wie den übrigen Ländern Europas alle bodenständige Kunst
vollkommen nivellieren mußte. Europa war damals selbst in eminent
nationalen Fragen sehr wenig national gesinnt; in dem zerrissenen
Deutschland herrschten französisches Geld und französische Kultur
unumschränkt. So kann sich im 17. und 18. Jahrhundert von Frankreich
aus eine einheitliche Lebenskultur verbreiten, wie sie in der Gotik
von demselben Lande ausgegangen ist. Auch die deutschen Architekten
der Barockzeit, wie Schlüter (1664-1714) und Neumann (1687-1753),
haben in ihren Schlössern jeden Festungscharakter aufgegeben; sie sind
nichts weiter als Prunkbauten, die nur noch durch die Rücksicht auf den
möglichst wirkungsvollen Eindruck bestimmt sind.

In imposanter Breite lagert sich Balthasar Neumanns Würzburger
Schloßfront, mit den vorgestreckten Flügeln weit nach den Seiten
ausgreifend (Abb. 22). So sehr wird der Ton auf diese repräsentative
Aufrollung der Fassade gelegt, daß das Gebäude unverhältnismäßig
niedrig ist und nur sehr geringe Tiefe hat. Wie beim Kirchenbau werden
auch hier die seitlichen Bauendigungen als Ablauf der Fassadenbewegung
und der Mittelteil als ihr Sammelpunkt durch eigene Frontbildung, sog.
Risalite, betont. In zwei Geschosse geordnet, von denen das untere
gewöhnlich als Sockel gedacht und in Rustika ausgeführt ist, während
das obere schlankere oft noch ein Halbgeschoß (Mezzanin) einschließt,
werden sie durch übereinandergestellte Säulen oder Pilaster einem
Giebelfeld zugeführt, das das Risalit zusammenfaßt. Zwischen diesen
Fixpunkten wird die Wand entwickelt, in gleicher Dekoration, deren
Säulen die wagerechte Bewegung schrittweise begleiten. Aber wie
hier alle Formen reduziert, flächenhaft sind, ist es auch der obere
Abschluß. Seine Führung bleibt wagerecht, eine Attika meist, die den
Bau längs der ganzen Dachlinie auflöst, wie der durchbrochene Kamm das
Reliquiar im Übergangsstil des 13. Jahrhunderts, und diese Auflösung
wird noch weicher durch die Vasen oder Skulpturen, die auf der Brüstung
verteilt stehen. Hinter ihr schließt das breit gelagerte Mansardendach
(so genannt nach seinem Schöpfer, dem Architekten Mansard) den Bau ab.

[Illustration: Abb. 22. Würzburg, Schloß. Gesamtansicht.]

[Illustration: Abb. 23. Würzburg, Schloß. Kaisersaal.]

Es ist beim Palast dieselbe Absicht wirksam wie beim Kirchenbau,
wenn hinter dieser verhältnismäßig ruhigen Fassade sich Räume voll
unerhörten Prunkes öffnen. Vor den Repräsentationszimmern des
Schlosses, die das Gebäude mit ihrer prunkvollen Eleganz beherrschen,
treten alle Privatgemächer zurück. Ein großes Stiegenhaus öffnet
sich im Mittelbau unmittelbar hinter dem Hauptportal. Zwei breite
Treppen steigen in ihm durch die Stockwerke empor, von elegant
geformten Geländern begrenzt, in weichen Kurven sich begegnend,
geschaffen zur prunkvollen Entfaltung festlicher Züge, dabei von
größter Weiträumigkeit, wie die Prunksäle, die sich von ihnen aus
öffnen. Der Hauptsaal desselben Schlosses gibt ein gutes Bild von der
Art, wie hier allmählich von der Absicht möglichst wirkungsvoller
Raumgestaltung alle Zweckgliederungen verdrängt werden (Abb. 23).
Im viereckigen Zimmergrundriß, der den Raum zwischen vier Wände und
vier Ecken gespannt hätte, hat man die Ecken abgeschrägt, und so eine
polygonale, weichere Form gewonnen. Und wenn auch jeder Wandteil
durch dekorative Säulen nach den Seiten, durch das auf ihnen ruhende
Gebälk nach oben abgegrenzt scheint, so wird er doch durch die
Füllung zerfasert. War schon die Täfelung der deutschen Renaissance
bloße Wanddekoration, so folgte sie doch in den Hauptlinien der
äußeren Begrenzung; hier aber arbeitet sie der Wandbegrenzung an
ihren empfindlichsten Stellen geradezu entgegen. Die Gliederung
der Palastfassade lehrte, daß dieser symmetrisch empfindenden Zeit
die seitlichen Begrenzungen und der Mittelteil als die gliedernden
Punkte, als die empfindlichsten Stellen des Gefüges gelten. Gerade an
diesen Stellen setzt im Wandgetäfel das leichte Gerank an, zerfasert
die rechteckige Tafel oben und unten und reißt sie in der Mitte
auseinander. Die Begrenzungen zwischen den einzelnen Wandfeldern
werden ebenso unwirksam gemacht. Bei näherer Überlegung erweist es
sich, daß eben das Sims, das jeden Teil nach oben abzuschließen
scheint, zugleich die einzelnen Felder, über die Säulen hinweggleitend,
miteinander verbindet. So beginnt die Wand in fließender Rundung das
Zimmer zu umkreisen, und diese Bewegung wird dadurch gesteigert, daß
jeweils nach einer horizontal geführten Simspartie ein Aufsteigen
über einer Fenster- oder Türnische einsetzt. Mit ihm ist gleichzeitig
jene Aufwärtsbewegung eingeleitet, die dem Plafond ebenso den Wert
als Abschluß raubt. Sie beginnt vom Fußboden an. Denn die Säulen sind
keineswegs Träger, sondern elegant aufsteigende Dekorationsmotive, und
Beweis dafür ist das untektonische Gefühl im Kapitell. Gerade diesem
entscheidenden Gebälkträger ist jede tragende Kraft geraubt; durch
Ranken wird er aus dem Schaft emporgeleitet, mit weichen Kurven in das
verkröpfte Gesims hinaufgeführt. Von ihm aus streben Zwickel aufwärts,
von einem schon dem Rokoko sich nähernden plastischen Rankenornament
immer bunter, immer reicher bewegt, bis schließlich reich geformtes,
wirr verschlungenes Gerank die Zimmerwände in bunte Fetzen zerreißt.
Dadurch wird jeder festen Abgrenzung des Plafonds gegen die Zimmerwand
so entgegengearbeitet, wie durch den polygonalen Grundriß der festen
Abgrenzung der Wandteile gegeneinander, und ebenso wie die Struktur
der Zimmerwand selbst durch die Ranken des Ornamentes zerstört wird,
zerstört eine illusionistische Dekoration auch den Plafond. Er wird
über unserm Haupt geöffnet wie ein Himmel, in den man hineinschaut, in
dessen Wolken Götter auf Wagen fahren, Genien sich emporschwingen. Hier
ist die Stelle, wo die antikisierende Allegorie eine Stätte zu jeder
noch so plumpen Huldigung an den Herrn des Hauses findet.

Schon Michelangelos sixtinische Decke zeigt die Empfindungslosigkeit
der Zeit für die Funktion eines Plafonds (Abb. 8). Er malte die
Bilder ebenso an die Decke, wie er sie auf die Tafel gemalt hätte. So
führen bei ihm Gemälde und Saaldecke nebeneinander jedes sein eigenes
Leben. Dem Barock aber geht der Zweckwert des Plafonds vollkommen
verloren. Es nützt ihn zu einer Illusion aus, die ihn zerstört. Es kann
vorkommen, daß dieser als geöffneter Himmel gemalte Plafond in Kirchen
geradezu an die Stelle der Kuppel tritt. Die kühnste Fortsetzung der
Wandarchitektur nach oben wird durch die Malerei vorgetäuscht und
mit Gestalten bevölkert. Engel schweben aus ihm empor, und strahlend
scheint über unsern Häuptern der Heilige selbst gen Himmel zu fahren.
Das ist ein neuer Beweis dafür, daß man ein Recht hat, der Kuppel
in der Barockkirche, ebenso wie der Wandgestaltung, wesentlich
raumsprengende, raumerweiternde Wirkung zuzusprechen.

Von hier aus läßt sich die Stilentwicklung und die Stiltendenz
der Barock-Architektur vollkommen übersehen. Von der strengen
Frührenaissance geht der Weg zur Hochrenaissance, in der die Dekoration
mit großen Linien die Wand bewegt, zum italienischen Frühbarock, in dem
das reichere Ornament diese Gliederungen zerfetzt und den Raum sprengt,
schließlich zum französischen Hochbarock, wo Wand und Raum völlig
gelöst erscheinen.

[Illustration: Abb. 24. Schrank des Barock.]

[Illustration: Abb. 25. Sessel aus dem kgl. Schloß zu Berlin.]

Für die Formen, die dieser Kampf der Schmuckformen gegen die Struktur
im +Kunstgewerbe+ schafft, mag ein Schrank aus der Mitte des 17.
Jahrhunderts (Abb. 24) und ein Sessel Beleg sein, wie Abb. 25, der,
etwa um 1700 entstanden, dem Stil des Andreas Schlüter, des Erbauers
des Berliner Schlosses, angehört. Der Schrank entspricht genau dem
Stil des hohen Barock, wie ihn die römischen Kirchen und der Danziger
Saal (Abb. 19) zeigen. Alles an ihm ist massig und schwer. Drei große
Halbsäulenformen geben der Front ihre Wucht, auf Kugelfüßen stehend und
ein weit vorragendes schwer profiliertes Horizontalsims auf schweren
Rankenkapitellen tragend. Schwer, nach der Mitte zu sich verdichtend,
sind auch die Türfüllungen, und die neue Technik der Furnitur, des
Aufleimens edler Hölzer, dient zur Farbenbetonung dieser Schwere. Wo
die Renaissancefüllung (Abb. 17) gelockert und geteilt war, faßt dieser
Schrank zusammen; die spätgotische Bewegung ist endgültig zur Ruhe
gekommen. Den Stilformen nach etwas früher als das Würzburger Schloß,
ist der Berliner Sessel (Abb. 25) für die Entstehung der späteren
Barockformen, besonders für das ornamentale Detail ein gutes Beispiel.
Das Motiv ist aus der denkbar struktivsten Form gewonnen. An den vier
Ecken wird der Polstersitz von vier Füßen getragen, von denen je zwei
durch Leisten verbunden sind, die ihrerseits durch eine Querleiste
zusammengehalten werden, also etwa das Motiv des spätgotischen Tisches,
wie ihn Dürers Hieronymus im Gehäus (Abb. 16) zeigt. Allein wie in der
Architektur ist auch hier überall an Stelle der sachlichen Struktur
ein gewollter Bewegungsausdruck getreten. Er führt, etwa beim Bein
des Sessels, sofort zur Disharmonie. Vom Würfel aus, der den Ansatz
der Leisten bezeichnet, gliedert sich das Bein in einen -- wie bei
allen dekorativen Stilen -- spitzen Fuß als stehenden Teil, der durch
eine abwärts gerichtete Akanthusform zu Boden geleitet wird, und
in einen tragenden Teil, der in gleicher Weise aus einer aufwärts
gerichteten Ranke nach oben steigt, sich plötzlich, in der Silhouette
dem spätgotischen Pokal ähnlich, ausbreitet, noch einmal zusammenzieht,
und ausladend die Last des Sessels aufnimmt. Allein diese Teilung des
tragenden Fußes ist in der Konstruktion nicht begründet. Sie bedeutet
nur ein weiches Hinaufführen des Beines in den Sitz einerseits, ein
Hinabführen in den Boden andererseits, und das Resultat ist die
dekorative Zerlegung eines einheitlichen Gliedes bis zur vollkommenen
Divergenz der Richtungen. Ebenso ist die Wahl des Leistenansatzes zum
Gelenk dieser Teilung ganz willkürlich. Sie hätte allenfalls einen
Sinn, wenn die Leiste hier festansetzen, stark ablaufen würde. Allein
der Würfel dient auch hier dem Auge nur als Vermittlung, da die Leisten
unfest, mit eingerollten Voluten beginnen und als geknickte S-Ranken
weiter laufen. Sie begegnen sich in der Mitte, und an diesem Punkt
setzt mit derselben eingerollten Volute ebenso unfest die Querleiste
an, läuft in denselben Ranken dem Mittelpunkte zu, wo ihre Linien
sich ausladend vereinigen, um dann weich in eine umgekehrte Blüte
auszulaufen. So ist also die Leiste keine feste Trageform, sondern
eine gekrümmte Ranke, und der gliedernde Mittelpunkt, der sachlich
nicht vorhanden, sondern erst durch die Dekoration gefunden ist, ist
nicht struktiv gemeint, sondern weicher Zusammenfluß der Linien. So
entscheidet sich auch hier der Kampf zwischen Struktur und Dekoration
zugunsten der letzteren. Die Formen aber sind noch übersichtlich und
klar, und trotz der weichen Überführungen ist jede Holzform durch die
dem Material angemessenen scharfen Kanten abgegrenzt.

Innerhalb der Flächen, die dadurch bestimmt sind, entwickelt sich
dann das Ornament, das ein gutes Beispiel für die Form des späteren
Barockornaments überhaupt ist. Als flaches Band ist es aus der Fläche
gewonnen, über die es sich wenig erhebt, während seine Form aus der
Bewegung der Gerätteile gefolgert ist. Die feinen Bänder und Ranken,
die sich vom Rande abzweigen, sind es, die dem Auge die Richtung der
Leisten und der Fußglieder erläutern.

Die Vase (Abb. 26) ist ein gutes Beispiel für die bewegungsreiche
Keramik der Zeit, deren Hauptfabrikationsort, Delft, und deren
wichtigste Technik, Fayence, sie repräsentiert. Zwar ist der Fuß gegen
das Gefäß abgegrenzt, das Gefäß selbst durch einen ausladenden Rand vom
Deckel geschieden, zwar scheiden sich die Wandflächen, die den Leib des
Gefäßes bilden, deutlich voneinander. Aber der Fuß ist absichtlich nur
mehr ein kleiner Rand, als tragendes Glied möglichst wenig zur Geltung
gebracht zugunsten der Form des eigentlichen Gefäßes, das, von schmalem
Boden ansteigend, in breiter Kurve sich erhebt, seine Linien über den
Rand hin bis in den Deckel fortsetzt und hier in die Form eines Löwen
ausmündet, der den Deckel mehr krönt, als daß er ihm als Griff dient.
Durch eine gleich weiche Bewegung beginnt man auch die Grenzkanten im
Gefäßleib unwirksam zu machen. Man riefelt die Fläche, so daß auch
hier das Auf- und Abwogen einer Welle das ganze Gefäß umkreist und die
Kanten zum Glied der Bewegung macht.

Zwischen dem Schrank und der Vase liegt dieselbe Entwicklung wie
zwischen dem italienischen Kirchenbarock und dem französischen
Palastbarock, das erste seine dekorativen Gliederungen scheidend,
das zweite sie immer stärker durch reiche Dekoration verwischend.
Gerade der Schmuck chinesischer Motive, der sich gleichmäßig ohne
Rücksicht auf die Gliederung und die Riefelung um die ganze Fläche der
Vase zieht, ist hierfür bezeichnend, und es ist kein Zufall, daß die
Schlösser der zweiten Stilstufe an chinesischen Motiven so reich sind.
In den feinen Linien der Form, die das in Europa damals noch nicht
erfundene Porzellan den chinesischen Geräten gestattete, im Reichtum
buntfarbiger seltsamer Dekoration mit bizarren Landschaftsmotiven,
steif gekleideten Menschen, starr geformten Blumen mußten die
Erzeugnisse chinesischer Kunstindustrie damals für die dekorativen
Tendenzen der abendländischen Kunst unerreichte Vorbilder sein. Man
kopierte chinesische Porzellanvasen im roheren Material der Fayence,
bildete Lackarbeiten nach, und sammelte die Originale mit Leidenschaft,
um sie in eigenen chinesischen Kabinetten, Zimmern von derselben
bizarren Dekoration, aufzustellen.

[Illustration: Abb. 26. Delfter Fayencevase. Um 1700.]

Gerade die Absicht der Stimmungseinheit, die hierin liegt, lernten wir
in beiden Phasen des Stiles als charakteristisch für ihn kennen. Was
im italienischen Barock erst Vereinigung ist, wird im französischen
zur Verschmelzung. Und dieses weite Ausgreifen des Kunstwerks in seine
Umgebung macht es nötig, über die Kunsterzeugnisse im engsten Sinne
hinauszugehen, um den Stil zu verstehen. Denn man sucht der Fassade
durch Ausgestaltung ihrer Umgebung eine genau bemessene Wirkung zu
sichern. Bernini schließt die Peterskirche und den Petersplatz in Rom
zu einer äußerst wirkungsvollen Einheit zusammen, indem er von den
Ecken der Fassade aus Arkaden um den ganzen Platz führt und ihn in die
Anlage mit einbezieht. So wurde der Blick auf streng begrenztem Wege
immer auf die Kirche als sein Ziel geführt und die Wirkung der Fassade
außerordentlich gesteigert. Genau so wie im Schloß jedes einzelne
Zimmer in Form und Farbe der Möbel und der Wandbekleidung eine Einheit
bildet, wie wir den Innenraum mit der Fassade sich zur Wirkung eines
abgestimmten Gegensatzes vereinen sahen, ist die Umgebung des Schlosses
auf seine Fassade abgestimmt. Zu ihr hin führt meist ein Hof, umgeben
von einer Mauer oder von Arkadengängen, die die Wirkungsabsicht der
Kolonnaden vor der Peterskirche in Rom haben; im Hof verteilt, oft
auch statt seiner, stehen staffelförmig gereiht kleinere Gebäude,
die nur dem dekorativen Zweck dienen, das Auge allmählich auf die
breitgelagerte Schloßfront hinzuführen. Hinter dem Schloß öffnet sich
dann der Park, kein naturgewachsener Baumpark mehr, sondern Alleen
künstlich verschnittener Bäume auf kurzgeschorenem Rasen. Schon die
Hochrenaissance in Italien leitet diese Entwicklung ein. Sie schuf
bereits Alleen, die nicht nur zum Schloß führten, sondern bestimmte
wirkungsvolle Ausblicke eröffneten, setzte diese Alleen aus Bäumen
zusammen, die in regelmäßiger Form emporwachsen, vor allem aus Pappeln
und Zypressen, und die in ruhiger Aufeinanderfolge den Wandelnden
geleiten. Jetzt aber breitet sich vor der Gartenfront des Schlosses
ein weiter Platz mit geschorenen Rasenbeeten aus, deren Ränder in
den regelmäßigen Schnörkeln der Barockranke verlaufen, dazwischen
Alleen von Bäumen, die in unnatürliche Kugel- und Pyramidenformen
oder zu glatten fortlaufenden Wänden verschnitten sind. Sie eröffnen
überraschende Ausblicke auf das Schloß und seine Nebengebäude, oder
auf Wasserkünste von erstaunlicher technischer Kühnheit, auf ungeheure
Fontänen in großen Becken, in die kleine Wasserstrahlen von der
Mitte und vom Rande her springen, aus Tritonenhörnern oder aus Urnen
fließend, die von Meergöttern gehalten werden. Man darf sich nicht
wundern, wenn die Absicht so weit geht, selbst über Menschenmöglichkeit
hinaus die Natur diesen Wirkungen untertänig zu machen, wenn das
zerstörte und nur in Abbildungen noch bekannte Schloß Favorita bei
Mainz aus seinen Alleen überraschende Ausblicke auf den Rheinstrom
eröffnet haben muß, und am Ende einer gewaltigen Allee von zwei
geschorenen Baumwänden im Park von Oliva die weite Fläche der Ostsee
sich dehnt. Wir wundern uns nicht, in Anlagen, in denen die Natur so
zur Schaustellung mitwirkt, Naturtheater zu finden, in denen Alleen und
Gesträuche als wirkungsvolle Kulissen dienen. Die dramatische Literatur
und Kunst ist ja in dieser Zeit in Frankreich durch Molière, Racine,
Corneille zur höchsten Wirkung emporgeführt. Und ebenso wie an den
Plafonds der Säle benutzt man die antike Allegorie in pompösen Balletts
zur Huldigung für irgendeinen Fürsten, vergleicht ihn, von dem die
Geschichte uns oft kaum den Namen überliefert hat, mit allen antiken
Göttern und Heroen. Damals werden die Urkunden geschrieben mit Titeln
und Würden, Siegeln und Stempeln, hinter denen keine Macht steht,
damals erscheinen die feierlichen Anreden und die lange, unterwürfige
Unterschrift, damals kommt das Pochen auf Rang und Titel, so daß es
nichts Schwierigeres gibt, als einen Zug von Fürstlichkeiten zu ordnen,
und man eigene Bücher von der Zeremoniellwissenschaft verfaßt hat;
damals aber ist auch die Zeit, in der kein Niedriggestellter sein
Recht finden kann. Die breit auf dem Kopfe thronende Allongeperücke
wird das Zeichen der Würde, die französischen Brocken im Brief das
Zeichen der Bildung, und alle Gefühle werden so ins Äußerliche
übersetzt. Das Hochzeits- oder gar Trauerkarmen, das man selbst
den nächsten Verwandten schreibt, wird guter Ton, und von geradezu
grotesker Komik wird die Verlogenheit, wenn hier der kleine Bürger
mitmachen will, wenn die Stadttore antike Triumphpforten werden, auf
dem Marktbrunnen jedes Nestes ein grollender Neptun erscheint, aus
dem ehrsamen Goldschmied Peter Dingsda in den Innungslisten in einem
Jahr plötzlich ein Monsieur wird, oder Joh. Seb. Bach alle Götter des
Olymps zur keineswegs scherzhaft gemeinten Huldigung an den Obstzüchter
Augustus Müller aufruft. Man trieb solche Dinge bis zur Spielerei,
ließ vom Zuckerbäcker Schaugerichte mit allegorischen Darstellungen
anfertigen, die gar nicht zum Essen bestimmt waren, und benutzte
die Geschicklichkeit des Handwerkers zur Herstellung spielerischer
Kuriositäten und mechanischer Kunststücke. Es ist ohne Sinn, hier
Beispiele zu häufen, genug, daß überall hinter einer prunkvollen
Außenseite ein wenig inhaltreiches Leben sich verbirgt, wie hinter den
bombastischen Buchtiteln der Zeit oft der geringfügigste Inhalt sich
findet, oder die Kriege zwar von den Heeren gekämpft, aber von den
Diplomaten entschieden werden.

Bei diesem Kulturstand der Epoche, bei dieser Steigerung der
individualistischen Tendenz bis zur eigenwilligen Arroganz mußten die
vom Zweck gelösten Künste, mußten Freiplastik und Tafelmalerei zur
höchsten Freiheit künstlerischen Wollens sich entwickeln, Reliefplastik
und Wandmalerei ihren tektonischen Bedingungen sich ganz entfremden.
Es genügt, auf die Illusionen in den Plafonds hinzuweisen, von denen
schon die Rede war, um das ohne weiteres festzulegen. Es kam dazu,
daß die prunkliebenden Fürsten und das reiche Bürgertum durch die
Menge der Kunstwerke, deren sie zur Verewigung ihrer Persönlichkeit
und zum Schmuck ihres Lebens bedurften, dem Künstler ebenso reiche
Arbeitsmöglichkeiten boten. Allein schon von der Plastik wurden
in einem fürstlichen Schloß, an den Wegen seiner Parks, in den
Becken seiner Wasserkünste, an der Fassade und in den Räumen des
Schlosses Hunderte von Skulpturen gefordert, die sie vor eine Fülle
künstlerischer Probleme stellten. Naturgemäß aber stehen in dieser Zeit
die Aufgaben im Vordergrund, die der Verherrlichung des Bestellers
dienen; wie die Poesie der Zeit Huldigungskarmina, schafft die Plastik
Porträts und Denkmäler. Gerade hier spielt die Veräußerlichung der
Gefühle, die dieser Epoche eigen ist, eine Hauptrolle. Nicht nur daß
man pompöse Grabdenkmale aufführt mit Wappen und mit den Allegorien
der Tugenden übersät, wie man den Lebenden mit Titeln überschüttete --
man kommt sogar so weit, der heiligen Dreifaltigkeit und der Madonna
auf offenem Markt Monumente zu setzen, die nicht Altäre, sondern im
eigentlichsten Sinne des Wortes Denksäulen sind.

[Illustration: Abb. 27. Schlüter. Denkmal des Großen Kurfürsten.]

Gegenüber solchen Dingen ist das Monument eines Fürsten, wie Andreas
Schlüters Denkmal des Großen Kurfürsten in Berlin (Abb. 27), nur das
typische Beispiel einer Sitte, die in Frankreich damals zahlreichere
Werke schuf, und zugleich ein äußerst charakteristisches Beispiel
für die Plastik des Barock. Der bauchige Sockel erhält die Struktur
durch vier schwere Ranken an den Ecken, die zugleich die Funktion der
Pilaster in der Architektur ausüben, seine horizontalen Gliederungen
zusammenfassen und aufwärts führen zum ausladenden oberen Rand, über
dem die Standplatte für das Reiterbild ansetzt. Vier gefesselte
Sklaven schmiegen sich eng mit diesen Ranken zusammen, von starrster
Verzweiflung bis zu ergebener Huldigung alle Empfindungen des
unterworfenen Feindes aussprechend, in Gesicht und Körper erregt bis zu
äußerster Leidenschaftlichkeit des Affekts. Von gleich ausdrucksvollem
Pathos ist die Gestalt des triumphierenden Fürsten. Sein Roß schreitet
erregt vorwärts, die Mähne gesträubt, die Nüstern gebläht, energisch
in der Bewegung, die über das absichtlich schmale Postament Kopf
und Hals hinausführt. Wir sahen ja, daß das Barock Skulpturen in
zu enge Nischen setzt, um ihren Ausdruck zu steigern. Die ruhige
Sicherheit des Reiters bekommt ihren Wert durch den Kontrast, in
dem das Zurückbiegen und die stolze Seitwärtsdrehung seines Körpers
zu dem vorwärtsgerichteten Schreiten des Pferdes steht. Das Werk
ist ausgeglichen in Kunstform und Gedankeninhalt. Die Kunstform hat
jenes feine Verschmelzen und Ineinanderstimmen der Teile, das wir
als Stileigenschaft kennen lernten, bis ins feinste durchgebildet.
Wie die Sklaven den Ansatz der Ranken verhüllen, um von den Stufen
zu ihnen eine weiche Überleitung zu schaffen, wie die Reiterfigur
diese aufsteigenden Linien fortsetzt, die sich im Haupt des Mannes
vereinigen, ist außerordentlich fein berechnet. Man denke an ein
Reiterstandbild der Renaissance, etwa Donatellos Gattamelata. Dort
ist der Sockel durchaus nur Träger des Denkmals. Dem Barock aber, dem
die weiche Linienbewegung Stilbedingung ist, muß Schlüters Bildwerk
ein Muster von Würde gewesen sein. Denn überall dort, wo lebhaftere
Empfindungen geweckt werden sollten, wäre im Barock das Monument
jäh vom schmalen Postament aufgestiegen, während dieses langsame
Ansteigen von breiter Grundfläche äußerst würdig gewirkt haben muß.
So begreift sich der Sinn der pompösen Allongeperücke, während jene
lebhafte Bewegung das Interesse der Zeit am ägyptischen Obelisk
erklärt. Beruht so die architektonische Wirkung im Denkmal auf der
harmonischen Verschmelzung der Teile, so beruht die innere Wirkung auf
der energischen Differenzierung der Kontraste. Der Gesamteindruck des
Monuments ist bedingt durch den Gegensatz zwischen den Unterjochten
und der Triumphgebärde des Herrschers, zwischen besiegter Schwäche
und siegender Kraft. Der Kampf spielt in dieser Zeit dieselbe Rolle
wie in der Kunst der hellenistisch-römischen Epoche auch. Und die
Wirkung beruht ebenso auf dem Gegensatz des Besiegten und des Siegers,
von denen der eine unser Mitleid um so mehr erregt, je mehr wir
der Stärke des anderen uns freuen. So wird im Barock die Kraft des
Siegers gewalttätig bis zur Roheit, die Hoheit, wie im Denkmal des
Großen Kurfürsten, stolz bis zur pathetischen Geste, die Schwäche
des Unterliegenden gesteigert bis zur sentimentalen Weichheit. Daher
die vielen Schilderungen von mythologischen Kämpfen zwischen Männern
und Frauen, die uns gerade jetzt, etwa bei dem Hauptmeister der
italienischen Barockplastik, Lorenzo Bernini, begegnen, Apoll und
Daphne, Pluto und Proserpina, am ausdrucksvollsten Rubens’ Gemälde:
Die Amazonenschlacht und Der Raub der Töchter des Leukippus. Auch
hier ergibt sich dasselbe wie in der deutschen Spätgotik und der
spätrömischen Kunst, daß erregtester Zorn und sentimentalste Weichheit
nur Ausdrucksformen derselben dramatischen Erregung der Zeit sind.

Hand in Hand damit geht die physische Erregung in der Körperbewegung
der Gestalten. Die Zeit hat die Studien der Renaissance weiter geführt,
kennt den Körper bis in die letzten Geheimnisse des Gelenkes, weiß
jedes Glied zu bilden und zu bewegen und nutzt diese Kenntnis aus bis
zur letzten Möglichkeit dreidimensionalen Ausdrucks. Man nehme etwa den
vordersten Sklaven des Denkmals, bei dem jedes Glied im Kontrast zum
anderen steht, schon hier, wo die Gestalt doch durch ihren Hintergrund
gebunden ist, während bei Freiskulpturen, namentlich bei Gruppen,
der Körper sich nach allen vier Seiten hin entwickelt. Einer kühnen
Bewegung zuliebe, an deren Gelingen man sich freut, wird die Grenze
manierierter Verdrehung oft hart genug gestreift. Und alle diese
Bewegungen sind um so eindrucksvoller, je momentaner sie sind, um so
interessanter und reicher, je mehr sie für den nächsten Augenblick
eine Veränderung verheißen, und, wie beim römischen Laokoon, um so
kräftiger, je kleiner das Hindernis ist, gegen das die Bewegung sich
richtet. Die Kleinheit der Ketten, mit denen die Sklaven an den Sockel
des Kurfürstendenkmals gefesselt sind, ist ein gutes Beispiel dafür.

Es ist von vornherein anzunehmen, daß die Malerei sich nach denselben
Geschmackstendenzen entwickelt, parallele Erscheinungsformen schafft
und daß diese nur gemäß der größeren technischen Beweglichkeit
mannigfaltiger sich aussprechen. Denn die Plastik, deren Werke
materiell kostbar sind, ist in dieser Epoche die eigentlich höfische
Kunst geblieben, während die Malerei und mehr noch der Kupferstich
bis in jedes Bürgerhaus gelangen konnte. Man darf sich also nicht
wundern, die Malerei geradezu in sozialen Schichten entwickelt zu
sehen. Sie erscheint als repräsentative Malerei, die mit antiken
Mythologien großen Formates Wände und Decken der Paläste füllt, und
als bürgerlicher Zimmerschmuck voll einfach klaren Gefühls, ein
Unterschied, der selbst im Porträt fühlbar wird. Immer aber steht sie
ganz selbständig, oft, wie wir sehen, selbst auflösend, innerhalb der
Architektur, die diese vorgetäuschte Raumerweiterung ebenso fordert,
wie einst im pompejanischen Haus. Auch hier also handelt es sich um den
räumlichen Ausdruck des Bildes, der gegenüber der Renaissance freier
und reicher geworden ist. Landschaften, Räume und Körper sprechen in
den naturgesehenen Lichtabstufungen die räumlichen Differenzen aus,
und allein die impressionistische Malweise und die schnelle und weiche
Radiertechnik, deren Aufkommen für diese Zeit bezeichnend ist, vermag
sie vollkommen wiederzugeben.

Allein innerhalb dieses gemeinsamen Stilgefühls differenzieren sich
die einzelnen Kunstkreise sehr stark. Während Italien teilweise durch
seine früh erworbene Kenntnis des Körpers zu weichlichem Manierismus
gelangt, bringt Venedigs starkes Farbengefühl in Veronese einen
großen Dekorator, in Tintoretto einen genialen Ekstatiker, in Tiepolo
(Gemälde auf Abb. 23) einen fast schon pleinairistischen Lichtmaler
hervor. Der spanische Kreis mit Velazquez (1599-1660) und Murillo
(1618-1682) ist nicht weniger monumental, aber feiner im malerischen
Ausdruck. Gerade hier ist der Naturalismus in den Porträts, in den
Darstellungen aus dem Volksleben, selbst in der Mythologie von starkem
Wirklichkeitsgefühl getragen. Aber eine außerordentlich feinfühlige
Licht- und Farbenbehandlung ordnet alles Gegenständliche der großen
Bildwirkung unter. Im aristokratischen Flandern, dessen Hauptmeister
Rubens (1577-1640) und van Dijk (1599-1641) sind, dient die Malerei
hauptsächlich denselben pompösen Zwecken, zu denen das Zeitalter
die Plastik verwandte. Des van Dijk, unter dem Einfluß von Rubens
entstandenes Altarbild mit den beiden Johannes (Abb. 28) ist nur
im Rahmen einer Altararchitektur, wie auf Abb. 21, zu verstehen.
Nicht nur, daß das Heroische im antiken Sinne und mit antiker Geste,
Gewandung und Nacktheit ausgedrückt an Stelle des Geistigen tritt
-- die Bewegung der Gestalten ist Fortführung des architektonischen
Rahmens, nicht denkbar ohne die gedrehten Säulen an der Seite, und die
Kurve, mit der der Adler des Johannes dessen Bewegung fortführt, wirkt
wie die Bewegung der Giebelfeldplastik im Risalit. Gegenständlich und
künstlerisch reicher entfaltet sich die Kunst in den Niederlanden. Der
Boden dieses kleinen Landes, in dem ein reiches Bürgertum den Ertrag
seines Handels nützt, ist Wurzelland für alle wichtigen Strömungen der
Kunst, die von hier aus auf andere Länder, wie Spanien und das wenig
tüchtige Deutschland sich verpflanzen. Wie die Baukunst hier keine
Prunkpaläste schafft, sondern behagliche, wohnliche Bürgerhäuser,
so ist auch die Malerei in ihrer schlichten Auffassung wie in
ihren anspruchslosen Formaten für das Bürgerhaus berechnet, aber
vielgestaltig und kraftvoll. Nur die besten Namen ist hier zu nennen
möglich. Der froh-kräftige Impressionist Franz Hals, von Landschaftern
der pathetische Ruisdael und der feiner differenzierende Hobbema,
der Delfter Vermeer, der mit letzter Feinfühligkeit die Farbstimmung
des Innenraumes gibt, Brouwer und Ostade, die Szenen aus dem Leben
des Bauern und Bürgers mit gegenständlich und farbig gleich großer
Ausdruckskraft malen. Ganz einsam aber steht unter ihnen Rembrandt van
Rijn (1606-1669). Wie seine Kunst in immer fortschreitender Vertiefung
religiöse und menschliche Themata bis zu Visionen von nie erlebter
Gefühlstiefe steigert, wird bei ihm das Licht aus einem realistischen
Ausdrucksmittel zu dem für Einheit und unwirkliche Steigerung
des Werkes entscheidenden Wert. Wenn er, je älter, desto mehr,
Impressionist wird, so deshalb, weil er immer sicherer im Erschauen
der inneren Vision wird, wie der moderne Künstler zum Impressionismus
gelangt aus der Sicherheit, mit der sein Auge den äußeren Eindruck
aufnimmt.

[Illustration: Abb. 28. Van Dijck: Johannes der Täufer und Johannes der
Evangelist. Berlin.]

Von dieser Tendenz der Zeit auf das malerisch Bewegte aus wird man
verstehen, warum die Bandornamente des Barock einen guten Teil
ihrer räumlich auflösenden Wirkung durch den Gegensatz ihrer hellen
Fläche gegen den beschatteten Grund erhalten, und warum diese Epoche
eine so durchaus koloristische Ornamenttechnik geschaffen hat wie
die Boulearbeit, die im Gegensatz von vergoldetem dichtem Ornament
auf tiefrotem Grund geradezu die nächste Verwandte der spätantiken
Verroterie ist. Ja die Auflösung aller Bau- und Gerätformen durch
plastisch hohe Dekoration ist im Grunde malerisch gefühlt, wie in
der späten Antike und in der Gotik. Das Barock ist ein Stil, der den
wirkungsvollen Eindruck entwickelt hat auf Kosten des Zweckgefühls
in Architektur und Kunstgewerbe, die ganz dekorativ geworden sind,
während Malerei und Plastik selbständige, sogar bevorzugte Künste
werden. Das Rokoko bedeutet nichts weiter als eine noch stärkere, noch
konsequentere Ausbildung dieser Prinzipien.



Viertes Kapitel.

Der Stil Régence und der Rokokostil.


Schon im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts beginnen neue
Gedankengänge Kulturinhalt der Zeit zu werden. An Stelle des Pathos
wird die Grazie der Affekt der Zeit so sehr, daß alle Künste, auch
die Architektur, miniaturenhaft produzieren, und das Leben, in allen
Poren von Kunst durchtränkt, ihre Gesinnung vollkommener ausdrückt,
als sie selbst. Die Tracht des Barock wollte mit ruhigen Gewändern
und Mänteln von dunkler Farbe, mit dem großen weißen Kragen und
der Perücke dem Träger einen Ausdruck von Würde geben, schon ohne
Rücksicht auf den Körper. Beim Rokoko aber tritt an die Stelle
der ruhigen die grazile Linie, und damit die Kunstform des Körpers
so sehr in Gegensatz zu seiner Naturform, daß kaum die Tracht der
kretisch-mykenischen Epoche ihn so in ihre Fesseln zwang. Wennschon
beim Manne die Verengung der Kleidung in der Taille, die prall
anliegenden Kniehosen und Seidenstrümpfe mehr auf Zierlichkeit als
auf irgendwelche Arbeitsleistung berechnet sind, so hebt der breite
Reifrock der Frau die Zierlichkeit der kleinen Schuhe auf hohem Absatz
und der schmal geschnürten Taille hervor, und Busen und Arme sind, zur
Hälfte entblößt, reizvoller im Kontrast zum bekleideten Teil. So beruht
auch hier noch ein wesentlicher Teil der Wirkung auf dem Gegensatz,
auch wenn er zarter abgestimmt ist. Denn das Rokoko ist keineswegs nur
weich. Allein schon eine Erscheinung wie Mozarts Musik müßte hier das
Gegenteil beweisen, die die unerhörte Dramatik des Don Juan und der
Symphonien neben die köstliche Musik seiner Intrigenopern stellt. Dabei
ist ein Werk wie die „Entführung aus dem Serail“ ebenso bezeichnend für
die exotische Bizarrerie des Rokoko wie das chinesische Teehäuschen im
Park von Sanssouci.

Gerade diese Entwicklung in der Musik vom pompösen mythologischen
Ballett des Barock zur Oper, zur Symphonie, zum Quartett Haydns und
Mozarts, ist ungemein bezeichnend für die Differenz zwischen den
beiden Stilen. Für das Rokoko ist der Genuß Sinn und Ziel des Lebens
und die Liebe mit ihrer für unser Gefühl affektierten, für das der
Zeit feinfühligen Sentimentalität. Verborgene Pavillons, versteckte
Teehäuschen, lauschige Grotten im dichten Garten werden die bevorzugten
Zufluchtsorte dieser galanten Zeit und die Aufgabe der fürstlichen
Architekten. Fraglos bedeutet diese Annäherung an die Stimmungen der
Natur eine psychische Verfeinerung, die eines ihrer interessantesten
Denkmale in Haydns „Jahreszeiten“ gefunden hat. Man liebt an der
Natur nicht mehr, wie die holländischen Landschafter, die kraftvolle
Schönheit im Wechsel ihres Ausdrucks, sondern die idyllischen
Stimmungen der Wiesen und Bäche, und es ist das Unerhörteste von
Unwahrhaftigkeit, wenn die vornehmen Damen und Herren des Hofes
das Leben des Menschen in der Natur zu leben glauben, wenn sie im
affektierten Schäferkostüm liebeln und ländliche Feste geben von dem
Geld, das den Ärmsten im Volke abgepreßt ist.

Dieser Übergang vom Barock zum Rokoko vollzieht sich wesentlich unter
Führung des französischen Hofes, und es ist nicht unberechtigt,
wie man schon die letzte Stufe des Barock als Stil Ludwigs XIV.
bezeichnet hat, so auch die folgenden Phasen mit den Namen der
französischen Herrscher zu verknüpfen. Allein auch hier wird deutlich,
wie wertlose Klassifikationen unsere Stilbenennungen sind. In dieser
Zeit ästhetischer Kultur bildet jede Generation einen neuen Stil,
aber keiner läßt sich streng vom anderen scheiden. Alle sind nur
Übergangsphasen, und gerade der Stil der +Régence+, der, nach der
Regentschaft des Herzogs von Orleans (1715-1723) genannt, am Anfang
dieser Entwicklung steht, bezeichnet nur den Übergang vom Barock zum
Rokoko, dort, wo sich die Übergangsformen am eigenartigsten aussprechen.

[Illustration: Abb. 29. Kommode des Régencestiles.]

Eine Kommode dieses Stiles, wie Abb. 29, zeigt aufs deutlichste den
Weg, den man zu gehen willens ist. Der Zweck jedes Teiles ist mit
voller Absicht durch seine Form negiert. Der Fuß steht nicht fest --
seine Endigung biegt sich in einer Bronzeranke, und er selbst ist,
wenn auch in der Form vierkantig, so doch in der fließenden Kurve
einer zart geschwungenen Linie bewegt. Im Leib der Kommode setzen
sich seine durch feine Bronzelinien hervorgehobenen Konturen fort.
Der äußere Rand geht ohne weiteres in die seitliche, der innere Rand
in die untere Begrenzungslinie des Kommodenkastens über. Der ist
keine Truhe mehr, wie noch der Schrank des hohen Barock (Abb. 24). In
geschwungener Linie ist er nach unten, in geschwungener Fläche nach
vorn und den Seiten bewegt, und obendrein ist über seine Vorderseite
eine Chinoiserie, chinesische Blumen und Landschaften, gemalt, nicht
nur ohne Berücksichtigung der Schubladen, die herausgezogen das Bild
für den Moment zerstören mußten, sondern mit der offenen Absicht, jedem
funktionellen Ausdruck dieser Gerätteile geradezu entgegenzuarbeiten.
Denn wie hier durch das Bild werden die Fugen gelegentlich durch
Bronzebeschläge in Rankenform zugedeckt. Von irgendwelcher Abgrenzung
tragender und getragener Teile, wie noch beim Barockgerät (Abb.
25), ist gar keine Rede mehr; dessen abgesetzte Bewegung ist zur
fortlaufenden geworden und die Absicht geht allein auf die graziöse
Form. Und genau so frißt in der Zimmerdekoration die Zerfaserung durch
das Ornament weiter, das noch immer bandartig, aber schon weniger flach
ist.

[Illustration: Abb. 30. Schloß Amalienburg bei München. Spiegelsaal.]

Man sollte meinen, daß eine noch intensivere Zerstörung der Zweckformen
überhaupt nicht denkbar wäre. Und doch hat der Stil Louis XV., das
eigentliche Rokoko, das etwa 1725 einsetzt, jedes Gefühl für die
Funktion im Bauorganismus bis zu einem solchen Grade vernichtet,
daß im wandlosen Wohnraum das Gebrauchsgerät feinliniges Gerank
geworden ist. Ein Gemach, wie der Spiegelsaal der Amalienburg (Abb.
30), von Cuvilliés um 1740 gebaut, hat auch das letzte gliedernde
Gerüst aufgegeben und das Zimmer wie in einem schimmernden Meer
glitzernden Gerankes gelöst. Was von der Zimmerwand noch übrig
ist, hat jede Flächenhaftigkeit verloren, ist vollkommen zersetzt
durch das weichlinige Ornament. Der Stil meidet geradezu solche
Holzflächen, verkleidet sie mit Gemälden, deren romantisch sehnsüchtige
Landschaften sie noch intensiver zersetzen, am liebsten aber, wie in
unserem Beispiel, mit Spiegeln. Bedeuten die beiden andern Arten der
Wandfüllung eine Zerstörung ihrer Fläche, so bedeutet der Spiegel
ihre vollkommene Regierung. Wo er steht, ist die Wand einfach nicht
vorhanden, und das Spiegelbild tritt an ihre Stelle, das einen neuen
Raum hinter sich zu öffnen scheint. Gerade hier wird klar, wie
die raumerweiternde Tendenz des Barock eigentlich erst jetzt zur
konsequenten Ausbildung gelangt. Man liebt es, den Spiegel einer weiten
Flucht von Zimmern gegenüberzustellen, oder einem anderen Spiegel,
so daß jeder im andern ein unendliches Hintereinander von Räumen
vortäuscht. Leuchtet dann die große Lichtkrone in der Mitte, so ist der
Eindruck von einer fast märchenhaften Körperlosigkeit. Und während noch
im Saal des Würzburger Schlosses (Abb. 23) der Grundriß eckig war und
die Wandteile sich durch die Säulen gegeneinander abgrenzten, umzieht
hier die Wand das Gemach in weicher Rundung, in der Wellenbewegung
vorspringender Wandteile und rückspringender Nischen, deren Füllungen
durch das Geflecht des Ornaments miteinander verbunden sind. Denn wie
die Türfüllung, das Gemälde, der Spiegel in sich als Wandfläche nicht
fest sind, so sind sie es auch nicht in ihrer Umrahmung. Von den
vorgestreckten unteren Ecken, von der ausgeschweiften Seitenrahmung
sendet der Spiegel feine Ranken aus und klammert sich mit ihnen in die
umgebende Wandfläche. Wie die Wand den weichgerundeten oberen Abschluß
des Spiegels durch hängende Blumengewinde mit sich verbindet, sendet
der Spiegel ihr Ranken entgegen, verknüpft sich durch eine breite
Leiste, die der Rahmen am Beginn der oberen Rundung aussendet, mit
den Nebenfüllungen, und verläuft nach oben in ein Gitterwerk, dessen
geschwungene Begrenzungslinie durch musizierende Putten, durch Vasen,
Füllhörner und andere Bildungen ebenso aufgelöst wird, wie es selbst
die Wandfläche zerstört, auf der es aufliegt. So wird zugleich der
Übergang in die Decke gewonnen, die sich in ebenso weicher Kurve an
die Zimmerwand anschließt, wie diese selbst um das Zimmer geführt
ist. Denn die beiden Leisten, die als einzige Überbleibsel der
horizontalen Barocksimse sich oberhalb der eigentlichen Wand rings um
das Zimmer ziehen, sind kaum als trennende Glieder gedacht, vermitteln
vielmehr durch ihre eigene Abstufung, durch ihre Wellenbewegung und
die ornamentale Zerfaserung den Übergang um so unauffälliger. Gerade
hier läßt sich das Rokoko-Ornament in der ganzen Feinheit seines
Gefüges studieren. Während die Barockranke (Abb. 25) in ihrer Führung
übersichtlich war, so daß Haupt- und Nebenzweige sich klar voneinander
scheiden, die einzelne Ranke eckig und bandartig flach, in ihrer
Struktur also ruhig, ist die Rokokoranke unübersichtlich in ihrem
ornamentalen Reichtum, biegsam und rund in ihrer Linienführung und
Modellierung. Man trifft keine gerade Linie in diesem Ornament, bei
dem die reichste Bewegung Schönheit ist, und die fein geschwungene
Kurve des ganzen Gebildes noch in der letzten Ranke nachzittert. So
sind die muschelartigen Gebilde mit kurvigen Endungen Hauptmotive
und die felsartigen Ornamente, Rocaillen, die dem Stil den Namen
gegeben haben. Und wenn auch jedes Motiv, wenn Putten und Tiere,
Vasen und blumenvolle Füllhörner, Pflanzen und Girlanden sich mit
ihnen zu einem bunten Reichtum vereinigen, so werden doch die Vasen
rankenartig gebogen, die Putten in vielkurvigen Drehungen bewegt, die
Füllhörner gewunden. Jedes Ziermotiv wird weich und schmiegsam wie
die Ranke selbst, die sich in tausend Fasern löst, drängt sich in sie
hinein, hemmt ihren Verlauf, und die Feinfühligkeit der Modellierung
vereint sich mit der Zartheit der Farbenstimmung zur wohltönenden
Harmonie. Wenn in der Amalienburg das matte Kerzenlicht über die
Silberranken und ihren hellblauen Grund gleitet und mit seinen
Schatten die zarten Formen modelliert, so ist ein Reichtum kleinster
Schönheiten, eine Stimmung gegeben, die dem verfeinerten Auge den
höchsten Genuß gewähren. Und doch muß man sich gegenwärtig halten, daß
dieser Stimmungseindruck erreicht ist auf Kosten jeder Energie, daß
das Rokoko ein aufs äußerste verfeinerter Dekorationsstil ist, aus
dessen Formen auch der letzte Rest von Sachlichkeit gewichen ist. Das
konstruktivste Gerät wird zum bloßen Ornament: während der Sessel des
Barockstils doch wenigstens Sitz und Fuß trennte und auf seinen Füßen
stand, geht auf den Sesseln unseres Saales das Polster durch die weiche
Vermittlung des Ornamentes in die Beine über, die ihrerseits nichts
weiter als feingezeichnete Ranken sind, springt ein Tisch nur wie
eine feingeschwungene Ranke aus der Wand vor. Ebenso hat ein Gerät,
wie das Paar Kaminböcke (Abb. 31), jeden Zweckausdruck verloren und
ist zum bloßen Ornament vor dem ebenso ornamentalen Kamin geworden.
Die Funktion der Böcke ist ja ganz zwecklicher Art: festzustehen und
die brennenden Scheite zurückzuhalten. Aber selbst den Ausdruck dieser
einfachen Funktion erstickt das Rokoko in geradezu genialer Weise. Das
Gerät ist nichts weiter mehr als ein breites Rankengewinde, rund und
weich, das nicht fest auf dem Boden steht, sondern aus einer ebenso
weich zusammengerollten Ranke sich emporwindet, sich zurückbiegt, sich
verschlingt, um in einer elegant aufsteigenden zerfaserten Blütenform
zu endigen. Und zum Überfluß hat man auf dieses Gerät, von dem man
kaum begreift, wie es überhaupt steht, noch ein Chinesenpaar gesetzt
und Papageien, die sich zwar äußerst graziös in dem Gewinde bewegen,
aber in Größe und Realität der Erscheinung außer allem Verhältnis zur
Ranke sind und dem Ganzen selbst den letzten Rest von Wirklichkeitssinn
nehmen, das Gerät zur bloßen Spielerei machen.

[Illustration: Abb. 31. Kaminböcke des Rokokostils in Schloß
Fontainebleau.]

[Illustration: Abb. 32. Rokokoterrine im Kölner Kunstgewerbemuseum.]

Bei dieser Weichheit und Schmiegsamkeit der Ornamente mußte das
Streben der Epoche von vornherein dahin gehen, auch in der Keramik
einen gefügigeren Stoff zu finden, als die dickwandige, in ihrer
Struktur fast grob geschichtete Majolika. Das dünnwandige chinesische
Porzellan, das den feinen Formen sich so schmiegsam fügte und die
zarte Bemalung so willig in sich aufnahm, war das Ideal der Zeit. Daß
man es nicht nur um seiner Schönheit willen sammelte, sondern sein
Herstellungsgeheimnis auch als Ausdrucksmittel für die eigenen, ebenso
graziösen Formgedanken zu besitzen strebte, war nur naturgemäß. Daß
man Majolikavasen in chinesischem Stil herstellte (Abb. 26), war für
das Barock ein Ersatz gewesen, dessen Abstand von der Qualität der
Originale trotz der Verfeinerung der Technik stets fühlbarer werden
mußte. So kam es schließlich, daß man um die Wende des 18. Jahrhunderts
chinesische Porzellane übermalte oder europäische Vorlagen in China
auf Porzellan kopieren ließ. Seltsam bizarr umgestaltet erscheinen
die würdevollen Kupferstichporträts des holländischen Barock von
chinesischen Schlitzaugen gemalt. Aber die Experimente, die den
kostbaren Werkstoff für das Abendland erobern wollen, laufen vom Beginn
der Barockzeit durch die ganze Epoche, und als schließlich, etwa im
Jahre 1709, Böttger in Dresden das Geheimnis des Porzellans enthüllt
hatte, wurde Meißen sein Hauptfabrikationsort und das Porzellan
selbst der wichtigste, fast der einzige Stoff der abendländischen
Keramik. Allerorten entstehen nun Fabriken; mit List und forschender
Arbeit, mit Gewalt und Bestechung sucht man sich des Geheimnisses der
Fabrikation zu bemächtigen, ein deutliches Zeichen für das Bedürfnis,
das die Zeit nach einem keramischen Material von dem starken Glanz
und der Formbeweglichkeit des Porzellans hatte. So lassen sich vom
zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts an die Stilphasen des Rokoko
an der ungeheuren Fülle der erhaltenen Porzellangeräte am subtilsten
verfolgen. Zeitlich und stilistisch fallen die ersten Stücke mit dem
Übergangsstil zusammen, den wir unter dem Namen Régence kennen lernten.
Noch stoßen die Wandflächen gern in Kanten zusammen, allein sie sind
der fließenden Linien halber elegant gebogen; Henkel und Ausguß sind
zwar vom Gefäß abgesetzt, bewegen sich aber in weichen Kurven. Von hier
aus zeigt das Porzellan den Gang der Entwicklungslinien bis in die
feinsten Abstufungen: wie die Kanten verschwinden, die Wand rund um
das Gefäß läuft, sich immer stärker krümmt und biegt, wie die Henkel
immer weicher aus dem Gefäß hervorgehen, bis schließlich in einer
Terrine, wie Abb. 32, um 1740 der vollkommene Rokokotypus erreicht
ist, wie ihn die Amalienburg und die Kaminböcke uns schon kennen
lehrten. Der Körper der Terrine hat jeden Halt in der Form verloren,
ist vollkommen in Bewegung aufgelöst. In kräftiger Kurve biegt sich
das Gefäß aufwärts, lädt in der Mitte in einer zweiten Welle weit
aus, um in einer wieder beruhigteren Bewegung zu endigen, in die der
Deckel, kaum durch eine schmale Grenzlinie vom Körper getrennt, mit
aufgenommen ist. Diese Bewegung kreuzend läuft noch schneller, noch
ruheloser die Seitwärtsbewegung, die nicht in einfacher Rundung
auf- und abschwillt, sondern jedesmal eine stark ausspringende Kante
zwischen zwei Ausbiegungen schiebt, die in dem starken Glanz des
Porzellans ein außerordentlich erregtes Licht- und Schattenspiel
entwickeln. Die Weichheit dieser Bewegungen fordert als Vollendung ein
allmähliches Abschwellen des Gefäßkörpers nach außen. So kommt es, daß
man das Gerät nicht fest hinstellt, sondern, als letzte Konsequenz der
Löwenklauen der Hochrenaissance, Füßchen unterschiebt, die in ganz
weichem Übergang die Kurve des Gefäßes als zusammengerollte Ranken
fortsetzen und jeden Eindruck festen Stehens vermeiden. Ebenso sind die
anderen Zweckglieder des Gefäßes, Henkel und Deckelgriff, funktionslos
gemacht und zum gleichen Ausklingen der Gefäßform verwandt. Dort,
wo die mittelste Ausladung den Gefäßleib am stärksten nach außen
biegt, setzen zwei in ihren weichen Formen sehr charakteristische
Rokokoranken, die an Stelle der Henkel Halbfiguren von Mädchen tragen,
die Linie fort. In weicher Kurve läuft der Deckel nach oben aus; Putten
schmiegen sich in seine Form und geben den Übergang zum Apoll, der
als Deckelgriff das Ganze krönt. Ungemein bezeichnend ist die Gestalt
dieser Figuren für den Geschmack der Zeit: wie die gekreuzten Beine
Apolls absichtlich parallel den ansteigenden Deckellinien verlaufen,
wie die stark zurückgebogenen Oberkörper der Henkelfiguren mit ihrem,
auf geschwungener Nackenlinie vorgeschobenen Kopf die Formen der
Rokokoranken vollkommen stilgemäß fortsetzen und die Bewegungen ihrer
Arme wie Rankenausläufe behandelt sind, wie schließlich die weich
geformten rundlichen Köpfe als Knaufendigungen empfunden werden. Man
begreift von hier aus, warum Säle, Sessel und Gärten dieser Zeit vom
stilvollen Menschen eine ganz bestimmte kurvige Haltung verlangten.
Die Eigenart des Rokokocharakters präzisiert sich besonders scharf,
wenn man die Terrine mit der barocken Keramik (Abb. 26) vergleicht.
Stand die Delfter Vase, wenn auch nach unten zu schmäler werdend,
doch immerhin auf festem Untersatz, war in ihr der Deckel vom Gefäß
geschieden, wenn auch in den Linien nicht ohne Zusammenhang mit ihm,
so steht hier das Gerät auf eleganten Füßchen, die zu schwach zum
Tragen scheinen, und verschmilzt alle Teile vollkommen miteinander.
War das Barockgerät von oben nach unten leicht gebogen, seitwärts
durch Wellenparallelen bewegt, so schwillt hier die Bewegung von oben
nach unten dreimal an und ab, gekreuzt von noch lebhafteren seitwärts
gerichteten Schwingungen. Die Differenz ist dieselbe wie zwischen
dem Barocksaal und seinem Gegenstück im Rokoko und beruht auf dem
allmählichen Verschwinden der eckigen Formen zugunsten der weich
gerundeten, und sämtlicher kantiger Trennungen zugunsten kurviger, zart
fließender Vereinigungen.

Malerei und Plastik zeigen dieselbe Weiterentwicklung der
Barocktendenzen. Wie die weiche Verschmelzung, die zarte Abstimmung
in Architektur und Kunstgewerbe herrscht, herrscht sie auch in
der Malerei. Die Themata Watteaus und seiner Zeitgenossen sind
romantische Stimmungen, Schäferszenen und galante Feste unter dunklen
Baumgruppen und in ländlicher Einsamkeit. Allein das erfordert die
höchste Fähigkeit farbiger Darstellung, das stärkste Gefühl für
räumlichen Ausdruck und für die Nuancen der Bewegung. Und so wird
der Impressionismus des Barock immer konsequenter ausgebildet.
Watteau ist selbst im Freien gebunden in den Farben; Fragonard aber,
der vollkommene Plein-air-Maler, gibt jede Bewegung des Lichtes
und die schnellgesehene Schwingung einer fliegenden Schaukel mit
temperamentvoll erfaßtem Strich. Dieses Wirklichkeitssehen führt
bis zum Realismus. Trocken, aber von großer Sachlichkeit ist die
Porträtkunst Graffs und Chodowieckis in Deutschland. Goya (1746-1828)
vollends ist nur als Abkömmling dieser Epoche zu verstehen. Dieser
kühnste Impressionist des Zeitalters besitzt die letzten Geheimnisse
der Freilichtmalerei und benutzt sie zu den erregtesten Bildern.
Unvergleichlich kühn sind die Farbenbewegungen seiner Stierkämpfe
und Volksfeste im glühenden Sonnenlichte, bis zum letzten grauenvoll
nächtliche Hinrichtungen und gespenstische Inquisitionsprozessionen.
Mit derselben Intensität sieht er Porträts. Er geht selbst bis zur
Satire und verhöhnt Priester, Aristokraten und Dirnen in kühnen
Radierungen. Und wie sein impressionistischer Realismus die völlige
Befreiung der Malerei von jeder architektonischen Schranke bezeichnet,
ist seine satirische Kritik schon Protest gegen die Genußsucht des
Zeitalters.

Daß gerade zersetzende Epochen Zeitalter künstlerischer und
wissenschaftlicher Kritik sind, war schon in Rom, schon in der Gotik
zu lernen. Mit dieser Kritik aber zerstören sie sich selbst und
schaffen die kommende Welt. Das letzte Resultat der Philosophie dieses
Zeitalters war die Negierung seiner selbst, war der Nachweis des
gleichen Rechtes aller Menschen auf der Grundlage des Naturgemäßen. Das
letzte Resultat der Zeitkultur war die Verzweiflung der Massen und die
französische Revolution. Diese Tendenzen haben auch in der Kunst ihren
Widerhall gefunden. Das Wort „Sansculotte“ bedeutet nicht nur eine neue
politische, sondern auch eine neue Geschmackstendenz.



Fünftes Kapitel.

Der Stil Louis XVI. und der Stil Empire.


Das Feingefühl, das formende Element bei der Bildung des Rokokostiles,
war es, das seit 1760 zu dem in Farben und Formen schlichteren Stil
geführt hat, den man mit dem Namen des letzten französischen Königs
als den Stil „Louis seize“ bezeichnet. Die Auffassung dieses sog.
Zopfstiles als eine Verödung der Kunstformen ist ganz unberechtigt.
Unsere Zeit, die einen ganz ähnlichen Stilwandel durchgemacht hat,
müßte die raffinierte Verfeinerung empfinden, die hier beabsichtigt
war, und die ganz allmählich zu immer einfacheren Formen führte. Der
Stil Louis XVI. bedeutet noch keine Umwandlung der Grundtendenzen des
Rokoko, sondern nur eine Reaktion gegen die Erregtheit seiner Formen.
Seine frühe Zeit kennt noch all die raffinierten Boudoirmöbel, läßt
die Tische in eleganten Kurven aus der Wand hervorgehen, und nur diese
Kurven selbst werden schlichter. Der Stuhl der Zeit steht noch nicht
mit breiter Endigung fest auf dem Boden, krümmt sich aber auch nicht
mehr in elastischer Ranke zusammen, sondern seine Füße sind als antike
Pfeilbündel geformt, die sich geradlinig nach unten zuspitzen. In der
geschweiften Zarge bilden sie mit ornamentierten Würfeln Ruhepunkte,
an denen zugleich die Armlehnen sich abgrenzen. Mit zwei Sphingen
beginnen sie, deren Flügel in die Lehnen hinaufführen; diese, an einem
bärtigen Kopf in zwei Teile geschieden, werden durch Akanthusranken
in die Rückenlehne geleitet. Auch diese ist gut begrenzt: seitwärts
von zwei antiken Fackeln, oben von einem Stab, auf dem zwischen zwei
symmetrischen Füllhörnern eine Kartusche ruht. Aber man sieht, daß die
Teile des Gerätes noch ineinander übergeführt sind, die Flammen der
Fackel und das Füllhornmotiv den oberen Abschluß noch weich machen.
Indes, die Teile beginnen sich zu scheiden, und wie in der Architektur
herrschen auch im Ornament die mathematisch einfachen Linien und
Flächen. Dasselbe gilt auch für das Flächenornament, wie es die
Holztäfelungen der Zimmer geschnitzt, Rückenlehne und Kissen unseres
Stuhles gestickt zeigen. Es wird übersichtlich im Gefüge des Ganzen,
einfacher, fast dünn in der Struktur der einzelnen Ranken. Der bunte
Überschwang des Rokoko hat auch hier aufgehört, und einfachere Formen,
denen antike Motive zugrunde liegen, treten an seine Stelle. Auch das
Farbengefühl ist feiner geworden; die Hauptfarbe in der Stickerei
unseres Sessels ist ein zartes Grün, und seine anderen Farben sind
darauf eingestimmt. In den Holzteilen selbst werden jetzt Weiß und Gold
bevorzugt.

[Illustration: Abb. 33. Lehnstuhl von Jacob. Stil Louis XVI. Berliner
Kunstgewerbemuseum.]

Wenn diese Zeit, wie das Rokoko, chinesische Geräte in Bronze montiert
(Abb. 34), bevorzugt sie feingeführte Formen, einfachere Konturen,
einheitliche Farben und mit ihren ruhigeren Formen fließen die
Linien des neuen Stiles in eins zusammen. Zeigt doch gerade diese
Montierung, daß man die starken Formen noch immer nicht liebt, daß man
sich scheut, ein Gerät fest auf den Boden zu stellen, und es auch
jetzt noch auf Rankenfüße setzt. Aber die Ranken sind nicht mehr rund
geführt, schlingen sich nicht mehr in weicher Drehung zusammen wie
im Rokoko, sondern sind im Querschnitt kantig und in den Biegungen
strenger gegeneinander begrenzt. Man sieht, daß diese Vereinfachung
gelegentlich Formen schafft, die denen des Barock überraschend ähnlich
sind. Girlanden schlingen sich von einem Fuß zum anderen, aber nicht
die bunten, schwellenden Blumengirlanden des Rokoko, sondern regelmäßig
begrenzte von ruhigen Lorbeerblättern, noch immer ein kurviger Abschluß
des unteren Gefäßrandes, aber von strengerer Form. Und ebenso ist alles
andere im Gerät auf einfachere Formen gebracht, die Henkel, die als
Widderköpfe ansetzen, wie der Deckel, in dessen Bronzerand sogar schon
die ruhende Horizontallinie sich einzustellen beginnt.

[Illustration: Abb. 34. Chinesische Gefäße, in Bronze gefaßt. Stil
Louis XVI.]

Aus antiken Motiven hellenischen Ursprungs ist dieses Ornament
abgeleitet, und wenn auch das Pathos überrascht, das Pfeilbündel als
Stuhlbeine, Sphinge als Armlehnen und als Kaminböcke verwendet, so
beweist doch das Heranziehen gerade hellenischer Vorbilder den zu
ruhigerer Art gewandelten Geschmack. Aber er bedingt auch, daß der
Zeit der Glasurglanz des Porzellans zu leuchtend, seine Farben zu
bunt erscheinen. Wie die Puderperücke Glanz und Farbe des Haares, so
verdrängt das glanzlos weiße Biskuit jetzt vielfach das Porzellan. Es
war die große Erfindung Wedgwoods, dieser Masse die gebrochenen feinen
Farbentöne zu geben, die das Ideal der Zeit sind, das matte Grün, das
zarte Blau, das tiefe Schwarz. Während die Wirkung der schimmernden
Porzellanglasur die Durchbrechung der Gefäßoberfläche ist, ist das
Wedgwoodgerät in der Färbung und der Masse vollkommen gleichmäßig und
ruhig. All das also eine Rückkehr zu struktiveren Absichten, mit denen
der Stil Louis XVI. als Vorläufer des +Empirestils+ zu den Prinzipien
des Rokoko in Gegensatz tritt.

Man hat geglaubt, und noch jetzt ist es in allen Handbüchern zu lesen,
daß diese Anlehnung an die hellenische Antike das eigentliche Wesen
des Empirestiles bedeutet. Allein sie ist nur ein Symptom. Wir sahen
ja, wie die Antike seit der Renaissance immer wieder als Vorbild
dient, und es ist interessant, zu beobachten, wie sie jedesmal der
Zeittendenz entsprechend umgeformt wird. Hogarth zeichnet 1753 den
Apoll von Belvedere und den Herakles Farnese, von denen er ein treues
Abbild geben will, ganz unwillkürlich in seltsame Bildungen um, um
seine Rokokotheorie von der Schönheit der S-Linie an ihnen zu beweisen,
und Lessing, der objektivere, wählt die Laokoon-Gruppe, dieses Ergebnis
einer antiken Barockkunst, um auf sie seine Kunsttheorien aufzubauen,
die der moderne Mensch die Forderung des Pathos nennen muß. Aber
ebensowenig stand das Empire der griechischen und ägyptischen Antike,
die seine Wissenschaft genauer kennen lehrte, objektiv gegenüber.
Nicht einmal das ist richtig, daß es die klassischen Formen reiner
aufnimmt als der Stil Louis XVI. Kein Stil saugt fremde Elemente auf,
ohne sie seinem Geschmack entsprechend umzuformen. Ebensowenig wie die
italienische Renaissance nur eine Neugestaltung der römischen Antike
ist, ist das Empire eine Wiedergeburt der hellenischen. Die Wahrheit
ist, daß die Renaissance, wie wir sahen, ihre Motive der römischen
Kunst entnahm, weil diese für die majestätische Pracht den stärksten
Ausdruck gefunden hatte, und das Empire der hellenischen, weil es hier
jene Ruhe der Formen fand, der die Epoche selbst zustrebte, nachdem
sie im Ornament des Rokoko sich übersättigt hatte. Beide Stile aber
formten das Gegebene ihren Zielen entsprechend um, und gerade diese oft
unbewußte Differenz zwischen dem Vorbild und dem Kunstwerk spricht das
eigene Wollen des Stiles aus. Es ist ebenso äußerlich, zu sagen, die
Entdeckungen in Pompeji und Herkulanum hätten das Empire geschaffen,
wie es äußerlich ist, zu behaupten, die Renaissance wäre ein Kind der
römischen Kunst. Dann hätte das Empire ebensogut im südlichen Italien
entstehen können, wo man nicht nur Pompeji und Herkulanum, sondern die
edlen Formen der Tempel von Paestum und Agrigent täglich vor Augen
hatte. Allein es entstand in Frankreich aus dem Stil Louis XVI. und
führt seinen Namen nach dem Kaiserreich Napoleons.

Dessen Arbeitszimmer im Schloß Fontainebleau (Abb. 35) zeigt den Stil
in all seiner Wucht. Die Wand ist in streng abgegrenzte Felderflächen
geteilt, Tür und Kaminspiegel von geraden Rahmen umgeben. Die
rechteckig feste Platte des Arbeitstisches tragen balkenhafte Beine auf
breiten Löwentatzen. Jede Form ist kantig fest begrenzt, jedes Material
nur durch sich selbst zur Geltung gebracht: die antikisierenden
Bronzeornamente des Schreibtisches nicht schmiegsam, wie im Louis
XVI., sondern geschaffen, die Oberflächenebenen des Möbels zu betonen,
nicht aber seine Funktion. Alles scheint rein zweckvoll und ist doch
so pathetisch, wie die Schwurgeste der Horatier auf Davids Bild. Nicht
Stehen oder Lasten ist ausgedrückt, sondern Wucht und Größe, nicht
selbstverständliche Ordnung herrscht, sondern bewußte Wirkung. Und was
für die Möbel gilt, gilt ebenso für die Wandung des Zimmers und für die
Architektur.

[Illustration: Abb. 35. Fontainebleau, Schloß. Arbeitszimmer Napoleons
I.]

In Frankreich sind uns von ihr weniger Denkmale erhalten geblieben als
in Deutschland, dessen schlichtsachlicher Handwerklichkeit der Stil
sehr willkommen sein mußte. Schinkel ist hier der Hauptmeister, seine
neue Wache in Berlin (Abb. 36) ein Zeugnis für die Selbständigkeit, mit
der das Zeitalter den Vorbildern gegenüberstand. Denn die Front des
dorischen Tempels ist hier nur Bauglied. Ihre aufsteigende Kraft wird
zusammengepreßt durch die Turmformen zu ihren Seiten, niedergedrückt
durch die über ihr ruhende Horizontale. Bei all ihrer Energie bleibt
sie wirkender Teil eines größeren Ganzen von pathetischer Ruhe. Und man
soll nicht vergessen, daß Schinkel daneben romantische Landschaften
gemalt und gotische Dome projektiert hat.

Dieses Unterordnen aller Formabsichten unter Gefühle erklärt das
Hervorgehen dieses Stiles aus Rokoko und ~Louis seize~. Das Empire
ist kein tektonischer, sondern ein pathetischer Stil; und wenn das
Kunstgewerbe noch nicht überzeugend ist, so ist es sicher die Tracht
der Zeit.

[Illustration: Abb. 36. Berlin, Neue Wache.]

Gerade für das Empirekleid, wie es Madame Recamier auf dem Bild von
David, dem Maler des Napoleonischen Kaiserreichs, trägt (Abb. 37),
ist die Ableitung vom hellenischen Stil evident, aber die Umformung
ist charakteristisch für die Eigenart des Empire. In vollkommener
Harmonie schmiegt sich die Linie der Frau der Lehne und dem Lager
ein, überbrückt mit dem herabfließenden Gewand die Strenge seiner
Horizontalen, ja, der Hals scheint, der Linienparallele zuliebe,
übermäßig in die Länge gezogen. Es kommt nicht auf die gesunde
Umhüllung des Körpers an, wie die Antike sie schuf, sondern auf den
zarten Fluß der Linien. Das Korsett ist hier keineswegs verschwunden.

Das Verhältnis des schlichtlinigen Kostüms im Empire zu dem
kontrastbewegten im Rokoko spiegelt das aller Künste wider. Auch in
der Malerei erstirbt alle Bewegung. Flächig entrollte Vorgänge spielen
vor flachen Hintergründen, alle Gestalten, selbst die Porträts werden
dem antiken Gipsschema angenähert und jeder Individualität entkleidet.
Nicht mehr die Plastik der Form, sondern der Rhythmus der abstrakten
Linien bestimmt das Bild. In Davids (1748-1825) Madame Recamier (Abb.
37) ist es die fein geführte Linie, die von der Lampe des Kandelabers
aus über das Haupt der Frau und den gleitenden Fluß des Gewandes hinweg
in die Lehne am Fußende führt. Auch die Farben haben sich immer mehr
gedämpft, sind trüber, erdiger geworden, und es kommt bei den deutschen
Klassizisten, wie Carstens und Genelli, so weit, daß sie nur noch auf
den edlen, d. h. unplastisch abstrakten Umriß sehen und in der Graphik
an Stelle des belebten Farbstiches der bloße Umrißstich tritt.

[Illustration: Abb. 37. J. L. David. Madame Recamier. Paris, Louvre.]

Es handelt sich hier nicht um eine sachlich flächenhafte Bildruhe, die
die Wand zugrunde legt, sondern um eine pathetische oder sentimentale
Weichheit des Ausdrucks, geschult an antiken Vorbildern, die aber
ganz ins Gefühlvolle gezogen werden. Auch die Plastik des Empire
ist trotz ihres Flachreliefs nicht struktiv gemeint, sondern bloße
Mäßigung der Bewegungen, die eine vorhergehende Zeit in allen ihren
Komplikationen ausgeschöpft hatte. Ganz scharf bezeichnet Canova
(1757-1822) den Übergang, den Stil Louis XVI. Seine Bildwerke haben
noch die gegensätzlichen Bewegungen von Licht und Schatten, die starken
Kontrastformen des Barock, aber schon gehemmt durch eine Tendenz der
Beruhigung, die keine energievolle Handlung mehr wagt. Für uns ist es
unerträglich, wenn bei Canovas Amor und Psyche Amor wild dahergestürzt
ist, mit gespreizten Beinen und gespreizten Flügeln dasteht, sich
auf die Frau wirft, und wenn dann plötzlich die Bewegung stockt, und
aus dem heißen Begehren ein zages Tasten wird. So wirkt er in seiner
Absicht, einfach und edel zu sein, süßlicher als irgendein anderer.
Aber die Berühmtheit gerade seiner Skulpturen in ihrer Zeit beweist,
daß sie den Geschmack der Epoche am klarsten aussprachen. Die laute
Bewegung wird ihr allmählich immer unsympathischer und mäßigt sich,
wenn auch noch nicht zu verinnerlichter Ruhe, so wenigstens zu
äußerlicher Zartheit. Selbst Thorwaldsen sagte von Canovas Amor und
Psyche, die Gruppe wäre komponiert wie eine Windmühle, und es könnte
wohl im Stil der Zeit begründet sein, was als ein Charakterfehler
Thorwaldsens ausgelegt worden ist, daß er Canovas Arbeiten weniger
geschätzt habe, als Canova die seinen.

Denn Thorwaldsen (1770-1844) ist der klassische Plastiker des Empire.
Auch er ist ein Routinier, der nicht vom eigenen Studium der Natur
ausgeht, sondern von der erlernten Form, und den Wert seines Werkes
nicht durch die subjektiv erschaute Erscheinung, sondern durch
Gefühle und Sentiments bestimmt. Insofern lebt auch in seiner Kunst
noch die Art des Barock und des Rokoko fort. Aber der beabsichtigte
Eindruck selbst ist ein anderer geworden. An die Stelle der großen
pathetischen Bewegung ist jene Zagheit der Darstellung getreten, die
die Empfindsamkeit des Beschauers erwecken soll und in fortschreitender
Entwicklung notwendig zur Sentimentalität werden mußte. So wird auch
hier die Form beruhigt; an Stelle des Hochreliefs ist das Flachrelief
getreten, an Stelle der bewegten Formrundung der zart geführte Kontur.
Trotzdem ist diese Stilisierung im Grunde stillos, weil sie ohne
Architekturenergie nur von der Wirkung der Darstellung ausgeht. So
charakterisiert sich hier das Epigonentum der Epoche. Gerade für diese
Schlichtheit der Darstellung erscheint der Zeit die Antike als das
beste Vorbild, und eben in der Differenz zwischen Antike und Empire
erweist sich, wie in der Baukunst, die eigene Art des Stiles. Wenn
beispielsweise die Antike die drei Grazien bildet, so sind es drei
nackte Frauen, von denen jede ihre Arme mit den Armen der Schwestern
verflicht, so daß sich alle zu einem Kreis der Schönheit verbinden,
der, von wo immer gesehen, ein vollkommener Ring ist. Thorwaldsen
dagegen stellt zwischen zwei Frauen eine dritte, die um jede Schwester
einen Arm schlingt und die Reihe zur Gruppe schließt -- eine ruhige
Gruppe, nicht als kreisender Reigen gedacht, wie das Werk der Antike,
sondern von einer Gestalt aus zartlinig gegliedert. Die Antike schafft
den kraftvollsten Ausdruck des Gedankens, das Empire den ruhigsten,
in seinem Sinn, in dem das Wort leider auch uns noch gilt, idealsten.
Gerade diese Gruppe spricht den Geist der Zeit ganz klar aus. Die
Architektur hat Parallelen geschaffen: Klenzes Königsplatz in München
mit dem Abschluß durch die Propyläen, oder Schinkels Gedanke, das
Gegenüber der beiden Barockdome auf dem Berliner Gendarmenmarkt durch
das Schauspielhaus in ein Miteinander zu verwandeln.



Sechstes Kapitel.

Die Kunst des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart.


Daß die Einfachheit des Empire kein prinzipieller Stilwechsel,
sondern nur die Reduktion eines Stiles auf neue Gefühle ist, zeigt
die Leichtigkeit, mit der die Gefühlsinhalte wechseln. Schon in
Thorwaldsens Skulpturen für die Kopenhagener Frauenkirche und
auch sonst in der Empirekunst verschmolzen antike Schlichtheit
und christliche Milde zu einer Formeinheit. Derselbe Weg, der zum
Klassizismus führte, führte in Deutschland weiter zum Nazarenertum.

Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts hat das Ziel der romantischen
Zeitsehnsucht, aber auch nur dieses, nicht das Gefühl, gewechselt.
Statt für die Antike begeistert man sich nun für das Mittelalter,
aber nicht für die kraftvolle romanische Epoche, die man kaum kennt,
sondern für die weichere gotische, die man für klassisch deutsch
hält. Schon Klopstock dichtete Bardengesänge neben Oden in antiker
Form. Jetzt schreibt man ritterliche Balladen und Dramen, malt
christliche Legenden, und um auch des Glaubens nicht zu ermangeln, der
die Vorbilder geschaffen, treten die feinsten Geister Deutschlands
scharenweis zur katholischen Kirche über. Es ist bezeichnend, daß
nicht die Baukunst, die wesentlich klassizistisch bleibt, sondern
die Malerei den Ausdruck hierfür gegeben hat. Die Malerschule der
sog. Nazarener, die sich gegen 1815 in Rom um Cornelius und Overbeck
schart, hat die christlichen und mittelalterlichen Gedanken dieser
Zeit am schärfsten ausgesprochen. Mit bewußter Einfachheit erzählte
rührende Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament, Mariensagen
und die Geschichte des Jünglings Joseph, daneben die geistlichen und
ritterlichen Legenden des Mittelalters geben ihren Werken den Inhalt,
der Umriß ihren Gestalten die Form. Während noch bei den Malern des
Empire die Farbe dem Bild wenigstens nicht seine Ruhe nimmt, mußte für
diese malerisch uninteressierten Augen das Gemälde zur kolorierten
Zeichnung werden. Die Bilder der Nazarener sind für uns nur noch in den
Kartons zu genießen, wo der Gegenstand allein zur Geltung kommt. Auf
den ausgeführten Werken überschreien die grellen Farben einander.

Wie stark empfindungsgemäß hier alles ist, zeigt am besten der Hang
dieser romantischen Periode zur Lyrik, die das Drama allmählich
geradezu verkümmern läßt. Poesie durchtränkt das tägliche Leben,
und man scheint bestrebt, mit ihr jede Alltäglichkeit in eine
ideale Sphäre zu heben. Verse auf jedem Schlummerkissen, auf jedem
Klingelzug, auf jedem Stammbuchblatt.

Die Bau- und Gerätformen, die diese Gefühlsrichtung geschaffen hat,
sind unter dem Namen Biedermeierstil zusammengefaßt worden. Allein
der Begriff ist schwer greifbar. Man kann kaum von einem Stile im
üblichen Sinne reden, denn er hat nie, auch nicht in Teilgebieten eine
unumschränkte Herrschaft gehabt. Goethes Beschreibung des Stilwandels
vom Rokoko zu ihm:

  Alles soll anders sein und geschmackvoll,
  Wie sie’s heißen, und weiß die Latten und hölzernen Bänke;
  Alles ist einfach und glatt, nicht Schnitzwerk oder Vergoldung
  Will man mehr, und es kostet das fremde Holz nun am meisten.

                                         (Hermann und Dorothea.)

läßt einen tektonischen Stil erwarten, dessen Möbel ihre Form vom
Zweck, ihre Oberfläche vom Material erhalten. In der Tat sind
seine Häuser einfache Mauerbauten mit schlichten, breitdeckenden
Ziegeldächern. Die Wände seiner Zimmer sind kantenfest begrenzt, mit
Papiertapeten von flächenhafter Musterung bekleidet, die sich zu den
glänzenden Seidentapeten des Rokoko verhalten wie das Wedgwood zum
Porzellan. Für die Form seiner Möbel ist ihr Holzgerüst entscheidend,
Tischplatte und Stuhlpolsterung als gesonderte Formen auf ihm
angebracht, und seine Schränke sind kastenförmige geradflächige
Behältnisse (Abb. 38). Immer ist der Holzform die natürliche des
vierkantig behobelten oder rund behauenen Balkens zugrunde gelegt,
immer bildet Holzmaserung den einzigen Oberflächenschmuck. Aber es
fällt doch auf, wie der Stil runde weiche Übergänge und spitzes Stehen
liebt und daß beim Öffnen des Schreibsekretärs hinter der einfachen
Wand eine so prunkvolle Ausstattung, selbst mit ganzen antiken
Tempelarchitekturen, sich öffnet, daß man an das Verhältnis von Fassade
und Prunkräumen in Barock und Rokoko erinnert wird. Es handelt sich in
der Tat nur um eine Abwandlung des Empirestils ins Kleinbürgerliche.
Die Formen sind wohl ornamentlos und einfach, aber ihre Ordnung, ihre
Übergänge ineinander und zur Erde sind von einer Ruhe, die nicht
die energievolle Festigkeit bewußter Kraft, sondern gefühlvolle
Zartheit geschaffen hat. In der Malerei entsprechen ihr Romantiker,
die ohne das Pathos und die große Form der Nazarener zu haben,
doch ihre Gefühlsweichheit besitzen und sie in schlicht empfundene
Naturformen kleiden, wie der Landschafter Kaspar David Friedrich,
der Farbensymboliker Runge und der Impressionist Waßmann. Aber dieses
Gefühl verlangt nach gegenständlichen Bildinhalten, und Schwind und
Spitzweg werden die Übergänge zu einer Historien- und Genremalerei,
die schließlich den Wert des Bildes nur noch im erzählten Vorgang
sieht. Das wirkt wiederum auf die Zweckkünste zurück. Das Interesse
an historischen Stimmungen läßt den im Biedermeier schlummernden
tektonischen Gedanken sich nicht erst entfalten, führt zum Nachahmen
der historischen Stilarten und schließlich zu jener Stilwirrnis,
die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihren seltsamen
Geschmacklosigkeiten anfüllt.

[Illustration: Abb. 38. Möbel des Biedermeierstils.]

Zu diesem Resultat, dem völligen Mißverhältnis zwischen Form und Zweck,
wirken soziale Entwicklungen nach zwei Seiten mit, die den Handwerker
in demselben Maße unschöpferisch werden lassen, in dem der entwerfende
Künstler an Stolz und Eigenwillen zunimmt.

Man braucht kein Reaktionär zu sein, um zu bedauern, wieviel durch
die Aufhebung der alten Innungsorganisation von der soliden Tradition
zerstört wurde, auf der die Leistungsfähigkeit des Kunstgewerbes
beruhte, jedenfalls aber hat man kein Recht, von ihr als einem alten
Zopf zu reden, der nichts weiter war als ein Hemmnis für die freie
Entwicklung des Gewerbes. Es ist ganz selbstverständlich, daß, wenn
die alten Innungen die Zahl der ausübenden Meister beschränkten, sie
nicht nur den Konkurrenzkampf abschwächten, der so sehr auf Güte des
Materials und Gediegenheit der Arbeit zurückwirkt, sondern zugleich
der Überfüllung des Handwerks vorbeugten. Um hier nicht ungerecht zu
sein, mußten sie zugleich auch die Zahl der Lehrlinge beschränken.
Damit fiel gleichzeitig das zweite Hauptübel unserer Zeit fort, die
Lehrlingszüchterei, und dem, der aufgenommen wurde, wurde wenigstens
die gediegene Ausbildung garantiert. Ließ man dem Publikum nur die
Auswahl zwischen wenigen Fachleuten, so schützte man die Käufer
andererseits gegen jeden Betrug, in der Goldschmiedekunst z. B. durch
ein überaus raffiniertes Kontrollstempelsystem, das zu jeder Zeit
Ort, Zeit und Meister eines Gerätes zu erkennen gestattete. Jene
schäbigen Surrogate edlen Materials, die das Elend unserer Zeit sind,
waren unmöglich in einer Epoche, in der Vergoldung edlen Metalles nur
gestattet wurde, wenn eine unvergoldete Stelle über den wahren Wert des
Materials Aufschluß gab, und die Vergoldung unedlen Metalls überhaupt
verboten war. In der gewissenhaften Ausbildung des Handwerkers wurde
jener sichere Grund technischen Könnens gelegt, das die Jahrhunderte
dem einzelnen überliefert hatten und das jedem Stil der gerade
gegenwärtigen Zeit die vollkommene Schönheit im kleinsten Erzeugnisse
sicherte. Wieviel Meisterschaft hier mit der Aufhebung der Innungen zum
Absterben verurteilt worden ist, weiß jeder, der einmal an irgendeinem
Familienjuwel einen gelösten Goldfaden hat wieder befestigen lassen
wollen. Heute bedeutet eine solche notwendige Reparatur fast stets eine
Entstellung des Stückes, und auch hier wieder ist es die Schönheit, die
den Schaden trägt.

Nun wurde ja die Aufhebung der Innungen nicht nur von den
Freiheitsidealen der Zeit gefordert, sondern auch von dem immer
zunehmenden Fabrikbetrieb notwendig gemacht, der sich jetzt sofort
an die Stelle des Handwerks setzte. Und während so die Ausführung
der Arbeit immer schematischer wurde, stellte sich zugleich dem
ausübenden Arbeiter eine Klasse entwerfender Künstler gegenüber,
die, an Kunstgewerbeschulen erzogen und im Grunde ohne Stilgefühl,
ihre Formmotive ganz äußerlich den Vorbildern der Vergangenheit
entnahmen, vor allem den Werken der deutschen Renaissance. Was dabei
herauskam, war ganz ohne Zusammenhang mit dem Zweck, ein reines
Gemengsel verschiedener Ornamente. Allein es muß einmal dagegen
protestiert werden, daß man diese Epoche der Stillosigkeit kurzerhand
aus der Geschichte der Entwicklung streichen will. Der spätrömische
Stil etwa der Kaiserzeit mit seinem Durcheinander von ägyptischen,
hellenischen und hellenistischen Motiven, die das wenige im römischen
Volk Geborene erstickten, mit seiner vollkommen dekorativen Verwertung
konstruktiver Bauglieder ist um nichts stilvoller als die Mitte des 19.
Jahrhunderts, und nur die Zeitdistanz läßt dort eben in der Stilwirrnis
eine Einheit dekorativen Empfindens sehen. Bedürfte es noch eines
positiven Beweises, daß es sich hier um eine regelmäßige Stilabfolge
handelt, so wäre es die Tatsache, daß die logische Reaktion gegen das
Empire ganz klar zutage tritt, und sich selbst unbewußt, aber für
den Historiker deutlich ausgesprochen ist in Sempers Anschauung, daß
die Antike eine sentimental schwächliche Kunst sei, während in der
Renaissance das starke Vorbild der Zeit liege. Dieses seltsame Urteil
wird erst erklärlich, wenn man sieht, wie stark die Biedermeierzeit
alles Empfinden, auch im Nachfühlen der Antike, ins Weichliche verzogen
hatte, so sehr, daß nur das geradezu Robuste, wie Semper es in seinen
Bauten gestaltete, als Antitoxin erscheint.

Und so entstehen jene Bauformen, die die schnell aufwachsenden
Stadtteile der Zeit so unerträglich machen, gerade Straßen, die keiner
natürlichen Bedingung des Bodens gehorchen, Plätze, die nichts weiter
sind als Straßenkreuzungen, und in deren Mitte Monumentalbrunnen
und Denkmäler Verkehrshindernisse bilden. Die Hausfassaden sind
nicht durch die Anlage der Wohnräume bedingt, sondern nur durch die
Absicht, möglichst reich und prunkvoll zu wirken. So werden sie
überladen mit Balustraden, Friesen, Pilastern und Ornamenten, die
aus Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko und allen anderen Stilarten
zusammengetragen und aus Stuck geformt und ausgeführt werden. Die
Wirkung ist denn auch für jedes geschmackvolle Auge unerträglich.
Keine Konsole hat etwas zu tragen, kein Sims etwas zu begrenzen, keine
Galerie einen Weg zu zeigen, und das Ornament überkleidet und zerstört
jedes Stückchen Wand, das etwa noch übrig ist. Dazu kommen Erker,
die keinen Weitblick gestatten, Fensterrahmen, mit gemalten Fenstern
gefüllt oder einfach leer gelassen, Dachtürmchen und Mansarden, die
nichts weiter als Attrappen sind. Ebenso unkultiviert sieht es im
Innern eines solchen Hauses aus. Auf einen mit derselben Talmipracht
ausgestatteten „hochherrschaftlichen“ Treppenaufgang folgen Wohnungen,
in denen die besten Zimmer zu Repräsentationszwecken verwandt, als
sog. gute Stube für die Hausbewohner verschlossen bleiben, während
die Familie selbst in unhygienisch kleinen Schlaf- und Wohnzimmern
zusammengepfercht bleibt. In den Räumen selbst kleben Papiertapeten und
Stuckdecken mit sinnlosen Ornamenten, sind die Möbelformen ebenso aus
allen Stilarten zusammengeholt (Abb. 39). Was soll man zu romanischen
Eßzimmern, gotischen Schlafzimmern, Herrenzimmern in flandrischem
Barockstil schließlich sagen? Es ist kaum begreiflich, daß solche
Dinge, die Widersinnigkeiten in sich sind, jemals die Häuser aller
Gebildeten beherrschten. Und über all das hin verteilt sich eine
Unmenge sinnloser Stoffdraperien, Makartbuketts, Nippes, unechter
Bronzen usw. Was gerade in diesen zwecklosen Zieraten geleistet
wurde, was hier von Reiseandenken, Vasen, Väschen und Biskuitfiguren,
unter denen man selbst plastische Kopien von Gemälden finden kann,
fabriziert, gekauft und aufgestellt wurde, zeigt einen schmachvoll
tiefen Kulturstand.

[Illustration: Abb. 39. Möbel vom Ende des 19. Jahrh. in
Pseudorenaissance.]

In der gleichzeitigen Malerei und Plastik herrscht dieselbe
Zuchtlosigkeit. Die Künstler sind zahllos, und es wird alles gemalt,
aber ohne Charakter und Augenkultur; der Gegenstand entscheidet.
Drollige Kinderbildchen, süßliche Liebesszenen, fade Frauengestalten,
charakterlose Allegorien sind das letzte Resultat der sentimentalen
Empfindelei. Und neben ihnen herrscht das falsche Pathos der
historischen Schlachtendarstellungen und Herrscherapotheosen. Aus dem
Historienbild, für das Piloty in seinen ersten Werken einen guten
Anlauf nahm, wird der vollkommene Maskenball, in dem der Reichtum der
Kostüme jeden Ausdruck verdrängt. Malt man Bauern oder sonst armes
Volk, so nur, um zu amüsieren oder zu rühren, und das Gemälde wird
zum süßlichen Genrebild. Auch die Plastik geht mit ihren gezierten
weiblichen Akten und pathetischen Herrscherdenkmalen denselben Weg.
Dabei sind oft die technischen Qualitäten die denkbar geringsten. Nur
wenige Meister beherrschen Form und Material.

Es ist unmöglich, hier auch nur die wichtigsten Namen zu nennen.
Die Zahl der Schaffenden ist Legion; Historienmaler wie Lessing und
Kaulbach, Genremaler wie Knaus und Vautier bedeuten in der Zeit den
Höhepunkt des Könnens und sind uns heute nur noch Repräsentanten
einer Vergangenheit. Daneben stehen als stärkere Erscheinungen echte
Romantiker, wie Böcklin und Feuerbach. Aber noch in dieser Generation
beginnt eine Gegenbewegung, deren erstes Symptom die künstlerische
Erscheinung Menzels ist.

Diese Bewegung setzt in der Malerei bewußt und energisch ein. Im
Kampf gegen eine Historien- und Genremalerei, die sich von der
deutschen nur durch das stärkere Temperament unterscheidet und deren
Hauptmeister Meissonier ist, entwickelt sich in Frankreich allmählich
ein Wirklichkeitsstil (Realismus), der in seiner Konsequenz zum
temperamentvollen Impressionismus wird. Schon Millet (1814-1875)
erkennt das Gegenständliche des Problems mit aller Schärfe, sucht den
Bauer bei seiner Arbeit auf, und wenn bei ihm die Darstellung noch
nicht frei vom Pathos ist, so bringt dafür Courbet das rein Malerische
des Problems zum Bewußtsein, das für den Kreis der „Impressionisten“
die einzige Aufgabe der Malerei wird. Manet, Monet, Degas erobern
die neue Anschauung in Frankreich in denselben Kämpfen, mit denen in
Deutschland Leibl, Liebermann, Trübner, Uhde und die ganze Gefolgschaft
der Sezession gegen die Historienmalerei und Genrekunst kämpfte.
Ihnen ist der Gegenstand an und für sich nichts, das Formproblem,
das er stellt, der eigentliche Inhalt des Bildes. Nicht Vorgänge
oder Stimmungen bestimmen seinen Gefühlswert, sondern der farbige,
unmittelbar dem Auge gehörende Reiz. Fabriken und Werkstätten,
Landschaften und Innenräume, Akte und Porträts interessieren um des
Wertes willen, den sie als malerisches Problem durch die Farbwerte
haben, die das Auftreffen des Lichtes auf sie erzeugt. Lokalfarben,
scharfer Kontur, theoretische Perspektive erscheinen jetzt als
bloße Abstraktionen kühler Köpfe. Es gilt, mit temperamentvoll
zugreifendem Auge von den jeden Augenblick wechselnden Lichtbewegungen
die interessantesten zu ergreifen. Monet malt einen Heuhaufen oder
eine Kathedrale immer wiederholt in ganzen Serien von Bildern, aber
jedesmal in der Beleuchtung einer anderen Tagesstunde; nicht um keinen
Gegenstand suchen zu müssen, wie törichte Gegnerschaft gemeint hat,
sondern weil sich so die feinsten Differenzierungen in der Beleuchtung
mit wissenschaftlicher Exaktheit feststellen lassen. Man kommt bis zum
Erfassen der reinen Farben, die das strahlende Sonnenlicht den Dingen
gibt (Pleinair) und gibt selbst sein Vibrieren durch prismatisches
Zerlegen (Pointillismus).

Es ist von vornherein anzunehmen, daß die Plastik die Absichten
des Impressionismus weniger scharf ausspricht. Ihr fehlt die
Möglichkeit, die Raum- und Lichtprobleme zu erörtern, und an der
freien Ausgestaltung des Formproblems ist sie durch die notwendigen
scharfen Begrenzungen gehindert. So legt man den Hauptton auf eine
Modellierung, die nicht wie in der Renaissance die anatomische Struktur
des Körpers studiert, sondern seine Oberfläche charakterisiert. Aber
jene Begrenzung der plastischen Aufgaben ist der Grund dafür, daß die
impressionistischen Skulpturen viel stärker literarische Gedanken und
Gefühle aussprechen als die Malerei. Wenn Rodin die Bürger von Calais,
die sich selbst in die Hände des Feindes geben, in Bronze formt, so ist
das vom Entsagen bis zum Entschluß erstaunlich ausdrucksvoll. Allein
das Nebeneinander der Skulpturen ist ganz untektonisch, folgt nicht
aus der Struktur der Plastik selbst. Man muß das Mienenspiel sehen,
um die Gruppenbildung, das Neben- und Hintereinander der Gestalten zu
begreifen. Und es ist ungemein bezeichnend, daß Constantin Meunier,
der von allen Plastikern der Gegenwart am fanatischsten das Thema des
Arbeiters in der Industrie variiert hat, die kraftvollsten Reliefs und
Freiskulpturen für ein Monument der Arbeit schafft, dessen Form noch
nicht feststeht. Eine tektonische Zeit würde den Skulpturenschmuck aus
der Anlage des Monuments gefolgert haben. Und in der Tat geht diese
Bewegung nicht mit der neuen Stilbewegung in den Zweckkünsten zusammen,
die funktionelle Klarheit sucht. Ihre Freude an bewegten Kompositionen
entspricht vielmehr der überreichen Ornamentarchitektur vom letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts, mit der sie auch gleichzeitig ist, genau
so, wie der spätantike Impressionismus dem hellenistisch-römischen
Stil. Der Realismus hat wohl der Architektur das Gewissen für
bauliche Ehrlichkeit geschärft, aber ist mit ihr keine Stilverbindung
eingegangen.

[Illustration: Abb. 40. Tisch von Majorelle in Nancy.]

Der neue Stil beginnt um 1900 auch nicht kraftvoll und zweckbewußt,
sondern graziös und zartlinig, gleichzeitig mit der Vorliebe für
englische Präraffaeliten, japanische Farbenholzschnitte, Debussy,
Maeterlinck und Rilke. Man erkennt zwar, daß das stillose Ornament
unschön ist, aber man ersetzt es nur durch ein selbstgefundenes
geschmackvolleres und wagt noch nicht, die Formen durch den Zweck
bedingen zu lassen. Die französischen Möbel dieser Zeit (Abb. 40)
beruhen nicht auf der Formkraft, sondern auf der Linienbewegung, wie
die des Rokoko. In flüssigen elegant geschwungenen und gewundenen
Linien gleiten die Beine aufwärts in die ebenso weich geschwungenen
Umrisse der Platte. Keine Trennung der Glieder, kein festes
Aneinanderstoßen; alle Linien gehen aus jeder anderen hervor, in jede
andere über. Man hat das Gefühl einer kultivierten, aber kraftlosen
Schöpfung.

Von Frankreich und Belgien ausgehend, durch Van de Velde nach
Deutschland gebracht, sind die ersten Werke des Stiles bei uns die
Häuser, die Olbrich und Behrens 1901 in Darmstadt errichten. Sie
sind schon nicht mehr mit Rücksicht auf die Fassade gebaut, sondern
die Außenseite wird aus der zweckbedingten Verteilung der Räume, dem
Grundriß gefolgert; das Dach wird Abschluß oder Bedeckung. Aber auch
hier ist das Flächenornament die eigentliche Neuschöpfung des Stiles,
die Verknüpfung und Gliederung. So umziehen breite Ornamentbänder
stilisierter Pflanzen, in weiche Kurven gebogen, das Haus Olbrichs,
um seiner fensterdurchlöcherten Wand die Einheit zu geben, betont
Peter Behrens durch Lisenen aus dunkelglasierten Ziegeln die Umrisse
seines Hauses, aber nicht ohne auf schön geschwungene Parallelkurven im
Dachgiebel Wert zu legen.

Die Absicht geht nicht auf konstruktive Klarheit, sondern auf
harmonische Stimmung, und das spricht sich naturgemäß im Innenraum noch
stärker aus als im Außenbau. Nimmt man den Katalog der Darmstädter
Künstlerkolonie zur Hand, so findet man bei jedem Raum ein erklärendes
Wort über seine Stimmung, fein stilisiert wie ein Gedicht in Prosa.
Heute erscheint es uns schon etwas seltsam, Zimmer zu denken, die
ihren Bewohnern die Stimmung vorschreiben, anstatt sie von ihnen zu
empfangen. Allein das entspricht dem Geschmack einer Zeit, in der
Melchior Lechter den Pallenberg-Saal des Kölner Kunstgewerbemuseums
schafft, ein Zimmer, durchleuchtet von tieffarbigen Glasfenstern,
geschmückt mit symbolischen Gemälden und Skulpturen, mit Sprüchen
von Nietzsche und Stephan George, ein Zimmer, das überhaupt nicht
zum Bewohnen geschaffen wurde, sondern als ein von weihevoller
Stimmung durchfluteter Raum. Diese Stimmungseinheit, durch überall
sich verschmelzende Formeinheit ausgedrückt, ist das Gesetz dieses
Übergangsstiles. Kein Möbel ist ohne Beziehung zum nächsten, zur
Wand, zur Decke, zum Nebenraum. So führt die Täfelung mit ihrem zart
holzfarbenen, flächigen Intarsiaschmuck gleitend über die Wandfläche
hin, läßt sie allmählich „verklingend“ in die Decke übergehen und
ummantelt die Ecken. Wie Ornamente wachsen die Möbel aus diesen Wänden
hervor (Abb. 40), wie Blumen liegen Kissen auf ihnen. Vasen stehen
umher, die in feingeschwungener Kurve vom Boden bis zum Rand aufsteigen
und im Dekor, in Farbe und Form von der Feinheit der japanischen
Keramik sind, die gerade hier vielfach Vorbild war. Aber sie sind,
wie die Köpping-Gläser, nur um dieser Zartheit willen geschaffen,
nicht als Gerät, und es ist ungemein bezeichnend, daß die Keramik
der Zeit sich nicht am Hausrat, sondern am Ziergerät, vor allem
an den Vasen entwickelt hat. Allmählich beginnt man, die Tektonik
der Fläche zu empfinden, umkleidet das Glas mit undurchsichtiger
irisierender Masse und bevorzugt in der Keramik das Steinzeug. Man
sieht, der entscheidende Schritt ist getan. Dem Zurückführen vom
überreichen, selbst wirren Ornament zum gut empfundenen liegt bereits
ein Zweckbewußtsein zugrunde. Niemand hat gerade dieses Gefühl
stärker besessen, als Van de Velde. Wie seine Möbel im Material die
sachlichsten sind, so hat er dem modeverschnürten Körper der Frau im
ruhigen Fluß des Reformkleides neue Schönheit zu geben gesucht. Er
besaß schon damals das Empfinden für die Zweckschönheit der Maschine,
die bisher als nüchtern und häßlich galt, und seine Schriften,
interessante Denkmale der Zeit, sprechen von „hoher Kunst“, von
Plastik und Malerei, schon fast wie von einem Zersetzungsprodukt in
der Entwicklung der Kultur. Das war bedeutungsvoll, da dadurch die
Zweckkünste wieder gleichberechtigt in die Reihe der übrigen Künste
eintraten.

Es war keine Frage, daß hier konstruktive Tendenzen sich entwickeln
mußten, um so mehr, als in jener Feinfühligkeit eine Gefahr lag. Diese
Kunst war durchaus aristokratisch, ihre zarten Formen nur in den
Händen der feinsten Empfinder ausdrucksvoll. Da in ihr das Ornament
als Stilinhalt, nicht aus dem Zweck geformt, eine so selbständige
Rolle spielte, so übernahmen Handwerker und Gewerbezeichner nur die
ornamentale Form und verwandten sie ebenso unsinnig, wie bis dahin die
Motive der Renaissance und des Barock. Das deutsche Handwerk in seinem
weitesten Umfang hatte nur einen neuen Ornamentstil gewonnen, und in
seinen Vorlageheften figurierten neben den historischen Stilformen
nun auch diese Formen des sog. +Jugendstiles+, übel stilisierte und
ärmliche, endlos lange Linien, aus denen in diesen groben Händen jedes
feine Gefühl verschwunden war. Sie gehen ins Buchgewerbe über und in
die Tapetenmuster, werden, in Eisen getrieben, als Gitter verwandt
und als Stuckornament an die Häuser geklebt. Daß man an Stelle der
Rokoko- und Barockmöbel in den Salons jetzt die einfacheren Louis XVI.-
und Biedermeierformen zu kopieren beginnt, war immerhin ein kleiner
Fortschritt. Aber im allgemeinen tritt doch nur eine Stillosigkeit an
die Stelle einer anderen.

Die Forderungen, die Industrie und Handel an die Kunst stellten,
Fabriken und Eisenwerke, Warenhäuser und Ausstellungshallen, galten
dem an historischen Bauten erzogenen Auge als unschön, Beton und
Eisenträger als nüchtern, und man war bestrebt, sie nach Möglichkeit
zu Renaissancepalästen umzumaskieren. Das neue Sehen erkennt in ihnen
die monumentalen Werte der Zeit. Ihr Maßstab duldet kein Ornament, ihr
Material verlangt die reinste Form. Es hat ein Jahrzehnt gedauert,
bis diese Erkenntnis reif war. Messel, um die Jahrhundertwende tätig,
ist fast noch Klassizist. Seine Wohnhäuser, selbst sein Darmstädter
Museum, sind nur wandmäßig gebundenes Barock, sein Wertheimhaus ist zur
Zweckform verdichtete Gotik. Behrens beginnt in Darmstadt persönlicher
und gelangt nach der kurzen Episode einer Flächentektonik zum modernen
Raumstil. Seine Turbinenfabrik (Abb. 41) ist bereits Anfüllen des
Bauraumes in seiner Tiefe, und seine Gliederung nach Funktionen. Die
Wand ist Raumbegrenzung -- hohe, lichtaufnehmende Glasfenster zwischen
Eisenträgern. Die Ecken sind von starken, nach oben sich verengenden
Betonpfeilern akzentuiert. Auf diesen Trageformen ruht, durch starkes
Vorkragen abgesondert, ein Dach von stark beschwerter Silhouette,
das Spannung verhüllt, und wie Last und Abschluß wirkt. Doch hat das
Ornament bis auf die Pseudo-Rustika an den Betonpfeilern endgültig
jeden Wert verloren, und es ist ernst damit gemacht, die Form als
Zweckausdruck zu sehen. Und mit Poelzigs Bauten stellt sich neben
den Analytiker Behrens eine Architekturphantasie, die nicht nur den
Zweckforderungen gerecht wird.

[Illustration: Abb. 41. Behrens, Turbinenfabrik. Berlin.]

Damit werden auch die alten Aufgaben neu definiert. Villa und
Wohnhaus werden von Muthesius, Geßner und Tessenow neu untersucht,
Grundrißverteilung und Aufbau nach dem Bedürfnis bestimmt. Ihre Möbel
(Abb. 42) sind in Stimmungs- und in Stileinheit mit den Bauten. Stühle
und Tische von ihnen, von Bruno Paul und Heidrich stehen, ihre Teile
fest gegeneinander begrenzend, auf stark geformten tragenden Beinen.
Ja, Riemerschmied in München geht geradezu bis zur sichtbaren Zerlegung
der Struktur des Möbels, um die tektonische Klarlegung zu erzielen.

[Illustration: Abb. 42. Heidrich, Zimmer des Reichskommissars.
Brüsseler Welt-Ausstellung 1910.]

Diesen Stil heute schon nach seinen Absichten und Formen zu definieren
ist natürlich unmöglich. Alles ist noch im Fluß, und von den vielen
Stilformen unserer vielen Künstler hat noch keine das Recht, für
kanonisch zu gelten, zumal fast überall unwillkürlich klassizistische
Reminiszenzen mit im Spiel sind. Wir ahnen wohl das Ziel der
modernen Bewegung, aber es erscheint noch nicht klar und der Weg
ist noch von vielen anderen Spuren gekreuzt. Noch wissen wir nicht,
wie die Stilformen aussehen werden, die für das moderne Gefühl so
notwendiger Ausdruck sind, wie die romanischen Formen für die Kirche
des Mittelalters. Aber sicher scheint zu sein, daß das Resultat ein
Zweckstil sein wird, wenn auch jeder Zweck in vielen Formen ausdrückbar
ist.

Auch die Entwicklung der Malerei deutet darauf hin. Schon spricht
man von der Naturform wie von einer Fessel, sucht das Bild auf
Linienrhythmen aufzubauen, die es zum tektonischen Teil der Wandfläche
machen. Cézanne begann mit Verdichtung der Form, Hodler mit dem
Flächenrhythmus der Linien, und eine ganze Generation ist eben jetzt am
Werk, die Anschauung auf dem Gesamtstilgefühl aufzubauen, an Stelle der
Darstellung von Naturdingen das „Bild an sich“ als Endzweck zu suchen,
wie der Künstler des romanischen Stiles.



Siebentes Kapitel.

Das Wesen des Stilwerdens und die historische Stellung der
gegenwärtigen Kunst.


Die Stilerscheinungen, die wir vom Beginne menschlicher Kultur bis
in unsere Zeit überblicken konnten, sind so mannigfaltig, daß sich
ein objektiver Standpunkt zu ihnen zunächst schwer zu finden scheint.
Fraglos ist, daß unser Begriff von Schönheit durchaus relativ und hier
überhaupt nicht verwendbar ist. Nicht nur die Meinungen der einzelnen
Menschen gehen hierüber weit auseinander, sondern auch die Meinungen
der Epochen. Es genügt, darauf hinzuweisen, wie jede Zeit eine andere
Epoche des griechischen oder römischen Altertums als edelste Schönheit
empfand, von unserer Liebe zu den straffen Gebilden des frühdorischen
Stiles bis zur Vorliebe des Barock für die Werke der spätrömischen
Kunst. Der Begriff „Schönheit“ ist nichts weiter als ein subjektives
Werturteil, gefällt auf Grund unseres Gefühls und der Erziehung unserer
Augen.

Unsere von den Erscheinungen ausgehenden Beschreibungen der Stile, die
jedes Werturteil nach Möglichkeit vermieden, ergaben für den Verlauf
der Entwickelung drei Stilstufen, die aber jedesmal ohne feste Trennung
ineinander übergehen.

Die gebundenste ist die +tektonische+ Form. Dies Wort kann nicht so
verstanden werden, wie es oft angewandt wird, daß die Kunstwerke
in ihrer subjektiven Bauabsicht gut und klar durchgeführt sind --
das ist jede gute Architektur, und in diesem Sinne sind auch der
gotische Dom und die Barockkirche tektonisch --, sondern daß sie es
objektiv, vom Standpunkt der Bauaufgabe aus sind. Es kommt darauf an,
daß jeder Bau für einen notwendigen Zweck geschaffen, sein Grundriß
durch diesen bestimmt ist, daß die Innenanlage wiederum den Außenbau
bestimmt, somit der ganze Bau in Harmonie mit seinem Zweck und auch
die Einzelgliederung durch die Baufunktionen bedingt ist. Klar und
übersichtlich drücken die Teile das Tragen und Lasten, Begrenzen
und Ordnen aus, in Wand und Säule, Dach und Turm und den anderen
Baugliedern, denen sie anvertraut sind. Wie die Säule Stütze, bleibt
die Wand Fläche, und die Lagerung der Steinschichten dem Gesetz
der Schwerkraft gemäß bedingt, daß die Horizontale die wichtigste
Baulinie ist. Das Ornament, aus derselben Baulogik gewonnen, ist nicht
äußerlich angeklebter Schmuck, der dem Bau willkürliche Bewegung
mitteilt, sondern sachlicher Ausdruck des Steines, der es trägt.
Dessen zweckliche Ruhe betont seine Flächenhaftigkeit, die nirgends
aus der Wand herausdrängt. Selbständigen oder gar naturalistischen
Ausdruck kennt es nicht, und es entspricht der mathematischen Logik der
Flächendimensionen, daß seine Ausdrucksform allein die lineare ist.

Genau dasselbe Gesetz gilt im Kunstgewerbe. Alle Geräte unterscheiden
funktionsgemäß, welcher Teil zum Stehen dient und welcher zum Bewahren
des Inhaltes. Alle stehen fest auf dem Boden, am liebsten mit runder
Platte, als saugten sie sich an ihn an. Das Material kommt in der
Oberfläche voll zum Ausdruck: Ton wird nicht glasiert, Holz nicht
fourniert und, damit die Tafel einheitlich bleibt, kaum in Rahmen und
Füllung geschieden.

Zwecklose Dinge existieren nicht, Prunkpaläste, die nur der
Repräsentation dienen, Prunkgeräte ohne Gebrauchswert werden nicht
geschaffen. Stile von so konstruktiver Art sind der dorische Stil des
griechischen Altertums, der romanische des Mittelalters, die früheste
Renaissance in Italien. Sie entstehen jedesmal aus einer dumpfen
Vorform, die schon das tektonische Gefühl, aber noch keine tektonische
Gliederung hat, die Teile schon sondert und festhält, aber noch
nicht funktionell durcharbeitet. Dahin gehören der Dipylonstil, der
frühchristliche Stil und die Profangotik in Italien.

Die +pathetisch bewegte+ Form löst diese strengen Grenzen auf. Der Bau
ist kein Ausschnitt aus dem Weltraum mehr, sondern ein Teil seiner
Ausdehnung. Man liebt den feierlichen Schritt großer Fronten und
Säulenreihen, hohe Stufenbauten, Kuppeln und steigende Türme. Jeder
Bauteil ist in Bewegung, schreitend, steigend oder fallend, und an den
nächsten angeknüpft. Das Ornament wirkt dabei als wichtiger Faktor
mit. Es betont nicht mehr die Funktion des Bauteils, sondern löst
ihn in plastischem Hervorquellen auf und führt ihn über sich hinaus.
Auch die Fassade ist nicht mehr Mantel um den Innenraum, sondern
Einleitung zu ihm und aufgelöst, um wieder zusammengefaßt zu werden.
So ist der Bau selbst über seine Grenzen in den Raum erweitert, um mit
ihm zusammenzuwirken; durch ansteigende Gewölbe, lichte Kuppeln oder
Raumtiefe vortäuschende Deckengemälde im Inneren, durch Vasen, Statuen
und Türme über der Dachlinie gegen den Luftraum und durch Stufenbauten,
Arkaden und Alleen mit seiner Umgebung zusammengeschlossen. Zugrunde
liegen Gefühle, die durch die Kunst seelischen Stimmungen den Ausdruck
geben wollen. Es ist nur ein Symptom für diese starke Raumauflösung,
wenn hier die vertikale Tendenz, die doch der natürlichen Schichtung
der Steine widerspricht, an die Stelle der horizontalen getreten ist.

Im Kunstgewerbe wirken dieselben Kräfte. Der Becher wird zum Pokal und
zum prunkvollen Tafelaufsatz, die Truhe zum Schrank und seine Wand
zur architektonischen Fassade. Man löst die Flächen in plastische
Bewegungen auf, und faßt sie in großen Linien wieder zusammen; man
bestimmt die Oberflächenwirkung nicht mehr durch das Kernmaterial,
sondern deckt das Holz durch Fournierung, den Ton durch glänzende
Glasuren, wenn nicht überhaupt das transparente Glas eintritt, das jede
Wandfestigkeit negiert. Dieser Stilform gehören der hellenistische Stil
mit dem frühen römischen, die hohe Gotik und das Barock an.

Die +richtungslos bewegte+ Form treibt diesen Reichtum ins
Phantastische. Da die Verstärkung der Bewegung im Baukörper selbst kaum
noch möglich ist, ohne die Festigkeit zu gefährden, wird das Ornament
ihr Träger. Hemmungen durch den Zweck oder die Disziplin bestehen nicht
mehr, die Phantasie schaltet völlig frei und ist so reich, daß das
Ornament in kleinste Teile zerspalten wird, jeder von neuer Form und in
freier Bewegung mit dem nächsten verflochten. Gerade Linien vermeidet
man und liebt die wirbelnde Drehung. Jeder Kurve entspricht eine
Gegenkurve, jede Tiefe hebt eine Höhe auf, Begegnungen verflechten sich
und lösen sich in Wirbeln. Einheimische und exotische, stilisierte und
realistische Formen, Natur- und Architekturelemente stehen im selben
Wandteil nebeneinander, und ihre Kurven geben der Wand für das Auge
eine Tiefenbewegung, die sie selbst mit Rundungen und Ausbauchungen
begleitet.

Das kunstgewerbliche Gerät, dessen Formen durch diese Freude am
Reichtum zahllos vermehrt werden, wächst aus dem Zimmer heraus wie ein
Teil des Ornaments. Es wird vom Boden aufgehoben, auf Ranken federnd
oder auf hohen Füßen gleichsam balanzierend, indem es sich von schmaler
Basis nach oben verbreitert. Seine Struktur wird weiter zerstört durch
malerisches Auflösen der Wandungen in Gegensätze heller und dunkler
Flächen, in tiefschimmernden Emails und Glasuren und in plastischen
Modellierungen, denen die Kurven frei aufgelegter Ranken begegnen.

Stile dieser Art sind der spätantike Stil, die Spätgotik, das Rokoko.

Und so ergibt sich, daß sich in der geschichtlichen Reihenfolge der
abendländischen Stile, vom kretisch-mykenischen angefangen bis zum 19.
Jahrhundert, dieser Zirkel der drei Stilformen dreimal wiederholt, je
einmal die Entwicklung in Antike, Mittelalter und Neuzeit durchführend.
Es ist auffallend, wie ähnlich die Symptome an den entsprechenden
Stilpunkten in den drei Zeitaltern sind. Auf vieles wurde schon
hingewiesen; aber wie überraschend ist beispielsweise das Vorkommen der
gedrehten Säulen an römischen Kandelabern, im spätgotischen nördlichen
Seitenschiff des Braunschweiger Domes und an Barockaltären oder die
Gefühlsverwandtschaft der spätantiken Verroterie, der auf rotem Grund
aufgelegten zerpflückten Metallbeschläge spätgotischer Truhen und der
Bouletechnik! Die stilgeschichtliche Bewegung ist also eine vollkommene
Wellenbewegung zwischen strenger und freier Form. Sie fließt vom
dorischen Stil zum spätrömischen, vom altchristlich-romanischen zum
spätgotischen, von der italienischen Profangotik bis zum Rokoko. Wenn
uns eine Periode als Aufstieg und eine andere als Niedergang erscheint,
so trägt allein unsere Abhängigkeit vom eigenen Geschmack die Schuld.
Wertet man objektiv, so ist die Kunst jeder Periode als Ausdruck ihres
besonderen Schönheitsgefühls der jeder anderen gleichwertig.

Daraus folgt, daß unsere Stilbenennungen objektiv unrichtig sind,
insofern sie bloße Klassifikationen von Erscheinungen sind, zwischen
denen sich Grenzen eigentlich nicht recht ziehen lassen; aber auch
subjektiv sind sie falsch, weil, wenn man überhaupt klassifizieren
will, man die Bewegung vom konstruktiven Beginn bis zum ornamentalen
Abschluß als einheitlich zusammenfassen muß. Wir sind hier überaus
inkonsequent; wir unterscheiden in der mittelalterlichen Stilbewegung
nur zwei Hauptformen, nämlich Romanisch und Gotisch, in der ganz
parallelen Bewegung der neuen Zeit aber mindestens acht Formen, von der
Renaissance bis zur sog. Stillosigkeit des 19. Jahrhunderts. Es ist
absolut notwendig, diese einzelnen konventionellen Benennungen, die
obendrein selbst als Worte nicht immer verständlich sind, zu verlassen
und von größeren entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten aus etwa
von der antiken, der mittelalterlichen, der neuzeitlichen Stilbewegung
zu sprechen.

Faßt man die Linie so, dann ergibt sich auch für Plastik und Malerei
ein Verhältnis zu den Stilbewegungen, das nach der bisher üblichen
Methode, die nur von freigeschaffenen Werken ausging, garnicht zu
gewinnen war. Es ist gar keine Frage, daß sie im Anfang jeder Stilwelle
nicht selbständig gewertet werden wollen, sondern wie die Baukunst den
Gesetzen des Zweckes untergeordnet sind; ihre wichtigste Aufgabe ist
die architektonische Dekoration. Hier stehen sie unter demselben Gesetz
wie das Ornament: die Plastik als an die Fläche gebundene, figurale
Dekoration oder als Flachrelief, die Malerei als linear geführte
Wandmalerei, beide durch die Architekturanlage bedingt und ihrer
Klarheit dienend. Die Wand ist nicht nur Bildgrund, sondern Bildteil
und Bildgrenze und die Komposition daher friesartig. Jede Gestalt steht
für sich, und die Gruppe ist eine Aufreihung paralleler Gestalten.
Wo die Einzelfigur erscheint, beim Grabmal etwa, ist sie Denkmal und
dadurch gebunden. Dem entsprechend ist das Interesse am Erfinden neuer
Formen nicht sehr groß; die Tradition herrscht, und die Disziplin eines
auf die Tätigkeit konzentrierten Willens hemmt die Phantasie ebenso wie
der Mangel an Stoffen infolge der Interesselosigkeit für die umgebende
Welt. Was wir „Seele“ nennen, scheint das früheste Hellas und der
Mensch der romanischen Kunst vielleicht nicht einmal gekannt zu haben.
Den Ausdruck gibt die Kraft des Linienstiles, und er ist ebenso reich
an Form wie die freieste Modellierung. Allein hier tritt dieselbe
Bewegung ein wie in der Architektur; die Gebundenheit der Gestalten
beginnt sich durch eine Bewegung zu lösen, die ihre Grundlage im sich
ausbreitenden Raumgefühl hat, das die Zweckbedingungen negiert und die
Flächen allmählich sprengt. Wir sahen oft genug, wie die Bewegung,
die sich bei der einzelnen Gestalt schließlich bis zum Fixieren des
Momentanen steigert, im Raum zur Gruppenbildung führt, also zu einer
Verknüpfung der Teile, die der in der Architektur ganz parallel
läuft, bis das Hochrelief und die freie Form in der Plastik und die
freie Modellierung in der Malerei den letzten Rest von tektonischem
Flächenbewußtsein brechen. Wie der Ausdruck der Form steigert sich der
des Gefühls, und wie Ruhe und Bewegung werden Pathos und Weichheit.
Und immer reicher erfindet die befreite Phantasie Stoffe, Gebilde und
Formen. Die letzte Phase verhilft dem Gefühl und der Form zu noch
feineren Differenzierungen, sie ist einerseits naiv, andererseits
sentimental im Sinne Schillers, die realistische und die zugleich
eigentlich romantische Periode, die daher, archaisierend, gern Werke
strengerer Zeiten nachbildet, als könnte sie dadurch ein innigeres
Gefühl aussprechen als ihr eigenes. Entsprechend werden die Formen
zarter, die Kurven weicher und das Relief flacher, um nach Art der
Malerei die tiefsten Raumwirkungen allen vom Material geforderten
Beschränkungen zum Trotz vorzutäuschen. Diese Art des Flachreliefs
ist natürlich ebensowenig tektonisch wie das Vorhandensein einer
Fläche unter dem zerstörenden Ornament des Rokoko. Entsprechend dieser
malerischen Plastik findet die Malerei selbst jetzt ihren räumlich
freiesten Ausdruck im Impressionismus. Dabei muß betont werden, daß
zeichnerische und malerische Darstellungsweise, wie Wölfflin[1] diese
Worte braucht, beide diesen Spätperioden gehören, die erstere mehr
der zweiten, die letztere mehr der dritten Stilphase vorbehalten.
Die Ausdrucksform der ersten, strengsten Periode, die auch von
zeichnerischer Art ist, ist bisher unerörtert geblieben, weil eben die
Tendenz besteht, unter Malerei und Plastik nur die künstlerisch freien
Zeiten zu verstehen. In der Tat ist der Grundsatz ~l’art pour l’art~
der jeder untektonischen, von Sachbedingungen freien Epoche. Während
im tektonischen Beginn der Bewegung die Zweckkünste herrschen, treten
im Ausklang diese, mit einer gewissen Arroganz „hohe Kunst“ genannten
Kunstübungen mindestens gleichberechtigt, oft bevorzugt neben sie.
Interessanterweise ergab es sich, daß beim Beginn der dorischen Epoche
wie der romanischen und der Renaissance diese beherrschende Stellung
noch fortdauert, obgleich die konstruktiven Tendenzen in Architektur
und Kunstgewerbe bereits zum Durchbruch gekommen sind.

  [1] Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. München 1915.

Das Gesetz der drei Stilphasen gilt also auch für die sogenannten
„freien Künste“, die in denselben Zeiten frei sind, in denen die
Zweckkünste phantasievoll gestalten, und in denselben Zeiten gebunden,
in denen auch diese bedingt sind. Aber man darf dieses ganze Gesetz
in seiner Wichtigkeit nicht überschätzen. Innerhalb seiner hat jede
Menschheitsperiode ihre eigene künstlerische Gesinnung. Das Mittelalter
ist dumpfer, unbestimmter in all seinen Ausdrucksformen als die in
der Klarheit großer Anschauungen schaffende Antike, beide aber sind
stärker vom Stilgesetz abhängig als die neuzeitliche Bewegung, die
in ihrer Gesinnung sehr persönlich ist und den Eigenwert der Dinge
betont. Trotzdem ist der Unterschied vom Stilstandpunkt aus gesehen
nur graduell; das Gesetz gilt auch hier, und so trägt die gesamte
Kunstgeschichte nicht den Charakter einer fortlaufenden Entwicklung,
sondern den einer Wellenbewegung.

Aber das Stilwerden selbst aus den bloßen Erscheinungen erklären zu
wollen, erscheint so unmöglich wie alle rationalistischen Ausdeutungen
tief seelischer Phänomene. Man hat versucht, das Stilgefühl der
Zeit von Haltung und Kleidung des Menschen abzuleiten, und dabei
nicht bedacht, daß gerade sie Glieder des Kunstschaffens sind, ein
plastisches Bilden des eigenen Leibes. Wie in der zierlichen Eckigkeit
des Gerankes äußert sich das spätgotische Schönheitsgefühl auch
darin, daß die spitze Stuhlecke zwischen den Beinen sitzender Männer
hervorsieht, oder der Präsidentenstuhl einer Gerichtssitzung nicht, wie
in der Renaissance, an der Langseite, sondern in einer spitzen Ecke
steht, als wäre dort der ausgezeichnetste Platz. Und verlangt nicht
der hellenistische Spiegel wie der kleine Henkel der Rokokotasse ein
elegantes Fassen mit spitzigen Fingern?

Man hat das Stilwerden ferner auf die Entwicklung der Technik, den
Stilausdruck auf das Material zurückführen wollen. Aber auch das
führt nicht weiter. Denn es erklärt nicht, warum sich Materialien,
die so verschieden sind wie Stein, Holz, Silber und Fayence im selben
Zeitalter völlig gleichartig verhalten, und öffnet wiederum die
Frage nach der Ursache für die Entwicklung der Technik. Nein, es ist
völlig unmöglich, den Stil von außen her zu erklären. Vielmehr macht
sein Geschmack Material und Technik zu seinen Werkzeugen, wählt den
Werkstoff, der seinen Absichten entspricht, und die Technik, die sie
am besten in ihm herausarbeitet. Wie lange hat nicht das Rokoko sich
um das Porzellan gemüht, dessen Schmiegsamkeit es als keramisches
Ziel immer vor Augen sah! Nein, die griechische Plastik ist um 550
nicht dadurch verfeinert worden, daß sie in Marmor zu arbeiten begann,
während sie bisher den groben Muschelkalk verwandte, die Gotik hat
nicht das durchsichtige Email um des schimmernden Silbergrundes
willen verwandt. Vielmehr hat die hellenische Skulptur zu dem edleren
Werkstoff gegriffen, weil ihren neuen Absichten der grobe nicht
mehr genügte, hat die malerische Gotik den Silbergrund verwandt, um
die Farbenwirkung des durchsichtigen Schmelzes zu steigern. Wenn
tatsächlich die Verwendung von Stuck am Ende des 12. Jahrhunderts die
strengen Formen der romanischen Plastik gelockert hat, hat er dann auch
die Rokokoranke geschaffen oder hat nicht vielmehr in beiden Fällen der
beweglich gewordene Stil zu dem gefügigen Material gegriffen, wie das
Rokoko zum Porzellan? Nur dadurch, daß der Stil Material und Technik
bedingt, ist das seltsame Paradox erklärlich, daß die Hausteinkirchen
der Spätgotik eleganter sind als die ernsten Gotteshäuser, die
die strengen Stämme Norddeutschlands in weichem Backstein bauten,
ebenso wie das Berliner Barock gehaltener ist als das Münchener, das
Rokoko von Sanssouci trockener als das von Würzburg. Gerade das aber
erweist, daß die Eigenschaften des schaffenden Volkes von starkem, ja
maßgebendem Einfluß auf die Formgestaltung sein müssen.

Für das Stilwollen ist also das Schönheitsgefühl, der Geschmack die
ästhetische Grundlage. Es sichtet, siebt und ordnet die von den Augen
gesammelte Vorstellungswelt des Künstlers für das neue Werk. Auch
unsere drei Stilkategorien, obgleich vom Verhältnis der Stile zum Zweck
hergeleitet, sind doch nicht äußerlich zu verstehen. Denn es gibt
kein Kunstwerk, kein geformtes Werk überhaupt, bei dem nicht zwischen
Absicht und Ausführung das Schönheitsgefühl oft unbewußt mittätig
ist. Objektiv genommen ist das freie Kunstwerk ebenso vom Stilgesetz
gehemmt wie das dem Zweck unterworfene, und dieses nicht mehr gefesselt
als jenes. In beiden Fällen sind gleich viel Formen denkbar und nicht
nur theoretisch. Hat man sich einmal in die besondere Schönheit etwa
der romanischen Buchmalerei eingefühlt, so ist man erstaunt über den
Reichtum in der Strenge, der sich hier offenbart. Während sich aber
die Empfindung des Künstlers in den tektonischen Stilen nur auf das zu
schaffende Werk konzentriert, entwickelt sie sich von hier aus immer
reicher, spaltet Gefühlselemente ab, differenziert sich, nimmt Elemente
aus der Verstandeswelt und aus anderen Nichtgefühlskreisen auf. So
werden schließlich Empfindungen ausgedrückt, die nicht mehr rein
ästhetisch sind, sondern auf Stimmungsausdruck abzielen.

Dieser Gefühlsweg ist ganz einheitlich, und das erklärt, warum sich
alle Künste gleichartig verhalten. Malerei und Plastik sind nicht von
der Baukunst abhängig, sondern von denselben Gefühlen wie sie, und
werden bewegt und sentimental, sobald auch der Bau nicht mehr seinen
Zweck, sondern Gefühle ausdrücken will.

Nun versteht man auch, warum die Kunst nicht mit dem Zweckgefühl
beginnt, sondern in den Steinzeithöhlen und in Kreta mit sehr freiem
„impressionistischem“ Gestalten. Doch offenbar, weil Auge und Gefühl
bei Menschen, die mit der Natur unmittelbar zusammenhängen, weil
sie überall von ihr abhängig sind, sehr viele Eindrücke empfangen
müssen, die sie aber noch nicht zu vereinigen verstehen, während erst
nachdenklichere, bewußtere Zeitalter das Interesse am Ordnen des
Kunstwerks haben.

Trotz alledem bleibt die Einheitlichkeit aller dieser Vorgänge
rätselhaft. Warum ist das Schönheitsgefühl aller Menschen einer
Zeit im Grunde genommen dasselbe, ein Stil? Warum findet auch der
begabteste Künstler eine Schranke für seine künstlerische Freiheit im
Geschmack seiner Welt und unterwirft sich ihm unbewußt und im Glauben,
er schüfe völlig Neues? Schinkel, Semper, Van de Velde haben alle in
ihren Schriften das tektonische Programm aufgestellt, und doch sind
die beiden ersten Eklektiker und die Werke des letzteren ersticken in
den Schlangenwindungen seines Ornamentes. Warum macht ferner diese
Stileinheit nicht nur als Ganzes eine Entwicklung durch, sondern
vollzieht sich diese so gesetzmäßig, mehr als dreimal schon in der von
uns überblickten Spanne der Kunstgeschichte?

Daß sich Parallelerscheinungen in anderen Gebieten menschlichen
Schaffens finden, daß Religion, Musik, Literatur und selbst die
Wissenschaft sich ebenso und in denselben Perioden von der Enge zur
Freiheit entwickeln, ist keine Begründung für die Wege der Kunst. Die
ganze Gesinnung ist eben in der Frühzeit einfach und „naiv“, in der
Spätzeit kompliziert, „sentimental“ und selbst ekstatisch. Keine dieser
Parallelen ist von der andern abhängig, sondern alle beruhen auf der
gemeinschaftlichen Entwicklung der menschlichen Gefühlskomplexe.

Nun ist aber der Mensch, der Träger dieser Empfindungen, selbst kein
Einzelwesen, sondern sozial geordnet, Glied einer Gemeinschaft, die
in Bedürfnissen, Neigungen, Befriedigungen verflochten und abhängig
von allen ihren Gliedern ist. Was wir Stil nennen, bezeichnet die
künstlerische Gefühlsgemeinschaft als dem Gefühl des Einzelwesens
übergeordnet. Schon oben ergab sich die Wichtigkeit der Eigenschaften
des kunstschaffenden Stammes für das Kunstwerk. Sie bedingt es,
daß sich italienische Bilder von deutschen oder niederländischen
prinzipiell unterscheiden. Noch interessanter ist, daß unser ganzes
Stilsystem offenbar nur für die arischen Völker gilt. Ägypten verhielt
sich nur ähnlich, aber keineswegs gleich, und wenn es von einer Art
Tektonik herkommt, so endet es nicht im Ornament, sondern in dumpfer
Schwere. Mesopotamien, Indien, China, Japan, die Negervölker und die
amerikanischen Urstämme verhalten sich gänzlich anders.

Und nun kennt die soziale Struktur Entwicklungen von ähnlicher Art wie
die Kunst. Ich spreche dabei nicht von der Regierungsform, sondern von
der Schichtung des Volkes in sich. Man kann sagen, daß die frühe Antike
und das frühe Mittelalter Völkern angehören, deren Aufbau ziemlich
einheitlich ist. Große Unterschiede an Besitz und Bedürfnis werden
nicht bestanden haben. Gerade daß die Vorrenaissance sich auch hierin
etwas anders verhält, erklärt ihre künstlerisch freiere Artung. Später
setzen sich Schichten ab, der Besitz sammelt sich in immer weniger
Händen, einzelne Schichten sinken auf den Grund, andere tauchen empor,
bis schließlich eine dünne Oberschicht über einer großen Masse wenig
Begüterter lagert. In ihr sammelt sich nicht nur der Reichtum, sondern
auch das Bedürfnis nach Wissenschaft, Prunk und Behaglichkeit. Von
solchen Schichtungen ist aber die Kunst direkt abhängig; wenn auch das
Schönheitsgefühl des Künstlers ihre Werke schafft, so ist sie doch
Ware, abhängig, oft unbewußt, vom materiellen und religiösen Bedürfnis.
Dies ist in der Frühzeit einfach und der Gesamtheit gemeinsam, und so
erklärt sich ihr geschlossenes Stilbild und die Einfachheit, um nicht
zu sagen Armut, seiner künstlerischen Glieder. Aber im selben Maße, wie
für die geringer begüterten Volksteile die Kunst überhaupt ausschaltet,
wird sie für die Reichen zum Bedürfnis. Jeder tektonische Stil ist
echt sozial, weil die Schlichtheit seiner Formen auch dem Ärmsten jede
Stilschönheit gönnt und sie auch der letzte Handwerker in gleicher
Folgerichtigkeit und mithin Schönheit schaffen konnte, ja mußte. Der
ornamentreiche Stil dagegen erlaubt nur dem Begüterten den vollen Genuß
seiner Stilschönheit; in ihm werden die Arbeiten des Handwerkers, wie
Bauernrokoko und Jugendstil lehren, immer minderwertige Produkte sein,
da sein einfacher Sinn ihn die komplizierten Formen nicht in all ihrer
Feinheit wird empfinden lassen.

Liegt also der Stilentwicklung ein soziales Gesetz zugrunde, so wäre es
nötig, jenes zu begründen, um dieses zu verstehen. Dann wird vielleicht
klar werden, warum auch die Geschichte Parallelgänge zeigt, sie, die ja
im eminentesten Sinne von der Struktur der Völker abhängt. Es ist eine
historische Probe aufs Exempel, daß die großen Völkerkatastrophen, wie
die dorische Wanderung, die Völkerwanderung und der Krieg, den wir eben
jetzt erleben, genau an dem Punkt stehen, wo eine Stilwelle die andere
ablöst.



Verzeichnis der Abbildungen und ihrer Quellen.


  Abb.                                                             Seite

   1. Florenz. Palazzo Vecchio. Aufnahme der Neuen Photographischen
      Gesellschaft A.-G., Berlin-Steglitz                              6

   2. Florenz. Palazzo Strozzi. Nach Photographie von Brogi            8

   3. Rom. Fenster der Cancelleria. Nach Photographie                  9

   4. Venedig. Markusbibliothek. Nach Photographie von Brogi          11

   5. Florentiner Truhe. Nach Cornelius, Elementargesetze. 2. Aufl.   13

   6. Ghirlandajo. Abendmahl. Nach Photographie von Alinari           16

   7. Lionardo da Vinci. Das Abendmahl. (Die Veröffentlichung
      verdanken wir der Freundlichkeit des Herrn Prof. Vogel vom
      Museum der bild. Künste in Leipzig.)                            17

   8. Michelangelo. Erschaffung Adams. (Rom, Sixtinische Kapelle.)
      Nach Photographie                                               19

   9. Saalfeld. Rathaus. Nach Photographie von Zedler und Vogel,
      Darmstadt                                                       21

  10. Albrecht Dürer. Der heilige Hieronymus. Kupferstich             23

  11. Niederrheinische Schnelle. Aus Haendcke, Deutsche Kunst im
      tägl. Leben. 1908                                               24

  12. Dürer. Der Sündenfall. Kupferstich                              26

  13. Peter Vischer. Sebaldusschrein (sog. Sebaldusgrab) in Nürnberg,
      St. Sebald. Nach Photographie                                   28

  14. Gotischer Pokal von 1462 in Wiener-Neustadt. Nach Photographie  30

  15. Buckelpokal aus Lüneburg. Nach Photographie                     32

  16. Zimmer aus Schloß Höllrich. Aus v. Falke, Geschichte des
      deutschen Kunstgewerbes                                         33

  17. Lübeck. Täfelung im Fredenhagenschen Zimmer. Nach Lübeck, seine
      Bauten und seine Kunstwerke                                     34

  18. Braunschweig. Gewandhaus. Nach einer Aufnahme der Neuen
      Photographischen Gesellschaft, A.-G., Berlin-Steglitz           35

  19. Saal im Rathaus zu Danzig. Nach Schultz, Danzig und seine
      Bauten                                                          37

  20. München. Theatiner-Hofkirche. Äußeres. Photographie G.
      Stuffler, München. (Nach einer Photographie aus dem Jahre
      1769.)                                                          41

  21. München. Theatiner-Hofkirche. Inneres. Nach Photographie        43

  22. Würzburg, Schloß. Gesamtansicht. Photographie Dr. F.
      Stoedtner, Berlin                                               48

  23. Würzburg, Schloß. Kaisersaal. Photographie Dr. F. Stoedtner,
      Berlin                                                          49

  24. Schrank des Barock. Photographie von H. Keller. Aus Danziger
      Barock, Frankfurt a. M. 1909                                    51

  25. Sessel aus dem kgl. Schloß zu Berlin. Nach Graul, das 18.
      Jahrhundert                                                     52

  26. Delfter Fayencevase. Um 1700. Nach Brinckmann, Das
      Hamburgische Museum                                             54

  27. Schlüter. Denkmal des Großen Kurfürsten. Nach einer Aufnahme
      der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Berlin-Steglitz  58

  28. Van Dijk: Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist.
      Photographie von F. Hanfstaengl, München                        62

  29. Kommode des Régencestiles. Nach Williamson, ~Le mobilier
      national~                                                       65

  30. Schloß Amalienburg bei München. Spiegelsaal. Nach
      Photographie                                                    67

  31. Kaminböcke des Rokokostils in Schloß Fontainebleau              69

  32. Rokokoterrine im Kölner Kunstgewerbemuseum. Nach dem Katalog    71

  33. Lehnstuhl von Jacob. Stil Louis XVI. Berliner
      Kunstgewerbemuseum. Nach Graul, Das 18. Jahrhundert             74

  34. Chinesische Gefäße in Bronze gefaßt. Stil Ludwig XVI. Paris,
      Louvre                                                          75

  35. Fontainebleau, Schloß. Arbeitszimmer Napoleons I.
      Photographie ~Dr.~ F. Stoedtner, Berlin                         77

  36. Berlin, Neue Wache. Photographie ~Dr.~ F. Stoedtner, Berlin     78

  37. J. L. David. Madame Recamier. Paris, Louvre. Nach einer
      Originalaufnahme von Hanfstaengl, München                       79

  38. Möbel des Biedermeierstils. Nach Lux, Von der
      Empire-Biedermeierzeit. Verl. v. Jul. Hoffmann, Stuttgart       83

  39. Möbel vom Ende des 19. Jahrh. in Pseudorenaissance. Nach
      Cornelius, Elementargesetze 2. Aufl.                            86

  40. Tisch von Majorelle in Nancy. Nach Lambert, Das moderne Möbel
      auf der Pariser Weltausstellung 1900                            89

  41. Behrens. Turbinenfabrik. Berlin. Aus „Moderne Arbeit“,
      Hoeber, Behrens                                                 92

  42. Heidrich. Zimmer des Reichskommissars. Brüsseler
      Weltausstellung 1910. Photographie ~Dr.~ F. Stoedtner           93



Druck von B. G. Teubner in Leipzig.



Die Sammlung

„Aus Natur und Geisteswelt“

nunmehr schon über 600 Bändchen umfassend, sucht seit ihrem
Entstehen dem Gedanken zu dienen, der heute in das Wort: „+Freie
Bahn dem Tüchtigen!+“ geprägt ist. Sie will die Errungenschaften von
Wissenschaft, Kunst und Technik einem jeden zugänglich machen, ihn
dabei zugleich unmittelbar im +Beruf fördern+, den +Gesichtskreis
erweiternd+, die +Einsicht+ in die Bedingungen der Berufsarbeit
+vertiefend+.

Sie bietet wirkliche „+Einführungen+“ in die Hauptwissensgebiete für
den Unterricht oder Selbstunterricht, wie sie den heutigen methodischen
Anforderungen entsprechen. So erfüllt sie ein Bedürfnis, dem Skizzen,
die den Charakter von „Auszügen“ aus großen Lehrbüchern tragen, nie
entsprechen können; denn sie setzen vielmehr eine Vertrautheit mit dem
Stoffe schon voraus.

Sie bietet aber auch dem +Fachmann+ eine +rasche zuverlässige
Übersicht+ über die sich heute von Tag zu Tag weitenden Gebiete des
geistigen Lebens in weitestem Umfang und vermag so vor allem auch dem
immer stärker werdenden Bedürfnis des +Forschers+ zu dienen, sich +auf
den Nachbargebieten+ auf dem laufenden zu erhalten.

In den Dienst dieser Aufgabe haben sich darum auch in dankenswerter
Weise von Anfang an die besten Namen gestellt, gern die Gelegenheit
benutzend, sich an weiteste Kreise zu wenden, der Gefahr der
„Spezialisierung“ unserer Kultur entgegenzuarbeiten an ihrem Teil
bestrebt.

Damit sie stets auf die Höhe der Forschung gebracht werden können, sind
die Bändchen nicht, wie die anderer Sammlungen, stereotypiert, sondern
werden -- was freilich die Aufwendungen sehr wesentlich erhöht -- bei
jeder Auflage durchaus neu bearbeitet und völlig neu gesetzt. So konnte
der Sammlung auch der Erfolg nicht fehlen. Mehr als die Hälfte der
Bändchen liegen bereits in 2. bis 6. Auflage vor, insgesamt hat sie bis
jetzt eine Verbreitung von weit über 3 Millionen Exemplaren gefunden.

Alles in allem sind die schmucken, gehaltvollen Bände, denen Professor
+Tiemann+ ein neues künstlerisches Gewand gegeben, durchaus geeignet,
die Freude am Buche zu wecken und daran zu gewöhnen, einen kleinen
Betrag, den man für Erfüllung körperlicher Bedürfnisse nicht anzusehen
pflegt, auch für die Befriedigung geistiger anzuwenden. Durch den
billigen Preis ermöglichen sie es tatsächlich jedem, auch dem wenig
Begüterten, sich eine Bibliothek zu schaffen, die das für ihn
Wertvollste „Aus Natur und Geisteswelt“ vereinigt.

  #Jedes der meist reich illustrierten Bändchen ist in sich
  abgeschlossen und einzeln käuflich#

Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50

#Werke, die mehrere Bändchen umfassen, auch in +einem+ Band gebunden#

  =Leipzig=, im Juni 1917.        =B. G. Teubner=



Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50


Zur bildenden Kunst, Musik und Schauspielkunst

sind bisher erschienen:

Bildende Kunst


Allgemeines:

=Ästhetik.= Von Professor ~Dr.~ +R. Hamann+. (Bd. 345.)

=*Einführung in die Geschichte der Ästhetik.= Von ~Dr.~ +H. Nohl+. (Bd.
602.)

=*Das Wesen der deutsch. bildend. Kunst.= V. Geh. Rat Prof. ~Dr.~ +H.
Thode+. (Bd. 585.)

=Bau und Leben der bildenden Kunst.= Von Direktor Prof. ~Dr.~ +Th.
Volbehr+. 2. Aufl. Mit 44 Abbildungen. (Bd. 68.)

=Kunstpflege in Haus und Heimat.= Von Superintendent +R. Bürkner+. 2.
Auflage. Mit 29 Abbildungen. (Bd. 77.)

=Grundzüge der Perspektive nebst Anwendungen.= Von Prof. ~Dr.~ +K.
Doehlemann+. Mit 91 Fig. u. 11 Abb. (Bd. 510.)

=*Projektionslehre.= Von Zeichenlehrer +A. Schudeisky+. Mit
Abbildungen. (Bd. 564.)

=Der Weg zur Zeichenkunst.= Von ~Dr.~ +E. Weber+. M. 82 Abb. u. 1
Tafel. (Bd. 430.)


Geschichte:

=Die Entwicklungsgeschichte d. Stile in d. bildenden Kunst.= Von
~Dr.~ +E. Cohn-Wiener+. 2 Bde. 2. Aufl. (Auch in 1 Bd. geb.) Bd. I:
Vom Altertum bis zur Gotik. Mit 66 Abb. (Bd. 317.) Bd. II.: Von d.
Renaissance b. z. Gegenw. M. 31 Abb. (Bd. 318.)


Altertum:

=Die Blütezeit der griechischen Kunst im Spiegel der Reliefsarkophage.=
Eine Einführung in die griechische Plastik. Von ~Dr.~ +H. Wachtler+.
Mit 8 Tafeln und 32 Abbildungen. (Bd. 272.)

=Pompeji, eine hellenistische Stadt in Italien.= Von Prof. ~Dr.~ +Fr.
v. Duhn+. 2 Aufl. Mit 62 Abbildungen. (Bd. 114.)

=Die Kunst des Islam.= Von Prof. ~Dr.~ +P. Schubring+. (Bd. 593.)


Mittelalter und Neuzeit:

=Deutsche Baukunst im Mittelalter.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~
+R. Matthaei+. 3. Auflage. Mit zahlreichen Abb. im Text und auf 2
Doppeltafeln. (Bd. 8.)

=Die altdeutschen Maler in Süddeutschland.= Von +H. Nemitz+. Mit einem
Bilderanhang. (Bd. 464.)

=Die Renaissancearchitektur in Italien= I. Von ~Dr.~ +P. Frankl+. Mit
12 Tafeln und 27 Textabbildungen. (Bd. 381.) II. (Bd. 382.) In Vorb.

=Michelangelo.= Eine Einführung in das Verständnis seiner Werke. Von
Prof. ~Dr.~ +E. Hildebrandt+. Mit 44 Abbildungen. (Bd. 392.)

=Albrecht Dürer.= Von weil. Prof. ~Dr.~ +R. Wustmann+. Mit 33 Abb. (Bd.
97.)

=Rembrandt.= Von Prof. ~Dr.~ +P. Schubring+. Mit 50 Abbildungen. (Bd.
158.)

=Niederländische Malerei im 17. Jahrhundert.= Von Prof. ~Dr.~ +H.
Jantzen+. Mit 37 Abbildungen. (Bd. 373.)

=Deutsche Baukunst seit dem Mittelalter bis zum Ausgang des 18.
Jahrhunderts.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ +A. Matthaei+. Mit 62 Abb.
u. 3 Tafeln. (Bd. 326.)


19. Jahrhundert:

=Deutsche Baukunst im 19. Jahrhundert.= Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~
+A. Matthaei+. Mit 35 Abbildungen. (Bd. 453.)

=Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert.= Von Prof. ~Dr.~ +R. Hamann+.
2 Bände Text. 2 Bände mit 57 ganzseitigen und 200 halbseitigen
Abbildungen. (Bd. 448-451, in 2 Doppelbänden zu je M. 2.50, auch in 1
Halbpergamentband zu M. 6.--)

=Die Maler des Impressionismus.= Von Prof. ~Dr.~ +B. Lázàr+. Mit 32
Abbildungen und 1 farbigen Tafel. (Bd. 395.)


Kunstgewerbe:

=Die dekorative Kunst des Altertums.= V. ~Dr.~ +Fr. Poulsen+. M. 112
Abb. (Bd. 454.)

=Deutsche Kunst im tägl. Leben bis zum Schlusse d. 18. Jahrhunderts.=
Von Prof. ~Dr.~ +B. Haendcke+. Mit 63 Abbildungen. (Bd. 198.)

=Ostasiatische Kunst und ihr Einfluß auf Europa.= Von Direktor
Professor ~Dr.~ +R. Graul+. Mit 49 Abbildungen. (Bd. 87.)

=Geschichte der Gartenkunst.= Von Baurat Dr.-Ing. +Chr. Ranck+. Mit 41
Abb. (Bd. 274.)

=Die künstlerische Photographie.= Von ~Dr.~ +W. Warstat+. Mit 12
Tafeln. (Bd. 410.)


Musik

=*Geschichte der Musik.= Von ~Dr.~ +Alfred Einstein+. (Bd. 438.)

=*Beispielsammlung zur älteren Musikgeschichte.= Von ~Dr.~ +A.
Einstein+. (Bd. 439.)

=Haydn, Mozart, Beethoven.= Von Prof. ~Dr.~ +C. Krebs+. 2. Aufl. M. 4
Bildn. (Bd. 92.)

=Die Blütezeit der musikalischen Romantik.= Von ~Dr.~ +E. Istel+. Mit 1
Silhouette. (Bd. 239.)

=Das Kunstwerk Richard Wagners.= Von ~Dr.~ +E. Istel+. Mit 1 Bildnis
Richard Wagners. (Bd. 330.)

=Die moderne Oper.= Vom Tode Wagners bis zum Weltkrieg (1883-1914). Von
~Dr.~ +E. Istel+. Mit 3 Bildnissen. (Bd. 495.)

=Die Grundlagen der Tonkunst.= Versuch einer genetischen Darstellung
der allgemeinen Musiklehre. Von Prof. ~Dr.~ +H. Rietsch+. (Bd. 178.)

=Musikalische Kompositionsformen.= Von +S. G. Kallenberg+. 2 Bände.
(Bd. 412, 413, auch in 1 Band gebunden.)

Bd. I: Die elementaren Tonverbindungen als Grundlage der Harmonielehre.
Bd. II: Kontrapunktik und Formenlehre.

=Das moderne Orchester in seiner Entwicklung.= Von Prof. ~Dr.~ +Fr.
Volbach+. Mit Partiturbeispielen u. 3 Tafeln. (Bd. 308.)

=Die Instrumente des Orchesters.= V. Prof. ~Dr.~ +Fr. Volbach+. Mit 60
Abb. (Bd. 384.)

=Klavier, Orgel, Harmonium.= Das Wesen der Tasteninstrumente. Von
Professor ~Dr.~ +O. Bie+. (Bd. 325.)


Schauspielkunst

=Das Theater.= Schauspielhaus und Schauspielkunst vom griechischen
Altertum bis auf die Gegenwart. Von ~Dr.~ +Chr. Gaehde+. 2. Aufl. Mit
18 Abb. (Bd. 230.)

=*Die griechische Tragödie.= V. Prof. ~Dr.~ +J. Geffcken+. Mit 1 Plan
u. Abb. (Bd. 566.)

=Die griechische Komödie.= Von Prof. ~Dr.~ +A. Körte+. M. Titelb. u. 2
Taf. (Bd. 400.)

=Das Drama.= Von ~Dr.~ +B. Busse+. Mit 3 Abb. 3 Bde. I: Von der Antike
z. franz. Klassizismus. II: Von Versailles bis Weimar. III: Von der
Romantik zur Gegenwart. (Bd. 287/289.)

=Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts.= In seiner Entwicklung
dargestellt von Prof. ~Dr.~ +G. Witkowski+. 4. Auflage. Mit 1 Bildnis
Hebbels. (Bd. 51.)


Die mit * bezeichneten und weitere Bände in Vorbereitung.



Als erstes Bändchen der „Entwicklungsgeschichte der Stile“ ist von
+demselben Verfasser+ erschienen:

Vom Altertum bis zur Gotik

2. Auflage. Mit 66 Abb. (ANuG. Bd. 317.) Geh. M. 1.20, geb. M. 1.50


Geschichte der bildenden Künste

Eine Einführung von ~Dr.~ +E. Cohn-Wiener+. Preis ca. M. 4.--

Das Buch will kein historisch geordnetes Nachschlagebuch sein,
sondern möglichst viel vom Wesen der Kunst und des Kunstwerkes
geben. Es sucht neben dem bloßen Wissen die Freude am Kunstwerk zu
vermitteln, erkennen zu lassen, daß hinter dem Werk der Künstler als
schöpferische Persönlichkeit steht. Seine Aufgabe, der Selbstbelehrung
und als Lehrbuch zu dienen, sucht es nicht zu lösen, indem es durch
oberflächliche Behandlung eines verwirrenden Vielerlei „mitzureden“
befähigt, sondern durch eingehende Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit
anstrebende Besprechung der behandelten Kunstwerke sucht es dem Leser
den inneren Gehalt der Kunstepochen so vor Augen zu stellen, daß
er auch die Werke, die das Büchlein selbst nicht erwähnen kann, zu
verstehen vermag. Eine reiche Zahl von Abbildungen -- darunter auch
farbige -- dient der Anschaulichkeit. Die neueste Zeit ist besonders
eingehend behandelt worden, weil hier das Bedürfnis am unmittelbarsten
ist.


Wörterbuch zur Kunstgeschichte

Von ~Dr.~ +Ernst Cohn-Wiener+. Gebunden M. 3.--


Elementargesetze der bildenden Kunst

Grundlagen einer praktischen Ästhetik von Prof. ~Dr.~ +Hans Cornelius+.
2. Auflage. Mit 245 Abb. und 13 Tafeln. Geh. M. 7.--, geb. M. 8.--

„Es gibt kein Buch, in dem die elementarsten Gesetze künstlerischer
Raumgestaltung so klar und anschaulich dargelegt, so überzeugend
abgeleitet wären. Wir haben hier zum ersten Male eine zusammenfassende,
an zahlreichen einfachen Beispielen erläuterte Darstellung der
wesentlichsten Bedingungen, von denen namentlich die plastische
Gestaltung in Architektur, Plastik und Kunstgewerbe abhängt.“

  (+Zeitschrift für Ästhetik.+)


Die bildenden Künste

Ihre Eigenart und ihr Zusammenhang. Vorlesung von Professor ~Dr.~ +Karl
Doehlemann+. Geheftet M. --.80

„Eine tiefgründige Besprechung der bildenden Künste -- Malerei, Plastik
und Architektur umfassend -- in durchweg anregender Form. Die Fachwelt
wie die gebildeten Stände werden die Schrift mit hoher Befriedigung
aufnehmen.“

  (+Wiener Bauindustrie-Ztg.+)


Unser Verhältnis zu den bildenden Künsten

Von Geh. Hofrat Prof. ~Dr.~ +A. Schmarsow+. Geh. M. 2.--, geb. M. 2.60

„Diese Vorträge bilden den wertvollsten Beitrag zur Literatur über die
Kunsterziehungsfrage. Schmarsow entwickelt seine Anschauung über das
Verhältnis der Künste zueinander, um zu zeigen, wie jede einzelne einer
besonderen Seite der menschlichen Organisation entspreche, wie darum
auch alle Künste eng miteinander verknüpft sind, da alle von einem
Organismus ausstrahlen.“

  (+Deutsche Literaturzeitung.+)


Psychologie der Kunst

Darstellung ihrer Grundzüge. V. ~Dr.~ +R. Müller-Freienfels+. 2 Bde. I:
Die Psychologie d. Kunstgenießens u. Kunstschaffens. II: Die Formen d.
Kunstwerks u. d. Psychol. d. Bewertung. Geh. je M. 4.40, in 1 Bd. geb.
M. 10.--

„Was diesem Werke Beachtung und Anerkennung erworben hat, ist zum Teil
der Umstand, daß es zu den sehr seltenen wissenschaftlichen deutschen
Büchern gehört, die auch einen ästhetischen Wert besitzen, aus denen
eine Persönlichkeit spricht, die über eine ungewöhnliche Gabe der
Synthese verfügt.“

  (+Zeitschrift für Ästhetik.+)


Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert

Von Prof. ~Dr.~ +R. Hamann+. Mit 57 ganzseitigen und 200 halbseitigen
Abbildungen. In Halbpergament M. 7.--

„H. hat eine ausgezeichnete Darstellung des Entwicklungsganges der
Malerei während des letzten Jahrhunderts gegeben. Meines Wissens gibt
es in der ganzen modernen Kunstgeschichtschreibung keine annähernd so
vortreffliche Darstellung des Wesens der Malerei seit 1860 bis zum
Einbruch des Naturalismus, als sie H. im 6. Kap. seines Werkes gibt. Es
ist ein Genuß, sich der meisterhaften Behandlung dieser Epoche ruhig
hinzugeben.“

  (+Preuß. Jahrb.+)


Mathematik und Malerei

Von Oberlehrer ~Dr.~ +G. Wolff+. Mit 18 Figuren und 35 Abbildungen im
Text und auf 4 Tafeln. Kart. M. 1.60

Die nahen historischen Beziehungen zwischen Malerei und mathematischer
Perspektive werden dazu benutzt, um aus formaler Darstellung eines
Bildes dessen künstlerischen Wert zu beurteilen. Der erste Teil
entwickelt im engsten Anschluß an die Malerei die Grundlagen der
Perspektive. Der zweite Teil analysiert mit den so gewonnenen Mitteln
einzelne perspektivisch besonders lehrreiche Bilder.


+Fr. Baumgarten+, +Fr. Poland+, +R. Wagner+:

Die hellenische Kultur

3., stark vermehrte Auflage. Mit 479 Abbildungen, 9 bunten, 4
einfarbigen Tafeln, einem Plan und einer Karte. Geh. M. 10.--, geb. M.
12.50

„... In schöner, ebenmäßiger Darstellung entrollt sich vor dem Blick
des Lesers die reiche hellenische Kulturwelt. Wir sehen Land und
Leute im Lichte klarer und scharfer Charakteristik. Das staatliche,
gesellschaftliche und religiöse Leben, das Schöpferische in Kunst
und Schrifttum steigt in leuchtenden Farben vor uns auf; der feine
kritische Sinn, der die Verfasser niemals verläßt, erfüllt mit
Zuversicht in ihre Urteile.“

  (+Hochland.+)


Die hellenistisch-römische Kultur

Mit 440 Abb., 5 bunten, 6 einfarb. Taf., 4 Kart. u. Plän. M. 10.--,
geb. M. 12.50

„... Die Verfasser des vorliegenden Buches haben Hervorragendes
geleistet; mit außerordentlichem Geschick und sicherem Urteil haben
sie die Ergebnisse der Einzelforschung zu einem glänzenden Bild des
Gesamt-Hellenismus und seiner Folgeerscheinungen, wie sie in der
ganzen Kultur der römischen Republik und Kaiserzeit zutage treten,
zusammengefaßt. Technisch ausgezeichnet sind die Reproduktionen; ein
nicht zu unterschätzender Vorzug gegenüber anderen Werken ähnlicher
Art liegt in der Verwendung von mattem Kunstdruckpapier, das scharfe
Abbildungen ermöglicht, ohne durch störenden Glanz unbequem zu werden;
hervorragend ist überhaupt die ganze Ausstattung des prächtigen Buches.“

  (+Frauenbildung.+)


Die Renaissance in Florenz und Rom

8 Vorträge von Prof. ~Dr.~ +K. Brandi+. 4. Aufl. Geh. M. 5.--, geb. M.
6.--

„... Meisterhaft sind die Erscheinungen von Politik, Gelehrsamkeit,
Dichtung, bildender Kunst zum klaren Entwicklungsgebilde geordnet,
mit großem Takte die Persönlichkeiten gezeichnet, aus freier Distanz
die Ideen der Zeit betrachtet. Die Ausstattung des Buches dürfte zum
Geschmackvollsten der neueren deutschen Typographie gehören.“

  (+Hist. Jahrbuch.+)


Kunst und Kirche

Vorträge aus dem 1913 zu Dresden abgehaltenen Kursus für kirchliche
Kunst- und Denkmalspflege. Herausgegeben vom Evang.-luther.
Landeskonsistorium. Mit 61 Abbild. auf 32 Tafeln. Geh. M. 4.--, geb. M.
5.--

+Inhalt+: Gurlitt: Kunst und Kirche. -- Schmidt: Der sächs. Kirchenbau
bis auf Georg Bähr. -- Bestelmeyer: Baukünstl. Aufgab. der ev. Kirche
in der Gegenwart. -- Gurlitt: Kirchl. Denkmalspflege. -- Berling: Die
Sonderausstellung kirchl. Kleinkunst. -- Högg: Friedhofskunst.


Geschichte der deutschen Dichtung

Von Oberlehrer ~Dr.~ +H. Röhl+. 2. Aufl. Gebunden M. 3.--

„Immer kommt es ihm darauf an, das lebendige Verständnis des Lesers
zu heben, den geistigen Extrakt bestimmter Literaturperioden, -werke
und -größen heranzuziehen, und fast immer gelingt es ihm, mit ein
paar kurzen Worten den Nagel auf den Kopf zu treffen. So lernen
wir das Wesen des lyrischen Impressionismus eines Liliencron in
seiner ganzen kampfesfrohen Natürlichkeit ebenso wie die unwahre
Romantik Auerbachschen Salon-Bauerntums erkennen, werden in die
stille Kleinmalerei der Naturschilderungen eines A. Stifter wie in d.
erschütternde Gefühlswelt des unglückl. J. Chr. Günther eingeführt.
So wandern wir durch d. Geschichte unserer Literatur wie durch ein.
blühenden Garten.“

  (+Fränk. Kurier, Nürnberg.+)


Das Erlebnis und die Dichtung

Lessing. Goethe. Novalis. Hölderlin. Von weil. Geh. Regierungsrat Prof.
~Dr.~ +W. Dilthey+. 5. Auflage. Geh. M. 6.--, geb. M. 7.50

„Den Aufsätzen Diltheys gebührt ein ganz einziger Platz in allem, was
jemals über Dichtung und Dichter geschrieben ist. Aus den tiefsten
Blicken in die Psyche der Dichter, dem klaren Verständnis für die
historischen Bestimmungen, in denen sie leben, kommt Dilthey zu
einer Würdigung poetischen Schaffens, die jenseits aller Kritik und
Literaturhistorie eine selbständig-freie Stellung einnimmt. Dies Buch
muß wie eine Befreiungstat wirken.“

  (+Die Hilfe.+)


Die neuere deutsche Lyrik

Von Prof. ~Dr.~ +Ph. Witkop+. I. Von Spee bis Hölderlin. II. Von
Novalis bis Liliencron. Geh. je M. 5.--, geb. je M. 6.--

„... In solcher Vollständigkeit und doch solcher Beschränkung
besitzen wir kein Werk über Lyrik wie dieses, dessen Wert neben
der wissenschaftlichen Bedeutung im Durchdringen der Materie mit
dichterischem Einfühlen ruht. So werden die Namen zu lebenden,
leidenden und freudig erglühenden Menschen, die durch die Wahrheit
ihres Gefühls oder das Erkünstelte ihrer Dichtung uns nahetreten oder
abstoßen.“

  (+Frauenbildung.+)


Heidelberg und die deutsche Dichtung

V. Prof. ~Dr.~ +Ph. Witkop+. M. 5 Taf., 1 farb. Beil., Buchschm.
u. Silhouetten. Geh. M. 3.60, in Pappb. M. 4.--, in Ganzperg. mit
Goldschnitt M. 8.40

Heidelberg ist uns zum Symbol der Poesie geworden aus der wunderbaren
Einheit von Geschichte und Kunst und Wissenschaft und Jugend und Natur
heraus. So wird eine Darstellung der Beziehungen Heidelbergs zur
deutschen Dichtung uns zu mehr als einem Stück Literaturgeschichte.
Auch der großen deutschen Zukunft wird Heidelberg der Quell der Jugend
und Dichtung bleiben. Jetzt aber wird dies Buch von ihm den Leser
aufatmen lassen von der Last der großen schweren Zeit, denen draußen
zumal ein verklärtes Bild der deutschen Heimat bieten. Die Ausstattung
ist in Einband und Buchschmuck eine gleich stimmungsvolle.


Psychologie der Volksdichtung

Von ~Dr.~ +Otto Böckel+. 2. Aufl. Geheftet M. 7.--, gebunden M. 8.--

„Es liegt eine Fülle des Schönen und Wahren in dem Böckelschen
Werke. Den Forscher muß die reiche, mit kundiger Hand gewählte und
wertvolle Literatur befriedigen, den Laien muß die klare, schlichte,
reine Sprache erfreuen, das poetische Empfinden mitreißen. Böckels
Buch ist eine wertvolle Bereicherung der Poetik, Literaturkunde und
Völkerpsychologie und sei jedem Freunde des Volkes wärmstens empfohlen.“

  (+Zeitschr. f. d. österr. Gymnasien.+)


Der Roman der deutschen Romantik

Von ~Dr.~ +Paula Scheidweiler+. Geh. M. 4.--, geb. M. 5.40


Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin



Deutschkunde

Ein Buch von

deutscher Art und Kunst

Herausgegeben von ~Dr.~ Walther Hofstaetter

Mit 2 Karten, 32 Tafeln und 8 Abb. Gebunden M. 2.70

Ein Bild all dessen, was deutsch ist, will dieses Buch gewinnen
helfen, indem es in Wort und Bild von deutscher Art und Kunst erzählt,
vom deutschen Land, von dem, was in ihm lebt und wächst, von seinen
Dörfern, Burgen und Städten, von all dem, was unser Volk an geistigen
Gütern geschaffen in Sprache, in Sitte und Brauch, aber auch in
Wirtschaft, in Recht und Staat, in der Kunst, in Dichtung und Musik,
von allem, was es gesonnen u. gedacht, von da an, wo deutsche Stämme
zuerst deutschen Boden betraten, bis zum heutigen Tage. So bietet das
Buch einen zusammenfassenden Überblick über die Gesamtentwicklung
unseres Volkes, der heute auch unseren Gebildeten oft noch fehlt, und
vermittelt zugleich die Erkenntnis der inneren Zusammenhänge, sowie
dessen, was in dem allen deutsch ist. Es soll schon dem heranwachsenden
Geschlecht in die Hand gegeben werden, es möchte aber auch den Männern
u. Frauen, die im Leben stehen, ein treuer Weggenosse werden in den
Stunden rückschauender Betrachtung.

[Illustration]

Das Buch wird die Herzen erheben zu freudigem Bewußtsein des reichen
Erbes unseres Volkes und den Willen stärken, dies Erbe treu zu bewahren
und zu mehren.


B. G. Teubner/Leipzig und Berlin



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Die Entwicklungsgeschichte der Stile in der bildenden Kunst. Zweiter Band.: Von der Renaissance bis zur Gegenwart" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home