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Title: Im Herzen von Asien. Zweiter Band.
Author: Hedin, Sven Anders
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Im Herzen von Asien. Zweiter Band." ***

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BAND. ***



                         Im Herzen von Asien.

                             Zweiter Band.



[Illustration: „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“
(S. 225.)]



                         Im Herzen von Asien.

                         Zehntausend Kilometer
                        auf unbekannten Pfaden.

                                  Von

                            Sven v. Hedin.

       Mit 341 einfarbigen und bunten Abbildungen und 5 Karten.

                         Autorisierte Ausgabe.

                            Vierte Auflage.

                            =Zweiter Band.=

                            [Illustration]

                               Leipzig:

                           F. A. Brockhaus.

                                 1919.



Inhalt des zweiten Bandes.

                                                                   Seite

  +Erstes Kapitel.+ Nach dem Anambaruin-gol                         1-13

  +Zweites Kapitel.+ Bei den Särtängmongolen und durch die
    Gobiwüste                                                      14-24

  +Drittes Kapitel.+ Durch unbekanntes Land auf der Suche
    nach Wasser                                                    25-36

  +Viertes Kapitel.+ Die Ruinen am alten Lop-nor                   37-50

  +Fünftes Kapitel.+ Lôu-lan                                       51-61

  +Sechstes Kapitel.+ Ein Nivellement durch die Lopwüste           62-76

  +Siebentes Kapitel.+ Der wandernde See                           77-86

  +Achtes Kapitel.+ Islam Bais Schicksal                          87-103

  +Neuntes Kapitel.+ Über die nördlichen Randgebirge nach
    dem Kum-köll                                                 104-116

  +Zehntes Kapitel.+ Die Zusammensetzung der Karawane            117-130

  +Elftes Kapitel.+ Im Schneesturm über den Arka-tag             131-146

  +Zwölftes Kapitel.+ Die ersten Tibeter                         147-157

  +Dreizehntes Kapitel.+ Das Hauptquartier                       158-169

  +Vierzehntes Kapitel.+ Aufbruch nach Lhasa                     170-183

  +Fünfzehntes Kapitel.+ Die ersten Nomaden                      184-197

  +Sechzehntes Kapitel.+ In kritischer Lage                      198-209

  +Siebzehntes Kapitel.+ In Gefangenschaft der Tibeter           210-227

  +Achtzehntes Kapitel.+ Rückzug unter Bewachung                 228-238

  +Neunzehntes Kapitel.+ Die letzten Tagemärsche nach
    dem Hauptquartier                                            239-248

  +Zwanzigstes Kapitel.+ Der Zug nach Süden                      249-261

  +Einundzwanzigstes Kapitel.+ Tibetische Truppen versperren uns
    wieder den Weg                                               262-279

  +Zweiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Nakktsong-tso                280-291

  +Dreiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tschargut-tso                292-303

  +Vierundzwanzigstes Kapitel.+ Die lange Reise nach Ladak       304-314

  +Fünfundzwanzigstes Kapitel.+ Via dolorosa                     315-326

  +Sechsundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tso-ngombo                  327-339

  +Siebenundzwanzigstes Kapitel.+ Vom Panggong-tso nach Leh      340-351

  +Achtundzwanzigstes Kapitel.+ Ein Besuch in Indien             352-361

  +Neunundzwanzigstes Kapitel.+ Über das Kloster Hemis
    heimwärts                                                    362-370


  +Register+                                                     371-390



Abbildungen.


                                                                   Seite

  „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“     (Titelbild)

  168. Die beladenen Kamele. 169. Umladen. 170. Lager in
    Nordtibet                                                          8

  171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende Tal.
    172. Bahnen   eines Weges über den Paß. 173. Ein Tal mit
    zwei Stockwerken                                                   9

  174. Der Platz, an dem wir umkehrten                                16

  175. Das Gewölbe im Tale. 176. Die Kamele werden einzeln nach
    dem Hauptpasse hinaufgeführt. 177. Die Quelle am 22. Dezember
    1900                                                              17

  178. Im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten              28

  179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol                29

  180. Im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg. 181.
    Einer unserer mongolischen Führer. 182. Die nach Dschong-duntsa
    hinunterführende Schlucht                                         32

  183. Mein mongolischer Führer                                       33

  184. An den Felsen von Dschong-duntsa                               44

  185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa                           45

  186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa                       48

  187. Das Lager in Lu-tschuentsa                                     49

  188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches             56

  189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. 190. Terrasse nördlich
    von der Oase vom 1. Februar. 191. Tränkung der Kamele am
    Brunnen im Lager Nr. 138                                          57

  192. Lager mitten in der Sandwüste                                  68

  193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben                          69

  194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. 195. Das angeschossene
    Kamelweibchen. 196. Reinigung des Kamelskeletts. 197. Aus der
    Oase Altimisch-bulak                                              72

  198. Prüfung des Nivellierinstruments bei Altimisch-bulak           73

  199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. 200. Chodai Kullu und
   sein wildes Kamel. 201. Das geschossene Kamel                      80

  202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt                       81

  203. Aussicht von dem Tora des Hauptquartiers. 204. Das Haus
    beim Lager                                                        88

  205. Der Lehmturm von der Südseite                                  89

  206. Der Turm von Nordost. 207. Abbruch eines Turmes. 208. Haus
    mit stehengebliebenen Türen                                       96

  209. Ausgrabungen im Buddhatempel. 210. Schnitzereien in
    Pappelholz                                                        97

  211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen                         104

  212. Schagdur mit einigen seiner Funde. 213. Das Haus, in
    welchem die Manuskripte gefunden wurden. 214. Ausgrabungen
    in Lôu-lan                                                       105

  215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan                  112

  216. Die Nivellierungskarawane. 217. Lager am Wasserarm            113

  218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. 219. Mein Hirsch im
    Garten. 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten
    jungen Kamelen                                                   120

  221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in Tscharchlik           121

  222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai                         128

  223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“. 224. Der Tag vor dem
    Aufbruch                                                         129

  225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai                                136

  226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen
    Durchbruchsbiegung                                               137

  227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental               144

  228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten Kamellasten. 229.
    Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk                   145

  230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll                               152

  231. Turdu Bais Zelt                                               153

  232. Eine angeschossene Orongoantilope                             160

  233. Erlegter tibetischer Bär                                      161

  234. Berg beim Lager Nr. 16. 235. Das Steinmal auf dem
    Knotenpunkte bei Lager Nr. 24. 236. Weidende Kamele              168

  237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896. 238.
    Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser                         169

  239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. 240. Die
    Kamele waten durch den Fluß. 241. Flußübergang                   176

  242. Die beiden Eisbänder im Tal. 243. Bahnen eines Wegs           177

  244. Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als
    mongolische Pilger                                               184

  245. Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet              185

  246. Ein nächtlicher Überfall                                      192

  247. Die drei Pilger beim Aufbruche aus dem Hauptquartier          193

  248. Lager der drei Pilger                                         200

  249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen                   201

  250. Ein junger tibetischer Hirt. 251. Älterer Tibeter             208

  252. Eine Gruppe Tibeter. 253. Der Lama im Gespräche mit
    Tibetern. 254. Die tibetischen Reiter                            209

  255. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und heulten wie die
    Wilden                                                           216

  256. Zelte tibetischer Häuptlinge                                  217

  257. Tibetische Kavallerie                                         224

  258. Tibetische Soldaten                                           225

  259. Tibetische Soldaten. 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek.
    261. Gefrorenes Wild                                             232

  262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im Lager       233

  263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der Hirten          240

  264. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. 265. Tibeterinnen.
    266. Unser Lager am Jaggju-rappga                                241

  267. Das Lazarettzelt. 268. Kalpets Bett auf dem Kamel. 269.
    Der Leichenzug                                                   248

  270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk                  249

  271. Kalpets Grab                                                  256

  272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates, seine
    Pfeife rauchend                                                  257

  273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk Tsering. 274.
    Hladsche Tsering und Junduk Tsering                              260

  275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso                261

  +Bunte Tafel.+ „... und jagten dann im wilden Laufe vor, hinter
    und durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“ Von
    Langlet                                                          265

  276. Die Garde der tibetischen Gesandten am Tschargut-tso          272

  277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso             273

  278. Unser Lager auf der Insel. 279. Das südliche Felsufer
    unseres Gefängnisses. 280. Die Zelte der Gouverneure             280

  281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo                                 281

  282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92                           288

  283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92                           289

  284. Die Anführer unserer Leibwache                                296

  285. Das Tal des Boggtsang-sangpo                                  297

  286. Das Fischen im Boggtsang-sangpo. 287. Die Yake werden
    beladen. 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache                    304

  289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso                        305

  290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager Nr. 114     312

  291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114      313

  292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114      320

  293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. 294. Lager an einem
    zugefrorenen Sumpfe                                              321

  295. Der Lama im Streit mit dem Anführer der Yakkarawane. 296.
    Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. 297. Die Umgebung
    des Lagers Nr. 133                                               324

  298. Offene Landschaft am Tsangar-schar. 299. Geröllterrassen.
    300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo                       325

  301. Doppelte Geröllterrassen                                      328

  302. Das Tempeldorf Noh                                            329

  303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. 304. Blick
    nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. 305. Der mittelste
    Teil des Tso-ngombo                                              332

  306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten Schlitten
    über das Eis                                                     333

  307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. 308. Der
    gefährliche Felsenpfad. 309. Am westlichen Tso-ngombo            336

  310. Am Panggong-tso                                               337

  311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von Ladak,
    mit seinem Gefolge                                               340

  312. Gulang Hiraman auf seinem Pony                                341

  313. Musikanten und Tänzer in Drugub. 314. Lager vom 16.
    Dezember                                                         344

  315. Kloster Dschova                                               345

  316. Tempelhof in Tikkse. 317. Lamas in Tikkse mit ihrem
    Prior. 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse                       348

  319. Leh, die Hauptstadt von Ladak                                 349

  320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon, Vizekönig
    von Indien                                                       352

  321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh               353

  322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la                          356

  323. Tempelhof in Hemis. 324. Portal von Doggtsang Raspas
    Tempelsaal                                                       357

  325. Doggtsang Raspa                                               360

  326. Lama in Maske. 327. Der Prior von Hemis. 328. Lama in
    Festkleidung                                                     361

  329. Aus der Klosterküche in Hemis                                 364

  330. Trompetende Lamas. 331. Posaunenblasende Lamas                365

  332. Lesender Lama. 333. Ein Lama mit Gebettrommel. 334.
    Lama, Trommel und Becken schlagend                               368

  335. Im Schejoktal. 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem
    Kara-korum. 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des
    Kara-korum                                                       369


Karten.

  Mitteltibet. Maßstab 1 : 2000000.

  Übersichtskarte der Reise Sven v. Hedins, 1899-1902. Maßstab
    1 : 14000000.



Erstes Kapitel.

Nach dem Anambaruin-gol.


Sechs Tage durfte ich mich im Hauptquartier in Temirlik ausruhen, wo
die Eisberge um die Quellen herum beständig größer wurden und die
Kälte bis auf -27 Grad sank. Von wirklicher Ruhe konnte freilich keine
Rede sein, denn ich hatte tausend Dinge zu besorgen. Noch einmal wurde
an diesem wichtigen Kontrollpunkte eine vollständige astronomische
Beobachtungsreihe ausgeführt, die zuletzt aufgenommenen Platten wurden
entwickelt, eine neue Post nach Kaschgar geordnet und alle Abrechnungen
für die Karawane, die Verproviantierung und die Lohnzahlungen besorgt.

Ein Andischaner Kaufmann, der aus eigenem Antrieb in mein Lager
gekommen war, um dort Geschäfte zu machen, starb an der gewöhnlichen
schweren Bergkrankheit und wurde mit den üblichen Zeremonien begraben.
An einem sonnigen Tage wurde der kranke Togdasin ins Freie gebracht,
und alle Muselmänner sammelten sich um ihn, um durch allerlei
Gebetformeln sein Übel zu verjagen; dabei opferten sie Allah auch einen
Bock.

Viele Zeit verschlangen alle die Vorbereitungen zur bevorstehenden
Expedition durch die östlichen Wüsten. Der Proviant, der nach meiner
Berechnung für eine Reise von gegen 2000 Kilometer nötig war, wurde
beiseite gestellt und in Kisten und Säcken auf den Sattelleitern der
Kamele festgebunden. Meine kleine Jurte wurde gründlich repariert, die
Kuppel mit rotem Filz und der Zylinder mit weißem bekleidet, so daß das
Ganze aus der Ferne wie eine dänische Flagge aussah. Tscherdon erhielt
gründlichen Unterricht in meteorologischer Beobachtungskunst, womit
er schon auf dem Ausfluge nach dem Kum-köll hatte beginnen müssen.
Er sollte während meiner Abwesenheit die Ablesungen besorgen und den
Barographen und Thermographen im Gang halten.

Zurückgelassen wurden nur Tscherdon, Islam Bai, Turdu Bai und Ali
Ahun; aber fünf Mann von den Jägern und Goldgräbern wurden angestellt,
um ihnen bei dem Umzuge nach Tscharchlik zu helfen, wo der Amban und
seine eingeborenen Beke versprochen hatten, sich ihrer anzunehmen.
Dort hatten sie übrigens nichts weiter zu tun, als unsere Rückkehr
abzuwarten, meine kostbaren Kisten und Aufzeichnungen zu hüten und
die Tiere zu pflegen, damit diese in gutem Zustande wären, wenn ich
im Frühling wiederkam. Islam sollte auch dafür sorgen, daß von Abdall
aus zwei Kähne mit Rudern und Fischnetzen rechtzeitig nach dem zu den
Kara-koschun-Sümpfen gehörenden See Tschöll-köll gebracht würden. Da wo
sie untergebracht würden, sollte auf einer Düne ein weithin sichtbares
Nischan (Wahrzeichen) errichtet werden, damit wir die Kähne finden
könnten. Ich sah nämlich ein, daß es uns nicht möglich sein würde, jene
Gewässer noch vor dem Schmelzen des Eises zu erreichen.

Die neue Expedition war folgendermaßen zusammengesetzt: der Kosak
Schagdur, die Muselmänner Faisullah (Karawan-baschi), Tokta Ahun und
Mollah aus Abdall (Führer nach Anambar-ula), Kutschuk, Chodai Kullu,
Chodai Värdi, Ahmed und der kürzlich ausfindig gemachte Jäger Tokta
Ahun, der, um Verwechslungen mit seinem Namensbruder vorzubeugen, Li
Loje genannt wurde; er sprach chinesisch und mongolisch, hatte in
Bokalik Pferde gestohlen und war ein bißchen verrückt. Elf Kamele
trugen das Gepäck, und elf Pferde wurden zum Reiten benutzt; wir hatten
also nur ein Reservepferd, beabsichtigten aber, falls es nötig sein
sollte, bei den Mongolen neue Pferde zu kaufen. Drei Hunde, Jolldasch,
Malenki und Maltschik, sollten uns begleiten. Da es meine Absicht war,
den Gas-See auszuloten, mußte Turdu Bai ein paar Tage mit dem Boote
mitkommen. Er wünschte die ganze Reise mitzumachen, bedurfte aber nach
den Mühen, die er ausgestanden hatte, der Ruhe.

So brach denn der ersehnte Aufbruchstag, der 12. Dezember, an, und
wir sollten Temirlik endgültig verlassen. Ich wurde geweckt, als es
noch dunkel war; die Männer trieben die Pferde an, und die Kamele
standen gebunden neben den ihrer wartenden Lasten. Der Tag graute;
es wurde klar und hell, die Luft war still, der Himmel rein, und
richtiges Frühlingswetter herrschte, als wir aufbrachen. Alle Kamele
waren gleichmäßig beladen, aber die Lasten konnten mit Leichtigkeit so
verteilt werden, daß einige Tiere für den Eistransport frei blieben
(Abb. 168, 169).

Alle machte die jetzt bevorstehende Reise froh und angeregt. Ich selbst
sehnte mich nach den Annehmlichkeiten des Wüstenlebens. Hagelstürme und
Schneetreiben hatten wir dort nicht zu fürchten. Kälte erwartete uns
freilich, da jetzt Mittwinter bevorstand, aber es würde eine trockene
Kälte sein, die sich mit Brennholz mildern läßt. Schön war es auch,
drei volle Wintermonate vor sich und demnach die Aussicht zu haben, daß
die meisten Probleme der Exkursion gelöst sein würden, wenn die warmen
Frühlingstage kamen. Wir waren aber auch darauf vorbereitet, daß sich
die Arbeiten noch auf die wärmere Jahreszeit erstrecken könnten, und
hatten deshalb leichte Sommerkleidung mitgenommen. Mein eigenes Gepäck
umfaßte drei große Kisten mit Instrumenten, Büchern, Karten, Platten,
Tage- und Marschroutenbüchern, Tabak, Kleidungsstücken, chinesischem
Silbergelde usw.

Nach freundlichem Abschied von den Zurückbleibenden und dem
armen Togdasin kommandierte ich „Marsch“, und nun läuteten die
Karawanenglocken der langen, dunkeln Reihe der Kamele, die jetzt
in königlicher Haltung von +Sum-tun-buluk+ fortzogen, den „300
Quellen“, wie Temirlik von den Mongolen mit zwei tibetischen und einem
mongolischen Worte genannt wird. Alle Kamele, sogar unser einziges
Dromedar, das ein boshaftes Vieh war, betrugen sich gut. Der Gischt
umgab die Lippen des Dromedars wie Seifenschaum und tropfte überall
auf seinem Wege in großen Flocken auf die Erde. Daß es sich im ganzen
dennoch manierlich betrug, war nicht sein eigenes Verdienst; hätte
es nur gekonnt, so würde es schon Unfug angestiftet haben. Sein
eines Vorderbein war am Packsattel festgebunden, so daß es, ohne im
geringsten im Gehen gehindert zu sein, doch nicht laufen konnte. Mit
dem unmittelbar vor ihm gehenden Kamel war es mittelst eines Strickes
und einer Kette verbunden und konnte seine Nachbarn nicht beunruhigen,
und sein Maul steckte in einer Halfter, die ihm nicht erlaubte, zu
beißen. Prächtig sah er aus, dieser Veteran von Kaschgar, mit seinen
funkelnden, wilden, kohlschwarzen Augen, die er, wenn er schlechter
Laune war, manchmal so verdrehte, daß nur das Weiße zu sehen war.

Die Karawane als Ganzes betrachtet hatte sich gründlich ausgeruht
und war in bestem Zustand; einige Kamele hatten nicht einmal Lasten
getragen, seit sie vor mehr als einem Jahre nach Jangi-köll gekommen
waren. Jetzt steckten sie auch in ihren Winterpelzen, wahren Dickichten
von Wolle. Zwei der ruhigsten, größten Tiere trugen mein persönliches
Gepäck; im übrigen hatten Mehl, Reis, Mais und Talkan (geröstetes Mehl)
das größte Gewicht; aber die Vorräte verminderten sich täglich, und
wenn wir die Gegenden erreichten, wo Eis und Brennholz mitgenommen
werden mußten, würde schon Platz dafür frei sein.

Von Faisullah geführt und von seiner Reiterwache eskortiert, schritten
die Kamele mit großen Schritten rüstig vorwärts.

Das Programm für die Wanderung, die auf diese Weise begann, war
folgendes: Ich wollte über den Astin-tag und an ihm entlang ziehen,
um seine orographische Struktur klarzulegen. Der Weg führte also
nordostwärts nach einer Gegend, welche die Mongolen, die sich dort
aufzuhalten pflegen, +Anambar-ula+ (mit der Genetivendung Anambaruin),
die Muselmänner aber Chan-ambal nennen; das letztere Wort ist eine
Korruption des ersteren. Wir hatten 400 Kilometer dorthin, und von
dort sollte es erst nach Norden durch einen unbekannten Teil der
Gobiwüste und dann nach den nördlich davon gelegenen Bergketten
hinaufgehen. Darauf wollten wir nach Westen ziehen und versuchen, nach
der früher erwähnten Quelle Altimisch-bulak und den Ruinen in der
Wüste zu gelangen, und schließlich durch die Wüste nach Abdall und
Tscharchlik, dem nächsten großen Sammelplatz, wandern.

Die Reise nach Anambar, die ich in Kürze beschreiben werde, erforderte
17 Marschtage. Die beiden ersten führten uns über steinhart gefrorene
Sümpfe mit knisterndem Salz und kantigen Lehmschollen nach einer
Quelle im Norden des +Gas-Sees+. Am 14. Dezember machte ich mit einer
ganz kleinen Karawane eine Exkursion nach dem See, dessen Tiefen ich
im Boote zu loten beabsichtigte. Mir war gesagt worden, er sei so
salzig, daß er nie zufriere. Ein Kulanpfad zeigte uns den besten Weg
nach dem Ufer, wo das Erdreich trotz der Kälte so weich war, daß die
Pferde bis an die Knie in den Schlamm einsanken. Hier und dort lagen
Eisschollen, die wir als Brücken benutzen konnten, doch oft waren sie
so dünn, daß die Pferde durch sie durchtraten und fielen. Es war keine
leichte Sache, diesen tückischen Strand zu erreichen; aber schließlich
gelang es uns und wir lagerten an dem Punkte, wo die in einem Bette
vereinigten Quellbäche des Tschimentales in den See münden. Hier gab
es süßes Wasser nebst Kamisch an den Ufern, und Feuerung hatten wir
selbst. In einiger Entfernung zeigten sich fünf Yake. Es sollte gerade
Jagd auf sie gemacht werden, als Tokta Ahun merkte, daß der eine
gefleckt war, es sich hier also um zahme Tiere handelte. Sie waren
wahrscheinlich aus dem nächsten Mongolenlager durchgebrannt.

Aus der Seefahrt sollte jedoch nichts werden, denn soweit der Blick
reichte, war der Spiegel des Sees mit einer Eisdecke überzogen. Da
wir aber das Boot einmal mitgenommen hatten, sollte seine eine Hälfte
wenigstens als Schlitten dienen. Sein Holzrahmen gab vorzügliche
Kufen ab, und in dieser leichten Equipage wurde ich von Tokta Ahun
und Chodai Kullu schnell und vergnügt über den See gezogen. Das Eis
war ungleichmäßig, bald höckerig, bald mit einer dünnen Wasserschicht
bedeckt, bald von Rissen durchfurcht. Der Schlitten hüpfte über alle
Hindernisse hinweg, und ich glaubte, ich würde ein paar Lotungslinien
über den ganzen See bekommen. Doch auf einmal fing die Eisdecke an zu
knacken und in Wellenbewegung zu geraten. Tokta Ahun brach ein und
hätte ein Bad genommen, wenn er sich nicht noch rechtzeitig an dem
Boote gehalten hätte.

Nach einer ruhigen Nacht am Ufer dieses seichten Salzsumpfes kehrten
wir am nächsten Tage wieder um und trafen die Karawane an den Quellen
von +Julgun-dung+ (Abb. 170).

Während des Rasttages, den wir hier zubrachten, schickte ich Tokta Ahun
nach dem Akato-tag hinauf, um zu erforschen, ob das sich im Nordosten
unseres Lagers öffnende Tal von der Karawane passiert werden könne.
Er kam am Abend mit dem Bescheid zurück, daß das Tal nach einem Passe
hinaufgehe, von dem auf der Nordseite der Kette ein ebensolches Tal
nach den unmittelbar südlich vom Astin-tag liegenden Ebenen hinabführe,
daß dieser Weg also vorzüglich sei.

So brauchten wir am 17. Dezember nur seiner Spur zu folgen. Die Nacht
war bis jetzt die kälteste in diesem Winter gewesen, -29,6 Grad kalt.
Turdu Bai kehrte mit dem Boote nach Temirlik zurück.

Wir lassen diesen kümmerlichen Vegetationsgürtel, der der
„Tamariskenquelle“ (Julgun-dung) ihren Namen gegeben hat, hinter uns
zurück; der langsam nach dem Gebirge ansteigende Boden ist unfruchtbar
und mit Schutt bedeckt. Wieder treten wir in die stillen Bergsäle durch
ein 100 Meter breites Tor ein, wo eine 2 Meter tief eingeschnittene
Rinne das Wasser abfließen läßt, das gelegentlich einmal auf diese
trockenen Höhen herabregnet. Den ganzen Tag führte der Talgrund langsam
aufwärts; er war so eben wie eine Asphaltstraße, machte aber scharfe
Biegungen, in denen ich selten längere Peilungen als drei Minuten in
derselben Richtung machen konnte, bis ein neuer Vorsprung die Aussicht
auf die nächste Talbiegung verdeckte.

Das Material, aus dem der Akato-tag in dieser Gegend aufgebaut ist,
besteht ausschließlich aus feinem gelbem Ton, der so locker ist, daß
man schon mit der Hand Stücke davon abbrechen kann. Das Regenwasser
hat also bei der Ausarbeitung des Terrains in wilde, phantastische
Formen keine Schwierigkeiten zu überwinden. Unzählige kleine Täler und
Hohlwege münden auf beiden Seiten mit dunkeln, oft nur meterbreiten
Toren und lotrechten Wänden in dieses Tal ein. Alles ist steril, kalt
und trocken. Auch das Haupttal (Abb. 171), dem wir folgen, ist manchmal
so eng, daß ein paar von den Männern sich an den vorspringenden
Ecken aufstellen müssen, damit die Kamele mit ihren Lasten nicht
dagegenprallen.

Dann und wann öffnet sich der seltsame Hohlweg vor uns zu einer
phantastischen Perspektive mit lotrechten, ja bisweilen überhängenden
Kulissen. Heruntergestürzte Blöcke in jeder nur denkbaren Gestalt,
wie Würfel, Kugeln und Tetraeder, liegen als Warnungszeichen mitten
im Tale. Andere sind sichtlich auf dem Sprunge, herunterzufallen;
man begreift nicht, was sie noch festhält; ein Windstoß oder ein
leichter Regen würde genügen, um sie ins Rutschen zu bringen. Wir sind
ordentlich beruhigt, wenn der ganze Zug an derartigen gefährlichen
Stellen glücklich vorbeigekommen ist. Pyramiden, Mauern und Türme von
Ton, Terrassen, Korridore und Grotten folgen einander in endloser
Reihe. Die Karawane zieht mitten auf dem ebenen gelben Tonboden des
Tales, auf dem die Kamele, wenn er feucht wäre, wie auf Eis ausgleiten
würden, wo sie jetzt aber sicher gehen, ohne mit ihren weichen
Fußschwielen eine Spur zu hinterlassen.

Allmählich nehmen die relativen Höhen ab, und das Tal verliert seinen
Hohlwegcharakter. Bis an den Paß kamen wir nicht, lagerten aber in
seiner Nähe. Überzeugt, daß wir nie im Leben hierher zurückkehren
würden, verließen wir am Morgen in aller Frühe diesen stillen öden
Lagerplatz. Tokta Ahun und noch einige waren vorausgegangen, um einen
steilen, mühsam zu erklimmenden Abhang an der eigentlichen Paßschwelle
mit Spaten zu bearbeiten (Abb. 172). Es wunderte mich, daß sie, statt
in dem nach Norden führenden Haupttale hinaufzugehen, nach Osten in
ein Seitental abgebogen waren, welches so schmal war, daß man an den
Kamelen, wenn sie in den Biegungen warteten, nicht vorbeikommen konnte.
Nun, der Führer würde wohl Bescheid wissen. Bald darauf befanden wir
uns unter dem steilen Abhange des Passes, der schwierig aussah und auf
dem die Spaten unter aufwirbelnden Staubwolken in voller Tätigkeit
waren.

Jetzt mußte das erste Kamel heran, das sich mit einigen mühsamen Rucken
hinaufarbeitete. Alle Männer schoben von hinten nach und stützten
die Lasten. Einige Tiere fielen und mußten abgeladen werden, worauf
ihre Lasten hinaufgetragen wurden. Das Kamel, das den viel Platz
einnehmenden Holzvorrat trug, hatte es am schlimmsten, aber es machte
seine Sache bis auf einen kleinen Kniefall gut.

Von dem Passe (3466 Meter) ging es nach Südosten, was mir sofort
verdächtig vorkam; aber der Weg war ja rekognosziert, und Tokta Ahun
stand dafür ein, daß das hinabgehende Tal, ebenfalls ein Hohlweg, bald
nach Osten und Nordosten umbiegen und auf offenes Terrain führen würde.
In den überraschendsten Zickzackbiegungen schlängelte es sich nach
tiefer liegenden Gegenden hinunter.

Nur eine schwierige Passage erwarte uns noch, hieß es. Hier war das Tal
wirklich so tief und eng, daß kaum ein Fußgänger sich hindurchzwängen
konnte. Doch über die Halden auf der rechten Seite konnten wir die
Kamele vorbeiführen.

Eine Strecke weiter machte jedoch der Zug Halt, und die Männer eilten
an die Spitze. Der Korridor war hier so schmal, daß die Lasten auf
beiden Seiten anstießen und die Kamele erst weiter konnten, nachdem
die Wände mit Äxten bearbeitet worden waren. Unterdessen ging ich
voraus und gelangte an eine Stelle, die noch schwieriger war. Der
Hohlweg hatte sich wie eine schmale Rinne unter den Tonwänden der
linken Talseite, die überhängende, gefährliche, zerrissene Gewölbe
bildeten, eingeschnitten. Oberhalb des tiefen Grundes der Rinne gab
es keinen Weg; wir mußten es dort unten versuchen. Doch gerade an
dem schmalsten Punkte hatte kürzlich ein Bergrutsch stattgefunden.
Gewaltige Blöcke und Tonstücke füllten die Passage aus und sperrten
den Weg. Einige von ihnen konnten wir mit vereinten Kräften unter
das Gewölbe rollen, und diejenigen, welche gar zu groß waren, wurden
mit Spaten und Beilen zerstückelt. Die Seitenwände wurden erweitert,
über die liegengebliebenen Bruchstücke bahnten die Pferde einen
Weg, und die Kamele wurden vorsichtig und einzeln durch dieses Loch
geführt, in welchem die Karawane im Falle eines neuen Bergrutsches
lebendig begraben worden wäre. Am schwersten hatte es wie gewöhnlich
das Brennholzkamel. Es blieb mitten im Loche stecken und machte eine
so verzweifelte Anstrengung loszukommen, daß die Holzlast unter Lärm
und Gepolter herunterfiel und ein paar Tonblöcke von den Wänden
herabstürzten. Es sah unheimlich aus, als die ganze Gesellschaft in
einer undurchdringlichen Staubwolke verschwand, und man konnte einen
verhängnisvollen Bergrutsch befürchten.

Tokta Ahun machte ein klägliches Gesicht und gestand ein, daß er nicht
bis an das Ende dieses heimtückischen Hohlweges geritten sei. Er war
sehr niedergeschlagen, denn er pflegte darin sonst sehr gewissenhaft zu
sein und völlig korrekte Auskunft zu geben.

Ich habe nie eine so eigentümliche Talform gesehen. Eigentlich sind es
zwei Täler oder ein Tal mit zwei Stockwerken (Abb. 173). Das untere
Stockwerk ist, von dem Boden des oberen gerechnet, 10 Meter tief und
lotrecht eingesägt. Hierdurch entstehen auf den Seiten des unteren Tals
Terrassen, die jedoch absolut unpassierbar sind. Auch das obere Tal
wird nachher so eng, daß beide in ein tief in das Tonlager eingesägtes
Tal verschmelzen, wo Dämmerung herrscht und man immerwährend in Gefahr
schwebt, durch abstürzende Blöcke von ungeheuren Dimensionen erschlagen
zu werden.

Wir schreiten mit unaufhörlichen Unterbrechungen vorwärts; bald müssen
vorspringende Ecken weggehauen, bald hindernde Tonmassen aus dem Wege
geräumt werden. Noch einige Schritte, und die Karawane macht Halt.
Tokta Ahun meldet, daß das Tal gesperrt sei. Von den mehrere hundert
Meter hohen Bergen auf beiden Seiten hatte ein Rutsch stattgefunden,
der das Tal verstopfte. Doch temporäre Bächlein hatten sich unter
dem herabgestürzten Material einen Durchgang gegraben, der einem
Gletschertore glich; auf seiner Deckenwölbung würden wir wohl, falls
sie nicht unter dem Gewichte der Kamele einstürzte, weiterziehen können.

Ich zog es jedoch vor, selbst zu rekognoszieren, bevor der Versuch
gewagt wurde. Unweit dieser gefährlichen Brücke verschmälerte sich das
Tal noch mehr und ging in eine zwei Fuß breite Spalte von 15 Meter
Tiefe über. Schließlich wurde diese dunkel; heruntergefallene Blöcke
bildeten ein Dach; der Abflußkanal des Wassers war hier unterirdisch
und ähnelte einem steilen, gewundenen Grottengange, in welchem kaum
eine Katze ihren Weg hätte finden können (Abb. 174, 175).

Jetzt war es klar: wir +mußten+ umkehren. Die Karawane stand so
zwischen den Tonwänden des Korridors eingeklemmt, daß das letzte
Kamel rückwärtsgehen mußte, ehe Raum genug vorhanden war, daß es sich
umdrehen konnte; ebenso wurde der Reihe nach mit den anderen verfahren.
In der Dunkelheit ließen wir uns in einer kleinen Erweiterung nieder,
wo man nicht vor gefährlichen Bergstürzen Angst zu haben brauchte. Die
Tiere mußten fasten und dursten. Wie war diese seltsame Gegend finster,
unheimlich und still! Dann und wann erklingt das schrille Läuten der
Kamelglocken, wenn die Tiere den Kopf bewegen. Die Männer halten am
Feuer Rat, und das Echo vervielfältigt ihre Stimmen; es klingt, als
unterhalte man sich in einem Säulengange oder in einem Königssaale.

Es ist nicht angenehm, auf demselben Wege zurückzukehren, am
allerwenigsten in einer Rinne, wo Tausende von Tonblöcken wie an
einem Haare über unseren Köpfen hängen und die Kamele wie Käfer zu
zerquetschen drohen. Hätte es in der Nacht einen größeren Bergsturz
gegeben, so waren wir wie in einer Mausefalle gefangen gewesen.

Es kostete uns einen Tag, nach dem Punkte, wo das Tal sich geteilt
hatte, zurückzukehren. Tokta Ahun und Mollah ritten inzwischen das
Haupttal hinauf und kehrten abends mit der Nachricht zurück, daß
sie nun wirklich einen Ausgang aus den verwickelten Labyrinthen des
Akato-tag gefunden hätten.

Am 20. Dezember wurde ich geweckt, als es noch stockfinster war.
Morgens wird jedoch weiter keine Beleuchtung spendiert als das
freundliche, gemütliche Licht, welches das Feuer des Ofens, dessen
Tür weit offen steht, ausströmt. Ein flackernder, roter Feuerschein
verbreitet sich über das Innere der Jurte. Ich kleide mich schnell an
und sehne mich bei der starken Kälte nach meinem heißen Tee.

[Illustration: 171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende
Tal. (S. 5.)]

[Illustration: 172. Bahnen eines Weges über den Paß. (S. 6)]

[Illustration: 173. Ein Tal mit zwei Stockwerken. (S. 7.)]

[Illustration: 168. Die beladenen Kamele. (S. 2.)]

[Illustration: 169. Umladen während des Marsches. (S. 2.)]

[Illustration: 170. Lager in Nordtibet. (S. 4.)]

Schon in dunkler Nacht waren einige der Leute voraus nach dem Passe
hinaufgeeilt, um dort einen Weg anzulegen. Jetzt folgten wir dem
rechten Tale, das wirklich zu einem Passe führte. Auch dieser war auf
der letzten Strecke greulich steil, und die Kamele konnten nur mit
Hilfe der Leute hinaufkommen (Abb. 176). Die umfangreiche Aussicht
zeigte sofort, daß wir uns auf dem Hauptkamme der Kette befanden (3698
Meter). Im Norden zieht sich der endlose Rücken des Astin-tag hin,
im Süden der Tschimen-tag, im Südosten die Einöden von Zaidam, und
ostwärts erblickt man etwas, von dem man nicht sagen kann, ob es
ein Gebirge, Wolkengebilde, Nebel oder nur ein Wüstenreflex ist. Der
+Akato-tag+ ist anders als alle übrigen Bergsysteme in Tibet. Er ist
ein unentwirrbares Durcheinander von Hügeln und Tonkuppeln, die aufs
wildeste von unzähligen, tiefen und engen Schluchten durchsägt werden.
Es ist eine leblose, düstere Gegend.

Als wir auf ebeneren Boden hinuntergelangt waren, fanden wir einen
Pfad, der von menschlichen Wanderern herrühren mußte. Der Sicherheit
halber hatte ich jedoch schon am Morgen einige Leute mit sechs Pferden
nach Julgun-dung zurückgeschickt, um mehr Eis zu holen, da unser
Eisvorrat zu sehr zusammengeschmolzen war.

Tokta Ahun hatte von einem Passe, dem Kara-dawan, auf dem Wege nach
Anambar gesprochen. Als wir jetzt das breite, ebene Tal zwischen dem
Akato- und dem Astin-tag in nordöstlicher Richtung durchquerten, galt
es, den Weg nach diesem Passe ausfindig zu machen.

Bald fanden wir den schon gestern gesehenen Pfad wieder, aber jetzt sah
er bedeutend breiter aus. Die durch Abnutzung verursachte Einsenkung
des Bodens war deutlich zu sehen, besonders da, wo das Erdreich hart
war, obwohl der Zahn der Zeit schon sehr an ihr genagt hatte. Auf
Hügeln und Vorsprüngen an den Seiten waren Iles (Wegzeichen) in Gestalt
kleiner Steinhaufen errichtet. Ohne Zweifel ist diese Straße von
mongolischen Lhasapilgern in Zeiten von Unruhe und Unsicherheit in den
sonst von ihnen durchreisten Gegenden benutzt worden.

In einer Rinne, in welcher wir zwischen den Hügeln hinzogen, verloren
wir diesen Weg, und auch auf den Anhöhen waren keine Steinhaufen mehr
zu sehen. Wir zogen jedoch in dem Tale weiter, und freundliche Mächte
führten uns zu einer in dieser unendlich wüsten Gegend unerwarteten
Entdeckung, zu einer von vortrefflicher Weide umgebenen kleinen Quelle
(Abb. 177).

Die Quelle ist salzig, aber die Eisschollen unterhalb derselben sind
süß. Sie erstrecken sich 150 Meter weit in das Tal hinein, wo mit ihnen
auch die Vegetation aufhört.

Nachdem wir endlich auf ebenes Land geraten waren, gerieten wir dort in
ein Terrain, das viel schlimmer war als die labyrinthähnlichen Gänge
der Täler. Der Boden besteht aus salzhaltigem Tone, der Kammern, Rücken
und Schwellen bildet, welche so hart wie Ziegel sind und unsern nach
Nordosten laufenden Weg unter rechten Winkeln kreuzen. Man erhält den
Eindruck, daß die Oberschicht des Erdreiches sich ausgedehnt haben muß
und sich infolgedessen wie die Schale eines einschrumpfenden Apfels
in Runzeln gelegt hat. Die Rücken sind hohl, und alle Risse gähnen
schwarz. Ihre Höhe beträgt einen Meter, die Zwischenräume drei Meter.
Wir ziehen zwischen ihnen durch, zwei Männern folgend, die mit Spaten
vorausgehen.

Auch an diesem Abend erreichten wir eine Quelle mit Weide. Hier ging
einsam ein wildes Kamel spazieren. Während wir im Kamischdickichte
lagerten, birschte sich Schagdur an das Tier heran. Der Schuß
widerhallte dumpf in der Dämmerung, und ich ritt nach dem Platze hin,
von dem der an einem Vorderbeine verwundete Einsiedler vergeblich zu
entfliehen suchte. Chodai Kullu machte ein Lasso und warf dem Kamel
die Schlinge um den Hals, worauf es zu Boden gerissen und geschlachtet
wurde. Jetzt hatten die Leute frisches Fleisch für mehrere Tage, und
das prächtige Fett in den Höckern wurde auch mitgenommen. Nach Spuren
und Dung zu urteilen, besuchen die wilden Kamele diese Quelle im Sommer
in großen Herden.

Einen herrlicheren Weihnachtsabend konnte man sich in diesen kalten,
öden Gegenden kaum wünschen. Die Luft war ruhig, der Himmel klar und
blau. Nachdem Feuerung eingesammelt, ein paar Säcke mit Eis gefüllt und
das Kamelfell zu Kopfkissen zerschnitten worden war, brachen wir auf
und folgten den ganzen Tag dem alten Wege, dessen Steinhaufen wir bei
der Quelle wiedergefunden hatten. Der Weg wurde bisweilen von bis zu
zwanzig parallelen Pfaden bezeichnet, welche Zeugnis davon ablegten,
daß Karawanen mit Kamelen und Pferden hier in ganzen Reihen gezogen
sind. Vielleicht schrieb er sich aus einer Zeit her, als die weiter
östlich wohnenden Mongolen ihre Herden in Temirlik weiden ließen. Erst
in der Dämmerung gelangten wir an den Fuß des Astin-tag und schlugen
unsere Zelte in der Mündung eines zwei Ketten trennenden Tales auf.

Als wir das Lager fertig hatten, wurde ein munter sprühendes
Weihnachtsfeuer angezündet, das einzige, was an das große Fest in der
Heimat erinnerte. Um mir die wehmütigen Gedanken, die an diesem Tage
stets auf mich einstürmen, zu verjagen, rief ich Schagdur und weihte
ihn in meinen Plan ein, den Versuch zu machen, nach Lhasa zu gelangen.
Er war Feuer und Flamme dafür und glaubte, es würde uns gelingen,
wenn wir uns vorschriftsmäßige Tracht und zuverlässige mongolische
Reisekameraden zu verschaffen wüßten. Von nun an unterhielten wir uns
oft abends über diese waghalsige Reise. Das Gespräch wurde russisch
geführt, damit die Muselmänner nicht merkten, wovon die Rede war.

Während der letzten Tage des Jahrhunderts lenkten wir unsere Schritte
in den Tälern zwischen den parallelen Ketten des Astin-tag beständig
nach Nordosten. Die Kälte war scharf, und der Wind hielt noch immer
an und brachte manchmal Schnee, der jedoch nur in den schattigen
Schluchten liegen blieb. Die Berge glänzten mit ihrem weißen
Schneegewande zwischen den Wolken hervor. Das Terrain war günstig;
wir passierten eine Menge kleiner abflußloser Becken, deren Boden sich
nach Regen in bald verdunstende Miniaturseen verwandelten. Zerstreut
stehende Steppengrasbüschel, Teresken und Jappkak versahen uns mit
Brennmaterial. Von Wild sahen wir in diesen Tagen nur Kamelspuren und
einzelne Raben, die uns folgten. Tokta Ahun, der hier ein weniger guter
Führer war als in den Kara-koschun-Sümpfen, fand den Kara-dawan nicht,
ich kam aber ohne Hilfe durch das Gebirge.

Als ich am 27. Dezember in dem fürchterlich kalten Wintermorgen aus
meiner Jurte schaute, fand ich den Boden mit einer ziemlich hohen
Schneeschicht bedeckt, und das Schneetreiben dauerte den ganzen
Tag an. Der Wind verfolgte uns ebenso eigensinnig wie im Sommer im
inneren Tibet. Am 29. Dezember schliefen wir bei Sturm ein, erwachten
am folgenden Morgen bei Sturm, ritten den ganzen Tag durch heulende
Sturmböen und lagerten am Abend im Sturme. Es weht und zieht in der
Jurte, die auf allen Seiten verankert werden muß, um nicht umzukippen,
in welchem Falle der erhitzte Ofen die Filzdecken in Brand setzen
und meine kostbaren Kartenblätter in alle Winde fliegen würden. Wir
sehnten uns nach der Wüste, wo die Luft, wenigstens während der kalten
Jahreszeit, nicht in beständigem Aufruhr ist, sondern wo gewissermaßen
Waffenstillstand herrscht.

Einige der Quellen, an welchen wir lagerten, haben chinesische Namen:
Lap-schi-tschen, Ku-schu-cha und Ja-ma-tschan. An den letztgenannten
knüpft sich die Erinnerung an eine blutige Episode. Im Sommer 1896,
um die Zeit, als ich mich das vorige Mal in Nordtibet befand, kamen
die Reste der in der Gegend von Si-ning geschlagenen Armee der
aufrührerischen Dunganen an diese Quelle. Die Chinesen schickten ihnen
von Sa-tscheo ein Kriegsheer entgegen; es kam zum Kampfe, eine große
Zahl Dunganen wurden erschlagen, andere wieder als Gefangene nach
Sa-tscheo gebracht. Massen von menschlichen Skeletteilen lagen noch an
der Quelle. Fünfhundert Dunganen mit Frauen und Kindern entkamen. Sie
hatten eine Anzahl Kamele, Maulesel und Pferde bei sich, die sie aus
Mangel an Lebensmitteln verzehrten. Während dieser Unruhen wurde von
Abdall eine Gesandtschaft nach Sa-tscheo geschickt, bestehend aus einem
Chinesen, einem Dunganen und zwei Muselmännern, nämlich Islam Ahun,
einem Verwandten Tokta Ahuns, und Erke Dschan, dem älteren Bruder des
Nias Baki Bek, eines unserer Freunde in Kum-tschappgan. Als diese vier
Männer durch das Astin-tag-Gebiet zurückkehrten, trafen sie dort mit
den Dunganen zusammen und wurden von ihnen an der Ja-ma-tschan-Quelle
getötet. Die 500 Dunganen zogen nach Abdall, wo sie durch ein ihnen
entgegentretendes Heer gezwungen wurden, die Waffen zu strecken. Dann
wurden sie nach Kara-kum, einer neuangelegten Kolonie, gebracht, wo sie
noch heute in Frieden leben und den Beweis liefern, daß die Chinesen
gegen ihre rebellischen Untertanen nicht immer barbarisch sind.

An der Ja-ma-tschan-Quelle steht eine 1½ Meter hohe Steinpyramide,
welche eine Tafel mit chinesischen Schriftzeichen trägt -- ob damit die
Erinnerung an den kläglichen Sieg über eine Handvoll ganz erschöpfter
Dunganen bewahrt oder ausgedrückt werden soll, daß diese arme Gegend
zum Reiche der Mitte gehört, ist mir unbekannt.

Vor etwa 30 Jahren hielten sich in diesen Gebirgsgegenden oft
dunganische Jäger auf. Die einzigen Spuren, die sie hinterlassen haben,
waren einige Fuchsfallen, von den Muselmännern „Kasgak“ genannt. Diese
sehen genau aus wie Gräber oder längliche Steinhaufen und bilden
einen Tunnel; am inneren Ende hängt ein großer Stein so lose, daß er
herunterfällt und den Fuchs erschlägt, der in die Falle kriecht, um
sich ein in einer Schlinge hängendes Fleischstück zu holen. Durch
den Verkauf von Fuchsfellen hatten diese Jäger einen ziemlich guten
Verdienst.

In der Nacht auf den 31. Dezember hielt der Sturm mit furchtbarer Wut
an. Die Stangen fielen von der Kuppel der Jurte herunter, und diese
mußte provisorisch mit Stricken festgebunden werden. Das Feuer muß
ausgehen, und man taut erst auf, wenn man in seinem warmen Pelzneste
liegt; dann aber kann es draußen toben, soviel es will. Es war morgens
trotz des klaren Himmels dunkel, und man hörte nur das Heulen des um
die Ecken pfeifenden Windes. Das Jahrhundert endete in diesen Gegenden
mit einem richtigen Säkularsturme. Das Reiten ist unter solchen
Umständen eine Tortur. Man kämpft vergebens mit der Kälte und kann
kaum die Lebensgeister wachhalten. Man wird schläfrig und betäubt,
die Glieder erstarren sozusagen in der Stellung, die man zu Pferde
einnimmt, und es bedarf einer Kraftanstrengung, um aus dem Sattel zu
kommen. Die Neujahrsnacht war sehr kalt und sternenklar, und der Mond
stand wie eine elektrische Bogenlampe am Himmel. Ich las die Bibeltexte
und die Psalmen, die am letzten Abende des Jahres in allen Kirchen
Schwedens gesungen werden, und wartete in meiner Einsamkeit die Wende
des Jahrhunderts ab. Es ist ein großer Anblick, wenn das Jahrhundert in
die Nacht der Zeiten hinabsinkt! Hier läuteten keine Kirchenglocken;
nur der Sturm, dem der Wechsel der Jahrhunderte nichts anhaben kann,
sang mit brausenden Orgeltönen seinen wehmütigen Trauermarsch.

Am 1. Januar 1901 stürzten mit unverminderter Kraft unerschöpfliche
Kaskaden von Luft durch die Täler. Von einer kleinen Paßschwelle
erblickten wir das gewaltige Bergmassiv des +Anambaruin-ula+.
Der +Anambaruin-gol+ ist ein Fluß, der hier die Astin-tag-Kette
durchbricht, um in die Sandwüste hinauszugehen und dort zu sterben.
Die Gegend pflegt oft, besonders im Sommer, von Mongolen besucht zu
werden, und als wir nachher in einiger Entfernung ein grasendes Pferd
umherlaufen sahen, nahmen wir fest an, daß wir jetzt mit Mongolen
zusammentreffen würden. Das Tier betrachtete uns mit scheuen Blicken,
als wir unsere Zelte in der Talweitung am Flußufer aufschlugen. Doch
wie gründlich wir auch am nächsten Tage partienweise die Gegend
abstreiften, von Mongolen war keine Spur zu entdecken; sie waren
augenscheinlich schon lange fortgezogen.

Für uns war es eine Enttäuschung, sie nicht zu finden und auf ihre
Auskunft über die Gegend verzichten zu müssen. Da wir jedoch Zeit
hatten, beschloß ich, die Mongolen um jeden Preis ausfindig zu machen.
Dieser Abstecher war auf 310 Kilometer zu veranschlagen; wir gingen
dabei um den Gebirgsstock des Anambaruin-ula herum.

Um für die ersten Mongolen, die wir treffen würden, eine angenehme
Überraschung in Bereitschaft zu haben, wollten wir das entlaufene
Pferd mitnehmen. Es erwies sich aber als ganz unmöglich, das Tier
einzufangen; nicht einmal mit Lasso und Treibjagd ließ es sich
überrumpeln. Schließlich stürmte es talaufwärts davon. Es war in der
Einsamkeit verwildert und so scheu wie ein Kulan.



Zweites Kapitel.

Bei den Särtängmongolen und durch die Gobiwüste.


Jetzt schritt unser Zug mehrere Tage lang gerade nach Osten. Den ersten
Tag ging es ein großartiges, zwischen wilden, nackten Felswänden
eingeschnittenes Tal hinauf, in welchem der Anambaruin-gol, mit
blauschimmerndem, glattem Eise bedeckt, im Winterschlafe lag (Abb.
178, 179, 180). Einige Steinhütten zeigten, daß Mongolen das Tal dann
und wann besuchten. Gerade unter dem Passe, der die östliche Grenze
des Tales bildet, ließen wir uns in der Kälte nieder. Eine Herde von
12 Archaris kletterte geschickt und mit affenartiger Sicherheit auf
einigen Felsvorsprüngen neben unserem Wege umher. Während sie die
Karawane betrachteten, schlich sich Schagdur unter ihren sicheren
Aussichtspunkt. Der Schuß rollte wie ein Echo zwischen den Bergwänden,
und ein kolossaler Widder taumelte haltlos aus einer Höhe von 50 Meter
herunter. Es wird von diesen wilden Schafen erzählt, daß sie, wenn sie
auf ihren Felsenpfaden stolpern und ausgleiten, immer auf die Hörner
fallen und dadurch die Wucht des Anpralls dämpfen. Schagdurs Opfer
gehorchte diesem Gesetze sogar im Tode, denn er schlug mit den Hörnern
polternd auf das Geröll auf. Unser Weg war lang gewesen, und im Lager
war viel zu tun. Erst um Mitternacht kamen die Leute mit dem Archari,
das sie auf ein Kamel geladen hatten, an. Es war mörderisch kalt in
dem Winde, -28,5 Grad. Man glaubte, die Kälte in der klaren Nachtluft
förmlich zittern zu sehen, und der Mond stand hoch und hell über den
Schneefeldern der Gebirge.

Am folgenden Tag überschritten wir noch einen Paß und gelangten in die
Gegenden des Gebirges, aus denen die Sommerflüsse südwärts nach dem
Zaidambecken gehen. An einer Stelle sahen wir dessen Sandwüste zwischen
isolierten, mächtigen Bergkomplexen.

So wanderten wir durch diese wilde Gebirgswelt nach Osten weiter.
Wir hatten unter der Kälte und dem Winde zu leiden, es fehlte an
Feuerungsmaterial, und ein paar Packleitern gingen darauf. Die Tiere
hatten es auch nicht besser, denn die Weideplätze waren ebenso selten
wie spärlich, und sogar die Quellen waren knapp. Den Kamelen macht es
nichts aus, ein paar Tage zu dursten, die Pferde aber kauten Schnee,
wenn sich ihnen weiter nichts bot. Im Norden erhebt sich das mächtige
Massiv des Anambaruin-ula, im Süden ein kleinerer Bergrücken. Als es
am 6. Januar Tag wurde, sahen wir offene Ebenen im Süden und Südosten
und vor uns hatten wir jetzt das Hochlandbecken, das +Särtäng+ heißt
und von Särtängmongolen bewohnt wird, die mit den Bewohnern von Zaidam
stammverwandt sind.

Fern im Osten sieht man den +Bulungir-nor+ und die Wasserläufe, die
sich in diesen kleinen See ergießen. Die vortrefflichen Weiden, die uns
nach dem platten Lande zogen, waren jetzt freilich gelb, aber unsere
Tiere würden sich nichtsdestoweniger dort sattfressen können, und wir
wollten sie, obwohl es schon zu dämmern anfing, gern noch zum Abend
erreichen. Einige schwarze Punkte hier und dort hielten wir für Zelte
und Herden, aber die Entfernung war zu groß, um etwas deutlich erkennen
zu können, und nach einer Weile hüllte sich das Land in Dunkelheit.
Schagdur und Mollah sprengten voraus; eine Stunde später erhellte
ein Feuer die Nacht; sie hatten augenscheinlich den Rand der Steppe
erreicht und dort trockenes Gras und Gestrüpp in Brand gesteckt. Die
langsam gehende Karawane brauchte noch zwei Stunden, um dorthin zu
gelangen; als wir aber einmal da waren, durften die Tiere ungeknebelt
die ganze Nacht grasen. In solchen Gegenden laufen sie nicht fort.

Als ich am folgenden Morgen geweckt wurde, hatten die Leute schon
weiter im Süden einige Zeltlager entdeckt, nach denen wir unsere
Schritte hinlenkten. Zuerst gelangten wir an drei Jurten, um welche
herum große Herden von Rindern, Pferden und Schafen weideten. Eine alte
Frau kam herausgelaufen und empfing uns ohne eine Spur von Furcht;
sie fuhr, während sie schwatzte, ganz ruhig mit ihrer Handarbeit --
Schnurdrehen -- fort. Doch bat sie uns, ja nicht hier zu bleiben, denn
hier seien nur Frauen und Kinder zu Hause; wir zogen deshalb weiter,
bis wir drei andere Jurten erreichten, wo zwei Männer versicherten, daß
wir willkommen seien und unsere Zelte bei ihnen aufschlagen könnten.

Wir hatten es gut bei diesen freundlichen, gastfreien Mongolen von
+Sando+, die uns verkauften, was wir an Proviant brauchten, aber keine
Karawanentiere abgeben konnten. Die Gegend war übrigens sehr spärlich
bevölkert; nur einige wenige Jurten waren auf der Ebene zu sehen.
Eine große Karawane war kürzlich nach dem Tempel von Kum-bum und eine
zweite nach Sa-tscheo aufgebrochen. Die Mongolen, die noch hier waren,
besuchten uns alle. Ich frischte bald das Mongolische, das ich auf
meiner früheren Reise gelernt hatte, wieder auf, und überdies war
Schagdur ein vorzüglicher Dolmetscher; es war ja seine Muttersprache,
die er hier zu seiner Freude wiederfand.

Nach einigen angenehmen Rasttagen, während welcher die Kälte auf -32,5
Grad hinunterging, traten wir den Rückweg nach dem Anambaruin-gol an,
diesmal aber auf der Nordseite des Gebirgsstockes gleichen Namens.
In vier Tagen zogen wir nach Norden über diese Kette, welche die
Fortsetzung des Astin-tag bildet. Wir lagerten zuerst am Bulungir-nor,
wo die Wölfe rings um unser Lager heulten, nachher in bergigen
Gegenden. Der Hauptpaß +Scho-ovo+ (der kleine Obo) ist eine scharf
ausgeprägte Schwelle, und besonders der Nordabhang ist ungeheuer
steil. Die Kamele mußten, um nicht kopfüber in den Abgrund zu stürzen,
einzeln geführt werden. Ein mächtiger Fluß rauscht im Sommer durch das
nördliche Quertal und hat nur zu deutliche Spuren seiner aushöhlenden,
einsägenden Tätigkeit hinterlassen. Rebhühner kamen in Menge vor, und
ich lebte während der ganzen Reise durch den Anambar-ula von nichts
anderem, obgleich wir Schaffleisch vollauf hatten.

Von dem kleinen, am Nordfuße des Gebirges liegenden Aule +Scho-ovo+
an ging unser Weg nach Westen. Wir waren hier von der Stadt Sa-tscheo
oder Tung-chuan (von den Muselmännern Dung-chan genannt) nur noch eine
Tagereise entfernt. Vielleicht war es ein Glück, daß wir diesen Ort
während der Unruhen in China, von denen wir allerdings nichts gehört
hatten, nicht besuchten. Unser Führer war ein netter alter Mongole
(Abb. 181, 183), der die Gegend ganz genau kannte, uns fünf Kamele
bis nach dem Anambaruin-gol vermietete und uns einen reichlichen
Vorrat von Gerste, soviel wir transportieren konnten, verkaufte. Der
Boden war jetzt überall mit Schnee bedeckt, aber nicht so hoch, daß
unsere Tiere sich nicht an den Lagerplätzen an Gras hätten sattfressen
können. Er war auch von unzähligen Schluchten durchsägt, die bis zu 10
Meter tief waren und steile, schwer zu erklimmende Wände hatten. Der
nächste Lagerplatz hieß +Dawato+; dort tobte ein verwünschter Wind, der
vom Gebirge herabstürzte. Es scheint eine Art lokaler Föhn zu sein,
denn er hörte sofort auf, als wir am nächsten Tag einen kleinen Paß
überschritten hatten, und er erhöhte die Minimaltemperatur auf -16 Grad.

[Illustration: 174. Der Platz, an dem wir umkehrten. (S. 8.)]

[Illustration: 175. Das Gewölbe im Tale. (S. 8.)]

[Illustration: 176. Die Kamele werden einzeln nach dem Hauptpasse
hinaufgeführt. (S. 8.)]

[Illustration: 177. Die Quelle am 22. Dezember 1900. (S. 9.)]

Am 18. Januar gelangten wir an das Tal von +Dschong-duntsa+, eine sehr
breite, 50 Meter tief in mächtige Geröllbette eingeschnittene Furche
(Abb. 182). Von dem Stocke des Anambaruin-ula gehen unzählige derartige
Täler nach Norden, vereinigen sich nach und nach zu Hauptbetten und
laufen in die Wüste hinaus, wo sie jedoch bald aufhören. Nur dadurch,
daß wir eine kleine Schlucht, die in das obengenannte Haupttal
ausmündet, hinuntergingen, konnten wir seinen Boden überhaupt erreichen
(Abb. 184, 185, 186). Sie schlängelt sich wie ein Korridor, in dem das
Echo hellklingt, zwischen lotrechten Geröllwänden hin. Sie hat ziemlich
steiles Gefälle und wird immer enger und dunkler. Doch nach einer
letzten Biegung wird es wieder hell, und das sonnenbeleuchtete Tal
mit seiner Vegetation und seinem eisbedeckten Flusse strahlt uns wie
durch eine geöffnete Pforte entgegen. Auf dem linken Ufer des Flusses
lagerten wir in einer großartigen, phantastischen Natur.

Die Talmündungen, die vom Gebirgsstocke des Anambaruin-ula ausgehen,
sind wahrhaft großartige, entzückende Gegenden. In einer von ihnen, die
+Lu-tschuentsa+ heißt, lagen in einem Walde von kleinen Weiden mächtige
Eistafeln, an den Bachufern wuchs prachtvolles Gras, und Steinhütten
und Gerstenfelder verkündeten, daß sich hier vor noch gar nicht langer
Zeit Mongolen aufgehalten haben (Abb. 187, 188). Der Weg selbst ist
um so schlechter, mit Riesenschluchten bis ins Unendliche und mit
zahllosen kleinen Furchen dazwischen. Sie sind oft tief zwischen
lotrechten Wänden eingeschnitten; das Ganze ist ein Meer von Geröll,
malerisch, aber beschwerlich. Die Karawane verschwindet manchmal in
diesen Rinnen und taucht an einer weniger steilen Stelle wieder auf.

Bei dem Lager am +Gaschun-gol+ schoß Schagdur ein wildes Kamel. Diese
Tiere kommen in der Gegend ziemlich häufig vor, bald nördlich von
unserem Wege auf den untersten Abhängen des Gebirges und am Rande
der Wüste, bald auch, merkwürdigerweise, in den südlichen Tälern,
wo es meiner Meinung nach nicht schwer sein müßte, ganze Herden in
Sackgassen, aus denen es keinen Ausweg gibt, hineinzutreiben. Wir sahen
sie oft in Herden von 15-20 Tieren.

Am 24. Januar wurde die letzte Strecke bis +Chan-ambal+ zurückgelegt,
wo wir auf derselben Stelle wie vor drei Wochen lagerten. Nahe
dabei trafen wir die einzige Karawane, die wir auf dieser ganzen
viermonatigen Reise sahen, zwei Chinesen, die auf zehn Kamelen gedörrte
und gefrorene Fische nach Sa-tscheo brachten. Sie kamen, wie sie
sagten, aus Lovo-nur, d. h. Lop-nor. Ich wollte ein oder zwei Pakete
ihrer Fische erstehen, aber sie weigerten sich hartnäckig, uns etwas
zu verkaufen. Meine Leute schlugen vor, wir sollten uns ganz einfach
nehmen, was wir brauchten, aber ich bin nicht für Gewalt und zog es
vor, die Chinesen unbehelligt weiterziehen zu lassen.

Mit der Rückkehr an diesen Lagerplatz, der von Abdall gerechnet Nr.
131 war, hatten wir den Anambaruin-ula umgangen, aber den eigentlichen
Zweck des ganzen Umweges, uns Kamele zu verschaffen, nicht erreicht.
Wir hatten nicht einmal ein Pferd kaufen können, und unsere Karawane
war durch den Umweg ermüdet worden. Die Kamele befanden sich noch
in guter Verfassung, aber mehrere Pferde zeigten schon Symptome der
Erschöpfung. Der Gewinn der Reise war, daß wir ein geographisch sehr
merkwürdiges Land kennengelernt hatten.

Große Strecken unbekannten Landes lagen noch vor uns, und in der
Zusammensetzung der Karawane mußte eine Änderung vorgenommen werden.
Sechs Pferde, die nicht aussahen, als hätten sie noch Kräfte genug
für zweimonatige Strapazen, wurden ausgeschieden, und alles, was sich
entbehren ließ oder jetzt nicht notwendig war, von unserem Gepäck
abgesondert, besonders alle Gesteinproben und Skelette. Mit dieser
kleinen Karawane sollten Tokta Ahun und Ahmet nach Abdall zurückkehren.
Ersterer hatte außerdem folgende wichtige Aufträge auszuführen. Mit den
müden Pferden sollte er sich von Abdall nach Tscharchlik begeben und
dort von Tscherdon und Islam Bai allerlei später für uns notwendige
Proviantartikel erhalten, worüber ich ihm schriftlichen Befehl an die
beiden mitgab. Sodann hatte er wieder nach Abdall zurückzukehren, um
uns von dort aus entgegenzukommen, und den Postdschigiten, der der
Verabredung gemäß während meiner Abwesenheit vom Generalkonsul in
Kaschgar in Tscharchlik angelangt sein mußte, ebenfalls mitzunehmen.
Der Dschigit sollte hierbei noch immer dafür verantwortlich sein,
daß mir die Posttasche in unverletztem Zustande übergeben würde. Von
Kum-tschappgan sollte Tokta Ahun drei volle Tagereisen am Nordufer
des Kara-koschun entlangreiten, drei frische Pferde mitnehmen und in
einer geeigneten Gegend ein Standlager errichten. Zwei Kähne und einige
gut mit der Gegend bekannte einheimische Fischer hatte er ebenfalls
mitzubringen.

Nachdem diese Hilfsexpedition einen guten, angenehmen Rastplatz
ausgesucht, sollte sie dort eine Hütte bauen, ihre Netze auslegen
und Enten fangen, damit wir, die aus der Wüste kommen würden, nach
den Anstrengungen Obdach und Verpflegung vorfänden. Auf einem nach
Norden weithin sichtbaren Hügel sollten sie zweimal täglich, um 12
Uhr mittags und nach Einbruch der Dunkelheit, ein Feuer anzünden,
dessen Rauchwolken und Schein uns als Leuchtturm dienen könnten. An
dem verabredeten Vereinigungspunkte drei Tagereisen nordöstlich von
Kum-tschappgan mußten sie sich in spätestens 45 Tagen, vom 27. Januar
an gerechnet, einfinden und sofort mit dem Signalisieren beginnen,
sowie geduldig auf unsere Ankunft warten, falls wir aufgehalten werden
sollten. Tokta Ahun war betrübt, daß er sich von uns trennen sollte,
aber ich tröstete ihn damit, daß es sein Vorteil sein würde, wenn er
seinen Auftrag gut ausführe.

So dezimiert, zogen wir am 27. Januar weiter, um die Wüste Gobi gerade
nach Norden zu durchwandern. Wir marschierten also durch das Tal
hinunter, das der Anambaruin-gol durch die Bergkette des Astin-tag
geschnitten hat. An einer Flußbiegung standen drei von Äckern umgebene
mongolische Steinhütten. Das Tal erweitert sich, die Berge auf seinen
Seiten bilden isolierte Partien, Hügel und wellenförmiges Land, das
schließlich in die Wüste übergeht. Auch der Fluß wird schwächer, seine
Uferterrassen werden immer niedriger, seine Eisschollen immer dünner,
und nur ein unbedeutendes Rinnsal rieselt noch unter ihnen. Der Schnee
wird immer seltener, und es war deutlich zu beobachten, daß er bald
ganz aufhören würde.

An dem Punkte, wo die letzten Eisschollen im Tale lagen, machten wir
eine bedeutungsvolle Rast. Wo und wann würden wir das nächste Mal
Wasser finden? Darüber schwebten wir in gänzlicher Ungewißheit. Der
Sicherheit halber befahl ich, für 10 Tage Eis mitzunehmen. Die Eisdecke
des Bettes wurde aufgebrochen und fünf Säcke mit dicken Scheiben
gefüllt. Ein Sack reichte, unserer Ansicht nach, volle zwei Tage für
Leute und Tiere.

Die schon vorher ansehnlichen Lasten der Kamele wurden hierdurch noch
vergrößert, aber das Terrain war gut, und es ging eben und langsam
bergab. Es ist herrlich, das Gebirge hinter sich lassen zu können und
erst in einer freundlicheren Jahreszeit dorthin zurückzukehren.

Nur ich, Schagdur und Faisullah durften an diesem Tage reiten, doch
sobald die Zugordnung in Gang gekommen war, sollten wir die vier Pferde
abwechselnd benutzen.

Je weiter wir uns von der Bergkette entfernen, desto mehr schmelzen
die Einzelheiten ihres Aufbaues zusammen; aber je weiter wir gelangen,
desto deutlicher zeichnen sich dafür ihre beiden Rücken ab. Der
hintere, den die Mongolen +Tsagan-ula+ (das weiße Gebirge) nennen,
erhebt sich hoch und dominierend mit seinem schön gezeichneten,
schneebedeckten Kamme; der vordere, nördliche, den der Fluß
durchbricht, steht schwarz da und hat gemäßigtere, sanftere Linien.

Das Terrain und die Landschaft verändern sich vollständig; das
Geröll, das uns seit einem Monat zu schaffen machte, wird spärlicher
und hört ganz auf, der Boden wird weicher, und wir können zwischen
den Schneeflecken reiten, so daß die Pferde von den unangenehmen
Schneesohlen, die sich unter den Hufen bilden, verschont bleiben.
Hier und dort ist die aus Teresken und Tamarisken bestehende
Steppenvegetation recht üppig. Im Norden versperren niedrige, rötliche
Berge die Aussicht über das Wüstenmeer. Neben einem kleinen Hügel
fanden wir einen vortrefflichen Platz für das Lager. Dürre Büschel
versahen uns mit Kamelfutter und Feuerung, und in einer Spalte lag noch
eine letzte Schneewehe, so daß wir den Eisvorrat nicht anzubrechen
brauchten. Zwei wilde Kamele wurden von den Hunden in die Flucht
gejagt, liefen aber so schnell längs des Fußes der Hügel hin, daß
die Hunde, wie sehr sie sich auch anstrengten, so weit hinter ihnen
zurückblieben, daß an ein Einholen gar nicht zu denken war.

Der nächste Tag brachte uns pfeifenden westlichen Sturm, der mit
aufgewirbeltem Staub und schweren, grauen Wolken gesättigt war. Für
die Pferde wurden einige Eimer Schnee über dem Feuer geschmolzen, die
Kamele aber und die Hunde konnten sich selbst von den Schneewehen
versehen. Wir näherten uns dem Fuße des Wüstengebirges. Die
Steppenvegetation ist oft außerordentlich üppig. Sie besteht aus
jenen holzigen, oft ziemlich hohen, Nadeln tragenden Sträuchern und
Büschen, welche die Muselmänner „Tschakkande“ und „Köuruk“ nennen
und die mit der gewöhnlichen Tamariske verwandt sind. Manchmal sind
sie vertrocknet, und dann liegen ganze Wagenladungen vortrefflichen
Brennmaterials bereit, so daß man oft in Versuchung gerät, nur um
ihretwillen zu lagern.

Wir überschreiten ein sehr breites, aber wenig tief eingeschnittenes
Bett, dem alle Gewässer der Gegend zuströmen. Das Bett geht nach
Westnordwest, in der Richtung des Lop-nor-Beckens. Obwohl das Gefälle
auf der anderen Seite außerordentlich stark wurde, war es für uns
doch leicht, über den niedrigen Paß der Wüstenkette hinüberzukommen,
auf dessen anderer Seite die Zelte zwischen weichen, trockenen und
angenehmen Sanddünen aufgeschlagen wurden. Unterhalb des Passes begann
jetzt auch „Suk-suk“ (Saksaul, ~Anabasis ammodendron~) aufzutreten.

Während des Marsches am 29. Januar verloren wir uns wieder in einem
Gewirr von nicht sehr hohen Bergen. Von neuem stießen wir auf einen
deutlichen Weg aus früheren Zeiten. Am Boden war keine Spur mehr davon
zu sehen; er war schon lange von der Zeit vertilgt worden, aber auf
allen Hügeln und Vorsprüngen standen kleine Steinmale oder Wegzeichen,
deren wir wohl 20 zählten. Gewöhnlich bestehen sie aus einer großen und
einer kleinen Steinplatte, die sich aneinanderlehnen, oder auch aus
einem würfelförmigen Steine, der zwei aufeinandergelegte runde Steine
trägt. Daß es sich hier nicht um einen zufälligen Jägerpfad handelt,
beweisen die Steinmale. Jäger finden sich überall zurecht und bleiben
nicht ausschließlich auf bekannten Wegen, Steinmale aber sind nur für
Reisende nötig, die sonst nicht wissen, wo der Weg geht. Wahrscheinlich
war es die Fortsetzung des Weges, den wir schon im Astin-tag gesehen
hatten, und ohne Zweifel ist er von Pilgern benutzt worden. Er wird
wohl ziemlich alt sein; die Steinmale kann nur die Verwitterung
vernichten, denn keine Stürme können sie hier mit Sand verschütten oder
umwerfen.

Nachdem wir noch einen kleinen Paß überschritten hatten, lag das
gelbe Meer der Wüste vor uns. Seine Dünenwellen sahen unheimlich und
bizarr aus. In der letzten Talmündung wurde Rast gemacht. Man hat hier
das Gefühl, sich an der Küste des Wüstenmeers zu befinden. Auf einer
Anhöhe thronte ein letztes Steinmal. Saksaule wuchsen hier üppig und
erreichten eine Höhe von 3 Meter.

Die letzten Ausläufer auf beiden Seiten dieser Talmündung sind zur
Hälfte versandet. Die Dünen klettern hoch an ihnen hinauf. Sie
versinken in die unbekannte Tiefe des Wüstenmeers. An Niederschlägen
fehlt es in diesen Wüstenbergen nicht. Von Zeit zu Zeit fällt hier
Regen, dessen Wasser sich zu einem Bach vereinigt, der, wenn auch
von kurzer Dauer, doch eine bedeutende Wassermenge führen zu können
scheint. Und daß er eine achtunggebietende Kraft besitzt, sehen wir an
seiner sich zwischen kolossalen Sanddünen hinschlängelnden Rinne. Bald
läuft diese nach Osten, biegt aber, wenn sie auf einen Sandberg stößt,
nordwärts ab, bald nach Westen, um, von einer anderen Düne abgedrängt,
wieder nach Norden zu gehen. Ohne einen solchen natürlichen Korridor
wäre es ziemlich schwer gewesen, sich einen Weg durch diesen gewaltigen
Flugsandgürtel zu bahnen, und man erstaunt, daß die Erosion stark genug
ist, den Sand zu bekämpfen.

Den ganzen Tag ging ich zu Fuß voraus, um nicht in dem ewigen, eisigen
Winde zu erfrieren. Dann und wann guckt eine zur Hälfte begrabene
Saksaulpflanze aus dem Sande. Die gestern noch außerordentlich
zahlreichen Spuren von wilden Kamelen und Antilopen haben ganz
aufgehört; die scheuen Tiere wollen das Terrain überschauen und
hüten sich vor einer so schmalen, gefährlichen Passage. Noch mehrere
Kilometer vom Fuße des Gebirges entfernt liegen Granitstücke von
Kubikmetergröße auf dem Sande. Weshalb liegen sie da? Weshalb begräbt
sie der Triebsand nicht? Dies muß seinen Grund in den Bahnen haben, die
der Wind beschreibt und die keine Ablagerung in der Nähe eines solchen
Hindernisses zulassen.

Allmählich wird das Bett weniger ausgeprägt, sein Boden ist oft
versandet, und die Dünen auf den Seiten erreichen nicht mehr
die himmelstürmende Höhe wie am Fuße des Gebirges. Die kleine
Wüstenkette, die wir in zwei Pässen überschritten haben, gleicht einem
Wellenbrecher, der die Ausbreitung des Flugsandes nach Süden unmöglich
macht. Sie schützt den nördlich vom Astin-tag liegenden Steppengürtel.

Schließlich hörte das Bett zwischen den Dünen auf, bildete vorher aber
noch eine Erweiterung, die einem kleinen See glich, obwohl keine Spuren
von Wasser entdeckt werden konnten. Im Norden dieser Bodensenkung erhob
sich ein hoher Dünenwall, und von seinem Kamme erblickten wir das
eigentliche Wüstenmeer in seiner ganzen, großartigen Öde; es sah ebenso
aus wie in so vielen anderen Gegenden, in denen ich die Wüste Gobi
durchwandert hatte. Nicht die kleinste Pflanze überschritt die Grenze;
im Norden, Osten und Westen sah man nichts als Sand, Sand und wieder
Sand (Abb. 189, 192).

Wie gewöhnlich in den Sandwüsten ging ich zu Fuß voraus, und nur
langsam konnte die Karawane meinen schnellen Schritten folgen. Ich
glaubte an mein altes Wüstenglück und war überzeugt, daß ich auch jetzt
die Meinen durch die Gefahren der Dünenberge lotsen würde. Ich hatte
das Fernglas bei mir, suchte die ebensten Flächen aus und freute mich
über die Einsamkeit und die große Stille.

Das heutige Lager wurde mitten in der Sandwüste aufgeschlagen, wo
ringsherum nichts als Sand zu sehen war.

Während des folgenden Tagemarsches wurden die Dünen immer niedriger
und gingen schließlich in den darunterliegenden Lehmboden über, der
in mehrere ungleiche Etagen von nach Norden abfallenden Terrassen
ausgearbeitet ist. Am 1. Februar wurde diese Landschaftsform noch
ausgeprägter (Abb. 190). Die Terrassen zeigen wie Finger nach
Nordnordost und sind oft 50 Meter hoch. Gegen Abend erreichten wir zu
unserer freudigen Überraschung wieder einen Steppengürtel, wo Kamisch
und Tamarisken üppig wucherten und Spuren von Wölfen, Antilopen und
Kamelen einander kreuzten. Ein Brunnen gab in einer Tiefe von 1,14
Meter salzhaltiges aber trinkbares Wasser (Abb. 191). Es quoll jedoch
so langsam aus dem auf blauem Ton ruhenden Sandlager, daß es nur den
Appetit der Kamele nach „mehr“ reizte.

Noch einen Tag erfreuten wir uns des Steppengürtels und folgten den
Pfaden der wilden Kamele nach Norden. Sogar eine Gruppe knorriger
Pappeln wurde passiert. Doch nur in einer von ihnen war noch ein
Fünkchen Leben; die übrigen waren lauter geschlagene Helden.

Bei dem Lager, das hier aufgeschlagen wurde, es war Nr. 138, hatten
wir alles, dessen wir bedurften, und wir verbrachten hier zwei sehr
notwendige Ruhetage. Während ich eine Sonnenobservation machte,
buken die Männer Brot und hielten große Wäsche. Ein sehr ergiebiger
Brunnen spendete den Kamelen für lange Zeit Wasser. Sie tranken je
sieben Eimer. Das Wasser war fast ganz süß, und dadurch, daß wir es
in dem offenen Becken gefrieren ließen, konnten wir unseren Eisvorrat
vergrößern.

Hinter diesem Punkte folgte wieder sterile Wüste, aus deren lockerem
Lehmboden vom Winde sehr eigentümliche, bis zu 8 Meter hohe Kegel und
Würfel geformt worden sind, die oft täuschende Ähnlichkeit mit Ruinen
von Häusern und Mauern haben. Am Abend wurde ein wichtiger Punkt
erreicht, und jetzt kam Mollahs Wegkenntnis zum erstenmal zur Geltung.
Er war mehrmals mit Karawanen von Abdall nach Sa-tscheo und zurück
geritten, hatte dabei stets den Astin-joll (den unteren Weg) durch die
Wüste benutzt und kannte dort alle Brunnen und ihre Namen. An einem der
letzteren, +Atschik-kuduk+ (der salzige Brunnen), schlugen wir jetzt
unsere Zelte auf. Er verdiente seinen Namen, denn das Wasser war selbst
für die Kamele absolut untrinkbar. Spuren in dem feuchten, salzhaltigen
Boden verrieten, daß vor gar nicht langer Zeit eine Karawane von Abdall
nach Sa-tscheo hier vorbeigezogen war und ohne Zweifel Fische, welche
die Chinesen sehr lieben, transportiert hatte.

Dieser Wüstenweg ist schon von Kosloff, Bonin und möglicherweise auch
von Marco Polo bereist worden. Es war meine Absicht, ihn nur zu kreuzen
und direkt nach Norden weiterzuziehen, aber die Klugheit gebot uns
doch, uns nicht in unbekannte Wüstengegenden hineinzuwagen, ohne mit
einem genügenden Eisvorrat versehen zu sein. Der nächste Brunnen im
Westen war der +Tograk-kuduk+ (Pappelbrunnen); dort sollte das Wasser
nach Mollahs Versicherung gut sein. Wir begaben uns also dorthin und
ruhten einen Tag, an dem ein bedeutender Eisvorrat von dem Brunnen
geholt wurde (Abb. 193). Es war keine Kunst, die Säcke zu füllen, da
die Kälte noch -27,5 Grad betrug. Bei Tage war es allerdings nur ein
paar Grad kalt.

Als wir uns am 8. Februar nordwärts auf eine lange, ziemlich waghalsige
Reise ohne Rasttage begaben, hatten wir also für Menschen und Tiere auf
mindestens zehn Tage Wasser.

Durch dichtes Schilf, das von der Kälte gelb und dürr geworden ist und
knisternd bricht, wenn wir hindurchschreiten, geht es einem unbekannten
Lande entgegen, aus dem nie zuvor eine Kunde zur Kenntnis der Europäer
und ebensowenig der Asiaten gelangt ist. Ich ging, wie gewöhnlich, weit
voraus. Unzählige Spuren von wilden Kamelen und Antilopen zeigen sich
in allen Richtungen, Kulane aber gibt es in dieser Gegend nicht; die
Luft ist wohl zu dicht für ihren geräumigen Brustkorb. Auf einmal hört
der Vegetationsgürtel auf und endet mit einem Labyrinth von Lehmkegeln,
die tote Tamarisken tragen. In einer Bodensenkung, wo das Erdreich
feucht aussah, hielt ich es für der Mühe wert, noch einen Brunnen zu
graben. Im Norden erhob sich eine wohl 70 Meter hohe Terrasse. In eine
ihrer Talmündungen wollten wir hineinziehen.

Die Karawanenglocken kommen immer näher. Die Weide war an dieser Stelle
gut, und die Kamele sollten noch einmal eine stärkende Mahlzeit haben.
Der Brunnen gab leidliches Wasser, und aus der Winterkälte machten wir
uns wenig; sie wurde durch prächtige Feuer gemildert.

Ein passendes Tal lockte uns in seine Mündung hinein, und einen
ganzen Tag ritten wir durch seine Rinne nach Norden. Der Boden hebt
sich außerordentlich langsam, für das Auge geradezu unmerklich.
Nach vorhandenen Karten von Innerasien müßte hier eine gewaltige
Bergkette liegen, aber die Anhöhen, die wir jetzt auf allen Seiten
sahen, waren so unbedeutend, daß sie kaum den Namen Berge verdienten.
In einer kleinen Schlucht fand ich Stücke eines uralten Eisentopfes
von sphärischer Form und einen Dreifuß, der unten einen Ring hatte.
Offenbar waren hier in früheren Zeiten Chinesen oder Mongolen
vorbeigekommen. Waren wir hier vielleicht wieder auf die Fortsetzung
des Weges, den wir im Astin-tag gesehen hatten, gestoßen, oder war dies
ein alter Weg nach Chami?

Daß wir uns in einer Gegend befanden, wo einstmals menschliche
Verbindungsstraßen gelegen haben mußten, wurde uns während der
folgenden Tagereise völlig klar. In dem breiten, offenen Tale, dem
wir nach Norden folgten, zeigten sich nämlich oft Steinmale und
Steinhaufen. Da, wo das Tal in flaches, wellenförmiges Terrain auslief,
teilte sich der alte Weg. Eine Reihe von Steinmalen erstreckte sich
nach Westsüdwesten, eine zweite nach Nordwesten. Der erste dieser
beiden Wege hat wahrscheinlich nach den Ruinen geführt, die wir
früher am Nordufer des Lop-nor gefunden hatten. Der zweite, den wir
einschlugen und der nach Turfan zu gehen schien, führte uns auf einen
niedrigen, rötlichschimmernden Kamm von ganz verwittertem Granit.
Fern im Norden wurde die Aussicht durch eine etwas höhere Kette
versperrt. Die Landschaft ist seltsam, öde, verlassen und stumm. Wie
die Menschenspuren uralt sind, ihre Bedeutung verloren haben und
nur noch in den Steinmalen als Erinnerungen aus vergangenen Zeiten
dastehen, so sind auch die Bergketten hier auf dem Wege, vom Erdboden
vertilgt worden. Wenn man an Tibet gewöhnt ist, kann man sich beinahe
nicht entschließen, diese kleinen Landrücken Berge zu nennen. Sie sind
zerfallende Ruinen von einstmals hohen Bergketten, welche jetzt durch
die Einwirkung der in der Atmosphäre wirkenden Kräfte Stück für Stück
zerstört werden. Doch denselben von Osten nach Westen gerichteten
Parallelismus wie in Tibet finden wir auch hier wieder.

In einer geschützten Spalte auf der Nordseite des Kammes fanden wir
eine liegengebliebene Schneewehe, die den Kamelen sehr zupasse kam.
Vielleicht hat dieser Schnee sie vor dem Verdursten gerettet, denn zum
Wasser hatten wir noch sehr weit.



Drittes Kapitel.

Durch unbekanntes Land auf der Suche nach Wasser.


Die ersten Anzeichen des Frühlings machten sich jetzt bemerklich, und
die Winde waren nicht mehr ganz so schneidend kalt wie bisher. Die
Minimaltemperatur stieg freilich selten über -20 Grad; aber unser
langer Winter näherte sich doch seinem Ende. Im Juli des vorigen Jahres
hatte er begonnen und ununterbrochen fortgedauert.

Am 11. Februar überschritten wir eine Bergkette von unbedeutender
relativer Höhe. Wilde Kamele haben hier außerordentlich zahlreiche
Spuren hinterlassen. Sie schienen oft nach der obenerwähnten
Schneewehe, der keine weiteren folgten, zu gehen. Wahrscheinlich hat
die Erfahrung die Tiere gelehrt, daß die geringe Schneemenge, die
hier gelegentlich fällt, an jener Stelle die größte Aussicht hat,
liegenzubleiben.

Am 12. gingen wir in einer fabelhaft öden Gegend, die nur selten durch
eine Kamelspur belebt wurde, nach Nordnordosten. In der Ferne sieht man
auf allen Seiten einzelne, niedrige Hügel, aber ziemlich lange Zeit
ist es unmöglich festzustellen, in welcher Richtung der Boden fällt.
Es gibt hier allerdings flache, gewundene Bachbetten, aber sie sind
trocken wie Zunder, und oft hat es den Anschein, als müßten Jahrzehnte
vergangen sein, seit sie zuletzt Wasser geführt haben. Der Blick reicht
unendlich weit nach allen Seiten hin. Da keine Veränderung eintrat
und keine Hoffnung vorhanden schien, daß wir hier Quellen oder Schnee
finden könnten, schwenkten wir nach Nordwesten und Westen ab.

Die beiden folgenden Tagemärsche gingen nach Südwesten. Ich hielt mit
dem Kurse immerfort auf Altimisch-bulak zu, da wir ja einen Bogen nach
Nordosten gemacht hatten. Unsere Lage war kritisch; der noch vorhandene
Eisvorrat reichte freilich für uns und die Pferde noch mehrere Tage,
aber die Kamele konnten keinen Tropfen mehr bekommen, und unser ganzes
Streben war darauf gerichtet, diese unermüdlichen Veteranen um jeden
Preis zu retten. Die Spuren der wilden Kamele wurden nunmehr stets
auf der Karte verzeichnet. Ich glaubte, daß man aus ihren Richtungen
Schlüsse auf die Lage von Quellen und Weideplätzen würde ziehen können.
Die Spuren gingen meistens nach Nordwesten oder Südosten. Im Südosten
dehnen sich die Kamischsteppen am Astin-joll aus, die wir schon
durchquert hatten, und im Nordwesten gab es wahrscheinlich Quellen,
die nur den Kamelen bekannt waren. Ich ging meistens zu Fuß und ruhte
mich nur zeitweise im Sattel aus. Wenn es wirklich darauf ankam, eine
Situation zu retten, hatte ich keine Ruhe zum Reiten. Die Kamele sind
unerschütterlich ruhig und geduldig; nachts liegen sie geknebelt,
keinen Grashalm bietet ihnen diese wüste Gegend, aber noch haben wir
Vorrat von der Gerste der Mongolen.

Am 16. Februar sah ich ein, daß wir, wenn wir eine Katastrophe
vermeiden wollten, direkt nach Süden gehen und versuchen müßten, den
Wüstenweg mit seinen salzigen Brunnen wieder zu erreichen. Vergeblich
spähten wir nach einer liegengebliebenen Schneewehe umher. Wir mußten
nach dem flachen Lande hinunter, wo wir wenigstens versuchen konnten,
einen Brunnen zu graben. Ich erstieg einen Paß in einer unbedeutenden
Kette. Die Aussicht war nichts weniger als ermutigend, denn auf allen
Seiten zeigten sich kleine Landrücken; es war dieselbe Mondlandschaft
wie immer, dieselben trockenen Hügel ohne eine Spur von Gras, aus dem
man auf eine gewisse Feuchtigkeit des Bodens hätte schließen können.

In einem breiten Tale sahen wir 57 frische Kamelspuren. Sie sammelten
sich fächerförmig von allen Seiten und vereinigten sich zu einer
Heerstraße, die ohne Zweifel nach einer Quelle führte. Nachher sahen
wir noch 30 Spuren, die alle nach der großen Heerstraße gingen. Wir
machten einen Augenblick Halt und hielten Kriegsrat. Gewiß war es,
daß es hier nach einer Quelle ging, aber wie weit war es dorthin?
Vielleicht mehrere lange Tagemärsche. Würde es nicht besser sein, nach
Altimisch-bulak, das wir wenigstens kannten, zu ziehen? Wir folgten
diesen Spuren nicht, so verlockend sie auch waren. Ganz kürzlich
waren sie wie helle Stempel in den Boden gedrückt worden, aber
merkwürdigerweise ließen sich die Kamele selbst nicht sehen. Bis in die
unendliche Ferne lag das Land leer und schweigend da. Es war, als ob
unsichtbare Geister diese Spuren hervorgerufen hätten. Ganze Karawanen
von wilden Kamelen waren hier kürzlich gezogen, aber kein Tier war
zu erblicken. Die Spuren führten nach Norden, vielleicht nach der
Pawan-bulak, einer Quelle, von der Abdu Rehim, wie er mir im vorigen
Jahre mitgeteilt hatte, gehört, die er aber nicht besucht hatte.

17. Februar. Unsere Lage fängt an, recht bedenklich zu werden. Die
Kamele haben seit zehn Tagen außer einigen Mundvoll Schnee, die wir vor
einer Woche fanden, nichts zum Löschen ihres Durstes bekommen. Ihre
Kräfte können nicht bis in alle Ewigkeit ausdauern.

Während unseres heutigen Marsches ließen wir die kleinen Ketten,
die wir auf dem Zuge nach Norden überschritten hatten, der Reihe
nach hinter uns zurück. Sie laufen eine nach der anderen im Westen
aus und verschwinden dort spurlos; sie stehen also nicht einmal in
fortlaufender Verbindung mit dem Kurruk-tag, obgleich sie zu demselben
orographischen System gehören. Fern im Westen sahen wir die Ketten
des Kurruk-tag; sie waren höher und größer als die bisher von uns
überschrittenen. Da wir in ihrer Nähe größere Aussicht hatten Wasser zu
finden als in der Wüste, richteten wir den Kurs dorthin und zogen nach
Westen.

Nachdem ich die äußersten Vorsprünge des Gebirges hinter mir gelassen
hatte, gelangte ich auf ganz ebenen salzhaltigen Boden hinunter, der
jedoch auch Höcker in Gestalt von höchstens 2 Meter hohen Rücken und
Anschwellungen hatte. Die Wüste erstreckt sich im Südwesten bis ins
Unendliche, und auch im Nordosten wird ihr Horizont durch keine Berge
verdunkelt.

Nachdem ich fünf Stunden zu Fuß gegangen war, wartete ich auf die
Karawane. Das Terrain wurde nachher schlechter als die Sandwüste. Es
waren dieselben Jardang oder Lehmrücken, die wir von der Lopwüste her
kannten; hier aber waren sie bis zu 6 Meter hoch und 10 Meter breit.
Sie haben eine nordsüdliche Richtung und liegen in unzähligen Reihen.
Gäbe es nicht hie und da kleine Unterbrechungen durch Lücken, so wäre
das Terrain vollkommen unpassierbar, denn ihre Seiten sind senkrecht.
Wir müssen halbe, ja ganze Kilometer zwischen ihnen zurücklegen, ehe
die nächste Lücke uns erlaubt, einige zehn Meter in unserer Richtung
zu gehen. Hier nützt alle Geduld nichts; solch ein Terrain kann den
Menschen zur Verzweiflung bringen.

Schließlich gelang es mir aber doch, uns aus diesem zeitraubenden
Labyrinth hinauszulotsen. Bei dem zwischen einigen Hügeln
aufgeschlagenen Lager war das organische Leben nicht einmal durch eine
vom Winde verschlagene Tamariskennadel vertreten.

Todmüde krieche ich in meine Filzdecken und Pelze, habe aber noch lange
nicht ausgeschlafen, wenn der Kosak mich weckt. Schon bei Tagesgrauen
herrschte halber Nordsturm, der am Nachmittag in einen ohne Rast und
Ruh heulenden und pfeifenden Buran erster Ordnung ausartete, und
zwar in einen, der dicht am Erdboden hinfegt, Staub, Sand und kleine
Steine mitweht und uns eiskalt gerade in die Seite schlägt. Wie man
auch geht, immer wird man steif vor Kälte; die Hände schwellen auf und
verlieren das Gefühl. Dies ist eine neue Unannehmlichkeit, die sich zu
der Besorgnis um die Kamele und der Sehnsucht nach Wasser gesellt. Die
Drangsale sammeln sich bösen Geistern gleich um unsere Karawane. Das
Terrain ist abscheulich, unzählige Hügel müssen rechtwinklig gekreuzt
werden.

Ich ging voraus und schleppte die Meinen 40 Kilometer weit mit. Unser
Feuerungsvorrat war längst zu Ende, und kein Span war zu entdecken.
Nichts weiter als Steine, Kies und Sand in dieser tückischen
Mausefalle, die uns festhalten will und vor deren teuflischen Absichten
wir unser Leben retten müssen. Die Kette, auf die mein Kurs gerichtet
ist und an deren Fuße wir eine Quelle zu finden hofften, scheint
zurückzurücken und vor uns zu fliehen. Sie verschwand jetzt vollständig
im Nebel der Staubwolken; gegen Abend erschien sie daher unerreichbarer
denn je. Die Kamele bewahrten trotz dieses forcierten Marsches ihre
aufrechte, königliche Haltung und, obwohl sie keinen Stengel zu
fressen, keinen Tropfen Wasser zu trinken bekamen, gingen sie doch mit
hocherhobenem Kopfe und großen, nie unsicheren Schritten vorwärts.

Wir lagerten in der Dämmerung in einem offenen Tale, das keinen Schutz
vor dem Sturm gewährte. Die Jurte bekam drei Überzüge von Filzdecken,
aber der Ofen ließ sich aus Mangel an Brennholz nicht benutzen. Das
bißchen Wärme, welches ich selbst, mein treuer Reisekamerad Jolldasch
und das flackernde Licht verbreiten, wehen die Windstöße fort. Ein
Sandwall wird rings um den unteren Jurtenrand aufgeworfen, aber
trotzdem ist es drinnen so kalt wie in einem Keller. Von dem Eise sind
nur noch einige Stücke übrig. Meine armen Begleiter begnügten sich
mit einem Souper von einigen Stückchen Eis und Brot und krochen dann
so schnell wie möglich unter ihre Filzteppiche; eine Holzlatte, die
geopfert wurde, reichte nur zum Wärmen meines Tees.

Während draußen der Sturm die ganze Nacht tobte, schlief ich gut und
ruhig in meinen Pelzen, fand es aber am Morgen des 19. Februars recht
kalt, als ich ohne das gewöhnliche Morgenfeuer aufstehen mußte. Sobald
ich nach einem Becher Tee und einem Stück Brot fertig war, eilte ich
zu Fuß voraus. Wasser, Wasser! Das war der einzige Gedanke, der alle
beherrschte; wir mußten um jeden Preis eine Quelle finden, denn die
Kamele hatten seit zwölf Tagen nichts getrunken. Unsere Lage war
wirklich kritisch; fanden wir kein Wasser, so würden die Kamele eines
nach dem anderen sterben, gerade wie in der Wüste Takla-makan. Hier
hatten wir jedoch den Vorteil, daß die Luft kalt und der Boden hart
und eben war und uns erlaubte, die Gegenden in langen Tagemärschen zu
durchmessen.

[Illustration: 178. im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten.
(S. 14.)]

[Illustration: 179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol.
(S. 14.)]

Ich hielt noch immer auf die Quelle Altimisch-bulak zu, deren Lage
ich seit dem vorigen Jahre kannte. Doch nach Abdu Rehim sollte es
östlich von ihr noch drei Quellen geben, und diese waren es, auf die
ich jetzt hoffte und die ich suchte. Wie leicht aber konnten sie
hinter Bodenerhebungen verborgen, hinter kleinen Kämmen versteckt oder
tief in einer vom Wege aus unsichtbaren Bodensenke liegen. Wir konnten
ahnungslos an ihnen vorbeigehen und uns wieder in dieses Meer von
Einöden hineinverlieren. Sehr beeinträchtigt wurden wir auch durch den
Sturm, der uns nur die allernächsten Gegenstände unterscheiden ließ.
Entferntere Berge und Anhöhen verhüllte der Nebel; ich konnte mich
daher nicht der Karten vom Vorjahre zur Orientierung bedienen. In der
Takla-makan wußten wir wenigstens, daß wir stets an den Chotan-darja
gelangen würden, gleichviel auf welchem Wege wir nach Osten gingen,
und nach dem Zuge im Bett des Kerijaflusses mußten wir schließlich
den Tarim erreichen, wenn wir nur nördlichen Kurs einhielten. Dort
handelte es sich um Linien, hier aber um Punkte, an denen man in der
staubgesättigten Luft leicht vorübergehen konnte, und hätten wir dies
getan, so würden wir die Gegenden des Tarim nie wiedergesehen haben.

Mit steigendem Interesse beobachteten wir die oft ziemlich frischen
Spuren der wilden Kamele, die nur im losen Sande vom Winde ausgelöscht,
sonst aber deutlich waren. Man weiß, daß die Tiere vom Wasser kommen
oder nach Wasser gehen und daß die Spur, ob man sie nach dieser oder
jener Richtung hin verfolgt, früher oder später an eine Quelle führen
muß. Aber es kann Tage und Wochen dauern.

Ich fühlte mich stets versucht, den Kamelpfaden zu folgen, und tat es
mehrere Male. Sie sind sehr sonderbar. Ohne die geringste Veranlassung
machen sie scharfe Biegungen im rechten Winkel; wenn sie mich aber gar
zu sehr in die Irre führen, verlasse ich sie voller Ärger, aber nur,
um bald auf einen neuen Pfad zu geraten. Im großen und ganzen liefen
die Spuren von Norden nach Süden. Sah ich nach Norden, so erblickte
das Auge eine rotbraune, sterile Bergwand, während im Süden nur die
unabsehbare Wüste lag. Also war es am besten, westwärtszugehen und nach
Abdu Rehims drei Quellen zu suchen.

Ich ging, als brennte es hinter mir, und ließ die Karawane weit hinter
mir zurück. Meine in Schweden gemachten Stiefel hingen nach den 300 zu
Fuß zurückgelegten Kilometern kaum noch in den Nähten zusammen, und
meine Füße waren voller Blasen und schmerzten mich sehr. Schagdur,
der mir sonst mein Reitpferd nachzubringen pflegte, ließ sich nicht
blicken. Ich hatte beschlossen, nicht eher Halt zu machen, als bis ich
Wasser gefunden hatte; ich wurde heute 36 Jahre alt und erwartete zum
Abend eine angenehme Überraschung. Die Kamelspuren wurden nach Westen
zu immer zahlreicher und bestärkten meine Hoffnung. Ich konnte jetzt
keine zwei Minuten gehen, ohne eine Spur zu kreuzen.

Schließlich gelangte ich an einen niedrigen Bergrücken, der mich zwang,
eine südwestliche und südsüdwestliche Richtung einzuschlagen; ich ging
daher in ein ausgetrocknetes Bett hinunter, in dem kürzlich 30 Kamele
gewandert waren. Da ich hier eine Tamariske fand und Fährten von Hasen
und Antilopen erblickte, blieb ich eine Weile an einer geschützten
Stelle stehen. Diese Tiere können sich nicht sehr weit vom Wasser
entfernen.

Jetzt kam Schagdur, und wir beratschlagten. Im Süden zeigten sich
mehrere Tamarisken; dorthin lenkten wir unsere Schritte. Der Boden war
hier stark feucht, aber auch mit einer dicken Salzkruste überzogen, und
der Brunnen, der gegraben wurde, als die Karawane dort angelangt war,
lieferte eine konzentrierte Salzlösung. Wir gingen daher nach Südwesten
weiter. Der Sturm schob von hinten nach.

Ich eilte mit Schagdur vorwärts. Mein Schimmel folgte mir von selbst
wie ein Hund, und Jolldasch schnüffelte und suchte überall umher.
Nun folgten wir der Spur einer Herde von 20 Kamelen. So kamen wir
mitten vor einen Talschlund, der auf unserer rechten Seite zwischen
3 und 4 Meter hohen Terrassen gähnte. In dieser ziemlich breiten,
trompetenförmigen Mündung vereinigten sich alle Kamelspuren der Gegend
zu einem Bündel oder einer Heerstraße, die in das Tal hineinging. Ich
folgte ihr und war noch nicht zehn Minuten gegangen, +als ich Jolldasch
an einer weißglänzenden Eisscholle saugen sah+!

Wir waren gerettet und hatten einen neuen Haltpunkt gewonnen, an dem
die Karawane sich für die nächste Wüstenstrecke kräftigen konnte!

Die Quelle war wie gewöhnlich salzig, aber die Eisscholle, die nur
12 Meter Durchmesser hatte und 10 Zentimeter dick war, war ganz süß.
Merkwürdigerweise hatte die Quelle nicht mehr als zwei kleinen, auf
niedrigen Kegeln wachsenden Tamarisken Leben gegeben.

Schagdur blieb erstaunt vor dem Eise stehen und glaubte fast, daß ich
auf irgendeine geheimnisvolle Weise von dieser im Tale versteckten
Quelle Kenntnis gehabt haben müsse, da ich direkt dorthingegangen war.

Oben auf der linken Uferterrasse erhob sich eine kleine
halbmondförmige, einer Brustwehr oder einem Schirme gleichende Mauer,
hinter welcher entschieden Jäger auf die wilden Kamele, die an der
Quelle tranken, zu lauern pflegten.

Nun ließen wir uns nieder und zündeten ein Feuer an. Die Karawanenleute
waren ebenfalls erstaunt und außerordentlich erfreut. Alle segneten
diese rettende Eisscholle, von der wir mit neuen Eisvorräten nach
Altimisch-bulak ziehen konnten. Erst aber bedurften wir einiger
Rasttage nach dem Eilmarsche, dessen Wirkungen alle in den Beinen
spürten. Faisullah und Li Loje gingen talaufwärts, um dort nach Weide
auszuschauen, und kamen mit einigen dürren Stauden wieder, welche
die Kamele sich gut schmecken ließen. Von dem Eise sollten sie erst
fressen, nachdem sie sich von dem Marsche ausgeruht hatten, aber die
Pferde durften sofort an seiner porösen Fläche knabbern.

Es war recht lustig, die Kamele abends mit kleingehackten Eisstücken
zu füttern. Sie standen geduldig wartend im Kreise, und ein Stück nach
dem anderen wurde zwischen ihren Zähnen zermalmt. Sie knabberten das
Eis wie kleine Kinder Kandiszucker, und ihre Augen glänzten vor Freude
und Zufriedenheit. Für uns wurden einige Säcke mit großen Eisscheiben
gefüllt. Die Scholle war ergiebiger, als wir anfänglich geglaubt hatten
und genügte überreichlich für unsere Bedürfnisse; aber die wilden
Kamele, die sich während unseres Aufenthaltes der Quelle nahten, mußten
unverrichteter Sache wieder umkehren.

Am 22. Februar legten wir nur 20 Kilometer zurück. Infolge des Nebels
täuscht man sich unaufhörlich in der Entfernung. Wir lagerten in einer
kleinen Oase von Tamarisken und Kamisch. Die Sträucher waren ziemlich
dicht, aber trocken und lieferten uns Material zu größeren Feuern, als
wir seit lange gehabt hatten.

Die Landschaft verändert sich von einem Tage zum anderen nur wenig und
ist höchst einförmig. Alle Berge bleiben rechts liegen. Die Ausläufer
des Kurruk-tag zeigen sich als abgebrochene Ketten, und wir passieren
eine nach der anderen. Wir haben also gefunden, daß dieser Gebirgszug
nach Osten hin immer niedriger und unbedeutender wird, ebenso wie das
Land in jener Richtung steriler und die Quellen seltener und salziger
werden.

Alles ist still und öde, nur der unermüdliche Wind fegt am Boden hin.
Ich wanderte gedankenvoll durch dieses unbekannte Land und folgte
mechanisch einer Ansammlung von Kamelspuren, die mich an eine neue
Quelle mit einer weithin glänzenden Eisscholle führte. Hier treffen
die Pfade der wilden Kamele gleich Radien aus allen Himmelsrichtungen
zusammen. Auch hier durften unsere Tiere eine Weile grasen; ich ging
unterdessen nach Südwesten weiter.

Als ich zwischen niedrigen Hügeln talaufwärts ging, einem ziemlich tief
in den Boden eingetretenen Pfade folgend, erblickte ich ein großes,
schönes Kamel, das mich in dem Gegenwinde nicht witterte. Ich blieb
stehen und wartete auf die Karawane, um Schagdur Gelegenheit zu geben,
es zu schießen. Teils brauchten wir Fleisch, teils wollte ich ein
vollständiges Skelett und eine Haut haben. Doch die Hunde verjagten das
Tier, und so entging es der Gefahr. Schagdur war in der Hoffnung, dort
eine Beute erwischen zu können, an der Quelle geblieben.

Wieder kreuzten wir eine inselähnliche kleine Oase, wo die Tiere
eine Stunde weiden durften, während ich meinen einsamen Spaziergang
fortsetzte. Im Süden schimmerte es gelb aus dem Nebel, offenbar eine
neue lockende Oase. In ihrem südlichen Teile erblickte ich 18 weidende
Kamele und blieb wieder stehen, um auf die Karawane zu warten. Die
wilden Kamele betrachteten die schwarze Reihe ihrer zahmen Verwandten
mit unablässiger Aufmerksamkeit. Li Loje wurde zurückgeschickt, um
Schagdur zu holen. Dieser kam atemlos an, war aber zu hitzig und schoß
zu früh. Die Tiere verschwanden mit Windeseile in westlicher Richtung,
und ich fürchtete, daß sie ihre Kameraden in Altimisch-bulak warnen
würden und ich auf das Skelett verzichten müßte.

Wir lagerten an diesem herrlichen Platze, wo es Weide, Brennholz und
Wasser im Überfluß gab. Es war die dritte von Abdu Rehims Quellen.
Seine Angaben hatten sich als durchaus zuverlässig erwiesen.

24. Februar. Nach meinem Besteck und meinen topographischen
Berechnungen müßte Altimisch-bulak in Westsüdwest 28 Kilometer von
dieser Oase liegen. Ich führte also den Zug in dieser Richtung
an, wurde aber von der nächsten, rechter Hand liegenden Bergkette
gezwungen, einen westlicheren Kurs einzuhalten. Dies mußte die Kette
sein, unterhalb welcher die Quelle von Altimisch-bulak liegt; hier
konnte von einem Irrtum keine Rede sein. Wäre das Wetter nur klar
gewesen, so hätten wir die Oase schon aus weiter Ferne erblicken
müssen, nun aber verschwand alles im Staubnebel. Man hätte an der Oase
vorbeigehen können, ohne sie zu sehen.

Doch mein Glücksstern lenkte meine Schritte, und die gelbe Weide
schimmerte aus dem Nebel hervor (Abb. 194). Die Umrisse von fünf
Kamelen zeichneten sich über dem Schilfdickicht ab. Schagdur entledigte
sich seines Mantels und seiner Mütze und schlich sich dorthin. Mit dem
Fernglase beobachtete ich den Verlauf der Jagd. Als der Schuß krachte,
begann es sich im Schilfe zu regen, erst langsam, dann schneller, und
schwarze Schattenrisse huschten über das Kamisch und verschwanden
jenseits der Grenze der Oase. Es waren 14 Stück. Nach einem zweiten
Schuß kam Schagdur triumphierend zu mir, um zu melden, daß er zwei
Kamele erlegt habe. Das eine war ein junges Weibchen, das stehend
photographiert und dann getötet wurde (Abb. 195). Das zweite war ein
gewaltiges „Bughra“, das an dem Schusse sofort verendet war (Abb. 196).
Sein Skelett und seine Haut sollten nach Stockholm gebracht werden.

[Illustration: 180. im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg.
(S. 14.)]

[Illustration: 181. Einer unserer mongolischen Führer. (S. 16.)]

[Illustration: 182. Die nach Deschong-duntsa hinunterführende Schlucht.
(S. 16.)]

[Illustration: 183. Mein mongolischer Führer. (S. 16.)]

Den Muselmännern imponierte es außerordentlich, daß es mir trotz des
Nebels gelungen war, Altimisch-bulak zu finden. Die zurückgelegte
Entfernung betrug den letzten Tag 31 Kilometer; ich hatte mich also
nur um 3 Kilometer verrechnet, was nicht viel ist, da die Länge
der berechneten Strecke 2000 Kilometer betrug. Hier knüpften sich
die astronomischen und topographischen Beobachtungsreihen an die des
vorigen Jahres an, und es konnte mit den vorhandenen Daten nicht schwer
sein, die Ruinen wiederzufinden.

Meine Jurte wurde in demselben Dickicht von Tamarisken und Kamisch,
wo sie das Jahr vorher gestanden hatte, aufgeschlagen. Die Kamele und
Pferde durften grasen. Es war ein gesegneter, glücklicher Tag.

Die noch übrigen Tage des Februars verbrachten wir in Ruhe an den
Quellen von Altimisch-bulak (Abb. 197). Daß beständig ein Wind ging
und das Land ewig in Nebel gehüllt war, störte uns wenig, denn wir
hatten alles, was wir brauchten, und unsere Zelte lagen vor dem Winde
geschützt. Der Brennholzreichtum war unerschöpflich, und das Feuer
in meinem Ofen erlosch erst spät in der Nacht, wurde aber schon
frühmorgens, ehe ich aufstand, wieder angezündet. Die Muselmänner
fanden das Fleisch des jungen Kamelweibchens vortrefflich, und unsere
Karawanentiere sah man in zerstreuten Gruppen behaglich weiden.

Ein ganzer Tag wurde auf Generalrepetition mit den Nivellierinstrumenten
und den Männern, die bei dem Präzisionsnivellement durch die Wüste
meine Gehilfen sein sollten, verwendet (Abb. 198). Der Umfang der
Oase wurde mit Schritten ausgemessen; der vertikale Fehler auf
dieser Strecke von 2756 Meter betrug nur 1 Millimeter. Das Resultat
prophezeite also Gutes für das große Nivellement durch die Wüste auf
einer Linie von mehr als 80 Kilometer Länge.

Eine kleine Episode mit Chodai Kullu, der bisher innerhalb der
Karawanengemeinschaft gerade keine hervorragende Rolle gespielt hatte,
muß der Vergessenheit entrissen werden. Der Mann galt für einen
geschickten Jäger und besaß eine eigene Flinte, aber in den 14 Monaten,
die er bei uns war, hatte keiner ihn auch nur einem Hasen etwas zuleide
tun sehen. Man glaubte nicht, daß er mit dem Gewehre umzugehen wußte,
und es erregte daher keine Verwunderung, als er es eines Tages um
einen Spottpreis an Li Loje verkaufte, in dessen Händen es ebenso
unschädlich blieb. Bei der Rückkehr nach Jangi-köll im vorigen Jahre
hatte er versichert, daß er in Altimisch-bulak ein Kamel erlegt habe,
und nun drangen seine Kameraden in ihn, er solle ihnen die Reste dieses
Tieres zeigen. Er machte Ausflüchte und beteuerte, die Tat bei einer
anderen Quelle in der Nachbarschaft verübt zu haben. Daran wollten die
anderen aber durchaus nicht glauben, da Chodai Kullu über die Lage
dieser Quelle keine Auskunft geben konnte. Sie machten sich immer über
ihn lustig. Er war ein verträglicher, phlegmatischer Mensch, linkisch
und jovial, und seine Gesichtszüge trugen einen vorwiegend komischen
Ausdruck.

Eines Morgens verschwand er vor Sonnenaufgang aus dem Lager, und die
anderen, die den Tag über damit beschäftigt waren, das Skelett des
von Schagdur erlegten Kameles zu reinigen, hatten keine Ahnung, wo er
steckte. Sie vermuteten indessen, daß er auf die Jagd gegangen sei,
denn eine Flinte fehlte.

In der Dämmerung fand er sich wieder ein und machte schon von weitem
den Eindruck eines Triumphators. Wer wolle, könne ihn nach der Quelle
begleiten und sich das Gerippe des im vorigen Jahre geschossenen Kamels
ansehen, erklärte er ruhig. Die Quelle sei freilich in diesem Jahre
ausgetrocknet, aber das Gerippe liege noch da, und was mehr sei, er
habe auf seinem Streifzuge noch eine Quelle mit reichlichem Eisvorrat
und Vegetation entdeckt. Dort habe er vier Kamele überrascht und ein
Bughra geschossen. Während Chodai Kullu schmunzelnd umherging, war er
in den Augen der anderen bedeutend gewachsen, und sie schämten sich
sichtlich ihres offen ausgesprochenen Mißtrauens.

Nun wurde beschlossen, nach dieser Quelle zu ziehen, die ein
geeigneterer, näherer Stützpunkt für die bevorstehenden Operationen
gegen die Ruinen in der Wüste sein mußte. Sieben mit Eis gefüllte
Tagare wurden wieder geleert, um die Kamele mit unnötigen Lasten zu
verschonen.

Am 1. März sollte also Chodai Kullu seinen Ehrentag haben und uns den
Weg nach der von ihm entdeckten Quelle zeigen. Er marschierte ganz
selbstbewußt an der Spitze der Karawane unter fröhlichem Singen und mit
einer so befriedigten Miene, als sei er Alleinherrscher über alle diese
Wüsten und Oasen und ihre Bewohner, die wilden Kamele. Wir folgten
seinen Schritten.

Der Weg führte nach Südwesten und Süden. Rasch haben wir die Oase vor
uns (Abb. 199). Sie liegt so gut im Terrain versteckt, daß es unmöglich
sein würde, sie zu finden, wenn man sie nicht kennte oder wie Chodai
Kullu durch reinen Zufall dorthin geriet.

Während wir auf die anderen warteten, nahmen wir das erlegte Kamel
genauer in Augenschein (Abb. 200, 201). Es lag in ganz natürlicher
Stellung an dem Punkte, bis zu dem es noch hatte fliehen können,
nachdem die heimtückische Kugel sein friedliches Weiden unterbrochen
hatte, etwa hundert Schritte jenseits der Kamischgrenze der Oase. Wie
verwundete und erschreckte Kamele zu tun pflegen, hatte es sein Heil
gerade nach Süden, der Wüste zu, gesucht. Es war ein fettes, schönes
Männchen. Eine Menge Zecken, die sich in seinem Pelze eingenistet
hatten, zogen sich, nachdem das Blut erstarrt war, ratlos von dem
Kadaver zurück.

Als die Temperatur in der Mittagsstunde auf +15 Grad stieg, fingen
diese greulichen Milben wieder an, sich zwischen Büschen und
Grashalmen zu bewegen. Sie kriechen in großer Anzahl innerhalb der
Grenzen der kleinen Oasen umher, und man kann sich kaum vor ihnen
schützen. Sie werden von den wilden Kamelen von einer Oase nach der
anderen getragen und machen, in den Pelzen jener hängend, alle Reisen
kostenlos mit.

Das Wasser der neuentdeckten Quelle, das in mehreren „Augen“ aus einem
ziemlich tiefen Bett sprudelte, hatte eine Temperatur von +1,7 Grad und
spezifisches Gewicht von 1,0232. Es ist so salzig, daß unsere zahmen
Kamele sich durchaus nicht bewegen ließen, es zu kosten, was auch
überflüssig war, da sich durch die Sonnenwärme kleine Süßwasserlachen
auf der Oberfläche der Eisscholle gebildet hatten. Doch die wilden
Kamele müssen im Sommer hiermit vorliebnehmen, ja vielleicht ziehen
diese Wüstentiere das salzige Wasser dem süßen geradezu vor.

Das Eis war dick und rein, und neun Tagare wurden damit gefüllt. Die
Oase kam uns wirklich außerordentlich gut zustatten. Sie lag den Ruinen
12 Kilometer näher und lieferte gute Weide, so daß ich alle drei
Pferde und drei kränkliche Kamele unter Chodai Värdis Aufsicht hier
zurücklassen konnte, während wir nach Süden aufbrachen.

Was die Verproviantierung des Mannes betraf, so erhielt er von unseren
außerordentlich knappen Vorräten nur -- eine Schachtel Zündhölzer,
einen kleinen Eisentopf und ein bißchen Tee. Wasser hatte er in
Überfluß, Fleisch konnte er von dem erlegten Kamel nehmen, mit den
Zündhölzern konnte er sich Feuer anmachen, um seinen Tee zu kochen und
seine Schnitzel zu braten. Nur ein kleines Mißgeschick traf ihn, wie er
später erzählte, in der Einsamkeit. Als er am ersten Morgen erwachte,
fehlten alle drei Pferde. Aus ihren Spuren sah er, daß sie sich auf
eigene Hand nach Altimisch-bulak zurückbegeben hatten, weil dort das
Gras noch besser war. Er mußte daher dorthin wandern und sie wieder
holen und sie nachher strenger bewachen.

Am 2. März brach ich mit den sieben Kamelen auf und nahm das ganze
Gepäck und die neun Eissäcke mit. In gewisser Beziehung wäre es besser
gewesen, der Marschroute des vorigen Jahres von Altimisch-bulak nach
den Ruinen, die dann leichter zu finden gewesen wären, zu folgen; aber
auch auf diesem neuen Wege mußten wir sie finden können, obwohl man sie
nicht eher sieht, als bis man dicht vor ihnen ist. Drei alte Steinmale
zeigten, daß die Menschen, die einst die Ruinengegend bevölkerten, die
kleine Oase gekannt haben. Wahrscheinlich haben sich von hier aus Jäger
in den Kurruk-tag begeben.

Es dauerte nicht lange, bis wir merkten, daß wir uns dem Nordufer des
ausgetrockneten Sees näherten. Erst verrieten zahlreiche Scherben von
Tongefäßen das ehemalige Vorhandensein von Menschen in diesem Lande,
darauf traten tote Tamarisken auf Kegeln und Hügeln auf, sodann
die borstenähnlichen Stoppeln alter Kamischfelder und schließlich
Schneckenschalen, letztere hier und dort in außerordentlicher Menge.

So sind wir denn wieder in der von Stürmen durchfurchten Tonwüste. Ich
eilte zu Fuß weit voraus. Es war glühend heiß, und ich rastete eine
Stunde in dem Schatten der überhängenden Tonscheibe einer Jardang. Als
die Karawane mich eingeholt hatte, eilte ich weiter, bis ich einen
geeigneten Lagerplatz erreichte. Doch auch hier mußte ich so lange
warten, daß ich fürchtete, die Leute hätten meine Spur verloren. Toter
Wald war in Menge vorhanden, und ich unterhielt mich damit, einen
kolossalen Scheiterhaufen aufzustapeln, den ich dann anzündete. Von
der Rauchsäule geleitet, kam endlich die Karawane in guter Ordnung
herangezogen.



Viertes Kapitel.

Die Ruinen am alten Lop-nor.


Am Morgen des 3. März war es ziemlich kalt. Nach dem Besteck mußten
wir von der Stelle, an welcher wir im vorigen Jahre auf die Ruinen
gestoßen waren, noch 14 Kilometer entfernt sein. Es handelte sich nun
um das Wiederfinden jener alten Häuser, in denen Menschen zu einer Zeit
gewohnt hatten, in der das Klima und die Natur dieser Gegend noch ganz
anders waren als jetzt und die Wüste keine Wüste, sondern ein reich
bewachsenes Gebiet am nördlichen Ufer des von den Wassermassen des
Kum-darja gebildeten Sees war. Wir schritten langsam vorwärts, nach
allen Seiten umherspähend, um nicht an dem wichtigen Punkte, der jetzt
Gegenstand einer gründlichen Untersuchung werden sollte, vorüberzugehen.

Gleich links von unserem Wege fand Schagdur die Ruinen zweier Häuser.
Das östliche bildete ein Quadrat von 6,5 Meter Seiten, und seine 1
Meter dicken Mauern waren aus gebrannten Ziegeln in quadratischen
Platten ausgeführt. Das aus Holz gebaute westliche Haus war schon sehr
mitgenommen, aber man konnte sehen, daß es 26 Meter lang und ebenso
breit wie das östliche gewesen war. In dem letzteren fanden wir eine
kleine Kanonenkugel, einen kupfernen Gegenstand, der genau die Form
einer Ruderklammer hatte, einige chinesische Münzen und zwei rote
irdene Tassen.

Eine Strecke weiter, als wir uns nach meiner Karte in der unmittelbaren
Nachbarschaft des Fundortes vom vorigen Jahre befinden mußten, machten
Faisullah und ich mit den Kamelen Halt, während die anderen zur
Erkundung der Gegend ausgeschickt wurden. Sie blieben mehrere Stunden
fort, und da es kurz vor Sonnenuntergang war, beschloß ich, am Fuße
eines Lehmturmes, der sich eine Stunde östlich von unserem Rastplatze
erhob, zu lagern. In der Dämmerung langten wir dort an und befreiten zu
zweit die Kamele von ihren Lasten, worauf ich mit Hilfe eines Seiles
und einer Axt den Turm bestieg. Er war um ein Gerippe von Balken,
Reisig und Kamisch herumgebaut, so daß ich oben auf der Spitze ein
Signalfeuer anzünden konnte.

Die Ausgeschickten kehrten jetzt gruppenweise zurück. Einige hatten ein
von mehreren Hausruinen umgebenes hohes „Tora“ (Lehmturm) gefunden und
empfahlen jenen Platz als Hauptquartier. Sie brachten als Beweis etwas
Schrot, eine verrostete eiserne Kette, eine kupferne Lampe, Münzen,
Scherben und einen Krug mit.

Bei Sonnenaufgang lenkten wir unsere Schritte nach dem neuen „Tora“
(Abb. 202) und lagerten unmittelbar im Südwesten davon, um Schutz
von ihm zu haben, wenn sich ein Sturm erheben sollte. Unter einer
nach Norden überhängenden Lehmterrasse wurden auf einigen Balken die
Eissäcke aufgestapelt; dort war unser „Gletscher“, unser Eiskeller.

Nachdem die Kamele sich eine Weile ausgeruht hatten, sollten sie
zu ihren Kameraden nach der Quelle zurückgeführt werden. Dieses
verantwortungsvolle Geschäft wurde Li Loje anvertraut. Er sollte
über Nacht an dem Punkte bleiben, wo das Terrain nach dem Gebirge
anzusteigen beginnt. Soweit sollte der alte Faisullah mitgehen
und dafür sorgen, daß der Jüngling in unsere Spur kam, dann aber
schleunigst wieder zu uns zurückkehren. Li Loje hatte sich im übrigen
an folgenden Befehl zu halten: er sollte in zwei Tagen nach der Quelle
gehen, zwei Tage dort bleiben und schließlich mit der ganzen Karawane
und einem großen Eisvorrat in weiteren zwei Tagen zurückkehren.

Als die Kamele zwischen den Jarterrassen verschwunden waren, war uns
jegliche Transportmöglichkeit abgeschnitten. Unser Lager mußten sie
jedoch leicht finden können. Der Turm war weithin sichtbar (Abb.
205), und am 9. März wollten wir auf seinen Zinnen ein Leuchtfeuer
unterhalten. Nach ihrer Ankunft mußten wir sofort nach Süden
weiterziehen, und es galt daher, die uns zur Verfügung stehenden
sechs Tage nach Möglichkeit auszunutzen. Den ersten Tag benutzte
ich zu einer astronomischen Bestimmung, während sämtliche Leute die
Nachbarschaft abstreiften und sich erst am Abend mit ihren Berichten
und Beobachtungen wieder einstellten.

Ich kam nur noch dazu, von der Spitze des Turmes ein paar Aufnahmen
zu machen, die ich beigefügt habe (s. auch I, Abb. 86) und die einen
deutlicheren Begriff von der Gegend geben als alle Beschreibungen. Im
Vordergrund sieht man meine Jurte, die durch einige Balken vor dem
Umfallen geschützt ist (Abb. 203). Im Hintergrund leuchtet die Wüste
gelb und gleichförmig mit ihren scharfkantigen Tafeln und Jardangs von
Lehm. Hier und dort erhebt sich ein mehr oder weniger von der Zeit
zerstörtes Haus (Abb. 204); in seinem Inneren wohnen nur Stille und
Tod. Die einzigen lebenden Wesen, die sich in Sehweite befanden, waren
ich selbst und mein Hund Jolldasch.

Es ist so still und feierlich wie auf einem Friedhof, der bis an den
Horizont reicht. Man fühlt, daß das Leben hier einst in frischen
Schlägen pulsiert hat, aber durch erbarmungslose Naturkräfte vernichtet
worden ist. Der frühere Wald hat den Stürmen freies Feld gelassen, und
die Sterne blicken auf Vergänglichkeit und Öde herab.

Es war unser erster Tag in dieser Gegend, die ich noch nicht hatte
rekognoszieren können; ich wußte aber, daß ich vor einem großen,
herrlichen Probleme stand. Würde diese geizige Erde, die sicherlich
viele Geheimnisse zu verbergen hatte, mich etwas wissen lassen, das
keine anderen Menschen auf Erden wußten? Würde sie uns einige ihrer
Schätze schenken und mir auf die zahllosen Fragen, die gerade hier auf
mich einstürmten, Antwort geben? Nun gut, ich würde jedenfalls tun, was
ich konnte, um die schweigenden Ruinen zum Sprechen zu bringen, und
mit ganz leeren Händen würden wir wohl nicht abzuziehen brauchen, wenn
die Glocken das nächste Mal am Fuße des „Turmes der Stille“ läuteten.
Ich hatte meinen ganzen ursprünglichen Reiseplan geändert und war auf
Grund der von Ördek im vorigen Jahr gemachten wichtigen Entdeckung
hierher zurückgekehrt. Dieser große Zeitverlust würde doch wohl nicht
vergeblich gewesen sein?

5. März. Nach einer langen, ruhigen Nacht in diesem eigentümlichen
Lager, das der frischen Quelle, die wir vor kurzem verlassen hatten,
so unähnlich war und in dem uns nur der Eisvorrat am Leben erhalten
konnte, machte ich einen Morgenspaziergang zwischen den Ruinen, während
meine Leute schon damit beschäftigt waren, aus allen Kräften zu graben.
Sie hatten das Eingeweide eines Hauses auf- und umgewühlt, aber nichts
weiter gefunden als das Rad einer Arba und einige hübsch gedrechselte
Pilaster. Im übrigen barg der Sand nur wertlose Dinge, die jedoch auch
nicht jeglicher Bedeutung ermangelten, da sie stets zur Erklärung
der Lebensweise der ehemaligen Bewohner beitrugen. Darunter waren
rote Zeugstücke von derselben Sorte, wie sie die mongolischen Lamas
noch heute tragen, Filzlappen, Büschel von braunen Menschenhaaren,
Skeletteile von Schafen und Rindern, chinesische Schuhsohlen, ein
Bleigefäß, merkwürdig gut erhaltene Stricke, Scherben von einfach
ornamentierten Tongefäßen, ein Ohrgehänge, chinesische Münzen usw. In
einem Hause, das wahrscheinlich als Stall gedient hatte, wurde ein
dickes Lager von Pferde-, Rinder-, Schaf- und Kameldung durchgraben.
Nur der Umstand, daß dieses Lager unter einer Schicht von Sand und
Staub gelegen hat, macht es erklärlich, daß es nicht pulverisiert
und vom Winde fortgetragen worden ist. Doch keine Schrift, nicht ein
Buchstabe, der uns das Rätsel hätte lösen können; nur ein kleiner
unbeschriebener, gelber Papierfetzen wurde gefunden. Ganz dicht beim
Lager erhoben sich die Balken eines Hauses, in dessen Innerem wir
jedoch nichts fanden.

Die Verhältnisse sind in diesem alten Orte ganz anders als in den
Städten, die ich auf meiner vorigen Reise am Kerija-darja entdeckte.
Dort liegen die Ruinen durch Sand geschützt, hier aber ist das Erdreich
nackt. Was hier zurückgelassen oder vergessen worden ist, als die
Einwohner von hier fortzogen, hat unbedeckt auf der Oberfläche des
Bodens gelegen und ist vom Wetter und von den Winden angefressen und
zerstört worden. Nur im Schutze der kleinen, höchstens 3 Meter hohen
Lehmterrassen hat sich eine dünne Sandschicht angehäuft.

Der Turm, die imponierendste Ruine des Ortes, lockte mich besonders an,
und ich ließ die Leute ihn in Angriff nehmen (Abb. 206). Er konnte ja,
gleich einem Hünengrab, ein Geheimnis in seinem Inneren bergen. Es war
jedoch gefährlich, an ihm zu rühren. Ein großes Stück seiner Spitze
mußte erst mit Stricken und Stangen abgerissen werden; es stürzte
herunter wie ein donnernder Wasserfall, ganze Wolken von braunem Staub
aufrührend, der von dem ziemlich starken Nordostwind über die Wüste
fortgewirbelt wurde (Abb. 207).

Sodann wurde von oben ein senkrechtes Loch, einem Brunnen vergleichbar,
gegraben; einen Tunnel von der Seite zu machen, wäre ein zu großes
Wagestück gewesen, denn der Turm war voller gefährlicher Risse, und
sein trockenes, loses Material hätte leicht einstürzen können. Der 8,8
Meter hohe Turm war jedoch massiv und wurde nur von horizontalen Balken
durchzogen, die den an der Sonne getrockneten Ziegeln Halt gaben. Nur
bis zu 3 Meter Höhe von der Basis haben diese eine rötliche Färbung,
als seien sie leichtem Feuer ausgesetzt gewesen.

Unterdessen zeichnete ich einen genauen Plan von dem Dorfe, dessen
Häuser in einer Reihe liegen und stets von ungefähr Südosten nach
Nordwesten gerichtet sind.

Einige Häuser sind ausschließlich aus Holz gebaut gewesen, und die
senkrechten Wandplanken sind in Balkenrahmen, die unmittelbar auf
dem Erdboden liegen, eingefügt gewesen. Bei anderen bestehen die
Wände aus Kamischgarben, die mit Weiden zwischen Stangen und Pfosten
eingeflochten sind. Schließlich sind noch ein paar Häuser von an der
Sonne getrocknetem Lehm vorhanden.

Die meisten dieser alten Wohnungen sind eingestürzt, aber viele Balken
und Pfosten stehen noch aufrecht, obwohl ihnen Wind und Sand recht übel
mitgespielt haben (Abb. 208). Aus dem Aussehen des Bauholzes auf das
Alter zu schließen, ist unmöglich. Wohl sieht es sehr alt aus und ist
grau-weiß, rissig und zerbrechlich wie Glas, andererseits aber sollte
man meinen, daß Stürme, Flugsand und Unterschiede von 80-90 Grad
zwischen der niedrigsten Nachttemperatur des Winters und der höchsten
Tagestemperatur in der Sommersonne das Material in verhältnismäßig
kurzer Zeit ziemlich arg ruinieren können.

Drei Türrahmen standen noch. In einem von ihnen war sogar noch die Tür
selbst an ihrem Platze, weit offen, wie sie der letzte Eigentümer beim
Aufbruch nach einem anderen Wohnorte gelassen hatte. Sie war bis zur
Hälfte in Sand und Staub gebettet.

Sämtliche Gebäude erheben sich auf kleinen Hügeln; daß sie aber
ursprünglich auf ebenem Boden errichtet worden sind, davon ist man
schon beim ersten Anblick völlig überzeugt, denn die Plattform des
Hügels hat ganz dieselbe Fläche wie der Grundriß des Hauses. Die Teile
des Bodens ringsumher, die das Bauholz nicht schützte, sind vom Wind
ausgehöhlt worden und bildeten Einsenkungen. Da wohl 3 Meter von der
Oberschicht des Lehmbodens weggehobelt worden sind, kann man sich
denken, daß ziemlich lange Zeiträume verflossen sein müssen, seit das
Dorf verlassen worden ist.

Um Faisullah den Weg nach dem Lager zu zeigen, zündeten wir am Abend
einen gewaltigen Scheiterhaufen an. An der Basis des Turmes lagen
Massen von Balken und Pfosten, die ihrerzeit einen Rundbau um ihn
herum gebildet zu haben scheinen. Aus ihnen wurde ein Scheiterhaufen
von riesenhaften Dimensionen aufgetürmt, und es war ein in hohem
Grade phantastischer, großartiger Anblick, den alten, grauen Turm in
feuerroter Beleuchtung, die die Wirkungen des Mondscheins beinahe ganz
aufhob, zu sehen. Einige Leute schürten das Feuer mit langen Stangen,
die anderen saßen niedergekauert am Fuße des Turmes. Dicke Rauchwolken
und ganze Feuerwerke von Funken flogen nach Südwesten. In einer klaren
Nacht mußte ein solches Feuer schon in einer Entfernung von mehreren
Tagereisen sichtbar sein. Faisullah wurde auch durch seinen Schein auf
den richtigen Weg geführt, nachdem er Li Loje geholfen hatte, die Spur
nach der Quelle zu finden.

6. März. Als ich heute aufwachte, waren alle meine fünf Männer
verschwunden, und ich mußte sehen, wie ich mit dem Feueranmachen und
dem Essenkochen fertig wurde. Wir waren nämlich übereingekommen, daß
es am klügsten wäre, wenn wir den ganzen Tag zum Auskundschaften einer
besseren Stelle benutzten.

Die Leute sollten radial, jeder in einer anderen Richtung, gehen. Es
wurde eine förmliche Treibjagd auf Ruinen, und die Leute interessierten
sich so sehr dafür, daß sie viel zu lange aufblieben und sich beim
Feuer darüber unterhielten. Sie hatten den ganzen Tag vor sich, und
wenn sie sich vor Dunkelwerden nicht wieder einstellten, sollte ich
sie mit einem Signalfeuer zurückrufen, dessen Holzstoß sie vor dem
Aufbrechen aufzuschichten hatten. Schagdur hatte ich eine detaillierte
Marschroute gegeben, die angab, wo der vorjährige Lagerplatz lag und wo
die von Ördek gefundenen Ruinen zu suchen sein mußten.

Sonntagsruhe umgab mich auf allen Seiten, als ich erwachte; ich mußte
an das Leben in der Laubhütte am Chotan-darja, als die Hirten in den
Wald gegangen waren, denken. Ich photographierte mehrere Partien der
Dorfruinen, nahm eine Mittagshöhe, beendigte die Planaufnahme und
untersuchte die verschiedenen Schichten der Tonablagerungen.

Es waren ihrer sechs von verschiedener Dicke. Auffallend ist, daß
einige Schneckenschalen und Pflanzenreste enthalten, andere aber
nicht, was verschiedene klimatische Verhältnisse während verschiedener
Perioden anzeigt. Vielleicht haben sich die von organischem Leben
freien Schichten in salzigem Wasser gebildet. Da sich im alten See
Lop-nor Sedimente von 9,6 Meter Dicke haben absetzen können, liegt die
Vermutung nahe, daß der Kara-koschun, auch wenn die Ablagerung dort
viel unbedeutender ist, eines Tages wird nach Norden zurückwandern
müssen. Noch immer ist es derselbe See, der in die Nivellierung des
Landes eingreift, aber er führt ein Nomadenleben; bald liegt er im
nördlichen, bald im südlichen Teile der Wüste.

Mein Tag verlief in der Einsamkeit still und ruhig. Am Abend kamen die
Kundschafter, vom Feuerschein geführt, einer nach dem anderen wieder.
Schagdur traf erst um 9 Uhr ein; er war den ganzen Tag auf den Beinen
gewesen, die anderen hatten die heißen Stunden gewiß verschlafen. Die
Lehmterrassen hatten ihn in der Dunkelheit viele Purzelbäume machen
lassen. Die Rinnen zwischen ihnen sehen wie schwarze Gräben aus, man
kann ihre Tiefe nicht beurteilen und fällt infolgedessen oft wirklich
in den Graben. Schagdur hatte sich daher gerade hinlegen und die
Morgendämmerung abwarten wollen, als das Feuer aufgelodert war. Mein
prächtiger Kosak hatte so lange gesucht, bis er sowohl das Ruinenlager
vom vorigen Jahre wie Ördeks Fundort entdeckt hatte.

Der 7. März sollte zur Untersuchung des letzteren benutzt werden. Um
8 Uhr setzte ich mich mit allen Männern, außer Kutschuk, der für das
Signalfeuer sorgen sollte, in Marsch. Schagdur war unser Führer.

Der Weg ging genau südlich von dem Lagerturme vom 3. März, in dessen
Nähe wir eine tiefe Einsenkung kreuzten, die einem alten Kanale glich.
Ein neues „Tora“ wurde entdeckt. Beinahe in jedem Dorfe der Gegend
gibt es einen Lehmturm; hier und dort liegen Balken umher, die von dem
Vorhandensein ehemaliger Häuser Kunde geben. Ein solcher Balken hatte
7,8 Meter Länge und 35 × 17 Zentimeter Stärke. Hier sind also in
früheren Zeiten ebenso prächtige Pappeln gewachsen wie nur irgendwo in
den Urwäldern des Tarim.

Das Terrain, auf welchem wir jetzt wanderten, ist sehr interessant
und verdient eine flüchtige Beschreibung. Wir gehen nach Westnordwest
und kreuzen alle Lehmterrassen auf und ab im Zickzack. In kleinen
Gruppen stehen uralte Pappeln; ihre Gruppierung ist genau dieselbe
wie am Kara-köll, am Tschiwillik-köll und an den unteren Armen und
Wasserläufen des Tarim. Manchmal stehen sie in Linien, manchmal in
Hainen. Wo sie fehlen, haben sichtlich Flußarme gelegen oder Seen sich
ausgedehnt, und ihre Gruppierung zeigt den Verlauf der Ufer an. Sonst
sind Kamischstoppeln außerordentlich häufig, aber nur 20 Zentimeter
hoch. Die Stengel sind so von Staub und Sand durchdrungen, daß sie
bei der Berührung wie Ton zerspringen, aber die Blätter, die jedoch
seltener noch vorhanden sind, lassen sich noch biegen. Auch das Bauholz
ist in dieser Gegend so voll Sand, daß es im Wasser untergeht.

So erreichten wir das Lager vom vorigen Jahre, das an den Kohlenhaufen
von unseren Feuern leicht wieder zu erkennen war. Nach ein paar
weiteren Kilometern waren wir an Ördeks Fundort. Hier fanden wir 8
Häuser, von denen nur drei so weit erhalten waren, daß ich von ihnen
einen Plan aufnehmen konnte. Sie waren angelegt wie ein chinesisches
Yamen (Amtslokal): ein Hauptgebäude und zwei große Flügelgebäude.
Zwischen ihnen liegt ein viereckiger Hof, den im Südosten ein
Plankenzaun mit einer Tür, deren Pfosten noch dalagen, einfriedigt.

Das ziemlich kleine Hauptgebäude ist entschieden ein Buddhatempel
gewesen (Abb. 209). Hier war es, wo Ördek seinen Fund gemacht hatte;
die Spuren seines Pferdes waren noch in einer Vertiefung zu sehen.

Die mitgenommenen Spaten wurden in den Sand gestochen, und nach einer
Weile tauchte Buddha selbst auf, obwohl in wenig schmucker Inkarnation.
Das Bild war von Holz und hatte noch Kopf und Arme. Ohne Zweifel war
es nur das Gerippe einer tönernen Statue, die in gewöhnlicher Weise
geschmückt und bemalt gewesen war.

Die beigefügten Bilder (Abb. 210, 211) geben dem Leser einen klareren
Begriff von dem Aussehen der mitgebrachten Schnitzereien als alle
Beschreibungen. Auf einige von ihnen will ich jedoch besonders
aufmerksam machen. Auf einem Pfosten ist eine ganze Reihe stehender
Buddhabilder dargestellt, auf einem anderen eine Reihe sitzender; jedes
Bild hat über sich einen Heiligenschein, der einem Rundbogen gleicht.
In einem Ornamente kommt zwischen Blättern und Ranken ein Fisch vor;
seine Kiemendeckel und Schuppen sind vollkommen deutlich. Der Künstler
würde nie auf den Gedanken geraten sein, einen so wenig dekorativen
Gegenstand wie den Fisch in seinen Schnitzereien zu verwenden, wenn
dieses Tier nicht von besonderer Bedeutung für die Gegend gewesen wäre
und eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Bevölkerung gebildet
hätte. Es wäre ja sonst höchst unmotiviert, statt der Vögel Fische
mit Girlanden und Blättern zu verflechten. Gäbe es nicht andere,
unwiderlegliche Beweise dafür, daß die Dörfer am Ufer eines Sees
gelegen haben, so könnte man eine dahinzielende Vermutung schon auf
Grund des Vorkommens des Fisches in der Ornamentik aufwerfen. So wie
das Land jetzt aussieht, wäre der Fisch das letzte Tier, an das man
denken würde.

Die Lotosblume bildet in diesen Schnitzereien ebenfalls ein
hervortretendes, dankbares Motiv, sowohl in langen Reihen auf ziemlich
großen Planken wie auf Scheiben von 50 Quadratzentimeter, die zwischen
jene eingefügt gewesen sind.

Noch ein Fund von großer Bedeutung wurde hier gemacht. Schagdur grub
mit seinem Spaten Erde auf und durchsuchte diese, wobei ein kleines
Holzbrett zum Vorschein kam, das mit Schriftzeichen beschrieben war,
die wir nicht lesen konnten. Er achtete nicht darauf, sondern warf das
Brettchen als wertlos beiseite, aber durch reinen Zufall nahm ich es
auf, weil mir das Holz unglaublich wohlerhalten vorkam. Jeder Buchstabe
war scharf und deutlich mit Tusche aufgetragen, aber die Schrift war
weder arabisch noch chinesisch, weder mongolisch noch tibetisch. Was
hatten diese geheimnisvollen Worte wohl mitzuteilen? Ich nahm das
Brettchen und bewahrte es so sorgfältig wie Gold.

Die Belohnung von 10 Sär, die ich dem versprochen hatte, der zuerst
etwas Geschriebenes, gleichviel in welcher Gestalt, finden würde,
fiel also Schagdur zu (Abb. 212). Nachdem derselbe Preis für den
nächsten derartigen Fund versprochen worden war, gruben die Männer mit
verdoppeltem Eifer in dem friedlichen Innern des armen Tempels, siebten
den Sand durch die Finger und untersuchten jeden Span von beiden
Seiten, aber ohne Erfolg. Nur die Schnur eines Rosenkranzes, einige
chinesische Kupfermünzen und eine Menge flacher irdener Schalen, die
wohl mit Opfergaben vor die Götter gestellt worden waren, kamen zum
Vorschein.

Wie anders ist dieses Land jetzt gegen früher! Kein vom Winde verwehtes
Blatt, nicht einmal eine Wüstenspinne ist zu sehen; die Skorpione, die
verdorrte Pappeln lieben, würden hier vergeblich Schlupfwinkel suchen.
Der Wind ist die einzige Kraft, die in diesem erstarrten, totenstillen
Reiche Geräusch und Bewegung verursacht. Man würde hier nicht eine
ganze Woche bleiben können, wenn man nicht, wie wir, Verbindung mit
einer Quelle hätte.

[Illustration: 184. An den Felsen von Dschong-duntsa. (S. 17.)]

[Illustration: 185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)]

Daß der kleine Tempel ein vollendetes Kunstwerk gewesen, geht
aus all den kleinen und großen Schnitzereien, die wir ausgruben,
deutlich hervor. Zu einem Ganzen zusammengefügt, haben sie mit ihren
geschmackvoll und mühsam geschnitzten Ornamenten eine wahre Augenweide
gebildet.

Und welch herrlicher Aufenthaltsort muß es gewesen sein, als der Tempel
noch mit seiner zierlichen, wahrscheinlich ebenfalls bemalten Fassade
prunkte und auf mehreren Seiten von dichtbelaubten Pappelhainen umgeben
war, die nur durch Seebuchten, Kamischfelder und von gewundenen Kanälen
bewässerte Äcker voneinander getrennt waren! Hier und dort lagen
Dörfer zerstreut, und ihre Lehmtürme oder „Pao-tai“ waren hoch genug,
um sich über den Wald zu erheben, damit sie mit ihren Signalfeuern in
Kriegsgefahr von den Nachbardörfern aus gesehen werden konnten und die
große Heerstraße, die hier vorbeiführte, anzeigten. Im Süden dehnte
sich der gewaltige blaugrüne Wasserspiegel des Lop-nor aus, umrahmt von
Hainen und mächtigen Schilf- und Binsenfeldern und reich an Fischen,
Wildenten und Gänsen. Im Hintergrunde, gegen Norden, zeichnete sich
wie jetzt bei klarem Wetter der Kurruk-tag ab, in welchem die hiesige
Bevölkerung alle Quellen und Oasen, durch die früher sicherlich ein Weg
nach Turfan führte, gekannt haben wird.

Wir Pilger einer späteren Zeit fühlten sofort, daß wir uns in einer
Gegend befanden, die schöner und herrlicher als vielleicht irgendeine
in dem heutigen Ostturkestan gewesen war. So künstlerisch und
geschmackvoll verzierte Häuser gibt es jetzt in diesem Teile Asiens
nicht, und das dichte, leuchtende Grün ließ die Architektur noch
wirkungsvoller hervortreten.

Und jetzt! Nur unzählige Grabmale nach all dieser Herrlichkeit! Und
warum? Weil der Fluß, der Tarim, sich ein anderes Bett grub und sein
Wasser nach Süden schickte, um neue Seen zu bilden. Der alte See
trocknete schnell aus, vielleicht schon in wenigen Jahren, der Wald und
das Schilf lebten noch ziemlich lange von der Feuchtigkeit des Bodens,
dann aber siechten auch sie allmählich dahin, wobei die Bäume, welche
die längsten Wurzeln hatten, am zähesten waren; aber schließlich waren
auch sie zum Tode verurteilt. Jetzt ist alles ein großer Friedhof, in
welchem man jedoch auf den Grabinschriften von einer früheren, üppigen
Vegetationsperiode liest.

Als wir, mit der Ernte des Tages zufrieden, mit dem Graben aufhörten,
näherte sich die Sonne dem Horizont, und wir brachen auf. Der Wind
erhob sich, der östliche Horizont war grau und düster, der Nebel
verdichtete sich, ein heftiger Sturm schien im Anzug zu sein, und
wir beschleunigten unsere Schritte, um das Lager noch vor Dunkelheit
zu erreichen. Endlich tauchte der westliche Lagerturm auf, und nun
mußten wir unseren Weg im Staubnebel selbst finden können. Der Wind
fegte Sand- und Staubmassen durch die Rinnen; sie eilten vorwärts wie
Wasser in seinem Bette, man glaubte förmlich zu sehen, wie der Wind an
den Seiten und Rändern der Rinnen feilte, und man kann sich denken,
welch kräftigen Bundesgenossen er in dem Flugsande hat, der das leicht
zerstörbare Tonmaterial wie Sandpapier zerreibt.

In der Dämmerung erblickten wir den Schein von Kutschuks Signalfeuer,
dessen Flammen immer höher aufloderten. Wir waren rechtzeitig zu Hause,
ziemlich ermüdet von einem Spaziergange von 28 Kilometer, doch weniger
von der Länge des Weges als von dem beschwerlichen Terrain. Wenn man
den ganzen Tag hat dursten müssen, schmeckt ein großer Becher auf Eis
gekühlten Wassers mit Zitronensäure und Zucker gar zu gut!

Am 8. durften alle ausschlafen. Der Buran war stärker geworden, die
Luft war mit Staub gesättigt; heute wäre es unmöglich gewesen, die
Tempelruine zu finden.

Durch die versprochenen Belohnungen angespornt, arbeiteten die Leute um
das Lager herum mit ihren Spaten aus Leibeskräften, und jetzt sollten
ihre Anstrengungen von einem Erfolg gekrönt werden, von dem ich kaum
zu träumen gewagt hätte. Vergeblich hatten sie den Sand in vielen
verlassenen Holzgebäuden untersucht, als sie ihre Aufmerksamkeit einem
aus an der Sonne getrockneten Lehmziegeln erbauten Hause zuwandten,
das einem Stalle mit drei Ständen glich (Abb. 213). Jedenfalls sah es
im ganzen Dorfe am wenigsten verheißungsvoll aus. Aber gerade hier,
in dem, von vorn gesehen, rechten Stande, fand Mollah einen kleinen
zerknitterten Papierfetzen mit mehreren ganz deutlichen chinesischen
Schriftzeichen.

Es ist nicht zuviel gesagt, daß der Inhalt dieses Standes nun
buchstäblich durchgesiebt wurde. Zwei Fuß tief, unter Sand und Staub,
stießen wir auf etwas, das ich einfach einen Kehrichthaufen oder eine
Unratbucht nennen möchte, das aber diverse schöne Raritäten enthielt.
Dort fanden wir Lumpen von Teppichen und Schuhzeug, Schafknochen,
Körner und Stroh von Weizen und Reis, eine Menge Rückenwirbel
von Fischen und unter all diesem Trödel -- wohl ein paar hundert
beschriebene Papierstücke nebst 42 Holzstäben, die der Form nach
schmalen Linealen glichen und ebenfalls mit Schriftzeichen bedeckt
waren.

Dieser Fund war ein Triumph. Sollte es übertrieben sein, ein so starkes
Wort da zu gebrauchen, wo es sich nur um alte Papierblätter handelt?
Nein, durchaus nicht! Ich sah voraus, daß diese Blätter ein kleines
Stück Weltgeschichte enthalten und mir den Schlüssel zur Lösung des
ganzen Lop-nor-Problems schenken würden. Die rein geographischen und
geologischen Untersuchungen enthüllten wohl deutlich genug Tatsachen;
sie zeigten, daß das Land früher so und so ausgesehen haben +muß+;
hier in der Wüste hatte ja ein großer See sein Bett gehabt, und hier
in den Ruinen hatten Menschen gewohnt.

Doch die Bruchstücke der Dokumente würden meinen mühsamen
Untersuchungen Schwarz auf Weiß ihr Schlußzeugnis geben; sie würden
den Stempel auf diese ganze Arbeit drücken, die seit Jahren Gegenstand
meiner Arbeit und meiner Studien gewesen; sie würden erzählen, +wann+
dieser See existierte und +welche+ Menschen hier wohnten, unter welchen
Verhältnissen sie lebten, mit welchen Teilen Innerasiens sie in
Verbindung standen, ja vielleicht sogar, welchen Namen ihr Land führte.
Dieses Land, das sozusagen vom Erdboden vertilgt worden ist, diese
Menschen, deren Geschichte längst der Vergessenheit anheimgefallen
und deren Geschicke vielleicht nicht einmal Annalen anvertraut worden
sind, alles dieses würde, so hoffte ich, jetzt wieder ans Tageslicht
gezogen werden. Ich stand vor einer Vergangenheit, die ich wieder ins
Leben rufen würde. Wäre es auch nur ein kleines Volk, ein unbedeutender
Staat gewesen, was machte das aus? Es war doch immer eine Lücke im
menschlichen Wissen, die jetzt ausgefüllt werden würde.

Die Muselmänner hofften wie gewöhnlich Gold zu finden, aber ich hätte
die zerrissenen, schmutzigen Brieffragmente nicht gegen große Schätze
vertauscht.

Daß dies wirklich ein Kehrichtloch gewesen, ging daraus hervor, daß
der Raum viel zu klein war, um als Zimmer habe dienen zu können,
und daß alle Papiere nur Bruchstücke waren; sie waren zerrissen und
fortgeworfen worden. Infolge dieses Umstandes hoffte ich auch, daß es
lauter Lokalbriefe gewesen, deren Inhalt sich ausschließlich um die an
diesem Orte herrschenden Verhältnisse drehen und für meine Studien von
viel größerem Interesse sein würde als Folianten, die aus einer anderen
Gegend stammten. --

Nach meiner Rückkehr nach Europa übergab ich dieses ganze Material dem
gelehrten Sinologen Karl Himly in Wiesbaden, der es jetzt in Arbeit
hat und seinerzeit eine besondere Abhandlung darüber veröffentlichen
wird. Er machte schon bei der ersten Durchsicht mehrere interessante
Entdeckungen und schrieb mir darüber unter anderem:

„Die vorhandenen Zeitangaben bewegen sich zwischen der Mitte des
dritten und dem Anfange des vierten Jahrhunderts nach Christi Geburt.
Der Fundort scheint einem wohlhabenden chinesischen Kaufmanne gehört zu
haben, der allerlei Lieferungen besorgt, Wagen und Lasttiere vermietet
und die Beförderung von Briefen nach Tun-huang (Scha-tschôu) und
dergleichen übernommen hat. Zu den Reisen nach dieser Stadt wurden
Pferde, Wagen und Rinder benutzt. Einmal scheint von einem Feldzug
die Rede zu sein, doch ohne Angabe der Zeit. Unter den Ortsnamen
finden wir auch den, der das Land, um das es sich hier handelt,
bezeichnet hat: Lôu-lan. Die Bewohner müssen auch Ackerbau getrieben
haben, denn in den Briefen ist sehr oft die Rede von Getreidemaßen,
wobei auch zuweilen die Getreideart angegeben ist. Vielleicht hat an
der Stelle, wo die Schriftstücke ausgegraben worden sind, ein altes
Steuereinnehmerhaus oder eine Art Getreidebank, wo Korn aufgekauft
oder als Pfand angenommen worden ist, gestanden. Eigentümlich ist das
Papier, das manchmal auf beiden Seiten beschrieben ist, was jetzt in
China weder beim Schreiben noch im Druck üblich ist.

„Jedenfalls ist die mitgebrachte Sammlung, die auch für die Chinesen
von großem Interesse ist, derart, daß sie noch lange das Interesse der
Männer der Wissenschaft in Anspruch nehmen wird.

„Einige Blätter enthalten nur Schreibübungen, andere sind abgebrochene
Sätze, aber die Abweichungen von der jetzigen Schrift sind im ganzen
nicht groß. Die Stäbe haben den Vorteil vor den Papierblättern, daß sie
einen oder mehrere Sätze, die abgeschlossen sind, enthalten, z. B., daß
eine Antilope geliefert, so und soviel Korn abgegeben worden, so und
soviele Menschen für einen Monat oder länger mit Lebensmitteln versorgt
worden sind.

„Der Beamte, der hier residiert hat, scheint eine nicht unbedeutende
Provinz verwaltet zu haben, was aus folgendem Satze zu schließen ist:
«Von dem angelangten Kriegsheere sind 40 Beamte an der Grenze (oder dem
Ufer?) zu empfangen, und die Höfe sind zahlreich.» Er scheint auch zwei
eingeborene Fürsten neben sich gehabt zu haben.

„Die meisten Zeitangaben sind aus den Jahren 264-270 n. Chr. Im Jahre
265 starb Kaiser Yüan Ti aus dem Hause Wei, und im Norden folgte die
Tsin-Herrschaft unter Wu-Ti, der bis zum Jahre 290 regierte.

„Von den leserlichen Kupfermünzen sind die meisten sogenannte
Wu-tschu-Stücke. Diese Prägung war während der Periode von 118 v.
Chr. bis 581 n. Chr. in Gebrauch. Ferner sind darunter zahlreiche
Huo-thsüan-Münzen, die auf Wang-Mang zurückgehen, der zwischen den
Jahren 9 und 23 n. Chr. die Macht in Händen hatte. Die Bezeichnungen
der gefundenen Münzen widersprechen also den Zeitangaben der
Papierfetzen und Stäbe nicht.“

Schon diese vorläufigen Mitteilungen zeigen, welch wichtige
Aufklärungen man von der von mir mitgebrachten Sammlung erwarten kann.
Sie bringen ein neues Licht in die politische und physische Geographie
des innersten Asien während der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt
und zeigen, welch ungeheure Veränderungen dieser Teil der Welt in 1600
Jahren erlitten hat.

[Illustration: 186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)]

[Illustration: 187. Das Lager in Lu-tschuentsa. (S. 17.)]

Der Name Lôu-lan kommt bei dem im 12. Jahrhundert lebenden arabischen
Geographen Idrisi vor, und ein gelehrter Mandarin in Kaschgar, dem ich
die Manuskripte zeigte, sagte mir, daß das Land um das jetzige Pitschan
bei Turfan in alten Zeiten Lôu-lan geheißen habe. Im Verein mit den
physikalisch-geographischen Untersuchungen, die ich in bezug auf die
Wanderungen des Lop-nor-Sees ausführte, sind diese historischen Daten
von unschätzbarem Wert. Sie geben nicht nur über das Land Lôu-lan
am Nordufer des früheren Lopsees Auskunft, sondern verbreiten auch
Licht über viele andere ungelöste Probleme in dieser Gegend, die auf
halbem Wege zwischen China und dem Abendland liegt. Sie erzählen von
regelmäßiger Post zwischen dem Lop-nor und Scha-tschôu, also von einer
regelrechten Verbindungsstraße durch die Wüste Gobi. Der alte Weg von
Korla längs des Ufers des Kontsche-darja, wo ich das vorige Mal eine
ganze Reihe von Lehmtürmen (Pao-tai) und Festungen fand, erhält jetzt
eine ganz andere Beleuchtung. Ich habe im ersten Bande S. 205-207 von
den Ruinen in Jing-pen gesprochen -- auch sie waren ganz gewiß eine
wichtige Station auf dem alten Wege.

Daß in Lôu-lan Ackerbau hat getrieben werden können, ist von großem
Interesse. Wie ist dies möglich gewesen? Vom Kurruk-tag kommt kein
Bach, vom Himmel kein Tropfen Wasser. Das Klima wird sich verändert
haben, sagt vielleicht jemand. Nein, durchaus nicht! Im Herzen eines
Kontinents pflegt das Klima in anderthalb Jahrtausenden nicht solch
kolossale Veränderungen zu erleiden. Kanäle müssen vom Flusse, dem
Tarim oder Kum-darja, abgeleitet worden sein, Bewässerungskanäle von
derselben Art wie überall in Ostturkestan. Getreidebanken gibt es noch
jetzt in allen Städten Ostturkestans; sie stehen unter der Kontrolle
der chinesischen Behörden und dienen zur gleichmäßigen Verteilung des
Brotes unter die Eingeborenen. Ich fand allerdings nur 4 Dörfer, von
denen das größte 19 Häuser hatte, aber es können noch mehr Ruinen in
der Wüste liegen. Und wenn von Kriegsheeren, 40 Beamten und zahlreichen
Höfen die Rede ist, hat man Grund, anzunehmen, daß Lôu-lan reich
bevölkert gewesen ist. Die von uns gefundenen Ruinen würden dann von
Amtslokalen und vornehmeren Wohnungen herrühren, und es ist ja auch
wahrscheinlich, daß diese bei den Türmen gelegen haben, während die
Hütten der Fischerbevölkerung an den Ufern lagen und natürlich in viel
kürzerer Zeit zerstört worden sind.

9. März. Noch ein Tag blieb uns an diesem, ich hätte beinahe gesagt,
heiligen alten Orte -- jedenfalls einem Ort, an dem man von feierlicher
Schwermut über die Vergänglichkeit alles Irdischen erfüllt wird und vor
der Tatsache steht, daß Städte und Stämme von der Zeit wie Spreu vor
dem Winde vom Erdboden verweht werden.

Als ich aufstand, waren die Leute schon ein paar Stunden bei der Arbeit
gewesen und brachten nun ihre Funde in meine Jurte (Abb. 214). Diese
bestanden wie gestern aus Papierfetzen und Holzstäben, alle aus dem
nordöstlichen Stande des Lehmhauses; in den beiden anderen wurde nichts
gefunden. Fischgräten, Skeletteile von Haustieren, unter anderen von
Schweinen, Lumpen, einige Pinselstiele, eine Peitsche, das Skelett
einer Ratte und diverse andere Raritäten kamen auch zum Vorschein.
Ein völlig unbeschädigter roter Tonkrug wurde ausgegraben (Abb. 215).
Er war 70 Zentimeter hoch und 65 Zentimeter breit und besaß keine
Henkel. Wahrscheinlich ist er in einem Weidenkorbe mit Henkel, der in
der Nähe lag, getragen worden. Scherben von derartigen Gefäßen sind
außerordentlich häufig.

Nachmittags kam die Karawane von der Quelle. Die Pferde sahen
kümmerlich aus, aber die Kamele waren fett geworden. Sie trugen 10
Tagare und 11 Tulume Eis, welcher Vorrat ziemlich lange reichen würde.



Fünftes Kapitel.

Lôu-lan.


Da ich annehme, daß es meine Leser interessieren wird, einige Auskunft
über das Land, das obigen Namen trägt, zu erhalten und zu erfahren,
was bisher durch chinesische Quellen darüber bekannt war, so will ich
im Anschluß an meine Entdeckungen einige von fachkundigster Seite
herrührende Mitteilungen anführen. Es sind meine Freunde die Sinologen
Karl Himly in Wiesbaden und George Macartney in Kaschgar, die zu Worte
kommen, und zwar in den beiden vornehmsten geographischen Zeitschriften
der Welt.

Himly hat in „Petermanns Mitteilungen“ (1902, Heft XII)
einen Aufsatz, betitelt „Sven Hedins Ausgrabungen am alten Lop-nur“
veröffentlicht, worin er das von mir mitgebrachte Material vorläufig
analysiert und daraus mehrere interessante Schlüsse zieht. Er schreibt:

„Der Name Lop-nur ist nicht von den jetzigen (türkischen) Bewohnern
erfunden, wie ja auch «nur» = See ein mongolisches Wort ist. Vor Mitte
des 18. Jahrhunderts verlief hier die Grenze der Khalkha- und der
Westmongolen oder Kalmücken. Von den Chinesen wird jetzt nach Hedins
Erkundung das Gebiet des neugegründeten Ortes Dural so genannt, wo
ein chinesischer «Amban» seinen Sitz hat. Nach den Ausführungen in
Petermanns Ergänzungsheft betrachtete Hedin den etwas weiter südöstlich
befindlichen Kara-köl als Überbleibsel des alten Sees. Dieser war
aber längst vor der Mongolenzeit den Chinesen bekannt gewesen und
hatte verschiedene teils chinesische, teils einheimische Namen:
Yen-tsö (chinesisch «Salzsee»), Puthschang-hai («hai» chinesisch =
Meer), Yao-tsö, Lôu-lan-hai usw.; Lôu-lan aber war der Name eines
Landes, welches trotz seiner Kleinheit wegen seiner Lage zwischen
dem nördlichen und dem südlichen Weg von China nach dem Westen schon
zur Zeit der Kämpfe zwischen den chinesischen Kaisern aus dem Haus
der Han und den Hiung-Nu seit dem zweiten Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung eine für dasselbe zuweilen verhängnisvolle Rolle gespielt
hat, indem es bald auf die eine, bald auf die andere Seite gedrängt
wurde. Der berühmte Wallfahrer Hüan-Tschuang berührte 645 das Land
auf seiner Rückreise aus Indien, nachdem er von Khoten aus die Wüste
mit ihren damals schon in Trümmern liegenden Städten durchzogen
hatte. Wenn schon die Wüste die Einwohner der Städte vertrieb und
ihre Häuser verschüttete, mußte eine Vereinigung der Staubstürme mit
den sich stauenden Gewässern die Gefahr noch vermehren. Nach dem
Schuêiking-tschu sammelten sich die Gewässer des Sees nordöstlich von
Schan-schan (Lôu-lan) und südwestlich von Lung-thschöng (Drachenstadt),
welches im Zeitraum Tschi-ta (1308-11) durch eine Sturmflut zerstört
wurde. Doch waren die Trümmer noch vorhanden.

„Vielleicht ist es nun diese alte Trümmerstätte, welche Hedin während
seines letzten Aufenthalts in der Gegend des Lop-nur aufgefunden hat.
Er begab sich nämlich, von einigen einheimischen Türken -- Lopliks,
die jedoch noch nie dort gewesen waren -- und einem seiner Kosaken
begleitet, von der Quelle Altimisch-bulak nach Süden und traf nach
zwei kleinen Tagereisen in einer Entfernung von 81½ Kilometer vom
Kara-koschun auf die Trümmer einer alten Stadt. Während von den meisten
Häusern nur noch die Holzgerüste standen, war eines aus Lehm (oder
Luftsteinen?) gebaut mit dicken Außen- und zwei Innenwänden, welche
das Haus in drei Räume, einen breiteren mittleren und zwei kleinere an
den Seiten teilten. In einem der letzteren wurden eine Menge Stäbe aus
Tamariskenholz mit meist chinesischen Schriften und viele Papierfetzen,
letztere teilweise auf einer, teilweise entgegen der jetzigen Sitte
auf beiden Seiten beschrieben, unter einer Sand- (oder Löß-?)Schicht
von höchstens zwei Fuß Dicke aufgefunden. Es befanden sich darunter
auch kleine Klötzchen, welche gleichfalls beschrieben waren und meist
augenscheinlich zum Zubinden bestimmte Vertiefungen zeigten. Daß diese
Klötzchen als Deckel für darunter befindliche Briefschaften gedient
hatten, war teils aus der Aufschrift zu entnehmen, teils hatten
schon die im Januar 1901 von Stein am Niya-Flusse gemachten Funde
an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen, wie man sich beim
ersten Blick auf Tafel IX in seinem «~Preliminary report on
a journey of archaeological and topographical exploration in Chinese
Turkestan~» überzeugen kann. Unweit dieser Fundstelle fanden sich
sehr wertvolle Holzschnitzereien mit geschmackvollen Verzierungen; die
darunter vorkommenden Buddhabilder lassen auf das Vorhandensein eines
Tempels schließen. In einem anderen Hause fanden sich Fischknochen in
großer Menge, und unzählige Schnecken (~Limnaea~) lagen umher.
Läßt dieser Umstand darauf schließen, daß hier das Ufer eines Sees
war, so zeugte ein riesengroßes, aus fünf dicken Brettern bestehendes
Rad vom Wagenverkehr zu Land. Die vier Türme aus Fachwerk, welche
sich in der Umgebung fanden, mögen teils zur Verteidigung, teils am
Weg als Feuer- oder Rauchtürme gedient haben, wie sie weit über das
chinesische Reich zerstreut lagen, um vor dem herannahenden Feind zu
warnen. Ein riesiger Wasserbehälter von rotem Ton, oben mit schmaler
Öffnung versehen, hatte sich vollkommen erhalten.

„Unter den kleineren Fundstücken sind namentlich die Kupfermünzen
bemerkenswert, die, bis auf eine chinesischen Ursprungs, auf eine
bestimmte Reihe von Jahrhunderten hinweisen. Sie haben alle das
bekannte viereckige Loch in der Mitte, an dem sie, zu Hunderten
aufgereiht, an Stricken getragen zu werden pflegen. Die Bezeichnungen
einer bestimmten Reihe von Jahren, welche frühestens im Jahre 376 n.
Chr. begannen und vom Jahre 621 an nie mehr fehlten, finden sich auf
keiner der Münzen. Die häufigste Aufschrift ist Wu tschu (5 Tschu oder
5/24 Liang oder Unzen) in alter Siegelschrift, in der die 5 einer
römischen Zehn (X) ähnelt, und kommt von 118 v. Chr. bis 581 n.
Chr. vor. Zuweilen haben die Münzen die Bezeichnung Huo-thsüan (nach
Endlichers Übersetzung «Tauschmittel»), welche von 9-22 n. Chr. aus
der Zeit des Wang-Mang angeführt wird. Eine Münze, in der das Loch ein
längliches Viereck bildet, trägt die Aufschrift in Schriftzeichen,
deren Erklärung der Zukunft vorbehalten werden muß.

Unter den anderen kleineren Gegenständen ist namentlich ein kleiner
geschnittener Stein bemerkenswert, welcher den in Hedins Werk «Durch
Asiens Wüsten» (erste Auflage, II, 33) abgebildeten «Gemmen aus
Borasan» an die Seite zu stellen ist. Es heißt dort (II, S. 35)
von der Fundstätte westlich von Khoten, die dortigen «Überreste
einer hochentwickelten Kunstindustrie» beständen aus «kleinen
Terracottagegenständen, Buddhabildern aus Bronze, +Gemmen+, Münzen
usw., für den Archäologen von größter Bedeutung, da sie bewiesen,
daß die durch griechischen Einfluß veredelte antike indische Kunst
bis ins Herz von Asien gedrungen wäre». Hier nun handelt es sich
augenscheinlich um einen Hermes, der als Gott der Wanderer seinen
Weg durch Baktrien nach dem Innern von Asien gemacht hat. Kunstvolle
dreikantige Pfeile oder flache kleinere, etwa für Geflügel bestimmte,
beide von Bronze, Wirtel, ein mit Perlen usw. geschmückter Ohrring,
Kupferdraht, eiserne Nägel, mit einem scharfen Gegenstand oben
geöffnete Kaurimuscheln, Schellen (für die Pferde?) von Kupfer- und
Messingblech, Bruchstücke von Glöckchen aus Bronze, Bernstein und
Perlen aus solchem, kupferne Ringe, allerlei Gerät oder Bruchstücke
davon aus verschiedenartigen Steinen oder Halbedelsteinen, worunter
Nierstein (Nephrit) und Alabaster, verziertem grünem Glas usw., geben
Kunde von der Bildungsstufe, auf welcher entweder der einheimische
Gewerbefleiß stand, oder von dem Sinn, welchen man für die Erzeugnisse
des fremden hatte.

„Hinsichtlich der Frage, um welchen Zeitraum es sich bei der
Zerstörung des Ortes handeln dürfte und wie derselbe, d. h. die
Stadt oder das Land, geheißen haben, sprechen die aufgefundenen
Schriftstücke eine deutlichere Sprache. Sowohl auf den Stäben als auf
den alten Papierfetzen kommt der Name Lôulan vor und zwar in einem
Zusammenhang, der keinen Zweifel läßt, daß so der Ort der Bestimmung
oder Aufbewahrung hieß. So stehen auf dem oberen Teile eines der Stäbe
Angaben über nach Tun-Huang und Tsiu-Thsüan (Su-tschôu) abgesandte
Briefe; auf dem unteren Teile ist der 15. Tag des 3. Monats im 6. Jahre
des Zeitraums Thai-Schi, d. h. des 6. Jahres des Kaisers Tsin Wu Ti
(270 n. Chr.) angegeben als Tag der Ankunft eines Briefes in Lôulan.
Auf einem der Deckelklötzchen, welches die auf Tafel IX von
Steins «~Preliminary report~» angegebene Gestalt hat, nur viel
kleiner ist, finden sich der Fürst der See-Angelegenheiten und Frau
(Tien-schi Wang Hou) in Lôulan als Empfänger angegeben. Die erste
Zeitangabe ist vom Jahre 264, in welchem das Haus Wei das nördlichste
der «drei Reiche» noch unter seiner Herrschaft hatte. Sonst finden sich
noch die Jahre 266, 268, 269 und 270 angegeben, während sich unter
den meist anscheinend mit Willen zerfetzten Papieren der Name Lôulan
zweimal, wovon einmal aus einer geringfügigen Veranlassung des Inhalts,
daß ein gewisser Ma aus Lôulan am 6. des 6. Monats nicht vorzusprechen
brauche, und die Jahreszahl 310 in Verbindung mit der Stadt An-Si
finden.

„Der Inhalt der verschiedenen schriftlichen Bemerkungen ist ein sehr
verschiedenartiger. Es ist darin sonst noch von Getreidelieferungen,
von Nachrichten aus Tun-Huang, Verkehr mit Kao-Tschang (dem alten
Turfan), von gerichtlichen Verhandlungen usw. die Rede. Die Stäbe
dienten augenscheinlich bald als Tagebücher, bald zu Mitteilungen oder
Weisungen an Untergebene. Letzterer Art scheint ein abgebrochener
kleinerer Stab gewesen zu sein mit der Mitteilung, daß von dem (pien?
am Rand, an der Grenze, am Ufer?) angelangten Heer vierzig am Deich
empfangene Anführer in den Gehöften Unterkunft finden könnten.

„Ein kleines Brettchen hat eine nicht chinesische Aufschrift, deren
Schriftzeichen den Kharoshthi-Zeichen bei Stein (Taf. IX, X und XI bei
Stein a. a. O.) ähneln, wie auch das Brettchen von zwei Deckeln von der
auf Steins Tafel X veröffentlichten Art begleitet gewesen sein wird.

„Es ist nach dem allem kaum zu bezweifeln, daß hier das alte Lôulan war
und am alten Lop-nur lag. Diese alte Stadt scheint Anfang des vierten
Jahrhunderts vom Wüstensturm oder von den Gewässern, bezw. durch beide
Gewalten zerstört worden zu sein. Man wird in der Nähe eine andere, die
sogenannte Drachenstadt, gebaut haben, welche dann ihrerseits in den
Jahren 1308-11 durch eine Sturmflut zugrunde ging.“

Mein alter Freund von all meinen Besuchen in Kaschgar, George
Macartney, der ebenfalls ein gründlicher Kenner der chinesischen
Sprache ist, hat in der Märznummer 1903 des „~Geographical
Journal~“ folgenden Aufsatz erscheinen lassen, den ich hier
mit seiner Erlaubnis ~in extenso~ mitteile. Einige der historischen
Ereignisse, deren Schauplatz Lôu-lan gewesen, passieren hier Revue
und zeigen, daß dieses Land einst eine gewisse Bedeutung gehabt hat.
Im Verein mit den von Himly gegebenen Mitteilungen und Übersetzungen
gibt uns Macartneys Aufsatz Gelegenheit, uns eine ziemlich deutliche
Vorstellung von diesem zweitausendjährigen Königreich zu machen.
Macartneys Artikel trägt den Titel. „~Notices, from Chinese sources,
on the ancient Kingdom of Lau-lan or Shen-shen~“ (Nachrichten aus
chinesischen Quellen über das alte Königreich Lôu-lan oder Schen-Schen)
und lautet folgendermaßen:

„In dem Vortrag, den ~Dr.~ Sven Hedin in London am 8. Dezember
1902 vor der Königl. Geographischen Gesellschaft über seine
dreijährigen Forschungen in Zentralasien hielt, gab er uns eine
lebhafte Schilderung von den Ruinen einer alten Stadt am Ufer des alten
Lob-nor. Unter den Funden, die er von dieser Örtlichkeit mitgebracht
hat, finden wir eine Anzahl chinesischer Manuskripte, die als dem
zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. angehörend identifiziert worden
sind. Einige von diesen Manuskripten tragen nicht allein das Datum,
sondern auch den Namen des Ortes, an welchem sie geschrieben worden
sind. Dieser Name ist Lau-lan, und die Kenntnis dieser Tatsache ist
von besonderem Interesse. Der Name Lau-lan selbst ist den modernen
chinesischen Geographen wohlbekannt, aber bis jetzt sind offenbar weder
sie noch Gelehrte in Europa imstande gewesen, mit einiger Genauigkeit
die Lage des Landes, das einstmals diesen Namen getragen hat, zu
bestimmen. Herr A. Wylie, ein hervorragender Chinaforscher, hatte
diese Lage im Jahre 1880 seinen Berechnungen nach auf 39° 40′ nördl.
Breite und 94° 50′ östl. Länge angenommen. Dies würde einen Fehler
von ungefähr 250 engl. Meilen (etwa 420 Kilometer) bedeuten, wenn ich
recht verstanden habe, daß der Platz, wo ~Dr.~ Hedin die den Namen
Lau-lan tragenden chinesischen Manuskripte gefunden hat, ungefähr auf
40° 40′ nördl. Breite und 90° östl. Länge lag. [Diese Zahlen sind
beinahe richtig. Hedin.] Eine genauere Feststellung der Lage von
Lau-lan, die jetzt selbstverständlich möglich ist, kann, wie ich hoffe,
hinsichtlich anderer benachbarter Länder, deren alte Namen bekannt
sind, über deren Lage sich aber die heutigen Geographen noch die Köpfe
zerbrechen, zu wertvollen Ergebnissen führen.

„Wenn wir die Geschichte der ersten Hankaiser, das Tsien-Han-shu [ich
lasse die englische Schreibweise der chinesischen Namen unverändert.
Hedin], und die Aufzeichnungen, welche Fa-Heen und Hsian-Tsang
hinterlassen haben, studieren, finden wir viele Orte mit Entfernungen
erwähnt, als deren Ausgangspunkt Lau-lan angegeben ist.

„So erwähnt das Tsien-Han-shu (geschrieben, in runden Zahlen,
zwischen 100 v. Chr. und 50 n. Chr.) folgende Entfernungen: Von Wu-ni
(Hauptstadt von Lau-lan) nach Yang-kuan, dem «südlichen Sperrtor»,
(augenscheinlich in der Richtung von Tun-huang) 1600 Li; nach Chang-an
6100 Li; nach dem Verwaltungssitze (der Name fehlt) des chinesischen
Gouverneurs 1785 Li; nach Si-an-fu 1365 Li; nach Keu-sze (Ouigour) in
nordwestlicher Richtung 1890 Li.

„In der Beschreibung seiner Reisen gibt Fa-Heen (im fünften Jahrhundert
n. Chr.) folgende Entfernungen an: von Shen-shen oder Lau-lan nach
Tun-huang, etwa 17 Tagemärsche, 1500 Li; nach Wu-e (Uigur?) 15
Tagereisen zu Fuß in nordwestlicher Richtung.

„Von Hsian-Tsang erfahren wir, daß Lau-lan, das er auch Na-po-po nennt,
1000 Li nordöstlich von Chem-to-na oder Nimo liegt.

„Aus dem Obigen ergibt sich auch, daß der Ort Lau-lan als Ausgangspunkt
für die Bestimmung der Lage mehrerer anderer Orte dienen kann.
Vielleicht können die obigen Angaben späteren archäologischen Forschern
von Nutzen sein.

„Dies ist aber noch lange nicht alles, was wir aus chinesischen Quellen
über Lau-lan erfahren können. Das Tsien-Han-shu erzählt uns, daß China
mit diesem Lande unter der Regierung des Kaisers Wu-ti (140-87 v. Chr.)
in Verbindung zu treten begann, um welche Zeit sich die Westgrenze des
Reiches nicht über das Yang-kuan-Sperrtor (vielleicht bis Tun-Huang)
und das Yü-Tor (das moderne Chia Yu Kuan?) hinaus erstreckt zu haben
scheint. Das ausgedehnte Land, das hinter diesen Orten lag, wurde von
den damaligen chinesischen Geographen mit dem unbestimmten Namen Si-yu
(die Westregion) bezeichnet und soll nach ihnen in 36 verschiedene
Königreiche geteilt gewesen sein. Man erzählt, daß von China zwei
Wege nach dieser Gegend führten. «Der über Lau-lan, welcher längs
des Flusses Po (des unteren Tarim?) auf der Nordseite des südlichen
Gebirges (des Altyn Ustun Tagh?) hinläuft und westwärts nach Sa-sche
(Yarkand) führt, ist der südliche Weg. Der, welcher über den Palast des
Häuptlings in Keu-tse (im Ouigourreiche? 1890 Li von Lau-lan) führt und
den Fluß Po in der Richtung des nördlichen Gebirges (Tien Shan) bis
nach Su-leh (Kaschgar) begleitet, ist der nördliche Weg.»

[Illustration: 188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches.
(S. 17.)]

[Illustration: 189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. (S. 22.)]

[Illustration: 190. Terrasse nördlich von der Oase vom 1. Februar. (S.
22.)]

[Illustration: 191. Tränkung der Kamele am Brunnen im Lager Nr. 138.
(S. 22.)]

„Das Wassersystem des Tarimbeckens wird mit folgenden Worten
beschrieben: «Der Fluß (Chotan-darja?) strömt nach Norden, bis er sich
mit einem Flusse vom Tsung-ling (Zwiebelkette in Sarikol) vereinigt,
und fließt dann nach Osten in den Pu-schang-hai (den Schilfsee),
der auch der Salzsumpf genannt wird. Dieser liegt über 300 Li von dem
Yü-Tore und dem Sperrtore Yang-kuan und ist 300 Li lang und breit.
Das Wasser ist stationär und nimmt weder im Winter noch im Sommer ab
oder zu. Der Fluß soll sodann unter der Erde weiterfließen und bei
Tseih-shih wieder zutage treten, von wo an er den Gelben Fluß Chinas
bildet.»

„Das Folgende ist ein Auszug des Berichtes, den wir in dem
Tsien-Han-shu über die politischen Verhältnisse zwischen China und
Lau-lan während des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt finden.

„Kaiser Wu-ti, heißt es, wünschte, mit Ta-wan und den umliegenden
Ländern Verbindung zu unterhalten, und schickte wiederholt Gesandte
dorthin. Der Weg derselben ging über Lau-lan, aber die Einwohner von
Lau-lan beunruhigten im Verein mit dem Ku-tse-Volke die Reise der
Beamten und griffen Wang-Kuei, einen der Gesandten, an und raubten ihn
aus. Doch nicht genug damit, die Bewohner von Lau-lan machten sich
den Chinesen auch dadurch verhaßt, daß sie den Heun-nu (Hunnen) als
Spione dienten und diesen wiederholt bei der Ausplünderung chinesischer
Reisender halfen. Dergleichen konnte nicht geduldet werden. Daher
rüstete Wu-ti eine Expedition gegen den feindlich gesinnten Staat
aus. Chao Po-nu wurde mit einem Heere von 10000 Mann ausgesandt,
um das Ku-tse-Volk zu strafen, während der Gesandte Wang-Kuei, der
wiederholt unter den Übergriffen der Lau-laner gelitten hatte, Befehl
erhielt, Chao Po-nu als Unterfeldherr zu begleiten. An der Spitze von
700 Mann leichter Kavallerie vorrückend, nahm dieser den König von
Lau-lan gefangen, eroberte Ku-tse und jagte, auf das Ansehen seines
Kriegsheeres vertrauend, auch den Staaten, die Vasallen von Wu-sun und
Ta-wan waren, Respekt ein. Die Lau-laner unterwarfen sich bald und
schickten Tribut an Kaiser Wu-ti. Doch ihre Unterwerfung erboste ihre
Bundesgenossen, die Hunnen, und es dauerte gar nicht lange, so wurden
sie von diesen angegriffen. Daher schickte der König von Lau-lan, um
seine beiden mächtigen Nachbarn zu besänftigen, einen seiner Söhne als
Geisel zu den Hunnen und einen zweiten dem Kaiser von China. So endete
die erste Episode der Beziehungen zwischen China und dem Königreiche
von Lau-lan.

„Aber noch mehr Unruhen standen Lau-lan bevor. Kaiser Wu-ti mußte aus
irgendeinem Grunde noch eine Strafexpedition gegen Ta-wan und die
Hunnen schicken. Die Hunnen fanden das chinesische Heer so furchtbar,
daß sie es für das Klügste hielten, jeden direkten Zusammenstoß mit ihm
zu vermeiden, was sie aber nicht hinderte, in Lau-lan, dessen Bewohner
noch immer mit ihnen im Bunde standen, Truppen in Hinterhalte zu legen.
Diese Truppen beunruhigten Wu-tis Armee unaufhörlich. Die Chinesen
kamen bald dahinter, daß die Lau-laner im geheimen Bundesgenossen der
Hunnen waren, und infolgedessen wurde General Jen-wan ausgesandt, um
sie zu züchtigen. Jen-wan drang bis an das Stadttor vor, welches ihm
geöffnet wurde, und machte dem König Vorwürfe über seine Verräterei.
Der König antwortete entschuldigend: «Wenn ein kleiner Staat zwischen
zwei großen Reichen liegt, zwingt ihn die Notwendigkeit, mit beiden
im Bunde zu stehen, sonst hat er nie Frieden; jetzt aber wünsche ich,
mein Königreich den Grenzen des chinesischen Reiches einzuverleiben.»
Diesen Worten vertrauend, setzte ihn der Kaiser wieder auf den Thron
und beauftragte ihn, ein wachsames Auge auf die Bewegungen der Hunnen
zu haben.

„Der König starb im Jahre 92 v. Chr. Eine Thronfolgefrage entstand. Man
wird sich erinnern, daß einer der Söhne des verstorbenen Königs sich
als Geisel am chinesischen Hofe befand. Nun schickten die Lau-laner
eine Petition an den Kaiser, er möge ihnen den als Geisel gesandten
Prinzen wiederschicken, damit dieser den ledigen Thron besteige. Der
Prinz hatte sich jedoch nicht der Gunst des Kaisers erfreut; er war
tatsächlich die ganze Zeit, die er in China weilte, im Palaste des
Seidenwurmhauses in einer seinem Range entsprechenden Haft gefangen
gehalten worden. Daher fand die Petition bei Wu-ti kein williges Ohr,
sondern er gab die diplomatische Antwort: «Ich liebe den Prinzen,
meinen Gast, sehr und bin nicht gesonnen, ihn von meiner Seite zu
lassen.» Der Kaiser schlug dann den Bittstellern vor, sie sollten den
nächsten Sohn des toten Königs mit der Königswürde bekleiden.

„Das taten die Lau-laner auch. Aber der neue König regierte nur
kurze Zeit, und als er starb, wurde die Nachfolgerfrage wieder
brennend. Diesmal dachten die Hunnen, die, wie wir wissen, auch
einen Lau-lan-Prinzen als Geisel an ihrem Hofe hatten, daß dies
eine passende Gelegenheit sei, ihren verlorenen Einfluß auf diesen
Staat wiederzuerlangen. Deshalb schickten sie den Prinzen zurück und
setzten ihn auf den Thron. Dieser gelungene Handstreich beunruhigte
die Chinesen, die ihren Einfluß durch Bestechungen und Intrigen
wiederzugewinnen suchten. Sie machten keinen direkten Versuch, den
Schützling der Hunnen zu entthronen, schickten aber an ihn einen
Gesandten, der ihn aufforderte, dem chinesischen Hofe einen Besuch
abzustatten, wo ihm, wie der Gesandte sagte, der Kaiser reiche
Geschenke machen würde. Der Kaiser und der Gesandte konnten jedoch
nicht ahnen, daß sie hier auch mit der Verschlagenheit einer Frau zu
rechnen hatten. Die Stiefmutter des Königs war dort und riet ihm, indem
sie sagte: “«Dein königlicher Vorgänger sandte zwei Söhne als Geiseln
nach China; keiner von ihnen ist je zurückgekehrt; ist es da billig,
daß du gehen sollst?» Daher verabschiedete der König den Gesandten mit
dem Bescheid, daß «die Angelegenheiten des Reiches ihn, da er den Thron
erst eben bestiegen habe, noch derartig in Anspruch nähmen, daß er den
chinesischen Hof nicht eher als in zwei Jahren besuchen könne».

„Obgleich das Verhältnis zwischen dem neuen König und dem Kaiser ohne
Zweifel gespannt war, war es noch nicht zu offenen Feindseligkeiten
zwischen ihnen gekommen. Nun aber kam das Ereignis, welches der
Unabhängigkeit des Staates Lau-lan ein Ende machen sollte. Am Ostrande
von Lau-lan, wo dieses Land an China grenzte, scheint eine Örtlichkeit,
der Peh-lung-Wall genannt, gelegen zu haben. Dieser Platz lag auf der
großen Heerstraße von China über Lau-lan nach den westlichen Ländern;
er litt an Dürre und hatte keine Weiden. Die Lau-laner wurden oft von
den Chinesen aufgefordert, Führer, Wasser und Proviant nach diesem
Platze zu schicken, wenn durchreisende Beamte dessen bedurften.
Hierbei wurden die Ortseinwohner oft von chinesischen Soldaten
brutal behandelt. Dadurch entstanden Reibungen; aber die Lage wurde
noch verschlimmert durch die Hunnen, welche die Lau-laner immer im
geheimen gegen die Chinesen aufhetzten. Schließlich beschlossen die
Lau-laner, alle freundschaftlichen Beziehungen zu Wu-ti abzubrechen,
und ermordeten einige seiner Gesandten, als diese durch das Gebiet von
Lau-lan reisten. Diese Verräterei wurde dem chinesischen Hofe durch Hui
Tu-chi, den jüngeren Bruder des Königs, hinterbracht, welcher, nachdem
er sich unter die Oberhoheit des Han-Kaisers gestellt hatte, mit dem
Plane umging, seinen älteren Bruder vom Throne zu stoßen. Infolgedessen
wurde im Jahre 77 v. Chr. der chinesische General Fu-keae-tsu
ausgeschickt, um dem König das Leben zu nehmen. Fu-keae-tsu wählte
sich schleunigst einige Begleiter aus und begab sich nach Lau-lan. Er
hatte vorher das Gerücht verbreiten lassen, daß er beauftragt sei, zu
freundschaftlichen Untersuchungen nach einem Nachbarstaate zu reisen,
und daß er dem König Geschenke zu überbringen habe. Fu-keae-tsu wurde
bei seiner Ankunft von dem König, der nichts Böses ahnte, zu einem
großartigen Feste eingeladen. Als der König betrunken war, gab Fu
seinen Begleitern ein Zeichen, und nun wurde der König von hinten
erstochen. Sein Kopf wurde vom Leibe getrennt und über dem Nordtore
der Stadt aufgehängt. Zur Belohnung für seinen Verrat wurde Hui Tu-chi
an Stelle seines Bruders zum König eingesetzt und das Königreich unter
dem neuen Namen Shen-Shen, auf den der Lehnsbrief ausgefertigt wurde,
wiederhergestellt. Damit dem Ansehen des neuen Regenten nichts mangeln
sollte, erhielt er eine Dame des kaiserlichen Hofes zur Gemahlin, und
als Hui Tu-chi die chinesische Hauptstadt verließ, um sich in sein
Reich zu begeben, wurden ihm beim Abschied reiche Ehrenbezeigungen
erwiesen. Auf diese Weise gelangte er auf den Thron. Doch er fühlte
sich in seiner neuen Stellung nicht sicher. Weil er ein chinesischer
Schützling war, betrachtete ihn das Volk, über welches er herrschen
sollte, mit Mißtrauen. Außerdem hatte der tote König einen Sohn
hinterlassen, und Hui Tu-chi lebte in beständiger Furcht, von diesem
ermordet zu werden. Daher forderte Hui Tu-chi den Kaiser auf, in
Lau-lan eine Militärkolonie zu errichten, und zwar in der Stadt E-tun,
wo das Land, wie er sagte, «reich war und guten Ertrag gab». Dies
geschah, und der Kaiser schickte einen Reiterobersten mit 40 Mann nach
E-tun, um «die Felder zu bestellen und das Volk zu beruhigen». So
gelang es dem großen Han-Monarchen, seine Macht über das Land Lau-lan
oder Shen-shen zu erstrecken.

„Um die Zeit, als diese Chroniken geschrieben wurden, was
wahrscheinlich um Christi Geburt herum geschah, zählte, wie uns
berichtet wird, das Königreich Shen-shen 1570 Familien, was neben 2912
Mann geübten Truppen eine Bevölkerung von 14100 Personen ausmachte.

„Hinsichtlich der physischen Charakterzüge des Landes sagt das
Tsien-Han-shu (von Herrn A. Wylie ins Englische übersetzt):

„«Das Land ist sandig und salzig, und es gibt dort wenig angebaute
Felder. In betreff des Getreides und der Ackerbauerzeugnisse ist die
Gegend auf die benachbarten Reiche angewiesen. Das Land bringt Nephrit,
Binsen in Menge, Tamarisken, ~Elaecocca vernicia~ und weißes Gras
hervor. Die Bevölkerung treibt ihr Vieh überall auf die Weide, wo es
genügend Wasser und Gras finden kann. Die Leute besitzen Esel, Pferde
und Kamele. Sie können für Kriegsbedarf dieselbe Art Waffen anfertigen
wie die Leute in Tso-kiang.»

„Soweit gehen also die in dem Tsien-Han-shu enthaltenen Nachrichten.
Hören wir, was Fa-Heen von Lau-lan sagt, durch welches Land er im
fünften Jahrhundert n. Chr. reiste, als er sich von China nach Indien
begab, um sich die heiligen Bücher des Buddhismus zu verschaffen. Die
englische Übersetzung ist von ~Dr.~ J. Legge.

„«Nachdem sie 17 Tage gereist waren, welche Entfernung wir auf etwa
1500 Li (von Tun-huang) schätzen können, erreichten die Pilger das
Königreich Shen-shen, ein kupiertes, hügeliges Land mit magerem,
unfruchtbarem Boden. Die Kleidungsstücke der gewöhnlichen Leute sind
einfach und gleichen den in unserem Lande Han gewebten; einige tragen
Filz und andere Serge oder härene Stoffe. Der König gehorchte unserem
Gesetze, und in dem Königreiche gibt es wohl mehr als 4000 Mönche, die
alle das Hinayana (das kleine Erlösungsmittel) studieren. Die breiteren
Schichten der Bevölkerung dieses und anderer Königreiche in dieser
Gegend, wie auch die Sramanen (Mönche) leben alle auf indische Weise,
diese jedoch strenger, jene etwas freier. Hier hielten sich die Pilger
ungefähr einen Monat auf und setzten dann ihre Reise fort, worauf sie
ein fünfzehntägiger Marsch nach Nordwesten nach dem Lande Wu-e führte.
Hier gab es über 4000 Mönche, die alle das Hinayana studierten.»“

„Hsian-Tsang (629-645 n. Chr.) passierte zweihundert Jahre nach Fa-Heen
auf der Rückreise von Indien Lau-lan, aber seine Nachrichten von dem
Lande sind außerordentlich dürftig. Wir erfahren nur, daß er, nachdem
er die mit Mauern umgebene, aber verlassene Stadt Tsche-mo-to-na oder
Nimo verlassen hatte, 1000 Li in nordöstlicher Richtung reiste und
Na-po-po erreichte, welches dasselbe ist wie Lau-lan.“

Aus diesen von Macartney zusammengestellten Angaben ersehen wir, daß
Lôu-lan seinerzeit eine gewisse Bedeutung hatte. Wahrscheinlich würde
man durch fortgesetzte Ausgrabungen noch reichere Funde machen können
als die, von denen ich kurz berichtet habe.



Sechstes Kapitel.

Ein Nivellement durch die Lopwüste.


Am 10. März frühmorgens wurde es im Lager unruhig; wir wollten von
unserer festen Operationsbasis aufbrechen und die stille Stadt
wieder ihrer tausendjährigen Ruhe überlassen. Wird je wieder ein
abendländischer Pilger in den Mauern von Lôu-lan zu Gaste sein?

Drei Eissäcke wurden den Kamelen geopfert, die kauen durften, soviel
sie wollten; die Last war auf jeden Fall zu schwer. Die eingeheimste
Ernte an Schnitzereien und anderen Dingen wurde zu Packen gebunden und
das Gepäck geordnet. Die Karawane sollte hier in zwei Partien geteilt
werden. Ich wollte südwärts gehen, um ein Präzisionsnivellement durch
die Wüste nach dem Kara-koschun auszuführen. Als Begleiter hatte ich
Schagdur, Kutschuk, Chodai Kullu und Chodai Värdi ausersehen. Wir
brauchten nur vier Kamele, eines für das Gepäck und drei für Eis (Abb.
216). Ich nahm nur das Unentbehrlichste an Proviant und Kleidern,
Instrumente, alles zum Nivellieren Nötige, die halbe Jurte und das
halbe Bett mit; die Leute konnten unter freiem Himmel schlafen. Die
Frühlingswärme war bereits so stark, daß der Ofen überflüssig war. Der
Proviant wog nicht viel. Das Wenige, was noch an Reis und Brot da war,
wurde in für acht Tage berechnete Rationen geteilt.

Der übrige Teil der Karawane, Faisullah, Li Loje und Mollah, sechs
Kamele, drei Pferde, die drei Hunde und das ganze schwerere Gepäck
nebst Eis und Proviant für vier Tage sollten allein weiterziehen.

Faisullah, der im vorigen Jahre die Wüstendurchquerung von
Altimisch-bulak an mitgemacht hatte, mußte nach Kum-tschappgan, wo
wir uns wieder treffen wollten, hinfinden können. Er hatte Befehl,
sich direkt dorthin zu begeben und dort auf unsere Ankunft zu warten.
Der Sicherheit halber erhielt er gründlichen Unterricht, wie er sich
vom Kompaß nach Südwesten führen lassen müsse. Ich war von Faisullahs
Klugheit und Vorsicht überzeugt, hielt es aber doch für besser, alle
Kartenblätter von dieser Reise, die Manuskripte und Stäbe aus Lôu-lan,
meine Notizbücher und die Beobachtungsjournale selbst mitzunehmen.
Obgleich Faisullah, wie wir noch hören werden, ein höchst unerwartetes
Abenteuer hatte, wären die kostbaren Papiere bei ihm doch sicherer
gewesen als bei mir, wie sich noch zeigen wird!

Während die beiden Karawanen beladen wurden, brach ich auf. Faisullah
und seine beiden Kameraden halfen Chodai Värdi, der Befehl hatte, uns
mit unseren vier Kamelen nachzukommen und sich am Abend bereitzuhalten,
das Lager aufzuschlagen.

Zum Ausgangspunkte des Nivellements wählte ich den Platz an der Basis
des Turmes, wo meine Jurte gestanden hatte. Hier wurde die 4 Meter hohe
Nivellierlatte zum ersten Male aufgerichtet. Sie wurde stets auf eine
Platte gestellt, um nicht einzusinken, wenn sie halb umgedreht wurde.
Schagdur handhabte sie während der ganzen Wanderung auf mustergültige
Weise. Das Fernrohr wurde 100 Meter südlich von ihr aufgestellt, und
ich machte meine erste Ablesung, worauf Schagdur am Fernrohr vorbeiging
und die Latte zum zweiten Male 100 Meter südlich davon aufstellte --
und so weiter, Tag für Tag, bis an den Kara-koschun, wohin wir 81½
Kilometer hatten!

Der Abstand zwischen Fernrohr und Stange wurde von Kutschuk und
Chodai Kullu mit einem 50 Meter langen Bandmaße gemessen, das also
jedesmal zweimal auf der Erde abrollte. Das Fernrohr mit seinem Stativ
wurde beim Weitergehen von Kutschuk getragen. Ich selbst hatte die
Ablesungen, Kompaßpeilungen, Marschroute und Aufzeichnungen über den
Charakter des Terrains zu machen.

Bevor die Leute an diese für sie neue Arbeit gewöhnt waren, kamen wir
nur langsam weiter; aber nicht lange dauerte es, so ging alles seinen
regelrechten Gang, und es gab keine unnötigen Verzögerungen mehr.

In dieser Richtung, von Lôu-lan nach Süden, war es sehr deutlich zu
merken, daß wir die Uferlinie des früheren Sees passierten. Die toten
Bäume, Sträucher und Schilfstoppeln hörten mit einem Schlag auf, und
nun waren wir auf ödem, graugelbem Lehmboden ohne alle Vegetation, wo
wir uns ohne Zweifel auf einem alten Seeboden befanden.

Einundneunzigmal waren die Stange und das Fernrohr vorgerückt, bevor
wir es, nach einem Marsche von 9140 Meter, an der Zeit hielten zu
lagern. Es fing an dämmerig zu werden. Aber Chodai Värdi mit den vier
Kamelen war nicht zu erblicken. Wir spähten von Hügeln und Kegeln nach
ihm aus, doch der Mann war spurlos verschwunden. Hatte er sich verirrt?
Hatte er mich mißverstanden und Faisullah begleitet oder war er bei den
Ruinen geblieben?

An einem Punkte, wo wieder dürres Holz auftrat, zündeten wir auf
einem Hügel ein großes Signalfeuer an. Schagdur begab sich trotz der
Dunkelheit auf die Suche. Ich war in größter Unruhe. Wenn Chodai Värdi
sich verirrt hatte, war er verloren. Er war noch nie in der Gegend
gewesen und hatte keine Ahnung, wohin er gehen mußte, um nach dem
Kara-koschun zu gelangen. Und fanden wir ihn nicht wieder, so würde
natürlich auch unsere Lage -- ohne Wasser und ohne Nahrung -- kritisch
sein; es war bis an den See noch so weit, daß unsere Kräfte schwerlich
so weit reichen konnten, und nach der isolierten Quelle zurückzukehren,
wäre ebenso verzweifelt gewesen. Doch am meisten von allem quälte mich
der Gedanke: sollten alle Resultate einer viermonatigen Wanderung nur
durch die Dummheit eines Dieners verlorengehen?

Wir zerbrachen uns den Kopf und lauschten und stapelten alles, was Holz
hieß, auf das Feuer, das hoch und wild in der sonst undurchdringlichen
Dunkelheit flammte. Kein Laut war zu hören. Die Wüste lag so tot und
öde da, als gehörte sie nicht einem von Menschen bewohnten Planeten an.
Statt uns nach der anstrengenden Arbeit und Fußwanderung des Tages an
Wasser laben können, hielt uns nun diese unheimliche, düstere Unruhe
gepackt. Es bedurfte jetzt nur noch eines Nebelsturmes -- dann wäre
alles verloren gewesen!

So schlimm sollte es nicht werden. Im nächtlichen Dunkel ertönten
tappende Schritte: Chodai Värdi kam mit den Kamelen wohlbehalten an!
Ich war froh, nichts eingebüßt zu haben, so daß ich ganz vergaß, ihm
seine wohlverdiente Schelte zukommen zu lassen. Er erklärte, daß er
durch die Form der Lehmterrassen gezwungen worden sei, sich zu weit
nach rechts zu halten, und nachher weder uns noch eine Spur habe
wiederfinden können. Als er abends im Südwesten ein Feuer gesehen habe,
sei ihm endlich klar geworden, daß er sich auf Irrwegen befinde -- dies
war nämlich Faisullahs Feuer. Er sei also umgekehrt und habe schon aus
sehr weiter Ferne unser Feuer erblickt, auf das er nun losgesteuert
sei. Es war wirklich ein Wunder, daß keines der Kamele sich beim
Überschreiten dieser unzähligen, finsteren, gähnenden Gräben in der
Dunkelheit die Beine gebrochen hatte.

In aller Eile wurde das Lager aufgeschlagen und der Kessel auf das
Feuer gesetzt. Schagdur war und blieb fort, und Chodai Kullu wurde
mit der Flinte ausgeschickt, um einige Signalschüsse abzufeuern.
Daß er weit ging, konnte man hören, da die Schüsse allmählich immer
schwächer wurden und schließlich in der Ferne erstarben. Doch er kam
unverrichteter Sache wieder, und wir gingen zur Ruhe.

Daß dieses Abenteuer noch so ablief, war eine Fügung der Vorsehung;
aber daß ein Mensch wie Chodai Värdi, der sonst stets gesunden
Verstand gezeigt, so unglaublich dumm sein konnte, ist unerklärlich.
Er war 12 Stunden kreuz und quer in der Wüste umhergeirrt, während wir
nur 9,1 Kilometer zurückgelegt hatten. Vom Lager konnte man sogar noch
den Lehmturm von Lôu-lan sehen. Um Schagdur hatte ich nicht Angst.
Ich kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, daß er sich allein nach dem
Kara-koschun durchschlagen würde. Er hatte stets einen Kompaß bei sich
und wußte auf meinen Karten gut Bescheid.

Am folgenden Morgen erwachte ich bei einem vollen Sturm, der dicke
Sandwolken durch die Rinne trieb, in der wir lagerten; sie zogen in ihr
dahin wie Wasser in seinem Bette, und der Sand feilte die Seiten der
Lehmterrassen. Die öde Landschaft sah in dieser neuen Beleuchtung, die
der des gestrigen Feuers so unähnlich war, geradezu schauerlich fremd
aus. Nivellieren war ganz unmöglich; wir mußten liegenbleiben. Schagdur
fand sich nicht ein; er hatte in dem heimtückischen Sturme offenbar
unsere Spur verloren.

Am Vormittag hielt ich mich meistens bei den Kamelen auf. Ich saß bei
ihnen, streichelte ihnen den Kopf und klopfte ihnen den Rücken. Wenn
sie nur geahnt hätten, wie ich sie schätzte, wie dankbar ich ihnen für
die Dienste war, die sie mir geleistet hatten, und wie leid es mir tat,
daß ich sie einem Führer anvertraut hatte, der sie nutzlos gequält und
ihre empfindlichen Fußschwielen unnötigerweise in der harten Lehmwüste
angestrengt hatte. Ruhig, zufrieden und würdig wie immer lagen sie da
und glaubten wohl, es sei notwendig gewesen, 40 Kilometer in der Wüste
umherzuirren. Ohne Rücksicht auf die Folgen ließ ich ihnen einen Sack
Kamisch und einen Sack Eis geben. Doch welch ein Lohn wartete ihrer
später! Alle, außer einem, starben in Tibet.

Mein Erstaunen war grenzenlos, als um die Mittagszeit Schagdur mit
leichten, elastischen Schritten aus dem Staubnebel auftauchte! Der
prächtige Junge, der einen ganzen Stamm von Muselmännern aufwiegt, war,
seit er uns am vorigen Abend um 5 Uhr verlassen hatte, unausgesetzt
auf den Beinen gewesen. In der Nacht hatte er Faisullahs Feuer gesehen
und war dorthingeeilt. Ich hatte nämlich Faisullah befohlen, das Feuer
bis spät in die Nacht zu unterhalten, nur um der Kuriosität halber
feststellen zu können, ob es bei uns auf 20 Kilometer Abstand sichtbar
wäre. Von Faisullah hatte Schagdur einen kleinen Vorrat Reis und Eis
erhalten, denn, als sich jetzt der Sturm erhob, hatten sie gefürchtet,
daß er uns nicht wiederfinden würde.

Er wollte es versuchen. Glücklicherweise hatte er auf dem Hinwege die
Kompaßpeilungen aufgezeichnet. Ein paarmal hatte er die Spur von Chodai
Värdis Kamelen gesehen, sie dann aber wieder verloren.

Daß er uns fand, war ein Meisterstück sondergleichen. Nur ein Burjat,
der sein Leben unter freiem Himmel in der Wildnis zugebracht hat und
dazu Kosak ist, bringt derartiges fertig. Denn man muß bedenken, daß
die Lager 20 Kilometer voneinander entfernt lagen, der Boden eben wie
eine Wasserfläche war und man im Nebelsturme höchstens 50 Meter weit
vor sich sehen konnte und alle Spuren zugeweht waren. Wenn ein Mensch
solche Beweise von Tüchtigkeit, Klugheit und Treue gibt, kann man ihm
alles anvertrauen -- und das tat ich später auch ein paarmal.

Es machte uns freilich einen Strich durch die Rechnung, daß wir einen
ganzen Tag verloren, doch was tat das, da der Himmel mir den schweren
Verlust, der mir drohte, erspart hatte? Wir versuchten unseren Weg
fortzusetzen, aber es ging nicht. Wenn der Wind 11 Meter in der Sekunde
macht, schwankt die Stange und kann abbrechen, und das Fernrohr zittert
auf seinem Stativ. Wir mußten uns gedulden und noch eine Nacht auf
diesem wüsten Platze zubringen.

Am 12. März war ein herrlicher Tag, und wir begannen früh, arbeiteten
bis Sonnenuntergang und hielten nur um 1 Uhr zehn Minuten Rast zur
Ablesung der meteorologischen Instrumente. Jetzt führte Chodai Kullu
die Kamele, mußte aber ganz in unserer Nähe bleiben. Der Weg ging nach
Südsüdosten. Die Winderosionsfurchen ziehen sich nach Südwesten, und
wir mußten über die zwischen ihnen liegenden Rücken hinüber. Für uns
Fußgänger ging es wohl an, aber für die Kamele war es sehr ermüdend.
Sie mußten in weiten Umwegen geführt werden, während wir mit den
Instrumenten in geraden Linien vorrückten.

Abwechslung bietet sich dem Auge nicht mehr, aber das kann man in einer
Wüste auch nicht verlangen. Ein Unterschied gegen die westlichere Linie
des vorigen Jahres war, daß wir hier weniger, ja fast gar keinen Sand
hatten. In den Rinnen ist der Boden oft mit einer fußdicken Schicht von
feinem Staub bedeckt, in den man einsinkt wie in Wasser. Meistens haben
wir jedoch harten Lehmboden, und bald schmerzen uns von dem ewigen
Springen die Füße.

Gegen Sonnenuntergang mußte Chodai Kullu vorausgehen und das Lager
aufschlagen, so daß alles fertig war, als wir mit der Tagesarbeit
aufhörten. Der Fixpunkt, wo die Arbeit unterbrochen und am folgenden
Morgen wiederaufgenommen werden muß, wird so gewählt, daß irgendwelche
Verrückung während der Nacht ausgeschlossen ist.

Mit wachsendem Interesse rechnete ich abends aus, was die Zahlenreihen
zu sagen hatten. Heute zeigten sie mir, daß wir auf 11201 Meter 2,466
Meter gefallen waren. Ich würde diese ermüdende, die Geduld auf die
Probe stellende Arbeit nicht ausgehalten haben, wenn ich nicht eine
wichtige Entdeckung erwartet hätte. Die nivellierte Linie sollte das
entscheidende Urteil über das Lop-nor-Problem fällen. Ihr Profil würde
zeigen, ob es möglich oder unmöglich war, daß im nördlichen Teile der
Wüste Lop ein See gelegen hat.

Frühauf und gleich an die Arbeit, ist jetzt morgens die Losung.

Der Boden wurde heute günstiger. Die Jardang folgen nicht mehr so dicht
aufeinander und sind niedriger, wir brauchen nicht soviel zu klettern.
Aber Schneckenschalen sind allgemein, manchmal ist der Boden von ihnen
ganz weißgetüpfelt. Kleine Höcker auf der Oberfläche abgerechnet, ist
der Boden so eben wie ein Fußboden.

War diese Gegend für das Auge trostlos und einförmig, so war sie für
das Nivellement um so bequemer. Keine Hindernisse stellten sich uns in
den Weg; wir gingen in gerader Linie, rasch und ohne Unterbrechung.
Wenn das Fernrohr mit der Wasserwage eingestellt ist und ich es um den
Horizont führe, liegt dieser überall in genau demselben Abstande von
den horizontalen Fäden des Fadenkreuzes.

Fünf Scharen Enten streichen gen Norden. Kutschuk vermutete witzig,
daß unsere Entsatzexpedition unter Tokta Ahun sie vom Nordufer des
Kara-koschun vertrieben habe. Wahrscheinlich ist, daß die Enten sich
im Winter an diesem See und im Sommer am Bagrasch-köll aufhalten.
Eine Eintagsfliege machte eine Runde um uns und verschwand wie ein
funkelnder Smaragd in südlicher Richtung.

Während dieses Tages stiegen wir 2,763 Meter und befanden uns 0,11
Meter höher als im Ausgangspunkte in Lôu-lan. Wir waren mit anderen
Worten auf 32 Kilometer Wegstrecke 11 Zentimeter gestiegen! Schon
in diesem Lager hatte ich also den Schlüssel des Lop-nor-Problems
gefunden. Die beiden ersten Tage waren wir gefallen, den dritten
gestiegen; wir hatten also eine deutliche Depression überschritten, und
diese ist es, die das ehemalige Bett des Lop-nor repräsentiert. Das
Resultat der Arbeit der folgenden Tage würde auf diesen Schluß nicht
mehr einwirken. Wir waren durch ein Becken gegangen, gleichviel in
welchem Niveau sich der Kara-koschun im Verhältnis zum Ausgangspunkte
befinden mochte; und daß dieses Becken einst Wasser enthalten hatte,
wurde durch die Schneckenschalen und viele andere bereits erwähnte
Umstände bewiesen.

Mit dem Schlage 7 Uhr ertönte ein pfeifendes Brausen im Nordosten,
und ein paar Minuten später fuhr der schwarze Sturm mit ungezügelter
Wut über den Boden, der ihm nicht das geringste Hindernis in den
Weg stellte. Die Sonne war in außergewöhnlicher Weise in dichten
Wolken untergegangen, und der Tag war drückend schwül gewesen.
Alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, der Fixpunkt
festgeschlossen, die Jurte gründlich festgemacht, die Feuer ausgelöscht
und, nachdem die Kamele mit den Köpfen auf die vom Winde abgewandte
Seite gebracht worden waren, bereitete sich jeder auf das, was kommen
sollte, vor; es wurde still im Lager, und nur der Sturm heulte um
uns herum. Der Flugsand drang durch das Zelttuch; draußen war es
stockfinster, und keine Sterne waren zu sehen.

Jeden Abend um 9 Uhr stellte Schagdur das Kochthermometer, das ich
stets selbst ablas. Als er von meiner Jurte nach seinem Schlafplatze
neben der Küchengeschirr enthaltenden Kiste zurückkehren wollte, fand
er sich, trotzdem es nur 15 Schritte waren, nicht zurecht und verirrte
sich. Eine halbe Stunde später hörte ich schwaches Rufen aus einer ganz
anderen Richtung. Ich rief aus vollem Halse, und Schagdur fand sich so
nach der Jurte zurück. Er war die ganze Zeit gekrochen, denn Stehen war
unmöglich, und pechfinster war es auf allen Seiten. Nur auf folgende
Weise konnte er seinen Platz finden; ich hielt eine kleine Spalte im
Zelttuche offen, und den Blick auf diese gerichtet, kroch er rückwärts,
bis er bei der Kiste anlangte. Wer nie einen solchen Sturm erlebt hat,
kann sich keinen Begriff davon machen. Man wird verdreht und will
nur gehen, immerzu gehen, weiß aber nicht, wohin der Weg führt; der
Ortssinn scheint gelähmt zu sein, man geht im Kreise, glaubt aber in
gerader Linie zu gehen. Es ist eine Art Wüstensturmkrankheit, die näher
mit der Platzkrankheit als mit See- und Bergkrankheit verwandt ist; sie
schlägt sich auf das Gehirn. Wäre Chodai Värdi von solch einem Sturme
überfallen worden, so wäre er verloren gewesen.

Am folgenden Morgen waren die Folgen des schwarzen Sturmes deutlich
erkennbar. Um meine Jurte hatte der Sand eine Ringdüne gebildet,
und auch hinter den Köpfen der Kamele hatten sich große Sandhaufen
gebildet. Sobald sich ein Hindernis im Wege des Flugsandes erhebt,
entstehen Dünen; sonst treibt er nach Westen.

Glücklicherweise hörte der Sturm um 11 Uhr auf, und wir konnten nach
Süden weiterziehen.

Die Wüste ist trostlos einförmig; der Boden besteht aus einem Gemenge,
das die Eingeborenen „Schor“ nennen. Sand, Staub, Kalk und Salz, alles
erstarrt und zu einer ziegelharten Masse zusammengebacken. Das Salz ist
manchmal in dünnen Schollen abgesondert. Als das Wasser verschwunden
war, scheint diese Masse sich durch Austrocknen ausgedehnt zu haben,
denn sie ist zu unzähligen, nach allen möglichen Richtungen laufenden
Wülsten aufgesprungen; die Höhe dieser beträgt manchmal 75 Zentimeter.
Hier gibt es absolut keine Spur von vegetativem oder animalem
Leben, nicht einmal eine Schneckenschale. Es ist offenbar der Boden
eines Salzsees, und wir wissen auch, daß die Chinesen den Lop-nor
in alten Zeiten den „Salzsee“ genannt haben. Auch der Kara-koschun
hat abgeschnürte Teile, deren Wasser salzig ist, und im Süden dieses
Sees sieht der früher überschwemmte Boden genau so aus wie hier -- am
südlichen Ufergebiete des alten Lop-nor.

[Illustration: 192. Lager mitten in der Sandwüste. (S. 22.)]

[Illustration: 193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben. (S. 23.)]

Die Steigung fährt fort, obgleich nur mit 0,644 Meter auf 11250 Meter.
In dem heutigen Lager befanden wir uns also um 0,754 Meter über dem
Ausgangpunkte. Dies schien des Guten zuviel zu werden; der Kara-koschun
konnte doch nicht höher liegen als Lôu-lan! Alle meine Gedanken und
Grübeleien drehten sich um diese interessante Nivellierungslinie. Die
folgenden Tage, deren Verlauf ich mit Spannung entgegensah, würden
zeigen, ob wir nicht eine flache Protuberanz oder Wasserscheide
zwischen dem früheren und dem jetzigen Seebecken zu passieren hatten.

15. März. Schor, den ganzen Tag Schor, tödlich einförmig! Kein
Gegenstand, auf den man das Fernrohr richten könnte, nichts, was lockt,
als die Sehnsucht, aus dieser langweiligen Wüste herauszukommen!

Das Wetter jedoch war herrlich, und um 1 Uhr stieg die Temperatur nur
auf +11 Grad. Aber unsere Lage war insofern kritisch, als wir kaum
noch etwas zu essen hatten. Der Reisvorrat hatte ein Ende genommen,
nur ein kleiner Beutel mit geröstetem Mehle war noch da; die Männer
hatten Tee, ich Kaffee und Zucker, -- das war alles. Die Kamele
hielten sich vortrefflich; sie mußten die Polsterung ihrer Packsättel
auffressen. Trinkwasser war zur Genüge vorhanden, hatte aber von den
Ziegenlederschläuchen einen widerlichen Beigeschmack angenommen. Noch
schwammen einige Eisstücke darin, und nur diese waren genießbar.

Vergeblich suchten wir am Horizont nach einer Rauchsäule von Tokta
Ahuns Signalfeuern. Schagdur spähte mit dem Feldstecher, ich mit dem
Fernrohr danach aus, aber nichts war zu sehen. Eine kleine Abwechslung
bot sich uns zu Ende des Marsches, indem wir an einigen, halb in den
Schorboden eingebetteten Pappelstämmen vorbeikamen. Es war Treibholz,
das einst, als das Land unter Wasser stand, hierher geschwemmt worden
war.

Das heutige Nivellierungsresultat war 0,304 Meter Fall auf 16226 Meter.
Nach einer ebeneren Landschaft kann man auf der Oberfläche der Erde
lange suchen! 30 Zentimeter Gefälle auf 16 Kilometer!

Wir hatten also die vermutete Protuberanz passiert, und aller
Wahrscheinlichkeit nach würde das Gelände nun nach dem südlichen
Seebecken fallen.

Als wir am Morgen des 16. aufbrachen, mußten wir nach der vorjährigen
Marschroute nicht viel mehr als 20 Kilometer vom Kara-koschun entfernt
sein. Wir erhielten auch bald die ersten Anzeichen von „Land“; wir
begannen zu merken, daß wir uns dem Strande des Wüstenmeeres nahten.
Die äußersten „Schären“ bestanden aus ein paar toten oder sterbenden
Tamarisken. Diese traten nach und nach häufiger auf, und ihre treuen
Begleiter, eine kleine einen Meter hohe Sanddüne auf der vor dem Winde
geschützten Seite jedes Strauches, waren unseren schmerzenden Füßen
sehr willkommen.

Enten streiften in Menge umher, aber ihre Bahnen waren merkwürdig
unregelmäßig. Bald flogen sie nach Süden, bald nach Norden, bald kamen
sie von Südwesten, um sich nach Südosten zu begeben, nachdem sie
über uns einen Kreis beschrieben, als machten sie nur einen Ausflug
oder eine Rekognoszierung. Was bezwecken sie damit? Sind sie Herolde
oder Kundschafter, die ausgeschickt werden, um zu sehen, ob sich im
Norden neue Seen gebildet haben? Ahnen sie am Ende, daß der Lop-nor im
Begriffe steht, sein Bett wieder zu verlegen? Sie haben sicher gemerkt,
daß es im Kara-koschun zu eng und die offenen Wasserflächen immer
seltener werden.

Die Berechnung der heutigen Nivellierung ergab einen Fall von 2,172
Meter auf eine Strecke von 16000 Meter. Wir hatten also offenbar
Fühlung mit dem Becken des Kara-koschun, der südlichen Depression der
Lopwüste.

Der 17. März wurde für uns ein Freudentag. Die Entfernung bis nach dem
See konnte nicht mehr groß sein, erschien uns aber endlos, weil keine
Anzeichen seine Nähe verkündeten. Die Zahlenreihen vergrößerten sich
langsam, und wir alle waren müde, was kein Wunder ist, wenn man sich
nicht satt essen kann.

Dann aber zeigten sich im Süden verschiedene Entenscharen, die zwischen
Osten und Westen kreisten, ja sogar einige Falken. Als die Latte zum
siebzehnten Male auf einer Sanddüne aufgerichtet wurde, blieben die
Männer stehen, zeigten nach Süden und riefen: „Wasser, Wasser auf allen
Seiten!“ Wir waren dem See so nahe, daß schon beim neunzehnten Male die
Latte unmittelbar am Wasserrande aufgestellt werden konnte.

So standen wir denn schließlich, wie aus den Wolken gefallen, am
Endpunkte dieser ermüdenden, Geduld erfordernden, aber bedeutungsvollen
Nivellierarbeit. Es war ein unbeschreiblich schönes und herrliches
Gefühl, denn jetzt konnten wir ein neues Kapitel beginnen und neuen
Schicksalen entgegengehen!

Wie war das Nordufer des Kara-koschun hier unähnlich dem Punkte, an dem
wir es im vorigen Jahre erreicht hatten. Der Strand war vollständig
kahl und öde und wurde von einem sehr unbedeutenden Sandgürtel
begleitet. Frei und offen lag der Wasserspiegel da. Das Wasser war
merklich salzhaltig, aber jedenfalls besser als die faulige Suppe, die
wir in unseren Ziegenschläuchen hatten.

Das Lager wurde unmittelbar am Ufer aufgeschlagen. Die Kamele warfen
einen ruhigen, forschenden Blick auf das Wasser. Es war eine kalte öde
Landschaft, jedoch verglichen mit den sterilen Gegenden, die wir eben
durchzogen hatten, war sie ein Paradies.

Sobald wir die Nivellierungsinstrumente aus der Hand gelegt hatten,
erhielt Chodai Kullu Befehl, nach Südwesten aufzubrechen und, ohne zu
rasten, Tag und Nacht zu gehen, bis er Tokta Ahuns Entsatzkarawane,
die nicht weit entfernt sein konnte, fände. Daß sie hier nicht hatte
vorbei- und nach Nordosten weitergezogen sein können, war ersichtlich,
da sich im Erdboden nicht die geringste menschliche Spur zeigte. Der
Kundschafter verschwand in dem dichten Nebel; er hatte keinen Proviant
mit, aber an Wasser brauchte er keinen Mangel zu leiden. Wir sollten
warten, wo wir waren.

Jetzt begann wieder das Leben ~à la~ Robinson Crusoe. Unser
erster Gedanke war, uns etwas Eßbares zu verschaffen. Schagdur zog mit
der Schrotflinte aus und kam mit zwei fetten Enten wieder, die wir
brüderlich teilten. Kutschuk wollte nicht hinter ihm zurückstehen;
er wollte sein Glück im See versuchen. Ein improvisiertes Boot
wurde hergestellt, -- es war nicht das erstemal, daß ich mich als
Schiffsbaumeister versuchte. Den Hauptbestandteil bildete meine
wasserdichte Instrumentkiste. An ihren Langseiten wurden die Hälften
der jetzt überflüssig gewordenen Nivellierlatte und an diesen die
leeren Schläuche festgebunden. In diesem etwas unbequemen Fahrzeuge,
das mit einem Spaten gerudert wurde, navigierte Kutschuk auf den
flachen Sümpfen. Fische sah er jedoch nicht. Das Wasser war zu salzig,
und es fehlte dem See an Vegetation.

Unterdessen rechnete ich das Resultat des Nivellements aus. Wir waren
noch 55 Zentimeter gefallen. Es stellte sich demnach heraus, daß das
Nordufer des Kara-koschun 2,272 Meter unter dem Ausgangspunkt in
Lôu-lan liegt; im ganzen hatte der Fall kaum 2⅓ Meter auf 81,6
Kilometer betragen. Ich hatte nicht nur bewiesen, daß infolge des
Reliefs des Landes ein See im nördlichen Teile der Lopwüste existiert
haben +kann+, sondern auch, daß ein solcher dort tatsächlich sein Bett
gehabt hat.

Hier ist nicht der Ort, diese merkwürdige Linie in ihren Einzelheiten
zu analysieren. Ich will nur daran erinnern, daß, obgleich der
Ausgangspunkt wie der Endpunkt willkürlich waren, die Linie selbst
doch ihre unanfechtbare Beweiskraft behält. Der Ausgangspunkt wurde
zufällig von unserem Lager in Lôu-lan gewählt, der Endpunkt am
Spiegel des Kara-koschun, der veränderlich ist; der See war in dieser
Jahreszeit ansehnlich gefallen. Wenn das Wasser der Eisschmelze
hierher gelangt, steigt er wieder und dann verringert sich der
Höhenunterschied noch mehr. Damit jedoch eine solche Linie vollen Wert
habe, ist erforderlich, daß man nach dem Ausgangspunkte zurückkehrt
und eine Kontrolle der Ablesungen erhält, deren Summe ±0 sein soll.
Entsteht ein Fehler, so kann er auf die ganze Linie verteilt werden.
Aber die Zeit erlaubte mir nicht umzukehren, und die Jahreszeit war
auch schon zu weit vorgeschritten. Ihren Hauptzweck hatte auch die
einfache Nivellierungslinie erfüllt, indem sie das Vorhandensein einer
Depression bewiesen hatte.

Ganz passend für uns erhob sich der vierte Sandsturm des Frühlings am
Abend. Wäre er um die Mittagszeit gekommen, so wären wir gezwungen
gewesen, die Arbeit zu unterbrechen und in der Nähe des Sees zu bleiben
und zu warten -- und das wäre ein langes Warten geworden. Denn während
der beiden Tage und drei Nächte, die wir am Ufer lagerten, ging ein
heftiger Wind; die Luft war so dick wie trübes Wasser, und der Sand
regnete in meine Jurte.

Es reute mich, daß ich Chodai Kullu hatte gehen lassen; wir vermuteten
aber, daß er die Nacht irgendwo untergekrochen sein würde. Das
Einzige, was er bei sich hatte, waren Streichhölzer zum Anzünden von
Signalfeuern, aber so wie das Wetter jetzt war, hätte man ein Feuer
keine 200 Meter weit sehen können. An einem Punkte am Strande, wo
altes, welkes Schilf von den Stürmen nach Südwesten niedergebrochen
war, steckten wir dieses in Brand. Der dicke Rauch würde vielleicht
nach dem Lager der Entsatzkarawane hintreiben und unsere Ankunft
signalisieren.

Als Chodai Kullu auch am zweiten Tage nichts von sich hören ließ,
wurden wir unruhig. Hier war entschieden irgendetwas nicht in
Ordnung. Vergebens spähten wir am Strande umher; aber keine anderen
Erscheinungen als unsere eigenen Kamele tauchten aus dem Nebel auf. Wir
konnten nicht lange so untätig liegen bleiben. Glücklicherweise schoß
Schagdur fünf Enten, die sofort am Feuer gebraten und verzehrt wurden,
obwohl sie stark mit Flugsand gepfeffert waren.

Am allermeisten plagte mich die Sehnsucht nach der Post, denn auch sie
mußte sich in Tokta Ahuns Lager befinden. Der Tag war endlos lang, und
kein Kundschafter ließ sich blicken. Die Lage wurde nicht angenehmer
durch den ewig umherwirbelnden Flugsand, der gegen die Jurte klatschte
wie feiner Staubregen gegen eine Kutsche.

Auch am 19. März verhinderte mich der Sturm, eine wünschenswerte
Breitenbestimmung zu machen. Wie schon erwähnt, haben wir keinen Reis
mehr, und wir sind fürchterlich hungrig -- so schlecht hatte ich es
seit den Takla-makan-Tagen im Jahre 1895 nicht mehr gehabt.

[Illustration: 194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. (S. 32.)]

[Illustration: 195. Das angeschossene Kamelweibchen. (S. 32.)]

[Illustration: 196. Reinigung des Kamelskeletts im Lager in
Altimisch-bulak. (S. 32.)]

[Illustration: 197. Aus der Oase Altimisch-bulak. (S. 33.)]

[Illustration: 198. Prüfung des Nivellierinstruments bei
Altimisch-bulak. (S. 33.)]

Schagdur machte auf einem Ausfluge eine unerwartete Entdeckung. Er
hatte weiter westlich einen See gefunden, der sich nach Nordwesten und
Norden erstreckte, und längs des Ufers hatte er Chodai Kullus Fußspuren
gesehen. Wir befanden uns augenscheinlich in einem Labyrinth von
verwickelten Wasserflächen. Vielleicht hatten sie auch Tokta Ahun den
Weg verlegt. Jetzt mußte ein Entschluß gefaßt werden. Wie wäre es, wenn
wir uns um die anderen gar nicht kümmerten und östlich und südlich um
den Kara-koschun herum auf eigene Hand nach Abdall zögen? Doch nein,
wir hatten keinen Proviant, und in wenigen Tagen würde unsere Lage
verzweifelt sein. Für alle Fälle mußte sich Kutschuk nach Osten begeben
und rekognoszieren. Er kam wieder, nachdem er 11 Kilometer zurückgelegt
hatte, hatte einige alte, längstverlassene Kamischhütten gefunden,
einen Hügel bestiegen und dort die offene Wasserfläche gar bald im
Nebel verschwinden sehen.

Am Morgen des 20. war es klar, daß wir nicht länger auf Chodai Kullu
rechnen durften. Ohne Zweifel hatte er die anderen überhaupt nicht
gefunden, und es wäre ein Glück, wenn es ihm wenigstens gelungen wäre,
menschliche Wohnungen zu erreichen, bevor er vor Hunger zusammenbrach.

Als wir von diesem unwirtlichen Strande, den wir zuerst mit so
hoffnungsvollen Gefühlen erblickt hatten, eilfertig aufbrachen, war der
Himmel noch grau und schwer. Am Ufer hatte sich ein schmaler Eisrand
von 2 Zentimeter Dicke gebildet, womit ein halber Sack gefüllt wurde,
und es war schön, daß man nicht mehr nötig hatte, sich das noch in den
Schläuchen vorhandene, fast untrinkbare Wasser hinunterzuquälen.

Die Kamele waren ausgeruht und hatten leichte Lasten, so daß wir
schnell marschieren konnten. Wider Erwarten zwang uns das Seeufer
nach Nordwesten und Norden zu gehen. Links hatten wir die größten
Wasserflächen, die ich je im Kara-koschun gesehen habe, rechts die
Wüste. Diese Seen aber waren seicht; die Enten, die zu Tausenden
vorkamen, schnatterten und tauchten weit vom Strande.

Nach mehrstündigem Marsch bestieg ich mein altes Reitkamel vom vorigen
Jahre. Ich beherrschte nun einen weiteren Horizont als die Fußgänger
und konnte sie rechtzeitig warnen, nicht gerade auf Sümpfe und Kanäle
loszugehen.

Etwa 80 Meter vom jetzigen Seeufer erblickten wir in dem schmalen
Dünengürtel wieder Spuren von menschlichem Besuch. Es waren zwei
bis an den Dachfirst im Sande begrabene Kamischhütten. Gegen die
eine war ein Kahn gelehnt, dessen Vordersteven zwei Fuß weit aus dem
Sande hervorguckte. Der Fund war von Interesse. Die Hütten, das Boot,
die Hausgeräte, die wir fanden, zeigten, daß sich Fischerfamilien
wahrscheinlich noch vor wenigen Jahrzehnten in dieser Gegend
aufgehalten hatten.

Mein erster Gedanke war, zu versuchen, ob sich nicht aus dem Kahne
Nutzen ziehen ließe. Die Leute machten sich sofort daran, ihn
auszugraben. Wäre er noch gut im Stande, so könnte man ihn zum
Rekognoszieren, Fischen und Tiefenloten gebrauchen. Sie hatten 2 Meter
von ihm freigelegt, als sich eine klaffende Spalte zeigte; er wurde
nun unbarmherzig der Vernichtung, die schon einen Teil seines Rumpfes
verzehrt hatte, wieder überlassen.

Endlich bog das Seeufer gerade nach Westen ab, und wir machten es
ebenso. An seinem Rande stand das Schilf etwas dichter. Schagdur konnte
noch eine verlassene Hütte als Deckung benutzen, als er eine Schar
Enten beschlich. Er kehrte mit nicht weniger als sieben von ihnen
zurück und wurde mit Jubel empfangen -- wir konnten damit gut zwei Tage
lang die Lebensgeister aufrechterhalten.

Unser See sah noch immer sehr umfangreich aus; sein Südufer war nicht
zu sehen, sondern verschwand im Nebel.

Chodai Kullus Spur war fast den ganzen Tag deutlich zu erkennen. Doch
als der See auch in dieser Richtung aufhörte und wir über ödes Land
nach Südwesten zogen, zeigte es sich, daß der Mann nach Nordwesten
gegangen war. War er verrückt geworden? Hatte er wieder in die Wüste
hineingewollt? Jedenfalls mußten wir seine irrende, vergeblich suchende
Spur verlassen, um mit den Seen in Fühlung zu bleiben. An einigen
salzigen Tümpeln, wo die Kamelweide gut und Brennholz reichlich war,
lagerten wir und bedienten uns des am Morgen mitgenommenen Eisvorrates.

Spät am Abend, als die Luft ein wenig klarer geworden war, zündeten
wir wieder große Feuer von dürren Tamarisken an. Doch sie loderten
auf, sprühten, glühten und verkohlten, ohne Antwort zu erhalten. Still
war die Nacht, kein verdächtiges Geräusch war zu hören, keine Reiter
kamen mit frohen Nachrichten ins Lager angesprengt, und keine Spur
von einem Kundschafter war zu entdecken. Meine Besorgnis und Ungeduld
wurden immer größer. Auf Chodai Kullu rechneten wir nicht mehr.
Faisullah mußte jetzt glücklich in Kum-tschappgan angekommen sein.
Warum ließ aber Tokta Ahun nichts von sich hören? Er hatte, als wir
uns am Anambaruin-gol trennten, Befehl erhalten, uns hier rechtzeitig
entgegenzukommen. Er mußte bereits seit mehreren Tagen am See sein.
Warum ließ er sich denn nicht blicken? Ich wußte, daß ich mich auf ihn
unbedingt verlassen konnte. War ihm auf der Rückreise nach Tscharchlik
ein Unglück zugestoßen und hatte er diesen Ort überhaupt nicht
erreicht? Oder hatte er sich nur durch diese seltsamen, wandernden
Seen, die sich von einem Jahr zum anderen bis zur Unkenntlichkeit
verändern, auf eine falsche Straße locken lassen? Wann würden wir
Antwort auf alle diese Fragen erhalten? Dunkel umhüllte uns die Nacht,
und die ersterbenden Feuer ließen nur noch schwache Rauchsäulen
aufsteigen.

Am nächsten Tage ging es in derselben Richtung weiter, bald an See-
und Buchtufern entlang, bald über kahle Steppen. Schagdur kroch,
einer wilden Katze gleich, den Enten nach und erlegte wieder einige.
Ein wilder Eber rannte in so wildem Laufe durch das Schilf, daß der
Staub hoch aufwirbelte. Er war gar nicht scheu; es war ja auch nie ein
Flintenlauf auf ihn gerichtet gewesen, da er zu seinem eigenen Heil
nach dem Koran ein unreines Tier ist.

So gelangten wir an einen neuen See, wo das Schilf dichter war als
bisher. Ich ritt auf meinem sicheren, wiegenden Kamele und nahm die
Umrisse dieser unbeständigen Seen auf einer Karte auf, wohl wissend,
daß die Verteilung von Wasser und Land hier in ein, zwei Jahren ganz
anders aussehen würde.

Jetzt gebot uns ein schmaler Wasserarm Halt, der uns den ganzen Rest
des Tages völlig verdarb. Er war nur ein paar Meter breit und wenig
tief, aber sein Boden bestand aus so weichem, gefährlichem Schlamm,
daß wir nicht daran denken konnten, die Kamele hinüberzuführen. Wir
umgingen ihn südwärts und waren bald auf allen Seiten von Wasser
umgeben. Im Norden dehnten sich neue Seen aus. Als wir lagerten,
nachdem wir vergeblich nach einem Ausweg aus diesem Labyrinth gesucht
hatten, war das Land nur nach der Seite, von der wir gekommen waren,
hin offen, und obgleich wir nach Südwesten sollten, mußten wir am
Morgen doch nach Nordnordosten zurückgehen.

Nie hat der Kara-koschun in so hohem Grade wie jetzt auf mich den
Eindruck eines Sumpfes gemacht. Er besteht hier nicht aus wirklichen
Seen, sondern nur aus seichten Überschwemmungen.

Während der Nacht hatten sich neue Wasserarme gebildet, und wir mußten
früh aufbrechen, um nicht ganz auf einer Insel eingesperrt zu werden.
Wir selbst hätten wohl über das Wasser kommen können, aber die Kamele!
Dieser eigentümliche Schor-Boden, der ziegelhart wird, sobald er
trocknet, wird breiweich, sobald er überschwemmt wird.

Es erfordert mehr als Geduld, in seinen eigenen Fußspuren wieder
zurückzugehen und statt Terrain zu gewinnen, schon gewonnenes wieder zu
verlieren.

An einem breiten Wasserarme sahen wir wieder Chodai Kullus Spur. Er
war entschieden hinübergeschwommen, denn die Spur verschwand nachher.
Wo mochte der Arme geblieben sein? Jetzt waren es fünf Tage, seit ich
ihn fortgeschickt hatte. Daß er, wenn er überhaupt noch lebte, nicht
zurückkommen würde, war klar, denn ich hatte ihm gesagt, daß wir,
wenn er zu lange ausbleibe, östlich und südlich um den Kara-koschun
herumgehen würden.

Am 23. März wanderten wir längst einer durch kleine Stromarme
miteinander verbundenen Seenkette nach Nordosten weiter. Ich ging weit
voraus. Die Gegend war unfruchtbar. Ich sah mit eigenen Augen, wie
der Kara-koschun nach Norden und Nordosten, nach dem alten Bette des
Lop-nor zurückgesogen wurde. Konnte ich wohl einen deutlicheren Beweis
dafür erhalten, daß meine Theorien von 1896 richtig waren? Es wurde mir
immer klarer, daß sowohl Tokta Ahun wie Chodai Kullu und möglicherweise
auch Faisullah sich bei den Veränderungen, die in diesem Jahre hier
vor sich gegangen waren, nicht hatten zurechtfinden können. Was sie
vorfanden, stimmte durchaus nicht überein mit den Beschreibungen, die
ich ihnen gemacht hatte.

Müde und traurig machte ich an einem Punkte Halt, wo der Wasserarm
sich auf 7 Meter verengte, um sich bald darauf in einen See zu
ergießen (Abb. 217). Als die Karawane angelangt war, wurde die Stelle
untersucht. Der Boden trug uns, denn er bestand aus hartem, blauem Ton,
und an den feuchten Ufern sanken die Kamele nicht mehr als einen Fuß
tief ein.

Um zu erfahren, wie das Land im Norden aussah, schickte ich Schagdur
auf Kundschaft aus. Nach einer guten Weile tauchte er am Ostufer des
unteren Sees auf und winkte uns wie toll, dorthin zu kommen. Ich zog es
jedoch vor, mündlichen Bescheid abzuwarten, weshalb Schagdur sich auf
die Beine machte. Als er atemlos in Hörweite gekommen war, deutete er
nach Südwesten und rief. „Reiter, Reiter!“

Richtig: in einer Staubwolke erschienen zwei Reiter, die sich uns so
schnell näherten, wie die Pferde nur zu laufen vermochten. Schagdur
erzählte, daß er an dem Punkte, wo er uns gewinkt hatte, ganz frische
Spuren von fünf Pferden gesehen und ein paar Minuten später die Reiter
erblickt habe.

So hatte denn endlich die Stunde unserer Befreiung geschlagen! Mit
größter Spannung sahen wir diese willkommenen Boten über den Boden
sprengen und beobachteten sie mit dem Fernglase. Bald erkannten wir
Tschernoff und Tokta Ahun!



Siebentes Kapitel.

Der wandernde See.


Nie bin ich mit einem alten treuen Diener mit größerer Wärme und Freude
wieder zusammengetroffen als in dieser Mittagsstunde! Tschernoff, mein
vortrefflicher Kosak, war auch so froh, daß er zitterte, und seine
Wangen glühten vor Eifer. Er brannte vor Begierde, mir alles erzählen
zu dürfen; er wußte, daß ich durch ihn den abgeschnittenen Faden
wiedererhalten und von neuem mit der Welt, von der ich über ein halbes
Jahr abgeschlossen gewesen war, in Berührung treten würde.

Was jedoch im ersten Augenblick mein besonderes Interesse erregte, war,
daß er nach meinem Lager hatte zurückkehren können. Im vorigen Sommer
war uns mitgeteilt worden, daß alle semirjetschenskischen Kosaken
auf ihren Posten sein müßten, weil die politische Lage in Asien für
unruhig gelte. Doch der Kaiser hatte die unendliche Güte gehabt, mit
meinen beiden Kosaken Sirkin und Tschernoff eine Ausnahme zu machen.
Am letzten Juni 1900 hatten sie sich von mir getrennt und waren nach
Kaschgar geritten, wo sie jedoch erst einige Monate geweilt hatten,
als Generalkonsul Petrowskij aus Petersburg ein Telegramm mit dem
Befehl im Namen des Kaisers erhielt, daß die beiden Kosaken Sirkin und
Tschernoff sich augenblicklich nach meinem Lager zu begeben hätten,
wo ich mich auch befinden möge. Als dieser Befehl an einem Sonnabend
Nachmittag eingetroffen war, hatte der Konsul die Kosaken rufen lassen
und ihnen befohlen, Pferde zu kaufen und am nächsten Morgen abzureisen.
Sie hatten gefragt, ob sie nicht den Sonntag über noch dort bleiben
dürften, aber ein kaiserlicher Befehl duldet keinen Aufschub.

So saßen sie denn am Sonntag Morgen im Sattel und nahmen meine
ganze große Post, 27 Jamben Silbergeld, einige Instrumente und
photographische Utensilien mit, und nun ging es über Aksu und Korla
nach Tscharchlik, das sie nach 48tägigem Ritt Ende Dezember erreichten.
Da sie mich dort nicht gefunden hatten, beschlossen sie meine
Rückkehr zu erwarten und benutzten die Zeit gut. Sirkin übernahm die
meteorologischen Ablesungen, Tschernoff begab sich nach dem Delta
des unteren Tarim, über dessen neueste Veränderungen er eine Reihe
wohlgelungener Kartenskizzen ausführte. Da er des Schreibens unkundig
war, nahm er einen Mirsa (Schreiber) mit, der alles notierte. Die ganze
Rekognoszierung brachte mir viel wichtige Aufklärung und wurde später
in Tibet in freien Stunden gründlich durchgegangen.

Was Tokta Ahun anbetrifft, so hatte auch er seinen Auftrag wie ein
ganzer Mann ausgeführt. Er war vom Anambaruin-gol nach Tscharchlik
geritten, hatte nur eines der sechs schlechten Pferde unterwegs
verloren, Islam meine Post übergeben, sich von ihm mit Proviant und
ausgeruhten Pferden ausrüsten lassen und sich mit Tschernoff über
Abdall nach Kum-tschappgan begeben und war dann nach Nordosten am
Nordufer des Kara-koschun entlanggezogen. Nur in einem Punkte hatte
er meinen Befehlen nicht gehorchen können. Er hatte sich nur zwei,
statt drei Tagemärsche von Kum-tschappgan entfernt, aber er war völlig
entschuldigt, denn der neugebildete See, der uns so viel Abbruch getan
hatte, hatte auch ihm Halt geboten.

Tschernoff und Tokta Ahun hatten ganz in der Nähe des Punktes,
wo wir im vorigen Jahre das Ufer erreicht hatten, ein Hauptlager
aufgeschlagen, eine Hütte erbaut, Massen von Enten in Schlingen und
Fische in ausgelegten Netzen gefangen und reichliche Vorräte an
Schafen, Hühnern, Eiern, Mehl, Brot und Mais mitgebracht. Aus einem
Fischerdorfe hatten sie zwei große und einen kleinen Kahn mitgenommen.

Ein ganzes Landgut war in der Einöde entstanden. Jeden Abend, sobald
es dunkel war, hatten sie auf dem Hügel, von dem ich im Jahre 1900 die
gesegneten Wasserflächen des Kara-koschun zuerst erblickt hatte, ein
gewaltiges Feuer angezündet. Mehrere Fischer aus Kum-tschappgan waren
mitgekommen und trugen das Brennholz auf den Hügel, so daß Tschernoff
es abends nur anzuzünden brauchte. Wir hatten des Nebels wegen ihr
Feuer nicht gesehen, und sie hatten unsere Feuer nicht erblickt. Und
doch betrug die Entfernung zwischen ihrem Lager und dem Punkte, wo
uns zuerst der kleine Wasserarm den Weg abgeschnitten hatte, nur 3
Kilometer!

Inzwischen hatten sie in Erwartung unserer Ankunft 12 Tage lang ein
idyllisches Leben geführt, Fuß- und Rudertouren unternommen, gejagt und
gefischt, bis eines schönen Tages der gute Chodai Kullu aus der Wüste
aufgetaucht war und ihrem friedlichen Leben mit einem Male ein Ende
gemacht hatte. Sie hatten noch in derselben Stunde eingepackt und sich
mit Chodai Kullu als Führer eiligst aufgemacht, um uns zu suchen -- und
nun hatten sie uns endlich gefunden. Beim Aufbruch hatten sie sich auf
eine lange Reise vorbereitet, denn Chodai Kullu hatte richtig gemeldet,
daß ich mich schon mit dem Gedanken trüge, den See längs des Südufers
zu umgehen.

Nachdem wir eine Weile geplaudert hatten und beiderseitig von allem
Geschehenen unterrichtet waren, brachen wir auf, um südwärts nach
einem Tümpel zu ziehen, der von unserem Lager am 20. März nicht weit
entfernt lag. Unterwegs fischten wir auch Chodai Kullu auf, der auf
einem Grasbüschel saß und bitterlich weinte, als er mich erblickte,
-- so überwältigte ihn jetzt die Erinnerung an die Schicksale, die
er während seines fünftägigen Suchens nach der Hilfsexpedition
durchgemacht hatte. Er war immerfort gegangen und schließlich voll
Verzweiflung über mehrere Seen geschwommen. Am dritten Tage saß er
müde und niedergeschlagen am Ufer eines derselben, als eine Schar
Enten über ihm hinwegsauste. Wie durch ein Wunder fiel eine von ihnen
mit gebrochenem oder gelähmtem Flügel gerade vor ihm nieder. Wie ein
Raubtier stürzte er sich auf sie und aß sie, roh wie sie war, ganz und
gar auf. Durch dieses Mahl gestärkt, hatte er noch zwei Tage gehen
können und schließlich diejenigen gefunden, die er suchte.

An mehreren Stellen hatte er Spuren von Faisullahs Karawane gesehen
und daraus geschlossen, daß alle am Leben waren, auch die drei Pferde
und die drei Hunde, nach denen ich mich ganz besonders sehnte. Dann
aber hatte die Spur das Ufer verlassen und war wieder in die Wüste
hineingegangen, als ob der alte Führer Faisullah gar nicht mehr gewußt,
wohin er sollte.

Sobald Tokta Ahun dies erfahren hatte, bot er Leute in zwei Partien,
eine aus Kum-tschappgan und eine aus Abdall, auf und schickte sie
nordwärts in die Wüste hinein, um die Verirrten zu suchen. Von
Faisullah wußten wir nichts und schwebten seinetwegen in größter
Unruhe. Seine Karawane hatte alles, was wir während der Reise erworben
hatten, außer den Karten bei sich: alle Sammlungen, photographischen
Platten, Schnitzereien und einen Teil der Manuskripte. Sollte dies
alles verloren sein? Tokta Ahun beruhigte mich jedoch und sagte,
daß die Entsatzexpeditionen Faisullah, der überdies ein kluger,
vorsichtiger Mensch sei, schon finden würden.

Chodai Kullu erhielt für seinen bewiesenen Mut und seine
Entschlossenheit eine Extrabelohnung in Silbergeld. Er versicherte
ruhig, daß er die ganze Zeit über fest entschlossen gewesen sei, nicht
umzukehren, sondern zu versuchen, seinen Auftrag auszuführen, wenn es
auch das Leben kosten sollte. Schon seit er das wilde Kamel getötet
hatte, war sein Ansehen gestiegen; jetzt aber wurde er nie anders
als Batir, der Held, genannt. Solche Leute muß man haben; unter den
Muselmännern sind sie jedenfalls selten.

Unsere lange Wanderung nahte sich ihrem Ende. Ihr letzter Abschnitt war
ein Durcheinander von verwickelten Verhältnissen gewesen. Doch was tat
das, da sich schließlich alles auf glückliche, wunderbare Weise löste!
Mein guter Stern hatte mich nicht verlassen, und all meine Unruhe um
die zersplitterten Teile der Karawane war unnötig gewesen.

Wie süß und notwendig war die Ruhe an diesem tiefen, klaren
Süßwasserarme, wo stellenweise üppiges Schilf wucherte. Wir waren
hier zwei Tage in der Wildnis zu Gaste. Wir lebten flott, denn die
drei Proviantpferde der Entsatzexpedition hatten reichliche Vorräte
an Fleisch, Fischen, Reis, Brot, Mehl und Eiern, ja sogar Tee und
Tabak mitgebracht. Die Post von zu Hause war jedoch das Allerbeste;
sie fesselte mich an meine Jurte, und es bedurfte einer gewissen
Energie, um das Lesen zu unterbrechen und eine Breitenbestimmung
auszuführen. Alles war mir neu; merkwürdig aber war es, daß ich von dem
Boxeraufstande in China durch einen Brief aus -- Stockholm erfahren
sollte. Se. Exzellenz der Minister des Auswärtigen warnte mich davor,
und vielleicht war es ein Glück für uns, daß wir uns nicht nach
Sa-tscheo begeben hatten, obwohl wir ganz in der Nähe dieser Stadt
gewesen waren.

Am 25. März begaben sich Chodai Kullu und Tokta Ahun vorweg nach
dem Standlager zurück. Merkwürdigerweise waren wir nur 3 Kilometer
voneinander entfernt gewesen, und doch hatte mein Kundschafter fünf
Tage gebraucht, um dorthin zu gelangen. Der Grund war der, daß
neugebildete, mächtige Wasserarme, die der Kara-koschun nach Norden
aussendet, unsere Lager trennten. Um nach ihrem Standlager zu gelangen,
mußte man entweder diese Seen umgehen oder die Flußarme überschreiten.
Jenes hatte die Hilfsexpedition getan, dieses wollten Tokta Ahun und
Chodai Kullu versuchen. Sie nahmen keinen Proviant mit, gingen zu Fuß
und schwammen schließlich, die Kleider in einem Bündel auf dem Kopfe,
über die breiten Ströme. Der Grund, warum sie nicht mit uns zu Lande
dorthin gingen, war, daß sie rechtzeitig wieder im Standlager sein
mußten, um die Fischer aus Kum-tschappgan dort zurückzuhalten.

Am nächsten Tage hatte unsere süße Rast ein Ende. Dieser Lagerplatz,
Nr. 170 auf meiner Karte, war einer der besten auf der Reise, einer von
denjenigen, die ich nie vergesse. --

Am 26. März führte uns der ganze Tagemarsch nach Norden, und wir
folgten meistens den Spuren der rettenden Reiter, die jedoch hier und
da schon unter Wasser standen, so hastig drängt der neue See nach
Norden.

[Illustration: 199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. (S. 34.)]

[Illustration: 200. Chodai Kullu und sein wildes Kamel. (S. 34.)]

[Illustration: 201. Das geschossene Kamel. (S. 34)]

[Illustration: 202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt. (S. 38.)]

Dieser eigentümliche nördliche Auswuchs des Kara-koschun kann zum Teil
auch auf den hydrographischen Verhältnissen im ganzen Tarimbecken
beruhen. Alle Flüsse Ostturkestans waren während des vorhergehenden
Sommers und Herbstes außergewöhnlich wasserreich, welcher Umstand
wahrscheinlich von dem größeren Schneeniederschlag in den Randgebirgen
herrührt. Dieser wieder würde sich nur aus größeren Gesichtspunkten,
wie der Verteilung des Luftdruckes, dem Vordringen der Winde und
besonders der Monsune, erklären lassen. Wenn der Zufluß reichlicher
ist, müssen auch die äußersten Seen des Tarimsystems zu größeren
Dimensionen als gewöhnlich anschwellen.

Einige vereinzelte Tamarisken und ein paar dürre Pappeln mahnten uns,
an einem Punkte zu lagern, wo die Spuren von Faisullahs Karawane sehr
deutlich waren. Faisullah hatte sich, wie wir, in diese scheußliche
Mausefalle hineinlocken lassen und war umgekehrt, um den wandernden See
im Nordosten zu umgehen.

Das Terrain war schwierig und wurde am folgenden Marschtage nicht
besser. Die Lehmrücken und die zwischen ihnen liegenden Rinnen sind
konsequent nach Nordosten gerichtet, und wir mußten sie in der
Quere überschreiten. Die Ausläufer des neuen Sees zeigen wie Finger
nach derselben Richtung. Wir gehen nach allen Himmelsrichtungen, um
ihnen auszuweichen, und erst, nachdem wir die äußersten hinter uns
zurückgelassen haben, können wir nach Westen und Südwesten ziehen. Da
aber hatten wir beinahe schon den halben Weg nach Lôu-lan zurücklegen
müssen. Hätte ich von der diesjährigen Wasserverteilung eine Ahnung
gehabt, so hätte das Nivellement auf die halbe Entfernung beschränkt
werden können.

Ich wunderte mich, an einigen Stellen dieser Gegend alten Kamelmist,
der manchmal in ziemlich großer Menge vorkam, zu finden. Daß es sich
dabei nur um wilde Herden handeln konnte, ist sonnenklar. Sie kreuzen
also die Wüste und kennen die Existenz der im Süden liegenden Seen. Und
sie können ruhig hierherkommen, denn jetzt begeben sich Menschen nur
äußerst selten hierher. Die Entfernung ist für diese schnellfüßigen
Tiere nur eine Kleinigkeit.

Die Reise nach Südwesten ging leichter, denn jetzt konnten wir uns
in den Windfurchen halten und ganze Strecken weit Faisullahs Spuren
folgen. Wenn wir bezweifelt hätten, daß es wirklich seine Karawane
gewesen, so hätte uns ein „lebender“ Beweis bald Gewißheit gegeben.
Dort lag ein totes Pferd, der Braune, den Schagdur geritten hatte.
Die Eingeweide waren weggeworfen und die weicheren und besseren
Fleischteile mitgenommen worden. Gewiß hatten sie keinen Proviant mehr
gehabt.

Wir machten an dem unfruchtbaren Ufer eines Seearmes Halt. Recht
eigentümlich war es, zu sehen, wie das Wasser nach Nordosten strömte,
d. h. wie der Ausläufer sich immer mehr nach dieser Richtung hin
vergrößerte und immer neuen Zufluß von Südwesten erhielt. Hier
befanden wir uns sicherlich gerade vor der nördlichen Depression der
nivellierten Linie, und die schwache Erhebung zwischen dem nördlichen
und südlichen Becken der Wüste, die wir nivelliert hatten, fehlt hier
oder hat hier eine Lücke.

Am 28. fuhren wir fort, den launenhaft gewundenen Ufern getreulich
zu folgen. Auch jetzt wurde eine interessante Beobachtung an einem
Tümpel gemacht, der sich gebildet hatte, seitdem Tschernoff vor sieben
Tagen eine Kartenskizze über die Gegend aufgenommen hatte (Abb. 218).
Er ist abgeschnürt und wird durch aus dem Boden hervorquellendes
Wasser gespeist. Seine Fläche (zirka 50000 Quadratmeter) gleicht der
Oberfläche eines kochenden Kessels, das Wasser sprudelt und wallt mit
einem singenden Tone. Das aufsteigende Quellwasser bringt Luftblasen
mit, die um jeden Herd Schaumblasen bilden. Manchmal wölbt sich das
Wasser dezimeterhoch, an einen Miniaturgeiser erinnernd, und es
plätschert im Tümpel, als ob große Fische mit dem Schwanze auf die
Wasserfläche schlügen.

Das spezifische Gewicht war 1,0036, und das Wasser erschien uns,
die wir an größeren Salzgehalt gewöhnt waren, beinahe süß; ein paar
Kannen davon wurden zum Abend mitgenommen. Um es so frisch wie möglich
zu halten, sollte Kutschuk aus der Mitte des Tümpels schöpfen, aber
im selben Augenblick war er verschwunden. Er war auf eine tückisch
versteckte Jarkante gelangt und plötzlich von ihr in tiefes Wasser
geraten. Da er nun einmal naß war, mußte er über den Tümpel schwimmen
und mit einer Zeltstange loten. Die größte Tiefe betrug 2,22 Meter --
und dieser kleine See hatte sich in einer Woche gebildet!

Während der kurzen Zeit unseres Aufenthalts am Ufer konnten wir sehen,
wie das Wasser sich nach den Seiten hin ausbreitete; neue kleine Arme
drangen in die Rinnen ein, neue Bodensenkungen füllten sich allmählich.
Wie weit würden diese wandernden Seen in diesem Jahre gelangen? Würden
sie bis an das alte Becken des Lop-nor vordringen? Nur neue Besuche in
der Gegend konnten diese Fragen beantworten.

Nun ging es weiter nach Westen, Südosten und Osten um die Seen herum,
wo der arme Chodai Kullu ohne Nahrung gewandert war. Wir fanden auch
den Punkt, wo Faisullah das Ufer verlassen und sich in die Sandwüste
hineinbegeben hatte.

Dieses Unternehmen sah so bedenklich aus, daß ich Schagdur der Spur
folgen ließ, um zu sehen, wo sie blieb. Nach dem Kompaß nahm er sie
eine Strecke von 10 Kilometer weit auf und konnte mich damit beruhigen,
daß die Karawane nur einen Umweg gemacht und dann wieder nach
Südwesten gegangen war. Hätte sie das Ufer nicht verlassen, so würde
sie nach einer weiteren Tagereise das Standlager der Hilfskarawane
erreicht haben.

Ein paar leere Konservenbüchsen verrieten den Punkt, an dem wir im
vorigen Jahr bei dem ersten Salztümpel das Lager aufschlugen, der,
wie wir damals meinten, vom Schirge-tschappgan herrührte. Der schmale
Arm, den wir damals mit Leichtigkeit durchwateten, war jetzt so
angeschwollen, daß man sowohl sich selbst wie die Kamele bequem darin
ertränken konnte.

Unser letzter Tagemarsch um den zeitraubenden See führte uns südwärts
nach Tokta Ahuns Standlager, wo wir ihn und Chodai Kullu in schönster
Ruhe in der Hütte fanden.

So hatten wir denn endlich nach dem anstrengenden, drückenden
Wüstenzuge diese heiß ersehnte Freistatt erreicht. Doch sie empfing
uns wenig gastfreundlich. Alle Leute aus Kum-tschappgan waren in dem
Glauben, daß wir südlich um den Kara-koschun herum kämen, nach Hause
gezogen. Indessen hatten sie zum Glück zwei Kähne hinterlassen, und
Proviant war reichlich vorhanden. Doch Tokta Ahun mußte sofort zu Pferd
nach Kum-tschappgan eilen, um frische Fische zu besorgen.

Am 30. machte Sturm alle Arbeiten im Freien unmöglich. Ich unterhielt
mich daher mit den Kosaken und lag die übrige Zeit lesend auf meinem
Bette.

Der Tag darauf war günstiger; es wehte wohl, aber jetzt konnten wir
die Wassermenge messen, die nordwärts nach dem alten Bette des Lop-nor
drängte. Die Wellenbewegung war für einen Kahn zu stark; wir banden
daher beide zusammen; Tschernoff und Chodai Kullu waren meine Ruderer.
Der Kosak wußte in diesen labyrinthähnlichen Schilfdickichten, die er
während der langen Wartezeit nach allen Richtungen hin durchkreuzt
hatte, außerordentlich gut Bescheid.

Es wurde jedoch eine ziemlich schwierige Arbeit. Chodai Kullu und
Tokta Ahun waren vor sechs Tagen auf ihrem Wege nach der Hütte über
acht bedeutende Strömungen geschwommen, mir gelang es aber nur, sechs
zu messen, die vollkommen deutlich und abgegrenzt waren und zusammen
32 Kubikmeter Wasser in der Sekunde führten. Dieser Wert ist jedoch
sicherlich zu niedrig, denn viel fließendes Wasser ist in dem dichten
Schilfe verborgen. Jedenfalls fanden wir, daß jetzt kolossale Mengen
auf dem Wege nach Norden waren. Drei Millionen Kubikmeter Wasser
im Laufe eines Tages sind in Anbetracht der ungeheuren Flachheit
des Landes imstande, einen recht ansehnlichen See zu bilden. In dem
lebhaftesten Arme strömte es mit einer Geschwindigkeit von 0,55 Meter
in der Sekunde.

Es mag merkwürdig erscheinen, daß das Wasser noch nicht weiter als
ein paar Tagereisen nach Nordosten vorgedrungen war; aber wir müssen
bedenken, daß der strohtrockene Boden ungeheure Mengen aufsaugt; er
muß erst durchfeuchtet werden, ehe das unruhige Element seinen Weg auf
sicherer Unterlage fortsetzen kann.

Schön und frisch war es, in der sich jetzt klärenden Luft und dem
kühlenden Winde, der durch gelbe, dürre Schilfbestände sauste, wieder
einen ganzen Tag auf dem Wasser zuzubringen. Aber ich fühlte doch,
daß ich jetzt von diesen Sümpfen für einige Zeit genug hatte und das
Leben im Gebirge Abwechslungen ganz anderer Art und Erfahrungen von
wechselnderer, mannigfaltigerer Natur bietet.

Ich konnte das Land der wandernden Seen auch mit großer Befriedigung
und Dankbarkeit verlassen, denn ich nahm reiches Material von dort
mit. Ich hatte Manuskripte und Ruinen von Dörfern am Ufer eines Sees
gefunden; ich hatte naturgeschichtliche Beweise für das frühere
Vorhandensein des Sees gefunden; die Nivellierung hatte ferner
bewiesen, daß eine Depression im nördlichen Teile der Wüste existierte,
und schließlich, als unbestreitbares Siegel der Richtigkeit des Ganzen,
war ich mit eigenen Augen Zeuge gewesen, wie sich der See nach seinem
alten Bette hinbewegte, und zwar so schnell, daß wir genau überlegen
mußten, wie weit vom Ufer wir unser Nachtlager aufschlagen konnten.

Während der letzten Jahrzehnte oder seit Prschewalskijs Zeit hat der
Kara-koschun sichtliche Neigung zum Austrocknen gezeigt. Ich bin fest
davon überzeugt, daß wir nach Jahren den See wieder an der Stelle
finden werden, wo er nach chinesischen Angaben einst seinen Platz
gehabt haben soll und wo er, wie Richthofen in scharfsinniger Weise
theoretisch bewiesen hat, auch wirklich gelegen haben muß.

Daß in der Wüste, die nach meinem Nivellement so gut wie ganz
horizontal ist, derartige Verhältnisse herrschen, ist durchaus
kein Wunder. Der See Kara-koschun, der jetzt lange genug in ihrem
südlichen Teile gelegen hat, verflacht durch Schlamm, Flugsand und
verfaulende Pflanzenstoffe, während die nördliche, vertrocknete
Fläche der Wüste von den Winden erodiert und angefressen und dadurch
immer tiefer ausgemeißelt wird. Für diese Niveauveränderungen, die
von rein mechanischen, lokal atmosphärischen Kraftgesetzen diktiert
werden, muß der See, der das Endreservoir des Tarimsystems bildet,
außerordentlich empfindlich sein. Aus physischen Notwendigkeitsgründen
muß es schließlich dazu kommen, daß das Wasser sozusagen überfließt
und relativ niedrigere Depressionen aufsucht. Die Vegetation und das
Tierleben, sowie die Fischerbevölkerung und ihre luftigen Hütten
ziehen mit an die neuen Ufer, und der alte See trocknet aus. In der
Zukunft wiederholt sich dasselbe Phänomen in umgekehrter Ordnung,
aber von denselben Gesetzen vorgeschrieben. Erst dann wird man, mit
reichhaltigerem Materiale, die Länge der Periode bestimmen können. Was
wir jetzt schon mit voller Sicherheit wissen, ist, daß im Jahre 265 n.
Chr., im letzten Regierungsjahre des Kaisers Yüan Ti, der Lop-nor im
nördlichen Teile der Wüste lag.

Die Strecke, die wir am 1. April zurücklegten, kannte ich vom vorigen
Jahre, und es ist stets unangenehm, denselben Weg zweimal zu machen.
Etwas Abwechslung hatte ich jedoch dadurch, daß ich die neue Karte
mit der vorjährigen vergleichen und die großen Veränderungen, die
eingetreten waren, studieren mußte.

Jetzt nahte sich die Jahreszeit, in welcher die Abendkühle ein
willkommener Freund ist, unter dessen Schutz man sich von den Mühen
des Tages erholt. Bis jetzt hatten wir freilich noch nicht über Hitze
zu klagen brauchen, aber unser acht Monate währender Winter hatte
uns gegen Wärme empfindlich gemacht. An diesem Abend schwebten weiße
Wölkchen über der Erde; die Luft war rein, und der Mond verbreitete
sein klares Licht über dem Lande des wandernden Sees. Dann und wann
durchschneiden sausende Flügelschläge die Luft, man hört Enten
schnattern und Wildgänse schreien und gelegentlich auch das in dieser
Jahreszeit schwere, ungeschickte Flügelklappen der Schwäne.

Am 2. April ging es nach Südwesten weiter. Nias Baki Bek, Numet Bek
und unser alter Mollah kamen uns entgegen und meldeten, daß Faisullah
mit der ganzen ihm anvertrauten Karawane wohlbehalten in Abdall
eingetroffen sei. Am Ufer des Ak-köll machten wir Halt und warteten
beim Sonnenuntergang und frühzeitigen Mückentanz auf Boote.

Nachdem wir uns des herrlichen, kühlen Abends ein paar Stunden
erfreut und im Freien zu Abend gegessen hatten, hörten wir endlich
das Geplauder der Seeleute und Rudergeplätscher, und dann glitt ein
Geschwader von fünf Kähnen an unser stilles Ufer heran.

Sie führten uns und das Gepäck über den Ak-köll und ein Gewirr von
anderen Seen und zuletzt auf den Fluß hinaus, +Kona Abdall+, dem
alten Wohnorte Kuntschekkan Beks, wo ich 1896 gewohnt hatte, gerade
gegenüber. Starke Arme ruderten uns gegen die Strömung, den Tarim
aufwärts. Dank dem herrlichen Mondscheine konnte ich auch jetzt
die Route aufnehmen. Es war eine jener reizenden, unvergeßlichen
Mondscheinfahrten auf blankem Wasser, wie ich sie schon ein paarmal auf
diesen friedlichen Wasserwegen gemacht hatte.

In später Nacht erreichte mein schnelles Fahrzeug unser früheres
astronomisches Lager, wo unsere Hunde uns mit heftigem Gebell
empfingen, das sich aber im nächsten Augenblick, als sie uns
wiedererkannten, in Freudengeheul verwandelte.

Am folgenden Morgen maß ich die Wassermenge des Flusses, die jetzt
156,2 Kubikmeter in der Sekunde betrug und die größte war, die ich je
im Tarimbecken gefunden habe, aber zum Teil dem kalten, schneereichen
Winter und dem ungewöhnlich dicken, spät aufgetauten Eise zuzuschreiben
war.

Faisullah mußte ausführlich über seine Schicksale und Erfahrungen
seit unserer Trennung bei den Ruinen von Lôu-lan berichten. Er war 17
Tage unterwegs gewesen und hatte mehrere unerwartete hydrographische
Entdeckungen gemacht.

Um 10 Uhr abends kam wie ein Donnerschlag der „schwarze Sturm“ und
fegte alles, was nicht sicher befestigt war, nach Westsüdwest. Die
ganze Gegend war in diesen dunkeln, pfeifenden Sturm gehüllt, und der
Mond, der eben noch so kalt und hell gestrahlt hatte, wurde bleich und
matt. Das Licht in meiner Jurte brannte erst dann, als neue Filzdecken
über ihre Wölbung gezogen und alle Löcher und Ritzen verstopft worden
waren. Die Kosaken, die mit einer Messung bei Kum-tschappgan beauftragt
gewesen, kehrten erst um Mitternacht zurück und waren von den
spritzenden Wellen ganz durchnäßt.

Der nächste Tag ging verloren. Es war keine Möglichkeit, sich in diesem
undurchdringlichen Sturme auf den Weg zu machen. Ich hatte alle meine
Pläne im Tarim- und Lop-nor-Gebiete ausgeführt und von dem Leben in
den Kähnen Abschied genommen und sehnte mich nun nach Tibet. Aber
ich sollte Abdalls gastfreie Hütten nicht verlassen, ohne noch einen
Sturm erster Klasse als Abschiedsgruß zu bekommen. Und dieser war
eigensinnig; er dauerte 41 Stunden, und als er endlich aufhörte, war
die Luft mit feinem, dichtem Staube erfüllt. Das einzige Nützliche, was
wir tun konnten, war, drei vortreffliche Kamele zu kaufen; wir hatten
jetzt im ganzen 17 Stück.

Drei langweilige Tagereisen, wieder bei Sturm, trennten uns von unserem
Hauptquartier in Tscharchlik, wo wir am Abend des 8. April von einer
ganzen Kavalkade von Reitern empfangen wurden, die uns zwischen den
einzeln liegenden Gärten durch nach unserem Serai geleiteten.



Achtes Kapitel.

Islam Bais Schicksal.


Jetzt folgte eine ebenso herrliche wie notwendige Ruhezeit in der
kleinen Stadt am Rande der Wüste. Eigentlich aber kann ich es
kaum Ruhezeit nennen, denn ich arbeitete auch jetzt vom Morgen
bis zum Abend. Wir hatten unzählige Angelegenheiten zu ordnen und
vorzubereiten, denn jetzt stand die schwerste Aufgabe des ganzen
Reiseprogramms bevor: der letzte große Aufbruch nach Tibet.

Wir bewohnten ein außerordentlich nettes Serai in der Nähe des
chinesischen Yamen. Von einer zwischen grauen Lehmmauern eingehegten
Straße trat der Besucher in einen Hof mit Stallungen für unsere Pferde
und Maulesel. Auf der entgegengesetzten Seite des Stallhofes führte
eine Pforte in das große Gemach, in dem die Muselmänner wohnten; von
hier ging ein Korridor nach der Wohnung der Kosaken. Eine kleine, neben
letzterer liegende Kammer hatte Sirkin bereits als photographische
Dunkelkammer eingerichtet.

Hinter diesem Hause erstreckte sich ein ziemlich großer, ummauerter
Garten mit Maulbeerbäumen, Weiden und Pappeln, und hier wurde auf einem
schattigen Platze die große mongolische Jurte für mich aufgeschlagen.
An den Toren des Serai stellten wir nachts stets Wachen auf, und im
Garten ebenfalls. Als Gesellschaft in meiner friedlichen Wohnung, in
die keine neugierigen Blicke drangen, hatte ich Jolldasch und den
großen schwarzen, bösen Jollbars (Tiger), der einst in Jangi-köll von
einem wütenden wilden Eber so arg zugerichtet worden war. Er konnte
keine Fremden leiden, nur gegen mich war er fromm wie ein Lamm.

Ein Hirsch, ein schönes, prächtiges Tier aus den Wäldern des
Tschertschen-darja, den mir Dschan Daloi, der Gouverneur des Ortes,
geschenkt hatte, war an einen Baum festgebunden; er war zahm wie ein
Hund und wurde von mir mit Brot gefüttert (Abb. 219). Ich konnte ihm
stundenlang Gesellschaft leisten, und wir wurden bald die besten
Freunde. Er war jung eingefangen worden, und seine großen, braunen
Augen suchten nicht mehr mit wehmütigen Blicken eine Gelegenheit, nach
den friedlichen Verstecken der Wälder zurückzufliehen.

Nur die allerersten Tage ruhte ich wirklich in dem Lehnstuhle, den mir
Islam in den Grotten von Temirlik gezimmert hatte. Ich widmete diese
Zeit der gewaltigen Post, die mir der Dschigit Jakub kurz vorher aus
Kaschgar überbracht hatte; erst kamen natürlich die Briefe aus meinem
geliebten Elternhause, dann ganze Ballen von schwedischen Zeitungen und
zuletzt einige neue Bücher von meinen Lieblingsschriftstellern, Selma
Lagerlöf, Kipling und anderen.

Die Abende wurden zum Entwickeln benutzt; alle Platten, die in den
letzten vier Monaten aufgenommen worden waren, wurden fertiggemacht
und gaben gute Bilder. Sirkin war mir hierbei eine unschätzbare Hilfe.
Er brachte die Dunkelkammer vor und nach ihrer Benutzung in Ordnung,
wußte genau mit den verschiedenen Chemikalien Bescheid, überwachte das
Trocknen und kopierte die Platten ~con amore~. Außerdem besorgte
er das meteorologische Observatorium, das seinen Platz auf dem Dache
hatte, wo es vor der Sonne gut geschützt war. Was seine Kameraden
betrifft, so hatte Tschernoff die Oberaufsicht über alles, was mit der
Karawane, unserer täglichen Kost und meiner Küche zu tun hatte; er war
mein Koch, während Tscherdon mein Kammerdiener war.

Doch schon am 12. April erhielten die beiden burjatischen Kosaken
einen besonderen Auftrag auszuführen. Ein Punkt des Programms meiner
letzten großen Reise war der Versuch, wenn irgend möglich, als Mongole
verkleidet, nach Lhasa zu gelangen. Daher mußte eine vollständige
Ausrüstung an mongolischen Kleidern, Utensilien, Kisten, Geschirr usw.
angeschafft werden; mit einem Worte alles, was man bei den Mongolen,
die die Wallfahrt nach der heiligen Stadt machen, zu finden pflegt.
Alles dieses sollte Schagdur, der von allen Karawanenleuten allein in
meine Pläne eingeweiht war, bei einem Besuche in Kara-schahr einkaufen.
Damit er sich auf dieser langen Reise, zu der ihm ein Monat zur
Verfügung stand, nicht gar zu einsam zu fühlen brauchte, gab ich ihm
Tscherdon als Begleiter mit. Sie bekamen ausgeruhte Pferde, kannten
beide den Weg, waren schon in Korla und Kara-schahr gewesen und waren
alle beide so klug und zuverlässig, daß ich mich ihretwegen keinen
Augenblick zu beunruhigen brauchte.

[Illustration: 203. Aussicht nach Südwesten von dem Tora des
Hauptquartiers. (S. 38.)]

[Illustration: 204. Das Haus in der unmittelbaren Nähe des Lagers. (S.
38.)]

[Illustration: 205. Der Lehmturm von der Südseite. (S. 38.)]

Die Tage verrannen gar zu schnell, aber jeder Tag hatte seine Arbeit.
Ich tröstete mich damit, daß es für das Gebirge noch zu früh sei;
sogar hier unten fing das Grün jetzt erst an auszuschlagen, im
Hochgebirge würde es bis zum Aufsprießen des Grases wenigstens noch
sechs Wochen dauern. Unterdessen mußten unsere Tiere ruhen, fressen
und zu den ihnen bevorstehenden schweren Strapazen Kräfte sammeln.
Sie erhielten Kamisch und Mais in Menge und wurden von ihren Knechten
mustergültig gepflegt. Turdu Bai war der Herr der Kamele und stand für
ihr Wohlergehen ein. Die Kerntruppe der Karawane wurde mit zwanzig
neuen Kamelen, die Islam Bai in Tscharchlik kaufte, verstärkt. Als wir
schließlich aufbrachen, hatten wir nicht weniger als 39 Kamele, unter
denen jedoch drei Junge waren. Das letzte von diesen wurde am 6. Mai
geboren und beinahe unmittelbar darauf von uns in Augenschein genommen.
Das arme Kleine konnte kaum auf seinen langen, zitternden Beinen stehen
und betrachtete mit neugierigen, aufmerksamen Blicken die unruhige
Welt, die es umgab. Binnen weniger Tage sprang es jedoch ganz lustig
und heimisch auf dem Stallhofe umher und wurde bald der Liebling aller.
Es wurde mit besonderer Sorgfalt gepflegt und begleitete uns auf dem
größten Teile der Reise durch Tibet, und als es starb, hatte es seine
beiden Kameraden längst verloren (Abb. 220).

Die Kamele wurden tagsüber auf die Weide, bei Sonnenuntergang aber nach
einem offenen Platze vor unserem Hofe geführt. Dort erhielten sie als
Abendfutter Mais, der ihnen sackweise auf Matten geschüttet wurde.

Die Pferde und Maulesel fraßen im Stallhofe aus ihren Krippen. An
heißen Tagen nahmen sie ein Bad in einem großen Teiche, der inmitten
dichtbelaubter Weiden vor der Eingangspforte des Serai lag, und hier
versammelten sich stets Scharen von Reisenden und Neugierigen (Abb.
221).

Der Unterhalt der immer größer werdenden Karawane wurde ziemlich teuer.
Alle die neuen Diener, die nach und nach in meine Karawanenliste
eingeschrieben wurden, sollten beköstigt werden und Lohnvorschuß
erhalten. Täglich wurde mindestens ein Schaf geschlachtet, und Massen
von Reis, Brot und Eiern wurden aufgegessen. Andererseits aber war es
ein großer Vorteil, daß alle, Menschen und Tiere, die jetzt ins Feuer
sollten, Kräfte für die schweren Tage sammelten.

Schon bei unserer Rückkehr nach Tscharchlik hatte Islam Bai den
Proviant der ganzen Karawane für eine etwa zehnmonatige Reise
angeschafft. Er bestand aus Reis, Mehl und Talkan (geröstetes Mehl,
das, mit Wasser angerührt, als Suppe gegessen wird). Später sollte eine
ganze Schafherde gekauft werden; im übrigen würde der Ertrag der Jagd
so reich werden, daß es uns, auch abgesehen von den Schafen, nicht an
frischem Fleische zu fehlen brauchte.

Für mich selbst hatte ich ein paar hundert Konservenbüchsen, die mir
Oberst Saizeff in Osch besorgt hatte; sie wurden mir jedoch bald
so zuwider, daß die Kosaken den größeren Teil davon nehmen mußten.
Eingemachte Früchte, Gemüse und Suppen blieben jedoch die ganze Zeit
genießbar.

Für die Kamele und die Pferde wurde ein großer Vorrat Mais in Säcken
mitgenommen. Es handelte sich nur darum, wie diese schwere Last
transportiert werden sollte. Ich dachte daran, zu diesem Zwecke Esel zu
kaufen; ein Esel kostet in Tscharchlik nur 10 Sär (30 Mark). Aber eine
hinreichend große Eselkarawane erforderte mindestens ein halbes Dutzend
Treiber, und wenn dann die armen Tiere zusammengebrochen waren, würden
wir alle diese Männer nutzlos, aber zu großem Schaden für unseren
Proviant, auf dem Halse haben. Statt dessen beschloß ich, 70 Esel
auf zwei Monate zu mieten. Sie kosteten freilich je 5 Sär den Monat,
also ebensoviel, wie wenn wir sie gekauft hätten, aber wir hatten den
Vorteil, daß wir nun von allen Sorgen um den Transport befreit waren
und es Sache der Eseltreiber war, wie sie wieder nach Tscharchlik
zurückkamen. Das Geschäft wurde mit dem alten Dowlet Karawan-baschi aus
Buchara abgeschlossen, der sich vorzüglich bewährte, aber selbst wenig
Gewinn davon hatte, da beinahe alle seine Esel dabei draufgingen.

Am 28. April traf mein alter Diener Mollah Schah aus Tschertschen ein.
Er sollte durchaus mit auf diese Reise, denn er hatte an Littledales
Zug nach dem Tengri-nor und Ladak teilgenommen und kannte daher die
Hilfsquellen des Landes genauer als alle anderen.

Ich mußte unaufhörlich Besuche von Dienstsuchenden und anderen in
meinem Garten empfangen. Bald kam dieser, bald jener mit der Bitte,
mich begleiten zu dürfen. Aber mein Stab war schon ausgewählt, und
wir wollten nicht zuviele Leute haben. Wir waren sogar der Meinung,
daß einige der angestellten Männer vom Arka-tag, sobald alles in
Ordnung war und die Tiere sich an ihre Lasten und an die Marschordnung
gewöhnt hatten, zurückgeschickt werden könnten. Der Vater des toten
Aldat suchte mich auch auf und erhielt ein Geldgeschenk. Dschan Daloi,
der Amban von Tscharchlik, befand sich auf seiner Dienstreise nach
Kara-schahr; aber sein kleiner sechsjähriger Sohn besuchte mich oft in
meiner Jurte. Er zeigte stets in seiner Rede und seinem Benehmen den
feinen, eleganten Umgangston, der gebildete Chinesen kennzeichnet. Ich
schenkte dem Knaben Süßigkeiten, illustrierte Zeitungen und allerlei
Kleinigkeiten, die sein großes Entzücken erregten, und er versäumte
nie, mir zum Dank Obst mitzubringen oder meinen Pferden einige Bündel
frischen Klee zu senden. Anfang Mai starb er an den Blattern; der arme
Vater kam einen Tag zu spät heim, um in der Todesstunde bei ihm sein zu
können.

Das Wetter war herrlich. Es stürmte beinahe unaufhörlich; dadurch
blieb die Luft frisch und kühl. Die Atmosphäre war voller Staub, der
die Sonne verhüllte. Abends war es manchmal so kalt, daß ich das
Innere der Jurte mit einem Kohlenbecken erwärmen mußte. Am Tage aber
war es mir ein Genuß, dem Heulen des Windes in den Maulbeer- und
Pflaumenbäumen zuzuhören; ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir
stets besonders behaglich zumute, wenn es recht toll stürmte.

Anfang Mai wurde es jedoch fühlbar heiß. Am 1. Mai hatten wir +32,7
Grad im Schatten; die Luft war klar und ruhig, und im Süden glänzten
die Firnfelder auf den höchsten Gipfeln des Astin-tag. Heimtückisch
lockten jene schönen Berge, die dem größeren Teile meiner Karawane das
Leben kosten sollten.

Doch die Zeit verging, und der Tag des Aufbruchs nahte heran. Das ganze
Gepäck wurde in Säcken und Kisten untergebracht. Am 22. April standen
fünfzehn Kamellasten verschnürt und festgebunden auf ihren Saumleitern
und brauchten nur noch auf ihre Träger hinaufgehoben zu werden. Einige
Tage später war die ganze Last auf dem Seraihofe bereit (Abb. 222).
Da lagen sie in langen Reihen, diese schweren Ballen, die quer durch
Tibet getragen werden sollten. Bei ihrem Anblick war ich starr, aber
Turdu Bai versicherte, daß die Lasten durchaus nicht zu schwer seien
und überdies auch mit jedem Tage an Gewicht verlieren würden. Dort sah
man die fest auf ihre Leitern gebundenen Reissäcke, in einer anderen
Reihe stand der Mais, in einer dritten das gebrannte Mehl und mehrere
Lasten mit eigens für uns gebackenem Brote. Große Ballen enthielten
Pelze für die Leute und weißen Filz zu Mänteln für die Kamele. Lange
Reihen von Kisten bargen meine persönliche Habe, Reserveinstrumente,
Kleidungsstücke, Bücher, Konserven usw.

Um jedoch die Last nicht schwerer zu machen, als sie notwendigerweise
sein mußte, hatte ich gleich nach meiner Ankunft im Hauptquartier alles
ausgesondert, was sich entbehren ließ, darunter auch die Sammlungen an
Gesteinproben, Skelette, Pflanzen und die archäologischen Funde aus
Lôu-lan. Von allem diesen, das acht tüchtige Kamellasten ausmachte,
wollten wir uns befreien. Es sollte nach Kaschgar geschickt werden und
bei Generalkonsul Petrowskij in Verwahrung bleiben.

Doch wem sollte ich diese wichtige Sendung anvertrauen? Sollte ich
es von den Chinesen besorgen lassen? Nein, dies wagte ich nicht. Ich
wollte schon an Chalmet, den Aksakal von Korla, schreiben, als das
Rätsel eine sehr einfache, aber höchst unerwartete Lösung erhielt.
Islam Bai suchte mich eines Abends, als ich allein in meinem Zelte
war, auf und bat, die Sammlungen nach Kaschgar bringen zu dürfen.
Ich sprach meine Verwunderung aus, daß er mich gerade jetzt, da die
größten Schwierigkeiten und Gefahren begannen, verlassen wollte, doch
er antwortete ohne Bedenken „ja“. Er gab als Grund an, daß er sich
alt und müde fühle und fürchte, mir nicht von so großem Nutzen, wie
ich gedacht, sein zu können. Es tat mir freilich weh, mich von ihm zu
trennen, aber ich hatte gemerkt, daß er die Kosaken nicht ausstehen
konnte und die Muselmänner, unter denen er übrigens stets exemplarische
Disziplin gehalten hatte, sehr hart behandelte. Ich verdankte ihm viel
und wollte ihm auch jetzt einen Beweis meines Vertrauens geben. Daher
stellte ich für ihn folgendes Programm auf. Er sollte die Sammlungen
in zwei Monaten über Korla, Kutschar und Aksu nach Kaschgar führen,
bis Korla auf Kamelen, dann auf Arben, und für alle diese Städte gab
ich ihm Empfehlungsbriefe mit. Seinen rückständigen Lohn, 300 Rubel,
erhielt er in Gold, außerdem sollten ihm die Reisekosten für ihn selbst
und der Transport vergütet werden.

Von Kaschgar sollte er nach Osch heimreisen und dort fünf Monate
bleiben, dann aber wieder nach Kaschgar zurückkehren und einen Auftrag
ausführen, über den ihm Herr Petrowskij genauere Auskunft erteilen
würde. Es handelte sich nämlich darum, mir eine größere Geldsumme und
meine dann ganz gewiß sehr große Post nach Ladak zu bringen. Dieses
Vertrauen schmeichelte ihm und versöhnte uns beide mit der Bitterkeit
der Trennung.

Der alte Faisullah sollte ihn nach Kaschgar begleiten. Er war müde
und fürchtete die Gebirgsluft. Er hatte mir zwei Jahre treu und
mustergültig gedient und erhielt eine große Extrabelohnung in Silber
nebst einem Reitpferd. Die anderen versuchten vergeblich, ihn zu
überreden, uns zu begleiten, denn alle hielten viel von ihm, während
dagegen Islams Ausscheiden aus der Karawane nur Befriedigung erregte.

Am 5. Mai zogen sie mit ihren acht Kamelen, drei Pferden und drei bis
Korla gemieteten Leuten ab. Es stürmte an jenem Tage außerordentlich
heftig, und schon da, wo das Gäßchen auf einen offenen Platz mündete,
verschwand die Karawane in dichten Staubwolken. Ich hatte während des
letzten Jahres nicht viel von Islam Bai gesehen, denn er war stets,
während ich mich auf Reisen befunden hatte, als mein Karawan-baschi im
Hauptquartier geblieben. Niemand hatte sich bei mir über ihn beklagt,
aber nun, da er fort war, merkte man bald den Unterschied. Die Stimmung
wurde heiter und gemütlich, alle waren vergnügt und zufrieden, und
jeder ging mit Freude an seine Arbeit.

Islam Bai nahm eine gewaltige Post von mir mit. Ich hatte einen 216
Seiten langen Brief -- ein ganzes Buch -- an meine Eltern und außerdem
noch ausführliche Briefe an König Oskar und den Kaiser von Rußland
geschrieben. Ich hatte auch an viele meiner Freunde in der Heimat
geschrieben, namentlich an Adolf Nordenskiöld. Er empfing meinen Brief
einige Tage vor seinem Tode. Er war einer von denjenigen Freunden, die
man nur durch den Tod verliert.

Ein wichtiges Schreiben, das Mr. Macartney in Kaschgar befördern
sollte, war an Lord Curzon, den Vizekönig von Indien, adressiert. Ich
teilte ihm darin mit, daß ich zu Ende des Jahres wahrscheinlich in Leh
in Ladak einträfe, und bat ihn, in dieser Stadt eine Summe von 3000
Rupien aufnehmen zu dürfen. Ich erwähnte auch die Möglichkeit eines
kurzen Besuches in Indien und bat, in diesem Falle einen der Kosaken
mitbringen zu dürfen.

Der Weg, den ich wählte, um auf das tibetische Hochland
hinaufzugelangen, führt durch das enge Tal des Tscharchlik-su und
ist vor mir noch nie von einem Europäer versucht worden. Dieser Weg
ist aber für Kamele absolut unmöglich und selbst für Packpferde sehr
schwer. Wir mußten daher die Sache auf andere Weise einrichten. Die
große, schwerbeladene Karawane sollte von Tschernoff, Tscherdon und
Turdu Bai über Tattlik-bulak und Bag-tokai nach dem Westufer des
unteren Kum-köll geführt werden, wohin ich mich, nur von wenigen
Dienern begleitet, auf dem näheren, aber schwierigeren Wege durch das
Tal begeben wollte.

Am 8. Mai waren wir reisefertig (Abb. 224). Alle Lasten, einige
achtzig, standen in der Gasse vor dem großen Tore aufgereiht und wurden
nun schnell auf die Rücken der wartenden Tiere gelegt. Es war eine
gewaltige Karawane, die größte, die ich je zuvor unbekannten Geschicken
entgegengeführt hatte, die größte, die je unter Führung eines Europäers
in das Innere von Tibet eingedrungen ist. Sie wurde in verschiedenen
Abteilungen abgeführt und nahm den ganzen Weg nach dem Yamen ein.
Zuerst schwankten meine Kisten im Sonnenbrande fort, dann die Sachen
der Leute, die Zelte und das Boot, und darauf die verschiedenen
Proviantkarawanen, jede Abteilung mit ihren besonderen Führern.

Wieviel leichter ist es doch für einen Seefahrer oder eine Expedition,
die nicht weit bis zur Küste hat, mit großen Sammlungen heimzukehren!
Man braucht sie nur einzuschiffen. Im inneren Asien dagegen muß
jeder Gegenstand, den man zu Anfang der Fahrt erwirbt, Tausende von
Kilometern unter außerordentlich ungünstigen Verhältnissen auf Pferden
oder Kamelen mitgeschleppt werden. Die Lasten müssen jahrelang jeden
Morgen auf- und jeden Abend abgeladen werden. Ich verdanke es nur dem
Entgegenkommen des Dalai-Lama, daß die während dieser letzten Reise
in Tibet gemachten Sammlungen überhaupt aus dem Lande gebracht werden
konnten.

Bisher hatte ich in der großen, geräumigen Mongolenjurte gewohnt, die
jetzt aber von der Karawane mitgenommen wurde, während ich in die
kleine, nur aus einem Holzringe, etwa zwanzig Stangen und einigen
weißen Filzdecken bestehende Jurte übersiedelte. Sie war bis Ladak
meine Wohnung. Als der Umzug vor sich ging, fanden wir einen großen,
abscheulichen, strohgelbgrauen Skorpion unter einer der Kisten;
er hatte mir gewiß die ganze Zeit über in der Jurte Gesellschaft
geleistet, mir aber merkwürdigerweise nichts zuleide getan. Einer der
Leute dagegen wurde, als er den Pferden Stroh gab, von einem Skorpion
gestochen. Er mußte ein paar Tage liegen, ehe der Schmerz aufhörte. --

So setzte sich denn die Karawane in Gang. Zwei von den jungen Kamelen
liefen ungebunden mit ihren Müttern, die ihre Kinder ängstlich im
Auge behielten. Das jüngste Füllen dagegen, das erst ein paar Tage
alt war, wurde sorgfältig in Filzdecken gepackt und zwischen zwei
Kisten auf mein altes Reitkamel gelegt. Die Mutter ging unmittelbar
hinter ihm; sie brüllte unruhig und suchte ihr Junges, bis sie es in
seinem Versteck ausfindig gemacht hatte. Die Pferde waren von Fett und
Wohlergehen halb wild geworden; sie machten draußen auf der Straße
einen entsetzlichen Spektakel, schüttelten die Lasten ab und liefen
wild durcheinander. Doch sie trugen nur Proviantsäcke, und diese
konnten eine solche Behandlungsweise vertragen.

Es war ein großartiger Anblick, als dieser gewaltige Zug unter
Glockenklang, Geschrei, Rufen, Brüllen und Wiehern von unserem
ruhigen Serai und aus dem Schatten der Weiden fortzog. Nur wenige
Tiere sollten grüne Gärten wiedersehen und wieder im Stalle in ihren
Ständen Mais fressen. Wie fühlte ich mich jetzt reich als Besitzer all
dieser Herrlichkeit; wie mächtig erschien mir dieses Werkzeug, mit
welchem ich, wenn ich es richtig anwandte, große Teile von Tibet der
Wissenschaft würde erschließen können! Und doch überkam mich Wehmut,
als ich den bunten, gewaltigen, lebensfrohen Zug betrachtete. Nie haben
die Glocken der Kamele in so hohem Grade wie jetzt zum Begräbnis,
nein, zu einer ganzen Reihe von Begräbnissen geläutet! Ich ahnte, daß
dieser Weg für die meisten ein Todesweg werden würde, ein Weg, der
Tränen kostete, und daß die Route auf der Karte nicht zufällig mit Rot
eingetragen werden würde, -- sie kostete Blut!

Wie elend und armselig sollte diese prächtige Karawane am Ende des
Jahres aussehen, wie verringert an Zahl und geschwächt an Kräften! Nur
ein Fünftel bestand die Probe. Sogar ein paar der Männer starben, und
alle anderen, ich nicht zum wenigsten, waren kraftlos und erschöpft,
als wir Tibet durchzogen hatten. Es wurde die anstrengendste,
schwerste Reise, die ich je gemacht habe. Bei mehr als einer
Gelegenheit war ich dem Tode näher als damals, als ich 1895 in der
Wüste Takla-makan vor Durst verschmachtete; damals aber, in der Wüste,
dauerte das Leiden nur ein paar Wochen; hier in Tibet aber gehörten
Leiden zur Tagesordnung, nachdem die wirklichen Schwierigkeiten einmal
angefangen hatten. Ich mache lieber noch zehn Reisen durch die Wüste
Takla-makan als noch einen solchen Zug durch Tibet!

Tschernoff führte den Oberbefehl über die Pferde und hatte bestimmte
Befehle, wie er marschieren sollte. Turdu Bai war Chef der
Kamelkarawane. Sie sollten sich erst nach Abdall begeben und dann auf
dem bekannten Wege ins Gebirge hinaufziehen. In Abdall sollten sie 50
Schafe kaufen und auf Tscherdon warten, der von Kara-schahr dorthin
unterwegs war. Sie nahmen den Hirsch mit; er folgte den Kamelen treu
wie ein Hund und wurde mit größter Fürsorge behandelt. Sieben Hunde,
unter ihnen Malenki und Maltschik, die eben mit in der Wüste Gobi
gewesen waren, gehörten mit zum Zuge. Alles ging gut, und der Leser
wird sie alle nach etwa einem Monat am Ufer des Kum-köll wiedertreffen.

Jetzt lag unser Serai öde und still da; die Höfe standen leer, und wir
fühlten uns einsam und verlassen. Sirkin war jetzt mein Kammerdiener
und Li Loje mein Koch. Mollah Schah besorgte unsere Pferde. Nur diese
drei Leute hatte ich bei mir, nebst Jolldasch, der nie von meiner Jurte
wich.

Jetzt mußte nur noch die Eselkarawane auf den Marsch gebracht werden,
die über Owras-sai und Kara-tschokka gehen und bei Bag-tokai mit der
großen Karawane zusammentreffen sollte. Am Morgen des 13. war der alte
Dowlet Karawan-baschi fertig und hatte seine 70 Esel mit Mais beladen
und seine zehn Untergebenen mit Proviant und Pelzen ausgerüstet. So zog
nun auch diese Abteilung der Karawane, der eigentliche „Train“, ins
Gebirge hinauf.

Jetzt waren unsere Truppen geteilter als je zuvor. Ich selbst lag
in Tscharchlik, die Karawane war auf dem Wege nach Abdall, die Esel
zogen nach dem Aftin-tag, Schagdur war noch nicht aus Kara-schahr
zurückgekehrt, und Islam Bai würde mitten in der ärgsten Sommerhitze
mit meinen Sammlungen in Kaschgar eintreffen. Ich kam mir vor wie ein
Feldherr, der alle Fäden in seiner Hand halten muß. Es galt jetzt, so
mit den Truppen zu manövrieren, daß alles klappte und die Berechnungen
stimmten, wenn die rechte Zeit da war.

Am 14. Mai traf um die Mittagzeit ein Mann aus dem Dorfe Lop ein und
brachte gute Nachrichten von Schagdur, der mir jedoch schrieb, daß
seine Pferde sehr abgehetzt seien, weshalb Sirkin sich rüstete, um
seinem Kameraden mit drei frischen Pferden entgegenzuziehen. Als er
gerade fortreiten wollte, ritt die kleine Karawane schon in den Hof
ein. Nun waren alle unsere Besorgnisse wegen der Burjaten mit einem
Schlage beendet. Tscherdon hatte meinen Befehl in Tscheggelik-ui
erhalten und sich schleunigst im Kahne nach Abdall begeben.

Schagdur hatte seinen Auftrag natürlich in vortrefflicher Weise
ausgeführt. Er brachte die ganze mongolische Ausrüstung mit, deren wir
für unsere Pilgerfahrt bedurften, und obendrein noch einen wirklichen,
echten Lama, Schereb Lama, der 27 Jahre alt und aus Urga gebürtig war,
aber einem Tempel vor den Toren von Kara-schahr angehörte (Abb. 223).
Der Lama trug sein rotes Priestergewand, das eigentlich wie ein langer,
durch einen Gürtel zusammengehaltener Schlafrock aussah, und auf dem
Kopfe ein chinesisches rundes Käppchen. Ich kam ihm sehr freundlich
entgegen, damit er sich vom ersten Augenblick an bei uns heimisch
fühlen sollte, und begann sofort, meine eingerosteten Kenntnisse der
mongolischen Sprache wieder aufzufrischen. Es dauerte auch nicht viele
Wochen, bis ich mit dem Lama, wie wir ihn einfach nannten, ziemlich
fließend sprechen konnte. Er war die interessanteste Persönlichkeit
unserer reisenden Gesellschaft; der Leser wird bald seine Bekanntschaft
machen. Mit mir stand er schon nach wenigen Tagen auf sehr vertrautem
Fuße und kam stets zu mir, sobald er etwas auf dem Herzen hatte. Er war
bereit, sein Leben für mich zu lassen, und es ist wirklich ein Wunder,
daß er es um meinetwillen nicht verloren hat.

Schagdur hatte noch zwei Reisegefährten, alte Bekannte von uns,
mitgebracht. Der eine war Ördek, der den Tempel in Lôu-lan entdeckt
hatte, der andere Chalmet Aksakal von Korla. Es war ein recht
eigentümliches, interessantes Quartett, das jetzt die Bevölkerung
unseres leeren Serai vergrößerte, und die Stimmung wurde wieder heiter.
Jeder von den vier Gästen mußte vorbringen, was er auf dem Herzen
hatte. Zuerst berichtete Schagdur über seine Mission, zeigte seine
Abrechnung und lieferte den Rest der erhaltenen Summe wieder ab. Er
brachte ungefähr die Hälfte wieder, -- ein anderer Asiat hätte dieses
Geld natürlich in seine eigene Tasche gesteckt, aber Schagdur war ein
ehrlicher, redlich denkender Mensch. Schon der Gedanke zu stehlen wäre
ihm ganz absurd vorgekommen.

[Illustration: 206. Der Turm von Nordost. (S. 40.)]

[Illustration: 207. Abbruch eines Turmes. (S. 40.)]

[Illustration: 208. Haus mit stehengebliebenen Türen. (S. 40.)]

[Illustration: 209. Ausgrabungen im Buddhatempel. (S. 43.)]

[Illustration: 210. Schnitzereien in Pappelholz. (S. 43.)

Rechts ein Buddhabild, unter diesem ein Fisch.

Das Maß zur Linken ist 1 Meter.]

Ördek war gesund und munter und bat aufs flehentlichste, mitkommen
zu dürfen, gleichviel wohin und unter welchen Bedingungen. Als
er im vorigen Jahre um seine Entlassung bat, hatte er als Grund
eine bösartige Krankheit angegeben. Jetzt versicherte er, dies sei
gelogen und der wahre Grund der gewesen, daß Islam ihn mit dem Tode
bedroht habe, wenn er es wagen würde, sich in Temirlik sehen zu lassen.

Jetzt, da Islam uns verlassen hatte, zog sich ein Unwetter über ihm
zusammen. Ördek aber wurde unter denselben Bedingungen wie früher fest
angestellt, mußte sich alles Nötige besorgen und erhielt den Befehl,
den Eseln nachzueilen und mit ihnen nach dem Kum-köll zu ziehen.

Der Lama war im vorigen Winter von einer Pilgerfahrt nach Lhasa
zurückgekehrt, wo er eine Zeitlang in einigen Tempeln die heiligen
Bücher studiert hatte. Auf der Rückreise hatte er einen anderen Lama
aus Kara-schahr als Genossen gehabt und dabei in Zaidam Kosloffs
Expedition gesehen. Dies war das einzige Mal auf der ganzen Reise, daß
ich etwas von meinem russischen Freunde hörte.

Schereb Lama war sofort außerordentlich geneigt gewesen, die
burjatischen Kosaken nach Lhasa zu begleiten, und hatte ihnen so
viel von den Herrlichkeiten dieser Stadt erzählt, daß Schagdur vor
Sehnsucht brannte, dorthin zu kommen. Der Lama war aber mißtrauisch
gewesen und hatte gefragt, ob auch ein „Russe“ mitwolle, denn dann
könne er sich mit der Sache nicht befassen, -- das würde ihm das Leben
kosten. Schagdur hatte beteuert, daß kein Russe mitgenommen würde. Der
Lama erklärte mir nun, daß er mich gern überallhin begleiten wolle,
-- nur nicht nach Lhasa, und daß er mit einem Lohne von zwei Jamben
für die ganze Zeit zufrieden sei. Er erzählte dann allerlei von der
heiligen Stadt und der Wallfahrt und sagte, daß Lhasa schon in einer
Entfernung von zehn Tagereisen von Reitern und Grenzaufsehern umgeben
sei, die jede ankommende Karawane, ja jeden einzelnen Reiter gründlich
untersuchten. Alle würden auf diese Weise angehalten, und erst nachdem
ihre Pässe in Lhasa geprüft und von dort Bescheid gekommen sei, dürften
sie frei passieren. Die große Mongolenkarawane, die voriges Jahr an
unserem Lager in Temirlik vorbeigezogen war, sei zehn Tage aufgehalten
worden, weil man in Erfahrung gebracht, daß unsere Karawane an der
Grenze des Landes der Zaidammongolen lagere, und man wahrscheinlich
befürchtet habe, daß sich irgendein Unbefugter mit ihr einschleichen
wolle.

Darauf kam die Reihe an Chalmet Aksakal. Zuerst fragte ich ihn, ob
er mir einen großen Dienst erweisen wolle, was er selbstverständlich
bejahte. Er solle mir zehn Jamben Silber leihen, nach damaligem
Silberwert etwa 2000 Mark. Bald darauf reihte er die Silberbarren
in meinem Zelte auf. Ohne diese Verstärkung meiner Kasse würde ich
in Südtibet in eine äußerst unangenehme Lage geraten sein. Nach
meinem Diktat schrieb er einen Brief in türkischer Sprache an Herrn
Petrowskij, welches Schreiben von mir unterzeichnet wurde und als
Wechsel für besagte Summe galt, der auch rechtzeitig eingelöst wurde.

Nun war also endlich alles klipp und klar, und wir konnten am nächsten
Morgen, 15. Mai, aufbrechen. Daraus sollte jedoch nichts werden.
Um 5 Uhr fing es in außergewöhnlicher Weise an zu gießen, und der
Donner rollte dumpf in den Bergen -- ein passender Hintergrund zu der
traurigen Überraschung, die mir an diesem Abend bevorstand. Neue Wolken
ballten sich über dem armen Islam Bai zusammen!

Chalmet Aksakal beklagte sich darüber, daß Islam in Korla 27 Sär von
ihm entliehen und ihn, als er das Geld zurückgefordert, beschimpft und
verhöhnt habe. Jetzt behauptete er auch, wohlbegründete Veranlassung zu
der Vermutung zu haben, daß auch ich bestohlen worden sei. Ich begriff
gar nicht, was er meinte. Islam Bai? Nein, das war nicht möglich! Er,
der fünf Jahre lang mein Geschick geteilt hatte, mit mir in der Wüste
beinahe umgekommen war und so viele Beweise meines Vertrauens und
meiner Zuneigung erhalten hatte, er, der so viele Geschenke bekommen
hatte und höheren Lohn erhielt als alle anderen und der die goldene
Medaille für Treue und Redlichkeit trug!

Doch schon bei der ersten vorsichtigen Untersuchung in Tscharchlik
kam allerlei an den Tag. Schagdur hatte Islam Bai in Temirlik für 165
Sär Gold von Goldgräbern aus Bokalik kaufen sehen, sich aber keine
Einmischung erlaubt, weil er überzeugt war, daß es auf meinen Befehl
geschehen sei. Sirkin und Ördek hatte Islam um 16 und 10 Sär betrogen,
sie hatten mir aber nicht durch Klagen lästig fallen wollen. Man könnte
sagen, daß die Wahrheit durch reinen Zufall ans Licht gekommen sei,
wenn man nicht darin vielmehr die Strafe der himmlischen Gerechtigkeit
sehen müßte. Chalmet Aksakal war brieflich beauftragt worden, Zucker
u. dgl. zu kaufen und uns zu schicken. Als ich in das Hauptquartier
zurückkam und die Rechnung sah, fand ich sie sehr hoch. Islam verstand
es damals, mir zu beweisen, daß sie um 23 Sär zu hoch war. Ich hatte
mir darauf Chalmet Aksakals Bruder, einen Tscharchliker Kaufmann
namens Osman Bai, kommen lassen, hielt ihm eine niederschmetternde
Rede und sagte, daß sein Bruder sich als unredlicher Mensch bewiesen
habe. Osman verteidigte ihn und bat mich himmelhoch, doch nicht der
Verleumdung Glauben zu schenken. Da ich mich nicht überzeugen ließ,
hatte Osman einen Eilboten nach Korla geschickt und seinem Bruder
geraten, unverzüglich zu kommen, da hier Böses gegen ihn im Werke sei.
Er kam nun auch mit Schagdur. Als sie Islam bei Tikkenlik begegneten,
war er sichtlich unangenehm berührt gewesen und hatte gesagt, er sei
beauftragt, den Kosaken mitzuteilen, daß ich meinen Plan geändert hätte
und sie über Abdall und Tschimen reiten müßten, wenn sie mich finden
wollten. Hätten sie ihm geglaubt, so würde ich sie erst Anfang Juni
am Kum-köll getroffen haben. Doch Islams Plan, der darauf angelegt
war, ihm bis Kaschgar Vorsprung zu verschaffen, scheiterte an der
Pflichttreue der Burjaten. Sie wußten, daß sie sich ausschließlich
nach meinen eigenen schriftlichen oder mündlichen Befehlen zu richten
hatten, und da ich glücklicherweise ein paar Tage vorher mit der
chinesischen Post einen Brief an Schagdur geschickt hatte, kehrte sich
dieser nicht an Islams intrigante Reden und begab sich direkt nach
Tscharchlik.

Infolge der vorläufigen Untersuchung, die jetzt angestellt wurde,
verzögerte sich unsere Abreise um ein paar Tage. Als wir endlich
aufbrechen konnten, begleitete uns der Aksakal noch auf der ersten
Tagereise. Als er nach Korla zurückkehrte, nahm er ein Schreiben an den
Generalkonsul mit, der Islam Bai, welcher russischer Untertan war, auf
mein Ersuchen gleich bei seiner Ankunft in Kaschgar verhaften und alle
seine Effekten untersuchen lassen sollte. Alles darunter befindliche
chinesische Silbergeld und das rohe Gold sollten mit Beschlag belegt
werden.

Doch ehe ich erzähle, wie es Islam in Kaschgar ging, will ich zeigen,
daß er das Schicksal, das ihn traf, in jeder Hinsicht verdient hatte.
Als wir in Kum-köll mit der Karawane zusammentrafen, wurden alle meine
Diener einzeln verhört. Jeden hatte er um größere oder kleinere Summen
betrogen; nur Tschernoff hatte sich nicht überlisten lassen. Im ganzen
ließen sich etwa 12 Jamben nachweisen, die er den Eingeborenen nach
und nach in größeren oder kleineren Beträgen abgenommen hatte, und mir
hatte er durch gewisse Geschäftspraktiken 9 Jamben veruntreut, einen
großen Teil davon bei den letzten Kamelankäufen.

Schon in Jangi-köll hatte ich einen großen Vorrat von Tschapanen,
Pelzen und Stiefeln kaufen müssen, die unseren Dienern geschenkt werden
sollten. Die Sachen waren allerdings unter sie verteilt worden, aber
Islam hatte sich dafür bezahlen lassen und den Gewinn in seine Tasche
gesteckt.

Es ist seltsam, daß ich nie gemerkt hatte, wie ich täglich so gemein
bestohlen wurde; aber es war doch auch wieder erklärlich. Erstens
wurden alle Auszahlungen aus meinen Geldkisten ordnungsmäßig gebucht,
und direkter Kassendiebstahl war nie vorgekommen; dazu war Islam viel
zu klug. Da aber alle größeren Beträge für den Ankauf von Proviant,
Kamelen und Pferden und die Löhne der Leute durch Islams Hände gingen,
hatte er Gelegenheit, den Lieferanten weniger zu geben, als sie zu
fordern berechtigt waren. Die guten Eingeborenen waren in weit höherem
Grade als ich die Geschädigten gewesen, daher fehlte auch nie etwas
in meiner Reisekasse; ich wußte stets, wieviel ausgegeben wurde und
wieviel noch da war.

Dann findet man es wohl unbegreiflich, daß sich keiner der Betrogenen
bei mir beklagt hat, und auch ich wundere mich noch heute darüber, daß
dies nicht geschehen ist. Aber Islam war ein großer starker Kerl, der
es verstanden hatte, sich bei den Muselmännern in großen Respekt zu
setzen. Sie fürchteten ihn wie einen asiatischen Despoten, wagten nicht
zu murren, schwiegen und nahmen, was er ihnen gab, um so mehr, als er,
wie ich am Kum-köll erfuhr, drohte, dem, der bei mir zu klagen wagte,
den Schädel einzuschlagen. Deshalb nahmen sie sich hübsch davor in acht
und fanden sich still und ergeben in ihre ungerechtfertigten Verluste.
Er hielt sie durch seine bloße Gegenwart in hypnotischer Angst, und
erst jetzt, da er fort war, kam die Wahrheit zum Vorschein. Ja, jetzt
kam alles an den Tag! „O Gott, wie viele haben seinetwegen weinen
müssen“, hieß es.

Auf der Fähre und in der Tschertschenwüste, den einzigen Reisen, auf
denen ich ihn unter meiner eigenen Kontrolle hatte, war er derselbe
wie früher, derselbe ruhige, besonnene, treue Diener wie auf der
Reise durch Asien in den Jahren 1893-97. Nachher nahm ich ihn nicht
mit auf große Exkursionen, weil ich glaubte, beruhigt sein zu können,
wenn er die Aufsicht über das Hauptquartier führte. Und wenn ich von
den verschiedenen Touren dorthin zurückkehrte, beklagte sich keiner;
die beste Ordnung herrschte überall. Gerade dieser Umstand, daß wir
meistens an verschiedenen Orten waren, macht es zum großen Teile
erklärlich, daß ich von den Unredlichkeiten nichts merken konnte, und
es würde mir überdies auch nie eingefallen sein, Islam Bai in Verdacht
zu haben. Dazu hegte ich viel zu großes Vertrauen zu ihm; von diesem
Gesichtspunkt aus war ich in nicht geringem Maße an seinem Unglück
schuld.

Psychologisch war mir die Ursache seines Falles bald verständlich.
Während der Reise nach Peking war er in meiner Karawane drei Jahre lang
stets der Erste gewesen. Vom einfachen Arbeiter bei den Pferdekarawanen
zwischen Osch und Kaschgar hatte ich ihn zum Führer und Karawan-baschi
erhoben, und er hatte sich aus reiner Anhänglichkeit aufs glänzendste
bewährt. Auch jetzt hatte er mir anfänglich am nächsten gestanden.
Doch mit der Ankunft der Kosaken trat eine andere Ordnung ein. Ich
schätzte sie mehr, und ihre Gesellschaft war mir lieber als die
Islams. Alle Beschäftigungen in meiner unmittelbaren Nähe wurden den
Kosaken übertragen, während Islam nur mit den Muselmännern und den
gröberen Karawanenarbeiten zu tun hatte. Es verdroß ihn, sich von den
Ungläubigen verdrängt zu sehen, und in seinem Herzen stieg der Gedanke
auf: „Soll ich ihnen weichen, so will ich wenigstens Ersatz dafür
haben“, und nun begannen die Diebstähle in Jangi-köll und wurden die
ganze Zeit bis zu seiner Abreise von Tscharchlik fortgesetzt.

Der Arme tat mir leid, und ich nahm mir vor zu versuchen, seine Strafe
nach Möglichkeit zu mildern, um so mehr, als die Muselmänner ihre
Beschuldigungen gewöhnlich sehr übertreiben. Doch wenn auch nur die
Hälfte davon wahr war, waren die Diebstähle schon groß genug, um ihn
nach Sibirien zu bringen. Aber in der Wüste Takla-makan hatte er mir
23 Jamben gerettet und mir bei unzähligen Gelegenheiten unschätzbare
Dienste geleistet.

Es tauchten aber noch allerlei andere häßliche Geschichten auf, die
mich gegen sein Schicksal total gleichgültig machten. In Jangi-köll
hatte er sich drei, sage drei, junge „Frauen“ genommen, von denen ihn
eine 100 Sär gekostet hatte, und damals waren ihm erst 30 Sär von
seinem Lohne ausbezahlt worden. Während der zwölf Tage, die er in
Tschertschen zubrachte, hatte er sich ebenfalls „verheiratet“, und
in Tscharchlik hatte er sich zum Schlusse auch noch eine „Gattin“
zugelegt. Je nachdem das Hauptquartier verlegt wurde, wurden die Damen
der Reihe nach abgedankt, und als er endgültig nach Kaschgar reiste,
ließ er sie alle miteinander sitzen. Bei all diesen leichtsinnigen
Streichen hatte er obendrein in Osch seine rechtmäßige Frau mit fünf
Kindern!

Auf die Länge wird es kostspielig, sich fünf Frauen zu halten. Erst
muß die Auserwählte gekauft und bar bezahlt werden, dann wird sie
eingekleidet und dabei sind ihre Neigungen für chinesische Stoffe
u. dgl. zu befriedigen, und schließlich ist sie, vielleicht auch noch
ihr Papa und ihre Mama, zu beköstigen. Letzteres ließ sich ja aus
unseren eigenen Vorräten leicht bewerkstelligen, und ich werde es also
wohl gewesen sein, auf dessen Kosten geschmaust worden ist.

Der letzte Abschnitt der Geschichte Islams nahm folgenden Verlauf.
Bei der Ankunft in Kaschgar ließ der Konsul seine Sachen durchsuchen.
Bares Geld wurde nicht mehr viel gefunden, aber das gefundene,
soweit es reichte, den Benachteiligten zugestellt. Seine Freiheit
durfte er behalten, doch nur bis zu einer gewissen Grenze, denn es
wurde ihm verboten, Kaschgar zu verlassen. Als ich Anfang Mai 1902
wieder dorthin kam, hatte er infolgedessen noch keine Beschäftigung
gefunden. Er suchte mich im Dorfe Japptschan auf, und er tat mir sehr
leid, als er sich laut weinend mir zu Füßen warf. Ich ermahnte ihn
aufs eindringlichste, sich bei dem Verhör in Kaschgar streng an die
Wahrheit zu halten. Ich versicherte ihm, daß ich ihn, wenn er löge,
ohne Erbarmen der Gerechtigkeit des russischen Gesetzes überlassen,
wenn er aber die Wahrheit spräche, dafür sorgen würde, daß er straflos
ausginge. Er versprach, meinem Rate zu folgen. Er war kalt, finster,
bleich und abgezehrt und sah ein, daß er sein Leben ruiniert hatte.
Hätte er sich so gut geführt wie das vorige Mal, so wäre er in seinem
Heimatorte ein angesehener Mann geworden. Sein Name war schon jetzt in
ganz Innerasien bekannt, aber welche traurige Berühmtheit sollte er
künftig erlangen!

Als aber das Verhör vor sich ging, alle Anklageakten vorgelegt und alle
Zeugen zur Stelle waren, leugnete er hartnäckig bei jedem einzelnen
Punkt. Man konnte ihn nicht dazu bringen, die Richtigkeit auch nur
der greifbarsten Beschuldigungen anzuerkennen; er erklärte alles für
boshafte Verleumdung. Ich erinnerte ihn wieder daran, daß es in seinem
eigenen Interesse liege, zu gestehen, aber nichts half. Keine Stimme
erhob sich zu seiner Verteidigung. Er erhielt jetzt vom Konsul Befehl,
sich bei dem Distriktschef, Oberst Saizeff, in Osch einzustellen, in
welcher Stadt nach russischem Gesetz das Urteil über ihn gefällt werden
mußte und wo er bald nach mir eintraf. Auch hier leugnete er alles.
Da er sich durch die Veruntreuungen gegen das russische Gesetz und
durch seinen Lebenswandel gegen das Scheriet (religiöse Gesetz) der
Muhammedaner vergangen hatte, wurde er für Sibirien reif erklärt, die
Strafe aber auf drei Monate Gefängnis ermäßigt; auf meine besondere
Bitte wurde die Strafe nachher auf vierzehn Tage ermäßigt, aber ganz
straflos durfte er schon seiner Landsleute wegen nicht ausgehen.

Ich sah ihn in Osch nicht wieder und wollte ihn auch nicht mehr sehen.
Er, der in meiner Karawane eine so hervorragende, ehrenvolle Rolle
gespielt hatte, war von nun an für mich tot. Durch seine grenzenlose
Dummheit und Gedankenlosigkeit und durch eine Art Größenwahn hatte er
sich in das schimpflichste Elend gestürzt, er, der in seiner Heimat
einen Ehrenposten hätte erhalten können und dem die russischen Behörden
als Anerkennung der von ihm geleisteten Dienste einen goldgestickten
Samtchalat versprochen hatten. Damit war seine Geschichte zu Ende. Nach
den Verhören am Kum-köll wurde sein Name in der Karawane nicht mehr
genannt.

Die Moral der Geschichte ist: „Traue nie einem Muselmann!“ Man sollte
glauben, daß, wenn man einen Diener so viele Jahre gehabt und mit Güte
überhäuft und er selbst nur Vorteil von seinem guten Betragen hat, man
sich schließlich auf ihn wie auf sich selbst müßte verlassen können. So
aber sind die Muhammedaner nicht. Sie vergessen nie, daß sie bei einem
Ungläubigen in Diensten stehen. In moralischer Hinsicht ist diese Rasse
schlecht, aber man muß sie nicht zu streng verurteilen, denn sie lebt
wirklich in harten Verhältnissen. Die Mongolen sind unvergleichlich
viel besser, und ist man wie ich so glücklich, eine Eskorte von Kosaken
zu besitzen, so dürfen die Muhammedaner nur zu den gröberen Arbeiten
benutzt werden. Mehrere von meinen muhammedanischen Dienern, Turdu Bai,
Kutschuk, Chodai Kullu und Ördek, waren allerdings außergewöhnlich
prächtige Menschen, aber sie hatten auch nie Gelegenheit, in allzu
große Versuchung zu geraten.



Neuntes Kapitel.

Über die nördlichen Randgebirge nach dem Kum-köll.


Als ich am 17. Mai endlich in den Sattel steigen konnte, geschah es,
um noch einem Jahre voller Irrfahrten in Asiens großem, ödem Inneren
entgegenzugehen. Mit großer Spannung und frischem Mut wurde diese
letzte denkwürdige Reise angetreten, die mich mit den am schwersten
zugänglichen Teilen des Kontinents bekannt machen sollte. Gelang sie,
so würden, im großen gesehen, nicht viele Teile Asiens übrig sein, die
ich noch nicht besucht hatte. Ich hoffte gar viel von dieser letzten
Reise, wußte aber auch, daß ich jetzt das Schwerste vor mir hatte.
Doch die Schwierigkeiten reizen am meisten, und inmitten der ernsten,
eifrigen Arbeit, die täglich vorwärtsschritt, freute ich mich in
Gedanken auf all die wilden Abenteuer, die meiner „jenseits der hohen
Berge“ warteten.

Eine unangenehme Überraschung stand uns jedoch noch bevor, ehe wir
die kleine, gastfreie Stadt am Rande der Wüste verließen. Am Abend
des 16. Mai traf eine Karawane von zehn mongolischen Pilgern aus
Tarbagatai mit elf Pferden und zwölf Kamelen ein. Sie ließen sich in
einem Haine unweit des Basars nieder. Schagdur und der Lama hatten sie
in Kara-schahr getroffen und wußten, daß sie auf dem Wege nach Lhasa
war. Natürlich wußten die Mongolen, von denen einige türkisch sprachen,
daß sich eine große Karawane in der Gegend aufhielt. Wir konnten nicht
aufbrechen, ohne daß sie uns sahen. Als Sirkin mit den Packpferden an
ihrem Lager vorbeiritt, hatten sie auch gefragt, wohin es gehe, und
er hatte geantwortet, daß er nach Ladak und Kaschgar wolle. Schagdur
und der Lama ritten frühmorgens aus der Stadt und machten einen
großen Bogen nach Westen, um nicht gesehen zu werden. Ich ritt den
mittleren Weg im Flußbett mit Chalmet Aksakal und dem alten Togdasin
Bek aus Tscharchlik, der uns damals durch das Bett des Ettek-tarim
begleitet hatte. Erst als die Gärten der Oase unter dem Horizont
verschwunden waren, vereinigten wir uns wieder zu einer Gesellschaft;
mich wenigstens hatten die Mongolen nicht gesehen; sie würden mich
nicht identifizieren können, wenn wir uns später unter kritischen
Verhältnissen treffen sollten.

[Illustration: 211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen. (S. 43.)]

[Illustration: 212. Schagdur mit einigen seiner Funde. (S. 44.)]

[Illustration: 213. Das Haus, in welchem die Manuskripte gefunden
wurden. (S. 46.)]

[Illustration: 214. Links der Tonkrug. in der Mitte ein Rad, rechts das
Manuskripthaus und ganz hinten der Lagerturm. (S. 50.)]

Doch warum all diese Vorsichtsmaßregeln gegen eine Gesellschaft
friedlicher Mongolen, die keiner Katze etwas zuleide tun? Darum, weil
sie vor uns nach Lhasa kommen und ohne Zweifel von unserem Herannahen
erzählen würden. Dann aber würde das Land im Norden des „heiligen
Gebietes“ streng bewacht und wir nimmermehr durchgelassen werden.
Die Kamele der Mongolen waren freilich in schlechtem Zustand, und
sie würden lange Zeit brauchen, um Zaidam zu erreichen, wo sie wie
gewöhnlich jene gegen Pferde vertauschen wollten. Aber dennoch würden
sie uns bald einen Vorsprung abgewinnen und schneller und leichter
vordringen als wir, die wir die schlimmsten Teile von Tibet aufsuchten.
Meine Befürchtungen trafen später in der Tat zu, obwohl gewiß auch
andere Umstände in noch höherem Grade bei der Durchkreuzung unserer
Pläne mitwirkten.

Die Karawane, mit der ich jetzt die nördlichsten Bergketten des
Kwen-lun-Systems überschritt, war folgendermaßen zusammengesetzt:
Schagdur, Sirkin, Mollah Schah und Li Loje, der Lama und ein Führer,
12 Pferde und Jolldasch. Das Hochgebirge erhob sich in überwältigender
Majestät vor uns. Im Südosten erschien die Talmündung, welcher der
Tscharchlik-su entströmt, und im Süden lagen der Kurruk-sai und
Korumluk-sai, nach denen unser Weg führte. Das Tal, in welchem der
Fluß die nördlichste Kette des Astin-tag durchbricht, ist zu wild
und tief, um passiert werden zu können. Die Sonne brannte heiß, und
die Mücken waren hungrig, verschwanden aber gleich, sobald wir in
öde, unfruchtbare, langsam ansteigende Gegenden gelangten. Zur Linken
erschienen einige einsame Reiter; es waren Mongolen, die uns von weitem
beobachteten.

+Jiggdelik-tokai+, der erste Lagerplatz, liegt am linken Ufer des
Tscharchlikflusses (Abb. 225). Das Wasser rauschte in einem 40 Meter
tief eingeschnittenen Bette zwischen senkrechten Geröllwänden (Abb.
226). Ein halsbrecherischer Pfad führte nach dem Ufer hinunter, wo
einige wenige Büsche unseren Pferden kärgliche Weide boten. Der Aksakal
und Togdasin Bek, die uns den ganzen Weg begleitet hatten, kehrten
jetzt um, trotz des heftigen Sturmes, der sich am Nachmittag erhob und
der die Temperatur sehr bedeutend heruntergehen ließ.

Der Morgen war frisch und kühl und machte wärmere Kleidung notwendig.
Bald reiten wir in die mächtigen, widerhallenden Säle des „Steinigen
Tales“ ein, wo die Wände von rotgeflammtem oder schwarzgestreiftem
Granit und dunkeln, harten Schiefern aufgemauert sind. Die nackten,
zackigen, kahlen Felsen versperren meistens die Aussicht, manchmal
aber öffnet sich in einem Seitentale eine großartige Fernsicht in
eine Welt von immer höher und gewaltiger werdenden Bergen, ein Chaos
von Ketten und Gipfeln, die hier und da mit malerischen Schneeflecken
gekrönt sind. Der Talgrund ist voller Geröllblöcke und Granitstücke von
verschiedener Größe, zwischen denen es sich ziemlich mühsam reitet.
Tamarisken und wilde Rosen sind häufig. Wir freuen uns nach dem langen
Winter in einförmigen Wüsten wieder in die ständig wechselnde Welt der
Felsen einzutreten, unsere Stimmen von den Felswänden widerhallen zu
hören und zu fühlen, wie unsere Lungen sich mit frischer, reiner, sand-
und staubfreier Luft füllen.

Manchmal ist das Tal so eng, daß wir auf Seitenvorsprünge und Pässe
hinaufgehen müssen. Es zieht sich jetzt nach Osten, und nach einer
letzten Schwelle entrollt sich vor uns das Haupttal des Tscharchlik-su,
nach welchem wir wieder zurückkehren. Der Fluß ist nach dem letzten
Regen gewaltig angeschwollen. In der Talweitung, wo wir uns bei einer
Pappel einen Lagerplatz wählten, macht er eine scharfe Biegung.

Ich hatte zehn Esel gemietet, die uns mit Mais für die Pferde nach dem
Kum-köll begleiten sollten. Ihr Ausbleiben zwang uns, einen Tag am
Flusse zu warten, aber keiner hatte etwas dagegen, in dieser schönen
Gegend zu rasten. Überdies hatten wir keine Eile, denn, wie langsam wir
auch zogen, wir würden doch vor den schwerfälligen Kamelen am Kum-köll
anlangen. Im Laufe des Tages trafen die Esel wohlbehalten ein, und nun
konnten wir uns wieder in Bewegung setzen.

Eine schwere Tagereise stand uns bevor. Der Weg führt aufwärts durch
das tief in grauen Granit eingesägte Tal des Flusses, wo die von den
brausenden Wassermassen unterminierten Felsen manchmal gewölbeartig
überhängen. Wir wußten, daß wir den Tscharchlik-su sechzehnmal zu
überschreiten hatten und daß es galt, sich gut vorzusehen. Ein Hirt,
dem wir begegneten, konnte uns keine ermutigenden Mitteilungen machen.
Sein Pferd war mitten im Flusse gestürzt, und die ganze, aus Brot,
Mais und Kleidungsstücken bestehende Last war verlorengegangen. Der
Fluß, dessen Wassermenge jetzt etwa 9 Kubikmeter in der Sekunde betrug,
bildete Stromschnellen und rauschte donnernd zwischen rundgeschliffenen
Blöcken hin.

Anstrengend und spannend ist diese kurze Tagereise, und man wird
erst ruhig, wenn man nach der letzten Furt die Instrumentkisten
wohlbehalten auf dem Trockenen sieht. Die Muselmänner untersuchten,
halb entkleidet, jede Furt, und die Pferde, welche die wertvollsten
Lasten trugen, wurden langsam einzeln hinübergeführt. Wir hatten auch
ein paar Maulesel; einer von diesen hatte es sich bei einer Furt in
den Kopf gesetzt, nicht denselben Übergang zu benutzen wie die anderen
Tiere. Er versuchte es mehr nach der Seite hin, wo die Hauptmasse des
Wassers in einer tiefen Rinne strömte, glitt hier aber aus, wurde von
der Strömung fortgerissen und eine weite Strecke unterhalb der Schwelle
auf eine Kiesbank geschleudert. Die Kosaken stürzten sich angekleidet
in den Fluß und richteten das Tier wieder auf, aber die ganze Last, die
glücklicherweise nur aus Mehl und Brot bestand, war verlorengegangen.

Leider war die Gegend in dichten Nebel gehüllt, und die Kämme des
Gebirges verschwanden wie ein Tempelgewölbe in Abenddämmerung und
Weihrauchwolken. Der Lagerplatz trug den Namen +Mestschit-sai+
(Moscheetal).

Die vierte Tagereise führte uns ein Seitental hinauf. Dieses neue Tal
ist schmäler und wilder als die vorhergehenden und steigt schließlich
so steil an, daß man vorzieht zu Fuß zu gehen, ja bisweilen sogar
klettern und sich mit den Händen festhalten muß. Es ist ziemlich
schwierig, beladene Pferde solch abschüssige Wege hinaufzuführen; die
Lasten rutschen nach der Schwanzwurzel oder schlagen über und müssen
beständig zurechtgerückt werden. Auf diesem schuttbedeckten Felsboden
ist selten ein Pferd sichtbar, und solche sollen hier auch nicht oft
benutzt werden.

+Jaman-dawan+ (der schlechte Paß) ist ein passender Name für die
ungeheuer scharfe, schwer passierbare Schwelle, die wir endlich
erreichten. Nur ein Pferd hat dort oben Platz. Auf beiden Seiten dieses
Sattels erheben sich gewaltige, wilde Felsen, die zu dem Kamme gehören,
in welchem der Jaman-dawan eine recht tiefe Einsenkung ist. Östlich
vom Passe ist das Gefälle viel weniger steil und der Boden mit Erde
bedeckt und mit Gras bewachsen. Die Luft war jetzt wieder klar, und die
Aussicht großartig. Über Hitze konnten wir uns nicht beklagen, denn auf
dem Passe hatten wir nur +2,6 Grad.

Von dem Lagerplatze, der keinen Namen hatte, zogen wir nach Osten,
indem wir jetzt ein neues Tal hinaufstiegen. Anfangs war es ziemlich
eng und schwer passierbar, ja an einem Punkte, wo der Hohlweg ganz mit
herabgestürzten Granitblöcken angefüllt war, mußten die Tiere abgeladen
und mit vereinten Kräften eine 4 Meter hohe Stufe hinaufgewunden
werden. Oberhalb dieser Stelle erweitert sich das Terrain und wird
bequemer. Nur hin und wieder sieht man Rebhühner und kleine, niedliche
Bergschwalben, sonst kein Wild. Einige unserer Pferde und ein Maulesel
sind von dem vielen Schutt steifbeinig geworden und hinken; sie werden
daher nach Möglichkeit geschont. In der Nacht ging die Temperatur
auf -6 Grad herunter; mitten im Sommer ritten wir wieder dem Winter
entgegen. Dieses Jahr war mein Sommer wirklich nicht viel länger als
sechs Wochen gewesen!

Eine lange, ermüdende Tagereise führte uns am 23. Mai auf offeneres,
plateauartiges Terrain, eine Hochlandsteppe, die stellenweise von
dem stehengebliebenen Grase des vorigen Jahres gelb schimmerte. Hier
sahen wir die ersten Kulane. Jetzt befanden wir uns auf alle Fälle
auf dem tibetischen Hochplateau und hatten das bizarre Randgebirge
überschritten. Schwere, dunkle Wolken begrüßten uns bei unserer
Ankunft und schütteten von Zeit zu Zeit ihren Inhalt in Form von
Regen und Schnee über uns aus. Während wir ein etwas ausgeprägteres
Tal hinunterritten, sahen wir abends bei Hascheklik unseren alten
Tscharchlik-su wieder; er war hier weniger wasserreich, und das Wasser
hatte eine eigentümliche, beinahe milchweiße Farbe, die gewiß von einer
verwitternden weißen Gesteinart herrührte.

Schereb Lama in seinem roten Gewande mit dem gelben Gürtel und der
blauen Mütze, die nur bei Regenwetter von einem mongolischen Baschlik
geschützt wurde, war das malerischste Mitglied unserer kleinen
Karawane. Mit mir und Schagdur stand er schon auf dem vertrautesten
Fuße, aber die anderen kannte er wenig, denn er konnte nur ein
paar Worte Türkisch, doch war er sehr gelehrig und bereicherte
allmählich seine Kenntnisse. Was er während der langen Marschtage
dachte, weiß ich nicht, aber daß er viel grübelte, konnte ich sehen;
er mochte sich wohl den Kopf darüber zerbrechen, was das Schicksal
mit seiner priesterlichen Würde vorhatte. Er fand die Gesellschaft,
in die er geraten war, gewiß sehr merkwürdig, und es machte mir
unglaubliche Mühe, ihm den Nutzen der astronomischen Beobachtungen
und des Kartenzeichnens klar zu machen. Ich war in seinen Augen ein
recht sonderbarer Mensch, aber mit rührender Anhänglichkeit und
unerschütterlichem Vertrauen schloß er sich an uns an und begriff sehr
wohl, daß wir Fremdlinge es wirklich gut mit ihm meinten.

Jeden Abend gab er mir Unterricht im Mongolischen. Ich schrieb alle
neuen Worte und Ausdrücke auf und mußte sie bis zum nächsten Abend
gelernt haben. Selten habe ich einen so angenehmen Lehrer gehabt. Er
wollte, daß ich seine Sprache bald so weit beherrschen sollte, daß er
sich mit mir über Dinge, die ihn selbst interessierten, unterhalten
konnte.

Schnee und Hagel und naßkaltes Winterwetter herrschten an dem Tage, den
wir unseren Pferden zur Rast auf den Wiesen von +Hascheklik+ schenkten.
Im Freien zu arbeiten war unmöglich, und ich beschloß daher, mit dem
Lama zu sprechen. Wie unsere Pläne künftig auch ausschlagen mochten,
ich wollte nicht, daß der Lama je glauben oder auch nur denken sollte,
ich hätte ihn hinterlistigerweise in wahnsinnige Abenteuer verstrickt.
Ich wollte ihm die Möglichkeit offen lassen, beizeiten mit geretteter
Ehre in sein Land zurückzukehren. Deshalb erfuhr er schon jetzt, daß
ich die Absicht hatte, als Mongole verkleidet ihn und Schagdur nach
Lhasa zu begleiten.

Er war sehr verdutzt und suchte mich zu überzeugen, daß dies unmöglich
sei. Mich und Schagdur würde niemand anzurühren wagen, ihm aber in
seiner Eigenschaft als Lama würde es den Kopf kosten. Er hegte keine
Furcht vor dem Dalai-Lama, den mongolischen Pilgern und den Chinesen
in der Stadt, sondern nur vor den Tibetern, die die dorthin führenden
Wege bewachen. „Töten sie mich nicht,“ sagte er, „so machen sie mich
doch als Lama für immer unmöglich; ich werde als Abtrünniger, als
Verräter, der einen Europäer nach Lhasa geführt hat, angesehen!“ Doch
schon jetzt war er in seiner Entschlossenheit wankend geworden, denn er
schlug vor, die ganze Karawane sollte geraden Weges nach der heiligen
Stadt ziehen, -- das Schlimmste, was uns dann passieren könne, sei, daß
wir höflich, aber bestimmt zurückgewiesen würden. Er selbst könne sich
dann als Türke verkleiden, und keiner seiner Freunde in Lhasa würde
eine Ahnung davon haben, daß er bei der Sache beteiligt sei. Als ich
jedoch an meinem Plane festhielt, schlug er vor, ich sollte mich lieber
für einen „Urancha“ ausgeben; es ist dies ein Stamm aus dem Altai, der
dem Lamaismus anhängt, aber einen türkischen Dialekt spricht, der dem
Dschaggataitürkischen, das mir recht geläufig war, sehr ähnelt.

So sprachen wir den ganzen Tag miteinander, und schließlich war der
Lama wirklich erregt. Nach dem Kum-köll mußte er uns jedenfalls
begleiten, und ich versprach ihm, daß er von dort, falls er es
wünschte, heimkehren dürfte. An diesem See wollten wir ein paar
überflüssige Eseltreiber verabschieden, und mit ihnen konnte er sich
nach Tscharchlik begeben. Er fürchtete sich jedoch vor dem Sommer
dort und wollte lieber nach Tschimen reiten; ich ahnte sofort, daß er
mit der Mongolenkarawane nach Lhasa zu ziehen plante, und sagte mir,
daß er ihnen dann, in einem unbewachten Augenblick, meine Absichten
anvertrauen könnte. Eine solche Möglichkeit mußte um jeden Preis
verhindert werden.

Das Wichtigste, mochte nun aus der Reise nach Lhasa etwas werden oder
nicht, war, daß wir unter allen Umständen in Tibet eines Dolmetschers
bedurften; dies war so wichtig, daß diese ganze lange Reise durch Tibet
bedeutend an Wert verlieren mußte, wenn wir uns mit den Einwohnern
nicht verständigen konnten. Ich erklärte dies dem Lama, und er sah ein,
daß ich vollständig recht hatte. Ich machte ihm sogar den Vorschlag,
daß er bei der Karawane im Hauptquartier bleiben könne, während ich und
die Burjaten nach Lhasa gingen. Dieser Ausweg hatte jedoch für seinen
Ehrgeiz nichts Verlockendes; er war kein Feigling und gab später bei
vielen Gelegenheiten Beweise von wirklichem Mut.

Stumm und niedergeschlagen saß er die folgenden Tage im Sattel und
fand sicherlich, daß die Gesellschaft, in die er geraten, noch viel
sonderbarer sei, als er anfänglich gedacht. Mit Schagdur verkehrte er
nie wieder freundschaftlich; er fand mit Recht, daß dieser ihn schon
in Kara-schahr in den ganzen Plan hätte einweihen müssen. Ich erklärte
ihm, daß Schagdur auf meinen bestimmten Befehl so gehandelt habe und
daß, wenn er davon gesprochen hätte, daß ein Europäer verkleidet mit
nach Lhasa wolle, kein einziger Lama in der ganzen Mongolei sich,
um welchen Preis es auch sei, bei uns hätte anwerben lassen. Kein
Tagemarsch ging von nun an durch die Täler, kein Abend dämmerte, ohne
daß wir Rat hielten und über unsere Lhasapläne sprachen. Schereb Lama
machte hierbei wirkliche Seelenkämpfe durch. Ich war aber froh über
seine Gesellschaft; er war einer der besten Menschen, mit denen ich
zu tun gehabt hatte. In der Folge wird der Leser mit seinen weiteren
Schicksalen Bekanntschaft machen. Jetzt wurde also für den Anfang
vereinbart, daß er uns bis an den Kum-köll begleitete; dort sollte er
seine endgültige Entscheidung treffen, dort sollte er wie Herkules am
Scheidewege stehen und zwischen seiner sicheren Zelle im Kloster zu
Kara-schahr auf der einen und ungewissen Schicksalen und unter allen
Umständen merkwürdigen Abenteuern auf der anderen Seite wählen.

Während der folgenden Tage kreuzten wir mehrere Nebenflüsse, die nach
Nordwesten strömen und dem Tscharchlik-su ihren Tribut bringen. In dem
großen, offenen Kesseltale +Unkurluk+ (Tal der Erdhütten), das wir
in dichtem Schneegestöber erreichten, sahen wir an mehreren Stellen
Schafherden, aber keine Menschen. Die Kosaken suchten die Gegend ab,
ohne daß es ihnen gelang, jemand zu treffen. Ein wenig höher oben
blieben wir in der Mündung eines kleinen Seitentales, wo es gute Weide,
aber kein Wasser gab (Abb. 227).

Als die Luft sich ein wenig geklärt hatte, sahen wir zwei Zelte und
etwa zehn Leute. Die Kosaken ritten dorthin, um mit den Bergbewohnern
zu unterhandeln und Brennmaterial, Milch und ein Dutzend Schafe, die
wir mitzunehmen beabsichtigten, zu kaufen.

Die 18 Hirten, die sich in +Unkurluk+ aufhalten, wohnen hier beständig
und hüten Schafe und Pferde aus Tschertschen. Den Winter verbringen
sie in erbärmlichen kleinen Erdhütten. Die Gegend ist reich an Wild;
Archari (wilde Schafe), Steinböcke, Yake, Bären und Wölfe kommen vor.
Seit dem Herbst hatten sich jedoch keine Yake gezeigt; sie begeben sich
im Sommer in höhere Regionen hinauf. Rebhühner hörte man hier und da
in den Bergen rufen. Der Schnee fiel abends außerordentlich dicht, und
wir waren wieder von vollständigem Winter umgeben.

Als wir am 27. bei kaltem, windigem Wetter das „Tal der Erdhütten“
verließen, nahmen wir zwölf ziemlich magere Schafe ohne Fettschwanz und
drei Hirten mit statt unserer Tscharchliker Führer und der fünf Esel,
deren Maislast bereits verzehrt war (Abb. 229).

Jetzt befanden wir uns richtig im Gebirge und auf bedeutender Höhe
(3797 Meter). Das merkte man beim Atmen; man kletterte nun nicht mehr
unnötig steile Abhänge hinauf. Von Bergkrankheit zeigte sich jedoch
noch keine Spur, im Gegenteil, es ging uns allen vortrefflich.

Der folgende Tagemarsch führte uns über vier leichte Pässe zweiter
Ordnung und über schneebedecktes, wellenförmiges Terrain nach dem Tale
+Kar-jaggdi+, wo es etwas Weide gab. Im Süden und Südosten erheben sich
mächtige, schneebedeckte Berge. Der Weg war leicht und angenehm, als
wir dieses Tal hinaufzogen, in dessen Mitte sich ein mehrarmiger Bach
schlängelte, der von dem frischgefallenen, schmelzenden Schnee gespeist
wurde und dessen Wasser von verwitterndem Sandstein, der in der Gegend
vorherrschte, rot gefärbt war. Auch jetzt galt es, einen Paß zu
überschreiten, der zwar leicht und bequem ist, aber große geographische
Bedeutung besitzt, denn er bildet die Wasserscheide zwischen
Ostturkestan und dem Tschimentale. Die Höhe beträgt 4079 Meter, und der
Schnee lag hier ziemlich hoch.

Wir folgten dem nächsten abwärtsgehenden Tale nach Südosten, wo die
beschneite Kette des +Piaslik+ ein herrliches Panorama bildete, und
gelangten so in das breite +Tschimental+ hinunter, das wir von so
vielen früheren Exkursionen her kannten. Jetzt sah es noch winterlicher
und kälter aus als im Oktober vorigen Jahres; alle Berge waren mit
Schnee bedeckt, von dem aber nur die allerhöchsten Partien den Sommer
über liegenbleiben. Wir lagerten am Ufer eines Flusses, der sich weiter
abwärts mit dem Togri-sai vereinigt.

In diesem Lager erkrankte Schagdur ziemlich heftig; sein Puls stieg auf
134 und seine Temperatur auf 38,6 Grad (meine Körpertemperatur stieg in
4000 Meter Höhe und darüber selten über 36 Grad). Wir mußten einen Tag
liegenbleiben und ihn pflegen, so gut wir konnten. Sirkin ging auf die
Jagd und kam mit zwei Orongoantilopen (~Pantholops hodgsonii~) wieder;
wir konnten daher ein paar Tage unsere Schafe sparen. Die Antilopen
sind in dieser Jahreszeit ziemlich mager, da sie auf das neue Gras
warten. Im Herbst sind sie fetter und besser.

Am 30. war Schagdur besser und bestand fest darauf, daß wir
weiterzögen. Unser Weg führte jetzt nach Südosten über den ziemlich
großen +Togri-sai-Fluß+ und dann aufwärts in dem Quertal, das östlich
vom Durchbruchstal Togri-sai die Piaslikkette durchschneidet.

Als wir schon eine ziemliche Strecke im Tale zurückgelegt hatten,
stellte sich heraus, daß der Patient und der Lama nicht mitgekommen
waren. Ich kommandierte daher an einem Rinnsale, wo Jappkakpflanzen
uns notdürftig mit Feuerung versahen, Halt und schickte Li Loje
zurück, um zu erfahren, welchen Grund das Ausbleiben der beiden hatte.
Nach einer Weile kamen sie alle drei; Schagdur war matt, schwindlig
und beinahe außerstande, sich im Sattel zu halten. Er bekam einen
tüchtigen Spiritusgrog, wurde in Filzdecken gewickelt und kam ins
Schwitzen. Gegen Abend ging es ihm entschieden besser; er hatte 37,2
Grad Temperatur und 112 Pulsschläge. Der Spiritus wurde aus einer
der Flaschen für die zoologischen Sammlungen genommen. Sonst gab es
keine Spirituosen in der Karawane, und zur Ehre der Kosaken muß ich
sagen, daß keiner von ihnen, und von den anderen ebenfalls keiner,
sie entbehrten. Alkoholische Getränke sind ein böses Ding in einer
Karawane; sie machen Kräfte und Disziplin schlaff.

Auch hier blieben wir einen Tag liegen, damit sich der Kranke
ordentlich ausruhte. Nach einer ruhigen Nacht legte er am 1. Juni die
Tagereise wirklich gut zurück. Freilich war er noch ein wenig matt und
mußte auf dem langen Wege ein paarmal rasten, aber er war doch ziemlich
munter, als er am Ufer des +Kum-köll+ ankam, wo er sich mehrere Tage
der Ruhe und Pflege erfreuen sollte.

Am 1. Juni erreichten wir das Ufer dieses großen Salzsees. Wir
ritten auf vorzüglichem Boden nach Südosten. In der Ferne dehnt sich
die ungeheure, schön marineblaue Fläche des Sees aus. Nach Osten
hin erstreckt sich die +Kalta-alagan-Kette+, die wir in Verkürzung
in endloser, aber zusammengedrängter Perspektive sehen; ihr Kamm
glänzt matt-weiß. Kulane und Orongoantilopen kamen in Menge vor. Am
Ufer suchten wir lange vergeblich nach Wasser, bis endlich einer
der Hirten uns eine Stelle zeigte, wo sich seiner Meinung nach ein
Süßwasserbrunnen würde graben lassen, und richtig, seine feine Spürnase
hatte ihn nicht betrogen. Brennstoff war vorhanden; die Weide war
jämmerlich, aber in dieser Jahreszeit konnten wir nichts Besseres
erwarten. Die Zelte und die Lasten wurden dicht am Strande so praktisch
wie möglich aufgereiht (Abb. 228), und wir hatten jetzt weiter nichts
zu tun, als die Ankunft der Karawane zu erwarten.

[Illustration: 215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan. (S.
50.)

Rechts im Vordergrund der große Tonkrug.]

[Illustration: 216. Die Nivellierungskarawane. (S. 62.)]

[Illustration: 217. Lager am Wasserarm. (S. 76.)]

Wir warteten am 2. Juni, wir warteten am 3., aber keine Karawane
kam. Scharfer, östlicher Wind peitschte die Wellen des Kum-köll
zu bedeutender Höhe auf, und ihr eintöniges Rauschen gegen das
Ufer war das einzige, was das Schweigen der Wildnis unterbrach.
Bisweilen herrschte Nebel; doch auch wenn die Luft klar war, sah man
auf der Ostseite des Sees kein Land, und der Wind erfrischte wie eine
Meerbrise; ja, manchmal, wenn er Schauer von Hagel oder Schnee brachte,
kühlte er nur zu fühlbar ab. Die Hirten, die ihren Auftrag ausgeführt
hatten, brannten vor Ungeduld, wieder nach ihren Hütten zurückkehren zu
können; die noch vorhandenen drei Esellasten Mais wurden im Zelte der
Kosaken verwahrt, dann entließen wir die ganze Gesellschaft. Erst aber
mußten sie uns noch von den nächsten Schneewehen einige Säcke Schnee
zu süßem Wasser holen. Ich kann mir nichts Langweiligeres denken, als
jahraus, jahrein in diesem Gebirge zu hausen und anderer Leute Schafe
zu hüten! Und doch machten die Hirten einen heiteren, zufriedenen
Eindruck, und es war ein billiges Geschäft, sie überglücklich zu
machen. Für mich war es eine richtige Geduldprobe, hier stillzuliegen
und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, weshalb die Karawane noch
nicht kam und ob ihr unterwegs etwas zugestoßen sein könnte. Doch der
Gedanke, sie in Tschernoffs, Tscherdons und Turdu Bais zuverlässigen
Händen zu wissen, beruhigte mich.

Vergebens suchten unsere Blicke im Norden längs des Fußes des Gebirges
die lange, schwarze Linie, die das Herannahen der Unseren verkünden
würde. Manchmal konnten wir des Nebels wegen gar nichts unterscheiden;
wenn aber die Luft klar war, hielten die Kosaken mit dem Fernglase
eifrig Ausschau. Unterdessen ging es uns hier ganz gut. Proviant,
besonders Schafe, hatten wir noch hinreichend, und es konnte nicht
schaden, daß wir uns langsam und allmählich an die Luftverdünnung
gewöhnten. Schagdur wurde mit Massage und kalten Umschlägen behandelt
und erholte sich allmählich. Sirkin wurde beauftragt, nach unserem
vorjährigen Lagerplatz am Nordwestufer zu reiten und unterwegs eine
Marschroute aufzunehmen, die, wie sich bei der Kontrolle ergab, recht
gut ausfiel. Für den Fall, daß sich die Karawane dort niederlassen
sollte, machte er einen Wegweiser aus einem kleinen Brett mit einer
darauf gezeichneten Hand, die westwärts, nach unserem jetzigen Lager
zeigte.

Der 4. Juni war ein schöner, herrlicher Tag. Die ganz klare Luft
erlaubte dem Blicke, dem Kalta-alagan-Gebirge bis in endlose Fernen zu
folgen, wo sein Kamm undeutlich wurde und wie in einer nadelscharfen
Spitze verschwand. Der See zeigte sich in einem neuen Farbenspiel:
hellgrün mit weißen Wellenschaumstreifen. Die Pferde weideten weit vom
Lager, die meisten Leute schliefen, nur der Lama spähte fleißig nach
Norden; das scharfe Zeißsche Fernglas war ihm sehr interessant, und er
benutzte es oft. Ich arbeitete in meiner Jurte, als er mir meldete, daß
er die Karawane zu sehen glaube. Ich nahm das Fernglas, und richtig,
längs des Fußes des Gebirges wurde der gewaltige Zug sichtbar, der in
sechs Abteilungen marschierte, voran eine lange, schwarze Linie und
dann mehrere kleinere Gruppen; nur mit Hilfe des Fernglases konnte ich
diese schwarzen Linien und Punkte unterscheiden.

An diesem Tag wurde nichts mehr getan. Mit gespanntem Interesse
beobachteten wir den Gang des Zuges. Jetzt würden wir uns wieder
vereinigen und den Marsch nach Süden im Ernst antreten. Die Entfernung
war indessen noch zu groß, als daß die Karawane unsere Zelte hätte
sehen können. Sie ging noch immer nach Osten, statt gerade auf unser
Lager loszusteuern.

Nun sahen wir zu unserem Erstaunen, daß Halt gemacht, die Lasten
abgeladen und die Kamele auf die Weide geschickt wurden. Ich sandte
daher Mollah Schah dorthin. Je weiter er sich auf dem weitgedehnten
Terrain von uns entfernte, desto schwerer wurde es uns seinen Weg zu
verfolgen. Schließlich kam ihm ein Reiter von der Karawane entgegen,
und beide gingen in das andere Lager. Dort wurden die Kamele von allen
Seiten wieder herbeigeholt, und der Zug setzte sich von neuem in
Bewegung, indem er umschwenkte wie ein Eisenbahnzug in einer Kurve,
den man schließlich in Verkürzung vor sich sieht. Darauf tauchte bei
dem östlich von uns liegenden, isolierten kleinen Berge ein einzelner
Reiter auf, der sich uns in starkem Trabe näherte.

Es war Kutschuk. Er war vor ein paar Tagen von dem Karawanenführer
Tschernoff vorausgeschickt worden, um uns rechtzeitig Nachricht zu
bringen. Auf dem alten Lagerplatze am Nordufer hatte er Sirkins
Wegweiser gefunden und die Bedeutung der nach Westen zeigenden Hand
sofort verstanden. Er ritt mein altes Kaschgarpferd, das älteste in der
Karawane, und brachte uns nur gute Nachrichten.

Mittlerweile näherte sich die Karawane in guter Ordnung; die beiden
Kosaken ritten in gestrecktem Galopp zu mir und meldeten militärisch,
daß alles gut stehe; Leute wie Tiere seien in vorzüglichem Zustand, nur
ein Maulesel sei als untauglich in Bag-tokai zurückgelassen; einige von
den heimkehrenden Dienern sollten ihn behalten, wenn sie ihn wieder ins
Leben rufen könnten.

Jetzt kam die Eselkarawane mit Dowlet Karawan-baschi an der
Spitze angezogen; hinter dieser bunten Gesellschaft erschien ein
aufgescheuchter Kulan, der in einer Wolke von Staub gerade auf das
Lager zurannte, bis er die Gefahr erkannte und sich nach Westen rettete.

Darauf erschien Turdu Bai an der Spitze seiner prächtigen, fetten
Kamele (Abb. 230). Sie waren munter und sichtlich zufrieden, daß sie
sich in der frischen, kühlen Bergluft befanden und die schwüle Hitze
und die stechenden Insekten der Tiefebene hinter sich hatten. Während
der Ruhetage, die sie unterwegs gehabt, hatten die Männer Tschapane
für alle Kamele genäht, um sie gegen den heftigen Temperaturwechsel zu
schützen. Die drei Jungen, die den älteren wie Hunde nachliefen, sahen
in ihren weißen Mänteln gar zu komisch aus. Sogar das jüngste Kleine
sprang umher, ohne eine Spur von Ermüdung zu zeigen. Es war erst wenige
Tage alt, als es schon mit der dünnen Luft Bekanntschaft machte, und
seine Lungen paßten sich ihr früh an. Ganz sicher trug dieser Umstand
dazu bei, es widerstandsfähiger zu machen als seine beiden Kameraden,
die es lange überlebte. Sogar dem Hirsche, der mit den Kamelen zu gehen
pflegte, ging es gut; er hatte nur den großen Fehler, uns zuviel Mais
wegzufressen, denn das gelbe Gebirgsgras verschmähte er verächtlich.

Die letzten im Zuge waren die Pferde mit ihren Lasten und Treibern.
Jede Abteilung passierte das Hauptquartier, wo ich inmitten der Kosaken
stand, und alle Leute grüßten der Reihe nach höflich. Es dauerte
eine ziemliche Weile, bis die ganze Gesellschaft vorbeigezogen war,
um unmittelbar südlich vom Hauptquartier die Zelte aufzuschlagen und
das Gepäck aufzustapeln. Die Lasten wurden so gestellt, daß sie ein
Gehege für die Schafe bildeten, von denen wir jetzt eine ganze Herde
hatten, die Wanka, dem Leithammel aus Kutschar, auf den Märschen
gehorsam folgten. Wanka begleitete die Karawane schon seit dem Herbst
1899 und war das einzige von allen zu Beginn der Reise mitgenommenen
Karawanentieren, das wir im Jahre 1902 wieder mit nach Kaschgar
brachten.

Für mich wurde eine ganz neue Jurte aufgeschlagen, welche die Kosaken
in Tscharchlik angefertigt hatten. Als das ganze Lager fertig war,
glich das Ufer des Salzsees einem lebhaft besuchten Korso mit Gruppen
von Leuten, die um rauchende Feuer saßen und plauderten. Die Tiere
zerstreuten sich auf der kargen Steppe, um sich ihre knappe Nahrung
zu suchen. Unterdessen tobte die Brandung am Ufer, und ein Sturm
wühlte den See auf. Dicht und kalt schlug der Regen uns entgegen und
durchnäßte unsere Ansiedlung.

Zur Erledigung verschiedener Arbeiten war ein Ruhetag am Kum-köll
erforderlich. Ich packte alle meine Kisten gründlich um, damit ich die
Sachen und Instrumente, die täglich gebraucht wurden, in den beiden,
stets in meiner Jurte stehenden Kisten immer gleich bei der Hand
hatte. Das meteorologische Observatorium, das unter Sirkins Aufsicht
stand, wurde bei ihm in einer besonderen Kiste verwahrt, und die
Thermometer wurden auf jedem Lagerplatz in einem kleinen geschützten
Schuppen aufgestellt. Diejenigen der Konserven, die in der nächsten
Zeit gebraucht werden sollten, wurden ausgepackt. Eine Anzahl wenig
tauglicher Esel mußte, da ihre Lasten verzehrt worden waren, mit
einigen Eseltreibern wieder umkehren.

Hier sollte sich auch der Lama endgültig entschließen, ob er mitkommen
oder umkehren wollte. Er hatte sich die Sache entschieden überlegt
und mit Li Loje eine kleine Intrige angezettelt. Letzterer, der jetzt
fast ein Jahr lang tadellos seinen Dienst verrichtet hatte, bat um
seine Entlassung und gab als Grund an, er habe erfahren, daß sein
alter Vater in Kerija gestorben sei, und müsse deshalb unverzüglich
dorthin, um seine Interessen wahrzunehmen. Dies wurde ihm natürlich
nicht geglaubt, denn dieselbe Geschichte hatte er uns schon bei ein
paar Gelegenheiten mitten in der Wüste einreden wollen. Das Schlimmste
aber war, daß er seinen Lohn in Tscharchlik für ein halbes Jahr voraus
bekommen hatte. Es war eigentlich recht eigentümlich, daß er nicht
einfach durchbrannte, da er ja sein eigenes Pferd, eines der besten der
ganzen Truppe, hatte. Von nun an ließ ich ihn eine Zeitlang bewachen,
damit er nicht in einer Gegend, wo wir ihn nicht mehr einholen könnten,
verduftete. Der Lama hatte beschlossen, Li Loje zu begleiten, um die
Mongolenkarawane dann in Tschimen oder Zaidam aufzusuchen. Als er aber
sah, daß der Mann doch bei uns bleiben mußte, wurde auch er anderen
Sinnes, suchte mich in meiner Jurte auf und erklärte, daß er mir
bis ans Ende der Welt folgen werde, was auch daraus entstehen möge.
Das einzige, was er erbat, war, nicht verlassen zu werden, falls er
erkranken sollte; er sah selbst bald ein, daß er in dieser Beziehung
nichts zu fürchten hatte, da nicht einmal eines der Tiere ohne weiteres
verlassen wurde. So ordnete sich diese Sache im Handumdrehen. Ohne
den Lama hätten wir in den bewohnten Gegenden Tibets kaum fertig
werden können, und Li Loje (alias Tokta Ahun) war, obwohl ein bißchen
verrückt, bei allen beliebt. Er erzählte lustige und grauliche
Geschichten und führte sich bis Ladak ausgezeichnet.

Schließlich wurden alle Muselmänner zusammengerufen und Turdu Bai
feierlich zum Tugatschi-baschi (Kamelobersten) ernannt. Hamra Kul, ein
großer, kräftiger Mann aus Tscharchlik, der seinen sechzehnjährigen
Sohn Turdu Ahun bei sich hatte, wurde Att-baschi (Pferdeoberst); die
anderen hatten diesen beiden in allem, was mit der Wartung der Tiere
zusammenhing, unbedingt zu gehorchen. Mollah Schah erhielt keinen
Befehlshaberposten, weil er, dessen Aufgabe es gewesen war, die Pferde
am Kum-köll zu bewachen, gar nicht gemerkt hatte, daß ihm die ganze
Herde fortgelaufen war. Er fing die meisten allerdings noch vor Abend
wieder ein, aber fünf wurden erst am nächsten Morgen wiedergefunden.
Natürlich hatten die Kosaken einen höheren Rang als die Muselmänner,
und jeder von ihnen hatte seine bestimmte Beschäftigung und überwachte
das Ganze.



Zehntes Kapitel.

Die Zusammensetzung der Karawane.


So brach denn der erste Tag auf dieser Reise im innersten Asien an,
an welchem ich die ganze Karawane auf +einer+ Stelle versammelt hatte
und vom Rücken meines prächtigen, weißen Reitpferdes mein wanderndes
Eigentum mustern konnte. Wir ließen jetzt keine Abteilung hinter uns
zurück; das Hauptquartier selbst war auf dem Marsche, und wir brauchten
uns nicht um Abwesende zu beunruhigen. Mit dem Abbrechen des Lagers und
dem Beladen der Tiere ging es ziemlich schnell; denn jeder der Leute
hatte seine bestimmte Arbeit. Während einige die Zelte abnahmen und die
Kisten packten, hoben andere die Proviantlasten auf Kamele und Pferde,
und sobald eine Abteilung fertig war, brach sie auf.

Voran marschierten die Kamele in fünf verschiedenen Gruppen, jede
mit einem Führer; die erste führte Turdi Bai selbst. Wie unter
den Männern, so waren auch unter den Tieren einige, die besondere
Beachtung verdienten, z. B. die drei Kamelfüllen, die ihren Müttern
treu folgten und sich bei diesen dann und wann einen Schluck Milch
holten. Sogar das jetzt 33 Tage alte Junge legte seine 38 Kilometer
mit Leichtigkeit zurück. Unter den älteren Kamelen zeichnete sich
namentlich der große, schöne „Bughra“ (Hengst) aus, der mir 1896 durch
die Kerijawüste und nach dem Lop-nor geholfen und den wir jetzt in
Tscharchlik wiedergekauft hatten. Sein Gang war ruhig und majestätisch,
und mit Resignation betrachtete er die öden Gebirge, die ihm bald
sein Leben kosten sollten. Nahr, der Dromedarhengst, war noch immer
gehalftert, um nicht um sich beißen zu können; er hatte uns durch die
Gobi bis Lôu-lan begleitet. Die beiden „Artan“ (Wallachs), die alle
drei Wüstenreisen mitgemacht hatten und von denen ich das eine geritten
hatte, trugen jetzt, weil sie völlig leidenschaftslos und ruhig waren,
meine Instrumentkisten. Mein altes Reitkamel war eines der neun, die
schließlich Ladak erreichten.

Auch Pferde und Maulesel, 45 an der Zahl, wurden in getrennten
Gruppen geführt, respektive getrieben und von Fußgängern begleitet,
die aufpaßten, daß die Lasten auf beiden Seiten gleiches Gewicht
hatten und nicht herunterglitten. Die Schafe folgten Wanka, und man
brauchte sich nur von Zeit zu Zeit nach ihnen umzusehen. Unsere acht
Hunde liefen in munterem Spiel nebenher und waren sichtlich von dem
ganzen Unternehmen sehr erbaut. Der Hirsch wurde auf dieser Tagereise
sehr krank oder erschöpft und ließ sich nicht länger zum Maisfressen
bewegen. Er blieb unaufhörlich zurück, und da ich sah, daß er nicht die
Kraft hatte, mit uns Schritt zu halten, ließ ich ihn blutenden Herzens
schlachten. Das Knochengerüst wurde der Skelettsammlung beigefügt.

Zuletzt wurden die Esel fertig, und wir verloren sie bald aus den
Augen. Sie gelangten abends nicht einmal bis an das Lager. Von ihnen
werden bestenfalls nur einige wenige diese Reise überleben. Jetzt waren
ihrer etwa 60.

Diese lange Karawane von Tieren, die mit Kisten, Zelten, Jurten,
Ballen und Säcken beladen waren, gewährte in der öden Landschaft
einen ebenso großartigen wie malerischen Anblick. Es war eine bunte
Truppe, die langsam und schwer an dem blaugrünen See entlangzog. Die
ungleichartigen Trachten und Typen trugen zur Abwechslung bei: die
Kosaken, Russen und Burjaten, mit ihren abgetragenen Uniformen und den
hinter dem Sattel mit Riemen festgeschnallten Pelzen, die Muhammedaner
mit ihren Tschapanen und Fellmützen, Eseltreiber, die große Ähnlichkeit
mit einer Rotte von Lumpen und Landstreichern haben; der Lama in
seinem roten Gewande taucht wie das gutmütige Heinzelmännchen der
Karawane bald hier, bald dort auf. Das Ganze erinnerte an ein Heer
auf Kriegsfuß, das auszieht, um neue Länder zu erobern. Es war auch
wirklich so; aber die Eroberung war friedlicher Art, da sie nur den
Zweck hatte, dem menschlichen Wissen bisher unbekannte Länder zu
unterwerfen. Noch sah die Karawane stark und lebenskräftig aus, aber
man brauchte nur einen Blick um sich zu werfen, um zu ahnen, daß
sie von dem Augenblicke an zum Untergange verurteilt war, als sie
ihre Schiffe hinter sich verbrannt hatte und südwärts über die öden
Hochebenen des nördlichen Tibet zog. Jetzt freilich befanden sich
ihre Mitglieder in vorzüglicher Verfassung, aber wie lange würde es
so bleiben? Dort dehnte sich wohl ein See aus, aber sein Wasser war
salzig, und nicht einmal die Wildgänse rasteten an seinen Ufern; hier
gab es wohl eine Steppe, aber ihr Graswuchs war verdorrt, erfroren und
hart, und die Berge, nach denen wir unsere Schritte lenkten, zeigten
ihre grauschillernden, verwitterten, felsigen Abhänge, auf denen nicht
ein einziger grüner Fleck zum Grasen war. Daß es nur eine Frage der
Zeit war, wie lange wir aushalten konnten, wußte ich aus Erfahrung;
ohne Opfer würde die Fortsetzung der Reise nach Süden nie möglich
sein. Die Karawane mußte von Tag zu Tag kleiner werden, und nur ein
Fünftel davon sollte dieses unheimliche, mörderische Land verlassen!
Dreißig Kamele sollten hier umkommen, und von den Pferden sollte nur
ein einziges nach Ladak gelangen. Ich hatte 30 Leute; viele von ihnen
sollten aber am Arka-tag wieder umkehren, namentlich alle die, welche
mit dem Eseltransporte zu tun hatten. Von den übrigen, die für die
ganze Reise gedungen waren, sollten auch nicht alle mit dem Leben
davonkommen!

Ich selbst ritt bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges, mit
meinen gewöhnlichen Arbeiten beschäftigt, von denen die Aufnahme der
Marschroute die meiste Zeit in Anspruch nahm.

Anfangs gehen wir längs des Ufers nach Süden, müssen es aber
tückischer Moräste und Sümpfe wegen bald verlassen. Die Richtung ist
dann südöstlich, und zu unserer Linken liegt eine große Lagune mit
sehr salzigem Wasser. Die Hügel, die wir auf einem kleinen Passe
überschreiten, bestehen aus weichem, lockerem Material, auf dem die
ziemlich schwerbeladenen Kamele nur schwer und mühsam gehen können. Auf
der anderen Seite ging es beinahe senkrecht nach einem Flusse hinunter,
der ein wahres Höllenloch mit ziegelrotem Schlammboden durchströmte,
in welchem man ertrinken konnte, wenn man nicht mitten im Flußbette
blieb. Sogar dieses lebhaft fließende Wasser hatte einen bitteren
Salzgeschmack. Die Kamele gleiten aus und sinken oft bis an die Knie
ein. Im ersten besten Nebentale suchen wir Erlösung von diesem Elend,
überschreiten noch einen Paß und noch ein Tal und gehen ein drittes,
nach Süden führendes hinauf. Auch dieses lag zwischen jähen Wänden
von lockerem, rotbraunem Material. Die phantastischsten Türme und
Festungsmauern sind hier ausgemeißelt, und man glaubt, durch die Ruinen
einer alten Stadt zu reiten.

Jetzt galt es nur, einen einigermaßen brauchbaren Lagerplatz zu finden;
als aber unsere Bemühungen auch beim Einbruch der Dämmerung nicht mit
Erfolg gekrönt waren, wurde das Lager Nr. 12 in der ödesten Gegend, die
man sich denken kann, aufgeschlagen. Weide und Brennstoff zu finden
hatten wir gar nicht erwartet, aber hier fehlte es sogar an Wasser.
Glücklicherweise fing es um 9 Uhr ziemlich heftig zu schneien an; alle
Gefäße wurden ins Freie gestellt, und wir bekamen so viel Schnee, daß
das Wasser daraus zu einigen Schlucken Tee für jeden reichte. Den
Tieren wurde so viel Mais gegeben, wie sie haben wollten; die Esel
würden doch nicht mehr sehr lange mitkommen können, und dann war es
besser, uns ihrer Lasten auf diese Weise zu entledigen, als sie im
Stiche zu lassen.

Nachdem das Schneien aufgehört hatte und der gefallene Schnee
verdunstet oder aufgetaut war, begannen wir spät abends einen Brunnen
zu graben, der noch in 99 Zentimeter Tiefe kein Wasser gab und deshalb
nicht weitergegraben wurde. Doch am nächsten Morgen hatte sich in ihm
eine nicht unbedeutende Wassermenge angesammelt, die für alle Mann
reichte; ja, selbst die Hunde bekamen etwas davon ab. Dowlet holte uns
mit der halben Eselkarawane ein; damit sich auch die andere Hälfte mit
uns vereinigte, wurde nur ein kurzer Tagemarsch gemacht.

Tschernoff hatte die Gegend rekognosziert und führte uns nach Südwesten
über ebenes, hartes Erdreich, das dünn mit Jappkakpflanzen bestanden
war und nach allen Richtungen hin von Kulanpfaden durchkreuzt wurde.
Noch sah man im Norden die Kalta-alagan-Kette, aber der See, der
diesseits derselben liegt, wurde von den Hügeln, die wir gestern
überschritten hatten, verdeckt. An das charakteristische tibetische
Wetter waren wir schon gewöhnt: heftige Hagelschauer, denen
Sonnenschein auf dem Fuße folgt, oder auch klare Luft über unserer
Gegend, aber schwarze, freigebige Wolken ringsumher.

Wie auf dem Marsche innerhalb der Karawane eine bestimmte Ordnung
herrscht, so entsteht auch das Lagerdorf nicht aufs Geratewohl.
Derselbe Plan wiederholt sich allabendlich, nur mit unbedeutenden,
durch die Gestalt des Bodens bedingten Abänderungen. An dem einen
Ende der Lastenstapelreihen hat Turdu Bai sein Zelt (Abb. 231), wo
auch Hamra Kul, Mollah Schah und Rosi Mollah wohnen. Letzterer, der
muhammedanische Priester der Karawane, ist ein vierzigjähriger, des
Schreibens kundiger, sehr netter und zuverlässiger Mann. Er brachte wie
Li Loje sein eigenes Pferd mit und erhielt gleich den meisten anderen
Muselmännern monatlich 8 Sär.

Das zweite Zelt, von Turdu Bais Flügel gerechnet, beherbergt meine
Küche und die der Kosaken; dort residiert Kutschuk allein. Er ist
Tscherdons Gehilfe, welch letzterer für die nächste Zeit zu meinem
Haushofmeister ernannt worden ist. Tschernoff ist der Koch der Kosaken.
Unsere Küche ist also von derjenigen der Muselmänner getrennt, da diese
nicht gern mit Ungläubigen speisen und religiöse Furcht vor Töpfen
hegen, in die sich möglicherweise einmal ein Stück Schweinefleisch
hatte hineinverirren können. Die Kosaken wollen ebensowenig ihre Töpfe
mit Kulanfleisch beflecken, welches die Muselmänner wiederum sehr gern
essen.

[Illustration: 218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. (S. 82.)]

[Illustration: 219. Mein Hirsch im Garten. (S. 87.)

Links ein Chinese, Tschernoff und Turdu Bai, rechts Islam Bai.]

[Illustration: 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten
jungen Kamelen. (S. 89.)]

[Illustration: 221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in
Tscharchlik. (S. 98.)]

Die dritte in der Reihe ist die große, von Sirkin, Schagdur und
dem Lama bewohnte Jurte. Jeder von ihnen hat sein Bett, das aus
Filzdecken, Pelzen und einem Kopfkissen besteht, und eine Kiste für
seine Sachen. Die Habseligkeiten der Eingeborenen nehmen dagegen wenig
Raum ein und haben meistens in einer Kurtschin (lederne Doppeltasche)
Platz. Schagdur ist jetzt nach seiner Krankheit jede Arbeit streng
verboten. Es dauerte jedoch nicht lange, so hatte er seine frühere
Kraft wiedererlangt und hob Kisten und Lasten mit demselben festen
Griffe wie vor der Krankheit. Dem Lama hatte ich ein für allemal
erklärt, daß er als „Doktor der Theologie“ nichts mit den gröberen
Karawanenarbeiten zu tun habe, da diese von den Muselmännern besorgt
würden. Ich sagte ihm, seine einzigen Pflichten seien, mir wie bisher
Unterricht im Mongolischen zu geben und späterhin unser Dolmetscher
für das Tibetische zu sein, unser „Tangut kälä“, wie es auf mongolisch
heißt. Doch wie oft ich ihm dies auch wiederholte, er kehrte sich
nicht daran. Es gab keine Arbeit, die dem Lama für seine an heilige
Folianten gewöhnten weichen Hände zu grob erschien. Er hob schwere
Kisten auf die Kamele und von den Kamelen herunter, und Turdu Bai sagte
lachend, er habe an ihm einen ausgezeichneten Handlanger. Hierdurch
gewann der Lama eine gewisse Popularität bei den Karawanenleuten
und stachelte den Ehrgeiz der Muhammedaner an; ein Rechtgläubiger
durfte ja nicht schlechter sein, als ein „Kaper“, ein Heide, der
Schweinefleisch ißt. Der Lama besaß eine scharfe Beobachtungsgabe
und große Menschenkenntnis. Es währte gar nicht lange, so hatte er
die Muhammedaner sowohl nach ihrem Werte als Menschen wie nach ihrer
Arbeitstüchtigkeit in eine Rangordnung gebracht.

Darauf folgt Tschernoffs und Tscherdons kleine Jurte. Tschernoff
überwacht alle gröberen Arbeiten in der Karawane und ist dafür
verantwortlich, daß jeder seine Pflicht tut, und Tscherdon ist, wie
gesagt, mein „Leibdiener“ und Koch.

Zu äußerst auf dem entgegengesetzten Flügel steht meine Jurte, bewacht
von Jolldasch und Jollbars, die manchmal gar zu eifrig auf eingebildete
Feinde losfahren, nämlich auf unsere eigenen Pferde und Kamele, die
friedlich in der Gegend umherstreifen oder, wenn sie vergebens nach
Gras gesucht hatten, nach Turdu Bais Zelt zu gehen pflegen, um sich
dort Mais zu holen.

Die übrigen Karawanenleute müssen sich mit etwas provisorischeren
„Zelten“ begnügen. Sie breiten Filzteppiche über die Kamellasten
und finden darunter eine Lagerstatt. Ihr Essen kochen sie an den
verschiedenen Feuern, die mitten auf den Straßen und dem Markte der
Lagerstadt brennen. Einige von ihnen müssen jedoch die ganze Nacht
unsere Tiere hüten und dafür sorgen, daß diese sich nicht zu weit
entfernen. In dieser schweren Arbeit lösen sie jedoch einander ab,
und Tschernoff paßt auf, daß hierbei keine Ungerechtigkeit vorkommt.
Manchmal reitet er mitten in der Nacht zu den Herden, um sich zu
überzeugen, daß die Hirten nicht schlafen. Was die Schafe betrifft, so
wird für sie stets von den Lasten eine Hürde zurechtgemacht, denn in
dieser Gegend ist man vor Wölfen nicht sicher.

Sobald die Ansiedlung für eine Nacht fertig dasteht, herrscht zwischen
ihren luftigen Hütten eine gute Weile Leben und Bewegung. Dann
schwirren drei Sprachen durcheinander, Dschaggataitürkisch, Russisch
und Mongolisch. Allmählich verstummt jedoch die Unterhaltung, Turdu
Bai führt die Kamele auf die Weide, wenn es in der Gegend solche gibt,
Hamra Kul macht es mit den Pferden ebenso, und beide erteilen ihre
Befehle hinsichtlich der Behandlung und Bewachung der Tiere. Wenn an
einem Packsattel ein Saum aufgegangen ist, wird er wieder zugenäht,
und wenn ein Kamel oder Pferd hinkt oder kränklich ist, wird es im
Lager zurückbehalten und mit besonderer Fürsorge gepflegt. Hier
werden die Feuer angezündet, die wir jetzt beinahe ausschließlich
mit trockenem Miste von Kulanen oder wilden Yaken unterhalten. Einen
kostbaren Reservevorrat von Brennholz haben wir an den starken Leitern,
an denen der Proviant festgebunden ist. In dem Maße, wie dieser
zusammenschrumpft, werden die Leitern überflüssig; sie werden aber nur
im äußersten Notfall als Feuerung verwendet, anfangs nur, um den oft
noch feuchten Dung zum Glühen zu bringen. Sobald er in Glut ist, werden
die Töpfe aufgesetzt und das Essenkochen beginnt. Um die Feuer herum
sieht man Gruppen von Männern, die sich eifrig miteinander unterhalten
und sich der Ruhe freuen. Wenn der gewöhnliche Weststurm mit tüchtigem
Schneetreiben anhebt und, wie heute, die Gegend in wenigen Minuten
kreideweiß und winterlich macht, decken sie sich einfach mit einer
Filzmatte zu und fahren in größter Ruhe mit der Speisenbereitung
fort. Meine Jurte ist in einer Viertelstunde fertig. Die Filzdecken
und Pelze, aus denen mein Bett besteht, liegen wie die der anderen
unmittelbar auf der Erde. Ich lasse mich auf dem Bette nieder und
trage die Beobachtungen des Tages in die Tagebücher ein. Nach dem
Abend- oder Mittagsessen, wie man diese Mahlzeit nennen will, wird
das am Tage entworfene Kartenblatt ausgearbeitet, die Kompaßpeilungen
und die Entfernungen ausgerechnet und der neue Lagerplatz auf einem
Übersichtsblatte angegeben. Ich weiß also stets, wo wir uns befinden,
kann mich davor hüten, mich den westlich von uns liegenden Routen
Littledales und Dutreuil de Rhins und den östlich von uns befindlichen
Wegen des Prinzen von Orléans und Bonvalots zu sehr zu nähern, und bin
auch imstande, die Richtung nach Lhasa einzuhalten.

Das Lager der Eselkarawane befindet sich ganz in der Nähe des
unsrigen. Einstweilen sind dort nur 30 Esel; die anderen sind noch
nicht erschienen. Am folgenden Morgen, 8. Juni, mußte der alte Dowlet
umkehren, um sie zu suchen.

Wir dagegen zogen südwärts durch ein ausgetrocknetes Tal. Kärgliche
Weide gibt es hier überall, aber keine anderen Tiere als Hasen. Der
Himmel bleibt immer noch bewölkt. Nach und nach wird das Terrain
beschwerlich. Hunderte von kleinen, wasserlosen Bachrinnen ziehen
sich nach einem nach Norden gerichteten Tale, das zu unserer Linken
liegt. In dieses gehen wir hinunter und folgen ihm dann aufwärts. Es
ist ziemlich tief in die Hügel eingeschnitten, und der Bach, der hier
seinen Abfluß gehabt hat, hat den Talboden derartig aufgelockert
und weichgemacht, daß die Kamele einsinken. Es klatscht nach jedem
Schritte, den die schweren Kolosse in dem Moraste zurücklegen.
Der lange, schwarze Zug folgt jedoch getreulich den Windungen des
Korridors, aber der greuliche Hohlweg wird immer nasser und enger.
Unaufhörlich erschallen eifrige Mahnrufe. Ein Kamel ist ausgeglitten
und gefallen, ein Pferd hat sich seine Last abgeschüttelt, und ein
Maulesel sitzt ganz im Schlamme fest.

Selbst die boshafteste Phantasie kann keinen scheußlicheren, die Geduld
mehr auf die Probe stellenden Boden erdenken. Der Abstand zwischen
den tief ausgemeißelten Erosionsfurchen beträgt oft nur einen Fuß;
Millionen solcher kleiner Rinnen vereinigen sich zu größeren, diese
wieder zu noch kräftigeren, die schließlich in das nach dem Kum-köll
führende Haupttal münden. Die Abhänge fallen überall sehr steil nach
diesen Rinnen ab, und auf dem Schlammboden des Haupttales geht es sich,
als hätte man Bleisohlen an den Stiefeln oder schwere Gewichte an den
Beinen. Alle gehen natürlich zu Fuß. In einer Lache blieb mein einer
Stiefel stecken, und ich fuhr mit dem Strumpfe bis ans Knie in den
Morast. Die Wege, die zu Dantes Hölle führen, können nicht scheußlicher
sein, als diese siebenmal verwünschte Schlammstraße, die an den Kräften
der Karawane unnötigerweise zehrte. Zwei Kamele wurden so matt und
unbrauchbar, daß sie von ihren Lasten befreit werden mußten. Aus der
Ferne hatten diese Höhen so sanft und niedrig ausgesehen, daß die
Männer uns fast ebenes Terrain prophezeit hatten.

Schließlich wurde es gar zu toll, und wir konnten keinen Schritt mehr
vorwärts; wir mußten aus diesem Loche heraus, gleichviel wohin, denn
schlimmer konnte es nicht werden. Turdu Bai wollte mit der Karawane auf
die zu unserer Linken liegenden Höhen hinaufflüchten und stellte ein
Dutzend Leute an, die mit Spaten einen steilen Weg gruben. Unterdessen
ritt Tschernoff weiter und kehrte bald mit der Nachricht zurück, daß in
dieser Richtung nicht einmal ein Fußgänger weiter vordringen könne.

Nun befahl ich kehrtzumachen, und mit großer Schwierigkeit kehrte der
lange, schwerbeladene Zug in seinen eigenen Spuren um. Es war so wenig
Platz vorhanden, daß jedes Tier auf dem Flecke, wo es sich befand,
wenden mußte. Das Zurückgehen war noch fürchterlicher, denn der Boden
war jetzt noch mehr aufgeweicht. Nach unzähligen Mißgeschicken kamen
wir aus der verwünschten Falle endlich wieder heraus.

Sirkin rekognoszierte jetzt ein anderes Tal, das von einem kleinen
Passe im Westen kam. Dieses ritten wir hinauf. In der Mitte des Tales
war ein jetzt ausgetrocknetes Flußbett mit senkrechten Uferwänden. Ein
paarmal mußten wir es überschreiten, und wieder wurden alle Spaten
in Tätigkeit gesetzt, um Wege in die wie Mehl stäubende rote Erde zu
graben.

Verzweifelt langsam bewegte sich die erschöpfte Karawane vorwärts.
Ich saß auf dem kleinen Passe und ließ sie vorbeidefilieren. Endlich
hatte ich sie alle nach der anderen Seite, wo das Terrain offener war,
hinuntergehen sehen. Nur eines der beiden schwachen Kamele war mit Mühe
hinüberzubringen. Fünf Mann mußten es buchstäblich hinaufschieben. Es
wird gewiß das nächste Tier sein, welches daraufgeht.

Wir rasteten auf einer kleinen Wiese an einem Quellbache. Diesmal
beschlossen wir aus vier verschiedenen Gründen liegenzubleiben. Erstens
war die Weide hier außergewöhnlich gut, viel besser als am Kum-köll,
zweitens waren die Tiere abgehetzt, drittens mußten wir auf die Esel
warten, die wir ganz aus den Augen verloren hatten und die sich bisher
als ganz marschunfähig erwiesen hatten, -- während der beiden letzten
Tagereisen waren viele von ihnen zusammengebrochen. Und schließlich war
es notwendig, Kundschafter südwärts zu schicken, um einen gangbaren Weg
zu suchen, denn es ist verkehrt, in unbekanntem Lande mit der ganzen
Karawane einfach draufloszugehen. Die Rekognoszierung wurde Mollah
Schah und Li Loje anvertraut, die nicht eher wiederkommen sollten, als
bis sie einen gangbaren Weg gefunden hätten.

Um 3 Uhr herrschte ein Sturm aus Westen mit Schnee und um 9 Uhr ein
Sturm aus Osten. Halb über ein Kohlenbecken gebeugt, sitze ich im
Pelz bei meiner Arbeit, und dabei befinden wir uns im Hochsommer, 24
Breitengrade südlich von Stockholm! Dafür beträgt die absolute Höhe
aber auch über 4000 Meter! Die Kamele sind zu bedauern, daß sie gerade,
nachdem sie ihre Wolle verloren haben, ganz nackt in ein so kaltes Land
haben hinaufziehen müssen; sie werden daher, so gut es geht, in die
enganschließenden dicken Filzmäntel gehüllt.

Der Rasttag fing mit wirbelndem Schneesturme an. Um die Mittagszeit
klärte es sich jedoch auf, so daß ich eine Breitenbestimmung ausführen
konnte, und dann taute der Schnee wieder auf. Abends kehrten die
Kundschafter zurück und erklärten den Weg nach Süden hin für gangbar;
es wurde beschlossen, früh aufzubrechen, die Esel im nächsten Lager
zu erwarten und für den nächsten Tagemarsch wieder Kundschafter
auszuschicken. Es ist nicht so leicht, durch Tibet zu reisen, wie
mancher vielleicht glaubt; es erfordert im Gegenteil außerordentlich
große Umsicht. Die Nachtkälte sank auf -13 Grad, und bei Tag stieg das
Quecksilber nicht viel über Null.

Den Fußspuren der Kundschafter folgend, zogen wir jetzt gen Süden. Das
schwächste Kamel durfte unbeladen gehen, blieb aber nichtsdestoweniger
schon zu Anfang des Marsches zurück und mußte mit einem Manne unterwegs
liegengelassen werden. Ein anderes, das alles, was Paßübergang hieß,
verabscheute, machte uns viele Beschwerde. Sobald es fand, daß es zu
steil bergan ging, blieb es einfach stehen, und ein Pferd mußte seine
Last übernehmen. Bergab ging es gut, doch unweit des Lagers weigerte es
sich, wieder aufzustehen und wurde mit einem Wächter zurückgelassen.

Das Terrain war hier günstig; nur ein Tal zwang uns, eine lange Strecke
ostwärts zu gehen. Über unzählige Bachbetten und die zwischen ihnen
liegenden Erhöhungen hinweg schlagen wir dann wieder eine südliche
Richtung ein und gelangen an das linke Ufer des größten Flusses, den
wir seit langer Zeit gesehen haben. Er ist wasserreich, und große
Eisschollen glänzen in seinem Bette. Auf einer Anhöhe, wo das erste
junge Gras dieses Jahres sproßte, wurde Halt kommandiert. Ich ging
bis an den Rand des Ufers und befand mich da über einem gähnenden
Abgrund mit meist völlig senkrechten Geröllwänden von 23,1 Meter Höhe.
Eine solche Stelle ist für die wenig überlegenden Kamele gefährlich.
Das lose Erdreich am Rande kann unter ihrem Gewichte nachgeben, und
die Tiere können dabei in die Tiefe stürzen. Sie wurden deshalb nach
einem sichereren Tale zurückgeführt. Turdu Bai bugsierte das zuletzt
zurückgelassene Kamel in das Lager. Am Abend stellte sich Dowlet mit 30
Eseln ein.

Auf diesem in jeder Beziehung für uns geeigneten Lagerplatze brachten
wir drei Tage zu. Sie waren sehr notwendig, um Ordnung in die Karawane
zu bringen. Noch sechs Esel gesellten sich mit ihren Lasten zu den
bereits eingetroffenen. Da die übrigen gar nichts von sich hören
ließen, sandte ich Tscherdon mit einigen Mauleseln und Pferden zurück,
um sich nach ihnen umzusehen und ihnen zu helfen; er kam erst am
dritten Tage mit dem Gepäck wieder. Von den Eseln waren an dem einen
Tage neun, am anderen dreizehn zusammengebrochen; nur ein paar waren
noch am Leben, aber auch nicht mehr brauchbar.

Die Kosaken beschäftigten sich mit Jagd, denn auch in dieser Beziehung
war die Gegend besonders günstig. Sie erlegten mehrere Orongoantilopen
und Gänse, welch letztere sich auf ihrer Rückreise nach Norden hier
ausruhten.

Sirkin und Mollah Schah sollten jetzt für die Führung einstehen und
nahmen für den Fall, daß sie auf dem nächsten Lagerplatze noch nicht
wieder zu uns stoßen würden, Pelze und Proviant mit. An diesem Tage,
14. Juni, war jedoch das Terrain gut; wir ritten das große, offene Tal,
das nur geringe Steigung hatte, hinauf. Nur ab und zu, im eigentlichen
Talgrunde, war der Boden gefährlich, und man mußte erst untersuchen, ob
er trug. Tschernoff war einmal drauf und dran zu versinken und konnte
sein Pferd nur mit Mühe retten. Wildgänse sind überall zu sehen. Die
Leute glaubten bestimmt zu wissen, daß es die Art war, die nicht weiter
als bis an den oberen Kum-köll geht.

Einer der Kosaken schoß ein paar von ihnen. Wir befanden uns da noch
oben auf der Terrasse, und die verwundeten Gänse flatterten unten
auf dem Boden des Tales. Ördek stürzte sich mit bewunderungswürdiger
Gewandtheit den Abhang hinunter und bemächtigte sich ihrer. Er hatte
sich dabei jedoch zuviel zugemutet und wurde hinterdrein vor Atemnot
und Herzklopfen beinahe ohnmächtig. Nachdem er die Gänse getötet hatte,
blieb er eine Zeitlang auf dem Rücken liegen; ich schickte einige Leute
zu ihm hinunter. Nach einer Stunde war er jedoch wieder ebenso munter
wie vorher. Schagdur schoß drei Rebhühner, und eine Strecke weiter
wurde eine Orongoantilope entdeckt, die Sirkin im Vorbeireiten erlegt
hatte (Abb. 232.) Auf diese Weise vergrößerte sich der Proviantvorrat.
Kulane waren besonders zahlreich vertreten und zeigten sich in Herden
von etwa 20 Tieren. Von wilden Yaken sahen wir nur Fährten und Dung,
aber auch letzterer war wertvoll, und auf jedem Marsche wurden ein paar
große Säcke damit gefüllt, um unseren Brennstoffvorrat zu vermehren.

Beim dumpfen Geläute der großen Glocken schreitet die Karawane in der
gewöhnlichen Zugordnung langsam vorwärts. Vor uns erhebt sich eine
mächtige Bergkette; wir schlagen den Weg nach einer ihrer Talmündungen
ein. Hier wuchs niedriges, dichtes Gras, und eine große, dicke Eistafel
füllte das Bergtor aus. Der Platz eignete sich viel zu gut für das
Lager, als daß wir daran hätten vorbeigehen können (Abb. 234).

Die Zelte waren kaum aufgeschlagen, als sich eine unerwartete Episode
zutrug. Wir hatten die große Eismasse dicht neben uns; jenseits
derselben sah man einen schwarzen Gegenstand, den die Männer für einen
Stein hielten. Als er aber anfing sich zu bewegen, meinten sie, es sei
ein im Stiche gelassener Yak. Ich hörte, daß in der Jurte der Kosaken
eifrig leise gesprochen wurde, und dann kam Tschernoff mit dem Fernglas
zu mir geschlichen und flüsterte, vor Aufregung und Jagdeifer glühend:
„Ein Bär geht gerade auf das Lager los!“ Und richtig, ohne von den
Zelten und den dicht dabei weidenden Kamelen die geringste Notiz zu
nehmen, spazierte der Petz weiter, als gehöre er zur Gesellschaft.
Schnell wurden alle Hunde gekoppelt und hinter einen Hügel gebracht,
damit sie die Jagd nicht störten. Die Kosaken wollten sogleich zu Pferd
steigen und den ungebetenen Gast empfangen, denn sie glaubten, daß er
uns bald wittern und dann die Flucht ergreifen würde, aber ich riet
ihnen nur ruhig zu warten; es machte mir zuviel Spaß, die Bewegungen
des Tiers durch das Fernglas zu beobachten.

Der zottige Einsiedler muß blind und taub gewesen sein, denn er
trottete ruhig weiter. Jetzt war er an der Eistafel, kaum 200
Schritt von uns; er betrat sie und überschritt sie diagonal, immer
gerade auf unser Lager zu. Sein Gang war außerordentlich langsam,
er war entschieden müde. Manchmal blieb er stehen, um das Eis zu
beschnüffeln, und den Kopf hielt er die ganze Zeit gesenkt. Dann
verschwand er in einer Vertiefung des Eises, wo er sich eine Weile
aufhielt, um zu saufen. Jetzt riet ich den Schützen, sich nach dem
Eisrande zu schleichen und ihn dort mit gespanntem Hahne zu erwarten.

Darauf ging er seinen ruhigen Gang weiter, gerade in den Rachen des
Todes hinein. Die drei Schüsse krachten so gleichzeitig, daß sie wie
ein einziger klangen. Der Petz drehte sich nicht um, sondern eilte im
Galopp am Lager vorbei und den nächsten Abhang hinauf. Pferde standen
schon bereit, im Nu waren die Schützen im Sattel und hinter drein,
eine neue Salve ertönte, und wie ein Ball rollte die Bestie den Abhang
herunter.

Ich begab mich mit dem großen photographischen Apparate dorthin und
machte ein paar Aufnahmen von dem Eremiten der öden Gebirge, dem
tibetischen Bären (Abb. 233). Dann wurde er abgehäutet, das Fell und
das Knochengerüst sollten aufgehoben werden. Sein Inneres war von den
Kugeln ganz zerrissen. Es war ein uraltes Männchen; in den Zähnen, die
es noch besaß, gähnten große Löcher; der arme Petz muß entsetzlich
an Zahnweh gelitten haben, bis er auf diese radikale Weise kuriert
wurde. Der Magen enthielt ein kürzlich verzehrtes Murmeltier und
einige Kräuter. Ersteres hatte der Bär mit Haut und Haar verzehrt, die
Knochen hatte er aber mit seinen schlechten Zähnen nicht durchzubeißen
vermocht. Er hatte es jedoch recht pfiffig angefangen, um das Gericht
so schmackhaft wie nur möglich zu machen. Er hatte nämlich das
Murmeltier erst bis auf die Zehenspitzen abgezogen, dann das Fell mit
den Haaren nach innen in einen Ball zusammengerollt und darauf diese
Kugel ganz hinuntergeschluckt. Der Arme! Seine einsame Wanderung nahm
ein Ende mit Schrecken. Aber warum mußte er sich auch gerade nach dem
einzigen Fleckchen innerhalb eines Umkreises von Hunderten von Meilen
begeben, wo Menschen mit ihren Flinten auf ihn lauerten?

Am nächsten Tage kamen Sirkin und Mollah Schah wieder und sagten für
zwei weitere Tagemärsche gut. Am 16. Juni wären wir aufgebrochen, wenn
ich nicht mit der Nachricht geweckt worden wäre, daß ein sehr heftiger
Schneesturm herrsche; es hatte die ganze Nacht geschneit, und der
Schnee lag 10 Zentimeter hoch. Wir warteten daher besseres Wetter ab,
und da das Schneetreiben den ganzen Tag anhielt, blieben wir noch eine
Nacht hier. Förmliche Schneewehen häuften sich um die Zelte an, und von
den Filzdecken tropfte es in meine Jurte, denn die Temperatur blieb ein
wenig über Null, und die Jurte wurde durch das Kohlenbecken nur schwach
erwärmt.

Der 17. Juni brachte uns um so schöneres Wetter; der Himmel war rein,
und die Sonne bereitete der Schneedecke bald ein Ende. Es ging durch
ein ziemlich breites, wasserloses Tal immer höher nach dem Arka-tag
hinauf. Sirkin diente jetzt als Wegweiser. Als wir endlich an eine
kleine Quelle gelangten, mußten wir rasten, um Wasser zum Abend
zu haben. Der Graswuchs hatte aufgehört, nur hier und da wucherte
saftiges, grünes Moos. Abends erhob sich ein heftiges Schneegestöber
mit Nordnordwestwind; alle Jurten bedeckten sich mit weißen Kuppeln,
die dazu beitrugen, das Innere nachts warm zu halten, und der Schnee
knirschte unter den Fußschwielen der Kamele.

Noch waren wir nicht bis zu dem Punkte gelangt, bis zu welchem
Sirkin rekognosziert hatte, und wir konnten also am nächsten Morgen
weiterziehen, ohne unpassierbares Terrain befürchten zu müssen. Nach
einer guten Weile erreichten wir endlich auf einem bequemen, flachen
Passe den Kamm der Kette, die uns in den letzten Tagen die freie
Aussicht nach Süden versperrt hatte. Von hier aus zeigte sich auf
einmal die Möglichkeit für eine gute Tagereise nach Süden. Im Südwesten
aber erhob sich eine vom Scheitel bis zur Sohle in Schnee gehüllte
Bergkette, die nur unser alter Feind, der Arka-tag, sein konnte.
Zwischen den beiden Bergketten, aber der, auf welcher wir uns befanden,
näher liegend, dehnte sich ein abflußloses Becken aus, dessen Mitte
ein kleiner, vollständig zugefrorener Süßwassersee bildete. Die Weide
an seinen Ufern lud um so mehr zum Rasten ein, als wir jetzt wieder
Kundschafter ausschicken mußten. Am nächsten Morgen in aller Frühe
sollten drei Mann sich aufmachen. Entdeckten sie nach einem Ritte von
10 Kilometer Gras, so sollten sie alle zurückkehren, fanden sie aber
keines, so sollte einer von ihnen uns Bescheid bringen und die anderen
weiterreiten. Einer der Kundschafter kam mittags wieder, aber auf die
beiden anderen mußten wir zwei volle Tage warten, worauf sie endlich
mit der Nachricht heimkehrten, daß sie einen Paß entdeckt hätten, der
allerdings nicht allzu bequem sei.

[Illustration: 222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai. (S. 91.)

Links Sirkin auf den Reissäcken, Turdu Bai vor dem Dromedar.]

[Illustration: 223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“ mit dem „Tiger“ an
der Leine. (S. 96.)]

[Illustration: 224. Der Tag vor dem Aufbruch aus Tscharchlik. (S. 93.)]

In diesem Lager, Nr. 18 (4733 Meter), wurde ein bedeutendes Kontingent
unserer Gesellschaft entlassen. Die noch lebenden Esel waren in so
jämmerlicher Verfassung, daß es barbarisch gewesen wäre, sie mit
über den Arka-tag zu nehmen. Dowlet Karawan-baschi erhielt daher die
Erlaubnis, zu retten, was sich noch retten ließe, und mit seinen
fünf Eseltreibern wieder nach Norden zu ziehen. Im besten Falle wird
eine geringe Zahl der Esel die Heimreise überlebt haben, aber der
Alte hatte auch einige Pferde, die noch in gutem Zustande waren. Die
Skelette und die Felle des Hirsches und des Bären wurden eingepackt,
und Dowlet erhielt den Auftrag, sie mitzunehmen und nach Kaschgar
zu schicken, wo ich sie ein Jahr später unversehrt vorfand. Ein
gutes Geschäft machte er bei seinem Eseltransporte nicht, aber die
Miete für die einzelnen Esel war so reichlich bemessen, daß er
wenigstens den Wert der Tiere wiederbekam. Desgleichen wurden drei von
unseren in Tscharchlik angestellten Dienern, Nias, Kader und Kurban,
verabschiedet. Umkehren wollte keiner, aber da wir drei Männer gut
entbehren konnten, wurden diejenigen ausgesucht, die sich bisher als
die am wenigsten tüchtigen erwiesen hatten.

So dezimiert, setzten wir am 21. Juni die Reise nach Südsüdwesten
fort, immer höher werdenden Regionen entgegen, auf vortrefflichem,
langsam aufsteigendem Terrain von ungefähr der richtigen Härte und
mit spärlichem Graswuchs. Wenn ich von Gras rede, darf sich der Leser
keinen übertriebenen Hoffnungen für die Tiere hingeben. Die Gegend
ist für gewöhnlich absolut steril, und wenn man gelegentlich kleine
Flecke mit strohgelben, harten, scharfen, wenige Zentimeter hohen
Halmen findet, nennt man dies Gras. Man tut gut, sich nicht allzuleicht
bekleidet auf einem Hügel, wo solches „Gras“ wächst, auszuruhen, denn
es ist hart wie Knochen und sticht wie scharfe Nadeln sogar durch
ziemlich dicke Stoffe. So ist es mit der einzigen Nahrung bestellt, die
sich unseren Tieren in diesem unwirtlichen Lande darbietet!

Der Zug schreitet ein ziemlich großes, breites Flußtal hinauf, das
von den Schneebergen des Arka-tag, die sich uns als hindernde Mauer
in den Weg stellen, herabführt. Wieder galt es, diese mörderischen
Verschanzungen zu erstürmen; der Sturm gelingt, aber nicht ohne
Verluste.

Zwei Antilopen fielen unter Schagdurs und Sirkins Kugeln. Als
letzterer in vollem Galopp zu seiner Beute ritt, stürzte sein Pferd
und überschlug sich; der Reiter wurde über den Kopf weggeschleudert
und rollte auf dem Boden, das Pferd aber blieb tot liegen, sei es, daß
es das Genick gebrochen hatte oder daß es vom Schlage gerührt worden
war. Sirkin kam zu Fuß nach und besorgte sich bald ein neues, obwohl
schlechteres Pferd; das tote, ein sehr schönes, kräftiges Tier, war
sein besonderer Liebling gewesen.

Das Kamel, das die Paßerkletterungen verabscheute, kam auch heute nicht
mit. Turdu Bai blieb bei ihm, traf aber abends allein im Lager ein. Am
Morgen gingen ein paar Männer zu dem Kamele zurück, mit dem Auftrag,
es totzustechen, wenn es ihnen nicht folgen wolle. Erst jenseits des
Arka-tag erfuhr ich, daß sie es nicht hatten übers Herz bringen können,
das Tier zu töten; es sei ganz gesund gewesen und werde sich sicher
in der Spur der Karawane in seine Heimat zurückzufinden wissen. Nur
zum Hinaufziehen nach noch viel höher gelegenen Gegenden habe es sich
durchaus nicht bewegen lassen wollen!

Mein altes Reitkamel, Tschong Artan, wurde im Lager Nr. 19 von einem
sonderbaren Übel ergriffen. Seine Hinterbeine waren wie gelähmt, und
es konnte nur gehen, wenn ihm zwei Männer je eines der Beine aufhoben.
Es tat mir stets weh, die Veteranen, die mich von Anfang an begleitet
hatten, verlieren zu müssen, und sie wurden daher ganz besonders
sorgfältig gepflegt. Schon jetzt hatten wir neun Kamele, die deutliche
Anzeichen von Erschöpfung zeigten. Jedes von ihnen erhielt allabendlich
ein großes rundes Weizenbrot. Mit diesem wichtigen Proviantartikel
gingen wir eine Zeitlang sehr wenig haushälterisch um, und der auf neun
Monate berechnete Vorrat reichte kaum für sechs aus. Aber die Last
war für die jetzt schon zusammengeschrumpfte Karawane viel zu schwer
und mußte um jeden Preis erleichtert werden. Lieber fütterten wir die
Kamele tüchtig, als daß wir etwas unterwegs im Stiche gelassen hätten.

Der neue Patient wurde massiert und auf dem Marsche über den Arka-tag
von seiner Last befreit. Das Tier erholte sich erstaunlich gut und war,
wie ich schon erwähnt habe, eines der neun überlebenden Kamele, die
Ladak erreichten. Es ging stets an der Spitze der Karawane und trug
eine große Glocke.

Auf dem Tagemarsche nach dem neunzehnten Lagerplatze -- von Tscharchlik
gerechnet -- hatten wir 32,3 Kilometer zurückgelegt. Es sollte lange
dauern, ehe wir wieder imstande waren, einen so langen Weg ohne
Unterbrechung zu machen.



Elftes Kapitel.

In Schneesturm über den Arka-tag.


Am 22. Juni wurde ich in aller Frühe geweckt. Obwohl der Morgen kalt
und unfreundlich und die Jurte nur schwach erwärmt war, ging es
mit dem Ankleiden gut, und es dauerte nicht länger als gewöhnlich,
bis die Karawane marschfertig war. Heute, da das Erstürmen der
Höhen des Arka-tag versucht werden mußte, sollte die ganze Karawane
beisammenbleiben. Der Himmel sah nicht sehr verheißungsvoll aus, als
der lange Zug sich langsam nach dem Passe hinauf zu bewegen begann.

Kaum einen Steinwurf vom Lager entfernt, legte sich eines der schwachen
Kamele nieder. Die Last wurde ihm abgenommen, es stand auf und ging
noch eine Strecke weit, sank dann aber kraftlos an einem Abhange nieder
und war offenbar verloren. Mit einem Schnitte öffnete das Messer den
Abfluß für einen schwarzen dicken Blutstrahl, der allmählich ein höchst
eigentümliches Aussehen annahm. Stoßweise kam aus der Wunde weißer,
Schlagsahne gleichender Schaum, unter diesem aber bildete das Blut ein
Bächlein. Das Kamel lag ganz still und schien sich über die Erlösung zu
freuen. --

Weiter ging es, das ziemlich wasserreiche Tal hinauf. Jetzt brach eines
der fürchterlichsten Unwetter los, das ich je in Tibet erlebt habe.
Es kam mit nordwestlichem Winde heran und schüttete Massen von Schnee
und Hagel über uns aus. Der Schnee taute auf den Kleidern auf, und
man wurde durch und durch naß; man wurde steif vor Kälte und suchte
sich vergebens gegen den schneidenden Wind zu schützen. Die Steigung
war unbedeutend, aber auf dieser Höhe und bei diesem Wetter dennoch
vernichtend. Ein Kamel nach dem anderen blieb erschöpft stehen und
wollte keinen Schritt weiter; sie wurden abgekoppelt und mit einem
Wächter zurückgelassen. Zwei ließen wir mit ihren Lasten liegen, um sie
später zu holen, den anderen mußten die Pferde tragen helfen.

Bei dem undurchdringlichen Schneegestöber sieht man von der Gegend
keine Spur. Als die Sonne auf ihrer Mittagshöhe stand, herrschte
Halbdunkel, und es schneite ununterbrochen. Der Schnee deckt alles zu,
nur der Fluß bildet ein dunkles, gewundenes Band, und sein Rauschen
klingt metallisch in der verdünnten Luft. Ich beuge mich vornüber im
Sattel, um mein Kartenblatt, das schon durchnäßt ist, zu retten. Wohin
es geht und wie es geht, weiß ich nicht; ich folge nur der nächsten
Karawanenglocke. Langsam wie Schnecken kriechen wir nach diesem
unheimlichen Passe hinauf, während der Weg allmählich immer steiler
wird. Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein Brüllen die Luft, und es
erschallt der Ruf: „Tuga kalldi“ (ein Kamel ist stehengeblieben). Ein
Mann erbarmt sich des müden Tiers und führt es langsam den anderen
nach; bald ist er uns aus den Augen entschwunden.

Die Schneedecke wurde immer höher. Ich ritt mit dem Lama voran, um
zu sehen, ob der Paß überhaupt den Übergang gestattete. An und für
sich war er nicht schwer zu überschreiten; aber die große absolute
Höhe und der Schnee! In unsere Mäntel gehüllt, saßen wir, auf die
anderen wartend, auf dem Passe und suchten den Schutz, den uns die
Pferde gewähren konnten. Der Sturm schlägt uns mit seinen feinen,
scharfen Schneenadeln ins Gesicht; man zittert vor Kälte und ringt
nach Luft auf dieser Höhe von 5189 Meter! Wir hörten das schwermütige
Läuten der Glocken und das Rufen der Leute durch das hier oben mit
verdoppelter Kraft rasende Unwetter, aber es dauerte lange, bis die
ersten Ankommenden, Gespenstern gleich, zwischen wahren Wolkensäulen
von wirbelndem Schnee erschienen.

Gott sei Dank, dachte ich, als ich wenigstens 30 von den 34 Kamelen,
die es nach meiner Rechnung sein mußten, gezählt hatte. Zwei waren
nicht mehr bis an den letzten Paßabhang gekommen, zwei waren dicht
vor dem Passe zusammengebrochen. Unter den fehlenden waren auch das
älteste Junge und seine Mutter; immerhin war es noch ein Glück, daß
sie miteinander in den Tod gingen. Die Pferde bestanden die Probe ohne
Schwierigkeit, und den Mauleseln machte es gar nichts aus. Sogar die
Schafe fanden sich gut damit ab.

Die Südseite des Arka-tag dachte sich sehr allmählich ab, und wir
durchschritten hier einen großen, offenen Kessel, der auf allen Seiten
von verhältnismäßig niedrigen Bergen umgeben war. Das Erdreich aber war
abscheulich. Der frischgefallene Schnee hatte sich in Schneeschlamm
verwandelt, der bei jedem Schritt klatschte und den Fuß förmlich
festsog. Große Umwege wurden gemacht, um die tückischsten Stellen zu
umgehen. Es ist gar nicht daran zu denken, in solch einer Suppe zu
lagern; Kamele und Kisten würden einsinken und so fest im Schlamme
stecken, daß man sie überhaupt nicht wieder herausbekäme.

Noch als die Dämmerung schon einbrach, waren diese unheimlichen
weißgekleideten Bergrücken Zeugen unseres mühevollen Zuges. Wir suchten
jetzt nur nach einem trockenen Flecke, auf dem unser Lager Platz finden
konnte; an Weide und Brennholz dachte keiner, das wäre zuviel verlangt
gewesen. Endlich erreichten wir einen Kiesabhang, der die Nässe
einsickern ließ; hier wurde gelagert.

Turdu Bai und mehrere der Leute fehlten noch und kamen erst gegen 10
Uhr an, nachdem sie die vier Kamele im Stiche gelassen hatten. Doch
am 23. Juni kehrten sie bei Tagesanbruch mit einigen Pferden wieder
zu ihnen zurück, um zu versuchen, ob sie sich nicht retten ließen,
oder um wenigstens ihre Lasten und das Stroh der Packsättel zu bergen.
Leider war es mit dieser Hoffnung nichts; die Tiere waren nicht mehr
zu retten und mußten getötet werden. Wir verlassen sie nie, bevor es
ganz feststeht, daß es mit ihnen zu Ende geht, und dann befreit sie
das Messer von ihren Leiden. Ein warmer Blutstrahl schmilzt den Schnee
zwischen den Steinen, auf denen ihr Gebein bleichen wird. Eines der
Kamele war schon verendet und lag kalt und steif im Tale.

An diesem einen Tage hatten wir also fünf Kamele verloren, der größte
Verlust an Tieren, den ich je erlitten habe, nicht einmal die Wüste
Takla-makan ausgenommen! Die Kerntruppe der Karawane hatte sich um ein
Siebentel verkleinert, und die Lasten werden jetzt den überlebenden
Tieren zu schwer werden. Ich ließ diese Mehl und Mais fressen, soviel
sie nur konnten, und auch die Pferde durften nach Herzenslust fressen.
Wir legten nur noch 11 Kilometer zurück. Die Hauptsache war jetzt,
einen leidlichen Lagerplatz zu finden, wo wir die Tiere nach ihren
Strapazen aufatmen lassen konnten. Als wir daher über eine kleine
Wasserscheide mit zwei zugefrorenen kleinen Seen gegangen waren und
südlich davon am Ufer eines Baches einige kümmerliche Grasbüschel
fanden, machten wir Halt. Einer von den übrigen Todeskandidaten
unter unseren Kamelen kam nur noch mit Mühe bis an diesen Platz.
Eins der Pferde, das fett und gesund aussah, starb ganz plötzlich
im Lager. Jetzt begann der Abschnitt der Reise, währenddessen kaum
ein Tag verging, ohne daß wir ein Grab hinter uns zurückließen. Von
den Skeletten geführt, könnte man dem Wege der Karawane folgen; ein
trauriger Weg, dessen Meilensteine Gerippe sind! Die Kamele pflegen,
wie ich oft gesehen habe, zu weinen, wenn sie den Tod herannahen fühlen
und das Blut in ihren Adern zu erstarren beginnt.

Jetzt durften wir uns endlich guten Wetters erfreuen. Die Sonne schien
ordentlich warm, und alles trocknete von der Nässe auf dem Arka-tag.
Hierdurch verringert sich das Gewicht der Lasten nicht wenig. Der
Morgen des Johannistages war klar, aber vollständig winterlich.
Sobald ich mein Frühstück und meinen heißen Tee erhalten hatte,
inspizierte ich die Karawane. Heute wurde gemeldet, daß Hamra Kul,
der Pferdeaufseher, ernstlich erkrankt sei. Er saß in seinem Zelte,
sah elend aus und hatte überall Schmerzen; er erhielt Chinin und ein
Reitpferd. Den Tag vorher hatten nämlich alle Muselmänner zu Fuß gehen
müssen, weil die Pferde für die Lasten der gefallenen Kamele gebraucht
wurden.

Dann ging es zu meinem prächtigen Reitpferd, das kaum auf seinen
zitternden Beinen stehen konnte. Der Lama, der neben seiner
Priesterwürde auch Arzt von Beruf war und eine ganze Kiste mehr oder
weniger wirksamer Drogen aus Lhasa bei sich hatte, nahm sich seiner an
und wollte dafür einstehen, daß er wieder Leben in das Tier bringen
würde. Er öffnete ihm an beiden Vorderfüßen die Adern, so daß das
dunkle Blut herausströmte. Dann verband er die Wunden, und das Pferd
folgte uns mit stolpernden Schritten und erreichte abends das Lager.
Mehrere Kamele waren elend, alle waren erschöpft, und einige gingen
ohne Lasten. Man fühlt, daß der Tod die Karawane begleitet, sich seine
Opfer auswählt und sie niederstreckt, und man fragt sich nur, an wen
das nächste Mal die Reihe kommen wird. Die Hoffnung, in einigen Wochen
wieder in günstigere, wärmere, grasreichere Gegenden zu gelangen, hielt
uns jedoch aufrecht.

Der Johannistag verlief übrigens noch glücklich genug. Das Terrain
legte uns keine Hindernisse in den Weg, und wir marschierten südwärts
in einer Zickzacklinie, um die zahllosen kleinen Süßwasserseen und
Tümpel, die das Hügelland kennzeichnen, zu umgehen. Die Seen sind
gewöhnlich zugefroren. Dann aber erhob sich vor uns wieder eine nicht
unbedeutende Kette, die bisher von den Hügeln verdeckt worden war.
Turdu Bai, der stets an der Spitze ritt, wollte sie auf dem ersten
besten Passe überschreiten, ich zog es aber vor, nach Westnordwesten in
ein mächtiges Tal hineinzugehen, das sich in dieser Richtung hinzog.
Beim ersten Weideplatz schlugen wir unser Quartier für die Nacht auf
und wurden dabei mit einem schmetternden Hagelschauer traktiert.

Die erste Sorge im Lager ist das Untersuchen und Gruppieren der Tiere.
Die gesunden dürfen frei umherlaufen, die schwachen müssen bei den
Zelten bleiben. Der Lama ließ meinem Reitpferd noch einmal zur Ader
und gab ihm darauf ein langdauerndes, eiskaltes Fußbad im nächsten
Bache. Diese „Pferdekur“ muß doch heilsam gewesen sein, denn das
Tier wurde sichtlich besser, graste eine Weile mit gutem Appetit und
knabberte dann seine Maiskörner, wobei ihm die Augen vor Freude und
Wohlbehagen leuchteten. Da wir sechs ganze Kamellasten Reis hatten,
wurde beschlossen, unter den Mais für die Tiere künftig auch Reis zu
mengen, um ihre Kräfte dadurch zu stärken und aufrechtzuerhalten, bis
wir Gegenden mit frischem grünem Grase erreichten, und auch um die
Lasten zu erleichtern. So verging dieser Johannistag glücklich und gut
und ohne Verlust eines einzigen Lebens.

Ich war jetzt gerade zwei Jahre unterwegs und konnte dankbar und
befriedigt auf die ausgeführte Arbeit zurückblicken.

25. Juni. Jetzt haben wir lange kein Brennmaterial gefunden, und die
Saumleitern sind in demselben Verhältnis draufgegangen wie die Kamele.
Ohne ein kleines Kohlenbecken in meinem Zelte kann ich nicht arbeiten.
Die Morgen sind recht kalt, und die Nachttemperatur sinkt gewöhnlich
unter Null herab, so daß die Erde ein paar Stunden gefroren bleibt,
dann taut sie wieder auf.

Unsere Richtung führt jetzt fast ganz nach Westen, denn wir folgen noch
immer dem Längentale, das mit dem Südfuße des Arka-tag parallel läuft.
Wir legten nur 19,1 Kilometer zurück. Mein erstes Ziel ist der See, an
dem wir am 28. und 29. September 1900 gelagert und bei dem ich damals
eine astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, an die ich jetzt die
neue Observationskette anknüpfen wollte.

Der Marsch war einförmig, wie er es in diesen breiten, leblosen,
sterilen Haupttälern zu sein pflegt, wo eine Tierfährte eine
außerordentliche Seltenheit ist. Es erweckte förmliches Aufsehen, als
wir einmal entdeckten, daß eine Orongoantilope quer durch das Tal
gelaufen war. Das Terrain ist stark wellenförmig, und die Aussicht nach
vornhin erstreckt sich nicht sehr weit. Man geht einem die Aussicht
versperrenden Landrücken entgegen, auf welchem der Führer und sein
Pferd sich wie ein scharfer Schattenriß vom Himmel abheben, und man
glaubt und hofft, daß der Mann dort ein endloses Panorama überblicken
könne; doch man irrt sich, denn von dem Hügel sieht man nur ganz in der
Nähe wieder einen solchen Landrücken. So geht es den ganzen Tag, bis
wir endlich an einem ganz kleinen See rasten. Seine Fläche ist mit Eis
bedeckt, an den Ufern aber ist offenes Wasser.

In der Dämmerung inspiziere ich wieder das Lager. Jetzt kommt es nie
mehr vor, daß sich alle wohl fühlen. Hamra Kul ist wieder gesund, dafür
aber hat jetzt Rosi Mollah, der Priester, Rachenkatarrh, und der alte
Kameltreiber Muhammed Turdu klagt über Brustschmerzen. Beide bekommen
Medizin, die dank ihrer eigenen Einbildungskraft auch hilft, und sind
von allen Arbeiten befreit, bis sie wieder gesund sind. Mehrere von den
anderen klagen über Kopfweh, weshalb sie je ein Antipyrinpulver nehmen
müssen und damit getröstet werden, daß in diesen höheren Regionen
niemand einem Anfalle von Bergkrankheit (Tutek) entgehen könne; ich
selbst fühle jedoch keine Spur davon.

Mein Pferd ist entschieden außer jeder Gefahr, wird aber bis auf
weiteres noch nicht zur Arbeit benutzt. Mehrere Kamele sind jämmerlich
mager. Die zwei kleinen Füllen saugen und zerren an den Eutern ihrer
Mütter, werden aber bei weitem nicht satt. Darum haben sie Weizensemmel
fressen lernen müssen, die sie delikat finden und hinunterschlucken,
aber man muß sie ihnen auch ins Maul stecken!

26. Juni. Heute herrschte ein höchst eigentümliches Wetter. Der Morgen
war strahlend schön und die Luft sommerlich warm, aber schon früh
erhob sich ein so außerordentlich heftiger Westwind, daß wir, die wir
ihm gerade entgegenritten, nach Atem rangen und uns möglichst hinter
denjenigen Kamelen hielten, die die höchsten Lasten trugen. Sich durch
einen solchen Sturm durchzuarbeiten, strengt die Tiere, die es in
der verdünnten Luft schon ohnehin schwer genug haben, noch mehr an.
Man kann hier von einem Westpassate reden, so beständig scheint die
Windrichtung zu sein. Als wir endlich unser Lager Nr. 61 vom vorigen
Herbste erreichten, herrschte dort derselbe heftige Wind wie damals;
Sand und Staub wirbelten in der Luft, und Zelte und Jurten drohten,
zerfetzt und von den unglaublich gewaltsamen Windstößen fortgeweht zu
werden.

Das heutige Lager, Nr. 24, fällt mit Nr. 61 vom vorigen Jahre
zusammen, und ich gewann einen unschätzbaren Kontrollpunkt für die
Karte. Von unserem früheren Besuche zeugten nur noch von den Feuern
übriggebliebene Kohlen- und Aschespuren. Wir lagerten auf derselben
Stelle am linken Ufer des kleinen Baches.

Der größere Teil des Sees war noch mit einer porösen Eisschicht
bedeckt. Erst Mitte Juli wird der See wieder offen sein, aber nur,
um Anfang November von neuem zuzufrieren. Die Eisverhältnisse sind
natürlich bei den verschiedenen Seen sehr verschieden und richten sich
nach dem Salzgehalt, der Größe und der mehr oder weniger geschützten
Lage der Seen. Die kleinen Süßwassertümpel in der Nähe des Arka-tag
sind den größten Teil des Jahres über zugefroren.

Heute herrschte jedoch Sommerwetter, und um 1 Uhr stieg die Temperatur
trotz des heftigen Windes beinahe auf +20°. Es war ein warmer
Luftstrom, ein richtiger Föhn, der über diese kalten, hohen Regionen
hinfuhr; ein Sommerwind über einen zugefrorenen See.

[Illustration: 225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai. (S. 105.)]

[Illustration: 226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen
Durchbruchsbiegung. (S. 105.)]

Während des Rasttages, den wir hier verlebten, hatte ich
glücklicherweise Gelegenheit, eine Ortsbestimmung zu machen. Sirkin
und Turdu Bai rekognoszierten das Land nach Westen hin und fanden dort
keine Hindernisse auf unserem Wege. Um diesen wichtigen Knotenpunkt
zu fixieren und deutlich zu bezeichnen, errichteten die Kosaken
einen doppelten Steinhaufen von Schieferplatten, in welche Sirkin
und Schagdur ihren Namen einmeißelten, während der Lama sein ewiges
„Om mani padme hum“ in eine große Scheibe einritzte (Abb. 235).
Dieser Obo steht auf einem Hügel am rechten Ufer und ist leicht zu
finden, wenn später einmal ein Reisender seine Schritte nach dieser
Gegend lenken sollte. Meine Karte ist überdies so detailliert, daß man
mit ihrer Hilfe auf unseren Lagerplatz direkt wird zugehen können.
Die Muselmänner wollten auch nicht zurückstehen und errichteten ihre
eigene Steinpyramide; ein gewisser Ehrgeiz trieb sie an, diese höher
aufzutürmen, als der „heidnische“ Obo war.

Am 28. Juni zogen wir längs des Ufers weiter. Es war wirklich
herzerquickend, daß man heute nicht nötig hatte, die Kamele steile
Abhänge hinaufkeuchen zu sehen; sie gingen ruhig auf dem festen ebenen
Kiesufer. Im Südwesten kamen wir an noch einen See, dessen Ostufer uns
zwang, nach Südosten abzubiegen. Meine Absicht war jetzt, noch eine
Zeitlang möglichst nach Südwesten zu ziehen, um die schwer passierbaren
Berggegenden, die wir von der vorjährigen Reise her kannten, zu
vermeiden.

Der neue See, an dessen Ufer das Lager Nr. 25 aufgeschlagen wurde, war
ebenfalls mit ziemlich dickem Eise bedeckt.

Am 29. Juni marschierten wir ganze 27 Kilometer. Anfangs ging es nach
einem niedrigen Passe hinauf, der, wie die ganze Gegend, schneefrei
war. Von hier hatten wir nach Süden hin die herrlichste Aussicht über
ein neues, breites und flaches Längental, das sich in ostwestlicher
Richtung hinzog und reich an Seen war. Der größte von diesen lag im
Südwesten; daß er salzig war, konnten wir daraus schließen, daß er
völlig eisfrei war. Auf seinem Südufer erhoben sich feuerrote, weich
abgerundete Hügel, deren grelle Farbe sich ebenso scharf von der sonst
einförmig grauen Landschaft abhob wie der herrliche, rein marineblaue
Wasserspiegel des Sees. Im Südosten und Süden zeigten sich drei
dominierende Schneegipfel.

Jetzt handelte es sich nur darum, Wasser zu finden. In dem nach dem
See hinunterführenden Tale floß ein Bach, der aber salzig war, und
auf dem Westufer des Sees gab es keine Quellen. Eine Strecke weiter
entdeckte Schagdur, der vorausritt, einen Fluß, an dem wir inmitten
kärglicher Weide rasteten. Wie meistens in den offenen Tälern machte
sich der Westpassat mit aller Kraft geltend. Ein Blatt aus meinem
Notizbuche löste sich und flatterte im Winde dem nahegelegenen See zu,
aber der Lama setzte sein Pferd in scharfen Trab und fing das Blatt im
letzten Augenblicke noch glücklich auf. Bei Sonnenuntergang herrschte
vollkommene Windstille; aber um 8 Uhr tobte ein Nordsturm von 17 Meter
Geschwindigkeit in der Sekunde! Sein klagendes Geheul übertönte alle
anderen Laute und wurde nur gelegentlich von dem Geschrei der Männer
durchdrungen, wenn sich etwas gelöst hatte und fortfliegen wollte.

Erst gegen Morgen legte sich der Sturm, und der neue Tag brach klar und
schön an, obwohl der Passat noch ununterbrochen aus Südwest wehte. Ohne
allzu große Anstrengungen überwanden wir die Höhen, die sich auf der
Südseite des Sees hinziehen, und ich brauchte kein schwarzes Kreuz in
den Kalender zu zeichnen. Der Marsch war freilich recht beschwerlich,
denn wir mußten über drei Pässe, ehe wir wieder an fließendes Wasser
gelangten, in dem wir rasch den Oberlauf desselben Flusses, an welchem
wir zuletzt gerastet hatten, erkannten. Hätten wir hiervon eine Ahnung
gehabt, so hätten wir uns natürlich die Pässe geschenkt und wären in
dem harten Bette, in dem es sich vorzüglich marschierte, weitergezogen.
Doch es sind ja unbekannte Teile der Erdrinde, die wir durchziehen, und
dies ist gerade das Einzigschöne an der ganzen Reise.

Am 1. Juli gingen wir 27½Kilometer nach Süden. Ich hatte allen
Grund zu vermuten, daß, wie unser Schicksal sich auch gestalten würde,
mit diesem Tage ein ereignisreiches Halbjahr beginnen werde. Auf
unserem Wege erhob sich eine gewaltige Bergkette, deren höchste Partie,
die mit einer ewigen, eisartig glänzenden Schneehaube bedeckt war, auf
einer von beiden Seiten umgangen werden mußte. Tschernoff, der die
westliche untersucht hatte, kam uns auf halbem Wege mit der Nachricht
entgegen, daß dieser Weg für die Kamele unmöglich sei. Tscherdon und
der Lama hatten auf der Ostseite mehr Glück gehabt, bereiteten uns aber
auf einen schweren Übergang vor.

In langsamem Tempo schritt die Karawane nach der schwindelnden Höhe
hinauf. Die Steigung nimmt zu, der Fluß wird immer wasserreicher,
je mehr wir uns dem ewigen Schnee nähern, von dessen schmelzenden
Zungen in den Klüften eine ganze Reihe kleiner Bäche in Schuttbetten
herunterrieseln. Im Hauptbett ist das Wasser ganz rot und dick und
wälzt sich dumpf und schwer talabwärts. Jegliche Vegetation hat
aufgehört, nicht einmal ein Moosfleckchen kann in dem Schutte wurzeln
und gedeihen. Endlich haben wir den letzten steilen Abhang besiegt. Die
Kamele atmen laut und schwer, die Leute, von denen viele haben zu Fuß
gehen müssen, um die Lasten zu überwachen, sinken kraftlos zu Boden, da
es ihnen schwarz vor den Augen wird. Ganz oben auf dem Passe erwartet
uns der Lama; sein rotes Gewand macht sich weniger als gewöhnlich
geltend, denn die Gesteinart ist rotes Konglomerat, und die ganze
Landschaft schillert in roten Schattierungen.

Obwohl fünf Kamele schwach waren und drei ohne Last gingen, erreichten
sie alle diesen 5337 Meter hohen Paß, der also bedeutend höher als der
Arka-tag, aber schneefrei ist. Ein Glück war, daß wir diesmal von einem
Schneesturm verschont blieben. Der Südabhang dieses dominierenden
Gebirgsstockes war dagegen fast ganz schneefrei. Doch sammelte sich
auch hier ein ziemlich bedeutender Fluß, der nach Südosten abbog und
zwischen einem Gewirr von Bergen verschwand. Wie schon so oft, konnten
wir nicht feststellen, wo er blieb. Wahrscheinlich ergießt er sich
in irgendeinen versteckt liegenden See. An seinem rechten Ufer wurde
das Lager Nr. 28 aufgeschlagen. Von Weide und Brennmaterial konnte an
diesem wüsten Orte nicht die Rede sein.

Es ist jetzt eine ausgemachte Sache, daß die Medizinkiste in jedem
Lager herhalten muß. Tschernoff hatte wütende Kopfschmerzen, Turdu Bai
klagte über Stechen in dem einen Auge und wurde mit Kokain behandelt,
dessen Wirkung ihm ungeheuer imponierte. Hamra Kul ging es am Tage
vorher ebenso, als ich ihm sein Zahnweh mit Zahntropfen stillte. Es war
wohl mehr der Neugierde zuzuschreiben, daß heute wieder drei Patienten,
besonders Islam Ahun aus Tscharchlik, über Zahnschmerzen klagten.
Sie wollten wahrscheinlich ausprobieren, ob Hamra Kuls lebhafte
Beschreibung von der Kraft des Heilmittels mit der Wirklichkeit
übereinstimmte. Am schlimmsten steht es mit Muhammed Tokta, der über
sein Herz klagt und an Schlaflosigkeit leidet. Er ist schon lange von
aller Arbeit entbunden und sollte sie nie wieder aufnehmen können. Von
Zeit zu Zeit gab ich ihm Morphium zum Schlafen.

Die Medizinkiste wurde als ein wundertuender Talisman betrachtet.
Sobald sie hervorgeholt wurde, versammelten sich alle, die gerade
nichts zu tun hatten, vor meinem Zelte. Viele bittende Blicke wurden
während der monatelangen Reise auf den Blechdeckel der Kiste gerichtet.
Ich selbst war so glücklich, von ihrem Inhalt nie Gebrauch machen zu
müssen.

Auch am 2. Juli wurde ein schöner Marsch von 26½ Kilometer gemacht,
der uns durch eine Landschaft aus rotem Sandstein führte. Von dem
schlechten Grase wenig gesättigt, müssen die Kamele täglich ihre
schwere Lasten geduldig weiter über die Berge schleppen. Das Schlimmste
ist, daß sie selbst leichter werden und von ihrem eigenen Fette zehren,
das nicht ersetzt werden kann, weil sie keine genügende Nahrung
erhalten. Von dem Mais sind jetzt nur noch drei große Säcke übrig.
Werden wir Gegenden mit besserer Weide erreichen, ehe es zu spät ist?

Eine recht ansehnliche Bergkette zwingt uns, nach Südwesten zu gehen.
Mehrere Tümpel und kleine Seen glitzern im Sonnenschein. Hier wanderte
eine nichts Böses ahnende Orongohindin mit ihrem wenige Tage alten
Jungen, das von Jolldasch gejagt, eingeholt und sofort totgebissen
wurde. Ich bat Schagdur, die Mutter zu verfolgen, um ihrem Gram ein
Ende zu machen, aber sie entkam, und ich habe es nicht verhindern
können, daß sie noch lange voller Kummer ihr Kind suchen wird.

Endlich finden wir ein nach Süden hinabführendes Flußtal. Nach und
nach wurde es weniger bequem, als wir gehofft hatten, denn es drängte
sich zu einem scheußlichen gewundenen Korridor zusammen, und der Boden
desselben war mit Sandsteinplatten bedeckt, an denen die Kamele sich
die Füße verletzten. Wir verlassen daher das Tal und ziehen über einen
niedrigen, hügeligen Paß, auf dem Sirkin eine viel zu wenig scheue
Antilope erlegte. Jolldasch stürmte blindlings auf das verwundete
Tier los, wurde aber sehr kleinlaut, als sich ihm zwei spitze Hörner
entgegenstreckten. Fleisch hatten wir stets in genügender Menge.
Den Hunden ging es von der ganzen Gesellschaft am besten. Auch wenn
die Jagd schlecht gewesen wäre, hätten sie doch an dem Fleische der
gefallenen Karawanentiere übergenug gehabt. Jagd durfte nie als Sport
betrieben werden, sondern nur wenn wir Fleisch brauchten. Wir mußten
auch an die Munition denken. Augenblicklich hatte noch jeder Kosak
142 Patronen, welcher Vorrat allerdings völlig ausreichend war, wenn
vernünftig damit umgegangen wurde; aber man konnte nicht wissen, was
die Zukunft in ihrem Schoße barg, und daher mußten wir damit sparsam
sein.

Von einer letzten, schwachen Schwelle erblickten wir wieder einen
kleinen See. Sein südliches Ufer glänzte grün, und nach einer Weile
befanden wir uns auf Gras, das freilich außerordentlich dünn und
niedrig stand, aber doch besser war als seit langer Zeit, denn es war
von diesem Sommer und weich. Kulanmist zur Feuerung war gesammelt
worden, es blieb nur noch das Wasser zu versuchen. Tschernoff fand es
schlecht, Tscherdon meinte, es sei ganz süß; Schagdur wollte es auch
probieren und fand es mäßig. Es half schließlich nichts, ich mußte
selbst absteigen, um zu kosten, und ich war der Ansicht, daß wir damit
zufrieden sein könnten.

Ein charakteristischer Zug der Windverhältnisse dieser Gegenden, den
ich seit mehreren Tagen beobachtet hatte, war folgender. Der Passatwind
endet mit Sonnenuntergang; in der Dämmerung ist es so windstill, daß
ich bei freibrennendem Licht und offener Tür Mittag esse. Gleich nach 8
Uhr erhebt sich ein nördlicher Sturm und bringt das Lager in Aufregung
Alle müssen sich beeilen, ihre Zeltleinen straffzuspannen, die Zelte
zu verankern und alle zufällig noch draußen umherliegenden Sachen in
Sicherheit zu bringen. Die Funken stieben so dicht wie Kometenschweife
um die Feuer, und es heißt aufpassen, daß sich auf der Seite, nach der
der Wind weht, nichts Entzündbares befindet. Der Sturm hält wenigstens
so lange an, als ich wach bin, d. h. bis Mitternacht, doch wenn ich
morgens geweckt werde, also kurz vor 7 Uhr, ist die Atmosphäre wieder
im Gleichgewicht. Hier gibt es also zwei herrschende Winde, einen
westlichen und einen nördlichen, einen bei Tage und einen nachts
wehenden.

Vor dem Sturme gewährten unser Lager und seine Umgebungen an diesem
Abend einen wirklich idyllischen Anblick, wenn man sich eines solchen
Ausdruckes zur Bezeichnung einer tibetischen Landschaft bedienen
darf. Die Sonne war untergegangen, aber im Westen sah man noch ihren
Purpurschein. Im Osten stieg am dunkelblauen Horizont blaßgelb und kalt
der Vollmond auf, dessen Licht durch einen dünnen leichten Abendnebel
noch mehr gedämpft wurde.

Die auf den Hügeln zerstreuten Tiere weiden gierig (Abb. 236). Die
Todeskandidaten unter den Kamelen liegen dicht aneinandergedrängt unter
ihren weißen Filzmänteln neben Turdu Bais Zelt. Auch die beiden Jungen
und ihre Mutter werden mit besonderer Sorgfalt gepflegt und bringen die
ganze Nacht in liegender Stellung zu. Die kleinen Tiere werden stets
zwischen zwei große Kamele gelegt, von denen eines die Mutter ist. Alle
anderen Tiere weiden draußen im Mondschein, von ihren Wächtern und den
Hunden vor den Wölfen geschützt, von denen wir in den letzten Tagen in
der Gegend mehrfach Spuren gesehen haben.

Wir rasteten hier noch einen Tag. Ein Pferd, das gestern zurückgelassen
worden war, kam heute an. Die gewöhnlichen Windgesetze gelangten auch
heute zur Geltung, obwohl der Nordsturm früher als sonst einsetzte.
Nachdem er über die Erde hingefahren ist, sieht diese merkwürdig
reingefegt aus.

Nach meiner Ortsbestimmung mußte dieses Längental dasselbe sein, in
welchem wir im vorigen Herbst Aldat begraben hatten. 30 Kilometer
weiter östlich würde ein Wanderer zu seinem Erstaunen das einsame,
verlassene, mit einem flatternden Yakschwanze geschmückte Grab des
Jägers finden.

Am 4. Juli ging es beinahe direkt nach Süden über schwach
wellenförmiges Land mit dünnem Graswuchs, zahlreichen Salztümpeln und
ziemlich vielem Wild, besonders Kulanen und Antilopen. Yakdung ist sehr
häufig und obendrein alt und trocken, so daß wir genügend Brennmaterial
einsammeln konnten. Auch der Boden ist im allgemeinen merkwürdig
trocken, ganz anders als im vorigen Herbst, wo wir hier beinahe im
Schlamm ertranken. Es ist jetzt aber auch lange her, seit Niederschläge
gefallen sind. Jetzt wirbelt der Staub im Winde hinter der Karawane auf.

Vor uns erhebt sich drohend ein neuer Paß. In einem mit Schutt
bedeckten, ziemlich stark ansteigenden Tale gehen wir langsam nach dem
Kamme hinauf, dessen Höhe 5210 Meter beträgt. Ein unbeladenes Kamel
kann nicht mitkommen und wird mit einem Wärter zurückgelassen. Droben
auf der Höhe gibt es keine andere Vegetation als Yakmoos. Die Aussicht
nach Süden ist umfangreich; wir sehen nach dieser Richtung hin wohl
vier Tagereisen weit, und keine unüberwindlichen Hindernisse drohen
uns. Anders sieht die Landschaft im Norden aus, woher wir gekommen
sind, denn dort türmen sich eine Menge Ketten und Kämme über- und
durcheinander, und der Horizont wird von der Kette mit dem unterhalb
des ewigen Schnees liegenden Passe abgeschlossen.

Die Landschaft schillert in blassen Farbenschattierungen, in denen Rot
in verschiedener Stärke vorherrscht. Nur schwache Anflüge von Gelb und
Grün deuten die Weideplätze an, die wir eben verlassen haben. Das Land
erinnert an ein Wüstenbild. Hier und dort glänzen Schneestreifen, und
über dem Ganzen wölbt sich der türkisblaue Himmelsdom.

Der vom Passe hinabführende Abhang, auf dem die Gesetze der Schwere
den Kamelen wieder zu Hilfe kommen, wird von uns als eine Erholung
betrachtet. An dem ersten Punkte, wo es wieder Gras gab, schlugen
wir unsere luftigen provisorischen Hütten auf (5054 Meter). In einem
trockenen Bette wurde ein Brunnen gegraben, der bald gutes Wasser gab,
und am folgenden Morgen wurde eine Quelle entdeckt, an welcher Sirkin
und Tscherdon zwölf Rebhühner schossen. Zwei Yake mußten ins Gras
beißen. Wir haben es freilich gut, aber die Kamele, die aufs Weiden
angewiesen sind, sehen mager und elend aus. Die Pferde sind nicht viel
besser daran. Eines muß in diesem Lager Nr. 30 geschlachtet und den
anderen muß ein Ruhetag gegönnt werden.

An den Rasttagen sind Schagdur und der Lama mit der Herstellung
meines Mongolengewandes beschäftigt. Mit dem Lama ist eine merkliche
Veränderung vorgegangen; sein Mut ist gewachsen, und er sehnt sich
nach Süden und nach Lhasa zurück. Der mongolische Unterricht geht
ununterbrochen weiter, und der Lama zeichnet für mich Pläne der
heiligen Stadt, ihrer Tempel und ihrer freien Plätze. Er sieht die
ganze Reise jetzt in hellerem Lichte an als früher und pflegt seine
Ansicht darüber in folgender, außergewöhnlich intelligenter Redensart
auszudrücken: „Mo bollne ikke mo bollne gué, sän bollne ikke sän
bollne“ („Geht es uns schlecht, so geht es uns nicht +sehr+ schlecht,
geht es aber gut, so geht es uns +sehr+ gut“).

Jeden Abend Schlag 9 Uhr mache ich eine Visite in der großen Jurte,
die von Schagdur, Sirkin und dem Lama bewohnt wird. Es gilt, das
meteorologische Journal für den Tag zu kontrollieren und das
Thermohypsometer abzulesen, was ich stets selbst tue. Dann bleibe
ich bei ihnen sitzen und plaudere eine Weile mit ihnen über unsere
Zukunftsaussichten, und Turdu Bai und Hamra Kul müssen mir über das
Befinden der Tiere Bericht erstatten. Wenn ich es für nötig halte,
instruiere ich dann auch den oder die Männer, welche am folgenden
Morgen rekognoszieren sollen. Heute Abend wurde mir mitgeteilt, daß
kaum noch ein Sack Mais übrig sei und wir, wie es uns auch ginge, den
Tieren so viel Reis und Mehl wie nur irgend möglich abtreten müßten.
Turdu Bai hielt es für durchaus notwendig, nach Gegenden mit Weide
zu eilen und dort die Kamele sich mindestens einen Monat lang wieder
kräftigen zu lassen. Ja, sie sollten sich nachher auch ausruhen, wenn
ich nach Lhasa ritt.

Eine zweite wenig erfreuliche Nachricht war, daß noch alle vorhandenen
Schafe im Laufe des Tages durchgebrannt seien. Die meisten Muselmänner
waren schon auf der Suche. Erst in der Dämmerung hatte man die Tiere
vermißt. Tschernoff hatte sich zu Pferd aufgemacht und einige Hunde
mitgenommen. Ich fürchtete, daß es den Schafen am Ende ebenso gegangen
sein würde, wie wir es im vorigen Jahre schon einmal erlebt hatten, und
mir graute vor der Strafpredigt, auf die ich mich vorbereiten mußte.
Tatsächlich war das Kommando über die Herde viel zu sehr dem Leithammel
Wanka überlassen worden, der indessen dieses Amt mindestens ebenso gut
ausgeübt hatte wie ein Muselmann. Müde kamen die Suchenden gegen 9
Uhr zurück und wollten noch eine Stunde warten, bis der Mond aufging
und ihnen erlaubte, der Spur der Herde zu folgen. Erst um Mitternacht
wurde es im Lager lebendig, denn da brachte die ganze Gesellschaft die
unversehrten Schafe vollzählig wieder heim. Die Tiere waren ein Tal
hinaufgegangen und hatten sich in ein tiefes Flußbett gelegt.

6. Juli. Die Marschgeschwindigkeit nimmt in demselben Maße ab, wie
die Kräfte der Tiere sinken. Selten sind wir imstande, mehr als 20
Kilometer zurückzulegen. Ich ziehe es dann vor, auf meinem jetzt ganz
wiederhergestellten Pferde mit dem Lama vorauszureiten, und, wenn wir
die Karawane aus den Augen verloren haben, auf einem Passe zu rasten.
Die Kamele waren heute schlaffer als gewöhnlich, und es dauerte daher
lange, bis das Glockengeläute näherkam.

Still und feierlich wie ein Friedhof dehnt sich dieses öde Gebirgsland
vor uns aus, in das bisher noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat.
Auf allen Seiten umgibt uns die ursprünglichste und ganz unberührte
Natur. Wir durchziehen sie seit Wochen und Monaten und sind stets die
einzigen Menschen, die diesen Teil der Erde bevölkern.

Noch immer herrscht derselbe Parallelismus wie in den Gegenden, die
wir im vorigen Jahre durchreisten; alle Ketten und Kämme und alle
Längentäler haben eine westöstliche Richtung, und wenn man, wie wir,
nach Süden zieht, muß man sie alle in der Quere überschreiten. Kaum
eine Tagereise geht zu Ende, ohne daß wir einen Paß überschritten
haben, und gewöhnlich haben wir mit dem Tagemarsch zugleich auch ein
paar Pässe hinter uns.

Auch heute hatten wir einen recht fühlbaren Paß, der sich nicht umgehen
ließ. Merkwürdigerweise ist jedoch anstehendes Gestein eigentlich
eine Seltenheit. Sowohl diesen wie den folgenden Tag wanderten wir
über ganz weichen Boden, wo man nur auf dem Grunde der Täler Schutt
findet. Später wurde der Boden sandig und infolgedessen trocken und
tragfähig; auch das Gras wurde ein bißchen besser, als es bisher
gewesen war. Wir lagerten an einer kleinen Quellader. Ein paar Kamele
waren zurückgelassen worden, wurden aber abends geholt. Eines von
ihnen war mein alter Reisekamerad von 1896; er blickte mit seinen
glänzenden, rabenschwarzen Augen auf dieses Land, das ihm bald das
Leben kosten sollte, und ging auf zitternden Beinen, als Sirkin ihn vor
den photographischen Apparat führte (Abb. 237). Ich wollte mir sein
Bild zur Erinnerung an die Dienste, die er mir geleistet, aufheben.
Daß er bald sterben würde, war klar. Noch hielt er sich jedoch tapfer
und schien beschlossen zu haben, seine Gebeine nicht eher der Erde zu
schenken, als bis er keinen Schritt mehr gehen konnte. Hocherhobenen
Kopfes stand er mit dem Packsattel in seinem weißen Mantel da und
ahnte vielleicht, daß er bald von uns scheiden würde. Er hatte schon
angefangen zu weinen, was die Leute für ein untrügliches Zeichen
halten. Jetzt bekam er ein großes Weizenbrot und sollte keine Last mehr
zu tragen brauchen.

Am 7. Juli begünstigte uns das Terrain in hohem Grade. Im Süden
zeigte sich wieder ein See, nach dessen Ostufer wir hinsteuerten.
Es kostete uns den ganzen Tag, nach seinem Südufer zu gelangen. Das
Tal, dessen Mitte dieser mittelgroße See einnimmt, ist kesselförmig,
flach und offen, und auch der See ist beinahe rund und tritt durch
seine starken, frischen Farben sehr hervor. Das Wasser ist rein und
grellblau und ist mit einem ziemlich breiten Gürtel von blendendweißen
Salzkristallisationen umgeben, die von fern wie Eis oder Schnee
glänzen. Am Westufer erheben sich ziegelrote Höhen.

Es war lebensgefährlich, sich dem feuchten eigentlichen Uferstreifen zu
nahen, denn er bestand ausschließlich aus salzhaltigem Schlamm, und es
war nicht leicht, eine Kanne Wasser zum Untersuchen herbeizuschaffen.
Kutschuk mußte sich eine Art improvisierter Schneeschuhe an die Füße
binden, um an den Rand des Sees gelangen zu können. Das Wasser war
derartig mit Salz gesättigt, daß das Aräometer halb über der Oberfläche
schwamm; die Skala genügte natürlich nicht entfernt, sondern es mußte
eine besondere Marke in das Glas geritzt werden.

Dieser heimtückische Schlammstreifen war durch eine ausgeprägte Wulst
scharf von den Abhängen getrennt, die noch etwas Gras trugen und auf
denen wir ohne Gefahr hinziehen konnten. Im Südosten drohte uns der
nächste Paß; wir wollten in der Mündung des zu ihm hinaufführenden
Tales lagern. Es handelte sich nur darum, Wasser zu finden, das
es hier nicht in solchem Überflusse gab wie im Arka-tag. Der
Niederschlag war zu unserem Glück in der letzten Zeit unbedeutend
gewesen; morastiger Boden hätte unsere erschöpften Kamele umgebracht.

[Illustration: 227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental.
(S. 110.)]

[Illustration: 228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten
Kamellasten. (S. 112.)]

[Illustration: 229. Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk. (S.
111.)]

Ich ritt voraus die Talmündung hinauf; sie war ganz trocken. Auf ihrer
anderen Seite fand ich doch noch ein paar kleine Tümpel mit schwach
salzhaltigem Wasser, mit welchem die Hunde vorliebnahmen. Im Talgrunde
aber griffen die Männer zu den Spaten; es wurde ein Brunnen gegraben,
der in einer Tiefe von 56 Zentimeter kaltes süßes Wasser gab.

Obwohl wir am 8. Juli nur 14 Kilometer marschierten, konnten nur
27 Kamele das Lager Nr. 33 (5041 Meter) erreichen. Sie waren jetzt
so erschöpft, daß wir aus Furcht, eines oder mehrere der Tiere zu
verlieren, an und für sich unbedeutende Pässe umgehen mußten.

Der heutige Paß (5059 Meter) ließ sich jedoch nicht umgehen, und der
Lama, der ihn rekognosziert hatte, versicherte, daß er nicht schwer
sei. Die Steigung war auch unbedeutend, aber für die kraftlosen Tiere
trotzdem mühselig. In der Nähe des Kammes grasten 8 Yake; einer
von ihnen, ein alter Stier, war recht dreist, durfte aber nicht
unnötigerweise geschossen werden; das Fleisch war vermutlich zäh und
schlecht. Ein einzelner Kulan umkreiste uns in den tollsten Kurven und
erregte durch seine urkomischen Manöver große Heiterkeit.

Auf der Südseite des Passes war das Relief der Landschaft verwickelter
und ungünstiger. Mehrere Kämme zeigten sich, die überschritten werden
mußten.

Jetzt ritt Schagdur voraus und meldete, er glaube kaum, daß die Kamele
imstande sein würden, die nächste Schwelle zu überschreiten, da diese
zu hoch für sie sei. Schon waren drei zurückgeblieben, auf die wir je
eher, desto besser warten mußten, unter ihnen mein großer Veteran.
Daher machten wir bei einem Tümpel Halt, obwohl die Weide dort schlecht
war. Den Tag darauf schleppten sich zwei von den drei zurückgelassenen
Kamelen noch nach dem Lager hin, das dritte lag kalt und steif auf dem
Flecke, wo wir es verlassen hatten.

Daß es so nicht weitergehen konnte, war klar. Eine Veränderung
mußte in der Marschordnung vorgenommen, alle schwachen Tiere mußten
ausgeschieden werden, mit dem Reste würde ich dann in längeren
Tagemärschen nach Süden ziehen. Zunächst mußte die Gegend rekognosziert
werden, denn jetzt hatten wir das Gefühl, in einem Sacke zu stecken,
aus dem wir irgendwo heraus mußten. Tschernoff ritt nach Osten und
fand das Terrain dort ganz unmöglich und von steilen Bergen versperrt.
Mollah Schah, der es nach Süden hin versucht hatte, erklärte, er sei
dort über einige kleinere Pässe geritten, die nicht besonders schwierig
seien.

Dann wurde die Auslese vorgenommen. Elf Kamele, von denen fünf die
letzten Tage schon keine Last mehr getragen hatten, und sechs Pferde
sollten hier zurückgelassen werden, um sich einige Tage auszuruhen
und dann unserer Spur in kurzen Tagemärschen nachgeführt zu werden.
Dieser wichtige Auftrag wurde Tschernoff anvertraut; er wurde Chef der
Nachhut, die außerdem noch aus Rosi Mollah, Mollah Schah, Kutschuk,
Chodai Kullu und Almas, einem Tscharchliker, dessen hochtönender Name
„das Juwel“ bedeutet, bestehen sollte. Die vier Hunde Maltschik, Hamra,
Kalmak und Kara-Itt gehörten auch zur Gesellschaft, ebenso ungefähr die
Hälfte des noch vorhandenen Dutzends der Schafe.

Die Auslese der untauglichen Kamele wurde von Turdu Bai und den Kosaken
sorgfältig gemacht. Es waren ihrer zehn, aber beim Aufbruch wurde noch
eines zurückgestellt. Acht Kamellasten, die beinahe ausschließlich aus
Proviant bestanden, sollten von der Nachhut übernommen und auf die elf
Kamele verteilt werden. Alle Instrumente und wichtigeren Dinge nahmen
wir mit.

Ganz richtig war es wohl nicht, die Karawane gerade jetzt zu teilen, da
wir uns bewohnten Gegenden näherten und vielleicht nötig haben konnten,
in voller Stärke aufzutreten. Doch es blieb uns keine Wahl, und auch
die Nachhut war mit zwei Gewehren und mehreren Revolvern bewaffnet.

Tschernoff hatte Befehl, noch zwei oder drei Tage im Lager Nr. 33 zu
bleiben und dann unseren Spuren zu folgen, die in dem Boden ziemlich
lange erkennbar sein mußten. An Stellen, wo man ein schnelles
Verschwinden der Spuren befürchten konnte, wie in Talfurchen oder
auf festgepacktem Schutt, wollten wir kleine Steinmale errichten. Wo
ich mit der Hauptkarawane bleiben würde, wußte ich selbst nicht; es
würde von Umständen, die uns unbekannt waren, und besonders von dem
Vorkommen von Weide und menschlichen Spuren abhängen. Doch das spielte
keine Rolle, denn selbst wenn Tschernoff einen ganzen Monat unterwegs
sein sollte, hatte er ja nur der Spur zu folgen, bis er ins große
Hauptquartier gelangte.



Zwölftes Kapitel.

Die ersten Tibeter.


Während des Rasttages im Lager Nr. 33 trat ein Umschlag im Wetter ein.
Der Morgen war herrlich und klar, aber um die Mittagszeit schmetterte
eine heftige Hagelbö auf uns herab, und bald folgte ihr eine zweite.
Nachher sprühregnete es den ganzen Tag, und abends stürzte ein
anhaltender Gußregen auf unsere Zelte nieder. Das eintönige Rauschen
des Regens ist kein Vergnügen, wenn man weiß, daß alle Lasten dadurch
an Gewicht zunehmen, Zelte und Jurten schwer und naß werden und das
Erdreich aufweicht und sumpfig wird. Heute brauchte man nur ein paar
Schritte ins Freie zu tun, um sich an den Stiefeln zolldicke Sohlen von
Erde und Schlamm zu holen.

Am 10. Juli nahmen wir von den Leuten der Nachhut Abschied.
Tschernoff hatte erkannt, daß es ihm als großes Verdienst angerechnet
werden würde, wenn er möglichst viele von den elf Kamelen mit ins
Hauptquartier brächte.

Nachdem es die Nacht tüchtig geschneit hatte, lag das Land wieder
kreideweiß und winterlich da; der Boden war glatt und schlüpfrig, und
dunkle Wolken segelten in rastloser Jagd nach Osten. In den trostlosen
Umgebungen nahm sich die zurückbleibende Karawane noch erbärmlicher als
gewöhnlich aus. Von den Tieren fanden es nur einige wenige der Mühe
wert, in dem Schneeschlamme zu waten. Die anderen lagen und ruhten sich
aus. Das Lager selbst sah trostlos elend aus, aber die Muselmänner
wünschten uns glückliche Reise, und ich drückte Tschernoff zum Abschied
die Hand; ich würde meinen tüchtigen, zuverlässigen Kosaken ja erst
nach meiner Rückkehr von der Pilgerfahrt wiedersehen -- wenn ich mit
dem Leben davonkam.

Den ganzen Tag über war das Wetter unfreundlich. Ein anhaltender
Hagelschauer war so heftig, daß wir halten und, in unsere Mäntel
gehüllt, warten mußten, bis er vorüber war. Die Sonne, die sich darauf
eine Weile zeigte, trocknete unsere Kleider, bis die nächste Bö uns
wieder durchnäßte. Ich ritt mit dem Lama voraus und suchte nach einem
Marsche von 23½ Kilometer den Lagerplatz aus. Obwohl die Karawane
jetzt, da wir alle erschöpften Tiere zurückgelassen hatten, besser
und schneller als gewöhnlich marschierte, mußten wir doch eine gute
Weile auf sie warten, welche Gelegenheit der Himmel benutzte, um uns
noch eine gründliche Dusche zu geben. Der Lama saß geduldig still,
betete mit philosophischer Ruhe sein „Om mani padme hum“ und ließ dabei
die 108 Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten, während
ich mich in eine Filzdecke hüllte, die stets auf meinen ungarischen
Feldsattel geschnallt war.

Die Tagereise bot im großen und ganzen ziemlich vorteilhaftes Terrain,
besonders nachdem wir zwei kleinere Pässe überschritten hatten.
So weit zogen wir alle miteinander. Auf dem Südabhange des Passes
grasten sechs Yake, und da die Jagd seit einigen Tagen keinen rechten
Ertrag geliefert hatte, sollten jetzt Sirkin und Schagdur unseren
Fleischvorrat verstärken. Nur ungern bequemen wir uns dazu, die Schafe
zu schlachten, denn wir betrachten sie immer mehr als Kameraden, und
überdies ist ihr Fleisch wenig wohlschmeckend, da die Tiere beständig
in Bewegung sind und sich nicht satt fressen können. Die Kosaken
erlegten je einen Yak, und Turdu Bai und Ördek begaben sich mit Messern
und Beilen nach der Walstatt, um die besten Stücke für uns mitzunehmen.

Auf dem Passe (5186 Meter) wurde uns ein erfreulicher Anblick zuteil:
wir sahen gleichmäßig offenes Land für ein paar Tagereisen. Aber in die
Freude mischte sich auch Wehmut, denn im Südosten, Süden und Südwesten
glänzte eine Kette mit gewaltigen Schneefeldern, die wir nicht würden
umgehen können. In dem breiten Längentale, das sich wie gewöhnlich
von Osten nach Westen bis ins Unendliche erstreckt, war die Weide
knapp und bestand meistens aus Moos und wildem Lauch. Den letztern
haben alle gern. Er wird in meine Suppen geschnitten; die Muselmänner
kauen ihn roh und sagen, daß er gegen Bergkrankheit wirke, die Kamele
fressen ihn mit wahrer Gier und ziehen ihn allem anderen vor. Wenn auf
den Lagerplätzen weiter nichts zu tun ist, läßt Turdu Bai alle Mann
Lauch pflücken, und auch während des Marsches macht er an Stellen, wo
der Lauch dichter steht, einige Minuten Halt, um den Kamelen Zeit zum
Abreißen der saftigen, wohlschmeckenden Stengel zu geben.

Wir befanden uns hier im Lager auf einer Höhe von 4982 Meter. Der 11.
Juli war der Jahrestag zweier Ereignisse, die auch mit hohen absoluten
Zahlen zu tun hatten und zu denen ich jetzt mit meinen Gedanken
lebhaft zurückkehrte. Heute sind es vier Jahre, seit Andrée seinen
kühnen, in jeder Beziehung glänzenden Ballonaufstieg von Spitzbergen
machte und die Reise antrat, von der er nicht zurückkehren sollte. Ich
sage absichtlich „glänzenden“, denn der Plan selbst war so kühn und
großartig, daß keine andere Nation ein Gegenstück dazu aufweisen kann!
Und die drei Märtyrer der Wissenschaft, die wir da verloren, hatten
gezeigt, daß es noch tüchtige Männer im Schwedenlande gibt.

Am 11. Juli sind auch elf Jahre vergangen, seit ich den Gipfel des
Demawend bestiegen hatte. Auch damals hatte ich einen saueren Tag, um
meine 5715 Meter zu erreichen, aber damals handelte es sich um eine
einzige, von freundlichen, lachenden Tälern umgebene Bergspitze, jetzt
dagegen um endlose Räume, in denen wir uns mit schweren Schritten
fortschleppten. --

Unsere Tagereise ging ungehindert nach Ostsüdost, aber ohne daß wir uns
darum der hinter schwarzen Vorbergen versteckten Schneekette merklich
näherten. Die Niederschläge waren reichlich, die Erde trocknete nicht
mehr zwischen den Schauern, die alles in Schlamm verwandeln und die
Kamele zum Ausgleiten bringen. Der Lama sagte, daß jetzt die Regenzeit
ihren Einzug halte und zwei Monate dauern werde; „so ist es wenigstens
in Lhasa“, fügte er hinzu.

Man erkennt die rücksichtslosen Regenböen schon von weitem; sie rollen
einher wie blauschwarze Rauchmassen mit scharf abgegrenzter Front, vor
welcher der blaue Himmel mit seinen weißer Watte ähnlichen Wölkchen
zusammenschrumpft und verschwindet; hinter ihnen aber sieht es aus, als
sei die Nacht selbst im Anzuge. Und man ist ihnen preisgegeben, kann
nicht entrinnen; das Unwetter zieht herauf, Blitz und Donner kommen
immer näher, die Schläge durchschneiden mit ohrenbetäubendem Krachen
die Luft, die ersten schweren Tropfen und Hagelkörner fallen auf die
Erde, und im Nu hat man die Bö über sich. Die Pferde werden unruhig und
scheu, die Kamele versuchen sich jedes auf die geschützte Seite des
anderen zu drängen, was die Lasten in Unordnung bringt. Man wird durch
und durch naß, es rieselt und tropft von Mütze und Ärmeln, die Zügel
liegen kalt und schmutzig in der Hand, die Filzstiefel saugen sich
voll, und die ganze Annehmlichkeit des Rittes durch ein unbekanntes
Land ist verschwunden. Wenn der Sturm über uns weggezogen ist, muß die
Karawane wieder in Ordnung gebracht werden. Die Bergrücken scheinen mit
der blendendsten weißen Farbe angestrichen zu sein.

Es gibt nichts Gemeineres als solch ein Wetter. Die Wanderung wird
schwer und mühsam, das auf dem Erdboden ausgebreitete Bett ist feucht,
und die Jurte verbreitet einen unangenehmen Geruch. Nur selten bietet
sich eine Gelegenheit, die astronomischen und photographischen
Instrumente zu benutzen, und das in Arbeit befindliche Kartenblatt ist
nach einer Weile naß und knitterig.

Während einer halben Tagereise folgten wir dem Flusse, an dessen Ufer
wir gelagert hatten, nach Osten, nachher aber zogen wir auf leicht
kupiertem Boden nach Südosten. Schließlich gelangten wir noch an
einen Tümpel, wo wir für den Tag Halt machten. Die Zelte waren schon
aufgeschlagen, als sich herausstellte, daß das Wasser salzig war.
Ebenso ging es uns mit dem Brunnen, der gegraben wurde. Schagdur
verschwand zu Pferd mit zwei kupfernen Kannen, und nach einer Stunde
sahen wir ihn in vollem Galopp auf das Lager zureiten. Wir wunderten
uns, daß er es so schrecklich eilig hatte, aber er erzählte sehr
aufgeregt, daß er beinahe von einem Wolfe, den er jetzt für seine
Frechheit bezahlen werde, überfallen worden sei. Der Wolf war ihm
zweimal direkt zu Leibe gegangen, und er hatte zur Verteidigung nichts
weiter gehabt als die kupfernen Kannen. Damit hatte er nach dem
Wolfe geworfen und sich dann zu Pferd davongemacht. Wir konnten die
große, beinahe weiße Bestie, welche die Verfolgung bis an das Lager
fortgesetzt hatte, mit dem Fernglas beobachten. Doch als Schagdur
und Sirkin mit ihren Flinten hinausritten, hielt es der Isegrimm für
geraten, sein Heil in der Flucht zu suchen. Die Schafe wurden sicherer
als gewöhnlich eingepfercht und die Pferde und Maulesel bewacht. Die
Kamele hielten es nicht für der Mühe wert, sich nach den spärlichen
Halmen zu bücken, die um diesen schlechten Lagerplatz herum in dem
Schutte wuchsen, sondern kamen freiwillig nach Hause und legten sich
neben ihre Plagegeister -- die Lasten.

Nun mußte Ördek nach dem Flusse zurückreiten; es war schon stockdunkle
Nacht, als er mit den gefüllten Kannen zurückkehrte.

Die ganze Nacht schneite es, und am folgenden Morgen verließ man mit
Widerwillen die Jurte, um sich wieder in die Nässe hinauszubegeben. Es
ist gerade wie beim Baden; wie man es auch anstellt, ohne Naßwerden
geht es nicht ab.

In derselben Richtung (Südosten) durchzogen wir eine an Salztümpeln
reiche Landschaft von lauter Hügeln und Landrücken und gingen über
sechs kleine Pässe, bis wir einen bedeutenden Fluß erreichten, der in
einen langgestreckten Salzsee mit weißen Salzkristallisationen an den
Ufern mündete. Endlich sollten die Pferde getränkt werden. Der Fluß
strömte außerordentlich langsam, kaum merkbar für das Auge. Sei es,
daß er aus mit Salz gesättigten Gegenden kommt oder daß das Wasser des
Sees bei Wind in den Fluß hinaufgeht, genug, um den ersehnten Labetrunk
wurden wir schmählich betrogen, denn das Wasser war grimmig salzig.
Bald darauf fanden wir indessen einen kleinen Tümpel mit süßem Wasser,
und hier tranken alle Tiere nach Herzenslust (Abb. 238).

Auf dem zu unserer Rechten befindlichen Abhange weidete einsam ein
großer schwarzer Yakstier. Da wir es für unnötig hielten, ihm das Leben
zu nehmen, hetzten die Kosaken Scherzes halber die Hunde auf ihn. Diese
umringten ihn mit wildem Geheul, hüteten sich aber wohl zu beißen.
Jolldasch, der Spitzbube, zupfte ihn nur an den Seitenfransen. Der Yak
drehte sich nach jedem Angreifer um, keuchte und schnaubte, richtete
den Schwanz hoch auf und hielt die Hörner bereit. Dann und wann
fuhr er schnell auf einen der Aufdringlichen los. Er war hiermit so
beschäftigt, daß wir mit dem großen photographischen Apparate ganz nahe
herankommen konnten; die Bilder wurden aber doch recht klein. Ich hielt
das Tier fast für einen zahmen, Tibetern entlaufenen Yak, so ungeniert
war es.

Nun kam Turdu Bai mit dem Todesurteil. Wir brauchten mehr Fleisch,
sagte er. Die Hunde wurden fortgelockt, zwei Schüsse krachten
gleichzeitig. Dem Yak schien weder der Knall noch die Kugeln das
Geringste auszumachen. Seitdem die Hunde sich entfernt hatten, stand
er regungslos da. Als sie aber wieder angriffen, geriet er in Wut und
jagte sie den Abhang hinunter, stürzte dabei zu Boden und war schon
tot, als wir herankamen.

Es war ein großer, schöner Stier, dessen Hörner infolge von früheren
Kämpfen mit Nebenbuhlern an der Spitze ganz zersplittert waren. Fleisch
und Fett wurden mitgenommen, der Rest blieb liegen, wahrscheinlich zum
Frommen für Schagdurs Freund, den Wolf.

Es ist eigentümlich, zwei ganze Tagereisen zurückzulegen, ohne Wasser
zu finden, und dabei sieht man überall Lachen, denn die Regenzeit ist
da. Dennoch marschierten wir 20 Kilometer, ohne Trinkwasser zu finden.
Als sich schließlich ein Kamel weigerte, uns über noch eine übrigens
ganz unbedeutende Paßschwelle zu folgen, lagerten wir. Schagdur machte
weiter oben eine Quelle ausfindig.

„Wo ist das gute Gras? Wo werden wir das Hauptquartier aufschlagen?“
fragen wir uns jetzt täglich. Wir müssen noch 383 Kilometer von dem
nordwestlichen Ende des großen Sees Tengri-nor entfernt sein. Wir
können aber kaum erwarten, Spuren von Menschen zu finden, bevor wir
jenseits der mächtigen Kette angelangt sind, deren Schneegipfel
heute ein paarmal zwischen den Hügeln auftauchten. Der wilde Yak
hatte entschieden nie Menschen gesehen, sonst hätte er sich auf
das Photographiertwerden, das ihm das Leben kostete, gewiß nicht
eingelassen. Merkwürdigerweise ist gerade diese Gegend sehr reich an
Schädeln und Gerippen von Kulanen und Orongoantilopen. Doch stammen
diese Skelette nur von verendeten Tieren her, denn wenigstens die
Kulane werden von den Tibetern nie getötet.

Am 13. Juli zogen wir in dem offenen Längentale (Abb. 239) weiter
und brauchten die Kamele nicht mit Pässen zu quälen. Das Gras ist
schlecht; eine neue Art davon tritt auf, die der Lama „Buka-schirik“
oder Yakgras nennt und die auf der Pilgerstraße der Mongolen nach Lhasa
und in der Umgegend dieser Stadt allgemein vorkommen soll. Wild ist in
diesen Gegenden häufig; wir sehen Yake, Kulane, Orongoantilopen, Hasen
und Rebhühner. An einem großen Flusse hielten wir es für das Klügste,
das Lager aufzuschlagen, da wir so lange kein gutes Wasser mehr gehabt
hatten.

Am 15. Juli stieg die Temperatur auf +11,1 Grad, nachdem sie nachts
auf -3,4 Grad heruntergegangen war. Wir marschierten noch immer nach
Südosten, um nach einer Einsenkung in dem gewaltigen Kamme, der uns im
Süden von den Geheimnissen des heiligen Landes trennte, umherzuspähen.
Hatten wir erst diesen Wall, der möglicherweise auch klimatische
Bedeutung besaß, überwunden, so würden wir sicher in wärmere Gegenden
gelangen, die eine bessere Weide boten und vielleicht von Tibetern
bewohnt waren. Noch hatten wir aber keine Spur von Menschen gesehen.

In der Mitte des heutigen Marsches überschritten wir einen sehr großen
Fluß, den größten, den wir seit dem Tarim gesehen hatten (Abb. 240,
241). Er strömte nach Südwesten, einem großen See zu, den wir nur
aus der Ferne zwischen Hügeln und Bergen hatten hervorglänzen sehen.
Die Wassermenge, die sich auf etwa zwanzig große und ebensoviele
kleine Arme verteilte, betrug wohl 23 Kubikmeter in der Sekunde, die
Stromgeschwindigkeit 1 Meter in der Sekunde und die größte Tiefe 60
Zentimeter. Hätte der Fluß nur eine einzige Rinne gehabt, so wären wir
ohne die Hilfe des Bootes nicht hinübergekommen. Es erforderte mehr als
eine halbe Stunde, um das andere Ufer dieses großen Wasserlaufes, der
von den Schneebergen im Süden kommt, zu erreichen.

Die Hügel des linken Ufers waren von einer aus 75 Tieren bestehenden
Yakherde geradezu schwarzgetüpfelt. Sie halten sich im Winter unten in
den großen Längentälern auf, aber ihre Sommerfrischen liegen auf den
mit Yakmoos bewachsenen Halden in der Nähe des ewigen Schnees.

Gerade vor uns, höher oben in dem breiten, offenen Talgrunde,
zeigte sich etwas, das wir für einen Menschen hielten, der uns
hochaufgerichtet mit steifer Haltung entgegenkam, aber infolge der
Entfernung und der zitternden Luft nur undeutlich zu unterscheiden war.
Sirkin, der Lama und Turdu Bai untersuchten den Gegenstand mit dem
Fernglas und erklärten bestimmt, es sei ein Mann; der Lama fügte hinzu,
der Mann sammle Yakmist und hinter ihm seien zwei schwarze Zelte zu
sehen. Also schon jetzt Tibeter mit großen Yakherden? Es wäre fatal,
mitten auf dem Marsche von Tibetern überrascht zu werden; nun würde die
burjatische Verkleidung umsonst sein und durch alle unsere Pläne ein
Strich gemacht werden!

[Illustration: 230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll. (S. 114.)]

[Illustration: 231. Turdu Bais Zelt. (S. 120.)]

Auch ich sah mir diesen rätselhaften Wanderer lange an. Wir warteten
eine ganze Weile, um ihn näherkommen zu lassen. Doch mit der Zeit
verwandelte sich unser Mann in einen Kulan, den wir in Verkürzung
gesehen hatten; die schwarzen Zelte waren einfach die Schatten einer
Erosionsterrasse, und die Herde bestand aus wilden Yaken, die, sobald
sie unsere Karawane witterten, angefangen hatten, sich talaufwärts zu
entfernen.

Bald darauf scheuchte Jollbars einen jungen Hasen auf, dem es sicher
schlecht gegangen wäre, wenn er den Hund nicht durch seine schnellen
Seitensprünge ermüdet und sich dann in eine kleine Erdhöhle geflüchtet
hätte. Hier war er jedoch auch nicht sicher, denn Schagdur holte ihn
mit der Hand heraus, band ihn und streichelte das erschreckte Tierchen.
Als die Karawane und alle Hunde vorbeigezogen waren, löste ich seine
Bande, um ihm die Freiheit wiederzuschenken. Er hüpfte mit leichten
Sprüngen vergnügt fort und schien ganz erstaunt, daß er aus einem
solchen Abenteuer mit heiler Haut davongekommen war; aber noch war er
nicht weit gelangt, als ein Falke, den wir nicht bemerkt hatten, auf
ihn herabstieß. Schagdur eilte hinzu, kam aber zu spät. Der Falke ließ
seine Beute mit ausgehackten Augen in Todeszuckungen liegen.

Derartige Ereignisse sind die einzigen Unterbrechungen der langen,
einförmigen Ritte. Ich reite stets neben dem Lama, um mich im
Mongolischen zu üben, und allmählich nehmen unsere Pläne nach Lhasa
eine immer deutlichere Gestalt an.

Am linken Ufer eines neuen Flusses, der sich weiter abwärts mit dem
großen vereinigt, war die Weide besser als seit langem und überall so
viel Yakdung vorhanden, daß wir dort das Lager aufschlagen konnten.
Das Wetter war strahlend hell, in der Luft summten sogar Fliegen. Ein
wenig weiter oben zeichneten sich die schwarzen Umrisse von 20 Yaken
ab, und Kulane wie Antilopen waren zahlreich vertreten. Ein Kulan
spazierte ganz in unserer Nähe auf dem gegenüberliegenden Ufer umher.
Zwei Hunde schwammen über den Fluß und jagten ihn eine Strecke weit, er
blieb aber sehr ruhig, graste weiter und ließ die Hunde bellen, soviel
sie wollten. Nicht einmal Rebhühner und Wildgänse mit ganz kleinen
Jungen fehlten in dieser Gegend, die uns außergewöhnlich gastfreundlich
aufnahm.

Am 16. Juli blieben wir im Lager Nr. 38. Turdu Bai und Hamra Kul wurden
in das gewaltige Tal hinaufgeschickt, in dem ich es nicht gleich mit
der ganzen Karawane versuchen wollte; konnte es doch so schwer zu
erklimmen sein, daß wir hätten wieder umkehren müssen.

Gerade als ich das Universalinstrument zum Observieren aufgestellt
hatte, brach ein heftiger Hagelschauer los. Der Himmel wurde im Westen
schwarz, der Donnergott rollte mit seinem schweren Wagen durch die
Wolken, und die Schläge folgten so dicht aufeinander, daß die Erde
unter ihnen bebte. Ich mußte hübsch wieder unter Dach kriechen. Die
Hagelkörner schmetterten auf die Filzdecken meiner Jurte und tanzten
wie Zuckerkügelchen auf dem Erdboden, der bald weiß wurde.

Nun ertönte Geschrei und Rufen. Tscherdon, der die Wache hatte,
meldete, daß die anderen beiden Kosaken einen großen Bären aufgetrieben
hätten, der in scharfem Galopp nach dem Lager eilte, aber rechtzeitig
nach Osten abschwenkte, mit raschen Schlägen über den Fluß schwamm, die
gegenüberliegende Uferterrasse hinaufkletterte und, die beiden Reiter
hinter sich, die Flucht fortsetzte.

Kaum war die wilde Jagd an uns vorübergesaust, als von Tscherdons Zelt
ein Schuß krachte. Ein großer, alter, weißgrauer Wolf war vor dem Lager
umhergeschlichen und mußte ins Gras beißen.

Nach einer guten Stunde kehrten die Kosaken in scharfem Trab zurück
und sprengten gerade auf mich los; es war ihnen anzusehen, daß sie
mir etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Der Bär war ihnen nach einem
letzten Schusse freilich entkommen, +dafür aber waren die Jäger,
geradewegs in ein tibetisches Lager hineingeritten+! Ein mit einer
Flinte bewaffneter Mann war bei ihrem Herannahen hinter einem Hügel
verschwunden, einige Pferde weideten in der Nähe, und die 20 Yake, die
wir gestern gesehen hatten, waren also doch zahme Tiere.

Nun waren die Kosaken, die sich mit dem Manne nicht hatten verständigen
können, schleunigst umgekehrt, um mir von dem Geschehenen Mitteilung zu
machen.

Der Lama war sehr verdutzt, als ihm die gefährliche Wirklichkeit auf
den Leib rückte. Solange wir keine Spur von Menschen gesehen hatten,
war ihm mein Plan als etwas Unbestimmtes, noch in weiter Ferne
Schwebendes erschienen, aber jetzt standen wir an dem Punkte, wo die
ersten Eingeborenen auftauchten und von welchem wir daher aufbrechen
mußten. Wir fingen an zu glauben, daß der Kulan, den wir gestern
gesehen hatten, doch am Ende wirklich ein Mann, jedenfalls aber ein
Omen gewesen sein müsse, ein Vorzeichen, daß menschliche Wohnungen
nicht mehr weit entfernt seien.

Wir berieten uns eine Weile über die Sachlage. Es war keine Zeit zu
verlieren, denn auf die Kosaken hatte es den Eindruck gemacht, als
hätten die Tibeter ihre Yake und Pferde nach dem Lager geholt, um bald
aufzubrechen. Wir mußten sie festhalten, denn teils konnten sie uns
wichtige Aufklärungen über Wege und andere Verhältnisse geben, teils
würde es besser sein, wenn wir versuchten, ihr Vertrauen zu gewinnen
und mit ihnen zusammenzureisen, um sie so zu verhindern, unsere Ankunft
zu verkünden, welche Nachricht andernfalls wahrscheinlich wie ein
Lauffeuer von Mund zu Mund bis nach Lhasa dringen würde.

Ihr Lager war, nach Sirkin, nicht mehr als drei Kilometer von uns
entfernt. Sie mußten uns auf jeden Fall gesehen haben, als wir
gestern ankamen; man konnte sich jedoch nicht wundern, wenn sie
sich absichtlich abseits hielten. Waren es tibetische Nomaden oder
tangutische Räuber? Oder am Ende nur friedliche Yakjäger, die Fleisch
und Felle auf zahmen Yaken nach Süden transportierten? So früh hatte
ich nicht erwartet, Menschen zu treffen. Merkwürdig ist es auch, daß
wir bisher noch keine Spur von alten Feuerstellen gesehen hatten.

Einstweilen beauftragte ich den Lama und Schagdur, sofort dorthin zu
reiten und mit ihnen zu reden. Auch der Kosak kleidete sich in ein
mongolisches Gewand und sah, dank seiner Rasse, wie ein echter Mongole
aus, der er in Wirklichkeit ja auch war. Ich gab ihm Silbergeld mit für
den Fall, daß die Tibeter geneigt wären, uns einige von ihren Pferden,
sowie Tee und Tabak zu verkaufen, und damit sie sehen sollten, daß sie
es mit ganz freundschaftlich gesinnten, ehrlichen Leuten zu tun hatten.

Die beiden Männer sprengten wieder durch den tiefen Fluß und
verschwanden in der Dämmerung.

Gerade jener Augenblick, den ich gern solange wie möglich
hinausgeschoben gesehen hätte, war jetzt ganz unerwartet eingetreten.
Es ist klar, daß es für uns wallfahrende Pilger vorteilhaft gewesen
wäre, wenn das starke Hauptquartier möglichst weit nach Süden
hätte vorgeschoben werden können, so daß wir nicht zu weit von ihm
abgeschnitten waren. Wir hatten verabredet, vorsichtig vorzudringen
und Halt zu machen, sobald wir Menschenspuren entdeckten. Ja, wenn
wir während des Marsches in der Ferne Herden oder Zelte erblickten,
wollten wir sofort anhalten, so daß wir Pilger wenigstens Zeit hätten,
uns „umzukleiden“, damit wir später, wenn wir zurückritten und uns dem
heiligen Lande auf einem anderen Wege näherten, nicht dem Verdachte
ausgesetzt wären, zu der großen europäischen Karawane zu gehören.

Nach ein paar Stunden kamen die Reiter in dunkler Nacht unverrichteter
Sache wieder. Die Tibeter waren aufgebrochen; ihre Spur ging nach
Osten. Ihr Feuer aus Argol (Yakdung) glühte und rauchte noch. Schagdur
glaubte, daß sie erst nach dem Schusse der Bärenjäger auf uns
aufmerksam geworden seien und sofort eingepackt hätten. Nach Ansicht
des Lamas waren es drei Yakjäger gewesen; zwei Yakschädel und einige
Hufe lagen auf der Erde verstreut. Wir überlegten, ob wir es versuchen
sollten, die Tibeter einzuholen; aber da sie sicher beabsichtigten, die
ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag zu marschieren, mußten wir aus
Rücksicht auf den Zustand unserer Pferde auf die Verfolgung verzichten.

Mit dem Frieden war es von diesem Tage an in unserem Lager vorbei.
Nachts wurden Wachen aufgestellt, und die Karawanentiere durften nicht
aus den Augen gelassen werden. Wir fingen an, halb auf Kriegsfuß zu
leben, und mir stieg der Gedanke auf, daß es am Ende gefährlich sei,
die Karawane zu verlassen; sie konnte leicht überfallen werden, da es
jetzt ohne Zweifel als bekannt gelten durfte, daß eine Karawane im
Anzuge war. Deshalb beschloß ich nach Beratung mit Schagdur zunächst,
daß Tscherdon im Hauptquartier zurückbleiben müsse, um die Zahl der
Verteidiger für den Fall eines Angriffes zu vergrößern. Später würde
sich dann auch noch Tschernoff mit der Nachhut zu ihnen gesellen.

Dagegen hielten wir es für unnötig, das Hauptquartier schon hier
anzulegen, denn es war keine Aussicht vorhanden, daß wir mit unseren
schlechten Pferden die heilige Stadt eher erreichen würden als die
vergrößerten, übertriebenen Gerüchte, die bald in Umlauf sein würden.
Von hier aus hätten wir 1100 Kilometer hin und zurück gehabt, mehr,
als unsere Tiere aushalten konnten, besonders da es sich um einen
forcierten Ritt handeln würde.

Da Turdu Bai und Hamra Kul nichts von sich hören ließen, mußten wir
noch einen Tag im Lager Nr. 38 bleiben. Während desselben wurde unsere
ganze mongolische Ausstattung in Ordnung gebracht, so daß für den Fall
einer plötzlichen Trennung von der Karawane alles in Bereitschaft war.
Auf der inneren Seite meines einen mongolischen Stiefels wurde eine
lederne Hülse für ein Thermometer angebracht; für Uhr, Aneroid und
Notizbuch wurden Taschen in meinen Pelz genäht.

In der Dämmerung zeichneten sich die Schattenrisse unserer beiden
Kundschafter ab. Beide meldeten, daß so weit, wie sie talaufwärts
vorgedrungen seien, keine Hindernisse vorlägen. Sie hatten an ein paar
Stellen alte Feuerspuren gesehen, die zeigten, daß die Gegend ihres
Yakreichtums wegen bekannt war.

Am 18. Juli gingen wir südostwärts bis an den Punkt, wo das letzte
Gras wuchs. Dreimal mußten wir über den Fluß hinüber. Eines der
Kamele konnte kaum den Lagerplatz noch erreichen; es war jedoch
bedeutend fetter als die anderen und schien ganz gesund zu sein. Es
war entschieden nur faul; aber als es sich auch am folgenden Morgen
nicht bewegen ließ, die Wanderschaft bergauf fortzusetzen, wurde es
zurückgelassen. Die Nachhut würde auf jeden Fall hier vorbeikommen
und es mitnehmen. Langweilen würde sich das arme Tier hier in der
Einsamkeit schon, aber von Wölfen würde es nichts zu fürchten haben;
diese greifen nie ein Kamel an, das einen Packsattel trägt, behaupten
die Muselmänner.

Auf einem kleinen Hügel neben dem Lager wurde eine Jurtenstange
aufgepflanzt und an ihrer Spitze eine Konservendose festgebunden, in
der ein Zettel lag, auf den ich in türkischer Sprache geschrieben
hatte: „Wir haben hier ein Kamel zurückgelassen; wenn es nicht hier
ist, so folgt seinen Spuren, bis ihr es findet!“ Es war möglich, daß
das Tier, wenn es sich erholt hatte, auf die Idee verfiel, seine
Kameraden zu suchen.

Wir hatten also eines der achtzehn verloren. Fragend folgte es uns
mit den Blicken, als wir unbarmherzig weiterzogen. Darauf beugte es
den Hals, um zu grasen, und wir sahen es nie wieder. Denn gerade hier
machte die Nachhut, die nicht immer an derselben Stelle lagerte wie
wir, einen Umweg. Sie sahen das verlassene Kamel nicht mehr; es war das
einzige Tier, das ohne Hoffnung auf Rettung lebendig zurückblieb und
von dessen weiteren Schicksalen wir nie etwas erfahren sollten.

Unser Zug geht auf unfruchtbarem Boden nach Südosten weiter; Schnee
und Hagel lassen uns wenig von den Umgebungen sehen -- heute haben wir
vollständigen Winter nach der gestrigen Sommerwärme. Auf dem linken
Ufer des Flusses geht es immer höher hinauf. Yakdung lag überall, aber
Herden sahen wir merkwürdigerweise nicht; wir hatten den Eindruck, daß
sie kürzlich verscheucht sein müßten. Als Zeichen von Jägerbesuchen
fanden wir an drei Stellen Feuerherde, von denen einer zehn Tage alt
sein konnte und aus einigen kreisförmig aufgestellten Steinen bestand,
in deren Mitte Asche lag. Ein schlanker Tonkrug war hier in Scherben
gegangen; der Hals lag noch da.



Dreizehntes Kapitel.

Das Hauptquartier.


Noch einen Tag sollten wir uns nach immer höheren Regionen
hinaufarbeiten, und es galt jetzt, die gewaltige Schneekette, die wir
solange zur Rechten gehabt hatten, zu übersteigen.

Die Kamele halten sich tapfer, aber ihre Kräfte sind im Schwinden. Das
Dromedar scheint der nächste Todeskandidat zu sein; es ist nur noch
Haut und Knochen und weint abends schmerzlich. Trotzdem spannte es
seine Kräfte aufs äußerste an und legte ehrenvoll die 19,1 Kilometer
zurück. Als Abendmahlzeit hatte es ein paar gewaltige Weizenbrote, Heu
aus einem Packsattel und ein paar Klumpen rohes Schaffett bekommen, das
an stärkenden Eigenschaften alles übertreffen solle.

Die Sonne und die Hochalpenlandschaft wurden bald von undurchdringlichen
Wolken verdeckt. Unsere Straße ging nach Südsüdwest, und das Unwetter
kam uns gerade entgegen. Was nützt einem bei solchem Wetter ein
Pelzbaschlik? Hagel und Schnee schlagen mir wagerecht ins Gesicht,
bleiben im Pelz sitzen, schmelzen und rinnen mir am Halse hinunter.
Manchmal muß man stehenbleiben und dem Unwetter den Rücken kehren, um
Atem zu schöpfen. Die Gegend ist verborgen unter diesen scheußlichen
Wolkenvorhängen, durch deren Hagelschauer wir reiten müssen. Es ist
nicht leicht, unter solchen Umständen zu zeichnen und zu schreiben!
Wenn es sich für eine Weile aufklärt, wundern wir uns, daß wir dem
gewaltigen Gletschermassiv zur Rechten nicht sichtlich nähergekommen
sind. Wir schreiten freilich ununterbrochen nach dem Passe hinauf, aber
ganz unglaublich langsam.

Auf beiden Seiten des Passes laufen mehrere Gletscherzungen aus; sie
sind vollständig überschneit, und jede von ihnen entsendet einen Bach.
Am Rande der Gletscher sehen wir große Yakherden; wir zählen über
300 Tiere, darunter einige ganz kleine Kälber. Tscherdon schoß eines
der letzteren für unseren Proviantvorrat. In dem Maße, wie wir uns
näherten, zogen sie sich über den Paß nach der Südseite hinüber. Die
Abhänge, auf denen sie im Moose weideten, sahen von ihren dichten
Reihen wie schwarzgestreift aus.

Mitten in dem flachen Tale, in dem wir nach der Paßschwelle
hinaufziehen, rieselte ein Bach, der nur ein oder zwei Meter breit,
aber oft einen Meter tief ist. Büschel von feuchtem, dichtem Yakgras
bildeten seine Ufer. Daß sich der tibetische Ochs hier sehr wohl fühle,
bewiesen die reichlichen Dungmassen, die umherlagen. In dem Bache leben
kleine Fische, die sich besonders in den ruhigeren Becken aufhalten.
Fische 5000 Meter über dem Meere! Wie gewöhnlich wurden Exemplare in
Spiritus mitgenommen.

Schließlich hören Bäche und Gletscherabflüsse auf, die Steigung
nimmt zu, und ich gelangte mit dem Lama auf diesen himmelstürmenden
Paß, dessen Höhe 5462 Meter betrug. Die Karawane mühte sich noch auf
dem Abhange ab. Ein großer Yak, der böse und herausfordernd aussah,
versperrte den Weg nach Süden. Er wedelte mit dem Schwanze in der Luft,
senkte die Hörner und machte gar keine Miene zu entfliehen. Wir hielten
es für geraten, die Ankunft der Schützen abzuwarten; doch sobald die
ersten Kamele auf dem Kamme auftauchten, trottete der Yak ab.

Inzwischen wurde das uns im Süden erwartende Land mit dem Fernglas
gemustert. Vor uns breitete sich ein Gewirr von Bergen und Ketten,
ein Labyrinth von Tälern aus. Ein bedeutender Fluß sammelte sich am
Südabhange; wir folgten ihm abwärts. Hier hielten sich sieben alte Yake
auf, die von den Hunden mit Todesverachtung angegriffen wurden. Vier
suchten sofort ihr Heil in der Flucht, drei hielten eine Weile stand.
Als aber die Angreifer ihre Attacke auf einen Yak konzentrierten,
machten sich die beiden anderen ebenfalls aus dem Staube. Der letzte
hatte verzweifelte Mühe, sich die Hunde vom Leibe zu halten. Er
entschloß sich schließlich für die schlaue Taktik, sich mitten in den
Fluß zu stellen, wo das Wasser um ihn schäumte und die Hunde scheu
machte. Nach einer Weile kamen zwei Kameraden zurück, um sich nach ihm
umzusehen, aber die Hunde waren des Spieles schon beinahe überdrüssig,
hatten sich hingesetzt und schauten ihr Opfer nur noch an.

An dem Punkte des Tales, wo den Kamelen die Lasten für die Nacht
abgenommen wurden, war das Gras bedenklich mager. Mitten auf ebenem
Boden lag ganz regungslos, den Blick auf uns gerichtet, ein Rebhuhn,
auf das einer der Kosaken schoß. Es taumelte im Todeskampfe auf; dabei
stellte sich heraus, daß es auf drei kleinen Küken gelegen hatte, die
unverletzt piepend um die Mutter herumliefen. Wenn man sich nicht zum
Troste sagen könnte, daß man in diesen unwirtlichen Gegenden jedes
Wild, das einem in den Weg kommt, zu erlegen berechtigt ist, weil man
sein eigenes Leben damit fristen muß, so würde man sich wie ein Räuber
und Schurke vorkommen, wenn man ein so idyllisches Familienleben
gewaltsam zerstört und solch ein bescheidenes Glück von der Erde
vertrieben hat. Es dauerte lange, bis ich die Erinnerung an diesen
feigen Schuß los wurde. Ich suchte mich damit zu trösten, daß die Hunde
das Rebhuhn, das mit seinen drei Küken abends in die Bratpfanne kam,
doch totgebissen haben würden.

Die Kamele müssen lange rupfend umhergehen, ehe sie so viel Gras im
Maule haben, daß es sich des Kauens und Schluckens verlohnt. Das Gras
ist zäh und hart, und die Wurzeln bleiben beim Rupfen daran sitzen,
denn der Erdboden ist von den Niederschlägen aufgelöst.

Der Lama, der ein kluger Mensch ist, bemerkte ganz richtig, daß diese
gigantische Bergkette für die Tibeter dieselbe Rolle spiele wie der
Arka-tag für die Bewohner von Ostturkestan; sie ist eine Grenzmauer
gegen das unbekannte, unbewohnbare Land, eine Grenze, die selten
überschritten wird, und dann nur von Yakjägern. Zwischen dieser Kette
und dem Arka-tag liegen die höchsten und unfruchtbarsten, daher auch
am schwersten zugänglichen Teile von Tibet. Jetzt hatten wir noch
280 Kilometer bis nach dem Nordufer des Tengri-nor, und die ersten
Lagerplätze der Nomaden konnten nicht mehr sehr weit sein.

Am Morgen des 21. Juli erwachte ich bei Schneetreiben. Kompakte,
beinahe schwarze Wolkenmassen hängen längs des Kammes der ewigen
Schneekette. Diese wird ganz von ihnen eingehüllt, und man würde von
ihrem Dasein keine Ahnung haben, wenn nicht zwei Gletscherzungen,
den Tatzen eines ungeheueren Eisbären vergleichbar, unter dem Saume
des Wolkenmantels herunterhingen. Die Schneegrenze dürfte sich hier
etwa 100 Meter über der Paßhöhe befinden. Trotz dieser bedeutenden
absoluten Höhe kamen keine nennenswerte Fälle von Bergkrankheit vor.
Nur Tscherdon, der Yaken nachgelaufen war, hatte Kopfweh.

Durch eine Hagelbö nach der anderen reiten wir zum Passe hinauf. Auf
der rechten Seite mündet hier ein Nebental, und der vereinigte Fluß,
der nun die Richtung nach Südost einschlägt, mußte uns den Weg nach
tieferliegenden Gegenden mit Weideland zeigen. Wir beschlossen, ihm zu
folgen, soweit er ging.

Gerade in dem Talknie lagen zwei gewaltige Eistafeln, in denen hier und
dort Waken gähnten, unter denen man das Wasser des Flusses strömen sah.
Manchmal muß man sich darüber wundern, daß die ziemlich gebrechlichen
Eisbrücken nicht unter den Kamelen einstürzen. Bald wird das Eis
zusammenhängender und dicker. Der Fluß strömt frei in der Mitte des
Talbodens, und auf jeder Seite begleitet ihn ein ununterbrochenes
dickes Eisband mit senkrechten oder überhängenden Wänden (Abb. 242).

[Illustration: 232. Eine angeschossene Orongoantilope. (S. 126.)]

[Illustration: 233. Erlegter tibetischer Bär. (S. 127.)]

Die Karawane ging auf der rechten Eisscholle, die bei einer Biegung
des Flusses unterbrochen war, so daß wir auf den Schuttboden hinunter
mußten. Die Eistafel war jedoch lotrecht und 1,97 Meter hoch, so daß
alle Äxte, Stangen und Spaten in Tätigkeit gesetzt werden mußten,
um einen Weg zu bahnen (Abb. 243). Diese Arbeit dauerte eine gute
Stunde, während welcher Schagdur weiterritt. Mir sah diese Straße
höchst bedenklich aus, denn das Tal verschmälerte sich immer mehr;
wahrscheinlich war es ein tief eingeschnittenes Durchbruchstal, das uns
nicht mehr herauslassen würde.

Der Eisabhang wurde mit Sand bestreut; dann führten wir alle Tiere
vorsichtig hinunter, um in der 20-40 Meter breiten Rinne zwischen
den Eisbändern weiterzuziehen, wobei wir meistens im Flusse selbst
gingen. Auf dem Talboden war es tüchtig naß; es spritzte und patschte
um die Kamele. Von den Eisrändern tropfte und rieselte es im Regen,
umsomehr als sich die Temperatur den ganzen Tag einige Grade über dem
Gefrierpunkte hielt.

Wir waren schon eine Strecke weit in der Nässe gewatet, als wir
Schagdur trafen. Fünf, sechs Kilometer könnten wir noch marschieren,
sagte er, weiter aber nicht. Dort hörten die Eisbänder auf und ein
Hohlweg beginne, in dem der Fluß zu einem tiefen, unpassierbaren Strom
zusammengedrängt werde. Schagdur war mit seinem Pferde noch in ein
Meter tiefem Wasser geritten, dann aber umgekehrt.

Da dazu kam, daß sich die Wassermenge des Flusses bis zum späten Abend
stündlich vergrößern mußte, beschloß ich umzukehren. Man konnte ja
in einer solchen Falle in eine, gelinde ausgedrückt, ungemütliche
Lage geraten und von oben und unten abgeschnitten werden. Das Wasser
würde nachdrängen und das Tal so füllen, daß wir auch nicht wieder
zurückkönnten. Und Talerweiterungen, wo man die Kamele nach den Seiten
hätte führen können, hatte der Späher nicht gesehen.

Also das Ganze kehrt gemacht und wieder zurück durch diese angenehme
Passage mit ihren unzähligen Furten, Waken und Tümpeln. Jetzt war alles
noch mehr durchweicht, und in den Spuren der Kamele hatte sich Wasser
angesammelt. Überall rieselt und sprudelt es, und das Eis knackt und
kracht. Es füllt im Winter ohne Zweifel das ganze Tal aus, wird aber
von dem von den Gletschern gespeisten Flusse im Frühling schließlich
durchbrochen. Es mag eigentümlich erscheinen, daß solche Eismassen bis
Mitte Juli liegenbleiben können; doch dies hat seinen Grund teils in
der absoluten Höhe, teils in der hohen, schützenden Bergwand, die sich
auf der Südseite des Tales erhebt.

Da, wo die Richtung des Tales nach Südosten überging, verließen wir
unsere Spur und gingen am Ufer des von rechts kommenden Nebenflusses
hinauf. Damit der Nachhut unsere vergebliche, anstrengende
Eiswanderung erspart bliebe, wurde in der Talbiegung ein Steinmal
errichtet und davor an der Erde aus Steinstücken eine Pfeilspitze
angebracht, die nach Südwesten zeigte.

Statt, wie wir gehofft, die Reise nach Süden und wärmeren Gegenden
hinunter fortsetzen zu können, mußten wir wieder ein völlig
unfruchtbares Tal hinaufziehen. Der Hagel schlug heftiger als je
nieder. Es war ziemlich gleichgültig, wie die Gegend aussah, denn heute
konnten wir nicht mehr weiter, und da es sich hier um einen neuen Paß
handelte, war auch keine Hoffnung vorhanden, daß wir eher Weide finden
würden als auf seiner anderen Seite.

Gegen Abend klärte sich der Himmel auf; ich lag auf meinem Bett,
rauchte meine Pfeife und betrachtete die Kamele, die mit Engelsgeduld
nach Gras suchten. Die Sonne sinkt, die Wolken färben sich rotbraun,
und als es dämmerig wird, schmettern wieder schwere Regentropfen auf
die schon feuchten Filzdecken der Jurte. Nun wird das Licht angezündet,
die Arbeit geht weiter, und der Abend verfließt in gewöhnlicher Ruhe.
Wir plaudern eine Weile in Sirkins Zelt und tauschen unsere Meinungen
darüber aus, wie Tschernoff mit den erschöpften Kamelen der Nachhut
hier durchkommen wird. Wir beraten auch über die Reise nach Lhasa.
Sollten wir nicht einige Platz erfordernde Sachen, wie Stearinkerzen
und den kleinen photographischen Apparat in dem Packsattel eines
Maulesels durchschmuggeln können? „Nein“, erklärte der Lama,
„hierzulande ist man nie sicher; sie stehlen uns vielleicht das ganze
Tier mit Sattel und allem.“

Der nächste Tag brachte uns hinsichtlich der Terrainverhältnisse keine
Änderung zum Bessern. Nachdem wir noch ein Steinmal errichtet hatten,
schritten wir zu dem Passe hinauf, der von fern sehr leicht aussah, in
Wirklichkeit aber schwerer zu übersteigen war als der vorige.

Ich ritt mit dem Lama in dem Flußbette aufwärts, das der einzige Weg
mit festem Boden war; denn entfernt man sich nur ein wenig von ihm,
so sinkt das Pferd in den Morast ein, und man muß schnell abspringen
und versuchen, wieder auf tragfähigen Boden zu gelangen. Die Abhänge
bestehen nach dem Flußbette zu aus einer breiähnlichen Schlammmasse,
die, nach den oft vorkommenden Quer- und Randspalten zu urteilen, sich
in wenn auch unmerklich gleitender Bewegung befindet. Die absolute
Höhe, die recht fühlbare Steigung und der lose Boden könnten vereint
auch die beste Karawane vernichten.

Zwei Stunden brauchten wir zum Hinaufreiten; nachher mußten wir dort
zwei Stunden auf die anderen warten. Ein rasender Hagelsturm tat das
Seine, den Boden noch mehr aufzuweichen. Es ist qualvoll anzusehen, wie
die Kamele, wenn sie in den Brei einsinken, sich abmühen und abquälen,
um sich wieder herauszuarbeiten. Nur fünfzehn erreichten den Paß, zwei
waren mit je einem Manne zurückgelassen worden. Ihre Lasten übernahmen
Pferde, deren Reiter zu Fuß gehen mußten.

Der Südabhang war zehnmal schlimmer; dort war es weder möglich, festen
Boden zu finden, noch zu Pferd zu sitzen. Ein Mann geht voraus, um
das Erdreich zu prüfen, ihm folgt Turdu Bai mit den Kamelen. Er eilt
so schnell, wie er nur kann, vorwärts, damit die Kamele nicht zu tief
in den Schlamm einsinken können. Das nützt ihm jedoch wenig. Gebrüll
ertönt; ein Seil hat sich gespannt und ist gerissen, ein Kamel ist im
Versinken begriffen. Alle Mann müssen ihm heraushelfen, nachdem ihm die
Last abgenommen worden ist; dann schreitet der Zug weiter. Es ist ein
Wunder, daß es gelingt, denn das Kamel sinkt bis an die Knie in den
Schlamm ein, der jetzt so dünnflüssig ist, daß sich die Gruben sofort
wieder schließen. Der Regen gießt herab, und die dämmerungsdunkeln
Wolken lassen nirgends ein Aufhellen ahnen. Ein Maulesel bleibt in
einem Sumpfloche stecken und kann nur mit Mühe gerettet werden. Von
Menschen und Tieren rieselt und tropft das Wasser herunter, und alle
atmen mühsam und schwer. Ein hoffnungsloses Land! Nicht genug damit,
daß uns hier die Menschen den Zutritt verweigern, auch die Elemente
und die Erde verschwören sich, um uns totzuquälen, bevor wir die
erfrischenden Weidegründe und die belebende Ruhe erreicht haben, von
denen wir nachts träumen! Wie würde es Tschernoffs elf schlechten
Kamelen hier ergehen? Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß
kein einziges von ihnen die beiden Pässe und den Morast, der mit jedem
Regentage immer schlimmer wurde, überleben würde.

Endlich erreichten wir einen größeren Fluß. Woher er kam und wohin er
strömte, konnten wir bei dem jetzt herrschenden, ungeheuer dichten
Schneeregen nicht sehen. Was wir aber mit Befriedigung fühlten, war,
daß sein Kiesboden wenigstens nicht nachgab und uns nicht, wie eben
noch die Erde, zu verschlingen drohte. Alles war schon so durchnäßt,
daß es nichts mehr machte, wenn wir auch noch in diesem Flusse
plätscherten. Ein wenig weiter abwärts entdeckte ich auf dem rechten
Ufer Gras und Schagdur einen großen Tonkrug. Der Lama war der Ansicht,
daß seine Größe darauf schließen lasse, daß keine Nomaden in der Gegend
wohnten, denn im anderen Falle würden sie sich nicht mit einem solchen
Dinge geschleppt haben. Jäger, die auf ihren Gebirgswanderungen eines
festen Lagerpunktes zum Ausruhen bedürfen, hätten den Krug hier ein für
allemal zurückgelassen.

Wir waren eben mit dem Aufschlagen der Zelte fertig, als sich auch
schon die nächste Regenbö einstellte. Arme Karawanentiere! Sie mußten
die eiskalte Dusche über sich ergehen lassen.

Von den zurückgelassenen Kamelen konnte nur eines noch das Lager
erreichen. Das andere war unmittelbar unter dem Schlammpasse geblieben,
wo Hamra Kul die Nacht bei ihm zubringen wollte. Das Kamel steckte
dort buchstäblich im Schlamm, und alle Versuche, ihm herauszuhelfen,
waren fruchtlos geblieben. Es hatte seine Kräfte in der Verzweiflung
aufs äußerste angespannt, war aber nur immer tiefer in den Morast
geraten, der es nun festhielt. Hamra Kul ließ mich hiervon durch einen
Kameraden benachrichtigen und mich zugleich fragen, was er tun sollte.
Ich schickte zwei Männer mit Proviant und etwas Feuerung zu ihm. Sie
sollten alle drei die Nacht bei dem verunglückten Kamele zubringen;
am Morgen, wenn die obere Schicht des Bodens ein wenig erstarrt
war, so daß man wie auf Eis an das Kamel herangehen konnte, sollten
sie versuchen, ob sie es nicht mit Hilfe von Spaten und Filzdecken
herauszuziehen vermöchten. Alle übrigen Leute sollten ihnen zu Hilfe
kommen, da wir auf jeden Fall einen Tag liegenzubleiben beabsichtigten.
Li Loje hatte nämlich nur einen Kilometer weiter flußabwärts viel
bessere Weide gefunden, wohin die Tiere schon am Abend geführt wurden.

Alle Versuche, dieses an und für sich gesunde, fehlerfreie Tier
zu retten, mißlangen. Es sank während der Nacht immer tiefer ein
und wurde, wie die Leute meldeten, am Morgen, halb in diesem
heimtückischen, verfluchten Boden festgefroren, tot gefunden. Nur
einmal war es mir bisher passiert, daß uns ein Kamel in einem Sumpfe
erstickt war, sonst war es uns stets geglückt, die Tiere noch zu
retten. Der Leser kann sich einen Begriff von den Schwierigkeiten
machen, die mit der Reise durch ein Land verbunden sind, in welchem
sich die Erde auftut, um die Karawanentiere zu verschlingen! Mit jedem
Tage wunderte ich mich immer mehr, daß die Kamele sich unter diesen
fürchterlichen Strapazen noch so gut hielten.

Während des Ruhetages im Lager Nr. 43 gingen Sirkin und Schagdur auf
die Jagd. Nachher berichteten sie, daß sie in einer Entfernung von nur
3 -- 4 Kilometer talabwärts Hügel gefunden, die mit vortrefflichem
Grase, besserem, als wir je gehabt hätten, bewachsen seien. Turdu
Bai hielt sich fast den ganzen Tag draußen bei den Kamelen auf; er
hatte sich den Genuß, sie wieder zu sehen, nicht verkürzen wollen.
Er erklärte, daß die Weide hier in der Gegend für einen vollen Monat
ausreiche und nur ein längerer Aufenthalt die Karawane retten könne.
In aller Eile beschloß ich, am folgenden Tage, 24. Juli, nach den
Weideplätzen, welche die Kosaken entdeckt hatten, aufzubrechen und dort
das große Hauptquartier anzulegen. Dort sollte das Lager befestigt,
eine astronomische Ortsbestimmung ausgeführt und die letzte Hand an
unsere mongolische Ausrüstung gelegt werden, und von dort wollten
wir in der Richtung nach Lhasa aufbrechen. Es war hohe Zeit! Einige
Muselmänner hatten auf ihren Streifzügen nach Brennmaterial einen
Flintenschuß gehört. Wir hatten vielleicht Nachbarn in der Gegend, und
jetzt hieß es aufpassen.

Anfangs war es meine Absicht gewesen, auf dem Ritte nach Süden die
beiden burjatischen Kosaken und den Lama mitzunehmen. Da jedoch unsere
Ankunft von den Yakjägern, auf die wir so unerwartet gestoßen waren,
ganz gewiß schon erzählt worden, wagte ich nicht, nur +einen+ Kosaken
im Hauptquartier zurückzulassen. Wenn es auch nicht wahrscheinlich war,
daß die Tibeter unseren Rückzugspunkt angreifen würden, so erforderte
es doch die Klugheit, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein. Es
konnte noch lange dauern, bis Tschernoff mit den Trümmern der Nachhut
anlangte. Daher beschloß ich, auch Tscherdon zurückzulassen, der mit
seinem Magazingewehre zur Sicherheit des Lagers beitragen würde. Es
tat mir sehr leid, ihm dies mitteilen zu müssen, und ich hatte es
möglichst lange hinausgeschoben. Ich wußte, daß es für ihn eine sehr
große Enttäuschung sein würde, denn die Wallfahrt nach Dscho (Lhasa)
ist in der lamaistischen Welt ebenso verdienstvoll wie der Titel eines
Hadschi, eines Mekkapilgers, bei den Muselmännern. Doch ich tröstete
ihn damit, daß es wenig wahrscheinlich sei, daß es uns gelänge, die
Wachsamkeit, mit der die Tibeter jetzt ohne Zweifel ihre Stadt hüteten,
zu täuschen, und versprach ihm, daß er vor dem Ende dieser Reise ebenso
wie die anderen Gelegenheit haben sollte, einen Tempel zu besuchen.

Ein Kosak zeigt übrigens nicht, was er empfindet oder denkt, er
antwortet nur: „Wie der Herr befehlen!“; der Wille des Vorgesetzten ist
für ihn Gesetz. Doch ich wußte nur zu gut, daß diese Wendung der Dinge
den guten Tscherdon sehr betrübte.

Für uns drei Pilger wurde die Sachlage dadurch ebenfalls anders --
unsere Truppe verkleinerte sich um ein Viertel. Das Unternehmen war
jedoch in jedem Falle so gewagt, daß es keine Rolle spielte, ob wir
drei waren oder vier.

Viele Fragen stürmten auf mich ein, als wir am 24. Juli aufbrachen. War
es das letztemal, daß ich in Gesellschaft meiner Karawane marschierte?
Würde ich sie wiedersehen und würde dann im Lager alles ruhig sein?

Es wurde ein kurzer Marsch, kaum drei Kilometer; das Tal fällt ziemlich
rasch ab, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen. Er wird
unaufhörlich überschritten. Auf den Uferhügeln wird die Weide immer
besser, sie ist jedoch nicht gleichmäßig verteilt, sondern bildet
besonders da, wo die Abhänge der Südsonne ausgesetzt und vor den kalten
Nordwinden geschützt liegen, kleine Rasenflecke von üppigem, saftigem
Grase.

Auf dem flachen Gipfel eines Hügels am linken Ufer des Flusses wurde
der wichtige Lagerplatz in 5127 Meter Höhe ausgewählt, wo wir uns
unter so eigentümlichen Verhältnissen trennen sollten. Die Weide war
hier gut genug, aber vom strategischen Gesichtspunkte aus war die
Lage unvorteilhaft. Die Aussicht wurde auf allen Seiten von Hügeln
versperrt, die den Lagerplatz beherrschten, und wenn irgendein
räuberischer Tangutenstamm auf den Gedanken verfiele, feindselig
vorzugehen, würde sich hier ein Überfall mit größter Leichtigkeit
ausführen lassen.

Während der beiden Tage, die ich noch im Lager Nr. 44 weilte, wurden
die letzten Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Die Tiere, die uns
begleiten sollten, fünf Maulesel und vier Pferde, wurden mit besonderer
Sorgfalt gepflegt und durften die letzten Reste des noch vorhandenen
Maises verzehren. Ihre Hufe wurden neu beschlagen, ihre Sättel und
Decken ausgebessert.

Alles Gepäck, das wir mitnehmen wollten, wurde in zwei mongolischen
Kisten untergebracht. Von den Instrumenten waren es nur 3 Kompasse,
2 Uhren, 1 Aneroid, 2 Thermometer, 3 Paar Schneebrillen und die
Veraskopkamera mit 8 Dutzend Platten. Ferner folgende absolut
notwendige Dinge: das Blatt Lhasa der asiatischen Karte des russischen
Generalstabs, Notiz- und Marschroutenbücher in Miniaturausgaben,
sowie Tinte, Papier und Federn, Zirkel, Rasiermesser und Seife, denn
jetzt galt es, daß der ganze Kopf stets frisch rasiert blieb; andere
Waschutensilien waren nicht nötig, im Gegenteil war es wünschenswert,
möglichst schmutzig zu werden, um dadurch eine echtere mongolische
Farbe zu erhalten. Eine Schere, eine Laterne, ein Beil, ein Dutzend
Stearinlichter und einige Schachteln Zündhölzer, einige Medikamente,
10 Jamben in Silber, Pfeifen und Tabak gehörten zum Unentbehrlichen.
Der Proviant bestand aus Mehl, Reis, Talkan und Fleisch. Zehn
Konservendosen wurden für die ersten Reisetage mitgenommen; jede
geleerte Dose sollte in Seen oder Flüssen versenkt werden, um, falls
man uns beobachtete, nicht Verdacht zu erregen. Die Bewaffnung
bildete ein russisches Magazingewehr, ein Berdangewehr und ein
schwedischer Offiziersrevolver nebst 50 Patronen für jede Waffe. Einige
Kleinigkeiten, welche die Mongolen ständig bei sich tragen, fehlten uns
auch nicht. Auch ich trug einen Rosenkranz, ein Gavo (Amulettfutteral)
mit Götzenbild um den Hals, ein am Gürtel hängendes Messer in Scheide,
chinesische Elfenbeinstäbchen zum Essen, einen ledernen Tabakbeutel,
ein Feuerzeug mit Stein und Zunder und die lange Pfeife (Abb. 244).
An Kleidern, Stiefeln und Mützen hatte jeder von uns eine doppelte
Ausrüstung, denn wir hatten alle Aussicht, bald durchnäßt zu werden.
Alles, was Gefäß hieß, wie Kochtöpfe, Kannen, Tassen, war echt
mongolisch. Das kleinste und leichteste Zelt wurde unsere Wohnung. Für
die Nachtwache nähte der Lama einen prächtigen Mantel aus dickem weißem
Filz, der sich später als sehr praktisch erwies.

Alle diejenigen Sachen, die bei den Tibetern sofort Verdacht erregt
hätten, wurden in der einen Kiste unter dem Proviant verborgen. Vieles
davon konnte ohne Bedauern ins Wasser geworfen werden, falls unsere
Lage kritisch wurde. Dagegen müßte es uns schon sehr schlecht gehen,
ehe ich mich von den Instrumenten und den gemachten Aufzeichnungen
trennen würde. Für Uhr, Aneroid, Kompaß und Thermometer hatte ich
besondere Taschen im Futter, die so gut versteckt waren, daß nur ein
sehr dreister Untersucher imstande sein würde, sie zu entdecken.

Als alles bereit und die astronomische Beobachtung ausgeführt war,
wurde die Abreise auf den 27. Juli festgesetzt.

Am letzten Abend verschloß ich meine kostbaren Kisten, außer
derjenigen, in der die Chronometer in ihren Futteralen in Watte
eingebettet lagen. Sirkin hatte lernen müssen, sie mit größter Vorsicht
aufzuziehen, um sie bis zu meiner Rückkehr in Gang zu halten. Ja,
vorsichtig war er, ganz übertrieben vorsichtig! Schon am ersten Abend
nach unserer Abreise blieb der eine Chronometer stehen, weil Sirkin
nicht gewagt hatte, ihn ganz aufzuziehen, aus Furcht, die Feder
könnte springen. Dasselbe passierte am Tage darauf mit dem zweiten
Chronometer. Es schadete jedoch nicht viel, denn durch Wiederholung der
Beobachtungen im Lager Nr. 44 erhielt ich die Zeit später wieder.

Wie gewöhnlich, sollte das meteorologische Observatorium die ganze
Zeit über von Sirkin besorgt werden, der zu diesem Zweck einen
eingefriedigten Schuppen baute, in dem die Instrumente geschützt
standen.

In Gegenwart aller wurde Sirkin feierlich zum Führer und Chef des
Hauptquartiers ernannt; seinen Befehlen sollte geradeso gehorcht
werden, als ob ich sie selbst erteilt hätte. Doch stand Turdu Bai als
Sachverständigem das Recht zu, Vorschläge zum Aufbruche nach einem
Punkte in der Nachbarschaft zu machen, sobald das Land um das Lager
herum nahezu abgeweidet war. Er hielt es für angemessen, den ersten
kurzen Umzug nach etwa zehn Tagen vorzunehmen; sie hatten überreichlich
Zeit, sich die allerbesten Weideplätze in der Gegend auszusuchen.
Infolgedessen würde das Lager Nr. 44 keine bleibende Statt haben. Damit
wir Pilger bei unserer Rückkehr die Unserigen wiederfinden könnten,
sollte auf dem ursprünglichen Lagerplatze ein Dokument mit Auskunft
über das neue Lager, seine Richtung und seine Entfernung von ersterem,
niedergelegt werden. Zogen sie wieder um, so sollte ein neues Dokument
deponiert werden.

Ich redete mit jedem der Männer besonders und ermahnte sie, ihre
Pflicht zu tun. Li Loje hatte jedoch seine eigenen Pläne. Nachdem
er gebeten hatte, mich nach Lhasa begleiten zu dürfen, und dies ihm
bestimmt abgeschlagen worden war, bat er, auf demselben Wege, den wir
gekommen, über das Gebirge nach Tscharchlik zurückkehren zu dürfen,
-- 950 Kilometer! Mollah Schah und Hamra Kul wollten ihn begleiten.
Da die Sache ein Stück aus dem Narrenhause war, erklärte ich ruhig,
es stehe ihnen frei zu gehen, doch könnten wir unter den jetzigen
Verhältnissen keine Pferde entbehren; nur Li Loje, der sein eigenes
Pferd mitgebracht, könne also reiten. Proviant wolle ich ihnen geben,
und Li Loje habe ja auch seine eigene Flinte.

Ich holte die von mir nach und nach zusammengestellte Übersichtskarte
herbei und rief ihnen jeden Lagerplatz, auf dem wir seit Tscharchlik
gerastet, ins Gedächtnis. Dann prophezeite ich ihnen, wie ihre
verrückte Wanderung ablaufen würde. Zuerst würde Mollah Schah, der ein
alter Mann sei, zusammenbrechen und zurückgelassen werden, denn er
werde doch wohl nicht glauben, daß die beiden anderen einen Kranken
auf dem Pferde mitschleppen würden. Dann werde die Reihe an Li Loje
kommen, der nicht übertrieben kräftig sei. Hamra Kul würde freilich,
sagte ich, da es das Leben gelte und er ein starker, kräftiger Mann
sei, Tscharchlik erreichen können. Erreichen aber werde er es nie, denn
er werde vorher im Arka-tag von Wölfen überfallen und zerrissen werden.
Ich wünschte ihnen jedoch eine glückliche Reise und sagte, ich wollte
hoffen, daß Allah seine schützende Hand über ihnen halte.

Sei es, daß diese Schilderung tiefen Eindruck auf sie machte oder daß
sie von selbst wieder zur Vernunft kamen, genug, abends erschienen sie
als Büßer in meinem Zelte, fielen vor mir auf die Knie und flehten
mich an, sie um Gotteswillen hierzubehalten, was ihnen auch in Gnade
bewilligt wurde. Ich bin mir nie darüber klar geworden, was für ein
böser Geist eigentlich in sie gefahren war, und ich war zu sehr mit
meinem eigenen gewagten Plane beschäftigt, um zu versuchen, den
Grund zu erforschen. Sie selbst versicherten, die Veranlassung sei
nur Heimweh und nicht Furcht vor den Tibetern gewesen, aber Sirkin
hatte am selben Tage in einem hinter dem Lager befindlichen Tale
die frischen Spuren eines Mannes gesehen, der teils gegangen, teils
geritten war, und die Hunde hatten die letzten Nächte wütend gebellt.
Es wurde schon im Lager geflüstert, daß wir von Tibetern beobachtet
und bewacht würden. Ich glaubte indessen nicht daran, denn Kulane
zeigten sich oft bald auf dem einen, bald auf dem anderen Hügel, und
die beobachteten Spuren konnten recht gut von ihnen herrühren. Etwa
zwanzig Raben kreisten wie schwarze Furien über dem Lager. Unter den
ernsten Verhältnissen, in denen wir jetzt lebten, erschienen sie uns
abscheulicher als sonst.

[Illustration: 234. Berg beim Lager Nr. 16. (S. 126.)]

[Illustration: 235. Das Steinmal auf dem Knotenpunkte bei Lager Nr. 24.
(S. 137.)]

[Illustration: 236. Weidende Kamele. (S. 141.)]

[Illustration: 237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896.
(S. 144.)]

[Illustration: 238. Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser. (S. 150.)]

Schließlich sprach ich mit Sirkin allein und erklärte ihm die ganze
Tragweite des Wagnisses, in das wir uns stürzten. Er hörte schweigend
zu, schüttelte aber langsam den Kopf.

„Wenn wir in dritthalb Monaten nicht wieder hier sind“, sagte ich, „so
müßt ihr aufbrechen und nordwärts nach Tscharchlik ziehen, von dort
aber nach Kaschgar zurückkehren.“

Ich glaubte allerdings nicht, daß man uns totschlagen würde, aber
jedenfalls mußte ich mich auf alle Möglichkeiten vorbereiten und solche
Anstalten treffen, daß meine Karten und Aufzeichnungen um jeden Preis
gerettet würden. Sirkin erhielt den Schlüssel zur Silberkiste, damit
er in Tscharchlik eine neue Karawane ausrüsten konnte. Er bekam die
Übersichtskarte über den von uns zurückgelegten Weg, und im übrigen
würde ihr Ortssinn die Leute nicht im Stiche lassen; sie würden sich
ohne Schwierigkeit zurückfinden. Es war freilich wenig wahrscheinlich,
daß ein einziges Kamel noch eine solche Reise überleben würde, aber
einige der Pferde sollten sie doch wohl aushalten können, und Sirkin
wußte, welche Kisten um jeden Preis gerettet werden mußten. Wie lange
sie auch im Lager Nr. 44 bleiben würden, stets sollte Tag und Nacht
strenge Wache gehalten werden. Besonders da, wo die Tiere weideten,
sollten sich stets einige bewaffnete Leute mit ein paar Hunden befinden.

Dann ging ich zum letztenmal unter „zivilisierten“ Verhältnissen zu
Bett, schlief sofort ein und erwachte nicht eher, als bis Schagdur kam,
um mich zu dem verhängnisvollen Aufbruch zu wecken.



Vierzehntes Kapitel.

Aufbruch nach Lhasa.


Eiligst kleidete ich mich in den mongolischen Anzug und wurde vom
Scheitel bis zur Sohle ein Mongole (Abb. 245). Die während des
Rittes zu gebrauchenden Instrumente, sowie Tabak und Fernglas wurden
in ihren Verstecken untergebracht. Schon vom ersten Augenblick an
fühlte ich mich in meinem mongolischen Rocke sehr gemütlich; er
saß weich und gut, und das einzige, was ich entbehrte, waren die
vielen Taschen, die ich in meinem Ulster hatte. Der Kompaß und das
Marschroutenbuch wurden einfach vorn in den Rock gesteckt und von der
gelben Leibbinde festgehalten. Auf dem Kopfe trug ich eine gelbe Mütze
mit aufgekrempeltem Vorderrand. Die dicken, plumpen Mongolenstiefeln,
mit denen ich schon lange gegangen war, damit sie genügend getragen
und abgenutzt aussähen, paßten mir vortrefflich und waren infolge
ihrer dicken Sohlen und aufwärtsgekehrten Spitzen auf feuchtem Terrain
außerordentlich praktisch. Der Rock selbst hatte eine tiefdunkelrote
Farbe. Der gelbe Pelz war heute morgen nicht nötig, da die Sonne sehr
freundlich schien und Fliegen und Schmetterlinge die Luft erfüllten.

Ich sollte meinen Schimmel reiten, der jetzt schon lange
wiederhergestellt war, und war gerade dabei, meinen weichen, bequemen
Mongolensattel zurechtzurücken, als Sirkin von hinten kam und mich
auf Mongolisch anredete. Er stockte jedoch sofort in seiner Rede und
war ganz verdutzt, als er sah, daß ich es war; er hatte geglaubt, es
sei der Lama. Ich fühlte mich durch diesen Irrtum außerordentlich
geschmeichelt; meine Verkleidung konnte also entschieden für genügend
gelten.

Jetzt wurden alle Hunde angebunden, außer Malenki und Jollbars, die uns
freiwillig folgten. Unsere kleine Karawane wurde beladen, wir stiegen
zu Pferd und ritten ab. Der Abschied rief viele Tränen hervor; Sirkin
wandte sich ab, um seine Rührung zu verbergen, Hamra Kul aber weinte
laut wie ein Kind und begleitete uns noch etwas zu Fuß, mit seinen
großen Stiefeln ganz unbekümmert durch den Fluß watend.

Das Lager Nr. 44 verschwand hinter den Hügeln, und wir trabten schnell
talabwärts. Würden wir diesen friedlichen Ort je wiedersehen? Ich
zweifelte nicht an der mächtigen Hand, die bisher stets meine Schritte,
durch Wüsten und über Berge, gelenkt hatte. Schagdur schwelgte förmlich
in dem Gedanken an das beginnende Abenteuer. Der Lama war ruhig wie
ein Stoiker, und als ich ihn der am Kum-köll getroffenen Verabredung
gemäß fragte, ob er im Lager zu bleiben wünsche, wollte er nichts davon
hören; jetzt wolle er mich nicht verlassen, sondern mit mir ziehen,
wenn es ihm auch das Leben kosten sollte.

Schagdur ritt einen Falben, der Lama den kleinen, dreisten Maulesel,
der im vorigen Jahr, bei dem See, wo die Leute die beiden Denkmale
errichteten, beinahe verlorengegangen wäre. Meine beiden Reisegefährten
führten die Lasttiere, und Ordek, der eines der Pferde ritt, hatte
ein Auge auf die Lasten. Er sollte uns die beiden ersten Tagereisen
begleiten, um nachts die Tiere zu bewachen. Noch drei Nächte würden wir
drei Pilger also ordentlich ausschlafen können, ehe die Aufgabe, unsere
Tragtiere zu bewachen, uns selbst zufiel.

Ein paar Stunden weit begleiteten uns Turdu Bai und Tscherdon. Dann
kehrten auch sie nach einem letzten Lebewohl um. --

Das Flußtal ist eng und zwischen steilen Hügeln eingeschlossen. Den
Fluß überschritten wir schon zu Anfang neunmal. Die ganze Landschaft
leuchtet rot, denn hier haben wir roten Sandstein, der derartig
verwittert ist, daß man ihn selten als anstehendes Gestein antrifft.
Grus und Blöcke sind dafür um so häufiger.

Am rechten Ufer, wo eine gute Furt durch zwei kleine Steinmale
bezeichnet war, sah man Spuren eines Jägerlagers. Drei rußige Steine
bildeten eine Unterlage für einen Kochtopf. Auch ein noch nicht
lange erlegter, aber jetzt ganz zusammengetrockneter Yak legte von
menschlichen Besuchen Zeugnis ab. Ein Bär war gestern oder heute hier
gewesen und hatte den Kadaver umgedreht.

Nachdem wir den Fluß noch ein paarmal gekreuzt haben, mündet unser Tal
in weites, offenes, nur in der Ferne von Bergen begrenztes Terrain
aus. Der Fluß durchzieht diese Ebene nach Nordosten, während wir
den Weg nach Südosten einschlagen. Im Norden steht die vor kurzem
überschrittene, so schwer zugängliche Bergkette mit zwei Pässen.

An Wild sahen wir zahlreiche Kulane, Hasen und Murmeltiere, sowie einen
Wolf; später machten die Hunde noch einen Rundtanz mit einem alten
Yak, den sie aufgespürt hatten. An einem offenen Quellbecken (Namaga),
wo das Gras üppig stand, schlugen wir Lager, denn einer der Maulesel
begann bedenklich zu hinken. Ich zündete Feuer an, indes die Männer
die gröberen Arbeiten besorgten; Pferde und Maulesel wurden mit einem
Stricke zwischen Vorder- und Hinterbein geknebelt, was sie verhindern
sollte, sich allzuweit zu entfernen.

Darauf wurde das einfache Mahl von gebratenem Fleisch, Reis, Brot
und Tee zubereitet; beim Essen bedienten wir uns der Hände, der
chinesischen Stäbchen und einer kleinen mongolischen Holztasse --
Luxusartikel, wie Gabeln und Löffel, enthielten unsere Kisten nicht.
Nur der Lama hatte keinen Appetit; er litt an heftigen Kopfschmerzen
und befand sich wirklich schlecht. Es wäre doch hart, wenn er jetzt,
da wir ihn so weit gebracht hatten, nicht imstande sein würde, die
Reise mitzumachen; es stand aber zu befürchten, daß er mit Ördek würde
umkehren müssen.

Ich lag noch eine Weile auf der Erde und ließ mich von der Abendsonne
bescheinen, doch um 8 Uhr gingen wir zur Ruhe, weil wir nichts weiter
zu tun hatten. Ördek hütete die Tiere, aber die drei Pilger schliefen
zum ersten Male brüderlich zusammen in ihrem Wallfahrtszelte. Der Mond
schien über der stillen Gegend; es war ein Segen, daß wir während
dieser Nächte sein Licht hatten.

In diesem Lager wurde beschlossen, daß Ördek uns noch einen Tag
begleiten sollte, denn dem Lama ging es sehr schlecht; er schwankte im
Sattel und mußte oft absteigen, um eine Weile auf der Erde zu liegen.

Das Terrain ist in dieser Gegend vorzüglich, und wir legten auf dem
festen Boden mit größter Leichtigkeit beinahe 40 Kilometer zurück. Die
Hügel und Täler, die wir hierbei passieren, sind arm an Gras, aber
desto reicher an Kulanen und Yaken, die bei verschiedenen Gelegenheiten
zu Hunderten auftraten. Sie nehmen aber auch mit Moosen und Kräutern
vorlieb, die unsere zahmen Tiere nicht fressen würden. Spuren von
Menschen fehlen noch. Von Zeit zu Zeit reitet einer von uns auf den
nächsten beherrschenden Hügel hinauf, um Umschau zu halten. Jetzt
würden wir freilich, wenn wir Reiter oder ein Nomadenlager sähen, als
ehrliche Pilger direkt dorthin reiten, aber wir mußten doch Ördek
Gelegenheit geben, vorher unbemerkt zu verschwinden und nach dem Lager
Nr. 44 zurückzureiten.

Die Richtung ist Ostsüdost. Im Osten erhebt sich ein gewaltiges
Schneemassiv, und diesseits desselben liegt ein See von reinblauer
Farbe. Am Seeufer, längs dessen wir nach Südosten hatten ziehen
wollen, stiegen senkrechte, wie immer ziegelrote Sandsteinfelsen, das
gewöhnliche Kennzeichen der tibetischen Landschaft, unmittelbar aus
dem Wasser empor. Sie zwangen uns zu einem verdrießlichen Umwege nach
Südwesten über beschwerliche Hügel, hinter denen wir wieder ans Ufer
gelangen und an ihm auf viel bequemerem Terrain weiterziehen konnten.
Konzentrisch längs des Ufers geordnete Absätze und Wälle lassen auf
den ersten Blick erkennen, daß dieser Salzsee im Austrocknen begriffen
ist.

Allzuweit konnten wir nicht reiten, um unsere schon angegriffenen Tiere
nicht zu ermüden, und es wurde Zeit, ans Lagerschlagen zu denken.
Trinkwasser schien es in der Nähe dieses Salzsees nicht zu geben. Wir
folgten einem Kulanpfade zwischen zwei Uferwällen in der Hoffnung, daß
er uns zu einer Quelle führen würde.

Im Süden des größeren Sees schimmerte jetzt der Spiegel eines kleineren
Gewässers, das merkwürdigerweise süß war, obgleich seine Ufer ebenso
flach und kahl aussahen. Obschon es hier sowohl mit der Weide wie mit
der Feuerung schlecht bestellt war, wählten wir hier doch einen Platz
für das zweite Nachtlager aus.

Der Lama fühlte sich besser, und die Stimmung war sehr gut. Wir saßen
plaudernd um das Feuer und entwarfen unsere Pläne für die Weiterreise
nach der heiligen Stadt. Ich berechnete die Marschroute des Tages und
teilte den anderen mit, wie lang unser Weg noch sei. Der Lama erzählte
von der Strenge, mit der die Tibeter in Nakktschu alle Pilger, die aus
der Mongolei kommen, untersuchen. Wir hielten es daher für das Klügste,
diesen Ort zu vermeiden und uns auf gebahnten oder ungebahnten Wegen
nach dem Ostende des Tengri-nor zu begeben, um von dort nach dem Passe
Lani-la zu gehen. Wir würden auf diese Weise die großen Pilgerstraßen
zwischen Nakktschu und Lhasa erreichen und unter den übrigen Pilgern
verschwinden.

Darauf folgte eine komische Szene. Mein Kopf sollte rasiert werden.
Ich setzte mich neben dem Feuer auf die Erde, und Schagdur hauste
mit der Schere wie ein Vandale in meinen Haaren. Nachdem ich auf
diese Weise geschoren war, wurde mein Kopf eingeseift. Ördek kam
mit dem Rasiermesser, und nach einer Weile glänzte mein Schädel wie
eine Billardkugel. Schagdur und der Lama schauten zu und fanden
die Situation höchst interessant. Schließlich nahm ich selbst den
Schnurrbart vor, der ebenfalls ohne Erbarmen entfernt wurde, obgleich
ich es eigentlich für jammerschade hielt, mein sonst ganz vorteilhaftes
Aussehen auf solche Weise zu verschimpfieren. Ich tröstete mich damit,
daß ich die Brauen und Wimpern behalten durfte.

Nachdem die Verwüstung so über mein Haupt hingegangen war, sah ich
gräßlich aus. Doch hier war ja niemand, mit dem ich zu kokettieren
brauchte, und es war schließlich einerlei, wie man in diesen ebenso
glattrasierten Gebirgsgegenden aussah.

Meine Behandlung war jedoch noch nicht fertig. Wie ein alter, geübter
Quacksalber begann der Lama mit sachverständiger Miene unter seinen
Papieren, Beuteln und Medikamenten umherzusuchen und schmierte mir
dann das Gesicht mit Fett, Ruß und brauner Farbe ein. Bald war das
Werk getan, und nun glänzte ich wie eine Kanonenkugel in der Sonne.
Ein kleiner Handspiegel überzeugte mich, daß ich wirklich schön echt
aussah. Mir konnte vor mir selbst Angst werden, und ich mußte eine
gute Weile in das Glas starren, ehe ich völlig davon überzeugt war,
daß dieser mongolische Pavian wirklich mit meiner eigenen Person
identisch war. Als die Salbe trocken war, nahm meine Haut eine mehr
grauschmutzige Schattierung an.

Unser Lagerplatz lag offen auf der schmalen Landenge zwischen den
beiden Seen; nur im Südwesten erhoben sich einige niedrige Hügel.
Die Gegend konnte für vollkommen sicher gelten, denn weder alte
noch frische Menschenspuren waren irgendwo zu sehen, und die Hunde
verhielten sich ruhig. Gegen 5 Uhr erhob sich ein Nordsturm, der
Wolken von Sand und Staub über den Salzsee und unser Lager jagte. Wir
nahmen unsere Zuflucht zu der Jurte, und bereits um 8 Uhr fanden wir,
daß es Schlafenszeit sei, und krochen auf dem Filzteppiche des Zeltes
in unsere Pelze. Ördek bewachte die Pferde und Maulesel ungefähr 200
Schritte vom Lager entfernt. Er sollte die ganze Nacht wachbleiben,
damit wir noch einmal gründlich ausschlafen könnten; am Morgen sollte
er dann auf einem der vier Pferde nach dem Lager Nr. 44 zurückreiten.

Um Mitternacht wurde das Zelttuch auseinandergeschlagen. Ördek
steckte den Kopf herein und flüsterte mit angsterfüllter Stimme: „Bir
adam kelldi“ -- ein Mann ist gekommen! Seine Worte wirkten wie ein
Donnerschlag. Alle drei stürmten wir mit den Flinten und dem Revolver
in die Nacht hinaus (Abb. 246). Der Sturm tobte noch immer, und der
Mond schien bleich durch zerrissene, schnell hinjagende Wolken. Ördek
zeigte uns den Weg und berichtete, daß er zwischen den am entferntesten
weidenden Pferden eine dunkle Gestalt habe umherhuschen sehen. Dies
hatte ihn so erschreckt, daß er nach dem Zelte gelaufen war, anstatt
Alarm zu schlagen.

Die Folge davon war natürlich, daß wir zu spät kamen. In dem matten
Lichte des verschleierten Mondes sahen wir gerade noch, wie einige
dunkle berittene Gestalten davonsprengten und zwei Pferde vor sich
herjagten. Einen Augenblick darauf verschwanden sie hinter den Hügeln.
Eine ihnen von Schagdur nachgeschickte Kugel richtete keinen Schaden
an. Er, der Lama und Ördek verfolgten die Spur, während ich im Lager
blieb, das vielleicht von einer ganzen Bande umringt war. Nach einer
Stunde kehrten sie zurück, ohne etwas Weiteres gehört oder gesehen zu
haben.

Jetzt berieten wir uns sofort über die Sachlage. Zunächst zählten wir
unsere Tiere; alle Maulesel und die beiden schlechtesten Pferde waren
noch da und weideten in größter Ruhe. Aber die beiden besten Pferde,
mein lieber Schimmel und Schagdurs Falbe, waren fort. Aus den Spuren
ergab sich, daß die Räuber drei berittene Männer gewesen waren, die
sich, direkt gegen den Wind, an das Lager herangeschlichen hatten. Sie
waren zu Fuß gegangen und hatten ihre Pferde in einer gut versteckten
Bodensenkung geführt, in der zuzeiten Wasser nach dem großen See
strömt. Von dort war einer der Männer allein auf allen vieren weiter
gekrochen, bis er sich ganz in der Nähe der hintersten Pferde befand.
Er hatte sie durch sein Aufspringen scheu gemacht und nach dem Ufer
hinabgejagt, wo ihm die beiden anderen Männer mit den tibetischen
Pferden entgegengekommen waren. Alle waren im Handumdrehen aufgesessen
und dann über die Hügel gejagt, bei denen sie schon angekommen waren,
als wir, noch ganz schlaftrunken, aus dem Zelte stürzten.

Ich glaube nicht, daß ich mich in meinem ganzen Leben je so geärgert
habe wie diesmal. Sich seine Pferde vor der Nase der Nachtwache
fortstehlen zu lassen, wenn man obendrein noch zwei große, bissige
Hunde hat! In der ersten Wut wollte ich die ganze Reise nach Lhasa bis
auf weiteres aufschieben und die Diebe ihren Streich teuer bezahlen
lassen. Ich wollte sie wochenlang verfolgen, bis wir sie in Sicht
hätten, und sie dann ebenso überfallen. Den einfältigen Ördek, der
früher stets so tüchtig gewesen war, auszuzanken, vergaß ich dabei
vollständig. Aber sein Mut beschränkte sich auf die Wüsten und andere
unbewohnte Gegenden, und er mochte gewissermaßen recht darin haben, daß
+Menschen+ von allem, womit man zu tun haben kann, das Schlimmste sind,
viel schlimmer als Tiger und Sandstürme.

Nach und nach bekämpfte ich meinen Verdruß und erwog mit
wiedergewonnener Ruhe unsere Lage. Wir folgten der Spur noch einmal bis
auf die Höhen der Hügel, wo sie im harten Gruse verschwand. Schagdur
wollte sich durchaus auf die Verfolgung machen, das Magazingewehr
brannte ihm in den Händen. Er wollte sein Pferd, das er die ganze
Zeit wie sein Kind gepflegt hatte, unter keiner Bedingung einbüßen.
Doch auch er beruhigte sich, als ich ihn daran erinnerte, daß diese
Männer, waren sie nun gewerbsmäßige Räuber oder nur Yakjäger, die sich
die Gelegenheit nicht hätten entschlüpfen lassen wollen, ganz gewiß
nicht vor dem nächsten Abend Halt machen würden. Wir hatten gar keine
Aussicht, sie mit unseren müden Tieren einzuholen; sie hatten unsere
besten Pferde, die ledig liefen, genommen, und ihre eigenen waren ganz
gewiß kräftig und an die Bergluft gewöhnt.

Ferner kannten sie das Terrain, wir aber nicht. Sie konnten den
Flußlauf und Schuttbetten, wo sich keine Spur verfolgen ließ, benutzen
und uns auf diese Weise leicht irreführen.

Und schließlich, wenn zwei von uns die Verfolgung aufnahmen und zwei
zurückblieben, so zersplitterte sich unsere kleine, an und für sich
zu schwache Truppe, und die Klugheit verbot uns entschieden, einen so
abenteuerlichen Plan auszuführen. Wir mußten froh sein, daß die Diebe
sich mit zwei von unseren Tieren begnügt hatten, und ich tröstete
Schagdur mit der Bemerkung, daß ich, wenn ich einer der Tibeter gewesen
wäre, +alle+ unsere Tiere gestohlen hätte, um uns jegliche Verfolgung
ganz unmöglich zu machen.

Wir hatten eine nützliche Lehre und eine Warnung bekommen! Aus dem
Scherz war auf einmal Ernst geworden; hier galt es mehr als je die
Augen offenzuhalten! Mitten zwischen diesen öden, stillen Bergen war
eine Räuberbande, wie Gespenster in der Nacht, aus dem Schutze der
Erde aufgetaucht; nicht einmal die Hunde hatten etwas gemerkt. Mit den
Yakjägern vom Lager Nr. 38 hatten die Diebe vermutlich nichts gemein,
dagegen ist es wahrscheinlich, daß die von Sirkin in unserem Tale
gesehene Spur und der von den Muselmännern gehörte Schuß auf irgendeine
Weise mit unseren nächtlichen Gästen in Zusammenhang standen. Sie
hatten uns gewiß keinen Augenblick aus den Augen verloren, sie hatten
sich vor der großen Karawane nicht sehen lassen wollen und hatten in
irgendeinem versteckten Tale gelagert, aber stets auf eine Gelegenheit
zum Überfall gelauert, die sich ihnen früher oder später darbieten
mußte. Sodann hatten sie unsere kleine Pilgerschar beobachtet, waren
uns von fern, durch Hügel verdeckt, gefolgt, hatten uns wie Wölfe
umlauert und waren jetzt vom Sturm unterstützt worden.

Sicher war diese Erfahrung für uns nützlich. Mit einem Schlag waren
wir uns über unsere Lage klar und erkannten, daß wir künftig auf dem
Kriegsfuß leben und jeden Augenblick auf einen Überfall gefaßt sein
mußten.

Ein kleines Feuer wurde vor dem Zelte angezündet; dort ließen wir uns
nieder. An Schlaf war diese Nacht nicht mehr zu denken. Die Pfeifen
wurden hervorgeholt, wir hüllten uns in unsere Pelze und plauderten,
während der Mond von Zeit zu Zeit zwischen unheildrohenden Wolken
hervorguckte. Dann wurde Tee gekocht, der nebst Reis und Brot unser
Frühstück bildete. Beim ersten Tagesgrauen erhoben wir uns und rüsteten
uns zum Aufbruch. Ich nahm den zweiten großen Schimmel, Schagdur Ördeks
Pferd; der Lama hatte seinen Maulesel behalten.

Als die Sonne aufging, saß der arme Ördek weinend am Feuer. Er war ganz
außer sich vor Angst, jetzt allein und unbewaffnet die 70 Kilometer
nach dem Lager Nr. 44 zu Fuß zurücklegen zu müssen. Er bat und
flehte, uns begleiten zu dürfen, und versprach, ein andermal besser
aufzupassen; als ich aber unbeweglich blieb, bat er um den Revolver.
Doch das nächtliche Abenteuer hatte uns gelehrt, daß es nicht ratsam
war, in diesem Land ohne Waffen zu reisen.

[Illustration: 239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. (S.
151)]

[Illustration: 240. Die Kamele waten durch den Fluß. (S. 152.)]

[Illustration: 241. Flußübergang. (S. 152.)]

[Illustration: 242. Die beiden Eisbänder im Tal. (S. 160.)]

[Illustration: 243. Bahnen eines Wegs von der Eisscholle hinunter. (S.
161.)]

In aller Eile schrieb ich auf ein ausgerissenes Tagebuchblatt einen
Brief an Sirkin. Ich beschrieb kurz, was geschehen war, und ermahnte
ihn, auf seiner Hut zu sein. Räuber streiften in der Gegend umher, und
da sie offenbar mit unseren Verhältnissen völlig vertraut seien, müsse
Tag und Nacht die strengste Wachsamkeit beobachtet werden. Vor allem
hätten die im Lager Zurückgebliebenen darauf zu achten, daß nicht noch
mehr Karawanentiere gestohlen würden. Ferner befahl ich ihm, die Diebe
durch Tscherdon, Li Loje und noch einen Mann verfolgen zu lassen; mehr
als eine Woche dürfe aber diesem Versuche nicht geopfert werden. Alle
weitere Auskunft werde Ördek erteilen, der auch die Stelle kenne, von
welcher die Spur ausgehe.

Von der durchwachten Nacht schmerzten mir die Augen, als die Sonne
aufging. Ördek steckte den Brief in den Gürtel und erhielt noch eine
Schachtel Zündhölzer, damit er sich bei seinem Nachtlager Feuer
anzünden konnte. Als wir uns trennten, sah er aus wie ein zum Tode
Verurteilter, der zum Richtplatze geht. Kaum aber waren wir zu Pferd
gestiegen, so sahen wir ihn halb laufend längs des Ufers verschwinden.
Er glaubte natürlich, es werde den ganzen Tag Räuber regnen und jeden
Augenblick könne eine Flintenkugel durch die Luft pfeifen. --

Später, als alle unsere Sorgen um Lhasa glücklich überstanden waren,
erzählte er selbst, wie sein Rückzug abgelaufen war. Am 29. Juli
hatte er den ganzen Tag nicht eine Minute Halt gemacht. Er hatte es
nicht gewagt, auf freiem Felde unseren Spuren nachzugehen, sondern
sich wie eine wilde Katze in trockenen Bachbetten und Rinnen, sie
mochten gerade oder krumm sein, weitergeschlichen. Den ganzen Tag über
hatte er sich nach der Dämmerung und der Dunkelheit gesehnt. Doch als
diese eingetreten war und der Regen schnurgerade herniederströmte,
erschreckte ihn auch das nächtliche Dunkel, und er glaubte, überall
Räuber zu sehen. Ein paarmal hatten ihn friedliche Kulane beinahe
um den Verstand gebracht und ihn veranlaßt, sich wie ein Igel
zusammenzurollen.

Endlich erreichte er in pechfinsterer Nacht den Eingang unseres Tales
und beschleunigte seine Schritte noch mehr. Der Fluß rauschte laut in
seinem Bette und übertönte jeden anderen Laut. Unaufhörlich glaubte
Ördek jemand hinter sich herschleichen zu hören. Jeder Stein war ein
lauernder Schurke, der nach seinem Herzen zielte. Wie er im Regen
und in der Dunkelheit über die steilen Hügel gekommen war, wußte er
selbst nicht; er war nur immer vorwärtsgeeilt, gestolpert, gefallen,
wiederaufgestanden und unzähligemal durch den Fluß, dessen Wasser ihm
bis zu den Hüften ging, gewatet.

Als er schließlich das Lager erreichte, wäre er von der Wache, die
Lärm schlug, beinahe erschossen worden. Er hatte den Mann jedoch
noch rechtzeitig angerufen, wurde erkannt und von seinen erstaunten
Kameraden sogleich mit Fragen bestürmt. Eine gute Weile konnte er
nicht antworten. Vor Müdigkeit erschöpft, brach er nach Atem ringend
zusammen. Den Brotfladen, den er als Proviant mitbekommen, hatte er
nicht angerührt, und sein Appetit kam erst wieder, nachdem er den
ganzen nächsten Tag geschlafen hatte.

Ördeks Bericht und mein Brief erschreckten natürlich die
Daheimgebliebenen, die das Schlimmste befürchteten, da es schon die
zweite Nacht war, daß unser Lager einem Attentate ausgesetzt gewesen
war. Indessen hatte die Nachricht das Gute, die Wachsamkeit aufs
äußerste zu schärfen, und hätten sich ungebetene Gäste dort in der Nähe
sehen lassen, so wären sie mit scharfen Patronen empfangen worden.

Gleich am Morgen rüstete sich Tscherdon, um unsere Diebe zu verfolgen.
Er nahm Turdu Bai und Li Loje mit; Ördek konnte nicht mitgehen. Trotz
des Regens war unsere Spur auf dem ganzen Wege deutlich erkennbar
gewesen, und auch die Spur der Diebe wurde gefunden. Sie hatten am
Morgen in einer Entfernung von 30-40 Kilometer vom Salzsee gerastet
und waren dort von mehreren der Ihren mit 15 Yaken erwartet worden.
Dann hatten sie den Ritt eine so lange Strecke auf Grus und im Wasser
fortgesetzt, daß die Spur völlig verschwand und nicht wiederzufinden
war. --

Doch kehren wir zu unserer Pilgerfahrt zurück. Nachdem wir von Ördek
Abschied genommen hatten, zogen wir nach Südosten und Ostsüdosten und
legten auch an diesem Tage beinahe 40 Kilometer zurück (Abb. 247). Die
Maulesel hätten noch weitermarschieren können, aber wir mußten die
Pferde schonen. Zwischen dem Lagertümpel und einem anderen Gewässer,
an dessen Ufern wir ziemlich frische Spuren von Schafherden sahen,
zogen wir ein breites, grasreiches Tal hinauf. Rechts von unserem Wege
ließen wir eine kleine hügelige Paßschwelle liegen, deren Ecke von ein
paar Hundert Yaken rabenschwarz erschien. Wir musterten sie mit dem
Fernglase und erwarteten ihren Wächter zu sehen, denn die Tiere machten
keine Miene zu entfliehen. Vielleicht waren sie zahm. Doch als wir uns
der Herde näherten, ergriff sie die Flucht, und Menschen zeigten sich
nicht. Demnach konnten wir darauf rechnen, noch ein paar Tage lang
keine Nomaden zu treffen, denn die wilden Yake halten sich nicht in der
Nähe menschlicher Wohnungen auf.

In offenem Terrain mit freier Aussicht nach allen Seiten schlugen wir
das Lager an einem kleinen Bache auf, an dem es gutes Gras und Yakdung
zum Feuern in Fülle gab. Jetzt waren wir nur noch drei, und ich mußte
beim Abladen, Zeltaufschlagen und allerlei gröberen Arbeiten helfen,
was ich sonst nie nötig gehabt hatte, außer im Jahre 1886, als ich
zweimal fast allein durch Persien gereist war.

Während Schagdur und der Lama die Tiere besorgten und sie auf der
besten in der Gegend aufzufindenden Weide zur Hälfte, d. h. mit einem
Stricke zwischen dem rechten Vorder- und dem linken Hinterbeine,
fesselten, sammelte ich in meinem weiten Mantel trockenen Yakdung,
welche Beschäftigung mir höchst interessant erschien. Die beiden
anderen Pilger sprachen ihre Verwunderung darüber aus, daß es
mir gelungen war, in kurzer Zeit einen so ansehnlichen Haufen
zusammenzubringen.

Jetzt hieß es nicht mehr „Eure Exzellenz“, denn ich hatte Schagdur und
dem Lama strengstens verboten, mir die geringste Spur von Ehrerbietung
zu erweisen. Sie sollten mich im Gegenteil wie einen Stallknecht
behandeln. Schagdur sollte als der Vornehmste von uns angesehen werden
und hatte auf den Lagerplätzen seine Befehle zu erteilen. Ebenso streng
war es verboten, russisch zu sprechen; von nun an durfte nur noch
Mongolisch über unsere Lippen kommen. Schagdur spielte seine Rolle
ausgezeichnet, und dasselbe dürfte ich auch von mir sagen können.
Anfangs wurde es meinem Kosaken schwer, mich zu kommandieren, nach ein
paar Tagen ging es aber ausgezeichnet!

Der Lama brauchte nicht als Schauspieler aufzutreten; er war, der er
war, und so sollte es sein. Am schlimmsten war es für mich, der ich in
zwei Rollen zugleich auftreten mußte, als Mongole und als Handlanger.
Nachdem ich jedoch mit dem Dungsammeln zur Zufriedenheit meiner Herren
fertig geworden war, aß ich zu Mittag, trank Tee, rauchte eine Pfeife,
ging ins Zelt, legte mich nieder und schlief wie ein Stock bis 8 Uhr.
Ich war da allein, die anderen trieben die Tiere zur Nacht ein. Noch
eine Stunde durften diese in unserer unmittelbaren Nachbarschaft
grasen. Schagdur und der Lama waren an diesem Abend weniger heiter als
sonst. Sie hatten, während ich schlief, drei Tibeter zu Pferde gesehen,
die von einem Passe im Osten kamen und nach Nordwesten ritten, wobei
sie unserem Lager die Flanke zukehrten, so daß man nur ein paarmal
hatte sehen können, daß es ihrer drei waren. An einem Punkte hatten sie
gehalten, wie um sich zu beraten, worauf sie sich dem Lager genähert
hatten, dann aber waren sie hinter einem Hügel verschwunden, um sich
nicht wieder zu zeigen. Sie erwarteten wohl die Nacht, und ihr Benehmen
kam uns höchst verdächtig vor. Es war uns jetzt klar, daß wir von
Spionen und reitenden Späherpatrouillen umgeben waren; ob uns diese
Reiter aus eigenem Antrieb oder auf Befehl beobachteten, konnten wir
natürlich nicht wissen.

Um 8½ Uhr wurden die Tiere an ein längs der Erde zwischen zwei
Pflöcken straffgespanntes Seil gebunden, und jetzt und in Zukunft
folgender Lagerplan beobachtet. Der eine Eingang des prismatischen
Zeltes war vom Winde abgekehrt und stand weit offen; unmittelbar
davor waren die Tiere angebunden. Nächtliche Besuche kommen, aller
Wahrscheinlichkeit nach gegen den Wind, besonders da, wo sie Hunde
vorfinden.

Sobald es dunkelte, ließen wir das Feuer ausgehen und trugen die
draußen noch umherliegenden Sachen, wie Kisten, Küchengeräte und
Sättel, in das Zelt. Der große, schwarze Jollbars wurde vor den Pferden
und Mauleseln angebunden. Von ihm konnte man das erste Warnungssignal
erwarten. Malenki, ein bissiger, schwarz und weiß gefleckter
Karawanenhund, war auf der Windseite hinter dem geschlossenen schmalen
Ende des Zeltes angebunden.

Die Nacht wurde in drei Wachen, 9-12, 12-3 und 3-6 Uhr geteilt;
gewöhnlich übernahm ich die erste, der Lama die letzte.

Jetzt hatte ich meine erste Nachtwache. Es war keine Kunst wach
zu bleiben, denn teils hatte ich schon, während es noch hell war,
ausgeschlafen, teils konnte man sich jeden Augenblick auf einen
Überfall gefaßt machen. Schon vor 9 Uhr schliefen meine von den
Anstrengungen der vorigen Nacht ermüdeten Kameraden und schnarchten
laut.

Ich begann meinen Wachdienst, bald dicht bei dem Zelte, bald weit
von ihm entfernt umherschlendernd. O diese finsteren Nächte, diese
endlosen Stunden! Nie werde ich meine müden Schritte zwischen Malenki
und Jollbars hin und zurück bis ins Unendliche vergessen! Die Minuten
vergingen so langsam! Ich zählte zehn, zwanzig solche Promenaden, aber
nur einige Minuten, höchstens eine Viertelstunde hatten sie in Anspruch
genommen. Ich spielte mit Jollbars, der vor Freude heulte, wenn ich
ihn besuchte, ich klopfte den Pferden und den Mauleseln den Rücken und
ging dann weiter, um Malenki, der ganz allein hinter dem Zelte lag, zu
streicheln.

Der Morgen war warm gewesen, und von Zeit zu Zeit hatte es tüchtig
geregnet, der Abend aber war einigermaßen klar. Um 9½ Uhr brach ein
Höllenwetter los. Der Himmel überzog sich mit rabenschwarzen Wolken,
die von innen heraus durch zuckende Blitze erhellt wurden, und der
Donner rollte mit infernalischer Kraft ringsumher in den Bergen und
über unserem einsamen Lager.

Das Allerschlimmste aber war der Regen, der die Erde peitschte und
wolkenbruchartig herniederströmte. Nie ist mir ein so entsetzlicher
Regen vorgekommen. Er schmetterte und prasselte auf das Zelt, das
einzufallen drohte und durch dessen Tuch ein feiner Staubregen in
das Innere sprühte und sich dabei verteilte wie die Dusche einer
Spritzflasche Eau de Cologne. Alles wurde durchnäßt, aber die
Schlafenden kümmerten sich nicht um den Regen, sondern krochen
nur tiefer unter ihre Pelze und fuhren fort Bretter zu sägen. Die
Regentropfen trommelten lustig auf die mongolische Kasserolle und
ihren Deckel, die wir beim Feuer hatten stehenlassen. Ich setze den
schlüpfrigen Spaziergang zwischen den Hunden noch eine Weile fort,
suche dann aber, naß wie eine ersäufte Katze, in der Zelttür Schutz.
Von dem Mondschein hatte ich keinen Nutzen, denn die Wolken waren
trostlos kompakt, und es sah aus, als wollte der Regen überhaupt nicht
aufhören. Ganz undurchdringlich bleibt jedoch das Dunkel nicht; der
Mond liefert wenigstens eine sehr schwache, diffuse Helle, in der sich
die Umrisse der Karawanentiere ein wenig schwärzer als die Nacht um sie
her abzeichnen, so daß ich von Zeit zu Zeit ihre Rücken zählen kann.

Ich zünde eine Pfeife und einen Lichtstumpf an, den ich in eine kleine
Holzschachtel stelle; bei seinem Schein schreibe ich meine nächtlichen
Betrachtungen nieder. Immer nur einen Satz, dann wieder eine Runde
um das Lager. Es trieft mir von den Ärmeln, und die Mütze sitzt wie
festgekleistert auf meinem kahlen Schädel. Nach den Abspülungen
erinnerte mein geschminktes Antlitz sehr an das Fell eines Zebras. Die
Temperatur sank nicht unter +4°, und von Kälte war daher keine Rede.

Der Regen strömt ohne Unterbrechung nieder, und sein eintöniges
Plätschern übertönt alle anderen Geräusche. Doch was war das? Ein
klagender Ton in der Ferne! Sollten die Tibeter gerade so ein
Hyänenkonzert anstimmen wie 1896 die Tanguten bei Karascharuin-kubb?
Nein, bewahre, es war Jollbars, der vor Ärger heulte, weil er draußen
liegen und sich vollregnen lassen mußte. Und was war dies wieder für
ein Lärm? Nur ein entfernter Donnerschlag. Der Donner und der Regen
täuschen mich unaufhörlich. Ich eile mit dem Revolver unter dem Mantel
ins Freie, stehe und warte dort eine Weile in der Nässe, horche
angestrengt nach allen Seiten, da aber „im Schipkapasse alles ruhig“
ist, kehre ich zu meinem Lichtstumpfe zurück; die Pfeife will nicht
mehr brennen, alles ist naß.

Die Stunden vergehen immer langsamer, und der Regen läßt nicht nach.
„Das wird morgen ein schöner Ritt werden!“ dachte ich. Das einförmige
Atmen der halbschlafenden Maulesel wirkt einschläfernd, und die Lider
fangen an mir schwer zu werden. Es passierte mir aber nie, daß ich auch
nur fünf Minuten einschlummerte. Sollten wir noch einmal überlistet
werden, so sollte es wenigstens nicht während meiner Wache geschehen;
ich hätte mich vor meinen Kameraden wie ein Hund geschämt und mich
selbst verachtet.

Dann und wann schlagen die Tiere mit den Schwänzen, wenn der Regen
ihre Seiten kitzelt. Die Hunde knurren bisweilen dumpf, und ich
mache dann sofort die Runde um das Lager. Um 11½ Uhr streifte
ich in der Dunkelheit umher, fest entschlossen, nicht eher ins Zelt
zurückzukehren, als bis die Mitternachtsstunde geschlagen hätte und
damit die Stunde meiner Befreiung gekommen wäre.

Es war denn auch 12 Uhr vorbei, als ich mich wieder bei meinem
Lichtstumpfe niederließ. Jetzt rieselte es vom Pelze herunter, und
die Stiefeln waren klatschnaß. Schagdur schlief so fest, daß es mir
widerstrebte, ihn zu wecken, und ich hatte mich selbst überredet,
seine Wache um eine halbe Stunde abzukürzen, als beide Hunde auf
einmal wütend zu bellen begannen. Der Lama erwachte und eilte mit
seiner Flinte hinaus, ich folgte ihm mit dem Revolver, das Licht wurde
ausgelöscht, und wir schlichen uns gegen den Wind nach der verdächtigen
Stelle hin. Dort hörte man deutlich Pferdegetrappel, und in einer
anderen Richtung glaubte der Lama Hundegebell zu vernehmen. Er wollte
schießen, aber ich wollte unter keinen Umständen derjenige sein, der
anfing; gefiel es den Tibetern, uns den Krieg zu erklären, dann sollte
ihnen freilich mit gleicher Münze heimgezahlt werden!

Daß sich einige hundert Meter von uns Reiter aufhielten, unterlag
keinem Zweifel. Ich ließ den Lama beim Zelte bleiben, weckte Schagdur
und ging mit ihm leise und vorsichtig in der Windrichtung, dann und
wann lauschend. Da hörten wir, wie sich das Pferdegetrappel hastig
entfernte; darauf wurde alles ruhig, und die Hunde stellten ihr Gebell
allmählich ein.

Jetzt war die Reihe an Schagdur. Ich hörte seine Schritte draußen in
dem Schmutz, als ich unter meinen feuchten Pelz kroch. Solche Nächte
bringen mehr Spannung als Ruhe und sind mehr interessant als gemütlich.
Aber man gewöhnt sich wohl daran, dachte ich, und nach einer Weile
schlief ich gut und fest.

Schon um 5 Uhr weckte uns der Lama, der die letzte Wache hatte und es
wohl für besser hielt, weiterzureiten als in den Tag hineinzustarren.
Behaglich und vergnügt ist einem nach einer solchen Nacht gerade
nicht zumute, nein, ungemütlich, steif, naß und frostig! Alles riecht
schlecht und sauer; aber das gehört natürlich zur Sache und trägt
dazu bei, den Eindruck der Echtheit zu erhöhen. Von wohlriechenden
Lhasapilgern hat man noch nie reden hören! Und was mich betrifft, so
fand ich, daß das Ganze sich gut anließ. Unter Verhältnissen wie den
unsrigen wird die Stimmung außerordentlich von der Sonne beeinflußt.
Man sehnt sich danach, sich umsehen zu können; die Nacht mit ihren
heimtückischen Schatten ist auch dem unangenehm, der sich im Dunkeln
nicht fürchtet.

Meine Muselmänner hatten mich entschieden für unzurechnungsfähig
gehalten, als ich auf dieses wahnsinnige Unternehmen auszog. Es war in
der Tat wahnsinnig, das läßt sich nicht leugnen, so viel zu wagen, ja
das Leben zu riskieren, nur aus Lust, Lhasa zu sehen, das in seiner
Topographie und seinem Aussehen durch Beschreibungen, Karten und
Photographien von Punditen und Burjaten weit besser bekannt ist als
die meisten Städte des innersten Asien. Doch ich muß ehrlich gestehen,
daß ich mich nach den zwei Jahren ruhiger, friedvoller Wanderungen
durch unbewohnte Teile des Kontinents und nach all meiner strebsamen
Arbeit nun einmal nach einem wirklich haarsträubenden Abenteuer sehnte.
Ich fühlte das unwiderstehliche Bedürfnis, meine Person in eine Lage
zu bringen, in der das Leben auf dem Spiele stand, eine Situation,
die Geschicklichkeit und Umsicht erforderte, wenn sie nicht zu einer
Niederlage werden sollte, und in die wir uns so tief verwickeln würden,
daß es noch schwerer wäre, sich mit heiler Haut wieder herauszuwickeln.
Tatsächlich sehnte ich mich mehr nach dem Abenteuer als gerade nach
Lhasa. Der Lama hatte mir die Stadt so gründlich beschrieben, daß ich
sie schon satt bekommen hatte. Ich wollte die Tibeter sehen, mit ihnen
reden und ausfindig machen, weshalb sie die Europäer so verabscheuen.
Ein unkritischer junger Mann hat vor einigen Jahren erzählt, daß er in
Tibet gefoltert worden sei, aber seine haarsträubenden Beschreibungen
schreckten mich nicht ab -- aus dem einfachen Grunde, weil ich ihnen
keinen Glauben schenke. Es wäre wirklich ein großer Gewinn für die
Menschheit, wenn Personen, denen es schwer wird, bei der Wahrheit zu
bleiben, das Bücherschreiben bleiben lassen wollten!



Fünfzehntes Kapitel.

Die ersten Nomaden.


Der Appetit ist so früh am Morgen schlecht. Das Frühstück besteht nur
aus Brot und Tee (Abb. 248); doch sobald die Pfeife angezündet ist
und man im Sattel sitzt, geht der Tag seinen ebenen Gang, obwohl das
Zeichnen der Marschroute die Geduld auf die Probe stellt, wenn man ein
Pferd hat, das sich wie eine alte abgenutzte Dreschmaschine bewegt.

Der Tag war ebenso trübe und düster wie die Nacht. Die Sonne läßt sich
überhaupt nicht blicken; schwere, schwarze Wolken hängen überall,
Vorhängen vergleichbar, und sie sehen so schwer aus, daß man meint, sie
müßten herunterfallen und zerreißen.

Der Lama glaubte am Morgen, im Südwesten ein schwarzes Zelt zu sehen,
und stimmte dafür, daß wir dorthin reiten und Erkundigungen einziehen
sollten; ich zog es jedoch vor, geraden Weges auf den nächsten Paß in
den südlichen Bergen, die jetzt von Hagel und Schnee kreideweiß waren,
loszugehen.

Sobald wir in das Tal, in welchem ein Bach strömte, eintraten, nahm die
Steigung zu und wurde bald steil. Wir verließen das Tal und ritten über
Hügel von rotem, pulverisiertem Sandstein im Zickzack zum Passe hinauf.
Von dort kamen wir einen steilen Abhang hinunter in ein ziemlich
breites, südostwärts führendes Tal.

In einer Talweitung lag der Kadaver eines Schafes mit seiner Last, die
aus Salz in einem zweiteiligen Beutel bestand. Wahrscheinlich hatte
eine tibetische Schafkarawane unsere kleinen Räuberseen besucht, wo
das Salz an einigen Stellen offenliegt und leicht erreichbar ist und
wo wir auch Spuren einer Herde gesehen hatten. Feuerstätten werden
immer häufiger; von tibetischen Mahlzeiten übriggebliebene Knochen und
Schädel liegen umher.

[Illustration: Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als
mongolische Pilger.]

[Illustration: Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet.]

Als unser Tal nach Südwesten abschwenkte, verließen wir es und
ritten über die nächste Bergkette, wo Schagdur bald einen ziemlich
stark benutzten Weg entdeckte. Von dem Passe hatten wir wieder eine
umfangreiche, obgleich wenig aufmunternde Aussicht: Berge und Kämme
überall, soweit der Blick nach Süden und Südosten reichte. Kein Mensch,
kein schwarzes Zelt in Sehweite! Wir hatten also noch eine Frist vor
neugierigen Blicken; aber wir ahnten doch, daß verborgene, schleichende
Späher uns nicht aus den Augen ließen.

Der Himmel ist bleischwer und düster, und die Stunden vergehen langsam
und ermüdend. Auch der Tag hat seine Spannung; wir wissen nichts von
diesem Lande und seinen Verhältnissen, aber wir sind überzeugt, daß
früher oder später etwas Außergewöhnliches eintreten wird. Wir müssen
jede Minute auf unserer Hut sein, sonst wird uns ein Streich gespielt,
wenn wir es am wenigsten erwarten.

Von dem Passe folgten wir einem deutlich ausgetretenen Wege, der in
ein an Sümpfen, Tümpeln, Quellen, Bächen und üppiger Weide reiches
Tal hinunterführte. Der in Hülle und Fülle vorhandene Yakdung war
hier umgedreht worden, um besser zu trocknen; man beabsichtigte also,
wiederzukommen und ihn zu holen. Überall waren Spuren von Nomadenlagern
sichtbar.

Weiter abwärts schien die Weide abzunehmen. Als wir einen strategisch
geeigneten Platz fanden, beschlossen wir daher, für die Nacht hier zu
bleiben. Auf der 70 Meter breiten Landenge zwischen zwei kleinen Seen
wurde unser nasses Zelt aufgeschlagen. Wir sehen der bevorstehenden
Nacht mit einem gewissen Unbehagen entgegen und fragen uns, was sie
wohl bringen werde.

Schon um 8 Uhr wurden die Tiere in gewöhnlicher Weise gebunden. Die
Luft war ruhig, aber alle Himmelsrichtungen konnten als gleich unsicher
gelten. Diese Nacht war noch ärger als die vorige; es war, als ob
Tausende von Dachrinnen ihren Inhalt über unser Lager ausschütteten.
Aber die hierzulande vorgeschriebene Regenzeit war da, und wir hatten
kein Recht, uns zu beklagen. Wenn man, wie ich diesmal, vier Stunden
Wache hält und bis auf die Haut naß wird, so weiß man ganz genau, wie
ein richtiger, ehrlicher Regen beschaffen sein muß.

Von Zeit zu Zeit saß ich, einigermaßen geschützt, in der Zelttür. Es
klatscht in den Packsätteln der Maulesel, von deren Ecken das Wasser in
dicken Strahlen rinnt, wie in einer Waschmaschine. Die Tiere schütteln
sich, daß die Tropfen nach allen Seiten spritzen. Bisweilen spitzen sie
die Ohren, und die Hunde knurren dumpf. Malenki darf frei umherlaufen
und schnüffelt auf einem alten Lagerplatze nach Knochen, denn er und
Jollbars haben seit ein paar Tagen nichts als Brot bekommen.

Auf einmal fing der eine zu bellen an, und der andere stimmte bald ein.
Es war nur ein Schreckschuß, denn nur einer der Maulesel hatte sich
losgemacht und spazierte einen Abhang hinauf. Mir blieb nichts übrig,
als ihn wieder einzufangen; aber dies war leichter gesagt als getan.
Er war munter und lebhaft und sprang umher, und es dauerte lange, ehe
ich ihn bei der Halfter packen konnte. Sein Betragen demoralisierte
einen seiner Kameraden, der das Manöver wiederholte und gleichfalls mit
großer Mühe eingefangen wurde.

31. Juli. Als ich nach mehrstündigem Schlafe geweckt wurde, um beim
Einpacken und Beladen zu helfen, stürzte der Regen noch ebenso lustig
nieder wie bisher, aber hier gab es keine Gnade: hinauf in den Sattel,
sobald der Tag anbrach, und fort nach Südosten über beschwerliches,
stark kupiertes Terrain. Jetzt hatte unsere kleine Gesellschaft keinen
trockenen Faden mehr an sich, so daß uns der Regen eigentlich wenig
genierte; aber wir sehnten uns danach, daß die Sonne sich einmal über
uns erbarmte und uns trocknete.

Als ich mich auf meinen weichen, gepolsterten Sattel setzte, tropfte
das Wasser aus ihm; nachher erhielt ich vom Regen eine so gründliche
Dusche, daß das Wasser von meinen Kleidern in die Stiefel rann, in
denen es bei der geringsten Bewegung plätscherte. Erhob ich meinen Arm,
so klang es ungefähr, als ob ein Spüllappen ausgerungen werde. Das
Ganze war recht betrübend; wenn es doch lieber geschneit hätte!

Der Weg, dem wir noch immer folgten -- schon jetzt war deutlich zu
erkennen, daß er nach Lhasa führte --, ging über fünf Pässe, von denen
jedoch die beiden letzten nur in kleineren Abzweigungen zwischen Tälern
lagen, deren Bäche einem Haupttale zuströmten. Im Osten sah man den
sich schlängelnden Fluß.

Unser Weg vereinigt sich mit einem anderen, von links kommenden. Er ist
deutlich ausgeprägt, weil eine große Yakherde ihn benutzt hat. Infolge
des heftigen Regens, der alle Spuren bald vertilgen mußte, konnten wir
annehmen, daß die Tiere hier ganz kürzlich, vielleicht erst am Morgen,
vorbeigezogen waren, und wenn wir uns beeilten, mußten wir die Karawane
noch einholen können.

Es dauerte auch nicht lange, so unterschieden wir ganz fern im Südosten
eine Menge schwarzer Punkte; es waren Yake, und später trat auch eine
Schafherde aus dem Halbdunkel hervor. Ein Zelt, das bisher verdeckt
gewesen war, tauchte am Ufer eines Baches auf. Schagdur und ich
ritten weiter, während sich der Lama dorthin begab. Wir nahmen als
selbstverständlich an, daß die Besitzer des Zeltes mongolische Pilger
seien, und hatten beabsichtigt, uns ihnen anzuschließen; es stellte
sich jedoch heraus, daß es Tanguten waren, die nach dem berühmten
„Tempel der zehntausend Bilder“ in Kum-bum pilgerten. Sie blieben auf
jedem Lagerplatze einen oder mehrere Tage, reisten sehr langsam und
waren, ihrer Meinung nach, noch eine Monatsreise von Lhasa entfernt.
Sie zeigten bedenklich viel Interesse für uns und wollten alles wissen,
wer und wie viele wir seien, woher wir kämen, wohin wir zögen usw. Sie
hatten 50 Yake, einige Pferde und drei Hunde, die von Jollbars und
Malenki greulich zerzaust wurden.

Die Schafherde zählte nicht weniger als 700 Tiere und wurde von einer
alten Frau gehütet, die augenscheinlich an Pilger gewöhnt war, denn
sie zeigte keine Furcht. Nach all dem Regen, Schmutz und Dreck sahen
wir wie leibhaftige Vagabunden aus, und kein Ritter von der Landstraße
brauchte sich mehr vor uns zu schämen. Die Eleganz war gewissenhaft
abgespült worden.

Die Alte teilte uns mit, daß wir im nächsten Tal ein schwarzes Zelt
finden würden, wo man uns alles, dessen wir bedurften, vor allem
Auskunft über den Weg nach Lhasa geben könne.

Einen Kilometer von dem Zelte, das sich richtig an der angegebenen
Stelle befand, lagerten wir, der Vorsicht halber noch immer auf freiem
Felde.

Der Lama begab sich sofort zu den Tibetern und kehrte sehr befriedigt
zurück. In dem Zelte, das von Hunden bewacht war, hatte er einen
jungen Mann und zwei Frauen angetroffen, die sich entschuldigten, uns
heute Schafe, Milch, Fett und Tsamba nicht verkaufen zu können, da es
Feiertag sei; wenn wir uns aber bis morgen geduldeten, so sollten wir
erhalten, was sie abgeben könnten. Womit sie uns aber gleich versehen
könnten -- weil wir friedliche Mongolen seien --, sei trockener
Yakdung. Der Lama brachte einen ganzen Sack voll mit; es war zu schön,
denn sonst wäre es uns in der ewigen Nässe kaum möglich gewesen, ein
Feuer anzumachen. Auf die Frage, ob sie uns zwei Pferde verkaufen
würden, hatte er die Antwort erhalten, daß darauf nur der Hausherr, der
ausgegangen sei, Bescheid geben könne.

Der Lama hatte kaum über seine Mission Bericht erstatten können, als
auch schon der in Frage stehende Mann in eigener hoher Person auf
einem Hügel erschien, wo er in gebührender Entfernung stehenblieb und
uns betrachtete. Ohne Ziererei oder Furcht kam er mit, als der auf
ihn zugehende Lama ihn zu uns einlud, und setzte sich vor der offenen
Zelttür auf den nassen Boden.

Dieser unser erster Tibeter mochte ein Mann von 40 Jahren sein;
sein Name war Sampo Singi. Ein mehr schwarzes als sonnverbranntes,
bartloses, runzeliges Gesicht; rabenschwarzes, schmutziges Haar in
zottigen Strähnen, aus denen das Regenwasser auf den zerlumpten,
sackähnlichen Mantel niedertropfte, Stiefel von grobem, ursprünglich
weißem Filz, eine Leibbinde mit daranhängendem Tabaksbeutel und einer
Pfeife, alles greulich schmutzig; dies war seine äußere Erscheinung.
Sampo Singi war barhäuptig und, bis auf die Stiefel, barbeinig; mit
anderen Worten, er hatte keine Hosen an. Es muß erfrischend sein, unter
solchen Umständen bei Regenwetter zu reiten!

Unaufhörlich schneuzte er sich mit den Fingern mit einer
bewundernswerten Energie; der Sicherheit halber machten wir es ebenso,
da man ja nicht genau wissen konnte, ob die tibetische Etikette
derartige demonstrative Handgreiflichkeiten in Gegenwart von Fremden
nicht geradezu vorschrieb. Das Bild, das wir bei dem Regenwetter boten,
muß ein Anblick für Götter gewesen sein; schade, daß es weiter niemand
sehen konnte.

Sampo Singi untersuchte ganz ungeniert unsere Effekten -- Instrumente
und Tagebuch hatte ich rechtzeitig eingesteckt. Unsere oben engen, nach
unten weiter werdenden Holznäpfe gefielen ihm besonders, und er machte
die sachverständige Bemerkung, daß die Mongolen stets derartige Gefäße
hätten. Mir gegenüber zeigte er kein Mißtrauen, war ich doch beinahe
ebenso schmutzig wie er selber.

Nachdem die Bekanntschaft gemacht war und die Vertraulichkeit zugenommen
hatte, gelang es dem Lama, aus Sampo Singi herauszuquetschen, daß unser
gestriger Lagerplatz zwischen den beiden kleinen Seen +Merik+ hieß.
Den Fluß, den wir heute im Osten gesehen und ziemlich nahe zur Linken
gehabt hatten, nannte er +Gartschu-sängi+. Der heutige Lagerplatz trug
den Namen +Gom-dschima+, und der nächste Gebirgskamm im Südwesten hieß
+Haramuk-lurumak+. Er teilte uns auch mit, daß wir während zweier
weiterer Tagemärsche kaum Aussicht hätten, Nomaden zu treffen, auf
dem dritten aber würden wir auf viele Zelte stoßen. Wenn wir kurze,
langsame Tagereisen machten, würden wir bis Lhasa 12 Tage brauchen,
marschierten wir aber so tüchtig wie heute (42,2 Kilometer), so würden
wir die Stadt in 8 Tagen erreichen. Der Weg, auf dem wir uns jetzt
befanden, führte richtig nach dem Passe +Lani-la+.

Schagdur und der Lama pflegten zu schnupfen, und Sampo Singi nahm sich
auch eine gehörige Prise. Das hätte er jedoch lieber nicht tun sollen,
denn er geriet in ein verzweifeltes Niesen, das gar kein Ende nehmen
wollte. Er nahm es aber nicht übel, daß wir über ihn lachten. Ganz
unschuldig fragte er, ob wir unseren Schnupftabak zu pfeffern pflegten,
und ließ sich nicht in Versuchung führen, als ihm noch eine Prise
angeboten wurde.

Jetzt besann sich Schagdur auf seine Würde und brüllte mich an: „Geh
und treibe die Pferde ein, Bursche! Was hast du hier zu gaffen?“ Man
konnte nicht wissen, ob Sampo Singi Mongolisch verstand, jedenfalls
sah er nicht im mindesten erstaunt aus, als ich sofort nach den Hügeln
lief und unsere Tiere nach dem Zelte zu treiben begann. Bevor ich
weit mit ihnen gekommen war, hatte sich der Alte zum Glück entfernt,
sonst würde seine Intelligenz mehr als ausreichend gewesen sein für
die Überlegung: „Der Bursche da hat noch in seinem ganzen Leben keine
Maulesel eingetrieben!“ Hatte ich sie endlich alle auf einem Haufen,
so gefiel es dem Sarik Kullak oder „Gelbohr“, nach dem vortrefflichen
Grase, von dem ich ihn eben fortgejagt hatte, zurückzugaloppieren. Ich
mußte umkehren und das Vieh von neuem holen; aber wenn ich zum Haufen
zurückkam, hatte sich dieser zerstreut, und mit der Disziplin war es
vorbei. Schließlich erwischte ich drei Maulesel und ließ sie nicht eher
wieder los, als bis sie festgebunden waren.

Unter dem Zelttuche der schweren Wolkenmassen warf die Sonne noch beim
Untergehen einen Abschiedsblick hervor, der einige Minuten über die
Weidegründe der ersten Nomaden hinstrahlte, und gegen 9 Uhr machte uns
auch der Mond einen flüchtigen Besuch. Aber schon gleich nach 10 Uhr
erhob sich der Weststurm, und ich, der ich die Wache hatte, mußte das
Zelt, so gut es gehen wollte, festmachen. Eines der im Laufe des Tages
gezeichneten Kartenblätter flog in die Nacht hinaus, wurde aber noch
eingeholt und gerettet. Dann strömte der Platzregen wieder taktfest
und trostlos von dem gleichmäßig schwarzen Himmel herab; nur mit Mühe
konnte ich sehen, wo die Tiere standen.

In dieser Nacht fühlten wir uns bedeutend ruhiger als gewöhnlich.
Seit dem unerwarteten Zusammentreffen mit den Yakjägern hatten wir
keine Eingeborenen getroffen, wohl aber hatten wir sie wie böse
Geister um uns herumspuken gefühlt, ja sie hatten uns sogar einmal
überrumpelt. Jetzt dagegen, da wir friedliche Nomaden als nächste
Nachbarn hatten, brauchten wir kaum nächtliche Besuche zu fürchten, und
Sampo Singi hatte uns versichert, daß hier in der Gegend keine Räuber
umherstreiften. Doch für alle Fälle wurde der Nachtdienst auf dieselbe
Weise wie gewöhnlich verrichtet. Der einzige Unterschied war, daß ich
im Zelte ein kleines Feuer unterhielt, das noch mehr dazu beitrug,
unsere bereits genügend eingeschmutzten Sachen zu schwärzen.

1. August. Als ich mit den Worten: „Drei Tibeter kommen auf Besuch“
geweckt wurde, regnete es merkwürdigerweise nicht. Ich sprang auf und
versteckte die Kleinigkeiten, die einen geheimnisvollen Fremdling
hätten verraten können. Zwei Männer und eine Frau erschienen; daß
sie in friedlicher Absicht kamen, sah man schon von weitem, denn sie
führten ein Schaf am Strick und trugen verschiedene Sachen.

Sampo Singi führte wieder das Wort und reihte seine Delikatessen an
unserem Feuer auf. Ach, was für schöne Sachen; jetzt würden wir nach
der knappen Kost der letzten Tage wie Fürsten tafeln! Ein großes Stück
Fett (Mar), einen Napf saure Milch (Scho), eine hölzerne Schale mit
Käsepulver (Tschorá), eine Kanne Milch (Oma) und einen Klumpen Sahne
(Bema): konnten wir uns ein lukullischeres Frühstück wünschen?

Alles war Primaware, außer der Sahne, die beinahe an einen Bund
aufeinandergelegter, bedenklich rußiger und haariger Hautlappen
erinnerte. Das Käsepulver ist eines der Ingredienzien der „Tsamba“,
die im übrigen aus Mehl, Tee, Fett- oder Butterstücken, was man gerade
hat, alles in einer Schüssel verrührt, zu bestehen pflegt. Ich muß
gestehen, daß es mir nie gelungen ist, mich an diese von den Mongolen
hochgepriesene Delikatesse zu gewöhnen.

Um so besser wußte ich die sauere Milch zu würdigen. Sie übertraf
alles, was ich mir hatte denken können, und hätte mir ein höheres
Wesen, als sie verzehrt war, unter allen Delikatessen der Erde freie
Wahl gelassen, so würde ich ohne Zögern um noch etwas sauere Milch
gebeten haben! Sie war dick, weiß und säuerlich; in der ganzen Welt hat
die „Scho“ der Tibeter nicht ihresgleichen!

Alles dieses sowie das Schaf sollten nun bezahlt werden, und Schagdur
zog einige chinesische Silberstücke hervor. Sampo Singi wog sie
und fand sie gut, erklärte aber, nur Silbergeld von Lhasa annehmen
zu können. Da wir solches nicht besaßen, prüften wir ihn auf seine
Empfänglichkeit für blauen chinesischen Stoff, und das wirkte. Mit
wahrem Genusse strich er darüber hin und ließ ihn zwischen den Fingern
rauschen; er besah ihn in der Nähe und aus der Ferne, mit einem Worte:
er hatte angebissen. Die Schweinsaugen seiner edeln Gattin glänzten
vor Begierde. Wir hatten von diesem Zeuge zwei Pakete zu Tauschzwecken
mitgenommen, und Sampo Singi wollte das eine haben. Das asiatische
Parlamentieren und Feilschen begann, und schließlich mußte er sich mit
12 Ellen, dem dritten Teile eines Paketes, begnügen. Pferde konnte er
jedoch nicht entbehren, so sehr wir ihn auch in Versuchung führten.
Als der Handel abgeschlossen war, hielt jede Partei die andere für
übervorteilt.

Nun baten wir Sampo Singi, das Schaf zu schlachten und zu zerlegen,
dann sollte er als Lohn für seine Gastfreiheit und für die uns
erwiesene Freundlichkeit das Fell behalten dürfen; hiermit war er sehr
zufrieden. Ich beobachtete mit diplomatischer Gleichgültigkeit, wie
er dabei vorging. Er legte das Tier auf die linke Seite und band ihm
drei Beine zusammen, das linke Vorderbein aber ließ er frei. Dann
schnürte er ihm einen dünnen, weichen Lederriemen mehreremal sehr fest
um das Maul. Darauf legte er den Kopf des Schafes so, daß die beiden
wagerechten, Korkzieher ähnlichen Hörner den Boden berührten, und
stellte sich auf sie. Das Schaf lag jetzt wie in einem Schraubstock
mit seinem Kopfe am Boden festgenagelt. Als Sampo Singi so weit war,
steckte er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand in die Nasenlöcher
des gefangenen Schafes, um es durch Ersticken zu töten. Ich sah
heimlich nach der Uhr, wieviel Minuten hierzu erforderlich sein würden,
vergaß nachher aber, das Resultat aufzuschreiben; doch erinnere ich
mich, daß es eine geraume Zeit dauerte und für mich eine entsetzliche
Pein war, das arme Tier zappeln und zucken zu sehen, während seine
Augen immer weiter aus ihren Höhlen traten. Die ganze Zeit über betete
der Alte mit verzweifelter Zungengeläufigkeit „Om mani padme hum“, was
mich an die Art der Muselmänner, Schafe zu töten, erinnerte. Wie um ihr
eigenes Gewissen zu beruhigen und dem Schöpfer zu schmeicheln, plappern
auch sie Gebete zum Lobe des Ewigen her, während sich der kalte Stahl
von unschuldigem Blute rötet.

Endlich wurde das Schaf still, seine Beine fielen schlaff nieder,
und Sampo Singi richtete sich auf. Es war hart, diese Tierquälerei
mitanzusehen, ohne sie verhindern zu dürfen. Ich hütete mich aber
wohl, mich und meine Gefühle zu verraten, und im übrigen ist auch jede
Einmischung in alte, feststehende Gebräuche völlig nutzlos.

Sodann frühstückten wir miteinander von den gekauften Milchspeisen,
und die Hunde erhielten zum Lohn für ihren tadellosen Wachtdienst
eine tüchtige Portion Fleisch. Die Frau war von ihrem Zeuge derart
entzückt, daß sie ganz den Appetit verloren hatte und nur bald diesem,
bald jenem von uns freundlich zunickte. Ihre Kleidung war die der
Männer; das struppige schwarze Haar war in zwei Zöpfe geteilt, stand
aber eigentlich in rattenschwanzähnlichen Büscheln nach allen Ecken
und Enden. Sie trug Filzstiefel mit einfacher Buntstickerei, die einst
recht hübsch gewesen war. Wie sie es angefangen hatte, so fabelhaft
schmutzig zu werden, wie sie war, begriff ich nicht, beneidete sie aber
aufrichtig darum. Meine vermutlich feinere Haut wurde unaufhörlich vom
Regen „rein“ gewaschen, auf ihrer Haut aber saß die Schmutzschicht
so dick und kompakt, daß sie mit Aussicht auf Erfolg als Treibbeet
für Frühkartoffeln hätte benutzt werden können. Die Poren in der
Gesichtshaut der Tibeter müssen verschwunden sein; jedenfalls ist es
sicher, daß ihre Öffnungen beständig verstopft bleiben.

Sampo Singi half uns bereitwillig beim Beladen unserer Tiere. Das Zelt
war von all den Regenschauern, die es eingesogen hatte, doppelt so
schwer geworden.

Der ehrliche Nomade wünschte uns glückliche Reise nach Lhasa und
angenehmen Aufenthalt in dieser Stadt, und der Lama versicherte, er
habe dies in so manierlicher Weise getan, daß ihm die lamaistischen
Finessen sichtlich nicht fremd seien. Es war ihm augenscheinlich nicht
darum zu tun, uns noch hier zu behalten; sonst hätte er uns gewiß vor
dem bevorstehenden Tagemarsche gewarnt. Er sagte nur, daß wir einen Paß
zu überschreiten hätten und daß der Weg nach Lhasa überall deutlich
erkennbar sei, weiter nichts. Wir versprachen, ihn auf dem Rückwege
wieder aufzusuchen. Wir taten dies auch, aber ohne Erfolg, denn er
hatte seine Penaten bereits nach anderen Weideplätzen geflüchtet.

In halber Dämmerung brachen wir um 9 Uhr auf; der Himmel verhieß uns
wenig Gutes, und bleischwer hingen die Wolken über der Erde. Über Hügel
und Bergausläufer näherten wir uns dem Flusse +Gartschu-sängi+, der
bei näherer Besichtigung nichts weniger als einladend aussah. Sein Tal
drängt sich zusammen, und die schwere Wassermasse rauscht dumpf unten
zwischen den Felsen, während wir oben dem oft ziemlich beschwerlichen
und gefährlichen Wege über Pässe und Höhen folgen. Murmeltiere und
Hasen kommen hier besonders häufig vor, und die Hunde machen sich mit
ihrer Verfolgung viele unnötige Mühe.

Fünf Minuten, nachdem wir Gom-dschima verlassen hatten, brach die
heutige Regenflut los, und peitschte die Erde wie mit Ruten; bald waren
wir wieder pudelnaß (Abb. 249).

Nachdem wir über einen letzten kleinen Paß und einen steilen Abhang
hinuntergegangen waren, erweiterte sich die Landschaft, und vor uns
dehnte sich ein ebener Talgrund aus, der im Süden, soweit man vor dem
Regen sehen konnte, nicht von Bergen begrenzt wurde. Den Gartschu-sängi
verloren wir auf der linken Seite aus den Augen.

In zähem Schlamme geht es nach Südosten weiter, und wir hüten uns, den
Weg aus dem Auge zu verlieren. Der Regen spült über die Erde, unsere
Sättel rutschen in der Nässe hin und her, unsere förmlich am Leibe
klebenden Anzüge glänzen von Wasser, und aus den Mähnen der Pferde
rieselt es. Wenn die Hunde stehenbleiben, um sich zu schütteln, sind
sie von einer Wolke sprühender Tropfen umgeben.

Eine Strecke weit ist das Terrain wieder etwas kupiert, das Gras ist
gut, und man sieht oft verlassene Lagerplätze.

Jetzt führte der Weg gerade nach dem rechten Ufer eines so breiten,
gewaltigen Flusses, daß wir ihn von fern für einen See hielten, dessen
gegenüberliegendes Ufer vom Regen verschleiert wurde. Doch das laute
Aufschlagen der Regentropfen auf der Wasserfläche wurde bald durch ein
dumpferes Getöse wie vom Heranwälzen großer Wassermassen übertönt.
Auch die gelbe, trübe Farbe verriet einen Fluß, und als wir am Ufer
standen und die Wellen nach Westsüdwesten rollen sahen, war unser
Schicksal deutlich besiegelt, denn hinüber mußten wir um jeden Preis.

[Illustration: 246. Ein nächtlicher Überfall. (S. 174.)]

[Illustration: 247. Die drei Pilger. (S. 178.)]

Der Fluß, der kein anderer war als der +Satschu-sangpo+, den schon
Bonvalot, Prinz Heinrich von Orleans und Rockhill vor mir in derselben
Gegend überschritten hatten, war infolge des ewigen Regens zu
ungeheuren Dimensionen angeschwollen und teilte sich in seinem breiten
Bette in 20 Arme, von denen jeder an und für sich schon einen ziemlich
großen Fluß bildete. Vier Arme waren kolossal, und es erschien mir fast
unmöglich, sie zu durchwaten. Doch ohne einen Augenblick zu zögern und
ohne die Furt erst genauer zu untersuchen, ging der Lama, der stets
voranritt, gerade in das Wasser hinein, und die beiden anderen Pilger
folgten ihm. Es lief noch glücklich ab, und nur ein paarmal betrug die
Tiefe mehr als einen Meter. Ich erwartete immer, den Lama, der den
kleinsten Maulesel ritt, in den trüben Wellen verschwinden zu sehen.
Von der Tiefe kann man sich bei so trübem Wasser vorher natürlich
keinen Begriff machen.

Wir hatten uns über die halbe Anzahl von Armen hinübergearbeitet und
rasteten einige Minuten auf einer Schlammbank mit kaum fußtiefem,
langsam fließendem Wasser. Man atmet von seiner Angst um die kleine
Gesellschaft auf und freut sich, so weit gekommen zu sein. Die
Annehmlichkeit der Lage ist jedoch zweifelhaft. Hinter uns der halbe
Fluß, vor uns die andere Hälfte, und wir stehen mitten in dieser
rauschenden, tosenden Wassermasse, die vom Tale herunter auf uns
losstürmt und die Absicht zu haben scheint, uns zu überwältigen und
mitzureißen. Es schwindelt einem vor den Augen; die ganze ausgedehnte
Wasserfläche ist auf allen Seiten in Bewegung, doch uns kommt es vor,
als wären wir es, die durch das Tal jagen. Die Ufer sind vor dem
Regen, der die Wasserfläche peitscht, nicht zu sehen; jeder Bach, jede
Rinne in der Nachbarschaft trägt zum Anschwellen des Flusses bei,
jeder Tropfen liefert seinen Tribut zum unwiderstehlichen, gewaltsamen
Vorwärtsstürmen der Wassermasse.

Der Lama stemmte seinem Maulesel die Fersen in die Seite und begab
sich wieder in tiefes Wasser hinein. Er hatte noch nicht zehn Schritt
zurückgelegt, als es dem Maulesel schon bis an die Schwanzwurzel
ging und der Reiter die Knie hochziehen mußte, um wenigstens die
Stiefelschäfte über dem Wasser zu haben. Der Maulesel, der unsere
beiden mit Leder überzogenen Kisten trug, geriet in eine höchst
bedenkliche Lage. Die Kisten wirkten, bevor das Wasser in sie hatte
eindringen können, wie Korkkissen, und das Tier verlor infolgedessen
den Boden unter den Füßen, beschrieb dabei einen halben Bogen und wurde
mit unwiderstehlicher Kraft von der Strömung ergriffen. Der Strudel
riß das Tier natürlich in den schnellsten Strömungslauf, wo nur
noch sein Kopf und die beiden Kisten über dem Wasser sichtbar waren.
Ich gab es verloren, aber es zog sich auf bewunderungswürdige Weise
aus der Geschichte. Beim Herumtasten im Flusse stieß es schließlich
wieder auf festen Grund und es war gerade so dicht an das linke Ufer
getrieben worden, daß es selbst hinaufkletterte, wobei es die jetzt
halb mit Wasser gefüllten Kisten noch immer im Gleichgewichte auf dem
Rücken hatte. Die Strömung hatte das Tier aber schon so weit abwärts
getrieben, daß es ziemlich lange Zeit erforderte, um es wieder zu holen.

Sobald wir das Manöver des Maulesels gewahrten, schrien wir dem Lama
verzweifelt zu, er solle umkehren; er hörte aber keinen Ton. Das Wasser
wirbelte und schäumte um ihn herum wie unterhalb eines Mühlrades, er
setzte sich aber nur höher in den Sattel und trieb seinen Maulesel an,
der immer tiefer sank. Seine Todesverachtung war bei dieser Gelegenheit
großartig, wenn man bedenkt, daß er, wie wir, mit einem schweren,
tropfnassen Schafpelze bekleidet war und obendrein überhaupt nicht
schwimmen konnte. Ich hatte die Leibbinde abgenommen und den Pelz
aufgeknöpft, damit ich ihn jeden Augenblick abwerfen konnte, und ich
war vollständig auf ein Bad vorbereitet, obgleich ich durchaus keine
Sehnsucht danach verspürte. Man wird in der nebelkalten Luft steif und
unlustig, und das Wasser ist zu kalt, um einladend zu sein, wozu noch
kommt, daß jetzt alles, was Waschen und Reinlichkeit heißt, unseren
mongolischen Prinzipien widerstreitet.

Das Glück steht jedoch dem Kühnen bei. Bald sahen wir den Maulesel sich
höher aus dem Wasser erheben, und der Lama konnte die Stiefel wieder
in die Steigbügel stecken. Für uns, die wir auf unseren hohen Pferden
saßen, war der Übergang weniger gefährlich.

Der Satschu-sangpo hatte jedoch beschlossen, mich zur Strafe für unser
dreistes Unterfangen nicht ohne eine kleine Taufe zu entlassen. „Wagst
du es zu versuchen, nach dem Allerheiligsten von Tibet vorzudringen, so
sollst du wenigstens nicht vergessen, daß du dem Hindernisse, das ich
dir in den Weg gelegt habe, Trotz geboten hast.“

Der letzte Arm, einer der vier größten, war nur 30 Meter breit, aber
tief, schäumend und reißend. Ich war ein wenig zurückgeblieben und
hatte nicht gesehen, wo die anderen, die sich bereits am Ufer befanden,
hinübergewatet waren. Daher ritt ich gerade auf ihren Landungsplatz
zu. Das Wasser stieg um mich herum immer höher, und der Schimmel
sank immer tiefer. Mir wurde schwindlig, als das Wasser mir über die
Stiefelschäfte ging, dann aber stieg es über die Knie, über den Sattel,
und bald guckten nur noch Hals und Kopf des Pferdes aus den um mich
herumschäumenden Wellen hervor. Der Lama und Schagdur standen am Ufer,
brüllten mir etwas zu und zeigten, wo die Furt ging; ich aber hörte
nichts als das Tosen der Wassermassen. Nun ging mir das Wasser schon
bis an die Rippen, und es wurde Zeit, das Pferd seinem Schicksal zu
überlassen. Doch gerade in diesem Augenblick verlor es den festen
Boden unter den Füßen und begann zu schwimmen, und ich hielt mich
unwillkürlich an seiner Mähne fest. Dies war klug, denn bald hatte das
Pferd wieder Grund gefaßt und erkletterte schließlich mit verzweifelter
Anstrengung das steile Ufer, wo das Wasser von Roß und Reiter nur so
herabströmte. Mein Bad hatte ich bekommen, und zwar gründlich, und vor
Aufregung zitterten mir noch eine ganze Weile die Knie.

An und für sich hatte die Taufe wenig zu sagen, denn wir waren schon
vom Regen durchnäßt, aber letzteren ziehe ich doch dem direkten
Untergetauchtwerden vor. Alle unsere Sachen, Zelt, Kisten, Kleider und
Proviant, waren ebenso übel daran. Waren die Lasten an diesem Tage
schon von oben herab angefeuchtet worden, so wurden sie durch die
Berührung mit dem Flusse auch noch von unten gründlich eingeweicht.
Nach dieser Wasserprobe sah unsere kleine Schar am Ufer noch
jammervoller aus als je zuvor. Wir waren aber doch froh, den Übergang
bewerkstelligt zu haben, denn keiner konnte wissen, wie lange es noch
zu regnen fortfahren würde, und vor Beendigung der Regenzeit würde der
Fluß sicherlich nicht fallen.

Es hatte uns 26 Minuten gekostet, über das ganze Flußbett
hinüberzugelangen, aber es war auch langsam gegangen, und zwischen
den Armen war das Bett teilweise wasserfrei. Mein Pferd machte, wenn
ich nur die wasserführenden Teile der gigantischen Rinne rechne, 716
Schritte, also ungefähr 500 Meter. An eine Berechnung der Wassermenge
ist bei einem so zersplitterten Flusse und unter so schwierigen
Verhältnissen nicht zu denken, und ich hatte auch -- im Pilgergewande
-- wenig Ruhe und Lust dazu. Ich taxiere sie jedoch annähernd auf
200-250 Kubikmeter in der Sekunde. Nur während der Regenzeit, und auch
dann nur selten, steigt der Satschu-sangpo zu so kolossalen Dimensionen
an. Er ist jedenfalls einer der größten Flüsse im inneren Tibet.
Ich spreche dabei natürlich nicht von denjenigen, die sich ins Meer
ergießen, sondern nur von denen, die von der Quelle bis zur Mündung
innerhalb des Landes bleiben und ihr Wasser in abflußlose Salzseen
entleeren. Ich sollte später Gelegenheit erhalten, den untersten Teil
des Laufes dieses Flusses genauer kennen zu lernen.

Grau, kalt und wüst sah die Landschaft in Westsüdwest aus, wo das Tal
im Regennebel verschwand, und triefend ließen wir den Satschu-sangpo
mit Freuden hinter uns zurück. Meine Stiefel waren bedenklich mit
Wasser gefüllt, und ich fand bald, daß es unnötig sei, ihren Inhalt
mitzuschleppen, obgleich es nicht das erstemal war, daß ich in den
Stiefeln Wasser trug. Doch als dies 1895 in der Wüste Takla-makan
geschah, sollte ich damit einem Menschen das Leben retten, während wir
jetzt durchaus keine Veranlassung hatten, über Wassermangel zu klagen.
Ich hielt daher, leerte die Stiefel aus, band sie hinten an den Sattel
und ritt barfuß weiter. Die Kisten waren weniger dichte Wasserbehälter;
als wir lagerten, war die ganze Flüssigkeit aus ihren unteren Ecken
herausgetropft.

Es dauerte nicht besonders lange, bis wir lagerten, denn für heute
hatten wir genug. Wir blieben an einem kleinen Bache auf einem
grasreichen Hügel, wo der Regen ohne Schlammbildung in den Boden
eingesickert war. Der Bach schwoll vor Einbruch der Dunkelheit wohl
dreimal so hoch an, wie er ursprünglich war, und ich seufzte bei dem
Gedanken an das jetzige Aussehen des Flusses erleichtert auf; jetzt
wäre es absolut unmöglich gewesen, ihn zu überschreiten. Sampo Singi
hatte uns gewiß mit Fleiß nicht gewarnt, weil er vielleicht gefürchtet
hatte, daß wir in solchem Falle zu lange auf seinen Weideplätzen
bleiben würden, oder er mochte auch keine Lust gehabt haben, uns zu
begleiten und uns die beste Furt zu zeigen.

Unser Lager mußte sich diesen Abend mit einer Zahl, Nr. 50, begnügen,
denn wir wußten nicht, wie die Gegend hieß. Es war ein recht angenehmes
Lager! All unser Gepäck war durch und durch naß und verschiedene Sachen
ruiniert. Der Lama war hauptsächlich über seine Apotheke, d. h. seine
in Papieren und Beuteln verwahrten Medikamente und heilbringenden
Samen, betrübt.

Wie sollte es unter diesen Umständen mit dem Feueranmachen gehen?
Yakdung lag zur Genüge umher, aber er war ebenfalls naß. Nach
mehreren ebenso energischen wie vergeblichen Versuchen glückte es uns
schließlich doch. Der Dung wurde von seiner feuchtesten Oberschicht
befreit, und mit Aufopferung einiger Papierstücke brachte ich ihn
zum Brennen. Unsere Tiere liefen, solange es hell war, frei auf der
Weide umher; wir selbst hatten alle Hände voll damit zu tun, unsere
Kleidungsstücke wenigstens von der Hauptmasse des Wassers zu befreien.
Ich zog mich aus und kauerte vor der nichts weniger als aromatisch
duftenden Argolglut, an der ich meine Kleider trocknete, nachdem ich so
viel Wasser wie nur irgend möglich aus ihnen herausgerungen hatte.

Wir wechselten einander als Blasebalg beim Feuer ab, sonst wäre es bald
erloschen. Es ist eine wenig dankbare Aufgabe, bei Regenwetter Kleider
zu trocknen, aber auf die Gefahr hin, sie anzusengen, gelang es uns
doch, die Feuchtigkeit einigermaßen aus ihnen herauszubringen.

Erbarmungslos und grausam senkte sich die Nacht über die Erde herab,
und der Mond fand keine Gelegenheit, auch nur den allerflüchtigsten
Blick auf Tibets naß geregnete Gebirge zu werfen. Ich war nach vier
Stunden mit der gewissenhaften Verrichtung meines verantwortungsvollen
Nachtdienstes fertig. Kalt und düster, windig und dunkel war es,
und es regnete immerzu. Das Zelttuch flattert und schlägt wie ein
im Winde schwellendes Segel; ich glaube schleichende Schritte
oder herangaloppierende Reiter zu hören. Von zwei verschiedenen
Seiten schallen Rufe durch die Nacht. Vielleicht nähern sich die
Kum-bum-Pilger; aber nein, diese waren gewiß nicht so verrückt wie wir,
jetzt über den Satschu-sangpo zu reiten.

Man wird nervös von der Nachtwache und dadurch, daß der Tag ebenso
reich an Spannung ist wie die Nacht. Jetzt ist es kein Geheimnis mehr,
daß wir unterwegs sind; wir sind bereits mit den ersten Tibetern
zusammengetroffen. Unsere Lage wird mit jedem Tage kritischer; unter
wechselnden Geschicken und ungewissen Schicksalen entgegen geht unser
Weg immer tiefer in dieses geheimnisvolle Land hinein. Wir nähern
uns langsam und sicher dem Ziele, aber müde sind wir; ich sehne mich
beinahe danach, irgendwie festzusitzen, damit wir ausschlafen können.

Ich glaubte freilich, daß jetzt, nachdem wir zwei schwere Proben, den
Räuberüberfall und den Satschu-sangpo, überstanden hatten, das Glück
unsere Reise begünstigen und uns Lhasa erreichen lassen müßte. Es war
wie in einem Märchen, wo der Held erst durch Feuer und Wasser gehen
muß, ehe er den Preis gewinnt und das erträumte Ziel erreicht.

Auch in dieser Nacht rissen sich einige Tiere während meiner Wache los,
und es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder eingetrieben waren. Meine
beiden Reisegefährten lagen in schwerem Schlaf in unserer nassen Höhle.
Der Lama ist jedoch guten Mutes und sieht unsere Aussichten in hellem
Lichte, was man ihm, der anfangs durchaus nicht mitwollte, wirklich
nicht hätte zutrauen können. Schagdur ist ruhig und ernst. Beide sind
prächtige Menschen, gerade solche Leute, wie man sie um sich haben muß,
um sich sicher zu fühlen, und deren man bedarf, wenn ein derartiges
Abenteuer nicht ein Ende mit Schrecken nehmen soll.

In dieser Mitternachtstunde wartete ich keine Minute über 12 Uhr mit
dem Wecken, sondern rüttelte Schagdur unbarmherzig wach; er kroch in
das Regenwetter hinaus, nachdem er seine Flinte untersucht hatte,
während ich in unser klägliches Nest schlüpfte. Er war zu schlaftrunken
und ich zu schläfrig, um zu reden; ohne ein Wort auszutauschen,
wechselten wir den Platz.



Sechzehntes Kapitel.

In kritischer Lage.


Der Lama benutzte am 2. August seine Nachtwache, um aus einer
Konservendose eine „Lampe“ herzustellen; den Docht drehte er aus
einem Seilende, und die Flamme wurde mit Schaffett genährt. Anderes
Feuer spendierten wir uns an diesem Morgen nicht. Heute blieben wir
merkwürdigerweise während des Marsches vom Regen verschont; der Himmel
sah allerdings drohend aus, klärte sich aber gegen Abend auf und ließ
die ersehnten Strahlen der Sonne durch.

Unsere armen Tiere sind zu erschöpft, um mehr als 25 Kilometer
zurücklegen zu können. Die beiden Pferde sind ganz zu Ende, und zwei
Maulesel haben wundgescheuerte Stellen auf dem Rücken.

Die Landschaft war wenig abwechselnd. Wir steigen durch das Tal des
Lagerbaches zu einem kleinen Passe hinauf. Rechts von unserem Wege
erscheint in einer Entfernung von einigen Kilometern ein schwarzes
Zelt, um welches herum etwa 20 Yake und 400 Schafe weiden. Über ein
Gewirr von Hügeln gelangen wir wieder auf offenes Terrain, das recht
bequem zu überschreiten gewesen wäre, wenn nicht der Regen das Erdreich
so aufgeweicht gehabt hätte. Hohe Bergrücken sieht man gar nicht, aber
man kann sich darin auch täuschen, weil dunkle Wolken über allen Kämmen
schweben.

Vor uns im Südosten unterscheiden wir ganz in der Ferne etwas
Schwarzes, dem wir uns langsam nähern. Es stellt sich heraus, daß es
eine Yakherde ist, deren Spur wir eine gute Weile gefolgt sind. Als
wir näherkamen, fanden wir, daß sie zu einer Karawane gehörte, die auf
einem Hügelabhange neben dem Wege lagerte. Um eine unterhalb desselben
rieselnde Quelle herum war das Gras gut, und hier hatten sich die 300
Lastyake zerstreut.

Die Männer, 25 an der Zahl, saßen unter freiem Himmel um ihr Feuer
herum; Zelte hatten sie nicht. Die Last war in einem Dutzend
Haufen aufgestapelt und bestand aus in Sackleinwand eingenähten
Ziegelteestücken, die aus der Gegend von Kum-bum nach Taschi-lumpo am
Brahmaputra befördert werden sollten. Die Karawane wollte daher bald
nach rechts, d. h. nach Süden, von der Straße nach Lhasa, die andauernd
die Richtung nach Südosten beibehält, abbiegen. Sie marschiert nur
nachts, bei Tag liegt sie still, um die Tiere weiden zu lassen. Das ist
gewiß eine ausgezeichnete Art zu reisen, wenn man den Weg kennt und
keine Karte zu zeichnen braucht! Eine Schar bissiger Hunde, die uns
anfiel, wurde von Jollbars und Malenki auf eine Weise empfangen, die
sogar den Besitzern Respekt einflößte. Als wir in größter Ruhe an ihren
Teestapeln vorbeiritten, kamen mehrere Leute nach der Straße herunter,
um uns genauer zu betrachten, und da hielten wir. Bei allen war der
braungebrannte Oberkörper völlig nackt, und der von der Leibbinde
festgehaltene Pelz hing vom Rücken herunter. Ihre erste Frage war: „Wie
viele seid ihr?“, als wollten sie sich vor allem vergewissern, wer im
Falle eines Handgemenges die größte Aussicht hätte, Sieger zu bleiben.
Dann fragen sie, ob man Waren zu verkaufen habe, woher man komme, wie
lange man unterwegs sei und wohin man wolle, und als sie erfahren, daß
wir nach Lhasa gehen, finden sie es ganz natürlich, daß wir nach dem
heiligen Orte pilgern. Ich hörte jedoch einen Mann, der seinen nächsten
Nachbarn anstieß und dabei auf mich zeigte, das Wort „Peling“ sagen,
welches Europäer bedeutet.

Sie sahen wie leibhaftige Strolche aus, und einige von ihnen waren
geradezu abschreckende Erscheinungen (Abb. 250, 251, 252). Infolge der
schmutzigbraunen Hautfarbe und des üppigen, schwarzen, oft in zwei
Flechten herabhängenden Haares erinnern sie an Indianer. Einer von
ihnen verstand etwas Mongolisch und fragte gemütlich: „Ämur sän bane?“
(Ist eure Gesundheit gut?). Die meisten blieben bei den Feuern, wo sie,
ohne uns die geringste Beachtung zu schenken, als hätten sie schon oft
Pilger vorbeiziehen sehen, Tee aus Holzschalen tranken und ihre Pfeife
rauchten. Zwei von den anderen forderten uns auf, hierzubleiben und uns
zu ihnen zu gesellen. Es war uns aber nicht um solche Nachbarschaft zu
tun, und nachdem wir uns einige Minuten mit ihnen unterhalten hatten,
ritten wir weiter.

Mein Pferd war jedoch so schlecht, daß es mit den Mauleseln nicht
Schritt halten konnte, und nach nur wenigen Kilometern mußten wir
daher an einer Quelle auf freiem Feld etwa einen Steinwurf südlich
vom Wege Halt machen. Der Weg hatte sich während dieser Tagereise zu
einer großen Landstraße entwickelt, deren schlechter Zustand von recht
lebhaftem Verkehre zeugte.

Der Abend war herrlich. Die Sonne schien ordentlich heiß, und wir
breiteten alle unsere Kleidungsstücke, Pelze und anderen Sachen zum
Trocknen aus, wobei eine leichte Süstostbrise half. Das Zelt trocknete
am besten in aufgeschlagenem Zustande; die Sattelkissen wurden bald mit
der einen, bald mit der anderen Seite in die Sonne gelegt.

Der Lama brachte seine Patentlampe, auf der das Abendessen gekocht
werden sollte, in Ordnung. Lange hatten wir jedoch noch nicht gesessen,
als wieder ein Gewitter mit betäubenden Donnerschlägen heraufzog,
und ein ungeheuer heftiger Hagelschauer das Zelt beinahe zu Boden
schlug. Die meisten Donnerschläge riefen einen eigentümlichen,
metallischklingenden Ton hervor, der langsam in der Ferne erstarb und
dem Klange einer Kirchenglocke glich. Ich habe dergleichen noch nie
gehört.

Wir blieben an diesem Abend noch lange auf, plauderten und berieten
uns über unsere Lage. Wenn wir nur Gelegenheit hätten, unsere Tiere
durch einen ehrlichen Tausch loszuwerden, dann würden wir mit den neuen
wieder lange Tagemärsche machen können. Ja, es wäre sogar noch besser,
Yake zu haben als unsere erschöpften Maulesel und Pferde, und wir
beschlossen, uns bei der nächsten Gelegenheit Yake zu verschaffen.

Während der letzten Tage war in unserer Nähe nichts Verdächtiges
vorgefallen, aber der Lama glaubte, daß die Yakjäger den Gouverneur von
Nakktschu benachrichtigt hätten, der in diesem Falle sogleich Eilboten
in alle Teile seiner Provinz mit dem Befehle schicken würde, daß auf
allen nach Lhasa führenden Wegen Ausguck zu halten sei. Kämen wir nur
erst in die dichter bewohnten Gegenden, wo die Leute an Pilger gewöhnt
seien, so würden wir nicht länger besondere Aufmerksamkeit erregen.

Nachts wurde strenge Wache gehalten, denn die mit mindestens zehn
Flinten bewaffnete Eskorte der Teekarawane sah nichts weniger als
vertrauenerweckend aus. Hätten sie es gewollt, so hätten sie uns in
der Dunkelheit überrumpeln können, und wir wären in verzweifelter Lage
gewesen.

Obwohl es im höchsten Grade wünschenswert war, daß wir uns so sehr
wie nur irgend möglich beeilten, ehe unser schleichender Zug auffiel,
beschlossen wir dennoch, am 3. August in dieser Gegend, welche die
Tanguten +Amdo-motschu+ nannten, zu bleiben. Ihrer Meinung nach hatte
eine Yakkarawane von hier noch fünf Tagereisen bis Nakktschu und sieben
bis Lani-la.

Nach einer ruhigen Nacht wurde ich von meinen Reisegefährten um 9 Uhr
geweckt, -- es war zu herrlich, einmal wirklich ausschlafen zu dürfen!
Sie sagten, die Teekarawane ziehe heran und sei wirklich sehenswert.

[Illustration: 248. Lager der drei Pilger. (S. 184.)]

[Illustration: 249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen. (S.
192.)]

Es war auch in der Tat ein höchst origineller, malerischer Anblick.
Die Karawane zog in militärischer Ordnung vorbei, und es dauerte eine
geraume Zeit, bis die letzten unser Zelt hinter sich hatten. Sie
marschierten in verschiedenen Abteilungen von je 30 oder 40 Yaken, und
jede solche Gruppe wurde von ein paar Leuten getrieben. Die Yake
gingen langsam, mit kleinen, trippelnden Schritten, beobachteten aber
eine vorzügliche Ordnung und machten den Leuten, die sie durch scharfe
Pfiffe und kurze, abgerissene, gellende Rufe antrieben, nicht allzuviel
Mühe. Wenn ein Yak sich von dem Haufen trennte, so brauchte einer der
Treiber nur mit dem Arme nach derselben Richtung zu schlagen und einen
gellenden Pfiff auszustoßen, um das Tier zu veranlassen, sofort nach
seinem Platze im Gliede zurückzukehren.

Im Verhältnis zur Stärke der Tiere waren die Lasten leicht. Alle Männer
gingen zu Fuß, und zehn von ihnen trugen Flinten auf der Schulter. Sie
waren nicht im geringsten zudringlich. Obwohl sie dicht an unserem
Zelte vorbeizogen, guckte doch keiner von ihnen hinein; sie waren
ausschließlich damit beschäftigt, die Karawane in Ordnung zu halten.

Der Lama sprach mit einigen von ihnen. Der Abwechslung halber hatten
sie auch in der Nacht geruht und sagten, daß nun, da sie Gegenden
mit besserem, üppigerem Grase erreicht hätten, die Yake auch nachts
weiden könnten, besonders wenn Mondschein herrschte. Sie baten wieder,
wir möchten uns doch fertigmachen und mit ihnen nach ihrem nächsten
Lagerplatze ziehen.

Es war wirklich interessant, diese wandernde Gesellschaft aus Kum-bum
zu sehen, diese Tanguten, die mit den Tibetern eines Stammes sind und
auch dieselbe Sprache sprechen. Die ganze Gesellschaft war kohlschwarz,
die Yake, die Männer, ihre Kleider, ihre Flinten, ihre Hunde, und sie
warfen sogar schwarze Schatten, denn jetzt stand die Sonne am Himmel
und beleuchtete den Zug. Ein Schattenspiel, ein Karneval von Dämonen --
ihnen stand der Weg offen nach Taschi-lumpos heiligen Tempeln und den
Basaren von Schigatse, wo der Tee verkauft werden sollte.

Wir hatten den ganzen Tag vor uns und sollten uns gründlich ausruhen,
aber ich konnte nicht mehr schlafen, ich hatte das Bedürfnis, die Sonne
zu sehen und mich an der lachenden Landschaft zu erfreuen. Ich saß mehr
als leicht gekleidet da und ließ mich vom Sonnenschein trocknen; um 1
Uhr hatten wir +14,6 Grad im Schatten, und die Wärme war fühlbar. Jetzt
hatten wir endlich Gelegenheit, alle unsere Habseligkeiten wirklich
trocknen zu lassen. Kleinere Sachen wurden auf Pelzen und Mänteln
ausgebreitet. Der Lama beschäftigte sich mit seinen Medikamentbeuteln,
und es stellte sich heraus, daß er der glückliche Besitzer eines
ziemlich großen Beutels mit Rosinen war, den er von Tscharchlik
mitgenommen hatte und der erst jetzt zum Vorschein kam. Die Packsättel
wurden fleißig umgedreht und trockneten im Laufe des Tages. Die Stiefel
wurden mit trockenem, warmem Sand gefüllt, der sie ausspannte und ihnen
ihre richtige Form wiedergab.

Zweimal hatte ich das unbeschreibliche Vergnügen, uns Mittag kochen zu
müssen, was ~con amore~ geschah; die frischen Fleischstücke wurden
in dünne Scheiben geschnitten, die ich in Butter briet, die uns Sampa
Singi geliefert hatte, und das mit Käsepulver und Salz gewürzte Gericht
schmeckte delikat. Die sauere Milch war leider zu Ende, aber wir
hatten zum Nachtisch Tee und Rosinen. Eine Pfeife Virginia schmeckte
hinterdrein vorzüglich, und dann streckte man sich wieder in der Sonne
aus, den Sattel als Kopfkissen benutzend. Selten bin ich so faul
gewesen wie an jenem 3. August 1901.

Schagdur und der Lama schliefen dann und wann. Unsere Tiere grasten so
nahe, daß wir sie jeden Augenblick zählen konnten, und wir verloren sie
nicht aus den Augen.

Als Kunstkenner bemalte mir der Lama wieder den Kopf vorn und hinten,
den ganzen Hals und die Ohren außen und innen. Ich hatte eine
kleine Dose mit brauner Farbe, einen Wattebausch und als Spiegel
meine Uhrkapsel, so daß ich, wenn es nötig war, den Anstrich selbst
auffrischen konnte. Es ist nur ärgerlich, daß, sobald die Haut
abblättert, augenblicklich eine rosa Stelle inmitten des orthodoxen
Farbentones erscheint, ungefähr als wenn ein Flicken von dem Kleide
einer Balldame auf der Nase eines Schornsteinfegers haften geblieben
wäre!

Kein Wort Russisch durfte über Schagdurs oder meine Lippen kommen, nur
Mongolisch ertönte in unserem Lager, und wir bereiteten uns jetzt auf
die Antworten vor, die wir auf eventuelle inquisitorische Fragen geben
wollten. Wir waren alle Burjaten aus Sachir und hatten das Land der
Chalchamongolen und Zaidam durchreist. Der Lama wollte unter keiner
Bedingung für einen Mongolen gelten; er war ein Burjate, und, um nicht
von denen, die er früher in Lhasa getroffen hatte, wiedererkannt zu
werden, trug er gleich mir eine schwarze Schneebrille und wollte im
übrigen allen seinen Bekannten aus dem Wege gehen. Besondere Angst
hatte er vor dem Oberlama des Tempels, in welchem er seine Studien
betrieben hatte. Würde er erkannt, so glaubte er, daß die Folgen für
ihn verhängnisvoll sein würden. Man würde uns umkehren lassen, ihn aber
unter dem Vorwand, er sei ein Lama von Lhasa, zurückbehalten und dann
als Verräter, der Spione in das verbotene Land geführt habe, bestrafen.
Während all der Tage, gleichviel ob wir stillagen oder über unbekannte
Berge ritten, plapperte er seine Gebete an die ewigen Götter und
unterhandelte mit seinem Gewissen.

Er hegte großes Interesse für das Christentum und bat mich oft, ihm
meinen Glauben auseinanderzusetzen; nach seiner Ansicht hatten wir so
viele Berührungspunkte, daß ich eigentlich ebenso berechtigt war wie
irgendein Buddhist, die Wallfahrt zu machen. Er selbst kannte nichts
weiter als die heiligen Bücher Tibets und der Mongolei, und da er mich
während unserer Reise mit so vielen Arbeiten, von denen er früher
keine Ahnung gehabt hatte, beschäftigt gesehen und beobachtet hatte,
wie ich an der Erforschung der Erdrinde arbeitete, die Himmelskörper
beobachtete und abends in Büchern las, war er zu dem Schlusse gekommen,
daß ich mindestens ebenso gut sei wie ein Lama und daß sie sich in
Lhasa freuen könnten, wenn ich sie besuchte. Der Dalai-Lama war
allwissend. Er wußte, wer wir waren, mit was für Absichten wir kamen,
ja, er wußte, was wir jeden Tag miteinander redeten. Und er würde
nicht zulassen, daß mir etwas Böses widerfahre; wie er sich aber zu
dem Lama selbst stellen würde, war eine andere Frage. Wenn ich einen
allmächtigen Gott hätte, sollte ich ihn doch bitten, daß er, der Lama,
Leib und Leben behalten dürfe, da er doch nur meinetwegen mit auf
dieses Abenteuer ausgezogen sei. Ich versicherte dem Lama, daß er ganz
ruhig sein könne, wir würden zusammenhalten, wohin es auch ginge, und
würden ihn nicht im Stiche lassen.

Eine Stunde lang war es finster wie in einem Sacke gewesen, als der
Mond aufging und still und freundlich wie ein Engel an dem mit Sternen
übersäten Himmelsgewölbe stand. Ich hatte die Wache von 8-11 Uhr, und
um 5 Uhr wollten wir aufbrechen. Schweigend und friedlich lag die
Gegend da, nah und fern störte kein Laut die Stille. Nur ein paarmal
knurrten die Hunde. Der Lama und Schagdur schliefen der Abwechslung
halber vor dem Zelte. Je mehr wir uns dem Ziele unserer Reise näherten,
desto ruhiger war mir zumute. Es ist leichter, mitten in der Gefahr zu
leben, als ihr Eintreten abzuwarten.

Eine Menge kleinerer Bäche in ziemlich offener Gegend überschreitend,
zogen wir am 4. August nach Südsüdost weiter. An einem Punkte, wo der
Weg sich teilte, blieben wir ratlos stehen, kamen aber bald zu dem
Schlusse, daß der linke Weg nach Lhasa, der rechte nach Taschi-lumpo
führen müsse. Nachdem wir jedoch eine Strecke auf dem ersteren
zurückgelegt hatten, fanden wir, daß er viel zu gerade nach Osten
abbog, weshalb wir vermuteten, daß er nach Nakktschu Fuhre und die
wahrscheinliche Straße nach Lhasa wieder aufsuchten.

Hier erhielten wir bald die Bestätigung für die Richtigkeit unseres
Schlusses. Eine Karawane von 100 Yaken mit leichten Lasten kam, von
einem halben Dutzend berittener und bewaffneter Männer getrieben, von
Lhasa zurück. Die Männer trugen große, hohe, gelbe Hüte und hatten
einige Ziegen und Hunde bei sich. Sie schienen sich vor uns zu fürchten
und zogen möglichst schnell an uns vorbei.

Unsere Maulesel, die sich infolge der guten Weide und des Ruhetages
sehr erholt hatten, fanden die Yake entweder so nett oder so komisch,
daß sie ihre Gesellschaft der unseren vorzogen; sie machten kehrt und
gesellten sich zu der Karawane. Die Yake dagegen waren anderer Meinung.
Vermutlich hatten sie noch nie mit Mauleseln Bekanntschaft gemacht;
genug, sie galoppierten davon, und ihre Besitzer sowie die Maulesel
folgten ihnen auf den Fersen. Auf diese Weise kamen sie vom Wege ab und
auf das freie Feld hinaus. Die Tibeter pfiffen, wir schrien und riefen,
die Hunde hatten sich in aller Geschwindigkeit in eine heftige Beißerei
eingelassen, und die größte Unordnung herrschte auf dem so plötzlich
zur Walstatt gewordenen Grasboden. Endlich gelang es uns, die Tiere zu
bemeistern und in guter Ordnung zu trennen.

Irgendein böser Geist mußte an diesem Tag in einen unserer
Maulesel gefahren sein, der der „Dungane“ hieß, weil er von einem
muhammedanischen Chinesen gekauft war. Ohne sich irgendwie von den
Yaken stören zu lassen, lief er draußen auf der Ebene im Kreise umher,
bis alles, was er trug, am Boden verstreut lag und sein Packsattel
hinter ihm her schlenkerte. Die Sachen wurden gesammelt, und er
wurde wieder beladen; als sich aber dasselbe Manöver noch zweimal
wiederholte, mußte das muntere Tier am Stricke geführt werden. Nach
der Ruhe hatte auch mein Reitpferd sich erholt und legte seine 34½
Kilometer gut zurück. Der Lama saß schläfrig im Sattel und machte die
komischsten Verbeugungen; ich erwartete jeden Augenblick, ihn auf der
Erde liegen zu sehen, aber er verlor das Gleichgewicht nicht.

Das Wetter ist wunderschön, und nach zweitägigem Sonnenbrand ist die
Erde wieder trocken und unser Gepäck bedeutend leichter geworden.

Der Weg führt jetzt zu einem niedrigen, bequemen Passe hinauf, der
sich durch ein Steinmal (Obo) aus Sandsteinplatten mit der Inschrift
„Om mani padme hum“ auszeichnet. Der Boden ist überall unterhöhlt von
den Löchern und Gängen kleiner Feldmäuse, wodurch das Reiten erschwert
wird und die Pferde leicht stolpern. Man verabscheut diese verwünschten
Tierchen, die ihr dreistes Untergraben der Straße manchmal mit dem
Leben bezahlen müssen. Die Hunde jagen sie unverdrossen. Malenki frißt
sie mit Haut und Haar, während sich Jollbars damit begnügt, sie im
Genick zu packen und hoch in die Luft zu schleudern.

Auf beiden Seiten des Passes ritten wir an mehreren, von Yak- und
Schafherden umgebenen schwarzen Zelten vorbei. Da sich jedoch keine
Menschen zeigten, hielten wir uns nicht weiter auf. Wir erreichten ein
offenes, in ziemlich weiter Ferne von Bergen umschlossenes Kesseltal.
Aus einem der dort stehenden Zelte kam ein alter Mann heraus; mit ihm
verhandelte der Lama eine Weile. Verkaufen oder Vermieten von Pferden
kam überhaupt nicht in Frage, der Geizhals wollte uns nicht einmal
Milch überlassen. Er habe allerdings sehr viel davon, erklärte er, aber
verkäuflich sei sie nicht, er brauche sie selbst.

Der Weg wird immer breiter und kräftiger ausgeprägt. Aber es ist
merkwürdig, daß wir nie einzelnen Wanderern oder Reitern begegnen. Man
scheint hierzulande nur in großen, hinreichend starken Gesellschaften
zu reisen. Das Gras ist vortrefflich, und man sieht jetzt auf allen
Seiten Yake, Schafe und Pferde in zerstreuten Herden, die von ihren
Hirten bewacht werden.

Die Zelte wurden immer zahlreicher und sahen aus der Ferne wie schwarze
Punkte aus; an einer Stelle lagen vierzehn beisammen. Vor jedem Zelte
sieht man gewöhnlich einen großen Haufen Yakdung zur Feuerung für den
Winter; manchmal ist er auch schichtweise ausgebreitet, um ordentlich
zu trocknen.

Links lassen wir einen ganz kleinen See liegen, an dessen Ufer sich
die große Teekarawane von gestern niedergelassen hat. Die Männer waren
nicht zu sehen; sie hatten sich wahrscheinlich nach den Zelten der
Nomaden begeben, um zu plaudern, zu rauchen und Tee zu trinken.

Um nicht zu sehr von Neugierigen überlaufen zu werden, setzten wir
unseren Weg noch eine Stunde fort und ließen uns dann in der Nähe eines
aus vier Zelten bestehenden Dorfes nieder.

Nach einem der Zelte lenkte der Lama seine Schritte und kam mit
einem Stücke Fett und einem „Domba“ (mongolischer Napf) voll sauerer
Milch wieder, wofür er eine chinesische Porzellantasse gegeben
hatte. Unterdessen hatten wir Besuch von einem jungen Tibeter, der
außerordentlich freundlich und mitteilsam war und ununterbrochen
schwatzte, obwohl wir kein Wort verstanden.

Der Lama mußte als Dolmetscher dienen. Unser ungebetener Gast gab sich
als ein Bewohner von Amdo zu erkennen, und sein Dialekt unterschied
sich wesentlich von der Sprache von Lhasa. Er nannte uns die Namen der
nächsten Berge, aber ich möchte nicht für die Zuverlässigkeit seiner
Angaben einstehen. Einen See, der sich im Südosten zeigte, nannte
er Tso-nekk, den „schwarzen See“, was uns wenigstens wahrscheinlich
erschien, denn dieser Name kommt in ganz Innerasien häufig vor, z.
B. in den Formen Kara-köll, Chara-nur usw. Der Weg, dem wir gefolgt
waren, teilte sich gerade hier in die Straßen nach Lhasa und nach
Taschi-lumpo. Ein anderer, östlicherer Weg vereinigte sich mit der
großen Pilgerstraße nach Lhasa.

Wir sehnten uns danach, den Fremdling loszuwerden, da wir ihn für einen
Spion hielten, der beauftragt war, uns in der Nähe zu beobachten. Als
uns dies nicht gelang, mußte der Lama ihn unterhalten, während Schagdur
und ich das Zelt zumachten und zu Mittag aßen. Erst in der Dämmerung
konnte er sich entschließen zu gehen. Er hatte sein Pferd grasen lassen
und mußte es jetzt wieder einfangen, aber das wollte ihm durchaus nicht
gelingen. Soweit wir mit dem Fernglase sehen konnten, lief das Pferd
nach Süden weiter, und der Mann trabte unverdrossen hinterdrein. Auf
unsere Frage, ob hier in der Gegend Räuber hausten, antwortete er: „Für
uns Tibeter gibt es keine, aber für euch, die ihr so weit her seid, ist
keine Sicherheit.“

Die Nachtluft war so still, daß ich während meiner Wache das Licht in
der Zelttür brennen lassen konnte. Von den nächsten Zeltdörfern ertönte
Hundegebell. Der Himmel war halbklar, und der Mond schien teilweise.

Am Montag, 5. August, ritten wir 34 Kilometer nach dem Lager Nr. 53. Es
ging nach Südsüdost, und bald kamen wir an das Westufer des +Tso-nekk+,
wo hier und dort mehrere schwarze Zelte und große Viehherden zu sehen
waren. Der Weg ging über drei Pässe.

Auf einer ziemlich ausgedehnten, überall von Bergen, die namentlich
im Süden und Südosten ziemlich hoch waren, umgebenen Ebene, auf der
wir zwölf schwarze Zelte zählen konnten, machten wir Halt. +Bis
hierher sollten wir gelangen, aber nicht weiter!+ Wir waren gerade
270 Kilometer vom Hauptquartier entfernt, wo die Unseren mittlerweile
wahrscheinlich in größter Unruhe über unser Schicksal schwebten.

Auf dem Ritte hatten wir uns darüber gewundert, daß unser Vorbeiziehen
nirgends Aufmerksamkeit erregt und niemand sich uns genährt und uns
angeredet hatte. Vor mehreren Zelten saßen Tibeter am Feuer, und Kinder
spielten mit Lämmern und jungen Hunden. Auch hier an dem kleinen Bache,
wo das Zelt aufgeschlagen wurde, zeigten sich keine Neugierigen. Wir
fühlten uns völlig ungeniert, und es war uns natürlich viel lieber, von
prüfenden Blicken und beobachtenden Besuchen verschont zu bleiben. Ich
selbst hätte allerdings unsere Nachbarn gern in ihren Zelten besucht,
hielt es aber für klüger, dies zu unterlassen.

Nach gründlichem Rasieren, Einfetten und Schminken und nach
eingenommenem Mittagsessen legte ich mich schlafen. Bei Einbruch der
Dunkelheit kam Schagdur, weckte mich und teilte mir mit, daß sich drei
Tibeter im Zwielicht unserem Lager näherten. Der Lama und er gingen
ihnen entgegen, während ich zurückblieb. Es war ganz dunkel geworden,
ein leichter Sprühregen fiel, und der Himmel war bewölkt, ich konnte
beim besten Willen weder unsere Tiere noch die Männer unterscheiden.

Meine Begleiter blieben lange fort, und ich fing beinahe schon an, mich
ihretwegen zu beunruhigen, als Schagdur endlich zurückkehrte. Er war
ruhig wie immer, aber schon, daß er mich auf russisch anredete, zeigte,
daß er der Überbringer ernster Nachrichten war.

„+Es sieht schlimm für uns aus!+“ sagte er. „Ich verstand kein
Wort von dem, was geredet wurde, hörte aber unaufhörlich die Worte
Schwed-peling, Tschanto (Muselmann), Burjate und Lhasa durcheinander.
Sie sitzen jetzt und reden, der Lama weint beinahe, ist außerordentlich
demütig und verbeugt sich unausgesetzt.“

Dann eilte der Lama, aufgeregt und erschüttert, zu uns. Er mußte sich
erst eine Weile beruhigen, ehe er sprechen konnte, und dann kam es
stoßweise heraus, in zitterndem Ton und in abgebrochenen Sätzen.

Einer der drei Männer war, nach der Kopfbedeckung zu urteilen, ein
„Noijin“ (Häuptling, Offizier). Er war höflich aufgetreten und
recht liebenswürdig gewesen, hatte aber doch in streng befehlendem,
bestimmtem Tone, der keinen Widerspruch duldete, gesprochen. Sein Blick
aber war, wie der Lama sagte, tückisch gewesen.

Der Häuptling hatte berichtet, es sei vor drei Tagen bekannt geworden,
daß ein „schwedischer Europäer“ (Schwed-peling) nach Lhasa unterwegs
sei, und einige Yakjäger, die kürzlich in Nakktschu eingetroffen seien,
hätten erzählt, daß eine Menge stark bewaffneter Europäer, Besitzer
einer großen Karawane, von Norden über die Gebirge zögen.

Nun waren dem Lama tausend Fragen um die Ohren gehagelt. Ob er etwas
von diesen Europäern wisse, ob einer von ihnen unter uns sei, wieviele
wir selbst seien, wieviele Tiere wir hätten, ob wir Waffen besäßen;
woher wir seien, wohin wir gingen, weshalb wir diesen versteckten Weg
gewählt hätten, der von Mongolen sonst nie eingeschlagen werde. „Rede
nur die Wahrheit“, hatte es geheißen, und „Wie kannst du, ein Lama,
diese unbekannten Fremdlinge begleiten?“

Darauf hatte der Lama erwidert, der Amban von Kara-schahr habe
ihm befohlen, der europäischen Karawane bis Ladak als Dolmetscher
zu dienen. Die Karawane sei neun Tagereisen von hier im Gebirge
liegengeblieben, und wir drei Pilger hätten die Erlaubnis erhalten,
während die Tiere sich kräftigten, Lhasa zu besuchen.

Der Häuptling hatte in betreff des Hauptquartiers sehr genaue Fragen
gestellt, und der Lama hatte korrekte Auskunft erteilt, da er es für
möglich gehalten, daß bereits alles ausspioniert sei. Er hatte erzählt,
wieviele Lasttiere wir hatten und daß uns dort drei Europäer und
vierzehn Muselmänner erwarteten.

Der Beschluß des Häuptlings hatte gelautet: „Ihr bleibt morgen hier!
Ich komme dann in euer Zelt, und wir werden miteinander reden. Ich
werde für einen mongolischen Dolmetscher sorgen, der mit den beiden
anderen sprechen kann. Braucht ihr Lebensmittel oder Pferde und Yake,
so werden wir das morgen besprechen.“

Es war schon spät, und wir saßen, nachdem wir unsere Pferde und
Maulesel wie gewöhnlich festgebunden hatten, noch lange in eifrigem
Gespräch an dem im Zelte brennenden Feuer. Zunächst bereiteten wir
uns auf das uns morgen bevorstehende Verhör vor; Schagdur bestand mit
großer Energie darauf, daß der Lama dann nur als Dolmetscher sprechen
solle.

Was mich am meisten interessierte, war, zu erfahren, woher sie das
Wort „Schwed-peling“ hatten. Es war denkbar, daß durch die englischen
Zeitungen in Indien irgendein Gerücht nach Tibet gedrungen sein
konnte. Aber „Schwed“ konnte nichts anderes sein als das russische
„Schwed“, Schwede. Sollte die große mongolische Pilgerkarawane, die
im Herbst 1900 unser Hauptquartier in Temirlik passierte, dieses Wort
aufgeschnappt haben? Damals hatte nicht einmal einer der Kosaken eine
Ahnung von meinen Plänen gehabt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß
die Mongolen, die mit Schagdur und Tscherdon in ihrer eigenen Sprache
gesprochen, sich erkundigt hatten, ob ich ein Russe oder ein Engländer
sei, und die Antwort erhalten hatten, ich sei ein „Schwed“, welches
Wort sich nicht ins Mongolische übersetzen ließ. Diese Pilger haben
alles, was sie erfahren hatten, in Lhasa gemeldet, wohlwissend, daß
ihnen jede Warnung vor ungebetenen Gästen zum Verdienst gereichen
würde. Die Yakjäger, die wir beim Lager Nr. 38 getroffen, hatten die
Meldung von dem Vorhandensein und Herannahen der europäischen Karawane
bestätigt.

Eine dritte Möglichkeit ist, daß der Lama während des abendlichen
Gesprächs mit dem Häuptling derjenige gewesen sein kann, der sich
zuerst dieser Bezeichnung bedient hat, -- es war das erste und sicher
auch das letzte Mal in meinem Leben, daß ich nicht stolz darauf
gewesen bin, ein Schwede zu heißen! In solchem Falle war der Lama ein
Verräter, und Schagdur sagte mir auch, daß er unter keiner Bedingung
auf ihn bauen würde. Sein Benehmen während der Unterredung sei ihm zu
sonderbar vorgekommen, und seine Reden hätten die ganze Zeit über einen
zustimmenden Eindruck gemacht.

Allerdings war das Ganze eine mysteriöse Sache. Gewiß ist, daß ihnen
das Wort „Schwed“ auf irgendeine Weise zu Ohren gekommen war, aber
ohne daß sie wußten, was es bedeutete. Es wurde jedoch durch das
Wort „Peling“ verdeutlicht, welches Europäer heißt und wohl von dem
persischen „Fereng“ oder „Ferengi“ ins Tibetische übergegangen sein mag.

[Illustration: 250. Ein junger tibetischer Hirt. (S. 199.)]

[Illustration: 251. Älterer Tibeter. (S. 199.)]

[Illustration: 252. Eine Gruppe Tibeter. (S. 199.)]

[Illustration: 253. Der Lama im Gespräch mit Tibetern. (S. 210.)]

[Illustration: 254. Die tibetischen Reiter. (S. 212.)]

Ich konnte mit dem besten Willen nicht die Überzeugung gewinnen, daß
der Lama ein Verräter sei. Ich konnte es weder damals noch später.
Der kleine Schein von Verdacht, der einen Augenblick auf ihn fiel,
verschwand bald, und ich ließ ihn nie auch nur mit einem Worte
ahnen, daß von solchem Verdacht überhaupt die Rede gewesen war.
Vielleicht bewies er mir dafür während der langen Reise bis Astrachan
eine Anhänglichkeit und Treue, die danach strebte, einen Augenblick der
Schwäche abzubüßen und die Erinnerung an eine Feigheit auszulöschen,
die mich bloßgestellt hatte, ihm aber einen Rückzug sicherte?

+Eine+ Sache sprach durchaus zu seinen Gunsten, und das war, daß es
ebensosehr in seinem eigenen wie in unserem Interesse lag, die Kette
von Wachtposten und Spähern, die alle von Norden nach Lhasa führenden
Wege bewachte, ~incognito~ zu durchbrechen. Denn wurden wir entdeckt
und festgenommen, so war seine Lage viel schlimmer als die unserige.
Hielt ich es für geraten, die Maske zu lüften und mich als Europäer zu
erkennen zu geben, so würde keiner es wagen, mich auch nur anzurühren,
aber der Lama, der wissentlich einen verkleideten Europäer begleitet
hatte, würde hierfür zur Verantwortung gezogen und vielleicht zu Tode
gemartert werden. Daher glaube ich nicht, daß er uns den Tibetern
preisgegeben hat.

Daß man uns vor dem Abend des 5. August schon erwartete, ist höchst
wahrscheinlich. Bei einem Zelte hatte ein Mann gefragt, ob wir
unterwegs Europäer gesehen hätten, und einer von den Leuten der
Teekarawane hatte mich ja einfach „Peling“ genannt.

Die Stunden vergingen, und meine Nachtwache schrumpfte zu kurzer Zeit
zusammen. Ich freute mich wirklich, daß ich einen Ruhetag vor mir
hatte und daß unsere unsichere Lage jetzt ein Ende nehmen würde. Daß
uns etwas bevorstand, war klar; aber was? Wenn je, so waren wir jetzt
mitten in einem Abenteuer, und jetzt sollten wir unser Urteil hören.

Da wir auf allen Seiten so viele Nachbarn hatten, meinten wir, uns
einigermaßen gegen einen Überfall gesichert fühlen zu können, aber --
keiner konnte wissen, was das für Leute waren, und einstweilen war es
noch das Klügste, die Augen offenzuhalten. Die Tiere blieben daher
festgebunden, und der Wachtdienst wurde gewissenhaft verrichtet.

Die ganze Nacht bellten die Hunde in den Nomadenlagern ringsumher. Der
Lama glaubte, daß die Nomaden von Zelt zu Zelt gingen, von uns und
unserer Ankunft sprachen und sich auf etwas vorbereiteten. An mehreren
Stellen sah man Feuer durch das nächtliche Dunkel lodern.



Siebzehntes Kapitel.

In Gefangenschaft der Tibeter.


Am 6. August sollte sich unser Schicksal entscheiden. Schon gleich nach
Sonnenaufgang besuchten uns drei Tibeter, aber andere als die gestrigen
Inquisitoren. In gebührender Entfernung banden sie ihre Pferde, indem
sie ihnen mit einem Stricke die Vorderbeine zusammenschnürten, nahmen
dann am Feuer Platz und stopften ihre Pfeifen mit hellem, trockenem,
feinkörnigem Tabak von wenig aromatischem Duft. Ihr eigentliches
Anliegen schien Untersuchung meiner Augen zu sein, denn sobald ich
mich zwischen zweien von ihnen niedergelassen hatte, baten sie mich,
meine schwarze Brille abzunehmen. Nun hatten sie wohl gedacht, daß alle
Europäer blond sein und blaue Augen haben müßten, denn sie konnten
ihre Verwunderung darüber, daß meine Augen ebenso rabenschwarz waren
wie ihre eigenen, nicht unterdrücken. Sie waren sichtlich „betroffen“,
nickten mir freundlich zu und sprachen schnell und eifrig miteinander.

Ihre Bitte, unser Arsenal sehen zu dürfen, wurde mit dem größten
Vergnügen bewilligt, da unsere Waffen ihnen ohne Zweifel imponieren
würden. Schagdur beschrieb sein Magazingewehr, und ich den
Offizierrevolver. Als wir ihnen zeigten, wie die Patronen eingeschoben
wurden, schüttelten sie den Kopf und baten uns, unsere Mordwaffen
wegzulegen.

Bald darauf hielten sie es für das Sicherste, sich zurückzuziehen.
Doch teilten sie uns vorher noch mit, daß es von hier bis Lhasa eine
Reise von drei Monaten sei, -- um uns gründlich vom Weiterziehen
abzuschrecken, möglicherweise aber auch in der Hoffnung, daß wir
dadurch bewogen würden, freiwillig umzukehren. Ich bat den Lama, ihnen
zu sagen, daß es uns nicht eingefallen sei, uns darüber Auskunft zu
erbitten, da wir im Lande reichlich so gut Bescheid wüßten wie nur
einer von ihnen (Abb. 253). Sie gingen langsam, vorsichtig und --
rückwärts zu ihren Pferden und führten diese, bis sie sich außer
Schußweite glaubten; anscheinend waren sie der Meinung, daß wir unsere
Flinten an ihnen erproben würden.

Dann wurden wir eine halbe Stunde in Ruhe gelassen. Hierauf erschienen
vier Männer, die sich unserem Zelte zu Fuß näherten. Drei von ihnen
hatten langes schwarzes Haar, sahen schmutzig aus und waren mit
Säbeln und Pfeifen versehen, der vierte aber war ein hochgewachsener,
kurzgeschorener, grauhaariger Lama in rotem Gewande mit gelber Mütze.
Er machte den Eindruck eines wackeren Mannes; eines solchen bedurften
wir gerade unter den jetzigen mißlichen Verhältnissen zur Verhandlung.
Er musterte mich durchaus nicht mit indiskreten Blicken und erlaubte
sich keine dreisten Fragen. Das einzige, was er wissen wollte, war die
Stärke unseres Hauptquartiers, und darüber wurde ohne Umschweif Bericht
erstattet.

Der alte Mann, der ein erfahrenes, respektables Aussehen hatte,
erklärte mit verblüffender Sicherheit:

„Ihr müßt drei oder höchstens fünf Tage hierbleiben. Heute früh haben
wir Kuriere an den Gouverneur von Nakktschu geschickt und angefragt,
ob ihr weiterreisen dürft oder nicht. Als Antwort auf unser Schreiben
trifft entweder ein Brief mit Verhaltungsbefehlen ein oder Kamba Bombo,
der Gouverneur, kommt selbst, und bis dahin seid ihr in jedem Falle
unsere Gefangenen. Es würde uns das Leben kosten, wenn wir euch hier
durchließen und es sich nachher herausstellte, daß ihr Leute seid,
die zu der Reise nach Lhasa nicht berechtigt sind. Der Gouverneur von
Nakktschu ist unser nächster Vorgesetzter, dem wir zu gehorchen haben,
und wir müssen seine Befehle einholen.“

Mein Vorschlag, durch einen besonderen Kurier in Lhasa anfragen zu
lassen, wurde verworfen, da es einen Monat dauern könne, bis die
Antwort käme. Ebensowenig Lust hatten sie, auf meinen Vorschlag, daß
wir selbst nach Nakktschu reiten könnten, einzugehen. Wahrscheinlich
sagten sie sich, daß wir, einmal in Freiheit, Nakktschu vermeiden und
nach Lhasa weiterreiten würden. Alle Unterhandlungen waren unnötig; sie
wußten, was ihnen zu tun oblag, und wir waren in ihrer Gewalt.

Daß wir zu der großen Karawane, die von Norden gekommen war, gehörten,
war ihnen klar, ebenso erkannten wir deutlich, daß sie damit bereits
vertraut waren und uns nur auf die Glaubwürdigkeit unserer Aussagen
prüfen wollten.

Inzwischen kaufte uns der Alte eine Teetasse ab und teilte uns mit, daß
uns alles, dessen wir bedürften, zur Verfügung gestellt werden würde.

Im Laufe des Gesprächs erwähnte der Greis seinen Rang als Lama, was
unserem guten Schereb Lama sichtlich außerordentlich imponierte,
denn er erhob sich, drückte seine Handflächen gegeneinander und
berührte die Stirn des Alten mit der seinen. Von beiden Seiten
wurden die gebräuchlichen Höflichkeitsbezeigungen beobachtet und mit
Versicherungen von Freundschaft und Achtung nicht gegeizt. Nach einer
Weile entfernten sich auch diese Gäste.

Jetzt glaubten wir, daß man uns für heute in Frieden lassen werde;
doch schon nach ein paar Minuten ereignete sich etwas, das uns mit der
größten Unruhe erfüllte. Von allen Seiten versammelten sich bei dem
kleinen Zeltlager, das einen Kilometer von dem unsrigen aufgeschlagen
war, kleine Gruppen von Reitern, die bis an die Zähne mit Spießen,
Lanzen, Säbeln und langen, schwarzen Gabelflinten bewaffnet waren (Abb.
254). Einige trugen hohe, weiße Filzhüte mit Krempen, andere dunkle
Binden, und alle waren sie in Mäntel gehüllt, die braun, rot, schwarz
oder grau waren. Sie sahen wie richtige Banditen aus, waren aber
entschieden Soldaten, die mobilgemacht wurden, um das südliche Tibet
gegen unseren drohenden Einfall zu verteidigen. Woher kamen sie, wie
hatten sie so schnell bereit sein können? Sie schienen wie Pilze aus
der Erde zu schießen; es wurde ganz schwarz um die Zelte herum, und wir
konnten eine Kavallerietruppe von 53 Mann zählen. Sie berieten sich
unter lebhaften Gesten, saßen ab, schlugen ein großes, weißes Zelt auf
und ließen sich in einzelnen Gruppen an den Feuern nieder, uns drei
arme Pilger schienen sie aber nicht weiter zu beachten.

Mit der größten Spannung beobachteten wir sie durch das Fernglas. Der
Lama war sehr niedergeschlagen und glaubte, man habe die Absicht, uns
umzubringen. Freilich kamen wir uns einer solchen Übermacht gegenüber
begreiflicherweise alle drei recht ohnmächtig vor, aber ich glaubte
doch, daß es, falls wirklich die Absicht uns zu töten vorlag, hierzu
nicht eines so großen Truppenaufwandes bedürfte und es sich überdies
auch viel besser durch einen nächtlichen Überfall bewerkstelligen ließe.

Der Tag war regnerisch und rauh, und manchmal verhüllten Nebel und
Regen die Aussicht. Wir wunderten uns und besprachen uns über die
Bedeutung der Maßnahmen der Tibeter. Wie als Antwort auf unsere
Fragen führten sie jetzt eine Bewegung aus, die nicht geeignet war,
uns zu beruhigen. Nachdem sieben Reiter in schnellem Trab nach Osten,
wahrscheinlich nach Nakktschu, und zwei nach der Seite von Lhasa
fortgeritten waren, sprengten die übrigen in dichtem Haufen über die
Ebene des Kesseltales gerade auf unser Zelt los. Einen Augenblick
sah ich unsere Lage wirklich für mehr als kritisch an. Wir hielten
daher unsere Waffen bereit und saßen oder standen am Eingange unseres
Zeltes. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über dem Kopfe
und heulten wie die Wilden (Abb. 255); sie stürmten einher wie zu
einem Reiterangriff, die Hufe der Pferde klappten auf dem durchnäßten
Boden, und der Schmutz spritzte von der rasenden Bewegung nach allen
Seiten. Einige Männer schwangen ihre Säbel und schienen Kommandorufe
auszuteilen.

Die Schar war nicht mehr weit vom Zelt entfernt, als die Reiter ihre
Pferde herumwarfen, teils nach rechts, teils nach links, um in zwei
Gruppen nach dem Ausgangspunkt zurückzukehren. Dasselbe Manöver wurde
ein paarmal wiederholt, und einige kleinere Gruppen umkreisten unseren
Lagerplatz. Es lag entschieden die Absicht vor, uns gebührenden Respekt
einzujagen, was uns um so klarer wurde, als sie wieder absaßen und
mit ihren langen schwarzen Gabelflinten nach der Scheibe zu schießen
begannen.

Um 2 Uhr wurde uns noch eine Vorstellung gegeben. Die Tibeter saßen
wieder auf, wickelten sich in ihre Mäntel und ritten, während der
Regen in dicken Strahlen auf die Erde fiel, nach Nordwesten, d. h.
nach der Seite, von der sie gekommen waren. Jetzt wurde ich wirklich
unruhig und fürchtete, daß sie beabsichtigten, das Hauptquartier zu
überfallen, während wir von ihm abgeschnitten waren, und ich empfand
große Sehnsucht, zu den Unsrigen zurückzukehren.

Nachdem das Feld geräumt war und wir wenigstens in unserer
unmittelbaren Nähe wieder Ruhe hatten, tauchten zwei Nomaden auf, die
uns vom nächsten Zeltdorfe Fett und saure Milch brachten und erklärten,
daß ihr Häuptling ihnen verboten habe, sich dafür bezahlen zu lassen.
Als wir ihnen eine Porzellantasse schenken wollten, sagten sie, daß
sie das Geschenk ohne Erlaubnis des Häuptlings nicht annehmen könnten,
kamen aber später mit dem Bescheid wieder, daß ihm der Tausch recht sei.

Auf diese Weise sorgten unsere Nachbarn den ganzen Tag für unsere
Unterhaltung. Die letzten und ausdauerndsten waren jedoch vier Männer,
die uns gegen 3 Uhr besuchten. Einer von ihnen war ziemlich frech
und untersuchte alle umherliegenden Sachen. Dabei kam ein Kompaß zum
Vorschein, der bei ihm großes Interesse erregte. Er fragte, was das
sei, und erhielt eine genaue Beschreibung, wobei er sagte:

„Freilich, freilich, solche haben die Chinesen auch.“

Ein paarmal zeigte er auf mich und erklärte:

„Der da ist kein Burjate.“

Er war außergewöhnlich zudringlich und fragte, wie es komme, daß wir
diese kleine Seitenstraße eingeschlagen hätten, statt dem großen
Pilgerwege zu folgen.

„Wißt ihr nicht, daß es euch den Kopf kosten kann, daß ihr diesen Weg
gegangen seid? Alle, die auf diesem Wege nach Lhasa gehen, werden
hingerichtet.“

Der Lama versuchte die Situation zu retten, indem er erklärte, daß
wir die große Karawane vom Lop-nor an begleitet hätten und es unsere
Absicht sei, von hier nach Lhasa zu gehen. Der Mann erwiderte darauf,
daß nur der Gouverneur von Nakktschu die Erlaubnis dazu erteilen könne.

Im übrigen waren sie freundlich und ungezwungen und versprachen uns
morgen allerlei Lebensmittel zu schenken. Als wir diese lästigen
Spione gar nicht loswerden konnten, gingen wir ins Zelt und legten uns
schlafen. Aber nicht einmal das half. Der Himmel war wieder dunkel
und die Wolkendecke dichter geworden, und als wieder ein Platzregen
herabströmte, krochen sie alle vier in das Zelt, wo wir es selbst unter
gewöhnlichen Verhältnissen ziemlich eng hatten. Erst in der Dämmerung
gingen sie ihrer Wege.

Der Regen stürzte hernieder, mit Hagel und Schnee untermischt. Der
Boden war da, wo das Zelt stand, ein wenig abschüssig, und ein kleiner
Bach bildete sich zwischen den Zeltstangen längs der Filzdecke, auf der
ich lag. Wir mußten in die Nässe hinaus und Kanäle graben, um nicht
ganz überschwemmt zu werden.

Wir saßen dann noch bis 10 Uhr plaudernd und rauchend bei unseren
Holznäpfen mit saurer Milch. Ein kleines Talgflämmchen verbreitete
ein schwaches Licht in unserer ungemütlichen Wohnung. Eintönig schlug
der Regen auf das Zelttuch. Draußen war es so finster wie in einem
Sack, und die Hunde waren verdrießlich über das schlechte Regenwetter.
Infolge der Versicherungen des alten Lamas ließen wir unsere Tiere
diese Nacht ohne Aufsicht draußen umherlaufen. Ich sagte mir, daß
keiner Lust haben würde, uns der Möglichkeit zu berauben, das Land zu
verlassen; es lag ja in ihrem eigenen Interesse, uns möglichst schnell
loszuwerden. Doch als er uns angeboten hatte, vier Wächter vor unser
Zelt zu stellen, hatten wir uns für solche Auskundschafterei bedankt.
In weiterer Entfernung wurden wir jedoch von -- wie wir später hörten
-- 37 Wachtposten bewacht! Nachts sah man, besonders auf dem Wege nach
Lhasa, die Lagerfeuer derselben schwach durch den Regennebel leuchten.

Jetzt schliefen wir alle drei gleichzeitig, ohne uns um die Tiere oder
den Regen zu kümmern. Die Müdigkeit infolge des forcierten Rittes
machte sich geltend. Ich wurde bei Tagesanbruch durch das Stimmengewirr
der ersten heute zu Besuch kommenden Tibeter geweckt. Im Laufe des
Tages (7. August) kamen sie gruppenweise, so daß wir kaum eine halbe
Stunde allein sein konnten. Beständig tauchen neue Gesichter auf,
und selten kommt derselbe Mann zweimal. Es ist, als würde die Wache
beständig abgelöst. Nur der Dreiste von gestern machte uns auch heute
einen Besuch und schenkte uns einen Napf voll saurer Milch, einen Sack
voll trocknen, vortrefflichen Argols und einen Blasebalg, der uns
besonders nötig war.

Ein anderer Tibeter blieb volle drei Stunden bei uns, trank Tee und aß
Tsamba mit uns, rauchte und tat, als sei er hier zu Hause. Sein Gesicht
war von einem förmlichen Urwalde schwarzer, zottiger Haarsträhnen ohne
eine Spur von Ordnung umgeben. Die „Locken“, die die Augen verdecken,
sind gestutzt und tragen keineswegs zur Verschönerung des Ganzen
bei; ein Teil des Nackenhaares ist jedoch in einen Zopf geflochten.
Dieser ist unten mit einem mit Perlen oder gefärbten Steinen besetzten
Bande zusammengebunden und mit einem oder mehreren „Gavo“ oder
Götzenbilderfutteralen geschmückt. Beim Reiten wird der Zopf um den
Kopf oder Hut gewunden.

Dieser Mann, der nicht wieder gehen wollte, verriet uns zu deutlich,
daß er ein Spion war, der den Auftrag erhalten hatte, uns in der Nähe
zu beobachten. Er war aufrichtig genug, uns zu bitten, über Nacht
nicht durchzubrennen, da es ihm sonst das Leben kosten würde. Nach
Lhasa seien es noch fünf Tagereisen, sagte er. Doch gibt es dorthin
entschieden auch eine organisierte reitende Post mit Pferdewechsel,
denn wir machten später ausfindig, daß ein dorthin gesandter Eilbote
in zwei Tagen Antwort brachte, also einen Tag bis Lhasa und einen Tag
von Lhasa gebraucht hatte. Das Tal, in dem wir uns befanden, hieß
+Dschallokk+ und der uns im Westen zunächstliegende Berg +Bontsa+.

Als der lästige Gast uns endlich verlassen hatte, um nach seinem
Zeltdorfe zurückzukehren, begegnete er drei Reitern, die sich wohl eine
halbe Stunde mit ihm unterhielten. Sie fragten ihn sicher darüber aus,
was für Beobachtungen er habe machen können und was für Fragen wir an
ihn gerichtet hätten. Sie machten sich daher nicht mehr die Mühe, uns
ebenfalls zu besuchen, sondern kehrten wieder um, nachdem sie unsere
Maulesel und Pferde nach einem anderen Weideplatze getrieben hatten.
Frühmorgens konnten wir unsere Tiere nicht finden, aber vormittags
kamen sie wieder ins Lager, wahrscheinlich von irgendeinem entfernteren
Platze, wohin man sie für die Nacht gebracht hatte. Vermutlich sollte
uns dadurch, daß man die Tiere nachts von uns entfernt hielt, jegliche
Möglichkeit zum Entfliehen genommen werden.

Unter den heutigen Gästen war ein langhaariger Greis, dem die anderen
mit einer gewissen Achtung begegneten. Er redete viel und gern und
wurde mit der größten Aufmerksamkeit angehört. Der Lama fing einiges
von seinen zur Hälfte geflüsterten Reden auf.

„Diese drei Männer“, sagte er, „sind nicht von der allerbesten Sorte;
nach Lhasa dürfen sie natürlich nicht. Kamba Bombo kommt in zwei, drei
Tagen, und dann wird man ja sehen. Inzwischen müssen wir dafür sorgen,
daß es ihnen an nichts fehlt; alles, was sie brauchen, soll ihnen
geschenkt werden, und keiner darf Bezahlung annehmen. Wenn sie zu
entfliehen suchen, sei es bei Tag oder bei Nacht, sollen die Wächter
es mir sofort melden. Amgon Lama hat die heiligen Bücher befragt und
gefunden, daß diese Männer zweideutige Persönlichkeiten sind, die nicht
nach Lhasa dürfen. Der Jäger Ondschi hat sie vor langer Zeit im Gebirge
in der Gegend von Merik-dschandsem gesehen und gesagt, die Karawane sei
bedenklich groß. Nachricht hiervon wurde sogleich nach Lhasa geschickt.“

„Glaubte Amgon Lama, daß der da ein Burjate ist?“ fragte einer, auf
mich zeigend.

„Er sagte, daß er dies nicht feststellen könne“, antwortete der Alte.

Jede Auskunft von seinen Lippen beantworteten die anderen mit „Lakso,
lakso“, welches Wort Ehrfurcht, Gehorsam und Folgsamkeit ausdrückt.
Unser armer Lama Schereb gebraucht es unausgesetzt, wenn er mit den
Tibetern redet, vor denen er fast zittert und mit denen er in einem
weinerlichen, unterwürfigen Tone spricht. Er sieht unser Schicksal in
den allerschwärzesten Farben und befürchtet das Schlimmste.

Auch heute streiften Reiter in der Gegend umher. Bald kamen sie an,
bald ritten sie fort. Die größte Schar zählte 10 Mann. Es hatte
entschieden eine vollständige Mobilmachung stattgefunden. Einer unserer
Gäste gestand aufrichtig ein, daß sie gegen unser großes Lager im
Gebirge gerichtet sei. Ein anderer sagte, es seien nur Patrouillen und
Kundschafter, die das Land zu bewachen und aufzupassen hätten, daß sich
keine Feinde einschlichen. Um uns selbst war ich nicht im geringsten
in Sorge, wohl aber des Hauptquartieres wegen. Wären wir nicht die
Gefangenen der Tibeter gewesen, so hätte ich dorthin zurückkehren
mögen, um eventuell zu seiner Verteidigung beizutragen.

8. August. Die ganze Nacht regnete es in Strömen. Ich erwachte halb
erstickt von dem gräßlichen Rauche, der das Zelt füllte, durch dessen
Tuch die Regentropfen wie feiner Sprühregen drangen. Der Morgen war
naßkalt und die Luft wie in einem Keller. Und dabei sollte noch Brot
gebacken werden! Fort mit dem Zelttuch und frische Luft hereingelassen,
wenn es auch noch so sehr regnet! Recht bequem ist es, daß man sich
bloß aufzurichten braucht, um gleich fertig zu sein; ein weiteres
Toilettemachen kommt überhaupt nicht in Frage. Eine dicke Rußschicht
hat sich auf dem Fette, mit dem mein Gesicht zuletzt eingerieben worden
ist, abgelagert.

[Illustration: 255. „Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über
dem Kopfe und heulten wie die Wilden.“ (S. 212.)]

[Illustration: 256. Zelte tibetischer Häuptlinge. (S. 221.)]

Die Visiten wurden in gewohnter Weise fortgesetzt und stellten unsere
Geduld auf die Probe. Zuerst erschienen fünf Leute mit einem Schafe
und fragten, ob wir sonst noch etwas wünschten. Wir bestellten Fett,
Butter, süße und sauere Milch und erhielten sofort alles in viel
größeren Mengen, als wir bewältigen konnten, selbst wenn wir uns von
den Hunden helfen ließen. Sie fragten uns, ob unser großes Lager
auch nahe genug bei einem Nomadenlager liege, so daß die Unseren
alles, was sie an Proviant brauchten, erhalten könnten. Dies klang
wenigstens beruhigend, und ich begann wieder daran zu zweifeln, daß
die Mobilmachung unserem Hauptquartier gelte. Ferner war die Nachricht
gekommen, daß Kamba Bombo von Nakktschu und Nanso Lama unterwegs seien
und morgen hier eintreffen würden.

Darauf begann das Kreuzverhör von neuem, aber jetzt erklärte ich rund
heraus, daß sie sich gefälligst gedulden möchten, bis Kamba Bombo
angelangt sei; er solle alles erfahren, was er zu wissen brauche,
sie jedoch gehe es gar nichts an, wer wir seien. Wenn sie nicht
aufhörten, uns tagtäglich mit denselben dummen, zudringlichen Fragen zu
überhäufen, würden wir sie künftig nicht mehr ins Zelt hineinlassen.
Da verbeugten sie sich ganz verdutzt, murmelten ihr höfliches „Lakso“
und schwiegen. Der Lama erklärte, daß sie fürchterlichen Respekt vor
mir hätten. Ich kam mir ungefähr vor wie Karl XII. in der Türkei. Wir
waren in ein fremdes Land eingedrungen, ein lächerlich kleiner Haufe
gegen eine erdrückende Übermacht. Die Tibeter verhinderten uns, dorthin
zu gehen, wohin wir wollten, zugleich aber war es ihnen darum zu tun,
uns möglichst schnell wieder loszuwerden. Wir waren gleichzeitig ihre
Gäste und ihre Gefangenen, und sichtlich war höheren Ortes Befehl
erteilt worden, daß wir mit größter Rücksicht behandelt werden sollten
und uns kein Leid zugefügt werden dürfe. Nur der Lama war düster und
schwermütig. Er erinnerte sich ganz genau Kamba Bombos von Nakktschu,
der die mongolische Pilgerkarawane, mit welcher der Lama nach Lhasa
gereist war, so gründlich untersucht hatte. Wenn Kamba Bombo ihn
wiedererkennen sollte, sei er verloren, und auch im entgegengesetzten
Falle sei sein Schicksal mehr als ungewiß. Er erzählte von einem
mongolischen Lama, der durch irgendein Vergehen sein Recht, die
heilige Stadt zu besuchen, verwirkt habe und der, um sein Vergehen
abzubüßen, von Da-kuren (Urga) nach Lhasa -- in Gebetstellung, d. h.
auf den Knien, gerutscht sei. Er habe sich mit den Händen auf die Erde
gestützt, die Knie nachgezogen, die Hände weiter gesetzt, und so habe
er die ganze lange Reise gemacht, zu der er sechs Jahre gebraucht habe!
Und als er nur noch eine Tagereise vom Stadttore entfernt gewesen
sei, habe ihm der Dalai-Lama das Betreten der Stadt untersagt, und
unverrichteter Dinge habe er wieder umkehren müssen. Der Lama sagte
noch, daß der Mann seinen Bußgang auf den Knien, die schließlich hart
und hornig wie die Liegeschwielen der Kamele geworden seien, noch
zweimal wiederholt habe, aber das Herz des Dalai-Lama doch nicht
erweicht worden sei.

„Und wie“, fügte er hinzu, „wird es mir jetzt ergehen, da ich mich
versündigt habe, indem ich mit euch hierhergekommen bin? Wenn sie mich
auch am Leben lassen, so ist doch meine Laufbahn zu Ende, und ich darf
Lhasa nie wiedersehen.“

Ein paar hundert Meter südlich von uns wurde heute ein Zelt
aufgeschlagen, in welchem der Spion von gestern, Ben Nursu, wie er uns
selbst offenherzig mitgeteilt hatte, künftig residieren sollte, um uns
unter Augen zu haben.

Um die Mittagszeit sahen wir 15 Reiter nach Süden sprengen; wir nahmen
an, daß sie dem Kamba Bombo, der wahrscheinlich nicht mehr sehr weit
entfernt sein konnte, entgegenritten.

Nach Tisch schliefen wir ein paar Stunden und wurden wenigstens da in
Ruhe gelassen. Schlafen, Essenkochen, Speisen und Milchtrinken sind
eigentlich das einzige, womit wir während unserer unfreiwilligen, die
Geduld auf die Probe stellenden Gefangenschaft die Zeit totschlagen
können. Wir liegen, dehnen uns und schlummern, wir entfernen uns keine
50 Schritt vom Zelte, wir sitzen stundenlang vor der Zeltöffnung und
beobachten die Tibeter, ihr Tun und Lassen, ihre schwarzen Zeltdörfer
und ihre Herden. Wir sehnen uns danach, daß die Zeit vergehe und Kamba
Bombo komme, aber eigentlich ist es ein Trost, daß wir nicht in diesem
ewigen Regen zu reiten brauchen, wo es überall kalt, rauh, grau, naß
und dunkel ist.

Beständig tauchen neue, unbekannte, neugierige Gesichter um uns herum
auf. Der einzige wirkliche Stammgast in unserem Zelte ist Ben Nursu,
der beinahe bei uns wohnt und mit uns ißt. Dafür muß er sich aber
auch nützlich machen; er muß Leben ins Feuer blasen, wenn es regnet.
Es kommt beinahe nie vor, daß uns jemand besucht, ohne etwas Eßbares
mitzubringen. Sie nehmen sich unserer mit rührender Fürsorge an. Wie
man sagt, geschieht dies auf besonderen Befehl des Dalai-Lama. Die
Behörden in Lhasa erhalten ganz gewiß täglich Bericht aus unserem
Lager. Die Reiter, die aus jener Richtung kommen und dorthin reiten,
sind Kuriere und Eilboten. Wir erfuhren auch, daß die Lebensmittel, die
wir von den Nomaden erhalten, ihnen später aus Lhasa ersetzt werden.
Auf dieselbe Weise wird bei einer Mobilmachung verfahren. Die Soldaten
sind berechtigt, sich alles, was sie wollen, von den Nomaden zu nehmen,
und diese erhalten dafür Entschädigung aus der Hauptstadt. Wir hatten
also durch unseren friedlichen Zug den Tibetern entsetzlich viel Mühe
gemacht, und Dschallokk war gewissermaßen ein militärischer Knotenpunkt
geworden. Es wimmelte hier von Stafetten, Spionen, Kundschaftern
und Kurieren. Das Land erhob sich wie zur Verteidigung gegen einen
feindlichen Einfall. Man würde uns nicht geglaubt haben, wenn man
erfahren hätte, wie unschädlich wir selbst und wie wenig böse unsere
Absichten waren.

Gegen 2 Uhr guckte die Sonne eine Weile hervor und warf ihren grauen
Schleier ab, der übrigens zu der Situation gut paßte. Sieben Tibeter
leisteten uns am Feuer im Freien Gesellschaft. Während wir in
eifrigster Unterhaltung waren, erschien im Südosten eine Reiterschar.
Sie ritt schnell gerade auf das Zelt los.

„Ha“, riefen die Männer, „da haben wir den Bombo von Nakktschu!“

Wir erhoben uns und erwarteten die Fremden; als sie jedoch näherkamen,
sahen unsere Gäste, daß es nicht der Gouverneur selbst war, sondern nur
sein mongolischer Dolmetscher in Begleitung von vier Häuptlingen aus
der Nachbarschaft mit ihrem Gefolge.

Der Dolmetscher war ein geborener Tibeter, und sein Mongolisch war
bedeutend schlechter als meines, aber er war ein angenehmer, heiterer
Mensch und nicht im geringsten zudringlich. Er erzählte, daß, sobald
die Nachricht von unserer Ankunft nach Nakktschu gelangt sei, Kamba
Bombo ihm befohlen habe, hierher vorauszureiten, der Gouverneur selbst
werde aber so schnell wie möglich nachkommen. Im Nu saß der arme
Dolmetscher im Sattel und ritt mit seinen Begleitern Tag und Nacht in
strömendem Regen nach Dschallokk. Hier rasteten sie nicht einmal bei
den Zelten der Tibeter, sondern begaben sich direkt zu uns.

Jetzt begann das Verhör wieder, und zum zwanzigsten Male mußten wir das
Hauptquartier und seine Besatzung ausführlich beschreiben. Trotzdem
sie ohne Zweifel durch Spione über die Karawane unterrichtet waren,
war es schwer, die Neuangekommenen dahin zu bringen, daß sie unseren
Worten glaubten. Sie bildeten sich ein, daß unser Hauptquartier
nicht unsere ganze Stärke ausmache, sondern nur der Vortrab sei, dem
Tausende von Soldaten folgen würden. Diese Furcht verdrängte alle
kritischen Spekulationen in betreff meiner wirklichen Nationalität. Der
Dolmetscher sagte, es spiele gar keine Rolle, woher und von welchem
Stamme wir seien; nach Lhasa dürften wir unter keinen Umständen
reisen, sondern müßten von hier nach unserem Hauptquartiere im Gebirge
zurückkehren. Zuleide werde uns jedoch nichts getan werden, denn in
dieser Beziehung habe der Dalai-Lama seine Befehle gegeben.

Jetzt begannen Schagdur und ich auf Mongolisch derart zu predigen, daß
dem armen Dolmetscher die Ohren gellten. Wir sagten, der Dalai-Lama
habe Burjaten, die auf russischem Gebiete wohnen, nie verboten, die
Wallfahrt nach Lhasa zu machen. Es könne Kamba Bombo den Kopf kosten,
wenn er sich unterstehe, uns an der Weiterreise zu verhindern. Ihn
holen zu lassen, sei ganz unnötig, da wir auf jeden Fall nur mit einem
hohen Beamten aus Lhasa verhandeln würden.

Alles, was wir sagten, übersetzte der Dolmetscher seinen Kameraden,
die mit ernster Miene zuhörten. Von Rußland und Indien hatten sie sehr
dunkle Begriffe, und was von der Macht und Größe dieser Reiche gesagt
wurde, imponierte ihnen nicht im geringsten.

Schließlich gingen wir darauf ein, daß ein Kurier an Kamba Bombo
geschickt werde, um ihn zu ersuchen, sich zu beeilen, -- aber nur
unter der Bedingung, daß gleichzeitig ein Eilbote nach Lhasa abgehe.
Der Dolmetscher war in jeder Beziehung ein Gentleman, nur darin nicht,
daß er unaufhörlich um Branntwein bat, eine Ware, die unsere Kisten
nicht enthielten. Wir sagten ihm, wir seien hier in ein merkwürdiges
Land geraten, wo friedliche Reisende nicht einmal vor Räuberüberfällen
sicher seien. Er schien von dem Pferdediebstahl zu wissen und
versicherte, der Wert der Tiere werde uns zu unserer völligen
Zufriedenheit ersetzt werden und wir hätten nur zu befehlen, falls wir
etwas wünschten. Wir hätten gesagt, daß zwei Europäerhäuptlinge in
unserem Hauptquartier seien, und er bitte um ihre Namen. „Sirkin und
Tschernoff“, antworteten wir; die Namen wurden aufgeschrieben. Als er
aber nach unseren Namen fragte, wurde ihm der Bescheid, daß ihn dies
gar nichts angehe und wir nur mit vornehmeren Herren verhandeln würden.

Nachdem sie uns endlich verlassen hatten, blieben wir wie gewöhnlich
noch lange sitzen und sprachen über die Tageserlebnisse und die
Aussichten für die nächste Zukunft, die für den Lama nicht besonders
gut waren. Um unsere Tiere bekümmerten wir uns nicht mehr. Sie waren
bei den Tibetern gewissermaßen in Pension, und wir sahen sie gar nicht.

Am 9. August herrschte wieder Leben und Bewegung in unserem offenen
Kesseltale. Eine Menge Reiter und Patrouillen zogen nach Südwesten
die nächsten Berghöhen hinauf und trieben die Herden dorthin. Von
allen Seiten ertönte Geschrei und Pferdegetrappel, das Blöken der
Schafe und das verdrießliche Grunzen der Yake. Von den Zelten unserer
Nachbarn ritten kleine Reiterscharen nach Nakktschu und nach Lhasa. Es
gelang uns nicht zu ergründen, was alles dieses bedeutete; es hatte
den Anschein, als beabsichtigten die Nomaden, ihre Wohnsitze nach
anderen Weidegründen zu verlegen, aber Schereb Lama, der hier alles
in schwarzem Lichte sah, glaubte, daß sie das Feld räumten, um freien
Spielraum zu haben, wenn der große, vernichtende Reitersturm gegen
unser Zelt gerichtet würde.

Um 10 Uhr erschien unser Freund, der Dolmetscher, von drei anderen
Männern begleitet. Wir baten ihn, diese fortzuschicken, um mit ihm über
verschiedene wichtige Angelegenheiten verhandeln zu können. Hiergegen
protestierte er aber auf das Bestimmteste; es war ihm wohl unheimlich,
mit so zweideutigen Personen allein zu sein. Er hatte übrigens, wie er
sagte, einen besonderen Auftrag auszurichten und würde uns, sobald dies
geschehen, verlassen. Er teilte uns mit, daß Kamba Bombo von Nakktschu
mit großem Gefolge angekommen sei und uns zu sehen wünsche.

Ein ganzes Zeltdorf erhob sich ein paar Kilometer von uns entfernt auf
der Straße nach Lhasa (Abb. 256). Eines der Zelte hatte bedeutende
Dimensionen; es war glänzend weiß und oben blaugestreift; die anderen,
die es umgaben, waren kleiner, und von mehreren von ihnen stiegen
Rauchsäulen auf. Um das „Dorf“ herum schwärmten Massen von Reitern.
Der Lama konnte das Fernglas nicht von seinen Augen nehmen und sich
nicht von diesem großartigen Anblicke losreißen; unablässig starrte
er dorthin und war augenscheinlich eine Beute immer größer werdender
Unruhe.

Der Auftrag des Dolmetschers bestand darin, uns in Kamba Bombos Namen
einzuladen, uns mit Sack und Pack in seiner unmittelbaren Nachbarschaft
anzusiedeln und heute bei dem mächtigen Gouverneur ein Gastmahl
einzunehmen. In einem der Zelte tische man bereits die Gerichte auf.
In der Mitte stehe ein ganzes gebratenes Schaf, umgeben von Schalen
für Tee und Tsamba, und bei unserer Ankunft würden wir jeder mit einer
„Haddik“ beehrt werden, mit einer dünnen, hellen Binde, welche Mongolen
und Tibeter vornehmen Gästen als Ehrfurchtsbezeugung überreichen.

Auf diese Einladung antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu
bedenken, daß wenn Kamba Bombo eine Spur von Manier besitze, es seine
Pflicht sei, uns erst einen Besuch zu machen, bevor er uns zum Gastmahl
einlade; überdies hätten wir noch nie von ihm gehört und wüßten gar
nicht, ob er überhaupt das Recht habe, uns gegenüber als zuständige
Behörde aufzutreten. Er werde sich wohl nicht einbilden, daß wir seiner
Aufforderung, unseren Lagerplatz zu wechseln, gehorchten; wenn ihm
daran liege, uns als Nachbarn zu haben, so stehe es ihm frei, seine
Zelte in unserer Nachbarschaft aufzuschlagen. Wir wollten nichts von
ihm und hätten nicht nach ihm geschickt; wünsche er uns zu sehen und
mit uns zu sprechen, so sei es ihm unbenommen, jederzeit unser Zelt zu
besuchen. Während der Tage, die wir in Dschallokk zugebracht, hätten
wir hinsichtlich der Dreistigkeit der Tibeter viel zu gründliche
Erfahrungen gemacht, um uns freiwillig zu Nachbarn von Kamba Bombo
und seinem Gefolge zu machen. Wir seien friedliche Fremdlinge aus
dem Norden, die das Recht hätten, die Wallfahrt zu machen, und jetzt
wünschten wir nur zu erfahren, ob uns der Weg nach Lhasa offenstehe
oder nicht; wenn nicht, würden wir sofort nach unserem Hauptquartier
zurückkehren, und Kamba Bombo selbst habe die Verantwortung für die
Folgen zu tragen.

Mit allem diesen und noch mehrerem wurde der arme Dolmetscher
traktiert, der in seiner unangenehmen Unterhändlerstellung, die er
bekleidete, sich wie ein Wurm wand. Er bat und flehte und bediente
sich seiner ganzen Überredungskunst, aber wir blieben unbeweglich.
„Das Gastmahl ist bereitet, und man erwartet euch; wenn ihr nicht
kommt, trage ich die Schuld, falle in Ungnade und werde verabschiedet.“
Er bestürmte uns über zwei Stunden; als ich jedoch meinen Entschluß
nicht änderte, erhob er sich, um aufs Pferd zu steigen. Noch im Sattel
bat er, wir möchten uns doch besinnen, und versicherte, daß uns kein
Leid widerfahren werde. Ich antwortete ihm nur, es sei uns vollkommen
gleichgültig, welchen Bescheid er dem Bombo zu bringen gedenke, aber
zum Gastmahl kämen wir nicht, und beliebe es dem Gouverneur nicht, uns
eine Visite zu machen, so werde er keinen Schimmer von uns zu sehen
bekommen. Da grüßte der Dolmetscher zum Abschied und ritt zu den Zelten
zurück.

Es mag den Anschein haben, als sei diese Antwort auf eine freundliche
Einladung ebenso arrogant wie unhöflich und als hätten drei arme Pilger
sich einem so mächtigen, vornehmen Gouverneur gegenüber einen solchen
Ton nicht erlauben dürfen. Denn er war es, der in Nakktschu (auch
Nagtschu; der Ort liegt am Flusse gleichen Namens, der mit dem oberen
Saluen gleichbedeutend ist) residierte und dessen Pflicht es war, alle
Karawanen zu untersuchen und alle Reisenden, Pilger und Wanderer, die
sich Lhasa auf der großen Straße von Zaidam und über Tang-la nähern,
zu visitieren. Jetzt, da wirklich Gefahr im Anzug zu sein schien und
eine große europäische Karawane sich näherte, mußte er, um nicht
sein Amt und vielleicht auch das Leben zu verlieren, seine Autorität
nachdrücklich wahren. Ganz gewiß hatte er auch durch besondere Kuriere
von Lhasa Befehl erhalten, seinen Posten auf einige Tage zu verlassen
und sich nach Dschallokk zu begeben, um dort die Sachlage genau zu
untersuchen.

Tatsächlich war es auch nicht reiner Oppositionsgeist, der unsere
Antwort so unfreundlich ausfallen ließ. Aber ringsumher hatte die
ganze Zeit über Kriegsstimmung geherrscht, die Tibeter waren mobil
gemacht und hatten ihre Streitkräfte gesammelt, und ich meinerseits
würde ihnen verziehen haben, wenn sie über unser Unterfangen, das
ja darauf ausging, sie zu überlisten, böse geworden wären. Keiner
hätte es ihnen verdenken können, wenn sie erklärt hätten: „Hier ist
ein Europäer, der sich als Burjate verkleidet hat, um nach Lhasa zu
gelangen, und hier ist ein Lama, der seine Studien in Lhasa gemacht hat
und jetzt als Führer des ersteren auftritt; laßt uns ein für allemal
ein Exempel statuieren und den beiden zeigen, daß solche Versuche
übel ablaufen!“ Noch am 9. August ahnten wir nichts von unserem
Schicksal; das einzige, was man uns mit absoluter Sicherheit gesagt
hatte, war, daß man uns unter keinen Umständen erlauben würde, uns
nach der Hauptstadt zu begeben. Jetzt grübelten wir auch darüber nach,
ob die heutigen Vorbereitungen und die Unruhe, die unter den Tibetern
geherrscht hatte, etwas Besonderes zu bedeuten hätten. War die
Einladung ein Versuch, uns in eine Falle zu locken? Zu einem Gastmahl
geht man unbewaffnet; sollten die Tibeter nur einen Vorwand suchen,
um uns von unseren Waffen, vor denen sie gehörigen Respekt hatten, zu
trennen? +Wenn+ es wirklich ihre Absicht war, uns nicht lebendig aus
der Gefangenschaft kommen zu lassen, so wollten wir wenigstens erst
die fünfzig scharfen Patronen, die wir bei uns hatten, benutzen. Es
waren schon Europäer in Tibet verschwunden -- zuletzt Dutreuil de Rhins
und Rijnhard -- wenn auch nicht so nahe bei Lhasa, wie wir uns jetzt
befanden. Ein verkleideter Europäer mußte noch viel größeren Gefahren
ausgesetzt sein; denn sollten die Tibeter hinterher je zur Rechenschaft
gezogen werden, so konnten sie mit vollem Recht sagen. „Wir haben nicht
gewußt, daß er ein Europäer war; er sagte selbst, er sei ein Burjate.“

Von diesem Gesichtspunkte aus hielt ich unsere Lage für ziemlich
unsicher, obgleich mehrere unserer neuen Freunde uns versichert hatten,
daß wir für Leib und Leben nichts zu fürchten hätten. Da ich mich aber
keinen Augenblick bedacht hatte, mein Leben einer so großen Gefahr
inmitten eines den Europäern feindlich gesinnten Volkes auszusetzen,
da ich das Abenteuer bis auf die Spitze getrieben hatte und so weit
gegangen war, wie es überhaupt möglich war, wollte ich das Spiel auch
auf ehrenvolle Weise beenden!

Unseren eigenen Betrachtungen überlassen, saßen wir ein paar Stunden
am Feuer und tauschten unsere Ansichten über die kritische Lage aus.
Keine Menschen zeigten sich in unserer Nähe, nur in dem Zeltdorfe des
Gouverneurs herrschte Leben und Bewegung; dort wurde augenscheinlich
über uns Rat gehalten. Aber was sagte man, in welcher Richtung gingen
die Beschlüsse? Wir ahnten, daß eine Entscheidung nahe bevorstand.
Vielleicht hatte unsere unhöfliche Antwort Kamba Bombo beleidigt, und
er schickte sich jetzt an, uns eine ordentliche Lektion zu geben. Es
war ein entsetzlich unbehagliches Warten; ich erinnere mich dieser
langen Stunden, als wäre es gestern gewesen.

Zwei volle Stunden waren vergangen, als es um die weißen Zelte wieder
lebendiger wurde; es gab ein Laufen und Hinundherreiten, die Tibeter
bewaffneten sich und stiegen zu Pferd. Ein ganzer Wald von Reitern
sprengte in einer schwarzen Linie auf uns los (Abb. 257). Es regnete
nicht, und wir konnten dieses in Wahrheit prächtige Schauspiel
ungestört genießen. Sie näherten sich in schnellem Tempo, die Pferde
liefen in starkem Galopp. Ein undeutliches Sausen ertönt, bald
unterscheidet man das schnelle Aufschlagen der Pferdehufe. Wir hatten
das Gefühl, als stürze eine Lawine auf uns herab, um uns im nächsten
Augenblick zu begraben. Die Gewehre und der Revolver lagen geladen
bereit, wir aber standen vor dem Zelt, und keiner sollte die Unruhe
ahnen, die sich unserer bemächtigt hatte.

Die Tibeter ritten in einer Linie heran. In der Mitte ritt der
Gouverneur auf einem großen, schönen Maulesel; sonst ritten alle
Pferde. Er war von seinem Stabe begleitet, der aus Militär-, Zivil-
und geistlichen Beamten in prachtvollen Festgewändern bestand. Die
Flügel bildeten Soldaten, die bis an die Zähne mit Gewehren, Säbeln und
Lanzen bewaffnet waren, als handle es sich um einen Feldzug gegen einen
feindlichen Stamm. Wir konnten 67 Mann zählen.

Jetzt trennten sich einige Reiter von der Schar, erhöhten die
Geschwindigkeit und gewannen einen Vorsprung von einigen Minuten,
dann saßen sie ab und grüßten. Einer von ihnen war unser Freund, der
Dolmetscher, der nur anmeldete, daß Kamba Bombo uns in höchsteigener
Person mit einem Besuche beehre. Als dieser in der Nähe des Zeltes
anhielt, sprangen einige des Gefolges aus dem Sattel und breiteten auf
der Erde einen Teppich aus, auf dem der Gouverneur abstieg. Dann nahm
er auf gleichfalls bereitgehaltenen Kissen und Decken Platz, und Nanso
Lama, ein vornehmer Priester aus Nakktschu, setzte sich neben ihn.

Jetzt ging ich ruhig zu ihm heran und bat ihn, ins Zelt zu treten,
wohin er sich sofort begab und wo er nach einigem Zieren den Ehrenplatz
-- auf einem nassen Maissack -- unter unseren übelriechenden, beinahe
schimmeligen Effekten annahm. Er sah listig und schelmisch aus,
blinzelte mit den Augen und lächelte oft. Er mochte 40 Jahre alt sein,
war klein und bleich, sah abgezehrt und müde, aber doch entzückt aus,
daß er uns jetzt endlich in der Falle hatte; er wußte ganz genau,
daß er in Lhasa großen Ruhm ernten würde, wenn er seinen geschickten
Schachzug dorthin berichtete.

Sein Anzug war geschmackvoll und elegant; er hatte ihn entschieden
eigens für die Visite angelegt, denn er war ganz neu und fleckenlos.
Die Überkleider, einen großen roten Radmantel und ein rotes Baschlik,
nahmen ihm die Diener ab. Nachdem dies geschehen war, präsentierte
er sich in einem kleinen blauen chinesischen Käppchen und in einem
weitärmeligen Gewande von schwerer gelber Seide; er trug grüne
mongolische Samtstiefel und war mit einem Wort wie zu einem Feste
geschmückt.

[Illustration: 257. Tibetische Kavallerie. (S. 223.)]

[Illustration: 258. Tibetische Soldaten. (S. 231.)]

Nun wurde dem Kamba Bombo ein Tintenfaß, Feder und Papier gebracht,
worauf das Verhör begann. Für uns interessierte er sich weniger als
für das Hauptquartier und die Stärke der Karawane. Alle Antworten
notierte er selbst, denn er sollte einen ausführlichen Bericht nach
Lhasa schicken. Dann wurden unsere Habseligkeiten untersucht, aber
merkwürdigerweise sprach er nicht einmal den Wunsch aus, unsere
Kisten besichtigen zu dürfen. Die Mitteilung, daß sie Proviant
enthielten, genügte ihm vollständig. Über mich schien er ganz im
reinen zu sein und er hielt es sogar für überflüssig, mir persönliche
Fragen vorzulegen. Schagdur gebärdete sich, als er gefragt wurde, wie
ein Feldmarschall; er sei russischer Untertan, aber auch Burjate und
berechtigt, nach Lhasa zu reisen. Die russischen Behörden würden es als
eine Beleidigung betrachten, wenn man uns friedliche Pilger hindere,
die Wallfahrt zu machen; niemand, wer es auch sei, dürfe uns antasten.
Doch Kamba Bombo erwiderte lachend:

„Du glaubst, mir Furcht einjagen zu können; ich tue meine Pflicht,
gerade hinsichtlich eurer habe ich meine Befehle vom Dalai-Lama
erhalten und weiß selbst am besten, was ich zu tun habe. Nach Lhasa
dürft ihr nicht reisen, nicht einen Tag mehr in dieser Richtung, nein!
Einen Schritt weiter, -- und es kostet euch den Kopf!“ (Titelbild zum
2. Band.) Und dabei fuhr er mit der flachen Hand, die er wie eine
Klinge hielt, um den Hals herum. Und er fügte hinzu, daß es ihm selbst
ebenfalls ans Leben gehen würde, wenn er uns durchließe:

„Es ist ganz einerlei, wer ihr seid und woher ihr kommt, aber ihr
seid im höchsten Grade verdächtig; ihr seid auf einem Schleichweg
hierhergekommen und ihr sollt nach eurem Hauptlager zurückkehren.“

Wir sahen ein, daß hiergegen nichts zu machen war. Schagdur erzählte
nun von dem Pferdediebstahl. Anfangs machte Kamba Bombo Ausflüchte
und sagte, er sei für das, was außerhalb der Grenzen seiner Provinz
passiere, nicht verantwortlich. Schagdur erwiderte:

„So, dies ist also nicht euer Land; ist es denn vielleicht russisches
Gebiet?“ Da wurde aber Kamba Bombo ärgerlich und erklärte, daß das
ganze Land dem Dalai-Lama gehöre. Schagdur war nachher sehr stolz auf
seine Erwiderung. Nun erhob sich der Gouverneur, nahm Schagdur mit
und setzte sich draußen auf den Kissen nieder; nach einer Weile wurde
ich zu ihm gerufen. Er sei bereit, sagte er, uns zwei neue Pferde
zu besorgen, eines davon müsse ich aber bezahlen. Ich lachte ihm
gerade ins Gesicht und ging wieder ins Zelt hinein, nachdem ich ihm
geantwortet hatte, daß wir derartige Geschenke nicht annähmen: entweder
zwei Pferde oder gar keins. Da versprach der Bombo, daß er uns am
folgenden Morgen zwei Pferde für die gestohlenen schenken würde.

Schließlich erklärte Kamba Bombo, daß wir aufbrechen könnten, wann wir
wollten, daß er jedoch Dschallokk nicht eher zu verlassen gedenke, als
bis wir fort seien. Um keine Zeit zu verlieren, beschlossen wir, den
Rückweg schon am folgenden Morgen anzutreten. Eine besondere Eskorte
sollte uns bis zur Grenze am Satschu-sangpo begleiten, und als wir,
um nicht der Tiere wegen nachts Wache halten zu müssen, darum baten,
von der Eskorte bis ins Hauptquartier gebracht zu werden, versprach
er uns dies. Während der Reise sollte uns alles, was wir an Proviant
brauchten, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auch jetzt schenkte
uns Kamba Bombo eine ganze Menge nützliche Eßwaren.

Im großen ganzen war er sehr freundlich und artig und gar nicht
ärgerlich darüber, daß er durch uns Arbeit und Mühe gehabt und
selbst hatte hierherreiten müssen. Er war ein rechtlich denkender
und handelnder Mensch und wußte genau, was er wollte. Wer ich war,
ist ihm wohl nie völlig klar geworden; doch muß er wohl geglaubt
haben, daß hinter meiner abgetragenen mongolischen Tracht etwas
Außergewöhnliches verborgen sei, sonst wäre er schwerlich mit solchem
Pompe und Hofstaate angezogen gekommen. Mit China stehen die Tibeter
beständig in Berührung; ihr Land ist nominell ein Vasallenstaat jener
Macht, die in Lhasa einen Vertreter und ein „Yamen“ hat, welches in der
Nähe von Potala, dem Tempelpalaste des Dalai-Lama, liegt. Ohne Zweifel
hatten die Behörden in Lhasa Kenntnis von allem, was kürzlich in China
geschehen war, und wußten, wie schwer der Mord des deutschen Gesandten
von Ketteler in Peking bestraft worden war. Sie mochten sich daher
sagen, daß es klüger sei, sich nicht an einem Europäer zu vergreifen.

Während der Unterhaltung drängten sich die anderen Tibeter um uns und
machten ihre Bemerkungen und Beobachtungen. Sie trugen Säbel in reich
mit Silber beschlagenen Scheiden, die mit Korallen und Türkisen besetzt
waren, Gavo (Amulettfutterale) von Silber, Armbänder, Rosenkränze,
bunte Schmucksachen in ihren langen Zöpfen und waren entschieden mit
dem Feinsten, was sie anzuziehen hatten, ausstaffiert. Die Vornehmeren
trugen große, weiße Hüte mit Federn, andere Binden um den Kopf, die
gemeinen Soldaten gingen barhäuptig.

Schereb Lama war von all dieser Pracht ganz überwältigt. Er lag
vornübergebeugt auf den Knien, starrte auf die Erde und konnte sich
nicht entschließen, dem Blicke Kamba Bombos zu begegnen, als dieser
ihn scharf verhörte. Er gab kurze, hastige Antworten, als ob er kein
Geheimnis mehr zu wahren hätte. Was er sagte, verstanden wir nicht,
denn sie sprachen tibetisch. Nachher sagte er uns, daß der Bombo ihm
schwere Vorwürfe darüber gemacht habe, daß er uns begleitet habe, da er
doch habe wissen müssen, daß Europäer in Lhasa nicht geduldet würden.
Sein Name sei in die Tempelbücher eingetragen, und er werde nie wieder
die Erlaubnis erhalten, das Gebiet der heiligen Stadt zu betreten!
Versuche er, sich dort mit einer Pilgerkarawane einzuschleichen, so
werde es ihm schlimm ergehen. Er sei seiner Priesterwürde untreu
geworden und sei ein Verräter!

Zuletzt schlug ich Kamba Bombo noch vor, ich wolle selbst mit Hilfe des
Lamas und des Dolmetschers einen Brief an den Dalai-Lama aufsetzen,
der uns, wenn er erfahre, wer wir seien, gewiß mit Vergnügen empfangen
würde; der Bombo aber antwortete, dies sei ganz unnötig, da er ja
seine Befehle über unsere Behandlung täglich direkt von Lhasa erhalte;
auch könne er sich in seiner Stellung nicht erlauben, dem Dalai-Lama
Ratschläge zu geben; dies würde ihm im besten Falle sein Amt kosten.

Darauf sagte er artig Lebewohl, schwang sich in seinen reichgeschmückten
Sattel und ritt, von seinem großen Stabe gefolgt, schnell davon. Die
Dämmerung hatte sich schon auf die Gegend herabgesenkt, die Reiterschar
entschwand bald unseren Blicken und mit ihr meine Hoffnung, das Mekka
des Lamaismus zu schauen! Hell glänzten die Sterne über Lhasa, kein
Lüftchen regte sich an diesem stillen Abend, nur dann und wann hörte
man in der Ferne einen Hund bellen.



Achtzehntes Kapitel.

Rückzug unter Bewachung.


An diesem Abend saßen wir noch lange plaudernd in unserem Zelt. Der
Lama war wortkarg und niedergeschlagen, aber Schagdur und ich waren
vergnügt. Allerdings war uns unser Versuch, Lhasa zu erreichen,
mißlungen, aber wir hatten doch immerhin die Befriedigung, das
Abenteuer bis auf seine äußerste Spitze getrieben zu haben. Wenn man
auf unüberwindliche Hindernisse stößt, ist es Zeit, umzukehren, und
man kann dies mit gutem Gewissen tun. Seltsam war es aber, daß uns die
Tibeter ohne ein unfreundliches Wort aus der Gefangenschaft freigaben.

Am Morgen des 10. August befahlen wir unseren nächsten Wächtern, unsere
zwei Pferde und fünf Maulesel nach dem Zelte zu treiben, denn wir
hatten beschlossen, den Rückzug diesen Morgen anzutreten. Ohne Abschied
konnten wir uns nicht auf den Weg machen, aber von Kamba Bombos Zelten
kamen keine Boten. So beschloß ich denn, allein dorthin zu reiten,
obwohl Schagdur und der Lama mich warnten und meinten, wir müßten wie
bisher beisammenbleiben.

Ich ritt also in langsamem Trab zwischen den Sümpfen hindurch nach
Kamba Bombos weißblauem Zeltdorfe. Als ich den halben Weg zurückgelegt
hatte, wurde ich von einer aus etwa zwanzig Mann bestehenden Schar bis
an die Zähne bewaffneter Reiter umringt. Sie sagten kein Wort, sondern
ritten schweigend vor und hinter mir. Ungefähr einen Kilometer vor den
Zelten machten sie Halt und bildeten einen Ring um mich, dann saßen sie
ab und gaben mir zu verstehen, daß ich dasselbe tun solle.

Kaum eine Viertelstunde brauchten wir zu warten, bis sich dieselbe
große Reiterschar wie gestern vom Zeltplatze aus in Bewegung setzte
und sich uns im Galopp näherte. In der Mitte ritt wieder Kamba Bombo
in seinem gelben Gewande. Ein Teppich und Kissen wurden auf der Erde
ausgebreitet, und er lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen. Der
Dolmetscher war zugegen, und nun unterhielten wir uns eine gute Weile.

Diese Art, mich nicht in seinem Zelte, sondern auf neutralem Gebiete
zu empfangen, war ein Zug von Etikette, der vollkommen berechtigt und
taktvoll war. Ich hatte mich ja gestern geweigert, seiner Einladung
zu folgen, und nun dachte er wohl: „Ich will ihm zeigen, daß er sich
mit Visitenmachen nicht anzustrengen braucht.“ Er hatte auch gesagt:
„Keinen Schritt weiter in der Richtung nach Lhasa“ und wollte mich
daher auch jetzt zurückhalten.

Alle Überredungskunst von meiner Seite war gerade so vergeblich wie das
erstemal.

„Ich habe keine Lust, euretwegen den Kopf zu verlieren“, sagte er. „Mir
persönlich ist es einerlei, ob ihr nach Lhasa reiset oder nicht, aber
den Befehlen, die ich von dort erhalten habe, muß ich gehorchen.“

Zum Scherz sagte ich ihm, wir beide könnten ja auf ein paar Tage allein
dorthin reiten, niemand werde eine Ahnung davon haben; doch er lachte
nur darüber und schüttelte den Kopf.

„Zurück, zurück, nach Norden!“

Auf einmal blinzelte er mit den Augen, zeigte auf mich, sagte das eine
Wort „Sahib“ (so werden in Indien die Engländer und die Europäer im
allgemeinen genannt) und zeigte dann nach Süden in der Richtung des
Himalajagebirges.

Auch ohne Hilfe des Dolmetschers verstand ich, daß er sagen wollte:
„Ihr seid ein Engländer aus Indien“. Trotz allen Hinundherredens war
ihm diese Überzeugung nicht aus dem Kopfe zu bringen. Ich nahm die
Maske ganz und gar ab und sagte ihm, daß ich allerdings ein Europäer,
aber kein Engländer sei und aus einem Lande im Norden weit hinter
Rußland komme; er lächelte jedoch und wiederholte sein „Sahib, Sahib“.
Nun erzählte ich ihm, daß ich zwei burjatische und zwei russische
Kosaken bei mir habe, die mir vom russischen Kaiser zur Verfügung
gestellt worden seien, und fragte ihn, ob er denn glaube, daß Engländer
mit russischen Kosaken reisten, und ob er es für wahrscheinlich halte,
daß Engländer von Norden kämen, da ihr indisches Reich ja südlich von
Tibet liege. Diese Einwendung begegnete demselben Zweifel; er sagte
nur: „Ihr seid alle Sahibs; ist es euch gelungen, einen mongolischen
Lama mit euch zu bekommen, so könnt ihr auch einen Burjaten dazu
bewegen.“

Jetzt wurden zwei Pferde, ein Falbe und ein Schimmel, vorgeführt, die
mir Kamba Bombo, wie er sagte, schenken wolle.

„Laßt zwei eurer Leute aufsitzen und im Galopp vor uns im Kreise
reiten“, sagte ich. Dies geschah; aber die Pferde, die recht mager
waren, stolperten und sahen wenig nach Vollblut aus. Ich wandte mich
an Kamba Bombo und fragte ihn, wie er, ein so reicher und vornehmer
Mann, mir, der ich mindestens ebenso vornehm sei, zwei so elende Gäule
schenken könne; ich wolle sie nicht haben, sondern sie ihm für seine
eigene Kavallerie lassen.

Anstatt diese offenherzige Kritik übelzunehmen, ließ er sofort
zwei andere Pferde holen, die gut und wohlgenährt waren und nach
abgehaltener Prüfung angenommen wurden.

Darauf ritten wir alle nach meinem Zelte, und hier blieb Kamba Bombo
wieder eine gute Weile sitzen. Er aß Rosinen, wie ein Pferd Hafer
frißt, und wurde mit Tee, Tsamba und Tabak bewirtet. Der ganze Stab
umgab uns. Die Sonne beleuchtete dieses farbenreiche Bild. Die
Tibeter sahen vorzüglich aus in ihren phantastischen Trachten mit
Kopfbedeckungen wie Damenhüte mit Federn, mit kriegerischen Lanzen und
Schwertern in brüderlichem Vereine. Alle lachten pflichtschuldigst über
die Witze des Gouverneurs.

Nun wechselten wir uns tibetisches Silbergeld gegen chinesische Jamben
ein, die der Bombo sorgfältig auf seiner mitgebrachten Wage wog; dann
zeigten wir ihm unsere Waffen, die sichtlich tiefen Eindruck auf ihn
machten. Ich sagte ihm, daß das Zusammentrommeln so vieler Soldaten,
wie es hier geschehen sei, gar nichts nütze; mit ihren erbärmlichen
Vorderladegewehren schreckten sie uns nicht ein bißchen. Wollten sie
Krieg anfangen, so möchten sie erst bedenken, daß wir 36 von ihnen
niederschießen könnten, ehe sie überhaupt mit dem Laden fertig würden.
Er versicherte, es sei durchaus nicht seine Absicht, Krieg anzufangen,
sondern nur, die Grenzen gegen unzulässige Fremdlinge zu bewachen.

Nun fragte ich ihn geradezu, weshalb er nicht wage, in mein Zelt zu
kommen, ohne sich von einer 67 Mann starken Eskorte begleiten zu
lassen; ob er wirklich so entsetzliche Angst vor mir habe.

„Nein“, antwortete er, „aber ich weiß, daß ihr ein vornehmer
Sahib seid, und ich habe Befehl von Lhasa erhalten, euch dieselbe
Ehrerbietung zu bezeigen, die die höchsten Beamten unseres eigenen
Landes beanspruchen können!“

Nachdem ich lange genug vergeblich auf den Engel gewartet hatte, der
vom Himmel herabsteigen und uns mit einem feurigen Schwerte den Weg
bahnen würde, erhob ich mich und gab Befehl zum Beladen der Tiere. Mit
Hilfe der Tibeter war dies im Handumdrehen getan. Kamba Bombo stellte
mir eine Eskorte von drei Offizieren und zwanzig Mann vor, die uns
nordwärts bis über die Grenze der Provinz Nakktschu bringen sollte. Er
versicherte, daß wir uns so lange, wie wir uns in Begleitung dieser
Eskorte befänden, um gar nichts zu kümmern brauchten; sie würde für
unsere Tiere einstehen und uns mit allem nötigen Proviant versehen,
wofür wir nichts zu bezahlen hätten. Er schenkte mir 6 Schafe und eine
Menge Lebensmittel in Näpfen und Schüsseln.

So nahmen wir denn Abschied von diesem hochgestellten Beamten,
der so freundlich und so ungastfreundlich gewesen war und uns so
unerschütterlich den Weg versperrt hatte, und ritten in der Richtung
zurück, aus der wir gekommen waren.

„Ja, lieber Schagdur“, sagte ich zu meinem prächtigen Kosaken, dessen
Mut und Treue nicht einen Augenblick gewankt hatte, „Lhasa zu sehen,
war uns nicht beschieden, aber am Leben sind wir noch, und wir haben
allen Grund, dafür dankbar zu sein!“

In einiger Entfernung wandte ich mich im Sattel um und sah Kamba Bombo
und seine Leute wie Mäuse auf dem Platze, wo unser Zelt gestanden
hatte, umherschnuppern. Einige Stearinlichtstücke und Zigarettenstummel
werden sie gewiß in der Überzeugung, daß sie es mit Europäern zu tun
gehabt, noch bestärkt haben. Erst nachdem wir eine gute Stunde geritten
waren, konnten wir die Lage überblicken und sehen, wie viele zu unserer
Eskorte gehörten, denn bis dahin war bald der eine, bald der andere
wieder umgekehrt, zuletzt unser Freund, der Dolmetscher, der die ganze
Zeit über um Branntwein gebettelt hatte.

Unser Gefolge bestand aus zwei Offizieren, Solang Undü und Anna
Tsering, einem Unteroffizier und 14 Soldaten mit Säbeln, Piken und
Flinten (Abb. 258). Außerdem waren sechs Männer dabei, die keine
Soldaten waren; sie hatten die Aufgabe, die Proviantpferde der Truppe
zu führen und eine Herde von 10 Schafen zu treiben. Wir ritten ziemlich
schnell und es war lustig, die Marschordnung der Tibeter zu beobachten.
Sie ritten vor, hinter und neben uns und ließen uns keinen Augenblick
aus den Augen; hätten sie es gekonnt, so wären sie auch wohl über und
unter uns geritten, um uns zu verhindern, in den Himmel zu steigen oder
in die Unterwelt zu fliehen!

Es war schon spät geworden, denn wir waren erst um 2 Uhr aufgebrochen.
Wiederholt hielten die Tibeter an und schlugen vor, daß wir lagern
sollten; sie beabsichtigten wahrscheinlich nicht, sich sehr zu beeilen.
Doch jetzt war ich derjenige, welcher zu befehlen hatte, und ich ritt,
ohne mich um unsere Lasttiere zu bekümmern, mit dem Lama und Schagdur
bis in die Nähe des Sees Tso-nekk. Für unsere Habe hatten ja die
Tibeter einzustehen versprochen, und sie ritten auch artig mit, ohne zu
murren. In der Dämmerung lagerten wir. Sie hatten zwei schwarze Zelte,
die sie auf jeder Seite des unserigen und ganz dicht neben diesem
aufschlugen. Sobald das Lager in Ordnung war, wurden alle Tiere auf
die Weide getrieben und dort von einigen Tibetern bewacht. Ich ging zu
Solang Undü und Anna Tsering und aß mit ihnen zu Abend. Letzterer war
ein außergewöhnlich liebenswürdiger, sympathisch aussehender junger
Mann. Beide waren wie die meisten Tibeter bartlos, und Anna Tsering
glich einem jungen Mädchen mit langherabhängenden schwarzen Haaren.

Abends ertönte eine Weile ein summendes, murmelndes Geräusch aus
ihren Zelten; sie sprachen ihr Abendgebet. Der Lama erinnerte sich
melancholisch desselben, wenn auch unendlich viel kräftigeren Summens
von Lhasa her, wo in allen Tempeln stetig Gebete gesprochen werden und
wo es wie in einem riesenhaften Bienenkorbe summt. Er würde es wohl nie
wieder hören!

Die ganze Nacht goß es, wir aber schliefen ruhig und ungestört. Am
Morgen standen alle Tiere, von ihren Wächtern dorthin gebracht,
festgebunden an ihrem Platze. Doch alles war schwer und durchnäßt,
und der Erdboden schlüpfrig und glatt. Während des Tages (11. August)
regnete es jedoch nicht, obwohl der Himmel drohend aussah. Wenn die
Sonne scheint, ist es beinahe drückend heiß, so daß es durch meine
dünne Chinesenmütze brennt. Die meisten unserer Wächter tragen nur ein
grobes Hemd, einen Schaffellpelz und Stiefel. Wenn die Sonne scheint,
lassen sie Pelz und Hemd von dem rechten Arme und dem Oberkörper, die
dann nackt bleiben, herabgleiten, sobald es aber kalt wird, schlüpfen
sie wieder hinein. Das ist sehr bequem und praktisch.

Ihre kleinen, langhaarigen, feisten Pferde laufen ziemlich schnell und
machen kleine, trippelnde Schritte. Sie sind jedoch oft ungeberdig,
werfen ihre Lasten ab und gehen damit durch, bis diese an der Erde
schleppen. Die Männer bringen jedoch bald alles wieder ins rechte
Geleise, sind aufgeweckt und achtsam und, wie man sich denken kann, an
Karawanenreisen gewöhnt.

Einer der Offiziere hatte einen gelben, langhaarigen, mit blauen
Bändern und Schellen geschmückten Windhund mitgenommen. Ich riet ihm
schon beim Aufbruch, das Tier lieber zu Hause zu lassen; er wollte aber
den Hund durchaus mithaben. Wir waren auch noch nicht weit gekommen,
als Jollbars sich über den Ärmsten hermachte und ihn schrecklich
zurichtete. Blutend, hinkend und heulend, mußte der Hund von einem
Reiter zurückgebracht werden. Vor unseren beiden Hunden hatten unsere
Reisegefährten ganz gewaltigen Respekt. Sogar, wenn sie zu Pferde
saßen, ritten sie sofort beiseite, wenn Jollbars in ihre Nähe kam, und
auf den Lagerplätzen wagten sie nicht eher abzusteigen, als bis die
Hunde angebunden waren.

[Illustration: 259. Tibetische Soldaten. (S. 233.)]

[Illustration: 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek. (S. 252.)]

[Illustration: 261. Gefrorenes Wild. (S. 252.)]

[Illustration: 262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im
Lager. (S. 254.)]

Es war zum Sterben langweilig, denselben Weg wieder zurückzureiten,
aber ich sehnte mich doch nach dem Hauptquartier zurück, um mit
der ganzen Karawanenmannschaft neuen Erfahrungen entgegenzugehen.
Ich zählte die Stunden und bezeichnete auf meinen schon fertigen
Kartenblättern die Strecken, die wir an jedem Tage zurücklegten. Die
tibetische Eskorte sorgte inzwischen für unsere Zerstreuung. Man kann
sich nicht satt sehen an diesen Wilden, ihren malerischen Trachten
und ihrer Art zu reisen, zu reiten, mit den Pferden umzugehen, zu
rasten, zu lagern, Feuer anzumachen und Essen zu kochen. Abgesehen von
den Offizieren sehen die anderen wie Straßenräuber aus (Abb. 259).
Unterwegs haben mehrere ihre Zöpfe zusammengerollt unter die hohen,
breitrandigen Hüte gesteckt. Ein paar Greise, Lamas, tragen das Haar
kurzgeschoren; diese drehen während des Reitens unausgesetzt ihre
Korle (Gebetmühlen) und murmeln unermüdlich in anschwellenden und
abnehmenden, monoton singenden, einschläfernden Tönen ihr „Om mani
padme hum“. Wir sind schon ganz intim mit ihnen, und die Bewachung ist
weniger streng. Alle plaudern und lärmen und freuen sich sichtlich über
die kleine Vergnügungsreise, die ihnen zuteil geworden ist. Schagdur
ist von einer Gruppe Soldaten umgeben, mit denen er lustig scherzt. Sie
lachen bis zum Ersticken über seine Versuche, die fremden Ausdrücke zu
lernen und anzuwenden.

Solang Undü trägt über der Achsel ein rotes Zeugband, auf dessen
Rückseite vier große silberne Gavo festgenäht sind, und am Gürtel
Säbel, Messer, Feuerzeug, Tabaksbeutel, Pfeife und verschiedene andere
Kleinigkeiten, die um ihn herumbaumeln und klappern. Unter diesen
Utensilien befindet sich eine kleine Zange, mit der er sich wiederholt
Barthaare, die sich zeigen, ausreißt; er ist auch völlig bartlos und
sieht infolge der Runzeln, die sein Gesicht durchfurchen, wie ein altes
Weib aus. Seinen Zopf hat er sorgfältig in ein rotes Tuch gewickelt und
um den Kopf gewunden. Obendrauf thront der Filzhut mit einer großen
Feder.

Nach dreieinhalbstündigem Ritt hielten die Tibeter an und fragten,
ob wir etwas gegen eine Rast zum Teetrinken hätten. Meine beiden
Reisegefährten stimmten für Weiterreiten, ich zog es aber vor, den
Tibetern den Willen zu lassen, um ihre Reisegewohnheiten zu studieren.
Sie sagten, sie hätten am Morgen noch kein Frühstück essen können, und
der Appetit, mit dem sie die Speisen vertilgten, bestätigte ihre Worte.

Mit ihren Säbeln schnitten sie gruppenweise drei Erdschollen aus dem
weichen Rasen; zwischen diese wurden die Töpfe gestellt, in denen
das Teewasser gekocht wird. Trockenen Argol hatten sie bei sich, und
bald brannten die Feuer. Aus Zeugstücken wurden Brocken von gekochtem
Schaffleische ausgewickelt, und die Tsamba mit diesen, Fett, Butter und
Tee bereitet. Wir begnügten uns mit sauerer Milch.

Während des Frühstücks wurde uns mitgeteilt, daß die Eskorte uns nur
bis an die Grenze des Bombo von Nakktschu am Flusse Gartschu-sängi
begleiten werde; wo wir dann blieben, schien sie nicht das geringste
zu kümmern. Wir baten sie, bis ans Hauptquartier mitzukommen, dazu
hatten sie aber durchaus keine Lust; sie hatten nur ihren Befehlen zu
gehorchen und hegten überdies sichtlich einen gewissen Respekt vor
unserer Karawane und der uns dort erwartenden Mannschaft. Gerade auf
der Strecke des Weges, die ich die Räuberzone nennen möchte, sollten
wir also für uns selbst sorgen. Wir sehnten uns nicht danach, da uns
jetzt nachts undurchdringliches Dunkel umgab, während wir auf der
Hinreise Hilfe vom Monde gehabt hatten.

Der Boden ist hier von all dem Regen womöglich noch nasser, als er es
schon war, wie wir zuerst über ihn hinwegritten. Die Pferde sinken und
stolpern bei jedem Schritt. Bei den Zeltdörfern zeigen sich selten
Menschen, und unsere Begleiter scheinen ihnen beinahe auszuweichen.
Wir lagern nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern immer in einiger
Entfernung. Der nötige Proviant wird im Vorbeireiten von dem einen oder
anderen Reiter geholt.

Auf dem heutigen Lagerplatze hatten sie sich noch zwei Zelte besorgt,
und die Eskorte war durch sechs Mann verstärkt worden. Der Abend war
schön und windstill, die Sterne glänzten wie durch einen leichten
Wolkenschleier. Die Dungfeuer flammen unter dem abgemessenen, schweren
Hauche der Blasebälge auf wie das Drehfeuer eines Leuchtturmes. Auch
in den Zelten sind Feuer, deren Rauch durch eine längliche Ritze in
der Zeltdecke entweicht. Das Lager ist selbst am Abend malerisch
und lebhaft, und auf allen Seiten hört man die Tibeter scherzen und
plaudern. Der lebende Proviant besteht aus 14 Schafen, die nachts
zwischen zwei Zelten angebunden werden, weil die Gegend reich an Wölfen
sein soll.

Kamba Bombo sollte jetzt Wasser auf seine Mühle bekommen, denn die
Tibeter sahen mich Uhr und Kompaß studieren. Sie konnten das Ticken
der Uhr gar nicht begreifen und baten unausgesetzt, horchen zu dürfen.
Ich sagte, es sei ein Gavo mit einem lebendigen kleinen Burchan
(Götzenbild). Die kleine Veraskopkamera konnte ich ungeniert benutzen,
nachdem ihnen klar geworden war, daß in ihr kein Revolver oder sonst
eine unbegreifliche Höllenmaschine stecke. Der Lagerplatz hieß
+Säri-kari+.

12. August. Sie wecken uns früh, machen aber kurze Tagereisen, um die
Annehmlichkeiten des Lagerlebens so lange wie möglich genießen zu
können. Unsere Wächter lassen uns immer mehr Freiheit, je mehr wir uns
der Grenze der Provinz nähern. Wir dürfen jetzt oft eine ganze Strecke
hinter der Haupttruppe allein reiten und glauben uns unbewacht, merken
aber bald, daß sich hinter uns stets noch einige Reiter befinden.

Heute ging es über das große, offene Tal, in dem wir die Teekarawane
zuerst gesehen hatten. Es regnete nicht, und der Boden trug unsere
Pferde. Als wir ganz in der Nähe unseres ehemaligen Lagerplatzes Nr. 51
waren, bogen die Tibeter rechts in eine kleine Talmündung namens +Digo+
ein und machten dort Halt in hohem, üppigem, duftendem Grase, das für
unsere mageren Tiere ein leckeres Fressen war.

Wir waren nur 4½ Stunden geritten, und ich glaubte, daß es sich nur
um eine Teerast handle. Es wurden aber die Zelte aufgeschlagen und, an
die Karawanentiere denkend, machte ich keine Einwendungen. Es ist ein
eigentümliches ruhiges Gefühl, nicht seine Freiheit zu haben und nicht
über seinen Weg und seine Zeit bestimmen zu können; man muß ruhen, und
für müde Pilger ist es schön, ausschlafen zu dürfen. Solange wir die
Eskorte hatten, konnten wir die Sache ruhig mit ansehen, nachher aber,
wenn wir wieder unserer eigenen Wachsamkeit überlassen waren, würden
wir wieder lange Tagemärsche machen müssen.

Man wird während des Rittes fast schläfrig, wenn man von allen diesen
Soldaten umgeben ist, deren Pferde Schellenringe um den Hals tragen. Es
ist ein ewiges, eintöniges Glockengeläute, das in den Ohren widerhallt
und an eine große Schlittenpartie an einem nordischen Wintertage
erinnert. Malerisch ist diese Gesellschaft, die so schnell in unserem
friedlichen Gebirge aufgetaucht ist und uns umringt hat, wir mochten es
wollen oder nicht. Heute waren keine Zelte zu sehen, so daß wir unseren
Milchvorrat nicht verstärken konnten.

Der Tag war, wie der Lagerplatz, herrlich. Wir ließen unser Zelt nach
Norden offen, um die leichten Winde hineinzulassen, die von dorther
kamen. Im Süden brannte die Sonne gar zu fühlbar; auf dieser Seite war
das Zelt geschlossen, aber durch die Ritzen des Zelttuches stahlen sich
Sonnenstrahlen herein und ließen meinen Rosenkranz funkeln, als ich mit
den heiligen Gebetkugeln, die in so heidnische Hände geraten waren,
spielte. Die Temperatur stieg auf +19,1 Grad. Sehr leicht gekleidet,
schlummerte ich ins süßeste Vergessen hinüber und verschlief Schagdurs
Teefrühstück. Es war friedvoll und sommerlich, der letzte Sommertag,
den wir genießen konnten. Ein kleiner Bach begleitete mit seinem
munteren Rauschen das Lachen und Plaudern der Tibeter.

Sie verstehen es, sich es auch auf Reisen angenehm und gemütlich zu
machen. Wenn wir lagern, haben die Offiziere eine Schar Diener, die
ihnen im Handumdrehen die Zelte aufschlagen. Rings um diese werden
Sattel, Riemenzeug, Beutel und Gepäck hingeworfen und die Flinten auf
ihre Gabeln gestellt, um nicht mit dem feuchten Boden in Berührung
zu kommen. Bei so schönem Wetter sitzen alle im Freien und widmen
sich mit Kennermiene dem Essenkochen, der liebsten Beschäftigung des
Asiaten. Sie sind Meister im Feueranmachen und richten mit Hilfe des
Blasebalges einen lodernden Feuerstrahl gegen die Seite des Teekessels,
so daß das Wasser in erstaunlich kurzer Zeit ins Kochen gerät. Die
Tsamba wurde in kleinen Holzschalen, die unseren mongolischen glichen,
angerührt. Einige von ihnen kneten das Gericht mit der rechten Hand und
vermischen es mit Käse. Wenn sie Fleisch essen, halten sie das Stück
in der Linken und schneiden mit einem Messer kleine Bissen davon ab.
Anna Tsering benutzte hierzu ein englisches Taschenmesser („~Made in
Germany~“), das aus Ladak stammen sollte.

Unter ihren Habseligkeiten waren viele verlockende Dinge, die jedoch
nicht in unseren Besitz übergehen konnten, weil dafür unerhörte Preise
gefordert wurden. Für einen Säbel, dessen Scheide mit Silber beschlagen
und mit Korallen und Türkisen besetzt war, forderten sie 50 Liang
(etwa 170 Mark), obwohl er nicht mehr als 11 Liang wert war. Eine
Gebetmühle sollte 100 Liang kosten. Die Gewehre und ein großer Teil
der Lanzen gehörten, wie sie sagten, dem Staate und durften überhaupt
nicht verkauft werden. Wir saßen stundenlang bei ihnen in ihrem Zelte,
sie aber kamen nie zu uns; wahrscheinlich hatte Kamba Bombo es ihnen
verboten, weil ich gesagt hatte, ich wollte gern möglichst ungestört
bleiben.

Noch um 9 Uhr abends betrug die Temperatur +9,1 Grad, und um 7 Uhr am
folgenden Morgen hatten wir +7,8 Grad.

Am 13. August sahen wir weiter keine Menschen als acht Soldaten,
die zu Pferd von Norden, wahrscheinlich von einer Rekognoszierung,
kamen. Sie hatten eine lange Beratung mit unseren Offizieren, ehe sie
weiterritten. Nun ritten wir über den Satschu-sangpo, der auf den
vierten Teil seiner Größe zusammengeschrumpft war. Das Überschreiten
lief ohne das geringste Mißgeschick ab, da die Tibeter die Furtschwelle
kannten. Jedoch ging in den tiefen Armen das Wasser den kleinen Pferden
noch bis über den Bauch. Ehe die Reiter sich in den Fluß begaben,
entledigten sie sich ihrer Stiefel; am anderen Ufer wurde eine kurze
Rast gemacht, um sie wieder anzuziehen.

Eine Strecke vom rechten Ufer entfernt wurde in einer Gegend mit
frischen Quellen und gutem Grase, die auf der Hinreise unseren Blicken
entgangen war, für die Nacht Halt gemacht. Bis hierher hatten wir drei
von unseren neun Tagereisen zurückgelegt, obwohl hierzu jetzt vier Tage
erforderlich gewesen waren. Morgen würden die Tibeter uns also unserem
Schicksale überlassen. Uns aber wurde es wirklich schwer, von ihnen zu
scheiden; wir waren auf so freundschaftlichen Fuß mit ihnen gekommen,
daß wir uns mit dem Gedanken, ihre Gesellschaft entbehren zu müssen,
nicht recht aussöhnen konnten. Sie ließen sich jedoch nicht überreden,
uns noch weiter zu begleiten; sie hatten ihre Pflicht getan und
konnten gehen. Ich drohte ihnen damit, daß ich, nachdem sie abgezogen,
noch eine Zeitlang am Satschu-sangpo bleiben und dann doch nach Lhasa
gehen würde.

„Bitte sehr“, antworteten sie, „wir sollten euch nur an die Grenze
bringen, und das haben wir getan.“

Abends besuchte uns Solang Undü, Anna Tsering und Dakksche zum
erstenmal in unserem Zelte; sie wurden mit Tee und Rosinen bewirtet.
Da sie sich jetzt jenseits der Grenze befanden, glaubten sie wohl,
sich gewisse Freiheiten nehmen zu können. Dakksche war der Greis,
der einmal während unserer Gefangenschaft so gebieterisch in unserem
Zelte gepredigt hatte. Er ist eine gottvolle Erscheinung mit seinem
runzeligen, bronzebraunen, schmutzigen, bartlosen Gesichte und
seinem langen, dichten unbedeckten Haare. Er könnte gut für einen
heruntergekommenen Schauspieler aus Europa gelten. Sobald er mich
erblickt, streckt er die Zunge so weit heraus, wie er nur kann, und
hält die Daumen in die Luft, eine Höflichkeit, die ich auf dieselbe
Weise und mit solchem Nachdruck beantworte, daß Schagdur sich beinahe
totlacht.

Jetzt erst glückte es uns, auch einige Kleinigkeiten erstehen zu
können, wie einen Dolch, zwei kupferne Armbänder, einen Ring, einen
Löffel, eine Pulvertasche und eine Flöte, alles für ein paar Meter
Zeug, das neben chinesischen Porzellantassen und Messern das beste
Tauschmittel ist.

Die folgende Nacht schliefen wir fest, um uns ordentlich auszuruhen,
ehe die Nachtwachen wieder anfingen. Ich schlief dreizehn Stunden! Als
ich aufstand, fragten sie, ob wir hierbleiben würden oder nicht, und
da ich mit Bleiben drohte, erboten sie sich, uns zu begleiten, bis wir
Menschen träfen und uns mit neuen Vorräten für die Rückreise versehen
könnten. Wir ritten also bis in die Nachbarschaft von Sampo Singis
Lager, wo die Gegend +Gong-gakk+ und ihr Häuptling Dschangdang heißt.

Hinsichtlich der politischen und der administrativen Verhältnisse
erhielten wir recht unsichere Aufklärungen; es ist wohl wahrscheinlich,
daß die Sache tatsächlich auch nicht ganz klar liegt. Es wurde
behauptet, daß der Satschu-sangpo die Grenze zwischen dem Lande des
Dalai-Lama im Süden und dem im Norden liegenden Reiche des chinesischen
Kaisers sei, der Häuptling Dschangdang aber von beiden Staaten
unabhängig sei. Daß der Satschu-sangpo als Grenze von Bedeutung ist,
ging schon daraus hervor, daß die Tibeter uns nur bis dorthin brachten
und sich nicht darum bekümmerten, wohin wir uns von dort begaben, sowie
auch daraus, daß Kamba Bombo gesagt hatte, für nördlich von diesem
Flusse begangene Diebstähle sei er nicht verantwortlich. Im übrigen
wußten sie von Tibets Grenzen, daß diese im Westen mit denen von
Ladak zusammenfielen, im Osten seien es acht Tagereisen bis an die
chinesische Grenze, und nach Süden sollte eine Reise von drei Monaten
(!) erforderlich sein, um nach Indien oder, wie sie sich ausdrückten,
Hindi zu gelangen. Tsamur und Amdo sind dichtbevölkerte Gebiete im
Osten, im Westen heißt das Land Namru.

Sobald wir gelagert hatten, wurden einige Reiter nach Westen geschickt,
wie es hieß, nach den ersten Dörfern in Namru, und am Abend kamen sie
mit zwei großen Schüsseln voll süßer und saurer Milch wieder, die für
den größten Teil der noch übrigen Reisetage reichte. Dagegen nahmen wir
nur zwei Schafe mit, obschon uns alle noch lebenden angeboten wurden
-- sie wären uns während der forcierten Märsche, die uns bevorstanden,
nur hinderlich gewesen. Auf jedem Lagerplatz werden Kundschafter in die
Gegend ausgeschickt. Sie statten bei ihrer Rückkehr Solang Undü Bericht
ab. Wahrscheinlich hat man befürchtet, daß unsere ganze Karawane nach
Süden vorgerückt sei, und man will nun vorsichtig sein und aufpassen,
daß wir uns nicht mit den Unsrigen zu einem gemeinschaftlichen Angriffe
auf die Eskorte vereinigen, um uns dann nach Lhasa durchzuschlagen.

Eine große Yakkarawane lagerte in der Nachbarschaft. Sie war aus
Nakktschu, hatte Salz geholt und befand sich jetzt auf dem Heimweg.

Der 15. August war der Tag der Trennung. Unsere Freunde versuchten
uns zu überreden, noch einen Tag zu bleiben, und gaben uns die
sehr verlockende Versicherung, daß am Abend einige Leute aus Namru
anlangen würden. Diese würden uns gewiß gern nach dem Hauptquartier
begleiten und uns nachts unsere Tiere hüten. Wir zogen es jedoch vor,
aufzubrechen. Solang Undü und Anna Tsering rieten uns, Räuber, die sich
nachts unserem Zelte näherten, einfach niederzuschießen. Sie steckten
augenscheinlich nicht mit Pferdedieben unter einer Decke, denn sie
hatten unheimlichen Respekt vor der Wirkung unserer Schußwaffen.

Als wir Abschied nahmen, erbot sich Solang Undü, uns mit vier Mann nach
Sampo Singis Zelt zu begleiten; mit ihnen zogen wir das Tal hinauf,
dessen Fluß jetzt bedeutend zusammengeschrumpft war. Einige Reiter,
denen wir begegneten, kehrten um und kamen mit. Auch diese waren
entschieden Spione, welche die Unseren beobachtet hatten und jetzt mit
den lebhaftesten Gesten berichteten, was sie gesehen hatten.

Sampo Singi war nicht zu Hause, aber sein Zelt stand noch da. Hier
machten unsere Begleiter Halt, ließen sich an einem Hügel häuslich
nieder und baten uns, die Nacht über noch hierzubleiben; wir wollten
aber jetzt Zeit gewinnen. Sie sahen uns über den ersten Paß im
Nordwesten unseres alten Lagers verschwinden und sind dann wohl, wie
ich vermute, zu Kamba Bombo zurückgekehrt.



Neunzehntes Kapitel.

Die letzten Tagemärsche nach dem Hauptquartier.


Einsam und schweigend ritten wir nach Nordwesten weiter; wir sahen
keine anderen Geschöpfe als einige Schafherden und Yake auf den
nächsten Hügeln. Unsere Tiere waren kraftlos, aber gemächlich ritten
wir drauf los. Bevor es dämmerig wurde, mußten wir Halt machen, damit
sie noch eine Weile weiden konnten. Dies geschah an einer kleinen
Süßwasserquelle auf einer Wiese, wo Argol in genügender Menge umherlag.

Auf einmal veränderte der Himmel, der uns bisher hold gewesen war,
sein Aussehen. Es wurde im Südosten dunkel. Eigentümliche, unheimliche
Wolken stiegen über den Bergen auf; sie waren brandgelb und dick, wie
beim Ausbruche eines Sandsturmes in der Wüste. Das wird ein nettes
Wetter werden, dachten wir. Der Wind kam immer näher, sauste und pfiff,
und dann prasselte der erste Hagelschauer auf uns herab, und es wurde
pechfinster wie in einem Sacke.

Mittlerweile waren die Tiere vor dem Zelte fest angebunden worden.
Hier mußte strenge Wache gehalten werden. Durch dieses Wetter wurde
die Nacht ein paar Stunden länger als gewöhnlich, und vielleicht
betrachteten uns die Tibeter nun, da sie uns über die Grenze gebracht
hatten, nicht länger als Gäste, sondern als vogelfreie Eindringlinge,
die man ungestraft plündern durfte. Ein unangenehmeres Wetter ließ
sich nicht denken; um 8 Uhr ging der Hagel in Regen über, der wie aus
Mulden herabgoß. Man hört nichts weiter als den Regen, der, vom Winde
getrieben, gegen das Zelt und auf die Erde schlägt und das Stampfen
der Tiere und die einschläfernden Schritte der Nachtwache übertönt.
Man sieht die Hand vor den Augen nicht, kein dunkler Umriß gibt den
Platz an, wo unsere Tiere zwei Meter vor der Zeltöffnung stehen. Es
ist unmöglich, eine Kerze zum Brennen zu bringen; es regnet ins Zelt,
es weht, heult und pfeift, und die Zündhölzer sind feucht. Man sitzt
zusammengekauert in seinem Pelze, der Oberkörper schwankt hin und her,
und vergeblich sehnt man sich nach dem Tageslichte, das jedoch auf sich
warten läßt. Alle Waffen sind geladen und liegen zum Gebrauch bereit,
und die Hunde sind bei den Pferden angebunden. Von hier war es ein
fünfstündiger Ritt nach unserem früheren Lager Nr. 48, von dort sieben
Stunden nach dem Lager Nr. 47. Erst im Lager Nr. 44 waren wir zu Hause!
Der Weg dorthin erschien uns sowieso unendlich lang, und nun mußte der
Regen den Boden noch mehr verderben. Wir entbehrten die Tibeter sehr;
es war so ruhig und friedlich, solange wir sie bei uns hatten.

Gegen 11 Uhr ließ der Regen ein wenig nach, und ich ging hinaus, um
mich nach Schagdur umzusehen, der mitten zwischen den Pferden und den
Mauleseln unter seiner Filzdecke kauerte und bis auf die Haut durchnäßt
war. Er war jetzt gerade sehr aufgeregt und bat mich, zu horchen, denn
unten am Quellbache klinge es wie menschliche Schritte. Ich hörte auch
wirklich schleichende Fußtritte; Schagdur nahm an, daß es ein Kulan
sein könne, ich aber glaubte nicht, daß solche sich so nahe bei den
Herden der Tibeter aufhielten. Als die leisen, schleichenden Schritte
näherkamen und Schagdur das Gewehr bereithielt, stellte sich heraus,
daß es unser Hund Malenki war, der unten an der Quelle getrunken hatte.
Ich hielt die Lage für ungefährlich, ging wieder ins Zelt, legte mich
hin und schlief wie ein Stock bis 5 Uhr, dann wurde ich geweckt und
half bei herrlichem Wetter beim Beladen.

Anfangs zogen wir östlich von unserer alten Route, und die Kartenarbeit
wurde wieder aufgenommen. Das Terrain war hier viel bequemer, und wir
konnten einen deutlichen Weg links vom Gartschu-sängi einschlagen.
Lange folgten wir hier der Spur eines Reiters, der mit zwei Hunden erst
kürzlich diese Straße gezogen sein mußte, weil die Spur noch nicht
verregnet war. Wer mochte er sein, und wohin hatte er seine Schritte
gelenkt? War er Mitglied einer Räuberbande, die ihren Sammelplatz
droben im Gebirge hatte? Wurden wir vielleicht schon verfolgt, und
warteten sie am Ende nur eine günstige Gelegenheit ab?

Wir verloren jedoch die Spur und schlugen einen westlicheren Kurs
ein, weil in der bisher eingehaltenen Richtung drohende Berge den Weg
zu versperren schienen. Die Richtung wird nordwestlich, das Terrain
hebt sich, Kulane und Orongoantilopen, die wenig scheu sind, treten
wieder auf, wir ziehen sie dem Anblick bis an die Zähne bewaffneter
tibetischer Reiter vor.

Als das Gras immer spärlicher wurde, machten wir nach einem Marsche von
34,5 Kilometer an einem Flusse Halt. Es war weniger, als wir hätten
zurücklegen müssen, wenn wir das Hauptquartier in vier Tagen erreichen
wollten, aber unsere Tiere waren erschöpft und auch zu müde, um
umzukehren und die üppigen Weiden, die wir hinter uns zurückgelassen
hatten, wieder aufzusuchen. Nur die beiden neuen tibetischen Pferde
sind munter und müssen besonders festgebunden werden, damit sie nicht
wieder zu ihren Kameraden zurücklaufen.

[Illustration: 263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der
Hirten. (S. 254.)]

[Illustration: 264. Tibeterinnen. (S. 255.)]

[Illustration: 265. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. (S. 255.)]

[Illustration: 266. Unser Lager am Jaggju-rappga. (S. 264.)

Vor den Leuten Wanka, der Leithammel, Jollbars, Maltschik und Hamra.]

Der Tag war schön gewesen, nur mittags und während der nächstfolgenden
Stunden zogen dicke Wolkenmassen von Süden herauf. Die Gegenden, denen
wir uns nahten, werden immer kälter und karger; hier sind keine anderen
Menschen als höchstens Yakjäger und Straßenräuber zu erwarten.

Die dem Aufschlagen des Lagers folgenden Stunden sind die angenehmsten
des ganzen Tages; man ist ruhig, kann sich bequem ausstrecken, Mittag
essen, plaudern und rauchen. Aber die Dämmerung kommt nur zu schnell,
und je dunkler es wird, desto schärfer heißt es aufpassen.

Die Nacht war ganz klar und windstill. Fern im Westen zuckte über dem
Horizonte unausgesetzt ein Wetterleuchten, Donner war aber nicht zu
hören. Die Nacht ist so still, daß man sich vor dieser Grabesstille
fast fürchten möchte. Selbst aus ziemlich weiter Ferne würde man auch
das geringste Geräusch hören können. In einiger Entfernung ertönt das
dumpfe Gemurmel eines Bächleins, sonst vernehme ich nur die Atemzüge
der Tiere und meiner beiden Reisegefährten. Der Lama spricht oft im
Schlafe und ruft bisweilen mit klagender Stimme Sirkins Namen, als
brauche und erwarte er Hilfe.

17. August. Alle Hügel und Berge der Gegend sind ziegelrot, denn die
vorherrschende Gesteinsart ist roter Sandstein.

Sobald der Tag graut, dürfen die Tiere frei umherlaufen, können sich
aber auf unseren Lagerplätzen in der kurzen Zeit durchaus nicht
sattfressen. Sie grasen nur abends ein paar Stunden, nachdem wir
gelagert haben, und in aller Morgenfrühe. Wir lassen sie daher noch
draußen, bis es stockfinster ist, bleiben dann aber bei ihnen. Sie sind
den ganzen Tag hungrig und versuchen unterwegs Grashalme abzurupfen;
leicht ist es nicht, sie beisammenzuhalten, und ihre kleinen
Seitenabstecher verursachen uns Zeitverlust.

Heute ritten wir 9 Stunden und legten 40 Kilometer zurück, -- es
geht nicht schnell. Etwas westlich von dem alten Wege kamen wir
durch ein Tal langsam nach einem Passe hinauf. Vom Passe geht es
langsam durch ein anderes Tal hinunter, das sich nach Westen zieht
und von senkrechten Wänden eingefaßt wird. Es zwingt uns, viel zu
weit westwärts zu gehen, aber wir können nicht aus ihm herauskommen.
Hier und dort zeigen sich Yake; es sind entschieden wilde, obwohl es
merkwürdig ist, daß sie sich in eine solche Mausefalle hineinwagen.
Wir stellten diesen Abend das Zelt auf einen von Schluchten umgebenen
Bergvorsprung, wo ein Überfall für den Angreifer sehr gefährlich hätte
werden können. Jetzt konnten wir nicht viel mehr als 70 Kilometer von
den Unsrigen entfernt sein, und jeder Tag, der verging, vergrößerte
unsere Sicherheit; nur der Lama war der Meinung, es würde vielleicht
noch schlimmer werden, denn das Hauptlager sei möglicherweise von den
Tibetern umzingelt.

Der 18. August war für uns ein schwerer, anstrengender Tag. Es kostete
uns verzweifelte Mühe, über eine Bergkette hinüberzukommen, die wir auf
der Hinreise ohne Schwierigkeit überschritten hatten.

Wir gehen über einen neuen Paß und haben linker Hand einen See, der
in einer Bodensenke liegt. Unsere Tiere sinken tief in den aus rotem
Material bestehenden Boden ein; man zieht sozusagen über lauernde
Fallgruben und Fallen hin, seit Jahrtausenden scheint Schmutz und
Schlamm von den angrenzenden Höhen in dieses heimtückische Loch
hinuntergeschwemmt worden zu sein. Anstehendes Gestein ist nirgends zu
sehen, alles ist weiches Verwitterungsmaterial. Glücklicherweise war
das Wetter jetzt gut; bei Regen wäre hier nicht durchzukommen gewesen.

Unser Räubersee lag jetzt eine ziemliche Strecke rechts von unserem
Wege. Einige Maulesel waren vollständig erschöpft, und zwischen 2 und
4 Uhr mußten wir auf einer dünn mit Gras bewachsenen Halde rasten, um
sie ausruhen zu lassen. Unterdessen schlummerten und rauchten wir im
Sonnenbrande. Die Luft war ruhig, und das Thermometer zeigte +19,6 Grad
im Schatten; bei dieser Temperatur ist es hier oben so heiß, daß man
fürchtet, einen Sonnenstich zu bekommen. Bald darauf kam eine Hagelbö,
und wir waren wieder mitten im Winter. Es ging langsamer und schwerer
als je, nach dieser Rast wieder in Gang zu kommen. Man ist ganz
erschöpft von den verwünschten Nachtwachen und den beständigen Märschen.

Einmal, als wir langsam nach dem Gipfel eines Hügels hinaufritten,
stürmte Malenki seitwärts nach einer anderen Anhöhe und erhob ein
wütendes Gebell. Wir glaubten, er habe Menschen gesehen, und ich ritt
ihm schleunigst nach und geriet dabei einem Bären, der eifrig an einer
Murmeltierhöhle kratzte, beinahe auf den Leib. Als der Petz mich
erblickte, sprang er auf und lief, von den Hunden verfolgt, im Galopp
davon. Die Hunde holten ihn bald ein, doch jetzt machte der Bär Front
und schickte sich an, Malenki eins auf die Schnauze zu geben. Der Hund
kehrte nun ebenfalls um und kam zu uns zurück, aber Jollbars hatte noch
einen langen Tanz mit dem Petz, der auf so unverschämte Weise in seiner
erwarteten Abendmahlzeit gestört worden war.

Jetzt ging es verwünscht langsam vorwärts; es war nutzlos, den Weg
fortzusetzen, wir rasteten auf der ersten besten Weide. Der Himmel sah
noch immer unheildrohend aus, und die Wolken hatten dieselbe rote oder
brandgelbe Farbe wie das Erdreich.

Wieder folgte eine finstere, endlose Nacht, denn vor Tibetern und
Bären mußten wir auf der Hut sein. Die Sprache der Nacht ist erhaben,
nur nicht in Tibet, wenn man Pferde hüten muß. Von nun an werde ich
ein gewisses Mitleid mit unseren Pferdewärtern haben. Wir sehnten uns
nach dem Hauptlager wie zu einem großen Feste, schon allein deshalb,
weil wir dort nachts würden ausschlafen können. Jeder von uns hat beim
Wachehalten seine besonderen Gewohnheiten. Ich schreibe, sitze in der
Zelttür und mache von Zeit zu Zeit eine Runde um das Lager. Schagdur
sitzt in seinen Pelz gehüllt mitten unter den Tieren und raucht seine
Pfeife. Der Lama wieder streift umher und murmelt mit singender Stimme
Gebete. Jetzt fehlten uns zwar nur noch 35 Kilometer, aber unsere
Tiere hatten, vom Hauptlager an gerechnet, bereits 500 Kilometer
zurückgelegt, und es war wenig Aussicht vorhanden, daß wir dieses in
einem Tage erreichen würden. Nun wohl, jedenfalls mußten wir so nahe
an den Umkreis, innerhalb dessen die Unsrigen die Gegend bewachten,
herankommen, daß wir uns für ziemlich sicher halten konnten.

Wir schliefen am Morgen gründlich aus, um die Tiere möglichst lange
weiden zu lassen. Sodann ging es zu einem Passe hinauf, von dem wir
das weite, offene Tal, in welchem wir die erste Nacht geruht hatten,
zu sehen hofften. Doch jenseits des Passes war nur ein Gewirr von
Hügeln zu erblicken. Es war wunderbar, daß unsere Tiere mit dem
Nordabhange fertig wurden, der da, wo die Sonne nicht eingewirkt hatte,
aus lauter Schlamm bestand. Wir müssen zu Fuß gehen und auf flachen
Sandsteinplatten und Moosrasen balancieren, sonst sinken wir knietief
ein. Die Karawane sieht höchst sonderbar aus, denn die Tiere waten so
tief im Morast, daß sie mit dem Bauche den Boden berühren; es ist,
als durchwateten sie einen Fluß. Wir steuern nach allen Flecken, die
trocken scheinen, mühsam und sehnsüchtig hin, um uns dort eine Weile
zu verschnaufen und die Lasten wieder zurechtzurücken. Die Hoffnung
täuschte uns; noch zwei ebenso greuliche Pässe waren uns beschieden.
Hätte ich hiervon eine Ahnung gehabt, so würde ich natürlich unseren
alten Weg gegangen sein, der wie eine Brücke durch ein Moor, in dessen
böse Sümpfe wir hilflos hineingeraten waren, zu führen schien.

Endlich erreichten wir mit erschöpften Kräften ein kleines Tal, das
nach unserem offenen Tale führte, dessen wohlbekanntes Panorama ein
erfreulicher, belebender Anblick war. Jetzt merkten wir, daß wir beim
Waten im Moraste den Spaten verloren hatten. Der Lama ging zurück, ohne
ihn zu finden, stieß dafür aber auf eine alte tibetische Zeltstange,
die uns abends beim Feueranzünden gut zustatten kam. Rebhühner, Hasen
und Kulane zeigen sich überall, und, wie gewöhnlich, sind die Raben in
diesem unwirtlichen Gebirge heimisch.

Es war herrlich, wieder auf tragfähigem Boden zu reiten. Neun Kulane
leisteten uns eine Zeitlang Gesellschaft. Auf einer Anhöhe rasteten
wir einige Minuten, um die Gegend zu überschauen. Keine Spur, keine
schwarzen Punkte, die unsere weidenden Tiere sein konnten, kein Rauch
war zu sehen! Die Gegend lag ebenso still und öde da, wie wir sie
zuletzt gesehen hatten, und absolut nichts deutete darauf hin, daß sich
Menschen in der Nachbarschaft befanden.

Obwohl die Sonne schon tief stand, schienen meine Kameraden doch zu
glauben, daß wir noch zu den Unsrigen gelangen würden, denn sie ritten
immer schneller. Die Tiere, die sonst gewöhnlich in einem Haufen
getrieben wurden, mußten hier in einer Reihe hintereinander und mit
Stricken verbunden marschieren, da das Gras sie zu sehr in Versuchung
führte. Schagdur leitete drei, ebenso der Lama, und ich ritt als
Treiber hinterdrein. Schagdur hatte einen bedeutenden Vorsprung. Mein
Reitschimmel, der mir den gestohlenen ersetzt hatte und der, nachdem er
kraftlos geworden, durch eines der tibetischen Pferde ersetzt worden
war, brach plötzlich zusammen und blieb auf der Erde liegen. Man mußte
glauben, daß seine letzte Stunde gekommen sei; wie es schien, fing er
schon an zu erkalten. Der Lama schmierte ihm die Nüstern innen mit
Butter ein und zwang ihn, Lauch zu kauen. Große Tränen rollten aus den
Augen des Pferdes, und Schagdur sagte, es weine darüber, daß es jetzt,
nachdem es so ehrenvoll alle unsere Anstrengungen geteilt, nicht zu
seinen alten Kameraden zurückkehren könne. Inzwischen schlugen wir
Lager, und die Tiere wurden auf die nächste Weide geführt.

Die Nacht verlief ruhig unter frischem, nördlichem Winde. Die Hunde
knurrten nicht einmal, und keine Feuer waren sichtbar.

Als wir am 20. August aufbrachen, strömte der Regen nieder, was uns
jedoch wenig störte, weil der Boden jetzt beinahe überall fest und
tragfähig war. Sogar der Schimmel hinkte mit. Als wir die roten
Hügel in der Nähe unseres ersten Lagerplatzes, auf dem Hinwege,
passiert hatten, ertönten zwei Flintenschüsse und eine Weile darauf
ein dritter. Ein Yak stürmte nach den Hügeln hinauf. Wir richteten
unseren Kurs sofort dorthin und bemerkten bald zwei Punkte, die sich
im Fernglase nach und nach zu zwei Reitern entwickelten. Waren es
tibetische Yakjäger? Nein, denn es zeigte sich bald, daß sie gerade
auf uns zu ritten. Als sie nähergekommen waren, erkannten wir in
ihnen Sirkin und Turdu Bai. Wir saßen ab und warteten, bis sie vor
Freude weinend heransprengten, ganz entzückt von der heutigen Jagd,
-- eine solche Beute hatten sie sich nicht träumen lassen, als sie am
Morgen ausgeritten waren, um sich Fleisch zu verschaffen! Sie hatten
nämlich nur noch drei Schafe. Für uns war es ein besonderes Glück,
so unerwartet in der Einöde mit ihnen zusammenzutreffen; es wäre uns
jetzt, da der Regen alle Spuren ausgelöscht hatte, wohl recht schwer
geworden, das Lager zu finden.

Das Lager war vor einiger Zeit nach einem Seitentale südlich von der
Flußmündung verlegt worden und war dort so im Terrain versteckt, daß
wir es ohne Hilfe kaum hätten entdecken können. Wir ritten sämtlich
dorthin. Kutschuk, Ördek und Chodai Kullu kamen uns entgegengelaufen;
auch sie weinten und riefen:

„Chodai sakkladi, Chodai schukkur (Gott hat euch beschützt, Gott sei
gelobt), wir sind wie vaterlos gewesen, während ihr fort waret!“

Es war wirklich rührend, ihre Freude zu sehen. --

Bald darauf saß ich wieder in meiner bequemen Jurte und hatte meine
Kisten um mich, und mein schönes, warmes Bett war in Ordnung. Wenn
man es einen ganzen Monat recht schlecht gehabt hat, weiß man es erst
zu schätzen, wenn man sich wieder in „zivilisierten Verhältnissen“
befindet. Sirkin berichtete, daß ein Pferd verendet sei und die anderen
sich noch nicht erholt hätten, daß die Kamele aber bedeutend kräftiger
geworden seien. Die Chronometer waren stehengeblieben, weil Sirkin es
aus Furcht, daß die Federn springen könnten, nicht gewagt hatte, sie
ganz aufzuziehen. Die Folge dieser übertriebenen Vorsicht war, daß wir
nun nach dem naheliegenden Lager Nr. 44, unserem Hauptquartiere, von
dem die Reise nach Lhasa ausgegangen war und in welchem ich damals eine
astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, zurückkehren mußten. Ein
Zeitverlust von mehreren Tagen würde dadurch allerdings entstehen, aber
die Tiere, die wir mitgehabt hatten, bedurften nur zu sehr aller Ruhe,
die sie haben konnten. Es hatte in der Gegend unaufhörlich geregnet;
bisweilen waren jedoch kleine Ausflüge gemacht und dabei einige Kulane
erlegt worden.

Tschernoff hatte die Nachhut so gut geführt, daß er bei seiner Ankunft
am 2. August noch neun Kamele mitgebracht hatte; nur zwei Kamele und
zwei Pferde waren verendet; unter den ersteren war mein Veteran von der
Kerijareise im Jahre 1896.

Alle Leute waren gesund, und helle Freude herrschte an diesem Abend.
Sie gestanden, daß sie nach Ördeks Rückkehr für uns das Schlimmste
befürchtet hätten und kaum von uns hätten sprechen mögen, sondern
gewartet und gewartet hätten. Jolldasch heulte vor Freude und nahm
sofort seinen bequemen Platz neben meinem Bette wieder ein.

Nachdem ich das Lager inspiziert und alles in bester Ordnung
vorgefunden hatte, mußte Tscherdon mir ein Bad zurechtmachen. Der
größte Kübel, den wir hatten, wurde mit heißem Wasser gefüllt und in
meine Jurte gebracht. Nie ist ein gründliches Abseifen notwendiger
gewesen als jetzt, und das Wasser mußte mehreremal erneuert werden,
hatte ich mich doch 25 Tage lang nicht gewaschen! Und wie schön war
es, nachher vom Scheitel bis zur Sohle wieder in reinen europäischen
Kleidungsstücken zu stecken und den mongolischen Lumpen auf ewig
Lebewohl sagen zu können!

Nach einem wohlschmeckenden Mittagsessen und Aufzeichnung der heutigen
Erlebnisse ging ich mit gutem Gewissen zu Bett und genoß in vollen
Zügen die Ruhe und den Komfort, die mich umgaben. Das Bewußtsein, daß
ich den forcierten Ritt nach Lhasa ohne Zögern gewagt hatte, war mir
eine große Befriedigung. Daß wir diese Stadt nicht hatten sehen können,
betrachtete ich weder jetzt noch später als eine Enttäuschung; gibt es
doch unüberwindliche Hindernisse, die alle menschlichen Pläne kreuzen.
Aber es freute mich, daß ich nicht einen Augenblick gezaudert hatte,
einen Plan auszuführen, der kritischer und gefährlicher war als eine
Wüstenwanderung, und es ist ein Vergnügen, gelegentlich den eigenen
Mut auf die Feuerprobe zu stellen und die Ausdauer bei Strapazen zu
erproben. Mein Leben während der nächstfolgenden Zeit erschien mir
im Vergleich mit dem eben Erlebten wie eine Ruhezeit. Was uns auch
beschieden sein mochte, -- solche Strapazen wie auf der Lhasareise
würden wir schwerlich wieder erleben. Mir war zumute, als sei ich schon
halb wieder zu Hause, und ich ahnte nichts von den ungeheuren Mühsalen,
die uns noch von Ladak trennten.

Alles erschien mir jetzt leicht und lustig, sogar der Regen schmetterte
freundlich auf die Kuppel der Jurte, und der eintönige Sang der
Nachtwache lullte mich bald in den Schlaf. Ich war froh, daß ich nicht
mehr hinauszugehen und die Pferde zu bewachen brauchte, und ich freute
mich, Schagdur und den Lama, halbtot vor Müdigkeit, in ihren Zelten
schnarchen zu hören.

Am folgenden Morgen konnte es keiner übers Herz bringen, mich zu
wecken; wir kamen daher erst mittags fort. Wir ritten auf den Hügeln
am rechten Ufer des Flusses. Die Wassermenge war jetzt ziemlich
ansehnlich. Auf dominierenden Höhen hatten meine Leute Steinpyramiden
errichtet, die von fern Tibetern glichen. Der Zweck der Steinmale war,
uns bei der Rückkehr den Weg vom Lager Nr. 44 nach dem neuen zu zeigen.
Wenn die Tibeter die Pyramiden erblickten, würden sie gewiß glauben,
daß wir eine Heerstraße für einen Einfall bezeichnet hätten und daß
bald eine ganze Armee unserer Spur folgen würde. In einem Nebentale
verriet ein großer Obo, daß die Gegend nicht selten besucht wurde; wie
gewöhnlich, war er aus einer Menge Sandsteinplatten errichtet, in die
die Formel „Om mani padme hum“ eingemeißelt war.

Wir ließen uns jetzt an derselben Stelle wie damals häuslich nieder.
Das Gerippe des hier gefallenen Pferdes war von Wölfen vollständig
reingefressen. Hasen und Raben kommen in der Gegend besonders häufig
vor. Eines der letzten Schafe wurde geschlachtet. --

Die Reise nach Lhasa erscheint mir jetzt wie ein Traum; hier sitze ich
unter denselben Verhältnissen wie vor einem Monat, die Jurte steht
auf demselben Erdringe, die Beine des Theodolitenstativs in denselben
Löchern, der Fluß rauscht wie damals; es ist, als könnten nur ein,
zwei Tage vergangen sein. Alle jene langen, unter Wachen und Sorge
zugebrachten Nächte sind vergessen; es war nur eine flüchtige Episode,
eine Parenthese im Verlaufe der Reise! --

Jetzt folgten einige Tage der Ruhe, in denen meine Geduld jedoch sehr
auf die Probe gestellt wurde. Es regnete und schneite unaufhörlich, und
ich hatte keine Gelegenheit, alle die astronomischen Beobachtungen,
die ich gern machen wollte, vorzunehmen. Und dann sehnte ich mich
auch danach, wieder nach Süden aufzubrechen und bewohnte Gegenden
aufzusuchen, wo wir die uns nötige Hilfe erhalten konnten, denn es war
schon jetzt ersichtlich, daß unsere Tiere nicht mehr weit kommen würden.

In der Nähe des Lagers wurde mir ein Platz gezeigt, wo Turdu Bai und
Tscherdon am Tage unserer Abreise eine Gesellschaft tibetischer Jäger
überrascht hatten. Diese Helden waren so fassungslos gewesen, daß sie
Hals über Kopf Reißaus genommen und siebzehn Packsättel, ein Zelt und
den ganzen Fleischvorrat, aus dem ihre Jagdbeute bestand, im Stiche
gelassen hatten. Alles lag noch da, bis auf das Fleisch, das sich Wölfe
und Raben zu Gemüte geführt hatten. Man kann sich die tollen Gerüchte
denken, die in Umlauf gesetzt werden, wenn solche Flüchtlinge wieder
bewohnte Gegenden im Süden erreichen. Sie übertreiben natürlich ihre
Beschreibungen und behaupten, daß eine ganze Armee von Europäern ins
Land gedrungen sei. Das hatten wir in Dschallokk ja selbst gehört.

Während meiner Abwesenheit war gute Disziplin gehalten worden, aber
nach meiner Rückkehr wurde sie noch mehr verschärft. Alle unsere
Tiere hatten ihre Weideplätze in einem Tale, das einige Kilometer
vom Lager entfernt war. Tschernoff ritt einmal nachts dorthin und
fand die Wächter schlafend. Er gab einen Flintenschuß ab, durch den
alle aufs fürchterlichste erschreckt wurden. Die Schläfer wurden
gebührend heruntergemacht und beklagten sich am folgenden Morgen bei
mir, doch statt daß ich mich auf ihre Seite stellte, bekamen sie ein
neues Gesetz zu hören, das ich im Handumdrehen erließ: „Wer künftig
auf seinem Posten schlafend angetroffen wird, wird mit einem Eimer
kalten Wassers aufgeweckt!“ Jede Nacht sollten sechs Muselmänner, je
zwei gleichzeitig, abwechselnd Wache halten, und die Ablösung sollte
unter Kontrolle des diensthabenden Kosaken vor sich gehen. Die vier
Kosaken waren also der Reihe nach für den Nachtdienst verantwortlich.
Die Muselmänner hatten über die Tiere zu wachen und die Kosaken
dafür zu sorgen, daß die Muselmänner ihre Pflicht taten. Infolge der
letzten Abkanzelung wollten Mollah Schah und Hamra Kul wieder einmal
nach Tscharchlik zurückkehren, beruhigten sich aber, nachdem sie den
Wahnsinn eines solchen Unternehmens eingesehen hatten. Derartige
Reibereien sind in einer großen Karawane, in der Geschmack und Meinung
nach den christlichen, muselmännischen oder mongolischen Anschauungen
und Lebensgewohnheiten der Betreffenden wechseln, nicht zu vermeiden.

Tscherdon wurde zu meinem Leibkoch ernannt, Schagdur sollte sich eine
Zeitlang ausruhen; der Lama war niedergeschlagen und nachdenklich und
wurde von jeder Dienstleistung dispensiert, bis wir wieder auf Menschen
stießen. Dem alten Muhammed Tokta, der schon lange kränklich gewesen
war, ging es seit einer Woche schlechter; er klagte über Herzschmerzen.
Es wurde ihm geraten, sich ganz ruhig zu halten. Im übrigen herrscht im
Lager die beste Stimmung, und die Kosaken sind besonders zufrieden. Sie
haben eine Balalaika, eine dreisaitige Zither, gemacht, und mit dieser,
einer tibetischen Flöte, einer Tempelglocke, improvisierten Trommeln,
der Spieldose und Gesang wurde am letzten Abend unter strömendem Regen
ein wenig harmonisches Konzert aufgeführt, das jedoch großen Beifall
fand.

[Illustration: 267. Das Lazarettzelt. (S. 269.)]

[Illustration: 268. Kalpets Bett auf dem Kamelrücken. (S. 269.)]

[Illustration: 269. Der Leichenzug. (S. 271.)]

[Illustration: 270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk. (S.
271.)]



Zwanzigstes Kapitel.

Der Zug nach Süden.


Am 25. August sollten wir endlich das Lager Nr. 44 endgültig verlassen
und neuen Schicksalen und Erfahrungen entgegengehen. Ladak war
jetzt unser Ziel; aber ich hatte mir fest vorgenommen, nicht eher
die Richtung nach Westen einzuschlagen, als bis wir weiter südlich
wieder auf unüberwindliche Hindernisse stießen. Die Tibeter waren
jetzt wachsam, das ganze Land war wie im Belagerungszustand, eine
Mobilmachung hatte bereits stattgefunden, das wußten wir, und wir
konnten uns sehr leicht ausrechnen, daß wir früher oder später wieder
tibetischen Truppen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden.
Für den Anfang zogen wir jetzt also nach Süden.

Merkwürdigerweise erkrankten über Nacht drei von unseren Pferden, aber
nicht von denen, die die Reise nach Lhasa mitgemacht hatten. Das eine
taumelte und fiel unaufhörlich, das andere verendete schon im Lager,
und das dritte kam nur noch über den ersten Paß des Tagemarsches, ehe
es stürzte, um sich nie wieder zu erheben. Es war ein trauriger Anfang
und zeigte deutlich, daß wir früher oder später auf die Hilfe der
Tibeter angewiesen sein würden.

Als ich geweckt wurde, schneite es stark, und als wir aufbrachen, goß
es wie mit Scheffeln. Die ganze Gegend sieht aus wie mit Straßenkot
begossen, in den man einsinkt, ohne festen Fuß fassen zu können. Zuerst
wurde der Fluß überschritten, dann zogen wir durch den Schlamm nach
einem kleinen Passe hinauf. Mehrere Reiter mußten nach verschiedenen
Richtungen ausgesandt werden, um zu untersuchen, ob der Boden trug.
Über einen neuen Fluß schreiten wir unglaublich langsam nach einem
höheren Passe hinauf. Hier müssen alle zu Fuß gehen, auf die Gefahr
hin, daß ihre Stiefeln im Morast steckenbleiben. Die armen Kamele
zerreißen, da sie fest einsinken und der Karawane nicht folgen können,
unaufhörlich ihre Nasenstricke. Wären unserer nicht soviele gewesen, so
hätten wir diejenigen Kamele, die bis zur Hälfte in dem losen nassen
Tonschlamme, der sie zäh festhielt, eingesunken waren, ganz einfach
im Stiche lassen müssen. Die Last muß ihnen sofort abgenommen und
auf einigermaßen festen Boden gestellt werden, damit nicht auch sie
verschwindet. Der Tonschlamm wird mit Spaten abgegraben, das Kamel
auf die Seite gelegt, seine Beine mit Seilen herausgewunden und eine
mehrfach übereinandergelegte Filzdecke unter das Tier gebreitet, damit
seine Füße festen Halt finden, wenn es sich endlich selbst aufzustehen
bemüht. Sonst sind die Kamele verloren, denn sie bleiben ruhig liegen,
bis man sie herauszieht. Währenddessen gießt es, daß es auf der Erde
klatscht. Alles wird aufgeweicht und durch und durch naß, als sollten
diese Höhen fortgespült werden.

Jenseits des Passes wurde das Terrain ein wenig besser; die Südabhänge
sind infolge der Einwirkung der hier jedoch äußerst selten auftretenden
Sonne gewöhnlich vorteilhafter für uns. Am rechten Ufer eines Flusses
hatte die Karawane während unserer Abwesenheit einige Tage zugebracht,
und da dort noch ein großer Argolhaufen lag, machten wir an dieser
Stelle Halt.

Am folgenden Tag waren sowohl das Wetter wie auch die Wegverhältnisse
günstiger, aber das Land ist fast unfruchtbar und arm an Wild. Nur ein
einsamer Kulan zeigte sich und wurde von Sirkin erlegt. Gewöhnlich
schreibt die Gestalt des Bodens uns die Richtung unseres Weges vor,
und da jener nach Südsüdwesten hin am ebensten aussah, zogen wir nach
dieser Seite. Ungefähr 40 Kilometer westlich von unserer Route erhob
sich ein kleines Schneemassiv mit rudimentären Gletschern; es setzte
sich im Süden in einer merkwürdigerweise meridionalen Bergkette mit
vereinzelten Schneegipfeln fort.

Tschernoff hatte vor einiger Zeit die Gegend rekognosziert und teilte
mir jetzt mit, daß er an einer etwas weiter südlich gelegenen Quelle
deutliche Kamelspuren gesehen habe. Als wir am 27. August dort
vorbeizogen, zeigte er mir den Platz, und richtig hatten dort Kamele in
großer Zahl geweidet. Woher sie gekommen waren und was für Menschen sie
gehört hatten, war und blieb uns ein Rätsel. Sollten sie am Ende einer
mongolischen Pilgerkarawane, die sich von Nordosten hierher verirrt
hatte, gehört haben?

Denselben Tag mußten wir auch Bowers Route gekreuzt haben, obwohl es
nicht möglich war, die Stelle, wo dies geschah, zu identifizieren.
Im Süden erhob sich vor uns eine neue Bergkette, aber wir waren
nur imstande, bis an ihren Fuß zu gelangen, wo das Lager Nr. 67
aufgeschlagen wurde. Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten, das
Minimumthermometer zeigte -5,1 Grad, und am Tage hatten wir nicht mehr
als +7,9 Grad.

Als ich am 28. aufstand und mit dem Beladen der Tiere schon angefangen
war, wurde mir gemeldet, daß Kalpet, ein Mann aus Kerija, fehle. Ich
verhörte die Leute, die aussagten, daß er gestern über Brustschmerzen
geklagt habe und auf dem Marsche zurückgeblieben sei. Sie seien
jedoch der Meinung gewesen, daß er langsam unseren Spuren folge und
in der Dunkelheit, ohne daß jemand darauf geachtet habe, im Lager
angekommen sein werde. Nun fehle er aber noch immer. Ich ließ die Tiere
weitergrasen und schickte Tschernoff und Turdu Bai zu Pferd mit einem
Maulesel ab, um den Mann lebendig oder tot herbeizuschaffen, -- er
konnte ja unterwegs plötzlich erkrankt sein und mußte sich jedenfalls
in einer schlimmen Lage befinden, da er uns nicht nachgekommen war und
einen ganzen Tag nichts zu essen bekommen hatte. Nach einigen Stunden
kamen sie mit dem armen Menschen an, der aufs beste verpflegt wurde und
auf einem Maulesel reiten durfte, als wir endlich, bedeutend verspätet,
aufbrachen.

Obgleich der Boden tragfähig war, wurde der Tagemarsch doch ziemlich
anstrengend, denn wir mußten über eine ganze Reihe von Pässen und
Kämmen.

Mit zwei Kamelen geht es jetzt zu Ende; sie können nicht mehr
mitkommen; sie müssen später geholt werden und sind natürlich stets
unbeladen. Große Ordnung herrscht in der Karawane. Der diensttuende
Kosak bringt die Nacht auf dem Platze zu, wo die Tiere unter Aufsicht
ihrer Wächter, die man aus der Ferne singen hört, grasen. Heute abend
begab sich Schagdur dorthin, nachdem er in der Jurte der Kosaken zu
Abend gegessen hatte, und die Töne der Balalaika verhallten am Fuße
der Hügel. Die drei übrigen Kosaken, die den Erzählungen Schagdurs
und des Lamas mit gespanntem Interesse gelauscht hatten, sehnten sich
jetzt danach, mit den Tibetern in Berührung zu treten. Sie sahen mich
verwundert und fragend an, als ich ihnen sagte, daß unsere Karawane
früher oder später in ihrem Marsche von einer unüberwindlichen
Heerschar aufgehalten werden würde.

Dieser Lagerplatz, Nr. 68, befand sich in einer Höhe von 5068 Meter.
Schon um 9 Uhr abends war die Temperatur auf -1,9 Grad gesunken und
hielt sich während der Nacht auf -6,2 Grad. Auch diese Tagereise führte
über drei kleine, aber recht beschwerliche Pässe; die Bergketten
erstrecken sich jetzt wieder von Westen nach Osten, und alle Täler
fallen nach Süden ab. Eine vierte Kette brauchten wir nicht zu
übersteigen, da sie von einem Flusse durchbrochen wurde, dem wir
folgten.

Alte Lagerplätze sind jetzt ziemlich häufig und lassen sich teils an
den gewöhnlichen drei Steinen, auf die der Kochtopf gestellt wird,
teils an Schädeln von erlegten Yaken und Archaris erkennen. Bei
einem solchen Platze lud die Weide zu einem Extrarasttage ein. Eine
Herde von 50 Kulanen zog sich bei unserem Herannahen zurück. Yake und
Wildschafe sind gleichfalls zahlreich vertreten, ebenso Hasen. Ein
Lampe wurde eifrig von allen sieben Hunden verfolgt und von Jolldasch
gefangen. Jollbars strengt sich nicht weiter an, bevor die Beute nicht
eingefangen ist; dann erst tritt er auf und hält einen gehörigen
Schmaus.

Der Rasttag war in jeder Beziehung herrlich, das Wetter gut; der
Rauch stieg manchmal senkrecht von den Lagerfeuern auf, und unsere
erschöpften Tiere schwelgten in dem guten Grase. In der Nähe fanden
wir noch mehrere alte Lagerplätze, und aus dem Schafmiste ließ sich
schließen, daß die Gegend nicht nur von Jägern, sondern auch von
Nomaden aufgesucht wird. Wir konnten also jeden Augenblick auf Menschen
stoßen, und bei denen, die noch keine Tibeter gesehen hatten, wurde die
Neugier immer größer.

Schagdur und Turdu Bai rekognoszierten in östlicher Richtung und
fanden dort eine ganze Reihe „Iles“ oder Male, die aus Steinen,
oder wo Gestein fehlte, aus Erdschollen errichtet waren. Die Reihe
erstreckte sich weit nach Süden, und die Male standen so dicht, daß
sie, nach Schagdurs Annahme, wahrscheinlich die Grenzlinie einer
Provinz bezeichneten, um so mehr, als von einem Wege dort keine Spur zu
entdecken war. Sirkin schoß einen „Kökkmek“-Bock, der photographiert
wurde (Abb. 260). Schagdur ebenfalls einen. Letzterer und eine hübsche
kleine „Jure“ (~Antilope Cuvieri~) wurden von den Kosaken abends
vermittelst einiger Pflöcke und Schnüre in der natürlichen Stellung,
die sie während des Laufens einnehmen, aufgestellt. Am Morgen waren sie
steif gefroren und konnten allein stehen wie Turnpferde. Es geschah,
damit ich die Tiere photographieren konnte (Abb. 261).

31. August. Es ist nicht angenehm, aus seinem süßesten Morgenschlafe
aufgeweckt zu werden; doch ist man erst angekleidet und in Ordnung,
so geht alles seinen ruhigen Gang, und der Tag verläuft ebenso wie
seine Vorgänger. Wir hatten jetzt ein viel gastfreundlicheres Land als
bisher erreicht; der Boden ist fest, das Terrain senkt sich, und wir
brauchten keine Pässe zu forcieren. Auch der Himmel war uns hold, die
Temperatur stieg auf +18,2 Grad. Südwestlich von unserem Wege zeigte
sich ein kleiner Salzsee, der der Sammelplatz aller Wasserläufe der
Gegend war. Am Ufer saßen einige gewaltige Adler. Ihre Jungen, die eben
flügge waren, wurden von den Hunden angegriffen, verteidigten sich aber
so tapfer mit Schnabel und Krallen, daß die Angreifer sich zurückziehen
mußten.

Am 1. September überschritten wir in einem 4855 Meter hohen Passe
die nächste Kette, die ganz und gar aus weichem Material bestand
und abgerundete Formen hatte. Vom Passe hatte man nach Süden eine
außerordentlich weite Aussicht. In der Ferne ließ allerdings ein
schwaches Dunkel einen Kamm ahnen, sonst aber schienen wir ein paar
gute Tagereisen ebenen Terrains vor uns zu haben. Der Boden schimmerte
stärker grün als bisher, dessenungeachtet waren aber keine Nomaden zu
sehen; die Lagerstellen, an denen wir vorbeikamen, waren alle ziemlich
alt. Obgleich wir nur 20 Kilometer zurückgelegt hatten, blieben wir
daher bei dem ersten Bette, welches Wasser führte.

Gegen 4 Uhr gab es im Lager eine Aufregung. Ein Haufe schwarzer
Punkte, die für weiter südlich weidende wilde Yake gehalten worden
waren, wurden durch das Fernglas als Pferde erkannt. Der Lama und die
Kosaken, außer dem diensthabenden, ritten dorthin. Ersterer kam jedoch
bald wieder und führte sein Pferd, das krank geworden war, am Zügel.
Die Pferde waren fett und kräftig, aber scheu gewesen. Wächter hatten
sich nicht gezeigt, und nichts deutete an, daß solche beim Herannahen
der Reiter entflohen sein könnten. Für die Besitzer selbst schien die
Gegend sicher zu sein, während es für uns nicht angegangen wäre, die
Tiere ohne Aufsicht zu lassen. Der Ausflug hatte das Gute, daß noch
besseres Weideland entdeckt wurde, wohin wir unsere Tiere trieben und
wo wir ihnen um so eher einen Ruhetag gönnen konnten, als Almas mit den
beiden kranken Kamelen noch nichts von sich hatte hören lassen.

Frühmorgens machten sich der Lama, Schagdur und Sirkin auf die Suche
nach Tibetern, und wir konnten voraussehen, daß sie Erfolg haben
würden, denn auf den Hügeln im Süden zeigten sich wohl 1000 Schafe und
eine Yakherde.

Gegen Abend kam der Lama mit einer Domba Milch zurück, und in der
Ferne erschienen die Kosaken, drei Tibeter, die ihre Pferde und ein
Schaf führten, buchstäblich vor sich hintreibend. Sie hatten ein Zelt
mit 13 Bewohnern gefunden. Beim Herannahen der Reiter war die ganze
Gesellschaft nach verschiedenen Seiten hin entflohen; da ihre Pferde
jedoch nicht bei der Hand gewesen waren, hatten unsere Leute sie
leicht einholen und nach dem Zelte zurücktreiben können. Erschreckt
wie sie waren, waren sie wenig mitteilsam, und die Auskünfte, die sie
erteilten, waren nicht viel wert.

Sie sagten, daß die Gegend +Dschansung+ heiße und ihr „Bombo“, der an
dem großen See Selling-tso wohne, ihnen den Hals abschneiden würde,
wenn sie uns Lebensmittel verkauften. Sie weigerten sich auch ganz
bestimmt, dies zu tun. Nachdem aber Schagdur, der die Tibeter haßte,
seitdem sie uns den Weg nach Lhasa versperrt hatten, einen der Männer
mit seiner Reitpeitsche traktiert hatte, ließen sie mit sich reden und
gaben eine Schüssel Milch und ein Schaf her. Sie hatten sich erst ganz
kürzlich in der Gegend niedergelassen, so daß sie noch keine Zeit zur
Bereitung saurer Milch gehabt hatten; das noch frische, unberührte Gras
um ihr Zelt herum sprach für die Wahrheit dieser Aussage.

„Wohin reist ihr denn?“ fragte einer von ihnen.

„Nach Ladak“, antwortete der Lama.

„Dann seid ihr auf ganz verkehrtem Wege; nach Süden hin könnt ihr
nur noch eine Tagereise weit kommen, denn dort wird der Weg vom
Selling-tso, wo die Bevölkerung zahlreich ist, versperrt.“

Sie selbst waren Bantsching Bogdo in Taschi-lumpo untertan, wußten aber
nicht, wie viele Tagereisen es bis zu ihrem Tempel sei. Im Südosten
regiere der Dalai-Lama über das Gebiet von Lhasa, im Osten Kamba Bombo
über das von Nakktschu.

Mit sichtbarer Furcht näherten sie sich unserem Lager und wurden
aufgefordert, sich vor der einen Jurte auf einen Teppich zu setzen
(Abb. 262). Tee und Brot wurden ihnen vorgesetzt; nach einigem Zögern
langten sie tüchtig zu. Für das Schaf, das sofort unter muselmännischen
Zeremonien geschlachtet wurde, bezahlten wir sie mit Lhasageld, für
die Milch erhielten sie eine Porzellantasse. Pferde konnten sie nicht
verkaufen, weil die Herde ihnen nicht gehörte. Sie saßen die ganze
Zeit wie auf Kohlen, obwohl der Lama sie zu beruhigen suchte und
versicherte, daß ihnen kein Leid geschehen solle.

Als wir genug von ihnen hatten, ließen wir sie gehen, und sie schwangen
sich sofort in den Sattel. Inzwischen war der photographische Apparat
aufgestellt worden, und der Lama hielt sie, den Zügel des einen Pferdes
ergreifend, diplomatisch mit einer letzten Frage fest, so daß ich diese
drei halbwilden, barhäuptigen, mit Säbeln bewaffneten Reiter noch
abknipsen konnte, die nun auf der Abbildung 263 verewigt sind.

Sobald er aber den Zügel losgelassen hatte, schwenkten sie herum und
jagten spornstreichs davon, wobei sie sich umsahen, als glaubten sie,
daß ihnen eine Flintenkugel folgen würde. Als sie außer Schußweite
waren, ritten sie langsamer und sprachen eifrig miteinander; gewiß
fragten sie sich, was wir wohl für seltsame Menschen sein könnten, da
wir ihnen gegenüber so anständig gewesen seien.

Am 3. September legten wir 29 Kilometer in südsüdwestlicher Richtung
zurück, auf flachem, offenem, gleichmäßig ebenem Lande, das reich an
Tümpeln und kleinen Seen war und oft ganz vorzügliches Gras aufzuweisen
hatte. Keine Hindernisse stellten sich uns in den Weg, und ich nahm
als selbstverständlich an, daß der Selling-tso jetzt zwischen uns und
den niedrigen Bergen, die sich im Süden nur undeutlich erkennen ließen,
liegen müsse. Wir blieben beisammen, und die kranken Kamele folgten
standhaft der Karawane. Hier und dort sahen wir große Schafherden mit
ihren Wächtern, aber ohne Hunde. Letztere gab es nur bei den Zelten.
Aus einem Zelte holten der Lama und Schagdur eine Domba sauere Milch.
Nach und nach werden die schwarzen Nomadenzelte immer zahlreicher (Abb.
265) und bilden bisweilen sogar Dörfer. In einem solchen Dorfe machten
die Kosaken einen Besuch, und als sie es verließen, folgte ihnen ein
Pferd, das besonders munter erschien. Sein Besitzer, ein anderer Mann,
ein altes Weib, zwei junge Mädchen und ein Junge liefen mit einem
Stricke hinterdrein, um es einzufangen. Doch der Gaul zog es vor, sich
ganz zu uns zu gesellen, und wir mußten den Tibetern schließlich wieder
zu ihrem Eigentum verhelfen.

Die jungen Mädchen hatten ihr Haar in zahllose kleine Zöpfe geflochten,
die vom Scheitel wie Radien auf den Rücken und nach den Seiten
herunterhingen und unten der Reihe nach an einen Streifen roten, mit
allerlei Zierraten besetzten Zeuges befestigt waren (Abb. 264). Von
der Mitte dieses Streifens hing ein breites, buntes, gesticktes Band
den Rücken herab. Im übrigen waren sie barhäuptig und trugen gleich
den Männern Pelze und Stiefeln. Wo die natürlichen Rosen der Wangen
ihren Platz hätten haben müssen, hatten sie die Haut mit irgendeiner
rotbraunen Farbe eingeschmiert und hierdurch ein Paar glänzender,
dicker Firniskrusten zustande gebracht. Einigen von ihren schwarzen
Yaken wurde von unseren Hunden sehr zugesetzt. Die Tiere waren jedoch
so klug, sich in die Mitte eines Tümpels zu flüchten, und blieben erst
stehen, als ihnen das Wasser bis an den Unterkiefer ging, während die
Hunde sie schwimmend umschwärmten. Nun hatten die Yake nur den Kopf zu
verteidigen, und an diesem saßen die achtunggebietenden Hörner. Diese
improvisierte Wasserpantomime rief in der Karawane große Heiterkeit
hervor.

Schon frühmorgens waren sechs Soldaten mit weißen Hüten und Gewehren
wie aus dem Erdboden aufgetaucht und uns auf unserer linken Seite, aber
in gebührender Entfernung gefolgt. Jetzt zeigte sich rechts von uns
eine neue Schar von sieben Mann. Die erste Truppe ritt auf einem großen
Umwege weit hinter uns zu der letzteren hinüber, und nun umkreisten
sie die Karawane, bald vorn, bald hinten, bald rechts, bald links,
zuweilen langsam, zuweilen im Galopp, und führten eine Art Kampfübungen
auf, die, wie ich vermute, uns Schrecken einjagen sollten. Da es ihnen
nicht gelang, uns zu imponieren, und wir ruhig unseren Weg nach Süden
fortsetzten, näherten sie sich von hinten bis auf ein paar hundert
Meter Entfernung und redeten unter lebhaftem Gestikulieren mit dem Lama
und Schagdur, die zurückgeblieben waren. Bei einem der Zelte saßen sie
ab und gingen hinein.

Inzwischen gelangten wir an das Ufer eines gewaltigen Flusses, der von
Osten kommt und in dem ich bald den +Satschu-sangpo+ wiedererkannte.
Jetzt war die Frage, ob es uns gelingen würde, dieses gewaltige Bett zu
passieren. Die Kosaken sollten, während wir am Ufer warteten, eine Furt
suchen. Da, wo wir Halt gemacht hatten, teilte eine Schlamminsel den
Fluß in zwei Arme; hier probierte es Ördek nackt mit dem Durchwaten. In
dem ersten Arme stieg ihm das Wasser bis an den Hals, in dem zweiten
nur bis an die Achselhöhlen. Als er umkehrte, versuchte er es an einer
anderen Stelle, wo er aber schwimmen mußte. Hier war das Überführen
der Kamele also unmöglich, um so mehr, als der Boden aus tückischem
Schlamme bestand.

Unterdessen waren die Tibeter auch angelangt und auf einen Hügel am
Ufer geritten, wo sie mit lautem Geschrei einen Obo begrüßten und von
wo aus sie unsere verzweifelten Versuche, hinüberzukommen, mit größtem
Interesse beobachteten. Es lag natürlich nicht in ihrem Interesse, uns
Auskunft zu erteilen, und wir fragten sie auch nicht um Rat.

Nach einem kurzen Marsche flußabwärts kommandierte ich Halt und ließ
das Lager aufschlagen. Das Boot wurde zusammengesetzt, und mit Ördek
als Ruderer maß ich die Tiefen. An einer geeigneten Stelle wollten wir
am folgenden Morgen hinübergehen. Die Kamele sollten unbeladen und ohne
Packsättel hinüberwaten und sämtliches Gepäck mit dem Boote befördert
werden. Ein mehrfaches Seil wurde quer über den Fluß gespannt. Die
Tibeter saßen jetzt unterhalb des Lagers, waren mäuschenstill und
augenscheinlich über das Rätsel betroffen, wie wir ein ganzes Boot
hatten hervorzaubern können. Wir beabsichtigten anfangs, den Übergang
in stiller, dunkler Nacht zu bewerkstelligen und am nächsten Morgen
verschwunden zu sein, doch daraus wurde nichts, weil wir fürchteten,
daß die Kamele sich erkälten könnten. Am Abend beschloß ich, überhaupt
nicht über den Fluß zu gehen, sondern seinem rechten Ufer bis zu seiner
Mündung in den Selling-tso zu folgen und darauf am Westufer des Sees
entlang zu ziehen, weil Littledale schon längs des östlichen gegangen
war.

Der Abend war still und klar, und die Stille wurde nur durch das
Rauschen des Flusses, die Töne der Balalaika und das Bellen der Hunde
in den Zelthöfen der Tibeter unterbrochen.

Die ganze Nacht blieben die Tibeter auf einem Hügel nordöstlich vom
Lager liegen, wo auch ihr Wachtfeuer brannte.

[Illustration: 271. Kalpets Grab. (S. 271.)]

[Illustration: 272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates,
seine Pfeife rauchend. (S. 278.)]

Während wir am Morgen darauf mit einer Flußmessung beschäftigt
waren, die 68 Kubikmeter in der Sekunde ergab, langte der Häuptling
der Gegend mit einigen Soldaten an, ließ sich bei dem Lama nieder
und betrachtete unser Tun mit grenzenloser Verwunderung. Er bat
um genaue Auskunft über unsere Absichten und erklärte, falls wir
geraden Weges nach Ladak ziehen wollten, werde er uns Führer für zehn
Tagereisen besorgen und uns Pferde, Schafe und alles, was wir sonst
noch brauchten, verkaufen; sei es aber unsere Absicht, nach Lhasa zu
gehen, so müsse er erst einen Kurier dorthin senden und wir hätten die
Antwort abzuwarten, die vielleicht erst in einem Monat käme. Gingen
wir ohne weiteres nach Lhasa, so werde er den Nomaden in der Gegend
verbieten, uns überhaupt etwas zu verkaufen, und er werde mit seinen
Soldaten alles tun, um unser Vordringen zu hindern. Täte er dies nicht,
so würden sowohl er wie seine Leute den Kopf verlieren. Als ich sagte,
da würde ihnen recht geschehen, bemerkte er lachend, für uns wäre das
freilich vorteilhaft, für sie selbst aber sehr unangenehm. Schließlich
teilte ich ihm mit, daß wir weder ihn noch seinen Führer brauchten, da
wir selbst wüßten, wohin wir zu ziehen gedächten.

„Ja“, antwortete er unerschrocken, „ihr könnt uns das Leben nehmen,
aber solange wir es noch besitzen, werden wir versuchen, euer
Vordringen nach Süden zu verhindern.“

Die Kamele wurden eingetrieben, und die Karawane hatte Befehl, so
nahe wie möglich längs des rechten Flußufers zu marschieren, während
ich und Ördek das Boot bestiegen, um uns von der Strömung nach Westen
treiben zu lassen. Mein Sitzplatz war außerordentlich bequem von Kissen
und Decken hergestellt, und der Sicherheit halber hatten wir Proviant
mitgenommen. Es wurde eine jener unvergeßlichen, herrlichen Fahrten wie
vor zwei Jahren auf der Fähre; ich saß in schönster Ruhe und ließ die
Landschaft an mir vorüberziehen.

Gerade unterhalb des Lagers machte der Fluß eine scharfe Biegung, so
daß wir eine Weile sogar nach Ostnordost trieben. Der Wachthügel der
Tibeter bestand aus Konglomerat und rotem und grünem Sandstein und
fiel gerade in der Biegung, wo der Fluß schmal war, steil ins Wasser
hinunter. Die Strömung war dort ziemlich stark, und als das Boot
unmittelbar unter der steilen Wand hinstrich, stimmten die Tibeter ein
wildes Geheul an; man konnte befürchten, daß sie uns mit einem Regen
von Sandsteinblöcken bombardieren würden. Wir atmeten daher erleichtert
auf, als wir unverletzt an ihnen vorbeigekommen waren.

Nachher geht der Fluß nirgends durch anstehendes Gestein und wird
ziemlich gerade. Er wird von 4-5 Meter hohen Uferterrassen von Lehm
eingefaßt, und das Land wird immer flacher und öder. Das Bett
verbreitert sich immer mehr und wird immer reicher an Schlamminseln,
die die Wassermasse in mehrere Arme teilen. Ördek half mit dem Ruder,
und wir trieben in schwindelnder Fahrt den Satschu-sangpo hinunter;
es war herrlich, aber wie selten kommt es vor, daß ein großer Fluß so
liebenswürdig ist, gerade in der Richtung unseres Weges zu strömen!

Seine trübe Flut schwenkt dann nach Südwesten ab. Rechts haben wir eine
kleinere Bergkette, in deren Tälern mehrere von Schaf- und Yakherden
umgebene Zelte liegen. Der hohe Uferwall entzog die Karawane unseren
Blicken, aber Tschernoff, der uns zu Pferde begleitete, hielt die
Verbindung zwischen uns und ihr aufrecht. Am Nachmittag wurde das
Wetter ungünstig, denn es erhob sich ein so starker Südwestwind, daß
der Fluß Wellen schlug und die Fahrt gehindert wurde. Ganze Wolken von
Sand und Staub wehten uns entgegen. Wir hatten jedoch einen so großen
Vorsprung, daß wir ein paarmal auf die Karawane, die noch immer von den
Tibetern verfolgt wurde, warten mußten. An dem letzten Punkte, wo Gras
zu sehen war, machten wir am rechten Ufer Halt, und hier ließen sich
auch die Tibeter nieder.

Jetzt, da sie nicht über Pässe zu gehen brauchten, hielten sich die
kranken Kamele noch immer aufrecht. Muhammed Tokta war erschöpft und
schien ein Herzleiden zu haben. Mit Kalpet war es noch ebenso, er war
still und wortkarg und hatte keine Freunde unter den anderen, die auch
behaupteten, daß er gar nicht krank sei, sondern sich nur verstelle,
damit er immer reiten dürfe und nicht zu arbeiten brauche. Einer der
Kameraden schlug ihn sogar deshalb, weil die anderen nun die Arbeit
übernehmen sollten, die er bisher getan hatte. Ich wußte nicht, was ich
glauben sollte, aber merkwürdig kam mir die Sache vor, denn der Mann
hatte einen riesigen Appetit. Glücklicherweise machte ich ihm keine
Vorwürfe, sondern bat nur Tschernoff, ihn zu beobachten. Ich würde es
später sehr bereut haben, wenn ich unfreundlich gegen ihn gewesen wäre,
denn er war wirklich krank, und unter den anderen war keiner, der seine
Partei nahm.

Am Morgen des 5. September sah es drohend aus, aber der Tag wurde klar;
leider hatten wir schon von Mittag an starken Gegenwind, doch die Luft
wurde immer reiner, und man konnte merken, daß der Wind über einen
gewaltigen See hingestrichen war und nicht aus der Steppe stammte.
Über mehreren Sandsteinschwellen bildeten sich Stromschnellen, die wir
jedoch mit Leichtigkeit passieren konnten. Der Satschu-sangpo ist hier
eng und eingeklemmt. Zahllose Schluchten münden wie enge Korridore und
Gänge auf beiden Seiten des Flusses. Man merkt deutlich, daß der See
einst viel größer gewesen sein muß und daß der Fluß jetzt die alten
Sedimente des Sees durchfließt. Die Höhe der Uferterrassen beträgt 6,7
Meter, und sie sind oft senkrecht.

Nach einer scharfen, zeitraubenden Biegung nach Nordosten strömt der
Fluß beinahe schnurgerade nach Süden. Nur ein paar Schlammhalbinseln
sind vorhanden. Die Terrassen sind bis 8 Meter hoch, werden aber in
demselben Verhältnisse niedriger, wie sich die Breite des Bettes von
100 Meter auf 400 Meter vergrößert. Der Wind weht gerade in diesen
eigentümlichen Abflußkanal hinein. Die Jolle stampft fühlbar, und die
Fahrgeschwindigkeit ist unbedeutend, obgleich Ördek mit dem Ruder
unverdrossen arbeitet. Fern im Süden verschwinden die markierten Linien
der Terrassen, eine grenzenlose Perspektive öffnet sich großartig und
bezaubernd. Die Breite beträgt jetzt wohl 500 Meter und die Tiefe
ziemlich gleichmäßig etwa 1 Meter; die Terrassen werden noch niedriger
und sind schließlich nur 1 Meter und noch weniger hoch. Weit konnte es
nach dem Selling-tso nicht mehr sein, wie weit aber, war unmöglich zu
bestimmen, denn die Luftspiegelung über den Wasserflächen erlaubte uns
kein Urteil. Nur die am Ostufer des Sees liegende Bergkette zeichnete
sich deutlich ab, aber sie schien über dem Boden zu schweben und
auf einer Luftschicht zu ruhen, die auf verwirrende Art spielte und
zitterte. Ebenso ist es mit den Kamelen, die zwei Kilometer westlich
von uns marschieren; sie scheinen auf langen, schmalen Stelzen zu
gehen, und die ganze Karawane schwebt gleichsam in der Luft.

Nun aber öffnet sich der Fluß trompetenförmig zu einem großartigen
Ästuarium; die Breite vergrößert sich auf 1 und 2 Kilometer,
schließlich verschwinden auf beiden Seiten die Ufer, und vor uns
dehnt sich die gewaltige, blaugrüne Fläche des +Selling-tso+ aus. Die
Flußterrasse hatte ebenfalls von 1 Meter bis 10 Zentimeter an Höhe
abgenommen, und schließlich lag der Schlamm mit dem Wasserspiegel in
gleicher Höhe. Noch fuhren wir jedoch auf Flußwasser, das im Gegensatz
zu dem herrlichen, frischen und sicherlich salzigen Wasser dort draußen
grau und trübe aussah. Zunächst war der See so flach, daß wir einen
weiten Umweg machen mußten, um an das nordwestliche Ufer gelangen zu
können, wo einige der Unseren mit Pferden warteten, um uns und das
Boot nach dem Lager zu befördern. Der Südwind war jetzt so frisch,
daß der See sich mit Schaumköpfen bedeckte, und wir hielten es für
geraten, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und das Boot in eine Bucht
hineinzuschleppen. Eine Stunde später waren wir wohlbehalten in dem
neuen Lager, in dessen Nähe drei tibetische Zelte aufgeschlagen waren.

Die Karawane hatte ebenfalls einen guten Tag gehabt, obwohl die Tibeter
sich mausig gemacht hatten. Bei zwei Gelegenheiten waren die Kosaken
nach in der Nähe liegenden Zelten geritten, um Proviant zu kaufen,
sofort aber waren die Späher ihnen zuvorgekommen und hatten jeglichen
Handel untersagt. Die Kosaken waren einer Karawane von 200 Schafen
mit Salzlasten begegnet und hatten auch mit den Besitzern verhandelt.
Sogleich war der Anführer erschienen und hatte in gebieterischem Ton
mit seinen Landsleuten gesprochen, was zur Folge hatte, daß diese
durchaus nicht zu bewegen gewesen waren, etwas zu verkaufen. Die
Kosaken, die von Natur hitziger waren als ich, ließen darauf den
Tibetern durch den Lama sagen, daß sie sich, wenn sie uns nur folgten,
um uns am Kaufen von Lebensmitteln zu verhindern, künftig gefälligst
außer Schußweite halten möchten, denn sonst würden sie augenblicklich
niedergeschossen werden. Da verschwanden sie denn auch spurlos für den
Rest des Tages. Dank diesem Manöver konnte die Karawane ungehindert
nach den drei Zelten gelangen, wo sie freundlich von den zwölf
Bewohnern empfangen wurde, welche sehr entgegenkommend waren und gern
ein Schaf, Milch, Butter und Fett verkauften. Sie hatten noch keinen
Befehl von dem hartherzigen Häuptlinge erhalten, der uns aus dem Lande
hinaushungern zu können glaubte. Als sie uns nachher besuchten, wurden
sie mit Tee, Brot und Tabak bewirtet, erhielten kleine Geschenke, wie
einige Messer, einen Kompaß und ein paar Stücke Zeug, und sie waren
über die Maßen entzückt. Ihre Gegend nannten sie +Schannig-nagbo+ (die
schwarze Mütze).

Während des Rasttages herrschte heftiger Wind, Gewitter und Hagel.
Ich hielt es für klug, nun, da sich die Gelegenheit bot, noch einige
Schafe zu kaufen und den Proviant zu vermehren. Dies geschah noch im
letzten Augenblick, denn schon um 9 Uhr langte eine Reiterschar von
etwas über 50 Mann an; sie schlugen ein paar Kilometer von uns zwei
Zelte mit blauweißen Dächern auf. Erst gegen 1 Uhr ließen sie etwas von
sich hören und unterhandelten auf neutralem Gebiete zwischen beiden
Lagern mit dem Lama. Auf ihre Botschaft ließ ich antworten, daß ich,
wenn es ihrem vornehmsten Anführer nicht beliebe, sich persönlich
bei mir einzustellen, überhaupt nicht mit ihnen unterhandeln würde.
Er kam auch, von zehn mit Säbeln bewaffneten Leuten begleitet. Nur
mit Schwierigkeit konnten wir sie dazu bewegen, in das Küchenzelt
einzutreten, wo auf einem Sessel Tee, Brot und Tabak aufgetragen waren,
doch sie rührten die Bewirtung nicht an, -- sie dachten wohl, daß sie
von Menschen, die ohne Erlaubnis im Lande umherzogen, schicklicherweise
nichts annehmen dürften.

[Illustration: 273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk
Tsering. (S. 279.)]

[Illustration: 274. Hladsche Tsering und Junduk Tsering. (S. 279.)]

[Illustration: 275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso. (S.
289.)]

Nun entspann sich die gewöhnliche zwecklose Unterhandlung. Der alte
Häuptling, der übrigens ein sehr netter, liebenswürdiger Herr von
angenehmem Äußern und aufrichtig in seiner Rede war, bat, als alles
nichts half, wir möchten doch wenigstens noch vier Tage hierbleiben,
während er Kuriere nach Lhasa senden und die Antwort des Dewaschung
oder „Heiligen Rates“ in jener Stadt erwarten wolle. Ich sagte ihm, wir
hätten keine Zeit dazu und gedächten morgen südwärts weiterzuziehen.

„Dann folgen wir euch, und wir werden euch schon daran verhindern, nach
Lhasa zu gehen; wir erhalten bald Verstärkung.“

„Wenn ihr uns daran verhindern wollt“, antwortete ich, „so müßt ihr
schießen, bedenkt aber, daß auch wir Gewehre haben.“

Da schüttelte der alte Mann den Kopf und versicherte, daß sie nie
daran gedacht hätten, zu schießen, und fügte hinzu, daß so harte Worte
zwischen uns nicht gewechselt zu werden brauchten. Ein paar Geschenke,
die ihm angeboten wurden, schlug er aus, fügte aber hinzu:

„Wenn ihr hier vier Tage wartet, werde ich eure Gaben mit Vergnügen
annehmen und erwidern, außerdem sollt ihr alles haben, was ihr für die
Reise nach Ladak an Proviant und Karawanentieren braucht.“ --

Am Abend kam Kalpet in mein Zelt und beklagte sich schluchzend, daß
einer der Leute ihn geschlagen habe. Ich hielt ein Verhör ab und
ermahnte alle, freundlich gegen ihn zu sein, und Tschernoff, welcher
der Oberaufseher der Karawane war, erhielt noch speziell den Auftrag,
ihn zu pflegen. Der Mann tat mir schrecklich leid, denn er war eine
Verkörperung der trostlosesten Verlassenheit, und nie werde ich den
kummervollen Blick vergessen, der in seinem Auge lag und der sich in
unendliche Dankbarkeit verwandelte, als ich seine Partei nahm und ihn
mit den geeignetsten Drogen der Arzneikiste behandelte. Als ich ihn
später besuchte, aß er mit gutem Appetit Reispudding, und ich glaubte,
daß er an vorübergehender Bergkrankheit leide.



Einundzwanzigstes Kapitel.

Tibetische Truppen versperren uns wieder den Weg.


Einer der Kamelveteranen von Kaschgar, der mehrere unserer Wüstenreisen
mitgemacht hatte, war nicht mehr imstande, sich zu erheben, als wir
am 7. September vom Lager 75 und den Steppen der „schwarzen Mütze“
fortzogen. Er wurde daher getötet; sein Skelett sollte als Andenken an
unseren Besuch liegenbleiben.

Als die Karawane beladen wurde, kam der Bombo und machte einen letzten
verzweifelten Versuch, uns zum Bleiben zu bewegen. Ich erklärte ihm
rund heraus, daß unser Weg nach Süden führe. Da schwieg er und ging
seiner Wege.

Wir folgten nun auf hartem, ebenem, vortrefflichem Boden dem Seeufer
nach Westsüdwest. Rechts von unserem Wege erhebt sich ein jäh
abfallender Landrücken, an dessen Fuß die Tibeter entlangreiten,
-- sie sind jetzt 63 Mann stark. An einem Punkte, wo der See nach
dieser Richtung hin ein Ende zu haben schien, zeigte die Weide ganz
vortreffliches, dichtes, üppiges Gras; daher rasteten wir dort der
Tiere wegen eine Weile. Nun kamen die Tibeter ebenfalls herangesprengt,
schlugen in unserer Nähe ihre Zelte auf, sattelten ihre Pferde ab
und ließen sie grasen. Sie nahmen wohl fest an, daß auch wir hier
lagern würden. Bald darauf zeigten ihre Feuer, daß sie zu frühstücken
beabsichtigten.

Unsere verdutzten Späher zurücklassend, steuern wir nach Südwesten,
während das Seeufer nach Süden und Osten umbiegt. Wir gingen über
vier alte Uferlinien, die außerordentlich deutlich von mächtigen
Kieswällen markiert wurden, deren letzter und höchster sich wohl 50
Meter über den jetzigen Spiegel des Sees erhob. Von dem Walle hatten
wir eine prächtige Aussicht über die blaue, klare Wasserfläche des
+Selling-tso+. Dieser scharfsalzige See ist also in energischem
Abnehmen begriffen; er schrumpft periodenweise zusammen und hinterläßt
die Wälle als unverkennbare Wahrzeichen seiner früheren Ausdehnung.

Das vor uns liegende Terrain ist jetzt ziemlich eben, bis wir einen
neuen Wall erreichen, der nach Nordwesten abfällt, wo sich wieder
ein See zeigt. Darauf stehen wir am Rande einer außerordentlich
eigentümlichen Bodensenkung, einer eiförmigen Arena, in deren Mitte
einige Süßwassertümpel liegen. Unmittelbar südlich erhebt sich ein
Bergrücken, der sich in westöstlicher Richtung hinzieht und dessen
senkrechte Seitenwände einige hundert Meter hoch sind. Wir zogen nach
seinem westlichen Ende. Jetzt tauchten auf einem Hügel acht Tibeter auf
und beobachteten uns von dort. Als sie bald darauf wieder verschwanden,
ahnte ich, daß wir uns auf einer Halbinsel befanden und daß sie
glaubten, uns vorläufig wie in einem Sacke gefangen zu haben.

Sirkin und Schagdur wurden daher vorausgeschickt, um zu rekognoszieren,
indes wir langsam weiterzogen. An dem Punkte, wo die Felswand jäh in
das Wasser fällt, kamen sie uns entgegen und erklärten, es sei noch
derselbe See. Wir waren also auf einer Halbinsel gewandert, die ihre
felsgekrönte Front nach Süden kehrt. Es war immerhin den Umweg wert,
daß ich die Karte auch an diesem Punkte vervollständigen konnte. In
schönster Ruhe wandten wir uns um nach Nordnordosten und entfernten uns
ein wenig vom Ufer des Selling-tso.

In einer Felsschlucht „fand“ Tscherdon zehn mit Fett gefüllte
Schafmagen und nahm vier davon mit. Ganz dicht bei einem am Ufer
liegenden kleinen Zeltdorfe lagerten wir. Die Gegend hieß +Tang-le+;
die Bewohner waren nette Leute, weigerten sich aber ganz entschieden,
etwas zu verkaufen. Ich zeigte ihnen die Fettmagen und fragte, was sie
kosteten. Drei Tsos (die landesübliche Silbermünze in Lhasa, zirka 60
Pfennig) das Stück, antworteten sie; da mir aber der Preis viel zu hoch
war, gab ich ihnen ihr Fett wieder und ließ sie gehen, nachdem sie die
Bemerkung des Lama, daß, wenn wir nicht so gute Menschen gewesen wären,
wie wir nun einmal seien, wir alle zehn Magen einfach hätten behalten
können, gleichgültig angehört hatten, ohne ein Wort zu sagen.

Die Tibeter lagerten ein paar Kilometer von uns, außer fünfzehn Mann,
die ihr Zeltdorf bei unserem Lager aufschlugen. Im Laufe des Abends
führten sie verschiedene Manöver und Kampfspiele aus und schossen
nach der Scheibe. Beinahe den ganzen Tag fiel dichter Regen, und ein
paarmal fuhren heftige Windstöße mit solcher Gewalt über das Land
hin, daß wir Halt machen und warten mußten. Mit Kalpet wurde es immer
schlechter, er mußte auf seinem Reitpferde festgebunden werden, um
nicht herabzufallen. Tschernoff war sein Krankenpfleger und ritt neben
ihm. Am nächsten Morgen bat der Kranke, zurückgelassen zu werden,
welche Bitte natürlich nicht gewährt wurde. Statt dessen wurde er so
bequem wie möglich zwischen zwei Zeltballen auf ein Kamel gebettet.

Wenn nicht so frischer Wind gegangen wäre, würde ich den Weg über
den See eingeschlagen haben, nun aber mußte ich mit der Karawane
am Nordufer, das sich ziemlich gerade nach Westen hinzieht,
entlangmarschieren. Sobald wir anfingen zu beladen, machten sich auch
die Tibeter bereit, und nach einem Marsche von einigen Kilometern ritt
unser alter Bombo mit zwölf Mann an uns heran und machte einen letzten
verzweifelten Versuch, uns zu bewegen, geraden Weges nach Ladak zu
ziehen. Als ich ihm jedoch sagte, ich ginge, wohin es mir passe, und
er würde uns keine Furcht einjagen können, wenn er auch zehntausend
Mann aufböte, sah er sehr niedergeschlagen aus und teilte mir mit,
er werde uns jetzt unserem Schicksal überlassen und nach seinen
Zelten im Nordwesten zurückreiten, worauf ich ihm glückliche Reise
wünschte. Die Schar verschwand denn auch in jener Richtung, und es war
wirklich schön, im Laufe des Tages unbelästigt zu bleiben. Erst gegen
Abend tauchten in der Ferne zwei Reiter auf, offenbar Kundschafter,
verschwanden aber wieder zwischen den nördlich von unserem Wege
liegenden Hügeln.

Auch hier sind alte Uferwälle deutlich ausgeprägt, manchmal kann man
auf einem solchen stundenlang wie auf einer Straße reiten. Nach Süden
hin erstreckt der See seinen gewaltigen, blau und grün schillernden
Spiegel bis in die weite Ferne.

Schließlich biegt das Seeufer nach Südwesten und Südsüdwesten ab.
Zwischen einem Gewirr von Schlamminseln war das Wasser süß, hier
mußte also ein Fluß münden. In kurzem gelangten wir an sein Ufer, und
Schagdur machte bald eine vortreffliche Furt mit hartem Kiesboden
ausfindig. Das Wasser war kristallklar, der Fluß mußte also von einem
weiter aufwärts im Tale gelegenen See kommen. Beim Rekognoszieren hatte
Schagdur einige Wildenten gesehen und vier geschossen, die flußabwärts
trieben und von uns aufgefischt wurden. Zwei anderen, die nur verwundet
waren, gelang es, an uns vorbei nach der Mündung zu kommen. Tscherdon
ritt jedoch kühn mitten in den Fluß hinein und köpfte die eine mit
seinem Säbel. Die andere verschwand zwischen den unzähligen Möwen, die
sich in dem Mündungsgebiet aufhielten und das Wasser weißgetüpfelt
erscheinen ließen. Ihre Anwesenheit schien auf das Vorkommen von
Fischen in diesem Flusse hinzudeuten. Der Platz war viel zu einladend,
als daß wir daran hätten vorbeigehen können; wir lagerten auf dem
Gipfel der rechten Uferterrasse.

[Illustration: „... und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und
durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“]

Kaum war das Lager errichtet (Abb. 266), so sahen wir schwarze Linien
im Nordwesten und Nordosten. Es waren unsere zudringlichen Wachen; von
Nordwesten kamen 53, von Nordosten 13, sie hatten jetzt eine nicht
geringe Anzahl Packpferde bei sich. Sie waren augenscheinlich nur
fortgewesen, um sich zu verproviantieren und sich für einen längeren
Feldzug zu rüsten. Sie gingen an derselben Stelle wie wir über den
Fluß und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und durch die Zelte,
als wollten sie uns niederreiten! (S. bunte Tafel.) Doch, während sie
heulten und ihre Lanzen über dem Kopfe schwangen, schienen sie uns
nicht zu bemerken; sie streiften uns mit keinem Blicke, sondern ritten
nur vorbei wie ein Wirbelwind, wie eine rollende Lawine. Die Schar sah
malerisch aus in ihren bunten Gewändern und oft recht schönen Säbeln,
ihren an den Gabelenden der Flinten befestigten weißen und roten
Fähnchen und den Schwertern in silbernen Scheiden.

Im Südwesten von uns machten sie zu einer längeren Beratung Halt. Drei
Männer traten vor, und die anderen sammelten sich in drei verschiedene
Gruppen um sie, wie es schien, um zu lernen, wie mit Flinten umgegangen
wird, denn diese waren die ganze Zeit über Anschauungsmaterial. Von
Zeit zu Zeit stießen alle auf einmal ein seltsames Geheul aus. Dann
wurden die Zelte aufgeschlagen, und die Männer ließen sich an ihren
Feuern nieder.

Das Lager der Tibeter war auf einer unbedeutenden Anhöhe, die unsere
Zelte beherrschte, aufgeschlagen, und die Kosaken hatten beobachtet,
daß alle Flinten in eine Reihe mit der Mündung nach unserem Lager
gelegt worden waren. Sie meinten, es sehe aus wie eine Schützenlinie
und es sei nicht unmöglich, daß wir über Nacht einem mörderischen
Feuer ausgesetzt werden sollten. Daher begab ich mich, als es dunkel
geworden war, mit dem Lama und Schagdur nach dem Lager der Tibeter
und ging in das Zelt des Bombo, wo ich höflich bewillkommnet und mir
Tee und Tsamba vorgesetzt wurden. Innerhalb einer Minute war das
Zelt vollgepfropft von Tibetern. Ich weigerte mich, an der Mahlzeit
teilzunehmen, weil, wie ich sagte, der Bombo nicht angerührt habe, was
ihm bei uns angeboten worden sei. „Re, re, re“, rief er („Wahr, wahr,
wahr“). Er fragte nach meinem Namen, und ich erwiderte ihm, daß er ihn
erfahren solle, wenn er mir sage, wie der Fluß heiße; er hatte aber
keine Lust, auf den Tausch einzugehen. Später erfuhren wir jedoch, daß
der Fluß +Jaggju-rappga+ hieß. Auf meine Frage, ob es im Flusse Fische
gebe, wurde mir geantwortet. „Ja, in großer Menge.“ Ich versprach,
den nächsten Tag hierzubleiben, aber nur unter der Bedingung, daß sie
mir, um die Wahrheit ihrer Worte zu beweisen, bei Sonnenaufgang einen
mittelgroßen Fisch in mein Zelt brächten. Sie versprachen, ihr Bestes
zu tun, und erhielten leihweise ein Netz, von dem sie aber gar nicht
wußten, wie sie es benutzen sollten.

Am frühen Morgen erschienen vor meinem Zelt einige Tibeter mit
dem Netze, in dessen Maschen ein kleiner Fisch gefangen war. Sie
waren mit ihrer Beute sehr zufrieden und versicherten, daß sie
bei dem Fange beinahe umgekommen seien. Unsere Wachtposten hatten
indessen beobachtet, daß einige Tibeter sich mit Tagesgrauen nach
der Flußmündung begeben und dort eine Möwe belauert hatten, als sie
gerade einen Fisch gefangen hatte. Diese hatten sie durch Steinwürfe
gezwungen, ihre Beute an einer leicht erreichbaren Stelle fallen zu
lassen. Unserem Versprechen gemäß blieben wir auf alle Fälle hier, um
zu fischen.

Tscherdon und alle Muselmänner, außer unseren erfahrenen Lopfischern
Kutschuk und Ördek, sollten das Lager bewachen; die drei übrigen
Kosaken durften mitkommen. Von einer Masse von Tibetern gefolgt und
von einem Kamele, welches das Boot trug, begleitet, ritten wir am
rechten Ufer aufwärts, bis wir an eine Biegung gelangten, wo der Fluß
zwei kleine Wasserfälle bildet, von denen der obere meterhoch ist, der
untere aber nur 30 Zentimeter Fallhöhe hat. Hier donnert und kocht
die Wassermasse in fest verkitteten Geröll- und Tonschlammschwellen.
Das Bett ist eng und so tief, daß das Wasser blauschwarz aussieht.
Unterhalb des unteren Wasserfalles bildet sich ein langsamer Wirbel,
in den das Netz vom Ufer aus spiralförmig hinabgesenkt wurde. Dadurch,
daß wir in einer Kurve ruderten, mit den Rudern schlugen, schrien und
lärmten, jagten wir die Fische in das Netz hinein und fingen jedesmal
zwei bis drei von ihnen. Nachdem ich 28 Stück gefangen hatte, ließ
ich die anderen weiterfischen. Die Kosaken angelten vom Ufer aus
und hatten auch guten Fang. Tschernoff schoß einige Wildenten, die
wir mit dem Boote auffingen. Kurz, wir hatten einen entzückenden,
erfrischenden Tag und eine angenehme Abwechslung nach den langen,
anstrengenden Karawanenmärschen. Daß der Hagel alle Augenblicke auf
uns niederprasselte, störte uns wenig; die Tibeter saßen auf der
Uferterrasse und glichen, schwarz wie sie waren, einer Reihe Krähen auf
einem Dachfirst.

Vom Fischereiplatze trieb ich mit schwindelnder Fahrt nach dem Lager
zurück. Eine Schar Wildenten flog eilig vor uns her; wir fuhren weiter
bis an die Stelle, wo sich der Fluß in den Selling-tso ergießt, und
von dort ging ich nach Hause, während Ördek die Jolle nach dem Lager
zurückrudern und stoßen mußte. Der Fluß sollte nämlich gemessen werden,
und dabei ergab sich, daß er 34,6 Kubikmeter Wasser in der Sekunde
führte.

Dreißig Tibeter mit dem Bombo an der Spitze besuchten mich am
Abend. Sie waren so freundlich, mir zwei Schafe und drei Kübel voll
prächtiger Milch zu schenken, wahrscheinlich als Belohnung dafür, daß
wir, wie sie uns gebeten hatten, einen Tag hiergeblieben waren. Sie
durften jetzt den Tönen der Spieldose lauschen und mehrere unserer
Sehenswürdigkeiten betrachten, und der Bombo nahm die Geschenke an,
die ihm angeboten wurden.

Die Kosaken sahen dem Scheibenschießen der Tibeter zu. Der Abstand
betrug nur 40 Meter, und ein kleines Holzbrett an einer Stange diente
als Scheibe. Von dreißig Schützen vermochten nur drei das Brett zu
treffen -- ein mehr als klägliches Resultat. Die Kosaken baten, auch
einen Versuch machen zu dürfen, aber darauf wollten sich die Schützen
durchaus nicht einlassen; sie fürchteten wohl, übertroffen zu werden.

Als ich am nächsten Morgen geweckt wurde, waren die Lopleute schon eine
gute Weile beim Fischen gewesen, und ich wies daher den Entenbraten,
der sonst hätte mein Frühstück bilden sollen, zurück.

Der Morgen versprach mehr, als der Tag halten konnte. Er war schön
und sonnig, aber kaum waren wir in Gang gekommen, so zogen die
schwarzblauen Wolkenwände, die am Horizonte lauerten, herauf und
entluden ihren Inhalt. Die Folge davon waren Hagel, Sturm, nasser
Schnee und Platzregen, so daß der Boden wieder naß und schlüpfrig
wurde. Der Tagemarsch war demnach in mehrerer Beziehung düster. Die
Tibeter ermüdeten uns mit ihrem ewigen Quälen, daß wir umkehren
sollten, und mit unseren beiden Kranken sah es auch schlecht aus;
besonders Kalpets Zustand hatte sich sehr verschlimmert.

Durch das natürliche, imposante Felsentor, das durch eine Unterbrechung
der im Süden des Jaggju-rappga-Tales liegenden Kette gebildet wird,
ziehen wir nach Südosten. Über den Klüften und Vorsprüngen zur Rechten
kreist ein Königsadler, wahrscheinlich derselbe, den wir gestern den
Wildenten hatten auflauern sehen. Die Felstauben, die zierlich und
elegant auf dem Boden trippelten, schienen vor dem Adler nicht den
geringsten Respekt zu haben. Kulane und Orongoantilopen zeigen sich
überall; sie, wie die Fische, scheinen gewohnt zu sein, daß sie von den
Menschen in Frieden gelassen werden. Auf Delikatessen verstehen sich
die Tibeter nicht. „Ebenso gut, wie man Fische ißt“, sagen sie, „könnte
man ja Schlangen und Eidechsen verzehren; das ist genau dasselbe.“

Die Bergkette zieht sich wie eine Halbinsel in den See hinein.
Auf ihrer Südseite reiten wir durch einen bedeutenden Fluß namens
+Alla-sangpo+, und zu unserer Linken dehnt sich wieder der marineblaue
Spiegel des Selling-tso aus. Hier und dort steht am Ufer ein Zelt.
Im Südwesten zeigt sich bisweilen eine verwirrende Welt von Bergen,
meistens aber verhüllen Regengüsse und Hagelschauer die Landschaft,
so daß Dämmerung herrscht und ich ausschließlich nach dem Kompaß
marschieren muß. Der Erdboden war ein einziger Sumpf. Die Tibeter
ritten einen anderen Weg, und wir zogen es schließlich vor, ihnen zu
folgen; doch jetzt machten sie Halt und meinten, daß wir uns selbst
helfen könnten! Am Ufer zeigten sich Massen von Wildgänsen, die noch
rechtzeitig vor unseren Gewehren flüchteten. Einen Augenblick klärte
es sich über dem ausgedehnten See auf, und wir konnten leicht mehrere
Stellen wiedererkennen, die wir am anderen Ufer passiert hatten,
besonders die kleine Bergkette auf der Halbinsel, auf der wir hatten
umkehren müssen.

Links lassen wir auch an unserem Ufer eine derartige kleinere Kette
hinter uns zurück. Wir beabsichtigten gerade, zu einer Schwelle
in Südsüdosten hinaufzuziehen, als Kutschuk und Chodai Kullu
heransprengten und atemlos verkündeten, daß es Kalpet sehr schlecht
gehe. Ich eilte dorthin und fand ihn mehr tot als lebendig inmitten
der anderen auf einer Decke am Boden liegen. Er bat um Wasser; da es
dieses in der Nähe nicht gab, durfte er so viel Milch trinken, als er
konnte. Seine Augen hatten einen strahlenden, intensiven, aber glasigen
Ausdruck; seine Gesichtsfarbe war gelb, die Lippen weiß.

An einem großen Tümpel mit Regenwasser lagerten wir bei strömendem
Regen. Eines der Zelte wurde als Lazarett eingerichtet, und hier fand
Kalpet Schutz vor der Witterung. Er lag ganz still und schien keine
Schmerzen zu fühlen. Eine leichte Dosis Morphium verhalf ihm zum
Schlaf. Der alte Muhammed Tokta, der auch ins Lazarett gebracht wurde,
hatte eine schauerliche Krankheit. Sein ganzer Leib war geschwollen und
sein Gesicht eine einzige Geschwulst; es war nicht gut für ihn, seinen
Unglücksgefährten mit dem Tode ringen zu sehen.

Auch heute Abend kam unser Bombo auf Besuch, und als wir ihn baten,
uns Milch aus dem nächsten Zeltdorfe zu besorgen, sagte er, daß die
Pocken dort grassierten; falls wir dorthin gehen wollten, könnten wir
es tun; er seinerseits danke dafür. Er brachte drei neue Gesichter
mit, darunter einen alten, sehr netten Lama. Sie erklärten, direkt
von den Gesandten zu kommen, die der Dalai-Lama ausgeschickt habe, um
uns zu verhindern, nach Lhasa zu gehen. Dann folgten die gewöhnlichen
Unterhandlungen und Bitten, daß wir doch um Himmels willen bleiben
möchten, wo wir seien, damit wir nicht nur uns, sondern auch sie nicht
ins Unglück stürzten. Die Gesandten von Lhasa seien nicht mehr weit
und würden in zwei Tagen hier eintreffen. Ich blieb unbeweglich und
sagte ihnen, es sei eine Schande, friedliche Gäste auf diese Weise
zu behandeln und uns mit Hunderten von bis an die Zähne bewaffneten
Spionen zu umgeben. Wir beabsichtigten nicht, Krieg zu führen, und
hätten alles, was wir gekauft, ehrlich bezahlt. Über unsere Pläne würde
ich nicht eher Auskunft geben, als bis die Gesandten angelangt seien.
Sie waren verblüfft und sahen sehr sorgenvoll aus.

Um 7 Uhr erhob sich ein so heftiger Sturm, daß das ganze Lager
fortzufliegen drohte und die Zelte von der Wucht des Hagels und Regens
beinahe zu Boden gedrückt wurden. Nach einem letzten Besuche im
Lazarettzelte (Abb. 267), wo Kalpet ruhig schlief und Muhammed Tokta
über sein Herz klagte, gingen wir zur Ruhe, um die Sorgen des Tages in
den Armen des Schlafes zu vergessen.

Sobald ich am 11. September aufgestanden war, besuchte ich die Kranken.
Muhammed Tokta war unverändert; er war bei klarem Bewußtsein und
scherzte sogar, hatte aber gemerkt, daß er allmählich das Gefühl in
den Fingern verlor. Schlimmer war es mit Kalpet. Er rang mühsam nach
Atem, seine Wangen waren eingefallen, aber die Augen hatten ihren
Glanz beibehalten. Es schien mit ihm zu Ende zu gehen, aber er sprach
vernünftig und sagte, er habe eine „kattik kessel“ (schwere Krankheit)
und sei noch kränker davon geworden, daß einer seiner Kameraden ihn
vor einigen Tagen geschlagen habe. In Wirklichkeit war es damit, wie
sich herausstellte, nicht so schlimm gewesen, aber die Erinnerung daran
erfüllte den Sterbenden ganz und gar, und er wußte von nichts anderem
zu reden. Der arme Kerl, der dies auf seinem Gewissen hatte, würde
jetzt viel darum gegeben haben, wenn er die Sache hätte ungeschehen
machen können.

Allmählich schwand das Bewußtsein; er sprach nicht mehr, war total
geistesabwesend und starrte in unbekannte Fernen, vielleicht nach dem
Paradiese, das der Prophet ihm versprochen hatte. Ich wollte den Tag
über hierbleiben, aber die Gegend war so erbärmlich, daß alle für das
Übersiedeln nach einem besseren Platze stimmten. Kalpet wurde daher
bequem und weich auf sein Kamel gebettet (Abb. 268), und der Zug setzte
sich wieder in Bewegung. Wir alle fühlten, daß heute der Tod mit der
Karawane zog, und die Stimmung war daher gedrückt und düster.

Es ging nach Südosten. Von der ersten kleinen Paßschwelle sahen
wir wieder einen außerordentlich schönen, von niedrigen Bergketten
eingefaßten See mit bizarren Ufern vor uns liegen. Das Wasser war
kristallhell; daß es diesmal nicht wieder der Selling-tso sein konnte,
merkte man bald, denn hier sah man sowohl Wasserpflanzen als auch
Fische, und das Wasser war so süß, wie das eines Flusses.

Das linke Seeufer sah bedenklich aus, denn steile Felsen fielen hier
jäh ins Wasser hinunter, und ich hielt es daher für das Klügste, Sirkin
und Schagdur auf Rekognoszierung auszuschicken. Inzwischen überfiel
uns ein gewaltiger Hagelsturm, und Kalpet wurde mit einem Filzteppiche
zugedeckt. Die drei neu angekommenen Tibeter ritten an mich heran, um
mir zu erklären, daß es auf dem Westufer keinen Durchgang gebe, doch
führe auf dem Nordufer ein Weg nach Osten, den wir benutzen könnten,
wenn wir durchaus weiter wollten. Ich ahnte sofort, daß etwas dahinter
liegen müsse; es blieb mir aber keine Wahl, um so mehr, als nachher die
Kosaken die Aussage der Tibeter bestätigten.

Wir zogen also längs des nördlichen Ufers weiter; es wurde eine
Wanderung in den schönsten Schlangenlinien. Ein gerade nach Osten
gehender Weg führte über die Hügel, aber die Tibeter hielten sich
hinter uns und hüteten sich wohl, ihn uns zu zeigen. Wir gingen
also am Strande entlang und nahmen so alle Buchten, Landzungen und
Halbinseln mit, ohne zu wissen, nach welcher Seite der See ausbog. Wenn
wir infolgedessen auch viele unnötige Schritte machten, so erhielt
ich doch wenigstens eine getreue Karte des launenhaften Sees, und
eine herrlichere Landschaft als diese hatten wir in Tibet noch nicht
gesehen. Nach allen Seiten hin öffneten sich großartige Perspektiven
in Buchten und Fjorde hinein, die zwischen malerischen, dekorativen
kleinen Bergketten mit steil nach dem See abfallenden Abhängen tief
in das Land einschnitten. Hier und dort tauchten kleine Inseln auf,
gewölbt wie Delphinrücken. Alte Uferlinien waren hier nicht zu sehen,
und das süße Wasser sprach dafür, daß der See, der +Nakktsong-tso+
heißt, Abfluß nach einem weiter südlich liegenden Salzsee hat.

Nachdem wir einige Stunden in allen möglichen Richtungen gewandert
waren, überraschten wir die Tibeter, die ihre Zelte am Ufer
aufgeschlagen hatten und ihre gewöhnliche Teerast hielten. Sie hatten
dadurch Zeit gewonnen, daß sie einen Richtweg hinter den Uferfelsen
benutzt hatten. Wir zogen an ihnen vorbei, bis der See definitiv
nach Südosten abzubiegen schien. Hier traten die Berge vom Ufer
zurück, das eben und mit festem Kiese bedeckt war und den Kamelen ein
vortreffliches Terrain bot. Am östlichen Ende des Sees lagerten wir bei
einem Zeltdorfe. Die Späher waren uns auch diesmal zuvorgekommen und
hatten schon ihre Zelte aufgeschlagen.

Kalpet hatte oft gesprochen und besonders Rosi Mollah, seinen Kerijaer
Landsmann, gerufen; er hatte um Wasser gebeten und darum, daß seine
Lage auf dem Kamele verändert werden möchte, wenn er sich auf einer
Seite müde gelegen hatte; manchmal rief er laut und deutlich, das Kamel
gehe zu schnell. Als er jedoch in der Nähe des Lagers längere Zeit
still gewesen war, hielt die Ambulanz, welche die Nachhut der Karawane
bildete, und Mollah horchte. Er holte mich sofort, und es war nicht
schwer zu konstatieren, daß mein armer Diener verschieden war. Sein
Ausdruck war ruhig und verklärt, aber die Augen hatten ihren Glanz
verloren. Er war schon kalt, obwohl es kaum eine Stunde her war, seit
er zuletzt um Wasser gebeten hatte. Mollah drückte ihm für immer die
Augen zu, und dann setzte die jetzt in einen Leichenzug verwandelte
Karawane ihren Weg fort. Die Muselmänner hatten, wie gewöhnlich,
gesungen, um sich den Marsch weniger langweilig zu machen; jetzt
aber wurde es still wie in einem Grabe, und nur die Tritte der Tiere
auf dem Sande und Kiese des Ufers und das keuchende Atmen der Kamele
unterbrachen das Schweigen. Wir standen wieder vor dem furchtbaren,
erbarmungslosen Ernste des Todes, und wieder führten wir einen Toten
auf einem lebendigen Katafalke mit uns (Abb. 270).

Als wir an den Zelten der Tibeter vorbeizogen, kamen diese uns
entgegen, um uns zu sagen, daß es bis zur nächsten Stelle mit Weide
noch weit sei. Ich teilte ihnen mit, daß wir einen Toten bei uns
hätten, der begraben werden müsse, was sie sehr ruhig anhörten, uns
dann aber einen Platz anwiesen, wo dies am besten geschehen könne.

Sobald das Lager fertig war, sprach ich mit Mollah und Turdu Bai
über die Beerdigung; sie schlugen vor, sie bis zum nächsten Morgen
aufzuschieben und dann mit den üblichen Zeremonien vorzunehmen. Die
Leiche wurde für die Nacht in das eine weiße Zelt gelegt und sollte von
einem Wächter vor den Hunden geschützt werden.

Kalpets Beerdigungstag, der 12. September, brach strahlend hell und
klar an; nur dann und wann segelte in der frischen Seebrise, welche
die Wellen ans Ufer rauschen ließ, ein kreideweißes Wölkchen über den
Himmel. Das Grab war schon fertig, und im Todeszelte waren Hamra Kul,
Mollah Schah und Turdu Bai damit beschäftigt, die Leiche in ein Laken
zu hüllen, nachdem sie vorschriftsmäßig gewaschen worden war. Dabei
hatten sie sich das Gesicht außer den Augen mit weißen Binden umwunden,
um nicht die Leichenluft einatmen zu müssen. Vor dem Zelte saß Rosi
Mollah und las laut aus einem Gebetbuche. Das Grab war nicht viel mehr
als einen Meter tief, und seine eine Längsseite bildete eine Höhlung,
in welche die Leiche hineingeschoben werden sollte. Hierher lenkte der
Leichenzug seine Schritte. In eine weiße Filzdecke gewickelt, lag der
Tote lang, mager und kalt auf einer Kamelleiter und wurde von Mollah
Schah, Islam, Li Loje, Chodai Kullu, Ördek, Hamra Kul und Kutschuk
getragen (Abb. 269). Die improvisierte Bahre wurde auf den Rand des
Grabes gestellt und Kalpet dann vorsichtig in seine letzte Ruhestätte
hinabgelassen (Abb. 271), wobei Mollah Schah und der Mollah mit
hinabstiegen, um ihn unter den Vorsprung, der sich über der Aushöhlung
in der Seite des Grabes wölbte, zu legen. Der Mollah setzte sich dann
und hielt folgende Rede an den Verstorbenen:

„Du bist ein rechtschaffener, rechtgläubiger Muselmann gewesen, du hast
niemals einem von uns etwas zuleide getan, du läßt eine Lücke zurück,
und wir beweinen dein Hinscheiden, du hast dem Tura gut und redlich
gedient.“

Nachdem die beiden Männer aus dem Grabe gestiegen waren, wurde die
Kamelleiter quer über die Öffnung gelegt und das Ganze mit einem
Filzteppiche bedeckt, dessen Kanten mit Erdschollen beschwert wurden;
darauf wurde der Grabhügel über dem Teppiche aufgeworfen, welch
letzterer dieses Gewicht natürlich nicht sehr lange würde aushalten
können, -- es bedurfte nur eines Regens oder des Darüberlaufens
umherstreifender Yake, um das Ganze zum Einstürzen zu bringen. Als der
Hügel fertig und am Kopfende mit einem ebenso vergänglichen Denkmale
aus Erdschollen und einigen dar aufgestellten Steinen verziert war,
warfen sich die Muselmänner um das Grab herum auf die Knie, hielten
sich die Handflächen vor das Gesicht und murmelten leise Gebete, die
nur dann und wann von den Gebetformeln des Mollah unterbrochen wurden.

Und dann war der feierliche Akt vorbei und Kalpet der Erde
wiedergegeben. Wir kehren, wie aus einer Kirche, aus einer
Sonntagsstimmung in der Wildnis, zu den Sorgen des Alltagslebens
zurück. Wir packen unsere Habseligkeiten ein, brechen unsere Zelte
ab, beladen unsere geduldigen Kamele, steigen zu Pferd und ziehen von
diesem dritten Todeslager fort. Alles erscheint so eitel und zwecklos,
wenn man eben am Rande eines Grabes gestanden hat, wo man sich von
dem erhabenen Ernste des Lebens und des Todes durchdrungen gefühlt
und das Stundenglas ablaufen gesehen hat. Und dann kommt man zu den
unbedeutenden kleinen Sorgen eines neuen Tages zurück und setzt seine
endlose Wanderung über die Gebirge ohne Rast und Ruhe fort! Auf der
Karte steht neben diesem Lagerplatz ein schwarzes Kreuz. Heute ist das
Grab sicherlich schon verschwunden. Die Nomaden treiben ihre Herden
darüber hin, und ringsumher in den Bergen heulen in den Winternächten
die Wölfe. Und sollte das Grab wirklich noch nicht verschwunden sein,
so weiß doch keiner, wer der Tote war. Der Rechtgläubige ruht in
heidnischer Erde, aber seine Ruhestätte ist doch mit Gebeten aus dem
Koran geweiht worden.

Nach der Beerdigung kam Rosi Mollah mit folgendem Anliegen zu mir:
„Ehe wir uns nach Beendigung dieser Reise trennen, gebt mir, bitte,
ein schriftliches Zeugnis, daß Kalpet eines natürlichen, ehrlichen
Todes gestorben ist, damit seine Brüder in Kerija nicht glauben, er sei
von mir oder irgendeinem anderen von uns totgeschlagen worden.“ Dies
versprach ich, und es geschah auch, worauf das Zeugnis nebst Kalpets
Lohn an seine Brüder geschickt wurde.

[Illustration: 276. Die Garde der tibetischen Gesandten am
Tschargut-tso. (S. 291.)]

[Illustration: 277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso.
(S. 294.)]

Die Tibeter, die dem Begräbnisse zusahen, erlaubten sich die Bemerkung,
daß wir uns viel zu viel Mühe damit machten. „Werft den Toten den
Raben und den Wölfen hin!“ sagten sie. Dies tun sie selbst, wie wir bei
einer spätern Gelegenheit mit eigenen Augen sahen.

Die Muselmänner verbrannten das Zelt, in welchem Kalpet aufgebahrt
gestanden, seine Kleider und seine Stiefel. Bei der heutigen
Gelegenheit waren alle üblichen Zeremonien beobachtet worden; als Aldat
starb, war er wie er ging und starb begraben worden.

Heiterlächelnd verjagte der Tag die traurige Erinnerung des Morgens,
und wieder entrollte die Erde, auf deren Oberfläche wir ein so
flüchtiges, unsicheres Dasein führen, vor uns eine ihrer schönsten
Landschaften. Auch jetzt gingen wir durch ein Felsentor im Südosten.
Links zeigte sich noch einmal ein Teil des Selling-tso. Von einer
niedrigen Paßschwelle erblickten wir nach Süden hin eine offene,
weite Ebene, die ganz hinten vom Gebirge begrenzt wurde. Die Tibeter
waren uns auf den Fersen. Links von uns lagen einige schwarze und
zwei blauweiße Zelte, wohin sie sich begaben. Als wir dicht bei
diesem Zeltdorfe waren, sprengte eine Reiterschar an mich heran und
überbrachte mir die Nachricht, daß zwei hohe Herren aus Lhasa angelangt
seien, weshalb sie uns bitten müßten, der Verhandlungen wegen in ihrer
Nähe zu lagern. Anfangs weigerte ich mich und sagte, wir hätten mit
diesen Leuten nichts zu schaffen, sondern würden weiterziehen. Doch
als es nachher um ihr Lager herum von Soldaten zu wimmeln begann und
mir gesagt wurde, daß sie mir Botschaft direkt aus Lhasa brächten,
hielt ich es für das Klügste, wenigstens zu hören, was sie eigentlich
wollten, und bat die Tibeter, ihren hohen Herren zu sagen, daß ich mit
ihnen sprechen würde, wenn sie zu mir kämen.

Jetzt zeigten sich zwei ältere Männer in roten Gewändern. Sie saßen
zu Pferd. Vier Fußgänger hielten jedes Pferd am Zügel und führten
die hohen Herren zu mir, der ich im Sattel sitzen blieb. Sie grüßten
höflich und sahen freundlich und gutherzig aus: die Berichte, die
sie während der letzten Tage über uns erhalten hatten, waren sicher
zu unserem Vorteil ausgefallen. Sie hatten mir, wie sie sagten, so
wichtige Mitteilungen zu machen, daß ich unbedingt bei ihnen lagern
müsse; nach vielem Wenn und Aber ging ich schließlich darauf ein.

Doch als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, verging eine lange Zeit,
ohne daß die Gesandten etwas von sich hören ließen. Ich schickte nun
den Lama mit dem Bescheid dorthin, daß +sie+ uns gebeten hätten zu
bleiben und sich nun gefälligst sputen möchten, wenn sie mir etwas so
Wichtiges zu sagen hätten, da wir sonst wieder aufbrechen würden. Dies
half. In ihrem Lager wurde es lebendig. Die beiden Gesandten kamen
schleunigst aus dem Zelte und ritten zu uns; die Entfernung betrug kaum
150 Schritt. Der Sicherheit halber umgaben sie sich mit einer starken
Eskorte, die jedoch nicht mit Feuerwaffen, sondern nur mit Schwertern
bewaffnet war. Sie saßen ab und traten mit artigem Gruße in das
Küchenzelt ein, das für Audienzen gewöhnlich ausgeräumt und mit einem
bunten Chotaner Teppich geschmückt wurde. Auf diesem Teppich nahmen
wir Platz, während draußen ein dichter Kreis von Kosaken, Tibetern und
Muhammedanern um das Zelt herum stand. Der Lama, mein Dolmetscher,
mußte zwischen uns sitzen.

Sie stellten sich als Mitglieder des „Dewaschung“, des Heiligen Rates
in Lhasa, vor, denen der Auftrag geworden sei, mich zu verhindern, nach
dieser Stadt zu reisen. Sie wußten, daß ich schon auf einem anderen
Wege mit nur zwei Begleitern nach Lhasa zu reiten versucht hatte,
aber aufgehalten und von Kamba Bombos Leuten über die Grenze gebracht
worden sei. Nun hieß es wieder wie damals: „Nach Süden dürft ihr keinen
Schritt weiter“, und dieses Thema wurde drei Stunden lang in allen
möglichen Variationen wiederholt.

„Wir haben Millionen Soldaten, und wir werden euch daran verhindern!“

Als ich fragte, was sie wohl machen wollten, wenn wir doch nach Süden
gingen, antworteten sie, das würde entweder ihnen oder uns den Kopf
kosten.

„In unserer Order steht, daß wir enthauptet werden, wenn wir euch hier
durchlassen, und dann können wir lieber erst mit euch kämpfen; das
ganze Land ist voller Soldaten.“

Ich bat sie, sich unserer Köpfe wegen ja nicht aufzuregen, da sie an
diese doch nicht herankönnten, denn teils hätten wir Beistand von
höheren Mächten, teils besäßen wir fürchterliche Waffen.

Beide Gesandten wurden außerordentlich aufgeregt, schrien, schwitzten
und gestikulierten, und als ich trotzdem ruhig blieb und ihre Drohungen
mit trocknem Lachen erwiderte, platzten sie beinahe vor Ärger.

„Kari-sari? (was sagt er)“, fragten sie unaufhörlich.

„Er sagt, daß er nach Süden weiterziehen will.“

„Mig jori (wenn er Augen hat), wird er morgen sehen, wie wir eure
Karawane zurücktreiben“, riefen sie; unaufhörlich schrien sie „mig
jori, mig jori!“

Ich lachte nur und erwiderte schließlich:

„Mig jori, wenn ihr Augen habt, so paßt morgen auf, wenn wir südwärts
ziehen; haltet aber eure Flinten bereit, denn es wird euch heiß um die
Ohren werden!“

Da schlugen sie einen anderen Ton an und baten flehentlich, wir möchten
doch endlich die Reise nach Süden aufgeben. Wenn wir auf demselben
Wege, den wir gekommen, wieder umkehren wollten, sollten wir Führer
und Proviant und alles, was wir nur brauchten, haben, ja, dann würde
alles in jeder Hinsicht gut werden.

Ich hatte gar nicht die Absicht, noch weiter „wider den Stachel zu
löcken“; tatsächlich hatte ich für diesmal genug von Tibet und sehnte
mich nach Ladak und noch mehr nach Hause, nach meiner schwedischen
Heimat. Spaßeshalber aber sagte ich noch einmal, daß alle ihre Versuche
vergeblich seien.

„So“, antworteten sie, „nun gut, wir werden nicht auf euch und eure
Leute schießen, aber wir werden eure Reise unmöglich machen!“

„Wie soll das geschehen?“

„Zehn, zwanzig von unseren Soldaten werden je einen eurer Reiter
festhalten, und ebenso viele jedes Kamel, wir werden eure Tiere
festhalten, bis sie nicht mehr stehen können und stürzen.“

„Wenn wir dann aber auf euch schießen?“

„Das macht nichts; wir werden auf jeden Fall getötet, wenn wir euch
durchlassen. Wir haben bestimmte Befehle aus Lhasa erhalten.“

„Zeigt mir sie, dann werde ich nicht weiter nach Süden gehen“,
antwortete ich.

„Sehr gern“, sagten sie und ließen das Papier aus dem Zelte der
Gouverneure holen. Es wurde von dem jüngeren Gesandten vorgelesen und
war ein recht merkwürdiges Aktenstück. Schereb Lama las mit und konnte
kontrollieren. Nach einer ersten Vorlesung und Übersetzung nahmen
wir es langsam Punkt für Punkt noch einmal durch, so daß ich es in
mongolischer Sprache mit lateinischen Buchstaben abschreiben konnte.
Später übersetzte ich es ins Schwedische.

Es lautete, wie folgt. Zuerst die Adresse auf der Außenseite des
zusammengefalteten Papieres:

„Im Jahre der eisernen Kuh, den sechsten Monat, am 21. Tage. Dieses
Schreiben soll den beiden Gouverneuren von Nakktsong zu Händen kommen.
Es ist vom Dewaschung und wird mit der Post befördert. Im siebenten
Monate, am 22. Tage muß es angelangt sein.“

Und dann das Schreiben selbst:

„Im Jahre der eisernen Kuh, im sechsten Monate, am 19. Tage ist
hier von dem Gouverneur von Nakktschu ein Schreiben angekommen, daß
der Sekretär der Mongolen Tsange Chutuktu, der Lama Sandsche, nebst
mehreren Pilgern die Wallfahrt nach Dscho-mitsing in Hamdung gemacht
hat und er sowohl wie Tugden Dardsche dem Gouverneur von Nakktschu
(also Kamba Bombo) gewisse Mitteilungen gemacht haben.

„Der Gouverneur von Nakktschu hat (seinerseits) dem Dewaschung
(folgende) Mitteilungen gemacht. Tsanges Sekretär hatte gesagt, daß
er um die Zeit, als er sich auf den Weg gemacht, europäische Männer
gesehen habe und eine Strecke weit in ihrer Gesellschaft gereist
sei. Nachdem sie eine Menge Kleidungsstücke gekauft, seien sie
weitergezogen. Im Basare habe er zwei Russen gesehen. «Wohin reist
ihr», habe er gefragt, «seid ihr Lamas?» «Wir sind Lamas», hätten
sie geantwortet. Der Arzt Schereb Lama, ein Chalchamongole, sei mit
ihnen zusammengereist und ihr Führer gewesen. Unterwegs habe er sechs
russische Leute marschieren sehen. Eine Menge Kamele und Leute seien im
Anzuge.

„Nach Namru und Nakktsong sollen schleunigst Schreiben abgesandt
werden, so daß es überall bekannt wird, daß von Nakktschu an und
landeinwärts, soweit mein (d. h. des Dalai-Lama) Reich reicht,
russische (europäische) Männer keine Erlaubnis erhalten, nach Süden
zu ziehen. An alle Häuptlinge sollen Schreiben erlassen werden.
Bewacht die Grenzen von Nakktsong; es ist notwendig, das Land Stück
für Stück streng zu bewachen. (Diese Stelle lautet auf Mongolisch.
“Nakktsäng-tsonguin tsachar hara, gadser gadser sän harreha kerekté„.
Die Provinz wird hier also «Nakktsäng-tsong» genannt, aber sonst
hörten wir sie stets kurzweg «Nakktsong» nennen, wie auch der See
Nakktsong-tso hieß.) Es ist absolut unnötig, daß europäische Männer
in das Land der heiligen Bücher kommen, um sich dort umzusehen. In
der Provinz, die euch beiden untertan ist, haben sie durchaus nichts
zu suchen. Wenn sie sagen, daß es notwendig sei (so wisset), daß
diese beiden Anführer nicht nach Süden reisen dürfen. Sollten sie
dennoch ihre Reise fortsetzen, so verliert ihr euren Kopf. Zwingt
sie, umzukehren und den Weg, auf dem sie gekommen sind, wieder
zurückzugehen.“

Durch dieses Schreiben kam für uns Licht in verschiedene Punkte, die
uns bisher dunkel geblieben waren. Lama Sandsche und Tugden Dardsche
gehörten zu der Karawane von mongolischen Pilgern, die im Mai 1900
Tscharchlik passiert hatte. Schon in Korla und Kara-schahr waren sie
mit meinen burjatischen Kosaken und mit dem Lama zusammengetroffen, und
die Mitteilungen, die sie hierüber gemacht hatten und die hier in dem
Dokumente angeführt waren, entsprachen in der Hauptsache der Wahrheit.
„Eine Menge Kamele und Leute“, bezieht sich auf die große Karawane
unter Tschernoff und Turdu Bai.

Sobald sie in Nakktschu angelangt waren, hatten sie Kamba Bombo über
alles Geschehene Bericht erstattet, und dieser hatte sofort einen
Kurier nach Lhasa an den Dewaschung gesandt. Der Kurier langte am 19.
des 6. Monats in Lhasa an, und schon am 21. wurde das ganze Land im
Norden und Westen der Hauptstadt, besonders die Provinzen Namru und
Nakktsong, benachrichtigt, daß scharf aufgepaßt und das Eindringen
von Europäern in das Land verhindert werden müsse. Der Ausdruck „die
Provinz, welche euch beiden untertan ist“ beweist, daß das Schreiben,
welches mir jetzt vorgelesen wurde, besonders an die beiden Gesandten,
die uns hier am Nakktsong-tso den Weg versperrten, gerichtet war.
Der ältere hieß Hladsche Tsering, der jüngere Junduk Tsering. Sie
sind also die Gouverneure von Namru und Nakktsong. Doch nach anderen
Aufklärungen, die wir erhielten, scheint es, als hätten sie sich zur
Zeit von Kamba Bombos Schreiben zufällig in Lhasa aufgehalten und dort
die eben angeführte Order persönlich in Empfang genommen. Ihnen waren
auch eine Menge Einzelheiten von meinem ersten Vordringen nach Lhasa
und von Kamba Bombos Art und Weise, uns festzunehmen, bekannt. Mit
„diese beiden Anführer“ sind sicherlich Tschernoff und Sirkin gemeint,
denn wir hatten, als Kamba Bombos Leute uns festnahmen, erklärt, daß
im Hauptquartiere zwei Europäer seien, die Rache nehmen würden, wenn
uns ein Leid widerführe. Wie wir gefürchtet, hatten die mongolischen
(tangutischen) Pilger uns einen bösen Streich gespielt! Doch auch ohne
ihre Angeberei hätten wir bald festgesessen, denn sowohl Kamba Bombo
wie jetzt Hladsche Tsering erzählten, daß Yakjäger, die uns gesehen,
sofort Bericht darüber erstattet hätten.

Ich konnte darauf nichts weiter erwidern, als daß alles in Ordnung und
sie völlig in ihrem Rechte seien, uns den Weg zu versperren, und ich
sagte ihnen ehrlich, daß die von ihnen beobachtete Absperrungspolitik
die einzige sei, die ihr Land vor dem Untergange bewahren könne.

„Rund um Tibet herum, im Norden, im Süden und im Westen haben die
Europäer entweder die Länder eurer Nachbarn erobert oder sie von sich
abhängig gemacht; jetzt geht auch China allmählich unter, euer Land ist
in Asien das einzige, das noch unberührt ist.“

„Re, re“, antworteten sie, „so wollen wir es haben! Es tut uns
euretwegen sehr leid, daß ihr nicht nach Lhasa reisen könnt, aber wir
müssen unseren Befehlen gehorchen. Für uns wäre es viel angenehmer
gewesen, wenn wir Befehl erhalten hätten, euch nach Lhasa zu führen und
euch alles zu zeigen.“

Um eine Aufklärung zu erzwingen, fragte ich, ob sie etwas dagegen
hätten, meinen chinesischen Paß nach Lhasa zu schicken, während welcher
Zeit wir ja die Antwort zusammen erwarten könnten.

„Unter keiner Bedingung, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat der
Kaiser von China hier bei uns überhaupt nichts zu sagen, und zweitens
würden wir dann beim Dewaschung in den Verdacht geraten, in eurem
Interesse tätig zu sein, und im günstigsten Falle abgesetzt werden.“

Schereb Lamas Name kam in dem Dokumente vor. Hier hatten sie ihn
leibhaftig vor sich. Sie sagten ihm, daß, wenn es nicht meinetwegen
wäre, sie ihn eigentlich mitnehmen und an die Behörden von Lhasa
ausliefern müßten, von denen er seine wohlverdiente Strafe erhalten
würde, weil er einen Europäer nach Lhasa habe führen wollen. Sein
Name sei jetzt in dieser Stadt bekannt und stehe schon im Buche der
Verdächtigen. Es sei für ihn selbst das Beste, sich in der heiligen
Stadt nie wieder sehen zu lassen. Sie hielten unserem armen Lama eine
donnernde Strafpredigt. Aber jetzt, da sein Spiel doch verloren war,
nahm auch er kein Blatt mehr vor den Mund; er legte ordentlich los,
machte die beiden Gesandten schonungslos herunter und fragte, mit
welchem Rechte sie einen Lama züchtigen wollten, der kein tibetischer
Untertan sei; er habe von dem chinesischen Gouverneur in Kara-schahr
Erlaubnis erhalten, mit mir zu reisen; der Prior seines dortigen
Klosters habe gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben, und er
werde bei seiner Rückkehr berichten, wie die tibetischen Behörden sich
betragen hätten. Da ich fürchtete, daß der Zank in Handgreiflichkeiten
übergehen würde, holte ich die große Spieldose, deren Musik wie Öl auf
die Wogen wirkte.

Hladsche Tsering war übrigens der Typus eines tibetischen Gentleman,
ein wirklich netter, gemütlicher alter Onkel, von dem schließlich
alle Mitglieder unserer Karawane, sogar der Lama, entzückt waren
(Abb. 272). Niemand wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß er
viel mehr Ähnlichkeit mit einem runzeligen, alten Mütterchen als mit
einem gebieterischen Statthalter hatte. Man betrachte nur das Bild,
das ich von ihm zeichnete. Sein völlig bartloses Gesicht, die Art,
wie er sein Haar trug, der Zopf, die Mütze mit dem Amtsknopfe, die
Ohrringe, alles trug dazu bei, ihm einen so stark femininen Anstrich
zu geben, daß ich ihn in vollem Ernst fragte, ob er am Ende nicht doch
ein altes Weib sei. Diese Aufrichtigkeit, die manches andere männliche
Individuum sehr übel genommen haben würde, machte auf Hladsche Tsering
einen ganz guten Eindruck; er lächelte freundlich, nickte und verzog
sein Pergamentgesicht zu den muntersten Grimassen, hielt sich die Hand
vor die Augen, lachte schließlich derart, daß ihm die Tränen über die
Wangen liefen, und versicherte, er sei wirklich ein Mann.

Um 7 Uhr abends ging ich mit Schagdur und dem Lama nach seinem Zelte
und kam erst um Mitternacht wieder nach Hause. Jetzt wurde von unseren
Plänen kein Wort mehr gesprochen, wir amüsierten uns nur und scherzten
miteinander wie zwei junge Studenten. Jeder prahlte mit seinen Waffen.
Daher schlug ich vor, Schagdurs Säbel gegen ein tibetisches Schwert zu
probieren. Nach der Probe sah dieses wie eine Säge aus, aber später
sahen wir auch mehrere von ziemlich gutem Stahl. Hladsche Tsering
zeigte uns, daß er auch einige recht brauchbare Revolver hatte.

Sein weißes Zelt mit blauen Streifen und Bändern war sauber und hübsch
eingerichtet. An der hinteren Querwand stand eine Art niedrigen Diwans
aus Polstern und Kissen und davor ein ebenfalls niedriger Tisch, auf
welchem uns Tee, sauere Milch und Tsamba angeboten wurden. Auf der
rechten Seite des Diwans (d. h. wenn man darauf saß) stand ein kleiner
tragbarer Tempel mit verschiedenen Burchanen (Götterbildern), die
vergoldet und zum Teil in „Haddik“ gewickelt waren; unter anderen
sah man dort auch den Burchan des Dalai-Lama. Vor ihnen brannten
einige Öllampen, und in kleinen Messingschalen waren, wie es auch
in den großen Tempeln Brauch ist, den Götterbildern allerlei leicht
verdauliche Speisen hingestellt. Sobald man einen Schluck von seinem
Tee trank, war sofort ein Diener da und goß die Tasse wieder bis oben
voll, selbst wenn dazu nur fünfzehn Tropfen gehörten. Ein eigener
Pfeifenreiniger bediente Hladsche Tsering, der aus seiner langen
chinesischen Pfeife rauchte und sehr von meinem Tabak entzückt war,
weshalb ich ihm eine ganze Blechschachtel davon schenkte.

Der ungefähr 45 Jahr alte Junduk Tsering war weniger intelligent und
glaubte, uns durch große Worte schrecken zu können. Er war es, der bei
jeder Gelegenheit unübersehbare Heerscharen ins Treffen führte und
seine Soldaten nach Millionen rechnete. Ich klärte ihn darüber auf,
daß ich seine Krieger selbst gezählt und nur 120 Mann gefunden hätte.
Diese Zahl wuchs indessen unaufhörlich, bis sie schließlich beinahe
fünfmal so groß war! Ich hatte nicht die geringste Lust, mit ihnen
Krieg anzufangen, denn ich hatte ja nur vier Kosaken und überdies, wie
jedermann begreifen wird, weder das Recht noch den Wunsch, Gewalt zu
brauchen. Wenn wir trotzdem einen ebenso wahnsinnigen wie verwerflichen
Schritt getan hätten, wäre es den Tibetern mit ihrer Übermacht eine
Kleinigkeit gewesen, uns in irgendeinem Passe den Weg zu versperren.
Aber der russische Kaiser hatte mir die Eskorte nicht gegeben, um in
Tibet Streit anzufangen, sondern nur als Sicherheitswache für meine
Person. Es war für mich also eine Ehrensache, die Kosaken unverletzt
wieder zurückzubringen, und ich hatte daher Rücksicht auf sie zu nehmen.

Der gutmütige, ein wenig beleibte und aufgeschwemmte Junduk Tsering
war also nur schwach begabt. Unaufhörlich fuhr er sich bei unserem
Wortwechsel mit der flachen Hand um den Hals, um zu veranschaulichen,
wie wir um einen Kopf kürzer gemacht werden würden, wenn wir weiter
nach Süden zögen. Ich sagte ihm gerade heraus, daß er von allen Herren,
die ich bisher kennen gelernt, einer der dümmsten sei, und fragte ihn,
ob es viele zweibeinige Esel in Lhasa gebe.

Beide Gesandten waren elegant und sauber gekleidet und hatten
verschiedene Anzüge, Alltags- und Paradekostüme, warme und leichte,
mitgebracht. Sie waren nach chinesischer Mode gekleidet, denn sie
trugen Kleiderröcke und Jacken oder Westen von seidenen und wollenen
Stoffen. Auf den beigefügten Bildern sind sie im Paradeanzug (Abb. 273,
274).



Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Der Nakktsong-tso.


Am 14. September verließ ich das Lager, um eine der herrlichsten
Seefahrten anzutreten. Ich ritt mit Kutschuk westwärts nach dem
naheliegenden Ufer des Nakktsong-tso; das Boot wurde auf einem Kamele
hinbefördert. Die Tibeter ließen mich merkwürdigerweise in Ruhe, aber
ich hatte ihnen ja auch gesagt, daß ich nur fischen wolle. Die Karawane
hatte Befehl, noch einen Tag hier liegenzubleiben, dann aber nach dem
Westufer des Sees zu ziehen und mich an dem Punkte, wo wir vor einigen
Tagen hatten umkehren müssen, zu erwarten. Wir nahmen Proviant für drei
Tage und warme Kleidung für die Nächte mit.

In Südwesten erhob sich aus der blauschillernden Wasserfläche eine
kleine Felseninsel, nach der wir steuerten. Es dauerte mehrere Stunden,
ehe wir sie erreichten. Der See scheint sich sehr weit nach Westen
zu erstrecken. Ich freute mich über die herrliche Aussicht, das
schöne Wetter, das Rauschen der kristallklaren Wellen um die Jolle,
den warmen, heiteren Tag mit 14,2 Grad Wärme und schwelgte in dem
Bewußtsein, von der liebenswürdigen Aufdringlichkeit der Tibeter und
ihren rührenden Besorgnissen um unseren Weg befreit zu sein. Die größte
Tiefe auf diesem Weg betrug 12,70 Meter.

Die kleine Felseninsel überragt den Spiegel des Sees um etwa 50 Meter.
Auf ihrem westlichen Vorsprung ist eine Steinplatte errichtet, die
sicherlich zur Bezeichnung eines Winterweges, der über das Eis führt,
dient. Ein kleiner Streifen von dichtem, üppigem Grase kann jetzt
ungestört wachsen, da die Tibeter keine Boote besitzen; aber Yakdung
und Schafmist verrieten gelegentliche Winterbesuche, um welche Zeit die
Insel dank der Eisdecke mit dem Ufer in Verbindung steht. Im übrigen
fallen die Kalksteinfelsen nach allen Seiten steil ab. Vom Gipfel aus
bot sich uns eine prächtige Aussicht über die südlichen Partien des
Sees, und ich zeichnete eine Kartenskizze dieses ganzen Gebiets, zu
dessen genauer Untersuchung es uns an Zeit gebrach.

[Illustration: 278. Unser Lager auf der Insel. (S. 294.)]

[Illustration: 279. Das südliche Ufer unseres Gefängnisses. (S. 298.)]

[Illustration: 280. Die Zelte der Gouverneure. (S. 302.)]

[Illustration: 281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo. (S. 304.)]

Während des Marsches nach der „Kalpetbucht“ war es uns vorgekommen, als
dehne sich der Nakktsong-tso sehr weit nach Süden aus und erstrecke
sich bis an den Bergrücken, der nach dieser Seite hin die Aussicht
begrenzte. Nun aber stellte sich heraus, daß nur ein paar Kilometer
die Insel vom Südufer trennten. Die Gesichtstäuschung beruht auf der
Luftspiegelung, in welcher die außerordentlich tiefliegende Ufersteppe,
die sich zwischen dem Seeufer und dem Fuße des Gebirges ausdehnt,
verschwindet. Die Steppe glänzte grün von vorzüglicher Weide; schwarze
Punkte zeichneten sich dort ab: Yake, Pferde und Schafe, sowie acht
schwarze Zelte, auch einige kleine Steinhäuser, möglicherweise Tempel,
waren zu sehen.

Westlich von der Insel erheben sich drei wilde, bizarre Bergkämme, die
sich auf einer größeren Insel zu erheben schienen oder die vielleicht
-- ja, wie es sich mit dieser Sache verhielt, wollten wir jetzt
gerade feststellen. Nachdem wir eine niedrige Landspitze am Ostende
der südlichsten Kette umrudert hatten, steuerten wir nach West zu
Süd, welche Richtung wir bis zum Nachtlager beibehielten. Nun haben
wir den südlichen Bergast gleich linker Hand. Er gleicht einer aus
gewaltigen, rauhen Blöcken aufgetürmten Riesenmauer; hier und dort
fällt er senkrecht in das Wasser hinunter, das überall seicht und
selten mehr als 2 Meter tief ist. Westwärts rückt das Land zusammen;
vielleicht würden wir hier in eine Sackgasse geraten. Der See wird
immer enger; wir passieren das westliche Ende der ersten Kette, dann
das der zweiten, die in einem zerrissenen Gipfel kulminiert. Jetzt
ist es nur noch ein Kilometer bis an das Südufer. Ist das rechts von
uns eine Insel oder nicht? Das ist die Frage, die wir uns bei jedem
Ruderschlage vorlegen. Wir rudern immer weiter in diese rätselhafte
Bucht hinein. Die untergehende Sonne streut Gold und Purpur über die
rauhen Felsvorsprünge, die sich in der ruhigen Wasserfläche spiegeln,
durch deren glashelle Decke Algen und Wasserpflanzen schimmern.

Wir folgen dem nach Nordwesten abbiegenden Ufer. Der Graswall sah ganz
unberührt aus, und wieder hofften wir, daß es eine Insel wäre, auf
der wir eine friedliche Nacht ohne alle tibetischen Besuche würden
zubringen können. In der westlichen Verlängerung des zweiten Bergarmes
erhebt sich jenseits des Wassers ein imposanter Gebirgsstock. An seinem
Südfuße, nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, taucht eine
steinerne Hütte auf, von welcher Rauch aufsteigt und vor welcher ein
einsamer Hund wütend bellt.

In der Dämmerung rudern wir in die stille Bucht hinein; das Hundegebell
verstummt hinter uns, Felsen erheben sich senkrecht auf beiden Seiten
und werfen ein helles Echo der Ruderschläge zurück; jeder Laut zittert
zwischen den Bergwänden, und wir treten wie in einen Tempelsaal in
Gottes freier, erhabener Natur ein. Einige Königsadler kreisen mit
regungslosen Flügeln in diesem großartigen Engpasse.

Auf einmal schien die Bucht ein Ende zu nehmen; doch nein, es war nur
eine niedrige Landzunge, die den schmalen Sund fast ganz sperrte;
jenseits derselben ging der Weg nach Nordwesten weiter, aber vor
Felsen sah man nicht weit. Die Dunkelheit verhüllte auch bald diese
entzückende Gegend unseren Blicken, und wir mußten für die Nacht
landen. Dicht bei unbekannten Menschenwohnungen im Freien zu liegen,
war gerade nicht angenehm, aber ich hatte den Revolver bei mir.
Sobald das Boot aufs Land gezogen war, wurden die nächsten Umgebungen
untersucht, und nun fanden wir zu unserer Freude, daß die Landzunge
einen 30 Meter breiten Sund neben der südlichen Bergwand offen ließ, so
daß wir am nächsten Morgen unsere Entdeckungsreise fortsetzen konnten
und von den Eingeborenen getrennt blieben, die aus Mangel an Booten
nicht imstande sein würden, uns zu belästigen. Prächtiger, trockner
Argol war in Menge vorhanden, und bald brannte ein gemütliches Feuer
mit heller blauer Flamme, lautlos wie ein Elmsfeuer; der Argol knistert
nicht wie Holz. Die Nacht war klar und windstill und verfloß für uns,
die wir in unseren Pelzen zusammengekauert lagen, in aller Ruhe.

Sobald die Sonne die Felsenspitzen auf der Westseite des Sundes
vergoldete, erhoben wir uns, machten Feuer an und setzten das Teewasser
auf. Tscherdon hatte uns einen vortrefflichen Proviant mitgegeben, eine
gebratene Gans und einige Fladen Brot, und es war nicht das erstemal,
daß Kutschuk und ich zusammen kampierten.

Es währte nicht lange, so tauchte Kutschuk wieder sein Ruder in das
klare Wasser, und das Boot glitt schnell zwischen den Felsen hin
nach Nordwesten. Ich kann mich kaum erinnern, je eine so großartige,
hinreißende Natur gesehen zu haben, wie hier dem Auge begegnete: ein
venezianischer Kanal mit alten Zyklopenpalästen. Von Zeit zu Zeit
springt vom Ufer eine Landspitze vor, welche die Aussicht versperrt,
und wir glauben den Punkt erreicht zu haben, wo wir umkehren müssen;
aber der Engpaß geht weiter, der natürliche Kanal öffnet vor uns
eine neue Perspektive. Die Richtung Nordwesten ist für uns besonders
vorteilhaft, denn gerade nach dieser Seite hin liegt unser Sammelplatz.
Die Tiefe übersteigt 3½ Meter nicht, und die Breite dieses schmalen
Wasserweges beträgt im allgemeinen nicht über ein paar hundert Meter.

Wir waren sehr erstaunt, auf dem rechten Ufer hinter einem
Felsvorsprunge eine Anzahl kleine Yake und Pferde zu sehen. Als das
Boot an der Landspitze vorbeiglitt, stürmten drei Männer ans Ufer und
trieben unter Geschrei und Steinwürfen ihre Tiere landeinwärts. Am
Fuße des nächsten Vorgebirges auf der rechten Seite zeigten sich zwei
schwarze Zelte; hier begafften uns ein Mann, eine Frau und ein Junge,
die das größte Erstaunen über einen solchen Besuch in ihrer Gegend
verrieten. Wenn überhaupt irgendwo, so mußte man hier vor Besuchen
sicher sein, war doch ihr Wohnsitz mit einem wassergefüllten Graben
umfriedigt. Das Auftreten von Nomaden ließ uns als gewiß erscheinen,
daß das Land eine Halbinsel war und wir bald den ganzen Weg würden
zurückmachen müssen. Wir bildeten uns beinahe ein zu bemerken, wie
sich die Tibeter bei dem Gedanken, daß wir immer tiefer in den Sack
hineinkröchen, über uns lustig machten. Einer von ihnen lief nach dem
nächsten Bergkamme hinauf, wohl um zu sehen, was wir für verdutzte
Gesichter machen würden, wenn wir nicht weiterkommen könnten.

Dann aber erweiterte sich der Fjord, und eine neue Perspektive
entrollte sich im Nordwesten. Das Boot war leck und mußte ausgeschöpft
werden; unterdessen schneite es eine Zeitlang, doch dann hatten wir
wieder Sonnenschein. Die Tiefen nahmen schnell zu und betrugen hier bis
zu 11,68 Meter. Da sich die Landschaft jetzt bis in die Ferne öffnete,
hofften wir, daß wir auf diesem Wege wieder auf den See hinaus gelangen
könnten, ließen aber den Mut sinken, als der Fjord plötzlich zu Ende
war und flaches Land sich vor uns ausdehnte. Auf außerordentlich
seichtem Wasser zogen wir das Boot, soweit wir kommen konnten, in eine
keilförmige Bucht hinein, und dort saßen wir hilflos fest.

Der Strand, an dem wir zu Gaste waren, bestand aus lockerem, weichem
Schlamm, in den man fußtief einsank. Kutschuk mußte sich Schuhe und
Strümpfe ausziehen und durch den Morast nach dem nächsten Bergrücken
waten, um zu rekognoszieren. Hierbei fand er, daß ein von Süden
kommender Fluß in einen kleinen See mündete, der mit dem Nakktsong-tso
zusammenzuhängen schien. Wir zogen daher das Boot ganz aufs Land,
nahmen es auseinander und trugen es nebst dem ganzen Gepäck in mehreren
Partien gute 500 Meter weit von der Bucht nach dem Flußarme. Das
Vergnügen kostete uns drei Stunden, was jedoch noch immer besser war,
als den ganzen Weg wieder zurückzumachen. Der Fluß hat zwei Arme, und
vor seiner Mündung ist der See voller Schlammbänke, auf denen sich
Hunderte von Möwen aufhielten. Jetzt konnten wir nach Nordosten rudern.

Auf einem molenförmigen Sandvorsprunge saßen in der untergehenden
Sonne etwa zwanzig Möwen, die sich blendendweiß von einem für uns
besonders erfreulichen Hintergrund, der weiten, dunkelblauen Fläche
des Nakktsong-tso, abhoben. Es war uns also geglückt. Streng genommen
war es doch eine Halbinsel, die wir umrudert hatten, und wir hatten
das Boot nur über eine 500 Meter breite Landenge zu schleppen gehabt;
letztere aber bestand sichtlich aus alluvialem Schlamme, der diesen
Teil des Fjords verstopft hatte; sonst wäre das Land der Nomaden eine
vollständige Insel gewesen. Der Nakktsong-tso, der auf den Karten
entweder gar nicht oder bestenfalls außerordentlich entstellt angegeben
ist, besaß, wie sich herausstellte, eine höchst sonderbare Gestalt. Er
bildet einen Wasserring, der nur in seinem nördlichen Teile ziemlich
weit, in dem südlichen dagegen schmal wie ein Fjord ist. Eine ähnliche
Form hat der südlich von Lhasa liegende See Jamdok-tso.

Hinter der Sandmole nahmen die Tiefen schnell zu, von 3 Meter bis
zu 22,20 Meter. Wir ruderten nach Ostnordost, nach welcher Richtung
der Ring jetzt umbog. Als die Sonne am Horizont hinter uns stand,
nahm das bisher dunkelblaue Wasser bei 3 Meter Tiefe einen intensiv
grünen Farbenton an, und die Wasserpflanzen traten, wie durch
Spiegelglas gesehen, klar hervor. Eine Landspitze am nördlichen Ufer
war unser Ziel; von dort mußten wir das Signalfeuer der Unsrigen
sehen können. Aber die Spitze lag mitten im Winde, und wir mußten
in der Dämmerung den ersten besten Strand suchen. Der Himmel war
außergewöhnlich klar, und die Deutlichkeit, mit welcher der Mond sich
abzeichnete, war für eine Beobachtung verlockend. Es ging immer noch
ein kalter, unfreundlicher Wind, doch das machte uns nichts mehr aus,
nachdem wir in unsere schönen Pelze wie Murmeltiere gekrochen waren.
Glücklicherweise regnete es während dieser beiden Nächte, die wir
im Freien zubrachten, nicht; nur das Wiegenlied der Wellen lullte
die müden Pilger in den Schlaf. Es ist schön, in Tibets sternklaren,
stillen Nächten und in der klaren, dünnen, reinen Hochgebirgsluft den
Himmel als Dach zu haben.

Die Nachtkälte ging auf kaum 2 Grad herunter. Wir brachen in aller
Frühe auf. Jetzt ist es kalt und unfreundlich. Der Seegang ist so
stark, daß wir uns ganz in der Nähe des Landes halten müssen. Nachdem
wir fünf Minuten unterwegs waren, brach ein abscheuliches Unwetter los.
Der Hagel stürzte in solcher Menge nieder, daß das Innere des Bootes
mit Eisschlamm erfüllt war. Gleichzeitig aber wurde die Heftigkeit des
Wellenganges und auch der Wind gedämpft. Der Sturm schien über uns
stehenzubleiben und setzte seine Dusche über zwei Stunden lang fort.
Hier herrschte halbe Dämmerung, doch im Osten badete sich das Land in
Sonnenschein; hinter uns war der Himmel schwarz und das Gebirge in
Weiß gehüllt, wir sind auf dem Wege von dem Sitze des Winters nach der
Wohnstätte des Sommers. Der Hagel ging allmählich in Schnee über, der
sich weich wie Baumwolle in das Boot legte.

Das Wasser hat die wunderbarste blaugrüne Farbe, ein leicht erregtes,
flüchtiges Element, das den Blick nicht an der Erforschung der
Geheimnisse des Seebodens hindert.

Eine gute Weile mußten wir auf einer Landzunge rasten. Ich erstieg
eine Anhöhe, um mich zu orientieren. Am Nordufer erschien jetzt gerade
wie gerufen die Karawane mit ihrer Kosakenbedeckung; ihr folgten auf
den Fersen die Tibeter in dichten, schwarzen Schwärmen. Rechts haben
wir eine ziemlich große Insel, auf der 20 Pferde grasen. Von dieser
Insel springt eine Landzunge vor, der eine ebensolche vom Festlande
entgegenkommt. Sie zeigen aufeinander hin wie die Kohlenspitzen in
einer elektrischen Lampe, und der schmale Sund zwischen ihnen ist so
seicht, daß die Jolle gegen den Grund schrammt. Über diese Landzungen
geht die nach der Insel führende Furt.

Eine Stunde später hatten wir das ganze Lager auf dem verabredeten
Platze vor uns. Es breitete sich in seiner ganzen Herrlichkeit am Ufer
aus; Massen von Leuten und Pferden waren auf allen Hügeln. Hier und
dort zerteilte der Wind eine Rauchsäule; wir haben 5, die Tibeter 19
Zelte, aber die meisten von ihnen kampieren doch am Feuer unter freiem
Himmel. Alle die Unseren standen am Ufer, und die Kosaken machten
wie gewöhnlich Honneur. Jeden Morgen muß ich meine Leute in drei
verschiedenen Sprachen begrüßen: mit „Sdrasdwijte“, „Salam aleikum“ und
„Ämur sän bane“.

Als ich zwei Nächte ausblieb, waren die Gesandten sehr ängstlich
geworden und hatten das Lager unter besondere Bewachung gestellt.
Den ersten Abend hatte Hladsche Tsering die Kosaken gefragt, die,
ohne eine Miene zu verziehen, geantwortet hatten, ich sei nach dem
Südufer gerudert, um mich von dort nach Lhasa zu begeben, und sie
hätten Befehl, meine Rückkehr abzuwarten. Dies hatte die Gesandten
sehr verstimmt, und sie hatten nach allen Richtungen, namentlich
nach Süden, Patrouillen ausgeschickt. Unzweifelhaft waren sie jedoch
schon im Laufe des zweiten Tages dahintergekommen, daß wir uns auf
dem See aufhielten, hatten aber den auf dem Südufer wohnenden Nomaden
verboten, uns irgendwie zu helfen. Während des Marsches hatten sie
dann wiederholt meine Leute gezählt und gefunden, daß noch immer zwei
fehlten. Sie konnten den Zusammenhang nicht recht begreifen, fürchteten
aber, daß einer meiner Leute zwei Pferde nach dem Südufer geführt habe,
auf denen ich mit irgendeinem Begleiter nach Lhasa zu reiten gedächte.
Ihr Auftreten gegen die Karawane wurde daher strenger; es wurde ihr
kein Proviant mehr geliefert, und das Lager wurde nachts mit starken
Wachtposten umgeben. Ihre Unruhe legte sich auch nicht eher, als bis
sie das Boot zwischen den Wellen heranstampfen sahen. Jetzt bestanden
ihre Truppen aus 194 Mann, obgleich mehrere Patrouillen noch nicht
zurückgekehrt waren; wir waren 18, d. h. einer gegen 10, nein, -- einer
gegen 50, wenn ich nur die Kosaken rechne!

Die Tibeter müssen von uns Europäern eine jämmerliche Meinung haben;
die meisten von uns sind, wenn sie bis in die „heilige Sphäre“
gelangten, so von allem entblößt und in so erbärmlichem Zustande
gewesen, daß sie der Hilfe und Unterstützung der Tibeter bedurften, um
überhaupt nur wieder aus dem Lande herauskommen zu können. Sie haben
nie eine ordentliche Truppe in guter Verfassung gesehen, die nicht
danach fragte, ob ihr der Durchzug erlaubt sei. Es war allerdings eine
starke Versuchung für mich gewesen, den Tibetern mit Hilfe des Sees
und des Bootes ein Schnippchen zu schlagen, und zwei Pferde hätte man
mitten am Tage von einem Weideplatze nach dem Südufer bringen können.
Ich hätte aber dadurch nicht viel gewonnen, vielleicht nur wenige
Tagemärsche.

Das „Land der Burchane“, das Land der heiligen Bücher im Süden --
dorthin darf kein Europäer ziehen; es ist das Erbland des Dalai-Lama,
ein heiliges Land, sein Eigentum. Schwerlich sind seine Lamas jetzt
fanatischer als in jener Zeit, da die Jesuitenmissionare gastfreundlich
von ihnen aufgenommen wurden, und sicherlich sind sie heutzutage
auch nicht weniger tolerant als im Jahre 1845, da die Missionare Huc
und Gabet sich einige Monate in Lhasa aufhielten. Nein, ihre strenge
Isolierung während der letzten Jahrzehnte hat politische Gründe. Ihre
friedliche, aber wirksame Taktik geht darauf aus, die Grenzen gegen
Europäer zu bewachen und die ungebetenen Gäste höflich und freundlich,
aber bestimmt aus dem Lande hinauszutreiben. Dennoch wird auch an
Tibet einst die Reihe kommen. Solange die Tibeter auf derselben Erde
wohnen wie wir, müssen sie es sich gefallen lassen, daß wir den Wunsch
haben, sie kennen zu lernen, ihre Religion und heiligen Schriften, ihre
Tempel, Sitten und Gebräuche zu studieren, ihr Land und seine Mittel zu
erforschen, Karten von ihren majestätischen Gebirgen aufzunehmen und
ihre launenhaften Seen zu sondieren. Noch haben sie sich allerdings
nicht durch Vorspiegelungen von dem Aufschwunge des Handels und der
Einfuhr von Tabak, Spirituosen, Opium und Feuerwaffen locken lassen;
nein, „fort mit allen euren Genußmitteln, eurem Stahle, Golde und
Silber, und laßt uns nur in unsrem eigenen Lande in Frieden!“

Wenn ich sage: „Ich will den südlichen Weg nach Ladak gehen“, so
antworten sie mir: „Dort gibt es keinen Weg.“ Wenn ich ihnen den Weg
auf der Karte zeige und einige Namen nenne, so wenden sie ein:

„Nun wohl, es gibt dort einen Weg; er ist aber nur für uns, ihr dürft
nicht durch das Land der Burchane gehen.“

Und wenn ich sage: „Ihr seid nicht gastfrei; wenn ihr in mein Land
kommt, werdet ihr freundlich aufgenommen und dürft alles sehen“, so
beeilen sie sich zu antworten: „Euer Land gehört euch, dort haben wir
nichts zu tun, aber unser Land gehört uns; ihr müßt es daher verlassen
und wieder heimreisen.“

Recht kostspielig muß es sein, eine Truppe von 200 Mann so lange unter
Waffen zu halten, ganz abgesehen davon, daß die Leute ihr Heim und
ihre Herden haben verlassen müssen. Doch es mag kosten, was es will,
wenn nur keine Fremdlinge über die Grenze kommen. Es war für sie
eine ungeheure Plackerei, trotzdem waren sie aber stets höflich und
freundlich. Ihre Scheu vor Fremden wendet sich nur gegen die Europäer;
Chinesen und Leute aus Ladak haben freien Zutritt, andere benachbarte
asiatische Völker ebenfalls. Hladsche Tserings Koch war ein Dungane,
der ein wenig „Tschanto“ (Türkisch) verstand und in Ostturkestan
gewesen war. Die Muhammedaner nennen alle, die sich nicht zum Islam
bekennen, Heiden (Kaper), einerlei, ob diese Asiaten oder Europäer
sind. Die Tibeter verschließen ihr Land +nur+ den Europäern; ihre
Isolierung ist also politisch, nicht religiös. Ein Chinese, ein Japaner
oder ein Burjate, ein Pundit, wie Nain Singh oder Krishna, ein Kaufmann
aus Leh, alle können sich ohne Schwierigkeit nach Lhasa begeben. Und
ist solch ein Asiate nur entsprechend instruiert worden, so kann er
nachher über alles, was er gesehen hat, genaue Auskunft geben. Wir
kennen, wie ich bereits erwähnt habe, Lhasa besser als sonst eine Stadt
in Innerasien, Kaschgar, Kuldscha und Urumtschi vielleicht ausgenommen.
Wer Lamas in Urga, Kum-bum, in Hemis oder in anderen Tempeln in
Ladak besucht hat, kann bezeugen, daß er überall mit der größten
Gastfreundschaft aufgenommen worden ist und keine Spur von Intoleranz
gefunden hat. --

Nach einem ruhigen, klaren Abend fuhr um 10 Uhr wieder ein Hagelsturm
über die Erde hin. Dann schneite es die ganze Nacht, und es war recht
ungewöhnlich, die Schritte der Nachtwache im Schnee knarren zu hören.
Am 17. September blieb der Schnee auf den nördlichen Abhängen den
ganzen Tag liegen, auf den südlichen dagegen verschwand er bald im
Sonnenbrand. Fern im Süden überragte alle anderen Gebirge in der Gegend
ein großartiger, kegelförmiger Gipfel, der blendend weiß glänzte und
mit seiner regelmäßigen Gestalt einem erloschenen Vulkane glich.

Die Karawane erhielt Befehl, nach der Mündung des Jaggju-rappga zu
ziehen. Das Kamel, auf dessen Rücken Kalpet verschieden war, erkrankte
jetzt, und Turdu Bai, der sich auf Kamele verstand, erklärte, daß es
bald sterben würde, weil es einen Toten getragen habe. Das schöne
Wetter lockte mich wieder auf den See hinaus; ich hatte auch keine
Lust, einen ganzen Tag auf dem mir schon bekannten Wege nach dem
Jaggju-rappga zu reiten. Ördek war mein Ruderer. Das Boot und das
Gepäck wurden auf Pferde geladen; wir ritten nordwärts über die schmale
Landenge zwischen Nakktsong-tso und Selling-tso.

Die Schwelle zwischen den Seen ist höchst eigentümlich. Unmittelbar
nördlich vom Ufer des Nakktsong-tso gelangen wir auf ihren Kamm, der
höchstens 10 Meter über dem See liegt; von dort aus aber müssen wir
eine ziemliche Strecke weit abwärtsreiten und können dabei ein Gefälle
von wohl 50 Meter konstatieren, ehe wir den Selling-tso erreichen,
der also ungefähr 40 Meter tiefer liegt als sein Nachbarsee. Ich bin
fest davon überzeugt, daß der Nakktsong-tso einen Abfluß hat, habe
aber vergeblich danach gesucht. Möglicherweise ergießt er sich durch
unterirdische Abflüsse in den Selling-tso. Am Nordabhange der Landenge
passieren wir dieselben deutlichen Uferlinien, die wir schon früher
an den Ufern des letztern Sees gesehen haben und die anzeigen, daß er
fällt.

Das tiefliegende, morastige Ufer zwang uns, eine Strecke weit barfuß zu
gehen, ehe wir das Boot ins Wasser setzen und dann nach Nordnordwest
steuern konnten. Die Tiefen sind unbedeutend und betragen selten
mehr als 3 Meter; der Boden besteht aus graublauem Ton ohne Spur von
Vegetation, das Wasser hat eine leicht maigrüne Farbe, und darüber
wölbt der Himmel seinen klaren, sonnigen Dom. Nur der Kamm der breiten
Halbinsel, wo wir vor einigen Tagen umkehren mußten, zeichnet sich
scharf ab und wird noch eine Strecke nach Osten hin durch eine Reihe
kleinerer Felsenzähne, die über dem Wasser zu schweben scheinen,
fortgesetzt. Auf der linken Seite sieht man durch das Fernglas die
Karawane mit ihrem Gefolge von Tibetern, deren Zahl sich heute
beinahe verdoppelt hat, da sich noch einige kleine Reiterscharen zur
Haupttruppe gesellt haben. Eine schwarze Hagelwolke schwebte hartnäckig
über ihnen und duschte sie unaufhörlich, was man deutlich an den hellen
und dunkeln Streifen sehen konnte, die sich von der Wolke auf die Erde
erstreckten. Wir dagegen bekamen nichts davon ab.

Nachdem wir die Landspitze an der Mündung des Alla-sangpo umschifft
haben, steuern wir westwärts gerade auf die Gabel der Kette zu, die das
Tal des Jaggju-rappga im Süden begrenzt. Wir sahen sie in Verkürzung;
hinter ihr stand die Sonne, und daher trat sie wie eine intensiv
schwarze Silhouette hervor. Es war bereits stockdunkel, als wir das
große Lager erreichten, dessen Feuer wie die Laternen in einer kleinen
Stadt strahlten.

[Illustration: 282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (S. 305.)]

[Illustration: 283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (Fortsetzung
nach rechts des Bildes Nr. 282.) (S. 305.)]

Frühmorgens am 18. September gab ich Befehl zum Aufbruch. Während wir
die Tiere beluden, erschienen einige Tibeter, die uns baten, noch
einen Tag hierzubleiben, weil Hladsche Tsering und Junduk Tsering
umkehren müßten und es in unserem eigenen Interesse liege, den Ankauf
von Pferden und das Mieten von Yaken während ihrer Anwesenheit zu
besorgen. Ich ließ antworten, es sei uns gleichgültig, wo sie blieben,
wir würden heute auf jeden Fall reisen.

„Wohin denn?“ fragten sie. Ich zeigte westwärts nach dem Tale des
Jaggju-rappga.

„Dort kommt ihr nicht durch“, behaupteten sie, „ihr müßt nach
Nordwesten gehen.“

Ohne weiteres Parlamentieren ritten wir jedoch auf dem linken,
nördlichen Ufer flußabwarts. Von einem Hügel entwickelte sich bald nach
Westen hin eine entzückende Aussicht über einen neuen, ansehnlichen
See, der reich an Felseninseln, Vorgebirgen und Buchten war und beinahe
ebenso unentwirrbar aussah wie der Nakktsong-tso.

Sehr weit waren wir noch nicht gelangt, als uns schon die Tibeter
in schwarzen Haufen von je 15 oder 20 Mann überholten; wir waren
vollständig umschwärmt von diesen Reitern, deren rote Fähnchen an den
Flintengabeln flatterten, wohin man nur das Auge wandte.

Als wir uns in der Nähe des Seeufers befanden, stellte es sich heraus,
daß der Felsenarm, den wir rechter Hand hatten, in den See vorsprang
und eine Halbinsel mit steilen Seiten bildete. Umgehen ließ sie sich
nicht. Die Tibeter zeigten uns jedoch einen recht schwierigen Paß.
Einige Stellen waren so steil, daß ein hier stürzendes Kamel unten als
gehacktes Beefsteak angekommen wäre. Von der Paßschwelle entrollte
sich eine neue herrliche Aussicht nach Nordwesten über einen anderen
Teil des Sees mit neuen pittoresken Halbinseln und Felseneilanden. Die
schwarzen Haufen der Tibeter rollten in Staubwolken wie Lawinen die
Abhänge hinunter. Ehe wir noch hinuntergelangten und uns neben ihrem
Hauptquartier niederließen, rauchte es schon aus allen ihren Zelten.

Dieser Lagerplatz. Nr. 84, am Ostufer des +Tschargut-tso+ (4613
Meter) war einer der besten und angenehmsten, die ich je gehabt habe.
Alles, was man sah, war schön, entzückte das Auge und machte den Sinn
fröhlich. Westwärts sieht man tief in die Fjorde des Sees hinein wie
in einen Steinwald (Abb. 275). Je entfernter sie liegen, in desto
leichteren Nuancen treten Inseln und Vorgebirge hervor, aber alles
ist von der Sonne überflutet. Die Tibeter passen gut in diese wilde
Landschaft hinein, von der ihre malerische Tracht und kriegerische
Ausrüstung durchaus nicht unangenehm absticht.

Der Strand, ein natürlicher Korso, bietet dem Auge ein sehr lebhaftes,
farbenreiches Bild dar. Außer unseren Zelten kann man noch 25 zählen,
und doch kampieren die meisten Soldaten an offenen Feuern. Der Strand
wimmelt von Menschen und Pferden. Dabei vermehrt sich die Zahl unserer
Wächter, die jetzt 500 Mann betrug, noch immer.

In der Dämmerung kam Almas allein an. Kalpets Kamel, der „Katafalk“,
war nicht mehr am Leben; Turdu Bai hatte recht gehabt. Was denkt das
Kamel, wenn es weint und den Tod im Herzen fühlt? Kein Philosoph auf
Erden kann es uns sagen; man weiß ja nicht einmal, was der Mensch
träumt, wenn die Flügelschläge des Todesengels eiskalt durch seinen
Körper gehen.

Wir waren uns über die Absichten der Tibeter nicht ganz klar. Wozu
brauchten sie jetzt, da wir auf dem Wege nach Ladak waren, so viele
Truppen zusammenzuziehen? Sie verstärkten die Nachtwachen und hielten
ihr Arsenal in steter Bereitschaft. Sollten sie einen nächtlichen
Überfall beabsichtigen?

Ich träumte in der Nacht etwas derartiges und wachte um 1 Uhr auf. Ich
hatte auf dem rechten Arme gelegen, und die Hand, die auf der Erde
lag und vollständig eingeschlafen war, war eiskalt und gefühllos.
Zufälligerweise berührte ich mit der linken Hand die rechte, und dabei
fuhr mir, schlaftrunken wie ich war, der Gedanke durch den Kopf, daß
die Tibeter mir eine Leiche ins Zelt geworfen hätten. Ich sprang auf,
machte Licht, fand das Zelt leer und verstand nun erst, sobald die
Gedanken wieder klar wurden, den Zusammenhang.

Zwei Tage blieben wir an diesem schönen Strande. Nur zu schnell verging
die Zeit unter Visiten, Gastmählern und neuen Überlegungen über
den Weg nach Ladak. Ich erklärte offen, daß ich +den+ Weg zu gehen
gedächte, der +mir+ behage, und daß ich mir darin keine Vorschriften
machen ließe. Eine Eskorte sollten wir aber auf jeden Fall haben,
und alles, was wir brauchten, sollte während der Reise angeschafft
werden. Hladsche Tsering schenkte mir zwei Pferde, wie Kamba Bombo
es getan hatte, und daneben sollten uns, da unsere Karawane jetzt in
besorgniserregender Weise zusammengeschmolzen war, auf besonderen
Befehl des Dalai-Lama stets 40 Yake zur Verfügung stehen. Es ist
eigentlich seltsam, daß die Tibeter so artig und freundlich sein
können, hatte ich doch die erste Warnung nicht beherzigt und zum
zweitenmal versucht, in das verbotene Land einzudringen! Viele andere
asiatische Völker hätten in solchem Falle ein Exempel statuiert,
aber die Tibeter sind viel zu gutmütig und weichherzig, um Blut zu
vergießen, und begnügen sich mit Waffengeklirr und Drohungen.

Ein wahrhaft großartiges Schauspiel boten sie uns am Mittag des 19.
September. Ich hatte Hladsche Tsering mitgeteilt, daß ich ihn selbst
und seinen Kollegen und dann seine große Kavallerie photographieren
wolle. Meine Bitte wurde mit dem größten Vergnügen gewährt, und sofort
wurden einige Hundert Reiter aufgeboten (Abb. 276). Sie wurden in
Gliedern geordnet; aber es war nicht leicht -- nicht einmal für die
Häuptlinge, -- sie dazu zu bringen, daß sie sich einen Augenblick ruhig
verhielten. Als ich bat, sie möchten ihre Schwerter und Lanzen in die
Luft strecken, und dies geschah, erwachten sofort ihre kriegerischen
Instinkte; die Pferde wurden unruhig, und die ganze Schar sprengte
unter wildem Kriegsgeschrei wie zum Angriff vor! Als diese zügellose
Horde über die Steppe hinsauste und die klirrenden Waffen in der
Sonne blitzten, konnte man den Blick nicht davon losreißen. Der
photographische Apparat mußte ruhen, bis sich der kriegerische Sinn
der Leute wieder beruhigt und sie begriffen hatten, daß man beim
Photographieren nicht so schrecklich zu lärmen und zu toben brauche.



Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Tschargut-tso.


Wir hätten eigentlich heute (am 20. September) nach dem fernen Ladak
aufbrechen sollen; aber die Gesandten baten uns zu bleiben, weil sie
noch einige Tagereisen weit mit uns ziehen wollten. Heute hatten sie
jedoch einen großen Festtag und wollten sich still verhalten, und
ich ging mit um so größerem Vergnügen auf den Vorschlag ein, als der
Tschargut-tso mich auf seine schönen, aber falschen Wogen hinauslockte.

Chodai Kullu wurde zum Ruderer ernannt. Wir hielten Kurs auf die
äußerste Spitze der bergigen Halbinsel, die unsere Bucht im Süden
begrenzte. Von dort gingen wir weiter auf den See hinaus, als auf
einmal der Himmel im Westen schwarz wurde und der Sturm mit seinem
gewöhnlichen Getöse angezogen kam. Wir wendeten sofort und landeten
an dem steilen Ufer der Landspitze, wo indessen herabgefallene,
scharfkantige Felsstücke das Boot zu zerschneiden drohten, denn die
Wellen gingen bald hoch und preßten es gerade gegen das Ufer. Ich
beschloß, quer über die heftig aufgeregte Bucht gerade nach unserem
Lager hinzusteuern. Es knackte in dem Holzrahmen des Bootes, und der
Sturm war zum Orkan geworden. Mit sausender Fahrt trieben wir nach dem
Strande hin, wo sich die Tibeter in dichtgedrängten Haufen versammelt
hatten, um Zeugen unseres Schiffbruchs zu werden. Bald entschwand
die Jolle in einem Wellentale ihren Blicken, bald erschien sie auf
einem Kamme, auf dessen Rücken sie stampfte und bebte. Für uns sah
es unheimlich aus. Wir nähern uns dem Strande mit beängstigender
Geschwindigkeit; im nächsten Augenblick muß das Boot von einer Welle
auf den Sand geschleudert, im andern aber, wenn sie sich zurückzieht,
wieder ins Wasser gezogen werden. Stumm vor Staunen, mit verhaltenem
Atem standen die Tibeter und waren entschieden überzeugt, daß wir in
der Brandung zerschellen würden. In dem Augenblick, als die Welle
das Boot auf den Strand schleuderte, sprang Chodai Kullu ins Wasser,
und alle vier Kosaken sprangen herzu, faßten die Relinge des Bootes
und trugen mich wie auf einer Bahre aufs Trockne. Das Ganze ging
blitzschnell vor sich, und die Tibeter eilten herbei, um sich zu
überzeugen, ob ich wirklich noch lebe.

Erst nachdem der Sturm sich gelegt hatte, konnten wir uns wieder
hinausbegeben, worauf wir einige Lotungen mit gutem Gelingen ausführten
und erst in der Dämmerung zurückkehrten. Es war ganz dunkel, als
wir noch draußen auf dem See plätscherten, und die Arbeit wurde
bei Laternenschein ausgeführt. Als wir uns spät abends dem Strande
näherten, war der Anblick der Lagerstadt nicht weniger großartig
als bei Tag. Alle Feuer leuchteten in einer langen Reihe längs des
Ufers der Bucht, das beinahe wie ein illuminierter Hafenkai aussah.
Der Rauch der Feuer wurde von der schwachen östlichen Brise über
den See getrieben und lag wie ein graublauer Schleier über dem
jetzt wieder ruhigen Wasser. Der Mond überflutete mit seinem Lichte
diese außerordentlich schöne Landschaft und warf einen zitternden,
silberglänzenden Streifen über den See. Bald schlägt das Lachen und
Plaudern aus den Zelten und von den Soldatengruppen an unser Ohr. Die
Leute trinken Tee, rauchen und sind mit Würfelspiel beschäftigt.

Als ich am Morgen des 21. September geweckt wurde, stand die
Quecksilbersäule auf dem Gefrierpunkte. Der See lag spiegelblank da,
und seine weit hinten im fernen Westen verschwindende Perspektive
mit den kulissenartig vorspringenden Gebirgspartien glich einem
gigantischen Flußtale. An diesem hellen, schönen Herbstmorgen war ich
fröhlich gestimmt und fühlte mich zu einer längeren Seefahrt um so
mehr aufgelegt, als ich das Alleinsein im Boote dem Waffengeklirr und
Pferdegetrappel der 500 Tibeter vorzog.

Mit Proviant für drei Tage, warmen Kleidern und den nötigen
Instrumenten versehen, steuerten Kutschuk und ich über den See. Bald
darauf brach auch die Karawane auf; die Tibeter umschwärmten die Unsern
in einzelnen Haufen, und ehe wir noch aus der Bucht auf den offenen
See hinaustraten, war der eben noch so lebhafte Strand von Zelten
und Menschen reingefegt, und das Schweigen der Wildnis legte sich
wieder über die entzückende Gegend. Statt dessen zeichneten sich die
Reisenden wie lange schwarze Linien, Gruppen und Punkte auf den Ebenen
des Nordufers ab, wo sie westwärts zogen und bald hinter den Bergen
verschwanden. Sie hatten Befehl, irgendwo in der Nähe des Westufers, wo
es gutes Gras gab, zu rasten und uns dort zu erwarten. Die Gesandten
waren ganz aufgeregt über die neue Seefahrt gewesen und hatten gefragt,
was dies wieder heißen solle.

Wir waren kaum eine Viertelstunde unterwegs, so war es mit der Stille
für heute vorbei. Eine frische Westbrise erhob sich, und der Spiegel
der Bucht wurde matt, seine Bilder wurden von einer leichten Kräuselung
zerstört, die bald zu Wellen und Wogen anschwoll. Jenseits des
südlichen Felsenvorsprungs wurde der Wind stärker und kam uns gerade
entgegen. Er schwoll zu einem halben Sturme an, der See ging hoch, das
Loten mußte unterbleiben, und es galt wieder, uns selbst und unser
Gepäck zu retten. Zum Umkehren war es zu spät, und jetzt war niemand
mehr an dem Strande, auf den uns der Sturm widerstandslos geschleudert
haben würde. Wir versuchten vergebens, irgendeine freundliche
Landspitze zu erreichen, hinter der wir hätten Schutz finden können,
aber es blieb uns nichts weiter übrig, als draufloszurudern und uns
nach der vor dem Wind geschützten Seite der nächsten Felseninsel im
Westen hinzuarbeiten. Unter diesen Umständen konnten natürlich nur
wenige Lotungen gemacht werden; als größte Tiefe wurden 42 Meter
festgestellt.

Wir arbeiteten jetzt wie Galeerensklaven gegen Wind und Wellen an
(Abb. 277). Mit jeder Schlagwelle erhielt ich eine kalte Dusche und
wurde bis auf die Haut durchnäßt. Es leckte und tropfte von meiner
Mütze, und meine Brille leistete mir schlechte Dienste. Notizbücher,
Decken und sonstige Sachen waren wie ins Wasser getaucht. Endlich aber
erreichten wir doch die Insel; hier war der Wellenschlag geringer.
Noch unmittelbar am Ufer betrug die Tiefe 34 Meter. Ganz erschöpft
von der Anstrengung vertäuten wir das Boot. Es wurde ganz aufs Ufer
hinaufgezogen, damit es uns nicht forttriebe, in welchem Falle unsere
Lage höchst bedenklich gewesen wäre.

Die kleine Insel hat die Gestalt eines Sattels; sie besteht aus
zwei Bergkuppen mit einer flachen Einsenkung in der Mitte, einer
Landenge, die nur 300 Meter breit ist. Ich ging über die Enge nach dem
Westufer, gegen welches die Wellen mit erschreckender Wut anstürmten.
Welche Freude haben wir jetzt an der Sonne, die uns von dem glänzend
türkisblauen Himmel herab mit ihrem goldenen Lichte überflutet, während
der Wind über den launenhaften See hinfährt und die Wellen zum wilden
Tanze auffordert.

Nachdem wir uns mit unserem unfreiwilligen Gefängnisse bekannt
gemacht hatten, wurde das Lager aufgeschlagen (Abb. 278); wir
breiteten mein provisorisches Bett am Ufer aus, das Boot schützte
einigermaßen gegen den Wind, eine Filzdecke diente als Sonnendach.
Infolge einer glücklichen Eingebung hatte ich Lektüre mitgenommen.
Kutschuk schnarchte schon. Der Wind heulte in den Felsen; ich sehnte
mich danach, ihn schwächer werden und verstummen zu hören. Um 3 Uhr
wußten wir nichts Besseres anzufangen, als Feuer anzumachen und Tee zu
bereiten. Jappkak und Argol waren in Menge vorhanden. Kutschuk ging
von Zeit zu Zeit über die Enge, um sich nach dem Sturme umzusehen, kam
aber stets mit dem Bescheide wieder, daß es undenkbar sei, bei solchem
Wetter mit dem Boote hinauszugehen. Mit Hilfe des Fernglases sehen wir
auf dem nördlichen Seeufer mehrere große Herden und Zelte.

Es ging gegen Abend. Der Wind flaute nicht ab; immer noch hörte man
den See gegen das Westufer der Insel branden, wo die Wellen unter der
Peitsche des Sturmes ihre Sklavenarbeit ausführen. Sie haben das Recht,
soviel sie wollen gegen diese heiligen Ufer zu schlagen, an denen wir
nur wie Zugvögel vorbeistreichen dürfen. Als wir nach Süden gingen,
hinderten uns die Tibeter, jetzt, da wir uns nach Westen wenden,
hindert uns der Sturm. Ich hatte unserem lärmenden Gefolge entgehen und
mich in Einsamkeit der Stille der Natur erfreuen wollen; jetzt wollte
ich viel lieber zu ihm zurückkehren, als auf dieser kleinen Felseninsel
gefesselt sein. Es gehörte die Geduld eines Engels dazu, hier untätig
und gebunden zu liegen, während das Tagesgestirn seinen Lauf nach
Westen fortsetzte. Wie mir zum Hohne ging die Sonne klar unter, tiefe
Schatten senkten sich auf das Lager herab, während das Ostufer noch in
Licht getränkt lag. Doch bald kletterten die Schatten auch die Berge
hinauf, deren Gipfel eine Weile scharlachrot leuchteten. Als auch ihre
Glut erloschen war, stieg die Nacht blaukalt und rein aus dem Osten
auf. Wie gern hätten wir heute so wie gestern die Uferfeuer lodern
sehen, doch heute Abend war es dunkel und still, und nirgends war ein
Feuer zu erblicken. Der Halbmond war die einzige Laterne, die uns in
unserem Gefängnisse gewährt wurde, das wir so gern verlassen hätten,
das aber trotzdem in seiner Weise friedlich und reizend war.

Vielleicht legte sich der Sturm über Nacht. Wir legten uns früh
schlafen, und Kutschuk hatte Befehl, mich ein paar Stunden nach
Mitternacht zu wecken. Um 4 Uhr rüttelte er mich wach. Die Sterne
funkelten hell, aber der Wind war noch ebenso heftig. Trotzdem standen
wir auf. Bald flammte das Feuer und erhellte das steinige Ufer. Es
waren beinahe -5 Grad, und der heiße Tee schmeckte gut. Oft pflegte
der Morgen ganz windstill zu sein. Unser Plan war jetzt, nach dem
Südufer hinüberzurudern, wo wir unter den Felsen leidlichen Schutz
finden mußten und uns schlimmstenfalls von einer Landspitze zur anderen
schieben konnten. Wir hatten genug von dieser Robinsonade und sehnten
uns nach der Sonne. Stumm und nachdenklich saßen wir während des
Wartens am Ufer. Endlich graute im Osten der Tag, und die Bergkämme
hoben sich schwarz auf dem immer helleren Hintergrunde ab. Auf einmal
ging die Sonne wie eine blendende Feuerkugel auf.

Statt abzunehmen, nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu. O welch
himmlischer Geduld bedurften wir jetzt, wenn auch dieser Tag verloren
gehen sollte, während die Karawane ihren Weg nach dem unbekannten
Westen fortsetzte! Ein richtiger Passatwind wehte gleichmäßig und
stark, ohne einen Augenblick schwächer zu werden, und leichte, weiße
Wölkchen segelten zeitweise über den See hin. Der Tschargut-tso zieht
sich langgestreckt von Osten nach Westen. Ich beschäftigte mich,
nachdem ich mit der mitgebrachten Lektüre fertig war, damit, eine
Karte des Sees zu zeichnen und darüber nachzudenken, wie günstig oder
ungünstig die verschiedenen Windrichtungen für uns gewesen wären.
Neun verschiedene Fälle waren denkbar. Am besten wäre östlicher Wind
gewesen, doch auch solcher aus Nordosten und Südosten hätte uns
geholfen. Windstille wäre beinahe ebensogut gewesen. Hätte Südwind
oder Südwestwind geherrscht, so hätte das Südufer uns Deckung geboten,
bei Nord oder Nordwest hätten wir unter dem Nordufer Schutz gefunden.
Aber von allen diesen Fällen war natürlich keiner eingetreten, nur der
neunte, westlicher Wind, für uns der direkte Gegenwind und die einzige
Richtung, die uns das Aufbrechen unmöglich machte.

Auch dieser Tag war verloren. Wir verträumten die Zeit an unserem Ufer;
von dem anderen her ertönte es wie das Donnern eines riesenhaften
Wasserfalles, die Wellen gingen meterhoch, wir waren an unseren Felsen
festgeschmiedet. Ich machte eine Kartenaufnahme von der Insel, während
Kutschuk ganze Haufen Brennmaterial einsammelte; es war das einzige,
womit er sich die Zeit vertreiben konnte. Nachher „versammelten wir
uns zum Mittagessen“; mein Schutzzelt mußte mit Steinen verankert
werden, damit es nicht fortflog. Dann gehe ich nach dem Südwestufer,
wo die Felsen steil in den See hinabstürzen. Dort sitze ich und höre
mit Genuß dem lärmenden Spiele der Wellen zu; ich schließe die Augen,
um besser träumen zu können, aber in jedem Wellenschlage liegt wie
ein Hohngelächter die Frage: „Was hast du in diesem heiligen Lande zu
suchen?!“ Ich gehe dann nach dem nördlichen Berge, um Abschied von
der Sonne zu nehmen. Als die neue Nacht hereinbricht, lassen wir uns
an einem gewaltigen Lagerfeuer nieder und setzen unser ~dolce far
niente~ fort.

Um 6½ Uhr schien die Heftigkeit des Windes abzunehmen, und die
Hoffnung erwachte wieder. Um 7 Uhr ließ sich deutlich erkennen, daß
die Windgeschwindigkeit abgenommen hatte, aber die dichter gewordenen
Wolken schwebten mit derselben gräßlichen Eile unter dem Monde durch,
der gleich einer silbernen Muschel über ihnen segelte.

[Illustration: 284. Die Anführer unserer Leibwache. (S. 306.)

Links Lama Schereb, rechts Jamdu Tsering und Tsering Daschi.]

[Illustration: 285. Das Tal des Boggtsang-sangpo. (S. 306.)]

Mit steigender Spannung beobachteten wir die Himmelszeichen und gingen
wieder nach dem Westufer, aber der See sah noch immer ebenso aufgeregt
aus, und wir mußten weiter warten. Direkt nach Westen hatte ich die
Richtung nach der nächsten kleinen Felseninsel eingepeilt, und wir
hofften noch vor Monduntergang dorthin zu gelangen; später würde es
pechfinster werden. Nach und nach flaute der Wind ab, und wir packten
unsere Sachen zusammen. Als wir im Begriff waren, das Boot ins Wasser
zu setzen, schmerzte es mich beinahe, diese kleine Insel, die uns eine
Freistatt gegeben und auf der ich zwei friedvolle Tage zugebracht
hatte, auf ewig verlassen zu müssen.

Wir schieben unser Fahrzeug in die Nacht hinaus und streichen vor dem
Winde gedeckt am Ostufer entlang. Die südliche Klippe der Insel ragt
wie ein rabenschwarzes Gespenst aus den Wellen empor; ihre Wände sind
von dem bleichen Mondlichte schwach beleuchtet. Als wir die Spitze
umschifft hatten, kam uns der Wellengang direkt entgegen; aber jetzt
war er nicht gefährlich, und die Jolle schaukelte sanft und leicht. Von
der nächstgelegenen kleinen Felseninsel, unserem nächsten Ziele, war
keine Spur zu erblicken; sie verschwamm mit den Gebirgen im Westen,
aber ich wußte, daß sie von uns in West zu Süd lag, und gab Kutschuk
dementsprechende Anweisungen beim Rudern. Selbst wenn das Wetter so
ruhig und gut ist wie jetzt, ist es nicht gerade gemütlich, mitten in
der Nacht auf einem unbekannten See zu schaukeln. Alles ist schwarz und
undeutlich, man erhält keinen Begriff von den Umrissen der Ufer; nur
die zurückgelegte Linie, ihre Zeiten, Tiefen und Geschwindigkeiten sind
ebenso sicher zu bestimmen wie bei Tageslicht. Das Wasser ist schwarz
wie Tinte, nur das Silber der Mondstraße tanzt auf den sich zur Ruhe
legenden Wellen; der Himmel ist dunkelblau, die Wolken segeln stumm
und düster wie Schatten und eilfertig wie Pilger nach Osten, doch am
schwärzesten ist der Gebirgsrahmen ringsumher.

Das Boot war schwer belastet und ging tief, denn wir hatten so viel
Brennmaterial mitgenommen, wie wir nur hatten unterbringen können.
In meiner vorderen Boothälfte, wo ich weich und warm saß, hatte ich
es ausgezeichnet. Die Lotleine mit ihren Fünfmeterknoten lag auf
der Backbordreling bereit. Die Laterne beleuchtete Uhr, Kompaß,
Geschwindigkeitsmesser und Marschroute, ich rauche und führe meine
Beobachtungen in schönster Ruhe aus. Die größte Tiefe beträgt 37,5
Meter; sie liegt dicht bei der ersten Insel, dann hebt sich der
Seeboden langsam nach der zweiten. Die wichtigsten Vorgebirge auf
beiden Seiten waren passiert; es konnte nicht mehr weit nach der
kleinen Insel sein. Stundenlang glitten wir weiter, ohne daß sie sich
zeigte; doch es war kaum möglich, daß wir an ihr vorbeikommen konnten,
ohne sie zu sehen. Erst als wir nur noch eine Minute vom Ufer entfernt
waren, tauchte sie aus der Dunkelheit auf. Ich glaubte, wir näherten
uns einem Gipfel, der zu dem westlich vom See liegenden Berge gehörte;
aber der Gipfel wuchs in wenigen Minuten, und das Boot schrammte gegen
das Ufer. So täuscht man sich beim Rudern im Dunkeln, selbst wenn
Mondschein herrscht. Das Schifflein wurde an Land gezogen, und wir
gingen sofort zur Ruhe.

Wir hatten die Absicht, bei Tagesanbruch gleich weiterzufahren; doch
schon vorher teilte mir Kutschuk mit, es gehe wieder ein so heftiger
Wind, daß an ein Weiterrudern nicht zu denken sei. Mir blieb nichts
weiter übrig, als die Insel gründlicher in Augenschein zu nehmen. Sie
bildet beinahe ein rechtwinkeliges Dreieck mit der Hypotenuse nach
Nordwesten; das längste Ufer ist nur 330 Meter lang. Der südliche
Teil der Insel wird von einer roten Konglomeratschicht gebildet, und
die Ufer sind mit Blöcken von demselben Materiale dicht bedeckt. Die
größte Höhe beträgt nicht mehr als 15 Meter; einige Steinmale sind dort
errichtet (Abb. 279).

Um 12½ Uhr war es völlig windstill, aber im Westen stiegen schwarze
Wolken mit Regendraperien auf. Ein neuer Sturm war im Anzug. Wir hatten
das schwierigste Becken des Sees vor uns. Was gebot uns die Klugheit
zu tun? Der Proviant ging zu Ende. Ich hatte stundenlang am Strande
gesessen und mir, wie ein Kind, den Sand durch die Finger gleiten
lassen. Auf den im Wasser liegenden, von tausendjährigen, unermüdlichen
Wellen glattgeschliffenen Blöcken hatte ich Sandfestungen erbaut, um zu
sehen, wie lange sie den Überschwemmungen der Wellen würden widerstehen
können. Nie habe ich eine Seefahrt unter so ungünstigen Verhältnissen
gemacht wie diesmal. Alle Unwetter des ganzen Landes schienen unbedingt
erst über den Tschargut-tso ziehen zu müssen, oder das Tal, in dem der
See liegt, mußte eine Abflußrinne für alles derartige Teufelszeug sein!

Um 2 Uhr hatten wir alles eingepackt, da aber brach der Sturm los,
und es war nur gut, daß wir die Insel noch nicht verlassen hatten. Es
regnete eine Weile, und die Wellen rauschten gegen die kleine Klippe.
Im Süden ging eine zweite Bö über das Land und färbte alle Berge weiß.
Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, hörte der Sturm auf einmal
auf, und der Seegang legte sich schnell, nur weich abgerundete Dünungen
krümmten seine Oberfläche, die Sonne näherte sich dem Horizont, und der
Tschargut-tso gewährte einen herrlichen Anblick. Bei solchem Wetter
konnte kein Risiko dabei sein, quer über den offenen See zu steuern;
aber wir hielten doch Ausguck auf einige Landspitzen im Süden, die uns
im Notfall hätten als Schutz dienen können. Kutschuk ruderte scharf,
und ich peilte von Zeit zu Zeit. Die größte Tiefe betrug fast 48 Meter.

Die schützenden Landspitzen hatten wir hinter uns zurückgelassen, als
es wieder im Westen dunkel zu werden begann; der Donner grollte dumpf
über den südlichen Bergen, wo es in Strömen regnete oder schneite,
und über das nördliche Ufer, das jetzt in weiter Ferne lag, zog
ebenfalls ein Unwetter hin. Über dem See herrschte einstweilen noch
klares Wetter, und die Sonne ging in leichten Wolken unter. Doch über
den senkrecht abstürzenden Felsen des südlichen Ufers, nach denen wir
jetzt hinsteuern, erhebt sich eine stahlblaue, drohende Wolkenwand.
Indessen ist es andauernd ruhig, und die Wolke scheint stillzustehen
und sich ihres Inhalts nur auf einer Stelle zu entladen. So gut sollte
es uns aber nicht werden. Unter den Wolken werden die unzweideutigen
Anzeichen eines herannahenden Sturmes sichtbar. Die Wolken werden auf
der unteren Seite hell brandgelb, als würden sie von einer Feuersbrunst
beleuchtet, und wenn man diesen Farbenton sieht, weiß man sofort, was
es zu bedeuten hat. Ich suchte mit dem Fernglase die Ufer ab, aber
jetzt gab es innerhalb Sehweite keine rettende Bucht. Am klügsten wäre
es gewesen, wenn wir uns von dem Sturme nach der kleinen Felseninsel
hätten zurücktreiben lassen, denn +mit+ dem Wellengange kann die Jolle
die höchsten Wogen vertragen. Aber unser Proviant war beinahe zu Ende,
und es galt, ein Ufer zu erreichen, von dem aus wir die Karawane
aufsuchen konnten. Es blieb uns also nichts weiter übrig, als gegen den
Wind aufzuhalten und zu versuchen, unter den Felsen des südlichen Ufers
in Schutz zu kommen.

Zuerst sausten einige kalte Windstöße über den See, und dann brauste
der Sturm herab wie der Habicht auf eine wehrlose Taube. Vorbei ist
es mit Lotungen und Peilungen! Faßt die Ruder fester, jetzt gilt es
das Leben! Es knackt und knarrt in dem Boote, und dieses klatscht mit
dem Boden auf die ihm entgegenkommenden Wellen, die wie Kobolde zum
Angriffe stürmen. Im nächsten Augenblick kann sein Rumpf mit einem
Knalle zerspringen. Doch es gibt ein Maximum für die Wellenhöhe in
Seen von dieser Größe, und dieses Maximum hat die Jolle bisher immer
aushalten können. Nie habe ich so verzweifelt gearbeitet wie jetzt; wir
ruderten mit langsamen, gleichmäßigen Schlägen und gewannen jedesmal
ein paar Zentimeter; ich hatte mehrere Tage nachher noch große Blasen
an den Händen. Der Sturm wurde zwischen den Felsen der Ufer eingepreßt
und nahm an Heftigkeit zu. Drauflos, Kutschuk! Das Ufer kommt uns
näher, es ist gar nicht gefährlich! Da schlägt ein Wellenkamm über die
Steuerbordreling in das Boot, und das Wasser plätschert und rauscht von
dem Rollen, eine neue Welle schlägt hinein, wir bekommen recht kalte
Duschen von dem Spritzwasser, wir rudern mit so festen Griffen, daß uns
die Knöchel weiß werden, wir tragen das Boot auf den Ruderblättern
durch die Wellen! Lange kann es auf diese Weise nicht mehr fortgehen,
das Boot ist halb voll Wasser, und die Wellen brechen noch immer über
den Vordersteven herein -- bald müssen wir sinken!

„Halte deine Rettungsboje bereit, Kutschuk, ich habe die meine!“ --

„Nein, wir +können+ noch nach jenem Vorgebirge hingelangen, ja
Allah!“ --

Und wir arbeiteten uns dorthin! Es war ein Wunder, daß wir nicht
Schiffbruch litten; auf keiner von allen meinen Seefahrten in Asien bin
ich einer Katastrophe so nahe gewesen!

Sobald wir unter dem Vorgebirge vor dem Winde geschützt waren, wurden
die Wellen niedriger, und wir beruhigten uns und erreichten im letzten
Augenblick am dunkeln Abend das Ufer. Ja, hat man nur ein sicheres
Boot, so ist es keine Kunst, im Dunkeln über einen stürmischen See zu
kommen, aber mit einer Zeugjolle ist es etwas anderes, und die Fahrt
wird nicht gemütlicher, wenn der Wind die Sturmwolken zerreißt und
der Mond den Wellenschaum versilbert, der weiß und kristallhell über
unerforschten Tiefen glänzt, die bereit sind, uns in ihre kalten Arme
zu schließen.

Sobald wir gelandet waren, hörte der Wind auf. Statt dessen fing es
an stark zu regnen, und es regnete die ganze Nacht. Wir richteten das
Boot wie ein Kutschenverdeck auf, zündeten Feuer an, trockneten unsere
Kleider und schliefen dann gut, da wir von der sowohl körperlich wie
seelisch kolossalen Anstrengung sehr ermüdet waren.

Am Morgen des 24. September hatten wir nur noch ein Stückchen Brot
zum Frühstück. Bei gutem Wetter ruderten wir westwärts über den See
weiter, der bald schmäler wurde und ein Ende nahm. Wir fuhren in eine
trompetenförmige Flußmündung hinein, und nach knapp einem Kilometer
befanden wir uns wieder auf einem gewaltigen See. Die Gesandten hatten
ihn +Addan-tso+ genannt, aber die Nomaden, die wir am Ufer trafen,
sagten +Nagma-tso+. Fern im Norden zeigten sich einige Reiter. Wir
hofften, daß es unsere Späher sein würden, aber sie verschwanden
bald wieder und hatten das Boot augenscheinlich nicht gesehen.
Wir beabsichtigten jedoch, schräg über den See nach dem ziemlich
naheliegenden Nordufer zu fahren.

Ich habe soviel von unseren abenteuerlichen Seefahrten gesprochen,
daß ich nur noch hinzufügen will, daß der dritte Sturm uns auf
dem Addan-tso überfiel und uns buchstäblich gegen das nächste
Land schleuderte, wobei sich das Boot mit Wasser füllte, so daß
wir ins Wasser springen und retten mußten, was sich retten ließ.
Glücklicherweise regnete es nicht. Wir breiteten unsere Sachen in
dem starken Wind auf der Erde zum Trocknen aus, zogen die Kleider aus
und hielten sie in den Wind, nachdem wir sie erst tüchtig ausgerungen
hatten, dann lagen wir dort mehrere Stunden still. Schließlich wurde
ich so hungrig, daß ich nach dem nächsten schwarzen Nomadenzelte ging;
ich war aber noch nicht weit gekommen, als Kutschuk mich zurückrief
und auf den kurzen Flußarm, den wir heraufgefahren waren, zeigte. Dort
erschienen zwei Reiter mit drei Packpferden. Sie hatten uns gesehen und
ritten gerade auf uns zu. Es waren Tscherdon und Ördek, die uns seit
zwei Tagen längs des Ufers des Addan-tso suchten und gleich den anderen
in größter Unruhe geschwebt hatten. Nach einer Weile kamen Tschernoff
und der Lama, die uns an den Ufern des Tschargut-tso hatten suchen
wollen. Sirkin war schon gestern dort gewesen und hatte in dem alten
Lager am Ostufer des Sees Umschau gehalten. Sie hatten das Schlimmste
befürchtet und bereits überlegt, was sie tun sollten, wenn ich nicht
wiederkäme. Einige Bootstrümmer und unsere Sachen wollten sie jedoch
erst finden, ehe sie die Gegend ohne ihren Chef verließen.

Tscherdon hatte mehrere Abenteuer gehabt. Mehreremal schienen
uns Reiterpatrouillen zu suchen, und an einer Stelle standen 8
Soldatenzelte, um den Weg nach Lhasa zu sperren.

Wir ritten über einen Paß nach dem großen Lager; mehrere Reiterhaufen
begegneten mir und geleiteten mich dorthin, artig grüßend, indem sie
die Zunge herausstreckten. Das Lager lag in einem Längentale, durch
welches wahrscheinlich auch Littledale gezogen war; ich wollte künftig
seine Route nach Möglichkeit vermeiden. Alles war ruhig, aber dem
alten Muhammed Tokta ging es schlechter. Ein Kamel war tot. Einer der
Tibeter war gestorben. Wir ritten an der Leiche vorbei, die auf die
Erde geworfen worden und von Geiern und Raben entsetzlich zugerichtet
war; viel mehr als das Gerippe war nicht mehr davon übrig. Hladsche
Tsering lud mich in sein Zelt ein und empfing mich wie einen Sieger.
Unter der blauen Decke glänzten die Götterbilder matt durch einen
Weihrauchschleier, und wieder gab es ein üppiges Gastmahl.

Diese Seefahrt war die letzte, die ich in Tibet machte, und das
Boot sollte nachher nur noch auf einigen Flüssen benutzt werden.
Ich bewahre den Tagen, die ich auf dem Selling-tso, Nakktsong-tso,
Tschargut-tso und Addan-tso verlebte, ein ganz besonderes Andenken,
denn sie waren für mich eine unvergeßliche Unterbrechung der langen,
einförmigen Karawanenmärsche. Die Untersuchungen können nur als
vorläufig betrachtet werden, aber sie gaben mir doch einen sehr
wertvollen Überblick über die Hydrographie dieser wunderbar schönen
Seeregion. Wenn die Wasserspiegel hier um etwa 50 Meter gehoben würden,
so würde eine echte, an Norwegens und Schottlands Küsten erinnernde
Fjordlandschaft entstehen. Wahrscheinlich ist auch dieses Land einst
mit Eis bedeckt gewesen, obgleich man vergebens nach Gletscherspuren,
Schrammen, Moränen oder erratischen Blöcken sucht. Die Gesteine sind
verwittert, und alle Spuren fortgetragen, vernichtet. Der Addan-tso
ist der höchste und größte See dieses Gebietes. Mehrere Flüsse von
den angrenzenden Gebirgen, besonders von den hohen Schneeketten, die
im Süden sichtbar sind, ergießen sich in ihn. Der Addan-tso entleert
sein überflüssiges Wasser in den Tschargut-tso, und dieser hat in dem
Jaggju-rappga-Flusse einen Abfluß nach dem Selling-tso. Weiter kommt
das Wasser nicht; es bleibt im Selling-tso, wo es verdunstet, und daher
ist auch nur dieser See salzig. In welchem Verhältnis der Nakktsong-tso
zum Selling-tso steht, ist mir nicht ganz klar geworden. Möglicherweise
existiert ein unterirdischer Abfluß, vielleicht aber ergießt er sich
auch in einen weiter südlich liegenden See, den zu sehen uns nicht
vergönnt war.

Am 25. September sollten wir uns von unseren Freunden Hladsche Tsering
und Junduk Tsering, mit denen wir seit dem 12. zusammengewesen waren,
trennen. Sie schickten mir jeder eine Haddik und ließen mir dabei eine
gute und glückliche Reise wünschen. Dann erschienen sie selbst und
versicherten, daß alles, was wir an Proviant, Führern und Lasttieren
brauchten, uns dem Befehle des Dalai-Lama gemäß zur Verfügung gestellt
werden würde. Als die Karawane marschfertig war, machte ich ihnen
schnell einen Abschiedsbesuch und überreichte ihnen verschiedene
Geschenke, wie Revolver, Messer, Kompasse und Zeugstoffe. Ich
versicherte, daß ich nicht versuchen würde, nach Lhasa vorzudringen,
und bat sie, den Dalai-Lama von mir zu grüßen; aber ich erklärte auch,
daß ich dem Wege, den die Eskorte einschlage, nicht folgen würde. Ich
sagte ihnen ein für allemal, daß die beiden Offiziere, die unsere
künftige Eskorte auf dem Wege nach Westen anführen sollten, sich zu
hüten hätten, mir gegenüber den Herrn spielen zu wollen, sondern mich
jeden Morgen zu fragen hätten, wohin ich zu gehen wünschte. Andernfalls
würden wir sie in zwei von unseren Kisten sperren und sie auf diese
Weise mit in unsere Heimat nehmen.

Hladsche Tsering erwiderte, daß er und sein Amtsbruder Junduk Tsering
mit einigen hundert Mann Kavallerie noch 20 Tage an dem Orte, wo wir
uns trennten, zu bleiben gedächten (Abb. 280). Ich sah sehr wohl ein,
daß dies nur eine List war, um uns davon abzuschrecken, schnell wieder
umzukehren, sobald die beiden abgezogen waren, und antwortete daher,
daß ich die Absicht habe, nur einige Tagereisen westwärts bis an den
nächsten Süßwassersee zu gehen und dort zu bleiben, bis er vollständig
zugefroren sei. Er klärte mich darüber auf, daß sie ohne Ungelegenheit
ein ganzes Jahr in der Gegend lagern könnten. Als ich ihm vorschlug,
daß wir, da wir ja beiderseits so viel Zeit hätten, einander denn
doch lieber Gesellschaft leisten könnten, löste sich das Übertrumpfen
in allgemeine Heiterkeit auf. Hladsche Tsering saß in seinem Zelte und
aß Klops. Junduk Tsering war in dem seinen von Sekretären und ganzen
Haufen von Papieren umgeben. Er verfaßte einen ausführlichen Bericht an
den Dewaschung in Lhasa und schickte Briefe an die Häuptlinge im Westen
auf dem ganzen Wege bis nach Ladak.

Unser Weg lief nach Westen durch ein 30 Kilometer breites Längental,
das sowohl im Süden wie im Norden von ansehnlichen Bergketten begrenzt
ward. Das Wetter war unfreundlich, kalt und windig, die Weide schlecht;
trotzdem zählten wir 32 schwarze Zelte oder ungefähr 150 Einwohner auf
27 Kilometer. Sicherlich sind die Täler im Süden dichter, die nordwärts
gelegenen spärlicher bevölkert; in der letzteren Richtung hört das
Land überdies bald auf, bewohnbar zu sein. Mit uns ritten jetzt nur
22 Mann unter einem Anführer namens Jamdu Tsering, der bald mein ganz
besonderer Freund wurde. Den Platz, an dem wir uns im Lager Nr. 89
niederließen, nannte er +Schalung+, und einen See, der sich im Westen
zeigte, +Daggtse-tso+; ein Fluß, der sich in den westlichen Teil dieses
Sees ergießt, heißt +Boggtsang-sangpo+. Da letzterer Name auf Nain
Singhs und Littledales Karten vorkommt, kann man annehmen, daß auch die
übrigen richtig sind. Sonst habe ich nur eine äußerst geringe Anzahl
der Namen, die Littledale anführt, wiederfinden können.



Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die lange Reise nach Ladak.


Am 26. September ritten wir nach der Stelle, wo sich der
Boggtsang-sangpo in den See ergießt. Der Fluß teilt sich in mehrere
Arme, und an den Ufern ist die Weide so reichlich, daß wir hier einen
Tag rasten müssen. Wir hatten jetzt nur noch 22 Kamele, die alle sehr
erschöpft waren. Die Pferde sind in schlechtem Zustand. Jetzt sahen wir
nur 16 Zelte auf 28½ Kilometer, aber ziemlich große Schafherden. Die
Gegend ist ziemlich reich an Kulanen, Antilopen, Rebhühnern, Hasen und
Gänsen, und die Jäger versahen uns mit Fleisch in Menge. Der See ist
viel kleiner als die vorhergehenden, aber stark salzig. Ringförmige
Wälle an den Ufern verkünden, daß auch der Daggtse-tso im Austrocknen
begriffen ist. An einer Stelle standen sieben solcher alten Uferwälle
deutlich ausgeprägt übereinander.

[Illustration: 286. Fischen im Boggtsang-sangpo. (S. 305.)]

[Illustration: 287. Die Yake werden beladen. (S. 310.)]

[Illustration: 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache. (S. 312.)]

[Illustration: 289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso. (S. 316.)

Auf den Bergen im Hintergrund einige Uferlinien.]

Während der folgenden Tagemärsche hielten wir uns in der unmittelbaren
Nähe des Boggtsang-sangpo (Abb. 281). An einem Punkte, wo wir den
Fluß kreuzten, hatte ihn auch Littledale überschritten. Captain
Bowers Route, die wir am Nakktsong-tso und Tschargut-tso gestreift
hatten, liegt nun eine ziemliche Strecke nördlich von unserem Wege,
und wir berühren sie nicht mehr. Nain Singhs Weg läuft einstweilen
noch südlich von unserer Straße. Dadurch, daß ich jetzt dem Laufe
dieses Flusses folgte, konnte ich die Routen der drei Reisenden, die
vor mir diese Teile von Tibet besucht hatten, vermeiden. Es würde
unsere Landeskenntnis vermehren, wenn ich andere Gegenden aufsuchte.
Oft war es jedoch unmöglich zu entscheiden, ob ich mit Littledales
Weg in Kollision war oder nicht. Die Karte dieses ausgezeichneten,
unermüdlichen Reisenden ist leider in zu kleinem Maßstabe ausgeführt,
als daß man sich mit ihrer Hilfe in dem Terrain zurechtfinden könnte.
Bei den Anforderungen, die ich an meine Karte stellte, betrachtete ich
die Landesteile, die meine Vorgänger durchreist hatten und in denen
ich es nicht vermeiden konnte, ihre Routen zu kreuzen oder sogar auf
kurzen Strecken ebenfalls zu benutzen, als unerforschtes Land. Auf
Littledales Karte findet man z. B. weder den Nakktsong-tso noch
den Tschargut-tso, auf der von Bower allerdings diese beiden Seen,
aber nicht den Selling-tso. Bower reiste zwischen dem Nakktsong-tso
und dem Tschargut-tso durch, aber er erforschte nicht das Verhältnis,
in welchem die verschiedenen Seen zueinander stehen; der Addan-tso
ist auf seiner Karte gar nicht angegeben, ebensowenig ein Abfluß des
Tschargut-tso. Er hat geglaubt, daß der Jaggju-rappga ein Fluß sei, der
sich +in+ den Tschargut-tso ergießt, obwohl das Wasser +aus+ dem See
strömt. Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht, das vorhandene
Kartenmaterial über Innerasien in dieser Arbeit zu kritisieren, ich
will nur erklären, weshalb ich Grund hatte, manchen Landesteil, den
auf der Karte eine rote Linie durchzieht, als eine ~terra incognita~
zu betrachten. Der Zweck einer Reise durch unbekanntes Land ist doch,
daß man vor allem eine Karte desselben vorzeigen kann, und eine solche
ist zwecklos, wenn sie nicht vollkommen zuverlässig ist. Was haben die
großen Strapazen und Kosten, die mit einer solchen Reise verbunden
sind, sonst für einen Nutzen? Littledales und Bowers Reisen sind
übrigens bewundernswerte Beweise von Kraft und Ausdauer. Von den drei
Karten aber ist Nain Singhs die beste, obwohl sie einer Revision sehr
bedarf. --

Die erste Tagereise längs des Boggtsang-sangpo ging durch ziemlich
gutes Weideland; hier und dort zeigten sich Nomadenlager. Das Wetter
war herrlich, obgleich die Nachtkälte bis auf -8 Grad fiel. Es war
ganz windstill, keine Wolke sichtbar; solches Wetter würde uns auf dem
Tschargut-tso gefallen haben. Wenn man, wie wir, nach Westen reitet,
wird die linke Seite des Gesichtes so von der Sonne angegriffen, daß
die Haut stückweise abblättert, während die andere eisig kalt ist.
Der linke Fuß hat es schön warm, indes der rechte im Schatten beinahe
erfriert.

Am 29. September legten wir 29 Kilometer zurück und lagerten am Ufer
des Flusses im Lager Nr. 92 unmittelbar neben seinen brausenden Wirbeln
(Abb. 282, 283). In der Dämmerung langten die Tibeter an und schlugen
ihre Zelte uns gerade gegenüber am rechten Ufer auf.

Am folgenden Tag marschierten wir auf dem südlichen Ufer. Der Fluß
macht viele Krümmungen und hat ein scharf ausgeprägtes Bett. Das
südlich von seinem Tale liegende Gebirge heißt +Nangra+. Schagdur
hatte sich ein paar Stunden lang nicht sehen lassen; als er uns aber
einholte, schwenkte er triumphierend ein Bündel prächtiger Fische in
der Luft. Sobald wir das Lager aufgeschlagen hatten, wurde das Boot
zusammengesetzt, und die Lopmänner fischten mit dem Schleppnetz in den
Flußbiegungen (Abb. 286). Die Angler hatten jedoch mehr Glück.

Drei Tage Marsch und den vierten Rast ist jetzt unter gewöhnlichen
Verhältnissen die Regel. Infolgedessen war der 1. Oktober ein Rasttag;
er wurde von den meisten zum Fischfang benutzt. Schagdur hat das größte
Fischglück; er angelte 18 Stück und schoß außerdem zur Abwechslung
eine Antilope. Turdu Bai steht den ganzen Tag wie ein alter, in der
Sommerfrische befindlicher Onkel mit seiner Angelrute in der Hand am
Ufer und hat dabei die unerschütterliche Geduld des echten Anglers. Er
schmunzelte ordentlich, als er mir seinen Fang zeigte. Der Lama las
heilige Schriften. Jamdu Tsering und Tsering Daschi (Abb. 284), die
Anführer unserer Leibwache, baten mich, ihnen eines unserer Schafe
zu überlassen, da sie nichts mehr zu essen hätten, beim nächsten
Zeltlager sollten wir Ersatz dafür erhalten. Ihre Bitte wurde ihnen
mit um so größerer Bereitwilligkeit gewährt, als sie uns schon viele
Freundlichkeiten erwiesen hatten.

2. Oktober. In der Nacht hatten wir -11 Grad; der Winter naht sich, wir
müssen uns beeilen, nach Ladak zu kommen. Der Tagemarsch führte nach
Westsüdwest, auf dem Südufer des Boggtsang-sangpo, und zum vierten Male
lagerten wir an diesem Flusse (Abb. 285). Die Breite betrug hier nur 6
Meter, aber die Tiefe war groß. Die Zelte sind kaum aufgeschlagen, als
die Angelruten schon wieder in voller Tätigkeit sind. Während dieser
Tage lebten wir hauptsächlich von Fischen, ich fast ausschließlich.

Am 3. Oktober folgten wir dem Flusse zum letzten Male und ließen ihn
nachher links liegen. Ich hätte gar zu gern einen südlicheren Weg
eingeschlagen, aber das Land war zu gebirgig für die Kamele. Heute
tröstete ich mich überdies mit der Aussicht, den Berg kennenzulernen,
den Littledale den „Vulkan Tongo“ nennt, von dem mir aber gesagt
wurde, daß er +Erenak-tschimmo+ heiße. Von unserem Lager Nr. 95 aus
gesehen, glich er an Gestalt einem regelrechten Vulkankegel; aber von
dem heutigen Passe sah man, daß er, wie alle anderen Kämme hier in
der Gegend, eine nicht unbedeutende Ausdehnung nach Westen hatte. Die
Karawane mußte ihre eigene Straße mit den Tibetern ziehen, während wir,
nämlich ich, der Lama und Tschernoff, nach dem Berge hinaufritten.
Über einige Konglomeratplatten gelangen wir an einen Bach am Fuße des
Berges, wo ein einsames Nomadenzelt aufgeschlagen war. Wir ritten
so hoch hinauf, als unsere Pferde es aushalten konnten, und gingen
dann zu Fuß weiter. Bald hatten wir jedoch genug vom Klettern und
rasteten eine gute Weile. An einigen Stellen trat anstehendes Gestein
zutage, das aus Granit, kristallinischem Schiefer und Porphyr bestand,
während verschiedene andere Gesteinarten durch lose Stücke vertreten
waren. Ein Vulkan ist dieser Berg nicht und ist es auch nie gewesen;
er ist nur ein Glied in den parallelen Ketten, die, von dem hohen
Aussichtspunkte betrachtet, die ganze Landschaft als ein unentwirrbares
Durcheinander von Kämmen und Rücken erscheinen lassen, in welchem wir
nur die dominierenden Schneegipfel und die Täler, durch welche wir vom
Daggtse-tso an gezogen sind, wiedererkennen. Herrlich und friedvoll war
es dort oben mitten in den Wolken und Winden, fern von der Karawane und
ihren kleinen Intrigen; ich wäre gern ein paar Tage dort geblieben.

Im östlichen Giebel des dritten der kleinen krenelierten Kämme gibt es
eine runde Grotte mit einem äußeren und einem inneren Raume, die eine
Mauer aus Steinplatten trennt. Der Eingang der Grotte ist ungefähr 3
Meter hoch. Nach der dicken Rußschicht an der Decke zu urteilen, ist
die Grotte lange Zeit bewohnt gewesen; der Felsboden in ihrem Inneren
ist mit Schafmist bedeckt. Wir saßen eine Weile in der Grotte und
genossen die malerische Aussicht durch ihre Öffnung -- das ganze Tal
glänzte im Sonnenschein, während wir uns bei Windstille im kühlen
Schatten befanden. Auf verschiedenen Steinplatten sind die Worte „Om
mani padme hum“ eingehauen. Vielleicht hat ein Eremit, der sein Leben
den Göttern des Berges geweiht, hier seinen Wohnsitz gehabt.

Dann ritten wir weiter nach einem ziemlich bequemen Passe hinauf.
Unterwegs fanden wir Hamra Kul in einer Rinne. Er hätte tot sein
können, so regungslos lag er auf der Seite. Ich trat an ihn heran und
betrachtete ihn; er jammerte und versicherte, keinen Schritt mehr gehen
zu können. Er wurde einstweilen liegengelassen, denn ich wußte ganz
genau, wo ihn der Schuh drückte. Gestern war er nämlich von seinem
Posten als Führer der Pferdekarawane abgesetzt worden, weil er sich
wiederholt hatte Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen, und Mollah
Schah war zu seinem Nachfolger ernannt worden.

Jenseits des Passes (5014 Meter) hatten sich die Tibeter
niedergelassen, die nun kamen, um mir ihr Bedauern darüber
auszudrücken, daß wir nicht auf sie hätten hören wollen, als sie
gesagt, weiter fort gebe es keine Weide. Ich konnte es nicht ändern
und ritt in der Dunkelheit nach dem Lager, das in einer Gegend
namens +Tschuring+ aufgeschlagen war. Hier wußte Mollah Schah, der
in Littledales Diensten gewesen war, Bescheid, und zu noch größerer
Gewißheit fanden wir ein Eselhufeisen, das von keiner anderen als des
Engländers Karawane stammen konnte.

Der 5. Oktober, an dem wir 24 Kilometer nach Westen ritten, war einer
der schlimmsten Tage, deren ich mich erinnern kann. Nachts hatten wir
-13,7 Grad gehabt, und der Bach am Lager war zugefroren, so daß ich
wiederholt durch das helle Krachen der Eisscheiben geweckt wurde. Bei
dem Kohlenbecken in der Jurte spürt man die Kälte nicht, aber bei
direktem Gegenwind und halbem Sturm war es grimmig kalt auf dem Ritte.
Man erlahmt, wird durchkältet und ist schließlich arbeitsunfähig. Die
Sonne stand fast den ganzen Tag am Himmel, aber der Wind neutralisiert
ihre Wirkung. Sowohl die Unseren wie die Tibeter gingen meistens
zu Fuß, um nicht zu erfrieren. Mir war es eine außerordentliche
Anstrengung, in einer solchen Höhe gegen solchen Wind zu Fuß zu gehen.
Wenn ich das Gefühl in den Händen verliere, raste ich daher eine Weile
in der Schlucht mit dem Rücken gegen den Wind und rauche eine Pfeife.
Einigermaßen aufgetaut, hole ich die Karawane zu Pferde ein, bin
dann aber schon wieder für eine neue Rast reif. Das wird ein netter
Winter werden, dachten wir, wenn schon der Herbst so eisig kalt ist!
Am traurigsten ist es jedoch, daß es mit allen unseren Kamelen und
Pferden beinahe gleichzeitig zu Ende geht. Eines der jungen Kamele
aus Tscharchlik blieb heute schon zu Anfang des Marsches zurück. Ich
wollte es töten lassen; aber nachdem es uns gelungen war, es wieder
auf die Beine zu bringen, führte ich es selbst, bis es sich wieder
hinlegte. Der Packsattel wurde ihm abgenommen und aufgetrennt, und es
fraß das Strohpolster mit gutem Appetit. Sein ganzer Körper gewährte
einen traurigen Anblick, nur Haut und Knochen, und doch will man die
Tiere nicht eher opfern, als bis man sie nicht mehr dazu bewegen kann,
auch nur einen Fuß vorzusetzen. Man hofft stets, an einen Weideplatz
zu gelangen, wo die Müden ihre erschöpften Kräfte wiedergewinnen
können. Nachdem ich einen Mann bei ihm zurückgelassen hatte, ritt ich
weiter, doch nur, um bald zwei Kamele zu überholen, die ebenfalls mit
ihren Führern zurückgeblieben waren. Eines von ihnen hatte die dumme
Gewohnheit, bei jedem Schritt mit dem linken Vorderfuße gegen den
rechten zu schlagen, wodurch eine Wunde entstanden war, die nie ruhig
heilen konnte, sondern beständig blutete. Die Wunde mußte täglich
nachgesehen, ausgewaschen und verbunden werden.

Später überholten wir zwei zurückgebliebene Pferde, die Kutschuk
führte. Das eine von ihnen war dasjenige, welches ich geritten hatte,
als ich vor mehr als zwei Jahren Kaschgar verließ, also der älteste
Veteran unter den Pferden. Das andere war einer von Kamba Bombos
Schimmeln. Mein Reitpferd, auf dem ich von Tscharchlik aufgebrochen war
und das wir schon ein paarmal für verloren gehalten hatten, kam noch
immer mit, wenn auch mit Mühe und Not.

Die Krankenliste ist gegenwärtig größer als je. Hamra Kul, der gestern
zurückblieb, wurde von einigen freundlichen Tibetern geholt. Mit
Muhammed Tokta geht es in alter Weise, d. h. er muß auf seinem Pferde
angebunden werden und lehnt dort vornüber gebeugt, still und geduldig,
gegen ein Kissen. Almas hat Augenschmerzen und behauptet, fast blind
zu sein; nachdem er aber ein wenig Kokain und eine dunkle Brille
bekommen, ist er bedeutend munterer. Bei solchem Wind muß man indessen
ganz besonders eingerichtete Augen haben, wenn sie einem nicht wehtun
sollen. Nach dem heutigen Tagemarsche braucht man eine gute Stunde,
ehe man wieder arbeitsfähig ist. Ich glaube nicht, daß das Erfrieren
so schlimm ist; man erstarrt zur Gefühllosigkeit ohne nennenswerte
Schmerzen. Am Abend wurde auch Chodai Kullu krank gemeldet; er hatte
Fieberschauer und Kopfschmerzen, weshalb er Chinin bekam. Bald steht
die halbe Karawane auf der Krankenliste.

Ich ließ mir Jamdu Tsering rufen und sagte ihm, es werde jetzt wirklich
Zeit, daß er uns die vom Dalai-Lama zugesagten Yake besorge; er
versprach, die Sache bald ins Reine zu bringen.

Im Laufe des Tages ritten wir an dem Flusse hinauf, der sich weiter
östlich in den Boggtsang-sangpo ergießt. Hier und dort sehen wir
Schafhürden, die einfach aus einer halbkreisförmigen Steinmauer
bestehen, deren höchster Teil dem hier vorherrschenden Westwinde
zugekehrt ist. Die grauen Mauern stechen scharf ab gegen den Boden im
Innern, der mit Mist bedeckt ist.

In der Gegend von +Setscha+ (5048 Meter) mußten wir an einem nicht
unbedeutenden Flusse Halt machen; Ahmed, Islam, Hamra Kul, der Mollah,
Tschernoff, drei Kamele und zwei Pferde waren zurückgeblieben. Sie
langten erst lange nach Dunkelwerden an. Das erste Kamel hatte getötet
werden müssen, das zweite sollte morgen geholt werden, nur das dritte
war noch mitgekommen. Ein Pferd war gestorben, das Kaschgarpferd lag am
folgenden Morgen, 6. Oktober, tot beim Lager, ein drittes brach auf dem
Wege nach dem nächsten Rastorte zusammen. Die Karawane verkleinert sich
nur allzu schnell!

Die Nachtkälte sank auf -14,9 Grad, und das Eis des Flusses trug. Ein
ganz kurzer Tagemarsch wurde gemacht, um einen Platz mit besserer,
wenn auch erbärmlicher Weide zu erreichen. Wenn wir so langsam
vorwärtsschreiten, können wir kaum hoffen, vor Weihnachten nach Ladak
zu gelangen. In dem Lager Nr. 98, wo wir Yake erhalten sollten, wurden
im Laufe des Tages alle unsere Sachen umgepackt. Alle Lasten wurden
auseinandergenommen und zu kleineren Ballen verschnürt, denn der Yak
ist einer Kamellast nicht gewachsen.

Schon um 9 Uhr abends hatten wir -10,6 Grad und nachts -17,9 Grad. Der
Winter hatte schon seinen Einzug gehalten, und sein Regiment würde nun
volle sieben Monate dauern!

Unter dem Vorwand, nach Weide zu suchen, eigentlich aber um nicht
denselben Weg wie Littledale gehen zu müssen, brach ich am Morgen des
7. Oktober nach einer südlicheren Richtung auf und nahm Tschernoff,
Li Loje, den Lama und Kutschuk, 4 Maulesel, 5 Pferde und Proviant
mit. Über Nacht waren 18 vortreffliche Yake angelangt; sie mußten die
Lasten übernehmen (Abb. 287), und die meisten unserer Tiere, vor
allem die erschöpften, wurden mit Arbeit verschont. Schagdur wurde zum
Befehlshaber ernannt und hatte das Recht, überall, wo gute Weide war,
einige Tage zu bleiben. Die Kranken waren in Besserung; nur für die
Genesung des alten Muhammed Tokta war nicht viel Hoffnung vorhanden, er
blieb aber in bewundernswerter Weise guten Mutes.

Als wir uns in Gang setzen wollten, stürmten eine Menge Tibeter herbei
und ergriffen unsere Pferde und Lasttiere bei den Zügeln und Halftern;
sie könnten uns unter keiner Bedingung nach Süden reiten lassen, denn
dann würden sie alle geköpft werden. Ich ließ ihnen durch den Lama
sagen, wenn sie die Tiere nicht sofort losließen, würden wir zu den
Revolvern greifen, was für sie entschieden sehr unangenehme Folgen
haben könnte. Sie zogen sich zurück, folgten uns aber noch eine Strecke
weit zu Fuß und versicherten, daß es hierzulande nach Süden hin
weder Weide noch gangbare Wege gebe. Als wir schließlich nicht mehr
antworteten, kehrten sie um.

Über einen nicht sehr hohen Paß in der nächsten Kette gelangten wir an
den Oberlauf des +Tschuring+. Der Fluß war hier teilweise zugefroren.
Tschernoff stach fünf mittelgroße Fische mit seinem Säbel, fiel jedoch
in seinem Eifer dabei ins Wasser. Auf dem Passe erschien jetzt eine
Schar von 12 Tibetern, die den steilen Abhang hinunterjagten, uns bald
einholten und uns mit ihrem ewigen Schellengeklingel und Waffengerassel
folgten. Tsering Daschi führte die Schar; die übrige Mannschaft blieb
unter Jamdu Tsering bei der Karawane. Wir ritten an einigen Zelten
vorbei, deren Bewohner bestürzt herauseilten, um diese außergewöhnliche
Gesellschaft zu betrachten. Tsering Daschi zeigte nach einem Passe
im Nordwesten, dem „einzig möglichen“, aber wir ließen uns nichts
weismachen, sondern gingen flußaufwärts weiter. Ein Schimmel, der schon
müde war, zwang uns Lager zu schlagen, und wir beschäftigten uns dann
mit ergiebigem Fischfang. Abends traf noch eine Reiterschar ein, und
wir hörten, wie sich die Männer eifrig miteinander berieten.

Bei Tagesanbruch erhielt unser Gefolge wieder Verstärkung, und jetzt
erschien auch der alte Jamdu Tsering. Die Tibeter hatten keine Zelte
mitgenommen und hockten frierend unter freiem Himmel. Der alte Herr
sah bedauernswert aus; er war die Nacht durch geritten und war
durchgefroren, niedergeschlagen und betrübt über die Sorgen, die wir
ihm machten. Er bat mich, doch um Gottes willen wieder zu der Karawane
zurückzukehren, und sagte, als nichts half, er habe seine Soldaten die
Lasten von den Yaken nehmen lassen -- sie dürften uns nicht helfen,
wenn wir uns ihrem Willen nicht fügten. Dies war entschieden gelogen,
andernfalls hätte mir Schagdur einen Kurier geschickt.

Als wir talaufwärts nach Süden weiterritten, erklärte Jamdu Tsering,
daß er jetzt wirklich zurückreiten und uns die Yake nehmen werde. „Tut
das“, sagte ich, „nehmt euch aber vor den Kosaken in acht!“ Es wimmelte
um uns her wieder von Soldaten und Reitern; eine neue Mobilmachung
war in Szene gesetzt worden. Der gute Jamdu Tsering hatte so viel zu
bedenken, daß er gar nicht wußte, wo ihm der Kopf stand.

Während des Rittes sahen wir noch mehrere Nomadenzelte im Tale. Sind
die Bewohner gar zu zudringlich, so braucht nur ein Soldat eine
Handbewegung zu machen, und sie verschwinden. Merkwürdig, wie dies
halbwilde Volk zusammenhält! Eine Art Freimaurerei scheint unter
ihnen zu herrschen; sie sind den Göttern und der Obrigkeit in blindem
Gehorsam untertan und würden sich durch kein Gold erkaufen lassen. Es
würde uns nicht gelingen, jemand zu überreden, uns einen Weg nach Süden
zu zeigen. Man denke, ein Land, in dem es keinen einzigen Verräter gibt!

Am Ufer des +Dschandin-tso+, des Quellsees des Tschuring, wurde das
Lager Nr. 100 aufgeschlagen. Der See war leicht überfroren, aber der
Wind zertrümmerte nachher den Eisspiegel.

Am 9. Oktober lag der See nach einer kalten Nacht wieder eisbedeckt da.
Nur sechs Tibeter waren noch bei uns geblieben. Sie erkundigten sich
höflich nach unseren Absichten, und ich deutete nach Westsüdwest, wo
sich ein Tal öffnete. Die Tagereise führte uns durch dieses, und sobald
wir jene Richtung eingeschlagen hatten, verschwanden drei Reiter, um
Jamdu Tsering Bescheid zu bringen. Der Paß, der jetzt überschritten
wurde, hatte eine bedeutende Höhe, und von seinem Kamme hat man
die großartigste Aussicht über diese gigantischen, majestätischen
Gebirgsgegenden. Gerade im Westen erhebt sich, ganz mit ewigem Schnee
bedeckt, der gewaltige Gebirgsstock +Schah-gandschum+. Er bildet drei
Dome, von denen der mittelste der höchste ist, und hatte in der völlig
klaren, reinen Luft eine herrliche Wirkung; man sehnt sich förmlich
nach seiner friedlichen Freistatt.

In der Gegend +Amrik-wa+ ließen wir uns zwischen den Höhlen der
Murmeltiere nieder. Der Wind heulte um das Zelt, es war so kalt, wie in
dem ärgsten Eiskeller, man ist wie zerschlagen von der Kälte.

Der folgende Tag war von demselben trostlosen Pfeifen und Stöhnen
des Windes begleitet. Der Himmel ist leuchtend blau wie der edelste
Türkis; aber dennoch hält der unermüdliche Passatwind an, der von allem
Ungemach hier im Lande das ärgste ist. Unser Weg geht zwischen dunkeln
wilden Felsen über mehrere unbedeutende Pässe nach Westnordwesten. Hier
gibt es viele Kulane, Antilopen und Wölfe. Das Tal wird schließlich
offener, und der Boden senkt sich langsam nach Nordwesten. Auf der
linken Seite zeigen sich fünf Zelte. Wir rasten unter einem einzelnen
Berge, um geschützt zu sein, aber über seinem Gipfel toben und brausen
die Windstöße wie wirbelnde Wasserfälle. Einige Ketten sind mit
Schnee bedeckt, und der Wind bläst den Schnee von ihren Kämmen, daß
er weißen Puderwolken oder in der Sonne blendend weiß erscheinenden
Kometenschweifen gleicht.

11. Oktober. Der Zustand der Pferde erlaubte keine weiteren Abstecher
nach Süden. Wir waren in viel zu hohe Regionen geraten und mußten
uns wieder mit den Unsrigen vereinen. Wir ritten daher über ein
sehr offenes, weites Tal nach Nordwesten, wobei der herrliche
Schah-gandschum links von unserem Wege in unserer unmittelbaren Nähe
sich frei erhob. Der Koloß gewährte mit seinem ewigen Schnee und seinen
vier rudimentären Gletschern einen wundervollen Anblick. Littledale
nennt ihn Shakkanjorm; er ging hier durch ein nördlicheres Tal.

Auf halbem Wege trafen wir Jamdu Tsering, der uns durch seine Kuriere
die ganze Zeit über im Auge behalten hatte. So seltsam es auch klingen
mag, wir freuten uns beide aufrichtig, einander wiederzusehen, und
begrüßten uns auf das freundlichste. Er könne nun selbst sehen, sagte
ich, daß ich mit meiner Reise nach Süden keine bösen Absichten gehabt
habe, wogegen er beteuerte, es habe ihm nur leid getan, daß ich
unnötigerweise über eine ganze Reihe von Pässen klettern sollte, und er
sei ganz entsetzlich besorgt gewesen, daß dies mich angreifen würde!

In einem Quertale ritten wir nach Nordwesten weiter. Der Lagerplatz der
großen Karawane lag an einem Quellbache, der klein, aber tief, klar
und fischreich war, so daß ich zum Mittagsessen wieder Fische erhielt
(Abb. 288). Alle befanden sich gut, außer unserem Alten, dessen ganzer
Körper aufgedunsen war. Ich versuchte, ihn auf die zweckmäßigste Weise
zu behandeln; er erklärte jedoch, er wolle gar nicht geheilt werden, er
habe nur den Wunsch gehabt, mich noch einmal wiederzusehen und dann zu
sterben! Armer Mann!

In diesem Lager, Nr. 103 (4860 Meter), trennten wir uns am 13. von
Jamdu Tsering und Tsering Daschi, die nur beauftragt waren, uns bis
hierher an die Grenze zu bringen, und nun baten, ihnen zu bescheinigen,
daß sie ihren Dienst gut verrichtet hätten und ich mit ihnen zufrieden
gewesen sei. Man sieht daraus, daß sie Befehl erhalten hatten,
höflich zu sein. Der Lama mußte das Zeugnis aufsetzen. Hier in der
Gegend soll die Grenze zwischen Nakktsong und der nächsten Provinz
sein, deren Name, Bomba, auch auf Littledales Karte angegeben ist.
Ein neuer Häuptling, Jarwo Tsering, sollte von nun an für unsere
Weiterbeförderung sorgen.

[Illustration: 290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager
Nr. 114. (S. 321.)]

[Illustration: 291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager
Nr. 114. (S. 321.)]

Jamdu und sein Kamerad ließen sich nicht mehr sehen, weshalb ich
die Revolver und Messer, die ich ihnen zu schenken gedacht hatte,
behalten konnte. Die alten Yakbesitzer waren abgelohnt worden und
mit ihren Tieren abgezogen, aber es waren uns neue versprochen worden.
Anfangs mußten wir jedoch allein für unser Gepäck sorgen. In dem
reizenden Tale +Ramlung+ stellten sich die neuen Yake ein, begleitet
von ihren Besitzern und unseren beiden alten Reisegefährten, die
augenscheinlich nicht um ihre Geschenke kommen wollten. Nach Osten hat
man von hier eine weite Aussicht; bei Sonnenuntergang waren die in der
Ferne verschwimmenden Kämme wie von einem Steppenbrande beleuchtet.
Scharf gezeichnet stehen die schwarzen und weißblauen Zelte der Tibeter
im Vordergrund zwischen dem hohen, harten, gelben Grase, in dem die
Männer ihre Pferde von Zeit zu Zeit nach einer anderen Stelle führen.
Im Zenith ist der Himmel rosig, am östlichen Horizont dunkelblau;
letzteres ist der Widerschein von den Gegenden, in denen schon Nacht
herrscht. Wir hatten nicht mehr als 16 Kilometer zurückgelegt; es
kam sehr selten vor, daß wir unter solchen Verhältnissen mehr als 20
Kilometer marschieren konnten.

Am 14. Oktober zogen wir mit 30 neuen Begleitern und 22 Yaken ab, die
für ein Tsos täglich pro Yak gemietet waren. 8 Tsos wurden uns hier für
1 Liang chinesischen Silbers gegeben, wobei wir natürlich übervorteilt
wurden. Die Tibeter versuchten sichtlich, die Länge der Tagereisen
möglichst abzukürzen, aber es gelang ihnen nicht, ich bestimmte
stets die Lagerplätze. Das Wasser fängt jedoch an, immer seltener zu
werden, und manchmal war es unmöglich, ohne die Hilfe der Tibeter
Quellen zu finden. Schagdur, der stets fürsorglich war, verschaffte
uns sowohl süße wie sauere Milch aus einem Zelte, das er in einer
Schlucht entdeckte. Das Terrain senkt sich langsam nach Norden, und
manchmal kann man in dieser Richtung bis zu sechs parallele Bergketten
hintereinander zählen. Wir zogen hier auf einem südlicheren Wege als
Littledale. An der +Scholungquelle+ erwartete uns am Abend des 15. eine
neue Reihe von Yaken, und auch am folgenden Tage wuchsen neue Trabanten
wie mit einem Zauberschlage aus der Erde. Die bisherigen Yakleute
machten Schwierigkeiten und wollten durchaus mit Tsos von Lhasa bezahlt
werden, denn chinesisches Silbergeld war ihnen fremd. Als ich ihnen
jedoch erklärte, daß sie in solchem Falle gar nichts bekämen, wurden
sie fügsamer.

Tscherdons Pferd starb, und von den anderen können nur noch wenige
ihre Reiter tragen. Vier Mann reiten Maulesel, die viel zäher
und ausdauernder sind als Pferde. Muhammed Toktas Füße waren so
geschwollen, daß die Stiefel heruntergeschnitten und die Füße mit Filz
umwickelt werden mußten. Auf der ganzen Tagereise sahen wir keinen
Tropfen Wasser; das Gras ist erbärmlich, und das Land immer spärlicher
bewohnt. Doch werden stets so viele Schafe, als wir brauchen, für uns
bereitgehalten.

Am 18. Oktober machten wir eine interessante, 20 Kilometer lange
Reise nach Südwesten. Vom Lager ritten wir nach dem Abhang der Kette,
die unser Längental im Süden begrenzte, hinauf. Die Tibeter nahmen
mit allen Yaken und unserem Gepäck den Weg durch eine Schlucht und
erklärten, daß wir über einen leichten Paß müßten. Ja, für die Yake
mochte er nicht schwer sein, aber für die Kamele war er sicherlich
mörderisch. Wir zogen daher längs des Fußes des Gebirges über zahllose
Rinnen weiter. Von dem Vorsprunge, wo wir nach Süden abbiegen, wird
jetzt in unserer Nähe der Salzsee +Lakkor-tso+ sichtbar. Littledale
zog in ziemlicher Entfernung nach Norden hin an diesem See vorüber; er
machte die sehr richtige Beobachtung, daß die meisten der tibetischen
Salzseen im Austrocknen begriffen sind. Dies fällt bei dem Lakkor-tso
besonders auf. Längs seiner Ufer erstrecken sich alte Uferlinien, die
sich zu bedeutender Höhe über den Seespiegel erheben. An flachen,
langsam abfallenden Uferstrecken bilden sie Wälle, hinter denen oft
Lagunen stehen. Die Ufer sind kreideweiß von Salz, das, trocken
und pulverisiert, vom Winde in weiße Wolken aufgewirbelt wird, die
Wasserdampf oder stäubendem Mehle gleichen. Während des weiteren
Marsches nach Süden nach dem heutigen Lager am Flusse +Somme-sangpo+,
der westwärts dem See zuströmt, gingen wir oft über Buchten, die
jetzt ausgetrocknet, aber von mächtigen Wällen eingefaßt und mit
Pyramiden und Kegeln angefüllt waren, die aus entschieden vom Winde
ausgemeißelten Salzablagerungen bestanden.

Bei dem Lager war die Weide gut. Im Süden zieht sich noch immer eine
wilde, gewaltige Bergkette hin, die uns, soweit wir sehen können, noch
mehrere Tage den Übergang mit Kamelen schwerlich erlauben wird.

Der Hund Hamra mußte erschossen werden, weil er uns nachts nie ruhig
schlafen ließ. Hatte er keine Tibeter anzubellen, so bellte er unsere
eigenen Nachtwachen und die Karawanentiere an. Zwei Pferde starben;
seltsamerweise gebaren in derselben Nacht zwei Kamelweibchen zu früh
Füllen. Turdu Bai glaubte, dies sei der Kälte, -15,4 Grad, und dem
Umstande zuzuschreiben, daß sie außer der Zeit kaltes Wasser getrunken
hatten. Die Mütter befanden sich jedoch vorzüglich und durften am
19. ausruhen. Auch an diesem Lagerplatze erhielten wir neue Wächter
und 40 Yake. Schon um 9 Uhr waren es fast -10 Grad; man konnte den
Fluß zufrieren hören, denn es klang und knallte in den neugebildeten
Eisscheiben.



Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Via dolorosa.


Am 20. Oktober begann der Passatwind um 9½ Uhr. Ich nenne diesen Wind
mit Vorliebe so, denn er weht mit staunenerregender Regelmäßigkeit.
Nach Mittag schwoll er zum Sturme, einem vollständigen Wüstensturme,
an und jagte so dichte Wolken von Sand, Staub und Salz vor sich her,
daß die Landschaft oft völlig verschwand. Dennoch war es ein prächtiger
Anblick, wie diese kreideweißen Wolken von dem Westufer des Lakkor-tso
über den See und von dem östlichen Ufer landeinwärts wirbelten, während
die ebenso weißen Wogen gegen den Strand tosten. Als wir an diesem
entlangzogen und der Wind mit besonderem Nachdruck uns von der Seite
packte, schwankten die Kamele wie Trunkene, und die Reiter hatten Mühe,
sich im Sattel zu halten. Zwei wichtige klimatische Charakterzüge
haben wir gefunden: die Regenzeit tritt im Spätsommer ein und dauert
den Vorherbst hindurch, und ihr folgt, nach einem kurzen Zwischenraum
von schönen Tagen, eine Periode mit vorherrschendem Westwind, die den
Spätherbst und Winter charakterisiert.

Dann und wann fliegt eine Filzdecke, ein Sack oder sonst ein Gegenstand
von einem Kamele und muß wieder festgebunden werden. Ich muß den Deckel
meines Marschroutenbuchs gegen den Wind halten, damit mir die Blätter
nicht zerrissen werden, und wie gewöhnlich ist man von der Kälte
durchfroren. Heute blieb eines der Pferde aus Lhasa liegen und mußte
getötet werden. Der Schimmel aber, den wir auf dem Rückzuge nach dem
Hauptquartier für verloren hielten, kommt noch immer mit. Die übrigen
Tiere hielten sich aufrecht, obwohl es mehrere Todeskandidaten unter
ihnen gab.

Wir gehen flußabwärts nach Westen und haben auf beiden Seiten sehr hohe
Bergketten. Am Endpunkt der rechten Kette schwenkt der Fluß nach Norden
ab und ergießt sich in den See, an dem hier ein Salzfeld mit gewaltigen
Hügeln weiß wie Mehl glänzt. Bald darauf befinden wir uns unten auf
dem ziemlich steilen Ufer und halten uns auf einer hohen Terrasse,
bis wir an einen neuen Fluß gelangen, der von Südsüdosten kommt und
sich ebenfalls in den See ergießt. An seinem linken Ufer wurde Halt
gemacht (Abb. 289). Alle Berge in der Nähe waren scharf gezeichnet mit
horizontalen Linien, die bei gewissen Beleuchtungen wie schwarze Bänder
aussahen. Ich beschloß, am nächsten Morgen zu messen, wie hoch die
oberste Wasserlinie über dem jetzigen Seespiegel lag.

Während des Marsches ereignete sich ein eigentümliches Abenteuer.
Der alte Muhammed Tokta blieb zurück, aber niemand achtete darauf.
Hamra Kul, der mit einigen müden Pferden langsam hinter der Karawane
herzog, fand ihn in einer Grube, wo sich der Alte, wie er ganz vergnügt
erklärte, des Reitens müde, hatte vom Pferde fallen lassen, welches
sicherlich nichts dagegen gehabt und sich nachher zu der Karawane
gesellt hatte. Hamra Kul nahm den Alten auf einem seiner Pferde
mit, und im Lager wurde er wie gewöhnlich weich in Decken und Pelze
gebettet. Abends machte ich ihm meinen gewöhnlichen Krankenbesuch, um
mich nach seinem Befinden zu erkundigen und mich zu überzeugen, daß es
ihm an nichts fehle. Manchmal pflegte er eine kleine Dosis Sulfonal
zu erhalten, um schlafen zu können. Diesmal sollte er jedoch einen
langen, tiefen Schlaf tun, ohne vorher ein Schlafmittel einzunehmen.
Er antwortete auf alle Fragen und wollte am liebsten Milch haben,
weshalb ich den anderen sagte, sie sollten ihm alle noch vorhandene
Milch bringen, von der er auch eine große Schale voll austrank. Als
ich ihn nach seinem Befinden fragte, lächelte er freundlich. Die Sonne
war jedoch noch nicht wieder aufgegangen, als er schon steif und
kalt war. Keiner hatte gemerkt, wann sein letzter Lebensfunke in der
Morgenkälte erlosch. Mollah Schah, der die letzte Nachtwache hatte,
war fortgegangen, um Brennmaterial zu sammeln. Der Tod hatte den alten
Kameltreiber im Schlafe überrascht; seine Augen waren fest geschlossen,
und er lag noch ganz in derselben Lage wie am Abend vorher.

Dieser Todesfall brachte für die Übrigen ein Gefühl der Erleichterung
mit sich, denn auf Besserung hatte keiner mehr gehofft, seitdem der
Körper des Kranken angeschwollen war und eine häßliche, dunkle Farbe
angenommen hatte. Ihm selbst war das Leben während seiner viermonatigen
Krankheit nur eine drückende Last gewesen, und der Tod war hier als
Erlöser erschienen. Er war ein redlicher, ehrlicher Mensch, und ich
hörte nie, daß jemand unfreundlich gegen ihn war, obgleich er wider
seinen Willen seinen Kameraden zur Last war; alle hatten ihn gern, weil
er selbst freundlich und stets guter Laune war und von seiner Krankheit
nie viel Aufhebens machte. Noch die letzten Abende hatte er trotz
aller Verbote versucht, sich aufzurichten und zu grüßen, wenn ich ihn
besuchte.

Die übrigen Muselmänner trafen sofort Anstalten zur Beerdigung, und
noch ehe ich mit der Todesnachricht geweckt wurde, gähnte schon finster
und unheimlich das Grab, das ihn in seine kalten Arme schließen sollte.
Aus den Boothälften wurde ein provisorisches Zelt errichtet, in dem die
Leiche gewaschen wurde. Sodann wurden ihr die Kleider und der Pelz des
Alten wieder angelegt und sie auf einer Kamelleiter zu Grabe getragen,
wo dieselbe Zeremonie wie bei Kalpets Leichenbegängnis stattfand.
Muhammed Tokta war der vierte, der auf dieser anstrengenden Reise im
innersten Asien und Tibet zugrunde ging; es war ein großer Verlust!

Die beiden Kranken, die jetzt auf der Liste standen, Almas und Ahmed,
fühlten sich nach diesem neuen Begräbnisse durchaus nicht besser; dem
ersteren war das ganze Gesicht geschwollen, und ich war seinetwegen
lange in Unruhe, ehe er sich wieder erholte.

Diese unheimliche Krankheit, die bei den drei in Tibet gestorbenen
Männern mit ungefähr gleichen Symptomen auftrat, hat ihre Ursache
nicht in falscher Ernährung. Wir hatten Nahrung vollauf, und kräftige
obendrein. An frischem Fleisch litten wir in Tibet nie Mangel,
besonders seitdem wir bewohnte Gegenden erreicht hatten, wo wir von
den Einwohnern stets Schafe und Fett erhielten. Daß die Jagd auf Yake,
Kulane und Antilopen immer guten Ertrag gab, habe ich bereits erwähnt.
Dazu hatten wir jetzt auch angenehme Abwechslung durch süße und saure
Milch, Butter und Fische, und von dem aus Tscharchlik mitgenommenen
Proviant von Reis, Mehl und Talkan war noch im Überfluß da; er war auf
zehn Monate berechnet, und wir waren erst 5½ unterwegs. Der Vorrat
mußte bis Ladak reichen; daß er nicht 10 Monate reichen konnte, beruhte
darauf, daß wir die Kamele, wenn sie anfingen hinzuschwinden, mit Brot
und Reis zu retten suchten, was auch den Vorteil hatte, daß die Lasten
kleiner wurden und die Karawane sich leichter bewegen konnte. Bevor
wir durch die Yake Entsatz erhielten, war es sogar notwendig gewesen,
möglichst viel vom Proviant zu verzehren; denn wir hätten ihn sonst,
wenn uns ein Tier nach dem andern starb, schließlich wegwerfen müssen.

Diese Krankheit rührt von der Luftverdünnung her. Die Atmosphäre hat
hier nur die halbe Dichte wie am Meer, und das Blut saugt nicht die
genügende Menge Sauerstoff ein, um das Leben aufrechtzuerhalten. Wir
leben unter abnormen Verhältnissen. Unser Körper und seine Atmungs- und
Kreislauforgane sind nicht für sie gebaut. In den Funktionen dieser
Organe treten Störungen ein, und der, welcher schon an und für sich
nicht gesund und kräftig ist, hat natürlich noch größere Aussicht
zugrunde zu gehen. Das Herz arbeitet hier unter Hochdruck, und wenn
seine Muskeln und Gewebe nicht hinreichend stark sind, vermag es nicht,
das Blut in die peripherischen Teile zu treiben. Ein hervorragender
schwedischer Arzt hat mir erklärt, daß dies die Ursache ist, weshalb
die Füße und Beine bei meinen Leuten buchstäblich hinschwanden, und
er war der Ansicht, daß die Kranken sich vielleicht hätten retten
lassen, wenn es möglich gewesen wäre, sie beständig in horizontaler
Lage, die Füße sogar etwas höher als den Kopf, zu halten. Auf einer
Karawanenreise ist es natürlich sehr schwer, die Kranken genügend zu
pflegen; man müßte vor allem an einem Orte bleiben, bis sie völlig
wiederhergestellt wären. Doch in einem Lande wie Tibet ist dies sehr
oft unmöglich, wenn nicht die ganze Karawane in Gefahr geraten soll. Es
bleibt einem keine andere Wahl, als die Kranken mitzuschleppen, und es
ist klar, daß eine solche Anstrengung und Unruhe für ihre absterbenden
Kräfte zu groß ist.

Die Yake waren schon früh aufgebrochen, von ihren zu Fuß gehenden,
pfeifenden Treibern und einem Kosaken eskortiert. Darauf folgten, von
einigen Muselmännern geführt, die kranken Kamele und Pferde, alle
ohne irgendeine Last. Nachdem die Beerdigung vorüber war, verließen
die übrigen das düstere Lager und nahmen, wie gewöhnlich, meine
Instrumentkisten auf einigen noch tüchtigen Kamelen mit. Besonders
weit war es nicht mehr bis Ladak, gegen 800 Kilometer, aber bei den
Tagemärschen, die wir machten, erschien die Entfernung endlos. Insofern
war allerdings das langsame Tempo vorteilhaft, als ich Zeit hatte,
das durchreiste Land gründlicher zu erforschen, mehrere astronomische
Punkte festzustellen und mit dem Kochthermometer öfter die Höhe zu
bestimmen.

Ich brach mit Schagdur und Sirkin nach dem Abhange des im Westen des
Lagers liegenden Berge auf. Die Höhe der alten Uferlinien über dem
jetzigen See sollte mit dem Nivellierspiegel gemessen werden. Die Höhe
des Spiegels über dem Boden betrug 1,5 Meter, und die Entfernungen
zwischen den gemessenen Punkten verkürzten sich beinahe beständig, so
daß die Linie, auf deren Einzelheiten ich jetzt nicht eingehen kann,
eine Parabel bildete.

Während des heutigen Tagemarsches sowohl wie später bei mehreren andern
Gelegenheiten konnte ich feststellen, daß die nach Westen abfallenden
Bergseiten stets energischer entwickelte Uferlinien haben als die nach
Osten abfallenden, auf denen die Linien sehr oft sogar ganz fehlen. Auf
den Nord- und Südabhängen sind sie einigermaßen deutlich. Da dies die
Regel ist, fragt man sich: was war die Ursache? Natürlich dasselbe, was
noch heute die Ursache ist, der Westpassat. Dieser treibt die Wogen
nach den Ostufern, wo der Wellenschlag eine sehr kräftige Brandung
erzeugt, während die Westufer vor dem Winde geschützt liegen.

Das Resultat der Nivellierung ergab, daß die höchste Uferlinie nicht
weniger als 133 Meter über dem jetzigen Seespiegel lag, dieser
also um diesen ungeheuren Betrag gesunken war. Sein Areal hat sich
dementsprechend verkleinert, und wir ritten mehrere Tagereisen weit
auf einstigem Seeboden.

Über einen kleinen, weichen Paß gelangten wir an noch einen Salzsee,
der genau dieselben Eigenschaften wie der Lakkor-tso, ebenso grünes
Wasser und ebenso weiße Ufer hat, aber bedeutend kleiner ist.
Sein ganzer westlicher Teil ist trocken gelegt, und dort glänzen
außerordentlich umfangreiche Salzablagerungen weiß wie Schnee. Wir
gingen am Ufer entlang, mußten aber bald wieder über einen Paß.

Unter dem Passe rastete Hamra Kul mit zwei verendeten Pferden; mit
dem einen kam er abends noch ins Lager, aber das zweite, einen
Apfelschimmel aus Korla, ließ ich sofort töten, denn es konnte nicht
mehr auf den Beinen stehen. Es hatte einen seltsamen Blick, als es
seinen langwierigen, harten Dienst beendete. Es schloß nach dem
tiefen Stiche in den Hals die Augen und lag ganz still. Als aber der
Blutstrahl versiegte und die Mattigkeit und Ruhe des Todes folgte,
öffnete es wieder die Augen, wie um zum letzten Male von diesem elenden
Leben und seinen mageren Weiden Abschied zu nehmen. Dabei blickte
das linke Auge gerade in die Sonne, die sich darin widerspiegelte,
so daß es wie der klarste Edelstein glänzte. Es hatte den Anschein,
als existierten wir, seine Henker, nicht mehr für das sterbende Tier,
sondern nur noch die Sonne. Man fühlt in solchen Augenblicken eine
drückende Beklemmung, und ich hatte unsägliches Mitleid mit diesen
geduldigen, wehrlosen Tieren, die ich nur mitgeschleppt hatte, um meine
unbezwingliche Sehnsucht, das Unbekannte zu erforschen, zu befriedigen.
Man stellt maßlose Anforderungen an diese armen Tiere. Und was gibt man
ihnen dafür? Nichts; nicht einmal das, was sie als treue Diener des
Menschen entschieden mit Recht beanspruchen können: genügende Kost,
d. h. Futter, Weide und Wasser, gut und reichlich bemessen. Man lockt
sie gleichsam mit falschen Vorspiegelungen: „Eilt fort von diesen
unerträglichen, blutdürstigen Bremsen und Mücken, von der Hitze und den
Sandstürmen in der Wüste, kommt mit nach den hohen, frischen Bergen,
nach ihren Gletscherflüssen, frischen Quellen und saftigen Weiden!“ Und
sie kommen, aber was finden sie? Eine Einöde ohne Gras, eine Luft, die
für ihre Lungen nicht ausreicht, und ein Land, für dessen Natur nur
Yake, Kulane und Antilopen geschaffen sind. Eine Reise durch Tibet ist
eine Kette von Leiden für Menschen und Tiere. Jeden Tag umgeben uns
Leiden und Jammer, und wir können uns nicht froh fühlen. Man möchte
weinen, wenn man all dieses Elend sieht, aber man stumpft auch dagegen
ab. Wie gern würde man, wenn man es nur könnte, diesen unglücklichen,
unschuldigen, unterdrückten Sklaven die Freiheit wiedergeben, sie nach
ewig grünenden Weideplätzen und sprudelnden Quellen führen und sie
das Leben genießen lassen, das für sie jetzt nur -- eine mörderische
Plage ist und klaffende Wunden hinterläßt, Wunden, die nicht geheilt
werden können. Nach all der Sterblichkeit in der Karawane, deren Zeuge
ich gewesen war, hoffte ich jetzt, daß wenigstens einige unserer Tiere
Ladak erreichen würden, damit ich sie dort mit Fürsorge überhäufen, die
Pferde wiehern hören und die Augen der Kamele vor Freude glänzen sehen
könnte. Von den 45 Pferden und Mauleseln waren jetzt nur noch 11 übrig!

Die Abende werden kalt. Kutschuk, der im Küchenzelt residiert, nimmt an
Popularität zu, wenn er ein gewaltiges Argolfeuer unterhält, denn jeder
holt sich bei ihm Kohlen für sein Zelt. Hoch stand der glänzende Mond
am Himmel, schwarz und düster lagen die Berge im Schatten, kreideweiß
breitete sich der verschwimmende See in der Nacht aus; ein Fremdling,
der um diese Stunde an das Seeufer kommen würde, würde darauf schwören
können, daß die Salzfelder Eis und Schnee seien.

22. Oktober. Es ist vorteilhaft, kurze Tagereisen zu machen, aber so
kurz wie heute brauchten sie doch nicht zu sein! Wir hatten kaum 5
Kilometer zurückgelegt, als die Führer an einer Stelle mit gutem Grase
Halt machten und uns rieten, ja hierzubleiben, da wir während der
nächsten drei Tagemärsche überhaupt keine Weide finden würden. Ferner
würden im Laufe des Tages oder der Nacht die von ihnen ausgeschickten
Reiter mit einer neuen Eskorte von Yaken und Schafen ankommen. Alle
diese Gründe waren so stichhaltig, daß wir blieben; ich ließ ihnen aber
sagen, sie sollten sich nicht einbilden, daß bei der Abrechnung über
die Yakmiete der heutige Marsch für eine ganze Tagereise gerechnet
werde. Sie waren so liebenswürdig zu antworten, daß sie dies meinem
Gutdünken überließen.

Der Weg führte über die weißen Felder mit ihren 3 Meter hohen
Pyramiden und Tischen. Selbst sehr gute Augen konnten hier die Reflexe
ohne dunkle Brille nicht ertragen. Das Gebirge im Südwesten heißt
+Marmi-gotsong+, hinter ihm liegt ein Kloster, +Marmi-gombo+. Von Zeit
zu Zeit hörten wir langgezogene Trompetenstöße von dort.

Ein voller Sturm herrschte an diesem und am nächsten Tage. Mein Pferd
arbeitet und müht sich ab, um diese dünne Luft zu durchdringen, die
dennoch so ungeheuren Widerstand leistet. In der Jurte stellte ich
stets meine Kisten an die Windseite, um die Zugluft abzuschwächen,
aber ganze Haufen von Staub und Abfällen wehten durch die Zeltöffnung
herein. Unsere Straße führte nach Nordwesten, aber noch befanden wir
uns südlich von Littledales Route. Auch im Lager Nr. 112, am Flusse
+Schaggué-tschu+, hörten wir von Süden her Posaunenstöße, den Tönen
eines Nebelhorns vergleichbar. Ich hätte zu gern die Tempel besucht,
aber die Tibeter wollten nichts davon hören, und die Pässe im Süden
waren für unsere Tiere auch zu schwierig.

[Illustration: 292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager
Nr. 114. (S. 321.)]

[Illustration: 293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. (S. 324.)]

[Illustration: 294. Lager an einem zugefrorenen Sumpfe. (S. 324.)]

Am 24. hatten wir auf beiden Seiten wilde, felsige Bergketten mit
großartigen, phantastischen Perspektiven. Gleich hinter einem flachen
Passe (4820 Meter) lagerten wir an einem kleinen Tümpel namens
+Oman-tso+. Wir sind hier in der Provinz +Sagget-sang+, die von dem
Senkorstamme bewohnt wird, ein Name, den wir auch bei Littledale
finden. Von den drei heute zurückgebliebenen Kamelen erreichte eines
noch spät das Lager, das zweite blieb auf dem Passe liegen, und das
dritte starb.

Die Kälte ging bis auf -18,8 Grad herunter. Schon beim Aufbruch (am
25.) mußte ein Pferd totgestochen werden. Sechs Kamele sind kränklich
und ziehen mit der Yakkarawane. Almas, dem es noch immer schlecht
ging, ritt auf dem ersten von ihnen. Wir holten sie bald ein und
sahen, wie eines streikte und mit zwei Männern zurückgelassen wurde;
sie versuchten, es zum Weitergehen zu bewegen. Als es sich aber in
der Lage ausstreckte, die die Kamele beim Sterben einnehmen, wurde es
mit dem Messer getötet. Noch eines blieb mit einem Wärter zurück, und
dann wieder eines. Später wurde das Dromedar auf einem Platze, wo Gras
wuchs, zurückgelassen, damit die Nachzügler es mitnehmen könnten. Almas
führte schließlich nur noch ein Kamel, die Mutter des kleinen Füllens,
das in Tscharchlik geboren war. Die Liebe zu ihrem Jungen scheint ihre
Kräfte aufrechtzuhalten. Das Junge gehört zu den Allergesundesten,
weil es mit Brot gefüttert wird; es saugt jetzt nur noch selten an dem
versiegenden Euter der Mutter. Wir haben jetzt nur noch 18 Kamele, 21
liegen tot auf unserer Straße. Alle vier Kosaken reiten auf Mauleseln,
auf Pferden nur ich, Turdu Bai, Mollah Schah, Li Loje und Turdu Ahun,
Hamra Kuls sechzehnjähriger Sohn, welcher der Diener der Muhammedaner
ist. Die übrigen Leute reiten gelegentlich auf Kamelen, sonst gehen sie
zu Fuß.

Diese so geschwächte Karawane zog zwischen den gigantischen Felsen
weiter, die versteinerten, verzauberten Ritterburgen glichen. Alle
Ketten biegen nach Nordwesten ab, ganz wie der Himalaja und der
Kwen-lun auf denselben Meridianen. Auch heute lagerten wir im Lager
Nr. 104 unter einem Passe an einem zugefrorenen kleinen See, dem
+Bondschin-tso+ (Abb. 290, 291, 292). Der Anführer unserer jetzigen
Trabanten, Dawo Tsering, ist ein sehr netter, lustiger alter Herr, der
nicht begreifen konnte, was er für Nutzen davon haben würde, wenn er
uns hinters Licht führte.

Der Tod setzt seine Verheerungen in der Karawane fort. Ein Kamel wurde
am Morgen geopfert, drei andere blieben während des Marsches zurück.
Turdu Bai blieb bis 10 Uhr abends bei ihnen und sollte sich am
nächsten Morgen nach ihnen umsehen; konnten sie dann nicht mitkommen,
so hatte er Befehl, sie zu töten; den einen Trost haben wir wenigstens,
daß wir ihnen ihr Grab in einer großartigen Natur bereiten.

Am 26. ritten also Turdu Bai und Sirkin zu den Kamelen zurück. Als wir
die beiden Reiter im nächsten Lager ankommen sahen, wußten wir sofort,
wie es stand. Das Dromedar hatte noch an der Stelle gelegen, wo es
abends zurückgelassen worden war; es hatte auch nicht den geringsten
Versuch gemacht, sich zu erheben. Es hatte geweint, und lange Eiszapfen
hingen ihm unter den Augen. Sowohl dieses wie die beiden anderen Kamele
mußten getötet werden.

27. Oktober. Das Wetter ist immerfort klar, und der Westwind dauert an,
wenn auch bisweilen mit etwas abgeschwächter Kraft. Das Terrain war
gut und eben; alle Kamele konnten den Marsch machen, ein paar Pferde
aber nur mit Mühe und Not. Einige von den Kamelen haben wunde Füße und
tragen Strümpfe von Kulanleder. Das Land öffnet sich wieder, dann und
wann stoßen wir auf Nomaden. Dawo Tsering reitet neben mir und erteilt
mir mit größter Offenheit Auskunft. Manchmal sagt er mit geradezu
schulmeisterlicher Würde: „Schreibt jetzt auf, daß der Berg da so
heißt.“ Er hat den Lama heimlich gefragt, was ich von ihm halte.

Nachdem wir auf einer kürzeren Strecke mit Littledales Route in
Berührung gewesen waren, verließen wir sie jetzt wieder. Der englische
Reisende ging von hier auf einem südlicheren Wege nach Rudok und dann
längs des Südufers des Panggong-tso nach Leh. Im Nordwesten zeigt
sich der See +Daddap-tso+. Das Lager Nr. 106 wurde am Westufer des
zugefrorenen Süßwassersees +Oman-tso+ aufgeschlagen.

Am 28. Oktober ging es den ganzen Tag in einem Längentale bergauf und
bergab, bis wir schließlich einen Paß erreichten, von dem die Aussicht
nach Westen hin prachtvoll war; eine ganz neue Welt breitete sich in
dieser Richtung aus, alles Alte lag wie ein zugeschlagenes Buch hinter
uns.

Die Landschaft wird besonders von dem runden See +Perutse-tso+ oder
+Jim-tso+ beherrscht. Die Karawane ist so weit vor mir, daß sie
nicht mehr zu sehen ist; ich bin, durch meine Arbeit aufgehalten,
wie gewöhnlich der letzte. Wir reiten durch einen Gürtel von
Balgunsträuchern auf meterhohen Kegeln -- hier würden wir in der Kälte
wenigstens ordentliche Feuer haben können.

Unser Lager am Perutse-tso war das beste, das wir seit dem Lager am
Tscharchlik-su, beim Antritt unserer Reise durch Tibet, gehabt hatten.
Das Gras war hoch, weich und üppig, obwohl gefroren, und vorzügliches
Brennholz und Wasser gab es in Menge. Große lodernde Lagerfeuer machten
den Platz hell, gemütlich und warm; es war auch nötig, denn in dieser
Nacht sank die Temperatur auf -20,1 Grad. Alle Kamele, außer der jungen
Mutter, erreichten das Lager. Diese wurde am Ufer zurückgelassen,
nachdem ich eine ganze Weile versucht hatte, sie wieder auf die Beine
zu bringen, und sie das Strohpolster ihres Packsattels hatte fressen
lassen. Schon am selben Abend, als sie abgeholt werden sollte, war sie
tot und steifgefroren. Jetzt hatten wir nur noch 14 Kamele! Im Lager
starb ein Pferd; es hatte beinahe den Anschein, als habe sein leerer
Magen das gute Gras nicht vertragen können. Dawo Tsering nahm hier
Abschied und erklärte, es sei ihm nicht erlaubt, Geschenke anzunehmen.

Wir waren jetzt neun Tage marschiert, ohne einen Tag zu rasten -- die
Weide war zu schlecht dazu gewesen; hier aber blieben wir dafür in Wind
und Kälte vier Tage liegen, während derer sich die Tiere schließlich
erholten. Meine Zeit wurde von verschiedenen Nacharbeiten in Anspruch
genommen. Unsere neuen Begleiter verkauften uns für 4 Liang drei kleine
Beutel Gerste aus Ladak, natürlich viel zu teuer; aber unsere Tiere
bedurften des Korns, und in einer Stunde war es verzehrt. Der neue
Anführer erzählte uns, daß er Tadschinurmongole und einige Tagereisen
südlich vom Kukku-nor geboren, aber von seinen Eltern auf der Wallfahrt
nach Lhasa an ein kinderloses tangutisches Ehepaar verkauft worden sei.
Wieviel sie für ihn bekommen hatten, wußte er nicht, aber der Lama
sagte uns, daß 20 Liang der stehende Preis und ein derartiger Handel
nichts Ungewöhnliches sei. Es kommt auch vor, daß die Tanguten Kinder
an die Mongolen verkaufen. Unser Begleiter war, als er verkauft wurde,
fünf Jahr alt gewesen und natürlich ein echter Tibeter geworden; er
erinnerte sich auch nicht eines einzigen mongolischen Wortes mehr. Die
Tanguten gehören zu demselben Stamme wie die Tibeter und haben dieselbe
Sprache wie diese.

Nach der Rast waren wir imstande, auf gutem, ebenem Boden 25,8
Kilometer zurückzulegen. Dennoch waren wir noch nicht weit gekommen,
als ein Pferd stürzte und getötet werden mußte.

Es herrscht eine schneidende Kälte, und im Sattel, wo man dem längs
des Bodens hinstreichenden Winde ausgesetzt ist, erstarrt man beinahe.
Alle Muselmänner reiten jetzt auf Kamelen, alle Lasten, außer den
Instrumentkisten, werden von Yaken getragen. Ich bin der einzige, der
ein Pferd reitet, aber dieses wird auch besonders mit Brot und Reis
gefüttert. Die übrigen Pferde werden ohne Sattel hinter der Karawane
hergeführt.

Der Fluß +Ombo-sangpo+ war ganz zugefroren, aber das Eis hielt nicht;
nachdem einige von den Pferden und Yaken der Tibeter auf der Eisdecke
ausgeglitten und gestolpert waren, brachen die übrigen ein, und es
mußte ein Kanal für die Kamele ausgehauen werden.

Die Nacht im Lager Nr. 108 war sternenklar und windstill (-15,4 Grad).
Sogar Sterne fünfter Größe waren am Horizont noch deutlich erkennbar,
während diejenigen erster Größe wie Fackeln glänzten. Manchmal hört man
die vermutlich hungernden und frierenden Wölfe heulen.

Am Morgen des 3. November stellte es sich heraus, daß alle Kamele
bis auf zwei nach den üppigen Weiden des Perutse-tso zurückgekehrt
waren; ihr Einfangen verursachte großen Zeitverlust. Sodann zogen wir
nach Westen über sehr deutliche, schöne Uferterrassen, welche die
frühere Ausdehnung des Sees +Luma-ring-tso+ zeigen. Über umfangreiche
Salzfelder erreichen wir endlich den See, einen unbedeutenden kleinen
Salztümpel, dessen Nordufer wir folgen. Hinter einer schmalen Landenge
taucht noch ein See auf, der +Tsolla-ring-tso+ (Abb. 293), an dessen
Ufer wir lagern. Im allgemeinen sind die Ufer sumpfig (Abb. 294) und
selbst bei der jetzt herrschenden Kälte tückisch. Der Luma-ring-tso ist
auf Nain Singhs Karte ganz verkehrt gezeichnet; letzterer gibt ihm eine
Länge von 55 Kilometer statt der tatsächlichen 5½, aber er hat den
See nicht gesehen, denn sein Weg liegt weit nördlich davon, und es ist
nicht wahrscheinlich, daß der Luma-ring-tso seit 1873, in welchem Jahr
der berühmte Pundit seine denkwürdige, verdienstvolle Reise machte, so
bedeutend eingeschrumpft ist. Auf dem gefährlichen Sumpfufer wurden die
Kamele nachts angebunden. Ein paar Pferde sanken nachts ein, und als
wir sie am Morgen mit knapper Not wieder herausgezogen hatten, sahen
sie wie Lehmstatuen aus. Trotz der ihnen neulich vergönnten Ruhetage
stand es mit vielen von den letzten Pferden schlecht. Der Schimmel, der
den Marsch gegen Lhasa mitgemacht hatte und der am 19. August schon
aufgegeben gewesen war, aber trotzdem bis jetzt ausgehalten hatte,
stürzte heute. Ich wollte ihn gerade töten lassen, als der tibetische
Häuptling herbeieilte und ihn sich, so wie er war, ausbat, wozu ich
gern meine Zustimmung gab.

[Illustration: 295. Der Lama im Streite mit dem Anführer der
Yakkarawane. (S. 327.)]

[Illustration: 296. Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. (S. 329.)]

[Illustration: 297. Die Umgebung des Lagers Nr. 133. (S. 330.)]

[Illustration: 298. Offene Landschaft beim Tsangar-schar. (S. 330.)]

[Illustration: 299. Geröllterrassen. (S. 330.)]

[Illustration: 300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo. (S. 333.)]

Wir wußten, daß wir heute die Grenze von Rudok erreichen würden.
Am Westende des Sees standen bereits 7 Zelte, und eine Menge Leute
war dort zu sehen. Ein dreister alter Mann kündigte uns an, daß wir
hierzubleiben hätten. In einem benachbarten Tale sei das Gras gut,
und dort weideten auch ihre eigenen Pferde und Yake. Wir lagerten in
der Nähe der Tibeter, und der Lama begab sich sofort zu ihnen, um
Erkundigungen einzuziehen. Als er zurückkam, war er ganz aufgeregt;
der Gouverneur von Rudok war ein rechter Grobian gewesen und hatte
erklärt, daß er uns ohne Paß vom Dalai-Lama nimmermehr durch sein
Gebiet ziehen lassen werde. Ich schickte zu diesem Bombo, der beim
Dewaschung besonders gut angeschrieben sein soll und Oberaufseher
des Tschokk-dschalung war, wo er im Sommer residierte; im Winter wohnte
er in der Stadt Rudok. Tschokk-dschalung ist ein Goldfeld, das einige
Tagereisen südwestlich der Gegend liegt, in der wir uns befanden. Im
Winter sollen sich dort nur einige zwanzig Menschen aufhalten, im
Sommer aber 300 und darüber, die von allen Seiten, sogar von Lhasa,
dorthinkommen, um Gold zu suchen. Tschokk-dschalung gilt für den
höchstgelegenen ständig bewohnten Ort der Erde.

Mit großem Gefolge und arroganter Sicherheit in seinem Auftreten kam er
in seinem schönsten Paradeanzug, sobald er meine Aufforderung erhalten
hatte; ich bat ihn, auf einer Filzmatte vor meinem Zelte Platz zu
nehmen. Ich selbst blieb drinnen neben meinem Kohlenbecken sitzen.
Der Bombo schien zuerst unschlüssig, wie er sich zu der zweideutigen
Artigkeit verhalten sollte, setzte sich aber schließlich doch und
forderte mir den Paß vom Dalai-Lama ab. Ich antwortete ihm, daß wir
diesen Herrn nie gesehen hätten und folglich auch keinen Paß von ihm
haben könnten.

„Ich habe nichts von euch gehört“, entgegnete er, „weiß nicht, wer
ihr seid, habe kein Schreiben aus Lhasa erhalten, bin nie beauftragt
worden, euch mit Yaken zu versorgen, aber ich weiß, daß es Europäern
ein für allemal verboten ist, durch Rudok zu reisen.“

„Wenn ihr ein hoher Beamter seid, müßt ihr wissen, daß ihr verpflichtet
seid, uns für die Reise nach Ladak zur Verfügung zu stehen.“

„Verdächtigen Personen gegenüber, die keinen Paß haben, bin ich zu
gar nichts verpflichtet; doch wenn ihr wollt, werde ich nach Lhasa
schreiben, und ihr müßt hier 2½ Monate warten, bis die Antwort da ist.“

„Das paßt uns außerordentlich gut“, erwiderte ich, „unsere Tiere sind
erschöpft und bedürfen der Ruhe. Schreibt nur nach Lhasa, wir haben
Zeit zu warten.“

„Gut, ihr begreift, daß ich den Kopf verliere, wenn ich euch durch
meine Provinz ziehen lasse.“

Er war außerordentlich bestimmt, ruhig und würdevoll in seinem
Auftreten, obgleich etwas unverschämt, wenn man ihn mit unseren
Freunden in der Nähe von Lhasa vergleicht. Die Kosaken waren so außer
sich, daß sie vor Wut schäumten, -- fast alle sehnten sich jetzt nach
Hause oder wenigstens von diesen kalten winterlichen Bergen fort. Ich
beruhigte jedoch ihre aufgeregten Gemüter, denn ich sah nur zu wohl
ein, daß ich nicht das geringste Recht hatte, Rudok den Fehdehandschuh
hinzuwerfen. Es waren schon wieder über hundert gut bewaffnete Krieger
versammelt. Der Zustand unserer Karawane erlaubte auch keine Umgehung
der Provinz auf einem nördlichen Wege, und mir war dies auch ganz
lieb, da ich nicht Nain Singhs, Bowers und Deasys Routen oder die
noch nördlicher liegenden Wege Malcolms und Wellbys berühren wollte.
Ebensowenig hatte ich Lust, den größeren Teil des Gepäckes, der Zelte,
des Proviants und das Boot zu verbrennen, wie Captain Deasy es einmal
in einer schwierigen Lage tun mußte.

Dagegen sprach mich die Wartezeit von zweieinhalb Monaten sehr
an. Ich war müde und matt von Arbeit und Weststürmen und bedurfte
der Ruhe. Ich hielt mit den Kosaken Kriegsrat und entwarf einen
ganzen Überwinterungsplan. Wir wollten nach ein paar Tagen nach den
üppigeren Weiden des Perutse-tso zurückkehren und dort ein befestigtes
Lager anlegen. Mir würde es in der interessanten Gegend nicht an
Beschäftigung fehlen, und meine Leute sollten sich im Anfang die Zeit
damit vertreiben, daß sie aus Erdschollen eine hohe Mauer rings um das
Zeltlager und das Gepäck errichteten. Von demselben Material wollten
wir einen Aussichtsturm bauen, und die Festung sollte mit einem Graben
umgeben werden. Nachher wollten wir ruhen, jagen, Ausflüge machen,
unsere Tiere pflegen, um im Frühling direkt nach Süden zu ziehen. Ich
segnete den Bombo, der mich zu einer neuen Kraftanstrengung in Tibet
beinahe zwang, obwohl ich im Grunde von diesem schwer zugänglichen
Lande mehr als genug hatte.

Am folgenden Morgen kündigte ich dem Gouverneur an, daß wir wieder
ostwärts ziehen würden; er hatte nichts dagegen einzuwenden. Doch
der Tadschinurmann erklärte, er habe Befehl, uns bis an die Grenze
von Rudok zu bringen, aber nicht, uns wieder zurückzuführen. Die
Sache würde sich jedoch leicht arrangieren lassen; waren wir erst am
Perutse-tso angelangt, so konnten wir sowohl die Yake wie die Pferde
mit Beschlag belegen und die Männer gefangenhalten. Mit frischen
Pferden würden wir leicht und bequem operieren können.

Der Bombo kam jedoch auf andere Gedanken und teilte uns mit, daß er uns
Yake und Proviant besorgen werde, wenn wir versprächen, nicht nach der
Stadt Rudok zu gehen, was zu tun gar nicht in meiner Absicht lag, da
Littledale diesen südlicheren Weg gegangen war.

So wurde der ganze Festungsplan hinfällig, und wir durften uns dem Ende
unserer Mühsale wieder nähern.



Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der Tso-ngombo.


Nachdem alles Entbehrliche ausgesondert worden und den Tibetern
geschenkt war, zogen wir am 6. November nördlich um einen Paß (4858
Meter) herum, auf dessen anderer Seite uns Quellen und Weiden zum
Lagern einluden. Das kleine Kamelfüllen, unser aller Liebling, schwand
seit dem Tode der Mutter hin, kam aber doch bis ins Lager mit, wo es
sich an Brot und Teig sattfressen und Milch trinken durfte. Es wurde
nachts gut eingewickelt neben das Feuer gelegt und marschierte den
ganzen Tag gut.

Am 7. war das Wetter herrlich, und der ewige Wind war in seiner Höhle
im fernen Westen geblieben. Statt seiner bereiteten uns die Tibeter
Verdruß und schalten den Lama einen Heidenhund, der mit „solchen
Russen“ umherstreife. Der Lama war so erbittert, daß er sie rechts und
links mit der Peitsche traktierte, und ich ließ ihnen sagen, daß wir
sie, wenn sie sich noch einmal mausig machten, auf die Kamele binden
würden, bis sie seekrank und höflich würden (Abb. 295).

Den ganzen Tag sahen wir keinen Tropfen Wasser, keine Menschen,
höchstens Spuren von alten Lagerplätzen. Endlich erreichten wir jedoch
die Quelle +Tsebu+, wo wir Halt machten. Tiefes Schweigen herrschte
in dieser Nacht, und die Luft war so ruhig, daß man einen schwach
siedenden Laut von der Nachtkälte, die sich in der Erde festbohrt, zu
vernehmen glaubte. Nur einige Wölfe störten mit ihrem langgezogenen,
melancholischen Klagegeheul den Frieden. Die Tritte der Nachtwache
hallten auf dem steinharten Erdboden wieder.

Während der nächsten beiden Tage ritten wir an dem See vorbei, an
dessen Ufern sich überall Gänse und Enten aufhielten, über einen
kleineren Paß nach dem tief in das Geröllbett eingeschnittenen Flusse
+Rawur-sangpo+, der von Quellen gespeist wird und in dem großen
Längentale, das wir jetzt vor uns hatten, verschwindet. Unser Anführer
erzählte, daß beim Aru-tso, der zirka vier Tagereisen nach Norden liegt
und von Bowers Reise her bekannt ist, Räuber aus Amdo, Nakktschu und
Nakktsong umherzustreifen pflegten. Eine Bande von fünf Personen sei im
vorigen Jahre am Rawur-sangpo ergriffen und auf Befehl des Gouverneurs
von Rudok getötet worden. Andere Bewohner gebe es in jener Richtung
nicht. Der Berichterstatter war ein lustiger alter Herr, der singend
neben mir zu reiten pflegte und oft zum großen Vergnügen der Unsrigen
das Gurgeln der Kamele nachahmte.

10. November. Das Thermometer zeigt -26,5 Grad. Man wacht bisweilen
auf, deckt sich fester zu und rollt sich wieder wie ein Knäuel
zusammen. Ich pflege nachts einen eisernen Becher mit Tee neben mir
stehen zu haben, kann ihn aber jetzt nicht benutzen, denn der Inhalt
ist bis auf den Grund gefroren. Das Tintenfaß muß jedesmal, wenn es
gebraucht werden soll, erst am Feuer aufgetaut werden.

32,2 Kilometer! Das war eine Kraftprobe, die wir sehr lange nicht
fertig gebracht haben! Schon nach 10 Kilometern wollten die Tibeter
rasten, weil wir gerade neue Leute und neue Yake trafen; man kann es
ihnen nicht verdenken, daß sie möglichst schnell nach ihren warmen
Zelten zurückkehren wollten -- sie trugen ja keine Hosen! Doch
wir ritten weiter, indem wir Tscherdon, drei Muselmänner und alle
Tibeter bis auf vier zur Bedeckung der Yakkarawane zurückließen. Wir
durchschritten ein ebenes Tal; der Tag verging, es dämmerte und wurde
dunkel; Wasser sahen wir nicht. Schließlich begegnete uns Schagdur,
der zum Rekognoszieren vorausgeritten war, mit einem kleinen Sacke
voller Eisstücke. Er hatte einen zugefrorenen Bach gefunden, nach
welchem wir uns jetzt begaben. Am 12. ritten wir an einem kleinen,
mit dickem Eise bedeckten See vorbei, an dessen westlichem Ende die
Tibeter ihre Zelte aufschlugen, weil nach Westen hin zwei Tagereisen
weit kein Wasser zu finden sei. Wir füllten daher vier Säcke mit klarem
Eise und zogen dann trotz ihrer lebhaften Proteste weiter. An einer
Bergreihe einige Kilometer nördlich vom See zeigten sich einige Pferde
und ihre Besitzer, die sich in einer Schlucht versteckten, als wir am
Ufer vorbeizogen. Die Tibeter behaupteten, es seien Räuber, und rieten
uns, auf sie zu schießen. Eine Weile darauf sahen wir zwei von ihnen
an einem Feuer sitzen; es waren friedfertige, gutmütige Yakjäger, die
eine Orongoantilope geschossen hatten. Eine Stunde, nachdem wir das
Lager aufgeschlagen hatten, kam die Yakkarawane mit ihrem pfeifenden
und singenden Gefolge nebst Schagdur, der in lebhafter, scherzender
Unterhaltung mit den Tibetern war. In überraschend kurzer Zeit hatte
dieser tüchtige Kosak ziemlich fließend tibetisch sprechen gelernt. Als
wir am Tage darauf am Ufer eines laut rauschenden Flusses lagerten,
hatten wir richtig zwei Tage lang kein Wasser gesehen. Oft genug
hätten wir ohne die Anweisungen der Tibeter hinsichtlich dieses
unentbehrlichen Stoffes in Verlegenheit geraten können.

[Illustration: 301. Doppelte Geröllterrassen. (S. 330.)]

[Illustration: 302. Das Tempeldorf Noh. (S. 333.)]

Während der Nacht knackte es angenehm im Eisrande, und der rieselnde
Ton des Wassers war für unsere Ohren ein nachgerade ungewohntes
Geräusch. Welch ein Unterschied gegen die Gegend um Lhasa während der
Regenzeit; dort waren wir eigentlich immerfort durch Sümpfe geritten,
hier mußte man erst lange nach Wasser suchen.

Nachdem wir am 14. den +Raga-sangpo+ hinaufgeritten waren und ihn
schließlich linker Hand hatten liegen lassen, wollten die Tibeter wie
gewöhnlich nach einem kurzen Tagemarsch Halt machen; es würde ihnen
den Kopf kosten, wenn sie weiter gingen, als ihnen befohlen sei, und
hier sollten neue Yake anlangen. Ich ließ die Kosaken die Yakkarawane
übernehmen und die Tiere mit uns nach dem heutigen Lagerplatze, der
in einer Talmündung lag, treiben. Die Männer kamen ganz artig mit
und schlugen ihre Zelte in unserer Nähe auf. In der Gegend lagerten
Nomaden, und während der zwei Ruhetage, die wir uns hier gönnten,
hatten wir Gelegenheit, unseren Proviant durch Schafe und Milch zu
verstärken.

Am 17. ging es nach Nordwesten in dem Tale aufwärts; es verengte sich
zu einem schmalen, malerischen Gange und führte schließlich auf einen
Paß mit einem gefrorenen Tümpel (Abb. 296). Schon um 9 Uhr hatten wir
im Lager Nr. 129 -18,6 Grad und nachts -24,4 Grad. Es war bitterkalt
und unwirtlich in diesem öden Gebirge!

Das kleine Kameljunge erreichte das Lager Nr. 130 (5060 Meter) nicht
mehr, es brach unterwegs zusammen und mußte getötet werden. Seit seine
Mutter gestorben war, gedieh es nicht mehr; es fehlte uns allen. Zu
den widerstandsfähigsten Tieren gehören die beiden Schafe. Wanka,
der Leithammel, der uns seit mehr als zwei Jahren begleitet, und ein
weißes Schaf aus Abdall. Niemand wäre imstande, sie zu schlachten; die
Muselmänner, die sie als Reisegefährten betrachten, würden, glaube ich,
lieber verhungern.

Bei dem Lager +Jam-garawo+ wuchsen vortreffliche, dürre Jappkakpflanzen,
die uns bei der Kälte sehr willkommen waren. In der Nacht ging die
Temperatur auf -26,5 Grad herunter! Am meisten sind die Nachtwachen,
welche die weidenden Tiere bewachen, zu bedauern; ihre Pelze genügen
bei solcher Kälte nicht. Hier konnte man wenigstens die ganze Nacht
ein Feuer im Freien unterhalten. Während des ganzen Tags weht ein
mörderischer Wind, der durch Mark und Bein dringt, denn -4 Grad ist
die größte Wärme. Man muß unbedingt dann und wann eine Strecke zu Fuß
gehen, obgleich Herz und Lungen dieser Anstrengung nur gewachsen sind,
wenn es bergab geht. Ein Pferd blieb im Lager zurück, die übrigen
leisten jetzt nichts mehr und sind nur eine Last, aber man hofft immer
noch, sie retten zu können.

Welch ein Gewirr von Bergen! Im Süden haben wir noch immer die
mächtige Kette, die uns vom Nakktsong-tso an treu begleitet und uns
die Aussicht auf das verbotene Land der heiligen Bücher versperrt hat.
Ringsumher breitet sich eine Welt von großartigen Bergketten aus, große
Schneefelder sind aber ziemlich selten, und vom Himmel fällt nicht
eine einzige Flocke. Wir sehnen uns förmlich nach einem ehrlichen
Schneefall; wir sind des ewigen Windes und des beständig klaren
Himmels gründlich überdrüssig. Wir hatten bis Leh noch 400 Kilometer.
Alle sehnten sich dorthin, besonders ich, denn ich hoffte, noch vor
Weihnachten ein Telegramm nach Stockholm senden zu können.

In der Nacht auf den 21. November sank die Kälte auf -28,2 Grad. Wir
marschierten 28,1 Kilometer nach einer Gegend, die reich an herrlichem
Brennmaterial, aber wasserlos war. Daher mußte mit Yaken aus einiger
Entfernung Eis geholt werden, das über dem Feuer geschmolzen wurde. In
der Nacht heulten ein Dutzend Wölfe um unser Lager Nr. 133 (Abb. 297),
und die Hunde stimmten mit ein; es war ein ohrenzerreißendes Konzert.

23. November. Wieder blieb ein Kamel liegen; nur 13 sind noch übrig,
ein Drittel der Zahl, die wir aus Tscharchlik mitnahmen. Es war einer
der Veteranen von Kaschgar und hatte mich durch die Tschertschenwüste
und beide Male nach Altimisch-bulak begleitet. Unser Weg läuft zwischen
Nain Sings und Bowers Routen. Bei +Tsangar-schar+ öffnet sich das
Tal, dem wir gefolgt sind; an mehreren Stellen erblicken wir Zelte
und Herden, und eine neue Eskorte und neue Yake sollten uns von hier
weitergeleiten. Der Anführer war ein alter braver Mann. Er versprach
uns nach dem Panggong-tso und dann an dessen Nordufer entlangzuführen,
und ich stellte ihm einen Revolver in Aussicht, wenn er möglichst wenig
lüge.

„Ich bin ein viel zu alter Mann, um zu lügen“, sagte er.

Die folgenden Tage zogen wir an dem fischreichen +Tsangar-schar-Flusse+
abwärts. Schagdur und Tschernoff zeichneten sich besonders beim
Fischfang aus und überraschten mich alle Augenblicke mit ganzen Bündeln
von großen, prachtvollen, steinhart gefrorenen Fischen. Das Tal ist
anfänglich ziemlich offen (Abb. 298), verengt sich aber allmählich
zwischen malerischen Felsen und mächtigen Geröllterrassen (Abb. 299,
301). Der Fluß ist meistens mit dickem Eise bedeckt. An einer Stelle
erweitert er sich zu einem See, der das Tal füllt und nur auf der
Nordseite einen Uferstreifen freiläßt, der für die Kamele gerade breit
genug ist. Gleich unterhalb des Sees war der Fluß wieder eisfrei. Hier
rasteten wir am 26. November in einer an prächtiger Strauchvegetation
reichen Gegend; andere Weide als die dürren Zweige gab es nicht. Mein
Zelt stand unmittelbar an dem rauschenden Strome; ich liebe es, dem
klangvollen, munteren Rauschen des fließenden Wassers zu lauschen.

Ein schönes Bild bot sich uns am Abend gerade im Süden dar, wo der hoch
und klar am Himmel stehende Mond den mächtigen Bergast beleuchtete,
dessen Einzelheiten wir bei Tage infolge blendenden Sonnenscheins
und intensiver Schatten nur undeutlich hatten unterscheiden können.
Jetzt glänzten seine kleinen, unten spitz zulaufenden dreieckigen
Schneefelder kreideweiß, und das kühne, imposante Relief der Felsen
trat klar und scharf hervor.

Eines von Kamba Bombos Pferden war so ungeschickt, in den Fluß zu
stürzen, und konnte nur mit Mühe wieder herausgezogen werden. Ich ließ
es an einem großen Feuer trocknen und dann in Decken wickeln, aber ein
paar Stunden darauf lag es tot am Feuer.

Am folgenden Morgen wurde mir gemeldet, Li Lojes Pferd sei über Nacht
gestorben. Steinhart und angeschwollen lag es zwischen den Zelten. Wir
hatten geglaubt, daß, wenn überhaupt eines der Pferde Leh erreichen
würde, es dieses sei, obgleich sein Besitzer, wie er mir jetzt im
Vertrauen mitteilte, es nicht bezahlt hatte. Nun ging es wieder weiter,
immerfort flußabwärts. Unweit des nächsten Lagerplatzes stürzte Turdu
Bais alter Rappe; eine gelbe Flüssigkeit strömte ihm aus den Nüstern,
und nach einer Weile war er tot. Während des Marsches verschied auch
das letzte unserer tibetischen Pferde, ohne daß es totgestochen zu
werden brauchte. Vier Pferde auf einmal! Jetzt ist sowohl von allen
unseren Tscharchlikpferden wie auch von denjenigen, die wir unterwegs
geschenkt erhalten oder gekauft haben, nur ein einziges übrig, der
große Schimmel, den ich noch reite.

Es ist eine recht ernste Sache, eine große Karawane in Tibet
zusammenzuhalten; es ist nicht ganz so leicht, wie man glaubt, in
diesem Lande zu reisen, und ein Vergnügen ist es auch nicht. Man
erkauft die Tage und Meilen mit dem Leben von Menschen, Pferden
und Kamelen, und es hat auch eine symbolische Bedeutung, daß der
zurückgelegte Weg auf der Karte rot punktiert ist: er hat Blut
gekostet. Wie viele Tränen und Blutströme hatte dieser karge Boden
aufgesogen, und wie viele Seufzer und Jammerrufe waren von unserer
Karawane ausgestoßen worden, ohne von diesen kalten, kahlen Felswänden
ein Echo als Antwort zu erhalten. Ein rotes Kreuz an jedem Punkte,
wo in unserer Karawane ein Leben erloschen war, würde zum Verfolgen
unserer Wanderung durch Asien genügen.

Ihr, die ihr mit eurer großen Weisheit und eurem unerprobten Mute --
jenem Mute, der vor dem Kaminfeuer in einem zugfreien, warmen Zimmer
glänzt -- eine solche Reise und ihre Resultate beurteilt, ihr mögt es
selbst einmal versuchen! Ihr braucht dazu gar nicht erst nach Tibet zu
gehen; nein, geht nur im Winter bei eurem eigenen Gute einige Meilen
auf ungebahnten Wegen, schlaft bei 30 Grad Kälte in einem erbärmlichen
Zelte und hört dabei die Wölfe in der Wildnis um euch herum heulen.
Das ist freilich noch nicht dasselbe wie Tibet und ein Leben, wie ich
es zweieinhalb Jahre geführt habe, aber ihr werdet auch dadurch schon
vorsichtiger in eurem Urteil werden. Ich gehe lieber zehnmal durch
die Gobiwüste als einmal zur Winterszeit durch Tibet. Man kann sich
keinen Begriff davon machen, was dies kostet; es ist eine wahre „~via
dolorosa~“!

Im Vergleich mit diesen großen Schwierigkeiten sind die kleinen
Ärgernisse, die in einer aus so verschiedenen Elementen
zusammengesetzten Karawane nicht ausbleiben können, reine Bagatellen.
Daß Muselmänner, Tibeter, Mongolen, Burjaten und Christen während einer
so langen Zeit stets in schönster Eintracht leben, ist ein Ding der
Unmöglichkeit. Hier geschah es zum Beispiel, daß Li Loje und Ördek
in einer Nacht, als sie die Wache hatten, in das Zelt der Tibeter
gegangen waren, um dort Opium zu rauchen. Am Morgen beschwerten sich
die Tibeter, daß ihnen nach dem Fortgehen der beiden eine Stange
Opium im Werte von 10 Liang gefehlt habe und Ördek und Li Loje sie
ihnen gestohlen hätten. Der Lama sträubte sich lange, mich mit dieser
Klatscherei zu belästigen, tat es aber schließlich, da ihm keine
Ruhe gelassen wurde. Ich ließ die Kleider und Sachen der beiden
Verdächtigten sofort von Tschernoff und Schagdur untersuchen, aber
Opium fand sich bei ihnen nicht, und die Kläger wurden als Lügner zur
Tür hinausgeworfen. Nun aber waren Ördek und Li Loje wütend auf den
Lama, der ihrer Meinung nach geklatscht hatte, und wollten sich an ihm
rächen. Dies geschah dadurch, daß sie Sirkin einredeten, der Lama habe
sie dazu bestechen und überreden wollen, mir vorzulügen, daß Sirkin
durch Mißhandlungen Kalpets Tod hervorgerufen habe. Sirkin war über
diese ungerechte Beschuldigung ganz außer sich und teilte mir sofort
mit, was er gehört hatte. Eine solche verwickelte Geschichte mit Ruhe
und Selbstbeherrschung zu untersuchen und dann das Urteil zu fällen,
wenn einem in der Morgenkälte die Zähne klappern, ist weder leicht noch
angenehm. In den meisten Fällen ist natürlich einer unzufrieden. Jetzt,
da alles glücklich überstanden ist, wundere ich mich beinahe selbst
darüber, daß es mir gelang, alle diese Schwierigkeiten zu besiegen und
die Trümmer der Karawane wie nach einem großen Siege aus dem Lande
unserer Sorgen herauszuführen und in die Gegenden zu bringen, deren
Gewässer nach den warmen Küsten des Indischen Ozeans strömen. --

[Illustration: 303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. (S.
334.)]

[Illustration: 304. Blick nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. (S.
334.)]

[Illustration: 305. Der mittelste Teil des Tso-ngombo. (S. 334.)]

[Illustration: 306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten
Schlitten über das Eis. (S. 338.)]

Am 27. (4379 Meter) und 28. hatten wir, als wir dem Laufe des
Tsangar-schar abwärts folgten, immerfort das schöne Gefühl, uns
tieferliegenden Gegenden zu nähern. Während des Marsches wird Fischfang
getrieben, und Tschernoff und Schagdur wollen es einander darin
zuvortun. Sie bedienen sich ihrer Säbel sowie tibetischer Speere und
harpunieren ihre Opfer. Einmal nahm Schagdur ein gründliches Bad in
dem eiskalten Wasser; er wagte sich im Eifer zu weit hinaus, und sein
Maulesel stürzte. Ich war glücklicherweise in der Nähe und zündete ein
loderndes Feuer in dem Gesträuche an, woran er sich wärmen und seine
Kleider trocknen mußte; sonst wäre er, kühn und abgehärtet wie er war,
einfach weitergeritten, als sei nichts vorgefallen.

Die Felsenmauer, die wir bisher auf unserer linken Seite gehabt haben,
hört schließlich auf, und der Fluß macht einen scharfen Bogen nach
Süden. Gerade hier liegt auf dem linken Ufer das Tempeldorf +Noh+,
auch +Odschang+ genannt (Abb. 302). Dort erhebt sich ein malerischer
kleiner Tempel in Rot und Weiß, mit zwiebelförmigen Kuppeln, Flaggen,
vergoldeten Spitzen und anderen Zieraten. Die viereckigen Häuser mit
flachen Dächern sind wie gewöhnlich von weißgetünchten Mauern umgeben,
die oben eine rote Kante haben; auch sie sind mit Fahnenstangen und
Wimpeln geschmückt. Die Fußböden sind mit Filzteppichen belegt, in der
Decke ist ein Loch zum Entweichen des Rauches, große Holzvorräte aus
dem Gesträuchwalde liegen für den Winter bereit. Unsere Tibeter hatten
uns schon unterwegs mitgeteilt, daß man hier kein Holz anrühren dürfe,
da es dem Lama gehöre. Jetzt lag Noh vom Sonnenscheine überflutet vor
uns und gewährte, mit der mächtigen Bergwand als Hintergrund, einen
ungewöhnlich malerischen Anblick.

Auf dem rechten Ufer treten Geröllterrassen dicht an den Fluß heran.
Nicht ohne Schwierigkeit lotsen wir die Kamele über sie hinüber, damit
die Tiere nicht in das kalte, tiefe Wasser zu tauchen brauchen. Unsere
Richtung führt nach Westen an der Basis der Felsen entlang, wo Quellen
von +15,9 Grad entspringen. Nachdem wir einen kleineren Paß mit einer
fahnengeschmückten Steinpyramide passiert haben, öffnet sich nach Süden
und Westen eine großartige Aussicht über den See +Tso-ngombo+ (blauer
See). Im Süden glänzen mehrere pyramidenförmige Schneegipfel, und nach
Westen dehnt sich der bizarre See mit seinen Buchten, Landspitzen,
Inseln und steil abfallenden felsigen Ufern aus. Die Breite beträgt
nur wenige Kilometer. Auf einem ganz ebenen Uferstreifen mit etwas
Weide schlugen wir das Lager Nr. 138 (Abb. 300) auf. Kaum einen
Kilometer vom Ufer liegt eine kleine Felseninsel, die reich an gutem
Brennholz ist; ganze Stapel davon wurden über das Eis nach unserem
Lager geschleppt. Die Tibeter verbrachten die Nacht auf der Insel,
wo sie Schutz und Wärme hatten, und ihre großen Feuer warfen abends
rotglänzende Reflexe über das spiegelblanke Eis. In diesem verursachte
die Spannung unaufhörliche Knalle und Pfiffe; es klang wie ein sich im
Kreise drehendes Nebelhorn.

Während des folgenden Tages, der der Ruhe gewidmet wurde, maß ich
die Tiefen zwischen dem Ufer und der Insel, wobei sich ergab, daß
die größte 6,35 Meter betrug. Unser Offizier teilte mir mit, daß er
beauftragt sei, von hier einen Kurier nach Leh zu senden, damit wir
an der Grenze von Tibet und Kaschmir vorfänden, was wir brauchten.
Ich nahm die Gelegenheit wahr, einen Brief an den englischen „Joint
Commissioner“ für Ladak mitzuschicken, in welchem ich um Entsatz an
Yaken, Pferden und Proviant bat. Der arme Reiter verschwand auf seinem
langhaarigen Pferdchen in der Nacht; als wir nachher den Weg sahen, den
er in der Dunkelheit geritten war, tat er mir doppelt leid.

Am Todestage Karls XII. machten wir einen interessanten Marsch am
Nordufer des Tso-ngombo entlang. Hinter der Insel hat der See ein
Ende und geht in einen ganz kurzen Fluß mit offenem Wasser über, der
sich bald in ein neues zugefrorenes Becken ergießt; es dauert nicht
lange, so nimmt auch dieser zweite See ein Ende, und wir reiten wieder
an einem Flusse entlang. Dieser ist so gerade und regelmäßig wie ein
gegrabener Kanal, zirka 12 Meter breit und höchstens 3 Meter tief.
Das Wasser fließt außerordentlich langsam, ist klar wie Kristall
und schillert grün wie Smaragd. Auf dem Grunde gedeihen üppige
Wasserpflanzen, und in Vertiefungen zeigen sich ganze Scharen von
schwarzrückigen Fischen, die, den Kopf nach der Strömung gerichtet,
regungslos und faul im Wasser schweben und zu grübeln scheinen. Das
Ganze war ein großartiges Schauspiel; die Kosaken waren sofort wieder
mit ihren Angelruten bei der Hand.

Nachdem der Fluß durch ein mittelgroßes und ein sehr kleines
Becken geströmt ist, ergießt er sich schließlich in einen vierten
See, der größer als die anderen ist und sich weit nach Westen und
Nordwesten erstreckt; er war völlig eisfrei und vom Winde aufgeregt.
Wahrscheinlich liegt es an seiner Tiefe, daß er trotz der windstillen,
kalten Nächte noch nicht zugefroren ist. Das Ufer ist dicht mit Blöcken
und steilen Schuttkegeln bedeckt und sehr beschwerlich für die Kamele
(Abb. 303). Auf der Ebene Bal, wo wir in der Nähe einer tiefen Schlucht
lagerten, gab es jetzt kein Gras, aber wir hatten Stroh und Gerste
von den Tibetern gekauft, und die Tiere waren gut versorgt (Abb. 304,
305). Von Roh bis Bal waren wir dieselbe Straße gezogen wie Nain Singh;
hier aber trennten sich unsere Wege wieder. Unterwegs waren wir einer
Karawane von 200 mit Getreide aus Ladak beladenen Schafen begegnet. Es
machte Spaß zu sehen, wie ordentlich sie marschieren und wie leicht
sie zu regieren sind; sie kommen an den steilsten Felswänden vorwärts,
trotzdem sie ziemlich schwere Lasten tragen. An der Grenze wird eine
Art Tauschhandel betrieben; für 100 mit Salz beladene Schafe erhalten
die Tibeter 80 Schafslasten Gerste.

Die Kälte sank auf -20,9 Grad, und in der Nacht überfiel uns ein
sehr heftiger Nordsturm. Der Rest des Strohvorrats wurde rettungslos
fortgeweht.

1. Dezember. Heute mußte ein Kamel getötet werden; es ist um so
bitterer, jetzt von den letzten Veteranen scheiden zu müssen, da
ihre Rettung so nahe ist. Wir folgen über oft sehr beschwerliche
Schutterrassen treu allen Biegungen und Buchten des Ufers. Der See
ist lang und schmal und gleicht einem norwegischen Fjord; beständig
entrollen sich neue, bewunderungswürdige Perspektiven vor uns, die
Landschaft glänzt in großartiger Schönheit, es ist ein zwischen oft
jähen, stets malerisch gestalteten Felsmassen eingeschlossener Fluß.
Hier und dort erhebt sich ein dominierender Schneegipfel. Einige von
unseren Leuten gehen voraus, um scharfkantige Steine zu entfernen
und Gruben auszufüllen. Wildenten leben hier in ungeheurer Menge; es
klingt wie das Brausen eines herannahenden Sturmwindes, wenn ihre
Scharen, sobald wir uns nähern, seewärts fliegen und mit solcher Wucht
auf das Wasser niederschlagen, daß weißer Schaum hoch aufspritzt. Der
See ist überall offen; nur in geschützten Buchten liegt hier und da
ein kleines Band von zertrümmertem, vom Winde hierhergetriebenem und
wieder zusammengefrorenem Eise mit dünnen, höchstens eine Nacht alten
Eishäuten zwischen den Schollen.

Nun zeigt sich ein ebener Uferstreifen von weichem Erdreich, und die
Berge treten zurück. Ein hier stehendes, einsames Zelt dürfte für
längere Zeit aufgeschlagen sein, denn es ist mit großen Holzstapeln
umzäunt. Bald darauf stehen wir an einem Felsvorsprung, der direkt in
den See hinunterfällt und die erste schwere Stelle bildet, vor der man
uns gewarnt hat. Wir lagerten daher unmittelbar an der Felswand, und
die Kamele wurden nach der Weide zurückgeführt. Schon am Abend wurde
das Gepäck von unseren Leuten über die Spitze gebracht und am folgenden
Morgen die Tiere an ihr vorbeigeführt. Unterhalb der Spitze liegt ein
meterbreiter Sandstreifen im Wasser. Wenn hier ein Kamel fallen sollte,
so konnte es zwar in die Tiefe hinabgleiten, brauchte aber darum noch
nicht verloren zu sein. An der Felsbasis haben die Uferwellen einen
Eisrand gebildet, der erst weggehauen wurde; dann wurden die Maulesel,
die Pferde und Kamele glücklich an der Landspitze vorbeigeführt und auf
der anderen Seite in gewöhnlicher Ordnung beladen. Die Yake zogen es
vor, über die gefährlichen Felsplatten zu klettern. Zwei kranke Kamele
blieben auf der Weide zurück. Islam und Li Loje hatten Befehl, mit
ihnen wenn irgend möglich unserer Spur zu folgen, andernfalls sollten
sie sie töten.

Am Morgen unmittelbar vor Sonnenaufgang zeigte sich am
gegenüberliegenden Strande im Südosten ein eigentümliches Phänomen. Der
See „rauchte“; kreideweiße, dichte Wolken von Wasserdampf breiteten
sich wie ein Schleier über die Wasserfläche. Entweder hat dies seinen
Grund in heißen Quellen, oder es beruht darauf, daß der See mehr
erwärmt ist als die Luft. Die Kälte war auf -18,3 Grad gesunken, und
die Temperatur des Wassers war ein paar Grad über Null. Gleich nach
Sonnenaufgang zerstreute sich der Nebel.

Die Breite des Tso-ngombo wechselt natürlich je nach der Konfiguration
der ihn umgebenden Bergketten. Wo zwei gegenüberliegende Felsvorsprünge
sich einander nähern, ist er am schmalsten. Auf einem steilabfallenden
Geröllkegel hatten wir viel Mühe, weil die Instrumentkisten zwischen
den Blöcken nicht durchkonnten, sondern abgeladen und getragen werden
mußten. Die Kamele wurden einzeln geführt und von allen Leuten
gestützt; gähnende Gruben waren ausgefüllt und hinderliche Felsblöcke
mit vereinten Kräften in den See gewälzt worden.

Das Lager Nr. 141 schlugen wir neben einem Karawanenlager auf, das aus
zwei schwarzen, mit den Schaflasten und Holzstapeln umgebenen Zelten
bestand. Ich maß hier die Höhe zweier alter Uferlinien; die höhere lag
19,5 Meter, die tiefere 6,5 Meter über dem gegenwärtigen Wasserspiegel.

Am 3. Dezember wurde Tschernoff beauftragt, die Tiefen einer von
mir vorher festgestellten Linie quer über den See zu loten. Die
Tiefe betrug genau 30 Meter. Ich selbst ritt mit Tscherdon am Ufer,
während die Karawane nach Westen weiterzog. Nun aber gebot ein 500
Meter breiter, zugefrorener Sund dem Boote Halt; hier erwartete ich
Tschernoff. Man hatte uns gesagt, daß der Karawane heute ein absolut
unüberwindliches Hindernis in den Weg treten werde, eine glatte, sehr
steile Felswand, die jäh ins Wasser abstürze. Als wir daher jetzt den
kleinen Sund zugefroren fanden, hofften wir nach dem Südufer des Sees
hinübergelangen und so das Hindernis umgehen zu können. Wir gingen
hinüber und schlugen Waken in das Eis, teils um seine Dicke (13,4-15,2
Zentimeter) zu messen, teils um die Tiefen zu loten (Maximaltiefe
29,36 Meter). Wir setzten unsere Untersuchungen auf dem Südufer fort,
ohne auf ein Hindernis zu stoßen, aber der Sicherheit halber schickte
ich Ördek weiter. Mittlerweile hatte die Karawane Halt machen müssen.
Ördek hatte Befehl erhalten, ein Feuer anzuzünden, sobald er an eine
Stelle gelangte, wo ein Vordringen der Kamele unmöglich war. Als wir
nachher zur Karawane zurückritten, sahen wir nicht weniger als drei
Feuer am Südufer, das letzte dem neuen Lager gerade gegenüber. Es blieb
also nur das Nordufer. Ördek wurde mit dem Boote von Tschernoff geholt,
der eine neue Lotungslinie (Maximum 29,70 Meter) machte, die zeigte,
daß der See auf seiner ganzen Länge in der Mitte eine zirka 30 Meter
tiefe Rinne hat.

[Illustration: 307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. (S.
338.)]

[Illustration: 308. Der gefährliche Felsenpfad. (S. 338.)

(Die Yake gehen teils auf, teils über dem Wege)]

[Illustration: 309. Am westlichen Tso-ngombo. (S. 339.)]

[Illustration: 310. Am Panggong-tso. (S. 341.)]

Die unpassierbare Stelle wurde von Turdu Bai untersucht, der keine
Möglichkeit sah, die Kamele mit heilen Knochen hinüberzubringen. Da
aber die ganze Gegend außerordentlich reich an festem, dürrem Gesträuch
und Buschholz war, beschloß ich, die schwere Passage mittelst einer
durch unsere Kamelleitern und Zeltstangen zusammengehaltenen und mit
Seilen umwundenen Fähre zu passieren. Sie würde stark genug sein, um
ein Kamel zu befördern. Es +mußte+ gelingen, denn ich hatte keine Lust
nach Bal zurückzukehren und von dort in Nain Singhs Spur nach Niagsu
zu gehen. Es war doch zu ärgerlich, daß der See gerade um dieses
Vorgebirge herum nicht zugefroren war. Turdu Bai erklärte, daß das
Wasser offen sei.

Nachts hörte man förmlich, wie sich bei -20 Grad Eis bildete, und am
nächsten Morgen waren große Flächen, die gestern noch offen gewesen,
mit einer feinen Eisschicht bedeckt. So viele Leute, als sich entbehren
ließen, mußten vorausgehen und Material zu der Fähre sammeln. Ein
gewaltiger Stapel lag bereit, als wir am Anfang des Bergpfades
anlangten. Auch hier hatte sich jetzt eine 3 Zentimeter dicke Eisbrücke
über die Tiefen gespannt, und der See war querüber bis an das rechte
Ufer überfroren. Sobald das Lager aufgeschlagen war, gingen Sirkin und
zwei von den anderen hinauf, um sich den schwierigen Weg anzusehen.
Ihre Meinungen waren geteilt, aber Sirkin war der Ansicht, daß es mit
großer Vorsicht gehen müsse, die Kamele einzeln hinüberzubringen.
Ich mußte mich selbst überzeugen und fand den Pfad einfach
lebensgefährlich. Der schwarze Schiefer fällt hier mit glatten Platten
43 Grad steil nach Westsüdwest zum See ab. Ein Riß in der Bergwand gibt
aber eine Stütze für die Schieferplatten, die hier hingelegt worden
sind, damit die Tiere nicht abrutschen. Auf der äußeren Seite wurden
diese Platten von oft 2 Meter hohen Stämmen und Säulen gestützt, die
mir jedoch nicht danach aussahen, das Gewicht eines Kamels tragen zu
können. Manchmal geht es im Zickzack halsbrecherische Stufen hinab.
Vielleicht hätten einige unserer müden Kamele dieses Akrobatenstück
fertig gebracht, die meisten aber wären sicherlich vom Schwindel
ergriffen worden und in den Abgrund gestürzt.

Nein, entweder mußten wir eine Fähre bauen und das dünne Eis
aufbrechen, oder wir mußten warten, bis das Eis uns trug. Da wir
noch um 1 Uhr -4,5 Grad hatten, hoffte ich auf den letzteren Ausweg.
Um 6 Uhr war das Eis schon 5,2 Zentimeter dick. Die Kosaken bauten
einen improvisierten Schlitten aus Kamelleitern, Zeltstangen, Holz
und Tauen und bedeckten das Ganze mit Filzdecken. Es war Schagdurs
kluger Vorschlag, die Kamele auf dieser Vorrichtung an dem Felsen
vorbeizuziehen, wenn das Eis nicht stark genug sein sollte, daß sie
darauf gehen könnten.

Der Sturm heulte an den Wänden und durch die Büsche und sauste wie in
einem nordischen Walde. Das Eis nahm an Stärke zu; auf einer Stelle,
die man vormittags nur mit großer Vorsicht hatte passieren können,
standen jetzt drei Mann nebeneinander. Jetzt sollte auch die Fähre
probiert werden. Sie wurde mit so vielen Männern, als dem Gewichte
eines Kamels entsprachen, belastet und von einigen um das Vorgebirge
herumgezogen (Abb. 306). Sobald es anfing zu knacken, sprang der
Lama ab, dann ich, darauf Tokta Ahun, je nachdem das Eis schwächer
wurde. Jeder neue Deserteur rief unter den sitzenbleibenden Helden
die größte Heiterkeit hervor. Das Eis ist kristallhell, ohne eine
Blase. Man scheint über einer stillen Wasserfläche zu schweben, und
durch die Eisdecke sieht man Fische zwischen den Wasserpflanzen hin
und her huschen. Manchmal klingt es, als würden auf dem Eise Schüsse
abgefeuert, und man glaubt, die Kugeln pfeifen und den immer schwächer
werdenden, ersterbenden Schall in der Ferne verhallen zu hören.

Wir mußten noch den folgenden Tag warten, um dem Eise Zeit zum
Stärkerwerden zu lassen. Mit großem Interesse wurde das Thermometer
beobachtet. Nachts zeigte es -19,1 Grad, am 5. morgens um 7 Uhr -11,1
Grad, um 1 Uhr -5,1 Grad, um 9 Uhr -8,9 Grad und in der nächsten Nacht
-20,9 Grad. Ich stand eine Stunde vor Sonnenaufgang auf, um eine
astronomische Ortsbestimmung zu machen. Sodann wurde unser ganzes
Gepäck, außer meinen Sachen und der Küche, auf dem Schlitten nach dem
jenseits des hinderlichen Vorgebirges liegenden Ufer gebracht (Abb.
307). Das Eis war 2 Zentimeter dicker geworden. Auch die Tibeter
siedelten dorthin über, zogen jedoch den gefährlichen Felsenpfad
vor, wo sie indessen die Yake vorsichtig treiben mußten, damit
diese einander nicht in den Abgrund drängten. Diese Tiere gehen mit
unglaublicher Sicherheit; sie können wohl ausgleiten, verlieren aber
nie den Boden unter den Füßen (Abb. 308).

Währenddessen lotete Tschernoff im See, und mit Benutzung seiner Waken
maß ich nachher die in verschiedenen Tiefen herrschenden Temperaturen.
Die Untersuchung ergab, daß in der Nähe des Südufers warme Quellen
vom Seegrunde aufsteigen müssen. Die größte Tiefe war 21,55 Meter. Die
Exkursion wurde in einer Boothälfte gemacht, die Ördek und Chodai Kullu
zogen. Letzterer brach schließlich ein, hielt sich aber noch im letzten
Augenblick am Bootrande fest.

Noch ein Kamel blieb am 6. Dezember am Ufer des „Blauen Sees“ liegen.
Wir hatten jetzt nur noch zehn. Alle Muselmänner müssen zu Fuß gehen,
aber die Tagemärsche sind auch nur kurz.

Auf dem Eise um das hinderliche Vorgebirge herum wurden 28 Säcke Sand
ausgestreut, um für die Kamele einen Fußweg zu bilden. Ihre Überführung
fand vor Sonnenaufgang statt, damit nicht unter der Einwirkung der
Sonne das jetzt 9,9 Zentimeter dicke Eis schwächer würde. Alles
ging glücklich, nur aus einigen Rissen quoll Wasser heraus. Das
zurückgebliebene Gepäck wurde auf den Schlitten genommen; dann zogen
wir nach Westen weiter, um gefährliche Landspitzen herum, über
kleine Flugsandfelder hinweg und an regelmäßig abgerundeten Buchten
entlang. Ich ging den ganzen Tag zu Fuß, denn mein Pferd war jetzt
auch schwach geworden. Der See ist hier vollständig eisfrei; er friert
augenscheinlich von Osten nach Westen zu (Abb. 309).

Jetzt verschmälerte sich der Tso-ngombo wieder und ging schließlich
in den Fluß +Adschi-tsonjak+ über, der das süße Wasser des ersteren
dem salzigen Panggong-tso zuführt. Wir lagerten am Anfange des
Flusses, und zwar auf seinem rechten, nördlichen Ufer. Wir hatten
den großen, außerordentlich fesselnden See mit seinen hinreißenden
Perspektiven hinter uns. Besonders an windstillen Tagen und Abenden
bietet die großartige Natur mit ihren gigantischen Dimensionen und
ihrer vollendeten, fast märchenhaften Schönheit ein unvergeßliches
Schauspiel. Die steilen Felsen treten wie Kulissen aus dem Ufer
heraus, und die gewaltigen Berggestalten spiegeln sich in der blanken
Wasserfläche oder dem ebenso reinen, blendenden, glitzernden Eise.



Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Vom Panggong-tso nach Leh.


Dem Lager Nr. 144, das gerade hundert Tagereisen vom großen
Hauptquartier lag, fehlte es ebenfalls nicht an Bedeutung. Hier sollten
wir, wie man uns gesagt hatte, neue Yake aus Ladak bekommen; da diese
aber noch nicht da waren und die Tibeter nach Hause zurückkehren
wollten, mußten wir aufpassen, daß sie uns nicht durchbrannten. Drei
Rasttage zwischen den beiden Seen sollten den Kamelen wohltun und auch
meinen Arbeiten förderlich sein.

Am 7. Dezember tobte ein grauenhafter Sturm, und Wolken von Sand
regneten auf uns herab. Tschernoff, der den westlichen Teil des Sees
auf vier Linien lotete (Maximaltiefe 31,76 Meter), konnte sich kaum ans
Land retten. Am 9. sollten wir aufbrechen, aber es stellte sich heraus,
daß alle Yake durchgebrannt waren und ein neuer Sturm alle ihre Spuren
im Sande verwischt hatte. Nach vielem Suchen fanden wir sie schließlich
wieder, doch erst, als der Tag zur Neige ging. Ihr Führer, Loppsen,
erklärte sich bereit, mit uns längs des Nordufers des +Panggong-tso+
weiterzuziehen und bei uns zu bleiben, bis wir aus Ladak Entsatz
erhielten. Es war hohe Zeit, daß wir Verstärkung bekamen; unsere
Vorräte an Reis, Mehl und Talkan waren seit mehreren Tagen zu Ende, und
wir lebten ausschließlich von Fleisch. In einem benachbarten Zeltdorfe
erstanden wir sieben Schafe. Dort waren einige Hunde, mit denen sich
Jolldasch sehr anfreundete. Daß er Prügel bekam, wenn er auskniff,
machte ihm jetzt keinen Eindruck mehr; wenn er nicht fortlaufen sollte,
mußte er angebunden werden. Bei dem Lager wurde die höchste noch
sichtbare Terrasse gemessen; sie lag 54 Meter über dem Flusse! Die
beiden Seen haben einstmals entschieden zusammengehangen und befinden
sich, gleich allen anderen Seen Tibets, im Zustande der Austrocknung.

[Illustration: 311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von
Ladak, mit seinem Gefolge. (S. 344.)]

[Illustration: 312. Gulang Hiraman auf seinem Pony. (S. 344.)

Rechts Chodai Kullu mit Malenki und Maltschik.]

Am 10. Dezember zog die Karawane am nördlichen Ufer des Panggong-tso
weiter, während ich mit Ördek den Flußarm hinabruderte. Die
Temperatur war auf -25,7 Grad heruntergegangen; es mußte an warmen
Quellen liegen, daß das Wasser nicht gefroren war. Der Fluß erweitert
sich nach unten; in einer Biegung lag eine Nacht altes Eis, dünn wie
Papier, aber trotzdem hinderlich für das Boot. Weiter abwärts war
der Eisgürtel so stark, daß er, als wir ihn zur Abkürzung des Weges
benutzten, sowohl uns wie das Boot trug. Doch schließlich legte uns
das Eis ein unüberwindliches Hindernis in den Weg; wir schleppten das
Boot nach der weiten trompetenförmigen Mündung, die an den Ausfluß des
Satschu-sangpo in den Selling-tso erinnert. Hier erwartete man uns mit
einem Kamele, auf welches das Boot geladen wurde.

Wir begaben uns nach dem Gebirge im Norden, das aus grünem Schiefer
besteht und an dessen Basis mehrere Quellen entspringen. Der See liegt
offen vor uns, nur in ruhigen Buchten schaukelt auf der Dünung eine
dünne Eisschicht. Die Gestalt des Ufers ist genau dieselbe wie beim
Tso-ngombo; es ist noch immer dasselbe Längental, in dem wir ziehen,
und wir marschieren immer noch auf derselben absoluten Höhe, oder, wie
das langsame Strömen des Flusses zeigt, nur eine Kleinigkeit tiefer.
Dieselben Bergarme laufen in Vorgebirge aus, und zwischen diesen liegen
dieselben kleinen, dreieckigen oder halbmondförmigen Talflächen, auf
denen die Buschvegetation immer mehr abnimmt. Überall, wo Schuttkegel
steil in den See fallen, sind die aus dem Wasser schauenden Steine
mit einer Kruste von weißem, blasigem Eise überzogen. Der See ist
aufgeregt, die Wogen schlagen gegen das Ufer, und das Spritzwasser
gefriert sofort auf den vom Nachtfrost durchkälteten Steinblöcken. Auf
einer flachen Halbinsel namens +Siriap+, wo das Gebüsch noch in Menge
wuchs, fanden wir die Unsrigen im besten Wohlsein vor (Abb. 310).

11. Dezember. Das Wetter war heute so schön und windstill, daß ich
meinen beiden besten Seeleuten, Tschernoff und Ördek, den Auftrag
geben konnte, über den Panggong-tso nach einem Vorgebirge im Südwesten
zu rudern, um die Tiefen zu messen. Sie nahmen für den Fall, daß sie
das nächste Lager vor Eintritt der Dunkelheit nicht mehr erreichten,
Proviant für einen Tag mit. Wir zogen längs dieser eigentümlichen,
girlandenförmigen Uferlinie, welche die Länge des Weges beinahe
verdoppelt, nach Westen weiter. Bei jedem Ausläufer von dem Hauptkamme
der nördlichen Kette entsteht eine in den See vorspringende Halbinsel
oder ein Vorgebirge. Auf der Ostseite gehen wir nach Süden, auf der
Westseite nach Norden, ja, manchmal müssen wir sogar nach Nordost
und Südost marschieren. Einige Stellen sind für die Kamele sehr
beschwerlich und müssen erst mit Spaten und Brechstangen bearbeitet
werden. An einer Stelle ist der Weg auf der Uferterrasse so schmal, daß
nur Schafe dort durchkommen können; glücklicherweise war der See hier
nicht zu tief, so daß die Kamele im Wasser gehen konnten.

Bei dem heutigen Lagerplatze gab es nur einen Brunnen, dessen Wasser
nicht viel besser als dasjenige des Sees war, weshalb wir es vorzogen,
Eisschollen von den Ufersteinen loszubrechen. In der Dämmerung stellte
sich heraus, daß die Kamele zurückgelaufen waren. Auf der schmalen
Uferterrasse waren sie aber stehengeblieben; sie mußten ganz vergessen
haben, daß sie hier eine Strecke im Wasser gegangen waren. Sie sehnten
sich nach den schönen Weideplätzen am Tso-ngombo zurück. Nachher wurden
sie festgebunden und mit Gerste traktiert, die wir in reichlicher Menge
mit hatten und die von den Yaken getragen wurde. Im Süden war auf dem
andern Ufer Tschernoffs Feuer zu sehen. Ein Felsen gewährte uns Schutz,
aber man hörte an dem Rauschen des Sees, daß ein heftiger Wind ging;
die Wellen schlugen mit solchem Getöse an das Ufer, daß die Kosaken
mich nicht hörten, als ich sie rief.

Am 12. Dezember lag die ganze Gegend in undurchdringlichen Schneesturm
gehüllt da, und vom Südufer war keine Spur zu sehen. Die Temperatur war
nicht unter -7,5 Grad heruntergegangen. Starker Seegang herrschte, denn
in diesem Längentale wird der Wind wie in eine Rinne eingepreßt und
fegt ungehindert über den See hin. Im Laufe des Tages sahen wir jedoch
zu unserer Freude, daß die Jolle noch auf derselben Stelle lag und die
Ruderer sich nicht auf waghalsige Abenteuer begeben hatten.

Unser Tagemarsch war nicht lang, aber beschwerlicher als alle andern,
die wir bisher am Nordufer dieses endlosen Seenzwillingspaares
zurückgelegt hatten. Ein mächtiger, nach Süden zeigender Felsausläufer
fällt mit senkrechten Wänden in den See; über seinen Kamm führt ein
Pfad, der von den Karawanen benutzt wird. Aber für Kamele ist er
nicht bestimmt. Eine Weile rasteten wir am Fuße des Berges, während
Sirkin das Ufer, das zu überschreiten sogar für Menschen, auch wenn
sie kletterten, unmöglich war, untersuchte und Schagdur nach dem Kamme
hinaufritt. Er erklärte ihn für grauenhaft, aber vielleicht passierbar.
Die Yakkarawane kletterte mit großer Sicherheit hinauf. Als sie den
Kamm erreicht hatte, wurden fünfzehn Yake abgeladen, die meine Kisten,
alle Zelte und allerlei sonstige Sachen holen mußten, womit sie den Weg
nach dem Lager auf der andern Seite fortsetzten, während sie den Rest
nachts abholten.

Unterdessen stellten wir mit Spaten und Brechstangen einen Zickzackweg
für die Kamele her, die außerordentlich langsam einzeln hinaufgeführt
und geschoben wurden; es dauerte stundenlang, obgleich die relative
Höhe keine 200 Meter betrug. Von dem Passe, auf dem eine kleine, mit
Fähnchen geschmückte Steinpyramide steht, haben wir eine entzückende
Aussicht über den ganzen Panggong-tso und im Süden auf die
schneebedeckte Welt von Bergen, die eine Grenzmauer bilden, hinter
welcher das Flußgebiet des Indus liegt. Doch wir blieben keine Minute
länger droben, als unumgänglich nötig war. Ein durch Mark und Bein
dringender Westwind sauste über den Paß hin. Man mußte breitbeinig
stehen, wenn man nicht umgeweht werden wollte, und wenn man seine
Aufzeichnungen macht, muß man dem Winde den Rücken kehren und sich
sputen, damit man fertig wird, ehe einem die Hände vor Kälte steif
sind. Dann eilt man abwärts in der Hoffnung, hinter einem Vorsprunge
Schutz zu finden, sieht sich aber enttäuscht, denn der ganze Westabhang
ist dem Sturme ausgesetzt. Und was für ein Abstieg! Manchmal muß ich
kriechen und mich mit den Händen halten, um nicht in den Abgrund zu
stürzen. Turdu Bai war mit zwei Kamelen vorausgegangen. Ich begegnete
ihm jetzt; ganz ratlos war er umgekehrt. Nach langem Suchen fanden wir
jedoch eine Stelle, wo man einen Weg herstellen konnte. Dies erforderte
aber lange Zeit und ließ sich heute nicht mehr fertigbringen. Es
dämmerte schon, und Turdu Bai und einige der andern mußten die Nacht
über mit allen Kamelen auf halber Höhe des Berges bleiben. Im Lager war
jedoch alles in Ordnung, und früh am nächsten Morgen trafen auch die
Kamele dort ein.

Am folgenden Tag ging es an diesem endlosen Ufer weiter. Die Yake
waren weit voraus, sie sehnten sich nach Gras. Die Ruderer konnten
nicht wieder nach unserem Ufer zurückkehren, aber wir sahen sie durch
das Fernglas und brauchten ihretwegen nicht besorgt zu sein. In dem
Lager +Serdse+, das auf der Grenze zwischen Tibet und Kaschmir liegt,
erwartete uns eine große, freudige Überraschung. Hier trafen wir die
Entsatzkarawane, die uns auf Befehl des Wesir Wesarat, des Statthalters
des Maharadscha von Kaschmir in Ladak, entgegengeschickt worden war.
Sie war zuerst nach +Mann+ gegangen, einem Dorfe auf dem Südufer
des Sees, Serdse gegenüber. Als wir dort nicht erschienen waren,
war sie umgekehrt, um uns auf dem Nordufer zu suchen. Unsere Lage
veränderte sich mit einem Schlage; 12 Pferde und 30 Yake standen uns
zur Verfügung; Schafe, Mehl, Reis, Dörrobst, Milch, Zucker, Gerste für
unsere Tiere; konnte man mehr verlangen? Meine Karawane, mit der es
Matthäi am letzten war, wurde auf einmal restauriert. Wir brauchten uns
nicht länger Entbehrungen aufzuerlegen, die lange Leidenszeit war jetzt
vorbei, und ich selbst empfand die Unterstützung wie einen warmen Hauch
von Indien, wie einen Gruß aus gastfreundlichen Gegenden, ja, wie eine
Umarmung von meinem eigenen Heim.

Führer dieser neuen Karawane waren zwei Männer aus Ladak: Anmar Dschu,
der fließend Persisch sprach und mit dem ich mich daher unterhalten
konnte, und Gulang Hiraman, ein klassischer, gemütlicher Herr, der vor
eitel Wohlwollen glänzte; die übrigen Leute waren ebenfalls Ladakis,
nur einer war ein Hindu (Abb. 311, 312). Die letzten Tibeter erhielten
jetzt ihren Abschied und gute Bezahlung, sowie alles, was wir an „altem
Gerümpel“, Kasserollen, Tassen, Kannen und Kleidern entbehren konnten,
ja sogar einen Revolver. Nicht ohne Wehmut sah ich sie fortziehen,
denn sie hatten uns auf vortreffliche Weise gedient, waren ehrlich
und freundlich gewesen und hatten unsertwegen viel Arbeit und Mühe
gehabt. Jetzt sollte die Schlinge, die mich so lange an Tibet gefesselt
hatte, zerrissen werden. Alle unsere Erinnerungen an seine unwirtlichen
Täler, alle unsere Verluste und Leiden würden künftig in versöhnendem
Lichte vor unserem geistigen Auge stehen. Die harten Schicksale und
Schwierigkeiten, die wir zu bekämpfen und zu besiegen gehabt hatten,
würden wir mit der Zeit vergessen. Die Erinnerung haftet mit Vorliebe
an den fröhlichen Ereignissen, und das Böse, das uns trifft, erscheint
nicht mehr so schlimm, wenn die zeitliche und räumliche Entfernung
zunimmt. Als die Sonne an diesem Abend unterging und die dunkle Nacht
im Osten heraufzog, schien sie mir das Land des Dalai-Lama mit all
seinen Geheimnissen und seinen noch ungelösten Rätseln verschlungen
zu haben. Doch in meinen Brieftaschen und Tagebüchern barg ich einen
Schatz, der die Bitterkeit des Abschieds milderte und der über bisher
noch völlig unbekannte Gegenden Tibets Licht verbreiten sollte.

Die Führer der Entsatzkarawane überraschten mich dadurch, daß sie
mir jeder eine Silberrupie schenkten. Trotz der etwas lächerlichen
Situation begriff ich, daß das Geschenk freundlich gemeint war, und
steckte das Geld in die Tasche -- in der Absicht, es mit Zinsen
zurückzugeben.

Wir lagerten zusammen an der Quelle, die unmittelbar am Ufer Blasen
werfend aus der Erde sprudelte und +16,2 Grad Temperatur bei -6 Grad
Lufttemperatur hatte; das Wasser dampfte und fühlte sich lauwarm an.
Tausend Fragen über die Verhältnisse in Ladak, Kaschmir und Indien
kreuzten einander, und es wurde spät, ehe wir uns schlafen legten.
Auf einer vorspringenden Landspitze wurde als Signal für Tschernoff
ein gewaltiges Feuer unterhalten. Am folgenden Tage kam er gesund und
munter an, nachdem er zwei Linien gelotet und eine Maximaltiefe von
47,5 Meter gefunden hatte. Nach Leh, wohin wir noch acht Tagereisen
haben sollten, schickte ich Briefe durch einen besonderen Kurier.

[Illustration: 313. Musikanten und Tänzer in Drugub. (S. 346.)]

[Illustration: 314. Lager vom 16. Dezember. (S. 346.)]

[Illustration: 315. Kloster Dschowa. (S. 346.)]

Bevor ich jetzt zum 15. Dezember übergehe, muß ich erzählen, was aus
Jolldasch wurde, meinem Hunde aus Osch, der die ganze Zeit über mein
Zeltkamerad gewesen war. Er brachte die Nacht wie gewöhnlich auf den
Filzdecken zu meinen Füßen zu; bei Sonnenaufgang sprang er auf,
schüttelte sich und lief hinaus. Er pflegte bis zum Aufbrechen der
Karawane vor dem Zelte in der Sonne zu liegen. Diesmal aber lief er
über die Berge nach Osten und kam nicht wieder. Chodai Kullu sah ihn
in rasender Eile längs der gestrigen Spur zurücklaufen, als sei er von
der Sonne hypnotisiert oder habe alle Mächte der Finsternis hinter
sich. Daß er in dem Zeltdorfe zwischen den Seen intime Bekanntschaften
gemacht hatte, wußten wir, und es mußte ihm dort wohl besser gefallen
haben als in unserer Gesellschaft. Ich hatte ihn während zweier
Tagereisen angebunden, dann aber durfte er wieder frei im Lager
umherlaufen und während des Ruhetages in Serdse spielte er seine Rolle
vorzüglich. Er dachte gewiß: „Ich werde nicht eher durchbrennen, als
bis die Entfernung so groß ist, daß sie es nicht der Mühe wert halten,
mich zurückzuholen.“ Er hatte 50 Kilometer am Ufer des Panggong-tso
zurückzulegen, um zu seiner Liebsten zu gelangen. Es wäre interessant
zu wissen, wie es ihm auf der Flucht ergangen und ob er den Wölfen,
die sicherlich unsere toten Kamele besucht hatten, glücklich entronnen
ist. Ja, es wäre mir eine Freude zu wissen, wie es meinem alten
Reisegefährten jetzt geht. Er ist natürlich ein Vollbluttibeter
geworden; er konnte sich von diesem Lande nicht losreißen, sondern
kehrte gerade an der Grenze wieder um. Ich möchte wohl wissen, ob
er mich und all die Liebe, mit der ich ihn zwei und ein halbes Jahr
behandelt habe, ganz vergessen hat? Mir fehlte er überall, aber in der
Karawane war er Gegenstand allgemeiner Verachtung; alle fanden, daß er
ein feiger, undankbarer Überläufer sei.

Die Karawane ging jetzt einen nördlicheren Weg, während ich mit Anmar
Dschu, Tschernoff und dem Lama auf einem halsbrecherischen Pfade mit
mehreren schwierigen Pässen am See entlang nach der nächsten Quelle
zog. Als die anderen schließlich auch dort ankamen, brachten sie nur
neun Kamele mit; welch ein Jammer, daß jetzt noch ein letztes sterben
mußte, da wir nun Stroh und Gerste in Menge hatten und die lange Ruhe
an gefüllten Krippen so bald zu erwarten war!

Nachts schneite es endlich tüchtig, und am 16. ritten wir durch eine
blendend weiße Winterlandschaft. Von dem Passe oberhalb des Lagers lag
der See unter uns wie in einer tiefen Grube, wie ein Graben zwischen
schneebedeckten Bergen. Ich machte einige photographische Aufnahmen,
aber es war hübsch kalt für die Finger, bei -10 Grad und Wind mit der
Kamera zu hantieren; es mußte ein kleines Feuer angezündet werden,
damit ich mich ab und zu wärmen konnte. Und nun verlassen wir den
Panggong-tso, diesen großartigen, reizenden See, reiten über seine
westliche, dünenreiche Sandsteppe, ziehen langsam ein im Südwesten
mündendes Tal hinauf und gelangen auf eine kleine Schwelle, die mit
zwei Steinkisten von prächtigen „Mani“-Platten mit flatternden Wimpeln
geschmückt ist. Diese kleine Schwelle lag in einer Höhe von wenig mehr
als 20 Meter, also nur 2 Millimeter Luftdruckunterschied, über dem See.
Von dort ging es ein energisch ausgemeißeltes, mit Schutt und Blöcken
angefülltes Tal hinab, wo wir am Ufer eines kleinen zugefrorenen Sees,
zirka 60 Meter unter dem Spiegel des Sees, lagerten (Abb. 314). Wir
hatten das Flußgebiet des Indus erreicht, und die Wassertropfen, die
diesem Tale entsprangen, werden sich dereinst nach tausend Kämpfen
in dem Indischen Ozean verlieren. Zweieinhalb Jahre hatten wir uns
in abflußlosen Zentralbecken im innersten Asien bewegt, jetzt waren
wir wieder in Gegenden, die Abfluß nach dem Meere besaßen. Es war ein
befreiendes, erquickendes Gefühl, dies zu wissen; wir entfernen uns
jetzt allmählich von dem höchsten Gebirgslande der Erde.

Die erwähnte Schwelle ist von großem Interesse, wenn man sie mit
den alten Uferlinien vergleicht, die 54 Meter über dem Panggong-tso
liegen. Der See hat einst einen Abfluß nach dem Indus gehabt, ist
aber später, aus klimatischen Veranlassungen, von diesem Flußgebiete
abgeschnürt worden. Infolgedessen ist er salzig geworden, und die
Süßwassermollusken sind ausgestorben.

Am 17. nahm ich Abschied von der Karawane, um nach Leh vorauszueilen.
Es war noch stockfinster, als wir aufstanden, aber die munteren
Ladakpferde waren bereits gesattelt. Anmar Dschu, Tschernoff und
Tscherdon begleiteten mich; das Gepäck trugen drei Pferde, die von
einigen Fußgängern getrieben wurden. So sprengten wir in raschem Tempo
fort. Wir mußten ungefähr 40 Kilometer täglich zurücklegen, um in 4
Tagen Leh zu erreichen, damit ich noch ein Telegramm zum heiligen
Abend nach Hause senden konnte. Es ging jetzt schnell talabwärts.
Gehöfte und bebaute Felder begannen aufzutreten. Bei +Tanksi+, wo wir
andere Pferde erhielten, erhebt sich malerisch auf einem isolierten
Felsen das Kloster +Dschowa+ (Abb. 315). Nachdem es von der Ebene
aus photographiert worden war, ritten wir weiter nach +Drugub+ (3919
Meter), dem ersten Nachtlager, wo eine ganze Musikantentruppe mit
Trommeln und Flöten und vorgebundenen Masken zu unserer Ehre auf dem
Hofe tanzte (Abb. 313). Es kam mir ganz eigentümlich vor, wieder in
einem Hause zu schlafen!

Die nächste Tagereise führte bergauf nach immer höherwerdenden
Regionen, denn wir mußten über den schwierigen Paß +Tschang-la+, der
sonst um diese Jahreszeit durch Schnee versperrt ist, in diesem Jahre
aber passierbar war. Der Anstieg ist schwer, alles grau in grau, Block
neben Block. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir den Kamm erreichten,
auf dem wir uns wieder in einer Höhe von 5386 Meter befanden. Der
Abstieg ist noch viel steiler. Zwischen Millionen von Granitblöcken
zieht sich der abschüssige Zickzackpfad ins Tal hinunter, und es
war schon pechschwarze Nacht, als wir die Steinhütten von +Taggar+
erreichten.

Wie seltsam und merkwürdig war es für uns, wieder überall Menschen
zu treffen, Dorf auf Dorf hinter uns verschwinden und die mit
Steinmauern umfriedigten Ackerfelder immer größer und zahlreicher
werden zu sehen. Tempel thronen auf den Felsen, und der Wind flüstert
in Pappeln und Weiden. Die Kosaken betrachteten mich jetzt mit einer
gewissen Bewunderung; es imponierte ihnen sichtlich, daß ich den Weg
hierher gefunden hatte und von diesen Eingeborenen, von deren Dasein
sie bisher noch nie Kunde erhalten hatten, so freundlich aufgenommen
wurden. Und immerfort ging es hinunter in tieferliegende Gegenden,
in dichtere Luftschichten, mildere Temperatur. Die Steinkisten, jene
seltsamen Opferaltäre, gegen welche die Obo der Mongolen Kleinigkeiten
sind, nahmen an Zahl und Größe zu. Eine solche, die 1½ Meter hoch
und 3 Meter breit war, maß in der Länge nicht weniger als 260 Meter,
und ihre ganze, auf beiden Seiten von einem Erdrücken abfallende
Fläche war voller Steinplatten, in welche „Om mani padme hum“ mit
unglaublicher Mühe eingehauen war. Es muß eine lange Zeit dauern, ehe
ein solches Werk zur Ehre der Götter fertig wird. Die Lamas, die den
ewigen Denkspruch mit unerschütterlicher Geduld in den Stein graben,
trösten sich wohl mit dem Gedanken: wenn wir verstummt sind, werden
die Steine reden. Das Tempelkloster +Dschimre+ liegt wundervoll auf
einem Felsen, und das Dorf am Fuße desselben ist groß und reich. Nach
einer weiteren Reihe von Dörfern gelangen wir an den +Indus+, der in
einem tief eingeschnittenen, gewundenen Bette fließt. Sein klares,
grünes, Stromschnellen bildendes Wasser rauscht wie in einem 50 Meter
tiefen Graben dahin. An der Flußbiegung läuft eine 3 Meter hohe, 9
Meter breite und 416 Meter, also fast einen halben Kilometer lange
„Mani“-Kiste entlang; verrückte Menschen, welch nutzlose Arbeit! Man
erstaunt immer mehr, je größer die Kisten werden; in einer Reihe
aufgestellt, würden sie eine kleine chinesische Mauer geben.

Hier an der Flußbiegung kam mir Mirsa Muhammed entgegen, der Naib oder
Sekretär des Täsildars (eingeborener Distriktschef) von Leh. Er war
ein sehr liebenswürdiger, angenehmer Mensch, der fließend Persisch
sprach und mir später viele unschätzbare Dienste leisten sollte. Wir
ritten auf dem rechten Indusufer durch das breite, gewaltige Tal
westwärts nach der Posthalterei von +Tikkse+, wo es in einem Zimmer
einen eisernen Ofen gab. Über dem Dorfe thront erhaben über allen
Erdenlärm das Kloster +Tikkse-gompa+ (Abb. 316, 317). Die Mönche, 40-50
an der Zahl, hatten die Freundlichkeit, fragen zu lassen, ob ich nicht
lieber bei ihnen wohnen wolle; aber wir hatten es dort unten gut,
und erst am nächsten Morgen machte ich ihnen einen Besuch. Von den
Terrassen und Altanen ihrer für den Pinsel eines Malers so verlockenden
Freistatt hatte man eine entzückende, überwältigende Aussicht über das
gigantische Industal (Abb. 318).

Während des Rittes nach Tikkse waren uns drei Boten entgegengekommen;
einer von ihnen war eine Frau. Sie trugen ihre Botschaft um das Ende
eines Stöckchens gewickelt. Der eine brachte mir ein Telegramm von
dem jetzt in Sialkut wohnenden englischen Residenten von Kaschmir:
„~Warmest congratulations on safe arrival, message sent to His
Excellency Viceroy, trust arrangements made satisfactory~“.
(Wärmste Glückwünsche zur glücklichen Ankunft; habe Se. Exzellenz
den Vizekönig benachrichtigt; hoffe, daß die getroffenen Anordnungen
zufriedenstellend sind.)

Von dem Augenblick an, da ich den Fuß auf britisches Gebiet setzte,
wurde ich täglich mit Gastfreundschaft und Artigkeit überhäuft. Als
wir am 20. Dezember müde und bestaubt in +Leh+, der 4000 Einwohner
zählenden Hauptstadt von Ladak (Abb. 319), eintrafen, kam mir ihr
Täsildar entgegen, ein fließend Englisch sprechender, bis auf den
hohen, faltigen, weißen Turban europäisch gekleideter, ungewöhnlich
distinguiert aussehender Hindu namens Jettumal. Er hieß mich auf dem
Gebiete des Maharadscha willkommen und überreichte mir ein artiges
Telegramm vom Wesir Wesarat. Wir ritten zuerst nach dem „Dak-bungalow“
(Gasthaus, Hotel), das die in Leh weilenden Engländer zu besuchen
pflegen. Dieses Haus war in jeder Beziehung elegant und gemütlich;
dennoch zog ich es vor, in Mirsa Muhammeds Hause zu wohnen, das früher
Missionar Webers Kirche gewesen war, in welchem auch die Kosaken zwei
Zimmer bekommen konnten und wo die Karawane auf einem großen Hofe
reichlich Platz für Menschen und Tiere fand. Hier wurde für mich ein
vortreffliches Zimmer mit Ofen, Teppich, Bett, Tisch und Stühlen
eingerichtet, und hierher brachte Jettumal meine gewaltige Post. Seit
elf Monaten hatte ich kein Wort von Europa gehört und wußte nicht, wie
es zu Hause stand; man kann sich also denken, mit welcher Unruhe ich
die Post mit allen ihren Neuigkeiten öffnete. Ich erbrach zuerst die
letzten Briefe, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß alle meine
Angehörigen noch lebten und gesund waren, konnte ich die Briefe mit
Ruhe in chronologischer Reihenfolge durchgehen. Ich legte mich auf das
schöne Bett und las die ganze Nacht hindurch, und die Sonne stand am
21. schon hoch am Himmel, als ich zur Ruhe ging. Tief schmerzte mich
die Nachricht von Nordenskiölds Tod.

Schon bei meiner Ankunft hatte Jettumal von „King Edward“ gesprochen.
Ich war erstaunt, hatte ich doch den Namen nie gehört; ich wußte nicht,
daß Königin Viktoria vor beinahe einem Jahre gestorben war!

[Illustration: 316. Tempelhof in Tikkse. (S. 347.)]

[Illustration: 317. Lamas in Tikkse mit ihrem Prior (rechts). (S. 347.)]

[Illustration: 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse. (S. 348.)]

[Illustration: 319. Leh, die Hauptstadt von Ladak. (S. 348.)]

Das erste aber, was ich tat, als ich nun nach allen Stürmen in Leh
einen Hafen gefunden hatte, war, an König Oskar, an Lord Curzon, den
Vizekönig von Indien, und an meine Eltern zu telegraphieren. Die
freundlichen, aufmunternden Antworten trafen gerade rechtzeitig als
Weihnachtsgaben für mich ein. Das Telegramm des Königs von Schweden
lautete: „Vielen Dank für Ihr Telegramm und die bereits erhaltenen
interessanten Briefe! Ich freue mich herzlich über Ihre glückliche
Ankunft auf britischem Gebiete und hoffe, daß Sie bald heimkehren. Ich
und die Meinen sind gesund. Sie herzlich grüßend, König Oskar.“

Von Tscharchlik hatte ich, via Kaschgar, an Lord Curzon geschrieben
und ihn gebeten, bei der Ankunft in Leh eine Anleihe von 3000 Rupien
aufnehmen zu dürfen; diese Summe lag jetzt bereit und wartete auf mich.
Ich hatte auch von der Möglichkeit eines kurzen Besuchs in Indien
gesprochen, und jetzt erhielt ich einen langen, liebenswürdigen Brief
des Vizekönigs, der mit den Worten schloß:

„Ich habe Ihnen nur einen Vorschlag zu machen, und der ist, daß Sie
nach Kalkutta kommen, wo ich mich vom Januar bis Ende März aufhalte,
und mir das Vergnügen machen, Sie als meinen Gast im Government House
zu begrüßen und aus Ihrem eignen Munde zu hören, was Sie alles gesehen
und ausgeführt haben.“

Nachdem ich geantwortet und diese liebenswürdige Einladung dankbar
angenommen hatte, telegraphierte Lord Curzon:

„~Congratulate you upon your safe arrival after most arduous journey
and great discoveries. Am delighted that we shall see you here.
Viceroy.~“ (Gratuliere Ihnen zu ihrer glücklichen Ankunft nach der
sehr anstrengenden Reise und den großen Entdeckungen. Bin entzückt, daß
wir Sie hier sehen werden. Vizekönig.)

Ich sollte also einen kurzen Besuch in Indien machen und Lord Curzon
(Abb. 320) wiedersehen, den ich seit mehreren Jahren kannte und der
auch zugegen gewesen war, als ich in London im Dezember 1897 in der
~Royal Geographical Society~ einen Vortrag über meine vorige
Reise hielt. Da es sich aber um einen Ritt von 400 Kilometern nach
Srinagar, der Hauptstadt von Kaschmir, handelte, glaubte ich mir eine
zehntägige Ruhe gönnen zu dürfen, ehe ich nach der Sommerhitze im
Märchenlande aufbrach. Die Tage verrannen nur zu schnell. Ich wurde
von den in Leh ansässigen Missionaren Ribbach und Hettasch und ihren
Frauen mit Freundschaftsbeweisen und Gastfreundschaft überhäuft,
ebenso von Miß Baß und dem Missionsarzt E. Shawe, der sich der
Kranken in meiner Karawane mit unendlicher Freundlichkeit annahm.
Täglich besuchte ich die Missionare und ich habe selten eine Station
gesehen, die so musterhaft geleitet wird und so vielversprechende
Früchte gezeitigt hat. In dem netten kleinen Kirchensaale feierten wir
zusammen Weihnachten. Der Saal strahlte hell im Kerzenscheine, und der
Weihnachtsbaum mit seinen zahllosen kleinen Wachslichtern gemahnte
mich an viele unvergeßliche liebe Kindheitserinnerungen aus meiner
nordischen Heimat. Ribbach predigte in der Ladakisprache, und beim
Gesang stimmte die andächtig lauschende, festlich gekleidete Schar
ein, die das kleine Gotteshaus dicht gedrängt füllte. Ich bin selten
bei einem so ergreifenden, feierlichen Gottesdienst zugegen gewesen,
obwohl ich von dem, was Ribbach sagte, nicht ein Wort verstand. Der
freundliche Glanz der Christbaumlichter nahm meine Sinne gefangen, die
weichen Orgelklänge berauschten mich, -- ich hatte ja so unendlichen
Grund zur Dankbarkeit, jetzt da alle unsere Mühseligkeiten zu Ende
waren und ich mich wieder unter Europäern befand!

Am ersten Weihnachtstage langte meine Karawane an. Die letzten neun
Kamele hatten den Paß Tschang-la glücklich überwunden. Jetzt sollten
sie sich ausruhen und herrlichen frischen Klee zu fressen erhalten;
ihre Krippen sollten beständig davon duften, sie sollten wie unsere
eigenen Kinder gepflegt und für alles, was sie durchgemacht hatten,
belohnt werden. Sie sahen ängstlich und erstaunt aus, als sie durch den
Straßenlärm zogen (Abb. 321); aber auf unserem stillen Hofe fühlten sie
sich bald heimisch, und ich sah ihre Augen vor Freude glänzen, als sie
den Duft des reichlichen, saftigen Futters verspürten. Die Bewohner der
kleinen Stadt, die wohl noch nie Kamele gesehen hatten, kletterten auf
die Mauern des Hofes und betrachteten diese seltsamen, langhalsigen,
buckligen Tiere mit größtem Erstaunen.

Jetzt wurde folgender Entschluß gefaßt. Während meiner Reise nach
Indien sollte sich die Karawane ausruhen. Dazu brauchte ich nur drei
von den Muselmännern zu behalten, und es paßte daher gut, daß die
übrigen baten, sofort über das Kara-korum-Gebirge und Jarkent nach
Hause zurückkehren zu dürfen. Sie erhielten ihren Lohn mit großer
Zulage und außerdem Kleider, Proviant und je ein Reitpferd als
Geschenk. Ich mietete für sie einen Mann aus Jarkent als Karakesch,
der es übernahm, sie für eine bestimmte Summe nach Jarkent zu bringen.
Als Sirkin, der sich nach Frau und Kindern sehnte, fragte, ob er sie
begleiten dürfe, erlaubte ich ihm dies um so lieber, als er dann Briefe
an Generalkonsul Petrowskij, bei dem sich meine früher gemachten
Sammlungen befanden, überbringen konnte. Hier verließen uns also Mollah
Schah, Hamra Kul, Turdu Ahun, Rosi Mollah, Li Loje, Almas, Islam, Ahmed
und Ördek, der den besonderen Auftrag hatte, Sirkins Diener zu sein.
Mit ihren Packpferden, dem Führer und seinen beiden Dienern bildeten
sie eine recht ansehnliche Karawane, als sie am 29. Dezember von Leh
fortritten. Trotzdem Sirkin sich aufrichtig nach Hause sehnte, vergoß
er doch bittere Tränen, als ich ihm zu einem langen Lebewohl die Hand
reichte und ihm für alle die Dienste dankte, die er mir während dieser
Jahre geleistet hatte.

Schließlich wurde alles zum Aufbruch bereit gemacht. Tschernoff wurde
Chef des Winterquartiers in Leh, Tscherdon Meteorologe, Turdu Bai,
Kutschuk und Chodai Kullu, die besten der Muselmänner, sollten die
Kamele, die Maulesel und mein altes Reitpferd pflegen. Sie erhielten
eine reichliche Geldsumme zur Bestreitung der Haushaltkosten, und
Jettumal versprach, dafür zu sorgen, daß es ihnen an nichts fehle.
Auch ~Dr.~ Shawe und die übrigen Missionare wollten sich während
meiner Abwesenheit meiner Leute annehmen. Der Lama, der ebenfalls dort
blieb, stand bald auf vertrautem Fuße mit Herrn Ribbach, der sich für
den jungen Priester sehr interessierte. Schagdur nahm ich, nachdem
ich vom Vizekönig die Erlaubnis dazu erhalten hatte, mit nach Indien.
Ich versprach mir ein ganz besonderes Vergnügen davon, Zeuge der
Verwunderung des braven Kosaken zu sein über alles, was er in jenem
wunderbaren Lande erblicken würde.



Achtundzwanzigstes Kapitel.

Ein Besuch in Indien.


Ich würde nun meinen Bericht schließen können, da wir alte,
wohlbekannte Gegenden erreicht haben, die schon vor mir und besser von
vielen Reisenden mit klassischen Namen beschrieben worden sind. Wenn
ich dennoch einige Schlußworte hinzufüge, geschieht es, damit der Leser
meine Spur nicht vollständig verliere und gänzlich im Stiche gelassen
werde, während wir noch im Inneren des großen Kontinents sind, welches
durch den „Wohnsitz des Winters“, den Himalaja, von dem warmen Meere
getrennt wird. Es soll jedoch schnell gehen; vermutlich sehnt sich der
Leser ebenso aufrichtig wie ich danach, dieses Reisewerk hinter sich zu
haben.

Am Morgen des 1. Januar 1902 stampften vier kleine, muntere Ladakpferde
vor meiner Tür. Ich und Schagdur bestiegen zwei von ihnen, die anderen
trugen unser Gepäck und wurden von Fußgängern getrieben; Mirsa Muhammed
war von Jettumal beauftragt worden, mich zu begleiten.

Wie wunderlich und ungewiß ist doch das Leben, wie viel rätselhafter
der Tod! Ich sollte keine Gelegenheit haben, dem Täsildar Jettumal für
die vielen Dienste, die er uns leistete, zu danken, denn bei meiner
Rückkehr nach Leh war er schon tot und verbrannt und seine Asche in die
heiligen Wellen des Ganges gestreut!

[Illustration: 320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon,
Vizekönig von Indien. (S. 349.)]

[Illustration: 321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh.
(S. 350.)]

Wir hatten bis +Srinagar+, der Hauptstadt und Sommerresidenz des
Maharadscha, 400 Kilometer in 16 Stationen zurückzulegen. Auf jeder
Station (Bungalow, Pangla) werden die Pferde gewechselt, manchmal
noch öfter; man kann daher so schnell reisen, wie man will. Was mich
betrifft, so war ich zu müde, um draufloszustürmen, und legte selten
mehr als eine Station pro Tag zurück, so daß wir nach elf Tagen in
Srinagar ankamen. Zuerst reiten wir nach +Niemo+ hinunter, dann geht
es durch die an Apfel- und Aprikosenbäumen reichen Felder und Gärten
von +Saspul+. Der Indus ist zwischen gewaltigen, wohl 500 Meter hohen
Terrassen eingeschlossen, der Weg läuft auf dem rechten Ufer, und
die Bilder, die sich nacheinander entrollen, sind großartig; es ist
ein wahrer Kunstgenuß, die Meisterwerke zu betrachten, die die
Erosionskraft des Wassers hervorgebracht hat. Bald fließt der Indus
langsam und ruhig und ist dann breit und tief, bald verengt sich das
Bett, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen und wälzt sich mit
betäubendem Getöse über abgestürzte Steinblöcke. Gelegentlich ist der
Fluß auch zugefroren, und die natürlichen Brücken werden dann von den
Eingeborenen benutzt. Schwindelnd hoch und schmal schlängelt sich der
Pfad an dem launenhaften Relief der Bergseite hin; ja bisweilen ist er
so schmal, daß man einem Entgegenkommenden nicht ohne Gefahr ausweichen
könnte; unsere Kulis eilen dann bis zur nächsten Biegung und stoßen
durchdringende Rufe aus, um den Weg freizuhalten.

Bei +Kalatschi+ lassen wir das Industal rechts von uns liegen. Wir
dringen gleichsam in die dunkeln Säle des Gebirges ein. Der Pfad ist
oft gefährlich, zieht sich bald auf der einen, bald auf der anderen
Talseite hin und geht auf kleinen, schwankenden Holzbrücken über einen
Fluß.

Hinter der Brücke von +Sampa-nesrak+ entspringt eine Quellader aus
der Felswand, und das von ihr gebildete Eis bedeckte den Weg wie eine
flache Glocke. Hier glitt das eine Packpferd aus und wäre den Berg
hinuntergerollt, wenn ich es nicht in demselben Moment, als es über den
Wegrand rutschte, am Schwanze gepackt und festgehalten hätte, bis die
anderen zu Hilfe kamen.

Das Lamakloster +Lamajuru+ hat eine höchst eigentümliche, malerische
Lage; es ist auf dem Gipfel einer von tiefen Furchen durchschnittenen
Geröllterrasse erbaut; es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann es
in die Tiefe stürzen wird, wo, wie stets in Tempelnähe, eine unzählige
Menge Votivdenkmäler (Tschorten) errichtet sind.

Am 4. Januar hatten wir über die beiden Pässe +Fotu-la+ (4100 Meter)
und +Namika-la+ (3965 Meter) zu reiten, ehe wir in dunkler Nacht Dorf
und Bungalow +Mullbeh+ erreichten. Unser Einzug in diesen kleinen Ort
war ziemlich phantastisch. Eine ganze Reihe von Fackelträgern zog
vor uns her, und von ihren brennenden Fackeln sprühten die Funken
kometenschweifartig, und die Aprikosenbäume streckten ihre feuerroten
Zweige zum pechschwarzen Himmel auf.

In +Kargil+, wo wir es mit einem neuen liebenswürdigen, freundlichen
Täsildar zu tun hatten, war ich erstaunt, von etwa vierzig festlich
gekleideten jungen Mädchen bewillkommnet zu werden. Jede trug eine
Schüssel mit etwas Eßbarem; es ist dortzulande Brauch, daß der
Fremdling jede Schüssel anrührt -- und dabei, wenn er will, einige
Silberannas in das Essen legt. Durch ein Telegramm erfuhren wir, daß
der Paß Sodschi-la jetzt nicht für gefährlich galt. In Leh hatte man
mir gesagt, daß er den Winter hindurch beinahe stets unpassierbar
sei und ich wahrscheinlich davor würde umkehren müssen. Diesen Winter
aber war der Schneeniedergang außergewöhnlich gering, und durch den
Telegraphendraht, der über den Paß läuft, konnten wir an mehreren
Punkten Auskunft erhalten. Von Kargil nahmen wir einen Ladaki namens
Abdullah mit, der die Turki- oder, wie man hier sagt, Jarkendisprache
beherrschte und ein außerordentlich zuverlässiger Führer war. In
dem Dorfe +Dras+ bekamen wir etwa fünfzig Kulis, die den schmalen,
eisbedeckten Weg mit Brechstangen und Spaten verbessern sollten. Das
Stationshaus +Mattschui+ liegt ganz in der Nähe des Passes, -- ein
Segen für diejenigen, die eingeschneit werden. Dies passierte vor
einigen Jahren, als das Haus noch nicht erbaut war, dem früheren Wesir
Wesarat von Ladak. Er mußte mit einer großen Anzahl Kulis zwei Monate
dort bleiben und wäre vor Hunger beinahe umgekommen. Er hatte sich
durch Erpressungen verhaßt gemacht, und die Bevölkerung auf beiden
Seiten des Passes freute sich darüber, daß er für eine Weile festsaß.

Am 9. Januar gingen wir über den +Sodschi-la+, den schlimmsten Paß,
den ich je kennen gelernt habe, obgleich seine Höhe nur 3500 Meter
beträgt, er also 2000 Meter niedriger ist als die tibetischen Pässe,
mit denen wir zu tun gehabt haben. In Mattschui ließen wir unsere
Pferde zurück und gingen zu Fuß in dem Schnee, der nach der -22 Grad
kalten Nacht munter knarrte. Die Ladakis banden uns eine Art weicher
Schneeschuhe an die Stiefel, damit wir nicht ausgleiten sollten.
So stapften wir in ihren Spuren nach der außerordentlich flachen,
beinahe unmerklichen Paßschwelle. Nicht weit hinter dieser geht es
jedoch kopfüber einen jähen Abhang in Hunderten von Zickzackbiegungen
nach dem Stationshause +Baltal+ hinunter. Da heißt es aufpassen und
nicht das Gleichgewicht verlieren, -- ein einziger Fehltritt, und man
würde in die Tiefe stürzen und dort zerschmettert werden. Der Schnee
ist in der Sonne aufgetaut und dann wieder gefroren, so daß er eine
gefährliche Eisstraße bildete, in die unsere Kulis Kerben schlugen.
Der Paß Sodschi-la ist eine wichtige orographische und klimatische
Grenzschranke zwischen Tibet und Kaschmir. Steht man auf seiner
Schwelle, so hat man das Tal von Baltal unter sich und freut sich, den
dunkeln Nadelholzwald zu sehen und sein geheimnisvolles, nordisches
Rauschen zu hören.

Ich werde nicht versuchen, die hinreißende Landschaft zu beschreiben,
die wir in den beiden letzten Tagen durchritten: dunkelgrüne
Wälder, malerische Dörfer, schäumende Flüsse, pittoreske Brücken,
ein Hintergrund von blendenden Schneebergen und über dem Ganzen
ein türkisblauer Himmel. Die Beschreibungen, die ich von Kaschmirs
schönen Tälern gelesen habe, erschienen mir matt, als ich sie mit der
Wirklichkeit vergleichen konnte.

In +Srinagar+ wurde ich mit echt englischer Gastfreundschaft von
Captain E. Le Mesurier und seiner liebenswürdigen Gattin aufgenommen
und verbrachte bei ihnen zwei unvergeßliche Tage. Am 14. Januar
stand die erste Tonga, ein zweiräderiger Wagen, auf dem Hofe bereit.
In Srinagar waren wir in 1600 Meter Höhe; jetzt sollten wir über
zwei kleinere Pässe immer tiefere Gegenden und schließlich Indiens
sommerheiße Ebenen erreichen. Der Weg führt zuerst durch das Jelumtal,
dann über den Murreepaß und darauf nach Rawal-pindi. Er ist ein
Meisterstück der Wegebaukunst.

Es ist ein raffiniertes, beinahe wildes Vergnügen, diese tausend
Krümmungen in schwindelnder Fahrt zurückzulegen. Die Tonga wird von
zwei mittelgroßen Rädern getragen und ist mit Dach und Seitenvorhängen
versehen. In der Mitte sind zwei Sitze mit gemeinsamer Rücklehne. Auf
dem vorderen saßen der Kutscher und ich, auf dem hinteren Schagdur mit
dem Gepäck. Die starke, ein wenig aufwärtsgebogene Deichsel trägt an
ihrem äußersten Ende ein Querholz, das mit Riemen an den Sattelkissen
der Pferde befestigt wird. Dank dieser praktischen Einrichtung geht
der Pferdewechsel in zwei, drei Minuten vor sich. Die Entfernung
zwischen zwei Stationen beträgt selten mehr als eine halbe Stunde. Ein
paar Minuten vor der Station bläst der Kutscher auf seinem Horn ein
kurzes, angenehm klingendes Signal, und wenn wir dann vor das Haus
sprengen, steht das neue Pferdepaar schon bereit. Das Querholz wird den
schnaubenden, dampfenden Pferden abgenommen, die neuen werden unter
die Enden der Querdeichsel gestellt, die Riemen werden geschnürt, und
dann eilen die lebhaften, halbwilden Tiere davon. Sie stürmen mit so
wahnsinniger Geschwindigkeit vorwärts, daß man unwillkürlich das Gefühl
hat, es könne jeden Augenblick eine Katastrophe eintreten. Gewöhnlich
muß der Kutscher sich viel mehr bemühen, die Pferde zurückzuhalten,
als daß er nötig hätte, sie anzutreiben, und ich bin mir nicht immer
darüber klar, ob sie durchgehen oder ob alles Absicht ist. Solange
wir von Srinagar nach Baramullah durch offene Felder fuhren, war es
nicht gefährlich, doch als sich der Weg nachher auf den Gehängen des
Jelumtales hinschlängelte, hatte man Gelegenheit, schwindelig zu
werden, wenn man dazu neigt. Die Pferde rasen vorwärts; rechts von uns
geht es senkrecht nach dem in der Tiefe rauschenden Flusse hinunter,
nur eine zwei Fuß hohe Brustwehr trennt uns von dem jähen Abgrund; vor
uns scheint der Weg auf einmal ein Ende zu nehmen, doch dies kommt
davon, daß er in scharfem Winkel nach links abbiegt. Man meint, der
Kutscher müsse verrückt sein, daß er die Pferde nicht zügelt und
langsamer fährt; die wilde Jagd geht gerade nach dem Abgrunde hin, und
wenn auch die Pferde allenfalls noch um die Ecke zu schwenken vermögen,
so muß doch der Wagen umkippen und über die niedrige Brustwehr
geschleudert werden. Im letzten Augenblick vermindert sich indessen die
Geschwindigkeit, es geht ganz glatt um die Ecke, und man ist erstaunt,
daß man lebendig an ihr hat vorbeikommen können. Vor solchen Ecken
ertönen stets die hellen Klänge des Jagdhorns als Warnungssignal, falls
von der anderen Seite eine Tonga mit ebenso wütender Fahrt auf die Ecke
losstürmen sollte.

In der Nähe des +Murreepasses+ war der Nadelholzwald dicht, wodurch
das Großartige dieser Fahrt, die unter seinem prachtvollen, schattigen
Gewölbe hinstürmte, noch erhöht wurde. Vom Passe ahnen wir im Süden die
Ebenen des Pendschab; mit gleicher schwindelnder Fahrt eilten wir nach
immer tieferen Gegenden hinab, immer dichter werden die Luftschichten,
immer linder die milden Windhauche, die bei Sonnenuntergang die Hügel
umspielen. Es war schon dunkel, als das letzte Pferdepaar unsere
Tonga durch die langen, geraden Straßen von +Rawal-pindi+ führte. Wir
fuhren direkt nach der Eisenbahnstation, denn es fehlte nur noch eine
Stunde bis zum Abgang des Zuges. Es klingt seltsam, wenn man wieder
die schrillen Pfiffe der Lokomotive hört, nachdem man jahrelang an den
Frieden und die Stille der Einöden gewöhnt gewesen ist!

In +Lahore+ blieb ich drei Tage -- inkognito, denn ich hatte in meinem
ganzen Gepäck nicht einmal einen Strumpf, mit dem ich mich vor den
Leuten hätte sehen lassen können. Hier kleidete ich mich vom Scheitel
bis zur Sohle neu ein und war im Handumdrehen wieder ein vollkommener,
wenn auch ein wenig wettergebräunter, sonnverbrannter Gentleman! Jetzt
war kein Inkognito mehr nötig; den letzten Abend war ich zu einem
glänzenden Diner bei Sir W. Mackworth Young, dem Vizegouverneur des
Pendschab, und mir war zumute, als sei ich mein ganzes Leben lang nie
etwas anderes gewesen als ein Salonlöwe!

[Illustration: 322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la. (S. 363.)]

[Illustration: 323. Tempelhof in Hemis. (S. 365.)]

[Illustration: 324. Portal von Doggtsang Raspas Tempelsaal. (S. 366.)]

Was soll ich von +Lahore+, +Dehli+, +Agra+, +Lucknow+ und +Benares+
sagen? Nichts! Ich überlasse es denjenigen, die zum Studium dieser
märchenhaft wunderbaren Städte Zeit gehabt haben, über jede von
ihnen Bände voll zu schreiben. Ich passierte sie wie ein Zugvogel
und blieb in jeder nur einen oder ein paar Tage. Ich flog wie eine
Wildente über den Tadsch Mahal, fand aber auf der Durchreise noch
Zeit, diese Grabmoschee Schah Dschahans als das schönste Kunstwerk,
das ich je erblickt habe, anzustaunen und zu bewundern. Alles, was
ich in Konstantinopel, Ispahan, Mesched und Samarkand gesehen habe,
verschwindet und verbleicht dagegen. Es ist ein Sommertraum in weißem
Marmor, eine Luftspiegelung von versteinerten Wolken. Und Benares!
Nie vergesse ich die Bootfahrten, die ich längs seiner Kais und Treppen
machte, jener Treppen, wo Tausende von Pilgern jeden Morgen bei
Sonnenaufgang baden, um Gesundheit und Kräfte wiederzugewinnen, und die
Brahminen, die dem Flusse huldigen und hier ihre Gebete verrichten, und
die Greise, die hierherreisen, um an dem heiligen Ganges zu sterben.
Nichts läßt sich mit einer Ruderfahrt im Mondschein auf dem Ganges
vergleichen; tausend Phantasien und Träume aus der Märchenwelt von
Benares bestürmen den Fremdling in der Stille der Nacht.

Schagdurs immer größer werdendes Staunen war für mich eine Quelle
großen Vergnügens. Einem burjatischen Kosaken aus Sibirien muß
alles, was er in den alten Residenzen des Großmoguls, unter Palmen,
in Pagoden, sowie in den von einer bunten, lärmenden Menschenmenge
erfüllten Basaren erblickt, im höchsten Grade imponieren. Er
befragte mich über alles, was er sah, teilte mir seine Gedanken und
Beobachtungen mit und konnte keine Worte finden, um sein Erstaunen
und seine Bewunderung auszudrücken. Als wir in +Lucknow+ einem Zuge
Elefanten begegneten, wollte er kaum seinen Augen trauen und fragte
mich, ob diese Kolosse wirklich lebendige Tiere oder nicht vielmehr
eine besonders konstruierte Art von Lokomotiven seien. Um ihn zu
überzeugen, ließ ich eines der Tiere stehenbleiben, kaufte in einer
Basarbude in der Nachbarschaft ein Bündel Zuckerrohr und fütterte
das Vieh. Als dieses erst jedes Rohr mit dem Rüssel reinigte und
die weniger gutschmeckenden Teile abbrach, um dann den Rest mit
virtuosenhafter Eleganz zu verzehren, sah Schagdur ein, daß der Elefant
ein wirkliches, lebendiges Tier war.

Am 25. Januar kam ich frühmorgens in +Kalkutta+ an und wurde in einer
vizeköniglichen Equipage mit vier Lakaien in rotgoldener Uniform
und hohen weißen Turbanen vom Bahnhof abgeholt. Ein zweites Gefährt
beförderte Schagdur und das Gepäck. Wir fuhren direkt nach dem
Government House, wo mir meine Wohnung angewiesen wurde. Niemals habe
ich so vornehm residiert wie in der Residenz des Vizekönigs von Indien.
Die Salons sind mit wertvollen Kunstgegenständen geschmückt, man geht
auf weichen indischen Teppichen, die Wände verschwinden unter großen
Ölbildern von Großbritanniens Monarchen, indischen Maharadschas und
persischen Schahen, alles prunkt in einem Meere von elektrischem Licht.
Mein riesiges Schlafzimmer hatte seinen eigenen Balkon, der unter
einer mächtigen Markise in kühlem Schatten schwebte. Berauscht vom
Palmendufte des Parkes konnte ich mich an der großartigen Aussicht über
Kalkutta erfreuen und den Blick weithin bis an das Dschungel des Hugli
schweifen lassen.

Der Tag meiner Ankunft war ein Sonntag, und mir wurde sofort von
einem Adjutanten mitgeteilt, daß „~His Excellency, the Viceroy~“ mich
auf +Schloß Barrakpore+, zwei Stunden flußaufwärts, erwarte. Bei
schönem Sommerwetter und einer leichten, erfrischenden Brise fuhr ich
nach dem Frühstück mit einer Dampfbarkasse hin und hatte dort die
liebenswürdigste Gesellschaft, die man sich nur wünschen kann.

Eingebettet in einen tropisch schönen Park und geschmückt mit englisch
vornehmer und geschmackvoller Pracht öffnete Barrakpore den anlangenden
Gästen die Tore der Gastfreundschaft. Die Wirte erwarteten uns mit
ihren beiden kleinen reizenden Töchtern und ihrem Gefolge in dem kühlen
Schatten einer gewaltigen Laube, und Lord Curzon begrüßte mich so
liebenswürdig und warm wie ein alter Freund; er stellte mich seiner
charmanten Gemahlin vor, der schönsten und sympathischsten Dame,
die ich je kennengelernt habe. Beim Lunch brachte er in schäumendem
Champagner ein Hoch auf mich aus und gratulierte mir zu den gewonnenen
Resultaten und den glücklich überstandenen Mühen. Nachdem wir einige
Stunden über geographische Fragen gesprochen hatten, wurde ich von Lady
Curzon zu einer Spazierfahrt in die Umgegend aufgefordert, und meine
Wirtin führte dabei die Zügel mit ebensoviel Grazie wie Sicherheit.

Die zehn Tage, die ich in Lord und Lady Curzons Hause Gast zu sein die
Ehre hatte, gehören zu meinen liebsten und schönsten Erinnerungen.
Nicht allein, daß ich täglich mit Freundschaft und Gastfreundschaft
überhäuft wurde, nein, ich fand auch in meinem Wirte, der einer der
ersten jetzt lebenden Kenner der Geographie Asiens ist, einen Mann,
der meine Reise mit dem sachverständigsten und lebhaftesten Interesse
erfaßte.

In Europa macht man sich kaum einen Begriff davon, was es heißen
will, Vizekönig von Indien zu sein und beinahe souveräne Macht über
dreihundert Millionen Untertanen zu besitzen, also fast ebenso viele,
wie allen Monarchen Europas zusammengenommen gehorchen. Es ist eine
glänzende, eigenartige Stellung, und man bewundert ein Reich, das
seinen Söhnen Gelegenheit geben kann, nach solchen Posten zu streben.

Lord Curzon fühlt die auf ihm lastende Verantwortung und faßt
seinen Beruf mit tiefem Ernste auf, er opfert ihm alle seine Zeit
und Kräfte. Er gönnte sich keine Ruhe, er war wie festgenagelt an
seinen Schreibtisch und machte nur bei den Mahlzeiten eine kleine
Arbeitspause. Mit Sport und eiteln Vergnügungen verlor er keine Stunde,
-- als wir einmal zusammen das Theater besuchten, wo der Vizekönig mit
der Nationalhymne begrüßt wurde, verschwand er noch vor Schluß des
ersten Aktes, um in sein Arbeitskabinett zurückzukehren. Wir nahmen
einmal alle Kartenblätter, wohl hundert, die ich von Ladak mitgebracht
hatte, durch; jedes Blatt wurde besonders geprüft, und Lord Curzons
Urteil konnte mir nur in höchstem Grade schmeichelhaft und erfreulich
sein.

Während meines Aufenthalts wurden ein paar Festdiners und große Bälle
im Government House gegeben, das in blendender Pracht strahlte; es ging
bei dieser Gelegenheit ebenso glänzend her wie an einem europäischen
Fürstenhofe. Eines Tags kamen ein deutsches und ein österreichisches
Kriegsschiff den Hugli herauf, was Veranlassung zu einem Frühstück
für die Offiziere im Government House gab, dem mehrere Feste auf den
Schiffen und im deutschen Klub folgten.

Wohl hatte ich während meiner neunjährigen Wanderungen in Asien
mancherlei erlebt, aber noch keinen solchen Kontrast, wie ich ihn
jetzt durchmachte. Zweieinhalb Jahre lang hatte ich, von der Welt
abgeschnitten, in den Wüsten und Gebirgen des innersten Asiens gelebt
und Strapazen und Entbehrungen jeglicher Art ertragen müssen, und jetzt
befand ich mich inmitten der verfeinertsten Zivilisation, die man sich
denken kann. Nach Jahren der Einsamkeit wurden jetzt bei jedem Schritt
neue Bekanntschaften gemacht. Eben noch wanderte ich bei 30 Grad Kälte
über 5000 Meter hohe Gebirge, wo nur das Archari und der wilde Yak ihre
Nahrung finden, und jetzt wandelte ich in lauter Wärme und Licht unter
den Palmen an der Küste des Indischen Ozeans. Eben noch hatten wir die
schmutzigen, rauchigen Zelte der Tibeter besucht, jetzt entzückten
mich in englischen Salons der Duft schwellender Rosen, liebenswürdige
Damen und Musik. Die Tibeter hatten mich wie ein verdächtiges,
gefährliches Individuum behandelt, in Indien ertrank ich beinahe in
Gastfreundschaft; jedesmal, wenn ich einen Ort verließ, mußte ich mich
aus freundlichen Armen losreißen, um am nächsten wieder mit offenen
Armen aufgenommen zu werden. Überall fühlte ich mich „~at home~“,
und es wurde mir stets schwer, meine neuen Freunde zu verlassen; dieses
ewige Abreisen und Abschiednehmen breitete einen Wehmutsschleier über
eine sonst so angenehme, erinnerungsreiche Reise.

Die indische Presse hatte mir so viel liebenswürdige Aufmerksamkeit
geschenkt, daß ich mit Einladungen buchstäblich überhäuft wurde -- nach
Dardschiling, Ceylon, Mysore, Peschawar, zu meinem alten Freunde von
Kaschgar (1890) Major Younghusband, nach schwedischen Missionsstationen
usw. Doch ich durfte meine Karawane und die Kosaken, die mich in Leh
erwarteten, nicht vergessen. Einigen Einladungen konnte ich allerdings
nicht widerstehen, und mein Aufenthalt in Indien wurde dadurch etwas
verlängert. Leider war mein prächtiger treuer Kosak Schagdur am
Fieber erkrankt und während des ganzen Aufenthalts in Kalkutta sehr
schwach. Er lag im Parke in einem geräumigen, eleganten Zelte -- mit
Bretterfußboden, Badezimmer und elektrischem Licht -- und wurde vom
Leibarzt des Vizekönigs, Oberst Fenn, selbst und dem Assistenzarzte
Emir Baksch behandelt. In ihrer Pflege mußte ich Schagdur zurücklassen,
als ich südwärts reiste. Wir wollten uns in Rawal-pindi wiedertreffen.

Nach herzlichem Abschied von Lord und Lady Curzon verließ ich am 5.
Februar Kalkutta und reiste nach +Secundrabad+ bei Hyderabad. Ich hatte
eine Einladung meines vortrefflichen ritterlichen Freundes von der
Pamirgrenzkommission im Jahre 1895, Oberst McSwiney, angenommen. Er war
jetzt nach dem Militärlager +Belarum+ im Gebiet des Nizam, wo ungefähr
8000 Mann englische Truppen stehen, versetzt worden. Es waren drei
angenehme Tage, die ich in McSwineys Hause verlebte.

In +Bombay+ war ich eingeladen worden, bei dem Gouverneur Lord
Northcote und seiner Gattin zu wohnen. Auch die vier in ihrem Heim
verbrachten Tage gehören zu meinen angenehmsten Erinnerungen. Meine
Wohnung lag auf der äußersten Spitze von Malabar Point; ringsumher
hatte ich den unendlichen Ozean. Es war mir, als sei ich an Bord eines
Schiffes -- ein seltsames Bild für den, der jahrelang im Inneren
des großen Asien gelebt hat. Ich wurde nicht müde, dem rauschenden
Sange der Wellen am Fuße des felsigen Vorgebirges zuzuhören. Wie gern
hätte ich mich von ihnen über die Meere nach meiner alten Heimat
tragen lassen, statt, wie jetzt, noch einmal durch den Kontinent zu
ziehen und nach den schweigenden, unwirtlichen Gebirgen in Westtibet
zurückzukehren! Die Postdampfer fuhren von Zeit zu Zeit unmittelbar
unter dem Vorgebirge vorbei; sie gingen direkt nach Europa, und auf
ihrem Deck konnte ich geraden Weges dorthin gelangen. Ich hatte von
Asien genug und es graute mir davor, wieder quer durch die alte Welt
ziehen zu müssen -- auf dem Landwege von Bombay nach Petersburg und
Stockholm! Es erforderte eine gute Portion Energie, um der Versuchung
nicht nachzugeben. Aber ich konnte die Kosaken und die Karawane nicht
verlassen und das Resultat meiner Reise nicht allen Winden preisgeben,
sondern mußte alles in Sicherheit bringen, ehe ich mich ruhig fühlen
durfte. Ich nahm also Abschied von Lord und Lady Northcote und kehrte
nach Dehli zurück.

Die Reise nach Rawal-pindi machte ich mit nur zwei kurzen
Unterbrechungen. In +Dschaipur+ holte mich die Equipage des Maharadscha
ab, und ich machte auf einem seiner prachtvoll geschmückten Elefanten
einen herrlichen Ausflug nach den Ruinen von +Amber+. In Dschaipur sind
alle Häuser rosenrot, alle Einwohner rot oder rosa gekleidet, -- man
muß an das Morgenrot in einem Rosengarten denken.

[Illustration: 325. Doggtsang Raspa. (S. 366.)]

[Illustration: 326. Lama in Maske. (S. 367.)]

[Illustration: 327. Der Prior von Hemis. (S. 365.)]

[Illustration: 328. Lama in Festkleidung. (S. 367.)]

Der Maharadscha von Kapurtala hatte mich telegraphisch nach seinem
Schlosse in +Kartarpur+ eingeladen, wo ich zwei schöne Tage verlebte
und in Gesellschaft Seiner Hoheit Ausflüge zu Wagen, Boot und
Elefant machte. Ganz im selben Stile feierte er meinen Geburtstag
auf seinem Schlosse mit Tafelmusik und schäumendem Champagner. Der
Aufenthalt in Kartarpur erinnerte lebhaft an Tausendundeine Nacht.

In +Rawal-pindi+ fand ich meinen armen Schagdur wieder, der infolge
seiner Krankheit nicht soviel Vergnügen von der Indienreise gehabt, wie
ich gehofft hatte. Oberst Fenn war so freundlich gewesen, ihn mit einem
eingeborenen Assistenzarzte von Kalkutta nach Rawal-pindi zu schicken,
wo Hauptmann Waller und Major Medley, der bekannte Asienreisende, ihn
mit großer Freundlichkeit aufnahmen und ihm alle die Pflege, deren er
bedurfte, zuteil werden ließen. Schagdur war entzückt von Medley, der
sich mit ihm täglich lange russisch unterhalten hatte. Der Arzt, Major
Marshall, der ihn behandelte, riet mir, ihn so schnell wie möglich ins
Gebirge zu bringen. Bei meiner Ankunft war dies jedoch unmöglich, denn
er war so schwach, daß er sich nicht auf der Tonga festhalten konnte.
Ich mußte daher geduldig warten. Ich selbst hatte es sehr gut; die
Offiziere wetteiferten förmlich, mir Gastfreundschaft zu erzeigen.
Leider wurde mir nicht die Freude zuteil, Herrn ~Dr.~ Stein, der sein
Hauptquartier in Rawal-pindi hat, zu treffen. Er war kürzlich von
seiner erfolgreichen, bedeutungsvollen Forschungsreise in Ostturkestan
zurückgekehrt. Ich konnte aber seine Bekanntschaft wenigstens brieflich
machen und traf ihn später, ehe noch das Jahr 1902 zu Ende gegangen
war, persönlich in London.

Endlich war Schagdur soweit hergestellt, daß wir aufbrechen konnten.
Wir fuhren auf dieselbe Weise wie vor zwei Monaten nach Srinagar.

Dank der großartigen Gastfreundschaft des Herrn Le Mesurier und
seiner Gattin konnte Schagdur hier in der frischen, kühlen Luft von
Kaschmir, die ihm bald seine Gesundheit wiederschenkte, noch fünf
Tage ausruhen. Hauptmann und Frau Le Mesurier waren neben ~Dr.~
Shawe die ersten und die letzten Engländer, die ich während dieses
hastigen, aber langen Abstechers nach Indien traf. Der erste Eindruck,
den ich von der herrschenden Rasse in Indien erhielt, war daher warm
und sympathisch, und als ich sie wieder verlassen sollte, nahm ich mit
aufrichtigem Bedauern Abschied. Sie waren grenzenlos freundlich und
liebenswürdig gegen mich und meinen Kosaken gewesen. Der Hauptmann, der
„Joint Commissioner“ für Ladak ist, telegraphierte nach allen Stationen
auf dem Wege nach Leh, damit alles zu unserer Reise in Ordnung wäre,
und ordnete an, daß auf dem Sodschi-la besondere Vorsichtsmaßregeln
getroffen würden.



Neunundzwanzigstes Kapitel.

Über das Kloster Hemis heimwärts.


Am 6. März ging es wieder nach Leh hinauf. Ich mietete zwei Tragstühle
mit je acht Trägern und benutzte den meinen, solange es möglich war;
aber Schagdur hatte, obwohl Rekonvaleszent, einen ausgesprochenen
Widerwillen gegen dieses Beförderungsmittel und zog es vor zu reiten.

In +Sonamarg+ erhielt ich Warnungstelegramme von Le Mesurier, dem
Wesir Wesarat, aus Kargil und aus Leh, ja nicht über den Sodschi-la
zu gehen, da jetzt sehr viel Schnee gefallen sei. Le Mesurier war so
liebenswürdig, mich zu bitten, nach Srinagar zurückzukehren. Doch ich
+mußte+ um jeden Preis über den Paß. Er ist von der indischen Seite
viel schwieriger, da man die unheimlichen Abhänge zu Fuß erklimmen
muß. Jetzt konnten wir auch nicht, wie auf der Hinreise, den Sommerweg
benutzen, sondern mußten in der tiefen Kluft gehen, in welche die
Lawinen jeden Winter von den Felswänden stürzen und wo alljährlich so
viele Unglückliche begraben werden. Große Vorsicht ist stets nötig; man
muß sich frühmorgens auf den Weg machen, wenn die Schneemassen noch
gefroren sind; nachmittags stürzen sie, von der Sonne aufgeweicht,
herunter. Bei Schneewetter darf man unter keiner Bedingung nach dem
Passe hinaufgehen, denn dann hat man große Aussicht, unter den Lawinen
begraben zu werden. An den gefährlichsten Stellen dieses Hohlweges muß
man möglichst schnell vorbeieilen.

Am 10. standen wir in aller Frühe auf, als es noch stockdunkel, rauh
und kalt war. Die Sterne glänzen hell an dem stahlblauen, kalten
Himmel, die Berge mit ihren Schneemassen zeichnen sich in schwachen
Umrissen ab. Völlige Ruhe herrscht, einige Fackeln auf dem Balkon
flackern nicht einmal, der Rauch meiner Zigarre steigt lotrecht in die
Luft. Im Handumdrehen sind wir reisefertig; 63 Träger und Wegemacher
gehen in langem Gänsemarsch voran, dann werden einige Pferde, die den
Proviant der Leute tragen, geführt, und hinterdrein reiten wir, von
dem Naib-i-täfildar von Ganderbal und seinem nächsten Untergebenen
begleitet. Allmählich wird es heller; die weißen Schneefelder treten
immer schärfer hervor, und die Tannen stechen dunkel gegen sie ab.
Dann und wann purzelt einer in den Schnee; Schritt für Schritt geht es
vorwärts und aufwärts durch immer tiefer werdende Schneewehen. Noch war
die Kruste der Schneefelder stark genug, um die Fußgänger zu tragen,
doch schon am Vormittag brachen diese ein. Da, wo die Pferde keinen
Grund fanden, sondern wie Delphine im Schnee hüpften, gingen wir zu
Fuß. In Baltal kam uns Abdullah mit 23 sicheren Leuten entgegen.

Am folgenden Tag gingen wir durch den Hohlweg hinauf, der jetzt gar
nicht wiederzuerkennen war. Die Massen von Blöcken, die in der Schlucht
umherliegen, waren vollständig verschwunden unter herabgestürzten
Lawinen, die, wie man mir sagte, den engen Gang mit einer 150 Meter
hohen Schneeschicht angefüllt hatten. Solange es Winter ist, kann man
oben auf den abgestürzten Schneemassen gehen, im Sommer aber ist dieser
Weg unpassierbar. Ich und Schagdur wurden nach dem Passe hinaufgezogen
und geschoben. Ein unangenehmer Wind strich wie ein Wasserfall durch
den Hohlweg herunter und wirbelte Wolken von feinem Schnee auf (Abb.
322). Nachdem wir die gefährlichen Stellen glücklich passiert hatten,
konnten wir uns gänzlich unbesorgt fühlen; aber hier war der tiefe
Schnee nicht so festgepackt wie im Hohlwege. Nach jedem Schneefall
wird ein Pfad ausgetreten, der aus einer unzähligen Anzahl tiefer
Gruben besteht. Kann man balancieren, ohne auszugleiten, so ist es am
vorteilhaftesten, auf den zwischen ihnen liegenden Erhöhungen zu gehen,
gewöhnlich aber nimmt man gern mit den Gruben vorlieb.

Vier Tage lang trabten wir auf diese Weise über den Paß und seine
beiderseitigen Umgebungen. Schließlich konnten wir Yake benutzen und
zuletzt uns wieder der Pferde bedienen. In Kargil schneiten wir ein und
mußten dort drei Tage bleiben. Man versuchte, uns durch Tänzerinnen
und rauschende Musik zu erfreuen. Am 25. März trafen wir wieder in
Leh ein, wo wir alles gut und gesund vorfanden. Von Sirkin und Ördek
wußte man nichts, aber alle anderen, die an Weihnachten ihren Abschied
erhalten hatten, waren wiedergekommen, weil, wie sie sagten, die Pässe
verschneit waren. Die beiden erstgenannten gelangten jedoch schließlich
gesund und glücklich nach Kaschgar.

Es war meine Absicht, nur ein paar Tage auszuruhen und dann über den
Kara-korum-Paß nach Norden zu eilen. Doch böse Mächte hielten uns in
Leh zurück. Schagdur bekam einen sehr schweren Rückfall; ~Dr.~
Shawe hielt es für Typhus. Der Kranke würde noch ein paar Monate unter
keinen Umständen reisen dürfen. Er war entsetzlich abgemagert und matt
und phantasierte mehrere Nächte lang. Wir wurden infolgedessen von
einem Tage zum andern aufgehalten; daß wir ihn nicht mitnehmen konnten,
war klar, aber ich wollte nicht eher reisen, als bis ~Dr.~ Shawe
ihn außer Gefahr hielt. Einige Tage hindurch hatten wir beinahe die
Hoffnung aufgegeben, daß er überhaupt genesen würde. Doch Anfang April
fing er an, sich zu erholen; die Krisis war vorüber, und um vollständig
wiederhergestellt zu werden, bedurfte er nur noch einige Monate der
Ruhe und Pflege in dem Missionskrankenhause, wo ~Dr.~ Shawe ihn
unter seiner persönlichen Aufsicht hatte. Alles wurde für den Kranken
so gut wie möglich eingerichtet. Li Loje erhielt Befehl, bei ihm zu
bleiben und sein Leibdiener zu sein; führe er seinen Auftrag gut
aus, so solle er in Kaschgar eine Extrabelohnung erhalten. Im Sommer
sollten die beiden sich einer nach Jarkent ziehenden Handelskarawane
anschließen und sich von dort nach Kaschgar begeben. Schagdur erhielt
200 Rupien zur Bestreitung der Kosten.

Es tat mir bitter weh, Schagdur zu verlassen, als wir am 5. April 1902
aufbrachen. Die Sonne schien so freundlich und warm in sein Zimmer
hinein, als ich ihn zum letztenmal sah. Er war allerdings betrübt, daß
er uns nicht bis ans Ende der Reise begleiten konnte, aber er sah ein,
daß er sich jetzt ruhig verhalten müsse, bis er ganz wiederhergestellt
sei. Ich beruhigte ihn und versuchte, ihm alles in hellem Lichte zu
zeigen, auch gab ich ihm das Versprechen, ihn, soweit es von mir
abhinge, auf meiner nächsten Reise ebenfalls mitzunehmen. Diese
Hoffnung hatte ihn stets erfreut; er träumte davon wie von der größten
Ehre und Freude, die ihm im Leben zuteil werden könne. Schließlich
drückte ich ihm die Hand zum Abschied und befahl ihn in Gottes Schutz;
da brach seine Fassung zusammen, er wandte sich ab und weinte. Ich
eilte hinaus, um ihn nicht sehen zu lassen, daß auch meine Augen feucht
glänzten und wie tief und schmerzlich mir diese lange Trennung zu
Herzen ging. Auch von den Familien Ribbach, Hettasch und von ~Dr.~
Shawe schied ich mit aufrichtigem Bedauern. Sie hatten mir in so vieler
Weise genützt und geholfen, und ich hatte in ihrer Missionsstation das
Ideal einer solchen Anstalt kennengelernt.

Leicht war es auch nicht, unseren alten, treuen Veteranen Lebewohl
zu sagen, den letzten neun Kamelen, die allein noch imstande gewesen
waren, Leh zu erreichen, und die sich während der drei Wintermonate so
von ihren Anstrengungen erholt hatten, daß sie jetzt dick, fett und
vergnügt vor ihren Krippen standen. Aber es mußte sein; sie konnten im
Winter nicht über den Kara-korum gehen. Ich verkaufte sie für einen
Spottpreis an einen Kaufmann aus Jarkent, wohin sie im nächsten Sommer
gebracht werden sollten.

[Illustration: 329. Aus der Klosterküche in Hemis. (S. 367.)]

[Illustration: 330. Trompetende Lamas. (S. 367.)]

[Illustration: 331. Posaunenblasende Lamas. (S. 367.)]

War es ein großer Kontrast gewesen, von einem tibetischen Winter
in 5000 Meter Höhe in den Sommer Indiens am Meer zu gehen, so war
der Übergang nicht weniger schroff, als er jetzt in umgekehrter
Weise stattfand. Eigentlich war es wunderbar, daß ich von jeder Spur
von Fieber verschont blieb, aber ich war dafür sehr müde und sehnte
mich nach meiner friedlichen Studierstube in Stockholm. Ich beschloß
daher, mich jetzt, solange es anging, d. h. bis an den Fuß des
Tschang-la-Passes, wieder des Tragstuhls zu bedienen. Von vier starken
Männern getragen, schaukelte ich von Leh ab. Der Palast der früheren
Könige auf seinem Felsen und die kleine malerische Stadt verschwanden
bald hinter den Hügeln, als sich die Männer, einen charakteristischen
Wechselgesang singend, mit raschen Schritten dem Indus näherten. Der
Führer singt eine kurze Strophe, und die anderen fallen mit einem
eintönigen, einschläfernden Kehrreime ein, aber der Gesang treibt sie
und hilft ihnen, im Takt zu gehen.

Am 6. gingen wir am linken Indusufer aufwärts. Als Begleiter hatte ich
nur den Lama und Kutschuk; die Karawane mit ihren gemieteten Pferden
marschierte auf der großen Heerstraße nach dem Tschang-la und folgte
dem rechten Flußufer.

Schließlich verlassen wir den Indus, ziehen nach Süden und Südwesten
den Geröllkegel der südlichen Bergkette hinauf und treten in die
Mündung des +Hemistales+ ein. Wir passieren eine Menge malerisch
ornamentierter Tschorten und ganze Reihen von runden und länglichen
Steinkisten. Das Tal wird immer enger und die Richtung beinahe
westlich; zwischen den grauen Felswänden wirken einzelne Pappelgruppen
sehr hübsch, und im Hintergrund zeigt sich das schneebedeckte
Hochgebirge.

Jetzt wird der berühmte Tempel +Hemis+ unseren Blicken sichtbar; er ist
am besten mit einer Masse zusammengedrängter amphitheatralisch gebauter
Häuser, die wie Schwalbennester an dem Abhange kleben, zu vergleichen.
Durch Höfe, Gänge und über gewundene Steige mit Geländern gelangen wir
an eine kleine Pforte in der Mauer; hier heißt uns der Prior von Hemis
freundlich willkommen. Es war ein alter Mann mit dünnem, grauem Bart
und großer, dicker Nase (Abb. 327); sein Lächeln war ebenso heiter wie
gütig. Sein Name und Titel war Ngawand Tschö Tsang, Hemi Tschaggtsot.

Nun beginnt die Runde in diesem Klosterlabyrinth von dunkeln
Löchern und Kammern, Höfen und Gängen, Korridoren und steilen,
engen Steintreppen, die von einer Tempelterrasse zur anderen führen
(Abb. 323). Es wäre schwer, eine auch nur annähernd orientierende
Beschreibung von dem eigentümlichen Gebäudekomplex zu geben. Eine
bestimmte Ordnung herrscht in der Architektur nicht; die verschiedenen
würfelförmigen Häuser scheinen nach und nach überall, wo nur der
kleinste Platz dazu war, hingebaut worden zu sein. Man wird
aufgefordert, durch eine Pforte zu treten, und es geht einen schmalen
Weg bergauf, der, zwischen Mauern eingeschlossen und mit Steinplatten
gepflastert, um eine Ecke biegt und sich in einen wagerechten dunkeln
Gang verliert, der seinerseits auf eine Reihe kleiner Höfe ausmündet.
Man steigt eine sehr steile Treppe hinauf, wirft einen Blick in einen
Tempelsaal hinein, wo die vergoldeten Götterbilder matt im Halbdunkel
glänzen; man wird auf eine Terrasse hinausgeführt, ist von der
herrlichen Aussicht hingerissen und meint, es sei ein Wunder, daß noch
kein Bergrutsch von der hinter dem Tempel liegenden Felswand die ganze
Tempelstadt in Trümmer gelegt hat, dann wird man wieder eine Treppe
hinaufgeführt, durch neue Gänge und Winkel bis in die Unendlichkeit,
bis einem der Kopf schwindelt. Man muß sich wie in einem Irrgarten oder
einer verzauberten Höhle verlieren. Es war leichter, sich im Government
House zu Kalkutta zurechtzufinden, obgleich es einige Zeit dauerte,
bis ich dort Bescheid wußte. Hier in Hemis aber können sich nur Mönche
auskennen.

In dem ersten Saale, der mir gezeigt wurde und dessen Decke malerische
Säulen trugen, thronte der Gott Dollma, mit großen, stechenden Augen.
Vor dem Gotte, der 300 Jahre alt sein soll, standen auf Tischen ganze
Batterien von Messingschalen mit Wasser, Reis, Gerste, Mehl, Fett und
Butter. Von dem zweiten Saale machte ich in aller Hast eine Zeichnung,
die hier wiedergegeben ist. Er soll der vornehmste in Hemis sein;
zwei Lamas knieten vor Doggtsang Raspas vergoldetem, mit einem Mantel
bekleideten Bilde (Abb. 324, 325). Rechts von ihm sitzt der Lama
Jalsras, links Sandschas Schaggdscha Toba. Die Tempelsäle, sieben an
der Zahl, heißen „Dengkang“ (mongolisch Doggung) und die Kammern, wo
die Mönche ihre „Nom“ (heiligen Schriften) studieren, werden „Tsokkang“
(mongolisch Sume) genannt.

In einem gewaltigen, becherförmigen Messinggefäß, „Lotschott“, brennt
in einer Vertiefung in gelbem Fett eine kleine Flamme, die ein Jahr
lang nicht erlischt. Fahnenähnliche, religiöse Gemälde schmücken oft in
mehreren Schichten die Wände, und von den Decken hängen „Tschutschepp“
genannte Draperien; an den Säulen flattern lange, in drei Zungen
auslaufende, als „Pann“ bezeichnete Bänder, und über den Götterbildern
schweben sonnenschirmartige Thronhimmel. Trommeln, Glocken, Götter,
Messingbecken und lange Blashörner gehören zur Ausstattung; man
wandelt gleichsam in einem Museum umher, das man aus dieser im Gebirge
versteckten Krypte entführen und mit nach Hause nehmen möchte. Die
Büchergestelle biegen sich unter Bänden der „Nom“. In gleicher Weise
sind die übrigen Säle mit Götterbildern und „Tschurden“ von Silber
mit Rubinen, Türkisen und Gold bevölkert. Durch eine Falltür im
Fußboden des einen Saales konnte man in das „Bakkang“, das Zeughaus
oder die Rüstkammer, hinabsteigen, wo alle Gewänder, Masken, Hüte,
Speere, Trommeln, Posaunen und Blashörner, die man zu den Anfang Juli
stattfindenden Festtänzen brauchte, aufbewahrt wurden. Einige Lamas
kleideten sich in ihre Festgewänder und standen mir freundlich Modell,
während ich sie abzeichnete (Abb. 326, 328). Während des Sommerfestes
wird das „Tabbtsang“ oder Küchenhaus benutzt, wo fünf kolossale und
mehrere kleine Kessel in einen Herd eingemauert sind (Abb. 329).

Es wimmelte während der Runde um uns her von rotgekleideten Lamas,
aber der Prior zeigte uns alles selbst und benahm sich dabei mit
imponierender Würde. Sodann führte er uns nach unseren Gastzimmern
in einem kleinen, eleganten und behaglichen Pavillon unterhalb des
Klosters. Abends besuchte ich ihn in seiner Zelle und wurde zu diesem
Zweck von einigen dienenden Brüdern abgeholt. Bei dem Scheine der
gelbroten Flammen der Fackeln glichen die engen Korridore und Grotten
jetzt noch mehr Krypten und Höhlen in einem Berge.

Der Greis erzählte, daß +Hemi-gompa+, wie er sein Kloster nannte,
vor 300 Jahren von Doggtsang Raspa erbaut worden sei, einem Lama,
der wie der Dalai-Lama durch alle Zeiten weiterlebe. Der jetzige
Doggtsang Raspa sei 19 Jahre alt und lebe seit drei Jahren als Eremit
ganz allein in einem kleinen „Gompa“ im Gebirge, nicht sehr hoch oben
in der Talschlucht, wo die Gegend Gotsang heiße. Er müsse dort noch
drei Jahre leben. Sechs Jahre lang dürfe er keinen Menschen sehen
und sein Gefängnis überhaupt nicht verlassen. Er müsse die Zeit mit
dem Studium der heiligen Schriften und mit Meditation zubringen. In
der Nachbarschaft wohne ein dienender Lama, der ihm Nahrung bringe.
Diese werde ihm täglich in eine runde Maueröffnung hineingeschoben,
aber die Blicke der beiden Männer dürfen sich dabei nie begegnen, und
sie dürfen nie miteinander reden; falls es sich um eine besonders
wichtige Angelegenheit handle, dürfe ein beschriebener Zettel in die
Maueröffnung gelegt werden. Wasser liefere eine kleine Quellader neben
dem Tempel. Ich fragte, was er denn anfange, wenn er erkranke, und
erhielt die Antwort, er sei so heilig, daß er überhaupt nicht krank
werde, und überdies kenne er die Heilmittel für alle Krankheiten der
Welt. Alle Doggtsang Raspa hätten sich dieser Läuterung unterzogen.
Wenn die sechs Jahre zu Ende seien, komme der Doggtsang Raspa nach
Hemis herunter, und wenn er sterbe, gehe sein Geist in einen neuen
Doggtsang Raspa über. Es muß schauerlich sein, sechs lange Winter ganz
allein in dem stillen Tale zu verleben.

Dreihundert Lamas gehören zum Kloster; den Winter bringen die meisten
in anderen Gompa und in Leh zu (Abb. 330, 331, 332, 333, 334). Das
Kloster, welches reich ist und viel anbaufähiges Land besitzt, sorgt
für ihren Unterhalt. Ein russischer Reisender, der vor einigen Jahren
die Welt durch die behauptete „Entdeckung“ eines Manuskriptes über Jesu
Leben, das er in Hemis gefunden haben wollte, in Erstaunen setzte,
wurde schon damals so gründlich entlarvt, daß ich mich bei ihm nicht
weiter aufzuhalten brauche.

Als ich am folgenden Nachmittag den Tempel verließ, erhielt ich
allerlei Proviant und ein Schaf, wofür ich unter keiner Bedingung
bezahlen durfte. Der Prior begleitete uns zu Pferd bis an die
Indusbrücke; in +Taggar+ vereinigten wir uns wieder mit den Unsrigen. --

Die Rückreise durch Asien und Europa könnte Stoff zu noch einer
Reisebeschreibung geben, aber ich muß jetzt den Bericht über meine
Schicksale schließen; nur ein paar Episoden darf ich nicht übergehen.

Nachdem wir durch das +Schejoktal+ (Abb. 335) auf Yaken den
+Kara-korum-Paß+ (5658 Meter) (Abb. 336, 337) erreicht hatten und auf
Pferden weitergeritten waren, den +Sugett-dawan+ und den +Sandschupaß+
überschritten hatten und, um uns auszuruhen, ein paar Tage in
+Kargalik+ und +Jarkent+ geblieben waren, langten wir am 14. Mai 1902
endlich in +Kaschgar+ an.

Der Frühling prangte in seiner ganzen Schönheit, als ich mit meinem
alten Freunde Generalkonsul Petrowskij wieder in wohlbekannten
Laubgängen wandelte, ihm von meinen Erfahrungen und Erinnerungen aus
dem Herzen von Asien erzählte und ihm für die unschätzbaren Dienste
dankte, die er mir während der vergangenen Jahre bei so vielen
Gelegenheiten geleistet hatte. Auch Macartney und Pater Hendriks
zeigten lebhaftes Interesse für meine Erfahrungen, und ich freute
mich ebenso sehr, sie wieder zu sehen, wie die Bekanntschaft der
neuangekommenen Missionare Andersson und Bäcklund zu machen, die
sich der schwedischen Missionsstation ernstlich annahmen und Grund
hatten, mit den Früchten ihrer mühevollen, menschenfreundlichen Arbeit
zufrieden zu sein.

Aber ich hatte keine Zeit, mich dort länger aufzuhalten, ich mußte
ihnen bald die Hand zum Abschied drücken und westwärts über die Berge
eilen. Kutschuk und Chodai Kullu kehrten wieder nach ihren Hütten am
Lop zurück und erhielten reichen Lohn für ihre treugeleisteten Dienste.

In +Osch+ verließ ich den alten redlichen Turdu Bai und empfahl ihn
aufs wärmste an Oberst Saizeff, in dessen Hause ich wieder einmal eine
freundliche Freistatt fand.

Sehr schwer wurde es mir, von Malenki und Maltschik zu scheiden. Ich
küßte sie auf die Schnauze und streichelte sie, die angebunden auf dem
Hofe standen, als wir in +Andischan+ nach dem Bahnhofe fuhren. Sie
sahen mir mit nachdenklichen, fragenden Blicken nach, als hätten sie
verstanden, daß ich sie in diesem Augenblick für immer verließ.

[Illustration: 332. Lesender Lama. (S. 367.)]

[Illustration: 333. Ein Lama mit Gebettrommel. (S. 367.)]

[Illustration: 334. Lama, Trommel und Becken schlagend. (S. 367.)]

[Illustration: 335. im Schejoktal. (S. 368.)]

[Illustration: 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem Kara-korum. (S.
368.)]

[Illustration: 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des Kara-korum.
(S. 368.)]

In Tschernajewa nahm ich herzlichen Abschied von dem prächtigen
Tschernoff, der sich über Taschkent nach Wernoje begab. Tscherdon
und der Lama begleiteten mich über das Kaspische Meer. Der gute Lama
staunte, als er sah, wie die Räder des großen Dampfers uns auf den See
hinausbrachten. Beide sollten von Petrowsk nach Astrachan weiterfahren,
wo der Lama sich für die Zukunft in einem Kalmückenkloster
niederzulassen beabsichtigte. Petrowskij und ich hatten ihn dem
Gouverneur aufs beste empfohlen. In Kara-schahr wagte er nicht mehr
sich sehen zu lassen, und das Betreten des Gebietes von Lhasa war ihm
vom Kamba Bombo für immer untersagt worden; deshalb wurde er russischer
Untertan. Tscherdon fuhr mit der sibirischen Eisenbahn wieder nach
seiner transbaikalischen Heimat.

Ja, es war schmerzlich, von ihnen allen zu scheiden; hatte ich doch
lange Jahre mit diesen Männern durchlebt! Ihre Tränen bewiesen, daß
auch sie mit Bedauern und Zuneigung Abschied von mir nahmen. Von
einigen von ihnen habe ich später Nachricht erhalten, und ich weiß
zu meiner großen Freude, daß Schagdur wenigstens schon innerhalb
der Grenzen Rußlands ist und sich bereits in Osch befindet. General
Sacharoff in Petersburg hat bei mehreren Gelegenheiten die große
Freundlichkeit gehabt, mich von den weiteren Schicksalen meiner lieben
Kosaken in Kenntnis zu setzen. Kürzlich erhielt ich einen Brief von
Oberst Saizeff, den ich nicht ohne Rührung las. Er enthielt eine
Beschreibung davon, wie Schagdur über seine Eindrücke von der ganzen
Reise, besonders aber unsern Ritt nach Lhasa und die Reise nach Indien
berichtet hatte; es freute mich zu hören, daß er mir ein gutes,
liebevolles Andenken bewahrte.

Alle vier Kosaken wurden von König Oskar mit eigens geprägten
Goldmedaillen ausgezeichnet, welche zu tragen der Zar ihnen
erlaubte. Von ihrem eignen Kaiser wurden sie mit dem Ehrenzeichen
des Sankt-Annenordens und je 250 Rubel bedacht. Auch Turdu Bai und
Chalmet Aksakal erhielten vom König goldene und Faisullah eine silberne
Medaille für treuen, redlichen Dienst. Bei einer Audienz in Peterhof
freute sich Kaiser Nikolaus herzlich, als er hörte, wie zufrieden ich
mit den Kosaken gewesen, deren Betragen vom ersten bis zum letzten
Tage über jedes Lob erhaben gewesen war. An den Kriegsminister General
Kuropatkin sandte ich darüber einen offiziellen Bericht.

Ich werde nicht versuchen, die Gefühle zu schildern, die auf mich
einstürmten, als ich am 27. Juni 1902 mit dem Dampfer v. Döbeln in die
schwedischen Schären einfuhr. Wie manchesmal hatte ich Veranlassung
gehabt, mich zu fragen, ob ich diese lieben, alten Felsenklippen, die
wie Außenwerke um die Heiligtümer meiner Kindheitserinnerungen stehen,
wohl je wiedersehen würde! Drei Jahre und drei Tage, mehr als 1001
Nacht waren vergangen, seit ich von meinen Eltern und Geschwistern
Abschied genommen hatte. Wie bitter war +jener+ Junitag gewesen gegen
diesen, an dem ich sie alle gesund und über meine Heimkehr beglückt
wiedersah. Sie erwarteten mich auf demselben Kai, auf dem wir einander
Lebewohl gesagt hatten. Jetzt prangte ein neuer Sommer in seiner
größten Schönheit, und die Fliederbüsche blühten gerade wie damals. Die
langen Jahre, die inzwischen vergangen waren, erschienen mir wie ein
Traum; es war mir, als sei ich nur ein paar Tage fortgewesen, alles war
unverändert.

Schon am folgenden Tage durfte ich dem König, der stets mit so warmem,
erlauchtem Interesse, so großartiger Freigebigkeit und väterlicher Huld
meine Pläne beschützt, ihre Ausführung gefördert und mich persönlich
ausgezeichnet hatte, über das Ergebnis der jetzt beendeten Reise
Bericht erstatten. Ein neuer Stein war dem Bau hinzugefügt worden, der,
wie ich hoffe, noch lange nicht fertig ist.

Doch das Beste von allem war, wieder zu Hause zu sein und das innerste
Asien und Tibet, die meine Gedanken so lange beschäftigt hatten, für
einige Zeit vergessen zu dürfen. Je größere Kreise man um die Erde
zieht, desto heißer wird die Liebe zum Vaterland, besonders wenn
dieses, wie das meine, so reich an Ehre und glorreichen Erinnerungen
ist. Wenn alle gutgesinnten Bewohner des Reiches es verständen, auf
den schon in der Wiege ihnen gewordenen Ehrentitel stolz zu sein,
nämlich darauf, daß sie einer Nation angehören, deren Geschichte zu
einem großen Teil eine Heldengeschichte ist, so würden keine äußeren
Gefahren je unsere Freiheit bedrohen können. Unsere Kraft wächst,
und unsere Lage ist jetzt unendlich viel besser, als sie es während
mancher kritischen Augenblicke in vergangenen Zeiten war. Doch die
Vaterlandsliebe ist unser hauptsächlichster Schutz. Sie muß im
Elternhause und in der Schule eingeprägt, in den Kirchen gepredigt und
in den Kasernen entflammt werden; sie muß das ganze Volk durchdringen,
ihm Kraft und Eintracht schenken und jeden einsehen lehren, daß das
Vaterland allen anderen irdischen Interessen vorgeht. Wenn alle an
demselben großen Ziele arbeiten, wenn eigennützige Bestrebungen in den
Hintergrund treten, dann können wir mit frohen Hoffnungen einer neuen
Größezeit innerhalb unserer eigenen Grenzen entgegensehen.

Wenn man, wie ich, in vielen Ländern gesehen und erfahren hat, wie
andere Menschen leben müssen, muß man sich beglückwünschen, einem Volke
anzugehören, dem ein so glückliches Los zugefallen ist wie dem unsrigen.

Ohne eigne Vergleiche ist es jedoch vielleicht schwer, diese
Überzeugung zu gewinnen. Glaubt daher meinen Worten, wenn ich mit
diesen wenigen Zeilen meine Erfahrungen andeute!

Und hiermit sage ich dem geduldigen Leser für diesmal Lebewohl!



Register.


  Abdall I, 242. 250. 257. 275. 278. 289. 322. 393; II, 4. 11. 17. 18.
   23. 73. 78. 79. 86. 95. 96.

  Abdu Rehim I, 193. 201. 202. 207. 211. 212. 213. 214. 216. 217. 218.
   219. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 229; II, 26. 28. 29. 32; Familie
   I, 216. 217.

  Addan-tso II, 300. 301. 302. 305.

  Adler I, 51. 259. 348. 351; II, 252. 267. 282.

  Adschi-tsonjak II, 339.

  Agil (Hürde) I, 13.

  Agra II, 356.

  Ajag-argan I, 269.

  Ajag-kum-köll I, 313. 383. 384. 385. 390.

  Ajik-köll I, 299.

  Äilämä I, 14.

  Airilgan I, 192.

  Akato-tag I, 294. 295. 298. 299. 303. 327. 382. 383. 390. 391. 394;
   II, 5. 9.

  Ak-bai I, 175.

  Ak-baital I, 10.

  Ak-gumbes I, 14.

  Ak-ilek-lenger I, 185.

  Ak-köll I, 272; II, 85.

  Ak-kum I, 24. 51.

  Ak-kumning-jugan-köll I, 105.

  Aksakale (Konsularagenten) I, 31.

  Aksak-maral I, 48;
    Bek I, 43. 46. 48.

  Ak-sattma I, 72.

  Aksu I, 19. 31. 59. 76. 85. 125; II, 77. 92;
    Amban I, 200.

  Aksu-darja I, 47. 52. 74. 79. 83. 125.

  Ak-tschokka-aituse I, 305.

  Ala-aigir I, 44.

  Alai I, 6. 13.

  Alaital I, 10. 13.

  Ala Kunglei Busrugvar I, 92.

  Aldat I, 296-297. 305. 308. 309. 314. 318. 320. 330. 332. 338. 341.
   350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358. 361. 363. 378. 388; II,
   141. 273;
    Begräbnis I, 364;
    Bruder I, 296. 378;
    Krankheit I, 354. 355. 356;
    Tod I, 363;
    Vater I, 364; II, 90.

  Algen II, 281.

  Ali Ahun I, 197. 300. 301. 379. 387; II, 1.

  Al-kattik-tschekke I, 116.

  Alkoholische Getränke II, 112.

  Alla-sangpo II, 267. 288.

  Altai II, 109.

  Altimisch-bulak I, 194. 216. 221. 222. 224. 225. 226. 227. 229;
   II, 4. 25. 26. 28. 32. 33. 52. 62. 330.

  Altyn Ustun Tagh II, 56.

  Amban (Distriktsvorsteher) I, 60.

  Amber II, 360.

  Amdo II, 205. 238. 328.

  Amdo-motschu II, 200.

  Amrik-wa II, 311.

  Amu-darja, Fluß I, 6. 14.

  -- Station I, 6.

  ~Anabasis ammodendron~ II, 20.

  Anambar II, 4. 9.

  Anambaruin II, 3.

  Anambaruin-gol II, 13. 14. 16. 19. 74. 78.

  Anambaruin-ula II, 12. 15. 16. 17.

  Anambar-ula II, 2. 3.

  Andere I, 172. 179.

  Andere-terem I, 172. 178.

  Andersson II, 368.

  Andischan I, 6. 7.

  Andrée II, 148.

  Anmar Dschu II, 343. 345. 346.

  Anna Tsering II, 231. 232. 236. 237. 238.

  Ansasch-kum I, 119.

  ~Antilope Cuvieri~ II, 252.

  Antilopen I, 41. 203. 321. 377; II, 21. 22. 23. 30. 129. 140. 141.
   153. 252. 304. 311.

  Arabatschi (Kutscher) I, 13.

  Aral I, 14. 38.

  Araltschi I, 37. 38. 187.

  Ara-tag I, 304. 305.

  Arba (Wagen) I, 7.

  Archari I, 203. 356; II, 14. 110. 252.

  ~Arctomys bobac~ I, 14.

  Arelisch I, 115. 129. 193.

  Argan I, 31. 138. 192. 257. 274.

  Argol (Yakdung) I, 393; II, 282.

  Argussun I, 393.

  Arka-köll I, 247.

  Arka-tag I, 315. 317. 318. 319. 365. 367; II, 90. 119. 128. 129. 130.
   131. 132. 133. 135. 136. 138. 160. 168.

  Artan (Wallach) II, 117.

  Artillma I, 251.

  Artscha (Wacholder) I, 10.

  Aru-tso II, 327.

  Asch (Reispudding) I, 100.

  Aschabad I, 5.

  ~Asclepias~, Faserpflanze I, 193.

  Asmane, Fische I, 61.

  Astin-joll I, 174;
    II, 23. 26.

  Astin-tag I, 144. 221. 293. 294. 295. 393; II, 3. 5. 8. 9. 10. 13.
   16. 18. 20. 21. 24. 91. 95. 105.

  Astrachan II, 369.

  Ataman Nikolajewska I, 199.

  Atschal I, 105.

  Atschik I, 212.

  Atschik-köll I, 368.

  Att-attgan I, 383.

  Att-baschi II, 116.

  Attikusch Padischah I, 136.

  Att-pangsa I, 44.

  Awraspaß I, 307.

  Awullu-köll I, 219. 220. 249.

  Awwat I, 55. 78. 81;
    Bek I, 82.


  Baba-köll I, 179.

  Baba Tarim I, 269.

  Bäcklund II, 368.

  Bagrasch-köll I, 138. 264; II, 67.

  Bag-tokai I, 379; II, 93. 95. 114.

  Bajir I, 136. 140. 141. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 156. 158. 159.
   160. 161. 162. 163. 164. 190. 227.

  Bakkang II, 367.

  Bal II, 334. 337.

  Balalaika II, 248.

  Balgun-Sträucher II, 322.

  Balik-ölldi I, 91.

  Baltal II, 354. 363.

  Bantsching Bogdo II, 254.

  Baramullah II, 355.

  Bären I, 299. 359. 362. 387; II, 110. 126. 127. 154. 171. 242.

  Barrakpore II, 358.

  Basch-agis I, 189.

  Basch-argan I, 191.

  Basch-balgun I, 298.

  Basch-joll I, 293.

  Basch-köll I, 136. 139. 141. 142. 152.

  Basch-kurgan I, 292. 293.

  Basch-tograk I, 202.

  Baß, Miß II, 349.

  Beglik-köll I, 262-264.

  Bel I, 14.

  Belarum II, 360.

  Bema II, 190.

  Benares II, 356. 357.

  Ben Nursu II, 218.

  Bergkrankheit I, 13. 319. 388; II, 1. 111. 135. 148. 160. 261. 316.
   317. 318.

  Bergschwalben II, 107.

  Besch-köll I, 40.

  Bifurkation von Lop-Seen I, 246.

  Bikar-darja I, 40.

  Bir-bulak I, 9.

  Blauer See s. Tso-ngombo.

  Boggtsang-sangpo II, 303. 304. 305. 306. 309.

  Boghana-Strauch I, 299.

  Bokalik, Goldgruben I, 295. 379. 382;
    II, 98.

  Boldschemal (Altwasser) I, 76.

  Bolta I, 258.

  Bomba II, 312.

  Bombay II, 360.

  Bombo II, 211. 218. 253. 262. 264. 265. 267. 268. 324. 325. 326.

  Bondschin-tso II, 321.

  Bonin I, 137. 144. 145. 292; II, 23.

  Bontsa II, 215.

  Bonvalot I, 34. 144. 320; II, 122. 193.

  Bordoba I, 10.

  Bor-teppe I, 10.

  Bostan I, 95.

  Bostan-tograk I, 178. 179.

  Bosuga I, 12.

  Bower II, 250. 304. 305. 326. 327. 330.

  Boxeraufstand II, 80.

  Brahmaputra II, 199.

  Bremsen I, 261. 275. 277. 289. 299. 310. 319. 393;
    s. a. Mückenplage.

  Bücher, Land der heiligen II, 286. 330.

  Buddha II, 43.

  Budschentu-bulak I, 205.

  Bughra, Kamelhengst I, 218. 224; II, 32. 117.

  Buguluk I, 185.

  Buja-köll I, 108.

  Buka-schirik II, 152.

  Bulak-baschi I, 310.

  Bulung (Flußkrümmung) I, 43. 56.

  Bulungir-nor II, 15. 16.

  Bulut (Nebelwand) I, 138.

  Bungalow II, 352.

  Burchane II, 234. 279. 286; Land der II, 286.

  Burjaten II, 66. 99. 183. 202. 219.


  Carey I, 34.

  Chade-dung I, 102.

  Chalchamongole II, 51. 202.

  Chalil Bai I, 96.

  Chalmet Aksakal I, 124. 132. 252. 255. 260; II, 91. 96. 97. 98. 99.
   104. 105. 369.

  Chami II, 24. 207.

  Chan-ambal II, 3. 17.

  Chan-arik I, 22. 23.

  Chan Dao Tai I, 20.

  Chaneka I, 78. 205.

  Chan-tengri I, 96.

  Chara-nur II, 205.

  Chem-to-na II, 56.

  Chia Yu Kuan II, 56.

  China I, 14. 15. 285; II, 226.

  Chinesen I, 20. 106. 129. 137; II, 11. 12. 23. 24. 51. 69. 90. 286.
   287;
    Beamte I, 260;
    Karten I, 226.

  Chodai Kullu I, 301; II, 2. 4. 10. 33. 34. 62. 64. 66. 71. 72. 73.
   74. 75. 76. 78. 79. 80. 82. 83. 103. 146. 189. 190. 194. 203. 208.
   220. 245. 247. 268. 271. 292. 309. 339. 345. 351. 368.

  Chodai Värdi I, 146. 154. 296. 301. 378. 382. 392; II, 2. 35. 62. 63.
   64. 65.

  Chorem I, 55.

  Chotan I, 85. 172. 188. 287.

  Chotan-darja I, 79. 124. 150. 156; II, 51;
    Mündung I, 85.

  Curzon, Lord II, 93. 349. 358. 359.


  Daddap-tso II, 322.

  Daggtse-tso II, 303. 304. 307.

  Dak-bungalow II, 348.

  Dakksche II, 237.

  Da-kuren II, 217.

  Dalai-Lama I, 394. 395; II, 93, 109, 203. 217. 218. 219. 225. 226.
   227. 237. 254. 268. 276. 279. 286. 290. 302. 309. 324. 325. 344. 367.

  Dalgleish I, 34.

  Dao Tai I, 25. 31.

  Daschi-köll I, 124. 129.

  Dastarchan (Imbiß) I, 8. 23.

  Dawagan (Murmeltier) I, 302. 361. 362.

  Dawan I, 204. 293.

  Dawato II, 16.

  Dawo Tsering II, 321. 323.

  Deasy II, 326.

  Dehli II, 356. 360.

  Demawend II, 149.

  Dengkang II, 366.

  Dewaschung II, 261. 274. 275. 277. 303. 324.

  Diabas I, 212.

  Digo II, 235.

  Dillgi I, 250.

  Dillpar I, 201. 202.

  Diorit I, 204. 317.

  Doggtsang Raspa II, 366. 367.

  Doggung II, 366.

  Dollma II, 366.

  Domba II, 205.

  Dowlet I, 9. 12. 43. 71. 97. 146. 172.
  -- Karawan-baschi II, 90. 95. 114. 120. 125. 128.

  Dras II, 354.

  Dromedar II, 3. 158.

  Drugub II, 346.

  Dschaggataitürkisch II, 109.

  Dschaipur II, 360.

  Dschallokk II, 215. 218. 219. 221. 222. 225. 247.

  Dschan Daloi, Amban von Tscharchlik I, 250. 284. 285. 286; II, 87. 90;
    Sohn II, 90.

  Dschandin-tso II, 311.

  Dschangdang II, 237.

  Dschan-kuli I, 144, 197.

  Dschansung II, 253.

  Dschigiten I, 9. 11. 20. 97; II, 18.

  Dschimre II, 247.

  Dscho II, 165.

  Dscho-mitsing II, 275.

  Dschong-duntsa II, 16.

  Dschowa II, 346.

  Dschurchak I, 300.

  Dua, Gebet, I, 364.

  Duga-dschaji-masar I, 74.

  Dundu-namuk I, 299.

  Dünen I, 108. 109. 115. 116. 121. 127. 140. 159. 167. 258. 322.

  Dunganen II, 12. 287; Aufruhr II, 11.

  Dung-chan I, 137. 206. 230; II, 16.

  Dung-kotan I, 103.

  Dunglik I, 289.

  Dural I, 76. 193. 260; II, 51;
    Amban I, 193.

  Dutar, Gitarre I, 30.

  Dutreuil de Rhins I, 144; II, 122. 223.


  Eiszeit II, 302.

  ~Elaeagnus hortensis~ I, 190. 211. 257. 258.

  ~Elaecocca vernicia~ II, 60.

  Elefanten II, 357.

  Endlicher II, 53.

  Enten I, 65. 140. 197. 207. 313. 373; II, 67. 70. 79. 327.

  Erenak-tschimmo II, 306.

  Esel II, 90. 95. 125. 128. 129;
    wilde s. Kulan.

  Eski-darja I, 37. 40.

  Ettek-tarim I, 138. 186. 188. 190. 191. 192; II, 104.


  Fa-Heen II, 56. 60.

  Fähre I, 26. 27. 28-30. 31. 32. 252. 253. 274. 275;
    auf Grund gestoßen I, 38;
    Besatzung I, 32;
    Fährleute I, 31. 32. 132.

  Faisullah I, 19. 23. 47. 129. 132. 139. 146. 154. 195. 196. 201. 202.
   217. 229. 235. 240. 241. 243. 246. 249. 250. 299. 301. 379; II, 2. 3.
   19. 30. 37. 38. 41. 62. 63. 64. 65. 74. 76. 79. 81. 82. 85. 86. 92.

  Falken II, 70. 153.

  Falkenjagd I, 132.

  Fasanen I, 41. 42. 120. 197.

  Fauna, am Jaggju-rappga II, 267;
    am Jarkent-darja I, 41. 51;
    am Kara-koschun I, 238;
    im Kurruk-tag I, 203;
    in Nordtibet I, 348; II, 110. 126;
    am Tarim I, 259;
    in Tattlik-bulak I, 292.

  Feldmäuse I, 164. 348. 359; II, 204.

  Felstauben II, 267.

  Fenn, Oberst II, 360.

  Fereng II. 208.

  Ferganaberge I, 14.

  Ferganatal I, 6.

  Fettmagen II, 263.

  Fische I, 61. 128. 142. 240. 269; II, 23. 159. 305. 306. 334. 338.

  Fischfang I, 61. 93. 106. 112. 116. 259; II, 265. 266. 330. 333.

  Flüchtlinge, russische I, 184.

  Fotu-la II, 353.

  Frühlingsflut I, 187.

  Füchse I, 41. 85. 165. 238. 313.

  Fuchsfallen II, 12.

  Fu Tai I, 106.


  Gabet II, 286.

  Gädschis I, 96.

  Ganges II, 352. 357.

  Gartschu-sängi II, 188. 192. 233. 240.

  Gasanglik I, 37.

  Gaschun-gol II, 17.

  Gas-nor (See) I, 298. 299; II, 2. 4.

  Gavo (Amulettfutteral) II, 166. 215. 226. 233. 234.

  Gebetmühlen II, 233.

  Geier I, 94.

  Geld, chinesisches I, 18.

  Gemmen II, 53.

  Geröllterrassen II, 330. 333.

  Gestein I, 13. 204. 212. 291. 292. 299. 315. 317. 320. 325. 330. 354.
   360. 366. 370. 373. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24. 105. 106. 107.
   108. 111. 138. 139. 171. 172. 184. 241. 242. 257. 258. 280. 298. 306.
   337. 341. 347.

  Getreidearten II, 48. 49.

  Ghas I, 393.

  Gletscher I, 320. 322. 330. 332. 333; II, 158. 159. 160. 250.

  Gobi, Wüste I, 386; II, 4. 22.

  Goldfeld I, 370. 371; II, 325.

  Goldgräber I, 295. 301. 315. 370. 371. 382. 388; II, 98.

  Göllme-ketti I, 255.

  Gom-dschima II, 188. 192.

  Gompa II, 367.

  Gong-gakk II, 237.

  Gopur-alik I, 391.

  Gotsang II, 367.

  Gräber I, 183. 184.

  Granit I, 291. 299. 302. 315. 370. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24.
   105. 106. 107. 306. 347.

  Gras, in Tibet II, 129.

  Grombtschewskij I, 13.

  Gulang Hiraman II, 344.

  Gultscha I, 10.

  Gultscha-darja I, 10.

  Gumbes (Grabmal) I, 59. 70. 183. 205.

  Guristan (Begräbnisplatz) I, 59. 205.


  Haddik II, 221.

  Hamdung II, 275.

  Hamra, Hund I, 82. 83. 85; II, 314.

  Hamra Kul II, 116. 120. 121. 134. 135. 139. 153. 156. 164. 168. 178.
   248. 307. 308. 309. 316. 319. 321. 350.

  Han-Dynastie II, 55.

  Haramuk-lurumak II, 188.

  Hascheklik II, 108.

  Hasen I, 41. 203. 238. 308. 348; II, 30. 152. 153. 171. 192. 244.
   247. 252. 304.

  Hasrett Ali Masar I, 59.

  Hasrett Ali Masar-Gebirge s. Masar-tag.

  Hässemet-tokai I, 94.

  Hedin, auf dem Addan-tso II, 300. 301;
    auf dem Ajag-kum-köll I, 384-388;
    Reise nach Andere I, 172. 174-180;
    in Altimisch-bulak I, 225; II. 30;
    Aufzeichnungen I, 87;
    Ausrüstung I, 1-4. 19. 139. 147; II, 166. 167;
    auf dem Beglik-köll I, 262-264;
    Bergkrankheit I, 388;
    Besuch Bonins I, 144. 145;
    Briefe an I, 283-285;
    Fähre I, 26. 27. 29. 30. 31. 37. 40. 249. 253,
      Ende I, 110. 275,
      auf Grund I, 48. 49,
      im Wasserfall I, 46,
      neue Fähre I, 274,
      Leben auf der Fähre I, 33. 34. 35. 38. 50. 72-73. 98. 99. 100.
       120. 259. 266. 267. 270. 275. 276;
    Fährleute I, 47. 132;
    Antritt der Flußreise I, 31;
    Verhandlungen I, 26;
    Geschwindigkeitsmessung I, 31;
    Reise durch die Wüste Gobi II, 2. 18 fg.;
    Hauptquartier I, 195. 300. 378-380. 382. 394; II, 165. 166. 167.
     168. 169. 171. 178. 244. 245;
    in Hemis II, 365-368;
    Heimkehr II, 364-370;
    Jagd II, 140;
    am Jaggju-rappga II, 264-267;
    in Indien II, 348-361;
    Instrumente I, 1. 2; II, 167;
    Jurte II, 94. 115. 121;
    Besuch des Kamba Bombo II, 224. 228. 229. 230. 231;
    Karawane I, 8. 9. 10. 18. 31. 124. 127. 130. 132. 139. 146. 196.
       250. 254. 287. 292. 293. 294. 299. 301. 314; II, 105. 114. 115.
       117. 118. 119. 145. 146. 147. 166. 259. 260. 285. 309. 310. 318.
       321. 325. 326. 331. 332. 343. 350. 351. 363,
      Abschied II, 346,
      Auflösung II, 350. 351. 368. 369,
      Entsatzkarawane II, 343. 344;
    Reise nach Kaschgar I, 9-17. 18-20;
      Abreise I, 20-22;
      Rückkehr II, 368;
      Übergang über den Kisil-su I, 15-17;
      Kranke in der Karawane II, 317;
      Fahrt auf dem Kum-köll I, 312;
    Reise in den Kurruk-tag I, 201;
      Kosaken I, 19. 20. 198; II, 77. 115;
      Abschied I, 286. 287;
      in Ladak II, 343;
    Lager I, 43. 155. 162. 356. 357. 389; II, 120-122. 142. 171. 172.
     178. 179. 180. 181. 182. 183. 185. 189. 196. 197. 201. 202. 203.
     243. 247. 248. 251. 252. 293. 322. 323. 326;
      Nr. 24 I, 323;
      Nr. 25 I, 325;
      Nr. 30 I, 332;
      Nr. 36 I, 344;
      Nr. 42 I, 348;
      Nr. 43 I, 351;
      Nr. 44 I, 352;
      Nr. 48 I, 355;
      Nr. 54 I, 361;
      Nr. 55 I, 361;
      Nr. 61 I, 366; II, 136;
      Nr. 65 I, 368;
      Nr. 131 II, 17;
      Nr. 138 II, 22;
      Nr. 170 II, 80;
      Nr. 12 II, 119;
      Nr. 18 II, 128;
      Nr. 19 II, 130;
      Nr. 24 (alte Nr. 61) II, 136;
      Nr. 25 II, 137;
      Nr. 28 II, 139;
      Nr. 30 II, 142;
      Nr. 33 II, 145. 146. 147;
      Nr. 38 II, 153. 156. 176. 208;
      Nr. 43 II, 164;
      Nr. 44 II, 166. 167. 169. 171. 172. 174. 176. 240. 245. 246. 249;
      Nr. 47 II, 240;
      Nr. 48 II, 240;
      Nr. 50 II, 196;
      Nr. 53 II, 206;
      Nr. 51 II, 235;
      Nr. 67 II, 250;
      Nr. 68 II, 251;
      Nr. 75 II, 262;
      Nr. 84 II, 289;
      Nr. 95 II, 306;
      Nr. 98 II, 309;
      Nr. 100 II, 311;
      Nr. 103 II, 312;
      Nr. 112 II, 320;
      Nr. 116 II, 322;
      Nr. 118 II, 324;
      Nr. 130 II, 329;
      Nr. 141 II, 336;
      Nr. 144 II, 340;
    in Leh II, 348. 363;
    Aufbruch nach Lhasa II, 166;
    Gesandte aus Lhasa II, 273. 274. 275. 277;
    Plan der Reise nach Lhasa II, 10. 108. 109. 154. 162. 165. 169. 173.
     178. 183. 184. 246. 247;
    Rückkehr von der Reise nach Lhasa II, 231-247;
    Abschied vom Lop-nor II, 86;
    bei Lord Curzon II, 357. 358;
    Ausgrabungen in Lou-lan II, 37-50;
    in Mandarlik I, 378;
    Mannschaft I, 7. 8. 19. 23. 32. 201. 202. 296-298. 301. 351. 382;
     II, 1. 2. 88. 95. 99. 102. 103. 116. 120. 128. 129. 307;
    Medizinkiste II, 139;
    Munition II, 140;
    auf dem Nakktsong-tso II, 280-285;
    Neujahr I, 162. 163; II, 12;
    Nivellement II, 33. 63-76; Post I, 20. 76. 97. 173. 267. 378. 381;
     II, 1. 18. 88. 92. 93. 348. 349;
    Proviant I, 19; II, 89. 90. 166. 317;
    Reisekasse I, 5. 18. 19. 381. 382; II, 93. 97. 349;
    Reiseplan I, 19. 33. 34. 136. 137. 226. 232. 236. 252. 382. 393.
     395. 396; II, 3. 4. 88. 93;
    als Richter I, 260;
    beim Gouverneur von Rudok II, 324-326;
    Fahrt durch Rußland I, 5;
    Sammlungen II, 91. 92. 93. 350;
    Abschied von Schagdur II, 364;
    Unterhandlung mit Schereb Lama II, 108. 109. 110;
    Übergang über den Satschu-sangpo II, 192-196. 236. 256-259;
    Übergang über den Sodschi-la II, 353. 354. 362-364;
    Karte des Tarim I, 34. 52. 56. 57. 104;
    Reise an den Tarim I, 20-24;
    letzte Fahrt auf dem Tarim I, 275;
    in Temirlik I, 295. 381; II, 1;
    Abschied von dem tibetischen Gouverneur II, 302. 303;
    Abschied von den tibetischen Offizieren II, 312;
    Abschied von Tibet II, 344;
    Begegnung mit den ersten Menschen in Tibet I, 373. 374; II, 199;
    die ersten Tibeter II, 154;
    Gefangener der Tibeter II, 210-217. 228;
    in kritischer Lage in Tibet II, 197;
    in Verhandlungen mit Tibetern II. 257. 260. 261. 262. 264. 265;
    Überfall II, 174. 175. 176;
    Umkehr in Tibet II, 206. 207. 208;
    in Tscharchlik II, 86;
    Aufbruch von Tscharchlik II, 104;
    auf dem Tschargut-tso II, 292-300;
    Reise in den Tschimen-tag und Akato-tag I, 394;
    Wanderung über den Tschokka-tag I, 66-69;
    Fahrt durch Transkaspien I, 5-7;
    Übergang über den Tso-ngombo II, 336. 337. 338. 339;
    in Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 251;
    Verkleidung II, 88. 96. 142. 155. 156. 166. 167. 170. 173. 174. 179.
     201. 202;
    Waffen II, 166;
    Weihnachten I, 155; II, 10. 349. 350;
    Werft I, 27-29;
    Winterquartier I, 131. 133. 137. 143. 146;
    Aufgabe des Winterquartiers I, 252. 255;
    Reise durch die Tschertschenwüste I, 136. 143-170.

  Heiliger Rat II, 261. 274.

  Hemi-gompa II, 367.

  Hemis II, 287. 365;
    Geschichte II, 367;
    Prior II, 365. 367;
    Tempel II, 365.

  Hendriks, Pater I, 20; II, 368.

  Hettasch II, 349. 364.

  Heun-nu II, 57.

  Himalaja II, 321. 352.

  Himly, Karl II, 47. 51-54.

  Hindi II, 238.

  Hirsche I, 41. 57;
    zahmer II, 87. 95. 115. 118.

  Hladsche Tsering II, 277. 278. 285. 287. 289. 290. 302. 303.

  Högberg, Missionar I, 20.

  Hsian-Tsang II, 56. 61.

  Hüan-Tschuang II, 51.

  Huc II, 286.

  Hummeln I, 319.

  Hunde I, 9. 11. 12. 43. 51. 82. 85. 94. 97. 133. 196. 254. 255. 260.
   269. 276. 287. 290. 291. 298. 300. 301. 304. 316; II, 2. 87. 96.
   118. 140. 146. 159. 170.

  Hung-lugu I, 291.

  Hunnen II, 57. 58. 59.

  Huo-thsüan-Münzen II, 48. 53.

  Hyderabad II, 360.


  Jaggju-rappga II, 265. 266. 267. 287. 288. 289. 305.

  Jakub Bek I, 162. 188. 249. 272.

  Jallgus-jiggde I. 54.

  Jaman-dawan II, 107.

  Ja-ma-tschan II, 11.

  Jamba I, 18. 19.

  Jamdok-tso II, 284.

  Jamdu-Tsering II, 303. 306. 309. 310. 311. 312. 313.

  Jam-garawo II, 329.

  Jangi-darja I, 45. 46. 92. 93. 108.

  Jangi-jer I, 340.

  Jangi-köll I, 127. 130. 134. 139. 140. 141. 142. 143. 146. 152. 173.
   193. 240. 250. 252. 257; II, 33. 99;
    Bek I, 134.

  Jangi-köll-ui I, 136.

  Jang-tse-kiang, Quellen I, 347.

  Jantak-kuduk I, 175. 179.

  Japaner II, 287.

  Jappkak I, 317. 332. 336. 375. 385; II, 11. 112. 120. 294. 329.

  Jappkaklik-sai I, 303.

  Japptschan II, 101.

  Jar (Uferterrasse) I, 38.

  Jardang, Lehmterrassen I, 210. 220. 221. 227. 230; II, 27. 67.

  Jardang-bulak I, 212. 213. 216.

  Jarkendi-Sprache II, 354.

  Jarkent I, 34. 38. 125. 287; II, 350. 364. 368.

  Jarkent-darja I, 15. 19. 24. 27. 45. 51. 63. 66. 87. 119. 124;
    Abdämmen I, 60;
    Boden des Ufers I, 66;
    Krümmungen I, 54. 56. 74. 75. 76;
    Stromschnellen I, 48;
    Ufervegetation I, 52. 53. 54. 57;
    Wasserstand I, 29;
    Zusammenfluß mit Aksu-darja I, 83;
    s. a. Tarim.

  Jarkent-darjaning-kuilüschi I, 84.

  Jarwo Tsering II, 312.

  Jas-kitschik I, 16.

  Idrisi II, 49.

  Jegintal I, 15.

  Jeilau (Weideplatz) I, 11.

  Jekkenlik I, 262. 266.

  Jekkenlik-köll I, 78. 262. 265. 266.

  Jekken-öi I, 245. 246.

  Jelumtal II, 355.

  Jer-baghri, Pflanze I, 329.

  Jesuitenmissionare II, 286.

  Jettumal II, 348. 351. 352.

  Igel I, 239.

  Jiggde s. Elaeagnus.

  Jiggdelik I, 75.

  Jiggdelik-agil I, 188.

  Jiggdelik-tokai II, 105.

  Jilga (Erosionstal) I, 68.

  Jim-tso II, 322.

  Jing-pen I, 138. 201. 202. 205. 206. 207. 211. 216; II, 49;
    Ruinen I, 205. 206.

  Ila I, 310.

  Ile II, 9. 252.

  Ilek I, 123. 138. 247. 248. 249.

  Ile-su I, 10.

  Illwe-tschimen I, 294. 374. 391. 392.

  Impfung I, 129.

  Indien II, 238.

  Indischer Ozean II, 346.

  Indus II, 343. 346. 347. 348. 352. 353. 365. 368.

  Initschke I, 94.

  Intschikke-darja I, 98.

  Joint Commissioner II, 334. 361.

  Joll-arelisch I, 286.

  Jollbars I, 103. 134. 254; II, 87. 121. 153. 170. 180. 181. 185. 187.
   199. 204. 232. 252.

  Joll-begi, Weginspektor I, 81. 85. 90. 93.

  Jolldasch I, 9. 12. 43. 71. 83. 94. 134. 146. 172. 180. 209. 243. 248.
   254. 290. 301. 304. 316. 318. 319. 331. 345. 348. 354. 356. 362. 369;
   II, 2. 28. 30. 87. 95. 121. 139. 140. 151. 245. 252. 340. 344. 345.

  Irkeschtam I, 14. 15.

  Islam Bai, Karawan-baschi I, 7. 8. 9. 16. 19. 23. 25. 26. 32. 42. 44.
   50. 64. 66. 69. 96. 98. 127. 132. 143. 146. 147. 150. 155. 157. 160.
   161. 163. 164. 168. 172. 194. 198. 251. 254. 299. 301. 374. 375. 377.
   378. 381. 382. 384. 389. 390; II, 1. 18. 91. 92. 95. 97. 98. 99. 100.
   101. 102. 103;
    Verurteilung II, 103.

  Jugan-balik I, 63.

  Jugan-balik-köll I, 62.

  Julgun I, 211.

  Julgun-dung II, 5. 9.

  Julgunluk-köll I, 190.

  Jumalak-darja I, 105. 108.

  Junduk Tsering II, 277. 279. 289. 302. 303.

  Junus Bek I, 107.

  Jupoga I, 23.

  Jure II, 252.

  Jurte I, 9.


  Kade (Treibeis) I, 117. 119. 121.

  Kader I, 19. 23. 32. 78.

  Kader Ahun, Dschigit I, 9. 11. 16.

  Kadike I, 249.

  Kagas-kemi I, 118.

  Kähne I, 96. 98.

  Kajir I, 304.

  Kaiser von Rußland I, 2. 4. 199; II, 77. 92. 93. 279. 369.

  Kakir I, 295.

  Kakkmar I, 258.

  Kakte I, 107.

  Kalatschi II, 353.

  Kalla-köll I, 294.

  Källälik I, 102.

  Kallaste I, 174. 184.

  Kalkstein II, 280.

  Kalkutta II, 349. 357.

  Kalmak-jilgasi I, 36. 37.

  Kalmak-kum I, 79.

  Kalmak-ottogo I, 250.

  Kalmücken II, 51.

  Kalpet II, 251. 258. 261. 263. 267. 268. 269. 287. 290. 332; Tod II,
   269. 270;
    Begräbnis II, 271-273.

  Kalpetbucht II, 281.

  Kalta I, 17.

  Kalta-alagan I, 305. 306. 308. 312. 314. 381. 383. 390; II, 112. 113.
   120.

  Kama I, 138.

  Kamba Bombo II, 211. 215. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225.
   227. 228. 233. 234. 237. 238. 254. 274. 275. 276. 277. 290. 308. 331.
   369;
    Besuch bei Hedin II, 224-227. 229-231.

  Kamele, wilde, I, 92. 119. 138. 152. 212. 213. 214-216. 217-219. 220.
   222. 223. 224. 292. 293; II, 10. 11. 17. 20. 21. 22. 23. 25. 27. 30.
   31. 32. 34. 35. 81.

  Kamele, zahme I, 12. 19. 22. 23. 31. 137. 148. 149. 150. 153. 156.
   157. 158. 160. 166. 171. 189. 194. 195. 196. 213. 254. 276. 277. 286.
   287. 300. 316. 317. 318. 319. 323. 324. 327. 329. 331. 334. 335. 340.
   357. 359. 366. 369. 370. 372. 392. 393; II, 3. 15. 18. 28. 29. 31.
   65. 89. 93. 94. 115. 117. 118. 119. 124. 125. 130. 132. 133. 134.
   136. 141. 142. 150;
    Fleisch I, 225;
    Lasten I, 20;
    Mäntel II, 115;
    Ortssinn I, 224;
    die letzten überlebenden II, 130. 350. 364.

  Kamisch (Schilf) I, 53.

  Kamschuk-tüschken-tograk I, 268.

  Kanat-baglagan-köll I, 240.

  Kandschugan I, 17.

  Kaper II, 287.

  Kappgan (Tigerfalle) I, 103.

  Kapurtala II, 360.

  Kara-buran I, 189. 190. 192. 199. 210. 221. 275.

  -- (schwarzer Sturm) I, 262; II, 67-69.

  Kara-daschi I, 95. 96.

  Kara-dawan II, 9. 11.

  Karakesch (Pferdewärter) I, 9.

  Kara-köll I, 138. 248. 249; II, 43. 205.

  Kara-korum-Gebirge II, 350. 368.

  Kara-korum-Paß II, 363.

  Kara-koschun I, 138. 207. 210. 213. 215. 221. 226. 230. 231. 233. 235.
   238. 240. 241. 242. 247. 248. 259. 275. 278. 334. 386; II, 2. 18. 42.
   52. 62. 64. 67. 69. 70. 71. 73. 75. 76. 78. 80. 83. 84.

  Kara-kul I, 10. 306.

  Kara-kum I, 24; II, 12.

  Kara-muran I, 164. 175. 176.

  Kara-schahr I, 260. 392; II, 88. 95. 96. 104. 110. 207. 276. 278. 369;
    Amban I, 137.

  Kara-tograk I, 88.

  Kara-tschokka II, 95.

  Kara-tschumak I, 106.

  Karaul I, 34. 44. 107. 125. 126. 127.

  Karaul-dung I, 48.

  Karaultschi (Dorfwächter) I, 216.

  Kargalik II, 368.

  Kargil II, 353. 362. 363.

  Kar-jaggdi II, 111.

  Kar-jakkak I, 302.

  Kartarpur II, 360.

  Karten von Tibet II, 304. 305.

  Karunalik-köll I, 257. 258.

  Kasch (Uferterrasse) I, 38.

  Kaschgar I, 17-20. 38. 97. 287. 367; II, 56. 92. 95. 169. 287. 308.
   349. 363. 364. 368;
    Missionsstation II, 368.

  Kaschgar-darja I, 87.

  Kaschmir II, 334. 343. 344. 349. 354. 355. 361;
    englischer Resident II, 348;
    Maharadscha II, 343. 348.

  Kasgak II, 12.

  Kasim, Fährmann I, 36. 47.

  Katta-sarik-tasch I, 13.

  Kattik-arik I, 262.

  Kemitschi (Fährleute) I, 25. 38.

  Keng-laika I, 171. 181. 185. 187.

  Keppek-ui I, 261.

  Kerija I, 370; II, 117.

  Kerija-darja I, 159. 214; II, 29.

  Ketmen (Spaten) I, 185.

  Ketschik I, 107.

  Ketteler, von II, 226.

  Kettme I, 174.

  Keu-tse II, 56.

  Kharoshthi-Zeichen II, 54.

  Kigis (Filzmatten) I, 37.

  Kijik-tele-tschöll I, 56.

  Kinder, Verkauf II, 323.

  Kirgisen I, 9. 11.

  Kirgui Pavan I, 193. 213. 249. 260. 262. 263. 264. 267. 270. 273. 274.

  Kisil-art I, 10.

  Kisil-beles I, 12.

  Kisil-kurgan I, 10.

  Kisil-su I, 13. 14. 15. 20. 87. 125;
    Übergang I, 15-17.

  Kitschik-darja I, 39.

  Kodai-darja I, 59. 76.

  Kok-ala I, 193. 246.

  Kökkmek II, 252.

  Kökkön (Bremsen) I, 261.

  Koko-schili I, 323.

  Kok-su I, 14.

  Köll I, 37. 40. 55. 76.

  -- See in Tibet I, 295.

  Kömul (Treibeis) I, 116. 118.

  Kömur-salldi-joll I, 202. 229.

  Kona Abdall II, 85.

  Kona-darja I, 40. 45. 46. 49. 50. 91. 93. 182.

  Kona-schahr I, 178. 185. 205.

  König-Oskar-Gebirge I, 359.

  Kontsche-darja I, 140. 192. 201. 202. 203; II, 49.

  Kopa I, 287.

  Koral-dung I, 105.

  Koral-dungning-köll I, 105.

  Korla I, 20. 31. 124. 126. 130. 132. 188. 202. 206. 229. 270; II, 49.
   77. 88. 91. 92. 99. 276;
    Aksakal I, 126.

  Korle II, 233.

  Korolkoff, Gouverneur I, 13.

  Korumluk-sai II, 105.

  Kosaken I, 2. 19. 23. 32. 40. 96. 124. 130. 132. 135. 137. 139. 140.
   147. 163. 195. 197. 198. 199. 201. 251. 252. 253. 260. 266. 267.
   269. 270. 274. 278. 300. 382; II, 66. 86. 99. 100. 112. 116. 118.
   120. 125. 136. 164. 165. 248. 251. 253. 260. 276. 279. 285. 292. 321.
   325. 328. 334. 337. 347. 348. 369.

  Koschmet-kölli I, 189.

  Kosloff I, 135. 194. 206; II, 23. 97.

  Kötteklik I, 45.

  Kötteklik-ajagi I, 46.

  Köuruk, Strauch I, 386; II, 20.

  Krähen I, 240.

  Krasnowodsk I, 5.

  Krishna II, 287.

  Kuiluschning-baschi I, 75.

  Küjüsch I, 270.

  Kukku-nor II, 323.

  Kulaktscha I, 247.

  Kulane (wilde Esel) I, 298. 305. 308-310. 311. 321. 338. 345. 348.
   352. 362. 364. 369. 373. 383; II, 23. 108. 112. 114. 122. 126. 141.
   151. 153. 168. 171. 172. 240. 244. 250. 252. 267. 304. 311;
    Fleisch I, 309.

  Kuldscha II, 287.

  Kulenke-tokai I, 11.

  Kum-atschal I, 49.

  Kum-bulak I, 390.

  Kum-bum II, 187. 199. 201. 287.

  Kum-darja I, 138. 193. 206; II, 37. 49.

  Kum-därwase I, 20.

  Kum-köll I, 240. 307. 310. 312. 313. 314. 322. 381; II, 1. 93. 95. 97.
   99. 102. 106. 109. 110. 112. 115. 116. 124. 125. 171.

  Kum-tag I, 215.

  Kum-tschappgan I, 238. 239. 241. 242. 287; II, 18. 62. 74. 78. 79. 83.
   86.

  Kum-tschekke I, 247.

  Kumutluk I, 298.

  Kungartschak-bel I, 96.

  Kuntschekkan Bek I, 278. 279; II, 85.

  Kuntschekkisch-Tarim I, 135. 192. 193. 249.

  Kurban I, 132. 146. 154. 155. 160. 161. 168. 172. 179. 186. 200.

  Kurban-dschajiri I, 261.

  Kurbantschik I, 204.

  Kurgan (Festung) I, 15.

  Kuropatkin, General I, 5; II, 369.

  Kurruk-asste I, 59. 60.

  Kurruk-darja I, 206. 210. 211. 216. 219.

  Kurruk-sai II, 105.

  Kurruk-tag I, 138. 193. 203. 210. 212. 214. 216. 221. 224. 226; II,
   27. 31. 35. 45. 49.

  Kurschab-darja I, 10.

  Kurtschin (Ledertasche) II, 120.

  Kuschk I, 6.

  Ku-schu-cha II, 11.

  Kutschar I, 44. 96. 102. 105. 195; II, 92.

  Kutschuk I, 250. 287. 294. 298. 301. 307. 312. 314. 316. 332. 335.
   336. 337. 338. 339. 341. 344. 346. 349. 350. 355. 367. 368. 382. 391;
   II, 2. 63. 67. 71. 73. 82. 103. 114. 120. 146. 245. 266. 268. 271.
   282. 283. 293. 294. 295. 296. 298. 300. 301. 308. 309. 320. 351. 365.
   368.

  Kwen-lun I, 168. 290. 302; II, 105. 321.


  Ladak I, 107. 331. 367; II, 90. 93. 104. 119. 207. 237. 249. 254. 257.
   261. 286. 287. 290. 303. 306. 317. 318. 320. 323. 325. 335. 340. 343.
   344. 354;
    Hauptstadt II, 348, s. a. Leh;
    Mönche II, 347;
    Tempel II, 347, s. a. Hemis.

  Ladakis II, 344.

  Lahore II, 356.

  Lailik I, 19. 26. 28. 30. 119. 125.

  Lailik-darja I, 246.

  Lakkor-tso II, 314. 315. 319.

  Lama II, 142. 347. 366. 367. 368.

  Lamajuru II, 353.

  Lämpa-akin I, 105.

  Lani-la II, 173. 188. 200.

  Lap-tschi-tschen II, 11.

  Lauch, wilder I, 331. 332; II, 148. 241.

  Lau-lan (Lôu-lan) II, 55.

  Legge, ~Dr.~ II, 60.

  Leh II, 93. 322. 330. 334. 344. 346. 347. 348. 349. 351. 353. 359.
   361. 362. 363. 365;
    Mission II, 349.

  Le Mesurier II, 355. 361. 362.

  Lenger I, 24. 176.

  Leschlik I, 88.

  Lhasa I, 134. 367. 392. 393. 395. 396; II, 10. 97. 104. 105. 109. 110.
   134. 142. 152. 153. 162. 165. 168. 183. 186. 187. 188. 192. 202. 203.
   205. 207. 208. 210. 211. 212. 214. 215. 217. 218. 219. 220. 222. 223.
   224. 226. 227. 228. 229. 230. 232. 238. 245. 246. 247. 249. 254. 257.
   261. 268. 273. 274. 275. 276. 277. 279. 284. 285. 287. 301. 302. 303.
   313. 323. 325. 329. 369;
    Bewachung II, 97. 105. 109. 200;
    Geld II, 190;
    Gesandte II, 268. 272-275;
    Heiliger Rat II, 274;
    Kuriere II, 215;
    Pilger I, 395. 396; II, 9;
    Straße nach I, 272; II, 187. 199. 214;
    Wallfahrt I, 393.

  Li (Wegmaß) I, 18. 206.

  Liebigs Fleischextrakt I, 4. 332.

  Li Loje II, 2. 30. 32. 33. 38. 41. 62. 95. 105. 112. 116. 120. 124.
   164. 168. 177. 178. 271. 309. 321. 331. 332. 336. 350. 364.

  Limnaea I, 219; II, 52.

  Littledale I, 34. 172; II, 90. 122. 256. 301. 303. 304. 305. 306. 307.
   309. 312. 313. 314. 320. 321. 322. 326.

  Lop I, 105. 138;
    Eingeborene I, 105;
    Fischfang I, 106. 112;
    Kähne I, 96. 98.

  Lop-kölli I, 189.

  Loplik I, 133;
    s. a. Lop, Eingeborene.

  Lop-nor I, 14. 27. 105. 106. 110. 144. 178. 190. 226. 228. 229. 236.
   247. 373; II, 17. 20. 24. 42. 45. 51. 67. 69. 70;
    alter I, 230; II, 42. 49. 67;
    Namen II, 51;
    Neubildung I, 234. 235; II, 75. 76. 78. 80. 81. 82. 83. 84;
    Veränderungen I, 45. 107. 108. 240. 242; II, 84.

  Lop-nor-Straße I, 206.

  Loppsen II, 340.

  Lopwüste I, 233.

  Lößterrasse I, 380.

  Lottschott II, 366.

  Lôu-lan II, 48. 49. 51-55. 63. 65. 71. 86. 91. 96;
    Geschichte II, 55-61.

  Lôu-lan-hai II, 51.

  Lovo-nur II, 17.

  Luchse I, 41. 238.

  Lucknow II, 356. 357.

  Luktschin I, 224.

  Luma-ring-tso II, 324.

  Lung-thschöng II, 52.

  Lu-tschuensa II, 17.


  Macartney, George I, 20; II, 51. 55. 61. 93. 368.

  Mackworth Young II, 356.

  Madi I, 8. 9.

  Malcolm I, 331. 364; II, 326.

  Malenki I, 196. 254; II, 2. 95. 170. 180. 185. 187. 199. 204. 240.
   242. 368.

  Malgunsträucher I, 376.

  Maltschik I, 196. 254. 301. 304. 316; II,
  2. 95. 146. 368.

  Mandarlik I, 298. 299. 300. 301.

  Manikisten II, 347.

  Mann II, 343.

  Mar II, 190.

  Maral-baschi I, 19. 27. 30. 34. 40. 45. 50. 60. 61.

  Marco Polo I, 221; II, 23.

  Marmi-gombo II, 320.

  Marmi-gotsong II, 320.

  Masar (Heiligengrab) I, 17. 75. 92.

  Masar-alldi I, 55. 62.

  Masar Chodscham I, 78.

  Masar-tag I, 57. 59. 60. 150.

  Mäschallä I, 13.

  Maschka I, 133. 139. 209. 246. 254. 290.

  Mäschrab-dawan I, 16.

  Mattan I, 82.

  Mattschui II, 354.

  Maulesel I, 391; II, 132. 313. 320;
  burjatische Kurmethode I, 366. 367.

  McSwiney, Oberst I, 20; II, 360.

  Medley II, 361.

  Meereshöhen I, 289. 291. 295. 298. 299. 302. 304. 305. 306. 307. 312.
   316. 317. 318. 320. 323. 325. 327. 328. 336. 345. 352. 353. 354. 355.
   356. 358. 361. 365. 366. 367. 368. 371. 377. 392; II, 6. 8. 111. 124.
   132. 138. 141. 142. 145. 148. 149. 159. 166. 251. 253. 289. 307. 309.
   321. 327. 329. 333. 346. 347. 353. 354. 355. 368.

  Meinet I, 40.

  Merdek-köll I, 247. 248.

  Merdek-schahr I, 206.

  Merdektik I, 246.

  Merik II, 188.

  Merik-dschandsen II, 216.

  Merket I, 25. 26. 28. 30;
    Bek I, 27. 28. 30.

  Merw I, 6.

  Mesdschid I, 205.

  Mestschit-sai II, 107.

  Mian I, 239. 243. 301.

  Milben II, 34.

  Min-baschi I, 8.

  Min-joll I, 17.

  Mirsa Muhammed II, 347. 348. 352.

  Miskal I, 18.

  Missionare, schwedische I, 20; II, 368.

  Modschuk I, 258.

  Mollah I, 70. 72. 74. 76. 77. 78. 83.

  -- I, 298. 381; II, 2. 8. 15. 23. 62. 85.

  Mollah Faisullah I, 93. 95.

  Mollah Schah I, 172. 181. 250. 276. 287. 291. 294. 298. 301. 307. 311.
   314. 316. 318. 319. 322. 332. 341. 344. 348. 350. 351. 357. 358. 364.
   367. 373. 374. 377; II, 90. 95. 105. 114. 116. 120. 124. 125. 127.
   145. 146. 168. 248. 271. 307. 316. 321. 350.

  Mollah Toktamet Bek I, 171.

  Mölldschah I, 176.

  Mölle-koigan I, 383.

  Momuni-ottogo I, 124. 125.

  Mongolen I, 380. 393; II, 3. 10. 13. 14. 17. 19. 24. 105. 208. 250.
   347;
    Proviant I, 393;
    Wallfahrt nach Lhasa I, 393. 394; II, 104.

  More I, 71. 72.

  Moskau I, 5.

  Möwen I, 348; II, 264. 283.

  Mücken I, 43. 49. 51. 54. 248. 269. 295. 308; II, 105.

  Mückenplage I, 261. 269. 319.

  Muhammed Ahun I, 50. 54.

  Muhammed Ili-lenger I, 37.

  Muhammed Tokta II, 139. 248. 258. 268. 269. 301. 308. 310. 313. 316;
    Tod II, 316. 317.

  Muhammed Turdu II, 135.

  Mullbeh II, 353.

  Münzen II, 53.

  Murgab I, 10.

  Murmeltiere I, 302. 308. 348. 358. 359. 361. 362. 383. 387; II, 127.
   171. 192. 242.

  Murreepaß 11, 355. 356.

  Musa, Dschigit I, 9. 23. 172. 173. 201. 202. 207. 250. 267. 301. 307.
   314. 378. 381.

  Musa Ahun I, 132.

  Mus-art I, 96.

  Muselmänner I, 131. 223. 267. 358; II, 80. 101. 102. 103. 118. 120.
   121. 165. 191. 248. 271. 272. 273. 287. 311. 316. 329. 350.

  Mus-suji, Frühlingsflut I, 145. 187.

  Musulman-natschuk I, 22.


  Nagara (Trommel) I, 30.

  Nagara-tschalldi I, 15.

  Nagma-tso II, 300.

  Nagtschu II, 222.

  Naib (Sekretär) II, 347.

  Nain Singh II, 287. 303. 304. 305. 324. 326. 330. 334. 337.

  Nakktsäng-tsong II, 276.

  Nakktschu I, 395; II, 173. 200. 203. 207. 211. 212. 214. 217. 218.
   219. 220. 221. 222. 224. 233. 238. 254. 275. 276. 328.

  Nakktsong II, 275. 276. 277. 312. 328.

  Nakktsong-tso II, 270. 276. 277. 280-285. 287. 288. 289. 301. 304.
   305. 330.

  Namaga II, 171.

  Namika-la II, 353.

  Namru II, 238. 276. 277.

  Nangra II, 305.

  Nanso, Lama II, 217. 224.

  Na-po-po II, 56. 61.

  Nas (Schnupftabak) I, 72.

  Naser Bek I, 137. 138. 250. 260. 264. 266. 284.

  Nephrit II, 53. 60.

  Niagsu II, 337.

  Nias I, 301. 303. 314. 316. 344. 351. 358. 364. 368. 375. 382; II,
   129.

  Nias Hadschi I, 19. 23. 31. 44. 96. 124. 129. 131.

  Nias Hakim I, 188.

  Nias-köll I, 246.

  Niemo II, 352.

  Nija I, 151. 174.

  Nimo II, 56. 61.

  Nischan (Wahrzeichen) I, 185.

  Nivellement durch die Wüste II, 33. 62-76.

  Nizam II, 360.

  Noh II, 333. 334.

  Noijin II, 207.

  Nom II, 366.

  Nordenskiöld, Professor Freiherr A. von I, 5; II, 93;
    Tod II, 348.

  Northcote, Lord und Lady II, 360.

  Numet Bek I, 239. 275. 291; II, 85.

  Nura-Fluß I, 14.


  Obo I, 373; II, 137. 204. 246. 256. 347.

  Odschang II, 333.

  Ögen I, 98.

  Ogri-joll (Diebsweg) I, 188.

  Oi-köbruk I, 211.

  Ölweide s. ~Elaeagnus~.

  Oma II, 190.

  Oman-tso II, 321. 322.

  Ombo-sangpo II, 323.

  Om mani padme hum I, 373; II, 136.

  On-baschi I, 27.

  Opium II, 332.

  Ördek I, 133. 139. 143. 146. 155. 161. 166. 171. 172. 201. 202. 217.
   219. 220. 228. 229. 231. 232. 233. 237. 239. 243. 246. 255. 260. 267;
   II, 42. 43. 96. 97. 98. 103. 126. 148. 150. 171. 172. 173. 174. 175.
   176. 177. 178. 245. 256. 257. 258. 259. 266. 271. 288. 301. 332. 336.
   337. 339. 340. 341. 350. 363.

  Orongoantilopen I, 310. 315. 317. 318. 320. 330. 332. 348. 350. 361.
   369. 373; II, 111. 112. 125. 126. 135. 139. 151. 152. 240. 267. 328.

  Örtäng (Posthalterei) I, 144. 230.

  Örtängtschi (Gastwirt) I, 27.

  Osch I, 7. 9; II, 344. 368.

  Oskar, König von Schweden I, 7; II, 92. 349. 369.

  Osman Bai-kuduk I, 175.

  Otter I, 138; Felle I, 138. 249.

  Ouigour II, 56.

  Ova, Steinpyramide I, 226.

  Owras-fai II, 95.


  Pakka-kuduk I, 176.

  Palta, Fährmann I, 38. 40. 44. 66. 70. 90. 115.

  Pamir I, 8. 10. 15.

  Pamirskij Post I, 10.

  ~Pantholops Hodgsoni~ II, 111.

  Pao-tai I, 206; II, 45. 49.

  Pappeln I, 21. 22. 24. 44. 52. 53. 83. 94. 116. 169. 182. 183. 211.
   219. 247. 291; II, 43.

  Parpi Bai I, 44. 124. 126. 132. 143. 144. 146. 149. 151. 154. 163.
   195. 197. 201. 202. 254;
    Tod I, 249.

  Partscha-darja I, 39.

  Pavan (Jäger) I, 50.

  Pavan Aksakal I, 139. 141.

  Pawan-bulak II, 26.

  Peh-lung-Wall II, 59.

  Peking I, 206. 229.

  Peling II, 208.

  Petrowsk I, 5; II, 369.

  Petrowskij, Generalkonsul I, 17. 18. 19. 31. 198. 200. 271. 381; II,
   77. 91. 92. 98. 99. 102. 350. 368. 369.

  Pettelik-darja I, 314.

  Pferde I, 9. 340. 393; II, 17. 18. 93. 94. 119. 132. 133. 134. 249.
   308. 309. 319. 320. 322. 324. 329. 331;
    Kur I, 322.

  Photographische Ausrüstung I, 3. 28. 29.

  Piaslik I, 374; II, 111. 112.

  Pjewzoff I, 34. 127. 174.

  Pik Kauffmann I, 13.

  Po II, 56.

  Pocken I, 128. 139; II, 268.

  Poesie in Innerasien I, 278-285.

  Porphyr I, 317; II, 306.

  Potai (Wegmaß) I, 72.

  Potala II, 226.

  Prinz Heinrich von Orléans I, 34. 144; II, 122. 193.

  Prschewalskij I, 34. 131. 215. 241; II, 84.

  Pschui, Häuptling I, 378.

  Pul I, 18.

  Punditen II, 183. 287.

  Pung I, 18.

  Pu-schang-hai II, 57.

  Pustun (Schafpelz) I, 37.

  Puth-schang-hai II, 51.


  Raben I, 51. 120. 364. 382; II, 168. 244. 247.

  Raga-sangpo II, 329.

  Ramlung II, 313.

  Raskolniken I, 183. 184. 268.

  Raubtierfalle I, 79.

  Rawal-pindi II, 355. 356. 360. 361.

  Rawur-sangpo II, 327.

  Rebhühner I, 10. 207. 302; II, 16. 107. 110. 126. 142. 152. 153. 159.
   160. 244. 304.

  Rehe I, 51. 71. 238. 259.

  Reispudding I, 149.

  Ribbach II, 349. 350. 351. 364.

  Richthofen, Freiherr von, Professor I, 226; II, 84.

  Rijnhard II, 223.

  Roborowskij I, 157. 174. 180. 181. 186.

  Rockhill I, 320; II, 192.

  Rosen, wilde II, 106.

  Rosi Mollah II, 120. 135. 146. 270. 271. 272. 309. 350.

  Rostow I, 5.

  Roter Fluß s. Kisil-su.

  Rubine I, 75.

  Rudok II, 322. 324. 325. 326;
    Gouverneur II, 324. 325. 326. 328.

  Ruinen I, 178. 228-229. 230-232; II, 4. 37-50.


  Sacharoff II, 369.

  Sachir II, 202.

  Sadak-köll I, 246.

  Sagen, Zollvorsteher I, 14.

  Sagget-sang II, 321.

  Säghisghan I, 164.

  Sahib II, 229.

  Sai I, 202. 203. 204. 289. 295.

  Sai-tag I, 68. 70.

  Sai-tschekke I, 206.

  Saizeff, Oberst I, 8. 145. 381; II, 89. 102. 368. 369.

  Saksaul II, 20. 21.

  Saldam (Anstand für Jäger) I, 109.

  Saluen II, 222.

  Salz I, 333. 334; II, 184. 238. 260. 314. 315. 319.

  Salzsee (Lop-nor) II, 69.

  Samarkand I, 6.

  Sampa-nesrak II, 353.

  Sampo Singi II, 187. 188. 189. 190. 191. 192. 237.

  Sando II, 15.

  Sandschu-Paß II, 368.

  Sandstein I, 366; II, 111. 139. 171. 172. 184. 241. 243. 257. 258.

  Sapp (Gerte) I, 61.

  Sär I, 18. 132.

  Sarik-buja I, 103.

  Sarik-buran (gelber Sturm) I, 41. 63.

  Säri-kari II, 234.

  Sarikol II, 56.

  Sarik-tasch I, 13.

  Särtäng II, 15.

  Särtäng-Mongolen II, 15. 16.

  Sarten I, 7. 8.

  Saspul II, 352.

  Sate-köll I, 242. 288.

  Sa-tscheo I, 137. 144. 206. 229. 230. 242. 286; II, 11. 15. 16. 17.
   23. 80.

  Satschkak I, 61.

  Satschu-sangpo II, 193. 194. 195. 196. 197. 225. 236. 237. 256-259.
   341;
    Übergang II, 193-195;
    Wassermasse II, 195.

  Sattma (Hirtenhütte) I., 61.

  Sattowaldi-köll I, 268.

  Schafe I, 176. 303. 304. 305. 311. 319. 330. 493; II, 111. 115. 118.
   121. 132. 187. 329. 335;
    Fett II, 158;
    Lasten II, 184. 260. 335;
    Tötung II, 190;
    wilde II, 252.

  Schagdur I, 198. 199. 257. 260. 262. 264. 266. 267. 271. 272. 274.
   287. 288. 290. 291. 293. 294. 297. 300. 301. 379. 382. 394. 395. 396;
   II, 10. 14. 15. 16. 17. 19. 29. 30. 31. 32. 37. 42. 44. 62. 64. 65.
   68. 69. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 82. 88. 89. 95. 96. 97. 98. 104. 105.
   108. 109. 110. 111-113. 120. 121. 126. 129. 137. 139. 140. 142. 145.
   148. 150. 153. 155. 161. 164. 169. 171. 173. 174. 175. 176. 179. 182.
   184. 185. 186. 188. 189. 190. 195. 197. 202. 203. 206. 207. 208. 210.
   219. 225. 228. 231. 233. 237. 240. 243. 244. 246. 247. 248. 251. 252.
   253. 255. 256. 263. 264. 265. 269. 278. 305. 310. 313. 318. 328. 330.
   332. 333. 338. 342. 351. 352. 357. 359. 361. 362. 363. 364. 369.

  Schaggué-tschu II, 320.

  Schah Dschahan II, 356.

  Schah-gandschum II, 311. 312.

  Schah-jar I, 34. 72. 79. 96. 101;
    Bek I, 97.

  Schah-jar-darja I, 96.

  Schahr-i-Kettek-kum I, 136.

  Scha-kurun I, 46.

  Schalung II, 303.

  Schalwa I, 13.

  Schang-ja I, 115.

  Schannig-nagbo II, 260. 262.

  Schan-schan II, 52.

  Schäschkak I, 41.

  Scha-tschôu II, 47. 49, s. Sa-tscheo.

  Scheitlar I, 193. 248.

  Scheitlik I, 43.

  Schejoktal II, 368.

  Schereb, Lama II, 96. 97. 104. 105. 108. 109. 110. 112. 113. 116. 118.
   120. 121. 132. 134. 136. 137. 138. 148. 149. 152. 153. 154. 155. 159.
   160. 162. 163. 165. 167. 170. 171. 172. 173. 174. 179. 180. 182. 183.
   184. 186. 187. 188. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 200. 201. 202.
   203. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 215. 216. 217. 220. 221. 222.
   226. 227. 228. 231. 232. 241. 242. 243. 244. 246. 251. 253. 254. 255.
   256. 257. 260. 263. 265. 273. 275. 276. 277. 278. 301. 306. 309. 310.
   323. 327. 332. 338. 345. 352. 365. 369.

  Schiefer I, 291. 292. 317. 320. 324. 325. 354. 366. 373; II, 105. 306.
   337. 341.

  Schigatse II, 201.

  Schilf I, 53.

  Schinalga I, 195. 196.

  Schirge-tschappgan I, 234. 241. 243. 245. 246. 257. 272; II, 83.

  Schneckenschalen I, 219. 220. 221. 227. 231. 238; II, 42. 67.

  Scho II. 190.

  Scholung II, 313.

  Scho-ovo II, 16.

  Schor I, 66. 151.

  Schor-Boden II, 68. 75.

  Schor-köll I, 61. 182.

  Schueiking-tschu II, 52.

  Schwäne I, 65. 140. 166. 235. 238. 240. 241; II, 85.

  Schwed-peling II, 207. 208.

  Schweinfurth I, 134.

  Secundrabad II, 360.

  Seeboden, alter I, 151. 152. 219; II. 35.

  Seenregion in Tibet II, 301. 305. 340.

  Seeschwalben I, 259.

  Seit-köll I, 128. 129. 143. 154.

  Selling-tso II, 253. 254. 255. 256. 258. 259. 262-264. 266. 267. 269.
   273. 288. 301. 341.

  Semillaku-köll I, 273. 275.

  Semis-chatun I, 15.

  Sendschkak I, 138.

  Senkor-Stamm II, 321.

  Serdse II, 343. 345.

  Setscha II, 309.

  Shakkanjorm II, 312.

  Shawe, ~Dr.~ II, 349. 351. 361. 363. 364.

  Shen-shen II, 56. 59. 60.

  Sialkut II, 348.

  Si-an-fu II. 56.

  Si-gu II, 56.

  Sim I, 249.

  Singer I, 194. 216. 217. 226.

  Si-ning II, 11.

  Sir-darja I, 14.

  Siriap II, 341.

  Sirkin I, 19. 25. 26. 29. 31. 44. 131. 133. 140. 146. 194. 195. 198.
   200. 251. 253. 255. 259. 262. 264. 267. 269. 270. 271. 273. 277; II,
   77. 88. 95. 96. 98. 104. 105. 111. 113. 114. 115. 120. 123. 125. 126.
   127. 128. 129. 136. 140. 142. 148. 150. 152. 155. 162. 164. 167. 168.
   169. 170. 220. 263. 269. 277. 318. 322. 332. 337. 342. 350. 351. 363.

  Siwa I, 118.

  Skorpione I, 38; II, 44. 94.

  Sodschi-la II, 353. 354. 361. 362.

  Solang Undü II, 231. 237. 238.

  Somme-sangpo II, 314.

  Sonamarg II, 362.

  Sor I, 14.

  Söre (Hirtenhütten) I, 52.

  Sorun I, 63.

  Sorun-köll I, 65.

  Sourgak I, 287.

  Splingaert I, 292.

  Srinagar II, 349. 352. 355. 361.

  Städte, alte I, 136. 172. 177; II, 40; s. a. Andere-terem, Jing-pen,
   Lôu-lan.

  Stationsgebäude, russische I. 10.

  Stein, ~Dr.~ I, 178; II, 52. 54. 361.

  Steinböcke II, 110.

  Steinkisten II, 345. 347. 365, s. a. Mani.

  Steinpyramiden I, 289; II, 20. 35. 333. 342, s. a. Obo.

  Steinsalz I, 62.

  Steppenmurmeltiere I, 14.

  Straße, alte I, 144. 226; II, 10. 20. 24.

  Straße, strategische I, 10.

  St. Yves I, 20.

  Sufi-kurgan I, 12.

  Sugett-bulak I, 203.

  Sugett-dawan II, 368.

  Suji-sarik-köll I, 248.

  Suk-suk II, 20.

  Su-leh II, 56.

  Sume II, 366.

  Sum-tun-buluk II, 3.

  Su-ößgen I, 182.

  Supa-alik I, 374.

  Süssük-köll I, 261.

  Sutschi (Wassermänner) I, 32.

  Svinhufvud, Oberst I, 5.


  Tabakpfeife I, 179.

  Tabbtsang II, 367.

  Tadschinurmongole II, 323.

  Tadsch Mahal II, 356.

  Tagar I, 226. 227.

  Taggar II, 347. 368.

  Tag-kum I, 190. 191.

  Taigun I, 133. 139.

  Tailak-tuttgan I, 175.

  Tajek-köll I, 248.

  Takla-makan I, 60. 141. 156. 164. 216. 221. 306. 327; II, 28. 29. 95.
   133. 196.

  Talldik-Bach I, 13.

  Talldik-Paß I, 13. 14.

  Talkan (geröstetes Mehl) I, 147; II, 3. 89.

  Tamarisken I, 24. 83. 109. 121. 160. 161. 162. 169. 175. 211. 258.
   291. 292; II, 19. 20. 23. 30. 60. 70. 106;
    Holz II, 52.

  Tamascha (Vorstellung) I, 82.

  Tana-bagladi I, 143. 146. 148. 151. 170. 191.

  Tang-la-Kette I, 355; II, 222.

  Tang-le II, 263.

  Tanguten II, 166. 181. 187. 201. 323;
    Kauf und Verkauf von Kindern II, 323.

  Tanksi II, 346.

  Tänzerinnen I, 30.

  Tarbagatai II, 104.

  Tarim I, 19. 31. 34. 36. 47. 48. 52. 53. 83. 98. 107. 110. 126. 141.
   145. 148. 152. 171. 188. 191. 192. 197. 239. 241. 242. 246. 249. 266.
   269. 275. 278. 288; II, 29. 43. 45. 49. 56. 85. 86;
    Dörfer I, 128;
    Fähre I, 84;
    Flußteile I, 37. 39. 45;
    Laufänderungen I, 37. 93. 94. 107. 207;
    Namen I, 98. 105. 108. 269;
    Treibeis I, 117;
    Ufer I, 38. 88. 91. 92;
    Uferseen I, 105. 128. 259;
    Wasserfall I, 45;
    Wasserstand I, 124;
    Zufrieren I, 41.

  Tärim I, 108.

  Tarimbecken I, 180.

  Taschi-lumpo II, 199. 201. 203. 205. 254.

  Taschkent I, 6; II, 369.

  Täsildar II, 347. 348. 352.

  Tatran I, 150. 152. 163. 170. 171.

  Tattlik-bulak I, 290. 292. 293; II, 93.

  Ta-wan II, 57.

  Telepathie I, 377. 379.

  Tellpel I, 93.

  Temirlik I, 295. 298. 361. 363. 370. 374. 378. 379. 380. 382. 383.
   389. 393. 394; II, 1. 2. 3. 5. 10. 88. 97. 98. 208;
    Amban I, 378.

  Temperaturen I, 12. 24. 33. 41. 72. 81. 88. 97. 98. 99. 110. 118. 140.
   152. 157. 159. 166. 167. 168. 171. 174. 175. 179. 181. 185. 186. 187.
   189. 193. 199. 203. 207. 210. 211. 226. 233. 245. 246. 262. 269. 273.
   274. 291. 292. 293. 294. 303. 308. 310. 317. 328. 329. 335. 345. 354.
   357. 360. 370. 372. 374. 386. 387. 389. 390. 391. 392. 394; II, 1. 5.
   14. 16. 23. 25. 34. 35. 91. 107. 135. 136. 152. 181. 201. 235. 236.
   242. 250. 251. 252. 280. 295. 305. 306. 307. 309. 314. 321. 324. 328.
   329. 330. 333. 335. 336. 337. 338. 311. 342. 344. 345. 354.

  Tenge I, 18. 132.

  Tengri-nor II, 90. 151. 160. 173.

  Teppe-teschdi I, 103.

  Terek (Pappel) I, 10.

  Terek-dawan I, 12.

  Terektal I, 12.

  Terem I, 23.

  Teres I, 96.

  Teresken I, 303. 308; II, 11. 19.

  Tibet I, 144. 172. 198. 320. 322. 395; II, 93. 94. 95. 318. 319. 331.
   332. 343. 344. 354,
    Bevölkerungsdichte I, 361; II, 303. 304;
    Bewachung der Nordgrenze I, 395;
    Erschließung II, 286;
    Flüsse II, 195. 196;
    Geld II, 230. 313;
    Grenzen II, 160. 237. 238. 252. 312.
    Klima I, 294. 295. 302. 358. 383; II, 107. 120. 185. 199. 200. 315;
    Seen I, 310. 356;
    Schwierigkeiten der Reise II. 94. 95.

  Tibeter II, 154. 155. 167. 168. 173. 176. 179. 181. 182. 183. 204.
   206. 210. 211. 215. 216..217. 218. 220. 221. 228. 233. 235. 236. 239.
   240. 249. 252. 256. 257. 258. 259. 260. 262. 263. 265. 266. 267. 269.
   270. 271. 279. 280. 282. 283. 285. 286. 288. 289. 290. 292. 293. 300.
   305. 307. 308. 310. 311. 313. 314. 317. 320. 321. 323. 327. 328. 329.
   332. 333. 338. 344;
    Abschließungspolitik II, 277. 286. 287;
    Äußeres II, 199. 215. 232;
    Begräbnis II, 272. 301;
    Dolmetscher II, 219. 220. 221. 222. 224. 228. 229;
    Dörfer II, 205;
    Frauen II, 191;
    Gehorsam gegen Obrigkeit II, 311;
    Gesandte II, 292. 293;
    Gouverneure II, 200. 211. 224. 278. 297;
    Gruß II, 237. 301;
    Häuptling II, 207. 257. 260;
    Hirten II, 186. 187; Hunde II, 232;
    Jäger II, 163. 164. 171. 207. 208. 247. 277;
    Kleidung II, 191. 203. 232. 233;
    Lager II, 233-236. 251. 252;
    Lamas II, 210. 211. 233;
    Mädchen II, 255;
    Nahrung II, 190. 235. 236. 266. 267;
    Nomaden II, 163. 186. 187. 188. 189. 198. 204. 205. 213. 218. 253.
     254. 255;
    Pferde II, 232. 233;
    Postkuriere II, 215;
    Räuber II, 238. 240. 241. 328;
    Schafhürden II, 309;
    Soldaten II, 212. 213. 214. 218. 219. 223. 224. 226. 228. 229. 230.
     231. 233. 235. 236. 255. 260. 263. 264. 265. 273. 285. 287. 289.
     290. 291. 301;
    Tauschhandel II, 335;
    Tauschmittel II, 237;
    Teekarawane II, 198. 200. 201;
    Tempel II, 279. 333;
    Tötung eines Schafes II, 190;
    Verhältnis zu China II, 226;
    Bestrafung von Verrätern II, 202. 218;
    Wachsamkeit II, 165;
    Waffen II, 278.

  Tien Shan II, 56.

  Tiger I, 41. 63. 76. 86. 103. 104. 106. 110. 184. 196. 220. 373;
    Jagd I, 103-104.

  Tikkenlik I, 137, 193. 250; II, 98.

  Tikkse II, 347. 348.

  Tikkse-gompa II, 347.

  Többwe I, 204.

  Togdasin I, 374. 377. 381. 382. 383. 384. 388. 389. 391. 394; II, 1.
   3.

  Togdasin Bek I, 188. 192; II, 104. 105.

  Togluk I, 44.

  Tograk (Pappel) I, 24. 211.

  Tograk-bulak I, 204.

  Tograk-kuduk II, 23.

  Tograk-mähälläh I, 106.

  Togri-sai I, 370. 372. 374; II, 112.

  Tojagun I, 240.

  Tokkus-attam I, 275.

  Tokkus-dawan I, 168.

  Tokkus-kum I, 115.

  Tokkus-tarim I, 244.

  Tokta Ahun I, 239. 243. 275. 287. 288. 290. 294. 298. 301. 305. 306.
   307. 309. 311. 314. 378. 381. 382. 385. 386. 387. 392; II, 2. 4. 5.
   6. 7. 8. 9. 18. 67. 69. 71. 72. 73. 76. 78. 79. 80. 83. 338.

  Toktamet Bek I, 185.

  Toktekk I, 175.

  Tonga II, 355; Fahrt in II, 355. 356.

  Tong-burun I, 13. 14.

  Tongo, Vulkan II, 306.

  Tonkuslik I, 37.

  Tonschluchten II, 5-8. 9-10.

  Tor (Raubtierfalle) I, 79.

  Tora I, 202. 205. 206. 229; II, 38. 42. 52.

  Torpag-bel I, 15.

  Tosak (Tigerfalle) I, 103. 104.

  Tosgak-tschantschdi I, 247.

  Transalai I, 13. 14.

  Treibeis I, 117. 118. 119. 121. 123. 127.

  Treibholz I, 95.

  Troizkosawsk I, 199.

  Tsagan Chan I, 395.

  Tsagan-ula II, 19.

  Tsamba I, 393; II, 190. 236.

  Tsamur II, 238.

  Tsangar-schar II, 330. 333.

  Tschahrbag I, 27.

  Tschakkande, Strauch II, 20.

  Tschaltschik I, 176.

  Tschang-la II, 346. 365.

  Tschanto II, 207. 287.

  Tschappgan I, 242.

  Tscharchlik I, 132. 137. 260. 270. 287. 364. 394; II, 1. 4. 18. 77.
   78. 86. 87. 98. 99. 109. 115. 117. 168. 169. 248. 308. 330. 349;
    Amban I, 250. 284; II, 1. 90.

  Tscharchlik-su II, 93. 105. 106. 108. 110. 322.

  Tschardschui I, 6.

  Tschargut-tso II, 289. 292. 293. 296. 298. 301. 302. 304. 305.

  Tscharwak I, 62.

  Tscheggelik-ui I, 245. 272. 273. 275; II, 96.

  Tsche-mo-to-na II, 61.

  Tscherdon I, 249. 250. 299. 300. 301. 303. 305. 306. 308. 309. 311.
   314. 316. 317. 318. 319. 320. 322. 325. 328. 333. 338. 340. 341. 344.
   345. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 358. 361. 366. 367. 369.
   373. 377. 382. 384. 389. 392;  II, 1. 18. 88. 93. 95. 96. 113. 120.
   121. 125. 138. 140. 142. 154. 156. 158. 160. 165. 171. 177. 178. 208.
   246. 247. 248. 263. 264. 266. 282. 301. 313. 328. 336. 346. 351. 369.

  Tschernajewa I, 6; II, 369.

  Tschernoff I, 19. 31. 129. 143. 195. 198. 201. 202. 203. 205. 212.
   213. 216. 217. 218. 219. 222. 227. 228. 229. 230. 235. 237. 239. 240.
   243. 247. 249. 254. 271. 276. 277;  II, 76. 77. 78. 82. 83. 88. 93.
   95. 99. 113. 114. 120. 121. 123. 125. 126. 138. 140. 145. 146. 147.
   162. 163. 165. 220. 245. 247. 250. 251. 258. 261. 263. 266. 276. 277.
   302. 306. 309. 310. 330. 332. 333. 336. 337. 338. 340. 341. 342. 344.
   345. 346. 351.

  Tschertschen I, 146. 147. 150. 151. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176.
   179. 370; II, 110.

  Tschertschen-darja I, 150. 156. 157. 158. 164. 169. 170. 171. 182.
   184. 185. 186. 187. 188. 189.

  Tschertschenwüste I, 138. 170. 233; II, 330.

  Tschidschegan (totes Schilf) I, 219.

  Tschigertschig I, 9.

  Tschiggan-tschöll I, 72.

  Tschigge (Binse) I, 161. 193.

  Tschiggelik I, 299.

  Tschimen I, 97. 182. 183; II, 109. 116.

  Tschimengebirge I, 368.

  Tschimen-tag I, 275. 286. 299. 300. 303. 304. 374. 382. 383. 390; II,
   8.

  Tschimental I, 299. 309. 374. 383. 391; II, 4. 111.

  Tschitschek 1, 128.

  Tschiwiklik-köll I, 138. 193. 249. 250. 269; II, 43.

  Tschokka-tag I, 62. 63. 66.

  Tschokk-dschalung II, 325.

  Tschöll-köll I, 65; II, 2.

  Tschong-ak-kum I, 108.

  Tschong-aral I, 96.

  Tschong-darja I, 108.

  Tschong-köll I, 246.

  Tschong-kum I, 136.

  Tschong-schipang I, 182.

  Tschong-tarim I, 188.

  Tschong-tograk I, 115.

  Tschorá II, 190.

  Tschorten II, 353. 365.

  Tschugulup (Flußarm) I, 72.

  Tschugun (Kupferkanne) I, 185.

  Tschurden II, 366.

  Tschuring II, 307. 310. 311.

  Tschutschepp II, 366.

  Tsebu II, 327.

  Tsen Daloi I, 20.

  Tsering Daschi II, 306. 310.

  Tsien-Han-shu II, 55. 56. 57. 60.

  Tsin-Dynastie II, 48.

  Tso-Daloi I, 20.

  Tsokkang II, 366.

  Tsolla-ring-tso II, 324.

  Tso-nekk II, 205. 206. 231.

  Tso-ngombo II, 333. 334. 336. 339. 341. 342.

  Tsos, tibetische Münze II, 263. 313.

  Tsung-ling II, 56.

  Tuff I, 330, 360.

  Tuga-ölldi I, 272.

  Tugatschi-baschi II, 116.

  Tugh I, 364.

  Tulume (Ziegenlederschläuche) I, 147.

  Tumschuk I, 39. 60.

  Tung-chuan II, 16.

  Tun-huang II, 56. 60.

  Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 141. 143. 144. 146. 173. 195. 197. 199.
   240. 249. 250. 255. 260. 382.

  Turdu Bai I, 19. 23. 132. 146. 155. 158. 160. 161. 163. 166. 168. 172.
   196. 252. 254. 276. 287. 291. 294. 297. 301. 307. 314. 318. 319. 322.
   324. 326. 328. 340. 344. 347. 348. 350. 351. 352. 355. 363. 368. 372.
   382. 384. 392; II, 1. 5. 89. 91. 93. 95. 103. 113. 114. 116. 117.
   120. 121. 123. 125. 129. 133. 134. 136. 139. 141. 146. 148. 151. 152.
   153. 156. 163. 164. 167. 171. 178. 244. 247. 251. 252. 271. 276. 287.
   290. 306. 314. 321. 322. 331. 337. 342. 359. 368. 369.

  Turduning-söresi I, 193.

  Turfan I, 138. 206. 216. 249; II, 30. 52. 53. 65.

  Tursan-köbruk I, 138. 249.

  Turguten I, 395.

  Turkestan I, 6.

  Tus-algutsch-köll I, 128.

  Tusluk-kusch I, 55.

  Tusluk-tag I, 62. 63. 66. 68.

  Tusun-tschappgan I, 138. 239. 240.

  Tutek (Bergkrankheit) I, 13. 388; II, 135.

  Tuwaduku-köll I, 261.


  Ufer, konkaves I, 38. 44;
    konvexes I, 38.

  Uferlinien II, 270. 288. 304. 314. 316. 324. 336. 340. 346.

  Ugen I, 98.

  Ugen-darja I, 122. 126.

  Ujäsdnij natschalnik (Distriktschef) I, 8.

  Ullug-köll I, 258.

  Ullug-tschat I, 15.

  Unkurluk II, 110.

  Urancha II, 109.

  Urga II, 96. 287.

  Urumtschi I, 106. 126. 144. 199. 285; II, 287.

  Urus-sallgan-sal I, 135.

  Uspenskij I, 199.

  Usun-jar I, 298.

  Usun-schor I, 294. 394.


  Vizekönig von Indien II, 357,
    s. Curzon, Lord.


  Wacholder I, 13. 14.

  Waller II, 361.

  Wang-Mang II, 48. 53.

  Wanka II, 115. 118. 329.

  Wasch-schahri I, 138. 186.

  Wasser, Messung der Durchsichtigkeit I, 56.

  Wassermessungen I, 10. 15. 30. 31. 40. 41. 43. 44. 46. 52. 55. 56. 58.
   60. 63. 64. 65. 71. 73. 74. 80. 82. 94. 96. 111. 116. 118. 126. 127.
   241. 242. 244. 245. 247. 250. 257. 258. 269. 272. 278. 314. 317. 325.
   330. 340; II, 83. 86. 106. 152. 195. 256. 266.

  Weber, Missionar II, 348.

  „Weißer Zar“ I, 395.

  Wellby I, 320. 331. 364; II, 326.

  Wesir Wesarat II, 343. 348. 354. 362.

  Westpassat II, 136. 137. 138.

  Wildenten I, 42. 120. 308; II, 264. 267. 335.

  Wildgänse I, 44. 84. 95. 101. 120. 196. 207. 313. 348. 373; II, 153.
   268. 304. 327.

  Wildschweine I, 37. 41. 51. 72. 197. 238. 259; II, 75.

  Wind, in Tibet II, 136. 140. 141. 149. 311. 312. 315. 318.

  Wladikawkas I, 5.

  Wölfe I, 41. 161. 175. 184. 185. 303. 304. 311. 312. 327. 331. 332.
   348. 352. 358. 373; II, 22. 110. 141. 150. 154. 156. 168. 171. 234.
   247. 311. 327. 330. 345.

  Woronesch I, 5.

  Wrewskij, Generalgouverneur I, 13.

  Wu-ni II, 56.

  Wüstenseen I, 129.

  Wu-sun II, 57.

  Wu-ti, Kaiser II, 48. 57. 58. 59.

  Wu-tschu, Münzen II, 48. 53.

  Wylie II, 55. 60.


  Yake I, 300. 310. 311. 318. 321. 332. 341. 344. 348. 352. 353. 354.
   356. 361. 364. 370. 373. 383. 392; II, 110. 122. 126. 141. 142. 148.
   151. 152. 157. 159. 171. 172. 178. 179. 187. 200. 203. 204. 220. 241.
   252;
    zahme II, 4. 154. 200. 201. 255. 309. 313. 323. 329. 336. 338. 340.
     342. 343;
    Lasten II, 309.

  Yakgras II, 152. 159.

  Yakmoos II, 141. 152.

  Yamen II, 43.

  Yang-kuan II, 56. 57.

  Yao-tsö II, 51.

  Yarkand II, 56.

  Yen-tsö II, 51.

  Younghusband II, 359.

  Yüan-Ti, Kaiser II, 48. 85.

  Yü-Tor II, 57.


  Zaidam I, 299. 331. 378. 393; II, 8. 14. 97. 105. 116. 202. 222.

  Zeichnungen auf Felsen I, 373.

  Ziegeltee II, 198.

  Zwiebelkette II, 56.


  Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

[Illustration: MITTELTIBET.]

[Illustration: ÜBERSICHTSKARTE DER REISE SVEN v. HEDINS, 1899-1902.]



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