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Title: Die heimtückischen Champignons: und andere Geschichten
Author: Meyrink, Gustav
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die heimtückischen Champignons: und andere Geschichten" ***
CHAMPIGNONS ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1925 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################



                            [Illustration]

                              ~DAS NEUE
                           ULLSTEIN-BUCH~



                                  Die
                             heimtückischen
                              Champignons

                                  und

                           andere Geschichten

                                  von

                             Gustav Meyrink

                                   *

                             [Illustration]

                        Verlag Ullstein / Berlin



Inhalt


  Die heimtückischen Champignons                 7

  Der Opal                                      25

  Das Wildschwein Veronika                      33

  Izzi Pizzi                                    45

  ~Bal macabre~                                 55

  Der Buddha ist meine Zuflucht                 65

  Das Wachsfigurenkabinett                      72

  Bologneser Tränen                             89

  Der Albino                                    98

  Chimäre                                      120

  Die Geschichte vom Löwen Alois               126

  Der violette Tod                             136

  Die Königin unter den Bregen                 147

  Bocksäure                                    153

  Der Schrecken                                162

  Der Fluch der Kröte                          168

  Eine Suggestion                              173

  Der Mann auf der Flasche                     184

  Das Präparat                                 198

  Das ganze Sein ist flammend Leid             207

  Tut sich — macht sich — Prinzeß              215

  Das Fieber                                   222

  Die Pflanzen des Dr. Cinderella              231

  Tschitrakarna, das vornehme Kamel            245



Die heimtückischen Champignons


„Das Geld liegt auf der Straße, man braucht sich nur danach bücken, um
es aufzuheben“, ist ein alter Satz, den ich des öfteren von smarten
Geschäftsleuten äußern hörte, ohne daß es mir jedoch bis heute gelungen
wäre, seine Stichhaltigkeit einwandfrei zu erproben. Um so mehr bin ich
deshalb geneigt, die pessimistische Weltanschauung jener zu teilen, die
auf den — allerdings apokryphen — Nachsatz schwören: „Wer sich bückt,
um es aufzuheben, dem fällt die Brieftasche aus der Jacke.“

Als fanatischen Verfechter dieses hämischen Glaubensbekenntnisses
lernte ich vor Jahren in Prag einen Agenten namens Dowidl Taubeles
kennen; wenn ich nicht irre, war er nebenbei mosaischer Konfession,
wenigstens konnte er mir — insbesondere solange ich mit ihm noch keine
Geschäfte gemacht hatte — nicht oft genug im Sprudelton felsenfester
Überzeugung versichern:

„Ihnen gesagt, junger Mann, die Brieftasch’ fällt einem ’raus!“

Wahrscheinlich, um Widersprüche meinerseits im Keim zu ersticken,
faßte er mich dabei jedesmal beim zweiten Rockknopf und versuchte, ihn
abzudrehen, was jedoch mißlang, da ich den Knopf in weiser Voraussicht
solcher Fälle vom Schneider mit Blumendraht hatte annähen lassen.

Begab es sich, daß Dowidl Taubeles Kenntnis erhielt, ich stünde im
Begriff, mit andern Agenten in Verkehr zu treten, pflegte er mir seine
Warnung sogar dreimal hintereinander, ohne Atem zwischen den Worten zu
schöpfen, zu erteilen.

Ohne Zweifel kannte er die magische Kraft, die derartigen seelischen
Einhämmerungen innewohnt.

Geraume Zeit hindurch war es mir gelungen, den Wackeren nicht mehr
zu Gesicht zu bekommen, da ereignete es sich, daß er mich in einer
einsamen schmalen Gasse, aus der ein Entrinnen unmöglich war, stellte.

Besorgt griff er nach meinem Knopf: Gott sei Dank, ich hatte zum Glück
den Blumendrahtrock an.

Aber das Schicksal wollte es anders; diesmal überlistete mich Taubeles.

Ohne den Knopf Nummer zwei auch nur eines Blickes zu würdigen, faßte
er den dritten, hatte ihn im Nu abgedreht, hielt mir ihn triumphierend
vors Gesicht und sprudelte:

„Ihnen gesagt, junger Mann, Sie wissen doch ...“

„Ja, ja, ich weiß“, stammelte ich niedergeschlagen.

„Nein, Sie wissen nicht!“ fuhr er auf mich los; „nix wissen Sie! — —
Das Geld liegt auf der Straße, mer braucht sich nur dernach zu bücken
und — und mer hat ihn schon!“ Ich bezog seine letzten Worte auf das
Geld; erst viel, viel später wurde mir klar, er könne vielleicht den
Knopf oder gar mich selbst damit gemeint haben.

Ich sah meinen Besieger forschend an: seltsam, wie treuherzig er heute
aus runden Kinderaugen in den brühwarmen Sonnendampf hineinblickte! —
Was für eine merkwürdige Wandlung war in ihm vorgegangen?

„Ich heiß nämlich von jetz an Kunz Peter Taubinger“, vertraute er mir
lächelnd an, als habe er meine Gedanken gelesen.

„Doch nicht etwa meinetwegen?“ fragte ich bestürzt.

„Wie mer’s nimmt“, gab er kopfwiegend zu, und wieder rundeten sich
seine Augen. Ich spürte förmlich, wie seine Seele sich — allerdings
vergebens — abmühte, ihnen die dazugehörige arisch-himmlische Bläue zu
verleihen. — „Wie mer’s nimmt. — Ich hab’ mer nämlich vorgenommen, von
heite ab nur mehr mit die bessern Kreise zu verkehren. — Iebrigens: ich
mach jetz in Schampiohns.“

„Worein?“ forschte ich.

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, schleifte er mich in das nächste
Kaffeehaus und machte mir mit einer Eindringlichkeit, die mir außer
den übrigen Rockknöpfen zwei Stunden Zeit kostete, den keine Widerrede
duldenden Vorschlag, mich mit ihm behufs Gründung einer Champignonzucht
zu assoziieren.

Die Vorteile leuchteten mir ohne weiteres ein — wurden doch, wie in
einer Broschüre stand, die er mir wies, jährlich in Paris über fünf
Millionen an Champignons verdient.

Auch die plötzliche Sinnesänderung Taubingers, was die Deutung des
Satzes vom Geldverdienen betraf, schien mir nicht weiter wunderbar;
wußte ich doch vom Gymnasium her, daß weiland der griechische Seher
Teiresias sich über Nacht aus einem Weibe in einen Mann verwandelt
hatte. Warum sollte sich da ein Agent nicht aus einem Pessimisten in
einen Optimisten verwandeln?

„Roßmist!“ unterbrach Taubinger meine Reflexionen und deutete
ringbefingert durch die Spiegelscheibe auf mehrere runde,
spatzenumworbene Gegenstände auf den Pflastersteinen, — „mer braucht
sich nur danach zu bücken. — Roßmist ist alles!“

„Reif sein ist alles!“ verbesserte ich unwillkürlich, das bekannte
Zitat gebrauchend, denn ich hatte Herrn Taubingers sprunghaften
Gedankengängen nicht ganz zu folgen vermocht und erfuhr überdies
erst im Laufe der kommenden Geschäftsverbindung, daß der Champignon
die tadelnswerte Eigentümlichkeit besitzt, sich auf mangelhafte
Beschaffenheit des Pferdedüngers auszureden, wenn er nicht wachsen will.

„Jenne Äppel brauchen nix reif zu sein!“ belehrte mich Taubinger, das
Mißverständnis dadurch ins Uferlose erweiternd.

Das Studium des wissenschaftlichen Elaborates, das er mir sodann mit
geheimnisvoller Miene aushändigte — plötzlich finster werdend, als er
bemerkte, daß ich keinen Knopf mehr zum Abdrehen besaß —, verfolgte
mich in selbiger Nacht bis tief in den Schlaf hinein.

Oh, hätte ich damals doch der holden Traumgöttin ein williges Ohr
geliehen!

Falstaff behauptet, Träume kämen aus dem Bauche; mag sein, daß dies bei
ihm zutraf, — bei mir kamen sie damals aus der verfluchten Broschüre,
die die Rentabilität der Champignonzucht in überschwenglichen Tönen
pries, — das weiß ich bestimmt. Von Grotten war darin die Rede, in
denen zu sprießen — wie einstens des gottseligen Barbarossas Bart —
die Champignons versprächen, wenn man nur gewissenhaft darauf achte,
daß das Wärmemaß den 34. Grad Réaumurs nicht überschreite und genügend
Lüftung vorhanden sei.

Ich wanderte im Traum durch unterirdische dämmerige Gefilde, oft
bis zum Knie einsinkend in rätselhaft weiche Massen — vermutlich
mein Plumeau —, sah mich selbst, als sei ich der leibhaftige Tod,
eine Sense schwingend nach den Scharen bleicher Pilzköpfe, die sich
aber leider jedesmal, wenn mein Hieb sie treffen und in Goldstücke
verwandeln wollte, mißgünstig duckten und meiner Mordgier entzogen.

Immer weiter und weiter ausholend, schwang ich den mähenden Arm,
und wer weiß, vielleicht hätte ich doch noch glücklich die Stunde
verschlafen, wo Kunz Peter Taubinger meiner in einer Advokatenkanzlei
behufs gemeinsamer Besiegelung des Gesellschaftsvertrages harrte, wäre
nicht mein Traum jählings dadurch unterbrochen worden, daß ich mit
wild fuchtelnder Faust meine arglos über dem Bette hängende Geliebte
mitten auf den Bauch traf, das schirmende Glas in sternförmige
Splitterstrahlen verwandelnd.

Eine Stunde später hatte ich mit ähnlichem Schwung den Kontrakt
unterschrieben, der mich berechtigte, monatlich die Hälfte des
zu erwartenden Riesengewinnes mittels Panzerautos abholen zu
lassen, während meine Pflichten — abgesehen von der Einzahlung des
Betriebskapitals — auf umfassende Tatenlosigkeit beschränkt waren.

Da Herr Taubinger, mein nunmehriger Kompagnon, jedoch miserabel
vom Start ging, d. h. deutlicher gesagt: da er, was den Beginn der
geschäftlichen Tätigkeit betraf, in eine seltsame Art Totenstarre
verfiel, die er nur jeden Freitag unterbrach, um sich von mir einen
Gewinnvorschuß geben zu lassen, so beschloß ich, das Rennen nach dem
Mammon selbst zu leiten.

Die Folgen wurden bald sichtbar: „Waas? Ä Grotte suchen Sie?“
war jedesmal die mißtrauische Gegenfrage, wenn ich mich in den
Kaffeehausspielklubs an meine Bekannten forschend gewandt hatte.

„Ä Grotte sucht jenner!“ wurde das Gespräch, halblaut geknurrt, von
Schachbrett zu Schachbrett weitergegeben, bis es nach geraumer Zeit
die intimen Gettoschranken durchbrochen hatte, um in der ganzen Stadt
zu kursieren wie ein Sphinxproblem, das trotz seiner Unlösbarkeit die
Menschengehirne immer wieder zum Grübeln zwingt.

„Ä Grotte sucht jenner!“ hörte ich hinter mir dreinraunen, wenn ich,
den Kopf voller Zahlen, schnellen Schrittes Geschäftsleute auf der
Straße überholte.

„Ä Grotte sucht jenner!“ las ich von den murmelnden Lippen der
violettrasierten Herren, wenn sie abends unter dem Vorwand, dem
Kunstgenuß zu frönen, die Theatersperrsitze füllten.

„Ä Grotte sucht jenner!“ fühlte ich, sprachen in stummer Geste die
Dutzende heimlich unter Liderzwinkern auf mich gedrehten Daumen
neugieriger Fahrgäste, wenn ich, des Angestarrtwerdens überdrüssig, die
„Elektrische“ zu verlassen mich anschickte.

„Ä Grotte sucht jenner!“ hörte ich sogar einmal mitten im
Telephongespräch sich eine krächzende Stimme in meine Rede verirren.

Wie ungemein schwierig es ist, Grotten im Weichbilde einer Großstadt
zu entdecken, das weiß nur jemand, der wie ich sich wochenlang darauf
versteift hat, welche zu finden.

Aber Fleiß bricht Eisen! In meinem Falle brach er es auf folgende Weise:

Nahe daran, das Vorhandensein von Grotten überhaupt ins Reich der Fabel
zu verweisen — siehe: Konversationslexikon, Artikel „Untersberg“ —,
hatte ich nach und nach eine mir schon von Kindesbeinen an liebgewordene
Beschäftigung wieder aufgenommen, nämlich die Veranstaltung von
Rendezvous mit jungen Damen, und zu diesem Zwecke mehrere gleichlautende
Briefchen dem Postkasten hinter die gefletschten Zähne geschoben.

Leider fiel mir erst zu spät ein, daß sie auch hinsichtlich des Ortes
und der Zeit des Stelldicheins gleichlautend gewesen waren. Die
Rasseveredelung in Prag zu fördern, hatte ich von je als hohes Ziel
angesehen, aber in diesem Falle schien sie mir kaum durchführbar,
denn angesichts des betrüblichen Überflusses an seelischem Ballast,
der allen meinen Geliebten leider eigen war, durfte es wohl als
ausgeschlossen gelten, sie am gleichen Ort und zu gleicher Stunde
sozusagen unter einen Hut zu bringen.

Als ich im Geiste den Inhalt der Liebeskorrespondenz nochmals überflog,
kam ich gesträubten Haares — ich war damals noch jung — zu dem
Resultat, daß ich nicht weniger als vier Stück auf den Wyschehrad
bestellt hatte. Darunter Msi (eine Abkürzung von: „Mein süßes Julchen“,
denn ich pflegte meine Geliebten des schnelleren Überblicks wegen stets
mit Anagrammen zu bezeichnen), ein junges Mädchen von furienhaftem
Temperamente und einer so gellenden Stimme, daß bei ihrem Ertönen
sicherlich jeder Durchschnittsjochgeier entmutigt die Segel gestrichen
hätte.

Der Wyschehrad ist ein hohes viereckiges Hügelmassiv, das die Stadt
nach Süden, unberufen, abschließt; die eine Seite fällt steil in die
Moldau ab. Uralte Mauerreste, mehrere Meter über dem Flusse, führen den
Namen Libussabad. Hier soll die sagenhafte Königin Libussa einst ein
Bad genommen haben. — Ob seitdem eins fehlt, weiß ich nicht.

Die Tatsache an sich wird von Geschichtsforschern bezweifelt, die
Bevölkerung jedoch hält stolz daran fest.

Einwandfrei läßt die Wahrheit sich heute nicht mehr feststellen;
freilich, trüb ist das Wasser an jener Stelle immer noch.

Den Hügel krönt eine Art Festungswerk, bestehend aus langen, ein
Viereck bildenden Wällen.

Beim Erklimmen der steinernen Stufen fiel mir die bange Ahnung
schwer aufs Herz, daß eine fünfte, in der Nähe wohnende Geliebte
möglicherweise mittels Zeißbinokels Augenzeugin des unabwendbar
bevorstehenden Eifersuchtsdramas werden könnte, aber ich raffte meinen
Mut zusammen und schwang mich auf die oberste Zinne.

Allerdings der Anblick, der sich mir bot, ließ mich erbleichen:
sämtliche vier Stück lustwandelten bereits, scheinbar unbefangen, auf
den Wällen, aber doch schon halb und halb einander umkreisend wie ein
giftgeschwollenes Planetensystem, — keines vom andern weiter als je
fünfzig Meter entfernt.

Unten auf der grünen, von den Schanzen umschlossenen Wiese übte
außerdem noch ein Feldwebel vor schwarzgelbem Schilderhaus rastlos
Angriffssignale auf einer Trompete.

Ein vierfaches Winken mit Sonnenschirmen verriet mir, daß ich erkannt
sei, und bereits im nächsten Augenblick hatte Msi die Situation erfaßt.

In den ersten Sekunden ihrer Unschlüssigkeit, auf welche der Rivalinnen
sie sich stürzen solle, plusterte sich ihr rosa Tüllkleid auf wie das
Gefieder einer Truthenne, dann legte es sich wieder glatt an, und mit
zunehmender Geschwindigkeit sauste Msi auf eine Feindin los.

Die beiden andern lenkten ihre Flugbahn auf mich zu.

Ich flüsterte: jetzt bin ich verloren! Da! — Was tut Gott? — Ein
schriller Schrei! — Msi war verschwunden. Spurlos.

Ich ließ mir keine Zeit zum Überlegen, ob es sich hier vielleicht um
einen ähnlichen Fall handeln könne wie im Altertum bei Proserpina, die
bekanntlich die Erde verschlang, sondern eilte auf die Unglücksstelle
zu.

Kein Zweifel: Msi war in ein kreisrundes Loch, in eine Art Luftschacht,
hinabgestürzt.

Von Entsetzen gepackt, suchten die drei restlichen Geliebten mit
Hechtsprüngen das Weite.

„Wenzel!“ brüllte ich hinunter dem unentwegt schmetternden Feldwebel
zu, — „Wenzel!“ (denn anders konnte der Mann doch nicht gut heißen) —
„Wenzel! — Ein Unglück! Herbei!“

Mit Hilfe des Trefflichen, der mir am Fuße des Luftschachtes eine Tür
aufschloß, gelang es bald, Msi’n nicht nur wohlbehalten zu bergen, denn
sie war lediglich auf einen Reisighaufen gefallen, sondern auch ihre
Eifersucht durch den Hinweis zu beschwichtigen, die drei andern Mädchen
seien zum Teil Luftspiegelungen, zum Teil Bräute des Feldwebels gewesen.

Der bleibende Gewinn, den ich aus jenem Abenteuer zog, war die
Entdeckung einer für Champignonzucht geradezu einzigartigen Brutstätte.
— Vier Schanzengänge tief unter der Erde! Trocken! Dunkel! Und
überdies mit Luftschächten zum Hinabwerfen des Mistes versehen!!

„In dem, was die linksene is, ise sich, här ich, eine Marktweib drin
mit Gemüs’“, erklärte mir Wenzel, nachdem ich ihn eine Weile lang mit
Zehn-Kreuzer-Stücken behagelt hatte, die drei anderen könne ich mir
bestimmt beim k. k. Korpskommando mietweise sichern, wenn ich gegen
entsprechenden Preis eine Pacht von dreißig Jahren nachsuchen würde. —
Hurra, die Grotte war also gefunden! — — —

Ein Gesuch in diesem Sinne gab ich natürlich noch am selben Abend zur
Post.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Roßmist sucht jenner!“ fing bereits wieder wenige Tage später ein
neues Gerücht, mit meinem Namen in enge Verbindung gebracht, an, das
alte, bis dato in Handelskreisen umlaufende zu verdrängen.

Die paar Konservativen, die an dem „Ä Grotte sucht jenner“ festhalten
wollten, waren in Bälde von der lawinenhaft anschwellenden Zahl derer,
die dem ein energisches: „Roßmist!-Ihnen-gesagt!-Was-heißt-Grotte?!“
entgegensetzten, niedergestimmt.

Das Bild meiner mich stets belauernden bürgerlichen Umgebung fing an
allmählich den Charakter zu wechseln.

Der roßkammartige Typus im Gesichtsschnitt wurde von Tag zu Tag
ausgeprägter.

Unter den Nebentischen im Caféhaus klirrten „Sporen“ an den
Gummizugstiefeletten von Füßen, die ich früher sicherlich als
ausschließlichen Börsengalopinbesitz angesprochen hätte — Fiakerhalter
mit Pepitahosen baten mich zutraulich auf der Straße um Feuer,
Trainleutnants fixierten mich drohend — Reitpeitschen hingen statt
Regenschirmen reihenweise in den Garderoben der von mir bevorzugten
Restaurants.

Beunruhigend wirkte auf mich jedoch nur das eine, daß, wohin ich auch
meine Schritte lenkte, mich wie mein eigener Schatten ein gewisser Löwy
verfolgte, ein plattfüßiges, hämisches Individuum mit geschäftseilig
zuckenden Hosenbeinrändern, von dem die einen behaupteten, er
sei Akquisiteur für eine Privatirrenanstalt, während die andern
seiner Glaubensgenossen den Verdacht zu mildern suchten, indem sie
versicherten, er sei selber — „meschugge“.

Keineswegs günstig für ihn stimmte mich die Art, wie er mich durch
seine brennglasdicke Brille, hinter der seine Augen etwas unheimlich
glotzend Haifischartiges bekamen, anzugrinsen liebte. Auch daß er
trotz meines unwilligen Stirnrunzelns in immer gleichen Intervallen
krampfhaft im Kehlkopfton gurgelte: „Roßmist sucht jenner“, buchte ich
zu seinen Lasten.

Es ging mir nachgerade auf die Nerven.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Um mir möglichst viel Betriebsstoff und so rasch wie möglich zu
sichern, hatte ich Taubingern beauftragt, weder Mühe noch Kosten zu
scheuen, sämtlichen in der Stadt verfügbaren Pferdedüngers habhaft zu
werden.

Ein Börsenleben, wie es Prag noch nie gesehen, war die Folge jener
Verfügung.

Eine Unzahl dicker jüdischer Reitlehrer (ich hatte bis dahin gar
nicht geahnt, daß mosaischerseits in Prag so viel geritten wurde)
hatte das sogenannte Hotel „Gänsebristel“ belagert, betrieb eine Art
Kulissenhandel, und bis heraus auf die „Langgasse“ konnte man ihr
emsiges:

    „Mit Nulle gebb’ch,“
    „Mit dreiviertel kaaf’ch“

hören.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Nu, was sagen Sie jetzt?“ fragte mich eines Morgens Taubinger,
als ich ihn in unserem neugemieteten Bureau aufsuchte, und deutete
triumphierend auf die frischlackierte Ladentafel, auf der sein Name,
mit dem meinigen zur Firma legiert, prangte, und darunter:

„Erster christlicher Champignon-Export.“

Ich sagte nichts, denn ich war sprachlos.

Noch sprachloser wurde ich, als mir Taubinger eröffnete, wir seien
nunmehr glückliche Besitzer sämtlichen Pferdedüngers der Stadt auf
Jahre hinaus. Allerdings für einen Preis, der sich ungefähr auf eine
Krone pro Karat belief.

Am sprachlosesten wurde ich jedoch, als ein Soldat hereinkam und mir
einen Brief gab, dem ich ungefähr folgendes entnahm:

  „Hierorts eingelaufenes Gesuch des Privaten G. M. um mietweise
  Überlassung der Schanzengänge auf dem Wyschehrad behufs Einrichtung
  von Pilzkultur wird unter Hinweis auf die kriegsoberstliche
  Entscheidung vom 31. Februar 1712, daß zurzeit Privatpersonen
  keinerlei Zugang zu den k. k. Festungswällen zu gewähren ist,
  und insbesondere unter Beachtung, daß deren Anlage strategischer
  Geheimhaltung untersteht, sowie angesichts der damit verbundenen
  Mauerschwammgefährdung abschlägig beschieden.

  Das k. k. Korpskommando.“

Also wieder keine Grotte!!

Wutschnaubend verfaßte ich auf der Stelle einen Protest an das
Kriegsministerium in Wien, die unter fächerförmigem Entfalten
sämtlicher zehn Finger vorgebrachten Warnungen Taubingers: „Nor
mit de Balmachomes keinen Streit anfangen; sie sind doch unsere
Hauptlieferanten!“ mißachtend.

Wochenlanges Telephongeklingel mit darauffolgenden Drohungen, da und
dort stünden die Düngerwagen bereit, mir den erworbenen Betriebsstoff
in die Wohnung zu bringen, wenn ich nicht sofort anders verfügte,
warfen mich schließlich aufs Krankenlager.

Nur Taubinger, der eines Morgens melden kam, es sei ihm nach
unsäglicher Mühe gelungen, in der Vorstadt ein leeres Haus zu mieten,
in dessen Keller nunmehr heimlich und nächtlicherweile der Mist
abgeladen würde, habe ich es zu verdanken, daß das Fieberthermometer
endlich sank.

Den Tag meiner Genesung feierte ich jedoch erst, als Bonifazius
Felbermeier, ein mir von der Gärtnerinnung als hervorragender
Champignonzüchter warm empfohlener Schlot und Fachmann, mit Eilzug aus
Wien herbeigeeilt, mein Zimmer betrat und mir alle Qual vom Herzen
nahm, indem er beteuerte: „Dös lassen S’ alles mich mochen, gnä Herr!
— Werden S’ segen, gnä Herr“ — und wie zum Schwur erhob er seine
Palmenblatthände — „wann s’ erst sechs Wochen gärt hat, dö Schwammbrut
— ‚Mühzählium‘ heißen mir’s in die entern Gründ’ — nachher, Herrschaft,
i’ kenn dös, da wurrln’s a so außer wia dö Soldaten.“

Voll neuer Zuversicht atmete ich auf.

Ja! Das Proletariat! Es ist eben immer unsere — Rettung! Der Mann, der
da vor mir stand — verriet nicht schon sein Äußeres, daß es für ihn
keine Champignonfragen, sondern nur Champignon+lösungen+ geben mußte? —
Die gelben Augen, die niedrige Stirn, das hutkrempenartig geschnittene
Haar, überhaupt der ganze Höhlenmenschentypus: kann die Natur noch
deutlicher sprechen? Nein, das Gesetz der Mimikry lügt nicht! Der da
steht, ist mehr als ein sterblicher Mensch: er ist die Personalunion
mit dem Gotte der Champignons! —

Er war sogar viel mehr, sage ich mir heute: er war ein klassenbewußter
Proletarier! Was schon daraus hervorging, daß er fast keinen Tag
verstreichen ließ, ohne sich nicht einen Lohnvorschuß auszahlen zu
lassen oder mir eine Rechnung über allerlei angeschaffte phantastische
Gerätschaften zu präsentieren.

Von nun an jeglicher Mistsorge enthoben, zahlte ich willig und gern,
und fröhlich ging ich wieder daran, meine Rendezvous zu regeln, um das
vernachlässigte, massenhaft angesammelte Material, soweit es meine
erschütterte Gesundheit und die Umstände erlaubten, aufzuarbeiten.

Monat um Monat schwand dahin; wie üblich, begann der Herbst das Laub
zu bräunen; die Lausbuben in den Parkalleen bewarfen den sinnenden
Wanderer bereits hinterrücks mit Wildkastanien, aber immer noch hoffte
ich vergebens der erlösenden Kunde, daß es in dem Vorstadtkeller zu
„wurrln“ begänne.

Allmählich beschlich mich ein tiefes Unbehagen, das sich schließlich
bis zu einem Anfall nicht mehr zu bändigenden Mißtrauens gegenüber
Felbermeier steigerte.

Ich warf mich in einen Fiaker und fuhr auf die Suche nach dem mir bis
dahin nur aus Taubingers Schilderungen bekannten Champignonhaus.

Schon von weitem glotzten mir die blinden Fensterscheiben des
erbarmungswürdigen Gebäudes entgegen.

Übernächtig, ungepflegt, vom gramdurchfurchten Mauermörtel angefangen
bis hinauf zur triefenden Dachrinne, erregte es mein heftigstes Mitleid.

Es hatte förmlich Ringe um die Augen.

„Felbermeier!“ schrie ich in den einsamen Flur hinein.

Keine Antwort; nur ein schwindsüchtiges Echo stöhnte: „— — ber — —
mei — —“

„Felbermeier!“ brüllte ich aus voller Lunge. — Niemand.

Der Höhlenmensch schien abwesend zu sein.

Ich stieg zur Kellertür hinab, faßte die Klinke; sie war glühend heiß.
Ich nahm einen Stein und hämmerte gegen die Pfosten.

Endlich tat sich gespenstisch leise die Pforte auf, und ein Gluthauch,
wie Wüstensamum, schlug mir entgegen.

Mitten in der wabernden Luftsäule stand entblößten Oberleibes, die
Reste einer roten Krawatte um den nackten Hals geschlungen, der
champignonkundige Bonifazius.

„Sie — Sie — Sie entarteter Troglodyt, Sie!“ schrie ich ihn an. „Das
ist ja viel zu heiß! Da muß doch jede Schwammbrut verbrennen!“

„Dös is gar nöt heiß“, erwiderte er gelassen; „dös is nur a so a
g’spannte Luft! — — Murgen, werden S’ segen, gnä Herr, da wurrln s’
scho!“

Zwar hatte ich noch am selben Tage den pflichtvergessenen Schlot
seines Amtes enthoben und ihn nach Begleichung seines vertragsmäßig
ausbedungenen Halbjahrsgehaltes im Schwunge aus dem Hause entfernt;
aber nachts ließ es mir keine Ruhe: Was, wenn sie morgen doch wurrln
sollten?!

Ich fuhr nochmals hin; vielleicht hatte der liebe Gott in letzter
Stunde ein Wunder getan!

Nein! Er hatte keins getan.

Sie wurrlten nicht.

Alles, was ich im Keller vorfand, war:

  Stück 1 — geplatztes Thermometer;

  Stück 1137 — morsche Sargbretter;

  Stück ca. 1016 — Kubikmeter einer tiefschwarzen mir fremden Substanz;

  Stück 188 — leere Schnapsflaschen;

  Stück 1 — Frauenmieder (Herkunft und Zweck für den Keller nicht zu
  erklären);

  Stück 1 — infolge übermäßiger Inanspruchnahme zusammengeschmolzener
  Koksofen.

Von Champignons war nichts zu sehen.

Nur alle fünf Schritt weit ragten aus dem Humus ein oder zwei
stricknadeldünne, mir gänzlich unbekannte pilzartige Gewächse mit
durchsichtigen winzigen Hütchen auf den unendlich langen Stengeln.

Sie bildeten später den Gegenstand eifrigsten Studiums seitens der
botanischen Stadtkoryphäen. Das Gutachten lautete, es seien zwar
Pilze, aber diese Art käme nur in den heißesten Distrikten der
Äquatorialgegend vor.

Von ihrem Genusse müsse aufs dringendste abgeraten werden.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Der Winter nahte, trostlos angefüllt mit Eis, Schnee, nicht
endenwollenden Rechnungen, einer Mordsunterbilanz der „Ersten
christlichen Champignonexportfirma“ und schließlich einer Gerichtsklage
des Vorstadthausbesitzers: ich hätte unverzüglich den Roßmist aus dem
Keller zu entfernen, sonst ... Überhaupt sei der ganzen Sauwirtschaft
unverzüglich ein Ende zu bereiten ...

Beim Ausräumen des nebenbei bemerkt unheilbar erkrankten Gebäudes
stellte sich wunderbarerweise heraus, daß, seit die fachmännische
Beaufsichtigung aufgehört hatte, heimlich doch noch sieben Stück
Champignons gewachsen waren. Offenbar hatten sie keine Ausrede mehr
gewußt, ihr mangelndes Gedeihen zu entschuldigen.

Ich habe sie aus Rache ganz allein aufgegessen.

Das Stück hat, wie ich aus meinen Büchern genau nachweisen kann, fl.
öw. 6347 und 41 Kreuzer gekostet.

„Bald wird der Mai kommen,“ tröstete ich mich nach der Mahlzeit, „dann
will ich nur noch der Liebe leben, und alles wird rasch vergessen sein.“

Freilich, der Mai kam — was hätte er auch sonst tun sollen —, aber er
kam nicht allein; ein Brief des Kriegsministeriums aus Wien kam mit,
und drin stand, daß nunmehr meinem Begehren stattgegeben worden und
ich als alleiniger Mieter der Wyschehrader Schanzengänge für 30 Jahre
anzusehen sei!

Kunz Peter Taubinger blickte mir über die Schulter, als ich es ächzend
las, und triumphierte:

„Nu, was hab’ ich gesagt! Das Geld liegt auf der Straße, aber die
Brieftasch’ fallt einem ’eraus, wenn mer sich danach bückt.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Nachträglicher Stoßseufzer des Autors:

Hoffentlich nimmt mich die neuentstandene tschechoslowakische Republik
nicht beim Wort!



Der Opal


Der Opal, den Miß Hunt am Finger trug, fand allgemeine Bewunderung.

„Ich habe ihn von meinem Vater geerbt, der lange in Bengalen diente,
und er stammt aus dem Besitze eines Brahmanen“, sagte sie und strich
mit den Fingerspitzen über den großen schimmernden Stein. „Solches
Feuer sieht man nur an indischen Juwelen. — Liegt es am Schliff oder
an der Beleuchtung, ich weiß es nicht, aber manchmal kommt es mir vor,
als ob der Glanz etwas Bewegliches, Ruheloses an sich hätte, wie ein
lebendiges Auge.“

„Wie ein lebendiges Auge“, wiederholte nachdenklich Mr. Hargrave
Jennings.

„Finden Sie etwas daran, Mr. Jennings?“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Man sprach von Konzerten, von Bällen und Theater — von allem
möglichen, aber immer wieder kam die Rede auf indische Opale.

„Ich könnte Ihnen etwas über diese Steine, über diese sogenannten
Steine mitteilen,“ sagte schließlich Mr. Jennings, „aber ich fürchte,
Miß Hunt dürfte dadurch der Besitz ihres Ringes für immer verleidet
sein. Wenn Sie übrigens einen Augenblick warten, will ich das
Manuskript in meinen Schriften suchen.“

Die Gesellschaft war sehr gespannt.

„Also hören Sie, bitte. (Was ich Ihnen hier vorlese, ist ein Stück aus
den Reisenotizen meines Bruders — wir haben damals beschlossen, nicht
zu veröffentlichen, was wir gemeinsam erlebten.)

Also: Bei Mahawalipur stößt das Dschungel in einem schmalen Streifen
bis hart ans Meer. Kanalartige Wasserstraßen, von der Regierung
angelegt, durchziehen das Land von Madras fast bis Tritschinopolis,
dennoch ist das Innere unerforscht und einer Wildnis gleich,
undurchdringlich, ein Fieberherd.

Unsere Expedition war eben eingetroffen, und die dunkelhäutigen
tamulischen Diener luden die zahlreichen Zelte, Kisten und Koffer aus
den Booten, um sie von Eingeborenen durch die dichten Reisfelder, aus
denen nur hie und da Gruppen von Palmyrapalmen wie Inseln in einem
wogenden hellgrünen See emporragen, in die Felsenstadt Mahawalipur
schaffen zu lassen.

Oberst Sturt, mein Bruder Hargrave und ich nahmen sofort Besitz von
einem der kleinen Tempel, die, aus einem einzigen Felsen herausgehauen,
eigentlich herausgeschnitzt, wahre Wunderwerke altdrawidischer Baukunst
darstellen. Die Früchte beispielloser Arbeit indischer Frommer, mögen
sie jahrhundertelang den Hymnen der begeisterten Jünger des großen
Erlösers gelauscht haben, — jetzt dienen sie brahminischem Shivakult,
wie auch die sieben aus dem Felsrücken gemeißelten heiligen Pagoden mit
den hohen Säulenhallen.

Aus der Ebene stiegen trübe Nebel, schwebten über den Reisfeldern und
Wiesen und lösten die Konturen heimziehender Buckelochsen vor den
rohgezimmerten indischen Karren in regenbogenartigen Dunst auf. Ein
Gemisch von Licht und geheimnisvoller Dämmerung, das sich schwer um die
Sinne legt und wie Zauberduft von Jasmin und Holunderdolden die Seele
in Träume wiegt.

In der Schlucht vor dem Aufgang zu den Felsen lagerten unsere
Mahratten-Sepoys in ihren wilden malerischen Kostümen und den rot und
blauen Turbans, und wie ein brausender Lobgesang des Meeres an Shiva
den Allzerstörer dröhnten und hallten die Wogenschläge aus den offenen
Höhlengängen der Pagoden, die sich vereinzelt längs des Gestades
hinziehen.

Lauter und grollender schwollen die Töne der Wellen zu uns empor, wie
der Tag hinter den Hügeln versank und Nachtwind sich in den alten
Hallen fing.

Die Diener hatten Fackeln in unseren Tempel gebracht und sich in das
Dorf zu ihren Landsleuten begeben. Wir leuchteten in alle Nischen und
Winkel. Viele dunkle Gänge zogen durch die Felswände, und phantastische
Götterstatuen in tanzender Stellung, die Handflächen vorgestreckt mit
geheimnisvoller Fingerhaltung, deckten mit ihren Schatten die Eingänge
wie Hüter der Schwelle.

Wie wenige wissen, daß alle diese bizarren Figuren, ihre Anordnung und
Stellung zueinander, die Zahl und Höhe der Säulen und Lingams Mysterien
von unerhörter Tiefe andeuten, von denen wir Abendländer kaum eine
Vorstellung haben.

Hargrave zeigte uns ein Ornament an einem Sockel, einen Stab mit
vierundzwanzig Knoten, an dem links und rechts Schnüre herabhingen,
die sich unten teilten: Ein Symbol, das Rückenmark des Menschen
darstellend, und in Bildern daneben Erklärungen der Ekstasen
und übersinnlichen Zustände, deren der Yogi auf dem Wege zu den
Wunderkräften teilhaftig wird, wenn er Gedanken und Gefühl auf die
betreffenden Rückenmarksabschnitte konzentriert. —

„Dies da Pingala, großer Sonnenstrom“, radebrechte bestätigend Akhil
Rao, unser Dolmetsch.

Da faßte Oberst Sturt meinen Arm: „Ruhig — — — hören Sie nichts?“

Wir horchten gespannt in der Richtung des Ganges, der, von der
kolossalen Statue der Göttin Kala Bhairab verborgen, sich in die
Finsternis zog.

Die Fackeln knisterten — sonst Totenstille.

Eine lauernde Stille, die das Haar sträubt, wo die Seele bebt
und fühlt, daß etwas geheimnisvoll Grauenhaftes blitzartig ins
Leben bricht, wie eine Explosion, und nun unabwendbar eine Folge
todbringender Dinge aus dem Dunkel des Unbekannten, aus Ecken und
Nischen emporschnellen muß.

In solchen Sekunden ringt sich stöhnende Angst aus dem rhythmischen
Hämmern des Herzens — wortähnlich, wie das gurgelnde, schauerliche
Lallen der Taubstummen: +Ugg+ — +ger+, — +Ugg+ — +ger+, — +Ugg+ —
+ger+. —

Wir horchten vergebens — kein Geräusch mehr.

„Es klang wie ein Schrei tief in der Erde“, flüsterte der Oberst.

Mir schien es, als ob das Steinbild der Kala Bhairab, des
Choleradämons, sich bewegte: unter dem zuckenden Lichte der Fackeln
schwankten die sechs Arme des Ungeheuers, und die schwarz und weiß
bemalten Augen flackerten wie der Blick eines Irrsinnigen.

„Gehen wir ins Freie, zum Tempeleingang,“ schlug Hargrave vor, „es ist
ein scheußlicher Ort hier.“

Die Felsenstadt lag im grünen Lichte wie eine steingewordene
Beschwörungsformel.

In breiten Streifen durchglitzerte der Mondschein das Meer, einem
riesigen, weißglühenden Schwerte gleich, dessen Spitze sich in der
Ferne verlor.

Wir legten uns auf die Plattform zur Ruhe — es war windstill und in
den Nischen weicher Sand.

Doch es kam kein rechter Schlaf.

Der Mond stieg höher, und die Schatten der Pagoden und steinernen
Elefanten schrumpften auf dem weißen Felsboden zu krötenähnlichen
phantastischen Flächen zusammen.

„Vor den Raubzügen der Moguln sollen alle diese Götterstatuen von
Juwelen gestrotzt haben — Halsketten aus Smaragden, die Augen aus Onyx
und Opal“, sagte plötzlich Oberst Sturt halblaut zu mir, ungewiß, ob
ich schliefe. — Ich gab keine Antwort.

Kein Laut als die tiefen Atemzüge Akhil Raos.

Plötzlich fuhren wir alle entsetzt empor. Ein gräßlicher Schrei drang
aus dem Tempel — ein kurzes, dreifaches Aufbrüllen oder Auflachen mit
einem Echo wie von zerschellendem Glas und Metall.

Mein Bruder riß ein brennendes Scheit von der Wand, und wir drängten
uns den Gang hinab in das Dunkel.

Wir waren vier, was war da zu fürchten.

Bald warf Hargrave die Fackel fort, denn der Gang mündete in eine
künstliche Schlucht ohne Deckenwölbung, die, von grellem Mondlicht
beschienen, in eine Grotte führte.

Feuerschein drang hinter den Säulen hervor, und von den Schatten
gedeckt schlichen wir näher.

Flammen loderten von einem niedrigen Opferstein, und in ihrem
Lichtkreis bewegte sich taumelnd ein Fakir, behängt mit den grellbunten
Fetzen und Knochenketten der bengalischen Dhurgaanbeter.

Er war in einer Beschwörung begriffen und warf unter schluchzendem
Winseln den Kopf nach Art der tanzenden Derwische mit rasender Schnelle
nach rechts und links, dann wieder in den Nacken, daß seine weißen
Zähne im Lichte blitzten.

Zwei menschliche Körper mit abgeschnittenen Köpfen lagen zu seinen
Füßen, und wir erkannten sehr bald an den Kleidungsstücken die Leichen
zweier unserer Sepoys. Es mußte ihr Todesschrei gewesen sein, der so
gräßlich zu uns emporgeklungen.

Oberst Sturt und der Dolmetsch warfen sich auf den Fakir, wurden aber
von ihm im selben Augenblick an die Wand geschleudert.

Die Kraft, die in dieser abgemergelten Asketengestalt wohnte, schien
unbegreiflich, und ehe wir noch zuspringen konnten, hatte der Fliehende
bereits den Eingang der Grotte gewonnen.

Hinter dem Opferstein fanden wir die abgeschnittenen Köpfe der beiden
Mahratten.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Mr. Hargrave Jennings faltete das Manuskript zusammen: „Es fehlt ein
Blatt hier, ich werde Ihnen die Geschichte selber zu Ende erzählen:

„Der Ausdruck in den Gesichtern der Toten war unbeschreiblich. Mir
stockt heute noch der Herzschlag, wenn ich mir das Grauen zurückrufe,
das uns damals alle befiel. Furcht kann man es nicht gut nennen, was
sich da in den Zügen der Ermordeten ausdrückte, — ein verzerrtes,
irrsinniges Lachen schien es. — Die Lippen, die Nasenflügel
emporgezogen, — der Mund weit offen und die Augen, — die Augen, — es
war fürchterlich; stellen Sie sich vor, die Augen — hervorgequollen —
zeigten weder Iris noch Pupille und leuchteten und funkelten in einem
Glanze wie der Stein hier an Miß Hunts Ring.

Und wie wir sie dann untersuchten, zeigte es sich, daß sie wirkliche
Opale geworden waren.

Auch die spätere chemische Analyse ergab nichts anderes. Auf welche
Weise die Augäpfel hatten zu Opalen werden können, wird mir immer ein
Rätsel bleiben. Ein hoher Brahmane, den ich einmal fragte, behauptete,
es geschähe durch sogenannte Tantriks (Wortzauber), — und der Prozeß
gehe blitzschnell, und zwar vom Gehirn aus vor sich; doch wer vermag
das zu glauben! Er setzte damals noch hinzu, daß alle indischen Opale
gleichen Ursprungs seien, und daß sie jedem, der sie trüge, Unglück
brächten, da sie einzig und allein Opfergaben für die Göttin Dhurga,
die Vernichterin alles organischen Lebens, bleiben müßten.“

Die Zuhörer standen ganz unter dem Eindruck der Erzählung und sprachen
kein Wort.

Miß Hunt spielte mit ihrem Ring. — — — —

„Glauben Sie, daß Opale wirklich deswegen Unglück bringen, Mr.
Jennings?“ sagte sie endlich. „Wenn Sie es glauben, bitte, vernichten
Sie den Stein!“ — — —

Mr. Jennings nahm ein spitzes Eisenstück, das als Briefbeschwerer auf
dem Tische lag, und hämmerte leise auf den Opal, bis er in muschelige,
schimmernde Splitter zerfiel.



Das Wildschwein Veronika

Ein dreifach geflochtener Kranz, niedergelegt auf dem Altare schlichter
Heimatkunst


1

Gärungen — Klärungen

Vom Alpensee wehte kühl der Odem des keimenden Morgens, und voll Unruhe
irrten die Nebel umher auf den nassen, schlummernden Wiesen.

Kein Auge hatte Veronika, die Gezähmte, geschlossen die ganze Nacht
und sich schlaflos hin und her gewälzt auf dem häuslichen Misthaufen.
„Der Holzlapp’ von Miesbach“ von Xaver Hinterstoißer hatten sie drin im
Saale gespielt gestern abend, und kein Auge war trocken geblieben, als
so der „Pfarrer“ dreiviertelstundenlang laut mit sich selber gekämpft.

„Das nenn’ ich mir halt wahre Heimatskunst“, hatte der fremde Städter
mit der krummen Hahnenfeder auf dem Hute, als er — aus dem Gasthause
getreten — sich für einen Augenblick an den Misthaufen stellte, laut zu
seinem Nebenmann gesagt und dabei voll Inbrunst zum Monde aufgeblickt.
„Alles so grundwahr aus dem Volke herausgewachsen. Oh, Erdgeruch,
du mein Erdgeruch. Und haben Sie auch beobachtet, Herr Meier, was
für ergreifende Töne dem Oberniedertupferseppl als ‚Großknecht‘ zur
Verfügung standen! Es ist doch kaum zu glauben! Dieser schlichte
biedere Bauernsohn!“

„Ja, und gar der prächtige Schnackl-Franz. Dieses urwüchsige
Dudludludl, so naiv und doch so innig — gar nicht mehr los werde ich
die Weise“, hatte der andere freudig zugestimmt. Und dann waren beide
wieder hineingegangen.

Dem Schwein Veronika auf seinem erhöhten Lager aber war kein Wort
entgangen.

Stunde um Stunde verrann, und kein Schlaf kam mehr in seine Augen.

Der Mond war quer über den Himmel geschlichen; vorsichtig hatte der
Misthaufen zuerst auf der linken Seite einen blauschwarzen Schatten
herausgebleckt, ihn allmählich wieder eingezogen, dann rechts
herausgebleckt — weiter, immer weiter, bis er endlich ganz und gar die
Herrschaft über ihn verloren. Und nichts von alldem hatte das Schwein
beachtet, wie doch sonst in hellen Nächten. So sehr jagten sich seine
Gedanken!

Schon quoll der erregende Hauch des Morgengrauens aus der Erde,
brutwarm stank es aus den Bauernhäusern, und immer noch grübelte
Veronika. Grübelte und grübelte. Und Erinnerungen aus der Jugendzeit,
an Alma, die liebliche Stiefschwester, und die andern — — alle — —
alle, wurden wieder neu. Gott, wie war es doch damals nur gewesen?!
Richtig, richtig, ja — — — der schöne Mann mit der Ballonmütze aus
schwarzer Seide und dem blanken Messer als Hüftzier war eines Tages
gekommen und hatte Alma genommen. Und der Papa hatte gesagt: „Es ist
ein Theaterdirektor, er hat Alma entdeckt.“

Und die Mama hatte gesagt: „Wegen ihrer rosa Hautfarbe kam er, — sie
ist nicht wie ihr; — ach, und so verführerisch konnte halt das Mädchen
mit dem Busen wogen. Sie wird bestimmt Koloratursängerin.“

Eine ganze Woche hatten sie dann allesamt auf dem Misthaufen gelegen
und rastlos geübt, verführerisch mit dem Busen zu wogen.

Wohl war von Zeit zu Zeit, wenn die Kirchweih nahte, der
Theaterdirektor mit der Mütze immer wieder gekommen und hatte zur Feier
des frommen Festes ein Familienmitglied an den Ohren weggeführt, aber
von Alma sprach er nie.

„Soll ich denn auch auf ihn warten?“ überlegte Veronika. „Soll ich
nicht?“

Unentschlossen zählte sie an ihren zwölf Knöpfen ab: soll ich, soll ich
nicht — —

Soll ich nicht! — kam heraus. Da erhob sich Veronika, schüttelte den
Tau von den Borsten und blickte in den Himmel. Es gähnte der Morgen,
rosenrot barst der junge Tag. Rosenrot. — — Wie Schminke.

Da frohlockte das Schwein ob des günstigen Zeichens. Und suchend
blickte es umher.

„Ja, was wär’ denn jetzt gar dös?! Ein grünwollenes Futteral liegt da?!“

Schnell biß es vier Stücke davon ab, zog sie über die Waden und setzte
den Lampenschirm aufs Haupt, den grasgrünen, den die Wirtin neulich auf
den Misthaufen geworfen hatte.

So, und jetzt noch eine Träne: „Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten
Triften, — — — ihr Wiesen, die ich wässerte — —,“ und im Trab zum Herrn
Uhrmacher ging’s, die zwölf Knöpfe versilbern lassen. Der machte das
recht gern, wenn auch nicht billig, und sagte dabei ein- ums anderemal:
„A Pferdsketten mit a paar Pfund Eberzähnt, dös fehlet halt no, und auf
’m Huat den Pinsel fein nöt vergessen!“

Denn er durchschaute des Schweines Pläne.

Dann zottelte Veronika von dannen, nach Norden der Hauptstadt zu.

Die Vöglein pfiffen, es glitzerten die Gräser, und hie und da stank ein
Bauernlackel vorüber.

Unendlich rollte sich die Landstraße auf. Dichte Wolken wirbelte
Veronika aus dem weißen verdursteten Boden, daß die engbrüstigen
Pappeln mit ihren staubigen Blättern so husten mußten. Schon war die
Sonne rot wie ein Krebs, und immer noch, in weiter, weiter Ferne, lag
der Dunst der Stadt.

Doch emsig trottete Veronika dahin; ihre versilberten Knöpfe klirrten.

Eine vornehme Equipage rollte vorbei; es saß ein feiner Herr darin mit
seiner Dame, und als er das Schwein erblickte in Landestracht, da ging
ihm das Herz auf. „Grüß’ Gott“, rief er leutselig, dann schloß er die
Augen und gellte mit viereckigem Mund jjjjiiijach-hu-hu, so laut er
konnte, daß die Pferde erschraken und einen kleinen Hopser machten.

Und zu seiner Dame gebeugt, sprach er bewegt von den Fährnissen der
Berge, von dem tosenden Wildbach und — piff — paff — der flüchtigen
Gemse. „Und riechst du es auch, Cläre? Das ist Scholle. Ackerduft! Und
nicht mal gedankt hat das Deandl auf meinen Gruß! Ja, so sind sie alle,
diese stolzen unverdorbenen Naturkinder! Treu wie Gold!“ — — — — — —


2

Der Wurf gelingt

Nacht war’s, halb zehn, fahl wie ein Knochen stierte der Mond vom
Himmel, da buchstabierte Veronika die Theaterzettel an der Ecke, und
mißtrauisch sah ein Schutzmann von weitem zu.

  Wilhelm Tell (in volkstümlicher Bearbeitung),
  D’Schmalzler Vroni (Hinterstoißer Zyklus),
  Linzerische Bua’m,
  Hüu-a-oa-hoahüa (Mundart),
  Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd’,
  Antonius und Cleopatra auf dem Dorfe

Das Wildschwein nickte befriedigt.

Dann tat es plötzlich einen furchtbaren Satz, warf den Schutzmann um,
raste durch die Straßen und zur Seitentür ins Theater hinein, durch
lange Gänge kreuz und quer, trampelte den neuen Pappendeckel-Fafner
kaputt und fuhr dem Tenoristen Herrn Povidlsohn zwischen den Beinen
durch, gerade als er hinter der Szene sang:

    „Mit dem Feil, dem Boochen
    durch Gebürch und Dahl
    kommt der Schütz gezoochen
    frühüh, am Mohorgenstrahl.“

Der Vorhang war soeben in die Höhe gerauscht, hinter einem
Leinwandfelsen kniete Wilhelm Tell, und das Publikum wartete
gespannt auf einige Verse von ihm, ehe er aus dem Hinterhalt auf den
ahnungslosen österreichischen Beamten abdrücken werde.

Da sprang das Schwein wie der Blitz auf die Bühne.

Und erst langsam, dann schneller, immer schneller vollführte es ein
idiotisches Getrappel auf den Brettern.

Hie und da quiekte es schrill dazwischen.

Wilhelm Tell war geflüchtet und hatte sich laut weinend hinter die
Kulissen verkrochen. Den Souffleur hatte der Schlag getroffen. Nur im
Publikum rührte sich nichts.

Minutenlang kam kein Laut aus dem schwarzen gähnenden Rachen des
Zuschauerraums.

Dann aber brach es los wie ein Erdbeben.

„Allppenkunscht, Allppenkunscht, der Dichchter ischt sichcherlichch ous
der Schwiez gsi“, röchelte ein Schweizer Kritiker ohne Hemdkragen.

Rechtschaffene Männer mit Hirschhornknöpfen wuchsen aus dem Boden,
hinter wallenden Bärten, die blauen treu-dreieckigen Augen mit
deutscher Biederkeit gefüllt.

Im Stehparterre war eine Druse pechschwarz gekleideter Oberlehrer
aufgeschossen, und aus ihrer Mitte stieg ein hohler Ton ekstatisch
zum Himmel an: „Anz Pfaderland, anz dojre, schlüs düch an.“ Es war
da des Patriotismus kein Ende mehr! Und der einzige Oskar-Wilde- und
Maeterlinck-Verehrer der Stadt, ein degenerierter Zugereister, hielt
sich zitternd in der Toilette verborgen.

Veronika war ein gemachtes Schwein von Stund an. Immer wieder mußte
es den famosen Schuhplattler wiederholen und Arm in Arm mit dem Herrn
Regisseur unzählige Male vor der Rampe erscheinen.

Das Stück konnte gar nicht zu Ende gespielt werden, — Geßler blieb
unerschossen zum großen Ärger der anwesenden Schweizer — und in den
Korridoren noch wollte sich die Begeisterung nicht legen. Und fast wäre
es zu Tätlichkeiten gekommen, als der Herr Charcutier Schoißengeyer aus
Linz es wagte, mitten in den allgemeinen Enthusiasmus hinein bedenklich
den Kopf zu schütteln und sich zu den Worten: „I woaß nöt, i glaub halt
allaweil, ’s is a Sau“, hinreißen zu lassen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Veronikas Ruhm wuchs von Tag zu Tag. Ein „Veronikatheater“ wurde
gegründet, und Schliersee, Bayerns berühmte Jodlquelle, als
mutmaßlicher Geburtsort der Künstlerin, war in aller Munde. Kein Stück
dürfe mehr die Zensur passieren, wenn es nicht mindestens 500 Meter
über dem Meeresspiegel spielte, gellte der Schrei der Zeit.

An alle Fürstenhöfe drang die frohe Kunde, schon wieder sei die
deutsche bodenständige Kunst auferstanden; — und selbst die scheue
norddeutsche Herzogin Meta wurde aufmerksam und ließ sich berichten.

„Ach, lieber Graf,“ so sagte eines Tages die hohe Frau, „wie heißt doch
nur das neue urwüchsige Bauerndrama, das so allgemein gefällt? Der — —
der — — Seppell, — ach, es war ja aber noch ’ne Bezeichnung oder ein
Vorname bei, der — — der — —“

„Es läßt sich nur unzulänglich ins Hochdeutsche übersetzen, Hoheit“,
hatte da errötend der Zeremonienmeister erwidert. „Der äh, der äh, der
— ‚Fäkalien-Joseph‘, das käme dem Sinne noch am nächsten. Ein neu
aufgefundenes Fragment,“ fuhr er dann hastig fort, um das Peinliche des
Eindrucks zu verwischen, „ein Fragment aus dem Nachlasse des leider
allzu früh verewigten Volksdichters Hinterstoißer, voll packenden
Realismusses und so ganz mitten aus dem pulsierenden Leben des Volkes
geschöpft. Wie denn überhaupt Xaver Hinterstoißer es wie kein zweiter
verstand, sich an die Natur anzulehnen. Ja, wahrlich, wahrlich: ~natura
artis magistra~.“

Und da hatte die hohe Frau neugierige Augen gemacht und sogleich die
Reise nach Süddeutschland angeordnet, um nicht die letzte zu sein.


3

Stilles Glück

Wer kennt nicht Frau Veronika Schoißengeyers niedliches Landhaus
draußen ganz am Ende der Vorstadt! Mit spiegelnden, fröhlichen
Fensterlein guckt es gar schelmisch über die Flur, wenn Frau Sonne
gütig herniederlacht.

+Frau+ Veronika +Schoißengeyers Villa+.

Ja, staune du nur, schöne Leserin! +Frau+ Veronika +Schoißengeyers
Villa+. Denn kaum ein paar Jährlein, oder so, waren ins Land gegangen,
seit wir Zeugen von Veronikas Triumphen gewesen, als die Künstlerin
dem wackern Charcutier errötend zum Altare folgte.

Ja, ja, und du, lieber Leser, hättest es wohl auch nicht vermutet! Ja,
ja, demselbigen Charcutier Schoißengeyer, der damals die unbedachte
Äußerung tat.

Und was ihn betrifft, selbst heute noch, wenn der Wackere, — beut das
Kirchweihfest frischfröhliche Lustbarkeit, — ein wenig zu tief in das
Krüglein geguckt, kannst du ihn plötzlich ein gar ernsthaft Gesicht
machen sehen, und hast du ein scharfes Ohr, werden dir auch gewiß seine
gemurmelten Worte nicht entgehen: Ich woaß nöt, i glaub halt allaweil,
’s is a Sau!

Doch du und ich, wir beide, wissen nur zu gut, was er damit meint. Daß
es nur Reminiszenzen sein können an jenen Abend, da sich Veronika in
aller Herzen sang und tanzte. Ein erkleckliches Sümmchen war es, das
das heute so rundliche, aber immer noch so resolute Frauchen so ganz
still und ohne viel Aufhebens durch ihre Kunst erworben hatte, ehe es
den Brettern, die die Welt und — leider muß es gesagt sein — nicht
immer die des Herzensreinen bedeuten, für immer Valet sagte, und von
dessen Zinsen, nicht zu vergessen dessen, was der zielbewußte Gatte
vordem durch nimmerrastender Hände Arbeit geschaffen, das Paar nun
einträglich schaltete und waltete.

Und willst du jetzt, geneigte Leserin, Zeugin sein eines
stillzufriedenen Glückes, — komm, folge mir in das behagliche Stübchen,
wo Vater Schoißengeyer von des Tages Unrast und Mühsal verschnaufend,
an dem grünen Kachelofen sitzend, der derben Stiefel entledigt, in
den stets weißen blitzsaubern Socken die fleißigen Füße — die von
treubesorgt emsigem Auf- und Niedergang in dem schmucken Anwesen so
ermüdeten — Erquickung atmen läßt.

Frau Veronika, wie immer in der geliebten Tracht ihrer Heimat, wehrt
den übermütigen Rangen, die, zwölf an der Zahl, bei der stämmigen
Gestalt ihres Erzeugers doch alle der Mutter wie aus dem Gesicht
geschnitten, sie jauchzend umdrängen. Gestehet, ist das nicht ein
entzückendes Bild?! Ein erhebendes Symbol wahren dauernden Glückes
zweier, die mit klarer Besonnenheit ihren gegenseitigen schlichten Wert
erkannten und jedem Tande abhold, stets ihrem Stande, ihrem Stamme treu
geblieben waren. Die nie zu hoch hinaus gewollt ins Unreale und flugs
zugegriffen, wenn es galt, ehrlichen irdischen Vorteil beim Schopfe zu
fassen. Oh, könnte sich unser Auge, wohin es in der Welt auch blicke,
doch stets an solch inniger Vollkommenheit erlaben!

Doch jetzt geht das Öl der Lampe zur Neige, und alles sucht die
schwellende Lagerstätte auf.

Nur Frau Veronika bleibt noch ein Weilchen und gedenkt im stillen der
bewegten Vergangenheit, der nahen und doch, ach, so fernen.

Wie ihr guter Mann verlegen die Ballonmütze in den Händen gedreht,
damals, und sie ihm ohne viel Federlesens um den Hals gefallen war. Und
der Ärger des verschmähten Freiers, jenes windigen Gecken, dem es ja
doch nur um ihr Geld zu tun gewesen.

Und dann die Hochzeit! Die Hochzeit in Linz, der Vaterstadt ihres
Schoißengeyer — —!!

    „Brock’ mer uns a Sträuß-la,
    Steck’ mer’s uns aufs Hüat-la.
    So san mir Landsleut’,
    Linzerische Bua’m — —“

Frau Veronika wiegte summend das Köpfchen, und ihre Augen wurden feucht.

Wiederum, als sei es eben erst gewesen, sah sie im Geiste die
Deputation des oberösterreichischen Dichterbundes feierlich auf
sich zuschreiten und ihr die Ehrengabe überreichen, einen breiten,
wunderschönen roten „Andreas-Hofer“-Gürtel und dazu, wie der
Sprecher schelmisch hervorhob, für ihren künftigen Erstgeborenen
einen prachtvollen künstlichen Kropf aus fleischfarbenem Leder zum
Umschnallen, falls ihn dereinst die Zünfte zum Abgeordneten für die
Alpenländer wählen sollten. Rasch sich in die Lage findend, hatte
Veronika damals in schmuckloser Einfachheit das „Zu Mantua in Banden“
vorgetragen, und als sie mit dem herzzerreißenden Wehruf:

    „Franzosen, ach, wie schießt ihr schlecht“

schloß, da wischten sich die bärtigen Männer mit den rauhen Handrücken
über die Augen.

Es ging ein Schluchz durch Österreichs Gaue!

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Selig lächelte Frau Veronika vor sich hin. Dann sehnte auch sie sich
nach der labenden Ruhe des Schlummers an der Seite des geliebten Gatten
—

    „Sie nimmt das Licht und geht zu Bett
    Und spricht: der Abend war so nett.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —


Schlußgesang

Und wir? Lasset uns kommen zu Hauf allesamt und dem Wildschwein
Veronika ein treulich Andenken bewahren auch fürder. Und drohe auch
welsche Art wie nächtlich grimmer Wolf unsere Hürde zu beschleichen,
die tückischen Krallen zu wetzen nach dem Hort teutscher Kunst, —
nein, Herz, sei unverzagt, nimmermehr sollen sie es uns entfremden —
die Pierre Lotis, die Oskar Wildes und Maeterlincke, die Strindberge,
Wedekinde und der grämliche Ibsen und wie sie alle heißen mögen, diese
ausgestoßenen Stiefkinder bodenständiger unverfälschter Fabulierkunst,
— nimmermehr entfremden das holde, innigschlichte Bild

                 +unserer, unserer, unserer Veronika+.

                            Das walte Gott!



Izzi Pizzi


Die letzte Sehenswürdigkeit, die ich auf einer Gesellschaftsreise zu
mir nahm, war das „goldene Dachl“ in Innsbruck gewesen.

Seitdem habe ich bei Wischnu geschworen, nichts dergleichen mehr zu
besichtigen.

Ich gebe lieber ganz offen zu, daß ich ein verkommener Mensch bin, der
kein Interesse an den Dingen hat, die die Nation mit Stolz erfüllen —
den selbst die erbeutetsten Kanonen langweilen und dessen Herz auch
beim Anblick der Spitzenbinden Klothilde der Keuschen nicht höher
schlägt.

So ein Kerl wie ich weiß nichts Besseres zu tun, als auf einer Reise in
den Straßen herumzubummeln, Leute zu betrachten, stundenlang auf dem
Tandelmarkt zu stehen oder in Schaufenster zu gucken. —

So hatte auch ich es wieder einmal den ganzen Tag getrieben, und als
der Abend kam, zog ich meinen Kompaß aus der Tasche und schlug jene
Richtung ein, die am schnellsten und sichersten weg von dem Theater der
Stadt führt. —

Ein zweites Theater gab es bestimmt nicht, das hatte mir ein
Polizeimann auf Ehrenwort versichert, und so war ich denn ganz
beruhigt. —

Nicht lange, und ich studierte das auffallende Plakat der „Wiener
Orpheum-Gesellschaft“ beim Schein der darüberhängenden roten Laterne:

„Izzi Pizzi, die reizende jugendliche Chansonette, genannt der ‚Stolz
von Hernals‘, debütiert heute abermals,“ so las ich, schlug an meine
Brust, ob ich meine Brieftasche auch ganz sicher bei mir habe, und
betrat mit dem entschlossenen Schritte des Wüstlings das „Schwarze
Roß“. So wurde das Lokal genannt — offenbar nach dem bärtigen
Besitzer, der mir eine Glastür wies. —

Ein langes, schmales Zimmer, gesteckt voll. — Ich setze mich an jenen
Tisch, der mit „reserviert“ bezeichnet ist und daher dem Kenner sagt,
daß hier nur Wüstlinge sitzen dürfen. —

Soeben betritt Izzi Pizzi das Podium und singt das herrliche Lied:
„Ja, mir von Lerchenfeld, mir san hussarisch g’stellt.“ — Bei dem
Worte Lerchenfeld produziert sie jedesmal eine Armbewegung von
unnachahmlicher Grazie, tritt mit dem linken Fuß zurück und stellt ihn
auf die Spitze.

Die oder keine, flüstert mein pochendes Herz.

Ich rufe den Zahlkellner, zücke einen Silbergulden und lade die Schöne
zum Souper.

— Halb zwölf Uhr, und die Vorstellung wird gleich zu Ende sein. —

Etelka Horváth, ein schwarzes Ungarmädel, schlank wie eine Gerte,
strampft noch die Schlußtakte eines wunderschönen ixbeinigen Csardás
und heult ä und ö dabei. —

„Die Dame wird sofort erscheinen“, meldet der Kellner.

Ich setze den Hut auf, lasse meinen Überzieher im Stich und gehe über
den Hof ins „~Chambre séparée~“. —

Es ist bereits gedeckt.

Für +drei+ Personen? — Aha, der blödsinnige Trick mit der Gardedame! —

Und dann viererlei Gläser?! Pfui Teufel! — Was kann man dagegen tun?
— Ich versinke in dumpfes Brüten. —

Ein rettender Gedanke: „Sie, Oberkellner, schicken Sie sofort zu Franz
Maader, Weinhandlung in der Eisengasse, um eine große Steinflasche
Otschischciena, verstehen Sie? Otschischciena — O—tschisch—ciena!“

Ein Geräusch an der Tür!

Ein fraisfarbener Mantel mit wabernden blonden Federn und einem blauen
Mühlstein tritt ein. — Ich mache drei Schritte auf das Phantom zu und
verbeuge mich ernst und feierlich.

„Izzi Pizzi“, stellt sich der Mantel zuerst vor.

„Baron Semper Saltomortale vom Vorgebirge Athos“, erwidere ich ruhig
und würdevoll.

Zwei blaue, große Augen schauen mich mißtrauisch an. — Ich reiche der
Dame den Arm und führe sie zu Tisch.

Was ist denn das?! Ein schwarzer Seidenklumpen mit Schmelztropfen sitzt
bereits dort? — Ich reiße die Augen auf: Teufel! bin ich verrückt
geworden? Oder war die Alte am Ende im Klavier versteckt gewesen?

Ich schiebe der Schönen den Sessel unter.

Er ist wirklich ein Ausländer, denkt sie.

„Meine Erzieherin,“ stellt sie die Alte vor, „Sie gestatten doch.“

Der Kellner kommt herein, ich stürze ihm entgegen und stelle ihn noch
an der Tür: „Sie, ich zahle weder Schusterrechnungen, noch etwaige
gestrige Zechen — und dann: die Krachmandeln ohne Schale, verstanden —
daß mir keine Vielliebchen drunter sind, überhaupt ...“

Der Kellner zwinkert verständnisvoll mit dem rechten Auge; — ich
drücke ihm ein Trinkgeld in die Hand, wie es sonst nur regierende
Herzöge bekommen.

„Und den Stock hängen Sie mir auch her,“ setze ich +laut+ hinzu, damit
die Damen keinen Verdacht schöpfen.

Izzi Pizzi bestellt selbst: „Zuerst bringen S’ Kaviar — bringen S’
gleich die ganze Blechbüchs’n, damit man nöt immer klingeln muß ...“

„Kaviar ist sehr gesund“, wendet sie sich zu +mir+ und wirft mir einen
Glutblick zu. —

„In meiner Heimat trägt sogar jeder Gentleman eine Zitrone bei sich“,
füge ich verständnisinnig hinzu.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Der Kaviar ist leider ausgegangen, vielleicht Ölsardinen gefällig?“
sagt der Kellner.

Izzi Pizzi fährt auf: „Aber draußen steht doch noch eine ganze Büchse
voll!“

„Da ist Schrot drin, Fräulein“, erwidert der Wackere, eingedenk des
erhaltenen Trinkgeldes. —

„Also Krebse — zwölf Stück!“

„Izzi ist ein seltener Vorname“, sage ich zu ihr, als sie mit dem
Bestellen endlich fertig ist.

„Izzi ist nur mein Bühnenname, eigentlich heiße ich Ida. — So eine,
wie d’ Ida war noch nie da.“

„Geistreich, wie alle Wienerinnen, mein Fräulein.“

„Das sagt der Graf auch immer, nöt wahr, Izzi?“ wirft die Alte mit
süßlicher Miene dazwischen.

„Der Graf, der immer so eifersüchtig ist?“ frage ich.

„Sie wissen ...?“ —

„Grafen sind immer eifersüchtig“, ist meine Antwort.

Ich behandle die Chansonette wie eine ~grande dame~ und lege noch nie
gesehene exotische Manieren an den Tag.

Der Alten tritt bereits der Schweiß auf die Stirn — von dem ewigen,
verbindlichen Lächeln.

Izzi heuchelt verhaltene Glut und hängt rachsüchtig im Geist an die
Zahl, die sie in Verbindung mit meinem Portemonnaie in Gedanken trägt,
eine Null an.

„Multiplizieren Sie sie mit fünf“, fahre ich unvermittelt heraus. —

Entsetzt zuckt die Kleine zusammen: „Wie kommen Sie darauf? Was sagen
Sie da?“

Kann er Gedanken lesen? denkt sie.

Die Gardedame glotzt mich stier an und scheint zu glauben, ich sei
verrückt geworden.

Ich sinne nach irgend einer unklaren Antwort, da bringt der Kellner die
Krebse.

Die beiden „Damen“ warten verlegen auf mich, was ich wohl Seltsames mit
den Krebsen beginnen werde.

Ich lasse sie warten und putze sorgsam mein Monokel.

Die Alte hüstelt und rückt an ihrem Schmelzskalp. Die Junge nestelt an
ihrer Bluse.

Endlich erbarme ich mich, blicke schmerzlich auf meine Fingernägel,
nehme einen Krebs und wickle ihn in meine Serviette, die ich sodann vor
mich auf den Tisch lege. —

Izzi hat es mir bereits nachgemacht, nur die Alte traut sich noch nicht
recht.

Dann schlage ich mit der Faust darauf und wickle den zertrümmerten
Krebs wieder aus.

Die Alte ist starr vor Staunen. „Krebsflecken gehen nicht aus der
Wäsche“, fährt es ihr heraus.

„Kusch“, murmelt halblaut die Junge und gibt ihr einen Fußtritt unter
dem Tisch.

In meinem Herzen jubelt die Hölle.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Der Rheinwein war sauer, und der Burgunder hat an Stich g’habt“, hat
die kleine Ida gesagt, ganz glücklich, daß das dumme Essen vorbei und
mit ihm die Gelegenheit, sich arg zu blamieren.

Die Alte hat nur geknabbert.

Siehst du, alte Bestie, denke ich mir, hättest du Mythologie studiert,
so wüßtest du jetzt, was der gottselige Tantalus damals gelitten hat!

Aber jetzt kommt der Sekt, du dummer Fex, und +trinken+ kann jeder, wie
er will, da gibt’s keine Arabesken, denkt sich die Alte und wirft mir
einen grünen Blick zu.

„Kühlen Sie vorläufig nur eine Flasche Pommery, ~goût américain~,
Kellner; wir werden dann zu einer andern Marke schreiten, und jetzt
entkorken Sie mal den Steinkrug da und bringen Sie zwei mittelgroße
Wassergläser dazu — eines für die gnädige Frau! — Ihnen, mein Fräulein,
wage ich nicht anzubieten,“ wende ich mich zu Izzi, „es erhitzt das
Blut ein wenig.“

„Was ist denn drin?“ fragt die Kleine neugierig.

„Otschischciena — Tischwein auf Deutsch, ein russischer Labetrunk, den
wir immer vor dem Champagner nehmen — Damen und Herren —, sieht genau
aus wie gewöhnliches Wasser, — Sie sehen“, sage ich und schenke das
Glas der Alten voll.

Das meinige fülle ich unbemerkt mit wirklichem Trinkwasser.

„Man muß das ganze Glas auf einen Ruck hinunterstürzen, sonst leidet
der Geschmack darunter; ich werde mir erlauben, es Ihnen vorzumachen,
gnädige Frau — sehen Sie, so ...“

Ich weiß nicht, woraus Otschischciena gemacht wird, ich weiß auch
nicht, ob der Erfinder dieses Getränkes überhaupt ein lebender Mensch
war, ich weiß nur eines, rauchende Salpetersäure ist lauwarmes
Weihwasser dagegen.

Ein Gefühl des Mitleides beschlich mich, wie ich sah, daß die alte Frau
das volle Glas wirklich so hinunterstürzte.

Selbst Chingagook, der große Häuptling der Mohikaner, wäre tot
zusammengebrochen.

Die Gardedame aber verzog keine Miene, sie hatte die Augen
niedergeschlagen und griff nach ihrer Frisur.

Sie wird jetzt eine lange Hutnadel hervorziehen und sie mir ins
Herz bohren, denke ich mir. Doch nichts Ähnliches geschieht. Die
Alte schaut mir voll ins Gesicht mit dankbarem Blick: „Wirklich
ausgezeichnet, Herr Baron.“

„Ich möchte auch einmal kosten“, lispelt Izzi und macht einen kleinen
Schluck.

Dann fischt sie ein hineingefallenes Insekt aus dem Glas und trällert
so gewiß: „Die +Flieg’n+ kommt mir +spanisch+ vor, +spanisch+ vor,
+spanisch+ vor.“

Ich lasse mich aber nicht aus der Rolle bringen und bleibe so
konventionell wie zuvor.

Als Izzis Knie das meine drückt, sage ich Pardon und werfe einen
scheuen Blick auf die „Erzieherin“.

Das wird der Kleinen zu dumm, und sie schickt die Alte endlich
ärgerlich schlafen.

Ich lege der Gnädigen den Steinkrug an die Brust und wünsche ihr eine
recht geruhsame Nacht. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Also jetzt werden sie der Reihe nach kommen, die alten bekannten
Geschichten: daß es Ida auch nicht an der Wiege gesungen worden war,
und so; daß sie sich einem Kavalier hingab, nur um ihres Bruders
Spielschulden zu decken. Die Alte, die eben ging, stamme noch aus der
Zeit, als sie selbst, noch ein Wildfang, sich auf den herrschaftlichen
Gütern ihres Vaters herumgetummelt; eine alte treue Dienerin! — Und
wie sie den Grafen hasse, der sie so eifersüchtig bewacht, — nur ein
paar Gulden in der Hand, um einige kleine Schulden: Schusterrechnung
und dergleichen, zu bezahlen, die sie zu stolz ist, ihm einzugestehen
— und sie würde ihm auf der Stelle den Laufpaß geben. — Und dann die
Kolleginnen! — Ach Gott, schamlose Dinger — besser, gar nicht davon zu
reden! —

Ich sehe Izzi forschend an. — Richtig, sie hat ein ernstes Gesicht
aufgesetzt und macht bereits Märchenaugen.

„Etelka Horváth ist heute abend das letztemal aufgetreten, das Publikum
hat schon gezischt“, beginnt sie.

Aha, denke ich mir, Abwechslung macht das Leben schön; die fängt einmal
von hinten an.

„Heute schläft sie schon drüben im Hotel Bavaria, die — die — — na —
die — die Ungarin. — Ich selbst wohne hier im Hause, im ‚Schwarzen
Roß‘, oben im ersten Stock. — Von sieben Uhr abends darf ich weder
ausgehen, noch auch Besuche auf meinem Zimmer empfangen. Der Graf ist
ein elender Tyrann“, fährt sie fort.

„Und dann ist es obendrein Polizeivorschrift“, werfe ich träumerisch
ein.

„Auch das,“ gibt sie verlegen zu, „aber von 9 Uhr früh an kann man mich
besuchen, — bis 12 Uhr liege ich im Bett!“

Pause.

Mein Fuß streift den ihren.

Sie lehnt sich zurück, sieht mich durch halbgeschlossene Lider an,
knirscht mit den Zähnen und beginnt hastig zu atmen. —

Ich reiße sofort den Federnmantel von der Wand und lege ihn um ihre
Schultern: „Sie müssen sich schlafen legen, liebes Kind, Sie fiebern ja
förmlich?“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Wir gehen über den Hof zurück zum Stiegenhaus.

Beim Portier bleibt Izzi zum Abschied stehen: „Gehen Sie schon nach
Hause oder noch ins Café, Baron?“

„Ich muß morgen zeitig aufstehen und gleich um neun Uhr einen Besuch
machen,“ antworte ich, und schaue ihr tief in die Augen; „ich habe
heute abend mein Herz verloren, — aber werden Sie auch nichts verraten?“

Die Kleine schüttelt unsicher den blauen Samtmühlstein.

„Dann will ich es Ihnen anvertrauen: Ich bin ganz weg in die süße
Etelka, Ihre reizende Kollegin.“

Izzi fegt die Treppe hinauf, ich aber stehe seelenvergnügt und pfeife
mir eins:

  „Denn die Rose —
  Und das Mädchen —
  Will betro—gen —
  Sein.“



~Bal macabre~


Lord Hopeleß hatte mich aufgefordert, doch an seinem Tisch zu sitzen,
und stellte mich den Herren vor.

Es war spät nach Mitternacht, und ich habe mir die meisten Namen nicht
gemerkt.

Den Doktor Zitterbein kannte ich schon früher.

„Sie sitzen ja immer allein, es ist schade,“ hatte er gesagt und mir
die Hand geschüttelt, — „warum sitzen Sie immer allein?“

Ich weiß, daß wir nicht viel getrunken hatten und dennoch unter jenem
feinen, unmerklichen Rausche standen, der uns manche Worte nur wie
von weitem hören läßt, und wie ihn die Nachtstunden bringen, wenn
Zigarettenrauch und Weiberlachen und seichte Musik uns umhüllt.

Daß aus einer Cancanstimmung wie dieser — aus einer Atmosphäre von
Zigeunermusik, Cake-Walk und Champagner ein Gespräch über phantastische
Dinge auftauchen konnte?! Lord Hopeleß erzählte etwas.

Von einer Brüderschaft, die allen Ernstes existiere, von Menschen —
besser gesagt, von Toten oder Scheintoten, — Leuten aus besten Kreisen,
die im Munde der Lebenden schon seit langem gestorben seien, sogar auf
dem Friedhof Leichensteine und Grüfte mit Namenszug und Todesdatum
besäßen, in Wirklichkeit aber in jahrelangem, ununterbrochenem
Starrkrampfe irgendwo in der Stadt, im Innern eines altmodischen
Hauses, bewacht von einem buckligen Diener mit Schnallenschuhen und
gepuderter Perücke, den man den gefleckten Aron nenne, empfindungslos,
geschützt vor Verwesung, in Schubladen lägen. — In gewissen Nächten
trete ihnen ein mattes, phosphoreszierendes Leuchten auf die Lippen,
und damit sei dem Krüppel das Zeichen gegeben, eine geheimnisvolle
Prozedur an den Halswirbeln dieser Scheinleichen vorzunehmen. Sagte er.

Frei könnten ihre Seelen dann umherschweifen — auf kurze Zeit von
ihren Leibern gelöst — und sich den Lastern der Großstadt hingeben.
Mit einer Intensität und einer Gier, die selbst nicht für den
Raffiniertesten ausdenkbar sei.

Unter anderem fände da ein vampirartiges, zeckenhaftes Sichansaugen
an die von Laster zu Laster taumelnden Lebenden statt, — ein Stehlen,
ein Sichbereichern am Nervenkitzel der Massen. Sogar Satzungen habe
dieser Klub, der übrigens den kuriosen Namen Amanita führen solle,
und Statuten und strenge Bestimmungen, die Aufnahme neuer Mitglieder
betreffend. Doch darüber läge ein undurchdringlicher Schleier des
Geheimnisses.

Das Ende dieses Gespräches des Lord Hopeleß konnte ich nicht mehr
verstehen, zu laut fielen die Musikanten mit dem neuesten Gassenhauer
ein:

    „Ja, ja die Kla—re
    Ist mir die wah—re.
    Trala, trala, trala,
    Tra—lalala—la.“

Die grotesken Verrenkungen eines Mulattenpaares, das dazu eine Art
Niggercancan tanzte, all dies wirkte wie die wortlose Verstärkung des
verstimmenden Einflusses, den die Erzählung auf mich genommen.

In diesem Nachtlokal mitten unter geschminkten Straßendirnen,
frisierten Kellnern und brillant-hufeisengeschmückten Zutreibern bekam
der ganze Eindruck etwas Lückenhaftes, Verstümmeltes und gerann in
meinen Sinnen zu einem grauenvollen, halblebenden Zerrbild.

Wie wenn die Zeit in unbewachten Momenten plötzlich einen geräuschlos
hastenden Schritt tue, verbrennen Stunden in unserm Rausche zu
Sekunden, wie Funken in der Seele aufglimmend, um ein krankhaftes
Geflecht kurioser, waghalsiger Träume, geschlungen aus wirren
Begriffen, aus Vergangenheit und Zukunft, zu beleuchten.

So höre ich noch aus dem Dunkel der Erinnerung heraus eine Stimme
sagen: „+Wir sollten dem Klub Amanita eine Karte schreiben.+“

Wie ich jetzt schließen kann, muß also das Gespräch immer wieder zum
selben Thema zurückgekehrt sein.

Dazwischen dämmern mir Bruchstücke kleiner Wahrnehmungen auf, wie
das Zerbrechen eines Likörglases, ein Pfiff, — dann, daß eine
Französin auf meinem Knie gesessen, mich geküßt, mir Zigarettenrauch
in den Mund geblasen und die Zungenspitze ins Ohr gesteckt habe.
Später wieder schob man mir eine verschnörkelte Karte hin, ich solle
mitunterschreiben, und mir fiel der Bleistift aus der Hand, — und dann
ging es wieder nicht, weil mir die Kokotte ein Glas Champagner über
die Manschette goß.

Deutlich weiß ich nur, wie wir alle mit einem Schlage ganz nüchtern
wurden und in unseren Taschen, auf und unter dem Tische nach der Karte
suchten, die Lord Hopeleß mit aller Gewalt zurückhaben wollte, die aber
spurlos verschwunden blieb.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

    „Ja, ja die Kla—re
    Ist mir die wah—re“

kreischten die Geigen den Refrain und versenkten unser Bewußtsein immer
wieder in tiefe Nacht.

Wenn man die Augen schloß, glaubte man sich auf einem dicken, schwarzen
Samtteppich liegen —, aus dem nur vereinzelte rubinrote Blumen
aufleuchteten.

„Ich will etwas zu essen haben,“ hörte ich jemand rufen, — — „was, —
was? — — Kaviar — Blödsinn. Bringen Sie mir — bringen Sie mir, na —
bringen Sie mir eingemachte Schwämme.“

Und wir aßen alle saure Schwämme, die mit einem würzigen Kraut in einer
fadenziehenden, wasserhellen Flüssigkeit schwammen.

    „Ja, ja die Kla—re
    Ist mir die wah—re.
    Trala, trala, trala,
    Tra—lalala—la.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Da saß plötzlich an unserem Tische ein seltsamer Akrobat in einem
schlotterigen Trikot und rechts daneben ein maskierter Buckliger mit
einer weißen Flachsperücke.

Neben ihm ein Weib; und alle lachten.

Wie ist er nur hereingekommen, mit — denen? Und ich drehte mich um:
außer uns war niemand mehr im Saal.

Ach was, dachte ich mir, — — ach was.

Es war ein sehr langer Tisch, an dem wir saßen, und der größte Teil des
Tischtuches schimmerte weiß, — leer von Tellern und Gläsern.

„Monsieur Phalloides, tanzen Sie uns doch etwas vor“, sagte einer der
Herren und schlug dem Akrobaten auf die Schulter.

Sie sind vertraut miteinander, träumte ich mir zurecht, wahr — —
wahrscheinlich sitzt er schon lange hier, der — der — — — das
Trikot.

Und dann sah ich den Buckligen zu seiner Rechten an, und seine
Blicke begegneten meinen. Er trug eine weißlackierte Maske und ein
verschossenes, hellgrünes Wams, ganz zerlumpt und voll aufgenähter
Flecken.

Von der Straße!

Wenn er lachte, war es wie ein schwirrendes Rasseln.

„~Crotalus! — Crotalus horridus~“, fiel mir ein Wort aus der Schulzeit
ein; ich wußte seine Bedeutung nicht mehr, aber ich schauderte, wie ich
es mir leise vorsagte.

Da fühlte ich die Finger der jungen Dirne unterm Tisch an meinem Knie.

„Ich heiße Albine Veratrine“, flüsterte sie stockend, als wolle sie ein
Geheimnis verraten, wie ich ihre Hand faßte.

Sie rückte dicht neben mich, und ich erinnerte mich dunkel, daß sie mir
einmal ein Glas Champagner über die Manschette gegossen hatte. — — Ihre
Kleider strömten einen beißenden Geruch aus, man mußte fast niesen,
wenn sie sich bewegte.

„Sie heißt natürlich Germer, — Fräulein Germer, wissen Sie“, sagte der
Doktor Zitterbein laut.

Da lachte der Akrobat kurz auf und sah sie an und zuckte mit den
Achseln, als ob er etwas Entschuldigendes sagen wolle.

Ich ekelte mich vor ihm, er hatte handbreite Hautentartungen am Halse
— wie ein Truthahn, aber krausenartig — ringsherum und von blasser
Farbe.

Und sein mattfleischfarbenes Trikot schlotterte an ihm von oben bis
unten, weil er engbrüstig und mager war. Auf dem Kopfe trug er einen
flachen, grünlichen Deckel mit weißen Tupfen und Knöpfen. Er war
aufgestanden und tanzte mit einer, die hatte eine Kette gesprenkelter
Beeren um den Hals.

Sind neue Frauenzimmer hereingekommen? fragte ich Lord Hopeleß mit den
Augen.

„Es ist die Ignatia — meine Schwester“, sagte Albine Veratrine, und wie
sie das Wort „Schwester“ sagte, blinzelte sie mich aus den Augenwinkeln
an und lachte hysterisch.

Dann streckte sie mir plötzlich die Zunge heraus, und ich sah, daß
sie einen trockenen, langen, roten Streifen mitten darauf hatte, und
entsetzte mich.

Es ist wie eine Vergiftungserscheinung, dachte ich mir, warum hat sie
einen roten Streifen? — — Es ist wie eine Vergiftungserscheinung.

Und wieder hörte ich wie von weitem die Musik:

    „Ja, ja die Kla—re
    Ist mir die wah—re“,

und ich wußte bei geschlossenen Augen, wie alle im Takt dazu mit den
Köpfen nickten. — — — —

Es ist wie eine Vergiftungserscheinung, träumte ich und wachte in einem
Kälteschauer auf:

Der Bucklige in dem grünen, fleckigen Wams hatte eine Dirne auf dem
Schoße und zupfte ihr mit eckig zuckenden Händen, wie im Veitstanz und
als wolle er den Rhythmus einer unhörbaren Musik angeben, die Kleider
ab.

Dann stand Doktor Zitterbein mühsam auf und knöpfte ihr die
Achselbänder los.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Zwischen Sekunde und Sekunde liegt immer eine Grenze, die ist nicht
+in+ der Zeit, die ist nur gedacht. Das sind so Maschen, wie bei
einem Netz“ — hörte ich den Buckligen reden, — „und diese Grenzen
zusammengezählt sind noch immer keine Zeit, aber wir denken sie doch, —
einmal, noch einmal, noch eine, eine vierte — —

Und wenn wir nur in diesen +Grenzen+ leben und die Minuten und Sekunden
vergessen und nicht mehr wissen, — dann sind wir gestorben, dann leben
wir den Tod.

Ihr lebet fünfzig Jahre lang, davon stiehlt euch die Schule zehn: sind
vierzig.

Und zwanzig frißt der Schlaf: sind zwanzig.

Und zehn sind Sorgen, macht zehn.

Und fünf Jahre regnet es: bleiben fünf.

Von diesen fürchtet ihr euch vier hindurch vor morgen, so lebet ihr ein
Jahr — — +vielleicht+!

Warum wollt ihr nicht sterben?!

Der Tod ist schön.

Da ist Ruhe, immer Ruhe.

Und kein Sorgen um morgen.

Da ist die schweigende Gegenwart, die ihr nicht kennt, da ist kein
Früher und kein Später.

Da liegt die schweigende Gegenwart, die ihr nicht kennt! — Das sind die
verborgenen Maschen zwischen Sekunde und Sekunde im Netz der Zeit.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die Worte des Buckligen sangen in meinem Herzen, und ich blickte auf
und sah, wie dem Mädchen das Hemd heruntergefallen war und sie nackt
auf seinem Schoße saß. Sie hatte keine Brüste und keinen Leib — nur
einen phosphoreszierenden Nebel vom Schlüsselbein zur Hüfte.

Und er griff mit den Fingern in den Nebel hinein, da schnarrte es wie
Baßsaiten, und rasselnd fielen Stücke Kesselstein heraus. — So ist der
Tod, fühlte ich — wie Kesselstein.

Da hob sich langsam die Mitte des weißen Tischtuches wie eine große
Blase, — ein eisiger Luftzug wehte und verwehte den Nebel. Glitzernde
Saiten kamen ans Licht, die zogen sich vom Schlüsselbein der Dirne bis
zur Hüfte. Ein Wesen, halb Harfe, halb Weib!

Der Bucklige spielte darauf, träumte mir, ein Lied von Tod und
Lustseuche, das klang in einen fremdartigen Hymnus aus:

    „In Leiden kehrt sich um die Lust,
    In Wohl gewiß nicht, — sicherlich!
    Wer Lust ersehnt, wer Lust erkürt,
    Erkürt sich Leid, ersehnt sich Leid:
    Wer nimmer Lust ersehnt, erkürt,
    Erkürt, ersehnt sich nimmer Leid.“

Und mir kam ein Heimweh nach dem Tode bei diesen Strophen, und ich
sehnte mich nach dem Sterben.

Doch im Herzen bäumte sich das Leben auf — ein dunkler Trieb. Und Tod
und Leben standen drohend einander gegenüber; das ist der Starrkrampf.

Mein Auge war unbeweglich, und der Akrobat beugte sich über mich, und
ich sah sein schlotteriges Trikot, den grünlichen Deckel auf seinem
Kopf und die Halskrause.

„Starrkrampf“, wollte ich lallen und konnte nicht.

Wie er von einem zum andern ging und ihnen lauernd ins Gesicht blickte,
wußte ich, wir sind gelähmt: er ist wie ein +Giftschwamm+.

Wir haben giftige Schwämme gegessen und ~Veratrum album~ dabei, das
Kraut des weißen Germers.

Das alles sind Nachtgesichte!

Ich wollte es laut rufen und konnte nicht.

Ich wollte zur Seite sehen und konnte nicht.

Der Bucklige mit der weißlackierten Maske stand leise auf, und die
anderen folgten ihm und ordneten sich schweigend in Paare.

Der Akrobat mit der Französin, der Bucklige mit der menschlichen Harfe,
Ignatia mit Albine Veratrine. — So zogen sie im fersenzuckenden
Cake-Walk-Schritt zu zwei und zwei in die Wand hinein.

Einmal noch drehte sich Albine Veratrine nach mir um und machte eine
obszöne Bewegung.

Ich wollte meine Augen zur Seite drehen oder die Lider schließen und
konnte nicht, — ich mußte immer die Uhr sehen, die an der Wand hing,
und wie ihre Zeiger wie diebische Finger um das Zifferblatt schlichen.

Dabei tönte mir in den Ohren das freche Couplet:

    „Ja, ja die Kla—re
    Ist mir die wah—re.
    Trala, trala, trala,
    Tra—lalala—la“,

und wie ein ~Basso ostinato~ predigte es in der Tiefe:

    „In Leiden kehrt sich um die Lust:
    Wer nimmer Lust ersehnt, erkürt,
    Erkürt, ersehnt sich nimmer Leid.“

Ich genas von dieser Vergiftung nach langer, langer Zeit, die andern
aber sind alle begraben.

Sie waren nicht mehr zu retten, — hat man mir gesagt, — als Hilfe kam.

Ich aber ahne, man hat sie scheintot bestattet, wenn auch der
Arzt sagt, Starrkrampf komme nicht von giftigen Schwämmen,
Muskarinvergiftung sei anders; — ich ahne, man hat sie alle scheintot
begraben und muß schaudernd an den Klub Amanita denken und den
gespenstischen buckligen Diener, den gefleckten Aron mit der weißen
Maske.



Der Buddha ist meine Zuflucht


Das hab’ ich gehört:

Zu einer Zeit lebte ein alter Musiker in dieser Stadt; arm und
verlassen. Das Zimmer, in dem er wohnte, in dem er einen Teil der Nacht
zubrachte und einen Teil des Tages, war eng, düster, armselig, und in
dem armseligsten, engsten, düstersten Viertel gelegen.

Nicht von je war der Alte so verlassen gewesen. An Jahre konnte er
zurückdenken, an Jahre voll Pracht und Prunk — und was an Glanz die
Erde dem Reichsten bietet, das hatte sie einst ihm geboten.

Was an Freude die Erde dem Freudvollen bietet, das hatte sie einst ihm
geboten.

Was an Wonnen und Schönheit die Erde dem Glücklichen bietet und dem
Schönen bietet, das hatte sie auch ihm geboten.

An einem Tage aber war die Wende in seinem Glücke gekommen. So wie an
einem hellen Morgen die Sonne aufsteigt in wolkenlosem Himmel, ihren
Höhepunkt erreicht an Klarheit, um dann niederzugehen und in trübes
Dunkel zu tauchen, in dichtes Dunkel zu tauchen, in undurchdringliches
Dunkel zu tauchen, dann unsichtbar wird, in Nacht versinkt.

Und als die Wende in seinem Glücke gekommen war und jeder neue Tag
neues Unheil brachte, hatte er Hilfe im Gebet gesucht; — auf daß sein
Untergang aufgehalten werde, auf den Knien gelegen lange und viele
Nächte.

Aber Pracht und Prunk verblaßten, Freude und Glanz schwanden dahin,
sein Reichtum zerbrach. Sein Weib verließ ihn, sein Kind starb, als er
in seiner Armut nichts mehr besaß, es zu pflegen.

Da hatte er um nichts mehr gebetet.

— So trat seine Seele in die Dunkelheit. —

Wie in tiefer Nacht, wenn Finsternis die Formen und Kanten und Farben
der Dinge und Wesen verschlungen hat, und eines vom andern nicht mehr
kann unterschieden werden, — wie in tiefer Nacht der Himmel sich leise,
unmerklich hellt vom Schimmer des kommenden Mondes und flüsternd die
verschwundenen Formen und Kanten der Dinge und Wesen zu einem andern
Leben weckt, so tauchten leise, unmerklich, flüsternd aus dem Dunkel
seines Herzens die Worte auf, die er einstmal vernommen, gelesen
irgendwo, irgendwann in der Zeit seines Reichtums, — die Worte des
Buddha:

    „Daher schließ dich an Liebes nicht,
    Geliebtes lassen ist so schlimm!
    Kein Daseinsband verstricket den,
    Dem nichts mehr lieb noch unlieb ist.
    Aus Liebem sprießet Gram hervor,
    Aus Liebem sprießet Furcht hervor,
    Wer sich von Liebem losgesagt,
    Hat keinen Gram und keine Furcht.
    Dem Lebenstrieb entsprießt der Gram,
    Dem Lebenstrieb entsprießt die Furcht:
    Wer losgelöst vom Lebenstrieb,
    Hat keinen Gram und keine Furcht.“

Da trat seine Seele in die Dämmerung.

Alles Wünschen und alles Hoffen war von ihm abgefallen, aller Gram,
alle Gier, alles Leid, alle Freude.

Morgens, wenn er erwachte, sandte er seine Liebe und sein Mitleid nach
Osten, nach Westen, nach Süden, nach Norden, nach oben, nach unten,
und wenn er seine Arbeit begann, murmelte er: „Der Buddha ist meine
Zuflucht“, und wenn er sich schlafen legte, murmelte er: „Der Buddha
ist meine Zuflucht.“

Wenn er sein karges Mahl einnahm, wenn er trank, wenn er aufstand oder
sich niedersetzte, wenn er fortging oder wiederkam, murmelte er: „Der
Buddha ist meine Zuflucht.“

Verschlossen wurden da die Tore seiner Sinne, daß Wünschen und Hassen,
— Gier, Leid und Freude keinen Einlaß mehr fanden.

An Feiertagen, wenn die Glocken läuteten, — zuweilen —, holte er eine
Glasplatte hervor und befestigte sie an seinem Tisch, schüttete feine
Sandkörner darauf, und wenn er mit dem Bogen seines Cello an dem Rande
des Glases niederstrich, daß es sang, schwingend und klingend, tanzte
der Sand und bildete kleine, feine, regelmäßige Sterne. — Klangfiguren.

Und wie die Sterne und Formen entstanden, wuchsen und vergingen und
wieder entstanden, gedachte er dumpf der Lehre des Buddha Gautama vom
Leiden, von der Leidensentstehung, von der Leidensvernichtung, von dem
zur Leidensvernichtung führenden Pfad. —

    „Der Buddha ist meine Zuflucht.“

In das Land zu ziehen, wo die Heiligen leben, die um nichts mehr zu
beten haben —, wo einst der Erhabene, Vollendete geweilt — der Aszet
Gotamo — und den Weg zur Freiheit gewiesen, — war seine glühende
Sehnsucht.

Dort zu suchen, zu finden den Kreis der wenigen Erkorenen, die den
lebendigen Sinn der Lehre behüten, den von Herz zu Herzen vererbten,
unverdeuteten, unverwirrten, zur atmenden Kraft gewordenen, — war
seine glühende Sehnsucht.

Und das Geld zu erwerben, nach Indien pilgern zu können, in das Land
seiner glühenden Sehnsucht, spielte er mit verschlossenen Sinnen sein
Cello in Schenken seit Tagen und Wochen und Monaten und vielen, vielen
Jahren.

Wenn seine Gefährten ihm seinen schmalen Teil reichten, von dem, was
sie ersammelt, dachte er an den Erhabenen, Vollendeten, — daß er Ihm
wieder näher sei um einen Schritt: „Der Buddha ist meine Zuflucht.“

Weiß und gebrechlich war er so geworden, da kam der Tag, der ihm die
letzten noch fehlenden Kreuzer brachte.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

In seinem armseligen düstern Zimmer stand er und starrte auf den Tisch.

Was sollte das Geld dort auf dem Tisch!? — Warum hatte er es gesammelt?

Sein Gedächtnis war erloschen.

Er sann und sann, was sollte das Geld dort auf dem Tisch!

Sein Gedächtnis war erloschen.

Er wußte nichts mehr und konnte nicht mehr denken. Nur immer wieder und
wieder, wie eine Welle aus den Wassern springt und zurückfällt, tauchte
der Satz auf in seinem Hirn: „Der Buddha ist meine Zuflucht. Der Buddha
ist meine Zuflucht.“

Da öffnete sich die Tür, und sein Gefährte, der Geiger, ein
mildtätiger, mitleidsvoller Mensch, trat herein.

Der Alte hörte ihn nicht und starrte auf das Geld.

„Wir sammeln heute für die Kinder der Armen“, sagte endlich leise der
Geiger.

Der Alte hörte ihn nicht.

„Wir sammeln heute für die Kinder derer, die vom Wege stehen.

Wir alle, arm und reich. — Daß sie nicht frieren und nicht verderben,
nicht hungern. Daß sie gepflegt werden, wenn sie krank sind. — — —

Willst du nichts geben. Alter? — — — Und bist doch so reich!“

Der Alte begriff den Sinn der Worte kaum; das dumpfe Gefühl, er dürfe
nichts wegnehmen, nichts hergeben von dem Gelde dort auf dem Tisch,
hielt sein Herz fest wie ein Bann.

Er konnte nicht sprechen, ihm war, als hätte er diese Welt vergessen.

Ein Traumgesicht zog an ihm vorüber. — Er sah die glühende Sonne
Indiens über regungslosen Palmen und schimmernden Pagoden und in der
Ferne die weißen Berge blinken.

Die unbewegliche Gestalt Gautama Buddhas kam wie von weitem heran, und
wie ein Echo hörte er im Herzen die kristallene Stimme des Vollendeten
erklingen, wie sie einst im Walde bei Sumsŭmaragĭram die seltsamen
Worte gesprochen:

„+So seh’ ich dich denn hier, Böser! — Laß die Hoffnung fahren: ‚Er
sieht mich nicht!‘+

+Wohl kenn’ ich dich, Böser, laß die Hoffnung fahren: ‚Er kennt mich
nicht!‘ — Mārō bist du, der Böse.+

+Nicht den Vollendeten plage, nicht des Vollendeten Jünger.+ — —

+Weiche von hinnen aus dem Herzen, Mārō, weiche von hinnen aus dem
Herzen, Mārō.+“

Da fühlte der Alte, als lasse eine Hand von ihm. Er gedachte seines
eigenen Kindes, — das gestorben, weil er in seiner Armut nicht hatte,
es zu pflegen. — Dann nahm er all das Geld, das auf dem Tische lag, und
gab es dem Geiger. — — — — — —

    „Der Buddha ist meine Zuflucht.
    Der Buddha ist meine Zuflucht.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Der Geiger war fort, und der Alte hatte, wie an Feiertagen, —
zuweilen —, wenn die Glocken läuteten, die Glasplatte hervorgeholt und
am Tische befestigt.

Und feine Sandkörner darauf geschüttet.

Als er mit dem Bogen seines Cello an dem Rande des Glases niederstrich,
daß es sang, schwingend und klingend, tanzte der Sand und bildete
kleine, feine, regelmäßige Sterne.

Und wie die Sterne und Formen entstanden, wuchsen und vergingen und
wieder entstanden, gedachte er dumpf der Lehre des Buddha Gautama vom
Leiden, von der Leidensentstehung, von der Leidensvernichtung, von dem
zur Leidensvernichtung führenden Pfad. Da begab es sich, daß durch
das löchrige Dach des Zimmers eine Schneeflocke herab auf den Tisch
fiel, einen Augenblick verweilte und zerging. — Ein kleiner, feiner,
regelmäßiger Stern.

Wie ein Blitz die Finsternis zerreißt, plötzlich — so war da das Licht
der Erkenntnis in das Herz des Alten gefallen:

+Töne+, unerkannte, unhörbare, jenseitsliegende, sind der Ursprung
dieser Flocken, dieser Sterne, sind der Ursprung der Natur, der
Ursprung aller Formen, der Wesen und Dinge, sind der Ursprung +dieser+
Welt.

Nicht ist +diese+ Welt die wirkliche Welt: klar ward er sich dessen
bewußt.

Nicht ist +diese+ Welt die wirkliche, nicht entstehende,
nichtvergehende, nichtwiederumentstehende Welt: — klar ward er sich
dessen bewußt.

Und klaren bewußten Sinnes erkannte er des Weltalls verborgenen
Pulsschlag und das Innere seines Herzens, des Abgeklärten,
Trieberstorbenen, Wahnversiegten, darinnen die Stille des Meeres
herrschte und eine letzte Welle schlafengehend sprang und fiel:

    „Der Buddha ist meine Zuflucht ...
    Der Buddha ist meine Zuflucht.“



Das Wachsfigurenkabinett


„Es war ein guter Gedanke von dir, Melchior Kreuzer zu telegraphieren!
— Glaubst du, daß er unserer Bitte Folge leisten wird, Sinclair? Wenn
er den ersten Zug benutzt hat“ — Sebaldus sah auf seine Uhr — „muß er
jeden Augenblick hier sein.“

Sinclair war aufgestanden und deutete statt jeder Antwort durch die
Fensterscheibe.

Und da sah man einen langen schmächtigen Menschen eilig die Straße
heraufkommen.

„Manches Mal gleiten Sekunden an unserm Bewußtsein vorbei, die uns
die alltäglichsten Vorgänge so schreckhaft neu erscheinen lassen, —
hast du es auch zuweilen, Sinclair? — Es ist, als sei man plötzlich
aufgewacht und sofort wieder eingeschlafen und habe währenddessen einen
Herzschlag lang in bedeutsame rätselvolle Begebnisse hineingeblickt.“

Sinclair sah seinen Freund aufmerksam an. „Was willst du damit sagen?“

„Es wird wohl der verstimmende Einfluß sein, der mich in dem
Wachsfigurenkabinett befiel,“ fuhr Sebaldus fort, „ich bin unsäglich
empfindlich heute, — — — als soeben Melchior von weitem herankam und
ich seine Gestalt immer mehr und mehr wachsen sah, je näher sie kam,
— da lag etwas, was mich quälte, etwas — wie soll ich nur sagen —
Nicht-Heimliches für mich darin, daß die Entfernung alle Dinge zu
verschlingen vermag, ob es jetzt Körper sind oder Töne, Gedanken,
Phantasien oder Ereignisse. Oder umgekehrt, wir sehen sie zuerst winzig
von weitem, und langsam werden sie größer, — alle, alle, — auch die,
die unstofflich sind und keine räumliche Strecke zurücklegen müssen.
— Aber ich finde nicht die rechten Worte, fühlst du nicht, wie ich es
meine? — Sie scheinen alle unter demselben Gesetze zu stehen!“

Der andere nickte nachdenklich mit dem Kopfe.

„Ja, und manche Ereignisse und Gedanken, die schleichen verstohlen
heran, — als ob es ‚dort‘ — etwas wie Bodenerhebungen oder dergleichen
gäbe, hinter denen sie sich verborgen halten könnten. — Plötzlich
springen sie dann hinter einem Versteck hervor und stehen unerwartet,
riesengroß vor uns da.“

Man hörte die Tür gehen, und gleich darauf trat Dr. Kreuzer zu ihnen in
die Weinschenke.

„Melchior Kreuzer — Christian Sebaldus Obereit, Chemiker“, stellte
Sinclair die beiden einander vor.

„Ich kann mir schon denken, weshalb Sie mir telegraphiert haben“, sagte
der Angekommene. — „Frau Lukretias alter Gram!? Auch mir fuhr es in die
Glieder, als ich den Namen Mohammed Daraschekoh gestern in der Zeitung
las. Haben Sie schon etwas herausgebracht? Ist es derselbe?“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Auf dem ungepflasterten Marktplatz stand der Zeltbau des
Wachsfigurenkabinetts, und aus den hundert kleinen zackigen Spiegeln,
die auf dem Leinwandgiebel in Rosettenschrift die Worte formten:

  Mohammed Daraschekohs orientalisches Panoptikum,
  vorgeführt von Mr. Congo-Brown

glitzerte rosa der letzte Widerschein des Abendhimmels.

Die Segeltuchwände des Zeltes, mit wilden, aufregenden Szenen grell
bemalt, schwankten leise und bauchten sich zuweilen wie hautüberspannte
Wangen aus, wenn im Innern jemand umherhantierte und sich an sie lehnte.

Zwei Holzstufen führten zum Eingang empor, und oben stand unter einem
Glassturz die lebensgroße Wachsfigur eines Weibes in Flittertrikot.

Das fahle Gesicht mit den Glasaugen drehte sich langsam und sah in die
Menge hinab, die sich um das Zelt drängte, — von einem zum andern;
blickte dann zur Seite, als erwarte es einen heimlichen Befehl von dem
dunkelhäutigen Ägypter, der an der Kasse saß, und schnellte dann mit
drei zitternden Rucken in den Nacken, daß das lange schwarze Haar flog,
um nach einer Weile wieder zögernd zurückzukehren, trostlos vor sich
hinzustarren und die Bewegungen von neuem zu beginnen.

Von Zeit zu Zeit verdrehte die Figur plötzlich Arme und Beine wie unter
einem heftigen Krampfe, warf hastig den Kopf zurück und beugte sich
nach hinten, bis die Stirn die Fersen berührte.

„Der Motor dort hält das Uhrwerk in Gang, das diese scheußlichen
Verrenkungen bewirkt,“ sagte Sinclair halblaut und wies auf die blanke
Maschine an der andern Seite des Eingangs, die, in Viertakt arbeitend,
ein schlapfendes Geräusch erzeugte.

„~Electrissiti~, Leben ja, lebendig alles ja“, leierte der Ägypter oben
und reichte einen bedruckten Zettel herunter. „In halb’ Stunde Anfang
ja.“

„Halten Sie es für möglich, daß dieser Farbige etwas über den
Aufenthalt des Mohammed Daraschekoh weiß?“ fragte Obereit.

Melchior Kreuzer aber hörte nicht. Er war ganz in das Studium des
Zettels vertieft und murmelte die Stellen, die besonders hervorstachen,
herunter.

„Die magnetischen Zwillinge Vayu und Dhanándschaya (mit Gesang), was
ist das? Haben Sie das gestern auch gesehen?“ fragte er plötzlich.

Sinclair verneinte. „Die lebendigen Darsteller sollen erst heute
auftreten und — —“

„Nicht wahr, Sie kannten doch Thomas Charnoque, Lukretias Gatten,
persönlich, Dr. Kreuzer?“ unterbrach Sebaldus Obereit.

„Gewiß, wir waren jahrelang Freunde.“

„Und fühlten Sie nicht, daß er etwas Böses mit dem Kinde vorhaben
könne?“

Dr. Kreuzer schüttelte den Kopf. — „Ich sah wohl eine Geisteskrankheit
in seinem Wesen langsam herankommen, aber niemand konnte ahnen, daß
sie so plötzlich ausbrechen würde. — Er quälte die arme Lukretia mit
schrecklichen Eifersuchtsszenen, und wenn wir Freunde ihm das Grundlose
seines Verdachtes vorhielten, so hörte er kaum zu. — Es war eine fixe
Idee in ihm! — Dann, als das Kind kam, dachten wir, es werde besser
mit ihm werden. — Es hatte auch den Anschein, als wäre dem so. — Sein
Mißtrauen war aber nur noch tiefer geworden, und eines Tages erhielten
wir die Schreckensbotschaft, es sei plötzlich der Wahnsinn über ihn
gekommen, er habe getobt und geschrien, habe den Säugling aus der Wiege
gerissen und sei auf und davon.

Und jede Nachforschung blieb vergeblich. — Irgend jemand wollte ihn
noch mit Mohammed Daraschekoh zusammen auf einem Stationsbahnhof
gesehen haben. — Einige Jahre später kam wohl aus Italien die
Nachricht, ein Fremder namens Thomas Charnoque, den man oft in
Begleitung eines kleinen Kindes und eines Orientalen gesehen, sei
erhenkt gefunden worden. — Von Daraschekoh jedoch und dem Kinde keine
Spur.

Und seitdem haben wir umsonst gesucht! — Deshalb kann ich auch nicht
glauben, daß die Aufschrift auf diesem Jahrmarktszelt mit dem Asiaten
zusammenhängt. — Andererseits wieder der merkwürdige Name Congo-Brown!?
— Ich kann den Gedanken nicht los werden, Thomas Charnoque müsse ihn
früher hie und da haben fallen lassen. — Mohammed Daraschekoh aber
war ein Perser von vornehmer Abkunft und verfügte über ein geradezu
beispielloses Wissen, wie käme der zu einem Wachsfigurenkabinett?!“

„Vielleicht war Congo-Brown sein Diener, und jetzt mißbraucht er den
Namen seines Herrn?“ — riet Sinclair.

„Kann sein! Wir müssen der Fährte nachgehen. — Ich lasse es mir auch
nicht nehmen, daß der Asiat in Thomas Charnoque die Idee, das Kind zu
rauben, geschürt, sie vielleicht sogar angeregt hat. —

Lukretia haßte er grenzenlos. Aus Worten zu schließen, die sie fallen
ließ, scheint es mir, als habe er sie unaufhörlich mit Anträgen
verfolgt, trotzdem sie ihn verabscheute. — Es muß aber noch ein
anderes, viel tieferes Geheimnis dahinter stecken, das Daraschekohs
Rachsucht erklären könnte! — Doch aus Lukretia ist nichts weiter
herauszubekommen, und sie wird vor Aufregung fast ohnmächtig, wenn man
das Gebiet auch nur flüchtig berührt.

Überhaupt war Daraschekoh der böse Dämon dieser Familie. Thomas
Charnoque hatte vollständig in seinem Bann gestanden und uns
oft anvertraut, er halte den Perser für den einzigen Lebenden,
der in die grauenvollen Mysterien einer Art präadamitischer
geheimer Kunstfertigkeit, wonach man den Menschen zu irgendwelchen
unbegreiflichen Zwecken in mehrere lebende Bestandteile zerlegen könne,
eingeweiht sei. Natürlich hielten wir Thomas für einen Phantasten
und Daraschekoh für einen bösartigen Betrüger, aber es wollte nicht
glücken, Beweise und Handhaben zu finden — —

Doch ich glaube, die Produktion beginnt. — Zündet nicht schon der
Ägypter die Flammen rings um das Zelt an?“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die Programmnummer „Fatme, die Perle des Orients“ war vorüber, und die
Zuschauer strömten hin und her oder sahen durch die Gucklöcher an den
mit rotem Tuch bespannten Wänden in ein roh bemaltes Panorama hinein,
das die Erstürmung von Delhi darstellte.

Stumm standen andere vor einem Glassarg, in dem ein sterbender
Turko lag, schweratmend, die entblößte Brust von einer Kanonenkugel
durchschossen, — die Wundränder brandig und bläulich.

Wenn die Wachsfigur die bleifarbenen Augenlider aufschlug, drang das
Knistern der Uhrfeder leise durch den Kasten, und manche legten das Ohr
an die Glaswände, um es besser hören zu können.

Der Motor am Eingang schlapfte sein Tempo und trieb ein orgelähnliches
Instrument.

Eine stolpernde, atemlose Musik spielte, — mit Klängen, die, laut und
dumpf zugleich, etwas Sonderbares, Aufgeweichtes hatten, als tönten sie
unter Wasser.

Geruch von Wachs und schwelenden Öllampen lag im Zelt.

„Nr. 311 Obeah Wanga-Zauberschädel der Voudous“, las Sinclair erklärend
aus seinem Zettel und betrachtete mit Sebaldus in einer Ecke drei
abgeschnittene Menschenköpfe, die unendlich wahrheitsgetreu — Mund
und Augen weit aufgerissen — mit gräßlichem Ausdruck aus einem
Wandkästchen starrten.

„Weißt du, daß sie gar nicht aus Wachs, sondern echt sind?“ sagte
Obereit erstaunt und zog eine Lupe hervor, — „ich begreife nur nicht,
wie sie präpariert sein mögen. — Merkwürdig, die ganze Schnittfläche
der Hälse ist mit Haut bedeckt oder überwachsen. — Und ich kann keine
Naht entdecken! — Es sieht förmlich so aus, als wären sie wie Kürbisse
frei gewachsen und hätten niemals auf menschlichen Schultern gesessen.
— — Wenn man nur die Glasdeckel ein wenig aufheben könnte!“

„Alles Wachs ja, lebendig Wachs ja, Leichenkopf zu teuer und riechen
— — phi —“, sagte plötzlich hinter ihnen der Ägypter. Er hatte sich
in ihre Mähe geschlichen, ohne daß sie ihn bemerkt hatten; und sein
Gesicht zuckte, als unterdrücke er ein tolles Lachen.

Die beiden sahen sich erschreckt an.

„Wenn der Nigger nur nichts gehört hat; vor einer Sekunde noch sprachen
wir von Daraschekoh“, sagte Sinclair nach einer Weile. —

„Ob es Dr. Kreuzer wohl gelingen wird, Fatme auszufragen?! —
Schlimmstenfalls müßten wir sie abends zu einer Flasche Wein einladen.
Er steht immer noch draußen und spricht mit ihr.“

Einen Augenblick hörte die Musik auf zu spielen, jemand schlug auf ein
Gong, und hinter einem Vorhang rief eine gellende Frauenstimme:

„Vayu und Dhanándschaya, magnetische Zwillinge, 8 Jahre alt, — das
größte Weltwunder. — Ssie ssingen!“

Die Menge drängte sich an das Podium, das im Hintergrunde des Zeltes
stand.

Dr. Kreuzer war wieder hereingekommen und faßte Sinclairs Arm. „Ich
habe die Adresse schon,“ flüsterte er, „der Perser lebt in Paris unter
fremdem Namen, — hier ist sie.“

Und er zeigte den beiden Freunden verstohlen einen kleinen
Papierstreifen. „Wir müssen mit dem nächsten Zug nach Paris!“

„Vayu und Dhanándschaya — — ssie ssingen“ — kreischte die Stimme wieder.

Der Vorhang schob sich zur Seite und, als Page gekleidet, ein Bündel
im Arm, trat auf das Podium mit wankenden Schritten ein Geschöpf von
grauenhaftem Aussehen.

Die lebendig gewordene Leiche eines Ertrunkenen in bunten Samtlappen
und goldenen Tressen.

Eine Welle des Abscheus ging durch die Menge.

Das Wesen war von der Größe eines Erwachsenen, hatte aber die Züge
eines Kindes. Gesicht, Arme, Beine, — der ganze Körper — selbst die
Finger waren in unerklärlicher Weise aufgedunsen.

Aufgeblasen, wie dünner Kautschuk, schien das ganze Geschöpf.

Die Haut der Lippen und Hände farblos, fast durchscheinend, als wären
sie mit Luft oder Wasser gefüllt, und die Augen erloschen und ohne
Zeichen von Verständnis.

Ratlos starrte es umher.

„Vayu, där gressere Brudär“, sagte erklärend die Frauenstimme in
einem fremdartigen Dialekt; und hinter dem Vorhang, eine Geige in der
Hand, trat ein Weibsbild hervor im Kostüm einer Tierbändigerin mit
pelzverbrämten, roten, polnischen Stiefeln.

„Vayu“, sagte die Person nochmals und deutete mit dem Geigenbogen auf
das Kind. Dann klappte sie ein Heft auf und las laut vor:

  „Diese beiden männlichen Kindär ssind nunmehr 8 Jahre alt und das
  greßte Weltwunder. Sie ssind nur durch eine Nabelschnur verbunden,
  die 3 Ellen lang und ganz durchsichtig ist, und wenn man den einen
  abschneidet, mißte auch der andere sterben. Es ist das Erstaunen
  aller Gelehrten. Vayu, er ist weit über sein Alter. Entwickelt. Aber
  geistig zurückgeblieben, während Dhanándschaya von durchdringende
  Verstandesschärfe ist, aber so klein. Wie ein Säugling. Denn er ist
  ohne Haut geboren und kann nichts wachsen. Er muß aufgehoben werden
  in einer Tierblase mit warmem Schwammwasser. Ihre Eltern sind immer
  unbekannt gewesen. Es ist das greßte Naturspiel.“

Sie gab Vayu ein Zeichen, worauf dieser zögernd das Bündel in seinem
Arm öffnete.

Ein faustgroßer Kopf mit stechenden Augen kam zum Vorschein.

Ein Gesicht, von einem bläulichen Adernnetz überzogen, ein
Säuglingsgesicht, doch greisenhaft in den Mienen und mit einem
Ausdruck, so tückisch, haßverzerrt und boshaft und voll so
unbeschreiblicher Lasterhaftigkeit, daß die Zuschauer unwillkürlich
zurückfuhren.

„Me — me — mein Brudel D — — D — Dhanándschaya“, stammelte das
aufgedunsene Geschöpf und sah wieder ratlos ins Publikum — — — — — —

„Führen Sie mich hinaus, ich glaube, ich werde — ohnmächtig — Gott im
Himmel“, flüsterte Melchior Kreuzer.

Sie geleiteten den Halbbewußtlosen langsam durch das Zelt an den
lauernden Blicken des Ägypters vorbei.

Das Weibsbild hatte die Geige angesetzt, und sie hörten noch, wie sie
ein Lied fiedelte und der Gedunsene mit halb erloschener Stimme dazu
sang:

  „Ich att einen Ka — me — la — den
  ei — nen — bee — seln finx du nit.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Und der Säugling — unfähig, die Worte zu artikulieren — gellte mit
schneidenden Tönen bloß die Vokale dazwischen:

  „Jiii ha — ejheeh — hahehaa — he
  eiije — hee — e jiii hu ji.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Dr. Kreuzer stützte sich auf Sinclairs Arm und atmete heftig die
frische Luft ein.

Aus dem Zelte hörte man das Klatschen der Zuschauer.

„Es ist Charnoques Gesicht!! — Diese grauenhafte Ähnlichkeit,“ stöhnte
Melchior Kreuzer, — „wie ist es nur — — ich kann es nicht fassen. Mir
drehte sich alles vor den Augen, ich fühlte, ich müsse ohnmächtig
werden. — Sebaldus, bitte — holen Sie mir einen Wagen. — Ich will zur
Behörde. — Es muß irgend etwas geschehen, und fahren Sie beide sogleich
nach Paris! — Mohammed Daraschekoh — — Ihr müßt ihn auf dem Fuße
verhaften lassen.“

                                   *

Wiederum saßen die beiden Freunde beisammen und sahen durch die Fenster
der einsamen Weinstube Melchior Kreuzer eiligen Schrittes die Straße
heraufkommen.

„Es ist genau wie damals,“ sagte Sinclair, — — „wie das Schicksal
manchmal mit seinen Bildern geizt!“

Man hörte das Schloß zufallen, Dr. Kreuzer trat ins Zimmer, und sie
schüttelten einander die Hände.

„Sie sind uns eigentlich einen langen Bericht schuldig,“ sagte endlich
Sebaldus Obereit, nachdem Sinclair ausführlich geschildert, wie sie
zwei volle Monate in Paris vergeblich nach dem Perser gefahndet hatten,
— „Sie sandten uns immer nur so wenige Zeilen!“

„Mir ist das Schreiben bald vergangen, — beinahe auch das Reden“,
entschuldigte sich Melchior Kreuzer.

„Ich fühle mich so alt geworden seit damals. — Sich von immer neuen
Rätseln umgeben zu sehen, es zermürbt einen mehr, als man denkt. —
Die große Menge kann gar nicht erfassen, was es für manchen Menschen
bedeutet, ein ewig unlösbares Rätsel in seiner Erinnerung mitschleppen
zu müssen! — Und dann, täglich die Schmerzensausbrüche der armen
Lukretia mit ansehen zu müssen.

Vor kurzem starb sie, — das schrieb ich euch —, aus Gram und Leid.

Congo-Brown entsprang aus dem Untersuchungsgefängnis, und die letzten
Quellen, aus denen man hätte Wahrheit schöpfen können, sind versiegt.

Ich will euch später einmal ausführlich alles erzählen, bis die Zeit
die Eindrücke gemildert hat, — es griffe mich jetzt noch zu sehr an.“

„Ja, aber hat man denn gar keinen Anhaltspunkt gefunden?“ fragte
Sinclair.

„Es war ein wüstes Bild, das sich da entrollte, — Dinge, die unsere
Gerichtsärzte nicht glauben konnten oder durften. — Finsterer
Aberglauben, Lügengewebe, hysterischer Selbstbetrug, hieß es immer, und
doch lagen manche Dinge so erschreckend klar da.

Ich ließ damals alle kurzerhand verhaften. Congo-Brown gestand zu, die
Zwillinge, — überhaupt das ganze Panoptikum von Mohammed Daraschekoh
als Lohn für frühere Dienste geschenkt bekommen zu haben. — Vayu und
Dhanándschaya seien ein künstlich erzeugtes Doppelgeschöpf, das der
Perser vor acht Jahren aus einem einzigen Kinde (dem Kinde Thomas
Charnoques) präpariert habe, ohne die Lebenstätigkeit zu vernichten. —
Er habe nur verschiedene magnetische Strömungen, die jedes menschliche
Wesen besitze, und die man durch gewisse geheime Methoden voneinander
trennen könne, — zerlegt und es dann durch Zuhilfenahme tierischer
Ersatzstoffe schließlich zuwege gebracht, daß aus einem Körper —
zwei mit ganz verschiedenen Bewußtseinsoberflächen und Eigenschaften
geworden wären.

Überhaupt habe sich Daraschekoh auf die sonderbarsten Künste
verstanden. — Auch die gewissen drei Obeah Wanga-Schädel seien
nichts anderes als Überbleibsel von Experimenten, und — sie wären
früher lange Zeit lebendig gewesen. — Das bestätigten auch Fatme,
Congo-Browns Geliebte, und alle andern, die übrigens harmloser Natur
waren.

Ferner gab Fatme an, Congo-Brown wäre epileptisch, und zur Zeit
gewisser Mondphasen käme eine sonderbare Aufregung über ihn, in der
er sich einbilde, selber Mohammed Daraschekoh zu sein. — In diesem
Zustand stünden ihm Herz und Atem still, und seine Züge veränderten
sich angeblich derart, daß man glaube, Daraschekoh (den sie früher
öfter in Paris gesehen) vor sich zu haben. — Aber mehr noch, er
strahle dann eine solch unüberwindliche magnetische Kraft aus, daß er,
ohne irgendein befehlendes Wort auszusprechen, jeden Menschen zwingen
könne, ihm sofort alle die Bewegungen oder Verdrehungen nachzuahmen,
die er vormache.

Es wirke wie Veitstanz ansteckend auf einen — unwiderstehlich. Er
besäße eine Gelenkigkeit sondersgleichen und beherrsche zum Beispiel
alle die sonderbaren Derwischverrenkungen vollkommen, vermittelst derer
man die rätselhaftesten Erscheinungen und Bewußtseinsverschiebungen
hervorbringen könne — der Perser habe sie ihn selbst gelehrt —, und die
so schwierig seien, daß sie kein Schlangenmensch der Welt nachzuahmen
imstande sei.

Auf ihrer gemeinsamen Reise mit dem Wachsfigurenkabinett von Stadt zu
Stadt sei es auch zuweilen vorgekommen, daß Congo-Brown versucht habe,
diese magnetische Kraft zu verwenden, um Kinder auf solche Art zu
Schlangenmenschen abzurichten. Den meisten wäre aber dabei das Rückgrat
abgebrochen, bei den andern habe es wieder zu stark auf das Gehirn
gewirkt, und sie seien blödsinnig geworden.

Unsere Ärzte schüttelten zu Fatmes Angaben natürlich den Kopf, was
aber später vorfiel, muß ihnen wohl sehr zu denken gegeben haben.
— Congo-Brown entwich nämlich aus dem Verhörszimmer durch einen
Nebenraum, und der Untersuchungsrichter erzählt, gerade als er mit
dem Nigger ein Protokoll aufnehmen wollte, habe ihn dieser plötzlich
angestarrt und befremdliche Bewegungen mit den Armen gemacht. Von einem
Verdacht ergriffen, hätte der Untersuchungsrichter um Hilfe läuten
wollen, aber schon sei er in Starrkrampf verfallen, seine Zunge habe
sich automatisch in einer Weise verdreht, an die er sich nicht mehr
erinnern könne (— überhaupt müsse der Zustand von der Mundhöhle aus
seinen Anfang genommen haben —), und dann sei er bewußtlos geworden.“

„Konnte man denn gar nichts über die Art und Weise erfahren, wie
Mohammed Daraschekoh das Doppelgeschöpf zustande brachte, ohne das Kind
zu töten?“ unterbrach Sebaldus.

Dr. Kreuzer schüttelte den Kopf. „Nein. Mir ging aber vieles durch den
Kopf, was mir früher Thomas Charnoque erzählt hat.

Das Leben des Menschen ist etwas anderes, als wir denken, sagte er
immer, es setzt sich aus mehreren magnetischen Strömungen zusammen,
die teils innerhalb, teils außerhalb des Körpers kreisen; und unsere
Gelehrten irren, wenn sie sagen, ein Mensch, dem die Haut abgezogen
ist, müsse aus Mangel an Sauerstoff sterben. Das Element, das die Haut
aus der Atmosphäre auszieht, sei etwas ganz anderes als Sauerstoff. —
Auch saugt die Haut dieses Fluidum gar nicht an, — sie ist nur eine
Art Gitter, das dazu dient, jener Strömung die Oberflächenspannung
zu ermöglichen. Ungefähr so wie ein Drahtnetz — taucht man es in
Seifenwasser — sich von Zwischenraum zu Zwischenraum mit Seifenblasen
überzieht.

Auch die seelischen Eigenschaften des Menschen erhielten ihr Gepräge
je nach dem Vorherrschen der einen oder andern Strömung, sagte er. —
So wäre durch das Übergewicht besonders der einen Kraft das Entstehen
eines Charakters von solcher Verworfenheit denkbar, — daß es unser
Fassungsvermögen übersteige.“

Melchior schwieg einen Augenblick und hing seinen Gedanken nach.

„Und wenn ich mich daran erinnere, welch fürchterliche Eigenschaften
der Zwerg Dhanándschaya besaß, wodurch sich überhaupt die Quelle
seines Lebens verjüngte, so finde ich in all dem nur eine entsetzliche
Bestätigung dieser Theorie.“

„Sie sprechen, als ob die Zwillinge tot wären, sind sie denn
gestorben?“ fragte Sinclair erstaunt.

„Vor einigen Tagen! — Und es ist das beste so, — die Flüssigkeit, in
der der eine den größten Teil des Tages schwamm, trocknete aus, und
niemand kannte ihre Zusammensetzung.“

Melchior Kreuzer starrte vor sich hin und schauderte. „Da waren noch
Dinge, — so grauenvoll, so namenlos entsetzlich, — ein Segen des
Himmels, daß Lukretia sie nie erfuhr, daß ihr das wenigstens erspart
geblieben ist! — Der bloße Anblick des fürchterlichen Doppelgeschöpfes
schon warf sie zu Boden! Es war, als sei das Muttergefühl in zwei
Hälften zerrissen worden.

Lassen Sie mich für heute von all dem schweigen! Das Bild von Vayu und
Dhanándschaya — — es macht mich noch wahnsinnig — — —.“ Er brütete vor
sich hin, dann sprang er plötzlich auf und schrie: „Schenkt mir Wein
ein — — ich will nicht mehr daran denken. Schnell irgend etwas anderes.
— Musik — irgend was — nur andere Gedanken! Musik — —!“

Und er taumelte zu einem polierten Musikautomaten, der an der Wand
stand, und warf eine Münze hinein.

Tsin. Man hörte das Geldstück innen niederfallen.

Es surrte der Apparat.

Dann stiegen drei verlorene Töne auf. Einen Augenblick später klimperte
laut durchs Zimmer das Lied:

    „Ich hatt’ einen Kameraden,
    Einen bessern findst du nit.“



Bologneser Tränen


Sehen Sie den Hausierer dort mit dem wirren Bart? Tonio nennt man
ihn. Gleich wird er zu unserem Tische kommen. Kaufen Sie ihm eine
kleine Gemme ab oder ein paar Bologneser Tränen; — Sie wissen doch:
diese Glastropfen, die in der Hand in winzige Splitter — wie Salz —
zerspringen, wenn man das fadenförmige Ende abbricht. — Ein Spielzeug,
weiter nichts. Und betrachten Sie dabei sein Gesicht, — den Ausdruck!

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Nicht wahr, der Blick des Mannes hat etwas Tiefergreifendes? — Und was
in der klanglosen Stimme liegt, wenn er seine Waren nennt: Bologneser
Tränen, gesponnenes Frauenhaar. Nie sagt er gesponnenes Glas, immer nur
Frauenhaar. — — — — — — Wenn wir dann nach Hause gehen, will ich
Ihnen seine Lebensgeschichte erzählen, nicht in diesem öden Wirtshaus
— — — draußen am See — im Park.

Eine Geschichte, die ich niemals vergessen könnte, auch wenn er nicht
mein Freund gewesen wäre, den Sie hier jetzt als Hausierer sehen und
der mich nicht mehr erkennt —

Ja, ja, — glauben Sie es nur, er war mir ein guter Freund, — früher,
als er noch lebte, — seine Seele noch hatte, — noch nicht wahnsinnig
war. — — — Warum ich ihm nicht helfe? — Da läßt sich nicht helfen.
Fühlen Sie nicht, daß man einer Seele nicht helfen soll, — die blind
geworden — sich auf ihre eigene, geheimnisvolle Weise wieder zum
Lichte tastet, — vielleicht zu einem neuen, hellern Licht? —

Und es ist nichts mehr als ein Tasten der Seele nach Erinnerung, wenn
Tonio hier Bologneser Tränen feilbietet! — Sie werden dann hören. —
Gehen wir jetzt fort von hier. —

                                   *

— — — Wie zauberhaft der See im Mondlicht schimmert!

— — — Das Schilf, da drüben am Ufer! — So nächtig — dunkel! — Und
wie die Schatten der Ulmen auf der Wasserfläche schlummern — — —
dort in der Bucht! — —

— — — In mancher Sommernacht saß ich auf dieser Bank, wenn der Wind
flüsternd, suchend durch die Binsen strich und die plätschernden Wellen
schlaftrunken an die Wurzeln der Uferbäume schlugen, — und dachte
mich hinab in die zarten, heimlichen Wunder des Sees, sah in der Tiefe
leuchtende, glitzernde Fische, wie sie leise im Traume die rötlichen
Flossen bewegten, — alte, moosgrüne Steine, ertrunkene Äste und totes
Holz und schimmernde Muscheln auf weißem Kies.

Wäre es nicht besser, man läge — ein Toter — da unten auf weichen
Matten von schaukelndem Tang — und hätte das Wünschen vergessen und
das Träumen?! —

Doch ich wollte Ihnen von Tonio erzählen.

Wir wohnten damals alle drüben in der Stadt; — wir nannten ihn Tonio,
obwohl er eigentlich anders heißt.

Von der schönen Mercedes haben Sie wohl auch nie gehört? Eine Kreolin
mit rotem Haar und so hellen, seltsamen Augen.

Wie sie in die Stadt kam, weiß ich nicht mehr, — jetzt ist sie seit
langem verschollen. — —

Als Tonio und ich sie kennenlernten — auf einem Feste des
Orchideenklubs —, war sie die Geliebte eines jungen Russen.

Wir saßen in einer Veranda, und aus dem Saale wehten die fernen, süßen
Töne eines spanischen Liedes heraus zu uns. —

— — Girlanden tropischer Orchideen von unsagbarer Pracht hingen von
der Decke herab: — ~Cattlëya aurea~, die Kaiserin dieser Blumen,
die niemals sterben, — Odontoglossen und Dendrobien auf morschen
Holzstücken, weiße, leuchtende Lobelien, wie Schmetterlinge des
Paradieses. — Kaskaden tiefblauer Lykasten, — und von dem Dickicht
dieser wie im Tanze verschlungenen Blüten loderte ein betäubender Duft,
der mich immer wieder durchströmt, wenn ich des Bildes jener Nacht
gedenke, das scharf und deutlich wie in einem magischen Spiegel vor
meiner Seele steht: Mercedes auf einer Bank aus Rindenholz, die Gestalt
halb verdeckt hinter einem lebenden Vorhang violetter Vandeen. — Das
schmale, leidenschaftliche Gesicht ganz im Schatten.

Keiner von uns sprach ein Wort. —

Wie eine Vision aus Tausendundeiner Nacht; mir fiel das Märchen ein von
der Sultanin, die eine Ghule war und bei Vollmond zum Friedhof schlich,
um auf den Gräbern vom Fleische der Toten zu essen. Und Mercedes Augen
ruhten — wie forschend auf mir.

Dumpfes Erinnern wachte in mir auf, als ob mich einstmals in weiter
Vergangenheit — in einem fernen Leben kalte, starre Schlangenaugen so
angeblickt hätten, daß ich es nie mehr vergessen konnte.

Den Kopf hatte sie vorgebeugt und die phantastischen schwarz und purpur
gesprenkelten Blütenzungen eines birmesischen Bulbophyllums waren in
ihrem Haar verfangen, wie um neue, unerhörte Sünden ihr ins Ohr zu
raunen. Damals begriff ich, wie man um solch ein Weib seine Seele geben
könne. — — — — —

— — — Der Russe lag zu ihren Füßen. — Auch er sprach kein Wort. — —

Das Fest war fremdartig — wie die Orchideen selbst — und seltsamer
Überraschungen voll. Ein Neger trat durch die Portieren und bot
glitzernde Bologneser Tränen in einer Jaspisschale an. — Ich sah, wie
Mercedes lächelnd dem Russen etwas sagte, — sah, wie er eine Bologneser
Träne zwischen die Lippen nahm, lange so hielt und sie dann seiner
Geliebten gab.

In diesem Augenblick schnellte, losgerankt aus dem Dunkel des
Blättergewirres, eine riesige Orchidee, — das Gesicht eines Dämons,
mit begehrlichen, durstigen Lefzen, — ohne Kinn, nur schillernde
Augen und ein klaffender, bläulicher Gaumen. Und dieses furchtbare
Pflanzengesicht zitterte auf seinem Stengel; wiegte sich wie in bösem
Lachen, — auf Mercedes’ Hände starrend. Mir stand das Herz still, als
hätte meine Seele in einen Abgrund geblickt.

Glauben Sie, daß Orchideen denken können? Ich habe in jenem Augenblick
gefühlt, daß sie es können, — gefühlt, wie ein Hellsehender fühlt, daß
diese phantastischen Blüten über ihre Herrin frohlockten. — Und sie
war eine Orchideenkönigin, diese Kreolin mit ihren sinnlichen, roten
Lippen, dem leise grünlichen Hautschimmer und dem Haar von der Farbe
toten Kupfers. — — — Nein, nein — Orchideen sind keine Blumen, — sind
satanische Geschöpfe. — Wesen, die nur die Fühlhörner ihrer Gestalt
uns zeigen, uns Augen, Lippen, Zungen in sinnbetörenden Farbenwirbeln
vortäuschen, daß wir den scheußlichen Vipernleib nicht ahnen sollen,
der sich — unsichtbar — todbringend verbirgt im Reiche der Schatten.

Trunken von dem betäubenden Duft traten wir endlich in den Saal zurück.

Der Russe rief uns ein Wort des Abschieds nach. — In Wahrheit ein
Abschied, denn der Tod stand hinter ihm. — Eine Kesselexplosion — am
nächsten Morgen — zerriß ihn in Atome. — — — — — — — —

Monate waren um, da war sein Bruder Ivan Mercedes’ Geliebter, ein
unzugänglicher, hochmütiger Mensch, der jeden Verkehr mied. — Beide
bewohnten die Villa beim Stadttor, — abgeschieden von allen Bekannten,
— und lebten nur einer wilden, wahnsinnigen Liebe.

Wer sie so gesehen, wie ich, abends in der Dämmerung durch den Park
gehen, aneinandergeschmiegt, sich fast im Flüstertone unterhaltend,
weltverloren — keinen Blick für die Umgebung —, der begriff, daß
eine übermächtige, unserem Blute fremde Leidenschaft diese beiden Wesen
zusammengeschmiedet hielt. — — — — —

Da — plötzlich — kam die Nachricht, daß auch Ivan verunglückt —,
bei einer Ballonfahrt, die er scheinbar planlos unternommen, auf
rätselhafte Weise aus der Gondel gestürzt sei.

Wir alle dachten, Mercedes werde den Schlag nicht verwinden.

— — Wenige Wochen später — im Frühjahr — fuhr sie in ihrem offenen
Wagen an mir vorüber. Kein Zug in dem regungslosen Gesicht sprach von
ausgestandenem Schmerze. Mir war, als ob eine ägyptische Bronzestatue,
die Hände auf den Knien ruhend, den Blick in eine andere Welt gerichtet,
und nicht ein lebendes Weib an mir vorbeigefahren sei. — — — Noch
im Traume verfolgte mich der Eindruck: Das Steinbild des Memnon mit
seiner übermenschlichen Ruhe und den leeren Augen in einer modernen
Equipage in das Morgenrot fahrend, — immer weiter und weiter durch
purpurleuchtende Nebel und wallenden Dunst der Sonne zu. — Die Schatten
der Räder und Pferde unendlich lang — seltsam zerzogen — grauviolett,
wie sie im Lichte des Frühmorgens gespenstergleich über die tauignassen
Wege zucken.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Lange Zeit war ich dann auf Reisen und sah die Welt und manches
wunderbare Bild, doch haben wenige so auf mich gewirkt. — Es gibt
Farben und Formen, aus denen unsere Seele wache, lebendige Träume
spinnt. — Das Tönen eines Straßengitters in der Nachtstunde unter
unserm Fuß, ein Ruderschlag, eine Duftwelle, die scharfen Profile
eines roten Häuserdaches, Regentropfen, die auf unsere Hände fallen,
— sie sind oft die Zauberworte, die solche Bilder in unser Empfinden
zurückwinken. Es liegt ein tief melancholisches Klingen wie Harfentöne
in solchem Erinnerungsfühlen.

Ich kehrte heim und fand Tonio als des Russen Nachfolger bei Mercedes.
— Betäubt vor Liebe, gefesselt an Herz — an Sinnen, — gefesselt an
Händen, gefesselt an Füßen, — wie jener. — Ich sah und sprach Mercedes
oft: dieselbe zügellose Liebe auch in ihr. — Zuweilen fühlte ich wieder
ihren Blick forschend auf mir ruhen.

Wie damals in der Orchideen-Nacht.

In der Wohnung Manuels — unseres gemeinsamen Freundes — kamen wir
manchmal zusammen, — Tonio und ich. Und eines Tages saß er dort am
Fenster — gebrochen. Die Züge verzerrt, wie die eines Gefolterten.

Manuel zog mich schweigend beiseite.

Es war eine merkwürdige Geschichte, die er mir hastig flüsternd
erzählte: Mercedes, Satanistin, — eine Hexe —! Tonio hatte es aus
Briefen und Schriften, die er bei ihr gefunden, entdeckt. Und die
beiden Russen waren von ihr durch die magische Kraft der Imagination,
— mit Hilfe von Bologneser Tränen, — +ermordet+ worden. —

Ich habe das Manuskript später gelesen: Das Opfer, heißt es darin, wird
zur selben Stunde in Stücke zerschmettert, wenn man die Bologneser
Träne, die von ihm im Munde getragen und dann in heißer Liebe
verschenkt wurde, in der Kirche beim Hochamt zerbricht.

Und Ivan und sein Bruder hatten ein so plötzliches schauerliches Ende
gefunden! —

— — — Wir begriffen Tonios starre Verzweiflung. Auch wenn am
Gelingen des Zaubers nur der Zufall die Schuld getragen hätte, welcher
Abgrund dämonischer Liebesempfindung lag in diesem Weibe! — Ein
Empfinden, so fremd und unfaßbar, daß wir normalen Menschen mit unserer
Erkenntnis wie in Triebsand versinken, wenn wir den Versuch wagen,
mit Begriffen in diese schrecklichen Rätsel einer krebsigen Seele
hinabzuleuchten. — —

Wir saßen damals die halbe Nacht — wir drei — und horchten, wie die alte
Uhr tickend die Zeit zernagte, und ich suchte und suchte vergeblich
nach Worten des Trostes in meinem Hirn — im Herzen — in der Kehle; —
und Tonios Augen hingen unverwandt an meinen Lippen: er wartete auf die
Lüge, die ihm noch Betäubung bringen konnte. — — — — — — —

Wie Manuel — hinter mir — den Entschluß faßte, den Mund öffnete, um
zureden, — ich wußte es, ohne mich umzusehen. Jetzt — jetzt würde er es
sagen. — — Ein Räuspern, ein Scharren mit dem Stuhl, — — — dann wieder
Stille, eine ewig lange Zeit. Wir fühlten, jetzt tastet sich die Lüge
durch das Zimmer, unsicher tappend an den Wänden, wie ein seelenloser
Schemen ohne Kopf.

Endlich Worte — verlogene Worte — wie verdorrt: „Vielleicht — — — — — —
vielleicht — — liebt sie dich anders als — — — — als die andern.“

Totenstille. Wir saßen und hielten den Atem an: — daß nur die Lüge
nicht stirbt, — — sie schwankt hin und her auf gallertenen Füßen und
will fallen, — — — nur eine Sekunde noch! — —

Langsam, langsam begannen sich Tonios Züge zu verändern: Irrlicht
Hoffnung!

— — — Da war die Lüge Fleisch geworden! —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

— — Soll ich Ihnen noch das Ende erzählen? Mir graut, es in Worte zu
kleiden. — Stehen wir auf, mir läuft ein Schauer über den Rücken, wir
haben zu lange hier auf der Bank gesessen. Und die Nacht ist so kalt.

— — — Sehen Sie, das Fatum blickt auf den Menschen wie eine Schlange,
— es gibt kein Entrinnen. — Tonio versank aufs neue in einen Wirbel
rasender Leidenschaft zu Mercedes, er schritt an ihrer Seite, — ihr
Schatten. — Sie hielt ihn umklammert mit ihrer teuflischen Liebe wie
ein Polyp der Tiefsee sein Opfer.

— — — An einem Karfreitag packte das Schicksal zu: Tonio stand
frühmorgens im Aprilsturm vor der Kirchentür, barhaupt, in zerrissenen
Kleidern, die Fäuste geballt, und wollte die Menge am Gottesdienste
hindern. — Mercedes hatte ihm geschrieben — und er war darüber
wahnsinnig geworden; — in seiner Tasche fand man ihren Brief, in dem
sie ihn +um eine Bologneser Träne+ bat. — —

Und seit jenem Karfreitag steht Tonios Geist in tiefer Nacht.



Der Albino


I

„Sechzig Minuten noch — bis Mitternacht“, sagte ‚Ariost‘ und nahm die
dünne, holländische Tonpfeife aus dem Mund.

„Der dort“ — und er wies auf ein dunkles Porträt an der
rauchgebräunten Wand, dessen Züge kaum mehr kenntlich waren — „der
dort wurde Großmeister gerade vor hundert Jahren weniger sechzig
Minuten.“

„Und wann zerfiel unser Orden? — Ich meine, wann sanken wir zu
Zechbrüdern herab, wie wir’s jetzt sind, Ariost?“ fragte eine Stimme
aus dem dichten Tabakqualm heraus, der den kleinen altertümlichen Saal
erfüllte.

Ariost flocht die Finger durch seinen langen weißen Bart, fuhr wie
zögernd über die Spitzenhalskrause an seinem samtnen Talar: — — „Es
wird in den letzten Dezennien gewesen sein — — — vielleicht — kam
es auch nach und nach.“

„Du hast da eine Wunde in seinem Herzen berührt, Fortunat“,
flüsterte ‚Baal Schem‘, der Arche-Zensor des Ordens im Ornate der
mittelalterlichen Rabbiner, und trat aus dem Dunkel einer Fensternische
an den Frager heran zum Tisch. — „Sprich von etwas anderem!“

Und laut fuhr er fort: „Wie hieß denn dieser Großmeister im profanen
Leben?“

„Graf Ferdinand Paradies,“ antwortete rasch jemand neben Ariost,
verständnisvoll auf das Thema eingehend, „ja, illustre Namen waren das
damaliger Zeit — und früher noch. Die Grafen Spork, Norbert Wrbna,
Wenzel Kaiserstein, der Dichter Ferdinand van der Roxas! — Sie alle
zelebrierten das ‚Ghonsla‘ — den Logenritus der ‚asiatischen Brüder‘
im alten Angelusgarten, wo jetzt die Hauptpost steht. Vom Geiste
Petrarcas umweht und Cola Rienzos, die auch unsre ‚Brüder‘ waren.“

„So ist es. Im Angelusgarten! Nach Angelus de Florentia benannt, Kaiser
Karls IV. Leibarzt, bei dem Rienzo Asyl fand bis zu seiner Auslieferung
an den Papst“, fiel eifrig der ‚Skribe‘ Ismael Gneiting ein.

„Wißt ihr aber auch, daß von den ‚Sat-Bhais‘, den alten asiatischen
Brüdern, sogar Prag und — und — und Allahabad, kurz, alle jene Städte,
deren Name soviel wie ‚die Schwelle‘ bedeutet, begründet wurden?! Gott
im Himmel, welche Taten, welche Taten!

Und alles, alles verraucht, verflogen.

Wie sagt doch Buddha: ‚Im Luftraum bleibet keine Spur‘. — Das waren
unsere Vorfahren! Wir aber Saufbrüder!! — Saufbrüder!! hip hip hurra;
— es ist zum Lachen.“

Baal Schem machte dem Sprecher Zeichen, er möge doch schweigen. — Der
aber verstand ihn nicht und redete weiter, bis Ariost sein Weinglas
heftig zurückstieß und das Zimmer verließ.

„Du hast ihn verletzt,“ sagte Baal Schem ernst zu Ismael Gneiting,
„seine Jahre schon hätten dir Rücksicht gebieten sollen.“

„Ah bah,“ murrte dieser, „habe ich ihn denn kränken +wollen+? Und wenn
auch!

Übrigens wird er ja zurückkommen.

In einer Stunde beginnt die hundertjährige Feier, der er doch beiwohnen
+muß+.“

„Immer ein Mißton, wie ärgerlich,“ meinte einer der Jüngeren, „hat es
sich doch so gemütlich getrunken.“

Verstimmung lag über der Tafelrunde.

Stumm saßen alle um den halbkreisförmigen Tisch und sogen an ihren
weißen, holländischen Pfeifen.

In den mittelalterlichen Ordensmänteln, behangen mit kabbalistischen
Zieraten, sahen sie wie eine spukhafte Versammlung seltsam und
unwirklich aus in dem trüben Lichte der Öllampen, das kaum bis in die
Ecken des Zimmers und hin zu den vorhanglosen gotischen Fenstern drang.

„Werde ihn besänftigen gehen, den Alten“, sagte endlich ‚Corvinus‘, ein
junger Musiker — und ging hinaus.

Fortunat neigte sich zum Arche-Zensor: „Corvinus hat Einfluß auf ihn? —
Corvinus?!“

Baal Schem brummte etwas in den Bart: — Corvinus sei mit Beatrix,
Ariosts Nichte, verlobt.

Wieder nahm Ismael Gneiting die Rede auf und sprach von den vergessenen
Glaubenssätzen des Ordens, der zurückreiche bis in die graue Vorzeit,
wo die Dämonen der Sphären noch die Vorfahren des Menschen gelehrt.

Von den schweren, düsteren Prophezeiungen, die alle, alle mit der
Zeit ihre Erfüllung gefunden hätten, Buchstabe um Buchstabe, Satz
für Satz, daß es einen verzweifeln lasse an der Willensfreiheit der
Lebenden; — und von dem „versiegelten Briefe von Prag“, der letzten
echten Reliquie, die heute noch der Orden besitze. „Kurios! Wer ihn
vorwitzig öffnen wolle, diesen ‚~sealed letter from Prague~‘, ehe
die Zeit erfüllet sei, der — — — wie heißt es doch im Original,
‚Lord Kelwyn‘?“ wandte Ismael Gneiting fragend seinen Blick zu einem
uralten Bruder, der zusammengesunken und unbeweglich gegenüber in einem
geschnitzten und vergoldeten Lehnstuhl saß. „+Der verderbet, ehe er
beginnt!+ Sein Angesicht wird die Finsternis verschlingen und nicht
mehr herausgeben.“ — — —?

„Die Hand des Schicksals wird seine Züge verbergen im Reiche der
Form bis zum Jüngsten Tag,“ ergänzte langsam der Greis, bei jedem
Worte mit dem kahlen Kopfe nickend, als wolle er den Silben besondere
Kraft verleihen — „und wird sein Gesicht austilgen aus der Welt der
Umrisse. Unsichtbar wird sein Antlitz werden: unsichtbar für alle Zeit!
+Verschlossen gleich dem Kern in der Nuß+ — — —, gleich dem Kern in
der Nuß.“

— Gleich dem Kern in der Nuß! — die Brüder in der Runde sahen sich
erstaunt an.

Gleich dem Kern in der Nuß! — seltsames, unverständliches Gleichnis!

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Da ging die Tür auf, und Ariost trat ein.

Hinter ihm der junge Corvinus.

Der zwinkerte den Freunden fröhlich zu, als wolle er sagen, alles sei
wieder in Ordnung mit dem Alten.

„Frische Luft! Lassen wir frische Luft ein“, sagte jemand und ging zu
den Fenstern und öffnete eins.

Viele standen auf und schoben ihre Sessel zurück, hinauszusehen in
die Vollmondnacht, wie die Mondesstrahlen opalgrün auf dem buckligen
Pflaster des Altstätter Rings glänzten.

Fortunat wies auf den blauschwarzen Schlagschatten, der von der
Teinkirche über das Haus hinweg auf den alten, menschenleeren Platz
fiel und ihn in zwei Hälften zerschnitt: „Die riesige Schattenfaust
da unten mit den zwei vorgestreckten Spitzen — die mit Zeige- und
Merkurfinger nach Westen deutet, ist sie nicht wie das uralte
Abwehrzeichen gegen den bösen Blick?“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

In den Saal kam der Diener und brachte neue Chiantiflaschen — mit
langen Hälsen — wie rote Flamingos — — — —

Um Corvinus hatten sich in einer Ecke seine jüngeren Freunde geschart
und erzählten ihm halblaut und lachend von dem „versiegelten Briefe von
Prag“ und der verrückten Prophezeiung, die sich an ihn knüpfe.

Aufmerksam hörte Corvinus zu, dann blitzte es übermütig in seinen Augen
auf wie ein lustiger Einfall.

Und in hastigem Flüsterton machte er seinen Freunden einen Vorschlag,
den sie mit Jubel begrüßten.

So ausgelassen wurden ein paar von ihnen, so ausgelassen, daß sie auf
einem Bein tanzten und sich vor Tollheit kaum mehr zu halten wußten.
— — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die Alten waren allein.

Corvinus hatte sich mit seinen Kumpanen in großer Eile auf eine halbe
Stunde beurlaubt; er müsse sich bei einem Bildhauer das Gesicht in Gips
abgießen lassen, um ein spaßiges Vorhaben, wie er sagte, noch rasch vor
Mitternacht, ehe die große Feier beginne, auszuführen. — — — — —

— — — „Närrische Jugend“, murmelte Lord Kelwyn. — — —

„Das muß wohl ein seltsamer Bildhauer sein, der so spät noch arbeitet“,
sagte jemand halblaut.

Baal Schem spielte mit seinem Siegelring: „Ein Fremder, +Iranak-Essak+
heißt er, sie sprachen vorhin von ihm. Er soll nur in der Nacht
arbeiten und bei Tage schlafen; — — er ist ein Albino und verträgt
kein Licht.“

— — „Arbeitet nur in der Nacht?“ wiederholte zerstreut Ariost, der das
Wort Albino überhört hatte.

— — Dann blieben alle stumm eine lange Zeit.

„Ich bin froh, daß sie fort sind — die Jungen“, brach endlich Ariost
gequält das Schweigen.

„Wir zwölf Alten sind so wie die Trümmer aus jener vergangenen Zeit,
und wir sollten zusammenhalten. — Vielleicht treibt dann unser Orden
nochmals ein frisches grünes Reis. — — — — —

Ja! — Ja, ich trage die Hauptschuld am Zerfall.“

Stockend fuhr er fort: „Ich möchte euch gern eine lange Geschichte
erzählen; — und mein Herz ausschütten, bevor sie zurückkommen — die
andern, — und ehe das neue Jahrhundert einzieht.“

Lord Kelwyn in dem Thronsessel sah auf und machte eine Bewegung mit
der Hand, und die übrigen nickten zustimmend.

Ariost sprach weiter: „Ich muß es kurz machen, sollen meine Kräfte
ausreichen bis zum Ende. Hört also.

Vor dreißig Jahren, ihr wißt, war Doktor Kassekanari Großmeister und
ich sein erster Arche-Zensor.

Das Steuer des Ordens lag nur in unserer Hand. — Doktor Kassekanari
war Physiolog — ein großer Gelehrter. Seine Vorfahren stammten aus
Trinidad — ich denke von Negern — daher wohl seine grauenhafte
exotische Häßlichkeit! Doch das wißt ihr alle noch.

Wir sind Freunde gewesen; — wie aber heißes Blut auch die festesten
Dämme niederreißt, so — — —. Kurz, ich betrog ihn mit seiner Frau
Beatrix, die schön war wie die Sonne und die wir beide liebten über
alle Maßen. — —

Ein Verbrechen unter Ordensbrüdern!!

— — — Zwei Knaben hatte Beatrix, und einer von ihnen — Pasqual — war
mein Kind.

Kassekanari entdeckte die Untreue seiner Gattin, ordnete seine
Angelegenheiten und verließ Prag mit den beiden kleinen Kindern, ohne
daß ich es hätte verhindern können.

Zu mir hat er kein Wort mehr gesprochen, mich nicht einmal mehr
angeblickt.

Wie er sich aber an uns rächte, das war entsetzlich. Daß ich heute noch
nicht fasse, wie ich es überleben konnte.“

Einen Augenblick lang schwieg Ariost und starrte wie geistesabwesend an
die gegenüberliegende Wand. Dann fuhr er fort:

„Nur ein Hirn, das die finstere Phantasie eines Wilden mit der
durchdringenden Verstandesschärfe des Gelehrten, des tiefsinnigsten
Kenners menschlicher Seelenvorgänge verband wie das seine, konnte
den Plan ersinnen, der Beatrix das Herz im Leibe verbrannte, mir
arglistig den freien Willen stahl und mich langsam hinein +zwang+ in
die Mitschuld an einem Verbrechen, das grauenvoller kaum gedacht werden
kann.

Meiner armen Beatrix erbarmte sich wohl bald der Wahnsinn, und ich
segne die Stunde ihrer Erlösung.“

Des Sprechers Hände schlugen wie im Fieber und verschütteten den Wein,
den er zur Stärkung zum Munde führen wollte.

„Weiter! Nicht lange war Kassekanari fort, da kam ein Brief von ihm mit
einer Adresse, die alle ‚wichtigen Nachrichten‘, wie er sich ausdrückte
— an ihn befördern werde — +wo immer er sich auch aufhalten möge+.

Und gleich darauf schrieb er, nach langem Grübeln sei er zur
Überzeugung gekommen, der +kleine Manuel+ sei mein Kind, der jüngere
Pasqual dagegen zweifellos das seinige.

Während es in Wirklichkeit sich gerade umgekehrt verhielt. —

Aus seinen Worten klang eine dunkle Rachedrohung, und ich konnte mich
einer leisen Regung selbstsüchtiger Beruhigung nicht erwehren, meinen
kleinen Sohn Pasqual, den ich anders ja nicht zu schützen vermochte,
infolge dieser Verwechslung gegen Haß und Verfolgung gefeit zu wissen.

So schwieg ich denn und tat unbewußt den ersten Schritt jenem Abgrunde
zu, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Viel, viel später erschien es mir wie Arglist, — — als habe Kassekanari
mich an eine Verwechslung nur glauben lassen, um mir die unerhörtesten
Seelenqualen aufzubürden.

Langsam zog das Ungeheuer die Schraube zu.

In regelmäßigen Intervallen, mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerks
trafen mich seine Berichte über gewisse physiologische und
vivisektorische Experimente, die er, — ‚um fremde Schuld zu sühnen und
zum Wohle der Wissenschaft‘ — an dem kleinen Manuel — der ja nicht
+sein+ Kind sei, ‚wie ich doch stillschweigend zugegeben‘ — vornehme,
— wie an einem Wesen vornehme, das seinem Herzen ferner stehe als ein
beliebiges Versuchstier.

Und Photographien, die beilagen, bestätigten die entsetzliche Wahrheit
seiner Worte. — Wenn solch ein Brief ankam und verschlossen vor
mir lag, da glaubte ich, ich müsse meine Hände in lodernde Flammen
strecken, um die furchtbare Folter zu übertäuben, die mich bei dem
Gedanken zerriß, wieder von neuen gesteigerten Schrecknissen erfahren
zu müssen.

Nur die Hoffnung, endlich, endlich doch den wahren Aufenthalt
Kassekanaris entdecken und das arme Opfer befreien zu können, hielt
mich vom Selbstmord zurück.

Stundenlang lag ich auf den Knien, Gott anflehend, mich die Kraft
finden zu lassen, den Brief ungelesen zu vernichten.

Aber niemals fand ich die Kraft dazu.

Immer wieder habe ich die Briefe geöffnet, und immer wieder bin ich in
Ohnmacht zusammengebrochen. Kläre ich ihn auf über seinen Irrtum, sagte
ich mir vor, so fällt wohl sein Haß auf meinen Sohn, der andere aber —
der Unschuldige — ist erlöst!

Und ich griff zur Feder, um alles zu schreiben, zu beweisen.

Doch der Mut verließ mich — ich konnte nicht wollen und wollte nicht
können und wurde so zum Missetäter an dem armen kleinen Manuel, — der
doch auch Beatrix’ Kind war, — — — indem ich schwieg.

Das fürchterlichste jedoch in allen meinen Qualen war das gleichzeitige
grauenvolle Emporzüngeln eines fremden, finstern Einflusses in mir,
über den ich keine Gewalt hatte, der sich in mein Herz schlich, — leise
und unwiderstehlich — eine Art haßerfüllter Befriedigung, daß es sein
eigenes Fleisch und Blut sei — gegen das das Ungeheuer raste.“

Die Logenbrüder waren aufgesprungen und starrten Ariost an, der sich in
seinem Sessel kaum aufrecht erhielt und die Sätze mehr flüsterte als
sprach.

„Jahrelang hat er Manuel gefoltert —, ihm Martern zugefügt, deren
Schilderung ich nicht über die Lippen bringe — hat ihn gefoltert
und gefoltert, bis ihm der Tod das Messer aus der Hand schlug, —
hat Bluttransfusionen von weißen entarteten Tieren und solchen, die
das Tageslicht scheuen, an ihm vollzogen, ihm die Gehirnteilchen
exstirpiert, die nach seinen Theorien die guten und milden Regungen
im Menschen erwecken, — und ihn dadurch zu dem gemacht, was er einen
‚seelisch Gestorbenen‘ nannte. Und mit der Ertötung aller menschlichen
Regungen des Herzens, aller Keime des Mitleids, der Liebe, des
Erbarmens, trat bei dem armen Opfer, genau wie Kassekanari in einem
Briefe vorausgesagt, auch die +körperliche+ Degeneration ein, jenes
grausige Phänomen, das die afrikanischen Völker den ‚echten, weißen
Neger‘ nennen. — —

Nach langen, langen Jahren verzweiflungsvollen Forschens und Suchens —
die Verhältnisse des Ordens und meine eigenen ließ ich achtlos ihrer
Wege treiben — gelang es mir endlich (Manuel war und blieb spurlos
verschwunden) meinen Sohn — als Erwachsenen aufzufinden.

Aber ein letzter Schlag traf mich dabei: Mein Sohn nannte sich
+Emanuel+ Kassekanari — — —!

Derselbe Bruder ‚Corvinus‘, den ihr ja alle in unsrem Orden kennt.

+Emanuel+ Kassekanari.

Und er behauptet unerschütterlich, niemals mit dem Vornamen Pasqual
genannt worden zu sein.

+Seitdem verfolgt mich der Gedanke, daß der Alte mich belogen und
Pasqual und nicht Manuel verstümmelt haben könnte, — daß also doch
mein Kind zum Opfer gefallen ist.+ — Die Photographien damals zeigten
die Gesichtszüge so undeutlich, und im Leben sahen die Kinder einander
zum Verwechseln ähnlich. — — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

+Doch das darf, das darf, das darf ja nicht sein+, — das Verbrechen,
all die ewiglange Gewissenspein umsonst! — Nicht wahr?“ schrie
plötzlich Ariost wie ein Wahnsinniger auf; — „nicht wahr, sagt
Brüder, nicht wahr, ‚Corvinus‘ ist mein Sohn, mir wie aus den Augen
geschnitten!“

Die Brüder sahen scheu zu Boden und brachten die Lüge nicht über die
Lippen.

Nickten nur stumm.

Ariost sprach leise zu Ende:

„Und manchmal in schreckhaften Träumen, da fühle ich mein Kind verfolgt
von einem scheußlichen weißhaarigen Krüppel mit rötlichen Augen, der
— lichtscheu — im Zwielicht haßerfüllt auf ihn lauert: Manuel, der
verschwundene Manuel, — der — der grauenhafte — — ‚+weiße Neger+‘.“

Keiner der Logenbrüder konnte ein Wort hervorbringen.

— — Totenstille. — —

Da, — als ob Ariost die stumme Frage gefühlt hätte — sagte er halblaut,
wie erklärend vor sich hin: „Ein seelisch Gestorbener! — Der weiße
Neger — — ein +echter+

                              +Albino+.“

— Albino? — — Baal Schem taumelte an die Wand.

„Barmherziger Gott, der Bildhauer! — Der Albino Iranak-Essak!“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —


II

„Kriegstrompeten erschallen — weit durch Morgenrot“, sang Corvinus
das Turniersignal aus „Robert der Teufel“ vor dem Fenster seiner Braut
Beatrix, — Ariosts blonder Nichte, — und seine Freunde pfiffen
unisono die Melodie.

Gleich darauf flogen die Scheiben auf, und ein junges Mädchen im weißen
Ballkleid sah in den altertümlichen, im Mondlicht flimmernden „Teinhof“
hinab und fragte lachend, ob denn die Herren das Haus zu stürmen
gedächten.

„Ah, du gehst auf Bälle, Trixie, — und ohne mich?“ rief Corvinus
hinauf, „und wir fürchteten, du schliefest schon längst!“

„Da siehst du, wie ich mich ohne dich langweile, daß ich schon vor
Mitternacht zu Hause bin! — Was willst du denn nur mit deinen Signalen;
ist etwas los?“ fragte Beatrix zurück.

„Was los ist? — Wir haben eine gro—o—oße Bitte an dich. Weißt du
nicht, wo Papa den ‚versiegelten Brief von Prag‘ liegen hat?“

Beatrix legte beide Hände an die Ohren: „Den versiegelten — was?“

„Den versiegelten Brief von Prag — die olle Reliquie!“ — schrien alle
durcheinander.

„Ich verstehe doch kein Wort, wenn Sie so brüllen, Messieurs“ — und
Trixie zog das Fenster zu, „aber warten Sie, gleich bin ich unten,
— ich suche nur den Hausschlüssel und schleiche mich an der braven
Gouvernante vorbei.“

Und in wenigen Minuten war sie vor dem Tor.

„Reizend, entzückend, — so im weißen Ballkleid, im grünen Mondschein“,
die jungen Herren umdrängten sie, ihr die Hand zu küssen.

„Im +grünen+ Ballkleid, — im +weißen+ Mondschein“, — Beatrix knixte
kokett und verbarg abwehrend ihre winzigen Hände in einem riesigen
Muff, — „und mitten unter lauter ganz +schwarzen Femrichtern+! Nein,
muß so ein ehrwürdiger Orden etwas Verrücktes sein!“

Und neugierig musterte sie die langen, feierlichen Gewänder der Herren
mit den unheimlichen Kapuzen und den goldgestickten kabbalistischen
Zeichen.

„Wir sind so Hals über Kopf davongelaufen, daß wir uns gar nicht
umkleiden konnten, Trixie“, entschuldigte sich Corvinus und ordnete
zärtlich ihr seidenes Spitzentuch.

Dann erzählte er ihr in fliegenden Worten von der Reliquie, „dem
versiegelten Brief von Prag“, der verrückten Prophezeiung und daß sie
einen prächtigen Mitternachtsspaß ersonnen hätten.

Nämlich zu dem Bildhauer Iranak-Essak zu laufen, einem höchst kuriosen
Kerl, — der in der Nacht arbeite, weil er ein Albino sei, übrigens aber
eine wertvolle Erfindung gemacht habe: — eine Gipsmasse, die sofort an
der Luft hart und unverwüstlich werde wie Granit. Und dieser Albino
solle ihm nun rasch einen Gesichtsabguß verfertigen — —

„Dieses Konterfei nehmen wir dann mit, wissen Sie, mein Fräulein,“
fiel Fortunat ein, „nehmen ferner den ‚geheimnisvollen Brief‘, den Sie
uns gütigst im Archiv aufstöbern und ebenso gütig herabwerfen wollen.
Wir öffnen ihn natürlich sofort, um den Blödsinn, der darin steht, zu
lesen, und begeben uns dann ‚verstört‘ in die Loge.

Natürlich wird man uns bald nach Corvinus fragen, und wo er denn
stecke. Da wollen wir laut weinend die entweihte Reliquie zeigen
und gestehen, er habe sie aufgemacht, und plötzlich sei unter
Schwefelgestank der Teufel erschienen und habe ihn beim Kragen genommen
und in die Luft entführt; Corvinus aber, der das vorausgesehen, habe
sich vorher noch schnell in Iranak-Essaks unzerstörbarem Gipsstein
abgießen lassen, zur Sicherheit! Um die schauerlich-schöne Prophezeiung
‚vom gänzlichen Verschwinden aus dem Reiche der Umrisse‘ ~ad absurdum~
zu führen. Und hier sei nun diese Büste, und wer sich als etwas
Besonderes dünke, ob einer der alten Herren, oder alle zusammen, oder
die Adepten, die den Orden gegründet, vielleicht der liebe Gott selber,
— der trete vor und zerstöre das Steinbild — — wenn er könne. Übrigens
lasse Bruder Corvinus alle recht herzlich grüßen, und in längstens zehn
Minuten werde er aus dem Hades zurück sein.“

„Weißt du, Schatz, das hat noch das Gute,“ unterbrach Corvinus,
„daß wir damit den letzten Ordensaberglauben entwurzeln, die öde
Zentenarfeier abkürzen und um so schneller dann zum fröhlichen Gelage
kommen.

Aber jetzt Adieu und gute Nacht, denn: eins, zwei, drei, im
Sauseschritt — läuft die Zeit — — —“

„Wir laufen mit,“ ergänzte jauchzend Beatrix und hängte sich in ihres
Bräutigams Arm, — „ist’s weit von hier zu Iranak-Essak — — — heißt er
nicht so? Und wird ihn auch ganz gewiß nicht der Schlag treffen, wenn
wir in solchem Aufzug bei ihm einbrechen?!“

„Wahre Künstler trifft nie der Schlag“, — schwur Saturnilus, einer der
Herren. — „Brüder! Ein Hurra, Hurra, für das mutige Fräulein!“

Und vorwärts ging’s im Galopp.

Über den Teinhof, durch mittelalterliche Torbogen, krumme Gassen, um
geschweifte Ecken herum und an barocken, verwitterten Palästen vorbei.

Dann machte man halt.

„Hier wohnt er, Nummer 33,“ sagte Saturnilus atemlos — „Nummer 33,
nicht wahr, ‚Ritter Kadosh‘? Schau du hinauf, du hast bessere Augen.“

Und schon wollte er läuten, da öffnete sich plötzlich das Haustor
nach innen, und gleich darauf hörte man eine scharfe Stimme Worte
in Niggerenglisch die Treppen hinaufkreischen. Corvinus schüttelte
erstaunt den Kopf: „~The gentlemen already here?!~ — Die Gentlemen
+bereits+ hier, — das ist ja, als hätte man schon auf uns gewartet!!

Vorwärts also, aber Vorsicht, es ist stockdunkel hier; Licht haben wir
nicht, in unseren Kostümen fehlen schlauerweise die Taschen und mit
diesen daher auch die so beliebten Schwefelhölzer.“

Schritt für Schritt tappte die kleine Gesellschaft vorwärts —
Saturnilus voran, hinter ihm Beatrix, dann Corvinus und die andern
jungen Herren: Ritter Cadosh, Hieronymus, Fortunat, Pherekydes, Kama
und Hilarion Termaximus.

Enge, gewundene Treppen empor nach links und nach rechts, der Kreuz und
der Quer.

Durch offene Wohnungstüren und leere, fensterlose Zimmer tasteten
sie sich, immer der Stimme folgend, die unsichtbar und anscheinend
ziemlich weit entfernt vor ihnen herging und ihnen kurz die Richtung
wies.

Endlich landeten sie in einem Raum, in dem sie wohl warten sollten,
denn die Stimme war verstummt, und niemand antwortete mehr auf ihre
Fragen.

Nichts regte sich.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Es scheint ein uraltes Gebäude zu sein, mit vielen Ausgängen, wie
ein Fuchsbau, — eines jener seltsamen Labyrinthe, wie sie noch aus
dem 17. Jahrhundert her in diesem Stadtviertel stehen,“ sagte endlich
halblaut Fortunat, „und das Fenster dort geht wohl auf einen Hof, daß
so gar kein Schein hereinfällt!? — Kaum daß sich das Fensterkreuz etwas
dunkler abhebt —“

„Ich denke, eine hohe Mauer dicht vor den Scheiben nimmt alles Licht“
— antwortete Saturnilus — „finster ist es hier, — nicht die Hand sieht
man vor Augen.

Nur der Fußboden ist etwas heller. Nicht?“

Beatrix klammerte sich an den Arm ihres Verlobten. „Ich fürchte mich
unsagbar in dieser grauenhaften Dunkelheit hier. — Warum bringt man
kein Licht —“

„Sst, sst, ruhig alle,“ flüsterte Corvinus, „sst! Hört ihr denn
nichts!? — Es nähert sich leise irgend etwas. Oder ist es schon im
Zimmer?“

— — — „+Dort! Dort steht jemand+,“ fuhr plötzlich Pherekydes auf,
„dahier, — kaum zehn Schritte vor mir, — ich sehe es jetzt ganz genau.

+Heda, Sie!+“ — rief er überlaut, und man hörte seine Stimme beben vor
verhaltener Furcht und Erregung. — — —

— „+Ich bin der Bildhauer Pasqual Iranak-Essak+“, sagte jemand mit
einer Stimme, die nicht heiser klang und doch seltsam aphonisch war.

„+Sie wollen sich den Kopf abgießen lassen! — Schätze ich!+“

„Nicht ich, hier unser Freund Kassekanari, Musiker und Komponist“,
machte Pherekydes den Versuch, in der Dunkelheit Corvinus vorzustellen.

Ein paar Sekunden Stille.

„Ich kann Sie nicht sehen, Herr Iranak-Essak, wo stehen Sie?“ fragte
Corvinus.

„Ist’s Ihnen nicht hell genug?“ antwortete spöttisch der Albino.
„Machen Sie beherzt ein paar Schritte nach links — es ist hier eine
offene Tapetentür, durch die Sie müssen —, sehen Sie, ich komme Ihnen
schon entgegen.“

Es schien, als schwebte bei den letzten Worten die klanglose Stimme
näher heran, und plötzlich glaubten die Freunde einen weißlichgrauen
verschwommenen Dunst an der Wand schimmern zu sehen, — die undeutlichen
Umrisse eines Menschen.

„Geh nicht, geh nicht, um Christi willen; wenn du mich lieb hast,
gehst du nicht“, — flüsterte Beatrix und wollte Corvinus zurückhalten.
Dieser wand sich leise los: „Aber Trixie, ich kann mich doch nicht so
blamieren, er denkt gewiß schon, wir fürchten uns alle.“

Und entschlossen ging er auf die weißliche Masse zu, um mit ihr im
nächsten Augenblick hinter der Tapetentür in der Finsternis — zu
verschwinden.

— Beatrix jammerte angsterfüllt vor sich hin, und die Herren versuchten
alles mögliche, ihr Mut einzuflößen.

„Seien Sie doch ganz unbesorgt, liebes Fräulein,“ tröstete Saturnilus,
„es geschieht ihm nichts.

Und wenn Sie das Abgießen +sehen+ könnten, würde es Sie sehr
interessieren und unterhalten. Zuerst, wissen Sie, kommt gefettetes
Seidenpapier auf Haare, Wimpern und Augenbrauen. — Öl aufs Gesicht,
damit nichts haften bleibt, — und dann drückt man, auf dem Rücken
liegend, den Hinterkopf bis an die Ohrränder in eine Schüssel
mit nassem Gips. Ist die Masse hart geworden, wird auf das noch
freiliegende Gesicht — etwa eine Faust stark — wiederum nasser Gips
gegossen, so daß das ganze Haupt wie in einen großen Klumpen eingehüllt
erscheint. Nach dem Erhärten werden die Verbindungsstellen aufgemeißelt
und so ergibt sich die Hohlform für die prächtigsten Abgüsse und
Konterfeis.“

„Da muß man doch unfehlbar ersticken“, jammerte das junge Mädchen.

Saturnilus lachte: „Natürlich, — wenn man nicht zum Atmen Strohhalme in
Mund und Nasenlöcher gesteckt bekäme, die aus dem Gips herausragen, —
so müßte man ersticken.“

Und um Beatrix zu beruhigen, rief er laut ins Nebenzimmer:

„Meister Iranak-Essak, dauert’s lange und wird es weh tun?“

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann hörte man die klanglose
Stimme von ferne antworten, — wie aus einem dritten, vierten Zimmer
herüber oder wie durch dicke Tücher hindurch:

„+Mir+ tut’s gewiß nicht weh! Und Herr Corvinus wird sich wohl kaum
beklagen, — — he, he. Und lange dauern?! Manchmal dauert’s bis zu zwei
und drei Minuten.“

Etwas so unerklärlich Erregendes, ein so unbeschreiblich boshaftes
Frohlocken lag in diesen Worten und der Betonung, mit der sie der
Albino sprach, daß es wie ein erstarrendes Schrecken auf die Zuhörer
fiel.

Pherekydes krampfte seines Nebenmannes Arm. „Seltsam, wie der
redet! Hast du es gehört? — Ich halte es nicht mehr länger aus vor
wahnsinnigem Angstgefühl. Woher kennt er denn plötzlich Kassekanaris
Logennamen ‚Corvinus‘? Und gleich anfangs wußte er, weshalb wir
gekommen sind?!! Nein, nein; — ich muß hinein. Ich muß wissen, was da
drinnen vorgeht.“

In diesem Augenblick schrie Beatrix auf. „Da, — da oben, da oben, — was
sind das für weiße, scheibenförmige Flecke dort, — an der Wand! —“

„Gipsrosetten, nur weiße Gipsrosetten,“ wollte sie Saturnilus
beruhigen, „ich habe sie auch schon gesehen, es ist viel heller jetzt —
und unsere Augen sind besser an die Dunkelheit gewöhnt — —“

Da schnitt ihm eine heftige Erschütterung, die durch das Haus lief wie
der Fall eines schweren Gewichtes, — das Wort ab.

Die Wände zitterten, und die weißen Scheiben fielen herab mit
klingendem Schall wie von glasiertem Ton, rollten einen Schritt weit
und lagen still.

Gipsabgüsse verzerrter menschlicher Gesichter und Totenmasken.

Lagen still und grinsten mit leeren weißen Augen zur Decke empor.

Aus dem Atelier drang ein wilder Lärm herüber. Poltern, Fallen von
Tischen und Stühlen.

Dröhnen — —.

Ein Krachen, wie von splitternden Türen, als schlüge ein Rasender um
sich im Todeskampf und bahne sich verzweifelt einen Weg ins Freie.

Ein stampfendes Laufen, dann ein Anprall — — und im nächsten Augenblick
brach ein heller, unförmlicher Steinklumpen durch die dünne Stoffwand —
Corvinus’ umgipster Kopf! — Und leuchtete — mühsam sich bewegend — weiß
und gespenstisch aus dem Zwielicht. Körper und Schultern aufgehalten
von den kreuzweise stehenden Latten und Sparren.

Mit einem Ruck hatten Fortunat, Saturnilus und Pherekydes die
Tapetentür eingedrückt, um Corvinus beizuspringen: doch kein Verfolger
war zu sehen.

Corvinus, in der Wand eingekeilt bis zur Brust, wand sich in
Konvulsionen.

Im Todeskrampf bohrten sich seine Nägel in die Hände seiner Freunde,
die, fast von Sinnen vor Entsetzen, ihm beistehen wollten.

„Werkzeuge! Eisen!“ heulte Fortunat, „holt Eisenstangen, schlagt den
Gips entzwei, — er erstickt! +Das Scheusal hat ihm die Halme zum Atmen
herausgezogen — — — und den Mund vergipst!+“

Wie rasend stürzten viele umher, Rettung zu bringen, Sesselstücke,
Latten, was sich in der blinden Eile fand, zerbrach an der Steinmasse.

Umsonst!

Eher wäre ein Granitblock zersplittert.

Andere stürmten durch die finsteren Räume und schrien und suchten
vergebens nach dem Albino, zertrümmerten, was in den Weg kam;
verfluchten seinen Namen; fielen in der Dunkelheit zu Boden und
schlugen sich wund und blutig.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

— — — — Corvinus’ Körper regte sich nicht mehr.

Wortlos und verzweifelt umstanden ihn die „Brüder“.

Beatrix’ herzzerreißendes Schreien gellte durch das Haus und weckte ein
grausiges Echo, und ihre Finger riß sie blutig an dem Stein, der das
Haupt ihres Geliebten umschloß.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Lang, lang war Mitternacht vorüber, da erst hatten sie den Weg ins
Freie gefunden aus dem finsteren, unheimlichen Labyrinth und trugen
gebrochen und stumm durch die Nacht die Leiche mit dem steinernen Kopf.

Kein Stahl, kein Meißel hatte vermocht, die grausame Hülle zu sprengen,
und so hat man Corvinus begraben im Ornate des Ordens:

               „+unsichtbar das Antlitz und verschlossen
                     gleich dem Kern in der Nuß+.“



Chimäre


Reifes Sonnenlicht liegt auf den grauen Steinen, — der alte Platz
verträumt den stillen Sonntagnachmittag. —

Aneinandergelehnt schlummern die müden Häuser mit den verfallenen
Holztreppen und heimlichen Winkeln, — mit den treuen Mahagonimöbeln in
den kleinen altmodischen Stuben.

Und warme Sommerluft atmet durch wachsame offene Fensterchen.

Ein Einsamer geht langsam über den Platz zur Kirche des heiligen
Thomas, die fromm herabsieht auf das ruhige Bild. Er tritt ein. —
Weihrauchduft.

Seufzend fällt die schwere Tür zurück an das Lederpolster.

Verschlungen ist der laute Schein der Welt — grünrosa fließen
die Sonnenstrahlen durch schmale Kirchenfenster auf die heiligen
Steinquadern. — Hier unten ruhen die Frommen aus vom wechselnden Sein.

Der Einsame atmet die tote Luft. — Gestorben sind die Klänge, andächtig
liegt der Dom im Schatten der Töne. — Das Herz wird ruhig und trinkt
den dunklen Weihrauchduft.

Der Fremde blickt auf die Schar der Kirchenbänke, die, weihevoll zum
Altar hingebeugt, wie auf ein kommendes Wunder warten.

Er ist einer jener Lebendigen, die das Leid überwunden haben und
mit andern Augen tief hineinsehen in eine andere Welt. Er fühlt den
geheimnisvollen Atem der Dinge: das verborgene, lautlose Leben der
Dämmerung.

Die verleugneten, heimlichen Gedanken, die hier geboren wurden, ziehen
unstet — suchend — durch den Raum. Wesen ohne Blut, ohne Freude und Weh
— wachsbleich, wie die kranken Gewächse der Dunkelheit.

Verschwiegen schwingen die roten Ampeln — feierlich — an langen
geduldigen Stricken; — der Luftzug von den Flügeln der goldenen
Erzengel bewegt sie. —

— Da. Ein leises Scharren unter den Bänken. — Es huscht zum Betstuhl
und versteckt sich.

Jetzt kommt es um die Säule geschlichen:

Eine bläuliche Menschenhand!

Auf flinken Fingern läuft sie am Boden hin: eine gespenstische Spinne!
— Horcht. — Klettert eine Eisenstange empor und verschwindet im
Opferstock.

Die silbernen Münzen darin klirren leise.

Träumend ist ihr der Einsame mit den Augen gefolgt, und seine Blicke
fallen auf einen alten Mann, der im Schatten eines alten Pfeilers
steht. — Die beiden sehen sich ernst an.

„Es gibt viel gierige Hände hier“, flüstert der Alte.

Der Einsame nickt.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Aus dem nächtigen Hintergrunde ziehen trübe Gestalten heran. Langsam —
sie bewegen sich kaum.

Betschnecken!

Menschenbüsten — Frauenköpfe mit schleiernden Umrissen auf kalten,
schlüpfrigen Schneckenleibern — mit Kopftüchern und schwarzen,
katholischen Augen — saugen sie sich lautlos über die kalten Fliesen.

„Sie leben von den leeren Gebeten“, sagt der Alte. „Jeder sieht sie,
und doch kennt sie keiner, — wenn sie tagsüber bei den Kirchentüren
hocken.“

Wenn der Priester die Messe liest, schlafen sie in den Flüsterecken.

„Hat sie mein Hiersein im Beten gestört?“ fragt der Einsame. —

Der Alte tritt an seine linke Seite: „Wessen Füße im lebendigen Wasser
stehen, der ist selber das Gebet! Wußte ich doch, daß heute einer
kommen würde, der +sehen+ und +hören+ kann!“ —

Gelbe Lichtreflexe hüpfen über die Steine, wie Irrlichter.

„Sehen Sie die Goldadern, die sich hier unter den Quadern hinziehen?“
Das Gesicht des Alten flackert.

Der Einsame schüttelt den Kopf: „Mein Blick dringt nicht so tief. —
Oder meinen Sie es anders?“

Der Alte nimmt ihn an der Hand und führt ihn zum Altar. —

Das Bild des Gekreuzigten ragt stumm.

Schatten bewegen sich leise in den dunkeln Seitenlogen hinter
gebauchten, kunstvollen Gittern: — Schemen alter Stiftfräulein aus
vergessenen Zeiten, die nie mehr wiederkehren, — fremdartig —
entsagungsvoll wie Weihrauchduft.

Es rauschen ihre schwarzen seidenen Kleider.

Der Greis deutet zu Boden: „Hier tritt es fast zutage. Einen Fuß tief
unter den Fliesen, — lauteres Gold, ein breiter, leuchtender Streifen.
Die Adern ziehen sich über den alten Platz bis weit unter die Häuser.
— Wunderbar, daß die Menschen nicht längst schon darauf gestoßen sind,
als sie das Pflaster gelegt haben. — Ich allein weiß es seit vielen
Jahren und habe es niemandem gesagt. — Bis heute. — Keiner hatte ein
reines Herz —“

Ein Geräusch! —

In dem gläsernen Reliquienschrein ist das silberne Herz herabgefallen,
das in der Knochenhand des heiligen Thomas lag. Der Alte hörte es
nicht. Er ist entrückt. Seine Augen schauen ekstatisch ins Weite mit
starrem, geradem Blick: „Die jetzt kommen, sollen nicht mehr betteln
gehen. Es soll ein Tempel sein aus schimmerndem Gold. — Der Fährmann
holt über — zum letztenmal.“

Der Fremde lauscht den prophetischen Worten, die flüsternd in seine
Seele dringen, wie feiner, erstickender Staub aus dem heiligen Moder
versunkener Jahrtausende.

Hier unter seinen Füßen! Ein blinkendes Zepter gefesselter, schlafender
Macht! Es steigt ihm brennend in die Augen: +Muß+ denn auf dem Golde
der Fluch sein, läßt er sich nicht bannen durch Menschenliebe und
Mitleid? — Wieviel Tausende verhungern! —

Vom Glockenturm tönt die siebente Stunde. Die Luft vibriert.

Die Gedanken des Einsamen fliegen mit dem Schall hinaus in eine Welt
voll üppiger Kunst, voll Pracht und Herrlichkeit.

Ihn schaudert. Er sieht den Alten an. — Wie verändert sind die Räume.
— Es hallt der Schritt. Die Ecken der Betstühle sind abgestoßen,
abgeschürft der Fuß der steinernen Pfeiler. Die weißgestrichenen
Statuen der Päpste bedeckt mit Staub.

„Haben Sie das ... das Metall mit körperlichen Augen gesehen — in den
Händen gehalten?“

Der Alte nickt. „Im Klostergarten draußen, beim Muttergottesbild unter
blühenden Lilien kann man es greifen.“ — — — Er zieht eine blaue
Kapsel hervor: „Hier.“ Öffnet sie und gibt dem Einsamen ein zackiges
Ding.

Die beiden Männer schweigen. — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Zur Kirche dringt weit her der Lärm des Lebens: das Volk kehrt heim von
den lustigen Wiesen — morgen ist Arbeitstag. —

Die Frauen tragen müde Kinder auf dem Arm.

Der Einsame hat den Gegenstand genommen und schüttelt dem Alten die
Hand. — Dann wirft er einen Blick zurück zum Altar. Nochmals umwogt
ihn der geheimnisvolle Hauch friedvoller Erkenntnis:

„Vom Herzen gehen die Dinge aus — sind herzgeboren und herzgefügt.“

Er schlägt das Kreuz und geht.

Am offenen Türspalt lehnt der müde Tag.

Frischer Abendwind weht herein. —

Über den Markt rasselt ein Leiterwagen, mit Laub bekränzt, voll
lachender, fröhlicher Menschen, und in die Bogengänge der alten Häuser
fallen die roten Strahlen der sinkenden Sonne.

Der Fremde lehnt an dem steinernen Denkmal inmitten des Platzes
und sinnt: Er ruft im Geiste den Vorübergehenden zu, was er soeben
erfahren. Er hört, wie das Lachen verstummt. — — — Die Bauten
zerstauben, die Kirche stürzt. — — — Ausgerissen, im Staube, die
weinenden Lilien des Klostergartens. —

Es wankt die Erde; die Dämonen des Hasses brüllen zum Himmel!

Ein Pochwerk hämmert und dröhnt und stampft den Platz, die Stadt und
blutende Menschenherzen zu goldenem Staub. — —

Der Träumer schüttelt den Kopf und sinnt und lauscht der klingenden
Stimme des verborgenen Meisters im Herzen:

    „Wer eine schlimme Tat nicht scheut und die nicht liebt, die Glück
        verleiht —
    Der ist entsagend, einsichtsvoll, entschlossen, voll von Wesenheit.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Wie ist doch der zackige Brocken so leicht für hartes Gold? — — Der
Einsame sieht ihn an:

+Ein menschlicher Wirbelknochen!+



Die Geschichte vom Löwen Alois


war so: Seine Mutter hatte ihn geboren und war sofort gestorben.

Vergebens hatte er getrachtet, mit seinen runden Pfoten, die so weich
waren wie Puderquasten, sie aufzuwecken, denn er verschmachtete vor
Durst in der sengenden Mittagsglut.

„Wie die Sonne frühmorgens die Tautropfen schlürft, wird sie auch sein
Leben austrinken“, murmelten pathetisch die wilden Pfauen oben auf
der Tempelruine, machten Prophetengesichter und schlugen rauschend
stahlblau schimmernde Räder.

Und wären nicht die Schafherden des Emirs des Weges gezogen, hätte es
auch so kommen müssen.

Da aber wendete sich das Schicksal.

„Hirten haben wir nicht, unberufen, die dreinreden dürften,“ meinten
die Schafe — „warum sollen wir diesen jungen Löwen also nicht mitnehmen?

Übrigens die Witwe Bovis macht’s gewiß gern, erziehen ist ja ihre
Leidenschaft. Seit ihr Ältester nach Afghanistan geheiratet hat — (die
Tochter des fürstlichen Oberwidders) —, fühlt sie sich sowieso ein
bißchen einsam.“

Und Frau Bovis sagte kein Wort, nahm das Löwenjunge zu sich, säugte und
hegte es — neben Agnes, ihrem eigenen Kind.

Nur der Herr Schnucke Ceterum aus Syrien — schwarz gelockt und mit
krummen Hinterbeinen — war dagegen. Er legte den Kopf schief und sagte
melodisch: „Scheene Sachen werden da noch emol ’erauskommen“, aber
weil er immer alles besser wußte, kümmerte sich niemand um ihn. — Der
kleine Löwe wuchs erstaunlich, wurde bald getauft und erhielt den Namen
„Alois“.

Frau Bovis stand dabei und fuhr sich ein ums andere Mal über die Augen;
— und der Gemeindeschöps trug ins Buch ein: „Alois †††“, und statt
eines Familiennamens drei Kreuze.

Damit aber jeder sehen könne, daß hier wahrscheinlich eine uneheliche
Geburt vorliege, schrieb er es auf eine Extraseite.

Alois’ Kindheit floß dahin wie ein Bächlein.

Er war ein guter Knabe, und nie gab er — von gewissen Heimlichkeiten
vielleicht abgesehen — Grund zur Klage. — Rührend war es anzusehen,
wie er heißhungrig mit den andern weidete und die Schafgarbe, die sich
ihm widerspenstig immer um die langen Eckzähne legte, in kindlicher
Unbeholfenheit mühsam zerkaute.

Jeden Nachmittag ging er mit klein Agnes, seinem Schwesterchen, und
ihren Freundinnen ins Bambusgehölz spielen, und da war des Scherzens
und der Lustbarkeiten kein Ende.

Alois, hieß es dann immer, Alois, zeig mal deine Krallen, bitte, bitte,
und wenn er sie recht lang herausstreckte, erröteten die kleinen
Mädchen, steckten kichernd die Köpfe zusammen und sagten: „Ffui, wie
unanßtändig“; aber sie wollten es doch immer wieder sehen.

Zur kleinen schwarzhaarigen Scholastika, Schnucke Ceterums lieblichem
Töchterlein, entwickelte sich in Alois frühzeitig eine tiefe
Herzensneigung.

Stundenlang konnte er an ihrer Seite sitzen, und sie bekränzte ihn mit
Vergißmeinnicht.

Waren sie ganz allein, so sagte er ihr das wunderschöne Gedicht auf:

    „Willst du nicht das Lämmlein hüten,
    Lämmlein ist so fromm und sanft,
    Nährt sich von des Grases Blüten
    Spielend an des Baches Ranft.“

Und sie vergoß dabei Tränen tiefster Rührung.

Dann tollten sie wieder durch das saftige Grün, bis sie umfielen.

Kam er abends erhitzt vom kindlichen Spiele nach Hause, sagte Frau
Bovis, seine Mähne nachdenklich betrachtend, immer nur: „Jugend hat
keine Tugend,“ — und — „Junge, wie du heute wieder mal unfrisiert
aussiehst!“ (Sie war so gut.)

Alois reifte zum Jüngling, und das Lernen war seine Lust. In der Schule
allen ein Vorbild, glänzte er stets durch Fleiß und gute Sitten, — und
im Singen und in „Vaterländischer Ruhmesgeschichte“ hatte er durchwegs
I~a~.

„Nicht wahr, Mama,“ sagte er immer, wenn er mit einem Lob des Herrn
Lehrers heimkam, „nicht wahr, ich darf später in die Kadettenschule?“

Da mußte sich jedesmal Frau Bovis abwenden und eine Träne zerdrücken.
„Er weiß ja nicht, der gute Junge,“ seufzte sie, „daß dort nur
wirkliche Schafe aufgenommen werden“, — streichelte ihn, zwinkerte
verheißungsvoll mit den Augen und sah ihm gerührt nach, wenn er,
hochaufgeschossen, wie er war, mit dem ein wenig dünnen Hals und den
weichen ~X~-Beinen der Flegeljahre wieder hinaus an seine Schulaufgaben
ging.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Der Herbst zog ins Land“, da hieß es eines Tages: Kinder, vorsichtig
sein, ja nicht zu weit außerhalb spazieren gehen, besonders nicht in
der Dämmerung, wenn die Sonne zu sinken beginnt, — wir kommen jetzt in
gefährliches Gebiet. — Der persische Löwe — nämlich — mordet und würgt
dort.

Und immer wilder wurde das Pundshab und immer finsterer das Gesicht,
das die Landschaft schnitt.

Die steinernen Finger der Berge von Kabul krallen sich in die
Niederungen, — Bambusdschungel starrt wie gesträubtes Haar, und auf den
Sümpfen treiben träge die Fieberdämonen mit lidlosen Augen und atmen
vergiftete Mückenschwärme in die Luft.

Die Herde zog durch einen Engpaß, ängstlich und schweigend. Hinter
jedem Felsblock Todesgefahr.

Da machte ein hohler, schauerlicher Ton die Luft beben, — in wilder,
besinnungsloser Furcht stürmte die Herde davon.

Hinter einem Felsen hervor schoß ein breiter Schatten gerade auf Herrn
Schnucke Ceterum los, der nicht rasch genug vorwärts kam.

Ein riesiger alter Löwe!

Herr Schnucke wäre rettungslos verloren gewesen, hätte sich nicht
in diesem Augenblick etwas Merkwürdiges ereignet. Mit Gänseblümchen
bekränzt, ein Sträußchen Georginen hinter dem Ohre, kam Alois mit
schmetterndem „Bäh, bäh!“ im Galopp vorbei.

Als hätte vor ihm der Blitz eingeschlagen, hielt der alte Löwe im
Sprung inne und stierte in maßlosem Staunen dem Fliehenden nach.

Lange konnte er keinen Laut hervorbringen, und als er endlich ein
wütendes Gebrüll ausstieß, antwortete ihm Alois’ „Bäh, bäh!“ schon aus
weiter Ferne.

Eine ganze Stunde noch blieb der Alte in tiefem Grübeln stehen; alles,
was er je über Sinnestäuschungen gelesen und gehört, ließ er an seinem
Geist vorüberziehen.

Vergebens!

Die Nacht fällt rasch und kalt vom Himmel im Pundshab; fröstelnd
knöpfte sich der alte Löwe zu und ging in seine Höhle.

Aber er konnte keinen Schlaf finden, und als das gigantische Katzenauge
des Vollmondes grünlich durch die Wolken starrte, brach er auf und
setzte der geflohenen Herde nach.

Gegen Morgengrauen erst fand er Alois — die Blumenkränze noch im Haar —
süß schlummernd hinter einem Strauche.

Er legte ihm die Pranke auf die Brust, und mit entsetztem „Bäh!“ fuhr
Alois aus dem Schlafe.

„Herr, so sagen Sie doch nicht immer ‚bäh!‘. Sind Sie denn wahnsinnig?
Sie sind doch ein Löwe, um Gottes willen“, brüllte ihn der Alte an.

„Da irren, bitte —,“ antwortete Alois schüchtern, „ich bin ein Schaf.“

Der alte Löwe schüttelte sich vor Wut. „Sie, — wollen Sie mich
vielleicht zum besten haben?! Frozzeln Sie gütigst meinetwegen die Frau
Blaschke — — —.“

Alois legte die Tatze beteuernd aufs Herz, blickte ihm treuherzig ins
Auge und sagte tiefbewegt:

„Mein +Ehrenwort+, — ich bin ein Schaf!“

Da entsetzte sich der Alte, wie tief sein Stamm gesunken, und ließ sich
Alois’ Lebensgeschichte erzählen.

„Das alles,“ meinte er dann, „ist mir zwar gänzlich schleierhaft, aber
daß Sie ein Löwe und kein Schaf sind, steht fest, und wenn Sie’s nicht
glauben wollen — zum Teufel —, so vergleichen Sie unser beider Bild
hier im Wasser.

Und jetzt lernen Sie zuvörderst mal anständig brüllen, schauen Sie — so:

Uuuaah, uuuuaah!“

Und er brüllte, daß die Oberfläche des Weihers ganz rieselig wurde und
aussah wie Schmirgelpapier. „Also versuchen Sie’s, es ist ganz leicht.“

„Uhah!“ setzte Alois schüchtern an, verschluckte sich jedoch und mußte
hüsteln.

Der alte Löwe blickte ungeduldig zum Himmel auf: „Na, meinetwegen üben
Sie’s, wenn Sie allein sind, ich muß jetzt sowieso nach Hause.“

Er sah auf die Uhr: „Himmelsakra! schon wieder halb fünf! — Also
Servus!“ Und er salutierte flüchtig mit der Pranke und verschwand. — —
— — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Alois war wie betäubt — — — —: Also doch!!

Vor ganz kurzer Zeit erst hatte er das Gymnasium absolviert — hatte es
sozusagen schwarz auf weiß bekommen, daß er ein Schaf sei — und jetzt!

Gerade jetzt, wo er in den Staatsdienst treten sollte!

Und — und — und — Scholastika!

Er mußte weinen — Scholastika!!

So schön hatten sie alles miteinander verabredet, wie er vor Papa und
Mama hintreten solle usw.

Und Mama Bovis hatte noch zu ihm gesagt — neulich —: „Junge, den alten
Schnucke, den halte dir warm, der hat ein Viechsgeld; — das wäre so
ein Schwiegervater für dich bei deinem Riesenappetit.“ — Und immer
lebendiger zogen die Ereignisse der letzten Tage vor Alois’ innerem
Auge vorüber: Wie er auf einem Spaziergange Herrn Schnucke über sein
blühendes Aussehen und seinen Reichtum Elogen gemacht hatte: „Herr
von Schnucke haben, wie ich vernahm, in Syrien einen so schwunghaften
Exporthandel in Trommelschlägeln unterhalten, und das soll, höre ich,
den Grundstock zu Ihrem Reichtum gelegt haben!?“ — — „Auch hab’ ich
gehandelt dermit —“, hatte Herr Ceterum etwas zögernd geantwortet, ihn
aber dabei recht argwöhnisch von der Seite angesehen.

„Sollte ich da am Ende etwas Dummes gesagt haben?“ — hatte sich Alois
damals gedacht — „aber man spricht doch allgemein — — — — — — —“ — —
Ein Geräusch schreckte ihn jetzt aus seinen Träumereien. — Also alles,
alles sollte jetzt zu Ende sein! Alois legte sein Haupt auf die Tatzen
und weinte lange und bitterlich.

Tag und Nacht vergingen, — da hatte er sich durchgerungen.

Übernächtig, tiefe Schatten um die Augen, ging er zur Herde, trat
mitten unter sie, richtete sich majestätisch auf und rief:

„Uh——hah!“

Ein ungeheures Gelächter brach los.

„Pardon, ich meine damit,“ stotterte Alois verlegen — „ich meine damit
nur — — ich bin nämlich ein Löwe.“ Ein Augenblick der Überraschung,
allgemeine Stille, und wiederum erhoben sich großer Lärm, höhnische
Worte, Warnungsrufe, lautes Lachen.

Erst als Dr. Simulans, der Herr Pastor, hinzutrat und Alois in strengem
Tone befahl, ihm zu folgen, legte sich der Tumult.

Es mußte ein langes, ernstes Gespräch gewesen sein, das die beiden
miteinander führten, und als sie zusammen aus dem Bambusdickicht
traten, da leuchteten des Predigers Augen in frommem Eifer. „Sei dössen
eingedenk, mein Sohn,“ waren seine letzten Worte, — „mannigfaltig sind
die Fallstricke des bösen Feindes! Tag und Nacht versuchet ör uns, auf
daß wir gögen den Stachel löcken, dörweilen wir im Fleische wandeln
allhier.

Siehe, das ist ös ja eben, wir allesamt sollen trachten, das Löwentum
in uns niederzuwerfen und in Demut zu verharren, daß wir einen +nojen+
Bund schließen und unsere Bitten erhöret werden — hier zeitlich und
dort öwiglich.

Und was du gesehen und gehört gestern morgens dort am Weiher, das
vergiß; — ös war nicht Wirklichkeit, — war teuflisch Gaukelspiel dös
bösen Feindes! Anathema!

Eines noch, mein Sohn! Heiraten ist gut, und ös wird dir die finstern
Dünste des Fleisches vertreiben, die den Teufeln ein Wohlgefallen sind,
so freie denn die Jungfrau Scholastika Cöterum und sei zahlreich wie
der Sand am Meere.“

Er hob seine Augen zum Himmel, — „das wird dir helfen des Fleisches
Bürde tragen und — (hier wurde seine Rede zum Gesang):

    lär—nee zu lei—deen
    oh—näh zu klaa—geen!“

Und dann schritt er von hinnen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Alois’ Augen standen voll Tränen.

Drei Tage lang sprach er kein Wort, reinigte nur rastlos sein Inneres
von allen Schlacken, und als ihm eines Nachts im Traum eine Löwin
erschien, die angab, der Geist seiner Mutter zu sein und verächtlich
dreimal vor ihm ausspuckte, da trat er erhobenen Hauptes vor den Herrn
Pastor — jauchzend, daß nunmehr die Blendwerke der Hölle von ihm
abgelassen hätten und er von nun an das Denken wolle ganz und gar sein
lassen, um sich um so blinder der Leitung des Herrn Pastors hinzugeben.

Der Herr Pastor aber hielt in beredten Worten Fürsprache für ihn um
die Hand der Jungfrau Scholastika bei ihren Eltern.

Zwar wollte Herr Ceterum anfangs nichts hören, war sehr wild und rief
immer: „Er is nix, er hat nix“, aber schließlich fand seine Ehegattin
den Schlüssel zu seinem Herzen: „Schnucke“, sagte sie, „Schnucke, was
willst de eigentlich, was hast de gegen Alois? Schau — — — er is doch
+blond+.“ —

Und tags darauf war Hochzeit.

  Bäh!



Der violette Tod


Der Tibetaner schwieg.

Die magere Gestalt stand noch eine Zeitlang aufrecht und unbeweglich,
dann verschwand sie im Dschungel. —

Sir Roger Thornton starrte ins Feuer: Wenn er kein Sannyasin — kein
Büßer — gewesen wäre, der Tibetaner, der überdies nach Benares
wallfahrtete, so hätte er ihm natürlich kein Wort geglaubt — aber ein
Sannyasin lügt weder, noch kann er belogen werden. —

Und dann dieses tückische, grausame Zucken im Gesichte des Asiaten!?

Oder hatte ihn der Feuerschein getäuscht, der sich so seltsam in den
Mongolenaugen gespiegelt? —

Die Tibetaner hassen den Europäer und hüten eifersüchtig ihre magischen
Geheimnisse, mit denen sie die hochmütigen Fremden einst zu vernichten
hoffen, wenn der große Tag heranbricht. —

Einerlei, er, Sir Hannibal Roger Thornton, muß mit eigenen Augen sehen,
ob okkulte Kräfte tatsächlich in den Händen dieses merkwürdigen Volks
ruhen. — Aber er braucht Gefährten, mutige Männer, deren Wille nicht
bricht, auch wenn die Schrecken einer anderen Welt hinter ihnen
stehen. —

Der Engländer musterte seine Gefährten: — Dort der Afghane wäre der
einzige, der in Betracht käme von den Asiaten, — furchtlos wie ein
Raubtier, doch abergläubisch! —

Es bleibt also nur sein europäischer Diener. —

Sir Roger berührt ihn mit seinem Stock. — Pompejus Jaburek ist seit
seinem zehnten Jahre völlig taub, aber er versteht es, jedes Wort, und
sei es noch so fremdartig, von den Lippen zu lesen.

Sir Roger Thornton erzählt ihm mit deutlichen Gesten, was er von dem
Tibetaner erfahren: Etwa zwanzig Tagereisen von hier, in einem genau
bezeichneten Seitentale des Himavat, befinde sich ein ganz seltsames
Stück Erde. — Auf drei Seiten senkrechte Felswände; — der einzige
Zugang abgesperrt durch giftige Gase, die ununterbrochen aus der Erde
dringen und jedes Lebewesen, das passieren will, augenblicklich töten.
— In der Schlucht selbst, die etwa fünfzig englische Quadratmeilen
umfaßt, solle ein kleiner Volksstamm leben — mitten unter üppigster
Vegetation —, der der tibetanischen Rasse angehöre, rote spitze
Mützen trage und ein bösartiges, satanisches Wesen in Gestalt eines
Pfaues anbete. — Dieses teuflische Wesen habe die Bewohner im Laufe
der Jahrhunderte die schwarze Magie gelehrt und ihnen Geheimnisse
geoffenbart, die einst den ganzen Erdball umgestalten sollen; so habe
es ihnen auch eine Art Melodie beigebracht, die den stärksten Mann
augenblicklich vernichten könne. —

Pompejus lächelte spöttisch.

Sir Roger erklärt ihm, daß er gedenke, mit Hilfe von Taucherhelmen und
Tauchertornistern, die komprimierte Luft enthalten sollen, die giftigen
Stellen zu passieren, um ins Innere der geheimnisvollen Schlucht zu
dringen. —

Pompejus Jaburek nickte zustimmend und rieb sich vergnügt die
schmutzigen Hände.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Der Tibetaner hatte nicht gelogen: Dort unten lag im herrlichsten
Grün die seltsame Schlucht; ein gelbbrauner, wüstenähnlicher Gürtel
aus lockerem, verwittertem Erdreich — von der Breite einer halben
Wegstunde — schloß das ganze Gebiet gegen die Außenwelt ab.

Das Gas, das aus dem Boden drang, war reine Kohlensäure.

Sir Roger Thornton, der von einem Hügel aus die Breite dieses Gürtels
abgeschätzt hatte, entschloß sich, bereits am kommenden Morgen die
Expedition anzutreten. — Die Taucherhelme, die er sich aus Bombay hatte
schicken lassen, funktionierten tadellos. —

Pompejus trug beide Repetiergewehre und diverse Instrumente, die sein
Herr für unentbehrlich hielt. —

Der Afghane hatte sich hartnäckig geweigert mitzugehen und erklärt, daß
er stets bereit sei, in eine Tigerhöhle zu klettern, sich es aber sehr
überlegen werde, etwas zu wagen, was seiner unsterblichen Seele Schaden
bringen könne. — So waren die beiden Europäer die einzigen Wagemutigen
geblieben. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die kupfernen Taucherhelme funkelten in der Sonne und warfen
wunderliche Schatten auf den schwammartigen Erdboden, aus dem die
giftigen Gase in zahllosen, winzigen Bläschen aufstiegen. — Sir
Roger hatte einen sehr schnellen Schritt eingeschlagen, damit die
komprimierte Luft ausreiche, um die gasige Zone zu passieren. —
Er sah alles vor sich in schwankenden Formen wie durch eine dünne
Wasserschicht. — Das Sonnenlicht schien ihm gespenstisch grün
und färbte die fernen Gletscher — das „Dach der Welt“ mit seinen
gigantischen Profilen — wie eine wundersame Totenlandschaft. —

Er befand sich mit Pompejus bereits auf frischem Rasen und zündete
ein Streichholz an, um sich vom Vorhandensein atmosphärischer Luft in
allen Schichten zu überzeugen. — Dann nahmen beide die Taucherhelme und
Tornister ab. —

Hinter ihnen lag die Gasmauer wie eine bebende Wassermasse. — In
der Luft ein betäubender Duft wie von Amberiablüten. Schillernde
handgroße Falter, seltsam gezeichnet, saßen mit offenen Flügeln wie
aufgeschlagene Zauberbücher auf stillen Blumen.

Die beiden schritten in beträchtlichem Zwischenraume voneinander der
Waldinsel zu, die ihnen den freien Ausblick hinderte. —

Sir Roger gab seinem tauben Diener ein Zeichen, — er schien ein
Geräusch vernommen zu haben. — Pompejus zog den Hahn seines Gewehres
auf. —

Sie umschritten die Waldspitze, und vor ihnen lag eine Wiese. — Kaum
eine viertel englische Meile vor ihnen hatten etwa 100 Mann, offenbar
Tibetaner, mit roten spitzen Mützen einen Halbkreis gebildet: — man
erwartete die Eindringlinge bereits. — Furchtlos ging Sir Thornton —
einige Schritte seitlich vor ihm Pompejus — auf die Menge zu. —

Die Tibetaner waren in die gebräuchlichen Schaffelle gekleidet,
sahen aber trotzdem kaum wie menschliche Wesen aus, so abschreckend
häßlich und unförmlich waren ihre Gesichter, in denen ein Ausdruck
furchterregender und übermenschlicher Bosheit lag. — Sie ließen die
beiden nahe herankommen, dann hoben sie blitzschnell, wie ein Mann, auf
das Kommando ihres Führers die Hände empor und drückten sie gewaltsam
gegen ihre Ohren. — Gleichzeitig schrien sie etwas aus vollen Lungen. —

Pompejus Jaburek sah fragend nach seinem Herrn und brachte die Flinte
in Anschlag, denn die seltsame Bewegung der Menge schien ihm das
Zeichen zu irgendeinem Angriff zu sein. — Was er nun wahrnahm, trieb
ihm alles Blut zum Herzen:

Um seinen Herrn hatte sich eine zitternde, wirbelnde Gasschicht
gebildet, ähnlich der, die beide vor kurzem durchschritten hatten. —
Die Gestalt Sir Rogers verlor die Konturen, als ob sie von dem Wirbel
abgeschliffen würden — der Kopf wurde spitzig —, die ganze Masse sank
wie zerschmelzend in sich zusammen, und an der Stelle, wo sich noch vor
einem Augenblick der sehnige Engländer befunden hatte, stand jetzt ein
hellvioletter Kegel von der Größe und Gestalt eines Zuckerhutes. —

Der taube Pompejus wurde von wilder Wut geschüttelt. — Die Tibetaner
schrien noch immer, und er sah ihnen gespannt auf die Lippen, um zu
lesen, was sie denn eigentlich sagen wollten. —

Es war immer ein und dasselbe Wort. — Plötzlich sprang der Führer
vor, und alle schwiegen und senkten die Arme von den Ohren. — Gleich
Panthern stürzten sie auf Pompejus zu. — Dieser feuerte wie rasend
aus seinem Repetiergewehr in die Menge hinein, die einen Augenblick
stutzte. —

Instinktiv rief er ihnen das Wort zu, das er vorher von ihren Lippen
gelesen hatte:

„+Ämälän — Äm — mä — län+“, brüllte er, daß die Schlucht erdröhnte
wie unter Naturgewalten.

Ein Schwindel ergriff ihn, er sah alles wie durch starke Brillen, und
der Boden drehte sich unter ihm. — Es war nur ein Moment gewesen,
jetzt sah er wieder klar. —

Die Tibetaner waren verschwunden — wie vorhin sein Herr —; nur zahllose
violette Zuckerhüte standen vor ihm. —

Der Anführer lebte noch. Die Beine waren bereits in bläulichen Brei
verwandelt, und auch der Oberkörper fing schon an zu schrumpfen, — es
war, als ob der ganze Mensch von einem völlig durchsichtigen Wesen
verdaut würde. — Er trug keine rote Mütze, sondern ein mitraähnliches
Gebäude, in dem sich gelbe, lebende Augen bewegten. —

Jaburek schmetterte ihm den Flintenkolben an den Schädel, hatte aber
nicht verhindern können, daß ihn der Sterbende mit einer im letzten
Moment geschleuderten Sichel am Fuße verletzte.

Dann sah er um sich. — Kein lebendes Wesen weit und breit. —

Der Duft der Amberiablüten hatte sich verstärkt und war fast stechend
geworden. — Er schien von den violetten Kegeln auszugehen, die Pompejus
jetzt besichtigte. — Sie waren einander gleich und bestanden alle aus
demselben hellvioletten gallertartigen Schleim. Die Überreste Sir Roger
Thorntons aus diesen violetten Pyramiden herauszufinden, war unmöglich.

Pompejus trat zähneknirschend dem toten Tibetanerführer ins Gesicht und
lief dann den Weg zurück, den er gekommen war. — Schon von weitem sah
er im Gras die kupfernen Helme in der Sonne blitzen. — Er pumpte seinen
Tauchertornister voll Luft und betrat die Gaszone. — Der Weg wollte
kein Ende nehmen. Dem Armen liefen die Tränen über das Gesicht. — Ach
Gott, ach Gott, sein Herr war tot. — Gestorben, hier, im fernen Indien!
— Die Eisriesen des Himalaya gähnten gen Himmel, — was kümmerte sie das
Leid eines winzigen pochenden Menschenherzens. — — — — — — — — — — —

Pompejus Jaburek hatte alles, was geschehen war, getreulich zu Papier
gebracht, Wort für Wort, so wie er es erlebt und gesehen hatte — denn
verstehen konnte er es noch immer nicht —, und es an den Sekretär
seines Herrn nach Bombay, Adheritollahstraße 17, adressiert. — Der
Afghane hatte die Besorgung übernommen. — Dann war Pompejus gestorben,
denn die Sichel des Tibetaners war vergiftet gewesen. —

„Allah ist das Eins und Mohammed ist sein Prophet“, betete der Afghane
und berührte mit der Stirne den Boden. — Die Hindujäger hatten die
Leiche mit Blumen bestreut und unter frommen Gesängen auf einem
Holzstoße verbrannt. — — — — — — —

Ali Murrad Bey, der Sekretär, war bleich geworden, als er die
Schreckensbotschaft vernahm, und hatte das Schriftstück sofort in die
Redaktion der „Indian Gazette“ geschickt. —

Die neue Sintflut brach herein. —

Die „Indian Gazette“, die die Veröffentlichung des „Falles Sir Roger
Thornton“ brachte, erschien am nächsten Tage um volle drei Stunden
später als sonst. — Ein seltsamer und schreckenerregender Zwischenfall
trug die Schuld an der Verzögerung:

Mr. Birendranath Naorodjee, der Redakteur des Blattes, und zwei
Unterbeamte, die mit ihm die Zeitung vor der Herausgabe noch
mitternachts durchzuprüfen pflegten, waren aus dem verschlossenen
Arbeitszimmer spurlos verschwunden. — Drei bläuliche gallertartige
Zylinder standen statt dessen auf dem Boden, und mitten zwischen ihnen
lag das frischgedruckte Zeitungsblatt. — Die Polizei hatte kaum mit
bekannter Wichtigtuerei die ersten Protokolle angefertigt, als zahllose
ähnliche Fälle gemeldet wurden.

Zu Dutzenden verschwanden die zeitunglesenden und gestikulierenden
Menschen vor den Augen der entsetzten Menge, die aufgeregt die Straßen
durchzog. — Zahllose violette kleine Pyramiden standen umher, auf den
Treppen, auf den Märkten und Gassen — wohin das Auge blickte. —

Ehe der Abend kam, war Bombay halb entvölkert. Eine amtliche sanitäre
Maßregel hatte die sofortige Sperrung des Hafens, wie überhaupt
jeglichen Verkehrs nach außen verfügt, um eine Verbreitung der
neuartigen Epidemie, denn wohl nur um eine solche konnte es sich hier
handeln, möglichst einzudämmen. — Telegraph und Kabel spielten Tag und
Nacht und schickten den schrecklichen Bericht sowie den ganzen Fall
„Sir Thornton“ Silbe für Silbe über den Ozean in die weite Welt. —

Schon am nächsten Tag wurde die Quarantäne, als bereits verspätet,
wieder aufgehoben.

Aus allen Ländern verkündeten Schreckensbotschaften, daß der „violette
Tod“ überall fast gleichzeitig ausgebrochen sei und die Erde zu
entvölkern drohe. Alles hatte den Kopf verloren, und die zivilisierte
Welt glich einem riesigen Ameisenhaufen, in den ein Bauernjunge seine
Tabakspfeife gesteckt hat. —

In Deutschland brach die Epidemie zuerst in Hamburg aus; Österreich, in
dem ja nur Lokalnachrichten gelesen werden, blieb wochenlang verschont.

Der erste Fall in Hamburg war ganz besonders erschütternd. Pastor
Stühlken, ein Mann, den das ehrwürdige Alter fast taub gemacht hatte,
saß früh am Morgen am Kaffeetisch im Kreise seiner Lieben: Theobald,
sein Ältester, mit der langen Studentenpfeife, Jette, die treue Gattin,
Minchen, Tinchen, kurz alle, alle. Der greise Vater hatte eben die
angelangte englische Zeitung aufgeschlagen und las den Seinen den
Bericht über den „Fall Sir Roger Thornton“ vor. Er war kaum über das
Wort Ämälän hinausgekommen und wollte sich eben mit einem Schluck
Kaffee stärken, als er mit Entsetzen wahrnahm, daß nur noch violette
Schleimkegel um ihn herumsaßen. In dem einen stak noch die lange
Studentenpfeife. —

Alle vierzehn Seelen hatte der Herr zu sich genommen. —

Der fromme Greis fiel bewußtlos um. —

Eine Woche später war bereits mehr als die Hälfte der Menschheit tot.

Einem deutschen Gelehrten war es vorbehalten, wenigstens etwas Licht in
diese Vorkommnisse zu bringen. — Der Umstand, daß Taube und Taubstumme
von der Epidemie verschont blieben, hatte ihn auf die ganz richtige
Idee gebracht, daß es sich hier um ein rein akustisches Phänomen
handle. —

Er hatte in seiner einsamen Studierstube einen langen
wissenschaftlichen Vortrag zu Papier gebracht und dessen öffentliche
Verlesung mit einigen Schlagworten angekündigt.

Seine Auseinandersetzung bestand ungefähr darin, daß er sich auf
einige fast unbekannte indische Religionsschriften berief, — die das
Hervorbringen von astralen und fluidischen Wirbelstürmen durch das
Aussprechen gewisser geheimer Worte und Formeln behandelten — und
diese Schilderungen durch die modernsten Erfahrungen auf dem Gebiete
der Vibrations- und Strahlungstheorie stützte. —

Er hielt seinen Vortrag in Berlin und mußte, während er die langen
Sätze von seinem Manuskripte ablas, sich eines Sprachrohres bedienen,
so enorm war der Zulauf des Publikums. —

Die denkwürdige Rede schloß mit den lapidaren Worten: „Gehet zum
Ohrenarzt, er soll euch taub machen, und hütet euch vor dem Aussprechen
des Wortes ‚Ämälän‘.“ —

Eine Sekunde später waren wohl der Gelehrte und seine Zuhörer nur mehr
leblose Schleimkegel, aber das Manuskript blieb zurück, wurde im Laufe
der Zeit bekannt und befolgt und bewahrte so die Menschheit vor dem
gänzlichen Aussterben.

Einige Dezennien später, man schreibt 1950, bewohnt eine neue,
taubstumme Generation den Erdball. —

Gebräuche und Sitten anders, Rang und Besitz verschoben. — Ein
Ohrenarzt regiert die Welt. — Notenschriften zu den alchimistischen
Rezepten des Mittelalters geworfen, — Mozart, Beethoven, Wagner der
Lächerlichkeit verfallen, wie weiland Albertus Magnus und Bombastus
Paracelsus. —

In den Folterkammern der Museen fletscht hie und da ein verstaubtes
Klavier die alten Zähne.


+Nachschrift des Autors+: Der verehrte Leser wird gewarnt, das Wort
„Ämälän“ laut auszusprechen.



Die Königin unter den Bregen


Der Herr da drüben ist der Doktor Jorre.

Er besitzt ein technisches Bureau und verkehrt mit keinem Menschen.

Regelmäßig um ein Uhr ißt er im Restaurant des Staatsbahnhofes zu
Mittag, und wenn er eintritt, bringt ihm der Kellner die „Politik“. —

Dr. Jorre setzt sich immer darauf, nicht etwa aus Verachtung, sondern
um sie jeden Augenblick bei der Hand zu haben, — denn er liest
bruchstückweise während des Essens.

Er ist überhaupt ein eigentümlicher Mensch, — ein Automat, der niemals
in Eile ist, niemanden grüßt und nur das tut, was er will.

Gemütsbewegungen hat noch keiner an ihm wahrgenommen. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Ich möchte mir eine Portemonnaiefabrik — egal wo, nur in Österreich
muß es sein — errichten,“ sagte eines Tages ein Herr zu ihm, — „so und
so viel will ich daran wenden, — können Sie mir das besorgen, — samt
Maschinen, Arbeitern, Bezugs- und Absatzquellen und so weiter und so
weiter, — — kurz: ganz komplett?“ —

Vier Wochen später schrieb Dr. Jorre dem Herrn, daß die Fabrikgebäude
fix und fertig seien — an der ungarischen Grenze. Der Betrieb bei der
Behörde angemeldet, — 25 Arbeiter und zwei Werkmeister vom Ersten des
Monats ab angestellt, ebenso das kaufmännische Personal; Leder aus
Budapest, — Alligatorenhäute aus Ohio unterwegs. — Bestellungen von
Wiener Abnehmern zu günstigen Preisen in den Geschäftsbüchern bereits
eingetragen. Bankverbindungen in den Hauptstädten angeknüpft.

Nach Abzug seines Honorars seien 5 fl. 63 Kr. von dem ihm übergebenen
Gelde übrig, die sich in Briefmarken in der linken Schublade des
Schreibtisches im Chefzimmer befänden.

Solche Geschäfte machte Dr. Jorre.

Zehn Jahre hatte er auf diese Art schon gearbeitet und wahrscheinlich
viel Geld verdient. Jetzt stand er wieder mit einem englischen Syndikat
in Unterhandlungen, und morgen früh um acht Uhr sollten sie zum
Abschlusse kommen. Eine halbe Million würde Dr. Jorre dabei verdienen,
meinten seine Konkurrenten. —

Es könne gar nicht mehr gelingen, ihn noch aus dem Felde zu schlagen,
glaubten sie. —

Die Engländer glaubten es auch nicht.

Dr. Jorre erst recht nicht.

„Kommen Sie morgen pünktlich ins Hotel“, sagte der eine Engländer.

Dr. Jorre gab keine Antwort und ging nach Hause. Der Kellner, der die
Bemerkung gehört, lachte bloß.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

In Jorres Schlafzimmer steht nur ein Bett, ein Stuhl und ein
Waschtisch. —

Totenstille im ganzen Haus.

Lang ausgestreckt liegt der Mann und schläft.

„Morgen soll er am Ziele seines Strebens sein, mehr besitzen als er
verbrauchen kann. Was wird er dann wohl beginnen? Welche Wünsche
bewegen dieses Herz, das so freudlos schlägt?“

Das hat er wohl keinem Menschen je gesagt. — Er steht ganz allein in
der Welt.

Ob die Natur zu ihm spricht, ob Musik, ob Kunst? — Niemand weiß es. — —
— Es ist, als ob der Mann tot wäre, — kein Atemzug ist hörbar.

Das kahle Zimmer schläft mit ihm, — kein Knistern — nichts. — Solch
alte Räume sind nicht mehr neugierig.

So verfließt die Nacht — langsam — Stunde um Stunde. — — — — — — — — — —

— War das nicht ein Schluchzen, — wie aus dem Schlaf? — Pah, — Dr.
Jorre schluchzt nicht. — Auch nicht im Schlaf.

Und jetzt ein Rascheln. — Es ist etwas herabgefallen, — ein leichter
Gegenstand. — Eine dürre Rose, die an der Wand neben dem Bette hing,
liegt auf dem Boden. — Der Faden, der sie gehalten, ist zerrissen; —
er war schon alt — und morsch geworden. Ein Lichtschein fällt auf die
Zimmerdecke — eine Wagenlaterne von der Gasse war es wohl. — — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Früh stand Dr. Jorre auf, wusch sich und ging ins Nebenzimmer. Dann
setzt er sich an seinen Schreibtisch und starrt vor sich hin.

Wie alt und verfallen er heute aussieht. —

Draußen fahren Lastwagen; man hört sie über das Pflaster holpern.
Ein nüchterner, öder Morgen, — halbdunkel noch, als ob es nie mehr
freudiger Tag werden wolle. —

Daß die Menschen den Mut haben, da weiter zu leben.

Was soll das alles, — dieses mürrische Arbeiten im trüben Nebel!

Jorre spielt mit einem Bleistift. — Die Dinge stehen in wohlgeordneten
Abständen auf dem Schreibtische. — Er klopft zerstreut auf den
Briefbeschwerer, der vor ihm liegt. Ein Basaltstück mit zwei gelbgrünen
Olivinkristallen; — wie zwei Augen sehen ihn die Steine an. — Warum
quält ihn das so? — Er schiebt den Block beiseite. —

Immer wieder muß er hinschauen. — — — Wer hat ihn nur so angeblickt, so
gelbgrün? Und noch vor ganz kurzer Zeit? — — — —

Bregen — — — — — — Bregen — — —

Was für ein Wort ist das nur? — Bregen? — —

Er hält die Hand an die Stirn und sinnt. —

Ein Traumgesicht dämmert in seiner Seele. —

Heute nacht hatte er von dem Worte geträumt; — jawohl, — gerade vor
wenigen Stunden:

Er war in den Herbst hineingeschritten, in eine fröstelnde Landschaft.
— Weidenbäume mit hängenden Zweigen. Das Laub tot auf allen Sträuchern.
— Dicht bedecken die abgefallenen Blätter die Erde, mit Wasserstaub
bestanden, als ob sie die sonnigen Tage beweinten, wo sie noch in
der Höhe — im Winde — gejauchzt und gezittert, — die silbergrünen
Weidenkinder. —

Es ist ein eigenes, trostloses Rauschen, wenn der Fuß durch die dürren
Blätter streift.

Ein brauner Pfad liegt zwischen wirren Sträuchern, die wie erstarrte
Krallen in die nasse Luft greifen. — — Er sieht sich auf diesem Wege
gehen. — Vor ihm humpelt ein altes Weib in Lumpen — tief gebückt — mit
einem Hexengesicht. — Er hört ihren Krückstock auf die Erde stampfen. —
Jetzt bleibt sie stehen.

Ein Sumpf liegt vor ihnen im Dunkel der Ulmen, und grüne Schwaden
decken die tückische Fläche. —

Die Hexe reckt ihren Krückstock aus — die Decke zerreißt.

Jorre blickt in die unergründliche Tiefe. —

Die Wasser werden klar, — klar wie Kristall, — und da unten erscheint
eine seltsame Welt. Immer höher hinauf taucht es: — Nackte Frauen wie
Schlangen verschlungen bewegen sich dort; leuchtende Leiber schwimmen
in wirbelndem Reigen. — Und eine mit grünen großen Augen, eine Krone
im Haar, sieht herauf zu ihm und schwingt ein Zepter über die anderen.
— Sein Herz schreit auf vor Weh unter diesem Blick; er fühlt, wie sein
Blut diese Augen aufnimmt und wie ihr grüner Schein in seinen Augen zu
kreisen beginnt. —

Da läßt die Hexe den Krückstock sinken und sagt:

„Die einst deines Herzens Königin war, ist Königin jetzt hier unter den
Bregen!“

Und wie die Worte verklingen, schießen die dichten Schwaden über dem
Sumpf zusammen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die einst deines Herzens Königin war ...

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Dr. Jorre sitzt an seinem Schreibtisch, den Kopf auf die Arme gelegt,
und weint.

Es schlägt acht Uhr; er hört es und weiß, daß er fortgehen soll. —
Und er geht nicht. Was soll ihm auch das Geld! — Der Wille hat ihn
verlassen. —

„Die einst deines Herzens Königin war, ist Königin jetzt hier unter den
Bregen.“

Er denkt es immerfort. — Das herbstlich spukhafte Bild steht
unbeweglich vor seiner Seele — und die grünen Augen kreisen in seinem
Blute. —

Was das Wort Bregen nur bedeuten mag? Er hat es nie im Leben vernommen
und kennt seinen Sinn nicht. — Es heißt etwas Grauenhaftes, namenlos
Trauriges, etwas Elendes — fühlt er —, und das freudlose Klappern der
Lastwagen von der Straße her dringt wie beißendes Salz in sein krankes
Herz.



Bocksäure


Malaga ist wunderschön.

Aber heiß.

Die Sonne prasselt den ganzen Tag auf die steilen Hügel und reift den
Wein, der auf natürlichen Terrassen wächst. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

In der Ferne auf blauem, stillem Meer die weißen Segel, sie ziehen wie
Möwen. — — —

Die dicken Mönche dort oben im Kloster Alkazaba sind stolz geworden und
reich — vom Guindre, den nur Herzöge trinken.

Wer kennt nicht den Guindre vom Kloster Alkazaba?! — — So feurig, so
süß, so schwer; — — man spricht von ihm in ganz Spanien. —

Doch nur die Erlesenen des Landes gießen ihn in die schimmernden
Gläser; ist er doch kostbar gleich trinkbarem Gold.

Weiß steht das Kloster in den nachtblauen Schatten, hoch über der Stadt
von blendenden Strahlen beschienen. — —

Vor Jahren waren die Brüder so arm, daß sie betteln gingen und die
Malagueños segneten, die ihnen spärliche Almosen gaben: Milch, Gemüse,
Eier.

Dann kam der neue Abt Padre Cesáreo Ocáriz, der milde, und brachte das
irdische Glück.

Zufrieden und rund wie eine Kugel, verbreitete er frohen Sinn, wohin er
ging.

Die schlanken Mädchen aus den Dörfern strömten zu ihm, wenn er die
Beichte abnahm. — Wie sie ihn liebten! — Hatte er doch für die
heißesten Küsse so milde Buße. — — — — — — — — — — — — Balsa war
gestorben, der Weinbauer, und hatte sein kleines Gut, das an den
Klostergarten stieß, den Fratres verschrieben, weil ihm der Trost des
guten Abtes die letzten Stunden gar so leicht gemacht. — —

Padre Ocáriz segnete des Toten Vermächtnis. — Er schlug die Heilige
Schrift auf und wies den Mönchen das Gleichnis vom Weinberg. — Und
die Brüder gruben und gruben, daß die Schollen schwarz glänzten in
dem glühenden Sonnenlicht und die Eseltreiber auf den staubigen Wegen
verwundert stehen blieben. —

— — — Ja, damals ging es noch, da waren die Fratres noch mager und
jung, und ihre emsigen Hände achteten nicht der schmerzenden Schwielen.

Im Schatten saß der Abt in seinem alten Lehnstuhl und warf Brotkrumen
den hellen Tauben zu, die in den Klosterhof geflogen kamen.

Sein rundes, rotes Gesicht glänzte zufrieden und nickte ermunternd,
wenn einer der Fleißigen innehielt und sich den Schweiß von der Stirne
wischte. — Zuweilen klatschte er auch drohend in die fleischigen
Hände, hatte sich irgendein spanischer Lausbub zu nahe an die
Gartenhecke gewagt.

— — — Und war die Vesperglocke verklungen, und wehte die Abendbrise
ihren kühlen, milden Segen her vom Meere, saß er oft noch lange unter
dem Maulbeerbaum und sah hinaus auf die spielenden Wellen da unten in
der Bucht. —

Wie die sinkenden Strahlen der Sonne an die flimmernden Kämme sich
schmiegen, sich ihnen vermischen zu leuchtendem Schaum, — da wird es so
friedvoll, und die dunkelnden Täler warten und schweigen. — —

Dann ließ er sich wohl auch den alten Manuel kommen, den Gärtner
des Kaufherrn Otero, der die Geheimnisse des Weinbaues kannte wie
kein zweiter im Lande, und hörte ihm zu. — Und die Blätter des
Maulbeerbaumes rauschten besorgt, als wollten sie die leisen Worte
verwehen, daß sie kein Unberufener hörte. —

Kopfschüttelnd vernahm da der gute Abt, daß man verwitterte
Lederstücke, je schmutziger desto besser, in den gärenden Most tun
müsse, um das Aroma zu erhöhen, und sah dem Alten forschend in das
gefurchte Gesicht, ob er auch die Wahrheit spräche. —

Wurde es dunkel, und war die Sonne hinter den grünen Hügeln versunken,
so sagte er einfach: „Gehe nun heim, mein Sohn, ich danke dir. Siehe,
da fliegen schon die Schwalben des Teufels.“ Damit meinte er die
Fledermäuse, die er nicht leiden konnte. „Und der Segen der Jungfrau
sei auf deinen Wegen.“ —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Dann kam die blaue, schweigende Nacht mit ihren tausend freundlichen
Augen, und Funken glommen im schlummernden Hafen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Schwer hingen die Trauben an den Stöcken, jahraus, jahrein. —

Wie der junge, stürmische Wein im Keller tobte, als müsse er fort aus
dem Dunkel, hinaus ins Freie, wo er geboren! — — — — —

— — — Es waren bloß wenige Fässer, und die Mönche murrten, daß die
Früchte der harten Arbeit so spärlich seien. — — —

— — — Padre Cesáreo Ocáriz sagte kein Wort, schmunzelte nur listig,
wenn das Botenweib kam und die Briefe der Kaufherren brachte, — blaue,
rote, grüne, — mit Wappen und krauser Schrift aus allen Gegenden
Spaniens. —

Als aber ein Sendschreiben eintraf vom Hofe, mit dem Siegel des Königs,
da blieb es kein Geheimnis mehr:

Der Klosterwein von Alkazaba war die Perle von Malaga geworden. — Wie
den Purpur des Altertums — kostbar — wog man ihn mit Gold auf, und
sein Duft wurde gepriesen in Lied und Sang.

Herrscher tranken ihn und hohe Frauen, — und küßten die Tropfen vom
Rande des Bechers.

Der Reichtum zog ins Kloster, und wie der Keller sich leerte vom Wein,
füllten sich die Schreine mit prunkenden Schätzen.

Die herrliche Kapelle erstand an Stelle der alten, und eine mächtige
silberne Glocke „del Espiritu Santo“ sang das Lob des Herrn, daß es in
heiliger Weihe über den Tälern klang. —

— — — Die Fratres sahen freundlich, wurden dick und rund und saßen
gemächlich auf den steinernen Bänken. —

Mit dem Graben war es schon lange nichts mehr.

Doch die Trauben wuchsen nach wie vor, — ganz wie von selbst. Und das
war den Mönchen recht.

Die aßen und tranken; nur einmal im Jahre zogen sie — wie zum Feste —
mit ihrem Abt in den Keller, wenn der Most gärte, und sahen blinzelnd
zu, wie er in jedes Faß einen halben alten Stiefel warf. — Das war das
ganze Geheimnis, wie sie meinten, und sie freuten sich mit dem frommen
Alten, der für diesen feierlichen Moment immer seine eigenen Schuhe
sorgfältig aufhob und sie selber zerschnitt. —

— — — Der greise Manuel hatte ihnen wohl oft erklärt, daß es eigentlich
ein Wunder sei, daß das Leder allein die Ursache der so besonderen Güte
des Weins nicht sein könne. Leder lege doch jeder dritte Weinbauer in
Malaga in seinen Most, während er gäre. — Es müsse also wohl nur der
segensreiche Boden des Erbstückes sein. — —

Aber was kümmerte all das die Brüder: — die Sonne schien, die Trauben
wuchsen, und der Hoflieferant aus Madrid kam pünktlich Jahr für Jahr,
holte die Fässer und brachte das Geld.

— — — An einem klaren Herbsttage war Padre Ocáriz in seinem Sessel
unter dem Maulbeerbaum eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. —

Im Tale unten läuteten die Glocken. —

Jetzt ruht er draußen im Acker Gottes. —

Ein grünes, schlichtes, kühles Erdenbett! —

Neben den toten Äbten schläft er nun. — — Und die maurische Ruine
auf dem Gipfel des Hügels wirft ihren stillen, ehrwürdigen Schatten
auf sein Grab. — Viele kleine dunkelblaue Blumen und eine schmale
Steintafel: „~Requiescat in pace.~“

Der Kardinal von Saragossa hat einen jungen Abt geschickt. —

Padre Ribas Sobri.

Ein sehr gelehrter Mann von tiefem Wissen, — erzogen in den Schulen
der Fratres vom Herzen Jesu.

Mit festem, stechendem Blick, — hager und willensstark. — —

Vorbei sind die Zeiten süßen Nichtstuns, — die Knechte entlassen, —
und ächzend bücken sich wieder die feisten Mönche bei der Weinlese. —
Tief in die Nacht müssen sie auf den Knien liegen und beten, beten.

Im Kloster herrscht die strenge Observanz: — bleiernes Schweigen.
— Gesenkten Hauptes, aufrecht stehend, mit gefalteten Händen üben
murmelnd die Fratres die „Anmutungen“:

~Non est sanitas in carne mea a facie irae tuae: non est pax ossibus
meis a facie peccatorum meorum.~ — —

Auf dem Hofe wächst das Gras zwischen den Steinen, und die weißen
Tauben sind fortgeflogen. Aus kahlen Zellen dringt die gramvolle
„Betrachtung der Strafen“:

~Unusquisque carnem brachii sui vorabit.~ —

Wenn der kalte Morgen schimmert, siehst du die dunkeln Gestalten zur
Kapelle ziehen, und summende Stimmen beten bei flackerndem Kerzenschein
das Salve Regina.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die Weinlese ist vorüber. — Streng befolgt Don Pedro Ribas Sobri die
Rezepte seines toten Vorgängers: seine eigenen Schuhe wirft er in
die offenen Fässer, genau wie jener. — — Es hallt in dem gewölbten
Keller, wie der süße Wein gärt und kämpft. —

Der König wird zufrieden sein mit dem Guindre. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die schönen Mädchen kommen nicht mehr und beichten nicht mehr. — Sie
fürchten sich. —

Schwer lastet die Scheu, — wortlos wie der mürrische Winter, der seine
harten Hände auf die toten Fluren legt. — — — — Und der Frühling zieht
vorüber und der tanzende junge Sommer — — und locken umsonst.

Verdrossen laden die Maultiertreiber um halben Lohn die schweren Fässer
in die Leiterkarren.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Don Pedro Ribas liest und zieht finster die Stirn: „— der ehrwürdige
Vater muß sich wohl geirrt und anderen Wein geschickt haben. — Das sei
doch nicht der alte Guindre, — gewöhnlicher ‚~Dulce del Color~‘, wie
jede andere Sorte aus Malaga“, schreibt man aus der Hauptstadt.

Täglich kommen die Sendungen zurück. Volle Fässer. Aus Lissabon, aus
Madrid, aus Saragossa. — — —

Der Abt kostet, — kostet — und vergleicht. Kein Zweifel, — es fehlt der
fremdartige würzige Duft.

Man holt den greisen Manuel, — der prüft und zuckt traurig die Achseln.

Ja, ja, der gute, alte Don Cesáreo, der hatte eine glückliche Hand;
mehr Segen als der junge Padre. — Doch das darf man nicht laut sagen;
— die Mönche raunen es einander zu. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Don Pedro sitzt Nacht um Nacht in seiner Zelle bei seltsamen Retorten,
und der Kerzenschein wirft den Schatten seines scharf geschnittenen
Profils an die kalkweiße Wand. — Seine langen, mageren Finger hantieren
an funkelnden Gläsern mit häßlichen, dünnen Hälsen. — Abenteuerliche
Werkzeuge und Kolben stehen umher. — Ein spanischer Alchimist! —

Vergessen die Observanz, — — — die ermatteten armen Mönche schlafen
tief und fest. — — — —

Das tut nicht gut! — Mit weißen Pulvern und den gelben, beißenden
Wässern Lucifers findest du nicht, was die schweigsame Natur in
verschlossene Bücher schrieb mit heimlichem Finger. — — —

Die Herzöge werden ihn wohl nie mehr trinken, den herrlichen, duftenden
Guindre! — — —

Wieder stehen die Fässer in Reih und Glied mit gärendem Moste gefüllt.
In jedem Gebinde ein anderer zerschnittener Stiefel, — der von dem
dicken Bruder Theodosio, — dort einer selbst vom alten Manuel. —

Vom toten Abt noch einer dort im Fasse links in der Ecke. — — — — — — —
— —

Und wieder kommt das andere Jahr, man kostet und prüft: gut ist der
Wein, aber Guindre ist es nicht; — +ein+ Faß nur birgt solchen.

Das in der Ecke mit dem Schuh des alten Abtes.

Das schicket dem König! — — — — —

Pedro Ribas Sobri ist ein willensstarker Mann, der nicht aufhört zu
suchen, zu prüfen, zu vergleichen. — Er sagt, jetzt endlich kenne er
das Geheimnis. — Die Mönche schweigen und zweifeln. — Sie fragen nicht
und tun blind, was ihr Abt befiehlt, — sie kennen seine eiserne Strenge.

Manuel schüttelt den Kopf.

Die Knechte sind wieder in Diensten des Klosters, graben und wenden die
schwarzen Schollen und schneiden den Weinstock, daß die Fratres keinen
Finger rühren sollen, wieder feist und rund werden, wie ehedem. —

So will es der Abt.

— — — Wenn die glühenden Strahlen der Sonne unbarmherzig den Klosterhof
von Alkazaba sengen, daß der Maulbeerbaum lechzend die Zweige hängt,
stehen die braunen Mädchen in den farbigen Mantillas an der Hecke und
recken den Hals und kichern.

— — — +In langer Reihe müssen die armen Mönche auf hölzernen Bänken
liegen — schwitzend — mit schweren wollenen Kutten in der quälenden
Glut, — die dicken Füße in hohe Stiefel gesteckt und mit breitem Band
aus Gummistoff umflochten.+ — —

Denn Pedro Ribas Sobri hat sich gelobt, den Guindre wiederzufinden; er
ist ein willensstarker Mann, der nicht aufhört zu suchen, zu prüfen, zu
vergleichen. —

Ich aber sage, es ist alles umsonst, wenn der Wein auch besser wird:
dem alten Abt tut es doch keiner mehr gleich. —



Der Schrecken


Die Schlüssel klirren, und ein Trupp Sträflinge betritt den
Gefängnishof. — Es ist zwölf Uhr, und sie müssen im Kreise herumgehen,
um Luft zu schöpfen, paarweise — einer hinter dem andern. —

Der Hof ist gepflastert. Nur in der Mitte ein paar Flecken dunkles Gras
wie Grabhügel. — Vier dünne Bäume und eine Hecke aus traurigem Liguster.

Ringsum alte gelbe Mauern mit kleinen, vergitterten Kerkerfenstern.

Die Sträflinge in ihren grauen Zuchthauskleidern, sie reden kaum und
gehen immer im Kreise herum — einer hinter dem andern. — Fast alle
sind krank: Skorbut, geschwollene Gelenke. — Die Gesichter grau wie
Fensterkitt, die Augen erloschen. Mit freudlosem Herzen halten sie
gleichen Schritt.

Der Aufseher mit Säbel und Mütze steht an der Hoftür und starrt vor
sich hin. —

Längs der Mauern ist nackte Erde. — Dort wächst nichts: das Leid
sickert durch die gelben Wände.

„+Lukawsky+ war eben beim Präsidenten!“ ruft ein Gefangener den
Sträflingen durch sein Kerkerfenster halblaut zu. — Der Trupp
marschiert weiter. — „Was ist’s mit ihm?“ fragt ein Neuling seinen
Nebenmann.

„Lukawsky, der Mörder, ist zum Tode verurteilt durch den Strang,
und heute, glaub’ ich, soll sich’s entscheiden, ob das Urteil
bestätigt wird oder nicht. Der Präsident hat ihm die Bestätigung des
Urteils auf dem Amtszimmer verlesen. — Der Lukawsky hat kein Wort
gesagt, nur getaumelt hat er. — Aber draußen hat er mit den Zähnen
geknirscht und einen Wutanfall bekommen. — Die Aufseher haben ihm
die Zwangsjacke angelegt und ihn mit Gurten auf die Bank geschnallt,
daß er kein Glied rühren kann bis morgen früh. — Und ein Kruzifix
haben sie ihm hingestellt.“ — Bruchstückweise hatte der Gefangene den
Vorbeimarschierenden dies zugerufen. —

„Auf Zelle Nr. 25 liegt er, der Lukawsky“, sagt einer der ältesten
Sträflinge. — Alle blicken zum Gitterfenster Nr. 25 hinauf. —

Der Aufseher lehnt gedankenlos am Tor und stößt mit dem Fuß ein Stück
altes Brot beiseite, das im Wege liegt. —

In den schmalen Gängen des alten Landgerichts liegen die Kerkertüren
dicht nebeneinander. — Niedrige Eichentüren, in das Mauerwerk
eingelassen, mit Eisenbändern und mächtigen Riegeln und Schlössern.
— Jede Tür hat einen vergitterten Ausschnitt, kaum eine Spanne im
Geviert. Durch diese ist die Neuigkeit gedrungen und läuft längs der
Fenstergitter von Mund zu Mund: „Morgen wird er gehenkt!“ —

Es ist still auf den Gängen und im ganzen Hause, und doch herrscht ein
feines Geräusch. Leise, unhörbar. Nur zu fühlen. — Durch die Mauern
dringt es und spielt in der Luft wie Mückenschwärme. — Das ist das
Leben, das gebundene, gefangene Leben!

Mitten im Haupteingang, dort, wo er weiter wird, steht eine alte leere
Truhe ganz im Dunkeln.

Lautlos, langsam hebt sich der Deckel. — Da fährt es wie Todesfurcht
durchs ganze Haus. — Den Gefangenen bleibt das Wort im Munde stecken. —
Auf den Gängen kein Laut mehr, — daß man das Schlagen des Herzens hört
und das Klingen im Ohr. —

Die Bäume und Sträucher auf dem Hofe rühren kein Blatt und greifen
mit herbstlichen Ästen in die trübe Luft. — Es ist, wie wenn sie noch
dunkler geworden wären. —

Der Trupp Sträflinge ist stehen geblieben wie auf einen Wink: Hat nicht
jemand geschrien? —

Aus der alten Truhe kriecht langsam ein scheußlicher Wurm. — Ein
Blutegel von gigantischer Form. — Dunkelgelb mit schwarzen Flecken,
saugt er sich die Zellen entlang am Boden hin. — Bald dick werdend,
dann wieder dünn, bewegt er sich vorwärts und tastet und sucht. —
Am Kopfe seitlich in jeder Höhle starren fünf aneinandergequetschte
Augäpfel, — ohne Lider und unbeweglich. — Es ist der Schrecken. —

Er schleicht sich zu den Gerichteten und saugt ihnen das warme Blut aus
— unterhalb der Kehle, dort wo die große Ader das Leben vom Herzen zum
Kopfe trägt. — Und umschlingt mit seinen schlüpfrigen Ringen den warmen
Menschenleib. — — —

Jetzt ist er zur Zelle des Mörders gekommen. —

Ein langes grauenhaftes Schreien, ohne Unterbrechung, wie ein einziger
nicht endender Ton, dringt auf den Hof. —

Der Aufseher am Türpfosten fährt zusammen und reißt den Torflügel auf.
— „Alle, marsch hinauf, auf die Zellen!“ schreit er, und die Gefangenen
laufen an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen, die steinernen Treppen
hinauf. — Trapp, trapp, trapp — mit plumpen, genagelten Schuhen.

Dann ist es wieder still geworden. — Der Wind fährt in den öden Hofraum
hinunter und reißt eine alte Dachluke ab, die klirrend und splitternd
auf die schmutzige Erde fällt. — — —

Der Verurteilte kann nur den Kopf bewegen. — Er sieht die weiß
getünchten Kerkerwände vor sich. — Undurchdringlich. — Morgen früh um
sieben Uhr werden sie ihn holen. — Noch achtzehn Stunden bis dahin. —
Und sieben Stunden, dann kommt die Nacht. — — — Bald wird Winter sein,
und das Frühjahr kommt und der heiße Sommer. — Dann wird er aufstehen
— früh — schon in der Dämmerung —, und auf die Straße gehen, den alten
Milchkarren ansehen und den Hund davor ... Die Freiheit —! Er kann ja
tun, was er will. —

Da schnürt es ihm wieder die Kehle: — wenn er sich nur bewegen könnte,
— verflucht, verflucht, verflucht — und mit den Fäusten an die Mauern
schlagen. — Hinaus! — — — Alles zerbrechen und in die Riemen beißen.
— Er will jetzt nicht sterben — will nicht — will nicht! — +Damals+
hätten sie ihn hängen dürfen, als er ihn ermordet hat, — den alten
Mann, — der schon mit einem Fuß im Grabe stand. — — — Jetzt hätte er es
doch nicht mehr getan! — — — Der Verteidiger hat das nicht erwähnt. —
Warum hat er es den Geschworenen nicht selbst zugerufen?! — Sie hätten
dann anders geurteilt. — Er muß es jetzt noch dem Präsidenten sagen. —
Der Aufseher soll ihn vorführen. — Jetzt gleich. — — — — Morgen früh
ist’s zu spät, da hat der Präsident die Uniform an, und er kann nicht
so dicht an ihn heran. — Und der Präsident würde ihn nicht anhören.
— Dann ist’s zu spät, man kann die vielen Polizeileute nicht mehr
wegschicken. — Das tut der Präsident nicht. — — —

Der Henker legt ihm die Schlinge über den Kopf, — er hat braune Augen
und sieht ihm immer scharf auf den Mund. — Sie reißen an, alles dreht
sich — halt, halt — er will noch etwas sagen, etwas Wichtiges. — — —

Ob der Aufseher kommen und ihn heute noch losbinden wird von der Bank?
— Er kann doch nicht so liegen bleiben die ganzen achtzehn Stunden. —
Natürlich nicht, der Beichtvater muß doch noch kommen, so hat er es
immer gelesen. Das ist Gesetz. — Er glaubt an nichts, aber nach ihm
verlangen wird er, es ist sein Recht. — Und den Schädel wird er ihm
einschlagen, dem frechen Pfaffen, mit dem steinernen Krug dort. — — —
— Die Zunge ist ihm wie gedörrt. — Trinken will er — er ist durstig. —
Himmel, Herrgott! — Warum geben sie ihm nichts zu trinken! — Er wird
sich beschweren. — Er wird vortreten und sich beschweren, wenn die
Inspektion nächste Woche kommt. — Er wird es ihm schon eintränken, —
dem Aufseher, — dem verfluchten Hund! — Er wird so lange schreien, bis
sie kommen und ihn losbinden, immer lauter und lauter, daß die Wände
einstürzen. — Und dann liegt er unter freiem Himmel, ganz hoch oben,
daß sie ihn nicht finden können, wenn sie um ihn herumgehen und ihn
suchen. — — — — — — — — Er muß irgendwo herabgefallen sein, deucht ihm,
— es hat ihm einen solchen Ruck gegeben durch den Körper. —

Sollte er geschlafen haben? — Es ist dämmerig. —

Er will sich an den Kopf greifen: seine Hände sind festgebunden. — —
Vom alten Turme dröhnt die Zeit — eins, zwei — wie spät mag’s sein?
— Sechs Uhr. Herrgott im Himmel, nur noch dreizehn Stunden, und sie
reißen ihm den Atem aus der Brust. — Hingerichtet soll er werden,
erbarmungslos — gehenkt. — Die Zähne klappern ihm vor Kälte. — Etwas
saugt ihm am Herzen, er kann es nicht sehen. — Dann steigt es ihm
schwarz ins Gehirn. — Er schreit und hört sich nicht schreien, — alles
schreit in ihm, die Arme, die Brust, die Beine, — der ganze Körper, —
ohne Aufhören, ohne Atemholen. — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

An das offene Fenster des Amtszimmers, das einzige, das nicht vergittert
ist, tritt ein alter Mann mit weißem Bart und einem harten, finstern
Gesicht und sieht in den Hofraum hinab. Das Schreien stört ihn, er
runzelt die Stirn, — murmelt etwas und schlägt das Fenster zu. — —

Am Himmel jagen die Wolken und bilden hakenförmige Streifen. — —
Zerfetzte Hieroglyphen, wie eine alte, verloschene Schrift: „+Richtet
nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!+“



Der Fluch der Kröte — Fluch der Kröte

    Breit, mäßig bewegt und gewichtig.

    „Meistersinger“.


Auf der Straße zur blauen Pagode scheint heiß die indische Sonne herab
— heiß die indische Sonne herab.

Die Menschen singen im Tempel und streuen dem Buddha weiße Blüten, und
die Priester beten feierlich: ~Om mani padme hum; Om mani padme hum.~

Die Straße menschenleer und verlassen: heute ist Feiertag.

Die langen Kushagräser hatten Spalier gebildet in den Wiesen an der
Straße zur blauen Pagode — an der Straße zur blauen Pagode. Die Blumen
alle warteten auf den Tausendfüßler, der da drüben wohnte in der Rinde
des verehrungswürdigen Feigenbaumes.

Der Feigenbaum war das vornehmste Viertel.

„Ich bin der Verehrungswürdige,“ hatte er von sich selbst gesagt,
„und aus meinen Blättern kann man Schwimmhosen machen — kann man
Schwimmhosen machen.“

Die große Kröte aber, die immer auf dem Steine saß, verachtete ihn,
weil er angewachsen war, und hielt auch nichts von Schwimmhosen. — Und
den Tausendfüßler haßte sie. Fressen konnte sie ihn nicht, denn er war
sehr hart und hatte einen giftigen Saft, — giftigen Saft.

Darum haßte sie ihn — haßte sie ihn.

Sie wollte ihn verderben und unglücklich machen und hatte sich mit den
Geistern der toten Kröten die ganze Nacht beraten.

Seit Sonnenaufgang saß sie auf dem Stein und wartete und bebte zuweilen
mit dem Hinterfuß — bebte zuweilen mit dem Hinterfuß.

Dann und wann spuckte sie auf das Kushagras.

Alles schwieg: Blüten, Käfer, Blumen und Gräser. — Und der weite, weite
Himmel. Denn es war Feiertag.

Nur die Unken im Tümpel — die unheiligen — sangen gottlose Lieder:

    „I pfeif’ auf die Lotosblum’,
    I pfeif’ auf mein Leb’n, —
    I pfeif’ auf mein Leb’n, —
    I pfeif’ auf mein Leb’n ...“

Da glitzerte es in der Rinde des Feigenbaumes und rieselte schimmernd
herab wie eine Schnur schwarzer Perlen. — Wand sich kokett und hob den
Kopf und spielte tanzend im strahlenden Sonnenlicht.

Der Tausendfüßler — der Tausendfüßler.

Der Feigenbaum schlug voll Wonne die Blätter zusammen, und das
Kushagras raschelte entzückt — raschelte entzückt.

Der Tausendfüßler lief zum großen Stein, dort lag sein Tanzplatz — ein
heller sandiger Fleck — sandiger Fleck. Und huschte umher in Kreisen
und Achtern, daß alles geblendet die Augen schloß — die Augen schloß.

Da gab die Kröte ein Zeichen, und hinter dem Stein hervor trat ihr
ältester Sohn und überreichte mit tiefer Verbeugung dem Tausendfüßler
ein Schreiben seiner Mutter. — Der nahm es mit dem Fuß Nr. 37 und
fragte das Kushagras, ob alles auch richtig gestempelt sei.

„Wir sind zwar das älteste Gras der Erde, aber das wissen wir nicht, —
die Gesetze sind jedes Jahr anders, — das weiß nur Indra allein — weiß
nur Indra allein.“

Da holte man die Brillenschlange, und die las den Brief vor:

                    „Seiner Hochgeboren, dem Herrn
                              Tausendfuß!

Ich bin nur ein Nasses, Schlüpfriges — ein Verachtetes auf Erden, und
mein Laich wird gering geschätzt unter Pflanzen und Tieren. — Und
glänze nicht und schillere nicht. — Ich habe nur vier Beine — nur
vier Beine — und nicht tausend wie Du — nicht tausend wie Du. — O
Verehrungswürdiger! — Dir nemeskar, Dir nemeskar! —“

„Ihm nemeskar, ihm nemeskar“, stimmten begeistert die wilden Rosen aus
Schiras mit ein in den persischen Gruß — in den persischen Gruß.

„Doch wohnet Weisheit in meinem Haupte und tiefes Wissen — und tiefes
Wissen. Ich kenne die Gräser, die vielen, beim Namen. — Ich weiß die
Zahl der Sterne am Nachthimmel und der Blätter des Feigenbaumes, — des
angewachsenen. — Und mein Gedächtnis hat seinesgleichen nicht unter den
Kröten in ganz Indien.

Siehe und dennoch kann ich die Dinge nur zählen, wenn sie stille
stehen, — nicht, wenn sie sich bewegen — nicht, wenn sie sich bewegen.

Sage mir doch — o Verehrungswürdiger, wie es sein kann, daß Du beim
Gehen immer weißt, mit welchem Fuße Du anfangen mußt, welcher der
zweite sei, — und dann der dritte, — welcher dann kommt als vierter,
als fünfter, als sechster, — ob der zehnte folgt oder der hundertste, —
was dabei der zweite macht und der siebente, ob er stehen bleibt oder
weitergeht, — wenn Du beim 917ten angelangt bist, den 700sten aufheben
und den 39sten niedersetzen, den 1000sten biegen oder den vierten
strecken sollst — strecken sollst.

O bitte, sage mir armem Nassen, Schlüpfrigen, das nur vier Beine hat —
nur vier Beine hat — und nicht tausend wie Du — nicht tausend wie Du —,
wie Du das machst, o Verehrungswürdiger!

  Hochachtungsvoll
  die Kröte.“

„Nemeskar“, flüsterte eine kleine Rose, die fast eingeschlafen war.
Und die Kushagräser, die Blumen, die Käfer und der Feigenbaum und die
Brillenschlange blickten erwartungsvoll auf den Tausendfüßler.

Selbst die Unken schwiegen — Unken schwiegen.

Der Tausendfüßler aber blieb starr an den Boden festgebannt und konnte
hinfort kein Glied mehr rühren.

Er hatte vergessen, welches Bein er zuerst heben solle, und je mehr er
darüber nachdachte, desto weniger konnte er sich entsinnen — konnte er
sich entsinnen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Auf der Straße zur blauen Pagode schien heiß die indische Sonne herab
— indische Sonne herab.



Eine Suggestion


23. September

So. — Jetzt bin ich fertig mit meinem System und sicher, daß kein
Furchtgefühl in mir entstehen kann.

Die Geheimschrift kann niemand entziffern. Es ist doch gut, wenn man
alles vorher genau überlegt und in möglichst vielen Gebieten auf der
Höhe des Wissens steht. Dies soll ein Tagebuch für mich sein; kein
anderer als ich ist es zu lesen imstande, und ich kann jetzt gefahrlos
niederschreiben, was ich zu meiner Selbstbeobachtung für nötig halte. —
Verstecken allein genügt nicht, der Zufall bringt es an den Tag. —

Gerade die heimlichsten Verstecke sind die unsichersten. — Wie verkehrt
alles ist, was man in der Kindheit lernt! — Ich aber habe mit den
Jahren zu lernen verstanden, wie man den Dingen ins Innere sieht, und
ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe, damit auch nicht eine Spur
von Furcht in mir erwachen kann.

Die einen sagen, es gibt ein Gewissen, die anderen leugnen es; das ist
dann beiden ein Problem und ein Anlaß zum Streit. Und wie einfach doch
die Wahrheit ist: Es gibt ein Gewissen, und es gibt keines, je nachdem
man daran glaubt. —

Wenn ich an ein Gewissen in mir glaube, suggeriere ich es mir. Ganz
natürlich.

Seltsam ist dabei nur, daß, wenn ich an ein Gewissen glaube, es dadurch
nicht nur +entsteht+, sondern auch sich ganz selbständig meinem Wunsche
und Willen +entgegenzustellen+ vermag. — — —

„Entgegen“stellen! — Sonderbar! — Es stellt sich also das Ich, das ich
mir einbilde, dem Ich gegenüber, mit dem ich es mir selbst geschaffen
habe, und spielt dann eine recht unabhängige Rolle. — — —

Eigentlich scheint es aber auch in andern Dingen so zu sein. Z. B.
schlägt manchmal mein Herz schneller, wenn man von dem Morde spricht,
und ich stehe dabei und bin doch sicher, daß sie mir nie auf die Spur
kommen können. Ich erschrecke nicht im geringsten in solchen Fällen, —
ich weiß es ganz genau, denn ich beobachte mich zu scharf, als daß es
mir entgehen könnte; und doch fühle ich mein Herz schneller schlagen.

Die Idee mit dem Gewissen ist wirklich das Teuflischste, was je ein
Priester erdacht hat. —

Wer wohl der erste war, der diesen Gedanken in die Welt brachte! —
Ein Schuldiger? Kaum! Und ein Schuldloser? Ein sogenannter Gerechter?
Wie hätte der sich so in die Folgen einer solchen Idee hineindenken
können?! —

Es kann nur so sein, daß irgendein Alter es Kindern als Schreckgespenst
dargestellt hat. Mit dem Instinkt der drohenden Wehrlosigkeit des
Alters gegenüber der keimenden brutalen Kraft der Jugend. —

Ich kann mich ganz gut erinnern, wie ich noch als großer Junge für
möglich gehalten hätte, daß sich die Schemen der Erschlagenen an die
Fersen des Mörders heften und ihm in Visionen erscheinen. —

Mörder! — Wie listig schon wieder das Wort gewählt und gebaut ist. —
Mörder! Es liegt ordentlich etwas Röchelndes drin. —

Ich denke, der Buchstabe „Ö“ ist die Wurzel, aus der das Entsetzliche
ausklingt. — —

Wie einen die Menschen mit Suggestionen schlau umstellt haben!

Aber ich weiß schon, wie ich solche Gefahren entwerte. Tausendmal
habe ich mir dieses Wort an einem Abend vorgesagt, bis es die
Schrecklichkeit für mich verloren hat. — Jetzt ist es mir ein Wort wie
jedes andere. — —

— — Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß einen ungebildeten Mörder die
Wahnideen, von den Toten verfolgt zu werden, in den Irrsinn hetzen,
aber nur den, der nicht überlegt, nicht wägt, nicht vorausdenkt. —
Wer ist denn heutzutage gewöhnt, in brechende Augen voll Todesangst
kaltblütig hineinzuschauen, ohne ein inneres Leck davonzutragen, oder
in gurgelnde Kehlen den Fluch zurückzudrosseln, vor dem man sich
heimlich doch fürchtet. — Kein Wunder, daß so ein Bild +lebendig+
werden kann und dann eine Art Gewissen erzeugt, dem man schließlich
erliegt. —

Wenn ich über mich nachdenke, muß ich bekennen, daß ich eigentlich
geradezu genial vorgegangen bin:

Zwei Menschen kurz hintereinander zu vergiften und dabei alle Spuren
des Verdachtes zu verwischen, ist wohl schon Dümmeren, als ich bin,
geglückt; aber die Schuld, das eigene Schuldgefühl zu ersticken, noch
ehe es geboren, das — — — Ich glaube wirklich, ich bin der einzige — — —

Ja, wenn einer das Unglück hätte, allwissend zu sein, für den gäbe
es schwerlich einen inneren Schutz: — so aber habe ich wohlweislich
meine eigene Unwissenheit benützt und klug ein Gift gewählt, das eine
Todesart erzeugt, deren Verlauf mir gänzlich +unbekannt+ ist und auch
bleiben soll:

Morphium, Strychnin, Zyankali; — alle ihre Wirkungen kenne ich oder
könnte ich mir vorstellen: Verrenkungen, Krämpfe, blitzartiges
Niederstürzen, Schaum vor dem Mund. — Aber Curarin! — Ich habe keine
Ahnung, wie bei diesem Gift der Todeskampf aussehen mag, und wie sollte
sich da eine Vorstellung in mir bilden können?! Darüber nachzulesen
werde ich mich natürlich hüten, und zufällig oder unfreiwillig etwas
darüber mit anhören zu müssen, ist ausgeschlossen. — Wer kennt denn
heute überhaupt den Namen Curarin?!

Also! — Wenn ich mir nicht einmal ein Bild von den letzten Minuten
meiner beiden Opfer (welch albernes Wort) machen kann, wie könnte mich
ein solches je verfolgen? — Und sollte ich dennoch davon träumen, so
kann ich mir beim Erwachen die Unhaltbarkeit einer solchen Suggestion
direkt +beweisen+. Und welche Suggestion wäre stärker als ein solcher
+Beweis+!


26. September

Merkwürdig, gerade heute nacht träumte ich, daß die beiden Toten links
und rechts hinter mir hergingen. — Vielleicht, weil ich gestern die
Idee vom Träumen niedergeschrieben habe!? —

Da gibt es jetzt nur zwei Wege, um solchen Traumbildern den Eintritt zu
verrammeln:

Entweder fortwährend sie sich innerlich vorzuhalten, um sich daran zu
gewöhnen, wie ich es mit dem dummen Wort „Mörder“ mache, oder zweitens
diese Erinnerung ganz auszureißen aus dem Gedächtnis. —

Das erstere? — Hm. — — Das Traumbild war zu scheußlich! — — Ich wähle
den zweiten Weg. —

Also: „Ich will nicht mehr daran denken! Ich will nicht! Ich will
+nicht, nicht, nicht+ mehr daran denken! — Hörst du! — Du sollst gar
nicht mehr daran denken! —“

Eigentlich ist diese Form: „Du sollst nicht usw.“ recht unüberlegt,
wie ich jetzt bemerke, man soll sich nicht mit „Du“ anreden, — dadurch
zerlegt man sozusagen sein Ich in zwei Teile: in ein Ich und ein Du,
und das könnte mit der Zeit verhängnisvolle Wirkungen haben! —


5. Oktober

Wenn ich das Wesen der Suggestion nicht so genau studiert hätte, könnte
ich wirklich recht nervös werden: Heute war es die achte Nacht, daß ich
jedesmal von demselben Bilde geträumt habe. — Immer die zwei hinter mir
her, auf Schritt und Tritt. — — Ich werde heute abend unter die Leute
gehen und etwas mehr als sonst trinken. —

Am liebsten ginge ich ins Theater, — aber natürlich: gerade heute ist
„Macbeth“. — — — — — — —


7. Oktober

Man lernt doch nie aus. — Jetzt weiß ich, warum ich so hartnäckig
davon träumen +mußte+. — Paracelsus sagt ausdrücklich, daß man, um
beständig lebhaft zu träumen, nichts anderes zu tun brauche, als ein-
oder zweimal seine Träume niederzuschreiben. Das werde ich nächstens
gründlich bleiben lassen.

Ob das so ein moderner Gelehrter wüßte. Aber auf den Paracelsus
schimpfen, das können sie.


13. Oktober

Ich muß mir heute genau aufschreiben, was passiert ist, damit nicht in
meiner Erinnerung etwa Dinge dazuwachsen, die gar nicht geschehen sind.
— —

Seit einiger Zeit hatte ich das Gefühl — die Träume bin ich Gott sei
Dank los —, als ob stets jemand links hinter mir ginge. —

Ich hätte mich natürlich umdrehen können, um mich von der
Sinnestäuschung zu überzeugen, das wäre aber ein großer Fehler gewesen,
denn schon dadurch hätte ich mir selbst gegenüber heimlich zugegeben,
daß die +Möglichkeit+ von etwas Wirklichem überhaupt vorhanden sein
könne. — Das hielt so einige Tage an. — Ich blieb gespannt auf meiner
Hut. —

Wie ich nun heute früh an meinen Frühstückstisch trete, habe ich wieder
dieses lästige Gefühl, und plötzlich höre ich ein knirschendes Geräusch
hinter mir. — Ehe ich mich fassen konnte, hatte mich der Schrecken
übermannt, und ich war herumgefahren. — Einen Augenblick sah ich ganz
deutlich mit wachen Augen den toten Richard Erben, grau in grau, — dann
huschte das Phantom blitzschnell wieder hinter mich, — aber doch nicht
mehr so weit, daß ich es nur wie vorher bloß ahnen kann. — Wenn ich
mich ganz grad richte und die Augen stark nach links wende, kann ich
seine Konturen sehen, so wie im Augenschimmer; — drehe ich aber den
Kopf, so weicht die Gestalt im selben Maß zurück.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Es ist mir ganz klar, daß das Geräusch nur von der alten Aufwärterin
verursacht sein konnte, die keinen Augenblick still ist und sich immer
an den Türen herumdrückt.

Sie darf mir von jetzt ab nurmehr in die Wohnung, wenn ich nicht zu
Haus bin. Ich will überhaupt keinen Menschen mehr in die Nähe haben. —

Wie mir das Haar zu Berge stand! — Ich denke mir, daß das davon kommt,
daß sich einem die Kopfhaut zusammenzieht. — —

Und das Phantom? Die erste Empfindung war ein Nachwehen aus den
früheren Träumen, — ganz einfach; und das Sichtbarwerden entstand
ruckweise durch den plötzlichen Schrecken. — Schrecken, — Furcht, Haß,
Liebe sind lauter Kräfte, die das Ich zerteilen und daher die eigenen,
sonst ganz unbewußten Gedanken sichtbar machen können, daß sie sich im
Wahrnehmungsvermögen wie in einem Reflektor spiegeln. —

Ich darf jetzt längere Zeit gar nicht unter Leute gehen und muß mich
scharf beobachten, denn das geht so nicht mehr weiter. —

Unangenehm ist, daß all das gerade auf den Dreizehnten des Monats
fallen muß. — Ich hätte wirklich gegen das alberne Vorurteil mit dem
Dreizehnten, das eben auch in mir zu stecken scheint, von allem
Anfange an energisch kämpfen sollen. — Übrigens, was liegt an diesem
unwichtigen Umstand. — — —


20. Oktober

Am liebsten hätte ich meine Koffer gepackt und wäre in eine andere
Stadt gefahren. —

Schon wieder hat sich die Alte an der Tür zu schaffen gemacht. —

Wieder dieses Geräusch, — diesmal rechts hinter mir. — Derselbe Vorgang
wie neulich. — Jetzt sehe ich rechts meinen vergifteten Onkel, und
wenn ich das Kinn auf die Brust drücke, so quasi auf meine Schultern
schiele, alle beide links und rechts. —

Die Beine kann ich nicht sehen. Es scheint mir übrigens, als ob die
Gestalt des Richard Erben jetzt mehr hervorgetreten, näher zu mir
gekommen wäre. —

Die Alte muß mir aus dem Hause, — das wird mir immer verdächtiger, —
aber ich werde noch einige Wochen ein freundliches Gesicht machen, —
damit sie nicht Mißtrauen schöpft. —

Auch das Übersiedeln muß ich noch hinausschieben, es würde den Leuten
auffallen, und man kann nicht vorsichtig genug sein. —

Morgen will ich wieder das Wort „Mörder“ ein paar Stunden lang üben —
es fängt an, unangenehm auf mich zu wirken —, um mich wieder an den
Klang zu gewöhnen. — — —

Eine merkwürdige Entdeckung habe ich heute gemacht: ich habe mich im
Spiegel beobachtet und gesehen, daß ich beim Gehen mehr mit dem Ballen
auftrete als früher und daher ein leichtes Schwanken spüre. — Die
Redensart vom „festen Auftreten“ scheint einen tiefen, inneren Sinn zu
haben, wie überhaupt in den Worten ein psychologisches Geheimnis zu
stecken scheint. — Ich werde darauf achten, daß ich wieder mehr auf den
Fersen gehe. —

Gott, wenn ich nur nicht immer über Nacht die Hälfte von dem vergäße,
was ich mir tagsüber vornehme. — Rein, als ob der Schlaf alles
verwischte.


1. November

Letztesmal habe ich doch absichtlich nichts über das zweite Phantom
niedergeschrieben, und doch verschwindet es nicht. — Gräßlich,
gräßlich. — Gibt es denn keinen Widerstand? —

Ich habe doch einmal ganz klar unterschieden, daß es zwei Wege gibt,
um mich aus der Sphäre solcher Bilder zu rücken. — Ich habe doch den
zweiten eingeschlagen und bin dabei immerwährend auf dem ersten! —

War ich denn damals sinnesverwirrt? —

Sind die beiden Gestalten Spaltungen meines Ichs oder haben sie ihr
eigenes unabhängiges Leben?

— — — Nein, nein! — Dann würde ich sie ja füttern mit meinem eigenen
Leben! — — — — — Also sind es doch wirkliche Wesen! — Grauenhaft! —
Aber nein, ich +betrachte+ sie doch nur als selbständige Wesen, und
was man als Wirklichkeit betrachtet, das ist — das ist — — — Herrgott,
barmherziger, ich schreibe ja nicht, wie man sonst schreibt. — Ich
schreibe ja, als ob mir jemand diktierte. — — — — Das muß von der
Geheimschrift kommen, die ich immer erst übersetzen muß, ehe ich sie
fließend lesen kann. —

+Morgen schreibe ich das ganze Buch noch einmal+ kurrent ab. —
Herrgott, steh mir bei in dieser langen Nacht. — — — — — — —


10. November

Es sind +wirkliche+ Wesen, sie haben mir im Traum ihren Todeskampf
erzählt. — Jesus, schütze mich, — ja — Jesus, Jesus! — Sie wollen mich
erdrosseln! — Ich habe nachgelesen; — es war die Wahrheit, — Curarin
wirkt so, genau so. — Woher wüßten sie es, wenn sie nur Scheinwesen
wären — —

Gott im Himmel, — warum hast du mir nie gesagt, daß man nach dem Tode
weiterlebt, — ich hätte ja nicht gemordet.

Warum hast du dich mir nicht als Kind geoffenbart? — — —

— — — Ich schreibe schon wieder so, wie man spricht; und ich will nicht.


12. November

Ich sehe wieder klar, jetzt, wo ich das ganze Buch abgeschrieben habe.
— Ich bin krank. Da hilft nur kalter Mut und klares Wissen.

Für morgen früh habe ich mir den Dr. Wetterstrand bestellt, der muß
mir genau sagen, wo der Fehler lag. — Ich werde ihm alles haarklein
berichten, er wird mir ruhig zuhören und das über Suggestion verraten,
was ich noch nicht weiß. —

Er kann im ersten Augenblick unmöglich für wahr halten, daß ich
wirklich gemordet habe, — er wird glauben, ich sei bloß wahnsinnig. —

Und daß er es sich zu Hause +nicht+ mehr überlegt, dafür werde ich
sorgen: — — Ein Gläschen Wein!!!


13. November

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —



Der Mann auf der Flasche


[Illustration]

Melanchthon tanzte mit der Fledermaus, die den Kopf unten und oben die
Füße hatte.

Die Flügel um den Leib geschlagen und in den Krallenzehen einen großen
goldenen Reifen steif emporhaltend, wie um anzudeuten, daß sie von
irgendwo herabhänge, sah sie ganz absonderlich aus, und es mußte einen
merkwürdigen Eindruck auf Melanchthon machen, wenn er beim Tanzen
beständig durch diesen Ring zu sehen gezwungen war, der genau in seine
Gesichtshöhe reichte.

Sie war eine der originellsten Masken auf dem Feste des persischen
Prinzen — auch eine der scheußlichsten allerdings — diese Fledermaus. —

Sogar Seiner Durchlaucht Mohammed Darasche-Koh, dem Gastgeber, war sie
aufgefallen.

„+Schöne+ Maske, ich kenne dich“, hatte er ihr zugeflüstert und damit
große Heiterkeit bei den Nebenstehenden erregt.

„Es ist bestimmt die kleine Marquise, die intime Freundin der
Fürstin“, meinte ein holländischer Ratsherr, gekleidet im Stile
Rembrandts —, es könne gar nicht anders sein; jeden Winkel wisse sie
im Schlosse — ihren Reden nach —, und vorhin, als mehreren Kavalieren
der „frostige“ Einfall gekommen, sich von dem alten Kammerdiener
Filzstiefel und Fackeln bringen zu lassen, um draußen im Parke
Schneeballen zu werfen, wobei die Fledermaus ausgelassen mitgetollt
habe, hätte er wetten mögen, ein ihm wohlbekanntes Hyazintharmband an
ihrem Handgelenk aufblitzen gesehen zu haben.

„Ach, wie interessant,“ mischte sich ein blauer Schmetterling ins
Gespräch, — „könnte da nicht Melanchthon vorsichtig ein wenig
sondieren, ob Graf de Faast, wie es in letzter Zeit den Anschein hat,
bei der Fürstin wirklich Hahn im Korbe ist?“

„Ich warne dich, Maske, sprich nicht so laut“, unterbrach ernst der
holländische Ratsherr. „Nur gut, daß die Musik den Walzerschluß
~fortissimo~ spielte, — vor wenigen Augenblicken noch stand der Prinz
hier ganz in der Nähe!“

„Ja ja, am besten kein Wort über solche Dinge,“ riet flüsternd ein
ägyptischer Anubis, „die Eifersucht dieses Asiaten kennt keine Grenzen;
und es liegt vielleicht mehr Zündstoff im Schlosse aufgehäuft, als wir
alle ahnen. — Graf de Faast spielt schon zu lange mit dem Feuer, und
wenn Darasche-Koh wüßte — —“

Eine rauhe, zottige Figur, ein geschlungenes Knäuel aus Seil
darstellend, bahnte sich — in wilder Flucht vor einem hellenischen
Krieger in schimmerndem Waffenschmuck — eine Gasse durch die Gruppe
der Masken, die den beiden verständnislos nachsahen, wie sie auf
flinken Gummisohlen über den spiegelglatten Steinboden huschten.

„Hättest +du+ denn keine Angst, +durchgehauen+ zu werden, Mynheer
Kannitverstahn, wenn du der gordische Knoten wärest und wüßtest, daß
Alexander der Große hinter dir her ist?“ spottete die umgekehrte
Fledermaus und tippte mit dem Fächer auf des Holländers ernsthafte Nase.

„Ei, ei, ei, schöne Marquise Fledermaus, der scharfe Geist verrät
sich stets“, scherzte ein baumlanger „Junker Hans“ mit Schweif und
Pferdefuß. „Wie schade, ach wie schade, daß man dich — Füßchen oben —
nur als Fledermaus so auf dem Kopfe stehen sehen darf.“

Jemand stieß ein brüllendes Gelächter aus.

Alle drehten sich um und sahen einen dicken Alten mit breiten Hosen und
einem Ochsenkopf.

„Ah, der pensionierte Herr Handelsgerichtsvizepräsident hat gelacht“,
sagte trocken der „Junker Hans“.

Da ertönt dumpfes Läuten, und ein Henker im roten Talar der
westfälischen Feme, eine erzene Glocke schwingend, stellt sich inmitten
des ungeheuren Saales auf — über sein blitzendes Beil gelehnt.

Aus den Nischen und Loggien strömen die Masken herbei: Harlekins,
„~Ladies with the rose~“, Menschenfresser, Ibisse und gestiefelte
Kater, Piquefünfe, Chinesinnen, deutsche Dichter mit der Aufschrift:
„Nur ein Viertelstündchen“, Don Quichottes und Wallensteinsche Reiter,
Kolombinen, Bajaderen und Dominos in allen Farben.

Der rote Henker verteilt Täfelchen aus Elfenbein mit Goldschrift unter
die Menge.

„Ah, Programme für die Vorstellung!!“


  „Der Mann in der Flasche“

  Marionetten-Komödie im Geiste Aubrey Beardsleys
  von Prinz Mohammed Darasche-Koh

  Personen:

  Der Mann in der Flasche      Miguel Graf de Faast
  Der Mann auf der Flasche     Prinz Mohammed Darasche-Koh
  Die Dame in der Sänfte               * * *

  Vampyre, Marionetten, Buckelige, Affen, Musikanten

  Ort der Handlung:

  Ein offener Tiger-Rachen


„Was?! Vom Prinzen selbst ist das Puppenspiel?“

„Vermutlich eine Szene aus Tausendundeiner Nacht?“

„Wer wird denn die Dame in der Sänfte geben?“ hört man neugierige
Stimmen durcheinander fragen.

„Unerhörte Überraschungen stehen uns heute noch bevor, o ja,“
zwitschert ein niedlicher Incroyable in Hermelin und hängt sich in
einen Abbé ein, — „weißt du, der Pierrot vorhin, mit dem ich die
Tarantella tanzte, das war der Graf de Faast, der den Mann in der
Flasche spielen wird, und er hat mir viel anvertraut: — Die Marionetten
werden schrecklich unheimlich sein, aber nur für die, die es verstehen,
weißt du — und einen — — — — Elefanten hat der Prinz eigens aus Hamburg
telegraphisch bestellt — — aber du hörst mir ja gar nicht zu!“ — Und
ärgerlich läßt die Kleine den Arm ihres Begleiters los und läuft davon.

Durch die weiten Flügeltüren fluten immer neue Scharen von Masken
aus den Nebengemächern in die Festeshalle, sammeln sich planlos in
der Mitte, laufen durcheinander wie das ewig wechselnde Farbenspiel
eines Kaleidoskops, oder drücken sich an den Wänden zusammen, die
wundervollen Fresken Ghirlandajos zu bestaunen, die, bis zur blauen,
sternenbesäten Decke emporsteigend, gleich Märchengeländen den Saal
umrahmen.

Wie eine buntschillernde Insel des Lebens liegt die Halle, umspült von
den Gefilden farbengebundener Phantasien, die, einst in froh pochenden
Künstlerherzen erwacht, eine jetzt kaum mehr verständlich einfache und
langsame Sprache den hastenden Seelen des Heute zuraunen.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Diener reichen Erfrischungen auf Silbertassen in das fröhliche
Gewoge — Sorbet und Wein. — — Sessel werden gebracht und in die
Fensternischen gestellt.

Mit scharrendem Geräusch schieben sich die Wände der einen Schmalseite
zurück, und langsam rollt eine Bühne aus dem Dunkel vor, mit rotbraun
und gelb geflammter Umrahmung und weißen Zähnen oben und unten: ein
stilisierter, gähnender Tigerrachen.

In der Mitte der Szene steht eine riesige kugelförmige Flasche.
Aus fußdickem Glas. Fast zwei Mann hoch und sehr geräumig. Rosa
Seidenvorhänge im Hintergrunde des Theaters. —

Die kolossalen Ebenholztüren des Saales fliegen auf, und mit
majestätischer Ruhe tritt ein Elefant — gold- und juwelengeschmückt
— herein. Auf seinem Nacken der rote Henker lenkt ihn mit dem Stiel
seines Beiles.

Von den Spitzen der Stoßzähne schwingen Ketten von Amethysten, nicken
Wedel aus Pfauenfedern.

Goldgewirkte Decken hängen dem Tier in rosinfarbenen Quasten über die
Flanken bis auf den Boden herab.

Die ungeheure Stirne hinter einem Netz mit funkelnden Edelsteinen,
schreitet der Elefant gelassen durch den Festraum.

In Zügen umdrängen ihn die Masken und jauchzen der bunten Schar
vornehmer Darsteller zu, die in einem Palankin auf seinem Rücken
sitzen: Prinz Darasche-Koh mit Turban und Reiheragraffe. — Graf de
Faast als Pierrot daneben. — Marionetten und Musikanten lehnen starr
und steif wie Holzpuppen.

Der Elefant ist bei der Bühne angelangt und hebt mit dem Rüssel Mann um
Mann aus dem Palankin; — Händeklatschen und lauter Jubel, als er den
Pierrot nimmt und in den Hals der Flasche hinabgleiten läßt, dann den
Metalldeckel schließt und den Prinzen obendrauf setzt.

Die Musikanten haben sich im Halbkreis niedergelassen und ziehen
seltsame, dünne, gespenstisch aussehende Instrumente hervor.

Ernsthaft sieht der Elefant ihnen zu, dann kehrt er langsam um und
schreitet zum Eingang zurück. Toll und ausgelassen wie Kinder hängen
sich ihm scharenweise die Masken an Rüssel, Ohren und Stoßzähne und
wollen ihn jauchzend zurückhalten; — — er spürt ihr Zerren kaum.

Die Vorstellung beginnt. Irgendwoher, wie aus dem Boden herauf, tönt
leise Musik. —

Puppenorchester und Marionetten bleiben leblos wie aus Wachs.

Der Flötenbläser stiert mit gläsernem, blödsinnigem Ausdruck zur Decke
— die Züge der Rokokodirigentin in Perücke und Federhut, den Taktstock
wie lauschend erhoben und den spitzen Finger geheimnisvoll an die
Lippen gelegt, sind in grauenhaft lüsternem Lächeln verzerrt.

Im Vordergrund der Bühne die Marionetten — ein buckliger Zwerg mit
kalkweißem Gesicht, ein grauer grinsender Teufel und eine fahle
geschminkte Sängerin mit roten lechzenden Lippen — scheinen in
satanischer Bosheit um ein schreckliches Geheimnis zu wissen, das sie
in brünstigem Krampfe erstarren ließ. — — —

Das haarsträubende Entsetzen des Scheintodes brütet über der
regungslosen Gruppe.

— — Nur der Pierrot in der Flasche ist in ruheloser Bewegung, —
schwenkt seinen spitzen Filzhut, verbeugt sich, und mitunter grüßt er
hinauf zu dem persischen Prinzen, der mit gekreuzten Beinen unbeweglich
auf dem Deckel der Flasche sitzt, — dann wieder schneidet er tolle
Grimassen.

Seine Luftsprünge bringen die Zuschauer zum Lachen, — — — — wie grotesk
er aussieht!

Die dicken Glaswände verzerren seinen Anblick so seltsam; — manchmal
hat er Glotzaugen, die hervorquellen und so wunderlich funkeln, dann
wieder gar keine Augen, nur Stirne und Kinn, — oder ein dreifaches
Gesicht; — zuweilen ist er dick und gedunsen, dann wieder skelettartig
dürr und langbeinig wie eine Spinne. — Oder sein Bauch schwillt zur
Kugel an.

Jeder sieht ihn anders, je nachdem der Blick auf die Flasche fällt.

In gewissen kurzen Zeiträumen ohne jeden erkennbaren, logischen
Zusammenhang kommt ruckweise ein spukhaftes, sekundenlanges Leben
in die Gestalten, das gleich darauf wieder in die alte, grauenvolle
Leichenstarre versinkt, daß es scheint, als hüpfe das Bild über tote
Zwischenräume hinweg von einem Eindruck zum andern, — wie der Zeiger
einer Turmuhr traumhaft von Minute zu Minute zuckt.

Einmal hatten die Figuren aus schnellenden Kniekehlen heraus drei
gespenstische Tanzschritte seitwärts der Flasche zu gemacht; — und im
Hintergrund verrenkte sich ein verwachsenes Kind wie in lasterhafter
Qual. —

Von den Musikanten einer — ein Baschkir mit irrem, wimpernlosem Blick
und birnenförmigem Schädel — nickte dazu und spreizte mit einem
Ausdruck schreckhafter Verworfenheit seine dürren, gräßlichen Finger,
die trommelschlegelartig in kugelförmige Enden ausliefen, wie wächserne
Symbole einer geheimnisvollen Entartung.

Dann wieder war an die Sängerin ein phantastisches weibliches
Zwitterwesen herangesprungen — mit langen, schlotternden Spitzenhöschen
— und in tänzelnder Stellung erstarrt.

Wie erfrischendes Aufatmen wirkte es förmlich, als mitten in eine
solche Pause der Regungslosigkeit durch die rosaseidenen Vorhänge
aus dem Hintergrunde eine verschlossene Sänfte aus Sandelholz von
zwei Mohren auf die Szene getragen und in der Nähe der Flasche
niedergestellt wurde, auf die jetzt von oben plötzlich ein fahles,
mondscheinartiges Licht fiel.

Die Zuschauer waren sozusagen in zwei Lager geteilt, die einen —
unfähig sich zu rühren und sprachlos — ganz im Banne dieser traumhaft
vampyrartigen, rätselhaften Marionettentänze, von denen ein dämonisches
Fluidum vergifteter, unerklärlicher Wollust ausströmte, — während die
andere Gruppe, zu plump für derlei seelische Schrecken, nicht aus dem
Lachen über das spaßige Gebaren des Mannes in der Flasche herauskam.

Dieser hatte zwar die lustigen Tänze aufgegeben, aber sein jetziges
Benehmen kam ihnen nicht minder komisch vor.

Durch alle möglichen Mittel trachtete er offenbar, irgend etwas ihm
äußerst dringend Scheinendes dem auf dem Flaschendeckel sitzenden
Prinzen verständlich zu machen.

Ja, er schlug und sprang zuletzt gegen die Wandungen, als wolle er sie
zerbrechen oder gar die Flasche umwerfen.

Dabei hatte es den Anschein, als schreie er laut, obwohl natürlich
nicht das leiseste Geräusch durch das fußdicke Glas drang.

Die pantomimischen Gebärden und Verrenkungen des Pierrots beantwortete
der Perser von Zeit zu Zeit mit einem Lächeln, — oder er wies mit dem
Finger auf die Sänfte.

Die Neugier des Publikums erreichte den Höhepunkt, als man bei
einer solchen Gelegenheit deutlich bemerkte, daß der Pierrot sein
Gesicht längere Zeit fest an das Glas drückte, wie um etwas drüben am
Sänftenfenster zu erkennen, dann aber plötzlich wie ein Wahnsinniger
die Hände vor den Kopf schlug, als hätte er etwas Gräßliches erblickt,
auf die Knie fiel und sich die Haare raufte. — Dann sprang er auf
und raste mit solcher Schnelle in der Flasche herum, daß man bei den
spiegelnden Verzerrungen manchmal nur noch ein helles, umherflatterndes
Tuch zu sehen vermeinte.

Groß war auch das Kopfzerbrechen im Publikum, was es denn eigentlich
mit der „Dame in der Sänfte“ für eine Bewandtnis habe; man konnte wohl
wahrnehmen, daß ein weißes Gesicht an das Sänftenfenster gepreßt war
und unbeweglich zur Flasche hinübersah, — alles andere aber verdeckte
der Schatten, und man war auf bloßes Raten angewiesen.

„Was nur der Sinn dieses unheimlichen Puppenspieles sein mag?“
flüsterte der blaue Domino und schmiegte sich ängstlich an den „Junker
Hans“.

Erregt und mit gedämpfter Stimme tauschte man seine Meinungen aus.

Einen so recht eigentlichen +Sinn+ habe das Stück nicht, — — nur Dinge,
die +nichts Gehirnliches+ bedeuten, könnten den verborgenen Zutritt zur
Seele finden, — meinte ein Feuersalamander, und so, wie es Menschen
gebe, die beim Anblick der wässerigen Absonderungen blutleerer Leichen,
von erotischem Taumel geschüttelt, kraftlose Schreie der Verzückung
ausstoßen, so gebe es gewiß auch — — — — — —

„Kurz und gut: Wollust und Entsetzen wachsen auf einem Holz,“
unterbrach die Fledermaus, „aber glaubt mir, ich zittere am ganzen
Körper vor Aufregung, es liegt etwas unsagbar Grauenhaftes in der Luft,
das ich nicht abschütteln kann; immer wieder legt es sich um mich wie
dicke Tücher. — Geht das von dem Puppenspiel aus? — Ich sage: nein;
auf mich strömt es vom Prinzen Darasche-Koh über. Warum sitzt er so
scheinbar teilnahmlos da oben auf der Flasche? Und doch läuft manchmal
ein Zucken über sein Gesicht!! — — — Irgend etwas Unheimliches geht
hier vor, ich lasse mir’s nicht nehmen.“

„Eine gewisse symbolische Bedeutung glaube ich doch herausgefunden
zu haben, und dazu paßt ganz gut, was du eben sagtest“, mischte sich
Melanchthon in das Gespräch. „Ist denn nicht der ‚Mann in der Flasche‘
der Ausdruck der im Menschen eingeschlossenen Seele, die ohnmächtig
zusehen muß, wie die Sinne — die Marionetten — sich frech ergötzen,
und wie alles der unaufhaltsamen Verwesung im Laster entgegengeht?“

Lautes Gelächter und Händeklatschen schnitt ihm die Rede ab.

Der Pierrot hatte sich auf dem Boden der Flasche zusammengekrümmt und
umkrallte mit den Fingern seinen Hals. — Dann wieder riß er den Mund
weit auf, deutete in wilder Verzweiflung auf seine Brust und nach oben
— und faltete schließlich flehend die Hände, als wolle er etwas vom
Publikum erbitten.

„Er will zu trinken haben, — na ja, so eine große Flasche und kein
Sekt drin — gebt ihm doch zu trinken, ihr Marionetten“, rief ein
Zuschauer.

Alles lachte und klatschte Beifall.

Da sprang der Pierrot wieder auf, riß sich die weißen Kleider von der
Brust, machte eine taumelnde Bewegung und fiel der Länge nach zu Boden.

„Bravo, bravo, Pierrot — großartig gespielt. ~Da capo, da capo!~“
jubelte die Menge.

Als jedoch der Mann sich nicht mehr rührte und keine Miene machte,
die Szene zu wiederholen, legte sich langsam der Applaus, und die
allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich den Marionetten zu.

Diese standen noch immer in derselben geisterhaften Stellung, die sie
zuletzt eingenommen hatten, doch lag jetzt eine Art Spannung in ihren
Mienen, die früher nicht wahrzunehmen gewesen. Es schien, als ob sie
auf irgendein Stichwort warteten.

Der bucklige Zwerg mit dem kalkweißen Gesicht drehte schließlich
vorsichtig seine Augen nach dem Prinzen Darasche-Koh. —

Der Perser rührte sich nicht.

Seine Züge sahen verfallen aus.

Endlich trat von den Figuren im Hintergrund einer der Mohren zögernd an
die Sänfte heran und öffnete den Schlag.

Und da geschah etwas höchst Seltsames.

Steif fiel ein nackter weiblicher Körper heraus und schlug mit dumpfem
Klatschen lang hin.

Einen Augenblick Totenstille, dann schrien tausend Stimmen
durcheinander — — — es brauste der Saal.

„Was ist’s — was ist geschehen?!“

Marionetten, Affen, Musikanten — alles sprang zu; Masken schwangen
sich auf die Bühne:

Die Fürstin, die Gemahlin Darasche-Kohs lag da, ganz nackt; auf ein
stählernes Stangengerüst geschnürt. Die Stellen, wo die Stricke in das
Fleisch einschnitten, waren blau unterlaufen.

Im Munde stak ihr ein seidener Knebel. —

Unbeschreibliches Entsetzen lähmte alle Arme.

— „Der Pierrot!“ gellte plötzlich eine Stimme, — „der Pierrot!“ — Eine
wahnsinnige, unbestimmte Angst fuhr wie ein Dolchstoß in alle Herzen.

— „Wo ist der Prinz?!“

Der Perser war während des Tumultes spurlos verschwunden.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Schon stand Melanchthon auf den Schultern des Junker Hans; vergebens,
— — er konnte den Deckel der Flasche nicht heben, und das kleine
Luftventil war — — — — +zugeschraubt+! —

„So schlagt doch die Wandungen ein, schnell, schnell!“

Der holländische Ratsherr entriß dem roten Henker das Beil, mit einem
Satz sprang er auf die Bühne.

Es klang wie eine geborstene Glocke, als die Schläge schmetternd
niederfielen; — ein schauerlicher Ton.

Tiefe Sprünge zuckten durch das Glas wie weiße Blitze; die Schneide der
Axt bog sich.

Endlich — endlich — — — die Flasche brach in Trümmer.

Darinnen lag, erstickt, die Leiche des Grafen de Faast, die Finger in
die Brust gekrallt.

Durch die Festeshalle mit lautlosem Flügelschlag unsichtbar zogen die
schwarzen Riesenvögel des Entsetzens.



Das Präparat


Die beiden Freunde saßen an einem Eckfenster des Café Radetzky und
steckten die Köpfe zusammen.

„Er ist fort, — heute nachmittag mit seinem Diener nach Berlin
gefahren. — Das Haus ist vollkommen leer; — ich komme soeben von dort
und habe mich genau überzeugt; — die beiden Perser waren die +einzigen+
Bewohner.“

„Also ist er doch auf das Telegramm hereingefallen?!“

„Darüber war ich keinen Moment im Zweifel; wenn er den Namen Fabio
Marini hört, ist er nicht zu halten.“

„Wundert mich eigentlich, denn er hat doch Jahre mit ihm
zusammengelebt, — bis zu seinem Tode, — was könnte er da noch Neues
über ihn in Berlin erfahren?“

„Oho! Professor Marini soll ihm noch vieles geheim gehalten haben; — er
hat es selbst einmal so gesprächsweise fallen lassen, — ungefähr vor
einem halben Jahr, als unser guter Axel noch unter uns war.“

„Ist denn tatsächlich etwas Wahres an dieser geheimnisvollen
Präparationsmethode Fabio Marinis? — Glaubst du wirklich so fest daran,
Sinclair? —“

„Von ‚glauben‘ kann hier gar keine Rede sein. Mit +diesen+ Augen habe
ich in Florenz eine von Marini präparierte Kindesleiche gesehen. Ich
sage dir, jeder hätte geschworen, daß das Kind bloß schlafe, — keine
Spur von Starre, keine Runzeln, keine Falten — sogar die rosa Hautfarbe
eines Lebendigen war vorhanden.“

„Hm. — Du denkst, der Perser könnte wirklich Axel ermordet und — — —“

„Das weiß ich nicht, Ottokar, aber es ist denn doch unser beider
Gewissenspflicht, uns Gewißheit über Axels Schicksal zu verschaffen.
— Was, wenn er damals durch irgendein Gift bloß in eine Art
Totenstarre versetzt worden wäre! — Gott, wie habe ich auf dem
anatomischen Institut den Ärzten zugeredet, — sie angefleht, noch
Wiederbelebungsversuche zu machen. — — — Was wollen Sie denn
eigentlich, hieß es, — der Mann ist tot, das ist klar, und ein Eingriff
an der Leiche ohne Erlaubnis des Doktor Darasche-Koh ist unzulässig.
Und sie wiesen mir den Kontrakt vor, in dem ausdrücklich stand, daß
Axel dem jeweiligen Inhaber dieses Scheines seinen Körper nach dem
Tode verkaufe und dafür bereits am so und sovielten 500 fl. in Empfang
genommen und quittiert habe.“

„Nein, — es ist gräßlich, — und so etwas hat in unserem Jahrhundert
noch Gesetzeskraft. — So oft ich daran denke, faßt mich eine namenlose
Wut. — Der arme Axel! — Wenn er eine Ahnung gehabt hätte, daß dieser
Perser, sein wütendster Feind, der Besitzer des Kontraktes sein
könnte! — Er war immer der Ansicht, das anatomische Institut selbst — —“

„Und konnte denn der Advokat gar nichts ausrichten? —“

„Alles umsonst. — Nicht einmal das Zeugnis des alten Milchweibes,
daß Darasche-Koh einmal in seinem Garten bei Sonnenaufgang den Namen
Axels so lange verflucht habe, bis ihm im Paroxysmus der Schaum vor
den Mund getreten sei, wurde beachtet. — — Ja, wenn Darasche-Koh nicht
europäischer ~medicinae doctor~ wäre! — Wozu aber noch reden, — willst
du mitgehen oder nicht, Ottokar? Entschließe dich.“

„Gewiß will ich — aber bedenke, wenn man uns erwischt — als Einbrecher!
— Der Perser hat einen tadellosen Ruf als Gelehrter! Der bloße Hinweis
auf unseren Verdacht ist doch, — weiß Gott, — kein plausibler Grund. —
Nimm es mir nicht übel, aber ist es wirklich ganz ausgeschlossen, daß
du dich geirrt hast, als du Axels Stimme vernahmst? — — Fahre nicht
auf, Sinclair, bitte, — sage mir noch einmal genau, wie das damals
geschah. — Warst du nicht vielleicht schon vorher irgendwie aufgeregt?“

„Aber gar keine Spur! — Eine halbe Stunde früher war ich auf dem
Hradschin und sah mir wieder einmal die Wenzelskapelle und den
Veitsdom an, diese alten fremdartigen Bauten mit ihren Skulpturen wie
aus geronnenem Blut, die immer von neuem einen so tiefen, unerhörten
Eindruck auf unsere Seele machen, — und den Hungerturm und die
Alchimistengasse. — Dann ging ich die Schloßstiege hinab und bleibe
unwillkürlich stehen, da die kleine Tür, die durch die Mauer zum
Hause Darasche-Kohs führt, offen ist. — Im selben Augenblick höre ich
deutlich, — es mußte aus dem Fenster herübertönen — eine Stimme (und
ich schwöre einen heiligen Eid darauf: es war Axels Stimme) — rufen:

Eins — — zwei — — drei — — vier. —

Ach Gott, wäre ich doch damals sofort in die Wohnung eingedrungen; —
aber ehe ich mich recht besinnen konnte, hatte der türkische Diener
Darasche-Kohs die Mauerpforte zugeschlagen. — Ich sage dir, wir müssen
in das Haus! — Wir müssen! — Was, wenn Axel wirklich noch lebte! —
Schau, — man kann uns ja gar nicht erwischen. — Wer geht denn nachts
über die alte Schloßstiege, ich bitte dich, — und ich kann jetzt mit
Sperrhaken umgehen, daß du staunen wirst.“

                                   *

Die beiden Freunde hatten sich bis zur Dunkelheit in den Straßen
umhergetrieben, ehe sie ihren Plan ausführten. Dann waren sie über die
Mauer geklettert und standen endlich vor dem altertümlichen Hause, das
dem Perser gehörte.

Das Gebäude — einsam auf der Anhöhe des Fürstenbergschen Parkes —
lehnt wie ein toter Wächter an der Seitenmauer der grasbewachsenen
Schloßstiege.

„Dieser Garten, diese alten Ulmen da unten haben etwas namenlos
Grauenhaftes,“ flüsterte Ottokar Dohnal, „sieh nur, wie drohend
sich der Hradschin vom Himmel abhebt. — Und diese erleuchteten
Nischenfenster dort in der Burg! — Wahrhaftig, es weht eine seltsame
Luft hier auf der Kleinseite. — Als ob sich alles Leben tief in die
Erde zurückgezogen hätte — aus Angst vor dem lauernden Tode. Hast
du nicht auch das Gefühl, daß eines Tages dieses schattenhafte Bild
plötzlich versinken könnte — wie eine Vision, — eine ~Fata morgana~, —
daß dieses schlafende zusammengekauerte Leben wie ein gespenstisches
Tier zu etwas Neuem, Schreckhaftem erwachen müßte? — Und sieh nur, da
unten die weißen Kieswege — wie Adern.“ —

„Komm doch schon,“ drängte Sinclair, „mir schlottern die Knie vor
Aufregung, — hier, — halte mir unterdessen den Situationsplan.“ — — — —
—

Die Tür war bald geöffnet, und die beiden tappten eine alte Treppe
empor, auf die der dunkle Sternenhimmel durch die runden Fenster kaum
einen Schein warf.

„Nicht anzünden, man könnte von unten — vom Gartenhaus — das Licht
bemerken, hörst du, Ottokar! Geh dicht hinter mir. — — — —

Achtung, hier ist eine Stufe ausgebrochen. — — — — — Die Gangtür ist
offen — — — — hier, hier — links.“

Sie standen plötzlich in einem Zimmer.

„So mach’ doch keinen solchen Lärm!“

„Ich kann nicht dafür: die Tür ist von selbst wieder zugefallen.“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Wir werden Licht machen müssen. Ich fürchte jeden Augenblick etwas
umzuwerfen, es stehen soviel Stühle im Weg.“

In diesem Moment blitzte ein blauer Funken an der Wand auf, und ein
Geräusch wurde hörbar — wie ein seufzendes Einatmen.

Leises Knirschen schien aus dem Boden, aus allen Fugen zu dringen.

Eine Sekunde wieder Totenstille. — Dann zählte laut und langsam eine
röchelnde Stimme:

+Eins+ — — — +zwei+ — — — +drei+ — — —

Ottokar Dohnal schrie auf, kratzte wie wahnsinnig an seiner
Streichholzschachtel, — seine Hände flogen vor grauenhaftem Entsetzen.
— Endlich Licht — Licht! Die beiden Freunde blickten sich in die
kalkweißen Gesichter: „Axel!“ —

— +vier+ — +fünf+ — +sssechss+ — +siiieben+

Dort aus der Nische kommt das Zählen.

„Die Kerze anzünden! Rasch, rasch!“

— +acht+ — +neun+ — +zeeeehn+ — +elf+ —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Von der Decke der Wandvertiefung an einem Kupferstab hing ein
menschlicher Kopf mit blondem Haar. — Der Stab drang mitten in die
Scheitelwölbung. — Der Hals war unter dem Kinn mit einer seidenen
Schärpe umwickelt — — und darunter mit Luftröhren und Bronchien die
zwei rötlichen Lungenflügel. — Dazwischen bewegte sich rhythmisch das
Herz, — mit goldenen Drähten umwunden, die auf den Boden zu einem
kleinen elektrischen Apparate führten. — Die Adern, straff gefüllt,
leiteten Blut aus zwei dünnhalsigen Flaschen empor.

Ottokar Dohnal hatte die Kerze auf einen kleinen Leuchter gestellt und
klammerte sich an seines Freundes Arm, um nicht umzufallen.

Das war Axels Kopf, die Lippen rot, mit blühender Gesichtsfarbe, wie
lebend. — Die Augen, weit aufgerissen, starrten mit einem gräßlichen
Ausdruck auf einen Brennspiegel an der gegenüberliegenden Wand, die mit
turkmenischen und kirgisischen Waffen und Tüchern bedeckt schien. —
Überall die bizarren Muster orientalischer Gewebe. —

Das Zimmer war voll präparierter Tiere — Schlangen und Affen in
seltsamen Verrenkungen lagen unter umhergestreuten Büchern. —

In einer gläsernen Wanne auf einem Seitentische schwamm ein
menschlicher Bauch in einer bläulichen Flüssigkeit.

Die Gipsbüste Fabio Marinis blickte von einem Postamente ernst auf das
Zimmer herab. —

Die Freunde konnten kein Wort hervorbringen; hypnotisiert starrten sie
auf das Herz dieser furchtbaren menschlichen Uhr, das wie lebendig
zitterte und schlug.

„Um Gottes willen — fort von hier — ich werde ohnmächtig. — Verflucht
sei dieses persische Ungeheuer.“

Sie wollten zur Tür. —

Da! — Wieder dieses unheimliche Knirschen, das aus dem Munde des
Präparates zu kommen schien. —

Zwei blaue Funken zuckten auf und wurden von dem Brennspiegel gerade
auf die Pupillen des Toten reflektiert.

Seine Lippen öffneten sich, — schwerfällig streckte sich die Zunge vor,
— bog sich hinter die Vorderzähne, — und die Stimme röchelte:

+Ein Vier — rrr — tel.+

Dann schloß sich der Mund, und das Gesicht stierte wieder geradeaus. —

„Gräßlich!! — Das +Gehirn+ funktioniert — lebt. — — — — — Fort — fort —
ins Freie — — hinaus! — Die Kerze, — nimm die Kerze, Sinclair!“

„So öffne doch, um Himmels willen — warum öffnest du nicht?“

„Ich kann nicht, da — da, schau!“

Die innere Türklinke war eine menschliche Hand, mit Ringen geschmückt.
— Die Hand des Toten; die weißen Finger krallten ins Leere. —

„Hier, hier, nimm das Tuch! Was fürchtest du dich — — es ist doch
unseres Axels Hand!“

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Sie standen wieder auf dem Gang und sahen, wie die Tür langsam ins
Schloß fiel.

Eine schwarze gläserne Tafel hing daran:

                      ~Dr.~ Mohammed Darasche-Koh
                                Anatom.

Die Kerze flackerte im Luftzug, der über die ziegelsteinerne Treppe
emporwehte.

Da taumelte Ottokar an die Wand und sank stöhnend in die Knie: „Hier!
— Das da — —“, er wies auf den Glockenzug.

Sinclair leuchtete näher hin.

Mit einem Schrei sprang er zurück und ließ die Kerze fallen. — —

Der blecherne Leuchter klirrte von Stein zu Stein.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Wie wahnsinnig, — die Haare gesträubt, — mit pfeifendem Atem rasten
sie in der Finsternis die Stufen hinab.

„Persischer Satan! — Persischer Satan!“



Das ganze Sein ist flammend Leid


Um sechs Uhr ist es längst dunkel in den Sträflingszellen des
Landgerichts, denn Kerzen sind dort nicht gestattet, und überdies war
es Winterabend — neblig und sternenlos. —

Der Aufseher ging mit dem schweren Schlüsselbund von Tür zu Tür,
leuchtete noch einmal durch die kleinen vergitterten Ausschnitte, —
wie es seine Pflicht ist, — und überzeugte sich, daß die Eisenstangen
vorgelegt waren. — Endlich verhallte sein Schritt, und die Ruhe des
Jammers lag über all den Unglücklichen, die der Freiheit beraubt —
immer vier beisammen — in den trostlosen Zellen auf ihren hölzernen
Bänken schliefen.

Der alte Jürgen lag auf dem Rücken und blickte zu dem kleinen
Kerkerfenster empor, das wie mattleuchtender Dunst aus der Finsternis
schimmerte. — Er zählte die langsamen Schläge der mißtönenden
Turmglocke und überlegte, was er morgen vor den Geschworenen sagen
wollte, und ob er wohl freigesprochen würde. —

Das Gefühl der Empörung und des wilden Hasses, daß man ihn, wo er
doch vollkommen unschuldig war, so lange eingesperrt hielt, hatte ihn
in den ersten Wochen bis in den Traum verfolgt, und oft hätte er vor
Verzweiflung am liebsten aufgeschrien. —

Aber die dicken Mauern und der enge Raum — kaum fünf Schritte lang —
schlagen den Schmerz nach innen und lassen ihn nicht heraus; — dann
lehnt man nur die Stirn an die Wand oder steigt auf die Holzbank, um
einen Streifen blauen Himmels durch das Kerkergitter zu sehen.

Jetzt waren diese Regungen erloschen, und andere Sorgen, die der freie
Mensch nicht kennt, drückten ihn nieder. —

Ob er morgen freigesprochen würde oder verurteilt, regte ihn nicht
einmal so sehr auf, wie er sich früher wohl gedacht hatte. — Geächtet
war er, was blieb ihm da als Betteln und Stehlen!

Und fiel das Urteil, so würde er sich erhenken — bei der nächsten
besten Gelegenheit, — und sein Traum wäre in Erfüllung gegangen, den er
in der ersten Nacht in diesen verfluchten Mauern gehabt.

Seine drei Gefährten lagen schon lange still; — sie hatten nichts
Neues zu hoffen, daß sie wach geblieben wären, und die langen
Freiheitsstrafen kürzt nur der Schlaf. — Er aber konnte nicht schlafen,
seine trübe Zukunft und trübe Bilder der Erinnerung zogen an ihm
vorbei: anfangs, als er noch ein paar Kreuzer besaß, hatte er sein Los
verbessern, sich hie und da eine Wurst und etwas Milch, manchmal einen
Kerzenstummel kaufen können, solange er mit Untersuchungsgefangenen
beisammen bleiben durfte. — Später hatte man ihn zu den Sträflingen
gesteckt, aus Bequemlichkeitsgründen — und in diesen Zellen wird es
bald Nacht — auch in der Seele. —

Den ganzen langen Tag sitzt man und brütet vor sich hin, die Ellbogen
auf die Knie gestützt, — nur ab und zu eine Unterbrechung, wenn der
Schließer die Tür öffnet und ein Sträfling schweigend den Wasserkrug
trägt oder die Blechtöpfe mit den gekochten Erbsen. —

Da hatte er stundenlang gegrübelt, wer den Mord wohl mochte begangen
haben, und immer klarer war es ihm geworden, daß nur sein Bruder
der Täter sein könne. — Der Bursche war nicht umsonst so schnell
verschwunden. —

Dann dachte er wieder an die morgige Gerichtsverhandlung und den
Advokaten, der ihn verteidigen sollte.

Er hielt nicht viel von ihm. Der Mann war immer so zerstreut gewesen
und hatte nur mit halbem Ohr zugehört und so devot wie möglich
gekatzenbuckelt, wenn der Untersuchungsrichter hinzugetreten war. —
Aber offenbar gehörte das schon so mit dazu. — —

Jürgen hörte noch von weitem das Rasseln der Droschke, die immer um
dieselbe Stunde am Gerichtsgebäude vorbeifuhr. — Wer wohl darin sitzen
mochte? — Ein Arzt — ein Beamter vielleicht. — Wie scharf die Hufeisen
auf dem Pflaster klangen. — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Die Geschworenen hatten Jürgen freigesprochen, — — aus Mangel an
Beweisen — und jetzt ging er zum letzten Male hinunter in die Zelle.

Die drei Sträflinge sahen stumpf zu, wie er mit zitternden Händen
einen alten Kragen am Hemde befestigte und seinen dünnen schäbigen
Sommeranzug anlegte, den ihm der Aufseher hereingebracht hatte. — Die
Zuchthauskleider, in denen er acht Monate gelitten, warf er mit einem
Fluche unter die Bank. — Dann mußte er in die Kanzlei beim Eingangstor,
— der Kerkermeister schrieb etwas in ein Buch und ließ ihn frei. —

Es kam ihm alles so fremd vor auf der Straße: die eiligen Menschen, die
gehen durften, wohin sie wollten und das so selbstverständlich fanden,
— und der eisige Wind, der einen fast umwarf. —

Vor Schwäche mußte er sich an einem Alleebaum halten, und sein Blick
fiel auf die steinerne Aufschrift über dem Torbogen:

„~Nemesis bonorum custos.~“ — Was das wohl heißen mag? —

Die Kälte machte ihn müde; zitternd schleppte er sich zu einer Bank in
den Parkgebüschen und schlief ermattet, fast ohnmächtig ein.

Als er erwachte, lag er im Krankenhause, — man hatte ihm den linken Fuß
amputiert, der ihm erfroren war. — — — — — — — — — — — — —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Aus Rußland waren zweihundert Gulden für ihn gekommen, — wohl von
seinem Bruder, den das Gewissen gemahnt haben mochte, und Jürgen
mietete ein billiges Gewölbe, um Singvögel zu verkaufen. —

Er lebte kümmerlich und einsam und schlief hinter einem
Bretterverschlag in seinem armseligen Laden.

Wenn des Morgens die Bauernkinder in die Stadt kamen, kaufte er ihnen
die kleinen Vögel um einige Kreuzer ab, die sie in Schlingen und Fallen
gefangen hatten, und steckte sie zu den übrigen in die schmutzigen
Käfige. — — — —

Von dem eisernen Haken in der Mitte des Gewölbes hing an vier Stricken
befestigt ein altes Brett herab, auf dem ein räudiger Affe kauerte,
den Jürgen von seinem Nachbarn — dem Trödler — gegen einen Nußhäher
eingetauscht hatte.

Tag für Tag blieben die Schuljungen stundenlang vor dem blinden Fenster
stehen und starrten den Affen an, der unruhig hin und her rückte und
mürrisch die Zähne fletschte, wenn ein Käufer die Tür öffnete.

Nach ein Uhr kam gewöhnlich niemand mehr, und dann saß der Alte auf
seinem Schemel, blickte trübselig auf sein hölzernes Bein und brütete
vor sich hin, was wohl jetzt die Sträflinge machen mochten und der Herr
Untersuchungsrichter, und ob der Advokat noch immer auf dem Bauch vor
ihm läge. —

Wenn dann ab und zu der Polizeibeamte, der in der Nähe wohnte,
vorüberging, wäre er am liebsten aufgesprungen, um ihm ein paar mit der
Eisenstange da über seine bunten Schandlappen zu hauen. —

O Gott, daß doch das Volk einmal aufstünde und die Schurken erschlüge,
die arme Teufel einfangen und für Taten bestrafen, die sie selbst
insgeheim und mit Lust begehen. — — —

An den Wänden übereinandergeschichtet, standen die Käfige bis fast
zur Decke, und die kleinen Vögel flatterten, wenn man ihnen zu nahe
kam. — Viele saßen ganz traurig und still und lagen frühmorgens mit
eingesunkenen Augen tot auf dem Rücken. —

Jürgen warf sie dann achtlos in den Schmutzkübel, — sie kosteten ja
nicht viel, — und da es Singvögel waren, hatten sie auch kein schönes
Gefieder, das man noch hätte verwenden können. —

Ruhig war es eigentlich im Laden nie, — ein ewiges Scharren und Kratzen
und leises Piepsen, — doch das hörte der Alte nicht, — er war zu sehr
daran gewöhnt. — Auch der unangenehme faule Geruch störte ihn nicht
weiter. —

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Einmal hatte ein Student eine Elster verlangt, und als er fort war,
bemerkte Jürgen, dem an diesem Tage ganz eigentümlich zumute war, daß
der Käufer ein Buch hatte liegen lassen. —

Obwohl es deutsch war, wenn auch aus dem Indischen übersetzt, wie es
auf dem Titelblatte hieß, verstand er doch so wenig davon, daß er den
Kopf schütteln mußte. — Nur eine Strophe las er immer wieder flüsternd
durch, weil sie ihn so schwermütig stimmte:

    Das ganze Sein ist flammend Leid.
    Wer dies mit weisem Sinne sieht,
    Wird bald dies Leidensleben satt.
    Das ist der Weg zur Läuterung!

Als dann sein Blick auf die vielen kleinen Gefangenen fiel, die elend
in den engen Käfigen saßen, zog es ihm das Herz zusammen, und er fühlte
mit ihnen, als ob auch er ein Vogel sei, der um seine verlorenen Fluren
trauert.

Ein tiefer Schmerz zog in seine Seele, daß ihm die Tränen in die Augen
traten. — Er gab den Tieren frisches Wasser und schüttete ihnen neues
Futter zu, was er sonst nur frühmorgens tat.

Dabei mußte er der grünen, rauschenden Wälder im goldenen Sonnenglanz
gedenken, die er schon lange vergessen hatte wie alte Märchen aus
früher Jugend. — —

Eine Dame in Begleitung eines Dieners, der ein paar Nachtigallen trug,
störte ihn in seinen Erinnerungen. —

„Ich habe diese Vögel bei Ihnen gekauft,“ sagte sie, „da sie aber zu
selten singen, müssen Sie mir sie blenden.“ —

„Was? Blenden?“ stotterte der Alte.

„Ja, — blenden. — Die Augen ausstechen oder brennen, oder wie man
das macht. — Sie als Vogelhändler müssen das doch besser verstehen.
— Sollten auch vielleicht ein paar eingehen, schadet das nichts, so
ersetzen Sie mir die fehlenden Stücke einfach durch andere. — Und
schicken Sie sie mir bald zu. — Meine Adresse wissen Sie doch? —
Adieu.“ —

Jürgen dachte noch lange nach und ging nicht schlafen. —

Die ganze Nacht saß er auf seinem Schemel, — stand auch nicht auf, als
der Nachbar, der Trödler, den es befremdete, daß der Laden so lange
offen blieb, an die Fensterscheibe klopfte. —

Er hörte es in der Dunkelheit in den Käfigen flattern und hatte die
Empfindung, als ob kleine weiche Fittiche an sein Herz schlügen und um
Einlaß bäten. —

Als der Morgen graute, öffnete er die Tür, ging ohne Hut bis auf den
öden Marktplatz und sah lange in den erwachenden Himmel. —

Dann kehrte er still zurück in seinen Laden, machte langsam die Käfige
auf — einen nach dem andern — und wenn ein Vogel nicht sogleich
herausflog, holte er ihn mit der Hand aus dem Bauer. — — —

Da flatterten sie in dem alten Gewölbe umher, alle die kleinen
Nachtigallen, Zeisige und Rotkehlchen, bis Jürgen lächelnd die Tür
öffnete und sie ins Freie, in die luftige, göttliche Freiheit ließ — — —

Er sah ihnen nach, bis er sie aus den Augen verlor, und dachte an die
grünen, rauschenden Wälder im goldenen Sonnenglanz. — — —

Den Affen band er los, nahm das Brett von der Decke, daß der große
eiserne Haken frei wurde.

Den Strick, den er daran hängte, wand er zu einer Schlinge und legte
sie sich um den Hals. — Nochmals zog der Satz aus dem Buche des
Studenten durch seinen Sinn, dann stieß er mit dem Stelzfuß den Schemel
unter sich fort, auf dem er stand.



Tut sich — macht sich — Prinzeß


„Guten Morgen“, sagte das Gigerl und schob seinen gelbledernen
Handkoffer auf das Tragnetz des Waggons.

„Ich hab’ die Ehre“ und „mein Kompliment wünsch’ ich“, grüßten die
beiden behäbigen alten Herren, und zwar auffallend verbindlich,
denn das Gigerl war sehr reich, wie jeder anständige Prager wissen
mußte, und hatte außerdem etwas Undefinierbares an sich — so eine Art
schreckeinflößender Sicherheit.

Nachdem natürlich kein Mensch von dem beharrlich ausgerufenen „frischen
Wasser“ getrunken hatte, und jene übliche Viertelstunde verflossen war,
die nötig ist, um den Laien glauben zu machen, das Eisenbahnwesen sei
eine Wissenschaft, setzte sich der Zug langsam in Bewegung.

Die beiden würdigen alten Herren betrachteten mißgünstig die scharfe
Bügelfalte an den Hosenbeinen des neuen Passagiers. —

Sie billigten solchen Tand natürlich nicht. — Ein charaktervoller Mann
hat an den Knien knollenartige Ausbuchtungen der Hosen — er trägt
breitkrempige Hüte, wenn schmalkrempige modern sind, und umgekehrt. —
(Die meisten Hutläden nähren sich von solchen ehrenfesten Leuten.) —

Und wie affektiert, den kleinen Finger mit einem Ring zu schmücken. —
Wozu — um Gotteswillen — hat man denn einen Zeigefinger! — An +diesen+
gehört doch der Siegelring — mit den Initialen des Großvaters. —

Und gar die dumme Mode mit den schmalen Uhrketten! —

Da sieht meine schon ein bißl würdiger aus, dachte sich der Herr Baurat
und sah stolz auf seinen geschmückten Bauch herab, auf dessen Mitte die
anerkannt schöne und übliche Amethystberlocke baumelte.

„Können Sie mir vielleicht einen Gulden umwechseln?“ fragte das Gigerl
den zweiten alten Herrn. „Ich muß nämlich dem Kofferträger noch schnell
ein Trinkgeld hinauswerfen.“

Der Herr Oberinspektor fischte zögernd sein großes Portemonnaie mit dem
schweigsamen Messingmaul hervor und machte ein Gesicht, wie wenn ihn
jemand um tausend Gulden angepumpt hätte. —

Beim Öffnen fielen viele Münzen heraus, unter ihnen — o weh — auch der
Milchzahn der kleinen Mizzi; — die des kleinen Franzl und des Max waren
— Gott sei Dank — im inneren Fach. —

Es ging aber nichts verloren, denn der junge Herr hatte Glück im Suchen
und gute Augen. —

Eine ältliche Dame blieb im Wagenkorridor stehen. — Der Herr Baurat
grüßte verbindlich durch die offene Tür.

„Bitt’ Sie, wer ist das?“ fragte der Oberinspektor neugierig.

„Die — die kennen Sie nicht? Das ist doch die Frau Syrovatka, die, was
die Witwe ist nach dem gottseligen Oberlandesgerichtsrat. — Sie wohnt
jetzt nach seinem Tode wieder bei ihrer Familie — Sie wissen doch: Die
Müllerischen von der obern Neustadt. — Ihren Papagei hat sie, hör’ ich,
aber weggeben müssen, damit er nicht zu viel ausplaudert vor den jungen
Mädchen und so. — Na, sie wird ihn ja nicht zu sehr vermissen — sie
und ihre Schwestern haben doch alles. — Bitt’ Sie was, denn die, die
haben’s gut — das sind — das sind ...“

„Verdammte Spießbürger“, ergänzte doppelsinnig das Gigerl, schob das
Kinn vor und zerrte mit dem Zeigefinger ungeduldig an dem Rande seines
Stehkragens. —

Eine peinliche Stille entstand — der Baurat schwieg, der Oberinspektor
spuckte verlegen zwischen seine Stiefel, und der vorlaute junge Mann
sah etwas gedrückt zum Fenster hinaus, an dem die vorüberfliegenden
Telegraphendrähte sich hoben und senkten.

Selbst der Zug schien den allgemeinen Druck mitzuspüren und schlug,
wie um der bedenklichen Stimmung ein Ende zu bereiten, ein geradezu
rasendes Tempo ein. —

Verfluchtes Gerumpel! — Die Waggons schleuderten und rasselten, die
Fensterscheiben klirrten. —

Bald befanden sich die beiden Alten wieder auf den breiten Bahnen der
üblichen Bürgergespräche. —

Verstehen konnte man freilich nichts, denn das Rasseln war schauderhaft.

Nur hie und da tauchten ein paar abgerissene Sätze an die Oberfläche:
„Ich wäre natürlich gar nicht gefahren, wenn ich gewußt hätt’, daß
das Barometer gefallen ist, — der Maxl, — Quarta — Kunstgeschichte
— Griechisch, — unglaublich, mit was sich der Bub alles den Kopf
einnimmt.“ —

„Na, meine Tochter erst — nächsten Monat wird sie zwanzig —
prachtvolles rotes Haar — hundsmager und hat immer so alberne
Redensarten: den ganzen Tag hört man: ‚Tut sich, macht sich, Prinzeß‘
—, ganz sinnlos — das kommt von den dummen modernen Romanen —
Maeterlinck — Gehirnerweichung — polizeilich verbieten.“ — — —

Den jungen Mann mußte offenbar eine tiefe Sorge plötzlich überfallen
haben, denn er hatte an den Gesprächen nicht den geringsten Anteil
mehr genommen, vielmehr aufmerksam das grüne baumelnde Fensterband
angestarrt und schließlich ein Notizbuch herausgezogen, in dem er
angestrengt rechnete.

„Der Herr von Vacca wird’s gewiß wissen“, störte ihn der Herr Baurat,
als das Schleudern ein wenig nachließ: „Sagen Sie, bitte, wie heißt der
Roman von Prévost, den sie jetzt im Sommertheater sogar aufführen?“

„~Demi-vierges~“, antwortete das Gigerl.

„~Demi-vierges~, ja richtig. — Sie, Herr Oberinspektor, ich sag’ Ihnen
— sowas! Und das soll realistisch sein. So was gibt’s ja gar nicht.
Erstens kommt das in einem guten Haus nicht vor und zweitens bei uns in
Prag schon gar nicht.“

Das Gigerl grinste.

„Und den Helden in dem Roman versteht man überhaupt nicht. Was man der
... der ..., wie heißt er denn g’schwind?“

„Julien de Suberceaux“, half der junge Mann.

„Ja, richtig, Suberceaux, — was treibt denn eigentlich der mit dem
Frauenzimmer, ich versteh’ das Ganze nicht.“ —

Das Gigerl warf einen boshaften Blick auf den Sprecher.

Der eintretende Schaffner verlangte die Karten und ersparte ihm die
Antwort.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

„Wohin fahren eigentlich Herr von Vacca?“ fragte leutselig wiederum der
Herr Baurat.

„Ich? — Ich fahre nur bis Trautenau, eine ekstatische Frau ansehen. —
Beglaubigter Fall.“ —

„No natürlich, haben Sie schon wieder so was Verrücktes! Ekstase! Ich
bitt’ Sie, Ekstase! — Sowas! Ein gutes G’selchtes mit Kraut und Knödeln
und ein paar Glas Pilsner ist die beste Ekstase.“

Pause. —

„Pilsner! Das ist halt ein Bierl“, meditierte der Alte.

Das Gigerl wollte eine heftige Antwort geben, spülte sie aber im
letzten Augenblick mit einem Mundvoll Zigarettenrauch hinunter. Der
Herr Baurat ging ohnehin rasch auf ein anderes Thema über: „Sie sollten
doch einen Leinwandüberzug über Ihren schönen Lederkoffer geben, Herr
von Vacca, damit er nicht ruiniert wird.“ —

„Da schaffe ich mir doch lieber gleich einen Leinwandkoffer an“,
entgegnete der junge Mann mißlaunig, holte aber nach einer kleinen
Weile ein Paket Photographien hervor, das er versöhnlich dem Alten
reichte: „Interessiert Sie vielleicht sowas?“

Der Baurat rückte seine Brille zurecht und sah mit feistem Schmunzeln
die Bilder durch, die er dann einzeln seinem Nachbar reichte:

„Die da, die Blonde, das ist ein strammes Mensch, — sowas zum Anhalten,
ha, ha, ha.“ — (Der Herr Oberinspektor stimmte vergnügt in das
fettige Lachen ein.) — „Aber was ist denn mit der da, die hat ja gar
keinen Kopf? — Das magerne Ding!“ fuhr er fragend fort, schwieg aber
plötzlich, — warum lächelte denn der junge Laffe gar so süffisant?

„Das!? — Das ist eine junge Dame,“ war die Antwort, „nach dem Körper
allein — ohne den Kopf kann sie eben ein Unberufener nicht erkennen!“

Wieder entstand eine lange Pause.

Eine Wolke war vor die Sonne getreten. Graues Licht lag über den
fächerförmigen Äckern; — die scharfen Schatten waren verflattert. —

Erwartungsvoll hielt die Natur den Atem an.

„Meine Älteste, die Erna, wird jetzt auch bald heiraten“, platzte der
Herr Baurat unvermittelt heraus.

Wieder allgemeine Stille.

„Sagen Sie, halten Sie von Telepathie — +Gedankenübertragung+ — auch
nichts?“ hob das Gigerl an.

„Sie meinen die neueste drahtlose Telegraphie?“ fragte der
Oberinspektor.

„Nein, nein, — die spontane direkte Übertragung der +Gedanken+ von Hirn
zu Hirn: — ‚Gedankenlesen‘ meinetwegen.“

„Aber hören Sie mir mit solchen Ibsensachen auf, — so ein Unsinn,“
spottete der Herr Baurat, „man weiß ja in der ganzen Stadt, Sie
befassen sich gerne mit derlei Kram, aber mich kriegen Sie mit sowas
nicht dran. Gedankenübertragung! — Ha, ha, ha. — Wenn ich nicht die
Bilder vorhin von Ihnen gesehen hätt’, möcht’ ich wahrhaftig glauben,
Sie sind wirklich so ein Phantast!“

Der junge Mann knipste mit seiner Zigarettendose.

„No, und die ohne Kopf haben Sie selbst photographiert?“ fragte der
Oberinspektor, „no, und ist die was Feines?“

Das Gigerl schwang seine Handschuhe in der Luft und gähnte: „Tut sich —
macht sich — Prinzeß.“

Dem Herrn Baurat fiel die Zigarre aus der Hand: „Wa wa ... tut sich,
Prinzeß, wa ... was?“ —

„Na ja“, sagte das Gigerl. „Das ist so eine gedankenlose Redensart von
ihr.“ —

Ein Ruck!

Der Lederkoffer fiel dem Herrn Baurat auf den Schädel.

Es hält der Zug.

Trrr—autenau, — Trauten — au.

  Trrr—autenau.
  Fünfzehn Minuten.



Das Fieber

  Alchimist: Wer bist du, trübes Ding im Glase hier? Sag an!

  Der Stoff in der Retorte: ~Ater corvus sum.~


Es war einmal ein Mann, den verdroß die Welt so sehr, daß er beschloß,
im Bette liegen zu bleiben. Jedesmal, wenn er aufwachte, wälzte er sich
auf die andere Seite, und so gelang es ihm, jedesmal noch ein bißchen
weiterzuschlafen.

Aber eines Tages ging es durchaus nicht mehr. Es ging nicht mehr und
ging nicht mehr.

Da lag der Mann im Bette und blieb ganz unbeweglich, aus Furcht, es
werde ihn frösteln, wenn er seine Lage verändere.

Von seinem Kopfkissen aus war er gezwungen, durch das Fenster ins Freie
zu sehen, und eben jetzt, wo er ganz ausgeschlafen war, ging es dem
Sonnenuntergang zu.

Eine breite, goldgelbe Wunde klaffte quer über den Himmel unter einem
dunklen Wolkenkopf hervor.

Es geht nicht an, gerade um diese unglückselige Stunde herum
aufzustehen, sagte der Mann zähneklappernd — und fürchtete sich noch
mehr vor dem Frösteln als vorher —, auch für einen, den das Leben nicht
so verdrießt, wie mich.

Elend, stierte er wieder in das Abendgelb unter dem glimmenden
Nebelsaum.

Eine schwarze Wolke hatte sich losgetrennt, wie ein geschwungener
Flügel geformt, mit befiedertem Rand.

Da kroch langsam im Hirn des Mannes — mit den flaumigen Umrissen eines
pelzigen Muffs eine Erinnerung an einen Traum aus ihrer Höhle heraus.
An einen Traum von einem Raben, der ein Herz ausgebrütet.

Und die ganze Zeit seines Schlafes über hatte er sich mit diesem Traum
herumgeschlagen. Dessen war sich der Mann jetzt deutlich bewußt.

Ich muß es herausbekommen, wem dieser Flügel gehört, sagte er, stieg
im Hemde aus dem Bett — und die Treppe hinunter auf die Straße. Immer
weiter ging er so, immer dem Sonnenuntergang zu.

Die Leute aber, denen er begegnete, raunten: „Pst, pst, leise, leise,
er träumt doch das alles bloß!“

Nur der beeidete Hostienbäcker Vrieslander glaubte sich einen Spaß
machen zu dürfen. Er stellte sich ihm in den Weg, spitzte den Mund und
machte runde Augen wie ein Fisch. Sein dünner Schneiderbart schien noch
gespenstischer als sonst. Mit den magern Armen und Fingern machte er
eine verrenkte sinnlose Geste und verdrehte die Beine ganz seltsam.
„Ssst, ssst, nur gemach, hörst du,“ flüsterte er dem Manne giftig zu,
„ich bin das Kichern, weißt du, das Kich...“ und schnellte plötzlich
das spitze Knie zur Brust empor, riß den Mund auf und wurde bleifarben
im Gesicht, als habe ihn mitten in seiner tänzelnden Stellung der Tod
ereilt.

Dem Manne im Hemde sträubte sich das Haar vor Grauen, und er lief aus
der Stadt hinaus. — — — Über Wiesen und Stoppelfelder, immer dem
Sonnenuntergange zu, und immer mit bloßen Füßen.

Zuweilen trat er auf einen Frosch.

— — — — Erst in der Nacht, als sich längst der glühende Riß am Himmel
wieder geschlossen, erreichte er die weiße, langgestreckte Mauer,
hinter der der Wolkenstrich verschwunden war.

Er setzte sich auf einen kleinen Hügel. Ich bin hier auf dem Friedhof,
je nun, sagte er sich und sah um sich, je nun, das kann ein arger
Kitsch werden. Aber ich muß doch erfahren, wem der Flügel eigentlich
gehört!

Als die Nacht vorrückte, wurde ihr Schein allmählich heller, und
der Mond kroch langsam über die Mauer. Eine gewisse Art dämmernden
Erstaunens legte sich an den Himmel.

Wie der Mondglanz grell auf den Flächen schwamm, schlüpften hinter
den Grabsteinen, an den Seiten, die dem Lichte abgewandt waren,
blauschwarze Vögel aus der Erde und flogen lautlos in Scharen auf die
kalkbetünchte Mauer.

Dann lag eine lange Zeit eine leichenhafte Unbeweglichkeit auf allem.

Es ist der dunkle Wald in der Ferne, der aus den Nebeln taucht,
natürlich, und in der Mitte der runde Kopf, das ist der Hügel mit
seinen Bäumen, träumte der Mann im Hemde, doch als seine Augen schärfer
sahen, da war es ein riesiger Rabe, der mit ausgespannten Schwingen auf
der anderen Mauer saß.

Ah, der Flügel, — besann sich der Mann und war sehr zufriedengestellt,
der Flügel — — — Und der Vogel brüstete sich: „Ich bin der Rabe,
der die Herzen ausbrütet. Wenn einem Menschen ein Sprung am Herzen
geschieht, so fahren sie ihn schnell heraus zu mir.“ Dann flog er
von der Mauer herab auf einen Marmorstein, und der Wind von seinem
Flügelschlag roch wie verwelkte Blumen.

Unter dem Marmorstein aber lag einer seit heute morgen bei seiner
Familie.

Der Mann im Hemde buchstabierte einen Namen und wurde sehr neugierig,
was für ein Vogel aus diesem gesprungenen Herzen kriechen werde, denn
der Verstorbene war ein bekannter Menschenfreund gewesen, hatte sein
ganzes Leben für Aufklärung gewirkt, nur Gutes getan und gesprochen,
die Bibel gereinigt und erhebende Bücher geschrieben. Seine Augen,
schlicht und ohne Falsch — wie Spiegeleier, — stets hatten sie
Wohlwollen gestrahlt im Leben, und auch jetzt noch im Tode stand:

    Üb immer Treu und Redlichkeit
    Bis an dein kühles Grab
    Und weiche keinen Finger breit
    Vom Weg des Rechten ab

in goldenen Lettern auf seiner Gruft.

Der Mann im Hemde war sehr gespannt. Aus dem Grabe drang leises
Knistern, wie sich der junge Vogel aus dem Herzen löste, — und da
flog’s auch schon — pechschwarz — mit Gekrächz hinauf zu den andern auf
die Mauer. —

„Das war aber doch wirklich vorauszusehen; — oder? Haben Euer Liebden
vielleicht ein Rebhuhn erwartet?“ spottete der Rabe.

„Etwas Weißes hat er doch“, sagte der Mann verbissen und meinte damit
eine leichte helle Feder, die deutlich abstand.

Der Rabe lachte. „Der Gänseflaum? — Der ist doch nur angeklebt. Vom
Daunenkissen, worauf der Tote immer schlief!“ und weiter flog er von
Grab zu Grab und brütete da und brütete dort, und überall wurde es
flügge und kam schwarz aus dem Boden geflattert.

„Alle, alle sind sie schwarz?“ fragte der Mann beklommen nach einer
Weile.

„Alle, alle sind sie schwarz!“ brummte der Rabe.

Da bereute der Mann im Hemde, daß er nicht in seinem Bette geblieben
war.

Und wie er empor zum Himmel blickte, standen die Sterne voll Tränen und
blinzelten. Nur der Mond glotzte vor sich hin und begriff nicht.

Auf einem Kreuz aber saß mit einemmal regungslos ein Rabe, der glänzte
schneeweiß. Und es schien, als käme all der Schimmer der Nacht von ihm.
Der Mann sah ihn erst, als er zufällig den Kopf nach ihm wandte. Auf
dem Kreuz die Inschrift nannte den Namen eines, der war ein Müßiggänger
gewesen sein Leben lang.

Der Mann im Hemde kannte ihn gut. Und er sann lange nach.

„Welche Tat hat denn sein Herz so weiß gemacht?“ fragte er endlich.

Der schwarze Rabe aber war mürrisch und mühte sich unablässig, über
seinen eigenen Schatten zu springen.

„Welche Tat, welche Tat, welche Tat?“ quälte der Mann ruhelos.

Da fuhr der Rabe zornig auf: „Glaubst du, +Taten+ können weiß machen?
Du ... Du ... +kannst+ ja nicht einmal eine Tat +tun+! — Eher spränge
ich noch über meinen Schatten. Der morsche Hampelmann auf dem kleinen
Grab — siehst du ihn? Er gehörte einst dem Kinde dort unten — der
morsche Hampelmann glaubte auch eine lange Zeit, er fuchtle in der Welt
herum. Weil er die Schnüre nicht sah, an denen er hing, und es nicht
wahr haben wollte, daß ein Kind mit ihm spiele. Und du!? Und du!? Was
glaubst du wohl, wird mit +dir+ sein, wenn das — — ‚Kind‘ ein anderes
Spielzeug sucht! — Wirst alle viere von dir strecken und ver — —,“ der
Rabe blinzelte listig zur Mauer hin, — „und ver — —“

„— — — recken!“ krächzte die Rabenschar, fröhlich, daß sie auch einmal
dran kam.

Da erschrak der Mann im Hemde ganz außerordentlich.

„Und was denn sonst hat sein Herz so weiß gemacht? Hörst du denn nicht,
— was denn sonst hat sein Herz so weiß gemacht?“ fragte er.

Unschlüssig trat der Rabe von einem Bein aufs andere: „Es muß wohl die
Sehnsucht gewesen sein. Die Sehnsucht nach etwas Verborgenem, das ich
nicht kenne und auf der Erde nirgends gefunden habe. Wir alle sahen
seine Sehnsucht wachsen wie ein Feuer und begriffen es nicht; — es
verbrannte sein Blut und endlich sein Hirn — — wir begriffen es
nicht — —“

Den Mann im Hemde faßte es eiskalt an: — — — — Es Schien Das Licht In
Der Finsternis, Und Die Finsternisse Haben Es Nicht Begriffen — —!

— — — „ja, wir begriffen es nicht,“ fuhr der Rabe fort, „doch einer
der gigantischen schimmernden Vögel, die im Weltenraume unbeweglich
schweben seit Anbeginn, erspähte die flammende Lohe und stieß herab.
— Wie Weißglut. Und er hat auf jenes Menschen Herz gebrütet Nacht um
Nacht.“

Scharfe Bilder traten dem Mann im Hemde vor das Auge, Bilder, die
in seinem Gedächtnis nicht hatten sterben können, — Geschehnisse im
Schicksal des Müßiggängers, die immer noch von Mund zu Mund gingen
unter den Leuten: — Er sah jenen Menschen unter dem Galgen stehen — —
der Henker zog ihm die leinene Maske übers Gesicht — — die Feder, die
das Brett unter den Füßen des armen Sünders kippen sollte, weigerte
sich, — da führten sie ihn weg und rückten das Brett zurecht.

Und wieder ordnete der Henker die leinene Maske — — und wieder versagte
die Feder. Und als nach einem Monat abermals der Mensch dort stand, die
leinene Maske über den Augen, — — da brach die Feder.

Die Richter aber ergrimmten und bissen die Zähne zusammen über — — den
Zimmermann, der den Galgen so schlecht gezimmert hatte.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Dann verschwand die Vision.

„Und was ist aus dem Menschen geworden?“ fragte voll Grauen der Mann im
Hemde.

„Ich habe sein Fleisch gefressen und seine Gebeine, die Erde ist
kleiner geworden um das Stück, das sein Leib groß war“, sagte der weiße
Rabe.

„Ja, ja,“ flüsterte der schwarze, „sein Sarg ist leer, er hat das Grab
betrogen.“

— — Das hörte der Mann, und sein Haar sträubte sich, er zerriß sein
Hemd über der Brust und lief hin zu dem weißen Vogel, der auf dem
Kreuze saß: „Brüte mein Herz, brüte mein Herz! Mein Herz ist voll
Sehnsucht — — —!“

Doch der +schwarze+ Rabe warf ihn mit den Schwingen zur Erde und setzte
sich schwer auf ihn — — die Luft roch nach sterbenden Blumen — — „Daß
Euer Liebden nur nicht irren: Gier und nicht Sehnsucht schläft in Euer
Liebden Herz! Ja, das möchte mancher gern probieren vor dem Kre — —,“
listig blinzelte er zur Mauer hin, „vor dem Kre — — —?“

„— — — pieren!“ pfiff die Rabenschar, entzückt, daß sie schon wieder
dran kam.

— Die Hitze seines Leibes ist fremdartig und erregend wie das Fieber,
fühlte der Mann, dann zerflatterte sein Bewußtsein.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Als er nach langem Schlaf erwachte, da stand der Mond gerade im Zenith
und starrte ihm ins Gesicht.

Der Glanz hatte die Schatten getrunken und troff an den Steinen herab
von allen Seiten.

Die schwarzen Raben waren fortgeflogen.

Noch hatte der Mann ihr hämisches Gekrächz in den Ohren, und verdrossen
stieg er über die Mauer in sein Bett.

Schon stand da auch im schwarzen Rock der Herr Medizinalrat, faßte
seinen Puls, schloß die Augen hinter der goldenen Brille und babbelte
lang und unhörbar mit der Unterlippe. Suchte dann umständlich in seinem
Taschenbuch und schrieb auf einen Zettel:

    ~Rp~:

  ~Cort. chin. reg. rud. tus~                   3β
  ~coque c. suff. quant. vini rubri, per horam~ ~j~
  ~ad co’at~                                    3~viij~
  ~cum hac inf. herb. abs.~                     3~j~
    ~postea solve~
  ~acet. lix.~                                  3~j~
    ~tunc adde~
  ~syr. cort. aur~                              3β
    ~M. d. ad~
    ~vitr. s.~

dreimal täglich ein Eßlöffel.

Und als er damit fertig war, schritt er mit Weihe zur Tür, sah noch
einmal zurück und sagte geheimnisvoll, den Zeigefinger würdig erhoben:

„Gögön das Fübör, gögön das Fübör.“



Die Pflanzen des ~Dr.~ Cinderella


Siehst du, dort die kleine schwarze Bronze zwischen den Leuchtern ist
die Ursache aller meiner sonderbaren Erlebnisse in den letzten Jahren.

Wie Kettenglieder hängen diese gespenstischen Beunruhigungen, die mir
die Lebenskraft aussaugen, zusammen, und verfolge ich die Kette zurück
in die Vergangenheit, immer ist der Ausgangspunkt derselbe: die Bronze.

Lüge ich mir auch andere Ursachen vor, — immer wieder taucht sie auf
wie der Meilenstein am Wege.

Und wohin dieser Weg führen mag, ob zum Licht der Erkenntnis, ob weiter
zu immer wachsendem Entsetzen, ich will es nicht wissen und mich nur an
die kurzen Rasttage klammern, die mir mein Verhängnis freiläßt bis zur
nächsten Erschütterung.

In Theben habe ich sie aus dem Wüstensande gegraben, — die Statuette,
— so ganz zufällig mit dem Stock, und von dem ersten Augenblick an,
wo ich sie genauer betrachtete, war ich von der krankhaften Neugier
befallen, zu ergründen, was sie denn eigentlich bedeute. — Ich bin
doch sonst nie so wissensdurstig gewesen!

Anfangs fragte ich alle möglichen Forscher, aber ohne Erfolg.

Nur ein alter arabischer Sammler schien zu ahnen, um was es sich
handle.

„Die Nachbildung einer ägyptischen Hieroglyphe“, meinte er; und
die sonderbare Armstellung der Figur müsse irgendeinen unbekannten
ekstatischen Zustand bedeuten.

Ich nahm die Bronze mit nach Europa, und fast kein Abend verging, an
dem ich mich nicht sinnend über ihre geheimnisvolle Bedeutung in die
seltsamsten Gedankengänge verloren hätte.

Ein unheimliches Gefühl überkam mich oft dabei: ich grüble da an etwas
Giftigem — Bösartigem, das sich mit hämischem Behagen von mir aus
dem Banne der Leblosigkeit losschälen lasse, um sich später wie eine
unheilbare Krankheit an mir festzusaugen und der dunkle Tyrann meines
Lebens zu bleiben. Und eines Tages bei einer ganz nebensächlichen
Handlung schoß mir der Gedanke, der mir das Rätsel löste, mit solcher
Wucht und so unerwartet durch den Kopf, daß ich zusammenfuhr.

Solch blitzartige Einfälle sind wie Meteorsteine in unserem Innenleben.
Wir kennen nicht ihr Woher, wir sehen nur ihr Weißglühen und ihren
Fall. — —

Fast ist es wie ein Furchtgefühl — — dann — — ein leises — — so — so,
als sei jemand Fremder — — — — — Was wollte ich doch nur sagen?! —
Verzeih, ich werde manchmal so seltsam geistesabwesend, seitdem ich
mein linkes Bein gelähmt nachziehen muß; — — ja, also die Antwort auf
mein Grübeln lag plötzlich nackt vor mir: — +Nachahmen!+

Und als hätte dieses Wort eine Wand eingedrückt, so schossen die
Sturzwellen der Erkenntnis in mir auf, daß +das+ allein der Schlüssel
zu allen Rätseln unseres Daseins.

Ein heimliches automatisches Nachahmen, ein unbewußtes, rastloses, —
der verborgene Lenker aller Wesen!!

Ein allmächtiger geheimnisvoller Lenker, — ein Lotse mit einer Maske
vor dem Gesicht, der schweigend beim Morgengrauen das Schiff des
Lebens betritt. Der aus jenen Abgründen stammt, dahinter unsere Seele
wandern mag, wenn der Tiefschlaf die Tore des Tages verschlossen! Und
vielleicht steht tief dort unten in den Schluchten des körperlosen
Seins das Erzbild eines Dämons errichtet, der da will, daß wir ihm
gleich seien und sein Ebenbild werden — — —

Und dieses Wort „nachahmen“, dieser kurze Zuruf von „irgendwoher“ wurde
mir ein Weg, den ich augenblicklich betrat. Ich stellte mich hin, hob
beide Arme über den Kopf, so wie die Statue, und senkte die Finger, bis
ich mit den Nägeln meinen Scheitel berührte.

Doch nichts geschah.

Keine Veränderung innen und außen.

Um keinen Fehler in der Stellung zu machen, sah ich die Figur genauer
an und bemerkte, daß ihre Augen geschlossen und wie schlafend waren.

Da wußte ich genug, brach die Übung ab und wartete, bis es Nacht wurde.
Stellte dann die tickenden Uhren ab und legte mich nieder, die Arm- und
Handstellungen wiederholend.

Einige Minuten verstrichen so, aber ich kann nicht glauben, daß ich
eingeschlafen wäre.

Plötzlich war mir, als käme ein hallendes Geräusch aus meinem Inneren
empor, wie wenn ein großer Stein in die Tiefe rollt.

Und als ob mein Bewußtsein ihm nach eine ungeheure Treppe hinabfiele
— zwei, vier, acht, immer mehr und mehr Stufen überspringend, — so
verfiel ruckweise meine Erinnerung an das Leben, und das Gespenst des
Scheintodes legte sich über mich.

Was dann eintrat, das werde ich nicht sagen, das sagt keiner.

Wohl lacht man darüber, daß die Ägypter und Chaldäer ein magisches
Geheimnis gehabt haben sollen, behütet von Uräusschlangen, das unter
Tausenden Eingeweihter auch nicht ein einziger je verraten hätte.

Es gibt keine Eide, meinen wir, die so fest binden!

Auch ich dachte einst so, in jenem Augenblicke aber begriff ich alles.

Es ist ein Vorkommnis aus menschlicher Erfahrung, in dem die
Wahrnehmungen +hinter+einander liegen, und kein Eid bindet die Zunge,
nur der bloße Gedanke einer Andeutung dieser Dinge hier — hier im
Diesseits — und schon zielen die Vipern des Lebens nach deinem Herzen.

Darum wird das große Geheimnis verschwiegen, weil es sich selbst
verschweigt, und wird ein Geheimnis bleiben, solange die Welt steht.

Aber all das hängt nur nebensächlich zusammen mit dem versengenden
Schlag, von dem ich nie mehr gesunden kann. Auch das äußere Schicksal
eines Menschen gerät in andere Bahnen, durchbricht sein Bewußtsein nur
einen Augenblick die Schranken irdischer Erkenntnis.

Eine Tatsache, für die ich ein lebendes Beispiel bin.

Seit jener Nacht, in der ich aus meinem Körper trat, ich kann es kaum
anders nennen, hat sich die Flugbahn meines Lebens geändert, und mein
früher so gemächliches Dasein kreist jetzt von einem rätselhaften,
grauenerregenden Erlebnis zum andern — irgendeinem dunklen, unbekannten
Ziele zu.

Es ist, als ob eine teuflische Hand mir in immer kürzer werdenden
Pausen immer weniger Erholung zumißt und Schreckbilder in den Lebensweg
schiebt, die von Fall zu Fall an Furchtbarkeit wachsen. Wie um eine
neue, unbekannte Art Wahnsinn in mir zu erzeugen — langsam und mit
äußerster Vorsicht — eine Wahnsinnsform, die kein Außenstehender
merken und ahnen kann und deren sich nur ein von ihr Befallener in
namenloser Qual bewußt ist.

In den nächsten Tagen schon nach jenem Versuch mit der Hieroglyphe
traten Wahrnehmungen bei mir auf, die ich anfangs für Sinnestäuschungen
hielt. Seltsam sausende oder schrillende Nebentöne hörte ich den Lärm
des Alltags durchqueren, sah schimmernde Farben, die ich nie gekannt. —
Rätselhafte Wesen tauchten vor mir auf, ungehört und ungefühlt von den
Menschen, und vollführten in schemenhaftem Dämmer unbegreifliche und
planlose Handlungen.

So konnten sie ihre Form ändern und plötzlich wie tot daliegen, —
glitschten dann wieder wie lange Schleimseile an den Regenrinnen herab
oder hockten wie ermattet in blödsinniger Stumpfheit in dunklen
Hausfluren.

Dieser Zustand von Überwachsein bei mir hält nicht an, — er wächst und
schwindet wie der Mond.

Der stetige Verfall jedoch des Interesses an der Menschheit, deren
Wünschen und Hoffen nur noch wie aus weiter Ferne zu mir dringt, sagt
mir, daß meine Seele beständig auf einer dunklen Reise ist — fort, weit
fort vom Menschentum.

Anfangs ließ ich mich von den flüsternden Ahnungen +leiten+, die mich
erfüllten, — jetzt — bin ich wie ein angeschirrtes Pferd und +muß+ die
Wege gehen, auf die es mich zwingt.

Und siehst du, eines Nachts, da riß es mich wieder auf und trieb
mich, planlos durch die stillen Gassen der Kleinseite zu gehen um
des phantastischen Eindruckes willen, den die altertümlichen Häuser
erzeugen.

Es ist unheimlich in diesem Stadtviertel wie nirgends auf der Welt.

Nie ist Helle und nie ganz Nacht.

Irgendein matter, trüber Schein kommt von irgendwo, wie
phosphoreszierender Dunst sickert es vom Hradschin auf die Dächer herab.

Man biegt in eine Gasse und sieht nur totes Dunkel, da sticht aus einer
Fensterritze ein gespenstischer Lichtstrahl plötzlich wie eine lange
boshafte Nadel einem in die Pupillen.

Aus dem Nebel taucht ein Haus, — mit abgebrochenen Schultern und
zurückweichender Stirn und glotzt besinnungslos aus leeren Dachluken
zum Nachthimmel auf wie ein verendetes Tier.

Daneben eines reckt sich, gierig mit glimmernden Fenstern auf den Grund
des Brunnens da unten zu schielen, ob das Kind des Goldschmiedes noch
darinnen, das vor hundert Jahren ertrank. Und geht man weiter über die
buckligen Pflastersteine und sieht sich plötzlich um, da möchte man
wetten, es habe einem ein schwammiges, fahles Gesicht aus der Ecke
nachgestarrt, — nicht in Schulterhöhe — nein, ganz tief unten, wo nur
große Hunde die Köpfe haben könnten. — — — —

Kein Mensch ging auf den Straßen.

Totenstille.

Die uralten Haustore bissen schweigend ihre Lippen zusammen.

Ich bog in die Thunsche Gasse, wo das Palais der Gräfin Morzin steht.

Da kauerte im Dunst ein schmales Haus, nur zwei Fenster breit, ein
hektisches, bösartiges Gemäuer; dort hielt es mich fest, und ich fühlte
den gewissen überwachen Zustand kommen.

In solchen Fällen handle ich blitzschnell wie unter fremdem Willen und
weiß kaum, was mir die nächste Sekunde befiehlt.

So drückte ich hier gegen die nur angelehnte Tür und schritt durch
einen Gang eine Treppe in den Keller hinab, als ob ich in das Haus
gehöre.

Unten ließ der unsichtbare Zügel, der mich führt wie ein unfreies Tier,
wieder nach, und ich stand da in der Finsternis mit dem quälenden
Bewußtsein einer Handlung, vollbracht ohne Zweck.

Warum war ich hinuntergegangen, warum hatte ich nicht einmal den
Gedanken gefaßt, solch sinnlosen Einfällen Halt zu gebieten?! Ich war
krank, offenbar krank, und ich freute mich, daß nichts anderes, nicht
die unheimliche, rätselhafte Hand im Spiele war.

Doch im nächsten Moment wurde mir klar, daß ich die Tür geöffnet, —
das Haus betreten hatte, die Treppe hinabgestiegen war, ohne nur ein
einziges Mal anzustoßen, ganz wie jemand, der Schritt und Tritt genau
kennt, und meine Hoffnung war schnell zu Ende.

Allmählich gewöhnte sich mein Auge an die Finsternis, und ich blickte
umher.

Dort auf einer Stufe der Kellertreppe saß jemand. — Daß ich ihn nicht
gestreift hatte im Vorbeigehen?!

Ich sah die zusammengekrümmte Gestalt ganz verschwommen im Dunkel.

Einen schwarzen Bart über einer entblößten Brust. — Auch die Arme
waren nackt.

Nur die Beine schienen in Hosen oder einem Tuch zu stecken.

Die Hände hatten etwas Schreckhaftes in ihrer Lage; — sie waren so
merkwürdig abgebogen, fast rechtwinklig zu den Gelenken.

Lange starrte ich den Mann an.

Er war so leichenhaft unbeweglich, daß mir war, als hätten sich seine
Umrisse in den dunklen Hintergrund eingefressen und als müßten sie so
bleiben bis zum Verfall des Hauses.

Mir wurde kalt vor Grauen, und ich schlich den Gang weiter, seiner
Krümmung entlang.

Einmal faßte ich nach der Mauer und griff dabei in ein splitteriges
Holzgitter, wie man es verwendet, um Schlingpflanzen zu ziehen. Es
schienen auch solche in großer Menge daran zu wachsen, denn ich blieb
fast hängen in einem Netz stengelartigen Geranks.

Das Unbegreifliche war nur, daß sich diese Pflanzen, oder was es sonst
sein mochte, blutwarm und strotzend anfühlten und überhaupt einen ganz
animalischen Eindruck auf den Tastsinn machten.

Ich griff noch einmal hin, um erschreckt zurückzufahren: ich hatte
diesmal einen kugeligen, nußgroßen Gegenstand berührt, der sich kalt
anfühlte und sofort wegschnellte. War es ein Käfer?

In diesem Moment flackerte ein Licht irgendwo auf und erhellte eine
Sekunde lang die Wand vor mir.

Was ich je an Furcht und Grauen empfunden, war nichts gegen diesen
Augenblick.

Jede Fiber meines Körpers brüllte auf in unbeschreiblichem Entsetzen.

Ein stummer Schrei bei gelähmten Stimmbändern, der durch den ganzen
Menschen fährt wie Eiseskälte.

Mit einem Rankennetz blutroter Adern, aus dem wie Beeren Hunderte von
glotzenden Augen hervorquollen, war die Mauer bis zur Decke überzogen.

Das eine, in das ich soeben gegriffen, schnellte noch in zuckender
Bewegung hin und her und schielte mich bösartig an.

Ich fühlte, daß ich zusammenbrechen werde, und stürzte zwei, drei
Schritte in die Finsternis hinein; eine Wolke von Gerüchen, die etwas
Feistes, Humusartiges wie von Schwämmen und Ailanthus hatten, drang mir
entgegen.

Meine Knie wankten, und ich schlug wild um mich. Da glomm es vor
mir auf wie ein kleiner glühender Ring: der erlöschende Docht einer
Öllampe, die im nächsten Augenblick noch einmal aufblakte.

Ich sprang darauf zu und schraubte den Docht mit bebenden Fingern hoch,
so daß ich ein kleines rußendes Flämmchen noch retten konnte.

Dann mit einem Ruck drehte ich mich um, wie zum Schutz die Lampe
vorstreckend.

Der Raum war leer.

Auf dem Tisch, auf dem die Lampe gestanden, lag ein länglicher,
blitzender Gegenstand.

Meine Hand fuhr danach wie nach einer Waffe.

Doch war es bloß ein leichtes, rauhes Ding, das ich faßte.

Nichts rührte sich, und ich stöhnte erleichtert auf. Vorsichtig, die
Flamme nicht zu verlöschen, leuchtete ich die Mauern entlang. Überall
dieselben Holzspaliere und, wie ich jetzt deutlich sah, durchrankt von
offenbar zusammengestückelten Adern, in denen Blut pulsierte.

Grausig glitzerten dazwischen zahllose Augäpfel, die in Abwechslung mit
scheußlichen, brombeerartigen Knollen hervorsproßten und mir langsam
mit den Blicken folgten, wie ich vorbeiging. — Augen aller Größen
und Farben. — Von der klarschimmernden Iris bis zum hellblauen toten
Pferdeauge, das unbeweglich aufwärts steht.

Manche, runzelig und schwarz geworden, glichen verdorrten Tollkirschen.

Die Hauptstämme der Adern rankten sich aus blutgefüllten Phiolen
empor, aus ihnen kraft eines unbekannten Prozesses ihren Saft ziehend.

Ich stieß auf Schalen — gefüllt mit weißlichen Fettbrocken, aus denen
Fliegenpilze, mit einer glasigen Haut überzogen, emporwuchsen. — Pilze
aus rotem Fleisch, die bei jeder Berührung zusammenzuckten.

Und alles schienen Teile, aus lebenden Körpern entnommen, mit
unbegreiflicher Kunst zusammengefügt, ihrer menschlichen Beseelung
beraubt und auf rein vegetatives Wachstum heruntergedrückt.

Daß Leben in ihnen war, erkannte ich deutlich, wenn ich die Augen näher
beleuchtete und sah, wie sich sofort die Pupillen zusammenzogen. —
Wer mochte der teuflische Gärtner sein, der diese grauenhafte Zucht
angelegt!

Ich erinnerte mich des Menschen auf der Kellerstiege.

Instinktiv griff ich in die Tasche nach irgendeiner Waffe, da fühlte
ich den rissigen Gegenstand, den ich vorhin eingesteckt. — Er glitzerte
trüb und schuppig, — ein Tannenzapfen aus rosigen Menschennägeln!

Schaudernd ließ ich ihn fallen und biß die Zähne zusammen: nur hinaus,
hinaus, und wenn der Mensch auf der Treppe aufwachen und über mich
herfallen sollte!

Und schon war ich bei ihm und wollte mich auf ihn stürzen, da sah ich,
daß er tot war, — wachsgelb.

Aus den verrenkten Händen — die Nägel ausgerissen. Kleine
Messerschnitte an Brust und Schläfen zeigten, daß er seziert worden war.

Ich wollte an ihm vorbei und habe ihn, glaube ich, mit der Hand
gestreift. — Im selben Augenblick schien er zwei Stufen herunter auf
mich zuzurutschen, stand plötzlich aufrecht da, die Arme nach oben
gebogen, die Hände zum Scheitel.

Wie die ägyptische Hieroglyphe, dieselbe Stellung — dieselbe Stellung!

Ich weiß nur noch, daß die Lampe zerschellte, daß ich die Haustür
aufwarf und fühlte, wie der Dämon des Starrkrampfes mein zuckendes Herz
zwischen seine kalten Finger nahm. — — —

Dann machte ich mir halbwach irgend etwas klar — — der Mann müsse
mit den Ellenbogen an Stricken aufgehängt gewesen sein, nur durch
Herabrutschen von den Stufen hatte sein Körper in die aufrechte
Stellung geraten können — — — und dann — — dann rüttelte mich jemand:
„Sie sollen zum Herrn Kommissär.“ — — — — —

Und ich kam in eine schlecht beleuchtete Stube, Tabakspfeifen lehnten
an der Wand, ein Beamtenmantel hing an einem Ständer. — — Es war ein
Polizeizimmer.

Ein Schutzmann stützte mich.

Der Kommissär saß vor einem Tisch und sah immer von mir weg — er
murmelte: „Haben Sie sein Nationale aufgeschrieben?“

— „Er hatte Visitkarten bei sich, wir haben sie ihm abgenommen“, hörte
ich den Schutzmann antworten.

„Was wollten Sie in der Thunschen Gasse — vor einem offenen Haustor?“

Lange Pause.

„Sie!“ mahnte der Schutzmann und stieß mich an.

Ich lallte etwas von einem Mord im Keller in der Thunschen Gasse. — —

Darauf ging der Wachmann hinaus.

Der Kommissär sah immer von mir weg und sprach einen langen Satz.

Ich hörte nur: „Was denken Sie denn, der Doktor Cinderella ist
ein großer Gelehrter — Ägyptologe — und er zieht viel neuartige,
fleischfressende Pflanzen, — Nepenthen, Droserien oder so, — glaube
ich, ich weiß nicht, — — — — — Sie sollten nachts zu Hause bleiben.“

Da ging eine Tür hinter mir, ich drehte mich um, und dort stand ein
langer Mensch mit einem Reiherschnabel — ein ägyptischer Anubis.

Mir wurde schwarz vor den Augen, und der Anubis machte eine Verbeugung
vor dem Kommissär, ging zu ihm hin und flüsterte mir zu: „Doktor
Cinderella.“

Doktor Cinderella!

Und da fiel mir etwas Wichtiges aus der Vergangenheit ein, — das ich
sogleich wieder vergaß.

Wie ich den Anubis abermals ansah, war er ein Schreiber geworden und
hatte nur einen Vogeltypus und gab mir meine eigenen Visitkarten,
darauf stand: Doktor Cinderella.

Der Kommissär sah mich plötzlich an, und ich hörte, wie er sagte: „Sie
sind es ja selbst. Sie sollten nachts zu Hause bleiben.“ —

Und der Schreiber führte mich hinaus, und im Vorbeigehen streifte ich
den Beamtenmantel an der Wand.

Der fiel langsam herunter und blieb mit den Ärmeln hängen.

Sein Schatten an der kalkweißen Mauer hob die Arme nach oben über den
Kopf, und ich sah, wie er unbeholfen die Stellung der ägyptischen
Statuette nachahmen wollte.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Siehst du, das war mein letztes Erlebnis vor drei Wochen. Ich aber
bin seitdem gelähmt: habe zwei verschiedene Gesichtshälften jetzt und
schleppe das linke Bein nach.

       —   —   —   —   —   —   —   —   —

Das schmale hektische Haus habe ich vergeblich gesucht, und auf dem
Kommissariat weiß niemand etwas von jener Nacht.



Tschitrakarna, das vornehme Kamel


„Bitt’ Sie, was ist das eigentlich: Bushido?“ fragte der Panther und
spielte Eichelaß aus.

„Bushido? hm,“ brummte der Löwe zerstreut, — „Bushido?“ —

„Na ja, Bushido,“ — ärgerlich fuhr der Fuchs mit einem Trumpf
dazwischen, — „was Bushido ist?“

Der Rabe nahm die Karten auf und mischte. „Bushido? Das ist der neueste
hysterische ‚Holler‘! Bushido, das ist so ein moderner ‚Pflanz‘, — eine
besondere Art, sich fein zu benehmen, — japanischen Ursprungs. Wissen
Sie, so was wie ein japanischer ‚Knigge‘. Man grinst freundlich, wenn
einem etwas Unangenehmes passiert. Zum Beispiel, wenn man mit einem
österreichischen Offizier an einem Tische sitzen muß, grinst man.
Man grinst, wenn man Bauchweh hat, man grinst, wenn der Tod kommt.
Selbst wenn man beleidigt wird, grinst man. Dann sogar besonders
liebenswürdig. — Man grinst überhaupt immerwährend.“

„Ästhetentum, mhm, weiß schon, — Oskar Wilde — ja, ja,“ sagte der Löwe,
setzte sich ängstlich auf seinen Schweif und schlug ein Kreuz, — „also
weiter.“

„Na ja, und der japanische Bushido wird jetzt sehr modern, seit sich
die slawische Hochflut im Rinnstein verlaufen hat. Da ist z. B.
Tschitrakarna — —“

„Wer ist Tschitrakarna?“

„Was, Sie haben noch nie von ihm gehört? Merkwürdig! Tschitrakarna, das
vornehme Kamel, das mit niemandem verkehrt, ist doch eine so bekannte
Figur! Sehen Sie, Tschitrakarna las eines Tages Oskar Wilde, und das
hat ihm den Verkehr mit seiner Familie so verleidet, daß es von da an
seine eigenen einsamen Wege ging. Eine Zeitlang hieß es, es wolle nach
Westen, nach Österreich, — dort seien nun aber schon so unglaublich
viele — —“

„Kscht, ruhig, — hören Sie denn nichts?“ flüsterte der Panther —. „Es
raschelt jemand —“

Alle duckten sich nieder und lagen bewegungslos wie die Steine.

Immer näher hörte man das Rascheln kommen und das Prasseln von
zerbrochenen Zweigen, und plötzlich fing der Schatten des Felsens,
in dem die vier kauerten, an zu wogen, sich zu krümmen und wie ins
Unendliche anzuschwellen — — —

Bekam dann einen Buckel, und schließlich wuchs ein langer Hals heraus
mit einem hakenförmigen Klumpen daran.

Auf diesen Augenblick hatten der Löwe, der Panther und der Fuchs
gelauert, um sich mit einem Satz auf den Felsen zu schnellen. Der Rabe
flatterte auf wie ein Stück schwarzes Papier, auf das ein Windstoß
trifft.

Der bucklige Schatten stammte von einem Kamel, das den Hügel von der
anderen Seite erklommen hatte und jetzt, beim Anblick der Raubtiere in
namenlosem Todesschreck zusammenzuckend, sein seidenes Taschentuch
fallen ließ.

Aber nur eine Sekunde machte es Miene zur Flucht, dann erinnerte
es sich: — +Bushido!!+ Blieb sofort steif stehen und grinste mit
verzerrtem käseweißem Gesicht.

„Tschitrakarna ist mein Name,“ sagte es dann mit bebender Stimme und
machte eine kurze englische Verbeugung, — „Harry S. Tschitrakarna!
— — Pardon, wenn ich vielleicht gestört habe!“ — — Dabei klappte es
ein Buch laut auf und zu, um das angstvolle Klopfen seines Herzens zu
übertönen.

Aha: Bushido! dachten die Raubtiere.

„Stören? Uns? Keineswegs. Ach, treten Sie doch näher“, sagte der Löwe
verbindlich (Bushido), „und bleiben Sie, bitte, solange es Ihnen
gefällt. — Übrigens wird keiner von uns Ihnen etwas tun, — Ehrenwort
darauf, — mein Ehrenwort.“

Jetzt hat +der+ auch schon Bushido, natürlich jetzt auf einmal, dachte
der Fuchs ärgerlich, grinste aber ebenfalls gewinnend.

Dann zog sich die ganze Gesellschaft hinter den Felsen zurück und
überbot sich in heiteren und liebenswürdigen Redensarten.

Das Kamel machte wirklich einen überwältigend vornehmen Eindruck.

Es trug den Schnurrbart mit den Spitzen nach abwärts, nach der neuesten
mongolischen Barttracht „Es ist mißlungen“ und ein Monokel — ohne Band
natürlich — im linken Auge.

Staunend ruhten die Blicke der vier auf den scharfen Bügelfalten seiner
Schienbeine und der sorgfältig zur Apponyikrawatte geschlungenen
Kehlmähne.

Sakerment, Sakerment, dachte sich der Panther und verbarg verlegen
seine Krallen, die schwarze, schmutzige Ränder hatten vom Kartenspiel.
— —

Leute von guten Sitten und feinem Takt verstehen einander gar
bald. Nach ganz kurzer Zeit schon herrschte das denkbar innigste
Einvernehmen, so daß man beschloß, für immer beisammen zu bleiben.

Von Furcht war bei dem vornehmen Kamel begreiflicherweise keine Rede
mehr, und jeden Morgen studierte es „~The Gentlemans Magazine~“
mit derselben Gelassenheit und Ruhe wie früher in den Tagen der
Zurückgezogenheit.

Zuweilen wohl des Nachts — hie und da — fuhr es aus dem Schlafe mit
einem Angstschrei auf, entschuldigte sich aber stets lächelnd mit dem
Hinweis auf die nervösen Folgen eines bewegten Vorlebens. — —

Immer sind es einige wenige Auserwählte, die ihrer Umgebung und ihrer
Zeit den Stempel aufdrücken. Als ob ihre Triebe und ihr Fühlen wie
Ströme geheimnisvoller lautloser Überredungskunst sich von Herz zu Herz
ergössen, schießen heute Gedanken und Ansichten auf, die gestern noch
mit kindlicher Angst das zagende, sündenreine Gemüt erfüllt hätten und
die vielleicht schon morgen das Recht der Selbstverständlichkeit werden
erworben haben.

So spiegelte sich schon nach wenigen Monaten der erlesene Geschmack des
vornehmen Kamels überall wider.

Nirgends mehr sah man plebejische Hast.

Mit dem stetigen gelassenen, diskret schwingenden Schritte des Dandy
promenierte der Löwe — weder rechts noch links blickend, und zum selben
Zwecke wie weiland die vornehmen Römerinnen trank der Fuchs täglich
Terpentin und hielt streng darauf, daß auch in seiner gesamten Familie
ein gleiches geschah.

Stundenlang polierte der Panther seine Krallen mit Onglissa, bis sie
rosenfarbig in der Sonne glänzten, und ungemein individuell wirkte es,
wenn die Würfelnattern stolz betonten, sie seien gar nicht von Gott
erschaffen worden, sondern, wie sich jetzt herausstelle, von Kolo Moser
und der „Wiener Werkstätte“ entworfen.

Kurz, überall sproßte Kultur auf und Stil, und bis in die
konservativsten Kreise drang modernes Fühlen.

Ja, eines Tages machte die Nachricht die Runde, sogar das Nilpferd sei
aus seinem Phlegma erwacht, frisiere sich rastlos die Haare in die
Stirne (sogenannte Giselafransen) — und bilde sich ein, es sei der
Schauspieler Sonnenthal. — —

Da kam der tropische Winter.

Krschsch, Krschsch, Prschsch, Prschsch, Krschsch, Prschsch.

So ungefähr regnet es zu dieser Jahreszeit in den Tropen. Nur viel
länger.

Eigentlich immerwährend und ohne Unterlaß von Abend bis früh, von früh
bis Abend.

Dabei steht die Sonne am Himmel mies und trübfarbig wie ein Lebkuchen.

Kurz, es ist zum Wahnsinnigwerden.

Natürlich wird man da gräßlich schlecht aufgelegt. Gar wenn man ein
Raubtier ist.

Statt sich nun eben jetzt eines möglichst gewinnenden Benehmens
zu befleißigen — schon aus Vorsicht —, schlug ganz im Gegenteil
das vornehme Kamel des öfteren einen ironisch überlegenen Ton an,
besonders, wenn es sich um wichtige Modefragen, Schick und dergleichen
handelte, was naturgemäß Verstimmung und ~mauvais sang~ erzeugen mußte.

So war eines Abends der Rabe in Frack und schwarzer Krawatte gekommen,
was dem Kamel sofort Anlaß zu einem hochmütigen Ausfall bot.

„Schwarze Krawatte zum Frack darf man — man sei denn ein Sachse —
bekanntermaßen nur bei einer einzigen Gelegenheit tragen“ — hatte
Tschitrakarna fallen lassen und dabei süffisant gegrinst.

Eine längere Pause entstand, — der Panther summte verlegen ein
Liedchen, und niemand wollte zuerst das Schweigen brechen, bis sich
der Rabe doch nicht enthalten konnte, mit gepreßter Stimme zu fragen,
welche Gelegenheit das denn sei. „Nur, wenn man sich begraben läßt“,
hatte die spöttische Erklärung gelautet, die ein herzliches, den Raben
aber nur noch mehr verletzendes Gelächter auslöste.

Alle hastigen Einwendungen wie: Trauer, enger Freundeskreis, intime
Veranstaltung usw. usw. machten die Sache natürlich nur noch schlimmer.

Aber nicht genug damit, ein anderes Mal — die Sache war längst
vergessen — als der Rabe mit einer weißen Krawatte, jedoch im Smoking,
erschienen war, brannte das Kamel in seiner Spottlust förmlich nur
darauf, die verfängliche Bemerkung anzubringen:

„Smoking? Mit +weißer+ Krawatte? Hm! wird doch nur während +einer+
Beschäftigung getragen.“

„Und die wäre?“ war es dem Raben voreilig herausgefahren.

Tschitrakarna hüstelte impertinent: „Wenn Sie jemanden rasieren wollen.“

Das ging dem Raben durch und durch.

In diesem Augenblick schwur er dem vornehmen Kamel Rache bis in den
Tod. — —

Schon nach wenigen Wochen fing infolge der Jahreszeit die Beute für die
vier Fleischfresser an immer knapper und spärlicher zu werden, und kaum
wußte man, woher auch nur das Allernötigste nehmen.

Tschitrakarna genierte das natürlich nicht im geringsten; stets bester
Laune, gesättigt von prächtigen Disteln und Kräutern, lustwandelte es,
wenn die andern mit aufgespannten Regenschirmen fröstelnd und hungrig
vor dem Felsen saßen, in seinem raschelnden wasserdichten Macintosh —
leise eine fröhliche Melodie pfeifend — in allernächster Nähe.

Man kann sich den steigenden Unwillen der vier leicht vorstellen. Und
das ging Tag für Tag so! Mitansehen müssen, wie ein anderer schwelgt,
und selbst dabei verhungern!!!

„Nein, hol’s der Teufel,“ hetzte eines Abends der Rabe (das vornehme
Kamel war gerade in einer Premiere), „hauen wir doch dieses idiotische
Gigerl in die Pfanne. Tschitrakarna!! Hat man denn was von dem
Binsenfresser? — Bushido! — natürlich Bushido! — ausgerechnet jetzt im
Winter; so ein Irrsinn. Und unsern Löwen — — bitte, sehen Sie doch nur,
wie er von weitem aussieht jetzt, — wie ein Gespenst — unsern Löwen,
den sollen wir glatt verhungern lassen? Hm? Das ist vielleicht auch
Bushido, ja?“

Der Panther und der Fuchs gaben dem Raben rückhaltlos recht. — — —

Aufmerksam hörte der Löwe die drei an, und das Wasser lief ihm zu
beiden Seiten aus dem Maul, während sie ihm Vorstellungen machten.
„Töten? — Tschitrakarna?“ — sagte er dann. „Nicht zu machen, gänzlich
ausgeschlossen; Pardon, ich habe doch mein Ehrenwort gegeben!“ Und
erregt ging er auf und nieder.

Aber der Rabe ließ nicht locker: „Auch nicht, wenn es sich von selbst
anbieten würde?“

„Das wäre natürlich was anderes“, meinte der Löwe. „Wozu aber all diese
dummen Luftschlösser!“

Der Rabe warf dem Panther einen heimtückischen Blick des
Einverständnisses zu.

In diesem Augenblick kam das vornehme Kamel nach Hause, hängte
Opernglas und Stock an einen Ast und wollte eben einige verbindliche
Worte sagen, da flatterte der Rabe vor und sprach: „Weshalb sollen
+alle+ darben: — besser drei satt als vier hungrig. Lange habe ich —“

„Verzeihen Sie recht sehr, ich muß aber hier allen Ernstes — schon als
Älterer — auf dem Rechte des Vortritts bestehen.“ Damit schob ihn der
Panther — nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Fuchs — höflich aber
bestimmt zur Seite mit den Worten:

„Mich, meine Herrschaften, zur Stillung des allgemeinen Hungers
anzubieten, ist mir nicht nur Bushido, ja sogar Herzenswunsch; ich äh
— — ich äh — —“

„Lieber, lieber Freund, wo denken Sie hin,“ unterbrachen ihn alle, auch
der Löwe (Panther sind bekanntlich ungemein schwierig zu schlachten),
„Sie glauben doch nicht im Ernst, wir würden — — — Ha, ha, ha.“

Verdammte Geschichte, dachte sich das vornehme Kamel, und eine böse
Ahnung stieg in ihm auf. Ekelhafte Situation; — — aber Bushido, —
übrigens — — ach was, einmal ist’s ja schon geglückt, also Bushido!!

Mit lässiger Gebärde ließ es das Monokel fallen und trat vor. „Meine
Herren, äh, ein alter Satz sagt: ~Dulce et decorum est pro patria
mori!~ Wenn ich mir also gestatten darf — — —“

Es kam nicht zu Ende.

Ein Gewirr von Ausrufen ertönte: „Natürlich, Verehrtester, dürfen Sie“,
hörte man den Panther höhnen.

„~Pro patria mori~, juchhu, — dummes Luder, werde dir geben Smoking und
weiße Krawatte“, gellte der Rabe dazwischen.

Dann ein furchtbarer Schlag, das Brechen von Knochen, und Harry S.
Tschitrakarna war nicht mehr.

                                   *

Tja, Bushido ist eben nicht für Kamele.



 ~TIER-
 GESCHICHTEN~


~MAX GEISSLER~


Kikimora, die Waldeule

Aus dem Teufelsmoor bei Bremen kommt die Waldeule Kikimora auf ein
nach Indien fahrendes Segelschiff. Wie sie dann entflieht, zum Libanon
flattert, bis sie nach der deutschen Heimat, in den sächsischen Wald
zurückkehrt das ist der Inhalt dieses reizvollen Tierromans. Er hat die
dichterische Note Geißlers, die man kennt, sein lebendiges Naturgefühl
und einen weisen Humor, der die Vorgänge im Tierrevier für Menschen
vermenschlicht.

In Halbleinen geb. M. 3.50


Die grüne Stadt

Mit unendlicher Andacht zum Kleinen gibt Geißler hier den Roman des vom
Konzert vieler tausend Stimmen durchklungenen mitteldeutschen Waldes.

In Halbleinen geb. M. 3.50


  ~VERLAG ULLSTEIN
  BERLIN~



 ~TIER-
 GESCHICHTEN~


~MAX GEISSLER~

Schmetterlingstanz

Voller Lebensfreudigkeit ist dieses Buch und doch auch voller Ernst,
wenn die Gesetze der Natur zur Geltung kommen.

In Halbleinen geb. M. 4.—


~FELIX SALTEN~

Bambi

Von einem jungen Reh handelt die episch einfache Erzählung.
Überraschend ist die Intimität von Saltens Eindringen in die geheimsten
Vorgänge des Waldreviers.

In Halbleinen geb. M. 4.—


~A. BERGER~

Exotische Tiergeschichten

Mit vielen Zeichnungen von M. Pathe

Alles ist so fabelhaft echt gesehen, so scharf belauscht, daß diese
Bilder wie die große Natur selbst wirken.

In Halbleinen geb. M. 4.50


  ~VERLAG ULLSTEIN
  BERLIN~



In Kürze erscheint:

~GUSTAV MEYRINK~


Des deutschen Spießers Wunderhorn

Gesammelte Erzählungen

Geheftet 6 Mark, in Leinen gebunden 8.50 Mark

Diese Gesamtausgabe von Gustav Meyrinks Novellen enthält außer einigen
neuen Arbeiten die Novellen der früher erschienenen Bücher

                                   *


Wachsfigurenkabinett

Sonderbare Geschichten

Buchschmuck und Umschlag von André Lambert

Geheftet 4 Mark, gebunden 6 Mark


Orchideen

Sonderbare Geschichten

Umschlag und Buchschmuck von Ign. Taschner

Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark


Der heiße Soldat

und andere Geschichten

Künstlerisch gebunden 1 Mark


Jörn Uhl und Hilligenlei

Zwei Parodien

Umschlag von O. Gulbransson, Buchschmuck von André Lambert — Geheftet
—.50 Mark

Diese Einzelausgaben bleiben auch weiterhin bestehen


  ~ALBERT LANGEN, VERLAG
  MÜNCHEN~


Gedruckt im Ullsteinhaus, Berlin



*** End of this LibraryBlog Digital Book "Die heimtückischen Champignons: und andere Geschichten" ***


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