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Title: Abendfalter : Geschichten der Sehnsucht Author: Busse-Palma, Georg Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Abendfalter : Geschichten der Sehnsucht" *** Anmerkungen zur Transkription Im Original gesperrter oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Abendfalter [Illustration] Geschichten der Sehnsucht von Georg Busse-Palma [Illustration] Leipzig 1902 Hermann Seemann Nachfolger Alle Rechte vom Verleger vorbehalten. Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig. Sr. Durchlaucht dem Prinzen Emil von Schönaich-Carolath in herzlicher und dankbarer Verehrung gewidmet. Von demselben Verfasser ist ferner im Verlag von _Hermann Seemann Nachfolger_ in _Leipzig_ erschienen: =Mord.= _Geschichten, die mein Dolch erzählt._ Br. M. 2.50, geb. M. 3.50. Inhalt Seite Abendfalter 1 Ein Kind der See 27 Der alte Steffen 45 Amtsrichter Johnsons Höhepunkte 61 In der Anstalt 85 Im Pfarrhaus 107 Abendfalter. [Illustration] An jedem Samstag Nachmittag hatte Brigitte Winterfeld nichts Besseres zu thun, als mit den Kindern des Pfarrers auf der grossen Wiese herumzutollen. Es waren dies zwei Mädchen von elf und dreizehn Jahren, bei denen es lange währte, ehe sie ermüdet, aber jauchzend vor Vergnügen, sich in die Butterblumen warfen, die ebenso goldgelb waren wie der Sommersonnenschein über ihnen. Brigitte liess aber, ihrer eigenen Trägheit zum Trotz, nicht eher nach, und wenn sie es erreicht hatte, dann war auch die ruhende Gruppe, die braunen Kinder zu Seiten ihrer grossen, schönen Spielgefährtin, ein Bild, das allen Augen gefiel. Der pensionierte Oberförster Winterfeld besass, einen Büchsenschuss vom Dorfe entfernt, ein Landhaus, weilte aber jeden Sonnabend bis Mitternacht in der Stadt, wo ihn gute Freunde und ein guter Trunk nicht eher losliessen. So war es schon seit Jahren Sitte, dass seine Tochter die einsamen Stunden beim Pfarrer und dessen Kindern verbrachte. Sie war auch selber noch harmlos genug, um an dem lustigen Spiel der Kleinen ihre eigene lichte Freude zu haben. Nur einer störte sie mitunter in ihrer Fröhlichkeit. Wenn der Gutsverwalter, ein stiernackiger Schwarzkopf von ungefähr dreissig Jahren, auf dem schmalen Richtweg bis an ihren Wiesenplatz herangeritten kam und ihnen zusah, vermochte sie weder ruhig im Grase liegen zu bleiben, noch mit den Kindern um die Wette zu laufen. Seine Augen ruhten mit einem so seltsamen Ausdruck auf ihr, dass sie immer das Gefühl hatte, als ob an ihrer Kleidung etwas nicht in Ordnung wäre. Sie folgten jeder ihrer Bewegungen, die durch das dünne, schmiegsame Hängekleid allzusehr hervortraten, und liessen nicht eher ab, als bis ihr Zorn und Scham die Schläfen dunkelrot gefärbt hatten. Dann ritt er pfeifend zurück, und frei und fröhlich konnte sie wieder aufatmen. Es gab noch einen anderen, bei dessen Nahen sich ihre jungenhafte Ungezwungenheit verlor. Das war Otto Ehlers, der Sohn des Lehrers, der ihr Freund war von Kindesbeinen an. Wenn sie diesen sah, blieb sie auch nicht ruhig liegen, aber nur, weil sie ihm gefallen wollte und weil sie nicht wusste, dass sie am schönsten war, wenn ihre vollen Glieder sich so weich und wohlig in der Sonne dehnten. – Brigitte Winterfeld war kein Kind mehr. Sie stand erst im siebzehnten Lebensjahre, aber ihre Formen waren weit über ihr Alter hinaus gereift. Wenn sie aufrecht dastand, konnte man sie für eine junge Frau halten. Nur an den schweren Zöpfen, die ihr blauschwarz bis über die Hüften fielen, und auch an den immer etwas sehnsüchtigen, fragenden Augen erkannte man auch äusserlich ihre unberührte Jugend. – Es war im Spätsommer, und der Abend hing schon am Horizont, als Otto Ehlers zum letzten Mal vor seiner Abreise auf ihren Spielplatz kam. Die Kinder sprangen ihm entgegen und hingen sich an seine Arme. »Warum kommst du so spät heut, Onkel Otto?« – »Es ging nicht eher, ihr Racker. Ich musste doch allen Adieu sagen,« sagte er halb lachend und halb wehmütig. Dann begrüsste er Brigitte. »Sie wissen ja schon, Briggi, dass ich morgen abreise?« »Ja,« nickte sie. »Es thut mir sehr leid.« »Ich freue mich, dass ich das Amt habe. Aber es ist doch schwer, alles hier zurückzulassen. Oft werde ich nicht herüber kommen können, und manches werde ich arg vermissen. Sie auch, Briggi!« Eine Weile standen sie sich stumm gegenüber. Da trat die Frau Pastor auf den Pfarrhof und rief, die gehöhlten Hände als Sprachrohr benutzend, zum Essen. – Otto Ehlers biss sich auf die Lippen. »Bleiben Sie nach Tisch noch lange hier?« fragte er dann. »Nein, Otto. Ich gehe gleich fort.« »Dann komm ich noch einmal zu Ihnen heran. Von Ihrem Vater habe ich mich ja schon verabschiedet, von Ihnen könnte ich das jetzt auch endgültig thun, aber ich möchte doch noch einmal das ganze Haus sehen. Es hängen doch viel Erinnerungen daran. Schon aus der Pennälerzeit her und dann erst später, als Sie immer grösser und schöner wurden ...« Brigitte Winterfeld wurde rot. »Für mich auch,« sagte sie hastig. Dann schämte sie sich. Es fiel ihr ein, dass bei ihr, die das Haus bewohnte, die Erinnerungen doch nur natürlich wären. Aber er hatte sie wohl verstanden. – Die Kinder an den Händen fassend, ging sie dem Pfarrhaus zu. Otto Ehlers sah ihr nach. Mit der Rechten strich er sich mechanisch den kurzen, blonden Vollbart, und in seinen Augen wechselte in jäher Folge ein glückliches Leuchten mit tiefer Traurigkeit. – – – – * * * * * Es war schon Abend, als sie nach Hause kam, und tiefe Dämmerung füllte das ganze Zimmer. Halbverdeckt von Wolken, die immer dunkler wurden, je weiter sie sich von ihm entfernten, stand der Mond am Himmel und sah durch das Fenster. Brigitte Winterfeld rollte sich einen Sessel an die Scheiben und setzte sich. Die Sträucher in dem kleinen Vorgarten schwankten dunkel und traumhaft auf und nieder. Es mochte wohl ein Wind aufgestanden sein. Farben waren nicht mehr zu erkennen. Nur einige Rosen, die im Mondlicht standen, nickten mit gelben Köpfen zu ihr herüber. Und weiter, über den Pfad hinaus, den er kommen musste, reckte sich schwarz und drohend der Fichtenwald. Zwischen den Stämmen aber, von dem dunklen, verschwommenen Grunde, hoben sich hier und da schmale, lichte Wege ab wie mit Goldkies bestreute Gnomenstrassen. Eine jagende Eule schrie einmal von dort herüber, dann verschlang die Ferne auch diese Rufe, und die Stille wurde noch fühlbarer. Im Halbschlaf schloss Brigitte die Augen, und die Gedanken, die sie schon seit Tagen schmerzten, kamen alle auf einmal wieder. »Morgen früh geht er fort. Wenn er wiederkommt, werde ich ihm nichts mehr sein. In der grossen Stadt sind so viele Mädchen, die hübscher und klüger sind als ich.« – Das klang in immer neuen Variationen immer wieder und wieder in ihrem Herzen. Dann schrak sie auf. Es war ihr, als ob die Thür gegangen wäre. Und da hörte sie auch schon seine Stimme. »Schlafen Sie denn wirklich, Briggi?« – Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. In derselben Sekunde war sie aber schon gänzlich munter. »Ich war ein bischen müde von dem vielen Herumlaufen. Aber kommen Sie doch herein, Otto!« – Jetzt bemerkte sie erst, dass noch kein Licht brannte. Sie zündete die schwere Majolikalampe an und stellte sie auf den kleinen Tisch, an dem sie vorhin im Dunkeln gesessen hatte. »Es thut mir leid, dass ich Sie um ein Schlummerstündchen gebracht habe, Briggi! Es ist aber wohl doch gut, denn sonst wäre die Nacht um ihre Rechte gekommen.« – Sie lächelte fröhlich. »Was Sie wohl meinen! Ich bin kein Murmeltier, aber ich kann doch sechzehn Stunden hintereinander schlafen. Übrigens war das kein Schlaf. Ich hab an manches Liebe und an manches Böse gedacht. Auch an Sie und Ihre Abreise.« – »Und zu welcher Kategorie haben Sie mich gezählt?« »Ihre Abreise zum Bösen, Otto. Aber soll ich Ihnen, statt dass Sie so neugierig fragen, nicht lieber etwas von Papas Krätzer bringen? Sie wissen, viel wert ist er nicht.« – »Ich danke, Briggi, ich mag nicht trinken.« – Dann aber schien er es sich zu überlegen. »Wein möchte ich nicht,« sagte er zögernd, »aber wenn ich eine Tasse Thee bekommen könnte ...« Brigitte wunderte sich. Sie hatte noch nie gehört, dass Otto Ehlers im Sommer Thee trank. Sie ging aber in die Küche, um welchen zu bereiten. Als sie mit einem kleinen Kännchen zurückkehrte, hatte er den Kopf in die Hand gestützt und sah sie lächelnd an. »Wissen Sie auch, warum ich um Thee bat?« – Sie schüttelte den Kopf. »Es fiel mir grad’ ein, wie meine Eltern immer beisammen sitzen. Bei der Lampe ist es so gemütlich, wenn es draussen ganz dunkel ist und die Theetasse auf dem Tisch steht. Man kommt dann gar nicht darauf, dass es anders sein könnte. Die beiden haben sich immer noch lieb trotz ihrer fünfzig Jahre, und da dacht’ ich, wie das erst sein muss, wenn ich _Ihnen_ so gegenüber sitz’ ...« Brigitte war rot geworden. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Ein seltsames Gefühl, halb Jubel und halb Angst, stieg in ihr auf. Da pochte es stossweise, dumpf und leise, mehrmals an das Fenster. Es waren drei Abendfalter mit grossen, dicken Köpfen, die, durch das Licht verlockt, hineinwollten. Ihre weichen Körper drängten sich dicht an das glatte Glas und die runden, rotglühenden Augen hingen gebannt an der leuchtenden Glocke. Sie kamen Brigitte wie eine Erlösung. Hastig griff sie nach einer Serviette und schlug damit gegen das Fenster, um sie zu vertreiben. »Die hässlichen Tiere,« sagte sie. Aber da legte Otto Ehlers ihr seine Hand auf den Arm. »Warum jagen Sie die Falter fort? Es sind keine hässlichen Tiere. Es sind Nachtschwärmer, Kinder des Dunkels, die auch einmal zum Lichte wollen.« – Gehorsam liess sie das Tuch sinken. »Vielleicht sind es Ihre Anbeter gar, Briggi! Ich glaube wirklich,« fuhr er dann fort, mit weicher, bewegter Stimme, »ich glaube wirklich, dass jeder Falter eine Sehnsucht ist. Wer Sie einmal gesehen hat, muss doch wieder zu Ihnen zurück. Näher können sie nicht, da wollen sie wenigstens durch die Scheiben spähn. Und ich weiss, wenn ich von hier fort bin, wird meine Sehnsucht auch unter den Faltern sein.« – Brigitte schlug ihre feuchten Augen voll zu ihm auf. »Dann werde ich nie wieder einen forttreiben, Otto! Nie wieder!« – Über den Tisch hin fasste er ihre Hände. »Auch dann nicht, Briggi, wenn es lange dauert, eh’ aus der armen Hilfskraft ein königlich preussischer Gymnasiallehrer mit einem eigenen Theetisch wird? Auch dann nicht?« – Ihre Verlegenheit war jetzt ganz vorüber. »Auch dann nicht, Otto,« sagte sie ruhig. »Ich bin noch jung.« Da zog er sie an sich und küsste sie. Als er eine Stunde später das Haus verliess, rief sie ihm noch über den Garten hinaus nach: »Ich werde nie wieder einen vertreiben! Nie wieder!« – Und Otto Ehlers, der die schwarzen Kiefern entlang im Dunkeln dem Lehrerhaus zuging, hörte darin ein Gelöbnis der Treue, das besser und schöner war als jeder Schwur. Dann stieg auch sie die Treppe zu ihrer Schlafkammer in die Höhe. Während sie sich auskleidete, flogen wieder einige Nachtschwärmer an das erleuchtete Fenster. Da zog sie zum ersten Male die weissen Vorhänge zu. »Seine Sehnsucht sieht durch die Scheiben«, dachte sie. – – – – * * * * * Nachdem Otto Ehlers fort war, wurde der Verwalter ein häufiger Gast in der Villa Waldfried. Erst kam er immer nur in Begleitung des alten Lehrers zu den Abendstunden, und der Oberförster, der ein eifriger Skatspieler war, freute sich über den dritten Mann. Dann kam er auch allein, und auch des Tages, und Brigitte Winterfeld ging ihm nicht mehr aus dem Wege. Sie gewöhnte sich allmählich an ihn und auch an seine Augen, trotzdem die nicht zarter wurden. Seitdem sie mit ihrem Jugendfreund so gut wie verlobt war, fühlte sie sich zu sicher, wenn ihr auch das Blut von Monat zu Monat heisser und schwerer durch die Adern rollte. So sahen sie sich beinahe jeden Tag. Und mehr und mehr musste sich das Mädchen gestehen, dass ihm doch nicht jede Schönheit fehlte. Es war kein einziger feinerer Zug in seinem Gesicht, aber es war massig, braun und kräftig, wie aus alter Eiche geschnitten, und der kleine Schnurrbart über den dicken, vollen Lippen stand ihm gut. Seine Zähne waren blank und breit wie die eines Raubtiers, und alle Dorfmädchen sahen ihm begehrlich nach, wenn er, die Hände lässig auf den prallen Schenkeln, über die Felder ritt. So war Sommer, Herbst und Winter vergangen. Und der neue Sommer brachte ein freudiges Ereignis in das Pfarrhaus. Zum dritten Mal war der Storch dort eingekehrt, und da es ein Bube war, liess der Pfarrer, der ein lebensfreudiger Herr war, etwas draufgehen am Tauftage. Auch der alte Oberförster und Brigitte waren unter den Gästen. Erst hatte sie in der Küche mitgeholfen, dann musste sie auch zu Tisch und bekam ihren Platz neben dem Gutsverwalter. Es wurden schwere Getränke aufgetragen, und immer von neuem wurde Brigittes Glas durch ihren Tischherrn gefüllt. »Es wäre doch schade, wenn das schönste Mädchen im Kreis bei solcher Fülle verdursten sollte,« sagte er leise. »Und dass Sie die Schönste sind, wissen Sie wohl selber!« – Dabei sah er sie mit seinen brennenden Blicken an, dass es ihr heiss und kalt über den Rücken lief. Sie war den Wein nicht gewohnt. Ihr schon von Natur aus heisses und leidenschaftliches Blut erregte sich mehr und mehr, und plötzlich gingen ihre Gedanken auf Wegen, die sie früher nie beschritten hatten. Ihr ganzes Gesicht glühte. Sie lehnte sich hintüber und liess die Wimpern halb herniedergleiten. Sie fühlte seine Augen, die wie heisse Hände über ihren Körper strichen. Aber sie rührte sich nicht. – Dann kam es ihr doch zum Bewusstsein, dass sie schon zuviel getrunken hatte. Sie wollte ihren Vater nicht stören. So stand sie unter einem Vorwande auf und ging allein nach Hause. Sie zündete die Lampe an und liess sich an ihrem gewohnten Fensterplatz nieder. In denselben Sessel, in dem sie auch gesessen hatte, als Otto Ehlers Abschied nahm. Sie öffnete die enge Taille und atmete tief auf. Dann überfiel sie eine weiche, schlaffe, gedankenlose Müdigkeit. Die Stille that ihr wohl, und bald schlief sie ein. Mit einem Male fuhr sie jäh in die Höhe. Kräftige Männerarme hatten sich um ihren Leib geschlungen, und zwei glühende, fiebernde Lippen pressten sich in tollem Kuss immer wieder und wieder auf ihre Augen und auf ihren Mund. Es war der Verwalter des Gutes, der ihr heimlich nachgegangen war. Vergebens suchte sie sich von ihm zu befreien. Beide Hände stemmte sie gegen seine Brust. Aber es gelang ihr nicht. Und immer wieder kam dieser heisse Schauer, diese tollen, brennenden Küsse, die sein heisses Blut dem ihren entgegendrängten, und denen sie nicht lange widerstehen konnte. Alle Kraft wich von ihr. Schlaff, halb bewusstlos, lag sie in seinen Armen. Nur die Pulse schlugen ihr immer heisser und immer schneller. Als er sie endlich losliess, hatte sie nur ein Verlangen: nach Luft, nach Kühlung. Sie riss das Fenster auf, dass die Scheiben klirrten. – Die Abendluft strömte herein. Und mit der kühlen, klaren Luft kam ein grosser, dunkler Falter in das Zimmer geflogen. Ein Kind der Nacht, das lichtverführt sich schon lange an die Gläser gedrängt hatte. Lautlos, mit schwerer Flugbewegung, kreiste er um Brigitte Winterfelds heisse, glühende Stirne. Dann wandte er sich dem Lichte zu. Brigitte Winterfeld wurde totenbleich. Mit weitaufgerissenen, entsetzten Augen starrte sie ihm nach. Nach einer Minute stiess sie einen dumpfen Wehlaut aus. Ihr Kopf schlug schwer auf die eichene Tischplatte, auf der mit verkohlten Flügeln, den weichen Leib verbrannt, zuckend vor Schmerz, der Falter lag. – Ein Kind der See. [Illustration] Er war ein Antwerpener. Sein Vater, dessen Glieder die Gicht gekrümmt hatte, verzehrte sich vor Sehnsucht nach dem offenen Meer, das er Jahrzehnte lang befahren hatte. Als kleiner Hafenbeamter wohnte er dicht am Wasser, und über die Wiege seines Kindes flogen die herben, salzigen Seewinde. In die Schlummerliedchen, die ihm die Mutter sang, schrillten die Dampfpfeifen, und wenn er des Nachts sein heisses Köpfchen aus den Kissen hob und durch das Fenster sah, glotzten ihn aus der Ferne böse, rotglühende Augen an. Er fürchtete sich aber nicht lange vor ihnen, denn ehe er noch sprechen konnte, wusste er schon, dass sie kein Spuk, sondern nur die Laternen mächtiger, dunkler Schiffskolosse waren, die sich schwerfällig durch den Kanal dem geräumigen Hafen zu bewegten. Kaum, dass er die Kinderschuhe ausgetreten hatte, ging auch er zur See. Als Leichtmatrose fuhr er auf einem Kauffahrteischiff. Da kam es, dass sein Grossvater mütterlicherseits, der tief im Binnenlande wohnte, um eine Mitternacht den Tod an die Thüre seines Gehöftes pochen hörte. Auch die Klinke hatte geknirscht, aber der hagere Schnitter war noch einmal vorübergegangen. Nur gemahnt hatte er den Alten. Am Tage darauf ging dieser zu dem Geistlichen des Ortes und liess sich einen Brief schreiben an seine Tochter, die Mutter von Henrik Jansen junior. Einen Brief des Inhalts, dass sein Enkel zu ihm kommen solle, damit, wenn der Schnitter wiederkäme, einer da wäre, der die gemähte Garbe in die Scheuer bringe und ihm ein Erbe, dem Gehöft aber ein neuer Herr sei. Jansen jun. stiess anfänglich nur ein unartikuliertes Grunzen aus, als seine Mutter ihm davon Mitteilung machte. Da er gerade nicht geheuert war, reckte er seine mächtigen jungen Glieder auf der Ofenbank und faulenzte. Er dachte aber immer daran, dass er bald wieder fahren würde, und es wollte ihm durchaus nicht in den blonden Schädel, dass er überhaupt von der See weggehen und als Binnenländer leben könnte. Zwischen Leuten, die noch nie einen schwimmenden Balken unter den Füssen gehabt! Lächerlich war dies einfach. Und am Schluss dieser Gedankenkette spie er verächtlich ein Stück Kautabak in weitem Bogen durch das geöffnete Fenster. Seine Mutter, die früh verhärmt und früh gealtert aussah, liess aber nicht nach. Für sie, die tief im Lande Geborene, waren Meer und Schiffahrt immer nur unersättliche Mörder gewesen. Zwei Brüder ihres Mannes hatten sie auf dem Gewissen. Der eine war ertrunken, der andere hatte sich das gelbe Fieber geholt und war in der Fremde verscharrt worden. Sie fürchtete für ihren Sohn und wurde nicht müde, auf ihn einzureden. Es dauerte aber lange, bis sie seine schwerfälligen Gedanken auf den Punkt gebracht hatte, von dem aus gesehen das Binnenland lieblich war. Als er jedoch einmal sich selber sagte, dass es prächtig sein müsse, auf eigenem Grund und Boden zu stehen, wo er keinem Kapitän und keinem Steuermann zu parieren brauchte – da hatte sie gewonnenes Spiel. Jansen jun. erhob sich von der Ofenbank, trank einen Genever und siedelte dann zu seinem Grossvater über. Das Dorf, in welchem dieser wohnte, war fett und nahrhaft und seine eigene Wirtschaft desgleichen. Als der Alte seinen Enkel bei sich hatte, neigte er das Haupt, so tief wie eine Ähre im Juli. Bald knirschte die Klinke zum zweiten Male, und diesmal ging der Fremde nicht vorüber; im Gegenteil gab er dem Landwirt gewordenen Matrosen Gelegenheit, ein würdiges Leichenbegängnis zu veranstalten und sich als Herrn eines gesegneten Ackers, eines stattlichen Gebäudes und mehrerer Joch Ochsen zu fühlen. Ein alter, erfahrener Knecht war da, so dass es an der kundigen Hand nicht fehlte und Jansen jun. Zeit hatte, die Schönheit des Binnenlandes kennen zu lernen. Anfänglich erregte alles seine Bewunderung und Freude. Die wogenden, goldgelben Ähren, die ihm fast bis an die Schulter reichten, die fruchtstrotzenden Obstbäume und nicht zum mindesten der sagenumwobene Klapperstorch, der sich hier auf der sumpfigen Wiese behaglich Frösche fing, – es waren ihm entweder ganz fremde Erscheinungen, oder doch nur wie flüchtige Traumbilder, irgendwo in der Vergangenheit gesehene. So verging ihm der Sommer schnell und fröhlich. Solange ihm alles neu und fremd war, gefiel ihm das Dorf, den Herbst hindurch und auch den Winter über. Wenn es ganz grimmig kalt war und er in dem mollig erwärmten Zimmer sass, schmunzelte er sogar mitunter bei dem Gedanken, dass er das Jahr vorher um diese Zeit an der englischen Küste getrieben hatte, wo es so kalt war, dass die Haut der arbeitenden Hände in Fetzen an den gefrorenen Tauen kleben blieb. Ach, da war es hier am Kamin doch behaglicher! Und er stopfte sich eine neue Pfeife, trank einen neuen Genever und war zufrieden. Als es aber Frühling wurde, ging er umher wie ein Verlorener. Es drückte ihn etwas. Wie ein Stein lag es auf seiner Brust. Manchmal war es ihm, als ob er an dem fetten, kräftigen Erdgeruch ersticken müsste. Die ganze Luft war durchtränkt von ihm und selbst der Wind war fett und erdig. Er klagte dem Geistlichen sein Leid. Der behäbige Herr hob nachdenklich seine linke Hängebacke ein wenig in die Höhe und gab ihm dann einen Rat. – »Wissen Sie, Jansen,« sagte er ihm, »Sie müssen heiraten! Sie haben hier weder Freunde noch Verwandte, und das drückt. Die Einsamkeit schadet Ihnen. Denn sonst,« er schnüffelte dabei behaglich umher, »muss ich sagen, dass die Luft hier sehr angenehm ist. Durchaus angenehm!« – Jansen beugte sich der geistlichen Autorität. Unter den breiten Hauben des Dorfes war eine, deren Trägerin ihm besonders gefallen hatte. Zu der ging er, und sie sagte nicht nein. Im Herbst sollte es Hochzeit geben. Den dumpfen Druck wurde er dadurch aber nicht los. Die wilde, prächtige Romantik des Seelebens wurde in seinem einfältigen Herzen übermächtig, seitdem das Rauschen der Wellen und der Schrei der Möwen nicht mehr an sein Ohr schlugen. In der Nacht, wenn ein toller, übermütiger Wind die alten Fichten in dem nahen Gehölz bog, dass sie ächzten und stöhnten, richtete er sich oft im Bette auf, und es schien ihm, als müssten es Maste sein. Als ob er wieder wie einst an der See lebte, schlürfte er mit durstigen Atemzügen dann die Luft ein. Aber vergebens suchte er den herben, prickelnden Geschmack. Die fette Erde spürte er nur, und seine Lungen schlossen sich wieder, soweit es nur möglich war. Auch am Tage brütete er oft stundenlang vor sich hin. Seine beste Freundin dabei war die Geneverflasche. Unaufhörlich schenkte er sich daraus ein. Beim zehnten oder zwölften Glas biss es ihm dann in der Nase, als ob ein Seewind hineingeblasen hätte, und seine Träume wurden immer lebhafter, bis er mit schwerer Faust auf den Tisch schlug und in die Kammer ging, seinen Rausch und seine Sehnsucht miteinander zu verschlafen. Sein Hochzeitstag war trübe und stürmisch. Ein kräftiger Wind sprang ihm in den Nacken, als er in die Kirche ging, und als er mit seiner jungen Frau Hand in Hand wieder hinaustrat, verfing sich derselbe Wind so heftig in ihren weiten, bauschigen Röcken, dass sie für einen Augenblick von ihm lassen musste und es kalt und gell zwischen sie hindurch pfiff. Des jungen Ehemanns Nüstern öffneten sich weit und gierig. Nein, der roch nicht nach fetter Erde! Der kam von der See. Von der endlosen, rauschenden See! – In der darauf folgenden Nacht schlug der Regen unaufhörlich gegen die Scheiben, und der Sturm hörte nicht auf zu blasen. Er blies durch die in der Mitte gehöhlten Dachziegel, die Hunderte von Pfeifen bildeten, und wüst und phantastisch klang es bis in das Schlafzimmer hinab. In später Stunde, als sein Weib schon eingeschlafen war, richtete sich Henrik Jansen plötzlich jäh empor. Was war das? Die Hand hinter der Ohrmuschel, lauschte er hinaus. Seine Brust hob sich keuchend, der Schweiss trat auf seine Stirn. Hatte ihn ein Spuk geäfft? Aber nein, da war es ja wieder! Durch das Pfeifen des Windes, durch das Rauschen des Regens schlug deutlich vernehmbar ein dumpfes, dröhnendes Tuten, wie aus weiter Ferne, an sein Ohr. Das ist ein Nebelhorn! Das ist die Stimme eines Schiffes, die warnend die Finsternis zerreisst! Wo kommt es her? Zitternd vor Erregung steigt er aus dem Bett und tritt an das Fenster. Er öffnet es, doch jetzt hört er wieder nur Wind und Regen. Bald aber erhebt es von neuem die Stimme. Dumpf tutend, wie aus weiter Ferne, aber doch schon näher. Seine Schläfe glühen, fiebernd späht er hinaus. Jetzt müssen die Augen ja auftauchen, die roten, glühenden Augen! Es fällt ihm ein, wie er, seiner Erinnerung nach zum erstenmal, ein Nebelhorn gehört. Er war noch ganz klein und erschrak. Seine Mutter aber erklärte es ihm. – »Das ist einer vom Bremer Lloyd,« sagte sie, »der jetzt einfährt.« Und ein anderes Mal fing sie an zu lachen. »Der brüllt wie ein sterbender Bulle. Das ist der ›Flandern‹ von der Red Star Line.« – Oh, er hatte sie bald alle gekannt. Einige davon hatten eine Stimme wie keifende Marktweiber und andere, wie besonders das kleine Harwichboot, hatten eine Grogkehle und waren ewig heiser. Dieses Horn aber kannte er nicht. Wind und Regen störten den reinen Klang, ebenso die Ferne, aus der es zu kommen schien. Doch mit einem Male tönte es ganz in seiner Nähe. Und als er die fieberhaften, sehnsüchtigen Augen dorthin wandte, sah er einen alten, gebückten Mann, der ein mächtiges Kuhhorn an den Lippen hielt. Es war der Gemeindewächter. Wind, Regen und Sehnsucht haben dich getäuscht, Henrik Jansen! Henrik Jansen versuchte zu lächeln, sein Gesicht verzerrte sich aber nur. Langsam schloss er das Fenster, doch zu Bette ging er nicht. Er setzte sich stumm an den eichenen Tisch und schlug die Hände vor das Gesicht. Dort blieb er bis zum Morgen, und sein ganzer, riesiger Körper bebte vor weinender Sehnsucht ... Der alte Steffen. [Illustration] Im Osten der Universitätsstadt erhebt sich das Armenhaus. Es ist aus massiven, grauen Steinen gebaut und hat zwei Stockwerke. In dem oberen befinden sich aber nur die Krankensäle, so dass die noch rüstigen Insassen von der schönen, kleinen Stadt fast nichts zu sehen bekommen. Denn aus ihren niedrig gelegenen Fenstern können sie die Mauern, die das Haus umschliessen, nicht überblicken, und Urlaub bekommen sie sehr selten. Im Winter ist das zu ertragen. Wenn der Regen gegen die Scheiben schlägt oder die Flocken immer dichter und dichter herniederwirbeln, frieren die alten Leute und sehnen sich nicht nach draussen. Nur der alte Steffen vielleicht. Aber auch der denkt dann nicht an die deutschen Thäler und Gebirgsketten, die dann doch rauh und ungastlich sind. Er träumt von der heissen, brennenden Tropensonne, trotzdem gerade sie ihn so krank und elend gemacht hat. Er ist schwach auf den Beinen und hat keine Kraft in den Händen. Mehrere Jahre hindurch ist er Plantagenaufseher in Java gewesen und mit blossen Füssen über die Felder gegangen, bis sein Rückenmark verdorrt und er überflüssig geworden war. Da kam er nach Deutschland zurück, und fünf Jahre schon lebte er im Armenhause. Aber in dem Druck der grauen, freudlosen Gegenwart kann er die Zeiten nicht vergessen, wo er als Lanzknecht die halbe Welt durchfahren. Er hat unter der Tricolore und unterm Halbmond gefochten, ist bei Sewastopol im Feuer gewesen und hat in Tonkin geblutet. Dann ist er zu den Holländern desertiert, und dort im Civildienst hat ihn das Unglück getroffen. In der Schar seiner Hausgenossen ist er immer noch eine imposante Erscheinung. Unter Zwergen und Krüppeln und zahnlosen, ewig kauenden Bettlergestalten tritt seine stämmige Figur wirkungsvoll hervor. Der massige Kopf mit der kräftigen Nase, mit dem kurzen, grauen Vollbart und den hellen Augen muss gut aussehen, wenn eine Fahne über ihm flattert. Gewöhnlich scheint er recht gleichmütig und ruhig. Manchmal aber fangen seine Augen an zu glühen und zu blitzen. Das ist, wenn die Sonne scheint. Jedem Sonnenstrahl sieht er dann nach. Jetzt ist die Zeit seiner Marter und qualvollsten Wonne. Es ist Frühling geworden. Stundenlang sitzt er täglich auf der verwitterten Holzbank im Hofe. Wenn er die Wimpern hebt, sieht man eine verzehrende Sehnsucht hervorlodern. Denn die Schwalben haben unter dem Giebel gebaut, und ihre Schwingen streifen um sein Gesicht, die Bäume grünen und sind voll junger Knospen, zwischen den Steinen im Hof schiessen schmale Gräser hervor, und die Vergangenheit wird in ihm lebendig. Seit zwei Tagen hat er nicht mehr gesprochen und wird noch weitere Tage nicht sprechen. Seine Kameraden aber wissen, dass jetzt die Abende kommen, wo er erzählen wird, heiser vor Erregung, aber ein Poet in seiner sehnsuchtsreichen Qual. Wenn sie alle zu Bette sind und nur die Nachtlampe rötlich glühend durch den dunklen Schlafsaal schaukelt, richtet er sich auf in den Kissen. Und er spricht von seiner Jugend und ihrer Sonne und Selbstherrlichkeit. Wie er in schimmerndem Segler über blaue Meere gefahren, und von den grünen Küsten Kleinasiens Marmorhäuser herüberwinkten und der glänzende Ölbaum. Wie er in Albanien biwakierte und mit Baschi Bozuks um ein Marschallsross gewürfelt, das feinere Glieder hatte als eine Königstochter und dessen Nüstern rosig waren wie der duftigste Nelkenkelch. Wie er in Algerien Feldwache gestanden in Palmenhainen und Dattelwäldern und einen Kabylen erschlagen um einen Trunk Wasser. Wie er in schaukelnder Dschunke den heiligen Strom durchglitten, vorüber an rauschenden, undurchdringlichen Dschungeln, unter Bäumen, die, im Lande wurzelnd, sich weit über das Wasser reckten und in deren dichtem Astwerk schlanke, bunte Königstiger lauerten, lautlos mit geschmeidigem Schweife die Flanken peitschend. Er spricht von Tropensternen und zierlichen havanesischen Frauen, von wirbelnden Trommeln und toten Freunden; nur von seiner Sehnsucht spricht er nicht. Wenn er dann aufhört, beisst er in den Bettpfosten und zerreisst sein Leinen. Der Verwalter straft ihn dafür, aber seine Zuhörer schenken ihm Cigarren und Kautabak, weil sie ihn bewundern. All die Jahre schon ist es ihm sauer genug gewesen, hier sein Leben zu verbringen. Doch hat er sich darein gefunden, wenn es ihm auch in jedem Frühling fast passierte, dass ihn Landleute meilenweit von der Stadt hilflos am Wege trafen und zurückbrachten. Beim Ausgehen hatte er nie daran gedacht, zu entrinnen, aber was soll denn ein alter Landstreicher nur machen? Ist der Frühling nicht stärker als sein Wille? Der Frühling hatte ihn verlockt, weit hinaus, immer weiter, bis die kranken Füsse ihn nicht mehr trugen. Jetzt hat er nur noch _eine_ Furcht und _eine_ Sorge. Leben _muss_ er im Armenhaus, aber sterben will er nicht in den dumpfen, drückenden Mauern. Es graut ihm davor, und er zittert, wenn er nur daran denkt. Er will sterben, wie das Wild stirbt, einsam im Wald, wenn die Dämmerung durch die Zweige tropft und die Sonne im Verglühen ist. Auch der Tod ist ein scheuer Gott und milder in der Einsamkeit. Seine Hände sind dort weicher und seine Lippen liebreicher. Eine Hirschkuh darf dabei sein und eine singende Drossel, aber nimmermehr ein Mensch. So hat er sich denn einen Plan gemacht. Jetzt, wo es wieder Frühling ist, will er einen Ort suchen gehen, zu dem er sich flüchten kann, wenn er sein Ende nahen fühlt. Einen Ort des Alleinseins und eine Stätte des Friedens. Die Sonntagsglocken läuten, und Steffen zieht seine besten Kleider an und bittet um Urlaub. Er erhält ihn auch und geht, so schnell ihn seine schwachen Füsse nur tragen wollen, durch die Stadt. Er achtet nicht der schmucken Giebelhäuser und der spielenden Kinder an den Wegen. Seine Augen glänzen, und seine Nasenflügel zittern vor Erregung. In tiefen Zügen trinkt er die weiche, köstliche Frühlingsluft. Bald ist er ganz im Freien. Wohin er nur sieht, alles ist voll saftigen Grüns. Die sanft aufsteigenden Berge scheinen wie dunkler Sammet, und der Fluss, der sie weich und silbern umschmiegt, wie der Pelzbesatz am Saum eines Herzoginkleides. Kein Ast so klein, dass er nicht voller Knospen wäre, und überall schon heben sich junge Blütchen aus den Wiesen und der jungen Roggensaat. Er hört ein Rotkehlchen im Weissdorn singen und sieht einen Citronenfalter durch die Sonne tanzen, und sein Herz schwillt vor Jubel. Denn es ist das Herz eines Landstreichers und hat keine andere Liebe als Natur und Freiheit, die es nicht zu trennen vermag. Es ist das Herz eines Landstreichers und voll Ehrfurcht vor dem göttlichen Mysterium der ewigen Schönheit und Erneuerung. Nun späht er umher. Oben auf dem Bergeskamme sind die dichtesten Wälder und dunkelsten Gründe. Dort will er sein Grab wählen. Eine Stunde wohl wandert er durch den Forst. Endlich hat er etwas Passendes gefunden: eine tiefe Mulde, eng umstanden von verwitterten Kiefern. Die Gräser darin sind niedergedrückt, aber sein geübter Blick erkennt unschwer, dass es nur Rehe waren, die hier genächtigt haben. Er kann darin liegen und sich strecken nach Herzenslust. Er sieht dem Himmel ins Gesicht und weiss, dass man ihn hier nicht finden wird. Das freut ihn, und fröhlich kehrt er zur Stadt zurück. Jetzt sieht er die spielenden Blondköpfe und streichelt sie. Jetzt sieht er auch die Häuser mit den altertümlichen Giebeln, mit den blanken Fenstern und den Rebenvorhängen. Jetzt freut er sich auch der Stadt, weil er gewiss ist, dass sie ihn nicht halten wird in seiner letzten Stunde. Im Armenhause wieder angelangt, holt er sich ein weiches Brettlein und versucht ein Kreuz zu schnitzen. Seine Hände sind schwach und vermögen das Messer nicht gut zu führen. Er wird wohl viele Tage lang sitzen müssen, ehe es glatt und glänzend ist. Aber er hat ja Zeit und ist geduldig. Sein Antlitz wird immer welker, aber sein stilles Lächeln auch immer lichter. Sein Herz wird weit, wenn er daran denkt, wie seine Finger das Kreuz umschliessen werden, wenn er seinen letzten Gang geht. Er sieht die Stunde schon kommen in einem weissen, schimmernden Glanz. In leuchtenden Wolken wird der Vollmond stehn und unzählige Sterne. Die Luft wird duftig sein und wie halbverblühte Veilchen in den Farben. Um die Stätte des Friedens aber wird ein Falter fliegen, ein grosser, mit sammetdunklen Flügeln. Der wird sich auf seine Wimpern setzen und ihm die Augen schliessen, tausendmal weicher als jede Menschenhand – – – – Amtsrichter Johnsons Höhepunkte. [Illustration] Jeder Mensch hat in seinem Leben einige Höhepunkte, die ihm bis sein seliges oder unseliges Ende unvergesslich bleiben. Auch Ernst Alexander Johnson hatte die seinigen. Den ersten hatte er damals erreicht, als er, der eben Amtsrichter in dem kleinen polnischen Städtchen geworden war, seine alte Studentenliebe heimführte. Am ersten Abend, als sie beisammen sassen, schmiegten sie sich fest aneinander und blickten wortlos in ihre neue Heimat. Ernst Alexander, in dem ein gefesselter Dichter lag, seufzte tief auf. Auf den Goldgrund des gegenwärtigen Glückes malten seine Träume Blüten und Kränze einer späteren Zukunft, und das Grün der Hoffnung war überall. Die Augen wurden ihm feucht. Er griff nach der Hand seiner Frau und küsste sie, so dass sie seine Thränen spürte. Auch ihre Blicke waren verschwommen. Vielleicht hatte sie seine Träume mitgeträumt. Sie fuhr ihm mit den Fingern in das braune, wellige Haar. »Wie kann man nur so weich sein,« sagte sie. »Wie kann man nur so weich sein, du Lieber?« ... * * * * * Sie lebten sehr glücklich zusammen. Nur einschränken mussten sie sich, denn das Gehalt war nicht gross. Das thaten sie aber gern. Ernst Alexander trank einen Schoppen weniger als früher, und gab nie mehr als fünf Pfennig Trinkgeld. Allmählich gewöhnte er es sich überhaupt ab, in ein Restaurant zu gehen. Wozu auch? Seine junge Frau machte es ihm daheim so behaglich wie möglich, und dass ihn der Kronenwirt, Herr Ignatz Malczewski, nur noch obenhin grüsste, liess sich verschmerzen. Als sie dann gar noch anfing, sich mit Schneiderei zu beschäftigen und ganz winzig kleine Häubchen und Jäckchen verfertigte, da brachte er es natürlich nicht mehr über das Herz, sie auch nur einen einzigen Abend allein zu lassen. Es sollte aber früh genug anders werden. Nicht, dass ein Streit ihre Harmonie getrübt hätte! Aber eines Tages trat einer in ihr Häuschen, den sie beide noch in weiter Ferne geglaubt hatten. Der präsentierte die Rechnung für das stille, reiche Glück, das sie ein volles Jahr hindurch am Tisch des Lebens genossen hatten, und die Rechnung war hoch. Frau Marianne brachte ein totes Kind zur Welt, und drei Tage später folgte sie dem kleinen Wurm nach in die Grube. Ernst Alexander blieb allein. Fortan lebte er ganz einsam. Eine weiche Natur von Geburt an, schien der Verlust seines Weibes ihn ganz gebrochen zu haben. »Es geht nicht so weiter mit Johnson,« sagte der »Aufsichtführende« jeden Tag. »Er vergrämt und vereinsamt immer mehr. Wir müssen etwas thun, um ihn aus dieser Lethargie zu reissen.« »Ja, es ist schade um ihn,« meinten auch die anderen Herren. »Aber was können wir thun?« »Was wir thun können? Er muss wieder unter Menschen. Wir wollen ihn bitten, einmal des Abends mit uns zu kommen, zum Bier.« Sie besuchten ihn auch. Aber er wehrte sich. »Nein, nein,« sagte er eigensinnig. »Ich will zu Hause bleiben.« Dann, als sie nicht aufhörten, in ihn zu dringen, wurde er weicher. »Was soll ich wohl unter euch? Ich kann nicht mehr so fröhlich sein wie ihr und wäre ein trauriger Gast.« Es fehlte ihm aber doch die Energie, um auf die Dauer zu widerstehen. Er liess sich überreden. Im Gasthof zur Krone, wo sich die Honoratioren allabendlich versammelten, wurde immer tüchtig gekneipt. Diesmal aber, wo Ernst Alexander Johnson nach so langer Abwesenheit wieder in den verräucherten Räumen erschien, ging es besonders ausgiebig zu. Von allen Seiten stiess man mit ihm an. Widerwillig, mit melancholischem Lächeln, kam er nach, in der Vornahme, bei der ersten schicklichen Gelegenheit die Gesellschaft zu verlassen. So oft er sich aber sagte, dass es jetzt an der Zeit wäre, vermochte er doch nie, seinem Unbehagen ein Ende zu machen. Ratlos den fetten Oberkörper hin und her wiegend und ohne Freude, blieb er Stunde um Stunde an der Tafel. Des Trinkens ungewohnt, wurde er früh berauscht. Es war kein angenehmer Rausch. Seine Kollegen mussten ihn nach Hause führen. Mit schwerem Kopf und Bitterkeit in Herz und Kehle wachte er am nächsten Morgen auf. Ein schwerer Druck auf seiner Stirn liess den ganzen Tag nicht nach. Er vermochte nicht zu widerstehen, als Assessor Lindenborn, mit dem er gemeinschaftlich das Gericht verliess und der nicht weniger verkatert war, einige Auffrischungsschnäpse vorschlug. Sie setzten sich wieder in das kühle, halbdunkle Kneipzimmer und standen nicht eher auf, als bis es gegen Mitternacht ging. Einmal aus der gewohnten Bahn geschleudert, fand er nun gar keinen Halt mehr. Der Kronenwirt grüsste ihn jetzt sehr höflich, aber seine Kollegen schüttelten aufs neue die Köpfe. »Es geht nicht so weiter mit Johnson,« meinten sie alle. »Wir müssen ihn zur Vernunft bringen. Er vertrinkt alles, und es ist schon jetzt nichts Seltenes, dass er am hellen Tage berauscht ist.« Eines Abends, als sie in vorgerückter Stunde in ihrer Stammkneipe zusammensassen, machten sie ihm Vorhaltungen. Er war schon betrunken, und unter ihren wohlmeinenden Worten packte ihn das graue Elend. »Ich weiss, dass ich ein Lump bin,« sagte er schluchzend. »Ein Lump, jawohl, ein Lump. Aber warum habt ihr mich nicht sitzen lassen in meinem Jammer? Warum habt ihr mich gezwungen, mit euch zu trinken?« »Aber, lieber Kollege! Es ist doch ein Unterschied zwischen Trinken und Trinken. Wir haben es doch gewiss nur gut gemeint.« Amtsrichter Johnson lächelte bitter. »Gut gemeint, jawohl. Alle haben es gut gemeint. Alle, nur der Herrgott nicht. Nur der Herrgott alleine nicht!« – – – – * * * * * Acht Tage später hatte er eine Sitzung des Schöffengerichts zu leiten. Alle waren schon versammelt. Nur der Amtsrichter fehlte. Da sandte man den Gerichtsdiener nach ihm aus. Der alte Klemming traf ihn, wie er gerade, hin und her schwankend, sich vergebens Mühe gab, die Thür seines Hauses aufzuschliessen. Es war ersichtlich, dass er eben erst, gegen elf Uhr vormittags, die Schenke verlassen hatte. »Nun, Klemming, was ist denn?« lallte er. »Herr Amtsrichter möchten auf das Gericht kommen. Die Herren Schöffen warten schon alle.« »Die Herren Schöffen? Wer denn, Klemming?« »Herr Kaufmann Tietz, Herr Tischlermeister Maczkowski, Herr Rentier Priemchen« ... »Was Priemchen ist auch da? Hat der Kerl denn schon ausgeschlafen? Na, ich komm schon!« Ohne sich umgekleidet zu haben, Wäsche und Kleidung beschmutzt und zerknittert, ging er dem kopfschüttelnden Diener voran. Unterwegs pfiff er ein Kneiplied vor sich hin. Es schien ihm gar nicht klar zu sein, wohin er gehen musste. Der alte Klemming wies ihn zurecht, sonst wäre er am Gericht vorüber geschritten. Man warf ihm die Amtsrobe über. Dann trat er in den Saal. Mit würdevollen Gesichtern sassen die Schöffen auf ihren Stühlen. Der Angeklagte, ein blasser, junger Bursche, erhob sich, als der Talar sichtbar wurde. Aller Augen wandten sich auf den Richter. Mit schweren, unsicheren Schritten näherte er sich seinem Tisch. Da bemerkte er den Rentier Priemchen, mit dem er oft zusammen getrunken hatte. Ein breites Lachen zog sich über sein gedunsenes Gesicht, das vor Betrunkenheit glühte. »Na, alter Schwede,« rief er ihm mit heiserer Stimme zu, »auch hier?« Erschrocken fuhren alle auf. »Setzen Sie sich doch, um Gottes willen,« flüsterte Priemchen. »Gleich, Priemchen, gleich! Erst den Cantus.« Und der königliche Amtsrichter Ernst Alexander Johnson stellte sich in seiner vollen Amtstracht an den Rand des Podiums und erklärte feierlich: »Zur Eröffnung einer urfidelen Schöffensitzung beginnen wir mit dem schönen Liede: Wer kommt dort von der Höh’? Wer kommt dort von der Höh’? Wer kommt dort von der ledernen Höh’, Ça, ça ledernen Höh’, Wer kommt dort von der Höh’?« ... Während er den ersten Vers mit dröhnender Stimme absang, verbreitete sich eine Todesstille um ihn. Niemand vermochte zu lächeln. Bleich und fassungslos blieb jeder auf seinem Stuhl, und jeden durchzuckte die Ahnung, dass hier ein Menschenschicksal seinem Ende zuneigte. Er begann noch den zweiten Vers. Mit den weiten Ärmeln seiner Robe stiess er beim Taktschlagen an das schwarze Kreuz, das den kleinen, silbernen Leib Christi trug. Es stürzte vom Tisch und schlug mit dumpfem Hall auf die Dielen. Da unterbrach er sich. Mit blöden, blutunterlaufenen Augen blickte er hinunter und dann auf die Beisitzer. »So, so, ach – so –« stammelte er dann. Ein Zucken ging durch seinen Körper. Schwer liess er sich in den Sessel fallen. Aber die Besinnung war ihm zu spät gekommen. Die Sitzung wurde vertagt, und wenige Tage darauf war Ernst Alexander Johnson aus dem Richterstande entfernt. – – Wochen, Monate und Jahre vergingen. Der Amtsrichter a. D. war ein stadtbekannter Trunkenbold geworden. Als ihm niemand mehr Kredit gab, fing er an, seine ganze Habe zu verkaufen. Ein Stück nach dem andern wanderte zum Trödler. Eines Abends sass er in seiner leeren, unfreundlichen Wohnung, aus der selbst die Wandbilder schon lange zu Geld gemacht worden waren, und zerbrach sich den Kopf, was er noch verkaufen könnte. Aber nichts fiel ihm ein. Ein Tisch und einige Stühle bildeten ausser einem kleinen Wäscheschrank sein gesamtes Mobiliar. Verkäufliches war aber nur noch in der letzten Schublade des Schrankes, und vor der hatte er eine heilige Scheu. Endlich entschloss er sich doch, das Fach zu öffnen, und zitternd und scheu, wie ein Dieb, sah er hinein. Da lag alles noch so wie vor Jahren: die Häubchen und die Jäckchen, die Windeln und das spitzenbesetzte Taufkleidchen. Es war in zwei grössere Abteilungen gesondert, die mit blauseidenen Bändern umwickelt waren. Daneben lagen noch einige Untersachen seiner Frau. Das Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf, als er diese letzten äusserlichen Erinnerungen an so viel Glück und Hoffnung vor sich sah. Er kämpfte innerlich. Dann aber griff er doch, während die Schamröte ihm bis in die Stirn stieg, die Pakete heraus. In der Nähe seiner Wohnung befand sich eine kleine Branntweinschenke, in der wandernde Burschen, verkommene Handwerker und der Amtsrichter a. D. verkehrten. Der Wirt war ein gefälliger Mann und nahm ebenso gern Kleidungsstücke und andere Sachen in Zahlung, als bares Geld. Zu dem begab er sich. Er bestellte einen Schnaps und ein Käsebrot. Der Besitzer des Lokals, ein dicker, aufgedunsener Riese, der auf einem Auge blind war, musterte ihn misstrauisch. Er brachte das Verlangte erst, als er das Bündel sah, das Ernst Alexander neben sich gelegt hatte. An den Nachbartischen, die klebrig waren und wie das ganze Lokal nach vergossenen Getränken rochen, sassen mehrere junge Leute. Als es ans Zahlen kam, musste er das Paket öffnen. Wie die Jäckchen und Windeln zum Vorschein kamen, erscholl ein rohes Gelächter. »Von wo haben Sie das denn?« fragte der Wirt verdutzt. »Von meinem Kinde.« »Haben Sie denn ein Kind?« Ernst Alexander biss die Zähne zusammen. »Es ist tot,« sagte er finster. »Sonst säss’ ich nicht hier.« Der Wirt schien sich zu erinnern. »Ach so, Ihre Frau starb ja auch damals.« »Ja, sie starb auch.« »Und das wollen Sie jetzt verkaufen?« Der Amtsrichter a. D. hörte die Verachtung in diesen Worten und wagte nichts zu erwidern. Mit gesenktem Kopf verliess er das Zimmer und trat hinaus. Zwölf Silbergroschen hatte er in der Hand. Nach einer unruhigen Nacht wachte er am nächsten Morgen früh auf. Noch unangekleidet sass er mit wirrem Hirn auf dem Bettrand, und allmählich trat ihm wieder ein Bild vor die Seele, das ihn im Schlafe gequält und gepeinigt hatte. Es war im Traume seine tote Frau zu ihm gekommen. Sie trug ein weisses, faltiges Gewand, und an ihrer Rechten führte sie ihr Kind. Das Kind war nackend und weinte bitterlich. »Du hast ihm seine Hemdchen verkauft. Nun friert es,« sagte die Mutter. Ernst Alexander bekam das nicht mehr aus dem Gedächtnis. Den ganzen Tag trug er daran, und der Nebel, der jahrelang vor seinen Augen gelegen hatte, verschwand mehr und mehr. Er sah alles, wie es wirklich war, nackt und nüchtern. Er sah, dass der letzte Teil seines Lebens nichts als Schmutz und Schande gewesen war, und Verzweiflung überfiel ihn. Er sprach mit sich und mit den Toten, die ein Traum ihm heraufbeschworen hatte, und alles in ihm ward voll von Bitterkeit und Selbstverachtung. »Es ist keine Liebe mehr für mich, nicht im Himmel und nicht auf der Erde,« sagte er laut. Seine Worte dröhnten in dem leeren Gemach. Er schrak zusammen. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch und spie aus. – – * * * * * Die Abendsonne funkelte und sprühte auf dem Schieferdach des alten Klosterturmes. Sie brach sich auch in den Scheiben des stillen, kleinen Hauses und drang bis in das Zimmer. Dort blieb sie lange und leuchtend. Inmitten der gemalten Decke, an der kleine Amoretten mit roten Rosen spielten, steckte ein eiserner Haken, der früher eine Hängelampe gehalten hatte. Die Lampe war schon lange fort und brannte schon lange nicht mehr. Jetzt hing ein hänfener Strick daran, und an dem Strick hing ein fetter, gedunsener Leichnam. Das war der zweite Höhepunkt im Leben Ernst Alexander Johnsons. Sein zweiter und letzter im Leben und im Sterben: zwei Fuss über den Dielen. – In der Anstalt. Ein Bild aus dem Leben. [Illustration] Nicht weit von einer westdeutschen Industriestadt liegt eine grössere Zahl schmucklos, aber gefällig gebauter Häuser. Durch grössere Entfernungen voneinander getrennt, verstreuen sie sich über ein weites, hügeliges Gelände, das hier und da mit Wald bestanden ist. Grösstenteils werden sie von Kranken bewohnt, denen die kräftige Luft und der tiefe Frieden wohlthut. In einem der Häuser jedoch werden keine körperlich Leidenden aufgenommen. Dies ist das Haus, das am weitesten der Stadt zugeschoben und durch ein eisernes Gitterwerk von der Landstrasse getrennt ist. Es ist die Domäne derer, die Schiffbruch im Leben gelitten haben, das Asyl der Gestrandeten. Es beherbergt nur Leute aus besseren Lebensschichten. In der Überzahl sind die Offiziere a. D. Etliche Geistliche sind auch darunter, mitunter auch ein Schriftsteller oder ein Redakteur. Mannigfaltig ist ihre Schuld und ihr Schicksal; mannigfaltig sind die Wege, die sie hierhergeführt; allen gemeinsam aber ist der dumpfe Gram, der ihre Tage verbittert und der sie allmählich stumpf macht gegen das Aussenleben, der allmählich auch ihre Sehnsucht, wieder hinauszufliegen, erdrückt, und erst mit dieser Sehnsucht matter und matter wird. Die meisten der Herren sind schon längere Zeit da. Man unterscheidet sie leicht von den übrigen Bewohnern der Anstalt. Sie tragen einen Zug schmerzlicher Resignation im Gesicht, und ihre Augen blicken auf ein vergangenes Leben. Hier und da gemahnen noch Gang und Gebärde an die frühere gesellschaftliche Stellung. Sonst kommt sie selten zum Vorschein. Besonders nicht in der Kleidung. Wenn beim Essen ein Tropfen Suppe oder Bratensaft auf den Rock fällt – nun, so schadet das nichts. Gereinigt wird er deswegen doch nicht. Für wen auch? Untereinander hat man sich gegenseitig nichts vorzuwerfen und ausser der alten Dame, welche die Wirtschaft führt, und ihren beiden Dienstmädchen ist kein weibliches Wesen für sie vorhanden. In die Stadt zu gehen ist ihnen auch nicht erlaubt, weil es zum Teil der Alkohol war, der sie hierhergebracht. Da ist der Hauptmann und Oberamtmann a. D. von Wegeler, der ein tüchtiger, pflichttreuer Beamter war, bis ihm sein junges Weib im ersten Kindbett starb. Von da ab hatte er keinen Sinn mehr für seine Akten gehabt und vom frühen Morgen an bei der Flasche gesessen. Man schonte ihn so lange als möglich; eines Tages aber war er schwer betrunken an das offene Grab eines alten Soldaten getreten, um ihm nach dem Geistlichen als Vorsitzender des Kriegervereins ebenfalls einige Worte nachzurufen. Hin und her taumelnd hatte er einige unzusammenhängende Sätze hervorgestossen, bis er endlich gänzlich das Gleichgewicht verloren hatte und auf den blumengeschmückten Sarg gefallen war. Es hatte einen dumpfen Schall gegeben, der oben einen entrüsteten Widerhall fand und laut genug war, um bis zum Minister zu dringen. Er hat nachdem nicht mehr amtiert und trug sein Weh in die stillen Räume der Anstalt. Vom Trunk liess er bald; auch die Wunden, die ihm der Tod seiner Frau geschlagen, vernarbten in der alles heilenden Zeit. Dafür überkam ihn aber die Energielosigkeit eines Lebens, dem jeder Sporn fehlt, die Resignation eines Lebens, das sich selber verloren giebt. Sein Zimmergenosse, ein kleiner, pommerscher Pastor, der wie eine Karikatur aus dem vorigen Jahrhundert aussieht und eine verbitterte, boshafte Zunge hat, bedurfte keines so jähen Anstosses, um ein Trinker zu werden. Fünfundzwanzig Jahre in einem elenden Dorfe, ganz einsam, ohne Verkehr, ohne Bücher und geistige Anregung hatten ihn ganz allmählich dazu gemacht. Die Bauern hatten oft Gelegenheit gehabt, einen Betrunkenen auf der Kanzel zu sehen, bis sich das hohe Konsistorium hineinmischte, und er abgesetzt wurde. Dann wohnt ein junger, bildhübscher Mann dort, der kurz nach seiner Beförderung zum Oberleutnant in später Nacht einst angerauscht und durch einen Wortwechsel erregt aus dem Kreise seiner Kameraden geschieden und auf dem Heimwege mit der brennenden Cigarre einem Pulverschuppen zu nahe gekommen war. Der Posten hatte ihn auf die bestehenden Vorschriften aufmerksam gemacht, vielleicht in einem ungebührlichen Ton. Genug, der arme, betrunkene Leutnant hatte ihn mit der flachen Klinge über das Gesicht geschlagen. Verwundet hatte er ihn nicht, aber die Militärgesetze lassen nicht mit sich spassen. Er bekam den schlichten Abschied, und da er zu keinem anderen Berufe vorgebildet war, landete auch er hier. Ach, es sind seltsame Schicksale, die sich hier zusammenfinden! ... In dumpfem Gram, in stumpfer Resignation schleppen sie ihre Tage dahin. Die Erinnerung, in der sie überhaupt nur leben, das Fehlen des weiblichen Elementes, das schon manchen zu neuem Aufstieg trieb, das Fehlen jeglicher Berührung mit den brausenden Stürmen und Strömen der Freiheit, das lässt sie ganz verkümmern. Einmal schlug aber doch eine Welle der Aussenwelt auch in ihren Frieden. Eines Tages blieb Herr von Wegeler, der als erster der Herren gegen Mittag das Speisezimmer betrat, überrascht in dem Thürrahmen stehen. Auf seinem dicken, aber bleichen Gesicht spiegelte sich ein fassungsloses Erstaunen, das sich mehr oder minder auch in den Zügen der nachfolgenden ausdrückte. Neben der Wirtschafterin, einer Pastorenwitwe, stand eine junge, hohe Mädchengestalt. Das Haar lag ihr in schweren, goldenen Flechten auf dem Haupte, und ihre Augen waren schön und klug. Sie hatte das Aussehen einer vornehmen Dame, wenn sie auch nur eine Erzieherin war, die ihre Tante besuchte. Nach der Gesamtvorstellung, die von seiten des Hausvaters, eines weissbärtigen Greises, erfolgte, schien sich die allgemeine Erregung etwas zu legen. Man ass seine Suppe wie gewöhnlich, nur dass hier und da verstohlene Blicke zu dem Fremdling hinüberstreiften. Bald kam aber die zweite Sensation. Das Fräulein, das einige Zeit verwundert auf die schweigenden Gesichter gesehen hatte, begann ein Gespräch. Seit Menschengedenken plauderte man nicht am Anstaltstisch. Es war immer, als ob der allgemeine Gram jedes Wort in den Kehlen zurückgehalten hatte. Sie aber stellte harmlos dem ihr gegenüber sitzenden Hausvater allerhand Fragen, sprach dann über das Wetter, Krankheiten und den englischen Nationalcharakter und zog allmählich auch Herrn von Wegeler in die Unterhaltung. Dabei bemerkte er plötzlich, dass sie mit einem Blick grenzenlosen Erstaunens seinen Rock betrachtete, und zum erstenmal seit langer Zeit dachte er daran, dass der ja ganz entsetzlich schmutzig sein musste. Eine brennende Röte flog über sein Gesicht. Dann aber trat der ehemalige Offizier in ihm hervor. Mit Gewalt seine Verlegenheit niederzwingend, setzte er sich durch lebhaftes Geplauder über das Peinliche dieses Augenblicks hinweg, und schon nach wenigen Minuten waren in ihm wie in den übrigen am Tische Sitzenden wenigstens die Formen der besseren Vergangenheit wieder lebendig geworden. Kaum dass sie die Tafel verlassen hatten, wurde von allen Seiten nach dem Hausdiener gerufen, und eine halbe Stunde später trabte dieser, keuchend unter der Last von vierzehn Oberröcken der Reinigungsanstalt zu. Herr von Wegeler zog sich seinen Sonntagsstaat an, und selbst der Ministersohn, der so lange Jura studiert hatte, bis ihm die Haare ausgegangen waren, suchte sich eine frische, lachsfarbene Krawatte hervor, obwohl er dabei murmelte, dass es doch eigentlich nur eine Erzieherin sei. Beim Nachmittagskaffee boten sie einen anderen Anblick. Selbst der kleine Pastor, der immer in den Kleiderschrank stieg, um dort einen heimlichen Kognak zu sich zu nehmen, hatte sich rasiert und seine Hände gründlicher als sonst gewaschen. Die, der zu Ehren das alles geschehen war, liess sich zunächst aber nicht blicken. Als sie endlich doch erschien, war sie im Ausgehkostüm und trug den Sonnenschirm in der behandschuhten Hand. »Meine Herren,« rief sie fröhlich, »wer von Ihnen will so freundlich sein, mich auf die Ziegelburg zu begleiten? Tante hat natürlich keine Zeit dafür!« Eine Sekunde blieb alles still. Jeder dachte daran, dass es ihnen streng untersagt war, das Anstaltsgebiet zu verlassen. Dann aber schoben sich dreizehn Stühle zurück, und bis auf den Pastor erklärten sie alle, dass es ihnen ein besonderes Vergnügen sein würde. Ein Lächeln in den schönen Augen, sah sie von einem zum andern. »Die Herren sind zu liebenswürdig,« meinte sie dann. »So viel Kavaliere auf einmal würde aber doch beängstigend sein. Herr von Wegeler und Sie, Herr Leutnant, wenn ich bitten darf. Auf Wiedersehen, meine Herren!« Und nach einem graziösen Kopfnicken ging sie den beiden Auserwählten voran. Nachdem sie den hohen Burgberg bestiegen und die entzückende Aussicht genossen hatten, die bei einem mässig guten Glase bis zur Porta Westphalica reicht, schlug sie vor, noch einmal in die Stadt zu fahren, wo sie einen kleinen Einkauf zu besorgen hatte. Herr von Wegeler und der melancholische Leutnant folgten ihr auch dahin. Zum zweitenmal übertraten sie damit die jahrelang eingehaltenen Anstaltsvorschriften. Aber was sollten sie thun? Der blosse Gedanke, ihr gestehen zu müssen, dass sie wie Schulkinder nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit genossen, trieb ihnen schon die Scham in das Gesicht, und beiden schoss es wie ein Blitz durch das Gehirn, dass es doch eigentlich schmachvoll wäre, in solcher Abhängigkeit zu stehen – sie, zwei kräftige, gesunde Menschen! Als sie heimkehrend die auf das Anstaltsgebiet führende Thür öffneten, sahen beide noch einmal zurück und in ihre Augen trat ein seltsamer Ausdruck. Dort lag die Stadt. Ihre Lichter funkelten zu ihnen herüber, und wie ein dumpfes Brausen schlug der Lärm der geschäftigen Freiheit an ihr Ohr. Das Haus vor ihnen aber lag tot und still. Herr von Wegeler konnte in der darauffolgenden Nacht nicht schlafen. Die Idee, wieder hinauszutreten, liess ihm keine Ruhe. Und am nächsten Tage nahm er einen grossen Bogen Papier zur Hand, auf dem er eine Eingabe an das Ministerium zu entwerfen begann. Er kam damit jedoch nicht zu Ende. Immer wieder hatte er zu streichen und zu verbessern, und so verschob er die Absendung denn von einem Tage zum andern und besserte tagtäglich daran herum. Es war allmählich ein ganz anderes Leben in die Anstalt gekommen. Die Herren hielten wieder auf ihre Kleidung, bei Tische wurde geplaudert, die Tagesereignisse besprochen, hier und da auch ein Scherz gemacht. Selbst untereinander grüssten sie sich verbindlicher, und wenn einer das Rasieren vergessen hatte, trafen ihn missbilligende Blicke. Der melancholische Leutnant bürstete sogar seinen Schnurrbart hoch und legte regelmässig eine Bartbinde an, wodurch er gleich viel weniger melancholisch aussah. An allen Ecken und Enden merkte man es, dass ein frischer Wind durch die modrige Luft der Resignation gefahren war. Die Gouvernante hatte aber nur einen kurzen Urlaub. Schon am nächsten Sonntag musste sie fort, über den Kanal zurück in die erwerbende Fron der Kindererziehung. Als sie sich von den Herren verabschiedete, wurde es von keinem besonders schmerzlich empfunden. Verliebt war ja niemand in sie, und niemand hatte daran gezweifelt, dass sie über kurz oder lang wieder verschwinden würde. Bei der nächsten Mittagstafel hatten aber dennoch alle ein eigentümliches Gefühl. Die alte Pastorenwitwe sass grämlich auf ihrem Stuhl, der Hausvater hatte den weissen Kopf beinahe ganz in die Schultern hineingezogen, und die Herren sahen trübe in ihre Suppe, die auch weniger Fettaugen zu haben schien wie früher. Einmal versuchte der Ministersohn mit der roten Krawatte, ein Gespräch einzuleiten. Er erhielt aber nur einsilbige Antworten. Am nächsten Tage war der Stumpfsinn wieder in alle seine Rechte eingesetzt. Die Röcke wurden wieder fleckig, Herr von Wegeler überliess seine Eingabe den Mäusen, der Leutnant bürstete sich den Bart nicht mehr, der kleine Pastor fing wieder an, das Rasieren und Händewaschen für Zeitverschwendung zu halten, und wenn des Abends die Lichter der Stadt herüberfunkelten, sah sie niemand mehr an. Für wen auch? Es war eine Welle der Aussenwelt auch in ihren »Frieden« gedrungen, aber sie ebbte viel zu früh zurück. Ihre Seelen sinken wieder in den alten Schlaf. Wie das graue Haus in der Dämmerung liegen sie da, tot, still, träge, während doch ganz in ihrer Nähe das Leben sich in gigantischer Arbeit regt und mit roten, funkelnden, bösen Augen zu ihnen herübersieht. Im Pfarrhaus. Eine stille Geschichte. [Illustration] »Auch dieses hat seine Geschichte. Auch dieses.« Der alte Pastor sagte es mit einem halb wehmütigen, halb frohseligen Lächeln, und über seine hellen, kinderguten Augen legte es sich wie der feine, blaue Schleier einer lieben Erinnerung. Dann, sich die erloschene Cigarette wieder über der Lampe anzündend, fuhr er fort: »Es haben mich schon viele gefragt, warum ich statt der Pfeife, die ja mit meinem Stande unzertrennlich verbunden scheint, an Sonntagen immer nur Cigaretten rauche, trotzdem es mir nicht gesund ist, und noch dazu aus so unbeholfenen Rohrspitzen. Ich will es Ihnen erzählen, wenn Sie vielleicht auch über die Thorheit eines altmodischen Mannes lächeln werden. Haben doch so viele irgend eine Gewohnheit, die anderen thöricht erscheint, die sie aber hegen und pflegen, weil sie ihnen hilft, ein liebes Gedenken wachzuhalten ... Schrauben Sie, bitte, die Lampe etwas niedriger, lieber Freund!« Der Kaplan, der dem alten Herrn gegenüber sass, gehorchte. Ein halbes, gedämpftes Licht lag nun über den hier und da wurmstichigen, zwei oder drei Generationen alten Möbeln und den vergilbten Büchern und Schriften, die in grosser Anzahl, aber in bemerkbarer Unordnung darauf lagen. Die grossen Holzscheite in dem eisernen Ofen knisterten mitunter, und die Flamme und das erhitzte Petroleum surrten vernehmlich. »Es sind jetzt gegen dreissig Jahre her, dass mich mein seliger Vorgänger in dieser Pfarre als Kaplan zu sich berief. Ich war damals wohl so alt wie Sie, fünfundzwanzig. Von vielen Seiten wurde ich noch gedrängt, erst, wie die meisten meiner Kommilitonen, nach Deutschland zu gehen, nach Leipzig oder nach Rostock, wo wir Ungarn grössere Stipendien geniessen, um dort meine theologischen Studien zu vervollständigen. Aber mir war das Studentenleben sauer geworden. Arm wie ich war, hatte ich mir durch Stundengeben fast jeden Bissen Brot selber verdienen müssen. Ich nahm also an, und so kam ich in diese Gemeinde. Das damalige Pfarrhaus war noch nicht so vornehm wie dieses. Es stand auf demselben Platze, aber das Dach war mit Stroh gedeckt, die Wände waren viel niedriger und die Öfen rauchten. Mitunter froren wir im Winter, aber es hat mir doch leid gethan, als es abgerissen wurde. In dem alten bin ich jung und glücklich gewesen, in das neue bin ich schon mit grauen Haaren eingezogen, vereinsamt bis auf meine Tochter. Meine selige Frau hat es nicht mehr erlebt ... Mit dem geistlichen Herrn kam ich in ein so freundschaftliches Verhältnis, dass ich mich ihm gegenüber bald mehr als Sohn des Hauses, denn als sein Kaplan fühlte. Weniger gut gelang mir dies bei seiner Tochter. Er war Witwer und sie, die ebenso alt wie unsere Böske sein mochte, also neunzehn Jahr, führte ihm die Wirtschaft. Schüchtern und ohne Erfahrung im Verkehr mit Damen, ging ich ihr beinahe aus dem Wege, so dass wir uns eigentlich nur bei den gemeinsamen Mahlzeiten sahen. Wenn ich nach beendetem Nachtmahl mit meinem seligen Vorgänger, wie es gewöhnlich war, noch ein Stündchen am Tische sitzen blieb, um über Weltläufte oder Gemeindeangelegenheiten zu plaudern, sass sie immer ganz still am anderen Ende der Tafel, mit einer Häkelei beschäftigt oder in alten Jahrgängen einer illustrierten Zeitschrift blätternd. Mitunter glaubte ich dann zu bemerken, dass sie hier und da das feine Köpfchen hob und mich verstohlen von der Seite ansah. Es hätte aber auch eine Täuschung sein können, und so gab ich denn einige Zeit hindurch acht, bis es mir gelang, ihre Augen mehrmals auf frischer That zu ertappen. Wenngleich ich mir nichts dabei dachte, beunruhigte mich das doch, und ich musste mir Mühe geben, mit meinen Gedanken bei dem Thema des Gesprächs zu bleiben, das der geistliche Herr mit mir führte. Ich mochte schon gegen sechs Monate ihr Hausgenosse gewesen sein, als unser Schullehrer nach einer benachbarten Stadt gewählt wurde. Mitten im Sommer ging er uns davon, und nun begann für uns die schwere Aufgabe, einen neuen zu suchen. Beinahe jeden Sonntag kam einer, einmal sogar zwei zugleich, die aber alle den Beifall der Gemeinde nicht fanden. Da sagte eines Abends der alte Herr lachend zu mir: ›Wissen Sie, am liebsten hätte ich einen jungen und unverheirateten. Das gäbe dann vielleicht noch einen Mann für die Böske!‹ Sie sass wie gewöhnlich über einer Häkelei und wurde ganz rot, als sie das hörte. Dann blickte sie zu uns herüber. ›Sag das nicht, Papa! Ich mag keinen Schullehrer!‹ Sie hatte nervös, beinahe heftig gesprochen, wie ich es noch nie von ihr gehört hatte. Ich sah ganz deutlich, als sie dann den Kopf wieder über ihre Arbeit bog, dass ihr rechtes Ohr ordentlich glühte, was bei ihr – Gott habe sie selig! – ihr lebelang ein Zeichen der Erregung blieb. Ihr Vater war aber gut aufgelegt. ›Warum denn nicht, Kind?‹ fragte er heiter. Und da sie ihm keine Antwort gab, wandte er sich direkt an mich. ›Nun, was sagen Sie denn dazu?‹ Ich wusste eigentlich gar nichts darauf zu sagen. Es schien mir unschicklich, in Gegenwart eines jungen Mädchens von ihrem künftigen Manne zu reden, und so wurde ich beinahe so rot wie sie. Nach einigen Minuten des Stillschweigens fühlte ich aber doch die Verpflichtung, etwas zu erwidern, und so antwortete ich denn so vorsichtig wie möglich: ›Wenn er ein ehrenhafter Mann ist, wäre es das Schlimmste noch lange nicht. Man kann auch in einem Schulhause glücklich werden, Fräulein Böske!‹ Da blickte sie wieder auf, aber diesmal gerade mir in das Angesicht. Ihre Wangen wurden ganz bleich. Die grossen, braunen Augen hefteten sich wohl eine Minute lang auf mich. Dann rollten langsam zwei Thränen daraus, und sie beugte sich wieder über die Häkelei. Sie sagte keine Silbe, aber nach diesem Blicke war es mir plötzlich, als ob ich eine Todsünde begangen hätte. Bald darauf stand sie auf und ging in die Küche. Ich hörte sie dort mit dem Geschirr herumhantieren. Heute weiss ich, dass sie damals mehr geweint als gewirtschaftet hat. Damals fühlte ich das nur, und sobald es thunlich war, verabschiedete ich mich und nahm in meine Stube ganz seltsame und unerklärliche Empfindungen mit. Ich hatte sie bis dahin immer ›Fräulein Böske‹ angeredet, was, wie Sie wissen, eine Koseform von Erszibet ist, weil ich es nie anders gehört hatte. Das ganze Dorf nannte sie so. Am nächsten Tage aber redete ich sie mit ihrem Vatersnamen an. Ich kann es heute eben so wenig sagen wie damals, warum ich es that, aber ich weiss noch, dass es mich schmerzte, dass sie so gar kein Zeichen des Erstaunens darüber sehen liess. Sie war gleichmässig freundlich wie immer; es schien mir aber oft, auch wenn sie mitten in der Mittagssonne stand, dass ein Schatten auf ihrem Gesichte läge. Seit diesem Abende ging es mir überhaupt ganz seltsam mit ihr. Ich ertappte mich dabei, dass ich in der vorgefassten Absicht, auf ihre heimlichen Blicke acht zu geben, in das Speisezimmer trat, und dass es mich ordentlich schmerzte, wenn sie hartnäckig alles andere eher ansah als mich. Wir hatten die Rollen ganz getauscht. Jetzt spähte ich so oft wie nur möglich zu ihr herüber und dabei passierte es mir, dass ich mit einem Male bemerkte, wie wunderschönes Haar sie doch hatte. Es war hellbraun, und wenn gerade ein volles Lampenlicht darauf schien, blitzten ihre Stirnlöckchen ganz goldig. An einem der folgenden Tage fing ich gar an, mich über ihren graziösen Gang zu freuen. Sie war etwas schwächlich, aber sehr zierlich gebaut, und beim Gehen stiess sie mitunter mit den Knieen an die Röcke, was mir immer sehr lieblich vorkam. So ging es Tag für Tag. Jeden Tag entdeckte ich etwas Neues an ihr, und am Ende konnte ich auch meine Gedanken gar nicht mehr losreissen von so viel Schönheit. Ich erinnere mich gut, wie ich einst an meinem Schreibtisch in die Höhe fuhr. Die Lampe war weit heruntergebrannt. Ich musste wohl stundenlang geträumt haben und ich weiss, dass ich in diesen Träumereien ihre leichtgeöffneten, roten Lippen ganz dicht vor mir gesehen und sie wieder und wieder geküsst hatte. Ich war darüber erschrocken und legte mich eilig zu Bett, bis zum Morgen beinahe in einer alten Postilla, gedruckt bei Hans Lufft, anno domini 1567, lesend, ehe mir der Schlaf kam. Diese Postilla besitze ich noch heute. Ich habe mir noch oft daraus andere Gedanken angelesen und halte sie in hohen Ehren. Sie ist reich mit Holzschnitten verziert und trägt als Titelbild den gekreuzigten Heiland, zu dessen beiden Seiten Doktor Martinus Luther und der sächsische Kurfürst knien. Aber mir ist sie mehr wegen dieser Erinnerungen wert als wegen ihres Altertums. Unter diesen Umständen konnte ich es mir nicht länger verhehlen, dass ich eine innige Liebe zu ihr hegte, und nach den gemachten Beobachtungen schien es mir auch, als ob dieselbe keineswegs einseitig wäre. Obwohl mich dieses letztere nun mit einem ganz merkwürdigen, schamhaften Stolz erfüllte, trug es doch nur dazu bei, meine Schüchternheit zu erhöhen, und wenn sie mir bei Tisch, wie es späterhin hier und da doch wieder der Fall war, einen freundlich schelmischen Blick zuwarf, wurde ich rot wie ein Schulbube und vermochte vor Verlegenheit keinen Bissen mehr hinunterzubringen. So lebten wir, gegenseitig unsere Liebe ahnend, monatelang nebeneinander her, ohne dass ich je den Mut gefunden hätte, ihr auch nur ein einziges vertrauteres Wörtchen zu sagen. Es wurde zum zweiten Male Herbst, als in einem weiter entfernteren Dorfe der Geistliche starb und ich mich, da ich ja nicht ewig Kaplan bleiben konnte, um die vakante Stellung bewarb. Meine Probepredigt war gerade auf einen Sonntag angesetzt worden, an dem der alte Herr eine Eheschliessung in Neograt, das auch zu seinem Sprengel gehörte, vorzunehmen hatte. Sein Ziel lag mitten auf meinem Wege, und so benutzten wir beide denselben Wagen. Als wir abfahren wollten, trat die Böske zu uns heran. Erst küsste sie ihren Vater, dann reichte sie mir die Hand und wünschte mir Glück. Aber ihre Augen waren traurig dabei und ihre Stimme kaum hörbar. Ich wurde gewählt. Als ich gegen Abend nach Hause kam, war der alte Herr noch nicht da. Nur seine Tochter kam mir entgegen. Ich war voller Freude und teilte ihr fröhlich meine Neuigkeit mit. Ein stummer Händedruck war ihre Entgegnung. Da es schon dämmerte, konnte ich den Ausdruck ihres Gesichtes nicht erkennen. Als ich dann aber in das Speisezimmer trat, bemerkte ich, dass sie ganz blass war und verweinte Augen hatte. Und plötzlich fiel es mir schwer auf das Herz, dass meine Wahl ja auch eine Trennung von ihr bedeutete. Das Dorf war weit entfernt. Selten nur hätte ich auf einige Stunden zum Besuch herüberkommen können. War es darum, dass sie so traurig aussah? Ich konnte nicht daran zweifeln. That mir doch selber bei aller anfänglichen Freude das Herz weh. Und es wurde immer ärger. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, und ich fühlte, dass ich keinen Bissen würde hinunterbringen können. Ich entschuldigte mich damit, dass ich schon gegessen hätte, obwohl es nicht der Wahrheit entsprach. Trübselig sass ich am Tisch und brannte mir eine Cigarette an, während wenigstens sie so that, als ob sie einige Brocken zu sich nähme. Mit jeder Rauchwolke, die ich in die Luft blies, verfinsterte sich auch mein Gedankenkreis. Ich würde also von ihr gehen, ohne ihr meine Liebe gestanden zu haben! Wir würden meilenweit voneinander wohnen und alt und grau werden, ohne uns zu finden! Denn ich kannte meine Schüchternheit gar gut und wusste, dass ich, einmal fort von hier, es nie zu einem förmlichen Antrage bringen würde. Der Gedanke, jetzt, wo wir so schön allein waren, einfach auf sie zuzugehen und ihr Köpfchen in beide Hände zu nehmen und es zu küssen, kam mir auch. Aber mir fehlte jeglicher Mut dazu, und wir hätten uns wohl wirklich für ewig verloren, wenn der gute Gott uns nicht durch ein ganz unscheinbares Ereignis geholfen hätte. Als ich nämlich eben dabei war, mir eine zweite Cigarette zu drehen, stiess ich meine kleine Holzspitze aus Unachtsamkeit mit dem Ellenbogen vom Tisch. Ich stand auf, um sie zu suchen und war dabei so unglücklich, gerade mit dem Fuss darauf zu treten, so dass sie in zwei Teile zerbarst. Damals war ich ein leidenschaftlicher Cigarettenraucher, konnte es aber ebensowenig wie heute vertragen, dass mir der Tabak direkt in den Mund kam, und war somit über dies Malheur sehr betrübt. Eine andere besass ich nicht, und aus dem benachbarten Dorfe konnte ich mir zu dieser Stunde keine mehr holen lassen. Trotzdem ich den Kopf voll anderer Gedanken hatte, muss sich der Missmut darüber wohl auf meinem Gesichte ausgeprägt haben, denn meine liebe Böske stand freundlich und gefällig wie immer gleich auf, um in den Kästen nach einem passenden Ersatz zu suchen. Da es jedoch vergeblich war, fragte sie mich schüchtern, ob ich nicht bis morgen mit einem gehöhlten Rohr vorlieb nehmen möchte. Sie hätte selbst als Kind daraus geraucht, von bösen Buben verführt, und wüsste, dass es sehr schön ginge. Nach dieser Hinzufügung musste ich natürlich erklären, dass ich diese Art von Spitzen allen anderen vorzöge, wenn ich sie auch noch nicht praktisch erprobt hätte. Ich glaubte, dass zufällig etwas Geeignetes im Hause wäre, und war voller Erstaunen, als ich hörte, wie sie das Hausthor öffnete und die zum Garten führende Steintreppe hinabstieg. Dann aber fuhr es mir siedend heiss durch den Kopf, dass sie bis zum Teiche gehen wollte, um mir eine Spitze zu schneiden. Es war ein sehr dunkler Abend und der Weg zum Rohr schmal und holprig. Auf keinen Fall durfte ich sie dort allein gehen lassen. Ich holte mir also geschwind mein kleines Laternchen, setzte mir eine Mütze auf und eilte ihr nach. Sie musste aber gleichfalls sehr schnell gegangen sein, denn als ich noch auf dem Wege war, hörte ich sie schon das Röhricht prüfend auseinander biegen und sah ihre helle Schürze zu mir herüber schimmern. Als ich sie erreicht hatte, redete ich sie ein wenig erregt und mit sanftem Vorwurfe auf dieses Wagnis hin an, das für mich doch allzuviel der Freundschaft wäre und bei dem sie leicht hätte zu Schaden kommen können. »O, ich kenne die Wege,« erwiderte sie mir. »Überdies werde ich ja nicht mehr lange Gelegenheit haben, Ihnen nützen zu können. Lassen Sie es sich für dieses Mal also nur ruhig gefallen!« Diese Worte schnitten mir tief in das Herz. Als ich dann in dem Bestreben, ihr zu leuchten, mit meiner Hand ihre Schulter berührte, fühlte ich, dass sie am ganzen Körper bebte, und mich dünkte es, als ob es von verhaltenen Thränen käme. Da wurde es mir ganz wirr im Kopf. Alles, was ich so lange an Liebe und Leidenschaft still mit mir herumgetragen hatte, rebellierte mit einem Mal gegen meine Schüchternheit, und nachdem ich ein kurzes, aber inbrünstiges Stossgebet zum lieben Herrgott geschickt, dass er ja in den nächsten Minuten nicht den Mond aufgehen lassen soll, liess ich mein Laternchen fallen, umschlang sie mit beiden Armen und küsste sie ohne Aufhören wohl unzähligemal hintereinander. Anfänglich liess sie sich das ohne Widerstreben gefallen, und ich glaubte sogar den Gegendruck ihrer Lippen zu verspüren. Plötzlich aber stiess sie einen kleinen Schrei aus, und ihre schwachen Händchen gegen meine Schulter stemmend, versuchte sie mich fortzuschieben. Später hat sie mir gestanden, dass ich sie so leidenschaftlich umfasst, dass ihr in der Rückengegend ein Korsettstäbchen zerbrochen wäre, was sie arg geschmerzt hätte. Damals aber, als ich dies noch nicht wusste, weckte ihre Gegenwehr meine ganze Schüchternheit wieder auf. Ich war über die begangene Keckheit auf den Tod erschrocken und wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Da sich dieser aber trotz seiner Weichheit dazu nicht hergeben wollte, bückte ich mich wenigstens, um mein Laternchen aufzuheben und dann spurlos zu verschwinden. So am Boden kauernd und mit den Händen umhertastend, bat ich in kläglichem Tone um Entschuldigung und behauptete, dass ich nun wohl wüsste, dass ich vorhin ganz von Sinnen gewesen wäre. Am Ende titulierte ich sie gar ›gnädiges Fräulein‹, was ich sonst noch nie gethan hatte, wohl in der instinktiven Absicht, ihr durch diese Anrede nun einen verdoppelten Respekt zu bezeugen. Da hörte ich sie mit einem Mal lachen, so hell und doch so leise, als ob ein Vöglein im Röhricht gezwitschert hätte. ›Spricht man so mit einem Mädchen, das man vor einer Minute noch geküsst hat, Herr Kaplan?‹ Und ehe ich mich noch ganz aufrichten konnte, fühlte ich ihre Arme um meinen Nacken, und zweimal küsste sie mich auf den Mund. Beim ersten Kuss empfand ich nicht viel mehr als Schrecken und Staunen, wie Moses, als ihm der Herr im Dornbusch erschien. Beim zweiten aber wusste ich schon, dass mir damit eine Gnade zu teil würde, die nur einmal vorkommt im Leben, und ich liess das Laternchen schlafen. Wir fanden die Wege auch im Dunkeln. Als wir endlich in das Zimmer zurückgingen, schleifte ich einen langen Stock Rohr hinter mir her, und mit solcher Begeisterung, wie wir damals Spitzen schnitten, hat es seitdem wohl kein dritter mehr gethan. Die Gute! Sie wurde bald meine Frau. Als ihr Vater starb, kehrte ich als Pfarrer in diese Gemeinde zurück, und über zwanzig Jahre haben wir Lust und Leid miteinander geteilt ... Nun wissen Sie, warum ich noch heute des Sonntags Cigaretten aus Rohrspitzen rauche. Es ist zu ihrem Gedächtnis, zum Gedächtnis an unseren ersten Liebestag. Dreissig Jahre habe ich es gehalten, und gedenke es auch weiter so zu halten, bis mich der Allmächtige – hier lüftete er demütig sein Käppchen – zu sich ruft und mich wieder mit ihr vereint.« Während seiner letzten Worte hatte sich die Thüre geöffnet und ein junges, vielleicht neunzehnjähriges Mädchen war auf der Schwelle erschienen. Über das Gesicht des Kaplans, der bisher nachsinnend vor sich hingesehen hatte, glitt ein schelmisches Lächeln. »Die jungen Vögel bauen sich Nester, wenn ihre Zeit kommt, auch ohne dass sie von ihren Altvorderen gehört hätten, wie man das macht. Von heute ab werde ich auch aus Rohrspitzen rauchen, Herr Pastor, und gebe es Gott, dass es bei mir zu demselben Glücke führt, wie bei Ihnen!« Und mit einem kräftigen Rucke brach er einer Regiecigarette das Mundstück ab, und aus der Brusttasche eine sorgfältig in Papier eingeschlagene Rohrspitze hervorholend, zündete er sie sich darin an. »Wie meinen Sie das?« fragte der alte Herr zerstreut. Er war in Erinnerungen verloren. Auch wenn es heller gewesen wäre, hätte er es kaum bemerkt, dass seine Tochter, die ihn zum Nachtmahl rufen wollte, beim Anblick dieser Rohrspitze ganz purpurrot geworden war und dann aus dem Schatten herüber dem jungen, blondbärtigen Kaplan vorsichtig mit dem Zeigefinger drohte ... Soeben ist im Verlag von =Hermann Seemann Nachfolger= zu =Leipzig= erschienen der =neueste Roman= von YVETTE GUILBERT: Die Halb-Alten Les Demi-Vieilles Einzig autorisierte Ausgabe übersetzt von Ludwig Wechsler. 2. Auflage. _Preis brosch. M. 3.--, geb. M. 4.--._ Im Vorwort dazu sagt Yvette Guilbert: »_Ce livre a été écrit pour être lu des yeux qui pleurèrent beaucoup et aussi pour être le défenseur, l’ami avoué et dévoué de toutes celles qui furent des sensibles, des impressionables, des douloureuses, des tendres, des femmes!_« Mit einer mühsam verhaltenen Leidenschaft, die aber überall den echt Pariser Charme verrät, erzählt Yvette von den armen Frauen, erzählt mit einer sich windenden Schmerzlichkeit, die dann und wann wie aus der Glut einer Feuerflamme geradezu elementar hervorbricht. Die Tragik der Frauen, die in der Liebe alt werden, das ist der Untergrundton, den sie in ihren »Demi-Vieilles« anschlägt. Es wird sozusagen das fürchterliche Schicksal einer Ninon de Lenclos aufgerollt, die mit achtzig Jahren noch so jung und schön gewesen sein soll, dass sich Jünglinge in sie verliebten, und im weiteren Sinne wird die unerbittliche Grausamkeit gezeigt, die überhaupt in dem Altwerden der Frau liegt. Alle Frauen und Männer, denen ein im besten Sinne modernes, menschlich bedeutungsvolles Buch etwas zu sagen hat, werden Yvette Guilberts »Demi-Vieilles« lesen müssen, und es mit wirklich grossem Interesse und mit Lust lesen. _Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes._ Im Verlage von =Hermann Seemann Nachfolger, Leipzig=, ist soeben erschienen: Die Vaclavbude Ein Prager Studentenroman von =Karl Hans Strobl=. Preis brosch. M. 3,–, geb. M. 4,– »Nach der süßlichen Romantik »Alt-Heidelbergs« wirkt ein so gesundes Buch wie das vorliegende doppelt wohlthuend. Strobl schildert in seinem Studentenroman die letzten Tage der sturmbewegten Zeit unter dem Ministerpräsidenten Badeni. Plötzlich fühlt man sich in jene Zeit zurückversetzt und lebt den Prager Rummel bis zur Verhängung des Ausnahmezustandes mit ... Die Schrecken dieser wenigen Wochen sind von dem Autor mit einer solchen Anschaulichkeit geschildert, daß es einem an mancher Stelle den Atem verschlägt.« »Deutsche Zeitung,« Wien. »Strobls Erzählung, deren schlichte Helden ein paar Prager Burschenschafter sind, schildert mit großer dichterischer Kraft und Anschaulichkeit, die stellenweise an das Packendste, was Zola geschrieben hat, erinnert, Stimmungen und Vorgänge in den blutigen Prager Dezembertagen nach dem Sturz des Ministeriums Badeni ...« »Vossische Zeitung,« Berlin. »In der Beschränkung ein Meisterwerk, verdient Strobls Roman, aus Mähren die Reise durch ganz Deutschland und Deutschösterreich zu machen ... Im Nationalitätenkampfe steht der Brünner Dichter mit ganzer Seele auf der Seite der Deutschen, seiner Landsleute, von deren Berufung zur Weltherrschaft und kultureller Mission er fest überzeugt ist ... Karl Hans Strobl hat den österreichischen Roman der Gegenwart, in dem das psychologisch-soziale Moment pocht und hämmert, erschaffen. Möchte er dafür auch die gebührende Anerkennung weitester Kreise finden!« »Tagesbote aus Mähren und Schlesien.« Im Verlag von =Hermann Seemann Nachfolger= in =Leipzig= sind erschienen die neuesten Romane von =Victor Blüthgen= und =C. Eysell-Kilburger= (Frau Victor Blüthgen). Die Spiritisten Roman von Victor Blüthgen. Preis brosch. M. 3.--, geb. M. 4.--. »Wer dem Spiritismus nicht gänzlich ablehnend gegenübersteht, wer den geheimen Wunsch hat, das verschleierte Gebiet der 4. Dimension kennen zu lernen, wer vielleicht schon gar im stillen einen Ausflug dorthin versucht hat, dem sei mit warmem Herzen dies Buch empfohlen ... Die ›Spiritisten‹ sind amüsant von der ersten zur letzten Seite, und man wird das Buch nur ungern vor Schluss aus der Hand legen.« Altonaer Nachrichten. Dilettanten des Lasters Roman von C. Eysell-Kilburger (Frau Victor Blüthgen). Preis brosch. M. 3.--, geb. M. 4.--. »... ein Werk, das man nicht als Unterhaltungslektüre bemessen darf. Man kann den Roman als Beitrag zur Frauenfrage betrachten ... Der ganze Roman bietet in der Handlung ein aufgegriffenes Stück Leben von ergreifendem Ausklang, das um so wertvoller erscheint, je mehr man sich hinein vertieft, und das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.« Stettiner Zeitung. »... Man meint nach der Lektüre dieses Romans die Mädchen persönlich zu kennen, diese Mädchen mit der frohbewussten äusseren Unabhängigkeit vom Manne und der heissen inneren Sehnsucht nach ihm. Diese Mädchen, die in brennender Neugier gern des Lebens süssestes Geheimnis ergründen möchten und doch wieder vor der Entschleierung des Bildes zu Sais schaudernd zurückschrecken und sich begnügen, nur mit zagen Fingern daran vorüberzustreifen – Dilettanten des Lasters.« Wiesbadener Tageblatt. _Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes._ Wenn die Menschen reif zur Liebe werden Von Edward Carpenter Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen übersetzt und eingeleitet von =Karl Federn=. Preis brosch. M. 3.--, geb. M. 4.-- Während unsere moderne Erziehung meist mit einer scheuen Verschwiegenheit über die Fragen sexueller Natur und ihre heimlichen Abgründe hinwegzuleiten sucht, erörtert der Verfasser, frei von aller Aengstlichkeit und Prüderie, dieses für das Lebensglück jedes Einzelnen und für unsere gesamte Kultur so hochwichtige Problem. Mit dem ruhigen und vorurteilsfreien Blick des Naturforschers vereinigt er den idealen Schwung des Propheten und socialen Reformators. Die unhaltbaren und unreifen Zustände der Gegenwart unterzieht er einer tief eindringenden Kritik und gewinnt aus ihnen die Fundamente einer neuen, höheren Weltanschauung, welche die Sinne nicht durch Askese und unsinnliches Idealisieren verkrüppeln läßt, sondern der Persönlichkeit ein freies Ausleben aller ihrer Kräfte und Fähigkeiten ermöglicht. »Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf.« Dieses Wort Nietzsches könnte man der Schrift als Motto voransetzen. Es ist eins von jenen Büchern, durch das der warme Hauch des Lebens weht, ein Grund- und Eckstein von jenem großen Bau der Zukunft, an welchem wir mitzuarbeiten alle berufen sind. Verlag von =Hermann Seemann Nachfolger Leipzig, Goeschenstr. 1=. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Lange Reihen von Gedankenstrichen wurden einheitlich gekürzt. Ein Inhaltsverzeichnis wurde zur besseren Orientierung ergänzt. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Abendfalter : Geschichten der Sehnsucht" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.