By Author | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Title | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Language |
Download this book: [ ASCII ] Look for this book on Amazon Tweet |
Title: Onkel Tom's Hütte : oder die Geschichte eines christlichen Sklaven Author: Stowe, Harriet Beecher Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Onkel Tom's Hütte : oder die Geschichte eines christlichen Sklaven" *** Onkel Tom's Hütte oder die Geschichte eines christlichen Sklaven. Von Harriet Beecher Stowe. Aus dem Englischen übertragen von L. Du Bois. Dritter Band. _S. Zickel._ _Nro. 19. Dey-Street._ _NEW-YORK._ Inhalt. _I._ Seite I. Worin der Leser die Bekanntschaft eines menschenfreundlichen Mannes macht 1 II. Die Mutter 16 III. Der Gatte und Vater 21 IV. Ein Abend in Onkel Tom's Hütte 28 V. Die Empfindungen lebenden Eigenthums unter wechselnden Herren 44 VI. Die Entdeckung 57 VII. Der Kampf der Mutter 71 VIII. Ein würdiges Trio 91 IX. Worin sich zeigt, daß ein Senator nur ein Mensch ist 115 X. Das Eigenthum wird fortgeschafft 139 XI. Worin das Eigenthum in einen unpassenden Geisteszustand geräth 155 _II._ XII. Ausgewähltes Beispiel von gesetzlichem Handel 1 XIII. Die Quäker-Niederlassung 26 XIV. Evangeline 39 XV. Von Tom's neuen Herrn und verschiedenen andern Gegenständen 54 XVI. Tom's Mistreß und ihre Ansichten 77 XVII. Die Vertheidigung des freien Mannes 106 XVIII. Miß Opheliens Erfahrungen und Ansichten 131 XIX. Miß Opheliens Erfahrungen und Ansichten (Fortsetzung) 155 _III._ XX. Topsy 1 XXI. Kentucky 22 XXII. »Das Gras verwelkt -- die Blume verblüht« 29 XXIII. Henrique 39 XXIV. Vorboten 51 XXV. Der kleine Evangelist 60 XXVI. Der Tod 67 XXVII. »Dies ist das Letzte der Erde« 87 XXVIII. Wiedervereinigung 97 XXIX. Die Schutzlosen 119 XXX. Das Sklavenhaus 130 XXXI. Die Fahrt 145 XXXII. Finstere Orte 154 XXXIII. Cassy 166 XXXIV. Die Geschichte der Quatroon 178 XXXV. Die Zeichen 194 XXXVI. Emmeline und Cassy 203 XXXVII. Freiheit 213 XXXVIII. Der Sieg 223 XXXIX. Der Kunstgriff 237 XL. Der Märtyrer 252 XLI. Der junge Master 262 XLII. Eine wirkliche Geistergeschichte 271 XLIII. Ergebnisse 280 XLIV. Der Befreier 292 XLV. Schlußbemerkungen 298 Vorrede zur europäischen Ausgabe. Indem die Verfasserin die Herausgabe dieses Werkes für das Festland Europa's authorisirt, hat sie nur die Bemerkung beizufügen, daß die Menschenliebe höher steht als die Vaterlandsliebe. Das große, allen christlichen Nationen gemeinsame Mysterium, das Bündniß Gottes mit den Menschen durch die Menschwerdung Christi, verleiht der menschlichen Existenz eine Ehrfurcht erweckende Heiligkeit, und in den Augen eines jeden wahrhaft Gläubigen muß Derjenige, welcher die Rechte seines niedrigsten Mitmenschen mit Füßen tritt, nicht nur als Unmensch, sondern auch als Gotteslästerer erscheinen, -- und die schrecklichste Art dieser Gotteslästerung ist das Institut der Sklaverei. Man hat gesagt, daß die Schilderungen dieses Buches Uebertreibungen enthielten! Ich wünschte, es wäre wahr! ich wünschte, dieses Buch wäre wirklich nur eine Schöpfung der Einbildungskraft, und nicht eine Mosaik wirklicher Thatsachen! Aber daß es keine Erfindung ist, dafür sind die Beweise in Tausenden blutender Herzen zu finden, -- sie sind von Tausenden von Zeugen in den Sklavenstaaten bekräftigt, und selbst von Sklavenhaltern, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf dieses Buch, bestätigt worden. -- Wenn noch andere Beweise erforderlich wären, so dürften wir die ganze civilisierte Welt nur auf das allgemein publicierte Gesetzbuch der Sklavenstaaten verweisen, welches eine vollständige, klare und gesetzliche Billigung jeder Grausamkeit und Abscheulichkeit enthält, die der Mensch überhaupt der Seele und dem Körper seines Mitmenschen zufügen kann; und wenn das Gesetz so beschaffen ist, -- wie müssen dann die Folgen sein? Seitdem ist jedoch, Gott sei gedankt, jener gewaltige, unaussprechliche Angstschrei endlich gehört worden! Es ist gesagt worden, daß die Sklavenbevölkerung ganz ungeeignet für die Freiheit, und deren unfähig sei, und daß die in diesem Buche geschilderte Charaktere eingebildete Uebertreibungen und Unmöglichkeiten seien. Allein, was man auch über die afrikanische Race selbst sagen möge, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß die Sklavenbevölkerung Amerika's jetzt eine in hohem Grade gemischte Race ist, in deren Adern das beste angelsächsische Blut fließt, -- und daß Charaktere, wie Georg Harrys und Elise, keineswegs ungewöhnlich unter den Sklaven sind. Damit auch die Charakteristik des »Onkel Tom« selbst nicht für eine, in der Wirklichkeit nicht zu findende Erdichtung gehalten werde, wollen wir aus dem publizirten Testamente des Richters Upshur, früheren Staatssecretairs unter Präsident Tyler, des Tributes erwähnen, welcher darin den Verdiensten eines Lieblingssclaven gezollt worden ist. »Ich emancipire hierdurch meinen Sklaven David Rice, und weise meine Testamentsvollstrecker an, ihm hundert Dollar auszuzahlen. Ich empfehle ihn der Achtung und dem Vertrauen einer jeden Gemeinde, in der er sich niederlassen sollte. Er ist vierundzwanzig Jahre lang mein Sklave gewesen, während welcher Zeit ihm von mir unbedingtes und unbegränztes Vertrauen geschenkt worden ist. Sein Verhältniß zu mir und meiner Familie ist stets von der Art gewesen, daß sich ihm täglich Gelegenheit darbot, uns zu hintergehen oder zu bevortheilen, und dennoch hat ihm nie ein erhebliches Vergehen, selbst nicht ein Verstoß gegen die Gesetze des Anstandes in seiner Stellung zur Last gelegt werden können. Seine Intelligenz ist höherer Art, seine Rechtlichkeit über jedem Verdachte, und sein Gefühl für Recht und Schicklichkeit richtig und sogar geläutert. Ich bin der Meinung, daß er einen gerechten Anspruch darauf hat, dieses Zeugniß von mir mit in die neuen Verhältnisse zu nehmen, welche er einzugehen genöthigt ist; es gebührt seinen langen und treuen Diensten von der aufrichtigen Freundschaft, die ich für ihn hege. Während des ununterbrochenen, vertrauten Verkehrs durch vierundzwanzig Jahre habe ich ihm nie ein unfreundliches Wort gesagt, und nie dazu Veranlassung gehabt. Ich habe nie einen Menschen gekannt, der weniger Fehler und mehr gute Eigenschaften hatte, als er.« Es soll nicht behauptet werden, daß ein Charakter, wie der Onkel Tom's gewöhnlich zu finden sei, aber er hat mehr als einmal existirt; und es ist so eine Schmach, Verachtung und erzwungene Lasterhaftigkeit auf das Haupt des unglücklichen Afrikaners gehäuft worden, daß er wohl mit Recht einen Anspruch auf eine so günstige Schilderung hat, als sie mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit übereinstimmt. Nicht in äußerster Verzweiflung, sondern in feierlicher Hoffnung und Zuversicht dürfen wir dem Kampfe zuschauen, der jetzt Amerika durchwühlt. Es ist der Angstschrei des Teufels der Sklaverei, der von fern die Stimme eines nahenden Jesus gehört hat, und die edle Gestalt durch Zuckungen verzerrt, aus der er ihn endlich vertreiben wird. Es ist unmöglich, daß eine so ungeheure Verirrung lange im Busen einer Nation bestehen könne, die in jeder anderen Beziehung das beste Beispiel der großen Principien einer allgemeinen Brüderschaft giebt. In Amerika genießen der Franzose, der Deutsche, der Italiener, der Ungar, der Schwede und der Lette, alle gleiche Rechte; -- alle Nationen entfalten hier die ihnen eigenthümlichen Vorzüge, und werden durch die liberalen Gesetze des Landes gleicher Privilegien theilhaftig; Alles wirkt darauf hin, zu befreien, zu humanisiren, zu erheben, und grade aus diesem Grunde wird der Kampf mit der Sklaverei jedes Jahr furchtbarer. Der Strom menschlichen Fortschritt's, der durch die zusammenfließenden Kräfte aller Nationen immer breiter, tiefer und kräftiger wird, stößt auf diese Schranke, hinter welcher sich alle Unwissenheit, Grausamkeit und Bedrückung finstrer Jahrhunderte gesammelt hat; -- jetzt schäumt und drängt er nur gegen den Fuß, aber er steigt mit jedem Jahre, und endlich wird er mit einem Sturze, gleich dem des Niagara, das Hemmniß mit sich fortreißen. Dichtkunst, Redekunst und Litteratur sind dagegen, denn es gibt keine einzige Fähigkeit göttlichen Ursprungs im Menschen, die nicht für Freiheit spräche! Anfangs verbreitete sich die Sklaverei über alle Staaten der Union. Jetzt hat der Fortschritt der gesellschaftlichen Verhältnisse die Mehrzahl derselben emancipirt. In Kentucky, Tennessee, Virginien und Maryland haben zu verschiedenen Zeiten starke Bewegungen zu Gunsten der Emancipation statt gefunden, -- Bewegungen, welche fortwährend durch eine Vergleichung des progressiven Fortschritts der freien Staaten mit der Armuth und Unfruchtbarkeit als Folge eines Systems erweckt wurden, welches in wenigen Jahren den Boden erschöpft, ohne im Stande zu sein, ihm wieder frische Kräfte zu geben. Der Zeitpunkt kann nicht mehr fern sein, wo alle diese Staaten ihrer eignen Selbsterhaltung wegen emancipiren werden, und wenn kein Sklavengebiet hinzukommt, so wird ein Zunehmen der Sklavenbevölkerung Maßregeln für die Emancipation der übrigen nothwendig machen. Dies ist der Punkt, um den gestritten wird. Sofern kein neues Sklavengebiet gewonnen wird, muß die Sklaverei untergehen, -- wenn es gewonnen wird, besteht sie fort. -- Um diesen Punkt manöveriren und kämpfen die politischen Parteien, und jedes Jahr wird der Kampf heißer, der bald zur großen Nationalfrage werden wird. In dem Gesetze von 1850, die flüchtigen Sklaven betreffend, gewann die Sklavenmacht allerdings einen Sieg, aber es war nur ein Sieg des Pyrrhus, -- noch ein solcher würde ihr Untergang sein! Grade dieses Gesetz hat mehr als alle früher wirkenden Mittel dazu beigetragen, die moralische Kraft der Nation gegen die Sklaverei zu erwecken und zu concentriren. Keine inneren Kämpfe irgend einer andern Nation der Welt können für den Europäer von so großem Interesse sein wie die Amerika's, denn Amerika bevölkert sich immer mehr aus Europa, und jeder Europäer, der an seinen Ufern landet, erlangt fast unmittelbar seine Stimme in den Berathungen. Wenn deßhalb die Unterdrückten andrer Nationen in Amerika ein Asyl dauernder Freiheit zu finden wünschen, so mögen sie bereit sein, mit Herz, Hand und Stimme gegen das Institut der Sklaverei zu kämpfen; denn diejenigen, die Andere zu Sklaven machen wollen, können selbst nicht lange frei bleiben. Wahr sind die großen, lebendigen Worte: »Keine Nation kann frei bleiben, bei der die Freiheit nur ein Vorrecht und nicht ein Princip ist.« ^Andover^, den 21. September 1852. =Harriet Beecher Stowe.= Zwanzigstes Kapitel. Topsy. Eines Morgens, als Miß Ophelia in ihren häuslichen Sorgen geschäftig war, wurde St. Clare's Stimme am Fuße der Treppe gehört, der nach ihr rief. »Komm herunter, Cousine, ich habe Dir etwas zu zeigen!« »Was ist es denn?« fragte Ophelia, mit ihrem Nähzeuge in der Hand herabkommend. »Ich habe hier etwas für Dein Departement angekauft, -- sieh' hier!« sagte St. Clare, indem er ein kleines Negermädchen von acht bis neun Jahren hervorzog. Sie war eine der Schwärzesten ihrer Race, und ihre runden, wie Glasperlen glänzenden Augen flogen mit unstäten, ruhelosen Blicken über alle im Zimmer befindlichen Gegenstände. Ihr Mund, der vor Erstaunen über die Wunder im Wohnzimmer ihres Herrn halb geöffnet war, ließ zwei Reihen glänzend weißer Zähne sehen. Ihr wolliges Haar war in verschiedene Zöpfe geflochten, die nach allen Richtungen hin starrten. Der Ausdruck ihres Gesichts enthielt eine sonderbare Mischung von Muthwillen und Schlauheit, über die, wie ein Schleier, die Miene eines schmerzlichen Ernstes hing. Sie trug ein einziges, schmutziges, zerlumptes Kleid aus Sackleinwand, und stand mit ernsthaft gefalteten Händen vor Ophelien. In ihrer ganzen Erscheinung lag etwas so Sonderbares, Koboldartiges, -- etwas, wie Miß Ophelia später versicherte, so »Heidnisches,« daß diese gute Dame einen wahren Schrecken vor ihr empfand. Indem sie sich zu St. Clare umwandte, sagte sie: »Augustin, wozu in aller Welt hast Du denn das Ding hierher gebracht?« »Damit Du es erziehen sollst, kein Zweifel, und es auf den rechten Weg bringen. Ich dachte, es wäre ein possierliches Exemplar im Jim-Crow-Geschlechte. Hier, Topsy,« fügte er mit einem Pfiff hinzu, so wie man die Aufmerksamkeit eines Hundes zu erregen pflegt, -- »laß uns einen Gesang hören, und zeige uns etwas von Deinen Tanzkünsten.« Die schwarzen gläsernen Augen begannen von einer Art boshaften Muthwillens zu glänzen, und das kleine Wesen begann mit einer klaren, gellenden Stimme eine jener sonderbaren Neger-Melodien, nach der sich ihre Hände und Füße im Takte bewegten, während sie sich im Kreise herum drehte, mit den Händen und Knien zusammenschlug, und jene sonderbaren Kehllaute hören ließ, die der heimathlichen Gesangsweise ihres Geschlechtes eigentümlich sind; und endlich zwei oder drei Sprünge in die Luft machend, kam sie mit einem gedehnten Schlußtone, der so unirdisch klang wie die Pfeife einer Locomotive, auf den Teppich nieder, und stand dann wieder mit gefalteten Händen da, und dem Ausdrucke scheinheiliger Sanftmuth und Feierlichkeit im Gesichte, der nur durch die listigen Blicke unterbrochen wurde, die sie in schräger Richtung aus ihren Augenwinkeln umherschoß. Miß Ophelia stand stumm und wie vom Schlage getroffen vor Erstaunen. St. Clare, muthwillig wie er war, schien sich an diesem Staunen zu ergötzen, und wandte sich von Neuem an das Kind. »Topsy,« sagte er, »dies ist Deine neue Mistreß, ich übergebe Dich ihr; also betrage Dich jetzt gut.« »Ja, Master,« entgegnete Topsy mit scheinheiligem Ernste, während ihre gottlosen Augen blinzelten. »Du mußt Dich gut betragen, Topsy, verstehst Du,« sagte St. Clare. »O ja, Master,« entgegnete Topsy, von Neuem blinzelnd, während ihre Hände andächtig gefaltet blieben. »Nun, Augustin, in aller Welt, sage mir nur, wozu ist das?« sagte Miß Ophelia. »Dein Haus ist so voll von dieser Plage, daß man kaum seinen Fuß niedersetzen kann, ohne auf eins dieser Wesen zu treten. Wenn ich des Morgens aufstehe, so finde ich eins hinter der Thür liegen und schlafen, einen andern schwarzen Kopf unter dem Tische, und wieder einen andern auf der Fußdecke vor der Thür; und an allen Gittern hängen sie, und grinsen und schneiden Gesichter, und in der Küche wälzen sie sich fortwährend auf dem Boden umher! Wozu hast Du denn dieses Wesen noch nöthig gehabt?« »Ich sagte Dir ja, -- damit Du es erziehen sollst, weil Du immer von Erziehung sprichst. Ich dachte, ich wollte Dir ein frisch eingefangenes Exemplar bringen, um Deine Hand daran zu versuchen, und es auf den rechten Weg zu bringen.« »Ich will dieses Wesen nicht haben, gewiß nicht. Ich habe schon mehr mit dieser Gattung zu thun, als mir lieb ist.« »So seid Ihr Christen alle! -- Gesellschaften könnt Ihr stiften, und ein paar arme Missionäre anwerben, um ihr ganzes Leben unter solchen Heiden zuzubringen; aber zeige mir Einen von Euch, der so ein Wesen zu sich in das Haus nehmen, und die Mühe der Bekehrung selbst übernehmen würde! Nein; wenn es dahin kommt, dann sind sie schmutzig und widerlich, und machen zu viel Umstände, und so weiter!« »Augustin, ich habe die Sache nicht in diesem Lichte betrachtet,« sagte Miß Ophelia, augenscheinlich sanfter werdend. »Wohl, es kann vielleicht ein ächtes Bekehrungswerk sein,« fügte sie hinzu, das Kind mit etwas günstigeren Blicken betrachtend. St. Clare hatte die rechte Feder berührt, denn Miß Opheliens Gewissenhaftigkeit war immer wach. »Aber,« bemerkte sie noch, »ich sah wirklich die Nothwendigkeit nicht ein, dieses noch zu kaufen, da bereits genug im Hause vorhanden sind, um alle meine Zeit und Gewandtheit in Anspruch zu nehmen.« »Wohlan, Cousine,« sagte St. Clare, indem er sie bei Seite zog, »ich habe Dich wegen meiner albernen Reden um Verzeihung zu bitten. Du bist so gut, daß sie keine Bedeutung haben können. Sieh, die Sache ist diese. Das kleine Wesen gehörte einem Paar trunkener Geschöpfe, die ein niedriges Wirthshaus halten, an dem ich alle Tage vorüber komme; und ich konnte das Schreien und Prügeln dieses Kindes nicht mehr anhören. Das Mädchen sah aufgeweckt und possierlich aus, als wenn sich was aus ihr machen lasse, und so kaufte ich sie, und will sie Dir geben. Versuche Du nun, ihr eine orthodoxe, neu-englische Erziehung zu geben, und sieh zu, was sich mit ihr machen läßt. Du weißt, ich selbst besitze keine Fähigkeiten in dieser Richtung, aber ich möchte, daß Du es versuchtest.« »Wohl, ich will thun, was ich kann,« sagte Miß Ophelia, und näherte sich ihrer neuen Untergebenen ungefähr so, wie sich eine Person einer schwarzen Spinne nähern würde, für die sie wohlwollende Absichten hegt. »Sie ist schrecklich schmutzig, und halbnackt,« sagte sie. »So nimm sie hinunter, und laß sie sich waschen und reinlich anziehen.« Miß Ophelia führte sie hinunter in die Regionen der Küche. »Sehe gar nicht, wozu Master St. Clare noch 'ne Niggerin braucht!« sagte Dinah, während sie den neuen Ankömmling mit keinen sehr freundlichen Blicken betrachtete. »Mag sie nicht unter meinen Füßen haben!« »Pah!« sagte Rosa und Jane mit vornehmem Abscheu, »sie mag uns aus dem Wege gehen! Wozu Master noch eine von diesen niedrigen Negerinnen nöthig hat, kann ich nicht begreifen!« »Du geh'! Nicht mehr Niggerin als Du bist, Miß Rosa,« sagte Dinah, welche die letztere Bemerkung auf sich bezog. »Bild'st Dir wohl ein, Du wärst 'ne Weiße? Bist gar nichts, nicht schwarz, nicht weiß. Will doch lieber 'was sein.« Miß Ophelia sah, daß hier Niemand zu finden sei, der die Beaufsichtigung des Waschens und Ankleidens übernehmen würde, und fand sich deßhalb genöthigt, es mit einer sehr unfreundlichen und unwilligen Hülfe von Seiten Jane's selbst zu thun. Es ist nicht für zarte Ohren geeignet, die Einzelheiten der ersten Toilette eines vernachlässigten, mißbrauchten Kindes zu hören. Zahllose menschliche Wesen müssen in dieser Welt in einem Zustande leben und sterben, dessen Schilderung zu stark für die Ohren ihrer Mitmenschen sein würde. Miß Ophelia hatte einen guten, festen, praktischen Willen, und ging deßhalb durch alle ekelhaften Einzelheiten mit heroischer Gründlichkeit, obgleich nicht mit sonderlichem Gefallen daran, -- denn Beharrlichkeit war das Einzige, wozu ihre Grundsätze sie bringen konnten. Als sie auf dem Rücken und den Schultern des Kindes die tiefen Narben und Schwielen sah, unverlöschliche Zeichen des Systemes, unter dem es bisher aufgewachsen war, fühlte sie Mitleid für dasselbe. »Sehen Sie, da!« sagte Jane, auf diese Marken deutend, »zeigt das nicht, daß sie ein Taugenichts ist? Wir werden schöne Arbeit mit ihr haben, glaube ich. Ich hasse alle diese Niggerkinder! sind so ekelhaft! Ich wundere mich, daß Master sie gekauft hat!« Das »Niggerkind« hörte alle diese Bemerkungen mit unterwürfiger, kläglicher Miene an, die ihm gewohnheitsgemäß zu sein schien, aber unterließ dabei nicht, scharfe, verstohlene Blicke auf den Schmuck zu werfen, den Jane in ihren Ohren trug. Als Topsy endlich reinlich und ordentlich angezogen, und ihr Haar kurz abgeschnitten worden war, sagte Miß Ophelia mit einiger Zufriedenheit, daß sie christlicher aussehe als zuvor, und begann bereits im Geiste Pläne für ihren Unterricht zu entwerfen. Indem sie sich vor sie setzte, begann sie Fragen an sie zu richten. »Wie alt bist Du, Topsy?« »Weiß nicht, Missis,« sagte das Bild mit einem Grinsen, das alle seine Zähne zeigte. »Du weißt nicht, wie alt Du bist? Hat Dir's denn niemals Jemand gesagt? Wer war Deine Mutter?« »Hatte nie eine!« sagte das Kind, von Neuem grinsend. »Du hattest nie eine Mutter? Was meinst Du damit, wo bist Du denn geboren worden?« »Bin nie geboren worden!« fuhr Topsy mit einem neuen Grinsen fort, welches so koboldartig aussah, daß, wenn Miß Ophelia überhaupt nervenreizbar gewesen wäre, sie sich leicht hätte einbilden können, irgend ein schwarzes Gnomenkind aus dem diabolischen Reiche vor sich zu haben; allein Ophelia war nicht nervenschwach, sondern derb und praktisch, und sagte deßhalb mit einiger Schärfe: »Du mußt mir darauf antworten, Kind; ich spasse nicht mit Dir. Sage mir, wo Du geboren worden bist, und wer Dein Vater und Deine Mutter waren.« »Bin nie geboren worden,« wiederhole der Kobold nachdrücklicher; »-- habe nie Vater und Mutter gehabt, nichts. Bin von 'nen Händler aufgezogen worden, mit einer ganzen Menge Anderer. Tante Sue zog uns auf und fütterte uns.« Das Kind war augenscheinlich aufrichtig, und Jane, in ein kurzes Lachen ausbrechend, sagte: »O Missis, es giebt eine Menge von der Art. Die Händler kaufen sie billig auf, wenn sie klein sind, und ziehen sie auf für den Markt.« »Wie lange bist Du bei Deinem Master und Deiner Mistreß gewesen?« fragte Miß Ophelia weiter. »Weiß nicht, Missis.« »Ist es ein Jahr, oder mehr, oder weniger?« »Weiß nicht, Missis?« »O, Missis,« unterbrach hier Jane wieder, -- »diese niedrigen Neger wissen so etwas nicht; die wissen nichts von der Zeit; wissen nicht, was ein Jahr ist, und wissen nicht, wie alt sie sind.« »Hast Du jemals etwas von Gott gehört, Topsy?« Das Kind sah bei dieser Frage verwirrt aus, aber grinste wieder wie gewöhnlich. »Weißt Du, wer Dich geschaffen hat?« »Niemand, was ich weiß,« sagte das Kind mit einem kurzen Lachen. Die Idee schien es besonders zu amüsiren, denn seine Augen blinzelten, und es fügte hinzu: »Ich denke, ich bin gewachsen; 's hat mich Niemand geschaffen.« »Kannst Du nähen?« fragte Miß Ophelia weiter, indem sie es für zweckmäßig hielt, die Unterhaltung auf etwas Anderes zu lenken. »Nein, Missis.« »Was kannst Du denn? -- was hast Du für Deinen Herrn und Deine Mistreß gethan?« »Wasser geholt, und Teller gewaschen, und Messer geputzt, und weißen Leuten aufgewartet.« »Waren sie gut gegen Dich?« »Glaube, ja,« sagte das Kind, Miß Ophelia listig von der Seite betrachtend. Ophelia stand von diesem ermuthigenden Zwiegespräche auf, während dessen St. Clare hinter ihrem Stuhle, sich auf die Lehne stützend, gestanden hatte. »Du findest hier jungfräulichen Boden, Cousine,« sagte er. »Lege Deine eignen Ideen hinein, -- wirst nicht viel auszurotten haben.« Miß Opheliens Ansichten über Erziehung waren wie alle ihre anderen Ideen bestimmt und geordnet, und aus derjenigen Schule, welche vor ungefähr hundert Jahren in Neu England herrschend war, und noch jetzt in einigen abgelegenen, unverderbten Theilen zu finden ist, wohin keine Eisenbahnen führen. Sie ließen sich ziemlich genau in wenige Worte fassen: »Den Kindern Aufmerksamkeit zu lehren, wenn mit ihnen gesprochen wird; ihnen den Katechismus, Nähen und Lesen zu lehren und sie zu züchtigen, wenn sie Unwahrheiten sagen;« und obgleich in der Fluth von Licht, welches sich jetzt über Erziehung verbreitet, diese Principien natürlich weit in den Hintergrund getreten sind, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß unsere Großmütter unter ihrer Herrschaft manche recht brave Männer und Weiber erzogen haben, wie Viele von uns werden bezeugen können. Jedenfalls wußte Miß Ophelia nichts Anderes zu thun, und begann deshalb das Erziehungswerk ihres heidnischen Zöglings mit vollem Eifer. Das Kind wurde als Miß Ophelia's Mädchen angekündigt und im ganzen Hause so betrachtet; und da Topsy in der Küche mit keinem sehr gnädigen Auge betrachtet wurde, so beschloß Miß Ophelia, ihren Wirkungskreis und Unterricht hauptsächlich auf ihr eigenes Zimmer zu beschränken. Mit einer Selbstverleugnung, welche vielleicht nur wenige von unsern Lesern zu würdigen im Stande sein werden, beschloß sie, statt behaglich ihr Bett selbst zu machen und ihr Zimmer selbst auszufegen und abzustäuben, -- was sie bisher stets mit völliger Beiseitesetzung aller Anerbietungen des Kammermädchens im Haushalte selbst besorgt hatte, -- sich zu dem Märtyrerthum zu verurtheilen, Topsy diese Verrichtungen zu lehren. Wenn je eine unserer Leserinnen dasselbe that, so wird sie die Größe dieses Opfers zu würdigen wissen. Miß Ophelia begann mit Topsy damit, daß sie sie am ersten Morgen in ihr Zimmer nahm und einen Lehrcursus in der geheimnißvollen Kunst des Bettmachens anfing. Topsy stand, rein gewaschen und rein geschoren von allen den geflochtenen kleinen Zöpfen, an denen ihr Herz gehangen hatte, in einem saubern Kleide und weißer, gestärkter Schürze, vor Ophelien mit einer so feierlichen Miene, wie sich für ein Leichenbegängniß gepaßt haben würde. »Nun, Topsy, will ich Dir zeigen, wie mein Bett gemacht werden muß. Ich bin sehr eigen darin; Du mußt lernen, es grade ebenso zu machen.« »Ja, Madame,« sagte Topsy mit einem tiefen Seufzer und einem schmerzlich ernsthaften Gesichte. »Nun, Topsy, sieh hier; -- dies ist der Saum des Betttuches, -- dies ist die rechte Seite und dies die linke: -- wirst Du das behalten?« sagte Miß Ophelia weiter. »Ja, Madame,« wiederholte Topsy mit einem neuen Seufzer. »Gut, das untere Betttuch mußt Du über das Pfühl ziehen, -- so, -- und es glatt unter die Matratze einschlagen, -- so, siehst Du?« »Ja, Madame,« sagte Topsy mit gespanntester Aufmerksamkeit. »Aber das obere Betttuch,« fuhr Miß Ophelia fort, »muß auf diese Weise herabgelegt und am Fußende glatt und fest eingeschlagen werden, -- so, -- mit dem schmalen Saum unten.« »Ja, Madame,« sagte Topsy wie zuvor, -- allein wir wollen hinzufügen, was Miß Ophelia nicht bemerkt hatte, daß nämlich während der Zeit, wo die gute Dame im Eifer ihrer Verrichtungen ihrer Schülerin den Rücken zugedreht, diese ein Paar Handschuhe und ein Band zu erhaschen gewußt und diese geschickt in ihren Aermel geschoben hatte, worauf sie mit gefalteten Händen wieder so ehrerbietig wie zuvor dastand. »Nun, Topsy, laß mich sehen, wie Du dies machst,« sagte Miß Ophelia, die Betttücher wieder herabreißend und sich setzend. Topsy ging hierauf mit großem Ernste und großer Geschicklichkeit durch den ganzen Prozeß zu Miß Opheliens großer Zufriedenheit; sie legte die Betttücher glatt, beseitigte jede Falte, und zeigte während der ganzen Verrichtung einen Ernst, an dem ihre Lehrerin nicht geringes Gefallen fand. Allein aus einer unglücklichen Schlitze ihrer Aermel kam ein Stückchen des Bandes zum Vorschein, grade in dem Augenblicke, als sie ihr Geschäft beendigte und fiel Miß Ophelien in's Auge. Augenblicklich sprang diese darauf zu. »Was ist dies? Du ungezogenes, böses Kind, -- Du hast dies gestohlen!« Das Band wurde aus Topsy's Aermel hervorgezogen, aber Topsy wurde dadurch durchaus nicht außer Fassung gebracht, sondern blickte darauf nur mit einer Miene überraschter Unschuld. »O, ah, das ist Miß Feely's Band! Wie sich das nur in meinem Aermel hat fangen können?« »Topsy, Du unartiges Kind, sage mir keine Lügen, -- Du hast das Band gestohlen!« »Missis, ich versichere, ich hab's nicht gethan, -- hab's nie gesehen, als jetzt grade in dieser Minute.« »Topsy,« sagte Miß Ophelia, »weißt Du nicht, daß es sündlich ist, zu lügen?« »Ich sage nie Lügen, Miß Feely,« sagte Topsy mit tugendhaftem Ernste; »'s ist nur die Wahrheit, was ich jetzt gesagt habe, -- nichts Anderes!« »Topsy, ich werde Dich peitschen müssen, wenn Du lügst.« »O, Missis, wenn Sie mich peitschen den ganzen Tag, -- kann nichts Anderes sagen, gar nicht!« rief Topsy, indem sie zu weinen anfing. »Hab's nie gesehen, -- muß sich in meinem Aermel gefangen haben. Miß Feely muß es auf dem Bette gelassen haben und da muß es an meinen Aermel gekommen sein.« Miß Ophelia war über diese dreiste Lüge so empört, daß sie das Kind ergriff und es heftig schüttelte. »Sage mir das nicht noch einmal!« Das Schütteln ließ auch die Handschuhe aus dem andern Aermel auf die Erde fallen. »Da, Du!« rief Miß Ophelia. »Willst Du mir nun noch sagen, Du habest das Band nicht gestohlen?« Topsy bekannte jetzt in Bezug auf die Handschuhe, aber fuhr beharrlich fort, das Stehlen des Bandes in Abrede zu stellen. »Höre, Topsy,« sagte Miß Ophelia, »wenn Du Alles gestehen willst, so will ich Dich für dieses Mal nicht peitschen.« Auf diese Weise gedrängt, gestand Topsy endlich, mit schmerzlichen Versicherungen der Reue, das Band und die Handschuhe genommen zu haben. »Nun, sage mir, -- ich weiß, Du mußt noch andre Dinge im Hause genommen haben, denn ich habe Dich gestern den ganzen Tag umher laufen lassen, -- nun sage mir, was Du sonst noch genommen hast, und ich will Dich nicht peitschen.« »O Missis! ich habe Miß Eva's rothes Ding genommen, was sie um den Hals trägt.« »Das hast Du gethan, Du böses Kind! -- Wohl, was weiter?« »Und Rosa's Ohrringe, -- die rothen.« »Geh, und hole beide Stücke gleich hierher.« »O, Missis, ich kann nicht, -- sind verbrannt.« »Verbrannt? was ist das wieder für eine Lüge! Gehe gleich, oder ich peitsche Dich!« Topsy blieb mit lauten Versicherungen, und Thränen und Stöhnen dabei, daß sie nicht ^könne^, -- daß sie verbrannt seien. »Weshalb hast Du sie denn verbrannt?« sagte Ophelia. »Weil ich unartig bin, -- bin mächtig unartig; -- weiß nicht, kann nicht anders.« Grade in diesem Augenblicke kam Eva unschuldig und ahnungslos mit dem in Rede stehenden Korallenhalsbande in das Zimmer. »Wie, Eva, wo hast Du Dein Halsband gefunden?« fragte Miß Ophelia. »Gefunden? Wie, ich habe es den ganzen Tag getragen,« entgegnete Eva. »Hast Du es denn gestern gehabt?« »Gewiß! Und was sonderbar ist, Tante, ich habe es die ganze Nacht um gehabt; ich vergaß gestern, als ich zu Bett ging, es abzulegen.« Miß Ophelia war vollständig irre, und zwar um so mehr, als grade in diesem Momente auch Rosa, mit einem Korbe frisch geplätteter Wäsche auf dem Kopfe, in das Zimmer trat, und die bewußten Ohrringe in ihren Ohren trug. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Kinde anfangen soll!« sagte sie. »Was in der Welt brachte Dich dazu, Topsy, mir zu sagen, daß Du die Dinge genommen habest?« »Missis sagte, ich mußte gestehen, und es fiel mir nichts Anderes ein, zu gestehen,« entgegnen Topsy, ihre Augen reibend. »Aber natürlich habe ich nicht gewollt, daß Du Dinge gestehst, die Du nicht gethan hast,« sagte Miß Ophelia; »es ist eins so gut eine Lüge, wie das andere.« »So? -- ist es?« sagte Topsy, mit der Miene unschuldiger Verwunderung. »O, da ist keine Spur von Wahrheit in solchen Kreaturen,« sagte Rosa, verächtlich auf Topsy blickend. »Wenn ich Master St. Clare wäre, so wollt' ich sie peitschen lassen, bis das Blut strömte, -- sicherlich, sie sollt' es kriegen!« »Nein, nein, Rosa,« sagte Eva mit einer befehlenden Miene, die das Kind zuweilen annehmen konnte; »Du mußt nicht so sprechen, Rosa! ich kann es nicht hören.« »O, Miß Eva! Sie sind so gut, Sie wissen nichts davon, wie man mit Niggern umgehen muß. 's gibt kein andres Mittel, als sie derb zu peitschen, -- glauben Sie nur!« »Rosa!« rief Eva, während ihr Auge flammte, und ihre Wangen sich purpurroth färbten, -- »still! sprich kein Wort mehr davon!« Rosa verstummte augenblicklich. »Miß Eva hat St. Clare'sches Blut, -- das ist klar; sie kann grade so sprechen, wie ihr Vater,« murmelte sie, während sie zum Zimmer hinausging. Eva stand vor Topsy, und betrachtete sie. Da standen die beiden Kinder als würdige Repräsentanten der Extreme der bürgerlichen Gesellschaft. Das schöne, hoch erzogene Kind mit dem goldenen Lockenkopfe, den tiefen Augen, den geistreichen, edlen Zügen, und den feinen Bewegungen; und daneben sein schwarzer, schlauer, kriechender und doch scharfsinniger Nachbar. Sie waren die Repräsentanten ihrer Geschlechter: des sächsischen, das durch Jahrhunderte von Bildung, Herrschaft, Erziehung, physischer und geistiger Entwickelung gegangen war, und des afrikanischen, das Jahrhunderte in Druck, Unterwürfigkeit, Unwissenheit, Mühe und Laster durchlebt hatte! Etwas Aehnliches mochte vielleicht in diesem Augenblicke Eva's Gedanken beschäftigen; allein die Gedanken eines Kindes sind nur dunkle und unbestimmte Ahnungen, und in Eva's edler Natur mochten viele solche geistige Regungen thätig sein, für die ihr die Kraft des Ausdrucks fehlte. Als sich Miß Ophelia über Topsy's Ungezogenheit und schlechtes Betragen ausließ, sah das Kind bestürzt und traurig aus, aber sagte sanft: »Arme Topsy, warum mußt Du stehlen? Du wirst nun unter strenge Aufsicht kommen. Ich wollte Dir lieber Etwas von meinen Sachen schenken, als daß Du es stiehlst.« Es waren die ersten freundlichen Worte, die das Kind in seinem Leben gehört hatte. Der sanfte, liebevolle Ton machte einen sonderbaren Eindruck auf das wilde, rohe Herz, und der Glanz einer Thräne zeigte sich einen Augenblick lang in dem scharfen, runden Auge; aber gleich darauf folgte wieder das kurze Lachen und Grinsen. Nein! das Ohr, das nie etwas Anderes als Scheltworte gehört hat, glaubt nicht an etwas so Himmlisches wie Güte; und Topsy hielt deshalb Eva's Rede nur für etwas Spaßhaftes, etwas Unerklärliches, -- sie glaubte ihr nicht. Aber was war mit Topsy zu machen? Miß Ophelia wußte es nicht. Ihre Regeln für Erziehung schienen auf das Kind nicht zu passen. Sie dachte, sie wolle sich Zeit nehmen, um den Fall zu überlegen, und schloß deshalb, im Vertrauen auf gewisse, unbestimmte, wirksame Kräfte, die dunkelen Gemächern zugeschrieben werden, Topsy in ein solches ein, bis daß sie zu einem bestimmteren Entschlusse gekommen sein werde. »Ich sehe nicht ein,« sagte Miß Ophelia zu St. Clare, »wie ich das Kind in Ordnung halten soll, ohne es zu peitschen.« »Gut, so peitsche es, so viel Du willst. Ich will Dir volle Machtvollkommenheit geben.« »Kinder müssen immer körperlich gezüchtigt werden,« sagte Miß Ophelia, »ich weiß nicht, wie man sie ohne das erziehen kann.« »O, natürlich,« sagte St. Clare, »mache es ganz so, wie Du es für am Besten hältst. Nur eine Bemerkung wollte ich mir erlauben. Ich habe das Kind mit der Feuerzange, mit Schüreisen und Schüssel, was grade am nächsten zur Hand war, prügeln und niederschlagen sehen; und da es also an diese Art von Operation gewohnt ist, so müssen Deine Züchtigungen ziemlich energisch eingerichtet werden, wenn sie großen Eindruck machen sollen.« »Was ist denn aber nun mit ihr zu thun?« fragte Ophelia. »Du hast eine sehr wichtige Frage aufgeworfen,« sagte St. Clare, »und ich wollte, Du könntest sie beantworten. Was ist mit einem menschlichen Wesen zu thun, das nur durch die Peitsche regiert werden kann, -- wenn selbst diese wirkungslos wird? Es ist ein sehr häufiger Fall hier bei uns im Süden.« »Ich weiß es nicht; ich habe nie ein solches Kind gesehen.« »Solche Kinder sind bei uns sehr gewöhnlich, und sogar solche Männer und Weiber. Wie sollen ^die^ regiert werden?« sagte St. Clare. »Es ist jedenfalls mehr, als ich zu beantworten vermag,« entgegnete Miß Ophelia. »Und ich gleichfalls,« sagte St. Clare. »Jene schrecklichen Grausamkeiten, die von Zeit zu Zeit durch die Zeitungen bekannt werden, -- solche Fälle, wie zum Beispiel Prue's, -- woher kommen sie? In vielen Fällen ist es ein allmähliger Abhärtungsprozeß auf beiden Seiten, -- indem der Besitzer immer grausamer, und der Sklave immer unempfindlicher dagegen wird. Peitschen und Mißhandlung sind wie Laudanum; die Dosis muß in demselben Grade erhöht werden, in welchem die Nerven sich abstumpfen. Ich erkannte das sehr bald, als ich Besitzer wurde, und beschloß deßhalb, nie damit anzufangen, weil ich nicht wußte, wann ich aufhören würde. Die Folge davon ist, daß meine Sklaven sich wie verzogene Kinder betragen; aber ich halte es für besser, als wenn wir beiderseits entmenscht wären. Du hast viel über unsere Verantwortlichkeit in Bezug auf Erziehung gesprochen, und deshalb wollte ich, daß Du es mit einem Kinde versuchen möchtest, welches als Beispiel von Tausenden gelten kann.« »Aber es ist Euer System, welches solche Kinder erzeugt,« sagte Miß Ophelia. »Ganz richtig, ich weiß das; aber sie sind einmal so, -- sie sind da, -- und was ist mit ihnen zu machen?« »Wohl, ich kann nicht sagen, daß ich Dir für diesen Versuch besonders dankbar wäre: allein, da es einmal eine Pflicht zu sein scheint, so will ich darin fortfahren, und thun, was ich kann,« sagte Miß Ophelia, und hielt ihr Wort, denn sie fuhr fort, mir einem Grade von Eifer und Energie an der Bildung ihres Zöglings zu arbeiten, der Achtung verdiente. Sie bestimmte regelmäßige Stunden und Beschäftigungen für das Kind, und versuchte es, sie lesen und nähen zu lehren. In der erstern Kunst machte Topsy schnelle Fortschritte. Sie lernte die Buchstaben wie durch Zauberei, und war sehr bald im Stande, einfache Schrift zu lesen; aber das Nähen war eine schwierigere Aufgabe. Das Wesen war geschmeidig wie eine Katze, und behende wie ein Affe; und da ihr das Stillsitzen beim Nähen zuwider war, so zerbrach sie ihre Nadeln, und warf sie verstohlen zum Fenster hinaus, oder in Spalten der Wände; sie verwickelte, zerriß und beschmutzte ihren Zwirn, oder warf ein ganzes Knäul verstohlen in einen versteckten Winkel. Ihre Bewegungen waren beinahe so schnell, wie die eines geübten Taschenspielers, und die Herrschaft über ihre Gesichtszüge war eben so groß; und obgleich Miß Ophelia sich nicht denken konnte, daß so viele Zufälle sich nach einander ereignen könnten, so war sie ja dennoch außer Stande, sie ohne eine besondre Wachsamkeit zu ertappen, die ihr keine Zeit zu andern Geschäften übrig gelassen haben würde. Topsy war sehr bald im ganzen Hause bekannt. Ihr Talent für jede Art von Possen, Grimassen und Nachäffung, -- für tanzen, klettern, singen, pfeifen und Nachahmung jedes Tones, der ihr gefiel, schien unerschöpflich. Während ihrer Spielstunden hatte sie regelmäßig sämmtliche Kinder des ganzen Hauses hinter sich, die sie offenen Mundes vor Staunen und Verwunderung anstarrten, -- selbst Eva nicht ausgenommen, welche sich von ihren wilden Teufeleien in derselben Weise angezogen fühlte, wie eine Taube zuweilen an dem Glanz und Schimmer einer Schlange Gefallen findet. Miß Ophelia wurde darüber unruhig, daß Eva so vielen Gefallen an Topsy's Gesellschaft fand, und bat St. Clare, es zu verbieten. »Pah, laß das Kind gehen,« sagte St. Clare, »Topsy wird ihr keinen Schaden thun.« »Aber ein so verderbtes Kind, -- mußt Du denn nicht fürchten, daß sie ihr eine Unart lehre?« »Sie kann ihr keine Unart lehren; andern Kindern wohl, aber von Eva's Gemüthe rollt das Böse ab wie Thau von einem Kohlblatte, nicht ein Tropfen fällt hinein.« »Sei dessen nicht zu gewiß,« sagte Ophelia. »Ich würde mein eignes Kind nie mit Topsy spielen lassen.« »Wohl, Deine Kinder haben's nicht nöthig,« sagte St. Clare, »aber meine mögen es thun. Wenn Eva hätte verdorben werden können, so hätte es schon vor Jahren geschehen müssen.« Topsy wurde anfangs von den oberen Dienstboten verachtet; allein sie fanden bald Grund genug, ihre Meinung zu ändern. Es zeigte sich, daß, wer sie irgendwie beschimpft hatte, mit Sicherheit darauf rechnen konnte, bald darauf irgend einem unangenehmen Zufalle zu begegnen. Entweder wurden plötzlich ein Paar Ohrringe, oder andrer Lieblingsschmuck vermißt, oder ein Kleidungsstück wurde vollständig ruinirt gefunden, oder die betreffende Person mußte über einen Eimer heißen Wassers stolpern, oder es kam plötzlich, unerwartet und unerklärlich, eine Fluth Spülicht von oben auf sie herab, wenn sie sich grade in vollem Staate befand; -- und in allen diesen Fällen fand sich, wenn eine Untersuchung veranlaßt wurde, Niemand, der zu dem Schimpfe Gevatter stehen wollte. Topsy wurde citirt und mußte wiederholt vor allen den häuslichen Richtern erscheinen, aber bestand alle Verhöre mit der erbaulichsten Unschuld. Niemand in der Welt war zweifelhaft über die Thäterschaft; aber auch nicht der entfernteste Beweis ließ sich zur Rechtfertigung des Verdachtes führen, und Miß Ophelia hatte zu viel Gerechtigkeitsgefühl, um ohne einen solchen weiter in der Sache gehen zu wollen. Mit einem Worte, Topsy machte dem ganzen Haushalte begreiflich, daß es am Rathsamsten sei, sie in Ruhe zu lassen, und man ließ sie in Ruhe. Topsy war in allen Handverrichtungen gewandt, und lernte mit überraschender Schnelligkeit Alles, was ihr gezeigt wurde. In wenigen Unterrichtsstunden hatte sie gelernt, alle Geschäfte für Miß Opheliens Zimmer in einer solchen Weise zu verrichten, daß selbst diese eigne Dame keine Fehler daran finden konnte. Menschliche Hände konnten kein Bettuch glätter, kein Kissen richtiger legen, als Topsy, wenn sie es wollte, -- aber sie wollte es sehr oft nicht. Wenn in Miß Ophelien, nach drei oder vier Stunden sorgsamer und geduldiger Ueberwachung, die sanguinische Hoffnung aufstieg, daß Topsy endlich auf den rechten Weg gekommen sei, und sie von ihrer Beaufsichtigung abgehen könne, um sich andern Geschäften zu widmen, so pflegte Topsy einige Stunden lang einen wahren Carneval von Confusion zu halten. Eines Tages fand sie Miß Ophelia mit ihrem besten indianischen Florshawl als Turban um den Kopf gebunden, deklamatorische Vorstellungen vor dem Spiegel geben. »Topsy!« pflegte sie dann zu ihr zu sagen, wenn alle Geduld am Ende war, »weshalb machst Du solche Streiche?« »Weiß nicht, Missis, -- glaube, weil ich so unartig bin!« »Ich weiß nicht mehr, was ich mit Dir machen soll, Topsy.« »Müssen mich peitschen, Missis; meine alte Missis peitschte mich immer; -- kann nichts thun, wenn ich nicht gepeitscht werde.« »Topsy, ich mag Dich nicht peitschen. Du kannst gut und artig sein, wenn Du willst; -- warum willst Du nicht?« »Bin an's Peitschen gewöhnt, Missis; -- glaube 's thut mir gut,« entgegnete Topsy. Miß Ophelia versuchte das Recept, und Topsy verursachte dann regelmäßig einen entsetzlichen Lärm, schrie, heulte und flehte, und saß eine halbe Stunde später auf irgend einem Vorsprunge des Balkons, umgeben von der Heerde ihrer jungen Bewunderer, und drückte die äußerste Verachtung über die ganze Sache aus. »Pah, Miß Feely peitschen! -- bringt keine Fliege um, ihr Peitschen. Hättet sehen sollen, wie mein alter Master 's Fleisch fliegen ließ; -- alte Master verstand 's!« Sonntags pflegte sich Miß Ophelia angelegentlichst damit zu beschäftigen, Topsy den Katechismus zu lehren. Topsy hatte ein ungewöhnliches Wortgedächtniß und lernte mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, die für ihre Lehrerin sehr ermuthigend waren. »Welchen Nutzen erwartest Du davon für sie?« fragte St. Clare. »Nun, es ist immer für Kinder von Nutzen gewesen. Kinder haben das immer lernen müssen,« entgegnete Ophelia. »Ob sie es verstehen oder nicht -- gleichviel!« sagte St. Clare. »O, Kinder verstehen es in der Zeit nie; aber wenn sie aufwachsen, kommt die Zeit, wo sie es verstehen lernen.« »Nun, meine ist noch nicht gekommen, obgleich ich bezeugen kann, daß Du es mir gründlich genug beigebracht hast, als ich ein Knabe war,« entgegnete St. Clare. »Du warst immer ein guter Lerner, Augustin. Ich hegte damals große Hoffnungen von Dir,« sagte Ophelia. »So, hast Du denn jetzt keine?« fragte St. Clare. »Ich wollte, Du wärest so gut, wie Du als Knabe warst, Augustin!« »Das wünschte ich auch, Cousine,« sagte St. Clare. »Wohl, fahre fort, und katechisire Topsy: vielleicht machst Du doch noch etwas aus ihr.« Topsy, die während dieser Unterhaltung gleich einer schwarzen Statue, mit demüthig gefalteten Händen da gestanden hatte, fuhr jetzt auf einen Wink von Miß Ophelia fort: »Unsere ersten Eltern, da sie der Freiheit ihres eignen Willens überlassen blieben, fielen aus dem Stande, in dem sie erschaffen worden waren.« Topsy's Augen blinzelten, und sie blickte fragend auf Ophelien. »Was willst Du, Topsy?« fragte Miß Ophelia. »Bitte, Missis, war es der Stand Kentucky?« »Was für ein Stand?« »Der Stand, aus dem sie fielen. Ich hörte Master sagen, daß wir von Kentucky gekommen wären.« St. Clare lachte. »Du wirst ihr eine Erklärung geben müssen, oder sie macht sich eine,« sagte er. »Es scheint hier die Theorie der Auswanderung darunter verstanden zu werden.« »O, still, Augustin!« sagte Miß Ophelia, »wie kann ich etwas thun, wenn Du dabei lachst?« »Gut, ich will Dich nicht wieder stören, auf mein Wort,« sagte St. Clare, nahm seine Zeitung, und setzte sich nieder, bis Topsy ihre Recitationen beendigt hatte. Diese waren ganz gut, nur daß sie dann und wann, in den wichtigsten Stellen, die Worte auf eine sonderbare Weise versetzte, und bei dem Irrthume aller Gegenvorstellungen ungeachtet beharrte; und St. Clare, trotz aller seiner Versprechungen, fand ein muthwilliges Vergnügen darin, sich diese anstößigen Stellen wiederholen zu lassen, ohne Miß Opheliens Gegenvorstellungen zu beachten. »Aber wie kannst Du glauben, daß ich mit dem Kinde etwas erreichen kann, wenn Du so fortfährst,« pflegte sie zu sagen. »Gut, es ist unrecht, -- ich will es nicht wieder thun; aber es ist gar zu drollig, das kleine Bild über diese Worte stolpern zu hören.« »Ja, aber Du bestärkst sie ja in ihrem schlechten Wege.« »Was macht 's denn aus? Ein Wort ist für sie so gut wie ein anderes.« »Du willst, daß ich sie gut erziehen soll, und solltest also mit dem Einfluß, den Du ausübst, vorsichtig sein.« »O Elend! freilich sollte ich das! aber wie Topsy selbst sagt: »ich bin so unartig!«« In dieser Weise schritt Topsy's Erziehung ein oder zwei Jahre fort, während deren Miß Ophelia sich täglich mit ihr plagte, wie mit einem chronischen Leiden, an dessen Beschwerden sie sich endlich so gewöhnte, wie andre Personen an ein Nerven- oder Kopfleiden. St. Clare fand an dem Kinde dasselbe Vergnügen, wie an den Spässen eines Papagei's oder Hühnerhundes. Topsy dagegen pflegte, wenn sie in irgend einem andern Departement in Ungnade gefallen war, hinter seinem Stuhle Schutz zu suchen, und St. Clare wirkte dann stets auf eine oder die andre Weise Vergebung für sie aus. Von ihm erhielt sie auch so manche kleine Münze, die sie zu Nüssen und Zuckerkant verwendete, um sie mit sorgloser Freigebigkeit unter alle Kinder des Hauses zu vertheilen; denn Topsy war, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von Natur gutmüthig und freigebig, und nur bösartig in ihrer eignen Selbstvertheidigung. Sie ist jetzt in unser _corps de ballet_ genügend eingeführt worden, und wird darin von Zeit zu Zeit, neben den andern handelnden Personen, ihre Rolle spielen. Einundzwanzigstes Kapitel. Kentucky. Unsere Leser sind vielleicht nicht abgeneigt, einen kurzen Rückblick auf Onkel Toms Hütte zu thun, um zu sehen, was unter denen, die er zurückgelassen hat, vorgeht. Es war spät an einem Sommer-Nachmittage, und die Thüren und Fenster des großen Wohnzimmers in Mr. Shelby's Haus waren alle geöffnet, um jedes frische Lüftchen, das dazu geneigt war, hereinzulassen. Mr. Shelby saß in einer großen Halle, welche mit diesem Zimmer in Verbindung stand, und durch das ganze Haus zu einem am andern Ende befindlichen Balkon lief. Nachlässig in seinen Stuhl zurückgelegt, und seine Füße auf einem andern wiegend, rauchte er seine Nachmittags-Cigarre. Mrs. Shelby saß in der Thür, mit feiner Näherei beschäftigt, und schien etwas auf dem Herzen zu haben, zu dessen Vorbringen sie eine Gelegenheit suchte. »Hast Du gehört,« sagte sie, »daß Chloë einen Brief von Tom erhalten hat?« »Wirklich? Tom scheint dort einen Freund zu haben. Was macht der alte Junge?« »Er muß von einer sehr anständigen Familie gekauft worden sein, sollte ich denken,« sagte Mrs. Shelby, -- »er hat sehr gute Behandlung, und nicht viel zu thun.« »So! nun das freut mich, -- wahrlich,« sagte Mr. Shelby mit Herzlichkeit. »Ich hoffe, Tom wird sich an eine südliche Residenz gewöhnen, -- und kaum wünschen, hieher zurückzukehren.« »Im Gegentheil, er fragt mit großer Aengstlichkeit danach, wann das Geld für seine Wiedereinlösung werde aufgebracht werden können.« »Ich weiß es nicht,« sagte Mr. Shelby. »Wenn die Geschäfte einmal angefangen, schief zu gehen, so hörts nicht wieder auf. Es ist gerade wie durch einen Sumpf von einer trockenen Stelle auf die andere springen; hier borgen und dort bezahlen, und dann wieder borgen, um den Letzten zu bezahlen; -- und diese verdammten Wechsel laufen immer ab, ehe ein Mensch Zeit hat, eine Cigarre zu rauchen und sich umzudrehen, -- nichts als Mahnbriefe und Drängen und Treiben.« »Ich sollte denken, mein Lieber, es könnte so Manches geschehen, um unsere Angelegenheiten zu ordnen. Wenn wir zum Beispiel alle unsere Pferde und eine Farm verkauften, um Alles abzuzahlen?« »O lächerlich, Emilie! Du bist die gescheiteste Frau in Kentucky, aber hast doch nicht Einsicht genug zu sehen, daß Du von Geschäften nichts verstehst; -- Weiber verstehen und können davon nie etwas verstehen.« »Aber könntest Du mich denn nicht wenigstens einen Blick in Deine Verhältnisse thun lassen? mich ein Verzeichniß aller Deiner Schulden und Forderungen sehen, und mich versuchen lassen, ob ich Dir keinen Rath zu ökonomischen Maßregeln geben könnte?« »O Thorheit! quäle mich nicht, Emilie! -- das kann ich nicht. Ich weiß recht wohl, wie meine Sachen stehen, und die lassen sich nicht kneten und drücken und in jede mögliche Form bringen, wie Chloë es mit ihren Pasteten macht. Du verstehst einmal nichts von Geschäften, wie ich Dir schon gesagt habe.« Da Mr. Shelby keine besseren Gründe anzuführen hatte, so erhob er bei diesen Worten seine Stimme, -- eine Art und Weise, die für einen Mann, der mit seiner Frau über Geschäftssachen spricht, sehr bequem und sehr überzeugend ist. Mrs. Shelby schwieg mit einem Seufzer. Es war außer Zweifel, daß sie, obgleich ein Weib, dennoch einen klaren, energischen, praktischen Verstand hatte, und eine Charakterstärke besaß, die der ihres Gatten bei weitem überlegen war; so daß es keineswegs so sehr abgeschmackt gewesen sein würde, wie Mr. Shelby dachte, sie Theil an den Geschäften nehmen zu lassen. »Glaubst Du nicht, daß wir auf eine oder die andere Weise Geld aufbringen könnten? Die arme Chloë, sie rechnet so sehr darauf.« »Das thut mir leid. Ich glaube, ich war etwas zu voreilig mit meinem Versprechen. Ich weiß nicht, ich denke, es ist am Ende der beste Weg, es Chloë geradezu zu sagen, damit sie sich darein findet. Tom wird in ein oder zwei Jahren eine andere Frau haben, und sie thäte am besten, zu einem andern Mann zu gehen.« »Mr. Shelby, ich habe meinen Leuten gelehrt, daß ihre ehelichen Verbindungen so heilig wie die unsrigen seien. Ich würde mich nie dazu verstehen können, Chloë solchen Rath zu geben.« »Es ist ein Unglück, Frau, daß Du diese Leute mit der Last einer Moralität beschwert hast, die weit über ihre Verhältnisse und ihre Aussichten hinausgeht. Ich habe immer so gedacht.« »Es ist nur die Lehre der Bibel,« entgegnete Mrs. Shelby. »Gut, gut, Emilie, ich will mich in Deine religiösen Ansichten nicht mischen; nur scheinen sie mir für Leute in solchen Verhältnissen durchaus nicht geeignet zu sein.« »Leider sind sie es nicht,« sagte Mrs. Shelby, »und das ist der Grund, weshalb ich das Sklavenwesen hasse. Ich sage Dir, mein Lieber, ich kann mich von den Versprechungen nicht lossagen, die ich diesen hülflosen Geschöpfen gemacht habe. Wenn ich das Geld in keiner andern Weise aufbringen kann, so will ich Musikunterricht geben. Ich weiß, daß ich Beschäftigung genug bekommen und das Geld bald verdienen würde.« »Wie, Emilie, Du würdest Dich doch nicht auf diese Weise herabwürdigen wollen? Ich könnte nie meine Einwilligung dazu geben.« »Herabwürdigen! würde es mich so herabwürdigen, wie wenn ich das Versprechen bräche, was ich Hülflosen gegeben habe? Nein, gewiß nicht!« »Du bist heroisch und überspannt,« sagte Mr. Shelby; »aber ich dächte, Du thätest wohl, die Sache noch einmal zu überlegen, ehe Du solchen abenteuerlichen Streich unternimmst.« Hier wurde die Unterhaltung durch die Erscheinung Chloë's am Ende der Veranda unterbrochen. »Wenn's Ihnen gefällig wäre, Missis,« sagte sie. »Nun, Chloë, was gibt's?« sagte ihre Mistreß aufstehend und nach dem Ende des Balkones gehend. »Wenn Missis hier das Geflügel ansehen wollte,« sagte Chloë mit einer Miene ernster Betrachtung, während sie auf einen Haufen Hühner und Enten deutete, bei dem sie stand; »ich dachte, ob Missis vielleicht eine Hühnerpastete haben wollte von diesen da.« »Das ist mir gleich, Chloë, -- richte sie nur zu, wie Du willst,« entgegnete Mrs. Shelby. Chloë blieb gedankenvoll stehen, während sie das Geflügel einzeln durch ihre Hände gehen ließ; allein es war leicht erkennbar, daß die Hühner nicht der Gegenstand ihrer Gedanken waren. Endlich begann sie mit einem kurzen Lachen, mit dem ihr Geschlecht häufig etwas zweifelhafte Vorschläge einzuleiten pflegt: »Mein Gott, Missis, warum sollen Master und Missis sich quälen um das Geld und nicht gebrauchen das Recht, was ihnen zukommt?« sagte Chloë von Neuem lachend. »Ich verstehe Dich nicht, Chloë,« entgegnete Mrs. Shelby, die Chloë's Weise kannte, und deßhalb nicht im Geringsten bezweifelte, daß sie jedes Wort der zwischen ihr und ihrem Ehemanne so eben Statt gehabten Unterhaltung gehört habe. »O Missis!« sagte Chloë wieder lachend, »andere Leute miethen ihre Nigger aus, und lassen sie Geld verdienen: halten nicht solche Bande, die sie aus Haus und Hof ißt.« »Wohl, Chloë, wen meinst Du denn, daß ich ausmiethen solle?« »O, ich meine gar nichts, -- nur Sam sagte mir, daß da einer von den Conditorn wäre, in Louisville, der 'ne geschickte Hand für Kuchen und Pasteten brauchte, und der vier Dollars die Woche geben wollte, -- sagte er.« »Nun, Chloë?« »Ja, so dachte ich, Missis, 's wäre Zeit, daß Sally endlich anfinge, 'was zu thun. Sally ist unter mir gewesen diese ganze Zeit, und kann Alles beinahe eben so gut machen wie ich; und wenn Missis mich wollte gehen lassen, so könnt' ich helfen das Geld verdienen. Fürchte mich gar nicht, meine Kuchen und meine Pasteten neben alle die von 'nem Conditor zu stellen.« »Aber, Chloë, willst Du denn Deine Kinder verlassen?« »O, Missis, die Jungens sind groß genug, um zu arbeiten, -- fehlt ihnen gar nichts; und Sally soll nach der Kleinen sehn, 's ist so ein munteres Ding, braucht gar nicht viel gewartet zu werden.« »Louisville ist ziemlich weit von hier.« »Mein Gott, fürchte mich nicht! -- ist's wohl den Fluß hinunter, nahe bei meinem alten Mann vielleicht?« sagte Chloë, die letzten Worte in fragendem Tone sprechend und auf Mrs. Shelby blickend. »Nein, Chloë, es ist noch viele hundert Meilen davon entfernt,« entgegnete Mrs. Shelby. Chloë's Gesicht wurde traurig. »Das thut nichts, Chloë; Du kommst ihm wenigstens näher, wenn Du dahin gehst. Ja, Du magst gehen; und jeder Cent Deines Lohnes soll zu der Wiedereinlösung Deines Mannes zurückgelegt werden.« Wie wenn ein heller Sonnenstrahl eine dunkle Wolke versilbert, so klärte sich Chloë's dunkles Gesicht augenblicklich auf, -- es strahlte förmlich. »O Herr! wenn Missis nicht zu gut ist! -- dachte gerade an dasselbe; denn ich brauche keine Kleider und keine Schuhe und nichts, -- könnte jeden Cent sparen. Wie viele Wochen gibt's denn in 'nem Jahre, Missis?« »Zweiundfünfzig,« sagte Mrs. Shelby. »Herr! also so viele? und vier Dollar für jede, -- wie viel mag das sein?« »Zweihundert und acht Dollar,« entgegnete Mrs. Shelby. »Wie!« sagte Chloë mit einem Ausdruck von Ueberraschung und Wonne; -- »und wie lange würde 's dauern, bis ich Alles herausgearbeitet hätte, Missis?« »Vier bis fünf Jahre, Chloë; aber Du sollst nicht Alles allein verdienen, -- ich will Etwas dazu legen.« »Mag nichts davon hören, -- Missis Stunden geben. Master hat ganz Recht darin; -- würde sich nicht passen. Hoffe, keiner von unserer Familie wird dazu kommen, so lange ich Hände habe.« »Fürchte nichts, Chloë, -- ich will schon Sorge tragen für die Ehre der Familie,« sagte Mrs. Shelby lächelnd. »Aber wann gedenkst zu gehen?« »O, ich denke Nichts, -- nur, Sam, er geht auf den Fluß mit Fohlen, und sagte mir, ich könnte mit ihm gehn; und so machte ich just meine Sachen zusammen. Wenn Missis wollte, so könnt' ich mit Sam morgen früh gehen, -- wenn Missis mir 'nen Paß schreiben wollte, und 'ne 'Commendation.« »Wohl, Chloë, ich will dafür sorgen, wenn Mr. Shelby Nichts dagegen einzuwenden hat. Ich muß erst mit ihm reden.« Mrs. Shelby ging in das obere Stockwerk und Tante Chloë ging entzückt in ihre Hütte, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. »O, Master Georg! Sie wissen nicht, daß ich morgen nach Louisville gehe!« sagte sie zu Georg, als er sie beim Eintreten beschäftigt fand, die Kleidungsstücke ihrer Kinder zu ordnen. »Dachte, ich wollte grade 'mal über diese Sachen sehen und sie in Ordnung haben. Aber ich gehe, Master Georg, -- ich gehe, und bekomme vier Dollar die Woche; und Missis will es Alles aufheben und meinen alten Mann damit wiederkaufen.« »Sieh da!« sagte Georg, »das ist ein gutes Geschäft! Wann gehst Du denn?« »Morgen, mit Sam. Und nun, Master Georg, -- ich weiß -- sind Sie wohl so gut und schreiben just an meinen alten Mann, und sagen ihm das Alles, -- nicht wahr?« »Versteht sich,« sagte Georg. »Onkel Tom wird sich freuen, Nachricht von uns zu bekommen. Ich will gleich in's Haus gehen, und Feder und Papier holen; und dann kann ich ihm auch gleich von unsern jungen Fohlen erzählen und von allen andern Sachen, -- nicht wahr, Tante Chloë?« »Freilich, freilich, Master Georg; gehen Sie nur, und ich will Ihnen unterdessen ein hübsches Stückchen Huhn zurecht machen, oder so Etwas; -- werden nicht oft mehr bei alte Tante Chloë 'was essen.« Zweiundzwanzigstes Kapitel. »Das Gras verwelkt -- die Blume verblüht.« Mit jedem Tage fließt ein Theil unseres Lebens dahin, -- und so war es mit Onkel Tom, bis zwei Jahre verflossen waren. Obgleich getrennt von Allem, was seinem Herzen theuer war, und obgleich oft die heftigste Sehnsucht nach seinen Lieben empfindend, fühlte er sich doch eigentlich nie ganz unglücklich; denn so stark ist die Harfe menschlicher Gefühle bezogen, daß nur ein Zerreißen aller Saiten ihre Harmonie gänzlich zerstören kann; und selbst wenn wir auf Zeiten der Trübsal und der Leiden zurückblicken, so können wir uns erinnern, daß fast jede Stunde derselben in ihrem Laufe Abwechslung und Erleichterung mit sich brachte, so daß wir, wenn auch im Ganzen nicht glücklich, doch auch nicht ganz elend waren. Sein an Chloë gerichteter Brief war, wie dessen bereits im vorigen Kapitel Erwähnung geschehen, von Master Georg in guter Zeit beantwortet worden, und zwar in einer runden, deutlichen Schulknabenschrift, die, wie Onkel sagte, sich beinahe über das ganze Zimmer lesen ließ. Das Schreiben enthielt verschiedene erquickliche Nachrichten über die dortigen Verhältnisse, mit denen unsere Leser bereits bekannt sind: zum Beispiel, daß Tante Chloë an einen Conditor in Louisville ausgedungen worden, wo sie mit der Fabrikation von Pasteten unglaubliche Summen Geldes verdiene, die alle zur Wiedereinlösung Toms zurückgelegt werden sollten; daß Mose und Pete munter aufwüchsen, und daß das Kleine unter Sally's und der ganzen Familie Aussicht bereits im ganzen Hause umhertrabe. Toms Hütte war für jetzt geschlossen worden, allein Georg ließ sich mit großer Wärme über die Verbesserungen und Verzierungen aus, die darin vorgenommen werden sollten, sobald Tom zurückkehre. Der Rest des Briefes enthielt ein Verzeichniß von Georgs Schulstudien und von den Namen der vier jungen Fohlen, welche seit Toms Entfernung gefallen waren, und erwähnte in inniger Verbindung hiermit, daß sich Vater und Mutter wohl befänden. Der Styl des Briefes war entschieden ein sehr bündiger: allein Tom hielt seine Abfassung für eins der vollendetsten Beispiele in der neueren Zeit. Er konnte nie müde werden, das Schreiben zu betrachten, und berathschlagte sogar mit Eva darüber, ob es nicht gut wäre, es unter Glas und Rahmen bringen zu lassen, um es im Zimmer aufhängen zu können; und nur die Schwierigkeit, es so einzurichten, daß beide Seiten des Blattes zugleich sichtbar seien, stand der Ausführung im Wege. Die Freundschaft zwischen Tom und Eva war in gleichem Schritte mit dem Kinde selbst gewachsen. Es würde schwer sein zu sagen, welchen Platz sie in dem sanften, empfänglichen Herzen ihres treuen Dieners einnahm. Er liebte sie wie etwas Irdisches und Gebrechliches, aber verehrte sie beinahe als etwas Himmlisches und Göttliches. Wie der italienische Seemann auf sein Bild des Jesuskindes schaut, so betrachtete er sie mit einer Mischung von Ehrfurcht und Zärtlichkeit; und sein größtes Vergnügen bestand darin, den kindlichen Einfällen, den tausend kleinen Bedürfnissen zu genügen, die das jugendliche Alter wie mit einem buntfarbigen Regenbogen schmücken. Wenn er Morgens auf den Markt ging, so waren seine Augen stets auf die Blumenlager gerichtet, um seltene Bouquette für sie auszusuchen, und die schönste Pfirsich, die er fand, glitt stets in seine Tasche, um sie ihr zu geben, wenn er nach Hause kam; und der liebste Anblick für ihn war der, wenn er ihren goldlockigen, kleinen Kopf zur Pforte hinaus blicken und auf seine Rückkehr warten sah, und er dann ihre kindliche Frage hörte: »Nun, Onkel Tom, was hast Du heut' für mich?« Auch war Eva nicht weniger eifrig in freundlichen Gegenleistungen. Obgleich noch Kind, konnte sie dennoch vortrefflich lesen. Ein feines, musikalisches Ohr, eine lebhafte, poetische Phantasie, und ein instinktmäßiges Gefühl für alles Große und Edle machten sie zu einer Bibelleserin, wie Tom nie zuvor etwas Aehnliches gehört hatte. Anfangs las sie nur, um ihrem bescheidenen Freunde gefällig zu sein, aber bald streckte ihre eigene ernste Natur ihre Fühlfäden aus und schlang sie um das majestätische Buch. Und Eva liebte es, weil es ein seltsames Sehnen und mächtige, dunkle Regungen in ihr erweckte, denen sich tieffühlende und mit lebhafter Phantasie begabte Kinder so gern hingeben. Diejenigen Theile, welche sie am meisten liebte, waren die Offenbarung Johannis und die Propheten, -- Theile, deren dunkle, warme und bilderreiche Sprache sie um so mehr ergriff, als sie vergeblich nach einer Deutung suchte, -- und sie und ihr schlichter Freund, das junge und das alte Kind, stimmten in dieser Beziehung vollkommen überein. Alles, was sie wußten, war, daß jene Bücher von einer zu offenbarenden Glorie, -- einem wunderbaren Etwas sprachen, was noch kommen solle und dessen sich ihre Seelen freuten, ohne zu wissen weshalb. Obgleich es in der Wissenschaft physischer Dinge nicht so ist, so gilt doch für die Religionslehre der Grundsatz, daß das, was nicht verstanden werden kann, nicht immer nutzlos ist; denn die Seele erwacht, ein zitternder Fremdling, zwischen zwei dunklen Ewigkeiten, -- der ewigen Vergangenheit und der ewigen Zukunft. Das Licht fällt nur aus einen kleinen Raum um sie her, weshalb sie sich dem Unbekannten zuwenden muß; und die Stimmen und schattenartigen Regungen, die aus der Nebelsäule der Inspiration zu ihr kommen, finden Echo und Antwort in ihrer eignen sehnsüchtigen Natur. Die mystischen Bilder derselben sind ebenso viele Talismane und Gemmen mit unbekannten Hieroglyphen, die sie in ihren Busen schließt und hofft entziffern zu können, wenn sie jenseits des Schleiers tritt. Um die jetzige Zeit unserer Erzählung befand sich die ganze Familie St. Clare's auf seiner am See Pontchartrain belegenen Villa. Die Sommerhitze hatte Alle, denen es möglich war, die ungesunde Stadt mit ihrer schwülen Atmosphäre zu verlassen, an die Ufer des See's getrieben, um seine kühlen Lüfte zu genießen. St. Clare's Villa war ein im ostindischen Geschmacke erbautes Landhaus, umgeben von einer hellen Veranda, und öffnete sich nach allen Seiten in Gärten und Luftplätze. Das gemeinschaftliche Wohnzimmer hatte einen Ausgang in einen großen Garten, welcher erfüllt von den Wohlgerüchen tropischer Pflanzen und Blumen jeder Art, seine schlängelnden Pfade bis dicht an die Ufer des See's erstreckte, dessen silberheller Wasserspiegel sich unter den Strahlen der Sonne hob und senkte, -- ein Bild, das jede Stunde wechselte, und mit jeder Stunde schöner wurde. Jetzt grade geht die Sonne in goldener Glorie unter und wirft ihren Schein über den ganzen Horizont, der sich im Wasser abspiegelt. Weiß beflügelte Schiffe fahren auf dem in rosigen oder goldenen Streifen ruhig liegenden See hin und her, und kleine goldene Sterne beginnen allmählig aus dem Abendhimmel auf ihre zitternden Spiegelbilder im Wasser herabzublicken. Tom und Eva saßen auf einer niedrigen Moosbank in einer Laube am Ende des Gartens. Es war Sonntag Abend, und Eva's Bibel lag aufgeschlagen auf ihrem Knie. Sie las: -- »Und ich sah ein gläsernes Meer mit Feuer gemenget.« »Tom,« sagte Eva, plötzlich inne haltend und auf den See deutend, »da ist es.« »Was, Miß Eva?« »Siehst Du denn nicht, -- dort?« sagte das Kind, auf das Wasser deutend, welches, fallend und steigend, die Gluth des Himmels abspiegelte. »Da ist ein gläsernes Meer mit Feuer gemenget.« »Wahr! Miß Eva,« sagte Tom und sang: »Hätt' ich die Flügel der Morgenröthe, Ich würde nach Canaan fliegen, Und Engel würden mich heimwärts tragen Nach dem neuen Jerusalem.« »Wo glaubst Du, daß das neue Jerusalem ist, Onkel Tom?« sagte Eva. »Ueber den Wolken, Miß Eva.« »Dann glaube ich, daß ich es sehe,« bemerkte Eva. »Blicke in jene Wolken! -- sie sehen wie große Thore von Perlen aus; und Du kannst durch sie weiter hinaus sehen -- weit, weit -- und da ist Alles Gold. Bitte, Tom, singe das Lied von den weißen Engeln.« Tom sang hierauf die Worte einer wohlbekannten Methodisten-Hymne: »Ich sehe ein Chor von Engeln stehn, Des Himmels Freuden schmecken. Sie tragen alle ein weißes Gewand Und siegende Palmen in der Hand.« »Sie kommen zuweilen zu mir im Schlafe, diese Engel,« sagte Eva, während ihre Augen träumerisch wurden, und summte dann mit leiser Stimme: »Sie alle tragen ein weißes Gewand Und siegende Palmen in der Hand.« »Onkel Tom,« sagte sie darauf, »ich gehe dahin.« »Wohin, Miß Eva?« Das Kind stand auf, und deutete mit seiner kleinen Hand gen Himmel. Das Abendroth beleuchtete ihr goldnes Haar, und lieh ihren Wangen eine Art überirdischen Glanzes, und ihre Augen blickten mit tiefem, seligem Gefühle hinauf. »Ich gehe dahin,« sagte sie, »zu den weißen Engeln, Tom; ich gehe dahin -- bald.« Das treue, alte Herz empfand einen plötzlichen Stoß, und Tom dachte daran, wie oft er während der letzten sechs Monate bemerkt habe, daß Eva's kleine Hände dünner, und ihre Haut durchsichtiger und ihr Athem kürzer geworden seien, und wie sie, wenn sie im Garten rannte und spielte, was sie sonst stundenlang gekonnt, jetzt immer so bald müde werde. Er hatte Miß Ophelien oft von einem Husten sprechen hören, den alle ihre Arzneimittel nicht heilen könnten; und selbst in diesem Augenblicke brannten ihre Wange und ihre kleine Hand von hektischem Fieber; und dennoch war ihm nie zuvor der Gedanke gekommen, den Eva's Worte andeuteten. Gab es je ein Kind, wie Eva? -- O ja, es gab deren; aber ihre Namen sind nur auf Grabsteinen zu lesen, und ihr süßes Lächeln, ihre himmlischen Blicke, ihre seltsamen Reden und Weisen gehören zu den tief begrabenen Schätzen trauernder Herzen. In wie vielen Familien hörst Du die Sage, daß alle Güte und Anmuth der Lebenden nichts sei gegen die Liebenswürdigkeit eines Wesens, -- das nicht mehr sei! Es ist gerade, als wenn der Himmel ein besonderes Chor von Engeln habe, deren Bestimmung es sei, eine kurze Zeit hier zu weilen und das verkehrte menschliche Herz für sich zu gewinnen, um es dann bei ihrer Rückkehr zum Himmel mit sich hinaufzutragen. Wenn Du jenes tiefe geistige Licht in dem Auge siehst, -- wenn die kleine Seele sich in Worten offenbart, die süßer und weicher sind, als die gewöhnlichen Worte von Kindern, -- so hoffe nicht, das Kind zu behalten, denn das Siegel seines himmlischen Ursprungs ist ihm aufgedrückt, und das Licht der Unsterblichkeit glänzt aus seinen Augen. So auch Du, geliebte Eva! schöner Stern Deiner irdischen Heimath! Du gehst, -- aber die, so Dich am meisten lieben, ahnen es nicht! Das Gespräch zwischen Tom und Eva wurde hier plötzlich durch einen Ruf von Miß Ophelia unterbrochen. »Eva! -- Eva! -- Kind, der Thau fällt ja, Du darfst nicht mehr draußen sein!« Eva und Tom eilten hinein. Miß Ophelia war alt und wohlerfahren im Geschäfte des Wartens und Pflegens, und kannte genau die ersten Symptome jener schleichenden, hinterlistigen Krankheit, die so viele der Schönsten und Liebenswürdigsten dahin rafft, und sie, ehe noch eine einzige Lebensfaser zerstört zu sein scheint, unwiderruflich dem Tode weiht. Sie hatte den leichten kurzen Husten und die täglich zunehmende Röthe der Wange bemerkt; und selbst der Glanz des Auges und die lustige Lebhaftigkeit des Kindes, nur vom Fieber bedingt, vermochten sie nicht zu täuschen. Sie versuchte, St. Clare ihre Besorgnisse mitzutheilen; allein er wies derartige Andeutungen mit einem unruhigen, erkünstelten Muthwillen zurück, der sehr verschieden von seiner gewöhnlich so sorglosen guten Laune war. »O krächze nur nicht, Cousine, -- ich kann's nicht hören!« pflegte er zu sagen. »Siehst Du denn nicht, daß das Kind nur im Wachsthum begriffen ist? Kinder verlieren immer Kräfte, wenn sie stark wachsen.« »Aber sie hat den Husten.« »O Unsinn mit dem Husten! -- 's ist nichts; hat sich vielleicht ein wenig erkältet.« »Ja, ganz auf dieselbe Weise fingen Elisa, Jane, und Ellen und Maria Sanders an.« »O! ich bitte Dich! höre mir mit den Ammenmärchen auf. Ihr alten Leute werdet so weise, daß ein Kind nicht mehr husten oder niesen kann, ohne daß Ihr Verzweiflung oder Tod darin erkennt. Nimm das Kind nur in Acht; laß es nicht in die Nachtluft gehen und nicht zu angestrengt spielen, und sie wird bald wieder munter werden.« So sagte St. Clare; aber er wurde ängstlich und unruhig. Er bewachte Eva täglich mit fieberhafter Angst, wie sich deutlich aus der öfteren Wiederholung derartiger Aeußerungen entnehmen ließ, wie: »das Kind sei ganz wohl, -- der Husten habe gar nichts zu bedeuten, -- er rühre von nichts als etwas verdorbenem Magen her.« Aber er hielt sich von nun an mehr bei ihr auf, als er sonst zu thun pflegte, fuhr öfter mit ihr aus und brachte von Zeit zu Zeit ein neues Recept oder eine stärkende Mixtur für sie mit nach Haus: -- nicht, wie er sagte, weil das Kind sie nöthig habe, sondern sie werde ihr keinen Schaden thun. Was seinem Herzen größere Angst und Unruhe verursachte, als alles Andere, war die beim Kinde täglich zunehmende Reife des Geistes und der Gefühle. Während sie noch das rein kindliche Wesen bewahrte, ließ sie oft unbewußt Worte von einer solchen Tiefe der Gedanken und einer so überirdischen Weisheit fallen, daß man sie für Inspirationen hätte halten können. In solchen Momenten empfand St. Clare ein plötzliches Beben im Herzen; er preßte sie dann in seine Arme, als ob dieser zärtliche Druck sie retten könne. Des Kindes ganzes Herz und ganze Seele schien an Werken der Liebe zu hängen. Sie war immer sanft und weich von Natur gewesen; allein jetzt zeigte sich bei ihr eine rührende, ächt weibliche Empfindungsweise, die Jedem auffiel. Sie fand noch immer Gefallen daran, mit Topsy und andern farbigen Kindern zu spielen, aber schien jetzt mehr eine bloße Zuschauerin zu sein, als wirklich Theil an den Spielen zu nehmen; sie saß zuweilen halbe Stunden lang und lachte herzlich über Topsy's wunderliche Streiche, -- und dann senkte sich ein Schatten über ihr Gesicht, ihre Augen wurden trübe und ihre Gedanken waren weit, weit fort. »Mamma,« sagte sie eines Tages plötzlich zu ihrer Mutter, »weßhalb lassen wir unsere Dienstboten nicht lesen lernen?« »Was für eine Frage, Kind! Man thut das nie.« »Warum thut man denn das nicht?« fragte Eva. »Weil es für die Leute von keinem Nutzen ist, lesen zu können. Es hilft ihnen nicht, besser zu arbeiten, und zu etwas Anderem sind sie nicht da.« »Aber sie sollten die Bibel lesen, Mamma, um Gottes Willen kennen zu lernen.« »O! so viel die davon zu wissen brauchen, können sie sich vorlesen lassen.« »Es dünkt mich, Mamma, die Bibel sollten alle Menschen selbst lesen; sie brauchen sie sehr oft, wenn Niemand da ist, der sie ihnen vorlesen kann.« »Eva, Du bist ein altes Kind,« sagte ihre Mutter. »Miß Ophelia lehrt Topsy auch lesen,« fuhr Eva fort. »Ja, und Du siehst, welchen Nutzen es ihr bringt. Topsy ist das ungezogenste Geschöpf, das ich je gesehen habe!« »Da ist die arme Mammy!« sagte Eva. »Sie hat die Bibel so lieb und wünscht so sehr, daß sie lesen könnte! Und was wird sie machen, wenn ich sie ihr nicht mehr vorlesen kann?« Marie war beschäftigt, den Inhalt einer Kommode umzuwenden, als sie antwortete: »Natürlich, Eva, nach einiger Zeit wirst Du schon an andere Dinge zu denken haben, als den Dienstboten die Bibel vorzulesen. Nicht, daß es unpassend wäre, -- denn ich habe es, als ich noch gesund war, selbst gethan; aber wenn Du dich erst ordentlich anziehen und in Gesellschaft gehen mußt, dann hast Du keine Zeit mehr dazu. Sieh hier!« fügte sie hinzu, »diese Juwelen will ich Dir schenken, wenn Du größer bist. Ich habe sie auf meinem ersten Ball getragen. Ich kann Dir sagen, Eva, ich machte damals Sensation.« Eva nahm den Juwelenkasten, und hob ein diamantenes Halsband auf. Ihre großen, sinnenden Augen ruhten darauf, aber es war klar, ihre Gedanken waren anderswo. »Wie gleichgültig Du dabei aussiehst, Kind!« sagte Marie. »Sind diese sehr viel Geld werth, Mamma?« »Gewiß! Vater ließ sie mir von Frankreich kommen. Sie sind ein kleines Vermögen werth.« »Ich wünschte, ich hätte sie,« sagte Eva, »um damit machen zu können, was ich wollte!« »Was würdest Du denn damit machen?« »Ich würde sie verkaufen, und einen Platz in den Freistaaten ankaufen, und alle unsere Leute dahin bringen, und Lehrer annehmen, um ihnen Lesen und Schreiben zu lehren.« Eva wurde durch das Lachen ihrer Mutter unterbrochen. »Eine Schulanstalt errichten! Wolltest Du ihnen nicht auch lehren, auf dem Piano zu spielen und auf Sammet zu malen?« »Ich würde ihnen lehren, ihre Bibel selbst zu lesen, und ihre Briefe selbst zu schreiben, und Briefe, die an sie geschrieben worden sind, selbst zu lesen,« sagte Eva ruhig. »Ich weiß, Mamma, es ist recht schlimm für sie, daß sie so etwas nicht selbst thun können. Tom fühlt es, -- Mammy fühlt es, -- und viele Andere fühlen es. Ich denke, das ist unrecht.« »O geh, Eva, Du bist nur ein Kind! Du verstehst von allen diesen Dingen nichts,« sagte Marie; »und überdieß macht mir Dein Geschwätz Kopfschmerzen.« Marie hatte stets Kopfschmerzen bei der Hand, sobald ihr irgend eine Unterhaltung nicht zusagte. Eva schlich sich fort; aber von der Zeit an gab sie Mammy mit großem Eifer Leseunterricht. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Henrique. Um diese Zeit brachte St. Clare's Bruder, Alfred, mit seinem ältesten Sohne, einem Knaben von etwa zwölf Jahren, ein paar Tage bei der Familie am See zu. Es konnte keinen seltsameren und zugleich schöneren Anblick geben, als diese beiden Zwillingsbrüder. Die Natur hatte, statt zwischen ihnen Aehnlichkeiten zu schaffen, sie zu Gegenstücken in fast jeder Beziehung gemacht; und dennoch vereinigte sie auf geheimnißvolle Weise das Band einer mehr als gewöhnlichen brüderlichen Zuneigung. Sie pflegten Arm in Arm die Alleen und Gänge des Gartens zu durchschlendern. Augustin, mit seinen blauen Augen, blondem Haar, seiner ätherisch biegsamen Figur und seinen lebhaften Zügen; und Alfred, mit dunklen Augen, stolzem römischen Profile, gedrungenem Baue, und fester Haltung. Sie schalten fortwährend gegenseitig auf ihre so verschiedenartigen Ansichten und Gewohnheiten, und waren dennoch unzertrennlich in ihrer Gesellschaft; kurz, grade ihre Verschiedenheit schien sie an einander zu fesseln, wie Attraktion zwischen verschiedenen Polen des Magnets. Henrique, der älteste Sohn Alfred's, war ein dunkeläugiger Knabe von edlem Aeußern, und voll von Geist und Lebhaftigkeit; und schien vom ersten Augenblicke seiner Einführung an von den ätherischen Reizen seiner Cousine Evangeline vollständig bezaubert worden zu sein. Eva besaß ein kleines, schneeweißes Ponypferd. Es war sanft wie eine Wiege, und so ruhig wie seine kleine Herrin. Dieses Pferdchen wurde jetzt durch Tom vor die Veranda geführt, während ein kleiner Mulattenknabe von ungefähr dreizehn Jahren ein kleines, schwarzes, arabisches Pferd heranführte, welches erst kürzlich mit bedeutenden Unkosten für Henrique importirt worden war. Henrique empfand einen knabenhaften Stolz auf sein neues Besitzthum; und als er sich deßhalb näherte, und die Zügel aus der Hand seines kleinen Reitknechts empfing, blickte er aufmerksam über das Pferd, und seine Stirne wurde finster. »Was ist das, Dodo, Du fauler, kleiner Hund! Du hast mein Pferd diesen Morgen nicht geputzt.« »O ja, Master,« sagte Dodo unterwürfig, »den Staub da hat es sich selbst eben angeworfen.« »Halt Deinen Mund, Du Schlingel!« rief Henrique heftig, seine Reitpeitsche aufhebend. »Wie kannst Du Dich erkühnen, zu reden?« Der Knabe, ein hübsches, helläugiges Mulattenkind, von Henrique's Größe, mit dunklem Lockenhaar um eine hohe, kühne Stirne, hatte weißes Blut in seinen Adern, wie man deutlich aus der plötzlichen Röthe, die seine Wangen überzog, und dem Funkeln seines Auges erkennen konnte, während er zu sprechen versuchte. »Master Henrique! --« begann er. Henrique schlug ihm mit der Reitpeitsche über das Gesicht, faßte einen seiner Arme, und drückte ihn nieder auf die Kniee, und peitschte ihn dann so lange, bis er außer Athem war. »Da, Du unverschämter Hund! Willst Du lernen, mir nicht zu widersprechen, wenn ich mit Dir rede? Führe das Pferd zurück, und putze es erst ordentlich. Ich werde Dich lehren, was Du zu thun hast!« »Junger Master!« sagte Tom, »ich denke, was er sagen wollte, war, daß das Pferd sich wälzte, als er es herbrachte vom Stalle, -- es ist so muthig; -- davon ist es so schmutzig geworden; das Putzen habe ich mit angesehen.« »Halte Deinen Mund, bis Du gefragt wirst!« sagte Henrique, während er sich auf dem Absatz umwandte, und die Stufen zu Eva hinaufstieg, welche in ihrem Reitkleide in der Veranda stand. »Liebe Cousine, es thut mir leid, daß dieser dumme Bursche Dich hier so lange aufhält,« sagte er. »Komm, laß uns hier niedersitzen und warten, bis er die Pferde bringt. Aber was ist Dir denn, Cousine? -- Du siehst ja so verstimmt aus.« »Wie konntest Du so grausam und so schlecht gegen den armen Dodo handeln?« sagte Eva. »Grausam, -- schlecht?« sagte der Knabe mit ungekünsteltem Erstaunen. »Was meinst Du, liebe Eva?« »Ich will nicht, daß Du mich liebe Eva nennest, wenn Du so handelst,« entgegnete Eva. »Liebe Cousine, Du kennst den Dodo nicht; es ist dies der einzige Weg, um mit ihm fertig zu werden; er ist so voll von Lügen und Entschuldigungen. Man muß ihn gleich ganz zum Schweigen bringen, -- ihn gar nicht den Mund öffnen lassen; so macht es Papa.« »Aber Onkel Tom sagte, es war ein Zufall, und er sagt niemals eine Unwahrheit.« »Dann ist er ein ganz ungewöhnlicher alter Neger!« sagte Henrique. »Dodo lügt so schnell, wie er nur sprechen kann.« »Du schüchterst ihn so ein, daß er lügt, wenn Du ihn so behandelst,« sagte Eva. »In der That, Eva, Du hast eine solche Vorliebe für Dodo gefaßt, daß ich anfange, eifersüchtig zu werden.« »Aber Du schlugst ihn, -- und er hatte es nicht verdient.« »Gut, so mag es für ein andres Mal gelten, wenn er's verdient, und nicht bekömmt. Ein paar Hiebe thun Dodo nie Schaden, -- er ist ein arger Bursche, ich versichere Dich; aber ich will ihn nie wieder in Deiner Gegenwart züchtigen, wenn es Dir unangenehm ist.« Eva war nicht zufriedengestellt, aber sah, daß es vergeblich sei, ihre Gefühle auszudrücken, da der hübsche Cousin sie nicht verstand. »Wohl, Dodo, dieses Mal hast Du es besser gemacht,« sagte der junge Master mit gnädigerer Miene als vorher. »Komm nun, und halte Miß Eva's Pferd, während ich sie in den Sattel hebe.« Dodo kam, und stand bei Eva's Pony. Sein Gesicht war traurig, und seine Augen verriethen, daß er geweint hatte. Henrique, der sich etwas auf seine Gewandtheit in Allem, was Galanterie betraf, zu gut that, hatte seine hübsche Cousine sehr bald im Sattel sitzen, und nahm sodann die Zügel zusammen, um sie in ihre Hand zu legen. Allein Eva wendete sich nach der andern Seite zu, wo Dodo stand, und sagte, als dieser die Zügel fahren ließ: »So ist's recht, Dodo, -- bist ein guter Junge, ich danke Dir!« Dodo blickte erstaunt in das sanfte, jugendliche Gesicht, das Blut schoß ihm in die Wangen, und Thränen traten in seine Augen. »Hier, Dodo,« rief sein junger Herr befehlend. Dodo sprang zu ihm und hielt das Pferd, während Letzterer aufstieg. »Da ist eine Picayune für Dich, Dodo,« sagte Henrique, »magst Dir Zuckerwerk dafür kaufen.« Henrique galloppirte die Allee hinab, hinter Eva her, und Dodo blieb stehen, und blickte beiden Kindern nach. Das eine hatte ihm Geld gegeben, und das andere, was ihm mehr Noth that, -- ein freundliches Wort. Dodo war nur erst wenige Monate von seiner Mutter entfernt. Sein Herr hatte ihn auf einem Sklavenmarkte seines hübschen Gesichtes wegen gekauft, um zu dem hübschen arabischen Pferde zu passen, und er empfing jetzt von den Händen seines jungen Masters die Dressur. Die Prügelscene war von den beiden Brüdern St. Clare von einem andern Theile des Gartens aus mit angesehen worden. Augustins Wange glühte vor Unwillen, aber er bemerkte nur mit der ihm eigenthümlichen sarkastischen Nachlässigkeit: »Ist das vielleicht, was man republikanische Erziehung zu nennen pflegt, Alfred?« »Henrique ist ein Teufel von einem Jungen, wenn er hitzig ist,« sagte Alfred nachlässig. »Ich vermuthe, Du hältst dies für eine nützliche Uebung für ihn,« bemerkte Augustin trocken. »Ich würde es nicht verhindern können, wenn ich's auch nicht thäte. Henrique ist ein wahrer, kleiner Sturmwind; -- seine Mutter und ich, wir haben ihn längst aufgegeben. Aber dieser Dodo ist auch ein hartnäckiger Bursche, -- kein Peitschen kann ihm Schaden thun. Und bringt Henrique zugleich den ersten Vers seines republikanischen Katechismus bei: ›Alle Menschen sind frei und gleich geboren!‹« »Puh!« sagte Alfred, »das ist eins von Tom Jefferson's Stückchen von französischem Sentimentalismus und Unsinn. Es ist förmlich lächerlich, daß eine solche Idee noch jetzt unter uns herumspuckt.« »Ich glaube es auch,« sagte St. Clare bedeutungsvoll. »Denn,« fuhr Alfred fort, »wir können deutlich genug sehen, daß ^nicht^ alle Menschen frei und gleich geboren sind; sie sind sehr verschieden geboren. Was mich betrifft, so halte ich alles dieses republikanische Geschwätz für nichts als Unsinn. Es sind die Gebildeten, die Reichen, welche gleiche Rechte haben sollten, aber nicht die _canaille_.« »Wenn Du die _canaille_ von dieser Ansicht überzeugen kannst,« sagte Augustin. »In Frankreich sind sie einmal auch an der Reihe gewesen.« »Natürlich müssen sie ^unter Druck^ gehalten werden, fest und consequent, so, wie ich es thun würde,« sagte Alfred, seinen Fuß fest niedersetzend, als wenn er auf Jemand stände. »Es verursacht einen fürchterlichen Fall, wenn sie aufstehen,« bemerkte Augustin, -- »zum Beispiel in St. Domingo.« »Puh!« entgegnete Alfred, »dafür wollen wir hier schon sorgen. Wir müssen uns durchaus allen diesen Geschwätzen von Erziehung und Bildung entgegen stemmen, die jetzt überall gehört werden. Die untere Klasse muß keine Erziehung und Bildung haben.« »Dafür möchte alles Beten nichts mehr helfen,« sagte Augustin; »eine Erziehung werden sie erhalten, und wir haben nur zu sagen, welche. Unser System ist, sie in Rohheit und Unmenschlichkeit zu erziehen. Wir zerreißen alle menschlichen Bande, und machen sie zu nichts als rohen, thierischen Geschöpfen; und als solche werden sie sich zeigen, wenn sie je die Oberhand gewinnen sollten.« »Sie werden nie die Oberhand gewinnen!« sagte Alfred. »Das ist recht,« entgegnete St. Clare; »laß den Dampf los, schließe das Sicherheitsventil, setze Dich dabei, und sieh zu, wo Du landen wirst.« »Gut,« sagte Alfred, »wir wollen sehen. Ich fürchte mich nicht, am Sicherheitsventile zu sitzen, so lange die Dampfkessel stark sind, und die Maschine in Ordnung ist.« »Der Adel in Louis _XVI._ Zeit dachte auch so, und Oestreich und Pius _IX._ denken noch so; und eines schönen Morgens könnt Ihr Euch alle vielleicht in der Luft begegnen, ^wenn die Dampfkessel gesprungen sind^.« »_Dies declarabit_,« sagte Alfred lachend. »Ich sage Dir,« fuhr Augustin fort, »wenn in unserer jetzigen Zeit irgend Etwas mit der Kraft eines göttlichen Gesetzes offenbart worden ist, so ist es das, daß die Massen aufstehen, und die unteren Klassen an die Stelle der oberen gestellt werden.« »Das ist etwas von Deinem rothrepublikanischen Unsinn, Augustin! Warum bist Du denn nicht Volksredner geworden? -- Du eignest Dich ganz vortrefflich dazu! -- Nun, ich hoffe nur, daß ich todt bin, ehe dieses tausendjährige Reich Deiner schmutzigen Massen kommt.« »Schmutzig oder nicht schmutzig, -- sie werden Dich beherrschen, wenn ihre Zeit kommt,« sagte Augustin, »und sie werden grade solche Herrscher sein, als wozu Ihr sie macht. Der französische Adel wollte das Volk als ›_sans culottes_‹ haben, und er bekam ›_sans culottes_‹-Herrscher in vollem Maaße. Das Volk in Hayti --« »O, laß das, Augustin! -- als wenn wir nicht genug von den abscheulichen, verächtlichen Haytiern gehört hätten! Sie waren keine Angelsachsen; wenn sie die gewesen wären, so würde die Sache eine andre Wendung genommen haben. Das Geschlecht der Angelsachsen ist das herrschende auf der Erde, und verdient es zu sein.« »Nun, ich glaube, es ist jetzt eine gute Quantität angelsächsisches Blut unter unseren Sklaven,« sagte Augustin. »Es giebt Viele unter ihnen, die von dem afrikanischen grade nur so viel haben, um unserer berechnenden Ruhe und Sicherheit etwas tropische Wärme zu verleihen. Wenn jemals die St. Domingo-Stunde hier schlagen sollte, so wird das angelsächsische Blut der Führer des Tages sein. Söhne weißer Väter, mit allem unserem Stolze in ihren Adern, werden nicht immer gekauft und verkauft werden, und Gegenstand des Handels sein. Sie werden sich erheben, und das Geschlecht ihrer Mütter zugleich mit.« »Unsinn!« rief Alfred. »Gut,« sagte Augustin, »es gibt ein altes Sprichwort, des Inhalts: ›So wie es zur Zeit Noah's war, so wird es wieder sein; -- sie aßen, sie tranken, sie pflanzten, sie bauten, und wußten es nicht, bis die Fluth kam und sie verschlang.‹« »Im Ganzen genommen, Augustin, dächte ich, hättest Du hinreichendes Talent für einen Kunstreiter,« sagte Alfred lachend. »Sei Du nur nicht für uns besorgt; Besitz ist unsere Festung. Wir haben die Macht; und dieses verworfene Geschlecht,« sagte er, mit dem Fuße stampfend, »ist unten, und soll unten bleiben! Wir besitzen Energie genug, um unser eignes Pulver richtig anzuwenden.« »Söhne, die wie Dein Henrique erzogen sind, werden vortreffliche Aufseher unserer Pulvermagazine abgeben,« sagte Augustin, -- »so ruhig und überlegend! Das Sprichwort sagt: ›Wer sich nicht selbst beherrschen kann, ist nicht im Stande, Andere zu beherrschen.‹« »Es ist da allerdings ein Uebelstand,« sagte Alfred gedankenvoll; »es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß unser System nicht sonderlich dazu geeignet ist, Kinder zu erziehen. Es läßt den Leidenschaften zu großen Spielraum, welche in unserem Klima ohnedies schon heiß genug sind. Henrique verursacht mir viel Unruhe. Der Knabe ist edelmüthig, und hat ein warmes Herz, aber ist eine wahre Rakete, sobald er sich in Aufregung befindet. Ich glaube, ich werde ihn nach Norden senden müssen, wo Gehorsam mehr an der Tagesordnung ist, und wo seine Gesellschafter mehr seines Gleichen, und weniger seine Untergebenen sind.« »Da Kindererziehung ein für das menschliche Geschlecht so wichtiger Gegenstand ist,« sagte Augustin, »so sollte ich denken, daß es einige Betrachtung verdiente, weshalb unser System nicht gut ist.« »Es ist in manchen Beziehungen mangelhaft,« sagte Alfred, »während es in andern die besten Erfolge hat. Es macht Knaben männlich und muthig, und die Laster eines verworfenen Geschlechtes wirken dahin, in ihnen die denselben entgegengesetzten Tugenden zu stärken und zu befestigen. Ich glaube zum Beispiel, daß Henrique um so mehr Gefühl für die Schönheit der Wahrheit hat, als er Lug und Trug stets als Kennzeichen der Sklaverei gesehen hat.« »Das ist eine ächt christliche Anschauung der Sache, ohne Zweifel!« sagte Augustin. »Sie ist wahr, ob christlich oder nicht,« sagte Alfred, »und doch vielleicht eben so christlich, wie viele andre Dinge in der Welt.« »Das mag sein,« entgegnete St. Clare. »Unser Gespräch führt zu nichts, Augustin. Ich glaube, wir haben diesen Kreislauf bereits fünfhundertmal gemacht. Was meinst Du zu einer Partie Puff?« Die beiden Brüder sprangen die Stufen der Veranda hinauf, und saßen bald vor einem leichten Tische von Bambus, mit dem Puffbrette zwischen ihnen. »Ich sage Dir, Augustin, wenn ich so dächte, wie Du, so würde ich wenigstens Etwas thun.« »Wahrscheinlich, -- denn Du gehörst zu der thätigen Klasse von Menschen, -- aber was denn?« »Ich würde meine eigenen Sklaven zum Muster für Andere erziehen,« sagte Alfred mit einem halb höhnischen Lächeln. »Du könntest eben so wohl den Berg Aetna flach auf sie stellen, und ihnen heißen, darunter aufzustehen, wie mir rathen, meine Sklaven unter dieser erdrückenden Masse der Gesellschaft zu erziehen. Ein Mann allein kann gegen den Strom einer ganzen Commune nichts thun.« »Du hast den ersten Wurf,« sagte Alfred, und beide Brüder waren bald in ihr Spiel vertieft, und hörten nichts mehr, bis der Schall von Pferdehufen unter der Veranda erklang. »Da kommen die Kinder,« sagte Augustin, aufstehend. »Sieh' da, Alf, hast Du jemals etwas so Schönes gesehen?« Und es war in der That ein schöner Anblick. Henrique mit seiner hohen, kühnen Stirn, seinen dunkelen, glänzenden Locken, und seiner glühenden Wange, lachte heiter, während er sich an seine schöne Cousine wendete, und Beide näher kamen. Eva trug ein blaues Reitkleid, mit einer Mütze von derselben Farbe. Die Bewegung hatte ihren Wangen höhere Farbe verliehen, und ließ ihre wunderbar durchsichtige Haut und ihr goldenes Haar noch eindrucksvoller erscheinen. »Gott im Himmel! welche blendende Schönheit ist das!« rief Alfred. »Ich sage Dir, August, -- wird sie nicht bald schon Manchem das Herz schwer machen?« »Ja, nur zu sehr, -- Gott weiß, ich fürchte es!« sagte St. Clare mit plötzlich bitterem Tone, während er hinunter eilte, um sie herabzuheben. »Eva, Liebling! bist Du nicht sehr ermüdet?« sagte er, indem er sie in seine Arme nahm. »Nein, Papa,« entgegnete sie; allein ihr kurzer, scharfer Athem beunruhigte ihren Vater lebhaft. »Wie konntest Du so scharf reiten, liebes Kind? -- Du weißt, es ist Dir so nachtheilig.« »Ich fühle mich so wohl, Papa, und es gefiel mir so sehr, daß ich es vergaß.« St. Clare trug sie auf seinen Armen in das Zimmer, und legte sie auf das Sopha. »Henrique, Du mußt vorsichtiger mit Eva sein,« sagte er, »Du mußt nicht so scharf mit ihr reiten.« »Ich will sie unter meine Pflege nehmen,« sagte Henrique, setzte sich an das Sopha, und nahm ihre Hand in die seinige. Eva fühlte sich bald besser. Ihr Vater und Onkel setzten ihr Spiel fort, und die Kinder waren sich selbst überlassen. »Weißt Du, Eva, es ist recht schade, Papa will nur zwei Tage hier bleiben, und dann sehe ich Dich so lange nicht wieder. Wenn ich hier bliebe bei Dir, würde ich mir rechte Mühe geben, immer gut zu sein, und nie Dodo hart zu behandeln. Ich will Dodo nichts Böses zufügen, aber, siehst Du, ich habe ein so hitziges Temperament. Ich bin nicht immer häßlich gegen ihn; ich gebe ihm manchmal eine Picayune. Ich glaube auch, im Ganzen genommen hat es Dodo recht gut.« »Würdest Du glauben, daß Du es gut hättest, wenn Dir kein Wesen der Welt nahe wäre, das Dich liebte?« »Ich? -- natürlich nicht.« »Und Du hast Dodo von allen den Freunden, die er hatte, fortgerissen, und nun hat er Niemanden mehr, der ihn lieb hat; -- wer kann unter solchen Umständen gut sein!« »Nun, ich kann's nicht ändern, ich wüßte wenigstens nicht wie. Ich kann nicht seine Mutter holen, und ich kann ihn nicht selbst lieben, oder irgend ein Andrer, so viel ich weiß.« »Warum kannst Du nicht?« fragte Eva. »Dodo lieben? Wie, Eva, das wirst Du doch nicht von mir verlangen! Ich kann ihn wohl ganz ^gern haben^; aber Du liebst doch Deine Dienstboten nicht.« »Gewiß thue ich das.« »Wie sonderbar!« »Befiehlt uns die Bibel nicht, alle Menschen zu lieben?« »O, die Bibel! Ja, die sagt wohl viele Sachen; aber es denkt wohl Niemand daran, sie zu thun, -- das weißt Du doch, Eva?« Eva antwortete nicht; ihre Augen waren einige Sekunden lang starr und sinnend. »Auf jeden Fall,« sagte sie endlich, »lieber Cousin, bitte, habe den armen Dodo lieb, und sei freundlich gegen ihn, mir zu Liebe!« »Dir zu Liebe könnte ich wer weiß was lieb haben; denn, wahrlich, ich glaube, Du bist das liebenswürdigste Wesen, das ich je gesehen habe, liebe Cousine!« sagte Henrique mit einem solchen Ernste und Eifer, daß sein hübsches Gesicht glühte. Eva empfing diese Erklärung mit vollständiger Einfalt des Herzens, und ohne daß sich ein Zug ihres Gesichtes veränderte. Sie sagte nur: »Das freut mich, lieber Henrique! Ich hoffe, Du wirst es nicht vergessen.« Der Schall der Mittagsglocke machte hier der Unterhaltung ein Ende. Vierundzwanzigstes Kapitel. Vorboten. Zwei Tage später reiste Alfred St. Clare mit seinem Sohne wieder ab, und Eva, die durch die Gesellschaft ihres jungen Cousin zu Anstrengungen veranlaßt worden war, welche ihre Kräfte überstiegen, begann von nun an schwächer und schwächer zu werden. St. Clare verstand sich endlich dazu, ärztliche Hülfe in Anspruch zu nehmen, wovor er sich bisher immer deßhalb gescheut hatte, weil es das Zugeständniß einer traurigen Wahrheit enthielt. Allein Eva fühlte sich einige Tage lang so krank, daß sie selbst das Haus nicht mehr verlassen konnte, -- und so wurde der Arzt gerufen. Marie St. Clare hatte das allmählige Abnehmen der Gesundheit und der Kräfte des Kindes nicht beachtet, weil ihre ganze Aufmerksamkeit sich darauf gerichtet hatte, zwei oder drei neue Krankheitsarten zu studiren, deren Opfer sie selbst zu sein glaubte. Es war Mariens erster und unumstößlicher Glaubensartikel, daß Niemand so viel leide und leiden könne, wie sie selbst; und aus diesem Grunde wies sie stets alle Andeutungen, daß irgend Jemand ihrer Umgebung krank sein könne, mit Unwillen zurück. Sie war in solchem Falle stets dessen gewiß, daß es nur Trägheit oder Mangel an Energie sein könne, woran Jene litten, und daß sie, wenn sie ein Leiden wie das ihrige zu tragen hätten, sehr bald den Unterschied erkennen würden. Miß Ophelia hatte mehrmals versucht, ihre mütterliche Besorgniß für Eva zu erwecken; aber vergeblich. »Ich sehe nicht, was dem Kinde fehlen soll,« pflegte sie zu sagen, »sie läuft ja umher und spielt.« »Aber sie hat den Husten.« »Husten! -- Sie brauchen mir nicht zu sagen, was Husten ist. Ich habe am Husten gelitten, so lange ich lebe. Als ich in Eva's Alter war, dachten Alle, ich hätte die Auszehrung. Nacht für Nacht mußte Mammy bei mir wachen. O! Eva's Husten ist gar nichts.« »Aber sie wird immer schwächer, und ihr Athem immer kürzer.« »Mein Gott! Das habe ich jahrelang gehabt; 's ist nichts als etwas Nervenschwäche.« »Aber sie hat des Nachts auch so starken Schweiß.« »So, -- habe ich denn den nicht schon seit zehn Jahren? Fast Nacht für Nacht ist meine Wäsche zum Ausringen naß, und das Bettzeug so feucht, daß Mammy es aufhängen muß, um es zu trocknen! Eva's Schweiß ist doch damit nicht zu vergleichen!« Miß Ophelia sagte eine Zeit lang gar nichts mehr, allein, als Eva endlich bettlägerig geworden und ein Arzt herbeigerufen worden war, nahm Marie plötzlich eine andere Wendung. »Sie habe es gewußt,« sagte sie, »sie habe es immer gefühlt, daß sie bestimmt sei, die unglücklichste aller Mütter zu sein. Da liege sie nun mit ihrer leidenden Gesundheit, und müsse ihr einziges Kind, ihren Liebling vor ihren Augen zu Grabe gehen sehen.« »Meine liebe Marie,« pflegte dann St. Clare zu sagen, »sprich nicht so! Du solltest an ihrem Zustande nicht gleich ganz verzweifeln.« »O Du hast nicht die Empfindungen einer Mutter, St. Clare! Du hast mich nie verstehen können! -- und jetzt am allerwenigsten!« »Aber sprich doch nur nicht so, als wenn alle Hoffnung verloren wäre!« »Ich kann die Sache nicht so leicht nehmen, wie Du, St. Clare. Wenn Du es nicht fühlst, wenn Dein Kind in einem so hoffnungslosen Zustande ist, -- ich fühle es! Der Schlag ist für mich zu hart, mit alle dem, was ich vorher schon gelitten habe.« »Es ist wahr,« entgegnete St. Clare, »daß Eva von Natur sehr schwächlich ist, und daß ihre Kräfte durch zu schnelles Wachsen in hohem Grade erschöpft sind, und daß ihr Zustand sehr bedenklich ist; allein gerade jetzt ist sie nur durch die Hitze der Jahreszeit auf's Bett geworfen worden, wozu die Aufregung und die Anstrengungen beigetragen haben, die durch den Besuch ihres jungen Cousin verursacht worden sind. Der Arzt sagt, es sei noch nicht alle Hoffnung verloren.« »Gut, natürlich, wenn Du die Sache noch aus einem günstigen Lichte betrachten kannst, so thue es; -- es ist eine Wohlthat in dieser Welt, wenn die Menschen keine tiefen Gefühle haben. Ich wollte, ich hätte auch keine, denn sie machen mich nur noch elender! -- Ich wünschte, ich ^könnte^ eben so sorglos darüber sein wie Ihr andern alle!« Eine oder zwei Wochen später zeigte sich plötzlich eine günstige Veränderung der Symptome, -- eine jener trügerischen Windstillen, durch die jene unerbittliche Krankheit so oft das angstvolle Herz noch am Rande des Grabes täuscht. Eva's Tritt schwebte wieder durch den Garten, durch die Balkone, -- sie spielte wieder und lachte wieder, und ihr Vater erklärte in seinem Entzücken, daß sie bald wieder so gesund sein solle, wie je zuvor. Nur Miß Ophelia und der Arzt schöpften keine neuen Hoffnungen aus diesem trügerischen Wechsel. Und noch ein anderes Herz schlug, das auch dieselbe Gewißheit in sich fühlte, und das war Eva's kleines Herz. Was für eine Stimme ist das, die zuweilen im Herzen so ruhig, so deutlich spricht, daß seine irdische Zeit bald abgelaufen sei? Ist es der geheime Instinkt der vergehenden Natur, oder ist es ein ahnender Herzschlag, wenn die Ewigkeit uns näher rückt? Was es auch sei, in Eva's Herzen war die ruhige, süße, prophetische Gewißheit vorhanden, daß der Himmel ihr nahe sei, und nur der Schmerz um diejenigen, die sie so innig liebten, beunruhigte ihr kleines Herz. Denn das Kind, obgleich es so zärtlich auferzogen worden war, und obgleich sich das Leben vor ihm mit allem Glanze ausbreitete, den Liebe und Reichthum gewähren können, empfand dennoch keinen Schmerz über sein nahendes Scheiden. In jenem Buche, in dem sie mit ihrem schlichten, alten Freunde so viel gelesen, hatte sie das Bild Eines gefunden und in ihr Herz geschlossen, der das kleine Kind liebte; und während sie sann und an ihn dachte, hatte er aufgehört, ein bloßes Bild und Gemälde zu sein, und war eine lebendige, Alles umfassende Wirklichkeit geworden. Seine Liebe umschloß ihr kindliches Herz mit mehr als menschlicher Zärtlichkeit, und zu Ihm, nach Seinem Hause, sagte sie, daß sie gehe. Aber ihr Herz dachte mit wehmüthiger Zärtlichkeit an alle diejenigen, die sie zurücklassen mußte; zunächst an ihren Vater, -- denn, obgleich sie sich dessen nicht deutlich bewußt war, hatte sie dennoch das instinktmäßige Gefühl, daß sie seinem Herzen mehr angehöre, als irgend einem andern. Sie liebte ihre Mutter, weil ihr ganzes Wesen Liebe war, und alle die Selbstsucht, die sie an ihr wahrnahm, verursachte ihr nur Betrübniß und Verwunderung; denn sie hatte das dunkle, kindliche Gefühl, daß ihre Mutter nicht unrecht thun könne. Eben so gedachte sie mit Liebe jener treuen, anhänglichen Dienstboten, für die sie wie Tageslicht und Sonnenschein gewesen war. Kinder generalisiren in der Regel nicht, allein Eva war ein ungewöhnlich reifes Kind, und was sie von den Uebeln jenes Systems gesehen hatte, unter dem jene Unglücklichen lebten, war eins nach dem andern in die Tiefen ihres sinnenden Gemüthes gesunken. Sie empfand ein dunkles Sehnen, irgend etwas für sie zu thun, -- ein Sehnen, das in so grellem Gegensatze zu der Gebrechlichkeit ihrer kleinen, körperlichen Hülle stand. »Onkel Tom,« sagte sie eines Tages, als sie ihm vorlas, -- »ich kann es mir erklären, weßhalb Jesus für uns sterben ^wollte^.« »Weßhalb, Miß Eva?« »Weil ich grade dasselbe Gefühl auch habe.« »Welches Gefühl, Miß Eva? -- ich verstehe Sie nicht.« »Ich kann es Dir nicht beschreiben: aber als ich jene unglücklichen Wesen auf dem Schiffe sah, -- Du weißt ja, als wir zusammen hierher fuhren, -- von denen einige ihre Mütter verloren hatten, und andere um ihre Männer, und noch andere um ihre Kinder weinten, -- und als ich von der armen Prue hörte, -- o, war das nicht schrecklich! -- da dachte ich, ich würde gern sterben, wenn mein Tod allem diesem Elend ein Ende machen könnte. -- Ich würde ^gern^ sterben, gewiß, Tom, wenn ich könnte,« fügte sie lebhafter hinzu, indem sie ihre kleine Hand auf die seinige legte. Tom blickte mit Ehrfurcht auf das Kind, und als es auf den Ruf seines Vaters davon eilte, trocknete er seine Augen viele, viele Male, während er ihr nachschaute. »'s ist vergeblich, Miß Eva hier behalten zu wollen,« sagte er zu Mammy, der er gleich nachher begegnete; -- »sie hat schon das Zeichen des Herrn auf ihrer Stirn.« »Ach, ja, ja,« sagte Mammy, ihre Hände aufhebend; -- »habe immer das gesagt. Sie war nie, wie ein Kind ist, das leben soll, -- 's war immer so 'was Tiefes in ihren Augen. Hab's Missis oft genug gesagt, -- 's muß wahr werden, -- wir sehen's Alle, -- das liebe, kleine Lamm!« Eva trippelte die Stufen der Veranda hinauf zu ihrem Vater. Es war spät am Nachmittage, und die Strahlen der Sonne bildeten eine Art Glorie hinter ihr, während sie sich ihm nahte in ihrer weißen Kleidung, mit dem goldenen Haar, den glühenden Wangen und den vom langsamen Fieber, das in ihren Adern brannte, unnatürlich glänzenden Augen. St. Clare hatte sie gerufen, um ihr eine kleine Statue zu zeigen, die er für sie gekauft hatte; aber ihre Erscheinung, als sie sich näherte, ergriff ihn plötzlich auf schmerzhafte Weise. Es gibt eine Art hinreißender, aber so gebrechlicher Schönheit, daß wir sie kaum zu betrachten vermögen. Ihr Vater drückte sie heftig in seine Arme, und vergaß beinahe, was er ihr hatte sagen wollen. »Eva, mein liebes Kind, Du bist jetzt besser, -- nicht wahr?« »Papa,« sagte Eva mit plötzlicher Festigkeit, -- »ich habe Dir Etwas sagen wollen -- schon seit langer Zeit. Ich will es Dir jetzt sagen, ehe ich noch schwächer werde.« St. Clare zitterte, während Eva sich auf seinen Schooß setzte. Sie legte ihren Kopf an seinen Busen und sagte: »Es nützt nichts, Papa, daß ich es noch länger bei mir behalte. Die Zeit naht, wo ich Dich verlassen muß. Ich gehe und kehre nie wieder!« sagte sie schluchzend. »O nein, meine liebe kleine Eva!« sagte ihr Vater bebend, während er sprach, aber einen heitern Ton annehmend, »Du bist angegriffen und niedergeschlagen, aber Du mußt Dich nicht so düsteren Gedanken hingeben. Sieh' hier, ich habe eine kleine Statue für Dich gekauft!« »Nein, Papa,« entgegnete Eva, sie sanft bei Seite schiebend, -- »täusche Dich nicht selbst! Ich bin ^nicht^ besser, ich fühle das recht wohl, -- und ich gehe bald. Ich bin nicht angegriffen, -- ich bin nicht niedergeschlagen. Wenn es nicht Deinethalben wäre, Papa, und um meiner Freunde willen, so wäre ich ganz glücklich. Ich gehe gern, -- ich sehne mich danach!« »Wie, Kind, was hat denn Dein armes kleines Herz so traurig gemacht? Du hast Alles gehabt, was möglich war, um Dich glücklich zu machen.« »Ich möchte lieber im Himmel sein, obgleich ich um meiner Freunde willen gern lebte. Es gibt hier so viele Dinge, die mich traurig machen, die mir schrecklich erscheinen; -- deßhalb möchte ich lieber dort sein, -- aber ich verlasse Dich nicht gern, -- es bricht mir beinahe das Herz.« »Was macht Dich denn so traurig und erscheint Dir so schrecklich, Eva?« »O, Dinge, die immer und immer geschehen. Unsere armen Leute thun mir leid; sie haben mich so lieb und sind alle so gut gegen mich. Ich wünschte, Papa, sie wären alle ^frei^.« »Wie, Eva, glaubst Du denn nicht, daß sie es alle gut haben?« »Ja, aber, Papa, wenn Dir irgend etwas zustoßen sollte, was würde dann aus ihnen werden? Es gibt wohl wenige Menschen, die so wie Du sind. Onkel Alfred ist nicht so und Mamma ist nicht so; und dann denke nur einmal an die Herrschaft der armen, alten Prue! was für schreckliche Dinge Menschen begehen können!« sagte Eva schaudernd. »Mein liebes Kind, Du bist zu reizbar. Ich bereue es, daß ich Dich jemals solche Dinge habe hören lassen.« »O, sieh, Papa, das ist's, was mich beunruhigt. Du willst, daß ich glücklich leben und nie Schmerzen, -- nie Leiden haben, -- selbst nicht einmal eine traurige Geschichte hören soll, während andere arme Wesen nichts als Schmerz und Kummer ihr ganzes Leben lang haben, -- ist das nicht selbstsüchtig? Ich muß solche Sachen hören und darüber denken! Solche Sachen sanken mir immer in's Herz, -- tief, tief, und ich habe darüber gedacht und gedacht. Papa, ist denn gar kein Weg möglich, um alle Sklaven frei zu machen?« »Das ist eine schwierige Frage, Kind. Ohne Zweifel ist ihr jetziges Loos ein sehr trauriges. Viele Menschen denken so und ich selbst denke so. Von Herzen wünschte ich, daß es im ganzen Lande keinen Sklaven gäbe; aber ich weiß nicht, wie das zu erreichen ist.« »Papa, Du bist so gut und so edel und so freundlich, und weißt Alles so hübsch zu sagen, -- könntest Du denn nicht zu allen Leuten herumgehen, und sie zu überreden suchen, dieses Unrecht abzustellen? Wenn ich todt bin, Papa, dann wirst Du an mich denken, und es um meinetwillen thun. Ich würde es selbst thun, wenn ich könnte.« »Wenn Du todt bist, Eva?« sagte St. Clare leidenschaftlich. »O Kind, sage nicht so etwas zu mir; -- Du bist ja mein Alles, was ich auf Erden besitze.« »Das Kind der armen, alten Prue war auch Alles, was sie besaß, -- und dennoch mußte sie es schreien hören und durfte ihm nicht helfen! Papa, diese armen Wesen lieben ihre Kinder eben so sehr wie Du mich liebst. O, thue etwas für sie! Die arme Mammy liebt ihre Kinder auch; ich habe gesehen, wie sie weinte, wenn sie von ihnen sprach. Und Tom liebt seine Kinder, und ist es nicht schrecklich, Papa, daß solche Dinge immer und immerfort geschehen?« »Still, still, mein Liebling,« sagte St. Clare beruhigend: »beunruhige Dich nur nicht so sehr, und sprich mir nicht von sterben, und ich will Alles thun, was Du willst.« »Und versprich mir, lieber Vater, daß Tom seine Freiheit haben soll, sobald« -- sie hielt inne und fügte zaudernd hinzu -- »ich nicht mehr da bin!« »Ja, mein Kind, ich will Alles -- Alles in der Welt thun, um was Du mich bittest.« »Mein lieber Vater,« sagte dann das Kind, indem es seine brennende Wange an die seinige legte, »wie sehr wünschte ich, daß wir zusammen gehen könnten!« »Wohin, mein Liebling?« fragte St. Clare. »Nach der Heimath unseres Erlösers; -- da ist Alles so schön, so friedlich, -- so liebreich!« Das Kind sprach unbewußt wie von einem Platze, wo es oft gewesen war. »Willst Du nicht mit gehen, Papa?« fügte sie hinzu. St. Clare drückte sie fester an sich, aber schwieg. »Du wirst zu mir kommen,« sagte das Kind in einem Tone ruhiger Bestimmtheit, in welchem es oft unbewußt sprach. »Ich folge Dir, -- ich werde Dich nicht vergessen.« Die Schatten dieses feierlichen Abends legten sich dichter und dichter um sie, während St. Clare schweigend da saß und die kleine gebrechliche Körperform an seinem Busen hielt. Er sah nicht mehr die tiefen Augen, aber ihre Stimme berührte ihn wie eine Geisterstimme, und sein ganzes vergangenes Leben stieg in einem Augenblick vor seinen Augen auf, als sollte darüber Gericht gehalten werden: Die Gebete und Hymnen seiner Mutter; sein eignes früheres Sehnen und Streben nach dem Guten; und zwischen jener Zeit und der gegenwärtigen Stunde Jahre von Weltlichkeit, Ungläubigkeit und was die Menschen anständiges Leben nennen. Wir können ^viel^, sehr viel in einem Augenblicke denken. St. Clare sah und dachte viel, aber sagte nichts. Und als es dunkler wurde, trug er sein Kind in das Schlafzimmer; und nachdem es zur Nachtruhe vorbereitet worden war, sandte er die Dienstboten hinweg und wiegte es in seinen Armen, und sang es ein, bis es entschlummert war. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Der kleine Evangelist. Es war Sonntag Nachmittag. St. Clare lag auf einem Sitze von Bambusrohr in der Veranda ausgestreckt und ergötzte sich am Genuß einer Cigarre. Marie lag auf ihrem Sopha, dem Fenster gegenüber, welches nach der Veranda ging, unter einer Dachung von durchsichtiger Gaze gegen die Angriffe der Moskito geschützt, und hielt ein elegant eingebundenes Gebetbuch in der Hand. Sie hielt es in der Hand, weil es Sonntag war, und bildete sich ein, sie habe darin gelesen, -- obgleich sie in Wirklichkeit nur, mit dem offenen Buche in der Hand, eine Reihenfolge kurzer Schläfe durchgemacht hatte. Miß Ophelia, die nach längerem Suchen eine kleine methodistische Versammlung in der Umgegend entdeckt hatte, war mit Tom als Kutscher ausgefahren, um derselben beizuwohnen, und Eva hatte sie begleitet. »Augustin,« sagte Marie, von einem Schlummer erwachend, »ich sage Dir, ich muß nach der Stadt schicken und meinen alten Doctor Posey holen lassen; ich glaube gewiß, ich habe eine Herzkrankheit.« »Weßhalb hast Du denn nöthig, nach ihm zu schicken? Der Arzt, welcher Eva behandelt, scheint geschickt und erfahren zu sein.« »Ich möchte mich ihm doch in einem gefährlichen Falle nicht anvertrauen, und ich fürchte, der meinige wird ein solcher werden! Ich habe seit zwei, drei Nächten darüber nachgedacht. Die Schmerzen, die ich leide, sind unbeschreiblich, und dabei habe ich so sonderbare Empfindungen.« »O Marie, Du faselst, -- ich glaube nimmermehr, daß Du eine Herzkrankheit hast.« »Natürlich, ^Du^ glaubst es nicht,« entgegnete Marie, »ich konnte mir denken, daß Du ^das^ sagen würdest. Du kannst sehr besorgt sein, wenn Eva ein wenig hustet oder ihr sonst das Geringste fehlt! aber an mich denkst Du nie.« »Wenn es Dir besonderes Vergnügen macht, eine Herzkrankheit zu haben, gut, so will ich versuchen, es steif und fest zu glauben,« sagte St. Clare; »ich wußte nicht, daß das der Fall war.« »Ich will nur wünschen, daß Dir Dein Spott nicht leid thue, wenn es zu spät ist,« sagte Marie, »aber Du magst es glauben oder nicht, meine Angst und Unruhe um Eva, und die Anstrengungen, denen ich mich um dieses lieben Kindes willen unterzogen, haben jetzt vollständig entwickelt, was ich längst gefürchtet habe.« Worin die Anstrengungen bestanden, deren Marie erwähnte, würde schwer zu bestimmen gewesen sein. St. Clare lieferte sich selbst im Stillen diesen Commentar, und fuhr in seiner Hartherzigkeit fort zu rauchen, bis ein Wagen vor der Veranda erschien, aus welchem Eva und Miß Ophelia ausstiegen. Miß Ophelia ging geraden Wegs nach ihrem Zimmer, um ihren Hut und Shawl abzulegen, was ihre feststehende Gewohnheit war, ehe sie ein Wort über irgend einen Gegenstand sprach, während Eva auf St. Clare's Ruf zu ihm kam, sich auf sein Knie setzte, und ihm über den Gottesdienst, welchem sie beigewohnt hatte, Bericht erstattete. Bald darauf hörten sie aus Miß Ophelia's Zimmer, welches gleichfalls nach der Veranda hinausging, laute Ausrufungen erschallen, und heftige Vorwürfe, die an irgend Jemanden gerichtet wurden. »Was für neue Teufelsstreiche hat Tops ausgeführt?« fragte St. Clare. »Diese Scene rührt von ihr her, -- ich will darauf wetten!« Einen Augenblick später erschien Miß Ophelia in höchster Aufregung und schleppte die Sünderin hinter sich her. »Jetzt komm' hier herein!« sagte sie. »Ich will es Deinem Herrn sagen!« »Was gibt's denn nun?« fragte St. Clare. »Die Sache ist die, daß ich mich nicht länger mit dem Kinde plagen kann. Es geht mit ihr über alle Grenzen der Geduld hinaus; Fleisch und Blut kann es nicht ertragen! Hier, ich schloß sie ein und gab ihr eine Hymne zu lernen; und was thut sie statt dessen? -- spionirt aus, wo ich meinen Schlüssel hingethan habe, geht an mein Büreau, und nimmt einen Hutbesatz heraus, und schneidet ihn in Stücke, um Puppenjacken daraus zu machen! Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches von einem Kinde gesehen!« »Ich sagte Ihnen vorher, Cousine,« bemerkte Marie; »daß diese Geschöpfe nicht ohne Strenge aufgezogen werden können. Wenn ich jetzt ^meinem^ Willen folgen könnte,« fügte sie hinzu, indem sie vorwurfsvoll auf St. Clare blickte, »so würde ich das Kind fortschicken, und es gründlich auspeitschen lassen, -- so lange, bis es nicht mehr stehen könnte.« »Ich hege keine Zweifel darüber,« sagte St. Clare. »Das ist zarte Weiblichkeit! Ich habe in meinem ganzen Leben nicht mehr als höchstens ein Dutzend Frauenzimmer kennen gelernt, die nicht ein Pferd oder einen Sklaven halb umbringen würden, wenn sie mit ihnen verfahren könnten, wie sie wollten!« »Deine nichtssagende Behandlungsweise, St. Clare, ist von gar keinem Nutzen,« erwiederte Marie. »Cousine ist ein verständiges Frauenzimmer, und sieht es jetzt eben so deutlich ein, wie ich.« Miß Ophelia konnte genau zu einem solchen Grade von Unwillen und Aufregung gebracht werden, der bei einer Hausfrau, die ihren Geschäften mit Leib und Seele vorsteht, natürlich ist, und dieser Grad war durch die Arglist und Unart des Kindes vollständig erregt worden; allein Mariens Worte gingen noch viel weiter, und dämpften deshalb Ophelias Hitze. »Ich möchte das Kind um Alles in der Welt nicht so behandeln lassen,« sagte sie; »aber gewiß ist, Augustin, ich weiß nicht mehr, was ich mit ihr machen soll. Ich habe gelehrt und gelehrt; ich habe ihr Vorstellungen gemacht, bis ich des Redens müde war; ich habe sie gezüchtigt, ich habe sie gestraft auf jede nur denkbare Weise, -- und dennoch ist sie nicht ein Haar breit anders, als sie von Anfang an gewesen ist.« »Komm' hierher, Tops, Du Affe!« sagte St. Clare, das Kind zu sich rufend. Topsy näherte sich ihm. Ihre grellen, runden Augen glänzten und funkelten von einer Mischung von Furcht und ihrer gewöhnlichen Schalkhaftigkeit. »Warum beträgst Du Dich so?« sagte St. Clare, der sich über den sonderbaren Gesichtsausdruck des Kindes kaum des Lachens enthalten konnte. »Denke, 's ist mein schlechtes Herz,« sagte Topsy ganz ernsthaft; »Miß Feely sagt so.« »Siehst Du nicht, was Miß Ophelia alles für Dich gethan hat? Sie sagt, sie habe Alles gethan, was sie nur habe erdenken können.« »Ja, Master! alte Missis sagte auch so. Sie peitschte mich ganz anders, und riß mein Haar aus, und stieß meinen Kopf gegen die Wand, -- aber 's half nichts. Glaube, wenn sie mir auch alle Haare ausrissen, 's würde doch nichts helfen; -- bin so schlecht! bin nichts als ein Nigger, gar nichts!« »Ja, ich muß sie aufgeben,« sagte Miß Ophelia, »ich kann diese Qual nicht länger ertragen.« »Gut, ich wollte nur eine Frage an Dich richten,« sagte St. Clare. »Und welche?« »Wenn Euer Evangelium nicht kräftig genug ist, ein heidnisches Kind zu erretten, welches Du hier bei Dir allein im Hause haben kannst, welchen Nutzen kann es dann gewähren, ein paar arme Missionäre unter Tausende von derselben Art und Gattung zu senden?« Miß gab keine unmittelbare Antwort hierauf; und Eva, welche bisher eine stumme Zuschauerin der Scene abgegeben hatte, gab Topsy ein stummes Zeichen, ihr zu folgen. In der einen Ecke der Veranda befand sich ein kleines Zimmer mit einer Glasthüre, welches St. Clare als Lesezimmer zu benutzen pflegte. Dort hinein verschwanden Eva und Topsy. »Was hat Eva jetzt vor?« sagte St. Clare. »Ich will lauschen.« Indem er sich auf den Zehen der Glasthür näherte, und den Vorhang, welcher sie bedeckte, aufhob, blickte er hinein. Im nächsten Augenblicke machte er, den Finger auf die Lippen legend, Miß Ophelien ein Zeichen, ihm zu folgen und in das Zimmer zu blicken. Dort saßen die beiden Kinder auf dem Fußboden, während die Seiten ihrer Gesichter den Schauenden zugewendet waren: Topsy, mit ihrer gewöhnlichen Miene drolligen, sorglosen Muthwillens, und ihr gegenüber Eva, glühend im ganzen Gesichte von Gefühl, und mit Thränen in ihren großen Augen. »Warum bist Du so unartig, Topsy? Weßhalb gibst Du Dir nicht Mühe, gut zu sein? Hast Du denn Niemanden lieb, Topsy?« »Weiß nichts von lieb haben; habe Zuckerbrod und so 'was lieb, -- weiter nichts,« sagte Topsy. »Aber Du hast doch Deinen Vater und Deine Mutter lieb?« »Habe nie keine gehabt; -- hab's Ihnen schon gesagt, Miß Eva.« »Ja, ich weiß,« entgegnete Eva traurig; »aber hast Du nie einen Bruder oder eine Schwester oder eine Tante oder --?« »Nein, keinen, -- gar keinen, niemals.« »Aber Topsy, wenn Du Dir nur Mühe geben wolltest, gut zu sein, so könntest Du --« »Könnte doch nie 'was Andres sein als ein Nigger, wenn ich auch noch so gut wäre,« sagte Topsy. »Wenn sie mir die Haut abziehen könnten, und wenn ich weiß werden könnte, dann wollt' ich 's versuchen.« »Aber die Menschen könnten Dich ja doch lieb haben, wenn Du auch schwarz bist, Topsy. Miß Ophelia würde Dich lieb haben, wenn Du gut wärest.« Topsy ließ ein kurzes, grelles Lachen als Antwort hören, was ihre gewöhnliche Mode war, wenn sie Ungläubigkeit ausdrücken wollte. »Glaubst Du das nicht?« fragte Eva. »Nein, sie kann mich nicht leiden, weil ich ein Nigger bin! -- sie ließe sich eben so gern von einer Kröte anfassen! Niemand kann Niggers lieb haben, -- Niggers können gar nichts thun! Mach' mir nichts draus!« sagte Topsy, indem sie anfing zu pfeifen. »O Topsy, armes Kind, ich habe Dich lieb!« sagte Eva in einem plötzlichen Ausbruche ihres Gefühls, und legte ihre kleine, dünne Hand auf Topsy's Schulter. »Ich habe Dich lieb, weil Du keinen Vater und keine Mutter und Freunde hast, -- weil Du ein armes, mißhandeltes Kind bist! Ich habe Dich lieb, und will gut gegen Dich sein. Ich bin recht krank, Topsy, und ich glaube ich werde nicht mehr lange leben, und es macht mir wirklich Kummer, daß Du so unartig bist. Ich wünschte, Du versuchtest es, artig zu sein, mir zu Liebe; -- es ist nur noch kurze Zeit, daß ich bei Dir sein werde.« Die runden, scharfen Augen des schwarzen Kindes waren von Thränen verdunkelt; große, schwere Tropfen rollten nach einander herab, und fielen auf die weiße, kleine Hand. Ja, in diesem Momente hatte ein Strahl wirklichen Glaubens, ein Strahl himmlischer Liebe die Dunkelheit ihrer heidnischen Seele durchdrungen! Sie legte ihren Kopf zwischen ihre Kniee nieder, und weinte und schluchzte, -- während das schöne Kind, sich über sie neigend, wie das Bild eines glänzenden Engels erschien, der sich herabsenkte, um einen Sünder zu erlösen. »Arme Topsy!« sagte Eva, »weißt Du nicht, daß Jesus alle Menschen gleich liebt? Er ist eben so bereit, Dich zu lieben wie mich. Er liebt Dich so wie ich es thue, -- nur noch mehr, weil er besser ist. Er wird Dir beistehen, gut zu sein: und Du kannst endlich in den Himmel gehen, und dort für ewig ein Engel sein, eben so gut, als wenn Du weiß wärest. O, denke daran, Topsy! -- Du kannst einer jener glänzenden Engel werden, von denen Onkel Tom singt.« »O, liebe Miß Eva, liebe Miß Eva!« sagte das Kind; »ich will versuchen, ich will versuchen: -- habe früher nie 'was danach gefragt.« In diesem Augenblicke ließ St. Clare den Vorhang fallen. »Es erinnert mich an meine Mutter,« sagte er zu Miß Ophelia. -- »Es ist wahr, was sie mir sagte: wenn wir die Blinden sehend machen wollen, so müssen wir bereit sein, so zu handeln, wie Christus handelte, -- sie zu uns rufen, und ^unsere Hände auf sie legen^.« »Ich habe immer ein Vorurtheil gegen Neger gehabt,« sagte Miß Ophelia; »es ist wahr, es ist mir immer zuwider gewesen, mich von dem Kinde berühren zu lassen; allein ich glaubte nicht, daß Topsy es gewußt habe.« »Verlaß Dich darauf, daß jedes Kind das bald entdeckt,« entgegnete St. Clare, »es ist unmöglich, es vor ihnen verborgen zu halten. Aber ich glaube auch, daß alle Bemühungen der Welt, einem Kinde wohl zu thun, und alle Gunstbezeugungen nie eine Regung von Dankbarkeit in ihm erwecken werden, so lange ein derartiges Gefühl von Abneigung im Herzen vorhanden ist.« »Ich weiß nicht, wie ich das ändern soll,« sagte Miß Ophelia; »sie ^sind^ mir einmal zuwider -- und besonders dieses Kind, -- wie soll ich mich von diesem Gefühle befreien?« »Es scheint, Eva thut es.« »Ja, sie ist von Natur so liebreich!« sagte Miß Ophelia. »Ich wollte, ich wäre wie sie; sie könnte mir zum Muster dienen.« »Es wäre nicht das erste Mal, daß ein kleines Kind einem alten Schüler eine Lehre gegeben hat,« entgegnete St. Clare. Sechsundzwanzigstes Kapitel. Der Tod. Weint nicht um die, so Grabesschleier Am Lebensmorgen uns verbarg. Eva's Schlafgemach war ein geräumiges Zimmer, welches, wie fast alle übrigen Gemächer des Hauses, sich auf die Veranda öffnete. Auf der einen Seite stand dasselbe mit dem Zimmer ihres Vaters und ihrer Mutter in Verbindung, und auf der anderen mit dem, welches Miß Ophelien überwiesen worden war. St. Clare hatte seinem eigenen Geschmacke gehuldigt, indem er das Zimmer in einer Weise ausmöblirt und geschmückt hatte, die in seltsamer Harmonie mit dem Charakter derjenigen stand, für die es bestimmt war. Vor den Fenstern hingen Gardinen von weißem und rosafarbenem Mousselin herab, und der Fußboden war von einem Teppich bedeckt, welcher nach einem von St. Clare besonders angegebenen Muster in Paris gefertigt worden war, indem ein Kranz von Rosenknospen und Blättern die Einfassung bildete, und im Mittelpunkte sich mehrere ganz aufgeblühte Rosen befanden. Die Bettstelle, Stühle und Sitze waren von Bambus nach besonders geschmackvollen Mustern gearbeitet. Ueber dem Kopfende des Bettes befand sich an der Wand ein Fuß von Alabaster, aus dem ein schön gemeißelter Engel mit gesenkten Flügeln stand, welcher einen Myrthenkranz in der Hand hielt. Von demselben hingen über dem Bette leichte Vorhänge von rosafarbener Gaze herab, welche den für alle Schläfer so nothwendigen Schutz gegen die Moskito's gewährten. Die geschmackvollen Bambussitze waren reichlich mit Kissen von röthlichem Damast versehen, während über denselben ähnliche Vorhänge wie über dem Bett herabhingen. Ein leichter Bambustisch stand in der Mitte des Zimmers, aus welchem eine Vase von parischem Marmor in der Form einer blühenden Lilie stand, die stets mit Blumen gefüllt war. Auf diesem Tische lagen auch Eva's Bücher und kleine Schmucksachen, nebst einem eleganten Schreibzeuge von Alabaster, welches ihr Vater für sie angeschafft hatte, als er bemerkte, daß sie sich bemühte, sich im Schreiben zu verbessern. Auf dem marmornen Kaminsimse stand eine schön gearbeitete Statue, welche Jesus darstellte, wie er die Kinder zu sich rief, und auf jeder Seite derselben befanden sich Marmorvasen, welche Tom jeden Morgen mit frischen Blumen zu füllen sich zum Stolz gereichen ließ. Zwei oder drei ausgewählte Gemälde von Kindern in verschiedenen Stellungen schmückten die Wände. Kurz, wohin das Auge auch blicken mochte, überall begegneten ihm Bilder der Kindheit, der Schönheit und des Friedens. Eva's kleine Augen öffneten sich nie dem Morgenlichte, ohne auf etwas zu fallen, was in ihrem Herzen sanfte, schöne Gedanken erweckte. Die trügerische Kraft, welche Eva eine kurze Zeit lang aufrecht erhalten hatte, schwand schnell. Seltener und immer seltener wurde ihr leichter Fußtritt in der Veranda gehört, und öfter und immer öfter wurde sie auf ihren Strohsitzen am offenen Fenster liegend gefunden, während ihre großen, tiefen Augen die steigenden und sinkenden Wellen des See's beobachteten. Es war eines Nachmittags, während sie sich gerade in einer ähnlichen Stellung befand, und ihre durchsichtigen kleinen Finger zwischen den Blättern der halbgeöffneten Bibel lagen, als sie plötzlich die Stimme ihrer Mutter in scharfen Lauten in der Veranda hörte. »Was ist dies, Du Nickel? -- Was ist das für ein neuer Streich? Du hast hier Blumen abgepflückt, he?« und Eva hörte den Schall eines kräftigen Schlages. »O Missis, -- sie sind für Miß Eva,« hörte sie eine Stimme sagen, welche sie als Topsy's erkannte. »Miß Eva! eine hübsche Entschuldigung! -- Du meinst, sie brauche ^Deine^ Blumen, Du nichtsnützige Nigger! Fort mit Dir!« Im Augenblicke war Eva von ihrem Sitze auf und in der Veranda. »O nein, Mutter! ich möchte diese Blumen gern haben; bitte, gieb sie mir, -- ich brauche sie.« »Wie, Eva? Dein Zimmer ist ja ganz voll von Blumen.« »Ich kann nicht zu viele haben,« entgegnete Eva. »Topsy, komm, bringe sie mir.« Topsy, die mürrisch und mit gesenktem Kopfe dagestanden hatte, kam jetzt näher und übergab ihre Blumen. Sie that es mit scheuer, zaudernder Miene, die sehr verschieden von ihrer gewöhnlichen Kühnheit und Keckheit war. »Es ist ein schönes Bouquet!« sagte Eva, es betrachtend. Es war etwas sonderbarer Art, denn es bestand aus glänzend scharlachrothem Geranium mit einer einzigen weißen Japonikablume und ihren glänzenden Blättern. Der Gegensatz der Farben war augenscheinlich die Idee bei der Zusammensetzung des Bouquets gewesen, und die Anordnung jedes Blattes war mit besonderer Sorgfalt erfolgt. Topsy's Gesicht klärte sich auf als Eva sagte: »Topsy, Du kannst hübsche Bouquette binden. Sieh, hier ist eine Vase, für die ich keine Blumen habe. Ich wünschte, Du könntest mir jeden Morgen einige Blumen dafür sammeln.« »Nun, das ist sonderbar!« sagte Marie. »Wozu in der Welt, Kind, brauchst Du die nur noch?« »O, das thut nichts, Mamma; ich weiß, Du hast nichts dagegen, daß Topsy es thut, -- nicht wahr?« »Natürlich nicht; Alles was Du willst, mein Kind! Topsy, Du hörst, was Deine junge Mistreß sagt; -- gieb wohl Acht.« Topsy machte eine kurze Verbeugung mit gesenktem Kopfe; und als sie sich entfernte, sah Eva eine Thräne über ihre dunkle Wange rollen. »Siehst Du, liebe Mamma, ich wußte, daß die arme Topsy gern etwas für mich thun wollte,« sagte Eva zu ihrer Mutter. »O Unsinn! sie that's nur, weil sie gern verbotene Dinge thut. Sie weiß, daß sie keine Blumen abpflücken soll, -- also thut sie es; das ist das Ganze. Aber wenn Du es gern willst, daß sie sie pflückt, so mag sie es thun.« »Mamma, ich denke, Topsy ist jetzt ganz anders als sie früher war; sie giebt sich Mühe, gut zu sein.« »Da wird sie sich noch lange Mühe geben müssen, ehe sie wirklich gut wird,« sagte Marie mit gleichgültigem Lachen. »Ja, aber Du weißt, Mamma, die arme Topsy! -- Alles ist immer gegen sie gewesen.« »Nicht seitdem sie hier gewesen ist. Wenn ^ihr^ nicht vorgesprochen und vorgepredigt, und an sie nicht Alles gethan worden ist, was Menschen vermögen! -- und doch ist sie noch gerade eben so häßlich, und wird es immer sein; -- nein, es läßt sich nichts mit dem Geschöpfe machen!« »Aber, Mamma, es ist doch ganz anders, so auferzogen worden zu sein, wie ich es bin, mit so vielen Freunden, und so vielen Dingen, die mich gut und glücklich machen; und dann so aufgebracht worden zu sein, wie sie es die ganze Zeit war, ehe sie hieher kam!« »Kann sein,« entgegnete Marie gähnend, -- »o, wie heiß es ist!« »Mamma, nicht wahr, Du glaubst auch, daß Topsy ein Engel werden könnte, so gut wie wir, wenn sie eine Christin wäre?« »Topsy? was für eine lächerliche Idee! Niemand als Du würde jemals an so etwas denken. Aber es ist möglich!« »Aber, Mamma, ist denn Gott nicht ihr Vater so gut wie der unserige, -- und Jesus ihr Erlöser?« »Wohl, das mag sein. Ich glaube, Gott hat alle Menschen geschaffen,« erwiederte Marie. »Wo ist mein Riechfläschchen?« »Es ist solch' ein Jammer, -- o! solch' ein Jammer!« sagte Eva, auf den fernen See blickend, und halb zu sich selbst redend. »Was ist ein Jammer?« fragte Marie. »Daß ein Wesen, welches ein Engel werden und mit Engeln leben könnte, ganz hinab, hinab, hinab gehen soll, ohne daß ihm Jemand hilft! -- o, lieber Gott!« »Wohl, wir können's nicht ändern, Eva; es nützt nichts, sich darum zu grämen! Ich weiß nicht, was zu thun ist. Wir müssen nur dankbar sein für die Vortheile, die wir genießen.« »Ich kann es kaum sein,« sagte Eva. »Ich bin so traurig, wenn ich an arme Leute denke, die gar keine Vortheile genießen.« »Das ist sonderbar genug,« sagte Marie; -- »meine Religion macht mich dankbar für meine Vorzüge.« »Mamma,« sagte Eva plötzlich, »ich möchte gern etwas von meinem Haar abschneiden lassen, -- recht viel.« »Wozu?« fragte Marie. »Ich wollte es an meine Freunde geben, so lange ich noch im Stande bin, es selbst zu thun. Willst Du nicht die Tante bitten, daß sie komme und es für mich abschneide?« Marie erhob ihre Stimme, um Miß Ophelia aus dem nächsten Zimmer zu rufen. Als Ophelia in das Zimmer trat, erhob sich das Kind von seinem Lager, und ließ seine langen, goldenen Locken herabfallen, indem es scherzweise sagte: »Komm, Tante, scheere das Schäfchen!« »Was ist das?« fragte St. Clare, der gerade in diesem Augenblick in das Zimmer trat und Früchte trug, die er besonders für Eva geholt hatte. »Papa, ich wollte gern, daß Tante von meinem Haar etwas abschnitte; es ist zu lang und macht meinen Kopf so heiß. Auch wollte ich gern etwas davon verschenken.« Miß Ophelia erschien mit der Scheere. »Sieh' Dich vor, -- verdirb die Locken nicht!« sagte der Vater. »Schneide unterhalb, wo es nicht zu sehen ist. Eva's Locken sind mein Stolz.« »O Papa!« sagte Eva traurig. »Ja, und ich will, daß sie in recht hübschem Stande zu der Zeit bleiben, wo ich mit Dir nach Onkels Plantage reisen will, um Cousin Henrique zu besuchen,« sagte St. Clare in heiterem Tone. »Ich werde nie dahin kommen, Papa, -- ich gehe in ein besseres Land. O glaube mir! Siehst Du nicht Papa, daß ich jeden Tag schwächer werde?« »Warum bestehst Du darauf, Eva, daß ich etwas so Schreckliches glauben solle?« sagte der Vater. »Nur weil es ^wahr^ ist, Papa; und wenn Du es jetzt glauben willst, so wirst Du vielleicht eben so darüber empfinden lernen, wie ich,« entgegnete Eva. St. Clare schloß seine Lippen, und betrachtete trüben Blickes die langen schönen Locken, welche, sobald sie abgeschnitten waren, in den Schooß des Kindes gelegt wurden. Sie hob sie auf, betrachtete sie ernsten Blickes, und flocht sie durch ihre zarten Finger, und blickte von Zeit zu Zeit ängstlich auf ihren Vater. »Es ist gerade das, was ich geahnt habe!« sagte Marie; »es ist grade das, was Tag für Tag an meiner Gesundheit genagt und mich dem Grabe nahe gebracht hat, obgleich Niemand es hat beachten wollen. Ich habe es lange vorhergesehen. St. Clare, Du wirst bald sehen, daß ich Recht hatte.« »Was Dir zu großem Troste gereichen wird, ohne Zweifel!« entgegnete St. Clare mit trockenem, bitterem Tone. Marie lag auf einem Kanapee, und bedeckte ihr Gesicht mit einem feinen weißen Taschentuche. Eva's klares, blaues Auge blickte ernst vom Vater auf die Mutter. Es war der ruhige, verstehende Blick einer Seele, die schon halb von ihren irdischen Banden gelöst war, und unverkennbar war es, daß sie den Unterschied zwischen Beiden sah, fühlte und würdigte. Sie winkte ihrem Vater mit der Hand. Er kam und setzte sich an ihre Seite. »Papa, meine Kraft schwindet täglich mehr, und ich weiß, ich muß fort. Da sind noch manche Dinge, die ich zu sagen und zu thun habe -- die ich thun muß, und Du willst mich nie über diesen Gegenstand sprechen lassen. Aber kommen muß es doch; es ist kein Aufschub möglich. Bitte, laß mich jetzt reden!« »Mein Kind, recht gern!« sagte St. Clare, seine Augen mit der einen Hand bedeckend, und Eva's Hand in der andern haltend. »Dann möchte ich alle unsere Leute hier beisammen sehen. Ich habe Etwas, was ich ihnen sagen muß,« sagte Eva. »Gut,« erwiederte St. Clare im Tone völliger Ergebung. Miß Ophelia sandte einen Boten ab, und bald darauf wurden sämmtliche Dienstboten in das Zimmer geführt. Eva lag ausgestreckt auf ihren Kissen, ihr Haar hing unbefestigt um ihr Gesicht, ihre purpurnen Wangen kontrastirten auf schmerzliche Weise mit der durchsichtigen Weiße ihrer Haut und den zarten Linien ihrer Glieder und Züge, und ihre großen, seelenvollen Augen richteten sich mit ernstem Ausdrucke auf jeden Einzelnen. Die Dienstboten fühlten sich plötzlich ergriffen von ihrem Anblicke. Ihr geisterartiges Gesicht, die langen, abgeschnittenen Locken auf ihrem Schooße, ihres Vaters abgewandtes Gesicht und Marien's Schluchzen machten einen plötzlichen Eindruck auf die Gefühle dieser leicht erregbaren Menschenklasse, und während sie nach einander eintraten, sahen sie sich gegenseitig an, seufzten und schüttelten die Köpfe. Im ganzen Zimmer herrschte eine Stille, wie bei einem Begräbniß. Eva richtete sich auf, und blickte lange und ernst um sich auf jeden Einzelnen. Alle sahen bange und traurig aus, und viele unter den Weibern bargen ihre Gesichter in den Schürzen. »Ich habe euch Alle rufen lassen, meine lieben Freunde,« sagte Eva, »weil ich Euch lieb habe. Ich liebe Euch alle, und ich habe Euch Etwas zu sagen, an das Ihr Euch, wie ich wünsche, stets erinnern werdet. -- Ich muß Euch verlassen; -- in wenigen Wochen werdet Ihr mich nicht mehr sehen --« Hier wurde das Kind durch einen allgemeinen Ausbruch von Seufzern, Stöhnen und Wehklagen unterbrochen, in denen ihre zarte Stimme vollständig verloren ging. Sie hielt einen Augenblick inne und fuhr dann in einem Tone fort, der das Schluchzen Aller verstummen ließ. »Wenn Ihr mich lieb habt,« sagte sie, »so müßt Ihr mich nicht auf eine solche Weise unterbrechen. Hört, was ich Euch zu sagen habe. Ich wollte zu Euch über Eure Seelen reden. -- Viele unter Euch, fürchte ich, sind sehr sorglos. Ihr denkt nur an diese Welt; aber ich bitte Euch, daran zu denken, daß es eine andere, schöne Welt gibt, wo Jesus ist. Dahin gehe ich, und dahin könnt Ihr gehen. Sie ist für Euch sowohl, wie für mich. Aber, wenn Ihr dahin gehen wollt, so müßt Ihr nicht ein träges, sorgloses und leichtsinniges Leben führen. Ihr müßt Christen sein. Ihr müßt bedenken, daß jeder von Euch ein Engel werden und für ewig bleiben kann. Wenn Ihr Christen sein wollt, so wird Euch Jesus helfen. Ihr müßt zu ihm beten, Ihr müßt lesen --« Das Kind hielt hier plötzlich inne, blickte mitleidig auf die Umstehenden und fuhr dann traurig fort: »O, Ihr Armen, Ihr könnt ja nicht lesen, -- arme Seelen!« und sie verbarg ihr Gesicht in den Kissen und schluchzte, bis das unterdrückte Stöhnen derjenigen, zu denen sie sprach, und die knieend um sie her lagen, sie wieder erweckte. »Aber faßt Muth!« sagte sie, ihr Gesicht erhebend, und durch Thränen freundlich lächelnd, »ich habe für Euch gebetet, und ich weiß, Jesus wird Euch helfen, auch wenn Ihr nicht lesen könnt. Bemüht Euch, Alles zu thun, was in Euren Kräften steht; betet jeden Tag; ruft Ihn an, daß Er Euch helfe, und laßt Euch die Bibel vorlesen, wo und wann Ihr könnt, und ich hoffe, daß ich Euch dann alle im Himmel sehen werde.« »Amen,« war die leise Antwort von den Lippen Tom's und Mammy's, und einiger der Aelteren unter ihnen, welche einer methodistischen Kirche angehörten, während die Jüngeren und Leichtsinnigeren, die für den Augenblick vollständig überwältigt waren, ihre Köpfe auf die Knie niedergelegt hatten und laut schluchzten. »Ich weiß,« sagte Eva, »Ihr habt mich alle lieb.« »Ja, o ja! gewiß! Gott segne Sie!« war die unwillkührliche Antwort von Allen! »Ja, ich weiß es! Es ist kein Einziger unter Euch, der nicht immer liebreich gegen mich gewesen wäre; und ich wollte Euch jetzt Etwas geben, was Euch stets an mich erinnern wird, wenn Ihr darauf blickt. Ich will jedem von Euch eine Locke von meinem Haare geben; und wenn Ihr sie betrachtet, so erinnert Euch, daß ich Euch liebte und in den Himmel gegangen bin, und daß ich Euch alle dort zu sehen wünsche.« Es ist unmöglich, die Scene zu beschreiben, welche sich jetzt entwickelte, wo Alle unter Thränen und Schluchzen sich um das kleine Wesen sammelten, und aus Eva's Händen das letzte Zeichen ihrer Liebe empfingen. Sie fielen auf ihre Kniee und schluchzten und beteten, und küßten den Saum ihres Kleides, während die Aelteren Worte der Liebe, untermischt mit Gebeten und Segenssprüchen auf sie ausströmen ließen. So wie Jeder seine Gabe empfing, gab ihm Miß Ophelia, welche von dieser Aufregung nachtheilige Folgen für ihre kleine Kranke fürchtete, ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen. Alle waren fort bis auf Tom und Mammy. »Hier, Onkel Tom,« sagte Eva, »ist eine schöne Locke für Dich. O ich bin so glücklich, Onkel Tom, wenn ich daran denke, daß ich Dich im Himmel sehen werde, -- denn ich weiß es gewiß; und Mammy, -- meine liebe, gute Mammy!« rief sie, ihre Arme um den Hals ihrer alten Wärterin schlingend, -- »ich weiß, Du wirst auch dort sein.« »O Miß Eva! -- weiß gar nicht, wie ich ohne Sie leben kann!« sagte das treue Geschöpf, und verfiel in einen leidenschaftlichen Ausbruch von Schmerz. Miß Ophelia drängte sie sanft zur Thüre hinaus, und glaubte, es seien nun Alle fort; allein, als sie sich umwandte, stand Topsy noch da. »Wo kommst Du her?« fragte Miß Ophelia verwundert. »Ich war hier,« entgegnete Topsy, die Thränen aus ihren Augen wischend. »O, Miß Eva, ich bin immer ein unartiges Mädchen gewesen; aber wollen Sie ^mir^ nicht auch eine geben?« »Ja, arme Topsy, gewiß will ich das. Hier -- so oft Du sie ansiehst, denke daran, daß ich Dich lieb hatte und wünschte, daß Du ein gutes Kind sein möchtest!« »O Miß Eva, ich gebe mir Mühe!« sagte Topsy eifrig; »aber, o Herr, 's ist so schwer, gut zu sein! -- bin gar nicht dran gewöhnt!« »Jesus weiß das, Topsy; er hat Mitleid mit Dir, -- er wird Dir helfen.« Topsy wurde hierauf, indem sie ihre Augen in der Schürze verbarg, von Miß Ophelia schweigend aus dem Zimmer geführt; allein, während sie hinausging, verbarg sie die kostbare Locke in ihrem Busen. Als Alle fort waren, verschloß Miß Ophelia die Thür. Diese gute Dame hatte während der Scene manche Thräne aus ihrem eigenen Auge hinweggewischt; aber die Besorgniß wegen der aus einer solchen Aufregung für ihren jungen Pflegling möglicher Weise entspringenden Folgen war überwiegend in ihrem Geiste. St. Clare hatte während der ganzen Zeit, seine Augen mit der Hand bedeckend, in derselben Stellung gesessen. Auch als Alle fort waren, blieb er darin. »Papa!« sagte Eva sanft, ihre Hand auf die seinige legend. Er erschrak und ein Schauer überlief ihn, aber er gab keine Antwort. »Lieber Vater!« wiederholte Eva. »Ich kann nicht,« sagte St. Clare aufstehend, -- »ich kann es nicht tragen! Der Allmächtige ist ^sehr hart^ mit mir verfahren!« und St. Clare legte auf die letzten Worte einen besonders bitteren Nachdruck. »Augustin! hat Gott nicht ein Recht, zu thun, was er will, mit dem, was sein ist?« sagte Miß Ophelia. »Mag sein; aber das macht es nicht leichter für mich zu tragen,« entgegnete er in harter, trockener, thränenloser Weise, während er sich abwandte. »Papa, Du brichst mein Herz!« sagte Eva sich aufrichtend und sich in seine Arme werfend; »Du mußt nicht so denken!« Und dabei weinte und schluchzte das Kind mit einer Heftigkeit, die Alle in Bestürzung versetzte, und den Gedanken ihres Vaters schnell eine andere Richtung verlieh. »Still, Eva, still! mein liebes Kind! Es wäre unrecht von mir, -- recht unrecht! Ich will anders denken, -- ich will Alles thun, was Du willst, nur beruhige Dich, schluchze nicht so. Ich will ganz gefaßt sein; es war sehr unrecht von mir, so zu sprechen.« Bald lag Eva wie eine müde Taube in ihres Vaters Armen; und er, sich über sie beugend, bemühte sich, sie durch jedes zärtliche Wort, das er ersinnen konnte, zu beruhigen. Marie stand auf und ging aus dem Zimmer in ihr eigenes, wo sie in hysterische Krämpfe verfiel. »Du hast mir keine Locke gegeben, Eva,« sagte ihr Vater mit traurigem Lächeln. »Sie gehören Dir alle, Papa,« erwiederte sie lächelnd, -- »Dir und Mamma, und Du mußt der lieben Tante so viele davon geben, als sie haben will. Ich gab jene nur den armen Leuten selbst, lieber Papa, weil sie möchten vergessen worden sein, wenn ich nicht mehr da bin, und weil ich hoffte, daß es sie erinnern möchte an -- Du bist ein Christ, lieber Vater, nicht wahr?« fügte sie dann mit zweifelndem Tone hinzu. »Weshalb fragst Du mich?« »Ich weiß nicht. Du bist so gut, Du mußt es sein.« »Was heißt das, ein Christ sein, Eva?« »Christus über Alles lieben,« entgegnete Eva. »Thust Du das, Eva?« »Gewiß thue ich das.« »Du sahst ihn aber nie,« sagte St. Clare. »Das macht keinen Unterschied,« erwiederte Eva. »Ich glaube an ihn und in wenigen Tagen werde ich ihn sehen.« Und bei diesen Worten begann das jugendliche Gesicht vor Freude zu strahlen. St. Clare antwortete nicht mehr. Es war ein Gefühl, welches er oft an seiner Mutter wahrgenommen hatte, aber wofür keine gleichgestimmte Saite in seinem Innern vibrirte. Von dieser Zeit ab wurde Eva zusehends schwächer. Es konnte kein Zweifel mehr über den Ausgang herrschen und selbst die kühnste Hoffnung konnte sich nicht mehr täuschen. Ihr schönes Zimmer war ein vollständiges Krankenzimmer geworden; und Miß Ophelia verrichtete Tag und Nacht die Geschäfte einer Wärterin, -- und nie hatten ihre Freunde Gelegenheit, ihren Werth mehr zu erkennen als in dieser Eigenschaft. Mit so geübter Hand und richtigem Auge, mit so vollkommener Gewandtheit in der Kunst, Reinlichkeit und Behaglichkeit für die Kranke zu befördern, -- mit so genauer Berechnung der Zeit, mit so klarem ruhigem Kopfe, und so gewissenhafter Beachtung jeder Vorschrift des Arztes, war sie ihm Alles. Diejenigen, welche über ihre kleinen Eigenthümlichkeiten, die von der Freiheit der südlichen Sitten so sehr abwichen, die Achsel zuckten, mußten anerkennen, daß sie in ihrem gegenwärtigen Verhältniß gerade die passende Person sei. Onkel Tom hielt sich viel in Eva's Zimmer auf. Das Kind litt viel an Ruhelosigkeit, und es gewährte ihm große Erleichterung, getragen zu werden. Für Tom war es daher die größte Freude, die kleine zarte Gestalt auf seinen Armen, auf einem Kissen ruhend, bald im Zimmer auf und ab, bald in der Veranda umherzutragen; und wenn die frische Seeluft vom See her wehte, und Eva sich am Morgen wohler fühlte, so pflegte er unter den Orangenbäumen des Gartens mit ihr umher zu wandeln, oder sich auf einen ihrer alten Sitze niederzulassen und ihr ihre Lieblingshymnen vorzusingen. Ihr Vater that öfters dasselbe; aber sein Körper war weniger kräftig, und wenn er müde war, pflegte Eva zu ihm zu sagen: »O Papa, laß Tom mich tragen. Der arme Mensch, -- er thut es so gern; Du weißt, es ist Alles, was er thun kann, und er möchte gern Etwas thun!« »Dasselbe ist mit mir der Fall, Eva!« sagte der Vater. »O Papa, Du kannst Alles thun, und bist mir Alles. Du liesest mir vor, -- Du wachst bei mir des Nachts -- und Tom hat nur dieses Eine und sein Singen; und dann weiß ich auch, daß es ihm leichter wird als Dir. Er trägt mich so fest und sicher!« Der Wunsch, Etwas für Eva zu thun, beschränkte sich nicht auf Tom. Jeder Dienstbote des Hauses verrieth dasselbe Gefühl und that nach seiner Weise und seinen Kräften, was er konnte. Die arme Mammy sehnte sich nach dem Lieblinge, aber fand weder bei Tage noch bei Nacht Gelegenheit, da Marie erklärte, daß ihr Geisteszustand ihr keine Ruhe lasse, weshalb es natürlich gegen ihre Grundsätze war, irgend einem Andern Ruhe zu lassen. Zwanzigmal in der Nacht wurde Mammy gerufen, um ihre Füße zu reiben, ihren Kopf zu waschen, ihr Taschentuch zu suchen, oder nachzufragen, was das Geräusch in Eva's Zimmer zu bedeuten habe, die Fenstervorhänge herunterzulassen, weil es zu hell sei, oder hinaufzuziehen, weil es zu dunkel sei; und bei Tage, wenn sie sich danach sehnte, an der Wartung ihres Lieblings Theil zu nehmen, schien Marie ganz besonders erfinderisch zu sein, um sie überall im Hause oder um ihre Person zu beschäftigen, so daß sie nichts als kurze Blicke oder verstohlene Besuche erlangen konnte. »Ich halte es für meine Pflicht, jetzt besonders sorgsam für mich zu sein,« pflegte sie zu sagen, -- »schwach wie ich bin, und mit der ganzen Sorge der Wartung und Pflege des lieben Kindes auf mir.« »In der That, meine Liebe?« antwortete St. Clare. »Ich dachte, unsere Cousine Ophelia nähme Dir diese Sorge ab.« »Du sprichst wie ein Mann, St. Clare, -- als ob eine Mutter sich die Sorge um ein Kind in einem solchen Zustande abnehmen lassen ^könnte^. Aber es ist Alles gleich, -- Niemand weiß, was ich fühle! Ich kann die Sachen nicht so leicht nehmen.« St. Clare lächelte. Du mußt ihn entschuldigen, lieber Leser, er konnte nicht anders, -- St. Clare konnte noch lächeln; denn so hell und ruhig war die Abschiedsfahrt des kleinen Geistes, -- von so sanften, balsamischen Lüften wurde der kleine Nachen den himmlischen Ufern zugetrieben, daß es unmöglich war, zu erkennen, daß es der Tod sei, der sich nahe. Das Kind empfand keinen Schmerz, -- nur eine ruhige, sanfte Schwäche, die täglich und fast unmerklich zunahm; und so schön, so liebreich, so vertrauensvoll, so glücklich war es dabei, daß Niemand dem besänftigenden Einflusse der Unschuld und Friede athmenden Luft widerstehen konnte, welche das Kind zu umgeben schien. Auch St. Clare fühlte eine sonderbare Ruhe auf sich niedersinken. Es war nicht Hoffnung, -- die war unmöglich; es war nicht Resignation; es war nur ein ruhiges Weilen in der Gegenwart, die so schön erschien, daß er nicht an die Zukunft denken mochte. Der Freund, welcher am meisten von Eva's Vorstellungen und Ahnungen wußte, war ihr treuer Träger, Tom. Ihm theilte sie mit, womit sie ihren Vater nicht beunruhigen wollte. Ihm vertraute sie jene geheimnisvollen Vorgefühle, welche die Seele empfindet, wenn ihre Saiten sich zu lösen beginnen und sie ihre irdische Hülle verlassen will. Tom wollte endlich nicht mehr in seinem Zimmer schlafen, sondern lag jede Nacht in der äußeren Veranda, bereit für jeden Ruf. »Onkel Tom,« sagte Miß Ophelia, »was in der Welt ist Dir eingefallen, daß Du überall liegst und schläfst wie ein Hund. Ich dachte, Du wärest ein ordentlicher Mensch, der gewohnt wäre, in christlicher Weise in einem Bette zu schlafen.« »Das bin ich, Miß Feely,« sagte Tom geheimnißvoll. »Das bin ich, aber jetzt --« »Nun, was jetzt?« »Wir müssen nicht so laut sprechen, -- Master St. Clare will nichts davon hören; aber, Miß Feely, Sie wissen, es muß Einer auf den Bräutigam warten.« »Was meinst Du, Tom?« »Sie wissen, es heißt in der Schrift: »Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: siehe, der Bräutigam kommt.« Das ist's, was ich jetzt erwarte, Miß Feely, -- und ich konnte nicht schlafen, wo ich nicht höre.« »Wie, Onkel Tom, wie kommst Du auf diesen Gedanken?« »Miß Eva, -- sie spricht mit mir. Der Herr sendet seinen Boten in die Seele. Ich muß dabei sein, Miß Feely; denn wenn das Segenskind in das Himmelreich geht, wird sich das Thor so weit öffnen, daß wir alle einen Blick in seine Glorie hineinthun können, Miß Feely.« »Onkel Tom! sagte Miß Eva, daß sie sich heute Abend kränker als gewöhnlich fühle?« »Nein, aber sie sagte mir diesen Morgen, daß sie näher käme, -- jene da oben sind es, die es dem Kinde sagen, Miß Feely, -- die Engel sind's! -- Es ist der Trompetenschall vor dem Anbruch des Tages!« sagte Tom, sich der Worte einer Lieblingshymne bedienend. Dieses Zwiegespräch fand zwischen Miß Ophelia und Tom eines Abends zwischen zehn und elf Uhr Statt, nachdem sie bereits alle ihre Anordnungen für die Nacht getroffen hatte, und sie, als sie die äußere Thür der Veranda schließen wollte, Tom vor derselben ausgestreckt liegend fand. Sie war weder nervenschwach, noch leicht erregbar, allein Tom's feierlicher, aus dem Herzen kommender Ton fiel Ophelien auf. Eva war an diesem Tage besonders munter und heiter gewesen, und hatte aufrecht in ihrem Bett gesessen, und über alle ihre kleinen Schmucksachen geblickt und die Freunde namhaft gemacht, denen sie gegeben werden sollten. Ihr ganzes Wesen war lebhafter und ihre Stimme natürlicher gewesen als seit vielen Wochen. Ihr Vater war gegen Abend in ihrem Zimmer gewesen und hatte gesagt, daß Eva ihm ihren früheren gesunden Tagen ähnlicher erschienen wäre, als je in ihrer Krankheit, und als er sie zum Abschiede für die Nacht geküßt, hatte er zu Miß Ophelien gesagt: »Cousine, wir können sie vielleicht dennoch behalten, sie ist entschieden besser,« und hatte sich sodann mit leichterem Herzen in sein Zimmer zurückgezogen, als manche lange Woche zuvor. Aber um Mitternacht, -- seltsame, geheimnißvolle Stunde! -- wenn der Schleier zwischen der gebrechlichen Gegenwart und der ewigen Zukunft durchsichtiger wird, -- dann kam der Bote! Ein Geräusch wurde hörbar in jenem Zimmer von schnellen, eiligen Schritten. Es war Miß Ophelia, welche beschlossen hatte, die ganze Nacht bei ihrem kleinen Pflegling zu wachen, und um Mitternacht Etwas bemerkt hatte, was erfahrene Wärterinnen bedeutungsvoll »eine Veränderung« zu nennen pflegen. Die äußere Thür wurde schnell geöffnet, und Tom, der außerhalb wachte, war im Augenblick bei der Hand. »Geh' zum Arzte, Tom! verliere keinen Augenblick!« sagte Miß Ophelia, und eilte durch das Zimmer, um an St. Clare's Thür zu pochen. »Cousin,« rief sie, »bitte, komm heraus!« Diese Worte fielen auf sein Herz wie Sandschollen auf einen Sarg. Im Augenblicke war er im Zimmer und beugte sich über Eva nieder, die noch schlief. Was war es, was er dort sah und sein Herz stocken ließ? Weshalb wurde kein Wort zwischen Beiden gesprochen? Du, liebe Leserin, weißt es vielleicht, die Du denselben Ausdruck auf dem Gesichte dessen gesehen hast, was Dir am theuersten war, -- jenen unbeschreiblichen, hoffnungslosen, unverkennbaren Zug, der Dir sagt, daß Dein Geliebtes nicht mehr Dein ist. Gleichwohl zeigte sich auf dem Gesichte nichts Geisterhaftes, Todtenähnliches, sondern nur ein hoher, beinahe erhabener Ausdruck, -- die überschattende Gegenwart geistiger Naturen, der Tagesanbruch eines unsterblichen Lebens in dieser kindlichen Seele. St. Clare und Ophelia standen so still und betrachteten das Kind so schweigend, daß selbst der Pendelschlag der Uhr zu laut zu sein schien. In wenigen Minuten kehrte Tom mit dem Arzte zurück. Letzterer trat ein, warf einen Blick auf das Kind, und blieb schweigend wie die Uebrigen stehen. »Wann trat diese Veränderung ein?« sagte er flüsternd zu Ophelien. »Ungefähr um Mitternacht,« war die Antwort. Jetzt erschien aus dem nächsten Zimmer Marie in größter Eile, die durch die Ankunft des Arztes erweckt worden war. »Augustin! Cousine! -- O! -- was« -- begann sie in hastigem Tone. »Still!« sagte St. Clare mit rauher Stimme, -- »^sie stirbt!^« Mammy hatte diese Worte gehört und eilte davon, um die Dienstboten zu erwecken. Das ganze Haus war bald munter, -- Lichter wurden gesehen, Fußtritte gehört, ängstliche Gesichter drängten sich in die Veranda, und blickten mit thränenvollen Augen durch die Glasthüren; aber St. Clare hörte und sah nichts, -- er sah nur ^den Ausdruck^ im Gesichte der kleinen Schläferin. »O, wenn sie nur noch einmal aufwachen und sprechen wollte!« sagte er, und sich über sie niederbeugend, flüsterte er in ihr Ohr: »Eva, Liebling!« Die großen blauen Augen öffneten sich, -- ein Lächeln flog über ihr Gesicht, -- sie versuchte ihren Kopf zu erheben und zu sprechen. »Kennst Du mich, Eva?« »Lieber Vater!« sagte das Kind, mit letzter Anstrengung seine Arme um den Hals des Vaters schlingend. Im nächsten Augenblicke fielen sie wieder nieder und als St. Clare seinen Kopf erhob, sah er einen Todeskrampf über das Gesicht ziehen; -- das Kind suchte angstvoll nach Athem, und warf seine kleinen Hände empor. »O Gott, das ist schrecklich!« rief er, sich im tiefsten Schmerze abwendend und Tom's Hand drückend, ohne zu wissen, was er that. »O Tom, es bringt mich um!« Tom hielt die Hand seines Herrn zwischen den seinigen, und während die Thränen über seine dunklen Wangen strömten, schaute er nach Hülfe da hinauf, wohin er immer gewohnt gewesen war, zu blicken. »Bete, daß dies bald enden möge!« sagte St. Clare, -- »es zerreißt mir das Herz.« »Der Herr sei gepriesen! es ist vorüber, -- es ist vorbei, lieber Master!« sagte Tom; -- »sehen Sie sie an.« Das Kind lag erschöpft und schwer athmend auf seinen Kissen, während die großen klaren Augen weit offen vor sich hinstarrten. Was sagten diese Augen, die sich so gerade auf den Himmel richteten? Die Erde und irdischer Schmerz war zurückgelassen; aber so feierlich, so geheimnißvoll war die triumphirende Klarheit dieses Gesichts, daß selbst das Schluchzen des Schmerzes verstummte. Alle drängten sich in athemloser Stille um sie her. »Eva,« sagte St. Clare sanft. Sie hörte nicht. »O Eva, sage uns, was Du siehst! Was ist es?« sagte der Vater. Ein sanftes, seliges Lächeln schwebte über ihr Gesicht, und sie antwortete in gebrochenen Tönen: »O! Liebe, -- Freude, -- Friede!« seufzte tief auf, und ging vom Leben zum Tode über. Lebe wohl, geliebtes Kind! Die glänzenden Thore der Ewigkeit haben sich hinter Dir geschlossen; wir werden Deine sanften Züge nicht mehr sehen. Wehe den Armen, die Deinen Eingang in den Himmel sahen, und, wenn sie erwachten, nichts als den kalten, grauen Lebenshimmel finden, nachdem Du für immer dahin bist. Siebenundzwanzigstes Kapitel. Dies ist das Letzte der Erde. J. G. ^Adams^. Die Statuen und Gemälde in Eva's Zimmer waren mit weißen Tüchern verhangen, und nur stilles Athmen und leise Tritte wurden darin gehört, und das Licht stahl sich feierlich durch halbverschlossene Fenster. Das Bett war weiß überzogen, und darauf, unter dem Engel mit gesenkten Flügeln, lag eine kleine, schlafende Gestalt, schlafend, -- um nimmer wieder zu erwachen. Dort lag sie, in eins der schlichten weißen Gewänder gekleidet, welche sie im Leben zu tragen gepflegt hatte, und das rosige Licht, welches durch die Gardinen fiel, warf einen wärmeren Schein über die eisige Kälte des Todes. Die schweren Augenwimpern ruhten sanft auf der klaren Wange; der Kopf war ein wenig nach einer Seite geneigt, wie im natürlichen Schlafe, aber über alle Züge des Gesichtes ergoß sich jener himmlische Ausdruck, jene Mischung von Wonne und Ruhe, welche deutlich erkennen ließ, daß es kein irdischer oder zeitlicher Schlaf, sondern jene lange, heilige Ruhe sei, welche »Er Denen gibt, die er liebt.« Für Wesen wie Du, theure Eva, gibt es keinen Tod! Es ist nichts als ein sanftes Schwinden, wie wenn der Morgenstern unter den goldenen Strahlen des ersten Tageslichtes erbleicht. Dir gehört der Sieg ohne Kampf, -- die Krone ohne Streit. So dachte St. Clare, als er mit unterschlagenen Armen vor der Hülle seines Kindes stand. Aber, wer will sagen, was er dachte? denn von der Stunde an, daß er Stimmen in dem Sterbezimmer gehört hatte, die da sagten, »sie sei dahin,« war Alles um ihn nur ein dunkler, schwerer Nebel gewesen. Er hatte Stimmen um sich gehört; es waren Fragen an ihn gerichtet und beantwortet worden; man hatte ihn gefragt, wann das Begräbniß stattfinden solle, und wo er wünsche, daß sie beigesetzt werde, und er hatte ungeduldig geantwortet, daß es ihm gleichgültig sei. Adolph und Rosa hatten die Anordnungen im Zimmer getroffen, welche, obgleich leichtsinnig und kindisch, doch gutherzig und gefühlvoll waren; und während Miß Ophelia die Vorbereitungen im Allgemeinen leitete, waren es ihre Hände, welche ihnen jenen sanfteren, poetischeren Anstrich liehen, der dem Sterbezimmer den abschreckenden, geisterartigen Anschein nimmt, welcher den Leichenbegängnissen in Neu-England so eigentümlich ist. Auch jetzt, während St. Clare sinnend dastand, kam Rosa mit einem Korbe voll weißer Blumen leise in das Zimmer getrippelt. Sie trat zurück, als sie St. Clare gewahrte, und blieb ehrfurchtsvoll stehen; allein, da sie sah, daß er sie nicht bemerkte, kam sie näher, um die Blumen um das todte Kind zu legen. St. Clare sah sie nur wie im Traume, als sie in die kleinen Hände eine schöne Jasminblüthe legte, und mit bewunderungswürdigem Geschmacke die anderen Blumen auf dem Sterbelager ausbreitete. Die Thür öffnete sich abermals, und Topsy erschien mit dick angeschwollenen, verweinten Augen, Etwas unter ihrer Schürze tragend. Rosa machte gegen sie eine schnelle, zurückweisende Bewegung, aber sie trat dennoch einen Schritt weiter in das Zimmer. »Du mußt hinausgehen,« sagte Rosa flüsternd in scharfem, entschiedenem Tone; -- »^Du^ hast hier Nichts zu thun.« »O, bitte, laß mich! Ich habe eine Blume, -- so eine schöne!« sagte Topsy, eine halb aufgeblühte Theerosenknospe emporhaltend. »Bitte, laß mich sie dahin legen!« »Geh' hinaus!« sagte Rosa noch bestimmter. »Laß sie hier!« rief St. Clare plötzlich mit dem Fuße stampfend. »Sie soll herein kommen.« Rosa zog sich sogleich zurück, und Topsy kam näher und legte ihr Geschenk zu den Füßen des Leichnams; und sodann sich plötzlich mit einem wilden, schmerzlichen Schrei an der Seite des Bettes niederwerfend, begann sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit zu weinen und zu schluchzen. Miß Ophelia kam in's Zimmer geeilt, und bemühte sich, sie aufzuheben und zu beruhigen, aber vergeblich. »O Miß Eva! o Miß Eva! ich wollte, ich wäre auch todt!« Es lag eine solche Wildheit und ein so schneidender Schmerz in diesem Weinen, daß das Blut in St. Clare's marmorweiße Wangen stieg, und seit Eva's Tode die ersten Thränen wieder in seine Augen traten. »Steh' auf, Kind,« sagte Miß Ophelia mit sanfter Stimme, »weine nicht so heftig. Miß Eva ist im Himmel, und ist nun ein Engel!« »Aber ich kann sie nicht sehen!« sagte Topsy. »Ich werde sie nie wieder sehen!« und ihr Schluchzen begann von Neuem. St. Clare und Ophelia standen einen Augenblick schweigend da. »^Sie^ sagte, sie hätte mich ^lieb^,« fuhr Topsy fort, -- »ja! o Herr! o Herr! nun ist ^Niemand^ da! -- Niemand!« »Das ist wahr genug,« sagte St. Clare, und fuhr dann zu Miß Ophelien gewendet fort: »aber bitte, sieh' zu, ob Du nicht das arme Wesen beruhigen kannst.« Miß Ophelia hob sie sanft, aber fest auf, und führte sie aus dem Zimmer; aber, während sie es that, fielen auch aus ihrem Auge einige Thränen nieder. »Topsy, Du armes Kind,« sagte sie, als sie sie in ihr eignes Zimmer führte, »verzweifle nicht! Ich kann Dich lieb haben, obgleich ich nicht so bin, wie jenes theure Kind. Ich hoffe, ich habe etwas von der Liebe Christi durch sie gelernt. Ich kann Dich lieben; und ich will Dir beistehen, daß Du als ein gutes, christliches Mädchen aufwachsen mögest.« Miß Opheliens Stimme drückte mehr aus, als ihre Worte, und mehr noch, als jene, sagten die aufrichtigen Thränen, die über ihre Wangen niederrollten. Und von diesem Augenblicke an erlangte sie einen Einfluß auf den Geist dieses verlassenen Kindes, den sie nie wieder verlor. »O meine Eva, deren kurze Stunde so viel Gutes auf Erden wirkte,« dachte St. Clare, »welche Rechenschaft habe ich zu geben von meinen vielen, langen Jahren?« Eine Zeit lang wurde noch leises Flüstern und Gehen im Zimmer gehört, während Einer nach dem Andern herein schliech, um die Todte zu sehen; dann kam der kleine Sarg, und dann begann das Leichenbegängniß, und Wagen kamen gefahren, und fremde Personen betraten das Zimmer und setzten sich darin nieder; und weiße Bänder wurden gesehen, und Trauerflöre, und Trauernde in schwarzer Kleidung; und dann wurden Worte aus der Bibel gelesen, und Gebete gehalten; und St. Clare lebte, und ging, und bewegte sich wie Jemand, der die letzte Thräne vergossen hat. Endlich sah er nur noch einen Gegenstand, -- das goldene Köpfchen im Sarge; aber dann sah er das Leichentuch darüber ausbreiten, und den Sargdeckel schließen, und er schritt an der Seite Andrer, wohin man ihn gestellt hatte, nach einem Platze am Ende des Gartens, und dort, bei dem Moossitze, wo sie und Tom so oft gesessen, und gesungen und gelesen hatten, war das kleine Grab. St. Clare stand neben demselben, -- und blickte gedankenlos hinab; er sah den kleinen Sarg hinabsenken: er hörte die feierlichen Worte: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe;« und als die Erde hinab geschüttet wurde, und das kleine Grab füllte, konnte er sich nicht denken, daß es Eva sei, die man dort vor seinen Blicken verborgen habe. Auch war es nicht Eva! -- sondern nur der schwache Same jener glänzenden, unsterblichen Gestalt, mit der sie hervortreten wird am Tage unseres Herrn Jesu Christi. Sodann entfernten sich Alle, und die Trauernden gingen zurück nach dem Orte, an dem sie nicht mehr gesehen werden sollte. Mariens Zimmer war dunkel, und sie selbst lag auf dem Bette, und schluchzte und stöhnte in unmäßigem Schmerze, und verlangte jeden Augenblick nach der Bedienung aller ihrer Dienstboten. Diese, natürlich, hatten keine Zeit zu weinen; -- weshalb sollten sie auch? Der Schmerz war ja ^ihr^ Schmerz, und sie war völlig überzeugt, daß Niemand auf Erden so empfinden könne oder wolle wie sie. »St. Clare habe keine Thräne vergossen,« sagte sie; »er habe nicht mit ihr sympathisirt; es sei wirklich ganz unbegreiflich, wie er so hartherzig und gefühllos sein könne, da er doch wissen müsse, was sie leide.« So sehr sind die Menschen Sklaven ihres Auges und Ohres, daß viele der Dienstboten wirklich glaubten, daß ihre Missis bei diesem Trauerfalle am meisten leide, besonders, als Marie anfing, hysterische Krämpfe zu bekommen, und nach dem Arzte schickte, und sich selbst als dem Tode nahe erklärte. Allein Tom trug in seinem Herzen ein andres Gefühl, welches ihn zu seinem Herrn zog. Er folgte ihm, wohin er auch sinnend und traurig gehen mochte; und wenn er ihn in Eva's Zimmer blaß und schweigend sitzen, und ihre kleine Bibel offen vor sich halten sah, in der er kein Wort und keinen Buchstaben sah, so erkannte Tom in diesem stillen, starren, thränenlosen Auge mehr Schmerz, als in Marien's Stöhnen und Klagen. Wenige Tage später ging die ganze Familie nach der Stadt zurück, da St. Clare in der Ruhelosigkeit seines Schmerzes nach andern Scenen verlangte, um dem Laufe seiner Gedanken eine andre Richtung zu geben. Sie verließen also das Haus und den Garten mit dem kleinen Grabe, und kamen nach New-Orleans zurück; und St. Clare schritt eilfertig die Straßen auf und ab, und suchte die Leere in seinem Herzen durch eifrige Geschäftigkeit und durch Veränderung des Aufenthaltes auszufüllen; und die Leute, die ihm auf der Straße oder im Caffe begegneten, erkannten seinen Verlust nur durch das Zeichen am Hute, denn er lächelte und unterhielt sich, und las Zeitungen, und disputirte über politische Gegenstände, und widmete sich seinen Geschäften; und wer konnte sehen, daß diese lächelnde Außenseite nur als hohle Schale ein Herz bedeckte, welches ein dunkles, schweigendes Grab war? »Mr. St. Clare ist ein sonderbarer Mann,« sagte Marie zu Ophelien, in sich beklagendem Tone. »Ich dachte immer, wenn es überhaupt Etwas in der Welt gäbe, was er lieben könne, so sei es unsere theure, kleine Eva gewesen; allein er scheint sie sehr leicht zu vergessen. Ich kann ihn nie dazu bringen, von ihr zu sprechen. Ich dachte wirklich, er würde mehr Gefühl zeigen!« »Stille Wasser sind tief, pflegt man zu sagen,« entgegnete Miß Ophelia bedeutungsvoll. »O, ich glaube nicht an solche Dinge; das ist Alles nur Geschwätz. Wer Gefühl hat, wird es zeigen, -- und kann nicht anders; aber es ist ein großes Unglück, so viel Gefühl zu haben. Ich wollte lieber, ich wäre wie St. Clare; meine Gefühle nagen an meiner Gesundheit!« »O gewiß, Missis,« sagte Mammy, »Master St. Clare wird wie ein Schatten; -- er ißt gar nichts. Ich weiß, er kann Miß Eva nicht vergessen; -- ich weiß, Keiner kann's, -- das liebe, kleine, segensreiche Wesen!« fügte sie, ihre Augen trocknend, hinzu. »Wohl, auf alle Fälle hat er kein Gefühl für mich,« sagte Marie; »er hat mir noch kein theilnehmendes Wort gesagt, und er muß doch wissen, wie viel tiefer so etwas eine Mutter empfindet, als es ein Mann kann.« »Jedes Herz kennt seinen eignen Schmerz!« sagte Ophelia sehr ernst. »Das ist es grade, was ich denke. Ich weiß, was ich empfinde, -- und Niemand Anderes scheint es zu ahnen. Nur Eva konnte es, aber sie ist hin!« sagte Marie, und legte sich auf ihr Sopha zurück, und begann heftig zu schluchzen. Während diese Unterhaltung in Marien's Wohnzimmer Statt fand, wurde eine andre in St. Clare's Arbeitszimmer gepflogen. Tom, der seinem Herrn überall unruhig folgte, hatte ihn mehrere Stunden zuvor in sein Arbeitszimmer gehen sehen, und beschloß endlich, nachdem er vergeblich darauf gewartet hatte, ihn wieder herauskommen zu sehen, unter irgend einem Vorwande hinein zu gehen. Er trat leise ein. St. Clare lag auf dem Sopha, am anderen Ende des Zimmers, auf dem Gesichte, Eva's Bibel aufgeschlagen in der Hand haltend. Tom näherte sich ihm, und blieb am Sopha stehen. Er zauderte, und während dessen richtete sich St. Clare plötzlich auf. Das ehrliche Gesicht, auf dem sich der Ausdruck tiefsten Schmerzes und flehenden Mitgefühls zeigte, rührte St. Clare. Er legte seine Hand auf Tom's Hand, und neigte seine Stirn darauf nieder. »O, Tom, mein Junge, die Welt ist leer, wie eine Eierschale.« »Ich weiß, Master, -- ich weiß,« sagte Tom; »aber, o! wenn Master nur da hinauf blicken könnte, -- hinauf, wo unsere liebe Miß Eva ist, -- auf zum lieben Herrn Jesus!« »Ach, Tom! ich sehe hinauf; aber das Unglück ist, ich sehe nichts, wenn ich es thue. Ich wollte, ich könnte etwas sehen.« Tom seufzte schwer. »Es scheint nur Kindern gegeben zu sein, und solchen armen, ehrlichen Seelen, wie Du bist, zu sehen, was wir nicht können,« sagte St. Clare. »Wie kommt das?« »»Du hast es verborgen den Weisen und Klugen, und hast es geoffenbaret den Unmündigen. Ja, Vater, also war es wohlgefällig vor Dir,«« antwortete Tom mit den Worten der Schrift. »Tom, ich glaube nicht, -- ich kann nicht glauben, -- ich habe einmal die Gewohnheit des Zweifelns angenommen,« sagte St. Clare. »Ich möchte gern an die Bibel glauben, -- und kann nicht.« »Lieber Master, beten Sie zum lieben Herrn: »Herr, ich glaube, hilf Du meinem Unglauben!«« »Wer ^weiß^ Etwas?« sagte St. Clare, während seine Augen träumerisch umher wanderten, und er zu sich selbst sprach. »War alle diese himmlische Liebe und dieser Glaube nichts als eine der ewig wechselnden Phasen menschlichen Gefühls, die auf nichts Wirklichem ruht, und mit dem schwachen Athem entflieht? Und gibt es jetzt keine Eva mehr, -- keinen Himmel, -- keinen Christus, -- nichts?« »O lieber Master, ja! ich weiß es! -- ich weiß es gewiß!« sagte Tom auf die Knie fallend. »Bitte, bitte, lieber Master, glauben Sie es!« »Wie weißt Du, Tom, daß es einen Christus gibt? Du hast ihn nie gesehen.« »Ich habe Ihn gefühlt in meiner Seele, Master, -- fühle Ihn jetzt! O Master, als ich verkauft wurde, fort von meiner alten Frau und meinen Kindern, da dacht' ich, 's wäre aus mit mir. Mir war, als wenn Alles vorbei wäre; aber dann kam der gute Herr, und stand bei mir, und sagte: ›Tom, fürchte nicht!‹ und er brachte Licht und Freude in meine arme Seele, -- und machte Friede; -- und ich wurde so glücklich, und liebte Jedermann, und fühlte mich willig nur dem Herrn anzugehören, und des Herrn Willen zu thun, und überall hinzugehen, wohin der Herr mir befahl. Ich wußte, das konnte nicht von mir kommen, denn ich bin eine arme, unzufriedene Creatur; es kommt vom Herrn; -- und ich weiß, Er ist auch bereit, Master beizustehen.« Tom sprach unter strömenden Thränen, und mit stockender Stimme. St. Clare lehnte seinen Kopf an Tom's Schulter, und drückte seine harte, treue, schwarze Hand. »Tom, Du hast mich lieb,« sagte er. »Bin bereit mein Leben zu lassen, heute noch, wenn Master wollte ein Christ werden.« »Armer, thörichter Bursche!« sagte St. Clare, sich halb aufrichtend. »Ich bin der Liebe eines so guten, ehrlichen Herzens, wie Deines, nicht werth.« »O Master, ich liebe Sie nicht allein, -- der liebe Herr Jesus liebt Sie auch.« »Wie weißt Du das, Tom?« sagte St. Clare. »Ich fühle es in meiner Seele. O Master! ›die Liebe Christi, die viel besser ist denn alles Wissen.‹« »Sonderbar!« sagte St. Clare, sich abwendend, »daß die Geschichte eines Menschen, der vor achtzehnhundert Jahren lebte und starb, noch jetzt so tiefen Eindruck auf die Gemüther machen kann. Aber er war kein Mensch,« fügte er plötzlich hinzu. »Nie hatte ein Mensch eine so lange dauernde und lebendige Kraft. O, daß ich glauben könnte was meine Mutter mich lehrte, und beten, wie ich es als Knabe konnte!« »Wenn Master so gut sein wollte,« sagte Tom »Miß Eva las dies immer so wunderschön. Ich wünschte, Master wollte so gut sein und es lesen. Höre jetzt gar nichts mehr lesen, nun Miß Eva nicht mehr da ist.« Es war das eilfte Kapitel Johannis, -- die rührende Scene von der Wiedererweckung des Lazarus. St. Clare las laut, oft inne haltend, um gewisse Empfindungen niederzudrücken, die durch das Ergreifende der Schilderung erregt wurden. Tom kniete vor ihm mit gefalteten Händen, und mit dem innigsten Ausdrucke von Liebe, Vertrauen und Anbetung in seinem ruhigen Gesichte. »Tom,« sagte sein Herr, »dies ist alles Wirklichkeit für Dich!« »Ich kann es alles deutlich sehen, Master,« entgegnete Tom. »Ich wollte, ich hätte Deine Augen, Tom.« »Ich wünschte, bei dem lieben Herrn Jesus, Master hätte sie.« »Aber, Tom, Du weißt, daß ich viel mehr Kenntnisse besitze als Du; wie, wenn ich Dir sage, daß ich an diese Bibel nicht glaube?« »O Master!« rief Tom, seine Hände mit bittender Geberde emporhaltend. »Würde es nicht Deinen Glauben etwas wankend machen?« »Nicht im Geringsten,« entgegnete Tom. »Aber, Tom, Du mußt bedenken, daß ich viel mehr weiß als Du.« »O Master, haben Sie nicht just jetzt gelesen, »Er hat es den Weisen und Klugen verborgen, und es den Unmündigen geoffenbaret?« Aber Master war nicht im Ernste, -- gewiß nicht -- nicht wahr?« sagte Tom ängstlich. »Nein, Tom, es war nicht mein Ernst. Ich verwerfe den Glauben nicht, und dennoch kann ich nicht selbst glauben. Es ist eine unglückliche, böse Gewohnheit, Tom, die ich angenommen habe.« »Wenn Master nur beten wollte!« »Woher weißt Du, Tom, daß ich es nicht thue?« »Thut Master es?« »Ich würde es thun, Tom, wenn Jemand dort wäre, wenn ich bete; aber alle meine Worte gehen nur in die Leere hinein. Aber komm, Tom, Du sollst beten, jetzt, und es mir zeigen, wie.« Tom's Herz war voll. Er ließ es ausströmen in Gebet wie Wasser, die lange zurückgedrängt worden sind. Eins war klar: Tom glaubte, daß Jemand da sei, der ihn höre, und St. Clare fühlte sich auf der Fluth seines Glaubens und Gefühls beinahe bis zu den Pforten des Himmels hinauf getragen, den Tom so deutlich zu sehen schien; es war ihm, als wenn er Eva näher gebracht würde. »Danke Dir, mein Junge,« sagte St. Clare, als Tom aufstand. »Ich höre Dich gern, Tom, aber jetzt gehe, und verlaß mich; ein anderes Mal wollen wir mehr mit einander reden.« Tom verließ schweigend das Zimmer. Achtundzwanzigstes Kapitel. Wiedervereinigung. Woche um Woche floß dahin in St. Clare's Hause, und die Wellen des Lebens nahmen wieder ihren gewöhnlichen Lauf an, wo jener kleine Nachen untergegangen war; denn wie gebieterisch, wie kalt, wie gefühllos, wie gleichgültig bewegt sich nicht das tägliche Leben fort! Wir müssen essen, trinken, schlafen und wieder erwachen -- wir müssen handeln, kaufen, verkaufen, fragen und antworten, -- kurz, tausend Schatten verfolgen, obgleich jedes Interesse in ihnen längst verschwunden ist; denn die kalte, mechanische Gewohnheit des Lebens bleibt, nachdem jedes lebendige Interesse längst geflohen ist. Alle Hoffnungen und jedes Interesse in St. Clares Leben hatten sich ihm unbewußt um dieses Kind gewunden. Für Eva verwaltete er sein Eigenthum; mit Rücksicht auf Eva hatte er die Eintheilung seiner Zeit getroffen; und dies oder das für Eva zu thun, -- zu kaufen, zu verbessern, zu verändern und anzuordnen, -- war seit so langer Zeit seine Gewohnheit gewesen, daß es ihm jetzt, wo sie nicht mehr da war, schien, als habe er an nichts mehr zu denken, nichts mehr zu thun. Zwar gab es noch ein anderes Leben, -- ein Leben, das, wenn einmal daran geglaubt wird, als eine so heilige, bedeutungsvolle Ziffer vor den sonst so bedeutungslosen Zahlen der Zeit steht, daß sie einen geheimnißvollen, unaussprechlichen Werth dadurch empfangen. St. Clare wußte dies, und glaubte in mancher müden Stunde die zarte, kindliche Stimme zu hören, wie sie ihn zu sich rief, und die kleine Hand zu sehen, wie sie ihm den Lebensweg vorzeichnete; aber es lag ein schwerer, lethargischer Schmerz auf ihm, er konnte sich nicht erheben. St. Clare hatte nie versucht, sich durch religiöse Vorschriften leiten zu lassen, denn eine gewisse Feinheit seiner Natur hat ihm einen Blick in die weite Ausdehnung der Erfordernisse des Christenthums gegeben, so daß er im Voraus davor zurückbebte. So inconsequent ist die menschliche Natur, besonders im Gebiete des Geistigen, daß es ihr besser erscheint, ein Unternehmen überhaupt gar nicht zu beginnen, als darin nicht ganz erfolgreich zu sein. Dennoch war St. Clare in mancher Beziehung ein andrer Mensch geworden. Er las in der Bibel seiner kleinen Eva ernstlich und aufrichtig; er dachte mehr und reichlicher über das Verhalten gegen seine Dienstboten nach, -- eine Betrachtung, die ihn im höchsten Grade unzufrieden mit seiner bisherigen und gegenwärtigen Verfahrungsweise machte; und er that, gleich nach seiner Rückkehr nach New-Orleans, die nöthigen Schritte, um Tom's Freilassung zu bewirken, welche erfolgen sollte, sobald den nöthigen Formalitäten genügt worden war. Inzwischen schloß er sich jeden Tag mehr und mehr an Tom an. Nichts in der Welt schien ihn so sehr an Eva zu erinnern wie Tom; und so verschlossen und unzugänglich er sonst mit seinen tieferen Gefühlen war, so legte er sich in Tom's Gegenwart so wenig Zwang an, daß er beinahe laut dachte. Auch würde sich Niemand darüber gewundert haben, der den Ausdruck von Liebe und Ergebenheit sah, mit dem Tom seinem jungen Herrn überall folgte. »Nun, Tom,« sagte St. Clare am Tage, an welchem die gesetzlichen Förmlichkeiten seiner Freilassung begonnen hatten, -- »ich will Dich jetzt zu einem freien Menschen machen; -- Du kannst also nur Deinen Koffer packen, und Dich zur Abreise nach Kentucky vorbereiten.« Die plötzliche Freude, die in Tom's Gesicht aufleuchtete, während er seine Hände erhob, und sein Ausruf: »Gesegnet sei der Herr!« kränkten St. Clare gewissermaßen. Es gefiel ihm nicht, daß Tom so bereitwillig war, ihn zu verlassen. »Du hast doch so sehr schlimme Zeit hier nicht gehabt, daß Du in solches Entzücken darüber gerathen mußt, Tom,« sagte er trocken. »Nein, nein, Master!, das ist es nicht, -- es ist ›ein freier Mensch sein.‹ Darüber freue ich mich.« »Wie, Tom, glaubst Du nicht, daß Du, was Dich allein betrifft, es hier besser gehabt hast, als wenn Du frei gewesen wärest?« »Nein, Master St. Clare,« sagte Tom mit aufloderndem Enthusiasmus, -- »nein, o nein!« »Wie, Tom, hättest Du durch Deine eigene Arbeit Dir solche Kleider und solchen Unterhalt verdienen können, wie ich Dir gegeben habe?« »Weiß das, Master St. Clare; Master ist zu gut gewesen; aber, Master, ich will lieber schlechte Kleider, eine kleine Hütte, und Alles dürftig haben, und es ^mein^ nennen, als das Beste haben, was einem Andern gehört. -- Ich möchte 's so, Master, -- ich denke, 's ist natürlich, Master.« »Ich denke, Tom, Du wirst ungefähr in einem Monat gehen, und mich verlassen können,« sagte St. Clare etwas unzufrieden. »Aber warum solltest Du 's auch nicht? -- kein Mensch kann es sagen,« fuhr er plötzlich in heiterem Tone fort, und stand auf, und begann im Zimmer auf und abzugehen. »Nicht, so lange Master St. Clare unglücklich ist,« sagte Tom. »Ich will bleiben, so lange Master mich nöthig hat, und ich von Nutzen sein kann.« »Nicht, so lange ich unglücklich bin, Tom?« sagte St. Clare, traurig durch das Fenster blickend. -- -- »Und wann glaubst Du, daß mein Unglück aufhören werde?« »Wenn Master St. Clare ein Christ ist,« sagte Tom. »Und Du gedenkst wirklich hier so lange zu bleiben, bis dieser Tag kommt?« sagte St. Clare halb lächelnd, während er sich vom Fenster abwandte und seine Hand auf Tom's Schulter legte. »O Tom, Du guter, thörichter Bursche! Ich will Dich nicht bis zu dem Tage halten. Geh' heim zu Deinem Weibe und Deinen Kindern, und grüße sie alle von mir.« »Ich weiß gewiß, daß dieser Tag kommen wird,« sagte Tom mit Wärme und mit Thränen in den Augen; »der Herr hat ein Werk für Master.« »Ein Werk, wie?« sagte St. Clare; »wohl, Tom, so gib mir Deine Ansichten darüber, von welcher Art das Werk sein könne; -- laß mich hören.« »Wenn ein armer Mensch wie ich sogar ein Werk für den Herrn verrichten kann, -- wie viel mehr kann Master St. Clare, der Gelehrsamkeit hat, und Reichthümer und Freunde, für den Herrn wirken!« »Tom, Du scheinst anzunehmen, daß der Herr ein großes Wirken für sich nöthig habe,« sagte St. Clare lächelnd. »Wir wirken für den Herrn, während er für seine Geschöpfe wirkt,« sagte Tom. »Eine gute Theologie, Tom, besser als die, welche Dr. B.... predigt, -- ich möchte darauf schwören,« entgegnete St. Clare. Die Unterhaltung wurde hier durch Besuch, welcher sich anmelden ließ, unterbrochen. Marie St. Clare empfand Eva's Verlust so tief, wie sie überhaupt etwas empfinden konnte; und da sie eine Frau war, die es verstand, Jedermann unglücklich zu machen, wenn sie es selbst war, so hatte ihre unmittelbare Umgebung noch besondere Gründe, den Verlust ihrer jungen Mistreß zu betrauern, deren sanfte Fürsprache so oft für sie ein Schild gegen die Tyrannei und den selbstsüchtigen Druck ihrer Mutter gewesen war. Besonders herzbrechend war der Schmerz der armen, alten Mammy, deren natürliche, häusliche Bande sämmtlich gelöst waren, und die in jenem liebenswürdigen Wesen ihren einzigen Trost gefunden hatte. Sie weinte Tag und Nacht, und war durch ihren übermäßigen Kummer weniger geschickt und gewandt in ihren Verrichtungen für die Person ihrer Mistreß, was einen fortwährenden Sturm von Schmähungen auf ihr schutzloses Haupt herab rief. Miß Ophelia fühlte den Verlust; aber in ihrem guten, braven Herzen trug er Früchte des ewigen Lebens. Sie wurde gemäßigter, sanfter in ihrem Wesen, und obgleich eben so emsig und eifrig in ihren Pflichten wie früher, zeigte sie doch eine demüthigere, ruhigere Miene, wie Jemand, der nicht vergeblich mit seinem Herzen Rath gepflogen hatte. Sie verwendete noch mehr Fleiß auf den Unterricht Topsy's, -- lehrte ihr aus der Bibel, -- scheute sich nicht mehr vor ihrer Berührung und verrieth keinen Widerwillen mehr gegen sie, denn sie empfand keinen. Sie betrachtete sie jetzt durch das sanftere Medium, welches Eva zuerst ihren Augen vorgehalten hatte, und sah in ihr nur ein unsterbliches Wesen, welches Gott gesendet hatte, um durch sie zur Herrlichkeit und zur Tugend geführt zu werden. Topsy wurde nicht auf einmal eine Heilige; aber das Leben und der Tod Eva's hatten eine merkliche Veränderung in ihr bewirkt. Jene verhärtete Gleichgültigkeit war verschwunden, und an ihrer Stelle zeigten sich jetzt Empfänglichkeit, Hoffnung, Verlangen und Streben nach dem Guten, -- ein unregelmäßiges und oft unterbrochenes, aber stets wieder erneuertes Streben. Eines Tages, als Topsy von Miß Ophelien gerufen worden war, kam sie herbei, während sie eiligst etwas in ihren Busen steckte. »Was machst Du da, Du unnützes Ding? Du hast gewiß etwas gestohlen,« sagte die herrschsüchtige, kleine Rosa, welche abgesendet worden war, um sie zu holen, während sie sie zugleich heftig beim Arm ergriff. »Laß mich gehen, Rosa!« sagte Topsy, sich von ihr losreißend; »'s geht Dich gar nichts an!« »Keine Ungezogenheit!« sagte Rosa. »Ich hab's gesehen, daß Du 'was versteckt hast, -- ich kenne Deine Streiche!« Und mit diesen Worten ergriff sie ihren Arm von Neuem und versuchte ihre Hand in Topsy's Busen zu zwängen, während Topsy wüthend um sich stieß, und für das, was sie als ihr Recht ansah, tapfer focht. Das Geschrei und der Lärm des Kampfes zogen Miß Ophelien und St. Clare zur Stelle. »Sie hat 'was gestohlen!« rief Rosa. »'s ist nicht wahr!« schrie Topsy, leidenschaftlich schluchzend. »Gib es mir, was es auch immer sein möge!« sagte Miß Ophelia mit Festigkeit. Topsy zauderte; aber nach einem zweiten Befehle zog sie aus ihrem Busen ein Paket hervor, welches in den Fuß eines ihrer alten Strümpfe gewickelt war. Miß Ophelia öffnete es. Es zeigte sich ein kleines Buch, welches Topsy von Eva erhalten hatte und welches einen einzelnen Vers enthielt, der für alle Tage des Jahres eingerichtet war, und in einem Papiere die Haarlocke, die Eva ihr an jenem denkwürdigen Tage gegeben, an dem sie von Allen Abschied genommen hatte. St. Clare fühlte sich heftig ergriffen beim Anblicke derselben. Das kleine Buch war in einen langen Streifen schwarzen Krepp's gewickelt, der beim Leichenbegängniß benützt worden war. »Warum hast Du ^dies^ um das Buch gewickelt?« fragte St. Clare, den Kreppstreifen emporhaltend. »Weil -- weil -- weil es von Miß Eva war. O, bitte, nehmen Sie's nicht fort!« sagte sie, und setzte sich nieder auf den Fußboden, zog ihre Schürze über den Kopf und begann heftig zu weinen. Es war eine sonderbare Mischung des Pathetischen und Komischen, -- der kleine, alte Strumpf, -- schwarzer Krepp -- das Textbuch -- sanftes, blondes Haar, -- und Topsy's heftiger Schmerz. St. Clare lächelte; aber es schimmerten Thränen in einem Auge, als er sagte: »Still, still, weine nicht! Du sollst Alles wieder haben!« und mit diesen Worten wickelte er Alles wieder zusammen, warf es in Topsy's Schooß, und zog Ophelien in das nächste Zimmer. »Ich glaube wirklich, Du kannst aus dem Besteck noch etwas machen,« sagte er, mit dem Daumen rückwärts über die Schulter deutend. »Ein Gemüth, das wirklichen Schmerz empfinden kann, ist des Guten fähig. Du mußt versuchen, ob Du etwas aus ihr machen kannst.« »Das Kind hat sich wesentlich gebessert,« sagte Miß Ophelia. »Ich hege große Hoffnungen mit ihr; -- aber, Augustin,« fuhr sie fort, ihre Hand auf seinen Arm legend, »eins muß ich Dich fragen: wem soll das Kind gehören, -- Dir oder mir?« »Nun, ich gab sie Dir,« sagte Augustin. »Aber nicht in gesetzlicher Form; -- ich möchte sie in aller Form Rechtens besitzen,« sagte Miß Ophelia. »Hoho! Cousine!« sagte Augustin, »was werden die Abolitionisten davon denken? Die werden einen Bußtag wegen dieses Abfalls halten, wenn Du eine Besitzerin von Sklaven wirst!« »O Unsinn! Ich will sie nur deßhalb ^mein^ nennen können, um das Recht zu haben, sie mit mir nach den Freistaaten zu nehmen und ihr dort die Freiheit zu geben, damit nicht Alles verloren sei, was ich für sie zu thun versucht habe.« »O Cousine, was für ein schreckliches ›Uebles thun, daß Gutes daraus komme‹ ist das! Ich kann das nicht unterstützen!« »Du mußt nicht darüber scherzen, sondern die Sache vernünftig betrachten,« sagte Miß Ophelia. »Alle meine Bemühungen, dieses Kind zu einem christlichen Kinde zu machen, sind vergeblich, wenn ich es nicht gegen alle Zufälle und Gefahren schützen kann, die ihm von der Sklaverei drohen; und wenn es wirklich Deine Absicht ist, sie mir eigenthümlich zu überlassen, so mußt Du mir eine in gesetzlicher Form ausgestellte Urkunde darüber geben.« »Gut, gut,« sagte St. Clare, »ich will es thun;« worauf er sich setzte, und eine Zeitung zu lesen begann. »Aber ich wünschte, daß Du es gleich thätest,« fuhr Miß Ophelia fort. »Wozu ist diese schreckliche Eile?« »Weil jetzt grade die einzige Zeit ist, in der etwas vorgenommen werden kann,« entgegnete Miß Ophelia; »also komm', Cousin, hier ist Papier, Feder und Tinte; stelle mir eine Urkunde aus.« St. Clare, gleich der Mehrzahl seiner Geistesgenossen, haßte jede Art gespannter Thätigkeit, und fühlte sich deßhalb nicht wenig gequält durch Opheliens Offenheit und Dringlichkeit. »Aber was hast Du denn?« sagte er. »Ist Dir denn mein Wort nicht genügend? Man sollte glauben, Du wärest bei den Juden in der Lehre gewesen, daß Du so über einen Menschen herfällst!« »Ich will meiner Sache gewiß sein,« entgegnete Miß Ophelia. »Du kannst sterben oder Dein Vermögen verlieren, und dann würde Topsy, aller meiner Bemühungen ungeachtet, fortgerissen und auf den Sklavenmarkt geschleppt werden.« »In der That, Du bist außerordentlich vorsichtig. Gut, da ich sehe, daß ich doch einmal in der Hand einer Yanky bin, so muß ich nachgeben,« sagte St. Clare, und schrieb schnell eine Ueberweisungsurkunde nieder, was ihm, da er mit den gesetzlichen Formen genau bekannt war, leicht wurde, unterzeichnete seinen Namen mit großen Buchstaben und schloß mit einem mächtigen Schnörkel. »Da, ist das nicht Schwarz auf Weiß?« sagte er, als er es ihr einhändigte. »Bist ein guter Junge,« sagte Miß Ophelia lächelnd, »aber muß es nicht von einem Zeugen mit unterschrieben sein?« »O Plage! -- ja. Hier,« rief er, die Thür von Marien's Zimmer öffnend, »Marie, Cousine bedarf Deiner Handschrift; komm', schreibe Deinen Namen hierher.« »Was ist das?« sagte Marie, während sie das Papier überlief. -- »Lächerlich! Ich dachte, Cousine wäre zu fromm für so schreckliche Dinge,« fügte sie hinzu, während sie nachlässig ihren Namen unterzeichnete, »aber wenn sie an dem Artikel Gefallen gefunden hat, so soll es uns willkommen sein.« »Da, nun ist sie Dein mit Leib und Seele,« sagte St. Clare, ihr das Papier aushändigend. »Nicht mehr mein, als sie es zuvor war,« entgegnete Miß Ophelia. »Niemand als Gott hat das Recht, sie mir zu geben; aber ich kann sie jetzt beschützen.« »Wohl, so gehört sie Dir durch eine Fiktion des Gesetzes,« sagte St. Clare, während er in sein Zimmer zurückkehrte und sich wieder zu seiner Zeitung niedersetzte. Miß Ophelia, welche sich selten lange in Mariens Gesellschaft aufhielt, folgte ihm in das Zimmer, nachdem sie zuvor sorgfältig die Urkunde fortgelegt hatte. »Augustin,« sagte sie plötzlich, während sie sich mit Stricken beschäftigte, »hast Du nie daran gedacht, Verfügungen irgend einer Art zu Gunsten Deiner Dienstboten für den Fall Deines Todes zu treffen?« »Nein,« entgegnete St. Clare, während er fortfuhr zu lesen. »Dann kann sich alle Deine Nachsicht gegen sie am Ende als eine große Grausamkeit herausstellen.« St. Clare hatte oft dasselbe gedacht, aber er antwortete nachlässig: »Ich habe die Absicht, noch Verfügungen zu treffen.« »Wann?« fragte Miß Ophelia. »O, dieser Tage.« »Wie aber, wenn Du früher stirbst?« »Cousine, was meinst Du?« sagte St. Clare, sein Papier niederlegend und sie ansehend. »Glaubst Du, daß ich Symptome des gelben Fiebers oder der Cholera zeige, daß Du mit solchem Eifer von Verfügungen für meinen Todesfall sprichst?« »»Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen,«« recitirte Ophelia. St. Clare erhob sich, legte nachlässig seine Zeitung fort und trat in die offene Thür der Veranda, um einer Unterhaltung ein Ende zu machen, die ihm nicht angenehm war. Mechanisch wiederholte er das Wort -- »Tod!« -- und während er sich gegen das Geländer lehnte, und das Steigen und Fallen des Wassers im Springbrunnen beobachtete, und die Bäume und Blumen des Hofes wie durch einen feuchten Nebel betrachtete, wiederholte er wieder und wieder das Wort, welches in jedem Munde so gewöhnlich und doch von so furchtbarer Gewalt ist -- »^Tod!^« »Sonderbar,« sagte er, »daß es ein solches Wort und einen solchen Gegenstand giebt, deren wir nie eingedenk sind; daß man heut lebendig, warm, schön, voll von Hoffnungen und Wünschen und morgen für immer dahin sein kann!« Es war ein warmer, sonniger Abend, und als er zum andern Ende der Veranda ging, gewahrte er Tom, welcher eifrigst mit seiner Bibel beschäftigt war, jedes Wort mit dem Finger verfolgte, und sich selbst mit ernster Miene zuflüsterte. »Soll Dir wohl ein Stückchen lesen, Tom?« sagte St. Clare, sich nachlässig an seine Seite setzend. »Wenn Master so gut sein wollte,« sagte Tom dankbar, »Master macht es so viel deutlicher.« St. Clare nahm das Buch, und begann eine jener von Tom mit großen Zeichen markirten Stellen zu lesen: Sie lautete folgendermaßen: »Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhle seiner Herrlichkeit; und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.« St. Clare las mit erhobener Stimme, bis er an den letzten Vers kam: »Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Linken: ›Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet.‹ Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: ›Herr, wann haben wir Dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und wir haben Dir nicht gedienet?‹ Dann wird er ihnen antworten und sagen: ›Wahrlich, ich sage Euch: Was ihr nicht gethan habt Einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan.‹« St. Clare schien von dem letzteren Theile der Stelle tief ergriffen zu sein, denn er las sie zweimal, -- das zweite Mal langsam, als wenn er die Worte im Geiste überdächte. »Tom,« sagte er, »die Menschen, die mit so strengen Maßregeln bedroht werden, scheinen gerade das gethan zu haben, was ich gethan habe, -- ein behagliches, angenehmes Leben geführt, und sich nicht darum bekümmert, wie viele von ihren Mitbrüdern hungrig, durstig, krank oder gefangen seien.« Tom antwortete nicht. St. Clare stand auf und schritt gedankenvoll in der Veranda auf und ab, alles Andere über seine eignen Gedanken so sehr vergessend, daß ihn Tom zweimal daran erinnern mußte, daß die Glocke zum Thee gezogen worden sei, ehe er seine Aufmerksamkeit erwecken konnte. St. Clare blieb während des Thee's abwesend und gedankenvoll. Nach demselben nahmen er und Marie und Miß Ophelia von dem Wohnzimmer beinahe schweigend Besitz. Marie legte sich auf einen Sopha, unter einer seidenen Moskitodecke, und war bald entschlafen. Miß Ophelia beschäftigte sich schweigend mit ihrem Strickzeuge, und St. Clare setzte sich am Piano nieder, und begann eine sanfte, melancholische Weise zu spielen. Er schien in tiefe Träumereien versunken zu sein, und durch die Musik mit sich selbst zu reden. Nach einer kurzen Pause öffnete er einen Kasten, und nahm ein altes Notenbuch hervor, dessen Blätter bereits gelb geworden waren, und schlug es auf. »Dieses Buch,« sagte er zu Miß Ophelien, »gehörte meiner Mutter, -- und hier ist ihre Handschrift, -- komm', sieh' her. Sie kopirte und arrangirte dies von Mozart's Requiem.« Miß Ophelia kam. »Sie sang dies oft,« fuhr St. Clare fort; »mir ist, als hörte ich sie noch.« Er schlug einige majestätische Accorde an, und begann die erhabene, alte lateinische Arie, »_Dies Irae_,« zu singen. Tom, der sich in der äußeren Veranda befand, wurde durch die Klänge bis an die Thür gezogen, wo er eifrig horchend stehen blieb. Er verstand natürlich die Worte nicht; aber die Musik und der Gesang, besonders in den ausdrucksvolleren Stellen, schienen ihn tief zu ergreifen. Einen noch größeren Eindruck würde Beides auf ihn gemacht haben, wenn er den Sinn der schönen Worte hätte verstehen können: _Recordare Jesu pie, Quod sum causa tuae viae Ne me perdas illa die. Quaerens me sedisti lassus, Tantus labor non sit cassus._ St. Clare legte einen tief gefühlten Ausdruck in die Worte, denn der düstere Schleier der Jahre schien hinweg gezogen zu sein, und er glaubte noch die Stimme seiner Mutter zu hören. Stimme und Instrument schienen lebendig zu sein, und ließen im innigsten Einklange jene herrlichen Harmonien ausströmen, welche Mozart als sein eignes Sterbe-Requiem zuerst erdacht hatte. Als St. Clare aufgehört hatte, lehnte er einige Augenblicke seinen Kopf in die Hand, und begann dann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Welche erhabene Auffassung ist dies vom jüngsten Gerichte!« sagte er, -- »eine Lösung aller moralischen Räthsel durch eine unwiderlegliche Weisheit! Es ist in der That ein herrliches Bild.« »Es ist für uns ein schreckliches,« sagte Miß Ophelia. »Ich glaube, das sollte es für mich sein,« sagte St. Clare stillstehend und gedankenvoll. »Ich las diesen Nachmittag Tom das Kapitel aus dem Matthäus vor, welches eine Schilderung davon enthält, und ich fühlte mich tief ergriffen. Man hätte schreckliche Abscheulichkeiten derjenigen als Grund annehmen sollen, welche von dem Himmel ausgeschlossen werden; aber nein, -- sie sind verdammt, weil sie ^nicht^ positiv Gutes gethan haben, als wenn dies schon jedes mögliche Unrecht in sich schlösse.« »So mag es sein,« sagte Miß Ophelia; »es ist unmöglich für Jemanden, der nicht Gutes thut, kein Unrecht zu thun.« »Und was,« sagte St. Clare sinnend, aber mit tiefem Gefühle, -- »was soll von Jemanden gesagt werden, der durch sein eignes Herz, seine Erziehung und die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft zu edlen Zwecken aufgefordert worden ist, und der als ein träumerischer, theilnahmloser Zuschauer bei den Kämpfen, Leiden und Schmerzen seiner Mitmenschen fortgelebt hat, während er hätte thätig für sie wirken sollen?« »Ich würde sagen,« entgegnete Miß Ophelia, »daß er bereuen und von nun an beginnen solle.« »Immer praktisch und zum Zwecke!« sagte St. Clare lächelnd. »Du läßt mir nie Zeit zu allgemeinen Betrachtungen, Cousine; Du stellst mich immer dicht vor die wirkliche Gegenwart; Du hast eine Art von ewigem ^Jetzt^ fortwährend im Geiste.« »^Jetzt^ ist auch die einzige Zeit, mit der ich etwas zu thun habe,« sagte Miß Ophelia. »Meine theure, kleine Eva, -- armes Kind!« sagte St. Clare, »sie gedachte in ihrer kleinen schlichten Seele ein gutes Werk für mich zu thun.« Es war das erste Mal seit Eva's Tode, daß er so viele Worte über sie geäußert hatte, und er unterdrückte jetzt augenscheinlich, während er sprach, sehr heftige Empfindungen. »Meine Ansicht vom Christenthume ist eine solche,« fuhr er fort, »daß ich der Meinung bin, kein Mensch kann sich consequenter Weise dazu bekennen, ohne sich mit aller Macht diesem abscheulichen Systeme von Ungerechtigkeit entgegen zu werfen, welches allen unsern gesellschaftlichen Zuständen zu Grunde liegt, und im Falle der Noth sich selbst im Kampfe dagegen zu opfern. Ich will damit sagen, daß ich selbst mich unter keinen andern Bedingungen einen Christen nennen könnte, obgleich ich mit vielen erleuchteten und christlichen Leuten Umgang gehabt habe, die es nicht gethan haben; und ich bekenne, daß die Gleichgültigkeit religiöser Leute über diesen Punkt, ihr Mangel an Empfänglichkeit für das Unrecht, welches mich mit Abscheu erfüllte, mehr dazu beigetragen haben, Unglauben in mir zu erwecken, als irgend ein anderer Umstand.« »Wenn Du alles dieß wußtest,« sagte Miß Ophelia, »warum hast Du es nicht gethan?« »O, weil ich nur diejenige Art von Wohlwollen besitze, welche darin besteht, daß ich auf dem Sopha liege und die Kirche und alle Geistlichen verdamme, weil sie nicht Märtyrer und Bekenner in diesem Sinne sind. Man kann natürlich sehr leicht sehen, wie Andere Märtyrer sein sollten.« »Wohl, willst Du von nun an anders handeln?« fragte Miß Ophelia. »Gott allein kennt die Zukunft,« entgegnete St. Clare. »Ich bin besser als ich war, weil ich Alles verloren habe; und der, welcher nichts mehr zu verlieren hat, kann sich leicht allen Gefahren aussetzen.« »Und was willst Du jetzt thun?« »Meine Pflicht, hoffe ich, gegen die Armen und Niedrigen, so weit ich sie erkennen kann,« sagte St. Clare, »und ich will mit meinen eignen Sklaven anfangen, für die ich bis jetzt nichts gethan habe; und zu einem späteren Zeitpunkte kann es sich vielleicht zeigen, daß ich etwas für eine ganze Klasse thun kann, -- etwas, um mein Vaterland von der Schande jener unrichtigen Stellung zu befreien, in der es jetzt vor allen civilisirten Nationen steht.« »Hältst Du es für möglich, daß eine Nation jemals von freien Stücken emancipiren werde?« sagte Miß Ophelia. »Ich weiß nicht,« entgegnete St. Clare. »Es ist jetzt eine Zeit großer Handlungen. Heroismus und Uneigennützigkeit erheben sich hier und dort auf der Erde. Der ungarische Adel hat mit einem ungeheuren Geldverluste Millionen von Sklaven freigelassen; und vielleicht finden sich auch unter uns edelmüthige Seelen, die Ehre und Gerechtigkeit nicht nach Dollarn und Cents abschätzen.« »Ich glaube kaum,« bemerkte Miß Ophelia. »Aber angenommen, wir erhöben uns morgen und emancipirten, -- wer würde diese Millionen erziehen, und ihnen lehren ihre Freiheit richtig zu gebrauchen? Wir selbst sind zu träge und unpraktisch, um ihnen eine Idee von der Industrie und Energie beizubringen, welche erforderlich sind, um sie zu Menschen zu machen. Sie werden nach Norden gehen müssen, wo Arbeit an der Tagesordnung, allgemeine Sitte ist; und sage mir nun, herrscht in Euren nordischen Staaten genug christliche Menschenliebe, um den Prozeß ihrer Erziehung und Heranbildung zu unternehmen? Ihr sendet Tausende von Dollarn nach fernen Missionen, aber würdet Ihr erlauben, daß die Heiden in Eure eignen Städte und Dörfer gesendet würden, und Eure Zeit, Ueberlegung und Geld daran wenden, um sie nach christlichen Principien zu bilden? Das ist's, was ich gerne wissen möchte! Wenn wir emancipiren, seid Ihr dann bereit zu erziehen? Wie viele Familien in Eurer Stadt würden wohl einen Neger oder eine Negerin in ihr Haus nehmen, sie unterrichten, und zu Christen machen? Wie viele Kaufleute würden sich wohl bereit finden lassen, den Adolph aufzunehmen, wenn ich einen Commis aus ihm machen, -- oder Handwerker, wenn ich ihn ein Handwerk lernen lassen wollte? Wenn ich die Absicht hätte, Rosa und Jane in eine Schule zu bringen, wie viele Schulen würden sich in den nördlichen Staaten wohl finden, die sie annähmen, wie viele Familien, die sie in Kost zu nehmen bereit wären? Und dennoch sind sie so weiß wie irgend ein Frauenzimmer im Norden oder Süden. Du siehst, Cousine, ich will nur, daß man uns Gerechtigkeit widerfahren lasse. Wir befinden uns in einer bösen Lage. Wir sind die mehr sichtbaren Bedrücker der Neger, aber das unchristliche Vorurtheil des Nordens ist ein eben so harter Tyrann.« »Ich weiß, es ist so, Cousin,« entgegnete Miß Ophelia, -- »ich weiß, es war mir selbst so, bis ich es für meine Pflicht hielt, das Gefühl zu unterdrücken; aber ich hoffe, ich habe es unterdrückt, und ich weiß, daß es im Norden viele gute Menschen gibt, die über diesen Gegenstand nur belehrt zu werden brauchen, um ihre Pflicht zu erkennen und zu erfüllen. Es würde jedenfalls eine größere Selbstverläugnung sein, Heiden unter uns aufzunehmen, als ihnen Missionäre zuzusenden; aber ich glaube, wir würden es thun.« »^Du^ würdest es thun, das weiß ich!« sagte St. Clare. »Ich möchte wissen, was Du nicht thun würdest, sobald Du es für Deine Pflicht hieltest!« »Ich bin nicht so außerordentlich gut,« entgegnete Miß Ophelia. »Andere würden es eben so wohl thun, wenn sie die Sachen so ansähen wie ich. Wenn ich nach Hause reise, soll Topsy mit mir gehen. Ich glaube gern, unsere Leute werden sich anfangs wundern; aber sie werden bald dahin gelangen, die Sache eben so zu betrachten wie ich. Ueberdieß weiß ich, daß es Viele im Norden gibt, die grade das thun, was Du sagst.« »Ja, aber es ist nur die Minorität; und wenn wir jemals anfangen sollten, zu emancipiren, so würden wir bald von Dir hören.« Miß Ophelia antwortete nicht. Es herrschte einige Augenblicke lang eine Pause, und St. Clare's Gesicht hatte einen melancholischen, träumerischen Ausdruck angenommen. »Ich weiß nicht, was mich heut Abend so unaufhörlich an meine Mutter erinnert,« sagte er. »Ich habe ein sonderbares Gefühl, als ob sie mir nahe wäre; und ich denke fortwährend an Dinge, die sie mir gesagt hat. Woher kommt es nur, daß zuweilen vergangene Zeiten so lebhaft vor unsere Erinnerung geführt werden?« Mehrere Minuten lang schritt St. Clare im Zimmer auf und ab, und sagte dann: »Ich will einige Augenblicke die Straße hinauf gehen, und hören, was für Neuigkeiten es gibt.« Er nahm seinen Hut und ging hinaus. Tom folgte ihm bis in den Hof, und fragte ihn, ob er ihn begleiten solle? »Nein, mein Junge,« sagte St. Clare, »in einer Stunde bin ich wieder zu Hause.« Tom setzte sich in der Veranda nieder. Es war ein schöner, mondheller Abend. Er betrachtete das Steigen und Fallen des Springbrunnens, horchte seinem Plätschern und dachte an seine Heimath, und daß er nun bald ein freier Mensch sein werde, und nach Belieben dahin zurückkehren könne. Er dachte daran, wie er arbeiten werde, um seine Frau und seine Kinder loskaufen zu können; er befühlte mit einer Art Freude die Muskeln seiner sehnigen Arme, und dachte, daß diese ihm nun bald selbst gehören würden, und wie viel sie für die Freiheit seiner Familie würden arbeiten können. Dann dachte er an seinen edlen jungen Herrn, und als unmittelbare Folge davon sprach er das gewohnte Gebet für ihn; und dann wendeten sich seine Gedanken der schönen, kleinen Eva zu, die er jetzt unter den Engeln vermuthete; und dachte daran so lange, bis es ihm beinahe vorkam, als ob der goldene Kopf mit dem klaren Gesichtchen aus dem Schaume des Springbrunnens auf ihn nieder blicke. Und so sinnend schlief er ein, und träumte, er sehe sie, nach ihrer gewohnten Weise, zu sich gesprungen kommen, mit einem Jasminkranz im Haare, glänzende Wangen und vor Freude strahlenden Augen. Aber während er sie betrachtete, schien sie aus der Erde aufzusteigen; ihre Wangen waren bleicher, -- aus ihren Augen leuchtete ein tiefer, göttlicher Strahl, ihren Kopf umgab ein goldener Heiligenschein, -- und sie verschwand vor seinen Augen; und in demselben Augenblick wurde Tom durch ein lautes Pochen und den Klang vieler Stimmen aus seinen Träumen erweckt. Er beeilte sich, das Thor zu öffnen, worauf mehrere Männer mit gedämpften Stimmen und schwerem Tritte eintraten, welche einen, durch ein schwarzes Tuch bedeckten und auf einer Bahre liegenden Körper trugen. Das Lampenlicht fiel auf das Gesicht desselben, und Tom stieß einen wilden, gellenden Schrei des Schreckens aus, der durch alle Gallerien scholl, während die Männer mit ihrer Bürde sich dem offenen Wohnzimmer näherten, wo Miß Ophelia mit Stricken beschäftigt saß. St. Clare war in ein Caffehaus getreten, um die Abendzeitung zu lesen. Während er damit beschäftigt war, hatte sich zwischen zwei etwas berauschten Herrn im Zimmer ein Streit erhoben. St. Clare mit einigen andern der Anwesenden versuchte sie zu trennen, und empfing dabei einen Stich mit einem Jagdmesser, welches er einem der Streitenden zu entringen bemüht war. Das Haus füllte sich mit Geschrei, Klagen und Lamentationen; und die Dienstboten rauften sich ihr Haar, und warfen sich auf den Boden nieder oder rannten wie wahnsinnig umher. Tom und Miß Ophelia allein schienen etwas Geistesgegenwart bewahrt zu haben, denn Marie lag in heftigen hysterischen Krämpfen. Auf Miß Opheliens Anordnung wurde eins der Kanapees im Zimmer zu einem Bettlager umgeschaffen, und die blutende Gestalt darauf gelegt. St. Clare war durch Schmerz und Blutverlust ohnmächtig geworden; allein, als Miß Ophelia Wiederbelebungsmittel anwandte, kam er wieder zu sich, schlug die Augen auf, und schaute sich aufmerksam im Zimmer um, während seine Blicke sinnend von einem Gegenstande zum andern wanderten, und endlich am Bilde seiner Mutter hängen blieben. Der Arzt kam jetzt, und nahm seine Untersuchung vor. Es war in seinem Gesichte deutlich zu lesen, daß keine Hoffnung vorhanden sei; allein er begann die Wunde zu verbinden, und er fuhr mit dieser Arbeit, unter Miß Opheliens und Tom's Beihülfe, ruhig fort, während die erschreckten Dienstboten sich schluchzend und schreiend um die Fenster und Thüren der Veranda drängten. »Jetzt,« sagte der Arzt, »müssen wir alle diese Geschöpfe entfernen, denn Alles hängt von der äußersten Ruhe ab.« St. Clare öffnete seine Augen und blickte starr auf die trostlosen Wesen, welche Miß Ophelia und der Arzt aus dem Zimmer zu entfernen bemüht waren. »Arme Geschöpfe!« sagte er, mit dem Ausdrucke bitteren Vorwurfes gegen sich selbst. Adolph verweigerte positiv zu gehen. Der Schrecken hatte ihm alle Besinnung geraubt; er warf sich auf den Erdboden, und nichts konnte ihn vermögen, wieder aufzustehen. Die Uebrigen gaben Miß Opheliens dringenden Vorstellungen nach, daß das Leben ihres Herrn von ihrer Ruhe und ihrem Gehorsam abhänge. St. Clare konnte nur wenig sagen; er lag mit geschlossenen Augen da, aber kämpfte augenscheinlich mit bitteren Gedanken. Nach einer Weile legte er seine Hand auf die Tom's, der an seiner Seite kniete, und sagte: »Tom! armer Mensch!« »Was, Master?« sagte Tom mit innigem Tone. »Ich sterbe!« entgegnete St. Clare, seine Hand drückend, -- »bete!« »Verlangen Sie vielleicht nach einem Geistlichen?« sagte der Arzt. St. Clare schüttelte unruhig mit dem Kopfe und wiederholte in noch dringenderem Tone zu Tom gewendet: »bete!« Und Tom begann zu beten, aus vollem Herzen, für die Seele, die im Begriff war zu scheiden, -- die Seele, die so ruhig und so traurig aus den großen, melancholischen, blauen Augen blickte. Es war im eigentlichsten Sinne des Wortes »ein Gebet unter Schreien und Thränen.« Als Tom aufgehört hatte, ergriff St. Clare seine Hand, und blickte ihn wehmüthig an, aber sagte nichts. Er schloß seine Augen, aber hielt seine Hand fest, denn vor den Thoren der Ewigkeit ruhen die schwarze und die weiße Hand mit gleich warmem Drucke in einander. Er murmelte leise und mit Unterbrechungen vor sich hin: _»Recordare Jesu pie -- * * * * * Ne me perdas -- illa die Quaerens me -- sedisti lassus.«_ Es war deutlich erkennbar, daß die Worte, welche er am Nachmittage gesungen hatte, seinem Geiste vorschwebten, -- Worte der Bitte an eine unendliche Barmherzigkeit gerichtet. Seine Lippen bewegten sich mit Unterbrechungen, während Bruchstücke der Hymne von seinen Lippen flossen. »Sein Geist irrt umher,« sagte der Arzt. »Nein, er geht endlich ^heim^!« sagte St. Clare mit Nachdruck; »endlich! endlich!« Die Anstrengungen, die er machte, um zu sprechen, erschöpften ihn. Allmählig überzog Todesblässe sein Gesicht; aber mit ihr nahmen seine schönen Züge einen sanften Ausdruck des Friedens an, wie den eines müden Kindes, welches einschlafen will. So lag er einige Augenblicke. Die Umstehenden sahen, daß die mächtige Hand ihn bereits berührt habe. Kurz zuvor, ehe sein Geist entfloh, öffnete er seine Augen mit einem Glanze, aus dem die Freude der Wiedererkennung strahlte, und mit dem Ausrufe: »Mutter!« verschied er. Neunundzwanzigstes Kapitel. Die Schutzlosen. Wir hören oft von dem unglücklichen Zustande der Negersklaven beim Verluste eines guten Herrn, und nicht ohne Grund, denn kein Wesen auf Gottes Erde ist schutzloser und verlassener, als ein Sklave unter solchen Umständen. Das Kind, welches einen Vater verloren hat, genießt noch den Schutz der Verwandten und des Gesetzes; es ist Etwas, und kann Etwas thun, -- hat eine anerkannte Stellung und Rechte; der Sklave hat keine. Das Gesetz sieht ihn in jeder Beziehung als so rechtlos an wie einen Ballen Waare. Die einzig mögliche Anerkennung seiner Wünsche und Bedürfnisse, als eines menschlichen und unsterblichen Wesens, welche ihm werden kann, muß durch den souveränen und unverantwortlichen Willen seines Herrn erfolgen. Die Zahl derjenigen Menschen, welche eine ohne jede Verantwortlichkeit verliehene Gewalt mit Menschlichkeit und Edelmuth auszuüben verstehen, ist nur klein. Jedermann weiß das, und der Sklave weiß es am besten, daß er eher zehn grausame und tyrannische Herren, als einen milden und gütigen findet. Deßhalb ist die Klage um einen menschenfreundlichen Herrn so laut und so anhaltend, wie es nicht anders sein kann. Als St. Clare verschieden war, hatten Schrecken und Bestürzung das ganze Hausgesinde ergriffen. Er hatte seinen Tod so plötzlich, in der Blüthe der Kraft und Jugend gefunden. Jedes Zimmer und jede Gallerie des Hauses widerhallte von Schluchzen und Geschrei. Marie, deren reizbares Nervensystem durch eine fortwährende Verweichlichung gänzlich geschwächt worden war, hatte nichts mehr, um einen so plötzlichen Schlag ertragen zu können, und verfiel, während ihr Gatte seinen Geist aufgab, von einer Ohnmacht in die andere, so daß er aus diesem Leben schied, ohne derjenigen, die mit ihm durch das enge Band der Ehe verbunden war, auch nur ein Abschiedswort sagen zu können. Miß Ophelia war mit der ihr eigenthümlichen Stärke und Selbstbeherrschung bis zum letzten Augenblicke bei ihrem Blutsverwandten geblieben, -- ganz Auge, ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit, hatte sie Alles gethan, was geschehen konnte, und hatte von ganzem Herzen in das weiche, inbrünstige Gebet mit eingestimmt, welches der arme Sklave für die Seele seines sterbenden Herrn zum Himmel gerichtet hatte. Als man ihn zu seiner letzten Ruhe vorbereitete, wurde auf seiner Brust ein Miniaturgemälde in einem kleinen, einfachen Futterale gefunden, welches sich mittelst einer Feder öffnete. Es war das Portrait eines edlen und schönen weiblichen Gesichtes, und auf der Rückseite befand sich unter einem Krystallglase eine Locke dunklen Haares. Man legte Beides zurück auf seine kalte Brust, -- Staub zu Staub, -- traurige Ueberreste jugendlicher Träume, die einst dieses kalte Herz so warm schlagen ließen! Tom's ganze Seele war mit Gedanken an die Ewigkeit erfüllt; und während er um die sterblichen Ueberreste seines Herrn beschäftigt war, dachte er nicht einen Augenblick daran, daß dieser plötzliche Schlag ihn hoffnungsloser Sklaverei überwiesen habe. Er war beruhigt über seinen Herrn; denn in jener Stunde, wo das inbrünstige Gebet zum Vater seinen Lippen entströmt war, hatte er als Antwort darauf das Gefühl einer ruhigen Zuversicht in seiner Brust empfunden. In den Tiefen seines eigenen gefühlvollen Gemüths fühlte er sich fähig, Spuren von der Fülle der göttlichen Liebe zu entdecken; denn ein alter Spruch sagt: »Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm.« Tom hoffte, und vertraute, und war ruhig. Das Begräbniß ging vorüber mit allem Prunke von schwarzem Krepp, Gebeten und feierlichen Gesichtern; und die kalten, trüben Wellen des täglichen Lebens rollten zurück, und die ewige, harte Frage drängte sich auf: »Was soll nun geschehen?« Sie drängte sich dem Geiste Mariens auf, als sie in leichten Morgengewändern, umgeben von angstvollen Dienstboten, in einem bequemen Armstuhle saß, und verschiedene Muster von Krepp und Bombasin untersuchte. Sie drängte sich Miß Ophelien auf, welche begann, ihre Gedanken ihrer nördlichen Heimath zuzuwenden; und sie drängte sich mit geheimen Schrecken den Geistern der Sklaven auf, welche den gefühllosen, tyrannischen Charakter ihrer Mistreß, in deren Händen sie jetzt allein waren, kannten. Alle wußten sehr wohl, daß die Nachsicht, deren sie sich bisher erfreut hatten, nicht von ihrer Mistreß, sondern nur von ihrem Herrn ausgegangen war, und daß von nun an, wo er todt war, kein Schutz und Schirm mehr zwischen ihnen und jeder tyrannischen Maßregel vorhanden sei, welche ein durch Leiden verbittertes Gemüth ersinnen konnte. Es war ungefähr vierzehn Tage nach dem Leichenbegängniß, daß Ophelia eines Tages, als sie in ihrem Zimmer beschäftigt war, ein leises Klopfen an ihre Thür hörte. Sie öffnete, und vor ihr stand Rosa, die niedliche, kleine Mulattin, deren wir schon früher öfters erwähnt haben, mit verstörten Haaren und verweinten Augen. »O, Miß Feely!« rief sie, auf ihre Kniee fallend, und den Saum von Opheliens Kleide fassend, -- »bitte, bitte, gehen Sie zu Miß Marien für mich! und bitten Sie für mich! Sie will mich fortschicken, um gepeitscht zu werden, -- sehen Sie hier!« Und sie händigte Miß Ophelien ein Papier ein. Es war ein Befehl, welcher in Mariens zarter, italienischer Hand an den Vorsteher des Stockhauses geschrieben war, und den Auftrag enthielt, der Ueberbringerin fünfzehn Hiebe zu ertheilen. »Was hast Du gethan?« fragte Miß Ophelia. »Sie wissen, Miß Feely, ich habe ein so hitziges Temperament; -- es ist recht häßlich von mir. Ich paßte Mistreß Marien ein Kleid an, und sie schlug mir ins Gesicht, und ich sprach, ehe ich dachte, und war ungezogen; und da sagte sie, sie wolle mich herunterbringen, und ich solle ein für allemal wissen, daß ich nicht mehr so verwegen sein dürfe, wie ich immer gewesen wäre; und sie schrieb dies und sagte, ich solle es hintragen. Ich wollte lieber, sie brächte mich auf der Stelle um.« Miß Ophelia überlegte, mit dem Papier in der Hand. »Sehen Sie, Miß Feely,« sagte Rosa, »ich würde nicht so viel nach den Hieben fragen, wenn Miß Marie oder Sie sie mir gäben; aber, an einen ^Mann^ geschickt zu werden! -- und solchen schrecklichen Mann, o, die Schande, Miß Feely!« Miß Ophelia wußte recht wohl, daß es allgemeine Sitte war, Frauen und junge Mädchen nach den Stockhäusern zu schicken und sie dort den Händen der niedrigsten Menschen zu übergeben, -- Menschen, die roh genug waren, dies zu ihrem Geschäfte zu machen, -- um dort gepeitscht und der schamlosesten Bloßstellung preisgegeben zu werden. Sie wußte dies, aber hatte sich bisher nie selbst davon überzeugt, bis sie die zarte Gestalt Rosa's jetzt in fast krampfhaftem Schmerze vor sich stehen und beben sah. Alles Gefühl von Weiblichkeit, das in Neu-England so kräftige Gefühl für Freiheit röthete ihre Wangen und ließ ihr Herz im höchsten Unwillen heftiger schlagen; allein, mit gewohnter Klugheit und Selbstbeherrschung unterdrückte sie ihr Gefühl, und sagte nur, während sie das Papier in ihrer Hand zerdrückte, zu Rosa: »Setze Dich hier, Kind, während ich zu Deiner Mistreß gehe.« »Schändlich! abscheulich!« sagte sie zu sich selbst, während sie durch das Zimmer ging. Sie fand Marien in ihrem Armstuhle sitzend, und Mammy neben ihr stehend und beschäftigt, ihr Haar zu kämmen, während Jane am Boden saß, zu ihren Füßen, und diese zu wärmen bemüht war. »Wie befinden Sie sich heut?« sagte Miß Ophelia. Ein tiefer Seufzer, wobei sie ihre Augen schloß, war Marien's einzige Antwort im ersten Augenblicke; dann fuhr sie fort: »O, ich weiß nicht, Cousine; ich glaube, ich befinde mich so wohl, wie ich überhaupt sein kann!« wobei sie ihre Augen mit einem weißen Taschentuch trocknete, welches eine zollbreite, schwarze Einfassung hatte. »Ich kam,« sagte Miß Ophelia mit einem kurzen, trockenen Husten, von dem gewöhnlich die Einführung eines schwierigen Gegenstandes begleitet wird, -- »ich kam hierher, um mit Ihnen über die arme Rosa zu sprechen.« Bei diesen Worten öffneten sich Marien's Augen weit genug, und ihre bleichen Wangen rötheten sich, während sie mit scharfer Stimme antwortete: »Nun, was ist's mit ihr?« »Sie bereut ihren Fehler sehr.« »Wirklich? Sie wird ihn wahrscheinlich noch mehr bereuen, ehe ich mit ihr ganz fertig bin! Ich habe die Unverschämtheit dieses Kindes lange genug ertragen, und will sie jetzt demüthig machen, -- sie soll mir im Staube liegen!« »Aber könnten Sie sie nicht auf irgend eine andere Weise bestrafen, -- die weniger die Scham verletzte?« »Das ist grade meine Absicht; sie soll sich schämen. Sie hat sich ihr ganzes Leben so viel auf ihre Zartheit zu gut gethan, auf ihr hübsches Gesicht, und auf ihre feinen Manieren, bis sie endlich ganz vergessen hat, wer und was sie eigentlich ist. Ich will ihr jetzt eine Lehre geben, die sie zur Besinnung bringen wird, wie ich hoffe!« »Aber, Cousine, bedenken Sie doch, daß wenn Sie in einem jungen Mädchen das Schamgefühl und Zartgefühl vernichten, Sie sie augenblicklich gänzlich verderben.« »Zartgefühl!« sagte Marie mit verächtlichem Lachen, -- »ein schönes Wort für so Eine, wie sie ist! Ich will ihr, mit allen ihren feinen Manieren, lehren, daß sie nichts Besseres ist, als das zerlumpteste schwarze Mensch, das sich auf den Straßen umhertreibt! Sie soll sich mir gegenüber keine Miene mehr geben!« »Sie werden Gott Rechenschaft geben müssen über solche Grausamkeit!« sagte Miß Ophelia mit Nachdruck. »Grausamkeit, -- ich möchte wissen, wo hier Grausamkeit ist! Ich schrieb einen Befehl für fünfzehn Hiebe, und bemerkte ausdrücklich, daß sie leicht gegeben werden sollten. Ich dächte, das wäre keine Grausamkeit!« »Keine Grausamkeit!« sagte Miß Ophelia. »Ich bin gewiß, daß jedes junge Mädchen sich lieber geradezu umbringen ließe!« »So mag es jemanden von Ihrem Gefühle erscheinen, aber alle diese Geschöpf sind daran gewöhnt; denn es ist der einzige Weg, auf dem sie in Ordnung gehalten werden können. Erlauben Sie ihnen nur ein einziges Mal Mienen von Zartgefühl und dergleichen anzunehmen, und Sie haben sie alle auf dem Halse, grade wie es meine Dienstboten mit mir gemacht haben. Ich habe jetzt angefangen, sie wieder zur Unterwürfigkeit zu bringen; und sie sollen mir alle wissen, daß ich jeden, ohne Unterschied, will auspeitschen lassen, wenn sie sich nicht in Acht nehmen!« sagte Marie, während sie sich mit einem sehr determinirten Blicke unter den Anwesenden umsah. Jane ließ bei diesen Worten erschreckt ihren Kopf hängen, denn es war ihr, als seien diese Worte besonders an sie gerichtet. Miß Ophelia saß einige Augenblicke da, als wenn sie eine explodirende Mixtur eingenommen hätte, und im Begriffe sei zu bersten; sodann aber die völlige Nutzlosigkeit jedes ferneren Streites mit einer solchen Natur in Betracht ziehend, preßte sie entschlossen ihre Lippen zusammen, erhob sich, und verließ das Zimmer. Es war für sie eine harte Aufgabe, zu Rosa zurückzugehen, und ihr zu sagen, daß sie nichts habe für sie thun können; und gleich darauf erschien ein männlicher Sklave mit dem Befehle seiner Mistreß, Rosa nach dem Stockhause zu bringen, wohin sie, ihrer Thränen und Bitten ungeachtet, unverzüglich geschleppt wurde. Wenige Tage nachher stand Tom sinnend an einem der Balkone, als Adolph zu ihm trat, der seit dem Tode seines Herrn im höchsten Grade niedergeschlagen und trostlos gewesen war. Adolph wußte, daß er von jeher für Marien ein Gegenstand des Widerwillens gewesen war; allein so lange sein Herr lebte, hatte er sich wenig darum gekümmert. Jetzt, da er todt war, bewegte er sich in täglichem Zittern und Beben umher, ohne zu wissen, welches Schicksal ihn zunächst treffen werde. Marie hatte vielfache Consultationen mit ihrem Rechtsanwalte gehalten, und man war endlich, nachdem auch St. Clare's Bruder zur Berathung gezogen worden war, dahin übereingekommen, daß die Besitzung und sämmtliche Sklaven verkauft werden sollten, mit alleiniger Ausnahme der ihr persönlich zugehörigen, mit denen sie nach der Pflanzung ihres Vaters zurückzukehren beabsichtigte. »Weißt Du, Tom, daß wir Alle verkauft werden sollen?« sagte Adolph. »Wo hast Du das gehört?« entgegnete Tom. »Ich hatte mich hinter den Gardinen versteckt, als Missis mit dem Anwalte sprach. In wenigen Tagen sollen wir Alle zur Auktion geschickt werden,« sagte Adolph. »Des Herrn Wille geschehe!« erwiderte Tom mit schwerem Seufzer, seine Hände faltend. »Wir werden nie einen solchen Herrn wieder bekommen,« fuhr Adolph furchtsam fort; »aber ich will doch lieber verkauft werden, als bei Missis bleiben.« Tom wandte sich ab, -- sein Herz war schwer. Die Hoffnung auf Freiheit, der Gedanke an sein fernes Weib und seine Kinder stieg vor seiner geduldigen Seele auf, wie vor dem Seemanne, der dicht vor dem Hafen noch Schiffbruch leidet, der Kirchthurm und die geliebten Dächer seines heimatlichen Dorfes aufsteigen, die er nur über den Gipfel einer schwarzen Welle hinweg sieht, um ihnen für immer Lebewohl zu sagen. Er zog seine Arme dicht über die Brust zusammen und drückte die andringenden, bitteren Thränen zurück, und versuchte zu beten. Die arme, alte Seele hatte eine so unerklärliche Liebe zur Freiheit, daß es ein harter Kampf für ihn war; und je öfter er sagte: »Dein Wille geschehe!« desto schwerer wurde ihm das Herz. Er suchte Miß Ophelien auf, die seit Eva's Tode ihn stets mit besonderer Güte und Achtung behandelt hatte. »Miß Feely,« sagte er, »Master St. Clare versprach mir meine Freiheit. Er sagte mir, daß er den Anfang dazu gemacht habe; und wenn nun vielleicht Miß Feely so gut sein wollte, ein Wort für mich mit Missis zu sprechen, so würde sie vielleicht das thun, was Mr. St. Clare's Wille war.« »Ich will für Dich sprechen, Tom, und mein Bestes thun,« sagte Miß Ophelia; »allein, wenn es von Mrs. St. Clare abhängt, so kann ich Dir nicht viel Hoffnung machen, -- dennoch will ich es versuchen.« Dieser Umstand ereignete sich wenige Tage nach dem Vorfalle mit Rosa, als Miß Ophelia grade mit ihren Vorbereitungen zur Rückkehr nach Norden beschäftigt war. Ernstlich hierüber nachdenkend kam sie zu der Ansicht, daß sie in ihrer früheren Zusammenkunft mit Marien sich vielleicht einer zu heftigen Sprache bedient habe, und nahm sich deßhalb vor, jetzt in einem so gemäßigten und versöhnenden Tone als möglich zu reden. Die gute Seele erhob sich deßhalb, nahm ihr Strickzeug, und beschloß in Mariens Zimmer zu gehen, sich dort so angenehm wie möglich zu machen, und für Toms Sache mit aller diplomatischen Kunst, die ihr zu Gebot stand, zu arbeiten. Sie fand Marien der Länge nach auf einem Sopha ausgestreckt, mit einem Ellbogen auf Kissen gestützt, während Jane verschiedene Muster feinen, schwarzen Stoffes vor ihr ausbreitete. »Dieses hier würde mir gefallen,« sagte Marie, ein Muster auswählend; -- »nur weiß ich nicht, ob es sich für Trauer paßt.« »O Missis,« sagte Jane mit geläufiger Zunge, »die Frau Generalin Derbennon trug grade dasselbe Zeug, als der General im vorigen Sommer gestorben war; es macht sich wunderschön!« »Was denken Sie?« sagte Marie zu Miß Ophelien. »Das ist Sache des Geschmackes,« entgegnete Miß Ophelia. »Sie können darüber besser urtheilen als ich.« »Die Sache ist die,« sagte Marie, »daß ich kein einziges Kleid habe, was ich tragen kann; und da ich hier das Haus und Alles verkaufen, und nächste Woche fortgehen will, so muß ich mich zu Etwas entschließen.« »Gehen Sie schon so bald?« »Ja. St. Clare's Bruder hat geschrieben, daß er und der Anwalt es für am zweckmäßigsten hielten, die Mobilien und die Sklaven zu verkaufen, und das Grundstück dem Anwalte zur Verwaltung zu überlassen.« »Ich möchte gern über einen Gegenstand mit Ihnen sprechen,« sagte Miß Ophelia. »Augustin versprach Tom seine Freiheit, und begann die Einleitung der dazu erforderlichen, gesetzlichen Förmlichkeiten. Ich hoffe, daß Sie Ihren Einfluß benutzen werden, um seine Freilassung zu vollenden.« »Wirklich? Ich habe nicht die Absicht, etwas Derartiges zu thun!« sagte Marie mit scharfem Tone. »Tom ist einer der werthvollsten Sklaven der ganzen Besitzung -- das geht unmöglich an. Ueberdies, wozu braucht er seine Freiheit? Er ist so viel besser daran.« »Aber er sehnt sich so sehr danach, und sein Herr hat sie ihm versprochen,« entgegnete Miß Ophelia. »O freilich, er sehnt sich danach,« sagte Marie. »sie sehnen sich Alle danach, weil sie ein unzufriedenes Geschmeiß sind, und immer danach verlangen, was sie nicht besitzen. Es ist durchaus gegen meine Grundsätze, irgend Einen frei zu lassen. So lange ein Neger unter einem Herrn ist, befindet er sich wohl, und thut gut; aber sobald man ihn freiläßt, wird er faul, will nicht mehr arbeiten, fängt an zu trinken, und wird gemein und nichtsnutzig. Habe das hundertmal gesehen; 's ist gar keine Wohlthat für sie, freigelassen zu werden.« »Aber Tom ist so ordentlich, so fleißig und so fromm!« »O, Sie brauchen mir das nicht zu sagen! Ich habe hundert gesehen, wie er. Er wird sich so lange gut betragen, als er unter strenger Aufsicht steht, -- länger nicht.« »Aber bedenken Sie doch,« sagte Miß Ophelia, »wie leicht er einen schlechten Herrn bekommen kann, wenn Sie ihn zum Verkaufe ausstellen.« »O, das ist Alles Thorheit!« entgegnete Marie. »Nicht einmal unter hundert geschieht es, daß ein guter Dienstbote einen schlechten Herrn bekömmt. Die meisten Herren sind gut, was auch immer gesprochen werden möge. Ich habe hier im Süden gelebt, und bin hier aufgewachsen, und habe nie einen Herrn kennen gelernt, der seine Leute nicht gut behandelte, -- grade so gut, als es nöthig ist. Darüber bin ich ganz ruhig.« »Wohl,« sagte Miß Ophelia mit Nachdruck, »ich weiß, daß es einer der letzten Wünsche Ihres Gatten war, daß Tom seine Freiheit haben solle; es war ein Versprechen, welches er der lieben, kleinen Eva auf ihrem Sterbebette gemacht hatte, und ich glaubte nicht, daß Sie sich für berechtigt halten würden, dies zu vergessen.« Marie bedeckte bei dieser Anrede ihr Gesicht mit dem Taschentuche, und begann heftig zu schluchzen und ihr Riechfläschchen zu gebrauchen. »Jeder Mensch ist gegen mich!« sagte sie. »Jeder ist so rücksichtslos! Ich hätte nicht gedacht, daß ^Sie^ auch mir alle diese Erinnerungen meiner Leiden vorhalten würden, -- es ist so rücksichtslos! aber Niemand hat die geringste Rücksicht für mich, -- meine Leiden sind unaussprechlich! Ist es nicht schrecklich, daß, wenn ich nur eine einzige Tochter habe, ich auch diese verlieren muß? -- und daß mir mein Mann, der grade für mich paßte, genommen werden muß? -- Und nun scheinen Sie auch noch so wenig Gefühl zu haben, und erinnern mich daran so unbarmherzig, -- da Sie doch wissen, wie sehr es mich angreift! Ich glaube recht gern, daß Sie es gut meinen, aber es ist so rücksichtslos!« Und Marie schluchzte und suchte nach Athem, und rief Mammy zu, das Fenster zu öffnen, und ihr die Kampferflasche zu bringen, und ihr das Kleid aufzuhaken; und während der hierauf folgenden Unruhe trat Miß Ophelia ihren Rückzug in ihr eigenes Zimmer an. Sie sah, daß es nutzlos sein würde, noch mehr über den Gegenstand zu sprechen; denn Marie hatte eine unendliche Fertigkeit, hysterische Anfälle heraufzubeschwören, und sobald nachher irgend eine Erwähnung der von ihrem Manne oder Eva ausgesprochenen Wünsche in Betreff der Dienstboten geschah, fand sie es jedes Mal für angemessen, einen solchen zu Hülfe zu rufen. Miß Ophelia that deßhalb das Einzige, was sie noch für Tom thun konnte, -- sie schrieb an Mrs. Shelby, schilderte seine traurige Lage, und bat um Hülfe für ihn. Am nächsten Tage wurden Tom und Adolph mit einem halben Dutzend anderer Dienstboten nach einem Sklavenhause abgeführt, um daselbst den Händler abzuwarten, der eine größere Anzahl zur öffentlichen Versteigerung sammeln wollte. Dreißigstes Kapitel. Das Sklavenhaus. Ein Sklavenhaus! ein Sklavenspeicher! Vielleicht machen sich manche unserer Leser eine schreckliche Vorstellung von einem solchen Orte, -- halten ihn für eine schmutzige, finstere Höhle, einen schrecklichen Tartarus, »_informis, ingens, cui lumen ademptum._« Aber nein, unschuldiger Freund; in jetziger Zeit hat man die Kunst gelernt, auf anständige Weise zu sündigen, so daß die Augen und Gefühle guter Gesellschaft nicht beleidigt werden. Menschliche Waare steht in gutem Preise, und wird deßhalb wohl genährt, wohl gereinigt und abgewartet, damit sie glatt, kräftig und gesund auf den Markt komme. Ein Sklavenhaus in New-Orleans unterscheidet sich äußerlich wenig von anderen Häusern und wird in reinlichem Stande gehalten. Vor demselben kann man täglich unter einer Art Schuppen Reihen von Männern und Weibern ausgestellt sehen, welche als Zeichen derjenigen Waare dienen, die innerhalb verkauft wird. Dann wirst du höflich eingeladen einzutreten und zu untersuchen, und wirst eine große Anzahl von Ehemännern, Weibern, Vätern, Müttern, Brüdern, Schwestern und jungen Kindern finden, die einzeln oder zusammen, je nachdem die Käufer es wünschen, losgeschlagen werden sollen; und die unsterbliche Seele, die einst mit dem Blute und der Todesangst des Sohnes Gottes verkauft wurde, als die Erde erbebte und die Felsen zersprangen, und die Gräber sich öffneten, kann jetzt verkauft, verdungen, verpfändet oder gegen Waaren jeder Art ausgetauscht werden, um den Bedürfnissen des Handels oder den Wünschen der Käufer zu genügen. Es war, wie erwähnt, wenige Tage nach jener Unterhaltung zwischen Marien und Miß Ophelien, daß Tom, Adolph und ein halbes Dutzend anderer zur St. Clareschen Besitzung gehöriger Sklaven der menschenfreundlichen Fürsorge Mr. Skeggs' überwiesen wurden, welcher einen Sklavenhandel in der F....straße hielt, um in der am nächsten Tage Statt findenden Auktion zum Verkaufe gestellt zu werden. Tom hatte einen ganz ansehnlichen Koffer mit Kleidungsstücken bei sich, wie die meisten Anderen. Sie wurden für die Nacht in ein langes Zimmer geführt, in welchem sich viele andere Männer von jedem Alter, jeder Größe und Schattirung befanden, die ein Gebrüll von Lachen und sorgloser Fröhlichkeit erschallen ließen. »Ah, ah! das ist recht. Nur zu, Jungens, -- nur zu,« sagte Mr. Skeggs, der Verwalter. »Meine Leute sind immer lustig! -- Sambo, ich sehe!« fügte er, an einen dicken Neger gewendet, beifällig hinzu, der durch Possen der niedrigsten Art das Gelächter erzeugte, welches Tom gehört hatte. Wie sich leicht denken läßt, war Tom nicht in der Stimmung, an diesen Spässen Theil zu nehmen. Indem er deshalb seinen Kasten so entfernt wie möglich von der lärmenden Gruppe auf den Boden stellte, setzte er sich darauf nieder, und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Die Händler mit menschlichen Waaren bemühen sich gewissenhaft, auf systematische Weise geräuschvolle Heiterkeit unter ihnen zu erhalten und zu befördern, als ein Mittel, jedes Nachdenken zu ertödten und sie gefühllos für ihre Lage zu machen. Der ganze Zweck der Zucht, unter welche der Neger von dem Augenblicke an gebracht wird, wo er auf dem nördlichen Markte verkauft worden, bis dahin, wo er nach Süden kömmt, ist darauf berechnet, ihn gefühllos und sorglos zu machen. Der Sklavenhändler sammelt sich eine Anzahl in Virginien oder Kentucky, und treibt sie nach irgend einem passenden, gesunden Orte, um fett zu werden. Hier werden sie täglich mit überflüssiger Nahrung versehen, und, weil Manche darunter sind, welche sich zum Gram hinneigen, wird eine Geige für sie gehalten, nach der sie täglich tanzen müssen; und derjenige, welcher es verweigert, heiter zu sein, -- in dessen Seele vielleicht die Gedanken an Weib, Kind oder Heimath zu stark sind, um fröhlich sein zu können, -- wird als tückisch und gefährlich bezeichnet, und allen Uebeln bloß gestellt, die der Unwille eines gefühllosen und von jeder Verantwortung freien Menschen ihm auferlegen kann. Gewandtheit, Munterkeit und Heiterkeit, besonders in Gegenwart von Beobachtern, werden ihnen fortwährend eingeprägt, nicht nur durch die ihnen vorgehaltene Hoffnung, dadurch einen guten Herrn zu bekommen, sondern auch durch die Furcht vor den Uebeln, welche der Händler ihnen zufügen darf, im Falle sie nicht verkauft werden können. »Was macht dieser Nigger hier?« sagte Sambo, sich Tom nähernd, nachdem Mr. Skeggs das Zimmer verlassen hatte. Sambo war ganz schwarz, groß, sehr lebendig, gesprächig, und voll von Possen und Grimassen. »Was machst Du hier?« sagte Sambo, zu Tom herankommend, und ihn scherzhaft in die Seite stoßend: -- »nachdenken, he?« »Ich soll morgen verkauft werden, -- auf der Auktion,« entgegnete Tom ruhig. »Verkauft -- auf Auktion, -- ho! ho! Jungens, ist das nicht ein Spaß? Wollte, ich ginge selbst den Weg! -- sage Euch, wollt' ich sie nicht lachen machen? Aber wie, -- die ganze Sippschaft hier soll morgen verkauft werden?« sagte Sambo, seinen Arm vertraulich auf Adolphs Schulter legend. »Ich bitte, mich in Frieden zu lassen,« sagte Adolph grimmig, und sich mit dem Ausdruck des äußersten Abscheu's in die Höhe richtend. »Ho, ho! Jungens, dieser hier ist einer von den weißen Niggers, -- so 'ne Art Käsefarbe, riecht gut!« sagte er, sich Adolph nähernd und schniffelnd. »Herr! der 's gut für 'nen Tabacksladen!« »Laß mich in Frieden! -- verstehst Du?« rief Adolph wüthend. »Sieh' Einer! wie empfindlich wir sind, -- wir weißen Nigger! Sieh' uns nur an!« sagte Sambo, indem er Adolphs Manieren nachzuäffen suchte; -- »wie graziös! wir sind in sehr guter Familie gewesen, -- vermuthe!« »Ja,« entgegnete Adolph, »ich hatte einen Master, der Euch alle für alten Plunder hätte kaufen können.« »Nun sieh' Einer,« entgegnete Sambo, »was für ein Herr wir sind!« »Ich gehörte der Familie St. Clare,« sagte Adolph stolz. »Wirklich? na, ich will mich hängen lassen, wenn's nicht ein Glück für sie ist, daß sie Dich los werden. Sie verkaufen Dich wohl mit den alten zerbrochenen Theekannen und solcher Waare!« sagte Sambo grinsend. Adolph, durch diesen Hohn rasend gemacht, flog wüthend auf seinen Gegner zu, und fluchte und schlug auf ihn los von allen Seiten. Die Uebrigen schrieen und lachten, und der allgemeine Lärm rief endlich den Aufseher herbei. »Was gibt's hier, Jungens? Ruhe -- Ruhe!« rief er eintretend, und eine lange Peitsche schwingend. Alle entflohen nach verschiedenen Richtungen, ausgenommen Sambo, welcher, im Vertrauen auf die Gunst des Aufsehers, deren er sich bisher als privilegirter Spaßmacher erfreut hatte, stehen blieb, und seinen Kopf mit komischem Grinsen versteckte, sobald der Master einen Angriff auf ihn machte. »O, Master, wir sind's nicht, -- wir sind ganz ordentlich, -- hier, diese Neuen sind's; -- ^die^ lassen uns nicht zufrieden, -- haben uns zum Besten immer zu!« Der Aufseher wandte sich hierauf gegen Tom und Adolph, theilte einige Stöße und Püffe ohne viel Untersuchung aus, und verließ sodann wieder das Zimmer, nachdem er zuvor allgemeine Befehle für Alle, sich ruhig zu verhalten und zum Schlafen niederzulegen, zurückgelassen hatte. Während diese Scene im Schlafzimmer der Männer spielte, ist der Leser vielleicht nicht abgeneigt, einen Blick in das dem weiblichen Personale angewiesene, ähnliche Gemach zu thun. Ausgestreckt auf dem Erdboden in den verschiedenartigsten Stellungen kann er hier zahllose Gestalten, von jeder Hautfarbe, vom schwärzesten Ebenholz bis zum reinsten Weiß, und von jedem Alter, vom Kindes- bis zum Greisenalter, schlafen sehen. Hier liegt ein schönes, liebliches Mädchen von zehn Jahren, dessen Mutter gestern verkauft wurde, und welches sich diese Nacht selbst in den Schlaf weinte, während Niemand darauf achtete. Hier befindet sich eine alte Negerin, deren dünne Arme und knöcherige Finger von schwerer Arbeit erzählen, und die am morgenden Tage als ein abgenutzter Artikel losgeschlagen werden soll; und um sie her liegen vierzig bis fünfzig Andere ausgestreckt, deren Köpfe in Bettdecken oder Theile ihrer Kleidungsstücke gewickelt sind. Allein in der Ecke, abgesondert von den Uebrigen, sitzen zwei Frauenzimmer, deren Aeußeres mehr Interesse als gewöhnlich erweckt. Die Eine derselben ist eine anständig gekleidete Mulattin zwischen vierzig und fünfzig Jahren, mit sanften Augen und weichen, einnehmenden Zügen. Sie trägt auf dem Kopfe einen hohen, aus rothseidenen Madrastüchern gewundenen Turban, und ihre Kleidung ist von feinem Stoffe und sauberer Arbeit, was als Beweis gilt, daß sie einer sorgsamen Hand bisher angehört hat. An ihrer Seite, dicht an sie gedrückt, sitzt ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren, -- ihre Tochter. Sie ist eine Quadroon, wie ihre hellere Gesichtsfarbe andeutet, obgleich ihre Aehnlichkeit mit der Mutter unverkennbar ist. Sie hat dasselbe sanfte, dunkle Auge, nur mit längeren Wimpern, und ihr üppiges, lockiges Haar ist von glänzendem Braun. Ihre Kleidung ist ebenfalls von der größten Sauberkeit, und ihre zarten, weißen Hände verrathen wenig Bekanntschaft mit niedriger Arbeit. Diese Beiden sollen am morgenden Tage zugleich mit den St. Clare'schen Leuten verkauft werden; und der Herr, dem sie gehören, und dem das für sie gelöste Geld zugeschickt werden soll, ist Mitglied einer christlichen Kirche in New-York, welcher das Geld in Empfang nehmen, und nachher zum Sakramente seines und ihres Herrn gehen und nicht weiter an sie denken wird. Diese beiden Frauenzimmer, welche wir Susan und Emmeline nennen wollen, waren Dienerinnen einer liebenswürdigen und frommen Dame in New-Orleans gewesen, von der sie mit Sorgfalt und in Frömmigkeit erzogen und unterrichtet worden waren. Sie hatten lesen und schreiben, und die Wahrheiten der Religion erkennen gelernt, und ihr Loos war im Allgemeinen ein so glückliches gewesen, als es unter ihren Verhältnissen überhaupt möglich war. Allein der einzige Sohn ihrer Beschützerin, welcher die Verwaltung ihres ganzen Eigenthums hatte, versank durch Nachlässigkeit oder Verschwendung in eine tiefe Schuldenlast und fallirte endlich. Einer der bedeutendsten Creditoren war die sehr achtbare Firma _B. et Cie._ in New-York. Dieselbe schrieb an ihren Anwalt in New-Orleans, welcher das vorhandene Vermögen mit Arrest belegte (dessen werthvollster Theil in diesen beiden Frauenzimmern und einer Anzahl Feldsklaven bestand), und der Letztere erstattete Bericht an die Firma. Bruder _B._, der, wie gesagt, ein christlicher Mann und ein Bewohner eines Freistaates war, fühlte einige Unbehaglichkeit über diesen Gegenstand. Er wollte natürlich nicht gern mit Sklaven und menschlichen Seelen handeln; allein es handelte sich um dreißig tausend Dollars in diesem Falle, und dies war eine etwas zu große Summe, um sie einem Principe zu opfern; und so schrieb endlich Bruder _B._ nach langer Ueberlegung und nach Einholung von Rath bei Denjenigen, deren Rath, wie er wußte, ihm zusagen werde, an seinen Anwalt, daß er den Aktivbestand auf die zweckmäßigste Weise verwerthen und den Erlös an ihn einsenden möge. Am Tage nach Eingang dieses Briefes wurden Susan und Emmeline mit Arrest belegt, und an den Sklavendepot abgeliefert, um dort die am nächsten Morgen stattfindende allgemeine Versteigerung zu erwarten; und während sie jetzt dort schwach im Mondlichte schimmern, welches sich durch die vergitterten Fenster stiehlt, können wir ihrer Unterhaltung lauschen. Beide weinen, aber Jede leise und im Stillen, damit die Andere es nicht höre. »Mutter, lege Deinen Kopf in meinen Schooß, und versuche, ob Du nicht ein wenig schlafen kannst,« sagte das junge Mädchen, während es sich Mühe gab, ruhig zu erscheinen. »Ich habe kein Herz zu schlafen, Em; ich kann nicht; -- es ist vielleicht die letzte Nacht, daß wir bei einander sind!« »O Mutter, sage das nicht! vielleicht werden wir zusammen verkauft, -- wer weiß!« »Wenn jemand anderes sich in diesem Falle befände, so würde ich das auch sagen, Em,« entgegnete die Mutter, »aber ich habe so große Angst, Dich zu verlieren, daß ich nichts als die Gefahr sehe.« »Aber Mutter, der Mann sagte doch, daß wir beide gut aussähen, und gut verkauft werden würden.« Susan erinnerte sich der Blicke und Worte des Mannes. Mit innerem Beben gedachte sie, wie er Emmelinens Hände betrachtet, und ihre Locken aufgehoben, und sie für einen Artikel erster Klasse erklärt hatte. Susan war auf christlichem Wege erzogen, und an ein tägliches Lesen der Bibel gewöhnt worden, und hegte deshalb denselben Abscheu davor, ihr Kind zu einem Leben der Schande verkauft zu sehen, wie jede andre christliche Mutter; aber sie hatte keine Hoffnung -- keinen Schutz für sie. »Mutter, ich denke, wir könnten uns recht wohl befinden, wenn Du eine Stelle als Köchin, und ich als Stubenmädchen oder Näherin in irgend einer Familie bekämest. Ich hoffe es. Laß uns beide so heiter aussehen wie wir können, und Alles sagen, was wir verstehen; vielleicht bekommen wir dann solche Stellen,« sagte Emmeline. »Du mußt morgen Dein ganzes Haar glatt nach hinten kämmen,« sagte Susan. »Weshalb, Mutter? ich sehe dann bei weitem nicht so gut aus.« »Ja, aber Du wirst so besser verkauft werden.« »Ich sehe nicht ein, weshalb!« sagte das Kind. »Anständige Familien werden Dich eher kaufen, wenn Du einfach und sittsam aussiehst, und Dich nicht hübsch machen willst. Ich kenne ihre Art und Weise besser als Du,« sagte Susan. »Gut, Mutter, dann will ich es thun.« »Und wenn wir uns von morgen an nie wieder sehen sollten, Emmeline, -- wenn ich nach irgend einer Plantage verkauft werden sollte, und Du anderswohin, -- so denke immer daran, wie Du erzogen worden bist, und was Missis Dir gesagt hat. Nimm' Deine Bibel und Dein Gesangbuch mit Dir, und sei Gott getreu, so wird er Dir getreu sein.« So spricht die arme Seele in schmerzlicher Muthlosigkeit, denn sie weiß, daß am folgenden Tage jeder Mensch, so gemein und roh, so gottlos und unbarmherzig er auch immer sein möge, Herr ihrer Tochter an Leib und Seele werden kann, sobald er das nöthige Geld für sie zu erlegen im Stande ist; und wie soll das Kind dann seinem Gott getreu bleiben? Sie denkt an alles dies, während sie ihre Tochter im Arme hält, und wünscht, daß diese weniger hübsch und anziehend sein möchte. Sie hat keine andre Zuflucht als zum Gebete; und viele solcher Gebete sind von diesen saubern, reinlichen Sklavengefängnissen zu Gott emporgestiegen, -- Gebete, die Gott nicht vergessen hat, wie sich an einem Tage, der noch kommen soll, zeigen wird; denn es steht geschrieben: »Wer aber ärgert dieser Geringsten Einen, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehänget würde, und er ersäufet würde im Meere da es am tiefsten ist.« Die sanften, ernsten, stillen Mondesstrahlen fallen durch die Stäbe des vergitterten Fensters, und werfen den Schatten derselben auf die ausgestreckten, schlafenden Gestalten, während Mutter und Tochter eine jener milden, melancholischen Trauerarien singen, welche unter den Sklaven als Begräbnißgesänge üblich sind. Singt nur, arme Seelen! Die Nacht ist kurz, und der kommende Morgen wird Euch für ewig trennen! Aber jetzt tagt der Morgen, und Alles ist munter; und der würdige Mr. Skeggs ist geschäftig und guter Laune, denn eine Quantität Waare soll zur Versteigerung in Stand gesetzt werden. Alles macht Toilette, und Befehle ergehen an einen Jeden, das beste Gesicht anzulegen, und heiter zu sein; und dann werden alle zur letzten Revüe in einen Kreis gestellt, ehe sie nach der Börse abgeführt werden, und Mr. Skeggs, mit der Cigarre im Munde, hält die letzte Schau. »Was ist das?« fragte er, vor Susan und Emmelinen tretend. »Wo sind Deine Locken, Mädchen?« Das Mädchen blickte furchtsam auf ihre Mutter, welche mit der ihrem Geschlechte eigenthümlichen, sanften Gewandtheit antwortete: »Ich sagte ihr gestern Abend, ihr Haar glatt zu kämmen, und es nicht in Locken umherhängen zu lassen, weil es anständiger aussehe.« »O Unsinn!« entgegnete der Mann, und fügte, sich in befehlendem Tone an das Mädchen wendend, hinzu: »Du gehst mir auf der Stelle, und bringst Deine Locken wieder ordentlich in Stande! -- und bist mir schnell wieder hier!« und an die Mutter gerichtet, sagte er: »Die Locken bringen vielleicht 'en hundert Dollar mehr beim Verkaufe.« Unter einem glänzenden Dome befanden sich Menschen aller Nationen, die sich auf den Marmorplatten des Fußbodens hin und her bewegten. Auf jeder Seite der kreisförmigen Area standen kleine Tribünen zum Gebrauche von Rednern oder Auktionatoren. Zwei derselben auf gegenüberliegenden Seiten der Area waren jetzt von talentvollen Männern besetzt, welche mit großem Enthusiasmus in gemischtem Englisch und Französisch die Gebote der Kenner ihrer verschiedenen Waaren in die Höhe trieben. Eine dritte Tribüne auf der andern Seite, noch unbesetzt, war von einer Gruppe umringt, welche auf den Anfang der Versteigerung wartete. Hier können wir St. Clares ehemalige Dienstboten finden, Tom, Adolph und andere; und außerdem Susan und Emmeline, welche mit angstvollen, niedergeschlagenen Mienen ihr Schicksal erwarten. Mehrere Zuschauer, theils kauflustig, theils nicht, umgaben die Gruppe, und untersuchten, befühlten und besprachen die verschiedenen Gesichter und Gliedmaßen mit derselben Freiheit, mit der eine Gesellschaft Roßkämme die Verdienste eines Pferdes bespricht. »Holla! Alf! was bringt Dich denn hieher?« sagte ein junger Stutzer, einem andern, auffallend geputzten jungen Manne auf die Schulter schlagend, welcher Adolph durch eine Lorgnette beobachtete. »Ich brauche einen Lackei,« entgegnete dieser, »und hörte, daß St. Clare's Leute an die Reihe kämen; und so wollt' ich mir 'mal ansehen --« »Wollte mich hüten; jemals einen von St. Clare's Leuten zu kaufen! verdirbt alle seine Nigger, -- sind unverschämt wie der Teufel!« sagte der Andere. »Fürchte mich nicht davor!« sagte der Erstere. »Wenn ich sie habe, will ich ihnen bald ihre Manieren abgewöhnen, -- sollen bald wissen, daß sie mit einem andern Master zu thun haben, als mit Monsieur St. Clare. Mein Wort, ich kaufe den Burschen; -- er gefällt mir.« »Du wirst sehen, es kostet Dich Alles, was Du hast, um ihn zu halten; -- er ist teufelsmäßig ausschweifend.« »Ja, aber Mylord wird sehen, daß er bei ^mir^ nicht ausschweifend sein ^kann^. Laß ihn nur erst ein paar Male nach dem Stockhause geschickt und gründlich dressirt sein, -- dann wird er schon zur Besinnung kommen! Ich will ihn schon reformiren. -- Du sollst es sehen. Ich kaufe ihn, das steht fest!« Tom hatte inzwischen sinnend die Menge von Gesichtern derer geprüft, die sich um ihn drängten, und nach Einem gesucht, den er seinen Herrn hätte nennen mögen. Wenn Du, lieber Leser, Dich jemals in der Nothwendigkeit befinden solltest, aus zweihundert Männern einen auszuwählen, der Dein unbeschränkter Herr und Eigenthümer werden soll, so würdest Du wie Tom sehen, wie wenige darunter zu finden sind, denen Du Dich bereitwillig zu diesem Zwecke übermachen lassen möchtest. Tom sah eine große Anzahl von Männern vor sich, -- große, dicke und finstere; kleine, magere und muntere; lange und dünne, mit harten Gesichtszügen, und jede Abstufung gemeiner Gesichter, die ihren Mitmenschen aufnehmen, wie man Späne aufsammelt, um sie in's Feuer oder in den Korb zu werfen; aber er sah keinen St. Clare. Kurz vorher, ehe der Verkauf begann, drängte sich ein kurzer, breiter, muskulöser Mann, in einem bunten Hemde, welches auf der Brust weit offen war, und sehr schmutzigen Beinkleidern, durch die Menge, wie Jemand, der eifrig an ein Geschäft gehen will, und begann, als er der Gruppe näher kam, diese systematisch zu untersuchen. Vom ersten Augenblicke, wo Tom ihn sich nähern sah, fühlte er einen unwillkührlichen Schrecken vor ihm, der sich steigerte, je näher er zu ihm kam. Der Mann besaß augenscheinlich, obgleich er klein war, eine gigantische Kraft. Sein runder, kugelförmiger Kopf, seine großen, hellgrauen Augen, mit den zottigen, rothen Augenbrauen, und sein struppiges, sonnverbranntes Haar waren allerdings wenig einnehmende Eigenschaften; sein großer, gemeiner Mund dehnte sich unter großen Tabacksballen, deren Saft er von Zeit zu Zeit mit großer Kraft und Entschiedenheit hinausschleuderte; seine Hände waren unförmlich groß, haarig, sonnverbrannt, fleckig, sehr schmutzig, mit langen Nägeln versehen, und überhaupt in einem ekelhaften Zustande. Dieser Mann begann eine sehr dreiste, persönliche Untersuchung der zum Verkauf aufgestellten Sklaven. Er ergriff Tom beim Kiefer, und riß seinen Mund auf, um seine Zähne zu untersuchen; ließ ihn seinen Aermel aufstreifen, um seine Muskeln zu zeigen, und drehte ihn herum, und ließ ihn springen, um seine Gelenkigkeit zu prüfen. »Wo bist Du aufgebracht worden?« fragte er kurz nach diesen Untersuchungen. »In Kentucky, Master,« sagte Tom, sich wie nach Hülfe umschauend. »Was hast Du da gethan?« »Habe Master's Farm verwaltet,« entgegnete Tom. »Sehr wahrscheinliche Geschichte!« sagte der Andere kurz, während er weiter ging. Er blieb einen Augenblick vor Adolph stehen, feuerte eine Ladung Tabakssaft auf seine blank geputzten Stiefeln ab, und ging mit einem verächtlichen »Umph!« weiter. Vor Susan und Emmelinen blieb er wieder stehen. Er streckte seine schwere schmutzige Hand aus, und zog das Mädchen zu sich, strich ihr damit über Nacken und Brust, untersuchte ihre Zähne, und stieß sie dann wieder zu ihrer Mutter zurück, deren geduldiges Gesicht das tiefe Leiden verrieth, welches sie bei jeder Bewegung des scheußlichen Fremden empfunden hatte. Das Mädchen war erschreckt worden, und fing an zu weinen. »Still da! Du Heuldirne! kein Blärren hier!« rief der Auktionator, -- »der Verkauf beginnt.« Adolph wurde für eine gute Summe dem jungen Manne zugeschlagen, welcher seine Absicht, ihn zu kaufen, vorher schon erklärt hatte; und die übrigen Leute St. Clare's fielen verschiedenen Bietern zu. »Hinauf nun mit Dir, Bursche! hörst Du?« rief der Auktionator Tom zu. Tom stieg auf den Block und ließ seine Blicke ängstlich umher streifen, während alles Geräusch in einem gemeinsamen, undeutlichen Lärm zusammenfloß, -- das Geschrei des Verkäufers, welcher Tom's Eigenschaften in Französisch und Englisch ausrief, das scharfe Feuer der französischen und englischen Gebote; -- und einen Augenblick später folgte der letzte Schlag des Hammers, und der deutliche Schall der letzten Sylbe des Wortes ^Dollar^, als der Auktionator die Summe verkündete, und Tom hatte einen Herrn! Er wurde vom Block hinabgestoßen; -- der kleine, rundköpfige Mann packte ihn bei der Schulter, stieß ihn nach einer Seite, und rief ihm mit lauter Stimme zu: »Hier bleib stehen!« Tom wußte kaum, was mit ihm geschah. Inzwischen dauerten die Gebote fort, -- lärmend und geräuschvoll, bald englisch, bald französisch. Nieder fällt der Hammer wieder, -- Susan ist verkauft! Sie steigt vom Blocke herab, bleibt stehen, und blickt sich kummervoll um; -- ihre Tochter streckt ihre Arme nach ihr aus. Sie schaut verzweiflungsvoll dem Manne in's Gesicht, der sie gekauft hat, -- ein anständig aussehender Mann von mittlerem Alter, mit wohlwollenden Zügen. »O Master, bitte, kaufen Sie meine Tochter auch!« »Ich hätte wohl Lust, aber ich fürchte, ich kann nicht!« sagte der Mann, und schaute mit ängstlichem Interesse zu, als das junge Mädchen den Block bestieg, und sich mit furchtsamen, scheuen Blicken umschaute. Das Blut steigt in ihre sonst bleichen Wangen, ihr Auge glüht fieberhaft, und ihre Mutter gewahrt verzweiflungsvoll, daß sie schöner erscheint als zuvor. Der Auktionator sieht seinen Vortheil und läßt sich mit geläufiger Zunge in gemischtem Englisch und Französisch über ihre Vorzüge aus, und die Gebote folgen schnell aufeinander. »Ich will thun, was ich kann,« sagte der gutmüthig aussehende Mann, drängte sich vor und fing an mitzubieten. In wenigen Augenblicken haben die Gebote seine Börse überstiegen, und er schweigt. Der Auktionator wird wärmer, aber die Gebote lassen allmählig nach. Es sind nur noch zwei Bieter da, ein alter, aristokratischer Bürger, und unser rundköpfiger Freund. Der Bürger überbietet mehrmals, und sieht seinen Gegner verächtlich an; aber der Rundkopf ist ihm überlegen, sowohl an Hartnäckigkeit als in geheimer Länge der Börse, und der Streit währt nur kurze Zeit. Der Hammer fällt, -- er hat das Mädchen, Leib und Seele, so Gott ihr nicht hilft. Ihr Herr ist Mr. Legree, welcher eine Baumwollen-Plantage am rothen Fluß besitzt. Sie wird mit Tom und zwei andern Männern zusammen getrieben, und weinend fortgeschleppt. Dem gutmüthigen Manne thut es leid; allein der Fall ereignet sich täglich! Man sieht ja stets auf diesen Verkäufen Mädchen und Mütter weinen! es läßt sich nicht ändern, u. s. w., und er entfernt sich mit seinem neuen Besitzthume in einer anderen Richtung. Zwei Tage später sandte der Anwald der christlichen Firma _B et Cie._ in New-York das Geld ein. Auf die Rückseite des auf diese Weise erlangten Wechsels mögen sie die Worte des großen Zahlmeisters schreiben, dem sie an einem späteren Tage werden Rechenschaft legen müssen: »Denn er gedenket und fraget nach ihrem Blut; er vergißt nicht des Schreiens der Armen.« Einunddreißigstes Kapitel. Die Fahrt. Deine Augen sind rein, daß du Uebles nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen. Warum siehst du denn zu den Verräthern und schweigest, daß der Gottlose verschlinget den, der frömmer denn er ist. Am unteren Ende eines kleinen Bootes, auf dem rothen Flusse, saß Tom, -- Ketten an seinen Handgelenken, Ketten an seinen Füßen, und eine Last, schwerer als diese Ketten, auf seiner Brust. Alles war an seinem Horizonte verschwunden, -- Mond und Sterne; Alles war an ihm vorübergeflogen wie die Bäume und Ufer jetzt an ihm vorüber flogen, um nie wieder zu kehren. Die Heimath in Kentucky, mit Weib und Kindern und der freundlichen Herrschaft; St. Clare's Haus mit allem seinem Luxus und Glanze; der goldlockige Kopf Eva's mit seinen frommen Augen; der stolze, heitre, hübsche, anscheinend so sorglose, aber immer gütige St. Clare; Stunden der Muße und Behaglichkeit, -- Alles fort! und was war an dessen Stelle geblieben? Es gehört mit zu den bittersten Erfahrungen des Sklavenlebens, daß der Neger, der von Natur mitfühlend und leicht empfänglich ist, nachdem er in einer gebildeten Familie den Geschmack und die Empfindungen der dortigen Atmosphäre kennen gelernt hat, nichts destoweniger in jedem Augenblick wieder der Sklave des rohesten und brutalsten Menschen werden kann, -- gerade wie ein Stuhl oder Tisch, welcher einst den kostbarsten Salon zierte, und endlich zerschlagen und entstellt in das Schenkzimmer eines schmutzigen Wirthshauses oder in eine niedrige Höhle gemeiner Ausschweifung gelangt. Der große Unterschied besteht aber darin, daß der Stuhl und der Tisch nicht empfinden können, wohl aber der Sklave; denn selbst der Ausspruch des Gesetzes, daß er »als ein Gegenstand persönlicher Habe erachtet und gehalten werden solle,« ist nicht im Stande, seine Seele, mit ihrer eigenen kleinen Welt von Erinnerungen, Hoffnungen, Liebe, Furcht und Wünschen zu vernichten. Mr. Simon Legree, Tom's Herr, hatte an verschiedenen Plätzen in New-Orleans acht Sklaven zusammengekauft, und sie geschlossen, in Paaren von zwei und zwei, dem Dampfboote »der Pirat« zugetrieben, welches am Ufer lag, bereit, den rothen Fluß hinauf zu fahren. Nachdem er sie alle an Bord gebracht hatte und das Boot abgefahren war, kam er mit der Miene großer Geschäftigkeit, die ihm immer eigen war, heran, um Revue zu halten. Indem er zunächst vor Tom stehen blieb, der für den Verkauf seine beste Kleidung mit gestärkter Wäsche und blanken Stiefeln hatte anlegen müssen, drückte er sich kurz folgender Maßen aus: »Steh' auf!« Tom stand auf. »Nimm die Halsbinde ab!« und als Tom, behindert durch seine Fesseln, dazu schritt, begann er, mit nicht sehr sanfter Hand, ihm zu helfen, indem er sie vom Halse herunterriß und sie in seine Tasche steckte. Sodann wandte sich Legree zu Tom's Koffer, den er schon vorher geplündert hatte, nahm ein Paar alter Beinkleider und einen zerrissenen Rock heraus, den Tom nur im Stall zu tragen gepflegt hatte, und sagte zu ihm, indem er seine Handfesseln ablöste und auf einen Winkel zwischen den Waarenballen deutete: »Da, gehe dahin und ziehe diese an.« Tom gehorchte und kam in wenigen Augenblicken zurück. »Ziehe Deine Stiefel aus,« fuhr Mr. Legree fort. Tom that es. »Hier,« sagte jener, ihm ein paar grobe, starke Schuhe zuwerfend, die gewöhnlich von Sklaven getragen werden, »ziehe diese an!« Während seiner eiligen Umkleidung hatte Tom nicht vergessen, seine geliebte Bibel in seine Tasche zu stecken. Und er hatte wohl gethan; denn, nachdem Legree ihm die Handschellen wieder angelegt hatte, schritt er sorgfältig dazu, die Taschen der abgetragenen Kleidungsstücke zu untersuchen. Er zog ein seidenes Taschentuch hervor und steckte es in seine Tasche. Mehrere Kleinigkeiten, welche Tom hauptsächlich deßhalb aufgehoben hatte, weil Eva daran Gefallen gefunden, sah er mit verächtlichem Grunzen an und warf sie rücklings über seine Schulter in den Fluß. Jetzt zog er auch Tom's methodistisches Gesangbuch hervor, welches er in der Eile vergessen hatte und öffnete es: »Hm! fromm, versteht sich. So, wie heißt Du, -- gehörst zur Kirche?« »Ja, Master,« entgegnete Tom mit fester Stimme. »So, -- will Dir das bald abgewöhnen; -- kann keine Niggers gebrauchen, die schreien und beten und singen, -- merke das. Also paß' auf!« sagte er, mit dem Fuße stampfend und mit einem wilden Blicke seiner grauen Augen auf Tom, -- »^ich^ bin jetzt Deine Kirche! verstehst Du? -- Du mußt jetzt so sein, wie ^ich^ es haben will.« Ein Gefühl im Innern des schwarzen Menschen antwortete ^nein!^ und, wie von einer unsichtbaren Stimme gesprochen, kamen die Worte eines alten prophetischen Buches in seinen Sinn, die ihm Eva öfters daraus vorgelesen hatte: »Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich erlöset; ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein.« Aber Simon Legree hörte keine Stimme. Er stierte nur einen Augenblick auf das niedergeschlagene Gesicht Tom's und ging weiter. Er nahm Tom's Koffer, der eine reichliche und gute Garderobe enthielt, mit sich nach dem Vordertheile des Schiffes, wo er bald von verschiedenen Matrosen des Bootes umringt war. Unter vielem Gelächter und lauten Spöttereien über Niggers, die Gentlemen sein wollten, wurden die verschiedenen Artikel schnell verkauft und endlich der leere Koffer zur Auktion gestellt. Alle dachten, es sei ein guter Spaß, besonders Tom zu sehen, wie er seinen Sachen nachblickte, die nach verschiedenen Richtungen gingen; und dann die Versteigerung des Koffers, -- was das Spaßhafteste von Allem war und viel Witzeleien verursachte. Als dieß kleine Geschäft endlich vorüber war, schlenderte Simon zu seinem Eigenthume zurück. »Nun, Tom, siehst Du, ich habe Dir etwas unnützes Gepäck abgenommen. Nimm jetzt die Kleidungsstücke da gewaltig in Acht; denn 's dauert lange, ehe Du neue bekömmst. Ich will meine Niggers sorgsam machen; ein Anzug muß bei mir ein Jahr aushalten.« Nach diesen Worten wandte Simon seine Schritte dem Orte zu, wo Emmeline mit einem andern Frauenzimmer zusammen gekettet saß. »Na, meine Liebe,« sagte er, ihr unter das Kinn fassend, »hübsch munter!« Der unwillkürliche Blick von Schrecken, Furcht und Abscheu, mit dem das Mädchen ihn betrachtete, entging seinem Auge nicht. Er zog seine Stirn in finstere Falten. »Nichts von Deinen Zierereien, Mädchen! hast immer ein munteres Gesicht zu machen, wenn ich mit Dir spreche -- hörst Du? Und Du da, altes, gelbes Mondscheingesicht!« sagte er, indem er der mit Emmelinen zusammengeketteten Mulattin einen Stoß gab, »laß mich nicht solch ein Gesicht sehen! -- sollst lustiger aussehen, -- verstanden?« »Und Ihr alle da!« fügte er, ein paar Schritte zurücktretend, hinzu, -- »hier, seht mich an, -- seht mir grade in's Gesicht, -- grade aus!« rief er, bei jeder Pause mit dem Fuße stampfend. Und wie durch Zauberkraft richtete sich jetzt jeder Blick auf die grünlich grauen, funkelnden Augen Simon's. »Paßt auf!« rief er, seine große, schwere Faust ballend, so daß sie die Form eines Schmiedehammers annahm, -- »seht Ihr diese Faust? -- Seht hier diese Knochen! Nun merkt, diese Faust ist davon so hart geworden, daß sie so viele Niggers niedergeschlagen hat. Habe nie 'nen Nigger gesehen, den ich nicht mit einem Schlage niedergebracht hätte!« sagte er, indem er seine Faust so dicht vor Tom's Gesicht hielt, daß dieser unwillkührlich mit den Augen blinzte und den Kopf zurückbog. »Halte keine solche miserablen Aufseher; -- führe meine Aufsicht selbst, -- und das ist Aufsicht. Ihr müßt auf's Wort passen, -- Alle, -- den Augenblick, wo ich spreche, -- wenn ihr mit mir fertig werden wollt. Ihr findet keine weiche Stelle an mir, nirgend. Also nehmt Euch in Acht; denn ich habe keine Barmherzigkeit!« Die Weiber hielten unwillkührlich den Athem an, und der ganze Trupp saß mit niedergeschlagenen Gesichtern da. Inzwischen hatte Simon sich auf den Hacken umgedreht und war an den Schenktisch des Bootes getreten, um ein Glas Brandwein zu genießen. »Das ist der Weg, wie ich immer mit meinen Niggers anfange,« sagte er zu einem anständig gekleideten Herrn, der während dieser Rede in seiner Nähe gestanden hatte. »'s ist mein System, immer kräftig anzufangen, -- damit sie wissen, was sie zu erwarten haben.« »Wirklich?« entgegnete der Fremde, während er ihn mit der Neugierde eines Naturforschers betrachtete, der irgend ein seltenes Exemplar eines Naturprodukts vor sich hat. »Ja, gewiß. Bin keiner von Euren vornehmen Pflanzern, mit Lilienfingern, der sich von jedem alten, verdammten Aufseher betrügen läßt! Hier, faßt 'mal meine Knöchel an! Seht 'mal meine Faust! Sage Euch, Herr, das Fleisch ist grade wie Stein geworden, -- 's macht die Praxis mit den Niggers, -- faßt nur 'mal an!« Der Fremde legte seine Hände an das fragliche Werkzeug und entgegnete trocken: »Hart genug! und, wie ich vermuthe, hat die Praxis Euer Herz eben so hart gemacht.« »Ja, ja, kann sein,« erwiederte Simon mit herzlichem Lachen. »Glaube, 's nicht viel Weiches in mir zu finden. Ich sage Euch, es kommt keiner über mich! Nie kommt ein Nigger um mich herum, weder mit Schreien, noch mit weicher Seife, -- das ist gewiß!« »Ihr habt einen hübschen Trupp hier.« »O ja,« sagte Simon. »Da ist der Tom, -- habe gehört, es soll ein ausgezeichneter Kerl sein. Er kostet mich viel Geld, weil ich ihn als Kutscher oder als Verwalter gebrauchen wollte; nur die Ideen müssen erst aus ihm heraus, die er dadurch gelernt hat, daß er behandelt worden ist, wie Niggers nie behandelt werden sollten, -- dann wird er ganz vortrefflich sein! Das gelbe Weib sieht mir etwas kränklich aus, aber ich will doch noch aus ihr herausdrücken, was sie werth ist. Ein oder zwei Jahre hält sie noch vor. Schone meine Niggers nicht; -- verbrauche sie und kaufe neue, -- 's macht weniger Umstände und 's kommt mir am Ende billiger zu stehen,« sagte Simon, sein Glas schlürfend. »Und wie lange halten sie gewöhnlich aus?« fragte der Fremde. »Weiß nicht genau; 's hängt von der Constitution ab. Stämmige Bursche sechs oder sieben Jahre; schwache sind in zweien oder dreien fertig. Im Anfang hatt' ich schrecklich viel Umstände, weil ich sie erhalten wollte, -- und dokterte, wenn sie krank waren, und ihnen Kleidungsstücke und Decken gab, und 's ihnen bequem machen wollte. Jetzt aber, seht, treibe ich sie grade durch, krank oder gesund, und wenn ein Nigger todt ist, so kauf' ich 'nen andern, und 's ist viel bequemer und billiger, find' ich.« Der Fremde wendete sich ab und setzte sich neben einen Herrn nieder, welcher der ganzen Unterhaltung mit unterdrücktem Unwillen zugehört hatte. »Sie dürfen die südlichen Pflanzer nicht nach diesem Kerl beurtheilen,« sagte er. »Ich hoffe ^nicht^,« entgegnete der junge Mann mit Nachdruck. »Es ist ein niedriger, gemeiner, viehischer Kerl,« sagte der Andere. »Und dennoch erlauben ihm Ihre Gesetze, so viele menschliche Wesen seinem unbeschränkten Willen unterworfen zu halten, ohne daß diese auch nur einen Schatten von Schutz haben; und so gemein er ist, so müssen Sie dennoch zugestehen, daß es Viele seiner Art gibt.« »Mag sein,« entgegnete der Andere, »aber es gibt auch viele menschenfreundliche Männer unter den Pflanzern.« »Zugestanden,« sagte der junge Mann; »aber meiner Ansicht nach sind grade Ihre menschenfreundlichen Männer für alle Unmenschlichkeit verantwortlich, die von diesen Elenden verübt wird; denn ohne ihre Billigung und ihren Einfluß könnte sich das ganze System nicht eine Stunde halten. Wenn es keine anderen Pflanzer gäbe, als solche,« sagte er, mit dem Finger auf Legree deutend, welcher ihnen den Rücken zugewendet hatte, »so würde die ganze Sache wie ein Mühlstein zu Grunde gehen. Es ist grade Ihre Menschenfreundlichkeit, die diese Unmenschlichkeit beschützt.« »Sie müssen viel Vertrauen zu meiner Gutmüthigkeit haben,« sagte der Pflanzer lächelnd; »aber ich würde Ihnen doch rathen, nicht so laut zu sprechen, da sich hier viele Personen auf dem Boote befinden, die nicht ganz so tolerant sein dürften. Sie thun besser, zu warten, bis Sie auf meiner Plantage sind; dann mögen Sie uns Alle schmähen, so viel Sie wollen.« Der junge Mann erröthete und lächelte, und Beide waren bald darauf beim Puffspiele beschäftigt. Inzwischen fand am unteren Ende des Bootes eine andre Unterhaltung zwischen Emmelinen und der Mulattin Statt, mit der sie zusammengekettet war. Sie theilten sich, wie es natürlich war, Einzelnheiten ihrer Geschichte mit. »Wem gehörst Du?« fragte Emmeline. »Mein Herr war Mr. Ellis, in Leveestreet. Vielleicht hast Du das Haus gesehen.« »War er gut gegen Dich?« fragte Emmeline weiter. »Meistens, bis er krank wurde. Er lag länger als sechs Monate krank, und wurde schrecklich ungeduldig. Er wollte keinen Menschen Tag und Nacht ruhen lassen, und kein Mensch konnt' ihm 'was zu Dank thun. Jeden Tag wurd' er schlimmer, und hielt mich alle Nächte wach, bis ich ganz hin war und nicht mehr wachen konnte; und weil ich 'mal in einer Nacht einschlief, wurd' er so schrecklich gegen mich, und sagte, er wolle mich an den bösesten Herrn verkaufen, den er finden könnte! und doch versprach er mir meine Freiheit, als er starb.« »Hattest Du Angehörige?« fragte Emmeline. »Ja, einen Mann, -- er ist ein Hufschmied. Master verdung ihn gewöhnlich. Sie schleppten mich so schnell fort, daß ich ihn nicht 'mal mehr sehen konnte; und ich habe vier Kinder. O mein Gott!« sagte das Weib, und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Es ist ein natürliches Gefühl bei Jedem, der eine Schilderung des Elends hört, irgend ein Trostwort sagen zu wollen. Emmeline wollte auch etwas sagen, aber sie konnte sich auf nichts besinnen. Was sollte sie sagen? Wie aus Uebereinkommen vermieden Beide vor Furcht und Schrecken des entsetzlichen Mannes Erwähnung zu thun, der jetzt ihr Herr war. Wahr ist, daß es selbst in der trübsten Stunde einen religiösen Trost gibt. Die Mulattin war Mitglied einer methodistischen Kirche, und besaß zwar einen unaufgeklärten Geist, aber aufrichtige Frömmigkeit. Emmeline hatte eine bessere Bildung empfangen; sie hatte durch die Fürsorge einer frommen Mistreß lesen, schreiben und die Bibel verstehen gelernt; aber würde es nicht selbst den Glauben des besten Christen erschüttern, wenn er sich anscheinend so von Gott verlassen, und in den Klauen der rohesten Gewalt befände? Wie viel mehr mußte es den Glauben von Kindern erschüttern, die noch schwach in Erkenntniß, und zart an Jahren waren. Das Boot verfolgte seinen Lauf, -- beladen mit seiner kummerschweren Last, -- durch den röthlichen, trüben Strom, und durch die Windungen des rothen Flusses hinauf; und traurige, müde Augen ruhten auf den steilen, röthlichen Kalkufern, die in öder Einförmigkeit vorüber glitten. Endlich hielt das Boot vor einer kleinen Stadt an, und Legree schiffte sich mit seinem Trupp Sklaven aus. Zweiunddreißigstes Kapitel. Finstere Orte. Das Land ist allenthalben jämmerlich verheeret, und die Häuser zerrissen. Müde und matt sich hinter einem rohen Wagen herschleppend, einen rauhen Weg entlang, verfolgten Tom und seine Genossen ihre Reise. Im Wagen saß Simon Legree; und die beiden Frauenzimmer, noch immer zusammengefesselt, hatten mit verschiedenem Gepäcke ihren Platz im hinteren Theile desselben angewiesen erhalten. Auf diese Weise bewegte sich die ganze Gesellschaft der Plantage Legree's zu, welche noch in ziemlicher Entfernung lag. Es war eine wilde, öde Straße, die sich bald durch einsame Fichtenwaldungen wand, und bald über Knippeldämme, durch lange, mit Cypressen bewachsene Sümpfe hinlief, deren melancholische Bäume weite Kränze schwarzen Leichenmooses trugen, während hier und dort die widerliche Gestalt der Mokassin-Schlange zwischen Baumstämmen und abgebrochenen Zweigen sich hinschlängelte, welche faulend im Wasser lagen. Es ist eine solche Reise schon trostlos genug für den Fremden, wenn er mit wohlgefüllter Tasche und zuverlässigem Pferde den einsamen Weg in Geschäften verfolgen muß; aber noch viel schrecklicher und öder ist sie für den unglücklichen Sklaven, den jeder müde Schritt weiter und weiter von dem entfernt, was der Mensch liebt, und wonach er sich sehnt. So würde Derjenige gedacht haben, der den kummervollen Ausdruck jener dunklen Gesichter sah, die sinnende, geduldige Mattigkeit, mit der jene traurigen Augen an jedem Gegenstande hängen blieben, der ihnen auf ihrem trostlosen Wege begegnete. Simon setzte inzwischen in bester Laune, wie es schien, seine Reise fort, während er von Zeit zu Zeit einer Brandweinflasche zusprach, die er in seiner Tasche trug. »Ihr da, hört!« rief er, indem er sich umwandte und mit einem flüchtigen Blicke die muthlosen Gesichter hinter sich gewahrte. »Singt eins, Jungens! -- los!« Die Männer sahen sich gegenseitig an, und die Wiederholung des Wortes »los!« wurde mit einem kräftigen Knall der Peitsche begleitet, welche der Fuhrmann in der Hand trug. Tom begann eine methodistische Hymne zu singen: »Sei, Seele, stark und unverzagt! Wenn irgend Dich ein Kummer plagt, Befiehl Gott deine Sachen. In aller Pein --« »Halt Dein schwarzes Maul!« brüllte Legree. »Denkst Du, ich will 'was von Deinem verfluchten methodistischen Unsinn hören? Stimmt mir gleich 'was Lustiges an, -- schnell!« Einer der anderen Männer begann einen jener sinnlosen Gesänge, welche unter Sklaven üblich sind, und schien den Text selbst zu erdichten, ohne Rücksicht auf Sinn und Vernunft nur nach einem Reime haschend: »Master sah' mich 'nen Affen fangen, Jungens hoch, Jungens hoch! Er hätte sich vor Lachen bald aufgehangen, Ho, ho, ho, Jungens, ho!« wozu die ganze Gesellschaft den Chor sang: »Ho! ho! ho! Jungens, ho! Ho, he, ho! ho, he, ho!« Es wurde von Allen sehr laut, und mit einem erzwungenen Versuche zur Fröhlichkeit gesungen; aber nicht das flehendste Gebet um Hülfe, nicht die verzweiflungsvollste Klage hätte ein so tiefes Weh auszudrücken vermocht, wie in den wilden Klängen dieses Chores lag. Als wenn das arme, stumme Herz, bedroht und in Fesseln geschlagen, zu dem unartikulirten Heiligthume der Musik seine Zuflucht genommen, und darin die Sprache gefunden hätte, in der es sein Gebet zu Gott empor senden wollte! Es lag ein Gebet darin, aber Simon konnte es nicht hören. Er hörte nur den lauten, lärmenden Gesang der Sklaven, und war zufrieden damit; er hatte sie »lustig« gemacht. »Nun, meine liebe Kleine,« sagte er, sich zu Emmelinen wendend, und seine Hand auf ihre Schulter legend, »wir sind nun bald zu Hause.« Wenn Legree fluchte und stürmte, war Emmeline erschreckt; aber wenn er sie berührte, und mit ihr sprach, wie er jetzt that, so war es ihr, als wolle sie sich lieber von ihm mißhandeln lassen. Der Blick seiner Augen machte ihr Herz stocken, und ihre Haut schaudern. Unwillkürlich drängte sie sich dichter an die Seite der Mulattin, als wenn sie ihre Mutter wäre. »Du hast noch nie Ohrringe getragen,« sagte er, mit seinen groben Fingern ihre zarten Ohren anfassend. »Nein, Master!« entgegnete Emmeline zitternd und mit gesenkten Blicken. »Wohl, Du sollst ein Paar haben, wenn wir nach Hause kommen, wenn Du artig sein willst. Brauchst Dich nicht zu fürchten: Du sollst keine schwere Arbeit verrichten. Kannst gute Zeit bei mir haben, und wie eine Dame leben, -- wenn Du artig sein willst.« Legree hatte so viel getrunken, daß er sich geneigt fühlte, in diesem herablassenden Tone zu reden. Gleich darauf zeigten sich den Reisenden die Umzäunungen der Plantage. Die Besitzung hatte früher einem Manne gehört, der Reichthum und Geschmack besaß, und sehr viel für die Verschönerung der Anlagen gethan hatte. Da er insolvent starb, so kaufte sie Legree um einen billigen Preis, und benutzte sie, wie alles Andre in der Welt, lediglich als Werkzeug, Geld zu verdienen. Der Ort hatte ein ödes, verwildertes Ansehen, was sich immer dann zeigt, wenn die Sorgfalt eines früheren Besitzers dem gänzlichen Verfalle überlassen worden ist. Was einst ein glatt geschorener Rasenplatz vor dem Hause gewesen war, der hier und da verzierende Stauden getragen hatte, war jetzt mit dichtem, wilden Grase überwachsen, und zur Anlage von Pferdeständen benutzt, wo der Rasen zertreten, und der Boden mit zerbrochenen Eimern, Maishülsen und andern Fragmenten bedeckt war. Hier und da hing ein verwelkender Jasmin oder ein verkümmerndes Geißblatt von einer Säule herab, die früher als Verzierung gedient, aber jetzt eine schiefe Stellung angenommen hatte, weil sie als Pferdepfosten benutzt worden war. Was früher ein großer Garten gewesen, war jetzt mit Unkraut überwachsen, aus welchem hier und da noch eine einzelne Zierpflanze ihr einsames Haupt erhob. Ein ehemaliges Gewächshaus war jetzt ohne Fenster, und auf den modernden Blumenbrettern standen noch einige trockene, verlassene Blumentöpfe, deren verwelkte Stöcke und Blätter kaum erkennen ließen, daß sie einst Pflanzen gewesen waren. Der Wagen fuhr einen mit Unkraut bedeckten Kiesweg hinauf, durch eine schöne Allee von Chinabäumen, deren anmuthige Formen und immergrünender Blätterschmuck die einzigen Dinge hier zu sein schienen, die Vernachlässigung nicht verändern konnte, gleich edlen Geistern, die ihre Wurzeln so tief in den Boden des Guten geschlagen haben, daß sie selbst unter Entmuthigung und Verfall blühen und kräftiger werden. Das Wohnhaus war groß und schön gewesen, und war in dem im Süden gewöhnlichen Style erbaut. Eine zwei Stock hohe Veranda, deren unterer Theil von massiven Säulen getragen wurde, umgab dasselbe auf allen Seiten, und nach ihr öffneten sich alle äußeren Thüren des Hauses. Allein das ganze Gebäude sah öde und unbehaglich aus. Einige Fenster waren mit Brettern verschlossen, andere hatten zerbrochene Scheiben, und Laden, die nur noch an einer Angel hingen. Alles verrieth rohe Vernachlässigung und Unbehaglichkeit. Zerbrochene Bretter, Stroh, alte, eingefallene Fässer und Kisten bedeckten den Boden in allen Richtungen; und drei bis vier wild aussehende Hunde, die durch das Geräusch der Wagenräder erweckt worden waren, kamen angesprungen, und wurden nur mit großer Mühe von den ihnen folgenden, zerlumpten Dienstboten abgehalten, über Tom und seine Genossen herzufallen. »Da seht Ihr, was mit Euch geschehen würde!« sagte Legree zu Tom und seinen Gefährten, während er seine Hunde mit grimmiger Freude liebkoste. »Ihr seht, was mit Euch geschehen würde, wenn Ihr fortlaufen wolltet. Diese Hunde sind dressirt, Niggers aufzuspüren, und würden eben so gut einen von Euch zermalmen und verschlucken, wie sie ihr Abendbrod verzehren. Also nehmt Euch in Acht! -- Sieh' da, Sambo!« sagte er zu einem zerlumpten Kerl mit einem Hut ohne Krempe, der sehr geschäftig in seinen Aufmerksamkeiten um ihn war. »Wie sind die Sachen hier gegangen?« »Vortrefflich, Master.« »Quimbo,« sagte Legree zu einem Andern, der sich die möglichste Mühe gab, seine Aufmerksamkeit zu erregen, -- »Du hast das gethan, was ich Dir gesagt habe?« »Gewiß hab' ich's gethan.« Diese beiden farbigen Männer waren die obersten Arbeiter auf der Plantage. Legree hatte sie in Rohheit und Brutalität so systematisch erzogen und abgerichtet wie seine Bulldogs, und hatte durch lange Uebung in Härte und Grausamkeit ihre ganze Natur ziemlich auf denselben Stand von Fähigkeiten reducirt. Es ist eine gewöhnliche Erfahrung, die gegen den Charakter der Rasse stark zu sprechen scheint, daß nämlich der schwarze Aufseher immer tyrannischer und grausamer ist als der weiße. Es gilt dies aber von dieser Rasse nicht mehr als von jedem andern unterdrückten Geschlechte auf der ganzen Erde. Der Sklave ist stets ein Tyrann, sobald sich ihm Gelegenheit dazu darbietet. Legree, gleich andern Potentaten, von denen wir in der Geschichte lesen, beherrschte seine Plantage mit Hülfe einer gewissen Trennung der Kräfte. Sambo und Quimbo haßten sich gegenseitig von ganzem Herzen; die Plantagen-Arbeiter haßten beide eben so sehr; und indem er den Einen gegen den Andern anhetzte, war er dessen gewiß, von einem dieser drei Theile zu erfahren, was in der Plantage vorging. Niemand kann ganz ohne geselligen Verkehr leben, und Legree ermunterte deßhalb seine beiden schwarzen Satelliten zu einer Art roher Familiarität mit ihm, die jedoch zu jedem Augenblicke den Einen oder den Andern in eine mißliche Lage bringen konnte; denn bei der geringsten Veranlassung stand einer von ihnen stets bereit, auf einen gegebenen Wink seine Rache gegen den Andern auszuüben. Wie sie jetzt neben Legree standen, erschienen sie als eine passende Versinnlichung der Wahrheit, daß viehische Menschen selbst noch tiefer stehen als Thiere. Ihre rohen, dunklen, schweren Züge; ihre großen Augen, die neidisch einander betrachteten; ihre barbarische, thierähnliche Gutturalsprache; ihre zerrissenen Kleidungsstücke, die im Winde flatterten, standen in bewunderungswürdiger Harmonie mit dem gemeinen, ungesunden Charakter der ganzen Besitzung. »Hier, Sambo,« sagte Legree, »bringe diese Burschen nach den Quartieren; und hier ist ein Weib, das ich ^Dir^ mitgebracht habe,« sagte er, indem er die Mulattin von Emmelinen trennte, und sie ihm zustieß. »Du weißt, ich versprach Dir eins.« Die Frau erschrack, und sagte ängstlich, sich zurückziehend: »O Master, ich habe meinen alten Mann in New-Orleans gelassen.« »Was soll das heißen, Du --; brauchst Du hier keinen Mann? Keine Worte: -- fort mit Dir!« sagte Legree, während er die Peitsche aufhob. »Komm', Mistreß,« sagte er darauf zu Emmelinen gewendet, »Du gehst mit mir diesen Weg.« Ein dunkles, wildes Gesicht wurde einen Augenblick lang am Fenster des Hauses sichtbar, und als Legree die Thüre öffnete, sagte eine weibliche Stimme Etwas in schnellem und befehlendem Tone. Tom, der Emmelinen mit ängstlichem Interesse nachblickte, nahm dies wahr, und hörte Legree ärgerlich antworten: »Du hältst Deinen Mund! Ich werde thun, was mir gefällt, und mich um Dich nicht kümmern!« Tom hörte weiter nichts; denn er folgte Sambo gleich darauf nach den Quartieren. Diese bestanden in einer Reihe roh gezimmerter Schuppen, welche eine Art kleiner Straße bildeten, und in einem von dem Wohnhause weit entlegenen Theile der Plantage lagen. Tom's Herz sank, als er sie sah. Er hatte sich mit der Hoffnung auf eine Hütte getröstet, die er, wenn sie auch in rohem Zustande war, doch zu einer reinlichen, stillen Wohnung machen konnte, wo ein Plätzchen für seine Bibel war, und wo er sich nach beendigten Arbeitsstunden allein aufhalten durfte. Er sah in mehrere derselben hinein. Es waren nichts als rohe, leere Schalen, ohne jede Art von Hausgeräth, ausgenommen einem Haufen Stroh, der vor Schmutz in Fäulniß überging, und den Fußboden bedeckte, welcher nur aus dem natürlichen, von zahllosen Füßen festgetretenen Erdboden bestand. »Welches von diesen Behältnissen ist mein?« sagte er demüthig zu Sambo. »Weiß nicht; -- kannst hier hinein gehen, denk' ich,« entgegnete Sambo; »wird noch Platz drin sein für Einen; -- 's ist ein guter Haufe Niggers in jedem drin; -- weiß gar nicht, wo ich noch mit mehr hin soll.« * * * * * Es war spät Abends, als die müden Bewohner dieser Schuppen in Haufen nach Hause gezogen kamen, -- Männer und Weiber in zerlumpten Kleidern, finster und mürrisch, und in keiner Stimmung, neue Ankömmlinge freundlich zu empfangen. Das kleine Dorf wurde nun lebendig von wenig einladenden Tönen; rauhe Stimmen stritten sich um die Handmühlen, auf denen ihre kleine Quantität harten Kornes erst noch gemahlen werden mußte, um den Kornkuchen daraus bereiten zu können, aus dem ihr ganzes Abendbrod bestehen sollte. Von der ersten Morgendämmerung an waren sie auf dem Felde gewesen, und durch die unbarmherzige Peitsche der Aufseher zur Arbeit angetrieben worden; denn es war jetzt grade im höchsten Drange der Jahreszeit, und kein Mittel blieb unversucht, um die Fähigkeiten eines Jeden bis zur äußersten Spannung zu treiben. »Ja, aber,« sagt der nachlässige Zuschauer, »Baumwolle zupfen ist keine harte Arbeit.« Wirklich nicht? Es ist auch kein sehr schmerzhaftes Gefühl, sich einen Tropfen Wasser auf den Kopf fallen zu lassen; aber die schrecklichste Tortur der Inquisition bestand darin, Tropfen auf Tropfen einen Augenblick nach dem andern, in gleichmäßiger Einförmigkeit auf dieselbe Stelle fallen zu lassen; und Arbeit, die an sich nicht schwer ist, wird dadurch schwer, daß sie eine Stunde nach der andern mit derselben unveränderlichen, unerbittlichen Gleichförmigkeit, ohne freien Willen, dieselbe unterbrechen zu dürfen, fortgesetzt wird. Tom schaute sich unter dem Trupp der Sklaven, als er sich heran wälzte, vergeblich nach umgänglichen Gesichtern um. Er sah nur finstere, mürrische, viehische Männer, und schwarze, muthlose Weiber, oder solche, die keine Weiber mehr waren; die Stärkeren stießen die Schwachen bei Seite, und es zeigte sich ganz die rohe, ungebändigte, thierische Selbstsucht menschlicher Wesen, von denen nichts Gutes mehr erwartet und verlangt wurde, und die, behandelt wie das Vieh, dem Standpunkte desselben so nahe gekommen waren, wie es für menschliche Wesen überhaupt möglich war. Das Geräusch der Handmühlen wurde bis spät in die Nacht hinein gehört; denn die Anzahl derselben war im Verhältniß zur Zahl der Mahlenden nur gering, und die Müden und Schwachen wurden von den Starken zurück getrieben, und kamen zuletzt an die Reihe. »Hör Du!« rief Sambo, sich der Mulattin nähernd, und einen Sack mit Korn vor sie nieder werfend; »wie heißt Du?« »Lucy,« entgegnete die Frau. »Na denn, Lucy, -- bist jetzt meine Frau. Hier, mahle das Korn, und mache ^mein^ Abendbrod zurecht, -- hörst Du?« »Ich bin Deine Frau nicht, und will es nicht sein!« rief das Weib mit dem plötzlichen Muthe der Verzweiflung; -- »laß mich zufrieden!« »Ich werde Dir 'nen Tritt geben!« sagte Sambo, drohend seinen Fuß aufhebend. »Du magst mich umbringen, wenn Du willst, -- je eher, je besser! Wünschte mir, ich wäre schon todt!« sagte sie. »Höre, Sambo -- Du willst die Arbeiter mißhandeln, ich werd's Master sagen,« rief Quimbo, welcher mit der Handmühle beschäftigt war, von der er zwei oder drei ermüdete Weiber zurückgedrängt hatte, die lange darauf gewartet hatten, um ihr Korn zu mahlen. »Und ich werde ihm erzählen, daß Du die Weiber nicht an die Mühle lassen willst, Du alter Nigger!« sagte Sambo. »Du bekümmere Dich um Deine eigene Sachen.« Tom war bei seiner Tagesarbeit hungrig geworden, und beinahe ohnmächtig vor Mangel an Nahrung. »Da, Du!« sagte Quimbo, einen groben Sack, welcher eine Metze Korn enthielt, vor ihn niederwerfend; -- »da, Nigger, Futter, sieh' Dich mit vor, -- bekömmst weiter nichts ^diese^ Woche.« Tom wartete bis zu einer späten Stunde, um einen Platz an der Mühle zu erlangen; und dann, Mitleid mit zwei todtmüden Frauen empfindend, die er sich abmühen sah, ihr Korn zu mahlen, that er es für sie, und legte die verglimmenden Feuerbrände zusammen, an denen Viele ihre Kuchen vorher gebacken hatten, und schritt dann endlich dazu, sein eignes Abendbrod zu bereiten. Dieses Werk der Liebe, so geringfügig es war, erweckte eine antwortende Regung im Herzen der Frauen, und ein Ausdruck weiblichen Gefühls kam über ihre harten Züge. Sie mengten den Kuchen für ihn, und buken ihn; und er setzte sich dann beim Scheine des Feuers nieder und suchte seine Bibel hervor, -- denn er bedurfte Trost. »Was ist das?« sagte eine der Frauen. »Eine Bibel,« entgegnete Tom. »Guter Gott! habe keine gesehen seit ich in Kentucky war.« »Bist Du in Kentucky aufgebracht worden?« fragte Tom mit Interesse. »Ja, und gut aufgebracht; -- hätte nimmer gedacht, daß ich hierher kommen würde!« entgegnete die Frau seufzend. »Was für 'ne Art Buch ist das?« fragte die andere Frau. »Nun, 'ne Bibel.« »Wie? was ist das?« fragte jene wieder. »Sprich doch! -- Du hast nie davon gehört? Ich hörte Missis oft drin lesen, in Kentucky, aber hier -- o Herr! hier hört man nichts als peitschen und fluchen.« »Lies doch ein Stück, -- eins!« sagte die erste Frau neugierig zu Tom, den sie eifrig darin studiren sah. Tom las: -- »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.« »Sind gute Worte,« sagte die Frau, »wer sagt sie denn?« »Der Herr,« entgegnete Tom. »Ich möchte nur wissen, wo ich ihn finden könnte,« fuhr die Frau fort; -- »ich würde zu ihm gehen. 's ist grade als sollt' ich gar keine Ruhe mehr haben. Mein Fleisch ist wund und ich zittere jeden Tag von Morgen bis Abend, denn Sambo schimpft immerzu auf mich los, daß ich nicht schnell genug zupfe; und Abends wird's fast immer Mitternacht, ehe ich mein Essen bekomme; und dann, kaum habe ich mich hingelegt und meine Augen geschlossen, so bläst das Horn schon wieder zum Aufstehn, und dann geht 's wieder los. Wenn ich nur wüßte, wo der Herr wäre, -- ich wollt 's ihm sagen.« »Er ist hier, er ist überall,« sagte Tom. »Ach, geh' weg, Du wirst mir das nicht einreden! Ich weiß, der Herr ist nicht hier,« sagte die Frau; »'s nützt nichts, das Reden. Will mich hinlegen und schlafen, so lange ich kann.« Die Weiber gingen fort nach ihren Hütten, und Tom saß allein beim verglimmenden Feuer, welches seinen röthlichen Schein über sein Gesicht warf. Der freundliche silberne Mond stieg auf am Nachthimmel, und still und schweigend, wie Gott auf die Scenen des Elends und der Unterdrückung herabschaut, blickt er nieder auf den einsamen schwarzen Menschen, der mit untergeschlagenen Armen seine Bibel auf dem Knie haltend, dort saß. »Ist Gott hier?« O wie ist es für das ungelehrte Herz möglich, seinen Glauben ohne Wanken im Angesichte und unter dem Drucke gräßlicher, unverkennbarer Ungerechtigkeiten zu bewahren! In jenem schlichten Herzen kämpfte ein wilder Kampf; das zerschmetternde Gefühl des erlittenen Unrechts, die Ahnung eines ganzen übrigen Lebens voll Elend, die Trümmer aller früheren Hoffnungen, die vor der Seele traurig auf- und niedertauchten, wie die Leichname von Weib, Kind und Freunden aus der schwarzen Welle hervor noch einmal den Blicken des schon versinkenden Seemannes erscheinen! War es ^hier^ leicht zu glauben, und festzuhalten an der großen Parole des christlichen Glaubens, »daß er sei, und denen die er suche, ein Vergelter sein werde!« Tom erhob sich trostlos und stolperte in die Hütte, die ihm angewiesen worden war. Der Fußboden war bereits mit müden Schläfern bedeckt, und die schlechte Luft des Behältnisses schreckte Tom beinahe zurück; aber der schwere Nachtthau war kalt, und seine Glieder waren müde; und indem er sich deßhalb in eine zerrissene Decke wickelte, welche sein einziges Bettzeug ausmachte, streckte er sich auf das Stroh und entschlief. Eine sanfte Stimme schlug im Traume an sein Ohr. Er saß auf dem Moossitze im Garten am See Pontchartrain, und Eva, mit ihren ernsten Augen niederblickend, las ihm die Bibel vor, und er hörte sie lesen: »Denn so Du durchs Wasser gehest, will Ich bei Dir sein, daß Dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so Du in's Feuer gehst, sollst Du nicht brennen und die Flamme soll Dich nicht anzünden. Denn Ich bin der Herr, Dein Gott, der Heilige in Israel, Dein Heiland.« Allmählig schienen die Worte sich in himmlische Musik aufzulösen und zu verhallen; das Kind schlug seine tiefen Augen auf und richtete sie liebevoll auf ihn, und wärmende, tröstende Strahlen fielen auf sein Herz; und wie getragen von den heiligen Tönen, schien sie sich auf glänzenden Flügeln zu erheben, von denen goldene Funken und Flocken gleich Sternen herabfielen, und sie war verschwunden. Tom erwachte. War es ein Traum? Es möge dafür gelten; aber wer will behaupten, daß es jenem sanften, jugendlichen Geiste, der im Leben stets bemüht war, die Unglücklichen zu trösten und zu beruhigen, von Gott verwehrt worden sei, dieses Amt auch nach dem Tode zu verrichten? Dreiunddreißigstes Kapitel. Cassy. Und siehe, da waren Thränen derer, so Unrecht litten, und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht thaten, waren zu mächtig, daß sie keine Tröster haben konnten. Es erforderte nur kurze Zeit, um Tom mit Allem bekannt zu machen, was er auf seinem neuen Lebenswege zu hoffen und zu fürchten hatte. Er war ein erfahrener, geschickter Arbeiter in jeder Beschäftigung, die er unternahm, und aus Princip und Gewohnheit pünktlich und getreu. Ruhig und friedfertig von Natur, hoffte er durch unausgesetzten Fleiß wenigstens theilweise die in seiner Lage ihm drohenden Uebel abzuwenden. Er sah genug Mißhandlung und Elend, um ihn krank und lebensmüde zu machen; aber er beschloß angestrengt fortzuarbeiten, und mit frommer Geduld auf Den zu vertrauen, der gerecht richtet, nicht ohne Hoffnung, daß sich doch vielleicht ein Weg der Rettung öffnen könne. Legree beachtete im Stillen Toms Brauchbarkeit wohl. Er hielt ihn für einen vorzüglichen Arbeiter, und dennoch empfand er einen gewissen Widerwillen gegen ihn, -- die natürliche Antipathie des Schlechten gegen das Gute. Er sah deutlich, daß wenn, was oft der Fall war, seine Rohheit und Gewaltthätigkeit auf die Hülflosen fiel, Tom dies jedesmal beachtete; denn so fein ist die Atmosphäre der Gedanken, daß sie sich selbst ohne Worte fühlbar macht, und selbst die Gedanken eines Sklaven können einen Herrn verletzen. Tom verrieth in mannigfachen Beziehungen eine Zartheit des Gefühls, und ein Mitleid für seine Leidensgenossen, welches diesen durchaus neu war, und von Legree mit eifersüchtigen Augen beobachtet wurde. Er hatte Tom in der Absicht gekauft, ihn zu einer Art Aufseher zu machen, dem er, während Abwesenheiten von kurzer Dauer, seine Geschäfte übertragen könne, und nach seiner Ansicht war das erste, zweite und dritte Erforderniß zu einer solchen Stellung -- ^Härte^. Da nun Tom für diesen Zweck nicht hart genug war, so nahm sich Legree vor, ihn abzuhärten; und als Tom einige Wochen dort gewesen war, beschloß er diesen Prozeß zu beginnen. Eines Morgens, als die Arbeiter für die Feldarbeit gemustert wurden, bemerkte Tom mit Erstaunen einen neuen Ankömmling unter ihnen, dessen Erscheinung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, von großem, schlanken Wuchse, mit außerordentlich zarten Händen und Füßen, die reinlich und anständig gekleidet war. Ihrem Gesichte nach zu urtheilen, konnte sie zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahr alt sein; und es war dies ein Gesicht, das, einmal gesehen, sich nie wieder vergessen ließ, -- eins derjenigen, die uns auf den ersten Blick eine wilde, schmerzvolle, romantische Lebensgeschichte ahnen lassen. Ihre Stirn war hoch, und ihre Augenbrauen waren fein und schön gezogen. Ihre griechische Nase, ihr fein geschnittener Mund und die reizenden Umrisse ihres Kopfes und Nackens zeigten, daß sie einst sehr schön gewesen sein müsse; aber ihr Gesicht trug tiefe Furchen von Schmerz und stolzen und bitteren Leidens. Ihre Gesichtsfarbe war bleich und ungesund, ihre Wangen waren eingefallen, ihre Züge scharf, und ihre ganze Gestalt abgezehrt. Aber ihr Auge war der merkwürdigste Theil ihrer ganzen Erscheinung, -- so groß, so tiefschwarz, beschattet von langen und eben so schwarzen Wimpern, und dem Ausdrucke wilder Verzweiflung. In jeder Linie ihres Gesichts, in jeder Biegung ihrer Lippen, in jeder Bewegung ihres Körpers lagen Stolz und wilder Trotz; aber in ihrem Auge lag eine stille, tiefe Nacht von Angst, die in schrecklichem Gegensatze zu dem Stolze und Trotze stand, welcher aus ihrem ganzen Wesen sprach. Woher sie kam, und wer sie war, wußte Tom nicht. Seine erste Wahrnehmung von ihr bestand darin, daß er sie stolz und grade an seiner Seite durch die erste Morgendämmerung schreiten sah. Den Uebrigen schien sie jedoch bekannt zu sein; denn Aller Köpfe wendeten sich nach ihr um, und blickten nach ihr hin, und eine unterdrückte, aber unverkennbare Freude sprach sich unter den elenden, zerlumpten, halb verhungerten Wesen aus, von denen sie umgeben war. »Endlich doch gekommen? -- freue mich!« sagte Einer. »Ha! ha! ha!« sagte ein Anderer, »sollst sehen, wie gut es ist, Missis!« »Wollen sie nun 'mal arbeiten sehen!« »Soll mich wundern, ob sie heut Abend 'mal eine Tracht Prügel bekömmt, wie wir anderen!« »Sollte mich freuen, wenn sie auch 'mal die Peitsche kriegte, -- meiner Seel!« sagte wieder ein Anderer. Die Frau nahm keine Notiz von allen diesen Spöttereien, sondern schritt mit dem Ausdruck kalter Verachtung weiter, als höre sie nichts. Tom hatte von jeher unter gebildeten Leuten gelebt, und erkannte an ihrem Wesen und ihrer ganzen Haltung, daß sie dieser Klasse angehöre; aber wie oder weßhalb sie in diese entehrende Verhältnisse gesunken sei, konnte er sich nicht erklären. Die Frau sah ihn weder an, noch sprach sie mit ihm, obgleich sie während des ganzen Weges nach dem Felde an seiner Seite blieb. Tom war bald darauf mit seiner Arbeit beschäftigt, allein, da die Frau sich nur in geringer Entfernung von ihm befand, so warf er öfters einen Blick nach ihr hinüber, während sie bei ihrer Arbeit saß. Er erkannte sogleich, daß ihr vermöge einer natürlichen Gewandtheit und Geschicklichkeit die Arbeit viel leichter wurde als vielen Andern. Sie zupfte sehr schnell und sehr reinlich, und mit einer Miene, als wenn sie sowohl die Arbeit wie die Schande und Demüthigung der Verhältnisse verachte, in denen sie sich befand. Im Laufe des Tages arbeitete Tom auch in der Nähe der Mulattin, die zugleich mit ihm gekauft worden war. Sie befand sich augenscheinlich in einem sehr leidenden Zustande, und Tom hörte sie öfters beten, während sie zitterte und schwankte, und nahe daran zu sein schien, umzusinken. Indem er sich deßhalb ihr schweigend nahte, that er einige Handvoll Baumwolle aus seinem Sacke in den ihrigen. »O thue das nicht, thue das nicht!« sagte die Frau, ihn erstaunt anblickend, »es wird Dir Schaden bringen.« In demselben Augenblicke kam Sambo heran. Er schien einen besondern Groll gegen dieses Weib zu haben; und während er deßhalb seine Peitsche schwang, rief er mit seinen rohen Kehllauten: »Was ist das hier? Luce, -- Betrügereien?« stieß das Weib mit seinem schweren Schuh in die Seite, und hieb Tom mit der Peitsche über das Gesicht. Tom fuhr schweigend mit seiner Arbeit fort, aber die Frau, vorher schon gänzlicher Erschöpfung nahe, fiel in Ohnmacht. »Ich will sie wieder zu sich bringen!« sagte der Treiber mit viehischem Lachen. »Will ihr noch 'was Besseres geben als Kampher!« und indem er sodann eine Stecknadel von seinem Aermel zog, stieß er diese bis an den Knopf in ihr Fleisch hinein. Das Weib stöhnte, und erhob sich halb. »Steh' auf, Du Biest, und arbeite, willst Du?« rief Sambo, »oder ich will Dir noch was anderes zeigen.« Auf diese Weise zu einer unnatürlichen Kraft für einige Augenblicke angetrieben, arbeitete die Frau mit verzweifeltem Eifer weiter. »Sieh' Dich vor, daß Du so fortfährst,« sagte der Mann, »oder Du sollst wünschen, daß Du heut Abend noch todt wärst, -- glaubs mir!« »Das wünsch' ich jetzt schon!« hörte Tom sie sagen, und gleich darauf: »O Gott, wie lange noch! O Gott, warum hilfst Du uns nicht?« Auf die Gefahr jedes möglichen Uebels hin näherte sich ihr Tom abermals, und that alle seine Baumwolle in den Sack der Frau. »O Du mußt nicht! Du weißt nicht, was sie mit Dir machen werden!« sagte die Frau. »Ich kann's tragen!« sagte Tom, »eher als Du.« während er sich auf seinen Platz zurück begab. Es war das Werk eines Augenblicks. Plötzlich schlug die fremde Frau, die wir geschildert haben, und die im Laufe der Arbeit nahe genug an Tom heran gerückt war, um seine Worte hören zu können, ihre tiefen, schwarzen Augen auf, richtete sie auf Tom eine Sekunde lang, und nahm aus ihrem Korbe eine Quantität Baumwolle, und that sie in den seinigen. »Du kennst diesen Ort nicht,« sagte sie, »sonst würdest Du das nicht gethan haben. Wenn Du erst einen Monat hier gewesen bist, wirst Du Niemanden mehr helfen wollen, -- wirst es schwer genug finden, für Deine eigene Haut zu sorgen.« »Gott bewahre, Missis!« rief Tom, während er sich unwillkührlich gegen seine Mitarbeiterin auf dem Felde der Höflichkeitsform bediente, welche nur gegen die Personen höheren Standes üblich war, bei denen er gelebt hatte. »Gott ist nie an diesen Orten,« entgegnete die Frau, während sie gewandt mit ihrer Arbeit fortfuhr, und das verächtliche Lächeln wieder um ihre Lippen spielte. Allein die Handlung der Frau war von dem Treiber in einiger Entfernung wahrgenommen worden, und mit geschwungener Peitsche kam er deßhalb auf sie zu. »Was? was?« rief er ihr mit triumphirender Miene zu, »^Du^ -- betrügen? bist jetzt unter mir, -- nimm' Dich in Acht, oder Du sollst es kriegen.« Ein Glanz wie Wetterleuchten fuhr plötzlich aus ihren schwarzen Augen, und sich mit bebenden Lippen umwendend, schoß sie einen wüthenden Blick auf den Treiber. »Hund!« rief sie, »berühre mich, wenn Du es wagst! Noch habe ich Macht genug, um Dich von den Hunden zerreißen, lebendig verbrennen, oder in Stücke zerschneiden zu lassen. Es kostet mich nur ein Wort!« »Wozu bist Du denn hier, zum Teufel?« sagte der Mann, augenscheinlich eingeschüchtert, sich einige Schritte zurückziehend. »Meinte nichts Böses, Misse Cassy!« »So entferne Dich von mir!« sagte die Frau. Und in der That schien der Mensch sehr geneigt, sich am andern Ende des Feldes ein Geschäft zu suchen, denn er zog sich sofort in möglichster Eile zurück. Plötzlich wandte sich die Frau wieder zu ihrem Geschäfte, und arbeitete mit einer Schnelligkeit, die Tom wirklich wunderbar erschien. Es war, als wenn sie mit Zauberkräften arbeitete. Ehe der Tag zu Ende war, hatte sich ihr Korb gefüllt, fast niedergepreßt, und hoch aufgehäuft, und dessen ungeachtet hatte sie mehrmals bedeutende Quantitäten in Tom's Korb gelegt. Lange nachdem die Abenddämmerung vorüber war, zog der ganze, ermüdete Haufe, mit den Körben auf den Köpfen, dem Gebäude zu, wo das Abwägen und Aufschichten der Baumwolle Statt fand. Legree befand sich dort, in angelegentlicher Unterhaltung mit seinen beiden Treibern. »Der Tom fängt an, schreckliche Unruhe zu machen; -- hat immerfort in Lucy's Korb gepackt. So Einer wird bald alle die Niggers aufsäßig und unzufrieden machen, wenn Master ihm nicht aufpaßt!« sagte Sambo. »Heisa! Der schwarze Schlingel!« sagte Legree. »Wird 'ne Dressur nöthig haben, -- nicht wahr, Jungens?« Beide Neger grinsten bei dieser Mittheilung auf entsetzliche Weise. »Master Legree wird ihn schon dressiren, -- das kann der Teufel selbst nicht besser, als Master!« sagte Quimbo. »Ich denke, Jungens, das beste Mittel ist, daß er's Auspeitschen besorgt, bis er seine Begriffe los wird,« sagte Legree. »O Herr! Master wird schwere Arbeit haben, bis er die aus ihm heraus bringt!« bemerkte Sambo. »Heraus müssen sie doch!« entgegnete Legree, während er seinen Taback im Munde umher wälzte. »Nun, da ist Lucy, -- das ärgerlichste, häßlichste Mensch auf der ganzen Plantage!« fuhr Sambo fort. »Nimm Dich in Acht, Sam,« sagte Legree, -- »werd's am Ende ausfinden, warum Du solchen Groll gegen Lucy hast.« »Ja, Master weiß, sie hat sich Master widersetzt, und hat mich nicht haben wollen, als ich's ihr sagte.« »Ich wollt's ihr schon einprügeln,« sagte Legree speiend, »aber 's gibt jetzt so viel Arbeit, und 's ist nicht erst der Mühe werth, sie gerade jetzt unter zu bringen. Sie ist nur schmächtig; aber diese Schmächtigen lassen sich halb umbringen, um ihren Willen zu behalten!« »Ja, aber Lucy war faul und eigensinnig, und wollte nichts thun, -- und Tom hat die Arbeit für sie gethan.« »Tom, -- wirklich? Na, dann soll Tom das Vergnügen haben, sie auszupeitschen. 'S wird 'ne gute Uebung für ihn sein, und er wird's ihr nicht so geben, wie Ihr, Teufels!« »Ho! ho! ho!« lachten die beiden schwarzen Schufte, und ihre diabolischen Laute schienen in der That kein unpassender Ausdruck des teuflischen Charakters zu sein, welchen Legree ihnen zuschrieb. »Ja, aber, Master, Tom und Misse Cassy haben beide Lucy's Korb gefüllt. Kann mir's Gewicht schon denken, Master.« »^Ich will das Abwägen besorgen!^« sagte Legree mit Nachdruck. Beide Treiber ließen von Neuem ihr teuflisches Lachen hören. »So?« fügte Legree hinzu, »Misse Cassy hat ihr Tagewerk gethan?« »Sie zupft wie der Teufel, und alle seine Engel!« »Sie hat sie, glaub' ich, alle in sich!« sagte Legree, und ging, während er einen rohen Fluch brummte, nach dem Wägezimmer. * * * * * Langsam schleppten sich die müden, muthlosen Geschöpfe in dasselbe, und boten furchtsam und kriechend ihre Körbe zum Wägen dar. Legree vermerkte den Betrag eines jeden auf einer Schiefertafel, auf deren Seite sich ein Namensverzeichniß Aller befand. Tom's Korb wurde gewogen und richtig befunden, worauf er mit ängstlichem Blicke den Erfolg der armen Frau beobachtete, die er in seine Freundschaft gezogen hatte. Wankend vor Mattigkeit, trat sie vor und übergab ihren Korb. Er hatte volles Gewicht, wie Legree wohl bemerkte; aber sich zornig stellend, sagte er: »Was, Du faules Thier, wieder zu wenig? tritt auf die Seite, -- sollst es kriegen, -- gleich!« Das Weib ließ ein Stöhnen der äußersten Verzweiflung hören, und setzte sich auf eine Bank nieder. Dann trat die Person, welche Misse Cassy genannt worden war, hervor, und überlieferte ihren Korb mit einer stolzen, nachlässigen Miene, während Legree sie mit einem höhnischen, fragenden Blicke beobachtete. Sie richtete ihre schwarzen Augen fest auf ihn, ihre Lippen bewegten sich leicht, und sie sagte etwas in französischer Sprache zu ihm. Was es war, verstand Niemand; aber Legree's Gesicht nahm bei diesen Worten einen dämonischen Ausdruck an, und er hob seine Hand auf wie zum Schlagen, -- eine Bewegung, die sie mit stolzer Verachtung ansah, während sie sich abwandte und fortging. »Und nun,« sagte Legree, »komme Du her, Tom. Siehst Du, ich sagte Dir vorher, daß ich Dich nicht für gemeine Arbeit gekauft hätte. Ich will Dich erhöhen, und 'nen Aufseher aus Dir machen, und so kannst Du heut Abend gleich anfangen, und Deine Hand dazu thun. Also nimm' hier das Weib, und peitsche sie aus; hast schon genug davon gesehen, um zu wissen, wie Du's machst.« »Ich bitte Master um Verzeihung,« sagte Tom, -- »hoffe, Master wird das nicht von mir verlangen. Bin nicht daran gewöhnt, -- hab's nie gethan, -- und kann's nicht thun, -- ganz unmöglich.« »Wirst noch Manches lernen müssen, was Du nie gewußt hast, eh' ich mit Dir fertig bin!« sagte Legree, während er die Peitsche aufhob, und Tom einen schweren Hieb über die Backe versetzte, und dann einen Schauer von Hieben nachfolgen ließ. »Da!« sagte er, als er inne hielt, um auszuruhen, -- »willst Du mir nun noch sagen, Du kannst nicht?« »Ja, Master,« entgegnete Tom, während er seine Hand aufhob, um das Blut abzuwischen, welches ihm vom Gesichte herabträufelte. »Ich bin bereit, Tag und Nacht, so lange Leben und Athem in mir ist, zu arbeiten; aber das halt' ich nicht für recht zu thun, -- und, Master, ich werde 's ^nimmer^ thun, -- ^nimmer^!« Tom hatte eine außerordentlich sanfte, weiche Stimme, und beobachtete stets, gewohnheitsgemäß, ein ehrerbietiges Benehmen, was Legree zu dem Glauben veranlaßt hatte, daß er furchtsam und leicht zu unterwerfen sei. Als er diese letzten Worte sprach, überlief Alle ein Schreckensschauer; das arme Weib schlug seine Hände zusammen, und rief: »o Herr!« und alle Anwesenden blickten sich unwillkürlich gegenseitig an, und hielten den Athem an, wie um sich auf den Sturm vorzubereiten, der jetzt folgen müsse. Legree stand starr vor Verwunderung und ganz verwirrt da; endlich aber brach er los: »Was! Du verdammtes schwarzes Biest! Du willst mir sagen, Du hältst es nicht für recht zu thun, was ich Dir heiße? Was hat eins von Euch verfluchten Stücken Vieh nöthig, dran zu denken, was recht ist. Wart', ich will dem Dinge ein Ende machen! Was meinst Du denn, daß Du bist? Glaubst wohl, Du bist ein Herr, Mister Tom, der seinem Master sagen will, was recht ist, und was nicht! Bist also der Meinung, daß es unrecht sei, das Weib zu peitschen?« »Ich denke so, Master,« sagte Tom; »das arme Geschöpf ist krank und schwach; 's würde ganz grausam sein, und ich kann 's nimmer thun. Master, wenn Sie mich umbringen wollen, thun Sie's; aber meine Hand werd' ich niemals gegen irgend Einen hier aufheben, -- lieber will ich sterben!« Tom sprach mit sanfter Stimme, aber mit einer Bestimmtheit, die sich nicht verkennen ließ. Legree bebte vor Zorn; seine grünlichen Augen funkelten wild, und selbst sein Bart fing sich vor Leidenschaft an zu kräuseln; aber, gleich einem wilden Thiere, das mit seinem Opfer spielt, ehe es dasselbe verzehrt, hielt er seinen heftigen, inneren Drang zur augenblicklichen Gewaltthätigkeit zurück, und brach in bittere Spöttereien aus. »Sieh' da, hier ist endlich ein frommer Kerl unter uns Sünder gefallen! -- ein Heiliger, ein Gentleman, nichts weniger, um uns Sündern unsere Sünden vorzuhalten! Muß 'ne mächtig fromme Kreatur sein! -- Hier, Du Schlingel, der Du so fromm sein willst, hast Du nie in der Bibel gelesen: »Ihr Knechte, seid unterthan Eurem leiblichen Herrn!« Bin ich nicht Dein Herr? Hab' ich nicht zwölfhundert Dollar baar Geld bezahlt für Alles, was in Deiner alten, verfluchten schwarzen Schale steckt? Bist Du nicht mein jetzt mit Leib und Seele?« rief er, Tom einen heftigen Stoß mit seinem schweren Stiefel versetzend, -- »sage mir!« Selbst in diesem heftigen physischen Leiden, und obgleich niedergebeugt von roher Gewalt, schoß dennoch bei dieser Frage ein Strahl von Freude und Triumph durch Toms Seele. Er richtete sich plötzlich auf, und inbrünstig zum Himmel blickend, während Thränen und Blut sich auf seiner Wange mischten, rief er: »Nein! nein! nein! meine Seele gehört Ihnen nicht, Master! Sie haben sie nicht gekauft, -- Sie können sie nicht kaufen! ^Die^ ist gekauft und bezahlt worden von Einem, der fähig ist, sie zu bewahren; -- thut nichts, thut nichts, Sie können mir kein Leid zufügen!« »Ich kann nicht?« sagte Legree mit höhnischem Lächeln; »wollen seh'n! -- wollen seh'n! Hier, Sambo, Quimbo, gebt diesem Hunde 'ne solche Dressur, daß er für diesen Monat genug hat!« Die beiden gigantischen Neger, welche mit teuflischer Freude in ihren Gesichtern sich jetzt Toms bemächtigten, wären nicht ungeeignet gewesen, die Mächte der Finsterniß persönlich darzustellen. Die arme Frau schrie laut auf vor Schrecken, und Alle, wie von demselben Impulse getrieben, erhoben sich, während Tom, ohne Widerstand zu leisten, hinausgeschleppt wurde. Vierunddreißigstes Kapitel. Die Geschichte der Quadroon. Da lobte ich die Todten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das Leben hatten. Es war Nacht, und Tom lag allein, stöhnend und blutend in einem alten, verlassenen Zimmer des Gin-Hauses zwischen Stücken zerbrochenen Maschinenwerks, Haufen verdorbener Baumwolle und anderem Unrath, der hier aufbewahrt wurde. Die Nacht war feucht und warm, und die dicke Atmosphäre war angefüllt von Myriaden Moskitos, welche die Qualen seiner Wunden vermehrten, während ein brennender Durst, -- die größte aller Torturen, -- das höchste Maaß physischer Leiden füllte. »O guter Gott! Sieh' herab, -- verleihe mir den Sieg, -- den Sieg über Alles!« betete der arme Tom in seiner Todesangst. Ein menschlicher Fußtritt wurde plötzlich im Zimmer gehört, und das Licht einer Laterne fiel auf seine Augen. »Wer ist da? O um des Herrn willen, reicht mir ein wenig Wasser!« Die Frau Cassy -- denn sie war es -- setzte die Laterne nieder, goß Wasser aus einer Flasche, erhob seinen Kopf, und gab ihm zu trinken. Noch einen Becher, und noch einen leerte er in seinem fieberischen Durste. »Trink so viel Du willst,« sagte sie, »ich wußte schon, wie es sein würde! 's ist nicht das erste Mal, daß ich in der Nacht ausgegangen bin, um solchen Leuten, wie Du jetzt bist, Wasser zu bringen.« »Dank' Euch, Missis,« sagte Tom, nachdem er getrunken hatte. »Nenne mich nicht Missis! Ich bin eine elende Sklavin, gleich Dir, -- eine niedrigere, als Du je werden kannst!« sagte sie in bitterem Tone; »aber nun,« fügte sie hinzu, an die Thür gehend, und einen kleinen Strohsack hereinziehend, über welchen sie leinene, in kaltes Wasser getauchte Tücher gelegt hatte, »versuche es, mein armer Bursche, Dich auf diesen Sack zu rollen.« Steif von Wunden und Quetschungen brauchte Tom lange Zeit, ehe er diese Bewegung vollbrachte; dann aber empfand er eine merkliche Erleichterung durch die kühlenden Umschläge auf seinen Wunden. Die Frau, welche durch eine lange Praxis an den Opfern der Rohheit manche heilende Künste erlernt hatte, legte mehrfache Verbände auf Toms Wunden, welche ihm Linderung seiner Schmerzen bereiteten. »Nun,« sagte die Frau, nachdem sie ihm noch eine Rolle schadhafter Baumwolle als Kissen untergelegt hatte, »das ist Alles, was ich für Dich thun kann.« Tom dankte ihr, und die Frau setzte sich auf den Boden nieder, zog ihre Kniee an, und diese mit den Armen umfassend, blickte sie mit einem bitteren, schmerzlichen Ausdrucke ihres Gesichts starr vor sich hin. Ihr Hut fiel zurück, und langes, üppiges, schwarzes Haar strömte um ihr sonderbares, melancholisches Gesicht. »Es ist vergeblich, mein armer Mensch!« begann sie endlich, »Es ist vergeblich, was Du zu thun versucht hast. Warst ein braver Bursche, -- und hattest das Recht auf Deiner Seite; aber 's hilft Dir alles nichts, dagegen zu kämpfen. Du bist in des Teufels Händen; -- er ist der Stärkere, und Du mußt nachgeben!« »Nachgeben!« und hatten nicht menschliche Schwäche und physischer Schmerz ihm das schon zuvor in's Ohr geflüstert? Tom erschrak; denn das bittere Weib mit den wilden Augen und der melancholischen Stimme erschien ihm als die verkörperte Versuchung, gegen die er gekämpft hatte. »O Herr! o Herr!« stöhnte er, »wie kann ich nachgeben?« »Es hilft nichts, den Herrn anrufen, -- er hört es nie,« sagte die Frau mit ruhiger, fester Stimme. »Ich glaube, es gibt keinen Gott; oder, wenn es einen gibt, so hat er gegen uns Partei genommen. Alles ist gegen uns, Himmel und Erde; Alles hilft dazu, uns in die Hölle zu stoßen; -- warum sollten wir nicht gehen?« Tom schloß seine Augen, und schauderte vor den finsteren, atheistischen Worten. »Siehst Du,« fuhr die Frau fort, »Du verstehst davon nichts, -- aber ich. Ich bin hier fünf Jahre gewesen, mit Leib und Seele unter dieses Mannes Fuß, und hasse ihn wie den Teufel! Du bist hier auf einer einsamen Pflanzung, zehn Meilen von jeder andern entfernt, in den Sümpfen; und keine weiße Person ist hier, die Zeugniß ablegen könnte, wenn Du auch lebendig verbrannt, oder geschunden, in Stücke gehauen, den Hunden vorgeworfen, oder aufgehängt und zu Tode gepeitscht würdest. Es gibt kein göttliches und kein menschliches Gesetz hier, das Dir von Nutzen sein könnte, und dieser Mann! -- es gibt Nichts, das er zu gut zu thun wäre. Ich könnte Dein Haar sträuben und Deine Zähne klappern machen, wenn ich Dir erzählen wollte, was ich hier gesehen und gehört habe; -- es hilft nichts, hier Widerstand zu leisten! -- ^Wollte^ ich etwa mit ihm leben? War ich nicht ein Weib, das eine feine Erziehung erhalten hatte? und er -- Gott im Himmel! was war er, und was ist er? Und dennoch habe ich mit ihm seit fünf Jahren gelebt, und jeden Augenblick meines Lebens verflucht, -- Nacht und Tag! Und jetzt hat er eine Neue bekommen, -- ein junges Ding, erst fünfzehn Jahre alt, und fromm erzogen, wie sie sagt. Ihre gute Mistreß hat sie gelehrt, die Bibel lesen, und sie hat ihre Bibel mitgebracht, -- mit in die Hölle!« -- und das Weib stieß ein wildes, schmerzliches Lachen aus, das mit sonderbarem, übernatürlichem Klange durch den verfallenen alten Schuppen schallte. Tom faltete seine Hände. Alles war Schrecken und Finsterniß. »O Jesus! Herr Jesus! hast Du uns arme Geschöpfe ganz vergessen?« fing er endlich an zu klagen. »O hilf, Herr! ich komme um!« Das Weib fuhr in strengem Tone fort: »Und was sind diese elenden, niedrigen Geschöpfe, mit denen Du arbeitest, daß Du um ihretwillen leiden solltest? Ein Jeder von ihnen würde sich bei der ersten Gelegenheit gegen Dich wenden. Sie sind Alle gegen einander so gemein und grausam wie nur möglich. Es ist ganz nutzlos, daß Du leidest, um ihnen nicht wehe zu thun.« »Arme Geschöpfe!« sagte Tom, -- »was machte sie grausam? -- und, wenn ich nachgebe, so werd' ich mich d'ran gewöhnen, und werde nach und nach auch so werden, wie sie sind! Nein, nein, Missis! ich habe Alles verloren, -- Weib, Kinder und Heimath, und einen guten Master, der mich frei gelassen haben würde, wenn er noch eine Woche länger gelebt hätte; ich habe Alles in ^dieser^ Welt verloren, und 's ist dahin für immer, -- und nun ^kann^ ich nicht den Himmel auch noch verlieren; -- nein, ich kann nicht auch noch schlecht werden!« »Aber es ist unmöglich, daß der Herr die Sünde in unser Schuldbuch schreiben werde,« sagte die Frau; »er wird sie uns nicht zurechnen, wenn wir dazu gezwungen werden; er wird sie denen zurechnen, die uns dazu getrieben haben.« »Ja,« sagte Tom; »aber das wird uns nicht dagegen schützen, schlecht zu werden. Wenn ich so hartherzig und so böse werden sollte, wie jener Sambo, so würde 's mir am Ende gleich sein, wie ich dazu gekommen wäre; es ist das ^so sein^, -- das ist's, was ich fürchte.« Die Frau richtete einen wilden, überraschten Blick auf Tom, als wenn ein neuer Gedanke in ihr aufgestiegen sei; dann sagte sie tief seufzend: »O Gott sei uns gnädig! Du sagst die Wahrheit! O! O! O!« -- und stöhnend sank sie wie zerschmettert und im tiefsten Seelenschmerz sich krümmend auf den Boden nieder. Es trat eine Pause ein, während deren das Athmen Beider hörbar war, bis Tom mit schwacher Stimme sagte: »O, bitte, Missis!« Die Frau erhob sich, und ihr Gesicht hatte wieder den gewöhnlichen ernsten, melancholischen Ausdruck angenommen. »Bitte, Missis, ich sah, daß sie meinen Rock in jene Ecke warfen, und in der Tasche ist meine Bibel; -- wenn Missis so gut sein wollte, sie mir zu reichen.« Cassy ging und holte die Bibel. Tom öffnete sofort eine besonders markirte, viel gelesene Stelle aus den letzten Lebensaugenblicken Desjenigen, durch dessen Streiche und Leiden wir geheilt worden sind. »Wenn Missis doch so gut sein wollte, hier -- das zu lesen, 's ist noch besser als Wasser.« Cassy nahm das Buch mit kalter, stolzer Miene, und blickte über die Stelle. Dann las sie mit sanfter Stimme und mit eigenthümlichem, schönem Ausdrucke die rührende Schilderung seines Todesschmerzes und seiner Glorie. Oefters, während des Lesens, stockte ihre Stimme, oder versagte gänzlich, und dann hielt sie mit einer Miene kalter Ruhe inne, bis sie sich wieder vollständig gesammelt hatte. Als sie an die rührenden Worte kam: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!« ließ sie das Buch fallen, barg ihr Gesicht in die dunkle Fülle ihrer Haare, und begann laut und mit krampfhafter Heftigkeit zu schluchzen. Tom weinte auch und ließ zuweilen einen unterdrückten Ausruf hören. »Wenn wir nur das erreichen könnten!« sagte Tom; »es schien bei ihm so natürlich zu sein, und wir müssen so schwer darum kämpfen! O Herr, hilf uns! o heiliger Herr Jesus, hilf uns!« Nach einer Weile fuhr Tom fort: »Missis, ich kann das ganz deutlich sehen, Missis ist in allen Dingen weit über mir, aber da ist eins, das Missis selbst vom armen Tom lernen könnte. Ihr sagtet, der Herr habe Partei gegen uns genommen, weil er zuläßt, daß man uns zu Boden schlägt und mißhandelt: aber Ihr seht, was seinem eigenen Sohne widerfahren ist, -- dem Herrn der Herrlichkeit, -- war er nicht immer arm? und ist Einer von uns schon so elend geworden, wie er war? Nein, Gott hat uns nicht vergessen, -- das weiß ich gewiß! Wenn wir mit ihm leiden, so werden wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden, sagt die Schrift; aber wenn wir Ihn verleugnen, so wird er uns auch verleugnen. Haben sie nicht Alle gelitten? -- der Herr und die Seinigen? Hören wir nicht, wie sie gesteinigt und auseinander gesägt wurden, und wie sie in Schaaffellen und Ziegenhäuten umherwanderten, und hülflos, und betrübt, und gequält waren? Leiden ist kein Grund, um uns glauben zu lassen, daß sich der Herr von uns gewendet habe, sondern gerade das Gegentheil, wenn wir zu ihm halten und nicht der Sünde weichen.« »Aber warum setzt er uns dahin, wo wir nicht anders können, als sündigen?« sagte die Frau. »Ich glaube, wir ^können^ anders,« entgegnete Tom. »Du wirst es sehen,« sagte Cassy; »was willst Du thun? Morgen werden sie wieder über Dich herfallen. Ich kenne sie; ich habe alle ihre Thaten gesehen; ich kann nicht an alles das denken, was sie noch über Dich bringen werden, -- und zuletzt wirst Du doch nachgeben müssen!« »Herr Jesus!« sagte Tom, »Du ^willst^ Dich meiner Seele annehmen? O Herr, thue es! -- lasse mich nicht wanken!« »O mein Gott!« sagte Cassy; »Ich habe alles dieses Schreien und Beten schon oft gehört, und dennoch sind sie gebrochen und bezwungen worden. Da ist Emmeline, die sich zu halten versucht, und Du versuchst, -- aber was hilft es? Du mußt nachgeben, oder Dich langsam umbringen lassen.« »Gut, so ^will^ ich sterben!« sagte Tom. »Sie mögen es in die Länge ziehen, so weit sie können, sie können doch nicht verhindern, daß ich endlich sterbe! -- und dann können sie nichts mehr thun. Das ist klar, ich bin bereit! Ich ^weiß^, der Herr wird mir helfen und mich hindurch führen.« Die Frau antwortete nicht; sie blieb schweigend sitzen, während sie mit ihren schwarzen Augen vor sich hin auf den Boden starrte. »Vielleicht ist das der rechte Weg,« murmelte sie für sich; »aber für Diejenigen, die es einmal aufgegeben haben, ist keine Hoffnung mehr, -- keine! Wir leben in Schmutz, und werden eckelhaft, bis wir uns selbst zum Eckel werden! Wir sehnen uns danach, zu sterben, und haben nicht den Muth, uns selbst zu tödten! -- Keine Hoffnung! keine! keine! -- das Mädchen, grade so alt, wie ich war!« »Du siehst mich jetzt,« fuhr sie zu Tom gewendet fort, und sehr schnell sprechend, -- »siehst, was ich jetzt bin! Wohl, ich bin in Luxus erzogen worden. Das erste, dessen ich mich entsinne, ist, daß ich als Kind in glänzenden Zimmern spielte, -- daß ich wie eine Puppe gekleidet ging, und von aller Welt gelobt und gepriesen wurde. Eine Glasthür führte aus dem Salon in den Garten, und dort pflegte ich mit meinen Geschwistern zu spielen. Ich wurde in ein Kloster gebracht, und lernte Musik, Französisch und feine Stickerei und wer weiß was Alles; und als ich vierzehn Jahre alt war, verließ ich es, um dem Begräbnisse meines Vaters beizuwohnen. Er starb plötzlich, und als der Nachlaß regulirt werden sollte, ergab sich's, daß kaum genug vorhanden war, um seine Schulden zu decken; und die Gläubiger nahmen ein Inventarium auf, und ich wurde mit darin verzeichnet. Meine Mutter war eine Sklavin gewesen, und mein Vater hatte stets die Absicht gehabt, mich für frei zu erklären; aber er hatte es nicht gethan, und so wurde ich mit in das Verzeichniß aufgenommen. Es war mir von jeher bekannt gewesen, was ich war, aber ich hatte nie viel daran gedacht. Man glaubte nie, daß ein starker, gesunder Mann plötzlich sterben könne. Mein Vater war noch vier Stunden vor seinem Tode gesund und wohl. Es war einer der ersten Cholerafälle in New-Orleans. Am Tage nach dem Begräbniß nahm die Frau meines Vaters ihre Kinder und ging damit nach der Plantage ihres Vaters. Ich dachte, sie behandelten mich recht sonderbar, aber ich verstand es nicht. Es war da ein junger Advokat, der den Auftrag hatte, die Geschäfte in Ordnung zu bringen; dieser kam jeden Tag und sprach sehr höflich mit mir. Eines Tages brachte er einen jungen Mann mit sich, den ich für den schönsten hielt, den ich jemals gesehen hatte. Ich werde niemals jenen Abend vergessen. Wir gingen zusammen im Garten spazieren. Ich fühlte mich so einsam und so traurig, und er war so sanft und so freundlich gegen mich, und erzählte mir, daß er mich schon früher gesehen habe, ehe ich nach dem Kloster gebracht worden sei, und daß er mich so lange geliebt habe, und daß er mein Freund und Beschützer sein wolle; -- kurz, obgleich er es mir nicht sagte, er hatte zweitausend Dollar für mich bezahlt, und ich war sein Eigenthum. Ich wurde es gern, denn ich liebte ihn. -- Liebte!« wiederholte die Frau inne haltend. »O! wie liebte ich ihn! wie liebe ich ihn jetzt noch, -- und werde ihn ewig lieben, so lange ich athme! Er war so schön, so erhaben, so edel! Er wies mir ein schönes Haus an, mit Dienern, Pferden und Wagen, mit Möbeln und schönen Kleidungsstücken. Alles was Geld erkaufen konnte, gab er mir; aber ich legte keinen Werth darauf, -- er galt mir über Alles. Ich liebte ihn mehr als Gott und meine Seele; und ich konnte nichts Anderes thun, als was er wünschte. Nur einen Wunsch hegte ich, -- den, daß er mich ^heirathen^ solle. Ich dachte, wenn er mich so liebte wie ich ihn, und wenn ich das wirklich war, wofür er mich zu halten schien, so würde er gern bereit sein, mich zu heirathen und in Freiheit zu setzen. Allein er überzeugte mich davon, daß es unmöglich sei, und sagte mir, daß wenn wir einander treu seien, es eine Ehe vor Gott sei. Wenn das wahr ist, war ich denn nicht jenes Mannes Weib? War ich nicht treu? Bewachte ich nicht sieben Jahre lang jeden Blick und jede Bewegung, nur bemüht, ihm zu gefallen? Er bekam das gelbe Fieber, während dessen ich zwanzig Tage und Nächte bei ihm wachte. Ich allein; -- ich reichte ihm alle seine Arzneien, und verrichtete jede Dienstleistung für ihn, und er nannte mich seinen guten Engel, und sagte, daß ich ihm das Leben gerettet habe. Wir hatten zwei schöne Kinder. Das erste war ein Knabe, den wir Henry nannten. Er war das Abbild seines Vaters; -- er hatte so schöne Augen, eine so schöne Stirn und so schöne, lange Locken, -- und ganz seines Vaters Geist und Fähigkeiten! Die kleine Elise war mir ähnlich, wie ihr Vater sagte. Er pflegte mich das schönste Weib in Louisiana zu nennen und mich zu versichern, daß er stolz auf mich und die Kinder sei. Er sah es gern, daß ich sie hübsch anzog, um mit ihnen und mir sodann in einem offenen Wagen umherzufahren und die Bemerkungen der Leute über uns zu hören; und fortwährend erzählte er mir nachher die Lobsprüche, die über mich und die Kinder geäußert worden waren. O, das waren glückliche Tage! Ich fühlte mich so glücklich, wie ein Mensch nur sein konnte; aber dann kamen böse Zeiten. Es war ein Cousin von New-Orleans gekommen, der sein intimster Freund war, -- und von dem er außerordentlich viel hielt. Allein vom ersten Augenblicke, wo ich ihn sah, fürchtete ich ihn, ohne zu wissen, weßhalb; denn ich fühlte die Gewißheit in mir, daß er Unglück über uns bringen werde. Er verleitete Henry, mit ihm auszugehen, und kehrte oft erst um zwei oder drei Uhr nach Hause. Ich wagte nichts darüber zu sagen, denn Henry war heftigen Temperaments, und ich fürchtete mich. Er ließ sich von seinem Cousin in Spielhäuser führen, und er war einer von denjenigen, die, wenn sie einmal dort gewesen sind, sich nicht mehr davon zurückhalten lassen. Bald darauf machte ihn jener mit einer andern Dame bekannt, und ich bemerkte bald, daß sein Herz sich von mir gewendet hatte. Er sagte mir es nie, aber ich sah es deutlich, -- ich fühlte es jeden Tag mehr, -- mein Herz brach, aber ich konnte kein Wort darüber sagen! Dann erbot sich jener Elende, mich und die Kinder von Henry zu kaufen, um seine Spielschulden davon bezahlen zu können, welche ihn verhinderten, sich so zu verheirathen, wie er wünschte; -- und ^er verkaufte uns^! Er sagte mir eines Tages, daß er Geschäfte auf dem Lande habe, und zwei oder drei Wochen abwesend sein werde. Er sprach freundlicher, als gewöhnlich, und versicherte mich, daß er zurückkehren werde; allein ich ließ mich dadurch nicht täuschen. Ich wußte, daß die Zeit gekommen sei. Mir war, als sei ich in Stein verwandelt worden: ich konnte weder sprechen, noch eine Thräne vergießen. Er küßte mich und die Kinder viele, viele Male, und ging hinaus. Ich sah ihn noch das Pferd besteigen und folgte ihm mit den Augen, bis er meinen Blicken entschwand. Dann sank ich ohnmächtig nieder. Dann kam ^er^, der verfluchte Elende! -- und nahm Besitz von mir. Er sagte mir, daß er mich und meine Kinder gekauft habe, und zeigte mir die Papiere. Ich verfluchte ihn vor Gott und sagte ihm, daß ich lieber sterben als mit ihm leben würde. ›Ganz wie Du willst,‹ entgegnete er, ›aber wenn Du dich nicht vernünftig beträgst, so verkaufe ich beide Kinder, so daß Du sie nie im Leben wieder siehst.‹ Er sagte mir, daß es vom ersten Augenblicke an, wo er mich gesehen, seine Absicht gewesen sei, mich zu besitzen, und daß er Henry absichtlich verleitet und in Schulden gestürzt habe, um ihn dazu zu bringen, mich zu verkaufen; daß er ihn aus demselben Grunde zu dem Verhältniß mit einer andern Dame geführt habe, und daß er selbst endlich nicht gesonnen sei, seinen Plan um ein paar Thränen halber aufzugeben. Ich gab nach, denn meine Hände waren gebunden. Er hatte meine Kinder in seiner Gewalt; und sobald ich mich irgendwie seinem Willen widersetzte, fing er davon an zu sprechen, daß er sie verkaufen wolle, und machte mich dadurch so unterwürfig, als er nur wünschte. O, was für ein Leben war das! Jeden Tag mit brechendem Herzen leben und liebevoll und zärtlich sein zu müssen, während es doch nichts als Elend war; und mit Leib und Seele an jemanden gebunden zu sein, den ich haßte. Meinem Henry las ich gern vor, ich spielte und tanzte mit ihm, oder sang ihm etwas vor; aber Alles, was ich für diesen thun mußte, war mir eine Qual; -- und dennoch wagte ich nicht, irgend Etwas zu verweigern. Sein Benehmen war herrisch und hart gegen die Kinder. Elise war ein kleines, furchtsames Wesen; aber Henry war wie sein Vater kühn und muthig, und hatte sich nie durch irgend Jemanden zur Unterwürfigkeit bringen lassen. Ihn tadelte und schalt er fortwährend, und ich lebte in steter Angst. Ich bemühte mich, den Knaben ehrerbietiger zu machen, -- ich suchte ihn von ihm entfernt zu halten, denn ich hing an diesen Kindern mit meinem ganzen Leben; aber es half nichts. ^Er verkaufte beide Kinder.^ Eines Tags nahm er mich mit auf eine Spazierfahrt, und als ich zu Hause kam, waren sie verschwunden! Er sagte mir, daß er sie verkauft habe und er zeigte mir das Geld, den Preis ihres Blutes. Von nun an schien mich alles Gute zu verlassen. Ich raste und fluchte, -- fluchte Gott und Menschen; und eine Zeit lang fürchtete er sich wirklich vor mir. Allein er gab nicht nach. Er sagte mir, daß meine Kinder verkauft seien, aber daß, ob ich ihre Gesichter je wiedersähe, von ihm abhänge, und daß, wenn ich mich nicht ruhig verhalte, meine Kinder dafür leiden sollten. Du kannst mit einer Frau Alles thun, wenn Du ihre Kinder hast. Er machte mich demüthig, er brachte mich zur Ruhe; er schmeichelte mir mit Hoffnungen, daß er sie zurückkaufen werde, und so verfloßen einige Wochen. Eines Tages ging ich spazieren, und kam am Stockhause vorüber. Ich sah eine große Menschenmenge vor dem Thore versammelt und hörte eine Kinderstimme, -- und plötzlich riß sich mein Henry von zwei oder drei Männern los, die ihn hielten, und lief schreiend auf mich zu und erfaßte mein Kleid. Jene kamen fluchend hinter ihm her, und ein Mann, dessen Gesicht ich nie vergessen werde, sagte ihm, daß er so nicht davon kommen solle, daß er mit ihm in's Stockhaus gehe und daß er dort eine Lehre bekommen solle, die er nicht so leicht vergessen werde. Ich bat und flehte für ihn, -- aber die Männer lachten nur dazu; der arme Knabe schrie und schaute mir in's Gesicht, und hielt sich an mir fest, bis sie ihn losreißend den Rock meines Kleides halb mit abrissen; und dann schleppten sie ihn, während er ›Mutter! Mutter! Mutter!‹ schrie, fort. Ein Mann stand dabei, der Mitleid zu haben schien. Ich bot ihm alles Geld an, was ich hatte, wenn er mir beistehen wolle; aber er schüttelte seinen Kopf und entgegnete, daß der Mann ihm gesagt habe, der Knabe sei ungehorsam und ungezogen vom ersten Augenblicke an gewesen, daß er ihn gekauft und daß er ihm jetzt ein für allemal eine Dressur geben wolle. Ich wandte mich um und rannte davon, und auf jedem Schritte glaubte ich noch sein Geschrei zu hören. Ich gelangte in das Haus und eilte athemlos in das Zimmer, wo sich Butler befand. Ich sagte es ihm und flehte ihn an, sich des Knaben anzunehmen; aber er lachte nur und antwortete mir, daß der Knabe bekomme, was er verdiene, und daß er dressirt werden müsse, je eher, desto besser. Es war mir, als wenn irgend etwas in diesem Augenblicke in meinem Kopfe springe. Ich wurde rasend und verlor die Besinnung. Dunkel entsinne ich mich noch, daß ich ein großes Messer auf dem Tische liegen sah, daß ich darnach griff und auf ihn zu sprang; dann wurde Alles schwarz vor mir, und was nachher mit mir geschah, -- davon weiß ich viele, viele Tage lang nichts. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem reinlichen Zimmer, -- aber nicht dem meinigen. Ein altes, schwarzes Weib bediente mich, und ein Arzt besuchte mich, und große Aufmerksamkeit wurde mir überhaupt geschenkt. Bald nachher erfuhr ich, daß er den Ort verlassen und mich in diesem Hause zurückgelassen habe, um verkauft zu werden. Das war der Grund, weßhalb man mir so große Sorgfalt bewies.« »Mein Wunsch und meine Hoffnung war, nicht wieder gesund zu werden; aber trotz dessen verließ mich das Fieber, ich wurde gesund und stand endlich wieder auf. Dann wurde ich gezwungen, mich jeden Tag zu putzen; und Herren kamen herein, und rauchten ihre Cigarren, und betrachteten mich, und richteten Fragen an mich, und sprachen über meinen Preis. Ich war stumm und finster, so daß Niemand mich kaufen wollte. Man drohte mir mit der Peitsche, wenn ich nicht heitrer wäre und mir mehr Mühe gäbe, mich angenehm zu machen. Endlich kam eines Tages ein Herr, Namens Stuart, der etwas Gefühl für mich zu haben schien. Er sah, daß etwas Schreckliches an meinem Herzen nage, und kam sehr oft allein, und beredete mich endlich, mich ihm mitzutheilen. Er kaufte mich und versprach mir, Alles, was er könne, zu thun, um meine Kinder zu ermitteln und zurückzukaufen. Er ging nach dem Hotel, wo mein Henry gewesen war; aber man sagte ihm, daß er an einen Pflanzer am Perlfluß verkauft worden sei, und das war das letzte, was ich über ihn gehört habe. Dann fand er meine Tochter, die von einem alten Weibe gehalten wurde. Er bot eine ungeheure Summe, aber sie sollte nicht verkauft werden. Butler hatte in Erfahrung gebracht, daß er sie für mich kaufen wolle, und ließ mir deßhalb anzeigen, daß ich sie nie wieder haben solle. Kapitän Stuart war sehr gütig gegen mich. Er besaß eine große Pflanzung und führte mich dahin. Im Laufe eines Jahres gebar ich einen Sohn. O, das Kind, wie liebte ich es! Wie ähnlich das kleine Wesen meinem armen Henry war! Aber mein Entschluß war gefaßt. Ich wollte nie wieder ein Kind am Leben erhalten, um es aufwachsen zu lassen. Ich nahm das kleine Geschöpf in meine Arme, als es vierzehn Tage alt war, und küßte es und weinte über ihm; und dann flößte ich ihm Laudanum ein, und hielt es an meinen Busen, während es zum Tode einschlief. Ich trauerte und weinte über es, und Niemand glaubte anders, als daß ich dem Kinde aus Irrthum Laudanum gegeben habe; aber es ist eins der wenigen Dinge, deren ich mich jetzt noch freue. Ich habe nie bereut, es gethan zu haben, denn das arme Wesen ist nun wenigstens frei von Schmerzen. Was konnte ich ihm Besseres geben, als den Tod?« »Bald nachher kam die Cholera, und Kapitän Stuart starb. Jeder starb, der zu leben wünschte, -- und ich, -- ich, obgleich ich bis an die Pforten des Grabes gebracht wurde, -- ich mußte ^leben^! Dann wurde ich verkauft und ging von einer Hand in die andere, bis ich verwelkt war und runzelig wurde, und das Fieber gehabt hatte. Dann kaufte mich dieser Elende, und brachte mich hierher, -- und hier bin ich!« Die Frau hielt inne. Sie war wild und leidenschaftlich über ihre Erzählung hingeeilt, bald ihre Worte an Tom richtend, bald wie im Selbstgespräche redend. So gewaltig und hinreißend war die Kraft ihrer Rede, daß Tom selbst die Schmerzen seiner Wunden vergaß, und, sich auf einen Ellbogen stützend, sie aufmerksam beobachtete, während sie ruhelos auf und nieder schritt, und ihr langes, schwarzes Haar um ihre Schultern schwer herabfiel. »Du sagst mir,« fuhr sie nach einer Pause fort, »daß es einen Gott gebe, -- einen Gott, der herabblicke und alle diese Dinge sehe. Mag sein! -- Die Schwestern im Kloster erzählten mir von einem Tage des Gerichts, an welchem Alles an das Licht kommen werde; -- o, das wird ein Tag der Vergeltung sein!« »Die Menschen glauben, es sei nichts, was wir leiden, -- nichts, was unsere Kinder leiden! -- es sei Alles nur Kleinigkeit; und doch bin ich oft durch die Straßen gegangen und glaubte so viel Elend und Jammer in meinem eigenen Herzen zu haben, daß die Stadt darüber versinken müsse. Ich wünschte, daß die Häuser auf mich fallen und die Steine unter mir versinken möchten! Ja! am Tage des Gerichts will ich vor Gott hintreten und Zeugniß gegen Jene ablegen, die mich und meine Kinder an Leib und Seele ruinirt haben!« »Als ich noch ein Mädchen war, glaubte ich, ich sei fromm; ich liebte Gott und betete gern. Jetzt bin ich eine verlorene Seele, von Teufeln verfolgt, die mich Tag und Nacht plagen, -- die mich immer weiter und weiter treiben, -- und ich ^will^ es thun, -- bald, recht bald!« sagte sie, ihre Faust ballend, während ein sinnverwirrter Blick aus ihren schwarzen Augen hervorschoß. »Ich will ihn dahin schicken, wohin er gehört, -- und auf recht kurzem Wege, -- in einer dieser Nächte, -- und wenn sie mich lebendig verbrennen!« Ein wildes, anhaltendes Lachen scholl durch den öden Raum und endete in hysterischem Schluchzen, während sie sich mit krampfhafter Heftigkeit auf die Erde niederwarf. Wenige Augenblicke nachher war dieser Anfall vorüber; sie erhob sich langsam und schien sich zu sammeln. »Kann ich sonst noch etwas für Dich thun, mein armer Mensch?« sagte sie, sich Tom nähernd; -- »soll ich Dir mehr Wasser geben?« Bei diesen Worten lag in ihrer Stimme und in ihrem Wesen eine anmuthige, mitleidsvolle Sanftmuth, die in sonderbarem Gegensatze zu ihrer vorherigen Wildheit stand. Tom trank das Wasser und blickte sie ernst und traurig an. »O Missis,« sagte er, »ich wünschte, Ihr wolltet Euch zu Ihm wenden, der Euch lebendiges Wasser reichen kann!« »Zu ihm wenden! Wo ist er? wo ist er?« sagte Cassy. »Zu Ihm, von dem Ihr mir vorgelesen habt, -- dem Herrn!« »Als ich noch ein Mädchen war, sah ich oft sein Bild über dem Altare,« sagte Cassy, während sie in trüber Träumerei vor sich hinstarrte; -- »aber ^hier ist er nicht^! Hier ist nichts als Sünde und lange, lange Verzweiflung! Oh!« Sie legte ihre Hand auf die Brust, und hielt den Athem an, als wolle sie eine schwere Last aufheben. Tom schien weiter reden zu wollen, allein sie unterbrach ihn mit einer entschiedenen Bewegung. »Sprich nicht, mein armer Mensch; versuche lieber zu schlafen, wenn Du kannst,« sagte sie, indem sie das Wasser in seine Nähe stellte; und nachdem sie sodann noch einige kleine Anordnungen für seine Bequemlichkeit getroffen hatte, verließ sie ihn. Fünfunddreißigstes Kapitel. Die Zeichen. Ein kleiner Anlaß, der sich eingeschlichen, Bringt in die Brust zurück, was längst entwichen Das Herz gewöhnt: -- ein Laut, ein süßer Klang. -- Das Meer, -- der Wind aus fernen Himmelsstrichen -- Der Frühling -- eine Blume macht uns bang, Berührt die Kette, die elektrisch uns umschlang. Ritter Harold's Pilgerfahrt, 4ter Gesang. Das Wohngemach in dem Hause Legree's war ein großes, langes Zimmer mit einem weiten und geräumigen Kamine. Es war früher mit einer prächtigen und kostbaren Tapete bekleidet gewesen, die jetzt modernd, zerrissen und verfärbt an den feuchten Wänden herabhing. Der Ort hatte jenen eigenthümlichen, Eckel erregenden und ungesunden Geruch, der sich aus einer Mischung von Feuchtigkeit, Schmutz und Verfall entwickelt, und welchen man oft in verschlossenen, alten Häusern findet. Die Tapeten an der Wand waren stellenweise von Bier- und Weinflecken verunstaltet, oder mit Kreidezeichen und langen summirten Rechnungen geziert, als wenn hier Jemand arithmetische Versuche gemacht hätte. Im Kamine stand ein Becken voll brennender Holzkohlen; denn, obgleich das Wetter nicht kalt war, schienen die Abende in jenem großen Zimmer immer feucht und kühl zu sein, und überdies brauchte Legree einen Ort, um seine Cigarren anzustecken und sein Wasser zum Punsche heiß zu machen. Der röthliche Schein der Kohlen zeigte das unordentliche und unfreundliche Aussehen des Zimmers -- Sättel, Zäume, verschiedene Arten Geschirr, Reitpeitschen, Oberröcke und verschiedene Kleidungsstücke in verwirrter Mannigfaltigkeit im Zimmer hin und her gestreut; und dazwischen hatten sich die Hunde, von welchen wir zuvor gesprochen haben, nach eignem Belieben und Geschmacke gelagert. Legree mischte sich eben ein Glas Punsch, indem er das heiße Wasser aus einer zerbrochenen Kanne goß und dabei vor sich hin brummte: »Die Pest über den Sambo! so einen Lärm zwischen mir und den neuen Arbeitern anzufangen! Der Kerl wird nun eine ganze Woche lang nicht arbeiten können -- grade im Drange der Erntezeit!« »Das sieht Euch ganz ähnlich,« sagte eine Stimme hinter seinem Stuhle. Es war Cassy, die sich während seines Monologs herangeschlichen hatte. »Ha, Teufel von einem Weibe! Bist Du wieder gekommen?« »Ja,« sagte sie kalt, »ich bin wieder gekommen, und zwar um meinen Willen zu haben!« »Du lügst, alte Vettel! Ich halte Wort. Entweder betrage Dich ordentlich, oder bleibe in den Quartieren und lebe und arbeite mit den Andern.« »Ich wollte tausendmal lieber,« sagte das Weib, »im schmutzigsten Loche der Quartiere, als unter Euren Klauen leben!« »Aber Du bist trotz alle dem in meinen Klauen,« sagte er, indem er sich mit rohem Grinsen nach ihr umdrehte; »das ist ein Trost. So setze Dich also her auf meinen Schooß, meine Liebe, und nimm Vernunft an,« sagte er, indem er sie bei der Hand ergriff. »Simon Legree, nehmt Euch in Acht!« sagte das Weib mit einem scharfen Blitz des Auges, einem Blicke so wild und irre in seinem Lichte, daß er fast Grauen erregte. »Ihr fürchtet Euch vor mir, Simon,« fügte sie bedächtig hinzu, »und Ihr habt Ursache dazu! Hütet Euch, denn ich habe den Teufel im Leibe!« Die letzten Worte flüsterte sie in einem zischenden Tone in sein Ohr. »Hinaus! Ich glaube, meiner Seele, 's ist wahr!« sagte Legree, indem er sie von sich stieß und sie unbehaglich anschaute. »Aber sage mir, Cassy,« sagte er, »warum kannst Du nicht Freundschaft mit mir halten, wie Du früher zu thun pflegtest?« »Pflegtest?« sagte sie bitter. Sie hielt inne -- eine Welt von erstickenden Gefühlen, die in ihrem Herzen aufstiegen, ließ sie schweigen. Cassy hatte von jeher über Legree die Art Einfluß behalten, welche ein leidenschaftliches Weib immer über den rohesten Mann bewahren kann; aber seit Kurzem war sie immer reizbarer und ruheloser unter dem abscheulichen Joche ihrer Knechtschaft geworden, so daß ihre Reizbarkeit zuweilen in Raserei ausbrach, wodurch sie zu einem Gegenstande der Furcht für Legree wurde, der jenes abergläubige Grauen vor Wahnsinnigen hatte, welches rohen und nicht unterrichteten Gemüthern eigen ist. Als Legree Emmelinen in das Haus führte, loderte die Flamme weiblichen Gefühls aus ihrer verlöschenden Asche in dem müden Herzen Cassy's noch einmal auf; sie trat auf die Seite des Mädchens, und ein heftiger Streit zwischen ihr und Legree war die Folge. Legree schwor in der Wuth, sie solle an die Feldarbeit gestellt werden, wenn sie keinen Frieden halten wolle. Cassy erklärte mit stolzer Verachtung, sie ^wolle^ auf das Feld gehen. Und sie arbeitete daselbst einen Tag, wie vorher geschildert worden, um zu zeigen, wie sehr sie die Drohung verachte. Legree war im Stillen den ganzen Tag unruhig, denn Cassy hatte einen Einfluß auf ihn, wovon er sich nicht frei machen konnte. Als sie ihren Korb an der Waage überreichte, hatte er auf Nachgeben von ihrer Seite gehofft, und sie in halb versöhnlichem, halb verächtlichem Tone angeredet, worauf sie nur mit der bittersten Verachtung geantwortet hatte. Die empörende Behandlung des armen Tom hatte sie noch mehr aufgebracht, und sie war Legree ins Haus gefolgt nur in der Absicht, ihm über seine Rohheit Vorwürfe zu machen. »Ich wollte, Cassy,« sagte Legree, »Du betrügest Dich vernünftiger.« »^Ihr^ sprecht von vernünftigem Betragen! Und was habt Ihr gethan? Ihr, der nicht einmal Verstand genug hat, um nicht einen Eurer besten Leute unbrauchbar zu machen, grade in der dringendsten Erntezeit, und nur Eurer teuflischen Laune wegen!« »Ich war ein Narr, 's ist wahr, so eine Zänkerei aufkommen zu lassen,« sagte Legree; »aber als der Bursche seinen Kopf aufsetzte, mußte er gebändigt werden.« »Ich denke, Ihr werdet ^ihn^ nicht bändigen.« »Nicht?« sagte Legree, indem er heftig aufstand. »Ich möchte doch wissen, ob nicht. Er wäre der erste Nigger, mit dem ich nicht fertig würde! Ich zerbreche ihm jeden Knochen im Leibe, aber nachgeben ^soll^ er!« Die Thür ging auf und Sambo trat ein. Er näherte sich gebeugt und hielt etwas in einem Papiere vor sich hin. »Was ist das, Hund?« sagte Legree. »'s ist ein Hexending, Master!« »Was?« »Etwas, das Nigger von Hexen bekommen. Es macht, daß sie nichts fühlen, wenn sie geprügelt werden. Er hatte es an einem schwarzen Bande um den Hals.« Legree war abergläubisch, wie fast alle gottlosen und grausamen Menschen. Er nahm das Papier und öffnete es widerstrebend. Heraus fiel ein Silberdollar und eine lange, glänzende Locke blonden Haares -- Haar, welches sich gleich etwas Lebendiges um Legree's Finger wand. »Donnerwetter!« schrie er plötzlich wüthend auf, indem er auf den Boden stampfte und an den Haaren riß, als wenn er sich daran verbrenne. »Woher ist das gekommen? Nimm es weg! -- verbrenne es! -- verbrenne es!« schrie er, indem er sie abriß und in die Kohlen warf. »Wozu hast Du mir das gebracht?« Sambo stand da mit seinem plumpen Munde weit offen vor Schreck und Staunen, und Cassy, die im Begriffe war, das Gemach zu verlassen, blieb da und sah ihn verwundert an. »Daß Du mir nie wieder etwas von Deinem Teufelszeuge bringst!« sagte er, die Faust gegen Sambo ballend, der sich eilig nach der Thür zurückzog; und nachdem er den Dollar aufhob, warf er denselben durch die klirrende Fensterscheibe hinaus in die Finsterniß. Sambo war froh, daß er die Flucht ergreifen konnte. Als er fort war, schien sich Legree seines Anfalles von Schreck zu schämen. Er setzte sich mürrisch auf seinen Stuhl und begann verdrießlich seinen Punsch zu schlürfen. Cassy wollte sich entfernen, ohne von ihm bemerkt zu werden, und schlüpfte davon, um dem armen Tom beizustehen, wie wir schon berichtet haben. Und was war es mit Legree? und was für eine Bewandtniß hatte es mit einer einfachen Locke blonden Haares, daß dieselbe jenen rohen Menschen zu erschrecken vermochte, der mit Grausamkeit in jeder Gestalt vertraut war? Um dies zu beantworten, müssen wir den Leser in der Geschichte dieses Menschen zurückführen. So hart und verworfen auch der gottlose Mann jetzt erschien, so hatte es doch eine Zeit gegeben, wo er am Busen einer Mutter gewiegt -- mit Gebeten und frommen Liedern eingelullt -- und seine jetzt gefurchte Stirne mit dem Wasser der heiligen Taufe bethaut worden war. In früher Kindheit hatte ihn eine Frau mit schönem, blondem Haare beim Klange der Sabath-Glocke zur Andacht und zum Gebete geführt. Fern von dort, in Neu-England, hätte jene Mutter ihren einzigen Sohn mit unermüdlicher Liebe und frommen Gebeten auferzogen. Von einem hartgelaunten Vater entsprossen, an welchen jenes sanfte Weib eine Welt von ungewürdigter Liebe verschwendet hatte, war Legree in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Ungestüm, unlenksam und tyrannisch verachtete er alle ihre Rathschläge und wollte von ihrem Vorwurfe nichts hören, und riß sich von ihr in frühem Alter los, um sein Glück auf der See zu suchen. Nur einmal kam er wieder nach Hause; und damals klammerte sich seine Mutter mit dem Jammer eines Herzens, das etwas lieben muß, und nichts weiter zu lieben hat, an ihn und suchte ihn mit leidenschaftlichem Bitten und Flehen von einem Leben der Sünde zum Heile seiner Seele zurückzuführen. Das war Legree's Gnadentag. Damals riefen ihn gute Engel, da war er fast gewonnen, und die Gnade nahm ihn bei der Hand. Sein Herz wurde weich, -- es entstand ein Kampf; aber die Sünde siegte und er setzte alle Kraft seiner rauhen Natur der Ueberzeugung seines Gewissens entgegen. Er trank und schwor, war wilder und roher als je; und eines Abends, als seine Mutter in ihrer letzten Verzweiflungsangst ihm zu Füßen kniete, stieß er sie von sich, warf sie besinnungslos auf den Boden und floh mit rohen Flüchen auf sein Schiff. Das nächste Mal, daß Legree etwas von seiner Mutter hörte, war, als er eines Abends mit seinen trunknen Gefährten zechte, wo ihm ein Brief in die Hand gesteckt wurde. Er öffnete denselben, und heraus fiel eine lange sich ringelnde Haarlocke, die sich um seine Finger schlängelte. Der Brief sagte ihm, daß seine Mutter todt sei und daß sie sterbend ihn gesegnet und ihm verziehen habe. Es gibt eine schreckliche unheimliche Zauberei des Bösen, welche das Süßeste und Heiligste in Gebilde des Schreckens und Entsetzens verwandelt. Jene blasse, liebevolle Mutter -- ihr Sterbegebet, ihre vergebende Liebe, wirkten auf jenes teuflische Sündenherz nur wie ein verdammendes Urtheil, welchem die fürchterliche Erwartung des Gerichts und feurigen Zornes folgte. Legree verbrannte die Haare und verbrannte den Brief, und als er Beides zischen und knistern sah in der Flamme, schauderte er innerlich bei dem Gedanken an das ewige Feuer. Er versuchte zu trinken und zu schwärmen und die Erinnerung wegzufluchen; aber oft in tiefer Nacht, deren feierliche Stille die schlechte Seele zum Verkehre mit sich selbst zwingt, hatte er jene blasse Mutter an seinem Bette aufsteigen sehen und jenes Haar sich sanft um seine Finger schlängeln gefühlt, bis der kalte Schweiß ihm am Gesicht herablief, und er mit Entsetzen in seinem Bette aufsprang. Ihr, die ihr euch gewundert habt, aus demselben Evangelium zu hören, daß Gott die Liebe, und daß Gott ein verzehrendes Feuer ist, seht ihr nicht, wie für die zum Bösen entschlossene Seele die vollkommene Liebe die fürchterlichste Qual ist, das Siegel und der Spruch der gräßlichsten Verzweiflung. »Hol 's der Teufel!« sagte Legree zu sich selbst, als er an seinem Getränke nippte, »woher hat er das? Wenn es nicht aussah, grade wie -- ach! Ich dachte, ich hätte das vergessen. Will verflucht sein, wenn ich glaube, es gibt dergleichen; wie etwas vergessen, irgendwie -- hol's der Henker! Ich bin allein! will Em rufen. Sie haßt mich -- der Affe! Mich kümmert's nicht -- ich will es schon ^machen^, daß sie kommt!« Legree schritt hinaus in einen großen Vorsaal, welcher vermittelst einer großen Wendeltreppe, die vormals prächtig gewesen war, in's erste Stock führte; aber der Gang war schmutzig und öde, mit Kasten und häßlichen Dingen, die zerstreut umherlagen, versperrt. Die mit keinem Teppiche belegte Treppe schien sich in der Düsterkeit hinaufzuwinden zu wer weiß wohin! Der bleiche Mondschein strömte durch ein zerschmettertes Bogenfenster über der Thür, die Luft war ungesund und feucht, wie die eines Grabgewölbes. Legree blieb am Fuße der Treppe stehen und hörte eine Stimme singen. Sie klang ihm fremdartig und geisterhaft in jenem öden, alten Hause, vielleicht wegen des schon erschütterten Zustandes seiner Nerven. Horch! was ist das? Eine wilde, rührende Stimme singt ein unter den Sklaven gewöhnliches Lied: »O, es wird Trauer, Trauer sein, O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhle!« »Hol der Teufel das Mädchen!« sagte Legree. »Ich will ihr den Mund stopfen. -- Em! Em!« rief er barsch; aber nur ein höhnender Widerhall antwortete ihm von den Wänden. Die süße Stimme sang weiter: »Da müssen Eltern und Kinder scheiden! Da müssen Eltern und Kinder scheiden! Scheiden, um nimmer sich wieder zu sehn!« Und hell und klar schwoll durch die leeren Hallen der Schlußreim: -- »O, es wird Trauer, Trauer sein, O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhl!« Legree blieb stehen. Er würde sich geschämt haben, es zu gestehen, aber große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn; das Herz schlug ihm schwer und schnell vor Furcht, er dachte sogar, er sähe etwas Weißes sich erheben und vor ihm im Zimmer schimmern, und schauderte bei dem Gedanken, daß die Gestalt seiner todten Mutter ihm plötzlich erscheinen könne. »Das weiß ich,« sagte er zu sich selbst, als er in das Wohnzimmer zurückstolperte und sich niedersetzte; »ich will den Kerl künftig gehen lassen! Was wollt' ich mit seinem verfluchten Papiere? Ich glaube wahrhaftig, ich bin behext! Es schauert und schwitzt mich seit der Zeit! Woher hat er die Haare? Es kann nicht ^das^ gewesen sein! ^Das^ habe ich verbrannt, ich weiß es! Es wäre doch spaßhaft, wenn Haare von den Todten auferstehen könnten!« Ja, Legree! Jene goldene Locke ^war^ verzaubert; jedes Haar derselben enthielt einen Zauber, der den Schrecken und Gewissensbisse in Dir erweckte, und wurde von einer höhern Macht benutzt, Dir die grausamen Hände zu binden, damit sie nicht den Hülflosen das tiefste Elend zufügen möchten! »Hört!« sagte Legree, indem er den Hunden pfiff und stampfte, »aufgewacht, Einer von euch, und mir Gesellschaft geleistet!« Aber die Hunde öffneten nur schläfrig ein Auge nach ihm und schloßen es wieder. »Sambo und Quimbo sollen heraufkommen und singen, und einen ihrer höllenmäßigen Tänze aufführen und diese schauerlichen Gedanken verjagen,« sagte Legree; er setzte seinen Hut auf, ging in die Veranda und blies ein Horn, womit er gewöhnlich seine zwei schwarzen Aufseher rief. Wenn Legree bei guter Laune war, pflegte er oft diese zwei Ehrenmänner in sein Wohnzimmer zu rufen, dieselben mit Whisky zu erwärmen, und sich dann ein Vergnügen daraus zu machen, sie singen, tanzen, oder sich raufen zu lassen, wie er gerade die Laune hatte. Es war zwischen ein und zwei Uhr des Nachts, als Cassy, die von der Pflege des armen Tom zurückkehrte, den Schall wilden Gekreisches, Geschrei's, Halloh-Rufen und Singen aus dem Wohnzimmer kommen hörte, vermischt mit Hundegebell und andern Zeichen eines allgemeinen Aufruhrs. Sie ging die Verandatreppe hinauf und sah hinein. Legree und die beiden Aufseher, im Zustande wüthender Trunkenheit, sangen, schrien, warfen die Stühle um und schnitten sich allerhand lächerliche und schauderhafte Gesichter. Sie stützte ihre kleine, zarte Hand auf das Fenstersims und sah sie unverwandt an. Es lag eine Welt von Angst, Verachtung und grimmiger Bitterkeit in ihren schwarzen Augen. »Wär' es eine Sünde, die Welt von einem solchen Elenden zu befreien?« sagte sie für sich. Sie drehte sich schnell um, ging zu einer Hinterthür, schlüpfte hinauf und klopfte an Emmelinens Thür. Sechsunddreißigstes Kapitel. Emmeline und Cassy. Cassy trat in das Zimmer und fand Emmeline blaß vor Furcht im äußersten Winkel desselben sitzen. Als sie hereinkam, fuhr das Mädchen erschrocken auf; aber als diese sah, wer es war, stürzte sie hervor, ergriff Cassy's Arm und sagte: »O, Cassy, Ihr seid es? Ich bin froh, daß Ihr gekommen seid! Ich fürchtete, es wäre --. O, Ihr wisset nicht, was für ein schauerlicher Lärm diese ganze Nacht unten gewesen ist!« »Ich sollte das kennen,« sagte Cassy trocken. »Ich habe es oft genug gehört!« »O, Cassy, sagt mir doch nur ja, können wir nicht von diesem Orte wegkommen? Ich kümmere mich nicht darum, wohin -- in die Sümpfe unter die Schlangen -- irgendwohin?« »Nirgendhin, es sei denn in unsre Gräber,« sagte Cassy. »Habt Ihr es je versucht?« »Ich habe es nur zu oft versuchen sehen und was dabei herauskommt,« sagte Cassy. »Ich wollte gern in den Sümpfen leben und Baumrinde nagen. Ich fürchte mich nicht vor Schlangen! Ich wollte lieber eine Schlange bei mir haben, als ihn,« sagte Emmeline heftig. »Es sind ziemlich Viele hier Deiner Meinung gewesen,« sagte Cassy. »Aber Du könntest nicht in den Sümpfen bleiben -- die Hunde würden Dich ausspüren und zurückbringen, und dann -- dann --« »Was würde er thun?« sagte das Mädchen, indem sie ihr mit athemloser Spannung ins Gesicht schaute. »Was würde er ^nicht^ thun, frage lieber,« sagte Cassy. »Er hat sein Handwerk unter den Räubern Westindiens gut gelernt. Du würdest nicht viel schlafen, wenn ich Dir erzählte, was ich gesehen habe -- was er zuweilen als gute Spässe erzählt. Ich habe Schreie hier gehört, die ich wochenlang nicht habe aus dem Ohre los werden können. Da ist unten bei den Hütten ein entlegener Ort, wo man einen schwarzen verdorrten Baum und den ganzen Boden mit schwarzer Asche bedeckt sehen kann. Frage nur irgend Einen, was da geschehen ist, und siehe zu, ob er wagen wird, es Dir zu sagen.« »Was wollt Ihr damit sagen?« »Ich will es Dir nicht sagen. Ich denke nicht gern daran; und ich sage Dir, Gott allein weiß, was wir morgen sehen werden, wenn jener arme Kerl fortfährt, wie er angefangen hat.« »Schauderhaft!« sagte Emmeline, indem ihr jeder Blutstropfen aus den Wangen trat. »O, Cassy, sagt mir doch nur, was ich thun soll!« »Was ich gethan habe. Thu' Dein Bestes; thu' was Du mußt, und mache es durch Haß und Verwünschung wieder gut!« »Er wollte mich von seinem verhaßten Branndwein trinken lassen,« sagte Emmeline; »und ich hasse ihn so --« »Trinkt lieber,« sagte Cassy. »Ich haßte ihn auch; und jetzt kann ich nicht ohne ihn leben. Man muß etwas haben; die Sachen sehen nicht so schrecklich aus, wenn man den nimmt.« »Die Mutter pflegte mir zu sagen, ich solle nie so etwas anrühren,« sagte Emmeline. »Die Mutter sagte 's Dir!« rief Cassy mit scharfem und bittern Nachdrucke auf dem Worte Mutter. »Was hilft's, daß Mütter etwas sagen? Ihr werdet alle gekauft und bezahlt, und eure Seelen gehören dem, welcher euch bekommt. So geht 's. Hörst Du! ^trink^ Branndwein: trinke so viel Du kannst, und Du wirst Alles leichter tragen.« »O, Cassy! habt doch Mitleid mit mir!« »Mitleid mit Dir! Habe ich etwa keins? Habe ich keine Tochter? -- Gott weiß, wo sie ist, und wem sie jetzt gehört! Sie geht vermuthlich den Weg, welchen ihre Mutter vor ihr ging, und den ihre Kinder nach ihr gehen müssen! Der Fluch hört nie auf!« »Ich wollte, ich wär' nie geboren!« sagte Emmeline, ihre Hände ringend. »Das ist ein alter Wunsch von mir,« sagte Cassy. »Ich habe mich ganz daran gewöhnt, das zu wünschen. Ich stürbe, wenn ich es wagte,« sagte sie, indem sie in die Dunkelheit hinausschaute mit jener stillen, starren Verzweiflung, dem gewöhnlichen Ausdrucke ihres Antlitzes, wenn es ruhig war. »Es wär gottlos, sich das Leben zu nehmen,« sagte Emmeline. »Ich weiß nicht warum; nicht gottloser, als was wir Tag für Tag erleben und thun. Als ich aber im Kloster war, haben mir die Schwestern Dinge erzählt, die mir vor dem Sterben bange machen. Wär' es nur mit uns zu Ende, ja dann --« Emmeline wendete sich ab und verbarg ihr Gesicht mit den Händen. Während diese Unterhaltung in der Kammer vor sich ging, war Legree, überwältigt vom Zechgelage, im untern Zimmer in Schlaf gesunken. Er war nicht von Gewohnheit ein Trunkenbold. Seine rohe, starke Natur verlangte und ertrug eine fortwährende Aufregung, welche eine schwächere gänzlich aufgerieben haben würde. Aber Vorsicht hielt ihn ab, sich der Schwelgerei in einem solchen Maaße hinzugeben, daß er dadurch die Herrschaft über sich selbst verlor. Diese Nacht hatte er sich jedoch in seinen fieberhaften Anstrengungen, aus seinem Gemüthe jene furchtbaren Gewissensbisse zu verbannen, welche in ihm erwachten, mehr als gewöhnlich erlaubt, so daß er, nachdem er seine schwarzen Diener verabschiedet hatte, schwer in einen Sessel fiel und fest einschlief. O, wie darf die schlechte Seele die Schattenwelt des Schlafes betreten? -- jenes Land, dessen dunkle Gränzen dem geheimnißvollen Schauplatze der Vergeltung so furchtbar nahe liegen! Legree träumte. In seinem schweren und fieberischen Schlafe stand eine verschleierte Gestalt neben ihm, und legte eine kalte, weiche Hand auf ihn. Er glaubte zu wissen, wer es sei; er schauderte und Grauen beschlich ihn, obgleich das Antlitz verschleiert war. Bald glaubte er, er fühle ^jenes^ ^Haar^ sich um seine Finger schlängeln, bald, daß es sich sanft um seinen Hals schlinge, und sich immer dichter zusammenzöge, bis er keinen Athem mehr holen konnte; bald dachte er, Stimmen ^flüsterten^ ihm zu, ein Geflüster, das ihn mit Grauen erfüllte. Dann schien es ihm, als sei er am Rande eines fürchterlichen Abgrundes, sich festhaltend und in Todesfurcht ringend, während schwarze Hände sich herausstreckten, um ihn hinabzuziehen; und Cassy kam lachend hinter ihn und stieß ihn hinunter. Und nun erhob sich jene feierlich verschleierte Gestalt und warf den Schleier zurück. Es war seine Mutter; und sie wendete sich von ihm ab, und er fiel hinab, hinab, hinab unter verworrenem Geschrei und Gestöhn und Jauchzen höllischen Gelächters -- und Legree erwachte. Ruhig stahl sich das rosige Licht der Morgendämmerung in das Zimmer. Der Morgenstern stand am heller werdenden Horizonte und schaute mit seinem feierlichen, heiligen Lichtauge auf den Mann der Sünde hernieder. O, mit welcher Frische, welcher Feierlichkeit und Schönheit wird jeder neue Tag geboren, als wolle er dem Unempfindlichen sagen: »Sieh! Du hast noch eine Möglichkeit! ^Kämpfe^ für unsterblichen Ruhm!« Es gibt keine Rede oder Sprache, in der diese Stimme nicht gehört wird; aber der freche, schlechte Mensch hörte sie nicht. Er erwachte mit einem Fluche. Was galt ihm das Gold und der Purpur, das tägliche Wunder des Morgens! Was die Heiligkeit jenes Sternes, welchen Gottes Sohn zu seinem eigenen Sinnbilde geweiht hat? Thierähnlich sah er, ohne wahrzunehmen; er stolperte vorwärts, schenkte ein Glas Branndwein ein und trank es halb. »Ich habe eine höllische Nacht gehabt!« sagte er zu Cassy, welche eben dann durch eine gegenüber befindliche Thüre hereintrat. »Ihr werdet bald mehr von der Art haben,« sagte sie trocken. »Was willst Du damit sagen, Vettel?« »Ihr werdet es dieser Tage erfahren,« erwiderte Cassy in demselben Tone. »Jetzt, Simon, habe ich Euch einen guten Rath zu geben.« »Den Teufel hast Du!« »Ich rathe Euch,« sagte Cassy gelassen, während sie Einiges im Zimmer zu ordnen begann, »daß Ihr Tom gehen laßt.« »Was geht das Dich an?« »Was? Ich weiß wahrhaftig nicht, was es mich angehen könnte. Wenn Ihr zwölf Hundert Dollar für einen Kerl zahlen wollt und ihn grade im Drange der Erntezeit zu Grunde richten wollt, nur um Eurer Wuth zu fröhnen, so geht 's mich nichts an. Ich habe für ihn gethan, was ich konnte.« »So? Was hast Du Dich in meine Angelegenheiten zu mischen?« »Ich habe Euch schon manches Tausend Dollar gerettet, dadurch, daß ich zuweilen für Eure Leute Sorge getragen habe -- das ist nun aller Dank, den ich davon habe. Wenn Eure Ernte geringer auf den Markt kommt, so verliert Ihr Eure Wette nicht. Tompkins wird Euch nicht den Rang ablaufen und Ihr werdet ganz niedlich hinzahlen müssen, nicht wahr? Mir ist schon, als sähe ich Euch dabei!« Legree hatte, wie manche andre Pflanzer, nur eine Art Ehrgeiz, die beste Ernte zu haben; und er hatte gerade jetzt verschiedene Wetten in der nächsten Stadt schweben. Cassy berührte daher mit weiblicher Gewandtheit die einzige Saite, die bei ihm anzuschlagen war. »Gut, ich will ihn mit dem loslassen, was er schon bekommen hat,« sagte Legree; »aber er soll mich um Verzeihung bitten, und bessere Manieren versprechen.« »Das thut er nicht,« sagte Cassy. »Nicht, he?« »Nein, er thut 's nicht,« sagte Cassy. »Ich möchte doch wissen, ^warum^, Mistreß,« sagte Legree mit der äußersten Verachtung. »Weil er recht gethan hat, und das weiß, und nicht sagen will, er habe Unrecht gethan.« »Wer zum Teufel kümmert sich darum, was er weiß? Der Nigger soll sagen, was mir beliebt, oder --« »Oder Ihr wollt Eure Wette auf die Baumwollen-Ernte verlieren, indem Ihr ihn gerade in dieser dringenden Zeit vom Felde entfernt haltet.« »Aber er ^wird^ nachgeben, natürlich wird er; ich weiß ja, wie es mit Niggern ist. Diesen Morgen wird er schon betteln wie ein Hund.« »Er wird nicht, Simon; Ihr kennt diese Art Menschen nicht. Ihr könnt ihn zollweise tödten, aber Ihr werdet nicht ein Wort eines solchen Bekenntnisses aus ihm heraus bringen.« »Wollen sehen. Wo ist er?« sagte Legree, indem er hinausging. »In der alten Kammer des Ginhauses,« sagte Cassy. Obgleich Legree so zuversichtlich mit Cassy sprach, so verließ er doch das Haus mit einer Art bösen Vorgefühls, welches nicht gewöhnlich bei ihm war. Die Träume der vergangenen Nacht, vereint mit Cassy's Weisungen, beunruhigten ihn in hohem Grade. Er beschloß, daß Niemand Zeuge seines Zusammentreffens mit Tom sein solle, und nahm sich vor, daß wenn er ihn nicht durch Drohungen zwingen könne, er es auf eine gelegenere Zeit verschieben wolle, seine Rache auszuüben. Das feierliche Licht der ersten Dämmerung, die engelgleiche Herrlichkeit des Morgensterns war durch das rohe Fenster des Schuppens gedrungen, wo Tom lag, und wie auf den Strahlen dieses Sternes nieder gleitend, kamen die feierlichen Worte zu ihm: »Ich bin die Wurzel des Geschlechtes David's, ein heller Morgenstern!« Die geheimnißvollen Warnungen und Andeutungen Cassy's, weit entfernt, seine Seele zu entmuthigen, hatten dieselbe am Ende wie durch einen himmlischen Ruf erhoben. Er wußte nicht anders, als daß sein Todestag am Himmel dämmere und das Herz schlug ihm mit feierlichem Klopfen der Freude und des Verlangens, als er dachte, daß das wundervolle All, worüber er so viel gesonnen, der große weiße Thron mit seinem immer strahlenden Regenbogen, die Schaar der weißen Engel, die Kronen, die Palmen, die Harfen -- sich ihm zeigen würden, ehe jene Sonne wieder unterginge; und deßhalb hörte er ohne Schauder und Beben die Stimme seines Verfolgers, als derselbe sich näherte: »Nun, Junge,« sagte Legree mit einem verächtlichen Fußstoß, »wie befindest Du Dich? Habe ich Dir nicht gesagt, ich könne Dir Eins oder das Andre beibringen? Wie gefällt's Dir, he? Wie bekommen Dir die Schwielen, Tom? Bist nicht ganz so keck wie Du gestern Abend warst? Könntest jetzt wohl nicht einen armen Sünder auf ein Bischen Predigt freihalten, nicht, he?« Tom antwortete Nichts. »Auf, Vieh!« sagte Legree, indem er ihn wieder stieß. Das war eine schwere Aufgabe für einen so zerschlagenen und entkräfteten Menschen, und als Tom sich bemühte, es zu thun, brach Legree in ein viehisches Gelächter aus. »Wovon bist Du diesen Morgen so sanft, Tom? Vielleicht gestern Abend erkältet?« Tom war indessen auf die Füße gekommen und stand seinem Herrn gegenüber mit fester, standhafter Stirne. »Teufel, Du kannst's!« sagte Legree, indem er ihn betrachtete. »Ich glaube, Du hast noch nicht genug gekriegt. Jetzt, Tom, ohne Umstände auf die Knie und bitte mich um Verzeihung wegen Deiner Streiche von gestern Abend.« Tom bewegte sich nicht. »Nieder, Hund!« sagte Legree, indem er ihn mit der Reitpeitsche schlug. »Herr Legree,« sagte Tom, »ich kann es nicht thun. Ich habe nur gethan, was ich für recht gehalten habe. Ich werde es jedes Mal gerade wieder so machen. Ich werde nie eine Grausamkeit begehen, komme, was da wolle.« »Ja, aber Du weißt nicht, was kommen will, Master Tom. Du denkst, was Du gekriegt hast, ist etwas. Ich sage Dir, 's ist nichts -- gar nichts. Wie würde es Dir gefallen, an einen Baum gebunden zu werden, und ein langsames Feuer um Dich angezündet zu haben? Wäre das nicht angenehm -- he, Tom?« »Master,« sagte Tom, »ich weiß, Ihr könnt Schreckliches thun; aber« -- er streckte sich aufwärts und faltete die Hände, -- »aber nachdem Ihr den Leib getödtet habt, könnt Ihr nichts mehr thun. Und o, dann folgt alle ^Ewigkeit^!« ^Ewigkeit^ -- das Wort durchbebte die Seele des schwarzen Menschen mit Licht und Kraft, als er sprach -- es durchzuckte auch des Sünders Seele wie Scorpionenbiß. Legree knirschte mit den Zähnen, aber Wuth hielt ihn still, und Tom sprach, wie ein aus der Knechtschaft befreiter Mensch, mit klarer und heitrer Stimme: »Master Legree, Ihr habt mich gekauft, und ich will Euch ein treuer und redlicher Diener sein. Ich will Euch alle Arbeit meiner Hände geben, alle meine Zeit, alle meine Kraft, aber meine Seele will ich keinem Sterblichen opfern. Ich will am Herrn festhalten, und seine Gebote vor Allem befolgen, mag ich leben oder sterben, darauf verlaßt Euch. Master Legree, ich fürchte den Tod nicht im Geringsten. Ich sterbe eben so gern wie nicht. Ihr könnt mich zu Tode peitschen, verhungern, verbrennen lassen, es bringt mich nur früher dahin, wohin ich mich sehne.« »Ich will Dich doch nachgiebig machen, ehe ich mit Dir fertig bin!« sagte Legree wüthend. »Ich werde ^Hülfe^ bekommen,« sagte Tom. »Ihr könnt es nicht.« »Wer zum Teufel wird Dir helfen?« sagte Legree verächtlich. »Der allmächtige Gott!« sagte Tom. »Hol Dich der Teufel!« sagte Legree, indem er Tom mit einem Faustschlage zu Boden streckte. Eine kalte, weiche Hand legte sich in diesem Augenblick auf die Legree's. Er drehte sich um -- es war Cassy's; aber die kalte, sanfte Berührung rief ihm den Traum der letzten Nacht zurück, und durch die Kammern seines Hirnes blitzend, kamen alle die fürchterlichen Bilder der Nachtwachen zurück, mit einem Theile der Schrecknisse, die jene begleiteten. »Wollt Ihr ein Thor sein?« sagte Cassy auf französisch. »Laßt ihn gehen. Laßt mich ihn herstellen, um wieder im Felde arbeiten zu können. Ist's nicht gerade wie ich Euch sagte?« Man sagt, der Alligator, das Nashorn, obschon in kugelfesten Panzer gehüllt, haben einen Fleck, wo sie verwundbar sind; und freche, ungläubige Verworfene haben gewöhnlich diesen Punkt in abergläubischer Furcht. Legree wendete sich weg, entschlossen, einstweilen die Sache gehen zu lassen. »Nun, so habe Deinen Willen,« sagte er mürrisch zu Cassy. »Höre Du,« fuhr er zu Tom gewendet fort, »ich will Dich für jetzt gehen lassen, weil die Geschäfte dringend sind, und ich alle meine Arbeiter brauche, aber ich vergesse ^niemals^. Ich will es Dir ankreiden, und die Zeit kommt, wo es mir Dein altes schwarzes Fell bezahlen soll -- merk' Dir das!« Legree drehte sich um und ging hinaus. »Gehe nur,« sagte Cassy ihm finster nachschauend; »Deine Rechnung kommt auch noch! -- Armer Mensch, wie geht's Dir?« »Der Herr hat seinen Engel gesendet und des Löwen Rachen für diesmal verschlossen,« sagte Tom. »Für diesmal gewiß,« sagte Cassy; »aber jetzt habt Ihr seinen Haß auf Euch, der Euch Tag für Tag verfolgt, wie ein Hund, der an Eurer Kehle hängt, Euer Blut saugt und Euer Leben tropfenweise verbluten läßt. Ich kenne den Menschen.« Siebenunddreißigstes Kapitel. Freiheit. »Es kommt nicht darauf an, mit welchen Feierlichkeiten er auf dem Altare der Sklaverei geweiht worden sei; sobald er den heiligen, brittischen Boden betritt, versinken der Altar und der Gott in Staub, und erlöst wiedergeboren, entfesselt steht er da durch den unwiderstehlichen Genius allgemeiner Emancipation.« ^Curran.^ Für einige Zeit müssen wir Tom in den Händen seiner Verfolger lassen, während wir uns zurückwenden, um die Schicksale Georgs und seiner Frau zu verfolgen, die wir in einem Farmhause an der Straße in freundschaftlichen Händen ließen. Tom Locker verließen wir, stöhnend und lärmend in einem fleckenlos reinen Quäcker-Bett, unter der mütterlichen Aufsicht von Base Dorcas, welche in ihm einen ganz so lenksamen Patienten fand, wie in einem kranken Büffelochsen. Man denke sich eine hohe, würdevolle Frau, deren reine Musselinhaube ein wellenartiges Silberhaar beschattet, das auf der breiten, hintern Stirn gescheitelt ist, welche gedankenvolle, graue Augen überwölbt; ein schneeweißes Tuch von geglättetem Krepp legt sich glatt über ihrem Busen; ihr glänzend braunes Seidenkleid rauscht friedlich, wenn sie in der Stube auf und nieder gleitet. »Alle Teufel!« sagt Tom Locker, indem er der Bettdecke einen starken Schlag versetzt. »Ich muß Dich ersuchen, Thomas, nicht solche Ausdrücke zu gebrauchen,« sagt Base Dorcas, während sie ruhig das Bett wieder in Ordnung bringt. »Nun, ich will 's nicht thun, Großmutter, wenn ich kann,« sagt Thomas; »aber 's ist genug, einen armen Kerl zum Fluchen zu bringen, so verdammt heiß ist's!« Dorcas entfernte eine Decke vom Bette, ordnete das Bettzeug wieder und stopfte es unter, bis Tom fast wie eine Puppe aussah, indem sie dabei bemerkte: »Ich wollte, Freund, Du ließest das Fluchen und Schwören, und dächtest an Deine Wege.« »Was der Teufel,« sagte Tom, »soll ich daran denken? 's ist immer 's Letzte, woran ich gern denke -- hol 's der Henker!« Und Tom stampfte, schlug die Decken auf und brachte Alles auf eine entsetzliche Art in Unordnung. »Der Kerl und die Dirne sind hier, glaube ich?« sagte er nach einer Weile mürrisch. »Ja,« sagte Dorcas, »sie sind hier.« »Die sollten sich lieber aufmachen, fort nach dem See,« sagte Tom, »je schneller desto besser.« »Wahrscheinlich werden sie das thun,« sagte Base Dorcas, indem sie ruhig weiter strickte. »Und hört,« sagte Tom; »wir haben Freunde in Sandusky, welche die Boote für uns bewachen. Kümmere mich nicht mehr darum, 's zu sagen. Ich wollte, sie entwischten, nur um Marks zu ärgern -- den verfluchten Laffen! -- hol ihn der Teufel!« »Thomas!« sagte Dorcas. »Ich sage Euch, Großmutter, wenn Ihr einen armen Kerl zu dicht einpfropft, so platzt er,« sagte Tom. »Aber wegen der Dirne -- sagt ihnen, daß sie sich so ankleide, daß sie nicht mehr kenntlich ist. Ihre Beschreibung ist in Sandusky.« »Wir wollen dafür sorgen,« sagte Dorcas mit der ihrer Sekte eigenthümlichen Gelassenheit. Da wir an dieser Stelle von Tom Locker Abschied nehmen, so können wir hier zugleich erwähnen, daß, nachdem er drei Wochen in dem Quäckerhause am rheumatischen Fieber darniederlag, welches zu seinen übrigen Leiden hinzu trat, er sich vom Lager als ein etwas weiserer und bessrer Mensch erhob; und fortan statt Sklaven zu fangen, sich in einer der neuen Ansiedlungen niederließ, wo seine Fähigkeiten sich in der Jagd von Bären, Wölfen und andern Bewohnern des Forstes glücklicher entwickelten, wodurch er sich einen Namen im Lande machte. Tom sprach immer ehrfurchtsvoll von den Quäkern. »Hübsche Leute,« pflegte er zu sagen; »wollten mich bekehren, konnten 's aber nicht zu Stande bringen. Aber eins will ich euch sagen, Fremder, einen kranken Kerl warten sie vortrefflich ab, -- das ist richtig! Kochen die beste Sorte Kraftbrühe und Brezeln.« Da Tom den Flüchtlingen mitgetheilt hatte, daß ihre Gesellschaft in Sandusky gesucht werde, so hielt man es für gerathen, sich zu theilen. Jim wurde mit seiner alten Mutter besonders fortgeschafft; und ein oder zwei Nächte später wurden Georg und Elise mit ihrem Kinde in's Geheim nach Sandusky gefahren und unter einem gastfreien Dache untergebracht, während die Vorbereitungen zu ihrer letzten Einschiffung auf den See getroffen wurden. Ihre Nacht neigte sich jetzt dem Ende und schön erhob sich vor ihnen der Morgenstern der Freiheit. Freiheit! Begeisterndes Wort! Was ist es? Ist es denn etwas mehr als ein Name oder ein rednerischer Ausdruck? Warum Ihr Männer und Frauen Amerikas, beben Eure Herzen vor Wonne bei dem Worte, für welches Eure Väter bluteten und Eure noch bravere Mütter willig ihre Besten und Edelsten sterben sahen? Liegt darin etwas Ruhmreiches und Theures für ein Volk, das nicht auch ruhmreich und theuer für den einzelnen Menschen ist? Was ist Freiheit eines Volkes anders als Freiheit der Individuen desselben? Was ist Freiheit für jenen jungen Mann, welcher dort sitzt, die Arme über die breite Brust geschlagen, die Farbe des afrikanischen Blutes auf den Wangen, dessen dunkles Feuer im Auge -- was ist Freiheit für George Harris? Für Eure Väter war Freiheit das Recht eines Volkes, ein Volk zu sein. Für ihn ist es das Recht eines Menschen, ein Mensch zu sein und kein Vieh; das Recht, das Weib seines Herzens sein Weib nennen, und sie vor gesetzlicher Gewaltthätigkeit schützen zu können; das Recht, sein Kind zu beschützen und zu erziehen; das Recht, eine eigne Heimath, eine eigne Religion, einen eignen Charakter zu haben, der nicht dem Willen eines Andern unterworfen ist. Alle diese Gedanken arbeiteten in Georgs Brust, während er gedankenvoll den Kopf auf die Hand stützte, und seine Frau beobachtete, als sie ihrer zarten und hübschen Gestalt männliche Kleidung anpaßte, in der man es für das Sicherste hielt, daß sie ihre Flucht bewerkstellige. »Jetzt gilt's,« sagte sie, als sie vor dem Spiegel stand und die seidene Fülle des schwarzen Lockenhaares herabschüttelte. »Sieh! Georg, 's ist fast ein Jammer, nicht wahr?« sagte sie, indem sie scherzhaft einige Locken in die Höhe hielt. »'s ist ein Jammer, daß sie alle ab müssen.« Georg lächelte traurig und gab keine Antwort. Elise kehrte sich gegen den Spiegel und die Scheere schimmerte, als eine lange Locke nach der andern vom Haupte getrennt wurde. »Nun, das wird genug sein,« sagte sie, indem sie eine Haarbürste ergriff, »jetzt ein Paar Phantasiestriche.« »Da, bin ich nicht ein hübscher junger Mensch?« sagte sie, indem sie sich nach ihrem Gatten umwandte, lachend und erröthend zugleich. »Du bist immer hübsch, Du magst thun, was Du willst,« sagte Georg. »Was macht Dich so ernst?« sagte Elise, indem sie sich auf ein Knie niederließ, und ihre Hände auf das seinige legte. »Wir sind nur noch 24 Stunden von Canada entfernt. Nur einen Tag und eine Nacht auf dem See, und dann -- o, dann!« »O, Elise!« sagte Georg, indem er sie an sich zog, »das ist 's gerade! Jetzt naht sich mein Schicksal dem entscheidenden Punkt. So nahe zu kommen, es fast vor Augen haben und dann Alles verlieren. Ich könnte es nicht überleben, Elise.« »Habe keine Furcht,« sagte seine Frau zuversichtlich. »Der gute Gott hätte uns nicht so weit gebracht, wenn er uns nicht durchbringen wollte. Mir ist 's, als fühlte ich, daß er mit uns ist, Georg.« »Du bist ein gesegnetes Weib, Elise!« sagte Georg, indem er sie krampfhaft umarmte. »Aber -- ach, sag'! kann uns diese große Gnade zu Theil werden? Werden diese Jahre des Elend's wirklich ein Ende nehmen? -- werden wir frei werden?« »Gewiß, Georg,« sagte Elise, indem sie aufwärts blickte, während Thränen der Hoffnung und Begeisterung an ihren langen, dunkeln Wimpern glänzten. »Ich fühle es in mir, daß Gott uns heut aus der Knechtschaft erlösen wird.« »Ich will Dir glauben, Elise,« sagte Georg, indem er plötzlich aufstand. »Ich will es glauben; komm, laß uns fort. Ja, wahrlich,« sagte er, indem er sie auf Armeslänge von sich hielt, und sie voll Bewunderung betrachtete. »Du ^bist^ ein hübsches Kerlchen. Die kleinen kurzen Backen stehen Dir vortrefflich. Setze Deine Mütze auf. So -- ein Bischen auf eine Seite. Du hast nie so hübsch ausgesehen. Aber es ist fast Zeit für den Wagen, ich soll mich wundern, ob Mrs. Smyth den Harry aufgetakelt hat?« Die Thür öffnete sich und eine Frau von achtbarem Aeußern und mittleren Jahren trat ein, den kleinen Harry an der Hand, der in Mädchenkleider gehüllt war. »Was für ein hübsches Mädchen er abgibt,« sagte Elise, indem sie ihn herumdrehte. »Wir nennen ihn Harriet, paßt der Name nicht hübsch?« Das Kind stand da und betrachtete seine Mutter ernst und schweigend in ihrem neuen und fremdartigen Anzuge, während es zuweilen tief seufzte und unter seinen dunkeln Locken hervor scheue Blicke auf sie heftete. »Kennt Harry Mama?« sagte Elise, indem sie die Hände gegen ihn ausstreckte. Das Kind hing sich furchtsam an die Frau. »Komm, Elise, warum versuchst Du, ihn zu liebkosen, da Du doch weißt, daß er sich fern von Dir zu halten hat?« »Ich weiß, 's ist thöricht,« sagte Elise, »aber ich kann es nicht ertragen, daß er sich von mir abwendet. Doch komm -- wo ist mein Mantel? Hier -- wie nehmen die Männer den Mantel um, Georg?« »Du mußt ihn so tragen,« sagte ihr Mann, indem er denselben über die Schultern warf. »So also,« sagte Elise, indem sie die Bewegung nachahmte; »und ich muß fest auftreten und große Schritte machen, und dreist auszusehen suchen.« »Gib Dir keine Mühe,« sagte Georg. »Es gibt hier und da auch bescheidene junge Männer; und ich glaube, es wird Dir leichter werden, diese Rolle zu spielen.« »Und diese Handschuhe! Gott sei uns gnädig!« sagte Elise, »meine Hände verlieren sich darin.« »Ich rathe Dir, sie hübsch ordentlich anzubehalten,« sagte Georg. »Dein zartes Pfötchen könnte uns Alle verrathen. Nun, Mrs. Smyth, tretet Euren Dienst an, und seid unser Tantchen -- merkt darauf.« »Ich habe gehört,« sagte Mrs. Smyth, »daß Männer unten gewesen sind, die alle Schiffscapitäne vor einem Manne und einer Frau mit einem kleinen Knaben gewarnt haben.« »So!« sagte Georg. »Nun, wenn wir solche Leute sehen, so können wir 's ihnen sagen.« Ein Miethwagen fuhr nun vor, und die freundliche Familie, welche die Flüchtlinge aufgenommen hatte, drängte sich um dieselben, um Abschied von ihnen zu nehmen. Die Verkleidung, welche die Flüchtlinge angenommen hatten, war nach den Winken des Tom Locker eingerichtet worden. Mrs. Smyth, eine achtbare Frau aus der Niederlassung in Canada, wohin sie flohen, die glücklicher Weise grade im Begriffe war, über den See dahin zurückzukehren, hatte eingewilligt, als die Tante des kleinen Harry aufzutreten; und um ihn an dieselbe zu gewöhnen, hatte man ihn die letzten zwei Tage allein unter ihrer Obhut bleiben lassen; und ein besonderer Aufwand von Liebkosungen, in Verbindung mit einem unendlichen Betrage von Kuchen und Zuckerwerk, hatten die Anhänglichkeit von Seiten des jungen Herrn befestigt. Der Miethwagen fuhr nach dem Landungsplatze. Die zwei vermeintlichen jungen Männer schritten über das Brett in das Boot, indem Elise Mrs. Smyth mit vieler Artigkeit am Arm führte und Georg für das Gepäck Sorge trug. Als Georg vor dem Büreau des Kapitäns stand, um für seine Reisegesellschafter Zahlung zu leisten, hörte er zwei Männer neben sich reden. »Ich habe jeden, der an Bord kam, beobachtet,« sagte der Eine, »und weiß, sie sind nicht in diesem Boot.« Die Stimme war die des Bootsschreibers. Der Andre, mit dem er sprach, war unser alter Freund Marks, der mit jener unschätzbaren Beharrlichkeit, welche ihn charakterisirte, nach Sandusky gekommen war, um zu sehen, wen er verschlingen könne. »Ihr könnt das Frauenzimmer kaum von einer Weißen unterscheiden,« sagte Marks. »Die Mannsperson ist ein sehr heller Mulatte. Er hat ein Brandmal an der einen Hand.« Die Hand, womit Georg eben die Zettel und das heraus erhaltene Geld nahm, bebte ein wenig; aber er drehte sich kalt um, heftete den Blick unbefangen auf das Gesicht des Sprechenden und ging gemächlich nach einem andern Theile des Boots, wo Elise auf ihn wartete. Mrs. Smyth mit dem kleinen Harry ging nach der Damenkajüte, wo die dunkle Schönheit des vermeintlichen kleinen Mädchens den Reisenden manche schmeichelhafte Bemerkungen entlockte. Georg hatte die Genugthuung, daß er, als die Glocke zum Abschied läutete, Marks über das Brett an das Ufer gehen sah; und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als das Boot eine Entfernung, die keine Rückkehr zuließ, erreicht hatte. Es war ein prächtiger Tag. Die blauen Wogen des Erie-Sees tanzten, sich kräuselnd und im Sonnenlicht glänzend. Ein frisches Lüftchen wehte vom Ufer, und das herrliche Boot pflügte seinen Weg tapfer durch das Wasser. Oh, was für eine unaussprechliche Welt in ^einem^ menschlichen Herzen liegt! Wer dachte, als Georg ruhig das Verdeck des Dampfbootes auf- und abschritt, mit seinem schüchternen Gefährten an der Seite, an Alles das, was in seinem Busen brannte? Das große Gut, dem er sich nahte, schien ihm zu groß, um wirklich sein werden zu können; und er fühlte jeden Augenblick die Besorgniß, daß sich etwas erheben möchte, es ihm wieder zu entreißen. Aber das Boot flog weiter -- Stunden verflogen, und endlich erhob sich klar und deutlich die gesegnete englische Küste -- ein Gestade, dem die mächtige Zauberkraft verliehen ist, -- mit einer Berührung jede Sklaverei zu vernichten, gleichviel, in welcher Sprache ihre Formel gesprochen, oder von welcher Staatsgewalt sie bestätigt worden ist. Georg stand mit seiner Frau Arm in Arm, als das Boot sich dem Städtchen Armherstberg in Canada näherte. Sein Athem wurde schwer und kurz; wie Nebel sammelte es sich vor seinen Augen, und er drückte schweigend die kleine Hand, welche zitternd auf seinem Arme lag. Die Glocke erscholl -- das Boot hielt an. Kaum sehend, was er that, suchte er sein Gepäck und sammelte die Seinigen um sich. Die kleine Gesellschaft wurde an das Ufer gesetzt. Sie standen still, bis das Boot ausgeladen hatte; und dann knieten mit Thränen und Umarmungen Gatte und Gattin, das staunende Kind in den Armen, nieder und erhoben ihre Herzen zu Gott! 'S war wie wenn Leben bricht durch Todesnacht, Aus Grabes Hülle zu des Himmels Licht; Vom Reich der Sünde und des Bösen Macht, Zu der erlösten Seele Freiheitsmorgenroth; Zerbrochen sind die Ketten, die geschmiedet Tod; Den Sterblichen Unsterblichkeit umweht, Wenn Gnadenhand den goldnen Schlüssel dreht Und ein zur Freiheitsherrlichkeit die Seele geht. Der kleine Kreis wurde darauf von Mrs. Smyth zur gastlichen Wohnung eines guten Missionärs geführt, den christliche Liebe hierher verpflanzt hatte, als einen Hirten für die Verstoßenen und Wandernden, die beständig an diesem Gestade eine Zuflucht finden. Wer kann den Segen des ersten Freiheitstages aussprechen? Ist nicht der Sinn der Freiheit ein höherer und feinerer, als irgend einer der fünf anderen. Sich zu bewegen, zu reden, zu athmen, zu gehen und zu kommen unbewacht und ohne Gefahr! Wer kann die Segnungen des Schlafes schildern, der sich auf des freien Mannes Kissen niedersenkt, unter Gesetzen, welche ihm die Rechte sichern, die Gott den Menschen verliehen? Wie schön erschien jener Mutter des schlafenden Kindes Antlitz, theurer durch die Erinnerung an tausend Gefahren! Wie unmöglich war es zu schlafen im überschwänglichen Genusse solchen Segens! Und doch hatten diese zwei nicht eine Hufe Land, kein Dach, das sie ihr eigen nennen konnten; sie hatten ihr Alles dahingegeben bis auf den letzten Thaler. Sie hatten nicht mehr, als die Vögel der Luft, oder die Blumen des Feldes -- und doch konnten sie nicht schlafen vor Freude. »O Ihr, die Ihr dem Menschen die Freiheit raubt, wie wollt Ihr das vor Gott verantworten?« -- Achtunddreißigstes Kapitel. Der Sieg. »Dank sei Gott, der uns den Sieg verleiht.« Haben nicht viele von uns in mancher Stunde mühseligen Lebensweges gefühlt, wie weit leichter es sei, zu sterben, als zu leben? Der Märtyrer, wenn er unter körperlichen Qualen dem Tode in die Augen schaut, findet selbst im Schrecken seines Looses eine Stärkung. Es liegt eine lebendige Aufregung darin, welche ihn durch jede Krisis des Leidens führen kann, und sie zur Geburtsstunde ewigen Ruhmes und ewigen Friedens macht. Aber zu leben, und Tag für Tag in niederer, bitterer, gemeiner und quälender Knechtschaft sich hinzuschleppen, jede Nerve erschlafft und abgespannt, jede Gefühlskraft allmählig erstickt -- dieses lange, zehrende Märtyrerthum des Herzens, dieses langsame, tägliche Verbluten des inneren Lebens, tropfenweise, stündlich -- dies ist der wahre Probirstein dessen, was im Menschen ist. Als Tom seinem Verfolger gegenüberstand, und dessen Drohungen hörte, und in seiner innersten Seele dachte, daß seine Stunde gekommen sei, schwoll ihm muthig die Brust, und er glaubte, er könne Folter und Feuer, Alles ertragen, mit dem Blicke auf Jesus und den Himmel gerichtet; als derselbe aber fortgegangen und die Aufregung verschwunden war, kehrte der Schmerz seiner gequetschten, müden Glieder zurück und das Gefühl seines völlig herabgewürdigten, hoffnungslosen und verlornen Zustandes; und der Tag verging ihm traurig. Legree bestand darauf, daß Tom lange vorher, ehe dessen Wunden geheilt waren, wieder an die regelmäßige Feldarbeit gestellt werden sollte; und dann kamen Tag für Tag Schmerz und Müdigkeit, erschwert durch jede Art von Ungerechtigkeit und Unwürdigkeit, welche der böse Wille einer gemeinen und boshaften Seele ersinnen konnte. Wer nur immer in ^unsern^ Umständen eine Schmerzensprüfung zu bestehen hatte, selbst mit allen Erleichterungen, welche dieselben bei uns gewöhnlich begleiten, muß die Gereiztheit kennen, die uns in derselben nie verläßt. Tom wunderte sich nicht mehr über die gewohnheitsmäßige Verdrießlichkeit seiner Gefährten: ja, er fand die ruhige, heitere Stimmung, welche ihn durch sein ganzes Leben begleitet hatte, zerstört und jämmerlich zerrissen. Er hatte auf Muße gehofft, seine Bibel lesen zu können, aber Muße gab es hier nicht. In der dringendsten Erntezeit trug Legree kein Bedenken, alle seine Arbeiter Sonntags wie Wochentags gleich zu quälen. Warum nicht? Er erzielte dadurch mehr Baumwolle, und gewann seine Wette; und wenn es einige Leute mehr aufrieb, konnte er bessere kaufen. Zuerst war Tom gewohnt gewesen, beim Leuchten des Feuers einige Bibelverse zu lesen, nachdem er von der Tagesarbeit zurückgekehrt war; nach der grausamen Behandlung aber, die er erfahren hatte, pflegte er so erschöpft nach Hause zu kommen, daß der Kopf sich ihm drehte und ihm die Augen den Dienst versagten, wenn er zu lesen versuchte, und er froh war, sich mit den Andern in völliger Erschöpfung niederstrecken zu können. Ist es auffallend, daß der Gottesfriede und das Himmelsvertrauen, welche ihn bisher aufrecht erhalten hatten, Gemüthserschütterungen und finsterem Verzagen weichen konnten? Die düsterste Aufgabe dieses geheimnißvollen Lebens war ihm beständig vor den Augen; zerschmetterte und zu Grunde gerichtete Seelen, Böses triumphirend und Gott schweigend. Wochen, Monate rang Tom in seinem Geiste in Dunkelheit und Betrübniß. Er dachte an Miß Ophelia's Brief, an seine Freunde in Kentucky, und betete ernstlich, daß ihm Gott Erlösung senden möge; und dann wartete er Tag für Tag in derlei unbestimmter Hoffnung, Jemanden zu sehen, der zu seiner Erlösung ausgesendet sei; und wenn Niemand kam, drängte er bittere Gedanken in sein Herz zurück -- daß es eitel sei, Gott zu dienen, daß Gott ihn vergessen habe. Zuweilen sah er Cassy, und wenn er zuweilen nach dem Hause gerufen wurde, erblickte er dann und wann die gebeugte Gestalt Emmelinens, er hatte aber mit keiner viel Verkehr; es blieb wirklich keine Zeit, mit irgend Jemanden Umgang zu haben. Eines Abends saß er in völliger Niedergeschlagenheit und Abspannung bei ein paar erlöschenden Feuerbränden, an denen er sein kärgliches Abendessen bereitete. Er legte etwas Reisig auf, um das Feuer wieder in Brand zu setzen, und zog dann seine verbrauchte alte Bibel aus der Tasche. Darin waren alle die Stellen gezeichnet, welche so oft seine Seele angeregt hatten -- Worte von Erzvätern und Sehern, Dichtern und Weisen, die von frühen Zeiten her dem Menschen Muth zugesprochen -- Stimmen aus der großen Wolke von Zeugen, welche uns immer auf der Lebensbahn umgeben. Hatte das Wort seine Kraft verloren, oder waren das versagende Auge und der müde Sinn nicht länger empfänglich für jene mächtigen Eingebungen? Schwer seufzend steckte er das Buch in die Tasche. Ein rohes Gelächter erwartete ihn; er sah auf -- Legree stand ihm gegenüber. »Nun, alter Junge,« sagte er, »Du findest, Deine Religion wirkt nicht; es scheint so! Ich dachte ja, ich würde das aus Deiner Wolle herausbringen!« Der grausame Hohn war schlimmer, als Hunger, Kälte und Nacktheit. Tom war still. »Du warst ein Narr,« sagte Legree, »denn ich dachte Dir Gutes zu thun, als ich Dich kaufte. Du hättest besser daran sein können, als Sambo oder Quimbo, und gute Zeiten haben; und anstatt alle paar Tage geprügelt und gedroschen zu werden, könntest Du Freiheit gehabt haben, rings umher zu herrschen, und die andern Nigger zu peitschen, und hättest Dich zuweilen an einem guten Whiskeypunsch erwärmen können. Nun, mach keine Umstände und sei vernünftig! Wirf den alten Plunder hier ins Feuer und schlag Dich zu meiner Kirche!« »Gott behüte mich!« sagte Tom inbrünstig. »Du siehst, Gott will Dir nicht helfen; wenn er gewollt hätte, so hätte er Dich nicht in ^meine^ Hände kommen lassen. Deine Religion ist ein Gemisch von lauter Lügenkram, Tom. Ich weiß es. Halt lieber zu mir; ich bin etwas und kann etwas thun!« »Nein, Master,« sagte Tom, »ich will festhalten. Gott mag mir nun helfen oder nicht; aber ich will an ihm halten und bis aufs Letzte an ihn glauben!« »Um so mehr bist Du ein Narr!« sagte Legree, indem er ihn verächtlich anspie und mit dem Fuße trat. »Nun, es macht nichts aus; ich will Dich doch noch niederhetzen und herunterbringen, Du wirst 's sehen!« und Legree wendete sich weg. Wenn ein schweres Gewicht die Seele zur tiefsten Tiefe menschlichen Duldens herunterdrückt, so tritt eine plötzliche und verzweifelte Anstrengung jedes physischen und geistigen Nervs ein, das Gewicht abzuwerfen, und dadurch wird der größte Schmerz oft zu einer rückströmenden Fluth der Freude und des Muthes. So war es jetzt mit Tom. Die gottesläugnerischen Verhöhnungen seines grausamen Herrn senkten seine vorher schon niedergeschlagene Seele zur tiefsten Ebbe hinab; und obgleich die Hand des Glaubens sich noch an dem ewigen Felsen festhielt, so war es doch nur mit einem starren, verzweifelten Griffe. Tom saß wie betäubt am Feuer. Plötzlich schien Alles um ihn zu verschwinden, und vor ihm erhob sich die Erscheinung einer mit Dornen gekrönten, geschlagenen und blutenden Gestalt. Tom schaute mit Staunen und Bewunderung auf die würdevolle Ruhe des Antlitzes; die tiefen, rührenden Augen drangen ihm bis in das innerste Herz; seine Seele erwachte, während er mit strömendem Gefühle seine Hände ausstreckte und auf seine Kniee fiel; und allmählig veränderte sich die Erscheinung, die scharfen Dornen wurden zur Strahlenkrone, und im unbegreiflichen Glanze sah er dasselbe Antlitz sich mitleidsvoll zu ihm neigen, und eine Stimme sagte: »Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Stuhle zu sitzen, wie Ich überwunden habe, und bin mit meinem Vater gesessen auf seinem Stuhle.« Wie lange Tom so gelegen hatte, wußte er nicht. Als er wieder zu sich kam, war das Feuer erloschen, seine Kleider von feuchtem Thaue durchnäßt, aber der fürchterliche Seelenkampf war entschieden, und in der Freude, welche ihn erfüllte, fühlte er nicht mehr Hunger, Kälte, Erniedrigung, Widerwärtigkeit und Elend. Aus tiefster Seele schied er in jener Stunde von jeder Hoffnung dieses Lebens, und brachte seinen eigenen Willen als ein williges Opfer dem Unendlichen dar. Tom sah auf zu den stillen, ewigen Sternen, den Sinnbildern der Engelsschaaren, die immer auf den Menschen herabschauen; und die Einsamkeit der Nacht wiederhallte von den Siegesworten eines Lobgesanges, welchen er oft in glücklicheren Tagen gesungen, aber nie mit einem solchen Gefühle wie jetzt: »Die Erde wird wie Schnee zergehn, Die Sonne nicht mehr scheinen; Doch Gott, der mich hier ließ entstehn, Wird sich mit mir vereinen.« »Und wenn dies ird'sche Leben flieht, Und Fleisch und Sinn vergehn, Der Engel Schaar mich jenseits zieht, Wo Fried und Freude wehn.« »Und wenn zehntausend Jahr wir da Hell scheinend wie die Sonn', So sing'n wir noch Halleluja, Wie einst auf Erden schon.« Wer vertraut ist mit der Religionsgeschichte der Sklavenbevölkerung, wird wissen, daß Verhältnisse gleich denen, welche wir erzählt haben, sehr gewöhnlich unter ihnen sind. Wir haben von ihren eigenen Lippen einige der rührendsten und ergreifendsten Züge gehört. Der Seelenforscher erzählt uns von einem Zustande, in welchem die Bewegungen und Bilder des Gemüths so herrschend und übermächtig werden, daß sie die äußeren Sinne in ihren Dienst zwingen, und diese den inneren Gebilden eine erkennbare Gestalt verleihen. Wer kann ermessen, was ein alldurchdringender Geist mit diesen Fähigkeiten unserer sterblichen Natur wirken, oder wie er die verzagenden Seelen der Untröstlichen ermuthigen kann? Wenn der arme, vergessene Sklave glaubt, daß Jesus ihm erschienen sei und mit ihm geredet habe, wer wird ihm widersprechen? Sagte er nicht, daß seine Sendung zu allen Zeiten sei, »zu heilen, die zerstoßenen Herzens sind, zu predigen den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen.« Als das dunkle Grau der Morgendämmerung die Schläfer erweckte, hinaus auf das Feld zu gehen, da war einer unter jenen zerlumpten und schauernden Unglücklichen, der mit frohlockendem Schritte einherging, denn fester, als der Boden, welchen er betrat, war sein starker Glaube an die allmächtige, ewige Liebe. Ach, Legree! versuche jetzt alle Deine Kräfte! Völlige Seelenangst, Wehe, Erniedrigung, Mangel und Verlust von Allem werden nur den Proceß beschleunigen, der ihn zum König und Priester Gottes weiht! Von dieser Zeit an umgab ein unverletzbarer Kreis des Friedens das demüthige Herz des Bedrückten -- ein immer gegenwärtiger Erlöser weihte es zu einem Tempel. Vorüber ist nun das Bluten irdischen Schmerzes, vorüber seine schwankende Hoffnung und Furcht, sein schwankendes Verlangen -- der menschliche Wille gebeugt und blutend, und lange ringend, war nun ganz in dem göttlichen aufgegangen. So kurz schien jetzt die übrige Lebensreise -- so nahe, so lebendig der ewige Segen -- daß des Lebens äußerstes Weh harmlos an ihm vorüberging. Alle bemerkten die Veränderung in seiner Erscheinung. Heiterkeit und Freudigkeit schien in ihn zurückzukehren, und eine Ruhe, welche keine Kränkung oder Beleidigung stören konnte, schien ihn zu beherrschen. »Was der Teufel ist in den Tom gefahren?« sagte Legree zu Sambo. »Vor einiger Zeit war er ganz wie stumm, und jetzt ist er vergnügt wie ein Heimchen.« »Weiß nicht, Master, will vielleicht fortlaufen.« »Möchte ihn das versuchen sehen,« sagte Legree mit wildem Grinsen; »nicht wahr, Sambo?« »Ja, ich glaube! Ha! ha!« sagte der schwarze Gnom, indem er dienstpflichtig lachte. »O Herr, der Spaß! Ihn im Schlamme stecken, durch die Büsche jagen und reißen zu sehen, die Hunde an den Fersen! Herr, ich lachte, daß ich dachte, ich sollte platzen, damals, als wir Molly fingen. Ich dachte, sie hätten ihr alles Zeug vom Leibe gerissen, ehe ich sie von ihr kriegen konnte. Sie hat noch immer die Male von dem Spasse.« »Ich glaube, sie wird sie mit ins Grab nehmen,« sagte Legree. »Aber jetzt, Sambo, pass' auf! Wenn der Neger dergleichen im Schilde hat, stelle ihm ein Bein.« »Herr, laßt mich dafür sorgen!« sagte Sambo. »Ich will den Affen fangen.« Das wurde gesprochen, als Legree auf sein Pferd stieg, um zur benachbarten Stadt zu reiten. Als er jenen Abend zurückkehrte, fiel es ihm ein, sein Pferd umzudrehen und um die Hütten zu reiten und zu sehen, ob Alles in Ordnung sei. Es war eine prächtige Mondnacht; die Schatten der schönen Pomeranzenbäume lagen scharf gezeichnet auf den Rasen, und es herrschte jene durchsichtige Stille in der Luft, deren Störung unheilig erscheint. Als Legree in geringer Entfernung von den Hütten war, hörte er eine Stimme singen. Es war kein gewöhnlicher Gesang, und er hielt deshalb an, um zu horchen. Eine klangvolle Tenorstimme sang: »Wenn ich mein Recht klar lesen kann Auf himmlischen Besitz, So kommt mich keine Furcht mehr an, Und scheu' ich nicht der Hölle Blitz.« »Und ringt mit Erdenlust mein Geist Und fliegt der Hölle Pfeil, Mein Heiland, Satan von mir weist, Und schützt mein Seelenheil.« »Kömmt Sorge wie 'ne Sündfluth an, Und Unglücksstürme wehn, Komm ich doch nicht von meiner Bahn, Die kann ich deutlich sehn.« »So! ha!« sagte Legree bei sich, »denkt er das wirklich? Wie ich diese verfluchten Methodistenlieder hasse! Her! Nigger!« sagte er, indem er plötzlich auf Tom zukam und seine Reitpeitsche in die Höhe hob, »wie kannst Du Dich unterstehen, diesen Lärm hier zu machen, wenn Du zu Bette sein mußt? Halt Deinen alten schwarzen Rachen und packe Dich fort!« »Ja, Master,« sagte Tom mit bereitwilliger Freundlichkeit, als er sich erhob, um heimzugehen. Legree war auf's Aeußerste gereizt durch Toms sichtliche Glückseligkeit; er ritt an ihn heran und bearbeitete ihn mit Schlägen über Kopf und Schultern. »Da, Hund,« sagte er, »sieh zu, ob Dir danach noch immer so wohl ist!« Aber die Schläge fielen jetzt nur auf den äußern Menschen und nicht, wie zuvor, auf das Herz. Tom stand völlig unterwürfig da; und doch konnte sich Legree nicht verhehlen, daß seine Macht über seinen Leibeigenen aufgehört hatte. Als Tom in seiner Hütte verschwand, und er sein Pferd herumwarf, durchzuckte sein Herz plötzlich einer jener lebendigen Blitze, welche oft das Licht des Gewissens durch die dunkle, ruchlose Seele senden. Er fühlte deutlich, daß es Gott sei, der zwischen ihm und seinem Opfer stand, und er lästerte ihn. Jener unterwürfige und stille Mensch, den weder Hohn, noch Drohungen, weder Streiche, noch Grausamkeiten stören konnten in der Ruhe des Gemüthes, erweckte eine Stimme in ihm, wie sie vor Alters sein Herr erweckte in der besessenen Seele, die da sagte: »Ach Jesu, Du Sohn Gottes, was haben wir mit Dir zu thun? Bist Du gekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist?« Toms ganzes Herz floß über von Mitleid und Theilnahme für die armen Elenden, von welchen er umringt war. Ihm schien es, als wenn sein Lebenskummer noch nicht vorüber sei, und als wenn er aus jenem seltsamen Schatze von Frieden und Freude, mit dem er von Oben begnadigt worden war, etwas zur Erleichterung ihres Elends ausgießen müsse. Die Gelegenheit war freilich selten; aber auf dem Wege in die Felder und wieder zurück, und während den Arbeitsstunden bot sich ihm die Gelegenheit dar, den Müden, Verzagten und Kleinmüthigen eine hülfreiche Hand zu reichen. Die armen, ausgemergelten entmenschten Geschöpfe konnten das anfangs kaum begreifen; als es aber wöchentlich und monatlich fortgesetzt wurde, begann es endlich, Saiten, die lange geschwiegen, in ihren erstarrten Herzen anzuschlagen. Allmählig und unmerkbar begann der seltsame, stille, geduldige Mensch, der immer bereit war, Jedermanns Bürde zu tragen, und von Niemanden Hülfe verlangte -- der Allen den Platz räumte, und zuletzt kam und zuletzt nahm, jedoch der Erste war, das Wenige, was er hatte, mit Jedem zu theilen, der es bedurfte -- der Mensch, welcher in kalten Nächten seine zerrissene Decke willig zur Bequemlichkeit einer Frau hergab, die an Frost oder Krankheit litt; welcher im Felde die Körbe der Schwächern füllte, in der furchtbaren Gefahr, in seinem eigenen Maße zu kurz zu kommen -- und welcher, obgleich mit unablässiger Grausamkeit von ihrem gemeinschaftlichen Tyrannen verfolgt, nie mit einem Worte in die Schmähungen und Flüche einstimmte, welche man über jenen ausstieß -- dieser Mensch begann zuletzt eine seltene Gewalt über seine Umgebung zu erlangen; und als die drängende Erntezeit vorüber war, und sie den Sonntag wieder zu ihrer eigenen Benutzung frei hatten, sammelten sich Manche um ihn, um von ihm über Jesus zu hören. Sie hätten sich gern irgendwo versammelt, um zu hören, zu beten und zu singen, aber Legree wollte das nicht erlauben und störte solche Versuche öfters mit Fluchen und rohen Verwünschungen, so daß die gesegneten Worte unter den Einzelnen von Munde zu Munde gehen mußten. Wer kann jedoch die einfache Freude schildern, womit einige dieser armen Verstoßenen, für die das Leben eine freudenleere Reise zu einer unbekannten, finstern Zukunft war, von einem mitleidigen Erlöser und einer himmlischen Heimath hörten? Missionäre versichern, daß keine Menschenrace der Erde das Evangelium mit so eifriger Gelehrigkeit empfangen hat, wie die afrikanische. Das Princip des zuversichtlichen Vertrauens und zweifellosen Glaubens, der seine Grundlage bildet, ist bei diesem Stamme mehr, als bei jedem andern natürlich vorhanden; und man hat oft unter ihnen gefunden, daß ein zerstreutes Samenkorn der Wahrheit, von einem Lüftchen des Zufalls in das unwissendste Herz gelegt, Frucht getragen hat, deren Reichthum das mit höherer Bildung begabte beschämt hat. Die arme Mulattin, deren einfältiger Glaube fast zerdrückt und zerschmettert worden war durch die Lawine von Grausamkeit und Unrecht, welche sie überschüttet hatte, fühlte ihre Seele gehoben von den Gesängen und Stellen der heiligen Schrift, welche dieser demüthige Missionar von Zeit zu Zeit in ihr Ohr hauchte, wenn sie zur Arbeit gingen oder davon zurückkehrten; und selbst der halb zerrüttete und irregehende Geist Cassy's wurde besänftigt und beruhigt durch seinen schlichten und ungesuchten Einfluß. Zu Wahnsinn und Verzweiflung von den zermalmenden Martern ihres Lebens getrieben, hatte Cassy oft in ihrer Seele eine Stunde der Vergeltung beschlossen, in der ihre Hand an ihrem Unterdrücker alle Ungerechtigkeit und Grausamkeit rächen sollte, zu deren Zeugin er sie gemacht oder welche ^sie^ in ihrer eigenen Person geduldet hatte. In einer Nacht, nachdem Alles in Toms Hütte in Schlaf gesunken war, wurde derselbe plötzlich erweckt, indem er ihr Gesicht an einer Oeffnung zwischen den Balken gewahrte, die als Fenster diente. Sie winkte ihm schweigend, herauszukommen. Tom trat zur Thür hinaus. Es war zwischen ein und zwei Uhr Morgens -- heller, ruhiger, stiller Mondschein. Als das Mondlicht auf Cassy's große, schwarze Augen fiel, gewahrt' er, daß darin ein wilder, eigenthümlicher Glanz leuchtete, ungleich ihrer gewöhnlichen, starren Verzweiflung. »Komm her, Vater Tom,« sagte sie, indem sie ihre kleine Hand auf sein Handgelenk legte, und ihn mit einer Kraft, als wenn die Hand von Stahl wäre, fortzog; »komm her -- ich habe Neuigkeiten für Euch.« »Was, Misse Cassy?« sagte Tom ängstlich. »Tom, möchtest Du nicht gern Deine Freiheit haben?« »Ich werde sie haben, Misse, »zur Zeit Gottes,«« sagte Tom. »Ja, aber Du kannst sie diese Nacht noch haben,« sagte Cassy mit einem Strahl plötzlichen Feuers. »Komme!« Tom zögerte. »Komm'!« sagte sie flüsternd, indem sie ihre schwarzen Augen auf ihn heftete. »Komm mit mir! Er schläft -- fest. Ich habe genug in seinen Brandwein gethan, um ihn so zu erhalten. Ich wollte, ich hätte mehr gehabt; dann hätte ich Dich nicht gebraucht. Aber komm, die Hinterthür ist unverschlossen; dort ist eine Axt; ich habe sie dahingelegt -- seine Stubenthür ist offen, ich will Dir den Weg zeigen. Ich hätte es selbst gethan; aber meine Arme sind zu schwach. Komm! komm!« »Nicht für zehntausend Welten, Misse!« sagte Tom fest, indem er still stand und sie zurückhielt, als sie vorwärts drängte. »Aber denke doch an alle diese armen Geschöpfe,« sagte Cassy. »Wir könnten sie alle in Freiheit setzen und irgendwo in die Sümpfe gehen und eine Insel finden und für uns leben; ich habe gehört, daß es schon geschehen ist. Jedes Leben ist besser als dieß.« »Nein!« sagte Tom fest. »Nein! Nie entsteht Gutes aus Bösem. Ich wollte mir lieber die rechte Hand abhacken!« »Dann will ^ich^ es thun,« sagte Cassy, indem sie sich umdrehte. »O, Misse Cassy!« sagte Tom, indem er sich vor sie niederwarf, »um des lieben Herrn willen, der für Euch gestorben ist, verkauft nicht so Eure kostbare Seele dem Teufel. Nichts als Böses kommt davon. Der Herr hat uns nicht zu Zorn berufen. Wir müssen leiden und seine Zeit erwarten.« »Erwarten!« sagte Cassy. »Habe ich nicht gewartet -- gewartet, bis mein Kopf schwindelig und mein Herz krank geworden ist? Was hat er mich dulden lassen? Was hat er Hunderte von armen Geschöpfen leiden lassen? Preßt er nicht das Lebensblut aus Euch? Ich bin berufen! Man ruft mich! Seine Zeit ist gekommen, und ich will sein Herzblut haben!« »Nein, nein, nein!« sagte Tom, indem er ihre kleinen Hände festhielt, die sie mit krampfhafter Gewalt geballt hatte. »Nein, arme, verlorne Seele, das dürft Ihr nicht. Der liebe Herr vergoß kein anderes Blut, als sein eigenes, und das vergoß er für uns, als wir seine Feinde waren. Herr, hilf uns in Deine Fußstapfen zu treten und unsere Feinde zu lieben!« »Lieben!« sagte Cassy mit einem grimmigen Blick, »^solche^ Feinde lieben! Fleisch und Blut kann das nicht.« »Nein, Fräulein,« sagte Tom, indem er aufsah; »aber ^Er^ gibt es uns, und das ist der ^Sieg^. Wenn wir lieben und beten können über Alles und durch Alles, so ist der Kampf vorüber und der Sieg ist da -- gepriesen sei Gott!« Und mit strömenden Augen und erstickender Stimme schaute der schwarze Mensch zum Himmel auf. Und dies, Afrika! -- zuletzt berufen unter allen Völkern, berufen zur Dornenkrone, zur Geißel, dem blutigen Schweiße, dem Kreuze des Todeskampfes -- dies soll ^Dein^ Sieg sein; dadurch sollst Du mit Christus herrschen, wenn sein Königreich kommen wird auf Erden. Die tiefe Gluth von Tom's Gefühlen, seine sanfte Stimme, seine Thränen fielen wie Thau auf den wilden, unstäten Geist der unglücklichen Frau. Ein sanfter Ausdruck sammelte sich um das düstere Feuer ihres Auges; sie blickte nieder, und Tom konnte fühlen, wie die Muskeln ihrer Hand nachließen, als sie sagte: »Habe ich Dir nicht gesagt, daß böse Geister mich verfolgten? O, Vater Tom, ich kann nicht beten. Ich wollte, ich könnte. Ich habe nie gebetet, seitdem meine Kinder verkauft wurden! Was Du sagst, muß wahr sein -- ich weiß, es muß; aber wenn ich zu beten versuche, kann ich nur hassen und fluchen. Ich kann nicht beten!« »Arme Seele!« sagte Tom mitleidig. »Satan möchte Euch gerne haben und wie Waizen sieben. Ich bete für Euch zum Herrn. O, Miß Cassy, wendet Euch zu dem lieben Herrn Jesus. Er ist gekommen, die zerstoßenen Herzens sind, zu heilen und die Trauernden zu trösten.« Cassy stand still, während große, schwere Thränen aus ihren niedergeschlagenen Augen tropften. »Misse Cassy,« sagte Tom mit zögernder Stimme, nachdem er sie einen Augenblick stillschweigend mit den Blicken gemessen, »wenn Ihr nur von hier fortkommen könntet, wenn es nur möglich wäre -- ich möchte Euch und Emmeline rathen, es zu thun, das heißt, wenn ihr ohne Blutschuld gehen könntet, nicht anders.« »Wolltest Du es mit uns versuchen, Vater Tom?« »Nein,« sagte Tom; »es gab eine Zeit, wo ich gewollt hätte; aber der Herr hat mir ein Werk aufgetragen unter diesen armen Seelen, und ich will mit ihnen stehen und mein Kreuz mit ihnen tragen bis zum Ende. Es ist etwas Anderes mit Euch: für Euch ist es eine Falle -- es ist mehr, als Ihr tragen könnt; und Ihr solltet lieber gehen, wenn Ihr könnet.« »Ich kenne keinen Weg, als durch das Grab,« sagte Cassy. »Es giebt kein Thier, keinen Vogel, der nicht irgendwo eine Heimath finden könnte, selbst die Schlangen und die Alligators haben ihre Orte, wo sie sich in Ruhe niederlegen können; aber wir haben keinen Ort. Unten in den dunkelsten Sümpfen werden uns ihre Hunde aufjagen. Alles und Alles ist gegen uns, selbst die Thiere nehmen Partei gegen uns, -- und wohin sollen wir uns wenden?« Tom stand stille; endlich sagte er: »Er, der Daniel in der Löwengrube errettete -- der die Kinder im feurigen Ofen bewahrte -- der auf der See wandelte und dem Winde Stille gebot -- er lebt noch; und ich habe den Glauben an ihn, daß er Euch befreien kann. Versucht es, und ich will mit aller Kraft für Euch beten.« Nach welchem Gesetz des Geistes geschieht es, daß eine Idee, die lange unbeachtet gewesen ist, und wie ein unnützer Stein mit Füßen getreten worden ist, plötzlich in neuem Lichte aufflammt, wie ein neu entdeckter Edelstein! Cassy hatte oft stundenlang alle möglichen und wahrscheinlichen Fluchtpläne überlegt und alle als hoffnungslos und unausführbar bei Seite gelegt; aber in diesem Augenblick flog ein Plan durch ihre Seele, so einfach und leicht ausführbar in allen seinen Einzelnheiten, um augenblickliche neue Hoffnung zu erwecken. »Vater Tom, ich will es versuchen!« sagte sie plötzlich. »Amen!« sagte Tom. »Der Herr helfe Euch!« Neununddreißigstes Kapitel. Der Kunstgriff. Der Gottlosen Weg ist dunkel, und sie wissen nicht, wo sie fallen werden. Der Boden des Hauses, welches Legree bewohnte, war, wie die meisten anderen Böden, ein großer, öder Platz, staubig, mit Spinneweben behangen und mit verbrauchtem Gerölle überstreut. Die reiche Familie, welche das Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte viel glänzendes Hausgeräth hineingebracht, wovon sie einen Theil mit sich weggenommen hatte, während ein anderer verlassen in modernden, unbewohnten Zimmern stehen geblieben, oder an diesen Ort aufgehäuft worden war. Ein oder zwei sehr große Kisten, in denen dies Geräth gebracht worden war, standen an den Seiten des Bodens. Es befand sich dort ein kleines Fenster, welches durch seine schmutzigen, staubigen Scheiben ein dürftiges, ungewisses Licht auf die hohen Stühle und staubigen Tische fallen ließ, die einst bessere Tage gesehn hatten. Im Ganzen war es ein gespenstiger, unheimlicher Ort; aber so geisterhaft er war, fehlte es ihm doch nicht an Sagen unter den abergläubischen Negern, seine Schrecknisse zu erhöhen. Wenige Jahre vorher, war eine Negerin, welche Legrees Mißvergnügen erregt hatte, mehrere Wochen lang dort eingeschlossen worden. Wir sagen nicht, was dort geschah; die Neger pflegten es sich einander zuzuflüstern; aber es war bekannt, daß der Leichnam des unglücklichen Geschöpfes eines Tages von dort heruntergebracht und beerdigt wurde; und darauf hieß es, daß Verwünschungen und Flüche und der Schall heftiger Schläge, vermischt mit Klagen und Stöhnen der Verzweiflung durch die alte Bodenkammer zu schallen pflegten. Als einst Legree zufällig etwas der Art hörte, gerieth er in heftige Leidenschaft, und schwor, daß der Nächste, welcher Geschichten von dieser Bodenkammer erzähle, Gelegenheit haben solle, zu erfahren, was darin vorgänge, denn er wolle ihn eine Woche lang dort in Ketten legen. Dieser Wink reichte hin, um alles weitere Gespräch darüber zu unterdrücken, obgleich er natürlich den Glauben an die Wahrheit der Geschichte nicht verminderte. Allmählig wurde die Treppe, welche zu der Oberstube führte, und selbst der Gang zu jener Treppe, von jedermann im Hause gemieden, da jeder davon zu sprechen fürchtete, und die Sage kam allmälig in Vergessenheit. Plötzlich war es Cassy eingefallen, von der abergläubischen Erregbarkeit, welche bei Legree so stark war, zum Zwecke ihrer Befreiung und der ihrer Mitdulder Gebrauch zu machen. Cassy's Schlafzimmer war gerade unter dem Boden. Eines Tages begann sie plötzlich, ohne Legree dabei zu Rathe zu ziehen, mit bedeutendem Aufsehen alles Geräth und Zubehör ihres Zimmers nach einem andern in beträchtlicher Entfernung davon schaffen zu lassen. Die Unterbedienten, welche Auftrag erhalten hatten, diesen Umzug zu bewerkstelligen, rannten und lärmten umher mit großem Eifer und viel Verwirrung, als Legree gerade von einem Ritte zurückkam. »Hallo! Cass'!« sagte Legree, »was ist hier im Werke?« »Nichts; ich bin nur gesonnen, ein anderes Zimmer zu haben,« sagte Cassy mürrisch. »Und warum denn das?« sagte Legree. »Weil mir's beliebt,« sagte Cassy. »Und weßhalb denn, zum Teufel?« »Ich möchte gern zuweilen ein Bischen Schlaf haben.« »Schlaf! gut, warum kannst Du denn nicht schlafen?« »Ich glaube, ich kann es Euch sagen, wenn Ihr es hören wollt,« sagte Cassy trocken. »Heraus damit, Mensch!« sagte Legree. »O! Nichts. Es wird Euch vermutlich nicht stören. Nichts als Stöhnen und Balgen und Umherrollen auf dem Boden die halbe Nacht hindurch, von Zwölf bis zum Morgen.« »Leute auf dem Boden?« sagte Legree mit Unbehagen, sich jedoch zum Lachen zwingend. »Wer ist es, Cassy?« Cassy schlug ihre scharfen, schwarzen Augen auf und sah Legree mit einem Ausdrucke in's Gesicht, der ihm durch Mark und Bein ging, als sie sagte: »Wahrhaftig, Simon, wer es ist? Ich wollte gern, daß ^Ihr^ es mir sagtet. Ihr wißt 's vermuthlich nicht!« Legree schlug fluchend mit der Reitpeitsche nach ihr, aber sie schlüpfte auf die Seite, eilte zur Thüre hinaus und sagte, indem sie zurückschaute: »Wenn Ihr in jenem Zimmer schlafen wollt, erfahrt Ihr Alles. Vielleicht versucht Ihr 's lieber selbst!« Und dann machte sie sogleich die Thür zu und verschloß dieselbe. Legree tobte und fluchte, und drohte die Thür einzuschlagen, besann sich aber sichtlich eines Bessern und ging unruhig in sein Wohnzimmer. Cassy bemerkte, daß der Pfeil den rechten Fleck getroffen hatte, und von jener Stunde an hörte sie mit der ausgezeichnetsten Geschicklichkeit nie mehr auf, die Einwirkungen, welche sie begonnen, fortzusetzen. In einem Astloche auf dem Boden hatte sie einen alten Flaschenhals so angebracht, daß wenn der geringste Wind war, jammervolle und traurige Klagetöne daraus hervorgingen, welche bei einem starken Winde zu völligen Schreien anwuchsen, so daß es leichtgläubigen und in Aberglauben befangenen Ohren leicht scheinen konnte, als wenn sie Schreckens- und Verzweiflungs-Laute hörten. Jene Töne, welche die Dienerschaft von Zeit zu Zeit hörte, erweckten die Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte in voller Kraft. Eine abergläubische Furcht schien das ganze Haus zu beschleichen, und obgleich sie Niemand gegen Legree äußern durfte, fand er sich doch davon wie von einem Dunstkreise umgeben. Niemand ist so durchaus abergläubisch, als der Gottlose. Der Christ ist gesammelt im Glauben an einen weisen, Alles beherrschenden Vater, dessen Gegenwart die unbekannten Räume mit Licht und Ordnung erfüllt; aber einem Menschen, welcher Gott verläugnet, ist das Geisterland in der That, mit den Worten des hebräischen Dichters zu reden, »ein Land der Dunkelheit und der Schatten des Todes,« ohne jede Ordnung und ohne Licht. Leben und Tod sind für ihn gespenstige Gebiete, angefüllt mit Koboldgestalten und drohenden Schatten. Bei Legree waren die schlummernden moralischen Elemente durch sein Zusammentreffen mit Tom geweckt worden -- geweckt, nur um Widerstand an der entschlossenen Kraft des Bösen zu finden; aber dennoch lag eine Mahnung an die finstere, innere Welt in jedem Worte, jedem Gebete oder Liede, und rief abergläubische Furcht hervor. Der Einfluß Cassy's auf ihn war eigenthümlicher Art. Sie war sein Eigenthum und er ihr Tyrann und Quäler. Sie war, wie sie wußte, ganz und ohne jede Möglichkeit von Hülfe oder Rettung in seinen Händen, und doch ist es so, daß selbst der roheste Mann nicht in beständigem Verkehr mit einem starken, weiblichen Einflusse leben kann, ohne in hohem Grade davon beherrscht zu werden. Als er sie kaufte, war sie, wie wir sie haben sagen hören, ein wohlerzogenes Frauenzimmer, und er zermalmte sie, ohne Gewissensbisse, unter seinen thierischen Füßen. Als aber die Zeit, erniedrigende Einflüsse und Verzweiflung das weibliche Gefühl in ihr abgestumpft, und die Gluthen wilder Leidenschaften in ihr erwacht waren, war sie seine Geliebte geworden und er quälte und fürchtete sie wechselsweise. Dieser Einfluß war plagender und entschiedener geworden, seit theilweiser Wahnsinn allen ihren Worten und ihrer ganzen Sprache einen fremden, spukhaften und unstäten Anstrich gegeben hatte. Ein oder zwei Abende später saß Legree in dem alten Wohnzimmer bei einem flackernden Holzfeuer, das einen ungewissen Schein im Zimmer umher warf. Es war eine stürmische Regennacht, eine solche, die ganze Schaaren unbeschreibbarer Töne und Laute in baufälligen alten Häusern erweckt. Fenster rasselten, Laden schlugen auf und zu, der Wind lärmte, und fuhr den Schornstein herab, und peitschte dann und wann Rauch und Asche umher, als wenn eine Legion Geister hinter ihm käme. Legree hatte ein Paar Stunden lang Rechnungen geprüft und Zeitungen gelesen, während Cassy in der Ecke saß und mürrisch in das Feuer sah. Legree legte die Papiere hin und da er ein altes Buch auf dem Tische liegen sah, welches er Cassy im ersten Theile des Abends hatte lesen sehen, nahm er es auf und begann darin zu blättern. Es war eine jener Sammlungen von Geschichten blutiger Morde, Gespenstern und übernatürlichen Erscheinungen, welche in ihrem rohen Gewande und mit Kupfern verziert, einen eigenthümlichen Reiz für den haben, der sie einmal zu lesen anfängt. Legree sagte wiederholt: Pah! und Pfui! las aber zu, indem er Blatt auf Blatt umkehrte, bis er endlich, nachdem er eine gute Strecke hineingelesen, das Buch mit einem Fluche wegwarf. »Du glaubst nicht an Geister, Cassy, nicht wahr?« sagte er, indem er die Zange nahm und das Feuer schürte. »Ich dachte, Du hättest mehr Verstand, als Dich von solchem Lärm in Furcht jagen zu lassen.« »Es kommt nichts darauf an, was ich glaube,« sagte Cassy mürrisch. »Auf der See pflegten die Kerle zu versuchen, mir mit ihren Geschichten bange zu machen,« sagte Legree. »Mich übertölpelt Keiner auf die Art. Ich bin zu fest für dergleichen Plunder, das kann ich Dir sagen.« Cassy saß im Schatten der Ecke und schaute ihn mit durchdringenden Blicken an. Es war jenes seltsame Licht in ihren Augen, das auf Legree immer einen unheimlichen Eindruck machte. »Der Lärm war nichts als Ratten und Wind,« sagte Legree. »Ratten machen einen Teufelslärm. Ich habe sie zuweilen unten im Schiffsraume gehört; und Wind -- um Gottes Willen! man kann Alles aus Wind machen.« Cassy wußte, daß es Legree unter ihrem Blicke nicht wohl war, und sie antwortete deßhalb nicht, sondern fuhr fort, den Blick auf ihn zu heften mit demselben seltsamen, unheimlichen Ausdruck wie vorher. »Sprich doch, Weib -- nicht wahr?« sagte Legree. »Können Ratten die Treppe heruntergehen, durch die Halle kommen und die Thür aufmachen, wenn man sie zugeschlossen und einen Stuhl davor gesetzt hat?« sagte Cassy; »und gerade auf das Bett kommen, und ihre Hand ausstrecken, so?« Cassy heftete ihr blitzendes Auge auf Legree, als sie so sprach, und er starrte sie an, wie ein Mensch unter Alpdrücken, bis er, als sie damit endete, daß sie ihre eiskalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche zurücksprang. »Weib! Was willst Du? Es war Niemand!« »O, nein -- natürlich -- sagte ich, es war Jemand?« sagte Cassy mit einem Lächeln kalten Hohnes. »Aber -- hast Du wirklich gesehen? Komm', Cass', was ist es? Sprich!« »Ihr könnt selbst da schlafen,« sagte Cassy, »wenn Ihr es wollt.« »Kam es vom Boden herunter, Cassy?« »Es -- was?« sagte Cassy. »Nun, wovon Du sprachst.« »Ich habe Euch Nichts gesagt,« sagte Cassy mit finsterem Tone. Legree schritt unruhig im Zimmer auf und ab. »Ich will das heraushaben. Ich will diesen Abend noch untersuchen. Ich nehme meine Pistolen --« »Das thut,« sagte Cassy; »schlaft in dem Zimmer. Ich wollte, Ihr thätet es. Schießt mit den Pistolen -- thut's!« Legree stampfte mit dem Fuße und fluchte gewaltig. »Flucht nicht,« sagte Cassy; »Niemand weiß, wer Euch hören kann. Horcht! Was war das?« »Was?« sagte Legree zurückfahrend. Eine schwerfällige, alte, holländische Uhr, welche in einem Winkel der Stube stand, hob an und schlug langsam Zwölf. Aus einem oder dem andern Grunde sprach Legree weder, noch bewegte er sich; ein unbestimmtes Grauen befiel ihn; während Cassy, mit einem scharfen, spöttischen Glanze im Auge, ihn ansah und die Schläge zählte. »Zwölf Uhr; gut, ^nun^ wollen wir sehen,« sagte sie, indem sie sich umdrehte und die Thür nach dem Gange öffnete, wie um zu lauschen. »Horcht! Was ist das?« sagte sie, indem sie den Finger aufhob. »Es ist bloß der Wind,« sagte Legree. »Hörst Du nicht, wie verdammt er bläst.« »Simon, kommt her,« sagte Cassy flüsternd, indem sie ihre Hand auf die Seinige legte und ihn an den Fuß der Treppe führte; »wißt Ihr, was das ist? Horcht!« Ein wilder Schrei schallte die Treppe herunter. Er kam aus dem Boden. Legree's Beine schlotterten; sein Gesicht wurde weiß vor Furcht. »Wollt Ihr nicht lieber Eure Pistolen zur Hand nehmen?« sagte Cassy mit einem Hohn, der Legree's Blut erstarren ließ. »Jetzt ist's Zeit, es zu untersuchen. Ich dächte, Ihr ginget jetzt hinauf; ^jetzt sind sie dran!^« »Ich gehe nicht!« sagte Legree mit einem Fluche. »Warum nicht? So etwas wie Geister gibt es nicht, wisset Ihr! Vorwärts!« und Cassy schlüpfte die Wendeltreppe hinauf, lachend nach ihm zurückblickend. »Kommt doch!« »Ich glaube, Du bist der Teufel!« sagte Legree. »Komm zurück, Hexe -- komm zurück, Cass'! Du sollst nicht gehen.« Aber Cassy lachte wild und flog weiter. Er hörte sie die Thür öffnen, welche zum Boden führte. Ein heftiger Windstoß fegte herunter und löschte das Licht aus, welches er in der Hand hielt, und dabei hörte er furchtbares, gräßliches Geschrei, was gerade in sein Ohr hinein zu kreischen schien. Legree floh außer sich in das Wohnzimmer, wohin ihm in Kurzem Cassy folgte, blaß, ruhig, kalt wie ein Rachegeist und mit demselben furchtbaren Feuer im Auge. »Ihr seid hoffentlich befriedigt,« sagte sie. »Hol' Dich der Teufel, Cass'!« sagte Legree. »Warum?« sagte Cassy. »Ich ging bloß hinauf und schloß die Thür zu. Was denkt Ihr, ^daß das zu bedeuten hat auf der Bodenkammer^, Simon?« sagte sie. »Das geht Euch nichts an!« sagte Legree. »Nicht? Nun,« sagte Cassy, »ich bin jedenfalls froh, daß ich nicht darunter schlafe.« Cassy, die vorhergesehen hatte, daß sich diesen Abend ein Sturm erheben werde, war oben gewesen und hatte das Bodenfenster geöffnet. Natürlich hatte im Augenblick, als die Thür aufgemacht wurde, der Wind nach unten hin Zug verursacht und das Licht ausgelöscht. Dies kann als Probe des Spiels dienen, welches Cassy mit Legree trieb, bis er eher seinen Kopf in des Löwen Rachen gesteckt, als die Bodenkammer untersucht hätte. Inzwischen hatte Cassy bei Nacht, wenn Alles schlief, langsam und sorgfältig daselbst eine Niederlage von Lebensmitteln angelegt, die hinreichend war, um eine Zeit lang Nahrung zu gewähren, und sie brachte einen großen Theil ihrer und Emmelinens Kleidung stückweise dahin. Als Alles angeordnet war, wartete sie nur auf eine passende Gelegenheit, ihren Plan in Ausführung zu bringen. Indem Cassy Legree schmeichelte und einzelne gutmüthige Momente benutzte, hatte sie denselben bewogen, sie mit sich zur benachbarten Stadt zu nehmen, welche dicht am »Red River« lag. Mit einem zu fast übernatürlicher Helle geschärften Gedächtnisse merkte sie jede Wendung des Weges und berechnete im Geiste die Zeit, welche erforderlich sei, denselben zurückzulegen. Da jetzt Alles zum Handeln reif ist, so schauen unsere Leser vielleicht gern hinter den Vorhang, um den endlichen _coup d'état_ selbst mit anzusehen. Es war gegen Abend. Legree war auf ein benachbartes Gut geritten. Mehrere Tage war Cassy ungewöhnlich gnädiger und gefälliger Laune gewesen; und Legree war scheinbar auf dem besten Fuße mit ihr. Jetzt sehen wir sie und Emmeline in dem Zimmer der Letzteren emsig beschäftigt, zwei Bündelchen zu schnüren. »Da, die werden groß genug sein,« sagte Cassy. »Nun setz Deinen Hut auf und laß uns fort: 's ist gerade die rechte Zeit.« »Aber, sie können uns noch sehen,« sagte Emmeline. »Das sollen sie gerade,« sagte Cassy kaltblütig. »Weißt Du nicht, daß sie auf jeden Fall Jagd auf uns machen müssen? Die Sache muß folgendermaßen gehen. Wir stehlen uns aus der Hinterthür und laufen nach den Hütten hinunter. Sambo und Quimbo sehen uns gewiß. Sie machen Jagd und wir machen uns in die Sümpfe; dann können sie uns nicht weiter folgen, bis sie hinaufgehen und Lärm machen, und die Hunde loslassen und so weiter; und während sie umherstolpern und über einander fallen, wie sie es immer machen, schleichen wir den Bach entlang, der hinter dem Hause fließt, und waten darin fort, bis wir an die Hinterthür kommen. Die Hunde verlieren dadurch die Spur, denn das Wasser hält keine Witterung. Alle werden zum Hause hinaus laufen, um nach uns zu sehen, und dann schlüpfen wir zur Hinterthür hinein und hinauf in die Bodenkammer, wo ich ein hübsches Bett in einer von den großen Kisten zurecht gemacht habe. Wir müssen dort eine gute Weile bleiben; denn ich sage Dir, er wird Himmel und Erde nach uns aufbieten. Er wird einige alte Aufseher an den andern Pflanzungen zusammenbringen und eine große Hetze halten; und sie werden jedes Fleckchen in dem Sumpfe durchsuchen. Er setzt seinen Stolz darein, daß ihm nie Einer hat entkommen können. So laß ihn denn nach Belieben jagen.« »Cassy, wie gut Ihr das angelegt habt!« sagte Emmeline. »Niemand als Ihr hätte das ausgedacht!« Es lag weder Vergnügen, noch Frohlocken in Cassy's Augen -- nur eine verzweifelte Festigkeit. »Komm',« sagte sie, Emmeline die Hand gebend. Die beiden Flüchtlinge schlichen geräuschlos aus dem Hause, und eilten durch die zunehmenden Schatten des Abends an den Hütten entlang. Der Mond, der wie eine silberne Sichel am westlichen Himmel stand, verschob ein wenig das Herannahen der Nacht. Wie Cassy erwartet hatte, hörten sie, als sie den Sümpfen ganz nahe waren, welche die Pflanzung einschlossen, eine Stimme ihnen Halt! zurufen. Es war indeß nicht Sambo, sondern Legree, der sie mit heftigen Verwünschungen verfolgte. Bei dem Tone brach der schwächere Geist Emmelinens zusammen: und indem sie sich an Cassy's Arm hielt, sagte sie: »O, Cassy, ich werde ohnmächtig!« »Geschieht das, so tödte ich Dich!« sagte Cassy, indem sie einen kleinen schimmernden Dolch zog, und vor den Augen des Mädchens blitzen ließ. Die Drohung entsprach dem Zwecke. Emmeline wurde nicht ohnmächtig, und es gelang ihr, sich mit Cassy in einen Theil des Sumpflabyrinths zu stürzen, welches so tief und dunkel war, daß Legree an ein Verfolgen derselben ohne Hülfe nicht denken konnte. »Gut,« sagte er, indem er ein viehisches Gelächter aufschlug, »nun sind sie in der Falle -- das Pack. Sie sind jetzt sicher genug; sollen mir dafür schwitzen.« »Holla, da! Sambo! Quimbo! Kommt Alle her!« rief er, die Quartiere erreichend, als die Leute gerade von der Arbeit kamen. »Da sind zwei Ausreißer in den Sümpfen. Ich gebe dem Nigger, der sie fängt, fünf Dollar. Laßt die Hunde los. Laßt Tiger, Furie und alle andern los!« Diese Nachricht brachte sogleich große Aufregung hervor. Viele sprangen eifrig herbei, um ihre Dienste anzubieten, entweder in der Hoffnung einer Belohnung oder aus jener kriechenden Bereitwilligkeit, welche eine der kläglichsten Wirkungen der Sklaverei ist. Einige rannten dahin, Andere dorthin. Einige suchten nach Kienfackeln; Andere ließen die Hunde los, deren heiseres, wildes Gebell nicht wenig zur Belebung der Scene beitrug. »Herr, sollen wir auf sie schießen, wenn wir sie nicht fangen können?« sagte Sambo, dem sein Herr eine Büchse gebracht hatte. »Du kannst auf Cassy feuern, wenn Du willst; es ist Zeit, daß sie zum Teufel geht, wohin sie gehört; aber nicht auf die Dirne,« sagte Legree. »Und nun, Jungen, seid hurtig und flink. Fünf Dollar für den, der sie fängt, und ein Glas Brandwein Jedem von Euch!« Die ganze Bande begab sich nun, unter leuchtendem Fackelschein, mit Geschrei und Gebrüll, und wildem Getöse von Menschen und Thieren, hinab zum Sumpfe, während in einiger Entfernung alle übrigen Sklaven folgten. Das ganze Haus war folglich verlassen, als Cassy und Emmeline auf dem hintern Wege wieder hineinschlüpften. Das Schreien und Rufen ihrer Verfolger erfüllte noch die Luft: und Cassy und Emmeline konnten von den Fenstern des Wohnzimmers aus den Trupp sehen, wie er sich mit den Fackeln am Sumpfe vertheilte. »Sieh da!« sagte Emmeline, indem sie Cassy drauf aufmerksam machte: »die Jagd hat angefangen! Sieh, wie diese Lichter umhertanzen! Horch! die Hunde! Hörst Du nicht? Wären wir dort, so wäre unser Spiel keinen Picayune werth. O, um Gottes Willen, wir wollen uns verstecken. Schnell!« »Es hat keine Eile,« sagte Cassy kalt, »Alles ist auf der Jagd -- das ist das Abendvergnügen! Wir gehen bald hinauf. Indessen,« sagte sie, indem sie bedächtig einen Schlüssel aus der Tasche eines Rockes nahm, den Legree in der Eile abgeworfen hatte, »inzwischen will ich etwas nehmen, um die Reisekosten zu decken.« Sie schloß das Pult auf und nahm eine Rolle Anweisungen heraus, welche sie schnell überzählte. »O, laßt uns das nicht thun!« sagte Emmeline. »Nicht?« sagte Cassy, »warum nicht? Sollen wir in den Sümpfen verhungern, oder das nehmen, was unsere Reise in die freien Staaten bezahlen wird. Mit Geld richtet man Alles aus, Mädchen.« Und indem sie dies sagte, steckte sie das Geld in den Busen. »Das ist Stehlen,« flüsterte Emmeline ängstlich. »Stehlen!« sagte Cassy mit verächtlichem Gelächter. »Wer Leib und Seele stiehlt, braucht uns keine guten Lehren zu geben. Jede dieser Anweisungen ist gestohlen -- gestohlen von armen, verhungerten, elenden Geschöpfen, die zuletzt zu seinem Besten zum Teufel gehen müssen. Laß ^ihn^ vom Stehlen sprechen! Aber komm', wir können nun ebenso gut auf die Bodenkammer gehen; ich habe da einen Vorrath von Lichtern und einige Bücher, um uns die Zeit zu vertreiben. Du kannst ganz ruhig sein, daß sie ^dahin^ nicht kommen, um uns zu suchen; und wenn sie's thun, so will ich ihnen den Geist spielen.« Als Emmeline die Bodenkammer erreichte, fand sie daselbst eine ungeheure Kiste, in der früher irgend ein schweres Möbelstück hierher gebracht worden war, auf die Seite gelegt, so daß die Oeffnung gegen die Wand oder vielmehr das Dach gekehrt war. Cassy steckte eine kleine Lampe an, und beide krochen unter dem Dache herum und ließen sich in der Kiste nieder. Es befanden sich darin ein Paar kleine Matratzen und einige Kissen, und ein in der Nähe stehender Kasten enthielt einen reichlichen Vorrath von Lichtern, Lebensmitteln und allen zu ihrer Reise nöthigen Kleidungsstücken, welche Cassy in Bündelchen von erstaunlich kleinem Umfange gepackt hatte. »Da,« sagte Cassy, als sie die Lampe an einen kleinen Haken hing, welchen sie zu dem Zwecke in die Seite der Kiste getrieben hatte; »dies soll für jetzt unsere Heimath sein. Wie gefällt sie Dir?« »Seid Ihr gewiß, daß sie nicht kommen und die Dachstube durchsuchen?« »Ich möchte Simon Legree das thun sehen,« sagte Cassy. »Nein, wahrhaftig; er ist zu froh, daß er wegbleiben kann. Was die Dienstboten anbetrifft, so würde Jeder von ihnen sich lieber todt schießen lassen, als sich hier zeigen.« Etwas beruhigt ließ sich Emmeline auf ihre Kissen nieder. »Was wolltet Ihr damit sagen, Cassy, daß Ihr mich umzubringen drohtet?« sagte sie arglos. »Ich wollte Dich verhindern, ohnmächtig zu werden,« sagte Cassy, »und es gelang mir. Und jetzt sage ich Dir, Emmeline, Du mußt Dich entschließen, ^nicht^ ohnmächtig zu werden, komme, was da wolle; das ist ganz und gar nicht nöthig. Wenn ich Dich nicht davon abgehalten hätte, so wärst Du jetzt schon in den Händen jenes Elenden.« Emmeline schauderte. Beide schwiegen. Cassy beschäftigte sich mit einem französischen Buche, und Emmeline, von Erschöpfung übermannt, schlummerte ein und schlief einige Zeit. Plötzlich wurde durch sie lautes Schreien und Rufen, durch Getrampel von Pferden und Bellen von Hunden erweckt, und fuhr mit einem leisen Schrei empor. »Die Jagdpartie kommt nun zurück,« sagte Cassy kalt; »fürchte nichts. Schau' durch dieses Astloch. Kannst Du sie nicht Alle unten sehen? Simon muß es für diesen Abend aufgeben. Sieh', wie schmutzig sein Pferd ist, wie mißmuthig die Hunde aussehen. Ach, mein guter Herr, Ihr müßt die Hetze wieder und wieder versuchen -- das Wild ist nicht da.« »O, sprecht nicht!« sagte Emmeline; »wie, wenn man Euch hörte?« »Wenn sie irgend etwas hören sollten, so würden sie sich nur um so mehr vorsehen, von hier weg zu bleiben,« sagte Cassy. »Keine Gefahr; wir können so viel Lärm machen, als wir wollen, und es wird nur um so mehr Wirkung haben.« Endlich legte sich die Stille der Mitternacht über das Haus, und Legree, sein Unglück verfluchend, und schreckliche Rache für den folgenden Tag gelobend, ging zu Bette. Vierzigstes Kapitel. Der Märtyrer. Glaub nicht den Guten vom Himmel vergessen, Wenn auch das Leben ihm Alles verweigert, -- Wenn mit gebrochenem, blutenden Herzen, Unter Hohn und Verachtung er langsam stirbt; Denn Gott hat jeden Kummer verzeichnet, Und jede bittre Thräne gezählt; Und lange Jahre himmlischen Segens Zahlen, was seine Kinder geduldet. Der längste Tag muß sein Ende haben -- auf die früheste Nacht folgt ein Morgen. Ein ewiger, unerbittlicher Verlauf von Augenblicken treibt immer den Tag des Bösen zur ewigen Nacht, und die Nacht des Gerechten zu einem ewigen Tage. Wir sind mit unserem demüthigen Freunde so weit durch das Thal der Sklaverei gewandelt; erst durch blumige Gefilde der Ruhe und Gemächlichkeit, dann durch die herzzerreißende Trennung von Allem, was den Menschen theuer ist. Dann haben wir mit ihm auf einem sonnigen Eilande verweilt, wo edle Hände seine Ketten unter Blumen verbargen; und zuletzt sind wir ihm dahin gefolgt, wo der letzte Strahl irdischer Hoffnung verschwand, und haben gesehn, wie in der Finsterniß irdischer Macht die Feste des Ungesehenen mit Sternen eines neuen und bedeutungsvollen Glanzes schimmerte. Der Morgenstern steht nun über den Gipfeln der Berge, und überirdische Winde und Lüfte verkünden, daß die Pforten des Tages sich öffnen. Die Flucht Cassy's und Emmelinen's reizte die vorher schon mürrische Stimmung Legree's im höchsten Grade; und, wie zu erwarten war, fiel seine Wuth auf das vertheidigungslose Haupt Tom's. Als er seinen Leuten hastig die Neuigkeit mittheilte, glänzten Tom's Augen, und er hob seine Hände empor. Das entging ihm nicht. Er sah, daß er sich dem Aufgebot der Verfolger nicht anschloß, und dachte darauf, ihn dazu zu zwingen; aber da er schon von früher her Erfahrungen über seine Unbeugsamkeit hatte, wenn ihm befohlen wurde, Theil an einer Grausamkeit zu nehmen, so wollte er sich jetzt in seiner Eile nicht dadurch aufhalten lassen, daß er einen Streit mit ihm anfing. Tom blieb also mit einigen Wenigen zurück, die von ihm beten gelernt hatten, und flehte mit ihnen für das Entkommen der Flüchtlinge zum Himmel. Als Legree getäuscht und betrogen zurückkehrte, fing der ganze Haß, der ihm schon lange gegen seinen Sklaven in der Seele arbeitete, an, eine tödtliche und verzweifelte Gestalt anzunehmen. Hatte ihm der Mann nicht getrotzt -- hartnäckig, mächtig, unwiderstehlich -- seit dem er ihn gekauft hatte! War nicht ein Geist in demselben, der, wenn auch schweigend, ihn wie Feuer der Verdammniß brannte! »Ich ^hasse^ ihn!« sagte Legree in jener Nacht, als er sich in seinem Bette aufrichtete; »ich ^hasse^ ihn! Und gehört er nicht mir? Kann ich mit ihm nicht machen, was ich will? Es soll mich doch wundern, wer 's mir wehren will?« Und Legree ballte die Faust und schüttelte sie, als wenn er etwas in der Hand hätte, das er in Stücke brechen wollte. Aber Tom war doch ein treuer, werthvoller Diener; und obgleich Legree ihn deßhalb um so mehr haßte, so war diese Rücksicht doch immer noch etwas, das ihn in Schranken hielt. Er beschloß, am nächsten Morgen noch nichts zu sagen; sondern eine Gesellschaft von den benachbarten Pflanzungen mit Hunden und Flinten zu versammeln, den Sumpf zu umstellen und die Jagd systematisch zu betreiben. Wenn es gelänge, gut; wenn nicht, so wollte er Tom vor sich fordern, und ^dann^ -- er knirschte mit den Zähnen und sein Blut siedete -- ^dann^ wollte er den Burschen niederbrechen, oder -- und seine Seele antwortete auf ein gräßliches innerliches Geflüster. Man sagt, daß der ^Vortheil^ des Herrn ein hinreichender Schutz für den Sklaven sei. In der Wuth des tollen Willens verkauft der Mensch wissentlich und mit offnen Augen seine eigne Seele dem Teufel, um zu seinem Zwecke zu gelangen; und wird er für seines Nächsten Leib mehr Sorge tragen? »Nun,« sagte Cassy am nächsten Tage, als sie von der Dachkammer aus durch das Astloch spähte, »die Jagd wird heute wieder anfangen!« Drei bis vier Reiter galoppirten auf dem Platze vor dem Hause umher; und mehrere Koppeln fremder Hunde sträubten sich gegen die Neger, welche dieselben hielten, und bellten sich einander an. Zwei der Leute waren Aufseher in benachbarten Pflanzungen; die Andern gehörten zu Legree's Genossen in der Schenke einer benachbarten Stadt, welche der Reiz der Jagd hergezogen hatte. Eine rohere Rotte konnte man sich nicht vorstellen. Legree schenkte Brandwein im Ueberflusse unter sie wie unter die Neger aus, welche von verschiedenen Pflanzungen zu dieser Dienstleistung gestellt worden waren, denn es war Gebrauch, jeden derartigen Dienst für die Neger so viel als möglich zu einem Festtage zu machen. Cassy legte das Ohr an das Astloch; und da die Morgenluft gerade auf das Haus zu wehte, so konnte sie ziemlich viel von der Unterhaltung hören. Ein tiefer Hohn lagerte sich über dem dunkeln, strengen Ernst ihres Antlitzes, als sie horchte und hörte, wie sie das Feld vertheilten, die verschiednen Vorzüge der Hunde abhandelten, Befehle in Betreff des Feuerngebens und der Behandlung einer Jeden im Falle des Gefangennehmens. Cassy zog sich zurück; sie schaute mit gefalteten Händen empor und sagte: »O, großer, allmächtiger Gott! Wir sind ^alle^ Sünder; aber was haben ^wir^ mehr, als die übrige Welt verbrochen, daß wir so behandelt werden?« Es lag ein furchtbarer Ernst in ihrem Antlitz und ihrer Stimme, als sie sprach. »Wenn es nicht für Dich wäre, Kind,« sagte sie, auf Emmeline blickend, »^ginge^ ich zu ihnen hinaus; und würde es dem Dank wissen, der mich ^niederschöße^; denn was kann mir die Freiheit helfen? Kann sie mir meine Kinder wieder geben, oder mich wieder dazu machen, was ich war?« Emmeline in ihrer kindlichen Einfalt fürchtete sich fast vor der finstern Stimmung Cassy's. Sie sah bestürzt aus und gab keine Antwort. Sie ergriff blos ihre Hand mit einer sanften, liebkosenden Bewegung. »Nicht doch!« sagte Cassy, indem sie dieselbe zurückzuziehen versuchte; »Du willst mich zwingen, Dich lieb zu haben; aber ich will nichts wieder lieben!« »Arme Cassy!« sagte Emmeline, »hegt nicht solche Gefühle! Wenn Gott uns die Freiheit schenkt, schenkt er Euch auch vielleicht Eure Tochter wieder. Ich weiß, ich werde meine arme, alte Mutter nicht wieder sehen! Ich will Euch lieben, Cassy, gleichviel, ob Ihr mich auch liebt oder nicht!« Der sanfte, kindliche Geist siegte. Cassy setzte sich zu ihr nieder, legte den Arm um ihren Nacken, und strich ihr sanft das braune Haar; da erstaunte Emmeline über die Schönheit ihrer prachtvollen Augen, die nun sanft schimmerten unter Thränen. »O, Em!« sagte Cassy, »ich habe nach meinen Kindern gehungert und nach ihnen gedurstet, und meine Augen sind trübe geworden vom Ausschauen nach ihnen! Hier! hier!« sagte sie, an ihre Brust schlagend, »ist Alles verödet und leer! Wenn Gott mir meine Kinder wiedergäbe, dann könnte ich beten.« »Ihr müßt auf ihn vertrauen, Cassy,« sagte Emmeline; »er ist unser Vater!« »Sein Zorn lastet auf uns,« sagte Cassy, »er hat sich im Zorn von uns gewendet.« »Nun, Cassy! Er wird noch gütig gegen uns sein! Laßt uns auf ihn hoffen,« sagte Emmeline; -- »ich habe immer Hoffnung gehabt.« * * * * * Die Jagd währte lange; sie wurde sehr lebhaft und gründlich ausgeführt, aber blieb erfolglos, und Cassy schaute mit ernstem, höhnischem Frohlocken auf Legree hinab, als er müde und verdrießlich vom Pferde stieg. »Nun, Quimbo,« sagte Legree, als er sich im Wohnzimmer niederstreckte, »geh und bring den Tom hier herauf, sogleich! Der alte Schuft steckt hinter der ganzen Geschichte; und ich will es aus seinem alten schwarzen Fell heraus haben; oder den Grund wissen!« Sambo und Quimbo, obgleich sie sich einander haßten, stimmten doch vollkommen in einem nicht weniger herzlichen Haß gegen Tom überein. Legree hatte ihnen gleich Anfangs gesagt, daß er ihn gekauft habe, um einen Oberaufseher in seiner Abwesenheit aus ihm zu machen; und dies hatte bei ihnen einen Groll erregt, welcher in ihren erniedrigten und knechtischen Naturen noch zunahm, als sie sahen, daß er bei ihrem Herrn in Mißgunst fiel. Quimbo ging deßhalb bereitwillig fort, um seine Befehle in Ausführung zu bringen. Tom hörte die Botschaft mit ahnendem Herzen; denn er kannte den ganzen Plan von dem Entweichen der Flüchtlinge; und den Ort ihres gegenwärtigen Verstecks. Er kannte den wilden Charakter des Mannes, mit dem er zu thun hatte, und dessen grausame Gewalt. Aber er fühlte sich stark in Gott, lieber dem Tode zu begegnen, als die Hülflosen zu verrathen. Er setzte seinen Korb in die Reihe nieder, blickte auf und sagte: »In deine Hände befehle ich meinen Geist! Du hast mich erlöset, Gott der Wahrheit!« und dann überließ er sich ruhig dem rohen, thierischen Griffe womit ihn Quimbo packte. »Ja, ja!« sagte der Riese, als er ihn entlang schleppte, »wirst 's nun kriegen! Will verdammt sein, wenn Master nicht grimmig wild ist! Hilft nun kein Wegschleichen mehr! Ich sage Dir, Du wirst 's kriegen, das steht fest! Nun sieh zu, was Du für ein Gesicht machen wirst, Masters Nigger helfen davon zu laufen! Wirst's sehen, was Du kriegst!« Keines der wilden Worte erreichte sein Ohr -- eine höhere Stimme sagte dann: »Fürchte Dich nicht vor denen, die den Leib tödten, und dann nichts mehr thun können!« Diese Worte durchbebten Mark und Bein des Armen, wie vom Finger Gottes berührt; und er fühlte die Kraft von tausend Seelen in einer. Als er dahin schritt, schienen die Bäume und Büsche, die Hütten seiner Knechtschaft, der ganze Schauplatz seiner Erniedrigung an ihm vorbei zu fliegen, wie eine Landschaft an dahineilenden Wagen. Das Herz schlug ihm -- seine Heimath war ihm vor Augen -- und die Stunde der Erlösung schien gekommen. »Nun, Tom,« sagte Legree, indem er auf ihn los ging, ihn grimmig am Rockkragen packend und in rasender Wuth durch die Zähne sprechend, »weißt Du, ich bin entschlossen, Du sollst sterben!« »So scheint es, Master,« sagte Tom ruhig. »^Ich habe^,« sagte Legree mit grimmiger, furchtbarer Ruhe, »^eben^ -- ^das^ -- ^gethan^, Tom, wenn Du mir nicht sagst, was Du von den Mädchen weißt!« Tom schwieg. »Hörst Du?« sagte Legree, mit den Füßen stampfend und mit einem Gebrülle wie das eines wüthenden Löwen. »Sprich!« »^Ich kann nichts sagen, Master,^« sagte Tom mit langsamem, festem und bedächtigem Tone. »Wagst Du, mir zu sagen, alter, schwarzer Christ, Du ^weißt^ es nicht?« sagte Legree. Tom antwortete nicht. »Rede!« donnerte Legree, indem er ihn wüthend schlug. »Weißt Du etwas davon?« »Ich weiß was, Master, kann aber nichts sagen. ^Ich kann sterben!^« Legree holte tief Athem, nahm, seine Wuth unterdrückend, Tom beim Arme, zog dessen Gesicht dicht an das seinige heran, und sagte mit schrecklicher Stimme: »Höre, Tom -- Du denkst, weil ich Dich früher losgelassen habe, 's ist nicht mein Ernst, was ich sage, aber diesmal ^bin ich entschlossen^, ich habe die Kosten berechnet. Du hast Dich mir immer widersetzt -- jetzt will ich ^Dich unterwerfen oder umbringen^! Eins oder 's Andre. Ich will jeden Tropfen Blut in Dir zählen und einen nach dem andern abzapfen, bis Du nachgibst!« Tom sah zu seinem Herrn auf und antwortete: »Herr, wenn Ihr krank wärt oder in Noth, oder am Tode, und ich könnte Euch retten, wollte ich Euch gern mein Herzblut geben; und wenn es Eure köstliche Seele retten könnte, daß Ihr jeden Blutstropfen nähmt, der in diesem armen, alten Leibe ist, so wollte ich ihn willig geben, wie der Herr sein Blut für mich gab. O, Master, ladet nicht diese große Sünde auf Euch! Es schadet Euch mehr als mir! Thut das Schlimmste, was Ihr könnt, meine Noth wird bald vorüber sein; aber wenn Ihr nicht bereut, wird Eure ^nie^ enden!« Gleich einem Accorde himmlischer Musik, nachdem sich der Sturm gelegt hat, schuf dieser Ausbruch des Gefühls eine plötzliche Pause. Legree stand erstaunt da, und sah Tom an; es herrschte eine so tiefe Stille, daß man das Ticken der alten Uhr hören konnte, die mit stiller Berührung dem verhärteten Herzen die letzten Augenblicke der Gnade und Prüfung zumaß. Es war nur ein Augenblick. Eine Pause des Zögerns, der Unentschlossenheit, des Widerstrebens, und der Geist des Bösen kehrte mit siebenfacher Heftigkeit zurück; und Legree, schäumend vor Wuth, schmetterte sein Opfer zu Boden. * * * * * Scenen von Blut und Grausamkeit sind verletzend für unser Ohr und unser Herz. Was der Mensch den Muth hat zu thun, hat er oft nicht den Muth zu hören. Was Mitmenschen und Mitchristen leiden müssen, lassen wir uns selbst nicht in unsrer geheimsten Kammer erzählen; so sehr zerreißt es unser Herz. Und doch, o! mein Vaterland! geschehen diese Dinge unterm Schatten deiner Gesetze! O, Christ! Deine Kirche sieht es fast schweigend! Aber vor alten Zeiten war einer, dessen Leiden ein Marterwerkzeug, ein Werkzeug der Erniedrigung und Schande in ein Sinnbild des Ruhms und des unsterblichen Lebens verwandelte; und wo sein Geist ist, können weder erniedrigende Streiche, noch Blut, noch Hohn des Christen letzten Kampf anders als glorreich machen. War er allein in jener langen Nacht, dessen edler, liebevoller Geist in jenem alten Schuppen nicht verzagte unter Stößen und viehischen Streichen? Nein! Neben ihm stand ^Einer^, nur von ihm gesehen, »gleich dem Sohne Gottes.« Der Versucher stand auch neben ihm, verblendet durch seinen wüthenden, despotischen Willen, jeden Augenblick in ihn dringend, diesem Todeskampf durch den Verrath der Unschuldigen zu entgehen. Aber das brave treue Herz stand fest auf dem ewigen Felsen. Wie sein Meister wußte er, daß wenn er Andre rette, er sich selbst nicht retten könne; auch konnte die äußerste Gewaltmaßregel ihm keine anderen Worte abzwingen, als die des Gebetes und heiligen Vertrauens. »Er ist fast hin, Master,« sagte Sambo, wider Willen von der Geduld seines Opfers gerührt. »Ausgezahlt, bis er nachgibt! Gieb 's ihm, gieb 's ihm!« brüllte Legree. »Ich will ihm jeden Blutstropfen abzapfen, den er hat, wenn er nicht gesteht.« Tom öffnete die Augen und sah seinen Herrn an. »Ihr armes, elendes Geschöpf!« sagte er; »es gibt nichts mehr für Euch zu thun! Ich vergebe Euch mit ganzem Herzen!« und er sank vollständig in Ohnmacht. »Ich glaube meiner Seele, 's ist aus mit ihm,« sagte Legree, indem er herzutrat und ihn betrachtete. »Ja, 's ist aus! Nun, so ist ihm doch wenigstens der Mund gestopft -- das ist ein Trost!« Ja, Legree; aber wer wird jene Stimmen in Deiner Seele zum Schweigen bringen, -- jener Seele, ohne Reue, ohne Gebet, ohne Hoffnung, in welcher das Feuer schon brennt, welches nie gelöscht werden wird. Tom war jedoch noch nicht ganz dahin. Seine wundervollen Worte und frommen Gebete hatten die Herzen der entmenschten Schwarzen getroffen, welche die Werkzeuge der an ihm verübten Grausamkeit gewesen waren; und den Augenblick, als sich Legree zurückzog, nahmen sie ihn ab und suchten ihn in ihrer Unwissenheit zum Leben zurückzurufen -- als wenn das eine Wohlthat für ihn gewesen wäre. »Wir haben wahrhaftig 'was schrecklich Böses gethan!« sagte Sambo; »ich hoffe, Master hat dafür Rechenschaft zu geben, -- nicht wir.« Sie wuschen seine Wunden -- bereiteten ihm ein rohes Bett von schadhafter Baumwolle -- und Einer von ihnen schlich nach dem Hause und erbat sich einen Schluck Brandwein von Legree, unter dem Vorgeben, daß er ermattet sei und ihn für sich brauche. Er brachte denselben zurück und flößte ihn Tom in den Mund. »O, Tom!« sagte Quimbo, »wir haben sehr schlecht gegen Dich gehandelt!« »Ich vergebe Euch mit ganzem Herzen!« sagte Tom mit schwacher Stimme. »O, Tom! sag uns, wer ^Jesus^ ist?« sagte Sambo, »-- Jesus, der die ganze Nacht bei Dir gestanden hat! Wer ist 's?« Das Wort erweckte den sinkenden, ohnmächtigen Geist. Ueber seine Lippen strömten einige kräftige Sprüche jenes Wunderbaren -- von seinem Leben, seinem Tode, seiner ewigen Gegenwart, und seiner Macht zu erlösen. Sie weinten -- die beiden rohen Menschen. »Warum habe ich das noch nie gehört?« sagte Sambo; »aber ich glaube! -- ich kann nicht anders! Herr Jesus, erbarme Dich unser.« »Arme Geschöpfe!« sagte Tom, »ich will gern Alles getragen haben, wenn es Euch nur zu Christus bringt! O Gott! ich bitte Dich, gib mir nur noch diese beiden Seelen!« Das Gebet wurde erhört. Einundvierzigstes Kapitel. Der junge Master. Zwei Tage darauf fuhr ein junger Mann in einem leichten Wagen durch die Orangen-Allee herauf, warf die Zügel eilig auf die Rücken der Pferde, sprang heraus und fragte nach dem Besitzer der Plantage. Es war Georg Shelby; und um zu zeigen, wie er hierher kam, müssen wir in unsrer Geschichte zurück gehen. Der Brief Opheliens an Mrs. Shelby war durch einen unglücklichen Zufall einen oder zwei Monate auf einer entlegenen Post liegen geblieben, ehe er seine Bestimmung erreichte; und ehe er ankam, war Tom schon in den fernen Sümpfen des Red River verschwunden. Mrs. Shelby las die Nachricht mit dem tiefsten Kummer; aber irgend ein unmittelbares Handeln darauf hin war eine Unmöglichkeit. Sie war damals am Krankenlager ihres Gatten beschäftigt, der in der heftigsten Phantasie einer Fieberkrisis lag. Der junge Master, Georg Shelby, der indessen aus einem Knaben ein großer, junger Mann geworden war, stand ihr als beständiger und treuer Gehülfe zur Seite, und war ihre einzige Stütze in der Leitung der Angelegenheiten seines Vaters. Miß Ophelie hatte die Vorsicht gebraucht, den Namen des Anwalts zu melden, der die Geschäfte der St. Clares betrieb; und das Einzige, was in dieser Angelegenheit gethan werden konnte, war, schriftlich bei ihm anzufragen. Der plötzliche Tod Mr. Shelby's wenige Tage nachher hatte natürlich eine Menge dringender Geschäfte zur Folge, die alles Uebrige eine Zeit lang in den Hintergrund drängten. Mr. Shelby hatte sein Vertrauen in die Geschicklichkeit seiner Gattin dadurch an den Tag gelegt, daß er sie zur alleinigen Vollstreckerin des letzten Willens ernannte; und so hatte sie augenblicklich eine Masse der verwickeltesten Geschäfte zu ordnen. Mrs. Shelby unternahm mit der ihr eignen Entschlossenheit das Geschäft, das verwickelte Netz dieser Angelegenheiten zu entwirren, und sie und Georg waren eine Zeit lang mit dem Sammeln und Prüfen von Rechnungen, dem Verkaufe von Vermögensstücken und der Berichtigung von Schulden beschäftigt; denn Mrs. Shelby war entschlossen, daß Alles in eine klare und übersichtliche Gestalt gebracht werden solle, möchten die Folgen sein, welche sie wollten. Inzwischen empfingen sie ein Schreiben von dem Anwalt, an welchen sie Ophelie gewiesen hatte, des Inhalts, daß ihm nichts von der Angelegenheit bekannt sei; daß der Mann in öffentlicher Versteigerung verkauft worden, und er daher von der Sache nur so viel wisse, daß das Kaufgeld für denselben an ihn berichtigt worden sei. Weder Georg noch Mrs. Shelby konnten sich bei diesem Erfolge beruhigen, und demgemäß beschloß der Letztere nach sechs Monaten, als er für seine Mutter den Fluß hinab Geschäfte zu besorgen hatte, New-Orleans in Person zu besuchen und die Nachforschungen weiter zu betreiben, in der Hoffnung, Tom's Aufenthalt zu entdecken und ihn auszulösen. Nach einigen Monaten erfolglosen Nachsuchens traf Georg durch bloßen Zufall in New-Orleans Jemanden, der zufällig die gewünschte Auskunft geben konnte, und unser Held ging sofort mit dem Gelde in der Tasche auf einem Dampfschiffe nach Red River ab, entschlossen, seinen alten Freund aufzusuchen und wieder zu kaufen. Er wurde in das Haus geführt, wo er Legree im Wohnzimmer fand. Legree empfing den Fremden mit einer Art von mürrischer Gastfreundlichkeit. »Ich höre,« sagte der junge Mann, »daß Ihr in New-Orleans einen Burschen, Namens Tom, gekauft habt. Er war früher bei meinem Vater, und ich bin gekommen, um zu sehen, ob ich ihn wieder kaufen könnte.« Legree's Stirn verdunkelte sich, und er brach heftig in die Worte aus: »Ja, ich habe so einen Kerl gekauft, und habe dabei einen höllischen Handel gemacht! Der aufrührerischste, frechste, unverschämteste Hund! Hetzt meine Nigger auf, davon zu laufen, brachte zwei Mädchen weg, das Stück acht hundert oder tausend Dollar werth. Er hat es eingestanden, und als ich ihm befahl, zu sagen, wo sie wären, fuhr er auf und sagte, er wisse es, wolle es aber nicht sagen, und blieb dabei, obgleich ich ihm die höllischsten Hiebe geben ließ, die je ein Nigger bekommen hat. Ich glaube, er wird wohl drauf gehn, weiß aber nicht, ob er schon damit fertig ist.« »Wo ist er?« sagte Georg heftig. »Zeigt mir ihn!« Die Wangen des Jünglings glühten und seine Augen sprühten Feuer; aber er beschloß, nichts weiter zu sagen. »Er ist in jenem Schuppen,« sagte ein kleiner Bursche, der Georg's Pferd hielt. Legree gab dem Knaben einen Fußtritt und stieß Flüche gegen ihn aus; Georg aber drehte sich, ohne ein Wort weiter zu sagen, um, und schritt auf den Ort zu. Tom hatte zwei Tage seit dem verhängnißvollen Abend da gelegen; nicht leidend, denn jeder Nerv des Leidens war abgestumpft und zerstört. Er lag meistens in einer ruhigen Betäubung; denn die Natur seines gewaltigen und kräftigen Körpers wollte den gefesselten Geist nicht auf einmal erlöschen. Es waren heimlich in der Nacht arme, trostlose Geschöpfe da gewesen, die sich etwas von ihrer kurzen Ruhe entzogen, um ihm einige der Liebesdienste zurückzuzahlen, mit denen er immer so freigebig gewesen war. Wahrlich, diese armen Schüler hatten wenig zu geben -- nur eine Schale kaltes Wasser; aber es wurde mit vollem Herzen gegeben. Thränen waren auf das ehrliche, empfindungslose Gesicht gefallen -- Thränen später Reue aus den Augen der armen, unwissenden Heiden, die seine sterbende Liebe und Geduld zur Reue erweckt hatte, und bittere Gebete waren über ihm zu einem spät gefundenen Heiland gehaucht worden, von welchem sie kaum mehr als den Namen kannten, aber den das sehnende, unwissende Herz des Menschen nie vergebens anruft. Cassy, die aus ihrem Versteck geschlichen war und durch Lauschen gehört hatte, welches Opfer für sie und Emmeline gebracht war, hatte ihn, der Gefahr der Entdeckung trotzbietend, in der vorigen Nacht besucht; und, von den wenigen letzten Worten bewegt, welche die liebevolle Seele noch Kraft zu hauchen hatte, war der lange Winter der Verzweiflung, das Eis von Jahren aufgethaut, und das finstere, verzweifelnde Weib hatte geweint und gebetet. Als Georg in den Schuppen trat, fühlte er seinen Kopf schwer und sein Herz krank werden. »Ist es möglich? -- ist es möglich?« sagte er, indem er zu ihm niederkniete. »Onkel Tom, mein armer, armer alter Freund!« Etwas in der Stimme drang zu dem Ohr des Sterbenden. Er bewegte sanft den Kopf, lächelte und sagte: »Jesus macht ein Sterbebett Weich wie Dunen-Kissen sind.« Aus des Jünglings Augen fielen Thränen, welche seinem männlichen Herzen Ehre machten, als er sich über seinen armen Freund beugte. »O, lieber Onkel Tom! wach auf -- sprich noch einmal! Sieh auf! Hier ist der junge Master Georg -- Dein kleiner junger Master Georg. Kennst Du mich nicht?« »Der junge Master Georg!« sagte Tom, indem er die Augen öffnete, und mit schwacher Stimme sprach, »der junge Master Georg!« Er blickte ihn verwirrt an. Allmählig schien der Gedanke seine Seele zu erfüllen; das irre Auge wurde stätiger und heller, das ganze Antlitz klärte sich auf, die harten Hände falteten sich und Thränen rannen seine Wangen hinab. »Gelobt sei Gott! es ist -- es ist -- es ist Alles, was ich wollte! Sie haben mich nicht vergessen. Es wärmt mein Herz; es macht meinem alten Herzen Freude! Nun will ich zufrieden sterben! Gepriesen sei Gott, o meine Seele!« »Du sollst nicht sterben! Du ^darfst^ nicht sterben, oder nur daran denken! Ich bin gekommen, Dich zu kaufen und nach Hause zu nehmen,« sagte Georg mit stürmischer Heftigkeit. »O, Master Georg, Sie kommen zu spät. Der Herr hat mich gekauft und will mich nach Hause nehmen -- und ich sehne mich, mit ihm zu gehen. Der Himmel ist besser als Kentucky.« »O, stirb nicht! Es wird mich tödten! -- es wird mir das Herz brechen, wenn ich daran denke, was Du gelitten hast -- und hier in diesem alten Schuppen zu liegen! armer, armer Mensch!« »Sagen Sie nicht, armer Mensch!« sagte Tom feierlich. »Ich ^bin^ ein armer Mensch ^gewesen^, aber das ist jetzt vorüber. Ich bin gerade in der Pforte, und gehe zum Ruhme ein! O, Master Georg! ^Der Himmel ist geöffnet!^ Ich habe den Sieg errungen! -- der Herr Jesus hat mir ihn gegeben. Gepriesen sei sein Name!« Georg war tief ergriffen von der Kraft und dem Feuer, womit diese abgebrochenen Sätze ausgestoßen wurden. Schweigend betrachtete er den Sterbenden. Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: -- »Sie müssen Chloe nichts davon sagen, der armen Seele! wie Sie mich gefunden haben; es wäre so schrecklich für sie. Sagen Sie ihr bloß, daß Sie mich gefunden haben, als ich zur Herrlichkeit einging, und daß ich nicht hätte bleiben können. Und sagen Sie ihr, der Herr habe bei mir gestanden überall und immer und Alles leicht und schmerzlos gemacht. Und ach, die armen Kinder, und das Kleine -- mein altes Herz ist ihretwegen lange gebrochen. Sagen Sie Allen, daß Sie mir folgen -- mir folgen! Grüßen Sie Master freundlich und die liebe, gute Missis und Jedermann auf dem Gute! Sie wissen nicht! 's ist mir, als liebte ich sie Alle! Ich liebe jedes Geschöpf, überall -- 's ist ^nichts^ als Liebe! O, Master Georg! was ist 's doch, wenn man ein Christ ist!« Diesen Augenblick trat Legree an die Thür des Schuppens, sah hinein mit verdrießlicher Miene und affektirter Gleichgültigkeit, und ging wieder fort. »Der alte Satan!« sagte Georg in seinem Unwillen. »'s ist ein Trost zu glauben, daß der Teufel ihn dafür bald bezahlen wird.« »O, nicht doch! -- oh, das müssen Sie nicht!« sagte Tom, indem er seine Hand ergriff; »er ist ein armes, elendes Geschöpf 's ist schrecklich daran zu denken! O, wenn er nur bereuen könnte, Gott würde ihm noch immer vergeben; aber ich fürchte, er wird es niemals.« »Ich hoffe, er wird nicht!« sagte Georg. »Ich möchte ^ihn^ nicht im Himmel sehen.« »Still, Master Georg! das thut mir weh. Denken Sie nicht so. Er hat mir kein wirkliches Leid gethan -- mir nur die Thore des Himmelreichs geöffnet; das ist Alles!« In diesem Augenblick schwand die plötzliche Kraft, welche die Freude, seinen jungen Herrn wiederzusehen, dem Sterbenden eingeflößt hatte. Eine plötzliche Ohnmacht befiel ihn; er schloß die Augen; und jener geheimnißvolle und erhabene Wechsel kam über sein Antlitz, der das Nahen einer andern Welt verkündete. Er begann mit langen und tiefen Zügen zu athmen; und seine breite Brust hob sich schwer und sank. Der Ausdruck seines Gesichts war der eines Ueberwinders. »Wer -- wer -- wer soll uns scheiden von der Liebe Christi?« sagte er mit einer Stimme, die gegen sterbliche Schwäche ankämpfte; und sank lächelnd in den tiefen Schlaf. Georg saß da wie von feierlichem Grauen gebannt. Der Ort schien ihm heilig zu sein; und als er die leblosen Augen schloß und sich von dem Todten erhob, erfüllte ihn nur der Gedanke -- den sein schlichter, alter Freund ausgesprochen: »Was ist es doch, wenn man ein Christ ist!« Er wendete sich um, Legree stand mürrisch hinter ihm. Die Sterbescene hatte die natürliche Heftigkeit der jugendlichen Leidenschaft gezügelt. Die Gegenwart des Menschen war Georg nur widerlich und er fühlte nur das Verlangen, mit so wenig Worten wie möglich von ihm abzukommen. Indem er sein scharfes, dunkles Auge auf Legree heftete, sagte er einfach, indem er auf den Todten hindeutete: »Ihr habt Alles aus ihm heraus, was Ihr habt herausbekommen können. Was soll ich Euch für den Körper zahlen? Ich will ihn mit mir nehmen und anständig beerdigen.« »Ich verkaufe keinen todten Nigger,« sagte Legree finster. »Ihr könnt ihn begraben, wo und wann Ihr wollt.« »Burschen,« sagte Georg in einem befehlenden Tone zu zwei oder drei Negern, welche um den Leichnam standen, »helft mir ihn zu meinem Wagen tragen; und verschafft mir einen Spaten.« Einer von ihnen lief nach einem Spaten; die andern beiden halfen Georg den Körper nach dem Wagen tragen. Georg sprach weder mit Legree, noch sah er denselben an; und dieser gab keine Gegenbefehle, sondern stand pfeifend da mit der Miene erzwungener Unbekümmertheit, und folgte ihnen trotzig zum Wagen, der am Thor stand. Georg breitete seinen Mantel im Wagen aus und legte den Körper sorgfältig hinein, indem er den Sitz so ordnete, daß Platz gewonnen wurde. Dann drehte er sich um, heftete das Auge auf Legree und sagte mit erzwungener Ruhe: »Ich habe Euch noch nicht gesagt, was ich von dieser scheußlichen Angelegenheit denke; dies ist nicht Zeit und Ort. Aber diesem unschuldigen Blute muß Gerechtigkeit werden. Ich will diesen Mord veröffentlichen. Ich werde zur nächsten Behörde gehen und Euch anklagen.« »Das könnt Ihr!« sagte Legree, verächtlich mit den Fingern schnippend. »Ich möchte das wohl sehen. Woher wollt Ihr Zeugen nehmen? -- Wie wollt Ihr es beweisen? He?« Georg sah sogleich, wie wohl begründet dieses Trotzbieten war. Es war kein Weißer am Orte; und in allen südlichen Gerichtshöfen hat das Zeugniß der Farbigen keinen Werth. Ihm war in dem Augenblicke, als könne er den Himmel zerreißen mit seines Herzens empörtem Rufe nach Gerechtigkeit; aber vergebens. »Aber was für Geschrei um einen todten Nigger!« sagte Legree. Das Wort wirkte wie ein Funke in einer Pulverkammer. Vorsicht war nie eine Haupttugend des Kentucky'schen Jünglings. Georg drehte sich um und schmetterte mit einem wüthenden Schlage Legree zu Boden; und als er über ihm stand, schäumend vor Zorn und Wuth, hätte er kein unpassendes Bild seines großen Namensvetters abgegeben, wie derselbe über den Drachen triumphirt. Einige Leute werden indeß entschieden dadurch gebessert, daß sie zu Boden geschlagen werden. Wenn Jemand dieselben ehrlich und redlich in den Staub streckt, scheinen sie sogleich Achtung vor ihm zu bekommen; und Legree gehörte zu diesen. Als er sich daher erhob und den Staub von seinen Kleidern strich, schaute er dem langsam sich entfernenden Wagen mit sichtlicher Achtung nach; auch that er den Mund nicht eher auf, als bis ihm derselbe aus dem Gesichte war. Jenseits der Grenzen der Pflanzung hatte Georg einen trockenen, sandigen Hügel bemerkt, der von wenigen Bäumen beschattet war; dort gruben sie das Grab. »Sollen wir den Mantel abnehmen, Herr?« sagten die Neger, als das Grab fertig war. »Nein, nein: begrabt ihn damit. Es ist Alles, was ich Dir jetzt geben kann, armer Tom, und Du sollst ihn haben.« Sie legten ihn hinein, und die Leute schaufelten ihn still zu. Sie häuften einen Hügel auf und legten grüne Rasen darauf. »Ihr könnt nun gehen, Jungens,« sagte Georg, indem er jedem ein Geldstück in die Hand drückte. Sie zögerten aber. »Wenn Master so gut sein wollte, uns zu kaufen --« sagte der Eine. »Wir wollten so treu dienen!« sagte der Andere. »Schlechte Zeiten hier, Master!« sagte der Erste. »Kauft uns doch, Master, kauft uns!« »Ich kann nicht! -- Ich kann nicht,« sagte Georg mit schwerem Herzen, indem er sie fortdrängte, »es ist unmöglich!« Die armen Kerle machten niedergeschlagene Gesichter und gingen schweigend fort. »Bezeuge mir, ewiger Gott,« sagte Georg, indem er am Grabe seines armen Freundes knieete, »o, bezeuge mir, daß ich von dieser Stunde an Alles thun will, ^was ein Mensch kann^, um diesen Fluch der Sklaverei aus meinem Vaterlande zu verbannen!« Kein Denkmal bezeichnet die letzte Ruhestätte unseres Freundes. Er bedarf keines. Sein Gott weiß, wo er liegt, und wird ihn zur Unsterblichkeit erwecken, um mit ihm zu erscheinen, wenn er in seiner Herrlichkeit erscheinen wird. Bemitleide ihn nicht! Solch' ein Leben und Tod sind nicht zu bemitleiden. Nicht in der Fülle von Allmacht ist der höchste Ruhm Gottes zu finden, sondern in der selbstverleugnenden, duldenden Liebe. Und gesegnet sind Die, welche er zur Gemeinschaft mit sich ruft, und ihr Kreuz ihm nachtragen in Geduld. Von denen steht es geschrieben: »Gesegnet sind die Traurigen, denn sie sollen getröstet werden.« Zweiundvierzigstes Kapitel. Eine wirkliche Geistergeschichte. Aus irgend einem besondern Grunde waren Geistergeschichten um diese Zeit ungewöhnlich im Schwunge unter den Dienstboten auf Legree's Gute. Man flüsterte sich zu, daß Fußtritte um Mitternacht die Dachstubentreppe herabgekommen und im Hause umher gehört worden seien. Vergebens hatte man die Thüre des obern Einganges geschlossen; der Geist trug entweder einen Nachschlüssel in der Tasche, oder bediente sich des unverjährbaren Vorrechtes der Geister, durch das Schlüsselloch zu kommen, und ging nach wie vor mit beunruhigender Freiheit im Hause umher. Die Ansichten waren einigermaßen getheilt über die Gestalt des Geistes, nach der unter Negern -- und so viel wir wissen, auch unter Weißen -- vorherrschenden Sitte, unveränderlich die Augen zu schließen, und den Kopf unter der Bettdecke, Unterröcken, oder was sonst bei dergleichen Gelegenheiten zum Schutze gebraucht zu werden pflegt, zu verbergen. Natürlich ist, wie Jedermann weiß, das geistige Auge besonders scharf und durchdringend, sobald die leiblichen Augen außer Thätigkeit gesetzt sind; und deshalb gab es eine Menge Portraits des Geistes in voller Lebensgröße, die bezeugt und beschworen wurden, und, wie es oft mit Portraiten der Fall ist, keine andre Aehnlichkeit mit einander hatten, als die Familienähnlichkeit des ganzen Geistergeschlechts, -- ein weißes Gewand. Sei dem wie ihm wolle, wir haben besondre Gründe, zu wissen, daß eine große Figur in einem weißen Gewande allnächtlich zur echten Geisterstunde um Legree's Wohnung schritt, durch Thüren ging, das Haus umschlich, -- zuweilen verschwand, dann wieder erschien, und jene einsame Treppe hinauf in den verrufenen Boden ging; und daß am nächsten Morgen alle Thüren eben so fest verschlossen gefunden wurden, wie zuvor. Legree mußte nothwendig dies Geflüster hören, und es regte ihn um so mehr auf, je mehr Mühe man sich gab, es ihm zu verhehlen. Er trank mehr Brandwein, als gewöhnlich, trug seinen Kopf hoch und fluchte lauter als jemals bei Tage. Aber er hatte böse Träume, und die Erscheinungen, die sich an seinem Bette zeigten, waren nichts weniger als angenehm. Am Abende, nachdem Tom's Leichnam fortgeschafft worden war, ritt er nach der nächsten Stadt zu einem Zechgelage. Er kam spät und ermüdet nach Hause, verschloß seine Thür, zog den Schlüssel aus, und ging zu Bett. Mag ein Mensch sich auch noch so viel Mühe geben, seine Seele einzuschläfern, sie ist für einen bösen Menschen doch ein entsetzlich gespenstiges Besitzthum. Wer kennt ihre Grenzen? Wer kennt alle ihre Ahnungen, ihre Schauer, ihr Beben, die sie eben so wenig unterdrücken kann, wie ihre eigne Ewigkeit überleben! Welcher Thor ist Derjenige, der seine Thür verschließt, um Geister abzuhalten, und in seinem eignen Busen einen Geist trägt, dem er nicht zu begegnen wagt, -- dessen Stimme, obgleich unterdrückt durch Berge von Weltlichkeit, dennoch wie die warnende Stimme des jüngsten Gerichtes ertönt! Aber Legree verschloß seine Thür, und setzte einen Stuhl davor; er stellte seine Lampe zu Häupten des Bettes, und legte seine Pistolen daneben. Er untersuchte den Verschluß der Fenster, und schwur dann, »daß er sich nicht vor dem Teufel und allen seinen Engeln fürchte,« und legte sich schlafen. Wohl, er schlief, denn er war müde, -- er schlief fest. Endlich aber breitete sich über seinen Schlaf ein Schatten, ein Schrecken, eine Ahnung von etwas Entsetzlichem, was über ihm schwebe. Er hielt es für das Sterbehemd seiner Mutter, aber Cassy hielt es empor, und zeigte es ihm. Er hörte ein verworrenes Geräusch von Schreien und Stöhnen; und dennoch wußte er, daß er schlief, und bemühte sich, wach zu werden. Endlich wurde er halb wach, und glaubte mit Bestimmtheit zu erkennen, daß Etwas in sein Zimmer komme. Er wußte, daß die Thür offen war, aber er konnte weder Hand noch Fuß rühren. Endlich wendete er sich mit einer plötzlichen Anstrengung um. Die Thür war geöffnet, und er sah eine Hand sein Licht auslöschen. Es war eine trübe, nebelige Mondnacht, und doch sah er es! -- etwas Weißes, was herein schlich! Er hörte das leise Rauschen der gespenstigen Gewänder. Es stand an seinem Bette still; -- eine kalte Hand berührte die seinige; eine Stimme sagte dreimal in leisem, schrecklichen Flüstern: »Komm'! komm'! komm'!« Und während er vor Schrecken in Schweiß gebadet da lag, bemerkte er nicht, wann und wie die Erscheinung wieder verschwand. Er sprang aus dem Bette, und riß an der Thür. Sie war fest verschlossen, und der Mann stürzte ohnmächtig zu Boden. Von dieser Zeit an wurde Legree ein stärkerer Trinker als je zuvor. Er trank nicht mehr mit Vorsicht und Besonnenheit, sondern ohne Grenze und Maaß. Bald nachher verbreitete sich in der Umgegend das Gerücht, daß er krank sei und dem Tode nahe. Unmäßigkeit hatte jene schreckliche Krankheit erzeugt, welche die düstern Schatten einer kommenden Vergeltung auf dieses Leben zurückzuwerfen scheint. Niemand konnte die Schrecken jenes Krankenzimmers ertragen, wenn er raste und schrie, und von Gesichten sprach, die das Blut Derjenigen, die ihn hörten, erstarren ließ; und an seinem Sterbebette stand eine ernste, weiße, unerbittliche Gestalt, die ihm zurief: »Komme! komme! komme!« Durch ein sonderbares Zusammentreffen wurde nach derselben Nacht, in der Legree diese Erscheinung hatte, die Hausthür am Morgen offen gefunden; und einige Neger hatten zwei weiße Gestalten die Allee hinab der Landstraße zugehen sehen. Es war kurz vor Sonnenaufgang, als Cassy und Emmeline einen Augenblick in einem kleinen Gehölze in der Nähe der Stadt anhielten. Cassy war nach der Mode spanischer Creolinnen gekleidet, -- ganz schwarz. Ein kleiner, schwarzer Hut, der mit einem dicht gestickten Schleier bedeckt war, verbarg ihr Gesicht. Nach getroffener Uebereinkunft sollte sie auf der Flucht die Rolle einer vornehmen Creolin spielen, und Emmeline für ihre Dienerin gelten. Da Cassy sich von früher Jugend an in den höchsten Gesellschaftskreisen bewegt hatte, so harmonirten ihre Sprache, ihre Bewegungen, ihr ganzes Wesen mit dieser Idee; und sie hatte von ihrer einst glänzenden Garderobe noch genug bewahrt, um diese Rolle mit äußerem Anstande und mit Erfolg spielen zu können. In der Vorstadt kaufte sie an einem ihr bekannten Orte einen hübschen Reisekoffer, und ersuchte den Mann, ihr denselben nachtragen zu lassen; und auf diese Weise von dem Burschen, der ihren Koffer karrte, und Emmelinen, welche eine Reisetasche und verschiedene andre Effekten trug, gefolgt, erschien sie vor dem kleinen Gasthofe wie eine Dame von Stande. Die erste Person, welche ihr nach ihrer Ankunft daselbst auffiel, war Georg Shelby, der daselbst das nächste Boot erwartete. Cassy hatte den jungen Mann aus ihrem Verstecke auf dem Boden bemerkt, und ihn den Leichnam Tom's fortschaffen sehen, und mit geheimer Freude sein Zusammentreffen mit Legree beobachtet. Späterhin hatte sie aus den Unterhaltungen der Neger, die sie behorchte, wenn sie Nachts in ihrer gespenstigen Verkleidung umher schlich, erfahren, wer er war, und in welchem Verhältniß er zu Tom stand. Aus diesem Grunde fühlte sie sich augenblicklich durch eine Art Vertrauen zu ihm hingezogen, als sie sah, daß er gleich ihr das nächste Boot erwarte. Cassy's Haltung und ganzes Aeußere, so wie die ihr zu Gebote stehenden Geldmittel verdrängten im Gasthofe jede Möglichkeit eines Verdachtes. Die Leute untersuchen nie zu genau die Verhältnisse solcher Personen, die in dem Hauptpunkte, einer guten Zahlung, befriedigend sind, was Cassy vorher gewußt zu haben schien, als sie sich mit Gelde versah. Gegen Abend näherte sich ein Boot, und Georg Shelby geleitete Cassy mit einer Höflichkeit an Bord, die jedem Eingeborenen von Kentucky natürlich ist, und bemühte sich, ihr eine gute Cajüte zu verschaffen. Cassy blieb während der ganzen Zeit, daß sie auf dem rothen Flusse waren, unter dem Vorwande von Krankheit in ihrem Zimmer und ihrem Bette, und wurde mit dem dienstfertigsten Eifer von ihrer Begleiterin bedient. Als sie den Mississipppi erreichten, und Georg in Erfahrung brachte, daß die fremde Dame denselben Weg aufwärts den Fluß wie er nehme, machte er ihr den Vorschlag, eine Cajüte für sie auf demselben Boote nehmen zu dürfen, auf dem er zu fahren beabsichtigte, -- indem er in seiner Gutmüthigkeit Mitleid für ihre schwache Gesundheit hegte, und ihr so viel Beistand wie möglich zu leisten wünschte. Wir sehen deshalb die ganze Gesellschaft wohlbehalten auf das gute Dampfboot Cincinnati übergehen, welches unter Leitung einer gewaltigen Dampfsäule den Fluß hinauf arbeitet. Cassy's Gesundheit hatte sich bedeutend gebessert. Sie saß auf dem Verdeck, kam zu Tische, und wurde von Allen auf dem Boote für eine Dame gehalten, die sehr schön gewesen sein müsse. Vom ersten Augenblicke an, wo Georg ihr Gesicht gewahrte, fiel ihm eine jener flüchtigen, und dunklen Aehnlichkeiten auf, die wohl fast jedem Menschen begegnet sind. Er konnte sich nicht enthalten, sie fortwährend anzusehen und zu beobachten. Sie mochte bei Tische, oder in der Thür ihrer Kajüte sitzen, immer begegnete sie den auf ihr ruhenden Augen des jungen Mannes, der seine Blicke jedoch sogleich abwandte, sobald er in ihrem Gesichte bemerkte, daß sie sich von ihm beobachtet fühlte. Cassy wurde unruhig. Sie begann zu fürchten, daß er Verdacht geschöpft habe, und beschloß deshalb endlich, sich seinem Edelmuthe gänzlich anzuvertrauen, und theilte ihm ihre ganze Geschichte mit. Georg war gern geneigt, für Jeden Sympathie zu empfinden, der von Legree's Plantage entflohen war, -- einem Orte, an den er nicht ohne Aufregung denken konnte, -- und er versprach ihr deshalb mit jener muthigen, seinem Alter eigenthümlichen Nichtbeachtung aller möglichen Folgen, daß er sie mit allen seinen Kräften unterstützen und durchbringen wolle. Das nächste, an Cassy's Kajüte stoßende Gemach war von einer französischen Dame, Namens de Thoux, bewohnt, welche sich in Begleitung einer schönen, kleinen Tochter, einem Mädchen von ungefähr zwölf Jahren, befand. Diese Dame, welche aus Georg's Unterhaltung entnommen hatte, daß er aus Kentucky gebürtig war, schien offenbar geneigt, seine Bekanntschaft zu machen, worin sie durch die Anmuth ihrer kleinen Tochter unterstützt wurde, die ein so niedliches, kleines Spielwerk war, als nur je eins die Langeweile einer vierzehntägigen Fahrt auf dem Dampfboote vertrieb. Georgs Stuhl befand sich oft an der Thür ihrer Kajüte, und Cassy konnte, wenn sie auf dem Verdecke saß, ihre Unterhaltung hören. Madame de Thoux befragte ihn sehr umständlich über Kentucky, wo sie, wie sie sagte, in einer frühern Periode ihres Lebens gewohnt hatte; und Georg entdeckte zu seinem großen Erstaunen, daß ihr früherer Aufenthalt in der Nähe seiner eignen Besitzung gewesen sein müsse, denn ihre Fragen verriethen eine Bekanntschaft mit Leuten und Dingen in jener Gegend, die ihn förmlich in Verwundrung setzte. »Kennen Sie,« sagte Madame de Thoux eines Tages, »einen Mann in Ihrer Nachbarschaft, der den Namen Harris führt?« »Es gibt dort einen Menschen dieses Namens, der nicht weit von der Besitzung meines Vaters wohnt; allein wir haben nie Umgang mit ihm gehabt,« entgegnete Georg. »Er besitzt, glaube ich, eine große Anzahl Sklaven,« fuhr Madame de Thoux in einer Weise fort, die mehr Interesse verrieth, als sie schien sehen lassen zu wollen. »Ja, ich glaube,« entgegnete Georg, überrascht durch ihr Wesen. »Haben Sie jemals davon gehört, -- vielleicht haben Sie davon gehört, daß er einen Mulattenburschen Namens Georg besaß?« »O gewiß -- Georg Harris -- ich kenne ihn recht wohl. Er heirathete eine Sklavin meiner Mutter, aber ist jetzt nach Canada entflohen.« »Ist er entflohen?« sagte Madame de Thoux schnell. »Gott sei gedankt!« Georg richtete einen fragenden Blick auf sie, aber sagte nichts. Madame de Thoux stützte ihren Kopf in die Hand und brach in Thränen aus. »Er ist mein Bruder,« sagte sie. »Madame!« rief Georg mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens. »Ja,« entgegnete Madame de Thoux stolz, ihren Kopf empor richtend und ihre Thränen trocknend, -- »Mr. Shelby, Georg Harris ist mein Bruder!« »Ich bin im höchsten Grade erstaunt,« sagte Georg, indem er seinen Stuhl zurückschob und Madame de Thoux betrachtete. »Ich wurde nach dem Süden verkauft, als er noch ein Knabe war,« sagte sie, »und von einem guten, menschenfreundlichen Manne gekauft. Er nahm mich mit sich nach den westindischen Inseln, gab mir meine Freiheit und heirathete mich. Erst vor Kurzem starb er, und ich wollte nach Kentucky gehen, um zu sehen, ob ich meinen Bruder loskaufen könne.« »Ich habe ihn von einer Schwester Emilie sprechen hören, die nach Süden verkauft wurde,« sagte Georg. »Ja, das bin ich,« entgegnete Madame de Thoux. -- »Bitte, sagen Sie mir, was für ein --« »Ein sehr hübscher, junger Mann,« erwiederte Georg, »ungeachtet des Fluches der Sklaverei, der auf ihm lastete. Er erwarb sich stets in Bezug auf Intelligenz und Grundsätze die besten Zeugnisse. Ich kenne ihn deßhalb,« fügte er hinzu, »weil er in unsere Familie geheirathet hat.« »Was für ein Mädchen?« fragte Madame de Thoux eifrig. »Einen wahren Schatz,« entgegnete Georg; -- »ein schönes, kluges, liebenswürdiges und sehr frommes Mädchen. Meine Mutter hatte sie fast so sorgsam auferzogen, als wenn sie ihre eigene Tochter gewesen wäre. Sie konnte lesen und schreiben, sehr schön, und sticken, und sang vortrefflich.« »Wurde sie in Ihrem Hause geboren?« fragte Madame de Thoux. »Nein. Mein Vater kaufte sie auf einer seiner Reisen nach New-Orleans und brachte sie meiner Mutter als Geschenk mit. Sie mochte damals acht oder neun Jahre alt sein. Vater wollte uns nie sagen, wie viel er für sie gegeben hatte; allein vor Kurzem, als wir seine alten Papiere durchsahen, fanden wir den Verkaufsbrief. Er hatte eine ungeheure Summe für sie bezahlt, ich glaube, mit Rücksicht auf ihre ungewöhnliche Schönheit.« Georg saß mit dem Rücken gegen Cassy gewendet, und konnte deßhalb die gespannte Aufmerksamkeit ihrer Züge nicht bemerken, während er diese Details mittheilte. Bei diesem Punkte der Erzählung berührte sie seinen Arm und sagte mit einem vor ängstlicher Spannung bleich gewordenen Gesichte: »Kennen Sie den Namen der Leute, von denen sie gekauft wurde?« »Ein Mann Namens Simmons, glaube ich, war die Hauptperson in dem Geschäfte; wenigstens, denke ich, stand dieser Name im Verkaufsbriefe.« »O mein Gott!« rief Cassy, und fiel bewußtlos auf den Boden der Kajüte. Georg war im höchsten Grade überrascht, und ebenso Madame de Thoux. Obgleich keines von Beiden errathen konnte, was die Ursache ihrer Ohnmacht sei, so machten sie doch allen, in solchen Fällen gewöhnlichen, Tumult; -- Georg stieß in dem Eifer seiner Menschenfreundlichkeit ein Waschbecken um und zerbrach zwei Gläser; und mehrere andere Damen, die davon gehört hatten, daß Jemand in Ohnmacht gefallen sei, drängten sich um die Thür, und hielten alle frische Luft ab, so viel sie konnten; so daß, im Ganzen genommen, Alles geschah, was nur erwartet werden konnte. Arme Cassy! Als sie wieder zu sich kam, lehnte sie ihr Gesicht gegen die Wand und weinte und schluchzte wie ein Kind. Vielleicht weißt Du, o Mutter, woran sie dachte, vielleicht auch nicht; aber sie fühlte in dieser Stunde, daß Gott ihr gnädig gewesen sei, und daß sie ihre Tochter wieder sehen werde, -- wie mehrere Monate später geschah, -- als -- doch wir greifen vor. Dreiundvierzigstes Kapitel. Ergebnisse. Der Rest unserer Geschichte ist bald erzählt. Georg Shelby, der, wie jeder andere junge Mann an seiner Stelle, durch das Romantische des Falles und seine eigenen menschenfreundlichen Gefühle bewogen, besonderes Interesse an dieser Angelegenheit genommen hatte, sendete Cassy den Verkaufsbrief über Elisa, dessen Datum und Name mit ihrer eigenen Kenntniß der Umstände übereintraf, und also keinen Zweifel über die Identität ihres Kindes zurückließ. Es kam jetzt nur noch darauf an, die Spur der Flüchtlinge zu verfolgen. Sie und Madame de Thoux, die auf diese Weise durch die seltsame Berührung ihrer Schicksale zusammengeführt worden waren, begaben sich sofort nach Canada, und begannen hier ihre Nachforschungen auf den Stationen, wo die zahlreichen Flüchtlinge aus der Sklaverei untergebracht werden. In Amherstberg fanden sie den Missionär, bei dem Georg und Elisa nach ihrer ersten Ankunft in Canada ein Unterkommen gefunden hatten; und durch ihn wurden sie in den Stand gesetzt, der Familie nach Montreal zu folgen. Georg und Elisa waren jetzt seit fünf Jahren frei. Georg hatte fortwährende Beschäftigung in der Werkstatt eines achtbaren Maschinisten gefunden, wo er einen hinreichenden Unterhalt für seine Familie erwarb, die sich inzwischen um eine Tochter vermehrt hatte. Der kleine Harry, -- ein hübscher, munterer Knabe, -- war in eine gute Schule gebracht worden, und machte schnelle Fortschritte. Der würdige Geistliche der Station in Amherstberg, wo Georg zuerst gelandet war, hatte so großen Antheil an den Mittheilungen der Madame de Thoux und Cassy's genommen, daß er den Bitten der Ersteren nachgab, sie zum Zwecke ihrer Nachforschungen bis nach Montreal zu begleiten. Die Scene verwandelt sich jetzt in eine kleine niedliche Wohnung in den Vorstädten von Montreal. Es ist Abend. Ein lustiges Feuer brennt auf dem Heerde; der Theetisch ist mit einem weißen Tuche bedeckt, und steht zum Abendessen bereit. In der einen Ecke des Zimmers befindet sich ein Tisch, der mit einem grünen Tuche überzogen ist, und auf dem man Schreibzeug, Papier und Federn bemerkt, während über demselben ein Brett mit einer ausgesuchten Sammlung von Büchern angebracht ist. Dies war Georg's Studirzimmer. Derselbe Eifer für Belehrung, der ihn dazu antrieb, die von ihm so sehr ersehnten Künste des Lesens und Schreibens sich heimlich, unter den Mühseligkeiten und Demüthigungen seines früheren Lebens anzueignen, vermochte ihn auch jetzt, alle seine Mußestunden zu seiner Ausbildung zu verwenden. In diesem Augenblicke sitzt er am Tische, und ist damit beschäftigt, Auszüge aus einem Bande der Familienbibliothek zu machen, den er gelesen hat. »Komm', Georg,« sagt Elisa, »Du bist den ganzen Tag aus dem Hause gewesen. Lege jetzt Dein Buch bei Seite, und laß uns zusammen plaudern, während ich den Thee bereite.« Und die kleine Elisa unterstützt die Bitte, indem sie zu ihrem Vater herum getrippelt kömmt und ihm das Buch aus der Hand zu ziehen versucht, um sich an dessen Stelle auf sein Knie niederzulassen. »O Du kleine Hexe!« sagt Georg nachgebend, wie ein Mann unter solchen Umständen immer muß. »Das ist recht,« sagt Elisa, während sie das Brod zu schneiden beginnt. Sie ist etwas älter geworden, ihre Gestalt etwas voller, und ihre Miene etwas matronenhafter; aber zufrieden und glücklich scheint sie zu sein. »Harry, mein Junge, wie bist Du heut mit Deiner Rechnung fertig geworden?« fragt Georg, während er seine Hand auf des Sohnes Kopf legt. Harry hat seine Locken verloren; aber er kann nie jene Augen und Augenlider verlieren, und die schöne, kühne Stirne, die von Triumph strahlt, während er antwortet: »Ich habe sie ^ganz allein^ gemacht, und ^Niemand^ hat mir geholfen!« »Das ist recht,« sagt der Vater, »verlaß Dich immer auf Dich selbst, mein Sohn. Du hast mehr Aussicht, als Dein armer Vater jemals hatte.« In diesem Augenblick wird ein Klopfen an der Thür gehört, und Elisa geht und öffnet sie. Das freudige: »Wie! -- Sie sind es?« ruft den Mann herbei, und der gute Pastor von Amherstberg wird bewillkommt. Zwei andere Frauenzimmer begleiten ihn, welche Elisa zum Sitzen einladet. Wenn wir die Wahrheit sagen sollen, so hatte der gute Pastor ein kleines Programm entworfen, nach welchem sich diese Angelegenheit entwickeln sollte; und auf dem Wege dahin hatten Alle sich gegenseitig ermahnt, vorsichtig zu sein und nichts vor der Zeit zu verrathen, sondern der getroffenen Verabredung getreu zu bleiben. Wie groß war daher des guten Mannes Bestürzung, als gerade in dem Augenblicke, wo er sein Taschentuch hervorzog, um seinen Mund abzuwischen, und seine Einleitungsrede in guter Ordnung beginnen wollte, Madame de Thoux den ganzen Plan vereitelte, indem sie ihre Arme um Georg's Hals schlang und Alles durch die Worte verrieth: »O Georg! kennst Du mich nicht? Ich bin Deine Schwester Emilie!« Cassy hatte sich mit mehr Fassung niedergesetzt, und würde ihre Rolle wahrscheinlich sehr gut durchgeführt haben, wenn nicht plötzlich die kleine Elisa grade in derselben Gestalt, mit denselben Zügen und Locken vor ihr erschienen wäre, wie sie ihre Tochter hatte, als sie sie zum letzten Male sah. Das kleine Wesen schaute ihr in's Gesicht, und Cassy fing sie in ihren Armen, drückte sie an ihren Busen und rief, was sie in diesem Augenblicke wirklich glaubte: »Mein Liebling, ich bin Deine Mutter!« Es war in der That eine schwierige Aufgabe, gehörige Ordnung wieder herzustellen; allein endlich gelang es dem guten Pastor doch, Alle zur Ruhe zu bringen, und seine Rede zu halten, mit der er die Sache hatte eröffnen wollen, welche eine solche Wirkung äußerte, daß seine sämmtliche Zuhörerschaft in ein Schluchzen ausbrach, das jeden Redner, älterer oder neuerer Zeit, befriedigt haben würde. Sie knieten zusammen nieder, und der gute Mann betete, -- denn es gibt Gefühle so gewaltiger Art, daß sie nur dann Ruhe finden können, wenn sie in den Busen der allmächtigen Liebe ausgegossen werden; -- und sodann erhoben sich die Mitglieder der neugefundenen Familie, und umarmten einander mit heiligem Vertrauen zu ihm, der sie aus solchen Gefahren, und auf so dunklen Wegen hier zusammengeführt hatte. Das Tagebuch eines Missionärs unter den canadischen Flüchtlingen enthält wahre Thatsachen, die wunderbarer sind als Erfindungen irgend einer Art. Wie kann es anders sein, wo ein System besteht, welches die Familien zerreißt und ihre Mitglieder zerstreut, wie der Wind die Blätter des Herbstes zerstreut? Diese Küsten vereinigen oft, wie die der Ewigkeit, Herzen, die schon lange Jahre um einander als verloren getrauert hatten; und unbeschreiblich rührend ist der Eifer, mit dem jeder neue Ankömmling von ihnen empfangen wird, um zu hören, ob er vielleicht Nachrichten von Mutter, Schwester, Kind oder Weib bringe, die noch in der Nacht der Sklaverei schmachten. Größere Heldenthaten werden hier vollbracht, als im Romane geschildert werden können, wenn der Flüchtling, den Martern und selbst dem Tode trotzend, freiwillig zu den Schrecken und Gefahren jenes dunklen Landes zurückkehrt, um seine Mutter, seine Schwester oder seine Frau zu erretten. Ein junger Mann, von dem uns ein Missionär erzählte, war zweimal wieder gefangen worden, und hatte die schrecklichsten Mißhandlungen erduldet, als er zum dritten Male entfloh; und zeigte seinen Freunden in einem Briefe an, der uns vorgelesen worden ist, daß er zum dritten Male zurückkehre, um endlich seine Schwester zu befreien. Ist dieser Mensch ein Held oder ein Verbrecher? Wer würde nicht dasselbe für seine Schwester thun? Wer kann ihn tadeln? Aber wir müssen zu unsern Freunden zurückzukehren, die wir verließen, als sie ihre Augen trockneten, und sich von einer zu großen und zu plötzlichen Freude erholten. Jetzt sitzen sie um den gastlichen Tisch, und beginnen ganz ernstlich gesellig zu werden; nur daß Cassy, welche die kleine Elisa auf ihrem Schooße hält, das kleine Wesen zuweilen auf eine Weise drückt, welche dasselbe in Erstaunen setzt, und sich hartnäckig weigert, sich den Mund in einem solchen Maaße mit Kuchen stopfen zu lassen, wie die Kleine es wünscht, -- indem sie sagt, worüber sich das Kind in hohem Grade wundert, daß sie etwas Besseres als Kuchen habe und dessen nicht bedürfe. Und in der That ist mit Cassy in Zeit von zwei bis drei Tagen eine solche Veränderung vorgegangen, daß unsere Leser sie kaum kennen würden. Der verzweifelnde, wilde Ausdruck des Gesichts ist dem eines sanften Vertrauens gewichen. Sie scheint auf einmal in den Busen der Familie zu sinken, und die Kleinen in ihr Herz zu schließen, wie Etwas, worauf sie lange gewartet hat. Wirklich schien ihre Liebe sich mehr der kleinen Elisa, als ihrer Tochter zuzuwenden; denn sie war das getreue Abbild des Kindes, welches sie verloren hatte. Das kleine Wesen war ein Blumenband zwischen Mutter und Tochter, durch welches Bekanntschaft und Zuneigung wieder aufwuchsen. Elisa's beständige, durch fortwährendes Lesen der heiligen Schrift geregelte Frömmigkeit machte sie zu einer geeigneten Führerin für das zerrissene Gemüth ihrer Mutter. Cassy war schnell und von ganzem Herzen für jeden guten Einfluß empfänglich, und wurde eine aufrichtige und andächtige Christin. Nach einigen Tagen machte Madame de Thoux ihrem Bruder genauere Mittheilungen über ihre Verhältnisse. Der Tod ihres Mannes hatte sie in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gesetzt, welches sie großmüthig mit der Familie zu theilen sich erbot. Als sie Georg fragte, auf welchem Wege sie es am Besten für ihn verwenden könne, antwortete er ihr: »Verleihe mir Bildung, Emilie; danach hat immer mein Herz verlangt. Dann kann ich alles Uebrige thun.« Nach reiflicher Ueberlegung wurde beschlossen, daß die ganze Familie auf einige Jahre nach Frankreich gehen solle, wohin sie alsbald abreiste und Emmeline mitnahm. Das hübsche Aeußere der Letzteren erweckte die Liebe des ersten Steuermanns auf dem Schiffe, und Emmeline wurde bald nach dem Einlaufen in den Hafen sein Weib. Georg blieb vier Jahre auf einer französischen Universität, und erlangte durch unermüdlichen Fleiß eine gründliche Bildung. Die politischen Unruhen Frankreichs bewogen endlich die Familie, von Neuem eine Zuflucht in diesem Lande zu suchen. Georg's Empfindungen und Ansichten als eines gebildeten Mannes lassen sich am Besten aus einem an seine Freunde gerichteten Briefe entnehmen: »Ich bin noch nicht ganz einig mit mir über mein zukünftiges Verhalten. Zwar könnte ich mich, wie Sie mir sagten, in die Kreise der Weißen in diesem Lande mischen, da meine eigene Farbe so hell und die meiner Frau und Familie kaum bemerkbar ist. Kann sein, ich würde vielleicht dort geduldet werden. Aber um die Wahrheit zu sagen, ich mag es nicht thun.« »Meine Sympathien gehören nicht dem Geschlechte meines Vaters, sondern dem meiner Mutter. Ihm galt ich nicht mehr als ein schöner Hund oder ein schönes Pferd; aber meiner armen Mutter mit ihrem gebrochenen Herzen war ich ein Kind; und obgleich ich sie nach jenem grausamen Verkaufe, der uns trennte, nie wieder sah, bis sie starb, so weiß ich doch, daß sie mich innig liebte. Ich weiß es durch mein eignes Herz. Wenn ich an alles das denke, was sie litt, an meine eignen frühen Leiden, an die Schmerzen und Kämpfe eines heldenmüthigen Weibes, an meine Schwester, die in New-Orleans auf dem Sklavenmarkte verkauft wurde, -- so darf ich, ohne unchristliche Empfindungen zu haben, sagen, daß ich nicht für einen Amerikaner gelten, oder mich mit ihm identificiren möchte.« »Das unterdrückte, in Ketten geschlagene afrikanische Geschlecht ist es, zu dem ich mich hingezogen fühle; und wenn ich etwas wünschen sollte, so wäre es eher, daß ich um zwei Schattirungen dunkler, als um eine heller wäre.« »Der Wunsch und das Sehnen meines Herzens richtet sich auf eine afrikanische ^Nationalität^. Ich verlange nach einem Volke, welches eine erkennbare, besondre Existenz für sich selbst hat; und wo soll ich das finden? Nicht in Hayti, denn dort hatten sie keine Grundlage für den Anfang. Ein Strom kann sich nicht über seine Quelle erheben. Das Geschlecht, welches den Charakter der Haytier bildete, war ein entkräftetes, verweichlichtes, und wird deßhalb natürlich Jahrhunderte gebrauchen, um sich nur zu Etwas zu erheben.« »Wo soll ich also suchen? An den Küsten Afrika's sehe ich eine Republik, -- die von auserlesenen Männern gebildet ist, welche sich durch Energie und selbstbildende Kraft in vielen Fällen individuell über den Zustand der Sklaverei erhoben haben. Nachdem diese Republik durch ein vorbereitendes Stadium von Schwäche gegangen ist, ist sie endlich eine anerkannte Nation der Erde geworden, -- anerkannt von Frankreich und England. Dahin wünsche ich zu gehen, um ein Volk für mich zu finden.« »Ich weiß wohl, daß ich Sie jetzt alle gegen mich haben werde; aber ehe Sie mich verdammen, hören Sie mich! Während meines Aufenthaltes in Frankreich habe ich mit großem Interesse die Geschichte meines Volkes in Amerika studirt. Ich habe den Kampf zwischen dem Abolitions- und Colonisationssysteme beobachtet, und als entfernter Zuschauer einige Wahrnehmungen gemacht, die ich als Theilnehmer nicht würde haben machen können. Ich gebe zu, daß dieses Liberia allen Zwecken gedient haben mag, indem es in den Händen unserer Unterdrücker gegen uns gebraucht wurde. Ohne Zweifel ist der Plan auf unverantwortliche Weise zur Verzögerung unserer Emancipation gebraucht worden; aber meine Frage ist: Giebt es nicht einen Gott, der über allen Plänen erhaben ist! Kann er nicht ihre Absichten beherrscht, und durch sie eine Nation für uns gegründet haben?« »In der jetzigen Zeit wird eine Nation in einem Tage geboren. Eine Nation erhebt sich jetzt mit allen den großen Problemen der Civilisation und republikanischen Lebens fertig zur Hand. Sie hat nicht mehr zu entdecken, sondern nur anzuwenden. Laßt uns also alle mit aller Kraft zusammenhalten, und sagen, was wir in diesem neuen Unternehmen vermögen, und der ganze Continent Afrika's wird sich uns und unsern Kindern öffnen. Unsere Nation wird die Fluth der Civilisation und des Christenthums über seine Küsten ergießen, und mächtige Republiken gründen, die, mit der Schnelligkeit tropischer Vegetation aufwachsend, für alle kommenden Jahrhunderte bestehen werden.« »Sagen Sie, daß ich meine in der Sklaverei schmachtenden Brüder vergesse? Ich glaube nicht. Wenn ich sie eine Stunde, einen Augenblick meines Lebens vergesse, so möge Gott mich vergessen! Aber was kann ich hier für sie thun? Kann ich ihre Ketten zerbrechen? Nein, nicht als Individuum; aber lassen Sie mich gehen und ein Theil einer Nation werden, welche eine Stimme in dem Rathe der Völker erlangen wird, und dann können wir reden. Eine Nation hat das Recht, die Sache ihres Stammes zu besprechen, zu vertreten, -- was ein Individuum nicht kann.« »Wenn Europa jemals eine große Versammlung freier Nationen wird, -- wie ich zu Gott hoffe, -- wenn darin Knechtschaft und alle ungerechten, drückenden, socialen Ungleichheiten aufgehoben worden sind; und wenn sie, wie England und Frankreich bereits gethan haben, unsere Stellung anerkennen, -- dann wollen wir in dem großen Congreß der Nationen unsere Stimme hören lassen, und die Sache unseres geknechteten, leidenden Stammes zur Sprache bringen; und es ist unmöglich, daß das freie, aufgeklärte Amerika dann nicht den schwarzen Fleck von seinem Wappenschilde vertilgen sollte, der es schändet, und ein eben so großer Fluch für das Land selbst wie für seine Sklaven ist.« »Aber Sie werden mir sagen, daß unser Stamm dasselbe Recht habe, in der amerikanischen Republik zu leben, wie der Irländer, der Deutsche, der Schwede, und ich gestehe das zu. Wir ^sollten^ die Freiheit haben, dort zu leben, uns durch unsern individuellen Werth, ohne Rücksicht auf Kaste oder Farbe, zu heben; und Diejenigen, welche uns dieses Recht versagen, sind ihren eigenen Grundsätzen von menschlicher Gleichheit ungetreu. Wir sollten insbesondre hier zugelassen werden; denn wir haben ein größeres Recht als das der gewöhnlichen Menschen ist: wir haben die Ansprüche eines verletzten Stammes auf Entschädigung. Allein, ich mache keine Ansprüche darauf; ich will ein eignes Land, eine eigene Nation haben. Ich glaube, daß der afrikanische Stamm besondere Eigenschaften hat, die noch unter dem Lichte der Civilisation und des Christenthums entwickelt werden müssen, und die, wenn es nicht dieselben sind, welche der angelsächsische Stamm besitzt, in moralischer Beziehung vielleicht nur noch höher stehen.« »Dem angelsächsischen Stamme sind die Geschicke der Welt während der Periode ihres Ringens und Kämpfens anvertraut gewesen, und zu dieser Mission waren seine strengen, unbeugsamen, energischen Elemente wohl geeignet; aber als ein Christ sehe ich einer andern Aera entgegen. Ich hoffe, daß wir an ihren Gränzen stehen, und daß die Schmerzen, von denen die Nationen jetzt zerrissen werden, nur die Geburtswehen einer Stunde sind, welche uns allgemeinen Frieden und allgemeine Brüderschaft bringen wird.« »Ich hoffe, daß die Entwickelung Afrika's vorzugsweise eine christliche sein wird. Wenn der eingeborene Stamm kein herrschender und gebietender ist, so ist er wenigstens ein gefühlvoller, großherziger und vergebender. Da er in den Glühofen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gesunken ist, so muß er jene erhabene Lehre der Liebe und Vergebung um so fester in sein Herz schließen, als er durch sie allein siegen kann, und ihre Verbreitung über den Continent Afrika's die ihm aufgetragene Mission ist.« »Ich selbst bin, wie ich gestehen muß, schwach in diesem Punkte, denn die eine Hälfte meines Blutes ist das heiße, hitzige, sächsische; aber ich habe in der Person meines schönen Weibes einen beredten Prediger des Evangeliums an meiner Seite. Wenn ich mich verirre, führt mich ihr sanfterer Geist stets zurück, und hält meinen Augen den christlichen Beruf unseres Geschlechtes vor. Ich gehe als ein christlicher Patriot, als ein Lehrer des Christenthums nach ^meinem Vaterlande^ -- meinem erwählten, glorreichen Afrika! auf das ich in meinem Herzen oft jene herrlichen Worte der Prophezeiung anwende: -- »Sintemalen Du verlassen und verhaßt gewesen, so daß Niemand von Dir wissen wollen, will ich Dich zu ewigem Ruhme erheben, und zur Freude vieler Geschlechter!«« »Sie werden mich einen Enthusiasten nennen, und werden mir sagen, daß ich das nicht reiflich überlegt habe, was ich zu unternehmen im Begriffe stehe; aber ich habe überlegt und die Kosten berechnet. Ich gehe nach Liberia, nicht wie nach einem romantischen Elysium, sondern wie nach einem Felde der Arbeit. Ich rechne darauf, mit beiden Händen dort zu arbeiten, -- schwer zu arbeiten; gegen alle Arten Schwierigkeiten und Entmuthigungen zu arbeiten, -- und zu arbeiten, bis ich sterbe. Das ist der Zweck meines Gehens, und ich bin überzeugt, daß ich darin nicht werde getäuscht werden.« »Was Sie auch immer von meinem Entschlusse denken mögen, entziehen Sie mir deßhalb Ihr Vertrauen nicht, und sein Sie überzeugt, daß ich bei Allem, was ich thue, mit einem Herzen handle, welches ganz meinem Volke angehört.« »Georg Harris.« Einige Wochen später schiffte sich Georg mit seinem Weibe, seinen Kindern, seiner Schwester und Mutter nach Afrika ein. Wenn wir uns nicht täuschen, wird die Welt dort noch von ihm hören. Von unsern übrigen Personen haben wir nichts Besonderes mehr zu erwähnen, ausgenommen ein Wort in Beziehung auf Miß Ophelia und Topsy, und ein Schlußkapitel, welches wir Georg Shelby widmen wollen. Miß Ophelia nahm Topsy mit sich nach Vermont, und zwar zum großen Erstaunen derjenigen ernsten und bedächtigen Personen, welche ein Neu-Engländer unter dem Ausdrucke: »Unsere Leute« versteht. »Unsere Leute« waren anfangs der Meinung, daß Topsy eine seltsame und unnöthige Vergrößerung ihres wohlgeregelten Haushaltes sei; allein so erfolgreich war Miß Ophelien's gewissenhaftes Streben, ihre Pflicht gegen ihren Zögling zu thun, daß das Kind schnell bei der Familie und der Nachbarschaft in Gunst und Gnade zunahm. Als sie das Alter der Jungfräulichkeit erreicht hatte, wurde sie auf ihren eigenen Wunsch getauft, wurde ein Mitglied der christlichen Gemeinde des Ortes, und verrieth so viel Verstand, Thätigkeit, Eifer und Verlangen, Gutes in der Welt zu wirken, daß sie endlich als Missionärin zu einer der Stationen in Afrika empfohlen und bestätigt wurde; und wir haben gehört, daß dieselbe Thätigkeit und Empfindungsgabe, welche sie in ihrer Kindheit so unstät in ihrer Entwickelung machte, jetzt zu einem heilsameren Zwecke, dem Unterrichte der Kinder ihres eigenen Vaterlandes, verwendet wird. _P. S._ Es wird für manche Mutter eine Genugthuung sein, wenn wir erwähnen, daß die von der Madame de Thoux veranlaßten Nachforschungen den Erfolg gehabt haben, Cassy's Sohn aufzufinden. Als ein junger, energischer Mann war es ihm schon mehrere Jahre vor seiner Mutter geglückt, zu entfliehen, und hatte bei Freunden der Unterdrückten im Norden Aufnahme gefunden und seine Erziehung erhalten. Er wird nächstens seiner Familie nach Afrika nachfolgen. Vierundvierzigstes Kapitel. Der Befreier. Georg Shelby hatte nur eine Zeile an seine Mutter geschrieben, um ihr den Tag seiner Ankunft anzuzeigen. Von der Sterbescene seines alten Freundes sagte er kein Wort, -- er hatte nicht den Muth dazu. Mehrmals hatte er versucht, aber nichts erreicht, als daß ihm vor Wehmuth der Athem stockte, und endete jedesmal damit, daß er das Papier zerriß, sich die Augen trocknete, und vom Sitze aufsprang, um wieder ruhig zu werden. An jenem Tage fand, in Erwartung der Ankunft des jungen Master Georg, im ganzen Shelby'schen Hause eine muntere Bewegung Statt. Mrs. Shelby saß in ihrem bequem eingerichteten Wohnzimmer, wo ein gemüthliches Feuer die Kühle des Herbstabends verjagte, und in der Mitte ein Abendtisch mit Tellern und geschliffenen Gläsern gedeckt stand, dessen Anordnung unsere alte Freundin Chloe besorgte. Angethan mit einem neuen Kattunkleide, einer reinen, weißen Schürze und einem hohen, wohl gestärkten Turbane, glänzte ihr schwarz polirtes Gesicht von innerer Zufriedenheit, während sie mit unnöthiger Genauigkeit in ihren Geschäften am Tische fortfuhr, und sich derselben als Vorwand bediente, um mit ihrer Mistreß ein wenig plaudern zu können. »Sehen Sie, nun! wird's ihm nicht ganz natürlich scheinen?« sagte sie. »Hier, da, -- ich setze seinen Teller hin, wo er am liebsten sitzt, -- hier beim Feuer. Master Georg hat gern 'nen warmen Sitz. O, gehn Sie mir doch! -- warum hat Sally denn nicht die ^beste^ Theekanne genommen, -- die kleine neue, die Master Georg zu Weihnachten für Missis gekauft hat? -- Will sie holen! -- Und Missis hat von Master Georg einen Brief bekommen?« fügte sie fragend hinzu. »Ja, Chloe, aber nur eine Zeile, die weiter nichts enthielt, als daß er heut Abend hier eintreffen werde, wenn es ihm möglich sei.« »Hat wohl nichts gesagt von meinem alten Mann?« fuhr Chloe fort, sich noch immer mit den Theetassen beschäftigend. »Nein, er hat gar nichts von ihm erwähnt, Chloe. Er sagte nur, er würde Alles erzählen, wenn er hier wäre.« »Ganz wie Master Georg; -- er muß immer Alles selbst erzählen. Habe das immer an Master Georg bemerkt. Weiß gar nicht, ich, wie die weißen Leute so viel schreiben können, als sie gewöhnlich thun; -- schreiben ist so 'ne langsame, mühselige Arbeit.« Mrs. Shelby lächelte. »Denke, mein alter Mann wird die Jungens und 's Kleine gar nicht mehr kennen. Herr! sie ist nun ein großes Mädchen, jetzt -- und gut ist sie auch, und munter, Polly. Sie ist jetzt im Hause, und paßt auf die Kuchen auf. Habe grade den rechten Teig gemacht, wie ihn mein alter Mann so gern ißt; grade so wie damals, an dem Morgen, wo er fortgebracht wurde. Gott sei mir gnädig! wie mir damals zu Muthe war!« Mrs. Shelby seufzte, und fühlte bei diesen Worten eine schwere Last auf ihr Herz fallen. Sie hatte vom ersten Augenblicke, wo sie ihres Sohnes Brief erhalten, eine ängstliche Unruhe darüber empfunden, daß hinter diesem Schleier des Schweigens noch Etwas verborgen sein möchte. »Missis hat doch die Banknoten?« fragte Chloe besorgt. »Ja, Chloe.« »Weil ich meinem alten Manne gerne dieselben Noten zeigen möchte, die mir der Kuchenbäcker gegeben hat. Und dann sagte er: ›Chloe, ich wollte, Du bliebst länger hier.‹ ›Dank' Ihnen, Master,‹ sagt' ich, ›ich thät's gern, aber mein alter Mann kommt nach Hause, und Missis -- sie kann mich nicht länger entbehren.‹ Das hab' ich ihm gesagt. War ein sehr guter Mann, dieser Master Jones.« Chloe hatte hartnäckig darauf bestanden, daß dieselben Noten, in denen ihr Lohn ausgezahlt worden war, aufbewahrt werden sollten, um sie ihrem Manne als Beweis ihrer Geschicklichkeit zu zeigen; und Mrs. Shelby hatte gern eingewilligt. »Er wird Polly gar nicht mehr kennen, -- mein alter Mann. Herr! 's ist nun just fünf Jahre, daß sie ihn weg holten! Damals war sie noch ganz klein, -- konnte kaum stehen. Weiß noch, wie ängstlich er immer war, wenn sie laufen wollte und immer hin fiel.« Jetzt wurde das Rasseln von Rädern hörbar. »Master Georg!« sagte Tante Chloe, an's Fenster eilend. Mrs. Shelby lief nach der Thür, und befand sich gleich darauf in den Armen ihres Sohnes. Tante Chloe stand ängstlich dabei und suchte mit ihren Augen in der Dunkelheit. »Meine ^arme^ Tante Chloe!« sagte Georg, mitleidig vor ihr stehen bleibend und ihre harte, schwarze Hand in die seinige nehmend: »ich hätte mein ganzes Vermögen darum gegeben, wenn ich ihn hätte mitbringen können; aber er ist in ein besseres Land gegangen.« Mrs. Shelby stieß einen Schrei aus, aber Tante Chloe sagte nichts. Alle traten hierauf in das Wohnzimmer, wo das Geld noch auf dem Tische lag, auf welches Chloe so stolz gewesen war. »Da,« sagte sie, es zusammenraffend und mit zitternder Hand ihrer Mistreß hinhaltend, -- »will nichts weiter davon sehen und hören. Grade so, wie ich mir dachte, daß es kommen würde, -- verkauft und umgebracht auf den alten Plantagen!« Chloe wandte sich um und schritt stolz zum Zimmer hinaus. Mrs. Shelby ging ihr nach, nahm sie sanft bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl nieder, und setzte sich zu ihr. »Meine arme, gute Chloe!« sagte sie. Chloe lehnte ihren Kopf an die Schulter ihrer Mistreß, und schluchzte laut: »O Missis, verzeihen Sie mir, -- mein Herz bricht.« »Ich weiß es,« entgegnete Mrs. Shelby, »und ich kann es nicht heilen, aber Jesus kann es. ›Er heilet, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Schmerzen.‹« Eine Zeit lang herrschte tiefes Schweigen, und Alle weinten. Endlich setzte sich Georg neben die Trauernde, ergriff ihre Hand, und schilderte mit einfachen, aber gefühlvollen Worten ihres Mannes triumphirende Sterbescene und seine letzten Aufträge der Liebe. Etwa einen Monat später wurden eines Morgens alle Sklaven der Shelby'schen Besitzung in die große Halle des Hauses zusammenberufen, um einige Worte von ihrem jungen Herrn zu hören. Zum Erstaunen Aller erschien er mit einem großen Bündel Papiere in der Hand, welche die Freilassungsscheine jedes Einzelnen enthielten, die er nach der Reihe vorlas, und sodann unter Thränen und Schluchzen aller Anwesenden aushändigte. Viele drängten sich um ihn und baten ihn flehend, mit ängstlichen Gesichtern, und indem sie ihre Freilassungsscheine zurückreichten, sie nicht fortzuschicken. »Wir wollen nicht freier sein, als wir sind. Wir haben immer Alles gehabt, was wir brauchten. Wir wollen den alten Platz nicht verlassen, und Master und Missis und alles Uebrige.« »Meine guten Freunde,« sagte Georg, sobald er sie zum Schweigen bringen konnte, »es ist durchaus nicht erforderlich, daß Ihr mich verlasset. Meine Besitzung braucht jetzt noch eben so viele Arbeiter, wie früher, und eben so mein Haus. Aber Ihr seid jetzt freie Männer und freie Weiber. Ich werde Euch Löhne für Eure Arbeit bezahlen, je nachdem wir übereinkommen. Der Vortheil für Euch besteht darin, daß, im Falle ich in Schulden gerathen, oder sterben sollte, Ihr nicht genommen und verkauft werden könnt. Ich beabsichtige, die Bewirthschaftung meiner Besitzung fortzusetzen, und Euch zu lehren, was Euch vielleicht einige Zeit zu lernen kosten wird, -- nämlich, auf welche Weise Ihr von den Rechten Gebrauch zu machen habt, die ich Euch als freien Menschen gebe. Ich erwarte, daß Ihr gut sein und willig lernen werdet, und hoffe zu Gott, daß ich gegen Euch treu und willig zu lehren sein werde. Und nun, meine Freunde, blicket empor und danket Gott für den Segen der Freiheit!« Ein alter Neger-Patriarch, der auf der Besitzung grau und blind geworden war, stand jetzt auf, hob seine zitternden Hände empor, und sagte: »Laßt uns dem Herrn danken!« Als Alle niedergekniet waren, stieg aus der Tiefe dieses alten, ehrlichen Herzens ein _Te Deum_ zum Himmel, wie es selbst beim Klange der Orgel, der Glocken und Kanonen nie feierlicher gehört werden konnte. Als Alle sich erhoben hatten, stimmte ein Anderer eine methodistische Hymne an, deren Schlußvers war: »Das Jubeljahr ist jetzt gekommen, Kehrt Ihr, befreite Sünder, heim.« »Noch Eins,« sagte Georg, indem er die Gratulationen der Menge unterbrach. -- »Ihr alle erinnert Euch unseres guten, alten Onkel Tom?« Hierauf gab Georg eine kurze Schilderung seiner Sterbescene, und erwähnte des liebevollen Abschieds, den er ihm an Alle aufgetragen hatte, und fügte hinzu: »An seinem Grabe, meine Freunde, gelobte ich vor Gott, nie wieder einen Sklaven zu besitzen, wenn es in meiner Macht stehe, ihn in Freiheit zu setzen, um nie Jemanden durch mich der Gefahr auszusetzen, von seiner Heimath und seinen Freunden losgerissen zu werden und auf einer einsamen Plantage sterben zu müssen, wie er starb. So oft Ihr Euch also Eurer Freiheit freut, so denkt daran, daß Ihr sie jener alten, guten Seele verdankt, und zeigt Euch durch Liebe gegen seine Frau und Kinder dafür erkenntlich. Gedenkt Eurer Freiheit, so oft Ihr ^Onkel Tom's Hütte^ seht, und laßt sie Euch daran erinnern, seinen Fußtapfen zu folgen, und so redlich, so treu, so christlich zu sein, wie er war.« Fünfundvierzigstes Kapitel. Schlußbemerkungen. Die Verfasserin hat oft von verschiedenen Seiten Anfragen darüber erhalten, ob diese Erzählung wahre Thatsachen enthalte, und sie will deshalb hierauf die nachfolgende allgemeine Antwort geben. Die einzelnen Ereignisse, welche darin zusammengestellt worden, sind bis zu einem hohen Grade authentisch, und haben sich entweder unter den eignen Augen der Verfasserin, oder denen ihrer Freunde zugetragen. Sie selbst oder ihre Freunde haben Gegenstücke zu fast allen Charakteren, die hier geschildert worden sind, beobachtet, und viele der eingeflochtenen Reden sind Wort für Wort wiedergegeben, wie sie von der Verfasserin gehört oder ihr mitgetheilt worden sind. Die persönliche Erscheinung Elisa's und der ihr beigelegte Charakter sind nach dem Leben gezeichnet. Die unbestechbare Treue, Rechtlichkeit und Frömmigkeit Tom's hat die Verfasserin in mehr als einem persönlichen Beispiele selbst beobachtet. Ebenso haben mehrere der tragischsten und schrecklichsten Ereignisse ihre Originalien in der Wirklichkeit. Die Handlung der Mutter, welche über das Eis des Ohioflusses geht, ist eine wohlbekannte Thatsache. Die Geschichte der »alten Prue« ereignete sich unter der persönlichen Wahrnehmung eines Bruders der Verfasserin, welcher Kassirer eines großen Handlungshauses in New Orleans war. Aus derselben Quelle ist der Charakter des Pflanzers Legree entnommen worden. Ueber ihn äußerte sich derselbe, indem er einen auf seiner Pflanzung bei Gelegenheit einer Geschäftsreise abgestatteten Besuch schildert, folgendermaßen: »Er ließ mich in der That seine Faust befühlen, welche dem Hammer eines Grobschmieds glich, und sagte mir dabei, daß sie vom ^Niederschlagen der Neger^ so hart geworden sei.« Daß ebenso Tom's tragisches Schicksal mehr als ein Beispiel in der Wirklichkeit hat, dafür gibt es im ganzen Lande zahlreiche lebendige Zeugen. Man erinnere sich daran, daß es in allen südlichen Staaten ein gesetzliches Princip ist, keine Person von farbiger Abkunft als Zeugen gegen einen Weißen zuzulassen; und man wird deshalb leicht sehen, daß ein solcher Fall sich überall ereignen kann, wo die Leidenschaften eines Menschen die Rücksichten auf seinen Vortheil überwiegen, und ein Sklave Männlichkeit und Festigkeit genug besitzt, seinem Willen zu widerstehen. Es gibt in der That für einen Sklaven keinen andern Schutz, als den Charakter seines Herrn. Thatsachen, die zu schrecklich sind, um nur gelegentlich erwähnt zu werden, bahnen sich ihren Weg gewaltsam zur Oeffentlichkeit, und die Bemerkungen, die darüber gemacht werden, sind oft noch schrecklicher, als die Sache selbst. Man hört die Aeußerung: »Kann wohl sein, daß solche Dinge sich dann und wann zutragen, aber sie sind kein Beleg für die allgemeine Praxis.« Wenn die Gesetze von Neu-England so beschaffen wären, daß ein Meister dann und wann einen Lehrling zu Tode quälen könnte, ohne die Möglichkeit, denselben zur Bestrafung zu ziehen, -- würde dies mit demselben Gleichmuthe angehört werden? Würde man sagen: »Derartige Fälle sind selten und keine Belege für die allgemeine Praxis?« Diese Ungerechtigkeit ist eine nothwendige Folge des Sklavensystems, welches ohne dieselbe nicht bestehen kann. Der öffentliche und schamlose Verkauf reizender Mulatten und Quadroonmädchen hat durch diejenigen Ereignisse Oeffentlichkeit erlangt, welche der Wegnahme der ›Perl‹ folgten. Wir entnehmen das Folgende aus der Rede des Mr. Horace Mann, eines der gesetzlich bestellten Vertheidiger der Angeklagten. Er sagt: »Unter den sechsundsiebzig Personen, welche im Jahre 1848 in dem Schoner ›Perl‹ von Columbia zu entfliehen suchten, und deren Offiziere ich zu vertheidigen bemüht war, befanden sich mehrere junge und kräftige Mädchen, welche in Zügen und Gestalt jene besonderen Reize besaßen, die von Kennern so hoch geschätzt werden. Elisabeth Russel gehörte zu diesen. Sie fiel augenblicklich in die Netze der Sklavenhändler, und wurde von ihnen für den Markt in New-Orleans bestimmt. Die Herzen Aller, die sie sahen, wurden von Mitleid für ihr Schicksal ergriffen. Man bot achtzehnhundert Dollar, um sie loszukaufen, aber der Teufel von einem Sklavenhändler war unerbittlich. Sie wurde nach New-Orleans abgeführt; allein während der Reise erbarmte Gott sich ihrer und erlöste sie durch den Tod. Zwei andere Mädchen, Namens Edmundson, befanden sich ebenfalls unter ihnen. Als sie nach demselben Markte abgesendet werden sollten, kam eine ältere Schwester derselben zur Fleischbank, um den Elenden, dem sie gehörten, bei der Liebe Gottes anzuflehen, seiner Opfer zu schonen. Er verhöhnte sie, und stellte ihr vor, was für schöne Kleider und Möbeln sie haben würden. ›Ja,‹ entgegnete sie, ›das mag in diesem Leben ganz angenehm sein, aber was wird in jenem Leben aus ihnen werden?‹ Sie wurden auch nach New-Orleans abgeführt, aber später für eine ungeheure Summe losgekauft und zurückgebracht.« Ergibt sich aus diesen Beispielen nicht deutlich genug, daß die Schicksale Cassy's und Emmelinens zahlreiche Gegenstücke haben werden? Um gerecht zu sein, ist die Verfasserin auch genöthigt, zu bemerken, daß die Freundlichkeit und der Edelmuth St. Clare's nicht ohne Parallelen sind, wie sich aus der folgenden Thatsache ergibt. Vor mehreren Jahren kam ein junger Gentleman aus dem Süden mit einem Lieblingssklaven, der von seiner Kindheit an sein persönlicher Diener gewesen war, nach Cincinnati. Letzterer machte von dieser Gelegenheit Gebrauch, sich seine Freiheit zu verschaffen, und floh unter den Schutz eines Quäckers, der im allgemeinen Rufe stand, sich derartigen Geschäften zu unterziehen. Der Eigenthümer war empört. Er hatte den Sklaven stets mit großer Nachsicht behandelt, und setzte ein so großes Vertrauen in seine Anhänglichkeit zu ihm, daß er glaubte, er müsse nothwendig zu diesem Schritte durch Andre verleitet worden sein. Er begab sich deshalb in heftiger Aufregung zu dem Quäcker, aber wurde bald, da er ein Mann von offenem und rechtlichem Sinne war, durch die Vorstellungen desselben beschwichtigt. Er lernte hier die Sache von einer Seite betrachten, von der er noch nie gehört, -- an die er noch nie gedacht hatte, und sagte deshalb dem Quäcker sofort, daß, wenn sein Sklave ihm von Angesicht zu Angesicht den Wunsch, frei zu werden, erklären wolle, er ihn frei lassen werde. Die Zusammenkunft fand augenblicklich Statt, und Nathan wurde von seinem jungen Herrn befragt, ob er irgend einen Grund habe, sich über die von ihm zu Theil gewordene Behandlung zu beklagen? »Nein, Master,« sagte Nathan, »Sie sind immer gut gegen mich gewesen.« »Gut, weshalb willst Du mich also verlassen?« »Master kann sterben, und wem falle ich dann zu? -- Ich möchte lieber frei sein.« Nach einiger Ueberlegung entgegnete der junge Mann: »Nathan, ich glaube, ich würde an Deiner Stelle eben so denken. Du bist frei.« Sofort fertigte er seine Entlassungsscheine aus, legte eine Summe Geldes in die Hand des Quäckers, um ihm auf zweckmäßige Weise damit fortzuhelfen, und ließ einen herzlichen und gefühlvollen Brief an den jungen Mann zurück, in welchem er ihm gute Rathschläge für seinen neuen Lebensweg ertheilte. Dieser Brief ist längere Zeit in den Händen der Verfasserin gewesen. Die Verfasserin hofft, daß sie der Menschenfreundlichkeit und dem Edelmuthe volle Gerechtigkeit hat wiederfahren lassen, durch welche sich oft einzelne Bewohner des Südens auszeichnen. Solche Beispiele bewahren uns davor, an unserem Geschlechte ganz zu verzweifeln; aber wir fragen Jeden, der die Welt kennt, ob solche Charaktere gewöhnlich sind? Viele Jahre lang hat die Verfasserin durchaus vermieden, etwas über den Gegenstand der Sklaverei zu lesen, oder seiner irgendwie Erwähnung zu thun, weil es zu peinlich für sie war, Ermittelungen darüber anzustellen, und sie der Ueberzeugung lebte, daß das sich immer mehr ausbreitende Licht der Civilisation das ganze Institut bald verdrängen werde; allein seit sie durch die Akte von 1850 zu ihrem größten Erstaunen gehört hat, daß Menschen und Christen die Zurücklieferung der Entflohenen in die Sklaverei als die Pflicht eines jeden guten Bürgers empfehlen, -- seit sie überall in den nördlichen Freistaaten menschenfreundliche, mitleidige und achtungswerthe Leute Versammlungen und Berathschlagungen darüber hat halten sehen, was die Christenpflicht in diesem Falle gebiete, -- konnte sie nur glauben, daß diese Menschen und Christen keine klare Vorstellung von dem haben, was Sklaverei wirklich ist; denn wenn sie sie besäßen, so hätte bei ihnen eine solche Frage nie zur Berathung kommen können. Hieraus entstand der Wunsch, sie zum Gegenstande einer lebendigen dramatischen Darstellung zu machen. Die Verfasserin ist bemüht gewesen, sie in ihrem besten und schlechtesten Lichte zu zeigen. In ersterer Beziehung ist es ihr vielleicht gelungen: aber o! wer kann sagen, was in dem jenseitigen Thale und unter seinen Todesschatten noch unerwähnt geblieben ist? An Euch, Ihr edelherzigen, edelmüthigen Männer und Frauen des Südens, -- an Euch, deren Tugend, Hochherzigkeit und Reinheit des Charakters um so größer sind, als Ihr gegen eine schwere Versuchung zu kämpfen habt, -- an Euch ergeht mein Ruf. Habt Ihr nicht in der Tiefe Eurer eignen Herzen empfunden, in Eurem eignen Privatverkehr wahrgenommen, daß in diesem fluchwürdigen Systeme viel größere Uebel und Leiden liegen, als hier hat schwach geschildert werden können? Kann es anders sein? Ist der Mensch ein Geschöpf, dem eine völlig unverantwortliche Gewalt anvertraut werden darf? und macht das System der Sklaverei nicht dadurch, daß es dem Sklaven die Fähigkeit Zeugniß abzulegen, versagt, jeden einzelnen Besitzer von Sklaven zu einem Despoten ohne jede Verantwortlichkeit? Kann irgend Jemand sich darüber täuschen, welche praktische Folgen nothwendig daraus hervorgehen müssen? Wenn, was wir gern zugestehen, unter Euch, Männern von Ehre, Menschlichkeit und Gerechtigkeit, ein übereinstimmendes Gefühl herrscht, so frage ich Euch, herrscht nicht ein solches andrer Art auch unter den schändlichen, rohen und entarteten Menschen? Und kann nicht nach Eurem Sklaven-Gesetze der rohe, entartete Mensch grade eben so viele Sklaven besitzen, wie der Beste unter Euch? Bilden die ehrenwerthen, gerechten, mitleidigen und edelmüthigen Menschen irgendwo in dieser Welt die Majorität? Der Sklavenhandel wird jetzt nach amerikanischen Gesetzen als eine Art Räuberei betrachtet; allein ein so systematischer Sklavenhandel, wie er nur jemals an der Küste Afrika's betrieben wurde, ist eine nothwendige Folge der in Amerika bestehenden Sklaverei. Und können ihre Gräuel und ihr herzzerreißendes Elend geschildert werden? Die Verfasserin hat nur ein schwaches Bild von der Angst und Verzweiflung gegeben, die in diesem Augenblicke tausend Herzen zerreißen, tausend Familien zerstören, und jene hülflose und gefühlvolle Menschenklasse zu Wahnsinn und Verzweiflung treiben. Es gibt Viele, denen aus eigner Wahrnehmung bekannt ist, daß durch diesen fluchwürdigen Handel Mütter dazu getrieben worden sind, ihre eigenen Kinder zu ermorden, und für sich selbst im Tode einen Schutz gegen Leiden zu suchen, die für sie schrecklicher waren als der Tod. Es läßt sich nichts so Tragisches schreiben, sagen oder vorstellen, was der furchtbaren Wirklichkeit jener Scenen gleich käme, die sich täglich unter dem Schutze des amerikanischen Gesetzes und dem Schatten des Kreuzes Christi an unsern Küsten zutragen. Und nun, Ihr Männer und Frauen Amerika's, ist dies ein Gegenstand, der leicht genommen, entschuldigt oder mit Schweigen übergangen werden könnte? Ihr Farmer vom Massachusetts, New-Hampshire, Vermont und Connecticut, die Ihr dieses Buch beim Scheine Eures winterlichen Feuers leset, -- Ihr muthigen, edelherzigen Seeleute vom Maine, -- ist dies eine Sache, die Ihr unterstützen und befördern wollt? Ihr braven, edlen Männer von New-York, Ihr Farmer des reichen und fröhlichen Ohio, und Ihr in den weiten Prairie-Staaten, -- antwortet mir, ist dies eine Sache, die Ihr vertheidigen wollt? Und Ihr, Mütter Amerika's, -- Ihr, die Ihr an den Wiegen Eurer eignen Kinder gelernt habt das ganze Menschengeschlecht zu lieben, -- bei der heiligen Liebe zu Euren eignen Kindern, bei der Freude, die Ihr über ihre reine, schöne Kindheit empfindet, bei der mütterlichen Liebe und Zärtlichkeit, mit der Ihr ihre reifenden Jahre bewacht, bei der Sorge für ihre Erziehung, bei den Gebeten, die Ihr für ihr unsterbliches Seelenheil zum Himmel sendet, -- beschwöre ich Euch, habt Mitleid für die Mutter, die alle Eure warmen Empfindungen, und kein gesetzliches Recht hat, das Kind ihres Herzens zu beschützen, zu leiten und zu erziehen! Bei der Sterbestunde Eures Kindes, bei jenen brechenden Augen, die Ihr nie vergessen könnt, bei den letzten Schreien, die Euer Herz zerrissen haben, wenn Ihr weder helfen noch retten konntet, bei jener vereinsamten Wiege, bei jener verödeten Kinderstube, -- beschwöre ich Euch, habt Mitleid mit jenen Müttern, die fortwährend kinderlos werden durch den amerikanischen Sklavenhandel! Und sagt mir, Ihr Mütter Amerika's, ist dies ein Gegenstand, der vertheidigt oder mit Stillschweigen übergangen werden kann? Wollt Ihr behaupten, daß die Bewohner der Freistaaten nichts damit zu thun haben, und nichts dafür thun können? Wollte Gott, es wäre wahr! Aber es ist nicht wahr. Die Bewohner der Freistaaten haben das System vertheidigt, befördert, und selbst daran Theil genommen; sie sind vor Gott sogar schuldiger als der Süden, da sie weder den Einfluß der Erziehung noch der Sitte für sich haben. Wenn die Mütter der Freistaaten in früheren Zeiten die Empfindungen und Ansichten gehabt hätten, die sie hätten haben sollen, so würden die Söhne der Freistaaten nicht Sklavenhalter, und, wie es sprüchwörtlich geworden ist, die härtesten Herrn der Sklaven geworden sein; die Söhne der Freistaaten würden nicht zur Verbreitung der Sklaverei mitgewirkt, und nicht mit menschlichen Seelen und Körpern, wie sie thun, anstatt Geldes gehandelt haben. Es gibt zahllose Sklaven, die von Kaufleuten der nördlichen Städte zeitweise besessen und verkauft werden; und darf also die ganze Schuld und Schmach der Sklaverei allein auf den Süden fallen? Die Männer, Mütter und Christen des Nordens haben noch etwas mehr zu thun, als ihre Brüder des Südens anzuklagen; sie haben das unter ihnen selbst bestehende Uebel abzustellen. Aber was kann eine einzelne Person thun? Darüber kann Jeder urtheilen. Es gibt Etwas, das jedes Individuum thun kann, -- dafür sorgen, daß es richtige Empfindungen hegt. Ein jedes menschliches Wesen ist von einer Atmosphäre sympathetischen Einflusses umgeben, und Jeder, der gesunde, kräftige und gerechte Empfindungen in Bezug auf die großen Interessen der Menschheit hegt, wird stets ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts sein. Sorgt also für Eure Empfindungen über diesen Gegenstand. Sind sie in Uebereinstimmung mit den Gefühlen, die Christus lehrte, oder sind sie durch die Sophistereien einer weltlichen Politik auf Abwege gelenkt und verderbt worden? Noch mehr, Ihr christlichen Männer und Weiber des Nordens! -- Ihr könnt noch mehr thun! Ihr könnt beten! Glaubt Ihr an die Kraft des Gebetes? oder ist es für Euch nur eine dunkle, apostolische Tradition geworden? Ihr betet für die Heiden im Auslande; betet auch für die Heiden in Eurem Vaterlande; und betet für die unglücklichen Christen, deren Fortschritte in der Religion einzig und allein von Zufälligkeiten im Handel und Wandel abhängig sind, und für die jedes Festhalten an der Moral des Christenthums häufig eine Unmöglichkeit ist, wenn sie nicht von oben herab mit dem Muthe des Märtyrerthums begnadigt worden sind. Aber noch mehr. An den Küsten unserer freien Staaten sammeln sich die armen, verstreuten Ueberbleibsel zerrissener Familien, -- Männer und Weiber, die durch wunderbare Fügungen der Vorsehung aus der Sklaverei entkommen sind, -- schwach im Wissen, und meistens auch zu Grunde gerichtet in ihrem moralischen Zustande, und zwar durch ein System, welches jedes Princip des Christenthums und der Morallehre entstellt und verwirrt. Sie kommen, um eine Zuflucht bei Euch zu suchen, um Erziehung, Unterricht und Christenthum zu suchen. Was seid Ihr diesen Unglücklichen schuldig, o Christen? Hat nicht jeder amerikanische Christ die Verbindlichkeit gegen das afrikanische Geschlecht, nach Kräften das Unrecht wieder gut zu machen, welches die amerikanische Nation über das Letztere gebracht hat? Sollen ihnen die Thüren der Kirchen und Schulhäuser verschlossen werden? Sollen die Staaten sich erheben und sie hinaustreiben? Soll die Kirche Christi schweigend den Hohn mit anhören, der auf sie geworfen wird, soll sie vor der hülflosen Hand zurückweichen, die Jene ausstrecken, und durch ihr Schweigen die Grausamkeit gut heißen, die sie aus unsern Gränzen vertreiben möchte? Wenn dies geschehen muß, so wird es ein trauriges Schauspiel sein. Wenn dies geschehen muß, so wird das Land Ursache haben zu zittern, sobald es daran denkt, daß das Schicksal der Völker in der Hand Eines liegt, der mitleidig und barmherzig ist. Sagt Ihr vielleicht: »Wir wollen sie nicht hier haben, -- sie mögen nach Afrika gehen?« Daß die Vorsehung Gottes ihnen einen Zufluchtsort in Afrika eröffnet hat, ist allerdings ein großer und wichtiger Umstand, aber es ist kein Grund, der die Kirche Christi von der Verantwortlichkeit gegen diesen ausgestoßenen Stamm entbindet, welche ihr Glaube ihr zur Pflicht macht. Wollte man Liberia mit einem unwissenden, unerfahrenen, halb barbarischen Geschlechte anfüllen, welches so eben erst den Ketten der Sklaverei entlaufen ist, so würde es nur dazu dienen, die Dauer des Kampfes zu verlängern, der den Anfang jedes neuen Unternehmens begleitet. Die Kirche des Nordens möge diese armen Leidenden im Geiste Christi bei sich aufnehmen, sie der Wohlthaten einer christlich republikanischen Gesellschaft und ihrer Schulen theilhaftig machen, und, wenn sie eine gewisse moralische und intellektuelle Reife erlangt haben, ihnen behülflich zu der Uebersiedelung nach jenen Küsten sein, wo sie den in Amerika angefangenen Unterricht praktisch anwenden können. Es gibt im Norden einen verhältnißmäßig kleinen Verein von Männern, welche dies bereits gethan haben, und in Folge dessen hat unser Land bereits Beispiele von Männern aufzuweisen, die früher Sklaven gewesen sind, und sich schnell Vermögen, Ruf und Bildung erworben haben. Talente sind entwickelt worden, die unter Berücksichtigung der Umstände, Bewundrung verdienen; und in Zügen von Rechtlichkeit, Herzensgüte, Zartheit der Empfindungen, -- heroischer Aufopferung und Selbstverläugnung; um Brüder und Angehörige, die noch in der Sklaverei waren, zu befreien, -- haben sich diese Menschen in einem Grade ausgezeichnet, der unter Berücksichtigung des Einflusses, unter dem sie geboren wurden, Staunen erregen muß. Die Verfasserin hat viele Jahre lang an der Gränze der Sklavenstaaten gelebt, und vielfach Gelegenheit gehabt, solche Personen zu beobachten, die früher Sklaven gewesen waren. Sie sind Dienstboten in ihrer Familie gewesen, und haben, in Ermangelung einer andern Schule, häufig denselben Unterricht mit ihren Kindern genossen. Mit ihren Erfahrungen stimmen die Ansichten der in Canada unter den flüchtigen Sklaven lebenden Missionäre vollkommen überein, so daß die daraus zu ziehenden Folgerungen über die Bildungsfähigkeit des Geschlechts in hohem Grade ermuthigend sind. Das erste Verlangen des emancipirten Negers steht in der Regel nach Unterricht. Es gibt nichts, was sie nicht willig geben würden, um ihre Kinder unterrichtet zu sehen; und so weit die Beobachtung der Verfasserin selbst geht, und das Zeugniß der Lehrer reicht, welche sie unterrichtet haben, besitzen sie eine ungewöhnliche Fassungsgabe. Die Ergebnisse der in Cincinnati für sie von wohlthätigen Individuen gegründeten Schulen bestätigen dies vollkommen. Die Verfasserin läßt hier die nachstehenden Angaben rücksichtlich der jetzt in Cincinnati lebenden, emancipirten Sklaven folgen, und stützt sich dabei auf die Autorität des Professors C. E. Stowe, am Lane Seminar zu Ohio, um zu zeigen, was die diesem Geschlechte angehörigen Individuen, selbst ohne besonderen Beistand, zu leisten vermögen. Es sind hier nur die Anfangsbuchstaben der Namen gegeben, und sämmtliche hier angedeutete Personen wohnen in Cincinnati. »B--. Tischler; zwanzig Jahre in der Stadt; besitzt an Vermögen zehn tausend Dollar, die er selbst erworben hat, und gehört der Baptisten Gemeinde an.« »C--. Ganz schwarz; gestohlen in Afrika und in New-Orleans verkauft; ist seit fünfzehn Jahren frei; bezahlte selbst sechshundert Dollar für sich; ist Farmer, und besitzt mehrere Farmgrundstücke in Indiana; gehört der presbyterianischen Kirche an, und hat ein selbst erworbenes Vermögen von fünfzehn bis zwanzig tausend Dollar.« »K--. Ganz schwarz; ist vierzig Jahre alt, Gütermäkler, seit sechs Jahren frei, und besitzt ungefähr dreißig tausend Dollar. Er bezahlte achtzehn hundert Dollar für seine Familie, ist Mitglied der Baptisten-Gemeinde, und empfing von seinem Herrn ein Legat, welches er in Acht genommen und vermehrt hat.« »G--. Ganz schwarz, Kohlenhändler, dreißig Jahr alt; besitzt achtzehn tausend Dollar; bezahlte zweimal für sich, da er einmal um sechszehnhundert Dollar betrogen wurde; verdiente sein ganzes Vermögen durch eigne Anstrengungen, -- und einen großen Theil davon während er Sklave war, indem er seine Zeit seinem Herrn abdung, und für sich selbst Geschäfte machte; ist ein hübscher Mensch von anständigem Aeußern.« »W--. Drei Viertel schwarz; Barbier und Aufwärter, aus Kentucky; neunzehn Jahre frei; bezahlte für sich selbst und seine Familie drei tausend Dollar; besitzt zwanzig tausend Dollar, die er selbst erworben hat: ist Diakon der Baptistenkirche.« »G. D--. Drei Viertel schwarz; Weißwäscher, von Kentucky gebürtig; neun Jahre frei; bezahlte fünfzehn hundert Dollar für sich und seine Familie; ist kürzlich sechszig Jahre alt gestorben, und besaß ein Vermögen von sechs tausend Dollar.« Professor Stowe sagt: »Mit allen diesen, G-- allein ausgenommen, bin ich viele Jahre persönlich bekannt gewesen, und gründe deßhalb meine Angaben auf eigne Wahrnehmung.« Die Verfasserin erinnert sich deutlich einer alten, farbigen Frau, die als Waschfrau in der Familie ihres Vaters fungirte. Die Tochter dieser Frau heirathete einen Sklaven. Sie war eine außerordentlich thätige und geschickte junge Frau, welche durch ihren Fleiß, ihre Anstrengungen und die ausdauerndste Selbstverleugnung neun hundert Dollar sammelte, und an den Herrn ihres Mannes bezahlte. Es fehlten noch hundert Dollar am Preise, als er starb. Sie erhielt nie den geringsten Theil ihres Geldes zurück. Es sind dies nur einzelne Thatsachen, einer großen Anzahl ähnlicher entnommen, die als Belege angeführt werden könnten, um zu zeigen, welche Selbstverleugnung, Energie, Geduld und Rechtlichkeit der frühere Sklave im Zustande der Freiheit besitzt. Und dabei vergesse man nicht, daß es diesen Individuen gelungen ist, sich verhältnißmäßigen Reichthum und eine gesellschaftliche Stellung zu erobern, während sie gegen Nachtheile und Entmuthigungen jeder Art zu kämpfen hatten. Nach den Gesetzen des Ohio Staates kann der Farbige nicht Wähler sein, und noch bis vor wenigen Jahren war ihm sogar versagt, Zeugniß in Prozessen gegen einen Weißen abzulegen. Auch beschränken sich diese Beispiele keineswegs auf den Staat Ohio allein; denn wir sehen jetzt in allen Staaten der Union Männer, welche, nachdem sie kaum die Fesseln der Sklaverei abgeschüttelt haben, durch eigene Kraft, die nicht genug bewundert werden kann, zu geachteten Stellungen in der Gesellschaft emporgestiegen sind. Pennington unter den Geistlichen, Douglas und Ward unter den Autoren sind wohl bekannte Beispiele. Wenn dieses verfolgte Geschlecht, unter Nachtheilen und Entmuthigungen jeder Art, so viel erreicht hat, wie viel würde es dann vermögen, wenn die christliche Kirche im Geiste ihres Stifters gegen dasselbe handeln wollte! Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Nationen zittern und in Krämpfen liegen. Andre Theile der Erde werden von einem gewaltigen Einflusse gehoben und erschüttert. Und ist Amerika sicher? Jede Nation, die große und ungesühnte Ungerechtigkeiten in ihrem Busen trägt, hat auch die Elemente zu diesen inneren Krämpfen in sich. Weßhalb erweckt jener mächtige Einfluß in allen Nationen und Sprachen die Seufzer nach Freiheit und Gleichheit, die nicht laut werden dürfen? O Kirche Christi, lies die Zeichen der Zeit! Ist nicht jene Gewalt sein Geist, dessen Reich noch kommen soll, und dessen Wille geschehen muß auf Erden wie im Himmel? Aber wer mag den Tag seines Erscheinens erwarten? »Denn dieser Tag wird brennen wie ein Ofen: und Er wird erscheinen als ein schneller Zeuge gegen Diejenigen, welche den Diener in seinem Solde verkürzen, Wittwen und Waisen bedrücken, und ^den Fremden in seinen Rechten auf die Seite setzen wollen^: und er wird den Unterdrücker in Stücke zerbrechen.« Sind dies nicht schreckliche Worte für eine Nation, die eine so furchtbare Ungerechtigkeit in ihrem Busen trägt? Christen! könnt Ihr, so oft Ihr betet, daß das Reich Christi kommen möge, vergessen, daß die Prophezeiung in schrecklicher Verbindung mit dem Tage der Erlösung den Tag der Wiedervergeltung verheißt? Noch ist uns ein Tag der Gnade geboten. Der Norden sowohl wie der Süden ist schuldig vor Gott, und die christliche Kirche hat eine schwere Rechnung abzulegen. Nicht dadurch, daß sich Alles verbindet, um Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu beschützen, und ein gemeinschaftliches Kapital der Sünde anzulegen, -- kann die Union gerettet werden, -- sondern nur durch Reue, Gerechtigkeit und Gnade; denn nicht gewisser ist das ewige Gesetz, daß der Mühlstein im Oceane versinken muß, als das noch stärkere, daß Ungerechtigkeit und Grausamkeit den Zorn des Allmächtigen über die Nationen bringen werden. ^Ende^ Notizen des Bearbeiters: Gesperrte Schrift markiert durch ^ ... ^ Schrift in Antiqua markiert durch _..._ Nicht einheitliche Schreibweisen wurden wie im Original beibehalten. Alte, heute nicht mehr verwendete Schreibweisen des Originals wurden beibehalten. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Onkel Tom's Hütte : oder die Geschichte eines christlichen Sklaven" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.