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Title: Wir ritten für Deutsch-Ostafrika Author: Inhülsen, Otto Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Wir ritten für Deutsch-Ostafrika" *** DEUTSCH-OSTAFRIKA *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Otto Inhülsen / Wir ritten für Deutsch-Ostafrika 21.–30. Tausend Otto Inhülsen Wir ritten für Deutsch-Ostafrika [Illustration] v. Hase & Koehler / Verlag / Leipzig Umschlaggestaltung und Bildschmuck von Hanns Langenberg, Leipzig Die erste Auflage dieses Werkes erschien unter dem Titel: Abenteuer am Kilimanjaro Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten Copyright 1926 by Koehler & Amelang G.m.b.H. in Leipzig Satz und Druck der Offizin Haag-Drugulin in Leipzig Titeldruck Breitkopf & Härtel, Leipzig Inhaltsverzeichnis Kriegsausbruch 5 Auf Posten Weber 8 Es wird Ernst 16 Der Geburtstag der Berittenen 9. Schützenkompanie 18 Kriegssafari zum Urwaldposten Olmolog 19 Alleinherrscher im Urwald 24 »Siafu!!!« 32 Auf Grenzwacht 37 Unsere Kavallerie braucht englische Reittiere 42 Ein Konkurrenzunternehmen 50 Mutter der Kompanie 52 Bilder und Typen aus dem Lagerleben 55 Die Kavalleriebrigade und die Zebraspuren 78 Große Kampfpatrouille zur englischen Magadbahn 80 Ausbildung im Garnisondienst 104 Als Fliegerersatz über dem englischen Bezillager 107 Durch den ostafrikanischen Großen Graben ins Winterhochland 114 Nach Engaruka verpumpt 147 Der Hunderttausend-Tonnen-Hammer fällt 157 Der Gewaltmarsch zur Mittellandbahn während der großen Regenzeit 173 An der Kondoa-Front 183 Der Todesritt der Berittenen 9. Schützenkompanie 202 [Illustration] Kriegsausbruch Mein Vater fing mich in Bremen ein, als ich im Jahre 1879 zum ersten Male nach Afrika auswanderte. Ich war damals elf Jahre alt und wollte in Afrika Löwen schießen. Für die Löwenjagd hatte ich eine alte Pistole aus Vaters Waffensammlung und sechs reine Taschentücher, als Reiseproviant ein Glas Eingemachtes aus Mutters Speisekammer mitgenommen. Für mich lief diese Sache tragisch aus. Als ich 35 Jahre später zum fünften Male auswanderte – ich war inzwischen in Indien, Australien und in der Transvaal gewesen und hatte eben ein paar Monate zur Erholung in Deutschland verlebt; jetzt trieb mich die Abenteuerlust nach Ostafrika –, da fand ich auf der großen Viehfarm Olmolog, deren Leitung ich am 15. Juli 1914 übernahm, hoch oben am Nordwestabhang des Kilimandscharo, dicht am Urwald und unmittelbar an der englischen Grenze, in Fülle das, was ich mir in der Jugend gewünscht hatte. Allnächtlich umschlichen die Löwen, die aus der Steppe vom Amboseli-See und den höhlenreichen Löwenklippen heraufkamen, mein Haus. Sie holten mir die Hunde weg von der Baraza [Veranda] und das Jungvieh aus der Boma [Umzäunung]. Gleich bei einem meiner ersten Ausritte begegnete mir einer ganz in der Nähe des Gehöfts sogar am hellen lichten Tage. Auf der Frommen Helene, so genannt, weil sie sich von dem störrischsten Maulesel der Welt im Laufe vieler Jahre in das faulste Exemplar ihrer Spezies hineingealtert hatte, ritt ich, natürlich in sausendem Schritt, den Weg zum Steinbruch der Farm. Plötzlich stand uns (ich meine Helena und mir) an einer Wegebiegung eine Löwin auf zehn Schritt gegenüber. Ich hatte kein Gewehr bei mir und war sehr erstaunt. Die Löwin schien auch erstaunt, aber noch erstaunter war die Fromme Helene. Sie löste die für alle Beteiligten peinliche Situation, machte kurz kehrt und jagte in einem solchen Tempo zum Gehöft zurück, daß ich schließlich doch am meisten staunte, und zwar über die Geschicklichkeit, mit der Helene bisher zu verheimlichen gewußt hatte, daß sie außer Schritt noch andere Gangarten kannte. Die Löwin machte ebenfalls kehrt und sockte ab. Menschenfresser ist in jener wildreichen Gegend der Löwe nicht. [Illustration] Damals kam ich nicht dazu, mich mit der Löwenfrage weiter zu befassen. Von meinem Nachbar Otto Weber – Nachbar, weil er nur vier Reitstunden um den Berg herum südlich von mir eine Viehfarm hatte – kam ein Bote nach dem andern: Kriegserklärung Österreichs an Rußland! – Kriegszustand in Deutschland! – Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich! – Englands Eintritt in den Krieg gegen Deutschland! Was sagt doch die Kongo-Akte? Dann kam der junge fröhliche Kossel, der Assistent des Farmers und Majors a. D. Schlobach, dessen Farm an die von Otto Weber grenzte. Kossel meldete mir, daß ich eingezogen und der Stellungsbefehl unterwegs wäre, daß ich der Abteilung des Major Schlobach zugeteilt sei und daß ich mich auf dessen Befehl mit dem Vieh von der Grenze nach Farm Weber zurückzuziehen hätte. Dort, sagte er, wäre ein Farmerposten von einigen Gewehren eingerichtet worden. Major Schlobach hätte sich mit seinem Vieh weiter südlich auf die Farm Geraragua zurückgezogen und sammele dort um sich und sein Vieh alles, was sich in der Gegend an Mannschaften, Reittieren und Gewehren auftreiben lasse. Der junge Kossel, ein Mecklenburger vom reinsten Wasser, war begeistert für den Krieg und bedauerte nichts mehr, als daß er nicht zu Hause im Osten oder Westen das Vaterland verteidigen helfen könnte. Er half mir beim Umzug, und am nächsten Morgen befanden wir uns mit Vieh, Schafen und Eseln auf dem Trek nach Farm Weber. Daß die Kongo-Akte nicht respektiert werden würde, glaubte damals noch kein Mensch bei uns; denn die Nachrichten, die uns im Hinterland erreichten, waren nur spärlich, und erst nach mehreren Tagen erfuhren wir, daß am 8. August 1914 die Engländer den Funkturm bei Daressalam von See aus beschossen hatten und damit die Feindseligkeiten eröffneten. [Illustration] Auf Posten Weber Das Kriegsglück hatte es gut mit mir im Sinn gehabt. Auf der Farm Weber oder »Posten Weber«, wie es offiziell hieß, fand ich, was man im Manöverleben Sektquartier nennen würde. Dies ist bildlich aufzufassen. Sekt gab es dort nicht, aber dafür eine von der liebenswürdigsten Gastgeberin geleitete, echt deutsch-afrikanische Häuslichkeit und Gemütlichkeit. Und Webers lebten gut. Überhaupt habe ich, außer Indien, noch keine Kolonie kennengelernt, in der, was Essen, Trinken und vor allem Bedienung anbelangt, so aus dem Vollen gelebt wurde, wie in den Städten, auf den Pflanzungen und Großfarmen in Deutsch-Ostafrika. Die Besatzung ergänzte sich nach und nach aus Leutnant Freund, Vizewachtmeister Trommershausen, Unteroffizier Rimpler und mir. »Posten Weber« war längere Zeit der exponierteste Posten unserer Front. Und doch war Frau Weber nicht zu bewegen, ihre Person nach Geraragua oder Moschi in Sicherheit zu bringen. Für uns war es gut so. Frau Webers frischer, fröhlicher Mut und nie versiegender Humor ließen niemals eine gedrückte Stimmung aufkommen. Es steht außer Zweifel, daß man ihr mit vollem Recht die Ehre des Titels Postenführer zuerkannte. Die Frau, die es an der Front aushält, die nicht nur die Garnison des Postens, sondern auch alle durchkommenden Patrouillenreiter so gut futtert, wie Frau Weber es tat, die nicht nur für den Leib, sondern auch für Geist und Gemüt des Vaterlandsverteidigers so gut zu sorgen weiß, wie Frau Weber es verstand, dient dem Vaterlande soviel, wenn nicht mehr als mancher Soldat. Es kam so weit, daß keine Patrouille das befestigte Lager von Geraragua verließ, ohne auf dem Ausritt und, wenn es irgend anging, auch auf dem Rückmarsch den »Posten Weber« zu passieren. Alle Kameraden von Geraragua haben ihre Beine wieder und wieder unter Frau Webers geschmackvoll dekorierten und reich beladenen Tisch strecken und sich von ihr bemuttern lassen dürfen. Was das heißt, wenn man eine lange Patrouille vor sich hat oder dreckig, halb verdurstet und ausgehungert von einer solchen zurückkommt, haben wir alle kennengelernt. Frau Weber übte auch fleißig mit dem Revolver und einem Damenkarabiner. Sie war fest entschlossen, den Angriff englischer Massai, der ja jeden Augenblick bevorstehen sollte, persönlich mit abschlagen zu helfen. Als Tochter eines Medizinalrates in Deutschland geboren, muß Frau Weber schon in jungen Jahren ein mütterliches Herz für die Menschheit gehabt haben. Sie wurde Krankenschwester. Als Schwester Hedwig war sie dann Oberin am Hospital zu Tanga. Dort ereilte sie das Schicksal, das keiner Krankenschwester in Deutsch-Ostafrika erspart blieb und das ständigen Grund zur Klage seitens der Hospitalverwaltung gab. Ja, du lieber Gott, was war da zu machen! Länger als zwei Jahre konnte man die Schwestern dem Hospital nicht verpflichten, und eine bessere Frau als eine frühere Krankenschwester war damals schwer zu finden. Heute ist das anders. Heute gibt es hilfsbereite und tüchtige Mädel genug. Unsere kriegerische Tätigkeit auf »Posten Weber« war vor allem auf die Abwehr des erwarteten Massai-Massenangriffs gerichtet. Zuerst bauten wir vor der offenen, völlig ungeschützten Veranda des Herrenhauses einen Wall aus Findlingen. Die Schwierigkeit dieses Baues bestand eigentlich nur darin, daß diese Mauer weder die Verandapfosten eindrücken noch Frau Webers Rosen beschädigen durfte. So sorgsam waren wir zu Anfang des Krieges noch bemüht, Eigentum zu schonen! Als wir mit diesem Kugelfang fertig waren, gingen wir zum Bau von Verteidigungswerken größeren Stils über. Die große rechteckige Viehboma wurde mit Draht- und Dornenverhauen umgeben, und an zwei diagonal gegenüberliegenden Ecken der Boma wurden mit Schießscharten versehene kugelsichere Türme errichtet, so daß man aus jedem eine Lang- und eine Kurzseite des Verhaus bestreichen konnte. In der Voraussetzung, daß die Massai ihren Angriff nach guter Stammessitte in der Hauptsache gegen die Viehboma richten würden, sollte ihnen hier eine Niederlage beigebracht werden. [Illustration] Gleichzeitig war ein Heliographenverkehr mit Geraragua und mit dem weiter unterhalb auf einem Hügel gelegenen »Posten Krantz« eingerichtet worden. Unser Heliographenapparat bestand bei Tage aus der Sonne, meinem Rasierspiegel und einem Kistendeckel. Letzterer hatte ein rundes Loch, das auf die Empfängerstation eingerichtet war. Vor dem Loch im Kistendeckel befand sich eine Pappscheibe an einem Holzhebel, den ein Mann zur Erzeugung der Blitzzeichen tippte. Der zweite Mann, der auch ein Neger sein konnte, stand mit meinem Rasierspiegel fünf Schritte rückwärts, fing Sonnenstrahlen auf und sandte sie vermittelst des Spiegels in konzentrierter Form durch das Loch im Kistendeckel. Wenn der zweite Operateur nicht vorbeikonzentrierte, der erste im Eifer die Morsezeichen nicht vergaß, und endlich der Empfänger aufpaßte, funktionierte die Sache tadellos. Mehr als fünfmal brauchte eine Meldung selten gegeben zu werden. Der Nachtapparat war noch einfacher. Wir bedienten uns einer Safarikiste mit Loch und Pappscheibe wie oben, in deren Innerem eine Azetylenwagenlampe stand. Um die Verbindung mit den andern Posten aufnehmen zu können, mußten wir unsern Heliographenapparat auf einem nahen steilen und hohen Berg aufstellen, und einer vom Posten mußte Tag und Nacht oben sein. Erst später bekamen wir zwei Signalwatote [Negerschüler] mit einem richtiggehenden Helioapparat. Eine weitere Aufgabe des »Postens Weber« war, die dort internierten Buren zu bewachen. Das kam so. An der Nordgrenze der Kolonie wohnten auf zerstreut liegenden Farmen eine Anzahl früherer Trekburen, die nach dem Burenkriege eingewandert, aber englische Untertanen geblieben waren. Wie die einzelnen Buren in ihrem Herzen gesinnt waren, ob den Deutschen oder den Engländern zugeneigt, konnte man bei Kriegsausbruch nicht wissen. Im Bezirk Aruscha ließ man sie ruhig und unbelästigt auf ihren Farmen sitzen und Eier, Hühner und sonstige Farmprodukte an die Etappe Aruscha liefern. In unserm Bezirk Moschi machte man das Gegenexperiment: hier wurden alle Buren mit Frau und Kindern auf »Posten Weber« interniert. Hier bauten sie sich in der befestigten Viehboma Lehmhütten und bezogen sie mit Weib und Kind; ihr Vieh stellten sie mit in die Boma ein. Sie waren in der Mehrzahl ruhige, nette Leute, die später fast alle auf deutscher Seite mitkämpften. Einer von ihnen, Piet Nievenhuizen, wurde Feldwebel und ist bis zum Schluß der Feindseligkeiten in Afrika als Pfadfinder und Führer der Person unseres Oberst attachiert gewesen, dem er mit Leib und Seele ergeben war. »Posten Weber« war der geeignete Platz, alle die Geraraguakameraden nach der Reihe kennenzulernen. Denn alle kamen sie auf ihren Patrouillen dort durch. Beritten waren sie alle, und ein größeres Allerlei von Reittieren auf einem Haufen habe ich in meinem Leben sonst nirgends gesehen. Da waren Pferde. Einige wirkliche Pferde und viele solche, die es überhaupt nicht gibt oder geben sollte. Die besten waren noch einige Somaliponys. Am zahlreichsten vertreten war die Kreuzung zwischen Pferdehengst und Eselstute, die man überall in der Welt Maulesel nennt. Nur in Deutsch-Ostafrika nennt man sie hartnäckig Maultier; eigentlich ist das Maultier die Kreuzung zwischen Eselhengst und Pferdestute, und später im Kriege bekamen wir auch einige Exemplare dieser Gattung. Da wir uns aber an so feinen Unterschieden nicht stoßen wollen und für das Kreuzungsprodukt zwischen Pferd und Esel in Deutsch-Ostafrika nun einmal die Bezeichnung Maultier üblich ist, spreche ich in Zukunft auch nur vom Maultier. Da waren große Maultiere und kleine Maultiere, Maultiere mit glattem Haar und Maultiere so wollig wie ein Pudel. Da waren Maultiere, die allein gingen, und solche, die nur in der Kolonne mitgingen. Einzelne ließen sich satteln, bei andern waren fünf Mann nötig, um den Sattel aufzuzwingen. Wer diese Maulböcke und ihre Anstalten im August 1914 kannte und dann ein Jahr später die Berittene 9. Schützenkompanie ausrücken sah, hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Teil ihrer Reittiere dieselben Maultiere sein könnten – so gepflegt, glatt und einexerziert schritten, trabten und galoppierten sie dahin. Ähnlich wie die Reittiere war auch die Reitausrüstung der Abteilung Geraragua mannigfacher Art. Es gab einige wirkliche Sättel und Zaumzeuge und viele, die man nur aus Höflichkeit als solche ansprechen konnte. Es waren Sättel dabei, die Noah schon mit in die Arche nahm, und Zaumzeuge, an denen nur das verrostete Trensengebiß noch Original war. Aber was macht das alles, wenn man die Kameraden betrachtet, die auf diesen Reittieren auf »Posten Weber« angeritten kamen! Da waren die beiden schönen Männer der Gegend, die Lieblinge der Damenwelt, Hugo König und mein Kollege Jacobsen. Darüber, welchem von beiden der Apfel des Paris zu reichen sei, konnten sich die Damen nicht einigen. Beide hatten so was, so was – na, da verstehe ich mich nicht darauf. Hugo König, der »schöne Hugo« genannt, erklärte uns wieder und wieder, wo der »springende Punkt« der Kriegslage zu suchen sei. Er war Kriegsfreiwilliger und gerne der Generalstäbler von Geraragua. Mit ihm kam sein Bruder Fritz, Mitglied des Gouvernementsrates, eine Autorität in Kolonialfragen. Es kam der Weltensegler, Millionär und Jagddilettant Elven, mit der fixen Idee behaftet, ganz Deutsch-Ostafrika müsse als ein Jagdreservat für Millionäre angesehen werden. Es kamen der Gouvernementslandwirt Mittag, der verkörperte Agrarier, und sein Kollege Münz aus Württemberg, dessen Deutsch kein Norddeutscher verstehen konnte. Es kamen Leutnant Kaufmann und sein Bruder Hans, letzterer kaum siebzehn Jahre alt. Es kamen die Farmassistenten Frank, Fränkel und das Mtoto [Kind] der Abteilung, der sechzehnjährige Schönbohm. Es kamen Leutnant Kühn und zuweilen auch seine Frau und ihr Bruder Satow. Es kam der Dichter und Unteroffizier Müller, der eine Hornbrille trug wie die Alchimisten in alten Kupferstichen. Es kam Richard L. Sauerbrunn, Farm-, Pflanzungs- und Dukabesitzer[1] am Berg. Er kam in geheimer Mission. Er hatte persönliche Beziehungen zu den Massai jenseits der Grenze gehabt, wollte diese für die deutsche Sache zu gewinnen suchen und sie veranlassen, mit ihren riesigen Viehherden auf deutsches Gebiet überzutreten. Er zog dahin und kam nicht wieder. Eine Patrouille wurde ihm nachgehetzt, aber sie fand ihn nicht mehr. Er war der erste Kriegsgefangene, den wir an unserer Front verloren. Sauerbrunns Schicksal habe ich erst später, im Kriegsgefangenenlager zu Ahmednagar, von ihm selbst erfahren. Er hatte seine Geschäftsfreunde nicht mehr jenseits der Grenze vorgefunden. Die Engländer kannten die Firma Richard L. Sauerbrunn anscheinend. Sie hatten seine Massaifreunde von der Grenze zurückgezogen und durch Massaipatrouillen aus dem Hinterlande ersetzt. Von diesen fand sich Sauerbrunn plötzlich umringt. Sie speerten ihn in Arme und Beine und schlugen ihm mit ihren Keulen den Unterkiefer aus dem Gelenk sowie Löcher in den Kopf. Da Sauerbrunn trotzdem nicht tot war, schleppten ihn die Massai zehn Tage lang mit sich durch das Pori, um ihn endlich einem englischen Posten an der Ugandabahn auszuhändigen. Daß Sauerbrunn nicht an Blutvergiftung einging, verdankte er nur seiner Zähigkeit. Seine eiternden Wunden desinfzierte er mit zu Staub zerriebenen Holzkohlen, die er sammelte, wenn die Massai ihr Fleisch fertig geröstet hatten. Essen konnte er nicht. Er lebte von schlechtem Wasser und hin und wieder etwas saurer Milch. Er hat dann wochenlang im Lazarett in Nairobi gelegen und wurde schließlich, gut geflickt und eingerenkt, nach Indien geschafft. Dort, im A-Camp in Ahmednagar, hat Sauerbrunn in selbstlosester Weise unermüdlich für das Wohl seiner Mitgefangenen gesorgt. Er war der Vermittler zwischen Camp und englischer Verwaltung in allen Verpflegungsangelegenheiten und leitete musterhaft die große allgemeine Campküche. Jeden Vormittag, den Gott in der Gefangenschaft werden ließ, übersetzte Sauerbrunn den um ihn versammelten Gefangenen die englische Tageszeitung mit einer Routine, die ihresgleichen sucht. Mit nie versagendem Humor und unerschütterlichem Glauben an den Endsieg der deutschen Sache flocht er Zwischenbemerkungen launiger und patriotischer Art in die Übersetzung des Zeitungstextes ein, daß das Gelächter und Hurra seiner Zuhörer durch das Lager schallte. Er hielt auch Vorlesungen abends unter dem Baum am Waschhaus oder im Konzert- und Theatersaal aus Wellblech, und wenn sich auch noch viele andere um das Gefangenenlager verdient gemacht haben, so darf ich doch sicher sagen, daß Richard L. Sauerbrunn der Liebling des A-Lagers war. Alle ritten sie über »Posten Weber«, fütterten dort ihre Tiere und sich selbst. Es kam auch Vater Krantz, ein früherer Burenkommandant. Auf seinem Moritz, dem Pferd mit der faustgroßen, permanent offenen Druckstelle am Widerrist, sprengte Krantz effektvoll auf den Hof und warf sich wie der Jüngste vom Tier. Ehe er in Hörweite war, begann Krantz schon die Arme übereinanderzurollen und seine Kriegspläne auszukramen. Aus deutschen Massai wollte er an der ganzen Grenze ein Aufklärungs-, Spionage- und Nachrichtenkorps organisieren, mit ihm selbst als Zentralorgan und belebendes Herz. Die Massai sollten dann immer vorneweg, immer vorneweg am Feinde sein. Die berittenen Farmer und Pflanzer sollten dann, von seinen Massaispionen geführt, den Feind umgehen und in der Flanke angreifen. »Und« – er rammte einen imaginären Karabiner in die rechte Schulter – »dann immer: päng, päng! Und« – er rammte denselben Karabiner in die linke Schulter – »wenn das rechte Auge ermüdet ist, dann immer links: päng, päng!« Aufrollen sollten wir die Feinde. Nach der Küste zu aufrollen, bis das Land zu Ende sei und sie alle ins Meer stürzten. Wieder rollten seine Arme, diesen Prozeß plastisch darstellend. Es kam endlich der Kaffeepflanzer und frühere Oberleutnant zur See Büchsel, ein neuer Stern, der neben Krantz an unserer Front aufging. Büchsel kam bei Webers durch auf dem Marsche zum Longidogebirge, etwa Kilometer nordwestlich unseres Postens gelegen, um dort mit Kameraden aus dem Aruschabezirk, berittenen Pflanzern und Farmern, ein Patrouillenkorps zu gründen. Er bezog oben im Gebirge, am Urwaldrande, ein Lager, das nach ihm später den Namen Büchsellager führte. Von hier ritt er Patrouillen über die Grenze in Richtung Erok, Ingito, englische Magadbahn, stellte die Wasserstellen, die Stärke der feindlichen Posten fest und berichtete darüber an das Kommando. [Illustration] Fußnoten: [1] duka = Laden. Es wird Ernst Am 15. August 1914 war der Ort Taveta, östlich vom Kilimandscharo auf englischem Gebiet gelegen, von unsern an jener Front operierenden Truppen genommen worden. Nun sollte, durch Büchsels Patrouillenkorps vorbereitet, auch an unserer Front, westlich vom Kilimandscharo, die Offensive beginnen. In Geraragua erschien zu diesem Zweck Kapitänleutnant Niemeyer auf der Bildfläche. Er erhielt den Befehl der berittenen Geraraguaabteilung; Major Schlobach sollte als Etappenkommandant in Geraragua zurückbleiben. Bald traf auch Hauptmann Tafel mit der 10. Feld-, d. h. Askarikompanie in Geraragua ein und übernahm den Oberbefehl über alle dort versammelten Truppen. Am Spätnachmittage des 18. September setzte sich Abteilung Tafel, also die 10. Feldkompanie und die berittene Abteilung Geraragua, in Marsch zum Longidogebirge und traf dort am 21. September ein. Geführt von dem Patrouillenkorps Büchsel, ging es am 24. September nach Norden über die Grenze. Der feindliche Posten Kichwa cha tembo an der Magadbahn sollte ausgehoben und die Bahn gesprengt werden. Nach einem Nachtmarsch wurde um sieben Uhr morgens in einem Koongo am Fuße des Ingitoberges haltgemacht, um zwei Stunden zu ruhen. Nach den mir später in der Gefangenschaft von englischer Seite gemachten Mitteilungen war eine starke englische berittene Patrouille, bestehend aus etwa 66 Buren und Farmern aus Britisch-Ostafrika, schon seit Stunden den Spuren der Abteilung Tafel nachgeritten. Die Marschordnung der letzteren auf schmalem Pfade war: eine berittene Spitze, die Feldkompanie mit Trägern und endlich das Gros der berittenen Abteilung. Dies hatte zur Folge, daß die Spuren unseres Fußvolkes durch Reittierspuren völlig wieder zugedeckt worden waren. Die Engländer glaubten daher, einer unserer gewöhnlichen berittenen Patrouillen gefolgt zu sein. Sie überrannten den aufgestellten Posten und eröffneten auf kurze Entfernung ein überraschendes Feuer auf die ruhenden Deutschen. Im Gebüsch – einige englische Buren saßen sogar in den Bäumen – in guter Deckung gegen Sicht, hatte der Feind die Situation zuerst völlig in der Hand, und die schweren Verluste auf unserer Seite ereigneten sich in der Hauptsache zu Anfang dieses überraschenden Überfalles, bei dem es Kugeln regnete, ohne daß ein Feind zu sehen war. Dies dauerte aber nicht lange. Die Feldkompanie, auf deren Anwesenheit der Feind nicht vorbereitet war, entwickelte sich schnell, ließ die beiden Maschinengewehre spielen und nahm unmittelbar darauf den Feind mit dem Bajonett in der Flanke an. Gleichzeitig gingen unsere Europäer frontal sprungweise vor. Unsere Askari im Bajonettangriff, das ist so ’ne Sache. Was vom Feinde noch laufen konnte, lief. Von den 86 Feinden sind nur 14 unverwundet aus dem Gefecht herausgekommen, und die englischen Buren in Britisch-Ostafrika wollten seitdem vom Kriege an der Front nie wieder recht was wissen. Der Feind ließ außer vielen toten auch 26 lebendige Reittiere mit guten Ausrüstungen auf dem Gefechtsfelde zurück und trug dadurch zur besseren Berittenmachung und Equipierung unserer Abteilung bei. [Illustration] Aber auch bei uns waren die Verluste sehr schwer. Kossel, der lustige junge Mecklenburger, der Unternehmer Rotbletz, der Lehrer Breitkreuz sowie die Farmer Hartmann und Grötzinger hatten ihr junges Leben hier lassen müssen, 6 andere waren, zum Teil schwer, verwundet. Bei 40 berittenen Europäern: Verlustziffer also 25 Prozent. Auch die Feldkompanie hatte schwer gelitten. Der Liebling aller, Leutnant Walde, war am Maschinengewehr gefallen, der tapfere Hauptmann Tafel schwer verwundet; auch Feldwebel Nickel und der Unteroffizier Mieth waren verwundet. 12 Askari waren tot und 18 verwundet. Auch viele Träger waren tot, verwundet oder ausgerissen. An die Verfolgung des Feindes konnte nicht gedacht werden. Die Feuertaufe war bestanden. Der Todesengel hatte gewürgt, und schwer, bleischwer lastete plötzlich der ganze Ernst des Krieges auf den Gemütern der sonst so fröhlichen Gesellen. Es dauerte Tage, ehe sie dieser Beklemmung ganz Herr wurden. Das Longidogebirge wurde von der 10. Feldkompanie und der berittenen Abteilung Geraragua besetzt gehalten. Das Kommando führte zuerst Hauptmann Richter, dann Hauptmann Kraut, mit dem auch noch die 11. und 21. Feldkompanie dort eintrafen. Der Geburtstag der Berittenen 9. Schützenkompanie Nunmehr habe ich von einem auch für die Leser wichtigen kriegsgeschichtlichem Datum erster Ordnung zu vermelden: dem 20. Oktober 1914. Er ist der Stiftungstag der Elitetruppe, der ich anzugehören die Ehre hatte und von der ich fortan erzählen werde, bis zu ihrem Todesritt am 27. Juli 1916, an dem sie im Feuerüberfall und Handgemenge bei Meia-Meia aufgerieben wurde. An jenem Tage wurden die Mannschaften mehrerer Einzelposten sowie das Patrouillenkorps Büchsel mit der berittenen Abteilung Geraragua zusammengeschlossen zur »Berittenen 9. Schützenkompanie«. Man darf sich durch die Zahl »Neunte« nicht irreführen lassen – in Wirklichkeit war sie die erste und zunächst einzige berittene; das »Neunte« erklärt sich daher, daß alle aus Europäern gebildeten Truppenteile zum Unterschied von den Askari- oder Feldkompanien als Schützenkompanien bezeichnet wurden. So ist jener Stiftungstag der »Neunten« zugleich der Gründungstag der deutsch-ostafrikanischen Kavallerie überhaupt, und diese ist hervorgegangen aus unserer Farmerabteilung Geraragua, die mit ihren paar Reittieren begann. Erst später erhielt die »Neunte« Konkurrenz in der »Berittenen Achten«, mit der wir die stolze afrikanische Kavallerie»brigade« bildeten. Natürlich hat die »Achte«, die wir »die Fliegenden Hunde« nannten, nie an die »Neunte« herangereicht. Damit sich aber der Leser nicht etwa übertriebene Vorstellungen von unserer »Brigade« macht, möchte ich doch noch hinzufügen, daß die größte Anzahl von Europäern, die die »Neunte« in ihrer Glanzzeit auf dem Papiere hatte, einige siebzig betrug. Ihre größte Gefechtsstärke bestand Mitte 1915, einschließlich der inzwischen dazugekommenen Askari, aus 56 Gewehren. An solchen Zahlen sind ihre Taten zu messen. Das Verzeichnis, das ich mir von allen Europäern, die meiner Kompanie im Laufe der zwei Jahre ihres Bestehens angehörten, angelegt habe, weist 75 Namen auf. Als unser Oberst am 15. November 1918 den Waffenstillstand für Afrika abschloß, waren von den 75 nur noch Hauptmann Meyer, die Unteroffiziere Obst und Truppel und Piet Nievenhuizen dabei. Kriegssafari zum Urwaldposten Olmolog Wenn die Zeit der Siege und der militärischen Erfolge, und nicht etwa die spätere Zeit des zähen, hartnäckigen Widerstandes unter nie dagewesenen Strapazen und Entbehrungen, als die »große« zu bezeichnen ist, dann kam jetzt die größte, die glorreichste Zeit des Krieges in Deutsch-Ostafrika, von der wir noch lange nachher zehrten. An drei Fronten griffen die Engländer, die ungeheure Verstärkungen an Truppen und Material von Indien herbeigeschafft hatten, gleichzeitig mit weit überlegenen Massen an, und überall wurden sie abgeschlagen. An dem gleichen Tage, dem 3. November 1914, an dem die Schlacht bei Tanga, die uns unsterblichen Ruhm und enorme Beute brachte, begann, an dem die Engländer bei Taveta einen Scheinangriff machten, den ein Zug Askari aufhielt, saßen plötzlich am frühen Morgen 2000 Engländer und Inder auf dem Nordostkamm des Longidogebirges und um acht Uhr bestreuten ihre Schrapnells bereits die deutschen Stellungen auf dem Südwestkamm des Gebirges. Bis neun Uhr abends dauerte das Gefecht, dann zog sich der Feind zum Erok zurück. Der schneidige Hauptmann Stemmermann hatte ihn mit seiner 11. Askarikompanie am Spätnachmittag in der Flanke mit Erfolg angegriffen und seine Siegeszuversicht gründlich erschüttert. Obwohl der Angriff des Feindes abgeschlagen war, wurde doch das Longidogebirge wenige Tage nach dem Gefecht von unsern Truppen geräumt. Am Nachmittag des 11. November und die ganze folgende Nacht hindurch bezogen die drei Feldkompanien und die Berittene 9. Schützenkompanie mit ihren Bagageträgerkolonnen Lager unterhalb des Krantzhügels zu beiden Seiten des Engare Nairobi. Am selben Tage traf auch unser Kommandeur, Oberstleutnant v. Lettow-Vorbeck, der Sieger von Tanga, ein. Er kam bald auf den Krantzhügel herauf, um sich das Gelände anzusehen und die beste Verteidigungsstellung auszusuchen. Lange stand er, umgeben von seinem Stabe, auf dem höchsten Punkte des Hügels und sah zum Longidogebirge hinüber. Man sah ihm die Trauer an, daß jene Stellung mit vier herrlichen Wasserstellen, der Schlüssel unserer Front, trotz siegreichen Gefechts hatte geräumt werden müssen. Es war das erste Stück deutscher Erde, das der Besetzung durch den Feind preisgegeben wurde! Nach längerer Beobachtung des Geländes lud mich unser Oberst mit den Worten: »Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten« ein, auf einem Haufen leerer Säcke neben ihm Platz zu nehmen, und teilte mir mit, wie er über mich disponiert habe. Hier sei für mich nichts zu tun; der Krantzhügel (von jetzt ab der Telephonhügel genannt) solle zur befestigten Stellung ausgebaut werden. Ich solle den Urwaldposten Olmolog (meine alte Farm!), den zur Zeit Leutnant Kühn mit sechs Reitern meiner Kompanie und einigen Massaikriegern besetzt hielt, mit 90 Massaikriegern beziehen und Grenzwacht halten. Der Schütze Pfützner solle mich begleiten. Auf Veranlassung unseres Oberst bekam ich ein im Longidogefecht erbeutetes Lee-Medford-Gewehr, zwei Einundsiebziger und Munition für meinen neuen Posten geliefert. Am nächsten Morgen traten Pfützner und ich in aller Frühe die Safari zum Olmolog an. 60 Ilmuran, d. h. Massaikrieger, waren bei mir, 10 waren schon auf dem Posten und 20 sollten mir in Kürze folgen. Außer den Ilmuran hatten wir 25 Träger, unsere Boys und 40 Schlachtochsen mit. Natürlich aßen wir bei Mutter Weber zu Mittag. In dunkler Nacht langten wir am Urwaldrand an. Hier war vorläufig Schluß. Der Urwaldrand ist dort am Kilimandscharo meistens so dicht mit Unterholz, Gestrüpp und Schlingpflanzen durchwachsen, daß er zu einer undurchdringlichen Mauer werden kann. Man muß sich mühsam mit dem Buschmesser durchschlagen, bis man einen Elefantenpfad oder Nashornwechsel findet, der ungefähr in der Richtung läuft, die man einschlagen will. Tiefer in den Urwald hinein ist das Reisen nicht ganz so beschwerlich, aber ohne einen Vortrupp mit Buschmessern kommt man auch dort nicht recht vorwärts. In dunkler Nacht, und noch dazu mit Ochsen, in den Urwald einzudringen, wäre sehr schwer gewesen, auch waren Mensch und Vieh vom langen Marsch rechtschaffen müde. Ein Feuer, das wie ein Stern meilenweit in die Steppe hineingeleuchtet hätte, durften wir nicht machen; das Zelt aufzuschlagen, lohnte nicht mehr, da in wenigen Stunden der Morgen dämmern mußte. So blieb nur übrig, sich in seine Decke zu rollen, zähneklappernd dem Geschnatter der Nachtaffen zuzuhören und den Morgen abzuwarten. Leutnant Kühn, den ich ablösen sollte, hatte seinen Posten irgendwo tief im Urwalde hinter der Farm Olmolog – so hatte mir wenigstens mein Kompanieführer gesagt. Näheres wußte der scheinbar auch nicht. Nun hieß es, den Posten finden. Früh am nächsten Morgen lag die ganze Welt um mich im dichten, feuchten Nebel. Fernsicht: zehn Schritt. Die Luftlinie von meinem Nachtlager bis zum »Posten Kühn« konnte kaum mehr als fünf Kilometer betragen. Wenn ich nur ungefähr gewußt hätte, in welcher Richtung der Posten lag! – Da! Was war das? Zwei Schritte vor mir sprang ein Stück Wild auf von der Größe unseres Damwildes und verschwand wie ein Blitz im Gestrüpp und Nebel. Ein Buschbock war es. Kein Herdentier wie alles Steppenwild, hält er sich gern am Rande des Urwaldes auf. Die Eingeborenen schätzen sein Fleisch nicht und essen es nur, wenn sie sonst hungern müßten. Tatsächlich hat sein Fleisch einen penetranten, beinahe ekelerregenden Wildgeschmack. Ich beschloß, vorläufig mich am Urwaldrande entlang in nördlicher Richtung durchzuschlagen und gleichzeitig nach Wasser zu suchen; denn die Ochsen waren durstig. Pfützner führte. Ihm folgten einige Träger mit Buschmessern, dann die Ochsen, die, von Massai getrieben, die Bresche erweiterten, durch die die Lastenträger nun bequemer vorwärts kamen. Den Schluß dieser Karawane im Nebel bildete ich. Krieg, mein Hund, so genannt, weil er am Tage der Kriegserklärung geboren war, jagte in seinem jugendlichen Unverstand und Eifer Baumschliefer [Baumratte] auf die Bäume und die Kwale [Rebhuhn] aus dem Busch, bis er in Siafu [große braune Ameise] hineingeriet und heulend bei mir Schutz suchte. Er ruhte nicht, bis er vor mir auf dem Sattel saß und sich knurrend den ungewohnten Urwaldboden von oben ansehen konnte. Die Nachtaffen waren zur Ruhe gegangen. Dafür kollerten jetzt in jeder Richtung die langschwänzigen Colobusaffen. Sie jagten sich in den Bäumen und schimpften im tiefen Baß auf die Eindringlinge. Nur langsam brachen wir uns Bahn durch das dichte Gestrüpp. Drei Stunden ging es so unter tropfenden Bäumen im dichten Nebel weiter. Ein Wasserloch hatten wir gefunden und die Tiere getränkt. Allmählich lichtete sich der Nebel, bis er ganz der Macht der Sonne wich. Nun hieß es, die Augen offen halten. Die Kameraden im versteckten Urwaldlager mußten doch auch ihren Morgenkaffee kochen, und ganz ohne Rauch würde das nicht abgehen, da alles Brennholz hier oben feucht war. Irgendwo über den Baumkronen mußte sich jetzt, als der Nebel immer höher am Kilimandscharo hinaufkroch und nur hier und da über besonders tiefen Schluchten Schwaden zurückließ, Rauch entdecken lassen. Richtig! Dort, halbrechts vor uns, noch ein gutes Stück in den Urwald hinein, wurde leichter Rauch gesehen. Eingeborene Wachagga, die Bewohner des Kilimandscharo, gab es auf dieser Seite des Berges nicht, auch zum Honigausbrennen kamen sie nicht so weit um den Berg herum. Dort, wo der Rauch war, mußte unser Posten sein oder – das Lager einer englischen Schleichpatrouille. Also auf den Rauch losgehalten. Ich ritt mit einigen mit Buschmessern bewaffneten Trägern voraus und hieß Pfützner mit der großen Karawane, deren Durchbruch durch das Unterholz nicht ohne allerhand Lärm abging, mir nach zehn Minuten folgen. Vom Urwaldrande abbiegend, traf ich bald auf eine Bergwiese, die hellgrün mitten im dunklen Walde lag und deren hohes, hartes Gras meinem Reittiere bis an die Ohren reichte. Mollig warm und licht war es dort nach all der Feuchtigkeit und Dunkelheit des Waldes. Ein Serval, eine kleine Leopardenart, den nach den Strapazen der nächtlichen Jagd die ersten Strahlen der Morgensonne verlockt haben mochten, auf einem gefallenen Baumstamm zu ruhen und sich zu wärmen, schlich durch das hohe Gras ab. Vögel, die an Größe und Gestalt dem heimischen Häher gleichen, mit tiefblauen Rumpf- und Schwanzfedern und hellroten, quadratischen Flügeln huschten geräuschlos über die Waldwiese weg – ihren Namen kenne ich nicht. Große Schwalbenschwänze, schwarz und blau schillernd oder gelb mit schwarzen Strichen und Flecken, flogen am Rande der Lichtung von Busch zu Busch. Alle Geschöpfe suchten Licht und Wärme. Nach diesem kurzen Lichtblick drang ich wieder in den Urwald ein. Endlich ließ ich auch die Träger mit meinem Reittiere und Hunde zurück und schlich mich der Stelle näher, wo der Rauch gesichtet worden war. Unnötige Vorsicht! Ein Träger des Postens, auf dem Rücken eine Milchkanne, die mir sehr bekannt vorkam, lief mir arglos in die Arme. Er sollte Trinkwasser holen, und die Milchkanne stammte unten von meiner Farm. Er gab mir nähere Auskunft, wo der Posten lag, und doch hörte ich die Kameraden schon lange schwätzen und lachen, ehe ich ihr Lager fand. So tief im Gebüsch versteckt standen ihre Zelte unter mächtigen, von Feuchtigkeit triefenden Bäumen. Dort wurde es sicher den ganzen Tag weder warm noch trocken. Die Kameraden schienen dies auch zu empfinden; denn sie waren froh, abgelöst zu werden. Nach einem gemeinsamen warmen Frühstück von Kongonifleisch rückten sie sofort ab. Alleinherrscher im Urwald Die kleine Regenzeit stand bevor. War es jetzt schon kalt und feucht hier oben im Urwalde, 2200 Meter über dem Meeresspiegel, wie würde das erst in der Regenzeit werden! Dort, wo auch an nebel- und regenfreien Tagen weder Licht noch Wärme hinkam, beschloß ich, nicht zu bleiben. Was Rheumatismus ist, wußte ich, und ganz verklammen wollte ich doch auch nicht. Die Lage des Postens gefiel mir, so versteckt sie an und für sich war, auch aus militärischen Gründen nicht. Man sah dort nichts von dem Gelände, das ich überwachen sollte. Für den Führer eines Europäerpostens mochte dieser Umstand keine Bedeutung haben, er konnte seine Leute ausschicken und sich auf ihre Beobachtungen verlassen. Als Führer von Massaikriegern glaubte ich anders handeln zu müssen. Ich mußte mein Lager am Urwaldrande haben, so daß ich einerseits vom Lager aus selbst das Gelände beobachten, andererseits die vorgeschobenen Massaiposten leicht kontrollieren konnte. [Illustration] Ich brach daher mit meiner Karawane gleich nach Mittag wieder auf und suchte mir einen sonnigen Platz auf einer Waldwiese am Rande des Urwaldes aus. Mein Zelt, die Hütten der Boys und Träger sowie die Feuerstellen wurden so gelegt, daß sie gegen Sicht aus der Steppe gedeckt waren. Hingegen brauchte ich nur wenige Schritte von meinem Zelt zu gehen, um das ganze weite Vorgelände zu übersehen. Die Feuer durften nur nachts und am Tage nur, solange der Nebel lag, unterhalten werden, damit ihr Rauch uns nicht verriet. Mit zwei modernen Gewehren und zwei Einundsiebzigern, für die ich mir die Negerschützen erst noch ausbilden mußte, konnte ich an einen längeren Widerstand nicht denken. Meine Aufgabe hier war ja auch nicht, Schlachten zu schlagen oder Armeen aufzuhalten. Die Massaikrieger rechneten in dieser Beziehung überhaupt nicht mit. Sowie es knallte, verschwanden sie. Ich nehme ihnen das an und für sich nicht weiter übel; denn nur mit Speer, Keule, Schwert und Schild ausgerüstet gegen moderne Feuerwaffen anzulaufen, muß kein besonders schönes Gefühl sein. Mir schienen aber die als kriegstüchtig berühmten und berüchtigten Massai doch einen viel feiner entwickelten Selbsterhaltungstrieb zu besitzen als irgendeine andere Negerrasse. Der Krieg in Deutsch-Ostafrika hat – gar nicht zu reden von den prächtigen regulären Askaritruppen – unzählige Beispiele persönlicher Tapferkeit, Kaltblütigkeit und anhänglicher Treue an ihren Bana seitens Neger aller Stämme geliefert. Von den Massai allein kann ich dies weder aus eigener Erfahrung sagen, noch habe ich je von einem solchen Fall gehört. Der Massai ist uns und wir sind ihm fremd geblieben. Ihn kümmert nur sein Vieh, und als Viehräuber scheut er auch Gefahren und selbst den Tod nicht. Wenn man von den heutigen Massai auf ihre Ahnen schließen darf, so dürften letztere ihre Machtstellung in Deutsch-Ostafrika weniger durch ihre überlegene Tapferkeit als durch größere Heimtücke und Gaunerei erworben haben. Liefen sie gegen einen Stamm an, der gleich schlau und gleich gut bewaffnet war, wie z. B. die Wachagga am Kilimandscharo, dann wurden sie abgeschlagen. Da es über dem Herrichten meines Lagers inzwischen Abend geworden war, schickte ich für diese Nacht eine starke Massaipatrouille zum Gehöft Olmolog hinunter, um dieses und die Wasserstelle in seiner Nähe zu beobachten. Am nächsten Tage sollten die Stellungen für vorgeschobene Feldwachen ausgesucht werden. Im Lager wurden drei intelligentere Träger zu einem Nachtwächterdienst organisiert. Dies war ein Notbehelf. Pfützner und ich wollten täglich Patrouillen reiten, folglich konnten wir nicht auch Nachtwachen schuften. Die Trägernachtgarde wurde eingerichtet, um unser Gewissen zu beruhigen und damit alles, was unter den gegebenen Umständen möglich war, getan war. Wir hatten unser Zelt zwar nicht direkt auf einen Elefantenwechsel gesetzt, aber durch die Waldwiese, auf der wir lagerten, führte ein solcher, und ganz frische Losung lag auch dort. Leoparden waren am Urwaldrande ebenfalls häufig genug. Daß der Feind uns aus eigener Initiative nachts finden und ausheben könnte, war sehr unwahrscheinlich – fanden wir doch selbst, wenn wir nach Dunkelwerden von Patrouille zurückkamen, anfangs nur mit Mühe unser Lager wieder. Die einzige wirkliche Gefahr lag darin, daß meine Massai unser Lager verrieten und den Feind nächtlicherweile heranführten. Hiergegen ließen sich freilich überhaupt keine Schutzmaßregeln treffen. So wurden also die Nachtwächter, die wir zu ihrem großen Stolz unsere Ruga-ruga [Hilfskrieger] nannten, mit dem Einundsiebziger ausgebildet, damit doch jemand da sei, der zu den durchkommenden Elefanten und Leoparden husch-husch sagen konnte. Wie alle Nachtwächter hielten sie sich entweder in der Nähe des Zeltes auf und gaben ihr Wachsein durch erkünsteltes Gehuste und Gepruste zu erkennen, oder sie schliefen irgendwo weit weg im Gebüsch, damit ich ihr Schnarchen nicht hören sollte. Das zweite war mir das liebere; dann konnte ich doch auch ungestört schlafen. So, nun saß ich also im Urwald auf Grenzposten, weit, weit weg von allen, die ein höheres Gehalt bezogen. Wie schön das ist, wird mir jeder Soldat nachfühlen. Kein Feldtelephon, kein Heliographenapparat auf dreißig Kilometer im Umkreise – Kinder, war das schön! Der Schütze Pfützner, der mit seiner Minna – keine Angst! Minna hieß sein Maultier – mein einziger Gefährte war, erwies sich als ein durchaus zuverlässiger, verständiger und umgänglicher Mann, mit dem sich abends gelegentlich ein Artillerieskat spielen ließ. Ich habe vergessen, wie die Berechnung bei diesem Skat zu zweien ist, aber ich schulde Pfützner heute noch achtzehn Flaschen Bier als Endresultat von fünfmonatigem Spiel. – Wir spielten um Bier, nicht etwa, weil wir Bier gehabt hätten. Im Gegenteil, wir sehnten uns nur sehr danach, und darum spielten wir um Bier. Es war eine angenehme Illusion, am Schluß eines Spielabends sagen zu können: »So, wenn wir jetzt Bier hätten, sollte uns die gewonnene Flasche gut munden! Bier müßte hier oben im kühlen Urwald, nachdem es im eiskalten Quellwasser kalt gestanden hat, recht trinkbar sein. Im heißen Küstenklima ist es nicht das richtige Getränk; da soll man, wenn man seine Leber lieb hat, nur Whisky trinken. Hier oben aber, im rein europäischen Klima, würde uns eine Flasche Bier nichts schaden.« So argumentierten wir gerne und beschlossen, das Spielresultat nach dem Kriege gemeinsam auszutrinken. Der Mensch denkt und Gott lenkt. Dieser Vorsatz, das Bier gemeinsam zu trinken, kann nie mehr zur Ausführung kommen – jedenfalls nicht in dieser Welt. Der gute Pfützner, der inzwischen Unteroffizier geworden war, ritt am 1. August 1916 bei der Station Kidete an der Mittellandbahn auf eine Mine. Die Kameraden begruben seine Überreste, wie eine Tafel anzeigt, links von der Station unter einem großen Baum. Er war ein braver Mensch, ein guter Kamerad und ein pflichttreuer Soldat. An jenem ersten Abend im Urwaldlager spielten wir noch nicht Artillerieskat. Eine wichtige Frage lag noch zur Beratung vor: die der Verpflegung. Für die Träger und Massai war gesorgt. Die ersteren bekamen täglich ihr Maismehl und zweimal in der Woche Fleisch, die Massai, die nie Pflanzenkost genießen, täglich ihr Fleisch. Wenn der Proviant zu Ende ging, brauchte ich nur bei der Etappe neuen anzufordern. Aber wir Europäer bekamen täglich unsere drei Rupien Verpflegungsgeld und sollten für uns selber sorgen. Nun gab es zwar in unserm Lager am Krantzhügel auch damals schon ein Magazin, in dem man kaufen konnte, wenn zufällig was drin war, aber für die auf Außenposten Kommandierten war es kaum je möglich, rechtzeitig den Anschluß zu erreichen. Zu unserm Glück waren wir nicht auf dieses Magazin allein angewiesen. Für mich sorgte in mütterlicher Treue Frau Weber, zu der ein flinker Bote in einem Tage hin- und herlaufen konnte, und Pfützner hatte seine kurz vor dem Kriege angefangene Farm am Kingoribach, zwischen Kilimandscharo und Meru. Er bekam wöchentlich eine Sendung Farmprodukte von seinem schwarzen Aufseher. Wild gab es in der Steppe vor dem Posten in Herden zu Tausenden und, da die Massai den Kopf des Ochsen nicht essen (warum, habe ich nicht ergründen können), hatten wir mehr Ochsenzungen und -hirn, als in der Speisefolge gut unterzubringen war. Später, als es aussah, als ob ich nie wieder von diesem Grenzposten würde abgelöst werden, legte ich mir oben im Urwald einen Gemüsegarten an. Außer Radis und Kopfsalat habe nicht ich, sondern mein Nachfolger geerntet. Erfahrungsgemäß wird man von einem Posten immer gerade dann abgelöst, wenn der Gemüsegarten anfängt, Ertrag zu bringen. Die Verpflegungsfrage war somit geregelt und entwickelte sich historisch weiter. Wir lebten, wenn auch nicht so gut wie ich früher bei Mutter Weber, doch immer noch recht gut, und nachdem wir aus einigen Wellblechplatten vom Gehöft Olmolog ein Magazin für Eingeborenen- und Reittierverpflegung gebaut hatten, waren wir die Sorge um das tägliche Brot einstweilen los. Am nächsten Morgen in aller Frühe ritten Pfützner und ich in Begleitung der Massaigruppenführer los, um geeignete Beobachtungsposten für die Massai auszusuchen. Eine dieser Feldwachen, die auf dem Lagumisherakrater, hätte ich am liebsten selbst bezogen, so herrlich ist es da oben. Der Lagumishera, ein 1957 Meter hoher Vorkraterberg des Kilimandscharogebirges, hat den besterhaltenen Krater, den ich kennengelernt habe. Ich habe viele und große und viel größere Krater gesehen, aber keinen, der aus der Steppe so regelmäßig kegelförmig aufsteigt und dessen Wände ringsum so gut erhalten sind. Der Berg ist dicht mit niederem Wald und Busch bestanden, nur der Kraterrand ist frei von Vegetation. Von der Seite meines Urwaldpostens, d. h. von Südwest, führt ein Nashornwechsel zum Krater, in dem ein kleiner See liegt, hinauf, so bequem zu reiten, als ob ihn ein Verschönerungsverein angelegt hätte. Alle losen Steine sind weggeräumt und alles im Wege stehende Buschwerk ist abgebrochen. Er hat nur den einen Übelstand, daß sein Anfang nicht leicht zu finden ist. Denn er fängt nicht am Fuß, sondern erst auf der halben Höhe des Berges an, dort, wo der Aufstieg beginnt steil zu werden. Bis dahin hat das Nashorn, das zum Wasser im Krater will, noch im Wandern gefressen, bald hier, bald dort, ohne einen bestimmten Wechsel einzuhalten. Erst da, wo die Steigung ihm unbequem zu werden anfängt, hat es sich im Zickzack den den Berg erklimmenden, ganz bestimmten Wechsel ausgetreten. Ganz außer Puste will auch das Nashorn beim Wasser nicht ankommen. Wer diesen Nashornwechsel hinaufreitet, muß es aber so einrichten, daß nicht gerade im selben Augenblick ein Nashorn vom Wasser in die Steppe zurückkehrt. Platz, einander harmlos auszuweichen, ist auf dem Wechsel nicht. Ein Nashorn füllt ihn genau aus, und besondere Höflichkeit darf man von ihm nicht erwarten. Vom höchsten Punkte des Kraterrandes, auf dem ich meine Feldwache postierte, aus gesehen, liegt der ganze Krater handgreiflich nahe unter mir. Die Wände fallen wie die eines Trichters steil zur Kratersohle ab. Zum Teil sind sie dicht bewaldet, teils zeigt sich der nackte Fels. Unten im Krater liegt ein schöner grüner Teppich, in dessen Mitte sich schadhafte Stellen zeigen. Diese bildet der meist sumpfartige, zertrampelte Kratersee oder in der Trockenzeit dessen ausgedörrter Boden. Einzelne abgebröckelte Felsstücke liegen auf dem grünen Teppich, und am frühen Morgen kann man wohl einen Gepard oder Leoparden sich dort sonnen sehen. Wenn man Glück hat, überrascht man ein Nashorn bei der Tränke. Der Durchmesser des Kraters von Rand zu Rand ist kaum 300 Meter. Gerade weil der Krater so klein ist, kann man alle seine Teile mit einem Blick umfassen, und man erhält um so leichter eine Vorstellung davon, wie ein solcher Krater entstanden ist. Die Riesenkrater, von denen ich später zu erzählen haben werde, geben einem wegen ihrer Größe keine so klare Vorstellung; bei ihnen muß man sich das Gesamtbild erst zusammendenken. Die Aussicht von da oben ist herrlich. Nach Süden zu beginnt fast am Fuße des Lagumishera der hier mindestens fünfundzwanzig Kilometer breite Urwald des Kilimandscharo in langen Wellen allmählich zum Fuß des Kibokraters aufzusteigen. Mächtig ragt darüber die Rückseite der Kraterwand des Kibo empor, die, Moschi zugewandt, die berühmte Schneekuppe bildet. Links davon erhebt sich der zu einzelnen spitzen Zacken zerbröckelte Krater des 5136 Meter hohen Mawensi, der nach dem Kibo der bedeutendste Krater des Kilimandscharogebirges ist und die meiste Zeit im Jahre auch Schnee trägt. Nach Norden, Westen und Osten ist der Fernblick unbegrenzt. Zumal der Jäger hat hier in der trockenen Jahreszeit, wenn das Wild aus der dann wasserarmen Tiefsteppe in die Hochsteppe hinaufgezogen ist, seine helle Freude. Zebra und Kongoni, untermischt mit Grantgazellen und Tomsen, stehen, wohin das Auge blickt, in großen Herden überall in der Steppe. Elen und Schwarzfersen durchstreifen das hügelige und steinige Vorgelände, und in den trockenen Talmulden weilt das Oryx, der Spießbock. Mit dem Glase – denn sie gehen ungern weit aus der Tiefsteppe heraus – sieht man große Gnuherden. Wilde Strauße zeigen überall ihre runden Körper, und Giraffen, einzeln oder in Familientrupps, schieben, im Paßgange ambelnd, ihre langen Hälse durch die Gegend. [Illustration] Wenn sie, von einem Löwen erschreckt, ihren Standort plötzlich wechseln und im Galopp abgehen, wirbeln diese Wildherden viel Staub auf. Man muß sich im Kriege davor hüten, in jeder Staubwolke einen marschierenden Feind zu vermuten, sonst käme man aus der Aufregung nie heraus. Die Staubwolke, die eine Truppenkolonne aufwirbelt, ist leicht von der des galoppierenden Wildes zu unterscheiden. Sie liegt niedriger über dem Gelände und zeigt sich dem Beobachter als ein langer, gleichmäßiger, nur nach dem Ende zu immer schwächer werdender Strich. Vom Lagumishera gesehen, liegt die ganze schöne afrikanische Welt zu meinen Füßen – Berge, Wälder und Steppen. Die schöne, schöne Welt mit ihrem Tierreich ohne Menschen! So ein Fürstentum Birkenfeld übersehe ich mit einem Blick, ohne ein Haus oder auch nur die Hütte eines Eingeborenen zu erblicken. Ich kann mir einbilden, der einzige Mensch auf Gottes weiter Erde zu sein. Ich freue mich, daß ich dieses Bild noch in mich habe aufnehmen dürfen. »Siafu!!!« Die kleine Regenzeit, November und Dezember, war im Jahre 1914 nicht besonders stark gewesen, aber oben im Urwalde doch stark genug, um Milliarden von Siafu, jener großen braunen Ameise, denen das Wasser in ihre gewohnten Schlupfwinkel eindrang, in Marsch zu setzen auf die Suche nach trockenem Quartier. Wer mal im ostafrikanischen Urwalde gelagert hat, kennt sicher den Schreckensruf: »Siafu!!« Müde hatte ich mich in meine Kamelhaardecken gerollt. Der Boy hatte die Laterne ausgelöscht, die Zelttür geschlossen und, wie jeden Abend, frische Asche vom Küchenfeuer auf den Aschenring gestreut, der das Zelt umfaßte zum Schutz gegen Siafu. Krieg, der den Urwaldboden verabscheute, lag zusammengerollt auf meinen Füßen, und an süßen Frieden denkend schlief ich ruhig ein – denn der Nachtwächter und die Nachtaffen störten mich schon längst nicht mehr. Plötzlich, mitten in der Nacht, weckte mich Krieg. Wie ein Besessener trampelte er auf meinen Beinen herum und drehte sich dabei wie ein Kreisel um seine eigene Achse. Vor Wut und Angst heulend schoß er dann zur Zelttür hinaus und verschwand im nächtlichen Urwalde. Au! Au! – im selben Augenblick hatten sie mich auch schon beim Wickel. An den Beinen, am Hals, den Rücken rauf da, wo man nicht ankommen kann, überall bissen mich Siafu mit ihren scharfen starken Zangen. Ein Satz, wie ich war, rein in die Badewanne, die, für den Morgen mit kaltem Quellwasser frisch gefüllt, vor meinem Feldbett stand. Dabei schrie ich nach dem Nachtwächter und den Boys aus vollem Halse: »Siafu! Siafu!« Von allen Seiten stürzte Hilfe herbei. Licht wurde gemacht, und da hatten wir die Bescherung! Eine dicke Kolonne Siafu wälzte sich unter der Zeltwand durch, trotz dem Aschering. Sie hatten Besitz ergriffen von allem. Sie hingen schon an der Zeltdecke und ließen sich mir auf den Kopf fallen. [Illustration] Jetzt begann der Kampf gegen die Siafu mit Feuer und Rauch. Die Boys, die Nachträte und noch einige herzugelaufene Träger fuhren mit brennenden Graswischen über den Fußboden und hüpften dabei schreiend und lachend von einem nackten Bein auf das andere. Ich saß unterdessen im Nachtanzuge im kalten Bade, fror und schimpfte, in ständiger Angst, daß meine Lebensretter mir das Zelt über dem Kopf anzünden würden. Ich suchte mir dabei Siafu ab, die sich so festgebissen hatten, daß sie auch unter Wasser nicht losließen; viele hatten sich derart festgehakt, daß, als ich sie abnehmen wollte, der Kopf abriß und an den Zangen in meinem Fell hängenblieb. Giftig sind Siafu nicht, auch keine Seuchenüberträger, aber beißen tun sie infam. Ihre Macht liegt in der Zahl der Streiter, die sie zum Angriff verwenden. Kein Tier des Urwaldes oder der Steppe hält ihnen stand; mit Haut und Haaren fressen die Siafu das Tier auf, wenn es ihnen nicht entfliehen kann. Will man einen Elefantenschädel schön sauber gereinigt haben, legt man ihn für einige Tage neben ein Siafunest. Der Elefant aber, der seinen Schädel noch hat, das Nashorn, der Löwe, der Leopard, der Büffel, die Riesenschlange, um von kleineren Tierarten gar nicht zu sprechen, alle nehmen sie Reißaus vor den Siafu, alle haben sie in ihrer eigenen Sprache den Schreckensruf: »Siafu! Siafu!« Wohl eine gute halbe Stunde – die Zähne fingen mir schon an zu klappern – saß ich in der Badewanne, ehe Rauch und Feuer die Siafukolonne bewog, ihre Marschrichtung nicht weiterhin durch mein Zelt zu nehmen. Nachdem noch alle einzelnen Bestandteile meines Lagers sorgfältig abgesucht waren, beendete ich mein übereiltes Morgenbad in der üblichen Weise, zog einen trockenen Schlafanzug an und kroch in meine Decken zurück. Der Morgen dämmerte schon, als Krieg wiederkam und sich vorsichtig auf meinen Füßen aufrollte. Er schämte sich sehr – denn er hatte das eklige Gefühl, seinen Herrn in der Stunde der Gefahr im Stich gelassen zu haben. Krieg hatte Rasse und damit Schneid. Kaum fünf Monate alt, hat er schon auf der Jagd allein einen angeschossenen Kongonibullen gestellt. Wenn er sich auch noch recht ungeschickt dabei benahm und mehrere Male vom Bullen umgekollert worden war, so ging er doch unverdrossen immer aufs neue zum Angriff über. Sechs Monate alt, hat Krieg schon vor der Treiberkette einen Koongo nach Löwen abgesucht. Um so mehr wurmte es ihn, daß eine unüberwindliche innere Gewalt ihn zwang, vor Siafu auszureißen. Ich habe ihn dabei beobachten können; denn ich erlebte auch bei Tage Siafuüberfälle. Eine Weile pflegte Krieg sich zu wehren, er zog die Siafu einzeln aus seinem Pelz und biß sie tot. Aber was nützte das! Wenn er zehn erledigt hatte, saßen hundert mehr zwischen seinen Zehen, unterm Bauch und in den Nasenlöchern. Ja die, an denen er vorbeigebissen hatte, waren ihm sogar ins Maul gekrochen und hatten sich unter der Zunge oder im Zahnfleisch festgehakt. Konnte ich Krieg helfen, dann kam er zu mir, sprang an mir hoch und ließ sich mit der Geduld, die er unter den Umständen aufbringen konnte, wenn es überall zwickt, die Siafu absuchen. Konnte ich ihm nicht helfen, d. h. war ich selbst in heller Not, dann stieß Krieg ein langes klagendes Geheul aus und sauste ab. Wo er dann blieb und wie er die Siafu los wurde, weiß ich nicht. Wenn er endlich wiederkam, war er schämig und bockig. Er schämte sich, mich verlassen zu haben, und er ärgerte sich über mich, weil ich ihm nicht geholfen hatte. In diesem seelischen Konflikt konnte Krieg stundenlang in einer Ecke sitzen, mich, ohne mit den Augen zu blinken, anstarren und bocken. Wenn man die Bienen mit einem Arbeitsvölkchen vergleicht, so darf man die Siafu auf der Reise nach trockenen Nestern oder nach neuer Nahrung mit einer wohlorganisierten Armee auf dem Marsche vergleichen. Sie marschieren in dicht geschlossenen Gruppenkolonnen. Hinter jeder Halbkompanie marschiert ein fetter Feldwebel, doppelt so groß und stark wie die Soldaten. Fußkranke und Nachzügler leidet er nicht, und seine starken Zangen sorgen dafür, daß ein gleichmäßiges Marschtempo innegehalten wird. Klappt ein Soldat zusammen, dann fressen ihn seine Kameraden im Weitermarsch auf und der Feldwebel jagt von hinten einen neuen Mann an seine Stelle. Lücken dürfen in der Kolonne nicht entstehen. Rechts und links, dicht neben der Kolonne, etwa bei jeder zehnten Gruppe, marschieren ebenfalls besonders starke Unteroffziere, die, wie die Feldwebel, Gewalt über Leben und Tod haben. Wehe dem Soldaten, der ohne Befehl die Kolonne verläßt! Auch er wird sofort auf Konto Marschproviant als restlos verbraucht gebucht. Vor der Marschkolonne marschiert im Eilschritt, oft in Laufschritt übergehend, weit ausgeschwärmt die Spitzenkompanie, und auf beiden Seiten der Kolonne sind Seitendeckungen in großer Zahl herausgeschoben. Ständig treffen Meldungen von der Spitze und den Seitendeckungen ein, und im Marsch-Marsch laufen Befehlsempfänger rückwärts und vorwärts an der Marschkolonne entlang, um jede wichtigere Meldung bekanntzugeben. Unaufhaltsam wälzt sich inzwischen die Siafuarmee weiter. Vor zwei Stunden beobachtete ich die Spitze – noch ist kein Ende der Heeressäule zu sehen. Begeben wir uns zur Spitzenkompanie. Anscheinend sehr aufregende Meldungen sind dort eingelaufen. Ein Bataillon Pioniere ist im Laufschritt vorgegangen. Der Grund der Erregung liegt klar zutage. Eine Wasserfurche vom letzten Regen her, dreißig Zentimeter breit, hat die Spitze aufgehalten. Der Spitzenführer hat bereits rechts und links nach einer Furt oder einem als Brücke dienenden Stück Fallholz in aller Eile suchen lassen. Vergebens. Also: Pioniere vor! Acht starke Pioniere halten sich mit ihren Beinen neben- und aneinander fest und nehmen mit ihren Zangen firmen Halt am Ufer. Weitere acht Pioniere klettern schon über sie weg und halten sich, untereinander fest verkettet, mit steifen Zangen an den ersten acht. So bauen sie immer weiter, bis in fabelhaft kurzer Zeit die dreißig Zentimeter Wasser von einer lebenden Brücke überspannt sind. Kaum ist die Verbindung mit dem andern Ufer hergestellt, die Brücke dort gut verankert und stramm angezogen, so ist die Spitzenkompanie auch schon hinüber. Eiligst schwärmt sie aufs neue aus, um die verlorene Zeit wieder einzuholen. Die Heeressäule, die keine Sekunde im Marsche aufgehalten wurde, beginnt sich über die Brücke zu wälzen. Zwei, drei Stunden mag der Übergang dauern – die Pioniere halten fest. Ersoffen, zertrampelt mögen sie sein – los lassen sie nicht. Diese organisierten Marschbewegungen der Siafu haben mich stets sehr interessiert. Stört man sie nicht in ihrem Vorhaben, dann kann man sie in aller Ruhe aus allernächster Nähe beobachten. Solange sie auf dem Marsche sind, nehmen sie von Mensch und Tier nur nebenher Notiz. Wieder und wieder laufen mir die Soldaten der Seitendeckung über die Stiefeln und stürzen davon, um meine Gegenwart der Heeresleitung zu melden. Weiter passiert nichts, denn die Heeresleitung hat andere Pläne. Ließe ich es mir aber einfallen, z. B. mit meinem Stock die Marschkolonne ernstlich zu belästigen, d. h. mehr Soldaten totzuschlagen, als die Kameraden im Weitermarsch bequem auffressen könnten, dann würde ein Angriff auf mich befohlen werden. Wie sie sich entwickeln und unter Führung der dicken Feldwebel schwärmen, kann ich eventuell noch mit ansehen. Ehe es zum Sturmangriff kommt, hat sich der erfahrene Beobachter aber bereits verdrückt. Gegen Siafu kann man nur mit Feuer und starkem Rauch kämpfen. Andere Waffen gibt es nicht. Schlüge man mit einem Spaten oder Brett Hunderttausende tot, ebenso viele Millionen würden den Angriff erneuern, und zwar so lange erneuern, bis dem Bedrängten die Arme müde zur Seite hängen. Auf Grenzwacht Meine dienstliche Aufgabe war, die ausgestellten Feldwachen zu kontrollieren sowie Beobachtungspatrouillen auszuschicken. Beides war militärisch wenig erfreulich, denn die Massai waren keine willigen Soldaten. Besonders die fernliegenden Feldwachen liebten sie nicht; entweder sie gingen gar nicht erst hin oder sie verließen die Wache, lange bevor die Ablösung ankam. Erst als ich anfing, sie wegen Wachvergehen zur Prügelstrafe niederlegen zu lassen, wurde der Dienst etwas ernster genommen. Meine Versuche, Massai zu selbständigen Beobachtungspatrouillen zu verwenden, scheiterten gänzlich. Sie weigerten sich, allein über die Grenze zu gehen. Wenn ich selbst sie auf meinen Patrouillenritten mitnahm, mußte ich die ganze Zeit über aufpassen wie ein Schießhund, daß sie mir nicht ausrissen – ohne Massai kam ich als Schleichpatrouille stets weiter vorwärts als mit ihnen. Das wurde mit einem Male anders, als Kommandant Krantz sich der Sache persönlich annahm. Er war inzwischen aus der Truppe entlassen worden und hatte als Zivilist einen Vertrag mit der Militärbehörde gemacht. Gegen ein Fixum von tausend Rupien per Monat organisierte er nun am Telephonhügel den Massainachrichten-, -aufklärungs- und -spionagedienst mit altem Eifer. Er schickte seine Massaispione allein auf Patrouille mit dem Erfolge, daß die aufregendsten, wildesten Dinge berichtet wurden. Gegen solche Resultate fiel die Tätigkeit meiner Massai natürlich sehr ab. So erschien er bei mir zur Inspizierung. Als ich eines Abends von Patrouille zu meinem Urwaldlager zurückkam, lag Krantz zu meiner Überraschung dort unter einem Baum und erwartete mich. Er aß mit mir zu Abend, rollte auf und organisierte in bekannter Weise, sprach viel von seinen bemerkenswerten Erfolgen und ritt endlich im Mondschein mit den sechs ihn als Leib- und Ehrenwache begleitenden Ilmuran wieder ab, nachdem sein Erzspion, ein Deutsch sprechender Massai, einige meiner Massai stundenlang instruiert hatte. Schon am nächsten Morgen zeigte sich der Erfolg. Als ich meine Massai fragte, wer eine Patrouille von drei Tagen zum englischen Namangalager am Erok laufen wolle, um Truppenbewegungen zu beobachten, meldeten sich sofort mehrere Ilmuran. Es war dies etwas auffällig, weil sich noch tags zuvor alle Massai einstimmig geweigert hatten, allein auf Patrouille zu gehen. Krantzens Vertrauensmann mußte doch mächtig auf ihren Patriotismus gewirkt haben! Daß diese Wirkung sich auf die beschränkte, auf die er eingewirkt hatte, war ja schließlich erklärlich. Aber es war doch merkwürdig, daß in Zukunft immer nur ein Teil meiner Massai freiwillig und allein auf Fernpatrouille ging. Es waren immer dieselben Leute, während der größere Teil sich nach wie vor weigerte, allein auf Patrouille zu gehen. Die Meldungen, die meine neu umgebackenen Spione brachten, wurden nun ebenfalls von Tag zu Tag wilderer Natur. Zuletzt konnte man die Länge der feindlichen Truppenkolonnen, die vom Erok zum Longido marschiert sein sollten, nur noch mit einem Kilometermaß messen. Jedesmal, wenn die Spione zurückkamen, hätte ich an die Abteilung melden können: »Heute wieder fünf Kilometer!« Schade, daß ich meinen Ilmuran so gar nicht traute und in allen meinen Berichten die Unwahrscheinlichkeit der Massaimeldungen betonte. Ich wußte nach meinen eigenen Beobachtungen, daß etwa achthundert Mann feindlicher Truppen den Longido besetzt hielten – nach den Meldungen der Massai hätten es etwa fünfzigtausend sein müssen. Aber vorläufig glaubte man ihnen mehr als mir. Inzwischen hatte ich mein Urwaldlager wiederholt auf andere Waldwiesen verlegt, da ich den Gedanken, daß meine Massai mich verraten könnten, nie ganz los wurde. Wenigstens wollte ich es dem Feinde erschweren, nachts mein Lager zu finden. Die ersten Kriegsweihnachten hatte ich im Urwald verlebt, Neujahr lag hinter mir und Kaisers Geburtstag wurde gefeiert. Das Hoch auf unsern obersten Kriegsherrn hatten wir in selbstgebrautem Honigbier ausgebracht. Ungemein solide war diese Feier überall verlaufen; denn wir befanden uns schon in der alkohollosen Zeit des Krieges. Das war aber recht gut. Denn die Engländer hatten damit gerechnet, daß alle unsere Vorposten am 28. Januar einen Bombenkater haben würden, und suchten an diesem Morgen an der ganzen Front alle unsere Vorposten durch starke Kampfpatrouillen gewaltsam aufzuklären. Schon vor Tagesgrauen waren sie in meinem vor wenigen Tagen verlassenen Urwaldlager gewesen. Als sie dies leer gefunden hatten, waren sie zu dem etwa drei Viertel Stunden entfernten Gehöft hinuntergeritten. Uns alarmierte einer unserer Massai mit der Meldung: »Sehr viele Feinde im Gehöft!« Pfützner und ich eilten, um zunächst einen Überblick zu gewinnen, auf den Gipfel des Hufeisenberges – da sahen wir mit dem Feldglase die Engländer gerade abreiten; es waren achtzehn Reiter mit fünf Massailäufern. Wir ritten nun zum Gehöft hinunter und »rekonstruierten das Verbrechen«, wie Sherlock Holmes sagen würde. Dies war höchst einfach; denn die Spuren waren alle noch frisch. Vom Norden her, genau über den Fleck, wo meine Massaifeldwache hätte stehen müssen, wenn sie der Instruktion gefolgt wäre, war die englische Patrouille angeritten. Am Wasser beim Gehöft, das zu beobachten die Massaifeldwache am Gehöft strengen Befehl hatte, hatten sie getränkt. Dann waren sie zu meinem kürzlich verlassenen Urwaldlager hinauf- und wieder zum Gehöft heruntergeritten und hatten schließlich auf der Baraza des Herrenhauses gefrühstückt – eine leider leere Sardinenbüchse zeugte noch davon. Ich glaube zwar nicht, daß meine Massai den Feind an diesem Tage geführt haben, denn dann würden die Engländer nicht mein eben verlassenes Urwaldlager aufgesucht haben. Aber aus der Tatsache, daß dem Feinde mein altes Lager bekannt war und daß keine der Feldwachen funktionierte, ist zu schließen, daß einige meiner Massai mit den englischen Massai Shauri moja [gemeinsame Sache] gemacht haben. Sie hatten letzteren mein Urwaldlager verraten und sich während des Überfalles passiv verhalten, mit Ausnahme des einen, der uns die erste Meldung brachte. Es war unser Glück, daß die Wissenschaft der englischen Massai um einige Tage veraltet war. Im Engare Nairobilager glaubte auch nach meiner Meldung über diesen Vorfall noch niemand daran, daß die Massai Verräter seien. Ich persönlich hatte in jenen Tagen einen Abschiedsschmerz – die fromme Helene wurde zur Infanterie versetzt. Ich erhielt dafür ein trotz hohen Alters flottes Maultier, das wegen seiner charakteristischen Unterlippe Alphons genannt wurde. Am Longido von den Engländern erbeutet, war Alphons, nach seinen Zähnen zu urteilen, hoch in den Zwanzigern. Seine Eselunarten hatte er gänzlich abgelegt. Wenn ich absaß und zu Fuß ging, lief Alphons mir nach wie ein Hund, auf Befehl blieb er so lange geduldig stehen, bis ich ihn wieder abholte. Alle seine Gangarten waren die eines Pferdes – nur wenn er sehr müde wurde, trabte er wie ein Esel und hielt es dann in dieser Gangart noch stundenlang aus. Ich habe wenige Maultiere kennengelernt, die alle Eigenschaften eines gut trainierten Patrouillentieres so in sich vereinigten wie Alphons. Mein Alphons war also ein Beweis dafür, daß Maultiere zu zuverlässigen Patrouillentieren erzogen werden können. Die Maultiere meiner Kompanie freilich, die ja nicht regelrecht als Remonten eingestellt, sondern von überallher zusammengesucht waren und für deren vormilitärischen Mangel an Erziehung die Kompanie nicht verantwortlich war, blieben, wenn sie auch noch soviel lernten, doch immer bis zu einem gewissen Grade unberechenbar. Gelegentlich, und zwar gewöhnlich dann, wenn es am wenigsten paßte, verfielen sie wieder in ihre Eselunarten. Deshalb mag das Maultier, verglichen mit dem Pferd, für eine ostafrikanische berittene Truppe, deren Notwendigkeit der Krieg erwiesen hat, gewisse Nachteile haben. Und besonders in der Reitbahn und auf dem Exerzierplatze wird es sehr gegen das Pferd abfallen. Auf der andern Seite hat aber das Maultier – gemeint ist ja immer der Maulesel – viele Vorzüge. Lange Patrouillen – die längste, die ich mitgeritten, dauerte fünf Wochen –, auf denen man Reittierverpflegung nicht mitnehmen kann und die Tiere sich in den kurzen Rastpausen von während der Trockenheit spärlichem, strohgelbem Gras zu nähren haben, haben die Maultiere stets besser überstanden als die Pferde. Im gebirgigen und steinigen Gelände tritt das Maultier viel sicherer als das Pferd mit europäischem Blut in den Adern, auch kann es schmale Eingeborenenpfade oder Wildwechsel viel leichter einhalten als ein breitspuriges Pferd. Endlich nutzen sich ihre kleinen harten Hufe auf hartem Boden lange nicht so schnell ab als die der Pferde besserer Zucht, wenn beide, wie es bei uns im Kriege der Fall war, unbeschlagen sind. Gegen Pferdesterbe und Tsetse ist das Maultier zwar auch nicht immun, aber doch viel widerstandsfähiger als ein Pferd mit nur einem Tropfen europäischen Blutes. Als ich nach zwei Kriegsjahren gefangen wurde und wir die gesunde Gegend des Nordens längst verlassen hatten, hatten wir bei der Kompanie noch eine ganze Anzahl Maultiere und Somaliponys, mit denen wir schon in den Krieg gezogen waren, aber außer der Fohlenstute Sophie kein einziges unserer ursprünglichen Pferde besseren Blutes mehr. Alle waren der Tsetse und Sterbe zum Opfer gefallen. Noch mit am längsten hatte mein Halbbluthengst Otto ausgehalten, der mir später zugeteilt wurde; er war in Afrika geboren, halb Araber, halb Ostpreuße. Unsere Kavallerie braucht englische Reittiere Die Berittene 9. Schützenkompanie lag inzwischen immer noch im Lager am Engare Nairobi als Teil der Abteilung Kraut. Als wichtige Neuerung erfuhr ich, daß im neuen Jahre nach und nach die früher internierten Buren, soweit sie sich bereit erklärt hatten, der deutschen Sache zu dienen, in den Kompanieverband aufgenommen worden waren. Die Einstellung der Buren in meine Kompanie beweist schon, daß diese noch kaum auf dem Wege war, eine militärische Einheit zu sein, wie man sie sich in Deutschland unter einer Kompanie vorstellt. Sie war vielmehr immer noch mehr ein Verband verschiedener Patrouillenkorps und Außenposten (wie meiner z. B.), in dem auch viele Farmer dienten, die früher nie Soldaten gewesen waren. Die Schützen ritten freiwillig auf Patrouille in der Weise, daß sich die einen zu diesem, die andern zu jenem Patrouillenführer hingezogen fühlten und ihm besonders vertrauten, und immer gab es mehr Freiwillige, als gebraucht wurden. Diejenigen, die nicht auf Patrouille, Außen- oder Beobachtungsposten waren, ruhten im Lager und pflegten sich und ihre Tiere für die Strapazen einer neuen Patrouille. Besonderen Dienst hatten sie nicht, und daran, sie infanteristisch oder kavalleristisch auszubilden, dachte damals niemand. Wir hatten Leute in der Kompanie, die wegen besonderer Tapferkeit vorm Feinde zum Gefreiten und Unteroffzier befördert worden waren, aber ihren Vorgesetzten mit der Pfeife im Munde und einer Hand in der Hosentasche grüßten, auch Rechtsum und Linksum nicht unterschieden. Rangabzeichen trug kein Mensch, und ein Fremder hätte aus dem außerdienstlichen Benehmen von Offizieren und Mannschaften nie herausgefunden, wer Vorgesetzter und wer Untergebener war. Kommissig ging es also bei der Kompanie sicher nicht zu. Dafür aber verstanden fast alle aus dem ff zu reiten (wenn auch nicht vorschriftsmäßig), zu schießen, zu hungern und zu dursten. Bei dieser ungebundenen Art fanden sich die Buren leidlich in ihre neue Lage. Sie ritten auch einige Male Patrouillen mit Oberleutnant Büchsel, dann aber zogen sie es doch vor, ein Patrouillenkorps für sich zu bilden. Piet Nievenhuizen und Louis van Rooyen waren ihre anerkannten Führer. Schon wiederholt hatten diese beiden das Namangalager der Engländer am Erok beschlichen, und der Plan war in ihnen gereift, den Engländern Reittiere oder einen Ochsentransport, jedenfalls etwas Bewegliches, für das Beutegeld ausgesetzt war, abzutreiben. [Illustration] Anfang März 1915 – das genaue Datum weiß ich nicht mehr – trafen die beiden Genannten in Begleitung der Buren Piet Joubert, Nicolas Visser, Tobias Knott, Frank Niels, Lawrenz, Alwin Botha, des Deutschen Max Truppel, der vor dem Kriege für Hagenbeck Tiere fing, und des Ungarn Roth, eines früheren Missionars, gegen Abend auf meinem Urwaldposten ein. Ihr Proviant waren Burenhartbrot und Hammelkeule am Spieß gebraten. Piet Nievenhuizen teilte mir seine Pläne mit, und um denselben mehr Aussicht auf sicheren Erfolg zu verschaffen, beschlossen wir, daß ich während der nächsten Tage keine Massaipatrouille zum Longido senden sollte. Mitten in der Nacht ritt die Burenpatrouille weiter. In der nächsten Nacht ritten sie bis auf einige Kilometer an das englische Lager heran, gedeckt vom Schilfwalde der Namangasümpfe. Hier teilten sie sich; denn von hier sollte die Unternehmung zu Fuß weitergehen. Botha, Knott, Niels und Lawrenz nahmen sämtliche Reittiere, sechs davon ohne Sattel und Zaumzeug, und kehrten mit diesen ins deutsche Lager zurück. Nievenhuizen, van Rooyen, Joubert, Visser, Truppel und Roth schulterten ihre Sättel und Zaumzeuge und schlichen sich, auf allen vieren kriechend, durch die frisch abgebrannte, offene Steppe unter dem englischen Lager vorbei und dann im weiten Bogen um dasselbe herum, bis sie nördlich oberhalb desselben am Bergrande die Tränkstelle erreicht hatten, an der die Reittiere des Namangalagers nach früheren Beobachtungen jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr getränkt wurden. Im Gebüsch, nahe der Tränkstelle, legten sie sich an drei Punkten zu je zwei Mann auf die Lauer; denn es galt, auf alle Fälle den berittenen und bewaffneten Engländer, der die Tiere als Pferdewache zu begleiten pflegte, ohne viel Lärm lebendig zu fangen. Der Morgen graute. Es wurde acht Uhr. Es wurde neun Uhr. Nichts zeigte sich. Es wurde zehn Uhr. Immer kamen die Tiere noch nicht zur Tränke. Sollten sie gerade heute vom Lager abwesend sein? Konnte der Anschlag dem Feinde doch verraten worden sein? Es wurde elf Uhr. Die Erregung macht wahnsinnig durstig, der ganze Wasservorrat war längst ausgetrunken, aber zur nahen, offenliegenden Tränke durfte sich keiner wagen, und noch immer kamen die englischen Reittiere nicht. Da endlich, gegen elf Uhr dreißig, zeigten sich die Tiere. Kein Berittener war mit ihnen. Ein Engländer zu Fuß, die Pfeife im Munde, einen Schauerroman in der einen, die Whiskyflasche in der andern Rocktasche, den Karabiner unter dem Arm, schlenkerte vor den Tieren her. Jedenfalls hatte er sich vorgenommen, die Pferdewache recht gemütlich zu verbringen. Zwei eingeborene Pferdepfleger trieben die Tiere hinten an. Bei van Rooyen und Truppel kam der Engländer am nächsten vorbei. Truppel nahm ihn, im Gebüsch kniend, aufs Korn, und van Rooyen stand plötzlich vor dem arglosen Pferdewächter mit den Worten: ~Hands up!~ Pfeife und Karabiner entfielen dem Ärmsten gleichzeitig. Ohne ein Wort ergab er sich in sein Schicksal. Zur gleichen Zeit trieben die anderen die Tiere zur Tränke und sattelten und zäumten die sechs ersten besten in Windeseile. Visser, der sich rasch auf ein ungesatteltes Tier geschwungen hatte, versuchte die beiden Eingeborenen, die wild schreiend zum englischen Lager zurückflüchteten, abzufangen – vergebens. Alles war soweit nach dem Programm verlaufen, nur ärgerte man sich, daß man nicht achtzig Tiere, die wenige Tage vorher noch an der Tränkstelle gezählt worden waren, sondern nur einundsechzig gekapert hatte; neunzehn waren nach Angabe des Gefangenen am Tage vorher mit ihren Reitern in ein anderes Lager versetzt worden. Ferner hatte man nicht damit gerechnet, daß der auf Pferdewache kommandierte Engländer unberitten sein würde; ein Reservesattel war für diesen Fall nicht vorgesehen. Freilich auch mit seiner Flasche Whisky hatte man nicht gerechnet, folglich mußte diese erst mal daran glauben. Ja, es half alles nichts – mitgenommen mußte der Kriegsgefangene werden! Er mußte sich halt auf ein ungesatteltes Tier klemmen, und Roths Revolver mußte es ihm klarmachen, daß er bei Lebensgefahr nicht abfallen dürfe. Nun also los! Spitze ritten Nievenhuizen und Truppel. Dann kamen elf oder zwölf Tiere, dann Roth mit dem Gefangenen. Wieder Tiere, dann kam Visser; noch mehr Tiere, und endlich kamen van Rooyen und Joubert. Es ging immer nur Galopp, was die Tiere laufen konnten. Zuerst, am Fuß des Erok, war das Gelände sehr ungünstig, brüchig und steinig. Der Gefangene mag seine liebe Not gehabt haben, oben zu bleiben; er wird sich schön festgeklemmt haben, und es ist kein Wunder, daß er sich bald durchgeritten hatte. Als sie glücklich vom Berg herunter waren, schlug Nievenhuizen nicht die Richtung nach Süden ein, weil das die Richtung zu unserm Kompanielager war und der Feind sicher erwartete, daß die Raider diesen kürzesten Weg einschlagen würden. Tatsächlich war der Abtrieb aller Reittiere vom Namangalager, dessen jetzt unberittene Besatzung selbst nichts unternehmen konnte, sofort zum Longidolager der Engländer telephonisch gemeldet worden. Von dort war auch sogleich eine starke Truppe dorthin vorgeschickt worden, wo, wie man glaubte, die Pferderaider ihren Weg nehmen würden. Nievenhuizen hatte dies alles vorausgesehen. Er führte in das englische Gebiet hinein, in nordöstlicher Richtung. Nahe am Low-Hills-Lager der Engländer, auf Vorbergen des Erok gelegen, ging die wilde Jagd vorbei hinein in die dichte Dornbuschsteppe nördlich der Namangasümpfe. Vordringen konnte man hier nur auf Nashornwechseln, die kreuz und quer durch den Busch laufen. Nur ein Nievenhuizen konnte hier zurechtfinden und, ohne einmal zu irren oder auch nur eine Sekunde zu zaudern, sicher führen. Nach einem Galopp von eineinhalb Stunden wurde kurz haltgemacht, um die Sättel auf frische Tiere zu legen. Dann ging es im Karacho weiter. Eine Staubwolke verfolgender Kavallerie zeigte sich aus der Richtung des Low-Hills-Lagers. Unsere Raider beunruhigte dies nicht. Solange sie ständig Tiere wechseln konnten, hatten die, die immer auf denselben Tieren hinter ihnen her ritten, nichts Besorgniserregendes. Tatsächlich blieb die Staubwolke immer weiter zurück. Allmählich schwenkte Nievenhuizen aus nordöstlicher Richtung mehr nach Südosten um. Das Gehöft der Farm Olmolog war sein Endziel für diesen Tag. Hatte er das erst erreicht, so konnte er, wenn die Verfolgung nicht nachließ und der Feind an Gefechtskraft stark überlegen sein sollte, die Beutetiere in den bergenden Urwald des Kilimandscharo hineintreiben. Ich kannte im Urwald, in den ich an mehreren Stellen tief eingedrungen war, Wasserläufe und Waldwiesen genug, wo wir uns mit der Beute bergen konnten, bis die Luft rein war oder Verstärkung ankam. Im Urwald hätte eine ganze Armee vergeblich nach uns gesucht. [Illustration] Nachdem die Pferderaider noch mehrere Male auf frische Tiere umgesattelt hatten, auch den Kriegsgefangenen, dessen Sitzfläche höllisch zu brennen anfing, auf ein gesatteltes Tier hatten steigen lassen, während abwechselnd einer der Raider auf blankem Tier ritt, kamen sie um 4 Uhr dreißig nachmittags am Brakwasser auf der unteren Olmologfarm an. Fünf Stunden hatte der halsbrecherische Galopp gedauert. Am Brakwasser wurde eine Stunde Rast gemacht und getränkt. Kurz vor dem Brakwasser, da, wo die Buschsteppe offen wird und hier und da, von Salzkrusten bedeckt, hell in der Sonne leuchtet, trafen unsere Raider unerwartet auf eine Patrouille von vier oder fünf Reitern der eigenen Kompanie unter Führung des Unteroffiziers Obst, genannt Bana matunda, der nach den Nyirisümpfen wollte und von dem Pferderaid keine Ahnung hatte. Als Bana matunda und seine Getreuen die siebzig vermeintlichen Reiter in dicken Staub gehüllt aus feindlicher Richtung angaloppieren sahen, rissen sie aus wie Schafleder und wurden nicht mehr gesehen. Solch drollige Episoden gab es genug im Kriege. Zuweilen endeten sie tragisch. Genau wie wir bei meiner Gefangennahme arglos mitten in den Feind hineinritten, den wir für Freund hielten, ist es auch oft genug vorgekommen, daß man Freund für Feind hielt und daß eine Partei ausriß, wenn sie nicht gar beide gleichzeitig ausrissen. Wir hatten zu Anfang breite schwarzweißrote Binden um den linken Oberarm getragen, als einziges Uniformstück zum Zivilanzug; solange diese Binden, die weithin leuchteten, Mode waren, war es noch leidlich möglich, Freund von Feind zu unterscheiden. Die ersten Gefechte hatten aber gezeigt, daß die leuchtenden Armbinden auch ihre Nachteile hatten. Herzschüsse wurden zu häufig; die weithin leuchtende Armbinde des liegend schießenden Schützen war genau vor der Herzgegend. Zur Zeit des Pferderaids war es Mode, die Armbinde aufzurollen, sobald man das Lager verließ. Später wurde nur auf der rechten Schulter längs des Ärmelsaumes eine schmale schwarzweißrote Borte aufgenäht, die beim Schießen durch den Gewehrkolben verdeckt war. Noch später mußten wir auf das Tragen der deutschen Farben ganz verzichten, einfach weil es in der Kriegszone keine farbigen Stoffe und keine Zivilisten mehr gab. Bana matundas Verhalten war durchaus korrekt. Er sah etwa siebzig Reiter auf sich loskommen, die gesamte deutsch-ostafrikanische Kavallerie, d. h. die Berittene 9. Schützenkompanie, war damals aber überhaupt nur etwa sechzig Reiter stark, alle Posten eingerechnet. Diese sechzig Reiter hatten auf einer Front von fünfundsiebzig Kilometern ein stellenweise hundert Kilometer tiefes, völlig unbewohntes Gelände abzupatrouillieren. Wie viele Kavalleriedivisionen man zu Hause in einem solchen Geländeabschnitt verwenden würde, weiß ich nicht zu sagen. Unsere Patrouillen, selten mehr als vier bis sechs Mann stark, waren immer mehrere Tage, oft über eine Woche draußen, ohne unterdessen mit der Truppe Verbindung zu haben. Folglich wußten sie nie, was inzwischen geschehen war. Oft war die Parole gewechselt worden, ehe sie heimkamen, und es galt allgemein als der gefahrvollste Augenblick eines Patrouillenrittes, durch unsere eigene Askaripostenkette durchzukommen, ohne angeknallt zu werden. Die Engländer ritten ihre Patrouillen meistens sechzig bis hundert Mann stark. Wenn unsere Patrouille die feindliche nicht rechtzeitig sah und sich in einen Hinterhalt legen konnte, war an ein Gefecht gar nicht zu denken. Wußte man, daß man vom zehnfach überlegenen Feind zuerst gesehen worden war, dann galt es, sich schleunigst zu verkrümeln. Das war meistens leicht. Das Gelände war wie geschaffen zum Versteckspielen. – Als die Pferderaider sich und ihre stark ermüdeten Tiere am Brakwasser eine Stunde ausgeruht hatten, trieben sie ihre Beute, jetzt im ruhigen Tempo, zum Olmologgehöft und brachten sie dort gegen zehn Uhr abends in den Stallungen für die Nacht unter. Roth und Truppel waren seit dem Weitermarsch vom Brakwasser mit zwei lahmen Tieren hinter den andern zurückgeblieben. Da beide das Gelände nicht genau kannten und da die Nacht stockfinster wurde, hätten sie unfehlbar die Spur verloren, wenn nicht ein junges Eselein, das vom Namangalager her den Raidern freiwillig gefolgt war, bei den lahmen Tieren zurückgeblieben wäre und jetzt die Führung übernommen hätte. Mit tödlicher Sicherheit folgte das Eselein der Spur des Haupttrupps. Mit den Beutetieren und dem deutsch gesinnten Eselein trafen die Raider am nächsten Morgen im Engare-Nairobi-Lager ein. Sie erhielten eine glänzende Ovation und pro Mann 1164 Rupien Beutegeld. Die Buren erhielten außerdem noch jeder ein Eigentumspferd. Der gefangene Engländer – ich glaube, er hieß Batman – wurde riesig gefeiert und mit Liebesgaben überhäuft. Kurze Zeit mußte er stille liegen und seinen wundgerittenen Hintern pflegen. Dann wurde er in ein Gefangenenkonzentrationslager weitergeschafft. Ein Konkurrenzunternehmen Die erste, direkte Folge dieses glänzend gelungenen Raids war eine Armeevermehrung, die Vermehrung der deutsch-ostafrikanischen Kavallerie. Man hätte die Berittene Neunte verstärken können, ohne Gefahr zu laufen, daß sie dadurch allzu kriegsstark werden würde. Aber in der Armeeleitung hielt man es mit Recht für besser, auch bei der glorreichen deutsch-ostafrikanischen Kavallerie das einzuführen, worauf allein aller Fortschritt in der Welt beruht, nämlich die Konkurrenz. Die Berittene Neunte, bekannt als »die Einzige«, die Elitekompanie, bekam also Konkurrenz in der neuformierten Berittenen 8. Schützenkompanie, unter Führung von Hauptmann v. Boemcken, einem Offizier aus Deutsch-Südwestafrika, der vor Kriegsausbruch seine Urlaubsreise in Deutsch-Ostafrika unterbrochen hatte. Da sich die Männer der Achten rühmten, uns mal zeigen zu wollen, wie man durch die Gegend fliege, wurden sie von uns die »Fliegenden Hunde« genannt. Zusammengestellt wurde die Achte aus Europäern der an der Nordfront befindlichen Europäer- und Askarikompanien, die sich freiwillig zum Dienst in der Kavallerie gemeldet hatten. Unsere Buren, die aus dem Naturell der Trekburen heraus nie mit dem zufrieden sind, was die Gegenwart bringt, ließen sich zur Achten versetzen. Es gefiel ihnen dort noch weniger, als es ihnen bei der Neunten gefallen hatte, und wenige Wochen später wurden sie auf eigenen Wunsch zur letzteren zurückversetzt. Die zweite Folge des Raids war indirekter Natur. Die von Krantzens Vertrauensmann ausgebildeten Massaispione hatten in letzter Zeit die ungeheuersten Dinge ausspioniert, und beinahe hätte die Abteilung Kraut auf ihre Meldungen hin die feste Stellung am Engare Nairobi geräumt; die Bagage der Abteilung war schon nach Kware zurückgeschafft worden, und die Zivilbevölkerung hinter unserer Front baute bereits ab. Kilometerlange Truppenkolonnen, die vom Erok zum Longido marschieren sollten, hatten, wie wir wissen, die Massaispione schon seit längerer Zeit gemeldet. Jetzt meldeten sie plötzlich, daß diese Truppen kleine Leute mit Schlitzaugen wären. Da hatten wir also die Gelbe Gefahr, die Japaner! Die Massai hatten sie gesehen. Krantz sah sie durch ihre Augen lebhaft mit und predigte armrollend die große japanische Invasion in den grellsten Farben. Wie meine Siafu im Urwald wälzte sich vor seinem geistigen Auge der Heerwurm der Japaner hinein in das Longidogebirge, bis dieses überlaufen und die Japanerflut ganz Deutsch-Ostafrika bedecken würde. Die Aufregung im Engare-Nairobi-Lager soll damals nicht schlecht gewesen sein. In zwölfter Stunde fragte das Kommando nochmals bei mir an, was ich von diesen Meldungen hielte. Aus vollster Überzeugung konnte ich meine längst und wiederholt vertretene Ansicht nochmals zusammenfassen in die lakonische Meldung: »Glaube kein Wort davon. Nach meinen Beobachtungen schätze feindliche Stärke am Longido auf sechs- bis achthundert Engländer und Inder.« In diese von Japanergerüchten schwangere Zeit hinein traf der kriegsgefangene Engländer Batman im Engare-Nairobi-Lager ein, und auf einmal fiel das ganze Massaikartenhaus zusammen. Batman kannte alle deutschen Massaispione ganz gut von Ansehen, waren sie doch im englischen Lager ein und aus gegangen, als ob sie dort zu Hause wären!! Um dem Spionagedienst alle Unbequemlichkeiten einer persönlichen Gefahr abzustreifen und um Belohnung von beiden kriegführenden Parteien einstecken zu können, war Krantzens Erzspion auf den genialen Gedanken gekommen, die Nationalität in diesem Kriege ganz auszuschalten und Dienst auf beiden Seiten zu tun. Er hatte mehrere Massai in diesen Plan eingeweiht, und diese drängten sich plötzlich zu den Fernpatrouillen, an deren anderm Ende es ebenfalls viel Fleisch und Belohnungen gab. Alle unsere Stellungen und Posten hatten diese Massaihelden dem Feinde verraten, und die Engländer hatten durch ihre gewaltsame Erkundung unserer Außenposten am Morgen nach Kaisers Geburtstag nur die Meldung unserer Ilmuran nachprüfen wollen, denn sie wußten, daß die Lüge einem jeden Massai zur zweiten Natur geworden ist, und trauten ihnen so wenig, wie Krantz ihnen hätte trauen sollen. Nachdem nun auch den fanatischsten Anhängern der Krantzschen Theorie die Augen aufgegangen waren, wurden alle Massai hinter die Front zurück in ihr Reservat gejagt und der Befehl erlassen, jeden Massai, der vor der Front getroffen würde, abzuschießen. [Illustration] Mutter der Kompanie Fast fünf Monate hatte ich im melancholischen Urwald gehaust und in den lichten Steppen täglich meine Patrouillen geritten, ohne mich auch nur eine Stunde zu langweilen. In der Erfüllung meines Dienstes konnte ich mich an den Wundern des afrikanischen Tier- und Pflanzenlebens erfreuen und zugleich auch noch Pläne für die Friedenszeit schmieden. Hatte ich doch vor Kriegsausbruch gerade an dieser Stelle eine große Viehfarm einrichten wollen. Wie hätte ich je bessere Gelegenheit finden können, die 15000 Hektar große Farm in allen ihren Teilen so gründlich kennenzulernen als auf meinen Patrouillenritten, die mich immer wieder durch die entlegensten Schluchten und Winkel der Farm führten?! Und wie schön war es, Alleinherrscher auf meinem Posten zu sein, weit weg von Vorgesetzten und Telephon! All diese Herrlichkeit hatte ein rasches Ende, als am Nachmittage des 14. April 1915 folgender militärisch kurzer Befehl an mich eintraf: »Sie haben sich mit Ihrem ganzen Posten zum Doppelberg in Marsch zu setzen und dort beim Kompanieführer zu melden. Büchsel, Kompanieführer.« Im Engare-Nairobi-Lager hatte es Veränderungen gegeben. Hauptmann Kraut war Major geworden und hatte an der Tavetafront eine andere Abteilung erhalten; Hauptmann Fischer, der mit seiner 8. Askarikompanie die 10. ablöste, war Führer der Abteilung geworden, und die Führung meiner Kompanie war an Oberleutnant zur See Büchsel übergegangen. Alle Kompanien, die jetzt zur Abteilung Fischer gehörten, hatten das alte Lager unten am Fluß verlassen und auf den Hügeln neue Lager bezogen. Die 8. Askarikompanie und der Abteilungsstab lagen auf dem Telephonhügel (dem früheren Krantzhügel), der durch Ausheben von Schützengräben und Unterständen unterminiert war, die 21. Askarikompanie, die neue Berittene Achte und meine liebe Neunte lagen auf dem benachbarten »Doppelberg«. So marschierte ich denn am Morgen nach Eingang des Befehls in aller Frühe in strömendem Regen durch den Urwald. Der Boden war so aufgeweicht und glitschig, daß meine Träger alle Augenblicke ausrutschten und ihre Last in den Dreck schmissen, daß es nur so klatschte. Alphons und Minna trippelten vorsichtig und schlidderten die Schluchten, die wir passieren mußten, auf ihren Hanken sitzend hinunter, die Vorderbeine weit und steif nach vorn gestemmt. Meine Stimmung war abschiedschwer und scheußlich. Nicht einmal rauchen konnte ich. Die Zigarette wurde jedesmal sofort durch einen Guß aus einer Baumkrone in Brei verwandelt. Der einzige Vergnügte in der Kolonne war Krieg. Er schien zu ahnen, daß er das Kreuz seines jungen Lebens, die infamen Siafu, für immer los wurde. Um zwei Uhr nachmittags traf ich im Doppelberglager ein und meldete mich bei meinem Kompanieführer. Er nahm mich sehr freundlich auf und erklärte mir, Zugführer habe er mehr als er brauche, aber niemand, der ihm geeignet scheine, die Dienste des etatsmäßigen Feldwebels einer Kompanie zu übernehmen, die bislang überhaupt noch keinen Feldwebel und weder Feldwebelbüro noch regelmäßige Buchführung gehabt hätte. Er glaube, daß ich als erfahrener, älterer Mann mich ganz besonders für diesen Posten eignen würde, und er beabsichtige, mich zum Dienst des Etatsmäßigen zu kommandieren. Damit war ich entlassen und zur Mutter der Kompanie geworden. Ich wußte damals noch nicht, was das zu bedeuten hat. Später habe ich es begriffen, und eine unbegrenzte Hochachtung für alle Etatsmäßigen der deutschen Armee und Marine ist während meiner stümperhaften Bemühungen, es ihnen gleichzutun, in mir emporgewachsen. Als Kompaniemutter bezog ich eine geräumige Grashütte, die, in der Mitte durchgeteilt, zur Hälfte das Feldwebelbüro und zur andern Hälfte mein Wohn- und Schlafzimmer enthielt. Das Büro war bereits fertig mit großem Tisch, Stühlen, einigen Borten und – o Jammer! – mit einem Telephonkasten, an dem die schwarze grinsende Telephonordonnanz schon sprungbereit saß, um mich, sei es Tag oder Nacht, an den Hörer zu schleppen, sobald der Simteufel, wie er ihn nannte, bimmelte. Das Telephon ist, wie man mir allerseits versichert, im modernen Leben so notwendig geworden, daß man sich das Dasein ohne Telephon gar nicht mehr vorstellen kann. Das ist ein Irrtum. Wer es nicht glaubt, gehe in Urwald und Steppe von Deutsch-Ostafrika, und er wird lernen, daß das Leben ohne Telephon erst richtig anfängt. Mit trüben Gedanken an den Telephonteufel und an die Feldwebelgeschäfte überhaupt, zu denen mir jegliche Vorbildung abging, rollte ich mich in meine Kamelhaardecken. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte ich als Einjähriger gedient. Was trieb damals eigentlich mein Wachtmeister? Eine wichtige, gefürchtete Persönlichkeit war er gewesen – dessen entsann ich mich. Aber was machte der Mann, der immer so geheimnisvoll mit dem dicken Notizbuch auf der Brust zwischen dem zweiten und vierten Knopf des Waffenrockes über dem Ganzen schwebte und stets da auftauchte, wo wir ihn am wenigsten erwarteten und, vom Standpunkte des Soldaten, am ehesten missen konnten? Jedermann war stets im Druck, wenn er auf der Bildfläche erschien, und Urlaubskarten mußten wir auch bei ihm abholen. Jener Wachtmeister war ein Berliner Kind und konnte fürchterlich sarkastisch schimpfen. Wenn ich daran denke, läuft es mir noch heute kalt über den Rücken. Zu Weihnachten schenkten wir Einjährigen dem Wachtmeister einen Extrasäbel. Oder war es ein Piano? – Na, das konnte ja gut werden! [Illustration] Bilder und Typen aus dem Lagerleben »Bana, bana, Kahawa tayari« [Herr, o Herr, der Kaffee ist bereit], flüsterte mein Boy Sakiva, ein Mchagga vom Kilimandscharo, der mir damit in seiner sanften Art anzeigen wollte, daß es Zeit für mich sei, aufzustehen. Ich bin ein leichter Schläfer und an Frühaufstehen gewöhnt. Wäre ich es nicht, dann wäre ich von Sakivas Geflüster nie aufgewacht. Wie die Boys der Kameraden, die sich schwerer vom Schlaf trennten, diese wach kriegten, habe ich mir aus Zartgefühl nie angesehen. Gehört habe ich es oft. Das heißt, gehört habe ich nur die Kameraden; die Boys hört man bei dieser Zeremonie nicht. Wäre es nicht immer noch so dunkel gewesen, dann hätte ich aus vielen Grashütten des Lagers schattenhafte Gestalten vor einem Hagel von Wurfgeschossen eiligst flüchten sehen können. Da stand also neben der vom Boy angezündeten Sturmlaterne eine Tasse schwarzen Kaffees auf einer Kiste am Kopfende meines Bettes, und vor diesem, so daß ich nur hineinzufallen brauchte, meine Badewanne voll kalten Wassers. »Bett« hätte ich nicht sagen sollen. In einem Bett habe ich in den zwei Jahren an der Front in Deutsch-Ostafrika nur _eine_ Nacht geschlafen, und zwar im Quartier bei dem Farmer Egger am Meru. Dort schlief ich in einem richtiggehenden Bett. Das heißt, ich lag darin und – wachte. Vor lauter Staunen über diesen ungewohnten Luxus konnte ich nicht schlafen. In unsern Feldlagern hatten wir keine Betten. War das Lager lange genug auf demselben Fleck, dann wurden Kitandas gebaut. Wenn man in das Taschenwörterbuch der Suahelisprache von Professor Dr. Velten schaut, findet man Kitanda mit »Bett, Bettstelle« übersetzt. Zu übersetzen wüßte ich das Wort auch nicht anders, aber wer bei unserer Kitanda im Kriege an ein gutes deutsches Bett denkt, bekommt doch eine falsche Vorstellung. Zum Bau einer Kitanda ist seitens des Europäers weiter nichts erforderlich als der Besitz von Veltens besagtem Taschenwörterbuch. Er schlägt nach: »machen« = kufanya, ruft seinen Boy und sagt: »fanya kitanda« und geht zum Früh- oder Abendschoppen, je nach der Tageszeit. Der Boy pflanzt unterdessen vier Stöcke mit gabelförmigen Enden, die er sich irgendwo abgehauen hat, fest in die Erde, die Gabeln nach oben. Die vier Gabelstöcke bilden die Ecken eines Rechteckes, das die Länge des Bana und die Breite eines Meters hat. In die Gabeln legt der Boy zwei Längs- und zwei Querstangen, die er mit Bast anbindet. Auf das so ein bis eineinhalb Fuß über dem Erdboden entstandene Gestell bindet der Boy querüber mit Bast dicht nebeneinander geschmeidige, dünne Stöcke. Ich sage immer: Der Boy tut das und das. Natürlich tut kein Boy, der das geringste Ehrgefühl für seinen Stand im Leibe hat, etwas selbst, solange er noch irgendwo einen Mpagazi [Träger] oder Buschneger auftreiben kann, über den er kraft der Stellung seines Herrn Autorität ausüben zu können glaubt. Die eigene Würde nach der Würde seines Herrn einzuschätzen, ist ein typischer und an sich ganz menschlicher Zug, der wohl nicht nur Negerdienern eigen ist. Im gewöhnlichen Leben wird dieser Zug meistens Heiterkeit, selten Unwillen erregen. Unter militärischer Ordnung war er oft recht unbequem. Meine Boys haben einmal sogar fünfzehn Hiebe bekommen, weil sie, immer und immer wieder vom Größenwahn gestochen, glaubten, als »waboi ya bana Feldwebel« die für den Troß bestimmten Kompaniebefehle nicht ausführen zu brauchen. Mit den Boys der Offiziere war es genau so. Ein Offiziersboy, der mir vom Unteroffizier vom Dienst gemeldet und vorgeführt wurde, da er beim Posho[tägliche Ration]-Empfang ständig fehlte, berief sich allen Ernstes darauf, er sei doch »boy ya bana von«. Für mich war es stets ein schwerer Gang, wenn ich zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung einen Askari, Boy oder Mpagazi zur Bestrafung melden und dann noch zu meiner eigenen Pein der Strafvollziehung persönlich beiwohnen mußte. Den Asiaten gegenüber, den Chinesen, mit denen ich in Australien hatte arbeiten müssen, und den Massai, die auch asiatischer Abstammung sein sollen, ist es mir nie schwer geworden, nötigenfalls mein Herz zu härten. Dem afrikanischen Neger habe ich, weder in Süd- noch in Ostafrika, niemals ernstlich böse sein können. Sie sind solche Naturkinder, und selbst ihre Gassenbubenstreiche kommen meistens aus einem so fröhlich kindlichen Gemüt, daß man sie trotzdem liebhaben muß. Und wie treu waren sie ihrem Herrn ergeben! Sakiva und mein zweiter Boy Petro, dessen ganze Empfehlung, in Ermangelung des sonst üblichen Dienstbuches, ein bei einer Rauferei verlorenes Auge und der Umstand waren, daß er von einer Mission ausgerissen war, sind vom Anfang des Krieges bis zu meiner Gefangennahme zu Ende des dritten Kriegsjahres ohne einen Tag Urlaub mit mir in Deutsch-Ostafrika herumgezogen. Mein Koch Mohamadi, die Perle aller Köche, die ich mir erst erwarb, nachdem ich mich acht Monate mit einem Koch gequält hatte, unter dessen Händen alles, was er ansetzte, letzten Endes zu Irish stew wurde, war ebenfalls bis zum letzten Tage bei mir. Auf dem Rückmarsch vom Posten Engaruka zu meiner Kompanie zur Zeit des Beginns der großen englischen Offensive Anfang 1916 war ich noch gerade eben vor dem Feinde durchgekommen. Meine Bagage, Koch, Boys, Wapagazi und Krieg hatte ich der Abteilung Aruscha übergeben, die im Begriff stand, große Bagage zur Mittellandbahn abgehen zu lassen. Diese Bagage fiel in die Hand des Feindes. Als bei dieser Gelegenheit alle Träger ausgerissen waren, rettete Mohamadi seine Kochkiste und jeder Boy eine Last. Anstatt sich nun mit diesen Schätzen in den nahen heimatlichen Urwald am Kilimandscharo – alle drei waren Wachagga – auf Nimmerwiedersehen zu verbergen, nahmen sie jeder seine Last auf den Kopf – was das für den Stolz eines Koches oder Boys bedeutet, versteht nur der Afrikaner – und suchten mich im ganzen großen Deutsch-Ostafrika. Erst nach fünfwöchigen Irrfahrten haben sie mich gefunden. Petro, der man immer ’n büschen dünn war, war zum Skelett abgemagert, und Sakiva raste derartig im Fieber, daß er gleich auf die Krankenliste mußte. Wer sich über die Wiedervereinigung mehr freute – meine drei schwarzen Kriegsgefährten, Krieg oder ich, wäre schwer zu entscheiden gewesen. Gebärden taten wir uns alle fünf wie toll und – nach langer Zeit gab es zum erstenmal wieder etwas Schmackhaftes zu essen. Das war ja gerade die Kunst von Mohamadi, daß er überall, unter allen Umständen, ob Proviant da war oder nicht, seinem Bana irgend etwas Schmackhaftes, appetitlich serviert, vorzusetzen wußte. Kaum war der Befehl zur Marschpause bis zur Trägerkolonne durchgedrungen, hatte Mohamadi schon ein oder zwei Pötte über seinem Feuer. Dauerte die Pause nicht lange genug, um das Essen fertigzumachen, dann nahm er die dampfende Speise mit auf den Marsch, um sie beim nächsten Halt weiterzukochen, zu rösten oder zu schmoren. War auch nur einer meiner drei Getreuen bei mir, dann war ich stets mit allem Notwendigen versehen. Leider hatten wir Berittenen die Bagage, die zu Fuß ging, nicht immer bei uns. [Illustration] Doch zurück zum Bau der Kitanda. Auf das wie beschrieben entstandene Gestell wird eine dicke – am dicksten am Kopfende – Schicht weichen Heus gelegt, die wie eine Matratze durch schmale Baststreifen auf die Lade festgenäht wird. Nun ist die Kitanda fertig. Wenn man ein gutes Gewissen hat und nicht gar zu arg empfänglich für Flöhe ist, schläft es sich, in die Pferdedecken gewickelt, großartig darauf. Feinschmecker in Kitandaangelegenheiten, besonders solche, die auf das Federn des Unterbettes Gewicht legen, lassen über das Gestell nicht biegsame Stöcke legen, sondern angefeuchtete Rindshautstreifen kreuz und quer ziehen, die, wenn sie trocken werden und sich stramm eingespannt haben, ein sehr elastisches Unterbett bilden. Wenn ich nicht in dem festen Glauben lebte, daß alles in der Natur wunderbar zu meinem endgültigen Besten eingerichtet sei, müßte ich mich doch wundern, warum Ungeziefer mich immer gerade an den Orten am meisten peinigt, von denen ich nicht weglaufen kann. Nie haben mich, trotz täglichen Kochens meines einzigen Hemdes und, wenn dieses trocken war, meiner einzigen Hose, Kleiderläuse so vorgenommen, wie während der denkwürdigen Tage, die ich als Kriegsgefangener in Kondoa eingesperrt war; wohl aus Mangel an Energie, einen andern Platz zu suchen, aus dem wir nicht ausbrechen konnten, hatten die Engländer uns in das alte Eingeborenengefängnis mit etwa hundert Buschnegern zusammengesperrt. Nie haben mich Wanzen so gepiesackt, wie in Ahmednagar hinter dem Stacheldraht. Nie im Leben bin ich so von Flöhen gebissen worden, wie in den Grashütten und Graskitanden unserer ostafrikanischen Feldlager, wo ich als Feldwebel doch nicht entweichen konnte. Weder die häufige Erneuerung des Bettheus noch die peinlichste persönliche Sauberkeit nützen das geringste. Um die Flöhe loszuwerden, hätte man jeden Sonnabend das ganze Lager abbrennen müssen. Das ging natürlich nicht. Daß wir so viele Flöhe in unsern Feldlagern hatten, war zum Teil freilich unsere eigene Schuld. Die meisten von uns hatten einen Hund, viele hatten zwei Hunde, Trommershausen deren fünf oder sechs, und Martin Köhler, der Schaf-, Hühner-, Bienen- und Brieftaubenzüchter vom Meru, selbstverständlich eine Hundezucht. Diese treuen Gefährten des Menschen und unser Troß von Dienern und Trägern schleppten die Flöhe getreulich von einem Lager zum andern. Da ich doch mal bei dem Thema »Floh« bin, will ich gleich einen besonderen Vertreter dieser Spezies erwähnen. Er war mir eine neue Bekanntschaft; in Australien und Südafrika hatte ich diesen Floh noch nicht kennengelernt. Er ist von Amerika importiert und dann vom Westen nach dem Osten durch Afrika verschleppt worden. Er hopst nicht vergnügt und offenkundig durchs Leben wie unser Hausfloh, sondern versteckt sich heimlich im Staub und Sand und lauert dort tückisch unter dem Namen »Sandfloh« auf seine Opfer. Hat sich was Nacktes in den Sand gesetzt oder fegt der Staub über nackte Füße, dann sagt Vater Sandfloh zu Mutter Sandfloh: »So, Altsche, nun ist es Zeit, niederzukommen.« Flugs bohrt sich die Alte unter die nackte Haut unter oder an der Seite der Zehennägel oder da ein, wo sie sonst eine weiche Stelle oder eine besonders bequeme Hautpore findet, und der Besitzer dieser Haut hat wieder mal einen Sandfloh. Zuerst winzig klein und kaum erkennbar, läßt Mutter Sandfloh nun ihren Eiersack unter der Haut wachsen und, wenn sie niemand stört, bringt sie es damit bis zur respektablen Größe einer Bohne. Schlau ist sie dabei, teuflisch schlau. Sie sticht nicht, sie beißt nicht, sie zwickt nicht, nur ganz leise kitzelt sie ihr Opfer, so daß der Unerfahrene die Gefahr nicht ahnt, die an der sanft errötenden Stelle seiner kleinen Zehe anwächst. Er fühlt weder einen Schmerz noch ein Brennen oder Jucken, sondern nur einen sanften, ich möchte sagen wollüstigen Kitzel. [Illustration] Nun ist es die höchste Zeit, den Boy zu rufen und »tafuta funza« [suche den Sandfloh] zu sagen. Der Boy holt sich eine Nähnadel – denn er ist natürlich auch der Flickschneider seines Bana –, sterilisiert sie im Feuer oder in der Lichtflamme, hockt nieder, nimmt deinen Fuß auf seinen Schoß und operiert mit einem Geschick und einer Zartheit, die nur die Übung und das Leiden am selben Übel erzeugen können. Rechtzeitig gerufen, ist der Boy dieser Operation immer gewachsen, und in Gegenden vieler Sandflöhe, gegen die weder Reinlichkeit noch Stiefel und Strümpfe absolut schützen, läßt man sich am praktischsten seine Füße täglich vom Boy genau untersuchen. Bei der weiteren Entwicklung des Eiersacks und gar beim Auskriechen der Maden können schwere Entzündungen eintreten. Leute meiner Kompanie wurden wochenlang dienstuntauglich durch Mutter Sandfloh und ihre Zicken. Neger mit verkrüppelten Füßen und Löchern in ihrer Sitzfläche sind, besonders in der Nähe von Karawanenstraßen, keine Seltenheit. – Ich begann in diesem Kapitel die Schilderung eines Tageslaufs eines ostafrikanischen Etatsmäßigen mit dem sanften Wecken meines Boys. Inzwischen ist es höchste Zeit geworden, aufzustehen. Die Tasse schwarzen Kaffees und eine Morgenzigarette in der Kitanda haben mich ganz munter gemacht. Also nun schnell ins Wasser! Denn vor dem Kompaniebüro treten schon die hundertfünfzig zur Kompanie gehörigen und die fünfzig von der Abteilung geborgten Wapagazi zur Arbeit an. Der Kompanieschreiber, Unteroffzier Horn, verliest ihre Namen, und der Unteroffizier vom Tagesdienst geht vor ihrer Front auf und ab, ärgerlich, daß er so früh hat aufstehen müssen. Kalt war es ganz infam, und Alkohol zum Zähneputzen war für Geld nicht mehr zu haben. Wir befanden uns damals in der Zeit, in der der europäische Alkohol, der noch im Lande war, nicht mehr bis an die Front kam. Er reichte nicht mehr für beide, für Etappenpersonal und Frontsoldaten. Der Fehler lag also beim Alkohol – nicht etwa beim Etappenpersonal. Ein Hoffnungsstrahl leuchtete aber bereits hinein in diese trockene, durstige Zeit. Amani, die biologisch-landwirtschaftliche Versuchsstation, war daran, einen Whiskyersatz zu erfinden. Die Träger waren natürlich nicht vollzählig zur Stelle, und die besten Listen des Unteroffiziers Horn stimmten mal wieder nicht. Unteroffizier Horn, Missionsbautechniker aus Aruscha, von der Kompanie »der Gesundbeter« genannt, ein unermüdlicher Arbeiter und der bravsten Soldaten einer, konnte noch so lange Reden halten, der Feldwebel und der Kompanieführer konnten – in umgekehrter Reihenfolge – sich noch so böse stellen, die Listen stimmten auf den ersten Anhieb nie mit den Trägern überein. Die Trägeraufseher, meistens nur dadurch kenntlich, daß sie träger waren als die Träger und einen Regenschirm besaßen, und drei frühere Polizeiaskari, die der Trägerkolonne als Wächter zugeteilt waren, suchten nun die Trägerhütten heim und brachten die Drückeberger zum Vorschein. Unteroffizier Horn zählte sie und las die Namen nochmals vor, was nicht so einfach ist wie etwa beim Militär zu Hause. Die Neger sind so frühmorgens noch ganz dösig, und viele haben in ihrem Leben schon so viele »Alias« gehabt, daß sie sich, aus dem Halbschlaf plötzlich aufgeschreckt, auf ihren gegenwärtigen Namen nicht besinnen können. Es stimmte also immer noch nicht. Die Hospitalkranken wurden aufgerechnet, die Revierkranken zur Seite gestellt. Stimmte immer noch nicht genau, aber wir waren nicht mehr ganz so weit entfernt von der Richtigkeit. Da fiel dem Unteroffizier Horn plötzlich ein, daß er gestern sechs Träger zur Etappe Geraragua geschickt hatte, die noch nicht zurück waren. Na also! Der erste große Kampf des Tages war beendet. Inzwischen war der Kompaniebaumeister, der Unteroffizier Karl Blaich, auf der Bildfläche erschienen – einer unserer umsichtigsten Patrouillenreiter und, ehe wir Buren zur Kompanie bekamen, wohl neben Unteroffzier Thiele der beste Porikenner und Patrouillenspitzenreiter. Karl Blaich war von deutschen Eltern in Palästina geboren, dort groß geworden, und manchen langen Patrouillenritt hat er mir verkürzt mit der Schilderung der dortigen Siedlungsverhältnisse. Seine beiden Vettern Gotthilf und Bernhard Blaich, der letztere wegen seines jugendlichen Aussehens von den Kameraden »Mariechen« genannt, waren ebenfalls bei der Kompanie. Deren Vater, ein schon älterer, aber noch rüstiger Mann, hatte ein hübsches Anwesen im Aruschabezirk, und wer mal sehen will, was eine fleißige Familie mit geringen Anfangsmitteln aus Wald- und Steppenboden Ostafrikas in wenigen Jahren machen kann, braucht nur Vater Blaich am Ussa zu besuchen. Vater Blaichs Gastfreundschaft kannte keine Grenzen. Meine Kompanie hat eine Nacht bei ihm in Quartier gelegen. Das war Ende 1915. Wenn die Kompanie später mal ausnahmsweise – durch die Unvorsichtigkeit irgendeines Etappenfritzen – was Gutes zu essen erwischte, dann sagte August Dehnecke, der soviel verdrücken konnte wie zwei gewöhnliche Sterbliche, in seinem langsamen, tiefen Baß: »So gut wie bei Mutter Blaich ist es doch nicht!« Das Essen bei Mutter Blaich war der Maßstab geworden, an dem die Kompanie seit jenem unvergeßlichen Quartier alle materiellen Genüsse maß. Während alle andern, die nicht auf Patrouille waren, sich im Lager aalten, mußte der Unteroffzier Karl Blaich immer gleich wieder ins Geschirr, sobald er von Patrouille zurückkam. Unteroffzier Blaich baute. Wie im Hades Sysiphos nie aufhört, den schweren Stein zu rollen, so hörte Karl Blaich nie auf zu bauen. Er baute aus Gras Soldatenwohnungen, Pferdeställe, Latrinen, Küchen, Trägerhütten ohne Zahl. War ein Lager halb, drei Viertel oder gar neun Zehntel fertig, dann wurde es sicher aus strategischen Gründen verlegt, und Karl Blaich mußte wieder neu anfangen zu bauen. Wenn Karl Blaich Fieber hatte, baute er Graspaläste in seinen Fieberträumen, einen noch kunstvoller als den andern. Alpdrücken äußerte sich bei ihm in Bauten, die nicht in Reih und Glied oder lotrecht stehen bleiben wollten. Heute war Karl Blaich nicht auf Patrouille, folglich baute er heute. Ob es ein Sonntag oder ein Wochentag war, wußte in der ganzen Kompanie höchstens der Gesundbeter. Karl Blaich wußte es nicht. Er baute. Alle Träger, die nicht bestimmt waren, Futtergras für die Reittiere zu schneiden oder Proviant für Mensch und Tier von der nächsten rückwärtigen Etappe zu holen, bekam Unteroffizier Blaich zugeteilt. Mit Hilfe seines Adjutanten, des Gefreiten Knepper aus Sachsen, teilte er die Träger flink zur Arbeit ein. Der Gefreite Knepper, im Zivilberuf Missionshandwerker, war die wandelnde Handwerkerstätte. Was er in seinen bauschigen Hosentaschen nicht bei sich trug, braucht man auch im Felde nicht. Wie seine Hosentaschen, die ihm wachend oder schlafend stets ein Viertel Meter von den mächtigen Schenkeln abstanden, waren auch die enormen Packtaschen am Sattel seines Reittieres bis zum Platzen gefüllt. War jemandem aber auf dem Marsch der Bügelriemen, der Bauchgurt gerissen oder am eigenen Leibe etwas abgesprungen oder geplatzt, so hatte sicher der Gefreite Knepper Handwerkszeug und Flickmaterial in der Tasche. Es bedurfte nur einiger, seine Fürsorge lobender Worte, und sofort beugte sich Kneppers großes, vor Gutmütigkeit strahlendes Gesicht über den reparaturbedürftigen Gegenstand. Während er fädelte und flickte, erzählte er gerne, wie er sich als Handwerksbursche auf der Walze durch Europa angewöhnt habe, stets eine Miniaturtischler-, -schneider- und -sattlerwerkstätte in seinen Hosentaschen mitzuschleppen. Noch eine Gewohnheit hatte der Gefreite Knepper von der Walze her. Wenn wir auf nächtlicher Schleichpatrouille so dicht am Feinde waren, daß wir weder absatteln noch unsern Mantel abschnallen durften, aber diejenigen, die nicht gerade Posten standen, doch mit dem Zügel im Arm gern ein wenig pennen wollten, dann zog Knepper seine Jacke aus und wickelte sie um Füße und Beine bis zum Knie. Er behauptete, wenn die Beine warm wären, wäre der ganze Körper warm. In einer solchen Nacht, in der die Hundekälte mich nicht einschlafen ließ, dachte ich an Kneppers Worte und wickelte mir meine Jacke um die Füße. Bei mir funktionierte die Methode, die auf Kneppers Jugend und Konstitution zugeschnitten sein mochte, leider nicht. Mich fror schlimmer als zuvor, und am nächsten Tage hatte ich einen tüchtigen Schnupfen. Ob an dem von Knepper vertretenen alten Wanderbrauch was Wahres ist, können meine jüngeren Leser, wenn sie mal draußen nächtigen, leicht an sich selbst ausprobieren. Darüber diskutieren können wir mit dem stets hilfsbereiten Gefreiten Knepper leider nicht mehr, denn auch er ist ein Opfer des Krieges geworden. Blaich und Knepper stellten also die Träger an. Die einen hatten Löcher in die Erde zu machen zur Aufnahme der Hauspfeiler, andere wurden in den Urwald geschickt, um das Holz zu holen, und wieder andere in die Steppe, um langes Gras zum Decken zu schneiden. So eine Grashütte zu bauen ist kein großes Kunststück für den, der einmal beim Bau mit offenen Augen zugesehen hat. Wenn ich es hier näher beschreibe, so tue ich das nur für die Leser, die noch nicht in Grashütten lebten – alte Afrikakrieger mögen getrost eine Seite überschlagen. Nachdem Karl Blaich mit einem Bastseil den rechteckigen Grundriß der Hütte auf einem Stück vorher planierten Bodens sorgfältig und im Einklange mit dem Lagerplan festgelegt hatte, ließ er auf den Ecken vier starke Holzpfeiler einsetzen, zwei Meter hoch, mit den Gabelenden nach oben. Zwischen diese wurden auf den beiden Kurzseiten des Rechtecks zwei vier Meter hohe Pfeiler gepflanzt, die den Firstbalken tragen sollten; je steiler das Dach wird, desto leichter läuft der Tropenregen von ihm ab. Auf den beiden Langseiten des Rechteckes wurden in Abständen von einem Meter etwas schwächere Pfeiler gesetzt, von gleicher Höhe wie die Eckpfeiler und mit diesen hübsch eingerichtet. In die Gabeln sämtlicher Pfeiler der Langseiten wurden die Dachbalken und in die Gabeln der Firstbalkenträger der Firstbalken gelegt. Dann wurden, damit sich beim Auflegen des Daches die beiden Seitenfachwerke der Hütte nicht nach außen legten, diese durch selbstgedrehte starke Bastseile miteinander und mit den Firstbalkenträgern verbunden. Damit war das Skelett der Grashütte fertig. Inzwischen haben einige besonders begabte Neger die Dachsparren an ihrem dicken Ende je mit einer Einkerbung versehen, die über den Firstbalken fassen soll. Die Dachsparren wurden je nach ihrer Stärke näher zusammen oder weiter auseinander aufgelegt, und dann wurden alle Holzteile dort, wo sie sich treffen, mit Bast fest miteinander verschnürt. Jetzt stand das Fachwerk so sicher, daß ein Dutzend Neger darauf klettern und auf die Dachsparren die Dachlatten anbinden konnten, die irgendeinem Gesträuch, möglichst ähnlich unsern Weidenruten, entnommen wurden. Mit demselben Material wurde das Fachwerk der Wände, den Tür- und Fensteröffnungen Rechnung tragend, überbunden. Nun erst war der Moment da, wo das Gras beim Grashüttenbau zur Geltung kam. Das Grasdach wurde gelegt wie bei uns zu Hause ein Schilfdach, nur weniger dick und, da wir doch bald wieder umziehen würden, einstweilen weniger sorgsam; ehe die Regenzeit kam, wurden alle Hütten noch mal nachgedeckt. Die Fachwände wurden auf gleiche Weise wie das Dach mit Gras verkleidet. Damit war Unteroffizier Blaichs Aufgabe vollendet. Für die weitere Außen- und die gesamte Innenarchitektur wurde dem Geschmack und der Phantasie der rauhen Krieger, die die Hütten bewohnen sollten, der weiteste Spielraum gegeben. Diejenigen, die gerne mauschelten und pokerten oder aus sonst einem Grunde wünschten, daß das Auge des Kompanieführers nicht so ohne weiteres in ihr Heim einblicken konnte, sorgten durch Tür, Fenster oder vorgebaute Grasschirme dafür. Die meisten waren Liebhaber von Luft und Licht. Sie ließen nach der Lagergasse zu die Wände eines Teils ihrer Hütte nur bis zur halben Höhe mit Latten und Gras bekleiden, so daß ein geräumiges Verandazimmer entstand, das als Wohn-, Eß- und Besuchssalon diente. Hier standen die prächtigsten Tische, Sofas und Klubsessel, die aus biegsamen Ruten, Gras und Bast hergestellt waren; in dieser Kunst entwickelte sich mit der Zeit eine solche Fertigkeit, daß man glauben konnte, in einer Gartenmöbelausstellung zu sein. Nicht nur das Tragegerüst für Sättel und Zaumzeuge, sondern auch aus alten illustrierten Zeitungen entnommene Bilder, ein aus Kistenbrettern gezimmerter Geschirr- und Tassenschrank, ja zuweilen bunte Gardinen oder sogar ein von zarter Hand gestifteter rosa Lampenschirm zierten den Raum. Von ihm aus trat man durch eine Tür in das als Schlafzimmer dienende Gemach, in dem sich die schon beschriebene Kitanda befand und neben ihr, so daß man sie mit einem Griff erreichen konnte, Haken für Gewehr und Patronengurt. Um jede Hütte war ein Abflußgraben für Regenwasser gezogen. – Der Gesamtplan unserer verschiedenen Kriegslager war mit jeder neuen Lageranlage zweckentsprechender geworden. Das erste Lager, unten in der Niederung zu beiden Seiten des Engare Nairobi, war ein wildes Durcheinander von Hütten, Ställen und Küchen gewesen, so daß selbst seine Bewohner im Dunkeln nur mit Mühe ihr Quartier oder ihr Pferd finden konnten; als ich einmal vom Posten Olmolog aus auf einige Stunden zu Besuch dort war, mußte ich mir einen ortskundigen Führer nehmen. Es war jedem Krieger erlaubt worden, seine Hütte mit Hilfe seiner Boys da zu bauen, wo es ihm gefiel. So glich das Ganze mehr einem Chinesenviertel, und bald war das Lager von Malaria und Typhus durchseucht. Auch im Lagerbau fehlte es zu Anfang des Krieges eben an Erfahrung und Organisation. Unser zweites Lager, das ich eben beschreibe, war namentlich aus Gesundheitsrücksichten auf den »Doppelberg«, der wohl hundert Meter aus der Steppe herausragte, verlegt worden. Seiner Anlage kam schon das Organisationstalent von Oberleutnant Büchsel zustatten. Geradezu eine Musteranlage aber war unser letztes großes Kriegslager am Engare Olmotonje auf einer Anhöhe am Urwaldrande des Meru, in der Nähe von Aruscha. Später, als die große feindliche Offensive begonnen hatte, kamen wir nur noch zweimal dazu, den schwachen Versuch zu einem Lagerbau zu machen, über wenige Hütten kam es aber nie mehr hinaus. Dieses Lager bei Aruscha wurde in der Form eines großen Rechteckes angelegt, dessen eine Kurzseite als Lagerzugang offen blieb. In der Mitte des Rechtecks lagen in einer schnurgeraden Linie Stall neben Stall. Diesen parallel, auf der einen Langseite des Rechtecks, standen zwei Reihen hübscher Soldatenwohnungen, die so belegt waren, daß die zu einem Zug gehörige Mannschaft stets in der Nähe ihres Stalles wohnte. Hinter den Soldatenwohnungen, etwas in den Busch hineingedrückt, lagen die Hütten der Boys und die Küchen. Noch mehr in den Busch hinein waren die Latrinen ausgehoben, getrennt für Europäer, Askari und Troß. Nach den ersten bösen Erfahrungen waren die Latrinen stets die ersten Baulichkeiten, die angelegt wurden. Sie mußten fertig sein, ehe eine Hand zum Lagerbau erhoben werden durfte. Dafür sorgte mit unerbittlicher Strenge unser Sanitätsfeldwebel Stein. Auch wenn wir auf unsern späteren Wanderungen kein Lager mehr bauten, sondern nur infolge eines Haltbefehls die Möglichkeit entstand, daß die Kompanie an dieser Stelle einen Tag liegenbleiben könnte, wurden Latrinen ausgehoben. Zwischen den Ställen und der andern Langseite, an der die Offizierswohnungen, ebenfalls mit den Küchen dahinter, lagen, war eine breite Lagergasse, auf der die ganze Kompanie bequem mit ihren Tieren antreten konnte. Die zweite Kurzseite des Lagers wurde in der Mitte durch mein Feldwebelbüro geschlossen. Links davon befand sich das Magazin und rechts die Kasse, Kammer und Handwerkerstube. Nahe außerhalb des Lagers lagen lange niedrige Hütten für die Wapagazi, ferner die Viehhöfe, der Schlachthof und zwei Reitbahnen – sagte ich zuviel: »eine Musteranlage«? Die Kasse, die zugleich unsere Bankstelle war, verwaltete mit vieler Umsicht der Agrarier und Vizewachtmeister Mittag. Bei ihm hoben wir unser Verpflegungsgeld, Kleidergeld und Löhnung bzw. Gehalt ab, und da wir mit letzteren nicht recht was anzufangen wußten, der Staat das Geld aber recht gut brauchen konnte, zahlten die meisten ihre Löhnung gleich wieder als Kriegsdepot ein. Der Gefreite Storch, der – weiß Gott, warum – immer nicht mit seiner Löhnung auskam, erschien unerwartet auch mal an der Kasse, um ein Kriegsdepot zu eröffnen. »Mensch«, sagte der Kassenführer, »es freut mich doch, daß Sie endlich auch vernünftig werden.« – »Ja«, antwortete Storch, »da alle Kameraden ein Depot haben, will ich die Sache doch auch mitmachen. Ich habe mir dazu von einigen guten Freunden hundert Rupien zusammengepumpt. Hier sind sie!« Alle unsere Gebäude – mit einziger Ausnahme der Dächer der Ställe, die, wie es sich für einen guten Reitersmann schickt, den Vorzug vor seiner eigenen Behausung hatten und mit Wellblech belegt waren – bestanden, wie wir gesehen haben, ausschließlich aus Naturholz und Gras, zusammengehalten durch selbstgewonnenen Baumbast. Kein Eisennagel oder Stahlstift war im ganzen Gebäude verwendet, nichts, woran ein Fabrikant oder Kaufmann auch nur einen Heller hätte verdienen können. Wir waren ganz zum primitiven Naturzustand zurückgekehrt. Und doch, wie wohnlich konnte solch ein Kriegslager sein, wie heimisch konnte man sich in ihm fühlen! In ihm konzentrierte sich alles, was das Leben noch an Annehmlichkeiten bot. Die Sehnsucht zum Lager ließ den Rückmarsch von einer Fernpatrouille stets bedeutend länger erscheinen als den Ausmarsch, obwohl die Tiere, alle Müdigkeit vergessend, auch mit aller Macht dem Lager zustrebten. Im Lager harrten des dreckigen Patrouillenreiters die freundlichen Gesichter der Freunde und Kameraden, froh, daß er diesmal noch nicht geschnappt war. Es harrten seiner die neuesten Kriegsnachrichten. Es harrten seiner die Boys mit dem fertigen Bade, der reinen Wäsche und einem guten Schlag Essen. Es harrte seiner die Ruhe des Körpers und der Nerven – d. h. wenn er nicht zufällig Kompaniefeldwebel war. Das Lager war die Heimat, die einzige Heimat, die wir noch hatten. Von der fernen Heimat, von den Lieben zu Hause waren und blieben wir seit Kriegsausbruch dauernd abgeschnitten. Kein Brief erreichte sie oder uns. Nach zweieinhalb Jahren, als ich bereits sechs Monate in Gefangenschaft war, bekam ich den ersten Brief aus der Heimat. Mit Zagen habe ich ihn geöffnet. Wie viele meiner Verwandten und Freunde schlummerten schon längst im Heldengrab! Ja, den Gedanken an die ferne Heimat durfte der ostafrikanische Krieger nicht aufkommen lassen – seine Heimat war das Lager, die Kompanie und die Herzen seiner Kameraden. – Unteroffzier Karl Blaich hatte also seine Wapagazi angestellt und ging zum Frühstück. Es war 6 Uhr 15 geworden, gerade noch Zeit für mich, um vor Beginn des Stalldienstes und meiner Bürostunden ebenfalls behaglich zu frühstücken. Das Fenster meiner Hütte, an dem ich das zu tun pflegte, lag nach Osten mit der Aussicht auf den Kilimandscharo und die diesem vorgelagerte Shirakette, bewaldete Höhen, deren Urwald in die Steppe hinein bis auf etwa acht Kilometer an unser Lager heranreichte. Durch die Shirakette hat sich der Engare Nairobi Bahn gebrochen, im großen Bogen windet er sich durch die Steppe, im ganzen Laufe durch hohe Bäume und Baumgruppen an seinen Ufern kenntlich; er fließt nahe am Fuße des Doppelberges vorbei, um dann, zwei Kilometer weiterhin in der Steppe, in einen Sumpf zu enden. Es war ein herrliches, immer wieder erhebendes Schauspiel, die Sonne über den Schneegefilden des Kibo, der sich mir hier als Halbkugel zeigte, aufgehen und allmählich die Nebel und Schatten vertreiben zu sehen, bis endlich Urwald und Steppe in voller Sonnenpracht leuchteten. Die Sonne geht in der südlichen Breite des Kilimandscharo das ganze Jahr über ungefähr um sechs Uhr morgens auf und um sechs Uhr abends unter. Meine Frühstückspause im Genuß der schönen Aussicht war die einzige Zeit des Tages, die mir einigermaßen allein gehörte und mir ganz allein gehört hätte, wenn das Telephon nicht gewesen wäre. Einmal mindestens an jedem Morgen wurde sie durch die Telephonordonnanz unterbrochen mit den Worten: »Bana Feldwebel, sim imekuja« [das Telephon ist angekommen], und wenn es nur der erste Tagesanruf vom Kommando in Moschi war, der feststellen sollte, ob über Nacht die Giraffen nicht wieder mit dem Telephondraht abgegangen seien oder ob ein Zebra, sich an einem Telephonpfahl scheuernd, diesen umgeworfen habe. Aufregende Meldungen gab es zwischen sechs und sieben Uhr morgens, wo die meisten Herrn mit dem höheren Gehalt noch ruhten, in dieser Kriegsperiode kaum. Ich höre den Unteroffizier vom Dienst durch das Lager zum Stalldienst rufen, und schnell statte ich noch meinem Halbblutpferdehengst Otto, der dem Herrn Feldwebel an Stelle des Maultiers Alphons zugeteilt worden war, einen Besuch ab; denn Punkt sieben Uhr durfte ich meinen Kompanieführer bereits im Büro erwarten. Die Tierpflege spielte sich in jener Übergangsperiode von einer berittenen bewaffneten Farmerschar zu einer Kompanie in der Weise ab, daß zwar jeder Schütze für die Pflege seines Reittieres verantwortlich war und zum Stalldienst erscheinen mußte, aber die eigentliche Arbeit seinem schwarzen Boy überlassen konnte. Jedem Schützen standen zwei von ihm selbst bezahlte und von der Truppe verpflegte schwarze Diener zu. [Illustration] Unsere Schützen erschienen also zum Stalldienste. Die Hände in den Hosentaschen, die Pfeife oder Zigarette im Munde, lebhaft oder noch schläfrig miteinander plaudernd, standen sie bei ihren Tieren und sahen zu, wie diese von ihren Boys gefüttert, aufgestallt, geputzt und gestriegelt wurden. Ein Tierpfleger von Natur, wie ich ihn z. B. in dem Basutokaffer in Südafrika kennenlernte, ist der ostafrikanische Neger nicht. Er hat keine Sympathie mit dem Reittiere. Woher sollte er sie auch haben? Keiner der ostafrikanischen Negerstämme hat je Reittiere gehabt außer vielleicht einigen störrischen Eseln, die ihnen aber nicht zum Reiten, sondern zum Lastentragen dienen. Der Negertierpfleger war nur ein Notbehelf, aber, wie es uns schien, ein unvermeidlicher. Denn die wenigen Leute der Kompanie, auf denen der ganze Aufklärungsdienst ruhte und die infolgedessen viel häufiger an die Reihe kamen, Patrouillen zu reiten, als es bei einer größeren Kavallerietruppe der Fall gewesen wäre, sollten doch während der wenigen Tage im Lager möglichst Ruhe haben, um sich körperlich und geistig aufzufrischen. Lassen wir sie darum die Stunde des Stalldienstes, morgens und abends, unter Lachen und Scherzen die letzten Patrouillenerlebnisse, die neuesten europäischen und afrikanischen Kriegsnachrichten erörtern und Lagerwitze austauschen. – Ich mußte nun zurück in das Büro, allwo Unteroffizier Horn dem Kompanieführer bereits die eingelaufenen Postsachen vorlegte. In den ersten Wochen als Kompaniefeldwebel bin ich nun den ganzen lieben langen schönen Tag nicht mehr aus dem Büro herausgekommen, außer wenn ich die Kompanie zum Dienstempfang antreten ließ oder, zum Abteilungsführer Hauptmann Fischer befohlen, nach dem Telephonhügel hinüber ritt, um mir einen wohlverdienten Anpfiff abzuholen, der für das Telephon zu kompliziert war. Eine Tasse Kaffee bekam ich dann hinterher zur Beruhigung. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß ein gereifter Mann noch soviel Bockmist anstellen könnte, bis er den täglichen Stärkenachweis so abzufassen versteht, wie der Abteilungsführer es haben will. Und ich hatte mal geglaubt, die ganze Kunst, Feldwebel zu spielen, bestände darin, wichtig auszusehen, gelegentlich Urlaub zu befürworten und sich dafür zu Weihnachten ein Piano schenken zu lassen! Arbeit gab es im Büro, daß einem bange davor werden konnte. Außer einem Haufen unsortierter Akten und Schriftstücke, unfertiger Stammrollen der Mannschaften und einer angefangenen, aber nicht fortgeführten Stammrolle der Reittiere fand sich nichts im Büro vor. Mit Macht stürzte sich der neue Kompanieführer über dieses Chaos her, und mit der seinen Jahren zuständigen Ruhe folgte ihm der neue Feldwebel bedächtig nach. So ergänzten sich Oberleutnant Büchsels Arbeitswut und meine Ruhe ganz glücklich. Besondere Schwierigkeit machte die Stammrolle der Tiere. Es kamen von ihren früheren Besitzern Gesuche um Ausstellung von Requisitionsscheinen über Reittiere, die schon längst im Gefecht gefallen waren und die weder mein Chef noch ich je gekannt hatten. Dann entstand eine wilde Korrespondenz. Wer hat das Tier requiriert? Welcher Preis war vereinbart? Wer weiß, wo und wann das Tier geblieben ist? und so weiter, bis wir uns zu jemandem durchgefragt hatten, der die nötigen Angaben machen konnte. Nachdem der ganze Aktenstapel durchgeackert war, wurden sie in verschiedene Mappen klassifiziert. Es wurde ferner ein Korrespondenzjournal, es wurde eine Vorlage- und eine Wiedervorlagemappe eingerichtet. Es wurde ein Befehlsbuch geschaffen, in dem täglich die Kommando-, Abteilungs- und Kompaniebefehle eingetragen wurden. Zur Ergänzung des letzteren führte ich noch ein Dienstbuch, aus dem ich übersichtlich entnehmen konnte, wer für Wache, Patrouille, Vorposten, Arbeitsdienst oder Unteroffizier vom Dienst an der Reihe und zu kommandieren war. In alle diese Arbeiten bimmelte Sim den ganzen Tag munter hinein, war doch der Apparat in meinem Büro vorläufig der einzige am Doppelberg. Die 21. Askarikompanie, die auf dem Kamme des Berges lag, und unser jüngeres Konkurrenzunternehmen, die »Fliegenden Hunde«, die jenseits der Einklüftung hausten, von der der Berg seinen Namen hatte, besaßen keine Telephonanlage. Das war zwar unter dem Gesichtspunkte der Anciennität sehr richtig, aber insofern doch unbequem, als nun ihre Telephonordonnanzen den ganzen Tag vor meinem Büro herumlungerten und es in diesem ein ewiges Gerenne und Gehaste von Telephonbesuchern gab – bis Karl Blaich ein Einsehen hatte, eine besondere Telephonbude vor meinem Büro baute und den ganzen Laden dort hineinsteckte. Übrigens mußten alle eingehenden und ausgehenden Telephongespräche, die meine Kompanie angingen, natürlich auch gebucht werden. Also schon wieder ein Buch mehr. Die allergrößte Aufgabe des Kompaniebüros, um deren Lösung sich der geniale Unteroffizier Rimpler als Nachfolger des Unteroffziers Horn sehr verdient machte, war die Ausarbeitung eines Inventarienkontos. Es hat viele Monate gekostet, es fertigzustellen. Alles Inventar der Kompanie mußte doch verbucht sein! Vorläufig wußte aber kein Mensch, was Kompanie- und was Privateigentum der Schützen war. Viele der Farmer hatten sich zwar über die von ihnen in den Krieg mitgebrachten Reittiere, Waffen, Zelte und sonstige Ausrüstungsstücke nachträglich von irgendwem einen Requisitionsschein ausstellen lassen, aber diese Scheine erschienen doch nicht rechtsgültig, da auf ihnen der Einnahmevermerk der Kompanie und der Hinweis auf Seite und Nummer des Inventarienkontos fehlten, und überhaupt mußten doch erst einmal all diese Transaktionen zusammenhängend und übersichtlich verbucht werden. Man glaubt gar nicht, wieviel Schreibarbeit im Kriege unerläßlich notwendig ist! Bei der Inventaraufnahme stellte sich aber auch heraus, daß immer noch eine Menge militärischer Ausrüstungsstücke Eigentum der Schützen waren. Das führte zu bedenklichen Komplikationen. Wenn z. B. bei einer Sattelrevision festgestellt wurde, daß dieser oder jener Sattel das Tier drücke und deshalb umzutauschen sei, dann kam der Einwurf: »Herr Wachtmeister, der Sattel ist mein Privateigentum.« Der Farmer hatte Sattel und Tier mit in den Krieg gebracht, das Tier aber, das zu dem Sattel gepaßt hatte, war tot. Was war da zu tun? Wir konnten doch nicht dem Eigentumssattel zuliebe ein zu diesem passendes Tier suchen! Andererseits litt die Kompanie derartig Mangel an brauchbaren Sätteln und Ausrüstungsstücken überhaupt, daß sie die Privatstücke der Mannschaft gar nicht entbehren konnte. Die Lösung dieses Dilemmas geschah nun auf die Weise, daß ich in das Befehlsbuch den neuen Kompaniebefehl einzutragen hatte: »Eigentümer müssen ihre Ausrüstungsstücke an die Kompanie verkaufen.« Und dann gab es wieder neue Inventarstücke zu buchen. – Während der Kompanieführer, Rimpler und ich im Büro schufteten und ich unter freundlicher Mitwirkung von Sim zum erstenmal in meinem Leben merkte, daß der Mensch seine Nerven fühlen kann, ritten die glücklicheren Kameraden lustige Patrouillen, aalten sich im Lager und schimpften auf die Verpflegung. Letzteres war unzeitgemäß, denn die Kompanie fing eben schon an, neben der Verpflegung, die die Etappe lieferte, auf eigene Rechnung Vorräte einzukaufen und an die Mannschaften zum Einkaufspreise weiterzugeben. Bisher hatte das Kompaniemagazin nur die Aufgabe gehabt, die von der Etappe gelieferte Verpflegung an die Farbigen weiterzuverteilen und an die Europäer ~a conto~ ihres Verpflegungsgeldanspruches von monatlich neunzig Rupien weiterzugeben. Jeder Europäer hatte nehmen müssen, was die Etappe zufällig schickte; er mußte Tabak nehmen und dafür zahlen, ob er Raucher war oder nicht, er mußte Ölsardinen kaufen, und wenn ihm übel davon wurde. Das wurde jetzt anders. Der Schütze Bruno Muhl, ein Kaufmann aus Aruscha, wurde Magazinverwalter und kaufte nun ein: von unsern eigenen, peinlichst geheimgehaltenen Bezugsquellen in der Landschaft Speck, Wurst, Butter, Eier, Käse, Gemüse, Obst, und in den Küstenstädten Tabak, Zigarren, Zigaretten, Zucker, Schokolade und vor allem Alkohol, der, in Amani entdeckt, jetzt von vielen unternehmenden Leuten, meistens Griechen, in allen möglichen zweifelhaften Qualitäten, aber in unzweifelhaft großen Quantitäten hergestellt wurde. Das alles verkaufte Muhl in seinem Laden an Offiziere und Mannschaft zum Selbstkostenpreis weiter, jedem, was er haben wollte, und legte am Zahltage prompt seine Monatsrechnung vor. Angespornt durch den Beifall, den dieses erste eigene Handelsunternehmen der Kompanie allgemein fand, befaßte sich die Kompanie dann auch mit dem Ankauf größerer Posten von Unterzeug, Hemden, Strümpfen, Handtüchern usw., lauter Sachen, deren Mangel um diese Zeit schon bedenklich fühlbar zu werden anfing. Der Soldat erhielt monatlich fünfundzwanzig Rupien Bekleidungsgeld, war also kaufkräftig. Mit hartnäckiger Ausdauer erließ ferner unser neuer Chef eine Bedarfsanzeige nach der andern an das Etappenkommando für Ausrüstungsstücke. Da ging es mit einem Male, und nach und nach konnten die alten vorsintflutlichen Sättel und verschiedenkalibrigen Jagdgewehre abgestoßen werden. Ganz gleichmäßig mit dem Karabiner 98 konnte unsere Kompanie freilich erst ausgerüstet werden, nachdem die Ladung des vor Tanga im April 1915 durch die Engländer versenkten Blockadebrechers doch noch geborgen worden war. Zu jener Zeit wurde auch in Afrika mit aller Kraft an der Heeresvermehrung gearbeitet. So wurde auch alles, was an Pferden und Maultieren im Innern der Kolonie noch aufgebracht werden konnte, aufgekauft, und jede der beiden Berittenen Kompanien erhielt etwa zwanzig neue Reittiere. Aber die dazu gehörenden europäischen Reiter konnte uns das Kommando wegen der allgemeinen Heeresvermehrung nicht mehr abgeben, nur noch Askari, die im ganzen Lande in vielen Rekrutendepots immer neu ausgebildet wurden. In meiner Kompanie erhielt der Sergeant, spätere Vizewachtmeister Schmid, vor dem Kriege Polizeiwachtmeister im Aruschabezirk, der 1917 den Heldentod fand, den schwierigen Auftrag, die Negersoldaten im Reiten auszubilden. Schmid war bei der Feldartillerie Futtermeister und Reitlehrer gewesen und hatte jahrelang Rekruten ausgebildet – wenn also einer der Aufgabe gewachsen war, so war er es. Trotzdem war das Resultat wenig befriedigend. Unter den uns zugeteilten Askari waren einige Somali, Leute, die vielleicht selbst nie geritten hatten, aber deren Stamm in Englisch-Somaliland doch Reittiere besitzt; diese ließen sich leidlich an. Die andern Askari aber, die aus Deutsch-Ostafrika stammten, haben das Reiten nie gelernt, wenigstens nicht in den sechzehn Monaten, in denen ich sie beobachten konnte. Sie lernten auf den Tieren zu hängen, Schritt, Trab und, wenn das Gelände sehr gut war, auch Galopp zu reiten, ohne abzufallen, aber auch dabei war nicht der Wille des Reiters, sondern der des Tieres der maßgebende Faktor. Der Neger Deutsch-Ostafrikas ist einmal nicht im Einklange mit dem Reittier, er kennt es nicht. Mit den Reittieren waren Sättel angekommen – leichte, elegante Sättel, wie sie sich nur der feine Stadtherr, der täglich eine Stunde spazierenreitet, andrehen lassen kann. Das Bedenklichste an ihnen war die Steigbügeleisenweite. Als die Askari zum erstenmal beritten gemacht wurden, konnten die meisten ihre breiten Negerfüße – Stiefelnummer 13! – nur seitwärts in die Steigbügel hineinschieben. Auf das Kommando »Absitzen« saßen viele in den Bügeln fest. Einer saß so fest, daß er überhaupt nicht mehr los kam, obwohl Sergeant Schmid es mit einem Hammer versuchte. Der unglückliche Askari glaubte bereits, zeitlebens auf dem Rücken des ihm höchst unsympathischen Reittieres verbleiben zu müssen, bis ich die Situation löste und den Askari mitsamt seinem Sattel vom Rücken des bockenden Maultieres abstreifen ließ. Dann wurde er hingelegt und befreite sich vom Sattel, indem er die Stiefel auszog; letztere mußten dann aus den Steigbügeleisen herausgemeißelt werden. Es dauerte lange, bis wir Steigbügeleisen auftrieben, die zu den Askarifüßen einigermaßen paßten. Etwa gleichzeitig mit den Askari erhielten wir auch zwei neue Offiziere. Oberleutnant Meyer, ein aktiver Schutztruppenoffizier, ein baumlanger Hannoveraner vom Siebenmeyerhof, mit dessen Onkel ich in meiner Jugend in Verden acht Wochen geübt hatte, wurde von der 9. Feldkompanie zu uns versetzt und erhielt den zweiten Zug, zu dem auch die Reitaskari gehörten. Kurz zuvor war Oberleutnant Trappe, ein Viehfarmer des Nordbezirkes, zur Kompanie gekommen; er führte den dritten Zug. So waren wir nun zu größeren Taten gerüstet. Die Kavalleriebrigade und die Zebraspuren Unser neuer Kompanieführer hatte außer einer enormen Arbeitswut einen nie rastenden Unternehmungsgeist mitgebracht. Es mußte immer etwas im Gange oder doch zum mindesten in Vorbereitung sein. Unter seiner Führung kam die Zeit der Kompaniepatrouillen, wirklicher Kampfpatrouillen. Die erste, die ich mitritt, ging zu den Nyirisümpfen, ostsüdöstlich vom Amboselisee; an ihr nahmen sogar die beiden Berittenen Schützenkompanien teil. Eine Schleichpatrouille der »Fliegenden Hunde« wollte dort Feind, oder wenigstens Spuren vom Feind gesehen haben. Da die feindlichen Patrouillen letzthin stets hundertzwanzig bis hundertsechzig Mann stark gewesen waren, sollte auch unsererseits diesmal in größerer Stärke ausgerückt werden. Hauptmann v. Boemcken führte diesmal die ganze Ostafrikanische Kavallerie»brigade«. Es ging über Gehöft Olmolog hinunter zum Brakwasser und über die Grenze hinüber zum Kitiruawasser, in dessen Nähe wir die zweite Nacht in einem Gebüsch lagerten. Da der böse Feind ganz in der Nähe sein sollte, durften wir weder Feuer anmachen noch laut sprechen. Es schwärmte dort von Moskitos und stank bestialisch nach Nashorn und Löwen. Zum Schutz gegen letztere hatten wir unsere Reittiere in der Mitte festgemacht und uns im Kreise um sie herumgelegt, zum Teil so nahe, daß die Tiere auf die Schläfer äppelten. Ich hatte einige Stunden lang schlaftrunken Moskiten abgewedelt, da schrie ein Maultier in Todesängsten, daß alle erschrocken auffuhren. Ein Löwe hatte sich durch unsere Postenkette durchgeschlichen, war über die schlafenden Schützen hinweg einem jungen fetten Maultier auf den Rücken gesprungen und eben dabei, diesem den Halswirbel durchzubeißen. Mit dem Bajonett wurde er vertrieben. Die Aufregung hatte sich noch nicht gänzlich gelegt und einzelne Schützen sahen noch ständig Raubtieraugen im Dunkeln durch das Gras funkeln, als derselbe Löwe nochmals unter die Reittiere sprang. Die wegen der mutmaßlichen Nähe des Feindes befohlene Ruhe war durch diese Löwenüberfälle und deren Abwehr nun doch mal illusorisch geworden – sollten Mensch und Tier in dieser Löwengrube zu einigen Stunden Schlaf kommen, dann mußten Feuer angezündet werden. War Feind in der Nähe, so hatte er den Lärm nun doch längst gehört. Wie sich am folgenden Tage herausstellte, waren diesmal die üblichen Vorsichtsmaßregeln überflüssig gewesen. Feind war weder da, noch da gewesen. Was die Patrouille der Berittenen Achten für Feindesspuren gehalten hatte, waren – Zebraspuren! Das Konkurrenzunternehmen war eben noch zu neu im Geschäft. Außer jener Löwengeschichte passierte nichts Besonderes auf dieser Patrouille, denn daß sich unser Kompanieführer während einer kurzen Rast beinahe auf eine Puffotter gesetzt hätte, ist nichts Besonderes – hat sich der Schütze Apel doch mal tatsächlich auf eine solche, die er für einen Baumast hielt, gesetzt. Wir suchten die Nyirisümpfe nach Feinden ab, fanden keine, und ritten über Lagumishera und Olmolog zum Doppelberglager zurück. Klar geworden waren wir uns nur über zweierlei. Erstens, daß die Achte Zebra- von Maultierspuren noch nicht unterscheiden konnte, und zweitens, daß Hauptmann v. Boemcken, der mit einem Krückstock in der Hand ritt, unter seinem Südwester Schutztruppenhut viel Ähnlichkeit mit dem Alten Fritz hatte. Große Kampfpatrouille zur englischen Magadbahn Die Berittene Achte hatte zwei Männer, die uns unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz durch ihre Tätigkeit viel Kopfzerbrechen machten. Es waren der Lokomotivführer Pallas und der Vizefeldwebel Neubacher, ein früherer Südwester Schutztruppler. Pallas war ein passionierter Minenleger, und Neubacher war seine rechte Hand. Beide konnten nicht mehr leben und glücklich sein, wenn nicht alle Monate ein Teil der englischen Ugandabahn, die stark besetzt war, in die Luft ging. Fuhr gerade ein Truppen- oder Verpflegungszug über die hochfliegende Stelle, dann waren Pallas und Neubacher erst recht zufrieden. Das konnte so nicht weitergehen. Die Neunte hatte zwei schwere Gefechte mitgemacht, ihrem berühmten Pferderaid verdankte die Achte ihre ganze Existenz – aber gesprengt hatte die Neunte noch nicht. Da mußte bald etwas geschehen – Pallas und Neubacher sprengten uns sonst noch die ganze Bahn weg, ehe wir mal hin kamen. So fiel uns allen ein Stein vom Herzen, als die erste Sprengpatrouille der Berittenen Neunten befohlen wurde. Als Vorbereitung wurden einige Sprengungen in der Nähe des Lagers gemacht. Unteroffzier Horn, der zu Hause bei den Pionieren gedient hatte, wurde mit der Verteilung des Dynamits beauftragt. Da wir im Kriege alle großen Mangel an Papier litten und da, wo man sonst Papier nötig braucht, Gras und Blätter verwenden mußten, hob sich Horn das Papier, in dem das Dynamit eingewickelt gewesen war, sorgsam auf. Als die Kameraden Horn wiederfanden, stand er nackend vornübergebeugt unter einem Baum und ließ sich von seinen Boys einen Eimer voll kalten Quellwassers nach dem andern über seinen brennenden Hintern gießen. Seitdem sammelte niemand mehr Dynamitpapier. Nunmehr wurde also eine ganz große Kampf- und Sprengpatrouille zur Magadbahn »in die Wege geleitet«, wie mein Kompanieführer gesagt haben würde. Die ganze Kompanie rückte diesmal aus in der nie zuvor und nie wieder erreichten Gefechtsstärke von sechsundfünfzig Gewehren. Der Etatsmäßige natürlich mit. Sechsundfünfzig Reiter, geteilt in drei Züge, begleitet von je zwei Packtieren, dem Offizierspacktier und dem Packtier mit der Sanitätslast, ritten wir stolz eines Morgens zum Lager hinaus. Jeder Reiter hatte für acht Tage Verpflegung an seinem Tier, und für weitere acht Tage Verpflegung war auf den Packtieren untergebracht. Vorne ritt die Hünengestalt unseres Kompanievaters auf dem Hotspur, einem südafrikanischen Zuchthengst, von der Größe, Stärke und dem Knochenbau, wie ihn die alten Ritter bei ihren Turnieren geritten haben mögen. Am Schluß der langen Kolonne ritt die Kompaniemutter auf Otto, dem schönsten, edelsten und feurigsten Pferde, das die Kompanie je besessen hat; der Hengst war damals dreieinhalb Jahr alt. So als Schließender hinter der Kompanie durch das Pori zu reiten hat seine Schattenseiten, besonders wenn der Wind von vorne kommt und Reitaskari bei der Kompanie sind. Staub setzt sich in alle Poren und bildet allmählich, mit dem Schweiß gemischt, eine feste Kruste über der Haut. In den ersten beiden Stunden nach dem Ausrücken war ich außerdem voll damit beschäftigt, die Ausrüstungsstücke auflesen zu lassen, die die Askari und zuweilen selbst die Schützen verloren. Brotbeutel, Feldflaschen, Seitengewehre, Packtaschen, Woilachs, gelegentlich ein Askari mit seinem ganzen Sattel lagen in der Spur der Kompanie. Und dabei wollte mein Hengst in den ersten Marschtagen nach längerer Lagerruhe recht ungern hinter der Kompanie zurückbleiben. Ich hatte bereits nach der Patrouille zu den Nyirisümpfen dafür plädiert, die Kompanie möge nach einem Ritt von einer halben Stunde prinzipiell eine kurze Marschpause zum Stallen, Nachsatteln und auch aus andern rein menschlichen Gründen einführen. Später wurde es auch so gehalten, aber unser gegenwärtiger Kompanieführer, der als früherer Torpedobootskommandant und auch als Mensch »Volldampf voraus« zu gehen gewohnt war, hatte keine Geduld für solche Schwächen und Marschverzögerungen. Das Resultat war, daß sich ständig einzelne Reiter weit hinter der Kompanie befanden, um nachzusatteln, verlorenes Gepäck fest oder sonst was zu machen. Mit den Geschäften fertig, bädelten sie dann, haste, was kannste, der Kompanie nach. Das Schrecklichste für den Schließenden aber war, daß die Askari nie den vorschriftsmäßigen Abstand zu reiten lernten. Für den, der hinter ihnen ritt, blieb der Marsch von Anfang bis zu Ende ein ewiges Aufjuckeln. Außer in der Nähe und unter Sicherheit unseres eigenen Lagers ritten wir gewöhnlich in folgender Marschformation. Die Spitze war tagsüber im offenen Gelände fünfhundert Meter vor der Kompanie, nachts und im Busch natürlich sehr viel näher und mit der Kompanie durch Verbindungsreiter in Fühlung. Seitendeckungen ritten tags zwei- bis dreihundert Meter rechts und links der Kompanie; nachts und im Busch mußten wir diese einziehen, da wir sie sonst verloren hätten. Die Kompanie ritt, wie es das Gelände und die schmalen Wildwechsel, die benutzt wurden, bedingten, stets in Kolonne zu Einem mit einem Zwischenraum von fünfzig Metern zwischen den einzelnen Zügen. Innerhalb der Züge wurde, oder richtiger sollte der Abstand von drei Schritt von Tier zu Tier gehalten werden; nur wenn ein Feuerüberfall zu erwarten stand, wurde dieser Abstand auf zehn Schritt erweitert. Nachspitze, in ähnlichem Abstand von der Kolonne wie die Spitze, wurde dann gestellt, wenn wir den Feind in unserm Rücken wußten. An diesem schönen Morgen ritten wir am Fuß des Telephonhügels vorbei durch den Fluß und folgten dann der Fahrstraße, die durch das Transportfahren zum Longido zu Anfang des Krieges entstanden war. Den Zuckerhutberg, unsern Ausguckberg, rechts liegen lassend, windet sich die Fahrstraße durch den Buschwald südlich vom Ngasserai, einem felsigen, kahlen Berg, auf dessen Spitze tags ebenfalls ein Ausguckposten unterhalten wurde. Am Rande des Buschwaldes wurde vom Fahrweg halbrechts abgebogen. Vor uns lag jetzt die weite Ngasseraibuga, baumlos, flach, mit kurzem Gras bewachsen, soweit dieses nicht schon ganz vertrocknet war. Sie lud geradezu ein zu einem fröhlichen Galopp. Jedesmal, wenn ich über diese Buga ritt, mußte ich an den Truppenübungsplatz Lockstedt denken; Feldartillerie im Regimentsverbande hätte dort fein üben können. Nach der großen Regenzeit steht diese Buga, die niedrigste Stelle der Steppe zwischen Kilimandscharo, Meru und Longido, einige Tage unter Wasser. Das ganze übrige Jahr durch ist es hier trocken, heiß und staubig – Schafland, wie es im Buche steht. Nachdem wir die Buga durchquert hatten, nahm uns wellige, leichte Buschsteppe auf. In nordwestlicher Richtung den Marsch fortsetzend, ließen wir die Vorberge des Longido links liegen, um von Norden her in das Longidogebirge einzudringen, das sich in der Form eines langgestreckten Hufeisens nach dieser Seite der Steppe zu öffnet. Kurz vor dieser Öffnung, nachdem wir sieben Stunden ohne Halt geritten waren, sattelten wir gegen ein Uhr für zwei Stunden ab. Aber die Tiere waren viel zu müde und zu durstig, um gerade jetzt, in der heißesten Zeit des Tages, Appetit zu entwickeln. Den Menschen ging es ähnlich. Sie legten sich ins Gras und nahmen im spärlichen Schatten der Akazien ein Auge voll. Das Longidogebirge war seit einigen Wochen vom Feinde wieder geräumt, nur Schleichpatrouillen der Engländer besuchten es regelmäßig. Zur Zeit unserer Patrouille unterhielt meine Kompanie dort einen ständigen Posten oben im alten Büchsellager. Oberleutnant Trappe war hier mit einigen Schützen und Askari auf Posten, und einen der letzteren hatte kürzlich eine englische Schleichpatrouille weggeschnappt. Da! »Satteln! Weitermarsch! Marschordnung wie zuvor!« – Die von den Engländern angelegte Automobilstraße führte leicht ansteigend mitten in das Gebirge hinein bis zu einem Bach im Gebirgskessel, an dem die Engländer und Inder ihre Lager gehabt hatten. Wir ritten durch diese alten Lager durch und durften mit Stolz feststellen, daß unsere Grasarchitektur, die unter Karl Blaich aufgeblüht war, doch auf bedeutend höherer Stufe stand als die des Feindes. In welch elenden Hundehütten hatten die Feinde, besonders die Inder, hier gewohnt! Kein Wunder, daß nach der Regenzeit Epidemien bei ihnen ausbrachen, die sie zwangen, den Longido zu räumen. Nachdem wir am Bach getränkt hatten, begann der Aufstieg zum Büchsellager, das oben im Gebirge, unterhalb der 2609 Meter hohen kahlen Gebirgsnadel, am Rande des Urwaldes lag. »Absitzen! Führen!« hieß das Kommando. Schwer, sehr schwer ist mir nach dem neunstündigen Ritt dieser Aufstieg geworden. Bei solchen Gelegenheiten fühlt man doch, daß Herz und Lungen alt werden. Aber nur nichts merken lassen! Sollte ich doch gerade durch das Beispiel des Alters dahin wirken, daß die jüngeren Leute Strapazen ohne Murren ertrugen. Oben im Lager hatte Oberleutnant Trappe alles aufs beste für den Empfang der Kompanie vorbereiten lassen. Für Unterkunft war gesorgt, Stände zum Anbinden der Reittiere waren errichtet, und reichlich Reittierverpflegung war einige Tage früher vom Kompanielager herbeigeschafft worden. Morgen sollte Ruhetag sein. Nachdem Mensch und Tier untergebracht waren, servierte uns Oberleutnant Büchsels unübertrefflicher Koch Minjimvua aus den Packtaschen des Offizierspacktiers, mit dem und einigen Boys wir ihn vorausgeschickt hatten, ein kräftiges Abendessen. Welche ostafrikanische Whiskykriegsmarke damals die beliebteste war, ob Marke »Sarglack«, »Heldentod«, »Stacheldraht« oder »Blutsturz«, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls schwangen wir an jenem Abend noch einige Zeit den Becher, obwohl es eigentlich eine Sünde war, das herrliche Quellwasser des Longido mit den Erzeugnissen der jetzt blühenden ostafrikanischen Alkoholindustrie zu vermengen. Lange saßen wir nicht, denn wir waren alle hundemüde. Eine Graskitanda, die vorsorgende Hände gebaut, nahm mich auf. An Schlaflosigkeit habe ich im Kriege nie gelitten. Am Vormittage des Ruhetages habe ich in einem nahen Felsenbassin in eiskaltem Gebirgswasser ein herrliches Bad genommen. Sonst habe ich den Tag geruht, das heißt, wie halt so ein Kompaniefeldwebel ruht; spät am Abend mußte noch ein Kreis hartnäckiger Zecher, der von dem herrlichen Quellwasser mit Schuß nicht wegfinden konnte und die Nachtruhe ernstlich zu stören drohte, auf diplomatischem Wege gesprengt werden, damit es mir erspart blieb, jemanden für das kürzlich ordnungsmäßig neu eingerichtete Strafbuch vorzumerken. Oberleutnant Meyer hatte es mir geschenkt. Es war ein Zehn-Heller-Büchlein mit himmelblauem Umschlage, auf dem sich in grellen Farben das Bild eines Engels und eines Lämmleins befand – Missionare mochten es ursprünglich für den Verkauf an eingeborene Christen importiert haben; ein anderes Notizbuch war im Norden der Kolonie nicht mehr aufzutreiben gewesen. Ich fand seine Symbolik für ein Kompaniestrafbuch sehr sinnig. Am nächsten Morgen in aller Frühe stand die Kompanie fertig zum Weitermarsch. Nur Vizefeldwebel Dr. Sinning blieb mit wenigen Leuten zur Besetzung des Postens zurück. Die alte Postenmannschaft, zu der auch der Dichter Müller gehörte, ritt mit uns, da sie uns den Schleichweg führen sollte, den sie durch den Urwald und Busch zur Steppe hinunter durchgeschlagen hatten, um dem Posten im Falle eines Angriffs durch überlegenen Feind eine Rückzugsmöglichkeit zu sichern. Unser Kompanieführer wollte die Gangbarkeit dieses Abstieges prüfen und wohl gleichzeitig die Leistungsfähigkeit seiner Kompanie auf die Probe stellen. Romantisch schön war der Weg, der sich im Dickicht und unter hohen Urwaldbäumen an der Seite einer tiefen, steilen Schlucht über schräge Felsplatten und in scharfen Windungen um Felsblöcke herum steil abschüssig hinwand. Ich kann mir denken, wie ein Dichter, der diesen Weg mit anlegte, im Naturgenuß geschwelgt haben wird, wenn er dort auf den Felsblöcken saß, seine Beine über dem jähen Abgrund baumeln ließ und mit verträumten Dichteraugen in die weite Steppe hinausschaute. Militärisch betrachtet, war der Abstieg aber saumäßig. Die Tiere schlidderten auf den glatten, schiefliegenden Felsplatten, als wenn sie auf Eis gingen. Sie stürzten und rissen die sie führenden Reiter mit um. Sie fielen in Felsspalten, blieben mit Sattel und Gepäck an Bäumen und Büschen hängen und brachen in der Mitte fast durch bei den scharfen Wendungen um die Felsblöcke. Der ganze Abstieg bestand eigentlich nur aus Marschstockungen, Rettungsarbeiten, wildem Fluchen und Schmerzensrufen. Um die etwas über tausend Meter in die Steppe hinunter zu gelangen, brauchte die Kompanie volle drei Stunden. Sie hätte noch viel länger gebraucht, wenn nicht glücklicherweise Unteroffizier Müller und der Schütze Schoenbohm, die uns führten, ihren eigenen Weg, ehe wir drei Viertel unten waren, verloren hätten, und wenn nicht der Kompanieführer einen Nashornwechsel gefunden hätte, auf dem wir sogar bequem reiten konnten. Die Tiere waren so erschöpft, daß wir unten am Ostwasser absatteln und zwei Stunden rasten mußten. Dann ging es in nordnordwestlicher Richtung weiter, immer durch offene schöne Grassteppen. Unser heutiges Marschziel waren die südlichen Ausläufer der Matumbatuberge, wo der Gefreite Max Truppel, der jetzt führte, ein Wasser wußte aus der Zeit her, als er noch für Hagenbecks Tierpark die Tiere der Steppe einfing. Das Wasser war nach einem Buren, der an ihm mal gelagert hatte, das Naudéwasser genannt worden. Auf der Karte ist es nicht verzeichnet. Wer Deutsch-Ostafrika nur nach der Karte beurteilt, bekommt keinen rechten Begriff von seinem Reichtum an ständig fließenden Wassern. Nach fünfstündigem Ritt durch erstklassiges Farmland, das immer besser wurde, je mehr wir uns den Matumbatubergen näherten, waren wir am Ziel. Das Naudéwasser, ein schwacher Bach, der in einem kleinen Tümpel endete, lag ein Stück von der Steppe zurück in einem Koongo. Hier wurde abgesattelt, abgekocht, und für die Nacht suchte sich jeder einen bequemen, geschützten Platz zum Schlafen; denn die Nächte waren kalt und feucht, und der Morgen brachte Tau. Unsere Messe baute sich mit Hilfe von einigen Askariordonnanzen aus sechs Zeltbahnen eine lange Röhre, die an dem einen Ende, da, wo der Kompanieführer liegen sollte, durch eine siebente Zeltbahn geschlossen wurde. In die Röhre wurde eine dicke Lage Gras gestopft, und wir krochen hinein nach Rang und Würden, jeder mit seinem Sattel und seiner ganzen Kriegsausrüstung. Neben dem Kompanieführer lag Oberleutnant Meyer, weil ihn kein Schnarchen störte. Sein Nachbar war Oberveterinär Dr. Huber, den uns das Kommando mitgegeben hatte, weil die Kompanie zur Zeit weder einen Arzt noch einen Sanitäter besaß. Ihm zunächst ruhte Oberleutnant Trappe, der, korrekt wie im Manöver, als einziger in der ganzen Kompanie auch auf Patrouillen einen weißen Kragen trug – freilich, sehr weiß war er schon nicht mehr. Ihm folgte Leutnant Freund, und am offenen Ende der Röhre lag ich, mit der Nase der frischen Luft zu. Mit dem Kopf auf dem Sattel schlief es sich famos so. Mitten in der Nacht kam Bernhard Blaich, unser »Mariechen«, von der Feldwache und meldete dem Kompanieführer: »Der Feldwachenführer Vizewachtmeister Mittag läßt melden, ein Nashorn sei bei der Feldwache eingetroffen. Die Feldwache – geschossen sollte nicht werden – hat es mit Steinen beworfen. Das Nashorn kümmert sich aber nicht um die Klamotten und wandert jetzt gemütlich auf das Lager und die Reittiere zu.« Die Meldung war kaum gemacht, als im Lager auch schon der Ruf »Kifaru« erscholl und sämtliche Röhreninsassen mit ihren Gewehren in der Hand über mich wegkletterten. Ich blieb liegen und rief laut ins Lager hinaus: »Hinlegen! Nur die Wache darf schießen!« Ich ahnte, was kommen würde. Aus dem Schlaf aufgesprungene aufgeregte Menschen ballerten wild in die Dunkelheit hinein. In jedem größeren Felsstein, in jedem schwarzen Schatten sahen sie ein Nashorn. Es knallte und pfiff wie bei einem ganz leidlichen Gefecht, und nachher wollte es natürlich keiner gewesen sein. Glücklicherweise lief diesmal die Sache ohne Unheil ab, nicht einmal das Nashorn wurde beschädigt. Es mag durstig gewesen sein, aber, obgleich es wohl nie vorher einen Menschen gesehen haben mag, empfahl ihm doch sein Instinkt, sich schleunigst von da zu entfernen, wo so viele Knallteufel in die Luft spieen. – [Illustration] »Spitze aufsitzen! Anreiten!« lautete das Kommando fünf Uhr dreißig am nächsten Morgen. Ich hörte es und sah noch gerade, wie der Spitzenführer, der Agrarier Mittag, dessen Rappstute Seta, noch aufgeregt von den Ereignissen der Nacht, einige wilde Sprünge machte und mit der ganzen Vorderhand in ein Erdferkelloch einbrach, samt seinem Tier kopfheister schoß. Das fing ja gut an! An der Westseite der südlichen Ausläufer der Matumbatuberge entlang reitend, passierten wir verschiedene aus diesem kommende Koongo. Als wir den zweiten Koongo durchritten, fiel Unteroffzier Müller wieder mal schwer auf. Als er die jenseitige steile Böschung des Koongo hinaufreiten mußte, vergaß der Dichter in ihm, die Beine fest anzuklemmen. Er verließ sich ganz auf Sattel und Steigbügel, und das hat in solchen Situationen seine Bedenken. Es war unterwegs nicht nachgesattelt worden – wir wissen ja, immer: Volldampf voraus! – und ein Maultier in einemmal gründlich zu satteln, will studiert sein. Wie sich ein Maultier beim Satteln aufblasen kann, weiß jeder, der mal ein Maultier gesattelt hat. Beizukommen ist ihm nur mit List. Du stellst dich unter Knurren und Geschimpfe so an, als ob durch das Satteln deine ganze Kraft erschöpft sei. Das Maultier wird dich schadenfroh dabei angucken und seine Ohren zurücklegen. Dann mache dir mit allem möglichen zu schaffen, nur nicht mit dem Maultier und dem Sattelgurt. Das Maultier darfst du währenddessen beileibe nicht ansehen; denn es beobachtet dich scharf und mißtrauisch. Während du nun in aller Unschuld dir mit der linken Hand die Feldflasche umhängst, fährt deine Rechte wie ein Blitz unter die Sattelklappe an die Sattelgurtstrappe und zieht den Gurt zwei oder drei Löcher an. Darauf, daß das Maultier dich dabei aus Wut in den Hintern beißt und dir gleichzeitig einen Tritt vor den Magen zu geben versucht, mußt du gefaßt sein und durch aalartiges Winden deines Körpers beiden Möglichkeiten gleichzeitig auszuweichen wissen. Gelingt es dir, dem Maultier dann noch einmal mit List beizukommen, dann darfst du rechnen, daß der Sattel sitzen wird. Du wirst selbstredend deine Taktik ständig ändern müssen. Die Posse mit der Feldflasche darfst du höchstens zweimal spielen, dann hat das Maultier dich durchschaut und bläht sich auf, sobald du die Feldflasche nur berührst. Natürlich bedingt diese Art des Sattelns, daß man rechtzeitig damit anfängt und sich mit Ausdauer und Anspannung aller Geisteskräfte der Sache widmet. Man darf z. B. nicht gleichzeitig dichten wollen. Die Askari haben es nie und manche Europäer auch nur soso gelernt. Als Müller die steile Böschung nahm, fiel es seinem Maultier ein, daß es sich beim Satteln tüchtig aufgeblasen habe, daß Müller ein Dichter sei und daß der Sattelgurt jetzt eine gute Handbreite lose unter dem Bauch hängen müsse. Daß der Dichter vergessen werde, die Schenkel einzuklemmen, vermutete das Maultier. ~Ergo~, dachte es, lassen wir den Sattel samt dem Reiter jetzt im geeigneten Moment mal sanft nach hinten abgleiten. Es sah drollig aus, wie Müller, mit den Händen in die leere Luft greifend, über den Rücken seines Tieres zurückrutschte, durch ein Gebüsch schoß und unten im Koongo verschwand – zustoßen konnte ihm nichts, denn im Koongo lag tiefer Sand, der ihn weich aufnahm. Ich bin nicht herzlos, aber eine gewisse Schadenfreude konnte ich mir doch nicht verkneifen. Daß der Unteroffzier mal für seine Sünden büßen mußte, darüber freue ich mich noch heute. Schade war nur, daß der Dichter mitleiden mußte. Immer noch ritten wir Stunde für Stunde durch das herrlichste Farmland, und nach vierstündigem Ritt kamen wir wieder an ein fließendes Wasser. Diesmal war es ein starker Bach, und unsere Spitze meldete, daß noch zwei weitere starke Bäche ganz in der Nähe flössen. Wie diese Wasser heißen, weiß ich nicht – wir nannten sie die Wasser des falschen Narok; denn der wahre Narok, ein Berg, der auf seiner Spitze noch einen Rest von Urwald und Bambushainen trägt, liegt in der Steppe etwas südwestlich von dieser Stelle. Wir saßen ab, tränkten und ließen die Tiere zwei Stunden grasen. Direkt vor uns, in unserer Marschrichtung, stieg das Matumbatugebirge jäh auf. Haushohe Felsblöcke waren von ihm abgebröckelt und bis weit in die Steppe gerollt. Dort stehen sie nun ewig als Wächter eines Farmparadieses. Donnerwetter, was war das hier für ein Farmland! In dem Gebirgskessel, in den wir dann einschwenkten, kitzelte das Weidegras den Tieren den Bauch. In Südafrika und Australien würde es einen »~rush~« [Ansturm] geben nach einer solchen Stelle. Einen Weg geradeaus über das Gebirge wird es auch geben, dafür werden Nashörner und Massai gesorgt haben. Wir kannten ihn nicht und konnten uns nicht damit aufhalten, ihn zu suchen. Wir wanden uns, den Berghang zu unserer Linken schräg anreitend, auf einem alten Massaiviehtriebwege langsam zum Kamm hinauf. Als wir über den Bergrücken hinwegsehen konnten, breitete sich vor uns ein Bergkessel aus, der vier oder fünf Kilometer im Durchmesser haben mochte. Wir bogen vom Massaiwege ab, saßen ab und führten, uns im Geröll einen Weg suchend, durch einen leichten Akazienbusch in den Bergkessel hinunter. Hier fanden wir wieder ein Gebirgswasser, das wir nach den an ihm wachsenden Eleleschosträuchern das Eleleschowasser benannten. C. G. Schillings hat ein Buch »Im Zauber des Elelescho« geschrieben. Ich habe den Eleleschostrauch immer nur in Hochsteppen über 1500 Meter gefunden. Es ist ein Strauch, dessen wollige, auf der unteren Seite fast weiße, aromatische Blätter im Mondscheine wie Silber leuchten. Wir prosaischen Kriegsknechte stopften die zartesten Zweige des Eleleschostrauches in unsere Schlafröhre als Unterbett. Sein Zauber hatte die Wirkung, daß wir in dieser Nacht weder durch Nashorn noch Löwe gestört wurden. Wir waren frühzeitig beim Wasser eingetroffen, und da Unteroffzier Thiele, ein Kaffeepflanzer und Farmer aus dem Aruschabezirke und nebenbei unser bester Schütze, im Talkessel einige Grantgazellen geschossen hatte, konnte die Kompanie heute mal wieder frisches Fleisch im Kochgeschirr brodeln lassen oder am Holzspieß vor dem Lagerfeuer rösten; die ganz Hungrigen fingen mit gerösteter Wildleber an. Das war eine sehr willkommene Abwechslung. Unser Hauptpatrouillenfutter war Reis und immer wieder Reis; was »Blauer Heinrich« [in Wasser gekochter Reis] ist, haben wir alle zur Genüge kennengelernt, und später waren wir ganz zufrieden, wenn wir den wenigstens noch hatten. Von den Buren lernten wir Mealipapp mit wahrer Begeisterung essen. Chiroko, eine von den Küstennegern angebaute Bohnenart, die trocken geschrotet und in Wasser gekocht wie Erbsbrei schmeckt, sich schön sanft an die Magenwände anlegt und sich unter starker Entwicklung feindlicher Gase verdaut, wurde ebenfalls ein bei den Europäern beliebtes Patrouillenfutter. Ich war immer froh, an dem offenen Ende der Schlafröhre liegen zu dürfen. Während Minjimvua unser Mahl bereitete, schnitt ich Gras für meinen Hengst. Etwas ruhiger hatten die Marschtage den Otto gemacht, aber mit den andern Tieren konnte ich ihn nicht frei weiden lassen. Er jagte sie und sie ihn, und keines hatte Ruhe zum Fressen. Wenn dann gerade auch noch eine Stute verliebt war, hätten sich unsere drei Zuchthengste Hotspur, Otto und Max auf freier Weide gegenseitig totgebissen. Max, den unser »Gesundbeter« ritt und vergeblich zu einem sittlichen Lebenswandel zu erziehen versuchte, war ein Somaliponyhengst mit dem Kopf und Ausdruck eines Dromedars. Schön war Max nicht, aber Matata [Spektakel] konnte er für zwei machen. Hengste gehören nicht hinein in den Frontdienst einer afrikanischen berittenen Truppe. Ohne Matata geht selten ein Tag ab, und meistens wiehern sie gerade dann los, wenn die größte Ruhe geboten ist. Wir hatten aber so wenige Reittiere in Deutsch-Ostafrika, daß auch die Zuchthengste mit an die Front mußten, und manches Bündel Gras habe ich für meinen Otto geschnitten. Nachts band ich ihn inmitten der Maultiere an. Für Maultier- und Eselstuten hatte er nichts übrig, sie ließen ihn ganz kalt. Andererseits wirkten sie aber doch wieder so weit auf das nach Geselligkeit sich sehnende Gemüt des Herdentiers, daß sich der Hengst ruhig verhielt. Band ich ihn allein an, dann hing er sich entweder auf oder weckte alle Echos in der Gegend mit seinem Geschrei. Als Otto versorgt und ich gesättigt war, wandte sich meine Aufmerksamkeit wieder dem herrlichen Bergkessel zu, in den sich von dem uns gegenüberliegenden Bergrand noch ein Wasser ergoß. Schön friedlich lag er da im Sonnenuntergang, weltfremd auf die Zeit harrend, in der unternehmungslustige Ansiedler in ihm ihren Weizen bauen und ihr Vieh züchten werden. Über seinen Rand weg konnte ich in nordnordwestlicher Richtung auf einem höheren, sonst kahlen Berge einen größeren Baum erkennen, der einsam Grenzwacht hielt. In seiner Nähe lief die Grenzlinie zwischen Deutsch-Ostafrika und Britisch-Ostafrika. Morgen sollten wir die Grenze überschreiten. Der nächste Morgen – es war der fünfte seit unserm Aufbruch vom Doppelberg – führte uns auf Massai- und Wildpfaden durch rauhes Gebirgsgelände, das mit kurzem Dornbusch dicht bestaudet war. Das Farmparadies hatte ziemlich plötzlich aufgehört. Wir ritten, wo es ging, und führten, wo das Reiten nicht ging. In beiden Fällen rissen wir uns an den Dornen Jacken, Hosen und Hände kaputt. Hatte der Vordermann vergessen, »Achtung!« zu rufen, wenn er den von ihm zurückgebogenen Zweig schnellen ließ, dann bekam man auch noch eine dornige Ohrfeige. Mein schöner Tropenhut, den ich mir auf der Ausreise bei Simon Arz in Port Said erstanden hatte, wurde bedenklich zugerichtet. Erst Mutter Weber hat ihn später wieder in die Verfassung gebracht, die es ihm ermöglichte, noch weiter an der Front mitzumachen, bis er im Handgemenge bei meiner Gefangennahme zum Schlapphut wurde. Zum Glück dauerte der Marsch heute nur fünf Stunden. Schon um elf Uhr erreichten wir, wenig jenseits der Grenze, unser Marschziel, das letzte Wasser, an dem wir vor dem Angriff auf die Bahn lagern sollten. Nachdem die Spitze festgestellt hatte, daß das Wasser nicht vom Feinde besetzt war, ritten wir in einen ziemlich tiefen Sandkoongo ein, an dessen oberem Ende sich das Quellwasser in zwei Felsbecken gesammelt hatte, zu denen man hinaufklettern mußte. Aus dem oberen Becken wurde geschöpft, in dem unteren gebadet. Hier wollten wir vierundzwanzig Stunden ruhen, um Menschen und Tiere die nötige Kraft für die Endanstrengung sammeln zu lassen. Wir waren heute, ohne es in dem dichten Busch sonderlich gemerkt zu haben, aus dem Matumbatugebirge heruntergestiegen an den Rand der nördlich desselben gelegenen Steppe. Es war bedeutend wärmer dort unten als oben im Gebirge – der Schlafröhre bedurfte es hier unten nicht. Die Vorbereitungen für die Nacht waren diesmal einfacher. Minjimvua maß alle seine Pfleglinge von hinten mit Kennerblicken und scharrte dann mit seinen Händen sämtliche Körperformen, als wolle er jeden von uns in Blei gießen, im festen weißen Sande aus. In Woilach und Zeltbahn gewickelt lag es sich herrlich in diesen Mulden. Freilich, die erhoffte ungestörte Nachtruhe sollten wir nicht finden. Kaum war ich eingeschlafen, als mich Gewehrfeuer wieder weckte. Das große englische Bezillager war nur wenige Meilen östlich von dem versteckten Wasser, an dem wir lagerten. Sollte unser Anmarsch doch von Spionen gemeldet worden sein? War der Feind jetzt da, um uns auszuheben?! Meldung der Feldwache traf ein: »Der Feldwachhabende Vizewachtmeister Trommershausen läßt auf Löwen schießen, die aus der Steppe kommend zum Wasser wollen.« Ach was, Löwen! Weiterschlafen! Dreimal in derselben Nacht weckte mich das Geschieße der Feldwache, und am nächsten Morgen sah ich einen zweijährigen Löwen tot mitten im Sandkoongo liegen. Wir gaben dem bisher namenlosen Wasser wegen dieser Löwengeschichte den Namen »Löwenwasser«. Schlimmeres brachte der nächste Morgen. Gotthilf Blaich lag in hohem Fieber – ich glaube, der Oberveterinär stellte Typhus fest. Ferner war ein Askari der Feldwache während der nächtlichen Löwenjagden von einem Felshang abgestürzt und hatte sich einen Arm gebrochen. Weiter mitnehmen konnten wir die beiden nicht. Hier zurücklassen konnten wir sie auch nicht, wußten wir doch selbst nicht, ob wir je zu diesem Löwenwasser zurückkommen würden. Es half alles nichts – die beiden mußten mit Fieber und gebrochenem Arm durch die menschenleere, an Raubwild reiche Gegend sich ihren Weg zu unserm Posten am Longido zurücksuchen; von dort konnten Träger den Typhuskranken weiter zurücktragen. Damals machte ich mir noch Gedanken über so was. Später habe ich an mir selbst erfahren, daß man Malaria oder Dysenterie, ja sogar beide gleichzeitig haben und doch, wenn man will, diensttauglich bleiben kann. Um zwölf Uhr mittags wurde getränkt und abgekocht. Wann wir wieder an Wasser kommen würden, darüber nachzudenken war nicht gut. Zur Magadbahn waren es fünfundvierzig Kilometer Luftlinie, zu reiten mindestens fünfundsiebzig Kilometer. Sollten wir abgeschnitten werden durch Truppen aus dem englischen Bezillager, dann würden wir völlig in der Luft hängen. Die Tiere schienen zu wissen, was ihnen bevorstand. Sie soffen sich ordentlich voll. Auch wir tranken, soviel wir konnten, und jeder füllte seine zwei Feldflaschen mit Wasser oder kaltem Kaffee. Um zwei Uhr nachmittags ritt die Kompanie in glühender Hitze aus dem Koongo des Löwenwassers in die Steppe hinein. Zu Anfang konnte man noch von einer Grassteppe sprechen, aber bald wurde das Gras spärlich und spärlicher und dafür der Sand tief und tiefer. Ohne Weg und Steg mahlten die Tiere durch den Sand, und feiner Staub flimmerte in der heißen Luft. Der Durst stellte sich schon ein, als wir kaum zwei Stunden geritten waren. »Kinder, mit dem Wasser sparen! Wenn man sich den Durst in den ersten Stunden verkneift, nachher merkt man ihn schon gar nicht mehr. Vom Trinken wird man nur durstiger« – so predigte ich mit mehr guter Absicht als Überzeugung. Nachdem wir uns eine Zeitlang durch den losen Sand gewühlt hatten, mischten sich mit ihm runde lose Steine von Kindskopfgröße, die umkippten, sowie ein Tier drauftrat. Die Gegend wurde immer öder und wüstenartiger; Wild hatten wir schon lange nicht mehr gesehen. Wir stolperten weiter. Kurz vor Dunkelwerden kamen wir an einen tiefen, breiten Koongo. Ströme der Urzeit mögen ihn in das Gelände eingerissen haben oder die Regenzeiten vieler Jahrtausende. »Absitzen! Führen!« Dreißig Meter tief polterten wir über Geröll in den Koongo hinein, durchquerten sein versandetes altes Flußbett und dreißig Meter hoch kletterten wir auf der andern Seite wieder aus ihm heraus. Es wurde Nacht. Wieder ein Koongo. Runter von den Tieren. Autsch! da lag einer. Mondlose Nacht. Noch ein Koongo. Wie viele Koongo wir in dieser Nacht durchkletterten, weiß ich nicht mehr. Sie wirkten wie Alpdrücken auf mich. Vielleicht war es auch öfter derselbe Koongo, der, sich windend, mehrere Male in unsere Marschrichtung kam. Eine Karte dieser Gegend besaßen wir nicht. Unteroffizier Thiele und Gefreiter Truppel führten. Sie hatten sich, bevor es ganz dunkel wurde, einen Stern ausgesucht und auf diesen hielten sie los, bis sie von Zeit zu Zeit mit dem Vorrücken der Nacht sich ein neues Sternbild aussuchen mußten. Ob sie ritten, gingen, standen oder auf ihrem Hintern in ein Koongo hineinrutschten – ihr Sternbild durften sie nicht aus den Augen verlieren, sonst wäre unsere Marschrichtung zum Teufel gewesen. Neun Stunden lang sind ihre Augen unverwandt auf den Himmel gerichtet gewesen. Um drei Uhr morgens, nach dreizehnstündigem ununterbrochenen Reiten, Klettern, Stolpern, Fallen und Rutschen konnte die Kompanie nicht mehr. Unser Plan war, vor Tagesgrauen rechts und links der Bahnstation Kambi ya nyuki die Telegraphenleitung zu durchschneiden, mit Tagesanbruch den Bahndamm zu sprengen und gleichzeitig den starken Stations- und Bahnschutzposten anzuknallen. Um drei Uhr morgens wußten wir überhaupt nicht mehr, wo wir hingeraten waren; eigentlich hätten wir schon längst an der Bahn sein sollen. Die verfluchten Koongo! Ganz egal, wo wir lagen, ob irgendwo im weiten Pori oder vielleicht nur fünfzig Meter vor dem englischen Bahnschutzposten – die Kompanie mußte erst etwas ruhen. Sie ruhte zwei Stunden wie sie war und wo jeder gerade hielt. Dort, wo wir im Dunkeln gelandet waren, gab es überhaupt keinen Sand mehr, sondern nur noch Steine. Große Steine und kleine Steine. Kein Halm Gras war dort für die Tiere. Ich ruhte, indem ich meinen langen dünnen Leib wie eine Schlange um einen großen Stein schlang und auf diesen mein Haupt legte, auf einem Unterbett freundlicher kleiner Steine. Neben mir stand Otto gesattelt und gezäumt und schnupperte an meinem Brotbeutel, aus dem ich ihm noch ein paar Händevoll Reis geben konnte. Eigentlich war das ja meine Ration, aber welcher gute Reitersmann kann sein Tier hungern sehen! Gesprochen durfte nicht werden, geraucht auch nicht. Um fünf Uhr morgens lief der geflüsterte Befehl »Weitermarsch!« durch die Reihen. Das Gelände wurde bald besser, wir konnten aufsitzen. Als wir in der Morgendämmerung durch einen leichten Akazienbusch ritten, ließ Unteroffizier Thiele von der Spitze melden: »Stationsgebäude siebenhundert Meter vor uns.« Zum Telegraphendrahtschneiden und Sprengen war es leider nun zu spät geworden, aber unsanft aufwecken wollten wir den bösen Feind doch. Zwischen dem Akazienwäldchen und der hochliegenden, befestigten Bahnstation lag eine offene Talmulde. Im Akazienhain, also noch außer Sicht von der Station, entwickelte sich die Kompanie. »Halt! Absitzen! Pferdehalter! Schützen vor! Schwärmen! Marsch!« – alle Kommandos wurden leise gegeben und weitergegeben. Jetzt war keiner mehr müde oder durstig. Als Wachtmeister mußte ich bei den Tieren bleiben. Ich nahm sie weiter in den Wald zurück, deckte Rücken und beide Flanken durch ausgeschobene Posten und ritt dann selbst wieder vor an den Buschrand, wo ich das kommende Gefecht fein übersehen konnte. Noch krochen unsere Schützen schweigend näher an die Station heran. Da zeigte sich unten in der Talmulde, nahe der Station, eine feindliche Patrouille, Reiter und Fußvolk. Gesehen hatten sie uns nicht. Sie rückten anscheinend wie jeden Morgen aus, um die Bahn abzupatrouillieren. Die Leute plauderten harmlos und rauchten Zigaretten. Nicht lange! Zwei Züge unserer Kompanie nahmen sie unter Feuer, der dritte Zug feuerte in die Zelte, die neben dem Stationsgebäude aufgebaut standen. Die Wirkung war groß, wie die jedes überraschenden Angriffs. Was von der feindlichen Patrouille beritten gewesen war, war bald unberitten, und ich konnte beobachten, in welcher Konfusion die Herren Engländer in Schlafanzügen aus ihren Zelten stürzten, zurückliefen, Gewehre und Munition holten, um endlich einen Schützengraben hinter dem Bahndamm zu besetzen. Soviel ich mit meinem Feldglas sehen konnte, war die Station von Engländern und Indern besetzt und ihre Gesamtstärke zwei- bis dreihundert Mann. Bald bekamen wir auch Antwortfeuer. Wo unsere Schützen lagen, schien der Feind nicht sofort erkannt zu haben, oder er schoß aus Versehen zu hoch. Unsere Schützen lagen etwa dreißig Meter tiefer als die Stelle, wo ich hielt, hundert bis hundertfünfzig Meter vor mir, aber die feindlichen Kugeln gingen noch über meinen Kopf weg. Auf den Akazienbusch hatte der Feind es jedenfalls abgesehen; denn jetzt fing er auch an, sich hinter dem Bahndamm, unsere Stellung flankierend, zu entwickeln, und der Einschlag in den Akazienhain wurde so bedenklich, daß ich mir bereits vornahm, für unsere Tiere eine andere Deckung zu suchen. Da kam, nach halbstündigem Gefecht, das Trompetensignal: Sammeln! Die Schützen kehrten zögernd, die Askari nur unter Androhung von Hieben und nach vielem Geblase zu den Tieren zurück. Unsere Askari, von Deutschen geführt, gehen ran wie Blücher, und dann beißen sie sich förmlich fest. Sich von einem Gefechtsfeld zu trennen, fällt ihnen schwer. Die befestigte Stellung des Feindes, die durch mindestens vierfache Übermacht besetzt war, zu stürmen, hatte nie in unserer Absicht gelegen. Wir wollten den Feind wecken, und das war überraschend gut gelungen. Dieses Wecken vom 21. Juni 1915 zu Kambi ya nyuki war unsere Antwort auf das feindliche Wecken am Ingito. Der Feind hatte fünf Tote – Enthusiasten wollen sogar fünfzehn gezählt haben – und jedenfalls viele Verwundete. Mehrere Reittiere hatten wir ihm auch abgeknallt. Unser Überfall war weit glänzender gelungen als wir erwarten durften; denn daß wir eine feindliche Patrouille im Offenen erwischen würden, hatte niemand zu hoffen gewagt. Das Schönste war, daß wir keinerlei Verluste hatten. Da der Telegraphendraht nicht abgeschnitten worden war, durften wir annehmen, daß Züge mit Verstärkung für den Feind bereits heranrollten. Es hat keinen Sinn, eine gute runde Sache zuspitzen zu wollen. Also: »Aufsitzen! Kehrt marsch! Schritt! – – Trab! – – Galopp!« Erst mal raus aus dem Kugelregen, der immer noch in den Akazienhain einschlug! Unsere Stimmung war ausgelassen fröhlich, wie von Schulbuben nach einem gelungenen Streich. Erst ganz allmählich dämpfte sie wieder ab. Wo würde sich die Besatzung des englischen Bezillagers, die bereits die Nachricht von unserm Überfall haben mußte, uns vorbauen? Der Leser darf nicht vergessen, daß sich die Berittene 9. Schützenkompanie um diese Zeit fünf schwere Tagemärsche vor ihrer und weit hinter der feindlichen Basis befand. Der Feind brauchte nur an unserer Rückzugslinie einige Wasserstellen zu besetzen, dann kamen wir schwer in Druck. Obwohl wir eine Verfolgung von Kambi ya nyuki her nicht für wahrscheinlich hielten, denn die Männer dort konnten sich unser Erscheinen doch nur als Vorhut einer starken Abteilung erklären und nicht ahnen, daß wir ohne jeglichen Rückhalt in der Weltgeschichte schwebten, ritten wir doch anfangs, um weniger in Sicht zu sein, im Bett der Koongo, die uns über Nacht so viele Mühe gemacht hatten. Für zwei Stunden ging es abwechselnd Trab und Galopp. Der brüchige, hartgebackene Sandboden im Bett der Koongo war nichts für ungeschickte Reiter. Die Askari stürzten vom und mit dem Tier öfter, als mir angenehm war. Bei mir stellte sich der Hunger ein. Ich öffnete eine Büchse Sardinen und labte mich an ihrem Inhalt. An Durst war es besser gar nicht zu denken. Eine Zeitlang ritt der Gefreite Fechter neben mir. Vor dem Kriege war er Angestellter der Nashornapotheke in Aruscha gewesen. Neulich, auf Feldwache am Naudéwasser, hatte er zum erstenmal in seinem Leben ein Nashorn gesehen und mit Klamotten nach ihm geschmissen. Da er klein von Statur war, wurde er in der Kompanie seit jenem Abenteuer und mit Berücksichtigung seiner früheren Tätigkeit in der Nashornapotheke »das kleine Nashorn« genannt. Am Tage nach Kaisers Geburtstag hatten die Engländer auch Fechters Posten am Nagasseni heimgesucht, und während er die Engländer im hohen Schilf des Nagassenisumpfes suchte, hatten diese ihn gesucht und seinen Zypernesel gefunden. Die Engländer nahmen den Esel mit und hinterließen einen Zettel, auf dem sie sich höflichst für den Esel bedankten. Hierüber hatte sich das kleine Nashorn schmählich geärgert und blutige Rache geschworen. Heute sei ihm, erzählte mir Fechter, seine Rache zur Hälfte wenigstens geglückt. Ein schönes englisches Maultier, das während des Gefechts reiterlos umhergeirrt sei, habe ihn so lange beschäftigt, bis er es umgelegt. Leider habe er aber den Zettel mit dem Gruß an die Engländer, den er schon seit Wochen in der Tasche trage, nicht zum toten Maultier hintragen können. Sein Gruppenführer habe ihn mit Gewalt zurückgehalten und ihn mit fortgerissen, als »Sammeln« geblasen worden sei. Als wir fünf Stunden gen Süden geritten waren und es Mittag wurde, suchten wir den spärlichen Schatten vereinzelter Flötenakazien auf. Mit der Bezeichnung »Flötenakazie« hat es folgende Bewandtnis: Eine Wespe bohrt in der Saftzeit der Bäume die jungen grünen Dornen der Akazie an und legt ihre Eier hinein. Der Dorn erweitert sich sackförmig bis zur Größe eines Hühnereis. Dieser Sack, dessen Inhalt den aus den Eiern schlüpfenden Maden zur ersten Nahrung dient und der unter dem jetzt verkrüppelten Dorn hängt, stirbt in der Trockenzeit ab. Wenn die Wespenmaden den Inhalt ihres Hauses aufgefressen haben, verlassen sie es durch das jetzt erweiterte Bohrloch, und Ameisen ziehen in die hohlen Säcke ein. Auf dem erweiterten Bohrloch flötet der Wind wie die Knaben auf einem Schlüssel. Da sowohl die Säcke wie die Bohrlöcher verschiedener Größe sind, entstehen die verschiedensten Töne. Das Ganze ist ein melodisches, aber unheimliches Konzert. Die in Frage kommende Ameise hält sich nur in Gegenden geringer Niederschlagsmengen auf. Wo die Akazien flöten, suchst du also vergebens nach Wasser. Wir sattelten ab und ruhten. Wer noch was zu essen hatte, aß. Abkochen konnten wir natürlich nicht. Zu trinken hatte keiner mehr. Die Tiere waren viel zu müde und vor allem viel zu durstig, um die paar trockenen Grashalme, die hier standen, zu suchen. Otto verschmähte sogar eine Handvoll Reis. An Wasser mußten wir unbedingt heute noch kommen, sonst versagten unsere Tiere. Das nächste uns bekannte Wasser war das Löwenwasser. Daß die englischen Truppen des Bezillagers unsere rückwärtigen Wasserstellen oder doch einige derselben jetzt besetzt haben würden, nahmen wir als ganz selbstverständlich an. Vielleicht kannten sie aber das versteckt gelegene Löwenwasser noch nicht. Es war reine Glückssache. Mit schweren Gedanken lag ich, von Durst gequält, unter den flötenden Akazien – in Fiebertraumgedanken, die einen bei hellichtem Tage gruseln machen: »Die Tiere versagen, wir müssen sie zurücklassen. Ob wir ihr Blut abzapfen und trinken? Ich glaube, ja. Auch die Feldflaschen werden wir uns mit Blut füllen, wenn es nicht bereits zu dickflüssig ist. Dann weiter zu Fuß. Ob Blut den Durst stillt? Ich glaube, nein. Unser eigenes Blut wird nur noch dickflüssiger werden. – Ob Ordnung in der Kolonne zu halten sein wird? Eine Weile sicher. Später sicher nicht mehr. Strafen, Todesstrafen erschrecken niemanden mehr. Päng! – der beste Beweis ist gegeben, einer hat sich bereits selbst erschossen. Er hatte sein Gewehr noch, die meisten haben es bereits weggeworfen. Wie viele sind wir noch? Mühsam hebe ich die schwer verstaubten Augenlider. Eine lange Reihe strauchelnder Gestalten wandert vor mir im Staub. Die Sonne blendet mich, zählen kann ich nicht mehr. Da sinkt wieder einer hin. Ich spreche zu ihm mit belegter Stimme, die mir selber fremd erscheint. Er hört und antwortet nicht. Ich stolpere weiter mit bleischweren Knien. Da wird mir schwarz vor den Augen. Die Sinne vergehen mir. – Ich komme zu mir. Es ist Nacht. Die Sterne leuchten über mir, die Akazien flöten traurig, meine Augen brennen. Hui! Was ist das an meinen Beinen? Ein Kamerad? Mit Mühe richte ich mich halb auf. Ich will schreien, aber bringe keinen Ton heraus. Wo ich hinschaue, funkeln mich feurige Kohlen an, und lange Leiber kriechen um mich her. Hyänen greifen mich an, kaum können sie noch warten. Den Aasgeruch haben sie schon mitgebracht. Ich quäle mir den Browning aus der Tasche, entsichere und feuere auf sie. Heulend fliehen die Hyänen, und Ruhe umgibt mich. Wie lange? Ich kenne die Zeit nicht mehr. Ich taste nach meinem Karabiner und finde ihn nicht. Ob die Hyänen ihn verschleppt, um den Karabinerriemen zu fressen? Ob ich ihn verloren oder weggeworfen? Ich weiß nichts mehr. – Da sind sie wieder, die Hyänen. Päng! Jetzt habe ich noch sieben Schuß im Rahmen meines Browning. Die letzten drei Patronen sind für mich bestimmt – ich muß mit Versagern rechnen bei diesem Spielzeug. Kaum daß ich noch den Arm zu meinem im Sande gebetteten Haupt und die Mündung des Browning an meine Schläfe bringe. Ein kurzes Stoßgebet: ›Laß es kein Fehlschuß sein, o Gott.‹ Endlich Vergessenheit.« – – Lieber, als solche Gedanken zur Musik der Flötenakazien, die Gewißheit – auch wenn ein paar Kugeln pfeifen sollten! Lieber einen fröhlichen Reitertod! »Satteln! Aufsitzen! Marschrichtung: Löwenwasser!« Galopp und Trab zu reiten, hatten wir längst aufgeben müssen – kaum ein ordentlicher Schritt war noch aus den Tieren herauszukriegen. Sie krochen dahin. Da – gegen fünf Uhr fingen die Maultiere, in dieser Beziehung (wie überhaupt) viel klüger als Pferde, an, Wasser zu wittern. Sie spitzten wieder ihre Ohren, ihre Sehnen strafften sich, sie fingen an auszuschreiten, gingen selbständig in Trab über und brachen endlich in einen Galopp aus, den kein Reiter zügeln konnte. Die Spitze hatte Mühe, vorweg zu kommen, und unsere Packtiere, die auf dem Marsch nicht geführt wurden, sondern auf eigene Faust einherliefen, ohne sich je weit von der Kompanie zu entfernen, sausten voraus. Die Pferde wurden endlich auch von den Maultieren angesteckt, und um sechs Uhr abends, nachdem die Tiere achtundzwanzig Stunden ohne Wasser auf dem Marsch gewesen waren, brauste die ganze Berittene Neunte im rasenden Galopp zum Löwenwasser heran, das – Gott sei Dank! – nicht besetzt war. So, nun war vorläufig alles gut. Über das Heute hinaus soll ein Soldat im Kriege nicht denken. Nur die armen Menschen, die diese Nacht, nach dem Marsch von achtundzwanzig Stunden einschließlich Gefecht, auf Feldwache ziehen mußten, taten mir leid. Ich bin zweimal aufgestanden, mir die Feldwache anzusehen. Der Wachhabende, Unteroffzier Thiele, pendelte ständig zwischen seinen Askariposten hin und her und unterhielt sich mit ihnen. Er behauptete, wenn er sich hinsetzte, schliefe er sofort ein, um nie wieder aufzuwachen, und wenn er die Askari nicht unterhalte und Antworten von ihnen verlange, schliefen sie ihm im Stehen ein. Von dieser Patrouille ist nicht mehr viel zu berichten. Das Eleleschowasser berührten wir auf dem Rückmarsch nicht, auch nicht das am falschen Narok. Wir hielten uns östlich von beiden, legten zwei Tagemärsche in einen, ritten durch paradiesische Täler der Matumbatuberge und erreichten um sieben Uhr abends nach vierzehnstündigem Marsch das Naudéwasser. Gegen Mittag, als wir in einem Tal der Matumbatuberge am Ufer eines starken Baches in hohem, saftigem Grase absattelten, um abzukochen, gab es noch eine kleine Aufregung. »An die Gewehre! Feind rückwärts!« Richtig, da tauchten in unserer Spur einzelne Reiter auf. Die Schützen besetzten den Bachrand – glücklicherweise wurde erst beobachtet, ehe geschossen wurde. Die Reiter waren Unteroffizier Fokken mit der Nachspitze. Wie man nur vergessen konnte, daß die Nachspitze noch hinter uns war?! Überanstrengung muß doch wohl den Geist stumpf machen. Vom Naudéwasser brachte uns ein kleiner Tagemarsch zurück zum Longido, zu unsern Boys, zur Badegelegenheit, zur reinen Wäsche und zum guten Essen und Trinken. Die Tiere hatten bereits am Naudéwasser wieder Kraftfutter erhalten, das wir dort auf dem Hinmarsch versteckt hatten. Im Longido wurde der nächste Tag geruht. Am übernächsten Tage zogen wir mit Staub und Ruhm bedeckt im Doppelberglager wieder ein. Hauptmann Fischer, unser Abteilungsführer, dem der glückliche Verlauf der Patrouille schon vom Longido aus telephonisch gemeldet worden war, ritt uns entgegen und nahm schmunzelnd die Parade der heimkehrenden Krieger ab. Am Abend war großes Karama [Festessen] in der Offiziersmesse, bei dem auch das Ziel erreicht wurde – jedenfalls hatte ich vierundzwanzig Stunden später noch Haarweh. Ausbildung im Garnisondienst Im Feldlager auf dem Doppelberg gab es außer der altgewohnten Arbeit auch allerhand Neues. Die Buren wurden von der Berittenen Achten zu uns zurückversetzt, und der Abteilungsarzt, Oberarzt Klemm, vergnügte sich damit, uns allen einen leichten Typhusanfall einzuimpfen; er begleitete jede Einspritzung mit einem teuflischen Grinsen, obwohl er eigentlich ein ganz lieber Mensch war. Karl Blaich baute natürlich wieder. Das Lager war bereits neun Zehntel fertig. Das war sehr fatal; denn nun mußte es notwendigerweise aus strategischen Gründen verlegt werden. Wir schimpften alle, vom jüngsten Rekruten bis zum ältesten Offizier. Der Soldat schimpft gern mal, das gilt als sein gutes Recht. Am meisten schimpft er aber, wenn er zurück soll und nicht versteht, warum; Rückzugsbewegungen aus strategischen Gründen, mögen diese noch so berechtigt sein, liegen dem Soldaten nicht. Aller Ärger half aber nichts, packen mußten wir doch. Am 5. Juli 1915 war das Lager abgebrochen, nur seine äußere Schale blieb stehen, und die Kompanie trat mit ihrem ganzen Troß die strategische Rückwärtsbewegung an. Wir lagerten einige Tage vor dem Posten Kamfontein am Nordwesthange des Meru, während oberhalb des Postens am Urwaldrande ein Platz für das Kompanielager frei geschlagen wurde. Benannt wurde dieses neue Kompanielager nach einem in der Steppe vorgelagerten Berge das Lager am Oldonjo Sambu. Karl Blaich baute mit nie rastendem Eifer ein neues Lager von Graspalästen, noch viel schöner als das am Doppelberg. Wir wohnten hier etwa zweitausend Meter über dem Meeresspiegel. Nachts und bis elf Uhr vormittags war dort eine Hundekälte. Die Schützen trugen fast den ganzen Tag ihre Indermäntel, so genannt, weil sie nach der Schlacht von Tanga den gefallenen Indern abgenommen, chemisch gereinigt und an die Europäer verkauft worden waren. In den kalten Hochsteppen, wo wir operierten, waren diese Mäntel eine reine Gottesgabe. Im Feldwebelbüro ließ ich mir sogar einen Ofen bauen – ein eisernes Zementfaß wurde mit vielen kleinen Löchern versehen und Holzkohle darin gebrannt. [Illustration] So hätte es auch im neuen Lager eigentlich ganz behaglich werden können, wenn nicht plötzlich ein neuer Befehl eingetroffen wäre, des Inhalts: Die Kompanie ist im Garnisondienst besser auszubilden! – irgend jemand mußte dem Abteilungsführer schwer aufgefallen sein. Also, nun nach einjähriger Kriegszeit mußten auch die schon bejahrten Kriegsfreiwilligen, die größtenteils schon wegen besonderer Tapferkeit Gefreiter und Unteroffzier geworden waren, noch wie Rekruten ausgebildet werden. Die alten, zum Teil recht alten, ungedienten Krieger konnten einem leid tun. Sie hatten gewiß nicht beabsichtigt, eine Mißachtung des Vorgesetzten zu bekunden, wenn sie im Stehen mit der Hand an der Mütze grüßten. Im Felde und am Feind waren sie die Bravsten der Braven, und schießen konnten die alten Jäger, daß es eine Lust war. Jetzt wurden ihnen Kriegsartikel vorgelesen. Die alten ungedienten Afrikaner haben gestaunt, was es für eine Masse militärischer Vergehen und Verbrechen gibt, auf die sie von sich aus sicher nie gekommen wären. Ihre Ruhe ließen sie sich aber nicht nehmen. Jeder alte Kolonist, gewohnt, sich seinen Weg selbst zu erkämpfen, hat eine eiserne Ruhe und ein hartes Pflichtgefühl. Unsere jungen, zum Teil blutjungen Rekruten wurden blaß vor Schreck. Ihnen hatte ich ja freilich schon öfters in väterlicher Weise vorgehalten, daß es beim Militär nicht üblich sei, auf den Befehl eines Unteroffiziers zu antworten: »Du Armloch, du kannst mir sonst was.« Ausgeführt hatten sie ja trotzdem auch früher den Befehl des Unteroffziers – jetzt durften sie sich aber nicht mal mehr in Worten erleichtern. Die gedienten Leute sahen ja recht wohl ein, daß der Garnisondienst auch zur Ausbildung eines guten Soldaten gehöre. Allgemein bedauert wurde nur, daß niemand in den ersten Monaten des Krieges auf den Gedanken gekommen war, die ungedienten Leute hinter der Front zusammenzuziehen und methodisch auszubilden. An andern Fronten war das, glaube ich, gemacht worden. Im stillen, dunklen Urwalde des Meru wurde eine Schneise geschlagen, so weit entfernt vom Lager, daß die Askari und Träger von der Ausbildung der Europäer weder was sehen noch hören konnten. Hier wurden das Vorbeigehen in strammer Haltung, das Grüßen durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung und viele andere militärische Sitten und Gebräuche fleißig geübt. Leutnant Freund instruierte die ungediente Mannschaft, ich repetierte mit der alten gedienten. Botha und von Richthofen, die beide nur mit einem Bein vorschriftsmäßig marschieren konnten, weil das andere verletzt war – Botha hinterließ im Sand eine Fährte wie von zwei linken Füßen, die den Feind oft in Staunen gesetzt haben mag –, ersetzten die stramme Haltung durch ihren Eifer. Maushake, dem die Sehnen beider Oberschenkel durchgeschossen waren, brachte das »Leicht-Vornüberliegen« mit dem besten Willen nicht mehr fertig. Unteroffizier Dornier, der ~Chasseur alpin~ gewesen war, zeigte uns in den Instruktionspausen, wie man bei den Franzosen »Gewehr über« mache: er schlug mit dem rechten Fuß an den Gewehrkolben, das Gewehr überschlug sich ein paarmal in der Luft und lag dann auf der rechten Schulter – das reine Taschenspielerkunststück. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, daß Dornier uns nur veräppelte. Als Fliegerersatz über dem englischen Bezillager Schon seit einiger Zeit hatte unsere Kompanie, abwechselnd mit dem Konkurrenzunternehmen, das jetzt nach Geraragua, am Urwaldrande des Kilimandscharo, zurückverlegt war, Patrouillen zum englischen Bezillager zu reiten. Das Bezillager, an dem ich den Leser auf unserm Marsch zur Magadbahn westlich vorbeigeführt habe, war das Hauptkonzentrationslager der englischen Truppen gegenüber unserer Front. Von hier aus mußte an unserer Front die große englische Offensive – der Hunderttausend-Tonnen-Hammer, mit dem der Feind schon lange gedroht hatte – ihren Ausgang nehmen, und darum war es höchst wichtig für unser Kommando, ständig informiert zu sein, was im Bezillager vor sich ging. Da wir keine Flieger hatten, war dies eine Aufgabe der Kavallerie. Alle Patrouillen dorthin waren Schleichpatrouillen; den Auftrag, das große Bezillager anzugreifen, hatten sie natürlich nicht. Nur so stark sollten sie sein, daß sie es unterwegs eventuell mit einer englischen Patrouille aufnehmen konnten. Am 1. August 1915 war unsere Kompanie wieder dran gewesen, die Bezilpatrouille zu stellen. Der Führer der Patrouille war Oberleutnant Trappe, mit ihm waren die Unteroffiziere Thiele und Müller, die Gefreiten Roth, Becker und Apel, der Bur Alwin Botha und vier berittene Askari. Thiele war schon am Bezillager gewesen, Roth und Botha, uns bereits durch den früher beschriebenen Reittierraid bekannt, waren beide erstklassige Porileute – unvorsichtig zusammengestellt war die Patrouillenmannschaft also nicht. Und doch war die Sache schief gegangen. Die Patrouille war die Nacht durchgeritten. Als sie am nächsten Morgen am Wasser des Schwarzen Steins, am Südwestabhange des Longidogebirges, hatte tränken und abkochen wollen, stand sie unvermutet dem Feinde in einer Stärke von hundertfünfzig Gewehren und zwei Maschinengewehren gegenüber. Nur Unteroffzier Thiele, Botha und zwei Askari waren zum Kompanielager zurückgekehrt, auch sie ohne ihre Reittiere – für Alwin Botha eine staunenswerte Leistung, da er nur ein felddienstfähiges Bein besaß; von dem andern hatte er sich mal beim Gewehrreinigen die ganze Wade weggeschossen. Alle andern, die fünf Europäer und zwei Askari, galten seitdem als vermißt – ein herber Verlust für die Kompanie, der erste größere seit dem Gefecht am Ingito. Als keine Hoffnung mehr bestand, daß der eine oder andere der Vermißten noch eintreffen könne, rückte die ganze Kompanie aus, um festzustellen, ob das Wasser noch besetzt sei, und um andernfalls das Gefechtsfeld abzusuchen. Vom Schwarzen Stein sollte dann gleich eine neue Bezilpatrouille, zu der ich mich freiwillig meldete, weiterreiten. Am Tage vor unserm Abmarsch war Frau Trappe im Kompanielager eingetroffen. Sie bestand hartnäckig darauf, den Ritt zum Schwarzen Stein mitzumachen, und drohte ernstlich damit, allein hinreiten zu wollen, wenn ihr die Erlaubnis mitzureiten verweigert würde – sie wollte sich Gewißheit verschaffen über das Schicksal ihres Mannes. Frau Trappe kam hoch zu Roß bei uns an, den Karabiner im Gewehrschuh, Packtaschen am Sattel, ganz wie einer von uns. Wir wußten, daß sie reiten konnte wie wenige, Furcht nicht kannte und gewohnt war, allein auf Löwen oder Nashorn zu jagen. Aber trotz der hellen Bewunderung, die wir alle dem Mut und der Entschlossenheit dieser Farmersfrau zollen mußten, verursachte es uns doch ein ungemütliches Gefühl, sie mit uns zu wissen; denn der Feind würde die in Khaki gekleidete Frau kaum von einem Soldaten unterscheiden können. Nur mit Mühe hatten wir sie überreden können, wenigstens ihren Karabiner im Lager zurückzulassen. Unsere Sorge war überflüssig gewesen. Wir fanden das Wasser am Schwarzen Stein vom Feinde bereits wieder geräumt. Ausgeschwärmt suchte die Kompanie nun das Gefechtsfeld genau ab. Wir fanden die Knochen von einigen unserer Reittiere – Hyänen, Schakale und Aasgeier hatten sie längst kahl gefressen –, die Lanzen der beiden Bengallancers, die Thiele umgelegt hatte, und – eine leere Whiskyflasche mit dem Namen »Apel«, mit Bleistift auf das Etikett geschrieben. Gräber fanden wir nicht. Also konnte keiner, weder Freund noch Feind, so schwer verwundet gewesen sein, daß er nicht mehr transportfähig gewesen wäre. Im Gefangenenlager zu Ahmednagar traf ich später die vermißten Europäer zu meiner Freude alle wohlbehalten wieder; Müller hatte sogar seine Hornbrille noch. Die Bezilpatrouillen hatten schon immer als gewagte Unternehmen gegolten. Nun, nachdem sie der Achten einmal einen Askari und einundzwanzig Reittiere und jetzt uns fünf Europäer, zwei Askari und elf Reittiere gekostet hatten, galten sie für gefahrvoller denn je. So, wie die Neunte geartet war, gehörte es folglich zum guten Ton, eine Bezilpatrouille mitgeritten zu haben. Die Bezilpatrouille, die am Sonntag, dem 7. August, mittags vom Schwarzen Stein weiterritt, war zehn Europäer und zehn Askari stark. Ihre Führung hatte Leutnant Freund, ein früher in Deutschland aktiver Offizier, der kurz vor dem Kriege aus Deutsch-Südwest- nach Deutsch-Ostafrika gekommen war mit der Absicht, sich dort als Farmer niederzulassen. Mit ihm zogen meine Wenigkeit, Trommershausen, Mittag, Stein, Schmid, Karl Blaich, Fokken, Hans Kaufmann und – als einziger dem Leser noch nicht Bekannter – der Unteroffizier Zierold, den das frühere Patrouillenkorps Büchsel mit in den Kompanieverband eingebracht hatte, ein junger, lustiger, bei allen Kameraden beliebter Mensch. Wir ritten den ganzen Nachmittag quer durch die Steppe in der Richtung zum Namangasumpf, der, vom gleichnamigen Fluß gebildet, kurz jenseits der Grenze südöstlich vom Erok liegt. Leider erreichten wir ihn erst nach Dunkelwerden, und leider stand Mondschein nicht im Kalender. Es gibt verschiedene Stellen, an denen man den Sumpf leicht durchschreiten kann, aber im Dunklen fanden wir sie nicht. Wir versuchten, durch das Schilf durchzudringen. Das Schilf ist dort zwei bis drei Meter hoch und so stark und dicht, daß wir es ein Stück erklettern mußten, um es durch unser Körpergewicht umzuknicken. Schwitzend, schimpfend und von Moskitos arg gequält, drangen wir in diesen Schilfwald ein, um, als nach einstündiger harter Arbeit das Schilf dünner wurde und endlich in Steppenland überging, die Entdeckung zu machen, daß wir auf derselben Seite, von der aus wir eingedrungen, auch wieder herausgekommen waren. (Wer einstens diesen Sumpf drainiert und beackert, wird der reichste Farmer in Ostafrika werden.) Nach einem nochmaligen Versuch, uns einen Weg durch das Schilf zu bahnen, gaben wir es auf und ritten östlich, dann südöstlich am Sumpf entlang, bis wir uns einbildeten, daß er schmäler würde und die Moskitos weniger. Dann lagerten wir für den Rest der Nacht. Glück muß der Soldat haben. Am nächsten Morgen fanden wir, daß wir auf einer Steppeninsel des unteren Namangaflusses gelagert hatten, daß das Schilf tatsächlich dort nur dünn und der Sumpf leicht passierbar war – wir merkten uns diese Stelle und den Lagerplatz für den Rückweg vor. Wir ritten nun durch das alte, jetzt verlassene Low-Hills-Lager der Engländer, ließen deren Kidongoilager am Erok links liegen und hielten den ganzen Tag, ohne seit dem Namanga wieder auf Wasser zu stoßen, in nördlicher Richtung auf das Elmobarashagebirge zu, nordwestlich von dem das Bezillager liegen sollte. Ich sage »sollte«, denn keiner von uns allen war bisher je dort gewesen. Solange es Tag war, ritten wir nach der Karte immer querfeldein durch Steppe und Busch. Als es Nacht geworden war, ritten wir nach den Sternen – Sternkunde muß unbedingt unter die Instruktionsthemata ostafrikanischer Porisoldaten aufgenommen werden. Als die Sterne durch Wolken verschleiert waren, ritten wir auf gut Glück und nach einem Taschenkompaß. So ein Ding für die Uhrkette, wir kennen es alle, 3,60 Mark das Dutzend – wer sich darauf verläßt, ist verraten und verkauft. Berge gab es genug in der Gegend. »Der springende Punkt« war, den richtigen Berg noch in der Nacht zu finden. Nur von ihm aus konnte man in das englische Lager einsehen, und nach Tagesgrauen durften wir hier in der blanken Steppe, in der Nähe der großen englischen Etappenstraße und des Bezillagers, nicht mehr gesehen werden. Berge, die vor Sonnenuntergang schon ganz nahe vor uns zu liegen schienen, wollten in der Nacht nicht näherkommen. Berge, die uns bei Tage aus der Entfernung hoch vorgekommen waren, waren jetzt plötzlich ganz niedrig. Es war zum Verzweifeln. Unter dem Schirm eines Indermantels, auf dem Boden liegend, wurde beim Streichholzschein die ausgebreitete Karte studiert, um festzustellen, wo wir hingeraten sein mochten. Viel kam dabei nicht heraus, höchstens, daß es jetzt zehn verschiedene Meinungen gab anstatt fünf, wie vorher. Nach stundenlangem Wursteln kamen wir an was Gebirgiges. Wenn dies das Elmobarashagebirge sein sollte, dann war es ein Betrug. Das war ja höchstens ein Hügel. Da wir aber achtzehn Stunden auf dem Marsch und alle hundemüde waren, beschlossen wir einstimmig, daß dieser scheinbare Hügel das Elmobarashagebirge sein müsse. Wir ritten noch ein Stück hinein, sattelten in einem flachen Koongo ab und pennten. Einstimmigkeit soll man gelten lassen. Als wir uns bei Morgengrauen umschauten, waren wir richtig im Elmobarashagebirge. Wir hatten in der Nacht nicht gemerkt, daß wir bereits lange Zeit sanft bergan geritten waren. Der Hügel, der uns als ein Betrug erschienen war, sollte uns noch viel Gelegenheit zum Klettern geben. Vor allen Dingen mußten wir fix da weg, wo wir gelagert hatten. Wir standen dort wie auf dem Präsentierteller, von überall aus der Steppe sichtbar. Kaum hatten wir dies mit Schrecken bemerkt und festgestellt, daß wir von Osten, unweit von einem feindlichen Posten, in das Gebirge eingedrungen waren, als ein dichter Nebel uns freundlichst einhüllte. Unter seinem Schutz kletterten wir höher in das Gebirge hinein. Wir trafen auf eine Massaiviehtränke, aus der wir tränkten und unsere Feldflaschen neu füllten. Frischer Dung verriet, daß Massai hier täglich verkehrten. Wir durften also da nicht bleiben, wollten wir nicht gemeldet werden. Wir kletterten mit unsern Tieren noch höher ins Gebirge hinein, bis wir einen von der Steppe her gegen Sicht gedeckten schönen Weideplatz fanden. Hier wurde abgesattelt. An der Nordwestecke des Gebirges gab es, wie wir aus den Patrouilleberichten wußten, einen Punkt – aber auch nur diesen einen! –, von dem man wie aus der Vogelperspektive in das Bezillager hineinsehen konnte. Die Engländer unterhielten verschiedene Posten im Elmobarashagebirge, aber diese eine Stelle haben sie merkwürdigerweise nie besetzt. Leutnant Freund machte sich mit zwei Europäern zu Fuß auf den Weg, um diesen Aussichtspunkt zu suchen, in der Hoffnung, daß sich der Nebel, der uns am Morgen günstig gewesen war, gegen Mittag verziehen werde. Wieder hatten wir das Glück auf unserer Seite – der Nebel tat uns den Gefallen und verzog sich. Sonst hätten wir solange im Gebirge bleiben müssen, bis ein nebelfreier Tag gekommen wäre. Das Elmobarashagebirge hat von Norden nach Süden drei oder vier parallellaufende Kämme, die Freund und seine Gefährten alle überklettern mußten. Erst gegen vier Uhr nachmittags kamen sie todmüde, aber mit einer genauen Skizze des Bezillagers in der Tasche, zu den Tieren zurück. Um fünf Uhr sattelten wir und führten auf einem Nashornwechsel, durch Busch gedeckt, zurück an den Waldrand im Nordosten des Gebirges. Erst nach Dunkelwerden brachen wir aus der Deckung heraus in die offene Steppe, in der Nacht und Tag feindliche Patrouillen das Elmobarashagebirge umritten; sobald wir durch diesen Patrouillengürtel zum zweitenmal glücklich durch waren, war unsere Aufgabe in der Hauptsache gelöst. Abwechselnd im Trab und Galopp durchritten wir schnell und ungehindert die gefahrvolle Zone. Karl Blaich führte. Auf seinem langbeinigen Bruno, einem Halbblutaraberwallach, trabend, gab er ein mächtiges Tempo an, so daß die Maultiere in der Kolonne fast ständig galoppieren mußten, um mitzukommen. So ein echter Poriführer, der seine Sache gut machen will, hat seine üblichen fünf Sinne und als sechsten seinen Poriinstinkt mächtig zusammenzuhalten. Es genügt nicht, daß er die richtige Marschrichtung innehält, er soll auch nachts in einem ihm gänzlich unbekannten Gelände, ohne Weg und Steg, stets da führen, wo das Gehen den Tieren am leichtesten wird; er soll Schluchten und undurchdringlichen Busch, wulstiges Gras, torfigen, brüchigen oder steinigen Boden, kurz alle Marschhindernisse instinktiv vermeiden, ohne dabei eine Sekunde zu zaudern oder unnötig große Umwege zu reiten. Die Fähigkeiten hierzu müssen angeboren sein – anerziehen lassen sie sich nur bis zu einem gewissen Grade. Unsere besten Poriführer, geborene Führer, waren unter den Buren: Piet Nievenhuizen, Louis van Rooyen und, wenn er aufpaßte, Alwin Botha, bei den Deutschen: Thiele, Karl Blaich und Max Truppel. Wir hatten genug Leute in der Kompanie, die sich vor dem Kriege auf Jagd und dann im Kriege durch Übung eine ganz brave Pori-Kenntnis angeeignet hatten, aber den Genannten konnten wir alle nicht das Wasser reichen. Unter Karl Blaichs Führung waren wir flott vorausgekommen. Zwölf Uhr nachts sattelten wir irgendwo in Gottes schöner, freier Natur ab und schliefen vier Stunden. Dann ging es weiter, ein Stück Weges begleitet von einigen Löwen, zurück zu der Steppeninsel im unteren Namangasumpf. Hier kochten wir zum erstenmal ab, seitdem wir das Kompanielager verlassen hatten. Bis dahin hatten wir uns nicht getraut, Feuer zu machen. Schmeckte der »Blaue Heinrich« diesmal aber fein! Nachmittags ritten wir quer durch die Steppe, die zwischen dem Kilimandscharo und Longido liegt, gerade auf die Ngasseraibuga los. Nach Sonnenuntergang wurde es grausam kalt. Es pfiff ein solch eisiger Wind, daß mir die Zügelhand ganz klamm wurde. Und dabei war ich so müde, daß ich im Reiten einschlief und immer dann erst wieder aufwachte, wenn ich beinahe unten lag. Ein Wunder war es eigentlich nicht, daß wir müde waren. Wir hatten in den letzten hundertzwanzig Stunden nur zwanzig Stunden geschlafen. Gegen ein Uhr nachts waren wir in der Ngasseraibuga. Wir sattelten ab und hauten uns hin, aber die Kälte und die Löwen, die ständig unsere Tiere beunruhigten, ließen uns auch dort die richtige Ruhe nicht finden. Am nächsten Tage machten wir am Engare Nanyuki einen halben Ruhetag. Stein hatte ein Stück Wild geschossen, wir konnten baden – was wollten wir mehr?! Am übernächsten Tage, nach sieben Patrouillentagen, waren wir zurück im Kompanielager am Oldonjo-Sambu. Durch den ostafrikanischen Großen Graben ins Winterhochland Ende August 1915 widerfuhr der Neunten wieder einmal eine strategische Rückwärtsbewegung. Diesmal durften sogar alle entbehrlichsten Lasten der Europäer nicht mit nach dem neuen Lager überführt, sondern sie mußten nach dem befestigten Aruscha gebracht werden. Spottlustig, wie nun mal Soldaten sind, nannten sie das seitdem die »Angstlasten«. Daß sie abtransportiert wurden, war an sich recht gut; denn einzelne Leute hatten sich von ihren Farmen allmählich ihre halbe Einrichtung kommen lassen, und die Kompanie war dadurch immer mehr in ihrer Beweglichkeit gehindert. Aber der eigentliche Zweck des Abtransports, nämlich, jene »Angstlasten« in Sicherheit zu bringen, ist nicht erreicht worden. Sie fielen vielmehr sämtlich – darunter auch meine gesamte, für fünf Jahre berechnete Ausrüstung als Zivilmensch und alle meine Farmbücher und -akten – später beim Rückzug der Abteilung Aruscha in die Hände des Feindes. Wir zogen also gegen Ende August wieder um, diesmal in unser letztes Dauerlager am Engare Olmotonje, unweit Aruscha. Seine Musteranlage habe ich schon oben beschrieben. Ich selbst habe es nur wenig frequentiert, denn zunächst rückte die ganze Kompanie auf fünf Wochen zu einer großen Fernunternehmung aus, und dann wurde ich von meinem Kompanieführer für drei Monate nach auswärts verpumpt. Die große Monster- und Riesenpatrouille, zu der die ganze Berittene Neunte am 31. August, wenige Tage nach dem Umzuge, ausritt – sie war von vornherein auf eine Dauer von fünf bis sechs Wochen berechnet – wird den Leser hoffentlich nicht schon patrouillenmüde finden. Es hilft ihm nichts – wir durften ja auch nicht patrouillenmüde werden; ich bin es, im Vertrauen gesagt, nie geworden, denn als Etatsmäßiger war ich weit lieber auf Patrouille als unter den Büchern und Akten des Feldwebelbüros. Aber der Leser wird es auch nicht bereuen, uns bei dieser Unternehmung zu folgen – führte sie doch in eine ihm und auch den meisten von uns ganz neue Gegend, nach Westen zu über den ostafrikanischen Großen Graben in das Gebiet der Riesenkrater und in Landstriche, die für Europäerbesiedlung wie geschaffen erscheinen. Dazu lernen wir bei dieser Gelegenheit auch eine Persönlichkeit kennen, für die ganz Jungafrika schwärmte. Der militärische Zweck dieser Unternehmung war, wenn ich ihn richtig verstanden habe, der, den Feind an einer ganz neuen Front zu beunruhigen und ihn dadurch zu zwingen, Truppenverschiebungen zur Entlastung unserer alten Front vorzunehmen. Von unsern Kompanieoffizieren ritten nur mit der Kompanieführer Oberleutnant Büchsel und Leutnant Berghöfer, der seit einigen Wochen als Ersatz für den vermißten Oberleutnant Trappe von der Berittenen Achten zu uns versetzt worden war. Leutnant Freund wurde gleich in den ersten Tagen der Patrouille krank und mußte umkehren. Oberleutnant Meyer hatte Typhus und lag im Lazarett in Aruscha. Typhus grassierte, bevor Oberarzt Klemm uns impfte, ziemlich stark in der Kompanie – kein Wunder, da unsere Patrouillen so manches Mal, durch den Durst gezwungen, in Versuchung kamen, Sumpfwasser oder verdorbenes Regenwasser aus irgendeiner Pfütze ungekocht zu trinken. Alle mir bekannten Typhusfälle sind aber leichter Natur gewesen, und ich habe überhaupt nie gehört, daß in Ostafrika unter einigermaßen normalen Verhältnissen ein Soldat an Typhus gestorben wäre. Da wir auf den Reit- und Packtieren nicht für fünf Wochen ausreichende Verpflegung unterbringen konnten, mußten uns Verpflegungsträger für einen Teil des Marsches begleiten. Je zwei Europäer durften eine Last und jeder einen Boy mitnehmen. Ich nahm meinen einäugigen Boy, den ausgerissenen Missionspetro, auf dieser Patrouille mit. Trotz der oft langen Märsche, die er zu Fuß, mit seinem eigenen Gepäck und Proviant für mehrere Marschtage beladen, machen mußte, war Petro bei jedem Halt mit der Reserveflasche kalten Tees oder Kaffees zur Stelle, und wenn wir abkochten, hatte er sofort ein Feuer im Gange. Ich habe mich oft gewundert, woher der Junge nach zehnstündigem oder längerem Marsch in Staub und Sonne immer noch die Energie hernahm, für mich zu sorgen. Nicht ein einziges Mal habe ich ihn zu rufen brauchen; stets war er da, wo für meine Bequemlichkeit irgend was getan werden konnte. Und dabei machte Petro stets ein freundliches Gesicht, soweit ihm das mit seiner einen Gesichtshälfte gelingen wollte; die andere Hälfte mit dem fehlenden Auge grinste nicht mit, und der Gesamteindruck wirkte daher auf Leute, die ihn nicht kannten, etwas beängstigend. Ich nahm Petro mit, weil mein anderer, mehr rundlicher Boy Sakiva von starken Anstrengungen leicht Fieber bekam. Beide waren Wachagga, aber der hagere Petro hatte, glaube ich, einen Einschlag von Massaiblut. An Trägern hatten wir etwa achtzig Mann mit, lauter ausgesucht kräftige Leute. Der Stamm unserer Träger bestand aus Wanjamwezi, die von der ehemaligen Abteilung Geraragua und von meinem Olmologposten übernommen worden waren. Sie haben vom ersten Tage des Krieges an mitgemacht, und sie waren noch bei der Kompanie, als ich nach zwei Jahren gefangen wurde. Was die Leute in der Zeit geleistet haben, ist gar nicht auszudenken, und wie viele tausend Kilometer sie mit einer Last auf dem Kopf zurückgelegt haben mögen, möchte ich nicht ausrechnen müssen. Und dabei waren sie bis zu Ende willig und meistens sogar recht vergnügt. Etwas Berechnung ihrerseits mag wohl dabei gewesen sein, daß sie so gern bei der Kompanie blieben. Wären sie weggelaufen oder auf Wunsch entlassen worden, so hätte irgendeine Etappe sie sicher sofort wieder aufgegriffen und als Etappenträger eingestellt. Letzteres galt aber als das größere Übel; der Dienst dort war noch anstrengender, weil er nie unterbrochen wurde. – In den ersten drei Marschtagen durchquerten wir die Tiefsteppe des ostafrikanischen Großen Grabens – zwischen den Kilimandscharo- und Merusteppen einerseits und dem Winterhochland andererseits (nicht zu verwechseln mit dem Großen _Zentral_afrikanischen Graben, in dem der Tanganjika- und Albert-Njansa-See liegen). In der Hauptrichtung von Nord nach Süd laufend, hat jener Graben auf der Westseite einen scharf markierten Steilrand, auf der Ostseite aber, von der wir kamen, fällt das Gelände allmählich ab; erst nördlich vom Natronsee ist auch der östliche Grabenrand des hier enger werdenden Grabens klar erkenntlich. [Illustration] Wir stiegen nordöstlich der Ostausläufer des Mondulgebirges in die Tiefsteppe hinunter und zogen dann zwischen dessen Westausläufern im Süden und dem Ketumbeinegebirge hindurch. In dieser Tiefsteppe ist man ganz auf Regen- und Grundwasser angewiesen. Wir fanden in Felslöchern noch genügend Regenwasser, das freilich weder sehr appetitlich aussah noch besonders schön roch; es wurde natürlich vor dem Gebrauch gekocht. Tausende zierlicher Webervögel in allen Farben frequentierten diese Wasserlöcher und ließen sich durch das Wasserschöpfen der Träger und Boys nicht im geringsten stören. In der Trockenzeit sackt alles Regenwasser ab, man muß dann nach Grundwasser graben. Solches wird man nach einigem Suchen fast immer in den mächtigen, oft haustiefen Koongos finden, von denen die Tiefsteppe zerrissen ist. Freilich darf man nicht damit rechnen, am Ende der Trockenzeit noch so viel zu finden, daß es für große Karawanen oder Viehtransporte genügt. Wer Grundwasser in einem Sandkoongo sucht, grabe dort, wo Wild gescharrt hat oder wo Schmetterlinge sich auf den Sand setzen. Unser dritter Marschtag bedeutete eine Durststrecke von neun Stunden. Wir wußten, daß wir vom Koongo ya Kabrule bis Engaruka, unserm Ziele am Grabenrand, kein Wasser finden würden, und beschlossen deshalb, besonders unserer Träger wegen, einen möglichst großen Teil der Durststrecke in der Nacht zurückzulegen. Um acht Uhr morgens traf die Kompanie am Engarukabach ein, der, aus dem Winterhochlande kommend, sich in einer Reihe von Wasserfällen lustig den steilen Grabenrand herabstürzt. Bei seinem Wasserreichtum und dem zu erzielenden Wasserdruck würde er, systematisch ausgenutzt, mehrere hundert Farmen mit ausreichendem Wasser versehen können. Jetzt ergießt er sich in die Steppe und bildet dort ein übles, ungesundes Sumpfgelände. Selbst höher hinauf am Graben, wo der Posten lag, litten Europäer und Askari an Malariaanfällen; Stelzl, ein Bayer, der kurz vor dem Kriege hier eine Farm belegt und ein Wohnhaus zu bauen angefangen hatte, klagte sehr darüber. Den starken Außenposten Engaruka, dem auch der Posten Ngorongoro angegliedert und unterstellt war, kommandierte der Vizefeldwebel unserer Kompanie Dr. Sinning, genannt »der alte Stock«, obwohl er lange nicht so alt ist wie ich. Der Posten selbst wurde von der Abteilung Aruscha gestellt; da diese anscheinend über keinen geeigneten Postenführer verfügte, hatte ihr unsere Abteilung den Dr. Sinning gepumpt. Vom Dezember an bis Anfang März 1916 bin ich sein Nachfolger gewesen. Der gute Kamerad Sinning hatte für den Empfang und für den Aufenthalt seiner Kompanie alles aufs beste vorgesehen. Es gab Grasbuden für die, die nicht vorzogen, im Freien zu schlafen. Es gab Ochsen- und Ziegenbraten. Es gab Bananen, Papayen, Erdnüsse, Zitronen von den Mashamba [Pflanzungen] der Eingeborenen und, sage und schreibe, europäisches Gemüse aus Stelzls Gemüsegarten. Es gab Eier und Kükenbraten. Es gab Körnermais für die Tiere. Vor allem aber gab es aus dem Bergstrom ein herrliches klares, kaltes, ganz natronfreies Quellwasser zu trinken. Nach dem dreitägigen heißen Ritt durch die Tiefsteppe mit ihrem übelriechenden, abgekochten alten Regenwasser kamen sogar hartgesottene Sünder, am Rande des Engaruka sitzend, beinahe auf den Gedanken, für den Rest ihres Lebens Wassertrinker zu werden. Prächtig war auch die Badegelegenheit im Engarukabach. Den ganze Tag konnte man rauhe Kriegsknechte in Felslöchern sitzen sehen, um sich von den Wasserfällen ihre Haut peitschen zu lassen. Wenn sie genug hatten, lagen sie wie Seehunde auf den Felsplatten und sonnten sich. Ich sagte oben: »natronfreies Wasser«. Das ist wichtiger, als das Wort ahnen läßt. Der Engaruka und sein Nachbar, der Rongai, sind nach Norden hin die letzten Wasser, die natronfrei sind. Alle Flüsse, die weiter nördlich vom Grabenrand herunterkommen, sind ebenso wie die, die sich aus dem östlich des Grabens liegenden Geleigebirge, aus heißen Quellen gespeist, in den Natronsee ergießen, stark natronhaltig. Natronhaltiges Wasser löscht aber nicht den Durst, sondern vermehrt nur noch das Durstgefühl. – Der Abschied von Engaruka und unserm liebenswürdigen Wirt am nächsten Nachmittag ist uns allen recht schwer geworden. Um den Grabenrand erklettern zu können, mußten wir noch sieben oder acht Kilometer in nördlicher Richtung an ihm entlangreiten. Wir durchquerten hierbei das um diese Jahreszeit unten in der Steppe ausgetrocknete Flußbett des Engare Rongai und trafen am Fuß des Keremasiberges auf den Anfang des Aufstieges. Zwei Wege führen hier zum Hochland hinauf. Unsere Trägerkolonne schlug den kürzeren, von Eingeborenen ausgetretenen Fußpfad ein, der sich in steilen Serpentinen hochwindet. Die Kompanie ritt auf dem von Stelzl für den Farmer Adolph Siedentopf angelegten längeren Fahrweg. Stelzl hat bei der Anlage dieses Fahrweges für den Ochsenwagenverkehr großes Geschick bewiesen. Freilich muß, wer hier hinauffahren will, aus dem ff mit Ochsen umzugehen verstehen – für Anfänger ist der Weg nicht gedacht. Der Höhenunterschied zwischen der Tiefsteppe in der Grabensohle, aus der wir kamen, und der Hochsteppe des Winterhochlandes beträgt etwa tausend Meter; infolge der vielen Schlangenwindungen unseres Weges erfordert der Aufstieg mehrere Stunden. Bei einer Wasserstelle, nach dem zu Beginn des Krieges von den Wasonjo an die Engländer verratenen und bei einem Überfall gebliebenen Schutztruppenfeldwebel Bast »Kambi ya Bana Bast« benannt, traf die Kompanie wieder mit der Trägerkolonne zusammen. Hier wurde für die Nacht gelagert. Am nächsten Morgen führte uns der Weg scharf am Rande des Elanairobikraters vorbei. Zehn Schritt von seinem Rande ahnt man noch nichts von ihm. Man stelle sich eine grasige, mit leichtem Busch bestandene Ebene vor, in der sich ganz unerwartet ein riesiges, trichterförmiges Erdloch auftut, das ein 1000-Zentimeter-Geschoß, wenn es das gäbe, gewühlt haben könnte. Das kreisrunde Kraterloch, dessen Wände bewaldet sind, ist nach meiner Schätzung etwa sechshundert Meter tief und hat oben einen Durchmesser von vielleicht fünfzehnhundert Meter. Unten im Kraterloch befindet sich ein kreisrunder See von schätzungsweise achthundert Meter Durchmesser, dessen Rand rosig in der Sonne schimmerte. Es sind aber nicht Wasserrosen, die dort leuchten, sondern die Rücken und Flügel von Tausenden von Flamingos, die am Seerande auf einem Bein im Wasser stehen und solange regungslos, den Kopf etwas auf einer Seite, in das Wasser schielen, bis sie ihren Fisch erwischt haben. Zuweilen sahen wir einen Schwarm Flamingos sich träge erheben und wie eine leichte Wolke Apfelblütenblätter über dem Wasser treiben. Ein Kiboko [Flußpferd], deren es viele in diesem Kratersee geben soll, mag sich dem Ufer genähert haben, seine Nasenlöcher aus dem Wasser haben auftauchen lassen und wie ein Walfisch einen Wasserstrahl in die Luft geblasen haben. Das Kiboko verschwand, und die schwärmenden Flamingos ließen sich wieder auf ihre alte Futterstelle nieder. Sicher haben sich die Flamingos nicht ohne geräuschvollen Protest aufscheuchen lassen, aber dort hoch oben, wo wir bewundernd standen, hörte man keinen Laut. Ich hatte das Gefühl, als ob eine ganz andere, fremde Welt dort tief unten zu meinen Füßen läge. [Illustration] Wir ritten nun durch die saftige, grüne Landschaft des Winterhochlandes und stiegen dann hinein in den riesigen Bulbul-Krater, der beinahe bis an seinen Rand mit Geröll und Asche angefüllt ist. Über dieser Unterschicht hat sich eine dünne Humusschicht gebildet, durch die die Tiere bei jedem Schritt bis zum Knie durchtraten. Außerdem ist diese lose Unterschicht unterminiert von Tausenden von Schakalen. Wer im Bulbulkrater nächtigen wollte, der würde wegen des Gebells der Schakale wenig Ruhe finden. Dieser Krater hat einen Durchmesser von vielleicht zwölf Kilometer. Über eine steile Geländestufe klettern wir aus ihm heraus wieder in das saftige Winterhochland hinein, das immer noch langsam ansteigt. In dieser Hochsteppe stießen wir auf eine Gnuherde, und ein prächtiger Bulle wurde für die Verpflegung der Kompanie erlegt. Da drei Schützen gleichzeitig auf ihn gefeuert hatten und sich darüber stritten, wessen Kugel – alle drei wußten genau, wo sie abgekommen waren – den Bullen zur Strecke gebracht hätte, wurde unser Sanitätsrat gerufen, um den Fall zu begutachten und den Wettstreit zu entscheiden. Nach längerer Untersuchung der drei Einschüsse, während der die Kompanie andächtig schweigend zusah, gab unser Sanitätsrat sein Urteil dahin ab, daß der Gnubulle an keiner Kugel, sondern am Herzschlag eingegangen sei. Mit lautem, anhaltendem Gelächter wurde dieses Urteil begrüßt. Unser Sanitätsrat – er wurde sehr böse, wenn er hörte, daß wir ihn so nannten – war der Sanitätsfeldwebel Stein. Bei der Kompanie stand er in dem Ruf ungemeiner Gelehrsamkeit, von der er in selbstloser Weise gern seinen minderbegabten Mitmenschen recht viel mitteilte. Stein hielt sich auch für einen großen Praktiker, und es machte ihm ganz besondere Freude, sein tiefes Wissen auf allen Gebieten auch in die Praxis umzusetzen. Als er im Mai 1915 von der Infanterie zu unserer Kompanie versetzt worden war, hatte er im Lager bald Lernbegierige um sich versammelt, und es war ulkig anzusehen, wie diese alten erfahrenen Patrouillenreiter den Schalk in ihren Augen zu unterdrücken wußten, wenn Stein lange Vorträge darüber hielt, was man auf Patrouille essen und wie man auf Patrouille abkochen müsse. Als nun unser lieber Sanitätsrat zum erstenmal auf Patrouille mitritt und seinen vorzüglichen Koch nicht mitnehmen durfte, hieß es, selbst seine Weisheit in der Praxis bewähren. Ob ihm dabei etwas unheimlich zumute war, weiß ich nicht. Merken ließ er sich nichts, und auch seine Bewunderer, die ihm zusahen, als er zum erstenmal selber abkochen mußte, machten die unschuldigsten Gesichter von der Welt. Ich sehe das Bild noch heute deutlich vor mir. Stein kniete, nachdem er ein Feuer angemacht hatte, neben dem Sanitätslastpacksattel und würgte, stark schwitzend, mit Anstrengung aller seiner Kräfte aus demselben etwas wurstartiges Langes heraus, das kein Ende zu nehmen schien. Jemand fragte, was das sei. »Ein Sack mit Reis«, sagte Stein, »Reis ist das einzige richtige Patrouillenfutter. Im heißen Indien und in China leben die Menschen nur von Reis.« »Aber, Mensch«, rief jemand, »Sie haben da gut und gern zehn Kilo Reis in dem Beutel, der reicht ja für zweihundert Mahlzeiten, und die Patrouille soll doch nur sechs Tage dauern.« »Verstehen Sie nicht«, antwortete Stein gekränkt, »Reis kann der Mensch nie zuviel essen – übrigens bin ich kein Mensch, sondern der Sanitätsvizefeldwebel Stein. Merken Sie sich das!« Nun füllte Stein sein großes Kochgeschirr beinahe bis an den Rand voll trockenen Reis, goß ein wenig Wasser nach und hing das Kochgeschirr über sein Feuer. Steins Bewunderer stießen sich heimlich an und blinkten sich zu, sagen taten sie aber kein Wort. Einige Erzschelme warfen unter dem Vorwande, sich besonders gefällig erweisen zu wollen, noch trockene Reisige auf Steins Feuer, so daß die Flammen hoch über dem Kochgeschirr zusammenschlugen. Bald kochte das Wasser, und die Reiskörner fingen an, sich mollig darin zu dehnen. Da sie im Kochgeschirr bei ihrer Menge hierzu nicht genügend Platz fanden, quollen sie in wildem Ungestüm oben aus ihm heraus. Stein machte ein sehr bedenkliches Gesicht, wie er all seinen schönen Reis ins Feuer kleckern sah. Er goß mehr Wasser zu. Für einen Augenblick beruhigte die kalte Dusche den Reis, und Stein fing an aufzuatmen. Zu früh! Schon wieder quoll der Reis oben aus dem Kochgeschirr – toller, denn zuvor. Energisch griff Stein jetzt zu seinem Löffel, schöpfte während zehn Minuten den überquellenden Reis oben ab und warf ihn wütend unter seine Jünger, die sich scheckig lachen wollten. – Seitdem kochte Stein nie mehr, sondern ließ sich auf Patrouillen seinen Reis von dem Askari kochen, der das Sanitätspacktier mitsamt der Reislast zu führen hatte. Kurz nach der vorbeschriebenen Gnujagd, die mich auf Stein brachte, überschritten wir den höchsten Punkt der Winterhochlandsteppe. Das Gelände senkte sich, und nach kurzem Marsch erreichten wir den Lemungefluß, der, vom Olmotikratersumpf kommend, das Winterhochland durchfließt und im Ngorongorokrater endet. In seinem Oberlauf hat der Lemunge auch in der Trockenzeit Wasser genug, um bei systematischer Verteilung hundert Farmen zu versehen – ein idealeres Klima, als dort oben im Winterhochlande, kann ich mir für eine Europäerbesiedlung überhaupt nicht vorstellen. Am Ufer des Lemunge wurde abgekocht und für die Nacht gelagert. Am nächsten Morgen wollten wir in den Ngorongorokrater hineinreiten, in dessen Kessel Adolph Siedentopf seit 1905 seine Farm hat. [Illustration] Adolph Siedentopf – welcher Ostafrikaner kennt diesen Namen nicht? Ich hatte schon in Berlin, ehe ich nach Deutsch-Ostafrika fuhr, von ihm gehört. In allen Erzählungen von Adolph Siedentopf haftete seiner Person eine überirdische Kraft an, etwa wie den Paladinen Karls des Großen. Nur ganz wenige Kompaniekameraden hatten ihn persönlich gesehen, und auf die mußte er einen erschütternden Eindruck gemacht haben, denn sie sprachen nur mit ehrfurchtsvoller Scheu von ihm. Sein Königreich im Ngorongorokessel hatte noch keiner der Kameraden zu betreten gewagt. Einzelne waren auf Viehsafari am Rande desselben vorbeigekommen – den alten Löwen in seinem Bau zu besuchen, hatte sich keiner getraut. An jenem Abend am Lemungefluß war an jedem Lagerfeuer nur von Adolph Siedentopf die Rede. In ihre Indermäntel gehüllt, hockten die Krieger dicht an den Feuern und ließen die Pulle weitergehen; denn die Nacht war grausam kalt. Umgebung und Stimmung waren dazu angetan, Räuberpistolen zu erzählen und ihnen zuzuhören. Auch an unbeabsichtigten Übertreibungen wird es dabei nicht gefehlt haben, handelte es sich doch für die Erzähler um ihren afrikanischen Helden. Was ich erlauscht, will ich versuchen wiederzugeben. Was Wahrheit, was Dichtung ist, wird nur Adolph Siedentopf selbst beurteilen können. Adolph Siedentopf ist Hannoveraner. Als Jüngling, nachdem er alle Studien für die Apothekerlaufbahn beendet, trieb es ihn in die Ferne. Vor heute vielleicht vierzig Jahren landete er in Daressalam und nahm Stellung in der dortigen Apotheke an. Seine Abenteuerlust war hiermit keineswegs befriedigt. Bald trieb sie ihn von der Küste ins Innere, und im jetzigen Bezirk Muansa handelte Adolph Siedentopf mit Elfenbein und Vieh. Das war noch zu der Zeit, in der man für drei Gnuschwänze oder eine Nähnadel eine Färse eintauschen konnte. Es unterliegt daher keinem Zweifel, daß Adolph Siedentopf bei diesen Viehpreisen gut vorankam, aber die Behauptung, daß er nahe daran gewesen wäre, sich zum selbständigen König von Muansa ausrufen zu lassen, halte ich dadurch allein noch nicht für begründet. Im Jahre 1905, kurz bevor das Massaireservat eingerichtet wurde, belegte Adolph Siedentopf den Ngorongorokessel, in dem bisher deutsche Massai ansässig gewesen waren. Das Areal im Kraterkessel ist 24000 Hektar groß, und von 1905 bis 1915 konnten sich die deutsche Regierung und Adolph Siedentopf nicht darüber einigen, ob, wie die Regierung sagte, 6000 Hektar oder, wie Adolph Siedentopf behauptete, 24000 Hektar von ihm belegt seien. Erst 1915, im Kriege, hat, wie ich hörte, der frühere Reichstagsabgeordnete Dr. Arning eine Einigung herbeigeführt – ihr Resultat kenne ich nicht. Als Adolph Siedentopf sein Kraterreich bezog, brachte er zweitausend Stück Großvieh und eine Leibgarde von sechs aus dem belgischen Kongo entlaufenen, bis an die Zähne bewaffneten Askari mit, die früher Menschenfresser gewesen waren. Trekburen aus Südafrika, die damals in jener Gegend Elefanten jagten, halfen ihm für kurze Zeit; sie waren es auch, die ihm das Burenhaus nach südafrikanischem Stil bauten, in dem er 1915 noch wohnte. Adolph Siedentopf hätte es gern gesehen, wenn die Massai alle mit ihrem Vieh im Krater geblieben wären. Die Regierung war aber wieder anderer Ansicht. Ob die Regierung dem alten Muansagerücht doch Glauben schenkte und Adolph Siedentopf, der als Fundi [Kenner, Meister] in der Massaisprache und in Massaisitten galt, Selbstherrschergelüste zutraute? Nur mit Mühe gelang es Adolph Siedentopf, von der Regierung das Zugeständnis zu erhalten, zwanzig während der Rinderpest verarmte Massaifamilien, die kein Vieh mehr besaßen, als Hirten auf seiner Farm behalten zu dürfen. Diese zwanzig Familien waren 1915 noch bei Adolph Siedentopf, und sie besaßen bereits wieder tausend Kopf Rinder und zwölfhundert Stück Kleinvieh. Ob sie die alle selbst gezüchtet oder ob sie auch dazu geklaut hatten, darüber schweigt die Geschichte. Mit dem Gouvernement stand Adolph Siedentopf aus begreiflichen Gründen lange auf leichtem Kriegsfuße. Daß eine Natur, wie er, und eine bürokratische Regierung sich schwer verstanden, ist eigentlich nicht zu verwundern. Polizeiaskari, die ihm eine Verfügung zuzustellen hatten, wagten sein Reich schon kaum mehr zu betreten, und einmal rückte sogar der Befehlshaber des Militärpostens Umbulu mit größerer Macht gegen Adolph Siedentopf aus. Sein Haus wurde umstellt, und mit »Seitengewehr pflanzt auf!« ging das Militär vor. Natürlich war Adolph Siedentopf viel zu gut unterrichtet gewesen und viel zu klug, um sich bei einer solch windigen Sache zu Hause aufzuhalten. So und ähnlich erzählte man sich am Lagerfeuer, und ich darf sagen, daß ich selten der Bekanntschaft eines Mannes mit größerem Interesse entgegensah wie damals der von Adolph Siedentopf. – Am nächsten Morgen brachte uns ein Marsch von drei Stunden von Südosten über den eingestürzten, leicht bewaldeten Rand des Ngorongorokraters in dessen Kessel hinein. Von der Stelle, wo wir ihn betraten, bis zu dem gegenüberliegenden Rande des etwas ovalen Kessels sollen es elf Kilometer sein. Obwohl die Kraterwände an einigen Stellen ein paar hundert Meter aufsteigen mögen, erscheint der Krater dem Auge wegen seiner Riesengröße doch nicht besonders tief. Die Kratersohle ist zumeist flach und baumlos und mit feinem, dichtem, vorzüglichem Weidegras bedeckt. Etwa zwei oder drei Kilometer vom südlichen Kraterrande, dort, wo eine leichte Erdwelle sich aus der Kratersohle erhebt und am Ufer des Lemungeflusses einige Baumgruppen zu sehen sind, liegt das Farmgehöft. Weiterhin endet der Lemunge in einem Sumpf, der sich nach der Regenzeit zu einem See erweitert. Aus der mir bei diesen Beobachtungen gegenüberliegenden Kraterwand ergießen sich drei weitere Gebirgsbäche in den Krater. An dem einen waren Adolph Siedentopfs Massai ansässig, an den beiden anderen, weiter östlich, hatte Friedrich Wilhelm Siedentopf, der jüngere Bruder unseres ostafrikanischen Helden, seit einigen Jahren vor dem Kriege einen vielversprechenden Farmbetrieb eingerichtet. Dr. Sinning hatte seinen Postenführer in Ngorongoro, den Unteroffizier Oskar Frowerk, von der Ankunft der Kompanie unterrichtet. Sicher kannte auch Adolph Siedentopf, der nicht eingezogen war, genau Datum und Stunde unseres Eintreffens, und wenn er es nicht wußte, mußte er uns die drei Kilometer auf blanker Steppe doch haben anreiten sehen. Tatsache ist, daß, als die Kompanie vor seinem Hof-Fenz [Einfriedigung] absaß und der Dinge oder richtiger der Personen harrte, die da kommen sollten, lange keine kamen. Endlich erschien ein Askari des Postens, um uns über den Hof weg zu der Stelle am Lemungefluß zu führen, die Unteroffizier Frowerk unter Schattenbäumen als Lagerplatz für die Kompanie ausgesucht hatte. Vorbereitungen wie die, mit denen Dr. Sinning uns so angenehm überrascht hatte, waren hier nicht getroffen worden. Auch als die Kompanie über den Farmhof ritt und zum Farmhause kam, zeigte sich kein Adolph Siedentopf. Erst als der Kompanieführer absaß, den kleinen Vorgarten vor dem Hause durchschritt und die Verandastufen hinanstieg, trat die Hünengestalt von Adolph Siedentopf aus der Haustür auf ihn zu. Der offizielle Empfang der Kompanie war also kühl – kalt wie eine Hundeschnauze. Dafür ist dann der inoffizielle Empfang und die Aufnahme der einzelnen Krieger seitens Adolph Siedentopfs und seiner hübschen jungen Frau, wie wir sehen werden, um so wärmer und herzlicher gewesen. Ich hatte Adolph Siedentopf bei dem offiziellen Empfange nur flüchtig gesehen, da ich mit der Unterbringung der Kompanie zu tun hatte, aber immerhin lange genug, um eine Einladung in sein Haus zu erhalten. Nachdem ich mich so sauber gemacht hatte, wie das auf Patrouille möglich ist – galt es doch zum erstenmal seit langer, ach wie langer Zeit, einer Dame, und noch dazu einer schönen Dame, meine Aufwartung zu machen –, begab ich mich mit Leutnant Berghöfer zum Farmhause zurück, wir beide in der Absicht, zunächst nur einen kurzen Anstandsbesuch zu machen. Unsern Kompanieführer fanden wir dort bereits vor. Da saßen wir nun gegen elf Uhr vormittags in der niedrigen, trauten, äußerst behaglich eingerichteten Farmhausstube um einen großen Tisch – Herr und Frau Siedentopf, meine beiden Offiziere und ich. Zu Anfang wollte die Unterhaltung nicht recht in Fluß kommen, und da ich das Empfinden hatte, wir dürften den Besuch so kurz vor Tisch nicht ungebührlich lange ausdehnen, trat ich Leutnant Berghöfer auf den Fuß und blinzelte ihm zu. Er gab das Signal an den höheren Vorgesetzten weiter, wurde aber scheinbar nicht verstanden. Der Kompanieführer ging in seiner gewohnten Weise immer noch »Volldampf voraus«, und ich war trotz des unbehaglichen Gefühls, vielleicht aufdringlich zu erscheinen, doch auch wieder sehr neugierig auf den Augenblick, in dem Adolph Siedentopf mehr aus sich herausgehen würde. In Manchesterreithose und -joppe gekleidet, saß dieser Kraftmensch mit dem herrlichen Imperatorenkopf in unserer Mitte. Er trug zu jener Zeit einen Vollbart, aus dem seine Adlernase kühn hervorstand. Zwei große dunkle Augen unter starken Augenbrauen musterten uns andauernd. Ich hätte mich vor ihnen fürchten können, wenn ich nicht hin und wieder einen argen Schalk in diesen Feuerrädern hätte aufblitzen sehen. Aber nicht nur seelisch ist Adolph Siedentopf trotz seinem langen Aufenthalt in Deutsch-Ostafrika ein Kraftmensch geblieben, sondern auch körperlich. Ich habe letzteres beobachtet, als ich ihn später im Gefangenenlager zu Nairobi wieder traf. Der vierundvierzigjährige Mann sprang im Schlußsprung ohne Sprungbrett 1,20 Meter hoch, blieb unübertroffen im Steinstoßen und schnellte, auf dem Rücken liegend, einen auf seiner Magenhöhle stehenden Turner mit den Bauchmuskeln fünf Zentimeter in die Luft. Für den, der Geist und Körper durch rege Arbeit in Training hält, kann also das Klima der ostafrikanischen Hochsteppen doch nicht ganz unbekömmlich sein. Ich hatte mich nicht verrechnet. Allmählich geriet Adolph Siedentopf durch seine eigenen Erzählungen selbst immer mehr in Feuer. Der Fragen bedurfte es nicht mehr. Alle, einschließlich Frau Siedentopf, die höchstens mal mit einem »Aber, Adolph!« einfiel, hörten andächtig zu und ließen kein Auge von seinem ausdrucksvollen Gesicht. Ich bin bei solchen Gelegenheiten ein geübter Dauerschweiger und werde daher fälschlich zuweilen für einen ganz netten Gesellschafter gehalten. Hier kam mir diese Eigenschaft sehr zugute. Ich hätte tagelang sitzen, schweigen und zuhören können – nur meine Lachmuskeln, fürchte ich, hätten es nicht ausgehalten. Ich will versuchen, einige von Adolph Siedentopfs Geschichten wiederzugeben, obwohl sie hier nur schwach ausfallen können; denn seine überzeugenden, absoluten Glauben erzwingenden Blicke, die jede Pointe markierten, lassen sich auf dem Papier nicht ausdrücken. »Ich hatte mal wieder den ganzen Vormittag am fernen Ende des Kessels auf diese Racker von Gnu gejagt. Ich brauchte Gnuschwänze. Ein Assistent wollte sein Monatsgehalt, und Bargeld ist in dieser Gegend noch knapp. Ich schieße Gnu am liebsten mit dem einundsiebziger Gewehr. So ein Bleibatzen haut ordentlich hin, und man verschwendet keine Munition. Als ich so fünfzig Gnu umgelegt und nur noch eine Patrone übrig hatte, gab ich meine Morgenarbeit auf, befahl einigen Massais, die Gnuschwänze zu sammeln, und trollte mich mit meinem Boy, der mein Gewehr trug, und mit meinem Foxterrier durch die blanke Steppe zurück zum Gehöft. Es war glühend heiß geworden. Was half’s – ich wollte Muttern nicht mit dem Essen auf mich warten lassen und stampfte daher tüchtig drauflos. Plötzlich, als ich nur an Muttern dachte – wenn ich allein bin, denke ich stets nur an Muttern (hier bekam Frau Siedentopf den großen Blick und sagte: ›Aber, Adolph!‹) – nahm mich aus gar nicht großer Entfernung ein Nashorn an. Ehe ich mir mein Gewehr von dem Boy geben lassen und dem Nashorn eins aufbrennen konnte, war es bis auf drei Schritt an mich heran. Bautz! sagte die alte Knarre – bums, stand das Nashorn stockstill. Na – _eine_ Patrone hatte ich nur gehabt, und ein Baum, auf den ich hätte klettern, oder ein Erdferkelloch, in das ich hätte kriechen können, waren weit und breit nicht zu sehen. Also sagte ich zu meinem Boy: ›Junge, renn’ fix nach Hause und laß dir von Muttern Patronen geben.‹ Ich blieb drei Schritt vor dem Nashorn stehen. Neben mir lag mein Terrier in der prallen Sonne und ließ seine durstige Zunge weit hängen. Echte Foxterrier sind sehr empfindlich für die Hitze. Das Nashorn stand stockstill. Ich auch. Nur mein Terrier zog es bald vor, sich links neben das Nashorn in dessen Schatten zu legen. Als die Sonne höher stieg und der Schatten des Nashorns kürzer wurde, kroch ihm der Terrier nach. Bald lag er unter dem Bauch des Nashorns und endlich, als mein Boy mit den Patronen kam, ein ganzes Stück rechts vom Nashorn. Aus diesem Schattenspiel konnte ich berechnen, daß mein Boy zwei Stunden gebraucht hatte, die Patronen zu holen, daß ich dieselbe Zeit vor dem Nashorn gestanden hatte und daß Mutter schon mit dem Essen auf mich warten würde.« Da Adolph Siedentopf schwieg, fragte jemand unvorsichtig: »Ja, aber das Nashorn?« Adolph Siedentopf runzelte die starken Brauen, schoß einen Blick auf den Genauigkeitskrämer und sagte: »Mann, Sie haben aber auch gar keinen Humor. Die Pointe einer guten Geschichte ist doch, daß man die Pointe nicht erklärt. Aber, wenn Sie’s absolut wollen, tue ich auch das. Das Nashorn hatte natürlich Blätter der Euphorbie gefressen, deren Wolfsmilch genau in demselben Augenblick zu wirken anfing, als meine Kugel die Magenwand zerriß und der Wolfsmilch unmittelbaren Zutritt in das Blut des Nashorns gab. Das Nashorn stand folglich unter einer Narkose.« – »Ja, mit den Assistenten hat man auch seine Plage. Nicht allein, daß sich einige weigern, ihr Gehalt ~in natura~, d. h. in Form von Gnuschwänzen, anzunehmen – seit Jahren die gangbarste Münze bei mir –, sondern auch auf Jagd sind sie schwer zu zügeln, besonders wenn sie neubacken von Deutschland gekommen sind. Hatte ich mal da einen Assistenten – war ein kreuzbraver Mensch und ein tüchtiger Arbeiter, aber von der Jagd konnte er nicht lassen. Lange bevor der Tag graute, pflegte er schon in die Gegend zu ballern. Na, der tut’s nicht weh. Eines Morgens, als ich, wieder mal von anhaltendem Gewehrfeuer geweckt, auf die Veranda hinaustrat, sah ich Stelzl – nun ist mir der Name doch gegen meinen Willen entschlüpft – langsam und, wie mir schien, tief geknickt aus meinem Maisfeld auf mich zukommen. ›Na, Mann‹, rief ich ihn an, ›was haben Sie an diesem schönen Morgen schon aus dem Leben zum Tode befördert?‹ Antwortet mir der Mensch: ›Drei von Ihren Eseln, Herr Siedentopf!‹ – Himmeldonnerwetter! Die Esel waren in der Nacht aus der Boma ausgebrochen, um sich im Mais gütlich zu tun, und dieser Mensch schießt mir die drei besten Reitesel tot. Er hatte in der Morgendämmerung meine Esel für Zebra gehalten. Wenn Sie Stelzl heute fragen, ob er schon mal ›Wildesel‹ geschossen habe, schlägt er Sie tot.« – [Illustration] »Mal war ich mit Friedrich Wilhelm, meinem Bruder, oben am Kraterrand auf Büffeljagd. Die Jagd war sehr ergiebig gewesen und wir hatten nahezu alle Patronen verknallt. Ich hatte überhaupt keine mehr, aber Friedrich Wilhelm hatte noch zwei Schuß in seinem Siebenmillimetergewehr, das er allen anderen Jagdgewehren vorzieht. Da sahen wir auf zweihundert Meter noch einen prächtigen Bullen stehen, der uns äugte. Ich sagte zu Friedrich Wilhelm: ›Mensch, laß ihn stehen. Du hast nur noch zwei Schuß im Gewehr, es könnte schief gehen.‹ Friedrich Wilhelm, ein vorzüglicher Schütze, war, wie Brüder immer sind, anderer Meinung. Er kniete nieder und schoß beide Kugeln in den Bullen. Beide saßen, aber der Büffel legte sich nicht, sondern nahm wutschnaubend an. Nun war Holland in Not. Ich rauf auf den einzigen, nicht allzu kräftigen Baum, der in der Nähe stand, und Friedrich Wilhelm rin in ein Erdferkelloch, zehn Schritt vor meinem Baum. So ein angekratzter Büffel ist ein gefährliches Vieh, und eine besonders unangenehme Eigenschaft von ihm ist es, daß er nicht weggeht, solange er den Feind noch sehen kann. Krach! lief er gegen meinen Baum, der unter meiner Körperlast so schon bedenklich schwankte. Knack! fuhr sein Gehörn beim Erdferkelloch in den harten Boden, sobald Friedrich Wilhelm den Kopf herausstreckte. So ging es lange hin und her. Ich fürchtete für meinen Baum und ordnete seine Zweige so, daß der Büffel mich nicht mehr sehen konnte. Nun ließ er von mir ab und attackierte nur noch das Erdferkelloch, sobald Friedrich Wilhelm den Kopf heraussteckte. ›Mensch‹, rief ich, ›bleib doch still in deinem Loch, sonst sitzen wir hier noch bis übermorgen!‹ Der Büffel drehte wieder gegen meinen Baum, und Friedrich Wilhelm schrie mir zu: ›Sitz du mal still in einem Erdferkelloch, wenn unten ein Leopard drin ist!‹« – So, nur noch viel schöner hatte Adolph Siedentopf eine Geschichte nach der andern erzählt, und ich hatte Tränen gelacht, bis ich beinahe hysterisch wurde. – Meine Sünden, für die ich übrigens in diesem Falle meine Vorgesetzten mitverantwortlich mache, fielen mir erst wieder ein, als Adolph Siedentopf seiner Frau, die Zeichen innerer Unruhe gab, zunickte, und diese nun zu uns sagte: »Es ist Mittag vorbei – da die Herren nun doch mal hier sind, bitte ich Sie, zu Tisch zu bleiben.« So, da hatten wir es aber gründlich, und verdient hatten wir es auch. »Nun müssen wir hier eine kurze Zeit heraus, es soll gedeckt werden«, sagte der Hausherr. »Kommen Sie, meine Herren, ich zeige Ihnen inzwischen meine Apotheke und meine Löwenfelle.« Beide waren sehenswert, aber mich interessierte ein Haufen ungeöffneter Briefe mit dem Dienstsiegel, die auf dem Fensterbrett der Apotheke lagen, doch noch mehr. Lachend erklärte Adolph Siedentopf: »Aus meiner Junggesellenzeit! Jetzt tue ich so was natürlich nicht mehr. Wenn die Behörde etwas von mir wollte, schickte sie mir einen Polizeiaskari mit einem dieser Amtsschreiben. In mein Haus durfte mir der Mann nicht kommen, und annehmen, körperlich annehmen meine ich, wollte ich diese Briefe auch nicht. Ich öffnete also das Fenster und sagte dem Askari: ›Junge, lege deinen Brief da man hin und laß dir von dem Aufseher was zu essen geben.‹ Das tat der Askari denn auch und war froh, so gelinde wegzukommen.« – Als ich Adolph Siedentopf fragend ansah, lag ein kindlich unschuldiges Lächeln in seinen Augen, und er sagte weich: »Ja, ja, da liegt das Erzeugnis vieler kluger Köpfe. Wissen Sie, ich verderbe mir so ungern die frohe Laune, darum habe ich die Briefe nie geöffnet.« Daß Frau Siedentopf uns glänzend bewirtete, »da wir nun doch mal da waren«, brauche ich kaum zu sagen. Gartenerdbeeren mit Schlagsahne krönten das Mahl. Im Laufe der fünf Tage, während derer die Kompanie in Ngorongoro ruhte, hat Frau Siedentopf nacheinander sämtliche Kompaniekameraden zu Tisch gehabt und mit Erdbeeren und mit Schlagsahne regelrecht genudelt. Die Kompanie lagerte im Koongo des Lemungeflusses im Schatten alter Wildfeigenbäume unweit des Farmgehöftes. Sie pflegte sich nach Herzenslust. Es war eine fünftägige Zeit der Fettlebe und des Auf-Vorrat-Schlafens. Fette Hammel, fette Schweine, fette Butter, fette Milch und fette Käse gab es von Morgen bis Abend in Quantitäten, wie sie nur Patrouillenreiter, die auch auf Vorrat zu essen gelernt haben, verdrücken können. Frau Siedentopf wirkte und schaffte von früh bis spät, um für die vielen hungrigen Krieger zu sorgen. Außerdem machte sie zum Mitnehmen noch Hammelfleisch und Gemüse in Büchsen ein, die sich in den Satteltaschen unterbringen ließen. – Die Sehenswürdigkeit des Ngorongorokraterkessels sind seine Gnuherden. Dreißigtausend Gnu bevölkern den Kraterkessel; genau so gut hätte ich auch sechzigtausend sagen können. Wenn Herden von Vieh oder Wild in solchen Massen zusammen sind, geht selbst einem alten australischen Viehzüchter, wie mir, das Schätzungsvermögen aus. Ich habe diese riesige Herde wilder Rinder aus der Entfernung in Ruhe gesehen, ich bin auf meinem Hengst Otto neben der ganzen, im Galopp befindlichen Herde hergaloppiert – so nahe, daß ich einzelne Tiere mit dem Revolver bequem hätte schießen können –, der Boden hat gedröhnt und gezittert, und ich habe gestaunt über die Menge der dicht zusammengedrängten, sich im gleichen Tempo bewegenden Rücken, ich habe, da die Rücken silbergrau in der Sonne leuchten, an Heringsschwärme gedacht, aber die Gnu zu zählen oder auch nur annähernd ihre Zahl zu schätzen, vermochte ich nicht. Die Gnu sind nicht zu bewegen, den Ngorongorokessel zu verlassen. Man hat es verschiedentlich versucht, einmal sogar mit Militärhilfe, sie aus dem Kessel zu vertreiben. Stets haben sie im letzten Augenblick die Treiberketten durchbrochen. Durch Inzucht und periodischen Futtermangel stark degeneriert, durch Seuchen von Zeit zu Zeit dezimiert, von Mensch und Raubwild gejagt, vermehrt sich die Gnuherde trotzdem von Jahr zu Jahr, und von der süßen Weide im Kessel will sie nicht lassen. Adolph Siedentopf ist nur dadurch imstande, etwas Weide für sein Vieh zu sichern, daß er etwa dreißig Hunde hält, alle auf Gnu dressiert. Diese Hunde halten in unmittelbarer Nähe des Gehöfts die Weide frei von Gnu. Sie bekommen nur Magermilch, ihre Fleischrationen müssen sie sich selber holen. Ich beobachtete eines Morgens, wie eine Meute dieser Hunde aller Rassen ein Gnu von der Herde absonderte und vor die Veranda des Farmhauses hetzte, damit ihr Herr es erschieße. Sonst reißen sie auch ein Gnu mit vereinten Kräften draußen in der Steppe. – Um sich dem Ehepaar Siedentopf gegenüber für die opulente Bewirtung erkenntlich zu zeigen, veranstaltete die Kompanie am Abend vor dem Weitermarsch ein Sportfest mit anschließender Varietéaufführung. Der Gouvernementsrat Fritz König hatte die Leitung in die Hand genommen und ließ seinem fröhlichen Naturell und seinem goldigen Humor ganz freien Lauf. Der Totalisator war schon vor dem Rennen, sobald bekannt wurde, wer wen ritt, tätig gewesen. Auch der übliche Unfall blieb nicht aus: ein das Pferd markierender Soldat stürzte unglücklich und renkte sich die Hand aus. Dornier, der hübsch auf der Zither spielen konnte, dirigierte die Varietékapelle mit einem einen Meter langen und zehn Zentimeter dicken Bambusknüppel. Unermüdlich und unparteiisch schlug er die Mitglieder der Kapelle auf die Köpfe, daß der Taktstock nur so knackte. Die Instrumente der Kapelle bestanden aus einer Mundharmonika, zwei Kuhhörnern, einem Kessel, einem Taschenkamm und einem Steigbügeleisentriangel. Die Zuschauer – Herr und Frau Siedentopf, die Offiziere und ich – saßen im trockenen Flußkoongo, die Bühne war das jenseitige Ufer der Schlucht. »Mariechen«, »Gretchen« und »Hänschen« hatten sich hinter Frau Siedentopf gesteckt und steckten jetzt in der Blütenlese ihrer Garderobe. Sie mimten allerliebste kleine Mädel, die beiden ersteren von der zarten, bescheidenen Sorte, Hänschen Kaufmann vom modernen vorlauteren Typus. Der Schütze Bieleck als »Cowboy«, wozu er nur aufzutreten brauchte, wie er immer gekleidet ging, ritt ein dressiertes Gnu in hoher Schule vor; es bestand aus einem richtigen Gnukopf und -schwanz und einem Woilach, unter dem ein o-beiniger und ein x-beiniger Krieger Gangarten vorführten, die bei einem wirklichen Gnu das Eingeben von einigen Flaschen »Stacheldraht« oder »Sarglack« wohl verursacht haben könnte. Der Kaufmann Bruno Muhl aus Aruscha, unser fähiger Magazinverwalter, trat als Taschenspieler auf und ließ Rupienstücke durch den Tisch fallen und verschwinden; zu dieser Nummer schrie die ganze Varietégruppe wie aus einem Munde: »Kein Wunder, daß der Farmer arm bleibt!«, und die Kapelle blies einen Tusch. Bana matunda, der als Sekundaner mal hatte Komiker werden wollen und sicher seinen Beruf nicht verfehlt haben würde, gab unter ungeheuren Heiterkeitsausbrüchen eine Anzahl komischer Schlager im reinsten Berliner Dialekt zum besten, so alt, daß selbst die Ältesten unter uns sich ihrer nicht mehr entsannen. Auch trat er als Affenmensch auf. Die Glanznummer des Abends – wie Herr Direktor König verkündete – war, unter Mitwirkung sämtlicher Artisten, der Überfall der Karawane eines Forschungsreisenden durch Massai. Nach der Vorstellung wurde das Ehepaar Siedentopf unter Vortritt der Kapelle von allen Artisten nach Hause begleitet, und mit einem donnernden dreimaligen Hoch vor dem Farmhause schloß der Abend. Ich glaube nicht, daß der alte Ngorongorokrater in seiner Geschichte je zuvor Ähnliches erlebt hat. Für den Weitermarsch am nächsten Morgen hatte der Schütze Friedrich Wilhelm Siedentopf, der zur Abteilung Aruscha gehörte und von Jagd- und Viehsafari her die Gegend bis Nairobi kannte, Führerdienste übernommen. Unsere Boys ließen wir in Ngorongoro zurück, von den Verpflegungsträgern nahmen wir nur einen Teil, die kräftigsten, mit, aber auch diese nur noch für einige Tagemärsche. Wir folgten zunächst im Winterhochlande für einige Stunden dem Laufe des Lemungeflusses und nahmen da, wo wir ihn überschritten, noch reichlich Wasser, da jetzt eine lange Durststrecke kommen sollte. Gegen ein Uhr nachmittags verließen wir den Lemunge, ließen das Olmotigebirge links liegen, schwenkten nördlich davon nach Westen ein und begannen, gerade als es anfing dunkel zu werden, den Abstieg vom Winterhochland zur Albalbalsteppe – eigentlich hätte ich wohl Albalbalkratersohle sagen sollen, aber dieser Krater ist so riesengroß, daß man die Vorstellung eines solchen ganz verliert. Der Abstieg verunglückte. Wir verbiesterten uns im Dunkeln, irrten stundenlang, die Tiere führend, im Geröll umher, um endlich doch auf halber Höhe, zwischen Steinen und auf den harten, schwarzen Stoppeln frisch abgebrannten Steppengrases liegend, das Tageslicht zu erwarten. Am nächsten Morgen folgte dann ein endlos scheinender Marsch durch die trockene, heiße, sandige Albalbalsteppe, bis wir etwa um zwölf Uhr mittags, also nach dreiundzwanzig Durststunden, das Geierwasser, eine tief im Randgebirge verborgene schwache, natronhaltige Quelle, erreichten. Um an das Wasser zu gelangen, mußten wir in einer Felsschlucht hochklettern über Felsplatten und um Felsblöcke. Mein Hengst war vor Durst so ungeduldig, daß ich ihn nur mit Mühe davon zurückhalten konnte, an den Felsen hochzuspringen; er zerschlug sich den Kopf am Gestein, daß die Hautfetzen flogen, und riß mich öfter um, als mir lieb war. Als ich vom Wasser zurückgekehrt war und mich hinlegte, fühlte ich mich derartig zerschlagen und erschöpft, daß ich für immer hätte liegenbleiben mögen. Die Mittagssonne brannte mitleidlos, und das lauwarme natronhaltige Wasser reizte den Durst mehr, als es ihn löschte. Daß die Massai diese Wasserstelle das Geierwasser nennen, finde ich sehr angebracht. Die vom Durst erschöpften Steppentiere, die in der Trockenzeit an diese Quelle verschlagen werden – also in einer Zeit, in der das stark natronhaltige Wasser nicht durch Regenwasser verdünnt ist –, mögen schwer wieder von ihr wegfinden. Sobald sie von der Quelle zur Steppe zurückgekehrt sind, werden sie aufs neue Durst spüren und immer wieder das Wasser aufsuchen, das fürchterlich durchschlägt, die schon erschöpften Tiere gänzlich ermattet und sie endlich den Geiern zum Opfer fallen läßt. Die vielen weißen Knochen, die im Koongo des Geierwassers bleichten, zeugten davon. Nur weg von dieser unheimlichen Stelle! Drei Marschstunden weiterhin sollte wieder Wasser sein – natronfreies Wasser! Diese Hoffnung belebte die armen Träger, und vorwärts ging der Marsch in Hitze und Staub über die offene Steppe. Nur Mut – bald gibt es Wasser in Hülle und Fülle! Wir marschierten drei Stunden, wir marschierten vier Stunden – immer noch kein Wasser! Aber neben uns in der Steppe sahen wir mehrere Nashörner und anderes Wild in gleicher Richtung mit uns einem vor uns liegenden Waldstreifen entgegenziehen. Das ließ unsere Hoffnung wieder steigen. Es fing schon an zu dämmern, als wir endlich den Akaziengürtel erreichten, hinter dem das Wasser sein sollte. Noch eine Stunde durchs Buschgelände, dann waren wir glücklich an der Stelle, wo der Arashfluß den obligaten Sumpf bildet. Er heißt wie der Fluß, der sich in der Regenzeit aus ihm weiter in die Steppe hinein ergießt, Malambo. Hier fanden wir ausreichendes süßes und, da wir Sumpfwasser schon lange nicht mehr beanstandeten, trinkbares Wasser. Ein Wildbraten wurde geschossen, und schöne, kräftige Weide erquickte unsere Reittiere; auch das Papyrusgras, das dort wuchs, wurde von ihnen gern gefressen. Um den Trägern, die sich auf dem letzten Marsch fast übermenschlich hatten anstrengen müssen, Zeit zum Ausruhen zu geben, lagerten wir hier bis zum nächsten Nachmittag. Unser Weitermarsch vollzog sich im Tale des Arash, in dem wir langsam wieder zum Winterhochland hinaufkletterten. Es ist in seinem unteren Teile tief in das Gebirge eingeschnitten und unten am Fluß mit dichtem Urwald bestanden. Unser Weg – der einzige, für den Platz in dem engen Tal war – war ein stark begangener Nashornwechsel; die ganze Gegend stank nach Nashorn, dessen trockene, zertrampelte Losung den Wechsel oft einen halben Fuß tief eindeckte. Auch dieser Nashornwechsel war wieder angelegt, als ob ein Verschönerungsverein im Interesse des Sonntagspublikums tätig gewesen wäre. Er lief auf ausgesucht ebenem Terrain bald rechts, bald links neben dem Fluß her, den er an den bequemsten Stellen kreuzte, oft in der Nähe eines tiefen, mit Wasser gefüllten Felsenbassins, zum Suhlen für Nashörner und zum Baden für Menschen gleich gut geschaffen. Um die Zeit, als wir ihren Wechsel benutzten, müssen die Nashörner unten in der Steppe gewesen sein, wo wir ihrer viele gesehen hatten – begegnet ist uns auf dem Wege kein einziges. Gegen Mittag des zweiten Marschtages (seit Malambo) kamen wir in eine Gegend, die auf der Karte als weißer Fleck eingezeichnet ist. Der Mensch kann hier also noch nicht oft gewesen sein, und wo er nicht ist, hat Weiß, die Farbe der Unschuld, ihre Berechtigung. Dies merkte man auch der Tierwelt an. Kleine Vögel – in Südafrika nannten wir sie Flapper – umschwirrten meinen Kopf wie Mücken; wie diese verscheuchte ich sie mit der Hand. Gazellen blieben zwei Schritt vor der Kolonne stehen und äugten uns neugierig. Eine Herde Büffel, fünfunddreißig Kopf stark, stand einmal am gegenüberliegenden Uferabfall nur fünfzig Meter entfernt und ließ die ganze Kompanie an sich vorbeipassieren. Nachtvögel, Eulen und Käuze konnten wir mit der Hand greifen. Ganz allmählich war das Flußtal weiter geworden, und ganz allmählich ging der Urwald in Steppenbusch über. Den ganzen dritten Tag marschierten wir noch im oberen Tal des Arash oder vielleicht eines seiner Nebenflüsse. Die Karte versagte noch immer. Wir hatten hier viel Wasser und schöne Weide in leicht bewaldeter, sanft ansteigender Hochsteppe, durch die ein Steppenbrand sich langsam weiterrollte und die Nacht erhellte. Am nächsten, d. h. dem vierten Marschtage seit Malambo, nahm die Landschaft mehr und mehr das Gepräge einer offenen Steppe an. Wir waren in die Gegend gelangt nördlich der Serengeti und nordwestlich des Sonjohochlandes, die viele Jahre hindurch vor dem Kriege und noch hinein bis in das zweite Kriegsjahr von englischen, über unsere Grenze eingedrungenen Massai dicht bewohnt gewesen war. Den Lomuruberg – jetzt sind wir wieder auf der Karte – links liegen lassend, fanden wir im Sumpfende des Guasobaches, am Ostfluß des Ojondoberges, reichliches Wasser. Die Steppe, die wir auf dem Marsch zu diesem Wasser durchritten, hat die beste Schafweide, die ich bisher in Deutsch-Ostafrika gesehen hatte. Aus dieser Steppe stiegen wir am nächsten Marschtage durch einen Urwaldstreifen noch eine Geländestufe höher zu einer Hochsteppe hinauf, die ganz dicht von Massai besiedelt gewesen sein mußte. Sehr wohlhabend müssen diese Massai gewesen sein, denn ihre Bomen waren von solcher Größe und von solcher Solidität im Bau der mit einem Gemisch von Lehm und Viehdung beschmierten niedrigen, flachen Grashütten, wie ich sie im deutschen Massaireservat nie gesehen hatte; fast jede halbe Marschstunde trafen wir auf eine oder mehrere dieser großen Bomen. Diese Gegend mußte sehr stark bestockt, ich möchte sagen überstockt mit Rindvieh und Schafen gewesen sein; denn das Gras war bis an die Wurzel abgeweidet. Dieser Umstand gab uns schwer zu denken. Vom Guasobach war der Gefreite Kürbis, ein Farmer vom Sanjafluß, mit den Trägern nach Ngorongoro zurückgeschickt worden, und am Guaso hatten wir den Reittieren zum letztenmal Körnerfutter vorsetzen können. Von da ab waren unsere Tiere allein auf die Weide angewiesen, und die gab es hier nicht mehr. Nur unter Dornensträuchern, dort, wo weder das Vieh noch die Schafe sie hatten erreichen können, standen noch einzelne trockene Halme. Die Aussichten für unsere Reittiere waren trübe. Ich fing wieder an, meine Reisrationen mit meinem Hengst zu teilen und für ihn, beinahe halmweise, Gras zu sammeln. Wir lagerten für die Nacht an einem Nebenfluß des Bololedi und überschritten am nächsten Morgen, am sechsten Tage seit Malambo, die Grenze. Die Hochsteppen, durch die wir in den letzten zwei Tagen geritten waren, bis zu 1800 Meter über dem Meeresspiegel, zeichnen sich durch ganz vorzügliches Weide- und Ackerland und durch einen Reichtum natürlicher, nur auf Verteilung wartender Wasser aus. Hier hätten wir wieder ein ideales Gebiet für rein europäische Kleinsiedlung! Das hier in Frage kommende Gesamtareal ist etwa 50000 Quadratkilometer oder fünf Millionen Hektar groß: zehntausend Farmen zu fünfhundert Hektar ließen sich dort ausschneiden! – [Illustration] »Herr Wachtmeister, ein Maultier hat sich über Nacht losgerissen, beide Packtaschen an meinem Sattel geöffnet und meinen Reis, Zucker, Kaffee, mein Salz nebst allen dazugehörigen Beuteln aufgefressen. Meinen Tabaksbeutel hat er nur angeknappert«, meldete mir ein Schütze am Morgen nach dem Nachtlager am Nebenfluß des Bololedi. »Ja, Kinder, von jetzt ab heißt es, mit dem Kopf auf dem Sattel, die Packtaschen und den Brotbeutel im Arm, zu schlafen. Nicht nur werden die Tiere sich öfters nachts losreißen, sondern die, die ihre Tiere liebhaben, werden sogar vergessen, sie ordentlich anzubinden.« So haben wir denn auch schlafen müssen. Denn die Maultiere, mehr noch als die Pferde, entwickelten auf dieser Hungerpatrouille die äußerst beharrliche Neugierde, zu ergründen, was in unseren Pack- und anderen Taschen war. In mancher kalten Nacht hat eine über mein Gesicht fahrende noch kältere Maultierschnauze mich geweckt oder ein Maultiergebiß meinen Sattel gefaßt, um ihn mir sachte, ganz sachte unter dem Kopf wegzuziehen. Vom Nebenfluß des Bololedi aus unternahmen wir den großen Vorstoß in Feindesland. Vierundzwanzig Stunden lang – zwei Ruhepausen von zusammen drei Stunden eingerechnet – drangen wir im schärfsten Tempo, das den Tieren noch zuzumuten war, vor. Am Tage durchritten wir das Ndassekera-Hochland, hügelig und stark mit Steppenbusch bewaldet. Auch hier fanden wir viele verlassene Massaibomen, nur mit dem einen Unterschied, daß sie erst ganz kürzlich verlassen zu sein schienen, denn der Viehdung war noch frisch. Unsere Nachspitze fand ferner eine ganz moderne europäische Bartbürste, aus der sie auf feindliche Patrouillen schloß. Umfrage ergab allerdings, daß Leutnant Berghöfer die Bartbürste verloren hatte, und die Gemüter beruhigten sich wieder. Ehe wir aus dem Ndassekerahochland in die Loitahochsteppe hinabstiegen, wurde eine Stunde gerastet. In der Loitasteppe, deren Südecke wir in der Nacht durchritten, wurde von acht bis zehn Uhr abends in einem trockenen Bachbett geruht. Um ein Uhr nachts tränkten wir aus einer Massaiviehtränke in unmittelbarer Nähe einer bewohnten Boma. Um fünf Uhr morgens, als wir uns vor Müdigkeit kaum noch auf den Tieren halten konnten, befanden wir uns jenseits der Loitasteppe in den dicht bewaldeten Ausläufern des Ingurumangebirges, wo wir bei Tagesanbruch ohne Schwierigkeit reichliches und schönes Wasser, aber wieder kein Futter für die Tiere fanden. Ich hatte einen Aussichtspunkt erklettert und sah jetzt die große, weite Loitasteppe unter mir liegen. Riesige Viehherden weideten dort. Ganz nahe zu meinen Füßen – so nahe, daß ich die Massai sich einander zurufen hören konnte – lagen mehrere Massaibomen, an denen wir in der Nacht, ohne sie zu bemerken, vorbeigeritten sein mußten. Daß wir durch die stark besiedelte Steppe durchgeritten sein sollten, ohne bemerkt worden zu sein, daß die Massai auch jetzt bei Tageslicht unsere Spur nicht entdeckt haben sollten, schien kaum glaublich. Ich beobachtete weiter. In die Viehherden, die eben noch friedlich weideten, war Bewegung gekommen. Sie wurden an verschiedenen Stellen des Ingurumangebirges hochgetrieben und verschwanden hinter dessen Kamm. Die Massai wußten also, daß wir da waren, und sie brachten eiligst ihr Vieh in Sicherheit. Sie mochten einen Viehabtrieb befürchten. Meine Überzeugung, daß die Massai uns bemerkt haben mußten, bestätigte sich, als ich zur Kompanie zurückkam. Mehrere Massai waren bereits dort, und Unteroffizier Fokken, der als Missionshandwerker die Massaisprache erlernt hatte, unterhielt sich mit ihnen und versuchte sie zu überzeugen, daß wir keine Viehräuber seien. Unsere Absicht war es gewesen, die stark von Massai besiedelte Gegend unbemerkt zu durchqueren, um in der Nähe von Nairobi, der Hauptstadt von Britisch-Ostafrika, einen englischen Posten oder günstigen Falles Nairobi selbst durch einen plötzlichen Überfall zu beunruhigen, also, wie man militärisch drastisch sagt, »eine Schweinerei zu machen«, in ähnlicher Weise, wie uns das bei der Magadbahn so glänzend gelungen war. Wir waren darum nachts marschiert, wollten den Tag in unserem Waldversteck verbringen, in der nächsten Nacht weitermarschieren und mit Tagesgrauen angreifen. Jetzt, da uns die Massai entdeckt hatten – in Wirklichkeit waren wir schon seit drei Tagen entdeckt; Massaispäher hatten bereits unser Eintreffen am Guasobach gemeldet –, waren natürlich auch sämtliche englische Posten von unserem Anmarsch längst unterrichtet, und von einem weiteren Eindringen in Feindesland mußte abgesehen werden. Wir waren alle ob des Fehlschlagens unserer ehrgeizigen Pläne tief enttäuscht. Wir hätten es nicht zu sein brauchen, denn der militärische Zweck unserer Patrouille war vollkommener erreicht, als wir ahnen konnten. Wie ich später in der Gefangenschaft erfuhr, war unsere Patrouille von etwa vierzig Gewehren von den Massai in der üblichen Übertreibung des Negers den Engländern gemeldet worden. Die Engländer, die in uns die Spitze einer deutschen Invasionsarmee auf ganz neuer Front vermuteten, hatten schleunigst ihre kleinen Außenposten eingezogen und zum Schutz ihrer Hauptstadt Nairobi in aller Eile große Truppenverschiebungen vorgenommen. Viele Einwohner hatten schon ihre Sachen gepackt und standen im Begriff, Nairobi zu verlassen. Es war ein Invasionsgespenst, wie wir es zur Zeit des von Vater Krantz organisierten Japanerschreckens ja auch gesehen hatten. Daß zwanzig deutsche Farmer mit zwanzig Askari es gewagt haben könnten, keck bis ins Herz der englischen Kolonie einzudringen, halten die Engländer heute noch nicht für möglich – glauben sie doch heute noch, daß unsere Fernpatrouillen nur von Mannschaften geritten worden sind, die ein Verbrechen begangen und sich nur durch Heldentaten von der Todesstrafe freikaufen konnten. – Die Beschreibung unseres Rückmarsches bis in das Kompanielager am Olmotonjefluß kann ich ganz kurz fassen; er ging zum Teil über uns schon bekanntes Gebiet. Unsere Reittiere hungerten weiter, daß es einen jammern konnte. Endlich gingen auch den Reitern die Rationen aus, und sie leisteten den Tieren Gesellschaft im Hungern. Ich hatte in meinem ganzen Leben wissentlich noch kein Ziegenfleisch gegessen, aber als mein Kompanieführer mir bei einem Sonjodorfe die nur halb durchgeröstete Vorderkeule einer Ziege reichte, bin ich mit wahrem Heißhunger über sie hergefallen. Auch darum, ob Wildfleisch Finnen hatte oder keine, kümmerten sich unsere hungernden Mägen nicht mehr. Als wir den Guasobach verließen, bis zu dem feindliche Massai uns als Beobachter umschwärmt hatten, nahm ein Nashorn die Kompaniekolonne während des Marsches an und mußte erschossen werden. Das Nashorn stand ganz friedlich links unserer Marschlinie etwa fünfzig Meter entfernt und schien zu dösen. Die halbe Kompanie war bereits vorüber, als das Nashorn plötzlich von uns Wind bekam und sofort, wie ein Expreßzug schnaubend und puffend, auf uns lossauste. Diese plumpen Tiere entwickeln eine unglaubliche Geschwindigkeit, und unser Nashorn war bereits auf zwei Schritt an die Kolonne heran, ehe es im Feuer einiger kniender Schützen zusammenbrach. Unsere Reittiere stoben natürlich nach allen Richtungen auseinander, und wer nicht ganz sattelfest war, brauchte für Spott nicht zu sorgen. Später erlegte, zu seiner höchsten Befriedigung, unser »kleines Nashorn«, als es Nachtposten stand, ein großes Nashorn, das in unser Nachtlager eindringen wollte. Am Malambowasser gab es noch ein Abenteuer mit Löwen. Wir ritten dort mit Sonnenuntergang weg, um die vor uns liegende lange Durststrecke hauptsächlich nachts zu nehmen. Junge Löwen zeigten sich, und irgendeiner schoß einen davon. Die Löwenmama nahm das bitter übel und, unsern Kompanieführer, der gerade aufsaß, für die Tat eines seiner Leute verantwortlich machend, setzte sie in langen Sätzen hinter seinem mit ihm durchgehenden Hengst her. Mit jedem Satz rückte sie dem Reiter näher auf den Pelz. Obwohl die Löwin infolge des Zeitverlustes beim Ansetzen zum Hochsprunge nie auf das galoppierende Pferd hätten springen können, war es uns doch allen wie eine Erlösung, als Alwin Botha, der ihr am nächsten war, hinkniete und die Löwin totschoß. Dies war der Meisterschuß eines kaltblütigen Jägers. Das Büchsenlicht war bereits vorbei, und Reiter, Pferd und Löwin waren in einer dicken Staubwolke eingehüllt. Zum Malambowasser waren wir nicht wieder durch das Arashtal gelangt, sondern aus nördlicher Richtung durch die Ssalesteppe. Beim Guasobach waren wir nämlich von unserm Anmarschwege nach Osten abgebogen. Südlich des mit dichtem Urwald bewachsenen Manangberges auf Elefantenpfaden reitend, durchzogen wir das Sonjohochland, das um diese Jahreszeit eine blühende Obstbaumsteppe war. Ich wurde lebhaft an die Werdersche Baumblüte erinnert – leider fehlte der Fruchtwein. Aus dem Sonjohochland kletterten wir in die Sonjostufe hinunter und von dieser in die Ssalesteppe. Im Negerdorfe Ssale konnten wir von den Wasonjo etwas Mtamakorn und wilden Honig kaufen. Leider war es nicht genug Korn, um die Reittiere mehr als einmal gründlich füttern zu können. Wir zerrieben von diesem Korn für uns zwischen zwei Steinen und buken uns aus seinem Mehl Brot. Unglücklicherweise hatten unsere bereits sehr stark entkräfteten und somit für Krankheiten mehr empfänglichen Tiere ein kurzes Stück Weges passieren müssen, an dem die Tsetsefliege schwärmte; mehrere Tiere wurden infiziert und sind ihr später zum Opfer gefallen. Mit Mühe und Not erreichten wir Ngorongoro. Ein Pferd, ein erbeuteter langbeiniger Australier, war unterwegs verhungert, und Unteroffizier Horns im Liebesleben unverbesserlicher Max mit dem Dromedarkopf war so nahe am Verhungern, daß er nicht mal seinen Sattel mehr tragen konnte. Am oberen Lemungefluß, hoch oben im Winterhochlande, lagerten wir die letzte Nacht vor Ngorongoro. Diese Nacht wird keiner vergessen, der mit war. Es war ausgeschlossen, auch nur eine Minute zu schlafen, so kalt war es. Unterernährt, um nicht zu sagen halb verhungert, hatten wir nichts mehr in uns, das der schneidenden Kälte hätte entgegenarbeiten können. Die Flaschen mit »Stacheldraht« waren natürlich auch längst ausgelaufen. Wir hatten gehofft, uns in der Oase Ngorongoro bei Siedentopfs acht bis zehn Tage ausruhen zu können. Da traf schon am zweiten Ruhetage ein Befehl des Abteilungsführers ein, der den sofortigen Weitermarsch nötig machte. In den Großen Ostafrikanischen Graben stiegen wir, um Zeit zu sparen, diesmal nicht auf dem Siedentopfschen Fahrwege hinunter, sondern auf einem Wildwechsel direkt hinter dem Posten Engaruka. Der Abstieg war furchtbar anstrengend. Auf halber Höhe wurden wir durch die Nacht überrascht und mußten auf einer Stufe des Grabenrandes liegenbleiben. Mehrere kurz aufeinanderfolgende Erdbeben haben diese Nacht für immer in mein Gedächtnis eingegraben. In der Tiefsteppe wäre beinahe die ganze Kompanie, der sich seit Ngorongoro die Boys und Träger wieder angeschlossen hatten, zum Schluß noch verdurstet. Im Koongo ya Kabrule, wo wir auf dem Hinmarsch noch reichlich Wasser gefunden hatten auf das wir jetzt, nach einem Durstmarsch von sechzehn Stunden durch die brennend heiße Tiefsteppe, mit aller Bestimmtheit rechneten, verschwand uns das Wasser unter den Händen. Von nachmittags zwei Uhr bis zum andern Morgen um vier Uhr haben wir ohne Unterbrechung nach Wasser gegraben. Mehrere Meter tief saßen wir schon eingebuddelt im Sand des Koongo, und immer tiefer sackte das Wasser weg. Wir konnten es nur tropfenweise erhaschen, und um vier Uhr morgens war der Durst von Menschen und Tieren stärker denn je. Es war eine schauerliche Nacht, und das Gestöhne und Gejammer der durstenden Träger war schrecklich anzuhören. Es blieb nichts übrig, als in der Morgenkühle, ehe die Sonne hoch stand, durstig die fünf Marschstunden bis zu einem Bach am Mondulgebirge weiterzumarschieren. Für die Berittenen ging es noch an, aber die Boys und Träger fingen an zu versagen. Kleckerweise trafen sie am Mondulbache ein, nachdem denen, die liegengeblieben waren, Wasser entgegengetragen worden war. An einen Weitermarsch war für diesen Tag nicht zu denken. Erst am nächsten Tage, nach einer Abwesenheit von fünf Wochen, trafen wir im Kompanielager ein. Nach Engaruka verpumpt Von Ngorongoro hatten wir in Eilmärschen zurück gemußt, weil der Feind ernstlich anzufangen schien, den Hunderttausend-Tonnen-Hammer zu heben und die große Offensive zu beginnen. Es war ja noch nicht ganz so weit, aber die Vorzeichen hatten sich gemehrt. An der Tavetafront wurde viel gekämpft, und an unserer Front hatte Oberleutnant Bauer, der Führer der 8. Feldkompanie, mit einem Zug Askari am Longido ein siegreiches Gefecht gegen 400 Engländer und Somalis gehabt. In unserer Kompanie gab es Veränderungen. Der Kompanieführer wurde versetzt, ebenso einige der Soldaten. Unter den letzteren war der Vizefeldwebel Zierold, der Liebling aller. Ich sehe noch, wie die Kameraden mit ihm Abschied feierten. Daß wir nach fünfzehn harten Kriegsmonaten noch soviel Gemüt hatten, hätte ich nicht für möglich gehalten. Etwas erschwert wurde die Feier dadurch, daß von der Abteilung das Singen im Lager verboten worden war, und daß wir unser Kompanielied folglich nur flüstern durften. Seinen ersten Vers will ich hier wiedergeben – die weiteren Verse, wenigstens so, wie die Kompaniebarden sie umgedichtet hatten, eigneten sich nur für rauhe Kriegsgesellen. Ich hab’ noch zwei, drei Kreuzer, die sind mein ganzes Gut, Dafür kauf’ ich mir Bier und Wein und einen zuckersüßen Branntewein, Versoffen, versoffen, versoffen muß es sein. Es ist seltsam, wie sich ein besonderes Lied in einer Kompanie einbürgern und zu _dem_ Lied der Kompanie werden kann. Meine Kompanie mochte noch so abgehetzt, müde, verdrossen, hungrig oder durstig sein – das Kompanielied zog immer, wo andere, bessere Lieder schon lange nicht mehr zogen, wenn Bana matunda, Günter Frowerk oder ein anderer Vorsänger mit vom Staub rauher Kehle es anstimmte. Der Text dieses eigentümlichen Liedes paßte übrigens wirklich nicht schlecht zur Gesamtstimmung. Alle Farmer und Pflanzer hatten ihr Hab und Gut bereits verloren oder sahen es wenigstens dem sicheren Untergange entgegengehen. Zu verlieren hatten sie nur noch ihr bißchen Leben, das sie täglich auf das Spiel setzten. Als neuen Kompanieführer bekamen wir den Oberleutnant Freiherrn von Lyncker – zum erstenmal in der Geschichte der Berittenen Neunten einen Kavalleristen und aktiven Schutztruppenoffizier. Er hatte vordem bei der Berittenen Achten gestanden, und es ging ihm der Ruf eines schneidigen Soldaten voraus. Auch neue Unteroffiziere und Mannschaften kamen zur Kompanie: der Nordfarmer Enke, der Nordpflanzer Wolf, von der Küste der Fahnenschmied Runte, ein zuverlässiger, pflichttreuer Soldat, ferner der ehrgeizige nette kleine Barbier Arno Förster, der Bäcker Merzdorf, der Sattler Langrock und der verwegene Windhund und Konditor Dettmar, genannt »Zuckercreme«, weil er richtiggehende Torten machen konnte. Am Geburtstag der Kaiserin, am 22. Oktober 1915, erlebte ich den ersten und letzten Feldgottesdienst im Kriege. Ein Missionar aus dem Aruschabezirk sprach sehr nett und würde mir noch mehr gefallen haben, wenn er es sich hätte verkneifen können, ausgerechnet bei dieser feierlichen Gelegenheit auf die lokalen Stänkereien zwischen Mission und Siedlern anzuspielen. Das störte meine Andacht sehr, und der Missionar schien mir die Gelegenheit unfair auszunutzen, als er den Aruschasiedlern, die, zum Gottesdienst kommandiert, unter militärischer Disziplin alles ruhig einstecken mußten, ihre angeblichen Sünden gegen die Mission vorhielt. [Illustration] Der Abend dieses Festtages wurde in mehr weltlicher Weise durch einen gemeinsamen Festkommers sämtlicher Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften gefeiert. Unter einem alten mächtigen Urwaldbaume saßen wir an einer langen, aus allen Tischen und Kisten der Kompanie zusammengesetzten Tafel, und ein donnerndes Dreimal-Hurra erschallte nach der Rede auf das hohe Geburtstagskind, mit der der Kommers eröffnet wurde. Die Kompanie hatte reichlich für Stoff, »Marke Heldentod« und Quellwasser, und der neue Kompanieführer für kalte Platte gesorgt. Auch er wurde an diesem Abend mit Ansprache und Hurra in den engeren, ich möchte sagen seelischen Verband seiner Kompanie aufgenommen, deren Mitglieder sich mit begreiflichem und berechtigtem Stolz für die Elitetruppe der Kolonie hielten. Der Abend verlief ohne die geringste Störung – ein Zeichen, daß die Kompanie becherfest war. Oberleutnant Meyer brachte an diesem Abend der Kompanie mit anerkennenswerter Ausdauer das schöne alte Soldatenlied »Lippe Detmold, o du wunderschöne Stadt, dadrinnen ein Soldat usw.« bei. – Während unseres Wartens auf die große englische Offensive arbeitete der neue Chef. Unser neuer jugendlicher Kompanieführer wollte naturgemäß Neuerungen einführen und die Kompanie mehr nach rein heimischem Muster umformen. Nun hatte er, was ich ihm sehr hoch anrechnete, das Gefühl, daß es mir altem Papa nicht leicht, jedenfalls sehr unbequem sein würde, mich als Etatsmäßiger in alle diese Neuerungen zu finden. Es war also eine äußerst freundschaftliche Handlung meines Kompaniechefs, daß er mir die schweren Geschäfte des Etatsmäßigen abnahm und mich zum Zugführer machte; Vizefeldwebel Rimpler wurde mein Nachfolger. Um mir den Übergang leicht und angenehm zu machen, verpumpte mich der Kompanieführer für zwei Monate an die Abteilung Aruscha; ich sollte Vizefeldwebel Dr. Sinning im Kommando des Postens Engaruka ablösen. So stieg ich denn am 2. Dezember 1913 wieder in den Großen Ostafrikanischen Graben hinab, um jenseits der durstigen Tiefsteppe mein neues Postenkommando zu übernehmen. Der Posten Engaruka mit dem ihm unterstellten Posten Ngorongoro war 4 Europäer, 1 Effendi [schwarzer Offizier], 34 Askari, 100 Ruga-Ruga [Hilfskrieger] und 100 Träger stark. Engaruka und Ngorongoro kennt der Leser bereits. Mein Leben in Engaruka spielte sich sehr ordentlich ab. Ich ließ meine Askari exerzieren und Felddienstübungen machen, baute mit den Trägern und Hilfskriegern eine neue befestigte Stellung sowie gute neue Wohnungen für sie wie für die Askari und Europäer. Da mich der Krieg noch magerer gemacht, als ich von Natur schon bin, und mir mein Kompanieführer den dienstlichen Befehl gegeben hatte, mich gut zu pflegen, ließ ich mir von meinem trefflichen Mohamadi jeden Abend ein Diner von sieben Gängen kochen, von denen, dank dem Stelzlschen Gemüsegarten, mindestens vier Gemüsegänge sein mußten. Gelegentlich ritt ich eine Nahpatrouille mit Jagd oder eine Fernpatrouille von vier Tagen zum Natronsee ohne Jagd, obwohl es dort sehr viel Großwild und Raubwild aller Arten gab. Es war mitten im Sommer und am Natronsee, der, glaube ich, nur siebenhundert Meter über dem Meeresspiegel liegt, so heiß, wie ich es nie zuvor in tropischen und subtropischen Gegenden empfunden hatte. Die Europäer, die später mal das Natron abbauen werden, beneide ich nicht, trotz der guten Jagd dort. Mein Europäer in Engaruka, Grötzinger mit Namen, ein Bruder des im Ingitogefecht gefallenen Grötzinger, gefiel mir über alle Maßen gut als Soldat und Mensch. Er war ein Halbpalästinenser, d. h. er war noch in Deutschland geboren, aber schon als kleines Kind mit seinen Eltern nach Palästina ausgewandert. Er gehörte, wie die Familie Blaich, zu der kleinen Gruppe von Palästinensern, die am Südmeru Pflanzungen und Farmen hatten und die in ihrer einfachen, fleißigen Art sowie vorbildlichen Lebensweise mir als das idealste Menschenmaterial für eine Neusiedelung vor Augen stehen. Mein Effendi war ein Wissmann-Veteran, der sich zu Kriegsausbruch wieder zur Truppe gemeldet hatte und auch eingestellt worden war. Da es schon seit Jahren in der Schutztruppe keine farbigen Offiziere mehr gegeben hatte – außer einem einzigen, glaube ich, in Daressalam –, wußten die modernen Askari die Stellung meines alten Effendi nicht recht zu würdigen. Er war auch schon recht klapprig und altersschwach. Um ihn zu schonen, beschäftigte ich ihn mit Lagerdienst und ließ ihn sonst in Ruhe und Beschaulichkeit im Kreise seiner Frauen in seinen deutschen illustrierten Zeitungen älteren Datums studieren, von denen er einen ganzen Haufen bei sich hatte. Er besah sich die Bilder, denn Deutsch lesen konnte er nicht. Jedesmal, wenn er zu dem Bilde eines Militärs in glänzender Uniform kam, brachte er es mir und fragte, ob das Major Wissmann sei. Ich konnte seine Sehnsucht, ein Bild seines alten Führers zu finden, auf die Dauer nicht ungerührt mit ansehen und sagte endlich bei einem besonders prächtigen Bilde Ja. Seitdem hing, wenn ich mich recht entsinne, das Bild eines Herzogs von Sachsen-Altenburg am Ehrenplatz in der Hütte des Effendi. Von seinen Frauen umgeben, saß er andächtig davor und schaute es mit seinen guten alten Augen voll treuer Liebe unverwandt an. – In Engaruka bot sich auch Gelegenheit zu interessanten kulturgeschichtlichen Beobachtungen – Muße dazu hatte ich ja reichlich. Unten in der Niederung, da, wo jetzt nur Steppenbusch steht, kilometerweit vor der jetzigen Negersiedlung, fand ich noch deutliche Spuren von alten Mashamba [Pflanzungen] und ihren Bewässerungsgräben. Offenbar hat früher – _wann_, weiß ich nicht – ein jetzt verschollener Negerstamm dort sein Heim gehabt. Massai und andere nomadisierende Viehräuber werden den alten Stamm in der Steppe solange bekriegt und beraubt haben, bis er sich gezwungen sah, sie zu verlassen und zur besseren Verteidigung von Leben und Habe seinen Wohnsitz an den Grabenrand zu verlegen. Hier sah er sich, während er früher in der Steppe seine Mashamba unbeschränkt, Schritt haltend mit dem Wachstum der Bevölkerung, ausdehnen konnte, nun durch das Gelände gezwungen, die Volksnahrung auf einem ganz beschränkten Raum anbauen zu müssen. Die Art, wie sich der Stamm dem gewachsen gezeigt hat, nötigt uns die größte Achtung für seine Intelligenz ab. Den Grabenrand entlang, kilometerweit südlich und nördlich des Engarukabaches, stellenweise ein Viertel Kilometer tief, hat der Negerstamm Terrassen angelegt und so sein Ackerland planiert. Dieses Stück des Grabenrandes gleicht einer gigantischen Treppe. Wo nicht schon die Natur vorgearbeitet hatte, hat man senkrechte Terrassenmauern aus Findlingen aufgeführt, die – eine Seltenheit bei Negerarbeiten – Hunderte von Metern so gerade und parallel der nächsten Terrasse laufen, daß sie nach der Schnur angelegt zu sein scheinen. Die Breite dieser künstlichen Terrassen ist selten mehr als fünf bis sechs Meter. Mit dem Bau der Terrassen war aber der Reichtum der neuen Äcker an Steinen lange nicht erschöpft; jedesmal, wenn die Neger ihn umhackten, kamen neue Steine zutage. Fleißige Negerweiber trugen sie in Haufen zusammen, und als auch diese immer noch zuviel Platz wegnahmen, fingen sie an, um noch mehr Bodenfläche zu sparen, die Außenwände der Steinhaufen senkrecht aufzubauen. So entstanden die vielen würfelförmigen mannshohen Steinhaufen, auf denen vielleicht zu Zeiten von Kriegsnot auch Wächter gestanden haben mögen. Auf den ersten Blick und ehe man sich von der Gesamttätigkeit des verschollenen Negerstammes ein klares Bild gemacht hat, kommt man leicht auf den Gedanken, diese vierkantigen, oben flachen Steinhaufen für Grabmonumente zu halten. Hin und wieder fand ich auf diesen Terrassen die Überreste einer Viehboma, deren Umfassungsmauer ebenfalls aus losen Steinen aufgerichtet war, so wie ich es in Südafrika gesehen hatte. Diese Bomas sind nur klein. Die Massai werden das Großvieh und die Schafe, den Stolz des Stammes, als er noch unten in der Steppe wohnte und über unbegrenztes Weideland verfügte, abgetrieben haben. Der aus seinem Reich verdrängte Negerstamm wird sich oben am Grabenrande mit Ziegenhaltung haben behelfen müssen. Am meisten aber hat es mir imponiert, wie dieser alte Negerstamm sich die Wasser des Engarukabaches nutzbar machte. Oberhalb der obersten Terrasse, da, wo der Gebirgsbach seinen letzten Wasserfall hinter sich hat, ist er zum erstenmal durch einen künstlichen Steindamm abgeschlossen, der noch heute so gut erhalten ist, daß ich über ihn hinwegreiten konnte. Oberhalb dieses Staudammes zweigen rechts und links heute verfallene Hauptbewässerungsgräben ab. Das Wasser, das durch diese nicht in Anspruch genommen wurde, floß ab über den Staudamm, um sich weiter unterhalb hinter einem neuen Damm aufs neue aufzustauen und andere Hauptbewässerungsgräben zu füllen. Aus diesen Hauptgräben wurden die hinter jeder Terrasse laufenden kleineren Bewässerungsgräben gespeist. Die ganze Anlage, die sich fünf Kilometer nach Norden bis zu dem vom Grabenrande sich ergießenden Engare Rongai hinzieht und auch an diesem weit schwächeren Gebirgsbache fortgesetzt ist, läßt darauf schließen, daß der verschwundene Negerstamm an Kopfzahl sehr stark gewesen sein und kulturwirtschaftlich auf einer hohen Stufe gestanden haben muß. Während ich in Engaruka war, hoben die Engländer den Hunderttausend-Tonnen-Hammer immer höher, und meine Kompanie machte zwei ganz nette Sachen. Anfangs Januar 1916 legte sich Leutnant Freund mit zwanzig Mann nordöstlich vom Longido, in dem sie ihre Reittiere versteckt hielten, allnächtlich an die große Anmarschstraße des Feindes. Erst in der zehnten Nacht kam der Feind. Es war der Vortrupp der großen Invasionsarmee und bestand aus gemischter Kavallerie südafrikanischer Buren, Inder und Somalis. Der Patrouille Freund gelang es, diesen Vortrupp durch einen Feuerüberfall zu zersprengen. Der Feind ließ neun Tote auf dem Feld, unsere Patrouille hatte keine Verluste. Als ich die Nachricht hiervon bekam, ärgerte ich mich, nicht bei der Kompanie zu sein, und bat um meine Rückversetzung. Ich erhielt zur Antwort, meine zwei Monate seien noch nicht rum. Mit schwerem Herzen fügte ich mich diesem allerdings unbestreitbaren Einwande. Da griff am 6. Februar unser Kompanieführer selbst mit 40 Gewehren eine feindliche Reiterpatrouille von 120 Indern unter englischer Führung am Nagasseni, nördlich des Meru, an. Er ging so ungestüm und schneidig vor, daß die Kompanie Mühe hatte, mitzukommen. Der Feind wurde vertrieben und ließ zwei Engländer und sechs Inder tot auf dem Gefechtsfelde; auf unserer Seite fiel ein Askari. Jetzt waren meine zwei Monate um, und jetzt drängte alles in mir zu meiner Kompanie. Herrgott, nun ging es wirklich los, und ich sollte nicht dabei sein! Wie viele Briefe und Gesuche ich an meinen Kompanieführer gerichtet habe, weiß ich nicht mehr, aber das weiß ich gewiß, mich beseelte nur noch ein Gedanke: Zurück zur Kompanie, zurück zu meiner Heimat in Kriegszeiten! Endlich, am 5. März, traf der Vizesteuermann Seifert der Abteilung Aruscha in Engaruka ein, um mich abzulösen. Mit den Trägern, die er mitgebracht, trat ich am 6. März meinen Marsch zur Kompanie an. Zum viertenmal marschierte ich durch den Großen Ostafrikanischen Graben. Der Marsch war beschwerlich, da Grötzinger, der Malaria hatte, streckenweise getragen werden mußte. Als ich am Mondulwasser war, das seinerzeit die Kompanie vom Untergang durch Durst gerettet hatte, hörte ich aus der Richtung, in der ich marschierte, heftiges Artilleriefeuer des Feindes – denn ich wußte, daß wir an unserer ganzen Front nicht ein einziges Geschütz hatten. Wo das Geschieße war, konnte ich nicht feststellen – es konnte dem Schall nach ebensogut bei Geraragua wie am Engare Olmotonje sein, wo ich vorläufig hin wollte, um von da aus meine von dort abgerückte Kompanie zu suchen. Meine Gefechtsstärke bestand aus drei Gewehren, d. h. aus mir und zwei Signalaskari, die Befehl hatten, sich zum Kommando nach Moschi zu begeben; gehindert als Gefechtskraft wurde ich durch eine lange Trägerkarawane und einen kranken Europäer. Unter diesen Umständen und da ich dem Feind nicht in die Arme laufen wollte, marschierte ich nicht auf dem üblichen Wege weiter, sondern kletterte mit vieler Mühe über das Mondulgebirge weg und pirschte mich vom Südostmondul an Engare Olmotonje heran. Im früheren Lager der 8. Feldkompanie, das in der Nähe unseres Musterlagers gelegen hatte, fand ich die 28. Feldkompanie noch vor und meldete mich bei ihrem Führer, Hauptmann Rothert. Er sagte mir, daß die Boma [befestigter Platz] Aruscha dabei sei, via Lolkisale nach Süden abzubauen, daß nach den neuesten Nachrichten der Feind wahrscheinlich schon die Moschi-Aruscha-Straße besetzt habe, daß ich zu meiner Kompanie, die am Sanjafluß auf der Farm Kürbis nördlich dieser Straße liege, nicht mehr durchkönne, und daß ich mit den beiden Signalaskari am besten bei ihm bliebe! »Ha, ha! Der will dich vereinnahmen! Gibt es nicht, Herr Hauptmann, so schmeichelhaft es klingt.« Das dachte ich, aber natürlich nicht laut. Ich antwortete mit Hinweis auf die Befehle für mich und meine zwei Askari, daß wir zum mindesten den Versuch machen müßten, unsere Befehle auszuführen. Nach Erledigung dieser dienstlichen Angelegenheit suchte ich mein altes, jetzt verlassenes Kompanielager auf. Als ich das Kompaniebüro, in dem ich einst gehaust hatte, betrat, merkte ich, daß das Lager doch nicht ganz verlassen war. Alle die alten freundlichen Flöhe hüpften mir erfreut entgegen, um mich zu empfangen. Sie waren in solcher Zahl und so hungrig, daß ich schleunigst ausriß und vorzog, im Freien zu übernachten. Vom Hauptmann Rothert hatte ich mich, nach einer zweiten Besprechung mit ihm, am Abend schon verabschiedet, und da er immer noch den Befehl, daß ich bleiben müsse, auf der Zunge zu haben schien, verdrückte ich mich noch während der Nacht aus der Nähe seines Lagers und marschierte nach Aruscha. Dort fand ich Leutnant Gärtner der Abteilung Aruscha damit beschäftigt, die letzten Burenwagen beladen zu lassen. Ihm übergab ich meine Träger und Lasten, meinen Koch und die Boys, mit denen ich mich nicht länger belasten durfte. Ich war gerade dabei, mir meine besten Sachen anzuziehen – denn wann ich meine Boys und Lasten wiedersehen würde, war gar nicht auszudenken; tatsächlich sah ich die Lasten nie wieder –, als sich Bana matunda mit einer Patrouille von sechs Reitern meiner Kompanie bei mir meldete. War das eine freudige Überraschung! Ich konnte mich an den lieben Gesichtern der alten Kameraden gar nicht satt sehen und fühlte mich sofort der Kriegsheimat bedeutend nähergerückt. Sie kamen von einem Erkundungsritt um das Longidogebirge und ritten über Aruscha zur Kompanie zurück. Ich übernahm das Kommando der Patrouille, und gegen Mittag trabten wir an auf der Aruscha-Moschi-Straße, unsere Kompanie zu suchen. Um zehn Uhr abends am 10. März kam ich wohlbehalten bei meiner Kompanie an und wurde vom Kompanieführer und allen Kameraden auf das herzlichste empfangen. War das schön! Nach über dreimonatiger Abwesenheit endlich wieder zu Hause! Ich leistete innerlich einen feierlichen Eid, mich nie wieder verpumpen zu lassen. An jenem Abend lernte ich den Oberleutnant v. Ruckteschell kennen, den Führer der 21. Feldkompanie, die neben uns auf Farm Kürbis lag. v. Ruckteschell ist Maler und befand sich zu Kriegsausbruch in Deutsch-Ostafrika, um afrikanische Stimmungsbilder zu malen. Er galt schon damals für einen ausgezeichneten Kompanieführer. Ich bin ihm im weiteren Verlauf des Krieges wiederholt begegnet und habe ihn hochzuschätzen gelernt. Ich sah in ihm einen echten Führer, genial, kurz im Fassen seiner Entschlüsse, ein Draufgänger, derb, wenn es sein mußte, aber stets voll Humor und von kerniger Gesundheit. Kein Wunder, daß sich seine Kompanie unter seiner Führung im Laufe des langen Krieges zu einer der kriegstüchtigsten Askarikompanien entwickelte! Als unser Oberst Ende 1917 in das portugiesische Gebiet durchbrach, war Oberleutnant v. Ruckteschell einer der wenigen ursprünglichen Kompanieführer, die noch bei ihm waren. Der Hunderttausend-Tonnen-Hammer fällt Als ich am 10. März 1916 wieder zu meiner Kompanie stieß, war der Hunderttausend-Tonnen-Hammer bereits gefallen. Mit einer Gesamtstärke von 185000 Mann der verschiedensten Rassen, mit Automobilen, Geschützen und Fliegern gerüstet, griffen die alliierten Engländer, Belgier und Portugiesen unsere Kolonie auf allen Fronten gleichzeitig an. Diesem mächtigen Kriegsapparat hatten wir an Europäern, Askaris und Etappenmannschaften im ganzen 15000 gegenüberstehen. Nach einer Mitteilung englischer Zeitungen soll allein der feindliche Stab in Nairobi an Kopfzahl stärker gewesen sein als die Zahl der sämtlichen Europäer in unserer Schutztruppe. Unsere Zuversicht war, daß wir _einen_ Mann hatten, dessen Genialität und Ausdauer ganze Armeen aufwog – unseren Oberst v. Lettow-Vorbeck. Als in Europa am 11. November 1918 der Waffenstillstand geschlossen wurde, stand unser Oberst dem Feinde noch unentmutigt gegenüber. An unserer Nordfront, an der 90000 Engländer, südafrikanische Buren, Inder und Somalis gegen uns vorrückten, waren die beiden gefährdetsten Punkte einmal die Lücke zwischen dem Paregebirge und dem Kilimandscharo und sodann unser bisheriges Operationsgebiet, die Lücke zwischen Kilimandscharo und Meru. Die erstere Lücke verteidigte unser Oberst selbst, unsere Lücke hatte die Abteilung Fischer, bestehend aus den beiden Berittenen und vier Askarikompanien, zu halten. Die Gefahr der Lage bestand darin, daß ein Durchdringen des Feindes in beiden Fällen Moschi bedrohte. Mit Moschi, dem Endpunkt der Nordbahn, mußte aber diese und mit dieser über kurz oder lang der ganze Norden der Kolonie fallen. Der Anmarschweg der gegen unseren Abschnitt gerichteten Invasionsarmee führte über das uns bekannte Bezil-Lager auf der Automobilstraße am Erok und Longidogebirge vorüber. Major Fischer hatte seinen rechten Flügel, die Berittene 6. Schützenkompanie, bei Geraragua an den Kilimandscharo angelehnt, sein linker Flügel, meine Neunte und die 21. Feldkompanie unter Oberleutnant v. Ruckteschell, lag am Fluß Sanja auf Farm Kürbis. Als ich am 10. März hier eintraf, waren die Würfel eigentlich schon gefallen. Eine starke feindliche Abteilung mit Artillerie hatte bei Geraragua angegriffen, und die Berittene Achte hatte mit ihr ein siegreiches Gefecht gehabt. Man hat, glaube ich, diese feindliche Abteilung für die Kampfspitze der Invasionsarmee gehalten, während sie tatsächlich nur deren linke Seitendeckung war. Die feindliche Hauptarmee stellte sich überhaupt nicht zum Gefecht, sondern zog am Spätnachmittage des 11. März sieben oder acht Kilometer westlich von unserer Farm Kürbis an der ganzen Abteilung Fischer vorbei. Das war die Taktik, die der Feind unter Leitung des Burengenerals Smuts in der nächsten Zeit immer wieder übte. Er setzte gegen jede unserer Stellungen eine Kampftruppe mit starker Artillerie an, ohne jedoch ernstlich anzugreifen. Während er uns so beschäftigt wußte, zogen seine Hauptabteilungen an unseren Stellungen vorbei. Durch diesen Vormarsch, der unsere rückwärtigen Verbindungen bedrohte, wurden wir immer wieder gezwungen, Stellungen aufzugeben, aus denen uns kein Frontangriff hätte hinausschmeißen können. Eine von meinem Freund Pfützner geführte Patrouille brachte uns am 11. März um 4,30 Uhr nachmittags die erste Meldung von diesem Manöver des Feindes. Sofort marschierten meine Neunte und die 21. Feldkompanie nach Westen zum Flankenangriff auf die vorbeimarschierenden feindlichen Kolonnen; v. Ruckteschell und Freiherr v. Lyncker waren beide für Angreifen. Schon hatten sich die Kompanien zwei bis drei Kilometer vom Feinde entwickelt, als der Befehl eintraf, nicht anzugreifen, sondern auf Moschi zurückzufallen. Ich kann nur annehmen, daß die Abteilungsleitung, die, durch den Frontalangriff der linken Seitendeckung des Feindes getäuscht, ihre Hauptstärke auf unsern rechten Flügel geworfen hatte, nicht glaubte, noch rechtzeitig zu unserer Unterstützung eingreifen zu können. Da lagen wir nun untätig, zähneknirschend vor Wut, und ließen den Feind ganz nahe an uns vorbeimarschieren. Jeder Nordfarmer und -pflanzer, der damals mit mir den Feind beobachtete, wußte in diesem Augenblick, daß der schöne Norden unserer Kolonie, um den wir achtzehn Monate erfolgreich gekämpft hatten, jetzt verloren sei; da der Feind auf unserer Front durch war, würde auch unser Oberst seine Front auf die Dauer nicht mehr halten können, ja, er würde sogar bald abbauen müssen, wollte er nicht völlig eingeschlossen werden. In der Tat – wäre der Feind noch in der Nacht nach Kahe, der Bahnstation vor Moschi, weitermarschiert, dann hätten wir alle in einem schönen Wurstkessel gesessen. Daß Major Fischer, an dessen persönlicher Tapferkeit niemals jemand zweifelte, der ihn kennengelernt hatte wie wir, sich erschoß, machte die Lage nicht besser. Auf dem Marsch nach Moschi erlebten wir zum erstenmal einen Flieger; diesmal tat er uns noch nichts, sondern schien nur das Gelände abzusuchen. Ich hatte im Frühling 1914 den Flugplatz Johannisthal bei Berlin besucht, aber viele meiner Kameraden, die lange nicht in Deutschland gewesen waren, sahen ein Flugzeug hier zum ersten Male. Unsere Askari nannten den Flugapparat »ndege«, großer Vogel, und die Fliegerbomben »mayayi«, Eier. Diesmal sah der Askarizug, der fünfzig Meter vor dem Europäerzug ritt, den Flieger zuerst und schoß auf ihn so dicht über die Köpfe der Europäer weg, daß mir August Dehnecke mit Bauchschuß gemeldet wurde. Glücklicherweise war das ein falsches Gerücht, das so entstand: Dehnecke saß ab, um auch auf den Flieger zu schießen. Er zerbrach dabei seine Schnapspulle, die er in der Brusttasche hatte. Da nun der Schnaps, der diesmal von der roten Sorte »Marke Blutsturz« war, ihm über den Bauch lief und er sich erschrocken mit der Hand an den kalt werdenden Bauch faßte, kamen seine Kameraden auf die Idee, er habe einen Bauchschuß. – Unser lieber August Dehnecke, der so schwer satt zu kriegen war, mit seinem großen schwarzen Vollbart und dem Gemüt eines Kindes, ist heute auch nicht mehr. Er war später einer Patrouille der Berittenen Achten zugeteilt, die auf dem weiteren Rückzuge ganz von der Truppe abkam; acht Monate hat sich diese Patrouille noch hinter der feindlichen Front herumgetrieben, ehe sie sich in der Hans-Meyer-Höhle, hoch oben an der Schneegrenze des Kibo, nach einem letzten Gefecht dem Feinde ergab. Unser braver August Dehnecke, der frühere Gardedukorps, soll bald nachher infolge der überstandenen Strapazen und Entbehrungen an Unterernährung gestorben sein. Altmoschi, auf einem Vorhügel des Kilimandscharo, und Neumoschi, um die Bahnstation herum entstanden, waren bereits geräumt, als wir einrückten. Der letzte, der sogenannte Sprengzug, hinter dem die Schienen aufgerissen, die Brücken gesprengt und der Telegraph abgebaut wurden, war schon fort. Zurückgeblieben in Moschi waren die griechischen und indischen Kaufleute und Schankwirte. In einem solchen Ausschank aßen wir zu Mittag. Dann besetzten wir südlich von Moschi, in der Nähe der alten Burenstraße von Moschi nach Aruscha, eine Griechenshamba [Pflanzung], so genannt, nicht weil da Griechen wuchsen, sondern weil sie einem Griechen gehörte. Unsere Aufgabe war, die untere Anmarschstraße zu beobachten; die Berittene Achte lag an der oberen Moschi-Aruscha-Straße zum selben Zwecke. Da ich meine Träger nicht bei mir hatte und meine Boys irgendwo in Deutsch-Ostafrika für sich marschierten, mußte ich mich in dieser und der nächsten Zeit ohne Boy behelfen und so mit durchfuttern. Leutnant Freund lag damals mit einer ausgetretenen Kniescheibe im Lazarett, aber mein Kompanieführer sowie Oberleutnant Meyer nahmen sich meiner so ausgiebig an, daß ich meine Besitzlosigkeit wenig spürte. Trotzdem war ich direkt stolz, als ich einige Wochen später bereits wieder eine Safarikiste und einen Interimsboy besaß. Eine Hose hatte ich mir bereits auf Farm Kürbis gekauft; sie war das erste und blieb leider recht lange das einzige Reservestück meiner Ausrüstung. Immerhin hatte der Besitz dieser Hose etwas Beruhigendes. Für uns alle sollte sich das Leben von jetzt ab ändern. Früher hatten wir unsere Standlager gehabt, zu denen wir von Patrouille, und wenn sie noch so lange gedauert hatte, wie nach einem festen Zuhause zurückkehrten. Von jetzt ab hatten wir ein solches nicht mehr. Wenn wir jetzt auf Patrouille ritten, wußten wir nie, ob wir die Kompanie dort wiederfinden würden, wo wir sie verlassen hatten. Und da die Träger nicht so rasch beweglich waren wie die berittene Truppe, die stets am Feinde bleiben mußte, sahen wir sie, die Boys, die Lasten und somit ein reines Hemd seltener, als uns lieb war. ~Omnia mea mecum porto~ wurde unsere Devise. Auf der Griechenshamba blieben wir zwei Tage, bis der Feind Moschi besetzte. Wir fielen dann auf die Station Kahe zurück. Diese kleine Bahnstation der Nordbahn, in der Nähe der Pangani-Eisenbahnbrücke, zeichnete sich vor dem Kriege, glaube ich, nur durch scheußliche Hitze und Moskiten aus. Von meiner Reise von der Küste nach Moschi im Juli 1914 war mir der Name der Station Kahe nicht mal im Gedächtnis hängengeblieben; vor dem Kriege war hier nur ein goanesischer Stationsvorsteher, Europäer gab es dort überhaupt nicht. Jetzt war Station Kahe neben Moschi Bahnstützpunkt geworden. Verpflegungsmagazine aus Wellblech und Typhuslazarette aus Gras mit Grasbetten waren in der Nähe der Station entstanden. Als wir nach Kahe kamen, waren die Magazine und Kranken bereits nach Lembeni weiter zurückgeschafft worden. Nur die leeren Strohhütten der Typhuslazarette standen noch und wurden von unserer Kompanie belegt. Da die Magazine im Umzug begriffen waren, funktionierte die Etappe während unseres Aufenthaltes bei Kahe nicht besonders glänzend. Empfangen haben wir nur pro Mann eine Handvoll Kartoffeln, und hätte die Kompanie nicht eigene Ochsen und Schafe und vor allem Zigaretten besessen, hätte es schlimm ausgesehen. Von Kahe aus mußten unsere Reiterpatrouillen, vor unserer Infanteriestellung, an der Bahn zurück bis Moschi aufklären. Die erste dieser Patrouillen, die gewöhnlich zwei Tage dauerten, führte Oberleutnant Meyer, die zweite ich. Als ich Oberleutnant Meyer einige Kilometer hinter Kahe begegnete, teilte er mir mit, daß eine feindliche Patrouille von etwa hundert Reitern hinter ihm her sei. Ich hatte den Fahnenschmied Runte, die Buren van Wyck und Dievenhagen und vier Askari mit – also acht Gewehre stark! Na, es mußte auch so gehen. Bald hinter Kahe bis einige Kilometer vor Moschi ist auf beiden Seiten der ziemlich geraden Bahnlinie dicker, fast undurchdringlicher Busch, in dem sich nur einige Gewehre oder ein Maschinengewehr aufzubauen brauchen, um jeden, der auf dem Bahndamm reitet, bequem abzuschießen. Damit, daß meine Patrouille wie Hasen auf der Treibjagd abgeschossen wurde, war weder uns persönlich, noch dem Kommando, das Meldungen über die Stellung des Feindes haben wollte, besonders gedient. Ich mußte, so unbequem es war, im Busch bleiben, ob rechts oder links der Bahn, war Jacke wie Hose. Ich drang im Busch, etwa hundert Meter links der Bahn zu dieser parallel, in folgender Weise vor: Immer, wenn ich glaubte, etwa zwei Kilometer vorgerückt zu sein, ließ ich halten, absitzen und sichern. Einer von uns vier Weißen, immer nach der Reihe, ging dann zu Fuß an den Bahndamm heran und beobachtete diesen mit dem Glas rückwärts und vorwärts für zehn Minuten. Sobald er zurück war, drang die Patrouille geschlossen wieder zwei Kilometer vor. Als van Wyck wieder dran war, kam er gleich wieder mit der Meldung zurück, auf dem Bahndamm stehe ein reiterloses englisches Kavalleriepferd mit voller Ausrüstung. Aha, dachte ich, die feindliche Patrouille, von der Oberleutnant Meyer sprach, muß hier herum wo sein. Wäre aber doch schade, den Gaul, dessen Reiter vielleicht mal eben ausgetreten war, da so einsam stehen zu lassen! Ich ließ die Askari bei unseren Tieren und ging mit den andern an den Bahndamm heran. Ohne weitere Komplikationen gelang es, das reiterlose Pferd zu greifen. Schleunigst zogen wir uns mit dem gemachten Mali [Beute] in den Busch zurück. Es wurde mir klar, daß wir an der englischen Patrouille, die im Busch auf der anderen Seite der Bahn in entgegengesetzter Richtung vorging, vorbeigezogen waren – wahrscheinlich hatten wir ein Reittier ihrer Nachspitze erbeutet. Die Reitausrüstung des freundlichen Engländers, dessen Tier wir so für die Kompanie plus gemacht hatten, war funkelnagelneu. Desgleichen der Inhalt der Packtaschen. In den Packtaschen waren Rasierzeug und Spiegel, Haarbürste, Bürste und Striegel für das Pferd, ein Gebetbuch und alle möglichen Salben. Der englische Soldat war also gut ausgerüstet in den Krieg gezogen, nicht nur von seinem Arzt, sondern auch von seinem Geistlichen. Ich rückte weiter vor. Der nächste, der zur Beobachtung an die Bahn mußte, war Dievenhagen. Ich wartete auf ihn wie üblich, aber er kam nicht wieder. Ich wartete über die übliche Zeit, und als er auch dann noch nicht kam, mußte ich ihn aufgeben. In dem Busch, in dem man keine zehn Schritt sehen konnte, eine verlorengegangene Person suchen zu wollen, wäre Torheit gewesen. Ich war froh, wenn ich den Bahndamm und meine Marschrichtung selbst nicht verlor. Da ich eine die feindliche Patrouille betreffende Meldung machen mußte und da mir das Beutetier und nun auch Dievenhagens Tier im Busch sehr lästig waren, sandte ich einen Askari mit den beiden Tieren und meiner Meldung nach Kahe zur Kompanie zurück. Er stieß, diesmal auf meiner Seite der Bahn, wieder auf die englische Kavalleriepatrouille, der er nur durch schnelles Sich-Verdrücken im Busch entging. Seine mündliche Meldung, daß die englische Patrouille auf meiner Spur sei, mag die Veranlassung dazu gewesen sein, daß man mich bei der Kompanie bereits auf Verlustkonto buchte. Als ich das später erfuhr, war ich sehr froh; denn für den Soldaten, der einmal irrtümlich tot gemeldet wurde, ist, nach altem Soldatenglauben, keine Kugel gegossen. Es ging mittlerweile gegen Abend, und ich mußte für Nachtquartier sorgen. Damit wir sechs müden Reiter nicht auch noch Nachtwachen zu schieben hatten, zog ich ein wenig mehr von der Bahn ab und suchte mir im dicksten Busch ein ganz verstecktes Plätzchen, auf dem etwas Gras für die Reittiere wuchs. Wenn uns kein Nashorn angriff, wie auf einer späteren Patrouille über dasselbe Gelände den Unteroffizier Fritz König, der in den Busch geschleudert wurde und sein Reittier dabei einbüßte, fühlte ich mich ganz sicher dort. In diesem dicken Busch, in dem man sich schon bei Tage kaum zurechtfindet, würde in der Nacht sicher kein zweibeiniger Feind herumirren. Als ich dabei war, an einer fetten, am Spieß gebratenen kalten Hammelkeule zu nagen, die ich den Tag über an Runtes Sattel hatte hängen sehen, hörte ich rufen. Also gab es in diesem wilden Busch doch noch was Menschliches außer uns. Wir schwärmten aus und lauschten, denn zu sehen war nichts mehr. Natürlich entpuppte sich der verirrte Wanderer als unser Bur Dievenhagen, der schließlich unsere Spur gefunden, sie, solange es hell blieb, verfolgt und jetzt im Dunkeln sich als letzte Rettung auf das Rufen verlegt hatte. Am nächsten Morgen rückten wir bis auf drei Kilometer an Moschi heran, bis dahin, wo der Busch anfängt lichter zu werden. Wir versteckten unsere Tiere und suchten uns in dem ebenen Gelände einen hohen Baum, von dem aus wir beobachteten. Mit dem Glas konnten wir gut sehen, was in Moschi vorging, und auch die feindlichen Lager beobachten. Ich machte eine Skizze und schickte sie mit meiner schriftlichen Meldung zurück durch einen Askari und Dievenhagen, die, da letzterer jetzt kein Reittier hatte, abwechselnd reiten und laufen mußten. [Illustration] Bis zwei Uhr nachmittags setzten wir unsere Beobachtungen fort und traten dann den Rückmarsch an. Der Bur van Wyck ritt Spitze, um auf unserer eigenen Spur zurückzuführen. Diesmal versagte sogar der Poriinstinkt eines Buren. van Wyck bekam Rechtsdrall, führte uns in die offene Steppe westlich vom Busch, wieder hinein in den Busch, und um vier Uhr nachmittags waren wir wieder bei unserem Aussichtsbaum angelangt. Also: das Ganze noch mal! Diesmal – ohne Burenführung – gelang die Sache besser. Wir hielten uns ganz nahe der Bahn, trabten, da es spät geworden war, streckenweise auf dem Bahndamm und stießen, einige Kilometer vor Kahe, auf unsere Ablösung. Der Infanteriefeldwache bei Kahe kamen wir als eine Überraschung. Da wir als tot gemeldet waren, hielt sie uns für Feind und ging in Stellung. – Die größte Attraktion dieser Zeit waren die feindlichen Flieger. Jeden Morgen und jeden Nachmittag kamen sie, suchten nach unserm 10,5-Zentimeter-Geschütz, das in der Nähe von Kahe irgendwo im Pori stand, fanden es nicht und belegten aus Ärger darüber die Station Kahe und die Eisenbahnbrücke mit Bomben. Da wir nahe an beiden lagen und da die Flieger damals gewöhnlich noch einen halben Kilometer an dem Objekt, das sie treffen wollten, vorbeischmissen, befanden wir uns gar nicht besonders wohl bei der Sache. Das Schießen auf Flieger war verboten worden, weil es Munitionsverschwendung war und unsere Stellungen verriet; Abwehrgeschütze hatten wir natürlich nicht. Mit Bomben beworfen zu werden, ohne sich wehren zu können, ist anfangs ein übles Gefühl. Weglaufen hat keinen Zweck; denn wohin so’n Ding geht, ist gar nicht zu berechnen. Ich habe mich während der Bombenschmeißerei hingelegt, wo ich gerade stand, und mir zur Beruhigung der Nerven eine Zigarette angesteckt. Bekam ich einen Volltreffer, so gab es einen alten Mann in der Welt weniger, und nicht mal zu beerdigen würde man mich brauchen; denn in einem ähnlichen Falle fand man von Roß und Reiter nachher nur die Pferdezunge hoch oben in einem Akazienbaume hängen. Bohrte sich die Bombe aber einen Meter neben mir in den weichen Boden und riß einen Trichter, dann schossen die Sprengstücke über mich weg und kamen erst dreißig Meter weiterhin wieder nieder. Es gab auch andere Verhaltungsmethoden wie meine. Einzelne spielten hinter einem Baum mit der Bombe Versteck, und einen sah ich sogar unter das Grasbett in einem Grashaus kriechen. Allmählich gewöhnten wir uns an die ekligen Bombendinger, wie sich der Mensch eben an alles gewöhnen kann. Weder die Bahnstation noch die Brücke wurden je getroffen, aber vier oder fünf Träger haben ihren Tod gefunden. Am 21. März 1916 war die Schlacht bei Kahe. Ich sage Schlacht – denn auch wir hatten diesmal nicht nur Infanterie und Kavallerie, sondern auch ein 10,5-Zentimeter-Schiffsgeschütz. Unsere Stellung, mit dem rechten Flügel an das Paregebirge angelehnt, bildete einen Bogen nördlich von Kahe bis an den Panganifluß. Auf dem äußersten linken Flügel dieser Stellung, also an den Pangani angelehnt, lag meine Kompanie. Am Morgen griffen die Engländer an, und zwar an zwei Stellen. Die Invasionsarmee, die durch die Tavetalücke eingedrungen war, warf sich auf unser Zentrum und bekam von der Abteilung unter Hauptmann Stemmermann die Köpfe blutig geschlagen; die Engländer machten dort Angriff auf Angriff, ohne unser Zentrum eindrücken zu können. Die zweite Invasionsarmee, die zwischen Kilimandscharo und Meru durchgebrochen war, stieß auf unsern linken Flügel. Meine Kompanie und die sich rechts an sie anschließende Berittene Achte kamen gegen 7 Uhr 30 morgens mit der Kavalleriespitze dieser Invasionsarmee ins Gefecht. Die Gefahr bestand darin, daß ein Teil der letzteren weiter unterhalb über den Pangani gegangen war und versuchte, unsern ganzen linken Flügel zu umfassen. Meine Kompanie mußte daher den Pangani durchschwimmen und auf der linken Seite desselben bis zum Kaheberg, etwa fünf Kilometer südlich der Station Kahe gelegen, sichern. Als wir unsere Tiere durch den Pangani schwimmen ließen, bekamen wir von drei Seiten Gewehrfeuer, und zwar vom Feind, der bereits den Pangani überschritten hatte, vom Feind, der noch diesseits war, und von einem Zug unserer Askari, der uns für Feind hielt. Der Kaheberg, auf dem meine Kompanie einen Helioposten hatte, wurde von der feindlichen Artillerie andauernd schwer mit Schrapnells belegt, aber trotzdem hartnäckig verteidigt. Erst um ein Uhr nachmittags konnte er von den Engländern gestürmt werden. Unsere ganze Besatzung des Berges, bestehend aus dem Vizewachtmeister Mittag und dem Unteroffizier Kaltenbach, fiel in Feindeshand; ihre beiden Signalaskari hatten sich bereits vor dem Sturm verdrückt. Daß unser linker Flügel am 21. März bei Kahe nicht eingedrückt oder umgangen wurde, ist in der Hauptsache das Verdienst der Berittenen 9. Schützenkompanie, und die eigentlichen Helden des Tages sind nach einem englischen Bericht über diese Schlacht ohne Zweifel der Vizewachtmeister Mittag und der Unteroffizier Kaltenbach. Die Engländer schreiben, daß sie nur langsam hätten vorgehen können, da sie den Kaheberg für stark besetzt gehalten hätten. Wir wissen, daß nur Mittag und Kaltenbach, treu dem ihnen gegebenen Befehl, den Berg nicht zu verlassen, ihn verteidigten, bis Mittag verwundet und dann beide gefangen wurden. Mitgeholfen, die Situation zu retten, hat aber sicher auch unsere »Artillerie«, das eine 10,5-Zentimeter-Geschütz, das dann leider an seinem Standort gesprengt werden mußte. Das Geschütz, befehligt von dem Nordpflanzer und Korvettenkapitän Schönfeld, schoß, wie wir beobachten konnten, mit vorzüglichem Resultat und hielt den Umgehungsmarsch des Feindes, dessen Zahl uns zu erdrücken drohte, erfolgreich mit auf. Ich war, als ich nach 20 Kriegsmonaten zum erstenmal einen Schuß aus einer deutschen Kanone hörte, aus alter Anhänglichkeit an diese Waffe direkt stolz. Jedesmal, wenn sie feuerte, sagte ich zu meinem Nebenmann: »Das ist unsere!« Die Situation war trotzdem ernst genug. Die Engländer hätten an jenem Tage nur energisch vom Kaheberge bis an das Paregebirge nachzudrücken brauchen, so wäre unsere ganze Nordarmee eingeschlossen gewesen und hätte sich durchschlagen müssen. Klaren Auges erkannte unser Oberst, der sich beim Zentrum aufhielt, diese Gefahr. Ein Meister auch darin, wenn er zurück mußte, mitten in einer Schlacht abzubrechen, baute er seine Stellung allmählich ab. Kompanie nach Kompanie ging, da die Kahebrücke von uns gesprengt war, auf Notbrücken über den Pangani und dann an der Bahn entlang zurück nach Kisangiro, der nächsten Bahnstation – als letzte, erst gegen Dunkelwerden, die Abteilung Stemmermann. Als wir nach rechts keinen Anschluß mehr hatten und daher annehmen mußten, daß die Feld- und Schützenkompanien abgerückt seien, zog auch meine Kompanie sich am Nachmittag an der Bahn zurück. Unteroffizier Horn, zu dem sich später die von einer Schleichpatrouille zurückgekehrten Unteroffziere Dornier und Karl Blaich hinlegten, blieb mit einer Gruppe Askari im Gefecht liegen und deckte unsern Rückzug, bis es dunkel wurde. Auf dem Marsch nach Kisangiro holten wir die Berittene Achte ein. Im Brigadeverband ritten wir noch eine sonderbare Attacke, nämlich in einem engen Bahneinschnitt mit steilen Wänden gegen einen heranbrausenden Eisenbahnzug, der Nachzügler aufsammeln sollte. Wir mußten nachgeben, und die Achte verlor bei diesem Renkontre zwei Pferde, die totgefahren wurden. Als ich den Landsturmmann und Lokomotivführer Stephan, der in jener Zeit täglich vierundzwanzig Stunden Dienst hatte und dem die Fliegerbomben schon ganz egal waren, solange sie nur _hinter_ seinem Zug auf den Bahndamm fielen, später mal fragte, warum er nicht gehalten habe, sagte er: »Nanu! Ich bremste ja, all ich konnte, als ich Sie anreiten sah, aber so ein Eisenbahnzug ist doch keine Schiebkarre!« Am 22. März fing die Infanterie an, nach Lembeni, der nächsten Bahnstation, weiter zurückzugehen, wo unsere nächste Stellung sein sollte. Am Nachmittag des 23. März folgte auch meine Kompanie und traf nach Dunkelwerden in Lembeni ein. Da in der Nähe Pferdesterbe sein sollte, durften aber die berittenen Truppen hier nicht bleiben, sondern sollten noch am selben Abend in einen bereitstehenden Zug nach Same verladen werden. Eine massive Viehrampe, wie sie in Australien jede Buschstation hat, gab es in Lembeni nicht, und da weder die Bahnstation noch der dort haltende Zug der Flieger wegen Licht zeigen durfte, würgten wir dreckigen Kriegsknechte, denen es auf etwas mehr Schweiß und Dreck nicht ankam, eine Stunde lang im Dunkeln mit unsern Tieren herum. Einige feine Europäerherrchen in weißen, gebügelten Anzügen, hohen Stehkragen mit Schlips, glatt rasiert, spazierten oder standen, sich die Fingernägel reinigend, pomadig auf dem Bahnsteig uns im Wege – uns irgendwie behilflich zu sein, fiel keinem ein. Diese weißgekleideten Jünglinge waren die Herren von der Etappe, die der Frontsoldat lieblos Magazinmaden nennt und ohne die leider Kriege nicht geführt werden können. Dabei fallen mir zwei Geschichten ein, die unsern Oberst und seine lakonischen Befehle charakterisieren: Die Etappe meldet dem Kommando, die Truppe nicht länger verpflegen zu können. Kommandobefehl: »Die Etappenleitung übernehme ich selbst. Gez.: v. Lettow.« Erster und einziger Etappenbefehl: »Jede Kompanie hat sich selbst zu verpflegen. Gez.: v. Lettow.« Da ging es mit einemmal. – Die andere: Eine Abteilung meldet, sich verschossen zu haben. Kommandobefehl: »Munition ist beim Feinde zu ergänzen. Gez.: v. Lettow.« Wurde gemacht. – Von Same aus gab es wieder viel Patrouillen nach vorne zu reiten. Da man annahm, daß der Feind, der frontal nicht angriff, eine größere Abteilung am Pangani abwärts marschieren lassen würde, um – nach Taktik Smuts – unsere Lembenistellung zu flankieren, ritt ständig eine Patrouille meiner Kompanie den Fluß aufwärts. Von Same aus ging es durch greulichen Busch, in dem ich einmal von einem Skorpion geschlagen wurde, daß mein linker Arm und meine linke Schulter mehrere Tage so abgestorben waren, als wenn sie der Rest des Körpers nichts anginge, zum Negerdorf Opuni, in dem, was sehr interessant war, sich stets ein Hammel, Hühner und Eier kaufen ließen. Die Patrouille ritt dann am Fluß aufwärts bis etwa in Höhe von Lembeni. Hier liegt inmitten einer größeren Buga am Pangani ein einsamer, mächtiger vierkantiger Felsblock, den die Eingeborenen das »Haus von Stein« nennen. Irgendwo in seiner Nähe pflegten wir nun die Nächte im Busch versteckt zu liegen, um jeden Tag am Pangani aufwärts bis nahe an die Stellung des Feindes vorzudringen. Jede Patrouille war sechs Tage draußen und ritt an dem Tage, an dem die nächste Patrouille von Same über Opuni automatisch eintreffen mußte, nach Lembeni, um von dort per Bahn nach Same zurückzukehren. Ich habe auch eine dieser Patrouillen geführt und mich gefreut über das neue Landschafts- und Naturbild, das sich mir hier auftat. Unten am Pangani wuchsen andere Bäume und Sträucher, als ich bisher in den Hochsteppen gesehen hatte – selbst die Phönixpalme kam hier in kleinen Hainen vor. Der Wasserbock war hier richtig zu Hause, und wenn man den Fluß ruhig beobachtete, konnte man sicher sein, die Nasen von einigen Krokodilen aus dem Wasser gucken zu sehen. Die Krokodile lagen im niedrigen Wasser Kopf stromaufwärts, der Strom brach sich an ihren runden Nasen und rippelte dort wie vor einem gerade aus dem Wasser ragenden Stein. Die Krokodile nehmen gelegentlich ein Negerkind mit oder beißen den Wasser schöpfenden Negern eins der Gliedmaßen ab. Uns haben sie nie belästigt. Zu Anfang feuerten wir einige Schüsse in das Wasser, um die Krokodile zu verscheuchen, ehe wir durch den Fluß ritten oder schwammen. Später taten wir auch das nicht mal; denn sobald wir an den Fluß kamen und unsere Tiere von der Uferbank hineinschmissen, wurden die Krokodile nervös und flüchteten. Wir haben auch im Pangani gebadet, ohne unsere Körper mit einem Zaubermittel gegen Krokodile zu beschmieren, wie es die Opunineger taten, wenn sie durch den Fluß mußten. Als ich von dieser Patrouille über Lembeni zurückkam und dort beim Kommando meine Meldung machte, sprach ich zum erstenmal seit den Posten Krantz-Zeiten wieder persönlich unsern Oberst, der damals noch frisch und wohl aussah. Er ödete mich scherzweise damit an, daß ich in meinen alten Tagen wohl noch Reserveoffizier werden wolle, und übergab mich schließlich dem Oberleutnant v. Ruckteschell mit der Weisung, mich und meine Leute zu stärken, bis unser Zug da sein würde. Daß dieser Befehl ausgiebig befolgt wurde, brauche ich kaum zu sagen. [Illustration] Wenn auch nicht seine Krokodile, so forderte der Pangani, der größte Fluß im Norden der Kolonie, doch seine Opfer. Wir Europäer holten uns dort Malaria, und unsere Tiere gingen an Sterbe ein wie Fliegen. Ich holte mir auch Malaria, die erste im Kriege, und lag acht Tage unter dem als Offiziersmesse dienenden Grasdach in Same in hohem Fieber. Während dieser Zeit lernte ich, wenn das Fieber mal etwas herunterging, Patience legen, was ich in meiner Jugend nur von ganz alten Damen gesehen hatte. Zu einer richtiggehenden Patience, in der der Spieler mit sich selbst und gegen seine Ungeduld kämpft, habe ich es allerdings nie gebracht, selbst damals nicht, als ich Fieber hatte. Ich legte nur Streitpatience gegen Leutnant Freund, der inzwischen wieder zur Kompanie gekommen war. So eine Streitpatience hat ihrem Namen nach doch wenigstens den Reiz, daß man sich dabei kabbeln kann. Wenn Geduld nach dem Patiencelegen zu bemessen ist, dann bin ich nicht geduldig, wohl aber mein Kriegskamerad Dr. Sinning. Der breitete sich eine Zeltbahn auf der Erde aus, legte sich auf den Bauch und baute nun mit drei Kartenspielen die Riesen-, Monster- und Dauerpatience auf. So fand ich ihn, als ich ihn mal besuchte. Als ich drei Tage später wieder zu ihm kam, war das Bild genau dasselbe. Das olle Ekel von Patience wollte und wollte nicht aufgehen. Freilich bin ich zu sehr Anfänger in der Kunst, um mit aller Bestimmtheit behaupten zu können, daß es noch immer dieselbe Patience war. Von Same aus mußte leider unser Kompanieführer v. Lyncker mit chronischer Dysenterie ins Lazarett; ich habe ihn im Kriege nicht wiedergesehen, er wurde nach Daressalam weitergeschafft und lag dort, wie aus seinen Briefen zu ersehen war, sehr schwer krank. Oberleutnant Meyer wurde bald darauf Führer der Berittenen Achten, zwei Tage später wurde Leutnant Berghöfer zu einer Askarikompanie versetzt, neue Offiziere bekamen wir nicht mehr. So war Leutnant Freund unser einziger Kompanieoffizier. Er, der von Kriegsanfang an – der Leser mag sich entsinnen, er war schon mit mir auf Farm Weber – immer bei der Kompanie gewesen ist, war von nun an ihr stellvertretender Führer – bis zu der Katastrophe, die das Ende der tapferen Neunten bedeutete. Der Gewaltmarsch zur Mittellandbahn während der großen Regenzeit Sergeant Thiele von meiner Kompanie hatte von einer Schleichpatrouille die wichtige Meldung gebracht, daß auf der Straße von Aruscha nach Dodoma eine starke feindliche Abteilung nach Süden vorrücke. Also wieder Methode Smuts! Der Feind hoffte, ohne große Verluste seinerseits, unsere Nordtruppen in der Lembenistellung festhalten und unterdessen mit einer seiner vielen großen Reservearmeen die Mittellandbahn nehmen zu können. Mit dem Fall der Mittellandbahn wäre aber die ganze nördliche Hälfte der Kolonie verloren gewesen. Dieser neuen Kriegslage entsprechend entschloß sich unser Oberst, in der Lembenistellung nur eine Abteilung unter Major Kraut zurückzulassen und den größeren Teil der Nordtruppen in Eilmärschen von der Nordbahn an die Mittellandbahn zu schicken, die sie nach Dodoma weiterbeförderte. Von Dodoma aus wollte unser Oberst dann dem von Norden heranrückenden Feind entgegentreten. Als letzte der nach dem Süden gehenden Truppen wurden die beiden Berittenen Schützenkompanien von der Lembenifront weggeschickt. Die Zeit, die wir dort länger verwendet worden waren, sollten wir durch größere Marschleistungen wieder einholen. Wir sollten von der Nordbahnstation Ngombezi nach Kimamba marschieren, um von da aus auf der Mittellandbahn nach Dodoma befördert zu werden. Am 21. April wurden wir in Same auf die Nordbahn verladen. Als wir aufsaßen, um von unserm Lager oberhalb Same zur Station zu reiten, fiel ich hin. Ich war noch so matt von dem eben überstandenen Fieber, daß ich mit der schweren Kriegsausrüstung nicht mal auf das kleine Maultier klettern konnte, das ich auf diesem Marsch ritt. Oberarzt Klemm wollte mich nach Mombo ins Lazarett schicken, ich konnte mich aber nicht entschließen, meine Kompanie zu verlassen – wußte ich doch aus Erfahrung, wie schwer sie wiederzukriegen war, wenn man erst einmal von ihr abgekommen ist. Noch eine andere Betrachtung hielt mich bei der Kompanie. Ich mußte und wollte durch mein Alter vorbildlich wirken, war ich doch keineswegs der einzige Rekonvaleszent unter den sowieso schon stark zusammengeschrumpften Europäern. Auf dem Papier hatte die Kompanie um diese Zeit immer noch etwa 70 Europäer – aber nur auf dem Papier. Denn Dr. Sinning mit unsern Fußaskari war bei der Abteilung Aruscha, Unteroffizier Horn und noch zwei Europäer waren unterwegs mit einer Fernpatrouille der Berittenen Achten, Unteroffizier Obst, Truppel, Hugo König und de Beer waren mit einem Spezialauftrage im Rücken der nach Süden vorgehenden englischen Truppen, sechs Europäer hatten wir in den letzten Wochen verloren und 27 Europäer waren bereits als felddienstuntauglich auf Etappe abkommandiert oder lagen in den verschiedenen Lazaretten. Von den 29 Europäern, die noch von Same abrückten, kamen 18 vor Kondoa an – den Rest verschluckte der Marsch. Es war aber auch ein Marsch voll Höllenqualen, wie sie nur der Tropengürtel, in dem wir uns nun befanden, zur großen Regenzeit aufzuweisen hat. Von den Gottesgaben, die der Landwirt sonst schätzt, gab es zuviel auf einmal: zuviel Wärme und zuviel Feuchtigkeit. Zum Ausgleich hierfür gab es dann auf der großen Etappenstraße so gut wie gar nichts zu essen. Was da gewesen sein mag, hatten die zahlreichen vor uns marschierenden Askarikompanien natürlich aufgegessen, und unsere eigene Bagage kam bei dem befohlenen Marschtempo nicht mit. Auf der Bahnhaltestelle Ngombezi, 92 Kilometer vor Tanga, wo wir uns am 22. April morgens vier Uhr ausluden, ging die Quälerei schon los. Es hatte geregnet, war drückend schwül, und das Loch wimmelte von Moskiten. Es war zu heiß, um sich den Woilach über den Kopf ziehen zu können, tat man es aber nicht, dann fraßen einen die Moskiten auf. An Schlaf war unter diesen Umständen nicht zu denken. Als es Tag wurde, faßten wir in einem Magazin für Askariausrüstung für unsere Askari, was noch zu haben war, und für uns Europäer je eine Moskitonetztüte. Man denke sich eine mannshohe Spitztüte aus Moskitogaze gefertigt, an deren Spitze sich eine Bandschlaufe befindet. Mit dieser Schlaufe befestigt man die Tüte über dem Kopf an einem Ast und kriecht dann mit Kopf und Händen unter die Tüte. Andere Körperteile brauchen nicht geschützt zu werden, denn in den nächsten drei Monaten sind wir nie anders wie gestiefelt und gespornt zum Schlafen gekommen; die Nachttoilette bestand im Austausch des Tropenhelms gegen die Feldmütze, das Kopfkissen war der Sattel und das Bett die Mutter Erde. Die Moskitonetztüten waren sehr wirksam gegen gewöhnliche ausgewachsene Moskiten und am Tage gegen Fliegen. Gegen die winzig kleine Moskitoart aber, die es auf unserm Marsch von der Nordbahn zur Mittellandbahn fast überall in großen Schwärmen gab, schützte die Tüte leider nicht. Im Gegenteil – die kleinen Biester kamen zu Hunderten durch die Gaze durch und peinigten uns um so mehr, weil wir sie dann nicht mehr verscheuchen konnten. Kopf, Hals und Hände waren stets mit kleinen roten Punkten besät, und die Haut juckte zum Verzweifeln. Um acht Uhr morgens ritt die Kavalleriebrigade von Ngombezi ab, um bald darauf die alte Karawanenstraße von Korogwe nach Handeni zu erreichen. Auf ihr standen die vier Automobile, die unsere Truppe damals noch besaß, und warteten auf unsern Oberst und seinen Stab. Später am Tage überholte uns unser Oberst. Die Nacht verbrachten wir im Pori bei feinem Regen, südlich der Kautschukpflanzung Zitzmann. Zitzmann ist der Pflanzer mit dem magischen Glasauge. Wenn er nicht immer persönlich bei seinen Pflanzungsarbeitern stehen wollte, nahm er sein Glasauge heraus, setzte es in Position auf einen Baumstamm und sagte den Arbeitern, das Auge würde ihm schon erzählen, wenn sie faul gewesen wären. Eine Zeitlang standen die Neger im Banne dieses Glasauges und arbeiteten, daß ihnen der Schweiß den Buckel herunterlief. Als dann Zitzmann einmal wieder kam, um nach der Arbeit zu schauen, lagen alle Neger im Schatten und pennten friedlich – ein Schlaukopf hatte seine Kofia [Mütze] vorsichtig über das Glasauge gesetzt, das nun nichts sehen konnte. Zitzmann war als Kriegsfreiwilliger eingetreten und hatte es durch seine glänzenden Sprengpatrouillen bereits zum Vizefeldwebel bei der 21. Feldkompanie gebracht. Am nächsten Mittag ritten wir bei schwerem Regen in Handeni ein. Hier wurden wir in leider leeren Magazingebäuden untergebracht und warteten auf den Tierarzt Philipp, der unsere Tiere gegen Tsetse mit Atoxyl, dem Mittel, das auch gegen Schlafkrankheit angewandt wird, impfen sollte. Am Abend fand die Impfung statt, und die Tiere mußten jetzt 24 Stunden Ruhe haben. Die Experimente, die im Kriege mit Atoxyl gegen Tsetse gemacht worden sind, sind nach meinen Beobachtungen noch unzureichend; bei Maultieren wenigstens schien es ja zu wirken, aber andererseits hatten wiederholte Atoxylspritzungen bestimmt eine böse Wirkung auf die Herztätigkeit der Tiere, die dann auch zum Teil an Atoxylvergiftungen eingingen. Nachdem die Tiere gespritzt waren, gingen wir alle zu Frau Schlittenbauer, die in Handeni einen Ausschank hatte, und blieben dort so lange, bis ihr Vorrat an Eß- und Trinkbarem rein alle war. Am Spätnachmittage des nächsten Tages, des 2. April, traten wir auf der Etappenstraße von Handeni nach Kimamba an der Mittellandbahn den Nachtmarsch an. Wir waren noch nicht lange unterwegs, als der Regen, richtiger Tropenregen, losging. In diesem Regen, auf völlig aufgeweichter Straße, oft bis zum Bauch der Tiere im Schlick, ritten wir bis vier Uhr morgens. Wenn es gar nicht mehr gehen wollte und die Stimmung gar zu trübe wurde, dann stimmten wir unser Kompanielied an. Von außen bis auf die Haut durchnäßt und gleichzeitig in unsern dicken Indermänteln bei der greulichen Hitze wie in einem Dampfbade schwitzend, fanden wir in der Etappe Kilima cha mzinga Unterkunft in einer an allen Seiten offenen Trägerbanda [Halle]. Feuer wurden angemacht, und jeder versuchte, sich und seine Sachen nach Möglichkeit zu trocknen. Zu essen gab es ein wenig Reis. Das hübsche Etappenrasthaus war bereits von einigen zur Nordtruppe kommandierten Europäern aus Daressalam belegt. Sie lagen noch in eigenen Feldbetten mit Moskitogestell und -netz, und jeder hatte so rund zehn Lasten bei sich. Sie werden später auch haben lernen müssen, sich mit weniger zu behelfen. Vielleicht war es aber ganz gut, daß sich einzelne Truppenteile in den ersten beiden Kriegsjahren recht hatten schonen und pflegen können – sie konnten dann einspringen, als die Europäer, die vom ersten Kriegstage an der Front mitgemacht hatten, so ziemlich verbraucht waren. Am folgenden Tag ritten wir bis Lembule, am 26. April bis Kanga. Auf beiden Etappen gab es ein wenig Reis. Auf beiden Märschen kamen wir nur langsam vorwärts; denn die Straße war meistens unergründlich, und alle Augenblicke sackte jemand mit seinem Tier in ein Loch, um zur Freude seiner Kameraden ein unfreiwilliges Schlammbad zu nehmen. Einmal hörte die Straße überhaupt auf. Ich versuchte sie weiter, aber von meinem kleinen Maultier guckten dann nur noch die langen Ohren aus dem flüssigen Dreck. Wir mußten also von der Straße nach rechts abbiegen, was vor uns die vielen Askarikompanien mit ihren Trägerkolonnen bereits auch getan zu haben schienen, ohne dadurch zur Festigkeit des Bodens besonders beigetragen zu haben. Nun lief neben der Straße ein Graben, über den wir springen und dann die Tiere nachziehen mußten. Daß dieser Graben da war, merkten wir erst, als der erste hineinfiel; zu sehen war er nicht, denn hüben und drüben sowie im Graben stand der flüssige Schlamm an der Oberfläche ganz gleich hoch. Die Tiere, die die Breite auch nicht berechnen konnten, sprangen entweder zu weit und stießen drüben den Reiter in den Dreck, oder zu kurz und rissen den Reiter mit in den Graben zurück. Hier sind alle die verunglückt, die bisher gespottet hatten. Der Gefreite Münz saß auch drin bis an den Hals. Rechts von ihm sah ich noch den Kopf seines Maultieres und links von ihm war sein Sattel, der sich vom Tier getrennt hatte, gerade im Begriff abzusacken. Als ihm Leutnant Freund zurief, er solle seinen Sattel fassen, antwortete Münz im schönen Württemberger Dialekt: »Herr Leitnant, Herr Leitnant, i bin erledigt, i kann nit schwimme!« Na, so schlimm war es ja gar nicht. Der Schlick ging dem, der sich nicht, wie Münz es tat, dabei hinsetzte, nur bis an die Brust, und zum Schwimmen war der Modder überhaupt viel zu dickflüssig. Am 27. April waren wir mittags in Tuliani, das ich nie vergessen werde. Denn hier gab es mal wieder was zu essen. Nicht etwa von der Etappe – bewahre, die hatte, wie die andern Etappen alle, nur ein wenig Reis für uns vorgesehen. Aber von einem menschenfreundlichen und geschäftstüchtigen Missionar aus Mhonda, das oberhalb der Etappenstraße im Gebirge liegt. Wir kauften von dem Missionar ein Schwein, Hühner, Eier und Früchte und lebten für fünf Stunden wie der Herrgott in Frankreich. Denn im Tuliani-Fluß konnte man auch schön baden und währenddessen wenigstens Hemd und Strümpfe waschen und trocknen lassen. Eigentlich hatte das ja wenig Zweck – die Schlammbaderei ging ja doch gleich wieder los. Aber sich mal für einige Stunden rein zu fühlen und nach dem ewigen Reis dreimal am Tage wieder mal ein ordentliches Stück Schweinebraten zu essen, ist doch nicht ohne. Um fünf Uhr ging es von Tuliani weiter, wieder hinein in den Schlick. Es wurde ein übler Nachtmarsch, denn zu den üblichen Mühseligkeiten der grundlosen Straße kam noch hinzu, daß wir uns verbiesterten. Lange konnten wir im Dunkeln die Furt durch den Mvomerofluß nicht finden, und erst um drei Uhr morgens trafen wir auf der Etappe gleichen Namens ein. Dort herrschte durch seine liebenswürdige Gattin ein verheirateter Etappensoldat, dessen Namen ich leider vergessen habe. Er hatte dort eine Pflanzung, und wir brachten die zwei Stunden Schlaf auf dem Fußboden in einem Zimmer seines Wohnhauses zu. Als wir um fünf Uhr morgens mit Mühe wieder wach wurden, hatte Frau Pflanzer auf der Veranda bereits einen mächtigen Kaffeetisch aufgebaut, und nun konnte jeder soviel heißen Kaffee trinken, wie er wollte. Es gibt auch Lichtblicke im menschlichen Leben, und zur Etappe sollten nur verheiratete Soldaten _mit_ ihren Frauen kommandiert werden. [Illustration] Um sechs Uhr morgens ging der Marsch weiter, immer noch durch Modder, nach Kidete, wo es zu Mittag wieder etwas Reis und zu Abend – Ochsenfleisch gab. Die Etappe war unschuldig an dem Ochsen, wir vielleicht weniger – der Ochse war uns unterwegs zufällig zugelaufen und wollte durchaus nicht wieder von uns lassen; wenn ich mich recht entsinne, war uns ein Ochsentransport begegnet. Bis Kidete hatten wir bereits drei der Automobile, mit denen unser Oberst am ersten Marschtage an uns vorbeigesaust war, überholt; sie waren im Schlamm steckengeblieben. Nur das leichtere Personenautomobil, in dem unser Oberst selbst saß, war unter allerhand Schwierigkeiten durchgekommen. In Kidete stellte unser tüchtiger Sanitätsrat Stein Rückfallfieberzecken fest mit dem Resultat, daß wir aus der Trägerbanda, die wir des Regens wegen bezogen hatten, vertrieben wurden und draußen auf offenem, schön durchweichtem Felde lagern mußten. Nach schlafloser Nacht ging es am 29. April in aller Frühe weiter. Gegen Abend kamen wir an den Wamifluß, den breitesten, tiefsten und reißendsten in unserer Marschroute. Die solide Holzbrücke, die ihn überbrückt hatte, war dummerweise in der vorhergehenden Nacht bis auf ein bescheidenes Ende weggewaschen worden. Den Übergang bewerkstelligten wir in folgender Weise: Ein guter Schwimmer schwamm zunächst mal durch den Fluß mit einer langen Leine, zusammengeknüpft aus unsern Fouragierleinen. Sobald die Leine von Ufer zu Ufer gespannt war, schwammen an ihr mehrere Leute durch den Fluß, Kleider und Kriegsausrüstung in einem großen Bündel auf dem Kopf. Man hielt mit der Rechten die Leine, mit der Linken das Bündel fest und arbeitete sich mit den Beinen, die durch die Strömung nach links gerissen wurden, schwimmend langsam durch den Fluß. Dann wurden die Tiere abgesattelt und vom diesseitigen Ufer einzeln in den Fluß geworfen. Das ging sehr fix; denn wir und die Tiere kannten den Rummel schon vom Pangani her. Selbst die wasserscheusten Tiere sind leicht durch einen Fluß zu kriegen, wenn man die Sache richtig anfängt. Zum Übergang wähle man eine Stelle, an der das diesseitige Ufer steil abfällt und das Wasser so tief ist, daß das Tier gleich schwimmen muß; das jenseitige Ufer dagegen muß flach sein, damit die Tiere dort leicht landen können. Wirft man die Tiere dann vom hohen Ufer hinein, dann wenden sie sich nach einigen vergeblichen Versuchen, diesseits hochzukommen, totsicher dem flachen jenseitigen Ufer zu. Die Sättel wurden auf dem Kopf durchgebracht, wie vorher die Kleiderbündel. Loslassen durften wir die Leine nicht, sonst wurden wir wie ein Teil der Tiere vom reißenden Strom mitgenommen und erst einige hundert Meter unterhalb unserer Übergangsstelle wieder an das Ufer geworfen. War es das jenseitige Ufer, so war es gut; war es das diesseitige, dann hieß es: das Ganze nochmal! Um 7 Uhr 30 abends ritten wir vom Wami ab weiter nach Kimamba an der Mittellandbahn. Es regnete wieder in Strömen. Mir sind diese letzten dreieinhalb Marschstunden ganz unsäglich schwer gefallen. Meine Kräfte waren völlig verbraucht, weniger durch die Marschanstrengungen der letzten acht Tage, das knappe Essen und die kurzen Nachtpausen, als vielmehr dadurch, daß mich die verfluchten kleinen Moskiten in keiner Nacht Schlaf finden ließen. Ich konnte mich auf diesem Marsch nur noch dadurch wach halten, daß ich immer wieder in unser Kompanielied oder andere schöne Soldatenlieder einstimmte – trotz meiner notorischen Unfähigkeit, auch nur zwei Töne beide richtig zu singen. Es wird allen ähnlich gegangen sein – ich meine natürlich, was die Müdigkeit anbetrifft –, denn diese dreieinhalb Marschstunden im strömenden Regen hat die Kompanie ohne Pause gesungen und unsere Kapelle ununterbrochen gespielt. Die Kompaniekapelle war der Bur Alwin Botha mit seiner regenfesten Ziehharmonika, auf der er im Reiten jedes denkbare Soldatenlied spielen konnte. [Illustration] In Kimamba, wo wir um elf Uhr abends unter den Klängen unseres Kompanieliedes einzogen, nahm sich die Etappenleitung direkt liebevoll unserer an. Ich bemerke dies ausdrücklich, damit es nicht heißt, daß ich auf die Etappe nur schimpfen könne. Man legte uns in einen regensicheren Wellblechschuppen, vor dem draußen einige Riesenkessel voll kräftiger Reis- und Fleischsuppen und Kaffee auf Feuern standen. Beide, Suppe und Kaffee, waren _fertig_, als wir kamen, und jeder konnte sich sein Kochgeschirr voll Suppe und den Kochgeschirrdeckel voll Kaffee holen. Wir waren ganz verschüchtert von soviel Vorsorge. So etwas war uns im ganzen Kriege bisher auf keiner Etappe passiert – wir sind oft genug hungrig schlafen gegangen, zu müde und abgespannt, noch abzukochen, wenn wir unser Marschziel erreicht hatten. Der Etappenleiter von Kimamba, dessen Namen ich nicht kenne, war ein Menschenfreund; außerdem muß er eine für einen Etappenmenschen ungewöhnliche, zum eigenen Handeln veranlassende, verantwortungswillige Intelligenz besessen haben. Am nächsten Vormittag verluden wir uns auf der Mittellandbahn und fuhren landeinwärts nach Dodoma. Über Mittag hielt der Zug eine Stunde in Kilossa, und wir haben alle im dortigen Bahnhofshotel noch mal fürstlich gegessen. Wir Dreckspatzen saßen an richtig gedeckten Tischen, Gabel und Löffel waren nicht mehr aus einem Stück, wie die zum Kochgeschirr gehörigen, und wir tranken aus Gläsern anstatt aus dem Kochgeschirrdeckel. Es gab mehrere Gänge Gemüse, viel Früchte und – eisgekühlte Sodagetränke. Man denke: Eis und Sodawasser gab es an der Mittellandbahn noch am Ende des 21. Kriegsmonates! Wir hatten beides im ganzen Kriege noch nie gesehen. Im Kilossa-Bahnhofshotel wurden wir trotz unserem wenig Vertrauen erweckenden Äußeren als willkommene Gäste behandelt und von Wirt, Wirtin und Hotelpersonal liebevoll versorgt. Im Bahnhofshotel zu Dodoma sollte es uns anders ergehen. Am 30. April abends – volle neun Tage nach unserm Aufbruch von der Nordbahn – trafen wir in Dodoma ein. In Dodoma gab es ein Bezirksamt, Polizeistation, Bahnbeamte, Intendantur, Ortskommando, Etappenkommando, Inderviertel und das Bahnhofshotel. Letzteres interessierte uns von allen diesen großstädtischen Einrichtungen am meisten. Aber es enttäuschte uns. Das Hotel hatte sicher auch einen Wirt, doch verschwand seine Persönlichkeit so gegen die der Wirtin, daß ich mich seiner nicht mehr recht erinnern kann; ich weiß nur noch, daß der Wirt ein junger Kerl war und daß ich mich wunderte, warum der Mann nicht an der Front kämpfte. Frau Wirtin aber war eine geschäftstüchtige Person und schien der Meinung zu sein, daß sie es ihren ortsansässigen, großstädtisch gekleideten Stammgästen schuldig sei, uns dreckige Frontsoldaten aus dem Hotel fernzuhalten. Vielleicht stammte sie aus einer englischen Kolonie und hatte von dort die Auffassung mitgebracht, daß der deutsche Soldat, wie der frühere Söldner Tommy Atkins, zwar gut genug sei, sich für die Sicherheit ihrer Kneipe totschlagen zu lassen, aber nicht gut genug, sie in Uniform zu betreten. Daß die deutsch-ostafrikanische Kavalleriebrigade, die bereits 21 Monate im Felde gelegen hatte, damit Frau Wirtin in Dodoma in aller Ruhe ihre Großstädter bedienen und deren mapesa [Geld] einstecken konnte, die Sache von einem wesentlich andern Standpunkte ansah, ist weiter nicht zu verwundern. Als Frau Wirtin wiederholt Schwierigkeiten machte, Essen und Getränke gegen Zahlung guter ostafrikanischer Silberrupien zu liefern, wäre die Sache um ein Haar schief gegangen. Ich habe mir erzählen lassen, daß man schon beriet, ob es ein Fall sei zum »plündere, leicht ahnsenge oder vom Grund auf devaschtiere«. Nur die Ruhe einiger älterer Frontsoldaten soll die Situation, d. h. Hotelinventar, gerettet haben. Daß übrigens die Kavalleriebrigade aus dem Kampfe gegen Frau Wirtin siegreich hervorgegangen war, konnte ich am folgenden Tage beobachten. Wir hatten Ruhetag, denn unsere Tiere, die übrigens der achttägige Marsch im Modder grausam mitgenommen hatte, bekamen wieder eine Atoxylspritze. An diesem Tage besetzte bereits in aller Frühe unsere Kapelle – Alwin Botha mit der Quetschkommode – das Großstadthotel. Spät am Abend spielte die Kapelle immer noch, und die Frontsoldaten sangen dazu so schön und andauernd, daß die ortsansässigen Stammgäste ihren Skatabend verschoben und, soweit sie verheiratet waren, zur Freude ihrer Frauen zu Hause blieben. An der Kondoa-Front Bereichert um fünf neue Reittiere, darunter zwei Hengste aus dem Regierungsgestüt Singidda – die letzte Reserve an Pferden in der Kolonie –, begannen wir am 1. Mai nachmittags unsern Vormarsch nach Norden auf der von Dodoma nach Kondoa führenden Straße. Am dritten Tag bogen wir von letzterer rechts ab und erreichten am Abend das uns zugewiesene Ziel, den Kwa-Handu-Paß. Von den Einzelheiten dieses Marsches weiß ich so gut wie nichts mehr. Ich hatte mir, wahrscheinlich als Andenken an den Marsch von der Nordbahn zur Mittellandbahn, die Rote Ruhr zugelegt, die jetzt zum Ausbruch kam. Der Vormarsch nach Norden bestand für mich eigentlich nur in einem ewigen Auf- und Absitzenüben. Die Schmerzen wurden schließlich so schneidend, daß ich keinen Trab mehr reiten konnte und mich entschließen mußte, mit einigen andern Kranken der Kompaniekolonne im Schritt zu folgen. Seit meinem Fieber in Same stand ich unter einer Chininkur, nun machte ich gleichlaufend mit ihr eine Kalomelkur durch. Der Höhenzug, auf dem der Kwa-Handu-Paß liegt, verläuft etwa parallel zu dem ihm nach Norden zu vorliegenden Höhenzug, auf dem sich unsere Kondoastellung befand. Unser Oberst war mit allen verfügbaren Truppen sowie den beiden von einem Blockadebrecher gelandeten Haubitzen und einigen Geschützen kleineren Kalibers von Dodoma in Eilmärschen dem Feinde, der bereits über Kondoa hinaus nach Süden vorgedrungen war, entgegengezogen und hatte ihn auf Kondoa zurückgeworfen. Die englische Front befand sich nun in einer Gesamtlänge von etwa 50 Kilometer auf den Höhen nördlich von Kondoa (einem Negerdorf mit Bezirksamt, 158 Kilometer von Dodoma), die deutsche auf dem Höhenzuge südlich von Kondoa. Wir, d. h. die beiden Berittenen Kompanien, kamen zunächst hinter den etwas zurückgebogenen rechten Flügel unserer Front. – Als Gesamtlandschaftsbild denke man sich sehr zerklüftete Höhenzüge, die teils bewaldet sind, teils nackte Felsen in der Sonne glitzern lassen, und dazwischen weite, mit dichtem niedrigen Dornbusch bewachsene Täler. Aus dem Dornbusch ragt hier und da ein Affenbrotbaum zum Himmel, und wo etwas Licht und Sonne ankommen kann, war der Dornbusch jetzt, kurz nach der großen Regenzeit, von Winden überzogen, deren wunderbare, oft untertassengroße Blumenkelche den zartesten Farbenschmelz zeigten. In diesem Dornenbusch haben sich die Eingeborenen ihre Mtamamashamba gerodet und ihre Lehmhütten mit dem flachen Dach, »Temben« genannt, gebaut. Ich sah viele und große Mashamba; denn das Bezirksamt Kondoa hatte die Eingeborenen veranlaßt, zur Verpflegung der Truppe besonders stark anzubauen. Der Mtama stand ganz vorzüglich. Ich möchte die Prophezeiung aussprechen, daß in einem Zukunfts-Ostafrika die Gegend von Kondoa und südlich davon ein Teil von Ugogo Tabak bauende Bezirke sein werden – der Boden eignet sich vorzüglich zum Tabakbau. Was Wasser anbelangt, will ich noch erwähnen, daß wir in keinem der zahlreichen Flußbetten tiefer als höchstens ein Meter danach zu graben brauchten, und daß die Engländer auf ihrer Etappenstraße von Aruscha nach Kondoa alle 20 oder 25 Kilometer Brunnen bohrten, Pumpwerke aufsetzten und Tränkstellen einrichteten, aus denen 500 bis 1000 Reittiere getränkt werden konnten. Grundwasser ist also reichlich vorhanden, auch lassen sich Staudämme und künstliche Seen überall leicht anlegen. Ob die Kondoagegend heute ganz frei von Fieber ist, weiß ich nicht. Was noch an Fieber da sein sollte, würde mit dem Fortschritt der Wirtschaftskultur verschwinden. Malaria läßt sich verdrängen, wie die Beispiele von Ägypten, Panamakanal und Queensland bewiesen haben. – Auf dem Kwa-Handu-Paß, der von einem Teil der Abteilung Aruscha besetzt war, trafen wir unsern lieben Dr. Sinning wieder. Diese Freude wurde dadurch gedämpft, daß unser guter Sanitätsrat uns verließ; er war zu dem Aufnahmelazarett versetzt, Sanitätssergeant Trimpler wurde sein Nachfolger. Ungern sahen wir unsern weisen Mann und Fundi im Reiskochen scheiden. Ich habe ihn nie wieder gesehen; er ist, wie ich später hörte, am Schwarzwasserfieber gestorben. Meine erste Nacht im Kwa-Handu-Paß werde ich mein Lebtag nicht vergessen; in strömendem Regen brachte ich sie auf dem Orte zu, für dessen Einrichtung unser Sanitätsrat immer zuerst zu sorgen pflegte, sobald abgesattelt war. Am nächsten Tage, der Gott sei Dank ein Ruhetag war, begab es sich, daß unser einziger Offizier, Leutnant Freund, Fieber bekam und vorläufig nicht weiter konnte; er beschloß, auf unsere Trägerkolonne zu warten und mit dieser der Kompanie nachzukommen. Leutnant Kämpfe, Regierungsrat und Bezirksamtmann des gewesenen Bezirks Aruscha, wurde für die Zeit, bis Leutnant Freund wiederkam, Führer meiner Kompanie. Nach dem Ruhetag ging die deutsch-ostafrikanische Kavallerie, die immer noch im Brigadeverbande marschierte und operierte, wohl weil man sie in ihrer zusammengeschrumpften Zahl sonst überhaupt kaum mehr hätte sehen können, weiter nach vorne, und zwar in Richtung des äußersten rechten Flügels unserer Front. Wir hatten die Aufgabe, dort nördlich der Straße von Kondoa nach Handeni einen Hügel – später der Büchsel-Hügel genannt, weil unser früherer Kompanieführer ihn mit der 4. Feldkompanie eine Zeitlang besetzt hielt – vom Feinde zu säubern. Als wir uns dem Hügel frontal näherten, wurde unsere Vorspitze angeknallt, und Lowes von der Berittenen Achten fiel dabei verwundet in Feindeshand; ich habe ihn später in Ahmednagar gesund, aber minus einen Arm wiedergefunden. Nun wurde beschlossen, den Hügel am nächsten Morgen von Osten zu stürmen. Wir lagerten bei Tage hinter einem Mtamafeld im Busch. Hier bekamen wir den ersten sicheren Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Kondoa-Irangi auf feindlicher Seite gegen uns mitmachten. Sie näherten sich unseren Askari, und als sich einer von diesen freundlich mit ihnen unterhalten wollte, stach ihm ein Irangimann seinen Stoßspeer durch die Halsmuskeln. In der folgenden Nacht pirschten wir uns an den Büchsel-Hügel heran, um ihn im Morgengrauen zu stürmen. Als es gerade losgehen sollte, kam eine vom Unteroffzier Fokken geführte Schleichpatrouille zurück und meldete, daß der Hügel vom Feinde geräumt sei. Wir bezogen trotzdem den Hügel nicht, weil er viel zu groß war, als daß wir paar Männeken ihn hätten besetzen und halten können, sondern gingen drei Kilometer südlich davon auf einen kleinen, sehr zerklüfteten, beinahe kreisrunden Berg zurück. Dicht vor uns führte die Kondoa-Handeni-Straße vorbei, und von dem Büchsel-Hügel trennte uns ein Tal mit reichen Mtamafeldern. Überall guckten aus diesen die flachen Dächer der Eingeborenenhütten heraus, und fast auf jedem Dach hockten einige bewaffnete schwarze Landsleute und beobachteten jede unserer Bewegungen, um alles dem Feinde zu melden. Kam man ihnen näher, dann verschwanden sie im dichten Mtama. Auf unserm Runden Berg haben wir sechs oder sieben Tage gesessen und ständig Patrouillen nach vorne geritten. Zuerst verpflegten wir uns nur aus der Landschaft, denn unsere Bagage war noch weit zurück. Die Tiere lebten von grünen, halbreifen Mtamastauden und von vorjährigem Mtamakorn, das wir noch in einigen verlassenen Hütten vorfanden. Sie gediehen, nachdem sie sich an die neue Kost gewöhnt hatten, dabei besser als früher bei Körnermais. Wir suchten in Eile verlassene Eingeborenendörfer nach Hühnern und Eiern ab und machten reichliche Beute; auch einige versprengte Ochsen der Eingeborenen fielen in unsere Hände. Geradezu glänzend aber wurde die Sache, als Dr. Sinning, der, weil schonungsbedürftig, das Kommando unserer Trägerkolonne erhalten hatte, diese schließlich bis auf 14 Kilometer an unsere Stellung vorgebracht hatte und uns nun nicht nur Brot, sondern sogar fertig gekochtes Essen, Schnaps und Zigaretten vorschickte. Wir ließen den fürsorglichen »alten Stock« hochleben und waren ~in puncto~ Verpflegung wieder mal obenauf, besonders da der tüchtige Unteroffizier Horn, der bei unsern kranken Tieren in Dodoma geblieben war, dort Wurst-, Speck- und Butterbeziehungen angeknüpft hatte. Auch Sanitätssergeant Trimpler nahm sich mit Nachdruck der Ernährungsfrage an. War Steins Liebhaberei das blitzartige Ausheben von Erdlöchern und die Errichtung von Sitzstangen gewesen, so wurde die gemeinsame Küche, eine Art tragbare, aus zwei großen Töpfen bestehende Feldküche, Trimplers Steckenpferd. Was war das schön, so ganz mühelos einen Schlag Essen und Kaffee zu erhalten. Trotz unseres Wohllebens auf dem Runden Berge schrumpfte die Zahl unserer Europäer immer mehr zusammen. Unser Etatsmäßiger wurde schwer krank und mußte ins Feldlazarett Dodoma zurück; sein Nachfolger wurde Fritz König, unser genialer Gouvernementsrat, er hat 1918 den Heldentod gefunden. Das »kleine Nashorn«, das einige Maultiere, die wir an die Gebirgsartillerie abgeben mußten, zu deren Stellung brachte, stürzte unglücklich und verletzte sich den Brustkasten so schwer, daß er gleichfalls ins Lazarett mußte. Mehrere andere – ich meine, es waren Gotthilf Blaich, Bernhard Blaich, Schönbohm und Arno Förster –, die sehr anstrengende Patrouillen hinter die feindliche Front gemacht hatten, um deren Artilleriestellungen zu erkunden, bekamen Malaria, die bei den meisten bereits chronisch war und nach schweren Strapazen immer wieder neu ausbrach. Der Schütze Schreiber war auf Patrouille vom Posten einer unserer Feldkompanien angeknallt, durch die Backe geschossen und nach Dodoma zurückgeschafft worden. Aber nicht nur an Kranken und Verwundeten hatten wir Abgang, auch gesunde Leute wurden abkommandiert und schließlich versetzt. Ja, die deutsch-ostafrikanische Kavallerie mußte schon im Brigadeverband bleiben, wenn sie noch was vorstellen wollte. Bis auf de Beer, den jungen Youbert und unsere Kapelle Alwin Botha wurden uns alle Buren abgenommen, sie kamen zur Artillerie, um Kanonen und Munition zu fahren. Piet Nievenhuizen und Louis van Rooyen waren schon seit Same beim Oberst als seine Pfadfinder. Auch Vizefeldwebel Thiele und Sergeant Truppel wurden vom Kommando vereinnahmt, zu dem sie ursprünglich nur als Meldereiter kommandiert gewesen waren. Unser Oberst bediente sich ihrer wegen ihrer Porikenntnis und Zuverlässigkeit gern als persönliche Begleiter, wenn er von Stellung zu Stellung ging oder bei seinen nächtlichen Wanderungen von Vorposten zu Vorposten. So kam er auch einmal bei uns auf unserm Runden Berg zu Fuß an, ohne alle Abzeichen, in unscheinbarem Kittel. Er rief mich zu sich und schüttelte mir die Hand. Ich fand ihn grauer geworden als wenige Wochen vorher in Lembeni, und dennoch wundert es mich nicht, daß ihn Leute, die ihn Mitte 1918 noch gesehen haben, als ungebrochen in Energie und Gesundheit beschrieben. Das Leben dieses großen Mannes fand in der Schwierigkeit der ihm gestellten Aufgabe erst seine wahre Erfüllung. – Von unserm Runden Berg machten wir – ich glaube, es war am 11. Mai – nochmals einen Angriff auf den inzwischen vom Feinde wieder besetzten Hügel vor uns, gemeinsam mit der 4. Feldkompanie, die Oberleutnant Büchsel in Vertretung des kranken Hauptmanns Goering führte. Oberleutnant Büchsel leitete die Operation. Um fünf Uhr morgens begann der Anmarsch. Die Askarikompanie wollte frontal, wir sollten von rechts flankierend angreifen. [Illustration] Ganz ungehindert kamen wir an die Ostseite des Hügels heran, erkletterten ihn und gingen, nachdem vor uns her fliehende Warangispäher unsern Anmarsch dem die Westseite besetzt haltenden Feind gemeldet hatten, auf dem Kamm des Hügels unter heftigem feindlichen Feuer in Stellung. Als wir wohl eine Stunde im Gefecht gelegen und uns entlang der Langseite des Hügels immer näher an den Feind herangearbeitet hatten, so daß wir außer ihm selbst bereits auch seine Tiere unter Feuer nehmen konnten, kam plötzlich der Befehl von Oberleutnant Büchsel, daß er zurückgehen müsse, da ihn 600 berittene Buren umgangen hätten und abzuschneiden drohten; wenn wir nicht in der Luft hängenbleiben wollten, müßten wir ebenfalls schleunigst abbauen; Treffpunkt: unser Runder Berg. Während wir die befohlenen Bewegungen ausführten, hörten wir dort, wo die 600 feindlichen Reiter zur Entwicklung gekommen sein mußten, Artilleriefeuer und das Krepieren von Schrapnells. Hauptmann Koehl hatte von seiner Artilleriestellung das Gefecht übersehen können und mit seinen Gebirgsgeschützen in die dichten Massen der Reittiere der sich zu Fuß entwickelnden feindlichen Kavallerie hineingehalten. Als wir zu unserm Runden Berg zurückkamen, hatte ihn die 4. Feldkompanie bereits besetzt, weil man erwartete, jetzt würde der an Zahl stark überlegene Feind seinerseits angreifen. Wir lagen zwei Tage und schliefen zwei Nächte in unserer Gefechtsstellung. Als dann immer noch nichts kam, ging die deutsch-ostafrikanische Kavalleriebrigade noch einmal, diesmal allein und frontal, gegen den Hügel vor. Der Feind war weg. Hauptmann Koehls Gebirgsartillerie hatte ihm doch wohl klar gemacht, daß dieser Hügel für ihn nicht zu halten sei. Die 4. Feldkompanie besetzte nun den Berg und grub sich regelrecht ein. Als wir zu unserm Runden Berg zurückkehrten, fanden wir dort Leutnant Freund und zwei oder drei andere zurückgekehrte Rekonvaleszenten vor; Leutnant Kämpfe nahm Abschied von uns. Bei diesem letzten Sturm auf den allerdings unbesetzten Büchsel-Hügel war mir wieder so recht zu Bewußtsein gekommen, was für ein kümmerliches Häufchen wir doch geworden waren. Bei diesem Sturme befanden sich in meinem, dem _einzigen_ Europäerzuge meiner Kompanie nur noch sieben Gewehre; etwas, aber auch nicht viel besser sah es im Askarizuge aus. Was war aus meiner stolzen Kompanie geworden, seitdem die große feindliche Offensive begonnen hatte! In den Hochsteppen am Kilimandscharo und Meru war die Zahl der Europäer in neunzehn Kriegsmonaten durch Krankheiten nur wenig oder höchstens mal vorübergehend geschwächt worden, aber die letzten dreieinhalb Monate im schlechteren Klima und die große Regenzeit hatten böse Lücken gerissen. Dazu trug auch bei, daß in den ersten neunzehn Monaten den gewiß oft sehr anstrengenden Fernpatrouillen doch immer Tage, ja Wochen der Ruhe und Körperpflege gefolgt waren – in den letzten dreieinhalb Monaten waren wir dagegen ständig unterwegs gewesen, waren scharf herangenommen worden und hatten unsere Boys und somit reine Kleider usw. nur ganz selten und in großen Zwischenräumen gesehen. Man könnte meinen, daß unter all diesen Mühsalen die Stimmung der Berittenen Neunten hätte leiden müssen. Sicher, die Leute schimpften über dieses und jenes – welcher rechtschaffene Soldat schimpft nicht mal! –, aber von den Männern, die jetzt noch an der Front waren, wollte keiner zurückbleiben. Aus den Lazaretten rissen sie meistens aus, lange ehe sie auskuriert waren – nur um mit dabei sein zu können. Wollte ich einem die Hölle recht heiß machen, dann drohte ich damit, ihn zur Etappe zu versetzen – sofort wurde er brav und artig und sagte: »Um Gottes willen nicht, Herr Wachtmeister!« Wir waren zu einer großen Familie geworden, deren Mitglieder sich zuweilen zanken, die aber alle wie ein Mann aufstehen, sollte ein Fremder es wagen, einen von ihnen anzurühren. Im Lager ging es stets quietschfidel zu, und ich habe mit stiller Freude beobachten können, mit welcher Ausdauer uns die Europäer anderer Kompanien besuchten, wo auch immer wir zufällig mit ihnen zusammentrafen. Die Kameradschaft war bei uns über alle Begriffe schön. Wenn einer was hatte, hatten es die andern auch, und wenn einer im Dienst schlapp machte, sprangen zehn andere freiwillig für ihn ein. Wurde eine besonders gefährliche Patrouille befohlen, so hatte ich Mühe, die zu beruhigen, die diesmal _nicht_ mitdurften. Hatte die Kompanie abgesattelt nach langem, ermüdendem Ritt, alle froh, endlich mal wieder ein Auge voll nehmen zu können, und brachte in dem Augenblick ein Meldereiter den Befehl zum Weitermarsch irgendwohin, weit weg, dann riß irgendein Witzbold einen faulen Witz, lachend gingen alle an die Tiere, und zwei Minuten später war die Kompanie wieder auf dem Marsch. Ich betrachte die Jahre, die ich in der Berittenen Neunten diente, als die schönsten und bildendsten meines Lebens – denn nie hatte ich vorher Gelegenheit, so deutlich zu erkennen, welch guter Kern in den meisten Volksgenossen unter einer oft recht unscheinbaren Hülle zu finden ist. Man muß den guten Kern nur finden wollen und sich nicht scheuen, harte, faserige, ja sogar ätzende Schalen zu entfernen. – Da unser erster Auftrag an der Kondoafront, den Büchsel-Hügel vom Feinde zu säubern, dank der Hilfe der Artillerie nun doch noch gelungen war, wurden wir, zur Verfügung des Kommandeurs, auf den Kommandohügel verlegt. Dieser lag Kilometer 148 von Dodoma, etwa im Zentrum unserer Kondoastellung. Wir lagerten etwas unterhalb des Kommandos, im dichten Busch gegen Sicht vor den Fliegern geschützt, zogen unsere Trägerkolonne heran und konnten uns einige Tage ausruhen und pflegen. Während der Zeit fand zwischen unserer schwereren Artillerie, zwei Haubitzen und einem 8,5-Zentimeter-Geschütz, und der des Feindes ein tägliches Duell statt. Was für Erfolge unsere Artillerie hatte, habe ich später bei meinem Abtransport als Kriegsgefangener sehen können; die feindlichen Erfolge hingegen waren wenig bedeutend. Gefallen ist vor Kondoa infolge feindlichen Artilleriefeuers, soviel ich weiß, nur der Regierungslehrer Staub, den ich 1914 auf meiner Ausreise als frohsinnigen Menschen lieben und als erstklassigen Skatspieler fürchten gelernt hatte. Schwer verwundet wurde Oberleutnant Boell, leichter unser Oberst und Piet Nievenhuizen. [Illustration] Als wir zwei oder drei Tage dem Artilleriekonzert gelauscht hatten, kam der Befehl: »Die beiden Berittenen Kompanien stehen zur Verfügung der Abteilung Hauptmann Schulz, die auf der Kondoa-Saranda-Straße (links von unserm linken Flügel) einer gemeldeten umfassenden Bewegung des Feindes entgegengehen soll.« Also: »Fertigmachen! Satteln!« Die Abteilung Schulz bestand aus zwei Askarikompanien, uns Reitern und einer kleinen Kanone, deren Rohr von Trägern getragen wurde. Die Lafette und die Munition waren auf etwa 25 Eseln verpackt in einer so primitiven Weise, wie sie eben nur bei unserm Mangel an jedem Kriegsmaterial erklärlich ist. Eingeborene hatten Strohmattensäcke geflochten, und auf jeder Seite des Eselrückens hing solch ein Sack, gefüllt mit Geschossen. Bauchgurt, Vorder- und Hinterzeug, die diese Säcke in der richtigen Lage festhielten, waren aus Stricken von Sansevieren-Fasern gefertigt. Hauptmann Schulz verwandte seine Kavallerie auf dem Marsch, soweit sie nicht die Spitze bildete – das waren die Glücklicheren – als Artilleriebedeckung. Solch ein Marsch ist mehr als qualvoll. Man denke sich im dichten, heißen Dornbusch einen Fußweg, gerade breit genug für einen Mann, auf dem zwei Askarikompanien, ihr ganzer Troß von Trägern und Boys, die Artillerie mit ihren störrischen Eseln und endlich wir Reiter alle im Gänsemarsch marschierten. So ein Marsch besteht eigentlich nur aus Marschstockungen, die alle mitmachen müssen. Unzählige Male bin ich abgestiegen und habe meinen Hengst geführt. Die Geduld, die mein Hengst – sonst die Ungeduld selber – bei dieser Gelegenheit entwickelte, kam mir schon verdächtig vor. Obwohl er speckfett war und sein Fell noch goldig glänzte, saß der schleichende Tod bereits in ihm. Dieser Marsch war sein letzter. Bald danach traten Tsetsegeschwülste auf, und eine Woche später brach Ottos tapferes Herz. Während dieser Unternehmung bin ich ein paar Tage stellvertretender Führer meiner Kompanie gewesen, da Leutnant Freund, der in der ersten Nacht mit einer Patrouille vorausgeschickt wurde, sich im Busch verirrte und uns verlorenging. Nach einem fürchterlichen Nachtmarsche – selbst die Tiere schliefen im Gehen ein – trafen wir am Morgen des dritten Tages an unserm Ziele, der Straße von Kondoa nach dem westlich von Dodoma liegenden Saranda, ein, fanden aber keinen Feind. Als dann die nach Norden vorgetriebenen Kavalleriepatrouillen sogar auch den uns bekannten vordersten Posten der englischen rechten Flanke verlassen gefunden hatten, stellte sich heraus, daß die Meldung von einem beabsichtigten Flankierungsmarsch des Feindes zum mindesten verfrüht gewesen sein mußte. Mit unserm auf dem Rückmarsch wiedergefundenen Leutnant trafen wir nach sechs Tagen wieder am Kommandohügel ein. Nachdem wir hier einige Tage in Ruhe dem Artillerieduell zugehört hatten, wurden wir – es muß inzwischen Ende Mai geworden sein – von neuem in Aktion gesetzt, diesmal wieder auf der rechten Flanke unserer Stellung. Da inzwischen die von uns in der Lembenistellung an der Nordbahn zurückgelassene Abteilung Kraut durch das bloße Gewicht der Zahl und Geschütze des Feindes, tapfer kämpfend, nach Süden zurückgedrängt worden war, stand nun die von Handeni kommende Straße für den Feind als Anmarschweg von Osten auf Kondoa offen, und da gleichzeitig starke feindliche Verstärkungen von Norden her in Kondoa eingetroffen waren, rechnete man auch damit, daß der Feind auf der alten Kondoa-Mpapua-Straße zur Mittellandbahn vorstoßen könnte. Infolgedessen erhielt die Kavalleriebrigade den Befehl, zu dem uns schon bekannten Kwa-Handu-Paß, südöstlich hinter unserer Front, zurückzugehen und von dort aus durch Patrouillen rechts vom rechten Flügel unserer Stellung jene beiden Straßen unter ständiger Beobachtung zu halten. Der geeignetste Punkt hierfür war der 35 Kilometer vom Paß nach Nordosten liegende Kwa-Damas-Hügel, nach dem wir also ständig Patrouillen zu reiten hatten. Auf dem Kwa-Handu-Paß stellten wir eine starke Feldwache auf, die Kavalleriebrigade selbst lagerte etwas unterhalb des eigentlichen Gebirgspasses, versteckt gegen die häufig erscheinenden Flieger, im dichten Busch am Ufer eines versandeten, trockenen Flußbettes, in dem wir nach Wasser für uns und unsere Tiere graben mußten. Hier beim Kwa-Handu-Paß passierte die schöne Geschichte mit Martin Köhler, Unteroffizier Köhler, im Frieden Schaf-, Hühner-, Bienen- und Brieftaubenzüchter am Meru. Sie beweist, wie wichtig für den Schutztruppler die Ausbildung im Reckturnen ist – rettete doch eine elegant ausgeführte Sitzwelle den Kameraden Köhler vom sicheren Tode. In unmittelbarer Nähe des Lagers waren, eingedenk der Liebhaberei unseres früheren Sanitätsrates, an einem versteckten Örtchen ein tiefes Loch ausgehoben und an dessen Rand Sitzstangen errichtet worden. Die Sitzstangen befanden sich etwa 45 Zentimeter über der Erde. Als unser Freund Martin eines Mittags auf einer dieser Stangen saß und, da er Geschmack besitzt, tief darüber nachdachte, wie er sich diesen Ort auf seiner Zukunftsfarm am Meru doch etwas weniger primitiv einrichten möchte, sprang ihn von vorwärts aus dem Busch ein Leopard an. Kurz entschlossen machte Martin eine Sitzwelle und kam, da er von Statur man klein ist, zwischen der Stange und dem Boden auch richtig rum. Der Leopard hingegen schoß, Kopf vorwärts, in die tiefe Grube, in der er ohne sonderliche medizinische Kenntnisse feststellen konnte, daß sämtliche Europäer meiner Kompanie magen- und darmkrank waren. Daß Martin, dessen Brust der Leopard im Absinken mit den Krallen der Hinterpfoten arg aufgekratzt hatte, sich nun keine Zeit mehr nahm, seine Toilette zu ordnen, wird niemand wundernehmen. Blutüberströmt, die Hose in der Hand, kam er in das Lager gelaufen, so schnell ihn seine kleinen Beine tragen wollten, und brüllte: »Chui! Chui!« [Leopard]. Am nächsten Mittag, etwa um dieselbe Zeit, besuchte Unteroffzier Obst das stille Örtchen. Er nahm seinen Karabiner mit. Richtig! Da lag der Leopard wieder im Schatten eines Strauches und wartete auf Martin Köhler. Bana matunda schoß dem Katzentier auf 15 Schritt eine Kugel zwischen die Augen. – Zu verwundern ist es nicht, wenn die größeren Raubtiere, Löwe und Leopard, im Kriege Menschenfresser geworden sind. Gelegenheit, sich an Menschenleichen zu üben und auf den Geschmack zu kommen, haben sie genug gehabt. Wer krank oder verwundet im Pori liegenblieb, war rettungslos verloren. Am Kwa-Handu-Paß lag ich wieder mal einige Tage mit Fieber. Wir waren eigentlich alle malariadurchseucht, wie eine Viehherde mit Küstenfieber durchseucht sein kann. Die Malariaanfälle wurden immer häufiger, aber auch immer schwächer und von kürzerer Dauer. Na, wenn wir einmal kein oder doch nur schwaches Fieber hatten, ritten wir unsere Patrouillen nach dem Kwa-Damas-Hügel, zu dessen Fuß das Negerdorf gleichen Namens liegt. Ich habe zweimal solche Patrouillen geführt, die beide nicht ohne besonderes Abenteuer verliefen. Das erstemal hatte ich den Nebenauftrag, den Jumbe, den den Engländern freundlichen Dorfschulzen von Kwa Damas, und seine eigene Schaf- und Ziegenherde auf dem Rückwege mitzubringen. Er war ein farbiger Landesverräter. Da wir aus der Richtung der englischen Stellungen an sein Dorf heranritten, hielt der Jumbe uns für Engländer, nahm uns freundlich auf und zeigte uns stolz ein deutsches, vom Feinde irgendwo erbeutetes Infanteriegewehr Modell 71, mit dem die Engländer ihn bewaffnet hatten. Als wir ihn, sein Gewehr, seinen Akida [Schreiber] und seine Hammelherde mitnahmen, machte er uns noch lange Zeit darauf aufmerksam, daß wir falsch marschierten, da die englische Stellung in entgegengesetzter Richtung liege. Seinen Untertanen schien es Spaß zu machen, daß es ihrem Jumben anscheinend schlecht gehen sollte. Wir mußten quer durch sein sich über einige Kilometer hin erstreckendes »Reich«. Die Frauen und Kinder traten vor die Hütten und freuten sich diebisch über ihren Schulzen und seinen Schreiber am gemeinsamen Strick. Die bewaffneten Männer hielten sich in respektvoller Entfernung. Der Schulze und sein Schreiber wurden der Zivilbehörde überliefert, die Schafe und Ziegen aß meine Kompanie. Weniger vergnüglich war das Abenteuer auf der zweiten Patrouille. Ich hatte eben meine Tiere auf halber Höhe des Kwa-Damas-Hügels hinter Felsen versteckt und oben auf dem Hügel einen Ausguckposten aufgestellt, als plötzlich, wie ein Gewitter aus heiterem Himmel, ein Schwarm wilder Bienen über uns herfiel. Meine Askari rissen sofort aus, ohne sich um ihre Tiere zu kümmern, einige von den Europäern machten es nicht besser, andere banden wenigstens ihre Tiere los und rissen dann erst aus. Jedenfalls saß ich allein da mit sieben hinter verschiedenen Felsen angebundenen Tieren, über die die Bienen herfielen wie ein Heuschreckenschwarm über ein Feld jungen Mais. Gras, um rasch ein Rauchfeuer zu machen, gab es auf dem nackten Hügel nicht. Ich legte mir mein Taschentuch möglichst breit um den Hals und kroch, den Kopf dicht über dem Erdboden, auf allen vieren zu den Tieren, die mit solcher Gewalt an ihren Halfterriemen zerrten, daß ich sie nur durch Durchschneiden der Riemen befreien konnte. Ich konnte mich natürlich nicht damit abgeben, die Tiere zu greifen – einmal frei, mußten sie für sich selber sorgen. Das taten sie denn auch mit viel Klugheit und Überlegung. Von Bienen umschwärmt, sausten sie im Galopp den Hügel hinab, hinein in ein Mtamafeld, und wälzten und rieben sich dort solange gegen die Mtamastauden, bis sie die Bienen loswurden. Zwei Tieren, einem Pferde und einem Maultiere, hatten die Bienen oben am Hügel bereits so schwer zugesetzt, daß sie eingingen; das Pferd krepierte nach einer Stunde, das Maultier am nächsten Morgen. Eins der flüchtigen Maultiere hatten meine Leute unten am Hügel einfangen können, und da es jämmerlich nach seinen Genossen schrie, kamen diese, die schon auf dem Wege zum Kompanielager gewesen waren – Maultiere finden stets ihren Weg zum letzten Lager – zu uns zurück und ließen sich greifen. Das war noch ein Glück im Unglück. Wir hätten sonst alle mit der ganzen Reitausrüstung auf dem Rücken 35 Kilometer tippeln müssen. Ich hatte 40 Bienenangeln im Kopf und in den Händen – der Bur de Beer hat sie mir ausgezogen und gezählt. Mein Kopf schwoll so dick an wie gut drei Köpfe gewöhnlichen Kalibers. Stundenlang fühlte ich mich sterbenskrank; erst als in der Nacht starkes Erbrechen und gleichzeitig Durchfall eingetreten war, wurde mir leichter. Daß ich dem Tode nahe gewesen bin, ist mir völlig klar. Es dauerte acht Tage, bis mein Kopf zu seiner normalen Dickköpfigkeit zurückgeschwollen war, und vierzehn Tage, bis die letzten Fiebererscheinungen verschwunden waren. Man sagt mir, Bienenstiche seien ein gutes Heilmittel gegen Rheumatismus. Wenn Bienenstiche auch prophylaktisch wirken, dann habe ich von dieser Medizin genug für den ganzen Rest meines Lebens eingenommen. Bei dieser Gelegenheit habe ich übrigens feststellen können, daß es bei mir mehr als 40 Bienenangeln im Leibe bedarf, ehe ich den Sinn für Humor verliere. Trotz der angeschwollenen Augen und schmerzenden dicken Lippen habe ich doch herzlich über folgendes Intermezzo lachen müssen: Der Schütze Bieleck war, ohne sich um sein Tier zu kümmern, im ersten Schreck nicht den Hügel hinunter-, sondern hinaufgelaufen; den Woilach, auf dem er gerade ruhte, hatte er mitgenommen. Als wir eine ganze Weile später am Fuß des Hügels damit beschäftigt waren, die zurückkommenden Reittiere einzeln einzufangen, kündigten den steilen Hügel herabrollende Steine an, daß von oben noch was kommen würde. Und siehe – ein Berggeist kam am hellichten Nachmittage den Hügel herab. Bieleck ist klein, so klein wie ein Mensch nur sein kann, ohne in die Gattung Zwerg eingeschaltet werden zu müssen. Nun hatte er sich, wohl zum Schutz gegen die Bienen, die inzwischen längst weg waren, seinen langen Woilach über den Kopf gehängt, so daß er selber nichts sehen konnte und die Woilachenden vorne und hinten auf der Erde schleppten. Beim Abwärtslaufen trat er nun bald vorne auf den Woilach und kollerte ein Stück weiter, bald vertüderten sich seine langen Rittersporen hinten im Woilach, und er schoß einige Purzelbäume, um dann wieder weiterzulaufen. So rollte, stolperte, sich alle paar Schritt überschlagend, begleitet von einem Hagel losgelöster Steine, unser Berggeist wie eine Lawine heran und schrie dabei in einer unter der dicken Decke geisterhaft klingenden Stimme: »Ich sterbe! Ich sterbe! Ich bin schon tot!« Als Bieleck endlich unten angekommen und in sich zusammengesunken war, schauten wir uns das Klümpchen Unglück näher an. Wie gesagt, der Bienenschwarm war längst fort, aber Bieleck hatte sich gleich zu Anfang so’n Stücker sechs bis acht Bienen unter seinem Woilach eingefangen, die nun auch nicht wußten, wie sie da wieder rauskommen sollten. Unter ihrem zornigen Gesumme war Bieleck, selbst in Nacht gehüllt, auf dem Hügel herumgeklettert und jetzt zu uns heruntergesaust – immer noch im Wahne, daß der ganze Schwarm hinter ihm allein her sei. Da ich gerade bei Bieleck bin und mich liebend gerne bei ostafrikanischen Charakterstudien aufhalte, will ich an dieser Stelle noch ein paar Stückchen von ihm erzählen. Bieleck hatte sich bei Kriegsausbruch zur berittenen Truppe gemeldet, weil er sich einbildete, früher mal »Cowboy« in Zentralamerika gewesen zu sein. Als ihn zum Schluß der ersten Reitstunde der Kompanieführer darauf aufmerksam machte, daß in einer Reitstunde zehnmal abzufallen sich mit dem Begriff, den er sich vom Cowboy mache, schlecht vereinigen lasse, antwortete Bieleck: »Halten zu Gnaden, Herr Kapitänleutnant, ich bin halt nur fünfmal abgefallen, die andern fünfmal bin ich noch rechtzeitig an meinen Sporen oben hängengeblieben.« Kurz vor dem Kriege reiste Bieleck in der Landschaft Usukuma. Warum er dort reiste, weiß auch heute nur er allein. Jedenfalls reiste er als Großgrundbesitzer und trug sein Haar in langen schwarzen Locken, wahrscheinlich, um wenigstens etwas Langes an sich zu haben. Zwei spätere Kompaniekameraden von ihm und mir, die auf Viehsafari auch in Usukuma reisten, erfuhren in einem Negerdorf, daß im nächsten Dorf ein ganz kleiner Mzungu [Europäer] wohne. Richtig! als sie zum nächsten Dorf kamen, fanden sie dort einen Lehmkaten mit der obligaten Veranda davor. Auf der Veranda, die Stirn in Denkerfalten gezogen, anscheinend in die Lektüre eines Buches vertieft, saß Bieleck, der sie natürlich bereits eine Stunde lang auf der Straße hatte ankommen sehen. »Ah, meine Herren, welche Überraschung! Freut mich, daß Sie mich besuchen. Freut mich sehr. Bitte, nehmen Sie Platz. Habe hier Land belegt. So’n kleines Fürstentum groß. Will viehfarmen. Zentralamerikanische Erfahrungen verwerten« – so sprudelte es von den Lippen des kleinen langhaarigen Gastgebers. »Auch auf Viehkauf?« Ein Wort gab das andere, und die beiden Viehkäufer beklagten sich, daß es so schwer sei, in Usukuma Träger zu bekommen. »Was«, rief Bieleck, »schwer? Nichts leichter als das. Ich bin alter Afrikareisender – Bieleck war damals 21 oder 22 Jahre alt – weiß Bescheid, machen Sie’s wie ich! Wenn ich keine Träger kriegen kann, weil die Männer sich verdrückt haben, gehe ich in ein Negerdorf und greife mir 18 Frauen. Reise nach meinem Stande in einigem Staat, wie Sie sehen. War früher beim Gouvernement, habe es mir da so angewöhnt; freilich, Anspruch auf Nachtgeschirr _mit_ Deckel hatte ich noch nicht. Zehn Frauen packe ich je eine Last auf, und acht, immer vier abwechselnd, müssen mich im Liegestuhl hinterhertragen. So übersehe und bewache ich bequem das Ganze. Wenn ich in dieser Weise eine Stunde marschiert bin, dann kommen die Männer der Frauen mir ganz von selbst nachgelaufen und bieten sich zu Trägerdiensten an. ›Seht ihr wohl‹, sage ich zu ihnen, ›es gab also doch Träger in eurem Dorf. Nun, bis zum nächsten Dorf müßt ihr mit, sonst nehme ich eure Frauen mit. Im nächsten Dorf löhne ich euch ab.‹ Sie gehen mit, glauben mir aber natürlich nicht, daß ich sie im nächsten Dorf entlassen werde. Kaum sind wir dort angelangt, bimsen sie aus, und ich spare die Trägerlöhne. So reist man bequem und billig in Afrika, meine Herren.« Der also in Staat reisende Großgrundbesitzer Bieleck kam zur Truppe zu Fuß ohne die langen Locken und bescheiden mit nur einem Träger. Dieser trug eine alte Petroleumkiste auf dem Kopf, in der sich eine Sammlung von Hotelspeisekarten aller Herren Länder befand. Daß Bieleck sich gleich zur Schutztruppe meldete, ist gewiß anzuerkenen, aber im Gefecht hatte er doch so seine eigene Taktik. Als die Berittene Neunte am 6. Februar 1916 im Gefecht am Nagasseni über eine größere baum-, strauch- und graslose Fläche im feindlichen Feuer in Sprüngen vorging und mit dem Ungestüm ihres Führers kaum Schritt halten konnte, waren Bieleck und Bana matunda Nachbarn in der ausgeschwärmten Schützenlinie. Nach dem ersten Sprung schmiß sich Bana matunda auf den Bauch – denn natürliche Deckung gab es nirgends – und schoß mit gespreizten Beinen liegend. Kaum hatte er den zweiten Schuß heraus, da krabbelte ihm was zwischen den Beinen, und als er sich vorsichtig umsah, hatte sich Bieleck dort eingenistet. Ehe Bana matunda seine staunende Entrüstung in Worte fassen konnte – der Augenblick muß sehr kurz gewesen sein, denn Bana matunda war sonst nicht auf den Mund gefallen –, hieß es bereits wieder: »Sprung auf! Marsch! Marsch!« Nach diesem Sprung legte sich Bieleck richtig wieder zwischen die Beine von Bana matunda, und dieser fand diesmal zwischen seinen Schüssen die Zeit, ihm einige Kosenamen an den Kopf zu werfen und Fußtritte zu verabreichen. »Halten zu Gnaden«, sagte der ganz bestürzte Bieleck, »wir sind instruiert, jede Deckung auszunutzen, und eine bessere Deckung kann ich in diesem parkettfußbodenähnlichen Gelände nicht finden.« Bieleck war auch mal interimistisch als Gerichtsvollzieher in Tabora angestellt. Warum er diesen Posten verlor, hat er mir selbst erzählt: »Halten zu Gnaden, Herr Obristwachtmeister, ich war mein ganzes Leben lang immer schlecht bei Kasse, auch noch, als ich Kolonialbeamter war. Komme ich da eines Tages auf das Büro meines Bezirksrichters, um ihm nach einer vollzogenen Pfändung das bezügliche Aktenstück zu überreichen. Mein Bezirksrichter liest halblaut und murmelt: ›Urteilsschuldner Bieleck, hm, den Namen sollte ich kennen.‹ – ›Jawohl, Herr Bezirksrichter‹, sage ich, ›das bin ich.‹ – ›Was!‹ ruft der Bezirksrichter, ›Mensch, Sie haben sich selbst gepfändet?‹ – ›Kleinigkeit‹, sage ich, ›machen wir alles. Ich ging auf meine Bude, fand nichts Pfändbares und habe, wie Euer Gnaden sehen, hier unten auf dem Aktenstück über den Befund mit »Bieleck, Gerichtsvollzier« urkundlich quittiert. Alles in schönster Ordnung, Euer Gnaden.‹ Der Bezirksrichter wollte das nicht für voll nehmen, und ich wurde entlassen, nur weil mein Name zweimal in derselben Gerichtsakte vorkam. So kann’s einem gehen, Herr Obristwachtmeister. Hab’ die Ehr’, Herr Obristwachtmeister.« Wenn Bieleck dazu aufgelegt war und abends am Lagerfeuer erzählte, saß bald die halbe Kompanie um ihn versammelt und lachte sich gesund. Bieleck hatte eine helle Phantasie, er war unser moderner Münchhausen. Der Todesritt der Berittenen 9. Schützenkompanie Wir mußten zurück. An der Kondoafront, die unser Oberst nun schon drei Monate hielt, stand es zwar nach wie vor gut. Aber die neue Stellung, die Major Kraut bei Kanga, nördlich von Tuliani, besetzt hielt, wurde jetzt durch überwältigende feindliche Übermacht bedroht. Kanga und Tuliani waren aber die Schlüssel zu Morogoro und somit zur Mittellandbahn, und wenn diese beiden fallen würden, war es unmöglich, die Kondoastellung länger zu halten. So entschloß sich unser Oberst, letztere zu räumen, um den Feind vor Morogoro nochmals kräftig aufzuhalten. Am 22. Juni 1916 brach er von der Kondoafront auf und war auf dem Durchmarsch eine Stunde bei uns im Lager am Kwa-Handu-Paß. Hier habe ich unsern Oberst zum letztenmal im Kriege gesehen – der heroischste Teil seines Heldenkampfes lag damals noch vor ihm. Ich sage immer: »unser Oberst«, als wenn ich nicht wüßte, daß v. Lettow-Vorbeck im Kriege noch General geworden ist. Ich weiß das sehr wohl, wir Afrikaner wissen es alle, aber keiner von uns spricht von ihm anders als von »_unserm_ Oberst«, mit der Betonung auf dem besitzanzeigenden Fürwort. Einen schöneren Ehrentitel kann sich kein Mensch erwerben. Übrigens werden die Engländer sehr erleichtert aufgeatmet haben, als unser Oberst zum Generalmajor befördert wurde. Es war doch etwas peinlich für die zehn bis siebzehn feindlichen Generäle in Ostafrika, daß ihr nie zu schlagender Gegner nur ein Oberst war. Sie nannten ihn daher auch schon lange vor seiner Beförderung in ihren Berichten stets General v. Lettow. Ebenso gereichte es ihnen zur größten Befriedigung, daß der General Wahle (der auf einer Reise in Afrika durch den Kriegsausbruch überrascht worden war) auf unserer Seite mitkämpfte. Und um unsern Besitzstand an Generälen noch um ein weniges auszugleichen, nannten sie den im Gefecht am Ingito schwer verwundeten und seitdem beim Kommandostabe tätigen Hauptmann Tafel sowie den Oberleutnant Naumann, der ihnen viel zu schaffen machte und zu einer Zeit, als die Engländer bereits die Mittellandbahn genommen und überschritten hatten, plötzlich in ihrem Rücken bei Kahe an der Nordbahn auftauchte, General Tafel und General Naumann. Sogar ein in Gefangenschaft geratener Waffenrevisor, dessen Rangabzeichen die Engländer nicht verstanden, wurde von ihnen einige Tage als General angeredet und behandelt. Persönlich erlebte ich es, daß die Engländer den früheren Polizeiwachtmeister Kleinschmidt, der die Großstadt Dodoma im Namen des Bezirksamtmannes übergeben hatte, Mr. Burgomaster titulierten und sehr stolz darauf waren, diesen kleinen, dicken, lieben Herrn überall als wichtige Persönlichkeit zeigen zu können. Schon einige Tage vor und mehrere Tage nach dem 22. Juni kamen ununterbrochen Askarikompanien durch den Kwa-Handu-Paß. Staffelweise und nur in der Nacht wurde vor Kondoa abgebaut, damit die feindlichen Flieger es nicht beobachten konnten. Das ist dermaßen gut gelungen, daß des Feindes Artillerie unsere alten Stellungen vor Kondoa noch beschoß, als sie schon mehrere Tage verlassen waren und nur noch einige Gruppen Askari allnächtlich auf der ganzen alten Front Lagerfeuer unterhielten. Während der Rückzugsbewegungen war es die Aufgabe der deutsch-ostafrikanischen Kavallerie, den Rückmarsch zu decken. Wir gingen vom Kwa-Handu-Paß bis zum Keremabach vor und nahmen dort die letzten Askarikompanien auf, als allerletzte die 14. Reservekompanie, die wegen ihrer Standhaftigkeit und ausdauernden Marschleistungen »die Eiserne« genannt wurde. Bis zum andern Morgen hielten wir den Übergang über den Keremabach besetzt, und erst, als dann immer noch kein Feind nachdrückte, ritten wir zum Kwa-Handu-Paß zurück. Hier warteten wir, zusammen mit der Abteilung Klinghardt, der wir einstweilen zugeteilt waren, weiter auf den Feind, und da das bald so langweilig zu werden anfing, daß Streitpatiencen bereits wieder herhalten mußten, stießen wir noch einmal weit nach Nordosten vor, bis zum Kwa-Damas-Hügel bienenabenteuerlichen Angedenkens. Als auch hier nichts vom Feind zu sehen war, rückte die ganze Abteilung – wir als Nachhut – vom Kwa-Handu-Paß auf der alten Kondoa-Mpapua-Straße nach Süden ab. Unser nächster längerer Aufenthalt war in Yangallo, einem Negerdorf etwa 25 Kilometer nordwestlich von Mpapua. Von hier aus wurde, um die Anmarschlinie von Norden her zu sichern, ein ständiger starker Posten in dem großen Negerdorf Tissu Kwa Meda unterhalten. Ich habe mit meiner Kompanie auch sechs Tage dort gelegen und dabei die Ehre gehabt, den alten Sultan Meda der hier ansässigen Wagogo kennenzulernen. Meda war ein großer, sehr korpulenter Herr, sein wolliges Haar schimmerte bereits ganz weiß. Er nahm uns mit Würde und freundlich auf. Seine Auffassung über die durch den Krieg geschaffene politische Lage seines Sultanats brachte er, etwa wie folgt, zum Ausdruck: »Als vor Jahren die Massai uns bekriegten und unser Vieh raubten, habt ihr Deutschen uns geholfen und Ordnung geschaffen. Meine eigene Großviehherde ist seitdem wieder auf 2000 Haupt angewachsen. Ich habe sie – das schob Meda mit einem schelmischen Blick in seinen Augen ein – in lauter kleine Herden eingeteilt und diese überall in meinem Sultanat im Busch versteckt; die Zeiten sind danach. Da ihr Deutschen – fuhr er fort – uns seinerzeit geholfen habt, habe ich meinen Untertanen befohlen, euch gut aufzunehmen und zu verpflegen und nichts gegen euch zu unternehmen. Mehr kann ich nicht tun. Wir sind zu schwach, um für euch zu kämpfen. Wenn ihr weg seid und die Engländer kommen hierher, dann werde ich meinen Untertanen befehlen, auch sie gut aufzunehmen und zu verpflegen. Wir werden aber auch nicht mit ihnen gegen euch kämpfen.« Mir schien der alte Meda trotz der vielen Pombe, durch deren lebenslänglichen reichlichen Genuß er sich seinen schönen Schmerbauch angezüchtet hatte, für einen Negerfürsten eine sehr gesunde Politik zu betreiben, und da ich Befehl hatte, für alles, was die Eingeborenen uns brachten, nicht mit Papiergeld, sondern in klingender Münze zu zahlen, kamen wir mit seinen Untertanen ganz vorzüglich aus. Wir hatten einige Tage Fettlebe. Die Gegend war noch nie von Truppen abgegrast worden, und keine Etappe hatte noch je ihre Fühlhörner bis hierher ausgestreckt. Unsere Tiere bekamen Mtamakorn, soviel sie fressen wollten. Alles war spottbillig. Eine Ziege kostete 50 Heller, ein fettes Schaf 1 Rupie, ein fetter zweijähriger Ochse 4 Rupien, ein Huhn 10 Heller, das Ei 1 Heller, Honig gar nichts, und soviel Milch, wie es für 10 Heller gab, konnte ich in einem Tage unmöglich trinken. Wir haben uns von dem guten alten Meda und seinen von ihm organisierten weiblichen und daher höchst malerischen Verpflegungskolonnen alle sehr ungern getrennt. Von Yangallo nahm uns die Abteilung Klinghardt mit zurück zu dem alten Karawanenzentrum Mpapua. Das Hauptereignis der vier oder fünf Tage, die wir da gelegen haben, war, daß wir einige fette Schweine schlachteten und alle unsere Blechbüchsen und Gläser mit Schmalz auf Vorrat füllten. Hocherfreulich war es, daß es in Mpapua auch Schneider gab, die unser Gelumpe notdürftig reparieren konnten. Ich habe meinen einzigen Uniformrock, der mir, nebenbei gesagt, viel zu klein war, dort mit vier Taschen besetzen lassen; denn im Original hatte der Rock merkwürdigerweise überhaupt keine Taschen. Da der Khakistoff der Taschen, den mir ein wohlhabenderer Kamerad geschenkt hatte, viel heller war als der Stoff des Rockes, sah ich von vorne allerliebst scheckig aus und von hinten, wegen der Kürze des Rockes, wie ein Junge in schweren Reithosen – Wellblechhosen wurden sie genannt –, der aus seinem kurzen Jäckchen seit einigen Jahren herausgewachsen ist. Na – die Eleganz eines Etappesoldaten konnte von uns billigerweise nicht verlangt werden. Bei Mpapua lagerte meine Kompanie ganz für sich, etwas oberhalb der Boma und der Inderstadt. Wir hatten uns schon ganz in den Gedanken eingelebt, daß der Feind nie mehr nachkommen würde, und fingen sogar bereits an, Grashütten, wenn auch man ganz, ganz bescheiden, zu bauen. Die Lage unseres Lagers war höchst romantisch, unter schönen alten Bäumen in einem Flußkoongo, das vor uns mit einem Berge abschloß, also gewissermaßen in einem Talkessel. Zur Erhöhung der Romantik bewohnte ein seiner Stimme nach uralter Mähnenlöwe ebenfalls diesen Talkessel. [Illustration] Der Mond ist aufgegangen, ein zitronengelber afrikanischer Mond, und sucht mich unter dem Blätterdach der Bäume, wo ich, mit dem Kopf auf dem Sattel liegend, meinen Gedanken nachgehe. Neben mir stehen meine beiden Reittiere, mein neuer hochbeiniger südafrikanischer Fuchswallach und mein kleines, schnittiges Maultier. Sie fressen ihr Mtamakorn und nehmen zwischendurch ein Maulvoll von dem ihnen vorgeworfenen Gras; der Fuchs, der Nachfolger von Otto, und das Maultier sind schnell Kriegskameraden geworden und vertragen sich gut. Von Mpapua her, wo die Neger tanzen, erklingen fern die Töne der Ngoma [Trommel], näher, in unserm Lager, dort, wo der Askarizug liegt, höre ich meine schwarzen Kameraden singen: »Napenda we, napenda we« [ich liebe dich] ... auch sie denken nicht an Krieg. Nächtlicher Friede sinkt auf das Land herab. Da fängt plötzlich der alte einsame Löwe an, seine mächtige Stimme zu erheben. Erst rollen die Laute grollend tief aus seiner Kehle, wie wenn sie sich erst lösen müßten. Freier und lauter wird das Gebrüll, das sich an den Bergwänden fängt und widerhallt, bis der ganze Talkessel von dem Groll und der Macht des Königs der Tiere erfüllt ist. Der Gesang der Askari ist verstummt. Meine Tiere fressen nicht mehr. Wie zu Stein erstarrt stehen sie da und lauschen mit vorgestreckten Ohren aufmerksam in die Nacht hinein. Ich richte mich halb auf und lausche auch; unwillkürlich sucht meine Hand den Karabiner neben mir. Alle Lebewesen lauschen, die ganze Natur ist ein Lauschen. Wieder und wieder erhebt der Löwe sein Gebrüll, allen denen Verderben drohend, die sich seinem Trotz nicht unterwerfen. Dann verstummt er so plötzlich, wie er begann, nur noch einige verächtliche Gurgellaute klingen nach. Der Frieden der Tropennacht sinkt wieder auf mich und alles um mich nieder. Unser Wohlleben im Jagdgebiet des alten Löwen von Mpapua sollte nicht von langer Dauer sein. Es kam vom Kommando der Befehl: »Die beiden Berittenen Kompanien sind der Abteilung Linke in Chinene zugeteilt.« Also wieder hieß es: »Fertig machen! Satteln!« Wie viele hundert Male ich wohl diese beiden Befehle im Kriege habe geben müssen? Wir ritten noch in der Nacht zur Mittellandbahnstation Gulwe und pennten dort, wo wir standen, weil der Transportzug auf sich warten ließ. Am nächsten Tage waren wir wieder in der Großstadt Dodoma. Die Zivilverwaltung, mit alleiniger Ausnahme des Burgomaster Kleinschmidt, war bereits fort; auch unsere freundliche Frau Bahnhofswirtin trafen wir nicht mehr an, doch hatte sie – geschäftstüchtig, wie sie war – ihr Hotel noch schnell an einen Inder (oder war es ein Grieche?) verpachtet. Wir hielten uns nicht in Dodoma auf, sondern ritten auf der Straße nach Kondoa die Nacht durch und waren am nächsten Abend in Chinene. Hier hatte die Abteilung Linke auf dem Rückzug aus der Kondoastellung haltgemacht, um am Chinene-Paß den Feind zu erwarten. Mittlerweile hatte dieser nun doch Ernst gemacht, war von Kondoa nach Süden vorgegangen und lag jetzt vor dem Chinene-Paß. Hauptmann Linke teilte – seit langer Zeit zum erstenmal wieder – die Kavalleriebrigade, behielt die Berittene Achte bei sich in Chinene und schickte meine Kompanie rechts raus, um den etwa 10 Kilometer östlich gelegenen Kongoni-Paß zu besetzen. Die Berittene Neunte hatte sich inzwischen, da Rekonvaleszenten sich nach und nach eingefunden hatten, wieder etwas vermehrt und war jetzt 16 Europäer und 19 berittene Askari, also 35 Gewehre stark. Drei Tage und drei Nächte lagen wir oben im Kongoni-Paß in Stellung und froren ganz jämmerlich. Vom Feind war nichts zu sehen. Es war aber anzunehmen, daß die Berge, die vor dem Nordausgang des Passes lagen, von ihm besetzt waren. Als ich, um das festzustellen, Freiwillige zu einer Schleichpatrouille aufrief, meldeten sich sämtliche Leute, wie das bei der Berittenen Neunten nicht anders zu erwarten war. Bernhard Blaich, unser »Mariechen«, und der kecke Dettmar meldeten sich am schnellsten. Zu Fuß gingen sie vor und bewogen sogar den Feind, aus seinen Stellungen herauszukommen. Nur ihre jungen Lungen und flinken Beine retteten Blaich und Dettmar vor einer Umzingelung. Ich hoffte, der Feind würde ihnen bis in Schußweite meiner Feldwache folgen, und hatte bereits alles für einen warmen Empfang vorbereitet. Der Feind aber ließ sich auf gar nichts ein. Es war am Morgen des denkwürdigen 27. Juli 1916, als von der Abteilung Linke der Befehl eintraf: »Nach Gefecht am 26. bei Chinene ging Abteilung Linke nach Meia-Meia bei Kilometer 45 zurück. Die Berittene 9. Schützenkompanie hat sich der Abteilung Linke dort anzuschließen.« »Fertig machen! Satteln!« Ich ahnte nicht, daß ich diese Befehle meinem Zuge zum letztenmal im Kriege zugerufen hatte. Wir tränkten die Tiere noch mal, und die Pferdehalter wurden eingeteilt. »Aufsitzen! – Spitze: Unteroffizier Bosch, Gefreiter Botha und zwei Askari! – Spitze anreiten! – Marschordnung: Europäerzug, Askarizug! – Europäerzug anreiten!« Durch undurchdringlichen Dornbusch auf sich windenden Negerpfaden ritten wir in Kolonne zu Einem nach Meia-Meia. Es mag 2 Uhr 30 oder 3 Uhr nachmittags gewesen sein, als wir an den Rand der etwas lichteren Fläche kamen, in der die Etappenstation Meia-Meia stand. Unsere Spitze war schon über diese Lichtung weggeritten bis an die Etappenstraße heran, und jetzt verließen auch wir den schützenden Busch. Der erste Reiter in der Kolonne war Leutnant Freund als Kompanieführer, ihm folgte unser Veterinär Dr. Binz, der dritte war ich, und hinter mir ritt mein Zug. Wir erwarteten in Meia-Meia die Abteilung Linke in Stellung zu finden und wußten, daß wir erwartet wurden. Daß also 40 Meter links von uns Truppen mit der Front nach Chinene zu ausgeschwärmt im hohen Gras lagen – wie es auf den ersten Blick schien, Askari mit um den Tarbushi, wie üblich, befestigten Zweigen –, konnte uns nicht auffallen, jedenfalls fiel es mir nicht auf. Wir ritten Schritt, und als beinahe der ganze Europäerzug aus dem Busch heraus war, rief jemand von hinten nach vorne: »Ich glaube, das sind Engländer!« – »Unsinn!« antwortete Leutnant Freund, setzte aber, während wir im Schritt in der Marschrichtung blieben, sein Tier in Galopp und ritt an die Schützenlinie heran. In dem Augenblick wurde jeder Zweifel behoben. Wir erhielten Schnellfeuer auf 40 Schritt. Ein Zurück war nicht möglich. Es hätte am engen Eingang zum dichten Busch eine Stauung und folglich ein Massengrab gegeben. Bei einem Feuerüberfall auf 40 Schritt ist es nicht gut möglich, sich zu entwickeln. Unsere Instruktion lautete jedenfalls, in einem solchen Falle auseinanderzuspritzen und die nächste Deckung zu suchen. Wir sausten alle auseinander nach rechts, wo ein naher Buschstreifen wenigstens erst einmal Deckung gegen Sicht versprach. Bis zu dem Buschstreifen, kaum 20 Galoppsprünge entfernt, fiel links von mir Dr. Binz neben sein totes Tier mit zwei Schuß in Brust und Hand, und rechts von mir wurde Gotthilf Blaich das Pferd unter dem Leib erschossen. Die Luft sang von Spitzgeschossen. [Illustration] Der Buschstreifen war leider schmal und bot keine Deckung gegen Infanteriefeuer. Jenseits desselben war kein Feind zu sehen. Also weiter! Wenige Galoppsprünge – da bekam ich aus dem Busch halbrechts von mir ebenfalls starkes Feuer. Ich wandte links und ritt, mit dem Kolben stoßend – ich vermißte meine alte schwere Feldartillerieplempe sehr –, buchstäblich durch feindliche Schützen, die aufgestanden waren, aber erst hinter mir her schossen, als ich bereits durch war, vorher wohl auch nicht schießen konnten, wollten sie nicht ihre eigenen Leute anknallen, vor denen ich nach links abgebogen war. In meiner Nähe sah ich nur noch den Gefreiten Arno Förster. Da stürzte sein Tier, warf ihn schwer, und ich war allein. Ich konnte keine 20 Schritt weit sehen, aber ich glaubte jetzt raus zu sein und galoppierte vorgebeugt, nachdem ich mir den Tropenhut fest über den Kopf gezogen hatte, hinein in den dichten Dornbusch. So schoß ich blindlings in eine Abteilung von 150 berittenen ~Southafrican Scouts~ hinein, die hinter dem Dornbusch hielten und jetzt mit gutem Erfolg Revolverpraxis an mir übten. – Im Handgemenge zu Meia-Meia verlor meine Kompanie neun Europäer. Kriegsgeschichtlich ist Meia-Meia als das Grab der Berittenen 9. Schützenkompanie zu betrachten. An einen Ersatz von Europäern war angesichts des sich auch bei den Feldkompanien stark fühlbar machenden Mangels an solchen nicht zu denken. Es war daher das Gegebene, daß, nachdem noch einige Europäer meiner Kompanie zu Feldkompanien versetzt worden waren, der fast nur noch aus Askari bestehende Rest der tapferen Neunten mit der Berittenen Achten verschmolzen wurde und in ihr aufging. Das Konkurrenzunternehmen hatte doch gesiegt!! * * * * * Es bleibt nur noch kurz zu erzählen, wie es kam, daß ein Mann, dessen Hand die Axt, den Pflug, die Flinte und die Zügel zu führen geliebt hat, die Feder in die Hand nahm. Nach einem für den berittenen Soldaten sehr verdrießlichen Fußmarsch von fünf Wochen unter den Strahlen der tropischen Sonne und durch den knietiefen losen Sand der Etappenstraße langten wir im Kriegsgefangenen-Sammellager zu Nairobi an. Hier gab mir die englische Kommandantur ein großes rotes Taschentuch, ein Rasiermesser und einen Rasierspiegel. Ereignisse wiederholen sich – ich dachte an den elfjährigen Knaben, der für Reisebedarfsartikel auch auf Taschentücher verfallen war. Nachdem ich noch meine Taschenuhr an einen englischen Tommy verkauft und mir eine Khakihose gekauft hatte, war ich reisefertig für den Abtransport nach Vorderindien. [Illustration] In Indien steckte man mich hinter den Stacheldraht des A-Camps im Gefangenenlager zu Ahmednagar. Als ich eingeliefert wurde, war das A-Camp bereits von 800 Mann und zwei Milliarden Wanzen bevölkert. Im A-Camp waren vertreten die Spitzen der Wissenschaft, Professoren des Sanskrit, der Nationalökonomie, der Chemie, der Zoologie, deutsche und österreichische Kaufleute und Missionare aus Hinter- und Vorderindien, aus Siam, die ganzen Mannschaften der im Indischen Ozean gekaperten Handelsmarine vom Offizier bis zum Heizer, sämtliche deutschen Vagabunden, die sich im fernen Osten herumgetrieben hatten, kurz Abenteurer jeder Gattung und zwei Milliarden Wanzen. Sintemalen es sich um ein deutsches Gefangenenlager handelte, hatte dieses natürlich einen großen Wellblechschuppen, der je nach Tageszeit und Laune als Kirche, Theater, Universität, Konzertsaal oder Vortragsraum diente. Da Wanzenjagd als einzige Betätigung auf die Dauer von dreieinhalb Jahren nicht befriedigen kann und da ich doch auch etwas zur Unterhaltung meiner 800 Con-Abenteurer beitragen wollte, verfiel ich auf den für mich gewiß sehr abenteuerlichen Plan, ihnen von meiner Berittenen Neunten zu erzählen. Ich schrieb mir’s auf, und 16 Leseabende waren das Resultat. Am ersten Abend waren in dem großen Wellblechschuppen höchstens 20 bis 30 Mann da – ja, wenn nicht ein Prominenter des Lagers die Bühne betrat, ließen die Familienväter sich in ihrem Dauerskat nicht stören, und das junge Blut umschwärmte lieber die Tische, an denen »Gottes Segen bei Cohn« gespielt wurde. Am zweiten Abend war der Wellblechschuppen gefüllt, am dritten mußten seine Wände entfernt werden, und von da ab versammelten sich an jedem Leseabend die gesamten Lagerinsassen in dem und um den seiner Wände beraubten Wellblechschuppen. Der Nachwelt wäre es doch beinahe verlorengegangen. Als wir repatriiert werden sollten, kam die Verfügung heraus, daß unser Gepäck auf alles im Lager Geschriebene strengstens zu durchsuchen und dieses zu beschlagnahmen sei. Da baute mir ein Kamerad, der Schiffszimmermann war, einen Handkoffer mit doppeltem Boden. In diesem Koffer habe ich meine Aufzeichnungen, so klein geschrieben, daß ich sie heute nur noch mit der Lupe lesen kann, trotz aller Revisionen am 7. Februar 1920 in Rotterdam glücklich an Land gebracht. [Illustration] [Illustration: Karte] _Die Koehler Reihe_ bringt in über 60 Bänden packende Erlebnisbücher, Zeugnisse deutschen Geistes und deutscher Leistung Senta Dinglreiter Deutsches Mädel auf Fahrt um die Welt »Wenn man vermeint, es könnten über New York, die Prärien, die Golbgräberstädte, über Japan, China und Indien keine Reisebücher mehr geschrieben werden, so muß man dies Buch zur Hand nehmen, um vor Neuem und Fesselndem zu stehen. Es birgt in sich die Liebe zu Deutschland, die Weite der Welt, das Herz der Frau und den Reiz des Abenteuers ...« (_Leipziger Abendpost_) Kapitän Kircheiß · Meine Weltumseglung mit dem Fischkutter »Hamburg«. Dieser 2. Offizier von Luckners »Seeadler« ist ein Kerl, der sich nur auf den Planken wohlfühlt, stets auf Abenteuer bedacht. Er hat es nach dem Krieg als »Landratte« nicht mehr ausgehalten, mit einem Fischkutter umfuhr er die Welt. Was er dabei erlebt und in zahllosen Vorträgen für sein Vaterland geleistet hat, erzählt er mit Spannung und Humor. »Kircheiß’ Buch in einer bestens ausgestatteten billigen Ausgabe – das ist ein erfreulicher Zuwachs zur Seefahrtsliteratur.« (_Kölnische Zeitung_) Christine Holstein · Deutsche Frau in Südwest »Unter den besten Erscheinungen des Schrifttums über kolonisatorische Arbeit der letzten Zeit taucht das Buch einer Frau auf, die über das Wirken und Schaffen einer deutschen Farmerin in Südwest schreibt. Christine Holstein erzählt deren Leben mit einer Eindringlichkeit und Überzeugungskraft, mit einer Sachlichkeit sondersgleichen, die aber ihren Schilderungen nichts an Spannung nimmt.« (_8-Uhr-Blatt Nürnberg_) Jeder Band in Ganzleinen gebunden RM 2.85 Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen von Ortsnamen wurden beibehalten. Das Inhaltsverzeichnis wurde an den Anfang des Buches verschoben. Der fehlende Titel des ersten Kapitels wurde ergänzt. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Wir ritten für Deutsch-Ostafrika" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.