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Title: Nur wer die Sehnsucht kennt ...
Author: Boy-Ed, Ida
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Nur wer die Sehnsucht kennt ..." ***
... ***



                    Nur wer die Sehnsucht kennt ...



         Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger
                        in Stuttgart und Berlin



                              Ida Boy-Ed
                              ----------


   Die säende Hand. Roman. 4. Auflage
                                 Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50

   Um Helena. Roman. 3. Auflage
                                 Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50

   Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman
                 13.-15. Auflage Geheftet M. 4.-- In Leinenband M. 5.--

   Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Auflage
                                 Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50

   Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 6. u. 7. Aufl.
                                 Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50

   Die große Stimme. Novellen. 3. Auflage
      Inhalt: Die große Stimme -- Der Dorfdiplomat -- Treulose Treue --
              Nur im Kreise -- Eine Brutalität -- Das letzte Wort --
              Die Moral ist gerettet -- Ein Testament -- A -- Ein Handel
                                 Geheftet M. 2.-- In Leinenband M. 3.--



                    Nur wer die Sehnsucht kennt ...

                                 Roman

                                  von

                              Ida Boy-Ed

                           6. u. 7. Auflage



                       Stuttgart und Berlin 1911

               J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger


                        Alle Rechte vorbehalten

 Copyright 1910 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger Stuttgart



       Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart



                       Jeanne Gräfin Bernstorff

                               zu eigen

   Lübeck, 1. April 1911



I


Auf dem Jachtklubball in der Marineakademie, der wie immer die Kieler
Woche abschloß, gewährte die herkömmliche Überzahl von Herren jeder
Dame das Vergnügen, sehr gesucht und umschwärmt zu sein. Aber die
Dringlichkeit, mit der in den Tanzpausen die schöne Frau Jutta von
Verehrern umworben wurde, wirkte selbst hier so auffallend, daß sie
sich als Königin des Festes hätte fühlen dürfen.

Es schien jedoch, als nähme sie alles mit einem erzwungenen oder
zerstreuten Lächeln hin: die brüderliche Fürsorge der Crewkameraden
ihres fernen Gatten und die feurige Verehrung der jüngeren Seeoffiziere.

Sie stand eben im Vorsaal des ersten Stockwerks, vor einer der Säulen,
die den hohen Plafond trugen. Die etwas grelle Helligkeit, die von
überall her das aufstrebende Rund des grauen Marmors traf, überstreute
ihn mit gleißenden und unruhigen Reflexen, so daß ihm die gerade Linie
eines Glanzlichtes fehlte. Das gab einen zu flimmernden Hintergrund für
den dunkelhaarigen Frauenkopf, dessen Umriß dadurch etwas Verwischtes
bekam.

Frau Jutta war ein wenig bleich, wie es manche Frauen vom Tanzen
werden. Ihre Gestalt, trotzdem sie über Mittelgröße war, wirkte zart.
Aus dem blassen Goldgelb ihres Chiffonkleides hoben sich in feinen
Linien die Schultern hervor. Das Bestimmende an ihrer Erscheinung war
vielleicht die Art, wie der schlanke Hals den Kopf trug: erhoben, in
unbewußt herrischer Haltung.

Von den jungen Herren, die sich gerade um Jutta Mühe gaben, bemerkte
keiner, daß ihr Gesicht vom Fest mehr abgespannt als angeregt erschien,
daß sich unter ihrem Lächeln ein Zug von Schärfe verbarg. Und sie
spürten auch nicht, daß der Blick aus diesen großen, dunkeln Augen
zuweilen an ihnen vorbeiging und das Gewühl der Menschen rasch suchend
überflog.

In einer wichtig fröhlichen Bewegung schob sich die Menge vorüber.
Aus dem Hauptsaal kam sie und zog die imposanten Treppen hinab, zum
unteren Vorsaal oder zum Gartensaal. Von unten kam sie herauf, dem
Schauplatz ihres Vergnügens eine andere Kulisse suchend. Immerfort
wechselten die Gruppen, in denen sie sich zusammenfand. Aber diese
Menschenfülle wirkte dennoch nicht sehr farbig. Die dunkelblaue
Marineuniform mit den goldenen Zieraten beherrschte das Bild. Die Mode
begünstigte für das Frauenkleid so sehr das Weiß, daß nur ganz selten
bunte Töne auftauchten. Man sah ab und zu einen der weißen Kragen und
pastellblauen Röcke von „Seebataillönern“ und zuweilen den schwarzen,
ordengeschmückten Frack eines Professors oder Regierungsbeamten.

Die drei jungen Herren, die vor Jutta standen -- alle drei in dem
kurzen Dinerjackett, das selbst den ältesten Stabsoffizieren noch etwas
knabenhaft Flottes gibt -- kehrten ihre dunkelblauen Uniformrücken
der unruhigen Menge zu, zwischen ihr und der schönen Frau eine Wehr
bildend, gleichgültig gegen alle Welt und nur bestrebt, vor der Dame
ihrer Verehrung in munterer Unterhaltung zu bestehen.

„Ich finde es eine großartige Stimmung heute abend. Finden gnädige
Frau nicht auch?“ fragte der Oberleutnant z. S. von Reiswitz, dessen
bärtiges und durch Sonnenbrand entstelltes Gesicht vor Freude strahlte.

„*Du* bist in großartiger Stimmung,“ sagte sein kurzgewachsener
stämmiger Freund Lebus mit Betonung. „Ich sehe nichts wie den
Marineball nach Schema F, den man schon so oft abgetanzt hat. Das
einzige wichtige und schöne Erlebnis des Abends ist die Anwesenheit der
gnädigen Frau.“

Und auch sein Gesicht, das durch eine von keinerlei Haarwuchs mehr
gekrönte Stirn sehr groß für seine kleine Gestalt schien, glänzte ganz
und gar.

„Nun, Herr von Reiswitz hat alle Gründe, in bester Laune zu sein,“
meinte Jutta und sah den Offizier mit wirklicher Freundlichkeit an.
„Im Handikap Eckernförde-Kiel Erster geworden, der ‚Freia‘ einen
Prunkbecher ersegelt; bei der Preisverteilung von Majestät ausführlich
angesprochen -- wem da der Himmel nicht voller Geigen hängt, dem kann
das Glück überhaupt nicht mehr aufspielen.“

„Gnädige Frau dürfen mir glauben, daß es mir eine große Genugtuung ist,
Ihrer Empfehlung keine Schande gemacht zu haben,“ versicherte Reiswitz
voll Selbstgefühl; „ich wußte, daß die allgemeine Aufmerksamkeit sich
auf die ‚Freia‘ richtete, und daß ich für die Ehre der deutschen Werft,
die sie gebaut hat, und ihres Besitzers, der sie meiner Führung
anvertraute, mich mit meinem ganzen segelsportlichen Können einzusetzen
hatte.“

„Der Besitzer der ‚Freia‘ ist Ihr Vetter, gnädige Frau?“ fragte der
Kapitänleutnant Heidebrecht. Er sah ein wenig dem großen Napoleon
ähnlich, und wenn er nur eine Frage tat wie diese ganz gewöhnliche,
wirkte es, als forsche er gnädig nach tiefen Dingen.

„Vetter?“ sagte Jutta und machte achselzuckend eine Geste, als lohne es
sich nicht, eine ganz nebensächliche und weitläufige Beziehung genau
darzulegen. „Herrn von Gambergs Mutter und meine Mutter sind irgendwie
verwandt.“

Und ihre Blicke glitten dabei an Heidebrechts massivem Kopf unruhig
vorbei und suchten in der Menge.

„Ich kenne Herrn von Gamberg,“ erzählte mit seiner heiseren Stimme
Lebus, „das heißt, ich weiß nicht, ob er sich meiner erinnert. Als ich
vor zwei Jahren in einem kleinen Ablösungstransport von Ostasien mit
heimkam, befand sich auch Gamberg an Bord des ‚König Albert‘. Gamberg
hatte, glaube ich, als Sekretär im Generalkonsulat von Schanghai ein
Jahr gearbeitet und war ins Auswärtige Amt berufen.“

„Ach ...,“ sagte Jutta.

„Es ist förmlich, als wenn das Wetter wüßte, was es der gnädigen Frau
schuldig sei,“ meinte Heidebrecht, „glänzender konnte es nicht sein,
und so haben Sie gleich das erstemal den ganzen Zauber der Kieler Woche
kennen gelernt und sind ihm für immer verfallen.“

„Nur schade, daß Herr Kapitän nicht selbst die Freude haben durfte,
Ihnen die Kieler Woche zu zeigen. Wie er wohl herdenkt! Die ‚Luise‘ ist
ja wohl gerade in diesen Tagen in Nagasaki angekommen.“

Jutta ging auf diese Randbemerkung von Lebus nicht ein. Sie antwortete
vielmehr Heidebrecht.

„Hier darf man nicht nur, hier muß man vom Wetter sprechen. Ja, es
war unerhört schön. Und wenn es so bleibt, Sonnenschein und frischer
Nordwest dabei, ersegelt sich Reiswitz übermorgen von Kiel nach
Travemünde wieder einen Preis.“

„Pardon, gnädige Frau,“ bat Reiswitz sehr eifrig und mit dem
Aberglauben des Seglers, „Wetter muß man nicht loben, Wetter muß man
anschnauzen. Und gerade weil gnädige Frau sich etwas für Herrn von
Gambergs ‚Freia‘ interessieren ...“

Jutta lachte.

„Ach nein,“ behauptete sie, „ich interessiere mich gar nicht so
dringlich für die ‚Freia‘, wie Sie vorauszusetzen scheinen.“

„Gnädige Frau haben nur aus reiner Herzensgüte für Herrn von Gamberg
die Situation gerettet?“ fragte Heidebrecht.

„Was heißt das: die Situation retten,“ sagte Jutta achselzuckend.
„Gamberg hat sich die Jacht bauen lassen, ich glaube mehr dem Drängen
befreundeter Sportleute folgend als gerade aus einer großen Neigung.
Man engagierte ihm für die ‚Freia‘ eine fixe Mannschaft und einen
Skipper, der eine Perle sein sollte. Und im letzten Moment, das heißt
acht Tage vor Beginn der Kieler Woche, stellte sich’s heraus, daß
der Skipper ein Trinker ist. Da ich nun zufällig wußte, daß Herr von
Reiswitz sich sehr danach sehnte, eine Jacht führen zu dürfen, schlug
ich Gamberg vor, er möge sich an Reiswitz wenden.“

„Ich konnte ja Herrn von Gamberg auf meine Erfolge mit der
‚Maria-Clarissa‘ verweisen, die ich voriges und vorvoriges Jahr für
den Amerikaner Huston gesegelt habe. Ich hatte mich auch dies Jahr
für Huston freigehalten: da hat die ‚Maria-Clarissa‘ Pech und wird
bei Cowes angesegelt, und Huston depeschiert mir ab. Aber so geht es:
erst ließ ich die Ohren hängen. Nachher stellt sich’s ’raus, daß es ’n
Dusel war, denn es war ja natürlich viel interessanter, die ‚Freia‘ zu
führen. Neue Jacht, Typ zum erstenmal auf deutscher Werft gebaut --
etwaiger Erfolg gewissermaßen Beweis für Leistungsfähigkeit deutscher
Schiffsbautechnik, auch auf diesem Spezialgebiet -- ich darf sagen: es
spannte an! Besonders auch durch den Umstand, daß die Segel noch nicht
genügend getrimmt waren. Ja, das kostete Nerven. Aber gottlob: ich
kann vor Herrn von Gamberg und, woran mir noch mehr liegt, vor meiner
allergnädigsten Gönnerin bestehen.“

„Mit welcher Wendung das Gespräch wieder glücklich bei deinen
Seglerqualitäten angelangt wäre,“ sagte Lebus und klopfte den Kameraden
wohlwollend ein bißchen auf den Rücken.

„Niemand kann so genau von meinen Vorzüglichkeiten unterrichtet sein
wie ich selbst. Deshalb ist es meine Pflicht, bei der herrschenden
Konkurrenz, sie unserer gnädigen Frau wiederholt zu Gemüt zu führen,“
antwortete Reiswitz vergnügt.

„Ich finde aber doch, Sie wollen zu viel gelobt und belohnt sein.
Deshalb verzichte ich aus erzieherischen Gründen auf den nächsten Tanz
mit Ihnen,“ erklärte Jutta mit nervösem Lachen.

„Sehr zu billigen! Frauen sind die geborenen Erzieherinnen,“ lobte
Heidebrecht, „und hier steht der Ersatzmann! Ich habe noch keine Dame
zur Quadrille.“ Er verbeugte sich.

„Der Weg zur Partnerschaft mit der gnädigen Frau bei der Quadrille
geht nur über meine Leiche,“ erklärte Reiswitz. „Gnädige Frau! Auch
für die Damen der Marine ist kameradschaftliche Gesinnung und deren
fortwährende deutliche Betätigung ein zwar ungeschriebenes, aber
absolut zu befolgendes Gesetz. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es
unkameradschaftlich wäre, wenn Sie mir die Quadrille verdürben. Ich
habe auch schon ein Visavis, das Ihnen zusagt. Dito garantiere ich, daß
Ihnen drittes und viertes Paar genehm ist.“

„Wie genau Sie meinen Geschmack kennen!“ spottete Jutta. „Namen, bitte
...“

„Visavis also Kapitän Hochhagen! Was können Sie gegen ihn haben? Er ist
der beste Freund Ihres Mannes.“

„Mein Aufseher!“ dachte in jäh aufwallender Bitterkeit Jutta, „mein
Beschützer -- mein Vormund -- mein Gefangenwärter ...“

Aber sie lachte auch schon wie eine, die sehr angenehm überrascht ist,
und sagte: „Vortrefflich. Ich zieh’ hiernach meinen Verzicht zurück.“

„Sehen Sie wohl! Und Hochhagen hat das wunderhübsche Fräulein
Gervasius.“

„Na -- wunderschön ...!“ warf Lebus kritisch dazwischen, als wolle und
könne er niemand Schönheit zuerkennen außer der hier gegenwärtigen
unerreichten Frau Jutta.

Aber Jutta fragte in wirklichem Interesse nach: „Die reizende Tochter
des Professors?“

„Jawohl,“ stellte Reiswitz fast triumphierend fest, „des berühmten
Geheimrats entzückende Tochter. Die anderen beiden Paare sind: Kapitän
von Rosenfeld mit Frau Konsul Krüger -- Hamburger Dame -- und mein
Crewkamerad Untermeyer mit Baroneß Hollensteen.“

Jutta nickte lobend.

„Eine Quadrille,“ sagte Heidebrecht, „auf die sich der Neid aller
richten wird, die nicht dabei sein können.“

„Hochhagen tanzt sehr viel, aber sehr viel mit Renée Gervasius,“
bemerkte Lebus.

Jutta wurde noch aufmerksamer. Ihr Blick verlor das Suchende,
Zerstreute, das so im Widerspruch zu ihrem munteren Plaudern stand.

„Wirklich?“ fragte sie, als sei sie auf das glücklichste überrascht,
„das ist ein gutes Zeugnis für seinen Geschmack.“

Reiswitz fühlte, daß dies Thema für die schöne Frau irgendwie
erfreulich schien, und er spann es deshalb fort.

„Ich will nicht indiskret sein,“ sprach er, „aber als ich mit Fräulein
Gervasius tanzte, hat sie sich ausschließlich mit mir über Hochhagen
unterhalten.“

„Und du beanspruchst es bekanntlich doch, daß man sich mit dir nur von
dir unterhält,“ sagte Lebus, mit seinem Seemannsbaß laut lachend.

„Ich beanspruche bekanntlich, daß meine Freunde sich geistig mal auch
anders als nur in Bosheit betätigen,“ äußerte Reiswitz.

In diesem Augenblick schwoll durch alle Räume der eindringliche,
vibrierende Klang eines Trompetensignals. Ein Kamerad rief im
Vorbeieilen Reiswitz zu: „Antreten zur Quadrille.“

Er gab sogleich seiner Dame den Arm und führte sie in den Hauptsaal,
an jenen Platz, den er mit seinen Partnern verabredet hatte.

Es dauerte aber noch viele Minuten, bis das entstandene verworrene
Durcheinanderdrängen von Tänzerpaaren leidlich zur Ruhe kam und die
einzelnen Karrees vollständig in ihrer Aufstellung wurden. Herren
suchten nach ihren Damen hier oben, während die Dame vielleicht
unten im Gartensaal wartete. Hilflose und Fremde, die noch gar
keine Quadrillenteilhaber gesucht oder gefunden hatten, standen
verlegen umher. Wer hier keine genauen Verabredungen getroffen und
nicht durchaus sich zu Hause fühlte, war im argen Nachteil. Die den
Tanz ordnenden jungen Offiziere eilten mit heißen und verzweifelten
Gesichtern hin und her.

Die vier Paare von Juttas Quadrille standen geordnet, geduldig wartend.

Jutta und Reiswitz, gerade gegenüber der Korvettenkapitän Hochhagen,
ein Mann mit bärtigem, ernstem Gesicht, das aber jetzt wie vor
Freudigkeit verklärt schien. Die schlanke Dame neben ihm, mit
regelmäßigen Zügen, in denen noch Weichheit und Frische der blühendsten
Jugend war, sprach munter auf ihn ein.

„Sie ist wirklich reizvoll,“ dachte Jutta, „wie unbefangen sie ihre
Schwärmerei zeigt! Wie fein der Ansatz ihrer dunkelblonden Haare an
Schläfen und im Nacken. Was für ein gutes Profil! Und was für liebe
Augen.“

„Ah,“ dachte sie weiter, fast voll Inbrunst, „möchte er sie wählen ...“

Jeder Herr plauderte nun mit seiner Dame, nachdem gleich, als man sich
zusammengefunden, Herr von Rosenfeld Frau Konsul Krüger mit Jutta
bekannt gemacht.

Frau Konsul Krüger, klein, voll, mit einem wunderhübschen blondhaarigen
Kopf auf dem kurzen, dicken Hals, bewegte sich mit einer so
auftrumpfenden Sicherheit, daß auf ihren Lippen die Frage zu schweben
schien: Ist hier jemand, der ebensoviel Steuern bezahlt wie mein Mann?

Da sie nun wie jede Kieler Marinefrau sich jeder Fremden gegenüber
ein wenig zu gastlicher Höflichkeit verpflichtet fühlte, sprach Jutta
mit scheinbar großer Lebhaftigkeit und Teilnahme von den ungünstigen
Segelresultaten der „Hammonia“ und der nur allzu begreiflichen
Verstimmung des Konsuls Krüger über die Nichtplacierung seiner Jacht.
Natürlich sei es ärgerlich, sagte Frau Krüger. Es koste so rasend viel,
was ja freilich egal sei. Man täte es eben der Mode wegen. Ob das Geld
so oder so ausgegeben werde, sei gleichgültig. Ausgeben müßte man, das
sei Pflicht reicher Leute. Aber bei dieser Sache kriege man unversehens
eine Art dummen Ehrgeiz. Man werde förmlich gierig auf Preise. Und dann
verbreitete sich Frau Konsul Krüger mit ganz frisch aufgeschnappter
Sachkenntnis darüber, daß eben die „Hammonia“ vermöge gewisser,
unauffindbarer Konstruktionseigenheiten vor dem Wind großartig gehe,
hingegen beim Kreuzen im Nachteil sei. In Kuxhaven neulich habe sie
trotz böiger Nordostwinde den zweiten Preis ihrer Klasse davongetragen.
Reiswitz hörte dieser Auseinandersetzung mit Großmut und einem leisen,
kleinen, spöttischen Funkeln in seinen Augen zu. Frau Konsul Krüger
schloß dann mit der Klage, das Wetter sei auch diesmal in der Kieler
Woche zu schlecht.

„Ach,“ sagte Jutta, „schlecht?! Sogar beim Wetter sieht man’s: nichts
ist an sich gut oder schlecht. Nichts kommt auf den Wind an -- alles
auf das Objekt, das er anbläst.“

Frau Konsul Krüger dachte, daß diese Dame, deren Namen sie nicht ganz
verstanden hatte, „geistreich“ zu tun wünsche. Sie wandte sich ihrem
Tänzer zu und nahm mit ihm ihren Platz ein: als viertes Paar.

„Gegen geistreiche Frauen hab’ ich ein Vorurteil. An die glaub’
ich einfach nicht,“ sprach sie voll Selbstbewußtsein. „Es ist eine
fabelhaft schöne Dame, obschon: der Hals ist ein bißchen lang und dünn
nach meinem Geschmack. Wie war doch der Name?“

„Frau von Falckenrott,“ sagte Rosenfeld, und man sah auf seinem
glattrasierten, klugen Gesicht nur den Ausdruck großer Höflichkeit,
„ihr Gatte ist mein Crewkamerad.“

„Nein -- so was! Dann hab’ ich ja ’n Haufen von Beziehungen. Ihr Mann
ist der Kapitän von Falckenrott? Der jetzt als Erster Offizier auf der
‚Luise‘ in Ostasien ist?“

Rosenfeld nickte, und noch ehe er etwas sagen konnte, durchrauschte
Frau Konsul Krüger schon flink den winzigen Platz zwischen den vier,
auf den Beginn der Quadrille wartenden Paaren.

„Nein, so was!“ rief sie und streckte Jutta gleich beide Hände auf
einmal hin, wobei am Gelenk der Linken ihr Fächer halbgeöffnet lebhaft
an goldener Kette pendelte, „nein, dies ist zu reizend! Eben erst lasse
ich mir Ihren Namen deutlich wiederholen. Man versteht ja nie beim
Vorstellen ... Wissen Sie, daß Ihr Mann bei meiner Schwester Mila in
Schanghai wie ein Kind im Hause ist?! Hat er Ihnen nie geschrieben,
daß er dort beinahe alle Tage bei einem Herrn Glaubermann eingeladen
war? Das ist mein Schwager. Glaubermanns sind fabelhaft gastfrei. Die
Herren von der Marine finden dort immer offenes Haus. Glaubermann
sagt, das sei patriotische Pflicht. Sie wissen doch: mein Schwager
Glaubermann, Chef der ostasiatischen Abteilung des Hamburger Hauses?“

Jutta besann sich mühsam. Ja, es dämmerte ihr auf ... der Name
Glaubermann war irgend einmal, vielleicht bei der Erzählung von einem
für die Offiziere von S. M. S. „Luise“ gegebenen Diner aufgetaucht ...
ein gleichgültiger Name mehr auf diesen Briefblättern, die aus Ostasien
kamen ... die Kunde gaben von einem fernen, fernen Leben ... und das
doch eigentlich ein Teil ihres Lebens war ... sein sollte ...

Kaum rang sie sich den höflich muntern Ton ab, in dem sie sprach: „Aber
gewiß -- Glaubermanns -- ja, ja -- ein hübscher Zufall -- ja, die Welt
ist so klein.“

„Das muß ich gleich meiner Schwester Mila schreiben, daß ich die Gattin
des Kapitäns von Falckenrott kennen gelernt habe! Wenn Sie wüßten,
gnädige Frau, wie meine Schwester Mila mir von dem Kapitän Falckenrott
vorschwärmt, würden Sie vielleicht eifersüchtig werden.“

„Eine Marinefrau darf keine Eifersucht kennen,“ sagte Jutta.

„Darf nicht -- darf nicht -- ach Gott, als ob sich Empfindungen an
Verbote kehrten. Ich wäre gräßlich eifersüchtig. Ich bin aber auch
rasend temperamentvoll.“

„Wie interessant!“ sagte Reiswitz etwas kühn dazwischen.

„Finge doch die Quadrille an,“ dachte Jutta.

„Und sagen Sie mal, gnädige Frau,“ fuhr die Frau Konsul eifrig
fort, nachdem sie Reiswitz mit einem kecken Lächeln für seine
Zwischenbemerkung mehr belohnt als bestraft hatte, „mir ist doch so ...
meine Schwester Mila schrieb davon ... gerade als die Herren von S. M.
S. ‚Luise‘ bei ihr zum Diner waren, kam die Depesche, daß dem Ersten
Offizier ein Kind geboren sei ... Und meine Schwester Mila schrieb
noch: wie schwer muß das für so ’ne junge Frau sein ... Das waren also
Sie ...“

„Ja,“ sagte Jutta laut und hart, „das war ich.“

Unbeherrscht, für einige Sekunden ganz und gar unbeherrscht, schlug
sie mit ihrem zusammengeklappten Fächer ein paarmal gegen ihre innere
Handfläche.

Herrischer noch als sonst erhob sie ihren schönen Kopf und sah über die
kleine zudringliche Schwätzerin hinweg.

Da traf ihr Blick zufällig den des Mannes gegenüber.

Der sah sie gut und fest und freundlich an. Aber irgend etwas reizte
sie dennoch. Ihre Nasenflügel bebten. Der scharfe Zug um ihren Mund
trat deutlich hervor.

In diesem schwülen Augenblick begannen die einleitenden Takte der Musik
durch den Raum zu schwirren. Ein Kommandoruf ertönte. Frau Konsul
Krüger eilte an die Seite ihres Herrn zurück. Und all die vielen,
vielen Paare, die den Raum bevölkerten, immer zu vier und vier je eine
kleine Tanzwelt für sich bildend, schienen im Bann einer Suggestion.
Alle hörten. Alle warteten, um beim rechten Takt, in der richtigen
Sekunde zu zweit zu avancieren. Plötzlich kam rhythmische Bewegung in
die Menge. Das fröhliche Hin und Her und wohlgeordnete Durcheinander
des Tanzes wickelte sich ab. Bei vielen jungen Paaren wandelte sich das
Vergnügen in den ernsthaften und leidenschaftlichen Eifer, alle Figuren
der Quadrille in vollkommener Glattheit durchzuführen.

Die Klänge von hundert lachenden Stimmen, das Gleiten von hundert
raschen Fußsohlen über den Estrich mischten sich mit den Schallwellen
der Musik. Der ganze Raum schien bis zur Verwirrung von Tönen und von
Bewegung erfüllt. Die weißen Kleider und die dunkeln Uniformen, die
Blumen und die Goldlitzen, kahlgeschorene Männerköpfe und Frauenhäupter
mit reichen Haarwellen, nackte Schultern und schwere Silberraupen,
goldbefranste Epauletten -- das alles glitt aneinander vorbei, kreiste
umeinander, in einem Wirbel sich beständig anders schneidender Linien,
ein fortwährend geschütteltes Kaleidoskop von Farbenfleckchen.

Über all dies bewegliche Gedränge flutete das Licht. Von der Hauptwand
her beherrschte das Bild des Kaisers den Saal. Von der Kommandobrücke
aus, als Admiral, sah er mit ehernem Ernst über das Festgewühl hin.
Der feine Dunst und Staub, der in der Luft des Saales schwebte, zog
einen leisen Schleier vor das Bild, so daß es wie von fern gesehenes
Leben wirkte. Es war kein Gemälde mehr -- es zauberte die Gegenwart des
höchsten Herrn gleichsam in den Saal.

Bei einer der Tanzfiguren sah sich Jutta an der Seite des Kapitäns
Hochhagen. Zwischen ihr und seiner eigenen Dame, dem Fräulein
Gervasius, vor und zurück schreitend, während Reiswitz einzeln ihnen
entgegenkam und wieder vor ihnen zurückzuweichen schien, sagte er
rasch: „Ich betrage mich heute pflichtvergessen. Verzeihen Sie mir.“

„Ich bin ja heute mit Rosenfelds,“ sprach sie, „die passen ebensogut
auf.“

„Das klingt ja fast erbittert.“

„So? Sollte es nicht ...“

Reiswitz ergriff wieder ihre Hand, man machte eine Ronde und trat an
seinen Platz zurück.

Und ein andermal, als Hochhagen wieder ein paar Worte mit ihr wechseln
konnte, hörte sie: „Malte hat geschrieben. Über den Brief muß ich mit
Ihnen sprechen, darf ich morgen zum Tee kommen?“

„N -- ja ...“

„Gnädige Frau,“ sagte Reiswitz, „Sie sind wirklich zerstreut.“

Sie standen und warteten, bis das dritte und vierte Paar die Figur
ausführte, die sie selbst eben abgetanzt hatten.

„Aber gar nicht,“ behauptete Jutta.

„Wissen Sie, ob Herr von Gamberg mit an Bord kommen wird für die Fahrt
nach Travemünde?“

„Keine Ahnung ...“

„Vielleicht ist es ihm, da er Nichtsegler ist, zu langweilig.
Kreuzerklasse zwei, zu der die ‚Freia‘ gehört, geht außen um Fehmarn
’rum -- wenn der Wind nicht stick Nordwest ist, kann’s zwölf Stunden
und mehr dauern.“

Jutta antwortete nichts. Sie sah hinüber zu Hochhagen, der mit Blick
und Ohr an seiner anmutigen Dame hing.

„Möchte er sie wählen -- man sieht wohl -- sie ist weg in ihn ...
Möchte er ... ein *so* beschäftigter Aufseher ist kein Aufseher mehr
...“

„Gnädige Frau ... Sie sind so gut -- sein Sie’s wieder mal ... *wenn*
nämlich Herr von Gamberg nicht mit an Bord geht für die Wettfahrt
Kiel-Travemünde, wird ein Platz frei, und da möchte Lebus brennend gern
sich ’ranschlängeln ...“

„Er kommt morgen zum Tee zu mir. Dann will ich mit ihm darüber
sprechen.“

„Lebus?“ fragte Reiswitz dumm.

„Herr von Gamberg,“ sagte Jutta.

„Ach -- pardon -- ja, natürlich ...“

„Wieso ... natürlich?“ dachte Jutta.

Und dann begann eine neue Tour.

Frau Konsul Krüger sprach auf den Kapitän von Rosenfeld ein.

„Hören Sie mal -- das versteh’ ich nu doch nich. Der Mann ist in
Ostasien, und die junge Frau geht allein auf Bälle und macht die ganze
Kieler Woche mit!“

„Unter dem freundschaftlichen Schutz von mir und meiner Frau,“ sagte
Herr von Rosenfeld.

„Schön. Das Dekorum in Ehren -- das weiß ich von selbst, daß das schon
irgendwie gewahrt sein wird. Aber wie *kann* man sich amüsieren,
solange der Mann fern ist?“

„Vielleicht ist es auch nur ein Amüsement im Schatten,“ sprach
Rosenfeld, „aber es wäre wohl ungesund, eine junge Frau klösterlich
einzusperren während eines Auslandkommandos ihres Mannes. Die
Crewkameraden umgeben die Einsame mit Schutz und sorgen auch für ihre
Zerstreuung. Das ist so Tradition bei uns, meine gnädige Frau.“

„Na,“ dachte Frau Krüger, „das mag manchmal ’ne schöne Beschützerei
sein.“

Rosenfeld, als habe er ihren häßlichen Gedanken erraten, fügte noch
hinzu: „Vor allen Dingen stehen aber die Crewkameraden einer solchen
Strohwitwe in jeder Hinsicht bei.“

„Gott -- wie nett.“

Da aber diese Frau die zudringlichste Neugier für die Lebensumstände
von Menschen hatte, die sie eigentlich nichts angingen, so kam sie nach
ein paar Minuten wieder auf Jutta und deren Lage zurück.

„Hat Frau von Falckenrott denn gar keine Eltern oder Schwiegereltern
mehr? Warum ist sie derweil nicht zu diesen gezogen? Ich hab’ mal
gehört, daß das in solchen Fällen geschieht.“

„Ich kann Ihnen Genaueres darüber nicht sagen,“ antwortete Rosenfeld
etwas kühl, „vielleicht hat Frau von Falckenrott die Empfindung, hier,
in der Berufsumwelt ihres Gatten, ihm gewissermaßen näher zu sein. Sie
wäre nicht die erste, die so empfände.“

„Ach,“ dachte Frau Krüger, „daß er Genaueres nicht weiß, ist ja
Schnack. Er weicht mir aus. Das hat wohl ’n Haken! Und hier dem Gatten
sich näher fühlen?! Das klingt innig, sinnig, minnig.“

Und sie seufzte, während sie nun an Rosenfelds Hand dem ihr gegenüber
avancierenden vierten Paar entgegenschritt.

„Mein Vetter Hinrichsen hätte auch was anderes tun können, als diese
Krügers an uns empfehlen,“ dachte Rosenfeld. Ihm waren Frauen zuwider,
die kein anderes Gesprächsthema kannten wie Schicksale und Handlungen
ihrer Nebenmenschen.

Endlich ging der Tanz zu Ende.

„Führen Sie mich hinunter,“ sagte Jutta hastig.

Sie war fast seit Beginn des Balles in den oberen Räumen gewesen. Und
immer suchten ihre Augen vergebens nach dem einen ... Vielleicht war
er in den Sälen unten ... War es Vorsatz, daß er sie nicht seinerseits
gesucht hatte ...? Fand er sie nicht?

Nun zog sie an Reiswitz’ Arm in einem dichten Schwarm lebhafter
Menschen die große Treppe hinab. Es war wie ein Festzug der Freude, der
stufenabwärts wallte.

Unten im Vorsaal bemerkte sie irgendwo das lachende, heiße Gesicht und
die rötlichen Haare der Frau von Rosenfeld. Und auch Frau von Rosenfeld
sah gerade empor, und sie nickten einander schon von weitem fröhlich
zu: die eine von der Treppe her hinab, die andere aus dem Gedränge
herauf.

„Da ist Lisbeth Rosenfeld,“ sagte sie, „sehen Sie? Dort an der dritten
Säule links.“ So wichtig sagte sie es, als habe sie endlich einen lange
und dringlich gesuchten Menschen gefunden.

Und schon ließ sie auch Reiswitz’ Arm los.

Unten, am Fuß der Treppe, sprach sie noch hastig: „Also ... ich spreche
mit Gamberg -- rede ihm aus, daß er die Fahrt nach Travemünde mitmacht
... dann haben Sie Platz für Lebus ... Ist dies nun kameradschaftlich
von mir oder nicht?“

„Gnädige Frau sind ein Engel ...“

Aber dieses dankbare Zeugnis hörte Jutta wohl nicht mehr. Sie wand
sich durch die Menge, und wenn Bekannte sie anredeten und aufhalten
wollten, sprach sie munter: „Bitte -- mich passieren lassen -- muß mich
mal bei meiner Ballmutter melden ...“

Und die Bekannten lachten mit ihr, denn sie wußten ja alle, daß die
„Ballmutter“, die Gattin des Kapitäns von Rosenfeld, eine fast ebenso
junge Frau war wie Jutta Falckenrott selbst.

Aber in dem Gewühl war ihr nun doch das heiße, lachende Gesicht und das
rötliche Haar ihrer Freundin Lisbeth entschwunden. Vielleicht hatte sie
auch nicht den strategischen Überblick gehabt, um sicher jenem Platz
zuzustreben, auf dem sie von der Treppe aus Lisbeth Rosenfeld gesehen
... an der dritten Säule links ...

Jutta betrat den Gartensaal. Auf der Schwelle hielt sie ein paar
Augenblicke den Schritt an. Ganz unerwartet stand eine Erinnerung
vor ihr auf -- wie Gespenster auf der Bühne jäh aus der Versenkung
emportauchen, während die ganze Szene eine andere Beleuchtung annimmt.
Vor etwas mehr als einem Jahr, in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft
in der neuen Heimat, hatte ihr Gatte ihr die Marineakademie gezeigt.
Und auf der Schwelle dieses Saales stand er lange mit ihr. So fröhlich
klang seine Stimme. Und, in seine Jugendgeschichten verliebt wie alle
Menschen, denen das Gedächtnis nur Frohes aufzutischen hat, erzählte er
ihr sehr ausführlich von den Mittagstunden an den langen Tafeln, die so
wirtshausmäßig im Gartensaal standen. Da drüben -- ja, da hatten sie
zusammengesessen als Fähnriche: er und Hochhagen und Rosenfeld. Vom
ersten Schritt an, den sie in der gemeinsamen Laufbahn getan, waren sie
zusammen gewesen: in den bangen Tagen der Aufnahmeprüfung hatten sie
auf einer Bude gewohnt, bei ihrem ersten Bordkommando waren sie auf das
gleiche Schulschiff gekommen und dort alle drei der Steuerbordwache
zugeteilt worden. Und all die köstlichen, endlosen Späße aus jenen
Tagen ...

Das erlebte Jutta so qualvoll deutlich, daß ihr das Lachen des fernen
Mannes im Ohr lag -- als sei’s erst eben für sie verklungen ...

Sie kämpfte das nieder. Sie sah sich um.

Jetzt sah der Raum anders aus. Um die verputzten, bemalten Säulen,
die vereinzelt in seiner Mitte standen, die Decke tragend, zogen nun
Menschen. Flaggenschmuck und Grün rief aus: Hier geht es festlich her
...

Jutta dachte: „Ich bin müde ... ich will nach Haus ... Lisbeth hat zu
viel Ausdauer in solchen Sachen ...“

Wo hatte sie Lisbeth Rosenfeld doch noch eben gesehen? Ja, richtig, an
der dritten Säule im Eingangssaal ... da war sie wohl noch.

Aber Jutta wußte: wenn sie käme und sagte „ich mag nicht mehr“, würde
Lisbeth beinahe schreien: „Liebes, was fällt dir ein! Wir gehen noch
lange, lange, lange nicht!“

Lisbeth hatte ja auch ein Anrecht auf die Freuden des Lebens ... auf
die großen, tiefen ... auf die kleinen, bunten ...

Lisbeth hatte ihren Mann ...

Und vielleicht, wenn auch er wieder einmal hinaus mußte, hatte sie mehr
Gelassenheit ...

Jawohl -- nichts kommt auf den Wind an -- alles darauf, wen er anbläst
...

Es zog Jutta dennoch weiter. Sie kehrte nicht zurück und suchte nicht
nach Lisbeth Rosenfeld. Sie schritt quer durch den Gartensaal.

Die große Tür, die auf die Terrasse führte, stand geöffnet. Ihr
mächtiges Halbrund war von einer Balustrade umschlossen. Von ihr hinab
führten rechts und links hart an der Mauer Treppen hinab in den Garten.

Auch auf der Terrasse waren viele Menschen. In Korbsesseln lehnten
Herren und rauchten Zigaretten. Damen mit ihren Tänzern standen an der
Balustrade und sahen über den Garten hinaus zum Wasser.

Beinahe hastig, um hier keine Bekannten zu entdecken, um nicht von
ihnen angeredet zu werden, ging Jutta die ihr zunächst gelegene Treppe
hinab.

Ein Verlangen nach Einsamkeit peitschte sie förmlich.

Ah -- die Sommernacht ... Und so still der Garten. Da waren die glatten
Flächen der Tennisplätze ... da das Dunkel der Büsche ... alles für das
Auge noch in unsichere Beleuchtung getaucht.

Aus den Fenstern des mächtigen Baues brach jene prunkende Helle, die,
gleich Fanfaren des Lichtes, aus Festräumen hinaus in die Nacht die
Kunde von Glanz und Freude zu senden scheint.

Die Decke des Himmels hoch droben war von Blaustahl. Und der Mond,
seinem Rund noch entgegenwachsend, fast beizend weiß, mit den Schatten
und Flecken, die seiner Fläche ein kümmerlich verlegenes Lächeln
auftünchten, stand scheinbar auf einem Punkt still. Er überglänzte
seine Nähe mit silbriger Helle. Die vielen Lichter auf Wasser und
Land bestahlen ihn um seine Wirkung hier unten. Er kämpfte mit ihnen,
und seine und ihre Strahlen durchstachen einander. Und dabei siegte
keiner, es kam zu nichts, als zu einer schwankenden Belichtung aller
Nähe und zu einer verschwimmenden Dunkelheit aller Ferne.

Jutta hörte Lachen drüben, jenseits der Tennisplätze gingen Menschen,
und ihre Silhouetten glitten weiter, ihre Stimmen verklangen wieder.

Nun schien der Garten ganz verlassen.

Von irgendwo her kam Musik. Die Töne schwebten bebend und metallisch
heran. Es war eine fast brutale Zudringlichkeit in ihnen; sie erregten
die Nerven; unbestimmte Mutempfindungen, unklare, schmerzliche
Sehnsucht weckten sie auf.

Und doch war es nur die Militärmusik, die aus einem nahen Biergarten in
die Nacht hinausschwoll.

Jutta stand und horchte. Bruchstücke aus „Carmen“ ...

Nun drängten sich andere Töne hinein, dumpf und komisch ... die
Baßnoten der Tanzmusik im Hause. Die leicht flatternde zärtliche
Walzermelodie der Geigen konnte nicht hinausdringen, aber der kräftige
und bumsende Dreitakt des Basses stampfte auf, als habe er plumpe Füße.

Kühl zog der Atem vom Wasser heran. Jutta bemerkte seine Schauer nicht.

Sie ging zum Ufer hinab. Dort baute sich die Anlegebrücke, von
weißgestrichenem Geländer umschützt, über das Wasser hinaus. Die
schimmernd weiße Stationsjacht lag da wie schlafend. Allerlei Pinassen
und Barkassen drängten sich wartend Bord an Bord, wie auf dem Platz
einer Stadt die Wagen sich ineinander verfahren, im festlichen Gewühl.
Die Maaten, die sie zu führen hatten, mochten zusammengekauert auf den
Bänken dösen. Man sah niemand.

Geradeaus und drüben am Ufer und hinauf und hinab die Förde, soweit der
Blick von dieser Stelle aus ein Bruchstück ihres Bildes beherrschen
konnte, schwebten Lichtsignale im Schwarzblau der Nacht.

Still, mit guten, friedlichen Wächteraugen sahen sie aufeinander,
gesellig in ihrer Menge. Die letzten Strahlenspitzen des einen trafen
auf den äußersten Glanzkreis des anderen. Das gab einen wunderbaren
Zusammenhang -- als reichten sich wachsame Geister mystische
Lichthände. Das war, als schwebe über den schlafenden Wassern, über
dem Schlummer der Natur noch ein anderes, geheimnisvolles, niemals
ermüdendes Leben.

An ihren Bojen ankerten die Kolosse der Kriegschiffe, die am Tage
Riesen gleichen, die mit ihrem Rücken auf dem Wasser schwimmen und
über ihren gewaltigen Rumpf empor Arme und Beine luftwärts strecken.
Jetzt in der Nacht erriet man die Anwesenheit der weiter hinaus
liegenden nur an ihren Lichtern; die grauen Leiber der näheren erkannte
man undeutlich; wie auf sehr flüssig gemalten Aquarellen die Farben
ineinanderzufließen scheinen, so verschwammen die Grenzen ihrer grauen
Formen mit dem Schwarz der Nacht.

Jetzt horchte Jutta auf. Die schmetternde, werbende, beklemmende
Carmenmusik war verhallt. Die Dreitaktbaßtöne aus dem Haus kamen nicht
bis hierher. Stille hatte sich über die Sommernacht gesenkt.

Aber nun klangen kurze, melancholische Töne auf. Rund und schnell.

Es glaste auf den Schiffen.

Mitternacht ... Mitternacht.

Und drüben, auf der anderen Seite der Weltkugel -- was glaste die
Schiffsglocke da?

Jutta fühlte: ich bin sehr erschöpft.

Sie sagte es fast hörbar vor sich hin.

Und sie wußte nicht: erschöpft von all den Festen, vom betäubenden Tanz
des heutigen Balles -- oder erschöpft vom Leben ...

Und in diesem unbestimmten Gefühl einer unerhörten, einer
unerträglichen Müdigkeit kam ihr ein ganz einfacher, ein fast
kindlicher Gedanke.

Läge ich doch in meinem Bett!

„Da ist Ruhe, da ist Verborgenheit. Ich will nach Hause,“ dachte sie
entschlossen.

In der Düsternbrooker Allee, vorn vor dem Gitter der Marineakademie,
standen gewiß Wagen, die auf Zufallsfahrgäste warteten.

Sie konnte morgen früh an Lisbeth Rosenfeld telephonieren: „Du, sei
nicht böse -- aber ich sah, du schwammst in Pläsier, und ich hatte es
so satt, da ging ich heimlich. Ich bin ganz gut nach Hause gekommen.“

Plötzlich fühlte sie auch, daß es sehr frisch sei. Und Tritte klangen
-- ganz nah. Dumpf kamen sie auf dem Boden des Weges näher -- und nun
klappten sie hohl auf den Bohlen der Brücke.

Jutta, in einem Abwehrgefühl gegen Menschen, stand unbeweglich, als sei
sie noch in den Anblick der von träumerischen Lichtflecken gesternten
Förde versunken.

Sie bildete sich ein: Der, der da eben die Brücke betreten hat, wird
den Takt haben, sich sofort zurückzuziehen, wenn ich mich nicht nach
ihm umwende.

Und da hörte sie ihren Namen ...

„Jutta,“ sagte er.

Sie fuhr zusammen, bis zur Fassungslosigkeit erschreckt, obschon es die
Stimme des Mannes war, nach dem ihre Augen immerfort gesucht hatten.

So sehr erschrak sie, daß sie ihren Kopf in den Händen verbarg wie
eine, die sich fürchtet.

„Ich habe den ganzen Abend beinahe auf der Terrasse gesessen,“ sagte
er im Ton eines, der, humoristisch gestimmt, einen harmlosen Bericht
erstattet, „ich dachte nämlich so: wenn ich mich an einem Platz
behaupte, muß meine liebe und verehrte Base Jutta schließlich einmal
vorbeikommen. Nun endlich sah ich Sie.“

Sie horchte in verzehrender Spannung auf diese scherzhaften Worte. Und
nun schien ihr, als sei nach dieser Pause von ein paar Herzschlägen
seine Stimme vorsichtiger, leiser. Er fuhr fort: „Ich habe einige
Minuten gewartet, ehe ich Ihnen folgte.“

Sie fühlte, daß er neben sie trat. Sie spürte, daß er wartend auf sie
sah.

Sie nahm sich zusammen, sie richtete sich wieder auf. Daß sie *so*
viel Mut brauchte, um in diesen Augenblicken das Alleinsein mit ihm
zu überstehen, machte sie ganz schwach. Sie griff nach dem Geländer.
Sie hielt sich daran fest -- und lauschte zugleich auf den merkwürdig
hastigen Lauf ihres Herzschlages -- so klein und so eilig klopften die
Töne -- überall -- in der Brust, im Hals ... in den Schläfen ...

Mit beiden, ausgreifenden Händen hielt sie sich an der obersten
Querstange des Geländers und fühlte das harte Holz als schmerzhaften
Druck im Kreuz, so fest lehnte sie sich dagegen.

„Ich ... ich hielt die vielen Menschen nicht mehr aus ...“ sprach sie.

Sie sah ihn nun an. Im dürftigen Halblicht erriet sie doch jeden Zug
seines Gesichts. Sie kannte es so genau ... fast schien ihr: wie keines
sonst auf der Welt ...

Jenes andere Männergesicht, das man auf den Bildern in ihrem Haus sah,
das verlor so viel von seiner Wirklichkeit ... jeden Tag mehr ... war
eben nur noch ein Bild ... eines, das zu der Geschichte eines Traumes
gehört ...

Dieses aber, dies lebendige, kluge, entschlossene Gesicht, aus dessen
hellen Augen ein bezwingender Wille sprühte -- dieser ganze Mann,
schlank und groß, dessen Wesen zähe Energie schien ... der bedeutete
Wirklichkeit ... schwüle, drohende, inhaltreiche Wirklichkeit ...

Und mit der Wirklichkeit setzt man sich auseinander -- man kämpft mit
ihr -- sie allein ist Leben ...

Und all ihre tausend Gefahren sind immer noch mehr Gesundheit als diese
traumhafte Zusammengehörigkeit mit einem Fernen ...

Sie gibt Mut. Sehnsucht aber, schweigende, duldende Sehnsucht ist wie
schleichende Krankheit ...

Das alles dachte Jutta nicht in deutlichen Worten ... Schwer und
unklar gärte es in ihrem Gemüt ... Unbewußter Trotz war darin und die
Begierde, sich ein Recht zu beweisen -- das Recht auf Kampf gegen die
Versuchung vielleicht.

Sie wußte nichts Gewisses über sich. Sie fühlte nur, ihr Leben war
unerträglich. Und vor allem: diese Augenblicke waren es.

„Ich möchte nach Hause,“ sprach sie.

„Ist das die Antwort auf meine Freude, daß ich Sie endlich gefunden
habe?“ fragte er -- in erzwungen scherzhaftem Ton ...

„O nein ... die vielen Menschen ... das Fest ... es ist genug.“

„So werde ich Sie an den Wagen bringen.“

Er wartete vor ihr höflich, aufmerksam, als wären hier tausend
neugierige Augen, die sein Benehmen belauerten.

Ihr ganzes Wesen war in Aufruhr; weit geöffnet war ihre Seele für ein
großes Erlebnis -- eine starke Gefahr. Und nichts geschah, daran ihre
Kraft sich erproben, daran ihr Stolz sich emporrecken konnte. Sein Ton
und seine Art waren wie eingeschnürt in Beherrschung. Nichts geschah ...

Das Elend einer ungeheuren Enttäuschung warf sich auf sie, zerdrückte
sie. Das ganze Dasein schien nichts mehr zu sein als graue Leere,
stumpfe Inhaltlosigkeit -- nicht einmal mehr Kampf war darin ...

Und alles in ihr war bereit dazu gewesen ...

Wie für ein Volk, das in dumpfer Enge hinlebt und von seiner Enge
bewußt leidet, der Schrei „Krieg“ Erlösungsklang haben kann, so daß
das furchtbarste aller Worte jauchzend durch die Massen getragen wird
-- so lechzte ihre Seele nach einem weckenden Ruf, der sie nach Waffen
greifen ließ. Aber nichts geschah.

Sie raffte sich auf -- stand ein paar Augenblicke -- und und so fand
sie sich äußerlich zu ihrer gewohnten Haltung zurück. Er gab ihr den
Arm.

Schweigend schritten sie zusammen durch den Garten, zurück zu dem
mächtigen Bau, aus dessen großen Fenstern die gelben Lichtfluten in die
Nacht hineinströmten.

Jutta fühlte und dachte nicht mehr klar genug. Sonst wäre ihr dies
Schweigen von beklemmender Beredsamkeit gewesen. Sie fühlte nur: das
Leben geht an mir vorbei.

Und die Bitterkeit, in der alle Leidenschaftlichen sich gegen dies
Gefühl wehren, gärte auch in ihr.

Sie mußten über die Terrasse und durch den Gartensaal, in dem eben
der Walzer beendet war. Und hier, zwischen den hin und her wandelnden
Paaren, trafen sie auf Lisbeth Rosenfeld. Sie stand vor ihrem Mann,
hielt mit den spitzen Fingern der Linken ihn an einem Knopf seines
Dinerjacketts fest und fächelte mit der Rechten ihrem heißen Gesicht
Kühlung zu. Der kleine chinesische Fächer, den sie dabei brauchte,
klapperte in seinem Sandelholzgestell, und sein bunt bemaltes Pergament
rauschte.

„Da ist ja Herr von Gamberg mit Jutta! Kinder, helft mir Hektor
überreden. Ich soll weg. Das ist Tyrannei. Herr Legationsrat, schützen
Sie ein mißhandeltes Weib.“

„Wenn Lisbeth morgen Kopfweh hat, schilt sie mit mir, daß ich nicht
strenger gewesen bin,“ sagte der Kapitän.

„Komm mit,“ ermahnte Jutta, „ich bin im Begriff fortzugehen, Herr von
Gamberg will mich gerade zum Wagen bringen.“

„Was? Hinter dem Rücken deiner Ballmutter wolltest du auskneifen?“

„Lisbeth, nimm Vernunft an! Du wirst mir morgen danken.“

„Vernunft ist ja eine wunderschöne, großartige Sache. Aber weißt du,
Hektor -- ich bin gar nicht ehrgeizig. Ich will unvernünftig bleiben.“

Sie lachte laut und stritt munter weiter. Man merkte schon: der Mann
ermüdete ein wenig an der Kinderei und war im Begriff, nicht aus
Schwäche, sondern um des guten Geschmacks willen nachzugeben.

„Ach,“ dachte Jutta, „wie spielt sie durch die Tage.“

Und wußte selbst nicht, ob es ein neidischer oder ein geringschätziger
Gedanke war.

Sie verabschiedete sich etwas kurz. Rosenfelds, im Eifer ihres Kampfes
um Bleiben oder Gehen, bemerkten es kaum.

Jutta wurde nun von einer Hast ergriffen, als hänge das Äußerste daran,
daß sie rasch, rasch aus diesem Festlärm entfliehe. Und Gamberg,
dessen Arm sie losgelassen hatte, folgte ihr so unmittelbar, daß er
Vorsicht beobachten mußte, nicht auf ihre schleifende, leichte gelbe
Chiffonschleppe zu treten.

Sie warf sich in einem der zur Garderobe verwandelten Nebenräume ihren
Spitzenmantel um.

Gamberg wartete unter dem Portal auf sie.

Draußen, auf dem Fahrdamm, jenseits des hohen Gitters, das das
Gelände der Marineakademie von der Straße schied, standen Droschken
hintereinander, mit ihren dunkeln Kasten auf den unbeweglichen
Rädern, einem ins Stocken gekommenen Leichenzug nicht unähnlich. Die
Kutscher, mit hintenübergesenkten Häuptern, vorausgestreckten Bäuchen
und verschränkten Armen, förmlich wie aufgeplustert, schliefen in
Gelassenheit. In stumpfsinniger Geduld ließen die Pferde die Köpfe
hängen.

Gamberg öffnete die Tür der ersten Droschke, indem er zugleich den
Kutscher durch Zuruf ermunterte.

Jutta stieg ein.

Droben der plumpe Mann auf dem Bock hantierte noch umständlich mit
seinem Sitz, der Pferdedecke und den Zügeln.

Gamberg stand am Schlag. Von den Laternen her, die die Pilaster des
Gittertors krönten, fiel scharfes Licht auf ihn.

Jutta sah ihn mit großen Augen an. Sie prägte sich noch einmal, wieder
einmal, zum hundertstenmal genau seine hohe, blonde Erscheinung ein:
das helle Bärtchen auf der Oberlippe, das helle, kluge, lebhafte Auge,
die vornehmen, immer von einer gewissen Zurückhaltung beherrschten Züge.

Und auch er sah das völlig beleuchtete blasse Frauengesicht, die
herrisch erhobene Haltung ihres Kopfes, den großen Blick, der ihm fast
feindselig erschien.

„Ich begleite Sie natürlich.“

„Nein.“

„Es beunruhigt mich, Sie allein einem fremden Wagen anzuvertrauen.“

„Unnötige Sorge. Fünf Minuten Fahrt. Und ein Kieler Droschkenkutscher,
der eine Marinedame fährt ...“

Oben der Kutscher war fertig und sah wartend herab auf den Herrn am
Schlag.

Jutta fühlte wieder ihr Herz klopfen überall ... überall ...

Sie wagte kaum zu atmen.

Die hellen Blicke sprachen zu ihren Augen.

Unverwandt sahen sie einander an -- eine schwüle, endlose, furchtbare
Minute lang.

Und dann trat der Mann zurück ... höflich und fremd.

Der Wagen fuhr davon, in unerwartet raschem Zug.

Jutta saß aufrecht darin, erhobenen Hauptes. Ihre Augen starrten
auf die draußen, gleich einer Wandeldekoration vorüberziehenden
weißen Villen zwischen dem üppigen Laub der Bäume und Büsche in der
Sommernacht. Und in ihrem Ohr war als Nachhall das kleine knackende
Geräusch der zufallenden Wagentür.



II


Das ganze Zimmer war erfüllt von blauer Dämmerung, von einer reinen,
köstlichen Frische. In ihr konnte das kleine Wesen, von Wohlbehagen wie
geschwellt, wohl einen guten Schlaf haben. Nach dem Bade lag es nun,
ein appetitliches, rührend hilfloses und unbewußtes Stückchen Leben --
mehr ein Pflanzen- als ein Menschenleben noch -- in seinem Bettchen.
Der Kopf, auf dem ein dunkler Haarwuchs zu flaumen begann, war wie
eine schwere, etwas ins Längliche verformte Kugel tief hineingedrückt
in das weiße Kissen, das um seine Kontur herum bauschig aufschwoll.
Im Schatten der Gardinen, die von einem das Bettchen überwölbenden
Krummstab herabwallten, blieben die geschlossenen Augen, das kleine
Näschen beinahe verwischt -- so weich waren noch die Züge. Nur der Mund
war sehr deutlich in dem Kindergesicht -- die Lippen bewegten sich
instinktiv, lutschend, saugend, als kosteten sie noch den Wohlgeschmack
der Flasche.

Mit leichten Schritten, unhörbar, ging Jutta noch umher. Sie sah nach,
ob hinter dem Vorhang auch die Fensterklappe geöffnet sei, entdeckte
an der Scheibe eine Wespe, die sie furchtlos und fürsorglich mit ihrem
Taschentuch überdeckte und griff, um sie dann aus dem Fenster ins Freie
zu schütten.

Ein letzter Blick in die Runde zeigte ihr, daß im Schlafzimmer, das
auch das ihre war, und in dem neben dem großen Bett traulich das
kleine stand, sich alles in feierlicher Ordnung befand. Heilige
Schlafensstille webte in dem Raum, und ganz leise, leise, nur dem
angestrengt lauschenden Ohr der Mutter erratbar, ging der Atem des
Kindes in köstlicher Regelmäßigkeit.

Es schlief. Es schlief sich wieder ein Stückchen weiter ins Leben und
in die Kraft hinein ...

Jutta ging in den Nebenraum. Das war eigentlich ihr Ankleidezimmer.
Aber nun hatte das Kind seine Ansprüche und seine Herrschaft auch
hierher getragen. Und auf dem Teppich stand das Gestell mit der
Badewanne, und zwischen all den eleganten Einrichtungsgegenständen des
Toilettentisches, auf seinem Spiegelglas und zwischen den Bürsten und
Kämmen von dunkelm Schildpatt, standen Puderdöschen und lagen allerlei
blauumsäumte Läppchen und Streifen. In einem zierlich mit Schleifen
ausgestatteten Korb häufte sich gebrauchtes Kinderzeug.

In diesem Raum war es sehr hell. Weit geöffnet stand sein Fenster, und
von draußen herein kam die salzige Sommerluft und vertrieb die lauen
Baddünste.

Das Hochviereck des Fensters zeigte einen Ausschnitt aus der freien
Natur. Nur in zwei Farben. Ein großes Stück knallblauen Himmels und
ein paar runde grüne Wipfel, die aber so grell besonnt waren, daß sie
weißlich überflimmert schienen.

Jutta träumte ein paar Augenblicke hinaus, mit unbestimmten Gedanken.
Das bedeutete Ausruhen für sie.

Es war immer wie Schonzeit für ihr Gemüt, wenn alles, was es sonst
leidenschaftlich bewegte, einmal als unklare Traurigkeit still lag.

Der Sommermorgen war so schön -- zu schön. Ganz stiller Glanz erfüllte
ihn, alle Winde schliefen.

Jutta dachte flüchtig: „Reiswitz -- Freia -- Nordwest -- Kiel --
Travemünde ...“

Aber diese Gedanken zerfaserten. Es war ihr so unaussprechlich
gleichgültig, was für Winde die Segel blähten ... oder ob gar keine ...

Hinter ihr bewegte sich jemand ... Wasser rauschte leise.

Jutta wandte sich um. Die sommersprossige Martha räumte auf und goß den
Inhalt der kleinen weißlackierten Wanne in einen Eimer, der in seiner
Ausstattung Familienähnlichkeit mit ihr hatte.

Mit raschen Händen half Jutta. Alle Geräte, alle Möbel, jeder Zierat
zeigte Geschmack, Neuheit, Ordnung.

In wenigen Minuten gab es auch in diesem Raum nichts mehr zu tun. Er
glänzte in der schmuckvollsten Sauberkeit.

Jutta band die große, mit russischen Stickereien verzierte Schürze ab,
die bis dahin fast ganz Taille und Rock ihres einfachen weißen Kleides
verdeckt hatte.

Unbewußt seufzte sie. Nach vollendetem Tagewerk ...

Zehn Uhr war es. Und sie wußte heute wie fast an jedem Tag den Inhalt
aller Stunden voraus ... Ein wenig Handarbeit ... Kinderkleidchen
sticken und nähen, für die noch ferne Zeit, wenn Baby erst anfinge zu
stehen, zu gehen ... ein paar Briefe schreiben ... mit der Köchin das
Mittagessen besprechen ... dieses schreckliche Mittagessen, das für
eine Person zu kochen und aufzutragen fast lächerlich schien. Und dann
ein Nachmittag und Abend ohne Ende ... ohne Zweck ... ohne Freude.

Zwischendurch wachte Baby wohl einmal und lag mit großen Augen, und
lallende, drollige Laute erzählte es ... denen die Mutter mit heißer,
verzehrender Begier lauschte ... als hätten sie schon Inhalt, als seien
sie Stimmen der Liebe ... Aber es waren eben doch nur die unbewußten
Töne eines kleinen, noch nicht zum Menschentum erwachten Lebewesens ...

Langsam ging Jutta nach vorn, in ihr Wohnzimmer. Es war nicht sehr
groß. Alle Räume des Stockwerks in der Villa am Niemannsweg, das sie
innehatte, zeigten angenehme Verhältnisse; sie waren für Menschen
bestimmt, die in Behaglichkeit, aber nicht in Luxus zu leben dachten.
Nach vorn gab es nur zwei Zimmer, das des fernen Hausherrn und das
ihre. Hier öffnete sich eine Tür auf den Balkon, von dem aus man in den
dichtverwucherten Vorgarten hinabsah.

An das Herrenzimmer, nach hinten, schloß sich das Eßzimmer, ein
länglicher und der größte Raum der Wohnung. Überall an den Wänden und
auf den Möbeln sah man Waffen, Stoffe, Vasen, Bronzen von fremdartigen
Techniken und phantastischem Farbenreiz. Juttas Gatte hatte als junger
Offizier noch die Zeit der reichlicheren Auslandkommandierungen
miterlebt und als Kadett zur See, als Oberleutnant und Kapitänleutnant
Westindien, Ostasien und die Südsee gesehen. Er hatte allerwärts
gekauft, soweit Geschmack und Mittel es erlaubten, und das Gesammelte
liebevoll zusammengehalten und gepflegt. Da nun Geschmack wie Mittel im
Lauf der Jahre gereifter und reichlicher geworden, war manches schöne
Stück, manche wertvolle Stickerei zusammengekommen.

Jutta hatte als junge Frau mit Stolz und jubelndem Staunen von all
diesen bunten Sachen Besitz ergriffen und mit erstaunlichem Geschmack
verstanden, alles so zu ordnen, daß die moderne Einrichtung sich
harmonisch als Basis dieses fremdländischen Krams erwies.

Jetzt, wenn sie durch die Räume ging, kam es ihr zuweilen vor,
als lebe sie zwischen Theaterdekorationen, als sei dies nur eine
Szenenausstattung ... das Stück, das darin gespielt worden war, war aus
... Warum stand nun noch immer die Kulisse da? ... die Bühne war leer
... die Handlung hatte sich weiter entwickelt ... Und immer noch die
gleiche Dekoration ...

Sie hatte Stimmungen, in denen sie all diese bunten Dinge haßte.

Am liebsten war sie auf dem Balkon. Ein Glasdach und zwei schmale
Seitenwände von Glas schützten ihn gegen Wind und Regen. Er war
geräumig und krönte den ziemlich weit vorspringenden Erkerausbau des
Erdgeschosses. Sein Geländer ringsum glich einem von Blumen reichlich
gemusterten grünen Pelz. So dicht hatte Jutta es mit gut gepflegten
blühenden Pflanzen verstellt.

Die Glaswände waren mit einem Leinenstoff von altrosa Farbe glatt
verhangen. Ein paar weiße Korbsessel standen um einen Tisch. Über
ihm hing, an dünner Schnur oben aus dem gußeisernen Mittelstern des
Glasdaches kommend, eine elektrische Birne. Aber sie war ganz versteckt
in einem faltenreichen Schirm von altrosa Seidenstoff. Rechts und
links von der Tür zum Zimmer standen schmale Blumentische, von denen
Ranken hingen und Ranken an Gitterwerk aufstiegen.

Dies alles war sehr behütet und bildete recht eigentlich Juttas
Spielzeug. Sie liebte Blumen bis zur Leidenschaft.

Jetzt, am Vormittag, mußte die Sonne durch eine halb herabgelassene
Persienne abgehalten werden. Dann schien dieser Raum vollends wie ein
Versteck. Man konnte ganz vergessen, daß man hier nahe einer Straße war.

Von unten aus dem Haus und Garten kam niemals Lärm herauf. Da wohnte
der Eigentümer, Professor Doktor Krämer mit Frau und Schwester, und
die hatten keine Zeit und kein Interesse für Welt und Menschen. Den
Garten ließen sie nur auf das notdürftigste zurechtmachen, denn jedes
Herbarium war ihnen wichtiger als er, Gelehrsamkeit größer als die
Natur.

Jutta durfte abschneiden, was da an Rosen und was da sonst an Büschen
und auf Beeten wuchs und wurde.

Wegen der Geburt der Kleinen hatte Jutta den drei Krämers gegenüber
so etwas wie ein schlechtes Gewissen gehabt; aber da Baby als sehr
gesundes und ausnehmend sorgsam gehaltenes Kind nur gerade so viel
schrie, als die Lungengymnastik es wohl nötig machte, hatten Krämers
sich noch nie beschwert.

Ja, einmal sogar, als Jutta selbst den leichten, dunkeln, englischen
Kinderwagen durch den Vorgarten schob, war der Professor herangetreten
und hatte zerstreut ein wohlwollend gemeintes Wort gesagt. Und Fräulein
Krämer und Frau Professor Krämer hatten ihre alten Gesichter von rechts
nach links über die Wagenkissen geneigt. Fräulein Krämer wischte
neckisch mit der zu langen und vom Zeigefinger nicht mehr ausgefüllten
Spitze ihres grauen Zwirnhandschuhs ein bißchen auf Babys runder Wange
hin und her. Frau Krämer sagte erstaunt: „Ich dachte, kleine Kinder
wären hübscher.“

Aber Jutta nahm es nicht übel, sondern schätzte diese ganze Szene
richtig als eine ungewöhnliche Herablassung bedeutender Menschen zu
unbedeutenden Nebensachen ein ...

Auch an diesem Morgen war unten alles so still, als wohne dort kein
Mensch. Der Professor, der irgendwann einmal bei einer Berufung
übergangen war, hatte sich aus dem Staatsdienst zurückgezogen und lebte
der Fertigstellung eines Werkes. Frau und Schwester halfen ihm -- Jutta
sah es förmlich im Geist, wie sie alle drei bei engverschlossenen
Fenstern saßen und schrieben, kopierten, registrierten ...

Aber sie waren glücklich dabei, diese drei ... sie arbeiteten
*zusammen* ... Sie trugen nicht einsam an den Pflichten des Daseins ...
Und wenn man auch nicht verstand, wie ihnen das reizvoll und wichtig
und ein Lebendiges sein konnte, womit sie ihre Tage füllten -- *das*
sah man, *das* verstand man: sie trugen einander, sie halfen einander
voll Liebe ...

Und so wandelten auch diese drei vertrockneten, von allem blühenden
Menschentum geschiedenen Gestalten als ein Aufreizendes an den Grenzen
von Juttas Alltag hin. --

Nun setzte sich Jutta auf ihren Balkon. Da stand das Glas Milch, und da
lag die Zeitung. Sie griff mechanisch nach beiden.

Die Post hatte nichts gebracht ...

Und Hochhagen sprach doch von einem Brief, den er bekommen habe, dessen
Inhalt so wichtig schien, daß er heute nachmittag ihn mit ihr zu
besprechen wünschte?

Aber ganz ohne Zweifel würde für sie selbst auch noch etwas kommen. Mit
dem Eintreffen der Auslandpostsachen ging es ja zuweilen willkürlich.
Was drüben an einem Tag aufgegeben und ganz gewiß mit dem gleichen
Schiff expediert worden und in Bremerhaven angekommen war, langte hier
tropfenweise, auf die Post von zwei, drei Tagen verstreut, an.

Jutta wußte nicht mehr, ob sie sich nach diesen Briefen sehnte oder
sich vor ihnen fürchtete ...

Drunten ging die Gartenpforte -- man hörte sie aufklinken und wieder
zufallen und dann einen raschen Schritt auf dem gepflasterten Weg,
der von der Pforte her an der rechten Seite des Vorgartens bis an die
Haustür führte.

Ganz flüchtig horchte die junge Frau diesem lebhaften Gang nach. Aber
es war ihr nicht der Mühe wert, sich aus ihrem Stuhl emporzurecken und
hinabzusehen.

Sie las den Bericht über die letzte Regatta und versuchte etwas von dem
zu begreifen, was sie las.

Da erschien Martha in der Tür. Freudig stand sie, ihr von
Sommersprossen beinahe bräunliches Gesicht glänzte. Hell war ihre
Erscheinung mit dem straffen weißblonden Haar, in dem rosa Kattunkleid
vor dem dunkeln Hintergrund. Und sie meldete: „Kapitän Hochhagen.“

Jutta fuhr auf. Ein kurzes Erstaunen verwirrte sie. Jetzt? So früh?
Hatte er nicht heute nachmittag kommen wollen?

Und die rasche Ahnung, die Frauen in bedrängtem Gemütszustand so leicht
befällt, kam ihr: Eine Unglücksbotschaft!

„Ich lasse bitten,“ sagte sie und ging ihm schon entgegen.

Da er wähnte, jederzeit in diesem Haus der willkommene Besucher zu
sein, war er dem meldenden Mädchen auf dem Fuße gefolgt. So traf Jutta
mit ihm schon in ihrem Wohnzimmer zusammen, in dem tiefen Schatten, der
es durchdämmerte, weil draußen auf dem Balkon die grüne Persienne fast
ganz herabgelassen war.

„Was ist geschehen?!“ rief sie zitternd.

„Mein Gott,“ sagte er betroffen. Einzig sein Erscheinen zu ganz
ungewöhnlicher Tageszeit genügte, um sie zu entsetzen?! Ja, sie war aus
den Fugen! Seit langem, langem.

„Liebe gnädige Frau! Etwas sehr Schönes ist geschehen. Ich habe mich
mit Renate Gervasius verlobt, und Sie sollen die erste sein, die es
erfährt.“

„Oh,“ murmelte sie, wie erloschen -- die Flamme ihrer Erregung sank in
sich zusammen -- aber sie fühlte ihre Knie beben und setzte sich.

„Nichts,“ dachte sie, „nichts ist geschehen. In meinem Leben nichts ...“

Der vor Glück strahlende Mann stand vor ihr. Sie reichte ihm die Hand
empor. Er hielt sie fest umschlossen.

„Ja,“ sprach sie, „das ist schön. Das freut mich. So ein liebes,
wundervolles Kind ...“

„Ja,“ sagte er, mannhaft eine Weichheit niederzwingend, die Rührung
werden wollte, „ich fühle auch -- so was wie ein Wunder ist dies -- --
nun hat man eine Zukunft, nun weiß man, warum man lebt und strebt.“

„Und Renée -- die junge Renée -- sie -- sie fürchtet sich gar nicht?“
fragte Jutta leise.

„Wovor fürchten?“ fragte er erstaunt zurück.

„Vor dem Los der Seemannsfrau.“

Sie sagte es flüsternd, als fürchte sie sich vor ihren eigenen Worten.

„Oh, das ...“ und stolz und freudig, nach einem ganz kurzen Stutzen
über ihre Frage, fuhr er fort: „Sie liebt mich. Sie hat ein gesundes,
tapferes Herz. Wenn es einmal auch für mich als verheirateten Mann
heißt, hinauszuziehen und in der Ferne meine Pflicht erfüllen, da wird
sie sich eben als Seeoffiziersfrau, als deutsche Frau sagen: es ist
sein Beruf! Und sie wird stolz und stark meiner Rückkehr warten. Wie
...“

Wie Sie der Ihres Gatten, hatte er schließen wollen.

Aber es war, als lege sich ihm eine Hand auf den Mund. Und der
unvollendete Satz sprach dennoch weiter -- wie von selbst -- mit
unhörbaren Stimmen -- drangen auf Jutta ein. Sie fühlte sich wie von
Vorwürfen überhäuft -- herabgesetzt -- mißhandelt.

„Die Naturen sind verschieden,“ sprach sie trotzig.

Aber er dachte nicht daran, ihr weh tun zu wollen. Seit Monaten waren
seine Gedanken voll brüderlicher Sorge und Mitleid.

So kostete es ihn keine Überwindung, über ihre Worte und ihren Ton
hinzugehen, als habe er nichts in sich aufgenommen davon.

Er setzte sich zu ihr.

„Gestern abend noch, gleich nach der Quadrille, haben wir uns
ausgesprochen. Ich bin schon ganz früh heute bei ihren Eltern
gewesen,“ erzählte er fröhlich, „eigentlich war es eine Verlobung
beim Morgenkaffee, in der Veranda bei Geheimrats. Ich verkehre ja
schon lange vertraut im Hause, und Renées Eltern haben wohl wachsen
sehen, was werden wollte, und nun haben sie mir ihr liebes Kind gern
gegeben. Ich kann natürlich heute nachmittag nicht zu Ihnen kommen.
Aber ich bringe die Bitte meiner Schwiegereltern: Nehmen Sie heute
abend an der ganz kleinen, improvisierten Verlobungsfeier teil, die
Gervasius’ veranstalten. Sie sind die Frau meines liebsten Freundes,
meines nächsten Kameraden. Als Malte ging, hat er Sie vor allem meiner
Obhut vertraut. Und meine Braut, später meine Frau wird Ihre Freundin
werden. Ich hoffe es von Herzen. Und sehen Sie, liebe, liebe Frau
Jutta -- mir ist so, als ob meine Verlobung Sie auch ein bißchen aus
Ihrer Einsamkeit befreite, an der Sie so schwer tragen -- als führte
ich Ihnen eine Schwester zu, die Ihnen in Fröhlichkeit manche Stunde
erhellen wird. Und Renée, das kann ich sagen, schwärmt bereits für Sie
-- ist voll Bereitschaft, Sie zu lieben.“

„Ich danke Ihnen -- ich danke Ihnen,“ flüsterte sie und drückte wieder
seine Hand. Tränen drängten sich in ihre Augen. Aber sie bezwang
sich. Und es schien, als wandle sich ihr die Rührung doch in schwere
Gedanken. Sie zog die Brauen zusammen wie in Schmerz.

„Sie werden kommen heute abend?“ bat er drängend.

„Gewiß. Ja. Gern.“

„Liebe gnädige Frau,“ begann er wieder, „mein Herz läuft über. Alles
kommt heraus und breitet sich vor Ihnen hin -- all das große Glück.
Aber auch ein bißchen Kümmernis. Ja, heute muß auch das heraus. Offen:
mir war’s manchmal in der letzten Zeit, als käme so was wie Feindschaft
gegen mich angestürmt aus Ihren Blicken und Ihrem Ton. Stellen wir’s
klar. Hab’ ich was versehen? Bin ich nicht aufmerksam genug gewesen?
Verzeihen Sie’s dem rauhen Seemann, der auf Freiersfüßen ging. Man
ängstigt sich vor seinem Ungeschick, traut sich keine Zartheiten zu ...
Aber nun bekomme ich die holdeste Vertreterin. Die wird, wo ich’s etwa
nicht träfe, meine herzliche Ergebenheit immer in zarte Tat umsetzen.“

„Nicht aufmerksam genug gewesen?“ wiederholte Jutta langsam, „oh,
niemand konnte mehr für eine Verlassene tun als Sie für mich. Sie
können vor Malte bestehen ...“

Und sie dachte: „Ich kann es ihm nicht ins Gesicht sagen, daß ich mich
bewacht und bevormundet fühlte ... bis zur Qual ...“

„Vor Malte bestehen? ... Ich will auch vor Ihnen bestehen!“ erklärte er
herzlich.

„Manchmal,“ begann sie vorsichtig wie eine, die in weitem Bogen um die
Dinge herumgeht, sie nur von ferne, mit zusammengekniffenen Lidern,
anblinzelnd, „manchmal hatte ich das Gefühl, Sie schätzten mich als
eine ein, die der Bewachung *sehr* bedürfe.“

Sie sprach das „sehr“ gedehnt und betont.

Er sprang auf. Ganz betroffen lief er einigemal im Zimmer hin und her.
Sie verfolgte ihn mit ihren Blicken, wartend, gespannt.

„Ja,“ dachte er, „ja -- und doch auch wieder nicht so, wie sie es zu
fühlen schien ...“

Er war zornig auf sich.

So bin ich doch wohl täppisch gewesen, fühlte er. Wie sollte er da
herauskommen und sich ihr erklären?

Man kann einer armen Frau, von der man glaubt, daß sie vor Sehnsucht
auf dem Punkt ist, gemütsleidend zu werden, nicht zu viel Wahrheiten
ins Gesicht sagen. Nicht, daß für ein so schönes, so leidenschaftliches
Geschöpf in solcher Stimmung jeder dumme, leichtfertige Kerl zum
Versucher werden kann. Nicht, daß man mit den treuen Rosenfelds oft
kummervoll zusammengesessen hat und beriet: wie zerstreuen wir sie?
Nicht, daß sie förmlich infolge eines liebevollen Komplotts in die
Festlichkeiten der Kieler Woche gezogen wurde. Nicht, daß man manche
Stunde, die man brennend gern der einen, Liebsten, sie umwerbend,
gewidmet hätte, hier verplauderte, um der Einsamen den fernen Gatten
im Gespräch ein wenig lebendiger nah zu bringen. Nicht, daß man seinen
gänzlichen Unverstand zu verhehlen getrachtet und alle Tage mit den
sachverständigsten und erfreutesten Mienen das Wachstum Babys bewundert
hatte ... Nein, nichts konnte man von alledem sagen.

Und am allerwenigsten, daß seit einiger Zeit eine große Angst in
seinem Herzen emporwuchs ... Seit dieser Legationsrat von Gamberg so
oft in Kiel erschien ... dieser Mann, der ganz gewiß kein dummer und
leichtfertiger Kerl und eine Versuchung war ... der mehr werden konnte,
viel mehr, vielleicht ein Zerstörer.

Ganz tief hatte er diese Angst versteckt gehabt -- nicht mal vor
Rosenfelds auch nur mit einem Zucken des Lides, mit einem andeutenden
Wort sie aus seinen Gedanken herausgelassen.

Extra hatte er Sorge getragen, *nicht* wachsamer zu scheinen -- --

Und sie -- sie hatte doch so etwas empfunden, als umlaure sie Mißtrauen
...

Das erriet er klar. Das erzählte ihm ihr Ton.

Wie schade, wie peinvoll ...

Und er kannte sie genug, um zu wissen: Das hat sie gereizt ...

„Natürlich,“ dachte er, „die Schuld ist mein. So ganz leise und fein
denkt man’s und fühlt man’s. Und bringt es doch wohl recht plump an den
Tag.“

Und in dieser Stunde, wo er sich erhoben fühlte, wo die Welt ihm
geadelt schien, weil er selbst den Glanz einer sehr reinen und sehr
starken Liebe auf seinem Leben fühlte, in dieser seiner großen Stimmung
erschien ihm auch all seine Angst wie ein Verkehrtes.

Ihm war, als sei sein Mißtrauen gewesen wie eine zudringliche Hand, die
ganz zerbrechliche Sachen allzu fest anpackt und sie nur damit verdirbt.

Ja, beinahe schuldig kam er sich vor.

Wie da wieder herauskommen?

Mitten in seine bekümmerten Erwägungen hinein fiel ihm ein
humoristischer Gedanke. Das geschah ihm oft. Da platzte irgend so ein
drolliger Vergleich unversehens wie eine Rakete in den tiefsten Ernst
hinein, und der zersprang daran.

Er stand vor Jutta still.

„Wenn ich mich wie ein Pudel betragen habe und in bemerkbaren Sprüngen
Sie umkreiste mit lautem Wauwau, dann verzeihen Sie’s mir. Was? Ja?
Denn Sie wissen es von selbst: die Meinung war gut. Ich wollte nicht
bewachen. Trösten wollte ich und helfen. Jawohl.“

Jutta sah ihn an, frei und kühn. Seine Art hatte ihr alle
Unbefangenheit zurückgegeben. Und sie gewann nun den Mut, wissen zu
wollen ... War er wirklich nur so ein harmloser, treuherziger Wächter
gewesen? Sah er wirklich nicht, daß da eine Gefahr heranschlich?

„Ich selbst, ich allein kann mit ihr fertig werden,“ dachte sie
hochfahrend, „ich brauche keinen Aufseher.“

In ihr lag eine Welt von Kraft, von Leidenschaft, von Gedanken ganz
brach. Die große Sehnsucht, die in ihr war, die Sehnsucht nach dem
Leben, lechzte nach Ereignissen ...

Nicht andere, nicht die besten Freunde sollten für sie wachen und
handeln ...

Er hielt ihrem Blick stand. Gut und offen sah er sie an, und endlich
ging eine große Heiterkeit in seinem Gesicht auf.

Er hielt ihr die Hand hin. Und Jutta, zu ihrer eigenen Überraschung, in
plötzlicher Aufwallung von seinem humorvollen Wesen bezwungen, schlug
ein.

„Na, sehen Sie wohl!“ sagte er. „Und denn überhaupt ... wo ja nun bald
all das Sehnen und Grämen ein Ende hat!“

„Wieso?“

Sie stand auf. Ganz rasch -- sah ihn an, gespannt, erstaunt ...

„Na, ich denke ... Sind Sie nicht ganz toll vor Freude?“

„Worüber?“

„Über Maltes Idee.“

„Welche Idee?“

„Haben Sie denn keinen Brief?“

„Noch nicht.“

„Nun, der muß also jeden Augenblick kommen. Malte hat uns doch
gleichzeitig geschrieben --“

„Was hat er geschrieben? Von welcher Idee? Schon gestern abend sprachen
Sie von einem Brief als von einer Wichtigkeit.“

„Ich bekam ihn gestern vormittag. Aber dies ist mir nun beinahe fatal,
daß ich durch einen Postzufall früher von der Sache weiß und spreche,
als Sie’s selbst aus Maltes Brief erfuhren.“

Es war ihm wirklich leid. Es schien ihm, als nähme er dem fernen Gatten
was weg und bestehle auch die Frau um eine Freude, wenn sie die große
Überraschung von ihm erfuhr, anstatt daß sie ihr aus den Briefblättern
entgegensprang wie lauter Jubel ...

„Von welcher Sache?“ fragte sie, vor Ungeduld vergehend.

„Ja -- dann muß ich’s wohl sagen. Also Malte will, daß Sie nach
Ostasien kommen.“

„Ich!“ schrie sie auf. Und dann, stammelnd, leiser, wiederholte sie
noch einmal und noch einmal: „Ich -- ich ...“ Und wurde dann sehr still.

Hochhagen sah die Frau an. Wie bleich war sie geworden. Wie
schwer atmete sie. Was war das? Seine wohlwollende, treuherzige
Beschützerstimmung verwandelte sich mit einem Schlag in gesammelte
Aufmerksamkeit.

Nein, diese Frau schrie so nicht auf, weil die Freude sie überwältigte
...

„Was ist daran so außerordentlich?“ fragte er, „wie manche Marinefrau
ist schon zum Besuch ihres Gatten ins Ausland gereist.“

Jutta ging bis an die Balkontür vor. Sie lehnte sich mit der linken
Schulter gegen den Pfosten. Unverwandt sah sie gegen die grünen Stäbe
der herabgelassenen Persienne.

Hinter ihr wartete der Mann ein paar Augenblicke. Er dachte: sie muß
sich erst fassen. Aber als sie fortfuhr zu schweigen, sagte er ganz
ruhig: „Vor acht Wochen ist Frau Kapt’enleutnant Rohrbrand nach Sydney
gefahren, um ein Rendezvous mit ihrem Mann zu haben.“

Ohne sich zu rühren, sprach Jutta: „Rohrbrands -- haben Geld -- die
können das -- reiche Eltern haben sie -- ja ...“

„Malte schreibt, daß ihr es gut machen könnt. Und das mein’ ich auch.
Wie Malte schon ist: er gibt draußen ja nichts aus jetzt -- spart --
hat die Bordzulage. Ihr könnt es gut machen.“

Sie kannten doch untereinander ihre Finanzverhältnisse so genau.
Hochhagen hatte schon gewissenhaft und vergnügt seinerseits
nachgerechnet: jawohl, Falckenrotts können es sich leisten.

„Und das Kind?“ fragte Jutta.

Hochhagen antwortete nicht sofort. Er war etwas perplex. An das Kind
hatte Malte offenbar nicht gedacht. Wenigstens hatte er es in dem Brief
an den Freund nicht erwähnt.

Aber nun fiel ihm ein: Maltes Mutter war ja da. Und soviel er wußte,
stand Jutta sich mit Maltes Mutter sehr herzlich.

„Das Kind?“ sprach er erwägend, „das scheint mir ganz einfach. Das
nimmt derweil Maltes Mutter.“

Die junge Frau fuhr herum. Blaß stand sie, zitternd.

„Ich lasse mein Kind nicht von mir. Keinen Augenblick. Es ist mein
Kind! Meines. Meins ganz allein,“ sagte sie.

„Nun -- es gehört doch auch Malte,“ warf er beruhigend ein.

„Nein. Mir gehört es -- mir,“ rief sie, „mir ... Wo war er, als ich
fühlte, wie es wurde und wuchs? Wo war er, als ich vor Not und Schmerz
zu sterben fürchtete? Wo war er, als es seinen ersten Schrei tat?“

Sie warf sich in den nächsten Stuhl, versteckte ihr Gesicht an der
Lehne und weinte -- weinte -- daß der Mann ganz verlegen wurde, Zeuge
solcher Tränen sein zu müssen.

Es erschütterte ihn. Er fühlte, da war eine Verworrenheit, eine
Erregung, eine Leidenschaft aller Empfindungen, die noch weit über das
hinausgingen, was er gefürchtet hatte.

Er spürte auch, jede Zurede, jedes Wort war schon ein Wagnis.

Aber aus einem ganz einfachen, gesunden Mannesgefühl heraus sagte
er doch, fast streng und stolz: „Er war da, wo sein Kaiser und sein
Vaterland ihn brauchten.“

Eine Pause entstand.

Ganz jäh hatte Jutta aufgehört zu weinen. Still, mit verstecktem
Gesicht verharrte sie.

Er dachte nicht darüber nach, was dies plötzliche Verstummen bedeuten
könne. Er fühlte nur: sie muß nun irgendwie mit sich ins reine kommen,
und das wird sie ja wohl auch.

All die letzten Monate hatte er gedacht: „Die Frau muß wieder mit ihrem
Mann zusammenkommen, die verträgt das Alleinsein nicht.“ Und das gab er
denn auch brieflich dem fernen Freund so deutlich zu verstehen, als es
möglich war, ohne diesen zu beunruhigen.

Nun sah er: es war noch viel dringlicher gewesen, als er geahnt hatte.

Mit Geduld ertrug er nun diese Pause, solange es ihm schicklich schien,
dann sagte er voll Freundlichkeit: „So, meine liebe gnädige Frau --
vorbereitet sind Sie -- das Genauere, und wie Malte sich alles denkt
-- das lesen Sie ja wohl besser in seinem Brief. Ich bitt’ bloß: Ruhe,
Ruhe, Ruhe! Und vielleicht -- könnt’ man ja auch sagen: der Mann geht
dem Kind vor. Aber da bin ich noch nicht kompetent ...“

Jutta erhob ihren Kopf, mit einer schweren Gebärde, als wöge er
Bleilasten. Sie wandte langsam ihr Gesicht und sah Hochhagen an. Ihre
Lippen waren zu einem Lächeln verzerrt.

„Das haben *Sie* gemacht ...“

Hochhagen wurde rot. Er zauderte -- nur einen knappen Augenblick.

„Ja,“ sagte er dann einfach, „weil ich Malte und Sie liebhabe ...“

Ihr strömten die Augen über. Unsicher erhob sie sich.

Sie hielt mit ihren beiden Händen seine Rechte fest.

Er fühlte: das war alles. Dank! Verständnis seiner Treue! Bitte um
Verzeihung! Bitte um Halt!

Ganz aufgelöst war die arme Frau -- in Weichheit und Gram, und
zerrüttet von tausend Nöten, deren Ineinanderwirken er dumpf zu ahnen
begann.

„Gott helfe ihr!“ dachte er.

Und fühlte: nun keine Worte mehr! Dieses schwere Schweigen ist heiliger
Kampf ...

Und so ging er mit einem festen Händedruck -- wie ihn sonst nur ein
Mann dem anderen gibt, wenn er ihm eben sagen will: sei ein Mann.

Nur wenige Minuten verflossen Jutta in einem seltsamen, fast
gedankenlosen Hinbrüten. Es war beinahe, als ob das, was nun herankam,
zu chaotisch war, als daß sie es recht ins Auge fassen und überdenken
könne.

Da stürzte Martha wieder herein, mit dem fast lärmenden Wesen einer,
die denkt, daß sie etwas Heißerwartetes bringt.

Der Brief -- der Brief aus Ostasien war da.

Daß er ganz bestimmt mit dieser zweiten Morgenpost zu erwarten gewesen
war, hatte Jutta vergessen. Ihr erschien nun sein Eintreffen wie ein
Zufall, der Aberglauben erwecken konnte ... als käme wie auf ein
Stichwort, wie herbeigerufen, ein Gespenst ... das Gespenst des in
weiter Ferne weilenden Mannes.

Ihre Lider zuckten nervös.

Sie wollte sagen und klagen: „Sie sind sehr laut, Martha.“ Aber sie
brachte kein Wort über die Lippen.

Sie sah das stillvergnügte Gesicht des Mädchens -- ganz vertraulich
lächelte das die Herrin an -- ein Weib das andere -- das versteht, wie
einem zumute ist, wenn ein Brief vom fernen Liebsten kommt ...

Und von diesem Lächeln wandte sich die Herrin stumm ab ...

Sie hatte ein Gefühl, als dürfe niemand sehen und wissen, daß sie
diesen Brief läse.

In das Zimmer ihres Mannes ging sie und schloß die Tür hinter sich.

An dem aufgeräumten, nie mehr benutzten Schreibtisch saß sie und
starrte den Brief an -- den sie zwischen den Fingern hielt und wendete.

Ihr deuchte, sie hielt ihr Schicksal in der Hand.

Als hinge die ganze Zukunft an den weißen Blättern, die dieser kleine
Umschlag einschloß.

Erst nach langem, selbstquälerischem Warten las Frau Jutta den Brief
ihres fernen Mannes:

„Mein geliebtes Weib! Mein letzter Brief schilderte Dir unsere Reise
von Tsingtau nach Tschemulpo und meine ersten Eindrücke von Korea. Ich
gab in Tschemulpo jenen Brief zur Post, und Du wirst inzwischen aus
der Zeitung ersehen haben, daß wir in Hakodate ankamen. Das ist ja das
Angenehme für Euch zu Hause, daß Ihr immer die telegraphische Nachricht
unter der Rubrik ‚Marine‘ findet, daß wir da und da ankamen und an Bord
alles wohl ist. Dann wißt Ihr doch so ungefähr, wie es um uns bestellt
ist.

Also wir liegen zurzeit noch vor Hakodate und werden von hier nach Kobe
gehen, um dort ein paar Tage zu bleiben. Da gibt es nämlich ziemlich
viel deutsche Kaufleute, meist Hanseaten. Und die Deutschen fühlen
sich immer erhoben, in ihren Interessen gefördert, in ihrem Ansehen
gestärkt, wenn mal eins von unseren Kriegschiffen sich zeigt. Nachher
gondeln wir so um Japan ’rum und werden wohl Ende Juni in Nagasaki
ankommen. Also ungefähr, wenn Du diesen Brief bekommst, und wenn Ihr
in den mehr oder minderen Wonnen der Kieler Woche schwelgt. Die hast
Du diesmal hoffentlich mitgemacht, nachdem Du vorigen Sommer durch
Dein damaliges Befinden daran verhindert warst. Ich hab’ es Rosenfelds
und Hochhagen auf die Seele gebunden, daß sie Dich nicht einsam und
trauernd in Deiner Klosterzelle verkümmern lassen.

Von Nagasaki aus machen wir noch eine Fahrt nach den Philippinen,
müssen nochmal nach Schanghai zurück, und dann gehen wir nach Hongkong,
wo wir unseren Kahn mal auf Dock bringen müssen.

Und in Hongkong bleiben wir fast zwei Monate.

Meine liebe, süße Frau -- ja, da also bleiben wir fast zwei Monate lang!

Kommt Dir nicht auf der Stelle der Gedanke: _plenty time_, meinen
Schatz mal zu besuchen?

Und dazu lade ich Dich hiermit feierlichst ein! Ich rate Dir, schiffe
Dich nicht schon in Bremerhaven ein, sondern geh erst in Genua an Bord.
Das Alleinreisen braucht Dich in keiner Hinsicht zu schrecken. Du bist
an Bord eines Norddeutschen Lloyddampfers. Das sagt alles! Das sagt,
daß der Kapitän -- wer es auch sei, und wie er auch heiße -- Dich wie
Vater und Mutter in einer Person betreuen wird. Du bittest Exzellenz
Marweg oder auch einfach Rosenfeld, dem betreffenden Kapitän vorher
ein Dich an ihn empfehlendes Wort zu schreiben. Und Du sollst mal
sehen, mit welcher Fürsorglichkeit, bis zur Stewardeß herab, Dich alles
umgibt. So ’n Kapitän von so einem Riesendampfer, mußt Du wissen, ist
schon ein Kerl! Der hat für viele Menschenleben und viele Millionen
einzustehen, der hat, wohin er kommt, deutsche Art und deutschen Namen
imposant zu vertreten. -- Er ist eine Art Regent. Und die Welt, die
kleine schwimmende Welt, die er regiert, die hat viel zu bedeuten. Wenn
Du Dir das so recht klar machst, wirst Du jede Angst vor der weiten
Reise verlieren, und das heißt, eigentlich kann ich mir’s gar nicht
vorstellen, daß Du überhaupt vor irgend etwas Angst haben solltest. Du
hast immer so etwas Kühnes und Sicheres in Deinem Wesen gehabt. Ich
weiß noch, ich traute mich damals erst gar nicht recht an Dich ’ran.

Da wir, geliebtes Weib, ja schon beinahe in der Stunde der Verlobung
von Geld sprechen mußten und uns darin gottlob immer einig waren,
lieber auf etwas zu verzichten, als uns finanziell bedrückt zu fühlen,
so denkst Du natürlich gleich an die Kosten. Also: wir können es
machen. Von meiner Bordzulage verbrauche ich fast nichts. Gekauft habe
ich eigentlich nichts, außer ein paar hübsche Kleiderstoffe für Dich:
Rohseide und sehr helle Seidenkrepps. Du selbst, schriebst Du mir, hast
im völlig geordneten bescheidenen Budget leben können und Dich seit
unserer Heirat nicht von Kiel weggerührt. So dürfen wir die fünf- bis
sechstausend Mark -- so schätze ich Reise und Aufenthalt hier -- wohl
daran wenden, uns diese große Freude zu gönnen.

Das Schicksal ist ja eigentlich ein bißchen schikanös mit uns
verfahren. Wir lernen uns kennen, lieben, verloben uns. Und erfahren
von Deinem Vater, der sich im Jahr vorher, in Dir recht unerwünschter
Weise, wieder verheiratet hatte, daß Du, einem testamentarisch
geäußerten Wunsch Deiner Mutter gemäß, erst heiraten darfst, wenn
Du mündig seiest. Und daß er erst dann verpflichtet sei, Dir Dein
mütterliches Erbteil auszuzahlen. Was war da zu machen! Es hieß eben:
warten.

Weißt Du, ich habe oft gedacht, Deine Mutter wird wohl nicht so sehr
glücklich gewesen sein und hat nachmals ihre urteilslosen achtzehn
Jahre, mit denen sie in die Ehe trat, dafür verantwortlich gemacht.

Fast alle Menschen bestimmen ja nach ihren persönlichen Erfahrungen.

Meine Mutter hat uns das Warten -- diese gräßlichen drei Jahre -- so
viel erleichtert, als sie konnte. Und in meinen knappen, ach so knappen
Urlaubszeiten haben wir bei ihr köstliche Stunden verbracht. Aber es
waren eben doch nur Lichtblicke in dieser langen Zeit voll Sehnsucht.
Es war eine Schinderei. Jawohl, das war es.

Und endlich wirst Du einundzwanzig Jahre! Dein Vater -- verzeih mir’s
-- aber ich glaub’, er tat’s mit heimlichem Zähneknirschen -- legte
Deine zweihunderttausend Mark auf den Tisch des Hauses nieder. Und
sozusagen in selbiger Stunde heirateten wir.

Manchmal denk’ ich: sind wir bloß einen Tag Mann und Frau gewesen?
Einen verrückten, seligen Tag lang? So schrumpft mir die Zeit zusammen
in der Erinnerung.

Wie viele Kameraden sind förmlich gierig auf ein Auslandkommando. Und
ich, der ich schon so ziemlich auf allen Meeren ’rumgegondelt bin, ich
kann wohl sagen: Ost- und Nordsee hätten mir auf lange hinaus als
Schauplätze meiner unsterblichen Seemannstaten genügt.

Aber nein! Da trifft es ausgerechnet mich, Erster Offizier auf S. M. S.
‚Luise‘ zu werden.

Erster Offizier mußte ich ja werden. Dieses schöne
Mädchen-für-alles-Kommando, das auch die dicksten Nerven zu
Spinnwebfäden zermürbt, blüht ja allen. Warum konnte ich es nicht auf
einem der Linienschiffe der Ostseestation werden?

Grad’ ein Vierteljahr haben wir glücklich sein dürfen!

Nun, ich habe nicht zu klagen. Es ist mein Beruf. Um nichts gäbe ich
ihn hin. Wer weiß, ob er einem nicht durch solche Opfer nur noch teurer
wird. Die Größe des Zwecks wird einem so klar.

Aber zu was schreib’ ich Dir die vielen Bogen Überseepapier voll -- das
weißt Du ja alles selbst. Ich sollte eigentlich nur ein Wort sagen:
Komm!

Depeschiere mir nach Nagasaki. Nur ein Wort natürlich! Taxe: Acht Mark
für ein Wort! Nur den Namen des Dampfers. Das sagt ja dann auch alles:
daß wir uns wiederhaben werden, daß wir die Tage zählen bis zu Deiner
Ankunft in Hongkong. Ich sehe dann bei der Lloydagentur in Nagasaki die
Segellisten ein und kann im Geist Deine Reise verfolgen vom Tag Deiner
Einschiffung in Genua an.

Mit welcher Spannung ich Deiner Depesche entgegensehe, brauche ich Dir
nicht zu sagen. Es umarmt Dich liebend

                                             Dein Malte.

Ja, und Baby fällt mir noch eben ein -- es kommt mir doch immer so
märchenhaft vor, daß ich eine kleine Tochter haben soll -- Baby wird
gewiß von meiner Mutter in Obhut genommen. Ich habe mir sagen lassen,
so kleine Kinder wüßten noch nichts von ihrer Mutter und schliefen fast
den ganzen Tag. Also wird die Kleine Dich nicht entbehren.“

Das war der Brief ...

Sehr genau legte Jutta ihn wieder zusammen. Bogen paßte sie auf Bogen,
und das dünne, zähe Papier mußte immer wieder flachgestrichen werden.
Dann faltete sie den Packen zusammen und tat ihn wieder in den Umschlag.

Hier war kein Beobachter, und niemand hätte belauern können, was in dem
Gesicht der jungen Frau vorgehe.

Aber es ging nichts darin vor. Es war wie versteinert.

Wenn sie einen bestimmten Gedanken gehabt hatte, war es vielleicht der:
In einer Nachschrift ...

Ja, das Wort ging wie ein Pendel hin und her, hin und her durch ihren
Kopf.

Es tönte immer stärker. Es schwoll so an, daß es rings die Welt wie mit
dumpfen Schlägen zu erfüllen schien.

In einer Nachschrift gedachte er auch des Kindes!

Besann sich noch im letzten Moment, ehe er den Brief schloß, daß er
auch ein Kind habe ...

Es war nicht das erstemal ...

Zuweilen, im Anfang, hatte Jutta versucht, das ganz gerecht, ganz
nüchtern zu nehmen.

Sie erinnerte sich: einmal starb einer ihrer beiden Brüder in
Argentinien. Seit vielen Jahren war dieser Bruder nicht mehr in
Europa gewesen. Man wußte kaum mehr, wie er aussah. Seine Bilder, die
er in großen Zwischenräumen von sich schickte, waren eigentlich die
eines fremden Mannes. Man mußte sich ihnen gegenüber in ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit hineinsteigern. Als die Nachricht kam, er sei tot,
hatte die Trauer etwas Erkünsteltes gehabt.

Sie schloß aus dieser Erinnerung: so wenig wie man sich ein fernes
Sterben vorstellen kann, ebensowenig kann man sich ein neues, fernes
Leben vorstellen. Das ist alles nicht mehr wie eine Geschichte. Sie
interessiert ein paar kurze Stunden lang. Nachher ist die zudringliche
Wirklichkeit, die uns umgibt, wieder da mit all ihren tausend
greifbaren und sichtbaren Ereignissen.

Wenn das Kind stürbe, ehe er es gesehen? Was hätte ihm dieser Tod
bedeuten können? Nichts. Selbst sein Mitleid mit ihr, der Mutter, würde
in solchem Fall nur eine erzwungene Empfindung sein können.

Man konnte wohl sagen: dieses Kind hatte noch keinen Vater. Die heilige
Wissenschaft seiner neuen Würde konnte dem Fernen nicht aufgegangen
sein ... Er hatte den offenbarenden, den großen, den unbegreiflichen
Augenblick des ersten Schreies nicht miterlebt ...

Aber die Zeit war längst vorbei, wo Jutta das in gerechter Ruhe
überdenken konnte ...

Sie war jetzt wie benommen von dem erbitterten Gedanken: In einer
Nachschrift! ...

Wie leicht hätte er’s ganz vergessen können ...

Und über diesen monotonen Gedanken vergaß sie fast, daß der Brief ihr
eine ungeheure Entscheidung abforderte ...

Heute noch -- oder doch in den nächsten Tagen mußte sie ihm das Wort
hinüberrufen über Länder und Meere ...

Sie erhob sich. Sie ging ein paarmal langsam hin und her.

„Nein,“ dachte sie, „ich verlasse nicht mein Kind ...“

Aber neben diesem trotzigen, klaren Vorsatz war noch ein anderes Gefühl
in ihr: bang und dunkel ...

Gab es nicht einen, der vielleicht unaussprechlich leiden würde, wenn
sie sagte: „Ich gehe zu meinem Mann!“

Und sie selbst -- ging sie mit Jubel?

War *das* die Erfüllung all der schweren Sehnsucht in ihr?

Ihre Gedanken flüchteten sich fort von diesem dunkeln und gefährlichen
Gebiet ...

„Nein, ich gehe nicht von meinem Kind!“ murmelte sie.

Es klopfte.

Unwillig sah sie nach der Tür. Diesmal kam Martha ganz bescheiden
herein -- im Bewußtsein, eine Freveltat zu begehen. Die der Störung.

Und sie sagte kleinlaut: „Oh -- gnädige Frau möchten man mal eben ’n
büschen ans Telephon kommen.“

Jutta ging rasch in den Flur. Dieser Vormittag hatte schon so viel
gebracht. ... Kam noch etwas? Noch mehr Erregendes?

Aber nein. Eine ganz kleine, ganz jammervolle Stimme antwortete, als
Jutta sich gemeldet hatte: „Bist du es selbst, Liebes? Ach Gott, ich
habe grauenhafte Kopfschmerzen.“

„Das tut mir leid,“ antwortete Jutta nicht sehr ergriffen, „aber du
kannst das Tanzen ja nun mal nicht vertragen.“

„Und das weiß Hektor doch,“ klagte die hinsterbende Stimme, „und er
hätte doch strenger sein müssen. Ich sage dir, Liebes: meine Beine sind
Zwirn, und schauderhaft ist mir ganz und gar.“

Jutta brauchte nicht viel Phantasie, um sich Lisbeth Rosenfeld am
Telephon vorzustellen: schlapp wie ein Wesen ohne Rückgrat, ohne
Knochen, bloß ein Kleiderbündel mit einem schweren Kopf darauf.

„Dann leg dich doch,“ riet sie.

„Will ich auch. Ja, und was ich dir sagen muß, Liebes -- du weißt
es auch natürlich schon: Hochhagen schrieb eben -- er hat sich mit
der süßen Renée Gervasius verlobt -- eine reizende Crewschwester --
nett für uns beide, nicht? Und du bist natürlich auch da heut abend?
Improvisierte Vorverlobungsfeier. Liebes, was ziehst du an?“

„Ich denke, du stirbst vor Kopfweh?“ sagte Jutta.

„Ich will mich auch auf der Stelle hinlegen. Und bis zum Abend liegen
bleiben, damit ich dann wieder im Gange bin. Und deshalb telephoniere
ich. Liebes -- sei nicht böse ... aber ich kann nicht zum Tee zu dir
kommen heute nachmittag.“

„Ja,“ sprach Jutta etwas heiser in den dunkeln kleinen Schallfänger
hinein und wurde rot, als stehe sie einem scharfen Auge gegenüber, „ja
-- schon’ dich nur ... es läßt sich nicht ändern ...“

„Aber nun bist du ja wohl ganz allein mit Herrn von Gamberg heute
nachmittag?“ erinnerte die klägliche Stimme aus dem Unsichtbaren
heraus.

„Ich sage ihm ab!“ rief Jutta. „Schluß.“

Aber sie wußte auch schon fast im gleichen Moment, daß sie ihm *nicht*
absagen würde.

Und als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, trug sie das Haupt herrisch
erhoben.

„Das hat so kommen sollen,“ dachte sie.

Sie fühlte sich wie getragen von großen, entscheidenden Entschlüssen
... nur daß es Entschlüsse waren ins Unbestimmte hinein ... Mehr
Stimmung als Wille.



III


Oberleutnant z. S. von Reiswitz kam vom Jachthafen bei der
Seebadeanstalt, ging sehr langsam die Düsternbrooker Allee hinunter und
bog in den Schwanweg ein. Da hatte er links den Botanischen Garten und
rechts die vornehmen Villen, die sich die Sonne ins Gesicht scheinen
ließen. Sacht wand sich die Straße, fast schluchtartig am Fuß der
hochliegenden Gärten hin, an Fundamenten entlang, auf denen sich Gitter
erhoben. Rosengerank und alles, was es an grünem, sich schlingendem
Gewucher gibt, kletterte um die Gitter und an den Hausfronten empor.
In den Büschen brütete die Hitze. Über den Rosen bebte sichtbar die
Luft in Wellen. An den Baumkronen, die alt, stolz und vielästig den
Gartenbildern Wucht gaben, regte sich kein Blatt. Blau war der Himmel,
unerhört blau, monoton blau -- als sei er mit sehr fetter Ölfarbe glatt
auf eine Riesenleinwand hingestrichen.

Das Herz voll Zorn und Erbitterung ging Reiswitz.

Wenn diese faule Sommerprotzerei mit Windstille und Sonnenbrand etwa
anhalten sollte, konnte es morgen eine schöne Geschichte werden -- die
Flaute und Glut von Kiel nach Travemünde ... das wäre, um blödsinnig zu
werden.

Aber in dem Gemüt eines Seeoffiziers kann kein Seglerzorn so groß
sein, daß er nicht auf der Stelle hinschmölze und sich in das
angenehmste Wohlbehagen löste, wenn ein liebliches weibliches Wesen in
Sicht kommt.

Reiswitz, aus dem an Temperatur einer überhitzten Ofenröhre ähnlichen,
eingeschlossenen Schwanwege kommend, betrat, träge und geschlagen von
Ärger, den Klaus-Groth-Platz. Auf diesen kleinen, stillen Platz mündete
rechts der Niemannsweg und links die von den Universitätsanlagen
herführende Hospitalstraße. Reiswitz nahm Richtung dahin, um in seine
Karlstraße zu gelangen, die ihrerseits wieder auf die Hospitalstraße
stieß.

Und da raffte er sich plötzlich straff zusammen und trug den Kopf mit
der weißen, ein wenig schräg gesetzten Marinemütze wieder hoch.

Denn von der Hospitalstraße her kam Fräulein Renate Gervasius.

„Donnerwetter,“ dachte Reiswitz und gar nichts anderes.

Denn sein Seemannsherz wallte auf vor Entzücken über all die
jugendliche Anmut, die da, ihrer erfrischenden Holdseligkeit gänzlich
unbewußt, durch den Sonnenbrand leichtfüßig schritt, als sei er
lindeste Lenzeslust.

Sie trug ein weißes Kleid und einen großen, weißen Strohhut, auf dem
ein Kranz von La-France-Rosen lagerte. Von Rand zu Rand des breiten
Hutes, unterm Kinn seiner Trägerin weg, zog sich ein weißes, seidenes
Band, das gerade am linken Ohr zu einer sehr kleidsamen Schleife
gebunden war. Und unter diesem Hut, von diesem Band umspannt, zeigten
sich die weichen Züge in einem Lächeln, vor dem Reiswitz’ Erbitterung
einfach in eine Versenkung hinabfuhr.

Er grüßte schon von weither, strahlte und ging schnurstracks auf sie zu.

Da weder Ost noch West wehte, konnte der Wind es nicht auf seine
Flügel genommen und weiter getragen haben. Es mußte aber noch andere
unbegreifliche Beförderungsmittel für solche wundervollen Neuigkeiten
geben. Denn beim Mittagessen im Marinekasino war es schon erzählt
worden: der Korvettenkapitän Emmich Hochhagen hat sich mit Fräulein
Renate Gervasius, des berühmten Geheimrats Tochter, verlobt.

Reiswitz wußte: natürlich durfte er, konnte er nicht gratulieren.
Vielleicht war es doch am Ende bloß Klatsch. Wenn’s aber auch keiner
war, schien es immer schicklicher, daß ein Fernstehender wartete mit
Glückwünschen, bis es offiziell bekannt gemacht sei.

Aber immerhin: Eine sehr interessante, erfreuliche und belebende
Begegnung ...

Und als er ihr näher kam, sah er: Einen ganz verklärten Ausdruck hatte
sie ... Na, ja ...

Der große Hut teilte ihr Gesicht in eine obere beschattete und eine
untere helle Hälfte. Und in dem Schattenstrich glänzten die Augen
zugleich träumerisch und glücklich.

Als er vor ihr die Honneurs machte, sah sie ihn erwachend und sehr
fröhlich an.

„Gnädiges Fräulein, an diesem verzweiflungsvollen Tag *ein*
Sonnenstrahl! Wie geht es Ihnen? Wie ist Ihnen der Ball bekommen?“

Renate lachte.

„Ein Sonnenstrahl?“

„Lachen Sie mich nur aus -- gut -- ja. Aber die viel zu viele Sonne,
die heute vom Himmel kommt, ist mehr Strafe als Erquickung. Es sind
keine Sonnenstrahlen mehr, es ist Hochofenhitze. Und insofern hatte
ich doch recht. Und Ihnen ist der Ball vorzüglich bekommen? Gnädiges
Fräulein sehen sehr vergnügt aus.“

„Wie sollte ich nicht! Wenn man das große Los gewonnen hat!“ sagte sie
und führte den Rosenstrauß, den sie trug, an ihr Gesicht, um mit Nase
und Mund den Duft einzuatmen. Dabei guckten ihre Augen schelmisch, über
die Blumen weg, Reiswitz an.

„Ach? Ich spiele nämlich mit Lebus zusammen auch ein Achtel -- war denn
Ziehung?“

„Muß wohl gewesen sein ...“

Sie lachten beide.

„Also meine allerbesten, allerinnigsten Glückwünsche dazu,“ sagte er.

Sie schüttelten sich die Hände.

„Es ist also wahr,“ dachte er sehr, sehr zufrieden. „Ja, dies Mädchen
mußte in die Marine fallen. Die hätte man keinem anderen als einem
Kameraden gönnen dürfen. Und Hochhagen ist ja einfach ’n famoser Kerl.“

„Gestatten, gnädiges Fräulein, daß ich Sie bis zu Ihrem Ziel begleite?“

„Gern,“ sagte sie, „ich will zu Frau von Falckenrott -- es sind nur
noch die paar Schritte den Niemannsweg hinauf.“

„Aha -- zur Frau ‚seines‘ besten Freundes,“ dachte er, und da er
zufällig genau wußte, daß Fräulein Gervasius bisher nicht bei Frau von
Falckenrott verkehrt hatte, war ihm dies der bündigste Beweis.

Seelenvergnügt schwatzten sie zusammen, plötzlich war eine gewisse
Zusammengehörigkeit zwischen ihnen.

Renée hatte ihren Gang mit einer heimlichen Unsicherheit, fast ein
wenig aufgeregt, angetreten. Aber in Reiswitz’ Gesellschaft kam sie
darüber weg, und sie empfand etwas merkwürdig Beglückendes: das
Kameradschaftliche. Als wenn ihr selbst dieser im Grunde doch ganz
ferne und gleichgültige Reiswitz näher gekommen sei ...

Beinahe hätte sie aus überquellendem Gefühl gesagt: Lieber Reiswitz --
ich gehöre nun dazu ...

An der Gartenpforte von Professor Doktor Krämers Haus, wo oben Frau von
Falckenrott wohnte, standen sie noch ein Weilchen und sprachen sich
noch über das scheußliche, schandbare, nicht ausdenkbare Pech aus, das
es für Reiswitz und die von ihm geführte „Freia“ bedeutete, wenn morgen
Flaute sein würde.

Und dann fragte Reiswitz sehr plötzlich: „Falls ich zufällig Herrn
Kapitän Hochhagen begegnen sollte, dürfte ich ihm einen Gruß vom
gnädigen Fräulein bestellen --“

„Herr von Reiswitz,“ sagte Renate, vor großer Heiterkeit ganz
übermütig, „Sie sollten Diplomat werden. Hier, ich gebe Ihnen eine
Rose. Wenn Sie Hochhagen auf dem Weg zu Ihrer Wohnung in der Karlstraße
treffen sollten, überreichen Sie sie ihm als Zeichen meines Respektes.
Wenn Sie ihn aber nicht treffen, behalten Sie die Rose selbst als
Erinnerung an diesen historischen Augenblick.“

Sie wußten ja beide, daß Hochhagen ganz gewiß nicht in dieser Gegend
und Tageszeit auf der Straße angetroffen werden würde.

„Ich danke gehorsamst für das Geschenk dieser Rose,“ sagte er in
fröhlicher Feierlichkeit, „und wenn mein Achtel, das ich mit Lebus
spiele, auch mal mit dem großen Los herauskommt, lass’ ich zu der Rose
eine silberne Kapsel machen.“

„Großartig. Und wenn wir beide alte Leute sind, dann frag’ ich mal:
Bewahren Exzellenz immer noch die Rose auf?“

Und wie große Kinder lachten sie hell und fanden all dies sehr
unterhaltend.

Oben auf dem Balkon, im Schutz seiner ihn einhüllenden Blatt- und
Blütenwirrnis, stand eine Frau und horchte auf jedes Wort.

In der großen, heißen Nachmittagstille wurde jeder Laut so klangvoll,
schien zu schwellen, zersprengte das Schweigen. Und die beiden jungen
Menschen in ihrer lustigen Unbefangenheit dachten auch gar nicht daran,
ihre Stimmen zu dämpfen.

Den Rest des Vormittags, die schweren schleichenden Stunden des Mittags
hatte Jutta gelitten wie eine Angekettete.

Immerfort peitschte sie das Bewußtsein: ich muß einen Entschluß fassen!
Ich muß das Wort hinaussenden in die weite, weite Welt, das ihn
erreichen soll, das ihm meldet: ich komme -- ich komme -- das Wort, auf
das er wartet.

Hochhagen hatte ihr die Segellisten des Norddeutschen Lloyd geschickt.
Sein Bursche brachte sie, während Jutta dicht vor ihrer Tischzeit die
Kleine frisch bettete und tränkte.

Sie fühlte: es war rührende Aufmerksamkeit. Dieser Mann, der heute
in einem Rausch von Glück lebte, dachte doch noch an sie und ihre
Angelegenheiten.

Aber sie empfand nicht nur die Fürsorge. Sie empfand wieder darin eine
Bevormundung, spürte eine Mahnung. Es hieß ihr: Entschließe dich;
depeschiere; ein Nein ist unmöglich ...

Sie sagte sich: jetzt habe ich ja keine Zeit.

Dann, als die Kleine besorgt war und ihr die blanken Augen übergingen
vor Schläfrigkeit -- als sie eingeschlafen war, satt und von der Hitze
schlaff, da dachte Jutta wieder: „Nun will ich erst in Ruhe essen.“

Und genoß doch fast nichts.

Nachher endlich blätterte sie den großen, roten, vielfach gefalteten
Bogen der Segellisten auseinander.

Sie betrachtete ihn, als sei er eine Merkwürdigkeit.

Sie las den Fahrplan: Bremen-Neuyork. Eine lange Kolonne von
Schiffsnamen und Daten -- das sprach von einem unaufhörlichen Hin und
Her zwischen hüben und drüben, einer atemlosen Eile von tausend und
aber tausend Menschen, von einem Ufer zum anderen hinüberzurauschen.

Und all die anderen Fahrpläne verfolgten ihre Augen, als sei es
wichtig, zu erfahren, wann man nach Baltimore oder Galveston, wann
nach Kuba, nach La Plata oder Brasilien reisen könne, wie die Dampfer
hießen, die den Mittelmeer-Levantedienst besorgten, und nach welchen
Daten die Reichspostdampferlinie nach Australien sich regelte. Auch
alle Agenturen des Lloyd im Inland wie im Ausland überflog sie. Nur
ganz allein über den Fahrplan XV, Bremen-Hamburg-Ostasien, gingen ihre
Blicke fort, vielleicht gerade, weil sie dort, ohne sehen zu wollen,
doch einen kurzen, dicken Blaustiftstrich bemerkte.

Da hatte ihr Hochhagen den Dampfer angestrichen, den sie nehmen sollte
...

Dieser kleine, blaue Farbenfleck auf dem roten Papier stritt mit ihr.

Er schien ihr wieder ein Beweis, daß sie keinen freien Willen haben
solle.

Sie dachte plötzlich: „Ich werde *ihn* fragen ...“

Eine verzehrende Spannung kochte in ihr auf, brannte in ihrer Brust.

Ja, das war es: ihn fragen!

Das war die einzig mögliche Form, ihm diese Sache mitzuteilen ... die
zwangloseste Form ...

Sie machte sich daran, den Teetisch zu ordnen. Auf dem Balkon
natürlich. Wo man so verborgen saß und das Gefühl, fast an der Straße
zu sein, doch jede Unruhe und Befangenheit ausschaltete.

Die Sonne beschien nun nicht mehr den Balkon, ihre Strahlen strichen an
ihm vorbei. Aber Büsche und Bäume des Vordergartens überströmte sie von
rechts her mit einem Goldglanz, der etwas stumpf war von dem Staub und
der Hitze, die in ihm flimmerte. Und links hinter sich, auf Rasen und
Weg, hatten alle Gebüsche blaue, scharfe Schatten.

Nun war der Teetisch fertig -- viel zu früh -- Jutta übersah noch
einmal alle Zierlichkeiten und Appetitlichkeiten. Die Spitzendecke, das
blumige Meißner Porzellan, das Silber, die Rosen an den langen Stielen
im hohen Glas.

Da hörte sie draußen auf der Straße, die gerade heute nachmittag wie
verwunschen still war, Stimmen. Zwei sprachen da, die offenbar das
Gefühl hatten: uns gehört die Welt, wir können uns in ihr benehmen, wie
wir wollen. Oder vielleicht bewirkte es dies große, heiße Schweigen in
all den Gärten, daß die Unterbrechung der sonnendurchbrüteten Stummheit
etwas Vorlautes bekam.

Sie sah hinab. Wie denn? Fräulein Gervasius und der Oberleutnant von
Reiswitz standen an ihrer Gartenpforte still? Das konnte doch nur die
Bedeutung haben, daß eines von beiden sie zu besuchen dachte.

Ihr wurden die Füße schwer -- so bleiern befiel die große Enttäuschung
ihr ganzes Wesen.

Sie dachte: ich will Martha sagen, daß sie jeden Besuch außer dem einen
abweist.

Nein -- das ging nicht. Wenn Reiswitz jetzt kommen wollte, trieb ihn
seine Ungeduld, die zu erfahren wünschte, ob Herr von Gamberg morgen
mitsegeln wolle oder nicht. Und Jutta erinnerte sich: sie selbst hatte
Reiswitz gesagt, daß Gamberg heute zum Tee käme.

Und wenn es Renate war, die kommen wollte, so durfte sie unter keinen
Umständen abgewiesen werden.

Jutta stand und horchte und wartete. Kein Wort entging ihr.

Wie kindisch kam ihr das vergnügte Gespräch vor.

Mit dem Hochmut der Leidenden dachte sie: „Wie albern ... nun, sie sind
jung und sorglos ... Kinder sind sie.“

Dann fiel ihr ein: Renate war höchstens drei, vier Jahre jünger als sie
selbst. Darüber verlor Jutta sich in Staunen und erbittertem Sinnen ...

Alt kam sie sich vor. Wie eine, die schon ein zerbrochenes Leben hinter
sich hat ...

Und jetzt nahm das Lachen und muntere Sprechen an der Gitterpforte ein
Ende, und Renate Gervasius kam herein in den Garten und schritt den
Seitenweg entlang, der zur Haustür führte.

Was will sie? Sie kommt zu mir? Schon heute? Und allein? fragte sich
Jutta.

Sie sollte es in wenig Minuten wissen.

Mitten im Zimmer stand das befangene Mädchen vor der jungen Frau. Die
lustige, etwas überlegene Sicherheit, mit der sie eben noch Reiswitz
behandelt hatte, war ganz weggelöscht aus Renates Wesen. Sie hielt
das Haupt schräg gesenkt und ihren Rosenstrauß in den gefalteten
Händen. Das weiße Band, das sich unter dem Kinn spannte und neben dem
linken Ohr geknüpft war, kleidete sie gerade in dieser Kopfhaltung
ungewöhnlich lieblich. Das regelmäßige und doch so weiche Gesicht war
von einer Verlegenheitsröte angehaucht.

„Mein Gott, wie ist sie reizend,“ dachte Jutta gerührt, während sie sie
begrüßte und die Rosen annahm.

„Ich komme ganz heimlich,“ begann Renate fast scheu, „Emmich weiß gar
nichts davon.“

„Heimlich? -- Du meine Güte -- in Gespräch und Gelächter mit Reiswitz
den Niemannsweg entlang --“ dachte Jutta und mußte über diese
„Heimlichkeit“ schon leise lächeln.

„Und warum? Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen, wobei ich Ihnen
helfen kann?“ fragte Jutta.

„Ja,“ sagte Renate und stand hilflos. Sie traute sich nicht einmal
die Frau anzusehen und fand es doch etwas viel, daß sie so einfach
hergegangen sei ... wenn diese ernste, arme, traurige Frau sie nun
auslachte -- oder oder zudringlich fände ...

Sie seufzte aus Herzenstiefe.

Jutta, weltgewandter und doch neugierig geworden, nahm das Mädchen
an der Hand und zog sie neben sich auf das kleine, graue Sofa, das
durch einen hinter ihm aufgestellten Wandschirm den Charakter eines
traulichen Eckchens bekommen hatte. Auf der zwischen Bambusstäben
straff gespannten dunkelbraunen Seide des Schirms stolzierten
dickgestickte goldene Reiher hochmütig zwischen Aprikosenblüten von
weichem, schimmerndem Weiß. Vor diesem phantastischen Hintergrund
neigten sich die beiden Frauenköpfe einander zu.

„Ich bin,“ begann Renate, „ich habe ... ach Gott -- soll ich es sagen?
Ach ja -- liebe, gnädige Frau -- ich habe mich schon immer sehr für
Sie interessiert -- sehr -- gleich, als Sie, jung verheiratet, hierher
kamen -- Sie wissen es gewiß gar nicht mehr -- bei Exzellenz Marweg
wurde ich Ihnen vorgestellt -- bei Rohrbrands trafen wir uns einmal ...“

„Ich weiß es noch gut,“ sagte Jutta herzlich.

„Und dann verschwanden Sie aus der Gesellschaft. Ihr Mann ging fort.
Und ich hörte davon sprechen, daß Sie eine kleine Tochter bekamen, und
Herr von Falckenrott war so weit, weit weg. Und es tat mir leid, daß
ich Sie so wenig kannte. Und deshalb nicht kommen durfte und fragen, ob
Sie mir erlauben wollten, Sie liebzuhaben. Ja ...“

Sie seufzte nochmals so recht aus Herzensgrund -- im Gefühl der
Befreiung, des wachsenden Mutes, des Rechtes ihres Vorhabens.

„Liebes Kind ...“

„So sehr hab’ ich für Sie geschwärmt -- schon lange, von weitem ...“

Jutta erinnerte sich: ja, da können junge Mädchen -- so unbegreiflich
ihre Seelen hingeben, an fremde Frauen, die sie kaum kennen, die ihnen
irgendwie merkwürdig interessant scheinen ... Aus einem drängenden,
gegenstandslosen Liebesbedürfnis heraus können sie für ferne, schöne
Frauen schwärmen.

„Liebes Kind ...“ Sie lächelte weich und drückte Renates Hand.

„Und nun bin ich glückselig. Nun darf ich Sie lieben! Nun *muß* ich Sie
lieben! Emmich hat mir gleich gesagt: Du, Rosenfeld und Falckenrott
und ich, wir gehören zusammen, uns trennt nichts, nicht mal die
Frauen sollen uns trennen; und mit Lisbeth Rosenfeld kann man sich
gut vertragen; und Jutta Falckenrott, die mußt du sehr liebhaben, wie
eine Schwester mußt du zu ihr sein. Denn sie ist vor Sehnsucht nach
ihrem fernen Mann beinahe krank, und unsere Liebe muß ihr das leichter
machen. Jawohl, das hat Emmich gesagt,“ schloß sie.

In Juttas Augen funkelten Tränen. Ihre Nasenflügel bebten. „Und deshalb
kommen Sie ...?“

„Ja. Ich wollte Ihnen sagen, daß ich Sie bitten möchte, mich auch etwas
liebzuhaben. Sehen Sie -- dann ist Emmich glücklich. Stellen Sie sich
vor: wenn ich ihn damit überrasche: wir kennen uns schon gut -- ja, wir
haben uns schon ausgesprochen ... was er wohl für Augen macht!“

Jutta umarmte das Mädchen.

Ein paar Augenblicke konnten sie nichts miteinander reden. Beide
bemühten sich, nicht in Tränen auszubrechen.

Der einen zersprengte ihr Glück und die allgemeine Aufregung dieses für
sie außerordentlichen Tages die Fassung.

Die andere war erschüttert in dem plötzlichen Gedanken, daß auch diesem
zärtlichen, hingebenden, offenen Gemüt einst die gleichen Prüfungen
beschieden sein könnten wie ihr selbst.

Und von diesem ihrem Gefühl hingerissen, mehr dem phantasievollen
Mitempfinden als dem Verstand gehorchend, sprach sie leidenschaftlich:
„Ach, Kind, wir wissen ja nicht, was wir tun, wenn wir unser Leben
einem solchen Mann hingeben ... sein Beruf ist zu grausam gegen uns.“

„Dem Beruf des Mannes muß jede Frau Opfer bringen,“ meinte Renate voll
wichtiger Ernsthaftigkeit, denn so hatte sie es von klein an ihre
Mutter sagen hören. „Denken Sie nur an meine Mama! Wir haben so gut wie
nichts von Papa. Die Vorlesungen, die vielen Operationen, die Kranken,
die wissenschaftlichen Arbeiten bis in die Nacht hinein ... Mama
sagt, wir müssen immer daran denken: es ist für den großen Zweck. Und
zufrieden sein in dem Gedanken: er gehört uns doch, er ist da ...“

„Ja, er ist da -- er ist da ... das ist es! Ihre Mutter weiß es zu
jeder Zeit: Er ist da! Sie hört seine Stimme, sie kann für ihn sorgen
-- mit all den lächerlichen, kleinen, alltäglichen Dingen -- die uns
gar nicht lächerlich und klein scheinen, weil wir immerfort damit
Liebe zeigen können ... Aber wenn so ein Mann hinausgeht -- es ist
ja beinahe immer, als hätte man den Liebsten fern im Kriege ... Und
wenn man wie ich die höchste, die größte Stunde des Frauenlebens ganz
allein hat bestehen müssen ... Mein Kind kam. Und wo war er, dem es
gehörte? ... Das war zu hart -- für mich, ja. Wie ich nun einmal bin.
Und schließlich -- in all dem Zittern und dem Entbehren -- in was für
Unsicherheiten kommt man! Man weiß ja zuletzt nicht mehr ...“

Sie verstummte vor Schreck. Ihre hinstürmende Leidenschaftlichkeit
hätte sie beinahe so weit gebracht zu sagen: ... ob man ihn noch liebt!

Sie drückte sehr heftig die Hand des jungen Mädchens. Als sei dieser
pressende Druck der Abschluß ihrer Rede.

Renate saß still. Der starke Gram dieser Frau, der fast wie Zorn klang,
machte sie unfrei. Es wirkte etwas daraus auf sie hinüber, das über ihr
jubelndes Glücksgefühl dahinging wie eine Kältewelle.

Sie war zu unerfahren, um zu unterscheiden, wie Schicksal und
Veranlagung und all die zufälligen Fügungen des Lebens hier feindlich
gegeneinander kämpfen mochten. Sie fühlte eine unbestimmte Furcht vor
eigenen künftigen Leiden ...

Sie wehrte sich dagegen und wußte nicht, daß man einen entscheidenden
Augenblick erlebt hat, wenn man sich plötzlich gegen etwas wehren muß
...

Jutta faßte sich. Ihr kam zum Bewußtsein, daß das liebe Kind mit einem
Male still und blaß dasaß. Reue wallte heiß in ihr auf. Nein, das
hatte sie nicht gewollt, diese junge Seligkeit trüben ...

Sie lächelte erzwungen. Sagte voll künstlicher guter Laune: „Es gibt
manche Kameradenfrauen, die das ganz gern mögen -- mal so eine Zeit
wieder für sich sein -- Tochter im Elternhaus oder so ... Und Sie haben
ja Ihre lieben Eltern hier, *wenn* Emmich mal ein Auslandkommando
bekäme ... die ja übrigens auch immer seltener werden ... Und heute
abend soll ich Ihre Eltern kennen lernen? Ich finde es entzückend, daß
sie Rosenfelds und mich gleich als Emmichs ‚Familie‘ aufnehmen ... Aber
wollen wir uns nicht beim Vornamen nennen? Lisbeth Rosenfeld und ich --
ja, wir duzen uns. Die Stunde dafür wird zwischen Ihnen und mir gewiß
auch bald kommen, liebe Renate -- Renée nennt man Sie? ... nicht wahr?“

So sprach Jutta mit eiligen Worten, munter -- und hing mit ihren
dunkeln, brennenden Blicken am Gesicht der anderen -- ob da nicht
wieder das strahlende Glück aufgehe.

Der Ausdruck von Renate Gervasius wurde wieder heller, und das Mädchen
lächelte -- wenn vielleicht auch etwas zögernd, aus noch schweren
Gedanken herauf, fast aus Gefälligkeit nur für die neue Freundin.

Zugleich, während Jutta sich förmlich drängend bemühte, die Saat, die
ihre unbeherrschten Worte vielleicht gestreut, wieder zu vernichten,
horchte sie angestrengt mit wachsamen Ohren nach dem Korridor hinaus.
Ob nicht die Glocke schrillte, ob nicht ein Schritt erklang. Und hatte
doch vor dem Brausen des Bluts in ihrem Kopf alles überhört. So daß sie
erschrak, als nun Martha hereinkam und meldete: „Herr von Gamberg.“

Renate schnellte förmlich empor. Sie mußte ja fort. Das ging unmöglich
an, daß sie sich hier noch mit einem Besucher aufhielt, mit Tee trank
-- Mama erwartete sie bald zurück.

Zwischen Tür und Angel wurde der Legationssekretär von Gamberg noch
vorgestellt. Man sprach noch zu dritt eine Handvoll Worte. Über
Reiswitz und die „Freia“. Daß Reiswitz über die Flaute verzweifelt sei.
Ob Gamberg morgen mitsegeln wolle oder nicht? Nein -- er habe nicht die
Absicht. Also werde der Platz im Boot für Lebus frei. Dann ging Renate.
An der Tür umarmte Jutta das Mädchen.

Sie sahen sich in die Augen -- sehr ernst -- bis ein zärtliches Lächeln
ihre Blicke hell machte.

Und nun war Jutta allein mit dem Mann.

Es kam ihr merkwürdigerweise so vor, als ob es das erstemal sei ...

Sie sprach allerlei -- ein wenig gesteigert im Ausdruck -- mit
ungeregeltem Atem -- wie reizend dieses Mädchen sei, daß man heute
abend ihre Verlobung feiern werde. Und Martha brachte den Tee.
Damit konnte man denn noch etwas herumhantieren -- fürsorglich sein
... Aber endlich kam doch der Augenblick, daß sie einander in Ruhe
gegenübersitzen mußten.

Sehr aufmerksam, kaum die notwendigsten Antworten auf alles was sie
vorgebracht gebend, hatte er sie beobachtet. Und nun saß er still,
sah sie mit seinen hellen Augen durchdringend an, und mit dem kleinen
goldenen Teelöffel, den er zwischen Daumen und Zeigefinger in der
Rechten hielt, tippte er unhörbar ein Marschtempo auf den Tisch.

„Das macht mich nun wirklich nervös,“ sagte sie.

Er legte den Löffel förmlich vorsichtig hin.

„Ich spüre in Ihrem Wesen eine große Erregung. Seit gestern abend ist
etwas Neues hineingekommen. Stehe ich Ihnen nah genug, liebe Jutta, um
Sie fragen zu dürfen: was haben Sie?“

Sie sah ihn an -- die Antwort auf den Lippen -- doch noch zögernd. Und
dann -- langsam -- von Spannung und Furcht fast entnervt, sprach sie:
„Ich habe einen Brief von Malte bekommen. Ich soll in zehn Tagen nach
Hongkong abreisen ... zu ihm ...“

Und nun sah sie das, wovor sie sich gefürchtet hatte. Seine Farbe
veränderte sich. Rasch flackerte es rot über sein Gesicht. In seinen
Augen blitzte etwas auf ... Schreck?

Aber die Pause, die entstand, war nur sekundenlang.

Voll Haltung, seinen Ton ganz und gar beherrschend, fast höflich,
fragte er: „Sie werden reisen?“

„Ich bin noch nicht entschlossen.“

Und nach diesen knappen Worten wieder eine Pause. Bis er weicher,
leiser fragte: „Und Ihr liebes kleines Kind, Jutta?“

Sie erschauerte. Er dachte daran. Er! Es war sein erster Gedanke fast!
Er, den dies Kind gar nichts anging, der es kaum gesehen hatte, der
gar keinen Blick haben konnte für das Rührende und Süße in so einem
kleinen, knospenden bißchen Menschentum ...

Er dachte daran, weil er begriffen hatte, daß ihr Kind und sie *ein*
Leben seien -- ein unzertrennliches ...

Wie es sie rührte ...

„Ja,“ sagte sie, „das ist es *auch* ... ich kann mich doch nicht von
dem Kind trennen.“

Sie war sich nicht bewußt, dies „auch“ betont zu haben. Aber seinem Ohr
war es nicht entgangen.

Von der raschen Röte, die ihm vorhin zu Kopf gestiegen war, hatte sein
Gesicht eine erhöhte Färbung behalten, die aller Gefaßtheit seines
Wesens widersprach.

„Ihr Mann verlangt ein Opfer von Ihnen, das nur höchste Liebe bringen
kann.“

Er wartete.

Ihre Antwort entschied über sein Leben.

Sie schwieg.

Sie kämpfte mit sich. Sie wollte ihn nun fragen: Wozu raten Sie mir --
zum Gehen oder Bleiben.

Aber sie fühlte: das war eine Unredlichkeit gegen den Fernen! Ach, war
nicht schon alles unredlich, schief, unwahr -- nur weil es unklar war?
Ist nicht in gewissen Gefühlsdingen Unklarheit so viel wie Tod? ...

Aus einer angeborenen Kühnheit des Temperaments heraus trieb es sie,
der ungeheuren Wahrheit ins Gesicht zu sehen: vielleicht liebe ich
meinen Mann nicht mehr -- und vielleicht ist dieser hier mein Glück --
er, der mich liebt ... denn er liebt mich -- ich fühle es ...

Sie zwang das nieder. Sie hatte den verzweifelten Wunsch, sich so zu
halten, daß beide Männer sie achten sollten ...

Sie fühlte: es war ja ihr heißes Verlangen gewesen, tapfer und stolz
mit der Versuchung fertig zu werden.

Vielleicht war auch alles anders, als sie es empfand. Vielleicht
kehrten nur holde, rührende Erinnerungen zurück und bezauberten ihr
Herz ...

Ihre Gedanken, plötzlich wie hypnotisiert von diesen Erinnerungen,
verloren sich zu vergangenen Tagen ...

Auch er besann sich schwer.

Er ahnte: sie vermochte nicht freudig zu sagen: ich *will* das Opfer
bringen! Sie hatte aber auch nicht den Mut oder nicht die Klarheit in
sich, zu bekennen: ich *kann* es nicht bringen.

Er wußte: sie ist ein schutzloses Weib! Und der Mann, dessen Namen sie
trägt, ist fern. Das macht sie heilig ...

Mir noch mehr als anderen ...

Aber sie ist unglücklich ... sie liebt ihn nicht mehr -- gewiß nicht ...

Soll ich ihr, die ich liebe wie nichts mehr auf der Welt, soll ich ihr
nicht helfen? ... Unwahrheit ist Unglück ... Ich kann nicht zusehen,
wie dies junge Leben zerbricht ...

In solchen Sachen steht das Wort „Pflicht“ wie ein verschwommener
Begriff. Wo fängt sie an? Wo endet sie? Gegen wen steht sie am
höchsten? ...

Wäre er da, daß ich mit ihm kämpfen könnte, Mann gegen Mann ...

Ich kann nichts tun als warten -- warten, ob ihr Herz den Mut hat, zu
mir zu kommen. Ich darf nicht der Versucher sein. Ich darf nur der
Schutz, die Zukunft, der Hafen sein, wenn sie aus eigenstem Entschluß
heraus diese ihre Ehe verläßt ...

Aber indem er dies im jagenden Flug der Gedanken bedachte, hatte er
zugleich die dumpfe, quälende Erkenntnis davon, daß vielleicht alles
anders sein würde, wenn der Mann zur Stelle wäre ... Daß nur die
Sehnsucht die Tore ihrer Seele so weit geöffnet habe, daß Liebe gehen
und Liebe kommen konnte ...

Seine ganze Mannespersönlichkeit wehrte sich dagegen auf. In dieser
Erkenntnis lag zu viel Demütigendes, als daß er sich in ihr hätte
bescheiden können.

Und da waren auch Erinnerungen, schöne, liebe Erinnerungen, die ihm
recht zu geben schienen.

Unter dem Zwang einer ihm nicht ganz deutlich zum Bewußtsein kommenden
Ideenverbindung fing er an, von ihnen zu sprechen.

„Wissen Sie noch, liebe Jutta -- die schönen Sommerwochen, vor sechs
und sieben Jahren, in Schmylau?“

Sie sah ihn an -- in atemlosem Staunen -- von heißer Freude benommen.
Das war sein erstes Wort -- *das*! Nach dem langen drückenden Schweigen
zwischen ihnen sprach er geradezu in ihre Gedanken hinein?! Denn auch
sie lebte wieder in jenen Sommerwochen und weckte ihren Zauber zum
Leben auf.

Plötzlich war’s, als sei ein Quell aufgesprungen. Die ganze schwüle
Gegenwart schien überströmt von Frische und Bewegung.

Jutta richtete sich auf. Ihre Augen blitzten.

„Ach, wie fröhlich waren wir da -- wir jungen Mädchen auf Schmylau
-- sechzehn und siebzehn Jahre alt ... Und Sie für uns so etwas wie
ein großer Herr -- ein Mann, der alle seine Examen so unerhört früh
bestanden hatte, von dem es hieß, er werde Karriere machen -- vor dem
wir etwas scheu waren, weil wir dachten, er würde so gut wie übermorgen
Minister oder Botschafter werden. Denn Regierungsassessor und Exzellenz
-- das lag für uns so ziemlich dicht beieinander. Aber nun weiß ich’s
lange: es ist ein weiter Weg. Alle Wege im Leben sind sehr weit ...“

„Und ich? ... Während ich, wenn ich mit den jungen Damen zusammen war,
hochmütige Gesten hatte, die ich für fabelhaft wirkungsvoll hielt, und
alle weibliche Verehrung von unerreichbarer Höhe herab zu belächeln
schien -- ich stand oft hinter den Gardinen meines Fensters, lauerte
mit unerschütterlicher Geduld, bis ich Sie und die Schmylauer Töchter
im Park sah. Dann stürzte ich hinab, nahm in Ihrem Sehfeld steife
Schritte an und tat mehr gestört als erfreut über das ‚zufällige‘
Zusammentreffen. Ja, wir waren sehr jung damals. Sehr ...“

Sie lachten.

Und nun nahmen sie einander fast die Worte vom Munde.

„Wissen Sie wohl noch, an jenem Abend ...“

„Als unsere Mütter mit der Frau des Hauses die so verworrenen,
unübersichtlichen Verwandtschaftsgrade ausrechneten, die sie mit den
Schmylauern verbanden ...“

„Bis ich es nicht mehr ertrug und nach einem heftigen Augengezwinker
mit Lu und Fi hinauslief in den Park.“

„Wohin ich den jungen Damen gleich nachging.“

„Was die Schmylauer, Vater wie Mutter, wahrscheinlich gern sahen --
denn wir, wir Mädels damals dachten, Sie sollten wohl Lu oder Fi
heiraten.“

„Und wie merkwürdig dunkel der Park war -- von purpurner Schwärze.
Ja, eine seltsame farbige Wärme war in der Sommernacht. Lauter
verhüllte Glut. Als sei die Sonne nicht erloschen, nur zugedeckt alles
Licht. Man tastete unsicher mit dem Fuß vorwärts. Still standen
die Bäume. In den Büschen regte sich nichts. Es war, als sängen die
Rosen -- als sei ihr Duft ein Lied. Und irgendwo in der Dunkelheit
hörte ich Mädchenstimmen ... sie lachten ... das klang, als rollten
kleine, silberne Kugeln durch die schwarze Luft ... Es war gar keine
Düsterheit, gar keine Drohung in diesem Dunkel. Nur Erwartung, als
müsse gleich ein Vorhang zerreißen und ein Strom von roter Glut
hervorbrechen. Und da, als ich, so beklommen, berauscht, mich vorwärts
taste, dem Klang der Mädchenstimmen zu ... da fühl’ ich plötzlich: nah,
ganz nah steht eine vor mir ... ich sah ... wie man in der Dunkelheit
sieht ... mit erratenden, wissenden Augen ... Ich spürte, rätselhaft,
daß Sie es seien -- es wirkte auf mich durch die Dunkelheit hinüber
dies Wissen: Sie! Und ...“

Er brach ab. Er stand auf. Er trat an das grün bedeckte Gitterwerk des
Balkons und sah ins Unbestimmte.

Jutta rührte sich nicht. Mit geschlossenen Augen saß sie und erlebte
den Rausch jener Stunde noch einmal ...

Sie zitterte wieder wie damals. Rasche Männerarme hatten sie umfangen
... heiße Lippen küßten die ihren ... Und schon ließ er sie auch
wieder. Und von fern her lachte eine Mädchenstimme eine ganze Tonleiter
herunter und zerschnitt voll Übermut das schwere, süße Schweigen.

„Er hat es gewußt, daß ich es war,“ dachte sie. „Er hat es gewußt!“

Sie verschwieg den Freundinnen gegenüber jenen kurzen, heißen
Augenblick ... Sie lag nächtelang wach und sann: weiß er wer es war --
Lu oder Fi oder ich? ...

Und nun, nach so viel Jahren, gestand er ... Er hat es gewußt, daß ich
es war -- ich ...

Dies Geständnis hob das bedrängende Glück jenes raschen Erlebens aus
der Vergangenheit heraus und stellte es in die Gegenwart. Es war, als
sei es eben erst geschehen ... eben erst.

Er wandte sich wieder zu ihr, die mit trockenem Munde fiebernd saß.

„Ich bin ein Narr gewesen,“ sprach er hart. „Weshalb ging ich nicht
am anderen Morgen zu Ihrer Mutter und forderte Sie für mich? Aus den
tausend Verlegenheiten und Schwerfälligkeiten und Unschlüssigkeiten
meiner damaligen Stimmungen und Pläne heraus ließ ich’s. Um all jener
Kleinlichkeiten willen, von denen wir uns das Große aus der Hand
schlagen lassen. Und Sie waren noch so jung! Ich hatte Ihre Mutter
einmal sagen hören: eine frühe Heirat erlaube ich ihr nicht. Ich
dachte: es hat Zeit. Man muß sich prüfen. Dies alles ist vielleicht
nur, weil die Sommerglut im Blute kocht -- Gott weiß, was ich alles
dachte: Ich weiß nur eins: es war meine große Narrheit. Als ich von
Ihrer Verlobung hörte, da begriff ich’s. Ich war bei der Gesandtschaft
in Mexiko -- ganz verstrickt von den Reizen der phantastischen und doch
so traurigen und monotonen Umwelt ... Und wähnte, daß ich Sie vergessen
habe. Bis die Nachricht kam ... da hab’ ich Nächte gelegen und meinen
Zustand bedacht ... Ja, Jutta, Sie sagten es: auf weiten Wegen führt
uns das Leben herum -- manchmal so, daß wir uns vor den Kopf schlagen:
mein Gott, du hast ja schon einmal an deinem Ziel gestanden und bist
daran vorbeigegangen ...“

Sie schluchzte auf und legte die Stirn auf die gefalteten Hände an der
Tischkante.

Er preßte fest den Mund zusammen -- zwang sich zur Gefaßtheit.

In das staubige Sonnengold waren draußen unterdessen Schatten gefallen
und hatten allen stumpfen Glanz weggelöscht. Fahles Gewölk rückte am
Himmel empor und wuchs und stand wie ein gewaltiges Hochgebirgspanorama
über den Baumwipfeln. Und aus den Wolkenbildern der Gletscher und
Gipfel wuchsen Ungetüme empor, der Alpenzug formte sich um. Nun sah es
aus, als ließe eine höllische Riesenesse dicken Dampf hinaufquellen zur
Höhe des blauen Himmelsgewölbes.

Und Jutta weinte ...

Er trat an sie heran.

„Weint so das Glück?“ fragte er leise.

Die Stunde trug ihn fort. Er konnte nicht anders.

Sie versuchte ihre Tränen zu trocknen. Es riß sie hin zu sprechen ...
sich selbst laut, endlich laut und klar ihr Elend sagen zu hören.

„Nein,“ sagte sie, „ich bin nicht glücklich. Und weil ich es nicht mehr
bin, verzweifle ich an mir selbst. Ich liebte meinen Mann -- drei Jahre
habe ich gewartet, ehe ich seine Frau werden konnte -- ich liebte ihn
-- und und ich kann es nicht fassen, daß die Trennung alles erschüttert
hat ... ich dachte, es sei wie Felsen ... Aber seit mein Kind da ist,
das keinen Vater hat -- so empfinde ich’s -- weil er nicht da war --
er kennt es nicht -- es könnte ihm ja -- käme er unverhofft zurück --
auf der Straße begegnen und weinen -- und er wüßte nicht: es ist mein
Kind und meines Kindes Stimme ... Ja, nun ist mir -- als sei ich ganz
von ihm losgelöst ... als sei alles zu Ende ... Nichts ist in mir wie
Bitterkeit. Oft hass’ ich ihn ...“

Sie erhob sich. Hielt sich an ihrer Stuhllehne fest und wollte stark
sein.

Ihre Lider schlossen sich geblendet. Denn durch das Gewölk hin zuckte
ein Blitz.

„Und ich werde dennoch zu ihm reisen,“ sprach sie mit mattem Entschluß.

„Nein, Jutta,“ sagte er und griff nach ihrer Hand, „das werden Sie
nicht tun. Wenigstens nicht aus dieser Stimmung heraus. Warten Sie
noch. Prüfen Sie sich. Bedenken Sie die furchtbare Enttäuschung des
Mannes, der ein Weib erwartet, das aus Liebe kommt, und er fühlt dann:
sie kam nur aus Pflicht. Oh ... wenn zu mir ein Weib, mein Weib so
kommen wollte -- ich litte -- mein Stolz hieße sie wieder gehen ... In
diesen Dingen gibt es nur eine Würde, sie heißt: Liebe!“

Seinen beschwörenden Worten rollte ein Donner nach, stolz und mit
seinem gebieterischen Schall die Luft erfüllend.

Jutta erbebte. Gewitter gingen ihr auf die Nerven -- belästigt von der
eigenen Schwäche wehrte sie das mit unwilliger Kopfbewegung von sich ab.

Er fuhr fort: „Ich weiß es wohl, ich von allen Menschen, ich bin der
letzte, der Ihnen abraten darf zu reisen ... Jutta, wir wollen nicht
lügen ... wir fühlen alles, wie es ist ... Nein, ich darf nicht sagen:
bleiben Sie! Ich will niemand bestehlen. Stumm wäre ich wieder aus
Ihrem Leben fortgegangen, wenn ich gesehen hätte: Sie sind glücklich!
Sie sagen es selbst: Sie sind es nicht ... In solcher Stimmung tritt
man eine solche Pilgerfahrt nicht an ...“

„Aus Dankbarkeit muß ich gehen -- ja ... darum,“ sprach sie leise.

„Aus Dankbarkeit?“ fragte er erstaunt.

Nun rauschte der Regen. Seine millionenfachen Tropfenschnüre glitten
zur Erde, und indem sie jagend durch die Luft herabsausten, nahmen sie
aus ihr alle Schwüle und allen Staub mit. Blitze zuckten im grauen
Wolkengedränge, und lang und knatternd rollte der Donner aus.

Ah -- das war gut. Der Mann reckte sich und atmete tief. Er schmeckte
die Frische der feuchten Luft im Munde wie belebenden Trunk.

Jutta wagte nicht zu sprechen während der kurzen Minuten, wo das Wetter
in der Nähe und in höchster Kraft lärmte und der Regen, als seien seine
Tropfen harte Erbsen, auf dem Glasdach prasselte. Sie sah den Freund
an. Wohl tat ihr seine Nähe. Aus aller Einsamkeit schien sie befreit
durch ihn. Und auch der große, schwere Kampf, den er durch sein stummes
Lieben und Werben in ihr Dasein trug -- er war doch Leben!

Sein helles Auge begegnete fest ihrem Blick ...

Sie warteten und schwiegen, bis nun ein Blitz ferner zuckte und die
Unmittelbarkeit des Donnerdröhnens ausblieb, während der Regen, als
habe er plötzlich allen Mut verloren, wie vor Schreck innehielt.

Da wiederholte Jutta es: „Ja -- aus Dankbarkeit!“

Sie saß auf der Kante eines niedrigen Stuhles, die Hände um das Knie
gefaltet. Und so erzählte sie ihm ... vielleicht hielt sie sich auch
nur alles noch einmal selbst vor ...

„Sie haben meine Mutter gekannt -- ihre vornehme apathische
Duldermiene. Und Sie wissen, daß sie lange körperlich litt und zu viel
Gram in sich hatte, um ihren kranken Körper beherrschen zu wollen. So
war sie ganz mit sich beschäftigt. Jetzt erst begreif’ ich, was mir
fehlte, woran ich darbte, trotzdem ich eine Mutter hatte: sie forderte
von mir, aber sie gab mir nichts. Junge Herzen können verschwenderisch
geben. Aber sie müssen auch fühlen: mir wird gegeben. Sonst erbittern
sie sich. Sie erinnern sich: Mutter starb früh -- gleich nach jenen
Sommerwochen ... Vater war rauh und ein Arbeiter -- Sie wissen -- von
jenen Männern, die sich zu viel aufbürden, um sich wichtig zu fühlen --
das sah ich damals nicht, wie ich es jetzt erkenne ... Man begreift so
viel, wenn man selbst Frau und Mutter wird -- sieht, was zurückliegt,
dann richtig beleuchtet ... Ja, ich war niemals ganz von meinen Eltern
in ihre Liebe genommen ... Und gerade das, weil ich es nicht hatte:
alle Schönheit des Lebens schien mir darin zu sein: wenn man nur ein
Mutterherz hat! Sehen Sie -- und Maltes Mutter, die nahm mich an ihr
Herz. Sie hatte mich gleich lieb. Und so sehr liebten wir uns, daß ich
mich manchmal besinnen muß: ist sie nicht *meine* Mutter? Sie spürte
gleich, woran es mir fehlte ... Und öffnete mir ihr ganzes Wesen ... Ja
-- und ich bin voll Dankbarkeit ... Sie soll nicht leiden, diese Frau
... um ihretwillen muß ich mich bezwingen ... um ihretwillen werde ich
reisen ...“

Er hatte das Gefühl, als sei ihm unvermutet ein Feind erstanden,
einer, von dessen Dasein er bis zu diesem Augenblick keine Ahnung
gehabt ... Er spürte plötzlich eine Macht, die stärker war als seine
... Seine erste, impulsive Regung war, sich dagegen zu wehren.

„Kann diese Frau wünschen, daß man ihren Sohn mit Almosen täuscht?“
fragte er erregt. „Sprechen Sie mit ihr -- hören Sie ihre Antwort. Ich
weiß sie im voraus. Eine alte Frau, die das Leben kennt, die weiß, daß
Mitleid und Dankbarkeit und Lüge keine Fundamente sind, auf denen eine
Ehe sicher stehen kann.“

Jutta schwieg. „Nein,“ dachte sie, „ich hätte nicht den Mut, mit ihr
davon zu sprechen.“

Er ging hin und her, die Hände in den Taschen, so daß der hellgraue
Gehrock zurückgeschoben und die weiße Weste ganz sichtbar war. Sein
Ausdruck war finster.

Er fragte sich voll Unruhe: Kämpfe ich reinlich? Darf ich überhaupt
kämpfen?

Er wünschte vor niemand und am allerwenigsten vor dem fernen Mann
dieser Frau die Augen niederzuschlagen. Und zugleich fühlte er
deutlich: sie liebt mich -- sie ist mein Glück -- alles andere war
Irrtum. Irrtum, den man nicht endet, wird bewußte Lüge -- sie aber ist
Verbrechen.

In einem rauhen Wunsch, ganz selbstlos zu sein, fragte er mit harter
Stimme: „Und warum sind Sie nicht bei dieser Frau, die Sie lieben?
Warum nicht zu ihr geflüchtet, als Malte ging? Um bei ihr zu sein, in
Ihrer schweren Stunde?“

„Sie ist arm, Maltes Mutter -- hat in einer kleinen Wohnung knapp ihr
Auskommen -- als vermögenslose Witwe eines Beamten ... mir ist erst
später klar geworden: wenn ich als Braut oft und lange bei ihr war --
sie hat’s nachher mit Entbehrungen wieder hereinsparen müssen -- das
auch, ja, das auch macht mich so klein vor ihr ...“

Ihre Augen standen voll Tränen.

„Und warum kam sie nicht zu Ihnen?“ forschte er weiter.

„Ich weiß es nicht,“ sagte Jutta, „ich verstehe so oft nicht: warum
hab’ ich dies getan und das gelassen ... Ich glaube, es war dies:
ich litt so sehr, weil Malte ging, und wollte nicht, daß Mutter
mitlitt, und ich dachte: ich will erst allein zur Fassung kommen ...
Aber ich kam nie zur Fassung ... immer wuchs eine schwere Stimmung
in mir zu einer neuen Unsicherheit aus ... Ich mochte Mutter nicht
hineinsehen lassen ... Und zuletzt, als mir so war, als habe ich alles
nur geträumt, als habe ich gar keinen Mann mehr und keine Liebe und
kein Glück ... ja, da hab’ ich mich vor ihr gefürchtet ... Und immer
geschrieben: komm nicht -- ich bin stärker allein ... und war doch
krank vor Sehnsucht. Und wenn Mutter mich gefragt hätte: vor Sehnsucht
nach ihm? Was konnte ich ihr sagen? Ich weiß es nicht ... Jetzt kommt
mir manchmal so vor, als sei das schon immer gewesen -- auch als er
noch bei mir war -- immer schien mir, es müsse hinter dem wirklichen
Leben noch ein anderes stehen -- das eigentliche -- ich litt so sehr
von diesem Gefühl, weil es so unbestimmt war, so unklar ... ich dachte
oft: Wenn mir dies nur jemand erklären könnte, warum ich solche
Sehnsucht habe -- und wonach ...“

Er schloß kurz die Augen. Er war sehr bleich. „Sie liebt mich,“ dachte
er, „sie hat mich immer geliebt. Und hat es nicht gewußt. Das ist das
Geheimnis ihrer Sehnsucht.“

Seine Leidenschaft für sie konnte gar keinen anderen Schluß ziehen als
diesen ...

Nun glaubte er seine Pflicht deutlich vor sich zu sehen. Die Art
ihrer Erfüllung durfte aber nicht von seinen heißen Wünschen bestimmt
werden, sondern nur von der Achtung vor dem fernen Mann und vor dieser
schutzlosen Frau, die er für sich zu erringen hoffte ...

Jetzt, nach all ihren Geständnissen, hoffte er es ganz gewiß ...

„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit,“ sprach er, „wollen Sie auch mir
gestatten, offen zu sein -- Ihnen zu raten -- zu sagen, wie ich Ihre
Lage sehe?“

Sie nickte stumm und sah ihn beinahe glücklich an. Ja, wenn er ihr
Leben in seine Hand nehmen und ihr sagen wollte, was sie tun müsse,
dann müßte alles klar und sicher werden.

„Nach dem, was Sie mir von Ihren Gefühlen der Mutter gegenüber
erklärten, darf ich Ihnen nicht mehr raten: Gehen Sie zu ihr. Umgekehrt
-- nein: Sie dürfen ihr so und jetzt nicht begegnen. Denn anstatt durch
sie zur Klarheit zu kommen über das, was Ihr Herz will und muß, würden
Sie vielleicht auf einen falschen Weg gedrängt ... Und Sie, nein, Sie
dürfen nichts, nichts tun, was für immer Ihr aller Leben verderben
kann, ob es gleich im Augenblick eine Tat der Pflicht scheint.“

Sie hörte voll Spannung ...

„Erkämpfen Sie sich Klarheit ... Darauf kommt nun alles an. Für Sie
selbst. Und für die, die Sie lieben ...“

Sie nickte langsam vor sich hin.

„Und mein Rat ist dieser: Gehen Sie fort von hier ... von all diesen
Freunden gehen Sie fort, deren liebevolle Fürsorge Ihnen unwillkürlich
die Freiheit nimmt ... Gehen Sie fort aus dieser Umwelt, die Ihnen Ihre
Sehnsucht vielleicht beunruhigt und unklar gemacht hat -- diese Umwelt,
die fortwährend für und gegen den fernen Mann sprach. Gehen Sie fort,
und versuchen Sie zu verstehen, was denn Ihre Sehnsucht eigentlich
will.“

„Und wohin?“ fragte sie leise. Das kam wie eine Klage heraus -- der
Schmerz der heimatlos gewordenen Seele war darin.

„Nehmen Sie Ihr liebes, kleines Kind und diese treue Martha, die an
Ihnen zu hängen scheint ... suchen Sie neue Bilder, die groß zu Ihnen
sprechen ... das gibt so viel Fähigkeit, sich unbefangener selbst zu
sehen ... gehen Sie in die Berge -- später nach Italien ... ich werde
Sie nicht sehen, Jutta ... ich muß es mir versagen ... obschon ich
in Ihrer Nähe sein würde ... ich bin zur Botschaft in Rom versetzt.
Sie verstehen -- ich müßte es mir versagen, Sie zu sehen ... Aber ich
wäre doch da ... Und wenn eine Stunde käme, wo Sie mich brauchten ...
eine Stunde, die größer wäre als alle Rücksichten auf die Welt ... Sie
könnten mich rufen ... Dieser Gedanke erlöst Sie vielleicht ein wenig
aus der Furcht vor Einsamkeit ...“

„Ja,“ sprach sie, „ja ... alles will ich ... alles soll geschehen, wie
Sie sagen.“

Diese vollkommene Unterordnung unter seinen Willen ergriff ihn.

Heiße Worte wollten sich auf seine Lippen drängen.

Er schwieg. Sie standen einander gegenüber. Er rang hart mit sich.
Seine Arme hätte er öffnen mögen, ihr leise sagen mögen ... komm ...
komm.

Und sie zitterte -- erriet ihn -- bebte vor Begierde nach seinem Kuß
und wehrte sich zugleich. „Nein, nein, nein,“ dachte sie.

Ein paar schwere, schwüle Augenblicke lang ... die Versuchung lähmte
sie fast ... noch ein Atemzug ... Und sie wichen voreinander zurück ...
voll Furcht vor sich selbst -- und dennoch stark ...

Er wandte sich ab und trat an das grün überdeckte Gitter.

Er sah nichts von der Welt draußen, die, übergossen vom raschen,
starken Regen, nun geduckt und gewaschen stand. Die Blätter an Busch
und Baum waren niedergestrichen vom schweren Naß.

Nein, er sah nichts und fühlte immer nur dies eine als stolzen Wunsch:
standhaft handeln.

Und doch, da er bestrebt war, das heiße Blut zum ruhigen Fluß zu
zwingen, doch nahm er mechanisch auf, was geschah: Auf gelbem Rad ritt
draußen ein Mann heran und stieg ab. Die betropfte eiserne Gartenpforte
gab, als man sie öffnete und schloß, einen hellen, klirrenden Ton,
der durch die saubere Luft besonders metallisch sich schwang. Auf dem
Seitenweg des Gartens führte der Mann mit der rotgeränderten Mütze sein
gelbes Radroß neben sich.

Und zwei Minuten später hatte Jutta eine Depesche in der Hand.

„Morgen abend acht Uhr treffe ich in Kiel ein. Innigst

                                           Mutter.“



IV


„Du hast es bequemer getroffen als ich,“ sagte Rosenfeld, da er
seinen Freund Hochhagen einmal zu einem knappen Gespräch unter vier
Augen stellen konnte; „wenn ich noch an den Apparat denke bei meiner
Verlobung! O je! Es waren die typischen Begleitumstände, die so vielen
Junggesellen den Entschluß graulich machen: Feierlichkeit mit würdigen
Reden, programmäßig vorgesehene Rührung, endlose Familienrücksichten.“

„Ja,“ lachte Hochhagen, „man geht eher über Leichen zu einer Frau, als
über ein Dutzend von Wichtigkeit aufgeplusterter Tanten.“

„Mit deinen Schwiegereltern wirst du leben können,“ prophezeite
Rosenfeld.

Sie gingen nach dem Abendessen im halbhellen, frischen Garten
umher, auf dessen Kieswegen von der Nässe des nachmittägigen
Gewitterplatzregens nichts mehr zu spüren war. In der breiten Veranda
hinter dem Hause bewegte sich die Gesellschaft, noch in der ersten
Unruhe nach dem beendeten Mahl, bei Kaffee, Schnäpsen und Zigarren.
Helles Licht strömte von dort her in den Garten.

Das herzliche Lachen von Lisbeth Rosenfeld erhob sich manchmal über
das allgemeine Stimmengeschwirr und stieg, Ton gewordene Fröhlichkeit,
empor wie eine funkelnde Rakete. Sie war begeistert vom Geheimrat
Gervasius und wußte seinen geistreichen und boshaften Munterkeiten auf
das vergnügteste zu begegnen.

„Hör mal,“ sagte Hochhagen, „wie deine Frau lacht.“

„Und um halb sieben kam sie aus ihren Kissen empor wie eine, die nach
vielwöchigen Leiden mit äußerster Anstrengung ihre letzten Kräfte
zusammensammelt,“ erzählte Rosenfeld. „Ich dachte: es geht nicht,
diesmal geht es wirklich nicht. Und nun ist sie obenauf.“

„Sie hat mir schon erklärt, daß sie total verliebt in meinen
Schwiegervater sei.“

Rosenfeld lächelte.

„Ja, das ist ihre Stärke und ihre Schwäche: diese völlige Hingabe an
den Eindruck. Nun sprüht sie vor Lebendigkeit. Heute vormittag wollte
sie vor Kopfweh sterben. Und natürlich, ich hatte schuld. Warum hatte
ich sie nicht mit roher Gewalt vom Ball geschleppt? Wenn ich ein Herr
und Mann wäre ... Na, du bist ja manchmal Ohrenzeuge gewesen. Ja,
langweilig geht es in meiner Ehe nicht gerade zu. Das kann ich wohl
sagen.“

Das klang ein bißchen zweideutig. Hochhagen wußte: Zuweilen wurde der
Freund etwas mutlos gegenüber den beständigen Barometerschwankungen in
Lisbeths Wesen.

„Was willst du! Quecksilber. Steigt und fällt. Aber man sieht es
steigen und fallen. Das ist es: immer bleibt sie dir in ihrer Art ganz
übersichtlich!“

„Nun -- freilich -- Rätsel und Dunkelheiten wie in Maltes Frau gibt es
in Lisbeth nicht. Aber als abgearbeiteter Mensch möchte man eben zu
Hause seine Ruhe haben.“

„Ich habe es am besten getroffen von uns dreien,“ dachte Hochhagen, in
der begeisterten Zuversicht des Mannes, der seit vierundzwanzig Stunden
verlobt ist.

„Du -- sag mal -- deine Braut scheint sich hingebend an Jutta
Falckenrott zu schließen.“

„Ja. Sie hat so eine rechte Mädchenschwärmerei für Jutta. Findet sie
unerhört interessant. Bemitleidet sie leidenschaftlich. Es ist mir
recht lieb. Zunächst wird Jutta ja nach Ostasien reisen. Aber wenn sie
von dort heimgekehrt sein wird, liegt immer noch fast ein Jahr weiterer
Einsamkeit vor ihr. Was könnte ihr die besser erleichtern als eine
schwesterliche Freundschaft mit meiner Frau. Lisbeth und Jutta stehen
sich gut. Aber du weißt: für traurige Herzen hat Lisbeth nicht sehr
viel Zeit. Und Renate ist eins von den weiblichen Wesen, bei denen man
gleich spürt: sie sind zum Trösten geboren.“

Seine Stimme klang ganz warm und bebte ein wenig. Die Andacht vor der
reinen Jugend seiner Braut war so neu und stark in ihm, daß sein Gemüt
sich noch nicht ganz damit eingerichtet hatte und heute beständig aus
dem Lot kam.

Rosenfeld fuhr aus längerem Nachsinnen auf.

„Wird sie denn reisen?“ fragte er langsam.

„Ich denke doch. Warum sollte sie nicht?“

„Nun vielleicht wegen der Kleinen.“

„Das war ihr erster Gedanke -- natürlich. Aber die Sehnsucht nach
dem Mann wird stärker sprechen als diese Sorge. Und das Kind kann so
vortrefflich bei Maltes Mutter untergebracht werden.“

„Glaubst du? Und du glaubst, daß es wirklich ganz ungemischt
die Sehnsucht nach Malte ist, die ihrem Wesen diese Note von
leidenschaftlicher Verschlossenheit gibt -- es ist eine gefährlich
anziehende Note ...“

„Was sollte es sonst sein?“

Sie sprachen sehr vorsichtig. Rosenfeld wagte nicht deutlicher von
seinem sorgenvollen Unbehagen zu reden; der andere traute sich nicht
einmal vor dem nächsten Kameraden seine Furcht auszusprechen. Worte
geben den leisen, fernen Dingen oft eine brutale Gestalt -- die steht
dann breit und plump im Wege, und man muß mit ihr, als mit einer
häßlichen Wirklichkeit, rechnen.

„Hektor -- Hektor,“ rief, auf den Stufen der Verandatreppe stehend,
Lisbeth über den Garten hin.

In einer Pünktlichkeit des Gehorsams, dessen Rosenfeld sich gar nicht
bewußt war, kehrte er auf der Stelle um und wandte sich dem Hause zu.

Lisbeth, Zigaretten rauchend, was sie übrigens gar nicht vertragen
konnte, brauchte Hilfe. Gegen den Geheimrat sich zu verteidigen, ging
über Frauenkraft, und sie habe doch sonst den Mund auf dem rechten
Fleck. Aber so ein Spötter ... und man unterscheide nie: Kompliment
oder Bosheit ...

So gingen ihre lachenden Reden, und der kleine, bartlose Geheimrat
mit dem glatten, graublonden Haar und mit seinen beunruhigend klugen,
durchgearbeiteten Zügen schmunzelte, und hinter seinen Brillengläsern
blitzten seine Augen scharf.

Emmich Hochhagen ging zu seiner Braut.

In der rechten Nische der an beiden Seiten abgerundeten Veranda saß
eine kleine Gruppe, die Hochhagens Augen sehr erfreulich schien.
Da war die noch jugendliche Geheimrätin, der man ihre zwei- oder
dreiundvierzig Jahre nicht ansah. Sie hatte jene ausgeglichene
Freundlichkeit im Wesen, die nur Menschen aufbringen können, die
sich ganz in Harmonie mit ihrem Leben fühlen. Ihre angenehme Art, im
Verein mit ihren sicheren Formen und der geschmackvollen Sorgfalt
ihrer Kleidung, machte ihre Erscheinung so günstig, daß man sie im
allgemeinen unter die hübschen Frauen rechnete. Emmich brachte ihr eine
starke Sympathie und Dankbarkeit entgegen. Wie gern sah er, daß seine
Schwiegermutter sich eifrig mit Jutta beschäftigte.

Die saß neben der Geheimrätin und schien mehr zu hören als selbst zu
sprechen. Er konnte aus ihrem Gesicht nicht klug werden diesen Abend.
Soweit es seine Stellung als Held des kleinen Festes und als ganz und
gar glückseliger Bräutigam zuließ, hatte er die Freundin beobachtet.
Und dann immer voll Sorge gedacht: Sie ist ja gar nicht hier! Wo
waren diese Gedanken, die oft dem dunkeln Auge einen so zerstreuten,
suchenden Blick gaben? Weshalb fuhr sie oft wie im Schreck zusammen,
wenn man sie anredete? Aus welchem Grunde blieb ihr Lächeln so
erkünstelt?

Er hatte noch gar nicht mehr mit ihr sprechen können als die Worte,
die zwischen ihr und seinen Schwiegereltern und den wenigen anwesenden
Bekannten und Verwandten des Hauses vermitteln sollten.

Nun zog er sich einen Stuhl heran. -- Kante an Kante mit dem Renatens,
die neben dem Korbsofa saß und dem Gespräch der Mutter mit Jutta
zuhörte. Sie hatte dabei liebkosend Juttas Hand gehalten und manchmal
zärtlich gestreichelt. Das ließ sie nun und lehnte leise die Schulter
an die Emmichs und schob ihre Hand unter seinem Arm durch.

Für die Geheimrätin hatte die Welt einen sicheren Mittelpunkt:
ihren Mann. Nicht nur ihre Liebe machte ihn dazu. Jeden Tag, seit
vierundzwanzig Jahren, sah sie, daß ein ganzes System um ihn kreiste,
dessen Sonne er war. Studenten, Patienten hingen voller Respekt an
seinem Wort. Er war da ein so unbedingter und autoritativer Herrscher,
daß ein Blick, eine flüchtige Anordnung genügte, sein Reich in Ordnung
zu halten. Sie hatte auch schon so oft erlebt, daß Hoheiten, königliche
und andere, sich in unbedingtem Gehorsam diesem Treiben einfügten,
daß sich in ihrem Bewußtsein dies festgesetzt hatte: Wo meines Mannes
Herrschaft anfängt, hört jede andere auf. Danach hatte sie, wie von
selbst, ihr ganzes Frauenleben und ihren ganzen Hausstand gebildet
und zurechtgelegt. Sie hatte das starke Gefühl: Mir liegt es ob,
seine kostbare Persönlichkeit für das Heer der Leidenden frisch und
leistungsfähig zu erhalten.

Von diesem allen sprach sie zu Jutta und brachte viele Einzelzüge als
Beweise bei, wie wenig sie eigentlich auf den Geheimrat als Gatten,
Vater und Gesellschafter rechnen könne, sich aber ganz so eingerichtet
habe, ihn nie zu beanspruchen und doch immer für ihn da zu sein. Ein
unschuldiger Stolz auf ihre Kunst, sich seinem Berufsleben anzupassen,
zeigte sich. Wie rührte dieser Stolz den Mann, der in diesem gesegneten
Hause als Sohn aufgenommen worden war. Er drückte Renatens Arm an sich
-- in einer Bewegung des Dankes -- als habe auch das holde Kind schon
überreiches Mitverdienst an all dem Klug- und Warmabgestimmten.

„Wie beneidenswert,“ sagte Jutta; „es muß doch wundervoll sein, dem
Mann so in seinem Beruf beistehen zu können. Wenn es auch, wie Sie
sagen, hinter den Kulissen ist. Wie ruhig kann er auf der Szene
handeln, wenn er weiß: hinter den Kulissen geht alles glatt.“

„Aber Liebste, Beste, das gleiche tun doch Sie. Wenn auch in anderer
Form,“ meinte die Geheimrätin eifrig.

„Ich? ...“

„Na ja doch ... oder ist das nichts, wenn so eine junge Marinefrau ganz
allein, standhaft und geduldig den Herd bewacht -- während der Mann
weit draußen ist? Muß ich erst sagen, was alles darin liegt?“

Sie nickte ihrer Tochter zu, der künftigen Marinefrau. Und Renate
erwiderte dies mütterlich stolze Lächeln mit aufstrahlendem Blick.

Hochhagen vermied es, Jutta anzusehen ...

„Das ist anders, wie Sie sich das vorstellen,“ sprach Jutta, „Ihre
Pflichten schließen Leben und Bewegung in sich. -- Sie dürfen aktiv
sein. Ich habe nur zu warten.“ Mit so schwerem Ausdruck sagte sie es,
daß er der Geheimrätin auffiel.

Eine rasche Gutmütigkeit wallte in dem Herzen der Frau empor -- ein
flüchtiges Mitleid und Ahnen, so wie es Menschen anwandeln kann, die
eigentlich zu sehr ausgefüllt sind, um noch Anteilnahme für andere
Schicksale aufbringen zu können.

„Gott -- ja,“ dachte sie, „wenn man verliebt, jung und temperamentvoll
ist, muß es wohl schwer sein.“

Und sie hoffte im Vorbeigehen, daß Emmich nicht so bald ein
Auslandkommando erhalten würde. Später mal, sehr gern. Dann bekam man
seine liebe Älteste ein bißchen wieder als Tochter ins Haus, und das
müßte wundervoll sein ... Als Freundin mit der verheirateten Tochter
sich gut stehen, das hatte sich die Geheimrätin immer wie einen
Gipfelpunkt des Frauenlebens ausgedacht ...

Und Renate seufzte ein wenig. Ganz zuversichtlich hatte sie noch eben
das stolze Lächeln der Mutter mit glücklichen Blicken beantwortet. Nun
fiel ihr plötzlich ein, wie zornig und gramvoll Jutta heute nachmittag
von ihrem Los gesprochen hatte.

So leise, so andeutend nur der Seufzer gewesen war: Emmich hatte ihn
doch gehört. Und er sah auch, daß über das Gesicht der Mutter ein
Ausdruck von Mitleid ging.

All das schien ihm feindselig -- als bedrohe das auch ihn und seine
Glücksicherheiten.

Er sagte sehr liebevoll und vielleicht wieder ein wenig bevormundend:
„Das Warten hat ja nun ein Ende. Frau von Falckenrott wird nach
Hongkong reisen.“

Jutta erhob ihr Haupt.

„Nein,“ sprach sie klar und fest, „ich werde nicht nach Hongkong
reisen.“

Sie sah ihn an. Ganz gerade. Wie eine, die unerschütterlich geworden
ist.

Hochhagen wurde rot. Er erschrak. Und ihr Ton erregte ihn. Es schien
versteckter Trotz darin.

„Ich hoffe, es ist nicht Ihr letztes Wort.“

„Ich gehöre nicht zu den Frauen, die heute nein und morgen ja sagen.“

„So haben Sie schon an Malte depeschiert?“

„Nein. Das nicht. Es kommt ja auf den Tag nicht an.“

„Oh, Sie wollen nicht zu ihm?“ fragte Renate erstaunt, „ich -- ich
reiste gleich, wenn Emmich riefe und und wenn ich nach Yap sollte ...“

Die Geheimrätin spürte mit dem feinen Ohr der Weltdame, daß ein harter
Klang in den raschen Worten war, die zwischen Jutta und Emmich hin und
her flogen. Sie begriff nicht ... dachte auch diskret daran vorbei ...
wollte nur gütig alles ins gesellschaftlich Freundliche lenken und
sprach beinahe lobend: „Es tut Ihrem Gemüt wohler, hier in der Heimat
still Ihrem Kindchen zu leben und tapfer weiter zu warten?“

„Ich will mit der Kleinen fortgehen -- schließe meine Wohnung zu --
gebe sie vielleicht auf -- ich weiß noch nicht -- aber fort will ich --
in die Berge vielleicht -- das findet sich.“

Und dabei sah sie immer Hochhagen an, als teile sie ihm Dinge mit, die
hinter ihren Worten standen ...

Er erhob sich.

„Was ist geschehen?“ dachte er.

In diesem Augenblick kam Lisbeth Rosenfeld heran, mit ihren eifrigen
Bewegungen, ganz erfüllt von einem Einfall. Sie war wieder einmal
getragen von glühender Lebenslust. Ihr Mann lächelte ein bißchen
ergeben, und der Geheimrat, mit einem undeutbaren Pläsier, das ihm in
feinsten Fältchen um die Mundwinkel und Augen saß, rieb sich die feinen
Operateurhände.

„Frau Geheimrat, süße Renate und du, Liebes, hört mal zu. Die Tatsache,
daß Emmich uns mit Geheimrats so eng zusammengeführt hat, muß extra
gefeiert werden. Bei uns natürlich. Morgen. Ausgemacht. Ja?“

„Morgen hast du wieder Zwirnbeine und im Kopf einen großen Ballon,
der platzen will, und bist sterbenskrank,“ neckte Jutta, die sich
plötzlich ganz in der Gewalt hatte und eine trotzige Fröhlichkeit in
sich aufschäumen fühlte. Es war gesagt -- gesagt -- es schien, als
seien Würfel gefallen ... wohin? Vielleicht rauschte ihr Fall nur
ins Unbestimmte hinein -- aber Jutta spürte doch die Bewegung -- ihr
Schicksal stand nicht mehr still ... Und die Stärke ihres Temperaments
blitzte durch ihr Wesen.

„So, so,“ sagte der Geheimrat amüsiert, „das kommt also vor? Ein
Lendemain mit Zwirnbeinen.“

„Ach,“ prahlte Lisbeth mit heißem Gesicht, „nur wenn ich zu viel tanze.
Warum läßt Hektor das zu! Heute tanz’ ich ja nicht. Also morgen bei
uns.“

Und da es ihr unmöglich war, einen Tisch zu decken, ohne ihn fort und
fort zu vergrößern und so viel heranzuladen, als die Räume nur fassen
mochten, zählte sie auf: „Natürlich müssen die Crewkameraden kommen,
soweit sie im Moment in Kiel stationiert sind und uns näher stehen.
Und dann Exzellenz Marweg -- Herr Geheimrat, ich mache Sie darauf
aufmerksam, daß ich mich glänzend mit Exzellenz vertrage, einfach
glänzend. Hektor ist aber nicht eifersüchtig. Hat er auch nicht nötig.
Und Herr von Gamberg, Juttas Vetter. Liebes, wird er können? Segelt er
morgen mit? Ach so -- du hast ihn nicht gesprochen.“

Jutta dachte nicht, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, den Besuch des
Mannes zu verleugnen, weil Renate noch mit ihm zusammengetroffen war.
Dieses Zusammentreffen hatte sie schon vergessen. Sie wollte wahr sein
und sagte sehr ruhig: „Doch, ich habe ihn gesprochen. Er war zum Tee
bei mir ...“

„Ah ...“ dachte Hochhagen, „er -- er ... das ist es.“

„Na -- segelt er mit?“

„Nein.“

„Famos: also Gamberg ... Und dann noch ...“

Sie erwog rasch: Die beiden Ehepaare aus Gervasiusscher Freundschaft
und Verwandtschaft, die hier anwesend waren und jetzt in der
entgegengesetzten Verandanische plaudernd zusammensaßen, mußte sie die
nicht auch einladen? Eigentlich fand sie den langen Professor Lüdermann
etwas trocken, und es verletzte ihr ästhetisches Gefühl, daß so eine
winzig kleine Frau wie ein Anhängsel neben ihm hertrippelte; und an der
arroganten Ruhe des Konsuls Thyssen, des Bruders der Geheimrätin, war
ihre Lebendigkeit fast zerschellt, während Frau Thyssen sich immerfort
zu bemühen schien, *keine* Überlegenheit zu zeigen ... Aber Lisbeth
war eben von so unbegrenzter Gastfreudigkeit, daß sie hinzusetzte:
„Und natürlich, liebe Frau Geheimrat, Ihren Herrn Bruder und Frau und
Lüdermanns.“

„Beste Frau Lisbeth! So viel Menschen können Sie gar nicht setzen,“
warnte Hochhagen.

„O doch ... und wenn Sie mir Ihren Judeit leihen -- Hochhagen hat einen
großartigen Burschen -- ostpreußischer Fischer -- kann aber alles --
serviert wie ein Diener im Schloß ... Ja, ach, es kann reizend werden.
-- Ganz einfach geht es aber zu bei uns, Frau Geheimrat -- gerade das
Improvisierte macht Spaß. Also morgen abend acht Uhr ...“

Sie war unwiderstehlich in ihrem Verlangen, alles, was an Menschen
in ihren Dunstkreis kam, sich zu einer Bundesgenossenschaft der
Lebensfreude zu werben. Sie wandte sich schon, um Thyssens und
Lüdermanns ihre Einladung vorzutragen, und hatte keine Ohren mehr für
das, was Jutta noch sagen wollte.

Und so mußte Jutta es dem Mann mitteilen.

„Lieber Rosenfeld,“ sprach sie, „ich kann morgen abend nicht zu Ihnen
kommen.“

Hochhagen merkte auf.

„Aber das ist schade,“ sagte Kapitän von Rosenfeld, „das gibt’s nicht
-- solche Absage nimmt Lisbeth einfach nicht an.“

„Meine Schwiegermutter kommt morgen abend.“

„Maltes Mutter!“ rief Hochhagen.

„Ja!“

Er atmete ordentlich auf. Ganz unverhohlen. Über sein männliches
Gesicht ging ein Freudenschein.

Jutta sah es, es ärgerte sie geradezu.

„Ich war sehr überrascht, als ich das Telegramm bekam,“ sagte sie und
sah ihn mit prüfenden Blicken an. Und diese Blicke fragten ihn: Warst
du das? Ist das auch deine Regie?

Er fühlte wohl, was ihr Ausdruck zu bedeuten hatte, und sagte ganz
ehrlich: „Ich bin auch überrascht. Und ich freue mich riesig, daß wir
Maltes liebe alte Dame wiedersehen sollen.“

Und er dachte: „Nun wird ja alles gut ...“

Er hatte eine unbestimmte, aber riesengroße Vorstellung von der Macht
einer Mutter ... Als die seinige noch lebte, hatte sie alles über ihn
vermocht. Und ob er gleich schon ein gereifter Mann war, da sie vor
wenig Jahren starb, hatte er ein kindliches Gefühl des Verwaistseins
in sich entdeckt, so voll schmerzlicher Wehmut, daß er sich fast hätte
schämen mögen ...

       *       *       *       *       *

Am anderen Abend fuhr Jutta zum Bahnhof. Eine große Mattigkeit lag
ihr in den Gliedern. Sie war abgespannt bis zur Erschöpfung, ganz
widerstandsunfähig. Sie schob es auf den Tag voll Hausfrauenarbeiten.
Die hatte sie vor sich aufgebauscht und übertrieben, mit einem
Aufwand von Zurüstungen sich förmlich betäubt. Es war in der Wohnung
zugegangen, nicht als solle eine anspruchslose alte Frau kommen,
sondern als müsse man mit äußersten Anstrengungen trachten, vor einer
pomphaften und kritischen Dame zu bestehen.

So konnten die zitternde Rührung und die angstvolle Beklommenheit, die
abwechselnd Juttas Gemüt beschweren wollten, niemals ganz Herrschaft
über sie gewinnen.

Aber nun rächte es sich, daß sie nicht den Mut gehabt hatte, sich zu
sammeln, daß sie sich mit Vorsatz durch die Stunden gehetzt hatte.

In ganz verworrenen Empfindungen ließ sie sich dem Wiedersehen
entgegentreiben. Bald von dem harten Bedürfnis zur Wahrhaftigkeit
erhoben, bald von dem weichen Wunsch ganz ergriffen, dem Mutterherzen
nicht weh zu tun.

Müde lehnte sie in der Wagenecke. Der große Federhut, so leicht er war,
schien ihr den Kopf zu belasten; in ihrem Schoß lag ihr Täschchen aus
Silbermaschen. Sie hielt es mit ihren Fingern umklammert.

Die Fahrt hatte nichts Erfrischendes. Der Sommerabend war dunstig. Die
salzig feuchte Seeluft durchwirkten die Dampfsäulen, die tagsüber aus
den Essen der Werfte, aus den Schornsteinen der hin und her rauschenden
Dampfer emporgequollen waren, mit feinen Atomen. So stand sie grau und
schwer über der Stadt und der Förde und hing wie ein Schleier vor dem
Bilde des jenseitigen Ufers, daß es mit all seinen hohen Hellingen,
mit seinen gewaltigen Glasbauten, seinen seltsamen Gerüsten etwas
Mystisches bekam. Das Zauberland moderner Schiffstechnik war da drüben,
und die stehenden Dunstnebel wischten all seine drohenden Linien
weich ineinander. Die Abendsonne glühte und setzte in dies feine,
verschwommene Bild brennende Punkte, die an Metallteilen der Schiffe,
auf einzelnen kleinen Fenstern glitzerten wie vom Zufall hingestreute
Kupferflecke auf einem blaugrauen Florgewand.

Der Trott des Wagens, ein Rhythmus und keine Melodie, wirkte
merkwürdig auf die Ohrnerven. Seine stumpfe Einförmigkeit hatte etwas
Hypnotisierendes. Jutta hörte immerfort zu, wie die Räder rollten und
die Hufe des Pferdes klappten.

Daraus schreckte sie auf. In der Nähe des Schlosses, auf dem
Bürgersteig, der sich unter seiner Mauer hinzog, kam jemand gegangen.

Ein hoher, schlanker Mann, im hellgrauen Gehrock und in ebensolchem
Zylinder. Vor ihm waren allerlei Fußgänger -- ein paar Kinder, zwei
Matrosen, eine Frau -- die bildeten in ihren willkürlichen Bewegungen
eine Schranke vor ihm, die sich bald öffnete, bald schloß. Jutta
erkannte ihn aber schon von fern.

Sie hatte ihn heute nicht gesehen. Nur Rosen schickte er, dunkelrote;
kein Wort dabei -- nicht einmal seine Karte -- aber sie wußte: ja, das
kam von ihm! Ein Gruß der Liebe. Schweigsam und von fern ...

Sie richtete sich auf -- belebt von dem Wunsch: sähe er doch! Erbebend
in dem raschen Gedanken: wenn er so vorübergeht ...

Schon waren sie sich nahe, der Fußgänger und die Fahrende.

Da sah Gamberg auf -- vielleicht geheimnisvoll bezwungen von dem ihm
entgegenbrennenden gespannten Blick. Er sah auf -- jäh -- wie jemand,
der sich aus schwersten Gedanken gerissen sieht ...

Und er sah ein Frauengesicht, das erblaßte -- weil diese flüchtige
Begegnung schon ein Erlebnis war ...

Er machte Front und grüßte. Und stand, bis sie vorüber war.

Ihre Blicke hatten sich getroffen, rasch und heiß.

Die Räder rollten, die Pferdehufe klappten, und alles war vorbei.

Die rasend emporgewallte Aufregung sank in sich zusammen. Es blieb
nichts zurück wie das Gefühl einer seltsamen bleiernen Ermüdung. Die
war ein körperlicher Schmerz.

Jutta hatte einen Gedanken -- der schauerte durch sie hin ...
Vielleicht hasten wir für immer so aneinander vorüber?

Gestern hatte er gesagt: versuchen Sie sich klar darüber zu werden, was
denn Ihre Sehnsucht eigentlich will.

Und sie fühlte auch wohl: wer das Leben mit unsicheren Händen anfaßt,
kann es nie meistern -- wer das Leben mit unklaren Blicken überschaut,
kann in seinem Treiben nie den richtigen Platz für sich herausfinden.
--

Der Wagen hielt. Jutta empfand den Ruck wie eine peinliche Roheit. Nun
hätte sie immerfort, immerfort so weiterfahren mögen, bis das Rollen
der Räder ihr die Gedanken verblödet hätte ...

Auf dem Bahnsteig ging sie hastig hin und her, mit den Schritten
nervöser Ungeduld.

Sie stellte sich ihres Mannes Mutter vor. Die Photographie von ihr, die
zu Haus auf dem Schreibtisch stand, neben der von Malte, die hatte ihr
das Bild der alten Frau mehr gestohlen als lebendig erhalten. Es war
ein so dummes Bild. Von einer Art, wie man sie nur noch selten sieht:
eben ein Mensch, der sich zum Photographieren extra hingesetzt und ein
Gesicht gemacht hat.

Ja, eine kaum mittelgroße Frau war sie, mit einer breiten Taille und
raschen mütterlichen Bewegungen, immer schwarz gekleidet, und auf den
noch dunkeln Haaren trug sie eine Spitzenhaube, nach verflossener Mode.
Und ihr Gesicht? War denn so gar kein starker Zug darin, daß Jutta es
sich durchaus nicht vorstellen konnte?

Das machte ihr die Stirn heiß. Mein Gott -- wenn ich sie nun nicht
wiedererkenne!

Aber das war natürlich ein wahnwitziger Gedanke ... Sie würde sie
selbstverständlich unter Tausenden erkennen, wenn nur erst das Gesicht
hinter dem Fenster des Abteils erschiene ...

Und nun sah sie plötzlich auch Einzelheiten aus ihm ganz genau ... Sehr
aufmerksame, wimpernlose, dunkelbraune Augen hatte die Mutter; und
im Mund, wenn sie sprach, wurden zwischen ihren eigenen, starken und
gewölbten Zähnen vier ganz flache, kleine, gleichmäßige Schneidezähne
sichtbar, die ihre Künstlichkeit durchaus erkennen ließen.

Es ärgerte Jutta geradezu, daß sich ihrer Vorstellung in diesem
Augenblick voll großer Spannung nun ein so kleines Merkmal so überaus
deutlich aufdrängte.

Jetzt brauste der Zug heran, ein Fabeltier mit dampfschnaubendem Mund.

In der Halle dröhnte Lärm und polterte unter dem Glasgewölbe hin. Die
Reihe der dunkeln, von der Patina des Kohlenstaubes monoton gefärbten
Wagen hielt.

Jutta stand, und ihre Augen suchten ... Hinab, hinauf -- bis eine
heftig winkende Hand gerade vor ihr in einem Fensterrahmen ihr sagte:
hier, hier bin ich ...

Ein paar Sekunden noch, und die Frauen lagen sich in den Armen. Sie
weinten beide leidenschaftlich. Wenn dies ein Wissender gesehen hätte,
würde er erstaunt gefragt haben: warum weinen sie? Aber die Frauen
selbst empfanden es als das Natürliche. Keine wunderte sich über die
heiße Tränenflut der anderen.

Die alte Frau hatte sich jämmerlich nach der Schwiegertochter gesehnt,
die doch ihren Sohn so leidenschaftlich liebte und ihr deshalb ein
Teil seines Lebens war. Vielleicht weinte sie auch aus Wichtigkeit,
weil ihr Sohn ihr geschrieben hatte: reise sofort nach Kiel, hole das
Kind und hilf Jutta. Und das kam ihr großartig und verantwortlich
vor. Etwas weinte sie auch aus der Ankunftsbefriedigung heraus, denn
unterwegs war sie immer noch erregt, in dem Bewußtsein, daß sie binnen
zwei Tagen mit solchem Reiseentschluß und mit allen Reisevorbereitungen
fertig geworden sei. Sie fühlte sich deshalb sehr heldenhaft und modern
und hatte den Genuß gehabt, daß das Staunen und die Teilnahme ihrer
Freundinnen in ihrer kleinen Heimatstadt sie an die Bahn geleiteten.

Und Jutta weinte aus ihrer allgemeinen Erschöpfung heraus. Vielleicht
brach auch eine Hochflut schöner Erinnerungen jäh über sie herein, als
sie die Mutter wiedersah ...

Dann kamen die prosaischen kleinen Sorgen um Gepäck und Wagen. Und all
die Taschen und Schachteln schienen sich gleichsam an die hohe Stimmung
zu hängen und zerrten sie herab.

Man saß im Wagen zusammen, man fuhr nach Haus.

Da war das Bett der Kleinen. Eine Stätte, wo alle Rührung wieder
aufwallte und die Großmutter vor Entzücken weinte.

Es war schummerig in dem von Schlafensstille durchwobenen Raum. Nur ein
Nachtlicht brannte, eine träge kleine Flamme, die auf winzigem Ölbassin
wie eine blanke, gelbe Schwimmblume erblühte.

Man sah nicht viel von dem bißchen Menschentum da im zierlichen
Bett. Ein rundes Schädelchen war sichtbar, dunkel überflaumt; schwer
lag es in den sich aufbauschenden Kissen. Ein winziges Näschen war
zu erkennen, das gegen die Leinwand des Bettuches stieß. Und noch
ein Fäustchen, festgeballt -- das streckte sich ein wenig unter dem
Deckbett hervor.

Die junge Mutter stand daneben, ihre Hand umschloß die gebogene Stange,
von der herab die Gardinen über das Bettchen fielen.

Stolz und wartend stand Jutta und sah zu, wie die alte Frau sich über
das Lager bückte.

Und nachher saßen sie zusammen, gerade da, wo gestern nachmittag Jutta
mit dem Mann gesprochen hatte ...

Draußen sank der lange Tag in die leise, blasse Dämmerung hinüber. Der
Abendwind schlich ein wenig durch die Blätter und stieß sie zag an,
aber sie waren so schwer vom Vollsaft ihrer Sommerreife, daß sie sich
kaum rührten.

„Mir schien,“ sagte die Mutter, „man sah so wenig -- aber doch -- mir
schien: die Kleine gleicht Malte ganz und gar.“

„Nein. Nicht ein bißchen. Du wirst es morgen sehen.“

Der Ton, in dem die Ähnlichkeit abgeleugnet wurde, tat der alten Frau
unbestimmt weh.

„Gott, mir war, als seien sechsunddreißig Jahre versunken, und mein
Malte läge wieder in seinem Bettchen vor mir.“

Und sie trocknete ihre Tränen.

Jutta schwieg.

Nun fing die Mutter ein eifriges Fragen an. Unter ebenso eifrigem
Essen. Denn sie war schon früh am Tage fortgereist und hatte ihrem
Proviant, den sie im Körbchen mit sich führte, nicht recht zusprechen
mögen, weil ihr beim Fahren und in der Aufregung der Appetit vergangen
war.

Alles wollte sie nun wissen: wie das Kind gehalten werde, und ob es
schon mit seinen Fingerchen greife. Wieviel es wiege, und ob es die
Nächte durchschlafe. Ob es tags viel schreie und reichlich in die Luft
komme.

Juttas Briefe an die Mutter waren in den letzten drei Monaten nichts
gewesen wie Tagebuchaufzeichnungen über jede das Kind betreffende
Kleinigkeit. Die alte Frau war also unterrichtet. Aber das Thema hatte
ja seine Unerschöpflichkeiten. Mit Kameradenfrauen, die gleich ihr
junge Mütter waren, konnte Jutta es endlos besprechen.

Dies nun war Maltes Mutter. Und sie hatte ein Recht, ihr heißes
Interesse an diesem jungen Leben in dringlichen Erkundigungen zu
betätigen.

Sie hatte ein Recht ... Das sagte Jutta sich, das wußte sie -- es war
die einfachste, naturgemäßeste Tatsache von der Welt. Und dennoch
war es gerade dies *Anrecht*, gegen das sich in Juttas Herzen ein
undeutliches Gefühl wehrte.

Unruhig, von grenzenlosem Erstaunen auf das Schwerste bedrängt, fand
sich die junge Frau der alten Frau gegenüber nicht zurecht.

Seit einem Jahr, genauer, seit dreizehn Monaten, hatten sie sich nicht
gesehen. Eine Frau von Sechzig verändert sich in einem solchen kurzen
Zeitraum nicht mehr. Ihr Wesen ist vom Leben schon so festgefügt, daß
keine Linie mehr ins Schwanken kommt.

Hab’ ich denn damals andere Augen gehabt? fragte sich Jutta.

Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, daß sie damals, in glückseliger
Dankbarkeit, zärtlich, voll kindlicher Ergebenheit, sich an diese Frau
geschmiegt.

Nun, damals war die Frau die Mutter des geliebten, ersehnten Mannes
gewesen -- und die Sehnsucht nach dem Sohn hatte um seine Mutter einen
verklärenden Schimmer gewoben. Und das unklare Gefühl: als habe die
Mutter den Sohn wegzuschenken, als sei sie die Glückspenderin -- dies
überkommene Restgefühl von dem uralten, primitiven Wissen mütterlicher
Oberhoheit, das hatte die Braut blind und demütig gemacht ...

Das dachte Jutta ungefähr. Ihre in Leid und Kämpfen reifer und dennoch
zugleich krank gewordene Seele begriff den Wechsel ...

Die alte Frau hatte sich gewiß nicht verändert.

Nur die Augen waren andere geworden, die sie sahen ... Und die
Zusammenhänge waren andere ...

Und dann: Jutta fühlte, daß diese Mutter hier saß als Sachwalterin des
fernen Sohnes ... Hier saß, fast an seiner Statt.

Jutta starrte sie an -- sie forschte in dem alten Gesicht.

Ja, das waren die gleichen aufmerksamen Augen, die Malte hatte ... das
die gleiche Form der Stirn, obschon ihre Breite bei der Frau durch die
glatten, gebogenen Scheitel etwas verdeckt wurde; das seine gerade
Nase und sein länglich rundes Wangenprofil. Und da war auch ein Klang
in ihrer Stimme -- oder vielleicht nur die Übereinstimmung im Gebrauch
dieser und jener sprachlichen Wendung ...

Das wunderbare Spiel der Ähnlichkeiten äffte -- gab seine ironischen
Späße zum besten ... holte die wenigst ansprechenden Züge des einen
Menschen herbei, hielt sie neben die gewinnenden des anderen und zeigte
auf, wie sie sich glichen. Und entadelte ...

„Kind, was siehst du mich denn so an?“

„Wie sehr du Malte gleichst ...“ meinte Jutta mühsam.

„Ja,“ sprach die Mutter stolz, „man hat es mir immer gesagt.“

Die Äußerung hatte der alten Frau sehr wohl getan. Das bedeutete ihr:
Bewunderung! Liebe! Und machte ihr das Herz wieder wärmer und freier.

Denn auch sie war benommen und beklommen -- von Viertelstunde zu
Viertelstunde mehr. Sie klammerte sich aus Verlegenheit an das
Kinderpflegegespräch -- nicht als ob es sie nicht von ganzem Herzen
interessierte -- o nein. Aber sie wußte ja aus den Briefen alles ...
und man konnte noch so viel davon sprechen ... es gab andere Dinge,
die im Moment stärker auf der Zunge brannten: wann Jutta reisen wolle?
Ob sie sich nicht unaussprechlich freue? Ob der Gedanke dieser Reise
in Juttas Herz entstanden sei, weil sie sich zu sehr nach dem Mann
sehnte? Oder ob Malte den Wunsch gehabt habe, weil er es nicht mehr
ohne Jutta aushalte? ... Das wollte ihr mütterliches Gemüt wissen. Sie
wollte in die Seele der Tochter hineinsehen und die Leiden, Seligkeiten
und Sehnsüchte junger Gattenliebe nachempfindend mitgenießen. Ja, das
wollte sie: von der Liebe und der unzerstörbaren Zusammengehörigkeit
ihrer Kinder viel erfahren -- weil ihr das eine schöne Ernte eigener
Lebensmühen schien ...

Ein Anspruch auf viel Rührung war in ihr ... Und der blieb unerfüllt ...

Da war irgend etwas in Juttas Wesen, was ihr neu deuchte, fremd,
abweisend -- trotz all der zärtlichen Fürsorge, die in der feierlich
anmutig hergerichteten Fremdenstube, am festlichen Abendtisch, in jedem
Wort voll Aufmerksamkeit sich kundgab.

Die Mutter staunte auch ihrerseits in wachsender Unsicherheit die
Tochter an.

Wie hatte Jutta sich entwickelt! Nun, das war natürlich! Man hatte sich
zuletzt am Hochzeitstage gesehen. Inzwischen war dieses schöne, begabte
Geschöpf Frau und Mutter geworden, und die aus dem Beruf des Mannes
herausgewachsenen Umstände hatten ihr auch auferlegt, sich in Zeiten
allein zurechtzufinden, wo ein junges Weib des Gatten besonders bedarf.

Die Mutter hatte es ja auch aus den Briefen herausgefühlt, daß in
Juttas Gemüt keine klare Zuversicht sei. Sie kränkte sich, daß die
Tochter nicht nach ihr rief. Aber sie legte es sich, und vor allen
Dingen vor ihren guten Bekannten daheim legte sie es so zurecht: Es
ist schonendste Rücksicht, Jutta fürchtet, durch ihren Kummer mich mit
kummervoll zu machen.

Denn im Grunde genommen dachte sie immer mit einigen zagen
Hühnergefühlen an den Sohn, der auf fernen Meeren mit seinem
Schiff schwamm. Und ihr war eine so weite Trennung jedesmal etwas
Phantastisches gewesen, unter dem sie litt. Sie stellte sich deshalb
den Zustand Juttas als den einer beständigen ängstlichen Ruhelosigkeit
vor.

Aber nun kam ihr die Empfindung: diese Entwicklung hatte sich nicht auf
der geraden, gegebenen Linie bewegt. Sie spürte mit der im Untergrund
aller Mutterherzen sprungbereit liegenden Eifersucht, daß in Juttas
Gemüt Zustände waren, die sie, die Mutter, nicht verstehen und erkennen
konnte, und die allein schon deshalb ihr bedrohlich schienen und sie
mit feindseligen Vorurteilen erfüllten.

Die Mutter hatte gar nichts anderes erwartet, als daß Jutta ihr schon
im Wagen um den Hals fallen und vor Freude glühend sagen werde: Ich
soll zu ihm reisen! Ist es nicht himmlisch?

Kein solcher Ausbruch hatte stattgefunden. Im Gegenteil war etwas
in Juttas Wesen und in der Art, wie sie in den Gesprächen an der
Hauptsache vorbeiglitt, daß die Mutter sich noch nicht einmal getraut
hatte, ihrerseits davon anzufangen.

Aber nun, nach der Äußerung über die Ähnlichkeit, nun nahm sie sich ein
Herz.

„Liebes Kind,“ begann sie und faltete dabei auf das sorgsamste ihre
Serviette zusammen, um sie dann in den silbernen Ring zu stecken,
„liebes Kind -- das ist ja wohl kein kleiner Entschluß? Malte schrieb
so kurz und bündig davon. Bloß so ungefähr: hol das Kind, Jutta soll
gleich zu mir kommen, wir können uns in Hongkong treffen. Aber wenn man
zu seinem liebsten Mann reisen kann, ist ja alles egal: Seekrankheit
und die weite Tour. Wirst du seekrank? Du bist doch mal als Backfisch
mit deinen Eltern nach Schottland gefahren und nach ’m Nordkap.“

„Das wäre ja egal,“ sagte Jutta zerstreut.

Die alte Frau wischte sich die Lippen nochmals mit der vom Ring
zusammengehaltenen Serviettenrolle ab, legte sie dann entschlossen
hin und fuhr eifrig fort: „Du kannst mir Baby ruhig anvertrauen. Das
weißt du ja auch. Zu meiner Zeit waren andere Methoden. Aber ich werde
mich ganz an die halten, die du bisher mit Baby befolgt hast. Frau
Oberst Ruhland wunderte sich immer so. Ihre Enkel werden immer das
erste Jahr in Kleie gebadet. Nun kann sie mal sehen, daß ein Kleines
auch ohne das stramm wird. Frau von Brechta ist ganz gegen Baden. Ihre
Enkel werden bloß kalt abgewaschen. Sie sind aber auch skrofulös. Wir
sprechen oft bei unserer Whistpartie von diesen Sachen. Man kann ja
verschiedener Meinung sein. Aber das muß ich doch mal sagen: du glaubst
nicht, wie rechthaberisch die Brechta wird. Was ihre Kinder und ihre
Enkel haben und tun, ist immer besser als das, was unsere sind. Ja ...“

Diese Worte stießen für Jutta kein Fenster auf, durch das sie
hineingesehen hätte in ein rührendes kleines Idyll, wo alte Frauen,
Daseinskämpferinnen a. D., ausgeschaltet aus allem weiblichen Erleben,
von fern in bescheidener, vielleicht auch stillschmerzlicher,
entsagender Zuschauerfreude ihrer Kinder und Enkel Tage in endlosen
Gesprächen nachkosteten. An diesem Whisttisch, dessen blanke Platte
die starkgeaderten, blassen, alten Hände, die die Karten hielten,
widerspiegelte. Und wo eigentlich jede Frau nur Monologe sprach und den
Reden der Genossinnen nur scheinbar aufmerksam zuhörte, um damit für
die eigenen Mitteilungen Aufmerksamkeit zu erkaufen.

Nein, Jutta dachte nur in flüchtiger Verwunderung, was diese fremden
alten Frauen mit ihrem Kinde zu tun hätten. Und sie fühlte: sie müsse
sprechen.

„Mutter,“ sagte sie sanft, „es ist noch nichts entschieden.“

Die Mutter öffnete den Mund.

„Wir sprechen morgen darüber,“ fuhr Jutta fort, „ich glaube nicht, daß
ich es über das Herz bringe, mich von meinem Kind zu trennen. Und auch
sonst ...“

Die Mutter kannte nur ganz einfache Gefühlszustände. Für sie
bestand das Leben eigentlich aus lauter Vierecken, die man, gleich
Mauersteinen, glatt aneinander bauen kann.

Diese Äußerung war ihr gar nichts Rätselhaftes. Sie sah sofort einen
Haufen Gründe, die ihr auch Juttas verhaltenes, unfreies Wesen mit
einem Schlage klar machten.

Mit Blick und Rede drang sie nun auf Jutta ein, sehr lebhaft, gar nicht
beleidigt, sondern voll Gerechtigkeit.

„Fühl’ ich dir nach, Kind. Ganz und gar. Du denkst: was wird Mutter
für Last haben, sie ist es nicht mehr gewohnt mit so einem Kind! Und
du denkst, das kostet Mutter ja auch zu viel, denn die Martha muß doch
mit. Und du meinst auch: so ’ne Reiserei nach China ist zu teuer,
man darf sich solchen Luxus für sein Gefühl mit gutem Gewissen nicht
gönnen, man muß tapfer sein. Und du bildest dir ein, nachher schmeckt
das Alleinsein doppelt schlecht und fürchtest: wer weiß, vielleicht
kann ich’s dann nochmal erleben müssen, ein Baby zu bekommen, wenn mein
Mann fern ist. Aber sieh mal ...“

Und nun widerlegte sie selbst all diese einfach derben Gedanken, die
sie für selbstverständlich als die die Tochter beherrschenden annahm,
und verbreitete sich darüber, daß es ihr keine Last, sondern ein
unaussprechliches Vergnügen sein solle; daß man ja die Mehrkosten ihres
Haushaltes, die entständen, ganz ungeniert verrechnen könne; daß junge
Leute, die sich liebten, auf ein paar tausend Mark nicht sehen sollten,
um so weniger, als sie es doch dazu hätten. Und zu dem letzten Punkt
der Erwägungen, die sie bei Jutta vermutete, brachte sie allerlei
Beispiele vor von Frauen, die sich durch den unruhevollen Beruf des
Mannes drei- und viermal hintereinander in ihrer schweren Stunde allein
gesehen ...

Ihr Leben war klein und eng. In solchem Leben drängt schon die
Notwendigkeit, alles mit plumper Genauigkeit zu erwägen ...

Und aus dieser ihrer Gewöhnung heraus sprach sie eifrig, gutherzig,
voll Verstand ... dem freundlichen Hühnerhofverstand ... für den es
innerhalb seines Gitters keine Diskretion und außerhalb keine Bewegung
und Wichtigkeit mehr gibt ...

Dem Strom dieser Redeflut, die aus dem Ackergelände einer platten
Auffassung sich heranwälzte, fühlte Jutta sich nicht gewachsen. Wie
hätte sie ihm begegnen sollen? Mit dem Geständnis ihrer Unklarheiten
und ihrer Not?

Der bloße Gedanke erschien hiernach beinahe grotesk ...

„Morgen, Mutter, morgen,“ sagte sie matt.

Und in der Nacht lag sie und sann den Brutalitäten der Entwicklung nach.

Ist denn von Mensch zum Menschen keine Sicherheit? Stellt die Trennung
jeden in ein anderes Licht?

In uns bleibt das Bild des Fernen fest ... Er aber ändert sich -- und
kehrt er zu uns zurück, so stimmt sein Gesicht und Wesen nicht überein
mit dem Bild von ihm, das unsere Seele in sich trug.

Oder ist es noch anders: wandelt sich in unserem Gedächtnis alles leise
und stetig? Gibt es da ein geheimes Wachsen und Umgestalten? Geht es
über unsere Kraft, eines Menschen Wesen in klaren und genauen Farben
in uns lebendig zu erhalten? Ändern wir es unbewußt, im Maß, wie wir
uns selbst ändern und weiterwachsen? Passen wir die Fernen uns etwa
an? Nur um sie auf unserem Weg mitnehmen zu können -- um sie nicht zu
verlieren?

Käme das nicht darauf hinaus, daß man die Fernen nur als Herzensbesitz
behalten kann, wenn man sie niemals wiedersieht? ...

Die Trennung zerreißt jedes Band ... Zerrissene Bänder kann man wieder
zusammenknüpfen ... ja -- es ist dann aber kein glattes, festes Band
mehr -- es ist eben ein Knoten darin ...

So grübelte Jutta und konnte es nicht begreifen, daß diese brave,
prächtige Frau, daß sie die teure, gütige, aufopfernde Mutter aus den
Tagen sehnsüchtigen bräutlichen Glückes sein sollte ... Und es wirkte
aus ihrer Erscheinung, aus ihren Gesten, Blicken, Worten noch so vieles
peinvoll auf Jutta hinüber ...

Die Ähnlichkeit mit dem Sohn war es -- kleine, ungünstige Ähnlichkeiten
-- am Mann Züge, die sich ganz unauffällig oder gar harmonisch in seine
Art eingefügt hatten -- die, ins Weibliche, Gealterte, Vernachlässigte
übertragen, aber nicht sympathisch berührten -- die man übersehen
hätte, wenn sie nicht eben durch die Anklänge aufgefallen wären ...

Und Jutta fragte sich mit Entsetzen: „Wenn ich ihn wiedersähe, sähe ich
ihn dann auch anders ... als damals ...“

In Tränen ausbrechend, drückte sie ihr Gesicht in das Kissen. Sie
begriff: alles war noch unklarer und drohender geworden. Es war
beinahe, als wenn die Mutter mit ihrem breiten, nüchternen Wesen sich
vor das Bild des Sohnes stellte, das, ach -- nur noch ein unsicherer
Schatten gewesen war ... und nun gar nicht mehr zu erfassen schien ...



V


Im Hause der Gervasius mußte man nun den neuen Zustand mit der
wichtigen und bestehenden Ordnung der Dinge in Einklang zu bringen
suchen. In das um den Geheimrat kreisende System paßte eine bräutliche
Tochter mit ihren gerechten Ansprüchen nicht so ohne weiteres hinein.
Er selbst machte sich hierüber nicht die geringsten Gedanken. Nach
Art genialer und übermäßig beschäftigter Männer hatte er von der
Möglichkeit von Kollisionen und Schwierigkeiten im Familienleben und
Hausstand keine Ahnung. Seine Frau täuschte ihm jederzeit einen leisen,
geölten Gang der Maschine des Alltags vor.

Auch jetzt war die Geheimrätin ihrer selbst und ihrer strategischen
Künste ganz sicher. Alles würde schon irgendwie klappen, ohne daß
ihr Mann spürte: da kamen Störungen heran ... die Telephondrähte des
glatten Berufsbetriebs könnten ihm verwirrt werden ... Die bloße Furcht
davor erzeugte in ihm schon eine Nervosität, und sie ließ es nicht
einmal zu dieser Furcht kommen.

Mit der gewohnten heiteren Seelenruhe saß sie beim Morgenbrot mit den
Ihrigen.

Das belaubte Geäst der großen Ulme, die nahe bei der Veranda
stand, besprenkelte den Kaffeetisch drinnen hinter der Glaswand
mit Schattenflecken. Mutter und Tochter, in weißen Hemdblusen und
knappen grauen Röcken, hatten nicht das allermindeste von einem
Morgenprovisorium in der Kleidung. Frisch und stramm waren sie
angezogen.

Die beiden Jungens, Philipp und Heinrich, beide im Alter, wo man zu
lange und zu viele Arme und Beine zu haben scheint, verhielten sich
ziemlich schweigsam und frühstückten mit einer ungemeinen Energie.
Noch vor drei Tagen hatten sie sich beständig dadurch geärgert und in
ihren Menschenrechten beeinträchtigt gefühlt, daß Renate erwachsen
war. Sie sahen in diesem Umstand kein Verdienst der Schwester, die
ihnen nicht für zehn Pfennig imponierte, wie sie zu sagen pflegten. Sie
waren auch in ihrem tiefsten Gemüt überzeugt, daß Renate der übrigen
Welt ebenfalls nicht imponiere, und daß es ein großer Erziehungsfehler
der Eltern sei, „das Mädchen“ schon in Gesellschaften und auf Bälle
gehen zu lassen, so daß sie nicht mehr, wie sonst, allabendlich mit
den Brüdern spielen und lesen konnte. Auch kam es oft vor, daß die
Mama warnend über den Garten rief: „Renée!“, wenn man sich mal wieder
himmlisch lustig mit ihr prügelte -- als ob ihr das was schade! Nee,
von einer Etepetete-Schwester hatte man kein Vergnügen und wenig Nutzen
-- höchstens daß sie einmal mit Taschengeld aushalf oder bei Mutter
abbettelte, was die für die Jungens nicht gleich erlauben wollte.

Nun aber hatte ihre rauhe und streng kritische Haltung einen Stoß
bekommen, und das Gleichgewicht ihrer respektlosen Jungensseelen
hatte sich noch nicht wieder eingefunden. Sie waren -- niemals hätten
sie es sich oder irgendeinem Menschen eingestanden -- schlechtweg
verlegen vor der Braut! Mit Hochhagen waren sie soweit einverstanden.
Sie besprachen ihn unter sich und stellten fest: er hatte sich famos
benommen! Ganz gemütlich und brüderlich streckte er ihnen die Hände
entgegen und sagte: „Na -- Fips und Heinz, wir wollen uns fein
vertragen -- was?“ Sie fühlten auch schon eine leise Ahnung in sich
aufsteigen, daß so ’n Schwager und eine verheiratete Schwester ihnen
allerlei Vorteile bedeuten könnten. Aber noch sträubten sie sich, in
ihrer Haltung die Schwenkung von Respektlosigkeit zum Respekt offen zu
vollziehen.

Nun saßen sie und genossen es, daß sie ausnahmsweise gar nicht
beachtet wurden und mit Löffel und Silbermesser in die Butterdose und
Kristallschale voll Pfirsichmus wahre Schächte graben konnten.

Außer Mutter, Tochter und den beiden Jungens war da noch eine Zeitung
am Tisch. Eine große entfaltete Zeitung, und am Fuß ihrer Wand stand
auf der Tischdecke eine Teetasse und eine Eierplatte, von der jemand
die Spiegeleier schon abgegessen hatte. Da nun diese bedruckte
Papierwand auch von feinen, weißen Fingern gehalten wurde, bestand
begründete Vermutung, daß sich hinter ihr wohl der Geheimrat befinden
möge.

„Aber Kind,“ sagte die Geheimrätin, „Fips und Heinz kommen doch immer
in Pension während der Universitätsferien.“

„Ich dachte,“ wandte Renée ein und bettelte sehr mit Stimme und Augen,
„daß Fips und Heinz diesmal nicht zu Doktor Habels brauchten, daß sie
hier bleiben könnten ...“

Ihre Blicke begegneten sich mit denen der Brüder. Sie lächelten sich
alle drei sehr pfiffig zu. Fips und Heinz begannen Schlaraffentage zu
ahnen: die Eltern weg -- bloß das Brautpaar als Aufsicht! Donnerwetter,
das konnte nett werden ...

„Liebling,“ sagte die Geheimrätin, „was denkst du nur: Vater und
ich können doch nicht auf Reisen gehen und ein Brautpaar hier
unbeaufsichtigt lassen. Was sollte man davon denken.“

„Wir wollen wohl auf Emmich und Renée passen,“ sagte Fips eifrig.

„Es ist völlig schnuppe, was die Leute denken,“ stellte Heinz voll
Weltverachtung fest.

„Tante Adele könnte uns bemuttern!“ schlug Renate dringlich vor.

„Mein Ängel ...“ äffte Fips der altjungferlichen Tante Adele nach,
die so zärtlich und getragen die Geheimrätin, ihre Jugendfreundin,
anzureden pflegte.

„Unmöglich. Stell dir vor: wie lästig für Emmich. Er soll doch
Rücksichten auf sie nehmen. Ihm müssen all ihre sentimentalen und
anspruchsvollen Schrullen ungenießbar sein. Wir haben Geduld, weil
wir das langsam sich wie Moos ansetzen sahen. Und den treuen Menschen
darunter wissen. Nein, nein. Auch will Adele im August zu ihren
Geschwistern.“

„Und wenn ...“ Renate mochte es ja wirklich kaum sagen. Aber der heiße
Wunsch ... die erste junge Brautglückseligkeit ... „Und wenn -- Vater
allein ...“

Die Geheimrätin setzte mit Entschiedenheit, fast klirrend, ihre Tasse
hin, aus der sie gerade hatte trinken wollen.

„Aber Liebling ... Kind! Ich soll Vater allein reisen lassen! Bist
du bei Trost! Die Universitätsferien im Hochsommer sind die einzigen
Wochen, wo Vater uns hat, wo wir ihn haben. Im Frühling arbeitet er
meist durch -- oder gönnt sich mal ein, zwei Wochen. Von Anfang Juli
bis September gehört er doch einigermaßen sich und uns. Sieh mal, ich
denke so: du gehst mit! Übers Jahr bist du Frau. Nun haben wir noch
einmal unsere Tochter. Lockt dich denn die Schweiz nicht? Lockt dich
Italien nicht?“

„Da bin ich ja schon allerwärts gewesen,“ sagte Renate betrübt.

„Und verlobt ist sie noch nicht gewesen!“ gab Fips zu bedenken.

Im Hinblick auf die möglichen Schlaraffentage waren sie wieder eins mit
der Schwester.

„Ach -- Naseweis,“ sagte die Mutter und mußte lachen.

In diesem Augenblick sank knisternd die hoch auseinander gespannte
Zeitungswand zu einem unordentlichen und widerstrebenden Faltengehäuf
von Druckpapier zusammen, auf dem die feinen Operateurhände ruhten.

Der Geheimrat, schmunzelnd und überlegen, mit pfiffigen Blicken seine
Tochter anguckend, sagte erwägend: „Was meinte Fräulein Tochter, wenn
wir den Kapitän Hochhagen einlüden, Urlaub zu nehmen und uns als
Gast zu begleiten? Da der alte Papa offenbar keine Gesellschaft von
Anziehungskraft mehr für seine Tochter ist, werden ihr vielleicht die
Schweiz und Italien durch dieses ausgezeichneten Mannes Begleitung
etwas sehenswerter vorkommen.“

„Papa!“ jubelte Renate und stürzte auf ihren Vater zu, einen
umgepolterten Korbsessel hinter sich lassend.

Heinz und Fips sahen Schlaraffenland in die Versenkung fahren.

Und die Geheimrätin war beinahe starr: ihr Mann hatte zugehört! Sonst,
wenn er hinter seiner Morgenzeitung saß oder mit einem Buch in der
Hand, hätte man einen Mordanschlag auf seine eigene Person verabreden
können, und er würde es nicht gemerkt haben. Er hatte hinter seiner
Papierwand gesessen und dem Gespräch zugehört! Nein, so etwas ...

Der Geheimrat ließ in wohlgefälligem Behagen die Küsse der Tochter über
seine Wangen ergehen und spürte die Kraft ihrer jungen Arme, die seine
Schultern umpreßten.

Aber dieser Jubelsturm stockte plötzlich.

„Wenn er aber keinen Urlaub bekommt!“ sagte sie in schweren Sorgen.

„Das mußt du mit Exzellenz Marweg ausmachen -- oder oder wer sonst
die gnadenspendende Instanz für Emmich sein kann -- ich bin in den
Wirrnissen der Rang- und Kommandoverhältnisse gänzlich unorientiert.
Aber wer es auch sei: ich denke mir, wenn du dem betreffenden großen
Mann so zu Leibe gehst wie eben mir, kann er nicht widerstehen.“

Die Jungens pruschten.

„Du machst immer schlechte Witze, Papa,“ sagte Renate, noch
umwölkt. Aber da sie, im Gegensatz zu ihrem Papa, schon in allen
Marineangelegenheiten sehr orientiert war und von dem Tag an, wo sie
in bezug auf den Kapitän Hochhagen empfunden hatte: „den oder keinen“,
sich durchaus identisch mit der K. M. fühlte, so fuhr sie belehrend
fort: „Emmich ist zur Verfügung des Chefs der Ostseestation ...“

„Na also ... man erbitte, daß der Chef verfügt ...“

„Ach, Papa,“ fiel Renate ihm in die Rede, „du kannst dir keinen Begriff
davon machen, wie es an Offizieren mangelt! Die Urlaubsverhältnisse
sind schrecklich -- einer muß schon halbtot gearbeitet sein, ehe er mal
loskommt.“

Die Geheimrätin und ihr Mann lächelten sich an. Diese frische, drollige
Weisheit rührte sie. Die Geheimrätin dachte an ihre Brautzeit, wo sie,
nachdem sie einen halben Tag eines Klinikers Verlobte gewesen, mit
nicht minderer Autorität von seinen Berufskomplikationen sprach.

Drinnen im Haus schlug eine Uhr acht. Sie schlug sehr anspruchsvoll,
als habe sie Bedacht, daß nur ja recht weithin ihr pastoraler,
feierlich gemessener Ton den Leuten melde: eine Stunde sei zwar ins
Meer der Zeit zurückversunken, aber man könne ruhig sein, sie, die Uhr,
bleibe standhaft auf dem Posten.

Und dieser weise Klang, der achtmal in die köstliche Morgenfaulheit
hinausdröhnte, störte sie denn auch gründlich.

Fips stopfte den letzten Happen seiner Semmel -- er hatte zwei mehr
gegessen, als sonst sein äußerstes Maß war -- in den Mund; Heinz hielt,
mit stark zurückgelegtem Kopf, den Tassenrand zwischen den Lippen,
damit der dicke Zuckerbodensatz noch hineinrutsche.

Die Geheimrätin klappte in die Hände und mahnte zur Eile. Renate lief
ins Haus, auf den Flur, um nachzusehen, ob die Bücherriemen der Brüder
auch alles Nötige umschlossen; dies Amt war ihr, zum Zorn von Fips
und Heinz, seit zwei Jahren von der Mutter auferlegt, und sie erfüllte
es so gewissenhaft, daß auch heute die Jungens auf dem Flur von ihr
mit der raschen Mahnung empfangen wurden: „Wo ist dein deutsches
Aufsatzheft, Fips? Heinz, dein Vocabulaire fehlt, du hast doch heute
Französisch!“

Draußen gab der Geheimrat seiner Frau einen Kuß auf die Stirn. Halb
neun fing er an zu operieren, es war also Zeit, in die Klinik zu gehen
und sich vorzubereiten.

„Hast du viel heute?“

„Nur drei Sachen, eine davon etwas schwerer!“

Aus solchen Antworten zog die Geheimrätin dann ihre Schlüsse: Er
kommt präzise, verspätet oder gar nicht zum Gabelfrühstück. Und
hiernach richtete es sich, ob er mit von den allgemeinen Schüsseln zu
essen bekam, ob besonders gekocht wurde für ihn, oder ob man in sein
Studierzimmer einen nahrhaften und leichten Imbiß stellte. Sie hatte
auch in ihrem Gedächtnis ein Register. Da stand: Gestern ist eine sehr,
sehr schwere Operation gewesen, und solange Gefahr ist, darf man ihn
nicht anreden, muß sein Schweigen nicht unterbrechen, muß abwarten,
ob er spricht. Oder: Heute entläßt er geheilt eine Patientin, die ein
halbes Jahr gelegen hat, es ist eine arme Frau, man muß daran denken,
ihr noch eine kleine Freude zu machen, dann freut er sich auch. Oder:
Er hat vor ein paar Tagen Ärger mit Doktor Berthold gehabt -- erwähne
nur nicht, daß du die Frau Doktor Berthold gestern trafst, und daß sie
sich unterstand, schnippisch zu sein.

Sie hatte auch herausgefunden, daß aus unbegreiflichen Gründen an
einigen Tagen der Woche die Sprechstunden überlaufener seien als an
anderen; als gäbe es geheime Gesetze, denen zufolge Leidende sich vor
allen Dingen am Montag, Mittwoch und Sonnabend konsultationsbedürftiger
fühlten. Sie hegte einen adressenlosen Zorn in sich, wenn für diese
Tage auch noch schwere Operationen angesetzt waren.

Einladungen zu Diners und Soupers besprach sie nie. Sie verfügte
völlig. Für die Tochter nahm sie an, für sich und den Geheimrat behielt
sie die Entscheidung bis zur letzten Stunde vor. Die Bekannten waren
dazu erzogen worden, mit dieser Unbestimmtheit zu rechnen. Fühlte sie:
Er wird unter keinen Umständen Zeit und Lust haben, in Gesellschaft zu
gehen, erfuhr er überhaupt gar nicht, daß man ausgeladen gewesen war.
Übersah sie am Mittag, daß es ihres Mannes Stimmung entsprach und ihm
eine wohltätige Ablenkung sein werde, unter Menschen zu sein, so sagte
sie ihm einfach: Wir werden heute abend da und da speisen.

Über diese paradoxe Wirkung, daß aus der höchsten Unterordnung eine
Form von Frauenregiment sich ergeben hatte, konnte der Geheimrat
amüsiert spaßen, und Wendungen, wie „wenn ich darf“ -- „falls meine
Frau erlaubt“, kamen bei ihm vor.

Nun ging er also; im Zimmer stieß er noch auf die vom Flur
zurückkehrende Renate, die ihn mit der zärtlichen Dreistigkeit, die
junge Töchter den berühmtesten Vätern gegenüber haben können, noch
flink mal umarmte und um sich selbst drehte.

Dann war sie schon draußen und räumte den Tisch ab, während nun die
Mutter hinter der Zeitungswand verschwand.

Renate sang ein bißchen vor sich hin. Dann unterbrach sie ihr Liedchen.
Schon mit dem beladenen Teebrett in den Händen, das sie vor sich
hielt, sagte sie: „Bitte, Mama -- sieh mal nach -- der Bericht muß
doch schon drin sein -- Wettfahrt Kiel-Travemünde -- unter Jachten
der Kreuzerklasse II -- ist ‚Freia‘ placiert -- Erste? Ja? Hurra. Na,
das freut mich für Reiswitz -- das Gewitter vorgestern -- das hat die
Flaute behoben -- du, die ‚Freia‘ gehört dem Legationssekretär von
Gamberg, der gestern abend mit bei Rosenfelds war. Er ist ein Vetter
von Jutta Falckenrott. -- Mama, wen magst du lieber leiden: Lisbeth
Rosenfeld oder Jutta ...“

Die Geheimrätin ließ etwas ergeben die Zeitung sinken und sagte milde:
„Kind, ich kenne die beiden Damen noch so wenig.“

„Aber so was weiß man doch sofort! Lisbeth ist ja lustig und lebendig
-- denk mal, sie hat mir gestern abend schon gesagt, daß wir uns du
nennen wollen -- aber für Jutta, weißt du, Mama, für Jutta schwärme
ich! Sie ist so schön. Und es ist so etwas Geheimnisvolles in ihren
Augen und in ihrem Wesen.“

„Es ist das Vorrecht deiner Jahre, zu schwärmen,“ sprach die
Geheimrätin nachsichtig.

Renate setzte das Teebrett wieder hin.

„Glaubst du, Mama, daß Emmich Urlaub bekommt und mit uns reisen kann?“

Die Mutter lächelte.

„Kind, was kann ich davon wissen. Wir wollen es hoffen. Ich finde Papas
Idee sehr glücklich.“

„Ach ja,“ sagte Renate aus vollem Herzen und machte sich zum Schoßkind
bei der Mutter, zugleich beide Arme um ihren Hals legend, „es wäre zu
schön. Sieh, wie genau lerntet ihr euch kennen -- Emmich und ihr -- wer
weiß, ob ein so tägliches und nahes Zusammensein sonst jemals im Leben
wieder sein könnte. Und wir lernten uns kennen! Er und ich! Jetzt ist
es alles so wie ein glückseliges Ahnen -- manchmal denk’ ich, es ist
Traum oder Rausch -- ich fühle wohl, Mama, daß es nicht diese Stimmung
ist, in der man durch das Leben geht. Jetzt ist alles so heiß, so
aufgeregt in mir, ich weiß manchmal nicht, ob ich lachen oder weinen
soll ... Ich weiß, allmählich kommt das zur Ruhe, und dann kommt wohl
so ein heiliges Wissen von Liebe und Zusammengehörigkeit wie bei Papa
und dir.“

Die Mutter zog ihr Kind noch fester an sich. Und das Kind, auf der
Schwelle des Frauenlebens, staunend, erregt und doch etwas furchtsam
stehend, fragte flüsternd am Ohr der Mutter weiter: „Mama, ist es
*noch* schöner, verheiratet zu sein als verlobt zu sein?“

Die Mutter schluckte ein wenig, nahm sich zusammen und wich scheu
der Antwort aus, die, klar und für jedes Herz gültig zu geben, über
Frauenvermögen ist.

„Kind, man kann eins nicht über das andere steigern und nicht den einen
Zustand mit dem anderen vergleichen. Wer die Feierzeit des Brautstandes
nicht nur durchjubelt, sondern auch zu ernster Einkehr nutzt, tut gute
Vorarbeit für eine glückliche Ehe.“

Sie blieben ganz still. Der junge, blonde Kopf lag auf der Schulter
der Frau, die in ernster Rührung vor sich hinsah. Und indem sie so
zusammen schwiegen, fühlten sie sich in einer unzerreißbaren Einigkeit
verbunden. Ihnen war, als seien Schranken zwischen ihnen gefallen,
als seien sie nicht so sehr Mutter und Tochter als Trägerinnen eines
Geschicks, Genossinnen in ein und der gleichen Bestimmung.

Um die Mittagszeit, wie es verabredet gewesen war, kam Emmich. Die
Braut in ihrem Rosenhut, den von Rand zu Rand unter dem Kinn weg ein
weißes, am linken Ohr geknüpftes Band hielt, stand schon bereit und zog
sich gerade die weißen Handschuhe zum weißen Kleid an. Sie kannte es
nicht anders als: Männer darf man nicht warten lassen, erstens mögen
sie es nicht, und zweitens haben sie dazu keine Zeit.

Das Brautpaar wollte zu Jutta gehen, um die Mutter des fernen Kameraden
respektvoll zu begrüßen.

Emmich küßte der Geheimrätin die Hand.

„Was sagst du -- Reiswitz ist Erster geworden!“ rief Renate.

Er lächelte. „Reiswitz steht offenbar in Gunst und Gnaden bei dir.“

„Und wie! Denk mal, er war der erste von der Marine, der mir Glück
wünschte. Und er machte es so nett. Es war vorgestern nachmittag ja
gewissermaßen noch nicht offiziell.“

„So kommen Männer zu Meriten,“ scherzte Hochhagen.

„Nur noch die Knöpfe ... ach, ich nehme keinen Sonnenschirm ... ich
will Emmich einhaken ... sag mal, Emmich: Kriegt nun Reiswitz den
Silbergewinn oder Herr von Gamberg?“

„Den bekommt Herr von Gamberg. Aber der Besitzer der ‚Freia‘
wird wohl, wie üblich, dem, der sie zum Sieg geführt hat, eine
Aufmerksamkeit schicken. Korb Sekt -- Zigarettenetui --“

„Der Legationssekretär ist ein Vetter von Frau von Falckenrott?“ fragte
die Geheimrätin.

„Durch sieben Scheffel Erbsen, wie man hierzulande sagt,“ antwortete
Hochhagen und half bei den Handschuhknöpfen, was die Arbeit aber nicht
förderte, da er mehr in Renatens Augen als in ihre Handfläche sah.

„Er ist eine sehr interessante Erscheinung. Vornehm. Fast auffallend
beherrscht in Wort und Haltung. So, daß es wie vorsätzliche
Verschlossenheit wirkt. Wie bei Menschen, die sich nur äußerlich ihrer
zeitweiligen Umgebung schenken. Und sehr ernst.“

„Wer weiß warum!“ dachte Emmich.

„Ach, Mama, mach du die Knöpfe zu,“ bat Renate.

„Ja, ich bin in so was noch so unerfahren,“ entschuldigte er sich.

„Na, na ...“

„Lieber Emmich, unterwegs hat Renée Ihnen etwas vorzutragen. Sie hat
sich’s ausgebeten, es Ihnen selbst und allein sagen zu dürfen. Ich
möchte nur vorweg bemerken: es war meines Mannes eigenster Gedanke, und
wir, mein Mann und ich, wären glücklich, wenn sich das verwirklichen
ließe,“ sprach die Geheimrätin.

„Das klingt verheißungsvoll,“ meinte Hochhagen. „Ich habe Renée auch
etwas vorzutragen -- nur, ich fürchte ... es wird sie nicht sehr
erfreuen ...“

„O Gott -- was Unangenehmes!“ rief die junge Braut. Und unfähig zu
warten, aus einem Gemisch von Angst und Neugier heraus, fragte sie --
und war doch ein bißchen blaß: „Mußt du morgen nach Samoa?“

Er lachte sie herzlich aus.

„Nein, Liebling, so flink kommt dergleichen dann doch nicht ...
Zahnbürste einstecken ... Abschiedskuß ... auf Wiedersehen in
zweieinhalb Jahren ... Aber ein bißchen unregelmäßig könnten meine
Besuche in den nächsten Wochen immerhin werden ...“

„Lieber Emmich, sagen Sie’s nur schlank und klar heraus. Das mögen wir
Frauen bei unangenehmen Sachen am liebsten. Wir haben ja alle zu viel
Phantasie, und die arbeitet während einer Vorbereitung blitzschnell und
malt gleich tausend Schrecknisse aus. Sie hörten es: Das Kind sah Sie
schon nach der Südsee abfahren.“

„Na ... denn ... Also: der Erste Off’zier auf der ‚Thuringia‘ ist so
kaputt -- nervös -- überarbeitet -- daß er wohl auf ein paar Wochen
oder länger in ein Sanatorium muß, sich mal gründlich kurieren ... Ich
soll ihn ersetzen. Zunächst gehen wir nur die Woche über zu allerlei
Schieß- und anderen Übungen hinaus und kommen Freitag abends wieder
herein. Aber dann geht’s in die Nordsee -- ein kleines Manöverpräludium
bei Helgoland. Hieran schließen sich die großen Manöver in der Ostsee.
Ob ich die auch noch mitmachen muß, kann ich heute nicht vorweg wissen
und sagen. Krietzow -- den ich vertreten soll -- legt alles daran, sich
rasch zu erholen -- sein spezieller Landesherr, zu dessen Dynastie die
Krietzows immer nahe Beziehungen hatten, will vom Bord der ‚Thuringia‘
aus den Manövern zusehen ... Also das schwebt im ungewissen -- hängt
von Krietzows mehr oder minderer Erholung ab -- erst mal aber bin ich
da fest ...“

In raschem Überblick, sowohl als Hausfrau wie als Mutter und Gattin,
dachte die Geheimrätin, daß es gar kein ungünstiger Zustand sei, wenn
so ein Verlobter fünf Wochentage sich nicht allabendlich zum zärtlichen
Beisammensein einfinden könne.

Aber da Renate wirklich ein bißchen verhagelt aussah, klopfte sie
ihr ermutigend die Wange und sagte heiter: „Also im Ernst gar keine
Trennung, sondern nur eine kleine Übung -- auch fürs Kind -- um sich
auf die Marinefrau vorzubereiten.“

„Ja, Mama -- aber siehst du denn nicht -- damit ist das andere doch
auch entschieden ...“, sprach Renate. Schwer vor Enttäuschung war ihr
das Gemüt.

„Jetzt geht nur ... das kannst du mit Emmich unterwegs besprechen ...
geht nur, sonst stört ihr Frau von Falckenrott noch bei Tisch.“

Und sie drängte das Brautpaar förmlich fort. Denn sie hatte alle Hände
voll zu tun und fühlte sich schon sehr gestört. Dennoch war eine Minute
übrig, um hinter der Gardine verborgen dem Paar in stolzer Befriedigung
nachzusehen. Renate, lang und schlank, war nur ganz wenig kleiner als
der Mann, der fest und stattlich neben ihr schritt, in guter Harmonie
des Ganges. Die Geheimrätin machte gern so ihre kleinen Schlüsse aus
dem Gang eines Menschen. Männer, die trippelnd oder ungleichen kurzen
Schrittes gingen, solche, die immer nur das eine Bein voransetzten und
das zweite nachzogen, in dieser allgemeinsten Form des Gehens, flößten
ihr kein rechtes Vertrauen ein. Sie mochte Männer, die stolz und
geradeaus, im sicheren Wohlmaß der Bewegung schritten. Und das tat der
Kapitän Hochhagen, trotz jener leisen, fast unbestimmbaren Nuance, die
den Seemann verriet.

Renate hatte ihre Hand unter den Arm des Verlobten geschoben, aber sie
stützte sich dennoch nicht eigentlich, sondern schritt leichtfüßig und
selbständig neben ihm einher.

„Ach ja,“ dachte sie immerfort, „es fängt schon an!“

„Sag, Süße, verstimmt es dich so schwer, daß ich während der nächsten
Wochen fort sein werde? Dies Kommen und Gehen ist aber doch keine
wirkliche Trennung.“

„Doch, Emmich, doch! Aber ich werde natürlich tapfer sein. Es wäre
kindisch, wollt’ ich’s nicht. Trennung ist es aber doch. Du denkst wohl
nicht daran: Heute haben die Universitätsferien begonnen ... Papa hat
noch ein paar schwere Operierte, die erst außer Gefahr sein müssen, ehe
er sie den Assistenzärzten überläßt -- aber so in vierzehn Tagen reisen
wir ... Das tun wir immer in den großen Ferien Papas -- da muß er eine
total andere Umgebung haben -- zwar, er arbeitet auch dann oft und viel
wissenschaftlich ... aber es ist doch eine andere Art des Lebens ...“

„Und ihr reist immer alle mit?“ fragte Hochhagen in einem ihn selbst
überraschenden Gemisch von Empfindungen. Es war einerseits gut,
wenn diese Reise nun gerade mit seinem vorübergehenden Bordkommando
zusammenfiel. Aber anderseits schien es ihm, als sei ihm Renate näher,
wenn sie hier in Kiel in ihrem Elternhaus von seinen Briefen erreicht
und seinen Gedanken gefunden werden konnte. „In was man sich alles
reinfühlt,“ dachte er erstaunt; war es nicht gerade, als ob man in
eine völlig veränderte Stellung zu Dingen und Menschen gekommen sei?!

„Nein. Fips und Heinz kommen immer zu Doktor Habel in Pension. Habels
gehen erst mit ihnen an die See, solange Schulferien sind. Papa bleibt
gewöhnlich bis zum achten Oktober fort und beginnt erst dann zu lesen.
Ich bin immer mitgekommen -- ich bin Papas Liebling -- so ein bißchen
-- es ist ja auch anders -- ich brauchte ja auch nicht wie Fips und
Heinz aufs Abiturium loszubüffeln. -- Na, und jetzt ...“

Er erriet.

„Diesmal wolltest du lieber hier bleiben!“ sagte er voll zärtlicher
Dankbarkeit und streichelte die Hand, die auf seinem Arm lag.

„Natürlich. Aber Mama sagt: Unmöglich. Und Papa hatte eine himmlische
Idee! Ich sollte dich einladen, die ganze Zeit solltest du mit uns
reisen als Papas Sohn. Jawohl.“

Nun zitterte ihre Stimme und es kostete etwas, das
Enttäuschungstränlein zurückzuhalten. An den Wimpern hing es aber doch.

„Oh ...“ Er war ganz betroffen. Ob das schön gewesen wäre! Und wie
hätte man sich kennen gelernt! Miteinander eingelebt! -- -- Aber
man war kein Luxusmensch. Man hatte einen rauhen, wichtigen Beruf.
Man gehörte nicht sich, sondern einer grandiosen Sache. Und man war
gewohnt, ohne Wimpernzucken zu verzichten.

„Das ist rührend von Papa ... Und du sagst, bis Anfang Oktober bleibt
ihr fort ...“

Sie nickte seufzend.

„Ich könnte Urlaub nehmen -- sowie Krietzow wieder dienstfähig ist --
nur dumm, daß man heute nicht weiß: ist das vor oder nach ’m Manöver.
Jawohl ... wenn ich dir sage, daß ich seit drei Jahren nie wirklichen
Urlaub hatte -- mal so zwei, drei Tage für eine Kameradenhochzeit, das
war eigentlich alles. Was meinst du? Wenn ihr nicht irgendwo am anderen
Ende der Welt sitzt, könnte ich doch noch nachkommen. Ja, sogar noch
nach dem Manöver. Sonst früher. Alles hängt von Krietzow ab. Aber wie?
Wenn’s denn auch nur nach dem Manöver anginge. Es wäre doch immer was?“

Ob es etwas wäre! Leider war man jetzt auf der Straße, ging gerade über
den Klaus-Groth-Platz auf den Niemannsweg zu. Deshalb konnte Renate
dem liebsten Mann nicht jubelnd um den Hals fallen. Nachdem schon alle
Freude verloren gegeben war, erschien nun dieser Bruchteil davon, der
doch noch vielleicht den Umständen abgerungen werden konnte, wie ein
überwältigendes Geschenk.

Renate tanzte beinahe neben ihrem Kapitän einher. Und all ihre Freude
strömte wie Liebesbekenntnis beseligend zu ihm hinüber.

Und allerlei Gedanken gingen, schwer von Glück und schwer auch von
Mitleid und fast von Furcht, andächtig durch ihn hin: Welch ein
Rückschlag für eine solche jubelnde, liebessehnsüchtige Seele, wenn sie
sich plötzlich in Entsagung und Einsamkeit versetzt sieht. Ja, da mußte
man wohl milde richten, wenn so eine Seele dann aus dem Gleichgewicht
kam ... Arme Jutta! Und er fühlte: eine ganz besondere, reine Kraft
-- eine große, heilige Einfältigkeit muß ein Frauenherz haben, um
Einsamkeit ertragen zu können ...

Sie, die Eine, Süße, die hier, beschwingt von Freude, in stillem
Jauchzen neben ihm ging -- sie hatte solche klare Kraft. -- Er glaubte
es ...

Zwei Seeoffiziere kamen ihnen entgegen: Die Gesichter beider Herren
hatten den Glanz neugieriger und erfreuter Teilnahme. Es waren Bekannte
Hochhagens. Man stand still, Glückwünsche wurden dargebracht, Renate
sagte, kaum daß sie vorüber waren: „Wie sind sie nett.“

Nun kam auf dem Bürgersteig Tante Adele in Sicht. Sonst dachte Renate
wohl manchmal: „Du lieber Gott, schon wieder Tante Adele.“ Heute sagte
sie: „Da kommt ja Tante Adele -- ach, sie ist zu nett.“

Die Dame, die heranschritt, hielt schon von weitem ihre beiden, in
bräunlichen, halbdurchsichtigen Trikothandschuhen steckenden Hände mit
gespreizten Fingern dem Paar entgegen. Schmachtende Freude verklärte
ihr kleines Gesicht, in dem zwei blanke, braune Augen unter merkwürdig
dicken Lidern auffielen. Unter dem winzigen Kinn saß das Polster
eines rilligen, weißen Fettlagers. Da nun auch Tante Adelens Mund von
stattlicher Breite und in seinen Winkeln ein wenig nach oben gezogen
war, mußte man eigentlich Fips und Heinz in einem gewissen, ruchlosen
Vergleich recht geben. Und als sie einmal, bei Tante Adelens Eintritt
ins Zimmer, sachte und scheinbar ganz unbeabsichtigt „quak -- quak“
vor sich hingesagt hatten, konnte ihnen die Mutter nicht einmal einen
Klapps geben, damit ihr die Jungens nicht, nach der Logik der bekannten
Anekdote, mit der frechen Frage kamen: „Wen meintest *du* denn?“

„Mein Ängel!“ sagte Tante Adele überwältigt.

Renate stellte ihren Verlobten vor. Er küßte ritterlich den
Trikothandschuh und sagte Verbindliches, worauf Tante Adele ihm innig
die Hand drückte und ihn bedeutungsvoll mit schwimmendem Blick ansah,
als schlösse sie ein schweigendes Bündnis mit ihm, das Zeit und
Ewigkeit überdauern solle.

Hochhagen und Renate hörten Tante Adele zu.

„Vorgestern ist bei euch Verlobungsfete gewesen? -- Ich nehme es nicht
übel, daß ich nicht zugezogen wurde -- Lüdermanns sind dagewesen?
Es ist mir ja nur deshalb unangenehm, weil Frau Professor Lüdermann
denken könnte, ich stehe nicht mehr so nahe ... Ach, Herr Kapitän,
machen Sie das Kind glücklich. Sie ist ein Ängel ... Ich bin auf dem
Weg zu deiner Mutter, um ihr Glück zu wünschen, obschon ich noch keine
offizielle Anzeige erhalten habe. Ich störe Mama doch nicht? In so
neuen Lebensverhältnissen werden die alten Freunde zuweilen lästig
empfunden. Ich habe mir vorgenommen, ganz zurückhaltend zu sein und
nichts übelzunehmen.“

Renate versicherte, daß Mama nicht gestört, sondern erfreut sein werde,
und daß noch heute beim Frühstück von Tante Adele die Rede gewesen
sei. Und dann setzte man seine Wege fort. Renate hatte unbestimmt das
Gefühl, daß Tante Adele keinen sehr bestrickenden Eindruck gemacht
haben konnte, und erklärte und entschuldigte: „Sie ist so lieb und gut.
Aber weißt du: verkümmert. Nie hat ein Mann um sie angehalten, ihr den
Hof gemacht, Wünsche auf sie gerichtet, Gefallen an ihr gefunden. Mama
sagt, das habe ihr was Isoliertes gegeben. So, als stehe sie draußen
am Gitter, und drinnen sei das Leben. Sie ist aber doch sehr nett ...“

Hochhagen sah schon: sein geliebtes Mädchen war jetzt allen Menschen
gut. Denn er bezweifelte nicht im mindesten, daß sie ehedem, mit Fips
und Heinz, übermütige Kritik an dieser gefühlvollen und beleidigten
Dame geübt habe.

Aber er verstand ihre Stimmung: diesen Kuß der ganzen Welt ... Und das
war wieder wie eine verborgene Liebeserklärung an ihn, die sein Gefühl
nur immer noch steigerte.

Noch zweimal wurden sie von Kameraden angehalten, die nicht
vorübergehen wollten, ohne Glück zu wünschen. Und während Hochhagen
spürte, man denke: „Donnerwetter!“ und: „Der hat Dusel,“ sah er, daß
Renate einen lachenden, naiven Stolz zeigte, darauf, daß er sie gewählt
habe, vor allen Frauen sie ...

Wie das alles merkwürdig war: Rührend vor allen Dingen, aber doch auch
verpflichtend, voll geheimen Ernstes -- voll verborgener Tragweite ...

Endlich betraten sie Juttas Wohnung. Sie fanden schon Besuch vor: den
Legationssekretär von Gamberg.

Gezwungen, in kühler Unterhaltung saß man dann im Balkonzimmer. Die
alte Frau thronte auf dem Sofa, vor der bräunlichen Seidenwand, auf
der Reiher von Goldstickerei lächerlich vornehm zwischen weißen,
schimmernden Aprikosenblüten stelzten. Sie trug ein schwarzes Kleid mit
einem schmalen, lila Westeneinsatz, der durch Haken geschlossen war,
aber infolge ihrer Rundlichkeit zwischen den Haken ein wenig klaffte.
Aus einer dieser Spalten kam das Schlänglein einer goldenen Uhrkette
heraus, daran eine Troddel hing. Während des Sprechens nahm Frau von
Falckenrott oft diese Troddel zwischen Daumen und Zeigefinger der
Linken und spielte nervös damit.

Sie hatte einen gespannten Ausdruck voll versteckter Erregung. Wie
jemand, der sich nicht am Platz fühlt, dadurch aber mehr gereizt und
beleidigt als gerade unsicher geworden ist.

Jutta, in ihrem schlichten, weißen Kleid, sah sehr bleich aus. Sie
tat genau das, was man „Konversation machen“ nennt. Sie versuchte
unaufhörlich ein Gespräch zu unterhalten, das alle Anwesenden irgendwie
zur Teilnahme daran bewegen mußte.

Hochhagen und Renate erfuhren, daß Herr von Gamberg gekommen sei, um
Abschied zu nehmen.

„Ja,“ sagte er, „seit einigen Monaten habe ich mir das Vergnügen machen
dürfen, nach Kiel zu fahren -- die Montierung meiner Jacht zu verfolgen
-- ihre ersten Segelversuche -- das hat mich unterhalten ...“

Hochhagen dachte, daß das nur ein Vorwand gewesen sei ... Herbert
Gamberg war in der Vermögenslage, sich solche „Vorwände“ leisten zu
können.

„Und das hat nun alles ein Ende? Die Fahrten nach Kiel? Das Interesse
an der Jacht?“ fragte Hochhagen in gut erzielter Unbefangenheit.

„Ich trete jetzt meinen Urlaub an und nach seinem Ablauf meinen neuen
Posten.“

„Ah -- Sie sind versetzt.“

„Ja.“

Es war merkwürdig, daß Gamberg vermied, jetzt und hier zu sagen wohin.
„Nun,“ dachte Hochhagen, „diplomatische Versetzungen sind kein
Staatsgeheimnis, man wird es ja lesen ...“

Renate sprach mit der alten Frau.

„Als Ihr Bräut’jam eben hereinkam, ergriff es mich ... der Rock meines
Malte, sein Bart, fast seine Figur -- Gott, doch eine große Ähnlichkeit
-- und er ist immer ein treuer Freund meines Malte gewesen.“

Ihre Stimme bebte.

„Die Trennung ist Ihnen schwer?“ fragte Renate so liebevoll, als sie
konnte. Denn in einer raschen, vorurteilsvollen Empfindung fühlte sie
sich enttäuscht von der alten Dame.

„Doch ja ... besonders nun, wo ich hier in seiner Häuslichkeit bin ...
und immer denken muß, er sehnt sich nach Frau und Kind.“

„Nein, Mutter, nach dem Kind kann Malte sich gar nicht sehnen,“ sprach
Jutta unerwartet dazwischen, „er kennt es ja gar nicht. Es ist ihm eine
Geschichte, daß er eins hat. Er vergißt es auch fast immer -- das Kind
ist sozusagen eine P.-S.-Angelegenheit für ihn.“

Sie sagte es ganz ohne Schärfe. Nur feststellend.

Aber das vielleicht war es gerade, was die alte Frau reizte. Sie sah
an der Schwiegertochter vorbei und richtete Blick und Wort geradezu
an Hochhagen, der bei Juttas Bemerkung sein oberflächliches Gespräch
mit Gamberg abbrach und in plötzlich aufwallendem Unbehagen den Frauen
zuhörte.

„Glauben Sie mir, lieber Herr Kapitän, für ganz kleine Kinder haben
Männer nie eine so eifrige Teilnahme wie wir -- ob sie nun im Haus sind
oder weit weg -- das ist gleich. -- Aber man muß deshalb nicht denken,
sie hätten kein Gefühl dafür. Das wäre ja unnatürlich, wenn sie es
nicht hätten.“

„Es wäre vielleicht Pose, vielleicht Lüge, wenn sie von Vatergefühlen
sprächen, in einem Fall wie diesem,“ sagte Jutta und bekam langsam ein
heißes Gesicht; „ich glaube nicht an die sogenannte Stimme der Natur
oder des Blutes. Tausend und aber tausend Beispiele sprechen dagegen.
Ebensoviele dafür, daß sich Elternliebe nur aus der beständigsten und
genauesten Erfüllung der Elternpflicht gebiert. Aber das ist ja eine
ungeheuer umfassende Frage. Da wir sie nicht beantworten können, wollen
wir sie auch nicht anschneiden.“

Und dann setzte sie noch hinzu, im gewaltsamen Versuch zu scherzen:
„Ja, Malte ist eben dienstlich nicht in der Lage, sich Vaterfreuden
hinzugeben.“

Den Scherz hörte die alte Frau gar nicht. Sie hatte ein eifervolles
Gefühl, daß sie diese allerpersönlichste Angelegenheit nicht zu einer
großen, allgemeinen Frage umbiegen lassen wollte.

Sie spürte in ihrem Empfinden: das beraubte den fernen Sohn und damit
auch sie -- bestritt ihr geradezu das ganz enge Anrecht an dies kleine
Kind. Ihr kam es, seit sie hier war, vor, als müsse sie sich in ihrer
Großmutterschaft betonen, während sie vorher, in der Heimat, sich
einfach als die Hauptperson, als die Nächste zu dem Kindchen gefühlt
hatte.

„Es ist beinahe immer,“ sprach sie mit sehr weinerlicher Stimme, „als
mache Jutta meinem Sohn einen Vorwurf daraus, daß er weg ist.“

Sie lächelte, in einer eifrigen, künstlich freundlichen Art, damit man
glauben möge, daß es scherzhaft gemeint sei, was sie sagte, während in
ihrer ängstlich bebenden Stimme doch eine schwere Anklage mitschwang.

Renate sah sie fast furchtsam an. Von dieser alten Frau ging etwas
Feindseliges aus -- unbestimmt und unerquicklich.

Herr von Gamberg stand langsam auf und trat in die Balkontür.

„Aber liebe gnädige Frau, Sie verstehen Jutta gewiß falsch,“ sagte
Hochhagen voller Herzlichkeit, „Ihre Schwiegertochter war, trotz
all unserer Freundschaft, doch sehr einsam. Sie ist in den Fehler
aller Nachdenklichen verfallen und hat sich die einfachsten Dinge
kompliziert.“

Er sah Jutta an, bittend, aufmunternd -- als wolle er ermahnen: schone
die alte Frau.

Obgleich er schon begriff: diese beiden konnten einander weder schonen
noch wohl tun. Obgleich er schon erkannte: die Ankunft der Mutter hatte
die Lage nicht geklärt, hatte sie nur bedrohlicher gemacht.

Rechte und Art beider Frauen waren zu verschieden.

Hochhagen hatte des Freundes Mutter kennen gelernt, als unter allen
Formen des Gefühlsüberschwangs Hochzeit gefeiert wurde. Als sich in
dieser Mutter für das Hochzeitspaar eben alles Mütterliche verkörperte,
weil auf der anderen Seite nur ein befangener Vater und eine unsicher
sich gebende Stiefmutter stand. Damals hatte Freude und Rührung
diese Frauentype zu einer besonderen Erscheinung von Tiefe und Würde
gestaltet.

Nun schien ihm, als sei dies eine brave, liebevolle Frau aus jener
Enge, in der man den Lauf des Lebens nur versteht, wenn er sacht
zwischen dem Faschinenbau des Herkommens hinrinnt.

Nein, diese hatte gewiß nicht die feste, kluge Hand, die halten kann,
ohne merken zu lassen: ich leite dich ...

Diese alte Frau konnte wahrscheinlich das Außergewöhnliche nicht mit
Verständnis, sondern nur mit Lamentationen begleiten ...

Jetzt sprach die Mutter: „Alles ändert sich ja wohl mit der Zeit. In
meiner Jugend las man ergreifende Geschichten von Frauen, die jahrelang
warteten und spannen und ihre Kinder erzogen und still bereit in der
Kemenate saßen, bis der Gatte aus dem Kreuzzug heimkam. Die Frauen von
heute können nicht mehr so viel Geduld aufbringen, glaube ich.“

„Romantik liest sich immer besser, als daß sie sich erlebt,“ sagte
Jutta.

„Ich hab’ immer gedacht, wenn’s mir so naheging, daß mein Junge so weit
weg war: ja, an die Frauen aus der Franzosenzeit hab’ ich gedacht. Mein
Mann hatte es von seiner Mutter und Großmutter erzählen hören: ihr Haar
und ihren Trauring hat die Cornelie von Falckenrott auf dem Altar des
Vaterlandes geopfert. Solche Opfer, auf einmal, wenn einen alles so
hinreißt, das ist ja wohl immer leichter als die, die stille sind und
lange währen. Aber ich hab’ mir dann gesagt: es hat ja einen großen
Zweck.“

„Ganz gewiß,“ sprach Hochhagen warm, „das war gut und groß gedacht und
gefühlt.“

„Ja, Mutter, du hast recht mit jedem Wort,“ sagte Jutta langsam.

Man wußte nicht recht, was man aus dieser Zustimmung machen sollte.
Aber die alte Frau suchte einen Blick der Zufriedenheit an Hochhagen
zu richten. Ihr war doch, als habe sie sich eben einen kleinen Sieg
der Erfahrung und Weisheit über unbegreifliche Stimmungen der Jugend
ersprochen. Das tat ihr wohl.

Sie wandte sich nun wieder zu Renate.

„Liebes Fräulein, Sie haben so ein ernsthaftes Gesicht bekommen.
Ängstigen Sie sich nur nicht davor, daß Ihr Gatte in spe mal hinaus
muß. Trennung facht Liebe meistens nur an. Das weiß ich aus Erfahrung.
Wenn mein seliger Mann eine Inspektionsreise gemacht hatte -- er war
Oberforstmeister -- Gott, ja, es ist doch eigentlich zu komisch, daß
mein Malte so ganz in den Gegensatz gegangen ist. Meer und Wald ...“

So erzählte sie behaglich weiter und breitete ihre Gefühle von ehedem
gern vor der jungen, respektvoll zuhörenden Renate hin.

Unterdes hatte Herr von Gamberg sich gezwungen, höflich zum Gespräch
zurückzukehren.

Er erzählte Hochhagen einiges aus dem depeschierten Segelbericht, den
Reiswitz wichtiger- und überflüssigerweise über den Sieg der „Freia“
geschickt. Man lächelte ein wenig und fand ein paar Handvoll Worte über
die noch ausstehenden Sportveranstaltungen -- Gamberg sagte, er werde
nach Warnemünde fahren, um dort seine Jacht wiederzutreffen, die er mit
nach Rügen zu nehmen denke -- für kurze Zeit -- man konnte aus seinen
Worten, wenn man wollte, schließen, daß er vielleicht den Urlaub auf
Rügen verleben wolle ...

Und dann errieten sich Hochhagen und Renate aus einem raschen Blick,
mit dem sie gleichzeitig einander sagten: Nun können wir wohl gehen.

Man verabschiedete sich. Hochhagen kämpfte die Frage nieder: Wie wird
es denn? Reisen Sie? Bleiben Sie? War das vorgestern abend Ihr letztes
Wort in der Sache?

Er fühlte, es kam ihm nun nicht mehr zu, für den fernen Kameraden
einzutreten.

Hier war seine Mutter! Wie sie auch für des Sohnes Rechte focht: klug
oder töricht, man mußte ihrer Hand alles überlassen.

Die alte Frau von Falckenrott mochte nicht so schnell den Freund
ihres Sohnes wieder verschwinden sehen. Sie hätte ihn am liebsten am
Rockknopf festgehalten. Er war doch wie ein Teil vom Leben jenes fernen
Lebens ...

Sie stand also mit auf, geleitete das Brautpaar durch das Zimmer und
hielt es vor einem Zierschränkchen auf, wo ein Bild des Sohnes zwischen
allerlei chinesischen Nippes aus einem blanken, japanischen Lackrahmen
heraussah. Renate mußte es sehr aufmerksam betrachten, um die einzelnen
Ähnlichkeiten in den Gesichtern von Mutter und Sohn festzustellen. Voll
Genugtuung machte Frau von Falckenrott sie auf die gleiche Form der
Stirnbogen und der Nase aufmerksam.

Auf den Flur ging sie mit hinaus und fing an der Klinke der Etagentür
noch mit ausführlichen Kadettengeschichten an, deren sie sich aus ihres
Maltes damaligen Briefen genau erinnerte. Man sah, Hochhagens und
Rosenfelds junge Streiche standen noch frisch in ihrem Gedächtnis, als
sei alles erst gestern gewesen, was diese drei mitsammen ausgefressen
hatten. Und noch immer liebkoste ihr mütterlicher Stolz dankbar und
bewundernd die Tatsache, daß es lauter harmlose Jünglingstaten gewesen
seien.

Dies alles war unaussprechlich rührend. Und das alte Mutterherz befand
sich bei diesen Gefühlsschwelgereien nur in seinem Recht. Renate
schämte sich, daß sie die Frau nicht gern leiden mochte, und um dies
vor ihrer Selbstkritik gutzumachen, zeigte sie nun ein dringliches
Interesse an diesen alten, lachenden Geschichten.

Hochhagen aber erkannte gequält, daß die Mutter wohl in
leidenschaftlicher Aufdringlichkeit der jungen Frau den Mann
nahebringen wollte, in einem Augenblick, wo sie von ihm zurückzuweichen
begann. Er wußte: das vertragen wenige Menschen -- ermattende Liebe hat
noch nie durch Zureden neue starke Kraft gewonnen.

Er war erleichtert, daß Renate ihm gutmütig und lebhaft das
Gespräch mit der alten Frau fast ganz abnahm, bis man nach endlosen
Verabschiedungen sich endlich trennte.

Unterdessen waren sie allein geblieben -- Jutta und der Mann, der nun
solchen bedeutungsvollen Abschied nahm.

Kaum daß die Tür sich hinter den dreien schloß, so trat er rasch an die
junge Frau heran und nahm ihre Hand, sie mit pressendem Druck haltend.

„Daß dies meine letzten Minuten mit Ihnen sein müssen -- vor solcher
Trennung!“ sprach er in leidenschaftlichem Zorn.

„Ach, nichts ist mehr zu sagen -- nichts,“ flüsterte Jutta ganz
erschöpft von der Anstrengung. Sie fühlte nur: immerfort muß ich mich
verteidigen -- gegen alles und alle und gegen mich selbst -- ich kann
nicht mehr ...

„Sie werden mir schreiben -- Ihre Entschlüsse, Ihre Stimmungen,“
drängte er.

Sie schien nicht zu hören. Sie sprach vor sich hin.

„Schuldig komme ich mir vor -- und bin mir keiner Schuld bewußt. Die
alte Frau setzt mich ins Unrecht ... irgendwie -- von selbst ... Nur,
weil sie da ist ...“

„Trennen Sie sich von ihr, so rasch, als es mit Schicklichkeit geht --
ganz unbeeinflußt von ihr und von mir sollen Sie über sich entscheiden
-- darum flieh’ ich ... Eine Flucht, die mich etwas kostet ...“

Er küßte ihr die Hand, heiß und schweigend.

Er brauchte ihr nicht noch einmal zu sagen: willst du mein sein,
erstreite ich dich von dem Mann und seiner Mutter -- in offenem Kampf
... Glück, hinterrücks gestohlen, verbietet sich uns ...

Sie stand zitternd. Sie fühlte wohl -- ihr Leben und das der Männer lag
in ihrer Macht -- Macht? Ach nein -- Unschlüssige haben keine Macht
... Und als dumpfe Angst drückte sie das Gefühl, daß der Stärke ihres
Temperaments keine klare Stärke des Willens beigesellt war ...

„Lebe wohl,“ sprach er ganz leise.

Sie sahen sich an. Mit ehernem Ernst. Zwei, die mehr die Drohungen als
den Rausch der Liebe empfinden.

In diesem Augenblick erschien die alte Frau wieder in der Tür.

Sie sah die Blicke, die voll schweren Ausdrucks tief ineinander
wurzelten zu letzter, stummer Aussprache ...

Ihr Gesicht wurde ganz grau. Sie wollte etwas sagen, bewegte nur die
Lippen. --

Herbert Gamberg verneigte sich noch einmal tief vor Jutta.

Dann ging er, sehr ernst, auf die alte Frau zu, um in respektvollem
Handkuß sich von ihr zu verabschieden.

Sie aber, linkisch halb, halb betäubt vor Zorn, verbarg vor ihm ihre
Hand. Er verbeugte sich, in fremder Ehrfurcht, gemessen und doch ohne
Befangenheit ... Und ging ...

„Was war ... was war das? ... Was will dieser Mann ... Und du? Du?“
stotterte sie und kam, fast besinnungslos, auf Jutta zu.

Sie wich ein wenig zurück, wie vor drohendem Angriff -- das war
unwillkürlich -- dann faßte sie sich, sah der alten Frau gerade in das
weiße Gesicht und sagte laut und stolz: „Du hättest ihm deine Hand
geben dürfen.“



VI


„Mein lieber Malte! Nun hast Du meine Depesche erhalten, die Dir sagt,
daß ich nicht kommen kann. Von was für lächerlichen Bedenken läßt man
sich bestimmen. Warum habe ich nicht ein paar hundert Mark in die Hand
genommen, um Dir eine sehr lange Depesche zu senden -- eine, die von
Gründen spricht?

Aber ich denke wiederum: wäre sie unverstümmelt angekommen? Hätte
nicht *ein* entstelltes Wort eine Reihe von falschen Vorstellungen
in Dir erwecken können? Dich in namenlose Bestürzungen und Sorgen
bringen können? Vielleicht hat mich diese Erwägung bestimmt, Dir nur
zu telegraphieren, daß ich mein kleines Kind nicht verlassen kann. Und
Du ergänzt diese Mitteilung aus Deiner Phantasie heraus. Nimmst an:
vielleicht ist das Kind kränklich; vielleicht ist Mutter doch schon zu
alt, als daß man ihr mit solcher Unruhe kommen dürfte.

Nein, das Kind ist wohl. Mutter hätte es gern genommen. --

Als Du ausreistest, lieber Malte, gabst Du mir vorher einige
Lehren über das Korrespondieren nach anderen Weltteilen. Es waren
gewissermaßen Fundamentalsätze für den Briefverkehr mit fernen
Familienmitgliedern. Du sagtest mir: dies dünne Überseepapier hat
einen eigenen Charakter, es verträgt gewissermaßen nur Chronik, keine
Psychologie. Du erklärtest mir: man muß keine Stimmungen über den Ozean
hinweg mitteilen wollen. Bis die Mitteilung zu dem Herzen kommt, an
das sie gerichtet ist, hat das Herz, das sie machte, sich schon längst
wieder beruhigt. Kleinere seelische und körperliche Unpäßlichkeiten,
sagtest Du, meldet man nicht an die andere Globushälfte. Man erweckt
dort schmerzliche Sorgen zu einer Stunde, wo hier schon alles
überwunden und vergessen ist.

Ich habe es vollkommen verstanden und mich nach besten Kräften danach
gerichtet. Ich sah ein: es war eine kluge Grausamkeit -- grausame
Klugheit. Die Gemütsruhe des Fernen muß erkauft werden mit der
beständigen Selbstbeherrschung des Zurückgebliebenen.

Und so habe ich mein Gefühl zurückgedämmt, wenn es hinströmen wollte;
ich habe meine Seele zur Stummheit gezwungen. Ich habe versucht, Dir
nur Berichterstattungen über meine Tagesläufe zu geben. Und ich habe
verschwiegen, was in mir sich an seltsamen Kämpfen und Rätseln zutrug.
Denn ich, lieber Malte, bin vielleicht eine von den unglücklichen
Naturen, die mehr in sich erleben, als sie jemals mit Menschen und Welt
erleben können.

Ich versank in ein Einsamkeitsgefühl beinahe ungeheurer Art, als Du
fortgegangen warst. Und es kommt mir vor, als sei ich schon ein ganzes
Menschenalter in dieser Einsamkeit ... eine lange, lange Zeit schon ...
Und in dieser Zeit hat sich so viel in mir verändert, und mir scheint,
ein ganz neuer Mensch ist aus mir geworden. Einer, den Du vielleicht
gar nicht mehr liebhaben würdest, der fremd, der abstoßend auf Dich
wirken kann.

Und nun muß ich doch viele Bogen Überseepapier vollschreiben. Denn mit
der bloßen nüchternen Mitteilung von allerlei wichtigen und unwichtigen
Tatsachen bleibe ich nicht mehr wahr.

Vielleicht hätte ich noch unbestimmbare Zeit mich von meiner inneren
Unsicherheit niederdrücken lassen und mutlos weiter geschwiegen. Aber
nun riefst Du mich ‚komme‘, und ich antwortete ‚nein‘. Und dafür willst
Du Erklärungen. Es ist Dein Recht, sie zu erwarten. Ich will versuchen,
sie zu geben, soweit man das Unerklärliche deutlich machen kann.

Laß mich bei dem beginnen, was ganz gewiß erst in zweiter Linie steht.

Ich meine, mein Verhältnis zu Deiner verehrungswürdigen Mutter. Aber
ich kann Dir und mir vielleicht daran beweisen, wie Empfindungen und
innerste Stimmung zu einem Menschen sich ändern können, ohne daß
man den Grund aufzeigen kann. Ja, das Grundlose ist das eigentlich
Furchtbare daran, das jäh Überraschende, das aus Tiefen unseres Wesens
aufsteigt, von denen wir nichts wußten, und die wir deshalb auch nicht
bewachen konnten.

Unser alter Hausarzt sagte oft: niemals kann man sich besser gegen
Krankheiten schützen als bei Epidemien, denn man ist gewarnt; man ist
nur waffenlos gegen noch nicht erkannte Gefahren.

Wie sollte ich mein Gemüt mit Pietät, mit Dankbarkeit bewaffnen? Ich
wußte gar nicht, daß die ergebene Liebe, die es gehegt hatte, in Gefahr
sei.

Weit zurück, einer Vergangenheit gleich, die nie wiederkehrt, mit der
mich nichts mehr verbindet als eine Erinnerung, ist es mir, daß ich
als Deine Braut Deiner Mutter glücklich dankbare Tochter war. Wie nun
Deine Mutter wieder vor mir stand, die ich inzwischen vielleicht ein
ganz anderer Mensch geworden bin, da schien mir alles fremd an ihr,
und ich konnte es nicht begreifen, daß zwischen uns eine allernächste
Gemeinsamkeit der Lebensinteressen sein sollte. Sie aber empfand diese
Gemeinsamkeit als ihren gerechten Anspruch, obgleich auch in ihr eine
Feindseligkeit gegen mich war oder erwachte.

Sie ist Deine gute, rührende, treue, opferfreudige Mutter. Kein Wort
kann warm und groß genug in meinem Munde sein, sie zu loben.

Aber sie fand in mir nicht die elementare Sehnsucht nach Dir, nicht
das Trennungsleid, wie es nach *ihrem* Maßstab sein sollte. Und sie
fühlte sich gekränkt, weil ich, gerade wie sie, zuerst Mutter bin
-- nur Mutter. Weil ich mein Kind nicht verlassen will und kann um
Deinetwillen, und weil ich es ihr nicht und niemand anvertrauen mag.
Weil mir meine Mutterpflichten schmerzlich und bedrängend sind -- denn
mir ist mein Kind wie ein vaterloses Kind!

Nun ist es aber unter Frauen wohl so: eine will der anderen immer die
Art ihres Gefühls aufzwingen. Und wo das unmöglich ist, entfernen sie
sich rasch voneinander.

So haben Mutter und ich uns ganz rasch voneinander entfernt. Und
gestern morgen, lieber Malte, ist sie wieder abgereist. Wir weinten,
als die letzten Minuten herankamen. Bis dahin waren wir gezwungen,
gereizt, unfrei miteinander. Aber in jenen allerletzten Augenblicken
brach über uns eine leidenschaftliche Trauer herein, und wir weinten,
als ständen wir an einem Grab.

Seit diesen kummervollen Augenblicken prüfe ich mich immerfort und
suche nach meiner Schuld. Denn so ist mir: als sei ich schuldig vor
diesem einfachen, eifrigen, treuen Mutterherzen.

Aber ich weiß meine Schuld nicht zu nennen. Heißt sie Treulosigkeit?
Nein, gewiß nicht. Denn mein Herz ist voll Dankbarkeit für die
Liebe, die Mutter mir einst gab. Heißt sie Unduldsamkeit? Ach, wie
gleichgültig ist es in großen Krisen des Lebens, ob ein Mensch kleine
Engigkeiten in seinem Auftreten und was für Angewohnheiten, was für
Ansichten er hat.

Ich weiß nicht, was Mutter Dir schreiben wird, und wo Mutter die Gründe
sieht, daß wir schmerzlich befremdet voreinander standen.

Vielleicht bin ich krank. Meine Seele ist vor Sehnsucht so müde
geworden, daß sie nicht mehr kraftvoll empfinden kann.

Nun wirst Du sprechen: deshalb gerade riefest Du mich! Damit ich, von
Sehnsucht befreit, wieder in heiterer Sicherheit ins Leben sehen lerne.

Aber jetzt, lieber Malte, jetzt muß ich Dir das Allerschwerste sagen.
Gewiß verstimmt es Dich, daß Mutter und ich nicht mehr in Liebe uns
fröhlich zueinander halten können wie einst. Aber Du denkst: das kommt
vor -- Schwiegertochter -- Schwiegermutter -- jung und alt -- da findet
sich schon einmal ein Übergang zu neuem Akkord, wenn’s denn auch andere
Tonart wie ehedem ist. Du könntest recht haben. Wer weiß es.

Das, was ich jetzt sagen muß, ist viel ernster.

*Ich weiß nicht mehr, ob ich mich nach Dir sehne!*

Nun ist es geschrieben. Ich fühle: es ist furchtbar. Es ist gerade das,
was man niemals einem Fernen über den Ozean hin schreiben soll: von
innerem Kampf soll man schweigen.

Aber ich soll, ich muß, ich will wahr bleiben.

Verlörst Du nicht jeden, auch den letzten Anteil an mir, wenn ich Dir
diese Kämpfe noch länger versteckte?

Sie begannen, wenn ich es selber recht weiß und erkenne, mir das Gemüt
zu beschweren, von dem Tag an, wo mein Kind geboren war.

In dem Übermaß der Erregungen, die dieses Neue mir gab, war ich allein.
Es kam mir vor, als gäbe es nichts auf der Welt, was so wichtig, so
heilig sei, als Mutter werden. Und das ist auch gewißlich wahr. Nur
weil ich allein war, wurde aus dem Jubel Schwere, aus dem Glück eine
übermäßige Verantwortung. Mir kam vor, als sei das Kind mir ganz allein
gegeben, und es war, als ströme all meine Liebe von Dir fort dem Kinde
zu.

Ich weiß nicht, ob in jeder Frau in solcher Zeit die Gefahr solchen
Gefühlswandels ist, und ob dann die liebevolle Gegenwart des Mannes für
sein Recht spricht.

Immerfort denke ich seitdem darüber nach. Und je mehr ich dachte, je
mehr bestritten meine Gedanken Dir Anteil an dem Kind, an mir.

Es kann wohl sein, daß die nächsten Freunde erraten haben, wie schwer
ich an den Aufgaben des Lebens herumlöste. Denn Hochhagen hat es nicht
vor mir verleugnet -- von vollkommener Ehrlichkeit, wie er ist -- daß
er Dir die Idee anregte, mich nach Hongkong zu berufen. Auch Lisbeth
und Rosenfeld redeten zuweilen weise und liebevoll auf mich ein. Aber
zum Glück ist Lisbeth viel zu dringlich mit dem Amüsement des Daseins
beschäftigt, als daß sie mich oft und zu sehr mit Trost gequält hätte.
Nichts ist unerträglicher, als wenn einem Wohlmeinende verständig in
Stimmungen hineinreden, die einem selbst noch völlig unverständlich
sind. Aber andere Menschen erheben ja in aller Unbefangenheit oft den
Anspruch, sie verständen uns ganz genau!

Meine Lage ist in den bisher bestandenen Formen meines Lebens nicht
mehr ertragbar.

Ich habe beschlossen, meinen Hausstand aufzulösen und auf Reisen zu
gehen. Ich werde alle Möbel, die ganze Einrichtung verpacken und in
einem Speicher verwahren lassen. Erinnerst Du Dich noch an Martha? Sie
war zu Haus schon meine Jungfer gewesen, seit Babys Geburt hat sie
umgesattelt und wirkt auch als Kindermädchen, soweit ich die Kleine
nicht selbst besorge. Martha ginge mit uns bis nach Feuerland, sagt
sie, was ihr aus irgendeinem Grunde die unwirtlichste Gegend auf dem
Erdball zu sein scheint.

Wir gehen aber nur nach der Schweiz und Italien.

Dieser Umwelt muß ich entrinnen. Sie läßt mich niemals zu einer freien
Betrachtung meines Seelenzustandes kommen. Hier haben wir unser erstes,
kurzes Eheglück gelebt. Hier begegne ich auf Schritt und Tritt Deinen
Kameraden, die nach Dir fragen, die mich an Dich durch jene allgemeine
Ähnlichkeit erinnern, die ein so stark charakterisierender Beruf und
solche Uniform wie die Eurige ausprägt. Hier treffe ich andere Frauen,
die in ganz unerschütterter Gemütsruhe von ihrem fernen Mann reden
können, die es gar nicht als etwas schreckhaft Großes empfinden,
ein Kind in die Welt zu setzen, während der Gatte bei den Antipoden
ist. Und diese Gleichmütigen machen mich vor mir selbst zu einer
Krankhaften, einer Ausnahme. Ich frage mich dann: bin ich so überfein,
so sehr leicht verwundbar? ...

Wenn ich es bin, dann hätte ich Dich niemals heiraten dürfen, denn ich
wußte ja: dies Opfer konnte an mich herantreten! Und als ich damals in
der Theorie davon sprach, schien es mir groß und erhebend.

Vor mir tut sich die furchtbare Frage auf: hab’ ich nicht genug der
Liebe in meinem Herzen gehabt?

Und mir ist, als müßte ich wandern, wandern, damit meine Seele Klarheit
fände über sich -- ob sie denn wirklich von Dir fortgegangen ist -- und
wohin sie will.

Denke nicht, lieber Malte, daß ich mir gar keine Mühe gegeben habe.
Freundlich lebte ich mit Deinen Freunden. Ich habe mich durch Lisbeth
und Rosenfeld und auf Hochhagens Zureden in die Vergnügungen der
Kieler Woche hineinzerren lassen. Ich habe mich nicht einsiedlerisch
und melancholisch gehen lassen: gezwungen habe ich mich, an jedem
Alltagsgeschehen teilzunehmen, immer in dem Wunsch, festzustellen: ja,
die Welt ist in Ordnung, nur in mir ist etwas aus der Ordnung.

Ja, das ist es gewiß. Ich will Dir als Beispiel davon gestehen, daß ich
oft die brüderliche Fürsorglichkeit Hochhagens als eine Art Wachtdienst
empfand, den er in Deinem Namen ausübte. Mein Verstand sagte es mir
immer ganz klar, daß Emmich nur aus seinem warmen, redlichen Herzen
heraus tat, was er als Dein bester Kamerad Dir schuldig zu sein
glaubte. Und meine überreizten Nerven wehrten sich gegen seine Treue,
weil mir war, als beleidige mich sein Schutz -- als werde ich dadurch
zu einer Frau gestempelt, der man einen Schritt vom Wege wohl zutrauen
könne.

Ja, siehst Du es hieran? Ich bin auf irgendeine Weise aus dem
Gleichgewicht.

Und ich muß den Weg suchen, der mich zur Klarheit, zur Ruhe
zurückführt. Ich hoffe ihn zu finden, indem ich mich von hier entferne.

Daß ich mit meinem Kind nicht in mein Vaterhaus mich flüchten kann,
weißt Du wohl. Vater und seine Frau waren ja vor acht Wochen zur
Taufe von Baby hier, Vater zerstreut, feierlich, eilig. Mit der Miene
eines, der viel wichtigere, größere Dinge verlassen hat, als die
sind, bei denen er im Moment aus unumgänglichen Familienrücksichten
repräsentieren muß. Mit mehr verlegenem Erstaunen als mit Verständnis
und Rührung in der neuen Würde. Mit kaum ertragener Ungeduld in der
fremden Umwelt, darin andere Werte gelten als in der seinen. Du weißt
ja: autokratische Männer leiden förmlich in einem Kreis, in dem ihre
Autokratie nichts gilt, nicht verstanden, nicht einmal gekannt ist.
Und Vaters Frau kam aus lauter Vorsicht nicht zu einem natürlichen
Gespräch. In ihrer beständigen Angst, sich Blößen zu geben, war sie
geziert. Und das ist ja das letzte, was einem derbgearteten Wesen von
bescheidener Herkunft gut ansteht. Wenn sie unbefangen ihren gesunden
Menschenverstand sprechen läßt, hat sie wohl Augenblicke, wo man ihr
Respekt nicht versagen kann.

Ich bemühte mich, ihr zu helfen. Ich sehe so gar nicht in ihr die
Nachfolgerin meiner Mutter, daß ich beinahe ohne Vorurteile mit ihr
verkehren könnte. Alle meine Versuche, sie frei und sicher im Verkehr
zu stimmen, blieben aber erfolglos. Es war immer, als habe sie vor mir
ein schlechtes Gewissen, weil sie meines Vaters Frau geworden ist. Dies
war vom ersten Tag an so, es war zu meiner Brautzeit so, so ist es
geblieben auch jetzt, wo ich ihr, losgelöst vom Vaterhaus, als Frau,
als wirtschaftlich selbständiger Mensch gegenüberstand. Und also ist es
unabänderlich.

Mit diesem Vater, der keine Zeit und Stimmung für mich hat, mit dieser
Frau, die in einer ganz anderen Gefühls- und Bildungszone lebt als ich,
kann ich nicht auf dem Land zusammenwohnen.

Das bedarf auch vor Dir keiner weiteren Begründung.

Du hast mich allein lassen müssen. Die höhere Sache, die wichtiger
ist als das Einzelschicksal einer Frau, die nicht leicht mit sich
zurechtkommen kann, die verlangte das von Dir.

Meine Lage bringt es demnach mit sich, daß ich nun durchaus selbständig
über die Formen meines Lebens mich zu entscheiden habe. Du bist zu
fern, um mich beraten zu können. Aus solcher Ferne kann man in das Herz
und in die Tage einer Frau nicht deutlich hineinsehen.

Aber wenn Du auch nicht mit Deinem Rat bei mir sein kannst, so bist Du
doch in einer anderen Weise allgegenwärtig in meinem Leben: mit Deinem
Namen, Deiner Ehre!

Mir ist, als müßte ich Dir das wie ein Gelöbnis in einem Augenblick
sagen, wo ich meine unklaren Gefühlszustände Dir eingestehe.

Für das, was in meinem Herzen, mir selbst ein trauriges Rätsel,
vorgeht, bin ich nicht verantwortlich.

Aber für meine Handlungen bin ich es und will es bleiben, damit ich
immer Dir und Deiner Mutter frei in die Augen zu sehen vermöchte.

Deshalb wünsche ich, Dir genau meine nächsten Schritte zu erklären.
Deshalb habe ich Dir noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen, was wir
ja schon so oft vor Deiner Ausreise besprachen, daß ich bei meinem
Vater eine Zuflucht nicht suchen kann.

Ich sagte: ich wolle fort, weil ich, unter ganz fremden Menschen, unter
neuen Eindrücken einsam lebend, mich recht prüfen zu können hoffe.

Nun fügt es sich aber so, daß ich doch nicht einsam sein soll, und daß
ich die Gesellschaft, die sich mir anbietet, nicht abweisen kann, ohne
undankbar, ja, ohne auffallend zu erscheinen.

Ich werde mit Emmichs Braut und deren Eltern nicht geradezu reisen,
aber doch mich mit ihnen an benachbarten und an gleichen Orten
zusammenfinden.

Mit dieser selben Post schreibt Dir natürlich Emmich Hochhagen von
seinem großen Glück, und an ausführlichen Hymnen über seine Braut
wird er es nicht fehlen lassen. Auch Rosenfeld oder vielmehr Lisbeth
wird Bericht erstatten, denn sie hat von damals her, wo Du noch nicht
verheiratet warst und gleich anderen Kameraden von ihr an ihren Wagen
gespannt wurdest, eine gewisse Eile, Dir bei jeder Gelegenheit zu
schreiben. Man wird nur in Superlativen sprechen. Du weißt, daß ich
mich nicht rasch anschließe, und daß auch andere Frauen gegen mich
meist eine abwartende Haltung einnahmen. Als spürten sie, daß sie
mir fast immer gleichgültig bleiben, oder daß ich da, wo ich mich
zu interessieren anfange, leicht zu viel erwarte und dann in die
erkältendste Enttäuschung falle ... so daß es für sie und mich beinahe
gefährlich ist, wenn ich mich interessiere ...

Aber zu Renate Gervasius fühle ich mich in einer Weise hingezogen, wie
es mir noch nicht vorgekommen ist. Ich habe wenig Gelegenheit gehabt,
nah mit jungen Mädchen und Frauen zu verkehren. Wenn ich mit meiner
Mutter im Sommer auf Schmylau zu Besuch war, verstand ich mich gut mit
Lu und Fi. Durch unsere Heiraten kamen wir wie von selbst auseinander.
Wir heirateten sozusagen in alle Wind- und Kulturrichtungen hinein.
Hier wurde mir dann Lisbeth als ‚Freundin‘ in mein Dasein eingereiht.
Lisbeth ist ein Bruder Lustig und eine gutherzige Frau, mit der man
aber doch nicht ernsthaft sich über wichtigere Fragen auseinandersetzen
kann.

Renate ist mir mit einer großen Liebe entgegengekommen, die noch den
kleinen Zusatz von grundloser Schwärmerei hat, wie ganz unerfahrene
Herzen sie hegen können. Renate ist wirklich sehr hübsch. Ihre
regelmäßigen Züge mögen vielleicht nach ein paar Jahren eben durch
Linienreinheit auffallen. Jetzt bezaubern sie durch die Weichheit.
Obgleich ich ja nun Renate erst seit acht Tagen kenne, habe auch ich
sie schon sehr lieb. Und der Gedanke, *doch* mit Menschen aus der
hiesigen Welt zusammen zu sein, der mir noch vor acht Tagen unerwünscht
schien, ist mir angenehm geworden, weil dies holde Mädchen meine
Freundin sein will. Frau Geheimrat Gervasius ist eine sympathische
Frau. Ein wenig Kristallkugel: sehr klar und abgerundet für sich,
aber nicht mehr aufnahmefähig für Menschen und Dinge, die nicht
schon, zugleich mit ihrem Werdegang, in ihr eigenes Leben fest mit
einbeschlossen wurden. Der Geheimrat ist sehr bedeutend -- nun, das
versteht sich ja von selbst, das sagt sein Wirken, seine Stellung --
ich meine: man spürt seinen beweglichen Geist, und es ist ein heiterer
Geist in ihm -- im merkwürdigen Gegensatz zu seinem Beruf.

Sie haben es mir angeboten, daß ich mich an sie anschließen darf.
Vielleicht ist es wieder die Regie von Emmich. Aber in diesem Fall sehe
ich nichts Erbitterndes darin.

Ich werde also zunächst in die Schweiz gehen. Die Wahl des Ortes
war schwer. Der Geheimrat sah mich gestern abend, als ich zum
erstenmal allein dort war, so oft beobachtend an. Er meinte, *mir*
täte Hochalpenluft sehr not, ich sei wohl noch etwas erschöpft vom
Wochenbett, habe mir nachher nicht genug Schonung gegönnt. Aber ich
glaube, ich bin ganz wohl. Ich kann dem fremden Mann, der weder mein
Arzt noch mein Freund ist, sondern nur erst ein Bekannter, der mir
gütig begegnet, ich kann ihm nicht sagen, daß nur meine Seele krank
ist, von all der Mühe, die Wahrheit und das Ziel des Lebens zu suchen.

Die Rücksicht auf mein kleines Kind muß immer das erste sein. Man darf
das Experiment nicht machen, ob so eine kleine Lunge Hochalpenluft
vertragen kann. Gervasius’ gehen nach Caux, hoch über dem Genfersee.
Ich bleibe in der Nähe seiner Ufer. Es gibt da auch Plätze, die
kühl sind, selbst im Sommer. Es ist die Rede von einer kleinen
Pension, die hoch über der Uferstraße, im Schatten eines gewaltigen,
bewaldeten Felsvorsprungs, unter Tannen fast versteckt liegt, oberhalb
Chillon. Später, Anfang September, gehe ich nach Italien. Den Winter
möchte ich in der Nähe Roms verleben. Nicht in der Stadt selbst, in
Frascati vielleicht, oder wo sich mir sonst die Gelegenheit zu einer
vorübergehenden Heimat bietet, die mir angenehm scheint. Aber im
September bleibe ich noch mit Gervasius’ zusammen; die Geheimrätin,
die eine Disposition zu rheumatischen Zuständen hat, denkt die heißen
Höhlen von Monsummano zu benutzen; sie befinden sich in der Gegend bei
Pistoja.

Es ist natürlich unmöglich, Dir Briefadressen zu notieren. Wie könnte
ich mich von hier aus und schon jetzt dafür verbürgen, daß sie
zutreffend bleiben. Unberechenbare Zufälle können mich, können uns
bestimmen, Pläne und Plätze zu wechseln. Schreibe also nach Kiel. Ich
werde die Post von meiner Adresse stets unterrichten. --

So weit, lieber Malte, kam ich gestern. Die halbe Nacht hatte ich
geschrieben. Und nun ist es wieder still um mich her, und ich will
versuchen, den Brief zu schließen. Wie unmöglich es mir auch scheint
-- denn es ist ja kein Brief -- es ist ein Teil meines Lebens --
ich möchte fortfahren zu sprechen und zu sprechen, bis ich eine
unerschütterliche Wahrheit an sein Ende setzen könnte.

Alles, was ich schrieb, kommt mir dürftig vor. Besonders weil ich mir
sagen *muß*: Du kannst es nicht begreifen. Wie solltest Du auch! Für
Dich steht ein Bild fest: das von mir und unserer Liebe, wie alles war,
da wir uns trennten.

Aber nur in der Erinnerung steht ein Wesen und ein Gefühl fest -- im
Leben wächst und wandelt alles weiter.

Und wir waren nicht Hand in Hand, als neue, große Dinge über mich
kamen. Das ist es.

Leb wohl. Ich tue Dir weh. Ich wäre glücklicher, wenn ich Dir wohltun
könnte. Aber ist in einer schmerzlichen Wahrheit nicht mehr Würde als
in einer Lüge?

Leb wohl.

                                                       J.“

Als dieser Brief geschlossen und fortgesandt war, hatte die junge Frau
einen kurzen Rausch von Genesungskräftigkeit. Nun war es gesagt! Dies
einfache Gefühl: wahr gewesen zu sein, schien schon fast alle Fragen
gelöst zu haben. Sie genoß die Empfindung, ihre Last von sich fort auf
eine andere Seele gewälzt zu haben. Dies erste, unbewußt egoistische
Fühlen, das einer Aussprache folgt. Sie dachte immerfort: „Daß mein
Herz sich von ihm wendet, *mußte* ich ihm sagen. Wohin es sich wendet,
das *darf* ich ihm nicht sagen. Sein Anteil an meinem Leben, sein
Anrecht an mich endet mit meiner Liebe.“

Sie begann den Aufbruch vorzubereiten. Nach Art temperamentvoller
Frauen konnte sie ein Gefühl der Befriedigung haben, wenn Arbeiten, die
Überblick und ein gewisses organisatorisches Talent forderten, sie ganz
in Anspruch nahmen.

Und immer wieder erzählte sie es mit halblauter Stimme dem kleinen
Kind und nickte ihm zu, liebkosend, als verstehe es schon den Inhalt
menschlicher Rede: „Wir gehen fort -- in die schöne weite Welt gehen
wir -- da finden wir vielleicht das Glück ...“ Und das Kind lag in
ihrem Schoß und trank aus der Flasche und sah mit blanken, stillen
Augen zu dem hellen Fleck empor -- den es noch nicht bewußt als das
Gesicht der Mutter empfand -- so lag es, von Behagen erfüllt, reinlich
und angenehm, bis ihm vor Sattheit die Lider sanken.

„Wie rasch ist doch die Poesie eines Heims zerstört,“ dachte Jutta voll
Beklemmung. Alles, was den Reiz einer Wohnung ausmacht, ist ja nicht
vom Tapezier geliefert. Die Sachen allein haben den Zauber nicht in
sich. Die Hand, die voll Liebe und Geschmack alles stellte und ordnete,
nach zahllosen Versuchen und zärtlichen Berechnungen, die hatte alles
gemacht ... „Meine eigene Hand,“ dachte sie.

Und plötzlich, indem das Haus zerfiel, begannen die Dinge zu reden. Es
war förmlich, als seien in allen Ecken und Winkeln Geister versteckt
gewesen, die sich aufgestört fühlten und in dringlichen, empörten
Vorstellungen zu der Zerstörerin sprachen: Weißt du noch -- weißt du
noch? ...

Mit wieviel Vergnügen und Neckerei hatte Malte das oft erneute
Umstellen der Möbel, die stets veränderte Anordnung der bunten
Reiseerinnerungen begleitet. Immer, wenn er vom Dienst heimkam, sah
er, daß an der Zierlichkeit und Gemütlichkeit des eigenen Nestes
weitergeschafft worden war. Und er staunte die Erfindungsgabe der
jungen Frau an -- er lobte sie, wie nur verliebte Ehemänner loben
können. Er genoß die Wohnlichkeit, Sauberkeit und Ordnung, wie
nur Männer vermögen, die schon lange angefangen hatten, unter der
Burschenwirtschaft zu leiden.

O ja -- Jutta wußte noch ...

Und mit einem Male fühlte sie: das tat weh. Es war, als töte man ein
Lebendiges ... Als beleidige und verleugne man ein Stück des eigenen
Daseins, indem man dieses Heim umwarf ...

Der Gedanke kam ihr, es stehen zu lassen. Verschlossen und verhängt.
Als Tempel der Erinnerung. Als Zufluchtsstätte.

Die stillen, gelehrten Leute unten im Haus würden sehr zufrieden damit
sein und die Schlüssel wohl hüten.

Aber da war die harte Wirklichkeit, die sprach: das kostet zu viel Geld.

Ein Reiseleben wurde begonnen auf unbestimmte Zeit -- das wurde teurer
vielleicht als die bisherige Art der Wirtschaft. Die Ersparnis an Miete
und Steuern glich es aus.

Aber wenn das auch nicht gewesen wäre: ja -- auf *unbestimmte* Zeit zog
sie hinaus -- *unbestimmten* Zielen entgegen -- hinein in die Wirrnis
des Lebens -- kein sichtbarer Halt darin als das kleine Kind -- keine
zwingende Pflicht als diese allein -- frei zu jeder neuen Gestaltung
der Zukunft, wenn das Kind darin seinen gerechten Platz fände ...

Wer wußte was von Rückkehr? Ob? Wann?

„Niemals!“ sagte eine Stimme.

Es war Jutta, als habe das hier jemand laut ausgerufen.

Weinend sank sie in sich zusammen und legte ihr Gesicht in die
verschränkten Arme auf den Tisch.

Lisbeth Rosenfeld kam.

„Ach, Liebes,“ sagte sie, „dies ist ja schrecklich! Wie oft sind
wir hier himmlisch vergnügt gewesen. Weißt du noch auf eurer ersten
Gesellschaft? Malte hatte Lampenfieber. Man sah es. Ich freute mich
halbtot. Denn wie Männer so sind: anderswo war er immer gewaltig
kritisch, wenn er merkte, daß der Hausherr oder die Hausfrau Unruhe
hatten. O -- und euer Bursche -- es war himmlisch -- wie im Lustspiel
-- weißt du noch, er hielt die Hand oben auf die Sektflasche, damit
nichts heraussprudle -- wir kamen um vor Pläsier -- er merkte, der arme
Kerl, daß wir über ihn lachten ... Hör’ mal, überhaupt: du bist ein
Geizkragen. Ich hätte alles stehen lassen bis zur Rückkehr nach einem
Jahr oder so ... Malte ist ja wohl nicht sentimental -- aber ich denk’
mir: es wäre mehr Heimkehrstimmung gewesen, wenn er dich in diesen vier
Pfählen wieder vorgefunden hätte. Und du denkst an Sparen von Steuern
und Miete.“

„Ich würde mir einen Vorwurf daraus machen, wenn meine Reise mein
Budget in Unordnung brächte.“

„O Gott, wie weise! Hör’ mal, du Liebes: ich sagte, Malte sei ja wohl
nicht sentimental -- ich will dir mal ’ne Beobachtung anvertrauen:
*alle* sind sie ein bißchen sentimental -- so in ’ner letzten
geheimsten Gemütsecke. Ist dir noch nie aufgefallen, daß nirgends so
viel Blumen verschenkt werden wie in der Marine? Ja -- an Bord wächst
das Blümlein Poesie nicht, und auf dem Meer grünt kein Frühling ...
Da ist ihnen, als müßten sie an Land alles Schöne und Liebe in die
vollen Hände nehmen. Na -- und so, in ’ner gewissen Ideenverbindung mit
sentimental und so weiter: aufrichtig: Malte findet sich vielleicht
schwer zurecht, wenn er heimkommt: ’ne neue Wohnung -- ’n Kind --
fabelhaft viel neue Bekanntschaften auf einmal.“

Jutta lächelte mit Mühe. Sie machte eine Handbewegung, die ungefähr
auszudrücken schien: Ach, das ist noch so lange hin ...

„Könnt’ ich dir bloß meine Lebensauffassung beibringen! Du bist zu
schwerblütig, Liebes. Man muß das Leben nehmen, wie es ist, und die
Feste feiern, wie sie fallen. Du bist immer so gewissermaßen in den
schwarzen Mantel der Tragik eingehüllt.“

„Das ist wohl Temperamentsache.“

„Gewiß. Aber so ’n bißchen kann man sich auch was abtrotzen. Ich weiß
recht gut: die Trennung, und daß deine Kleine kam, während Malte fort
war, das hast du so merkwürdig mühsam getragen. Herrjes -- er kommt ja
wieder. So ’n Ehemann, der’s gut zu Haus hatte, der läuft einem nicht
weg. Und dann Baby ...“

Sie lachte hell auf. Ihr fiel ein riesiger Spaß ein.

„Das hab’ ich dir ja wohl nie erzählt, die berühmte Geschichte mit
meiner Lite? Die war doch in Erscheinung getreten, als Hektor in
Westindien war. Na, als das Schulschiff heimkam, heckte ich mir was
Famoses aus. Wir wohnten damals mit Platows in einem Haus. Ich hole
mir also die kleine Platow, die war zwar ’n paar Wochen älter als Lite
-- aber was weiß ’n Mann davon ... ich pack’ beide Gören in ein Bett
und sage: ‚Lieber Hektor, suche dir gefälligst Fräulein von Rosenfeld,
deine Tochter, aus!‘ Und er sagt -- kannst du es wohl glauben? -- sagt
schlankweg: ‚Die!‘ Und tippt mit kolossaler Unfehlbarkeit auf das
Platowsche Wurm. Es sah natürlich schon nach mehr aus als unsere kleine
Lite, die kaum sechs Wochen war. Nu, und da hatte seine Männereitelkeit
das Gefühl: das beste Exemplar von diesen zwei Wickelkindern gehört
selbstverständlich mir! Ach, was haben wir gelacht! Noch immer muß ich
lachen, wenn’s mir wieder einfällt.“

„Du hast viel Talent, aus dem Leben ein Vergnügen zu machen,“ sagte
Jutta.

„Gottlob. Deshalb würde ich auch zum Beispiel nie mit einem kleinen
Kind reisen. Liebes -- ernsthaft -- findest du es richtig?“

„Warum sollte es nicht richtig sein?“ fragte Jutta überrascht, „ich
gehe ja mit dem Kind in ein Klima, das besser ist als das von Kiel.“

„Klima? -- Na ja, das wohl. -- Na, das ist auch deine Sache. Also,
Liebes: warum ich hauptsächlich komme: wir planen ein Abschiedsfest für
dich.“

„Nein,“ bat Jutta mit heißem Gesicht, offenkundig entsetzt. „Das tut
mir nicht an.“

„Sonnabend muß es sein, dann sind die Schiffe im Hafen.“

„Ich flehe dich an ... nein. Ich käme nicht.“

Und zuletzt mußte Lisbeth Rosenfeld das Unfaßliche wohl einsehen: Jutta
wollte kein Fest.

Aber da ihr während der Debatte einfiel, daß man ja ebensogut zu
Ehren von Renate und Emmich, vor Abreise der Braut, ein paar Freunde
zum Abendessen bitten könne, tröstete sie sich. Wenn ihr nur von
irgendwoher aus der Ferne eine Fiedel im Ohr klang, war sie mit der
Welt und sich zufrieden.

Das war also Lisbeth.

Und Renate kam und wollte durchaus helfen. Sonst, sagte sie, müsse sie
der Mama tüchtig an die Hand gehen, wenn die in den Vorbereitungen zur
großen Ferienreise stecke. Aber diesmal heiße es: Du bist Braut, hast
Festtage. Und so habe Mama Heinz und Fips ganz allein wegbesorgt, und
sie seien schon mit ihren Pensionseltern nach Sylt abgereist. Mama sei
doch unbegreiflich tüchtig, klug und aufopfernd.

Voll Begeisterung für die Eigenschaften ihrer Mutter sagte sie es.

Nun sei es merkwürdig still im Haus. Störenden Lärm dürften Heinz und
Fips ja nie machen, aber es wäre immer solch drolliges, unterdrücktes
Rumoren. Und man könne gar nicht beschreiben, was für ehrliche und
couragierte Jungens es seien.

Vor zärtlicher Schwesterliebe glänzten ihr die Augen.

Jutta wollte aber nicht erlauben, daß man ihr beistehe: fremde Hände
könnten nie helfen; ehe man sie leite, habe man alles selbst getan.

Die junge Braut bedurfte aber irgendwie der Nähe der neuen Freundin.
Hier fand sie für alle ihre Fragen und all ihr unersättliches Interesse
am Beruf des Verlobten gewissermaßen sachverständige Antworten. Sie
sagte: Papa necke sie schon sehr. Ehedem habe er sich für einen
leidlich unterrichteten und autoritativen Mann auf einigen nicht
unwesentlichen Gebieten des Wissens gehalten, aber jetzt sehe er ein,
daß er sich vor seiner Tochter nicht mehr behaupten könne, weil ihm
die Abzeichenunterschiede zwischen einem Steuermannsmaat und einem
Obermaschinenmaat nicht geläufig seien.

Sie erzählte es mit strahlendem Lächeln, verliebt in den munteren Humor
ihres berühmten Papas.

Jutta dachte: „So viel fröhliche und zärtliche Harmonie in einer
Familie habe ich noch nie gesehen.“

Und weiter dachte sie: „Warum verläßt das holde Geschöpf diesen
ihren sicheren, hellen, warmen Platz -- zu welchen Schicksalen? Ach,
das Leben fängt für uns erst richtig an, wenn wir es als Frauen
verantwortlich zu tragen haben.“

Aus ihrem eigenen schweren Herzen heraus hätte sie warnen mögen: bleibe
die lachende und behütete, geliebte Tochter deiner Eltern -- noch
lange, lange ...

Renate dachte nicht daran, daß sie vielleicht störe, indem sie zwischen
den Körben und Koffern herumsaß. Zuweilen löste sich aus der Fülle der
Dinge, die hier geschichtet und verpackt wurden, eine Kleinigkeit los,
die ihr als Schatz in den Schoß fiel: da waren ein paar Jugendbilder:
Emmich Hochhagen als Leutnant z. S., ein Gruppenbild: Emmich,
Rosenfeld und Malte, mit noch fünf Kameraden, als Seekadetten in den
Steinbrüchen bei Syrakus; ein silberner, schmaler Becher, unter dessen
Boden eingraviert stand: E. H. s. l. M. v. F. Und noch viele andere
kameradschaftliche Erinnerungen an das gemeinsame Leben der Freunde.

Renate lachte alles an -- machte aus jeder Sache eine Quelle der
Freude. Alles sprach doch von ihm.

Aber schließlich wurde sie still. Der ernsthafte und schweigende Eifer,
mit dem die junge Frau ihr Heim zerstörte, bedrückte sie.

Sie fing an, sich allerlei träumenden, vergleichenden Gedanken zu
ergeben.

Als Kind hatte sie einmal eine große, sehr schöne Spieldose gehabt,
auf der sich beim Klang der Töne Tänzerpaare anmutsvoll bewegten.
Ihr fiel eines Tages ein, die Paare umzustellen, neu zu ordnen. Sie
nahm die Mechanik auseinander. Als sie dann mit großer Sorgfalt neu
zusammengefügt wurde, klangen die zarten Töne nicht mehr, und die
Tänzerpaare kreisten nicht wieder. Das fiel ihr jetzt so wunderlich
deutlich ein. Und in ihrem Ohr war ganz genau die zierliche, leise,
melancholische Melodie des alten Wiener Walzers -- ja, in Moll war sie
gesetzt gewesen ...

„Jutta,“ begann sie etwas scheu, „tut es dir nicht weh? Ich meine: daß
dies hier nun alles aufhört? Es war so hübsch. Und es hatte doch eine
Geschichte für dich -- hatte es nicht?“

Jutta richtete sich von der Kommodenschublade auf, über die sie gebückt
gestanden. Sie strich die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Ja, es tut
weh.“

Der Ton war hart und kurz.

Warum? wollte Renate fragen, warum denn sich selbst weh tun?

Ach, immer weniger konnte sie es begreifen. Die Geschichte ihrer
eigenen Liebe war noch so jung und für Fremde ganz alltäglich; aber
dennoch hütete sie schon in ihrem Schubfach Erinnerungskleinode, von
denen sie sich um keinen Preis getrennt hätte: das waren doch nicht
Tisch- und Tanzkarten, nicht welke Blumen und Schiffsbänder -- das
waren eben Dokumente ihrer Herzenserlebnisse.

Und hier warfen die Hände, die ihn selbst errichtet, den ganzen
Tempelbau zusammen?

Aber sie wagte nicht näher nachzufragen. Jutta dachte angstvoll: ich
muß es ihr irgendwie erklären. Ihr war, als gehe hier ein Unrecht vor,
und eine junge unschuldige Seele werde des Zeuge.

„Ja, weil dieses Heim Geschichte, zu viel Geschichte für mich hat,
mag ich nicht mehr darin bleiben,“ sprach sie. „Ich habe mich in der
letzten Zeit sehr unglücklich darin gefühlt.“

„Das kann es geben,“ dachte Renate bestürzt. Zwischen ihr und dem Leben
hingen goldene Schleier. Sie hatte immer gewähnt: Glück, wenn man es
einmal besaß, hat ewige Kraft, wirkt in alle Zukunft hinein -- läßt nie
Leere aufkommen.

Immer kam Renate in strahlender Fröhlichkeit. Und still, das ganze
Wesen von Mitleid und Nachdenklichkeit erfüllt, ging sie davon.

Aber für ihr wie für jedes junge Herz hatte alles geheimnisvoll und
leidenschaftlich Traurige eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

Jeden Tag kam sie deshalb wieder. Emmich hatte sein Bordkommando
angetreten und war wochentags mit der „Thuringia“ zu Schießübungen auf
See.

Die Geheimrätin ließ die Tochter gern gehen. Sie begriff:
Kameradenfrauen -- das war nun neu und wichtig für Renate. Und dann
hatte sie auch Mitleid für Frau von Falckenrott. „Die ist ja krank vor
Sehnsucht nach ihrem Mann,“ dachte sie herzlich.

Und Renate hatte so viel köstliche Gesundheit in sich. Die mußte jeder
kranken Seele wohltun. Gerade die Geheimrätin hätte wissen können, daß
die Kranken zuweilen die Gesunden vergiften ...

Nun war es keine Häuslichkeit mehr. Nun waren es nur noch Wände, vor
denen die Stücke aus Holz und Polsterwerk standen, die vom Möbelhändler
aus zu einer Einrichtung gehören.

Lauter klang der Schrei des Kindes in diesen kahlen Räumen. Und es war
der jungen Mutter, als sei dringende Klage darin.

Härter hallte der Schritt vom teppichlosen Estrich wider. Ein
Wanderschritt ...

Von den Wänden sahen merkwürdige helle Flächen. In den mildgetönten
Tapeten gab es Quadrate, hoch und quer, klein und groß -- da war das
Papier noch stärker gefärbt -- all diese Stellen halfen dem Gedächtnis,
dort noch die Bilder zu sehen, die doch nicht mehr dahingen.

Alles, was auf Borden, in Schranknischen, auf Ziertischen gestanden an
indischem Silber, chinesischem Porzellan, japanischem Cloisonné, war
zwischen Heu in tiefen Kisten verschwunden.

Nur auf dem sonst schon kahlen Schreibtisch stand einsam das Bild des
Mannes, der einmal hier der Hausherr gewesen war.

Es sah in all die Unwirtlichkeiten hinein.

Und Jutta wagte nicht, es anzutasten.

Vor diesem Bild hatte sie einst gesessen und sehnsuchtsvoll
Lebendigkeit hineingesehen -- bis ihr war, als leuchte aus diesen Augen
Liebe, als kämen, vernehmbar, herzliche Trostesworte aus diesem Mund.

Dann waren Zeiten gekommen, in denen sie scheu an dem Bild vorbeisah.

Und zuletzt Tage, in denen es sie beleidigte, weil es nur noch die
ungünstigen Ähnlichkeiten mit der Mutter aufzuzeigen schien.

„Was sind Karikaturen?“ dachte Jutta; „gar nichts Gefährliches sind
sie. Sie entadeln uns wohl wie unter huschendem Blitz diesen oder
jenen charakteristischen Zug; aber die Übertreibung löst alles so
auf, daß das Komische einem doch die wahre Erscheinung nicht verdirbt.
Verderblich sind nur die Ähnlichkeiten mit dem Banalen. Ein geliebter
Mensch kann ohne Gefahr einem Raubvogel, aber darf nicht einem Haushuhn
ähnlich sehen.“

Nun stand das Bild da und forderte einen Entschluß.

Es konnte hier nicht bleiben. Wenige Stunden noch, und derbe
Männerfäuste würden den Schreibtisch forttragen.

Ich will es nicht mitnehmen, fühlte Jutta. Ihr war: dann reist die
ganze Vergangenheit mit und alle diese marternden Fragen, die mich
nicht zur Klarheit kommen lassen.

Sie wollte ja ganz frei sein. Ihr Frauenleben sollte noch einmal von
vorn anfangen. Durch den Brief an Malte, deuchte ihr, hatte sie ihre
seelische Freiheit auf eine ehrliche Art zurückgenommen.

Sie mußte noch einmal über sich entscheiden, ob sie ihres Mannes Frau
wieder werden wollte -- konnte -- wenn er heimkam. --

Und wußte doch schon unter all diesen Gedanken, daß sie es nicht wollte
-- nicht konnte.

Nein, das Bild mußte zurückbleiben.

Es sollte gleichsam mit begraben werden in dieser tiefen Kiste, darin
all die bunten und anmutigen Dinge ruhten, die ihm gehört hatten.

Und plötzlich, in all diese Empfindungen, die überschwer waren von Not
um die *höchsten* Dinge ihres Lebens -- ganz plötzlich tat es ihr leid,
daß all die hübschen fremdländischen Sachen ihr nicht mehr mit gehören
würden. Sie stand wie benommen vor Staunen, fast vor Entsetzen. Das
gab es? Durch das von Trauer ganz erfüllte Gemüt konnte solcher Gedanke
gehen? ...

Blitzte die Wahrheit vom ewig Gestrigen warnend auf? Würde sie immer
und immer, und ginge sie ganz aus Maltes Leben fort, die phantastisch
bunten und doch so traulichen Räume vor sich sehen, in denen sie mit
ihm gewohnt hatte?

Wozu hatte sie sie dann zerstört? Sie begriff mit einem Male das
Uneingestandene: sie hatte gewähnt, etwas ganz auslöschen zu können,
als sei es niemals dagewesen. Und wußte jetzt: das kann man nicht ...

Sie nahm sich zusammen. Raffte sich aus der jammervollen Wehmut auf,
die sie fassungslos machen wollte. Und schlug das einsame Bild sorgsam
in Seidenpapier, damit es geschont und geschützt läge zwischen dem Heu,
obenauf in der Kiste, die schon fast voll war von den hübschen bunten
Dingen ...

Mit zitternden Händen mußte Jutta ein wenig umhertasten -- ob nicht da
unter dem Heu verborgen kantige Gegenstände waren, die das Glas des
Bildes durchstoßen konnten ...

Nun war ein Platz geschaffen -- eine sichere kleine Mulde -- wie ein
Bett ...

Sie paßte das Bild hinein ... da konnte es wohl sicher liegen ...
Jahre und Jahre ... denn wer wußte, ob der Mann, dem dies alles
gehörte, jemals den -- Mut haben würde, diesen Kistendeckel, diesen --
Sargdeckel zu öffnen ...

Sie schluchzte auf -- sie stand noch zaudernd. -- Und nahm das Bild und
ging raschen Ganges, es in ihren Reisekoffer zu verstecken ...



VII


Über das gewaltige Bild des Sees, der ihn umschrankenden Alpen und
des Himmels, der kein blaues Gewölbe war, sondern ins Unbestimmte
verschwebender Äther, schien Silberstaub ausgeschüttet, der, von der
Luft getragen, ruhig in ihr stand.

Das gab der Landschaft die Zartheit und das Unwahrscheinliche einer
Vision. Vielleicht konnte sie sich jeden Augenblick in Dunst auflösen.
Die dünnen Farben, die hinter dem Silberstaub angedeutet schienen,
konnten ganz verlöschen, das blasse Blau dort oben, das tiefere hier
unten versiegen. Und das, was zwischen beiden Welten von leichtem Blau
stand, die phantastischen Silhouetten, die Riesenberge eines fernen
Traumlandes sein mochten, konnten sich in nichts auflösen.

Dies Gemälde, das leise auf schimmernden, weißgrauen, rosig
angehauchten Flor hingetuscht schien, hatte in der Nähe des Ufers
einige kräftigere Töne. Da schuppten auf der überdünsteten Flut
stählern blitzende Lichter auf und verloschen sofort wieder. Sie
hielten dem Blick nicht stand. Sie zuckten da und dort und überall.

Die herbe Morgenluft roch nach Wasser. Aber es war auch der kräuterige
Duft in ihr aus den Tannenwäldern, die den felsigen Berghängen grüne
Farbe gaben.

Auf der Anlegebrücke von Territet standen wartende Menschen. Der
Dampfer kam von Montreux her, und mit ihm sollte die Fahrt, an
Villeneuve und der Rhonemündung vorbei, an all die Küstenorte des
französischen Ufers gehen. Es war ein buntes Gemisch von Gestalten:
Touristen im bekannten Aufzug der praktischen Häßlichkeit; Badegäste in
blütenweißer Eleganz, Landleute mit Sack und Pack.

Frau Gervasius, in einem sandfarbenen Schneiderkleid, mit einem lila
Hut voll Blumen und Fittichen, wirkte fast wie die ältere Schwester der
beiden jungen Damen, was ihr Gatte auch schmunzelnd attestiert hatte.

Renate und Jutta hatten kurze weiße Kleider an und einfache flotte
Strohhüte. Der Morgenkühle halber trug die junge Frau noch einen
rohseidenen Staubmantel. Und es war niemand auf der Brücke, der die
schlanke, blasse Frau nicht mit einem bewundernden Blick gestreift
hätte.

Auch der Geheimrat, im Panamahut und hellgrauen Anzug von allerbestem
Schnitt, wirkte, ohne es zu ahnen, sehr auffallend. Die weltmännische
und diskrete Vornehmheit seiner Erscheinung war auf den ersten Blick
ganz und gar Durchschnitt bester Gesellschaft. Aber sowie man das
bartlose, kluge und sehr durchgearbeitete Gesicht und die scharfen
Augen hinter den Brillengläsern sah, dachte man: das ist jemand!

Er fühlte sich höchst behaglich als Hüter seiner drei Damen und legte
eine Kunst an den Tag, die Ferienstimmung zu genießen, daß man mit ihm
guter Laune werden mußte, man mochte wollen oder nicht.

Und Jutta -- wollte eigentlich nicht!

Sie verstand sich selbst nun vollends gar nicht.

In dieser neuen Umwelt, wo die Schönheiten jubelten wie allzu
rauschende Musik, betäubten wie allzu starker Wein, hier, wo alles fast
brutal auf die Sinne eindrang und sich ihrer bemächtigte -- hier schien
es Jutta, als seien die letzten Monate voll Kampf und Not nur ein Traum
gewesen.

Und sie glaubte es sich schuldig zu sein, unter ihrer Wirklichkeit
fortwährend zu leiden. Sie begriff nicht, daß das menschliche Herz sich
gegen einen gleichmäßig fortdauernden Druck wehrt und ihn zeitweise
abstoßen muß, um überhaupt weiter schlagen zu können.

Der Geheimrat gab sich besondere Mühe mit ihr, das merkte sie bald.
Dafür wollte sie dankbar sein, ihm das Lächeln zeigen, das er zu sehen
wünschte. Die Güte hatte auch etwas Beschämendes -- sie war wie ein
Geschenk an die unrichtige Adresse. Denn Jutta spürte wohl: man ging
von dem Glauben aus, daß sie sich nach ihrem Gatten sehne. Daß sie
unter einem zwar starken, aber ganz klaren Gefühl leide.

Und sie versuchte die Wahrheit tief zu verstecken ...

Acht Tage hatte man sich der tatenlosen Freude ergeben, hier zu
sein. Das Bewußtsein: Ferien! genügte. Das Auge war von dem in jeder
Beleuchtung neuen Bild bis zur Anstrengung beschäftigt.

Aber bei dem Hinaufschauen war besonders den beiden Jungen, Renate und
Jutta, der Wunsch gekommen, all diese lieblichen Stätten, die sich im
blauen Seewasser spiegelten, nach und nach zu besuchen.

Und heute waren Geheimrats in der Morgenfrühe von Caux mit der
Drahtseilbahn herabgekommen, und Jutta, ihr Kindchen in Marthas
eifervolle Hut gebend, hatte sich im scharfrasselnden Einspännerchen
herabfahren lassen.

Nun standen sie hier und sahen in den dünnflüssigen, silbrigen Schimmer
des Morgenbildes hinaus, indes mit emsigem Puckern und geschwätzigem
Rauschen das Dampfschiff herankam, mit dem derben Weiß seines
Ölfarbenanstriches ein plumper Fleck in all dem zarten Zusammenklingen
und Ineinanderfließen.

„Merkwürdig,“ sagte Jutta, „es ist mir, als wäre es ein großes
Erlebnis, daß wir nun an das andere Ufer fahren. Ich hatte eine
förmliche Sehnsucht danach.“

„Das ist vielen Menschen eigen,“ bemerkte der Geheimrat, „sie sehnen
sich immer ans *andere* Ufer. Und fühlen sich um was betrogen, wenn
sie da angekommen sind. Das sind die mit den wandernden Seelen. Sollte
meine liebe verehrte neue Freundin auch solche Wanderseele haben?“
fragte er neckend.

Jutta wurde rot.

Sie sprach ein paar ableugnende Worte. Der Lärm, den der Dampfer
machte, verschlang sie. Das Wasser brodelte grünweiß. Man wurde ein
bißchen gedrängt und gestoßen und fand sich dann in einer Reihe, wie
auf der Schulbank sitzend, wieder. Das Sonnensegel war gespannt. Man
saß sehr angenehm. Renate schob leise ihren Arm in den der Freundin.
Der Geheimrat hatte Jutta rechts, seine Frau links.

„Die Vorstellung kann unsertwegen beginnen,“ sagte er. „Wir haben
bezahlt und warten auf das Klingelzeichen!“

Die Schiffsirene stieß einen greulichen Wutlaut aus, und wie ein
störrisches Pferd begann das Boot sein Hinterteil zu drehen. Die Ufer
glitten. Sie lagen im Schatten. Nur dort, über Villeneuve hinaus, in
der östlichen Ecke des Sees, kam aus dem Rhonetal ein Sonnenstrom, er
brach heraus zwischen den himmelanragenden Schranken der Gebirge, die
ihn zu leiten und zu bändigen schienen, als seien sie ein Riesenkanal
des Lichtes. Und im Bande dieses Sonnenstromes wälzte sich die
gelbe, weißkochende Wassermenge des Flusses und strudelte hinein in
das Blaugrün des Sees. Ein kurzer Kampf der Farben, umschäumt von
aufbrodelndem Gischt. Und dann hatte der Riesenmund den breiten Faden
des Stromes ganz verschluckt.

Eine Zeitlang unterhielten Jutta und Renate sich damit, an der
schroffen, bewaldeten Bergwand, hinter dem wasserumspülten, klobigen,
grauen Gemäuer des alten Schlosses Chillon, das Dach und ein paar
Fenster ihrer Pension herauszufinden.

Aber die Landschaft drehte sich, als sei sie eine Wandeldekoration,
die um den festen Mittelpunkt des Schiffes sich in langsamem Schwung
hinziehe. Und das kleine Baufragment, das zwischen den Wipfeln
herausgeschaut hatte wie ein Gesicht, das halb über den Zaun guckt,
verschwand.

Im selben Moment bekam Jutta eine Angstempfindung. Weil sie das Dach
nicht mehr sah, unter dem ihr Kind schlief ... Vielleicht deshalb. Sie
wußte es nicht. Sie fuhr auf.

„Könnte ich aussteigen, könnte ich zurück, mir ist mit einem Male, als
müßte etwas geschehen ...“

„Aber, liebe Frau! Ihre Martha ist eine Perle, die paßt wie ein
Wachthund auf,“ tröstete die Geheimrätin.

„Pomade!“ mahnte der Geheimrat und ergriff Juttas Arm. „Nur immer
Pomade!“

Er wußte ja Bescheid mit den grundlosen Nervositäten von Frauen.

Renate drückte sich schmeichelnd an die Freundin.

„Das Kind ist unruhiger, als es früher war,“ sprach Jutta vor sich hin.

„Die neue Nahrung ...“

„O nein -- das kann nicht sein ... ich habe den Apparat mit -- ich
mische und sterilisiere die Milch selbst -- ganz nach Vorschrift --
heute bin ich um fünf aufgestanden, um es noch vorher zu machen.“

„Sie sind eine prächtige Mutter!“ lobte Frau Gervasius, „aber
übertrieben muß man auch nicht mit der Angst sein.“

„Ja -- ja -- es ist Unsinn ...“ murmelte die junge Frau ...

Der feine Silberduft über dem See und den nahen Ufern löste sich
mehr und mehr auf. Nur die Ferne blieb in der zarten Ungewißheit, in
bläulich heller Verschwommenheit.

Jetzt kam Bouveret. Im Schatten lag es. Man sah ausdrucksvolle weiße
Hausgesichter unter dunkelgrünen Kastanienriesen. Und dahinter das
aufsteigende Massiv des Gramont.

Am Ufer ging die Straße hin, steigend und fallend, je nachdem sie
dem Gelände den Raum abtrotzen konnte. Wie Spielzeug, von Maultieren
gezogen, die Führer als kleine Figürchen daneben, bewegten sich Karren
auf der Straße entlang.

Der feine Turm von St. Gingolph kam in Sicht. Am abschüssigen Ufer
klammerte sich das Städtchen an die Felsen.

Die Reisenden saßen schweigend und nahmen die Bilder in sich auf.
Gervasius’ hatten nicht die Angewohnheit der Ellbogen und der
stimmkräftigen Bewunderung. Sie stießen sich nicht auffordernd an
und sagten nicht mit Augenaufschlag „o Gott“ zu den überraschenden
Schönheitsakzenten. Sie fühlten von selbst, einer auf den anderen die
Stärke seiner Empfindung übertragend, daß sie gemeinsam sich dankbar
und staunend erhoben.

Einmal sahen Mutter und Tochter sich an und wußten, daß sie sich nicht
nur mit ihren Blicken trafen. „Wäre Emmich hier,“ dachte Renate. „Wie
wollte ich ihr gönnen, daß sie Emmich hier hätte,“ dachte die Mutter.

Und Jutta spürte, daß sie, obgleich Arm in Arm mit der Freundin
sitzend, doch allein war.

Die beklemmende Unruhe, die sie vorhin so jäh und grundlos überfallen,
wollte nicht still werden. Sie wußte gewiß, in einem starken Vorgefühl:
es wird etwas passieren.

Sie wollte es niederzwingen. Ja, wirklich -- es war Unsinn -- was
sollte denn geschehen?

Das Kind war gut betreut.

War vielleicht der ferne Mann von einem Unheil bedroht? Ja, ein
kleiner, unscheinbarer Wanderer war unterwegs nach ihm -- der Brief --
er reiste jetzt über Länder und Meere und brachte ihm Kummer ... Aber
es waren erst vierzehn Tage, seit sie ihn geschrieben hatte ... Er war
noch ahnungslos ...

Die tausend Gefahren, mit denen sein Beruf jeden Tag den Mann bedrohte,
waren in Juttas Vorstellung infolge der Gewohnheit nicht mehr etwas so
schreckhaft Deutliches, daß sie dadurch beunruhigt wurde ...

Ich bin nervös, fühlte Jutta.

Sie dachte mit Vorsatz immer vorbei an dem einen, dem vielleicht in
Wahrheit all ihre Unruhe galt.

Gerade in diesen Tagen konnten ihre Gedanken ihn nicht präzise suchen.

„Wir werden, wir dürfen uns nicht sehen. Aber ich bin immer in Ihrer
Nähe --“ hatte er gesagt.

Bei ihrer Ankunft in der Pension hatte sie einige wenige Zeilen von
ihm gefunden. Aus Genf. Zeilen, in denen alles, was zu sagen war,
*zwischen* den Worten stand. Und er berichtete ihr, daß er eine kleine
Reise zu machen habe, dann nach Genf zurückkehren und von dort über
Bonneville nach Chamonix fahren wolle.

„Mit ängstlichem Vorsatz an mir von fern vorüber ...“ dachte sie.
Ihn in der Gegend zu wissen, hatte zugleich etwas Beruhigendes und
Aufreizendes.

Und manchmal schien ihr, als sei ja nun schon alles anders geworden,
als sei der Zwang, sich meiden zu müssen, aufgehoben, weil sie ihrem
Mann die Wahrheit gestanden ...

Emsig rauschte das Schiff. Die Uferbilder zogen langsam vorbei wie
Schaustücke, in denen alle Reize gehäuft erscheinen.

Man näherte sich dem Ziel. Evian lagerte sich lachend und imposant an
dem hier breiteren Rand hin. Am Kai, der sich über die Stadt hinaus
zur Promenade verlängerte, standen die Platanen in endloser Reihe.
Ihre dicken, hellen, bizarr moosgrün- und braungefleckten Stämme
glichen einer unabsehbaren Säulenlinie. Weiße, palastähnliche Bauten
reihten sich dahinter aneinander. Straßeneingänge öffneten sich zu
emporführenden Gassen mit schmalen Bürgersteigen. Die Stadt schien sich
steigend bis zum Prunkgebäude eines Hotels zu gipfeln.

Munteres und malerisches Leben war am Strand. Fischerbarken lagen
da, auf denen eifrig hantiert wurde -- in schweren Körben schaffte
man die silberschuppige Frühbeute landwärts. Segeljachten, schlank
und leicht, mehr für Spiel als für ernsten Sport, fast nur wie große
Skier anzusehen, wiegten sich leise an ihren Ringen. Ein Dampfschiff
löste sich gerade strudelnd von der Brücke, um dem ankommenden Platz
zu machen. Auf der Anlegebrücke und auf dem Kai standen und gingen
Badegäste. Sehr helle Farben beherrschten das ganze Bild, und es
schien, als käme vom See her ein beständig vibrierender Reflex und gäbe
ihm flimmernde Unruhe und vermenge doch zugleich alle Farbenwerte auf
das unentwirrbarste.

Der Geheimrat übersprach noch einmal das Programm: „Also ihr, meine
Damen, ihr tut das eurem Herzen doch allernächste: ihr guckt euch die
Läden an ... Pariser Ableger -- leider -- Frau, ich baue auf deine
vielbewährte Selbstbeherrschung ... zügle die Gelüste deiner Tochter.
Um dein Ansehen zu wahren, sage ich nicht: auch deine eigenen! Eine
Mutter *hat* keine Gelüste -- wenigstens in der Meinung der Kinder.
Sie, meine verehrte Frau, haben Ihr Baby nicht bei sich -- können also
so unvernünftig sein, wie es Ihnen beliebt.“

„Papa, ich hab’ nur noch zwanzig Franken -- aber die geb’ ich aus, wenn
ich was Niedliches für Emmich finde.“

„Wenn du meinst, daß rauhe Seemänner geeignete Empfänger für
Niedlichkeiten sind! Und wenn du sicher bist, morgen eine neue
Geldquelle zu finden ...“

„Todsicher!“ und Renate hängte sich in ihres Papas Arm, um ihm vorweg
seine angestammten Bankierspflichten angenehm zu machen.

„Ich sehe mir mal unterdessen die hydrotherapeutische Anstalt und die
Bäder an. In einer Stunde können wir uns oben im Hotel treffen. Aber
mehr als das akademische Viertel gebe ich euch nicht. Wenn ihr dann
nicht da seid, esse ich allein.“

„Wir sind präzise,“ versprachen Frau Gervasius und Jutta aus einem
Munde.

So trennte man sich. Der Geheimrat ging den Kai entlang, an
dessen äußerstem Ende, auf hohem Sockel, der General Dupas mit
feldherrnmäßiger Geste den bronzenen Arm in die Seite stemmte, während
hinter seinem metallenen Dreimaster die duftige Ferne blaß dämmerte.
Hier am Kai lagen die Anstalten, die der Geheimrat besuchen wollte.

Sehr langsam wanderten die Damen in die Stadt hinauf. Sie sahen bald:
die Prachtbauten am Ufer waren wie eine neue Fassade vor einem alten
Haus. Drinnen im Städtchen, im krassen Gegensatz zu allem breiten
architektonischen Prunk, gab es noch schmale, düstere, kleine Gassen.
Und ganz eng war die, die sich auf mittlerer Höhe hinzog und Laden
an Laden zeigte. Wäre dieser merkwürdige Rahmen nicht gewesen: die
Gasse mit dem bedrängten Raum, die Fronten kümmerlicher Häuser, die
Schmalseite der Auslagen: man hätte sich wirklich nach Paris versetzt
fühlen können. So viel Luxus lag hinter den Fenstern für Käufer
bereit: Schmuck und Antiquitäten und alles, was überkultivierte
Menschen zur Pflege ihres Körpers etwa brauchen könnten.

Eine weltstädtische Menge drängte sich in der schmalen, verschatteten
Straße. Sie hatte den ausgesprochenen Charakter der Pariser auf Reisen.
Merkwürdige Morgenanzüge sah man bei den Herren -- Rock, Weste und
Sakko von drei verschiedenen Farben und Stoffen; viele trugen auch
nur das seidene, farbige Hemd mit buntem Gürtel unter dem Rock, den
die Hände, die in den Hosentaschen stachen, zurückrafften. Andere
waren ganz in Weiß gekleidet. Die Eleganz der Damenwelt hatte mehr
Einheitlichkeit und war von einer farbenfröhlichen Grazie bestimmt. Man
stand in lachenden Gruppen zusammen und war unbegreiflich laut. Man
flanierte hin und her.

Die drei Damen standen vor den Schaufenstern. Frau Gervasius schlug
vor, man wolle straßauf, straßab erst einmal alle Auslagen betrachten.

Die Verlockungen waren stark. Überall schien eine Fülle großartiger
Gegenstände für die volle Börse bereit; überall auch eine unübersehbare
Menge von entzückenden Kleinigkeiten, an denen überraschend niedrige
Preise standen.

Aber wenn die kauflustige Renate dann in den Laden selbst kam, erwies
es sich, daß man gar nichts fand. Das Schöne war phantastisch teuer,
das Wohlfeile von plattem Geschmack, spielerisch, von übler Unechtheit
des Materials. Auch zeigte es sich, daß sich in den Magazinen keine
Vorräte häuften, daß eigentlich, außer den im Fenster ausgestellten,
nichts da war. Renate zeigte Enttäuschung und Ungeduld, die ihre
Mutter und Jutta zu teilen begannen. Man mußte doch irgend etwas finden
...

Und in dem Shoppingeifer vergaßen die Frauen Zeit und Hunger.

Bis es plötzlich der Geheimrätin zum Bewußtsein kam, daß es gewiß lange
zwölf Uhr sei. Natürlich! Nun hieß es rennen.

„Papa darf nicht den Triumph unserer Unpünktlichkeit haben.“

„Ach, Mama, es ist gleich halb eins,“ sagte Renate.

Nun, wenn die Sache also doch verloren war, konnte man sich die Eile
bergan sparen.

In schicklichem Tempo wanderten sie die Wege zur Terrasse des Hotels
hinan.

Da oben, unter der weit vorspringenden, orange und weiß gestreiften
Markise, an deren Fransenbehang ein Lüftchen entlang spielte und leise
Bewegung unterhielt und die vielen gedeckten Tischchen in den Schutz
ihres Schattens nahm, da oben saß der Geheimrat barhäuptig. Sein
Panamahut hing an einem Pfeiler der Glaswand, die hinten in seinem
Rücken war.

Er war aber nicht allein.

„Papa ißt richtig schon,“ schrie Renate beinahe.

„Wer mag da bei ihm sitzen?“ fragte sich die Geheimrätin -- „er findet
auch überall Bekannte.“

„Vielleicht hat einer der Ärzte aus der Anstalt sich die Gelegenheit
nicht entgehen lassen, mit Papa mal zu sprechen,“ meinte Renate. „Ja,
wahrhaftig -- Papa ißt ...“

Jutta sah es auch: der Geheimrat schien zu speisen -- *er* sprach
aber nebenbei zu dem Herrn, der den emporsteigenden Damen den Rücken
zuwandte ...

Ein hochgewachsener Herr -- im ganz hellen Vormittagsanzug -- einen
modisch zurechtgebogenen, kleinen Panama auf dem blonden Kopf.

Und Jutta folgte den beiden Frauen mit schweren Füßen, mit versagenden
Knien.

Denn *sie* wußte es auf der Stelle, wer das sein müsse ... sie wußte
es, noch ehe sie wirklich die Ähnlichkeit der Silhouette hatte mit
festem Blick nachprüfen können ...

Nun hatten sie die oberste Terrasse erreicht. Und der Geheimrat winkte
ihnen schon mit der Hand entgegen.

Sie schritten über den fast leeren Platz, durch die Gasse der noch
unbesetzten Tische, denn die Speisestunde der ständigen Gäste lag ein
wenig später.

Der Geheimrat erhob sich. Mit ihm der andere -- den Gelehrten weit
überragend.

„Herr Legationsrat!“ sagte Frau Gervasius überrascht. „Welch ein
Zufall.“

Der Geheimrat, der den in der am Kai spazierenden Menge von ihm
Aufgefischten wohlwollend und gewissermaßen vorführend am Arm gefaßt
hielt, nahm die Antwort vorweg.

„Zufälle negiere ich. Auch hier. Nichts konnte natürlicher sein, als
daß ich Herrn von Gamberg traf ...“

„Der von seinem neuen Vorgesetzten zu einer Besprechung herberufen
wurde,“ ergänzte Gamberg selbst und küßte den Damen die Hand.
„Exzellenz Plaß braucht hier die Kur.“

Nun hielt er Juttas Hand in der seinen. Er fühlte: ihre kalten Finger
zitterten ... Ihre Blicke trafen sich. Die seinen hatten ihr sagen
wollen: „vergib -- dies ist nicht meine Schuld.“ Er las in dem ihren
eine vollkommene Fassungslosigkeit.

Um ihr zu helfen, wandte er sich gleich sehr lebhaft an die
Geheimrätin, die schon eifrig fragte, ob die Gräfin Plaß auch hier sei,
und ob sie die zwanglose Liebenswürdigkeit des Umganges sich bewahrt
habe, mit der sie früher in Kopenhagen alle Menschen zu bezaubern
verstand.

„Papa, ich finde es schändlich, daß du ohne uns zu essen begannst.“

„Mein Kind,“ sprach der Geheimrat, „ich hatte euch das akademische
Viertel gelassen. Es war überschritten. Zu Hause habe ich nichts zu
sagen. Ich genieße es als Ferienerholung, meine Herrenstellung zu
betonen.“

„Alles dreht sich zu Hause um ihn, einfach alles,“ versicherte lachend
die Geheimrätin.

Inzwischen entdeckte Renate aber, daß ihr Papa keineswegs das Menü des
Gabelfrühstücks in Angriff genommen hatte, sondern sich zur Beruhigung
seines dringlichen Appetits nur mit einigen Ölsardinen befaßt haben
konnte.

Man scherzte lebhaft, und der Geheimrat sprach von Pseudomännlichkeit,
die sich zu keiner freien Herrentat mehr aufzuraffen vermöge und nur
leer drohe. Jutta sah auch, daß fünf Gedecke auf dem Tisch standen, und
begriff, daß Herbert die nächsten Stunden mit ihnen verbringen werde.

Sie hörte es auch gleich.

„Aus der Dringlichkeit, mit der ich Herrn von Gamberg einlud, mit uns
zu frühstücken, muß er geschlossen haben, wie schlecht es mir allein
unter drei Frauen geht. Macht-, willen-, hilflos -- ganz und gar.“

„Glauben Sie ihm kein Wort,“ sagte Jutta. Sie hatte sich in die Hand
bekommen -- ihre Miene, ihre Stimme.

„Mit Frau und Tochter würde ich schon fertig. -- Als man mir verhieß,
ich dürfe unsere Freundin ein wenig mit *an* -- ich sage nicht: *in*!
-- meinen Vaterarm nehmen, war ich sehr befriedigt. -- Nicht wahr? Das
versteht sich. Wer so viel mit brüchigem Weibstum sich abplagen muß,
kann wohl schmunzeln, wenn er mal eine schöne Dame behüten darf. Aber
mit dieser schönen Dame werde ich auf das unerhörteste tyrannisiert!
Immer, wenn ich zu irgendeiner Sache keine Neigung habe, heißt es: aber
Papa -- wegen Frau Jutta mußt du ... Und muß dies und muß das. Und
mußte heute früh um sieben Uhr vom Hochgebirge niedersteigen, weil die
schöne Dame Sehnsucht ans andere Ufer hat.“

Und diese Klage wurde eine Huldigung durch Ton und Blick. Man lachte.

Der Geheimrat unterbrach den Vortrag über seine schlechte Stellung
durch eine Frage.

„Sollte Frau von Falckenrott in ihrer ahnungsvollen Nervosität
vorausgefühlt haben, daß sie hier einen besseren Kavalier fände, als
ich einer bin? Bei der neuen Freundin abgesetzt! Bei der Tochter
abgesetzt! Frau, mein vielenttäuschtes Herz flüchtet zu dir.“

„Ich bin aber keine Lustspielfrau, die verzeihend im Schlußbild die
Arme öffnet, wenn der Schwerenöter _faut de mieux_ reuig begeistert
ausruft: Alte!“

Jutta saß mit blassen Lippen. Sie wußte, der Geheimrat scherzte
harmlos. Er jonglierte gern ein bißchen mit einer Neckerei.

Und doch traf es sie. Ja, sie hatte es gewußt ... daß man einem
Erlebnis entgegenfahre ... Solch drohendes Vorgefühl hatte sie jäh
übermannt.

Die Mahlzeit wurde aufgetragen. Gang um Gang. Sie war für
feinschmeckerische Menschen gefällig anzusehen und zu essen. Der
schwerflüssige, duftende Ivorne, der die Feurigkeit des weißen Bordeaux
mit der Poesie der Rheinweine vereint, leuchtete gelbgolden in den
feinen Gläsern.

Ein linder Hauch, kaum Wind zu nennen, spielte durch die Luft und blies
ihre Hitze fort.

Drunten stieg das am Hang klebende Gehocke der Häuser nieder und wurde
von den Wipfeln der Platanen wie von einem grünen Strich gegen den See
abgegrenzt.

Der blaute weit hinaus, eine Fläche von durchleuchtetem Glas. Und ganz
fern, mehr geahnt als gesehen, am Jenseitsufer, schimmerte Lausanne.

Der Himmel war nun ein saphirnes Gewölbe geworden und prangte in
den Vollfarben der Mittagshöhe. Ja, das war eine gute Ferienstunde.
Aber vielleicht wurde sie doch nur von dem Ehepaar in ihrer völligen
Schönheit genossen.

Renate verstummte allmählich. Und Jutta hatte sich von vornherein nur
gezwungen, zuweilen ein karges Wort, das unbefangen klingen sollte, in
die Unterhaltung zu werfen.

Die führte nun Herr von Gamberg mit dem Geheimrat unter der
aufmerksamen und mitsprechenden Teilnahme seiner Frau. Sie redeten
eifrig über einige politische Fragen, die eben den Tag bewegten.

Renate sah die Freundin an. Wie blaß sie wieder war. Und ein wenig
senkrecht zusammengezogen war die Stirn -- zwischen den Brauen, über
der Nasenwurzel stand wieder diese Falte, die dem Gesicht jenen
Ausdruck strenger Leiden gab ...

„Wüßte ich nur, was diese unruhige und geheimnisvolle Traurigkeit
bedeutet,“ dachte sie. „Sie hat doch auch gejubelt -- damals, als sie
Braut wurde ... und gedacht, sie könne immer froh bleiben in Liebe,
auch wenn er weit, weit fort sei.“

Es war so beängstigend, zu sehen, daß Liebe nicht immer zum Glück führt
...

Und seltsam beklemmend mischte sich dies in die starke Sehnsucht, die
sie nach dem fernen Verlobten hatte ...

Zuweilen ging ihr Blick von dem bleichen, ausdrucksvollen Gesicht fort
und verlor sich in die Weite ... und all die weitgespannte Schönheit,
die dann auf sie zuzuwallen schien, überwältigte sie. Wo war Emmich
jetzt?

Tränen traten in ihre Augen ...

Jutta sah vor sich hin. Sie horchte der ruhevollen, männlichen Stimme
und dem politischen Gespräch nach, ohne bestimmte Worte aufzunehmen.
Ihr, der heimlich Zitternden, tat es wohl, zu spüren: der Mann
beherrschte sich und die Lage.

Allmählich stieg ein heißes Glücksgefühl in ihr auf. Er war da ...

Das Leben hieß nicht mehr: warten!

Ungern schnitt der Geheimrat in die für ihn harmonische Stunde mit
einem Gedanken an die davonlaufende Zeit hinein. Aber Programme,
sagte er, müßten innegehalten werden, wenn man von Zug- und
Dampferverbindungen abhinge, und wenn eine junge, übersorgliche Mutter
schon bei Antritt der Fahrt von allerlei Ängsten befallen wurde, also
gewiß Wert darauf lege, pünktlich heimzukommen.

Und dabei sah er Jutta herzlich und zugleich voll Achtung an.

„Diesen Mann geben wir aber nicht sogleich wieder frei,“ bestimmte
er heiter, indem er seine Hand auf Gambergs Schulter legte. „Ihre
Rückreise nach Genf hängt von gar nichts ab als von Ihrer Laune. Ihren
Botschafter haben Sie ausführlich gesprochen, Ihrer Botschafterin
einige Tage lang getreulich die Schleppe getragen. Was zieht Sie
nach Chamonix? Ich rate Ihnen dringlich ab. Ich versichere Sie, der
Montblanc ist schon im Begriff grau zu werden vor Entsetzen über all
die Hotelküchendüfte, die das Tal zu seinen Füßen erfüllen. Wegen der
durchrasenden Autos können Sie kaum auf der Straße spazieren gehen. Auf
den Höhen aber ist Jahrmarkt. Ein Schützenfest ist eine Nachtstille
gegen den Trubel auf Montanvert am Mer de glace. Bleiben Sie hier,
oder vielmehr -- kommen Sie zu uns nach Caux, oder nehmen Sie Wohnung
in Glion, da sind Sie halbwegs zwischen uns und Ihrer Frau Cousine,
die übrigens keine verwandtschaftlichen Gefühle an den Tag legt. Sonst
würde sie ihre Überredungskünste spielen lassen ...“

„Ja, wirklich,“ sagte die Geheimrätin anstatt ihrer. „Bleiben Sie ein
paar Tage in unserer Nähe. Ich meine auch, es würde die oft so ernste
Stimmung unserer lieben Freundin aufheitern, wenn Sie sich einmal mit
einem Verwandten aussprechen kann.“

Er fühlte: dieser Aufforderung mußte augenblicklich Antwort werden
-- entweder ein freundlich begründetes Nein oder ein zwangloses,
unauffälliges Ja.

Er sah Jutta an ...

Und er sah in ihren Augen ein heißes, dringendes: Bleibe!

„Die Gemeinde Chamonix wird Sie verklagen, Herr Geheimrat, weil Sie den
Zustrom von Fremden ablenken,“ sprach er; „nach solcher Schilderung
würden Sie mich ja für geschmacklos halten, wenn ich nicht mit Ihnen
führe.“

Man stand auf. Der Geheimrat ging ins Hotel, um zu bezahlen und den Weg
nach dem Bahnhof zu erfragen.

„Weit. Heiß. Ansteigend!“ verkündete er dann. „Also Wagen.“

Und es schien, daß Gervasius’, ohne Worte darüber zu wechseln, aus
einer selbstverständlichen Annahme heraus, es für Juttas Wunsch
hielten, mit dem Mann zu fahren, der ein wenig ihr Verwandter, aber
jedenfalls auch ein Jugendbekannter war.

Die Geheimrätin verteilte die fünf Personen auf die beiden vorfahrenden
offenen Wagen, und so stiegen Jutta und Gamberg in den zweiten, während
im ersten der Geheimrat, auch gegen die eigene junge Tochter galant,
auf dem schmalen Rücksitz sich unterbrachte, wobei sein Panamahut sich
am Rocksaum des Kutschers scheuerte.

Bergab und -auf zog sich das weißstaubige Band der chauffierten Straße,
über zehn Minuten hatte man zu fahren. Die Stadt blieb zurück. Ab
und zu klebte eine Villa am jäh zum Wasser sich senkenden Hang; mit
ihrem Dach und ihren obersten Stockwerken sah sie über den Waldessaum
empor, mit ihrem Fundament wurzelte sie tief darunter im Felsen. In
der beizenden Helle lag tiefab der See, und ein Silbergeriesel ging in
zartem Gleichmaß der Bewegung über seine Fläche.

Jutta fühlte sich wie betäubt. Ihr war, als sei dies mehr, als sie zu
bewältigen vermöge: der Überreichtum dieser Landschaft und darin die
Nähe des geliebten Mannes ...

„Verzeihen Sie mir -- ich habe diese Begegnung nicht gesucht ...“

Er nahm ihre Hand und drückte sie und ließ sie rasch wieder.

„Ich weiß es.“

„Und ich habe Ihren Blick verstanden? Nun, da es sich so getroffen hat
-- nun darf ich in Ihrer Nähe bleiben?“

„Ja.“

„Wenige Tage -- geschenkte Tage -- die Gegenwart der gütigen, vornehmen
Menschen, die Ihre Freunde sind, gibt uns diese Freiheit.“

„Ja.“

Sie wußten es beide: tausend Rücksichten waren ihnen auferlegt, sie
durften nicht in stolzer Leidenschaft, die Welt verachtend, aufeinander
zustreben.

Nicht Feigheit band sie -- Achtung vor einem, der fern war und noch an
sein Glück glaubte.

Sie dachten beide an ihn. Das zwang sich ihnen auf, ungesucht, fast
gegen ihren Wunsch. Kein Gedanke hatte ihn gestreift, als sie gespannt,
in jener unerträglichen Steigerung der Sehnsucht zueinander, die die
Gegenwart ahnungsloser und hemmender Menschen großstachelt, bei Tisch
zusammengesessen. Da war ihr Blut schwer gewesen vor Angst, daß sie
auseinandergehen müßten, ohne sich zeugenlos sprechen zu können.

Und kaum war ihnen das bißchen Einsamkeit geschenkt, das ein offener,
emsig die Straße entlang klappernder Wagen gibt, so waren sie wie
beherrscht von dem einen Gedanken an den Mann ...

„Ich habe an Malte geschrieben,“ sagte sie, aus diesen Gedanken heraus.

„Die Wahrheit?“ fragte er rasch.

Schon fühlten sie beide, als ob es eine solche gäbe ...

Und waren doch vor drei Wochen in quälender Ungewißheit
auseinandergegangen, damit ihre Seele sich Klarheit suche ...

„Ich habe ihm gesagt, daß ich glaube, mein Herz sehnt sich nicht mehr
nach ihm ...“

„O -- du ...“

Es riß den Mann hin -- ihm war, als habe sie sich mit diesen Worten ihm
schon versprochen ...

Er preßte ihre Hand -- vereint blieben ihre Hände in den Falten ihres
Kleides, auf dem Sitz zwischen ihnen ...

„Aber er,“ flüsterte Jutta, „er weiß es noch nicht ... Wie seltsam ...
wie es alles schwer macht ...“

„Ja. Hart. Für ihn und uns. Phantastisch fast ... wie das Fallen eines
Sterns -- wenn das Auge es erblickt, ist der Sturz längst vorbei ...“

Er sah in schwerem Sinnen vor sich hin.

Und Juttas Gedanken wanderten dem kleinen papiernen Unheilsboten nach
...

„Solange er nicht *weiß*, was ich ihm sagte, habe ich es noch nicht für
*ihn* gesagt,“ dachte sie.

„Mein Leben ist nun, als schwebe es haltlos,“ sann sie weiter, „haltlos
zwischen zwei Zuständen. Ich habe etwas hinausgerufen -- aber der
Schall ist noch nicht angekommen.“

Und mit ihrem ganzen Wesen horchte sie gleichsam ins Unbestimmte hinaus
...

Wie das alle Nerven anstrengte und überreizte ...

„Aber wir wollen uns dieser Tage freuen,“ sprach Herbert.

„Schön ist es ... schön ...“ und mit einem furchtsamen Ausdruck,
erschauernd setzte sie hinzu: „Fast zu schön.“

Das Üppige aus dieser Umwelt kam auf sie zu wie lauter Versuchung.

Sie sahen sich an.

„Du bist mein!“ sagte sein Blick mit einer ruhigen, großen Bestimmtheit.

Um sie her ging aber der Tag und seine Regie weiter. Für dieses Mal war
der Geheimrat der Spielleiter. Und er stand schon da, um Jutta die Hand
zum Aussteigen zu reichen, als der Wagen am niedrigen, langgestreckten
Bahnhofsbau vorfuhr.

Man war ein wenig knapp vor Einfahrt des von Thonon kommenden Zuges
angelangt. Und nun wurde in aller Hast, beim Einsteigen und noch aus
dem Coupéfenfter heraus, besprochen, daß also Herr von Gamberg morgen
-- nein, nicht schon morgen, er müsse sich bei Exzellenz Plaß abmelden
und in der Tat ein Wiedersehen mit seinen Koffern in Genf feiern --
schön, also übermorgen mit Frau Jutta und den drei Gervasius zusammen
einen Ausflug nach Rocher de Naye machen werde. Er könne in dem Hotel
absteigen; es liege zehn Minuten von Juttas Pension entfernt und
gleich ihr scheinbar im Bergwald versteckt, während man doch einen
zauberischen Blick über den See habe.

Der Geheimrat, um seine derzeitige Befehlshaberstellung auszukosten,
wie er sagte, ordnete alles genau an: wann Herr von Gamberg übermorgen
früh mit dem Wagen Frau Jutta abholen solle, um mit ihr nach Glion
hinaufzufahren, wo man die Zahnradbahn nach Rocher de Naye zu nehmen
habe; sie, die drei Gervasius, würden an der Station zur Stelle sein
und sich zu den Freunden gesellen.

Neben dem Kopf des Geheimrats, der das Fenster besetzt hielt, sah Jutta
ein wenig von dem auf dem Bahnsteig Zurückgebliebenen. Und dann schien
er einfach fortzugleiten, als schöbe man ihn wie ein Versatzstück
weiter. Der Zug rollte davon.

Sie sank, eine ganz Erschöpfte, in eine Ecke der Polsterbänke.

„Wir sind allein. Also jedem eine Ecke zur verspäteten Mittagsruhe
bis Bouveret,“ befahl der Geheimrat, dem es selbst sehr um ein halbes
Stündchen in Gedankenlosigkeit und mit geschlossenen Augen zu tun war.

Ja, denken, denken -- nicht mit Blick und Lachen und Wort heucheln
müssen, ersehnte Jutta.

Jeder saß in seiner Ecke. Renate blinzelte noch einigemal lustig zu
ihrem Vater hinüber, weil er aus seiner Tasche ein frisches weißes
Tuch nahm, entfaltete und über seinen Kopf deckte, ehe er wagte, ihn
anzulehnen. Seine Tochter wußte: er pflegte ungefähr in jeder Tasche
ein Tuch zu haben, und sie neckte ihn mit seinem Widerwillen gegen
Dinge, an denen jedermann seine Spuren lassen konnte, und meinte:
„Papa, du solltest auch im Leben die Gummihandschuhe tragen, die du
beim Operieren anhast.“

Er drohte ihr mit dem Finger und sagte: „Du Krabbe!“

Dann waren sie alle still, und die Geheimrätin schlief sogar mit
bemerkbaren Atemzügen, von denen ihr Mann nachher verleumderisch sagte,
es wäre Schnarchen gewesen.

Jutta besann sich -- ja, es war kein Phantasieerlebnis -- sie hatte ihn
gesehen, gesprochen, den Druck seiner Hand gefühlt. Er würde kommen --
all diese betäubende Schönheit der Welt war wie ein tumultuarisches
Vorspiel gewesen, alles würde nun klar und groß und sicher: er kam! ...

Aber wie: wenn es ihn reute? Wenn er nur zum Schein, um nicht durch
eine Weigerung aufzufallen, weil ihm keine Gründe zur Hand gewesen
waren, gesagt hatte: ich komme!

Wenn nun morgen ein Telegramm käme -- ein Brief -- eine
Telephonnachricht -- daß er fortbliebe!

Aus Vorsicht -- wegen der Welt -- um auch nicht von fern den Anlaß zu
einem Gerede zu geben? Oder aus Rücksicht auf Malte? ...

„Oh,“ dachte Jutta leidenschaftlich, „ich habe ihm ja die Wahrheit
gesagt, ich bin ja frei ... frei ist wieder mein Weg ins Leben ...
Malte *muß* gefühlt haben, daß es eine Vorbereitung war zu der
unerschütterlichen Forderung: gib mich frei.“

Ganz vergessen war es plötzlich, daß der ferne Mann ja noch nicht wußte
... Er und seine Ansprüche und sein Dasein waren nichts. Es gab nur
eines: die bedrängende Furcht, daß Herbert ausbleiben könne ...

„Wie soll ich diese Spannung ertragen,“ dachte sie.

Sie fürchtete sich vor dem Abend, vor der Nacht.

Zwischen der Langsamkeit der Stunden und der leidenschaftlichen
Ungeduld in ihrer Brust klaffte eine Disharmonie, die beklemmend war.

Auf dem Dampfschiff, zwischen Bouveret und Territet, bat Jutta
flehentlich: „Darf Renate bei mir bleiben? Ich bringe sie selbst morgen
hinauf. In der Pension ist ein Zimmer frei.“

„Ach ja,“ stimmte diese bei, „wir können dann zu Fuß hinauf -- es muß
herrlich sein durch den Wald und über die Alm -- weißt du, Mama -- die
so in der Mulde liegt, mit der silbergrauen Hütte auf dem grünen Grund.“

„Kind, du hast ja keine Sachen mit.“

„Jutta leiht mir alles -- und Kamm und Schwamm und Zahnbürste kaufen
wir gleich in Territet.“

„Federleicht ist mein Gepäcke,“ zitierte der Geheimrat. Seine Frau
hatte noch Bedenken. Wahrscheinlich aus mütterlicher Politik, meinte
er, um ihre Zustimmung als wichtigen Akt erscheinen zu lassen.

Sie hatten dann beinahe ein Gefühl wie Mädchen, die die Schule
schwänzen, als sie, nach Abfahrt der Eltern, noch in Territet
herumliefen.

So jung waren sie in ihrer Stimmung -- auch Jutta -- plötzlich ganz
voll übermütiger Jugend.

Dann fuhren sie im Einspännerchen bergan, durch düstere und doch heiße
Tannenstrecken. Bis sie zur Pension kamen, wo Jutta ein Wiedersehen mit
der Kleinen feierte, als läge eine lange Trennung hinter ihr.

Sie konnte das Kind noch für die Nacht zurechtmachen und es waschen und
tränken und Martha loben, daß nichts passiert sei, und dem kleinen
Wesen, das zufrieden lag und mit seinen tiefen, rätselvollen Blicken
guckte, erzählen, daß Mutti einen herrlichen Tag erlebt habe ... alles
bekam Baby zu hören, in ausführlichen, flüsternden Worten, die von
heimlichem Jubel durchglüht waren. Bis Baby die Augen zufielen ...

Da verlosch auch die Jubelstimmung im Herzen der Frau.

Nur Unruhe blieb und das Gefühl, als habe plötzlich alles eine
enttäuschende Wendung genommen.

Man wurde zum späten Diner in den Speisesaal gerufen. Da waren
noch einige Pensionäre, allerhand Menschen, denen Jutta die kargen
Höflichkeiten gönnte, die erforderlich sind, wenn man unter dem
gleichen engen Dach schläft, an einem Tisch miteinander speist. Mit
angezogenen Ellbogen saßen sie und handhabten die Bestecke geziert,
aßen Brotbrocken zwischen den Gängen und erstatteten einander Bericht
über die Ausflüge, die sie, jeder für sich, gemacht hatten. Und alles
war von einer so unaussprechlichen Leere und Gleichgültigkeit erfüllt.
Und wenn einer der Tischgenossen eine Bemerkung von bescheidener
Heiterkeit machte, lächelte man wichtig, als sei es amüsant.

Bei jeder Mahlzeit, die Jutta noch hier eingenommen, hatte sie die
Furchtbarkeit dieses Zwangs gefühlt, mit zusammengewürfelten Menschen
zu sitzen und Blick und Miene auf diese Leerheit abzustimmen. Förmlich
verzehrt hatte sie sich vor Verlangen nach ihren einsamen Mahlzeiten in
ihrem eigenen hübschen Speisezimmer ... Aber das gab es ja nicht mehr
-- dahin war keine Rückkehr -- sie selbst hatte es zerstört ...

Heute ertrug es sich gut. Die liebe Renate war da. In ihrer köstlichen
Unbefangenheit, die sich durch Farcen nicht gestört fühlte, weil sie
sie als solche noch nicht erkannte.

Und dann kam der Abend.

Auf Juttas Balkon saßen sie und staunten in die rasch wachsende
Dämmerung hinaus. Dieses merkwürdig schwebende Grau wuchs von
allen Seiten in die Welt hinein, es schien aus der Fläche des Sees
emporzusteigen, es wallte leise vom Himmel herab, es breitete sich aus
den Bergwänden hervor und wurde tiefer und tiefer. Am weiten Kreis
der Ufer blitzten Lichterketten, und in ihnen war ein Verlöschen und
Wiederaufzucken, als spielten da unsichtbare Finger auf leuchtenden
Tasten. Blanke Raupen krochen über die dunkle Fläche des Sees,
fremdartige Raupen, deren Sirenenschrei bis hier herauf tönte durch
die feierlich weite Stille. Aus dem Rhonetal, das in dem Schwarz der
gigantischen Gebirgsmauern hinweggelöscht schien, kam, wie aus einem
Tunnelmund, ein Zug mit feurigem Zyklopenauge und verschwand sogleich
wieder dem Blick, weil er den Weg nah am Fuß des Hanges entlang nahm.

Jutta mußte an eine andere Sommernacht denken. An jene ferne, da sie im
purpurnen Dunkel des Parks, in seinem schwülen Rosenduft, sich von zwei
Armen umschlossen gefühlt hatte ...

Ganz deutlich, durch die Kraft ihrer Sehnsucht Gegenwart geworden,
spürte sie den Kuß auf ihren Lippen ... seinen Kuß.

Und aus der weiten, heißen Sommernacht, aus ihrem von
Liebesgeheimnissen überfüllten Schweigen stieg ein Rausch auf und
verführte die Frau. Sie vergaß ihre Ehe. Ihr Kind. Alles.

Die Jungfräulichkeit war ihrer Seele zurückgegeben und sehnte sich nach
Erfüllung und nach all dem wonnigen Erleben des Weibtums.

Phantastische Vorstellungen bedrängten sie.

Wie -- wenn er nur gesagt hatte „übermorgen“, um zu verstecken, daß
er meinte: „diese Nacht!“ Wenn er dort zwischen dem Dunkel der Stämme
wartete -- von Sehnsucht ruhelos wie sie, von Verlangen krank wie sie
...

Heiße Reue kam. Weshalb nahm ich mir eine Gefährtin mit hinein in diese
Sommernacht?!

Wär’ ich allein! Vielleicht rief’ er leise: komm -- komm ... Und ich
huschte hinab zu ihm -- in seine Arme -- an seinen Mund ...

Purpurn war wieder die Sommernacht, und ein heimliches Brennen war
in ihr, das alle Nerven anspannte und alles Leben steigerte, so daß
es schien, als müsse ein Blitzstrahl der Erlösung niederflammen --
irgendwoher ...

Sie zitterte -- sie seufzte. Und legte die Stirn auf die harte Kante
des Geländers.

Da fühlte sie einen Arm um ihre Schultern, eine Wange legte sich
gegen ihr Haar, und ganz leise, vor Zärtlichkeit und Mitleid förmlich
vorsichtig, fragte die junge Stimme: „Sehnst du dich so sehr nach
deinem Mann ...“

Jutta fuhr empor.

Ihre Leidenschaft vergaß alles: Verschwiegenheit, Schonung, Vernunft
...

Sie warf sich in die Arme des Mädchens und brach in Tränen aus.

„Nein -- nicht nach ihm -- zurück sehn’ ich mich -- zurück in meine
Jugend -- noch einmal möcht’ ich über mein Leben entscheiden -- frei --
wissend. -- Ach Kind -- geliebtes Kind -- wir verstehen uns selbst ja
nicht -- nichts wissen wir von uns -- nichts -- als bis es zu spät ist
...“

„Du liebst Malte nicht mehr?“ fragte Renate entsetzt -- fast lautlos.

„Nein! Ich weiß nicht -- nein -- gewiß nicht -- ich weiß jetzt nicht:
habe ich ihn je geliebt? Aber siehst du -- dies dumpfe Gefühl von
Täuschung -- von Enttäuschung, das mag in hundert Frauen schlummern --
im Untergrund ihres Wesens liegt es -- und kommt nie herauf. Niemals,
denn der Mann ist ja immer da, mit seinen Rechten, seinen Ansprüchen,
seiner Gegenwart, die zugleich immer die Vergangenheit und die Zeit
erster, holder Illusionen frisch hält. Da kann das nicht erwachen,
nicht wachsen, geschweige denn laut werden. Andere Frauen sind nicht
so lange allein und können sich nicht umsehen und nicht besinnen. Aber
ich ... ich habe Zeit gehabt -- Einsamkeiten hab’ ich gehabt -- allein
waren wir, ich und mein Kind -- --“

Sie begann von neuem zu weinen.

Es tat wohl, zu weinen -- es war zugleich wie Anklage und Trost -- als
ließe sich mit diesen leidenschaftlichen Tränen das Glück ertrotzen ...

Und Renate weinte mit ihr -- sie weinte aus Furcht vor dem Leben und
aus Entsetzen darüber, daß große Liebe enden kann. Und gegen die ihre
kam, wie ein Gespenst, eine drohende Unsicherheit heran ...

                           *       *
                               *

„Und was macht sie jetzt?“ fragte der Geheimrat.

„Schreibt.“

„Du hättest sie zwingen sollen, sich aufs Bett zu legen.“

„Zwang auf erregte oder abgespannte Nerven ausüben wollen, halte ich
für ganz verkehrt.“

„Im allgemeinen wohl. Aber wenn wie hier die Ursache am Tage liegt ...“

Die Geheimrätin stickte auf einem hellgrauen, in Taschenform
zugeschnittenen Stück Brokat das Blumenmuster nach. Die dazu nötigen
blassen, grünen und rosa Seidenfäden lagen auf dem Tisch.

Das hohe Halbrund einer Koniferenwand umschrankte ihren Platz, von dem
aus, zwischen den Rahmenpfeilern zweier glatt verschnittenen Tujas, sie
das paradiesische Stück Welt überblicken konnte.

Jetzt wandelte die Gestalt ihres Mannes, der seine Zigarette rauchte,
als Vordergrundfigur immerfort hin und her vor der Fernsicht, deren
Reize in diesem Moment die Geheimrätin übrigens ganz kalt ließen.
Ihretwegen hätten sich da tellerplatte märkische Kartoffelfelder
anstatt des Genfersees hinbreiten können. Denn sie dachte an gar nichts
als an ihre Tochter und deren unbegreiflichen, höchst beunruhigenden
Gemütszustand.

„So,“ sagte sie jetzt und beäugte mit größter Genauigkeit den
dornenbesetzten Rosenstengel, den sie eben fertig bekommen hatte. „So?
... für dich liegt die Ursache am Tage ...?“

Er stand still.

„Nun, sie waren von der Pension bergan gestiegen und hatten dazu
beinahe drei Stunden gebraucht. Es war heiß gewesen, sie brachen zu
spät auf und kamen fast in die Mittagsglut hinein. Sowie nun Renée zu
dir ins kühle und schummrige Zimmer kommt, löst sich die Übermüdung in
einen Tränenausbruch.“

„Ach Mann -- wir kennen doch das Kind besser -- die kann doch acht
Stunden wandern und kommt ebenso lustig an, wie sie ausgegangen ist,
und schmaust wie ’n Bauernjunge und braucht keinen Schlaf ... Und
heut: nicht mal zum Lunch wollte sie -- ins Zimmer mußte man ihr das
Essen bringen -- und aß nichts -- und immer von neuem kamen Tränen.
Und Jutta hält sich gar nicht auf -- nimmt sofort den Zug bergab,
der, ihr offenbar sehr gelegen, noch gerade zu erwischen war -- voll
Eile zu ihrem Kind zurückzukommen. Na ja, sie ist ja ’ne treue kleine
Mutter ... Aber diesmal, weißt du -- diesmal wirkte es doch etwas wie
schlechtes Gewissen.“

„Schlechtes Gewissen! Ich bitte dich! Inwiefern?“

„Ach -- ich bekomm’ so ein Gefühl: Jutta Falckenrott ist kein Umgang
für Renée. Sie setzt ihr was in den Kopf. Beunruhigt ihr Gemüt. Nimmt
ihr was von ihrer Unbefangenheit. Und die ist doch schließlich das
Beste, was die Jugend hat. Die hab’ ich unserem Kind gehütet und
geschont ... Und nun zerstört mir eine fremde Hand das alles.“

Voll Sorge und Unmut war sie, und immer flinker gingen dabei Nadel und
Faden auf und nieder.

Das mochte der Geheimrat aber durchaus nicht haben. Er wollte nicht
nur die Worte, er wollte auch die Blicke seiner Frau, wenn er mit ihr
sprach. Er setzte sich zu ihr auf die Bank und nahm ihr einfach die
Stickerei fort.

„In dem Augenblick, wo sich das Kind verlobte, gabst du sie dem Leben
und lauter fremden Händen hin,“ sagte er voll tiefen Ernstes.

„Und sie zerstören mir, was ich gebildet habe,“ schluchzte sie auf.

Er zog sie voll Güte an sich.

„Denke nicht so klein von deiner mütterlichen Arbeit,“ sprach er, „ich
vertraue ihr, ihren Resultaten und dem gesunden Wesen unserer Tochter
besser.“

Sie trocknete eifrig ihre Tränen, schluckte und wollte sachlich sein.

„Man sieht wohl: die arme Frau ist voll heimlicher Erregung. Die sehnt
sich krank nach ihrem Mann. Es ist Unsinn, daß sie nicht zu ihm gereist
ist. So kleine Kinder haben an jeder Pflegerin dasselbe. Die großen
Kinder -- die sind’s, die einen notwendig brauchen ... Ja, und was ich
sagen wollte ... Nun fürcht’ ich -- wirkt das entweder wie von selbst
hinüber auf Renée, oder die Frau klagt ihr leidenschaftlich was vor und
verleidet dem Kind schon vorweg den Beruf des Mannes.“

„Du kannst recht haben,“ gab er ihr zu, „ich glaube sogar: du hast
recht. Aber sieh: wenn die freudige Zuversicht unserer Renate überhaupt
zu erschüttern *ist*, ist es da nicht gesünder, sie kämpft das jetzt
mit sich durch? Zu dieser oder jener Klarheit hin?“

„O Gott ... du willst sagen?“ fragte sie erschreckt.

„Nichts will ich sagen als dies: wenn Renate erkennt, daß sie nicht
in fester Haltung die Opfer zu bringen vermag, die ihres Mannes Beruf
vielleicht einmal von ihr verlangen kann, dann ist sie nicht wertvoll
oder nicht reif genug, ihn zu heiraten. Sie muß sich sagen, daß sie
nicht nur den Mann heiratet, den sie liebt, daß sie sich zugleich
auch gewissermaßen einer großen Sache angliedert, die etwas von ihr
verlangt. Hat sie dazu nicht die Kraft, ist es besser, sie tritt
zurück. So sehr wir das auch um des Mannes willen beklagen müßten. Denn
ich mag ihn leiden. Und ich denke: du auch.“

Eine Pause entstand. Dann sagte die Geheimrätin zaghaft, mit einer
förmlich kleinen Stimme: „Vielleicht ist sie doch nur von dem
Bergansteigen übermüdet ...“

„Sieh, sieh -- meine kluge Frau ...“ dachte der Geheimrat, und in
seinen geistvollen Zügen kamen wieder allerlei kleine Boshaftigkeiten
auf und sprühten aus seinen Blicken. Er lächelte in einem Gemisch von
Güte und Spott. Und mit dem sechsten Sinn, den sie für ihren Mann
und seine Kritik hatte, spürte sie, was in ihm vorging, und wie ihre
Frauenseele vor ihm lag mit all ihren unbewußten und unlogischen
Zickzackempfindungen.

Ja, ganz und gar fühlte sie sich wie von durchsichtigem Glas vor ihm.
Und das beschämte sie ein wenig und beglückte sie unaussprechlich. Sie
kuschelte sich noch enger an ihn und drückte ihre Wange fester gegen
seine Schulter, als wolle sie durch dies nahe Anschmiegen sagen: gibt
es wohl einen besseren Platz auf der Welt als diesen!

Er saß still und hatte ein gutes Gefühl von Liebe und auch von Respekt.

Oben in ihrem Zimmer aber beugte sich die junge Renate über ihren
Schreibtisch, der ganz im Schatten stand. Schräge, feine Lichtlinien
gingen durch diesen Schatten und streiften über den blonden Kopf,
über das Papier und über die Tuchplatte des Tisches. Die Stäbe der
Persienne schlossen nicht eng aneinander und ließen all diese schmalen
Bänder von Sonnenschein durch.

Renate schrieb an ihren Verlobten. Sie konnte gar nicht anders, als
Emmich alle Not ihres Herzens darlegen. Auf eine merkwürdige Art
war ihr, als litte sie die Leiden der anderen Frau mit -- als sei
dies etwas Allgemeines -- ein Frauenlos, das ganz gewiß auch ihrer
harre, vor dem es kein Entrinnen gab, und dem sie schon voll Angst
entgegenklagte.

Die herzhafte und gesunde Sehnsucht, die sie nach dem geliebten Mann
empfand, wurde das Fundament, darauf sich ganz unkontrollierte und
verworrene Empfindungen aufbauten. -- Die Sorgen vor allem, daß es ihr
ergehen könne, ja müsse wie der lieben armen Freundin.

Das Mitleid mit dieser wandelte sich, indem die Feder es beschrieb,
unversehens in die Furcht vor eigenen Erlebnissen und Enttäuschungen,
die sich bis zu Zweifeln an der Sicherheit ihrer Liebe steigerten.

Sie bedachte ihre Worte nicht sehr. Sie folgte nur dem zwingenden
Bedürfnis nach möglichst erschöpfender und befreiender Aussprache.

Sie unterschied noch nicht zwischen gesprochenen und geschriebenen
Worten und wußte nicht, daß gerade die, die lautlos nur auf dem Papier
stehen, wuchtigere und härtere Stimme haben können als die anderen,
deren Klang ein Blick begleitet ...

Es tat ihr wohl zu schreiben. Es tröstete mehr als alle liebevollen
Reden Juttas. Denn Jutta hatte leidenschaftlich bereut, ihren
Gemütszustand der jungen Freundin offenbart zu haben. Aber Renate
meinte unter Tränen: „Wäre es sonst Freundschaft?!“

Und alles, was Jutta gesagt hatte, um ihr Geständnis zu mildern, um
glauben zu machen, es sei ja ein ganz ungewöhnlicher Einzelfall --
alles hatte Renate nur bekümmerter gemacht. Es war eben jene Art von
Abwiegeln gewesen, die mehr steigert als alles Aufwiegeln. Aber das
wußte Renate natürlich nicht.

Sie wußte nur: Jutta ist unglücklich, und ich werde es ganz gewiß auch
werden.

Aber nebenher ging auch eine entschlossene und mutvolle Empfindung,
dies Unglück ertragen zu wollen ...

Sie las den langen Brief nicht wieder durch. Ihre Feder war all diese
vielen Zeilen entlanggelaufen wie über eine Brücke, die zu „ihm“
führte. Und als unter den vielen Bogen das Schlußwort stand „Deine
Renate“, da war ihr: ich bin da!

Und nun erst legte sie sich auf ihr Bett, weil ihr die Eltern befohlen
hatten, sie solle sich ausruhen. Sie war noch gewohnt zu gehorchen und
ordnete ihre Pflichten jetzt in drolliger Naivität so, daß sie erst
ihren Stimmungen nachgab und dann artig war.

Als die Mutter später hereingeschlichen kam, fand sie ihr liebes,
schönes Kind fest schlafend, mit verschränkten Armen, gerunzelter Stirn
und einem leidvollen Zug um den Mund ... so wie Menschen schlafen,
denen ihre Erregungen noch in die Träume hinein Schrecknisse bringen.

Und noch vor kurzem hatte dies Gesicht im Schlummer immer den
kindlichen Ausdruck aus allerfrühesten Jugendtagen zurückgewonnen ...

Ergriffen stand sie und dachte: „Nein -- es ist kein Kindergesicht
mehr ...“ An der Türspalte lauschte ihr Mann. Sie trat von dem Bett
hinweg, um ihm den Blick freizugeben.

Lange sah er die Tochter an. Seine Augen funkelten -- von dem Naß, das
sie füllte. Denn dieser spöttische Mann war merkwürdig weich dem Weh
und Ach der Frauen gegenüber. -- Wie sollte es ihn nicht bekümmern, daß
sein Liebling sich mit Schatten herumplagte.

Still gingen die Eheleute fort. Sie sprachen sich gegeneinander nicht
über ihre Empfindungen aus. Aber sie wußten es nun beide: ihre Tochter
war ein Mensch geworden, der seine Erlebnisse für sich hat.

Das war der Lauf der Welt.

Sie sagten es sich im stillen und wollten philosophisch darüber lächeln
... Und ein ganz merkwürdiges Gefühl von Altwerden erwuchs ihnen daraus
... Die Erkenntnis: unsere Nachfahren recken sich schon neben uns empor
... Denn vielleicht mehr noch als durch eigene Freuden zeigen Kinder
durch eigene Leiden, daß sie nun ihren Lebensgang für sich haben ...

                           *       *
                               *

Am anderen Tag schien alles wieder im Gleichmaß zu sein. Der Geheimrat
sah: „das Kind ist doch etwas blaß und hat einen gespannten Zug im
Gesicht -- hoffentlich merkt meine Frau es nicht.“ Die Geheimrätin
dachte: „Keiner soll mir ausreden, daß das Kind Kummer hat, es ist
Unruhe in ihrem Blick -- hoffentlich merkt mein Mann es nicht.“

Und sie waren, ohne es selbst zu wissen, um ihre Tochter herum wie
Hofstaaten um eine Prinzessin.

Renate spürte erhöhte Liebe und Pflegsamkeit. Und das tat so wohl,
ein bißchen schmerzlich wohl -- machte weich -- stimmte zu gerührter
Dankbarkeit. Sie hing sich mit kleinen Zärtlichkeiten an die Eltern
-- machte dem Papa förmlich den Hof, schenkte ihm Tee ein, strich ihm
Brötchen, hielt das Zündholz für die Zigarette, war mit dem Sitz seiner
Krawatte nicht zufrieden, obgleich der Geheimrat sich einbildete,
ein Künstler im Krawattenknüpfen zu sein; der Mama konnte sie nicht
so viele kleine Dienste tun, aber sie streichelte ihr manchmal ganz
grundlos und unvermutet die Hand und nickte ihr zu.

Trotz dieser gesteigerten Temperatur in der gegenseitigen
Hingegebenheit vermieden die Eltern jede Frage. Mit einer Delikatesse
ohnegleichen gingen sie ganz an den unbegreiflichen und starken
Gemütserschütterungen vorbei, die sie gestern an der Tochter beobachtet
hatten.

Man mußte die Verabredungen innehalten, die vorgestern mit Herrn
von Gamberg in Evian besprochen worden waren. Der Geheimrat selbst
hatte sie angeregt, und obgleich seine Frau wünschte, daß die Tour
unterblieb, weil ihr jede Stimmung dafür fehle, so fand er doch, daß
ihrerseits eine Absage unmöglich sei, da keinerlei Krankheit oder
drohende Wetter Hindernisse hergäben.

Um elf Uhr standen sie bereit auf dem kleinen, schmalen Bahnsteig im
Schattenstreifen, den das von dünnen Eisensäulen getragene Dach hergab.
Der Geheimrat in seinem grauen Anzug und Panamahut; seine Damen in
hellen, kurzen Kleidern, wie zu flotten Märschen bereit. Aber er hatte
vorweg die Parole ausgegeben: Anstrengungen erlaube ich heute nicht!

Der Himmel war sehr blau, wenn auch nicht ganz wolkenlos. Es sah
aber schön aus, wenn die großen Wolkenschatten rasch über die
besonnten Grashalden der Gebirgsabhänge zogen oder ganze Strecken der
Tannenwälder plötzlich verdüstert erschienen. Droben der Felsgipfel des
Rocher de Naye erhob sich unumwölkt in die glänzende Luft; man erkannte
hier unten die kleine flatternde Fahne des Hotels dort oben.

Hart am Bahnsteig entlang, über den eisernen Schwellen und der
gezahnten Schiene, zogen sich die dicken Drahtseile hin. Sie vibrierten
heftig. Und nun kroch auch der aus zwei Wagen bestehende Zug herauf,
ganz steil kam er empor wie ein kleines Ungetüm, das mit klammernden
Organen keuchend bergan klimmt.

Ja, und da war Jutta. Sie errötete. Herr von Gamberg und sie saßen --
zwei Touristen scheinbar -- unbefangen -- unter den vielen Menschen,
die gedrängt die blanken Holzbänke der offenen Wagen einnahmen.

Sie grüßten schon von weitem höflich, so wie sie der in Reih’ und Glied
stehenden Familie Gervasius ansichtig wurden -- grüßten lachend, mit
winkender Hand, mit gelüftetem Hut.

Und Jutta wurde rot ... Sie fühlte es, zu ihrer größten Verlegenheit.
Und begriff sich nicht ... „Merkwürdig,“ dachte sie, „solch sinnloses
Erröten.“

Jutta Falckenrott fühlte undeutlich, daß Erröten vielleicht niemals
sinnlos ist, daß aus uneingestandenen Wünschen, Wissen, Schuldgefühlen,
Befürchtungen -- kurz aus ganz starken, aber im dunkeln bleibenden
Unterströmungen die Aufwallungen kommen, die das Blut in die Wangen
jagen.

Fahrgäste stiegen aus. Andere, die neben Gervasius’ auf dem Bahnsteig
gewartet hatten, stiegen mit ein. In dem Hin und Her konnte man nicht
Plätze nebeneinander erobern. Der Zufall drückte jeden irgendwohin.
Mutter und Tochter saßen sich gegenüber vorn im Wagen. Der Geheimrat
hatte noch ein Unterkommen in dem Abteil bei Jutta und dem Legationsrat
gefunden. Das gefiel ihm gut, der schönen Frau gegenüberzusitzen. Sie
interessierte ihn in jeder Hinsicht.

Im allgemeinen konnte keine Frau mit ihm verkehren, ohne ihm geschwind
etwas vorzuklagen und gewissermaßen einen ärztlichen Rat so nebenbei
von ihm zu erfischen. In der allerhöchsten Gesellschaft, in Ballsälen,
auf Diners bekamen ihn die Damen in einer Fensternische, in einer
Saalecke fest, und brachten das Gespräch auf ihre Kinder oder auf ihre
Leiden. In aller Unschuld knöpften sie ihm kleine Gratiskonsultationen
ab. Und es war schon vorgekommen, daß er, wenn die Betreffende zu
zudringlich wurde und -- sehr häßlich war, mit seinem allerschlimmsten
Lächeln gesagt hatte: „Meine Gnädige, auch hier kostet ein derartiges
Gespräch mit mir zwanzig Mark. Denn die Konsultationen beim Punsch
Romain und bei Gänseleberpastete gehen zugunsten meiner armen Kranken.“

Jutta hatte ihm noch nie etwas vorgeklagt, und das mochte er haben.
Auch war sie sehr intelligent und sprach gut. Das mochte er auch haben,
denn immer wieder fiel es ihm auf, wie wenig gewandt deutsche Frauen
ihre Muttersprache meisterten. Es gab die Gewählten und Gezierten.
Und es gab die Nachlässigen. Aber frei und sicher aus dem unendlichen
Wortschatz schöpfen, gewandte Sätze formen, das verstanden nur sehr,
sehr wenige.

Sie war auch sehr schön, und das mochte er drittens haben. Weil er von
Berufs wegen mit so viel Unästhetischem umzugehen hatte, konnte er
große Freude an geschmackvoll gemeisterter Schönheit finden. Und er
sah: Jutta brachte die ihre voller Harmonie zur Geltung.

Ihre seelischen Unruhen, die er ja erraten mußte, von denen auch sein
Schwiegersohn voll Sorge gesprochen, beschäftigten ihn ebenfalls. Und
so hätte er alles in allem wohl wissen mögen, was für ein Mensch sie
eigentlich sei.

Er taxierte, so wie er’s ihr auch vorgestern auf der Brücke gesagt:
eine wandernde Seele.

Eine von den Sehnsüchtigen, für die es nie und nirgendwo eine wahre
Erfüllung gibt. Die sich ermatten in der ewigen Begierde nach einem
Glück, das ihnen nur in ungewissen Linien vorschwebt.

Und das tat ihm leid.

Denn er wußte: die Art hat es schwer mit sich. Besonders wenn sie
vornehm und anständig bleiben will.

Er hatte gesehen, wie Jutta errötete, als man einander ansichtig wurde.

„Ei, ei,“ dachte er.

Doch schlechtes Gewissen? Wegen Renée? Fühlt, weiß sie, daß sie ihr was
in den Kopf setzte?

Es war doch recht unbehaglich. Er mochte im allgemeinen nicht, wenn
Frauen sich so leidenschaftlich befreundeten, wie Jutta und Renate es
getan hatten. Er hatte noch nie gesehen, daß junge Wesen dadurch klarer
und zufriedener geworden waren. So ein bißchen Freundschaft obenhin,
zum Lachen und zur Freude -- ja. Aber Unreife sollen nicht miteinander
in die Nebel und Abgründe des Lebens hinabwollen -- das war immer eine
unbekömmliche Geschichte; sie machen sich gegenseitig nur furchtsam.
Frauenfreundschaft ist nur was für Geprüfte, dachte er.

In seiner munteren Art fragte er allerlei und erfuhr vom Legationsrat
von Gamberg denn auch, daß dieser gestern abend erst mit dem letzten
Zug von Genf über Lausanne eingetroffen sei, so spät, daß er sich nicht
mehr habe erlauben dürfen, sich noch bei Jutta zu melden. Dafür habe er
sich heute morgen mit fast unbescheidener Pünktlichkeit in der Pension
eingestellt.

Und während dieses Berichtes sah er, Gamberg zuhörend und nach
Gleichgültigem fragend, immer beobachtend Jutta an.

Sie fühlte es. Und errötete wieder. Ihr war, als durchschaue dieser
kluge Mann sie ganz und gar. Sähe es ihr an, daß sie wieder bis in die
Nacht hinein auf ihrem Balkon sich in Erwartung und Verlangen zerquält
-- daß ihr Schauer über die Haut rieselten, wenn in den nahen Tannen
leise ein Schritt klang -- daß ihr Herz rasend schlug, als sie einmal
glaubte, wie einen Hauch nur, ihren Namen rufen zu hören -- daß sie
entnervt, fiebernd, von Ungeduld zermürbt, monoman immer dachte: „Käme
er doch -- käme er doch ...“ Aber er war nicht gekommen ...

Ihre Unruhe hatte das Kind förmlich angesteckt. Es schrie in der Nacht.
Das war nicht mehr vorgekommen seit den allerersten Wochen. Es wurde so
gut genährt und gehalten, daß es schlief, schlief, still, mit stetigem
Atem, fast ohne sich zu rühren ...

Und heute morgen, als Herbert kam -- früher als sie ihn erwartet
hatte -- da sah sie ihn nicht allein. An den Tischen auf der
kleinen Terrasse frühstückten auch die anderen Gäste der Pension und
saßen interessiert und bewachten Mienen und Worte. Daheim in ihren
Pflichtkreisen waren sie vielleicht tüchtige und angenehme Menschen.
Im Nichtstun aber offenbarten so viele ihre Inhaltlosigkeit. Es war
gerade, als ob nur die Bewegungen der anderen Menschen ihnen ein wenig
Bewegung bringen könnten ... und sie lauerten hungrig.

Dies erzählte Jutta jetzt. Und indem sie dem geliebten Mann zu
verstehen geben wollte, daß sie ihm unter vier Augen Unendliches zu
sagen gehabt hätte, machte sie eine humoristische Darstellung daraus.

„Ja,“ sagte der Geheimrat, „früher dacht’ ich manchmal, man kennt einen
Menschen nicht, ehe man nicht mit ihm in der Arbeit zusammen war.
Hiervon bin ich abgekommen. Arbeit hebt so sehr, daß auch Unbedeutende
von ihr zu etwas gemacht werden können. Beobachte jemand beim
Faulenzen, und du wirst wissen, ob du einen Menschen von höherer Kultur
vor dir hast. Die Arbeitsstunde zügelt, die Feierstunde entzügelt. Da
zeigt sich’s, ob einer blöde, leer, roh oder von feinsten Bedürfnissen
ist.“

Der kleine Zug kroch unterdes steil bergan. Die Landschaft, indem sie
zurückzusinken schien, wurde immer gewaltiger.

Voraus erhoben sich zwei kolossale Höcker: links das grasbenarbte Horn
des Jaman, links der willkürlich gebuckelte Gipfel des Rocher de Naye.

Man besprach die „Aussicht auf Aussicht“. Das unermeßliche Blau
erschien schöner und tiefer, weil weiße Wolken darüber hinwegsegelten
-- so vereinzelt -- jede in stolzer Verlassenheit. Und unter ihr
auf dem mächtigen Stück Erdenrücken und seinem bizarr gehaltenen
Riesenmantel von Wäldern, Almen, Felsenkahlheit zogen ihre Schatten
lautlos mit.

Jutta konnte von ihrem Platz aus, an etlichen Lodenhüten vorbei, gerade
Renate ins Gesicht sehen und signalisierte ihr nun zu: sie möge auf die
ziehenden Schatten achten.

Der Geheimrat erkundigte sich nach dem Ergehen des Töchterleins.

„O gut ...“ sagte Jutta. Ihr war, als dürfe sie nicht erzählen: es
schrie die Nacht -- als heiße es ihre eigene Unruhe eingestehen.

Herr von Gamberg fragte, ob alle jungen Mütter sich so um ihre kleinen
Kinder abmühten; heute morgen habe er, kaum daß Frau Jutta ihm fünf
Minuten am Frühstückstisch geschenkt hatte, noch allein warten müssen,
weil sie vor der Abfahrt noch die Kleine versorgen wollte.

„Leider ist es nicht allgemein,“ sagte der Geheimrat.

„Meine Verantwortung ist aber auch besonders groß.“

„Weil der glückliche Vater dieses Wickelkindes das Zipfelchen Vaterland
in China festhält?“ fragte der Geheimrat spaßig.

„Weil es ...“ sie brach ab. Sie hatte wieder und abermals sagen wollen:
weil es nur mein Kind ganz allein ist ...

Sie fühlte sich ein wenig beruhigt, weil es ihr gelungen war, das Wort
noch auf der Lippe zurückzuhalten ... Vor diesem klugen Mann hätte sie
es merkwürdigerweise nicht aussprechen mögen.

Gamberg ahnte, was in ihr vorging -- sein Wissen von ihr befähigte
ihn, die abgebrochenen Worte sich zu ergänzen.

Er vermied es, sie anzusehen.

Sie fühlten voneinander: Diese unerhörte Erregung war jäh wieder da,
die ihnen die Gegenwart von Menschen zur Qual machte. Die ihre Nerven
bis zur Unerträglichkeit anspannte.

Nun verschlang ein Tunnel den keuchenden kleinen Zug, der, in seine
seltsam klappernden und surrenden Geräusche förmlich eingehüllt,
lärmvoll durch die Dunkelheit klomm, das Gebiß seines kleinen
Mittelrades hart in die Eisenzähne der Schiene schlagend. Unter dem
von eisigem Hauch durchschauerten Gewölbe führten all die Schallwellen
einen wühlenden Kampf miteinander.

Und in dieser lauten Dunkelheit, die jedermann benahm, so daß alles
Aufmerken nur auf sie gerichtet war, fühlte Jutta einen kurzen, starken
Händedruck.

Er sollte ihr zu ihren unterbrochenen, nicht vollendeten Worten
Tröstliches sagen.

Sie verstand ... Wie tat ihr das wohl. Ihr Verlangen, sich mit ihm
aussprechen zu können, wuchs.

Jenseits des Tunnels empfing sie eine andere Welt. Eine, die kein
Lächeln hatte und keinen Glanz. Die Starrheit eines von Steingeröll
fast übersäten, im Schatten liegenden Hochtals, dessen längliches Rund
Felsenschroffen umstanden. Und aus ihm heraus führte ein zweiter Tunnel
in die kühne Freiheit des breiten, gebuckelten Gipfels des Rocher de
Naye.

Da war Leben -- nur zu viel Leben; Licht -- nur zu beizendes Licht.
Und außer dieser seltsamen Hochstation von Hotel, Terrassen,
Aussichtstribünen und Menschengewimmel auf grüner Vegetationsnarbe die
weite, ungeheure Welt.

Es wirkte, als sei vielleicht ein Ballon von da unten emporgestiegen
und habe hier ein ungewähltes Stück Zivilisation abgesetzt. Nun
schnurrte das gewohnheitsmäßig seine Funktionen ab, auf die es
eingestellt war. Der Gegensatz schrie, wie Farben schreien, die nicht
zueinander passen.

Vom Zug hasteten die Touristen zum Gerüst der Aussichtstribüne, als
würden sie den Anfang des Schauspiels versäumen, für das sie voll
bezahlt hatten, wenn sie sich nicht eilten. Kellner standen in der
Tür des Hotels und taxierten, wie viele von den Vorbeiströmenden wohl
zum Lunch kommen würden. Im riesigen Speisesaal, aus Holz und Glas,
warteten die Tische wie zu schützenfestlicher Generalabspeisung.

Aus irgendeinem Grunde wurde vor dem Hotel eine neben dem Türpfosten
befestigte, grelltönende Glocke geläutet, der Kellner, dem dies oblag,
zog an dem Strick mit einem leidenschaftlichen und genauen Rhythmus.
Dicht dabei, an einem mit schon geleerten Weinflaschen bestandenen
Tisch, hielten sich kreischende Frauen die Ohren zu und taten
empfindlich, während ihre freudeheißen Gesichter den Männern breit
zulachten, davon einer gerade sein rot gefülltes fußloses Glas hoch
emporhob zum Wohl der sonntäglich geputzten derben Schönen.

Der Geheimrat brauchte sich mit seiner Gesellschaft nur durch Blicke
zu verständigen -- sie waren einig in dem Wunsch, sich von dem Treiben
recht weit zu entfernen. Langsam spazierten sie auf dem Gelände dahin;
es stieg und fiel ab und war doch alles der fast hufeisenförmige Gipfel
des Berges.

Sie fanden einen grünbenarbten kleinen Hang, der wie ein
amphitheatralischer Sitz einlud. Und der Geheimrat zog wieder eins
seiner berühmten Reservetaschentücher heraus, breitete es säuberlich
hin und setzte sich darauf, obschon der Bewuchs der Erdkrumen ein aus
Rasen und Kräutern ineinanderverfilztes trockenes Lager geboten hätte.

Neben ihm suchten sich Jutta und Herbert Gamberg ihren Platz, Jutta
zwischen den beiden Herren. Ganz wie von selbst blieb man zusammen, wie
der Zufall es bei der Herauffahrt gefügt.

Die Art, wie Frau Gervasius ihre Tochter eng neben sich behielt,
hatte fast etwas Demonstratives -- in aller Unbewußtheit -- als wolle
sie sich und unwillkürlich damit auch den anderen zeigen: noch ist
es *mein* Kind! Noch bin *ich* die Nächste zu ihrem Vertrauen, ihren
Kümmernissen. Und Renate, ein wenig schweigsam und oft von einem ganz
bohrenden Nachdenken wie hinweggeführt aus dem gegenwärtigen Zustand,
hing sich an die Mutter und suchte sich auch mit ihr zusammen einen
Platz, fern von den anderen, und als sie dann saß, legte sie ihren Hut
in den Schoß und ihren Kopf an die Schulter der Mutter. Still träumten
sie beide hinaus. Und indem sie das große Bild zu bewundern schienen,
waren ihre Gedanken doch eigentlich stark beschäftigt. Die Mutter
wartete, voll Vorsicht, aber doch auch voll Begierde, ob die Tochter
nicht sprechen würde. Aber der Tochter war es Zuflucht und Vertrauen
genug, in all ihrer Furcht diesen guten, sicheren Platz zu haben, wo
man ohne Erklärungen fest sich anlehnen durfte.

Gewiß -- so fühlte sie -- verstand die Mama von selbst, daß es viele,
viele Dinge und Fragen gab, über die eine Braut schwer nachzudenken
hatte. Denn einmal sagte sie es doch selbst: man müßte die Brautzeit
nicht nur durchjubeln, sondern auch zur ernsten Einkehr benutzen.

Manchmal seufzte Renate, ohne es zu wissen. Und die schweigende Mutter
horchte bekümmert dem Seufzer nach.

Der Geheimrat bog sich ein wenig zurück, um mal zu konstatieren, wo
Frau und Tochter sich denn eigentlich niedergelassen hatten. Er fühlte
wohl: die zwei freimauerten heute ein wenig zusammen -- schlossen ihn
und alle Welt von ihrem Bündnis aus. Er streifte es mit keinem Wort.
Aber er dachte: gut so -- gut so! Er wußte ja: zwischen Müttern und
Töchtern gibt es merkwürdige Dinge: ein Verstehen, bloß aus dem Gefühl
heraus, ohne Worte, das ans Wunderbare grenzt ... als seien da Fäden,
die nichts zerreißen konnte ...

Nun saß man lange schweigend. In diesem gigantischen Weltbild da
vor ihnen war keine Einheitlichkeit der Stimmung. In ruhevoller,
ernster Pracht stieg zu ihren Füßen der Berg hinab, mit grünen
Matten und tiefen Wäldern. Über ihrer Linie sah man den See, im
beizenden, blitzenden Blau bestrahlter Edelsteine -- die zierlichen
Ufer überlächelte der Sonnenschein. Das war von so versucherischer,
sündhafter Grazie, von so gesteigerter Schönheit, daß man in
begehrlichem Verlangen die Arme hätte ausbreiten mögen, um in ihr zu
vergehen.

Zur Rechten und geradeaus verschwamm diese glänzende Üppigkeit ins
Grenzenlose, ihre Abschlußlinie ging unter im Duft der Ferne, so daß
es schien, die ganze Erde sei von ihrem Herrlichkeitswesen. Aber zur
Linken und geradeaus traf der Blick auf die harte und düstere Mauer
der Hochalpen. Über der Wucht des grauen Felsenmassivs des Dent du
Midi erstreckten sich Gletscher, waren wie weißblaue Fetzen zwischen
Felsschroffen geworfen und eingeklemmt; dahinter drängten sich, fern
und immer ferner, eisige Gipfel -- da ahnte man eine Welt von tödlicher
Leere und Kälte -- ein Durcheinander von furchtbaren Einöden.

Der Himmel hielt das Bild zusammen -- spannte sich über all diese
Töne hinüber. Sein Blau war von solcher Tiefe, daß es dem hinauf sich
bohrenden Blick zuletzt schwarz erschien ... Und weiße, einsame Wolken
zogen ...

Tief unter ihnen zog ihr Schatten mit ...

Diesem lautlosen Riesenspiel des Lichtes mit den Wolken sahen sie, wie
bezaubert davon, zu.

Jutta saß schweigend, von einer an Andacht grenzenden Wonne halb
betäubt. Sie genoß die schöne Stunde zusammen mit dem Mann, der sie
liebte! Dies Wissen: geliebt zu sein, das werbende Sehnen und Begehren
neben sich zu spüren, erhöhte ihr noch die Gewalt dieses Blickes in
unerhörte Naturwunder.

„Wären wir allein hier!“ dachte sie in heißem Wunsch -- „Hand in Hand,
hoch über der Welt ...“

Fühlte er nicht das gleiche? Sagte er nicht aus dieser Notwendigkeit
heraus plötzlich halblaut: „Es wäre schöner, zu Fuß hinabzusteigen.“

„Ja, ja ...“ gab sie hastig zu.

„Ob es schöner wäre!“ sagte der Geheimrat. „Wenn Sie Lust dazu haben,
ich bitte Sie, unabhängig zu sein. Wir können da heute nicht mithalten
... mein Töchterlein scheint ein wenig flau -- ist still -- sie soll
sich nicht anstrengen ...“

„Wollen wir?“ fragte er.

Sie sahen sich an. Rasch, in aufjauchzendem Entzücken: „Ja -- ja ...“

Und wieder Schweigen.

Nun war Jutta wie trunken von der Erhabenheit der Welt ... Bereit, in
all der Schönheit unterzugehen -- widerstandslos -- und sei es Sünde
-- und sei es Tod ... Allein mit ihm ... endlich und zum erstenmal
wirklich allein ...

Der Geheimrat sah den gleitenden Schatten nach und suchte eine
Erinnerung festzunageln.

„Schopenhauer,“ sagte er, „mein Gott, so etwas kann quälen ... helfen
Sie doch ... oder können Sie’s nicht? Sie sind aus der Generation, die
ihn nicht mehr las ...“

Aber Herbert Gamberg konnte aushelfen.

„Im Kapitel von der Nichtigkeit und den Leiden des Lebens,“ sprach er;
„die Gegenwart ist einer kleinen dunkeln Wolke zu vergleichen, die
der Wind über die besonnte Fläche treibt: vor ihr und hinter ihr ist
alles hell, nur sie selbst wirft stets einen Schatten. Sie ist demnach
allezeit ungenügend, die Zukunft aber ungewiß, die Vergangenheit
unwiederbringlich.“

„Das nenn’ ich ein genaues und präsentes Gedächtnis haben,“ lobte der
Geheimrat.

„Nein,“ dachte Jutta, „meine Gegenwart ist nicht mehr dunkel ... nicht
mehr ...“

Und zugleich hatte sie jenen kleinen, rührenden und kindlichen Stolz,
den liebende Frauen haben können, wenn der Geliebte gelobt wird.

Die beiden Männer sprachen weiter, mit gelassenen Stimmen, in einem
durch den wohligen Genuß am Augenblick etwas trägen Fluß der Gedanken
oder doch der Worte. Der Geheimrat erzählte, daß er seinen Stil
an Schopenhauer zu bilden versucht habe, daß er dessen Prosa noch
über die Goethesche stelle, daß man es nicht genug beklagen könne,
wie ganz aus der Mode es gekommen sei, in Schopenhauer noch den
Sprachkünstler zu ehren. Herbert Gamberg meinte, man sei hier am Genfer
See mittelbar ein wenig in seinem Dunstkreis. Der Name Grisebachs, des
Schopenhauer-Jüngers, fiel; von dessen „Neuem Tannhäuser“ war die Rede,
und Gamberg wußte einige Lyriker zu nennen, deren Ernten seiner Ansicht
nach auf Grisebachs Acker gewachsen waren.

Im Geheimrat wurden Stimmungen aus der Jugend wach. Er war vergnügt,
daß Gamberg Halbvergessenes in ihm aufstöberte ... allerlei Reime
erhoben ihr anmutiges Geklingel; aus dem unendlichen Bergwerk von
ernstem Wissen, in dem tief versteckt sie am Leben geblieben waren,
fuhren flink leichtsinnig holde Verse auf. Er zitierte -- tastend --
mit suchenden Worten -- ungenau -- Herbert Gamberg half aus.

Und endlich hatten sie es beisammen, und der Geheimrat fühlte jene
drollige Freude, die auch verständigste Menschen haben, wenn es
ihnen gelingt, eine Gedächtnislücke auszuflicken, schon scheinbar
Verschollenes wieder lebendig vor sich zu sehen. Er las dem jüngeren
Mann nun, lautlos sie nachsprechend, förmlich die Silben von den
Lippen, als Herbert mit halber Stimme aufsagte:

    „O ihr Savoyens veilchenfarbene Höhn
    Und du, Montblanc, in rosigen Abendgluten,
    Tiefblauer See -- wie seid ihr heute schön!
    Und dennoch blick’ ich traurig in die Fluten;
    Ich schaue seufzend nach La Meillerie
    Und fühl’ ins Aug’ mir eine Träne steigen,
    O Tag von Clarens! Bosquet de Julie! --
    Wär’ sie mein eigen!“

„Die letzte Strophe,“ drängte der Geheimrat, „kriegen Sie sie noch
zusammen?“

    „Du *warst* mein eigen -- was hat mich so bald
    Aus deinem Arm, aus meinem dich getrieben?
    Wird jedes Herz nach kurzem Glühen kalt?
    Ach, oder kann nur ich nicht dauernd lieben?
    Und wieder einsam rudr’ ich auf dem See,
    Die Wogen tanzen ihren alten Reigen,
    Der Mond geht auf wie damals in Vevey --
    Wärst du mein eigen!“

Und während so der alternde Mann, in der weichen Freude, die die
Stimmung dieser prangenden Welt auch in ihm aufwallen ließ, zärtlich
mit dem Geschmack seiner Jugend liebäugelte und nachkostete, was ihn
damals entzückt hatte -- horchte die junge Frau den Worten nach ...

Sie hörte den Klang der Leidenschaft in der halblauten Stimme.

Sie fühlte, daß er es *ihr* sagte, dies flehend sehnsüchtige: Wärst du
mein eigen!

Sie erlebte wieder jene kurze Minute in der purpurdunkeln,
rosenduftigen Sommernacht, wo er sie geküßt.

Und ihr deuchte, als sei dies nicht ein rascher Kuß gewesen -- als
hätten sie sich damals feierlich einander gegeben -- und alles, was
nachher kam, sei Irrtum, sei Treulosigkeit gegen ihn ...

„Wärst du mein eigen!“

Alles ging weiter ... die Stunden spannen sich ab. Ein Weilchen noch
sprach der Geheimrat von den Göttern und Götzen seiner Jugend, hielt
eine allgemeine Revue über die Trümmer, die man so hinter sich läßt --
meinte: je mehr einer rückwärts liegen weiß, desto heller ist’s vor ihm.

Dann stand man auf. Die Prosa kam, und man mußte essen und saß,
merkwürdig von grundlos plötzlicher Heiterkeit getragen, um die Spitze
einer jener langen Generalabfütterungstafeln im Saal. Der war nun
wieder leer, und nur die Kellner schlüpften wie schwarze Hechte hin und
her und räumten ab.

Nachher saß man noch lange am Haus im Freien und ließ den Geheimrat
in Ruhe zu seinem Kaffee und seinen Zigaretten kommen. Bei dieser
Gelegenheit wurde es dann auch festgestellt: Gervasius’ fuhren mit
der Bahn hinab in ihr Hotel in Caux, und der Legationsrat von Gamberg
schwor dem Geheimrat, als dem derzeitigen Beschützer der schönen Frau
Jutta, zu, daß sie mit heilen Gliedmaßen bis an die Pension gelangen
solle. Der Geheimrat nahm seine Verantwortung humoristisch wichtig
-- denn im Ernst konnte von irgendeiner Gefahr bei diesem geplanten
Abstieg nicht die Rede sein.

Dann standen Jutta und Herbert Gamberg auf dem offenen, mit gelbem
Kies bestreuten Bahnsteig, der fast aus dem schwarzen Mundloch des
Tunnels herauszukommen schien, einer langen, schmalen Zunge gleich.

Sie lächelte ganz freundlich zu den drei Abfahrenden hinauf -- ein
unverdächtiges Lächeln. Sie wechselte verständliche Worte mit ihnen,
die Sinn und Zusammenhang hatten, und denen niemand angehört haben
würde, daß ein Wesen sie sprach, das eigentlich nur Maske war.

Dahinter, die wahre, die eigentliche Frau lächelte nicht und sprach
nicht, sondern dachte einen einzigen fanatischen Gedanken: „Nun sind
wir gleich allein.“

Herbert, in einer beklemmenden Vorfreude darauf, endlich Stunden
ungestörter Aussprache vor sich zu haben, verbarg seine Erleichterung
über die Abfahrt der Freunde unter immer wachsender Höflichkeit und
strengem Ernst des Ausdrucks. Nichts war seiner zurückhaltenden Art
gemäßer als dies. Wenn er heimliche Erregungen zu verstecken hatte,
wurde er steif.

„Er ist ein merkwürdiger Mann,“ dachte der Geheimrat, „wenn man recht
gemütlich mit ihm gewesen ist, scheint er es nachher gewissermaßen
dadurch zurückzunehmen, daß er sich in formelle Haltung hüllt.“

So bekamen, nach den wohlgelungenen Stunden des Tages, diese letzten
Minuten etwas Konventionelles.

Noch ein letztes Grüßen -- und sie standen allein.

Sie sahen sich an -- kurz atmend -- verlegen beinahe, von dem
halbdeutlichen Wunsch beherrscht, voreinander ihre heiße Freude zu
verbergen ... als sei etwas Plumpes darin, das unterdrückt werden solle
...

„Gehen wir gleich?“

„Das müssen wir wohl,“ sagte Jutta, „es ist jetzt halb fünf. Vor
Einbruch der Dämmerung möchte ich unten sein.“

„Oh -- wir sind es früher ...“

„Desto besser.“

„Also ...“

Das sollte wie muntere, harmlose Aufforderung klingen. Und kam nur
gepreßt heraus.

Sie schritten aus. Hintereinander her. Der Mann voran.

Hart unterm Gipfel, in ganz geringer Senkung, zog sich über feines
Geröll, das rieselte und rutschte, ein Pfad hin. Wie eine Wand stand
zur Rechten der grünbenarbte Fels, links unten lag die Welt.

Zuweilen wandte Herbert sich zurück und sah die geliebte Frau an -- was
sie mit einem strahlenden Lächeln beantwortete.

Leicht schritt sie einher -- in grundlos seliger Fröhlichkeit.

Nichts hatte sich an den Umständen ihres Lebens geändert.

Und doch schien ihr, als sei nun jede Not vorbei -- als wandere sie
mühelos, freudig hinein in die Erfüllung all ihres Sehnens.

Die im Grenzenlosen verschwimmende Herrlichkeit der schönen Welt schien
ganz allein für sie da zu sein, lachte für ihre lachende Seele.

Es war keine menschliche Mühe, es war göttliche Lust, zu leben.

In den Rausch dieser Stimmung drängten sich keine schwülen
Beängstigungen -- es war etwas ganz Freies -- Reines.

Das bloße Gefühl, von jeder Heuchelei befreit zu sein, gab eine
vollkommene Zufriedenheit und Erholung.

Schweigend wanderten sie. Nur der Widerklang ihrer Schritte und das
leise Rieseln des Weggerölls, das ihr Fuß in Bewegung setzte, ging
immer mit ihnen. Hinter ihnen her kam der laue Wind und strich die
Frauenkleider nach vorn. Zuweilen holte ein Wolkenschatten sie ein,
huschte über sie hinweg und eilte ihnen voraus am Hang hin.

Sie kamen an die einzige wirklich mühevolle Stelle des Abstiegs.
Für einen Kamin zu weit, für eine Schlucht zu eng -- eine Art
steil abfallender Rinne, angefüllt mit kleinen Blöcken, zwischen
denen zuweilen ein kümmerlich grünendes Buschgestrüpp seine Reiser
herausstreckte und ein Wasser rann, doch so dürftig, daß es nicht
rieselte, sondern nur feuchtete.

Herbert stieg voran. Er prüfte mit dem Stock die Liegefestigkeit jedes
Steines, ehe er darauf trat oder seinen Fuß in die Spalten und Lücken
zwängte. Dann hielt er seine Rechte der nachkommenden Jutta hin. Mit
einer gewissen feierlichen Emsigkeit überwanden sie die Strecke, ganz
fürsorglich sich nur gegen ihre kleinen Tücken vorsehend.

Und dann standen sie ausatmend und vergnügt einander gegenüber. In
der glücklichsten Unbefangenheit. Und dachten nur erstaunt, warum sie
vorhin voreinander verlegen gewesen seien.

„Von nun an ist es ein Spaziergang,“ sagte er.

„Wir können bis dicht vor Caux auf dem Hauptweg bleiben und dann den
kleinen Pfad nehmen über die Alm, nachher durch den Wald hinab, nach
Montfleury. Ich kenn’ mich da aus -- ich bin mit Renate schon da
gegangen!“

Wirklich, es war ein Spaziergang. Ein gutes Wandern war es in der
leichten, unbegreiflich reinen Luft, die nach Schneefrische und
würzigen Kräutern zugleich roch. Die wohlig warm war und zugleich so
stark.

Und immer lag fern drunten der See, im blausilbernen feinschuppigen
Gerinnsel seiner weit hingestreckten Fläche.

Nur eine Überraschung bot dies Spazierengehen. Der Weg zog sich so
merkwürdig um all die Falten des Bergmantels -- ein und aus bog
er sich, rundete sich hinein, daß man wie umschlossen von grünen
Bergwänden war, rundete sich hinaus, daß man steil und hoch über der
Gegend zu wandern schien.

„Es ist weiter, als ich dachte,“ sagte Jutta einmal.

„Da auf der Alm können wir rasten.“

„Sie ist nicht bewirtschaftet.“

„Das sieht man schon von hier -- es weidet nirgends Vieh.“

„Dort hab’ ich gestern auch mit Renate gesessen.“

Nun war es, als hätten sie ein Ziel. Sie gingen rascher. Bergab lief
der Weg und schien sie fast zu stoßen -- immer mußte sie sich im
Gleichgewicht halten gegen jene seltsam fallenden Vorwärtsbewegungen,
zu denen der Körper beim Absteigen gedrängt wird.

„Warum sind wir so schweigsam,“ fragte Herbert einmal, in guter,
unbefangener Laune.

Ja, warum? -- So fieberhaft hatten sich ihre Wünsche dem Alleinsein
entgegengedrängt, um endlich miteinander sprechen zu können, über den
Ernst ihrer Lage -- über ihre Wünsche -- ihre Zukunft.

Und nun wußten sie nichts zu sagen und schienen ganz ausgefüllt von der
Lust am zweisamen Wandern in der schönen Welt.

Da vor ihnen lag die Alm -- ein Idyll -- fast in
Bilderbogenfriedlichkeit. Lieblich und still. Leer lag sie, eine große,
lang sich hinabziehende Matte, von dem Saum des Tannenwaldes umgrenzt.
In ihrer Mitte kauerte gedrückt das Blockhaus. Die dicken Stämme, aus
denen es gefügt war, hatten Sonne und Wetter silbergrau gefärbt. Nun
schimmerten sie metallisch, und das Schindeldach, das sie schirmte, von
Steinen beschwert und dunkel gefleckt, gleißte. Ein alter Holunderbusch
drängte sich an die rückwärtige linke Ecke und umschattete sie. Daneben
rann, aufgefangen in einem halben, gehöhlten Baumstamm, ein blankes
Wasser unter einem den Rasen durchbrechenden Felsbrocken hervor.
Jetzt entließ diese Rinne das Wasser ungenützt; dünnstrahlig und
blitzend entfloß es ihr und suchte sich einen Weg talwärts, durch das
Wiesengras, darin sich einen schmalen Lauf zu tiefen ihm auch durch
Stetigkeit gelungen war.

Gestern war Jutta hier gewesen -- aber nun erst entdeckte sie die
Stätte wahrhaft, in ihrer Feld- und Wald- und Welteinsamkeit unter dem
grandiosen Himmel und der Nachbarschaft der von weitem herschauenden
Gebirgskolosse.

Die Eingangstür lag zwischen Pfosten tief zurück. Das waren grob
behauene Stämme, in dürftigster Baukunst errichtet. Sie umschlossen die
verrammelte Tür derart, daß eine breite, geräumige Nische entstand, in
der der Schwellbalken einen Sitz hergab.

Besser konnte man nicht sitzen. Den Rücken hielt man gegen die Wand,
die Füße voraus gestreckt. Der Rahmen der derben grauen Stämme, klobig
und fest, umschloß die Stätte und verbarg sie allen Menschen.

Aber wo waren Menschen? Fern und fingergroß sah man zuweilen einige auf
dem sich ein- und ausrundenden Weg droben vorwärts krabbeln. Gerade
klomm auch die Zahnradbahn, zwei schräge Kästchen, bergan -- winzig
wie ein dunkler Käfer, der Mühe hat, sich mit klammernden Beinen beim
Emporkriechen zu halten.

Sonst nur die wartende, schwüle, duftende Einsamkeit.

Auch der See war verschwunden -- von der Mulde dieser Alm, die die
Wälder bergabwärts begrenzten, konnte man ihn nicht sehen.

Und daß man ihn nicht sah, gab völlig den Zauber der Einsiedelei.

Im Wandern war das Schweigen so natürlich gewesen. Der gleichgestimmte
Schritt, die frohgemute Gesundheit der gemeinsamen Bewegung hatten
kraftvoll wie Gespräch und unbedrängte Mitteilsamkeit von einem zum
anderen hinübergewirkt.

Und jetzt, in der gleichen Sekunde, als sie nach einigen scherzenden
Reden über den pastoralen Reiz dieses Platzes sich niedergelassen
hatten -- jetzt züngelte das Schweigen zwischen ihnen empor wie eine
Flamme.

Jutta legte ihren Hinterkopf gegen die Tür. Mit nervösen Fingern
spielte sie an dem Hut in ihrem Schoß. Sie hörte zu, wie ihr Herz
klopfte. Und bei diesem Horchen wurden auch die Finger still.

Schwer schlug es und rasch zugleich ...

Wie eins, das nicht mehr warten kann ...

Die Kühnheit ihres Temperaments loderte in ihr und verzehrte ihre
Besinnung.

Jene Verderberwut war in ihr, die eine leidenschaftliche Frau vorwärts
treiben kann, zur Sünde und Verdammnis.

Der Trotz, dem es ein lachendes Spiel scheint, Vergangenheit zu
verleugnen, Zukunft zu zerschlagen, um des einen süßen, trunkenen
Augenblicks willen.

Jutta von Falckenrott war mit Gamberg allein in der weiten schweigenden
Einsamkeit.

Und der Mann, der dieses Weib liebte, spürte ihr begehrliches Warten.
Von diesem Warten ging eine Versuchung aus, die ihn betäubte ...

Seine Ehre hatte so genau gewußt, auf welchen Wegen und in welcher
Haltung er und die Geliebte durch ihren schwierigen Liebeskampf gehen
mußten, um in freiem Gefühl, unbeschädigt zueinander gelangen zu können.

Aber jetzt wußte er nichts, als daß er nur den Arm auszustrecken
brauchte, um die süße Frau, die Frau, die ihm zitternd entgegenglühte,
an sich zu nehmen ...

Die erhabene Einsamkeit ringsum schien den Atem anzuhalten ... Eine
unerhörte Bedrängnis erfüllte die Welt ... zu seligem Tumult mußte sich
alles lösen ... die Vorahnung jubilierender Wonne brauste heran.

Er tastete nach ihrer Hand. Er sah ihr in die Augen.

Kraftlos lag ihr Haupt zurückgelehnt -- unter seinem heißen, bittenden
Blick schlossen sich halb ihre Augen -- in wehrloser Hingebung.

Noch das Zögern und Zittern von Sekunden ... Nein, kein bewußtes
Zögern ... die Begierde lähmte, weil es ungeheure Tat ist, die Wonne
ihrer Spannung zu lösen ...

Und in diese Hemmung hinein drängte sich jäh etwas Zerstörerisches
-- -- --

Mit dem gleichen Herzschlag spürten sie es -- jeder von ihnen anders --
und doch in einer beklemmenden Einheit des Entsetzens ...

Die Frau sah plötzlich ein Männergesicht vor sich ... es gehörte nicht
dem, dessen Arme sie schon umschlossen.

Es war ein bärtiges Gesicht, braun von Wetterunbilden. Und blaue,
tiefe und doch freundliche Augen standen darin, in denen Güte und
Zärtlichkeit leuchteten. Und so viel Zutrauen war in diesem Gesicht
-- nichts von lauernder Besorgnis -- nichts von gespannter Eifersucht
-- es sah sie an, wie es sie damals angesehen in der Abschiedsstunde
-- als er sprach: „Kind, ich glaube an dich; es ist ja auch gar
nicht wahr, daß die Abwesenden unrecht haben -- im Gegenteil, ihre
Abwesenheit macht sie für anständige Herzen heilig.“

Dies Gesicht näherte sich jetzt dem ihren ... Dieses ... und in seinen
Augen war die gleiche Unergründlichkeit wie in den Augen ihres kleinen
Kindes ...

Und auf den Mann warf sich ein Phantom und rief ihm etwas zu -- ein
scharfes, höhnisches Wort ... Ein Wort, das ihm die Ehre zerbrechen
wollte ... mit einem Fernen kann man nicht im offenen Kampf sich messen
-- aber bestehlen kann man ihn so leicht -- ja, zum *Dieb* werden kann
man an ihm ...

Sie ließen voneinander, als habe eine gewaltige Faust sie voneinander
gerissen.

Jutta brach in Tränen aus.

*Der ferne Mann hatte sie besiegt.* Gerade durch seine Abwesenheit ...

Vielleicht saßen sie noch lange, schwerer und unklarer Not hingegeben
... um mit dem jähen Rückschlag all ihrer Empfindungen fertig zu werden
...

Als die Tränen der Frau endlich still wurden, stand Herbert auf.

Er sagte sanft, sehr schonend, doch ohne sie anzusehen: „Wollen wir nun
weitergehen?“

Sie kam hastig in die Höhe.

Ja, weiter wandern -- fort, fort -- hier konnte man nicht bleiben ...

Und doch war es ihr, als hätte sie auf dieser harten Schwelle
sitzenbleiben mögen -- um zu weinen und zu denken ...

Still gingen sie. Zwei Gedrückte -- Mutlose ...

Der Mann litt unter einem Zwiespalt der Empfindung, der ihm
ungeheuerlich war.

Eine Art Scham wollte aufkommen darüber, daß er sie aus seinen Armen
gelassen -- daß er sich ihr nicht als der Mann bewährt habe, der für
den Kuß der Geliebten einer Welt trotzt ... Der Besonnenheit hat,
anstatt sich mit ihr in den Tod zu stürzen ...

Und doch, zugleich auch begann eine stolze Genugtuung ihn zu erfüllen
... Unversehrt war seine Ehre aus dieser schwülen Stunde hervorgegangen
...

Er hatte den fernen Mann nicht beleidigt ... diesen Mann, vor
dessen Angesicht er nicht augenblicklich hätte treten können, um ihm
Genugtuung zu geben ...

Diese unbezwingliche Leidenschaft, die schweren Kampf in sein bis dahin
so wohlgeordnetes Leben gebracht, war nicht sein Verderben geworden ...

Die geliebte Frau, die er sich zu erringen, der er einst seinen Namen
zu geben hoffte, würde gleich ihm eines Tages dankbar und befreit an
den Augenblick der Gefahr zurückdenken ...

Aus dieser Empfindung heraus stand er einmal still, ergriff Juttas Hand
und küßte sie in scheuer Liebe ... voll Respekt ...

Sie sahen sich an ... Tief und schmerzlich.

Und schritten weiter. So sehr damit beschäftigt, den Aufruhr ihres
Gemütes in eine erträgliche Gefaßtheit zu bringen, daß ihnen der Weg
gar nichts und die Zeit etwas Unbemerkbares war.

Bis sie auf einmal vor der Pforte der Pension standen -- einer hohen
Pforte aus Drahtnetz, zwischen Eisenstäbe gespannt, von der aus das
Gitter weiterging, die Tannen des Waldes von den Tannen des Gartens
scheidend. Hier war es sonnenlos. Auf ihren sachten Füßen hatte die
Dämmerung sich schon aus den Schluchten der Berge herausgeschlichen und
lief nun über den See und warf die grauen Schleier der Abendstille über
ihn hin.

Noch einmal, zu wortlosem Abschied, küßte er die Hand der Frau. Und
sein herbes, feierliches Schweigen gelobte ihr mehr zu, als Worte
gekonnt hätten.

Ein letzter Blick und gute Nacht.

Drinnen stand auch schon das Schicksal und wartete, um mit einem harten
Anruf diese erschöpfte Seele zu erschrecken. Als Jutta ihr Zimmer
betrat, fand sie einen fremden Mann darin, der über das Lager des
Kindes sich beugte, neben dem Martha auf den Knien lag.

Dieser Mann war ein Arzt.

Und ihr kleines Kind war sehr krank.



VIII


Niemand wäre auf die Vermutung gekommen, daß der Legationsrat von
Gamberg ein Mann sei, der in schweren Kämpfen stehe. In seinem Hotel
richtete sich die Aufmerksamkeit vieler auf ihn; seine vornehme
Erscheinung sowohl wie seine ihm eigentümliche Haltung von etwas
ablehnender Steifheit forderten die Neugierde heraus. Aber zu denken,
daß dieser korrekt aussehende Mann in harter Seelennot sei, hätte kein
Mensch sich unterstanden. Die kleine, strenge Falte auf seiner Stirn,
der etwas scharfe Zug um den Mund wirkten auf die ihn Beobachtenden als
Hochmut. Daß seine hellen Augen mit so leerem Ausdruck über die anderen
Gäste gingen, als nähmen die Blicke an nichts Anteil, verschärfte den
Eindruck des Stolzes. Nun gibt es überall Menschen, die durchaus wissen
müssen, wer der andere ist. Die die Fremdenbücher oder den Portier
befragen und ein dringliches Interesse nach Nam’ und Art von Gestalten
haben, die gar nicht zu ihrem Lebenskreis gehören. Deren eigentlichster
und Hauptreisezweck zu sein scheint, sich den Begriff Publikum in
Einzelwesen zu zerlegen, und die sich erst zu unterhalten meinen, wenn
sie einen Hinz entdecken, zu dem sie durch einen Kunz Beziehungen haben.

So blieb auch Gamberg nicht von Annäherungen verschont. Gerade weil er
so sehr in sich verschlossen durch die Menge ging, schien es doppelt
zu reizen, dennoch mit ihm ins Gespräch zu kommen. Auch hat es --
undeutlich -- stets etwas Auszeichnendes, von einem Einsamen in seine
Einsamkeit aufgenommen zu werden.

Es fand sich ein Herr, der mit gelüftetem Strohhut in der Veranda an
Gamberg herantrat. Der nahm, in scharfes Nachdenken versunken, seinen
Morgentee -- von den Ermüdungen der schlaflos durchwachten Nacht
soeben ein wenig durch Bad und sorgsame Morgentoilette erholt. Die
Anrede erschreckte ihn beinahe und störte ihn empfindlich. Aber in
seiner beherrschten, kühlen Höflichkeit nahm er die Vorstellung des
Zudringlichen entgegen.

„Sie gestatten? Herr Legationsrat von Gamberg, nicht wahr? Sie
gestatten: Wilmers!“

Die freudige Zuversicht, in der der Mann, der groß und doch untersetzt
war, dies „Wilmers“ vorbrachte, verhieß von vornherein Ansprüche auf
Bekanntschaftmachen. Aber Gamberg konnte bei seinem zuverlässigen
Gedächtnis für Namen wie für Gesichter keinen Wilmers in seiner
Erinnerung auftreiben.

Der Mann hatte ein rötliches, starkes, bartloses Gesicht, mit sehr
intelligenten Augen. Und die angeborene Plumpheit der Gestalt war durch
elegante und gut-getragene Kleidung zu einer besonderen Note gekommen.
Die anspruchsvolle Sicherheit des Auftretens schien dafür zu sprechen,
daß Herr Wilmers nicht gewohnt und nicht gewillt sei, sich übersehen zu
lassen.

„Sie wünschen?“ fragte Gamberg aber trotzdem aus einer sehr großen
Entfernung.

„Nichts, als Ihnen die Hand zu drücken, damit meine Schwägerin nachher
nicht sagt: und du bist ihm so vorbeigegangen?!“

„Ihre Schwägerin?“ fragte Gamberg voll mißbehaglichen Erstaunens.

„Sie gestatten,“ sagte Herr Wilmers jovial und erfaßte schon die Lehne
des Stuhls, der untergeschoben dem Platz Gambergs gegenüber stand.

Die ganze Veranda sah ja zu, und da alle diese Menschen im Augenblick
sein Publikum waren, wollte Wilmers es auch befriedigen, indem er ihm
das Schauspiel einer rasch sich entwickelnden Bekanntschaft gab.

Herbert von Gamberg machte eine schwache Geste, worauf Herr Wilmers mit
der Leichtigkeit der Bewegungen, die große, dicke Menschen oft haben,
sich setzte.

„Der Bruder meiner Frau ist doch mit einer Schmylauer Tochter
verheiratet! Das wissen Sie doch, Herr Legationsrat?! Na, und Lu ist ja
so was wie ’ne Cousine von Ihnen. -- Wenn Sie damals, als Lu heiratete,
nicht überseeisch gewesen wären, hätten wir uns auf ihrer Hochzeit
kennen gelernt -- na, und nun dacht’ ich: so ’ne versäumte Gelegenheit
muß man nachholen. Ich muß doch Lu ’nen Gruß von Ihnen bringen können.“

Gamberg sagte halblaut und sehr förmlich, daß er in der Tat über die
Familie, in die Lu, jetzt Frau von Lemkow, hineingeheiratet habe, nicht
näher unterrichtet gewesen sei. Er drückte die Hoffnung aus, daß es Lu
Lemkow gut ergehe, und daß sie glücklich geworden sei.

Damit hatte er gleichsam einen Vogelkäfig geöffnet. Die Mitteilungen
flatterten nur so heraus und ihm um die Ohren. Sie hätten ihn in
ihrem raschen Durcheinander verwirren müssen, wenn er überhaupt
recht zugehört haben würde. Er verstand die Kunst, in aufmerksamer
Haltung auf sich einsprechen zu lassen, ab und zu durch eine
steife Kopfbewegung, eine überall passende, weil ganz inhaltlose
Zwischenbemerkung Anteil zu zeigen und doch mit seinen Gedanken wo
anders zu sein.

Wilmers, für den das Leben sozusagen eine Angelegenheit mit Pneumatik
zu sein schien -- manchmal platzt sie, aber man kann ja andere
Gummireifen umlegen, und nach kurzer Störung geht’s famos weiter --
Wilmers verbreitete sich genau über die Umstände und Charaktere der
Lemkows. Es waren großartige Menschen. Konnten alles, wußten alles,
wollten alles. Und Gentlemen durch und durch. Nichts fehlte ihnen wie
der _Nervus rerum_. Und da war es ja ihr Glück, daß sie einen Mann in
die Familie gekriegt hatten, der Geld besaß und es mit liberaler Hand
hergab, wo er sah, daß man klug damit arbeiten würde.

So kam Lus Mann auf der Domäne hoch, die zu pachten er von Haus aus
natürlich kein Geld gehabt hätte. So kultivierte ein anderer Lemkow
mit bedeutendem Gewinn Ländereien in Südsibirien; das Kapital hatte
er unter den günstigsten Bedingungen bekommen. Daß er selbst, der
hier gegenwärtige Wilmers, der sich übrigens in keiner Hinsicht damit
herausstreichen wollte, das „Glück“ der Lemkows sei, erhellte aus
dem Vortrag von selbst. Wilmers wehrte vorweg jedes Lob und alle
Bewunderung ab, die Herr Legationsrat ihm etwa würde zollen wollen. Er
war ein ganz einfacher Mann -- er hatte bloß ’n offenen Kopf und ein
gutes Herz und ’n Blick dafür, wie weithin man nützen kann, wenn man
Fähigen Mittel gibt. Ja, so war er. Aber er mochte nicht, daß viel
davon gesprochen wurde.

Unterdes kämpfte Herbert ein peinliches Gefühl nieder, das beinahe ein
Schmerz war.

Er hörte Namen nennen, in denen ein Klang von Erinnerungen mitzitterte.
Gerade jetzt ertrug er sie nicht ...

Ganz derb, ganz ahnungslos hing dieser Mann mit jenen fernen, holden
Hochsommertagen zusammen ... Wo er an der jungen Liebe der Geliebten
vorübergegangen war. Wo sein Verstand, seine Pläne dagegen gesprochen
hatten, aus Sommerträumen Lebensernst zu machen ...

Dieser Mann, der der Familienbankier der Lemkows zu sein schien, hatte
auch offenbar ungewöhnliches Gedächtnis, Überblick und Interesse für
all ihre Beziehungen. Es waren ersichtlich seine Renommierverwandten.
Herbert hörte, dann und wann ein Detail aus der Fülle der
Vertraulichkeiten erfassend, daß Wilmers genau Bescheid wußte, wie
gastfrei es ehemals auf Schmylau zugegangen sei, und wer dort alles zu
Sommerzeiten eingeladen zu werden pflegte.

Er bebte davor, daß nun gleich auch Juttas Name fallen werde. Daß er
dann sagen müsse: sie ist hier, wohnt zehn Minuten von uns in einer
Pension.

Aus dieser Furcht gewann er so viel Lebendigkeit, um wirklich mit
Wilmers zu sprechen, ihm nicht nur, in die Abwehr kalter Höflichkeit
gehüllt, zuzuhören.

„Sie sind als Passant hier?“

„I bewahre. Wie Sie mich da sehen, so unglaublich es klingt: ich bin
nervös. Soll subalpin bleiben, aber dennoch so gewissermaßen in
Hochalpenstimmung leben. Man hatte mir irgend so ’n Nest in den Bergen
drinnen verordnet -- war mir zu eingesperrt -- auch die Gesellschaft --
_second_ -- wissen Sie, Herr Legationsrat, ich lege den äußersten Wert
auf beste Gesellschaft ... Ich habe hier einen höchst schicken Kreis
... Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie einzuführen -- wo wir -- man
kann ja beinahe sagen über die Schmylauer weg, fast verwandt sind ...“

„Verzeihen Sie, Herr Wilmers, aber ich bin auf Reisen, um mich von der
Gesellschaft zu erholen.“

„Ah -- na ja -- verstehe vollkommen -- wo sie zu Ihrem Metier gehört!
Mit allem, was mit ’m Metier zusammenhängt, mag man unterwegs nichts zu
tun haben. Lassen wir also alle meine Bekannten weg. Wir können allein
mal was zusammen unternehmen, Tagespartien -- ich halte Ihnen alle
zudringlichen Menschen fern, darin hab’ ich ’ne förmliche Kunst. Wenn
es etwas gibt, das ich hasse, ist es Zudringlichkeit!“

„Leider reise ich schon heute ab,“ sagte Herbert Gamberg mit so
viel Nachdruck, daß der andere ein großes Bedauern heraushörte und
nachher seinem schicken Kreis erzählen konnte: der Legationsrat war
todunglücklich, daß er ausgerechnet in einem Moment abreisen muß, wo
man sich eben gefunden hatte.

Er selbst erschrak beinahe, als er es gesagt. Mit dem lauten Wort war
nun der Entschluß unwiderruflich geworden, an den er in den schweren
Stunden der letzten Nacht immer wieder gedacht hatte.

Es war nicht ganz einfach, Herrn Wilmers zu dem Gefühl zu bringen, daß
es Zeit sei, den Besuch am Tisch zu beenden. Das bewährte Mittel,
Gesprächspausen eintreten und auffällig werden zu lassen, konnte
Herbert nicht anwenden; die Lebhaftigkeit des Herrn Wilmers wurde
immer behaglicher und intimer; er führte die Unterhaltung mit einer
sprachlichen Rüstigkeit unerschöpflicher Art.

Es blieb nichts weiter übrig, als zu sagen: meine Zeit ist knapp.

Dann gab es einen Abschied, aus dem Herbert schließen durfte, daß er
für den Rest seines Lebens unter die nächsten Freunde des Herrn Wilmers
gezählt werden würde.

In der Erleichterung, daß es überhaupt nur endlich zum Abschied kam,
lächelte er hell. Und hiervon war nun Wilmers völlig bezaubert und
erklärte seinem schicken Kreis, daß die hochmütige Außenseite nur für
die Welt sei, daß in der Intimität eine hinreißende Liebenswürdigkeit
zutage trete.

Wenige Minuten nachher ging Herbert auf den Waldwegen dahin. Kühl und
feucht war die Luft unter den Tannen, von kräuterigen und moosigen
Gerüchen schwer. Zuweilen schimmerte durch die breithängenden
Nadelzweige das Geblitze des Sees auf.

Er ging, um Abschied zu nehmen.

In dieser letzten Nacht war es ihm klar geworden: er hätte sich nicht
verführen lassen dürfen, hierherzukommen.

Was hatte ihn verführt: Blick und Wunsch der geliebten Frau?

Die eigene Sehnsucht nach ihrer Nähe? Vielleicht diese üppige Schönheit
der Natur -- die so stark in all den vollen Tönen ihrer Lebensfülle auf
die Nerven wirkte, daß man ein aufpochendes Anrecht in sich fühlte,
auch zu jauchzen, in ihr mit erhöhten Daseinswonnen aufzugehen --

Vielleicht dies alles ...

Er dachte daran, wie sehr er sich in der Hand gehabt hatte, noch damals
beim Abschied in Kiel -- als er ihr und sich die Haltung vorzeichnete
...

Und nun hatte die Leidenschaft sie doch fast überwältigt. -- Wie kam
das?

Vielleicht so: Wenn das Schicksal mit dem gleichen Erlebnis zu uns
zurückkehrt, hat es verdoppelte Kraft: zur Macht der Gegenwart gesellt
sich die Macht der Erinnerung --

Und das ist: Feuer im Rücken, Feuer von vorn ... Wer kann sich gegen
solchen Ansturm behaupten! ...

„Es ist würdiger,“ dachte er, „wir gehen jetzt auseinander -- um uns
später mit freiem Bewußtsein gehören zu können ...“

Er fühlte: dies war seiner Art notwendig!

Nicht nur aus Achtung vor der Geliebten, vor dem Gefühl, das sie
zueinander zwang -- auch um seines eigenen, zukünftigen Stolzes und
Gleichmaßes willen. Wenn die schwülen Augenblicke gestern sie zusammen
fortgerissen hätten? ... Er wußte heute: es würde ihm furchtbar,
unvergeßlich würde es ihm gewesen sein ...

Die Scham vor dem fernen Mann hätte ihm das Gemüt vergiftet ...

„Wär’ er hier!“ dachte Herbert inbrünstig. „Seine Abwesenheit macht
mich von ihm abhängig ...“

Ja, solange er nicht *weiß*, daß seine Frau ihn nicht mehr liebt, so
lange sind wir wie in Ketten ...

Allerlei Stimmen hatten in der Nacht auf ihn eingesprochen: daß es auf
die geliebte Frau wie Feigheit wirken könne, wenn er fliehe; daß er
sich gerade als Mann beweisen müsse, indem er bleibe.

Er erkannte: dieser ganze Liebesroman war nicht seinem eigentlichsten
Wesen gemäß, das der ruhigen Entwicklung aller Lebensfragen zuneigte.

So wollte er doch trachten, das Unerwartete und Leidenschaftsvolle
dahin zu meistern, daß es ihm und der geliebten Frau und vor allem
jenem fernen Mann das bürgerliche Ansehen nicht zerbräche!

Sein noch in allerlei Widerspenstigkeiten verstrickter Vorsatz,
abzureisen, hatte durch die Begegnung mit diesem lauten und
andrängerischen Mann nun ganz sichere Gestalt bekommen.

Die ernste Lage, die nur durch die Größe ihres Gefühls und
durch heiligste Schonung aller Empfindlichkeiten ertragbar war,
mußte unertragbar werden, wenn nun ein plumper und nicht in sie
hineingehörender Mensch ihnen seine Gesellschaft antrug.

Am Gitter der Pension zögerte er kurze Augenblicke.

Er fühlte sich von einer Befangenheit benommen, die ihm unfaßlich war
-- so, als sei es eine Verlegenheit, vor die Geliebte hinzutreten.

Zusammen schuldig Gewordene erröten voreinander -- kann das Unfaßliche,
Unlogische sich begeben, daß man errötet, weil man *nicht* schuldig war?

Ist für eine Frau eine Leidenschaft nur groß und echt, wenn sie keine
Grenzen achtet?

Was mochte alles in der Geliebten vorgegangen sein seit gestern abend?

Eine sinnlose Furcht, gegen die er sich nicht wehren konnte, kam
plötzlich über ihn, daß nun sie, unschlüssig und von ihrer Sehnsucht zu
ermüdet, sich von seiner Liebe doch noch abwenden könne.

Wie er einst, unschlüssig und mit klugbedachten Lebensplänen
beschäftigt, an der ihrigen vorbeigegangen war.

Und in dieser jäh in ihm aufwallenden Angst fühlte er schmerzhaft: ich
kann sie *nicht* wieder verlieren ...

Das gäbe einen Riß, den nichts mehr verheilen könnte ...

Rasch trat er ein.

Leer waren Korridor und Treppe. Die kleine Familienpension ließ ihren
Eingang nicht von einem Portier bewachen. Im Bureau war Madame,
die dort sonst schrieb und huldvoll die Anliegen ihrer Pensionäre
entgegennahm, nicht anwesend. Durch offene Türen und Fenster kam die
Waldluft herein und durchwürzte das Haus.

Er stieg treppan.

Da, am Kopf der Treppe, aus dem rechten Arm des Korridors kommend,
rannte Martha fast gegen ihn an. Sie sagte: „Ach Gott ...“

Vielleicht zur Entschuldigung. Atemlos und kläglich sagte sie es.

„Melden Sie der gnädigen Frau, daß ich hier sei.“

Martha, deren sommersprossiges Gesicht ganz schlechtfarbig aussah, und
die überhaupt einen fast zerzausten Eindruck machte, sah ihn betrübt an.

„Ach, Herr Legationsrat -- das Kind ist uns krank geworden -- sehr
krank -- wenn es man nich stirbt!“

„Diese Nacht?“ fragte er betroffen und sich verfärbend.

„Nein, schon gestern. Wo ich allein mit der Kleinen war. Aber ’n
Versehen hab’ ich nicht gemacht, ganz und ganz gewiß nicht,“ beschwor
Martha und begann zu weinen.

„Das wird Frau von Falckenrott Ihnen auch nicht zutrauen,“ sagte er
tröstend.

Er dachte: „Kleine Kinder sind ja manchmal krank -- erholen sich
rasch.“ -- Er erinnerte sich: da und dort in den Kinderstuben seiner
verheirateten Freunde gab es zuweilen schreckhafte Erregungen. Und nach
ein paar Tagen sah man die jungen Mütter wieder strahlend auf Bällen ...

„Kann ich die gnädige Frau wohl einen Augenblick sprechen?“ fragte er.

„Ach -- ich glaub’ nicht -- nein -- es ist wohl nicht möglich ...“

Aber sie lief doch zurück, um zu fragen.

Er stand am Treppenkopf. Als würde es schon zudringlich und voreilig
sein, wenn er sich der Tür mehr näherte.

Er dachte immerfort: „Nun muß ich hierbleiben -- in ihrer Nähe -- bis
ihr Kind genesen ist ...“

Martha kam wieder, machte schon, kaum daß sie die Tür hinter sich
schloß, abwinkende und zur Stille ermahnende Handbewegungen und schlich
heran.

„Ach nein. Sie schüttelte nur den Kopf -- ach, sie sieht beinahe ebenso
aus wie das Kind -- rein um bange zu werden.“

„Was fehlt dem Kind?“ fragte er.

„Ich weiß nicht. Wir verstehen es nicht. Es fing gestern an zu
erbrechen, viele Male, ich flehte gleich Madam’ im Bureau an, daß ’n
Doktor kommen solle -- er spricht mit der gnädigen Frau Französisch --
ach, Herr Legationsrat, wenn ich es mal so sagen darf -- ich glaub’,
sie hat kein Vertrauen zu ihm -- sie mag sein Gesicht nicht leiden --
sie hat wohl schon sechsmal gesagt: ‚Martha, er kann ja ganz tüchtig
sein!‘ Wissen Sie wohl -- wie man so spricht, wenn man es ganz inwendig
eigentlich nich denkt.“

„Haben Sie nicht an den Geheimrat telephoniert?“

„Er ist kein Kinderarzt, sagt die gnädige Frau.“

„Nun, er würde aber doch ...“ Herbert Gamberg dachte nach, während
Martha mit ihren wasserhellen Augen andächtig an ihm hing -- als müsse
von ihm, nur weil er der einzige Mann war, den sie hier kannten,
unbedingt Trost kommen. Und sie berichtete es nachher auch ihrer
Herrin: man sah wohl, wie nah’ es ihm geht, er war weiß wie der Kalk an
der Wand.

Er stand und erwog: ihr ein Wort der Ermutigung schreiben? Nein.
Nichts. Sie wußte von selbst: er sei zur Stelle, wenn sie ihn brauchte.
Er fand es zarter, zu schweigen. Aber helfen -- das einzige tun, was
hier Trost geben konnte. Sie mochte den Arzt nicht, sagte Martha. Und
begründete das in aller Einfalt ganz richtig mit dem grundlosesten
aller Gründe: sie mag sein Gesicht nicht leiden. Wer kennt so etwas
nicht, man wehrt sich stark gegen Helfer und Kluge und Gute, weil
vielleicht eine kleine Linie in ihrem Angesicht einem widerstrebt ...
Er traute Jutta eine große Kraft des Widerwillens in solchem Fall von
Antipathie zu.

„Hören Sie, liebe Martha ...“

Sie war nichts wie Ohr und Auge.

„Sagen Sie: ich würde nach Lausanne telephonieren. Dort gibt es unter
allen Umständen einen erfahrenen Kinderarzt, dem wir völlig vertrauen
dürfen. Vielleicht kann er in zwei, drei Stunden zur Stelle sein.
Ich kehre jetzt in mein Hotel zurück und telephoniere Ihnen, wen
ich herbekomme und wann. Ich werde den Herrn von der Bahn holen und
herbegleiten. Mein Diener kann sich hier einquartieren und Ihnen zur
Hand sein.“

„Ja,“ sagte Martha, „ja, das ist schön.“

Ihr schien, als sei nun schon die Besserung auf dem Wege. Sie hatte
auch nicht gedacht, daß dieser stolze Mann, vor dessen Haltung ihr
etwas unbehaglich gewesen war, so zutraulich mit ihr sprechen könne ...

Nun gab er ihr noch die Hand ...

Dann ging er. Von einer Eile getrieben, die geradezu Wohltat war.
Sie hinderte ihn, den Tumult seiner Empfindungen zu sondern und
jede einzeln zu betrachten. Dunkles und Beglückendes in unerhörtem
Durcheinander ging durch ihn hin.

Wenn das Kind starb? ... Dann war vollends ihre kurze Ehe mit dem
anderen Mann nur noch wie ein Traum ...

Er war gewiß keine dämonische Natur -- nicht von fern. Und dennoch
wollten Gedanken kommen ... der Verstand sprach von Erleichterung ...
von größerer Klarheit der Zukunft ... Er scheuchte das in schwerem
Schreck hinweg ...

Er war glücklich, noch in ihrer Nähe zu sein, ihr beistehen zu können,
ihr zeigen zu dürfen: ich sorge mich mit dir um dein Kind. -- Er
arbeitete sich in das Gefühl hinein: so kann ich ihr schon zeigen,
daß ich es als teure Pflicht empfinde, an ihres Kindes Ergehen
teilzunehmen ...

Er erfuhr in seinem Hotel den Namen und Ruhm eines Kinderarztes und
ließ sich sogleich mit diesem Professor Lequint verbinden. Alles
ging glatt, und der Professor war bereit, um halb eins in Territet
einzutreffen, wo Herbert ihn empfangen würde.

Darauf versuchte er an den Geheimrat nach dem Hotel in Caux hinauf zu
telephonieren. Aber die Nachricht kam zurück: die Herrschaften seien
gerade ausgegangen.

Als dies alles getan war, kam eine Pause voll Unbehagen -- das Warten
... für Beherrschte vielleicht noch zehrender als für die Ungeduldigen,
die sich in Worten und Gesten Luft machen können.

Herbert traf auch wieder unfreiwillig mit Herrn Wilmers zusammen und
sollte erklären: ob er seine Abreise auf den Nachmittag verschoben
habe? Mit welchem Zuge nun? Er -- Wilmers -- würde auf eine geplante
Partie verzichten und es sich nicht nehmen lassen, ihn an die Bahn zu
geleiten. In einer dem Legationsrat bekannten Familie sei plötzlich
ein ernster Krankheitsfall eingetreten? Das ging Herrn Wilmers sehr
nahe. Ja, Kranksein im Hotel wäre etwas Entsetzliches. Und teuer!
Die betreffende Familie solle sich nur auf schauderhafte Rechnungen
gefaßt machen. Es scheine beinahe, als sei ein Haferschleim mühseliger
herzustellen als eine getrüffelte Geflügelgelatine.

Die Mühlräder dieser Gesprächigkeit sausten lange und monoton. Und
schließlich bekam Herbert sogar ein Gefühl von matter Dankbarkeit.
Der breitschultrige Mann, der sich und seine Mitteilungen für wichtig
hielt, hatte ihm über eine Stunde fortgeholfen durch die beruhigende
Macht, die allem Gewöhnlichen zuweilen eigen sein kann.

Dann konnte er auch schon zum Bahnhof fahren.

Kaum aber hatte er den Professor aus dem Häuflein der Aussteigenden
herausgesondert -- die Männer fanden sich an dem Gebaren von Suchenden,
das sie beide unwillkürlich annahmen -- kaum saß er mit ihm im Wagen,
so gab es ein knappes Gespräch, das Herbert qualvoll war.

Professor Lequint nahm seinen runden, weichen Filzhut ab, strich sich
mit der Hand durch sein dickes, schwarzes Haar, das ihm in die Stirn
fiel, und fragte: „Sie hatten schon einen Arzt aus Territet zu Ihrem
Kind berufen?“

„Es ist nicht mein Kind.“

„Ah --“

„Die Mutter des Kindes ist mir befreundet -- verwandt.“

„Es ist ein kleines Kind?“

„Vier Monate.“

„Ah ... Warum reiste die Dame mit einem so kleinen Kind? Oder ist die
Mutter leidend?“

„Nein.“

Herbert dachte: er wundert sich über alles; Ärzte sind gewohnt, daß
Angehörige von Patienten sie gleich mit laienhaft erzählten Symptomen
überfallen; es muß ihm erstaunlich sein, daß ich nichts zu sagen weiß.

Und plötzlich teilte er mit: „Das Kind hatte starkes Erbrechen in der
Nacht.“

„So ... wir werden sehen.“

„Er wird sehen, daß die Mutter eine junge, schöne Frau ist -- daß ich
nicht unbefangen ihr Zimmer betreten darf -- daß ich ihr vor der Welt
ziemlich fernstehe. -- Er wird vielleicht denken, daß ...“

Vielleicht dachte der Professor nichts. Hatte gar kein Nachdenken übrig
für die Umwelt des kleinen Patienten, war nur gespannt auf diesen
selbst.

Aber das unselige Gefühl, daß in seinem Eintreten für Jutta etwas sie
Bloßstellendes läge, bedrängte Herbert plötzlich stark.

Er hatte die Empfindung, als müsse er diesem fremden Mann Erklärendes
und Entschuldigendes sagen.

Und das verletzte seinen Stolz -- seine ganze hochmütige
Unantastbarkeit war dahin ... er litt schon durch ein „Vielleicht“.

Nachher hatte er die große Aufreizung der Spannung. Ihm schien
natürlich, als bleibe der Professor eine ungewöhnlich lange Zeit oben
in dem Krankenzimmer.

Jeder andere wäre rastlos auf und ab geschritten, sich die Zeit durch
Bewegung verkürzend. Er saß, in vollkommener Haltung, unbeweglich,
bleich und sah leer ins Unbestimmte.

Er faßte sich auf das, was der Professor verkünden werde: Leben oder
Tod.

Und als er dann endlich in der Verandatür erschien, erhob sich Herbert
aus dem geflochtenen Stuhl, in dem er neben einem Gartentisch gesessen.
Scheinbar gelassen schritt er ihm entgegen.

Ja, Professor Lequint konnte vorerst nur die Achsel zucken. Das Kind
hatte ganz gewiß irgendeine Mageninfektion -- es erbrach. -- Trotz
der verständigen und in solchen Fällen bewährten Mittel, die der Herr
Kollege schon verordnet hatte, fuhr es noch fort zu brechen. Man mußte
seine Bemühungen darauf richten, die Kräfte des Kindes zu erhalten.
Was aber eben schwer sei, wenn der Magen alles verweigere. Uralter
Malaga sollte halbteelöffelweise eingeflößt werden. Kräftigende und
die Körpertemperatur belebende Einreibungen sollte man versuchen. Aber
immerhin ... Ob Madame nicht nahe Angehörige habe, die ...

Herbert fühlte: der Professor mochte nicht fragen: hat sie einen Mann?
...

Er sprach mit wahrhaft eisiger Miene: „Herr von Falckenrott befindet
sich dienstlich im Ausland. Madame ist aber unter dem Schutz sehr
naher, älterer Freunde hier, des Professors Gervasius und Frau, die
oben im Hotel wohnen. Sie sind bereits benachrichtigt. Ich selbst bin
erst seit gestern hier und wollte heute weiter. Aber ich werde jetzt
bleiben, um Frau von Falckenrott beizustehen, falls sie meiner bedürfen
sollte.“

Dies alles war dem Professor recht gleichgültig. Er hatte keine Zeit,
über die Lebensumstände seiner internationalen Patienten nachzudenken.
Aber die Schönheit und Verzweiflung der jungen Frau hatten ihn einen
Moment gedauert, und er dachte flüchtig: ob die niemand hat außer dem
höflichen und kalten Herrn, der mich herbrachte?

Der Professor hatte nun Eile, um den nächsten Zug zu erreichen. Morgen,
sagte er, würde er wiederkommen. Herbert wollte mit hinunterfahren nach
Territet, um alles selbst zu besorgen, was der Professor verordnet
hatte.

Gerade als sie einsteigen wollten, kam Martha angestürzt. Sie drückte
Gamberg einen gefalteten Zettel in die Hand und lief wieder zurück ins
Haus.

Der Wagen rollte in dem kurzen, gehaltenen Trab der Bergabwärtsfahrt
unter den Tannen hin.

Herbert hielt das kleine Papier zwischen seinen Fingern.

Mit Bleistift stand darauf geschrieben: „Dank! Dank! Ich hoffe wieder.
J.“

Wie beredt Juttas blasse eilige Schriftzüge waren. Sie sagten Gamberg,
daß der Arzt, den er herbeigeholt hatte, ihrem verzweifelnden Herzen
Mut zurückzugeben vermochte. Daß sie dafür ihm dankbar war -- wie
es Frauen sind, die alle Verdienste gern auf den geliebten Mann
häufen ... Ja, ein Liebesgeständnis, ein Beweis unerschütterlichen
Zusammengehörigkeitsgefühls waren diese kurzen Worte ...

Die junge Frau droben am Bett des Kindes glich nun einer, die auf
einer rasenden Flucht zum erstenmal den Mut hat, stillzustehen,
zurückzublicken, aufzuatmen, sich darauf zu besinnen, daß man mit
seinen Kräften haushalten muß, weil noch viele Kräfte nötig sind.

Sie dachte gesammelter nach, ließ auch ihren Verstand sprechen.

Sie zerrieben sich beide in Wachsamkeit und Angst, sie und die treue
Martha. Es war klüger, abwechselnd zu ruhen, um zuverlässigere Nerven
zu behalten.

„Iß und schlaf dann zwei Stunden. Dann werde ich mich hinlegen, um die
Nacht durch wieder wach zu sitzen,“ befahl sie.

Gerade so grundlos wie sie gestern abend und heute früh den Anordnungen
des einen Arztes zweifelnd gehorcht hatte, gerade so impulsiv war sie
von blinder Zuversicht erfaßt: dieser wird mein Kind retten.

Nun saß sie im niedrigen, bequemen Rohrstuhl neben dem Wagen des
Kindes. Man hatte natürlich das Gitterbettchen nicht mit auf die Reise
nehmen können. Und ganz gewiß lag das kleine Wesen in seiner rührenden
Unselbständigkeit ebenso geräumig, warm und weich in diesem schönen
englischen Wagen.

Aber es quälte Jutta. Ihr schien, es läge stiller, geborgener, wenn nur
das Gitterbett zur Stelle sei, mit den sanften blauen Seidenfalten,
die vom gebogenen Stab über das Kopfende herabfielen. Wenn man nur
die ganze, von träumerischer Schlafensfeierlichkeit durchwobene,
frischduftende Behaglichkeit des heimatlichen Kinderzimmers hierher
zaubern könnte!

Ach, in der Heimat wäre es vielleicht gar nicht krank geworden ...

Lisbeth Rosenfeld fiel ihr ein. Hatte nicht sogar die lustige,
unbesorgt durchs Leben trällernde Lisbeth so etwas wie einen warnenden
Ton in der Stimme gehabt, als sie damals fragte: mit einem so kleinen
Kind willst du reisen? ...

Nun aber kamen ruhigere Gedanken: es war ein Unglück, das daheim ebenso
plötzlich hätte hereinbrechen können.

Dieser sympathische Professor mit seinem sicheren Wesen und tiefernsten
Blick, der beruhigenden Stimme und dem festen Händedruck, der würde
helfen ...

Gestern abend noch und immer wieder in der Nacht hatte sie die arme
Martha mit Fragen gefoltert. Und Martha weinte und sagte: sie wolle
lieber selbst sterben, damit das Kind am Leben bleibe, wenn die
gnädige Frau dächte, sie habe ein Versehen gemacht. Nein, beschwören
konnte sie es: sie hatte die von der gnädigen Frau selbst im Apparat
sterilisierten Flaschen jedesmal unter Thermometerkontrolle erwärmt.

Und endlich ließ Jutta von ihr ab. Sie wußte es auch im Grunde ganz
bestimmt: eine Nachlässigkeit war ausgeschlossen ...

Es war eben ein Verhängnis. Man würde die Ursache nicht feststellen.
Vielleicht war trotz allen Sterilisierens doch ein Giftstoff in der
Milch gewesen.

„Und ich war fort unterdes -- war mit -- ihm.“

Das kam immer wieder. Schloß jede Grübelei ab.

Das Kind war nicht unter ihren eigenen Händen erkrankt ... Sie, ja sie
ging indessen Hand in Hand mit dem geliebten Mann ...

Das wollte ihr eine furchtbare Last aufbürden. Sie wehrte sich:
nein, nein -- so schwächlich muß man nicht denken ... Das sind
Zufälle. Sinnlos, brutal. Aus solchem Zusammentreffen soll man sich
nichts aufbauen, als sei ein geheimnisvolles Walten um uns und halte
Abrechnungen ...

Wofür auch Abrechnung? Sie war sich keiner Schuld bewußt.

Sie wagte nicht, deutlich an den beängstigenden Rausch jener Minuten zu
denken, wo die Begierde sie beinahe verbrannte ...

Aber dennoch errötete sie, heiß, bis in die Augen hinein ... Und sie
seufzte -- dankbar -- erleichtert ...

Sie erinnerte sich ihrer Vision ... Wie das Gesicht ihres Gatten so
plötzlich vor ihr gewesen war ...

Sie begriff, was das zu bedeuten gehabt hatte ...

Ja, seine *Abwesenheit* machte seine Ehre heilig. Es war die Ehre
eines Mannes, der zu hartem Opfer, aufreibender Arbeit, unendlicher
Verantwortung in die Ferne gezogen war, dem Vaterland zu dienen.

Eine scheue Ahnung war in ihr, daß in dem Geliebten Ähnliches
vorgegangen sei wie in ihr ...

Und das, gerade das verband sie nur enger ...

Sie konnte ihn nicht sehen -- sie wagte nicht seinetwillen, gerade
seinetwillen nicht ihr Kind auf einige Minuten zu verlassen.

Aber was Martha ihr berichtete, von seinem Schreck, seiner tätigen
Fürsorge, erfüllte sie mit Glück.

Sie weinte still vor sich hin ... Ja, das war Liebe ... sie fühlte: er
würde ihr Kind, das vaterlose Kind, gütig an sein Herz nehmen ... eines
Tages, wenn es so weit war, daß er das Recht dazu bekam.

Wo war jetzt Malte? Was wußte er von der Todesangst dieser Stunden?
Und daß das Kind, das er nie gesehen, dessen Dasein für ihn keine
Wirklichkeit war, sich in Gefahr befand?

Nichts wußte er ... Aber der andere Mann war zur Stelle, schützend,
helfend ...

Und von Dankbarkeit überwältigt, schrieb sie, kaum daß der Professor
das Zimmer verlassen hatte, die eiligen Worte auf das kleine Papier ...

Zwei Stunden später waren auch Gervasius’ zur Stelle.

Was konnten sie tun? Mit dem Bestreben, Schritt und Bewegung ganz
unhörbar zu machen, schlichen Renate und ihre Mutter herein und küßten
die blasse junge Frau und sahen bekümmert auf das jämmerliche kleine
Menschenkind, das in seinen Kissen lag und zu kraftlos schien, die
Augen aufzuschlagen oder zu schreien.

Die Frau Geheimrat bot keine Hilfe bei Pflege und Wachen an. Sie wußte
von selbst: das wäre nicht angenommen worden.

Der Geheimrat hörte die ganze kurze und doch so beängstigende
Krankengeschichte an. Er war Spezialist auf anderem Gebiet und wies
ausdrücklich Urteilsfähigkeit und Verantwortung ab. Dennoch aber war es
Jutta ein Trost, zu hören, daß ihm scheine: alles läge klar, und die
Anordnungen der Ärzte seien die vernünftigsten und allein möglichen.

Die Frau Geheimrat flüsterte liebevoll: sie und Mann und Tochter würden
sich den Nachmittag und Abend über in der Pension aufhalten; ja, sie
sei bereit, im Hause zu übernachten. Damit Jutta wisse: Freunde seien
in der Nähe. Aber das lehnte Jutta beängstigt ab. Es würde ihr geradezu
ein Gefühl von Unruhe erregen, wenn sie wisse, die Freunde träten aus
dem Rahmen ihres Ferienbehagens heraus, um hier nutzlos herumzusitzen.
Sie sagte, sie werde ganz gewiß sofort nach ihnen rufen, sobald ihr das
Verlangen nach ihrer Gegenwart komme.

Der Geheimrat fand, daß ihr Gefühl das Richtige sei. Mit Herbert von
Gamberg, den sie im Garten der Pension trafen, saßen sie noch ziemlich
lange zusammen. Und der Geheimrat setzte seiner Frau und seiner Tochter
-- die sich treulos vorkamen, weil sie nicht helfen konnten -- herzlich
auseinander, daß ihr Anerbieten, in der Nähe bleiben zu wollen, fast
das naive Zugeständnis gewesen sei: wir halten das Kind für verloren.

Gamberg saß mit zusammengepreßten Lippen; er wagte nicht zu fragen:
glauben Sie, daß es stirbt?

Auf irgendeine ganz unbestimmbare Weise hatte er das Gefühl: vom
Leben oder Tod dieses Kindes hängt meine Zukunft ab. Er haßte
undeutliche Empfindungen, sie schienen ihm immer etwas von seiner
inneren Sicherheit zu nehmen. Aber dies drängte sich ihm beklemmend,
spannungsvoll mehr und mehr auf. Und doch hätte er seinem Aberglauben
nicht einmal so genau ins Gesicht sehen können, um zu wissen: das Kind
muß sterben, oder es muß leben, damit die Geliebte gewiß mein wird.

Was er nicht fragte, besprach nach Frauenart ausgiebig die Frau
Geheimrat. Aber ihr Mann konnte ihr auch nur sagen, daß es bei so
kleinen Kindern schließlich alles auf die Zähigkeit ankäme. Renate saß
verschüchtert und mit angstvollen Mienen dabei. Sie hätte am liebsten
immerfort weinen mögen ... Wegen ihres Vaters nahm sie sich zusammen
... Er wollte, wenn man weinte, immer so ganz genau wissen: warum denn?
Und grenzte damit stets so merkwürdig rasch den Kummer ab ... Jetzt
hätte Renate auf dies „Warum?“ nicht wahrheitsgemäß antworten können:
„aus Mitleid mit Jutta“, denn eigentlich war ihr, als gäbe es außerdem
noch viele, viele Gründe zum Weinen, man wisse sie nur selbst nicht
genau ...

Endlich entschlossen Gervasius’ sich, wieder hinaufzufahren, und
Herbert versprach ihnen, noch zweimal einen Bericht zu telephonieren,
denn er natürlich, er werde sich vorzugsweise hier aufhalten.
Geheimrats fanden es auch ganz selbstverständlich.

Dann schien eine große Pause in dem Gang der Ereignisse einzutreten,
die nachmals vielleicht dem Gedächtnis der Beteiligten ganz entschwand.
Es zogen Tage in dumpfer Krankenstubenschweigsamkeit vorüber. Das
Kommen und Gehen der Ärzte, Flüstergespräche, kurze Schlummerstündchen,
angstvolles Wachen. Und diese seltsam rasche Gewöhnung an solchen
Zustand: als habe es eigentlich niemals einen anderen gegeben, als
werde er nie ein Ende nehmen.

Dabei im tiefsten Herzen immer ein leises Mahnen an die schweigsame und
unauffällige Fürsorge des liebenden Mannes. Das stete Wissen: er ist
da, ich könnte ihn rufen ... Das war wie Wohltat, die man nicht recht
an sich herankommen lassen mag und an deren Möglichkeit nur zu denken
doch stützt.

So gingen Tage, so gingen Nächte. Und in wunderbarer Zähigkeit hielt
das kleine Kind sein bißchen Leben fest.

Dann, eines Abends, als die Dämmerung mit ihrer Schwermut die Welt
leise zu füllen begann, brachte Martha einen Brief. Sie brachte ihn
strahlend, denn sie kannte ja die Handschrift, die Freimarken auf dem
Umschlag.

Und sie dachte in ihrer Unbefangenheit: der kommt gelegen -- der kommt
als Trost.

Ein Brief! Von Malte? Jetzt? Unmöglich! „Über Sibirien“ stand auf dem
Umschlag. Wie denn? Er hatte damals aus Hakodate geschrieben: Komm!
Danach mußte er doch schweigend warten, bis ihre Antwort zu ihm kam
... Und die -- die war ja unterwegs -- sie hatte wohl noch ein, zwei
Wochen zu wandern, bis sie ihn erreichte -- diese Antwort, die ihm
sagte: vielleicht liebe ich dich nicht mehr. -- Und wenn er dann wieder
schrieb, so vergingen wieder lange Wochen, bis sie seine Worte lesen
konnte. -- -- Wie von selbst, durch die seltsam sich hindehnende Zeit
des Schweigens, schien er schon aus ihrem Leben sich entfernt zu haben
-- ganz ausgeschaltet von der Teilnahme an ihren Tagen ...

Dieser Brief war ihr etwas Unheimliches -- ganz und gar Unerwartetes.
Und darum schon bedrohlich -- vorwurfsvoll -- ein zorniger,
schmerzlicher Anruf -- noch ehe sie ihn gelesen ...

„Aber er weiß noch nicht,“ dachte sie, sich ermutigend.

„Über Sibirien?“ -- Mein Gott, warum schreibt er denn? Er konnte doch
nicht wissen, ob ich nicht zur Stunde schon unterwegs zu ihm bin, ob
mich dieser Brief überhaupt noch in Europa träfe ...

Auf einmal, in jähem Verständnis, wußte sie: Dies ist die Antwort auf
meine Depesche. Oder vielmehr: nicht die Antwort -- all die Fragen sind
es, die meine Depesche in ihm aufrührten.

Mit ihren unsicheren Fingern zerriß sie den Umschlag, ihn
auseinanderzerrend.

Sie trat an das Fenster, die Vorhänge teilend, die noch geschlossen
waren, weil sie vorhin die Sonne hatten absperren sollen, damit die
Strahlen nicht die zarten kleinen Lider träfen.

Das letzte bißchen Helligkeit reichte aus zum Lesen.

Und sie las: „Mein geliebtes Weib! Da liegt nun eine Depesche vor mir.
Du telegraphierst: ‚Ich kann mein kleines Kind nicht verlassen.‘

Zuerst habe ich gar nichts gefühlt als eine schreckliche Enttäuschung.
Sehnsucht hab’ ich nach Dir gehabt -- eine Sehnsucht! Möchte wohl den
Mann sehen, dem sie ähnlich zusetzt wie mir! Wenn man eine so schöne,
geliebte, kluge Frau hat, die auch ihrerseits treu an einem hängt! Und
wenn man nach dreijährigem Hangen und Bangen endlich vereint wurde und
sich dann gerade nur ein paar Monate gehören durfte!

Alle Tage zehnmal schluckt man das ’runter und gibt sich Rückgrat mit
dem Gedanken: der schöne, stolze, große Beruf will das nun mal so --
Männer, die im Krieg stehen, sollen kein weiches Heimweh kennen -- und
wir, an Bord, leben ja immer wie in Kriegswachsamkeit und Bereitschaft.
Aber alle Tage zehnmal kommt’s doch wieder hoch. Und dann die Nächte
... Und in dem Klima ... Na ja, also lieber still davon.

Schwer enttäuscht war ich. Hätt’ am liebsten sofort
zurücktelegraphiert: ‚Unsinn -- Dein Mann geht vor ...‘ Geschrieben war
schon so was ... Der Postmaat hatte es schon in der Hand. Aber ich nahm
ihm das wieder weg.

Denn weißt Du, geliebtes Weib -- wunderbare Gedanken sind mir gekommen.
Ob ich Dir sie wohl so recht auseinandersetzen kann? Versuchen wir’s.

Sieh mal -- die allerallererste Hoffnung auf das Kind haben wir ja
zusammen bejubelt. Aber -- Gott, es klingt wohl komisch -- das war
doch beinahe wie eine Stimmung, so ’n bißchen phantastische Vorfreude.
Jedenfalls verwischte sich das in mir, als ich fortging. Wurde wie so
’n Traum. Mir nichts Wirkliches. Mußte mich in den folgenden Monaten
oft zwingen, daran zu denken. Dann kam eines Tags die Depesche, daß
ich ein Töchterchen bekommen habe. Ich weiß noch, wir hatten ein Diner
bei dem Konsul Glaubermann in Schanghai. Da traf die Depesche ein.
Ich wurde etwas erregt, hatte so einen heißen Fleck in der Brust,
vielleicht sogar nasse Augen (ich glaube wohl), und alle wurden mit
aufgeregt, und zu Deinen, meinen und des Kindes Ehren wurde kolossal
viel Sekt getrunken.

Von da an war in Deinen Briefen immer viel von dem Kind die Rede, und
ich habe ja wohl auch stets in meinen Briefen der Kleinen gedacht --
hoffe es wenigstens.

Aber -- es war doch wie so ein akademischer Begriff: ich bin Vater,
habe ein Kind! Ich mußte es förmlich so vor mich hinstellen, damit ich
es nicht vergäße. Ja, so was Unwirkliches war es am letzten Ende.

Und da kommt Deine Depesche! So felsenfest habe ich ein jubelndes ‚Ja‘
erwartet, denn Emmich hat es mir wohl gesteckt, daß Du mehr von der
Trennung leidest, wie ich eigentlich von Deiner Einsicht und Deinem
Verstand erwartet hatte. Ganz felsenfest; denn ich bildete mir ein: Du
flögst am liebsten durch die Luft her.

Und da sehe ich aus der Depesche: es gibt nun etwas in Deinem Leben,
das Dich hindert, Deiner Sehnsucht nach mir zu gehorchen. Das kann nur
ganz was Heiliges, Großes sein.

Es ging mir auf. Wie eine Offenbarung war das. Ich wußte, was es sei:
die Mutterliebe!

Da ergriff mich ein Gefühl, das mich so weich machte, so windelweich
... Herrgott, so gerührt bin ich ja wohl weder bei unserer Trauung
gewesen noch bei unserem Abschied.

Plötzlich war meine riesengroße Enttäuschung wie fortgeblasen. Ganz
stolz war ich, ganz glückselig.

Nun war es für mich Wirklichkeit geworden: ich hab’ ein Kind. Es steht
auf einmal deutlich da in meinem Leben -- denn es hat die Macht, mir
mein süßes Weib fernzuhalten -- also, es muß eine große Sache sein um
so ein kleines Kind -- nicht einmal meiner guten alten Mutter, die Du
so liebst, willst Du es anvertrauen -- auf die Reise zu mir willst Du
verzichten -- --

Wir sind nicht mehr: Du und ich; wir sind unserer drei! Und dieses
dritte, kleine Lebewesen ist offenbar die Hauptperson geworden.

Ich muß immerfort in mich hineinlächeln. Es hat so etwas Komisches:
ich, der Kapitän von Falckenrott, ich, Dein Malte, ich hab’ einfach
nichts zu sagen. Ich rufe: komm! Und denke nicht daran, daß da ein Kind
ist, das viel mehr zu sagen hat, das sein Mütterchen nicht fort läßt!
Von dem das Mütterchen nicht fort kann!

Laß mir doch die süße, kleine Hauptperson photographieren? Oder geht
das noch nicht?

Und sobald sie ein bißchen Verstand hat, erzähl’ ihr was vom fernen
Papa. Ich sei ein sehr netter Papa, sag’ ihr, der sich mit Emsigkeit um
das Wohlwollen seiner Tochter bewerben werde.

Ja, Du kannst Dein kleines Kind nicht verlassen! Das versteht sich.
Verzeih’ mir nur, daß ich in meinem Unverstand anders dachte. Nein, Du
mußt es pflegen und hegen und bewachen. Damit es dem Papa als dickes,
rosiges kleines Ding entgegentrippeln kann -- Dein Geschenk, teures
Weib, Deines für mich -- hüte es mir wohl!

Bei meiner Heimkehr werde ich es in Deinen Armen finden!

Fest muß ich mich zusammennehmen, wenn ich an diese Heimkehr denke. Das
wird ein Glück werden. Du und ich und mein Kind. Mein Kind! Von Dir so
für mich behütet, daß Du seinetwegen nicht einmal zu mir kommen kannst.

Mit nächster Post schreibe ich einen vernünftigen Brief. -- Leb’ wohl.
Küß mein Kind. Ich hoffe, es gleicht Dir.

                               Innigst Dein Malte.“

Von aller Kraft verlassen stand sie -- lehnte sich ans Fensterkreuz,
um nicht zu sinken, ging endlich schwankend auf den Wagen zu -- sein
dunkler Lack machte ihn in diesem Augenblick, wo die graue Dämmerung
ins Zimmer schattete, einem Sarg nicht unähnlich. Das Gestell
der Räder, sperrig und leicht gebaut, gab diesem Lager das Wesen
bedrohlicher Leichtbeweglichkeit ...

Als würde es sofort von gespenstischer Hand fortgestoßen werden --
hinweg aus den Augen der Mutter -- hinein in eine Nacht, der kein
Morgen tagt ...

In den Kissen lag der kleine Kopf -- seltsam kleiner geworden, schwer,
hart.

Das Kind atmete kaum ... wie zu Tode erschöpft lag es, hindämmernd an
den Grenzen seiner Kraft.

Außer sich, von wahnsinniger Angst zerbrochen, fiel die Mutter neben
diesem Lager, das ihr unnennbare Furcht einflößte, in die Knie.

„Lebe!“ flehte sie das Kind an. „Lebe.“



IX


Der Strand von Saßnitz war buntscheckig von der gedrängten
Menschenmenge. Nicht nur am Kai, sondern vor den vom Bergwald
überragten, ansteigenden Häuserzeilen stand sie in Beharrlichkeit. Sie
hatte sich lang hinausgezogen, wand sich, einem wandernden Ameisenheer
nicht unähnlich, in dünner Linie auch am Ufersaum hin, hart am Meer,
dicht unter den steilen Wänden der weißen Kalkfelsen, die auf ihren
Häuptern die grünen, tiefen Buchenwälder trugen.

Ein Sommertag voll ruhigen Lichtes und klarer Wärme wollte zu Ende
gehen. Das Meer lief im gelassenen Gleichmaß der Bewegung gegen das
Ufer an. Das blaue Glas der Wogen zersprang auf ihren Gipfeln und
zerschlug sich zu weißem Schaum.

Ganz fern, geradeaus stieg eine Rauchsäule vor dem Horizont. Das
Schiff, das sie emporflocken ließ, glitt rasch hinweg; es fuhr in
stetiger Richtung nordwärts und versank bald hinter der Linie zwischen
dem Wasser und dem zarteren Blau des Himmels. Dann hielt sich an jener
Stelle noch eine Weile ein graues Wölkchen. Als sich auch das in der
reinen Luft ganz verflüchtigt hatte, breitete sich eine majestätische
Leere aus. Die Einsamkeit thronte über den Wassern.

Aber sie wirkte nicht herüber auf die tausend Menschen und stimmte
sie heute nicht zur Andacht. Die Unruhe der Erwartung fieberte in der
Menge. Und wie hypnotisiert starrte sie westwärts. Die sinkende Sonne
stach ihr beizend und blendend in die Augen; hinter den weißen ragenden
Felsen von Stubbenkammer ging sie horizontwärts, ihre Strahlen gaben
der Silhouette des Waldes hoch dort oben einen Heiligenschein. Und die
ganze Seite des Himmels war wie eine Wand von hellem Gold, das ganz
allmählich, zur Höhe hin, in das feine Blau der Luft hinüberging und
sich in ihr auflöste.

Gleich einer Kulisse stand der weiße Fels mit seiner verschatteten Wand
und seiner scharfen, steilen Linie in diesen Hintergrund von Glanz
hinein. Gegen seinen Fuß warfen sich in unaufhörlicher Arbeit die
Wellen und brodelten weißschäumig.

Plötzlich ging das schon etwas stumpf gewordene Warten der Menschen in
freudige Unruhe über.

Hinter der Kulisse hervor schob sich ein schwarzes Tier. Wie ein
Walfisch. Und anstatt eines Wasserstrahls ließ es eine düstere Säule
von Kohlenrauch steigen.

Es war nicht allein. Es dampfte an der Spitze einer Schar von Genossen,
die ihm in Keilformation folgten.

Eine Torpedobootdivision des Aufklärungsgeschwaders.

Seltsamen Ungeheuern glichen sie. Als habe die Hand der Menschen dem
Meer die furchtbaren Saurier wiedergeben wollen, die die Natur nicht
lebensfähig hatte erhalten können.

Nun schwammen sie durch die schwerflutende See, und aus dem Mund ihrer
Dampfpfeifen kam ein mißtöniges Geheul, ein dunkler, warnender Laut
gereizter Tiere.

Dann fuhren die Schiffe wie lautlos. Wie ermüdet von harten Kämpfen,
gelassen. Sie zogen dem Hafen zu, um einmal eine Nacht zu schlafen.
Ihre kohlschwarzen Leiber, so wenig sie auch die Wasserlinie
überragten, zeichneten sich bedrohlich ab vor dem goldig glänzenden,
glatten Hintergrund des Himmels. Um ihren Bug, so leise sie auch
fuhren, schwoll, wie an der Brust dunkler Schwimmvögel, das Wasser
hoch, das sie zerteilten. Neben den kurzen, dicken Schornsteinen und
dem niederen Aufbau ihrer Kommandobrücken trugen sie seltsame Zeichen
-- gleich schlanken, kleinen Masten, und daran mystische Figuren --
da ein Dreieck, dort ein Quadrat -- hier zwei Querhölzer -- dort
eins, dort ein schräges Kreuz -- ihre Male, die sie für das Auge des
Kommandanten und der Gefährten unterschiedlich machten. --

So kamen sie heran. Eine düstere Schar, schon jetzt in ihrem
friedlichen Tun furchtbar anzusehen -- eine Verkörperung von Krieg und
Tod -- die Phantasie anreizend, so daß man sich wie von selbst diese
niedrigen, schwarzen Gesellen vorstellen mußte, wenn sie nachts, von
schäumenden Fluten überstürzt, in heulendem Sturm, mit verlöschendem
Feuer, den Scheinwerfern des Feindes zu entgehen trachteten -- oder
sich an ihn heranzuschleichen suchten -- selbst des Untergangs gewiß,
den sie dem Gegner zu bringen die Selbstaufopferung haben sollten.
Kraft, die selbst sterben muß, wenn sie Tod bringt ...

Von dieser ruhevoll vorwärts dampfenden schwarzen Schar ging eine
Majestät des Mutes aus, die alle Zuschauer, ohne daß sie wußten warum,
verstummen ließ.

Sie suchte den Hafen auf. Die Reede konnte ihr keinen Ankerplatz geben.
Sie kannte jenseits der Molen nur eins: Bewegung. --

Und andere Erscheinungen traten aus der Felsenkulisse hervor, als
hätten sie dort gewartet, um ihre stolze Wirkung, ungeschmälert durch
die kleine, rasche Heldenschar, ganz allein zu genießen.

Groß und grau, in der Langsamkeit von einer stillen und bezwingenden
Gewalt, glitten die großen Kriegsschiffe über das blaue Wasser.
Ungeheuer voll Grazie. Ruhevoll stieg der feine Dampf aus ihren grauen
Essen. In der Takelage ihrer Signalmasten war ein emsiges Huschen
von Farbenflecken. Da stiegen und sanken und hißten und tippten
allerlei kleine Flaggen, und einige von ihnen blieben hängen, in
einer geheimnisvollen Anordnung -- beredt für die, die ihre Sprache
verstanden -- stumme Befehlshaber, die blinden Gehorsam forderten.

Vor dem goldenen Grunde des Abendhimmels kamen die Schiffe, wunderbare
Symbole der Macht, in schweigendem Stolz -- unnahbar, seltsam
abgesondert von der Erde und der atemlos staunenden Menge auf ihr --
und doch in der unerklärlichsten Nähe mit ihr verbunden -- von einer in
jeder Brust aufjauchzenden heißen Liebe begrüßt ... „Unsere Flotte“ ...

Die huschenden Farbenflecke hatten alle ihre Befehle über das auch in
Keilformation fahrende Geschwader hin verbreitet. Nun änderte sich die
Bewegung. Einige der Schiffe lagen still -- andere glitten noch weiter
-- in einer Stellung zueinander, deren Ordnung und tiefer Sinn den
Zuschauenden verborgen blieb, kamen sie endlich alle zur Ruhe.

Und nun lagen sie da, eine undurchdringliche, in sich abgeschlossene
Welt.

Aber nicht lange, und es schien, als entstehe ein eiliges Hin und Her
zwischen dem Land und dem Geschwader.

Während der goldene Glanz im Westen erlosch, nahm das Meer eine graue,
ernste Farbe an; das Heranrauschen der Wogen war kein heiteres Spiel
mehr, sondern eine Musik voll Schwermut. Der Himmel entfärbte sich und
bekam eine matte Zinnfarbe.

Und in dieser Lichtlosigkeit, ehe die Nacht hereinfiel, wurde es
lebendig um die Riesenleiber der Kriegsschiffe herum. Barkassen lösten
sich von ihnen und puckerten in eiliger Fahrt zum Hafen. Boote schossen
heran, von den sich im präzisen Gleichmaß hebenden und senkenden
Rudern getrieben. Die Wasser tropften von den Hölzern, und die Riemen
knirschten. In militärischer Ordnung saßen die Maaten auf den Bänken
und beugten sich vor und legten sich zurück. Dann warteten sie an den
Brücken auf die Post, die der Postmaat holte, während die Menge die
Blaujacken umstand und betrachtete und auch wohl mit Biergeld und
Zigarren beschenkte.

Die Gig der „Thuringia“ nahm außer der Post auch noch den Kapitän
von Krietzow auf, der hier eingetroffen und seit diesem Mittag schon
bereit gewesen war, sich wieder an Bord zurückzumelden, um seinen
Stellvertreter Hochhagen abzulösen.

Der Abend wandte sich mit Hochsommerraschheit zur Nacht. Auf den
Schiffen blitzten Heere von Lichtern auf. Wo vorher die kleinen
Gruppen bunter Flaggen gesprochen hatten, zeigten sich nun ebenso
geheimnisvolle Gruppierungen verschiedenfarbiger Lichter.

Und ab und zu strich, vom Scheinwerfer des Wachtschiffes
herausströmend, ein grellweißer Lichtkegel über das Meer und das Land.
Er huschte über jede Erscheinung weg, ließ sie auftauchen und wieder
in Dunkelheit versinken. Die Menge am Ufer fühlte sich oft in hellen
Tag versetzt, lachte und kreischte -- und schon glitt der weiße Schein
weiter und ließ, gleich einem Phantom, ein Schiff erscheinen und war
blitzgleich wieder anderswo.

Und in diesem flinken Wechsel von krasser Helle und nach ihr gesteigert
scheinendem Dunkel sah Emmich Hochhagen einmal, schon ganz nahe der
„Thuringia“, die Gig auftauchen und verschwinden. Er erkannte in dem
huschenden Moment, daß sein Kamerad Krietzow darin saß. Krietzow
hatte sich schriftlich schon angemeldet und war also erwartet worden.
Es hätte sich demnach ungefähr ein Weltuntergang ereignen müssen,
um Krietzow am pünktlichen Erscheinen zu hindern ... ein deutscher
Offizier, der sich dienstlich zur Stelle zu melden hat! ... Dennoch
aber fühlte Hochhagen sich so erleichtert, daß er aufseufzte.

Er wartete fast seit Beginn seines vorübergehenden Kommandos schon
dringlich auf die Ablösung -- was er sich freilich nicht einmal selbst
gestand. Und was kein Mensch an Bord ihm angemerkt hätte.

Renatens Briefe ängstigten ihn mehr und mehr. Er spürte, daß die
unselige, in ihrer Verlassenheit um alle Haltung gekommene Frau einen
immer größeren Einfluß auf sein holdes Mädchen bekam. Das mißfiel ihm
höchst. Deshalb ersehnte er den Tag der Ablösung. Er hatte sich einen
unmittelbar an sie anschließenden Urlaub von zwei Wochen erwirken
können. Und nun, wo die Flotte für einen Ruhetag vor Saßnitz ankerte,
um dann in die wirklichen Manöver einzutreten, nun dachte er Krietzow
die Geschäfte zu übergeben und sofort, im Morgengrauen, nach der
Schweiz abzureisen.

In seiner heimlichen Unruhe hatte er sich eingebildet, Krietzow könne
in allerletzter Stunde abermals erkranken. Auch gibt es ja Unfälle auf
Eisenbahnen und Gott weiß was sonst noch.

Also da war Krietzow! Endlich, endlich!

In der großen Unruhe an Bord, in der Eile der an Land Beurlaubten, bei
all dem Kommen und Gehen fand Krietzows Ankunft doch viel Beachtung.
Man sagte ihm, daß er glänzend aussehe, warf ihm noch neidvoll vor, daß
er wie ein Gott in Frankreich gelebt, während man sich selbst wieder
mal geschunden habe. Dann, nachdem er sich beim Kommandanten gemeldet
hatte, zog er sich mit Hochhagen in die Koje des Ersten Offiziers
zurück, um die dienstliche Angelegenheit zu besprechen.

Inzwischen war die Post sortiert und wurde an Bord ausgetragen.

Emmich sah, als die Ordonnanz die seinige auf den Schreibtisch legte,
vor dem er mit Krietzow saß, obenauf den Brief Renatens.

Aber natürlich, mehr als diesen Blick konnte er den lieben Schriftzügen
jetzt nicht gönnen.

Erst der Dienst.

Und in seinem Gedränge mochte er auch nicht lesen. Es war gerade, als
hielte eine heimliche, warnende Stimme ihn davon ab, einen kurzen Blick
hineinzutun.

Emmich Hochhagen erledigte erst alles, was noch abzuwickeln war, ließ
seine Sachen packen, meldete sich beim Kommandanten ab und fuhr dann
mit einigen Kameraden an Land. Alles freute sich auf die Abwechslung.
Es tat den Nerven schon wohl, sich einmal in hohen weiten Räumen beim
Essen aufzuhalten; nicht nur mit Männern in engen, niedrigen, kunstvoll
ausgesparten Räumen zusammen zu sein. Es war ein Vergnügen, Frauen
zu sehen, die eleganten Frauen eines Badeortes, die mit lächelnden
und gütigen Blicken an ihnen vorbeistrichen, zu rascher und mehr oder
minder harmloser Anknüpfung merkwürdig bereit.

Man aß zusammen in dem Hotel, in dem Emmich Hochhagen zu übernachten
dachte, um den Frühzug nach Berlin zu nehmen. Im Hinblick auf die
Anwesenheit des Geschwaders war eine Reunion veranstaltet. Aus dem
Saal neben dem Restaurant klang Musik. An der Glastür vorbei drehten
sich tanzende Paare. Vorurteilslos und bereit, jede frohe Stunde zu
nehmen, wie sie ihnen zufiel, beteiligten sich die jüngeren Offiziere
mit leidenschaftlichem Eifer am Tanz, als lägen nicht die aufreibenden
Mühen eines spannungsvollen Aufklärungsmanövers hinter ihnen.

Die Kameraden von der „Thuringia“ feierten Hochhagen weg und quälten
ihn -- ahnungslos -- mit ihrem wohlwollenden Neid! Ja, wer solchen
Dusel hatte! Zu so einer entzückenden Braut fuhr! Sich so fabelhaft
nette Schwiegereltern zugelegt! Ja, der konnte wohl zugeben, daß das
Leben immerhin ein Pläsier sei.

Er lächelte etwas mühsam dazu.

Sie wußten ja nicht, daß sein junges Glück von einem Unbehagen umlauert
war, das von Post zu Post wuchs.

Und gerade weil er ein beklemmendes Vorgefühl hatte bei dem Gedanken:
was mag nun wieder dieser Brief bringen? gerade deshalb blieb er
länger noch mit den Kameraden zusammen, als er es vorgehabt hatte.

Das ganze Leben des Badeortes schien rascheren und freudigeren
Pulsschlag bekommen zu haben. Viel lauter als sonst gebärdete es sich
und wollte der Nacht das Recht auf Stille lange nicht gönnen.

Es war fast zwei Uhr, als der Kapitän Hochhagen sich endlich in seinem
Zimmer allein befand -- in jener Einsamkeit, die fast unsicher machte,
wie festes Land nach bewegter Seefahrt. In all dem Nachhall von Lachen,
Musik, Bewegung, Gläserklang können die Nerven sich noch nicht in der
Lautlosigkeit zurechtfinden.

Er preßte die Hand gegen die Stirn und besann sich. Ja, da war der
Brief. Und morgen -- nein, heute -- um neun Uhr und? wieviel Minuten
doch? fuhr der Zug. Saßnitz ab? -- Berlin an? Dort mußte er den
Nachtzug nach Stuttgart nehmen ... Über den Bodensee -- Zürich -- Genf.
-- -- Wo war doch das Reichskursbuch? Natürlich irgendwo tief unten im
Koffer, wo man es nie findet, nach jener unergründlichen und wirklich
märchenhafterweise sich ewig fortpflanzenden Burschenweisheit, die das
Nötige listig verpackt und das Überflüssige handlich obenauf legt ...

Aber der Brief ...

Und plötzlich hatte er ihn geöffnet und stand mitten in dem gräßlichen
kleinen Zimmer, zwischen dem häßlichen Bett und dem Sofatisch mit
geblümter Plüschdecke, gerade unter der elektrischen Birne, die in
ihrem tellerartigen Schirm fest unter der Decke saß. Sie schien ihm
grell auf Renatens Schriftzüge und das weiße Papier.

Immer finsterer wurde sein Gesicht und sein Ausdruck hart.

Er setzte sich auf den Stuhl am Fenster. Starrte hinaus -- und sah
nichts von dem grandiosen Bild da draußen, wo auf dem dunkeln Meer die
von Lichtern übersprenkelte Flotte in wachsamer Ruhe lag -- sah nur im
schwarzen Glas das Spiegelbild der kargen, banalen Stube -- die blanke
Glühbirne unter dem weißgekalkten Plafond und sein eigenes Gesicht -- --

Wußte denn Renate, was sie ihm da alles gestand?

Wenn sie es wußte, hieß es soviel als: ich habe mich doch wohl geirrt!

Nicht in ihrer Liebe. O nein! Das fühlte er wohl.

Ihr Herz drängte sich an das seine voll Angst und Unruhe.

Das war es: voll Angst.

Junge Liebe darf keine Angst kennen. Die soll nur hoffen und glauben.

Was schreibt sie da?

„Wenn ich daran denke, daß Jutta ihren Mann aus leidenschaftlicher
Liebe heiratete, und daß all dies Glück sich jetzt schon in Kummer, ja
in Verzweiflung verwandelt hat, muß ich weinen vor Angst, daß es auch
unserer Liebe ebenso ergehen könnte.“

Und wie zitterte sie vor der Zukunft?

„Ob ich wohl stärker wäre als Jutta? Ob ich wohl während einer so
langen Trennung immer freudig bliebe? Ob Liebe wohl durchaus der
Gegenwart des Geliebten bedarf, um ganz lebendig zu bleiben? Oder ob
man ein wenig oberflächlich sein muß, weniger am Geliebten hängen muß,
um seine Abwesenheit gefaßter zu ertragen? Ach, du glaubst es nicht,
wie mich alle diese Fragen beschäftigen.“

Und weiter: „Schreckliches Mitleid hab’ ich mit ihr -- wir weinen so
viel zusammen. Und dabei ist mir manchmal zumute, als weinte ich über
uns ...

Ich habe nicht gedacht, daß man als Braut so schwere Gedanken haben
könnte. Aber vielleicht muß es so sein. Mama sagte mal, man müsse die
Brautzeit nicht durchjubeln, sondern zur ernsten Einkehr benutzen. Und
nun frage ich mich immerfort, ob ich auch wohl stark und groß genug
bin, die Frau eines Seeoffiziers zu werden. Die braucht viel Tapferkeit
und viel Selbstverleugnung ... Ich habe immer gedacht: durch Liebe
bringt man das auf. Aber die arme Jutta hatte doch auch Liebe.“

Er las den Brief wieder und wieder.

Zuletzt sonderte er gar nicht mehr die einzelnen Stellen heraus. Alles
floß zusammen. Alles hatte im Grunde den einen, den gleichen Inhalt:
Furcht vor der Zukunft!

Und was langsam, von einem Brief zum anderen in ihm emporgewachsen war,
stand nun als harter Gedanke plötzlich ganz klar vor ihm da.

Lieber jetzt ein jäher Schnitt -- ein furchtbares Zerreißen, als eine
Zukunft voll Unsicherheit ...

Er fühlte: es würde seine Manneskraft untergraben, seine
Berufsfreudigkeit aufzehren, wenn er später in Angst vor dem
Gemütsleben seiner Frau zu sein hätte. Er hatte ja die Frau seines
fernen Freundes betreut -- hatte gesehen, wie haltlos eine Frauenseele
werden kann, wenn sie vor Sehnsucht müde wird. --

Das wollte er nicht erleben. --

Lieber ein einsamer Mann bleiben ...

Auch um des holden, zärtlichen jungen Wesens willen, das sich jetzt
schon vor bloßen Möglichkeiten fürchtete ... deren Glück, das frische,
jubelnde Brautglück, sich schon jetzt in verzehrende Unruhe verwandelt
hatte.

Ihr, vor allem ihr, noch mehr als sich selbst, war er es schuldig, als
Mann zu handeln.

Er begriff, daß dies vielleicht einer von den Fällen war, wo höchste
Härte am letzten Ende höchste Selbstaufopferung ist.

Was mußte er tun?

Ihr schreiben. Ihr das Wort zurückgeben und ihr anheimstellen, sich in
Freiheit noch einmal zu prüfen.

Schreiben?!

Er lächelte bitter in sich hinein.

Wo andere Männer handeln, eingreifen und durch die Wucht ihrer
persönlichen Gegenwart einen Kampf zu ihren Gunsten entscheiden können,
bleibt uns -- ein Brief! Der jämmerliche Abklatsch des Gefühls!
Erregung, Zorn, Bitte, Liebe aus zweiter Hand -- auf dem Papier.

Die Ferne nimmt uns unsere Waffen ...

Aber er -- er war hier -- saß nicht wie der arme Malte drüben bei den
schrägäugigen, gelbhäutigen Chinesen, während hier sein Glück in die
Brüche ging, das er nur mit -- Papierfeuer hatte heißhalten können.
-- Er war zur Stelle -- hatte nur einen Tag, eine Nacht und noch
einen Tag zu fahren, um vor die Geliebte zu treten -- Aug’ in Auge
mit ihr um sein Glück zu ringen. Ihr streng und stolz, fest und stark
zu sagen: Hast du kein Vertrauen zu dir selbst -- so leb’ wohl! Was
mich betrifft, ich habe den Glauben an mich: es können mich Jahre und
Ozeane von dir trennen: ich bleibe dein, freudig und treu. Traust du
dir’s nicht zu: leb’ wohl! Begreifst du nicht: eine große Sache fordert
Opfer auch von dir -- leb’ wohl! Erkennst du nicht: es liegt ein
tiefer, heiliger Sinn darin, daß die Frau gefaßt zu warten versteht auf
den Mann, der nicht zu selbstischen Zwecken hinauszieht, sondern um dem
Vaterland zu dienen -- erkennst du es nicht, dann: leb’ wohl! ...

Ja, so wollte, so mußte er vor sie hintreten ...

Aber plötzlich, in den lodernden Zorn dieser Vorsätze, fiel der
Schreck: Nein, das kann ich nicht -- man reist nicht von weit her zu
einer Frau, um ihr zu sagen: wir müssen scheiden.

Er sah ihre Eltern vor sich. Diese Menschen, die er um all ihrer reifen
Güte und Klugheit willen so hochstellte.

Er sah sie selbst: das weiche, schöne, liebe Gesicht! So jung! So
zärtlich ...

Und noch so lachend war es gewesen vor wenig Wochen -- ganz unberührt
von allen Seelenkämpfen.

Er sah sie weinen ...

Und die Vorstellung war so beklemmend, daß sich ihm die Stirn feuchtete.

Das war zu hart für beide -- für ihre Weichheit -- für sein Mitleid --
sich in solcher Aussprache gegenüberzustehen ...

Er fürchtete auch plötzlich, daß Hoffnungen und der heiße Wunsch, sie
sein zu nennen, ihn schwach machen könnten.

Daß wiederum sie sich nicht frei entscheiden, sondern sich auch von
zärtlicher Aufwallung bestimmen lassen könne ...

So blieb wohl nichts als schreiben -- als das elende Mittel, das immer
nur einem Bruchteil alles Gedachten und Empfundenen auf den anderen
hinüberwirken lassen kann ...

„Ich habe ja Zeit,“ dachte er.

Morgen kann ich schreiben -- morgen -- anstatt in jubelnder Vorfreude
auf Wiedersehen zu ihr zu eilen ...

Schlaflos lag er die ganzen Stunden, bis der Tag graute. Es waren ihrer
ja nur wenige.

Seine Nerven, überreizt von den großen Anstrengungen der letzten Wochen
und Tage, von der Unsumme von Angelegenheiten und Verantwortlichkeiten,
die er, als Erster Offizier an Bord, ständig geistesgegenwärtig in
seinem Kopf zu halten hatte, wollten sich auf keine Weise zur Ruhe
zwingen lassen.

Er versuchte, an die mechanischen Dienstsachen zu denken -- an
irgendeinen kleinen Ärger, den es da oder dort gegeben hatte -- an die
drolligen Schrullen einiger Kameraden -- --

Umsonst.

Er konnte nichts, als sich in die Vorstellung hineinleben: ich habe
mein Glück verloren.

Zuletzt schien es ihm, als trennten ihn schon große Zeiträume von dem
Augenblick, wo er von Bord gegangen war -- Zeiträume, in denen das
Leben über ihn hinweg weitereilte und ihn zurückließ: alt, mutlos,
freudlos ...

Eigentlich hatte er ganz vergessen, daß da draußen auf der Reede das
Geschwader ankerte. Daß wohl schon jetzt, im Morgengrau, im Dunst der
See, die ihre Wärme dampfend an die kühle Luft abgab, daß da schon
Depeschenboote über die Wasser schwammen, mit leisem, eiligem Rauschen
die glatte Oberfläche zerschneidend.

Als es an seine Tür klopfte, hart und schnell, antwortete er gehorsam
„ja“ und dachte, daß er vielleicht befohlen habe, man solle ihn zur
Abreise rechtzeitig wecken.

Er wunderte sich, als nun der Maat eintrat, der an Bord sein Bursche
gewesen war, und den er gestern abend dort hatte zurücklassen müssen.

„Was vergessen?“

Der Mann stand stramm. Die weiße Tür gab seiner schlanken, blauen
Gestalt blanken Hintergrund. Sein bartloses Gesicht konnte trotz allen
dienstlichen Ernstes ein freudiges Licht in den hellen Augen nicht
verstecken.

„Eine Depesche, Herr Kapitän. Ich soll eine schöne Empfehlung von Herrn
Kapitän von Krietzow machen. Sie wär’ in der Nacht gekommen. Er hätt’
sie aus Versehen aufgemacht. Weil die Ordonnanz bloß meldete: an den
Ersten Offizier. Und nachgesehen hätt’ er nicht -- aus ’m Schlaf ’raus,
sagt Herr Kapitän.“

„Bestellen Sie: das machte nichts. Und viele Grüße an Herrn Kapitän ...“

Der Maat machte auf den Hacken kehrt.

Und Emmich Hochhagen nahm die Depesche aus dem Briefumschlag, in den
Krietzow sie getan hatte.

„Das Kind der Frau von Falckenrott seit einigen Tagen in größter
Lebensgefahr. Gamberg zwar hier, nehme aber an, daß im Ernstfall Du der
armen Frau näherer Beistand bist. Erwarten Dich voll Ungeduld. Viele
Grüße. Papa Gervasius.“

Er besann sich keinen Augenblick. Er verließ sein Bett. Zog sich mit
einer Raschheit an, als seien Alarmsignale gegeben worden. Klingelte
und befahl die Rechnung, einen Wagen -- nur rasch -- nur rasch. --
-- Er sah: die Zeit war knapp -- denn er hatte ja gedacht, er habe
keine Eile ... Er hatte ja gedacht: zu einem Abschiedswort -- zu einer
letzten, ehern ernsten Frage, die vielleicht das Ende des Glücks
bedeutet -- dazu hastet man nicht ...

Er erreichte den Zug noch. Dann, als er in seiner Ecke saß und draußen
die Landschaftsbilder vorbeiglitten, wurde er allmählich frei von dem
Gefühl, ein Gehetzter zu sein. Sich auf dem Wege zu befinden, ist schon
immer etwas.

Jetzt war keine Schonung möglich -- jetzt mußte er seine
Auseinandersetzung mit Renate und vielleicht auch ihren Eltern Aug’ in
Auge haben.

Aber welchen Stunden voll schmerzlicher Erregung, voll gefährlicher
Versuchungen er auch entgegenging -- die Pflicht rief ihn.

Der Freund, als er schied, hatte ihm gesagt: sei meiner Frau ein treuer
Bruder! Er war es gewesen, hatte versucht, es zu sein, so sehr, daß
sie seine fürsorgliche Ergebenheit sogar als bevormundende Wachsamkeit
empfand.

Aber mit aller treuen Brüderlichkeit hatte er doch nicht verhüten
können, daß die Frau in schwere Kämpfe geriet ...

Und nun war das Kind des Freundes in Gefahr?

Und an der Seite der Frau befand sich jener Mann ... der in all
seiner höflichen Ruhe und formvollen Undurchdringlichkeit für Emmich
unheimlich war -- in dem er den Zerstörer ahnte ...

Dieser, gerade dieser war neben Jutta am Bett des Kindes?

Wenn es nun stürbe? Würde das nicht auf das Gemüt der Frau so wirken,
daß sie sich sagte: nun ist jedes Band zwischen Malte und mir zerrissen?

Ganz gewiß!

Mußte nicht ihr leidenschaftlicher Gram sie dem Mann in die Arme
treiben, der wartend bereitstand?

Ganz gewiß!

Ihr Herz hatte die Einsamkeit nicht ertragen. Mit förmlich fanatischer
Liebe hing sie an dem Kind als an ihrem einzigen Trost -- vielleicht
war das Kind auch ihr Halt gewesen. -- Wenn es ihr geraubt würde,
bewies sie sich vielleicht: auf meiner Ehe ruht kein Segen. Ja, sie
würde von Malte fortgehen, hin zu dem anderen, wenn das Kind stürbe.

Wenn es doch am Leben bliebe! Es schien durch sein bloßes Dasein die
Sache seines fernen Vaters zu führen.

Während der langen Stunden seiner Tag- und Nachtreise dachte Hochhagen
sich in all dieses immer stärker hinein.

Ihm war, als sei er unterwegs, um zu helfen, zu handeln. Und er litt
vor Ungeduld, wenn er sich klarmachte, daß er im Grunde weder helfen
noch handeln könne.

Er durfte Gamberg nicht stellen. Ihm nicht auf den Kopf zusagen: Du
liebst sie und willst einen Abwesenden berauben -- ich stehe hier
anstatt seiner und versperre dir mit den Waffen in der Hand den Weg zu
der Frau.

Vor Dingen, die man nur spürt, auf deren Vorhandensein man zwar
schwören könnte, und die man doch nicht zu beweisen vermag, steht man
ohnmächtig.

Der Legationsrat von Gamberg hatte mit keinem Wort und keiner Miene
Kritik herausgefordert, er hatte nicht ein einziges Mal eine Haltung
angenommen, die verletzend für die Ehre des Abwesenden genannt werden
konnte.

Und gerade deshalb fürchtete Hochhagen ihn.

So beherrschte Naturen sind zielbewußt -- gefährlich sind sie durch
ihre Unangreifbarkeit.

Ein Mann, der nichts wollte, wie eine temperamentvolle, unter ihrer
Einsamkeit leidende Frau trösten, um dann mit dankbaren Siegergefühlen
seiner Wege zu gehen, ein solcher Mann würde sich anders benehmen.

Dieser wollte mehr! Das witterte Hochhagen. Gerade diese vornehme,
vollkommen besonnene Art des anderen bewies es ihm: der wollte die Frau
für immer sich erobern und war vielleicht schon jetzt voll Besorgnis,
in ihr die zukünftige Trägerin seines Namens zu schonen.

Hochhagen fragte sich allerlei: ob wohl dies Gemisch von Liebesromantik
und äußerster Rücksicht, von verbotenen Wünschen und starker
Hochachtung für eine Frau bezaubernd war?

Er gab sich auf diese und andere Fragen keine Antwort. Er wagte es
nicht. Er sah wohl: man spricht so erfahren über Frauen und kennt sie
in- und auswendig.

Aber sowie man zu ihnen in eine Stellung kommt, von der aus man
wirklich in ihre Seele hineinsehen kann, bekommt man die Empfindungen
eines Analphabeten: man weiß wohl, da stehen tiefe Dinge, aber man
kann sie nicht lesen ...

Mitten in all diesen Grübeleien erlebte er dann auch noch eines Morgens
die Sensationen des märchenhaften Szenenwechsels. Er hatte während
der Reise kaum auf die Bilder draußen geachtet -- stumpf für alles,
was draußen sich begab, war die ganze Fahrt mit ihren wechselnden
Stationen, lärmdurchbebten Durchgangswagen voll Staubgeschmack,
schmalbettigen Schlafcoupés, hastigen Mahlzeiten, tausend fremden
Gestalten an ihm vorübergegangen, als stehe er gleichgültig still, und
all dies rase unbegreiflich sinn- und zwecklos an ihm vorüber.

Nun sah er auf einmal den Genfer See vor sich und wußte: noch eine
Stunde, und ich bin da ...

Der feine Frühnebel, ganz von silbernem Glanz durchwirkt, stand auf der
weiten Fläche. Er breitete sich auch zart vor der Wand des Gebirges aus
und machte seine Größe mild. Es waren gar keine starken Töne in dem
Bild. Wunderbar keusch und leise wirkte es -- ein Morgentraum.

Das tat dem Auge wohl. Wie dem Mund die fast herbe und feuchte Luft,
die durch das Fenster hereinkam.

Hochhagen atmete sie förmlich mit Vorsatz tief ein. Als könne sie ihm
das peinliche, brennende Gefühl in der Brust löschen ...

Er dachte nicht mehr an die unselige Frau, die zu behüten und
vielleicht zu retten er gekommen war.

Er dachte nur noch an seine Liebe und seine eigene Not ...

Was „sie“ wohl zu seinem Telegramm gesagt hatte?

Gestern, gegen Abend, von irgendeiner Station aus, hatte er
depeschiert, er würde von morgen früh an in Juttas Pension sein. Er bat
den Geheimrat, ihn dort aufzusuchen.

Diese Fassung der Depesche mußte Renate gezeigt haben, daß er nicht
ihretwegen diese Reise unternommen hatte ...

Begriff sie? War sie sich völlig bewußt, wie ihre Briefe auf ihn
gewirkt hatten? Zu welchen Sorgen sie ihn führen mußten?

Freute sie sich auf ihn? Ängstigte sie sich vor ihm?

Ahnte sie schon, daß er lieber auf Glück verzichten als eines gewinnen
wolle, neben dem her der Unglaube an die Beständigkeit dieses Glücks
ging?

Station Territet ...

Sein Herz klopfte ... das Gefühl, dem geliebten Mädchen nun nahe zu
sein, benahm ihn ganz.

Wie Furcht befiel ihn der Gedanke: wie, wenn sie auf dem Bahnsteig
steht? ...

Aber er übersah es mit dem einen schnellen, scheuen Blick, den er rasch
über den offenen Bahnsteig gleiten ließ: nein, sie war nicht da ...

Als er einem Träger seinen Gepäckzettel in die Hand drückte und mit
einem Kutscher über die Fahrt nach der Pension verhandelte, fühlte er
eine Hand -- sie gab ihm einen leichten, wohlwollenden Schlag auf die
Schulter ...

„Na ... gottlob!“ sagte der Geheimrat.

Es erschien Emmich Hochhagen unbegreiflich, daß der Geheimrat
gänzlich unverändert war: das kluge, bartlose Gesicht lächelte --
freudig -- weich -- was ihm drollig stand -- denn so ein Fünkchen
Selbstironisierung war meist dabei, wenn er weich wurde ... Und das
war er in diesem Augenblick. Sein zärtliches Vaterherz ahnte, daß
das bräutliche Glück seiner Tochter schon aus den Fugen war -- die
schwermütige Unruhe ihrer Stimmung hatte sich seit dem Eintreffen von
Emmichs kühler Depesche zu einer Nervosität gesteigert, wie sie die
Eltern an ihrem Kind nicht für möglich gehalten hatten. Ihnen selbst
war die Fassung der Depesche nicht ganz geheuer. Aber sie wollten das
Vertrauen ihrer Tochter nicht erzwingen und gestanden es sich nur
untereinander: zwischen Renate und Emmich war nicht alles in Ordnung,
und vielleicht kam er gar nicht als Renatens Verlobter her, sondern nur
in Erfüllung der Freundespflicht gegen den fernen Kameraden.

Aber er war da! Das war nun erst einmal die Hauptsache!

Der Geheimrat als erfahrener Mann hoffte immer ... Bloß die Jugend
verzweifelt, pflegte er zu sagen.

So klopfte er denn nochmals wohlgefällig, wie um die Tatsache seiner
Ankunft zu loben, Emmich auf die Schulter.

„Wie steht es?“ fragte der hastig.

„Nicht gut.“

„Ist noch Hoffnung? *Du* mußt es doch wissen!“

„Ach lieber Emmich -- wie überschätzest du unser bißchen Weisheit!
Die beiden tüchtigen Ärzte, der gutwillige, aber nicht ganz angenehme
Doktor von hier und der Professor Lequint, den Herr von Gamberg aus
Lausanne hat kommen lassen, die hoffen immer noch. Ich will dir was
anvertrauen: es gehört das ein bißchen zum Metier ... Mut geben ... die
Angehörigen instand halten ... sich selbst suggerieren: es kann noch
werden -- weil doch nun mal jeder Mensch lieber in Zuversicht als in
Entmutigung handeln mag ... Vielleicht ist auch so ’ne Art Sportgefühl
dabei: man will denn doch durchaus nicht den Tod Erster werden lassen
... Wenn er es sich aber mal vorgesetzt hat ... Na, genug. -- -- Bauen
wir auf ein Wunder. Welche Redensart, wie du bemerkst, ein Sideroxylon,
das heißt ein innerer Widerspruch, ist ...“

Emmich hörte wohl: der Geheimrat glaubte an keinen guten Ausgang.

Nun saßen sie zusammen im Wagen. Der Geheimrat seinerseits fand den
Kapitän sehr verändert. Nicht nur braun von der Seesonne. Auch hager
fand er ihn, und einen scharfen Zug von Unruhe hatte er im Gesicht. Und
noch nicht einmal sah er seinem Schwiegervater gerade und freudig in
die Augen. Auch fragte er nicht nach Renate ... Und Freundestreue in
Ehren: aber dies wäre doch das natürlichste gewesen! Erst die Braut!
Dann Glück und Leid der übrigen Menschheit.

Gervasius dachte: „Dies bleibt abzuwarten.“

Und saß, die Hände auf dem Stockknopf zwischen den Knien, äußerst
unbefangen da, während er in der Tat Miene und Ton des anderen gespannt
beobachtete.

„Seit wann ist Herr von Gamberg hier?“ fragte Emmich.

„Der Legationsrat? Den trafen wir in Evian -- ich las ihn im Gedränge
auf -- überraschte die Damen mit ihm ... Ich glaube, ich war es, der
ihn überredete, sich uns anzuschließen. Er wollte, so viel ich weiß,
nur zwei Tage hier bleiben. Gerade da erkrankte das Kind. Er ist dann
geblieben, und in all seiner gemessenen Art zeigt er viel Teilnahme --
das heißt weniger in Worten als durch die Tat ... hat den Professor
gerufen -- sorgt für alles ... ich muß sagen: ich mag ihn leiden. Er
weiß viel. Und dann: so unauffällige Leute mit sehr viel Takt -- die
tun direkt wohl.“

Ob das alles so sich entwickelt hatte, wie der Geheimrat es sah? War
alles klug angeordnet? Nach versteckten Verabredungen? Um, ohne den
Klatsch der Welt zu erwecken, doch an dieser schönen Stätte zusammen
sein zu können? Waren Gervasius’ nichts wie Statisten in einer
wohlberechneten Szene? Brutal gesagt: die Elefanten?

Jedenfalls konnte Hochhagen aus dem beifälligen Bericht des Geheimrats
entnehmen, daß das Betragen der beiden Menschen, die er in geheimer
Leidenschaft zueinander verstrickt glaubte, äußerlich ein einwandfreies
gewesen sein mußte.

Ja, ungreifbar -- nur drohende Schatten. -- Wie sollte man da als
Freund für den lieben Kameraden in der Ferne eintreten?

„Das Kind darf nicht sterben!“ sagte er schroff.

„Darf nicht! Ach du lieber Gott! Wenn wir was zu erlauben hätten ...“

„Ich muß dir anvertrauen -- halte mich nicht für indiskret -- ich
*muß* es sagen: rette das Kind -- die Ehe der Eltern geht sonst in die
Brüche!“

Der Geheimrat faßte den Arm des anderen: „Ruhe, mein Lieber, Ruhe! Wie
naiv werden doch alle Menschen, wenn der Tod in Sicht ist! Als könnte
man mit ihm handeln! Als gäbe es für ihn Gründe. Die Ehe der Eltern
geht hier den Arzt nichts an -- um das Leben an sich wird gekämpft --
ich will dir sagen: wenn der Tod hinter der Tür steht, gibt es nur
*das Leben an sich*, das verteidigt wird nach besten Kräften. Was
Nebenumstände? Was Vergangenheit? Was Zukunft? Um ihretwillen wär’s
manchmal besser, man fiele dem Tod nicht in die Arme. Aber das steht
nie zur Frage. Immer nur: das Leben an sich! Es ist immer beinahe,
als symbolisiere sich in dem einen Leben, das zu Ende gehen will, die
Wichtigkeit alles Lebendigen. Ach, so oft man’s auch mitgemacht hat:
dagegen härtet man nie ab.“

Er schwieg.

Und Emmich sagte noch, zäh seinen heißen Wunsch verteidigend: „Ja, es
muß leben. Es wird auch -- es wäre so grausam.“

Nach einer Weile fragte der Geheimrat: „Ich glaube aber, die Pension
ist voll?“

„So? Ich habe gestern depeschiert, gebeten, Zimmer zu reservieren,
Antwort konnte ich ja nicht erbitten.“

„Weiß Jutta, daß du kommst?“

„Habt ihr es ihr nicht gesagt?“ fragte er zurück.

„Wir fanden deine Depesche, als wir gestern abend von unserem Besuch
bei ihr zurückkamen. Nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit
zwischen meiner Frau und mir kamen wir doch überein, ihr nicht zu
telephonieren.“

Plötzlich waren sie ganz verlegen voreinander.

Sie fühlten: nun mußte doch irgend etwas gesagt werden ...

Wie um das gerade zu verhüten, fragte Emmich hastig: „Diese Sache
stört euch doch wohl die Ferien? Der Verkehr zwischen dem Hotel da oben
und der Pension kann ja nicht kurzerhand abgemacht werden?“

„Das anlangend: wir haben ja Zeit. Und irgendeine Partie machen wir
doch alle Tage -- nun steigen wir zu Fuß eben täglich herab und fahren
zum Diner wieder hinauf. Das ergab sich höchst einfach.“

„Es tut mir aber doch sehr leid -- eigentlich kam es ja durch mich ...“

„Nun irgendwie müssen Menschen zueinander kommen -- der Mittelsmann
braucht nicht betroffen zu sein, wenn was nicht glatt geht ...“

„Ich bin begierig ...“ dachte der Geheimrat; „endlich *muß* er doch mal
nach ihr fragen ...“

Aber Emmich fragte nicht. Eine unbegreifliche und unerträgliche
Befangenheit machte ihn unfrei. Nicht um die Welt hätte er Renatens
Namen aussprechen können.

Er fühlte deutlich, daß ihr Vater voll Spannung darauf wartete. Wie
erstaunlich mußte ihm dies Schweigen sein. Der Wagen fuhr langsam,
kopfnickend zogen ihn die Pferde bergan. Zwischen den Tannen war
ein grünes, kühles Licht, aber nicht die Abgeschlossenheit der
Waldeseinsamkeit. Denn durch jede Lücke sah man das blasse Blau der
Fernsicht.

Eine unnatürliche Situation lange zu ertragen, ging wider den Verstand
des Geheimrats.

Die feine, weiße Operateurshand legte sich auf die braune Faust, die
Emmich auf sein Knie gestemmt hielt.

„Ich habe eine Tochter, sie heißt Renate,“ sprach er lächelnd.

Emmich zuckte ein wenig -- beherrschte sich und sagte leise, erbittert:
„Und ich leide um ihretwillen ...“

Ganz sanft wie eine Frau, so vorsichtig und liebevoll fragte der
Geheimrat: „Darf denn der alte Papa nicht wissen, wie das möglich ist?“

Emmich antwortete nicht gleich. Da fuhr der ältere Mann fort: „Fast
seit wir hier sind, ist das Kind verändert. Nur ganz vereinzelt hat es
noch sein liebes, sonniges, sorgloses Gesicht -- mit all der Weichheit
darin, die mich immer so gerührt hat. -- Und meine Frau und ich, wir
fangen an uns zu fragen: was ist denn das für eine Liebe, die so
schnell aufhörte zu strahlen.“

„Das ist es ja, was ich mich auch frage,“ sagte Emmich, in großer
Erregung aufwallend.

Emmich sah: die Eltern waren nicht blind -- hatten auch schon ihre
Beobachtungen gemacht. Er konnte -- er mußte offen sein.

Auch war eine merkwürdige Erleichterung dabei ... als lüde er nun
einfach dem Vater seine Last auf, der der Nächste dazu war, sie mit zu
tragen -- als schone er Renate, wenn er seine Sorge nicht in grausamer
Deutlichkeit zuerst ihr, wenn er sie vorher dem Vater gegenüber
darlegte.

„Vielleicht versteht ihr euch brieflich nicht,“ meinte der Geheimrat.
„Ich hab’ es schon erlebt: Menschen, die sich Aug’ in Auge gut
begriffen, schrieben sich einfach auseinander! Feder und Tinte sind
oft voll geheimer Fährlichkeiten. Hier ist ein erfahrener, gereifter
Mann, der schreibt. Da ist ein junges Mädchen, das noch nicht den fast
unbegreiflichen Wertunterschied zwischen gesprochenen und geschriebenen
Worten erkannt hat. Was meinst du, Emmich? Kann das so etwas zwischen
euch sein?“

„Nein, Papa. Es ist mehr. Leider viel mehr. Kein Stilunterschied,
wenn du so willst -- ein Unterschied in der Liebe, im gegenseitigen
Verstehen.“

„Du meinst, daß Renate ...“ er mochte kaum vollenden -- sah ja
zweifellos: es sollte seine Tochter sein, die weniger liebte ... Er
konnte es nicht begreifen.

„Ja, Papa. Ich kann mich keiner Täuschung mehr darüber hingeben: Renate
fürchtet sich vor der Ehe mit mir.“

„Das ist unmöglich!“ sagte der Geheimrat festen Tones. So wankelmütig
konnte seine Tochter nicht sein, das hätte doch allem widersprochen,
was er seit ihrer frühesten Kindheit von ihr erwartete.

„Ja. Man hat ihren Glauben an Glück, an die Zuverlässigkeit ihrer
eigenen Liebe, an die Möglichkeit einer befriedigenden Zukunft
zerstört. Vergiftet hat man sie. Nicht mit Vorsatz und nicht aus bösem
Willen -- so wenig wie ein Kranker den Gesunden, der um ihn ist, mit
Absicht ansteckt ... aber er steckt ihn eben doch oft an ...“

„Du meinst, daß Jutta Falckenrott ...“ fragte der Geheimrat.

„Das meine ich, daß die unselige Frau aus ihrem zerrissenen Gemüt,
ihrem ganzen unbefriedigten Temperament heraus schädlich auf Renate
eingewirkt hat. Alle innere, freudige Sicherheit hat sie ihr genommen.
Wenn ich schon etwas bereute, ist es dies: sie zusammengeführt zu
haben. Ich sehe freilich nicht, wie ich es hätte verhüten können, ohne
den fernen Freund unheilbar zu kränken, ohne ein peinliches Aufsehen zu
erregen.“

„Daß die Frau leidet, haben wir ja immer gesehen. Aber du meinst, in
solchem Grade? ... So aller Selbstbeherrschung bar, daß ihr die junge
Glückseligkeit einer Braut nicht Respekt einflößte?“

„Vielleicht,“ sprach Emmich erbittert, „vielleicht hat sie gar
geglaubt, als Weib von Erfahrung die Unerfahrene warnen, retten
zu müssen -- was weiß ich, wie weit Frauen untereinander in ihren
Gesprächen und Geständnissen gehen.“

„Mein altes Vorurteil gegen Frauenfreundschaft!“ dachte der Geheimrat.

„Seit langer Zeit bin ich in schweren Sorgen um die Ehe meines
Freundes. Dir, nur dir und in der ernsten Lage, in der ich selbst mich
befinde, sei es anvertraut: Ich fürchte, daß in der Seele dieser Frau,
die in der Einsamkeit ganz mutlos geworden war, Liebe zu einem anderen
Mann entstand. Aus deinem Telegramm sah ich zu meinem Schrecken, daß er
hier ist. Und deshalb, nur deshalb reiste ich sofort.“

„Gamberg?!“ rief der Geheimrat so völlig überrascht, daß diese
Überraschung eigentlich wie ein Zeugnis war ...

Emmich nickte ...

„Wieder sag’ ich: unmöglich! Aber nicht ein Blick -- nicht ein Ton
verriet, daß ... Selbst jetzt, wo du’s sagst ... wenn ich kritisch
zurückdenke ... Nichts. Du irrst! Oder, wenn du nicht irrst, ist das
so tief verborgen, so ganz unter der Oberfläche, daß man nur auf
raffinierteste schuldvolle Beherrschung oder -- schwersten Ernst
schließen dürfte ...“

„Gewiß das letztere -- ganz gewiß!“ sagte Emmich mit starkem
Ausdruck. „Du wirst mir glauben: wenn ich Jutta nur von fern eines
leichtsinnigen Abenteuers für fähig hielte, hätte ich den fernen Freund
und meinen ganzen Kieler Kreis, ohne zu zögern, brüskiert und sie von
Renate ferngehalten ... Aber so! Wie sollte ich -- wie konnte ich. Und
nun, da ich dem Freund treu mein Versprechen hielt, seiner Frau ein
Bruder zu sein suchte, nun ist mir dadurch mein eigenes Glück zerstört
worden.“

„Aber lieber Emmich -- ich kenne doch meine Tochter -- die ist von
geradem Wuchs -- man kann wohl mal versuchen, sie zu verbiegen --
aber das richtet sich fest und stark wieder auf -- ihr werdet euch
aussprechen! Ihr werdet euch wieder verstehen.“

Aber indem er das mit möglichst zuversichtlichem Ton sprach, fiel ihm
schwer ins Gedächtnis, was er seiner Frau gesagt hatte: Hat Renate
nicht die Kraft zu dem, was von ihr verlangt wird, so ist es besser,
sie tritt beizeiten zurück ...

„Ich fürchte, ich verstehe sie nur zu gut. Sieh mal, Papa -- und
deshalb -- damit du siehst, wie tief das liegt, deshalb sag’ ich dir
das von Jutta ... Du wirst es mir nachfühlen: ich kann nicht ertragen,
zu denken, Renate ist vielleicht ähnlich veranlagt, könnte, im Fall
einer langen Trennung, in die gleichen Leiden und Versuchungen geraten.
Das ist eine furchtbare Vorstellung. Macht mich halb verrückt, kann
ich dir sagen ... Ich muß begreifen: dann ist es für sie und für mich
besser, wir gehen jetzt auseinander. Ich will lieber ein einsamer Mann
bleiben, als eine Frau haben, der ich nicht blind vertrauen kann. Ich
will ein Mann bleiben, ein ganzer Kerl -- ich liebe meinen Beruf über
alles in der Welt -- ich liebe auch meine Braut über alles in der Welt
-- entsteht da ein Zwiespalt -- mein Gott, er ist ja schon da! Nun,
dann muß eben das Herz bluten und verzichten! Dem Beruf hab’ ich mich
angelobt mit Ehre und Eid. Ihm untreu zu werden um einer Liebe willen
... was wär’ das, wenn ein deutscher Offizier das könnte ...“

Er schwieg ein paar Augenblicke, von Bewegung übermannt.

Ganz heiß war ihm die Stimme in der Kehle.

Aber fest mußte er bleiben -- ganz fest!

„Und -- ja -- ich muß es dir sagen -- es will kaum heraus -- und ich
wäre nicht gekommen. Und ich hätte Renate geschrieben: hier ist mein
Wort zurück. Deine Depesche zwang mich her -- ich sah, ich habe hier
vielleicht an meines fernen Kameraden Stelle zu stehen -- ihm schulde
ich Treue ... Und so kam ich ... Aber es ist vielleicht besser, wir
sehen uns nie mehr -- sie und ich.“

Mit mannhaft ruhigem Druck umfaßte die zarte Hand wieder die starke,
braune.

Und sehr liebevoll, fast als spräche er zu einem ganz jungen Menschen,
sagte der Geheimrat: „Wir wollen uns besinnen -- lieber Emmich, wir
wollen uns besinnen. Mit so raschen Worten entscheidet man nicht über
Schicksale ...“

In diesem Augenblick hielt der Wagen vor dem zwischen Eisenstäbe
gespannten Netzgitter der Pension.



X


Leider war die Pension ganz überfüllt. Madame mit ihrer künstlichen
Frisur und den spiegelnden Glanzlichtern auf den Puffen und Locken des
schwarzen Haares, Madame bedauerte verbindlich. Hatte aber doch jenen
leisen Ton von ablehnendem Hochmut, den Wirte sofort annehmen, wenn ihr
Haus besetzt ist. Ja, wer in der vielbesuchten Pension noch unterkommen
wollte, mußte sich eben lange vorher darum bewerben. Daß sie vor
einigen Tagen dem Diener des Herrn von Gamberg noch ein Zimmer habe
einräumen können, sei Zufall gewesen; es sei auch kein Domestikenzimmer
gewesen, Herr von Gamberg bezahle für den Diener herrschaftliche
Pension.

Man sah, die Frau war fasziniert von dem Auftreten des Herrn von
Gamberg, denn sie führte seinen Namen bei der Auseinandersetzung ganz
unnötig wiederholt an.

Natürlich hatte Emmich eine Anwandlung von ungerechtem Ärger.

Aber er konnte unmöglich aufpochen und sagen: jetzt bin ich hier! Ich
habe hier nähere Rechte und Pflichten! Herr von Gamberg hat sich und
seine Hilfsaktionen zurückzuziehen! Ich stehe hier, um den fernen Vater
des kleinen kranken Kindes zu vertreten. Nein, das konnte er nicht
sagen.

Man stand ein wenig zweifelnd. Der Geheimrat mochte nicht damit
herauskommen: „du gehörst doch zu uns -- du wirst mit mir zu den Meinen
hinauffahren, sobald du Jutta gesprochen hast.“

Emmich dachte: „In das Hotel, wo Gamberg wohnt, will ich nicht -- ich
will ihn vermeiden, so viel ich kann -- sonst gibt’s noch einen Krach
...“

Unterdes wartete der Kutscher, mit dem Koffer auf dem Bock neben sich,
vor der Gitterpforte.

In dieses Zögern unnützen Hin- und Herdenkens hinein kam der
Legationsrat von Gamberg.

Emmich sah ihn schon, als er, auf dem Weg unter den Tannen, hinter dem
zwischen Eisenstäben gespannten Drahtnetz ging. Wie immer in etwas
steifer, sehr gerader Haltung, in seinem hellgrauen Gehrock, ohne Hast
einherschreitend.

Emmich biß sich auf die Lippen. Und mit einiger Besorgnis sah
der Geheimrat, daß sein Gesicht sich in schwerem Ernst noch mehr
verfinsterte.

Nun erschien Gamberg in dem Rahmen der weitgeöffneten Pforte.

Er erkannte den Kapitän Hochhagen.

Und er erblaßte.

Ganz gewiß. Der Geheimrat sah es so genau, daß jeder Zweifel
ausgeschlossen war.

„Also -- ja!“ dachte er. Denn weshalb hatte Gamberg sonst die Farbe zu
verändern ...

Aber beherrscht wie immer kam Gamberg nun näher, um Hochhagen zu
begrüßen.

Er reichte ihm die Hand.

„Welche Überraschung, Herr Kapitän! Hat Frau von Falckenrott Sie schon
empfangen?“

„Ich komme in diesem Moment an und höre eben von Madame, daß das letzte
Zimmer, das noch zu haben gewesen wäre, für Ihren Diener genommen
worden ist.“

„Er kann sofort die Pension verlassen. Ich hatte es angeordnet, damit
Frau von Falckenrott noch jemand zu ihrer Verfügung habe, falls sie
der Hilfe bedürfen sollte. Ich selbst wagte mich ihr dazu nicht
aufzudrängen.“

„Zu korrekt, um unverdächtig zu sein,“ dachte Emmich.

Sie sprachen voll äußerster Höflichkeit weiter zusammen. So höflich,
daß es dem zuhörenden Geheimrat beklemmend wurde.

„Es gibt so merkwürdige Feindseligkeiten,“ dachte Emmich, während er
förmlich weitersprach. „Er hat mir ja eigentlich nichts getan. Und wenn
er Jutta liebt und in schwieriger Lage die Haltung eines Ehrenmannes
zu bewahren trachtet, sollte ich ihn eigentlich bemitleiden. Gott
weiß, woher solche Feindseligkeiten kommen. Wie in eine Wolke davon
gehüllt, erscheinen einem manche Menschen. Jeder Blick von ihnen reizt
uns. Jedes Wort benimmt uns ... wie von selbst sind wir befangen und
geärgert ihnen gegenüber.“

Ja, so von Natur aus, vielleicht nur, weil er ganz anderer Art
war, erschien ihm Gamberg als Feind. Und mußte sich doch gestehen:
er scheint wieder sehr vorsichtig gehandelt zu haben ... Denn
merkwürdigerweise und trotz aller Antipathie dachte er nie: das ist
nicht wahr, was er erzählt.

Er glaubte unbedingt, was er hörte, daß Jutta seit der Erkrankung des
Kindes ihre Zimmer nicht verlassen habe, und daß Gamberg nicht einmal
wagte, bei ihr sich melden zu lassen.

Welche Kämpfe sie wohl mit sich ausfocht in ihrer angsterfüllten,
traurigen Einsamkeit!

„Nun vielleicht werde ich es bald wissen,“ dachte Emmich.

In ihm war ein Gefühl, als müsse er auf sein Recht pochen. Es deutlich
betonen, daß er hier den Freund und Kameraden vertrete.

„Ich bin, wie jeden Morgen, gekommen, um mich nach dem Verlauf der
Nacht zu erkundigen,“ bemerkte Gamberg.

„Sie sollen es gleich erfahren,“ sagte Emmich.

Er stand noch eine Sekunde zaudernd. Ihm fiel ein: hier der Geheimrat
war ja unter allen Umständen der berufenste und willkommenste Besuch im
Krankenzimmer. Aber er hatte eine große Begierde, Jutta zu überraschen
-- sie allein zu sehen -- plötzlich vor ihr zu stehen -- wie eine
Forderung, eine Mahnung vor sie hinzutreten -- ihm war, als müsse in
seiner unvermuteten Erscheinung so etwas wie eine Botschaft liegen --
Trost -- oder Strafe ... er wußte dies alles selbst nicht genau -- er
fühlte nur das unbezwingliche Verlangen, der Frau ohne Zeugen in die
Augen zu sehen -- ihm schien, als müsse dann irgend etwas Klärendes
sich begeben -- sie werde sich in ihrer Not ihm anvertrauen --
vielleicht weinen --

„Du begreifst, Papa ...“ Der Geheimrat machte schon eine zustimmende
Geste.

Emmich sah Herrn von Gamberg fest und klar an, fast befehlshaberisch.

„Ich danke Ihnen für alle Fürsorge, die Sie gezeigt haben. Von nun
an stehe ich der Frau meines Freundes bei, soweit sie männlichen
Beistandes bedürfen sollte,“ sagte er.

Herr von Gamberg machte eine Bewegung, als markiere er eine Verbeugung.

„Wir wollen der gnädigen Frau doch die Freiheit lassen, sich zu wenden,
an wen sie will.“

„Jedenfalls,“ scherzte der Geheimrat rasch und erzwungen, „ist sie
nicht verlassen, wenn schon Rivalität entsteht, wer ihr beistehen
soll. Also, lieber Emmich: sage Frau Jutta, ich sei hier und zu
ihren Befehlen ... Kommen Sie, lieber Gamberg, setzen wir uns in den
Schatten, bis Hochhagen uns Nachricht herausschickt ...“

Und er nahm Gamberg am Arm und führte ihn fast an den Tisch unter der
großen Tanne, den besten Aussichtspunkt des Gartens.

Im Hause, wo Madame schon Befehle gab wegen der Räumung und Reinigung
der Stube, die der neue Gast haben sollte, erfragte Emmich die Zimmer
Juttas.

„Nummer neun ist das Schlafzimmer der gnädigen Frau, auf zehn ist jetzt
das Krankenzimmer; die Zimmer sind im ersten Stockwerk, rechts den
Korridor hinunter.“

Er stieg langsam hinan auf den Kokosläufern, die die Holzstufen der
Treppe deckten -- die Hand griff dabei mechanisch am Geländer vorwärts,
als bedürfe er der Stütze.

Was wird sie sagen? Was werde ich ihr sagen?

Er wußte nicht was. Unbestimmte Richtergefühle hatte er. Als sei er auf
dem Weg, eine Sünderin zu vernichten.

Sie zu fragen: was hast du aus deiner Ehe gemacht? Was hast du meiner
Braut getan? Und damit mir?

Wie friedlich ging der Sonnenstrom den Korridor entlang. Durchs Fenster
kam er und füllte mit seinem flimmernden Gold den schmalen Gang
zwischen den gelblichen Wänden. Und ganz voll von Tannenduft war er,
stark und harzig.

Über den holzfarbigen Türen, deren Rahmen ein gemalter, schlichter
Strich umgab, standen in seltsam schnörkeligen arabischen Ziffern die
Nummern.

Nummer zehn. Er sah diesen ganz gleichgültigen kleinen Umstand genau:
die Null hatte eine Schleife.

Er zögerte noch. Lauschte. Wünschte, daß sich die Tür öffnen möge
... als erleichtere das die Lage, wenn Martha etwa herauskäme oder
vielleicht sie selbst ...

Nun klopfte er. Und erschrak zugleich. Vielleicht durfte man an die Tür
eines Krankenzimmers nicht so deutlich pochen. Hier durften vielleicht
alle Töne nur halb sein.

Er meinte, man riefe „Herein!“, obschon er vor dem Klopfen seines
Herzens möglicherweise nicht genau hörte und Einbildung für Tatsache
nahm.

Er öffnete die Tür.

Und ihm war, als erklänge ein Aufschrei ...

Er zog die Tür hinter sich zu und stand wie gebannt ...

Denn dort, neben dem dunkeln Kinderwagen, war eine Frauengestalt in die
Höhe gekommen -- verharrte etwas vorgebeugten Leibes -- mit geducktem
Kopf und gespreizten Händen -- starrte aus Schreckensaugen auf ihn ...
Ein paar Herzschläge lang ...

Dann sank sie zurück -- fiel wieder in den Stuhl -- lachte auf -- oder
weinte -- es war krampfhaft -- und verbarg das Gesicht in beide Hände.

Er kam näher. Er sah, wie ihre Schultern zuckten.

Er ahnte: Einen kurzen, furchtbaren, blitzgleichen Moment lang hatte
sie gedacht: Malte!

Sie sahen sich ja ein wenig ähnlich! Und überreizte Nerven -- von
Nachtwachen übermüdete Augen -- Gedanken, die vielleicht beständig
und schwer mit dem Bild des fernen Mannes rangen -- -- wie sind die
vorbereitet, vor Phantomen sich zu entsetzen ...

Er ging leise an sie heran.

Aber sie sammelte sich schon. Nahm sich in trotzigem Vorsatz zusammen
...

Erhob sich.

„Sie sind es -- Sie!“ sprach sie.

Und dann, um sich selbst zu beweisen, daß seine plötzliche Erscheinung
doch das Selbstverständlichste von der Welt sei, fügte sie hinzu: „Ach
ja -- Sie ... Es hieß schon immer, daß Sie Renate besuchen wollten.“

Er küßte ihr die Hand. Vor Erschütterung konnte er sich nicht gleich
fassen.

Was für eine schmale, magere, kleine Hand war das geworden.

Und wie verhärmt und elend das schöne Gesicht.

„Ich komme Ihretwegen,“ sprach er ernst, „nicht um Renate zu sehen. Ich
weiß nicht, ob sie noch meine Braut ist.“

„Wie ... das?“

„Wir wollen nicht von mir sprechen,“ sagte er. „Sie mußten nur hören:
Ich bin einzig und allein Ihretwegen gekommen, um Ihnen in Ihrer
Verlassenheit beizustehen, wie es meine Pflicht gegen Malte ist.“

„Ich bin nicht verlassen,“ flüsterte sie.

Sein fester Blick fragte sie: und wer ist es, der dir beisteht? ... Sie
wich diesem Blick aus.

Er nahm es für Schuldbewußtsein. Sein Zorn, sein Schmerz wallten wieder
auf.

„Warum haben Sie das Herz meiner Renate vergiftet ... warum ihr den
Glauben genommen ... ihr bißchen junges Glück verdorben ... und meines
mit ... meines mit?“

„Hab’ ich das?“ fragte sie langsam -- als müsse sie sich erst auf ganz
ferne Dinge besinnen. Unruhe kam in ihr Gesicht. Ihre matte Stimme
wurde heiser, indem sie kräftiger sprechen wollte. „Das hab’ ich nicht
gewollt -- nein -- das nicht -- o -- arme Renate -- sagen Sie ihr ...“

Aber er erfuhr nicht, was er ihr sagen sollte.

Aus den Kissen des Wagens kam ein schwacher Ton ... Kaum vernehmbar ...

Schon kniete die Mutter neben dem Lager und beugte sich, mit gierig
horchendem Ohr und verzehrend eindringlichen Blicken über das Kind.

Es war nur ein kleiner, dünner Klagelaut gewesen, vielleicht im Schlaf
... denn die Augen blieben geschlossen und der Mund stumm.

Eine merkwürdige Befangenheit machte Emmich auf einmal unsicher. Er
begriff: über den Anblick der Frau, die ein Schatten ihrer früheren
Erscheinung war, hatte er eigentlich das Kind in diesen ersten Minuten
vergessen ...

Er hatte nun Angst davor, an das Kind heranzutreten -- eine
lächerliche, feige, kleine Angst -- er, ein Mann, der schon ernsten
Gefahren kaltblütig ins Auge gesehen ...

Es war das Mannesgefühl, das sich vor dem erweichenden Mitleid
fürchtet, das Frauen und Kinder nicht weinen sehen kann ...

Und doch spürte er: sie wartet darauf -- sie kniete noch immer neben
ihrem Kind ... Ihr Warten auf seine Anteilnahme wirkte auf ihn hinüber
-- bezwang ihn. Der Vorsatz huschte durch sein Hirn: ich werde sagen,
das Kind sieht unverändert wohl aus. Er erinnerte sich plötzlich,
daß er seiner Mutter, wenn sie sich vor dem schlechten Ausgang ihrer
letzten Krankheit fürchtete, immer gesagt hatte: Mutterchen, du siehst
sehr gut aus, viel besser als gestern. Und dann hatte sie getröstet
gelächelt.

Fast erheiterten sich schon seine Züge. So unmittelbar schwebten ihm
schon die guten, tröstlichen Worte auf den Lippen.

Da stand er nun und sah auf das kleine Lebewesen herab.

Er erinnerte sich mit einem Male ganz genau, wie es ausgesehen hatte
-- wie ein drolliges, rührendes Bild war dies Kinderköpfchen gewesen.
Selbst als rauher Mann, der nichts von Kindern verstand, konnte man
eine kleine Rührung nicht unterdrücken.

Und nun?

Da lag ein schmaler, kleiner Totenkopf, mit einem unverhältnismäßig
großen Schädel über einem ganz winzigen Gesicht. Uralte, greisenhafte
Züge hatte dieses unnatürliche Gesicht ...

Er hatte schon Männer gesehen, die in allen Schrecknissen des Berufs
umgekommen waren, durch Fall, Brand, Wasser, Explosion ...

Aber dies hatte er noch nicht gesehen: ein Kind, das in vier Monaten
den Weg vom Licht zum Dunkel zurückgelegt hatte und in der furchtbaren
Eile seines schnellen Lebens schon die Züge des Greisentums gewann ...

Er wußte auf der Stelle: es ist ein sterbendes Kind!

Er stand ganz still. Aufrecht. Schluckte herunter, was ihm in der Kehle
hochquoll. Und ohne es zu ahnen, seufzte er schwer auf -- in all diesem
Bemühen, gefaßt zu schweigen.

Er wußte auch nicht, daß er ganz erschüttert und bleich aussah ...

Er wagte es endlich, die junge Mutter dieses ururalten Menschen
anzusehen ...

Sie hatte voll Gier -- brennend in Hoffnung -- atemlos vor Verlangen
nach einem ermutigenden Wort, mit ihren Augen an ihm gehangen ...

Nun begegneten sich ihre Blicke.

Und vor der Wahrheit, die scheu aus dem seinen zu ihr sprach, schrie
sie leise auf.

Ihr Kopf sank -- sie legte ihn auf den Sitz des Stuhles.

Und weinte ... weinte ...

Ganz sachte kam er heran, hob sie auf und führte sie zu einem Sofa, den
sein suchender Blick an der Wand entdeckte ...

Er selbst hatte nasse Augen ...

Er legte sie vorsichtig in die Ecke ...

Dann ging er still hinaus ...

Er hatte keine richtenden und strengen Gedanken mehr.

Nur Mitleid ...

Draußen fand Emmich den Geheimrat allein. Der andere Mann war gegangen.
Gottlob.

Er setzte sich schwerfällig an den Tisch und stemmte die Ellbogen
darauf. Die gefalteten Hände gegen die Stirn drückend, schwieg er
finster.

Nach einer ganzen Weile erst fragte der Geheimrat sanft: „Sie war wohl
sehr erschüttert?“

Da ließ Emmich die Hände sinken und sprach: „Nun versteh’ ich alles,
was du im Wagen sagtest. Nein, da ist wohl keine Hoffnung mehr, das ist
das Ende.“

„Ich wundere mich, daß es noch lebt. Ich dachte diese Nacht ...“

Er erhob sich.

„Ich will zu ihr gehen.“

Aber er ging doch nicht.

„Verzeih’ mir, Emmich -- aber dein Ton Gamberg gegenüber war fast
gefährlich -- an der Grenze dessen, was ein Mann sich bieten lassen
darf. Eine Nuance Kälte mehr, nur eine Kleinigkeit, und ein Konflikt
zwischen ihm und dir mußte unvermeidlich werden, mußte kommen.“

„Du hast recht -- ja -- sehr recht,“ gab er nervös und hastig zu,
„alles ist ja nur Vermutung -- ich muß vermeiden, ihn zu reizen -- das
hieße Malte schlecht dienen -- ob sie seine Frau bleibt, ob nicht --
nur keine Zwischenfälle, die zu Nachfragen und Ausdeutungen Anlaß geben
...“

„Und dann -- wie hast du dir den Tag gedacht?“ Der Geheimrat legte ganz
sacht seine Hand auf Emmichs Schulter. Es waren allerlei versteckte
Bitten in dieser Bewegung. Das fühlte er wohl.

„Du weißt ja ...“ sagte er mutlos, „du weißt ja -- was soll ich
bei Renate? Aus ihrem Mund noch einmal hören, was sie mir so oft
geschrieben hat? Sie glaubt nicht mehr an die Zukunft -- was ist da
noch zu wollen.“

„Und dann,“ fuhr er energischer fort, „dann hab’ ich heute auch kein
Recht an mich selbst -- ich wage mich nicht fort -- keinen Schritt --
dies sterbende Kind -- und diese Frau, die mir zu allem fähig scheint
... Ich komm’ mir verantwortlich vor, vor einem, der am anderen Ende
der Welt sitzt -- -- Nein, laß mich ...“

Der ältere Mann ging still ins Haus. Er dachte: „Ich muß meiner Tochter
sagen: sieh zu, daß du ihn dir noch einmal eroberst ...“ Und weiter
dachte er: „Vielleicht macht diese Notwendigkeit sie fest und klar ...
Und wenn nicht -- nun, dann müssen sie lieber auseinandergehen.“

Der Gedanke an all den Schmerz und all den Lärm, die die Aufhebung
eines Verlöbnisses begleiten, tat ihm doch sehr weh. Aber er fühlte:
Emmich hat recht. Als Mann begriff er den Mann. Unsicherheiten in der
Ehe wirken immer zerstörend auf den Beruf hinüber. Wenn Renate sich
nicht die feste Haltung zutraute, die das Leben von ihr fordern konnte,
dann war es besser, sie schieden. Der Vater in ihm stritt indes gegen
den verstehenden Mann. Es handelte sich doch eben um seine einzige
Tochter, seinen Sonnenstrahl, seinen Liebling. Er wollte nicht daran
glauben, daß sie irgendwie und -wo versagte.

Während er treppan stieg, grübelte er noch darüber nach, wie merkwürdig
alle Eltern ihre Kinder überschätzten; wie man die Unfertigkeit
seines Kindes nur nach hartem Kampf zugesteht, während man eigene
Unzulänglichkeiten oft mit Humor und Freimut zugibt.

Er beschloß: ich will mit Renate reden.

Und dabei hatte er ein Gefühl, als wolle er ein Komplott mit ihr
schmieden, unter dem Gedanken: wie fangen wir diesen prachtvollen Mann
wieder ganz fest ein.

Darüber mußte er nun leise in sich hineinlächeln. Ja, was das Leben so
aus einem macht! Einen großen Namen hat man. Allerlei geleistet hat
man. Und ist doch seiner Nachkommenschaft gegenüber auf keinem höheren
Niveau, als daß man sich in einer zerfahrenen Liebesgeschichte einfach
zum Spießgesellen eines jungen Mädels macht ... Weil man es nicht
erträgt, sie weinen zu sehen ... Das ist es ... Und er mokierte sich
über sich selbst.

Draußen unter der Tanne saß Emmich. Er empfand die feierliche und
glitzernde Ruhe, in der die weite Landschaft vor ihm lag, mehr
als schmerzlichen Widerspruch denn als Wohltat. Der hohe, breite
Tannenwipfel über seinem Haupt stand unbewegt, ganz wie von Sonnenlicht
durchstäubt, das die Nadeln fast blau erscheinen ließ.

Er dachte: „Nun ist sein Glück zu Ende ...“

Denn es war ihm Gewißheit: das Kind stirbt; und wenn das Kind dahin
ist, ist es auch die Ehe ...

Armer Freund!

Und an Renate dachte er, ganz voll Trauer und Entsagung. Durch das
Unglück, das er hier vorgefunden hatte, schien ihm sein eigenes
Schicksal besiegelter. Es drückte seine Stimmung ganz herab.

Vielleicht rächten sich auch die Strapazen der letzten Wochen, auf die
er noch diese lange, hastige Reise gesetzt. Er konnte selbst kaum mehr
nachrechnen, seit wieviel Nächten er nicht eigentlich mehr geschlafen
hatte. Er fühlte sich ganz zerschlagen. In so dumpfem Hinbrüten saß
er, daß es ihm entging, wie lange der Geheimrat fortblieb.

Er vernahm das Aufwiehern eines Pferdes. Das zerschnitt förmlich die
Stille. Schritte klangen wieder auf den Wegen des Gartens. Da war
allerlei Bewegung.

Aber es deuchte ihn nicht der Mühe wert, sich danach umzudrehen.

Und endlich kam Gervasius zurück. Er erzählte: gerade seien die Ärzte
dagewesen, er habe während ihrer Anwesenheit auch bleiben und sie an
den Wagen geleiten müssen.

„Nun -- und?“

„Sie meinen, das Kind könne vielleicht noch den Tag, gewiß nicht die
Nacht überleben.“

Emmich schwieg.

In dem gutmütigen und für allen Jammer des Lebens so empfindlichen
Herzen des Geheimrats war ein Kampf.

Es wurde ihm schwer, aus der Nähe der Frau zu gehen, die sich eben mit
ihren Händen an seine Hand geklammert hatte. Er fühlte wohl, es war
ihr ein wenig Trost, ihn zu sehen. Vermutlich nur um des zufälligen
Umstandes willen, daß er Arzt war -- daß sein Gebiet ein total anderes
sei, kam ihr vielleicht gar nicht zum klaren Bewußtsein.

Aber da oben saß sein liebes, junges Kind, und da war auch seine Frau
-- zwei Herzen, die in Spannung und Ängsten lebten -- die schon mit
tausend Fragen auf ihn warteten. Und denen er sehr ernste Dinge zu
sagen hatte.

Er sprach aus seinen schweren Bedenken heraus: „Sie gefällt mir nicht
-- gar nicht gefällt sie mir, die junge Frau -- leidenschaftlich, wie
sie ist -- und ganz mürbe -- man könnte ihr wohl eine Verzweiflungstat
zutrauen ...“

Emmich sah ihn groß, mit offenem Mund an.

Hin und her dachte der Geheimrat.

„Wenn du mir auch telephonieren würdest, sobald die Lage sich hier
verändert -- es dauerte doch zwei Stunden, bis wir unten sein könnten
... wir müßten lieber für einige Tage ins hiesige Hotel übersiedeln ...
Um ihr nahe zu sein -- ja, das müßten wir ...“

„Er sagt immer ‚wir‘,“ dachte Emmich unruhig.

„Ja, es wäre das beste. Ich fahre jetzt hinauf und bereite das vor ...
Gegen Abend komme ich wieder.“

Merkwürdigerweise war er ganz umständlich -- sprach mehr als nötig über
jede kleine Nebensache -- konnte gar kein Ende finden.

Emmich mußte zuletzt wohl spüren: ein weiches Wort wurde von ihm
erwartet, ein Gruß vielleicht ... Aber er sagte nichts. Er konnte
nichts finden -- sein Herz schwieg, es schwiegen seine Gedanken.

Er war nur unaussprechlich traurig. So herabgestimmt, körperlich und
seelisch, wie er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte.

Und endlich mußte der Geheimrat sich verabschieden. Gebeugt ging er
davon.

Emmich suchte sein Zimmer auf und warf sich auf sein Bett.

Vielleicht schlief er ein paar Stunden. Jedenfalls fuhr er erschreckt
in die Höhe, als man zum Essen rief. Aus Rücksicht auf das kranke Kind
schlug man nicht den Gong.

Emmich trat, ehe er hinabging, wieder bei der jungen Frau ein.

Es war das gleiche Bild wie am Morgen. Nur schien ihm, daß die
Aufregung einer unnatürlichen Gefaßtheit gewichen sei.

Ob seine Gegenwart ihr Wohltat oder Qual sei, konnte er nicht erkennen.

Ihr Blick war so leer. Als sähe sie ihn gar nicht wirklich.

Der Tag schlich mit einer Langsamkeit hin, die Emmich unerträglich
wurde.

Ihm schien, als sei er plötzlich aus dem Getriebe des Lebens
ausgeschaltet.

Die Ansprüche des Dienstes hatten jäh aufgehört. Ein paar Wochen lang
war er von ihnen durch die Tage und oft genug auch noch durch die
Nächte gepeitscht worden, als sei ein Mensch ein unermüdbares und
unerschöpfbares Gebilde aus Maschinenteilen und nicht aus Nerven und
Blut.

Die Ansprüche seiner Braut an ihn hatten plötzlich ein Ende gefunden ...

Er fand nicht den Mut, ihr zu schreiben. --

Sie wiederum konnte ihm kein Zeichen mehr geben. --

Er hatte ja ihren letzten Brief nicht mehr beantwortet ...

Zeit und Gelegenheit hatten gefehlt? O nein -- man kann einen Gruß, ein
verheißendes Wort telegraphieren. Und das wußte sie ja wohl. Und er
schwieg ...

Nun schlich der Tag. Und hatte keinen, aber auch gar keinen Inhalt
als das unbestimmte Gefühl eines völligen Zerfalls aller bisherigen
Lebensreize.

Zweimal sah Emmich den Diener des Herrn von Gamberg in den Garten
kommen und ins Haus treten. Sollte sich wohl nach dem Kind umhören ...

Er hatte eine flüchtige Regung, fast von Dankbarkeit, daß Herr von
Gamberg nicht selbst kam -- ihm jede Begegnung ersparte.

Ja, alles, was dieser Mann tat und ließ, war von der bedachtsamsten
Vorsicht bestimmt, das war deutlich.

Das hatte etwas Entwaffnendes. Respekt sprach daraus. Vor dem fernen
Gatten der Frau, vor der Frau selbst. Vielleicht auch ein Stolz, der
keinen Flecken auf der Ehre duldet ...

Über diese Gedanken hin kam Emmich zu einer Aufwallung des
Verständnisses.

Was mochte dieser Mann wohl leiden!

Dem war es ganz gewiß nicht leicht, sich mit einer unbezwinglichen
Leidenschaft einzurichten und abzufinden.

„Das wird es keinem,“ dachte Emmich, „und er -- er hat doch offenbar
alle Hoffnung, sein Ziel zu erreichen -- wär’ er sonst hier?“ ...

Er wagte nicht den kürzesten Spaziergang. Zum Lesen fehlte ihm jede
Sammlung. Das Mitleid mit Jutta vermengte sich auf das unentwirrbarste
mit der Unruhe um sein eigenes Geschick.

Wenn er noch wenigstens die praktischen Anforderungen hätte überdenken
können, die die Lage an ihn stellen würde. Wie war denn die Lage?

Er vertrat hier den fernen Freund und Kameraden.

Aber wenn die Frau ihm nun sagte: Dein Freund ist nicht mehr mein Gatte
-- -- ich löse mich von ihm los?

Dann blieb ihm nichts, als sich schweigend zurückzuziehen. Dann hatte
er nicht mehr das Recht, ihr beizustehen. Er durfte ihr nicht einmal
helfen, ihr Kind zu begraben ...

Aber noch lebte es ... Er fand sich plötzlich roh, daß er es in seinen
Gedanken gleichsam begrub. „So eilig macht das spannungsvolle Warten
auf den Tod die Phantasie,“ dachte er.

Von Unruhe befallen, ging er wieder einmal hinauf. Jutta hatte sich,
so schien ihm, daran gewöhnt, ihn in kurzen Zwischenräumen eintreten
zu sehen. Immer fand er sie neben dem Kind sitzen, mit seltsam
ausdruckslosen, erschöpften Zügen, unbeweglich. Sie gab auch keine
Auskunft, sie überließ es ihm selbst, sich durch Beobachtung davon zu
überzeugen: keinerlei Veränderung sei eingetreten.

Manchmal war die sommersprossige Martha im Zimmer, mit irgendeiner
Hantierung beschäftigt wie jemand, der seine vollkommene
Überflüssigkeit durch Beflissenheit verstecken will. Und ihre scheuen,
kummertrüben und ergebenen Blicke hingen an ihrer Herrin, die nichts
von ihrer Gegenwart zu bemerken schien.

Als Emmich jetzt zum vierten- oder fünftenmal seit Mittag hereinkam,
fand er, daß sich das Bild der starren Wacht aufgelöst hatte.

Die Fenster standen weit geöffnet. Auf das eine traf noch die
Abendsonne, die jeden Tag um diese Zeit die Hausfront schräg in ein
belichtetes und ein verschattetes Dreieck abteilte.

Die Zimmerwand zur Rechten war vom warmen Glanz des Sonnengoldes
fast völlig bestrichen. Es übersprühte auch den dunkel lackierten
Kinderwagen und setzte blanke Punkte und Flächen auf seine Räder und
seine Wände. Die Kissen in ihm lagen leer.

Hin und her ging die junge Frau und trug in ihren Armen, auf weißen, in
unregelmäßigen Enden und Zipfeln herabhängenden Tüchern, das Kind.

Und sie sang. Ganz leise nur. Ein Schlummerlied von einfachen,
rührenden Worten.

Emmich trat heran.

Einen Moment stand sie still, blieb mit dem Oberkörper in wiegender
Bewegung, ihr Gesang wurde zum bloßen Summen, und sie gönnte ihm einen
Blick auf das Kind.

In ihren Augen war mehr Leben. Unsicherheit. Und doch auch Licht.

Er wußte nicht, wie das zu verstehen war. Vielleicht so: die Unruhe,
in die das Kind aus fast schon totenähnlicher Schwäche verfallen war,
mochte ihr als erstes Anzeichen wieder beginnender Kräfte erscheinen
... aber sie wußte nicht, ob sie wagen dürfe, daran zu glauben ... ob
es nicht etwas anderes bedeute ...

Und weil es mühsam atmete -- und von unbewußter Angst bedrängt schien,
nahm sie es, trug es umher und sang ...

Als Emmich in das kleine Gesicht sah, wußte er: die Stunde war da ...

Bärtige Männer mit braunen Gesichtern, deren Haut grob und rauh war
von der See, hatte er im Todeskampf gesehen. Und dies war ein ganz
kleines Kind, dessen Verstand noch nicht mit bewußter Tätigkeit die
Erscheinungen der Welt erfaßt hatte.

Und dennoch -- dennoch -- da war eine Ähnlichkeit. Da war jener Zug
strenger Bitterkeit, den nur die haben, die vor der letzten Not stehen
...

Die wandernde Frau ließ ihm nur den einen, raschen Blick, als solle
auch er sehen: es geht besser -- besser ...

Er setzte sich an das Fenster, das leerer schien als das andere, weil
keine Strahlenbündel hereinkamen.

„Was ist dies für eine Stunde!“ dachte er. „Hier stirbt ein Kind, und
ihm, dem es stirbt, dem hat es eigentlich nie gelebt. Und hier ist
eine Frau, die vielleicht nach dem letzten Atemzug des Kindes von dem
Mann fortgeht, dem sie es geboren hat ... Ist es nicht, als wäre dies
ganze Stück Leben nur ein Traum für ihn gewesen? Wie ging er? Aus einem
lachenden jungen Haus, darin Glück war und Hoffnung. Wie kommt er heim?
In eine Leerheit -- alles aufgelöst -- zerstoben -- ja nur ein Traum
war alles ... Seemannslos -- hartes Seemannslos ...“

Er dachte an Renate. Und in einer beinahe eisernen Entschlossenheit
sagten seine Gedanken: nein, wenn sie keine Barmherzigkeit und keine
Kraft und keine Größe hat, will ich verzichten ...

Summend floß der einwiegende Gesang durch den Raum ... immerfort ...

Und die leichten Schritte bekamen durch ihre Unaufhörlichkeit schon
etwas Schreckliches ... wie das rastlose Wandern des Unglücks ...

Der röchelnde Atem des Kindes war schwächer -- er übertönte nicht mehr
den leisen Sang ...

Und der Kopf der Mutter neigte sich ein wenig mit beruhigterem Ausdruck
-- als wähne sie, dem Kind Schlummer zu ersingen, und sei darüber
glücklich.

In Emmich wurde der dringliche Wunsch stark: Wenn doch Papa Gervasius
käme. Er hatte gesagt: gegen Abend.

Hin und her ging die Frau und sang.

Und nun schien es dem Mann, der hier auf trübseligem Wachtposten saß,
als sei das Kind ganz seltsam stumm und still. --

In jener unerklärlichen Stille, die sich von aller anderen
unterscheidet, weil sie sich niemals mehr zur Bewegung umwandeln kann
... Eine Stille, deren unheimliche Art der Verstehende spürt -- die er
in einer Aufwallung des Entsetzens ahnt. Emmich erhob sich.

Oben der ausgezerrte Lichtkegel losch fort -- wie ein Aufzucken von
etwas Körperlichem war es -- dieser jähe völlige Schatten im Raum ...

Jutta erschrak. Sie hatte den raschen Vorgang nicht gesehen -- spürte
nur eine Veränderung ... stand ... sah wie erwachend Emmich an ...

Er trat heran. Sein Mund war ihm trocken vor Aufregung. Ganz zart
sagte er: „Wollen wir das Kind nicht hinlegen ...“ Sie ließ es sich
fortnehmen ... als sei sie plötzlich wie gelähmt, ganz willenlos ...
stand wie träumend -- oder wartend ...

Und sah, mit welcher andächtigen Vorsicht die Männerhände das Kind auf
die Kissen legten ... Männerhände verstehen es sonst nicht, weiche,
warme Glieder so sicher zu heben und zu tragen ... so hart und schwer
sinkt kein weicher, warmer, kleiner Körper in die Kissen.

Mit einem Schritt war sie schon neben ihm.

Zerrte ihn am Arm fort ... Stand und sah mit weit aufgerissenen Augen
... Betrachtete wie irr das Kind. Und fiel mit einem Schrei in die Knie
...

„Sein Kind,“ schrie sie, „sein Kind ... Sein Kind ...“ immerfort.
„*Sein Kind.*“ Sie wollte es wieder herauszerren -- es in ihre Arme
nehmen ...

„Es schläft!“ sprach Emmich feierlich.

Er legte die Hand über die Augen ...

Eine unaussprechliche Erschütterung ging durch ihn hin ...

Am Boden lag die junge Mutter und weinte ... krampfhafte Zuckungen
zitterten durch ihren Körper -- schwer lag ihr Haupt in ihren
verschränkten Armen ...

Emmich bückte sich, um sie aufzurichten.

Auf einmal waren helfende Hände da: die treue Martha in Tränenfluten.
Und gefaßt und voll stiller Sicherheit der Geheimrat.

Sie trugen Jutta nach nebenan, auf ihr Bett ... Ihre krampfartigen
Bewegungen ließen nach ... es schien, als sei sie ohnmächtig.

Aber es schien nur so ... denn plötzlich fuhr sie in die Höhe: „Sein
Kind!“ rief sie, „sein Kind.“

Der Geheimrat winkte Emmich, daß er fortgehen solle.

Da war ein Frauenarzt -- da war eine treue Dienerin. --

Er fühlte wohl: das sind die zuständigen Helferhände.

Was sollte seine unerfahrene Männerhand da leisten ...

Er trat noch einmal in das Zimmer nebenan.

Dämmerung erfüllte es, traurig und beredt zugleich.

Ja, nun war die Sonne ganz untergegangen. -- --

Armer Freund --

Vielleicht in diesem selben Augenblick dachte er in stolzer
Glückseligkeit an Frau und Kind ... Und ahnte nicht, wie bettelarm
diese Stunde ihn gemacht ...

In den Kissen lag der kleine, erkaltende Körper.

Schlaf in Gott, kleiner Engel, sagten seine Gedanken.

Er ging hinaus ...

Da war Licht im Haus ... im Korridor und auf den Treppen brannte es und
verkündete, daß der Alltag seine Ordnung beibehalten, und daß man keine
besondere Notiz davon nehme, wenn der Tod durchs Haus husche.

Er fürchtete sich vor Begegnungen und vor all den Fragen, die plump und
laut und so aufdringlich dem Verhauchen eines letzten Seufzers immer zu
folgen pflegen.

Er ging in den Garten.

In Emmichs Ohr lag noch immer der Nachhall jener Worte, die die junge
Mutter, einer Besessenen gleich, ausgerufen: „Sein Kind -- sein Kind.“
-- -- Und nur dies -- und immer wieder dies ...

War das Reue?

Wie konnte man diesen Schrei deuten?

„*Sein* Kind ...“

Emmich erinnerte sich an all die bitteren, überreizten Reden, in denen
sie gesagt: „*Mein* Kind ...“

„Ich muß es ihn wissen lassen,“ dachte er, „jawohl -- schreiben -- oder
depeschieren -- ja, das ... ein Vater muß es doch wissen, wenn sein
Kind -- -- daß er nun kein Kind mehr hat ...“

Emmich ging auf die Tanne zu. Die ragte hoch und schwarz in die
nächtliche Luft hinein. Ein ganz dünner, warmer Wind stieß leise in
ihren Wipfel, so daß ein feines Knistern in den Nadeln rumorte.

Er stutzte. Da saß ja jemand. Eine Frau.

Und sie erkannten einander -- es war mehr ein Spüren und Erraten als
ein deutliches Aug’ in Auge.

„Renate!“ sagte er halblaut.

Sie stand zitternd vor ihm.

Sie hätte ihm ja um den Hals fallen mögen und weinen und betteln:
„Verzeih’ mir -- --“

Ihr Vater hatte in schwerem Kummer zu ihr gesprochen ... von all den
Zweifeln und Sorgen, die ihre Briefe in ihm wachgerufen ...

Nun wollte sie ihm zuschwören: „Ich liebe dich doch! Ich will ja alles
auf mich nehmen. Alle Prüfungen, allen Gram -- nur verlaß mich nicht
-- niemals will ich dir wieder weh tun -- still in mir stark zu werden
suchen -- nur verlaß mich nicht ...“

Aber sie fühlte: das darf ich nicht!

„Ja,“ stotterte sie, „ich bin es ... ich warte auf Papa. Er bleibt so
lange ...“

Und sie wußte kaum noch Haltung zu bewahren in dem schmerzlichen
Erstaunen, daß er sie nicht in seine Arme nahm ...

Sie hatten sich doch wochenlang nicht gesehen?

War sie denn nicht mehr seine Braut? War alles zu Ende?

„Das Kind ist tot,“ sagte er.

„O mein Gott.“

Nun stand Renate ganz wie versteinert.

„Und -- sie?“ fragte sie endlich.

„Sie -- ja, sie! Nun ist sie wie wahnsinnig -- was morgen kommt -- was
die Zukunft bringt -- wer weiß es! Sie hatte ja solche Begierde nach
Glück ... Vielleicht wirft sie sich nun einem anderen Mann in die
Arme, weil ihr die Ehe mit Malte zu schwer schien -- weil sie keine
Opfer bringen konnte -- weil sie gleich müde wurde an ihrer Sehnsucht
...“

„Wie sprichst du bitter,“ sagte Renate leise.

„Wie soll man nicht bitter sprechen, wenn man sieht, wie eine Frau
ein Mannesleben zerbrechen möchte, das er ihr gutgläubig in die Hände
gab! Das sie mit heißen Schwüren und voll Liebe hinnahm ... Das sie
dann nicht zu ehren und zu schonen wußte ... warum? Weil sie es
nicht verstand, mit ihrer Sehnsucht fertig zu werden -- weil sie die
Gegenwart des Geliebten brauchte, um zu lieben -- armselige Liebe ist
das -- besser gar keine als solche.“

Sehr hart sprach er, und Renate fühlte wohl: das war ihr mitgesagt.

Sie schluchzte auf, wollte sich durchaus bezwingen und kämpfte ihre
Tränen nieder. Sie hatte auch die Empfindung, sie dürfe, sie müsse sich
irgendwie verteidigen, und sie habe diese Härte nicht ganz verdient.

Aber er war von einem blinden Männerstolz und Trotz ganz beherrscht.

„Gottlob,“ sagte er, beinahe triumphierend, „wir sind fest geworden in
unserem Beruf. Wir verstehen uns darauf, die Zähne zusammenzubeißen.
Jawohl, wetterfest sind wir, ganz und gar. Wir ducken uns nicht, und
wenn’s auch zum Untergang zu kommen scheint. Wir sind unser Leben,
unsere Kraft, unsere Klarheit höheren Dingen schuldig. Und wenn eine
Frau nicht begreift, daß sie daran teilhat, dadurch, daß auch sie
Opfer bringen darf -- dann ist sie’s eben nicht wert, die Frau eines
deutschen Seeoffiziers zu werden! Das hätte auch Jutta sich sagen
sollen. -- Jede soll sich das vorher klarmachen! Aber wir -- wenn wir
uns denn schon mal in der Wahl vergriffen -- in Gefühlselend versumpfen
wir nicht! Auch Malte ist ein ganzer Kerl. Wenn er all dies erfährt
-- es wird ihn treffen -- kann schon sein, daß er’s Lachen für immer
verlernt, daß er ein einsamer Mann bleibt für immer -- aber er bleibt
*aufrecht* stehen -- Ja, stehen bleiben wir ...“

Dieser stolzen Heftigkeit konnte sie nichts entgegensetzen wie ein
leises verschüchtertes Weinen.

Jedes Wort galt auch ihr -- sagte ihr drohend: „Zerbrechen lasse ich
mich nicht.“

Er hörte kaum auf ihr Weinen.

Es rührte ihn nicht. Er war wie emporgetragen von einem hochmütigen
Rausch -- all die bangen Grübeleien der letzten Wochen -- all die
Gemütsbewegung der letzten Stunden hatte sich, für ihn unbeschreiblich
wohltätig, in dieser Heftigkeit entladen.

Ob das Wetter irgendwo zu schwer getroffen habe, bedachte er in diesem
Moment nicht.

Er war förmlich gesättigt von dem Gefühl, daß er beim Wiedersehen seine
männliche Haltung bewahrt hatte, daß er weder weich noch zärtlich
geworden war.

Und Renate weinte ...

„Besser jetzt weinen als später,“ dachte er noch.

Mit starken Schritten ging er im Dunkeln auf dem kleinen Platz hin und
her.

Er erschrak über einen kurzen Lichtschein, der in der Nähe aufblitzte.
Beleuchtet von der kleinen, nach zwei Sekunden schon wieder
verlöschenden Flamme eines Streichholzes, zeigte sich mitten in all
der Finsternis das Gesicht des Geheimrats, der, ein paar Schritt
entfernt, sich eine Zigarette anzündete.

Vielleicht nur, um solcherart sein Herankommen anzuzeigen. Er mochte
wohl weder lauschen noch überraschen ...

Emmich trat auf ihn zu. „Wie geht es ihr jetzt?“ fragte er rasch.

„Für den Augenblick ist sie zu kraftlos, um etwas anderes zu tun, als
still weinend in ihrem Bett zu liegen. Und was ich fragen wollte ...
alles, was hier nun nötig tut -- zu besprechen ist ...?“

„Besorg’ ich, mach’ ich,“ fiel Emmich ihm schon in die Rede.

Der Geheimrat hörte aus dem Dunkel ein leises, unregelmäßiges
Schluchzen, wie wenn jemand sich durchaus bemüht, seine Tränen
herunterzuschlucken.

Das war seine Tochter. Ach ja -- --

Weil er die beiden nicht Arm in Arm fand, konnte er sich seine Schlüsse
machen ...

„Wir wollen in unser Hotel zurückkehren,“ sagte er, „Mama wartet
da ... ich hab’ ihr nicht erlaubt, mitzukommen -- alle Frauen
haben ein Talent, sich in Erinnerungen hineinzusteigern -- das ist
Nervenkraftverschwendung ...“

„Erinnerungen?“

„Nun ja. Wir haben unser Erstes auch so verloren. Als diese da noch
nicht lebte.“ Er erfaßte Renate am Arm, schon auf dem Sprung, mit ihr
zu gehen. „Das verwischt sich und vergißt sich -- wenn neues, blühendes
Leben ins Haus kommt. -- Also gute Nacht, Emmich -- du benachrichtigst
mich wohl, wenn ich hier noch gebraucht werde -- gute Nacht -- komm,
Renate.“

Sie zögerte noch wenige Augenblicke. „Leb’ wohl, Emmich,“ sagte sie
dann leise.

Und er antwortete nur kurz, noch in einem letzten Ausklang seiner
Heftigkeit: „Leb’ wohl.“



XI


Die plumpen und lauten Dinge, die Emmich in nervösem Unbehagen
gefürchtet hatte, warteten schon auf ihn, als er ins Haus zurücktrat.

Da war Madame, mehr vorwurfsvoll und umwölkt als verbindlich, aber doch
immerhin mit der teilnehmenden Note im Wesen, die man Leuten schuldig
ist, die man für sehr zahlungsfähig hält. Sie tat, als wenn ihre
ganze Pension dem Zusammenbruch entgegengeführt werde, falls das tote
Kind nicht sofort aus dem Haus gebracht werde. Es zeigte sich auch,
daß sie schon die entsprechenden telephonischen Anordnungen gegeben
hatte, daß der Arzt unterwegs sei, und daß Beamte jenes düsteren
Geschäftsbetriebes, der hier in Frage kam, noch vor zehn Uhr zur
Stelle sein würden. Wenn die Pensionäre schlafen gegangen -- und dies
pflegten sie frühzeitig zu tun -- sollte der traurige kleine Transport
bewerkstelligt werden.

Emmich hatte Flüstergespräche mit der sommersprossigen Martha, die
immer von neuem weinte und deshalb kein praktischer Beistand war. Es
schien, als habe sie teils ein allgemeines Grauen, teils wirklichen
Kummer und dabei vielleicht auch die undeutliche Empfindung, daß sie
der Situation Untröstlichkeit schuldig sei.

Der Arzt kam, und Emmich hörte vielerlei von ortspolizeilichen
Vorschriften.

Mit ihm zusammen beschloß er, daß man das Kind leise, ohne Vorwissen
der jungen Mutter, fortschaffen müsse.

Jutta lag, körperlich von äußerster Schwäche gebändigt, ganz still --
in einem Mittelzustand von Ohnmacht und Schlummer.

Einmal trat Emmich an ihr Bett -- er sah: man konnte nicht zu ihr
sprechen.

Es mußte gehandelt werden ohne ihre Zustimmung.

Das war alles nicht leicht ... bevormundend in die Tragik eines anderen
Lebens einzutreten ...

Herbert von Gamberg fiel ihm ein ...

„Wäre ich nicht zur Stelle, hätte der Mann alles in die Hand genommen,“
dachte er. Und diese Vorstellung erleichterte ihm etwas die schweren
Stunden.

Was die Zukunft auch bringen mochte: Maltes Kind sollte nicht von
Maltes Todfeind begraben werden ...

Mitten in all dem traurigen Hasten erzählte Martha ihm einmal, daß
Herr von Gamberg wieder habe nachfragen lassen, und daß der Diener den
Bescheid vom erfolgten Ableben des Kindes mitbekommen habe. Man sah: es
war ihr wichtig. Es hatte ihr auch wohlgetan, sich mit dem Diener, der
vielleicht ihr guter Freund war, auszusprechen.

„Also nun weiß er es,“ dachte Emmich, „kann sein, daß es ihm leid tut
-- natürlich, einer Frau, die man liebt, der möchte man Gram erspart
sehen -- möglich auch, daß dieser Tod so mancherlei Zukunftssorgen
auslöscht, noch eh’ sie deutlich wurden -- es war immer Maltes Kind --
erinnerte an ihn -- hielt sein Gedächtnis, seinen Namen im Leben der
Frau ganz gegenwärtig ... kann schon sein, daß ein heimlicher kleiner
Erleichterungsseufzer sich in die Kondolenz mischt -- wäre menschlich.“

Bald nach zehn Uhr fuhren, im vorausgleitenden Licht, das in
Strahlenkegeln aus den Laternen am Bock kam, zwei geschlossene Wagen
durch die Hochsommernacht. Der Wald stand als Finsternis am Weg. Rasch
bergab ging die Fahrt.

Aus dem Schweigen des Waldes führte sie in das hellerleuchtete
Schweigen einer schon schlafenden Stadt. Vor einem Tor mit strengen
Pfeilern hielten endlich die Wagen. Alles war schattenhaft. Das Dunkel
einer Kapelle tat sich auf. Lichter, die einsam wirkten und wie
verloren in dem schwarzen Grund, blinkten und bewegten sich. Männer
tauchten auf und verschwanden in der Tiefe. Dann schlossen sich Türen.
Ein heller, klingender Ton, der Schlag von Eisen gegen Eisen, zitterte
kurz auf.

Und Emmich hatte seine Pflicht getan. Nun blieb nur noch die letzte:
morgen nachmittag den kleinen Sarg aus der Kapelle zu geleiten und in
die Erde betten zu lassen.

Er fuhr zurück. Es war gegen ein Uhr in der Nacht, als er in der
Pension eintraf. Das Haus war wie versunken in schonungsvolle Stille.
Nur eine Lampe erhellte karg Korridor und Treppe.

Ratlos stand er vor den Türen der unseligsten Frau.

Hatte man drinnen seinen leisen Schritt, sein tastendes Anhalten gehört.

Martha öffnete eine Tür und winkte ihm.

Befangen trat er ein -- von der aufwallenden Furcht benommen, einem
leidenschaftlichen Ausbruch standhalten zu müssen.

Aber seine Befangenheit wuchs und wurde zur Erschütterung, weil er ein
Unbegreifliches fand.

Die junge Frau ruhte, halb aufrecht, in einem Stuhl, am offenen
Fenster. Ihre Arme, in ganz gleichmäßiger Haltung, lagen auf den Lehnen.

Sie sah aus wie eine, die zu schwach ist, nur die Hand zu heben, zu
sprechen, zu denken -- so -- als seien alle ihre Kräfte plötzlich und
ganz erloschen.

Und dennoch hob sie ihre Hand, mit einer schweren, mühevollen Bewegung
-- -- als er vor ihr stand ...

Er beugte sich tief. Er schluckte hinunter, was ihm in der Kehle
hochquoll.

Und küßte voll Ehrfurcht vor der Majestät des Leides ihre Hand ...

„Dank ...“ sprach sie leise ...

Sie sah ihn an ...

Lange und tief ... Er verstand nicht, was dieser Blick voll Ernst und
Gram ihm sagen sollte ...

Ihm war, als täte sich eine Welt von Elend vor ihm auf ...

„Dank,“ flüsterte sie noch einmal und legte sich, die Augen schließend,
wieder zurück. --

Nachher, als er endlich zu Bett gehen konnte und eine ganz merkwürdige,
vollkommene Stille und Nacht ihn gleichsam umwuchs, so daß er sich ganz
wie verborgen darin vorkam -- nachher sah sein Gedächtnis noch immer
in diesen unbegreiflichen Blick hinein ... Und er suchte danach: was
wollte er mir sagen? -- -- Er fand keine Deutung. -- So quälte ihn
dieser Blick, daß er sich zuletzt einbildete, ein Vorwurf habe darin
gestanden.

Wofür? Sie hatte es seltsam gefaßt hingenommen, daß das Kind schon
fortgebracht sei, berichtete ihm Martha, die es ihr gesagt, als sie aus
ihrem Dämmerzustand zum vollen Bewußtsein gekommen war.

Also nein, ein Vorwurf nicht. Sie flüsterte ihm doch auch zweimal
„danke“ zu ...

Eine Frage? Vielleicht die Frage: Du willst mich richten?

O Gott, nein -- er wollte nicht richten. Man schlägt nicht noch auf
Seelen ein, die schon zerbrochen am Boden liegen.

Aber was war denn seine kalte Heftigkeit gegen Renate anderes gewesen
als Richterhochmut und selbstsüchtige Furcht?!

Mit einem Male vernahm er ganz deutlich, was er in der Dunkelheit des
Gartens mit zornigem Vorsatz überhört hatte: Renatens Weinen.

All sein männlicher Hochmut schmolz dahin. Verwandelte sich in ein
Mitleid, das ihn ganz weich machte.

Sein liebes Mädchen hatte geweint! Und er ließ sie ungetröstet.

Anstatt sie herzlich und ernst an sich zu ziehen und ihr zu sagen:
sieh, laß uns von diesem allem lernen -- laß uns begreifen, daß es in
der Liebe keinen festen Besitz gibt, daß man sie jeden Tag und jede
Stunde voll Wachsamkeit beschützen muß. Nicht gegen die Versuchungen,
die von draußen kommen, sondern viel mehr und viel ängstlicher gegen
unsere eigenen Schwächen.

Anstatt so zu ihr zu sprechen, wie er als der Reifere hätte tun müssen,
ließ er sie weinen.

Gefiel sich förmlich in Härte.

Bis sie mit einem stillen „Lebe wohl!“ von dannen ging, hinein in die
Dunkelheit.

Dies Lebewohl ängstigte ihn mit einem Male schwer. Er legte allerlei
Klänge hinein: den des Schmerzes, der Bitterkeit, des tief verletzten
Stolzes. -- Es kam ihm plötzlich nachträglich so vor, als sei der Vater
in stummem Zorn mit seiner Tochter davongegangen ...

Ja, dies Lebewohl war ein Abschied gewesen.

Einem so heftigen, ungerechten Menschen wollte dieser milde, liebe,
erfahrene Vater ganz gewiß sein Kind nicht geben.

Wenn es nur erst Tag werden wollte, damit er zu ihr eilen könne ...

Aber als es Tag war, kamen andere Pflichten.

Gerade saß er bei seinem Morgentee und hatte gewissermaßen eine
stille Beratung mit seiner Uhr. Mit ihrer Kette und all ihren kleinen
Geräteanhängseln lag sie auf dem Tisch neben der Tasse und gab ihm die
Auskunft, daß es erst sieben sei.

Er konnte auch nicht von hier fortgehen, ehe er nach Jutta gesehen
hatte. Das verstand sich von selbst.

Da klopfte es, und Martha kam herein. Sie war aufgeregt.

„Herr Kapitän -- Herr Kapitän ...“ Sie weinte.

„Liebes Kind,“ sagte er in einem Gemisch von Wohlwollen und Ungeduld,
„weinen Sie weniger, fassen Sie sich mehr. Dann machen Sie sich noch
verdienter.“

„Aber ich ängstige mich doch so.“

Ja, um ihre Herrin ängstigte sie sich. Die benahm sich wunderlich ...

Und ihr Gebaren hatte Martha auf den schrecklichsten Gedanken, die
tollste Furcht gebracht.

Seit es Tag war, kramte sie zwischen allen Sachen herum -- ordnete
dies und das -- Und sagte nicht, was es für einen Sinn habe ... Und
antwortete nicht auf Fragen.

Nur einmal hatte sie gesagt: „Du mußt nun allein in die Heimat
zurückreisen, Martha -- ich -- ich gehe anderswohin -- weit fort ...“

„Weit fort ... dahin, von wo man niemals wiederkehrt,“ dachte Martha.

Er spürte es wohl --

Aber er faßte es anders auf.

Weit fort ...

Hin zu dem anderen Mann, der sie liebte? Und mit ihm in die Welt hinaus
oder lebensscheu in die Verborgenheit hinein?

Konnte das möglich sein? So unmittelbar von dem Grabe ihres Kindes fort?

Der Gedanke war ihm so hart, daß er fast wünschte, die Auffassung
dieser treuen, ergebenen Dienerin möchte die richtige sein.

Wär’s nicht milder, dem fernen Mann zu sagen: Dein Weib wollte ihr Kind
nicht überleben, sie beging eine Tat des Wahnsinns -- als sagen zu
müssen: Dein Weib lief sofort mit einem anderen davon, sie beging eine
Tat der Unwürde.

„Wir wollen gut aufpassen,“ sagte er nur.

Das war ein übles Amt, und es machte die Stunden nicht kurzweilig, daß
er es vor sich und vor der Frau zu verstecken trachtete, wie er hier
eigentlich als Spion und Wächter sich herumschlug.

Er sah Jutta nur auf wenige Minuten, um ihr zu sagen, daß er mit ihr am
Nachmittag zum Kirchhof fahren werde.

Wieder machte ihn ihre Haltung und ihr Aussehen ängstlich und betroffen.

Eine fast erhabene Ruhe lag über ihrem Wesen. Es war das eines
Menschen, für den es Zweifel und Kämpfe nicht mehr gibt.

Zu welcher Gewißheit mochte ihr Leid sie getragen haben?

Und hat schon jemals Wachsamkeit eine verzweifelnde Seele von einer
schlimmen Tat zurückhalten können? War er dazu imstande?

Er ging in den Garten, der ja eigentlich nur eine beschränkte Terrasse
war, darauf Tische und Stühle standen, und die ein aus Tannenästen
gefügtes Geländer gegen den Abhang schützte, aus dem Wipfel an Wipfel
sich emporreckten.

Der Tag half nicht seine gequälte Stimmung klären. Wie eingesperrt kam
Emmich sich vor, an diesen kleinen Platz gebunden, den kein Windhauch
erreichte. Von dem hinaus man in die weite, besonnte Welt sah. Es war
sehr heiß. Früh schon flimmerten Luftwellen über dem See. Der Himmel
hatte eine fast stechende Bläue.

Emmich sehnte sich bald recht von Herzen nach dem klugen Gesicht des
Geheimrats, in dem auch während des tiefsten Ernstes stets ein Lächeln
zu warten schien. Aber dies Gesicht, das einen immer wie von selbst zur
Frische und zum Mut ermahnte, zeigte sich nicht. Und plötzlich dachte
Emmich, es habe ein stolzer und kalter Zurückzug darin gelegen, wie der
Geheimrat gestern abend sagte: „Du benachrichtigst mich wohl, wenn ich
hier noch gebraucht werde.“

Dies -- nachdem er ein paar Stunden vorher extra sich in der Nähe
angesiedelt hatte, um zum Beistand bereit zu sein. Natürlich war es ein
Rückzug gewesen! Und wie denn auch nicht? ...

„Er sah, daß ich seine Tochter weinen ließ ...“

Und mit einem Male saß Emmich vor einem Briefbogen und schrieb mit
dahinrasender Feder:

„Geliebte! Ich kann nicht zu Dir eilen und flehen: verzeih, daß ich
Dich weinen ließ. Denn ich muß hier wachsam sein. Ich mußte gestern
abend nicht heftig werden. Ich mußte sagen: Laß uns an dem Beispiel der
Schwäche und des Leides lernen, daß wir stark und glücklich werden! Bin
ich denn noch -- ja, immer und ewig bin ich

                                               Dein Emmich.“

Es fand sich zum Glück ein Bote in der Pension, der die größte
Schnellfüßigkeit versprach ...

Nun ertrugen sich die Stunden schon leichter.

Er dachte: sie wird ja nicht unerbittlich sein -- Und er lächelte
manchmal glücklich in sich hinein.

Weil seine Stimmung sich verändert hatte, war er plötzlich wieder von
Vertrauen zu ihr erfüllt. -- Das Unlogische hiervon wollte sich ihm
manchmal aufdrängen. Aber er fühlte, sich entschuldigend: ... in der
Liebe! Wer hat schon von ihr Logik gefordert? --

Auch die Begegnung wurde ihm erspart, der er voll Unbehagen
entgegensah: der Legationsrat von Gamberg zeigte sich nicht.

Und dann kam endlich der Augenblick, wo er die junge Mutter geleiten
mußte, damit sie ihr kleines Kind in das allerletzte Lager betten sähe
...

Ihm schien, als werde sie von Erschütterung ergriffen, als er eintrat
-- sie schwankte -- hielt sich an der nächsten Stuhllehne und faßte
sich gewaltsam ...

Erinnerte er sie an den fernen Gatten? Deutlicher als je vielleicht?
Weil er, der feierlichen Stunde die Ehre gebend, seine Uniform angelegt
hatte ... Den Rock, den auch der Vater des Kindes trug? War es das? ...
Aber sie schien sich rasch zu beherrschen.

In aufrechter Haltung ging sie an den Wagen.

Von schwarzen Schleiern ganz umhüllt, in Schweigen, das ihm unnatürlich
und bedrohlich schien, saß sie neben ihm. Und doch war es vielleicht
nur ein gefaßtes, sanftes Schweigen völligster Ergebung.

Er wagte nicht mit einem Wort der Frage oder des Trostes daran zu
rühren.

Ihm fiel wunderlich deutlich ein, was sein Schwiegervater gestern abend
gesagt: „Solches Leid verwischt sich und vergißt sich, wenn neues,
blühendes Leben ins Haus kommt.“ -- Ja, der sprach aus der Erfahrung
einer *glücklichen Ehe* heraus ...

Was für eine Zukunft wollte diese Frau sich aufbauen? Oder dachte sie
an keine mehr? ...

Und so, in Schweigen, kamen sie an die Pforte mit den strengen Pfeilern
...

Sie betraten den Kirchhof -- jenen wunderbaren Platz aller Melancholien
und aller Entzückungen, aller Leiden und allen Trostes.

Die junge Frau, am Arm Emmichs gehend, hielt im Schreiten inne ... Sie
sah sich um -- sah hinaus -- langsam ging ihr Blick von der Ferne
zur Nähe ... verweilte wie erstaunt auf dem weißen Marmorbildnis der
tragischen Königin, das aus Blumenüppigkeiten unterhalb des Friedhofs
sich erhob -- ein steinernes Mal, der Menschheit ein Zeichen, daß auch
ein Thron keine Zufluchtsstätte vor den Grausamkeiten des Schicksals
gewährt ...

Sie seufzte tief auf ... und schritt langsam und schweigend weiter ...
Da war eine kleine Kapelle ... da waren Menschen ... Erkannte sie denn
keinen?

Auch den hohen, blassen Mann nicht, der neben Renatens Mutter gestanden
hatte und nun herankam und ihre Hand küßte und gleich mit Ehrfurcht
wieder zurücktrat? Auch ihn nicht?

Es schien, sie sah nichts, außer dem winzigen Sarg, der eigentlich
nur ein Gehäuf von Blumen war, auf einem kleinen, mit schwarzem Tuch
bedeckten Postament.

Sie hielt sich immer fest an Emmichs Arm ...

Als sei er ihr der Nächste in diesem schweren Augenblick -- als sei der
hohe, blasse, ernste Mann ihr ganz fremd. Da war ein Priester ... Er
sprach ein tröstliches Gebet. Nicht mehr als das ...

Über ein kleines Kind, das gekommen und gegangen war, ohne vom Leben
etwas zu wissen, konnte Menschenweisheit nicht mehr sagen ...

Und dann trug ein Mann den länglichen kleinen Berg von Blumen auf
vorsichtigen Armen voran.

Es war ein winziger Zug, der folgte. Die junge Mutter wie ein Schatten
nur -- neben ihr fest und gerade der Mann im blauen Rock, der die Zähne
zusammenbiß und so stark und so deutlich an den fernen Kameraden dachte
-- als könne er ihn dadurch herbeschwören ...

Durch ferne Wasser rauschte sein Schiff -- die Flagge wehte -- die
Möwen flogen -- phantastisch fremdartige Ufer dämmerten am Horizont
-- stark und voll eherner Ruhe klang das Kommando ... am weißen Bug
schwollen die Wogen ... Und hier begräbt man dein Kind -- das du nie
gesehen -- dessen Schrei du nie gehört ...

Seemannslos, mein alter Kamerad -- Seemannslos.

Aber wir stehen aufrecht! Ja, das tun wir. Und zerbrechen nicht daran
...

Er drückte den Arm der Frau an sich, so fest, so stark, als könne er
sie damit halten, an den fernen Mann ketten.

Als hätte dieser Druck ihr weh getan -- so zog sie nun ihren Arm aus
dem seinen. Vielleicht wollte sie auch allein, ganz allein an die
Stätte treten.

Hinter ihnen gingen Renate und ihre Mutter -- in jenen leisen Tränen,
wie nur Frauenmitleid und Frauenwissen sie weinen können ...

Und dann die beiden Männer: der kleine Gelehrte mit bekümmerter
Miene und der andere -- in etwas steifer Haltung, beherrscht und
undurchdringlich wie immer ... Wie schnell war die letzte Arbeit
für das kleine Kind getan ... Emmich empfand es beinahe als etwas
Schauriges. So viel Hoffnung und Vorfreude, so viel geheimnisvolles
Werden -- all die heiße Not der einsamen Mutterschaft, die die Frau
erlitten -- all die Bitterkeit und Tränen ...

Und nun: ein paar Hantierungen -- noch ein Gebet ... Und im Grunde
eines engen und nicht sehr tiefen Loches häuften sich Blumen ... Das
war alles.

Scheu trat er zurück ... Ihm war: man muß sie wohl allein lassen. Zu
einem letzten Blick.

Vielleicht fühlten die anderen Zeugen ebenso ... eine unschlüssige,
zögernde Bewegung ging durch die paar Menschen. Da sah Emmich ganz
deutlich, daß Jutta eine Hand erhob -- ganz leise nur -- als wolle sie
sie ausstrecken -- in der Geste, die man macht, wenn man jemand halten
will. Und er sah auch: das galt dem Mann.

Gervasius’ mußten es auch bemerkt haben. Auch sie zogen sich rasch
zurück. Emmich fand sich mit ihnen im Hauptweg zusammen. Sie gingen
der Pforte mit den strengen Pfeilern zu, und zur Rechten, über die
Rosensträuche des Friedhofs hinweg, sahen sie in das gewaltige
Schönheitsbild hinaus.

Emmich wurde sich erst jetzt so recht eigentlich der Nähe der Geliebten
bewußt. Er nahm leise ihre Hand.

„Verzeih’ mir,“ sagte er, „ich war so ganz bei einem, der weit von hier
ist ...“

„Das habe ich gefühlt,“ sprach sie herzlich.

„Willst du denn noch etwas von mir wissen?“ fragte er halblaut.

„Ach, Emmich ...“

Sie drückten sich sehr fest die Hand. So blieben sie stehen und
sahen sich nach den Eltern um, die es verstanden hatten, unauffällig
zurückzubleiben.

Nun kamen sie heran, und Emmich litt kurz an jener Verlegenheit, die
reife Menschen befällt, wenn sie den Zeugen ihrer Kämpfe in die Augen
sehen sollen.

Aber die Eltern verstanden sich auf die Zartheit der Blinden. Emmich
küßte seiner Schwiegermutter die Hand.

Es schien, als sei gar nichts gewesen.

„Ja,“ sagte der Geheimrat, „wir müssen wohl auf unsere Freundin
warten.“

Und er sah an Emmich vorbei. Sie brauchten sich nicht erst durch einen
Blick darüber zu verständigen, daß sie beide voll Unruhe dachten: was
spricht sie mit ihm?

Zwei Menschen standen an der winzigen Gruft ...

Die Frau atmete schwer -- als hindere noch ein Druck sie am Sprechen.
Sie weinte nicht. Sehr bleich war ihr Gesicht im Rahmen schwerer
schwarzer Kreppfalten.

Sie sah ihn an, mit einem merkwürdigen starren Blick ...

„Ich habe nicht gewagt, dich aufzusuchen,“ begann er halblaut, „ich
hatte das Gefühl, als ob ein Feind dich bewache ... Aber du weißt es:
dein Leid ist meines ...“

Er hätte auch nicht gewagt, hier an dieser Stelle zu ihr zu sprechen
... Aber sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt -- vor all diesen
Zeugen -- das bezwang ihn ... Wer hätte Selbstbeherrschung von ihr
fordern dürfen, in diesem Augenblick ... Sie streckte die Hand aus nach
dem Mann, den sie liebte, der ihr Trost war ...

So nahm er es ... Wie konnte er anders ...

„Ich habe gelitten, daß ich dir nicht beistehen durfte. Aber ich
verstand es wohl, daß der andere Rechte zu haben glaubte ...“

„Herbert,“ begann sie --

All dies hatte sie gar nicht gehört. Sie hörte nichts wie das, was
sie selbst sagen mußte -- was in ihren Gedanken schon mit deutlichen,
grausamen Worten stand ... „Herbert ... Herbert -- wir -- du und ich
... wir werden uns niemals mehr sehen ...“

Er machte eine Bewegung -- in jähem Schreck ... Sah sie an ... Ihre
Blicke starrten ineinander -- wie vor Entsetzen. „Niemals ...“
wiederholte sie leise.

Er trat einen Schritt auf sie zu ... Sie wich zurück -- hielt sich mit
der Linken an eine aufrechte Marmortafel, die, mit schwarzen Buchstaben
bedeckt und von Schatten überfleckt, neben der kleinen Gruft stand.

„Besinn dich,“ sprach er halblaut, „besinn dich -- Liebe! Nicht hier --
nicht jetzt -- solche Worte ...“

„Ja -- hier -- gerade hier.“ Sie faßte sich.

„Dies Grab steht zwischen uns -- für immer --“

„Jutta ...“

Sie streckte ihm die Hand hin.

Er faßte sie hastig -- mit seinen beiden Händen -- noch voll Unglauben
-- noch voll verzweifelter Abwehr gegen diese Worte -- noch in der
Hoffnung, sie beschwören zu können ... Sie sah ihn an -- lange und
stumm ...

Sie sah die leidenschaftliche Bitte in seinen Augen.

Alles war in ihr erloschen -- wie weggeweht. -- Und dennoch -- dennoch
tat es weh, zu sagen: leb’ wohl ...

Sie begriff es nicht mehr, daß sie um seinetwillen gezittert hatte
... Und dennoch -- das Wort „niemals“ ist wie Tod ... Sie wußte: es
verdirbt sein Leben ...

„Ich kann nicht anders, Herbert,“ sagte sie sehr leise und sehr
traurig. Und wieder hingen ihre Blicke ineinander. In einem letzten,
schweigenden Kampf ...

Und in einer grausamen, tödlich demütigenden Erkenntnis begriff die
Frau es plötzlich: ihm verdanke ich es -- seinem Stolz und seiner Ehre,
daß wir schuldlos scheiden können ... Sie schluchzte auf.

„Leb’ wohl ... Und Dank ... Und vergib ...“

Sie entzog ihm ihre Hand.

Sie brach zusammen ... Die Hände vor dem Gesicht, beugte sie sich und
legte ihre Stirn gegen den kalten Stein -- der von einem fremden Leben
und anderen längst erloschenen Leiden sprach ...

Sonne und Schatten spielten unruhig über sie hin ...

Noch ein paar Herzschläge lang stand er -- wartend -- vielleicht --
vielleicht betäubt von der Gewißheit: verloren -- zum zweitenmal
verloren -- für immer verloren ... Und dann ging er -- rasch --
unbeherrscht -- Form und Schein und Welt vergessend -- ganz benommen
von dem Wissen: Verloren ...

So kam er an den Freunden vorüber, ohne sie zu grüßen -- ohne sie zu
sehen ... Ein fassungsloser Mann ... Emmich sah ihm nach. -- Was war
das?

„Der sah nicht gut aus!“ dachte der Geheimrat voll Unbehagen ... Und
die junge Frau? Was war mit ihr. In erwachender Sorge wollten sie
zu ihr zurückeilen. Aber da kam auch sie schon gegangen. Gefaßt und
aufrecht ... in einer stillen, sicheren Haltung.

Als sie sah, daß Renate an Emmichs Arm hing, wurde ihr Gesicht sogar
ein wenig hell -- wie in der Andeutung eines Lächelns ...

Sie umarmte Renate. Es war, als wolle sie sagen: verliert euch nie! Sie
wandte sich zu Emmich.

„Lieber Emmich,“ sprach sie mit einer ganz kraftlosen Stimme, deren
Klang ergreifend war -- denn sie verriet all den Gram, den die gefaßte
Haltung verbergen wollte, „für so viele Treue habe ich Ihnen zu danken
-- wollen Sie mir noch einen Dienst erweisen -- einen letzten ...“

In einem Gemisch von Rührung und Spannung, das ihn ganz benahm,
versprach er: „Jeden. Natürlich.“

Sie wurde rot. Sie schien sich fast zu fürchten vor dem, was sie sagen
wollte -- mußte ...

„Helfen Sie mir -- daß ich auf das nächste, das rascheste Schiff komme,
das mich zu -- Malte bringt ...“

„Jutta!“ schrie er jubelnd auf. „Gott segne Sie für dieses Wort.“

Sie sah vor sich hin -- sprach leise -- zu sich selbst mehr als zu den
Freunden: „Sein Kind sollte ich hüten -- nun muß ich ihm sagen, daß ich
es nicht mehr habe ...“

       *       *       *       *       *

Nur drei Tage später war es. Auf dem Pier des Norddeutschen Lloyd
in Genua stand Emmich mit seiner Braut. Auch Renatens Eltern waren
dabei. Sie hatten die Scheidende geleitet, um ihr mit Liebe und
Fürsorge wohlzutun bis zu jenem Augenblick, wo sie allein ihren Weg
weiterwandern mußte in der schweren Einsamkeit ihres Grams.

Und der Augenblick war da. Die Brücke, die Bord und Pier verbunden
hatte, war schon zurückgezogen -- nach aufklatschendem Fall lag sie nun
auf den Steinen.

Der Pier, der sich als steinerner Arm in den Hafen hinein erstreckte,
glich beinahe einer hohlen Gasse, zwischen den ragenden Borden der
Schiffe, die hüben und drüben an seinem Doppelkai ankerten.

Da lag der aus Australien heimkehrende „Barbarossa“ und dehnte seinen
mächtigen Leib an den Quadern entlang, als wolle er sich ein wenig
verschnaufen, ehe er weiter ging. Oben auf seinem Promenadendeck war
es leer, nur ein paar Stewards in ihren blauen Jacken und ein Koch
mit weißer Mütze standen dort und sahen nach dem befreundeten Schiff
hinüber, das nun Anker aufgehen wollte. Mittschiffs war emsiges
Leben auf dem „Barbarossa“, da holten lautlos mit ihren beweglichen
Tintenfischarmen die Dampfwinden Stückgut aus der Tiefe des Raumes und
führten es an Stricken mit leisem Pendeln durch die Luft, um es in die
Leichter hinabzulassen, die sich an die Planken drängten.

Am Heck flatterte im frischen Wind die schwarzweißrote Flagge. Und ganz
oben, am Hauptmast, strich die Luft das weiße Stück Tuch glatt aus,
darauf ein blauer Schlüssel und ein blauer Anker sich kreuzten.

Mit diesem selben Zeichen spielte der fröhliche Wind auch auf dem
„Prinzen Heinrich“.

Ein blauer Himmel, den weiße, rasch ziehende Wolken belebten, stand
über dem Hafen und seinen aneinander gedrängten Schiffen. Bord klemmte
sich fast an Bord, dem flüchtigen Blick schien es unmöglich, Masten und
Schornsteine noch in ihrem sicheren Zusammenhang mit den neben- und
hintereinander liegenden Rümpfen festzustellen. Es war eine Wirrnis
von Linien und Farben. Die Menschenansammlung in der hohlen Gasse des
Piers zwischen dem „Barbarossa“ und dem „Prinzen Heinrich“ wartete voll
Spannung auf den Augenblick, wo sich dieser in Bewegung setzen, und wie
es ihm möglich werden solle, aus dem Gedränge sich herauszuarbeiten.

Renate und Emmich, Arm in Arm, sahen mit erhobenen Gesichtern hinauf
zu der schwarzen Frauengestalt, die sich an die Reling des Hauptdecks
lehnte. Über ihr auf dem Promenadendeck war ein unruhevolles Treiben.
Da standen die Musikstewards bereit, den Augenblick der Abfahrt mit
schmetternder Blechfanfare und patriotischen Weisen anzublasen. Da
liefen Passagiere umher, die noch nicht sich zu orientieren vermocht
hatten. Andere standen und winkten letzte Grüße hinab zu den Menschen
auf dem Pier.

Jutta stand allein, denn das Hauptdeck war in diesen Minuten wenig
belebt.

Emmich hatte sie dem Kapitän zu seiner besonderen Obhut anvertraut.
Er fand in ihm einen Kameraden der Reserve, mit dem er, als sie beide
Kapitänleutnants waren, im scharfen Dienst und bei fröhlichen Ausflügen
sich famos verstanden hatte. Der joviale und ritterliche Mann würde
schon alles tun, Jutta mit Herzlichkeit und Takt die Fahrt angenehm zu
machen.

Gut aufgehoben war sie -- da gab es keine Sorge ...

Aber die Last, die sie in ihrem Gemüt mit hinübernahm über den Ozean,
die konnte ihr eben niemand tragen helfen ...

Sie hatte nicht geweint beim Abschied. Es schien Emmich sogar, als habe
sie in der Art, ihr Haupt zu tragen, wieder ein wenig von der alten
stolzen Haltung -- es war immer so etwas Kühnes und Mutvolles darin
gewesen. Und wahrlich, es gehörte Mut dazu, den Weg zu gehen.

„Glaubst du,“ flüsterte Renate, wie sie nun so standen und zu der
einsamen Frau hinaufsahen, „glaubst du, daß sie sich wiederfinden?“

„Er ist gerecht und gütig,“ sagte Emmich zuversichtlich, „und sie ist
vollkommen wahr -- ja, das ist sie -- sie wird ihm nichts -- nichts
verbergen -- und sie würde nicht zu ihm gehen, wenn da was wäre, was
sie verbergen müßte -- dafür kenn’ ich sie denn doch ... Wie sollten
sie sich nicht wiederfinden ...“

Renatens Mutter trat heran. Sie war fraulich und mütterlich sehr
besorgt: eine so schöne, junge Frau und so allein und mit dem Kummer
... Und dann: wenn sie ihren Mann nun gar nicht mehr in Hongkong fände.

„Dann findet sie ihn anderswo ... Du glaubst nicht, Mama, wie klein die
Erde ist ... ich hab’s ihm heute früh depeschiert -- daß sie zu ihm
kommt ...“

„Ach und wenn sie ihn findet -- ob es wohl zu ihrem Glück ist? Du
sagtest einmal: sie hat eine wandernde Seele -- eine, die mit Sehnsucht
vergiftet ist -- eine von denen, für die es keine Erfüllung gibt.“

„Freilich hab’ ich das gesagt,“ gab der Geheimrat zu, „aber da hatte
sie all das Schwere noch nicht erlitten -- und und es gibt Seelen, die
erst durch einige Narben zu rechter Festigkeit kommen -- die erst im
Schmerz lernen, was für ein Gut die Freude ist ...“

Er unterbrach sich. Ein heulender Ton -- dreimal hintereinander --
schnitt ihm und allen das Wort ab.

Und alle horchten diesen dunkeln Wehlauten nach. Sie hatten etwas
Menschliches -- trotz der mißtönigen Kraft ihres Schalles. Abschied,
schrieen sie, Abschied.

Zugleich rührte sich das Schiff -- ganz behutsam. --

Vorn, neben seinem Bug, hatte sich der grüne, plumpe, kleine
Lotsendampfer angeseilt ... Der führte nun wie eine dicke, kleine,
sorgliche Mutter den großen Adoptivsohn durch das Gewühl ...

Und oben vom Promenadendeck schwollen kräftige, metallische Töne,
kriegerisch in ihrer Klangfarbe, ruhevoll in ihrem Rhythmus.

„Deutschland, Deutschland über alles ...“ Tücher wehten -- flatternde
Grüße -- zum letzten Lebewohl ...

Die einsame Frau stand unbeweglich. Aber es war ihnen, die ihr mit
nassen Augen nachsahen -- als grüße ein letzter Blick der Liebe und der
Dankbarkeit sie ...

Langsam glitt das Schiff weiter ... Das grüne Wasser des Hafens spielte
an seinen weißen Planken entlang ...

Schwächer wurde der zitternde Klang der Blechmusik -- man konnte die
Melodie nicht mehr erkennen.

Und doch lag sie Emmich noch als Nachhall im Ohr.

„Deutschland -- Deutschland über alles.“

Er dachte: „Sie hört es auch!“

Und das gab ihm gute Zuversicht, daß es zu ihr sprechen und ihr helfen
werde -- daß sie tapfer ihren Weg zurücklegen und ihren Gatten in
Wahrheit wiederfinden werde. Er drückte den Arm seiner Braut fester an
sich. „Komm.“

Der Geheimrat, um sich über seine Rührung fortzusetzen, hakte seine
Frau ein und sagte: „Es wird mir klar -- in unserer Ehe ist es zu
prosaisch hergegangen. Wie denkst du darüber? Soll ich mal versuchen,
ihr etwas romantischen Anreiz zu geben? Gelegenheit ließe sich ja am
Ende ...“

„Ich bin durchaus zufrieden im Prosaischen,“ sagte sie lachend. Und
dachte: „Na gottlob -- sein Humor ist wieder da.“



         Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger

                         Stuttgart und Berlin

       Geh. = Geheftet, Lnbd. = Leinenband, Ldrbd. = Lederband,
                       Hlbfrzbd. = Halbfranzband



Althof, Paul (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke
   und andere Geschichten                            Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Das verlorene Wort. Roman                      Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Andreas-Salomé, Lou, Fenitschka -- Eine Ausschweifung.
   Zwei Erzählungen                                  Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.                      Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl.                      Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Aus fremder Seele. 2. Aufl.                    Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.    Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Anzengruber, Ludwig, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.      Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Wolken und Sunn’schein. 5. Aufl.               Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Arminius, W., Der Weg zur Erkenntnis. Roman          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13.
   2. u. 3. Aufl.                                    Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Auerbach, Berthold, Barfüßele. 43. Aufl.             Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Sämtliche Schwarzwälder Dorfgesch. 4 Bände
             Geh. Bd. 1: M. 1.80; Bd. 2: M. 1.80; Bd. 3: M. 2.--; Bd. 4: M. 1.80
            Lnbd. Bd. 1: M. 2.50; Bd. 2: M. 2.50; Bd. 3: M. 2.70; Bd. 4: M. 2.50

--"-- Auf der Höhe. Roman. 2 Bände                   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.20

--"-- Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.20

--"-- Spinoza. Ein Denkerleben                       Geh. M. 1.20, Lnbd. M. 1.70

--"-- Drei einzige Töchter. Novellen. 4. Aufl.                     Lnbd. M. 3.--

--"-- Deutsche Illustrierte Volksbücher. 2 Bände     Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.60

--"-- Waldfried, eine vaterländische
   Familiengeschichte                                Geh. M. 1.40, Lnbd. M. 2.10

Baumbach, Rudolf, Erzählungen und Märchen.
   17. Tsd.                                        Lnbd. M. 3.--, Ldrbd. M. 5.--

--"-- Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.      Lnbd. M. 3.80, Ldrbd. M. 5.80

--"-- Aus der Jugendzeit. 9. Tsd.                  Lnbd. M. 6.20, Ldrbd. M. 8.--

--"-- Neue Märchen. 8. Tsd.                        Lnbd. M. 4.--, Ldrbd. M. 6.--

--"-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.               Lnbd. M. 4.20, Ldrbd. M. 6.--

Bertsch, Hugo, Bilderbogen aus meinem Leben.
   2. u. 3. Aufl.                                    Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Bob, der Sonderling. 4. Aufl.                  Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt.
   11. Aufl.                                         Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Böhlau, Helene, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.    Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Boy-Ed, Ida, Die säende Hand. Roman. 4. Aufl.        Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Um Helena. Roman. 3. Aufl.                     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman.
   13.-15. Aufl.                                     Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Nur wer die Sehnsucht kennt ... Rom.
   6. u. 7. Aufl.                                    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.           Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Bülow, Frieda v., Kara. Roman                        Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Burckhard, Max, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.         Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Busse, Carl, Federspiel. Westl. u. östl. Geschichten Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die Schüler von Polajewo. 2. völlig
   veränderte Aufl.                                  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Im polnischen Wind. Ostmärk. Geschichten.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Dove, A., Caracosa. Roman. 2 Bände. 2. Aufl.         Geh. M. 7.--, Lnbd. M. 9.--

Ebner-Eschenbach, Marie v., Die erste Beichte.
   Miniatur-Ausgabe. 2. Aufl. Mit Porträt                          Lnbd. M. 2.--

--"-- Božena. Erzählung. 9.-11. Aufl.                Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Erzählungen. 6. Aufl.                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Margarete. 7. Aufl.                            Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Ebner-Eschenbach, Moriz v., _Hypnosis perennis_ --
  Ein Wunder des h. Sebastian. Zwei Wien. Gesch.     Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Eckstein, Ernst, Nero. Roman. 8. Aufl.               Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

El-Correï, Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Engel, Eduard, Paraskewúla u. a. Novellen            Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Fontane, Theodor, Ellernklipp. 4. Aufl.              Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Grete Minde. 7. Aufl.                          Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Quitt. Roman. 5. Aufl.                         Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Vor dem Sturm. Roman. 13. u. 14. Aufl.         Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Unwiederbringlich. Roman. 7. Aufl.             Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Franzos, K. E., Der Gott des alten Doktors. 2. Aufl. Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 9. Aufl.    Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bde.
   6. Aufl.                                     Geh. M. 6.--, in 1 Lnbd. M. 7.50

--"-- Ungeschickte Leute. Geschichten. 3. Aufl.      Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Junge Liebe. Novellen. 4. Aufl.                Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.              Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Moschko von Parma. Erzählung. 4. Aufl.         Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Neue Novellen. 2. Aufl.                        Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Tragische Novellen. 2. Aufl.                   Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Der Pojaz. Eine Gesch. a. d. Osten.
   6.-8. Aufl.                                       Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50

--"-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.             Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählg.
   3. Aufl.                                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Die Schatten. Erzählung. 2. Aufl.              Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 5. Aufl.       Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bde. 3. Aufl.     Geh. M. 6.--, Lnbd. M. 8.--

--"-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. 3. Aufl.  Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Fulda, L., Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.       Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Gleichen-Rußwurm, A. v., Vergeltung. Roman           Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Grasberger, H., Aus der ewigen Stadt. Novellen       Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.20

Grimm, Herman, Unüberwindliche Mächte. Roman.
   2 Bände. 3. Aufl.                                Geh. M. 8.--, Lnbd. M. 10.--

Grisebach, Ed., Kin-ku-ki-kuan. Chines. Novellenbuch Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Harbou, Thea v., Die nach uns kommen. Roman.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Haushofer, Max, Geschichten zwischen Diesseits
  und Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman.              Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Heer, J. C., Joggell. Geschichte e. Jugend.
   16. u. 17. Aufl.                                  Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Der König der Bernina. Roman. 61.-65. Aufl.    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Laubgewind. Roman. 37.-41. Aufl.               Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Da träumen sie von Lieb’ und Glück!
   Drei Schweizer Novellen. 21.-23. Aufl.            Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Felix Notvest. Roman. 17.-20. Aufl.            Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- An heiligen Wassern. Roman. 55.-60. Aufl.      Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Der Wetterwart. Roman. 51.-55. Aufl.           Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Heilborn, Ernst, Kleefeld. Roman.                    Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Herzog, Rudolf, Der Abenteurer. Roman. Mit Porträt.
   31.-35. Aufl.                                     Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Der Adjutant. Roman. 7.-10. Aufl.              Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Die Burgkinder. Roman. 36.-40. Aufl.           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman.
   14.-18. Aufl.                                     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 26.-30. Aufl.  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Hanseaten. Roman. 51.-55. Aufl.                Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Das Lebenslied. Roman. 43.-47. Aufl.           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Die vom Niederrhein. Roman. 36-40. Aufl.       Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzähl.
   10.-12.Aufl.                                      Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Die Wiskottens. Roman. 76.-80. Aufl.           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Die Wiskottens. Roman. 50. Aufl. Mit Porträt   Geh. M. 6.--, Lnbd. M. 7.--

--"-- Das goldene Zeitalter. Roman. 7. u. 8. Aufl.   Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Heyse, Paul, L’Arrabbiata. Novelle. 12. Aufl.        Geh. M. 1.20, Lnbd. M. 2.40

--"-- L’Arrabbiata und andere Novellen. 10. Aufl.    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.      Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen a. e. Alltagsleben
  -- Ein Familienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.          Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Die Geburt der Venus. 5. Aufl.                 Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- In der Geisterstunde. 4. Aufl.                 Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Über allen Gipfeln. Roman. 10. Aufl.          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Das Haus „Zum ungläubigen Thomas“
  und andere Novellen.                               Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bde. 26.-28. Aufl.   Geh. M. 4.80, Lnbd. M. 6.80

--"-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.       Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Himmlische u. irdische Liebe u. a. Novellen.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Neue Märchen. 4. Aufl.                         Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Martha’s Briefe an Maria. 2. Aufl.             Geh. M. 1.--, Lnbd. M. 2.--

--"-- Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.         Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder.
   2.-4. Aufl.                                       Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Merlin. Roman. 6. u. 7. Aufl.                  Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.            Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände.
   12. u. 13. Aufl.                                 Geh. M. 7.50, Lnbd. M. 10.--

--"-- Novellen vom Gardasee. 6. u. 7. Aufl.          Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40

--"-- Meraner Novellen. 11. Aufl.                    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Neue Novellen. 6. Aufl.                        Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Im Paradiese. Roman. 2 Bde. 14. u. 15. Aufl.   Geh. M. 4.80, Lnbd. M. 6.80

--"-- Das Rätsel des Lebens. 4. Aufl.                Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

--"-- Der Roman der Stiftsdame. 13. u. 14. Aufl.     Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40

--"-- Der Sohn seines Vaters u. a. Novellen.
   3. Aufl.                                          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.          Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40

--"-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte.
   5. u. 6. Aufl.                                    Geh. M. 2.40, Lnbd. M. 3.40

--"-- Moralische Unmöglichkeiten u. a. Nov.
   3. Aufl.                                          Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50

--"-- Victoria regia und andere Novellen.
   2.-4. Aufl.                                       Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Villa Falconieri und andere Novellen.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Aus den Vorbergen. Novellen.                   Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

--"-- Vroni und andere Novellen.                     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.                Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Xaverl und andere Novellen.                    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Hillern, W. v., Der Gewaltigste. Roman. 4. Aufl.     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- ’s Reis am Weg. 3. Aufl.                       Geh. M. 1.50, Lnbd. M. 2.50

--"-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.       Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

--"-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.              Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Hobrecht, Max, Von der Ostgrenze. Novellen.          Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.20

Höcker, Paul Oskar, Väterchen. Roman.                Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Hofe, Ernst v., Sehnsucht. Roman.                    Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Hoffmann, Hans, Bozener Märchen. 3. Aufl.                          Lnbd. M. 3.50

--"-- Ostseemärchen. 3. Aufl.                                      Lnbd. M. 4.--

Holm, Adolf, Holsteinische Gewächse.                 Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Köst und Kinnerbeer -- und sowat mehr.
   Zwei Erzählungen.                                               Lnbd. M. 2.40

Hopfen, Hans, Der letzte Hieb. 5. Aufl.              Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Huch, Ricarda, Erinnerungen von Ludolf Ursleu
  dem Jüngeren. Roman. 11. u. 12. Aufl.              Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Jugenderinnerungen eines alten Mannes. s. Kügelgen

Junghans, Sophie, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Kaiser, Isabelle, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.   Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Keller, Gottfried, Der grüne Heinrich. Roman.
  3 Bände. 61.-70. Aufl.        Geh. M. 9.--, Lnbd. M. 11.40, Hlbfrzbd. M. 15.--

--"-- Martin Salander. Roman. 39.-43. Aufl.
                                  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 69.-73. Aufl.
                                 Geh. M. 6.--, Lnbd. M. 7.60, Hlbfrzbd. M. 10.--

--"-- Züricher Novellen. 63.-67. Aufl.
                                  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden.
  55.-60. Aufl.                   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 3.80, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausg. 7. Aufl.       Geh. M. 2.30, Lnbd. M. 3.--

--"-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung.
   Miniatur-Ausg. 7. Aufl.                           Geh. M. 2.30, Lnbd. M. 3.--

Kossak, Marg., Krone des Lebens. Nord. Novellen.     Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Kügelgen, Wilhelm v., Jugenderinnerungen eines
  alten Mannes. Original-Ausg. 26. u. 27. Aufl.      Geh. M. 1.80, Lnbd. M. 2.40

Kurz, Isolde, Unsere Carlotta. Erzählung.            Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Italienische Erzählungen.                                    Lnbd. M. 5.50

--"-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen.              Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld.
   Erzählungen.                                      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.               Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Florentiner Novellen. 4. u. 5. Aufl.           Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Phantasieen und Märchen.                               Eleg. kart. M. 3.--

--"-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus
   der Florentinischen Renaissance. 5. u. 6. Aufl.   Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.50

Lalstner, Ludwig, Novellen aus alter Zeit.           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Langmann, Philipp, Realistische Erzählungen.         Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Leben und Musik. Roman.                        Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Ein junger Mann von 1895 u. and. Novellen.     Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Verflogene Rufe. Novellen.                     Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Lilienfein, Heinrich, Von den Frauen und einer Frau.
  Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.              Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

--"-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Lindau, Paul, Die blaue Laterne. Berliner Roman.
  2 Bände. 5. u. 6. Aufl.                       Geh. M. 6.--, in 1 Lnbd. M. 7.50

--"-- Arme Mädchen. Roman. 10. Aufl.                 Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Spitzen. Roman. 9. u. 10. Aufl.                Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 11. Aufl.      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Mauthner, Fritz, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit.
  Fabeln und Gedichte in Prosa.
  2. Aufl. von „Lügenohr“                            Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Meyer-Förster, Wilh., Eldena. Roman. 2. Aufl.        Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Meyerhof-Hildeck, Leonie, Das Ewig-Lebendige. Roman.
    2. Aufl.                                         Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Töchter der Zeit. Münchner Roman.              Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Muellenbach, E. (Lenbach). Abseits. Erzählungen.     Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Aphrodite und andere Novellen.                 Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Vom heißen Stein. Roman.                       Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Niessen-Deiters, Leonore, Leute mit und ohne Frack.
   Erzählungen und Skizzen.
   Buchschmuck von Hans Deiters                      Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von Hans Deiters   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Mitmenschen. Buchschmuck von Hans Deiters      Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Olfers, Marie v., Neue Novellen.                     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die Vernunftheirath und andere Novellen.       Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Petri, Julius, Pater peccavi! Roman.                 Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Prel, Karl du, Das Kreuz am Ferner. 3. Aufl.         Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

Proelß, Johs., Bilderstürmer! Roman. 2. Aufl.        Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Raberti, Rubert, Immaculata. Roman. 2 Bde.          Geh. M. 8.--, Lnbd. M. 10.--

Redwitz, O. v., Hymen. Ein Roman. 5. Aufl.           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Haus Wartenberg. Roman. 7. Aufl.               Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Riehl, W. H., Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.       Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.              Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.               Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.               Geh. M. 6.--, Lnbd. M. 7.--

--"-- Kulturgeschichtliche Novellen. 6. Aufl.        Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl.                   Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Roquette, Otto, Das Buchstabierbuch der
   Leidenschaft. Roman. 2 Bände                 Geh. M. 4.--, in 1 Lnbd. M. 5.--

Saitschick, R., Aus der Tiefe. Ein Lebensbuch.       Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Seidel, Heinrich, Leberecht Hühnchen.
   Gesamt-Ausgabe. 8. Aufl. (41.-45. Tsd.)           Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe.
   2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.)                          Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe.
        1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)                 Geb. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe.   Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe.               Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben.
        Gesamt-Ausgabe.                              Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser
        und zu Lande. 3 Bände. 9. Tsd.         Geh. je M. 3.--, Lnbd. je M. 4.--

--"-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd.          Geh. je M. 3.--, Lnbd. je M. 4.--

--"-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem
        Nachlasse herausg. v. H. W. Seidel. 2. Tsd.  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Skowronnek, R., Der Bruchhof. Roman. 3. Aufl.        Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Stegemann, Hermann, Der Gebieter. Roman.             Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Stille Wasser. Roman.                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Stratz, Rudolph, Alt-Heidelberg, du Feine
        Roman einer Studentin. 11. u. 12. Aufl.      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 4. Aufl.       Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Die ewige Burg. Roman. 6. Aufl.                Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Für Dich. Roman. 16.-20. Aufl.                 Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Ich harr’ des Glücks. Novellen. 5. Aufl.       Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Gib mir die Hand. Roman. 10. u. 11. Aufl.      Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Herzblut. Roman. 16.-18.Aufl.                  Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Der du von dem Himmel bist. Roman.
   6. u. 7. Aufl.                                    Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die thörichte Jungfrau. Roman. 5. Aufl.        Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Der arme Konrad. Roman. 4. Aufl.               Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.              Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Montblanc. Roman. 6. u. 7. Aufl.               Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Du bist die Ruh’. Roman. 6.-8. Aufl.           Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Der weiße Tod. Roman. 16.-18. Aufl.            Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Es war ein Traum. Berl. Novellen. 5. Aufl.     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die letzte Wahl. Roman. 4. Aufl.               Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

Sudermann, Hermann, Es war. Roman.
        47.-49. Aufl.             Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--, Hlbfrzbd. M. 6.50

--"-- Geschwister. Zwei Novellen. 30.-34. Aufl.
                                  Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung.
        31.-33. Aufl.             Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--, Hlbfrzbd. M. 3.50

--"-- Der Katzensteg.
        Roman. 81.-85.Aufl.       Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Das Hohe Lied. Roman. 51.-55. Aufl.
                                  Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--, Hlbfrzbd. M. 7.--

--"-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25.Aufl.
                                  Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--, Hlbfrzbd. M. 4.50

--"-- Frau Sorge. Roman. 126.-135. Aufl.
        Mit Jugendbildnis         Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50, Hlbfrzbd. M. 5.--

--"-- Frau Sorge. Roman. 100. Aufl. Mit Porträt.
        Buchschmuck von J. V. Cissarz                Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

--"-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten.
        35. u. 36. Aufl.          Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--, Hlbfrzbd. M. 3.50

Telmann, Konrad, Trinacria.                          Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Trojan, Johannes, Das Wustrower Königsschießen
        u. a. Humoresken. 2. u. 3. verm. Aufl.       Geh. M. 2.--, Lnbd. M. 3.--

Vockeradt, Emma, Wanderer im Dunkeln. Roman.         Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Voß, Richard, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.   Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50

--"-- Römische Dorfgeschichten. 5. verm. Aufl.       Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Du mein Italien! Aus meinem römischen Leben.
        2. u. 3. Aufl.                               Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50

--"-- Richards Junge. (Der Schönheitssucher).
        Roman. 3. Aufl.                              Geh. M. 5.--, Lnbd. M. 6.--

Widmann, J. V., Touristennovellen.                   Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Wilbrandt, Adolf, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.       Geh. M. 4.50, Lnbd. M. 5.50

--"-- Adonis u. andere Geschichten. 3. Aufl.         Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl.                  Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Das lebende Bild u. a. Geschichten. 3. Aufl.   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Dämonen u. andere Geschichten.
        3. u. 4. Aufl.                               Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Der Dornenweg. Roman. 4. Aufl.                 Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.       Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Fesseln. Roman. 3. Aufl.                       Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Franz. Roman. 3. Aufl.                         Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.           Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.              Geb. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.            Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.               Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Irma. Roman. 3. Aufl.                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.            Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.             Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Novellen.                                      Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- _Opus 23_ und andere Geschichten. 2. Aufl.     Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Die Osterinsel. Roman. 5. Aufl.                Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.                Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl.                Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Die Rothenburger. Roman. 8. Aufl.              Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl.                    Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.             Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.       Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.             Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Vater und Sohn u. andere Geschichten.
   2. Aufl.                                          Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Villa Maria. Roman. 3. Aufl.                   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Große Zeiten u. andere Geschichten. 3. Aufl.   Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

Wildenbruch, E. v., Schwester-Seele. Roman.
        18. u. 19. Aufl.                             Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

Worms, C., Aus roter Dämmerung. 2. Aufl.             Geh. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

--"-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.              Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Erdkinder. Roman. 4. Aufl.                     Geh. M. 3.50, Lnbd. M. 4.50

--"-- Die Stillen im Lande. Drei Erzähl. 2. Aufl.    Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--

--"-- Thoms friert. Roman. 2. Aufl.                  Geh. M. 4.--, Lnbd. M. 5.--

--"-- Überschwemmung. Eine balt. Gesch. 2. Aufl.     Geb. M. 2.50, Lnbd. M. 3.50

Zimmermann, M. G., Tante Eulalia’s Romfahrt.         Geh. M. 3.--, Lnbd. M. 4.--



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