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Title: Rupertsweiler Leut
Author: Mauthner, Hedwig, Straub, Harriet
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Rupertsweiler Leut" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1912 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  Dialektausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter der Übersichtlichkeit
  halber an den Anfang des Buches verschoben.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen in
  Antiquaschrift werden in der vorliegenden Fassung mit ~Tilden~
  gekennzeichnet.

  ####################################################################



                          Rupertsweiler Leut



                          Rupertsweiler Leut

                                  von

                            Harriet Straub


                            [Illustration]


                                 1912

                       München bei Georg Müller



                  Roßberg’sche Buchdruckerei, Leipzig



Inhalt


                                                  Seite

  Der heilige Aloysius                                1

  Die Alt-Pfarrköchin                                11

  D’ Gertrude                                        35

  Ein verdienstliches Werk                           83

  Die Lenebas                                        91

  Die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne       110

  Das Gespenst                                      123

  Die Leich’                                        153

  Wortverzeichnis                                   161



Der heilige Aloysius


Im Dörfchen Rupertsweiler herrscht reges Leben, seit ein paar Tagen
schon fahren Wagen hochgepackt mit Tannenreisig aus dem nahen Wald und
die würzig duftenden Zweige werden in großen Massen an der Kirche und
den ansehnlichsten Häusern abgeladen. Und abends sitzen die jungen
Mädchen auf den Bänken vor den Häusern und winden unter frommem Gesang
meterlange Gewinde aus Tannenzweigen, während die kleinen Geschwister
rote, weiße oder gelbe Papierblumen hineinbinden.

Fronleichnam steht vor der Tür, und wie jedes Jahr wetteifern alle, wer
den schönsten Schmuck haben würde zur feierlichen Prozession. In den
Häusern ist auch geschäftiges Treiben, die Heiligen werden unter den
schützenden Florhüllen oder Glasstürzen hervorgeholt und wo’s nötig
ist, die Kronen oder Heiligenscheine neu vergoldet, die Sockel mit
Kränzen von leuchtend bunten Papierblumen umwunden. Öllämpchen oder
gar Leuchter aus Glas oder Silberblech werden geputzt und gefüllt,
um zu Ehren des Allerheiligsten angezündet zu werden, wenn die ganze
Gemeinde, was nur laufen kann, mitzieht durch alle Straßen und bis an
die äußerste Feldgrenze im Triumphzug des Heilands. Die Küfermarie ist
eben fertig geworden mit ihrem letzten Gewinde und reinigt sich jetzt
am Bächlein, das an ihrem Haus vorbeieilt, die harzigen Hände, bindet
eine frische Schürze vor und geht quer über die Straße zum Kirchplatz,
wo das Pfarrhaus steht. Die alte Haushälterin des Pfarrers, Fräulein
Theres, öffnete auf ihr Klopfen und begrüßte die Küfern mit einem
freundlichen: „Ihr wänn wieder der hl. Aloysius hole zum ziere, i han
nen scho runtergeholt us em Gaschtzimmer.“ --

Das war altes Gewohnheitsrecht, daß der Pfarrer seinen Pfarrkindern
von seinem Überfluß an Heiligenbildern und Statuen austeilte, und die
Küfern, die so nah an der Kirche wohnte, hatte immer den Ehrgeiz gehabt
ihre Fenster besonders stattlich auszuputzen, aber eine eigene Statue
sich anzuschaffen, dazu hatte es nie gelangt. Der Mann hätte mit seinem
Küferhandwerk schon ganz schön verdient in dem weinbautreibenden
Dorfe, wenn er nur den Wein nicht gar so gern selber getrunken hätte.
Jetzt, auf die freundliche Anrede der Pfarrköchin, stand die Frau
verlegen und zupfte am Schürzenzipfel. „Nix für ungut!“ fing sie
schließlich an, „aber wenn’s Euch recht wär, möcht’ i gern än andere
Heilige, nit der hl. Aloysius.“ Die Pfarrköchin zog die Stirn in
Falten: „Jo do komma ner a weng spot, mer hän scho alle hergä -- i
ha grad nur der hl. Aloysius für Euch ufg’hobe. -- Ihr hänn en doch
alli Jahr ghät.“ -- „Scho, scho, freili,“ meinte zögernd die Küfern,
„gar nix hän er meh? Nei, der hl. Aloysius nem i et, lieber stell i
gar nix na.“ Trotzig klingt’s, und die Pfarrköchin, die eigentlich
ungeduldig war, zu ihren Kränzen zurückzugehen, horchte neugierig
auf: „Jo ä Kruzifix hätte mer scho no.“ „Dös han i selber,“ meinte
brummig die Küferfrau, „dös hängt mer doch nit gern zum ziere naus am
Fronleichnigstag, -- a Tafla werdener doch no ha?“ fragt sie drängend,
und da sie merkt, wie die Haushälterin eilig ist, setzt sie hinzu:
„Wenn Ihr Müh dervo hänt, i ka warte, i bin fertig mit de Kränz, wenn
Ihr wänn, kann i helfe kränzle, und derweil überlegt Ihr’s, ob Ihr nix
andersch meh hän.“

Die Pfarrköchin, die alle Hände voll zu tun hatte, war froh um die
angebotene Hilfe, und die beiden sitzen sich bald im Hof gegenüber
unter einem Berg von Tannenzweigen, die noch kunstvoll auf Bretter
genagelt werden mußten. Auf dem dunklen Tannengrün werden weiße
Papierrosen befestigt, die die Namenszüge ~J. H. S.~ und auf zwei
andern ~M(aria)~ und ~J(oseph)~ bilden sollen. Das Ganze wurde dann
genau in die drei Frontfenster eingepaßt. Das hatte die Pfarrköchin in
der Stadt gesehen und war sehr stolz auf diesen neuen Schmuck, und die
Küferfrau war zuerst ganz stumm vor Bewunderung und Neid. „Nei, wo hän
Ihr au nur immer die neue Ifäll här,“ sprudelte sie dann los, „do kann
usereins sich heimgige lo, immer s’glich, amol rote un amol gäle Rose,
aber susch“ -- „Do derdrum wän Ihr der hl. Aloysius nimme?“ fragte die
Pfarrköchin nun direkt. „Jo, do drum au,“ meint zögernd die Küfern,
„aber nei, warum soll i denn lüage, i ha gar nit dra denkt, andersch
z’ziere wie suscht -- aber wissener -- i ha ne Hühnle z’rupfe mit em
hl. Aloysius, un do drum will i en nit ha zum ziere dös Jahr, nei
wissener, der verdient’s bei Göscht nit,“ setzte sie in ausbrechendem
Ärger hinzu. Die Pfarrköchin bekreuzt sich erschrocken, und die
Küfermarie schlägt sich auf den Mund: „Gott verzeih mer d’Sünd -- i
schwätz halt alls, wie mer der Schnabel gwachse isch -- jo, aber wenn
i verzähl, wie’s mer gange isch -- no werdet’s Ihr selber isehe -- daß
i Recht han. Ihr kenne jo der Karli -- mei Ma -- er wär ganz ordentli
-- i kann grad suscht nit kloge -- bis ufs suffe -- wen er Eine hät,
no isch nimme mit em uszkomme. Im Frühjahr, wie n’i uf der Lindeberg
gwallfahrtet ha, hän i halt au wieder do dra denkt, un ’s Weine isch
mir ko, wenn i dra denkt ha, was i scho bett und bett ha bei nere jede
Wallfahrt, un nie nit hät die lieb Mutter Gottes gholfe. Nei wissener,
i hann mer jo gsait, daß dös a bsunderi Gnad wär, un daß i deß nit
so verlange ka, i bin a arme sündige Mensch, aber i ha grad gmeint,
unser lieber Herrgott könnt mer amol a anderi Buß uflege, ’s tragt si
lichter, wenn mer amol wechsle ka -- un wie n’i so gweint ha -- hät
mi a Nachbari, i ha se witers nit kennt, se war von der andere Site
vom Berg z’Hus, die hät mi agschtoße und hät gmeint: ‚Ha jetzt, was
weinener au so? Wenn’s Euch so ’s Herz abdruckt -- i ha’s au amol so
ghätt -- i han dem hl. Aloysius a Noväne globet un a Kerze, un er hät
mer gli gholfe. Hän Ihr dös scho amol tua?‘“ -- „I hän mir gli denkt,
dös isch a Wink vo der Mutter Gottes, si ka do au nit alles selber
mache, mer tät jo ganz die andere liebe Heilige hinte dra setze, wenn
sie alles mache wot, han i nit recht?“ Und die Pfarrköchin mit ihrer
besseren Bildung bestätigte das, indem sie sagte: „Uf dere Welt isch’s
ja au eso, der König und die Königin machet au nit alles selber, und
jedes hät si Posta, mit sine bsundere Pflichte.“

„Freili jo,“ nickt die Küfern, die’s jetzt eilig hatte, ihr Herz gar
vollends auszuschütten, „un wo’n i do scho sit Jahre der hl. Aloysius
zum Ziere gno hä, ’s war jo zu dütli ä Wink. No natürli han i au uf
der Schtell a Noväne globet un a Kerz, un weil i gar ä so sicher war,
daß dös a Wink von der liebe Mutter Gottes war, hän i a silbernes Herz
globet -- i han’s erscht versproche, wenn mei Ma ganz ’s Sufe si glasse
hät, sell isch wahr. -- Jetzt höret no -- i komm vo der Wallfahrt nach
Hus, ame Suntig Obig isch ’s gsi -- un wian’i daher komm, hockt der
Karli bei Göscht uf em Bänkli vor der Tür. Wo ner doch soscht erscht am
Montig in der Fruah usem Wirtshus komme isch.

‚Karli, fehlt der was?‘ hän i’n gfragt. ‚Nit, daß i wüßt,‘ sait er, ‚i
ha nur kei Lust ghet i’s Wirtshus z’go,‘ sait er, ‚’s isch so friedli
do z’hocke am Suntig Obig.‘ ‚O du gütiger, du süßer hl. Aloysius,‘
han i denkt, ‚dös isch dei mächtige Fürsprach, un glei morn fang i
d’Andacht a.‘ Un so han i’s ghalte, un d’Kerz han i an sei Altar
gschtiftet, er hät lang kei so große meh ghätt.

Un daß i’s kurz mach, a ganze Monet lang isch der Karli i kei Wirtshus
meh ganga, un gschafft hät er im Hof mit de Fässer, daß es a wahri
Freud war, un gsunge dabi luschtige Schelmeliedle, un i han nit gwußt,
was i dem hl. Aloysius antua soll vor Freuda -- jo un dann hätt der
Karli au agfange lieb z’tua un mir z’schmeichle, wia i de erschte
Woche, wie mer ghirot kha hän, un i ha mi grad gschämt, un Geld hät er
mer gä -- -- do bin i in d’Stadt glaufe i meinere Freud un han dem hl.
Aloysius a schön’s silberig’s Herz kauft, des gschenkt Geld vom Karli
un mei ganz Gschparts han i hergä derfür -- ’s wär nit nötig gsi -- i
ha’s erscht globet kha, wenn der Karli ganz gbessert gwese gsi wär, un
i hätt guat no a Monet oder zwo zuwarte könne -- aber i han mi halt so
gfreut über die wirksam Fürsprach, jo und wian’i z’Hus komma bin, i bin
schneller gsi als suscht, weil i au gar so a lichts Herz kha ha -- do
han i d’Bscherig gsehe.

Jetzt han i gwüßt, warum der Karli so gern ‚friedli‘ vor dere Hustür
ghockt hät un nimmi ins Wirtshus hät wölle. Über der Zaun über hät er
mit der nia Magd von’s Vogte scharmuziert, un i han wohl gsähe, daß dös
nit zum erschtemal gsi isch, un von wege seim schlechte Gwisse isch
er a so duckmäuserig gsi un hät mer flattieret, daß i nix merke soll.
Z’erscht isch mir d’Wut über den Duckmäuser ko, ’vor er nur gwußt hät,
daß i nen gsehne ha, han i em eis übergwischt, wo’n er dra denke wird,
un d’Meinig han i em au gsagt, ihm un dem schlechte Mensch -- die were
nimmi viel Freud mitenander ha. Der Karli isch in seim Zorn natürli
glei ins Wirtshus gloffe, un so bsoffe wia in dera Nacht isch er scho
lang nimme gsi, un so goht’s jetzt widersch, ’s isch schier nimma mit
em us’ko. -- Jo seh’n er, sither han i grad a Zorn, wenn i a der hl.
Aloysius denk -- Gott verzeih mer d’Sünd, si nitägig Andacht un die
großmächtig Kerz hät er gha, un’s silberig Herz han i em kauft, Gottlob
han i’s no nit an der Altar ghängt -- un ä so bhütet er mer mei Mann.
So hän mer nit gwettet -- zrucknehme kann i em d’Kerz un d’Andacht
nimmi -- aber in mei Hus kommt er mer nimme -- sell weiß i.“ Zornig
schlug sie den letzten Zweig auf das Brett fest und wischte sich dann
energisch die Hände an der guten Schürze ab -- die Pfarrers-Theres
hatte sich auch erhoben und meinte bedächtig: „Hütet Euch der Sünd,
Küfern, i mein alls, so derfet Er do nit spreche, -- aber i ha mer’s
durch de Kopf go lasse, i han no a Tafla vo der hl. Elisabeth, die hät
au a Huskrüz ghätt mit ihrem zornmütige Ma, wänn Er die ha? Und wenn
Er die vielleicht aruft -- vielleicht hilft die ehnder no, die kennt
si eher us mit so na Sache.“ Die Küfern zog erfreut mit ihrer Tafel
ab, und als am andern Morgen die Prozession an ihrem Haus vorüberzog,
nickte sie der hl. Elisabeth verständnisvoll zu: „Gelt, du hütsch mer
mei Hus besser, ’s isch gfehlt, wenn mer sich uf d’Mannsbilder verlaßt,
die halte alli zsamme, wenn’s gege us Wiber goht.“



Die Alt-Pfarrköchin


„Fräulein Elisabeth“ und die Lene hausten jetzt schon bald zwei Jahre
zusammen im kleinsten Häuschen des Dörfchens, das zum Ausgeding der
Lene gehörte. Beide waren aus dem Dorf Rupertsweiler gebürtig, beide
hatten in einem Pfarrhof gedient. Die Lene als Magd, nur eigentlich
mehr für den Viehstall angestellt, auswärts, draußen in der Ebene.

Fräulein Elisabeth war Pfarrköchin beim Vorgänger des jetzigen
Dorfpfarrers bis zu dessen Tod.

Arm war die Pfarre gewesen, in der der Herr der Lene amtiert hatte,
ihr Lohn war gering, und nach dem Tod des Geistlichen erhielt sie
eine Rente von monatlich 15 Mark. Damit zog sie sich, 60 Jahre alt,
in das Häuschen zurück, das ihr bei der Erbteilung der Geschwister
als Ausgeding zugefallen war. Besser war’s ihrer Freundin Elisabeth
gegangen.

Die Pfarre war aus Klosterzeiten noch reich dotiert, und als bald nach
der Rückkunft der Lene auch der Dorfpfarrer starb, konnte Fräulein
Elisabeth, so wurde sie in ihrer Würde als Pfarrköchin allgemein
von den Dörflern angeredet, auf ein sorgenloses Alter rechnen; sie
hatte nahe an 100 Mark im Monat zu verzehren. Sie zog zur Lene ins
Häuschen, und da sie die Rüstigere war, mit ihren 52 Jahren, gesund
und frisch, besorgte sie auch das kleine Gärtchen, worin wuchs, was
sie zum Lebensunterhalt brauchten. Und sie behielt die Kirchenwäsche
auch unter dem Nachfolger ihres Herrn in ihrer Pflege, das gab ihr
außer der Ehre auch noch ein ganz nettes Sümmchen im Monat. Die neue
Pfarrköchin konnte überhaupt gegen die „Fräulein Elisabeth“ nicht
aufkommen. Das Zieren der Altäre an den Festtagen, keine verstand so
wie sie immer neue künstliche Blumenformen zu erfinden aus Wachs und
Stoff, die Ausschmückung der Straßen und Brunnen bei den öffentlichen
Prozessionen, alles gedieh nur unter ihrer Oberaufsicht, davon war
Fräulein Elisabeth überzeugt, und der Pfarrer und die Dörfler fügten
sich der Ansicht. Und der alte Meßner, der eigentlich lieber seinem
Schneiderhandwerk nachging, war erst recht damit einverstanden, daß
ihm nur die Dienste blieben, die eben von Frauen nicht versehen werden
durften. Nur die neue Pfarrköchin wollte nicht in die Lage der Dinge
sich fügen, bis jetzt stand sie aber allein mit ihrer Meinung, und
was sie auch nur vorgeschlagen hatte, war immer zum Übel ausgefallen.
Einmal hatte sie’s durchgesetzt, daß zur Auferstehungsfeier
Öllämpchen aufgestellt worden waren ums heilige Grab herum, statt der
Wachskerzchen, die Fräulein Elisabeth immer angebracht hatte. Bevor
aber die Prozession am heiligen Grabe angekommen war, fingen die
Lämpchen an fürchterlich zu prusten und zu spritzen, und die Flämmchen
erloschen jämmerlich im Wasser. „Ja die Fräulein Martha kennt eben
unsere Verhältnisse noch nicht,“ meinte mit betrübtem Kopfschütteln
Fräulein Elisabeth, die mit den Dörflern gern hochdeutsch sprach, „die
hat halt denkt, es geht so geschwind, wie in der Stadt, und da hat
sie halt mit dem Öl sparen wollen, sie isch überhaupt arg tüchtig und
sparsam.“ Die Fräulein Martha schwor hoch und teuer, daß sie genug Öl
eingefüllt habe, um die ganze Nacht zu reichen; gegen die Tatsache,
daß die Lämpchen ausgegangen waren, konnte sie nicht ankämpfen,
und die Dörfler spotteten und schimpften, und der Fräulein Martha
Behauptung, daß Fräulein Elisabeth Wasser nachgegossen habe, heimlich,
wurde von den wenigsten geglaubt. Und als nun gar am Fronleichnamstag
die Stufe des Altars am Pfarrhaus, den die Neue allein hergerichtet
hatte, unter dem Pfarrer einbrach, als er die Monstranz aufstellen
wollte, da wurde sie selber verzagt und tat lange Zeit nichts mehr
ohne den Rat ihrer erfahrenen Vorgängerin. Und so hätte die Fräulein
Elisabeth ganz glücklich leben können als Alt-Pfarrköchin, wenn sie
nur mit der Lene besser ausgekommen wäre. Sie war doch eigentlich
aus „purer Gutmütigkeit“ in das kleine Häuschen zur Lene gezogen,
weil „der arme Tschole“ sonst so ganz verlassen gewesen wäre; mit den
paar Pfennigen hätte sie ja doch nicht leben können, nur durch ihren
Beitrag zum Haushalt ging die Sache einigermaßen, und sie besorgte
doch den Garten -- die Setzlinge bekam sie überall her geschenkt -- so
hatten sie Gemüse in Hülle und Fülle. Aber die Lene wollte auch wieder
nicht recht einsehen, daß es ohne Fräulein Elisabeth nicht gegangen
wäre, sondern tat ganz so, als wäre die Fräulein Elisabeth nicht die
„Öberschte“ des Dörfchens, gleich nach dem geistlichen Herrn. „Du bisch
doch lang gnua Pfarrköchin gsi, i mein alls, du könnsch jetz au der
Fräuli Martha Platz gä,“ wiederholte sie immer wieder, wenn sie hörte,
wie Fräulein Elisabeth mit dem Meßner beratschlagte über die „äußeren
Kirchenangelegenheiten“. „Was hätsch au du gsait, wenn di Vorgängeri
grad so gsi wär un di nit dra glosse hätt,“ fragte sie ärgerlich.
Aber Fräulein Elisabeth fuhr auf und meinte in ihrer explosiven Art:
„I tua’s doch zur größeren Ehre Gottes, weil d’Fräulein Martha ja
alles hintere für macht, meinsch denn i hätt nit gern mi Ruah! I han
lang gnua gschafft, i tät gern usruha, aber sie verschtoht jo nint,
wenn i’s nit mach, glingt jo nix wie’s si soll, denk doch nur an die
Blamage mit de Öllämpli. I müßt mi ja vor unserem Herrgott und de liebe
Heilige schämme.“ -- Und es schlug dem Faß den Boden aus, als die Lene
nach einer solchen Rede einmal zur Antwort brummte: „I mein alls, dini
Kerzli hätte au nit brennt, wenn mer sie vorher ins Wasser tunkt hätt.“
Danach sprachen die Beiden überhaupt nicht mehr miteinander, außer
wenn Besuch da war, denn nach außen ließen sie sich nichts merken,
das waren sie ihrer Stellung schuldig. Nur ein Gemeinsames gab’s noch,
das sie immer wieder zusammenführte: ihre Furcht vor Gewittern. Die
Lene fürchtete sich einfach, schlicht und recht wie ein frommes Kind,
sie zündete ihre geweihte Wachskerze an bei jedem Gewitter, schloß
Tür und Läden und betete den Rosenkranz. Fräulein Elisabeth war aber
zu ihrem Unglück gebildet. Sie hatte einmal eine Abhandlung über
Gewitter gelesen, und da war ihr hängen geblieben, daß „ein Gewitter
am liebsten in einen feindlichen Pol schlägt“. Und in der populären
Abhandlung war das so schön verdeutlicht worden, daß Fräulein Elisabeth
ganz genau wußte: „Feindschaft zieht Gewitter an“. Und da das mit dem,
was ihr ihr Gewissen sagte, vom Zorn Gottes gegen Menschen, die in
Feindschaft leben, so gar genau übereinstimmte, vermehrte ihr „Wissen“
nur noch ihre Angst. Wenn Gewitterwolken aufstiegen, wurde die kleine
lebhafte Person noch unruhiger und fahriger als sonst und hantierte mit
fieberhaftem Fleiß im Haus herum. Beim ersten Donner zieht sie sich
aber in ihr Schlafzimmer zurück, zündet auch die geweihte Wachskerze
an und holt den Rosenkranz aus der Tasche; aber lang hält sie’s nicht
allein im Zimmer aus. Sie klopft an das Schlafkämmerchen der Lene und
tritt zögernd auf das „Herein“ mit ihrer Wachskerze über die Schwelle.
„Lene, hänn Ihr was gege mi uf em Herze?“ ist ihre erste Frage. Die
Lene läßt sich im Beten nicht stören, sie schüttelt nur mit dem Kopfe.
„I mein alls, mer wänn zsamme bete,“ sagt Fräulein Elisabeth. Die Lene
betet ruhig weiter. Beim Absatz angelangt, sagt sie: „Stoh it so an der
Türe, hock di abi.“ Fräulein Elisabeth setzt sich dicht neben die Lene
auf die schmale Ofenbank im Zimmerwinkel. „I bin am zweite Gsätzli vum
Schmerzhafte,“ sagt sie dann auffordernd. Trocken erwidert die Lene:
„Wenn de mit bette willsch, i bi am vierte vum Trostreiche.“ Fräulein
Elisabeth gibt es einen Ruck, aber ein neuer Donner macht sie gefügig,
und sie spricht das Gesetzle mit der Lene weiter. Der erste Rosenkranz
ist zu Ende, aber das Gewitter dauert fort. „Waisch Lene, wenn i alls
so a weng heftig bin, i mein’s nie nit bös; gell mer wänn üs vertrage
wieder,“ fängt Fräulein Elisabeth nochmal an auf die Lene einzureden.
Die nickt und meint: „I ha nix gegen di, ’s isch mer recht, wem mer
üs vertrage.“ Mit erleichtertem Herzen fängt Fräulein Elisabeth nun
den Schmerzhaften an, und die Lene gibt die Antwort. Und so beten
sie in schöner Eintracht weiter, bis das Gewitter ausgetobt hat oder
fortgezogen ist, und zwei, drei Tage lang herrscht dann noch im kleinen
Häuschen Friede und Verträglichkeit.

Gewöhnlich ist der Meßner der Störenfried. Ist’s alte Gewohnheit oder
Freigebigkeit von Fräulein Elisabeth, oder traut er wirklich der neuen
Pfarrköchin keinen Sinn für Kirchenangelegenheiten zu, er kommt nach
wie vor mit seinen Anliegen zu Fräulein Elisabeth. Trifft er zufällig
die Lene allein in dem Häuschen an, so schickt ihn die gewöhnlich fort
mit einem: „Gehnt doch zur Fräuli Martha, die verschtoht des grad so
guat.“ Erfährt das Fräulein Elisabeth, so droht sie der armen Lene
mit allen Strafen der Hölle. „Du waisch, was des für a Sünd isch,
wenn mer jemand verhindert, a guts Werk z’tu. Wenn i unserm Herrgott
z’Ehre mich abschaff, wo doch suscht er grad in Unehre kumme tät, mit
dere ungeschickte Trine, i wüßt nit, was für a Straf groß gnug wär
für die, die des verdienschtlich Werk hindere wolle.“ Aber die Lene
blieb verstockt: „Blos nit, was di nit brennt, hätt mer mei Mutter
immer gsait un wenn’s d’Fraile Martha nit recht macht, muß sie des mit
unserem Herrgott ausmache, aber di Sach isch des jetzt amol nimmi, un
doderbi blieb i.“ Das war Anfang und Ende ihrer Rede, und Fräulein
Elisabeth gab es auf, sie zu bekehren.

Nun nahte aber dem kleinen Dörfchen ein Ereignis: zum erstenmal wieder
seit 18 Jahren sollte eine Primiz gefeiert werden. Ein Rupertsweiler
Kind war zum Priester geweiht worden und wollte seine erste heilige
Messe in der Kirche seiner Heimat feiern. Er war der Sohn vermöglicher
Bauern, und so freute sich das ganze Dorf, galt es doch nicht nur den
geistlichen Segen, den die erste heilige Messe eines Neupriesters
allen Anwesenden und dem ganzen Dorfe bringt; man wußte, daß auch die
irdische Freude zu ihrem Recht kommen würde. Festessen, Ständchen und
was noch alles stand zu erwarten. Fräulein Elisabeth triumphierte. Die
letzte heilige Primiz war unter ihrer Leitung glänzend verlaufen, und
ohne sie würde es auch diesmal einfach nicht zu machen sein. Fräulein
Martha hatte sie auch wirklich um Rat gefragt wegen der „geistlichen
Braut“ des Neupriesters, und von da an schlug Fräulein Elisabeth
ihr Hauptquartier im Pfarrhof auf und herrschte und regierte wie zu
ihrer Glanzzeit. Die Länge und Anzahl der Kranzgewinde, die Breite
und Höhe der Triumphbogen, durch die der Neupriester vom Elternhause
nach der Kirche schreiten sollte, die Inschriften aus der Bibel in
der Kirche und an den Bögen, die wählte sie mit besonders feinen
persönlichen Anspielungen, alles bestimmte sie, die Musikstücke auf dem
Zug zur Kirche und beim Ständchen sogar diktierte sie dem Leiter der
Dorfkapelle. Das Kissen, auf dem die geistliche Braut des Neupriesters
den Myrtenkranz tragen sollte, nähte Fräulein Elisabeth aus weißem
Atlas mit schönen Spitzen, und das Kränzchen besorgte sie in der nahen
Stadt, und der geistlichen Braut, einem zehnjährigen Mädele, zeigte
sie mit unermüdlicher Geduld, wie sie in ihrem weißen Kleidchen vor
dem Priester herschreiten sollte, wie sie das Kissen mit dem Kränzchen
tragen sollte, das ja nicht herunterfallen dürfte: „Das wär a gar
a böses Zeichen für die Reinheit vom hochwürdige Herr Neupriester,
aber dodervon verstehst du nix“; und wie und wo sie während der Feier
am Altar stehen mußte. Nur über das Zieren des Altars, an dem der
Neupriester zelebrieren sollte, brach eine Meinungsverschiedenheit
aus. Im Pfarrgarten blühten Hunderte von prächtigen weißen Lilien, und
Fräulein Martha, die ein poetisches Gemüt war, meinte, einen schöneren
Schmuck als Lilien, das Sinnbild der Reinheit und Unschuld, könnte
man nicht finden, und viel schöner als künstliche Blumen würden diese
Lilien wirken. Fräulein Elisabeth, die „fürs Symbolische“ war, beharrte
aber bei ihrem Plan, den Altar mit Weinreben zu schmücken. „Die Traube
ghöre zum Meßopfer, die hän a gar a bsondere geheimnisvolle Bedeutung,
und unser Heiland spricht nie von de Arbeiter im Blumengarte mit Lilie,
aber von de Arbeiter im Weinberg des Herrn, un ’s letschtemal hän i au
Weintrube gnomme, und unser seliger Herr hät in der Festpredigt vom
‚geistliche Weinstock‘ predigt, un dös war gar arg schön und rührend.
Von dene Lilie wüßt i nix z’sage, ’s stoht grad nur: ‚Sie säen nicht
und ernten nicht, und unser Vater ernährt sie doch‘, un i mein alls,
so brucht der jung hochwürdig Herr keiner z’werde, ’s isch besser,
er hat der Weinstock vor Auge, der erquickt der Menschen Herz. Und
außerdem hän mer nachher alli Kopfschmerze von dem strenge Gschmack
von dene Lilie.“ Aber Fräulein Martha ergab sich den schönen Gründen
nicht: „Vo wege dem Gschmack kan mer ja d’Staubfäde rauspfetze, no
schmeckt mer ga nit meh, un wenn der hochwürdige Herr Neupriester si
Lebtig Lilie vor Auge hät un so rein und unschuldig lebt, wie die
Blumen auf dem Felde, so wird unser Herrgott au z’friede sei, un i mein
alls, mer sotte doch d’Lilie nä.“ „Wenn Ihr alls besser mache wollt,
nu so machet’s halt,“ fuhr Fräulein Elisabeth auf. Sie schüttelt die
Tannenreisig vom Kränzeln von sich ab, holt ihr Kopftuch und bindet es
scheinbar gelassen um: „Also da bin i ja überflüssig, i wasch mei Händ
in Unschuld. Ihr wisset ja viel besser wie ich, wie a Primiz gefeiert
werden muß, machet au alles recht schön. B’hüt Gott beieinander.“ Und
bevor die verblüffte Pfarrköchin viel sagen konnte, war sie zur Tür
draußen und eilte zum Meßner. Bei diesem ihrem vertrauten Freund, der
in ihr immer noch so etwas wie die rechtmäßig regierende Pfarrköchin
sah, weinte sie erst ihre Kränkung recht aus, und der bestärkte sie
nur in ihrer Meinung: „Die Fräule Marthe hät halt au gar kei Sinn
fürs christliche Symbolium, he jo, für ä Erstkommunion, do ka mer
minswege Liliä näme, aber für ä Priester, do sin doch Weirebe halt au
viel beditungsvoller.“ „Un krank werde mer alli werde von dem starke
Gschmack. Aber des gschieht ere recht, dere eigensinnige Person der,“
schürte Fräulein Elisabeth weiter, „lasset nur alli Fenschter zua;
so a schöne Tag, der Ehretag vum ganzen Dorf, a so verderben mit dem
sündhafte Eigesinn! Wenn nur a paar ohnmächtig wäre täte, des tät ere
grad recht gschäh, i kann’s nit ändere, wenn mi nur unser Herrgott
nit stroft, daß i des gschehe laß -- aber i kann’s nit ändere. ’s
gäb grad Unfriede un Skandal fürs ganz Dorf, zugredet han i ere in
christlicher Lieb grad gnug, i han mi so schon verdemütigt gnua, daß
i ganzi Täg unter ihrem Bfehl im Pfarrhaus garbeitet ha, i han’s halt
im liebe Heiland aufgopfert, aber jetzt muß i’s halt go lo, wie’s
goht. Ihr were sehne, ’s gibt a Unglück -- aber i wasch mei Händ in
Unschuld -- aber wie gsagt, sorget derfür, daß Türe und d’Fenschter
zua sin, wenn’s a paare so recht schlecht wäre tät von dem starken
Gschmack, vielleicht sicht sie dann ehnder ei, wie Unrecht sie ghabt
hat, so eigensinnig z’si un mir grad in allem z’wider z’handle. ’s isch
jo grad a guats Werk, wenn mer dere verstockte Person zur Einsicht
verhilft.“ Und der Küster meinte: „Jo grad a guats Werk tuat mer,“ und
versprach dafür zu sorgen, daß alles schön geschlossen sei. Fräulein
Elisabeth ging nun zur Lene ins Häuschen, zog Hut und Jacke an und
marschierte, ohne eine weitere Erklärung abzugeben als: „I han no
ebbes für d’Primiz z’bsorge“, nach der nahen Stadt. Als sie zurückkam,
zeigte sie ihren Einkauf nicht, sondern schloß das kleine Paket in die
Schublade ihres Sekretärs, ein Erbstück von ihrem Pfarrer, in dem sie
ihre Sparkassenbücher und Papiere aufbewahrte. -- Am Tag darauf, am
Vortag der Feier, schickte Fräulein Martha wiederholt nach Fräulein
Elisabeth. Da bis jetzt alles durch ihre Hände gegangen war, fehlte
sie jetzt wirklich an allen Ecken und Enden. Beim dritten Boten ließ
sie sich auch erbitten und gab alle gewünschte Auskunft, ging auch
in den Pfarrhof und half die Lilien abschneiden und in die Vasen
richten auf dem Altar. Niemand merkte ihr ihren Groll an, nur daß sie
bei jeder, auch der unbedeutendsten, Handreichung erst fragte: „Wänn
Ihr’s au so habe? Isch’s Euch so recht, Fräulein Martha?“ wirkte etwas
beängstigend auf die Zuhörer. Der Abend kam heran, der Neupriester
hatte vom „Trippel“ seines Vaterhauses aus gedankt für das Ständchen,
das die Dorfmusikanten ihm gebracht. Hatte allen und jedem, der danach
verlangt, die Hand gedrückt und den scheu-vertraulichen Gruß mancher
früheren Spielgenossin mit priesterlicher Würde erwidert. Allmählich
kam das Dörfchen zur Ruhe in Erwartung des morgigen Festes. Kaum hatte
früh die Betglocke geläutet und die ersten Böllerschüsse waren gelöst
worden, eilte Fräulein Elisabeth in die Kirche, noch einen letzten
Blick auf den Altar zu werfen, ob auch nichts fehle. Zu Hause hatte
sie das kleine Paket aus dem Sekretär geholt, es ausgewickelt und drei
Fläschchen daraus entnommen, die sie in ihre Tasche versenkte. In der
Kirche ging sie zunächst hinter den Hochaltar. Sie mußte wohl an den
Vasen noch etwas geordnet haben; auf dem Fußboden um den Altar und auf
dem Teppich davor waren feuchte Flecke zu sehen. Auch die Lehnstühle
für den Neupriester und den assistierenden Priester befühlte sie noch
sorgfältig, und am Betschemel fand sie auch noch etwas zu wischen und
zurechtzurücken. Dann ging sie noch die mit rotem Tuch behangenen Bänke
entlang, die für die Eltern und Verwandten des Neupriesters aufgestellt
waren, und nun schien sie befriedigt zu sein mit ihrem Werk, mit
einem so freudigen Gesicht hob sie ihre Nase in die Luft und atmete
den üppigen Geruch der Lilien ein. Sie hatte sich entschieden damit
ausgesöhnt, warum hätte sie sonst so glücklich gelacht? Merkwürdig
war’s, wie der Geruch von Minute zu Minute stärker zu werden schien,
nicht nur nach Lilien, nach allen möglichen und unmöglichen Blumen
schien es zu duften. Recht mit Wohlbehagen sog Fräulein Elisabeth die
Luft ein.

Nun dröhnten die zweiten Böllerschüsse, und die Glocken fingen an
zu läuten. Fräulein Elisabeth verschwand mit einem eiligen Knix
vor dem Tabernakel aus der Kirche. Gleich würden jetzt die ersten
Kirchgänger kommen. Jetzt ging der Pfarrer aus dem Pfarrhaus fort, um
den Neupriester aus dem Elternhaus abzuholen. Draußen vor der Kirche
verwandelte sich das freudige Gesicht von Fräulein Elisabeth zu einem
scheu ängstlichen. Es war ein schwüler Augustmorgen, noch ziemlich
klar in der Höhe; aber am Horizont ballten sich schwere weiße Wolken
zusammen. „Wenn die no lang so fortlüte und böllere, ziehe se uns
noch ’s schönst Gewitter her,“ murmelte sie vor sich hin, mit einem
ärgerlichen Blick nach der nahen Halde, wo die Mörser aufgestellt
waren. Sie eilte nach Hause, ihren Sonntagsstaat zu vervollständigen,
und fand zu ihrer Überraschung die Lene im Werktagskleid auf der
Ofenbank. „’s wird jo gli z’sammenlütte, bisch no nit fertig?“ fragte
sie erstaunt. Die Lene stöhnte: „’s reißt mer wieder in alle Glieder,
i mein alls, i kann’s nit vermache, in d’Kirche z’go, ’s muß hit no ä
Gwitter gä, i spür’s.“ -- „Geh, schwätz nit,“ fuhr Fräulein Elisabeth
auf, „wo wird’s denn hit ä Gwitter gä, ’s isch jo blaue Himmel, un
überhaupt, unser Herrgott wird doch ä Primiz nit verderbe lo mit eme
Gwitter,“ beruhigte sie mehr sich als die Lene. Die beharrte: „So
Riße han i immer, wenn’s ä Gwitter git,“ und brachte die arme Fräulein
Elisabeth zur höchsten Unruhe mit dieser Starrköpfigkeit. Sie lief
schnell nochmal ins Gärtchen, von wo aus sie die Horizontlinie im
Westen sehen konnte, und, war’s nun Einbildung, oder ballten sich da
wirklich die Wolken schon dunkler und höher als vorhin? Aufgeregt
lief sie ins Haus zurück und holte die geweihte Wachskerze hervor. Da
dröhnten von neuem die Böllerschüsse durchs Tal, und bei jedem Knall
fuhr Fräulein Elisabeth zusammen und ballte die Fäuste vor Zorn. Jetzt
setzte sich der Zug in Bewegung, gleich würde der junge Geistliche vor
dem Altar stehen. Und wenn er nun krank würde von dem starken Geruch
-- der Lilien? Ein Blick nach dem blauen Himmel über ihr gab ihr Mut:
„Waisch Lene, wenn’s hit ä Gwitter gäb -- oder suscht was passiert --
grad ’s Fräule Martha wär schuld.“ -- Die Lene sah ihre Freundin scharf
an. „Häsch wider emol ä schlechts Gwisse?“ fragte sie. -- „Jetzt nei,
mit dir isch nimmi z’rede,“ ereiferte sich Fräulein Elisabeth, „i sag
der doch grad, i möcht hit nit des schlecht Gwisse vu der Fräule Martha
ha.“ „He jo, grad,“ antwortete gelassen die Lene, „aber ’s isch Zit
in d’Kirch,“ setzt sie noch hinzu und beobachtet gespannt die Miene
von Fräulein Elisabeth. Die zögert, und zwischen Tür und Fenster sucht
ihr Blick ängstlich fragend den Himmel. „Bruchst nit der Himmel so
az’luage, mei Reiße kenn i,“ sagt die Lene ein klein wenig boshaft,
„hit git’s a Gwitter, sell isch sicher.“ Fräulein Elisabeth wirft einen
wütenden Blick auf die Lene, nimmt Gebetbuch und Rosenkranz und eilt
aus dem Häuschen mit einem knappen: „B’hüt di Gott derweil.“ „Bet au
für mi“, ruft die Lene noch nach, und dann schmunzelt sie vergnügt vor
sich hin und vergißt ihr Reißen. „I mein alls, die fürcht hit unsere
Herrgott wieder ä mol extrig“, meint sie. Fräulein Elisabeth kommt
richtig zu spät, der Zug ist schon in der Kirche, eine betäubende
Duftwolke schlägt ihr entgegen. Sie bleibt zunächst unter der Empore
stehen, sie mag sich nicht durchdrängen zu ihrem gewohnten Sitz in den
ersten Reihen, aber die Dörfler machen ihr wie immer so bereitwillig
Platz, daß sie gegen ihren Willen doch nach vorne mehr geschoben wird,
als daß sie eigentlich ginge. So steht sie an der vierten Bank, der
Platz neben Fräulein Martha ist leer. Niemand hatte gewagt, trotz der
Überfüllung, ihr den wegzunehmen. Sie kniet nieder, macht mechanisch
das Kreuzzeichen, und dann wischt sie sich den Schweiß von der Stirne,
es ist unerträglich schwüle Luft in der Kirche. Nun schaut sie nach
dem Altar. Der Neupriester fährt sich eben auch mit dem Taschentuch
übers Gesicht. „Grad grün sieht er aus“, konstatiert sie innerlich.
Aber behaglich ist ihr nicht zumute, ein Blick auf ihre Nachbarin, die
auch sichtlich unruhig ist, frischt sie wieder ein wenig auf. Sie kann
nicht widerstehen, sie muß ihr zuflüstern: „Ein wenig schmeckt mer
d’Lilie doch no.“ Das arme Fräulein Martha ist viel zu unglücklich, um
zu protestieren. „Hätt i nur auf Sie ghorcht“, flüstert sie zurück.
Gar keine Freude macht dies Zugeständnis dem Fräulein Elisabeth.
Verstocktheit, über die sie sich so recht hätte ärgern können, wär
ihr lieber gewesen. Eifrig schlägt sie in ihrem Gebetbuch nach, und
in bunter Hast liest sie die Gebete: „Für unsere Feinde.“ „Bei einem
Gewitter.“ Fast unbeachtet gehen die Zeremonien am Altar an ihr
vorüber. Immer wieder studiert sie die Gesichter der Nebensitzenden
mit ängstlichen Augen, und dann sucht sie am gegenüberliegenden Fenster
das blaue Stückchen Himmel, das von ihrem Platz zu sehen ist. Jetzt
besteigt der Domherr aus der Stadt, der dem jungen Mitbruder die
Festrede halten will, die Kanzel. Ihr summt’s und brummt’s vor den
Ohren, und die Böllerschüsse, die nun die Verlesung des Evangeliums
verkünden, jagen ihr neue Schrecken ein. Jetzt geht hinter ihr eine
unruhige Bewegung durch die Menge. Eine Frau ist ohnmächtig geworden
und muß hinausgetragen werden. Fräulein Martha fängt an zu weinen und
greift verstohlen nach der Hand von Fräulein Elisabeth, die flüstert
fast zärtlich zurück: „Des isch d’Ufregung un d’Hitz, bildet Euch doch
nix ei.“ -- Der Geistliche hat eine kleine Pause gemacht, bis alles
wieder ruhig ist, und nun spricht er weiter von den erhabenen Pflichten
eines Priesters, der ein Bote der Liebe und der Versöhnung sein soll
auf dieser Erde, ein geistiger Leiter für seine Schäflein auf dem Wege
zum Himmel. Fräulein Elisabeth hört die Worte kaum, denn das Stücklein
blauer Himmel, das ihr Trost war bis jetzt, ist verschwunden, grau
und dräuend steht eine Wolke hinter der hohen Scheibe. „Wenn jetzt a
Gwitter kommt“, fährt ihr durch den Sinn, „un in dere heiße Kirche,
bei dere Luft, ’s muß ja eischlage. Wenn der Meßner doch a einzigs
mal herschaue wollt, daß i em winke könnt, er soll Türe und Fenster
ufmache.“ „Wenn’s doch nur scho vorbi wär“, seufzt Fräulein Martha
neben ihr. Im selben Moment rollt ein ferner Donner durch die Kirche.
„Jesses, Maria und Joseph!“ entfährt es fast laut Fräulein Elisabeth,
und sie bekreuzt sich. Der Prediger ist zu Ende und erteilt seinem
neuen Amtsbruder und der Gemeinde den Segen. Alles kniet nieder, und
Fräulein Elisabeth flüstert voll Hast ihrer Nachbarin zu: „I bin jo an
allem Schuld! Ihr hän do nix uf em Herze gege mi? Gell it? Betet au für
mi.“ Fräulein Martha ist viel zu verstört selbst, um die Anklage recht
zu fassen, sie drückt nur ihrer Nachbarin die Hand und meint: „Jo, mer
wänn bete für enander.“ Endlich kommt der Meßner mit dem Klingelbeutel
an ihre Bank, und Fräulein Elisabeth winkt ihm und flüstert ihm zu:
„Machet doch au d’Fenster und d’Türe uf, mer verstickt ja.“ Der schaut
sie erstaunt an, nickt aber dann bedächtig, zwinkert mit den Augen
und meint: „Jo, der Pfarrer het’s au scho gsait, i han’s aber nit
tan.“ Fräulein Elisabeth flüstert dringender noch: „Machet ja alles
uf, was ufgoht, i bitt Euch.“ Und so geschieht’s auch, und alle atmen
erleichtert in dem frischen Luftzug auf, und mit glockenheller Stimme
intoniert der Neupriester am Altar das Gloria, und befreit stimmt die
Gemeinde mit ein. Alles verläuft schön und würdig, und als die Feier
zu Ende ist, stehen die alte und die neue Pfarrköchin noch lange vor
der Kirchentüre und beglückwünschen sich gegenseitig, wie schön alles
gegangen wäre. Fräulein Elisabeth läuft vor dem Festessen, an dem sie
natürlich teilnehmen will, schnell noch mal nach Hause, zu sehen, wie’s
der Lene geht. Und auf deren Frage, wie’s denn gewesen wäre, meint sie:
„Waisch, Lene, eis hab i mer vorgnomme hit, i will nie nix meh mit sone
Sache z’tun ha. D’Verantwortig isch z’groß, s’Fräule Martha hät mi grad
duert, wie die zittert un bebt hätt, wie’s einere ohnmächtig wore isch,
von wegen dem starke Gschmack vu de Lilie, nei des möcht i nit uf mim
Gwisse ha. I bi froh, daß i mei Ruah hab un loß gwiß d’Finger davo --
des han i mir globet.“ -- „Jo, bis zum nächste Mol“, meinte halblaut
die Lene. Aber die Fräulein Elisabeth hörte es nicht, weil sie grad
drei leere Fläschchen in die hinterste Sekretärschublade verschloß.



D’ Gertrude


Gertrud war ein uneheliches Kind; recht und schlecht schlug sie sich
durchs Leben in der Spinnerei, die im ehemaligen Kloster Rupertsweiler
eingerichtet war. Als der alte Fabrikant starb, der wie ein Vater mit
all seinen Arbeitern stand und die Gertrud immer besonders bevorzugt
hatte -- 37 Jahre hatte sie fleißig und ehrlich in seiner Fabrik
gearbeitet -- fanden sich alle Arbeiter im Testament bedacht. Auch die
Gertrud hatte ein kleines Legat erhalten, und die Möbel aus dem alten
Bureau des Herrn, das sie immer selbst in Ordnung gehalten hatte,
schenkte ihr die Witwe des Fabrikanten noch dazu. Ein Tisch, ein
Schreibpult, zwei Stühle und ein bequemer Fauteuil wurden ihr Eigentum.
Die Fabrik wurde zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt, und die
Gertrud nahm ihre Entlassung. Sie hatte mit ihren 50 Jahren nicht Lust,
sich an andere Verhältnisse zu gewöhnen und sah jetzt die Möglichkeit,
einen alten Traum zu verwirklichen.

Oberhalb des Dörfchens, da wo früher die Grenzen des Klosterwaldes
waren und die Stadtwaldungen anfingen, stand noch aus Klosterzeiten
eine Art Holzhauerhütte. Der Fabrikant hatte sie mitgekauft zur Zeit,
als man die Klostergüter im Badischen beinah geschenkt erhielt, und
seither stand sie leer und vergessen. Nur die Gertrud war manchmal an
freien Tagen hinaufgewandelt, hatte das kleine Gärtchen notdürftig
vor gänzlicher Verwilderung bewahrt; Stachelbeeren, Johannisbeeren,
Himbeeren wuchsen da in üppiger Fülle, hier und da eine Sonnenblume,
etwas Flox, Jungfer im Grün, leuchtende Mohnblumen; die hatte die
Gertrud ausgesät, den Samen hatte sie da und dort aus den Bauerngärten
geholt. An den Abenden, wenn sie sich müde geschafft, hatte sie sich
manchmal auf die kleine Galerie gesetzt, die an der Vorderwand des
Häuschens hinlief, und hatte gar gerne in die schöne Landschaft still
hinausgeblickt. Direkt unter ihr das Dörfchen mit der wuchtigen Kuppel
der Klosterkirche, den spitzen Giebeln der alten Klostergebäude, den
vereinzelten Holzhäusern mit den silberigen Schindeldächern, rings
eingeschlossen von hochragendem Tannenwald, nach Westen die Talöffnung
weit sich ausbuchtend, begrenzt in der Ferne durch die schwachen Linien
der Vogesen. Jetzt, wo sie Kapitalistin war, konnte ihr stiller Traum,
Herrin des Häuschens zu werden, in Erfüllung gehen, wenn die Witwe
des Fabrikanten noch einmal gütig sein wollte. Sie hatte nie in ihrem
Leben gebettelt, die Gertrud, und der Gang zur Fabrikantenvilla, wo die
Witwe bis zur Übersiedlung nach der Stadt noch lebte, wurde ihr schwer.
Aber sie war entschlossen, das ganze Legat und ihre paar Sparpfennige
zu opfern, geschenkt wollte sie eigentlich nichts haben. Die Witwe
redete der Gertrud zu, das Häuschen gegen einen geringen Mietzins zu
beziehen, aber die Gertrud wollte Gärtchen und Häuschen zu eigen haben,
und so willigte die gütige Frau denn ein, ihr den Besitz für 800 Mark
zu lassen. 500 Mark zahlte die Gertrud an, 300 Mark ließ die Witwe als
Hypothek gegen geringen Zins auf dem Häuschen stehen. Und so konnte
die Gertrud einziehen. Eine Küche und ein großes Zimmer enthielt das
Häuschen und oben zwei geräumige Bodenkammern. Gleich fing die Gertrud
an zu zimmern und zu nageln und die gröbsten Reparaturen zu machen. Und
dann lieh sie sich einen Karren und holte ihre Möbel vom Burgertoni ab,
wo sie bis zu diesem Tage in einem kleinen Dachkämmerchen gehaust hatte.

War es nun die größere Einsamkeit, in der sie jetzt lebte, oder die
herrschaftlichen Möbel, oder die Ruhe von der Fabrikarbeit, die in
ihr aufweckten, was geschlummert hatte, die Gertrud, die bis jetzt in
nichts sich von den andern Weibern des Dorfes unterschieden hatte,
wurde „a Bsunderi“, eine die sich absondert. Zunächst fiel den Leuten
auf, daß die Gertrud so sehr eifrig betete in der Kirche. Die bis jetzt
immer peinlich saubere Person wurde fast verlottert und schmierig
im Anzug, weil sie jeden freien Augenblick dazu verwendete, in die
Kirche zu eilen und jeden überflüssigen Pfennig für Heiligenbildchen
oder Traktätchen, die die Händler ins Haus brachten, ausgab. Ihr
Zimmer sah bald bunt genug aus. Am Fußende des Bettes hatte sie das
Myrtenkränzchen unter Glas und Rahmen aufgehängt, das sie bei ihrer
ersten heiligen Kommunion getragen, darunter waren Bilder ihrer
Namensheiligen und von Maria und Joseph angebracht; an der Wand,
wo ihr Bett stand, hingen die vierzehn Nothelfer, alle mit ihren
Marterwerkzeugen in den Händen, schön bunt gemalt. Auf dem Schreibpult
lagen in ganzen Stößen die Heftchen und Aufrufe der Missionen, die sie
mühselig genug durchbuchstabierte. Gerne saß sie im Sommer, wenn die
Betglocke geläutet hatte, auf der Bank vor der Türe, und bald sammelten
sich von den Nachbarhöfen die Bauern um sie, denen sie von den lieben
Heiligen oder überhaupt so von der Weltordnung, wie ihr es aufgegangen
war, erzählte. Und die Bauern, Männer und Weiber, hörten ihr gerne zu,
sie wußte für alles einen Rat und für die vielen unerklärlichen Dinge,
die den Bauern aufstießen, immer eine gar einleuchtende Erklärung.
Besonders beredt wurde sie, wenn vom Mond die Rede war, von seinem
Wechsel und seinem Einfluß auf Pflanzen, Menschen und Tiere.

„Der hät halt si ganzi Kraft vu der Sonn, un wenn er witersch fort
isch vu dere, no verliert er alli sini Kräfte un schrumpft grad i,
dös könne mer jo an de Pflanze grad au sehe, wenn mer dene kei Sonne
zulaßt; wenn er aber wieder in d’Nähi vu der Sonn kummt, -- des hän
die Aschtrinome so usgrechnet, wie des kummt, daß er bald ä so, bald
andersch schtoht -- no wird er schtark un kann gra gar nit alli Kraft
ufbruche, die er kriegt, no laßt er vu sinere Kraft i de Nächte alles
zu uns abi, uf d’Pflanze bsunders, aber wenn ä Mensch in dene Zite vum
Mond sich bschiene loßt, no sieht er au Sache, die er suscht mit sim
eifache Verstand nie nit sehe tät, der Mond hät em vu sinere Kraft
gäh.“ Aber ebenso genau und gut wußte sie auch auf dieser Erde Bescheid.

Des Stollenbauers Kuh gab seit einiger Zeit ohne ersichtlichen Grund
fast keine Milch mehr, und er fragte die Gertrud, was sie davon halte.
Genau ließ sie sich den Zustand des Tieres beschreiben, dann zögerte
sie aber auch nicht mit ihrem Rat: „Jetzt ganget Ihr am früha Morga
nach em Neumond in de Diesedobel, am Bächli dort wachst die schönscht
Brunnekresse vu der ganze Gegend, do pflücket er ä Hampfle voll ab und
sagt derzu schön andächtig nach em heilige Kreuzzeiche:

    Heiliger Wendelin gib Kraft,
    Dene Blätter gib Saft,
    Daß der Kuh geht fort
    Die Krankheit vom Ort,
    Heiliger Wendelin steh bei,
    Treibs Übel vorbei.

Des müsset’r dreimol sage, un dann machet’r wieder ’s heilige
Kreuzzeiche un ganget nach Hus un gebet a Hampfle voll der Kuh uf
einmol ins Mul. Ihr weret säh, am Obig ischt d’Kuh gsund.“

Der Erfolg, den Gertrud mit diesen und ähnlichen Ratschlägen hatte,
stachelte sie an, und sie verlegte sich aufs Studieren. Die Sympathie
durchzustudieren, war nun ihr Ziel. Sie steckte Heiligenbilder und
Traktätlein in ihre Tasche und wanderte von Bauernhof zu Bauernhof.
Überall ein gerngesehener Gast, da sie für ihre Ratschläge nie Geld
nahm, und in Eiern und Chriesewasser zahlt der Bauer im Schwarzwald
immer gern ohne zu rechnen. Wo sie nun einen alten Kalender oder gar
ein Sympathiebuch aus Großvaters Zeiten vorfand, da versuchte sie
einen kleinen Tauschhandel. Gegen ihre bunten Heiligenbilder oder
löschpapiernen Heiligengeschichten handelte sie die alten Schmöker
ein. Stieß sie doch mal auf Widerstand, so „verdlehnte“ sie doch
wenigstens das Buch zum Durchstudieren. Großen Wert legte sie scheinbar
gar nicht auf die alten „Fetze“. „Wissen ’r,“ pflegte sie zu sagen,
„wenn mer halt au gar so allei z’ Hus hockt am ä Obig, no ka mer halt
au nit immer de Rosekranz bette, no liest mer halt menchmol gern so
Gschichtli.“ Und meistens erreichte sie ihren Willen, und verstohlen
schmunzelnd schob sie die alten Bücher in ihre tiefe Tasche. Zu
Hause versenkte sie sich dann in die Weisheit der alten Kalender,
besonders die astronomischen Tafeln versuchte sie mit heißem Eifer sich
anschaulich zu machen. So eifrig war ihr Studium, daß die Kirchgänge
bald anfingen darunter zu leiden. Werktags wurde sie überhaupt nicht
mehr in der Kirche gesehen. Am Fenster ihrer Stube saß sie im Winter,
im Sommer unter dem Holunderbaum ihres Gärtchens auf einer Bank,
die der Burgertoni ihr gezimmert hatte, als Dank für Befreiung von
Zahnschmerzen durch ihre Sprüchlein. Immer strickend und lesend; nur
wenn das Studieren ganz besonders schwierig wurde, ruhten die Nadeln;
dann kraute sie sich wohl minutenlang mit der kühlen Stahlnadel die
immer noch starken Haare an der Schläfe und las immer wieder mühsam
und langsam die gar so schweren Worte. Aber einen Sinn fand sie immer
heraus, und oft verblüffte sie dann am Abend die Bauern auf der
Hausbank mit ihrer neuen Weltanschauung. Aber das Studium war schwer,
immer mehr Zeit brauchte sie, und in ihrem Eifer saß sie bald auch an
Sonn- und Feiertagen hinter ihren Kalendern und Sympathiebüchern und
versäumte Messe und Predigt.

Drei, vier Wochen sah der Pfarrer geduldig zu. Aber dann, als er sie
einmal abends eifrig disputierend auf der Hausbank sitzend traf, blieb
er einen Moment stehen, nicht ohne Erstaunen über die Gesellschaft,
die um das alte Weiblein versammelt war. Seine besten Bauern saßen
und standen um sie herum. Er fand die Gelegenheit gerade günstig, ein
Wörtlein mit seinem saumseligen Schäflein zu reden. „No,“ meinte er
nach dem üblichen Gruß, „ich hab gmeint, die Gertrud wär krank, weil
sie gar nicht mehr in die Kirch kommt.“ Aber der Gertrud paßte die
Vermahnung vor all den Zuhörern gar nicht, nur alter Respekt band ihr
die Zunge. „’s zieht au so fürchterli in der Kirche,“ murmelte sie, „i
han halt s’ Riße in de Glieder.“ Der Pfarrer hatte eine Entschuldigung
oder Erklärung erwartet, die gegebene klang doch gar zu sehr nach Lüge.
„Ich mein doch,“ hub er deshalb noch einmal an, „Eurem Reißen tät die
Kirch besser als das Herumlaufen zu Nacht in den Wäldern.“ Das hatte
die Gertrud wirklich öfters in letzter Zeit in mondhellen Nächten
getan. Sie wollte die „Kraft vom Mond“ in sich aufnehmen, und auch
allerlei Kräuter sammelte sie, und Rezepte aus ihren Sympathiebüchern
probierte sie aus dabei. Die Pfarrköchin hatte das dem Pfarrer erzählt.
Nun wurde aber die Gertrud zornig, der Pfarrer brauchte ihr keine
Vorwürfe zu machen. Resolut hob sie den Kopf und sah dem Geistlichen
scharf in die Augen: „Was i scho lang hab frage wolle, Herr Pfarrer,“
sagte sie laut, „hän die Lüt uf dene andere Schterner au sonigi Kirche
-- und so Pfarrer?“ setzte sie in ihrem Ärger halb für sich noch zu.
Dem Pfarrer gab’s einen kleinen Ruck, und die Bauern sahen sich mit
eingekniffenen Augen an, nur einander, beileibe nicht den Pfarrer.
Einer stellte sich breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, einen
Schritt aus dem Kreis heraus, einer spuckte aus und zertrat die Sache
mit großer Sorgfalt im Grund. Stolz auf die Gertrud lag in der Luft und
gespannte Erwartung auf des Pfarrers Antwort. Der kannte seine Leute
wohl, aber er sah doch nicht ein, wieviel von seiner Antwort abhing;
er dachte nicht, wie oft die Gertrud schon unentgeltlich in Viehstall
und Familie geholfen hatte, wo er und seine Gebete versagt hatten. Es
schoß ihm durch den Kopf, daß er in eine seiner nächsten Predigten wohl
einmal über diese neuen Theorien ein paar Sätze einflechten könne,
aber laut sagte er nur: „Aber Gertrud, wo habt Ihr denn den Blödsinn
aufgeschnappt. Bewohnte Sterne! Und gar schon viele! Davon versteht Ihr
nun wirklich nichts, sonst müßtet Ihr wissen, daß kein Himmelskörper,
außer unserer Erde, die physikalischen Bedingungen erfüllt, die
es Menschen ermöglichten, darauf zu leben. Der Mond ist wie ein
ausgebrannter Krater, und viele andere Sterne sind in halbflüssig
feurigem Zustande. Nein, nein,“ unterbrach er sich, „schlagt Euch das
aus dem Kopf, das ist dummes Zeug. Kommt fleißig in die Kirche und
betet, das ist besser für Euch.“ Er rührte an den Hutrand und ging mit
einem „Gutnacht miteinander“ weiter. Ein paar gemurmelte „Gelobt sei
Jesus Christus!“ und „Gutnacht au Herr Pfarrer!“ folgten ihm nach. Dann
setzte aber sofort wieder die Stimme der Gertrud ein: „So meinet ’r i
wär jetz ufs Mul gschlage, meinet ’r des wär a Antwort gsi? Blödsinn
aufgschnappt? Jo weggerle, e schöner Blödsinn. I han’s glese in äme
Buch, ä langi Gschicht vu nem Professor gschriebe, die sin halt doch
noch andersch glehrt als unser Pfarrer; der saits und bewist’s, ä Kuh
könnt’s verschtoh, daß uf em Mars, wisse ner, des isch der Schtern,
der als am Obig gege d’Rhinebene zu so rot ufblitzet, jo der isch
bewohnt, un mit große Lichter hen d’Lüt dort uns scho Zeiche gä,
durch d’Ferngläser hät mer’s gsähe. Sie wisset nur no nit recht, die
Professore, wie mer soll än Antwort gä. Große Lichter hän sie au scho
anzunde, aber’s schint, sie sin nit hell gnua. Jo, un jetz hän ’r
ghört, was der Pfarrer gsait hät: In halbflüssig feurigem Zuschtand
wäre die Schtern! Jetz denket doch au nur selber, wenn des wohr wär,
no täte se jo doch runtertroppe. Hänget Sie doch ämol ä Honigkugle an
der Himmel ufi, Herr Pfarrer!“ Ein beifälliges Murmeln erhob sich. Der
Stollenbauer sagte: „Ihr hän bigelt ä dundersgschite Kopf, Gertrude.“
Aber der bedächtigere Burgersepp meinte doch: „Aber der Pfarrer hät
doch die Sach au schtudiert.“ Die Gertrud war aber mutig heute, und
angefeuert von der Anerkennung des angesehenen Stollenbauers trumpfte
sie nun auf: „Wissener, im Vertrauen gsait, die Pfarrer schtudiere halt
doch nit so älles, die hän d’Bibel immer vor der Nase, und do schtohn
doch au gar bsunderi Sache drin ...“ Sie merkte die Mißbilligung
dieser ihrer Behauptung, aber nun war sie im Zug: „Im Vertraue gsait,
wissener, so um Wihnächte rum hät der Pfarrer ämol uf der Kanzel so ä
Schtückle us der Bibel verzellt vom Josua, uf dem sei Gebet d’Sonne
schtillgschtande isch; wissener ’s no?“ „He jo“, murmelten die Zuhörer.
„No also,“ fuhr die Gertrud fort, „do driber han i mänchi schloflosi
Nacht nachsinniert. ’s klingt au gar so gwaltig, aber wenn i mers so
recht eindringli vorgschtellt hab, no isch mer’s immer mehr wie ä Lug
vorkomme, akkurat so wie uf em Jahrmärkt der Mann mit em Kitt immer
schreit: Wenn ihr eure zerbrochene Häfe mit dem Kitt leimt, so kann ein
Riese sie nit mehr auseinanderbreche. Un wenn mer denn so ä Fläschle
voll nach Hus nimmt un ä zerbrochene Vase mit kittet, no hängt’s
z’samme wie ä liderliche Noht. Ma ka höchschtens no trockeni Blume in
d’Vase neischtelle.“ „He aber au Gertrude, wie schwätze ner denn au,“
tadelte der Burgersepp wieder, „unser Herrgott kann doch ä Wunder tue.“
Die Gertrud gab keine Antwort. Nach einer kleinen Weile sagte sie: „Hän
Ihr schon emol in äre Uhr ei Rädle aghalte, ei einzigs? Was meint ’r,
goht d’Uhr dann no witers? Oder schtoht alles schtill, ’s ganz Werk?
Un i mein alls, d’Sonn wär au so ä Rädli“, schloß sie nachdenklich.
„Aber jetz isch gnua dischputiert,“ setzte sie hinzu und stand auf; „’s
isch schpot. Gutnacht mitenander, än andersmal wieder.“

Sie zog sich in ihr Zimmer zurück, das jetzt ein ganz anderes Aussehen
hatte, als in den ersten Monaten ihres Darinhausens. Die Heiligenbilder
waren von den Wänden verschwunden, nur ein Marienbild und die heilige
Gertrud hingen noch über dem Myrtenkränzchen. Statt dessen waren die
Wände voller astronomischer Karten, ausgeschnitten aus Kalendern,
schön säuberlich auf Pappe aufgezogen. Aus einem neueren Kalender
hatte sie sogar eine der Schiaparellischen Marskarten mit den Kanälen
ausgeschnitten und, mit den Köpfen von Schiaparelli und Flammarion
auf einem Blatt vereinigt, in einen der Rahmen eingefügt, die früher
ein Heiligenbild enthielten. An der Kaminwand hingen Dutzende von
Kräuterbündeln, in den Fensterchen nach Osten standen Medizinflaschen,
worin Kräuter, einzelne Tiere, besonders Spinnen, auch eine Eidechse,
im Spiritus unter dem Einfluß der Sonne „ihren Geist“ einfangen lassen
sollten. Und das Schreibpult lag nicht mehr voller Traktätlein und
Heiligenlegenden, sondern Kalender und altaussehende dicke Bücher
waren da aufgehäuft und eine Unzahl von Steinen, die wohl wegen des
Katzengolds, das sie enthielten, gesammelt zu sein schienen.

Die Gertrud war sehr eifrig, als sie in ihr Zimmer gekommen war. Heute
hatte sie noch einen großen Hauptschlag vor. ’s Annemai, die arme
Witwe eines Holzhauers, war von einer Mücke gestochen worden, der Arm
angeschwollen, eine böse Blutvergiftung war in dem entkräfteten Körper
ausgebrochen, und morgen in der Frühe sollte sie in die Klinik geholt
werden, man wollte ihr den Arm abnehmen. Und ’s Annemai hatte gar nicht
an ihre Schmerzen gedacht, nur immer an ihre drei kleinen Kinder, und
hatte gejammert und sich gewehrt; nur nicht den Arm ihr abnehmen,
lieber wolle sie sterben, dann kämen die Kinder doch ins Waisenhaus,
aber wenn sie, die Mutter, am Leben und nur noch den linken Arm habe,
wie solle sie dann die Kinder ernähren; jetzt mit ihren fleißigen zwei
Armen könne sie nur grad ’s trockene Brot und Kartoffeln aufbringen.
Und Bettelleute wollten sie nicht werden. Die Gertrud hatte von dem
Jammern der Annemai ganz das Herz schwer, und schließlich schlich sie
sich heimlich zu ihr. „Annemai, wenn Ihr den Glaube an mich hän, könnt
i Euch scho helfe; aber bschraue darf’s nit werde. Wenn Ihr niemand
was verzehle wollt, no komm i in der Nacht un kurier Euch.“ ’s Annemai
griff mit Jubel zu. „Jo Gertrude, Ihr könnt mir sicher andersch helfe
als die Professore. Nei, gwiß sag i niemend nix, kommet jo au gwiß
un vergelt’s Gott tusigmol.“ Und die Gertrud war nach Hause geeilt
und hatte gekocht und geprozelt und unter ihren Kräutern gewählt und
immer wieder in dem Buch nachgesehen, wo das unfehlbare Rezept stand:
gegen verdorbene Säfte und bösartige Geschwülste. Und jetzt war der
Kräutersaft fertig und ausgekühlt. Sie steckte das Fläschchen zu sich,
wählte noch einige Farrenkräuter aus einem Bündel, und mit dem Buch
zusammen steckte sie alles in ihre Tasche. Nun noch in den Wald an
eine feuchte Stelle, die sie kannte, wo die großen Huflattichblätter
wuchsen. Drei große Blätter wählte sie aus. Kein Insektenstich durfte
daran sein, und lange mußte sie suchen, bis sie ganz tadellose
Exemplare fand. Jedes einzelne leuchtete sie genau mit ihrer kleinen
Laterne ab, und feierlich murmelte sie beim Pflücken:

    „Huflattich du kalter,
    Du Hitzezerspalter,
    Üb’ deine Kraft,
    Halt’ deinen Saft
    Zur Kühlung der Wunde,
    Daß ’s Annemai gesunde.“

Dann löschte sie ihr Laternchen, denn sie wollte nicht gesehen werden,
und eilte zur Wohnung der Annemai. Beim Eintritt in deren Kammer legte
sie den Finger auf den Mund, gesprochen durfte jetzt nicht werden.
Rasch löste sie den Umschlag, der auf dem kranken Arm befestigt war.
Drei Kreuzzeichen machte sie über sich, drei über den kranken Arm der
Annemai, dann rieb sie den dunkelgrünen, zähflüssigen Kräutersaft auf
den geschwollenen Arm und sprach:

    „Sieben Kräuter,
    Sieben Schmerzen,
    Maria hilf.
    Bilsenkraut und Erdbeerblüten,
    Müßt des Herzens Schlagen hüten.
    Knabenkraut und Eisenhut
    Schüttet Kraft ins kranke Blut.
    Holderblüt und Minzekraus
    Treibt das Fieber mir hinaus.
    Mit Johanniskraut so lind
    Hilf Maria deinem Kind.
    Sieben Kräuter,
    Sieben Schmerzen,
    Maria hilf.“

Dann legte sie kreuzweise um den Arm zwei Huflattichblätter und band
sie mit einem weißen Faden fest. Das dritte Blatt legte sie der Kranken
aufs Herz. Nun holte sie noch aus der Tasche die Farrenkrautblätter und
schob sie unter das Kopfkissen mit dem gemurmelten Spruch:

    „Farrenkraut den Schlaf dir schafft
    Durch des Schlangensamen Kraft.
    Wenn Schlangenmutter dich bewacht,
    Hat kein böser Dämon Macht.“

Nun hat sie das Ihre getan. „So Annemai,“ meint sie nun in ihrem
gewöhnlichen Ton, „jetz müsset ’r schlofe. Schlofe!“ wiederholt sie
noch einmal nachdrücklich, und die erschöpfte Frau, die mit ängstlicher
Spannung den geheimnisvollen Worten und Manipulationen gefolgt war,
schloß auch willig die Augen und versank in ein dämmerndes Schlummern.

Die Gertrud saß Stunde um Stunde am Fensterchen der engen Stube und
lauschte den immer ruhiger werdenden Atemzügen ihrer Patientin. Mit
dem ersten Hahnenschrei wachte das älteste, siebenjährige Mädele, ’s
Liesele, auf und sah mit Angst nach der Mutter hinüber. Bis jetzt
hatten die drei Kinder eng gekauert in ihrem kleinen Bettchen am
Ofenwinkel geschlafen; nun wurden sie unruhig. Die Gertrud schlich
sich leise zu ihnen hin und redete dem Liesele zu: „Ihr müsset ganz
schtill si, d’Mutter derf nit ufwache. Lieget ganz schtill un bettet
au für d’Mutter.“ Und die verängstigten Kinder lagen mäuschenstill in
dem Bettchen, falteten die Händchen und flüsterten leise, leise ihre
kleinen Gebetchen, bis sie wieder einschliefen. Die Gertrud saß wie
aus Holz geschnitzt am Fenster und sah dem lichter werdenden Himmel
entgegen. Um fünf Uhr wurde es lebhaft im Häuschen. Die Bäuerin, bei
der ’s Annemai zur Miete wohnte, rumorte im Stall, die Kühe brüllten,
nun ließen sich auch die Kinder nicht mehr halten. Das Kleinste
weinte, und die Kranke wachte auf. Und die Gertrud sprang geschäftig
hin und her, die Kinder anziehen, die Milch wärmen, das Zimmerchen
herrichten; flink ging ihr alles von der Hand. Dann erst nahm sie
vorsichtig die Huflattichblätter vom Arm. Sie hätte beinah geheult vor
Rührung, als sie sah, daß die Röte am Arm wirklich etwas geschwunden
war und die Haut sich auch gar nicht mehr so prall und heiß anfühlte.
„I mein alls,“ sagte sie bedächtig, „Ihr bruchet nit in d’Schtadt.
D’Gschwulscht isch scho e weng ufgsoge. Wenn Ihr mir glaubet, no
trinket Ihr jetz no ä Holdertee un derno schwitzener, un morge schtohn
Ihr gsund uf.“ ’s Annemai hatte die Augen voll Tränen: „Jo, Gertrude,
vergelt’s Euch Gott, i tua, was Ihr saget, i gschpür selber, daß es
mir besser goht. Ihr hän meine Kinderle d’Mutter grettet, durchs
Feuer ganget i für Euch.“ Die Gertrud war geschäftig fortgeeilt, um
Tee zu kochen, und was an Federbetten aufzutreiben war, das wurde dann
aufgetürmt über die geduldige Annemai. Nun dauerte es nicht mehr lang
und man hörte Wagengerassel draußen. Dann ein energisches Klopfen an
der Tür, und ein Krankenwärter mit einer Schwester traten herein. „Die
Frau Annemaria Kohler sollen wir holen. Sind wir hier recht?“ fragte
die Schwester. „Sell schon,“ antwortete Gertrud, „die Frau Annemaria
Kohler tät schon hier wohne, aber hole, sell bruchen ’r nit.“ Die
Schwester sah auf. „Gestorben?“ fragte sie leise. „Nei, sell nit,“
meinte wieder die Gertrud, die breitspurig den Eingang ins Zimmer
versperrte, „aber gsund isch sie oder wird sie, in d’Klinik brucht
sie nit un will sie nit.“ Die Schwester sah den Wärter an, der Wärter
die Schwester. „Wir haben den Auftrag und -- ja, gute Frau, was wissen
Sie denn, ob die Frau gsund ist“, meinte die Schwester. „Weil i nit
blind bin, do drum weiß i’s,“ entgegnete grob die Gertrud, „un zwinge
könnet Ihr die Frau nit un sie will nit in d’Klinik. Annemai,“ rief
sie mit lauter Stimme, ohne sich von der Tür verdrängen zu lassen,
„saget’s au selber, daß Ihr dobliebe wollet.“ „I dank au für d’Müh,“
kam die schwache Stimme aus den Federbetten, „aber gwiß nit will i do
furt, nit in d’Klinik“, steigerte sie sich voller Angst. „Aber Frau
Kohler,“ rief nun die Schwester, die absolut nicht an der stämmigen
Gertrud vorbeikam, „überlegen Sie sich’s doch, Sie wollen doch gesund
werden! Das können Sie doch nur bei uns in der Klinik.“ „Nei,“ schrie
die Kranke, „nei, i laß mer der Arm nit abschnide, lieber will i
schterbe, aber mit meine beide Ärm. Wenn i schterbe soll, mit meine
beide Ärm, no kann i doch d’Mutter Gottes mit beide Ärm anflehe, daß
sie mir meine Kindli bschützt. Nei, i gang nit. Un wenn’s Gotts Wille
isch, no werd i au do gsund. Un dobliebe will i, dobliebe“, jammerte
sie still für sich weiter. Die Gertrud griff die Schwester fest am Arm:
„Kommet usi in de Gang, i will Euch was sage, Schwester,“ flüsterte
sie rasch; und als sie Schwester und Wärter draußen hatte, und die
Tür hinter ihr einschnappte, sagte sie: „Jetz fahret nur mitenander
wieder in d’Schtadt un saget dene Herre vergelt’s Gott, un i sag Euch
au für’s Annemai vergelt’s Gott, aber mitgoh tut sie nit, sie will
nit und i lids nit. Un i weiß, morge isch sie gsund un hät ihre Ärm,
un doderzue brauche mer keine gschtudierte Herre. Mit Gwalt kenne ner
sie nit fortführe, un gutwillig goht sie nit.“ Nach einigem Zögern und
Reden fuhren die beiden denn auch wieder zurück, und die Gertrud sah
ihnen vom Trippel des Hauses sehr befriedigt nach. Und dann eilte sie
zur Kranken zurück, ermahnte sie zur Ruhe und predigte dem Liesele,
sie solle ja keinen Menschen ins Zimmer lassen: „Wenn einer nit höre
will un doch in d’Schtube will, no schrausch, daß i’s im Wald obe hör,
i gang nit wit weg, i hol nur drei neue Huflattichblätter, die kühlet
no gar de Brand usi.“ Und eilig wuschelte sie fort. Als sie nach
einer knappen Viertelstunde zurückkam, stand der Pfarrer aufgeregt
schimpfend im Zimmer, dem hatte das Liesele doch nicht den Eintritt
zu weigern gewagt. Auch zu schreien nach der Gertrud wäre ihr als
Sünde erschienen. Die Ehre! Kaum war die Gertrud im Zimmer, drehte
sich der Pfarrer scharf nach ihr um: „Da wäret Ihr ja,“ polterte er
sie an, „höret emal Gertrude, jetzt hab ich Eure Narrenspossen aber
satt, das geht denn doch zu weit. Was fällt Euch denn ein, die Frau da
ohne Hilfe sterben zu lassen, eigenmächtig die Leute aus der Klinik
fortzuschicken?“ Der Pfarrer schöpfte Luft, und die Gertrud fiel ihm
schnell ins Wort: „I mein alls, Herr Pfarrer, vor Ihr so schimpfet,
guckener Euch ’s Annemai erscht emol a. Gsund wird sie, un ihr Arm
behaltet sie un ....“ „Unsinn,“ wehrte der Pfarrer ihr eifriges Reden
ab, „Ihr meint, Ihr wärt der einzig gscheite Mensch auf der Welt, so
scheint mir. Macht meinetwegen Eure Teufelskuren bei den Kühen und
Schweinen der Bauern; wenn die so dumm sind, ist das ihre Sache, aber
von Menschen habt Ihr Eure Finger zu lassen. Seid froh, wenn ich
Euch nicht anzeige, ins Zuchthaus könntet Ihr kommen. Und wie Ihr das
Menschenleben, das Ihr da in Lebensgefahr gebracht, vor dem lieben Gott
verantworten wollt, das weiß ich nicht. Ich hab den Löwenwirt gebeten,
den Wagen anzuspannen, er wird bald hier sein, und daß Ihr mir dann
nicht wieder Geschichten macht, das rat ich Euch, sonst bekommt Ihr’s
mit mir zu tun.“ „Liesele,“ wandte sich die Gertrud an das Mädele,
„geh, lauf zum Löwewirt, was de laufe kahsch, wenn de dei Mutter lieb
häsch, un sag em, ’s brucht de Wage nit, der Herr Pfarrer heb sich
g’irrt.“ Und sie schob das zögernde Kind mit einem harten: „Lauf, oder
wilsch, daß dei Mutter uf der Gottesacker kommt?“ zur Tür hinaus.
Dem Pfarrer hatte es die Sprache verschlagen. Jetzt wetterte er los:
„Ins Zuchthaus kommet Ihr. Meint Ihr, so kann man mit Menschenleben
umspringen und mit Eurer geistlichen Obrigkeit? Meint Ihr, Ihr könnt
mit Euren Hexenkünsten das ganze Dorf rebellisch machen? Ich hab den
Geist des Aufruhrs schon an allen Ecken bemerkt, das geht von Euch aus.
Meint Ihr ich sei blind? Aber das Handwerk soll Euch gelegt werden,
Ihr Hexe Ihr. Ins Zuchthaus mit solchem Gesindel wie Ihr.“ „I han
Euch rede lo, Herr Pfarrer,“ sagte die Gertrud nun sehr ruhig; „aber
’s wird Euch g’raue, was Ihr gsagt hän. Im Beichtschtuhl könnet Ihr
mir meintswege der Marsch mache, wenn i zu Euch kumm no mol, aber
hier hän Ihr kei Recht uf mi z’schimpfe, hier in dere Schtube han i
mehr Recht als Ihr. I han im Annemai gholfe, un mit Gotts Hilf han i
ner gholfe, un nit mit Hexekünschte. Un des isch Husfriedensbruch un
Beleidigung, soviel weiß i au no vom Recht. Un wenn’s druf akummt, mein
i alls, Ihr hänt Dreck am Schtecke un nit i. Un i mein alls, Ihr hänt
hier nix verlore. ’s Annemai hät nit nach Euch verlangt, un händle am
e Krankebett tu i nit.“ Sie machte dem Pfarrer höflich die Tür auf und
stand wartend da. Der hob drohend die Faust. „Ich gehe, ich gehe Euerm
ungewaschenen Mundwerk aus dem Weg, aber das sollt Ihr mir büßen.“ Und
ohne einen Blick nach der Kranken, ohne einen Gruß ging er.

Als wäre nichts geschehen, wickelte die Gertrud der Kranken die neuen
Huflattichblätter um den Arm, legte das dritte ihr aufs Herz und
beruhigte die leise Jammernde: „Schauet nur, d’Gschwulscht isch scho
fascht völlig gschwunde, i sag Euch, morge seid Ihr gsund.“ Und die
Kranke fühlte selber, wie sehr der Arm besser geworden war, und lag
schließlich mit glücklichen Tränen in den Augen beruhigt unter ihren
Federbetten.

Am Nachmittag kam der Doktor aus der Stadt, und wenn er auch wetterte
und fluchte auf die Altweiberwirtschaft, er mußte doch zugeben, daß
jede Gefahr für die Kranke vorüber war. Er zuckte die Achseln, sprach
von Selbsthilfe der Natur und verließ kopfschüttelnd die Stube. Draußen
fing ihn die Bauersfrau auf und erzählte ihm, was die Gertrud gewagt
hatte, denn sie hatte natürlich an der Türe gehorcht bei dem Disput
mit dem Geistlichen. Der Arzt hörte ihr zuerst etwas ungeduldig zu,
dann aber lachte er doch laut auf, als die Bäuerin die resoluten Worte
der Gertrud wiedergab, und er klinkte die Tür noch einmal auf und rief
fröhlich der Annemai zu: „Ich laß auch die Gertrud schön grüßen.“ Und
immer noch lachend sprang er die Treppe hinunter in seinen Wagen und
fuhr davon.

Als ’s Annemai am dritten Abend richtig bei der Gertrud auf der Bank
saß, da hätte die Gertrud nicht mit einer Königin getauscht. Die Bauern
machten nicht viel Worte, aber sie wußte, sie war die Erste im Dorf
jetzt, und ohne ihren Rat und ihre Hilfe geschah nichts mehr, und wenn
einer den Pfarrer erwähnte oder ängstlich fragte: „Wird er wirklich
d’Gertrude verklage?“, dann sagte sie nur mild: „Der arm Tschole.“
Und bei den Bauern, die von Anfang an zu ihr gehalten hatten, fügte
sie wohl noch hinzu: „Es wundert mi eigentli doch, daß Ihr Euch so ä
bschränkte Mensch als Pfarrer gfalle losset. ’s Dorf hätt au ä anders
Ansehe, wenn mer e weng ä gschitere Herr hätte.“

Der Pfarrer, der ein etwas cholerischer Mann war, sonst aber gern seine
Ruhe hatte, unternahm nichts gegen die Gertrud, was die natürlich auf
ihre Weise den Bauern ausdeutete: „Gellener,“ sagte sie, „der hüt sich,
er hät Angscht.“ Die Bauern glaubten’s gern, und der Pfarrer hatte
nur noch wenig Anhänger im Dorf. Denn wenn sie auch alle einen großen
Respekt vor Gertruds Weisheit hatten, daß der Pfarrer sich auch vor der
Gertrud zu fürchten schien, das schadete seinem Ansehen doch sehr. Und
die Gertrud herrschte immer unumschränkter im Dorf, die Kirche wurde
immer leerer, und selbst die Feldprozessionen, die sonst immer mit
großem Zulaufe abgehalten worden waren, waren dieses Jahr armselig: ein
paar Kinder, die von Zwangs wegen mitmußten und ein paar alte Männlein
und Weiblein. Die Bauern erwarteten viel mehr vom Spruch der Gertrud,
die auf Bitten hin gerne in Mondscheinnächten über die Felder ging und
den Bauern volle Scheunen herabzog mit dem kräftigen Mondsprüchlein,
das da heißt:

    „Mondsichel steige,
    Belade die Zweige
    Mit quellender Frucht.
    Wenn du rundest dich wieder,
    So falle hernieder
    Der silberne Tau
    Auf die blühende Au.
    Bis im Dunkeln du ruhst,
    Behüte den Blust.“

Im Dorfe gärte es immer mehr, und die Gertrud triumphierte immer
bescheidener. Der Pfarrer, dem die gute, bequeme Pfründe ans Herz
gewachsen war, wetterte gelegentlich von der Kanzel, aber wenn er
seinem Zorn wieder Luft gemacht hatte, dann ließ er seine rebellische
Gemeinde laufen, wie sie wollte. Aber der Pfarrköchin, der Fräulein
Martha, der brach’s schier das Herz, daß ihr Herr so wenig Macht
und Ansehen mehr hatte; man kam ja kaum mehr zu ihr ins Pfarrhaus
um Rat und Hilfe zu bitten, was hatte sie denn jetzt von ihrem
Pfarrköchinnentum. Jede simple Bauersfrau hatte genau soviel Einfluß
wie sie, und da war nur diese gottlose Schwäche ihres Herrn daran
schuld. Das wollte ein Diener der heiligen Kirche sein! Sie, die
einfache, bescheidene Pfarrköchin, sie wußte besser, was der liebe
Gott und die heilige Kirche verlangten. Nicht umsonst sollte sie der
Bischof bei der heiligen Firmelung zum Streiter Gottes geweiht haben;
wenn ihr Herr das vergessen konnte, dann mußte sie eben kämpfen. Das
war sie unserer lieben Mutter, der Kirche schuldig. Soviel war ihr in
diesen Wochen der Vernachlässigung klar geworden. Nun hieß es zunächst,
unauffällig sich dem Feinde nähern und dessen Position kennen lernen.
Dann würde ein Feldzugsplan ihr schon klar werden. Sie wollte sich
krank stellen und scheinbar um Hilfe bitten; irgend eine Blöße, wo sie
angreifen konnte, würde die Gertrud ihr dann schon bieten.

So ging sie denn mutig an einem hellen Nachmittag zur Gertrud ins
Häuschen. Sie begrüßten sich ein wenig feierlich, die entthronte
Fürstin und die regierende Fürstin, sie reichten sich die Hände, und
die Gertrud schob dem Gast den geerbten Lehnsessel hin und setzte sich
erst auf einen Holzstuhl, als die Fräulein Martha wohl plaziert war.
Dann wartete sie auf die Eröffnung des Kampfes; denn daß es sich darum
handelte, war ihr schon gleich klar geworden, als sie die Pfarrköchin
auf ihr Häuschen zukommen sah.

„Behaglich und gar still habt Ihr’s aber hier,“ eröffnete Fräulein
Martha das Gespräch, „wer doch auch so in beschaulicher Ruhe leben
könnte.“ Die Gertrud verzog keine Miene. „Jo, i bin scho z’friede,“
hielt sie für eine genügende Antwort. „Ich wär schon lang gern komme,
Euch in Euerm neue Häusle zu besuche, aber Ihr wißt ja, unsereins,
man ist halt nicht sein eigener Herr.“ „He jo frili,“ schaltete die
Gertrud ein. Fräulein Martha unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer.
So kam sie nicht vorwärts. Sie gab sich einen Stoß und meinte: „Ihr
werdet lache und denke, so sind die Mensche, und Ihr habt eigentli
recht, wenn ihr schimpfet: erst die Not treibt mich zu Euch.“ „He
des wär,“ nahm die Gertrud teil. „Ja,“ beteuerte Fräulein Martha, „i
weiß mer nimmer z’helfe, und Ihr wißt ja: wenn die Not am höchsten,
ist die Hilfe am nächsten, das kann man hier wohl sagen. Ihr seid mir
eingefallen in meiner Not, i kenn ja Euer gscheite Kopf von früher
her, und da hab i mir denkt, wenn einer helfe ka, wenn’s Gotts Wille
isch, dann isch es die Gertrud.“ Wenn das Fräulein Martha in Eifer kam,
vergaß sie manchmal ihr Hochdeutsch, und sprach gut Rupertsweilerisch.
„Ja, aber des wär,“ meinte wieder die Gertrud, „was könnt denn ’s
Fraile Martha drucke, wo sie doch die bescht Hilf im Hus hät; un wenn
einer e gute Rat brucht hät, no hät er doch nur zum Fraile Martha
z’goh g’het, un g’holfe war em.“ Fräulein Martha schluckte etwas an
dieser Vergangenheit in Gertruds Satz; aber Gertruds Ernst und das
Geheimnisvolle im Häuschen, der starke Duft der Kräuter, die Tiere
in den Spiritusflaschen, die merkwürdigen Zeichnungen an den Wänden,
all das fing an, auf Fräulein Martha zu wirken. Gertrud erschien ihr
stark, wie noch nie, als die Mächtige, in deren Händen wirklich das
Wohl und Wehe des Dörfleins ruhte. Das ward ihr klar, mit List war da
nichts zu erreichen. Helfen konnte die Gertrud, das fühlte sie, aber
nur wenn sie gerne helfen wollte. Und so verwarf sie mit einem Ruck
ihren ganzen vorsichtigen Plan, sie fühlte sich zu unsicher, und die
abwartende Ruhe der Gertrud brachte sie ganz aus der Fassung. Wirkliche
Tränen kamen ihr in die Augen, und sie ergriff Gertruds Hand und
bat: „Gertrude, helfet us.“ Gertrud horchte auf, das klang ehrlich.
„Gertrude,“ begann die Pfarrköchin noch einmal, „schau, Ihr seid
doch so e gscheite Person, Ihr mißt doch des selber isehe, des kann
kei guets End nehme. Der Pfarrer im Ort darf doch nit alle Reschpekt
verliere; wenn seine Pfarrkinder lache über de Pfarrer, no isch’s us,
und er ka nimmi zu Gottes Ehre wirke in sim Dorf. Un entweder die
Lüt verkomme grad im Dreck un Elend, oder er muß halt go. Un schau,
Gertrude, wenn unser Herr fortgeht, was hän Ihr denn eigentli gwonne?
Es kummt jo nur ä anderer, un ob ä bessere, des wisse mer au nit. Un
Ihr seid doch immer fromm gwese, un habt doch sicher nix gege unsere
heilige Kirche. Denket au, wenn’s emol ans Schterbe got, ’s schtirbt
sich doch au viel lichter, wenn mer sei Pfarrer bei sich hät, bei
dem mer sei erschte heilige Kommunion gnomme hät, der eim au kennt.
Ihr könntet unserm Herr sei Ansehe wiedergebe, wenn Ihr nur wolltet.
Gellener Gertrud, Ihr helfet?“ Die Gertrud hatte die ganze Rede mit
unbeweglichem Gesicht über sich ergehen lassen. Nun stand sie auf und
ging, an ihrem Pult ein Buch langen. Sie fürchtete, der Schalk in ihrem
Auge könnte sie verraten. Ihr kam die Bitte der Pfarrköchin gar nicht
so ungelegen. Sie hatte sich selber schon gefragt, wozu das alles
führen sollte. Ihr wuchs die Bewegung über den Kopf. Sie wollte den
Pfarrer ja eigentlich gar nicht aus dem Dorf forthaben. Sie hatte nur
den Weg nicht gefunden, mit Anstand zurückzugehen. Den bot ihr nun die
Pfarrköchin, und sie stand noch groß da als Helferin und großmütige
Feindin. Und einen kleinen Schabernack wollte sie dem Pfarrer schon
noch antun. Als sie ihre Miene wieder in der Gewalt hatte, kam sie zu
der in ängstlicher Atemlosigkeit harrenden Pfarrköchin zurück. „Fraile
Martha, i will Euch was sage. Des was Ihr mir do verzählt, des han
i mer alles scho lang gsait. I hät scho lang gern e Sympathiemittel
angwendet, um unsere Herr wieder wohlan si zlasse bei de Bure, aber
i ka’s nit allei mache. Un daß Ihr zu mir komme sin, des isch grad e
Fügung Gottes. Aber --“ und sie zögerte lange -- „aber, aber i sag
Euch glei, Fraile Martha, ’s isch e schweri Sach un ob Ihr’s werdet
durchführe könne --?“ Die Fräulein Martha fuhr eifrig auf: „’s mag
si was es will, i werd ’s scho mache.“ „Wenns nämli nit ganz gnau
durchgführt wird,“ meinte die Gertrud eindringlich, „no bfallet den
Betreffende, für den mer’s tut, böse Schmerze, un d’Sach schtoht
schlechter als vorher. ’s erscht wär licht. Ihr müsset nur von der
Kirche, vom Schulhus, vom Rathus un von de angsehnschte Burehüser ä
Schnipfeli Holz abschnide. Sell könnet er licht so nach un nach mache.“
„Ja natürlich,“ nickte die Fräulein Martha voller Spannung. „Wenn
Ihr denn alle bienander hänt,“ fuhr die Gertrud fort, „no müssener
domit in der Fruah ’s Herdfüer azünde un im Pfarrer druf si Kaffee
koche, ’s derf aber niemed suscht vu dem Kaffee trinke. Un e weng vom
Wasser hebener uf un traget’s unbschraue in d’Kirche un schüttet’s
ins Wihwasser.“ „Ja, ja, das will ich schon gewissenhaft ausführe“,
sagte zögernd das Fräulein Martha. „Jo weggerle, wenn Ihr jetzt scho
zappelt,“ meinte schmunzelnd die Gertrud, „des isch’s Lichtescht
an dere Sach. Also höret: Drei Nächt lang, bschtimmti Nächt, wenn
Vollmond isch, muß der Pfarrer im Bett von ere Jungfrau schlofe. Jo
bhüt Gott,“ wehrte sie der entsetzt aufspringenden Pfarrköchin, „bhüt
Gott, daß i was Unrechts mein; natürlich im ä Bett, wo e Jungfrau drin
gschlofe hät; was denkener denn au.“ Die Pfarrköchin setzte sich tief
aufatmend. „Grad in dem Fall isch ’s meini gar nit so schwer zmache,
Fraili Martha, Ihr weret scho irgend e Usred finde, daß der geischtlich
Herr drei Nächt in Euerer Kammere schloft.“ Die Pfarrköchin nickte und
meinte nachdenklich: „Jo jo, das ging schon z’ mache.“ „Un des isch
grad bsonders gut, wie sich des in Euerm Fall trifft,“ fuhr Gertrud
fort, „denn wissener, sunscht hät i schier Angscht des zrote. Denn
im Buch schtoht mit menge Bischpiel, wenn’s ebe kei reine Jungfrau
isch, no schtirbt der Ma im nächschte Mond.“ Wieder drehte sich die
Gertrud geschäftig nach ihrem Pult um und blätterte in einem Buch.
Fräulein Martha saß versunken in Gedanken. Nun hob sie den Kopf und
sprach zu dem breiten Rücken der Gertrud hin: „Meinet Ihr, des mit dem
Verbrenne von de Spänli dät nit allei scho helfe?“ „Jo bhüt,“ sprach
die Gertrud, „Ihr wisset jo, was e reine Jungfrau für e bsunderi
Kraft un Gwalt im Himmel un uf der Erd hat, un die Kraft muß in der
Pfarrer übergoh, daderdurch, daß er drei Nächt in dem Bett schlofet;
sunscht hilft die ganzi Sympathie nix. Un wie i scho gsait hab, in
Euerm Fall ...“ „Ja,“ unterbrach die Pfarrköchin, „sell scho. Natürli
könnt i des scho so einrichte ...“ Sie wand sich auf ihrem Stuhl,
zupfte imaginäre Stäubchen von der Armstütze ihres Sessels; endlich
fiel ihr ein triftiger Grund ein: „Aber denket au, die böse Müler!
Wir Pfarrköchinnen könne nit vorsichtig genug sei. Wenn jemand davon
erführ, der Herr in meim Zimmer sehe tät, mei Zimmer liegt nach der
Straße zu. Nein, das geht nicht.“ Die Gertrud blätterte immer noch in
ihrem Buch. „Ja, wie denket Ihr des sonscht zmache,“ meinte sie nun,
„in änem fremde Hus, do wird’s halt schwer zmache si. Un des Mittel
isch e so sicher. Do lies i grad e Bischpiel, wie si e Bürgermeischter
in äre große Stadt grad uf Hände trage hänt, nachdem er die Sympathie
angwendet hät, un vorher hen sie em d’Fenschter igschmisse.“ Fräulein
Martha schlug auf die Lehne ihres Sessels: „So goht’s, so mache mer’s.“
Gertrud spitzte die Ohren. „Wissener,“ erklärte Fräulein Martha, „mei
Bäsle, ’s Eva, siebzehn Jahr isch’s alt. I hab’s in d’Schtadt in
d’Nähschul tue. Da leg i d’Hand ins Feuer, eine reine Jungfrau isch es
noch. Scho als kleins Mädele hat sie für kei andere Mensche so viel
übrig ghabt, wie für unsere Lehrer, vor eme Jahr scho hätet sie sich
gern ghürotet, die zwei; deshalb hab i sie in d’Schtadt tue. Der Herr
will’s nit ha, der Lehrer isch so e Liberaler; sonscht e ordentlicher
Mensch. I hät’s dene zwei gunnt, daß sie e Pärle worde wäret. Wenn i
der Eve schreib, sie dürf auf e paar Woche heimkomme, die isch selig.
Un derno, wenn sie ä paar Tag da isch, dann kann ich ja in des Herrn
Zimmer irgend eine Reparatur mache lasse, und ihn ins Ev sei Zimmer
umquartiere, des geht scho.“ Die Gertrud hatte sich umgedreht und große
Zufriedenheit strahlte aus ihrem Gesicht. „Nei, Fraile Martha, Ihr hän
der Kopf am rechte Fleck, des isch gar ä gute Ifall. Natürli, ’s Ev.
Aber hörener, im Ev si Kammere isch jo nur vom Garte us übers Trippel
zugängli.“ „Ja,“ nickte Fräulein Martha erstaunt. „No müsset Ihr’s
irgend dem Herr bibringe, daß er jo recht heimli in d’Kammere goht, ’s
derf niemet sehe, ’s derf niemet dervu wisse. Soviel wissener jo au vu
dene Sache. Bschraut mer si, no isch’s vorbi mit aller Kraft un allem
Sege.“ „Jo, i muß halt dem Herrn sage, daß er wege de Leut vorsichtig
sei soll; des mach i denn scho,“ beruhigte die Pfarrköchin. „Hejo,“
beschloß Gertrud, „mehr kann i nit dabei tue. Ihr müsset Spänli sammle
und im Bäsle schribe, un derno sag i die Nächt, die mer wähle müsse. In
vierzehn Täg hän mer Vollmond, derno isch die recht Zit. Aber redet nit
drüber. Un wenn’s Gotts Wille isch, no goht alles guet us.“ Fräulein
Martha hatte sich erhoben und schüttelte der Gertrud dankbar die Hand.
„Vergelt’s Gott tusigmol, und an mir soll’s nit fehle. Ich bin nur
froh, daß ich den Mut gefaßt hab, Euch meine Sorgen zu klage. Bei Euch
findet man immer Hilfe.“ „Gern gschähe isch’s, gern,“ versicherte die
Gertrud und begleitete ihren Besuch bis vors Häusle. Und dann sah sie
der eilig Davoneilenden noch lange mit sehr vergnügtem Schmunzeln nach.
„So, Herr Pfarrer, ne kleine Denkzettel krieget Ihr jetzt doch noch,
oder i will nit d’Gertrude heißen. Aber dann isch Friede.“ Sie nickte
sich selbst bestätigend eifrig mit dem Kopf, und ging ins Häusle zurück
an ihre Arbeit.

Das Bäsle kam ins Dorf, und in dem Lehrer wachte die Hoffnung wieder
auf, seine Ev doch noch zu erringen, und gar gefühlvoll spielte er
die Orgel am Sonntag, so daß der Pfarrer ganz freundlich ihn grüßte
nach dem Gottesdienst, denn schöne Musik liebte er auch. Der Vollmond
kam, und Fräulein Martha hatte der Gertrud noch einen Besuch im Häusle
gemacht. Und am Morgen nach der Vollmondnacht traf die Gertrud den
Lehrer an der Kirchhofsmauer, sie kam scheinbar vom Wald zurück, sie
hatte große Kräuterbündel im Arm. Der Lehrer wollte, noch bevor er
in die Schule ging, den Pfarrgarten, der an den Kirchhof stieß, ein
bißchen inspizieren, ob er keinen heimlichen Gruß von seiner Eva
erhaschen könnte. Die beiden begrüßten sich, und die Gertrud knüpfte
geschickt ein Gespräch an. Ganz gelegentlich kam dann die Frage: „Han
se eigentli im Pfarrhus Herrebsuch?“ „Nit daß ich wüßte,“ meinte der
Lehrer. „So, so,“ sagte die Gertrud, „i han geschtern Obig, ’s war scho
arg schpot, han i e Mannsbild uf em Trippele gseh un in d’Fremdekammer
ni goh.“ Der Lehrer lachte. „Aber Gertrud, ich glaub gar, Ihr seht
Gspenster. ’s Ev ist doch da, die wohnt doch oberm Trippel.“ „So, so,
’s Ev,“ murmelte die Gertrud scheinbar mißtrauisch, „aber blind bin i
nit,“ setzte sie trotzig zu. „Des war nit d’Ev, geschtern z’Nacht.“
Dann, als sie den Argwohn im Gesicht des Lehrers aufleuchten sah, sagte
sie harmlos schelmisch: „Herr Lehrer, Herr Lehrer, so, ’s Ev wohnt da;
no i will nix gseh habe.“

Und lächelnd und kopfschüttelnd ging sie eilig fort und ließ den
armen Lehrer mit seiner Eifersucht stehen. Und es kam, wie sie
erhofft hatte. Am Abend stand der Lehrer Schildwache, sie beobachtete
ihn, gedeckt hinter einem Stein des Friedhofs. Bald darauf sah sie
den Pfarrer schnell und scheu um die Ecke huschen und die kleine
Treppe hinaufeilen. Erkennen konnte man ihn nicht; plötzlich war er
aufgetaucht und schnell schon hinter der Tür verschwunden, und die
Seite des Hauses lag im tiefen Schatten der großen alten Nußbäume.
Dann sah Gertrud den Lehrer über die Mauer klettern und nach dem
Trippel zueilen. Erst fürchtete sie, er würde Lärm schlagen, aber die
Eifersucht machte den armen Kerl klug. Er duckte sich in den Schatten
und setzte sich auf die Bank unter dem Trippel. Wieder hatte die
Gertrud richtig gerechnet. Der Lehrer wollte den Eindringling abpassen,
und der derbe Knotenstock, den er in der Hand hielt, der würde wohl
dann mitsprechen. Die Gertrud beschloß auch zu warten. Ihr machte
das gar nichts, eine kurze Sommernacht im Mondschein zu sitzen. Ihre
Gedanken würden sie schon wachhalten, und dem Lehrer gönnte sie die
Qual dieser Stunden, er hatte doch manchmal etwas hochmütig zu ihr
gesprochen. Und der Mond ging langsam nach Westen und bald erhob sich
ein leiser Wind, im Osten flammte lichte Röte auf, und der rosige
Schein verschlang die bleiche Kugel im Westen, bis sie nur noch wie
ein helles Wölkchen über dem Horizont stand. Da erklang auch schon
die Betglocke im Kirchturm, und andächtig faltete Gertrud die Hände.
Friede sollte heute werden zwischen ihr und dem Pfarrer, Friede in der
ganzen Gemeinde. Sie wollte es ganz dem lieben Gott anheimstellen, ob
der Lehrer den Pfarrer rechtzeitig erkennen würde, ober ob ein paar
Hiebe noch erst den unschuldigen geistlichen Herrn treffen würden. Das
stellte sie in Gottes Hand, ob er das Unrecht, das ihr, der Gertrud,
geschehen war, noch strafen wollte, oder ob er dem Lehrer die Augen
noch früh genug öffnen würde. Aber dann würde sie dazwischentreten und
alles erklären und versöhnt fortan dem Pfarrer sein Recht einräumen
im Dorf. Die Betglocke verklang, und gespannt richtete sich die
Gertrud auf, nach dem Pfarrhaus zu sehen. Der Pfarrer mußte jetzt
jeden Augenblick heraustreten, es wurde bald Zeit zur Frühmesse. Der
Lehrer hatte sich ganz in die Ecke des Lattenwerks unter dem Holzgang
gedrückt, kaum konnte sie ihn erkennen. Da knarrte oben die Tür, und
eiligen Schrittes stieg der Pfarrer die Stufen herunter. Er war in
Hemdsärmel und Hosen, die Soutane hatte er über dem Arm hängen. Gerade
wollte er um die Ecke biegen, als er von hinten gefaßt wurde und eine
von Erregung heisere Stimme aufbrüllte: „Hab ich dich, du Lump du!“
Und ein derber Hieb mit dem Knotenstock saß da auf dem breiten Rücken
des Pfarrers. Der versuchte vergebens sich frei zu machen, sein
unbekannter Gegner hielt ihn mit eiserner Faust im Genick fest. Bevor
aber noch ein zweiter Hieb fiel, stand die Gertrud wie aus dem Boden
gewachsen vor dem ergrimmten Lehrer: „Ums Jesu Wille, Herr Lehrer,
was machet Sie au!“ schrie sie den Verblüfften an. „Was packet Sie
de Herr Pfarrer, so kommet doch zu Euch.“ Der Lehrer war aber durch
die Erklärung, wer der nächtliche Besucher im Zimmer seiner Ev sei,
keineswegs beruhigt. Er ließ allerdings los und trat zurück, aber
sein Gesicht sah finster genug aus. Der Pfarrer rieb sich ergrimmt
die schmerzende Schulter und suchte nach Worten, seine Entrüstung zu
äußern. Aber die Gertrud war schneller bei der Hand. „Ihr Hansnarr
Ihr,“ sprudelte sie den Lehrer an, „schämet Euch au, von unserm Herrn
Pfarrer so zdenke. Un au no mit der Ev, wo doch sei ... Ihr wisset jo.
Un von der Ev, von Euerm Bräutle. -- Ganget doch ufi ins Kämmerle,
wenn Ihr mir nit glaube went, da isch die Ev nit. Wenn Ihr nit so
hochnäsig wäret un au mit de Leut rede tätet, no wüßtet Ihr, wie mir
alle im Dorf, daß im Pfarrer sim Zimmer sit zwi Täg der Schriner isch,
die Diele sind ufgrisse, un so isch er usquartiert worde ins Bäsle
sei Kammer. Un ’s Bäsle schloft bei der Fraili Martha. He, ’s isch
nur au grad e Schickung, daß i vom Kräutersammle grad zrück kumme bi
un Euer Schraue ghört hab, ’s het jo grad e Unglück passiere könne.“
Der Pfarrer schaute ziemlich verdutzt drein, er verstand von der Sache
sehr wenig und der Lehrer wußte auch kaum, was nun tun. Da kam, von dem
erregten Sprechen angelockt, Fräulein Martha und die Ev aus dem Haus
heraus und sahen mit Staunen die drei Menschen da stehn. Dem Lehrer
schwanden nun die letzten Zweifel, und verlegen und sehr herzlich bat
er den beleidigten Pfarrherrn um Verzeihung ob des Überfalls. Die
Gertrud erklärte mit ein paar rasch geflüsterten Worten dem Fräulein
Martha soweit möglich den Vorfall und gab ihr noch ein paar weitere
Verhaltungsmaßregeln. So ging denn Fräulein Martha und half die beiden
versöhnen und äußerte zum Schluß: „Aber Herr Lehrer, ich hoffe doch,
wir dürfen uns auf Ihre Diskretion verlassen, davon darf nichts in die
Öffentlichkeit dringen.“ Und da die Gertrud Gelegenheit gehabt hatte,
dem Lehrer auch zwei Worte ins Ohr zu flüstern, so verstand er auch,
wie er die Lage zu seinem Vorteil wenden konnte. Er trat noch einmal
zu dem Pfarrherrn vor und machte einen ehrerbietigen Kratzfuß: „Herr
Pfarrer, Sie haben ’s Eve mir emal abgeschlagen, ich mein alls, wenn
ich Ihr ... wenn Sie mir ’s Bäsle von der Fräulein Theres zur Frau
geben würden, dann wäre diese ganze traurige Sache am besten begraben.
Als Ihr ... als Mann vom Bäsle von der Fräulein Martha können Sie
doch meiner ganz sicher sein, und meiner Treue und Ergebenheit.“ Die
Fräulein Theres stupfte den Pfarrer in die Rippen, und der zögerte auch
nur eine ganz kleine Weile, dann reichte er der Ev die Hand und zog sie
zum Lehrer und legte die Hände der beiden ineinander. „Meinetwegen,
meinen Segen habt ihr.“ Er rieb sich noch einmal die schmerzende Stelle
und fügte dann hinzu: „Und wenn’s mal not tut, dann verteidigt mich
auch so tapfer wie ihr ...“ Auf einen erneuten Rippenstoß von Fräulein
Martha schluckte er den Satz hinunter. „’s isch höchste Zeit zur
Frühmesse,“ schaltete Fräulein Martha eilig ein, „nachher sprechen wir
weiter; der Herr Lehrer ist ja doch unser Gast beim Mittagessen, und
ich mein, auch die Gertrud gehört heute dazu.“ Die Fräulein Martha
wußte, was sich schickte. Mit einem Knicks bedankte sich die Gertrud,
und „Vergelt’s Gott, und b’hüt’s Gott miteinander“ murmelte sie noch,
und dann eilte sie ihrem Häuschen zu.

Am Abend war der Zulauf zu ihrer Bank besonders stark; denn die Ehre,
die der Gertrud widerfahren war, hatte sich schnell herumgesprochen.
In ihrem höchsten Staat war Gertrud um die Mittagszeit in den Pfarrhof
gewandert und erst um zwei Uhr wieder fortgegangen, in heiterm
Gespräch mit dem Herrn Lehrer, der dann hell lachend in das Schulhaus
verschwand. Und nur am Abend erzählte die Gertrud von der Verlobung im
Pfarrhaus, die nun kein Geheimnis mehr war. „Un wissener,“ schloß sie
ihren Bericht, „unser Pfarrer isch recht, alles was recht isch, mer ka
nit anders sage. Er isch in dere letzschte Zit e weng ufg’hetzt gsi
vo dene ganz Schwarze in der Stadt un het nimme recht gwußt, wonaus
und wonei. Aber mir hän üs usgschproche, un wie gsait, alles was recht
isch, ’s isch e braver Herr. Un daß er ’s Ev em Lehrer gibt, der doch
e Liberaler isch, do sehener doch, daß er e guts Herz hät un kei so
stockvernagelte Schwarze isch, wie mer gmeint hät. Wie gsait, mir hen
üs so recht usgsproche hüt, dodrum hät er mi emol im Pfarrhus ha wolle,
daß mer so recht gmütli dischkuriere könne, un i kann nur sage: ’s isch
e rechte, brave Herr. Jetz wo er wieder weiß, weller Weg er geh soll.“

Und die Rupertsweiler fügten sich ihrem Urteil, und bald genug hieß es
einstimmig im Dorf: „Unser Pfarrer? Jo des isch e rechte, brave Herr.“



Ein verdienstliches Werk


„Gell Lenebas, du denksch au ans Mariele bei seinere erschte Kommunion?
I kan em jo die fine Sache un alles nit anschaffe. Der Pfarrer hett
mer vom Kommunikanten-Verein der Stoff zum Kleidli gä, un dem Lehrer
si Frau ’s Betbuch und der Rosekranz, aber ’s ander alls fehlt no.“
Die alte Sailern war das Bitten und Betteln gewohnt, seit ihr Mann
sie früh als Witwe in dem kleinen winkligen Häusle mit vier kleinen
Kindern zurückgelassen hatte. Hier und da konnte sie in die nahe Stadt
als Waschfrau gehen oder ein paar Eier den Stadtfrauen verkaufen, im
Sommer brachten die Kinder Beeren aus dem Wald für den Markt; aber doch
war Bargeld eine rare Sache, und wenn die Paten der vier Maidele nicht
hier und da ausgeholfen hätten, wäre es wohl gar nicht gegangen, den
kleinen eigenen Winkel zu behalten. Die Lenebas nickte auch freundlich
zu der vorgetragenen Bitte: „He freili jo, wenn eins zum erschtemol
zu unserem Herrgott geht, des isch e gar guet Werk, wenn mer doderzu
hilft, dös tu i gern. Schick’s Mariele nur her, i gang so morn i
d’Stadt, no kann’s am Obig sei Sach hole.“ Die Sailern empfahl sich
mit vielen „Vergelt’s Gott tusigmol“ von der wohlhabenden Bas und ging
ein paar Häuser weiter, dieselbe Bitte vortragen, und am Abend hatte
sie so ziemlich die Runde bei allen reichern Bauernfrauen gemacht und
war ihrer Sorgen wieder einmal ledig. Alle hatten gern versprochen,
ihr Scherflein für die kleine Erstkommunikantin beizutragen. Am
andern Abend schickt die Sailern denn auch das Mariele zur Bas: „Un
vergiß au nit z’sage, daß de an dim Ehretag recht bette wilsch für
deini Wohltäter.“ Und die Lenebas hatte auch richtig ein paar feine
Knopfstiefel fürs Mariele gekauft, mit schönen Lackspitzen. ’s Mariele
hätt vor lauter Freud über die „glänzige“ Stiefel fast sein Sprüchle
vergessen „vom bette für seine Wohltäter“. Vergnügt zeigt’s die
Stiefel, „schönere het’s Bürgermeisters Marie au keine g’hätt“, der
Mutter, und die schickt’s gleich weiter zur Patin, zur Burgerbäckin:
„Paß uf, die schenkt ders Kränzli und der Schleier und am End gar no
d’Kerze.“ ’s Mariele geht den steilen Weg zu dem stattlichen Hof mit
ungeduldigen Hopsern hinauf, und die Bäuerin winkt ihr vom Eckfenster
schon zu mit freundlichem Lachen. „Grüß Gott, Mariele, jo du kumsch
gerad zrecht, i ha der dei Sach scho gricht. Waisch, i tu’s gern,
’s isch gar e verdienschtlichs Werk“ ... und damit wickelte sie ein
Paket auf, „wenn mer em Erstkommunikantli d’Stiefel schenkt, mit dene
’s zum erschtemol zum Tisch des Herrn geht.“ Dem Mariele kamen fast
Tränen in die Augen, wie’s hörte, daß es schon wieder Stiefel bekommen
sollte, aber als die Bäuerin ihr das Paar entgegenhob, verschlug’s
ihr fast den Atem: weiße Lederstiefel! So fein war nur ’s Doktors
Tochter zur ersten heiligen Kommunion gekommen vor drei Jahren. „Jo
gell, do schaust,“ meinte die freundliche Patin, „i han mer’s ebbes
koschte losse. Weisch, nochher kansch se schwarz mache -- aber unser
Herrgott wird’s mir anrechne, so ä arm Maideli muß doch au ämol im Läbe
si Ehretag ha -- bett halt schön für mi, wenn de unser Heiland zum
erschtemol in dim reine Herzle häsch. ’s isch kei Gebet so kräftig,
wie des von so enem unschuldige Erstkommunikantli.“ Die Sailern machte
ein betroffenes Gesicht, als ’s Mariele strahlend zurückkam, aber die
selige Freude ihres Kindes mochte sie doch nicht verderben, und so ging
sie zur Lenebas und erzählte der von dem zweiten Paar Stiefel. Die
erboste sich aber arg, nachdem sie die Sache begriffen: „Was! meini
Stiefel sind der Rotznas jetzt nimi schön gnug, weil die hochnäsig
Burgerbäckin dem Maidli der Kopf verdreht hätt mit wiße Stiefel! I loß
mir vo dere nix wegnehme. Wenn mer d’Stiefel schenkt, mit dem eins
zum erschtemol zur Kommunion geht, so rechnet des unser Herrgott eim
ganz bsonders a, dös laß i mir nit nehme, und in meine Stiefel geht’s
Mariele in d’Kirch, oder i will nix mehr von euch Bettelpack wisse --
so, jetzt waisch’s.“ -- Die Sailern wollt’s nicht verderben mit der
sonst gutmütigen, kinderlosen Lenebas und ging auf ihre Seite über:
„Jo i ha’s glei gsait, ’s isch verruckt, dem arme Maidli wißi Stiefel
zgä, i gang jetzt zu ner, un ’s Mariele muß dine Schuh anziehe, un
unser Herrgott soll’s der vergelte.“ Die Burgerbäckin nahm aber das
Anliegen der Sailern, die Stiefel gegen irgend ein anderes nötiges
Stück umzutauschen, erst recht ungnädig auf. „I ha’s gut gmeint, un
dös isch jetzt mei Lohn, so geht’s uf dere Welt. -- D’ Lenebas hätt
gar kei Recht, d’Stiefel z’schenke, des kommt mir zua, i bin d’Patin,
un unser Herrgott tät’s mir nit verzeihe, wenn i meim Patekind nit
d’Stiefel zu seinere erschte heilige Kommunion schenke tät. Des laß
i mir nit nehme, des ghört zu meine geischtliche Pflichte, un uf em
Sterbbett tät i’s im Mariele nit verzeihe, wenn’s nit mit meine Stiefel
’s erschtmol zu unserm Herrgott geh tät.“ -- Die Sailern nickte mit
bekümmertem Herzen und stimmte der reichen Patin zu, gab ihr in allem
recht und verschwand aus der Stube mit einem „Tusigmol vergelt’s Gott“.
Und ’s Mariele bekam eine derbe Ohrfeige, als sie bei der Heimkunft der
Mutter mit den weißen Stiefeln im Zimmer vorsichtig herumstolzierte.
„Des mag unser Herrgott wisse, wie i aus dem Schlamassel rauskomme
soll,“ meinte sie ernstlich besorgt zur ältesten Tochter, „i mein
alls, i frag der Pfarrer drum.“ Zunächst schickte sie aber ’s Mariele
zu den andern Wohltätern; der Schleier, die Kerze, ’s Kränzle, die
Handschuh, Strümpfe und Wäsche mußten noch kommen. Wie’s mit den
beiden feindlichen Stiefelspenderinnen werden sollte, das mußte der
Herr Pfarrer und der Herrgott halt entscheiden. Als aber ’s Mariele vom
dritten, vierten und fünften Bittgang auch je mit einem Paar Stiefel,
verschieden nur an Güte und Feinheit zurückkam, mit der Versicherung
von jeder Spenderin, daß „d’Stiefel, mit dem eins zum erstemal zum
Tisch des Herrn geht, halt a ganz a besonderi Gnad vom Himmel der
Spenderin in Aussicht stellen“, da jammerte sie mit dem Mariele um
die Wette, und es war kein „Vergelt’s Gott tusigmol“, was sie an dem
Abend für die „Wohltäter“ gen Himmel aufschickte. Der Pfarrer, dem
sie am Morgen ihr Leid klagte, machte ihr wohl den Vorschlag, die
Stiefelpaare dem Verein zur Ausstattung von Erstkommunikanten zu
geben und dagegen die andern Gebrauchsstücke einzutauschen; damit war
allerdings ’s Mariele angezogen aber der Zorn der Wohltäterinnen nicht
abgewendet. Der kleinen buckligen Schneiderlene klagte sie schließlich
ihre Not, und die wußte in ihrem hellen Kopf einen Rat: „Wissener, i
mach ’s Kleid vom Mariele so lang, daß mer d’Stiefel gar nit sieht
-- in der Stadt hän sie jetzt au immer d’Kleider vorne und hinte so
lang, daß mer druftritt“, und sie zeigte der ungläubigen Sailern ein
farbiges Modebild, wo wirklich das Kleid ringsum zehn Zentimeter auf
dem Boden lag -- „ganz so lang nit“, beruhigte sie die Mutter, die
zweifelte, ob ihr „gaschpliges Mariele“ drin würde gehen können, „aber
a so, daß mer halt d’Stiefel nit sehne kann.“ Die Sailern wollte sich
schon beruhigen, als ihr einfiel: „Jo, aber die wiße Schuh von der
Burgerbäcki.“ Aber auch dafür wußte die Lene Rat. „Jetzt gangsch no
amol zur Burgerbäcki und saisch zu nere: du tätsch natürli im Mariele
ihre Schuh lo, aber der Pfarrer hätt’s verbote im Mariele, ’s derf nit
in wiße Schuh komme, von wege weil das Neid bi de andere un Hoffart
bim Mariele erwecke könnt. Du müscht se gli anschwärze und sie soll
der’s doch jo nit verüble und em Mariele nix davu sage, dem tät’s so
scho schier’s Herz abdrücke, daß es sie nit wiß anziehe könnt. Aber
der Verdienst von seinere liebe Patin vor unserem Herrgott, der blibt
si jo glich.“ Und so geschah’s, und ’s Mariele ging in einem so langen
„vürnehme“ Kleid zur Kirche, daß es die Treppe hinaufstolperte, und
die verschiedenen Wohltäterinnen verlangten alle vom lieben Gott ihre
Extrabelohnung, weil sie so schön fürs Mariele gesorgt hatten und die
Stiefel geschenkt hatten, mit denen ’s zum erstenmal zur heiligen
Kommunion gegangen war.



Die Lenebas


Die Lenebas war nicht immer die bestgeachtetste Frau im Dorf
Rupertsweiler gewesen. Lange hatte man ihr sehr verdacht, daß sie
es durchsetzte, ihren Hof ganz ohne Knecht besorgen zu wollen. Ein
Abweichen von der Regel liebt man auf dem Dorf gar nicht, und auf ein
Gut von der Größe des der Lenebas gehört ein Großknecht. Und selbst,
daß sie bald Preise heimbrachte von den Geflügelausstellungen, und
daß das Gespinst von ihr und ihren Mägden auf der Großherzoglichen
Landesausstellung den ersten Preis errang und sie von der Großherzogin
die Brosche erhielt, die für fleißige Spinnerinnen von der hohen Frau
gestiftet worden war, das alles half ihr im Dörflein Rupertsweiler
nichts, man zuckte die Achseln über sie und meinte: „So e einschpännigs
Frauezimmer isch halt gschupft, un ’s wird schon noch e bös End
nähme.“ Erst als die Großherzogin bei einer Besichtigung des neuen
Waisenhauses, das in dem ehemaligen Kloster eingerichtet worden war,
auch einen Besuch bei der Lenebas machte und fast eine halbe Stunde
lang deren Geflügelhof besichtigte und sogar ein „Strüweli“ annahm
und am Kaffee, den die Lene ihr anbot, nippte, da schlug die Stimmung
um, und die Bauern rückten die Zipfelmütze, wenn sie an der Lenebas
vorbeikamen, fast wie beim Pfarrer, und sagten hinter ihr drein:
„Die Lenebas, die schafft wie zwei Mannsbilder, dös isch e tüchtigs
Frauezimmer.“ Und von da an kamen sie Rat holen zur Lenebas; eine Frau,
von der sogar die Großherzogin sich hatte zeigen lassen, wie man die
Ställe und Nester für Hühner und Enten einrichtet, die mußte schon über
alles Bescheid wissen. Aber einmal hätte sie doch fast wieder ihren
ganzen Einfluß verloren, und wochenlang tobte der Kampf im Dörfchen
zwischen den Verteidigern, die sehr in der Minderzahl waren, und den
Anklägern der Lenebas, und es gab erhitzte Köpfe. Nur grad die Lenebas
selber blieb ruhig und ging ihren Weg weiter und schien es gar nicht
zu merken, daß sie die meistbeschimpfte Person im ganzen Dörflein war.
Die Lenebas hatte nämlich den Pfarrer zu ihrem Hause hinausgewiesen,
richtig hinausgewiesen, wie einen lästigen, gefährlichen Strolch. Die
Großmagd erzählte es immer wieder im Dorf: „Dagschtande isch se, wie
der heilig Erzengel Gabriel, mir hän uns grad gfürchtet, un zum Pfarrer
hät sie gsait: ‚Ganget usi, uf der Schtell ganget er, oder bigelt, i
nimm e Schtecke und trieb euch usi‘.“ Und die Großmagd und die Zuhörer
bekreuzigten sich jedesmal, wenn sie in der Erzählung wieder an diesem
Höhepunkt angelangt waren. Die Mägde hatten ernstlich unter sich
beraten, ob sie nicht allesamt der Lenebas kündigen wollten; denn das
Strafgericht Gottes mußte ja das Haus treffen, wo so was geschah, und
da wären sie unschuldig mitgehangen. Aber der Erdboden verschlang das
Haus merkwürdigerweise nicht, auch kam kein Hagelwetter und zerstörte
alle Ernte, nicht einmal unter dem Federvieh brach eine Seuche aus; die
legten ihre Eier, als wäre nichts geschehen. Die Großmagd prophezeite
zwar, es würden Basilisken aus den Eiern ausschlüpfen, die die Hennen
grade bebrüteten -- solche Gottesgerichte standen in ihrem Gebetbuch
viele angezeichnet -- aber es kamen gesunde und lustige Kücken und
Entlein heraus wie immer, und da legte sich allmählich die Unruhe der
Mägde, und an deren Stelle kam ein gewisser Stolz, auf einem Hof zu
dienen, wo so eine Frau Bäuerin war, die nicht nur die Großherzogin
zu Kaffee und Sträuble bei sich sah, sondern sogar den Herrn Pfarrer
ungestraft aus dem Haus jagen durfte. Und gut war die Stelle, und gut
war die Lenebas immer gewesen, die Mägde hingen eigentlich alle an ihr
und standen denn auch bald tapfer auf ihrer Seite, wenn jemand wagte,
in ihrer Gegenwart ihre Bäuerin anzugreifen. Und nach und nach wurde
die Auffassung der Mägde vom ganzen Dorf angenommen, und man war jetzt
doppelt stolz auf das „Dunderswib“, die Lenebas.

Und daß die Lenebas den Pfarrer aus ihrem Haus gejagt hatte, das war
so gekommen: Als sie einmal um Weihnachten herum spät abends noch nach
dem Weiher gegangen war, um eine Marderfalle frisch zu stellen -- der
Räuber hatte ihr zwei Prachtshennen weggefangen in den letzten Nächten
-- da sah sie ’s Marei, die Magd vom Schulzenhof, durch den dichten
Schnee auf den Weiher zukommen. Fast wie betrunken stolperte sie daher,
und als die Lenebas sich ihr in den Weg stellte und mit der Laterne
ihr ins Gesicht leuchtete, da sah sie ein verweintes, verstörtes
Gesicht und ein paar Augen, die kaum zu erkennen schienen, was um sie
vorging. Kurz entschlossen, nahm die Lenebas ’s Marei am Arm, schwenkte
sie herum und wollte sie ins Haus führen. Da wehrte und sträubte sich
aber ’s Marei und fing an zu jammern: „Lasset mi los, i muß ins Wasser,
des überleb i nit.“ Aber die Lenebas hielt nur um so fester und sagte:
„Schtill bischt, Maidli, ins Wasser kannsch immer noch, erscht kommsch
jetz emol zu mir in e warmi Schtube un verzehlsch mer, wenn de ufgfrore
bisch, bisch jo de reinscht Isklumpe, was de für Schmerze häsch. I
halt keins, wenns us dere Welt dervolaufe will, aber erscht musch emol
wie e vernünftige Mensch dei Sach vom Ofewinkel us mit ere warme Suppe
im Leib aschaue. Wenn de derno immer no meinsch, ’s isch kei Plätzli
meh für di do, sell isch denn en anderi Sach; aber in dere Verfassung
ka mer keini Bschlüß fasse.“ Und während sie so redete, hatte sie die
immer weniger Widerstrebende bis ins Haus gebracht, installierte sie
im Ofenwinkel und eilte nun, ihr warme Strümpfe und Schuhe und einen
trockenen Rock zu bringen.

’s Marei ließ alles mit sich geschehen; als sie trocken und warm
angezogen war, rückte die Lene nahe zu ihr auf die Ofenbank und sagte:
„Glei kommet jetz d Mägd mit der Obedsuppe in d Schtube rei. Du bisch
e ordentli Mädli, i kenn die vo klei uf un hen dini Eltere, Gott hab
sie selig, kennt, des ware bravi Lüt. Hüt Nacht schlofsch in der
Schrankkammere nebe meiner, un morge dischkuriere mer derno wieder über
dei Sach. Aber solang d Mägd in der Schtube sind, nimmsch di z’samme un
tusch nit dergleiche, des versprichsch mer.“ Und sie streckte der Marei
die Hand hin, und die schlug ein, und damit war die Lenebas befriedigt.
Und bei der Abendsuppe wurde über die täglichen Verrichtungen
gesprochen wie sonst auch, und nur ganz beiläufig sagte die Lenebas:
„’s Marei will no was von der Hühnerzucht zulerne. Annastasi, du
richtesch derno ’s Bett für’s in der Schrankkammere, bruchsch d’Pfulbe
nur us der Truhe nemme, ’s liegt alles bienander.“ Und dann wurde das
gemeinsame Abendgebet gesprochen, und die Mägde schoben mit einem „Gut
Nacht au“ zur Tür hinaus. Die Bäuerin hielt ’s Marei einen Augenblick
zurück: „’s Annastas zeigt der dei Kammere, un schlof guet die erscht
Nacht im Maidlihof, un halt di tapfer.“ Und damit reichte sie dem Marei
die Hand und nahm dann die Stalllaterne vom Türpfosten, ihren üblichen
Rundgang noch zu machen.

Und am Morgen nach der Frühsuppe, als jeder an seine Arbeit gegangen
war, blieb die Lenebas mit dem Marei im Herrgottswinkel sitzen. „So,“
meinte sie, „jetz hen mer e Schtündli für uns, jetz könne mer schaue,
ob’s wahr isch, was de geschtern gmeint hesch, daß kei Plätzli meh für
di uf derer Herrgottswelt isch; aber alls schön der Reih nach. Hesch
dei Sach no uf em Schulzehof?“ Das Marei nickte nur. „Hesch bündeled?“
fragte die Lene weiter. Dem Marei kamen doch wieder die Tränen in die
Augen: „Er hät mi fortgjagt, i hätt scho Zit gha z’bündle, aber i
hen ghült, un derno wie’s dunkel worde isch un der Schulzebur a mei
Kammere klopft hät, no bin i grad wie ni war an nem vorbigrennt, alls
fort ...“ Sie stockte und die Lene ergänzte gelassen: „Glücklicherwis
der Lenebas grad in d’Arm neigrennt.“ Und nun fragte sie bündig: „’s
Kind isch vom Bur, nit vom e Knecht?“ ’s Marei guckte erstaunt auf.
Das wußte die Lenebas also schon. Wie zur Antwort nickte die Lenebas:
„Worum hättscht denn suscht ins Wasser renne wolle. Aber i verschtoh
do nit recht, worum hät der Bur di denn fortgjagt? D’Frau liegt krank
un schtoht au kaum meh uf, bis mer sie mit de Füeß vorweg zum Hof
naustraget. Die hät’s doch nit erfahre un nit verlangt; un der Bur ...
hät der scho wieder en anderi wolle?“ „Nei, sell nit,“ erzählte nun ’s
Marei, „wenn i em Bur zwille wär, so könnt i grad e Herrelebe führe uf
em Hof.“ Und jetzt brach’s aus ihr heraus, der ganze Jammer, und die
Worte überstürzten sich fast, mit denen sie der Lenebas klar machen
wollte, wie sie in die elende Lage gekommen sei. „Jo schauet, der Bur
isch mer nachgange vom erschte Tag, wo ni uf em Hof war, i hän mer
lang nix derbi denkt, i war halt au no e dumms Ding un hab gmeint, wo
ner doch verhürotet isch, no solt’r do nit nach de Mädli luege. Aber
derno hän’s die andere gmerkt un hän gschpöttelt und gschtichelt un
händ alles tue, um im Bur d’Glegeheit z’mache. Si hän mer e Kammere
gä, ganz ab vu de andere Mägdekammere, si hän gsait, daß i nächer bei
der kranke Büeri si soll. Wie ni emol uf em Heubode z’ tue ghabt hab
un der Bur au rufgschtiegen isch, no het der Großknecht unte d’Leiter
ewegzoge. Un derno hän i deutli gmerkt, was der Bur vu mer will; blaui
Flecke han i ghabt, no acht Däg lang, so han i kamplet mit em, aber ’s
het mer nix gholfe, er het si Wille ghet. I will nit lüege, Lenebas,
i han mi gwehret, sell isch wohr, aber ’s isch e Moment gsi, wo ni mi
nimmi gwehrt hab, un i het jo au glei derno bündle könne, aber i bin
dobliebe, un i han em am Obig d Kammeretüre nit zugmacht. Aber derno,
wie ni d’Büeri wieder gsehe hab uf ihrem Siechbett, un wie die Huslüt
alli so schiech guckt hän, oder au gar so um mi rumg’schmeichelt hän
un mi schier scho wie d’künftig Büeri um alles gfragt hän, wo doch
d’recht Büeri no lebig isch, do han i en Ekel kriegt. I han der Bur
nimmi sehe könne un hab mi gschämt, daß d’Sonn mi ascheint. Der Bur
hät bettelt un hät mer bei alli Heilige versproche, daß i sei Büeri
wir, wia die ander tot isch; aber wenn er bei mer i der Kammere gsi
isch, no isch grad immer d’Büeri mit ihrem breschthafte Lib zwische
uns gsi, so daß es mer graust het, un i hans nimmi könne ushalte, i
hab nei gsait un nei, un wie i’s Kind gmerkt hab, derno hab i erscht
recht gwußt, daß i der kranke Büeri des nit antue ka. Der Bur het in
sim Zorn brüllt un gsait, wenn i nem nit z’wille bi, so gibt er der
Büeri grad Rattegift. Derno han i mer nimmi z’helfe g’wußt andersch,
i han em gsait, daß i en Andere gern heb, un er soll mi in Ruh losse.
Jo, un derno hät er mi verschlage un hät mi dervog’jagt; un wie ’r am
Obig wieder komme isch un bettlet hät un mer alles möglich versproche
hät, un i soll em nur sage, daß des von dem Andere e Lueg isch, do bin
i fortg’rennt un hab mer denkt: lebe kann i nimmi.“ Die Lenebas hatte
den ganzen Ausbruch ruhig mit angehört und ihr Spinnrad gedreht: „So
han i m’r d’Sach ug’fähr scho selber denkt, i kenn jo de Schulzebur“,
meinte sie jetzt gelassen, „daß de weggange bisch vom Schulzehof isch
recht, du hetsch ’s a weng früher tue könne, ’s wär besser gsi, aber
was g’schehe isch, isch g’schehe. Nur Maidli, do verschtoh i kei
Schpaß, du bisch zu dem Kind komme, nit viel anders, wie ne Henne en Ei
legt; ’s isch der halt so komme, un i sag der g’wiß nix dergege, aber
jetz häts en End mit dem in Dag neilebe, jetz bisch für des Kind do un
nit für di. Jetz häsch derfür z’sorge, daß des Kind e warms Plätzli uf
dere Welt findet, un wenn de nix andersch häsch als dini Ärm, no häsch
halt dini Ärm um so fester um des klei Wurm z’samme z’halte, daß es
nit gar z’frue merkt, wia kalt d’Welt suscht isch. Un helfe will i der
derbi, do de mer grad in d’ Ärm neigrennt bisch. Jetz blibsch uf em Hof
un hilfsch mer bei der Arbet, un was witers wird, des wolle mer unserm
Herrgott überlasse.“ Und ’s Marei sagte „Vergelt’s Gott viel dusigmol“
und weinte noch ein Weilchen, und dann nahm sie ihr Leben wieder in
zwei Hände und ging an die Arbeit. Und es wäre alles gut gegangen,
denn die Mägde des Maidlihofs nahmen die Sache natürlich und gutmütig,
und die Lenebas war die letzte, die sich um Gerede gekümmert hätte,
wenn geredet worden wäre. Aber ’s Marei fand sich doch nicht immer mit
dem gleichen Mut in ihre Lage; oft genug ertappte die Lenebas sie,
wie sie mit verweinten Augen vor sich hinstarrte. Und da der Lenebas
eine Aussprache mit ihrem Herrgott immer geholfen hatte, so riet sie
der Marei eines Morgens: „I mein alls, dir täts guet, emol bichte
z’goh; du bisch jetz scho zwei Monet bei mer un häsch in dere Zit dei
Friede nit g’funde. I ganget jetz emol, wenn i di wär, un tät unserm
Herrgott ’s Herz usschütte, un e gueti Bicht hilft mengesmol, wenn mer
e schwers Herz hät.“ Und da ’s Marei in den zwei Monaten gelernt hatte,
die Lenebas wie eine Mutter zu verehren, so folgte sie auch jetzt,
und eilte gleich am nächsten Samstag zur Beichte. Aber das Resultat
war anders, als die Lenebas erhofft hatte. ’s Marei kam verstört und
halb von Sinnen aus der Kirche zurück und erzählte der erschrockenen
Base, der Pfarrer habe sie so hart beschimpft, daß sie nicht mehr
wisse, wie sie weiter leben solle. „O die Mannsbilder,“ fuhr die
Bäuerin auf, „die elendige Mannsbilder, wenn die nur alles hinterefür
aschtelle könne! Schau Marei, was so a Mannsbild sagt, un wenn’s der
Herr Pfarrer isch, des gilt grad gar nix; was verschtoht denn so a
Mannsbild, noch derzue so e einschichtigs, vu uns Wibervölker. So laß
en doch schwätze un halt dich an unsere liebi Mutter Gottes; jetz häsch
dei Pflicht tue, wie ’s d’Kirche vorschreibt, un jetz bettescht zum
liebe Gott, un derno wird’s d’r scho besser were. Was der Pfarrer
gsait hät, des schlagsch d’r aus em Kopf, der schwätzt halt wie’r ’s
verstoht un wie’r meint, daß er muß; aber des musch nit schwerer nehme,
als wenn unser Geißbock dir e Stoß mit de Hörner gibt, ’s tut e weng
weh, aber so em e uverninftige Tier ka mers do nit verdenke, un derno
lacht mer drieber.“ Es schien, als würd’s der Marei etwas leichter
ums Herz unter dem Zuspruch der Lenebas, aber es hielt nicht an. Ihr
Gemüt war verstört und wurde es immer mehr. Als sie gar erfuhr, daß
die Schulzenbäuerin gestorben sei, da wuchs ihre Aufregung so, daß
die besonnene Lenebas sich fragte, ob das Mädel nicht besser in einem
Krankenhaus untergebracht würde. ’s Marei schrie laut, sie habe die
Schulzenbäuerin getötet, und die Lenebas konnte ’s Marei nur mit Mühe
davon abhalten, vor dem ganzen Dorf und vor dem Gericht sich des Mordes
anzuklagen. ’s Marei war geisteskrank, das wurde der Lenebas klar,
aber sie vertraute immer noch auf die gute Natur des Mädchens, und
ein Arzt, den sie aus der nahen Stadt hatte rufen lassen, gab ihr im
Grunde recht und tröstete sie mit der Behauptung, daß diese Verstörung
mit der Schwangerschaft zu Ende gehen werde. Die letzten Tage vor der
Niederkunft wich die Lenebas dem Marei fast nicht von der Seite. Ein
kleiner Bub kam zur Welt, und ’s Marei hörte auf zu jammern und zu
schreien und lag still in ihren Kissen und hätschelte den kleinen Kerl.
Und die Lenebas atmete auf und ging nun wieder mit erleichtertem Gemüt
ihren etwas vernachlässigten Geschäften nach und überließ ’s Marei
sich selbst und dem Einfluß ihres Kindes. Und da geschah das Unheil.
Als die Lenebas eines Nachmittags ihre Geflügelställe inspizierte,
kam plötzlich die Anastas gelaufen und meldete ihr: „Der Herr Pfarrer
isch kumme, er hät nach em Marei gfrogt un ’r isch drin bi n’ re.“
Die Lenebas eilte was sie konnte nach dem Haus zurück; da hörte sie
schon auf dem Gang zu Mareis Stube lautes Weinen und dazwischen die
erregte Stimme des Pfarrers. Ohne Zaudern riß die Lenebas die Tür
auf und stand vor dem erstaunten Geistlichen. Mit einem kurzen „Grüß
Gott, Herr Pfarrer“, ging sie an ihm vorbei zur weinenden Marei und
nahm sie tröstend in ihre Arme. „Bäuerin, Ihr tut Unrecht, den Trotz
dieser Verworfenen noch zu stützen,“ fing der Pfarrer an, „ich bin
mit den besten Absichten hergekommen der Schulzenhofbauer hat mich
beauftragt, Geld für das Kind, für dieses Kind der Sünde, zu bringen.
Seine Verirrung reut den Mann, und er will ’s Marei wieder zu Ehren
bringen und, soweit möglich, gutmachen, was er gefehlt und wozu er
doch wohl von dieser Person eigentlich ist verführet worden, denn er
war immer ein braver Sohn unserer heiligen Kirche; aber er will ’s
Marei zu seiner christlichen Ehefrau machen. Das hab ich ausgerichtet
und der Marei gesagt, sie soll in Demut unserm Herrgott danken, daß er
sie aus ihrem tiefen Fall wieder sich erheben lassen will.“ Geduldig
hatte die Lenebas bis jetzt zugehört, die erregte Kranke mit leisem
Zuspruch zwischen hinein tröstend; nun war ihre Geduld zu Ende: „Un mit
Verlaub, Herr Pfarrer, i mein alls, Sie könnte jetz dodervu ufhöre;
’s Marei isch krank, un ob sie eine Sünderin un eine Verworfene
isch, des könnet Sie doch unserm Herrgott überlasse un meinswege im
Beichtstuhl mit e’re usmache. Aber jetz scheint’s m’r nit grad die
recht Zit dazue, un was Sie vom Schulzebaur z’sage händ, des könnet Sie
mir sage, aber in meine’re Schtube; i sag derno scho im Marei, was
se z’wisse brucht.“ ’s Marei rief dazwischen: „E Sündekind isch der
Klei, so hät der Pfarrer gsait, un i bin schlecht un in der Schand. O
himmlischer Heiland, brenne müsse mer alle zwei im höllische Feuer, o
heilige Mutter Gottes hilf, un e Mörderin bin i, i han d’Schulzebäueri
umbrocht; i, i hans tue, schterbe will i, so schlaget mer doch de Kopf
ab ...“ „Was liegt da noch vor,“ fragte der Pfarrer, „da scheint ja
noch die irdische Gerichtsbarkeit einschreiten zu sollen.“ „Marei,
jetz bisch schtill,“ wandte sich die Lenebas zunächst an die Kranke,
„e arme Tschole bisch un witers nix, un do hesch dei Kindli,“ und sie
legte ihr den Kleinen in den Arm; „jetz sei verninftig un red nit so,
’s Kind wird jo no krank, un mir meine’s guet mit dir alli, un nix
Böses häsch tue, du arme Tropf du, nix ...“ „So darf man doch wohl ...“
wollte der Pfarrer unterbrechen; aber jetzt wandte sich die Bäuerin
ihm zu: „Händ Sie no nie e Fieberkranks dumms Zeug schwätze höre, Herr
Pfarrer? Kommet Se jetz, ’s witer verzell i ne in meinere Schtube,“
und sie drängte den Pfarrer in den Gang hinaus. „I bin glei wieder bei
d’r,“ rief sie dem Marei noch zu. Und dann führte sie den Geistlichen
in ihre Stube. Was die beiden da sprachen, konnte selbst die hellhörige
Anastas nicht erfahren; als kleine Befriedigung ihrer Neugierde
bemerkte sie nur, daß Bäuerin wie Pfarrer nach einer kleinen halben
Stunde mit ziemlich roten Köpfen herauskamen und die Verabschiedung
recht kurz war. Die Lenebas eilte dann schnell zur Marei zurück, da
fand sie Bett und Wiege leer. Voller Angst eilte sie aus dem Hause in
den Hof und in banger Ahnung nach dem Weiher. Da sah sie rasch genug,
was passiert war. Das Kind lag fast am Rand des Weihers, die Kräfte
hatten ’s Marei wohl verlassen, sie hatte es fallen lassen, es war mit
dem Köpfchen auf einen Stein gefallen und war tot, das sah die Lenebas
auf den ersten Blick. Nicht weit davon im flachen Wasser, deutlich
erkennbar, lag ’s Marei in einem Gewirr von Wasserpflanzen, die sie
niederhielten. Ein paar Augenblicke stand die Lenebas, unfähig sich zu
rühren; dann eilte sie zum Nachbarhof, Hilfe zu holen. Und nun setzte
das Räderwerk der Staatsmaschine sich in Bewegung. Polizei und Schulze
machten die nötigen Notizen und Berichte, und erst nach langen, langen
Stunden konnte ’s Marei mit ihrem Kind in den herbeigeschafften Sarg
gelegt werden.

Am andern Nachmittag kam der Pfarrer auf den Hof, von der Bäuerin den
Hergang zu erfragen. Die Lenebas empfing den Geistlichen zuerst ruhig,
als er aber nach den ersten Worten von „Selbstmörderin“ sprach, da riß
sie die Tür zum Nebenzimmer auf, wo der Sarg stand und wo die Anastas
mit zwei andern Mägden den Rosenkranz für die armen Seelen beteten,
und zeigte auf die Tote: „Herr Pfarrer, nix für ungut, aber i mein
alls, an dere Lich täte Sie besser, nit vo Selbstmord z’rede; wenn
Einer in dere Schtube Schuld hät, no sind Sie’s, Herr Pfarrer, un wenn
g’mordet worde isch, no hän Sie g’mordet, Herr Pfarrer! Des Maidli wär
e bravs Wibervolk worde, wenn mer em über die schweri Zit nüberg’holfe
hät; aber uf si schwere Weg auch no Schtei z’werfe, des het i nit
g’meint, daß des e Mensch tue könnt, wenn i Sie, Herr Pfarrer, nit
rede hät höre am Bett vu dem arme Maidli.“ „Was Sie da reden, werd’
ich überhören, weil Sie in begreiflicher Aufregung sind,“ sprach der
Pfarrer, „aber ich spreche im Namen unserer heiligen Kirche und an
Gottes Statt: ich verweigere der Marei das christliche Begräbnis als
einer Selbstmörderin.“ „No sprech ich im Name vo unserm liebe Heiland
un verzehl am Grab, wenn’s sei mueß, wer sie zu dem triebe hät,“
sagte die Lenebas gelassen; „aber mir zwei sind fertig miteinander,
Herr Pfarrer,“ und sie richtete sich in ihrer ganzen Größe auf, „jetz
ganget usi un kommet mer nimmi ins Hus, un wenn i uf em Totbett lieg
nit. Ganget usi, oder i trib Euch mit em Stecke usi, wie e Räuber und
Mörder.“ Der Pfarrer ging, und die Lenebas stand an der Leiche und
betete ein andächtiges „Gott gebe ihr die ewige Ruh, und das ewige
Licht leuchte ihr. Amen.“



Die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne


Seit etwa einem halben Jahr ging die Euphrosyne vom Plattenhof auch
schier gar nicht mehr aus der Kirche heraus, und im Dorf munkelte
man allerlei, und nicht gar freundliche Randglossen machte man. Die
drei Geschwister, die „einschichtig“ auf dem abseits an steiler Halde
liegenden Plattenhof hausten, waren nicht beliebt bei den Dörflern.
Man verdachte ihnen ihr besonderes Wesen. Die drei hatten bei dem
frühen Tod der Eltern beschlossen, gemeinsam den Hof zu behalten, um
die Erbteilung, die jedem wenig gelassen hätte und den Hofbesitzer mit
Schulden belastet hätte, zu umgehen. „Der Karli hät halt in en Hof
ihirote solle, ’s Euphrosyne in e Dienscht gehe un der Gottlieb eini
mit Geld uf de Hof nehme. No wär’s scho gange. Anderi maches au eso,“
meinten die Dorfweisen, und die Plattenhofbuben und ’s Maidli, wie die
drei ihres ledigen Standes wegen immer noch genannt wurden, obwohl
der Karli fünfzig, die Euphrosyne achtundvierzig und der Gottlieb, der
Jüngste,[1] sechsundvierzig Jahre alt war, wurden ziemlich gemieden
von den Nachbarn. Nur der geistliche Herr besuchte sie öfters auf
ihrer Höhe, weil sie halt gar so fromm waren und für die Kirche immer
einen offenen Beutel hatten. Aber gerade das, daß man wissen wollte,
der zuletzt Überlebende solle den Hof der Kirche hinterlassen, das
machte erst recht bös Blut unter den Bauern. „E paar hundert Märkli
für Seelemesse, sell scho, wenn mer’s mache ka, aber e Hof braucht d’
Kirche nit,“ meinte wieder die Dorfweisheit. Und schadenfroh sah man
jetzt zu, wie die Euphrosyne gar so viel betete, seit die junge frische
Magd auf dem Hof war; nur damit konnte ihr bekümmertes Wesen erklärt
werden, darüber waren die schlauen Frauen vom Dorf nur einer Meinung.
Und sie hatten recht mit ihrer Vermutung. Dem Gottlieb war plötzlich
eingefallen, daß er eigentlich noch jung genug sei zum Heiraten. Der
Hof war in den langen Jahren der sparsamen Geschwisterwirtschaft besser
geworden, manch Stücklein Acker war dazugekommen; er hätte jetzt die
Geschwister schon auszahlen können, ohne sich selber zu ruinieren.
Und die Resi „isch halt gar e schaffigs und luschtigs Maidli,“ meinte
er, „das wär doch ein ander Leben, als mit der fromme Schwester.“ „’s
druckt mer schier ’s Herz ab,“ sagte die Euphrosyne zu ihrer alten
vertrauten Magd, die noch von Elternzeiten her auf dem Hof war, „wenn i
denk, daß i g’schafft un g’rackert habe soll für des herg’laufe Mensch.
Un jetz uf mei alti Täg no unter fremdi Lüt soll, un die setzt sich
grad nei in Fetthafe. Un wo ni do gschafft hab für unser Herrgott, daß
mer doch au e Fürbitt hät, wenn’s ans Schterbe geht, un jetz soll die’s
ha für ihre Bube, die sie, wer weiß woher, dem alte Narr, dem Gottlieb,
ufschwätze wird, des Mensch, des schlecht. Gott verzeih mer d’Sünd,
wenn i er ’re Unrecht tue, i hät’s gern fortg’jagt, scho lang, aber
no wär der Unfriede erscht recht do, un der Gottlieb tät se mer grad
z’leid nit goh lo un vom Fleck weg hürote. Alli Wallfahrte han i jetz
mitg’macht i dem Johr, im heilige Joseph han i’s ans Herz g’legt, daß
er doch au d’Keuschheit vom Gottlieb hüte soll, un der Muttergottes uf
em Lindeberg han i e Kerze g’opfert. Du weisch’s jo, fascht ’s ganz’
Wachs vom obere Bienestock han i derzu hergä, sie soll mer do e Licht
ufstecke, wie ni des Maidli us em Hus bring, eso, daß d’Bube selber
dermit iverschtande sin. Was meinsch, ob villicht mei Traum hüt Nacht
m’r vu der Mutter Gottes g’schickt isch: i han träumt, der Pfarrer hät
’s Resi mit em Weihwasserwedel zum Hus naustriebe, un der Gottlieb
hät er ’re no d’Sau hintenoch g’hetzet. I mein alls, i will emol mit
em Pfarrer rede über d’Sach; i han mer nie recht traut, weisch, in so
Sache; unser Pfarrer in Ehre, aber da haltet d’Mannslüt doch alli
z’samme. Aber wenn mer d’Mutter Gottes hilft, wird er doch am End
isehe, wenn i em recht schön klar mach, was für e G’fahr droht -- unser
Hof isch doch jetz uf siebzigtusend Mark g’schätzt -- un der Unfriede
im Haus, wo mer doch so gut z’samme g’lebt hän. Grad verhext muß sie en
ha, Gott verzeih mer, wenn i er ’re Unrecht tue.“

Und so setzte sie beim nächsten Besuch des Pfarrers ihr bestes
Kirschenwasser und Sträuble von zwölf Eiern gemacht und ihren schönsten
Schinken ihm vor, und als er behaglich im Herrgottswinkel installiert
war, brachte sie ihr Anliegen an. „I mein alls, Herr Pfarrer,“ schloß
sie ihre lange Rede, „Sie könnte’s im Gottlieb in der nächste Bicht
sage, daß des nit recht isch, im e christliche Hus so e schlechts
Bispiel z’gä. Un ’s Maidli duret mi, wenn er’s so in Unehre bringt.
Er soll sie in Gottesname hürote -- d’Kirche verliert jo e schöns
Schtückli Geld, aber die gute Sitte isch jo doch meh wert.“ Der Pfarrer
unterbrach sie nun doch erstaunt: „Ja, Euphrosyne, was sagt Ihr da,
das Maidli ist doch brav. Ihr wollt doch nit sagen, daß da schon ein
unehrbares Verhältnis im Gang ist?“ Die Euphrosyne nahm erstmals einen
tüchtigen Schluck Kirschenwasser ehe sie antwortete. Es war doch nicht
so leicht, dem geistlichen Herrn so geradezu ins Gesicht zu lügen, aber
der gute Zweck, und sie hatte ihren Plan, und den hatte sie der Mutter
Gottes vorgelegt, und die hatte ihr im Traum ganz deutlich gesagt:
„Mach das nur so, Euphrosyne, du tust ein gut Werk, und Gottes Wege
sind dunkel. Du mußt das so anpacken, daß die nit merken, daß der liebe
Gott sich deiner als Werkzeug bedient. Von wegen deiner Bescheidenheit,
daß die nicht Not leidet.“ So antwortete sie denn: „Ja, Herr Pfarrer,
Sie fraget au gar e so g’nau, für mich als ehrsame Jungfrau isch des
halt e schenierlichi Sach, aber wie ni g’sagt hab, halte Sie’s im
Gottlieb nur vor in der Bicht, daß des Maidli durch ihn in Unehre komme
isch -- Gott verzeih mer, wenn i e Unrecht tue -- aber saget Sie’s em
nur scharf, Sie wüßte’s aus sicherer Quelle, jo des isch e so.“ Der
Pfarrer versprach nach ihrem Wunsch zu handeln und lobte sie ob ihres
tugendlichen Verzichtes. „Jo, Herr Pfarrer, ’s isch scho schwer, unter
fremdi Lüt z’müsse, aber alles mueß recht si, in Unehre soll ’s Maidli
nit komme.“

Am nächsten Samstag kam der Gottlieb mit hochrotem Kopf aus dem
Beichtstuhl, und ohne seine auferlegte Buße abzubeten, eilte er aus
der Kirche dem Plattenhof zu. Die Euphrosyne fing ihn unter der Tür
ab. „Bisch scho wieder do vu der Bicht?“ „Jo, los, i möcht di grad
was froge; was isch mit em Resi?“ fragte Gottlieb dagegen. Euphrosyne
nestelte an ihrer Schürze und schlug schämig die Augen nieder: „I mein
alls, sell müßt i eigentlich di froge.“ „Bigelt,“ wetterte Gottlieb,
„fangsch au mit dene Verrücktheite a, der Pfarrer hät mer scho der Kopf
heiß g’macht. ’s Maidli muß bigöscht Dreck am Stecke ha, der Pfarrer
muß es do wisse, er hät gsait, er wüßt es aus sicherer Quelle, daß des
Maidli durch mich in Unehre komme wär. Nit mit em kleine Finger han
i sie agrührt. Hürote han i’s wolle, jo gell, do schausch, i ha der
no nix dervo gsait, vor i im klare bin mit dem Maidli, han i niemed
nix sage wolle. Aber des hät scho ä andere Gspusi, scheint mer. Was
weisch du vun derene Sach?“ „Jo weisch, wenn de mi so grad uf de Kopf
frogscht, i hät mer suscht lieber d’Zung abbisse, aber d’Wohrheit
mueß mer alliweil sage, ’s Maidli isch mer komisch vorkomme i de letzte
Woche. I ha mer halt denkt, du hesch am End Absichte. Un i mueß der
grad sage, i hab viel bettet für di, weil du vor der Hochzit scho ...“
Sie machte eine verschämte Pause. „I hab halt alls g’meint, du wärsch
es, wenn i in der Kammere vum Maidli rumore g’hört hab. Aber sell soll
mer nit, uf e bloße Verdacht hi, des Maidli verschimpfiere, ’s hät jo
au d’Katz si könne ... ’s Maidli isch b’sunders in de letzte Woche,
aber nei, nur nit vu andere Böses denke, ’s Maidli isch am End doch
brav, hürot sie nur.“ „Jo weggerli,“ fiel der Gottlieb ein, „sell paßt
mer nimmi, woher denn soll der Pfarrer wisse, daß i sie in Unehre
bracht hab, jo des hät ’r mer gsait, sie muß em doch bichtet ha?“
„Jo, wenn der Pfarrer sait, daß sie in Unehre isch, du bisch’s gwiß
nit gsi?“ „Nei, bigelt.“ „I glaub der jo, du häsch nie nit g’loge,
aber wenn’s der Pfarrer doch sait, mer hän doch niemed suscht uf em
Hof. Der Mathes, unser Knecht, der macht keine so Sprüng meh mit sine
fünfundsechzig Johr ... Isch’s am End der Karl gsi?“ setzte sie tastend
hinzu. Gottlieb fuhr aus seinem Brüten auf und starrte die Schwester
an. „Der Karli?“ „Hei jo, ebber muß ’s doch si, wenn’s der Pfarrer
sait,“ bestätigte Euphrosyne, „wenn der Karli ’s Maidli hürote will,
musch em uszahle. Aber mer wennt nit Rede halte, vor mer’s g’wiß wisse;
unnütze Rede müsse mer verantworte am jüngste G’richt. Weisch Gottlieb,
der Pfarrer soll der Karli ushorche, un i will uf ’s Maidli ufpasse,
wenn du’s hürote willsch, isch des mei Pflicht, denn d’zukünftig Büeri
uf em Plattehof muß e ehrsame Jungfrau si; aber laß der nix amerke,
mer wennt erscht höre, was der Pfarrer zum Karli sait.“ Der Gottlieb
war damit einverstanden, aber es rumorte in ihm, und nachts schlich er
ums Haus herum und horchte an der Kammer, und er vernahm ein leises
Murmeln drin und manchmal ein Seufzen, und mit geballten Fäusten
schlich er zurück in seine Kammer. Und die Euphrosyne ging am andern
Tag beichten und klagte sich an, unbedacht ihren lieben Bruder Gottlieb
verleumdet zu haben: „Der isch’s gwiß nit, ’s muß der Karli sei, hät ’r
g’meint, aber i will kei übli Nachred mehr halte, Gott verzeih mer d’
Sünd. I leg d’Sach in Gotts Hand, der wird’s scho recht mache; gelle
Sie, Herr Pfarrer, Gotts Wille g’schicht, was mir armi sündigi Mensche
au plane.“

Der Pfarrer hatte es recht eilig, den Plattenhof zu besuchen. Der
schöne Hof lag ihm doch recht sehr am Herzen, und daß der Karli auf
seine alten Tage noch solche Streiche machen sollte, wollte ihm gar
nicht in den Kopf. Es gab eine heftige Auseinandersetzung, und die
Euphrosyne, die hinter der Tür horchte, rieb sich vergnügt die Hände.
Der Karli trumpfte ordentlich auf, und der Pfarrer ärgerte sich
über den verstockten Sünder und sprach von Ärgernis für das ganze
Dorf und von dem Kummer der braven tugendsamen Jungfrau Euphrosyne,
die immer zum Guten rede, gar erbaulich. Der Karli verstummte
schließlich verstockt, und Euphrosyne fand es nun an der Zeit, mit
unbefangener Miene in die Stube zu kommen, um die beiden mit guter
Manier auseinander zu bringen. Ihr Samen würde jetzt schon aufgehen,
mehr Eifer von Seiten des Pfarrers konnte ihr nur schaden. Und sie
überschüttete den Pfarrer mit einem Redeschwall und komplimentierte
ihn zur Tür hinaus, nicht ohne eine ansehnliche Geldgabe für heilige
Messen: „Sie wisset scho, fürs b’sondere Aliege, daß alles guet usgoht.“

Und ein paar Nächte darauf sah der Gottlieb im Dunkeln den Karli
um die Kammertür der Resi herumschleichen, aber der Karli sah auch
den Gottlieb, und er blieb lauernd stehen, um zu sehn, ob der wohl
hineinginge. Und wie sie so lautlos im Dunkeln warteten, hörten sie
ganz deutlich hinter der Kammertür ein leises Kichern, dann eine
unterdrückte tiefe Stimme und ein hastiges Tappen und Huschen, und
unwillkürlich machten beide einen Schritt nach der Kammer zu und
blieben dann verlegen voreinander stehn. „O des Mensch, des schlecht,“
sagte Gottlieb. Karli nickte bedächtig: „Also bischt du’s nit gsi!“
„Jo, wo denksch au hi,“ meinte leis der Gottlieb, „i werd mi do nit uf
mini alti Däg so zum Narre halte lo von so me junge Mensch ... Aber us
em Hus muß se mer, morge no,“ setzte er in erneutem Ärger hinzu. „Jo,
’s wird ’s G’schitescht si,“ meinte der Karli, „weisch, mer sind in de
Müler vom ganze Dorf, mir händ si’s gsait geschtern,“ und er lachte
leise in sich hinein, „der Pfarrer hät g’meint, i hät se uf schlechte
Weg brocht.“ „Us em Hus mueß se mer,“ wiederholte der Gottlieb,
„d’Euphrosyne soll se morge in der Frueh fortschicke, i will’s gar
nimmi sehe, des schlecht Maidli des; in unserm christliche Hus so e
Lotterlebe z’führe.“ Brummend zogen sich die Brüder jeder in seine
Kammer zurück.

Und drin in der Kammer der Resi streckte sich die Euphrosyne recht
behaglich unter das dicke Federbett. Sie hatte sich ohne Wissen der
Brüder für ein paar Nächte bei der Resi einquartiert. „Weisch, i han
au so ängstliche Träum in der letzte Zit, un do möcht mer doch gern e
lebigi Seel um si habe,“ hatte sie der Resi als Vorwand gesagt. Sie
hatte das Knarren der Diele und das Flüstern der Brüder gehört und ihre
Schlüsse draus gezogen. Sie wußte, daß sie jetzt auf dem Hof bleiben
konnte bis zu ihrem Sterbestündlein, und ein guter Platz im Himmel war
ihr auch sicher, wo doch der liebe Gott den schönen Hof bekam. Eine
große Kerze gelobte sie noch der lieben Mutter Gottes, die ihren Plan,
ohne Unfrieden das fremde Mädel fortzukriegen, hatte gelingen lassen.
Und der Resi sollte auch nichts passieren. Sie hatte sich das schon
zurecht gelegt. Am Morgen wollte sie sich mit ihr aufs Bernerwägeli
setzen und zur Bas über den Berg fahren; die suchte eine Hilfe, bei
ihrer Gicht konnte sie so schon lang ’s Vieh nicht mehr ordentlich
besorgen. Daß die Resi gleich dort blieb, das wollte sie schon
einrichten. Dann schlief die ehr- und tugendsame Jungfrau Euphrosyne
befriedigt ein, und so gut und traumlos hatte sie schon seit Monaten
nicht mehr geschlafen wie diese Nacht. Das ruhige Gewissen und das gute
Einvernehmen mit dem lieben Gott und seinen Dienern auf Erden verlor
sie nicht bis sie achtundsiebzigjährig als letzte der drei Geschwister
selig verstarb.

Und der Pfarrer hielt ihr eine so erbauliche Grabrede, daß das ganze
Dorf Rupertsweiler einsehen mußte, wie sehr es im Unrecht gewesen
war mit seiner Abneigung und wie wohl verdient die Inschrift auf dem
Grabstein war:

    Hier ruht
    bei ihrem Heiland
    die ehr- und tugendsame Jungfrau
    Euphrosyne Platner.

    Sie lebte ohne Lug und Fehl,
    Und gut geht’s ihrer armen Seel;
    Auch weil sie all ihr Gut und Hab
    Dem lieben Gott zu eigen gab.
    Sonst wollt’ sie nur den Grabstein haben.
    Gott möge ihre Seele laben.

    Amen.


Fußnote:

[1] Im Schwarzwald übernimmt der Jüngste den Hof.



Das Gespenst


Beim Walzenbauer geisterte es; die Knechte und Mägde des Hofes
flüsterten es sich untereinander zu und erzählten es, unter dem Siegel
der Verschwiegenheit, bald da bald dort einem Knecht oder einer Dirn
vom Nachbarhof. Der Bauer und die Bäuerin wußten es auch, das hatten
die „Völker“ schon gemerkt; aber es war nicht gut Kirschenessen mit
dem Walzenbauer, und so hüteten sich die Leute wohl, laut darüber zu
sprechen. Und gar so fromm war der Bauer und die Bäuerin, und der
Pfarrer kam jedes Jahr in der Dreikönigswoche und segnete Haus und
Stall und Hof und zeichnete die drei Buchstaben ~C~ † ~M~ † ~B~ † über
Haus- und Stalltür. Und im Herrgottswinkel steckten hinter dem Kruzifix
die geweihten Palmbuschen vom Palmsonntag, und in der Schlafstube
stand riesengroß die Statue vom heiligen Joseph, dem Namenspatron
des Walzenbauern. Und doch -- gerade in der Schlafstube hatte das
Gespenst zuerst sich gezeigt, wie die Mägde sich zu erzählen wußten,
und von der Schlafstube aus kam’s immer, wenn sich’s bald da bald
dort im Haus verzeigte. Der Bauer war sichtlich gedrückt von dieser
Gespenstergeschichte; sein Hof war immer ein Musterhof gewesen, und
wie’s seine Großeltern auf dem Hof gehalten hatten, so ward’s jetzt
gehalten, und seine Großeltern und seine Eltern waren brave, fromme
Leute gewesen und hatten sich nichts zuschulden kommen lassen in ihrem
Leben; die brauchten nicht als friedlose Seel’ jetzt in ihrem Hof
herumzugeistern, und wenn’s eine fremde Seel’ war, die hatt’ erst recht
nichts auf dem ehrbaren Hof zu suchen. Und der liebe Gott meinte es
nach des Bauern geheimster Herzensmeinung überhaupt nicht gut mit ihm,
der doch rechtschaffen lebte und niemand ein Unrecht tat.

Seine Frau hatte ihm statt des Stammhalters, der mal den schönen Besitz
hätte übernehmen können, eine einzige Tochter geboren.

Wie oft hatte er’s dem Pfarrer vorgeklagt: „No ja, klage kunt i nit,
recht wär sie, die Resi, schaffig un immer lustig un zum Anschauen wär
sie au nit übel, i wüßt im Dorf kei schöneres un kei braveres Maidle
z’nenne, wenn i eini hätt’ nennen sollen, als ’s Resi, des müssener
selber sage, Herr Pfarrer, daß dös so isch. Aber a Stammhalter isch’s
halt doch nit, un des war nit recht vom liebe Gott, Gott verzeih mer d’
Sünd. Un gar jetzt, wo des Resi en riche Buresohn hirate sollt, jetzt
hat sie sich der Waltertoni in de Kopf g’setzt, der Großknecht, he jo,
alles was recht isch, schaffig isch er un a brave Bua. Aber gleich
g’hört zu gleich, Herr Pfarrer, un der Waltertoni isch a Häuslerbua, un
des paßt mer nit für’s Walzebauereresi.“ Oft schon hatte der Pfarrer
gut zugeredet, der hätte dem Resi und dem Toni gern geholfen, aber der
Bauer blieb hartnäckig bei seinem „Gleich g’hört zu gleich“. -- Und
als die Resi immer hartnäckiger auf ihrem Willen bestand, da hatte der
Walzenbauer zwar nicht den Großknecht fortgeschickt, der war nicht so
bald zu ersetzen, denn er schaffte für drei jetzt in der Erntezeit;
aber ’s Resi hatte er hergenommen und es mit allen Strafen des Himmels
und der Erde bedroht, wenn er sie noch einmal ein Wort mit dem Toni
sprechen sehen würde.

Und ’s Resi durfte nimmer mit der Großmagd zusammen schlafen in den
Mädlekammern, das kleine Kämmerle hinter der ehelichen Schlafstube
wurde der Resi eingeräumt, mit dem einzigen Ausgang durch die
Schlafstube der Eltern, und das Fenster nagelte der Bauer eigenhändig
zu, nicht das kleinste Schieberchen ließ er offen. Ein paar Tag lang
lief ’s Resi mit verschwollenen Augen herum, aber dann warf’s wieder
den Kopf in die Höh wie in guten Tagen und sang im Haus herum, so
lustig wie immer. Und gerad da, wie im Hof scheinbar aller Unfriede
wieder aufgehört hatte und der Bauer stillvergnügt sich die Hände rieb
und zu seiner Frau sagte: „Siehsch Annelies, mer muß dem Maidle nur
zurede, no läßt’s die Narreposse scho si“, gerade in den Tagen fing
die Gespenstergeschichte an. Und die Bäuerin hatte bald Grund über ihr
Resi den Kopf zu schütteln, ihr schien immer mehr, als wär’s mit der
Heiterkeit der Resi nit gar weit her. Als der Bauer wieder einmal sein
diplomatisches Talent gar sehr rühmte, meinte sie: „I weiß it, au gar
so schreckhaft isch des Maidli, heut hän i mit em de Rosekranz bettet
un beim letzschte G’setzli han i noch a Bittgebet ag’hängt, daß uns au
der heilig Joseph behüte un bewahre soll vor dem G’schpensterwese, do
hatt’s z’hüle ag’fange, so daß es gar nit hät mit bette könne, grad
der Bock hät’s g’stoße. Mir g’fallt ’s Maidle nit,“ schloß die Bäuerin
bedächtig. Aber der Bauer wollte nichts davon wissen; „warum soll’s
nit hüle,“ meinte er brummig, „’s isch au grad a Schand für unsere
Hof, ’s hät ganz recht, des Maidle, wenn’s braiget, un bigoscht, i
hann’s au satt, un wenn der heilig Joseph uns nit besser b’schütze ka,
Gott verzeih mer d’Sünd, no kann er mer g’schtohle werre,“ setzte er
in vollem Zorn hinzu. Die Bäuerin bekreuzigte sich voller Entsetzen.
„Jesus, Maria und Joseph, Gott verzeih der d’Sünd. Dei heiliger
Namenspatron! Bauer, so b’sinn di doch au!“

Aber der Bauer blieb verstockt und sein Entschluß, im Zorn gefaßt,
sollte nun durchgeführt werden, die Geisterei duldete er nicht mehr
auf seinem ehrbaren Hof. Am nächsten Samstag war Sichelhenke, dann
war Zeit, er würde den Pfarrer bitten, am darauffolgenden Montag das
Haus auszuweihen und dem Spuk durch den Segen der Kirche ein Ende zu
machen. Und Samstag in aller Früh fuhr er in seinem Bennewägele nach
der nahen Stadt, und das riesengroße Paket, das er auf dem Sitz neben
sich mit zurückbrachte, das ließ er, ohne auf die Neugier seiner
Frau zu achten, unausgepackt ins Schlafzimmer tragen. Der Pfarrer
mochte dem angesehenen Bauern seine Bitte, das Haus neu auszuweihen
und den Geisterspuk zu vertreiben, nicht abschlagen. Am Sonntag früh
ging der Bauer und seine Frau zur Beicht und Kommunion. Einen Strich
durch seine Rechnung machte das Resi dem Bauern, die konnte vor argen
Halsschmerzen nicht mit zur Kirche, sie war so heiser, daß sie kein
Wort hervorbringen konnte. Aber der liebe Gott würde schon mit dem
guten Willen zufrieden sein, er und sein Haus wollten bereit sein, daß
die Segnungen der Kirche am Montag auch Kraft hätten. Am Sonntag abend
nach dem gemeinsamen Abendgebet verkündete der Bauer seiner Frau und
Tochter und dem Gesinde: „Morge glei nach ’em Nüniesse kommener alli
do in die Stube, mit änem subere Häs, i wer euch dann was verkündige.
Un jetzt gut Nacht mitenander.“ Das Gesinde verteilte sich in die
Kammern und wunderte sich, was wohl morgen „verkündigt“ werden würde.
Frau und Tochter bestürmten den Bauern um Auskunft. Der wehrte aber
mit einem ruhigen „I gang jetzt schlofe, bhüt Gott Resi“ alle Fragen
ab, und Resi mußte in ihr Kämmerle schlüpfen. Im Ehebett mußte der
Bauer seiner Frau wohl Rede stehen; denn einmal hörte die Resi einen
Ausruf der Mutter, der fast nach Schreck klang, aber mehr konnte sie,
so nah sie auch ihr Ohr an die solide Holztür anlegte, nicht hören. Und
der Morgen kam heran, und die Arbeit auf dem Hof wollte heute keinem
recht von der Hand gehen; wo zwei zusammenstießen, tauschten sie immer
wieder ihre Meinung aus, was wohl geschehen würde. Aber endlich kam die
neunte Stunde, das Nüni wurde schnell verschluckt, alle vertauschten
den Arbeitsanzug mit dem Sonntagsgewand, und verlegen, oder, je nach
Gemütsart, mit geheucheltem Gleichmut trat Gesinde und Frau und Tochter
in die Stube zum Bauern, der im Herrgottswinkel saß, auch in seinem
Kirchenrock.

„I han euch herbschtellt,“ fing der Bauer an, „weil i will, daß
alli dabei sin, wenn jetzt der Herr Pfarrer kommt un unsere Hof neu
ausweiht.“ Eine kleine Pause machte er, dann fuhr er fort: „I han no
nit mit euch dodrüber g’sproche, aber ihr werret’s alli wisse, daß
sitener a paar Woche sich Eins verzeigt, un dem will i a End mache.
Mir Walzebauere sin alli ehrbare Lüt gsi, solang der Hof steht,
un i wüßt nit, wodermit mer so ne Heimsuchung verdient hätte. Mir
hän alliweil der Kirche gä, was der Kirche g’hört, un so soll denn
jetzt au d’Kirche helfe un dene Spuk vertreibe. So, un bis der Herr
Pfarrer kommt,“ der Bauer sah nach der großen Standuhr in der Ecke,
-- „er muß äneweg gli do si, so lange bette mer jetzt no d’Litanei
von alle Heilige. Resi bett vor“, schloß der Bauer. Aber ’s Resi war
nicht imstand vorzubeten. Als der Bauer sagte, daß der Geistliche
zum Austreiben des Spuks kommen würde, war ’s Resi totenbleich und
halb ohnmächtig auf die Ofenbank gesunken, und da kauerte es noch und
stierte nach dem Großknecht, als wär’s von Sinnen. Der machte einen
Schritt nach dem Ofen zu, als wollte er ’s Resi an sich reißen, aber er
blieb dann doch stehen und winkte unmerklich mit der Hand. Der Bauer
wollte auffahren, als er das Mädle sah, aber die Bäuerin kam begütigend
dazwischen: „I hab der ja gsait, daß des Maidle so schreckhaft isch,
wenn von dem Geistersach d’Red isch, laß es nur si.“ Und resolut fing
sie an: „Herr erbarme dich unser. Christus erbarme dich unser“, und das
Gesinde mit dem Bauer fiel ein mit den Antworten. Und dann sahen sie
den Pfarrer im Chorrock zum Hoftor hereinkommen mit zwei Ministranten,
der eine trug den großen Weihwasserkessel, der andere das Rauchfaß. Der
Bauer stand auf mit Frau und Gesinde und ging dem Pfarrer bis unter die
Haustür entgegen. Auf seinen Wink betete die Bäuerin weiter und der
Pfarrer respondierte, so gingen sie, der Pfarrer voran, in die Stube
zurück und beteten erst die lange Litanei ganz zu Ende. Beim letzten
Amen trat der Bauer auf den Geistlichen zu und sagte: „I dank au
schön, daß Ihr komma seid, Herr Pfarrer.“ Und der sagte: „Ich bin gern
gekommen, Walzenbauer, um Euern frommen Wunsch zu erfüllen; aber bevor
ich weitergehe, muß ich doch von Euch und von Euern Leuten bestätigt
erhalten, was ich bis jetzt doch nur sehr ungenau gehört. Sonst weiß
ich nicht, wie ich vorzugehen habe, mit was für einer Art Erscheinung
wir hier zu tun haben. Wollt Ihr, Walzenbauer, also zuerst Euere
Beobachtungen erzählen, und wer dann noch etwas bemerkt hat, der rede
dann.“

„Jo, Herr Pfarrer, i kann Euch nit viel anders verzähle, als i Euch
scho gsait ha, wie i bei Euch war. ’s wird jetzt so zwei Monet her
si, do bin i in der Nacht am a Grumpel in der Schlofstube verwacht, i
han grad kei leise Schlof, ’s muß also scho a übernatürlichs Grumpel
gsi si, daß i dervo verwacht bin. I han mer aber nix denkt z’erscht.
I han nur grufe: ‚Wer isch do?‘ ’s hät kei Antwort gä und ’s isch
müslischtill im Zimmer gsi. No han i Licht mache wolle, derweil isch
aber d’Büeri ufg’wacht un hät mi am Ärmel zupft. Wie i mi zu ere dreh,
um z’froge, was sie will, zeigt sie ufs Bettend, un do stoht was Langs,
Wißes, des grad uf un abi zuckt. ‚Alli guti Geischter lobe Gott‘,
murmelt d’Büeri und zieht mi mit G’walt unter d’Bettdecke. No höre mer
nur no a Krach, wie wenn mer a Türe mit aller G’walt zuschlagt. No
war’s schtill. Noch ere Wile hän i mer denkt, ’s wär am End die Türe
zur Maidlikammer gsi, i han also g’rufe, aber ’s Resi hät kei Antwort
gä. Erscht wia ni schier überlaut gschraue hab, no hät’s Maidli g’rufe:
‚Jo Vater, was isch?‘ ‚Häsch du nix g’hört?‘ han i g’fragt. ‚Nei,
Vater, i han g’schlofe, was isch au?‘ fragt’s. Un da han i g’wußt, daß
des a übernatürliche Erscheinung gsi isch, denn wenn des Maidli nix
g’merkt hat vo dem Grumpel un dem Türeschlage, no isch des grad nur
für mi so laut gsi. I han ’s Resi beruhigt, un d’Büeri un i, mir han a
G’setzli bettet für die abgschiedene Seele. Ja, un derno, Herr Pfarrer,
war’s a paar Nächt wieder ruhig, aber dann hät’s wieder spektakelt, un
immer ärger isch’s worre, d’Bettdecke wegzoge hät’s uns, d’Leuchter
vom Nachttischli runterg’worfe, kalt anblose wie aus ere Totegruft
raus hät’s uns. ’s war schier nimmi usz’halte, was mir in dene Nächt
usghalte hän, Herr Pfarrer. Un dann han i au no g’merkt, daß die Sach
widersch goht. D’ Mägd hän’s im Resi gsait, daß es in de Nächt bald da
bald dort rumort, der Büeri hät’s d’Großmagd gsait. I han dergleiche
tu, ’s wär dumms G’schwätz, i han nix davo wisse wolle, denn i han
g’merkt, wie d’Leut d’Köpf z’sammeschtecke, un derno isch mer’s doch
z’arg worre, i will nit ha, daß unser Hof in Verruf kommt, un so han
i mer denkt, der Herr Pfarrer muß her, un dere Sach muß e End g’macht
werre.“ So schloß der Bauer. Und dann erzählte die Großmagd, daß sie
schlürfende, tappende Schritte durch den Gang vor ihrer Kammertür
gehört hätte. „Un“ sagte sie, „i han mer denkt, ’s isch eini von
de Mägd, die uf urechte Weg isch; i bin ufgschtande un han d’Türe
ufg’macht; kaum han i aber der Kopf in der Gang nausgschtreckt, do isch
mer was Kalts, Weichs übers G’sicht g’fohre, un i ha nix meh g’sehe un
nix meh g’hört, un in de andere Nächt, wenn i wieder was g’hört ha, han
i halt für die arm Seel a G’setzli bettet.“ Und die Mägde und Knechte
wollten alle ähnliche Sachen gehört oder gefühlt haben. Nur ’s Resi
wußte von nichts; sie war sichtlich unruhig und verstört, aber selbst
das Zureden des Pfarrers brachte nichts aus ihr heraus. Der wandte sich
denn auch ohne weiteres Zögern an den Bauern: „Wenn’s Euch recht ist,
Walzenbauer, so wollen wir jetzt tun, was unsere heilige Kirche für
solche Fälle vorschreibt.“ „I möcht schön bitte, Herr Pfarrer,“ sagte
der Bauer, „daß Sie in unserer Schlofschtube afange, do hätt’s sich’s
z’erscht verzeigt, do muß es au z’erscht ustriebe werre.“ Ohne Antwort
abzuwarten ging er voran und machte die Tür zur Schlafkammer auf. Der
Pfarrer folgte mit den beiden Ministranten und die übrigen drängten
nach. Und die Bäuerin und die Resi sahen zuerst: der heilige Joseph
war von seinem Postament verschwunden, und auf einem Stuhl stand,
neu, in goldschimmerndem Gewand, ein Jesuskind mit der Krone auf dem
Haupt, die Weltkugel in der einen Hand, die andere segnend erhoben.
Noch einmal trat der Bauer vor: „I tät au bitte, Herr Pfarrer, daß
Sie des Jesuskindli weihe täte, des soll unser Schlofkammer b’schütze
un b’hüte; der heilige Joseph, der bis jetzt do war, han i fort, wie
Ihr sehe.“ Der Pfarrer nickte und begann nun seine Gebete aufzusagen,
und andächtig sekundierten die übrigen. Feierlich schritt der Pfarrer
von Ecke zu Ecke des Zimmers, in jede spritzte er Weihwasser aus
dem großen Kessel, den der Ministrant ihm hinhielt, legte dann noch
Weihrauch auf die glühenden Kohlen des Rauchfasses, das ihm jetzt
der andere zureichte, schwang es in Kreuzesform dreimal nach den
Himmelsrichtungen, und beschwörend klangen die lateinischen Worte, mit
denen er jeden bösen Geist bannte. Zuletzt trat er vor die neue Statue
und weihte sie und stellte sie auf das Postament, dann fing er die
Litanei der Kindheit Jesu an, und die Anwesenden gaben ergriffen von
der Weihe des Moments die Antworten. Nach den ersten Bitten schritt
der Geistliche mit den Ministranten voran durch die Tür in den Gang
und die übrigen schlossen sich betend an. So gingen sie durch alle
Gänge und Kammern des Hauses, und vor jeder Tür machte der Pfarrer
das heilige Kreuzzeichen und besprengte in Kreuzform Schwelle und Tür
mit Weihwasser und räucherte mit Weihrauch. Als jedes Winkelchen des
weitläufigen Hofes geweiht war, entließ der Bauer das Gesinde wieder
zur Arbeit, und mit Weib und Tochter setzte er sich zum Pfarrer in den
Herrgottswinkel, und die Großmagd trug Speck und Kirschenwasser auf und
schnell gebackene Sträuble.

Dem Pfarrer war das verstörte Wesen der Resi schon aufgefallen
während des Umgangs; jetzt saß sie gar da, wie ein Häuflein Unglück.
Irgend etwas war da nicht in Ordnung, und da wäre er gar gerne
dahintergekommen, ein bissel neugierig war er schon. Nachdem sie lang
genug übers Wetter und die Kornpreise geredet hatten, stand der Pfarrer
auf, und bevor er sich verabschiedete, sagte er beiläufig: „Ich mein,
Walzenbauer, Ihr könntet für die Ruhe von der armen Seele noch eine
Novene halten, und so wie Ihr mit der Frau am Sonntag zur Kommunion
komme seid, könntet Ihr zum Samstag d’Resi und die übrigen Hausleute
zur Beicht schicken. Wir wollen doch nix versäumen, daß Ihr dann jetzt
auch ganz Ruh habt.“ Der Bauer dankte für den guten Rat und gelobte die
Novene und sagte auch für’s Resi und sein Gesinde zu. Soviel Zucht war
auf dem Hof, daß keiner einem solchen Gebot zu widersprechen gewagt
hätte.

Nur ’s Resi lief mit verschwollenen Augen herum, minutenlang konnte
sie mitten in der Arbeit bewegungslos stehenbleiben und vor sich
hinstarren oder gar in Tränen ausbrechen. Vater und Mutter ging sie
soweit wie möglich scheu aus dem Weg. Am Donnerstag nachmittag saß sie
mit den Mägden beim Flachshecheln und lustig sangen und lachten die
Maidli, denn abends gab’s Freitrank, um den Staub hinunterzuspülen,
und ’s Hecheln selbst war gar lustige Arbeit, so schön wirblig und
übermütig wurd’s einem im Kopf dabei, gerad, als hätt’ man ein bissel
schon getrunken. Aber ’s Resi sang heute nicht mit, wie sonst wohl,
verdrossen saß sie da, und schließlich stand sie auf, schüttelte den
Staub so gut’s ging ab, nahm das Tuch von Kopf und Hals, das zum Schutz
gegen die Fasern umgebunden war und ging zur Mutter in die Stube. „I
han Kopfweh, Mutter,“ meinte sie kurz, „i kann nimmi mit hechle, i
mein alls, i gang a weng zur Lenebas, der bin i scho lang wieder amal
a Bsuch schuldig, un ’s wird mer gut tue.“ Das Maidle sah wirklich
schlecht aus, und so mochte die Mutter nichts einwenden: „Jo, so gang
halt un grüß mer ’s Lene’, und sie soll au sich wieder amol bschaue
lasse bi uns,“ und sie schüttelte erstaunt mit dem Kopf, als das
Resi wie sie ging und stand zur Tür hinauseilte, ohne Gruß. Sie sah
ihr nach, bis sie aus dem Hoftor verschwand. „Dem Maidli isch was,“
brummelte sie vor sich hin, „itzt lauft sie gar ohne Kopftuch ins Dorf
nei.“ Und sie schüttelte bei ihrem Spinnrad noch oft den Kopf wegen dem
Maidli. Die rannte unterdessen wie gejagt ins Dorf hinein. ’s Lenebas,
ihr Götte, daß sie daran nicht früher gedacht hatte, die konnte
helfen, wenn eines helfen konnte! Die Lene war die unverheiratete,
ältere Schwester der Walzenbäuerin; sie saß auf ihrem eigenen Hof,
den sie nur mit Mägden regierte und bestellte. Man munkelte, daß sie
den, den sie gern gehabt hätte, nicht bekommen hätte, und so war
sie ledig geblieben und hatte zuerst voll Trotz den Menschen zeigen
wollen, daß ein „einschichtiges“ Frauenzimmer auch was leisten kann und
zufrieden werden kann. Und sie hatte das Gut, das bei der Erbteilung
ihr zufiel, zur Musterwirtschaft gemacht, und ihre Geflügelzucht war
bald weitberühmt und brachte ihr schönen Ertrag und manch Ehrung
durch Preise und Diplome. Aber mehr noch als durch ihre Hühner,
Enten und Tauben war sie im Dörfle geehrt als Friedensstifterin.
Wenn irgendwo zwischen Eheleuten oder zwischen Kindern und Eltern
Meinungsverschiedenheiten waren, ging immer eins oder ’s andere zur
Lenebas, und die wußte immer einen Rat oder das rechte Wort, und es
fiel immer zum Guten aus, was sie sagte. Es gab keinen im Dorf, der
nicht schließlich nachgegeben hätte, wenn die Lenebas einmal ihre
Meinung sagte. Sie mischte sich nie ungerufen in Dinge anderer Leute,
aber wenn sie gefragt wurde, nahm sie die Sache in die Hand und hatte
immer mehr ausgerichtet als selbst der Herr Pfarrer.

Das ging dem Resi durch den Kopf, als sie die halbe Stunde vom Hof
zum Gute der Lenebas im Dörfle hinuntereilte. Warum hatte sie nur
nicht schon längst die Lenebas gerufen! Allerdings, die Lenebas war
krank gewesen, und da hatte sie ihr nicht auch noch mit ihren Sorgen
’s Herz schwer machen wollen, und dann hatte sie auch gedacht, sie
würde allein zum Ziel kommen. Jetzt war aber alles schlimmer als je,
und sie wußte sich keinen Rat mehr. Da stand sie nun vor dem Häuschen
der Lene, und dort beim kleinen Weiher sah sie die Bas; inmitten
ihrer Enten und Gänse saß sie auf einem kleinen Hocker und hielt ein
junges Entlein im Schoß, das jämmerlich schnatterte und kreischte.
Resi klinkte die kleine Tür im Gatter auf und schritt auf die Lene zu.
„Grüß Gott, Götti,“ rief sie ihr entgegen. Die schaute auf. „Grüß Gott,
Resi, schau’sch au amal wieder nach deiner Götti, no b’sonders buschber
schausch au nit grad aus. Wo hatt’s denn dir’s Feld verhaglet? Aber
komm, wenn de grad do bisch, hilf mer amol des Entli halte, dem hat der
Enterich ’s Bein broche der dumm Kerl; sieht nit, daß des Tierli noch
z’jung isch für soni Sprüng; hitigetags fangt scho ’s uvernüftig Vieh
a dumm z’werre, i will’s grad schiene; derno setze mer’s in Schtall un
gange dann a Kaffeeli trinke, dann komme deini brochene Beinli dra.“
Während sie so sprach, hatte sie geschickt dem kleinen Entlein das
Bein mit Schindelstückchen geschient und ’s Resi hatte, so gut sie’s
vermochte, dabei geholfen. Dann trug die Lene das Tierlein zurück
und rief der Magd, die da beim Stall hantierte zu: „’s Liese soll a
gute Kaffee koche un au Strübli derzu backe, mer hän B’such kriegt,
’s Walzebauereresi isch do.“ Dann wandte sie sich zum Resi: „Bisch
vom Flachshechle fortg’laufe? Häsch noch alles vollere Fäserli! Nei,
sag nix,“ wehrte sie ab, als Resi eine Entschuldigung sagen wollte,
und ohne ein weiteres Wort führte sie sie durch die Scheuer über den
Heuboden in den obern Stock des Hauses, zu ihrem Schlafzimmer. Da
beugte sie sich über die große Eichentruhe, die an der einen Wand der
Stube entlang stand. „Da hasch a Bürscht,“ meinte sie, „mach di a weng
ordentli, i han di hinterum da aufi g’führt, i möcht nit gern, daß
d’Mägd dich so sähe täte,“ und als ’s Resi blutrot im Gesicht vor den
kleinen Spiegel trat und Rock und Frisur von den Fäserchen säuberte,
reichte die Lene ihr noch ein Kopftuch. „Da des nimsch mit, so gangsch
mer nit durchs Dorf z’ruck, de willsch doch nit in d’Mäuler vom ganzen
Dorf komme, wenn de ohni Kopftuch doher laufsch, des han deini Eltere
nit an dir verdient, daß es heißt: ’s Walzebauereresi isch a Schlampe,
wenn sie nit no was bessers wisse.“ „O Götti, wenn Ihr wüßtet, wie’s
mir z’mut isch,“ brach nun ’s Resi los. „Arms Tschole, i han mir’s
denkt, wie i di g’sähe hab, daß do allerlei letz isch, aber schau,
Maidli, ordentli un sufer muß eins doch blibe; wenn mer auße immer
ordentli un sufer isch, no kommt mer au inne ehr wieder in der Rank. Un
schau, so wie ich’s dir an deine verschtrubelte Haar agsehe hab, daß
inne was nit sufer isch, so könnte’s anderi Lüt au sehe, un ’s Dorf
braucht’s doch it z’wisse, daß ’s Walzebauereresi Dreck am Stecke hät.“
„Nei, Götti,“ fuhr nun ’s Resi auf, „des isch au nit wahr, Angscht hab
i, jo, aber Dreck am Stecke han i nit. Dummheite han i g’macht, jo, un
der heilig Joseph, jo der, der kann wütig uf mi sei, des isch wahr,
aber nix Schlechts nit hab i tu, un i kann nix derfür, daß er jetzt
im Winkel uf em Spicher schtoht, un e großmächtige Busche hab’ i ihm
nuftrage uf de Spicher un grad gsait hab i’s ihm, daß i nix derfür
ka, daß er do schtoht, un der Toni hät gsait, mer stellen nen dann uf
de Ehreplatz im Herrgottswinkel, wenn mer der Hof hän ...“ Lachend
hielt die Lenebas sich die Ohren zu. „Jo, Resi, willsch mi denn von
Verschtand schwätze, i bitt di au, was soll i jetzt von dem verschtoh.
’s g’freut mi, daß de so uftrumpft hesch, un de Dreck am Stecke, den
i dir vorg’worfe hab, grad nur so um z’schaue, was de drauf sagsch, i
sag dir’s ehrli, daß de der des nit g’falle lasch, des g’freut mi un i
glaub’s der. Aber jetzt erzähl mer au vom Afang a. Was hesch mit dem
heiligen Joseph?“ „Jo, Götti, Ihr wisset doch,“ fing ’s Resi an, „der
Toni un ich ...“ „Jo, des brauchsch mer nit z’verzähle, des weiß i
grad gnua“, fiel die Lene ein, „un wenn mer au suscht de Eltere folge
soll, do bin i Euch nit z’wider, ’s hät mi scho g’ärgeret, daß du
deswegen nit zu mer komme bisch, des isch grad a Vernageltheit von dim
Vater, daß er des nit isehe will, daß ihr a guts Pärle wärt, du häsch
Geld gnua, mei Sach krigsch au amal, du brauchsch a brave, schaffige
Ma, wenn er jetzt au grad nit uf de Geldsäck hockt, un was dei Vater
alliweil sait: ‚Gleich g’hört zu gleich‘, der Toni isch a Buresohn,
wenn’s au arme Häusler sin, sini Eltere, un d’Gleichheit bschtoht
bigott nit i de gleichgroße Geldsäck. Aber i weiß immer no nit, was des
mit dem heiligen Joseph z’tua hät.“

„Ja, Götti, lasset Ihr mi denn rede, wenn i’s verzähle soll, muß i doch
vom Afang afange, suscht wisset Ihr wieder nit, wo Ihr dra seid,“
lachte nun ’s Resi. „I hab gar nit g’wußt, daß i so a schwatzhafts
Weiberstück bin,“ brummte die Lenebas halb ärgerlich, „also verzähl
halt, un fang meintswege beim Adam im Paradies a, i bin schtill, aber
mach au, daß de fertig wirsch vor d’Strüweli fertig sin, i riech scho
der Anke.“ „Also schau,“ fing nun ’s Resi an, „der Vater hät doch
gsait, er schlag mer d’Knoche im Leib z’samme, wenn er mi no amal sicht
mit em Toni schwätze.“ „O die siebemal g’scheite Mannsbilder die,“ fuhr
die Lene dazwischen, schlug sich aber rasch auf den Mund, „i bin scho
schtill, mach nur witersch.“ „Ja un derno hät mer der Toni emol gsait,
i soll doch au z’Nacht zu em uf der Spicher komme, er hätt mer was
Wichtigs z’sage.“ „Jo,“ nickte die Lene schmunzelnd, „sell wissemer,
was d’verliebti Mannslüt ime Maidle z’sage hän Wichtigs.“ „O ganget,“
schmollte ’s Resi, „Ihr wisset ganz gut, daß der Toni nix Unrechts nit
will. Er hät halt g’sehe, daß es mir schier ’s Herz abdruckt, daß i
au gar kei guts Wörtle meh mit em rede ka. Jo, und do hab i mer amal
a Herz g’faßt, er hät gsait, er wartet jedi Nacht uf mi, drobe im
Heuschober. Wia ni d’Eltere amol au gar so fescht hab schnarche höre,
do bin i durch d’Kammere durchg’schlupft un zum Toni uf der Spicher.“
„Jo, un hesch do der heilig Joseph mit nuf g’nomme als Schutzpatron,
oder wie isch der sunscht uf der Spicher komme, vo selber wird er doch
nit nachg’wandelt si.“ „Jo, triebe nur Gschpött mit mer, Ihr werre glei
sehe, daß do nix z’lache isch,“ und ’s Resi fing an zu weinen. Die Lene
klopfte ihr beruhigend den Rücken. „I halt scho ’s Mul, Resi, de weisch
jo, i mach halt gern mei Gschpäßli; a guts Lache hät mer scho mengis
mol g’holfe, wenn i g’meint hab, der Himmel wär über mer eig’schtürzt.
Aber schau, i bin ganz grausig neugierig, wie der heilige Joseph uf
euer Spicher ufikomme isch.“ ’s Resi schluckte noch ein bissel, dann
erzählte sie weiter. „Wie i amol z’ruck komme bin...“ „I sag nix, aber
i derf mi doch wundere, daß der Toni also in einere Nacht mit der
wichtige Sach nit fertig wore isch. Resi, Resi!“ und halb ernsthaft
drohend hob die Lenebas den Finger. „Mer hän uns au viel z’sage ghett;
denk doch au, der ganz Tag hän mer jo kei Wörtli mitenander rede dürfe,
jo, un do bin i amol übere Schtuhl g’scholpert in der Schlofstube. Der
Vater isch verwacht un hät glei g’rufe: ‚Wer isch do?‘ I hab g’meint,
d’Knie breche mer z’samme, so verschrocke bin i, un wie i g’merkt hab,
daß er Licht mache will, da isch mer grad ’s Herz schtill g’schtande un
i hab nix gwußt als: jetzt isch’s us, jetzt schlagt er mi tot un der
Toni au. Un do han i, i ha schier nimmi g’wußt was i tua, do han i des
Handtuch, was grad nebe mir an der Wand ghenkt isch, des han i mer über
de Kopf g’worfe, i han nit grad bitrüge wolle, Götti, aber schau, i han
denkt, vielleicht verschreckt der Vater un i kan derweil i mei Kammere
schlupfe.“ Ganz erstaunt unterbrach sich das Resi in ihrer eifrigen
Erzählung, denn die Lenebas lachte hell auf, lachte, daß ihr die Tränen
herunterliefen. „O du Dundersmaidli du,“ rief sie endlich, als sie
wieder atmen konnte, „du Dundersmaidli, du bisch also des Gschpenst
gsi, des der Walzebur so g’ärgert hätt. Do isch er gsi un hät uf unsere
liebe Herrgott un alli heilige Schutzpatrone g’schumpfe, daß in seim
ehrbare Hof so a armi Seel rumgeischtere soll. I han’s em glei usrede
wolle; weisch, bei mir wärsch dodermit nit an d’Recht komme, i hätt di
am Schlafittli kriegt un nit ‚Alli gute Geischter lobe Gott‘ bettet,
i hätt dir was andersch gsait. Aber der Walzebur hät mer vu sinere
Mannsbildg’scheidheit runter -- weisch, drei Kirchtürm höher als mei
eifache Wiberverschtand -- hät er mer gsait: ‚I ha’s g’sehe, mit dene
meine eigene Auge‘. Derno hab i halt ’s Mul g’halte un hab mer mei Teil
denkt. No warsch’s du natürli au, die d’Großmagd so verschreckt hät.
Dei Mutter hät mer’s verzählt.“

„Jo,“ meinte ’s Resi nun selber lachend, „weisch, die hät ihr Nas immer
gern in allem drin un hätt mi immer gern scho usschpioniert; daß i der,
i han ere nur ’s Fürtuch im Vorbilaufe um der Kopf g’schlage, daß i der
so a Schreck g’macht hab, des raut mi heut no nit.“ Die Lene murmelte
wieder ein anerkennendes „Du Dundersmaidli du,“ und ’s Resi war sehr
erleichtert, daß die Patin die Sache so auffaßte, aber ganz beruhigt
war sie noch nicht. „Jo, aber Götti, ’s Ärgschst kommt noch,“ fing
sie verzagt an. „Hän Ihr’s denn nit g’hört, der Vater hät jo der Herr
Pfarrer komme lo un ’s Hus uswihe lo un die böse Geischter vertreibe
lo, un weil der heilig Joseph nit gut gnug g’hütet hät, hät er en uf
der Spicher gschtellt un a Jesusstatue in d’Schtube ...“ Aber wieder
konnte sie nicht weiter erzählen, denn die Lenebas war von der Truhe,
auf der sie saßen, aufgesprungen und schlug sich mit beiden Händen auf
die Knie und rief: „Des gunn i em, des gunn i em, Jesses nei, Resi,
warum hesch mer des nit au früher verzählt, daß i do hätt derbi sei
könne, wie sie die böse Geischter ustriebe hän, un derno mitte im
schönschte Weihe hätt i ne d’Gschicht ins Gsicht gschrie, schau, des
hätsch mer au gunne könne.“ „Jesses, Götti,“ schrie die Resi auf, als
könnte das noch geschehen, „was denket er au, der Vater hätt mi jo in
sinere erschte Wut grad z’sämmeg’schlage.“

„Jo, hesch recht,“ beruhigte die Lene, „er hät kei Sinn für a Gschpaß,
der Walzebur. Uf sim ehrbare Hof wachst des Gwächs nit, i bin nur froh,
daß du i mei Art schlagsch.“ „Jo, aber Götti, was soll i jetzt mache,
der heilig Joseph isch durch mi in Unehre komme, im hinterschte Winkel
uf em Spicher stoht er; o nei, lachet nit,“ bat sie, als sie der Lene
ins Gesicht sah; „mir isch’s Hölleangscht, un am Samstig solle mer alli
uf em Hof bichte go un derno muß es jo der Pfarrer höre, daß i an der
ganze Gschpensterg’schicht schuld bi, un die Blamasch, die vergißt er
mer nit.“

„I will der was sage, Resi,“ sagte nun die Lenebas ganz ernst, „du
häsch mer a Schpaß g’macht, wie i scho lang keine mehr g’hett hab, so
g’lacht han i scho lang nimi, un zum Dank derfür tät i der scho helfe,
wenn mer des Gschperr vo deim Vater nit sowieso scho lang z’dumm wär.
G’ärgert han i mi, daß du nit zu mer komme bisch, Rats hole, du weisch,
i blos nit, was mi nit brennt; aber z’helfe isch dir licht, un scho
lang könntesch im Toni sei Büeri sei, wenn de zu mer komme wärsch. Dei
Vater hät sich nur grad verstift uf si ‚Gleich ghört zu gleich‘, und
weil er ä Mannsbild isch, meint er, dodruf muß er jetzt schto bliebe,
wie a Schildwache uf em Poschte. Aber schau Resi, wenn’s dir recht
isch, no vermach i mei Sach im Toni un a Ussteuer kann i em glei gä,
dazu längt’s mer scho, un dann hät der Toni emol soviel wie a mancher
Buresohn nit ..“ Weiter konnte die Lenebas vorerst nicht reden, denn
die Resi flog ihr um den Hals und gab ihr einen Kuß nach dem andern
ins runzlige Gesicht. Als sie wieder zu Wort kam -- so ein kleines
Rührungstränlein mußte sie sich erst heimlich aus den Augen wischen
-- meinte sie mit pfiffigem Schmunzeln: „D’ Hauptsach hätte mer also
in Ordning, i will nit d’Lenebas si, wenn dei Vater mine Gründ nit
nachgäbet. Vo dere Gschpenschtergschicht sage mer em lieber nix, er
hät kei Sinn für a Gschpaß, ’s könnt en höllisch ärgere, ’s wär nur so
für der ärgscht Notfall -- aber ’s isch sicher nit nötig. Aber jetzt
häsch jo noch a Buckel voll Sorge wege dere Bicht. Aber Maidli, du
müscht nit mei Göttli sei, wenn de nit wisse tätsch, was de do z’sage
häsch. Daß dei Vater sei Maidli für a Geischt asieht un der Pfarrer
ihm des glaubt, jo da kannsch du doch nix derfür, des isch doch kei
Sünd vo dir, du wirsch im ganze Bichtspiegel kei Frag finde: Hast du
gegeistert? Was nit im Bichtspiegel stoht, isch au nit z’bichte. ’s
viert G’bot, do häsch dich anz’klage, ung’horsam bisch gsi, des weisch
selber. Du häsch mit dem Toni gschproche gege ’s Verbot von dim Vater,
un wenn der der Pfarrer recht der Kopf wascht derfür, no gschiehts der
recht, denn g’horsam müsse mer si unsere Elter, des stoht im vierte
Gebot, un wenn der der Pfarrer verbiet, daß de sowas no amol tuasch, no
hätt er recht, aber i hoff, de hesch’s au nit nötig.“ Und wieder mußte
die gute Götti sich umhalsen lassen, bevor sie weiterreden konnte.
„Jetzt blibt nur no der heilig Joseph, un do weiß i der kei andere
Rot, als daß de der vom Toni a schöni, großi Wachskerze kaufe lasch,
anschtatt eme andere Kirwikram, un die im heilige Joseph stiftesch, no
wird er scho versöhne sich lo, un b’sunders wenn de dann als Büeri ihm
der Ehreplatz gisch un di Lebtig brav lebsch, derno wird er scho mit
sich rede lo.“

„O Götti, was bisch du für a liabi Götti,“ konnte das Resi nur sagen,
und die hellen Tränen standen ihr in den Augen. Aber für Rührung hatte
die Lenebas nicht gern Gesellschaft; das zeigte sie nicht gern, und bei
andern war sie auch nicht gern Zeuge. So machte sie denn rasch die Tür
auf und rief: „I wett, d’Strüweli sin hart wie Ledersohle, so lang hän
mer sie warte lo, jetzt komm weidli, a Tasse Kaffee un frischbachene
Strüweli, des hält Leib und Seel z’samme.“

Und am andern Tag kam die Lenebas zum Walzenbauern, und als er
hörte, daß die Lenebas ihren schönen Hof und die soliden badischen
Staatspapiere der Kirche vermachen würde oder aber dem Toni, wenn er
der Mann von der Resi würde, da griff er rasch zu. Da war der Toni
ein recht annehmbarer Schwiegersohn; „und wenn ’s Resi halt au gar so
vernarrt in den Bu isch un doch so brav g’folgt hät un uf der Vater
g’hört hät, dann will i au nit hart si, no soll sie halt ihre Wille
ha,“ schloß er.

Und in vier Wochen war Hochzeit auf dem Walzenhof, und der heilige
Joseph stand in der Schlafstube des jungen Paares, und er tat
rechtschaffen seine Pflicht und beschützte den Hof, denn gegeistert
hat’s nicht mehr.



Die Leich’


Der Blasibauer liegt im Sterben. Im Sommer schon hatte der Arzt
dringend geraten, in ein Bad zu fahren oder doch wenigstens aus dem
luft- und lichtlosen Hinterstübchen auszuziehen. Aber in dem Kämmerchen
hatten schon die Urgroßeltern des Bauern geschlafen und waren als alte
Leute gestorben, warum sollte er so „nimodische Nücke“ mitmachen und
gar die Wohnstube mit dem Glasschrank voll alter Tassen und Kannen
und mit dem „Schäppeli“, dem Brautkranz aller Frauen des Hofes seit
Urgroßmutters Zeiten, zur Schlafstube herabsetzen. Und jetzt, mit den
ersten Herbstnebeln, lag er da und konnt es „schier nimme verschnufe“.
Wie er am Morgen gar so schwer atmete, war die Bäuerin zur Nachbarin,
zur Lickertsbrigitt, gesprungen, die hatte den Blick für Kranke,
die sah jedem gleich an, ob „Zit isch zum Versehe“ oder ob es mit
den Sterbesakramenten noch keine Eile hat. Auf deren Ausspruch hin
wurde sofort zum Pfarrer geschickt, und als der bald darauf, mit dem
klingelnden Küster vorneweg, das Allerheiligste zum Sterbenden trug,
folgte fast aus jedem Häuschen des kleinen Schwarzwalddörfchens der
eine oder der andere Bewohner zum „schterbe helfe“. Auf der Treppe
und im dunkeln Hausflur knieten die Leute nieder, während der Pfarrer
allein zum Sterbenden hineinging, seine letzte Beichte zu hören. Mit
lauter Stimme beten die draußen die Litanei zu allen Heiligen um
einen guten Tod, drin hört das leise Flüstern bald auf, der Pfarrer
spricht mit lauter Stimme die Absolutionsworte, und die ganze Schar
drängt nun in die Kammer. Wachsbleich und verfallen liegt der Kranke
in den buntgewürfelten Kissen. Die Bäuerin stellt sich ans Kopfende
des breiten Ehebettes und schluchzt nur leise in sich hinein, um
die heilige Handlung nicht zu stören. Ehrfürchtig richtet sie den
Sterbenden auf, als der Priester die Hostie ihm reicht. Mühselig
schluckt der Kranke, er wird blau im Gesicht vor Anstrengung; ängstlich
schaut die Bäuerin eine Weile zu, dann fragt sie leise: „Häsch
unseren Heiland scho g’schluckt oder wotsch no a weng Wasser?“ Die
Lickertsbrigitt hat ihr schon ein Glas gereicht, und mit einem Schluck
Wasser gelingt es dem Blasibauer, die Hostie hinunterzuschlucken. Ganz
erschöpft liegt er da, während der Pfarrer geschäftig Öl und Watte
richtet zur heiligen Ölung. „~Per istam sanctam unctionem~“, murmelt
er und betupft mit einem im heiligen Öl getränkten Wattebäuschchen
die Augen des Kranken, „~indulgeat tibi dominus, quidquid per visum
deliquisti~“, und er wechselt das Bäuschchen und betupft die Ohren
„~per auditum~“, die Nase „~per odoratum~“, die Zunge „~per loquelam~“,
die Hände „~per tactum~“, die Füße „~per gressum~“. Andächtig hören
die Nachbarn dem Murmeln zu und verfolgen die eiligen Bewegungen
des Priesters mit aufmerksamen Augen. Der Priester ist fertig, die
getränkten Wattebäuschchen werden an der geweihten Kerze verbrannt.
Noch einmal macht der Priester das Zeichen des Kreuzes über den
mühsam Atmenden, dann verabschiedet er sich mit dem Versprechen, am
Abend wiederzukommen. Mit ihm schlupfen zwei Bauern zur Tür hinaus,
und während die drei die Treppe hinuntergehen, hören sie schon das
Gebetmurmeln der Zurückbleibenden. „Der macht’s nimme lang, was
meinet Se, Herr Pfarrer?“ frägt der Burgerbeck. Der zuckt die Achseln,
ohne zu antworten; aber der Burgerbeck erwartet auch keine Antwort,
er fährt fort: „Ja, wisset, ’s isch wege der Lich; er isch doch üse
Füerwehrhauptmann gsi, da mün mer nen do mit der Musi bigrobe, und ’s
isch scho grusig lang, daß mer kai Lichemarsch meh gschpielt hän. I mei
alls, i go gli zum Lehrer un mer probe hit no.“ -- „Scho, scho,“ fiel
der andere Bauer ein, „aber der Blasibuer hät jo alliwil de Trompet
blose, die Signal un alls, un wenn mer nem Kamerode ’s letzschtmal
übers Grab blose hän, hät’s als kainer könnt als der Blasi. Wer soll
denn etzt blose? Un ohni Trompet isch’s do kai rechti Füerwehrmusi!“
-- „Do mün Er halt der Lehrer froge,“ meinte der Pfarrer und
verabschiedete sich von seinen Pfarrkindern. Die beiden Bauern gingen
vom Pfarrhof quer hinüber zum Schulhaus.

Auf dem Blasihof schleicht der Tag langsam hin, die Nachbarn wechseln
ab im Beten, das Rosenkranzmurmeln dringt den ganzen Tag über vom
Hinterstübchen in die kleine Dorfgasse hinaus. In der Kammer ist
eine dicke, heiße Luft, und dem sterbenden Bauern stehen die dicken
Schweißperlen auf der Stirn. Von Zeit zu Zeit wischt die Bäuerin ihm
das Gesicht ab oder gibt ihm einen Schluck Wasser oder Kirschwasser,
dann versinkt sie wieder in dumpfes Brüten oder betet ein paar Gesetzel
Rosenkranz mit. Der Bauer hat nicht mehr genug Atem zum Sprechen,
vielleicht hat er auch nichts mehr zu sagen, nur seine Augen streifen
unruhig von einem Winkel der Kammer in den anderen oder suchen die
Gebetsworte auf den Lippen der Betenden. Da klingen plötzlich falsch
und schrill die ersten Takte des Chopinschen Trauermarsches in die
kleine Kammer. Drüben im Wirtshaus, nur durch den Garten vom Blasihof
getrennt, üben die Kameraden die Musik ein fürs Begräbnis. Die Betenden
verstummen und lauschen andächtig. Der Sterbende winkt und bewegt
die Lippen, endlich versteht die Bäuerin: „Machet au ’s Fenschter
uf.“ Es geschieht, und in vollem Strom klingen jetzt die grellen Töne
ins Zimmer. Es ging mühsam vorwärts drüben im Wirtshaus, immer mußte
wieder abgebrochen und die einzelnen Takte von neuem probiert werden,
aber geduldig hörten hier in der Sterbekammer die Leute zu. Nur die
Bäuerin schluchzte laut auf, als die Musik anfing, und nun weint sie
ohne Unterlaß fast schreiend. Die Lickertsbrigitt möchte sie trösten,
aber ungeduldig wehrt die Bäuerin ab: „Nei, sag was de witt, des isch
emol it rächt, mi Ma hätt’s am End scho no emol überschtande, mit
Gottes Hilfe, aber des isch a bösi Vorbedütung, mer bigrobt doch d’Lüt
nit, wenn si no läbig sin ... Jessesmaria,“ schreit sie auf, als jetzt
polternde Schritte auf der Treppe laut wurden, „sie wänn en scho hole,
un er isch jo no läbig.“ Der eintretende Burgerkarl steht erst eine
Weile fast verlegen an der Tür, ehe er mit seinem Anliegen herausrückt:
„I soll a schöne Grus sage vo der Füerwehr, un wenn’s im Blasibur rächt
wär, so möcht er us doch si Trompet gä, mer bruchet se für d’Lich, he
jo -- un i tät mer scho traue z’blose druf.“ -- Der Blasibauer macht
eine Anstrengung, zu sprechen, aber ein verständliches Wort kommt nicht
mehr heraus, er winkt die Bäuerin, die den Burgerkarl gern barsch
abgefertigt hätte, heftig zu sich heran, und in altgewohntem Gehorsam
sucht sie nach dem Schlüssel zur Lade, wo die Trompete liegt, schließt
auf und zeigt dem Bauern die blanke, leuchtende Trompete; der nickt
und nickt noch einmal, als der Burgerkarl fast gierig danach greift und
mit einem „Grüß Gott mitenander!“ zur Tür hinauseilt.

Drüben im Wirtshaus haben sie endlich den Trauermarsch ohne
Unterbrechung in einem Stück heruntergespielt und stärken sich jetzt
nach der schweren Arbeit mit einem tüchtigen Trunk. Man hört laute
Rufe und Gläserklingen in der plötzlichen Stille. Der Bauer röchelt
schwer, und den Nachbarn fällt ihre Pflicht ein, ihm mit ihrem Beten
zu einem guten Tod zu verhelfen. „Wenn do der Pfarrer no emol komme
wollt, er hätt am End no ebbes uf em G’wisse, daß er au gar so schwer
schterbe will,“ meint die Lickertbrigitt. Ihre Nachbarin, die alte
Theres, stupft sie in die Seite und zwinkert nach der Bäuerin hin: „He
jo, weisch denn it -- d’Großmutter, die hätt sich doch verhängt, weil
er ihr’s so wüscht g’macht hätt, die laßt ihn etzt it in Ruah schterbe“
-- die Lickertbrigitt nickt nur, und eifrig und laut beten sie jetzt um
einen guten Tod.

Da klangen hell und laut die Feuerwehrsignale über die Straße.
Der Blasibauer griff hastig um sich: „Mi Trompet, gän mer mi
Trompet,“ stöhnte er. „O lasset etzt die Narresposse si,“ meinte die
Lickertbrigitt und machte das Fenster zu, „denket etzt an Euere Sünd
un ans ewig Himmelreich.“ Der Sterbende hörte sie wohl nicht mehr,
er griff mit den Händen noch ein paarmal in die Luft; die Brigitt
leuchtete ihm mit der rasch angezündeten Sterbekerze ins Gesicht,
drückte sie dem Bauer in die rechte Hand und murmelte, halb zur
Bäuerin: „I mein alls, etzt isch’s us.“ Drüben im Wirtshaus spielten
sie: „Jetzt woll’n wir lustig sein, lustig sein, tanzen und trinken.“
Denn das mußten sie auch noch einüben, für die Rückkehr vom Friedhof.



Wortverzeichnis


Die mundartlichen Formen sind nach dem Gehör niedergeschrieben, nicht
nach einem wissenschaftlichen System. Die Aussprache ist übrigens
nicht die gleiche bei allen Personen und wechselt auch im Munde der
einzelnen, weil die Nähe einer größeren Stadt die Individualsprachen
beeinflußt hat, je nach Beruf und Bildungsgrad, und weil die einzelnen
Menschen ihre Mundart mehr oder weniger unverfälscht sprechen, je
nachdem sie es mit Bauern oder mit Städtern zu tun haben. Folgende
Worte bedurften wohl einer besonderen Erklärung:

  Anke = Butter
  bigelt, bigöscht = beigott
  Blust = Baumblüte
  b’schraun = beschrien
  bündeln = seine Sachen packen
  buschber = munter
  Chriesewasser = Kirschwasser
  gaschplig = zornig, lebhaft
  gell = gelt (wird so behandelt, als ob es ein Zeitwort „gellen“ gäbe,
    z. B. „gellen Sie“)
  Götte = Patin
  Gschmak = Geruch
  Hämpfle = Handvoll
  hänn = habt, haben
  Häs = Gewand
  it, ite = nicht
  kampeln = raufen
  Kirwikram = Geschenk (Kram), das man von der Kirchweih mitbringt
  letz = verkehrt
  los = hör’
  nint = nichts
  Nüniesse = Neunuhrbrod, zweites Frühstück
  pfetzen = kneifen, rupfen
  Pfübel = Kopfkissen
  rauen = bereuen
  Sichelhenke = Erntefest
  Strüweli, Sträuble = eine Art Spritzkrapfen
  Tafel = Bild, Heiligenbild
  Trippel = Holzveranda am schwarzwälder Bauernhaus
  Tschole (armer) = armer Narr
  unb’schraue = unbeschrien
  verdlehnen = sich ausleihen
  verzeigen, sich = als Gespenst erscheinen
  Völker = Dienstboten
  weggerle = wahrlich
  wönn (wenn) = wollt, wollen



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