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Title: Quer durch Afghanistan nach Indien Author: Trinkler, Emil Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Quer durch Afghanistan nach Indien" *** INDIEN *** EMIL TRINKLER QUER DURCH AFGHANISTAN NACH INDIEN MIT 68 ABBILDUNGEN UND EINER KARTE [Illustration] PETER J. OESTERGAARD VERLAG BERLIN-SCHÖNEBERG COPYRIGHT 1927 BY PETER J. OESTERGAARD VERLAG BERLIN-SCHÖNEBERG – ALLE RECHTE VORBEHALTEN INHALT EINLEITUNG 9 I QUER DURCH RUSSLAND UND RUSSISCH TURKESTAN 12 II AN DER RUSSISCH-AFGHANISCHEN GRENZE FESTGEHALTEN 23 III ÜBER AFGHANISTANS RANDGEBIRGE 41 IV EINE MÄRCHENSTADT 46 V DURCH DAS ÖDE ZENTRALAFGHANISTAN 55 VI ÜBER HOHE GEBIRGE UND EINGESCHNEITE PÄSSE 76 VII KABUL 100 VIII TRÜBE WINTERTAGE 112 IX AFGHANISTANS HÖCHSTES GEBIRGE 120 X INS TAL DER GROSSEN BUDDHAS 127 XI EINE WINTERFAHRT INS AFGHANISCHE HOCHGEBIRGE 139 XII IM AUTO VON AFGHANISTAN NACH INDIEN 162 XIII PESHAWAR 169 XIV SOMMERTAGE IN KABUL 180 XV UNRUHIGE ZEITEN 187 XVI INDIENS MÄRCHENPRACHT a Delhi 199 b Jaipur 206 c Agra 212 d Benares 216 XVII HEIMWÄRTS 224 EINLEITUNG Im Herzen von Asien, als Pufferstaat zwischen Russland und Indien eingekeilt, liegt Afghanistan. Noch bis vor kurzem war dieser Staat den Europäern verschlossen, und nur selten wurden Ärzte oder Ingenieure ins Land gelassen. Genauere Kunde über Afghanistan verdanken wir den Berichterstattern der englisch-afghanischen Kriege 1841/42 und 1878/79, sowie einigen kühnen Pionieren, die in den Jahren 1825 bis 1840 das Reich des Emir besuchten. [Illustration: 1. Familiengrab der Herater-Timuriden (1457)] Schon seit ältesten Zeiten ist Afghanistan der Schauplatz vieler Kämpfe und Umwälzungen gewesen, da es ein Durchzugsland ist. Durch die indisch-afghanischen Grenzberge führen die Zugangswege nach Indien. Alexander der Große, Timur oder Tamerlan, Mahmud von Ghasni, Baber, der erste der indischen Großmoguln, und der Perserkönig Nadir Schah, sie alle durchzogen Afghanistan auf ihren Kriegszügen nach Indien. [Illustration: 2. Afghanisches Regierungs-Karawanserai] Afghanistan ist ein wildes Bergland, in dessen östlichstem Teile die Gipfel des Hindukusch Höhen bis zu 7000 m erreichen. Tiefe Schluchten durchschneiden die Berge, und tagelang kann der Reisende über große Plateaus ziehen, ohne kaum ein Fleckchen Grün zu sehen. Brennt im Sommer die Sonne unbarmherzig auf die stark verwitterte Bergwelt hernieder, so hüllt im Winter tiefer Schnee die Berge ein, und fast ein halbes Jahr lang ist der Weg durch Zentralafghanistan dann für jeglichen Verkehr gesperrt. [Illustration: 3. Meine Wohnung in Tschähar Bagh, Herat] Nach dem letzten englisch-afghanischen Kriege 1919 hat Emir Amannullah Khan sein Land den Europäern geöffnet und zahlreiche Deutsche und Italiener in das Land gezogen, die sich dort dem afghanischen Staatsdienste als Ingenieure, Ärzte, Elektrotechniker, Architekten und Lehrer widmen. Schon seit meiner Schulzeit habe ich mich mit den Ländern Innerasiens beschäftigt, und schon während meiner Studienzeit an der Münchener Universität hatte ich meine Arbeiten auf diese Länder Zentralasiens eingestellt. Außer Chinesisch-Turkestan, Tibet und Indien zählte auch Afghanistan zu meinem engeren Interessenbereich. Da bot sich mir im Sommer 1923 Gelegenheit durch die liebenswürdige Vermittlung eines guten Freundes als Geologe in Diensten einer neugegründeten afghanischen Handelsgesellschaft nach jenem Lande zu gehen. Die Reise ging durch Rußland – kreuz und quer durch Afghanistan – und heim über Indien. Von den wissenschaftlichen Ergebnissen ist in diesem Buche nur wenig die Rede, ihre Veröffentlichung ist einem anderen Werke vorbehalten. Das vorliegende Buch – lose aneinandergereihte Tagebuchblätter, Skizzen und Bilder – soll dem Leser nur ein ungefähres Bild von dem Lande und dem Leben geben, wie es sich dem Reisenden darstellt. Ungefähr ein Jahr ist verflossen, seit ich Afghanistan verlassen habe. Ich bin wieder heimgekehrt in das von Sorgen und Kämpfen zerrissene Europa, heimgekehrt in die Länder rastloser Arbeit sich hetzender Menschen, deren Seele im Alltag verkümmert und stirbt. Oft wandern meine Gedanken nach dem großen, stillen Asien zurück, nach Afghanistans einsamen Bergen und Tälern, nach Indiens sonnigen Fluren und heiligen Stätten. Ich sehe mich im Geiste wieder mit meiner Karawane über die hohen, eingeschneiten Pässe ziehen, sehe uns wieder am flackernden Lagerfeuer sitzen und glaube manchmal die Stimmen meiner Diener zu hören. Und wieder andere Bilder steigen vor mir auf: Weiße Marmorpaläste, stille Tempelhaine, die im Schatten großer Bäume träumen, und stille Seen, in denen sich der tiefblaue Himmel und hohe Palmen spiegeln. Wenn es mir gelungen ist, in Wort und Bild diese Länder dem Leser näherzubringen, dann ist der Zweck dieses Buches erreicht. Sämtliche Photographien sind von mir selbst aufgenommen, mit Ausnahme der Bilder Nr. 34, 35, 57–60, die mir von Herrn Blaich, Kabul, zur Verfügung gestellt wurden, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche. Zuletzt noch ein Wort des Dankes an die Herren der Deutsch-Afghanischen Kompanie für die vielseitige Unterstützung, die sie meinen Plänen zuteil werden ließen, an Frau Erna Martens, die mir eine unermüdliche Korrekturleserin gewesen ist, sowie dem Herrn Verleger für die Sorgfalt und das Interesse, das er der Herausgabe dieses Buches entgegenbrachte. DR. EMIL TRINKLER I QUER DURCH RUSSLAND UND RUSSISCH-TURKESTAN Am Freitag, dem 6. August, abends 11 Uhr, verließ ich mit meinen Kameraden Wagner und Blaich Riga. Der Wagen, den wir angewiesen bekamen, war augenscheinlich ganz neu. Er hatte elektrische Beleuchtung, bequeme aufklappbare Polstersitze und war sehr sauber. Als wir uns am anderen Morgen erhoben und gefrühstückt hatten, wurden die Abteile vom Zugpersonal ausgekehrt und geputzt, und der erste Eindruck, den wir von Rußland erhielten, war nicht schlecht. Mit großer Spannung erwarteten wir unsere Einfahrt in das Reich der Sowjets. Wenn wir aus dem Fenster blickten, zeigte sich immer dasselbe Bild: Wald, Wald und wieder Wald, Äcker, einsame kleine Bauerndörfer, mit niedrigen strohgedeckten Holzhäusern, hin und wieder große Wiesen und Sümpfe. Gegen zwölf Uhr fahren wir durch ein großes hölzernes Tor, auf dem die rote Fahne weht und an dem das Sowjetwappen – Sichel, Hammer und Stern – angebracht ist. Wir sind an der Grenze angelangt, und der Zug hält, bis die Paßkontrolle erledigt ist. Zu beiden Seiten erheben sich neuerbaute Blockhäuser, auf denen ebenfalls die roten Fahnen flattern. Militärposten mit aufgepflanztem Bajonett bewachen den Zug, den niemand verlassen darf. Bald fahren wir weiter nach Sebesch, wo die Gepäckrevision stattfindet. Es gießt in Strömen, als wir gegen ein Uhr unsere Reise fortsetzen können. Endlos erscheint uns die Fahrt durch Rußlands Ebenen, durch unendliche Wälder und Sümpfe. Der graue Himmel und der klatschende Regen lassen das Bild noch trauriger erscheinen. Auf den Stationen kann man Lebensmittel erhalten, Weißbrot, Wurst, Früchte, Käse und Milch. Hier sehen wir schon typisch russische Bilder: Frauen und Mädchen in bunten Kopftüchern, Soldaten in verschiedenen Uniformen und zerlumpte Bettler. Oft kann man an den Bahnhofsgebäuden in großen Lettern lesen: »Proletarier aller Länder vereinigt euch«. Das Wetter klärt sich auf, und beim Abendsonnenschein fahren wir in eine größere Stadt, deren viele weiße Kirchen mit grünen Kuppeln schon von weitem leuchten. Am Sonntagmittag, fünf Minuten vor zwölf Uhr, ohne eine Minute Verspätung fährt unser Zug in den Moskauer Bahnhof ein. Ich will mich nicht lange mit der Beschreibung Moskaus aufhalten, denn die Zustände haben sich seit 1923 geändert, und das Bild, das ich von der Hauptstadt des Sowjetreiches empfing und entwerfen müßte, wäre nicht mehr zutreffend. – Als wir in Moskau weilten, waren nur zwei Hotels geöffnet; da das Savoy besetzt war, fanden wir im Knjajnüj Dwor, im Fürstenhof, Unterkunft. Lebensmittel gab es 1923 gut und reichlich; aber für russische Verhältnisse waren sie zu teuer. Doch ist Moskau wohl schon in Friedenszeiten eine der teuersten Städte Europas gewesen. Hier sieht man bereits ganz asiatische Bilder, und in den Basaren und auf den Märkten begegnet man häufig Turkmenen, Chinesen, Armeniern und Persern. Die Menschen erschienen aber alle bedrückter Stimmung; Sorge und Kummer sprachen aus den Gesichtern; ich habe in Moskau nie einen Menschen herzlich lachen hören. Alle waren sehr schlecht gekleidet, und obgleich wir gar nicht elegant gekleidet gingen, fielen wir doch überall sehr auf. Derjenige, der sich näher über die jetzigen Verhältnisse in Rußland zu unterrichten wünscht, dem kann nur das in diesem Verlage erschienene Buch von Prof. Obst: »Russische Skizzen« aufs wärmste empfohlen werden. Die fünftägige Bahnfahrt von Moskau nach Taschkent verlief sehr angenehm, da die Züge, die auf dieser Strecke verkehren, internationale Schlaf- und Speisewagen haben. Je mehr wir uns Taschkent näherten, desto wärmer wurde es, und während der letzten beiden Tage der Fahrt war die Hitze beinahe unerträglich. Unvergeßlich wird mir die Überfahrt über Europas größten Fluß bleiben. Es war frühmorgens; die Strahlen der Morgensonne lagen auf den großen Wäldern und Feldern, die die gewaltige Wolga einsäumen. Es rollte dumpf, als wir langsam über die berühmte, ca. 1500 m lange Brücke fuhren. Einige Dampfer und Flöße zogen langsam stromabwärts. Frieden und Ruhe weit umher, Feiertagsstimmung! Langsam verschwinden die Wälder, Schwarzerdeboden tritt auf, durch den sich wie samtene Bänder dunkelgrüne Felder hinziehen, und dann tritt die Steppe die Herrschaft an. Tag und Nacht haben wir dasselbe Bild der verbrannten dürren Einöde. Wir sehen die ersten Kamele, passieren Jurtensiedelungen der Kirgisen, vor denen abends die Lagerfeuer hell flackern, und sehen die Sonne wie eine blutrote Kugel am Abendhimmel versinken. Auf den Stationen wird meistens lange gehalten. Hier kann man seinen Proviant ergänzen und Obst, Hühner, Brot, Milch und Eier zu teueren Preisen erstehen. An jeder Station bekommt man auch heißes Wasser, denn den Tee bereitet man sich selbst im Wagen. Köstlich mundeten die Zucker- und Wassermelonen, die wenigstens etwas den Durst stillten. Am vierten Tag zeichnet sich die tiefblaue Fläche des Aralsees auf dem braunen Steppenboden ab. Von Grün war nichts zu erblicken; nur dürres gelbes Gras und Sandboden so weit der Blick reichte! Eines Abends sahen wir eine Herde Kamele auf der Steppe weiden, und eine Karawane zog langsamen Schrittes der untergehenden Sonne entgegen. Keine Wolke war mehr am blauen Himmel zu sehen, und es sollte Monate dauern, bis wir den ersten bewölkten Himmel wieder erblickten. In Kasalinsk war großer Fischmarkt. Stör und Kaviar wurden hier zu billigen Preisen angeboten. Die Reisetage vergingen uns noch viel zu schnell; am fünften Tage mittags trafen wir in Taschkent fahrplanmäßig ein. Tagsüber war es noch sehr heiß, und wir waren immer froh, wenn der Abend kam. Dann saßen wir im Garten des Turkwojenkop-Restaurants, tranken ein Glas Turkestaner Roten und lauschten der Musik einer Zigeunerkapelle. Sobald das Tagesgestirn am Horizont versunken war, erwachten die Lebensgeister wieder, und jeder freute sich der frischen würzigen Luft. Orient umgibt uns; er leuchtet uns entgegen im farbenprächtigen Leben der Basare, in den von einfachen Lehmmauern eingefaßten Blumengärten, im hellen Blau des Himmels und in der flammenden Lichtflut der Sonne. An allen Straßenecken haben die Turkmenen ihre Verkaufsstände aufgeschlagen, die fast unter der Fülle des Obstes zusammenzubrechen drohen. Weintrauben, deren Beeren ungefähr so groß wie Pflaumen sind, sowie große süße Zucker- und Wassermelonen verführen fast immer zum Kaufen. In den Basaren herrscht orientalisches Leben. Die bunte Kleidung der Sarten und ihre vielfarbig gestickten Kappen ziehen immer wieder den Blick auf sich. Mittags wird es sehr heiß; dann sieht man auch nur wenige Menschen auf den Straßen, über denen die Luft flimmert. Vor den Hauseingängen hocken Eingeborene, essen Obst, schlafen oder träumen vor sich hin. Nach Möglichkeit vermeidet man es, in den Mittagsstunden auszugehen, wenn auch prächtige Pappelalleen etwas Schutz spenden. Überall ist es sehr staubig. Die Blätter der Bäume sind grau, und abends liegt eine dicke Staubwolke über der Stadt, so daß man glaubt, alles durch einen Schleier zu sehen. Manchmal machte ich mit Wagner abends noch einen Spaziergang. Wir hatten in jenen Tagen gerade Vollmondschein, und die Straßen waren in silberhelles Licht getaucht. In den Häusern brannten noch spätnachts die Lampen, und oft hörte man die Klänge eines Klaviers oder einer Gitarre die Nacht durchdringen. Auf einem großen Basarplatz spielten die Mondstrahlen Verstecken und warfen von einer Kirche tiefe Schatten. Nachdem es uns in Taschkent endlich geglückt war, Fahr- und Platzkarten für den Zug nach Samarkand zu erhalten, sowie das umfangreiche Gepäck zu befördern, konnten wir die neue Fahrt beginnen. Früh um drei Uhr, in einer hellen Vollmondnacht, trafen wir in Samarkand ein und ließen uns in die Stadt fahren, die ziemlich weit vom Bahnhof entfernt liegt. Es war noch still und sehr frisch. Wir begegneten einer großen Kamelkarawane, die langsam im Morgengrauen dahinzog, und trafen einige Sarten, die auf kleinen Eseln vorbeiritten. Die von hohen Pappeln eingefaßten Straßen waren auch hier sehr staubig; unser Kutscher fuhr wie toll, und wir fürchteten jeden Augenblick, daß er mit uns in einem Straßengraben landete. [Illustration: 4. Die Burg in Herat] Im »Hotel« war natürlich alles besetzt, denn es hatte nur zehn Zimmer, aber wir konnten uns wenigstens etwas frisch machen, da im Hofe Waschtische aufgestellt waren. Dann ließen wir uns einen Samowar bringen, kochten Tee und frühstückten im Hof. Darauf machten wir einen Spaziergang in die Stadt. Der Hotelbesitzer, der auch etwas Deutsch verstand, führte uns zu einem österreichischen Sanitäter, der als Kriegsgefangener hier interniert worden war und seinen Wohnsitz jetzt hier aufgeschlagen hatte. Je mehr wir uns der Eingeborenenstadt näherten, um so bunter wurde das Bild. [Illustration: 5. Marktplatz, Herat] Orient, wohin das Auge blickt! und so bunt und schillernd, daß man kaum weiß, wohin man den Blick zuerst lenken soll! Hellblauer, reiner Himmel strahlt über der Stadt Timurs, und das Sonnenlicht ist so hell, daß man kaum die Augen öffnen kann. Die Straßen sind sehr staubig; bei jedem Schritt wird eine dicke Staubwolke aufgewirbelt. Es war großer Markttag und das Gedränge in den engen Gassen war groß. Europäer trifft man selten; überall beherrschen die Sarten in ihren bunten Gewändern das Feld. Mitten durch die farbige Menge ziehen Kamele bedächtigen Schrittes, trippeln kleine Esel, bahnen sich Reiter den Weg oder werden große, zweiräderige Lastkarren von Ochsen gezogen. Überall wird gehandelt und gefeilscht; dieser bietet Teppiche, jener Käppis, dieser Obst, jener seidene Stoffe und Edelsteine an. Vor einigen Verkaufsläden sind Tische gedeckt, und man fordert uns zum Kebabessen auf (am Spieß gebratenes Hammelfleisch). Junge Burschen tragen große Tabletts auf dem Kopfe und gehen durch die Menge, um frischgebackenes Brot, Kuchen oder Trauben anzubieten; andere sitzen am Boden und verkaufen aus großen Tonkrügen frisches Wasser. Wir gehen an den Ständen der Schmiede, Fleischer und Schneider vorbei und sehen schon von weitem die weltberühmten Bauten Samarkands: das Grabmal Timurlenks und die von seinem Enkel Ullugh Begh erbauten Medressen, die den Registan einfassen. Schöner blauer Kachelschmuck erfreut hier das Auge. In der Tila Kari werden wir vom Oberpriester, einem alten Weißbart in wallendem Gewande und großem Turban, freundlich begrüßt, und es wird uns gestattet, auf das Dach der alten Hochschule zu steigen, von dem aus wir einen umfassenden Ausblick auf die Stadt haben. Ein alter Mohammedaner, mit großem, weißem Turban, führt uns die baufälligen Stufen hinan. Auf dem Dache dürfen wir nur an einzelnen Stellen uns bewegen, da die Gefahr des Einsturzes droht. Wie durch einen feinen Schleier sehen wir das umliegende Land, da die Luft so stauberfüllt ist. Unter uns ziehen sich die bunten Basarstraßen hin, in denen es wie in einem Ameisenhaufen wimmelt. Der Führer erklärt uns die verschiedenen Kuppelgräber, die man sieht. Die Hitze auf dem flachen Dache wird schon nach einigen Minuten unerträglich, und wir steigen gerne wieder in den Hof hinab. Immer wieder muß man die farbenprächtigen Kacheln bewundern, die mit ihrem Tief- und Hellblau sich so gut aus dem Gelbbraun der Lehmmauern herausheben. Das eine Minarett steht ganz schief und wird nur durch dicke Drahtseile gehalten. [Illustration: 6. Teil des Gouvernementgebäudes, Herat] Und dann gehen wir zu dem Grabmal Timurs. In einem Hain von hohen Pappeln erhebt sich stolz die blaue Kuppel. Ein Molla führt uns durch den dunklen Eingang in das Innere, wo der Sarkophag steht, der aus einem einzigen Nephritkristall gearbeitet ist. Das Licht ist gedämpft; nur durch eine Öffnung in der Wand dringt ein Bündel Sonnenstrahlen in den Raum und zaubert helle Flecke auf den Boden und das Marmorgitter, das den Sarkophag umgibt. Auf diesem liest man in persischen Lettern den berühmten Spruch: »Wenn ich noch lebte, sollte die Welt vor mir erzittern.« Beim Scheine einer Kerze führt uns der Molla in ein unterirdisches Gewölbe, wo verschiedene Grabsteine liegen und wo unter anderem sich auch die eigentliche Grabstätte Timurs befindet. Timurlenk oder Tamerlan war sicher einer der größten Herrscher, die je gelebt haben, und er sowie Dschinghis-Khan haben mehr als einmal ganz Asien in Schrecken versetzt. Noch heute begegnet man ihren Spuren auf Schritt und Tritt in den vielen Ruinen, die man in Persien, Afghanistan und Turkestan antrifft. Trotzdem diese Herrscher unerhörte Grausamkeiten begangen haben, muß man doch auch wieder ihren Sinn für Kunst und Wissenschaft bewundern, ließ doch z. B. Timur von weither (Damaskus) Baumeister kommen, die die Prachtbauten aufführten. Einmal waren wir bei einem Deutschen zu Gast. Wir saßen in einem großen schattigen Garten, der von einer hohen Lehmmauer umgeben war. Des Mondes silberne Strahlen spielten auf den Wegen, fielen durch das Blattwerk und warfen helle, runde Flecke in die dunklen Schatten. Es war einer jener Sommerabende, die man nie vergißt und die sich für immer fest in unsere Seele einprägen. Zum ersten Male aßen wir hier den »Pilau« aus gewürztem Reis, Hammelfleisch mit Tomaten, Gurken und Rosinen und ließen uns den Turkestaner Wein gut schmecken. Erst gegen Mitternacht brachen wir auf, und lange noch lagen wir wach und hörten das Heulen und Weinen der wilden Hunde und Schakale. Am anderen Tage ging es weiter nach Merw. Wir waren schon früh am Bahnhof, da wir noch Karten lösen mußten und dies in Rußland immer ziemlich umständlich ist. Wir tranken noch einen Kaffee und suchten dann im Gedränge unser Abteil, da wir Platzkarten hatten. Kaum saßen wir im Zuge, da merkte ich, daß mir meine Brieftasche fehlte. Ich hatte sie in dem Wartesaal noch gehabt, hatte selbst die Fahrkarten gelöst und den Kaffee bezahlt. Entweder war sie mir gestohlen worden, was wohl das wahrscheinlichste war, oder sie war beim Einsteigen in den Wagen aus der Tasche gefallen. Daß in der Tasche zirka fünfzig Mark waren, war weniger schmerzlich, aber sie enthielt auch meinen Paß und andere wichtige Ausweispapiere. Bis zur Abfahrt des Zuges waren noch ein paar Minuten Zeit übrig. Ich eilte in die Bahnhofshalle zum Vorsteher, setzte ihm so kurz wie möglich den Sachverhalt auseinander, worauf er mich an die Bahnhofskommandantur der Tscheka verwies, wo mir eine Bescheinigung ausgestellt wurde. Es ging alles in furchtbarer Hast, denn in jeder Sekunde mußte der Zug abfahren, da schon zweimal das Abfahrtssignal gegeben war. Als ich wieder im Zuge war, fiel mir auch ein, daß unser Gepäckschein ebenfalls in der Tasche war, aber dies war nicht das Schlimmste. Langsam ahnte ich, welche Kette von Unannehmlichkeiten und Sorgen folgen würden. Der Zug war ganz besetzt. Einige Leute lagen auf dem Boden, man konnte sich kaum rühren. Die Luft war stickig und stauberfüllt, und man konnte beobachten, wie die Staubschicht auf den Bänken von Stunde zu Stunde dicker wurde, als der Zug sich pustend und keuchend durch die Sandwüste der Kara-kum schleppte. Wie ein erstarrtes Meer reiht sich Sanddüne an Sanddüne, so weit das Auge sehen kann, und nur an den kleinen Stationen sieht man Leben: ein oder zwei kleine rote Häuschen, ein paar Kinder, die inmitten einiger Schafe und Ziegen herumtollen. In aller Frühe trafen wir in Merw ein und ließen uns nach dem »Hotel« Franzia bringen. Wir mußten lange klopfen, ehe ein Junge uns öffnete. Das Haus machte einen primitiven Eindruck: kein Fenster war heil, die Stühle zerschlagen und die Zimmer sahen wie Gefängniszellen aus. Im Hof lagen zwei Lausejungen in ihren Betten, und das Zimmermädel hatte das ihre am Rande eines kleinen Tümpels aufgeschlagen, der schmutzig graugrünes Wasser enthielt. Der Herr »Portier«, dessen verlauster Kopf ebenfalls aus einer schmierigen Decke herausguckte, fluchte, daß wir ihn in seiner Ruhe gestört hatten. Das schien ja ein fideles Gefängnis zu sein! Und wir mußten ein paar Tage in dieser trostlosen Stadt zubringen, ehe wir nach Kuschk weiterfahren konnten. Merw ist wegen seines heißen, ungesunden Klimas berüchtigt, und wir waren daher recht froh, als wir mit dem kleinen Zuge, in dem nur ein Personenwagen war, nach Kuschk weiterfahren konnten. In Merw trafen wir auch noch zwei afghanische Kuriere, die ebenfalls nach Afghanistan wollten; durch ihre Freundlichkeit hatten wir viele Erleichterungen und erhielten ein geschlossenes Abteil. Als es dämmerte, fuhren wir schon in ein hügeliges Steppengebiet ein, und als ich nachts einmal aufwachte, sah ich, wie sich schwarze Bergsilhouetten vom sternenübersäten Himmel abhoben. Dann schlief ich wieder ein. Plötzlich hielt der Zug. Die Afghanen weckten uns und sagten, wir müßten aussteigen! Von einer Station aber sahen wir nichts, keine Lichter, keine Menschen, vollkommene Finsternis! Im Abteil brannte kein Licht, und wir mußten beim Schein einer Wachskerze unsere Sachen zusammenpacken. Der Schaffner kam und schimpfte, daß wir noch nicht draußen waren. Wir begriffen gar nicht, was eigentlich los war, denn der Zug konnte noch nicht in Kuschk sein, da wir die einzigsten Fahrgäste waren, die ausstiegen. Aber wir hatten gar keine Zeit zu fragen; unser Gepäck flog einfach aus dem Fenster auf den Bahndamm, und kaum waren wir aus dem Zuge, da fuhr er auch bereits weiter in die Nacht hinaus. Es war sehr kalt und wir waren noch halb verschlafen und vollkommen im ungewissen, als wir unser herumliegendes Gepäck, den Afghanen folgend, in ein kleines, weißes Haus brachten, das in einem von hohen Pappeln eingefaßten Garten stand. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in das eine brennende Wachskerze ihren fahlen, flackernden Lichtschein warf, und in dem wir ein paar Stühle und eine Bank erkennen konnten. Ein russischer Beamter – der Grenzkommissar Ostanin – begrüßte uns kurz. Dann legten wir uns auf den Fußboden und schliefen bald ein. II AN DER RUSSISCH-AFGHANISCHEN GRENZE FESTGEHALTEN Als ich am 2. September beim Morgengrauen zum ersten Male die kleinen Bauernhäuser von Kuschk sah, da ahnte ich nicht, daß ich in diesem weltverlassenen Winkel des Russischen Reiches volle sieben Wochen verbringen sollte. Wir waren gerade bei unserer Morgentoilette, als der Grenzkommissar Ostanin, in dessen Hause wir untergebracht waren, unsere Pässe verlangte, damit sie dem Festungskommandanten vorgelegt würden. Ich erklärte ihm mein Mißgeschick und übergab ihm das in Merw von der politischen Polizei ausgefertigte Schriftstück. Er prüfte es sorgfältig, legte es in die Pässe meiner Freunde und schickte dann seinen Sekretär mit den Papieren fort. Wir setzten uns darauf in den von hohen, schlanken Pappeln eingefaßten Hof und nahmen hier zusammen mit der Familie des Kommissars das Frühstück ein. Gegen Mittag kam ein Soldat angeritten, brachte die Pässe zurück und den Bescheid, daß ich nicht die Grenze passieren dürfte, ehe nicht von Taschkent die Erlaubnis zur Weiterreise gegeben wäre. Sofort setzten wir ein Telegramm an die Bezirksstelle für auswärtige Angelegenheiten auf, das der Soldat mitnahm. Als am anderen Mittag noch keine Antwort eingetroffen war, entschied sich Wagner, aufzubrechen. Er wollte in dem ersten afghanischen Orte alles zur Weiterreise vorbereiten, während Blaich mir noch Gesellschaft leisten sollte. Auf einem Leiterwagen wurde unser großes Gepäck verstaut, auf diesem thronten die afghanischen Kuriere und Wagner, und in Begleitung von zwei berittenen Soldaten rollte der Wagen die staubige Straße entlang, die von Aleksejevka aus an den Grenzfluß führt. Nachmittags unternahm ich mit Blaich, den beiden Kindern des Kommissars und seiner Schwägerin eine kleine Wanderung in die umliegenden Berge, die trostlos öde ausschauen. Rücken legt sich an Rücken – ein Meer flachgerundeter großer Hügel dehnt sich hier an der russisch-afghanischen Grenze aus. Der Fels ist stark verwittert. Schutt, Sand und Löß, wohin das Auge blickt. Die kärglichen Pflanzen verdorrt, gelb, trocken wie Zunder! Nur der Kameldorn hat seine olivgrüne Farbe behalten. Auf dem platten, trockenen Gras gleitet man leicht aus; aber was tut’s, Steilabstürze gibt es hier nicht! Und immer wieder türmt sich ein Berg hinter dem anderen auf. Den Kindern machte es viel Freude, mit uns herumzutoben, und auch das kleine braune Lamm, das dem Mädelchen gehörte und das von selbst mitgelaufen war, schien an unseren Spielen Gefallen zu finden, denn es hüpfte und sprang vor Freude. Endlich hatten wir den einen hohen Bergrücken erklommen, auf dem einige vereinzelte Pistazienbäume standen. Diese tragen haselnußähnliche Früchte, die gut schmecken. Es war sehr spät geworden; goldgelb versank die Sonne hinter den Bergen, und blaue Schatten legten sich auf das Tal. Wir gingen nach Norden, um wieder ins Dorf abzusteigen; aber ein Bergrücken folgte dem anderen. Olga fing an zu weinen und jammerte, sie könnte nicht mehr weiter; Aleksej brüllte und wollte durchaus auf den Arm genommen werden, und das Lämmchen blieb dauernd stehen und blökte. Es war zum Verzweifeln! Endlich hatten wir den letzten Hügelrücken erreicht und sahen das Dorf inmitten der Pappeln unter uns liegen. Da wachten die Lebensgeister wieder auf, und unter Lachen und Gesang fanden wir uns wieder im Garten ein. Als auch am folgenden und übernächsten Tage keine Antwort auf unser Telegramm eintraf, trotzdem wir noch ein zweites mit bezahlter Rückantwort abgesandt hatten, und wir auch beim Festungskommandanten nichts erreichen konnten, da machte sich auch Blaich auf den Weg nach Afghanistan. Nun war ich allein in Kuschk und wartete und wartete – – Tage – – Wochen – –. Jeden Morgen wachte ich mit der Hoffnung auf, daß der Tag die ersehnte Antwort aus Taschkent bringen würde, aber vergebens. Tagsüber war ich immer im Freien, denn im Zimmer war es nicht auszuhalten. Der Raum, in dem ich untergebracht war, enthielt nur eine gepolsterte Bank, zwei Stühle und einen Flügel, der aber, da die Beine abgeschlagen waren, auf Holzgestellen ruhte und vollständig verstimmt war! Spielen konnte man nicht darauf. Frühmorgens mußten wir schon Bretter vor die Fenster stellen, um die glühende Hitze abzuhalten und auch um die Fliegen zu vertreiben, die in den so verdunkelten Raum nicht gerne hineinflogen. Trotzdem war es unmöglich zu schlafen, ohne sich ganz unter das dünne Bettuch zu verkriechen, das ich zum Glück mitgenommen hatte; aber bei der Hitze war dies natürlich wenig angenehm. Hätte ich nur mein großes Gepäck gehabt, dann hätte ich es mir schon gut einrichten können; aber so besaß ich nur das, was ich auf dem Leibe hatte, und einen kleinen Pappkarton, in dem ich noch ein Paar Strümpfe, Unterzeug und sechs Taschentücher hatte. Das schlimmste war, daß ich auch keine Lektüre hatte; wohl erhielt ich öfters vom Grenzkommissar die russischen Zeitungen, aber diese waren auch schnell durchflogen. So benutzte ich die Zeit denn, um große Spaziergänge in die Umgegend zu machen. Morgens um halb neun wurde im Hof gefrühstückt. Frau Ostanin bereitete selbst das Essen zu, und wir hatten immer ausgezeichnete Spiegel- oder Rühreier oder auch wohl Fleischpasteten. Nach dem Essen machte ich mich fertig und wanderte dann in die Berge; durchschritt zuerst das flache, breite Talbecken und erklomm den Bergrücken, der sich genau im Südosten erhebt. Von hier aus hatte man einen weiten Überblick über das Land. Ich sah den Gipfel, auf dem ich mit Blaich und den Kindern gewesen war und wo wir die Pistazien gepflückt hatten, aber ein noch viel höherer Gipfel türmte sich im Süden auf. Von dort müßte man noch etwas mehr von den afghanischen Grenzbergen sehen können! Eines Tages machte ich mich schon frühzeitig auf und folgte der großen Straße nach Tschihil Duchteran. Ich schritt tüchtig aus und war ungefähr nach einer Stunde am Fuße dieser Bergrücken. Die Sonne brannte; ich erklomm erst einen kleineren Hügel und legte mich in den Schatten einiger Pistazien. Kein lebendes Wesen war ringsumher zu erblicken. Es war alles so hell um mich, daß ich kaum die Augen offen halten konnte. Hin und wieder wurde die Stille durch den Ruf eines Raubvogels unterbrochen, der langsam um die morschen Gipfel seine Kreise zog. Hinter mir erhob sich gerade der markante Bergrücken, den ich mir zum Ziele genommen hatte. Auf der Nordseite war der Berg stark zerklüftet, was mich einigermaßen erstaunte, da sonst hier ein Rücken wie der andere flachgerundet aussah. Als ich endlich den Gipfel erreicht hatte, konnte ich feststellen, daß es ein alter Vulkan war. Überall lagen Tuffe, Bomben, Trachyte umher, und ich sammelte mir eine ganze Serie Handstücke für meine geologische Sammlung. Der Ausblick war herrlich! In allen Farben schillerten die Berge, die sich bis an die afghanischen Hochgebirge hinzogen. Wie bedauerte ich, meinen Zeichenkasten und meinen photographischen Apparat nicht bei mir zu haben. Gen Norden konnte ich bis in die transkaspische Ebene sehen, und gen Süden bildeten die hohen Bergketten des Parapomisos, die in hellila Tönen schimmerten, den Hintergrund. Lange blieb ich hier oben; aber gegen 12 Uhr wurde die Hitze unerträglich; die Luft flimmerte über den Bergen. Auf einem großen Felsblock sonnte sich eine kleine schwarzweiß geringelte Schlange. Sie rührte sich kaum, als ich herantrat. Ich beobachtete diese Schlangen häufig in diesen Bergen und fand, daß, wenn man sie angreift, sie sich stets äußerst heftig verteidigen. Sonst war wenig Tierleben zu beobachten. Überall hatte die Sonne das Land versengt, das Leben vernichtet. Die Bachbetten waren ausgetrocknet, die sie einfassenden Büsche verdorrt. In den tiefsten Senken fand ich nur manchmal eine tiefrot blühende, große Malve. Immer war es eine große Freude, wenn man aus den Wüsteneien der Felsberge in das Tal des Kuschkflusses abstieg und das wie eine Oase schimmernde Aleksejevka betrat! Eines Tages wandte ich mich in die nordöstlichen Berge. Das Tal ist hier sehr breit, und der Fluß wird vom Wald eingefaßt. Ich erklomm wieder einen der das Tal einsäumenden Hügel und fand auch hier dasselbe trostlos öde Bild. Dann folgte ich einem kleinen, ausgetrockneten Bachbette, in dem ich einige hübsche Versteinerungen auflesen konnte. Nachdem ich zwei Stunden in diesen öden Bergen umhergewandert war, entdeckte ich auf einem Hange eine große Melonenplantage. Als Wächter war hier ein alter Afghane angestellt; er hatte sicher schon manchen Sturm erlebt, denn das eine Auge war ihm ausgeschlagen und ein Knie war steif, so daß er humpelte. Mißtrauisch blickte er mich an; als ich ihm aber erzählte, daß ich kein Russe sei und daß ich nach Afghanistan reisen wollte, war er die Liebenswürdigkeit selbst und schenkte mir ein paar große saftige Wassermelonen, die meinen Durst stillten. Ich habe wohl nie wieder während meines Aufenthaltes in Turkestan und Afghanistan solche süßen Wassermelonen gegessen, und ich erkläre mir dies aus der Lage der Plantage, die auf dem Berghange den ganzen Tag der vollen Sonne ausgesetzt ist. Oft waren die Berghänge schwarz gesprenkelt von Schafherden. Es waren meist afghanische Hirten, die mit ihren Herden auch auf das russische Gebiet zogen. Von ferne gesehen, sahen diese Herden wie ein großer schwarzer Fleck aus, der langsam über die Hänge zog; erst wenn man das Fernglas zu Hilfe nahm, löste sich der Fleck in einzelne schwarze Punkte auf. Oft kamen große Karawanen aus Herat. Sie trafen meist abends bzw. nachts ein. Schon lange, bevor wir sie sahen, hörten wir das Geläute der großen Karawanenglocken von den Bergen widerhallen. Gegenüber von unserem Hause war das russische Zollamt, und alle Waren, die von Afghanistan kamen, wurden erst dort eingelagert. Es dauerte manchmal Stunden, bis allen Kamelen ihre Lasten abgenommen waren. Dann war der Zollhof mit Warenballen übersät, und für die Kinder gab es nichts Schöneres, als hier herumzutollen und von Ballen zu Ballen zu springen. Tagsüber wurden die Kamele auf die Weide geschickt, und oft konnten wir sie auf fernen Bergen herumwandern sehen. Abends wurden sie zurückgetrieben, und in Reih’ und Glied lagen sie dann alle auf dem großen Platze, der sich vor dem Zollhause ausdehnte. Es waren stattliche Karawanen – manchmal 250–300 Kamele stark –, die Wolle und Häute aus Afghanistan brachten. Auch diese Karawanen wurden von russischen Soldaten begleitet, denn das russisch-afghanische Grenzgebiet ist vor Räubern nicht sicher. Die Karawanenführer – meist alte, würdige Weißbärte – mußten in meinem Zimmer übernachten, denn in dem kleinen Hause waren nur drei Zimmer: in dem einen hausten Ostanins, im anderen wohnte der Besitzer Simon, ein vierschrötiger Bauer, mit seiner kranken Frau und fünf Kindern, und das dritte war das Gästezimmer. Waren die Afghanen mit im Zimmer, so war an Schlaf nicht zu denken. Schon morgens um drei Uhr fingen sie an zu reden und die Wasserpfeife zu rauchen. Und schliefen sie, so schnarchten sie meistens so laut, daß man kaum ein Auge zumachen konnte. Einmal hatte ich sogar das zweifelhafte Vergnügen, mit einem Karawanenführer zusammen zu schlafen, der so laut schnarchte, daß Ostanins, deren Zimmer von dem meinigen durch den Korridor und durch Doppeltüren getrennt war, die Nacht nicht schlafen konnten. Morgens nahmen die Karawanenführer auch das Frühstück mit uns ein. Eines Morgens, als wir am Kaffeetisch saßen, hörte ich hinter mir ein seltsames Quieken. Ich fragte Ostanin, was es wäre, und er sagte mir mit einem Augenblinzeln nach den Afghanen: »Swinja« (Ferkel)! Nun gibt es für einen Mohammedaner nichts Ekelerregenderes als ein Schwein; und Schweinefleisch essen ist für ihn das Furchtbarste, was er sich denken kann. Dies Schweinchen war in einem Sacke verpackt und lag im Hofe an der Hausmauer. Die Afghanen hörten wohl das Quieken, blickten verstohlen nach dem Sack, in dem es sich dann und wann regte, und waren unschlüssig, was sie tun sollten. Da trat mit schwerem Schritt Simon aus der Haustür, nahm den Sack, zog das kleine Ferkel heraus und schlachtete es im Hof vor unseren Augen. Die Afghanen standen ohne ein Wort zu sagen auf, und gingen. Simon hatte anscheinend von Schweineschlachten keine große Ahnung; es war grauenhaft anzusehen, wie das Ferkel, acht Minuten, nachdem er ihm die Kehle durchschnitten hatte, noch lebte, bis er es in einen Tubben mit kochendem Wasser geworfen hatte. Mittags gab es also gebratenes Spanferkel, und wir ließen es uns recht gut schmecken, zumal Frau Ostanin den Braten äußerst schmackhaft zubereitet hatte. Aber wie jeden Mittag konnten wir uns kaum vor den Wespen, Hornissen und Fliegen retten. Während man mit der einen Hand aß, mußte man mit der anderen Hand die Insekten vertreiben. Ich versuchte öfters zu schätzen, wie viele dieser Quälgeister uns immer beim Mittagessen störten. Es waren ca. 8 bis 10 große Hornissen, die ihr Nest unter dem Dach hatten, 10 bis 20 Wespen und ca. 50 bis 60 Fliegen. Gerade als wir unserem Schweinebraten gut zusprachen, kam einer der Karawanenführer über den Hof an unserem Tisch vorbei. Nie werde ich den verächtlichen Blick vergessen, den er uns zuwarf, als er das geröstete Spanferkel auf dem Tische erblickte. Den Mohammedanern ist der Ekel vor dem Schwein so in Fleisch und Blut übergegangen wie uns der Ekel vor einer Ratte oder einer Schlange. Man kann einem Afghanen keine größere Beleidigung sagen, als wenn man ihn »Chuk« schimpft. Seitdem die Afghanen uns hatten Schweinefleisch essen sehen, zogen sie sich auch mehr und mehr von uns zurück, tranken nicht mehr mit uns Tee und ließen nicht mehr die Wasserpfeife zirkulieren. Wir hatten oft unseren Spaß an den Wespen und Hornissen. Wenn wir uns ruhig verhielten, taten sie uns nichts, und dann konnten wir ungestört ihr Leben studieren. Oft konnten wir beobachten, wie eine Wespe sich auf eine Fliege stürzte, die gerade auf dem Tische naschte. Sie packte die Fliege – stach sie aber nicht – und flog mit ihr zum Nest. Manche Wespen hatten geradezu eine Virtuosität, die Fliegen im Fluge zu fangen. Die Hornissen aber gaben sich weder mit den Wespen noch mit den Fliegen ab; hatten wir aber eine Hornisse totgeschlagen, so stürzten sich die anderen auf diese und rissen sie auseinander. Trotzdem wir Tag für Tag, morgens und mittags, diesen Kampf mit den Wespen und Hornissen auszufechten hatten, um überhaupt essen zu können, wurde keiner von uns in der Zeit gestochen. Nur eines Tages – wir saßen schon alle am Mittagstisch – kam der kleine Aleksej heulend angelaufen. Er sah einfach »verboten« aus! So verbeult und verbogen habe ich noch nie ein Gesicht gesehen! Er hatte mindestens fünf bis sechs Wespenstiche im Gesicht; seine Augenlider waren derart geschwollen, daß man vom Auge kaum etwas sah. Er sah so kurios aus, daß wir alle das Lachen nicht verbeißen konnten, und der alte Ostanin wollte sich vor Lachen schütteln und neckte den Jungen immer mit: »Kitajez – Kitajez« (kleiner Chinese)! Desto mehr aber brüllte Aleksej, der, nachdem er noch eine Tracht Prügel erhalten hatte, mit kalten Umschlägen ins Bett befördert wurde. Jedesmal, wenn Aleksej Schläge bekam, wurde auch Olga vorgenommen, die dann für irgendwelche Streiche, die sie Tage vorher begangen hatte, noch einmal eine Lektion erhielt. – Trotzdem konnte es Aleksej nicht lassen, nach ein paar Tagen dasselbe Wespennest noch einmal aufzusuchen und sich noch einmal so übel zurichten zu lassen. Mit der Verpflegung wurde es schlechter. Wir mußten hamstern gehen, um die nötigsten Lebensmittel zu erstehen. Froh waren wir, wenn wir Butter und Eier erhielten. Gegen Sowjetrubel aber verkauften die Bauern nichts, und wenn wir noch so bettelten; nur gegen Zaren-Goldrubel oder afghanisches Silbergeld konnten wir die notwendigsten Lebensmittel erstehen. Von Taschkent kam keine Antwort. Nachdem noch einmal auf dienstlichem Wege ein Telegramm mit Rückantwort abgesandt worden war, und auch auf dieses keine Antwort kam, sandte ich ein Radiotelegramm an die deutsche Botschaft in Moskau. Und wartete – – – und wartete – – –. [Illustration: 7. Minarett der Musallah, Herat] Inzwischen war ein neuer Grenzkommissar gekommen; denn Ostanin wurde nach Poltarazk (ehemalig Astrabad) versetzt. Der Platz in dem kleinen Hause wurde zu eng, und so wurde ich ausquartiert und bezog Wohnung beim Sekretär im Dorf. Er hatte sich bei einem Bauern ein großes Zimmer gemietet und ganz hübsch eingerichtet. Ich fühlte mich hier doch wohler, zumal ich in einem richtigen Bett schlafen konnte, wenn auch nur in eine dünne Wolldecke gewickelt. Der Sekretär, ein junger, blonder, großer Mensch, war mir sehr sympathisch. Er hatte viel gelesen, hatte orientalische Sprachen studiert und gab mir aus seiner kleinen Bibliothek zu lesen. Er war viel zu Hause und arbeitete für sich. Abends saßen wir zusammen bei einer kleinen Petroleumlampe an dem schweren Holztisch und verschlangen russische Romane, die uns die Dorfschullehrerin lieh. Ich hatte mein Russisch während der Wochen, die ich in Rußland weilte, schnell vervollkommnet, und es machte mir viel Freude, ohne Schwierigkeit A. K. Tolstois Roman: Fürst Serebrjanyj lesen zu können. Abends gingen wir meist spät zu Bett. Oft kam der Sekretär auch mit zu Ostanins, und dann saßen wir bis spät in die Nacht hinein im Garten. Die kleine Petroleumlampe, deren Zylinder nur noch halb war, verbreitete ein trübes Licht; aber ein helles Licht hätte gar nicht hierhergepaßt. Es war alles so gedämpft und still; wie schwarze Silhouetten standen die Berge schweigend ringsum; unbeweglich reckten die Pappeln ihre schlanken Stämme zum sternenübersäten Himmel empor. Hin und wieder ertönte vom Dorf her der so melancholisch und traurige Gesang eines russischen Mädchens. Noch oft glaube ich diese Klänge zu hören, möchte sie festhalten, sie zu Papier bringen, um sie jederzeit wieder hören zu können. Oft hörten wir die Schakale gellend weinend bellen. Dann war wieder Ruhe, überall tiefes Schweigen. Wie oft habe ich dieses Schweigen später auf meinen Wanderungen empfunden: bei den Nachtmärschen durch Afghanistans Berge oder in den schwülen Nächten in Indien. Es ist etwas Feierliches, Erhabenes. Es ist die unendliche Ruhe, die noch über dem großen Asien liegt. Dann leuchten die Sterne in so magischem Glanz, und die Landschaft liegt so still und unberührt da, daß man sich ganz verlassen und einsam vorkommt, und im Geiste wandern dann die Gedanken nach Europa, wo das Leben hastet und den Menschen keine Ruhe mehr läßt. [Illustration: 8. Zitadelle von Herat] Als nach vier Wochen immer noch keine Antwort eingetroffen war, entschied ich mich, nach Taschkent zu fahren, um meine Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Es traf sich gut, daß auch gerade zwei afghanische Kuriere mitreisten. [Illustration: 9. Schwarzer Marmorsarkophag des Sultans Hussein Mirza (1470–1505)] Ich packte meinen kleinen Pappkarton und stieg in die Bahn. Die afghanischen Kuriere waren während der Fahrt sehr besorgt um mich, und ich brauchte mich um nichts zu kümmern. Nachts zwei Uhr kamen wir in Merw an, und erst um sieben Uhr fuhr der Zug nach Taschkent weiter. Wir blieben auf dem Bahnsteig, da die Kuriere das schwere Gepäck nicht in das Hotel Franzia schleppen wollten, und der Bahnhofswartesaal geschlossen war. Es war eine bitterkalte Nacht, und ich fror entsetzlich, hatte ich doch nur einen leichten Anzug und meinen dünnen Mantel an. Einer der Afghanen lieh mir eine Decke, und als Kopfkissen benutzte ich meinen Pappkarton. Trotzdem gelang es mir einzuschlafen. Aber als es fünf Uhr war, war ich so durchfroren und so steif, daß ich mich kaum rühren konnte. Ich stand auf und ging eine halbe Stunde auf dem Bahnsteig hin und her, um warm zu werden. Wie froh war ich, als endlich die Sonne aufging. Als ich in Samarkand eintraf und dort auf dem Bahnsteig auf und abging, kamen zwei Offiziere der Tscheka auf mich zu und fragten, ob ich Trinkler sei, was ich bestätigte. Es stellte sich nun heraus, daß inzwischen in Kuschk aus Moskau die Antwort eingetroffen war, daß ich meine Reise nach Afghanistan fortsetzen konnte. Ich hatte nun die Wahl, in Samarkand zu bleiben oder nach Taschkent zu fahren, bis der Zug nach Merw kam, der nur alle drei Tage verkehrte. Ich entschied mich für Taschkent, da ich noch einige wichtige Besorgungen dort erledigen wollte. In Taschkent war nirgends Platz; Hotel Regina voll besetzt! So nahm ich Quartier in der afghanischen Gesandtschaft, wo ich auch gut aufgenommen wurde. Wie wenig ahnte ich, daß ich vierzehn Tage später den Konsul noch einmal wiedersehen sollte; wieviel Sorge und Unbequemlichkeiten wären mir erspart geblieben, hätte ich mir auch gleich von ihm einen neuen Paß ausstellen lassen! Zurück nach Kuschk, drei Tage und drei Nächte Bahnfahrt! Endlich hatte die Befreiungsstunde geschlagen! Zum letztenmal – so glaubte ich – nahm ich das Mittagsmahl in Kuschk ein. Dann sattelte Simon zwei Pferde, und gegen fünf Uhr verließen wir Aleksejevka. Es war ein herrlicher Tag, und da die Sonne bald hinter den Bergen verschwand, war das Reiten sehr angenehm. Noch einmal grüßte ich die Berge, auf denen ich so manchen Tag geweilt hatte und wo mir fast jeder Baum und Strauch, jeder Felsblock vertraut war; dann bogen wir in ein Seitental und ritten gen Süden. Langsam legten sich die Schatten auf die Berge. Sie hüllten zuerst die Täler in blaue Farben und kletterten dann die Hänge hinauf. Bald sahen wir die ersten Sterne flackern. Der Weg ist sandig, und tief sanken die Pferde in den Staub ein. Oft hatten wir kleine schluchtähnliche Risse zu kreuzen. Es war schon stockdunkel, als wir den russischen Grenzposten erreichten. So späten Besuch hatten die Herren kaum erwartet. Lange mußten wir rufen, ehe der Stacheldrahtzaun geöffnet und unsere Papiere geprüft wurden. Ein russischer Soldat begleitete uns bis an den ersten afghanischen Posten am jenseitigen Ufer. Wir reiten an den Fluß hinunter, durchqueren ihn in einer Furt und suchen unseren Weg durch verschiedene Sümpfe. Es ist recht dunkel, und man kann kaum sehen, wohin das Pferd tritt. Vorsichtig, Schritt für Schritt, arbeiten wir uns durch das morastige Gelände. Endlich erreichen wir das aus ein paar elenden Lehmhütten erbaute afghanische Tschihil Duchteran (vierzig Töchter). Wir müssen lange klopfen und rufen, ehe sich jemand blicken läßt; wir sind hungrig und durstig und sehnen uns nach einem Nachtlager. Die Hunde schlagen an und machen Lärm, und endlich zeigen sich ein paar wilde, verschlafene Gestalten; aber nur, um uns mitzuteilen, daß wir hier nicht bleiben können, sondern nach Kara-Tepe (der schwarze Berg) weiterreiten müssen. Also wieder auf die Pferde und weiter! Ein afghanischer Soldat begleitet und bewacht uns. Die Wolken haben sich verteilt, und obgleich der Mond nicht scheint, ist es doch ziemlich hell, denn wie tausend Lichter flackern die Sterne am Firmament. Zur Linken haben wir kleine flachgewölbte, schwarze Bergrücken, zur Rechten das Flußbett. Schweigend reiten wir durch die kühle Nacht. Ich bin sehr müde und nicke dann und wann ein. Es kommt mir alles wie ein Traum vor. Ich sehe vor mir im Halbdunkel eine ganze Karawane von Pferden auf einer endlosen Chaussee. Aber es ist eine optische Täuschung. Vor uns taucht ein viereckiger Turm auf, ein afghanischer Wachtposten. Wir werden angerufen; man fragt, woher und wohin, dann ziehen wir weiter in das Dunkel der Nacht. Wieder reiten wir ungefähr eine Stunde. Ein dunkler Berg zeichnet sich wie eine Silhouette vor uns ab; endlich sehen wir die afghanische Festung vor uns auftauchen. Es ist halb zwei Uhr geworden. Wütend kläffen die Hunde, als wir an das Festungstor klopfen und Einlaß begehren. Auch hier müssen wir endlos lange warten, ehe man uns öffnet. Es ist bitter kalt. Wir haben uns in unsere Mäntel gehüllt und stampfen auf dem hartgefrorenen Boden umher. Endlich finden wir in der Festung Einlaß; aber man gibt uns nichts mehr zu essen, und so legen wir uns auf den steinernen Fußboden, hüllen uns in unsere dünnen Decken und Mäntel und schlafen bald ein. Früh sind wir schon wieder auf. Wir erhalten Tee, Brot, und man verspricht mir Pferde und einen Begleitsoldaten. Da erscheint der unglückselige Dolmetscher, den ich schon von Kuschk her kannte, und fragt nach meinem Paß. Ich sage ihm, er wisse doch, daß mir mein Paß gestohlen sei und daß der Gouverneur von Herat mich jetzt erwarte. Er geht zum Oberst und meldet es. Doch der läßt sich nicht erweichen. Er weiß auch über den Stand meiner Angelegenheit nichts, da er erst vor kurzem hierher versetzt worden ist. Er ist unfreundlich, hochmütig. Ich sage ihm, er solle telephonisch beim Gouverneur anfragen; denn zwischen dem afghanischen Grenzposten und Herat existiert bereits Telephonverbindung. Er erwidert, das Telephon funktioniere nicht. Ich will ein Radiotelegramm nach Taschkent an den afghanischen Konsul aufgeben; aber er erklärt: Telegramme existierten für ihn nicht! Er wolle ein richtiges Visum: gestempelte Photographie usw. Es war zum Verzweifeln! Aber man gewöhnt sich langsam an solche Dinge; Geduld lernt man in Asien! Es blieb also nichts anderes übrig, als nochmals nach Taschkent zurückzureisen. Wohl spielte ich einen Augenblick mit dem Gedanken, einfach auf eigene Faust nach Herat zu ziehen; aber das hätte sicher schlecht geendet. Ich kannte den Weg nicht, hatte keine Karte, kein Pferd, und mein Geld ging auf die Neige. Ein afghanischer Soldat war ständig um mich, und auch Simon hatte ein Auge auf mich. Es wäre ein hoffnungsloses Beginnen gewesen. Aber mir graute auch vor der ca. 1100 km langen Rückreise nach Taschkent, mir graute vor den Strapazen auf der russischen Bahn, die noch größer waren als die auf den Karawanenreisen im Inneren Afghanistans. Nur der Gedanke, noch einmal wieder nach Merw zu müssen, wieder beim afghanischen Konsul in Taschkent zu übernachten – – – Doch es half nichts, es sollte wohl so sein; zwei volle Tage mußte ich erst wieder in Aleksejevka warten, ehe ich nach Taschkent aufbrechen konnte. In Merw traf ich wieder spätnachts ein. Ich wollte mich im Wartesaal auf eine Bank niederlegen, als ich einen afghanischen Kaufmann sah, den ich öfters in Kuschk gesprochen hatte. Er schlug mir vor, mit ihm ins Hotel Franzia zu gehen. In den Straßen war es stockfinster, und ich wunderte mich, wie mein Gefährte den Weg fand. Ein Mädel öffnete und wies uns eines der finsteren Zimmer an: Holzpritsche, ein paar zerbrochene Stühle, ein kleiner Tisch, auf dem das Wachslicht flackerte. Es konnte gegen ein Uhr sein. Wir tranken eine Flasche feurigen Süßweins und dann verschwand der Afghane mit dem Mädel und ließ mich allein. Ich war todmüde. Als ich meine Stiefel auszog, stieß ich gegen den Tisch. Das Licht fiel um und erlosch. Streichhölzer hatte ich nicht. Ich verschloß Fenster und Tür und schlief bald ein. Nachts wachte ich von einem eigentümlichen Geräusch auf. Es mußte jemand in meinem Zimmer sein. Ich stand auf und ging leise ans Fenster und an die Tür: Beides verschlossen. Ich tastete im Zimmer umher, fand aber nichts; darauf legte ich mich wieder auf die Pritsche und versuchte einzuschlafen. Lange war es still, und schon wollte mich der Schlaf übermannen, als ich wieder das seltsame Geräusch vernahm. Es hörte sich an, als ob jemand die Seiten eines alten Pergaments umblätterte. Ich horchte gespannt; einmal kam es mir vor, als komme das Geräusch vom Tische her, dann, als ob es an der Tür sei. Es konnte nur irgendein Tier sein. Morgens, als es dämmrig wurde, ging ich von neuem dem Geräusche nach; und nun stellte es sich heraus, was es gewesen war. Am Abend vorher hatte der Afghane das Papier, in dem die Flasche eingewickelt war, auf den Boden vor die Tür geworfen. Ein Nashornkäfer, der sich im Zimmer herumgetrieben hatte, wollte ins Freie und versuchte, sich durch die Tür zu klemmen. Dadurch kam er oft an die Stelle, wo das Papier lag und hakte mit seinen kleinen, dornigen Beinen hinter das harte Papier, wodurch der eigentümliche Laut hervorgerufen wurde, den ich mir nicht erklären konnte und der mir eine schlaflose Nacht bereitet hatte. Ich fing den kleinen Ruhestörer und habe ihn als Andenken an die schlaflose Nacht in Merw mit nach Hause gebracht, wo er jetzt meine Käfersammlung ziert. Wie verändert hatte sich das Bild Turkestans, seitdem ich zuletzt hier war! Der Herbst war gekommen, und überall hatte er seine bunten, leuchtenden Farben ausgestreut. Manche Bäume waren schon ganz entlaubt; andere aber glühten in rotem und gelbem Farbenschmuck. Auch der klare, blaue Himmel war verschwunden. Drohende Wolken ballten sich zusammen, und auf den hohen Bergketten im Osten lag schon viel Schnee. In Taschkent traf ich am 16. Oktober ein. Es war kühl geworden, und der Wind ließ einen leicht frösteln. Als ich den afghanischen Konsul aufsuchte, saß er in einen dicken Pelzmantel gehüllt im Sessel. Er war wie immer sehr liebenswürdig und versprach, für mich zu tun, was er konnte. Mein Zug fuhr erst in ein paar Tagen, und so besuchte ich in Taschkent noch einige Museen, den botanischen und den zoologischen Garten. In den Straßen lag schon viel Laub, und die losen Blätter wurden oft vom Winde hoch aufgewirbelt. Früh wurde es dunkel; bereits um sechs Uhr konnte man ohne Licht nicht mehr arbeiten. Der afghanische Konsul fertigte mir ein großes, versiegeltes Schreiben aus; ich ließ mich auf dem Basar für ein paar Rubel photographieren, und diese Photographie wurde auf den Paß aufgenäht. Dann zog ich wieder Kuschk zu. In Aleksejevka mietete ich mir jetzt von Simon einen Leiterwagen, denn ich hatte mir in Taschkent eine Steppdecke gekauft und hatte beim afghanischen Grenzposten meine Handtasche aufgelesen, die Wagner dort deponiert hatte. Es war jetzt auch hier richtig Herbst geworden; die Sonne wärmte nicht mehr; der Himmel war bezogen, und der Wind jagte die grauen Wolken über die Berge. In tollkühner Fahrt ging es die Hänge hinauf und hinab. Simon wollte den Weg abschneiden, geriet dabei aber oft an Stellen, wo der Wagen fast kippte und es in den Achsen knackte und krachte. Gegen sechs Uhr – es dämmerte bereits – kamen wir im russischen Tschihil-Duchteran an. Die Paßkontrolle erledigte sich schnell, und dann fuhren wir durch den Fluß. Auf der afghanischen Seite erfuhren wir, daß wir wieder nach Kara-Tepe müßten. Ich machte es mir im Wagen jetzt so bequem wie möglich, und beim Vollmondschein traten wir die weite Reise an. Ich war sehr müde und es dauerte auch nicht lange, da schlief ich fest, trotz des Rüttelns des Wagens. »Prischli« (angekommen) hörte ich halb noch im Traum Simon sagen. Wir bezogen wieder denselben Raum in der Festung, den wir das letztemal innehatten. Wir aßen zu Abend, wenn es inzwischen auch schon zwölf Uhr geworden war, und legten uns schlafen. Wir hatten ein Nachtlicht erhalten und ließen es ruhig herunterbrennen. Simon schlief bald ganz fest. Ich aber lag noch lange wach und ließ noch einmal die letzten Wochen, seit ich von meinen Kameraden getrennt war, an meinen Augen vorüberziehen. Seltsam gestaltet sich manchmal des Schicksal des Menschen ohne sein Wollen. Eine höhere Macht lenkt unsere Wege: an diese göttliche Hand, die uns durchs Leben führt, müssen wir glauben, ihr vertrauen und ihr folgen, und wir müssen fest daran glauben, daß alles nur zu unserem Besten geschieht, wenn es uns im Augenblick auch nicht zum Bewußtsein kommt. Schließlich schlief auch ich ein; wachte aber nachts von irgendeinem Geräusch auf und sah in dem vom Mondschein erhellten Zimmer, wie ein großer, schwarzer Kater unsere Abendbrotreste verzehrte und dabei den Leuchter vom Tisch stieß. Seine grünen Augen funkelten im Dunkeln. Dann und wann raschelte er mit dem Papier, in dem unser Proviant verpackt war. Sonst hörte man nichts weiter als das feste Schnarchen Simons. Am Morgen sind wir früh auf, zeigen den afghanischen Paß vor, und alles ist in Ordnung. Man bringt uns Brot und Tee und ist eitel liebenswürdig! Man stellt mir Pack- und Reitpferd sowie einen Begleitsoldaten zur Verfügung. Darauf verabschiede ich mich von Simon, drücke ihm noch ein gutes Trinkgeld in die Hand, und dann trennen wir uns. Er fährt auf geradem Wege nach Kuschk zurück; ich aber ziehe mit meiner kleinen Karawane neuen Schicksalen entgegen. III ÜBER AFGHANISTANS RANDGEBIRGE Der erste Tagesmarsch auf afghanischem Gebiet war kurz, denn das Wetter war sehr schlecht; es stürmte und goß in Strömen. Wir ritten zurück bis Tschihil Duchteran, wo wir gegen Mittag eintrafen. Ich konnte mich mit den Afghanen gut auf Persisch verständigen, wenn auch noch häufig von meiner Seite aus ein russisches Wort fiel. In dem einen Raum, der fast einer Gefängniszelle glich, machte ich es mir so bequem wie möglich. Die Fenster waren vergittert, lange Spinnennetze hingen von der Decke herab. Drang schon durch die kleine Öffnung kaum Licht in das Innere hinein, so ließen die schmutzigen, ganz verstaubten Fenster noch weniger Tageslicht in den Raum fallen. Tschihil Duchteran ist ein berüchtigtes Malarianest, denn es ist von Sümpfen umgeben. Auch in meiner Zelle waren viele Mücken, und da mein Feldbett und mein Moskitonetz beim großen Gepäck in Herat waren, so konnte ich mich vor den zudringlichen und gefährlichen Quälgeistern, durch deren Stich die Malaria übertragen wird, kaum schützen; war man so weit, daß man einschlafen wollte, dann hörte man sicher bald ein ganz feines, leises Summen am Ohr. So verlief die Nacht sehr unruhig, und ich war recht froh, als es am anderen Morgen weiterging. Das Wetter war trostlos. Hatte es zuerst den Anschein, als ob es sich aufklären wollte, so begann es um neun Uhr wieder zu regnen. Von den Bergen war nicht viel zu sehen, graue Wolken hüllten die Gipfel ein. Alles war naß, und es tropfte von der Mähne der Pferde. Nachdem wir drei Stunden geritten sind, haben wir keinen trockenen Faden mehr am Leibe. Dazu ist es sehr frisch, und der Soldat sagt oft: »Chunuk, chunuk« (kalt). Wir reiten in ein großes Tal ein, in dem einige kleine Dörfer liegen. Die Bewohner sind neugierig; wenn wir vorbeireiten, kommen sie herbei und fragen den Soldaten, wer ich bin, und wohin wir wollen. Auf einem Felsblock sitzt ein großer Adler; er rührt sich aber nicht, als wir vorbeireiten. Da ich nur meinen dünnen Khakianzug trage, fühle ich mich bei dem naßkalten Wetter gar nicht wohl. Heute reite ich den schwarzen Hengst, der gestern mein Gepäck trug. Er geht besser als der braune, ist aber furchtbar faul, und ich muß ständig die Peitsche gebrauchen. Der Pferdeknecht Abdullah thront hoch oben auf dem Lastpferd, er hat sich ganz in dicke Decken eingehüllt, pendelt verdächtig auf den hohen Lasten hin und her, und ich habe ihn stark in Verdacht, daß er dann und wann ein kleines Schläfchen macht. Stunde auf Stunde vergeht. Keine Menschenseele weit und breit zu sehen! Und in feinen, grauen Fäden gießt es lustig weiter. Wir passieren ein paar elende Lehmhütten, aber kein Mensch zeigt sich, nur ein einsamer Esel schreit ganz kläglich. Endlich sichten wir hinter ein paar hohen Bäumen das erste große Karawanserai Chodschah Molal, wo wir die einzigen Gäste sind und auf das liebenswürdigste aufgenommen werden. Die Karawanseraien, die von der Regierung angelegt sind, haben einen viereckigen Grundriß (Abb. 2): In der Mitte ist der große Hof für die Tiere. Oft erhebt sich auch ein kleines Gebäude in der Mitte, das als Moschee dient. Die einzelnen Räume, die als Quartiere dienen, sind nicht groß, haben nur eine kleine Türe, die nach dem Hof geht, und in der Decke ein kleines Luftloch, damit der Rauch abziehen kann. Sobald wir im Robat (Karawanserai) ankamen, wurde der Raum, in dem wir die Nacht verbringen sollten, ausgefegt, wobei der Staub nur so in Wolken aufwirbelte. Dann wurde ein helles Feuer angefacht und Teewasser gekocht. Nachdem wir unsere Sachen so leidlich getrocknet und Huhn mit Reis gegessen hatten, fühlten wir uns wieder wohl. Nach einer gut verbrachten Nacht sind wir morgens schon früh wieder auf. Draußen ist ein furchtbares Wetter; es gießt wieder in Strömen und ist noch kälter und windiger als gestern. Ich ziehe alles Zeug an, das ich bei mir habe: zwei Unterhosen, drei Hemden, drei Paar Strümpfe! Aber trotzdem wird man nicht warm. Der Pferdejunge hat sich wieder in seine schmutzigen, verfilzten Decken gehüllt. Nur der Soldat ist zu bedauern, der keinen Mantel hat. Die Pferde sehen uns traurig an, und nach einer halben Stunde ist schon alles wieder durchnäßt. Von den Bergen ist nicht viel zu sehen, dicke graue Wolken und Nebelfetzen haben sich um die Gipfel gelegt. Die Landschaft ist trostlos öde und stimmt einen traurig. Wir reiten langsam dem hohen Ardewan-Passe zu, der in der vor uns sich hinziehenden Hauptkette eingesenkt ist. Häufig haben wir einen kleinen Bach zu kreuzen, der sich zwischen verwitterten, düsteren, kahlen Bergen dahinschlängelt. Kein Leben ist zu sehen, nur hin und wieder kreist ein großer Raubvogel über uns. Gegen elf Uhr sind wir schon ziemlich hoch gestiegen. Es beginnt in dicken Flocken zu schneien; vornübergebeugt sitzt jeder im Sattel, keiner spricht ein Wort. So geht es wohl eine Stunde bergan. An vielen Stellen ist der schwarze Boden schon mit einer dicken Lage Schnee bedeckt. Wir arbeiten uns langsam zum Passe empor, der eine Höhe von ca. 1600 m hat. Der Abstieg nach Süden ist ziemlich steil und die Pferde gleiten auf den schlüpfrigen Schieferplatten häufig aus, so daß wir absteigen und die Tiere führen müssen. Durchfroren und naß kommen wir in Kusch Robat an, wo wir uns einen heißen Tee geben lassen und uns an einem Feuer wärmen. Dann ziehen wir weiter, überschreiten noch eine kleine Bergkette und reiten bis zum Dunkelwerden über eine große, breite Ebene, die kein Ende nehmen will. Wir treffen große Schaf- und Ziegenherden, und eine Kamelkarawane zieht langsamen Schrittes an uns vorüber. Es dämmert bereits, als wir in das armselige Dorf Perwaneh einziehen. Die Berge im Süden werden von der untergehenden Sonne beleuchtet und schimmern in goldgelben Farben; sonst aber hängen dicke, blaugraue Wolken am Himmel. In dem Karawanserai wird uns ein elendes Loch angewiesen, und da es spät ist, kann auch ein Pilau nicht mehr zubereitet werden. So erhalten wir Spiegeleier, die in Hammelfett schwimmen, Brot und Tee und legen uns dann bald schlafen. Der folgende Tagesmarsch war kurz. Als wir aufbrachen, war noch alles in dicke Nebel gehüllt; aber man sah die Sonnenscheibe schon die weißen Schleier durchdringen. Bald verteilten sich die Wolken, und der blaue Himmel leuchtete uns entgegen. Wir reiten in einem breiten Gebirgstale nach einem niederen Bergrücken hinauf. Bald ist es so warm, daß ich meinen Mantel ausziehe. Die Sonne taut uns alle wieder auf, und sowohl der Pferdeknecht wie auch der Soldat sind äußerst gesprächig; als wir in das fruchtbare Heri-rud-Tal einziehen, sind wir mit einem Male wieder in den Hochsommer versetzt. Wir passieren große, mit blauen Kacheln gedeckte Kuppelgräber, schlanke Minarette, die ebenfalls mit glasierten Ziegeln bekleidet sind, und sehen vor uns die Stadtmauern und die Zitadelle aufragen. Sehr bald hat der Soldat ausfindig gemacht, wo meine Sachen verstaut sind, und ich werde in ein kleines reizendes Gartenhäuschen geführt. In der Mitte des Innenhofes befindet sich ein Goldfischteich, über den sich ein großer Maulbeerbaum neigt. Die Fenster sind alle aus buntem Glas zusammengesetzt; ein Diener öffnet das Mittelfenster, und die Sonne fällt in den Raum. Alles atmet gleich Licht und Sonne, und laue Lüfte hüllen uns ein. Welch Gegensatz zu den letzten Tagen! Man bereitet mir Tee, bringt Obst, und bald erscheint Sahib Dad Khan im Auftrage des Gouverneurs und teilt mir mit, daß ich im Tschähar-Bagh Quartier beziehen soll, der zu den Gouvernementsgebäuden gehört. Mir wird hier ein großes, schönes Zimmer angewiesen, von dem aus ich auf die großen Blumenbeete blicke, die den Hof schmücken (Abb. 3). Der Duft ist geradezu betäubend; große Schmetterlinge mit schweren, seidenen Flügeln flattern von einer Blume zur anderen, und auch die Bienen sind noch eifrig an der Arbeit. Nachdem ich mein großes Gepäck in Empfang genommen und mir mein Zimmer eingerichtet habe, holt mich Sahib Dad Khan zu einem Spaziergange ab, der mich quer durch die Stadt führt. IV EINE MÄRCHENSTADT Wenn ich an Herat zurückdenke, dann sehe ich wieder sonnige Straßen, alte Ruinen, große Obst- und bunte Blumengärten vor mir auftauchen und glaube die Stimme des Mueddin zu hören, der von der blauen Kuppel des Minaretts die Gläubigen zum Gebete ruft. Ich sehe den kleinen, von hohen Lehmmauern eingefaßten Hof mit dem Goldfischteich und glaube die wohlige Wärme zu verspüren, die die strahlende Herbstsonne als letzten Gruß des schwindenden Sommers Herat schenkte. Eine unendliche Ruhe lag über der Stadt, zeigte sich auch in jedem einzelnen Menschen und teilte sich auch mir mit. Das Gefühl, nach endlosen Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten meinem Ziele nahe zu sein, ließ mich aufatmen, und ich empfand die Ruhe und Sorglosigkeit, in der ich meine Tage in Herat verbrachte, als etwas ganz Selbstverständliches. Dazu kam, daß mich ein Stück Orient umfangen hielt, das mit all seinen Reizen und Schönheiten zu den unverfälschtesten Gebieten der mohammedanischen Welt gehört. Ich habe mich schwer von Herat losreißen können, als ich nach 14tägigem Aufenthalt die Stadt verließ. Es war mir, als ob ich von einer schönen, unbekannten Frau Abschied nehmen sollte, die ich gern noch mehr kennengelernt hätte und der ich vielleicht nie wieder im Leben begegnen würde, deren Bild mir aber immer als Erinnerung an glückliche, unvergeßliche Stunden wieder vor Augen treten wird. Wenn ich durch die engen Basargassen schlenderte, die noch genau so holperig sind wie sicher schon zu jener Zeit, als Alexander der Große Herat zu einem wichtigen Stützpunkt auf seinem Zuge nach Indien machte, wenn ich das bunte Stadtbild betrachtete und sah, mit welch unbeschreiblicher Ruhe und Würde die Menschen sich bewegten und ihrer Arbeit nachgingen, die ja gar nicht drängte und die man ebensogut auch morgen oder übermorgen, ja vielleicht auch erst die kommende Woche erledigen konnte, dann ahnte ich, daß sich hier seit unendlichen Zeiten nichts geändert hat. Wie ehedem ziehen noch heute die Kamelkarawanen unter dem Klange der großen Glocken langsam und stolz durch die Gassen, und die Kameltreiber singen dieselben alten Weisen. Und auf allem liegt das Sonnenlicht, hell, leuchtend, und der reine blaue Himmel zittert über den gelben Lehm- und Backsteinbauten. Von den Wänden und Mauern strahlt die Hitze zurück und fängt sich in engen Korridoren. Es ist mittags schwül, kein Luftzug regt sich, die Luft flimmert und scheint auf den erhitzten Dächern zu tanzen. Im Schatten einer Pappel sitzt ein Bettler, von Alter gebeugt, mit großem weißen Bart, und hält die Almosenschale hin; unter den Bäumen liegen die Afghanen und schlafen, und verträumt hocken die Händler in ihren Verkaufsständen (Abb. 5). Man könnte manchmal glauben, die Stadt sei in einen Dornröschenschlaf verzaubert. Jetzt, nach zwei Jahren, im Getriebe der Großstadt eines sich aufreibenden Europas, in gehetzten Stunden des trüben, grauen Alltags, wandern meine Gedanken oft nach dem fernen Asien zurück und besonders gern nach der alten Märchenstadt am Heri-rud, wo keine Europäer den Frieden der Natur stören. Wer einmal den wahren Frieden kennengelernt hat, sehnt sich nie wieder nach Krieg. Eines Nachmittags holte mich der Mudir (Sekretär) zu einem längeren Spaziergang ab. Wir besuchten einige der Ruinen, die sich im Norden der Stadt befinden und die schon gleich am ersten Tage meine Aufmerksamkeit erregt hatten. Wundervoll muß einst die große Moschee, die Musallah, gewesen sein, deren Minarette, obgleich zerstört, noch heute prächtigen Kachelschmuck tragen (Abb. 7). Die Farben, die hier verwendet wurden, sind ein tiefes Preußischblau, ein lichtes, etwas ins Grünliche spielendes Hellblau, Ocker und Dunkelgrün. Und diese Farben sind so fein gegeneinander abgestimmt, daß die bunten Muster einen im höchsten Grade harmonisch wirkenden Eindruck hinterlassen. Weiße Blumenranken schlingen sich durch dunkles Blau und verknüpfen sich mit ockerfarbenen Blüten, während grüne Kränze eine mit Weiß in Tiefblau geschriebene Inschrift einfassen. Andere Stellen hingegen zeigen wieder Rosettenmuster oder einzelne große weiße Blüten auf tiefblauem Untergrunde. Die blauen Töne überwiegen bei weitem, lassen dadurch aber die ockergelben und grünen um so besser und wirksamer hervortreten. Prachtvoll sind die großen weißen Marmorplatten, aus denen kufische Inschriften herausgemeißelt sind. [Illustration: 10. Innenhof der Freitagsmoschee, Herat] Der Bau dieser Moschee soll im Jahre 1192 von Ghyaz Eddin begonnen und von seinem Sohne Mahmud beendet worden sein (1212). Darauf aber wurde sie von Dschinghis-Khan teilweise zerstört, um dann von Sultan Hussein Mirza neu aufgebaut zu werden. Ihm und Schah Rukh verdankt Herat seine schönsten Bauten. Eine andere Version schreibt den Bau der Musallah auch der Frau des Schah Rukh zu. [Illustration: 11. Militärschüler in Herat] Inmitten der Minarette, in Schutt und Staub, von einer kleinen Mauer eingefaßt, steht der schwarze Marmorsarg, der die Stelle bezeichnet, wo Sultan Hussein Mirza begraben liegt (Abb. 9). Prachtvolle Blumenmuster sind aus dem schwarzen Marmor herausgeschnitten, selbst in Indien habe ich kaum schönere Arbeiten gesehen. Die Moschee soll ursprünglich dazu bestimmt gewesen sein, die Überreste des heiligen Imam Risa aus Meschhed aufzunehmen. Die große Kuppel, die die Moschee zu der schönsten ganz Asiens machte, ist 1885 aus fortifikatorischen Gründen niedergelegt worden. [Illustration: 12. Afghanische Offiziere, Herat] Noch heute findet man im Schutt und Staub Stücke alter Kacheln von gelber Farbe mit echten Goldfünkchen unterlegt und samtschwarz mit hellen Flecken, die wie Perlmutter in allen Farben schimmern. Die Pracht dieser Bauten muß unbeschreiblich schön gewesen sein. Ganz nah steht das Kuppelgrab der Herater Timuriden (Abb. 1). Es ist schon ziemlich baufällig, weist viele Risse auf, und viele der schönen blauen Kacheln sind abgefallen oder geraubt. Im Innern des Baues liegen regellos einige weiße Marmorsärge, einige fast schon im Staube vergraben. Weiter im Norden erhebt sich noch ein anderer Kuppelbau, der ebenfalls blauen Fliesenschmuck trägt. – Kleine Kinder kletterten auf dem Sockelunterbau umher, spielten und lachten und belebten die stille Stätte. Am folgenden Tage ging ich wieder dort hin, setzte mich an den Rand eines Grabens, der sich an dem einen Minarett vorbeizieht, und versuchte im Aquarell einige der schönen Kachelmuster festzuhalten. Kein Mensch war weit und breit zu erblicken. Die Sonne neigte sich dem westlichen Horizonte zu; immer leuchtender wurde das Bild, die ockerfarbenen Ziegel färbten sich goldgelb und die blauen Kacheln glänzten und strahlten eine märchenhafte Farbenpracht aus. Ein unendlicher Friede lag über der Stadt. Es war mir, als ob auch sie tot sei und nur mein Diener und ich die einzigsten Menschen weitum waren. Dunkler wurde es und dunkler, blaue Schatten senkten sich herab und hüllten Stadt und Tal ein. Außer diesen alten Ruinen, die an Herats einstige Macht und Größe erinnern, löst noch die »Ark«, die Zitadelle, einen großen Eindruck aus (Abb. 4). Sie ist aus gebrannten Ziegeln erbaut und erhebt sich mit ihren gewaltigen, zinnengekrönten Mauern und Bastionen auf einem Rücken, der aus dem Schutt uralter Bauten im Laufe endloser Zeiten aufgehäuft wurde. Ob es möglich sein wird, einmal endgültig festzustellen, wann die ersten befestigten Anlagen hier errichtet wurden, ist noch eine Frage (Abb. 8). Daß sie bis auf Alexander den Großen zurückgehen, das ist vielleicht nicht ausgeschlossen. Seine Geschichtschreiber nennen das ganze Gebiet, in dem sich jetzt Herat erhebt, Aria und nennen als Städte Aria Metropolis und Artacoana (Ptolemäus). Daß Herat schon seit ältesten Zeiten besiedelt gewesen ist, kann man nach der überaus günstigen Lage der Stadt wohl annehmen. Hier kreuzen sich die großen Straßen, die von Nord nach Süd und von Ost nach West führen. Das Tal ist überaus fruchtbar; zahlreiche Bewässerungskanäle durchziehen das Land und verwandeln den sonst trockenen Boden in ein blühendes Gartenland, das die herrlichsten Obstsorten – Weintrauben, Melonen, Äpfel, Birnen, Aprikosen, Pfirsiche und Maulbeeren – hervorbringt. Große weiße Mohnfelder wiegen sich im Winde, Baumwolle und Tabak werden gepflanzt, und Luzerne kann achtmal im Jahre geschnitten werden! Ich fühlte mich in meiner Wohnung sehr wohl und hatte mich ganz häuslich eingerichtet. Der Ausblick aus dem Fenster nach dem Innenhof war entzückend; ich versuchte eines Nachmittags, die in allen Farben schimmernden Blumenbeete auf einer Farbenplatte festzuhalten, aber leider waren die Platten schon durch die Hitze verdorben. Ein kleiner Teich träumte inmitten der Farbenpracht, und manchmal saßen Afghanen in bunten Gewändern auf den Steinstufen, die zum Wasser hinunterführten. Die Diener, die sich um mich kümmerten, waren liebenswürdige, freundliche Menschen, die mir halfen, wo sie nur konnten. Ich entwickelte in Herat alle Aufnahmen, die ich dort machte, und der eine Diener lernte sehr schnell das Kopieren, das ihm unendlichen Spaß bereitete. Eines Tages, es war an einem Freitag, also mohammedanischem Sonntag, war ich mit dem Diener fast ganz allein in dem großen Gouvernementsgebäude, da der Wesir mit seinem ganzen Troß auf Jagd gegangen war. Es war einer jener Tage, an denen die Ruhe und der Frieden der Natur sich auch auf uns überträgt, wo wir im wahrsten Sinne des Wortes glücklich und zufrieden sind und nichts anderes wünschen, als daß diese Harmonie immer bleiben möge. Es war ein herrlicher Novembertag, und in der Sonne war es so warm wie im Hochsommer bei uns. Morgens, als der Gouverneur aufbrach, hörte ich Trommeln und Trompeten erschallen; aber je mehr sich die Jagdgesellschaft entfernte, desto mehr verhallte der Klang und erstarb schließlich ganz. Ich setzte mich in den Garten und las ein schönes Buch, schrieb Briefe oder machte neue Kopien von den letzten Aufnahmen, die ich nach Hause schicken wollte. Auch plauderte ich viel mit dem Diener, um meine persischen Sprachkenntnisse zu verbessern; denn man lernt ja in Europa, wenn man sich mit einer fremden Sprache zu beschäftigen hat, nie das, was man notwendig in fremden Ländern braucht; ganz gleich, ob es die englische, französische oder sonst eine andere Sprache ist. Es müßte an allen Schulen beim Erlernen der Fremdsprachen vielmehr Wert auf Konversation gelegt werden. Das Erlernen fremder Sprachen ist mir immer sehr leicht gefallen. Wenn man als Wissenschaftler und besonders als Geograph fremde Länder bereist, muß man unbedingt die Landessprache gut beherrschen. Ohne Kenntnis der Sprache wird einem das betreffende Volk stets ein Rätsel bleiben. Schon als Schulknabe habe ich mir dieses gesagt, und da ich schon damals ahnte, daß mich einmal mein Weg nach Asien führen würde, hatte ich mir von der Bibliothek meiner Heimatstadt eine persische Grammatik geholt und trieb mit großem Eifer das Studium dieser Sprache. Ich vernachlässigte das Französische, das mir nie sehr lag, und so kam es dann, daß ich fast stets in diesem Fache Note vier im Zeugnis mit nach Hause brachte! Als es Abend wurde, stieg ich mit dem Mudir, der mich aufsuchte, auf das Dach des Palastes, um den Sonnenuntergang zu sehen. Von diesem Punkte aus übersahen wir die ganze Stadt mit ihren Lehmhäusern und Türmen, ihren Ruinen und Wällen, die von dem Grün der Gärten sich abhoben. Als die Sonne golden hinter den Bergen versank, hörten wir aus der Ferne den Klang der Trompeten – die Jagdgesellschaft kam von ihrem Ausfluge zurück! Schön war der Anblick der Moschee, deren beide Minarette mit den blauen Kuppeln im Abendsonnenscheine glänzten. Ich hatte eines Tages Gelegenheit, diese Moschee zu besichtigen. Es war um die Mittagszeit, als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte. Ein feierliches Schweigen ringsum; es war so still, daß man glauben konnte, in einer toten Stadt zu sein, die in tausendjährigen Schlaf versetzt ist. Im Inneren des Moscheehofes träumte das Wasserbecken; eine große, blaugrüne Pinie lehnte ihre Krone an die hohen Mauern, deren Fliesenschmuck in allen Farben leuchtete, und die beiden Minarette schauten wie Wächter auf die heilige Stätte herab. Diese Moschee soll eines der ältesten Gebäude in Herat sein (Abb. 10). Wenn man die vielen Ruinen sieht, die sich überall erheben, dann ahnt man, welch wechselvolle Geschichte Herat durchgemacht hat. Mehrmals wurde die Stadt bis auf die Grundmauern zerstört. Die Annalen erzählen, daß einst Dschinghis-Khan die Stadt mit 80000 Reitern überfiel und sämtliche Bewohner – es wird die Zahl 1600000 genannt – umbringen ließ. Nur 40 Personen, die sich in Höhlen versteckt gehalten hatten, entkamen dem furchtbaren Blutbade. Das Gebiet, das heute von der Stadtmauer eingeschlossen wird, war früher nur Festung, denn die Stadt hatte eine viel größere Ausdehnung. Auch im Laufe des letzten Jahrhunderts ist die Bevölkerung infolge der Kämpfe mit den Persern stark zurückgegangen. Für die Jahre vor 1838 wurde sie auf 70000 Einwohner geschätzt, nach der Belagerung auf 7 bis 8000, 1845 auf 20 bis 22000. Dies dürfte auch ungefähr der jetzigen Zahl entsprechen. Ob die Zahlen, die für Herat zur Zeit vor Dschinghis-Khan angegeben werden, nicht stark übertrieben sind, sei dahingestellt. Immerhin ist es ganz interessant, diese Zahlen einmal mit denen zu vergleichen, die Arthur Conolly, ein englischer Offizier, der Herat 1830 besuchte, angibt: Um 1219 n. Chr. besaß Herat: zur Zeit Conollys 1830: Verkaufsläden 12000 1200 öffentl. Bäder 6000 20 Schulen 350 6 Häuser 144000 4000 Man kann wohl sagen, daß das Bild, das Herat heute bietet, ungefähr zur Zeit Schah Rukhs und Sultan Hussein Mirzas geschaffen wurde (1469 bis 1506). Auch Baber, der erste der indischen Großmogule, besuchte Herat und gibt in seinen Memoiren eine Aufzählung aller Sehenswürdigkeiten der Stadt. Er scheint in Herat eine sehr vergnügte Zeit verlebt zu haben, denn die Schilderung der Festlichkeiten und Trinkgelage gehört zum Köstlichsten seiner Memoiren. Ich benutzte die Zeit in Herat auch dazu, um Einkäufe für die bevorstehende Karawanenreise zu machen, Pferde zu mieten und Diener zu engagieren. Sahib Dad Khan half dabei, und bald hatten wir eine Menge nützlicher Sachen beisammen: Reis, Zucker, Tee, Kerzen, Fett, Zwiebeln, ferner Kupfertöpfe, Teekessel, Leuchter, Streichhölzer, Zigaretten. Der Diener, den ich engagierte, hieß Juma; der Leser wird ihn im Laufe der Reiseberichte bald näher kennenlernen; ebenso auch meinen Karawanenführer Gul Mohammed. Als ich einige Tage in Herat war, machte ich auch dem Gouverneur meinen Besuch. Ich wurde von seinem Sekretär Latif Khan und Sahib Dad Khan zu ihm geführt. Die Audienz dauerte nicht sehr lange, aber wir unterhielten uns ausgezeichnet. Er war ein sehr freundlicher Herr, erkundigte sich eingehend nach meinen Schicksalen und Plänen, und war erfreut, daß ich Persisch sprechen konnte; bewirtete mich selbstverständlich mit Tee und Gebäck und versprach mir für meine Weiterreise jegliche Hilfe. Schon Wagner hatte ihm erzählt, daß ich voraussichtlich ziemlich mittellos in Herat eintreffen und wahrscheinlich gezwungen sein würde, ihn um Geld zu bitten. Als ich ihm nun mein Anliegen vortrug, war er nicht im mindesten überrascht, sondern sagte, daß es ihm ein großes Vergnügen sei, mir zu helfen. Ich nahm also bei ihm eine Anleihe von 400 Rupien (ca. 350 Mark) auf, die ich später in Kabul an die Staatskasse zurückzahlen mußte. Langsam näherte sich nun mein Aufenthalt in Herat seinem Ende, und als der junge afghanische Lehrer Gulam Ali, der mit mir zusammen nach Kabul reisen sollte, mit seinen Reisevorbereitungen ebenfalls fertig war, konnten wir unsere Fahrt quer durch das zentrale Afghanistan antreten. V DURCH DAS ÖDE ZENTRAL-AFGHANISTAN Am 6. November 1923, mittags zwölfeinhalb Uhr, verließ ich Herat. Sahib Dad Khan begleitete mich bis vor das Tor, wo ich Gulam Ali traf. Die Packtiere waren unter Gul Mohammeds Leitung schon vorausgezogen. Ich schwang mich auf meinen braunen Wasiri, sagte Sahib Dad Khan Lebewohl, und dann trabten wir durch die engen winkeligen Gassen zum Stadttor hinaus. Die Pferde waren sehr übermütig, da sie lange im Stall gestanden hatten, und wir hatten Mühe, sie zu halten. Vor der Stadt erwarteten uns ca. 10 bis 15 junge Afghanen zu Pferde, Freunde Gulam Alis, die uns noch eine Strecke weit das Geleit geben wollten, wie es in Afghanistan allgemein üblich ist. Wir ritten eine ziemlich breite Straße entlang, die uns an großen Gärten vorbeiführte, aus denen die grauen Lehmhäuser hervorsahen. Hier wuchsen die herrlichen Trauben und Melonen, die Walnüsse, Maulbeeren und Aprikosen, die weithin wegen ihrer Güte und Schmackhaftigkeit berühmt sind. Gulam Alis Diener, Mesjidi Khan, hatte im Basar ein Gewehr gekauft, ein altes französisches Modell, auf das er sehr stolz war. Es war dies außer meinem Revolver die einzige Waffe, die wir bei uns hatten. Als wir uns von den jungen Afghanen verabschiedeten, wurde sogar aus diesem französischen Gewehr Salut geschossen, was die Pferde noch störrischer machte. Dann zogen wir alleine weiter. Es war gegen vier Uhr. Zur Linken hatten wir eine jeglicher Vegetation bare, verwitterte Gebirgskette, von der sich große Schuttfächer ins Tal zogen; rechts grüne Gärten und Kulturen, die den Heri-rud einfassen. Gegen fünf Uhr kamen wir in dem ersten Karawanserai an und gingen früh schlafen. Am folgenden Tage brachen wir bereits um sechs Uhr auf, als es noch stockfinster war. Die Sterne flackerten am Himmel, und die Sichel des Mondes schwebte über den Bergen. Es war sehr kalt, und man vergrub beide Hände in die Manteltaschen. Schweigsam verliefen immer die ersten Morgenstunden; keiner hatte Lust zu reden; erst wenn die Sonne aufging, kam Leben in meine Gesellschaft. Wir ritten genau gen Osten den hohen Bergen entgegen. Endlos erschienen uns manchmal diese ersten Morgenstunden, ehe es Tag wurde. Da wir gen Osten ritten, hatten wir den Sonnenaufgang immer vor uns. Das Dunkel der Nacht ging dann plötzlich in ein leuchtendes Gelb über, und es dauerte nur Minuten, bis die Sonne ihr flutendes Licht über das Land goß. Ich habe es während meines Aufenthaltes in Asien immer mehr verstanden, daß es Menschen gibt, die die Sonne anbeten. Wohl nie habe ich die Sonne so herbeigesehnt wie auf den Karawanenreisen in Afghanistan! Verfroren und gegen alles gleichgültig, saß man während der Nachtmärsche auf seinem Pferde und hatte nur den einen Wunsch, daß bald die Sonne aufgehen möge! [Illustration: 13. Landschaft roter Konglomerate zwischen Germ-ab und Lar] Der Weg bot wenig Abwechslung. Links und rechts in Verwitterungsschutt gehüllte Berge, nackt und kahl, wo kein Fleckchen Grün zu sehen war. Dann und wann zeigten sich im Tale kleine Siedelungen, von Gärten umgeben, wie die Oasen in der Wüste. Wir passierten das kleine Dorf Tunian. Kein Mensch war zu erblicken. Wie verzaubert war der Ort mit seinem kleinen See, in dem sich hohe Pinien spiegelten. Häufig begegneten uns Kamel- und Eselskarawanen; sie bringen immer etwas Leben und Abwechslung in die sonst stille, träumende Landschaft. Die Luft war außerordentlich klar, und man täuschte sich stets in den Entfernungen. Stundenlang sah man manchmal ein Dorf vor sich und glaubte, es jede Minute erreichen zu müssen. Gestern sahen wir schon im Südosten große Schneeberge, heute sind wir ihnen kaum näher gekommen. Es ist der Sefid Kuh. Gegen drei Uhr erreichten wir das Robat Marwa. [Illustration: 14. Der Heri-rud] 8. November. Heute brachen wir sehr früh auf. Als ich aufwachte, sah ich, daß es noch finstere Nacht war. Juma erhob sich zuerst, zündete das Feuer an und kochte Tee. Wenn wir frühstücken, beginnt Gul Mohammed die Pferde zu beladen. Das geschieht beim Scheine eines Feuers, das im Hofe des Karawanserai angezündet wird. In den ersten Tagen ging das Beladen der Tiere natürlich nie ohne großen Lärm und Schimpfen vor sich. Dann waren die Lasten nicht richtig verteilt, so daß sie rutschten, oder die Stricke waren nicht richtig gebunden, oder eines der Pferde lief halb bepackt fort; ein anderes schlug hinten aus, und ein drittes schüttelte die Lasten einfach wieder ab! Kurz und gut, es kostete zuerst viele Mühe, ehe wir startbereit waren. [Illustration: 15. Schule in Obeh] Um fünfeinhalb Uhr brachen wir von Marwa auf. Mein brauner Wasiri war in diesen Tagen schon ganz zahm geworden; ich konnte ruhig die Zügel hängen lassen und dem Pferde die Führung überlassen. Dies war besonders in den ersten Morgenstunden angenehm; dann konnte man seine Hände nicht tief genug in die Manteltaschen vergraben. Der Sonnenaufgang war herrlich, die Berge schimmerten in allen Farben von Rotgelb über Braun in Violett (Abb. 14). Immer wieder und wieder mußte ich dieses Farbenspiel bewundern, das so einzig in seiner Art ist. Sobald die Sonne aufging, war es warm; der Himmel leuchtete in tiefstem Blau, von dem sich die Berge scharf abhoben. Auf einem Hügel am Wege saß ein großer Raubvogel, und Mesjidi Khan prahlte, er würde ihn mit seiner neuen Flinte sofort erlegen. Wie eine Katze schlich er sich dicht an den Adler heran; der Schuß krachte; das Erdreich, ein Meter unter dem Vogel wurde aufgewühlt, und das Tier verschwand in elegantem Fluge nach der gegenüberliegenden Talseite. Oft passierten wir kleine Lehmdörfer, die etwas abseits von unserem Wege im tiefer gelegenen Tale lagen. Gegen neun Uhr erhob sich ein kalter Wind aus Osten, so daß wir von der Sonne nicht viel spürten. Als wir gegen Mittag in den Talkessel von Obeh kamen, war es aber wieder sehr heiß. In diesem größeren Dorfe machten wir noch einige Einkäufe. Es gibt hier an dem Flüßchen, das das Dorf durchzieht, recht malerische Winkel; große schattige Bäume, unter denen die kleinen Lehmhäuser und Verkaufsstände sich hinziehen. Gulam Ali besuchte hier einen Freund, der Schulmeister des Dorfes war. In einem einfachen Lehmziegelhaus war die Schule untergebracht. Wir wurden – wie überall in Afghanistan – sofort zum Tee eingeladen, und dann mußte ich die Schulkinder photographieren. Es waren sehr nette Jungen darunter, die einen intelligenten Eindruck machten (Abb. 15). Am folgenden Tage wollten wir schon nachts aufbrechen, da uns ein langer Tagesmarsch bevorstand. Aber vor sechs Uhr kamen wir nicht fort. Das Aufstehen fiel uns immer schwer, und wenn nicht Mesjidi Khan gewesen wäre, so hätten wir sicher manchen Morgen verschlafen. Der heutige Tagesmarsch war sehr schön, keine Wolke am blauen Himmel! Und wenn es auch morgens 3 Grad Celsius Kälte gab, so konnte ich mittags doch +30 Grad Celsius messen. Dazu hatten wir keinen Wind, der sonst immer so außerordentlich lästig war, da er Kälte brachte und uns ganze Ladungen Staub ins Gesicht wehte. Auf den hohen Bergen im Süden lag etwas Schnee, und ich wurde immer an die ersten sonnigen Frühlingstage in unseren Alpen erinnert. Nur das bunte Laub, das in goldgelben Farben schimmerte, zeigte, daß Herbst war. Überall trafen wir kleine Bäche, die sprudelnd und rauschend dem Heri-rud zueilten. Ein Bauer bestellte seine Felder; er trieb mit großem Geschrei die Ochsen an. An einigen Stellen mußten wir den Fluß verlassen, da er in tiefen Schluchten die Berge durchbricht. Häufig ist er von Terrassen eingesäumt, und hoch über seinem jetzigen Niveau finden sich an den Berghängen Flußgerölle, die beweisen, daß der Fluß ehemals viel höher floß und sich mit der Zeit so tief in die Berge eingeschnitten hat. An einigen Stellen konnten wir diese Schluchten zu Fuß passieren, während die Tiere mit den Dienern den Umweg über die angrenzenden Berge machen mußten. Juma war heute sehr redselig; er war sehr stolz, daß er mein Fernglas tragen durfte, und Gul Mohammed sang den ganzen Tag unverwüstlich seine Paschtulieder. Meine afghanischen Begleiter verstanden diese kaum; aber sie brüllten trotzdem mit und stimmten mit in den Refrain ein. Auf jeden Fall schienen sie ihren Gesang schön zu finden; ich ließ meine Gesellschaft auch ruhig zufrieden und war froh, daß alle so guter Stimmung waren. Als wir am 10. November aufbrachen, war es schon spät. Irgend etwas klappte nicht. Endlich zog Gul Mohammed mit den Packtieren ab; Gulam Ali und ich ritten hinterher. Als wir uns, nachdem wir zehn Minuten geritten waren, nach den anderen umsahen, bemerkten wir, daß im Robat irgend etwas nicht in Ordnung war. Unsere Diener und der Perser mit seinem Sohne, die sich uns angeschlossen hatten, fehlten. Wir warteten eine Zeitlang und ritten dann zurück. Da sahen wir, daß eine Schlägerei im Gange war. Mitten unter den Kämpfenden bemerkte ich auch Juma, der das größte Wort hatte und dem man bereits den Turban vom Kopf geschlagen hatte. Der Perser ließ die Reitpeitsche sausen, und verschiedene Kämpfer hatten schon Schrammen im Gesicht und bluteten! Es war eine allgemeine Aufregung. Der Streit war dadurch entstanden, daß der Perser den Preis des Huhns, das er am Abend vorher von dem Verwalter des Robats gekauft hatte, nicht bezahlen wollte und sich übervorteilt glaubte. Uns ging daher die Sache eigentlich gar nichts an; aber fanatisch wie die Afghanen einmal sind, mischten sich alle in den Streit, und ich hatte Mühe und Not, erst einmal Juma herauszuholen. Es setzte Peitschenhiebe und blutige Gesichter, und der Godamdar lief zu mir und schwor bei Allah, daß er im Rechte sei, während unser persischer Reisegefährte dagegen anschrie: »Durug migujäd, Durug migujäd«, er lügt, er lügt! und dem Alten wieder eins mit der Peitsche gab. Als die Kampfhähne sich absolut nicht einig werden konnten, und da uns die Sache nichts anging, nahmen wir unsere Diener und überließen den Perser seinem Schicksal. Nach einer Stunde stieß er auch wieder zu uns. Der erste Teil des heutigen Marsches verlief wieder im Tale des Heri-rud. Das Gelände war aber bergiger, und oft hatte sich der Fluß in tiefen Schluchten durch die Felsen geschnitten. Sein Wasser war ganz klar und von blaugrüner Farbe. Sehr häufig mußten wir kleine Pässe überschreiten, die manchmal so steil waren, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Das braunrote Erdreich war sehr locker, da die Felsen stark verwittert sind. Auf den Paßhöhen war es meist sehr windig; man zog sich die Mütze über beide Ohren und setzte gegen den Staub eine Schutzbrille auf. Meine Schneebrille, die mich auf mancher Alpentour begleitet hatte, tat auch hier gute Dienste, denn sie dämpfte das grelle Licht. Heute saß selbst die Mütze nicht mehr gegen den Sturm fest, und ich band mir daher noch mein Handtuch um den Kopf! Gegen elf Uhr wurde es aber warm und gegen Mittag so heiß, daß wir schwitzten. Die täglichen Temperaturschwankungen sind auf diesen Höhen sehr groß; nachts fiel das Thermometer im Verlauf der Reise auf –20 Grad Celsius, und mittags hatten wir oft +30 Grad Celsius. Immer weiter ging es bergan; seit Herat waren wir schon fast 600 Meter gestiegen. Langsam, Schritt für Schritt, zog unsere Karawane gen Osten. Das Wetter war wieder herrlich. Keine Wolke war am hellblauen Himmel zu sehen. Kleine gelbe Schmetterlinge – Heufaltern ähnlich – flatterten häufig an uns vorüber. Zu beiden Seiten des Weges hatten wir wieder die in Schutt gehüllten kahlen Berge; aber fern im Osten zeichnete sich ein hoher, schneegekrönter Gipfel wie ein blendender Kristall vom blauen Himmel ab. Ich hatte es mir auf meinem braunen Wasiri bequem gemacht; er hatte sich endlich an mich gewöhnt, ging ruhig, Schritt für Schritt, so daß ich ungehindert meine Aufnahmen und Notizen machen konnte. Gegen ein Uhr passierten wir den Heri-rud, um uns von nun an gen Süden zu wenden. Erst nach vier Tagen sollten wir den Fluß wieder sehen. Nach der neuesten englischen Karte (India and adjacent countries: Sheet No. 33.29 Kalkutta 1916) mußten wir an der Stelle sein, wo der 64. Längengrad den Heri-rud schneidet. Die Karte ist hier ungenau; ebenso auch für das Gebiet, das wir am folgenden Tage durchzogen. Vor der deutschen Expedition, die während des Krieges auf dem Wege nach Kabul hier durchkam, hat meines Wissens kein Europäer je diese Gegenden besucht. Der Heri-rud war sehr flach und reichte den Pferden kaum bis an die Knie. Wir konnten auch einen Einblick in die große Schlucht gewinnen, aus der der Fluß von Osten herkommt. Dann bogen wir in ein Seitentälchen ein, das nach Südosten führt, und vor uns erhob sich die Hauptkette des Sefid-Kuh, die wir überschreiten mußten. Hier und dort zeigten sich schneebedeckte Gipfel. Wilde, fast senkrechte Felsen türmten sich zu beiden Seiten auf, und ich hatte alle Hände voll zu tun, um die nötigen Beobachtungen zu machen und Gesteinsproben zu sammeln. In diesem Felstale brannte die Sonne; es war schwül; die Hitze brütete zwischen den Felsen, und wir waren stark verbrannt, als wir gegen drei Uhr im Robat zu Charsar eintrafen, das ca. 1800 Meter hoch gelegen ist. Abend für Abend wiederholt sich dasselbe Bild. Das Aufschlagen des Nachtlagers geht mittlerweile auch schnell, da die Diener genau wissen, wie und wo sie das Gepäck verstauen sollen. Juma hat inzwischen gelernt, das Feldbett richtig aufzuschlagen, so daß es nicht mehr zusammenbricht, wenn man sich darauf legt, und er versteht es auch, meine Koffer so zu stellen, daß ich leicht heran kann. Stets zwar, wenn ich etwas suchte, fand ich es nicht, oder es lag zu unterst im letzten Koffer. Während das Abendessen zubereitet wird, arbeite ich, auf meinem Feldbett liegend, die Beobachtungen des Tages aus, mache meteorologische Beobachtungen, etikettiere und verpacke die gesammelten Gesteinsproben und schreibe Tagebuch. Nach dem Essen kamen heute ein paar Afghanen in unsere Höhle zu Besuch und sangen uns etwas vor. Der eine war ein prächtiger Bursche, groß, von feingeschnittenen angenehmen Zügen; bei den anderen beiden aber konnte man sofort den Einschlag mongolischen Blutes feststellen. Sie trugen uns einen alten Wechselgesang vor. Die Vorführung dauerte ungefähr eine Stunde. Der eine der Sänger mußte oft Tierstimmen nachahmen, was ihm auch trefflich gelang. Am folgenden Morgen brachen wir sehr früh auf. Jeder hatte sich warm angezogen; die Afghanen hatten ihren Turban so über den Kopf gewickelt, daß nur Augen und Nase frei blieben. Es war noch sehr frisch, und die kleinen Bäche waren bis auf den Grund gefroren. Um uns warm zu halten, gingen wir bis Sonnenaufgang alle zu Fuß. Unser Weg führte in einem engen Tale bergan, und bald hatten wir einen herrlichen Ausblick auf den Schneeberg, den wir gestern bereits sichteten. Er erhebt sich genau im Südosten. Wir sammelten trockenes Gestrüpp, schichteten es aufeinander und zündeten es an. Wir hielten Hände und Füße direkt in die züngelnden Flammen, um wieder Leben in die fast erstarrten Glieder zu bringen. Langsam geht es einen Paß hinauf, der ca. 2300 Meter mißt. Immer wieder mußten wir hinauf und hinunter – bergauf und bergab. Gerade ist man froh, daß man eine Paßhöhe erreicht hat, da muß man wieder hinunter ins Tal. Juma deutet mit der Hand nach Südosten auf eine Kette und sagt: Kutel, Kutel: Paß. Dort müssen wir wieder hinauf. Langsam, im Schneckentempo zieht die Karawane bergan. Alle sind abgestiegen, um die Tiere nicht zu ermüden. Ich wollte eine photographische Aufnahme machen, aber die Gebirgslandschaft war so öde, daß ich den Film schonte. Überall kahle, verwitterte, in Schutt gehüllte Felsen, die nur kleine dürre, vertrocknete Steppenpflanzen auf den Hängen tragen. Aber die Farben der Berge sind schön; selten habe ich so bunte Felslandschaften gesehen! Hier schimmert ein Berg in roten und gelben, dort einer in violetten und grünen Farben! Vom Passe, der ca. 2830 Meter hoch ist, genießen wir einen weiten Ausblick; im Süden zeigt sich eine hohe schneebedeckte Bergkette, deren hohe Gipfel sich wie weiße Zähne vom tiefblauen Himmel abheben. Wie gerne wäre ich dort hingezogen, in das Herz des Hesarajat-Hochlandes, über das wir noch so wenig unterrichtet sind! Nur einem einzigen Europäer, dem Franzosen Ferrier, ist es gelungen, einen Blick in diese Wildnisse zu tun; aber vieles in seinem Bericht ist ungenau, und seine Angaben sind stark angezweifelt worden. Weiter ziehen wir durch die öden Gebirge und folgen einem Flusse, dessen blaues Band tief unter uns sich hinzieht. Infolge der außerordentlich klaren Luft aber erscheint alles viel näher gerückt. Dann treten wir in die tiefe Schlucht ein, der unser nächster Halteplatz seinen Namen verdankt: Teng-i-Asau (die Schlucht des Asau). Dunkelrote Felswände türmen sich zu beiden Seiten auf, nur ein kleines Stück vom blauen Himmel freilassend. Auf einem Felsvorsprung thronte eine alte Lehmruine. Tot sieht die Landschaft aus; auf dem Monde kann es nicht trostloser sein (Abb. 16)! [Illustration: 16. Öde Berge bei Teng-i-Asau] Am 12. November brechen wir wieder sehr früh auf. Es ist vier Uhr und so dunkel, daß wir keine Hand vor den Augen sehen können; es bleibt uns nichts übrig, als die Laternen anzuzünden. An der Spitze des Zuges marschiert Mesjidi Khan, und seiner blinkenden Laterne folgt die Karawane. Langsam bewegen wir uns den hohen Paß hinauf, der sich direkt hinter Teng-i-Asau erhebt. Die englische Karte verläßt uns hier ganz, denn auf ihr ist Teng-i-Asau nicht angegeben. Wir haben einen kleinen Gebirgsbach zu kreuzen, der rauschend gen Süden eilt. Alle kamen heil auf das andere Ufer, nur Juma glitt beim Springen von einem Stein auf den anderen aus und nahm zum Spaß aller Zuschauer ein kaltes Morgenbad. [Illustration: 17. An oberen Heri-rud bei Khassi] Das Steigen machte sich in der dünnen Luft wohl bemerkbar, und alle paar Minuten blieben auch die Pferde stehen, um sich zu verschnaufen. Als wir die Paßhöhe erreichten, dämmerte es bereits. Wir gingen auch weiterhin zu Fuß, um uns warm zu halten. Langsam begann sich der Himmel im Osten zu färben, immer mehr Einzelheiten im Landschaftsbild traten hervor; ein orangegelber Streifen kündet die Stelle an, wo die Sonne aufgehen würde, und bald floß ihr strahlendes Licht über die schweigende Bergwelt. Feuerrot leuchteten einige Konglomeratfelsen, die von den ersten Strahlen der Morgensonne getroffen wurden, während in den tiefen Tälern unter uns noch die blauen Schatten der Dämmerung lagen. Dann steigen wir in ein großes, breites Längstal hinab, in dem der größte Teil unseres heutigen Weges verläuft. Einförmige, verwitterte Berge rechts und links; dann und wann ein Ausblick auf höhere, schneebedeckte Gipfel im Süden und Norden. Menschen begegnen wir kaum; still, öde und verlassen ist die Gegend. [Illustration: 18. Afghanen (von links nach rechts: Gulam Ali, Mesjidi Khan, ein Freund Gulam Alis)] Jeden Morgen um elf Uhr verteilt Juma das Frühstück, das wir im Sattel einzunehmen pflegen. Ein Stück trocken Brot, kaltes Hammelfleisch oder Huhn und ein paar getrocknete Aprikosen schmeckten uns trefflich. Gegen Mittag passierten wir einige Ruinen, in deren Gemäuer Raben hausten. Dann ging es stundenlang über bergiges Gelände. Gegen drei Uhr sahen wir von einer Anhöhe das Robat von Godar-i-Pam im Tale liegen. Ziegelrote, flache Berge heben sich scharf vom tiefblauen Himmel ab, und ich mache eine kleine Aquarellskizze von der bunten Landschaft. [Illustration: 19. Blick von der Paßhöhe ins Tal von Pänjao] Für vier Rupien kauften wir einen Hammel, der abends geschlachtet wurde. Juma bereitete ein treffliches Hammelragout zu, das uns allen gut mundete. Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwand, wurde es wieder empfindlich kalt, und wir zündeten in unserer Höhle ein großes Feuer an, das herrlich wärmte. 13. November. Wir hatten eine sehr unruhige Nacht. Ich mochte vielleicht zwei Stunden geschlafen haben, als ich durch ein Geräusch aufwachte. Die Afghanen schienen fest zu schlafen. Den Abend vorher waren beim Lagerfeuer noch viele Räubergeschichten erzählt worden, und es hieß allgemein, daß diese Gegend nicht ganz sicher sei. Ich hörte deutlich, das irgend jemand mit dem Geschirr klapperte, und wollte Licht machen. Aber es waren natürlich wieder keine Streichhölzer da. Ich rief Juma, der in der einen Ecke unserer Höhle lag und fest schlief. Endlich wachte er auf, zündete umständlich eine Wachskerze an und untersuchte unseren Raum, fand aber nichts. Wohl war die eine Laterne umgeworfen, und die Töpfe lagen durcheinander, aber sonst konnten wir nichts feststellen. Wahrscheinlich hatte sich ein großer Kater in unsere Behausung geschlichen, um die Reste unseres Abendbrotes zu vertilgen. Fast in jedes Karawanserai leben einige große Katzen, die äußerst zudringlich sind. Schlug man sie, so wurden sie meist noch frecher. Wir froren, als wir morgens um sechs Uhr aufbrachen, war das Thermometer doch auf –10 Grad Celsius gefallen. Der heutige Tagesmarsch war kurz und äußerst eintönig. Wir zogen in einem großen, von Terrassen eingefaßten Tale bergan. Der Boden war mit Reif überzogen, und die Schneekristalle glitzerten wie Tausende von Diamanten. Der Weg wandte sich wieder nach Norden. Vor uns stieg die Bergkette auf, die wir morgen in einem hohen Passe überschreiten sollten. Nur wenig Schnee lag auf den felsigen Hängen. Gegen Mittag trafen wir eine große Karawane von Hesares. Schon von weitem sahen wir die Staubwolke, die sie aufwirbelte, und meine Afghanen machten schon ängstliche Gesichter, da sie glaubten, es seien Räuber. Die Hesares sind sonst gutmütige, friedfertige Menschen im Gegensatz zu den Firuzkuhis, die nördlich der Bergkette wohnen. Man sieht ihnen sofort die mongolische Abstammung an – scharfe Schlitzaugen, wenig Bartwuchs, stark hervortretende Backenknochen. Man könnte sie oft für Tibeter halten, mit denen sie wohl die größte Ähnlichkeit haben. Sie sollen mit Dschinghis-Khan ins Land gekommen sein und sind jetzt auf das zentrale Afghanistan beschränkt. Sie besitzen große Schaf- und Ziegenherden, die ihren ganzen Reichtum ausmachen, treiben nebenher aber auch etwas Ackerbau. Wir trafen auch eine Hesarensiedelung, ca. 20 schwarze, runde, jurtenähnliche Zelte. Langsam arbeiteten wir uns höher und höher und näherten uns mehr und mehr den Schneeflächen. Kurz vor dem Robat Tere-Bulak (nasse Quelle), sammelten wir einige schön erhaltene Versteinerungen. Heute zeigten sich zum ersten Male einige weiße Kumuluswolken, die wie große Segelschiffe über den blauen Himmel zogen. Nachmittags bestieg ich einen Berg, der sich dicht hinter dem Robat erhebt, und sammelte hier noch einige Fossilien. Gulam Ali und Mesjidi Khan amüsierten sich damit, einige der niedrigen Sträucher, die die Hänge bedeckten, anzuzünden. Das trockene Gestrüpp brannte herrlich, und der weiße Rauch zog sich in dicken Schwaden um den Abhang. Abends gingen wir früh schlafen, da uns am anderen Tage ein anstrengender Marsch bevorstand. 14. November. Heute früh kamen wir erst um sechs Uhr fort. Da es zu dem hohen Passe, den wir heute zu überwinden haben, weit und die Steigung nicht zu stark ist, steigen wir bald zu Pferde und lassen uns langsam bergan tragen. Vor uns haben wir jetzt das Bend-i-Baian-Gebirge; es sieht nicht sehr drohend aus und trägt auf den uns zugewandten Südhängen nur wenig Schnee. So arbeiten wir uns langsam empor und erreichen gegen neun Uhr die erste ca. 3000 Meter messende Paßhöhe. Juma ist vorausgeeilt und hat von den dürren Stauden, die hier und da die Hänge bekleiden, ein großes Feuer angezündet, das herrlich wärmt und uns wieder auftaut. Wir sind jetzt auf den Höhen des Gebirges, und je mehr wir auf die Nordhänge hinüberreiten, um so mehr Schnee treffen wir an. Von dem höchsten Passe, dem Kutel-i-Ahengeran, haben wir eine herrliche Aussicht. Eine Winterlandschaft umgibt uns; fern im Norden hebt sich wie eine weiße Sägelinie der Hauptkamm des Kuh-i-Baba vom blauen Himmel ab, und auch im Süden ragen einige hohe Schneegipfel aus der Bergwelt heraus. Wir befinden uns jetzt mitten in den Schneefeldern, deren Kristalle das Sonnenlicht in tausend Facetten zurückwerfen. Ich bin froh, daß ich meine Schneebrille bei mir habe, denn der Neuschnee, auf dem die Morgensonne liegt, blendet so stark, daß man kaum die Augen aufhalten kann. Ich mache zwei photographische Aufnahmen, die ein gutes Bild von diesen öden, eingeschneiten Bergen geben. Alpine Formen vermißt man ganz; Gletscher fehlen, und steile Felswände trifft man nur selten an. Das Gestein ist stark verwittert und besteht aus dunklen Kalken und Schiefern. Auf der zweiten Paßhöhe machten wir Rast, zündeten ein großes Feuer an und nahmen unser Frühstück ein. Ein langer Abstieg folgte, und schon von ferne sahen wir das von Terrassen eingefaßte Tal des Heri-rud. Gegen drei Uhr passierten wir eine Siedelung von Hesares. Diese hausen hier in Höhlen, die sie aus dem weichen Fels herausgeschlagen haben. Augenscheinlich war gerade großes Reinmachen; denn auf den Hängen waren Teppiche und Decken zum Trocknen ausgebreitet. Zwei große wütende Hunde, weiße Mastiffs, wollten uns nicht vorbeilassen, und wir konnten sie uns nur durch Steinwürfe vom Leibe halten. Das Talbecken von Ahengeran ist reich kultiviert. Überall dehnen sich Felder und Lehmhäuser aus. Eine kleine verfallene Ruine liegt zur Linken. Wir passieren das Robat und ziehen weiter in östlicher Richtung nach Khassi. Wir sind jetzt wieder im Heri-rud-Tale, das wir zwischen Obeh und Charsar verlassen hatten. Über den Lauf des Flusses zwischen Ahengeran und Obeh konnte ich nur in Erfahrung bringen, daß er in tiefer Schlucht sich den Weg durch die Berge schneidet. Eine stundenlange Wanderung durch das Heri-rud-Tal folgte. Eine Schar Wildenten trieb sich am Flusse umher, und Mesjidi Khan wollte wieder sein Jagdglück versuchen; aber wie immer schoß er daneben. Im Süden unseres Weges hatten wir den langen, stark denudierten Kamm des Bend-i-Baian-Gebirges, zur Linken in Schutt gehüllte Berge, die zum Heri-rud abfallen. Dann und wann steigen wir ab und gehen zu Fuß. Wir müssen auch noch einige Berge überschreiten, ehe wir gegen vier Uhr die Kalé (die Festung) und das Robat von Khassi sichten. Kurz bevor wir dort eintrafen, konnte ich noch eine herrliche Naturerscheinung beobachten. Die im Osten sich auftürmenden Berge wurden von den Strahlen der untergehenden Sonne getroffen und flammten in purpurroten und tiefvioletten Farben auf, was sich gegen den schon dunklen Abendhimmel prächtig ausnahm. Aber nur Minuten dauerte diese Erscheinung; sie war flüchtig wie alles Schöne auf Erden. Und doch sind solche Augenblicke für uns unvergeßlich. Sie erheben uns, und wir zehren lange davon. Und in trüben Stunden, da treten diese Augenblicke wieder vor uns hin, gleichsam, um uns zu mahnen und uns neuen Mut zu verleihen. In Khassi wollen wir einen Ruhetag einlegen, denn Gulam Ali hat hier einen Freund wohnen, den er besuchen will. Auch wollen wir den Tieren einmal etwas Ruhe gönnen. Da das Dorf Khassi auf dem nördlichen Ufer liegt, müssen wir durch den Heri-rud reiten. Ich war zu müde, um noch ins Dorf zu gehen, und blieb im Karawanserai. Gerade als ich es mir auf meinem Feldbette bequem gemacht hatte und mein Tagebuch schreiben wollte, kam ein Diener gelaufen und brachte mir eine Einladung von Gulam Alis Freund, der Steuereinzieher dieses Bezirkes war. Er hatte auch gleich ein Pferd mitgebracht, damit ich den Fluß durchreiten konnte. Ich machte mich also fertig, schwang mich auf das ungesattelte Pferd und ließ mich nach dem Flusse hinunterführen. Es war schon dunkel. Der Diener hielt in der einen Hand die Stallaterne, in der anderen die Zügel des Pferdes. Als wir mitten im Fluß waren, und das rauschende Wasser schäumte und spritzte, wurde das Pferd störrisch, und ich konnte mich nur mit Mühe halten. Schließlich kamen wir aber doch glücklich ans andere Ufer. Bei dem jungen Afghanen wurden wir sehr liebenswürdig aufgenommen. Er bewirtete uns mit Pilau und Mast (saure Milch) sowie Tee und Kuchen, und es gab auch Musik und Gesang. Gegen neuneinhalb Uhr brach ich wieder auf, während Gulam Ali und Mesjidi Khan bei ihrem Freunde übernachteten (Abb. 18). 15. November. Heute war der ersehnte Ruhetag, wir konnten wirklich einmal ausschlafen. Erst um acht Uhr wurde gefrühstückt. Ich leistete mir zur Feier des Tages Kakao, da wir hier Milch kaufen konnten. Auch den Afghanen gab ich zu trinken; aber obgleich ich den Kakao stark gezuckert hatte, erklärten sie, er sei »bisjar tälch« (sehr bitter). Übrigens fiel es ihnen sehr schwer, das Wort Kakao richtig auszusprechen, und ich amüsierte mich immer, wenn Juma die Kakaotüte suchte und fragte: »Kaukau kuja’st?« Den Vormittag benutzten wir dazu, die Koffer wieder gut zu verpacken, denn es war alles durcheinandergerüttelt. Mittags wurde ich wieder zum Freunde Gulam Alis eingeladen, und es gab wieder Pilau, Tee und Süßigkeiten. Alle hatten sich heute in Gala geworfen, und ich kam mir in meinem Reitanzug gar nicht gesellschaftsfähig vor. Nachmittags wanderten wir in den umliegenden Bergen umher. Die Felsen sind sehr verwittert, und die Diorite sowie die anderen Eruptivgesteine sind zu Schutt und Staub zerfallen. Nur an einzelnen Stellen ragen einige härtere Felsen aus dem Schutte auf und bilden kleine Riffe. Ein sehr hartes Band dunkler Eruptivgesteine verläuft quer zum Fluß und verursacht Stromschnellen. In der Ferne konnten wir einige gut ausgeprägte Terrassen erkennen, die darauf hinweisen, daß der Fluß einst in einem bedeutend höheren Niveau floß (Abb. 17). Dann besuchten wir den Hakim (Untergouverneur). Schon bevor wir nach Khassi kamen, erzählten meine Begleiter von ihm wunderliche Geschichten und sagten, er sei ein verrückter alter Kerl, der aber ziemlich große Macht habe. Da ich ohne jedes Empfehlungsschreiben und ohne Paß reiste, schien mir der Besuch bei diesem Herrn gar nicht so geheuer, denn wenn er sich, wie die Afghanen sagten, verrückt bürokratisch anstellte und nach einem Papier verlangte, war ich in übler Lage. Nachmittags, als ich auf einem Terrassenvorsprung meine Gefährten und ihren Freund photographierte, sahen wir, daß sich auf der von uns durch ein kleines Tal getrennten gegenüberliegenden Seite eine Menschenmenge ansammelte, die unser Tun genau beobachtete. Und sicher wurde dem Hakim genau Bericht erstattet, was wir trieben. Wir hielten es daher für das beste, ihm erst einmal unseren Besuch zu machen. Er residierte in einer elenden, halb in Ruinen liegenden Kalé oder Festung. Als wir uns dieser näherten, scharten sich die Einwohner um uns und sandten uns nicht gerade freundliche Blicke zu. Ich wurde unwillkürlich an die Situation erinnert, in der Younghusband war, als er die Festung der Kandjuten im Kara-Korum aufsuchte. Wir gingen durch finstere Gänge und vor Schmutz starrende Höfe, bis wir endlich in einen Hof gelangten, der etwas sauberer war. Dort breitete man für uns einige Kelims aus. Nachdem wir lange gewartet und meine Afghanen noch mehr als einen Witz über den Hakim gerissen hatten, trat der Gewaltige herein. Er entpuppte sich als ein kleines verhutzeltes Männchen, dem aber der Schalk im Gesicht geschrieben stand, und ich habe keinen Zweifel, daß er auch sehr grausam sein konnte. Wir wurden zum Tee geladen. Ich mußte ihm meinen Feldstecher zeigen; aber sonst wurde wenig gesprochen. Meine Afghanen hatten anscheinend solchen Respekt vor ihm, daß sie gar nicht wagten den Mund aufzutun. Wir blieben auch nur kurze Zeit und gingen dann wieder an den Fluß hinunter, wo ich noch einige Gesteinsproben sammelte und die Gesellschaft photographierte. 16. November. Heute wollten wir eigentlich schon bis Dauletjar kommen, erfuhren aber, daß der Weg sehr weit sei, und so entschlossen wir uns, nur bis Badgah zu ziehen. Der Freund Gulam Alis begleitete uns die erste Strecke des Weges. Er trug seinen besten Anzug und ritt einen prächtigen, schwarzen Hengst. Seine Lammfellmütze hielt er in der rechten Hand, um sich gegen die Sonne zu schützen, worüber Juma sich sehr lustig machte. Wir ritten stetig ansteigend die Terrassen hinauf, die sich längs des Flusses hinziehen. Bei Pusaleh passierten wir die große Brücke über den Heri-rud; das Dorf selbst scheint verlassen zu sein. Etwas oberhalb Pusaleh verläßt der Weg den Fluß, der hier Stromschnellen und kleine Wasserfälle bildet und aus einer tiefen Schlucht heraustritt. Zur Rechten haben wir noch das Bend-i-Baian-Gebirge mit seinem abgetragenen, gerundeten Bergrücken. Ein ödes Land! Gegen Mittag steigen wir wieder ins Heri-rud-Tal ab, das von hohen, kahlen Felsbergen eingefaßt ist. Ein paar vertrocknete Stauden am Fluß bilden die einzige Vegetation, die wir sehen. Wie oft finde ich in meinem Tagebuch die Eintragung: den ganzen Tag kein Fleckchen Grün gesehen. Der erste Europäer, der wohl Badgah besucht hat, war Arthur Conolly, der ca. 1831 auf seinem Wege von Kabul nach Khiva durch Badgah zog. Er hatte auf seinem Wege viel unter Überfällen zu leiden. Badgah liegt in einer großen Ebene, den Winden von allen Seiten ausgesetzt, daher auch der Name (Bad = Wind und Gah = Ort). Abends im Robat spielt sich stets die gleiche Szene ab. Wenn Juma in der Feuerstelle die trockenen Stauden anhäuft und anzündet, ist in ein paar Minuten der Raum voll beißenden Rauches. Man weint die bittersten Tränen, und selbst die Schutzbrille hilft nicht dagegen; es bleibt nichts weiter übrig, als sich platt auf den Boden ans Feuer zu legen. Bis auf einen halben Meter über dem Erdboden liegt der Rauch in dicken Schwaden, und erst, wenn der Raum genügend erwärmt ist und wir das Luftloch in der Decke gereinigt haben, zieht der Rauch ab. Beim Scheine des Feuers schreibe ich mein Tagebuch. Ab und zu legen wir neue trockene Stauden auf, daß es knistert und funkt. Stundenlang können wir so um die Glut sitzen und in die blauen züngelnden Flammen starren. Bilder aus längst vergangenen Tagen steigen wieder auf. Osterfeuer – Sonnwendfeuer –. Die Afghanen sitzen still und stumm; Gulam Ali liest in einem persischen Geschichtsbuch. Er ist ganz in seine Lektüre vertieft; nur manchmal gerät er so in Entzücken, daß er Mesjidi Khan ein besonders schönes Gedicht vorträgt. Draußen vor der Pforte unserer Höhle flammt auch ein Feuer auf. Dort kocht Gul Mohammed den Reispudding. Juma sitzt am Feuer und träumt. Das Wasser in unserem kleinen, schwarz berußten Teekessel beginnt zu summen, und gegen neun Uhr ist meistens auch das Essen fertig. Auf einer großen Schüssel wird der Reis aufgetragen, das Fleisch um den Rand gelegt. Ich fülle mir mein Essen auf den Teller; die Afghanen aber stürzen sich alle auf die große Schüssel. Jeder greift mit der Hand in den Reis und sucht das größte Stück Fleisch zu erhaschen. Messer und Gabel kennen sie ja nicht. Gul Mohammed ißt für zwei. Ich wundere mich oft, wo er das alles läßt. Er sieht in seinem dicken, weißen Filzmantel und schwarzen Turban gegen seine Kameraden ordentlich vornehm aus. Heute trank er zum Schluß noch das übriggebliebene geschmolzene Hammelfett aus; worauf Juma die Bemerkung machte: er fresse wie eine Kuh. Damit hatte er aber Gul Mohammed so schwer beleidigt, daß er in den nächsten Tagen mit Juma kein Wort sprach. Gul Mohammed war überhaupt sehr eitel. Oft schaute er während des Marsches in einen kleinen runden Spiegel, den er stets bei sich trug. An einem Ring hatte er auch einige interessante kleine Instrumente: einen Nagelreiniger, einen Ohrlöffel und eine Pinzette, mit der er sich Barthaare ausriß! 17. November. Der heutige Tagesmarsch war wohl der eintönigste von allen. Zuerst zogen wir im Tale des Heri-rud aufwärts, dann aber verließen wir den Fluß und ritten stundenlang durch die öden, verwitterten Berge. Gegen Mittag sahen wir den Fluß wieder tief unter uns und stiegen langsam an sein Ufer hinab. Wir genossen einen herrlichen Ausblick nach Norden auf die Schneespitzen des Kuh-i-Baba. Über Schinieh erreichten wir Dauletjar, eine bedeutende Siedelung, die in einem großen Talbecken gelegen ist. Dort laufen verschiedene große Karawanenstraßen zusammen, von denen eine längs des Farah-rud nach Sistan gehen soll. Manche Forscher haben die Meinung vertreten, daß auch Alexander der Große auf seinem Zuge nach Bamian mit seiner Armee dem Hilmend-Tal gefolgt sein soll. Quintus Curtius beschreibt jedenfalls eine Route, die bedeutend größere Schwierigkeiten geboten haben muß als der reguläre Weg von Kandahar über Kabul nach Bamian. Etwas nordöstlich von Dauletjar kreuzte Ferrier den Heri-rud; er wandte sich dann nach Süden in das eigentliche Hesarajat-Hochland. Auch die englischen Offiziere Talbot und Maitland sind in dieser Gegend gewesen; ihre genauen Berichte sind aber nicht zugänglich. Als ich später nach Kabul kam, erfuhr ich, daß die deutschen Ärzte, die ein paar Monate vor mir auf dieser Straße gezogen, hier ihren Kameraden Berends verloren, der an Malaria starb und in dieser einsamen Bergwelt bestattet wurde. VI ÜBER HOHE GEBIRGE UND EINGESCHNEITE PÄSSE 18. November. Nachts um zwei Uhr mußten wir heute schon aufstehen, und ich war noch sehr verschlafen, als um einhalb drei der Tee gebracht wurde. Um einhalb vier erfolgte der Aufbruch. Langsam zog unsere Karawane in das Dunkel der Nacht hinaus. Zuerst ritt ich, aber bald waren die Füße so eiskalt, daß auch ich zu Fuß ging. Langsam, unendlich langsam schleichen die Stunden dahin. Herrlich ist der Sternenhimmel; selten habe ich so viel Sternschnuppen beobachten können; alle paar Minuten leuchten sie wie Raketen am sternenübersäten Nachthimmel auf. Um diese Zeit schlägt es in Europa gerade Mitternacht; dieselben Sterne sehen auch auf meine Heimatsstadt und mein Elternhaus! Wie es dort wohl aussehen mag? Seit über drei Monaten habe ich nichts mehr von Deutschland gehört. Langsam arbeiten wir uns den hohen Paß hinauf, den wir heute zu überschreiten haben. Endlich beginnt es etwas heller zu werden, und wir können die Einzelheiten im Landschaftsbilde erkennen. Über den Bergen liegt ein eigentümlich violetter Schleier, der, je heller es wird, in blaue Töne übergeht. Als die ersten Strahlen der Morgensonne die Berggipfel treffen, reiten wir in das malerische Talbecken der Hesarensiedelung Germ-ab. Hier wurde fleißig gearbeitet: die Felder gepflügt, das Korn gedroschen. Die Männer sangen zur Arbeit, die Frauen saßen vor den jurtenähnlichen Hütten, spielten mit den Kindern, nähten oder flickten. Es war ein idyllisches, friedliches Bild, das mich an die Schilderung erinnert, die Ferrier von einer Hesarensiedlung an einem südlicher gelegenen See in Zentralafghanistan gegeben hat. Ein paar Schafe und Ziegen grasten im Tale, und ein paar große, kräftige Hunde bewachten das Dorf. Wir zogen weiter, und bald war die kleine Siedelung unseren Augen entschwunden. Wir hatten einen neuen Paß zu überschreiten, von dem aus wir eine interessante Aussicht hatten. Unter uns zur Linken lag wie ein erstarrtes Meer eine ziegelrote, orangefarbene Bergwelt, die scharf vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel abstach (Abb. 13). Rechts aber türmten sich höhere Berge auf, die aus dunklem vulkanischen Gestein bestehen und einige Schneekappen tragen. In der Sonne war es heute recht warm; es war einer der letzten schönen Herbsttage des Jahres. Gegen drei Uhr kamen wir an einen breiten aber seichten Fluß, in dessen ruhigem Wasser sich die Berge spiegelten. Auf dem jenseitigen Ufer lag ein größeres Dorf. Beim Durchschreiten des Flusses glitt mein Wasiri aus, und wir beide nahmen in den kühlen Fluten ein erfrischendes Bad! Ich ging darauf den letzten Teil des Weges nach Lar zu Fuß. Mesjidi Khan hatte seinen Fuß verstaucht und war weit zurückgeblieben. Gegen vier Uhr sichteten wir das Robat, das auf einer Terrasse gelegen ist, unterhalb derer sich der Fluß hinschlängelt. Je mehr sich die Sonne dem Westen zuneigte, um so phantastischer wirkte die rote Berglandschaft, die sich im Norden des Flusses hinzieht. Die Dämmerung brach schnell herein. Blauschwarz war der Himmel im Nordosten, gerade als ob ein Gewitter aufziehen wollte, und die Berge schimmerten in schwefelgelben und violetten Tönen. 19. November. Schon am Abend verkündeten Gulam Ali und Mesjidi Khan, daß wir ganz früh aufbrechen müßten, mindestens um ein Uhr. Da die Afghanen die Uhr kannten, selbst aber keine hatten, stellte ich meine Uhr um zwei Stunden zurück, denn ich verspürte absolut keine Lust, mir meine Nachtruhe nehmen zu lassen. Als gegen halb zwei Mesjidi Khan sich erhob, die Laterne anzündete und anfangen wollte einzupacken, erklärte ich ihm, er sei verrückt; es wäre erst halb zwölf und ich machte auf keinen Fall mit. Darauf drehte ich mich wieder in meinen Pelz ein, legte mich auf die andere Seite und schlief weiter. Mesjidi Khan brummte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, blies das Licht aus und kroch auch wieder unter seine Decke zu Gulam Ali, der fest schnarchte. Erst gegen fünf Uhr brachen wir auf. Der Himmel war bezogen – es sah nach Schnee aus. Kreideweiß hoben sich die schneegepuderten Berge vom bleigrauen Himmel ab. Man konnte fast glauben, daß diese traurige Landschaft auch uns ernster stimmte; denn der Morgenritt verlief sehr schweigsam. Ich zeichnete vom Pferde aus einige Panoramen von der Bergwelt, die wir zur Rechten hatten und wo sich einige schöne Flußterrassen hinzogen. Wieder müssen wir auf einen Paß hinauf. Das eine Lastpferd scheute vor einem Kamelskelett, das am Wege lag. Wir trafen häufig die Überreste zusammengebrochener Tiere; manche Skelette sind schon von der Sonne gebleicht, an anderen hängen noch Fetzen Haut und Fell; und manche Tiere müssen erst kürzlich verendet sein. Wir fanden auch Skeletteile abseits vom Wege, wohin sie von den Wölfen verschleppt worden waren. Ein trauriges Bild boten manchmal die Karawanseraien, in deren Höfen oft die Skelette verendeter Tiere lagen. Auf der Paßhöhe zündeten wir wieder ein großes Feuer an und lagerten eine Viertelstunde, während der ich einige hohe Schneegipfel, die sich im Südosten zeigten, einpeilte und skizzierte. Die Berge bestanden aus dunkelroten Sandsteinen beziehungsweise Tuffen, ähnlich denen, die wir bei Teng-i-Asau sahen. Dann ritten wir in das Tal von Kirman hinab, das vollkommen öde und verlassen ist. Je mehr wir uns diesem kleinen Flecken nähern, um so kälter wird es; ein schneidender Wind bläst uns entgegen, und jeder wickelt sich so viel Tücher um den Kopf wie nur irgend möglich. Ganz fein beginnt es zu schneien, und bald ist der Boden mit einer weißen Decke überzogen. Wir reiten an einigen Ruinen vorbei, in deren Gemäuer Raben hausen und die Luft mit ihrem Gekrächze erfüllen, als wir vorbeiziehen. Ein paar Reiter, Flinten über den Schultern, reiten auf uns zu und fragen, wohin wir wollen. Sie erkennen mich nicht als einen Europäer; denn ich habe meine Schneebrille auf und das Gesicht mit Tüchern umwickelt, und rasiert hatte ich mich seit Wochen nicht! Die Kälte wird immer stärker; der Wind schneidender; man erstarrt fast auf dem Pferde. Um elf Uhr verteilt Juma das Frühstück. Ich erhalte die Brust und das Bein vom Huhn, aber das Fleisch ist gefroren und so mit Eiskörnern durchspickt, daß es knirscht, als ich hineinbeiße. Nebel und Wolken hüllen die hohen Schneeberge ein, auf die wir jetzt zureiten. Es wird dunkler und dunkler, und wieder hüllt uns ein Schneewetter ein. Ich kann die Hände kaum noch zum Zeichnen gebrauchen. Wir treffen viele Nomaden, die auf Eselchen und kleinen Pferden reiten. Manche gehen zu Fuß. Wie müssen sie in ihren schmutzigen, zerrissenen Gewändern frieren! Eine Kamelkarawane kommt langsamen Schrittes gezogen; die Tiere sehen wie bepudert aus. Auf dem einen Kamel hockt eine junge Frau und blickt verstohlen zu uns herüber, wer wir wohl sein mögen. Auf einem anderen sind kleine Kinder festgebunden und blicken ängstlich von ihrem schaukelnden Sitz herunter. Nomadenleben! Und doch scheinen sie so zufrieden mit ihrem Schicksal zu sein; sie haben ja auch nie etwas anderes kennengelernt. Von hier aus führt anscheinend auch ein Weg nach Bamian, der auf der neuesten englischen Karte nicht eingetragen ist, wohl aber auf den älteren Ausgaben. Er führt über einen Paß, der Talatu heißt und über den wahrscheinlich Ferrier gezogen ist. [Illustration: 20. Kuh-i-Baba von Süden (Quellgebiet des Hilmend)] Gegen ein Uhr ziehen wir auf den Scharak-Kuschta-Paß. Alle gehen zu Fuß; wir sind froh, daß es zu schneien aufgehört hat. Mesjidi Khan ist weit vorangeeilt; er klettert wie eine Katze; ihm macht die Luftverdünnung nichts aus. Wir aber bleiben alle paar Minuten stehen und schöpfen Luft. Auch die armen Tiere kommen nur langsam vorwärts. Gul Mohammed ist weit zurückgeblieben, da das eine Pferd nicht mehr weiter will. Wieviel Elend diese Felsen wohl schon gesehen haben mögen! Ich zählte im Verlaufe unseres heutigen Paßüberganges acht Skelette von Pferden und Kamelen. Wir kommen in eine immer gewaltigere Bergwelt. Endlich haben wir die Paßhöhe erreicht, von der aus wir ziemlich steil in ein geschütztes Tal absteigen, in dem wir wieder ein Feuer anzünden, uns wärmen und warten, bis Gul Mohammed mit den Packtieren kommt. Der soeben überschrittene Paß bildet die Wasserscheide zwischen Heri-rud und Hilmend, der in den abflußlosen Hamunsee in Sistan mündet. [Illustration: 21. Eingeschneit im Karawanserai Pänjao] Dann nehmen wir den zweiten großen Paß, den Kutel-i-Akserat in Angriff. Schritt für Schritt arbeiten wir uns empor. Die Bergwelt, die uns umgibt, ist großartig. Nach jeder Richtung hin türmen sich Schneeberge auf. Vom Passe aus, der eine Höhe von ca. 3300 Meter hat, genießen wir einen umfassenden Ausblick auf Afghanistans Hochgebirgswelt. Ein Meer hoher Gipfel dehnt sich ringsumher aus. Ich habe viel zu tun, alle diese Gipfel einzupeilen und zu photographieren. Das Gestein ist wieder dunkelroter Sandstein. Wir müssen noch eine dritte Anhöhe erklimmen, ehe wir in das Tal von Akserat absteigen können. Ein nicht endenwollender Marsch folgt, ehe wir das Robat erreichen. [Illustration: 22. Der Kuh-i-Baba] Gegen sechs Uhr abends beginnt es in großen Flocken zu schneien, und als wir uns am anderen Morgen erheben, umgibt uns eine vollständige Winterlandschaft. Meine Begleiter haben keine große Meinung, bei dem Wetter aufzubrechen; aber da der Schnee nur in feinen Flocken fällt und die Wolken sich zerteilen, sehe ich keinen Grund, weshalb wir nicht weiterziehen sollen. Langsam beladen Juma und Gul Mohammed die Pferde, und gegen acht Uhr verlassen wir Akserat. Es ist kalt, und der Schnee knirscht unter den Hufen der Tiere. Berge und Täler sind unter einer weißen Decke begraben. [Illustration: 23. Auf dem Weg von Jaokul nach dem Unaipaß] An einem kleinen kristallklaren Bach, der mit einer dünnen Eisschicht überzogen ist, machen wir halt und tränken die Tiere. Die graue Wolkenwand teilt sich mehr und mehr, und bald überflutet helles Sonnenlicht die herrliche Winterlandschaft. Wie tausend Diamanten glitzert es im Schnee, und ohne Schneebrille kann man die Augen kaum offen halten. Hin und wieder begegnen uns Hesaren, die uns im Vorüberreiten freundlich: »Salem alaikum, mundä näbaschi« (Seid gegrüßt, möget ihr nicht ermüden!) zurufen. Zur Linken bestehen die Berge aus feinem Tonschiefer, aber trotz eifrigen Suchens kann ich keine Versteinerungen finden. Gulam Ali und Mesjidi Khan reiten nach einer Hesarensiedlung, um »Kurk Barek« (Stoff) zu kaufen. Es ist dies ein braunes, grobes, gewebtes Tuch, das außerordentlich dauerhaft und warm ist, und aus dem sich die Afghanen ihre Winteranzüge machen. Wir haben wieder einmal einen hohen Paß zu überschreiten, aber der Anstieg ist bequem. Von der Paßhöhe aus mache ich einige Aufnahmen (Abb. 19). Dann folgt der Abstieg ins Tal von Pänjao. Von einer der hohen Felswände war ein großer Block losgebrochen, der voller Versteinerungen war; aber es kostete viel Mühe, diese aus dem festen Fels herauszuarbeiten. Der Weg nach Pänjao erschien uns endlos; stundenlang zogen wir bei sehr wechselndem Wetter durch das von Terrassen eingefaßte Tal. Bald schien die Sonne, bald hüllten uns eisige Hagelschauer ein. Wir passierten viele kleine Siedelungen und begegneten Hesaren, die kleine, schwarze, mit Gestrüpp über und über beladene Ochsen vor sich hertrieben. Bevor wir ins Robat kamen, mußten wir noch den Fluß kreuzen, der von der Kuh-i-Baba-Kette herunterkommt und in seinem Unterlauf den Namen Tagao Pänjao trägt. Das Robat liegt auf einer Anhöhe über dem Fluß, während auf der anderen Seite sich eine Lehmfeste erhebt. Auch in dieser Gegend herrschen die dunkelroten Sandsteine vor, die der Landschaft eine so charakteristische Farbe aufprägen, während die höheren Ketten aus schwarzen Schiefern und dunklen Kalken bestehen. In dieser Gegend soll eine heiße Quelle sein. Kurz vor dem Robat hätten wir beinahe unseren Teekessel verloren. Zum Glück fand ihn Juma noch, der als Nachzügler hinterherkam. Im Schneetreiben kamen wir im Robat an, wo wir es uns bald bequem machten. Als Gul Mohammed abends Brennholz suchen ging und aus dem Bache Wasser schöpfen wollte, sah er im Robat einen großen Wolf, der an einem Skelett eines verendeten Kamels zerrte. Er kam sofort zurückgelaufen und verlangte von Mesjidi Khan das Gewehr; als wir aber in den Hof gingen, war der Wolf bereits verschwunden; aber im frisch gefallenen Schnee konnten wir die Spuren erkennen. Das eine der Pferde war in einem bedauernswerten Zustand. Es war gänzlich abgemagert und hatte durch die Lasten große Druckstellen davongetragen. Abends ging ich noch einmal zu den Tieren hinaus. Sie standen aneinandergedrängt im Hofe. Gul Mohammed rieb gerade die wunden Stellen des kranken Packpferdes mit rohem Eiweiß ein. Er machte ein betrübtes Gesicht; hatte er doch gerade auf das weiße Pferd seine größten Hoffnungen gesetzt. Als auch am folgenden Tage keine Besserung im Befinden des Pferdes eintrat, versuchte er es mit einer Radikalkur. Er entnahm dem Tiere Blut aus den Nüstern. Seltsamerweise bewirkte diese Kur Wunder; denn als wir nach Kabul kamen, war das weiße Pferd tatsächlich das munterste von allen. Am anderen Tage brachen wir gegen siebeneinhalb Uhr auf. Es hatte während der Nacht wieder geschneit, und wo gestern im Laufe des Tages der Schnee geschmolzen war, lag heute eine neue weiße Decke (Abb. 21). Wir ritten in einem breiten Tale gen Osten. Vor uns erhob sich ein massiger hoher Gipfel, auf dessen steilen Felsklippen sich der Schnee nicht halten konnte. Ich machte eine kleine Skizze, peilte den Berg ein, und dann zogen wir an seinen Hängen bergan, um gegen zehn Uhr auf eine Paßhöhe zu gelangen, von der aus wir einen schönen, umfassenden Ausblick hatten. Aber wir mußten noch einen Paß überschreiten, ehe wir in das Gebiet des Hilmendoberlaufes kamen. Uns allen fiel das Steigen sehr schwer, und wir mußten alle paar Minuten stehen bleiben, um Luft zu schöpfen. Nur Mesjidi Khan schienen die verdünnte Luft und die große Steigung nichts anzuhaben; er war schon eine halbe Stunde früher als wir auf der Paßhöhe angelangt. Wir passierten das in Ruinen liegende Robat Siah-Seng (der schwarze Fels) und hatten gegen zwei Uhr noch einen weiteren Paß zu überschreiten. Dann folgte ein zweistündiger Ritt bis Gargareh, wo wir in der Moschee übernachteten beziehungsweise in dem Lehmhause, das als Moschee und zugleich als Gästehaus dient. Abends hatten wir wundervollen Vollmondschein. Das ganze Tal schimmerte in silberhellem Lichte, und die tief eingeschneiten Kuppen der Berge leuchteten blendendweiß. Abends bettelte mich Gul Mohammed nach dem Essen um Chinin an, denn er klagte über heftige Kopfschmerzen. Als ich das Glas wieder einpacken wollte, rollten ein paar Tabletten auf die Erde; aber ich war zu müde, um mich von meinem Feldbette zu erheben, und ließ die Tabletten liegen. Als ich am anderen Mittag Gul Mohammed fragte, wie es ihm gehe, meinte er: Ja, die Tabletten hätten nicht viel geholfen, obgleich er abends vorher auch noch die anderen vier Tabletten, die heruntergefallen waren, geschluckt habe! Vergangene Nacht hatte ich mich auch sehr über die Afghanen geärgert. Kaum war ich richtig eingeschlafen, als um einhalb eins Gul Mohammed bereits mit dem Talglicht zu hantieren anfing und behauptete, wir müßten zum Aufbruch rüsten. Meine Begleiter trauten auch meiner Uhr nicht mehr recht, gingen hinaus und sagten, es sei ganz hell und dämmere bereits. Das war natürlich großer Schwindel. Aber unsere Gesellschaft war nun einmal wach geworden, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Es war auch in unserer großen Behausung so kalt, daß man es schon vorzog, zu gehen. – Es wurde also Feuer angezündet, Tee gebraut, und gegen drei Uhr brachen wir auf. Zuerst müssen wir die linke Talterrasse erreichen, auf der der Weg sich hinzieht. Eine kalte Winternacht umgibt uns. Der Weg ist so schmal, daß wir die Pferde führen und aufpassen müssen, daß nicht ein Tier oder wir selbst den Abhang der Terrasse hinunterpurzeln. Wir sind vielleicht eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt, als durch das Dunkel der Nacht aus dem Tale heraus Stimmen zu uns dringen und wir angerufen werden. Gulam Ali und Mesjidi Khan tasten sich langsam und vorsichtig den Abhang hinunter und kommen nach einer Viertelstunde wieder. Es waren nur die Wächter des Ortes gewesen, die geglaubt hatten, wir seien Räuber oder Schmuggler. Als es dämmerte, kamen wir nach Mar-chane (Schlangenhaus), wo das Robat ebenfalls in Ruinen lag. Die Flüsse haben hier wilde Schluchten durch die Berge geschnitten, und das seegrüne Wasser schäumt und rauscht zwischen den engen Felsen. Wir sind jetzt schon im Bereich der kristallinen Schiefer, und ich kann mir eine schöne Sammlung Handstücke schlagen. Gerade als wir die eine Schlucht passiert hatten, trafen wir eine kleine Karawane; Gulam Ali erkannte dabei einen seiner besten Freunde. Es fand eine herzliche Begrüßung statt; beide umarmten sich zärtlich. Nach einer Stunde erst traf Gulam Ali wieder zu uns. Es war heute bitter kalt, und die Morgensonne wärmte nicht im geringsten. Herrlich war der Sonnenaufgang! Purpurrot färbten sich die hohen Gipfel, als sie von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne getroffen wurden. Die kleinen Bäche waren sämtlich gefroren, und wir mußten sehr auf die Pferde achtgeben, daß sie nicht stürzten. Heute gesellte sich ein kleiner Hund zu uns; er war ein drolliges Tierchen, noch jung und hatte ein wolliges Fell wie die jungen Schäferhunde. Woher er kam, war uns rätselhaft. Die Sonne war noch so kräftig, daß sie im Laufe des heutigen Tages den Schnee fast überall schmolz. Die Berge leuchteten in allen Farben; eine breite Zone dunkelroter Tuffe konnten wir auf weite Erstreckung hin verfolgen. Gegen Mittag lagerten wir einen Augenblick auf einer Anhöhe. Die Sonne brannte, und es war sehr heiß. Ein tiefes Schweigen breitete sich ringsum aus. Manchmal löste sich ein Stein und rollte den Abhang hinunter. Andere wurden mitgerissen. Es war mir, als ob mir die Berge ihre Geschichte erzählen wollten: wie sie aufgepreßt, gefaltet und hoch aufgetürmt wurden, um später wieder zerrissen und abgetragen zu werden im Laufe unendlicher Zeiten. Wieder zähle ich während eines Paßüberganges acht Kamelskelette; an dem einen knabbert ein großer Hund herum, daß es in den Knochen klappert und mein Wasiri fast scheut. Unser kleiner Hund ist sehr neugierig und will mit dem großen anbandeln, aber der knurrt verdächtig, worauf der kleine zu bellen anfängt und sich zurückzieht. Weiter geht es durch die öde Bergwelt. Das Wetter hat sich wieder aufgeklärt. Gegen elf Uhr sehe ich über die kahlen verwitterten Berge ein paar herrliche Schneezacken aufragen, und als wir gegen zwölf Uhr nach Ser-i-Kutel kommen, haben wir ein Panorama der ganzen Schneegipfel des Kuh-i-Baba vor uns. Die Afghanen wollten weiterziehen, aber ich erklärte ihnen, daß ich hier bleiben wolle, um ein Rundpanorama aufzunehmen und jeden Gipfel einzupeilen. So bleiben wir denn in Ser-i-Kutel. Mittags ist es recht schön warm. Der Himmel ist vom reinsten Blau, und der Schnee der hohen Berge glitzert in der Sonne. Die kleinen Bäche sind wieder aufgetaut, und überall sprudelt das klare Wasser und springt von Stein zu Stein. Im Robat war eine Kompanie Soldaten untergebracht, die hier in diesem Gelände ihre Übungen abhielten. Der Hauptmann, ein großer alter, wetterfester Hesare, war ein prächtiger Kerl. Nachmittags lud er mich zum Tee ein, und wir ließen uns im Sonnenschein auf dem platten Dach des Karawanserai nieder. Seine Leibwache war stets bei ihm und präsentierte jedesmal das Gewehr, wenn ich zu ihm trat. Als wir dann zusammen Tee tranken, er meinen geologischen Kompaß (auf persisch Kibla Nameh genannt, da man mit Hilfe des Kompasses feststellen kann, wo Mekka liegt), Feldstecher und Photoapparat bewunderte, da war es mir, als hätte ich das alles schon einmal erlebt; irgendwo und irgendwann, vor unendlich langen Zeiten. Auch damals saßen wir auf dem flachen Dache eines Karawanserai, auch damals dieselbe Umgebung, dasselbe Gespräch, dieselben Menschen. Ein seltsames Gefühl bemächtigt sich unser in solchen Sekunden; man wagt kaum zu atmen und weiß nicht, was die tiefere Bedeutung, der Sinn davon ist. Man möchte den Schleier, der soeben vor unseren Augen zerrissen, gerne weiter lüften, um Geheimnisse zu erfahren, die uns sonst verborgen sind. Aber ebenso schnell, wie der Gedanke aufblitzt, verschwindet er in ein Nichts, und die Wirklichkeit tritt wieder vor uns hin. Nach dem Tee bestiegen wir eine der umliegenden Anhöhen, von denen aus wir eine weite Fernsicht genießen konnten. Aber ein kalter Wind blies hier und der Hauptmann sowie Mesjidi Khan, die mit mir gekommen waren, froren trotz der dicken Schafpelze, die sie trugen. »Bisjar chunuk äst, Bisjar chunuk äst« (es ist bitter kalt), sagte der Häuptling mehrmals, um mich zu bewegen, mein Zeichnen aufzugeben. Aber ich ließ mich nicht beirren, arbeitete ruhig weiter und photographierte. 24. November. Der heutige Tagesmarsch bot viel Interessantes. Wir brachen gegen 6½ Uhr auf. Ein herrlicher Sonnenaufgang! Ich war allein vorausgeeilt und hatte die anderen weit hinter mir gelassen. Feine bläulichgrüne Schleier, unendlich zart und duftig wie ein Hauch, überzogen den Himmel im Osten, und einige kleine goldene Wolken, die in ein strahlendes Rosa übergingen, schwebten über den stillen Schneegipfeln (Abb. 22). Ich setzte mich auf einen großen Felsblock und blickte gen Osten, wo jeden Augenblick das Tagesgestirn sein flutendes Licht über das Land ausgießen mußte. Ich verspürte nichts von der Kälte und dem Wind; das gewaltige Schauspiel der Natur hielt mich in Bann. Wenn ich nur diese Farben festhalten könnte! Sie sind so unbegreiflich, so unwirklich, so märchenhaft schön! Und immer feuriger wird das Flammenmeer des Himmels und immer mehr erglühen die Schneekuppen der Berge! Eine unendliche Sehnsucht packt mich. Festhalten möchte ich diese Bilder, möchte sie eingraben in meine Seele; denn nur flüchtig sind diese Augenblicke auf unserer Erde, flüchtig wie das Glück, das kaum uns gegeben, wieder entschwindet. Und lange, lange zehren wir von solchen Augenblicken; in düsteren Stunden des grauen Alltags, wenn alles trostlos und öde erscheint, dann treten diese Bilder wohl wieder plötzlich vor uns hin, erinnern uns an ein Glück und geben uns wieder neuen Lebensmut. Und dann kommt die Sonne und färbt die Kuppen der Berge purpurrot, läßt sie aufflammen einen nach dem anderen. Und ein Meer von Licht gießt sich über die einsame Bergwelt, weckt sie aus den kalten Armen der Nacht. Immer wieder und wieder, Tag für Tag muß ich diesen Siegeszug des Tagesgestirns bewundern, und die Sonne ist mir in diesen Jahren mein liebster Freund geworden. Sie ist für mich das Symbol des Guten und Reinen, das sich auch im Menschen immer wieder und wieder Bahn bricht und ihn zur Höhe, zum endlichen Glücke führt. Wir befinden uns im Quellgebiet des Hilmend; hoch wandern wir über die Bergrücken und blicken hinab in die tiefen Schluchten und Täler, die sich die Flüsse in die Bergwelt gerissen haben. Und ringsherum – aus violettblauen Nebelschleiern auftauchend – reihen sich die weißen Zinnen und Zacken der hohen Berge, die das Hochplateau der Hilmendquellen einfassen (Abb. 20). Unter uns tost und braust der Fluß, den wir überschreiten müssen (Abb. 26). Steil geht es die Felsen hinab, und tief unter uns sehen wir den Steg, der den Fluß überspannt. Eng schließen sich die Felsen über uns zusammen. Sie bestehen aus den buntesten Gesteinen. Am Flußufer glitzert es wie eitel Silber von Millionen feiner Glimmerschüppchen, die dem Sande beigemengt sind und von denen das Sonnenlicht reflektiert wird. Der Fluß führt in dieser Jahreszeit wenig Wasser; aber im Frühjahr und Hochsommer sollen sich gewaltige Fluten hier hinunterwälzen; selbst in dem entfernten Robat Ser-i-Kutel soll man das Donnern und Rauschen des Flusses vernehmen können. Wir überschreiten die Brücke und steigen dann am anderen Ufer wieder langsam auf den Plateaurand hinauf. Der Weg ist stark vereist, die Pferde gleiten und stürzen, so daß wir gezwungen sind, Sand und Steine auf das Eis zu streuen. Es begegneten uns einige Hesarenfamilien, sonst ist das Land öde und ohne Leben. Von der Tierwelt haben wir bis jetzt eigentlich gar nichts zu sehen bekommen. Wir ziehen über das große Plateau. Langsam verrinnen die Stunden. Wir sind jetzt in einem interessanten Eruptivgebiet; rechts vom Wege fand ich einen Asbestberg, und Porphyre, Granite sowie basische Eruptivgesteine wechseln häufig miteinander ab. Dann kommen wir in eine breite Talebene, in der das große Dorf Rah-kol liegt. Seit langer Zeit sehen wir wieder einmal ein paar Bäume. Die Häuser waren hier buchstäblich mit Schafdungfladen beklebt, die an der Sonne trocknen sollten, um später als Feuerungsmaterial verwendet zu werden. Wir haben jetzt wieder einen herrlichen Ausblick auf die Kuh-i-Baba-Kette. Die Pferde gehen sehr langsam, und die Marschgeschwindigkeit nimmt von Tag zu Tag ab. Vor uns dehnt sich ein großes, von vielen kleinen Bächen durchschnittenes Hochplateau aus (Abb. 24). Mit Hilfe des Fernglases erkenne ich das Karawanserai von Badassia. Aber stundenlang müssen wir noch reiten. Wenn man täglich so zehn Stunden im Sattel sitzt, wird man schließlich müde und gleichgültig gegen alles. Ich glaube, ich bekam es fertig, manchmal an gar nichts zu denken. Gegen vier Uhr kamen wir im Robat an, das verlassen war. Gul Mohammed war im Dorfe gewesen und hatte versucht, Lebensmittel und Brennholz zu kaufen; aber die Leute waren sehr unfreundlich und gaben nichts. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als uns selbst zu helfen. An einigen Stellen war das Robat eingefallen, die Decken eingestürzt; dort sahen die dicken Balken heraus. Das würde ein feines Brennholz geben! Aber es war unmöglich, die Hölzer herauszuziehen oder zu zerkleinern. Uns fehlte es an Werkzeugen. Ich hatte nur meinen Geologenhammer und ein großes Taschenmesser. Nach stundenlangem Suchen und Arbeiten hatten wir endlich einige kleine Hölzer gefunden; dazu schnitt ich mit dem Messer von den größten Balken Späne ab, so daß wir wenigstens ein kleines Feuer anzünden konnten. Mit dem Abendessen sah es auch traurig aus. Es gab trocken Brot mit Zucker. Dann gingen wir früh schlafen. Die Nacht war bitter kalt gewesen, und ein unfreundlicher Morgen mit schneidendem Wind und klingendem Frost erwartete uns. Der Mond stand noch am Himmel, und die Sterne funkelten, als die Tiere beladen wurden. Man konnte deutlich beobachten, wie der Mond sich mehr und mehr dem Horizonte zuneigte. Bald war er hinter der hohen Mauer des Robats verschwunden, und nur durch die Türöffnung fiel sein fahler Lichtschein in den Hof. Der Sonnenaufgang bot wieder ein prächtiges Schauspiel. Vor uns war ein kleiner Paß, er war niedrig, machte uns aber viel zu schaffen. Es war eisig kalt, und obgleich wir alle zu Fuß gingen, waren wir bis ins Mark erstarrt. Unsere Lippen waren gerissen und blutig, ebenso unsere Hände. Auf der Paßhöhe wollten wir wieder ein Feuer anzünden, aber das kärgliche Gestrüpp war so fest in den Boden gefroren, daß wir es erst mit dem Hammer herausschlagen mußten, was mit den klammen Händen nicht leicht war. Mein Geologenhammer war überhaupt zu allem gut; mehr als einmal am Tage verlangte Juma den »Chergosch«, sei es zum Zerkleinern des Hutzuckers, sei es um das Hammelfleisch mürbe zu schlagen und die Knochen herauszutrennen, sei es um einer allzu zudringlichen Katze einen Schlag damit zu versetzen! Die Temperatur war –18 Grad Celsius. Wir freuten uns, als es bergab ging und wir im Morgensonnenschein reiten konnten. Gul Mohammed war zurückgeblieben. Dabei war es ihm geglückt, in ein paar kleinen Hesarenhütten einige Pfund prachtvoller Weintrauben aufzutreiben, die – wenn auch eiskalt und halbgefroren – trefflich mundeten. Wieder umgab uns richtige Hochgebirgslandschaft: Felsen, Schnee, Geröll; kein Grün, kaum ein Strauch war zu erblicken. Wir reiten durch eine malerische wilde Schlucht, wo unzählige Geier hausen. Sie sitzen stumm auf den Felsen, als ob sie aus dem Stein herausgeschlagen seien; nur wenn wir mit Steinen nach ihnen werfen, fliegen sie auf und schweben mit schweren Flügelschlägen den hohen Gipfeln zu. Dann kommen wir wieder in das breite Hilmendtal, in dem viele kleine Siedelungen liegen. Heute früh schickten wir Gul Mohammed weit voraus, um für abends schon Proviant einzukaufen. Er schwang sich auf das eine Packpferd und ritt im Galopp davon. Als wir nach einer Stunde zu ihm stießen, hatte er tatsächlich einige Hühner erstanden, die wir dem einen Packpferd aufbanden. Auch war es ihm geglückt, fünf Brote zu kaufen. Zur Linken haben wir jetzt ganz nahe die mit Schnee bedeckten Berge des Kuh-i-Baba. Ich mache verschiedene photographische Aufnahmen und zeichne von der Hauptkette ein Panorama. Auch das Hilmendtal ist von Terrassen eingesäumt, was beweist, daß auch dieser Fluß früher viel größere Wassermengen führte (Abb. 25). Wohin man auch in Afghanistan kommt, überall findet man die Hinweise auf ein ehemals viel feuchteres Klima. Nur die allerhöchsten Bergketten scheinen während der Eiszeit stärker vergletschert gewesen zu sein. Sonst äußerte sich die Eiszeit in gewaltigen Niederschlägen; große Flüsse müssen das Land durchzogen und viele Seen bestanden haben. Doch dies sind Fragen, die ausführlich in meinem wissenschaftlichen Werke behandelt werden sollen. Vor uns, südlich vom Flusse, sehen wir den Anstieg zu einem hohen Passe; eine große Kamelkarawane zieht gerade hinauf; auch wir folgen diesem Wege. Schnee, Schnee und wieder Schnee! Wir sind jetzt über 3000 Meter hoch. Kurz vor Jaokul treffen wir auf die große Straße, die von Turkestan kommend über Bamian – den Hajigakpaß – Jaokul nach Kabul geht. In dem Karawanserai von Jaokul ist daher viel Leben, und nur mit Mühe finden wir hier Platz. Die Leute hier sind überdies sehr unfreundlich und die Lebensmittelpreise hoch. Nach einer kalten Nacht brechen wir morgens gegen fünf Uhr auf. Es ist Vollmondschein, und infolge des vielen Schnees ist es sehr hell. Der Weg vom Robat bis auf die Paßhöhe des Unai steigt langsam an; in der frischen Morgenluft bereitet das Gehen eine wahre Freude. Eine tief eingeschneite Hochgebirgswelt umgibt uns (Abb. 23). In einem kleinen Seitentälchen, das den Weg kreuzt, finden wir einige Gräber. Einfache Steinplatten und Felsblöcke sind aufeinandergehäuft, und an Kopf- und Fußende sind zwei hohe Steinplatten in den Boden gesteckt. Juma, der schon in früheren Zeiten durch Jaokul gereist ist, erzählt uns folgende Geschichte: Es war in einer Winternacht, als eine große Karawane, von Turkestan kommend, in diesem Tälchen das Lager aufschlug. Die Kamele ließ man sich in Reih und Glied nebeneinanderlegen, nachdem ihnen die Lasten abgenommen waren. Wachtfeuer wurden angezündet, Tee gekocht und der Pilau zubereitet. Dann ging man schlafen. Die Karawane brachte die Staatseinnahmen von Turkestan nach Kabul, und war sogar von Soldaten begleitet. Nachts hörte man plötzlich das Getrappel von Pferden, und ehe man wußte, was los war, fiel eine starke Räuberbande über das Lager her. Es kam zu heftigen Kämpfen, in deren Verlauf die Räuber die Oberhand behielten, zahlreiche Begleiter der Staatskarawane erschossen und mit dem Raub in die Berge verschwanden. Trotz eifrigen Suchens und Nachforschens ist es nie gelungen, der Räuber habhaft zu werden. Kurz vor der Paßhöhe sahen wir noch einen Wolf, der an einem Pferdeskelett herumzerrte, aber Reißaus nahm, sobald er uns erblickte. Tief unter uns in einem eingeschneiten Seitental glaubten wir ebenfalls zwei Wölfe zu sehen, aber als wir das Fernglas zu Hilfe nahmen, erkannten wir, daß es zwei große gelbe Hunde waren. Gerade als wir auf der Paßhöhe anlangten, ging die Sonne auf. Im Westen war der Himmel noch dunkel, und der Vollmond stand silberhell über den Bergen; im Osten aber war der Himmel hellgrüngelb gefärbt. Der Sonnenaufgang bot immer so unvergeßlich schöne Bilder, daß ich immer wieder darauf hinweisen muß. Erst wenn man von allen Fesseln der Zivilisation losgelöst ist und ganz frei die Schönheiten der Erde auf sich einwirken lassen kann, gleichsam mit der Natur eins wird, sie miterlebt, lernt man die Erde und das Leben lieben. Mit dem Unaipasse haben wir den letzten hohen Paß auf dem Wege nach Kabul überschritten, und wir steigen jetzt hinab in tiefere, wärmere Regionen. Schon nach kurzer Zeit bemerken wir den Wechsel in der Vegetation. Wir sind in das Gebiet des oberen Kabulflusses eingetreten. Hohe Pappeln säumen den Lauf des Flusses ein, und als wir an einem kleinen Hain von 20 bis 30 dieser Bäume vorbeireiten, rufen die Afghanen begeistert: Jängäl, jängäl Wald, Wald! Am Wege waren kleine Verkaufsbuden aufgeschlagen, in denen Tee, Brot und Früchte zu haben waren. In einem schönen Verkaufsladen oder besser einer Teestube steigen wir ab, setzen uns auf den Teppich und lassen uns Tee bringen. Die Sonne scheint ordentlich warm; es kommt uns vor, als ob wir plötzlich wieder in den Sommer versetzt sind. Gestern früh hatten wir noch fast –20 Grad, und heute will die Sonne uns verbrennen. Als wir weiterzogen, gerieten Mesjidi Khan und Gul Mohammed in einen heftigen Streit. Wir ritten alle ganz vergnügt, als plötzlich Mesjidi Khan vom Pferde stieg und Gul Mohammed zu Boden warf. Dieser, nicht faul, griff Mesjidi Khan ans Bein, so daß er zu Fall kam, und dann kugelten sie alle beide im Schmutze herum! Unter Püffen und Schlägen, Kneifen und Beißen wurde dieser Kampf ausgefochten, bei dem schließlich Gul Mohammed dem gewandten Mesjidi Khan unterlag. Die beiden Kampfhähne warfen sich den ganzen Tag noch Schimpfworte an den Kopf. Gegen elf Uhr passierten wir das Robat Ser-i-tscheschme, ließen es aber links liegen. Bis zum Robat Kute Eschrau ritten wir in Begleitung zweier kleiner Jungen, die zusammen auf einem Esel saßen. Sie sangen sehr hübsche Lieder und waren sehr lustig und übermütig. Manchmal ließen sie den Esel galoppieren; aber einmal wurde das kleine Grautier störrisch, und beide Jungen lagen auf der Straße und wälzten sich im Staub. Der arme Esel mußte aber diese Schandtat schwer büßen, denn er wurde dafür sehr geschlagen und mit Steinen bombardiert. Abends wurde im Robat große Toilette gemacht; wir zogen neue Wäsche an und rasierten uns, weil wir morgen in Kabul einziehen sollten. Große Räubergeschichten wurden erzählt, und Gulam Ali bestand darauf, daß ich meinen Revolver und Mesjidi Khan sein Gewehr in Ordnung brachten. Dann gingen wir früh schlafen. Der letzte Tagesmarsch nach Kabul! Wir erhoben uns schon früh und brachen um fünf Uhr auf. Es war wieder sehr kalt. Auf den Bergen lag nur wenig Schnee, aber wir waren auch schon mehr als tausend Meter wieder bergab gestiegen. Der Sefid-Chakpaß, den wir am Morgen überschritten, ist ebenso berüchtigt wie der Unai. Mesjidi Khan sah in jedem Entgegenkommenden einen Räuber und hielt sein Gewehr immer schußbereit in der Hand. Langsam zogen wir durch große Blockmeere nach der Paßhöhe hinauf. Aber kein Räuber zeigte sich; nur hin und wieder begegneten uns Karawanen oder einige Hesares. Viele trugen ein langschäftiges Beil, das ihnen im Kampfe mit Wölfen als Waffe dient. Auch trafen wir einen einsamen Wanderer in zerlumpten Gewändern, der mit einem Speer bewaffnet war. Als wir dicht unter der Paßhöhe waren, sahen wir in den Felsen einige mit Flinten bewaffnete Burschen liegen; aber sie entpuppten sich als die von der Regierung hier stationierten Schutzposten, die beinahe uns für Räuber angesehen hätten. Auf der Paßhöhe ruhten wir uns etwas aus und warteten, bis auch Gul Mohammed mit den Lasttieren kam. Wild, öde und zerrissen ist auch hier die Bergwelt, die in Schutt gehüllt ist und in der man kaum ein Fleckchen Grün zu sehen bekommt. Etwas unter uns sahen wir ein Lehmfort. Als wir dieses passierten, hielt man uns an, und wir mußten in einem großen Buche bescheinigen, daß auf dem Passe alles in Ordnung war und wir keine Begegnung mit Räubern gehabt hatten. Je weiter wir ritten, desto lebhafter wurde der Verkehr auf der Straße. Karawane folgte auf Karawane, und wir begegneten auch zwei Arbeitselefanten. In einer kleinen Teestube zur Seite der Straße machten wir wieder Mittagsrast. Dann ging es weiter. In der Sonne war es sehr schön warm, und das Reiten machte wirklich Vergnügen. [Illustration: 24. Das Hilmendplateau] Gegen zwei Uhr zeigte mir Gulam Ali Babur Bagh, wo jetzt die deutsche Gesandtschaft untergebracht ist (Abb. 39). Vor meiner Ausreise hatte ich einige Bilder von Kabul gesehen, und ich erkannte die zwei charakteristischen Berge, deren Kämme die Ruinen der alten Befestigungen tragen. Zwischen beiden Bergen hat sich der Kabulfluß einen schluchtähnlichen Durchgang geschaffen. [Illustration: 25. Rast bei Fahrahkol] Kurz bevor wir die Stadt betraten, hatten wir noch das Zollwächterhaus zu passieren, und ein Zollbeamter geleitete uns durch finstere enge Winkel des Basars nach dem Zollamt, wo unser Gepäck erst einmal unter zollamtlichen Verschluß genommen wurde. Mesjidi Khan holte inzwischen einen Wagen und hatte auch ausfindig gemacht, wo meine Kameraden weilten. Schon nach einer Viertelstunde, als wir auf einer großen von hohen Bäumen eingefaßten Chaussee dahinfuhren, traf ich Blaich, der mich freudig begrüßte, und war so wieder mit meinen Kameraden vereint, von denen ich zweieinhalb Monate getrennt gewesen war. [Illustration: 26. In der Hilmendschlucht] Im Winter, von Dezember bis Mai, ist der Weg durch das Hesarajat, den ich in den letzten beiden Kapiteln beschrieben habe, infolge starker Schneefälle gesperrt, und alle Karawanen, die von Herat kommen, müssen dann den großen Umweg über Kandahar machen, den auch meine Freunde zurückgelegt hatten. Wie furchtbar die Strapazen einer Durchquerung des Hesarajats im Winter sind, zeigen uns am besten die Berichte des indischen Großmoguls Baber (1483–1530), die in seinen Memoiren niedergelegt sind und die ich hier auszugsweise wiedergeben möchte; es heißt dort: – – – »Von dem Augenblicke an, wo wir Lenger verließen, schneite es ständig bis nach Chekh Cheran (Gegend von Dauletjar). Je weiter wir zogen, um so tiefer wurde der Schnee. Bei Chekh Cheran reichte er den Pferden schon bis an die Knie ... Zwei oder drei Tagereisen nach dieser Gegend wurde der Schnee außerordentlich tief; an vielen Stellen fanden die Pferde keinen festen Boden unter den Füßen, und es schneite immer noch ... Sultan Bischâi war unser Führer. Er verlor den Weg und konnte ihn nicht wiederfinden. Am nächsten Tage war der Schnee so tief, daß wir trotz aller Anstrengungen den Weg nicht wiederfanden. Wir konnten weder vor- noch rückwärts ... Eine ganze Woche lang fuhren wir fort, den Schnee niederzutreten und konnten trotzdem nicht mehr als zwei bis drei Meilen am Tage zurücklegen. Ich selbst half mit, den Schnee niederzutreten. Bei jedem Schritt sanken wir bis an die Brust ein. Da die Kraft desjenigen, der zuerst ging, nach ein paar Schritten schon erlahmte, mußte er sich bald ablösen lassen. Auf ihn folgten 10 bis 20 Mann, die den Schnee niedertraten, und darauf folgte ein unbemanntes Pferd, das bis zum Sattelgurt einsank. Hatte es 10 bis 15 Schritte gemacht, so war es total erschöpft.« [Illustration: 27. Blick vom Kuh-i-Asmai auf die Kabul-Ebene (Im Hintergrunde die Paghmankette)] Nach ein paar Tagen erreichten sie dann einen Ort, namens Anjukan, und von dort aus gelangten sie an eine Höhle, Khawal genannt, am Fuße des Zirinpasses. Alle diese Orte müssen in den Gebirgen gelegen haben, die sich zwischen Akserat und Bamian ausdehnen. Es heißt dann weiter in dem Bericht: »Die ersten Truppen erreichten Khawal noch bei Tage. Gegen Abend und noch nachts kamen immer mehr Nachzügler an, und jeder mußte dort halten, wo er gerade war. Manche mußten im Sattel den Morgen erwarten. Die Höhle war klein. Mit einer Hacke schaufelte ich den Schnee vor der Höhle fort und schuf mir so ein Lager. Ich grub mich bis zu den Achseln in den Schnee ein und erreichte den Erdboden nicht. Dieses Schneeloch gab mir etwas Schutz vor dem Winde. Einige wünschten, ich solle in die Höhle gehen, aber ich wollte nicht. Ich fühlte, daß es unvereinbar wäre mit dem, was ich ihnen schuldete, wenn ich in einem warmen Raume bequem untergebracht sein sollte, während meine Soldaten inmitten von Schnee und Sturm sich draußen befanden. Es war nur gerecht, daß ich alle Leiden und Beschwerden, denen sie unterworfen waren, mit ihnen teilte. Es gibt ein persisches Sprichwort, das lautet: ›Tod in Gesellschaft guter Freunde ist ein Fest!‹ Daher blieb ich bis zum Nachtgebet im Schneetreiben sitzen; der Schnee fiel so dicht, daß bald Kopf, Lippen und Ohren zehn Zentimeter dick mit Schnee bedeckt waren. In dieser Nacht zog ich mir ein schweres Ohrenleiden zu.« Gerade zur Zeit des Nachtgebets hatte eine Gruppe seiner Leute ausfindig gemacht, daß die Höhle groß genug war, um alle Mann aufzunehmen. Diese Schilderung gibt uns ein anschauliches Bild von den Gefahren, die den Reisenden im tiefen Winter auf dieser Straße erwarten. VII KABUL Kabul, die Hauptstadt Afghanistans und Residenz des Emir, liegt in einer großen, fruchtbaren Ebene, die von einem Kranze hoher Berge eingefaßt ist (Abb. 27). Kommt man von Westen – von Herat –, so sieht man die Stadt erst im letzten Augenblick, da die zwei Bergrücken, der Kuh-i-Asmai und der mit den Ruinen der Bala Hissar gekrönte Scher Derwase-Berg, die Aussicht auf das Stadtbild sperren. Obgleich Kabul sicher schon in ältesten Zeiten besiedelt war, finden wir keine Bauten aus alter Zeit; wir vermissen die schönen, mit blauen Kacheln belegten Minarette und Kuppelbauten, wie wir sie in Herat sahen. Ganz Kabul ist ein graues Lehmhäusermeer, aus dem einige mehr in europäischem Stil gebaute Häuser das eintönige Graubraun der Lehmwände unterbrechen (Abb. 30). Es gibt schöne, breite Straßen, die von Pappeln und Maulbeerbäumen eingefaßt sind, aber auch düstere enge Gassen, die selbst am hellen Tage so dunkel sind, daß man dort nur langsam gehen kann und ständig aufpassen muß, daß man nicht mit dem Fuß in ein Loch oder eine Grube gerät. Malerische Partien gibt es auch am Kabulfluß, der die Stadt durchschneidet und an dessen Ufer schöne Promenadenwege sich hinziehen. Die großen Straßen werden sowohl vor Sonnenaufgang wie kurz vor Sonnenuntergang besprengt. Zu beiden Seiten der Wege ziehen sich Gräben hin, deren Wasser dann einfach auf die Straße herausgeschaufelt wird. Waren die Leute gerade mit dieser Arbeit beschäftigt, so mußte man stets aufpassen, daß man keine Dusche bekam; denn trotz des großen Verkehrs ließen sie sich nie in ihrer Tätigkeit stören. Die Häuser sind meistens zweistöckig und im Grundriß viereckig gebaut. Sie haben aber allgemein nur einen Eingang, der durch schwere Holztüren, meistens Doppeltüren, verschlossen werden kann. Richtige Schlösser kennen die Afghanen nicht; an den Innenseiten der Türen sind meistenteils schwere Ketten angebracht, die man beim Verschließen der Tür über einen Haken hängt, der an der Innenseite der anderen Tür befestigt ist. Auch die Zimmertüren werden so geschlossen; nur legt man, wenn man das Zimmer von außen verschließt, ein Vorhängeschloß an die Kette. Der Innenhof, durch den oft ein kleiner Wasserarm fließt und den manchmal ein Blumengarten ziert, wird also von vier Mauern eingefaßt, und fast alle Zimmer des Hauses haben ihre Fenster dem Hofe zugekehrt. Meistenteils führen drei oder vier verschiedene Treppen von diesem aus ins Haus nach den betreffenden großen Wohnräumen. Diese sind aber selten untereinander verbunden, und wenn man von einem Zimmer ins andere wollte, mußte man stets erst wieder den Hof betreten und eine andere Treppe hinaufgehen. Daher sind die Häuser sehr kompliziert gebaut, und ich habe wohl nie so viel Treppen steigen müssen wie in Kabul. Die zwei beigefügten Skizzen geben ein besseres Bild von der Bauart der Kabuler Häuser als viele Beschreibungen. Im Sommer hielten wir uns abends immer auf dem flachen Dache auf, wo es kühler und nicht so stickig war wie in den Räumen im Erdgeschoß. Die Häuser sind durchweg aus an der Sonne getrockneten Lehmziegeln gebaut, die durch Holzfachwerk zusammengehalten werden. Ist das Grundgerüst fertig, so werden die Wände mit »Gil«, d. h. mit Lehm, dem feingeschnittenes Stroh beigemengt wird, überlegt und dadurch alle noch vorhandenen Öffnungen geschlossen. Bei älteren Häusern findet man oft sehr schön geschnitzte Fenster. Viele Häuser haben nach der Straße zu kleine Balkons, von denen aus man dem bunten Treiben zusehen kann (Abb. 34). Später, wenn der Gilbelag getrocknet ist, werden die Wände weiß getüncht. Die Decken werden meist aus Matten hergestellt, die man über die Querpfosten legt. Dann wird eine dicke Schicht Lehm darüber ausgebreitet, und das Dach ist fertig. Im Winter, wenn der Schnee taut und der Gil durchweicht ist, dringt das Wasser natürlich auch durch die Matten, die ebenfalls durchnäßt werden, und es konnte passieren, daß einem von der Decke ein Klumpen Lehm auf den Kopf fiel. Als wir im Winter diese Erfahrungen gemacht hatten, entschlossen wir uns, eine noch dickere Lehmschicht auf das Dach zu legen. Diese Arbeit ging schnell vor sich. Vor unserem Hause wurde einfach eine große Grube gegraben, von dem nächsten Graben etwas Wasser hineingeleitet, bis ein dicker Schlammsee sich gebildet hatte. 5 bis 6 Mann stiegen dann in die Lehmsuppe und schaufelten das Erdreich um. Darauf wurde der Lehm in Eimer geschüttet, die mit Stricken aufs Dach gezogen und dort einfach ausgeleert wurden. Ein Gang durch den Basar zeigt uns am besten das Leben in Kabul. Den ersten Eindruck erhielt ich, als ich von Herat kommend, auf meinem Wasiri durch die engen Gassen getragen wurde. Das Bild war sinnverwirrend, und es dauerte lange Zeit, ehe ich mich in dem Gewirr der Gassen und Straßen Kabuls zurecht fand. An den meisten Stellen sind die Straßen durch einfaches Holzfachwerk überdeckt, über das Matten gelegt sind. Das Ganze gibt ein Bild, wie es unsere Jahrmärkte bieten. Verkaufsstand reiht sich an Verkaufsstand. Aber die Kaufleute stehen nicht hinter den Ladentischen, sondern hocken mit untergeschlagenen Beinen in ihren Ständen. Viele, die sich keinen Laden leisten können, sitzen an den Straßenecken und bieten dort ihre Waren an: Streichhölzer, Brot, kleine Kuchen und Obst (Abb. 35). Stets war das Gedränge sehr groß, und paßte man nicht auf, so wurde man sicher angerannt, denn Ausweichen vor Europäern kennen nur wenige Afghanen. Und inmitten der Menschenmenge trippeln Esel, mit Holz, Backsteinen oder Häcksel beladen, ziehen Kamelkarawanen langsamen Schrittes dahin, oder bahnen sich Reiter herrisch den Weg. Ständig schwirren die Rufe: »Chaberdar, chaberdar!« Vorsicht, Achtung! durch die Luft oder das »Paiseh bideh, Paiseh bideh!« der Bettler (Abb. 32). Wollte man etwas kaufen, so mußte man lange handeln. Während die Inder für ihre Ware Reklame machen und den Vorübergehenden anrufen, sitzen die Afghanen ruhig in ihren Ständen, trinken Tee und rauchen die Wasserpfeife. Manchmal sah es fast so aus, als ob ihnen Kundenbesuch gar nicht genehm wäre; wurden sie doch dadurch in ihrer Ruhe und in ihrem beschaulichen Dasein gestört. Hatte man die Absicht etwas zu kaufen, so bot man den dritten Teil der Summe, die der Händler verlangte. Dann schüttelte dieser wohl den Kopf und legte das betreffende Stück wieder fort. Man verabschiedete sich und ging; aber kaum war man ein paar Schritte fort, so wurde man zurückgerufen. Dann begann das Handeln von neuem. Der Händler bot zwei Drittel der zuerst genannten Summe, und man gab ebenfalls etwas zu. Eine Einigung kam aber meistens auch dann noch nicht zustande. Kam man zum zweiten Male, so wußte der Händler schon ganz genau, was man wollte; holte das Stück hervor, und wieder begann das Handeln und Feilschen. Manchmal lud er einen auch zum Tee in seinen Verkaufsstand ein, wo man sich ebenfalls am Boden hinhockte und in aller Gemütlichkeit sich gegenseitig Komplimente machte und so lange handelte, bis man das gewünschte Stück zum halben Preise erstand. Nur ganz wenige Händler gab es, die feste Preise hatten. Wollte man Geld wechseln, so besuchte man ebenfalls einen Geldwechsler nach dem anderen. Sie haben ihre Stände im Zentrum des Basars. Sobald sie sahen, daß man Geld wechseln wollte, riefen sie einen an, denn jeder wollte das Geschäft machen. Hier konnte man auch manchmal alte griechisch-baktrische Münzen erstehen; aber sie waren meistens schlecht erhalten und stark abgegriffen. [Illustration: 28. Deh-i-Afghanan in Kabul] Einige Verkaufsstände waren richtige kleine Warenhäuser, in denen man alle möglichen europäischen Waren erhalten konnte; von Zahnbürsten und Chlorodont angefangen bis zu französischen Parfüms, Eismaschinen und kleinen Harmoniums. Jedes Handwerk und Gewerbe hat seinen bestimmten Bezirk. Da sind 6 bis 8 Verkaufsstände nebeneinander, in denen die Kupferschmiede ihrer Arbeit nachgehen und hübsche Teller und Schüsseln herstellten. Hier herrschte immer ein ohrenbetäubender Lärm, so daß man sein eigenes Wort nicht verstand. Gegenüber sitzen die Sattler und weiter nach dem Zentrum des Basars zu die Tuch- und Teppichhändler. Aber nur selten fand man hier ein wirklich schönes, preiswertes Stück, wie zum Beispiel feine zierliche Mauris mit ihren bunten Mustern und tiefblaurote Heratis, die oft einen so feinen weichen Glanz haben. Bunt sah es bei den Färbern aus; da standen die großen Bottiche mit den tiefgrünen, roten oder blauen Lösungen, und hoch über der Straße waren Stricke gespannt, an denen die frischgefärbten Tücher im Winde flatterten. [Illustration: 29. An Kabulfluß] Am interessantesten aber war es wohl im Trödlerbasar. Da konnte man manchmal seltsame Dinge sehen, die auf rätselhafte Weise ihren Weg nach Afghanistan gefunden haben mußten, wie Mausefallen, alte Musikinstrumente, vergilbte Bilder von europäischen Herrschern, alte englische Uniformen, Kürassierhelme, englische und französische Romane, ja selbst Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute hatte sich in einen Trödlerladen verirrt! [Illustration: 30. Afghanische Wohnhäuser] Sodann dürfen die Wasserpfeifenverleiher nicht unerwähnt bleiben, die an einigen Straßenecken stehen und den Vorübergehenden gegen Zahlung von einem Pais (= dreiviertel Pfennig) einen Zug aus der Wasserpfeife tun lassen. Seltsame Bilder konnte man manchmal in den Schlachterläden und öffentlichen Küchen sehen, wo oft eine Reihe gesottener Hammelköpfe einen nicht gerade appetitlichen Eindruck machte. Nicht zu vergessen die Bettelkinder (Abb. 31). Ging man durch die Straßen, dann hörte man wohl plötzlich ein kleines feines Stimmchen neben sich sagen: »Sahib, paiseh bideh! Sahib, schenk mir einen Pais!« Und dann blickten einen zwei große dunkle Kinderaugen fragend an. Noch sehe ich das eine kleine Bettelmädchen vor mir. Sie war in der ganzen Kolonie bekannt, war sicher nicht älter als 10 bis 12 Jahre und ging in Lumpen gekleidet, trug aber silberne Fingerringe. Um den Kopf hatte sie ein grobgewebtes, schmutziges Leinentuch gelegt, unter dem ihre schwarzen glänzenden Haare hervorschimmerten. Ihre Augen waren groß, schwarzbraun; manchmal blickten sie fragend, ängstlich, manchmal aber blitzte der Schalk aus ihnen. Sie wußte ganz genau, daß sie von den Europäern immer eine Kupfer- oder eine kleine Silbermünze erwarten durfte. Dann saß sie wohl manchmal stundenlang vor unserem Haustor und spielte mit ihren Kameradinnen, die gerade so arm und zerlumpt waren wie sie selbst. Mit kleinen Hammelknöchelchen spielten sie Murmeln oder amüsierten sich damit, Steine in das schmutzige Grabenwasser zu werfen. Kam ein Europäer, dann unterbrach sie sofort das Spiel, stellte sich vor den Eingang unseres Hauses, sprach mit der feinsten, klingendsten Stimme, die man sich denken kann, ihr: »Paiseh bideh«, legte das Händchen verlegen an den Mund und schaute mit unsagbar traurigen, bittenden Augen den weißen Mann an. Selten war einer so hart und ging vorüber, ohne ihr etwas zu schenken. Dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht, und lachend sprang sie wieder zu ihren Spielgefährten zurück. Sie hatte eine kleine Freundin, die genau so schwarzes Haar und schwarze Augen hatte wie sie selbst, nur sah sie elend und krank aus. Oft hatten beide einen groben Linnensack umhängen, und dann gingen sie betteln und tobten durch die Gassen des Basars. Hier erhielten sie ein Stück trocken Brot, dort einen Apfel, hier schon etwas verfaulte Weintrauben, und dort stahlen sie ganz unauffällig ein Stückchen Kuchen. Und dann jagten sie wieder weiter. Oft traf ich die beiden in den verlassendsten Winkeln der Stadt. Eine Beschreibung des Kabuler Basars aber würde unvollständig sein, wenn man nicht auch der vielen Hunde gedenken würde, die sich hier herumtreiben. Meistens lagen sie vor den Verkaufsständen und suchten sich immer die Stellen aus, wo die Sonne ihre hellen Flecke am Boden abzeichnete. Da lagen sie dann zu vieren oder zu fünfen beieinander und schliefen. Aus dem Wege gingen sie nie, lieber ließen sie sich treten und überfahren. Oft genug bissen sie sich. Dann hagelte es Fußtritte und Stockschläge. Viele Hunde waren räudig und boten einen grauenhaften Anblick. Das Klima Kabuls ist infolge seiner Höhenlage sehr gesund. Im Sommer, wenn die Temperatur bis auf 35 bis 40 Grad Celsius mittags im Schatten stieg, fiel sie nachts auf 25 bis 28 Grad Celsius. Im Winter war es an manchen Tagen recht kalt, und wir konnten oft –15 bis –20 Grad Celsius ablesen. Die Niederschläge fallen im Winterhalbjahr, von Dezember bis Mai. Aber auch im Sommer zog manchmal eine Wolkenwand im Süden auf, und oft konnten wir Blitze und Wetterleuchten in dieser Gegend sehen. Sehr wahrscheinlich waren dies Ausläufer des indischen Monsuns. Gewitter gab es verhältnismäßig selten und wenn, so fehlten meistens die Niederschläge. Trotz der Höhenlage gab es aber in Kabul auch Malaria, und wir waren gezwungen, unter Moskitonetzen zu schlafen und ständig Chinin zu nehmen. Zu erwähnen sind noch die vielen Erdbeben, die wir in Kabul erlebten, verging doch kaum ein Monat, ohne daß wir Stöße verspürten. Manchmal wurden wir nachts dadurch geweckt, dann kam es uns vor, als ob jemand unser Bett bewegte. Das schwerste Erdbeben machte ich in Dschelalabad mit. Es war mein letzter Tag in Afghanistan. Spät abends waren wir erst in Dschelalabad eingetroffen, da wir unterwegs viele Autopannen gehabt hatten. Im Palast Bagh-i-Schahi wurde ich von einem afghanischen Oberst sehr liebenswürdig angenommen und erhielt mein Nachtquartier auf der Veranda angewiesen. Es war eine helle Vollmondnacht, wie wir sie wohl in kalten Winternächten manchmal bei uns haben. Silberweiß lag das Licht auf den Wegen und auf dem Steinboden der Veranda. Gegen zehn Uhr legte ich mich schlafen. Da höre ich plötzlich ein fernes Heulen, und ehe ich mich versehe, braust ein mächtiger Sturm über das Land hin. Keine Wolke war am Himmel. Da die Fensterscheiben in der großen Glasveranda nicht verkittet waren, so war das Klirren der Scheiben ohrenbetäubend. Trotzdem nickte ich ein wenig ein; da verspürte ich einen Erdstoß, dem mehrere folgten. Ich blieb ruhig im Bett; denn wir waren von Kabul her schon die Erdbeben so gewöhnt, daß wir uns nicht weiter darüber aufregten. Aber ich merkte, wie die Stöße immer stärker und stärker wurden, und gerade überlegte ich mir, ob ich aus dem Haus in den Garten laufen sollte, als schon große Stücke Stuck und Verputz von der Decke herunterfielen und Risse über die Wände liefen. Da eilte ich so schnell wie möglich hinaus. Auch sämtliche Bewohner des Palastes – afghanisches Militär und Diener – versammelten sich in dem vom bleichen Mondschein erhellten Hof. Wir warteten eine Viertelstunde und wagten uns dann wieder ins Haus. Wie ich später feststellen konnte, war dieses Erdbeben sowohl in Dakka wie in Peshawar und sogar bis Delhi gespürt worden. Die vielen Erdbeben in Kabul sind sicher darauf zurückzuführen, daß sich verschiedene große Bruchlinien im Kabulbecken kreuzen. Viele der großen Ebenen Afghanistans, die innerhalb der Berge liegen, sind sicher Einbruchsbecken. In früheren Zeiten soll Kabul auch einmal von einem Erdbeben sehr heftig betroffen worden sein, so daß ein großer Teil der Stadt zerstört wurde. Malerische Partien finden sich längs des Kabulflusses, wo tiefe Schluchten mit fruchtbaren Ebenen wechseln, die früher zum größten Teile von Seen ausgefüllt waren. Weit muß diese Zeit zurückliegen, und doch gibt es alte Sagen, die noch an diese Zeiten erinnern, wie die von der schönen Königstochter, die ihren Gemahl veranlaßte, den See, der einst die Kabuler Ebene ausfüllte, zu entleeren, um hier Gärten und Paläste anzulegen. An der Stelle, wo heute die Teng-i-Garu-Schlucht beginnt, sollen damals die Felsen gesprengt worden sein, so daß der See dadurch entleert wurde. Die nähere Umgebung Kabuls ist sehr hübsch. Da reihen sich Gärten an Gärten und Felder an Felder, durch die sich viele kleine Bewässerungskanäle ziehen. Unter hohen und ehrwürdigen Pappeln und Maulbeerbäumen liegen die kleinen Lehmdörfer versteckt. Scharf schneiden die kultivierten Bodenstrecken, die Ebenen, von den kahlen, verwitterten Bergen ab, auf denen man nur hin und wieder einen Strauch oder eine Blume finden kann. Am Fuße der Paghmankette, in einer Höhe von ca. 2350 Meter, liegt die Sommerresidenz des Emir. Wird es im Mai in Kabul zu heiß, so wird die Regierung nach Paghman verlegt (Abb. 37). Alle Ministerien müssen dann mit umziehen, und in Kabul wird es merklich still und ruhig. Paghman liegt ca. 25 Kilometer von der Hauptstadt entfernt am Fuße der hohen Bergkette, die die Ebene von Kabul beherrscht und deren höchste Gipfel, über 5000 Meter, bis in den Herbst hinein eine Schneedecke tragen. Herrliche Blumengärten gibt es hier und große alte Baumbestände, um deren Pflege sich der Hofgärtner des Emir, ein Ungar, große Verdienste erworben hat. Überall sprudeln frische Quellwasser, und im Schatten der hohen Bäume werden Erinnerungen an Deutschlands Wälder wach. Von Paghman aus soll ein Weg ins Gebirge führen, wo in großer Höhe ein kleiner See liegt, der fast das ganze Jahr über gefroren ist. In diesem Orte wird auch in jedem Jahr das Unabhängigkeitsfest, das »Jeschm« gefeiert; leider wurde es im Jahre 1924 wegen der unruhigen Lage abgesagt. Im Vergleich zu Kabul ist Paghman ein Luftkurort; die Luft ist herrlich, frisch und rein. Im Winter aber liegt es unter einer dicken Schneedecke begraben, und nur ein paar Wächter bleiben dann oben im Gebirge. Seltsam wirkt hier der von einem Türken erbaute Triumphbogen (Abb. 40). Emir Amannullah Khan hat nach dem letzten englisch-afghanischen Kriege 1919 sein Land den Europäern geöffnet. Deutsche Ingenieure bauen Straßen, deutsche Architekten die neue Stadt Darulaman. Eine deutsche Ärztemission leitet die Hospitäler, und die oben schon erwähnte deutsch-afghanische Kompanie versucht, Handel und Wirtschaft Afghanistans in neue Bahnen zu lenken. Eine deutsche und eine französische Schule sind gegründet worden. Auch Italiener stehen im Dienst des Emir; viele aber verließen im Herbst 1924 das Land. Der Emir hat den aufrichtigen Wunsch, sein Land in jeder Weise zu heben; aber er möchte zu viel auf einmal erreichen. Große Pläne und große Ideen schweben ihm vor, aber um sie durchführen zu können, gehört viel Geld. Am notwendigsten für das Land ist zweifellos der Ausbau des Wegenetzes und der Bau guter Straßen, damit die Transportverhältnisse besser und billiger werden. Ein kühner Plan ist der Bau der Straße längs des Kabulflusses. Dort werden an die Ingenieure die höchsten Anforderungen gestellt, denn der Kabulfluß durchbricht die hohe Bergwelt, die sich zwischen Kabul und Dschelalabad ausdehnt, in tiefen Schluchten. Der Bau der neuen Stadt hat viel Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten gegeben (Abb. 43, 53). Zweifellos wird es notwendig sein, später einmal eine neue Stadt zu bauen; aber im Augenblick warten wichtigere Aufgaben der Lösung. Sicherlich ist doch ein großer Teil der Bevölkerung durch den Bau dieser neuen Stadt, der viel Geld verschlingt, mißgestimmt, und die Mollahs – die mohammedanischen Priester – nutzen dies aus und hetzen im stillen; denn sie sind noch nicht damit ganz einverstanden, daß die Europäer ins Land gezogen werden. Im allgemeinen kam die Bevölkerung den Europäern freundlich entgegen, wenn es auch Ausnahmen gab. Besonders die Polizisten schienen es manchmal geradezu darauf anzulegen, sich den Europäern möglichst unfreundlich zu zeigen. In Kabul konnte man sich ungehindert frei bewegen und ruhig allein in den Basar gehen; selbst in den finstersten Stadtteilen bin ich unbelästigt umhergegangen, und es wird kaum von einem Notiz genommen. Von den Frauen Kabuls habe ich nur wenige gesehen. Sie gehen tief verschleiert und sind in große, hellblaue oder weiße pelerinenartige Gewänder gehüllt. Nach den Kindern zu urteilen, müssen sie sehr hübsch sein. Unter den Nomadenfrauen, die unverschleiert gehen, sieht man tatsächlich sehr schöne Gestalten. Sie haben große Ähnlichkeit mit den Zigeunern, feine ovale Gesichter, dunkle Augen, tiefschwarzes Haar. Die alten Frauen aber sind sehr häßlich; man sah wohl dann und wann das Gesicht einer der alten Bettlerinnen, die auf der Promenade längs des Kabulflusses hockten und dort stumpfsinnig, den Kopf in die Hände gestützt, ständig ihr »Paiseh bideh« murmelten. VIII TRÜBE WINTERTAGE In den ersten Wochen, die wir in Kabul zubrachten, weilten wir im afghanischen »Hotel«. Die Zimmer waren ganz hübsch. Sie waren mit Kelims und Matten ausgelegt, über die wir dann unsere eigenen Teppiche breiteten; wir hatten Tische und Stühle und schliefen in unseren Feldbetten. Da wir alle aber sehr viel Sachen hatten, wurde der Platz doch sehr eng. [Illustration: Grundriß eines afghanischen Wohnhauses] Tagsüber war es noch sehr schön warm; wir konnten sogar in der Sonne auf der kleinen Terrasse vor unserem Zimmer zu Mittag essen. Es waren die letzten schönen Tage des Jahres. [Illustration: 31. Straßenkinder in Kabul] Das Hotelleben war auf die Dauer teuer, und wir mußten uns nach einer anderen Wohnung umsehen. Aber in ganz Kabul war kein für unseren Betrieb geeignetes Haus zu finden. Auch dort herrscht Wohnungsnot. Da bot uns eines Tages der Inhaber des Hotels an, wir sollten das Haus mieten, das er jetzt schräg gegenüber vom Hotel baute. Es war uns dieses Haus schon aufgefallen; die nach der Straße zu gelegene Seite war auch fertig, es waren zwei große Schaufenster im Erdgeschoß, und das Ganze machte für afghanische Verhältnisse einen recht hübschen Eindruck. Die Zimmer im Innern waren durchweg geräumig, so daß wir bald sahen, daß wir nichts Gescheiteres tun konnten, als dieses Haus zu mieten. [Illustration: 32. Basar in Kabul] Aber der Besitzer war ein ganz durchtriebener Bursche. Er war Geschäftsmann und glaubte, von den Europäern erhalten zu können, was er nur verlangte. Tage – ja wochenlang wurde gehandelt –, wie das in Afghanistan üblich ist. Verträge wurden aufgesetzt, wieder zerrissen, neu entworfen! Kam der alte Gauner nach dem Mittagessen zu uns, dann mußten die Diener einen großen Kelim in der Sonne ausbreiten und Tee bringen, und dann wurde stundenlang verhandelt und debattiert. Hatte man sich glücklich geeinigt, so konnte man sicher sein, daß man am anderen Tage von neuem beginnen mußte. Wir bestanden dann darauf, daß er einen Mirza – einen Schreiber – mitbrachte, damit der Mietvertrag ordnungsgemäß aufgesetzt würde. Schreiben und lesen konnte der Alte nämlich nicht. Wohlweislich unterschrieben wir den Vertrag nicht sofort, sondern zeigten ihn erst einmal einem anderen Herrn, der ausgezeichnet Persisch verstand. Da zeigte es sich dann, daß doch etwas anderes, als was vereinbart, darinnen stand! [Illustration: 33. Kabul: Blick vom Arkbasar nach Norden] Wieder folgten endlose Verhandlungen, ehe der Vertrag endlich unterzeichnet wurde. Aber das Haus war halbfertig; einziehen konnten wir noch nicht. Türen und Fenster fehlten, und Öfen waren noch nicht gesetzt. Es wurde uns aber hoch und heilig versprochen, daß in einer Woche alles fertig sein würde. Die Woche verging, und als wir das Haus wieder betraten, war fast nichts getan worden. Wir wurden vertröstet. Eines Nachmittags erschien denn auch der eine Boy und sagte, wir sollten uns die Öfen ansehen. Also ging die Arbeit vorwärts, wenigstens sah es so aus! Die Öfen haben uns oft Sorge gemacht. Die kleineren wurden aus Petroleumbüchsen gemacht und haben den Nachteil, daß man alle halbe Stunde wenigstens Holz nachlegen mußte. Denn mit Kohle war es in Kabul schlecht bestellt. Wenn auch im Lande viel Kohle ist, so lohnt sich der Transport nach Kabul doch nicht. Schon im Hotel hatten wir unsere Freude an solch einem Ofen gehabt. Erst rauchte er wie ein Schlot, und als dem Übel abgeholfen war, wollte er nicht ziehen. Brannte aber einmal das Feuer, dann war der Ofen auch in ein paar Minuten rotglühend. Ging man einen Augenblick fort und kam wieder, dann war er ausgebrannt, und man mußte wieder von neuem Feuer anlegen. Besser waren schon die etwas größeren Öfen mit Wasseraufsatz. Rechtzeitig mußten wir auch Brennholz einkaufen. Manchmal war tagelang im Basar nichts aufzutreiben, oder das Holz war feucht und brannte nicht. [Illustration: 34. Wohnhaus bei Kabul] Dann kam der erste Schnee, und es wurde kälter und kälter. Es wurde Zeit, daß wir umzogen. Aber der Alte hatte tausend Ausflüchte; am Haus wurde nichts mehr getan. Die Fenster fehlten noch, die Wände waren nicht geweißt, keine Tür schloß richtig. Aber es hieß, bei dem kalten Wetter könnten die Leute nicht arbeiten, und erst müsse der Schnee vorbei sein. Wir drohten, den Vertrag zu zerreißen, wenn er nicht wenigstens Fenster und Schlösser in drei Zimmern anbringen lasse. Endlich, nach langem, langem Warten, konnten wir denn auch einziehen. Nie werde ich diesen ersten Umzug vergessen, bei dem Hammals, Lastträger, Stück für Stück unserer Ausrüstung vom Hotel ins neue Haus brachten. Für die Diener war es ein Festtag; denn sie konnten die Lastträger kommandieren und kamen sich ungeheuer wichtig vor. [Illustration: 35. Kabul, Gemüseverkäufer] Wir wollten jetzt auch eigene Küche führen; Juma sollte kochen. Aber der arme Junge verstand nur einen Pilau zuzubereiten; und sagte man ihm etwas, so starrte er einen mit offenem Munde an, was Wagner oft aus der Fassung brachte. Die Küche ist unsere Sorge geblieben. Wir haben viel Köche gehabt, sogar einen Hofkoch des Emir, und doch waren wir mit keinem zufrieden. Bevor wir unsere Küche eingerichtet hatten, nahmen wir unsere Mahlzeiten gemeinsam bei den Lehrern ein. Dann zogen wir abends im Dunkeln durch die engen finsteren Gassen nach dem »Paukerheim«. Ein Diener mit Laterne begleitete uns. Das Essen war gut, und Juma wurde abkommandiert, hier das Kochen zu lernen. Da es keine Backöfen gab, mußten alle Mahlzeiten auf kleinen Kohlenbecken zubereitet werden. Wir ließen Juma etwa vier Wochen gewähren, dann sollte er kochen. Und er tat es auch. Tag für Tag gab es Fleischknödel, mittags und abends, die auf ihn wohl einen besonders guten Eindruck gemacht hatten. Vielleicht machte ihm auch die Fleischmaschine so viel Freude, die wir im Basar erstanden hatten. Als wir ihn einmal fragten, ob er denn gar nichts anderes kochen könne, meinte er: O ja, Pilau! Es war zum Verzweifeln mit dem armen Jungen. Ich glaube, er sehnte sich wieder nach dem freien Karawanenleben zurück. Oft stand er ganz in Gedanken versunken da und träumte. Im Hotel konnten wir uns nicht viel um ihn kümmern. Da meine Freunde einen tüchtigen Diener namens Abdul Sebur engagiert hatten, brauchte Juma nur mein Zimmer in Ordnung zu halten. Und das machte er gut. Er sah auch das Zeug nach, nähte abgerissene Hosenknöpfe an und versuchte Strümpfe zu stopfen. Aber wir hatten zum Schlafen für ihn keinen Platz. Nachts war es draußen schon zu kalt, als daß er hätte im Freien nächtigen können. So mußte er im Pferdestall bei dem Hesare, dem Pferdeknecht, schlafen; das kränkte ihn tief. Eines Morgens, als ich den niedrigen, kleinen, finsteren Stall betrat, um nach meinem Pferd zu sehen, saß Juma frierend an der Glut eines erlöschenden Lagerfeuers. Der Hesare war wieder einmal fortgegangen, und Juma mußte das Amt des Wächters übernehmen. Stets wenn man den Hesare brauchte, hieß es: Hesare basar räft (Hesare ist nach dem Basar gegangen). Mir tat Juma aufrichtig leid. Er hatte sich sicher seine Stellung in Kabul anders gedacht. Als ich eintrat, stand er auf und sagte verlegen: »Sahib, sieh, hier muß ich nun schlafen. Schlecht ist es hier und dumpfig.« Dabei hustete er und bat um eine Decke, die ich ihm auch verschaffte. Später gab ich ihm oft noch ein Trinkgeld in die Hand; er hatte auf der Karawanenreise doch gut für mich gesorgt. Daß er so dumm war, dafür konnte er ja schließlich nichts. Als ich die Hindukuschtour antrat, wollte er gerne mit; ich merkte, er sehnte sich fort von Kabul. Aber leider konnten wir ihn nicht mitnehmen. Als nun seine Kochkunst auch versagte, war er eigentlich nur mehr geduldet. Er hatte wieder nur die Zimmer zu besorgen. Morgens mußte er zuerst den Ofen heizen, denn nachts wurde es in den Räumen immer sehr kalt, da weder Fenster noch Türen gut schlossen. Eines Wintertages, als draußen eisige Kälte herrschte und große Eisblumen an unseren Fenstern waren, trat Juma morgens leise ins Zimmer. Er glaubte, ich schliefe. Leise trat er an meinen Arbeitstisch und suchte, nahm meine Zigarettendose und steckte sich verstohlen und bedächtig eine Zigarette an. Plötzlich sah er, daß ich ihn beobachtete, und nie werde ich sein verlegenes, bestürztes Gesicht vergessen! Er stand wie versteinert! Beschämt schlug er die Augen nieder. Im ersten Augenblick wollte ich ihn gefährlich anfahren; aber ich hatte dann doch Mitleid mit ihm. So sagte ich nur, indem ich leise den Kopf schüttelte: Juma, tschi mikuni? Juma, was machst du da? Er antwortete nichts, legte die Zigarette auf den Ofen und ging still aus dem Zimmer. Widerworte wie andere Afghanen hatte er nie. Der Winter war gekommen. Grau war der Himmel; Schneedecke legte sich auf Schneedecke (Abb. 41). Die Diener hatten stundenlang zu arbeiten, um den Schnee vom flachen Dache zu schippen. Alles war naß und feucht. Aber solange es kalt war und schneite, war es noch zu ertragen; doch dann kam eines Tages das Tauwetter und verwandelte die Straßen in einen Morast (Abb. 33). Der Schnee auf dem Dache schmolz und das Wasser tropfte an allen Stellen durch die Decke. Schüsseln und Töpfe wurden aufgestellt und in dem einen Zimmer mußten wir eine große Zeltleinwand ausspannen, in der sich bald ein kleiner See ansammelte, der alle halbe Stunden entleert werden mußte! Wir alle waren stark erkältet. Die Zimmer wurden kaum warm. Wir legten uns die Pelze über die Knie und tranken oft Schnaps – oder besser Raki, Marke »Stacheldraht« getauft – den einer der Europäer fabrizierte. Mit Apfelsinensaft und Zucker vermischt konnte man ihn trinken, und da wir diese Mischung erfunden hatten, erhielt sie fortan in der deutschen Kolonie den Namen »Marke OHA« (OHA = Orienthandelsaktiengesellschaft). Lange blieben wir abends nicht auf. Die Beleuchtung war zu schlecht. Wir hatten nur Stallaternen und wenn man nicht ständig aufpaßte, rußten sie. Vor dem Schlafengehen wurde im Ofen noch einmal Feuer gemacht. Dann rückten wir ganz nahe heran, legten Holzscheit auf Holzscheit und blickten in die flackernden Flammen. Bald wurde es in der Nähe des Ofens mollig warm; und oft genug strahlte er eine solche Hitze aus, daß man nicht dicht herangehen konnte. Aber die Freude dauerte höchstens eine Viertelstunde, dann war das Holz verbrannt und die Kälte zog wieder ein. Wir deckten uns mit Wolldecken und Schafpelzen zu, plauderten noch eine Weile aus unseren Pelzhöhlen und sanken bald in tiefen Schlaf. Eines Tages war der Schneefall außerordentlich stark. Schon morgens, als wir aus unseren Fenstern blickten, sahen wir das Wirbeln der dicken Flocken. Von den gegenüberliegenden Bergen war nichts zu erkennen. Die großen Raben saßen regungslos auf der Mauer; auch ihnen war das Wetter wohl zu kalt. Als ich mittags einen Spaziergang machte, versank ich fast im Schnee und die weißen Flächen blendeten derart, daß ich die Augen kaum offen halten konnte. Froh war man dann, wenn man wieder in seiner Lehmbude war und am heißen Tee sich wärmen konnte. Am 20. Februar konnten wir sehr schön die totale Mondfinsternis betrachten. Es war abends gegen sieben Uhr; ich wollte gerade vom Hause fortgehen, da hörte ich draußen ein seltsames Stimmengewirr. Ein geheimnisvolles Summen, langgezogene Rufe, die von den Bergen widerhallten. Ich ging hinaus und sah, wie die Landschaft in ein eigenartiges Licht getaucht war – es war Mondschein; aber nicht das silberhelle Licht lag auf den eingeschneiten Bergen, den flachen Dächern und Lehmwänden, sondern feine, bläuliche Schatten schienen langsam über das Land zu ziehen – Mondfinsternis! Wie tausend Lichter flackerten die Sterne am Firmament, ihr heller Glanz noch gesteigert durch die Höhenluft, liegt Kabul doch ca. 1750 Meter hoch. Langsam schob sich der Erdschatten über die Mondscheibe und etwa um siebeneinhalb Uhr war die Finsternis total. Auf den Straßen war es still; hin und wieder sah man einen Afghanen, die Laterne in der Hand, nach Hause eilen. Die Verkaufsläden waren geschlossen; nur aus den Lebensmittelständen schimmerte der trübe Schein der Öllampen. Eine ganz seltsame Stimmung lag über dem Land. Der Mond schwebte wie eine rötliche Kugel am Himmel; so sah die Sonne aus, wenn in meiner Heimat das Moor abgebrannt wurde und der Rauch dem Tagesgestirn das Licht nahm. Mehr und mehr wuchs das Stimmengewirr, lauter und lauter wurden die Gebetsrufe an Allah; Raketen stiegen in die Luft, um den bösen Geist zu verscheuchen, der den Mond verschlingen wollte. Noch um neun Uhr war die Finsternis total. Einige kalte Windstöße fegten über das Land und ließen die losen Fensterscheiben in den Lehmhäusern erklirren. Als ich spät abends nach Hause kam, und die Mondscheibe wieder in hellem Lichte erstrahlte, hörte ich fremdartige Musik. Mit Trommeln, Flöten und Gesang wurde das wiedergekehrte Licht des Nachtgestirns begrüßt und noch bis tief in die Nacht hinein drangen die dumpfen Klänge der Trommel an mein Ohr. So gingen die düsteren Wintertage dahin, langsam, schleichend, als ob es nie wieder Frühling werden wollte. IX AFGHANISTANS HÖCHSTES GEBIRGE Im äußersten Nordosten Afghanistans, an der Grenze gegen das indische Gebiet von Tschitral, steht wie ein Wächter ein gewaltiger Gipfel. Keines Europäers Auge hat je seine westlichen, Afghanistan zugewandten Hänge und Schluchten gesehen, keines Europäers Fuß je seine Gletscher betreten. Bis zu 7800 Meter ragt er mit seinen Schnee- und Eisspitzen in die blaue Luft und blickt auf eines der wildesten und zerrissensten Gebiete der asiatischen Gebirgswelt herab. Es ist der Tiritsch-Mir, dessen Lob alle Reisenden gesungen haben, die in Tschitral weilten und von ferne seine eisgepanzerten Hänge und kühnen Schneegipfel bewunderten. Nördlich von diesem Bergriesen erheben sich noch zwei weitere Gipfel über 7500 Meter, von denen der eine ebenfalls den Namen Tiritsch-Mir trägt. Die Bewohner von Tschitral wissen über diese Eisriesen seltsame Geschichten zu erzählen, die uns Durand mitgeteilt hat. Am Fuße des Berges soll ein See liegen, der von großen, flachen Steinen eingefaßt ist, auf denen die Bergfeen ihre Kleider waschen. Manchmal soll man ihre feinen Stimmen vernehmen, und sie singen hören oder um die Türme des alten Schogot-Forts schweben sehen, und zwar immer 10 oder 12 Tage, bevor ein Mitglied der Herrscherfamilie stirbt. Der eine der Tschitraler Herrscher soll sogar eine Fee zur Frau gehabt haben. Es wird erzählt, daß in einem kleinen Dorfe unterhalb Tschitral sich in jeder Freitagnacht die Bergfeen versammeln, um an einem Platze, der durch einen großen Stein markiert ist, zu beten. Kein Mensch wagt es, in dieser Gegend auf die Jagd zu gehen. Einmal hatte sich ein Eingeborener verirrt und mußte die Nacht in der Nähe dieses Platzes zubringen. Er hörte geisterhafte Stimmen, die zum Gebet riefen, und die Luft war von einem seltsamen Stimmengewirr erfüllt. Diejenigen, die die Feen gesehen haben wollen, erzählen, daß sie zu Fuß durch die Luft gingen oder ritten. Sie seien bildschön und ganz in Weiß gekleidet. Seltsamerweise sollen sie keine Knie und keine Fußgelenke haben, und die Zehen sollen nach rückwärts gerichtet sein. Manche Leute erzählen, daß sie Männer oft 10 bis 15 Tage verschleppen, aber gut behandeln. Einmal war ein Tschitrali auf Jagd gegangen. Er schoß auf ein Wildschaf und verwundete es, aber das Tier entkam. Ein paar Tage später kam ein Mann in das Dorf, der hinkte und den Jäger fragte, warum er auf ihn geschossen habe. Als dieser beteuerte, er habe nur auf ein Wildschaf geschossen, antwortete der lahme Mann, der als Zauberer bekannt war, er sei das Wildschaf gewesen. Auch andere Reisende erzählen seltsame Geschichten von den Feen des Hindukusch, die im Mondschein um die hohen Schneegipfel schweben und die Wanderer verführen. Erst in den letzten Jahren sind die hohen Berge des Hindukusch näher bekannt geworden. Öde und wild ist hier die Bergwelt und kein Grün erfreut das Auge. Die großen täglichen Temperaturunterschiede sprengen die Felsen, Schuttmeere hüllen die Hänge ein und füllen die Täler aus. Kein Hindukuschgipfel ist bisher bestiegen worden, und große Strecken des Gebirges sind noch gänzlich unerforscht. Wie ein gewaltiger Schutzwall legt sich der Hindukusch um die nordwestlichsten Provinzen des indischen Reiches, um gen Westen quer durch Afghanistan hindurchzuschneiden. Einige der höchsten Pässe unserer Erde führen von Tschitral aus über das Gebirge nach Badachschan und den Landstrichen am Oxus hinab. Viele Pässe können nur zu Fuß überschritten werden, und der Übergang ist stets mit großen Gefahren verbunden. Nicht allein, daß die Natur den Reisenden bedroht, sondern auch räuberische Stämme – vor allem die Kafiren – lauern dem Wanderer auf, um ihn, wenn er, von den Strapazen der Reise erschöpft, seinen Zielen nahe zu sein glaubt, zu überfallen und auszurauben. Daß dieses gewaltige Gebirge trotz seiner großen Höhe im Kriegsfalle nicht unbedingt als eine natürliche Schutzmauer angesehen werden darf, hat uns Aurel Stein gezeigt, der feststellte, daß bereits eine chinesische Armee diese Gebirge überschritt und bis nach Kaschmir vordrang (747 n. Chr.). Aber nur unter großen Strapazen konnte dies möglich gewesen sein; englische Forscher, die das Gebiet bereist haben, wo Hindukusch und Kara-korum zusammenstoßen, schildern anschaulich die ungeheuere Zerrissenheit dieser Gebiete, die gewaltigen, steilen Felswände und tiefen Schluchten. Erdbeben, die ganze Berge zusammenstürzen lassen, erschüttern die Gebirge in ihren Fugen und zerreißen sie, schaffen Klüfte, in die sich die Schmelz- und Wildwasser stürzen und tiefe Schluchten ausfeilen. Die gebirgsbildenden Kräfte sind hier noch lange nicht zur Ruhe gekommen. Geologisch gesprochen, ist es noch gar nicht so lange her, daß an der Stelle, wo sich heutzutage die Gipfel des Hindukusch erheben, ein blaues Meer flutete, das durch einen breiten Meeresarm mit dem Meere in Verbindung stand, das auch Tibet einst bedeckte. Auf dem ca. 4900 Meter hohen Nuksanpasse hat man noch versteinerte Muscheln gefunden. Gewaltige Kräfte müssen am Werke gewesen sein, um dies majestätische Gebirge aufzupressen. Gebirgsmassen sind über Gebirgsmassen geschoben, überkippte Falten treten im Bau auf und große Eruptivstöcke haben sich durch die Ablagerungen hindurchgepreßt und bilden jetzt den Kern der Kette. Ein Meer hoher Gipfel reiht sich aneinander. Als ich nördlich Barfak auf einem Kreidekalkrücken stand und den Blick über das herrliche Gipfelmeer schweifen ließ, das tief eingeschneit im Glanze der untergehenden Sonne dalag, da glaubte ich fern im Osten einige der ganz hohen Schneekuppen zu erkennen, die sich bei Tschitral erheben; aber erst das Fernglas sagte mir, daß es nur ein paar leuchtende Wolken waren. Viele Pässe kreuzen den Hindukusch und der Chawakpaß ist schon seit ältesten Zeiten bekannt, da Alexander der Große ihn bereits kreuzte. Die Höhe dieses Passes ist über 3500 Meter und über ihn führt noch heute eine der wichtigsten Karawanenstraßen, die Kabul mit Afghanisch-Turkestan verbinden. Immer mehr und mehr tritt aber die Straße über den Salangpaß in den Vordergrund, die jetzt unter der Leitung italienischer Ingenieure ausgebaut wird. Der wichtigste Paß, der von Badachschan nach Indien führt, ist der Dorah. Er soll leicht zu überschreiten sein, ist aber stets durch die Überfälle der Kafiren gefährdet. Der Ausblick von seinen Höhen muß überwältigend schön sein. Weit kann der Blick über große Strecken des einsamen Innerasiens schweifen. Der Hindukusch trennt hier zwei Welten. Am wenigsten unterrichtet sind wir über die Gebiete, die zwischen dem Chawakpaß und Tschitral liegen. Hier liegt das abgeschlossene Minjaner Hochtal, wo noch ein ganz seltsamer Dialekt gesprochen wird. Hier spiegeln sich die hohen Hindukuschgipfel in blauen Seen. Wie eine Barriere schneidet der Hindukusch Kafiristan von Badachschan ab. Trotzdem die Pässe himmelstürmend hoch sind und nicht von Tragtieren überschritten werden können, dienen sie den Kafiren als Anmarschwege bei ihren Raubzügen. Es gibt vielleicht nur wenige so vollkommen unbekannte Gebiete auf unserer Erde wie Kafiristan. Da auch hier die einzelnen Stämme sich untereinander bekämpfen, so müßte man, um das Land durchziehen zu können, sich immer von Stamm zu Stamm durchzuschlagen versuchen. Berücksichtigt man ferner, daß man nur mit Trägern das Land bereisen kann, daß in Kafiristan die verschiedensten Dialekte gesprochen werden, so kann man sich einen Begriff davon machen, mit welchen Schwierigkeiten der Forschungsreisende zu rechnen hat, der sich in dieses Gebiet hineinwagt. Der einzige Europäer, der den Teil des Hindukusch besucht hat, der Kafiristan im Norden begrenzt, war Robertson. Im Juni des Jahres 1889 bestieg er unter größten Schwierigkeiten den Mandalpaß, der eine Höhe von ca. 4600 Meter hat. Er berichtet in seinem interessanten Buche, wie selbst den Kafiren der Aufstieg manchmal schwer wurde. Unter Rufen und Singen aber eilten sie oft voran, legten sich manchmal in den Schnee und machten ein Schläfchen, bis die Hauptkarawane nachgekommen war. Millionen toter Schmetterlinge lagen auf den Schneefeldern. Im Gegensatz zu den wilden räuberischen Kafiren sind die Bewohner von Minjan auf der Nordseite des Gebirges ein friedfertiges Völkchen. Auch die Gegenden um den Chawakpaß sind häufig feindlichen Überfällen ausgesetzt. Es gibt große Räuberbanden und ich hörte erzählen, daß die Gouverneure die Sicherheit des Landes dadurch garantieren, daß sie mit den mächtigsten Räuberhäuptlingen Verträge schließen und diesen eine Belohnung versprechen, wenn in ihrem Gebiete keine Überfälle stattfinden. Ganz ähnlich haben sich auch die Engländer am Khaiberpaß geschützt, indem sie die Räuberstämme der Afridis selbst zum Schutze der Straßen nehmen und ihnen für ihren Wachtdienst eine jährliche Subvention zahlen. Der Verkehr im ganzen Hindukuschgebiet geschieht mit Karawanen, aber schon ist das Auto siegreich bis auf die Hindukuschpässe vorgedrungen. Man sollte meinen, daß solch ein gewaltiges Gebirge, wie es der Hindukusch ist, große Gletscher aufweist. Aber die Schneelinie liegt hier sehr hoch und im Herbst trifft man unter 4800 bis 5000 Meter kaum noch einen Flecken Schnee. Die Niederschläge sind zu gering, um es zur Ausbildung von Gletschern kommen zu lassen; nur in den östlichsten Teilen, wo sich die Gipfel über 7000 Meter erheben, ziehen sich Eisströme in die Täler. Trotzdem ist der Schneefall im Winter recht beträchtlich, und die meisten Hindukuschpässe sind dann für den Verkehr gesperrt. Schon im März beginnt der Schnee zu schmelzen und im Hochsommer wälzen sich gewaltige Fluten durch die Täler. Häufig werden dann alle Brücken fortgerissen und Muren gehen zu Tal. Im westlichen Teil des Hindukusch vermißt man auch eiszeitliche Formen, wie wir sie aus den Alpen kennen. Trogtäler und Kare fehlen. Und so kommt es, daß die Bergwelt des westlichen Hindukusch einen Vergleich mit den Alpen nicht standhält, obwohl auch hier die Gipfel bis 5000 Meter aufragen. Der Hindukusch bildet die Wasserscheide zwischen dem Flußgebiet des Indus und dem des Oxus. Schon seit ältesten Zeiten haben in seinen zerrissenen Tälern Völker Schutz und Zuflucht gefunden. Die Wogen der Weltgeschichte brandeten um seine Klippen. Griechische, skytische, mongolische Eroberer zogen mit ihren Heeren durch sein Reich und schon in ältesten Zeiten müssen auch die Arier auf ihrem Wege nach Indien seine Pässe gekreuzt haben. Einmal aber wird vielleicht der Hindukusch noch eine große Rolle spielen, nämlich dann, wenn der große Entscheidungskampf zwischen der englischen und russischen Vorherrschaft in Asien ausgetragen wird. X INS TAL DER GROSSEN BUDDHAS Wenn wir einen Blick auf die Landkarte werfen, so sehen wir, daß von dem Dache der Welt, den Pamiren, große Gebirgsketten gen Ost und West ausstrahlen. Auch der Hindukusch – das Rückgrat Afghanistans – kommt aus jener Gegend. In seinem östlichsten Teile, bei Tschitral, erreicht er Höhen über 7500 Meter, trägt hier auch gewaltige Gletscher, um gen Westen stetig an Höhe abzunehmen und in die Hügelketten nördlich des Parapomisus überzuleiten. Da der Emir den Wunsch geäußert hatte, ich möchte die Kohle- und Eisenerzlagerstätten des westlichen Hindukuschgebietes besuchen, so brach ich Anfang Januar 1924 dorthin auf. Von der Regierung wurde mir ein Lastauto zur Verfügung gestellt, das uns bis an den Fuß des Gebirges, eventuell bis Bamian bringen sollte. Blaich, der einige landwirtschaftliche Begutachtungen vornehmen sollte, schloß sich mir an. Es war ein kalter, düsterer Januarmorgen, als uns um acht Uhr in der Frühe das Auto abholte. Draußen schneite es; der Himmel war grau in grau; die großen, schwarzen Raben saßen regungslos auf dem Gesims unseres Hauses. Juma packte unsere Feldbetten zusammen, unser Gepäck wurde im Auto verstaut, wir wickelten uns in unsere Decken und Mäntel ein und fuhren ab. Als Führer hatten wir zunächst den Michmandar, einen jungen, aufgeweckten Afghanen, der für unser leibliches Wohl, für Unterkunft usw. zu sorgen hatte. [Illustration: 36. Kabul: Palast] Langsam fuhren wir die Straße am Kabulflusse entlang. Der Schneefall wurde stärker, von den umliegenden Bergen war nichts mehr zu erkennen. Plötzlich hielt unser Auto, wir mußten noch eine große Gesellschaft aufnehmen und ein Riesengepäck verstauen. Als alle Mann glücklich im Wagen untergebracht sind, war es so eng, daß man sich kaum rühren konnte, aber dies war schließlich auch ganz gut, denn so konnten wir uns gegenseitig wärmen. Zuerst war es mir ganz rätselhaft, wer diese große Gesellschaft eigentlich war, aber bald erfuhr ich, daß der Alte im Schafpelz, der mich an ein Bild erinnerte, das ich einst von Dschinghis Khan sah, unser Führer war. Er wurde von den anderen mit Schikar Sahib angeredet, was eigentlich auf deutsch der Herr Jäger bedeutet. Auf dem Führersitz saß außer dem Fahrer, dem Michmandar, nun der andere neue Gast, unzweifelhaft ein Europäer. Bald erfuhren wir denn auch, daß Abdul Kerim, wie er von den Afghanen genannt wurde, ein Pole war, der Mohammedaner geworden und als Ingenieur in die Dienste des Emir getreten war. Ferner waren noch zwei bis drei Diener mitgekommen. [Illustration: 37. Arbeitselefanten in Paghman] Links von der Straße erhebt sich der Kuh-i-Asmai, aber obgleich er nicht hoch ist, hüllten bleierne Wolken seinen Gipfel ein. Einsam und verlassen stand das kleine Wächterhaus am Berge; der in ein feuerrotes Cape gehüllte Polizist ging langsam davor auf und ab. Es schneite tüchtig, und die großen, weißen Flocken schienen alles unter einer dicken weißen Decke begraben zu wollen. Da wir gegen den Schnee die Kanvasdecken über das Auto zogen, sahen wir von der Landschaft vorerst nichts mehr. Das ewige Rütteln machte einen müde. Einer nach dem anderen begann zu gähnen, und der Schikar Sahib, der sich ganz in einen dicken Wollschal eingewickelt hatte, war eingenickt. Als wir ungefähr eine Stunde gefahren waren, hielt das Auto plötzlich, und wir alle mußten aussteigen. Vor uns war die Brücke eingestürzt, und zahlreiche Arbeiter waren damit beschäftigt sie auszubessern. Wir mußten also auf einem Seitenwege an den Bach hinunterfahren, was auch gut ging; aber als wir auf der anderen Seite hinauffahren wollten, konnte das Auto die Steigung nicht nehmen. Da war guter Rat teuer. Schließlich gelang es uns, ein großes Seil aufzutreiben, das wir vorn ans Auto banden. Dann mußten die Brückenarbeiter versuchen, das Auto heraufzuziehen. Es machte ihnen sichtlich Vergnügen, und als plötzlich das Seil riß und alle Mann am Boden lagen, wollte das Lachen und Gejohle kein Ende nehmen. Noch zweimal mußte der Versuch gemacht werden, ehe es gelang, das Auto heraufzuholen. Dann ging es weiter. [Illustration: 38. Grabmal des Emir Abdur Rahman] Der Schnee hatte abgenommen und je mehr wir uns dem Fuße des Hindukusch näherten, um so wärmer wurde die Luft. Der Schnee im Tal verschwand. Im Tscharikar machten wir Mittagsrast. Viele Neugierige versammelten sich um unser Auto, als wir vor dem Karawanserai hielten, um hier unser Mittagsmahl einzunehmen. Es gab Tee, Brot, Käse und Kuchen sowie Obst. Wir stiegen auf das Dach des Robats und sahen von hier aus auf das bunte Getriebe der Straße und des Seraihofes. Direkt vor uns im Norden hatten wir jetzt die Hauptkette des Hindukusch, deren höchste, über 5000 Meter aufragende Gipfel in Wolken gehüllt waren. Wir machten noch einen Spaziergang durch den Basar, in dem wir uns dicke Schaffellhandschuhe kauften, die uns später bei der großen Kälte sehr von Nutzen waren. Gegen zwei Uhr fuhren wir weiter ins malerische Ghorbendtal. [Illustration: 39. Deutsche Gesandtschaft in Babur Bagh Kabul] Das Wetter hatte sich etwas aufgeklärt, einige Flecke blauen Himmels schauten bereits durch die Wolken. Die Straße ist sehr hübsch angelegt. Unter uns sahen wir das reich bebaute Tal, in dem der rauschende Ghorbendfluß dahinschoß. Wir passierten viele kleine Dörfer und Gärten und trafen oft große Kamelkarawanen. Meistenteils gab es großen Krach, wenn wir an ihnen vorbei fuhren; die Kamele scheuten vor dem Auto, rissen sich los, rannten die Hänge hinauf, kurz es wurde eine große Unordnung geschaffen, und oft genug bekamen wir von den Karawanenführern Flüche zu hören, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Am schlauesten waren immer die Esel, die ärgerten uns noch viel mehr als die Kamele. Meistenteils waren sie mit großen Balken beladen, und sobald sie unser Auto kommen hörten, blieben sie stehen und stellten sich quer auf den Weg, so daß die Balken eine Art Schlagbaum bildeten. Es dauerte manchmal länger als eine Viertelstunde, bis wir an einer kleinen Eselkarawane vorbeikommen konnten! [Illustration: 40. Paghman: Triumphbogen] Gegen fünf Uhr kamen wir nach Siah Gird, wo schon alles für uns vorbereitet war. Wir wurden in einem Landhäuschen untergebracht, von dem aus wir einen herrlichen Ausblick auf die hohen Berge und das von hohen Terrassen eingefaßte Tal hatten. Siah Gird liegt zwischen der Haupthindukuschkette im Norden und der Paghmankette im Süden. Eine wilde, enge Schlucht führt gerade gegenüber von diesem Dorfe zu dem hohen Tschähardarpasse (4050 Meter), der in der Haupthindukuschkette liegt und der von Griesbach überschritten wurde. Die Gipfel waren tief in Schnee gehüllt und die hohen Hindukuschpässe waren zur Zeit gesperrt. [Illustration: 41. Hotel Inderabi Kabul] Im Landhäuschen wird sofort das große Kohlenbecken, das »Mangal« aufgestellt, das herrlich wärmt. Später wird noch ein niedriger Tisch darübergestellt, auf den wir eine große Wolldecke legen und so unsere Beine darunter wärmen. Diese »Sändälis«, wie sie genannt werden, wärmten außerordentlich; nur brauchte man sich nicht zu wundern, wenn man später einige unliebsame kleine Gäste aufgenommen hatte. Das Essen wurde sehr spät gebracht, und doch verspürten wir solch großen Hunger! Erst um elf Uhr wurde der Pilau aufgefahren, so daß wir vor zwölf Uhr nicht zur Ruhe kamen. Wir schliefen in unseren Feldbetten. Die Afghanen hingegen lagen platt auf der Erde und hatten sich in ihre Wolldecken eingerollt. [Illustration: 42. Der Verfasser] Am anderen Morgen waren wir schon früh wieder auf. Der Himmel sah nicht sehr verheißungsvoll aus. Es war solch eigenartige Luft, so dumpf; wir waren alle gedrückter Stimmung. Es war gerade, als ob etwas Unheilvolles sich über unseren Köpfen zusammenbrauen wollte. Gewitterstimmung, obgleich wir im tiefsten Winter waren! Wir hatten uns entschlossen, gleich weiter nach Bamian zu ziehen und den Besuch der Kohlelagerstätten in der Umgegend von Siah Gird aufzuschieben. [Illustration: 43. Palastbau Darulaman] Der Weg war außerordentlich malerisch. Senkrecht recken sich die kahlen verwitterten Felswände zur Rechten und Linken empor; sie schimmern in allen Farben, vom tiefsten Rot bis Violett. Kleine Schneeflecken liegen in den Taleinschnitten und Felsnischen. Die höheren Regionen aber sind ganz von einer weißen Decke überzogen, die sich scharf vom eintönig bleigrauen Himmel abhebt. Kurz hinter Siah Gird müssen wir den Ghorbendfluß kreuzen. Die Brücke ist eingestürzt, und wir müssen uns eine Furt suchen. Der Chauffeur will das Auto möglichst entlasten, und so steigen wir aus. Ein paar Afghanen stehen am Ufer und sehen sich das Schauspiel an. Sie haben ein paar Esel bei sich, und während die Diener barfuß durch das eiskalte Wasser waten, schwingen wir uns auf die Grautiere. Jeder bekommt einen Stecken in die Hand gedrückt, und dann überläßt man uns unserem Schicksal! Das Wasser rauscht und spritzt, als die kleinen Tiere Schritt für Schritt durch den Fluß waten. Man muß die Beine ganz hoch ziehen, um nicht naß zu werden, denn das Wasser reicht den Tieren bis zum Sattelgurt. Als ich mitten im Fluß bin, bleibt mein Esel mit konstanter Bosheit stehen und will keinen Schritt weiter. Ich schlage ihn, trete ihn, aber es fällt ihm gar nicht ein, sich vom Fleck zu rühren. Erst nachdem ein paar Minuten vergangen sind, bequemt er sich weiterzugehen. Esel sind durchaus nicht dumm! Sie sind die eigensinnigsten Tiere, die es gibt, und verstehen es großartig, den Menschen zu ärgern; aber nur aus reiner Bosheit! Als wir glücklich alle wieder am jenseitigen Ufer angekommen sind und die Esel über den Fluß zurückgejagt haben, setzen wir unsere Fahrt fort. Der Himmel wird dunkler und dunkler, drohend hängen die Wolken an den Bergen, und bald beginnt es wieder zu schneien. Immer größer werden die Flocken. Das Schneegestöber wird so dicht, daß wir kaum 20 Meter weit sehen können. Es wird kälter und windiger; an manchen Stellen ist die Straße vereist. Nur mit vereinten Anstrengungen, indem wir Geröll und Sand auf den Boden streuen und Decken und Kelims unter die Räder schieben, gelingt es uns, das Auto vorwärtszubringen. Es dauert ungefähr eine Stunde, bis wir es über die eine vereiste Stelle von 20 Meter vorwärtsbrachten, und dabei schneite es lustig weiter. Wir sehen alle wie Schneemänner aus, und im Auto ist es kalt, naß und dumpfig. Endlich zeigt sich das tiefeingeschneite Robat Kasi Besé, wo wir absteigen. Im Hofe lag der Schnee schon über einen halben Meter hoch, aber hier hatte es auch in den letzten Tagen schon geschneit. Am Abend wurde es sehr kalt, und sogar im Feldbett wurden wir nicht warm. Mit der Verpflegung sah es auch traurig aus, und wir mußten uns mit ein paar in Hammelfett gebackenen Spiegeleiern, trockenem Brot und Wasser begnügen. Als Beleuchtung diente eine einzige Wachskerze. Blaich und ich bekamen einen besonderen Raum zugewiesen. Wir ließen uns vom Diener des Schikar Sahib in unsere Decken und Pelze einpacken. Aber trotzdem wachte ich des Nachts mehrmals vor Kälte auf. In der Nacht hatte es weitergeschneit. Vor uns lag der ca. 3000 Meter hohe Schibarpaß. Da war mit dem Auto ein Vorwärtskommen nicht mehr möglich. Schon am Abend vorher hatte der Schikar Sahib Pferde beordert. Aber am Morgen folgte erst ein endloses Hin- und Herreden, ehe die Tiere zur Stelle waren. Und was für edle Rösser waren das! Solche Schinder hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Dazu erhielten wir Holzsättel, wie sie die Eingeborenen gebrauchen, auf denen zu reiten keine Freude war! Es schneite immer noch, als wir aufbrachen. Dann ging es hinauf auf den Paß, den schon Timur gezogen ist. Auch der buddhistische chinesische Pilger Hsüen-Tsang, dessen Memoiren zu den anziehendsten Reiseschilderungen der älteren Zeiten gehören, hat diesen Paß überschritten. An manchen Stellen des Weges lag der Schnee so hoch, daß die Pferde bis an den Bauch in den Schneewehen versanken. Der Wind blies heftig. Je höher wir kamen, desto stärker wuchs er zum Sturme an, der den trockenen Pulverschnee aufwirbelte und über die blendendweißen Flächen dahinjagte. Mühsam und lautlos arbeitete sich die Karawane empor. Eine wundervolle Hochgebirgslandschaft umgab uns – ein Meer schneeweißer Gipfel und Kuppen, soweit der Blick reichte. Der Abstieg ins Bamianer Tal war leicht. Am Fuße des Passes in Schumbul wechselten wir die Pferde und waren froh, die alten Schinder loszuwerden. Wir ritten dann hinab nach der tief eingeschnittenen Balulaschlucht. Rechts und links türmten sich kahle, schwarze Kalkfelsen auf; kaum ein Sonnenstrahl kann in diese Schlucht dringen, und eisige Kälte umfing uns, als wir zwischen den hohen Wänden dahinzogen. Der Weg war stark vereist, und wir kamen nur langsam vorwärts. Von den Felsen hingen große, einen Meter lange Eiszapfen herab, die wie Kristall glitzerten. Sobald wir aber die Schlucht hinter uns hatten und wieder in das breitere Talbecken eintraten, wurde es warm; denn die Sonne war inzwischen hervorgekommen. Der Schnee im Tale verschwand zusehends. Die Temperaturgegensätze sind in diesen Hochländern Innerasiens ganz bedeutend. Nachts wird es so kalt, daß man selbst unter den Pelzen friert, tagsüber aber wird man in der Sonne gebraten. Je weiter wir ritten, um so prächtiger wurde das Wetter. Links von uns hatten wir den rauschenden Bamianfluß, in dessen schäumendem Wasser die Sonnenstrahlen sich brachen und in tausend Facetten zurückgeworfen wurden. Uns war es, als sei der Frühling schon gekommen! Wir trafen keinen Menschen. Unsere Diener mit den Lastpferden waren weit zurück, und wir hatten von ihnen seit dem frühen Morgen, als wir vom Robat aufbrachen, nichts mehr gesehen und gehört. Gegen ein Uhr sahen wir plötzlich einen Wagen kommen; er war uns vom Gouverneur von Bamian entgegengeschickt worden. Auch hatte der Gouverneur gleich zwei Diener mitgesandt, die sich unserer Pferde annahmen. Die Fahrt durch das Bamiantal war herrlich! Es war ein wundervoller, mir stets in schönster Erinnerung bleibender Januarnachmittag. Der Himmel war vom reinsten Blau, und Wolken, weiß wie der Schnee der Berge, zogen wie große Segelschiffe durch das blaue Luftmeer. Auf der jenseitigen Talseite, im Süden, erhoben sich die Schneezinnen der Kuh-i-Baba-Kette, deren höchste Spitzen bis in die Wolkenschleier ragten. Still war es; man hörte nur das Rauschen des kleinen Flusses, der mit den großen Felsblöcken zu spielen schien und dessen kristallklares Wasser von Stein zu Stein sprang. Lustig rollte unser Wagen auf der hart gefrorenen Straße dahin, und immer neue Bilder zogen an uns vorüber. Auf dunkelroten Sandsteinfelsen erheben sich die Ruinen der Zohak-Burg, von der schon der persische Dichter Firdusi (10. Jahrh. n. Chr.) gesungen hat, die auch schon in der Zend Avesta erwähnt wird, und an den Bergwänden fielen uns jene Höhlenwohnungen auf, die für das Bamianer Tal charakteristisch sind (Abb. 44). Leider wurde der Wind wieder heftiger, eiskalt blies er aus Nordwesten und ließ uns fast im Wagen erstarren. Wir gingen daher streckenweise zu Fuß, um uns warm zu halten. Gegen fünf Uhr erreichten wir unser Ziel. Die Strahlen der sinkenden Sonne beleuchteten gerade die hohe Felswand, aus der vor etwa ca. 1500 bis 1800 Jahren wahrscheinlich indische Künstler die gewaltigen, bis über 50 Meter hohen Buddhastatuen ausmeißelten, die noch heute zu den größten Sehenswürdigkeiten Afghanistans zählen (Abb. 45). Wir wurden vom Gouverneur, dessen Haus auf einem kleinen Plateau oberhalb des Tales gelegen war, aufs liebenswürdigste empfangen und erhielten ein kleines Zimmer angewiesen, in dem wir es uns bald gemütlich einrichteten. Unter dem Zimmer befand sich der Backofen, der gleich das Zimmer heizte, was wir sehr angenehm empfanden, da wir, wenn wir nicht auf unseren Feldbetten lagen, auf dem Boden saßen. Zuerst tischte man uns Tee auf, den wir mit großem Hochgenusse tranken. Je mehr man sich an den Genuß des Tees gewöhnt, um so besser schmeckt er, und in Kabul haben wir fast zu jeder Tageszeit Tee getrunken. Am Abend, es mochte gegen zehn Uhr gewesen sein, trat ich noch einmal vor das Haus. Die Mondsichel hing über den Hindukuschgipfeln und die Sterne schimmerten in hellstem Glanz. Das silberne Licht des Mondes lag auf den hohen Schneeketten und spielte im Tal. Totenstille herrschte ringsum. Nur wie ein feines Klingen ging es durch die einsame Winternacht. Da ließ ich im Geiste die Geschichte dieses Tales an meinen Augen vorüberziehen. Ich sah, wie vor etwa 2000 Jahren buddhistische Pilger aus dem fernen Indien nach hier wallfahrteten, in das seit den ältesten Zeiten heilige Bamiantal, und malte mir aus, wie vorher die griechischen Eroberer durch das Land zogen, und Alexander der Große den Hindukusch auf dem nahen Chawakpaß überschritt. Auch sein Reich und seine Macht schwanden dahin. Von Norden und Nordosten kamen die Skyten und zogen gen Süden. Im achten Jahrhundert besuchte der chinesische Pilger Hsüen-Tsang auch diese Stätte und hat uns darüber berichtet, wie die großen Buddhastatuen einst leuchteten, als sie noch ganz mit Gold überzogen waren. Lange Zeit haben wir dann keine Kunde über diese Gegenden. Dann regte es sich wieder im Herzen von Asien, das wie in einen Hexenkessel verwandelt scheint. Wie ein Gewittersturm zogen die Mongolen unter Dschinghis Khan und Timur durch diese Gegenden, vernichteten alles und machten nieder, was ihnen in den Weg kam. Ich blickte hinüber nach der alten Ruinenstadt Gulgule, deren Zinnen, zerfallene Mauern und geborstene Türme geisterhaft im Mondlicht schimmerten. Auch sie wurde von Dschinghis Khan zerstört. Jaworski erzählt in seinem Buche folgende Legende über den Untergang der Stadt: [Illustration: 44. Die Zohakburg] »Da Gulgule große, unterirdische Wasserreservoire besaß, konnte es einer eventuellen Belagerung lange standhalten. Dschinghis Khan versuchte, die mit dreifacher Mauer umgürtete Stadt zu erstürmen, wurde aber mehrfach zurückgeschlagen. Schließlich wurde die Stadt doch zerstört. Und zwar auf folgende Weise: Die Tochter des Königs der Stadt Gulgule hatte sich, wie erzählt wird, in einen der Söhne Dschinghis Khans verliebt; hingerissen von ihrer Liebe, entdeckte sie ihm das Geheimnis der Wasserleitung, beschwor ihn aber, dies Geheimnis zu bewahren. Dschinghis Khan gelang es jedoch, seinem Sohne, durch das Versprechen, die Stadt zu schonen, das Geheimnis zu entlocken. Sobald aber die Wasserleitung unterbrochen und die Stadt infolge des Wassermangels zur Übergabe gezwungen wurde, zerstörte Dschinghis Khan in seiner Wut über die lange und hartnäckige Gegenwehr die Stadt bis auf den Grund und metzelte die ganze Bevölkerung nieder; selbst die Kinder im Schoße der Mutter fanden keine Gnade.« [Illustration: 45. Die Felswand von Bamian] Wir besuchten auch die großen Felsstatuen, die schon von ältesten Zeiten an das Interesse der Reisenden erregt haben (Abb. 47). Jaworski hat vielleicht die beste Schilderung davon entworfen, der ich wenig hinzufügen kann. Über die Höhe der Statuen gehen die Berichte sehr auseinander. Ich fand folgende Zahlen: Kleinere Figur: Größere Figur: Moorcroft: ca. 36 Meter ca. 50 Meter Jaworski: ca. 37 Meter ca. 43 Meter Foucher: ca. 35 Meter ca. 53 Meter [Illustration: 46. Im Hindukusch (Blick vom Chakpaß nach Westen)] Die Statuen sind teilweise zerstört; aber der Mörtelmantel, der sie einhüllt, ist sonst noch sehr gut erhalten. Als Zerstörer der Statuen wird Aurengseb genannt, obwohl dies nicht als bewiesen angesehen werden darf. Die Afghanen bezeichnen die Statuen heute noch als But = Götzenbilder. Nach ihnen soll die kleinere Figur eine Frau darstellen, Schahmume, die größere einen Mann. Es kann aber jetzt wohl als gesichert gelten, daß die Figuren buddhistische Heilige darstellen, und mir scheint Moorcrofts Ansicht noch immer die beste zu sein, der in dieses Tal die Residenz eines Großlamas verlegt. Bamian muß eine Art Tempelstadt gewesen sein, ähnlich wie es heute in Tibet die großen Klöster sind. Noch treffender aber können wir Bamian mit den Höhlen der tausend Buddhas in Tun-huang im Nan-schan vergleichen. Diese Ansicht vertreten auch die französischen Archäologen, die jetzt mit den Ausgrabungen in Afghanistan beschäftigt sind. Leider war mein Besuch viel zu kurz, um genauer die vielen Höhlen, die interessante Wandmalereien enthalten, zu studieren. Diese Malereien sind außerordentlich fein ausgeführt; häufig sind Darstellungen von Heiligen mit Nimbus vorhanden. An einer Wand fand ich sechs Medaillons, die Buddha in den verschiedenen Gebetsposen darstellen. Wundervoll ist der Fries, der sich an der Decke der Nische hinzieht in der die größere Statue sich befindet. Leider war es mir technisch nicht möglich diese Bilder zu photographieren, unter denen mir einige sehr hübsche Frauengestalten auffielen. Die Farben, die hauptsächlich verwandt wurden, sind, soviel ich mich entsinne, Grün und Rot. Als wir in der Felswand neben der kleineren Statue eine baufällige Treppe hinaufstiegen, die im Sandsteinfelsen ausgehauen ist, kamen wir durch eine Höhle, deren frühere Bilder durch Rauch geschwärzt und mit einer dunklen, lackartigen Farbe überstrichen waren, so daß man nur an einzelnen Stellen noch kleine Teile der Bilder erhalten fand. An einigen Wänden sahen wir große Kratzer, die von Schwerthieben herrühren sollten. Wir gingen so hoch hinauf, wie wir nur konnten, und gelangten ungefähr in gleiche Höhe mit dem Kopf der Statue, deren riesengroßes Ohr ich auf 3 bis 4 Meter schätze. Von diesem luftigen Aussichtspunkte aus hatten wir einen großartigen Ausblick auf das Tal, durch das sich der Bamianfluß dahinschlängelt. Abends packten wir alles für die neue Fahrt und gingen frühzeitig schlafen. XI EINE WINTERFAHRT INS AFGHANISCHE HOCHGEBIRGE Von Bamian aus brach ich dann in den Hindukusch auf. Da der Gouverneur die Fahrt mitmachte, so bildeten wir eine große Karawane, denn er nahm seinen ganzen Troß mit. Es war ein herrlicher Wintermorgen mit klingendem Frost; keine Wolke war am blauen Himmel zu sehen, und selbst an den fernsten Bergen konnten wir die feinsten Risse und Spalten erkennen. Wir fuhren zuerst mit einem Tonga bis an den Fuß des Ak-Robat-Passes, wohin uns die Pferde gebracht wurden. Dann ritten wir langsam dem Karawanserai zu, das unterhalb des Passes gelegen ist. Dort war schon alles für uns gerichtet, und als etwas später der Gouverneur mit seiner Schar eintraf, wurde das Frühstück eingenommen. Wir lagerten uns alle auf Kelims, die auf der Erde ausgebreitet wurden; und man reichte große Schüsseln mit kaltem Hammelfleisch, das mit Salz und Brot uns trefflich mundete. Der heiße Tee fehlte natürlich auch nicht. Erst gegen Mittag zogen wir weiter. Die Luft war wundervoll klar und frisch. Ich blieb mit Blaich hinter der Karawane zurück, und wir konnten ganz ungestört die Naturschönheiten auf uns einwirken lassen. Der Anstieg zur Paßhöhe war für die Tiere ziemlich anstrengend, oft blieben sie stehen, um zu verschnaufen. Endlich hatten wir den Sattel erreicht und konnten von hier aus weit über die eingeschneite Bergwelt des Hindukusch blicken. In großen Serpentinen zieht die Straße in das Quellgebiet des Indar-ab hinab. Der Gouverneur und der Schikar-Sahib machten oft Jagd auf Steinhühner, die in den Felsen sich aufhielten. Der Pole, Blaich und ich waren wieder weit hinter der Karawane zurückgeblieben. Stunde auf Stunde verging; es wurde 7 Uhr, und immer noch war kein Robat in Sicht. Die Sonne war schon im Westen hinter den Bergen versunken, und blaue Schatten zogen langsam über die weiten Schneeflächen. Wir merkten deutlich, wie sich die Kältewellen auf das Land legten, und klappten den Kragen unserer Mäntel hoch, vergruben die Hände tief in die Manteltaschen und überließen den Pferden die Führung. Endlich sichteten wir das Karawanserai und waren froh, als wir vom Pferde steigen konnten. Der Name des Platzes war Suchte Tschinar, was »verbrannte Platanen« bedeutet. Am anderen Tage ging es weiter nach Baiani; teilweise durch sehr enge Täler und Schluchten. Kahl ragen die Felsen zur Linken und Rechten auf, und ich konnte sehr interessante geologische Beobachtungen machen. Die älteren, gestörten Gesteine sind überall von großen, lockeren Konglomeratbänken überdeckt, die beweisen, daß einst große Wassermengen durch diese Täler fluteten. Wenn wir uns kleinen Dörfern näherten, strömten die Einwohner in Scharen herbei, um uns mit Hurrarufen zu begrüßen. Die Kunde, daß der Gouverneur von Bamian kam, hatte sich anscheinend blitzschnell verbreitet. Kurz vor Baiani trafen wir die ersten Kohlevorkommen, die aber unbedeutend und sehr gestört waren. Mittags war es sehr warm, und mir wurde gesagt, daß nur selten in diesen geschützten Tälern Schnee falle. Baiani ist ein kleines Dorf, und die Einwohner hatten anscheinend noch nie einen Europäer gesehen, denn wir wurden wie Wundertiere angestarrt. Nach dem Mittagessen machte ich mich wieder mit Blaich auf den Weg. Der Gouverneur gab uns einen Soldaten zur Begleitung mit, der die Gegend kannte. Selten habe ich eine so bunte Bergwelt gesehen. Die unteren Talhänge bestehen aus ziegelroten Sandsteinen und Tonen, die ganz phantastische Verwitterungsformen aufweisen. Wir folgten einer in diesen roten Felsen eingeschnittenen Schlucht, die sich aber derart verengte, daß ein Weiterkommen unmöglich wurde. Über uns türmten sich die grauen Kreidekalkfelsen auf, die noch Schneeflecken trugen. Wir entdeckten eine große Höhle, bei deren Betreten uns eine Schar Steinhühner entgegenflog. Sicherlich nisteten sie hier, und wir hatten sie in ihrer Ruhe gestört. Dann gingen wir wieder in das Haupttal zurück und schlugen den Weg in ein Seitental ein. Wir blieben dort, bis sich die Sonne dem Horizonte zuneigte. Es war eine unbeschreiblich wilde Bergwelt, in die wir einen Einblick tun konnten, und nie werde ich das bunte Farbenbild vergessen, das die untergehende Sonne auf den zerrissenen Felsen hervorzauberte. Feuerrot leuchteten einige Konglomeratbänder, die von grünen Schiefern unterlagert waren. Je nach der Beleuchtung wechselten die Farben in allen Schattierungen. Die Sonne neigte sich dem Horizonte zu, und immer blauer wurden die Schatten im Tal. Dann kam die Dämmerung, und wir gingen nach Baiani zurück. Man stellte uns die Feldstühle vor unsere Behausung, und so saßen wir, bis das Essen fertig war, am flackernden Lagerfeuer, in dessen Schein die Afghanen standen und das Abendessen bereiteten. Manche standen in Gruppen beieinander und sprachen leise über uns, und hin und wieder wurden uns mißtrauische Blicke zugeworfen. Sehr erfreut schienen die Leute nicht über unseren Besuch zu sein, auf jeden Fall wurden sie in ihrer Ruhe und Abgeschlossenheit gestört. Am anderen Morgen ging es weiter nach Doab-i-Mekhzarin. Gleich flußabwärts hat sich der Fluß in tiefer Schlucht durch ein Granitgebiet gesägt; senkrecht fallen die Felsen hier zu beiden Seiten ab. Häufig mußten wir den Fluß kreuzen, und manches Mal konnte man die Pferde nur mit Mühe und Not dazu bringen, ins eiskalte Wasser zu gehen. Wir sahen viele Steinhühner, und unsere kühnen Jäger lagen alle paar Minuten im Anschlag. Die ganze Kavalkade mußte dann halten; die Jäger schlichen wie die Katzen unterhalb der Felswände hin, um so nahe wie möglich an die Stelle zu kommen, wo die Hühner gesichtet worden waren. Trotzdem aber verfehlten sie oft das Ziel. Es ist ein ödes Land, aber wilder, formenreicher als das Zentralgebiet des Hesarajat! Hier kann man Felswände bewundern, die geradezu gigantisch sind. Man kommt sich so klein und schwach vor, wenn man sieht, welche Riesenkräfte hier tätig waren und noch tätig sind, um dem Gebirge Form und Gestalt zu geben. Hier sind ganze Gebirgsmassen über andere Gebirgsmassen geschoben, Klüfte aufgerissen, in die sich die Flüsse gestürzt und tiefe Schluchten ausgefeilt haben. An einer Stelle können wir mitten in der Schlucht noch alte Flußablagerungen an den Hängen erkennen, die zeigen, welche Arbeit der Fluß geleistet hat. Gegen 2 Uhr kommen wir in dem kleinen Talkessel von Doab an. Wir essen etwas, und dann mache ich mit Blaich wieder Erkundungsfahrten. Wir nehmen einen Eingeborenen als Führer mit und wenden uns zunächst weiter flußabwärts. Der Fluß ist hier breit und reißend und fließt in einem ziemlich breiten Tal. Ein scharfer Ostwind weht uns entgegen, und der Turban des Führers löst sich oft und flattert wie ein weißer Wimpel im Winde. Im Norden wird der Fluß von einer geradezu phantastisch bunten und zerrissenen Bergwelt begrenzt; aber trotz unseres Versuches, dort einzudringen, kamen wir nicht weit (Abb. 48). Wir kehrten daher bald wieder um und versuchten nun, direkt von Doab nach Norden in diese Bergwelt einzudringen, was uns auch gelang, da hier eine kleine Trockenschlucht den Weg vorzeichnete. Diese war in dunkelrote Sandsteinfelsen eingeschnitten, in denen wir einige Versteinerungen fanden, die sehr schwer herauszuschlagen waren. Als wir aus der Schlucht herausgestiegen waren, konnten wir einen herrlichen Blick auf die hohen zerklüfteten Kalkbänke werfen, die gerade von der untergehenden Sonne beleuchtet wurden. Einige kleine, weiße Wölkchen schwebten wie Wattebausche um die Felsen, die nach unten in grüne Schiefer- und dunkelrote Sandsteine übergingen. Um uns herum sah der Boden wie verbrannt aus, und in den verwitterten Aschen und Laven sank man bis über die Knöchel ein. Kein Fleckchen Grün war zu sehen, und ein tiefes Schweigen lag über der einsamen Bergwelt (Abb. 49). Durch ein Fernglas suchten wir die hohen Kreideklippen im Norden ab und sahen auf dem höchsten Steilrand ein paar Steinböcke. Wir hatten aber leider kein Gewehr bei uns. Der folgende Tag war außerordentlich reich an Eindrücken. Zuerst ging es flußabwärts, und wir folgten demselben Wege, den Blaich und ich gestern schon erkundet hatten. Das Wetter war schön, der Himmel vom reinsten Blau und ohne eine einzige Wolke. Wir bogen in ein kleines Seitental ein. Gegen Mittag kamen wir an einen rauschenden, kristallklaren Bach, an dem wir Mittagsrast machten. Die Pferde wurden an die Büsche angebunden, die den Bach einfassen, die Kelims auf der Erde ausgebreitet und ein Feuer angezündet. Selten hat mir wohl ein Picknick so gut geschmeckt wie dieses in den wilden Bergen des afghanischen Hindukusch. Es gab heißen Tee, kaltes Geflügel, Hammelfleisch und Brot. Auch konnten wir ohne Bedenken das kristallklare Wasser trinken. Gerne wäre ich an dieser Stelle noch geblieben, um das herrliche Landschaftsbild im Aquarell festzuhalten. Aber wir mußten weitereilen. Ein frischer Wind erhob sich, als wir tiefer in das Gebirge hineinstiegen. Die Bergwelt war so zerrissen und bunt wie in den Tagen zuvor. Immer wieder müssen wir hinauf und hinunter. Manchmal wandern wir durch ganz enge Schluchten, in denen kaum ein Pferd Platz hat und man ständig aufpassen muß, daß man sich nicht die Knie an den Felsen zerstößt. Es sind richtige Korridore, durch die wir uns hindurchschlängeln müssen, und rechts und links von uns recken sich die Felsen senkrecht in die Höhe. Dann geht es wieder steil hinauf, über Pässe, von denen aus wir auf die Schluchten und Talrisse hinabblicken können. [Illustration: 47. Buddhastatue Bamian] Im Süden ragen einige der Hauptgipfel der Hindukuschkette über die Bergwelt, in der unser Weg verläuft, hinaus; im Norden aber ziehen sich die steilen Wände der Kreidekalkplatten hin. Von Vegetation ist keine Spur zu erkennen; kein Lebewesen zeigt sich weit und breit. Wieder geht es einen Paß hinauf. Ich bin mit Blaich und dem Diener des Polen weit zurückgeblieben. Wir mußten auch die Pferde neu satteln und schoben so eine kleine Rast ein. Fast unheimlich wurde es einem in dieser Felsöde. Tot ist das Land, und stundenlang geht es durch diese öde Bergwelt. [Illustration: 48. In den öden Felsregionen von Doab-i-Mekhzarin] Einmal begegnete uns eine kleine Mauleselkarawane, die große Blöcke schmutziggrauen Salzes nach Kabul brachte. Die Salzlagerstätten liegen bei Khanabad. Von der letzten Paßhöhe aus bot sich uns ein überwältigend schöner Anblick. Wohl nie habe ich einen solch halsbrecherischen Weg in die Tiefe gesehen! Hunderte von Metern fallen die Felswände steil in unergründliche Tiefen, und an den Rändern dieser Steilabfälle führte der Weg ins Tal des Surch-ab. Tausende kleiner Schluchten sind in das weiche Gestein hier eingerissen, und der Formenschatz der Landschaft ist außerordentlich reich. [Illustration: 49. Hindukusch bei Doab] Vor uns zog sich eine hohe Kette hin, auf deren obersten, bräunlich violetten Felsbänken kleine Schneeflecken lagen; unter diesen aber zogen sich dunkelrote Konglomeratbänder sowie die grünen Schiefer hin, die das Tal ausfüllten. Gerade als die Sonne goldgelb hinter den Bergen versank, kamen wir an ein paar elende Lehmhütten. Kaum hatten wir uns ihnen genähert, als wir sehr unliebsam von den großen Hunden empfangen wurden und uns kaum getrauten, weiterzureiten. Von unserer großen Karawane sahen wir nichts, und wir hatten keine Ahnung, wo sie weilen mochte. Wir ritten etwas weiter, aber die Hunde griffen unsere Pferde an und bissen sie in die Beine. Das wurde uns denn doch ein bißchen zu dumm, und wir forderten die Einwohner auf, die Tiere anzubinden, was dann auch nach einigem Zögern geschah. Die Leute waren recht unfreundlich – vielleicht auch ängstlich, sagten uns aber schließlich, wo unsere Karawane war, und nach einer Viertelstunde waren wir wieder zu den anderen gestoßen, die in den kleinen Hütten von Barfak Quartier bezogen hatten. [Illustration: 50. Blick auf die Hauptkette des Hindukusch (Barfak)] Am anderen Morgen schneite es, und wir blieben daher in unseren Lehmhütten. Uns war diese Rast willkommen, denn der gestrige Tag war doch ziemlich anstrengend gewesen. So machten wir es uns so bequem wie möglich, lagerten uns um ein Feuer, schrieben Tagebuch, lasen oder unterhielten uns mit den Afghanen. Draußen schneite es lustig, die Flocken tanzten und wirbelten, und bald war der Boden mit einer weißen Decke überzogen. Von den hohen Bergen sahen wir nichts mehr. Traurig standen die Pferde im Hof; sie sahen wie weiß gepudert aus. Gegen Mittag aber wurde es heller und heller, und bald schien die Sonne, die den Schnee schnell wieder wegschmolz. So brach ich denn mit Blaich und zwei Dienern zu einer neuen Rekognoszierungsfahrt auf. Nachdem wir eine Viertelstunde gen Osten geritten waren, bemerkten wir zur Linken ein schluchtähnliches Tälchen, das in die dunkelroten Sandsteine eingeschnitten war und das uns vielleicht einen Zugang in die Berge verschaffte. Wir übergaben den Dienern die Pferde und gingen zu Fuß weiter. Das Tälchen verengte sich immer mehr zu einer Schlucht, und bald merkten wir, daß wir in eine richtige Sackgasse geraten waren. Auf allen Seiten versperrten uns senkrechte feuerrote Felswände jegliches Vorwärtskommen. Wir mußten also zurück und fanden bald einen kleinen Jägerpfad, der am Rande der Schlucht hinführte. Wieder blieben die Diener mit den Pferden zurück, und wir suchten allein unseren Weg durch die Berge. Erst mußten wir wieder hinab in ein Trockental und stiegen dann bergan. Die Nachmittagssonne wärmte herrlich. Überall waren wir von trotzig-wilden Felsbergen umgeben. Je höher wir kamen, um so weiter wurde der Blick, und wir fühlten uns frei und ungebunden. Ich habe mich stets da am wohlsten gefühlt, wo es ganz einsam ist, und wo man von den Menschen nichts sieht und hört. Erst dann, wenn man mit der Natur allein ist, lernt man es, sich selbst zu erkennen. Es ist ganz gleich, wo wir weilen, ob im Hochgebirge oder in Wüsten, am Meer oder in den Wäldern. Erst dann, wenn wir uns freigemacht haben vom Alltag und der Natur Aug in Aug gegenüberstehen, können wir das Gewaltige der Schöpfung ganz erkennen. Dann erst merken wir, wie arm uns die Zivilisation gemacht hat, und was für ein trauriges Leben wir im Durchschnitt zu führen gezwungen sind. Um so dankbarer aber sind wir, wenn wir ihr entfliehen können, um in der reinen, erhabenen Natur wieder Mensch zu werden und unsere Seele wiederzufinden. Am folgenden Tage zogen wir wieder in diese Gegend. Wir hatten dem einen Diener einen Rucksack mit Proviant mitgegeben, denn wir brachen schon gegen zehn Uhr auf. Wieder folgten wir der Schlucht und dem engen Trockental. An einer Stelle fanden wir eine Menge Versteinerungen, größtenteils aber nur Steinkerne aus den großen Kreidekalkwänden, die über uns aufragten. Bald kamen wir in große Schneefelder, die sich über die Nordhänge der Berge hinzogen. Auf einer kleinen Kuppe machten wir Rast. Der Träger war weit zurückgeblieben. Wir waren ziemlich schnell vorangestiegen und lagerten direkt unterhalb der Plateauränder, deren Wände senkrecht vor uns aufstiegen. Auf einem Seitensporn gelang es uns dann, auf die Nordseite aufzusteigen, und von dort hatten wir einen so umfassenden Ausblick über die ganze Hindukuschkette, daß wir hier oben ungefähr zwei Stunden verweilten (Abb. 50). Als der Träger kam, stärkten wir uns erst, und dann begannen wir die nähere Umgebung zu rekognoszieren, photographische Aufnahmen zu machen, zu skizzieren und Gesteine zu sammeln. Im Süden dehnte sich die Haupt-Hindukuschkette aus. Schneegipfel reihte sich an Schneegipfel; aber wir vermißten auch hier alpine Formen, trotzdem die Berge über 5000 Meter aufragen. Gletscher fehlen ganz, ebenso Kare. Dieses Gebirge trägt mehr den Charakter eines Mittelgebirges. Tief unter uns sahen wir ein Stück des Talbodens, in dem Barfak liegt. Im Norden treten wieder die grünen Schiefer auf; aber in der Ferne sahen wir auch höhere, schneebedeckte Berge aufragen, die, der Form nach zu urteilen, aus Granit zu bestehen schienen. Ich konnte mir nach der Karte kein rechtes Bild machen, was dies für Berge sein mochten. Kein Lebewesen war zu erblicken, nicht einmal ein Raubvogel schwebte um die hohen Gipfel. Ich hatte gehofft, von unserem Führer einige Namen der Berge zu erfahren, aber er wußte nichts. Auf dem einen Bergsattel errichteten wir ein kleines Steinmal, das wir mit Hilfe des Fernglases auch nachher vom Tale aus wiedererkennen konnten. Fern im Osten erhob sich ein großer, dreizackiger Gipfel, der sehr hoch sein mußte; es sah aus, als ob drei große Schneepyramiden aneinandergesetzt waren. Als die Sonne unterging, stiegen wir wieder ab. Im Tale erwartete uns der andere Diener mit den Pferden. Wir ritten darauf noch etwas dem Dorfe Tala zu, das in einer schönen, großen Ebene gelegen ist. Zwischen Tala und Barfak hat sich der Fluß durch die Berge in tiefer Schlucht geschnitten; ich versuchte mit Blaich, hier in die Schlucht einzudringen, aber wir kamen nicht sehr weit. Das Gestein ist überall vulkanischer Herkunft; Porphyre, Trachyte, Basalte wechseln auf kurze Erstreckung miteinander ab und haben die Sandsteine und grünen Schiefer stark umgewandelt. An einigen Stellen enthalten die letzteren eingeschaltete dünne Kohlenflöze, die verschiedentlich schwelten. Da die Kohle stark schwefelhaltig war, so roch es überall nach Schwefel- und Kohlendioxyd, und an manchen Stellen kamen die weißen Dämpfe aus den Felsen heraus. Das ganze Erdreich sah verbrannt aus. Es dämmerte bereits, als wir ins Lager kamen, und wir waren froh, daß der liebenswürdige Gouverneur schon unser Abendessen hatte zubereiten lassen. Als wir am anderen Tage erwachten, schneite es wieder einmal. Dicke, graue, bleischwere Wolken hingen an den Bergwänden, und uns blieb nichts weiter übrig, als zu Hause zu bleiben. Morgens kam ein Sänger, der dem Gouverneur seine Kunst zeigen wollte. Das Beste, was er vorbrachte, war ein Lied, zu dem er selbst die Lautenmusik ganz täuschend nachahmte. Ich habe beobachtet, daß die Afghanen beim Gesang oft die Augen schließen. Man hat unwillkürlich den Eindruck, daß sie sich ganz ihrem Gesang hingeben, der jedoch meist monoton ist und auf die Dauer einschläfernd wirkt. Als es gegen Mittag zu schneien aufgehört hatte, ließen wir unsere Pferde satteln und machten uns wieder auf den Weg. Wir ritten wieder in die Surch-ab-Schlucht hinein und sammelten hier noch einige Gesteinsproben. Es war naßkalt, und die düsteren kahlen Felswände erschienen uns noch trostloser. Von den höchsten Spitzen war nicht viel zu sehen; düstere Wolken jagten über die Gipfel. Am anderen Morgen rüsteten wir uns zum Rückweg. Das Wetter hatte sich nicht recht aufgeklärt, Wolken hingen wieder an den Hängen. Zuerst kamen wir ziemlich schnell vorwärts, aber der Übergang über den Chak-Paß war doch sehr anstrengend. Da viel Schnee lag und der Aufstieg auf die Höhe ziemlich steil ist, glitten die Tiere ständig aus, und wir mußten achtgeben, daß nicht eins über den Abhang in die Tiefe rollte. Von der Höhe des Passes hat man einen herrlichen Ausblick (s. Abb. 46). Gegen Mittag klärte sich das Wetter auf, und bei Sonnenschein kamen wir wieder in Doab an. Ich war mit Blaich weit zurückgeblieben; als wir kurz vor Doab ein paar Lehmhütten passierten, stürzten plötzlich zwei große Hunde auf uns und bissen unsere Pferde in die Beine, so daß sie fast scheuten. Die afghanischen Hunde sind eine Art Mastiff, kurzhaarig, kolossal kräftig gebaut, mit großem Kopf. Sie sind außerordentlich gute Wächter. Oft, wenn wir abends spät noch in ein Dorf kamen und noch zehn Minuten weit entfernt waren, merkten die Hunde schon, daß Fremde nahten, und begannen zu bellen und Alarm zu schlagen. Es war immer ein sehr unangenehmes Gefühl, besonders wenn es schon ganz dunkel war und man nichts erkennen konnte. Tagsüber konnte man sich die Hunde durch Steinwürfe vom Leibe halten, nachts aber konnte man nur mit der Reitpeitsche versuchen, sich freie Bahn zu schaffen. Die Afghanen behandeln die Hunde schlecht; ich habe oft die armen Tiere bedauert, die Fußtritte über Fußtritte erhielten. Wie oft konnte man das Schmerzgeheul eines Hundes hören, und wie oft sah man Hunde mit gebrochenen Beinen! Kein Wunder daher, daß die Tiere, die sich die Europäer zulegten, sehr bald jeden Afghanen anbellten, Europäern aber nichts zuleide taten. Von Doab-i-Mekhzarin wollten wir dem Bamianflusse folgen, der sich zwischen Doab und Schumbul in einer tiefen Schlucht durch die Hauptkette des Hindukusch gesägt hat. Kein anderer Fluß durchschneidet sonst den Hindukusch, und da dieses Gebiet noch nie von einem Europäer besucht worden war, reizte mich die Erforschung dieser Durchbruchsschlucht aufs äußerste. Schon während meiner Studienjahre hat mich das Problem der großen Flußdurchbrüche immer wieder gefesselt, und in meiner Arbeit über Tibet und den Himalaja habe ich ausführlich diese Fragen gestreift. Es war mir daher eine große Freude, Gelegenheit zu haben, eine derartige Durchbruchsschlucht durch eines der höchsten Gebirge unserer Erde studieren zu können. Bei herrlichstem Wetter verließen wir am 21. Januar Doab-i-Mekhzarin, ritten eine Strecke weit flußaufwärts und bogen dann in das Seitental ein, durch das der Bamianfluß aus dem Gebirge tritt. Das enge Tal bot viele hübsche Bilder. Der Fluß war von Gestrüpp und Weiden eingefaßt und an manchen Stellen wuchs mannshohes Schilf, das aber gelb und trocken war und raschelte, wenn wir hindurchritten. Manchmal mußten wir den Fluß kreuzen, da die Felsen senkrecht zum Flusse abfallen; reißend, schäumend stürzt das Wasser über die großen Granitblöcke, und wir müssen sehr auf unsere Pferde aufpassen, daß sie nicht stürzen. Fast wäre es dem Pferde des Schikar Sahib so ergangen, wenn er nicht im letzten Augenblick die Zügel straff angezogen hätte. Nachdem wir etwa drei Stunden geritten waren, verengte sich die Schlucht derart, daß der Fluß wie in einem Korridor zwischen senkrechten Felswänden dahinschoß. Auch wurden die Felsen viel zerklüfteter, und große Blöcke, ja, ganze losgebrochene Felswände hingen eingeklemmt zwischen den Wänden der Schlucht. Wir mußten daher den Fluß verlassen und zogen über eine seitliche Paßschwelle in ein anderes kleines, ganz geschütztes Tal, in dem die kleinen Lehmhütten von Bagrak liegen. So früh waren wir noch nie in ein Lager gekommen. Mir war dies sehr angenehm, konnte ich mir doch gründlich die nähere Umgegend betrachten. Zu Mittag erhielten wir ein ausgezeichnetes Brot, auch am anderen Tage in Ghandak; nirgends in Afghanistan habe ich sonst ein so gutes Brot gegessen, wie hier im Herzen des Hindukusch. Man gab uns wieder einen Soldaten mit auf den Weg, und dann brachen Blaich und ich auf. Auf den Nordhängen lag der Schnee überall ziemlich hoch. Wir folgten einem kleinen Seitental, das uns schnell auf ein höheres Plateau brachte. Der letzte Aufstieg war ziemlich steil, und wir mußten oft stehenbleiben, um Luft zu schöpfen. Blaich glaubte an einer Stelle einen Wolf gesehen zu haben, der in ein kleines Seitental verschwand. Vorsichtig schlichen wir über das eingeschneite Plateau an den Rand des Wasserrisses, erkannten aber in der Tiefe nur große Blöcke. Wir warteten eine Viertelstunde, aber nichts rührte sich. Wir hatten das Gewehr wieder einmal umsonst mitgenommen! Im Schnee aber sahen wir viele Wolfsspuren; wie gerne hätten wir einmal etwas Abenteuerliches erlebt! Das Leben in diesem Lande ist gar nicht so sehr abenteuerlich, wie man denken könnte. Viele werden erwarten, in einem Buche über Afghanistan mindestens einige Räubergeschichten zu finden; aber wenn man nicht Pech hat, könnte man jahrelang in Afghanistan umherziehen, ohne daß einem ein Haar gekrümmt wird. Gewiß gibt es auch einige Gegenden, die weniger sicher sind, wie zum Beispiel Kafiristan und die Gegenden um Ghasni und Kandahar; aber im großen und ganzen sind die Verhältnisse doch weit geordneter als früher, wo in jedem Afghanistanbuch die tollsten Räubergeschichten erzählt wurden. Wir streiften auf dem Plateau umher, und ich konnte ein sehr gutes Bild von den morphologischen Verhältnissen gewinnen. An anderer Stelle bin ich ausführlich auf diese wissenschaftlichen Fragen eingegangen. Wir stiegen vom Plateau die steilen vereisten Hänge ab, die direkt ins Bagraker Tal abfallen. Es kostete uns viel Mühe und wir mußten sehr vorsichtig sein. Ziemlich lange waren wir fortgewesen, und man hatte schon nach uns Ausschau gehalten. Der nächste Tag war vielleicht der interessanteste auf unserer Tour; ging es doch quer durch die Hauptkette des Hindukusch. Wir waren schon früh auf. Der Himmel war bezogen und ein kalter Wind blies uns entgegen. In einem Seitental zog die Karawane langsam auf das Hochplateau hinauf, auf dem wir gestern nachmittag schon weilten. Wie düster und traurig die Landschaft aber aussah! Kein bißchen Grün, gelb und vertrocknet das kurze Gestrüpp, das den Boden bedeckt und das raschelt und knackt, wenn die Tiere darauf treten! Die Berge sehen so finster und ernst aus; wie anders der gestrige Nachmittag, als die Strahlen der untergehenden Sonne sich über ihre schneeigen Hänge legten! An einer Stelle sahen wir einen Hasen, der sich hinter einem Busche verkroch; die kühnen Jäger hatten wieder Jagdfieber, trafen aber natürlich nicht, und mit gewaltigen Sätzen sprang er über die Hügel davon! Ein endloser Abstieg erfolgte und wir kamen wieder in die Nähe des Flusses, dessen Rauschen und Donnern wir schon von weitem hörten. Der Abstieg war schwierig. Wir mußten ca. 200 Meter absteigen. Der Pfad war geradezu halsbrecherisch. Schritt für Schritt ging es abwärts, bis wir schließlich unten in der Schlucht ankamen. Hier teilte sich unsere Karawane; Blaich, der Pole, der Michmandar, Schikar Sahib und ich ritten zurück in die Schlucht, während die anderen dem Flusse abwärts nach dem nächsten Lager folgten. Wir ritten etwa eine halbe Stunde; die Felswände schlossen sich immer enger und enger zusammen, und das Toben und Rauschen des Wassers wurde immer lauter. Wir konnten uns selbst durch Zurufe nicht mehr verständigen. Schließlich mußten wir umkehren, da der Weg durch Riesenfelsblöcke, die heruntergestürzt waren, versperrt war. Dann folgte ein stundenlanger, einsamer Ritt durch die Schluchten und Talengen des Bamianflusses. Immer wieder und wieder mußte der Fluß gekreuzt werden, wobei das eiskalte Wasser den Pferden fast bis an den Sattelgurt reichte. Die Ufer des Flusses waren von dicken Eisrändern eingefaßt, und oft mußten wir diese erst durchschlagen, ehe wir den Fluß durchreiten konnten. Oft brachen die Tiere durch die Eisdecke und stürzten. Dann ging es wieder über steile Felshänge, und man wunderte sich, wie die Pferde dort noch Halt finden konnten. Das Pferd des Michmandars glitt an einer Stelle aus und rollte an einer – Gott sei Dank – nicht so gefährlichen Stelle den Abhang hinab. Zum Glück gelang es dem Reiter, sofort aus dem Steigbügel zu kommen, so daß er nur mit einer kleinen Fußquetschung davonkam. In der Gegend von Jalmisch angekommen, wurden wir mit Tee und Brot erquickt und zogen dann weiter nach Ghandak. Schwarze Schieferfelsen, teilweise tief verwittert, täuschten Kohle vor. Das Tal erweiterte sich und wir hatten Ausblick auf die hohen Schneegipfel (Abb. 51). In Ghandak herrschte große Aufregung, als wir ankamen. Solch zahlreichen Besuch und dazu noch Europäer hatte man hier in der einsamen Gebirgswelt sicher nicht erwartet und noch nie gesehen. Als in dem finsteren Loche, in dem wir untergebracht worden waren, abends das Lagerfeuer aufflackerte und wir auf unseren Feldbetten liegend unser Abendessen verzehrten, kamen einige alte Weißbärte herein, setzten sich um das Feuer und glotzten uns unverwandt an, ohne ein Wort zu sagen. Am Abend erfuhren wir noch, daß ein Pferd ins Wasser gestürzt war. Wir befürchteten schon, daß es eines unserer Gepäckpferde sei. Zum Glück kamen unsere Sachen aber heil und trocken an. Es war das Pferd des Michmandars gewesen. Er machte am anderen Tage ein sehr betrübtes Gesicht, denn sein schöner, mit prachtvollem Pelz gefütterter Mantel war vom Wasser vollständig verdorben und brüchig geworden. Am folgenden Tage dauerte es geraume Zeit, bis wir aufbrechen konnten. Das Beladen der Tiere dauerte endlos lange, und so kamen wir erst gegen zehn Uhr fort. Es war ein herrlicher Tag und die Luft war rein und klar. Wie anders doch gleich die Stimmung ist, wenn die Sonne scheint! Alle sind fröhlich und lustig und man merkt, daß es jedem einzelnen Spaß macht, im warmen Sonnenschein durch diese majestätische Bergwelt zu ziehen. Oft mußten wir wieder den Fluß kreuzen, der an einer Stelle ziemlich tief war. Ein Diener wurde vorausgeschickt, um den besten Übergang ausfindig zu machen. Man zog die Beine so hoch wie möglich, aber oft wurden doch die Stiefel naß. Die Pferde hatten mit aller Gewalt gegen die reißende Strömung anzukämpfen, und man war froh, wenn man das andere Ufer glücklich erreicht hatte. Dann mußten wir wieder an steilen Felswänden entlang, wo von einem Pfade kaum noch eine Spur zu erkennen war. An einer Stelle krochen wir sogar auf allen Vieren an den aus verwitterten Schiefern bestehenden Hängen entlang, während unter uns der Fluß toste und schäumte. Ich bewunderte die Pferde, die selbst an den gefährlichsten Abhängen mit großer Sicherheit sich bewegten. Das Tal verengte sich an manchen Stellen derart, daß der Fluß den Talboden fast ganz ausfüllte. Senkrecht erhoben sich die Felswände zu beiden Seiten Hunderte von Metern hoch, und nur an einigen Stellen sah man die hohen Schneegipfel über die Felsklippenränder herüberragen. Dicht vor dem Ausgange der Schlucht – oder besser Anfang der Schlucht – thronten auf einem hohen Felsabhange die Ruinen einer alten Stadt. Wir sahen mächtige Mauern, stehengebliebene Torbogen und Türme sich vom blauen Himmel abheben. Leider hatten wir keine Zeit, diese Ruinenstätte näher in Augenschein zu nehmen; ich habe es schon oft bedauert, daß ich nicht doch einige Stunden der Untersuchung dieser alten Ruinen gewidmet habe. Aber erst bei der späteren Ausarbeitung der Tagebücher sieht man, worauf man noch hätte seine Aufmerksamkeit lenken müssen. Als wir mittags aus der Schlucht austraten und wieder in das breite, ostwest sich hinziehende obere Längstal des Bamianflusses kamen, verabschiedete sich der Gouverneur von uns. Als er mit seiner Schar hinter einem Berge verschwunden war, ritten wir dem Schibarpasse zu. In der Mittagssonne war es herrlich warm und man konnte kaum glauben, daß es Januar war. Abends in Schumbul aber wurde es sehr kalt, und man kroch dichter als sonst ans Lagerfeuer! Draußen goß der Vollmond sein fahles Silberlicht über die eingeschneite Bergwelt, die in tiefem Schweigen dalag. Am anderen Tage brachen wir früh auf, galt es doch wieder über den Schibarpaß nach Kasi Besé zu kommen. Es war ein klarer, kalter Wintertag, und wir waren gezwungen, den ganzen Weg größtenteils zu Fuß zurückzulegen, da wir sonst vor Kälte in dem scharfen Winde auf dem Pferde erstarrt wären. Schnee, Schnee und wieder Schnee! An den Mähnen und Schwänzen der Tiere hängen Eiszapfen. Ein lebhafter Karawanenverkehr findet im Winter hier statt, da der direkte Weg von Bamian nach Kabul über den Hajigakpaß dann infolge des Schnees gesperrt ist. Ein kleiner, schwarzer Esel war unter seiner Last zusammengebrochen und blickte uns traurig aus seinen großen dunklen Augen an, als wir vorbeiritten. Ein paar Reiter sausten im vollen gestreckten Galopp über die Schneefelder dahin; Kamelkarawanen zogen langsamen Schrittes durch die weiße Bergwelt. Auf der Paßhöhe befinden sich einige Unterkunftshütten. Im Freien wurde ein großes Feuer angezündet, Tee getrunken und gefrühstückt. Herrlich war die uns umgebende Bergwelt! Die weißen Schneefelder strahlten ein solch helles Licht aus, daß man fast geblendet wurde. Der Weg hinunter nach Kasi Besé war an vielen Stellen stark vereist, so daß wir auch hier die Tiere immer führen mußten. Aber auf der Straße wurde tüchtig gearbeitet. Die vereisten Stellen wurden mit Sand und Kies bestreut. In Kasi Besé erwartete uns das Auto, das uns noch am selben Tage nach Siah-Gird brachte. Wir blieben nun zwei volle Tage in diesem Dorf, denn es handelte sich darum, einige Kohlevorkommen in der Umgegend zu begutachten. Zu dem einen Vorkommen, das nicht sehr weit entfernt lag, gingen wir zu Fuß, denn es waren am ersten Tage keine Pferde aufzutreiben. Das ganze Tal zwischen der Paghman- und Hindukuschkette muß in früheren Zeiten einmal von einem See bzw. Sumpf ausgefüllt gewesen sein, denn überall treffen wir Sandsteine, Mergel, Tone mit eingeschalteten dünnen Kohlebändern. Später, also in ziemlich junger Zeit, hat das ganze Gebiet dann starke Störungen erfahren. Auf diesen mehr oder weniger eintönig grau gefärbten Ablagerungen liegen die tiefdunkelroten Sandsteine und Konglomerate des Jungtertiärs. An einer Stelle erhoben sich die Ruinen einer alten Lehmfeste, die ebenfalls aus tiefrotem Gestein aufgeführt war. Alle Bäche und Rinnsale, die wir antrafen, führten tiefrotes Wasser. Die rote Farbe rührte zweifellos von dem Eisengehalt der alten Kalksteine her, die sich an den Südhängen des Hindukusch hinziehen. Im Tale selbst befinden sich einige große, junge Terrassen, auf denen verfallenes Gemäuer steht. Interessanter war der Besuch von Gaoparan, das in der Paghmankette liegt. Wir ritten wieder in das kleine Tal ein, in dem wir tags zuvor schon gewesen waren, und wandten uns dann langsam, immer höher ansteigend, gen Süden. Die Gegend ist außerordentlich fruchtbar; überall längs der kleinen Bäche, die von der Paghmankette herabkommen, dehnen sich Gärten und Anpflanzungen aus. Die Abhänge sind kunstvoll bewässert; Aprikosen, Äpfel und Weintrauben aus dem Ghorbendtal sind wegen ihrer Güte weit und breit bekannt. In Gaoparan statteten wir dem Distriktschef einen Besuch ab. Wir wurden mit herrlichem Obst bewirtet und erhielten den nie fehlenden grünen Tee, der immer aus kleinen Schalen getrunken wird. Sowohl die Tassen wie die Teekannen sind russisches Fabrikat. Der hohe Beamte war nicht sehr freundlich im Gespräch. Es dauerte auch geraume Zeit, bis man uns andere Pferde stellte. Dann zogen wir tiefer in die Bergwelt hinein und kamen in große Schneefelder. Das Wetter war schön, sonnig, und wir hatten nach allen Seiten einen herrlichen Ausblick auf die hohen Berge. Hinter Gaoparan trafen wir keine Menschenseele mehr. Wir waren allein inmitten der Schneefelder; kein Windzug rührte sich, und es war warm wie im Sommer. Je höher wir kamen, um so umfassender wurde der Blick. Die Kohlevorkommen waren recht kläglich und bestanden aus kleinen, dünnen, stark gestörten Bändern. Wir blieben lange in diesem Gebiet und kehrten dann am Nachmittage nach Gaoparan zurück. Dieses kleine Dorf liegt wie ein Räubernest in den Bergen; die Häuser sind an die Hänge angelehnt. Unter der Bevölkerung sah ich sehr hübsche Menschen; besonders die kleinen Mädchen sahen – trotz des Schmutzes – ganz reizend aus. Wir hielten uns hier wieder einige Zeit auf und traten dann am Spätnachmittag den Heimweg an. Als die Sonne unterging, wurden die Schneefelder des Hindukusch mit einem Hauch von Rosa übergossen, so fein und duftig, daß man die Schneegipfel fast mit den rosa Abendwolken verwechseln konnte. Dann rückten die blauen Schatten höher und höher und die Nacht hüllte das Tal ein. Es war sehr dunkel, als wir endlich wieder in unserem Quartier in Siah Gird eintrafen. Am anderen Tage fuhren wir nach Dschebl-es-Seradsch. Der Weg war an vielen Stellen durch Blöcke gesperrt und wir mußten oft halten, um diese aus dem Wege zu räumen. Gegen Mittag kamen wir in Dschebl-es-Seradsch an und wurden im Gouverneursgebäude untergebracht. Von der Terrasse des Palastes aus hat man einen herrlichen Blick auf das umliegende Land. Tief unter uns zur Rechten sahen wir den schäumenden Ghorbendfluß, zur Linken den Pändschschir; und ringsherum hohe Berge. Im Südosten ragten trotzige wilde Felsgipfel auf – dort lag Kafiristan, in das tiefer einzudringen bisher nur zwei Engländern gelungen war, Robertson im Jahre 1889 und Mc. Nair bereits 1883. Das Land soll so wild und zerrissen sein, daß man es mit einer Karawane nicht durchziehen kann, es sei denn, man hätte Träger. Wenn man die Literatur über dieses seltsame Land durchsieht, stößt man oft auf Widersprüche. Die einen schildern die Kafiren als lustige, den Europäern wohlgesinnte Menschen; die anderen berichten, daß sie das wildeste Räubervolk seien, das man sich denken könne. Die Kafiren halten sich selbst für Abkömmlinge der alten Griechen. Holdich – wohl einer der besten Kenner Afghanistans – glaubt, daß die Kamdesch-Kafiren Nachkommen der alten Nysaeer sind, die Alexander den Großen auf seinem Zuge nach Indien als Landsmann und Religionsgenossen begrüßten. Die Kafiren zerfallen in viele Stämme. Sie sprechen verschiedene Sprachen und bekämpfen sich untereinander genau so wie die Grenzvölker an der indisch-afghanischen Grenze. Bis zu dem Augenblick, wo Emir Abdur Rahman seinen Glaubensfeldzug gegen sie antrat, hatte kein mohammedanischer Eroberer – vielleicht mit Ausnahme Timurs – den Versuch gemacht, dieses Land zu unterwerfen. Noch heute sind die Kafiren gefürchtet, und keines der an Kafiristan – oder besser Nuristan (das von der Religion erleuchtete Land) – angrenzenden Gebiete ist vor ihren räuberischen Überfällen sicher. Auch die Bewohner des Pändschschirflusses sollen gefürchtete Räuber sein. So hat sich dieses Gebiet noch bis zum heutigen Tage eine gewisse Selbständigkeit bewahrt; denn der Einfluß und die Macht der Kabuler Regierung ist hier nicht groß. Wir bestiegen in Dschebl-es-Seradsch die nördlichen Hänge des »Eisenberges«, der aus Kalksteinen und sehr vielen Roteisenerzgängen besteht. Von hier aus konnten wir sogar den Sefid-kuh bei Dschelalabad sehen, der sich wie eine weiße, gezähnte Mauer am südöstlichen Horizonte abhob. Das große breite Tal, das vom Hindukusch nach Kabul sich hinzieht und unter dem Namen Koh-i-Daman bekannt ist, halte ich für ein eingebrochenes Becken, das – von alten See- und Flußablagerungen angefüllt – jetzt reich bewässert und außerordentlich fruchtbar ist. Von den Seiten der die Ebene begrenzenden Berge schieben sich Schuttkegel ins Tal. Dort liegen die in Maulbeer- und Aprikosenhainen versteckten Lehmdörfer Istalif, Deh-i-Nao und Istargij. [Illustration: 51. Aufbruch meiner Karawane im Hindukusch (Ghandak)] Von Dschebl-es-Seradsch unternahm ich später einmal eine Fahrt nach Gul Behar, das am Pändschschirflusse liegt. Der Fluß ist dort von prächtigen alten Maulbeerbäumen eingesäumt und ein Dorf liegt neben dem anderen. Früher muß auch der Pändschschir einmal in einem höheren Niveau geflossen sein, denn er wird auch von alten Flußterrassen eingefaßt, auf denen die Dörfer liegen. Wir konnten auch einen Blick in die Schlucht werfen, durch die der Pändschschir aus dem Hindukusch tritt. Die Berge waren fast alle schneefrei, aber die Hauptkette, die wir im Hintergrunde sahen, bildete eine einzige weiße Schneemauer. Gerade am Eingang der Schlucht, jenseits Gul Behar, liegt an den Felsen angeklebt ein Räubernest. Gewaltig sollen die Fluten sein, die sich zur Zeit der Schneeschmelze durch die Täler wälzen und alles mit sich reißen, was in ihren Weg kommt. [Illustration: 52. Landschaftsbild bei Kabul] Sicherlich ist das Gebiet zwischen Dschebl-es-Seradsch und Tscharikar schon in ältesten Zeiten besiedelt gewesen, da hier ein großer Knotenpunkt für alle Karawanenstraßen ist. Von Osten (Pändschschir-Chawak), von Westen (Bamian-Ghorbend), von Norden (Hindukuschpässe) und von Süden (Kabul) treffen alle Straßen hier zusammen. Noch ungelöst ist die Frage, ob Alexanders des Großen Städtegründung Alexandria in dieser Gegend lag. Viele Forscher vermuten, daß die Stadt auf der Begram-Ebene südöstlich von Tscharikar gelegen habe, denn hier hat man viele Münzen gefunden, die aus alter, griechisch-baktrischer Zeit stammen. Auch sollen Überreste aus buddhistischer Zeit aufgedeckt worden sein. [Illustration: 53. Blumenbeete bei Darulaman und die neue Straße Kabul-Darulaman] Die Koh-i-Daman-Ebene mit dem Ghorbendtal ist einer der fruchtbarsten Landstriche Afghanistans. Fährt man von Dschebl-es-Seradsch nach Kabul, so passiert man Dorf an Dorf, Garten an Garten, während zu beiden Seiten sich die hohen, pittoresken, kahlen Berge hinziehen. [Illustration: 54. Auf dem Wege nach Dschelalabad] Bei bitterkaltem Wetter und einem schneidenden Winde trafen wir wieder in Kabul ein und freuten uns, bald Indiens sonnige Fluren grüßen zu können. Da nämlich im Laufe des Januar ein Dampfer in Karatschi eingetroffen war, der eine große Sendung für unsere Gesellschaft an Bord hatte, mußte einer von uns nach Indien, um die Sendungen von dort aus nach Kabul auf den Weg zu bringen bzw. sie in Peshawar einzulagern. Da auch zwei Autos in der Ladung waren, die aufmontiert werden mußten, schloß sich Blaich, der mit allen autotechnischen Arbeiten vertraut war, mir an. XII IM AUTO VON AFGHANISTAN NACH INDIEN Wochen verstrichen, und es wurde Zeit, daß wir uns für die Reise nach Indien rüsteten. Endlich am 18. März, frühmorgens, stand das für die Fahrt gemietete Auto vor unserem Hause. Es war halb sieben, und es begann zu dämmern. Der Himmel war bewölkt. Kein Mensch war zu erblicken, als wir durch die noch schlafende Stadt fuhren. Es war still; nur das Rauschen des Kabulflusses drang an unser Ohr. Bald hatten wir die Stadt und ihre Gärten hinter uns und fuhren der aufgehenden Sonne und den Bergen entgegen. Hin und wieder trafen wir Afghanen, die der Stadt zueilten, und langsamen Schrittes zog eine Kamelkarawane an uns vorüber. Bei Khurd Kabul erreichen wir die Talsperre; ein kleiner, blaugrüner See ist durch diese hier aufgedämmt. Er liegt wie ein geschliffener Türkis inmitten der verwitterten, düster ausschauenden Schieferberge, die noch auf den Kuppen Schnee tragen. Wir halten einige Minuten, um Benzin aufzufüllen, und dann geht es hinein in die Bergwelt. Höher und höher schrauben wir uns, bis wir endlich die ca. 3000 Meter hohe Paßhöhe des Häftpasses erreichen, von der aus wir einen wundervollen Blick auf die hohen Berge Laghmans und des wilden Kafiristan haben. Aber die Luft ist noch nicht ganz klar, und es sieht aus, als ob ein dünner lila Schleier über den tiefen Tälern liegt. In Serpentinen geht es wieder hinab, und die Kurven sind manchmal recht scharf. Eine Strecke lang sind die verwitterten Berghänge mit kleinen, dunkelgrünen Büschen bedeckt, und oft erfreut eine saftig grüne Wiese im Talgrund unser Auge. Der Chauffeur hat den Motor abgestellt, denn infolge der starken Neigung fahren wir auch so mit sausender Geschwindigkeit dahin. Oft begegnen uns Karawanen, und es dauert manchmal lange, bis es uns gelingt, an diesen vorbeizukommen. Stets gibt es Unordnung: Tiere reißen sich los, Lasten fallen zu Boden, die Männer schimpfen und fluchen und blicken uns vorwurfsvoll an. Langsam geht es hinunter nach Djegdellek und Surkh-pul. Hier in diesen Schluchten war es, wo 1841 der letzte Rest der anglo-indischen Armee von den Afghanen niedergemetzelt wurde. Die Leiden dieses Rückzuges müssen furchtbar gewesen sein. Es war mitten im Winter, in furchtbarer Kälte und tiefem Schnee, als die Armee unter ständigen Angriffen der Ghilsais von den Höhen aus sich den Rückweg zu erkämpfen suchte. Zu Hunderten, zu Tausenden kamen sie um – – verdursteten, erfroren, verhungerten oder wurden von den Afghanen abgeschlachtet und niedergeschossen; nur ein einziger Überlebender sollte den Untergang der Armee melden können. Bei Surkh-pul passieren wir eine große, rote Brücke und machen an der Straße Rast, wo einige kleine Verkaufsstände aufgeschlagen sind. Ein alter, zudringlicher, in Lumpen gehüllter Bettler will nicht von uns weichen. Die Kinder, unter ihnen bildhübsche kleine Mädchen, stehen um uns herum, betasten das Auto und starren uns an. Wir fahren über kleine, sandige Pässe auf das Plateau von Ghandamak hinauf, wo 1879 die Friedensverhandlungen zwischen Engländern und Afghanen stattfanden. Dann geht es hinunter in die Djelalabader Ebene. Ein schwarzgrüner Zypressenhain, in dem ein kleines Bungalow liegt, ist Nimla. Im Süden zieht sich der schneebedeckte Sefid-kuh hin, dessen untere Hänge mit Fichtenwald bestanden sind; der einzige Wald, den ich in ganz Afghanistan gesehen habe! Die Vegetation wird üppiger und üppiger; wir fahren auf einer von hohen Tamarisken eingefaßten Chaussee dahin (Abb. 54). Das blaugrüne, fein zerschlitzte Laubwerk der Bäume sticht scharf gegen das saftige Grün der Wiesen und Felder ab. Gegen vier Uhr nähern wir uns der Stadt; Kinder spielen am Straßenrande und haben sich mit Blumen geschmückt – wir sind aus dem winterlichen Kabul in den Sommer gefahren! Um halb fünf treffen wir in Djelalabad ein und werden im Sommerpalast Bagh-i-Schahi untergebracht. Ganz Djelalabad ist eine üppige Oase. Hohe Tamarisken neigen sich über die großen, breiten, gut gepflegten Alleen; Garten reiht sich an Garten, und der Blumenduft ist geradezu betäubend. Abends sitzen wir auf der Terrasse des Gartenschlosses und blicken auf den kleinen, künstlich angelegten See zu unseren Füßen. Es ist fast totenstill; man hört nur das leise, feine Zirpen der Zikaden und das Plätschern der kleinen Springbrunnen. Die Luft ist schwül; es hat sich wenig abgekühlt, und kein Luftzug regt sich, so daß der Rauch unserer Zigaretten in der Luft stehenbleibt. Ehe es dunkel wird, mache ich noch ein paar Skizzen. Dann geht der Mond auf. Vor uns am See ragt eine riesige Palme mit prachtvoller Krone auf und hebt sich scharf vom blauen, sternübersäten Nachthimmel ab. Ernste Zypressen stehen wie Wächter um den See; aus dem Dunkel des Gebüsches leuchten große, weiße Rosen, und schwer liegt der süße Duft von tausend Blüten auf dem Garten. Wir sitzen noch lange auf der Terrasse; selten, daß einer ein Wort spricht. Hier könnte man lange träumen! Nach der Zeit in Kabul kommt es uns hier märchenhaft schön vor, und morgen soll es nach Indien gehen! Während des ersten afghanischen Krieges hat Djelalabad eine große Rolle gespielt, da sich hier die eine englische Brigade unter General Sale verschanzt hatte. Wenn man die Berichte aus jenen unglücklichen Tagen des Januar 1842 durchliest, kann man sich ein Bild machen, in welch furchtbarer Ungewißheit und Angst um ihre in Kabul zurückgebliebenen Kameraden und den Rest der Armee die paar Offiziere waren, die die Djelalabader Garnison befehligten. Langsam war es ihnen zur Gewißheit geworden, daß ein furchtbares Schicksal die Armee betroffen haben mußte. Am 13. Januar sollte die Botschaft kommen. Man arbeitete gerade auf den Wällen, als man auf der Straße, die nach Kabul führt, einen einsamen Reiter erblickte, der langsam und mühsam, als ob Pferd und Reiter jeden Augenblick vor Schwäche zusammenbrechen wollten, näher kam. Ein Schaudern ergriff die Leute: jener einsame Reiter sah wie der Todesbote aus! Ihre Ahnungen erwiesen sich als richtig. Es war der einzige Mann, der die Geschichte von der vollständigen Niedermetzelung der Armee melden sollte. Man brachte den Verwundeten, Erschöpften, Halbtoten ins Fort: es war Dr. Brydon, und er berichtete, daß er der einzige Überlebende einer Armee von 16000 Mann wäre. Wenn man heute in Djelalabads Blumengärten weilt und die Stille und den Frieden atmet, der über dieser kleinen paradiesischen Oase und der fruchtbaren Ebene liegt, dann ahnt man nichts von den Leiden, die dieses Tal schon gesehen hat. In der Nähe von Bagh-i-Schahi steht das Winterschloß des Emir inmitten eines herrlichen Blumengartens, und nicht weit entfernt ist die Stelle, wo am 20. Februar 1919 der Vater des jetzigen Königs – Habibullah – ermordet wurde. In aller Frühe brechen wir von Djelalabad aus auf. Bald haben wir das Grün der Gärten und Felder hinter uns gelassen und kommen wieder in echt afghanische Landschaften, in denen kaum ein Fleck Grün das Auge entzückt. Die Straße ist schlecht, und wir können nur langsam fahren. Die Flußbetten sind fast ausgetrocknet; ein Glück für uns, da die Brücken schlecht und manchmal zerstört sind. Hin und wieder treffen wir kleine Trupps Nomaden – Mohmands. Die Frauen und Mädchen gehen hier nicht verschleiert, und man sieht oft hübsche Gesichter, dunkeläugige Mädchen, um deren schwarzes Haar schöner Silberschmuck geschlungen ist. Sie tragen alle tiefschwarze, in Falten herabfallende, pyjamaähnliche Gewänder. Trostlos öde, wie von der Sonne verbrannt, sehen die Berge aus. Sie bestehen aus Schiefer und Gneis. Wir fahren weiter durch eine große, sandige, mit Blöcken bestreute Ebene, in deren schlechten Wegen die Räder des Wagens tief einsinken. Nur langsam können wir vorwärts kommen. Wärmer wird es, schwüler. Die Farben, in die die Landschaft getaucht ist, sind unendlich zart und duftig; im hellsten Lila schimmern die Berge im Norden des Kabulflusses, der sich wie ein silbernes Band durch die fruchtbare, hellgrüne Ebene von Lalpura schlängelt. Wir kommen nach Dekka. Unten am Flusse, inmitten eines kleinen Hains, liegt das Wächterhäuschen, wo unsere Pässe kontrolliert werden. Man bewirtet uns mit Tee und Obst, und dann geht es hinein in den Khaiber-Paß. Zwischen Dekka und dem Passe treffen wir keinen Menschen. Die Fahrt dauert ca. 20 Minuten. Wild zerrissen sind die Berge, und man ahnt, wie schwer hier die Kriegführung sein muß. Unbarmherzig brennt die Sonne hernieder und die Luft flimmert über den nackten Felsen. Wir fahren an zwei verlassenen, kleinen Lehmhütten vorbei; dann treten die Berge wieder enger zusammen, und bald sehen wir das Khaiber-Haus hoch oben auf einem Berge thronen. An der Grenze ist ein Stacheldrahtzaun gespannt, und auf einer großen Tafel liest man: It is absolutely forbidden to cross the border into Afghan Territory (Abb. 61). (Es ist absolut verboten, die Grenze nach Afghanistan zu überschreiten.) Hoch oben links an den Berghängen stehen ein paar Baracken, wo der afghanische Grenzposten Wache hält. Er kommt herunter, prüft noch einmal unsere Pässe, und dann können wir unsere Reise fortsetzen. Bald haben wir das erste große englische Barackenlager erreicht – Lundi Khana –, und dann geht es immer höher hinauf, bis Ali Mesjid in Sicht kommt. Die Straße ist meisterhaft angelegt und nur für den Autoverkehr geöffnet; die Karawanen gehen im Tale, auf der für sie angelegten Straße. Hier auf der Khaiber-Straße bekommt man eine Vorstellung von dem Leben, das sich auf den großen Karawanenwegen, die Indien mit den Nachbarländern verbinden, abspielt. Aber nur an zwei Tagen in der Woche ist der Paß für den Karawanenverkehr freigegeben. Immer wieder und wieder muß man die Nomaden betrachten, die mit ihrem ganzen Hab und Gut große Strecken durch die öden Gebirgsländer Zentralasiens zurücklegen (Abb. 59). Alle gehen zu Fuß: Frauen in schwarze oder tiefblaue Gewänder gehüllt, schwere Bündel auf dem Kopf tragend oder mit Stöcken die Tiere antreibend; junge Mädchen, häufig zerrissen, zerlumpt, aber schön wie junge Zigeunerinnen; junge Burschen und Greise, die der Karawane vorauseilen. Auf einem der größten Kamele sieht man zuweilen auch kleine Kinder thronen, die ängstlich mit ihren schwarzen Augen in die Welt blicken und dem Hühnervolk Gesellschaft leisten, das auch auf dem hohen luftigen Sitze die weite Reise mitmacht. [Illustration: 55. Unser Wohnhaus] Und dann geht es in großen Serpentinen hinab ins indische Flachland, über dem ein grauer Dunstschleier liegt. Bald grüßt uns der im Winde flatternde »Union Jack« vom Jamrud-Fort, wo unsere Pässe noch einmal kontrolliert werden, und in einstündiger Fahrt treffen wir mittags in Peshawar ein. [Illustration: 56. Afghanischer Karawanenführer] XIII PESHAWAR Die ersten Tage in Peshawar waren für uns, nach dem Leben, das wir in Kabul geführt hatten, eine wahre Erholung. Wir erhielten ein hübsches, geräumiges Hotelzimmer mit Bad, und die Bedienung ließ nichts zu wünschen übrig. Die Verpflegung war erstklassig, und erst jetzt merkten wir, wie einfach wir in Kabul gelebt hatten. [Illustration: 57. Friseur und Schuster, Kabul] Morgens um sechs Uhr oder halb sieben brachte uns der Boy bereits das »tschota hasri«, das kleine Frühstück, das aus Tee, geröstetem Brot und Obst bestand, ans Bett. Nach dem Breakfast und dem Lesen der Zeitungen und Post nahmen wir uns einen Tonga und fuhren in die Stadt, um hier unserer Arbeit nachzugehen: Warensendungen zu deklarieren, Kisten umzuladen und mit Karawanenführern zu verhandeln (Abb. 68). [Illustration: 58. Afghanen] Der Weg von Deans Hotel nach der »City«, wie die Eingeborenenstadt heißt, verläuft längs der Eisenbahn. Der Bahndamm trennt hier zwei Welten; auf der einen Seite liegt das »Cantonment«, das Europäerviertel, auf der anderen die City. Die Engländer verstehen es wie vielleicht keine andere Nation sich ein hübsches, gemütliches Heim zu schaffen, selbst unter den erschwertesten Bedingungen. Jedes Bungalow ist ein kleines Schloß für sich, das wie ein Edelstein im Grün der Bäume und inmitten einer unbeschreiblichen Blütenpracht versteckt liegt. Überall bewahrheitet sich der englische Spruch: »My home is my castle.« Dann zog ich wohl einen Vergleich zwischen Indien und Rußland, zwischen dem Pändschab und Russisch-Turkestan, zwischen Peshawar und Kuschk. Hier in Indien herrscht überall die peinlichste Ordnung und Sauberkeit. Selbst in den kleineren Städten sieht man den englischen Einfluß. England hat Indien Ruhe und Sicherheit geschenkt, das muß jeder zugeben, der sich einmal gründlicher mit der Geschichte Indiens beschäftigt hat. Würde England heute aus Indien herausmüssen, so wäre das Chaos die notwendige Folge. Die Spannungen zwischen Mohammedanern und Hindus sind doch derart, daß diese niemals in Eintracht miteinander regieren würden. England hat aus Indien erst das gemacht, was es heute ist. Das wissen die Inder auch sehr gut, wenn sie es auch nicht immer zugeben wollen. Selbst hochgestellte Inder, wie Tagore, ahnen, daß das Volk noch nicht reif ist, sich selbst zu regieren. Sie fürchten die große Masse. Nur eine starke Hand kann das Riesenreich zusammenhalten, der Inder ist zu schwach dazu. [Illustration: 59. Nomaden auf dem Weg von Kabul nach Dschelalabad] Daß Turkestan bei einem Vergleich mit Indien schlecht abschneidet, wird keinen verwundern, der Russen und Engländer in ihrer Arbeit und Lebensweise kennt. Der Engländer ist der Mann der Praxis, der große Wegebauer, der große Bewässerungsingenieur, dem kein Gelände zu schwierig, kein Volk zu wild ist; kurz, der einfach keine Hindernisse kennt. Der, wenn er einmal etwas unternimmt, dieses auch gründlich und restlos, manchmal allerdings auch rücksichtslos durchführt. Ich brauche nur an die großen Autostraßen zu denken, die das Pändschab durchziehen, und sie mit den Straßen in Turkestan zu vergleichen, oder nur an die Bahn Merw–Kuschk und die Bahn Peshawar–Khaiber-Paß. [Illustration: 60. Zollhof Kabul] Die Engländer sind ein Herrenvolk, das sich seiner weißen Rasse stets bewußt ist und stets bewußt bleiben wird, und das immer eine gewisse Distanz von den farbigen Rassen zu wahren weiß. [Illustration: 61. Die indisch-afghanische Grenze] Der Russe ist Halbasiate. Schon in Moskau fängt Asien an. Er ist genügsam bis zum äußersten. Wir Westeuropäer würden solch ein Leben, wie er es jetzt führt, einfach nicht ertragen können. Unsere Seele würde sterben, die Freude am Leben schwinden. Die Sonne würde fehlen. Wir Deutsche sind – wie die Engländer – viel zu sehr an Ordnung, Sauberkeit und einen gewissen Wohlstand gewöhnt, als daß wir in düsteren Stuben wohnen könnten, in die kein Licht und kein Sonnenstrahl fällt. [Illustration: 62. Afridi in Peshawar] Je näher man der Eingeborenenstadt kommt, um so lebhafter wird der Verkehr. Große zweiräderige Ochsenkarren schleppen sich langsam über die staubigen roten Straßen, Zebus, hübsch geputzt, mit vergoldeten Hörnern, ziehen kleine Wägelchen, und Eselkarawanen trippeln vorbei. Unter den großen, schattenspendenden Mango- und Banianenbäumen sitzen die Männer, rauchen Wasserpfeife, trinken Tee oder schlafen. Durch das Laubwerk der Bäume fallen die Sonnenstrahlen und streuen blendende Flecke auf den roten Boden. Am Grabenrande liegen die Wasserbüffel; einige stehen im Wasser unbeweglich, als ob sie schliefen, andere gucken nur mit dem großen Kopf aus dem schmutzigen Tümpel heraus. Beim Edwardstor ist der Eingang zur City. Hier reiht sich Verkaufsladen an Verkaufsladen, alles offene Stände, wie wir sie auf unseren Jahrmärkten haben. Das Gedränge ist riesengroß, und der Fahrer muß ständig klingeln und schreien, um sich den Weg durch die Menge zu bahnen (Abb. 64). Und über allem liegt die Sonne, und der blaue Himmel strahlt auf das bunte Leben hernieder. An jeder Straßenkreuzung steht ein eingeborener Polizist in graugrüner Uniform und blaurotem Turban, der für Ruhe und Ordnung sorgt. Auch hier im Peshawar-Basar sieht man manchmal hübsche indische Frauen, besonders den Grenzstämmen angehörend. Eng werden manchmal die Gassen, so daß man kaum noch mit dem Wagen hindurchfahren kann. Begegnen sich zwei Gefährte, so muß das eine zurückfahren, bis eine Seitengasse kommt, in das es einbiegen und dem anderen Gefährt den Weg freigeben kann. Von den Dächern der Häuser hat man einen herrlichen Ausblick auf die umliegende Bergwelt. Besonders morgens, wenn die Luft noch klar und rein ist. Wie eine weiße Sägelinie ziehen sich die hohen Ketten im Norden am Horizonte hin. Die Hauptkette des Himalaja kann man nicht sehen; aber schon der Anblick der Mohmandberge ist imposant. Die Farben der fernen Ketten sind außerordentlich weich und duftig. Wie lila Schleier schimmern ihre Felsen, die mit blendend weißen Schneeflocken gekrönt sind. Dicht vor der City liegt der Zoologische Garten, der weniger durch seinen Tierbestand als durch seine herrlichen Anlagen das Auge erfreut (Abb. 65). Am schönsten war es hier immer morgens oder abends. Die Anlagen sind sehr gut gepflegt, und die Blütenpracht war unbeschreiblich schön. Einige Laubengänge waren über und über mit einer rankenden, tiefviolett blühenden Klematis überwachsen, und die frischen Schößlinge der Palmen leuchteten in gelbgrünen Farben. Der Reiz der Tropenvegetation liegt zweifellos in der Mannigfaltigkeit der Formen und besonders der Farbentöne. Alle Nuancen von Grün sind vorhanden, vom hellsten Gelbgrün bis zum weichen Blaugrün der Tamarisken, durch das sich die schwarzen Stämme ziehen und gegen das der dunkelrote Lateritboden absticht. Friede und Ruhe herrschten hier. Eines Tages unternahmen wir eine größere Autofahrt, die uns durch den Zoo an den Kabulfluß führte. Viele Bewässerungskanäle sind hier vom Hauptflusse abgezweigt, den wir auf einer Pontonbrücke kreuzen. Das Wasser ist eine Lehmsuppe von gelbbrauner Färbung, und die Strömung ist sehr stark. Man hat von hier einen umfassenden Überblick über die weite Peshawar-Ebene, die von einem Kranze hoher Berge eingefaßt ist. Die Gipfel im Westen sind schneefrei, kahl und felsig und schimmern braunrot in der Nachmittagssonne. Wir fahren dicht beim Chakdarra-Fort vorbei und eilen weiter an die Grenze des unabhängigen Gebietes, das mit kleinen Wachttürmen besetzt ist. Wir kreuzen den Kabulfluß wieder bei Michni, wo eine große eiserne Brücke über den Fluß führt. Hier tritt der Kabulfluß aus einer tiefen Schlucht heraus, die er sich durch die Mohmandberge gesägt hat. Langsam neigt sich die Sonne dem westlichen Horizonte zu, der sich rotgelb zu färben beginnt. Grüne Papageien flattern oft aus den Büschen auf, wenn wir vorbeifahren, und kleine graue Eichhörnchen klettern schnell auf die Bäume. Auf dem Wege ziehen Nomaden: Mohmands und Afridis (Abb. 62). Die Frauen sind ganz in Schwarz gekleidet, groß und stolz schauen sie aus, und ihre bildhübschen Gesichter sind sehr anziehend; aber sie sind nur schön, solange sie jung sind; später werden sie grauenhaft häßlich, und oft kann man wahre Hexen sehen. Alle diese an der indisch-afghanischen Grenze wohnenden Stämme sind berüchtigte Räuber. Nicht etwa, daß sie ihre Überfälle ausschließlich auf die Engländer richten; nein, jede Karawane, die durch ihr Gebiet muß, ist gefährdet, und auch unter sich führen sie ständig Kleinkrieg. Jedes Dorf hat seinen grauen, viereckigen Wachtturm, und jeder sieht in seinem Nachbarn einen Räuber. Das Heimatland dieser Völker hat sie von Kind auf zu Räubern erzogen. Es ist ein wildes, zerrissenes Bergland, das auf Schritt und Tritt Räubern Schlupfwinkel bieten kann. Unten in den Tälern verlaufen die großen Karawanenstraßen, und am Fuße der Berge liegen in fruchtbaren, grünen Ebenen die großen Städte, die mit ihrem Reichtum locken. Was ist einfacher, als hier zu plündern und dann mit dem Raub in die Berge zu verschwinden! Fast immer werden die Überfälle, die Raids, in der Nacht ausgeführt, und meistenteils schließen sich 10 bis 20 junge Burschen zusammen, um den Überfall zu unternehmen. Am räuberischsten sind die Wasiris, mit denen die Engländer schwere Kämpfe auszufechten hatten. Ein englischer Offizier fragte einmal einen Afridi, was sein Stamm tun würde, wenn ein Krieg zwischen Rußland und England ausbräche. Darauf gab der Alte zur Antwort: »Nun, wir würden hier auf unseren Berggipfeln sitzen und würden ruhig zusehen, wie ihr kämpft, bis wir genau merken, wer von euch unterliegen wird. Dann, im letzten Augenblick, werden wir uns von unseren Bergen herabstürzen und den Besiegten bis auf das allerletzte, das er hat, ausplündern! Allah ist groß! Was wäre das für eine Zeit für uns!« Eine Stadt, die häufig das Ziel der Überfälle war, ist Kohat, südlich Peshawar. Im Jahre 1922 drangen hier Afridis ein, schlichen, ohne von den Wachen bemerkt zu werden, in das Bungalow des Majors Ellis, der gerade verreist war, töteten seine Frau und verschleppten seine schöne 18jährige Tochter in die wilden Bergschlupfwinkel von Tirah. Hätte man eine Strafexpedition ausgerüstet, so wäre Miß Ellis sicher getötet worden. Dies wußte auch der High Commissionar der Nordwestprovinz, Sir John Maffey, und so nahm er das Anerbieten einer tapferen Krankenschwester, Mrs. Starr, an, die sich allein in das unabhängige Gebiet begab, den Aufenthaltsort der Miß Ellis ausfindig machte und sie wieder nach Indien zurückbrachte. Wie ihr dies gelang, das möge man in ihrem fesselnden Buche »Stories of Tirah and Little Tibet« nachlesen. Wie in Afghanistan so herrscht auch unter den Grenzvölkern die Blutrache, die sich Generationen hindurch auswirkt. England hat jetzt an verschiedenen Stellen große Straßen quer durch das unabhängige Gebiet gebaut, und überall sind Militärstationen über das Land verstreut. Mehr und mehr werden die wilden Grenzländer aufgeschlossen, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, wo der »Pax Britannica« auch endgültig in diese wilden Bergländer einziehen wird. Wer einen Einblick in die Arbeit der englischen Beamten und Offiziere erhalten hat, die an der indischen Nordwestgrenze stationiert sind, der weiß, was hier geleistet wird. Meinen Aufenthalt in Peshawar benutzte ich auch, um die Eingeborenensprache, das Hindustani, zu lernen. Ich hatte einen guten Lehrer, einen »Munschi«, engagiert. Er war erschreckend mager, und für ihn hätte auch die Bezeichnung »Knochenmensch« gepaßt, die wir seinem Kollegen in Kabul zugelegt hatten. Er trug dazu noch enganliegende Kniehosen und Wickelgamaschen, die seine Beine wie zwei Stöcke erscheinen ließen. Sonst kleidete er sich sehr elegant, hatte immer einen sauberen weißen Turban auf dem Kopfe und eine dünne Reitgerte in der Hand, obgleich er nie ritt! Sein Unterricht bereitete mir viel Freude, und ich machte bei ihm gute Fortschritte. Durch ihn erhielt ich auch viele interessante kunstgewerbliche Arbeiten. Ich hatte ihm nämlich gesagt, daß ich solche Sachen kaufen würde, und darauf kam er Tag für Tag mit neuen Dingen an, forderte manchmal zwar ganz anständige Preise, ließ aber auch mit sich handeln. Eines Nachmittags, als wir es uns nach einer Fahrt durch die Eingeborenenstadt in unserem Bungalowzimmer gemütlich machten, waren wir Zeugen eines interessanten Schauspiels. Wir lagen, so luftig wir nur irgend möglich angezogen, in den großen Liegestühlen, tranken Tee und aßen die mit dicker, goldgelber Butter bestrichenen Weißbrotscheiben. Es war ein sehr schwüler Maientag und dicke Wolken über den nahen Khaiber-Bergen ließen das kommende Gewitter ahnen. Gegen fünf Uhr erwartete ich meinen Munschi, aber merkwürdigerweise kam er nicht. So beendete ich meine Briefe und trat hinaus, um sie in den Postkasten zu werfen. Schon während ich schrieb, hatte ich ein seltsames Summen vernommen, mir aber nichts dabei gedacht. Nun aber sah ich, daß unsere kleine Veranda von einem Bienenschwarm aufgesucht worden war. Schon einige Wochen vorher hatte sich ein Schwarm in dem kleinen Holzschrank niedergelassen, der an der Wand der Veranda hing und in dem unser Teegeschirr untergestellt wurde. Der Schwarm hatte sich dort ganz häuslich eingerichtet, baute eifrig und von Tag zu Tag konnten wir den Fortschritt seiner emsigen Arbeit bewundern. Nun war ein zweiter Schwarm gekommen und wollte dem ersten den Platz streitig machen. Dieser setzte sich natürlich heftig zur Wehr, und es gab eine Schlacht, die mehrere Stunden dauerte und während der wir nicht aus unserem Zimmer ins Freie gehen konnten. Mit einer Hartnäckigkeit und einem Mut sondergleichen versuchten die Bienen des eingedrungenen Schwarmes sich Zutritt zu dem Kasten zu erzwingen. Immer wieder versuchten sie sich durch die schmalen Türritzen zu klemmen, um dann im nächsten Augenblick von Bienen des alten Stockes angegriffen zu werden. Meist stürzten sich gleich mehrere auf eine Biene und oft hing ein ganzer Klumpen beisammen, der dann auf den Boden fiel, wo stets der letzte Kampf ausgetragen wurde. Wie Brummkreisel surrten und drehten sie sich dann auf dem Boden, bis der Sieger dem Gegner den Todesstich versetzt hatte. Als gegen Abend der Kampf ausgekämpft war, zählten wir nicht weniger als 85 tote Bienen auf dem Boden. Der alte Stamm war Sieger geblieben und hatte sich behauptet, und nun kamen die Ameisen und fielen über die toten Bienen her. Schon während des Kampfes hatten sie zahlreiche Todesopfer weggeschleift und jetzt holten sie sich den Rest. Im Laufe einer halben Stunde war keine tote Biene mehr zu finden. Der alte Stamm aber baute friedlich weiter, und die Waben wurden von Tag zu Tag immer größer. In Peshawar erlebte ich auch ein heftiges Tropengewitter. Der Tag – es war der 6. Mai – war furchtbar schwül gewesen und man war so schlaff, daß man kaum eine Hand zu rühren wagte. Kein Luftzug gab etwas Kühlung, die wir wie nie zuvor ersehnten. Gewitterwolken zogen auf, blauschwarz, an manchen Stellen in violette Töne übergehend. In der Ferne rollte der Donner, langsam kam das Gewitter näher. Ein erster Windstoß läßt die Wipfel der hohen Bäume erzittern. Unheimlich still und drückend ist es. Näher und näher kommt der Donner, und blaue Blitze zittern über den von der Sonne fahl beleuchteten Felsbergen des Khaiber. Leise beginnt es zu tröpfeln. Jetzt folgt Donnerschlag auf Donnerschlag und dann bricht das Unwetter los. Der Regen wird dichter und dichter, und ganze Fluten stürzen vom Himmel. Wie eine Glaswand schiebt sich der Regen zwischen uns und die hohen Bäume des Gartens, so daß wir nur schwach noch deren Umrisse erkennen können; sie biegen sich im Sturm, und es kracht und knackt in den Ästen. Der rote Lateritboden wird aufgeweicht und rote Bäche fließen zwischen den grünen Rasenbeeten dahin. Immer stärker wird der Regen, der schließlich in Hagel übergeht. Immer größer werden die Schloßen, die mehr als einen Zentimeter im Durchmesser haben, und immer lauter wird das Trommeln auf dem Wellblechdach unseres Bungalows. Es hört sich wie Maschinengewehrfeuer an. Bald sind die Wege und der Rasen weiß. Wer hätte das gedacht – in Indien im Monat Mai! Die kleinen Apfelsinenbäume, die im Garten stehen, sind entlaubt und die kahlen Äste bieten einen traurigen Anblick. Es ist seit 30 Jahren das erstemal, daß das Wetter im Pändschab wieder so kalt ist. Überall im nordwestlichen Himalaja sind große Niederschläge niedergegangen. Nach dem Unwetter war das Thermometer um zehn Grad gefallen und wir froren bei dem plötzlichen Temperaturumschwung. Im Bungalow hatte es an verschiedenen Stellen durchgeregnet, und der Boy hatte viel zu tun, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Die kleinen Geckos, die sonst immer an den Wänden herumkrochen, hatten sich in ihre Schlupfwinkel in der Mauer zurückgezogen. Am Abend wetterleuchtete es noch ringsum, und schwarz wie Silhouetten geschnitten hoben sich die Bäume sekundenlang gegen den schwefelgelben Himmel ab. Die Abende werden mir stets unvergeßlich bleiben. Dann saßen wir in Korbsesseln im Freien auf dem grünen Rasen unter den hohen Bäumen, tranken unseren eisgekühlten Whisky Soda und träumten vor uns hin. Die unendliche Ruhe und Stille um uns, der Zauber der Tropennacht hielten uns umfangen. Man hörte nur das gleichmäßige Surren der Maschinen des nahen Elektrizitätswerkes oder von ferne her die Klänge eines Grammophons. Eines Sonntag abends gingen wir zum Gottesdienst und Konzert in die englische Kirche. Es war sehr feierlich, und selten haben Schuberts »Unvollendete« und Beethovens »Leonorenouvertüre« auf mich einen solch tiefen Eindruck gemacht wie dort in Peshawar. Aber die schöne Zeit ging auch zu Ende. Die wichtigsten Warensendungen waren nach Kabul auf den Weg gebracht und neue Arbeit erwartete uns dort. XIV SOMMERTAGE IN KABUL Schon im März hatte der Frühling in Kabul seinen Einzug gehalten; plötzlich, über Nacht. Die Wolken wurden in Schleier und Fetzen zerrissen und mußten dem strahlend blauen Himmel weichen; und wo die Sonnenstrahlen über den Boden liefen, da schmolz der Schnee in kurzer Zeit. Ein paar Tage waren die Straßen in Schlamm verwandelt (Abb. 33). In den Basargassen hatten sich Schlammseen gebildet, die man nur auf hineingeworfenen großen Steinen passieren konnte. Überall glitt man auf dem weichen, schlüpfrigen Boden aus, und über und über mit Schlamm bespritzt kam man abends nach Hause. Aber dieses Tauwetter mit seinem Schmutz, während dessen sich auch unsere Wohnung vor Feuchtigkeit aufzulösen drohte, ging vorüber, und der Frühling war da. Das erste zarte Grün kam hervor, und bald prangte das Land im schönsten Schmuck des Frühlings, der seine Blumenpracht über das Land streute. Wo noch vor 14 Tagen Schnee gelegen hatte, blühten jetzt die Rosen. Oft bewunderte ich die großen Rosenbüsche, die vor dem Eingang zur Ark standen. Hunderte weißer Blüten leuchteten aus dem Grün hervor, und ein unendlich süßer, betäubender Duft schlug einem entgegen. Auf den umliegenden hohen Bergketten aber lag der Schnee noch lange und auf den 5000 Meter hohen Spitzen der Paghmankette verschwand er erst im Herbst. Noch bevor ich im März nach Peshawar ging, waren wir wieder einmal umgezogen. Unser Hausherr ließ nämlich nichts mehr an dem Hause machen; wir lagen ständig in Streit mit ihm, und da riß uns denn doch schließlich die Geduld. An einem Sonntage zogen wir wieder mit unserem Gepäck in das neue Quartier, dem Konkurrenzhotel »Enderabi«, das von den Deutschen ironisch »Hotel Esplanade« getauft wurde (Abb. 41). Wir blieben dort bis Juli wohnen. Mit Blaich hatte ich ein kleines Zimmer, viel zu eng für all unsere vielen Sachen. Matt fiel das Licht durch die kleinen roten, blauen und orangefarbenen Fensterscheiben; arbeiten konnte man bei der Beleuchtung kaum. Am schönsten war unser Empfangszimmer, unser »Salon«! der war groß, hatte viele Fenster, war tapeziert und hatte einen großen Kronleuchter. Als ich im Juni von Peshawar zurückkam, waren noch weitere Herren unserer Gesellschaft eingetroffen. Wir waren nun sieben Personen und hatten noch weitere Zimmer im Hotel gemietet. Das Sommerwetter war herrlich. Tag für Tag blauer Himmel und Sonnenschein. Wenn ich jetzt meine meteorologischen Aufzeichnungen durchsehe, finde ich, daß wir von Anfang Juni bis Anfang Oktober 105 Sonnentage hatten, an denen auch nicht eine Wolke am Himmel sich zeigte. Wir hatten vom Dach unseres Hotels einen herrlichen Blick auf die Berge. Vor uns erhob sich der von der Bala Hissar und alten Befestigungen gekrönte Scher Derwaseberg. An einem schönen Sommertage habe ich ihn einmal bestiegen. Früh schon brach ich mit unserem neuengagierten Diener, dem Wasir, auf und bestieg den Bergrücken von der Südseite aus. Prächtig muß einmal das Bild gewesen sein, als die Befestigungen noch nicht geschleift waren, und Emir Abdur Rahman hier seine Residenz aufgeschlagen hatte. Jetzt liegt alles in Trümmern, und der Schutt der Ruinen vermengt sich mit den verwitterten Gneis- und Schieferbrocken, die den Berg überziehen. Auf einem großen Felsblock ließ ich mich nieder und ließ den Blick über das Land schweifen. Wie auf einer ausgebreiteten Landkarte sah ich das blaue Band des Flusses und die Stadt tief unter mir. Es war zuerst nicht ganz leicht, sich in dem Meer von Häusern und platten Dächern zurecht zu finden. Bald aber erkannte ich die Post, das Hotel Enderabi und das Gebäude des Auswärtigen Amtes, sowie die Ark; nun ging ich ganz systematisch vor, folgte den einzelnen Straßen und Häuserblöcken und langsam löste sich das verwirrende Bild. Es war neun Uhr, und schon war die Kraft der Sonne sehr groß. Ich zeichnete ein Panorama von den umliegenden Bergen, die in allen Farben schimmerten. Imposant war das Bild der Paghmankette, die mit ihren weißen Kuppen sich scharf vom hellblauen Himmel abhob. Lange blieb ich noch oben und konnte mich nur schwer von meinem schönen Aussichtspunkte trennen. Gegenüber von unserem Berge, von ihm durch das tief eingeschnittene Tal des Kabulflusses getrennt, erhob sich der Kuh-i-Asmai. Auf diesem war ich einmal an einem trüben Wintertage gewesen. Tief eingeschneit lagen damals die Berge und das Tal, und graue Nebel hingen über der Ebene. Der Kuh-i-Asmai ist niedriger als der Scher Derwaseberg; trotzdem hat man aber auch von ihm einen schönen Ausblick. Gegen elf Uhr wurde die Hitze unerträglich, und nachdem ich noch einige Gesteinsproben gesammelt hatte, begaben wir uns wieder nach Hause. Arbeitsreiche Wochen folgten. Auf dem Zollamte lagen Hunderte von großen Kisten, die alle der Verzollung harrten. Geduld muß man im Orient bekanntlich überall haben, noch mehr als Geduld aber beim Verzollen. Meistenteils gingen wir nach dem Essen nach dem Zollamt, das ziemlich versteckt mitten in der Stadt lag. Ein großes Tor, ein Innenhof voller Ballen, Kisten, Menschen, Kamelen, Eseln, Pferden, Autos und Ochsen, ein Geschrei und Geschimpf, ein Gedränge, daß man sich kaum zu retten wußte! Ständig schwirrte der Ruf: »Chaberdar, chaberdar! Vorsicht, Vorsicht!« durch die stauberfüllte Luft (Abb. 60). Oft stauten sich die Karawanen am Ausgang; dann ging es furchtbar her. Dann gab es Schläge und Schreie, ein Drängen und Stoßen, ein Kämpfen der Tiere untereinander. Mancher Huftritt wurde ausgeteilt, und oft hörte man das klägliche Heulen eines Hundes, der sich in das Zollamt verirrt und mit Steinwürfen und Fußtritten wieder hinausbefördert wurde. Für unsere Ladung war im Hofe ein eigener Raum reserviert worden. Wenn verzollt wurde, war stets der Mudir, der Direktor des Zollamtes zugegen. Er war ein sehr freundlicher Herr und besaß eine fabelhafte Ruhe, wie es sich für einen Zolldirektor gehört. Die Verzollung ging derart vor sich, daß der Wert der Waren von eigens dazu angestellten Schätzern geschätzt und von diesem Werte dann der Zoll, je nach Art der Ware, 20 bis 200 Prozent genommen wurde. Nun hatten wir in unserer Ladung natürlich sehr viele Sachen, die den Afghanen noch ganz unbekannt waren. Die wurden manchmal unnatürlich hoch eingeschätzt, und es mußte schwer gehandelt werden, bis die Afghanen endlich den Wert annahmen, den wir für richtig hielten. Viel Spaß hatten wir eines Nachmittags, als wir eine Kiste mit Spielwaren verzollten. Jedes einzelne Stück wurde angestaunt, und der Direktor selbst spielte den ganzen Nachmittag mit einem Affen, der die Trommel schlug! Riesengroß war die Freude und das Staunen, als wir ein kleines Automobil, das mit Federwerk versehen war, aufzogen und auf dem Boden laufen ließen. Großen Eindruck machte auch das Aluminiumgeschirr, das bisher in Kabul noch unbekannt gewesen war. Hatten wir die Kisten verzollt, so engagierten wir uns eine Anzahl Lastträger. Jeder schnürte sich eine der schweren Kisten auf den Rücken, und dann ging es im Gänsemarsch unserem Lagerraum zu. Manchmal war das Arbeiten im Zollamt kein Vergnügen. Wenn man auch nach Möglichkeit versuchte, uns das Arbeiten in jeder Weise zu erleichtern, so konnte man doch nicht verhindern, daß auch andere Händler und Kaufleute ihre Waren in der Nähe der unsrigen aufstapelten. Besonders unangenehm war es, wenn dort 50 bis 100 mit Hammelfett gefüllte Ledersäcke lagen. In der großen Hitze – stieg doch das Thermometer häufig mittags im Schatten auf 35 bis 40 Grad – war das Fett natürlich ranzig geworden, drang durch die Nähte der Säcke, lief an ihnen herunter, daß sie glänzten, als ob sie poliert seien und verbreitete dazu einen ekelerregenden Geruch. Sehr interessant gestaltete sich die Verzollung von Bier und Spirituosen. Auch dies war für die Afghanen natürlich etwas ganz Neues, da diese Getränke für die Mohammedaner verboten sind. Jeder von uns erhielt einen Schein, auf dem vermerkt war, wieviel Bier, Whisky usw. er im Jahre verbrauchen durfte. Kam dann eine Sendung an, so wurde die Anzahl Flaschen, die der betreffende haben wollte, von seinem Kontingent abgeschrieben. Auch waren wir verpflichtet, genau Buch darüber zu führen, an wen wir die Spirituosen verkauft hatten. Daß wir an Afghanen kein Bier verkaufen durften, versteht sich von selbst. Bei jedem einzelnen Gegenstand, den wir verzollten und der den Afghanen unbekannt war, mußten wir ihnen erklären, wozu er diente. Zollfrei war gar nichts – mit Ausnahme von gebrauchter Wäsche. Bücher, selbst Bilder von unseren Angehörigen mußten verzollt werden! Sicher ist der Zoll eine der Haupteinnahmequellen des Landes. War die Tagesarbeit getan, dann machten wir meistenteils noch einen Spaziergang, besuchten Bekannte und waren um acht Uhr zum Essen daheim. Auf dem Dache war es immer recht frisch. Dann saßen wir beim Scheine der Stallaternen, plauderten oder lasen. Später löschten wir auch wohl die Lampen aus und blieben beim Glanz der Sterne und des Mondes noch lange auf unserem Dach. Auch die Diener gingen meist spät schlafen. Lange noch sah man den roten Lichtschein aus der Küche in den Hof fallen. Meist saßen sie um das Feuer, plauderten, rauchten Wasserpfeife, oder Gulam – unser indischer Koch – las ihnen etwas vor, denn er war sehr gelehrt und war weit in Asien herumgekommen. In der heißen Jahreszeit schliefen die Diener immer im Hof. Nachts sank die Temperatur auf 25 bis 28 Grad Celsius, tagsüber erreichte sie im Schatten 38 bis 40 Grad Celsius. Um elf Uhr jeden Abend wurde ein Kanonenschuß abgegeben. Nach dieser Zeit durfte keiner mehr ohne Laterne ausgehen. Wurde man ohne Laterne von einem roten Polizisten erwischt, so mußte man die Nacht auf der Wache zubringen und am anderen Morgen Rechenschaft ablegen, was man so spät noch auf der Straße getrieben hatte. Wir schliefen bei offenen Fenstern und Türen. Oft wachte man nachts auf; dann hatte sich eine Katze oder ein anderer nächtlicher Ruhestörer ins Zimmer geschlichen. Manchmal fand man morgens die Küchenreste auf den Teppich verstreut, meistens schön abgenagte, weiße Knochen! Daß die Tiere sich als Nachtlokal immer gerade mein Zimmer aussuchten und meinen Teppich immer als Speisetisch nahmen, fand ich ungehörig! Wenn sie sich dabei leise und anständig benommen hätten, hätte ich auch noch ein Auge zugedrückt! Aber sie legten es doch manchmal darauf an, die Nachtruhe zu stören. Von meinem Feldbett aus warf ich dann wohl einen Stiefel, oder was sonst gerade zur Hand war, ins Zimmer. Dann war es einige Minuten still. Schließlich gab man dann doch den Kampf als aussichtslos auf, legte sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Im Hofe war auch das Hühnervolk untergebracht, unser lebender Proviant, der jede Woche frisch ergänzt wurde. Stets kaufte Gulam auch einige Hähne und ausgerechnet solche, die eine sehr laute Stimme hatten. Der eine war Tenor, der stets nachts übte; schon um drei Uhr begann er zu krähen, laut und vernehmlich! Dann antwortete von ferne ein anderer Hahn und sofort begann er wieder unermüdlich Minute auf Minute. An Schlaf war dann nicht mehr zu denken. Eines Nachts, als er gerade wieder seine Stimme erschallen ließ und schon um zwei Uhr begann, riß Wagner denn doch die Geduld. Ich sah, wie er in seinem Zimmer Licht anzündete und mit einem kräftigen Fluch – tschirakäsch, pedersäk – so etwa wie Hundesohn – in den dunklen Hof stürzte. Darauf hörte ich einen festen Gegenstand gegen die Wand aufschlagen; es war entweder sein Stiefel oder ein Stein! Gulam wurde geweckt, und nun begann die nächtliche Hahnenjagd. Die Aufregung war allgemein. Sämtliche Diener nahmen an der Jagd teil. Endlich war der Übeltäter erwischt und wurde in die Küche gesperrt, wo er am folgenden Tage sein Leben beschließen mußte. Wir aber krochen wieder auf unsere Feldbetten, bis uns um fünf Uhr das jämmerliche Geschrei des Esels weckte, der im Nachbarhofe unter einem großen Baume angebunden war ... XV UNRUHIGE ZEITEN Schon im Frühling, bevor ich nach Indien ging, liefen durch Kabul Gerüchte von einem Aufstand der Mangals, die im Khostgebiet nahe der indischen Grenze wohnen (s. Karte). Bestimmtes war aber nicht zu erfahren. Als ich in Peshawar war, las ich in den Zeitungen oft Berichte über die Lage in Afghanistan, vermochte aber nicht, mir ein klares Bild zu machen. Inder und Afghanen, mit denen ich zu tun hatte, erzählten mir die größten Schauermären, unter anderem, daß in Kabul Revolution ausgebrochen sei. Gerade in jenen Tagen erhielt ich eines Abends auch ein Telegramm, durch das mir mitgeteilt wurde, vorerst keine weiteren Karawanen nach Kabul zu schicken, da Gefahr im Anzuge sei. Da ich gerade eine Karawane startbereit hatte, mußte ich alles wieder abladen und einlagern lassen. Bange Tage und Wochen folgten; nie aber konnte man etwas Bestimmtes erfahren. Alles waren Gerüchte, die beim genaueren Zuschauen sich als unwahr oder übertrieben erwiesen. Trotzdem mußte irgend etwas vor sich gehen. Einmal hieß es, die Ghilsai-Stämme hätten sich den Aufständischen angeschlossen, das andere Mal, die Wasiris wären dem Emir zu Hilfe gekommen. Beides war nicht wahr. Eines nur hörte man immer wieder: Es sei ein Gegenemir aufgestellt, ein gewisser Abdul Kerim, der in dem Gebiet, das sich zwischen Ghasni und der indischen Grenze ausdehnt, die Stämme zum Kampf gegen den Emir Amannullah Khan aufgerufen habe. Daß irgend etwas nicht in Ordnung war, wurde uns dadurch bewiesen, daß die Post immer sehr lange unterwegs war, und daß der Telegraph häufig mehrere Tage nicht funktionierte. Als ich aber Anfang Juni wieder nach Kabul zurückkehrte, hatten sich die Wogen gelegt, und es hieß, daß der Krieg vorbei sei. Die Soldaten kamen zurück, wurden mit Blumen geschmückt, und jeder erhielt vom Emir ein kleines Geldgeschenk und ein seidenes buntes Tuch. Im Basar war das Gedränge noch einmal so groß; überall standen Gruppen um Soldaten herum und wollten hören, wie es im großen Krieg, im »Jenk«, gewesen war. Und die Soldaten erzählten die größten Romane. Als ich eines Abends nach Hause kam und gerade die Treppe hinaufgehen wollte, sah ich auf einem der Dienerbetten einen Soldaten sitzen. Da die Diener häufig Freunde und Bekannte einluden, ging ich achtlos vorbei. Da rief er mich plötzlich an: »Doktor Sahib«, ich drehte mich um – es war Abdul Sebur. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, so mager und elend sah er aus. Er freute sich wie ein kleines Kind, daß er wieder zurück war und Aussicht hatte, bald wieder in unsere Dienste treten zu können. Mehr und mehr Truppen kamen zurück, und es sah ganz danach aus, als ob wirklich der Friede wiederhergestellt sei. Aber Ende Juli begannen neue Unruhen; diesmal schien es ernster zu werden. Am 3. August fuhren wieder 20 große Lastautos mit Soldaten, Gewehren und Munition an die Front. Im Basar ging das Gerücht, die Aufständischen seien nur noch einen halben Tagesmarsch von Kabul entfernt. Am 4. August wurde erzählt, daß die in Darulaman wohnenden Europäer sich in die Stadt zurückziehen wollten. Viele Italiener hatten ihre Pässe eingefordert und reisten ab. Auf der Gesandtschaft wurden Beratungen gepflogen, welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen seien, damit die Kolonie im Ernstfalle nicht ganz ratlos und schutzlos sei. Vorerst wollten wir alle in unseren Wohnungen bleiben, packten aber unsere entbehrlichen Sachen zusammen und verstauten alles in einem großen Hause, in dem sich der größte Teil der deutschen Kolonie im Notfalle verschanzen sollte. Am 6. August steigerte sich die Unruhe. Gerüchte schwirrten wieder durch die Stadt von dem bevorstehenden Überfall auf Kabul. Am Abend saßen wir gerade beim Essen auf dem Dach unseres Hauses, als der Hauswirt kam und uns flehentlich bat, ihm Benzin zu geben. Er bot einen außerordentlich hohen Preis; aber wir mußten unser Benzin für den schlimmsten Fall selbst behalten. Sämtliche Gefährte in Kabul – auch Autos – waren von der Regierung requiriert worden, nur den Europäern hatte man ihre Wagen gelassen. Am Tage vorher hatte Gulam erzählt, daß auch die Straße nach Dschelalabad unsicher sei; ein Freund von ihm, der nach Peshawar wollte, sei wieder zurückgekehrt, da die Karawanen in der Gegend von Dschelalabad geplündert würden. Wir fragten uns oft, was wohl mit den Europäern geschähe, wenn die Stadt genommen würde und eine neue Regierung käme. Die Ansichten waren sehr geteilt; die einen waren sehr pessimistisch, und ahnten das Schlimmste. Andere sahen ruhig in die Zukunft. Da sich die Bewegung der Aufständischen jedoch indirekt gegen die Europäer wandte, glaubte ich eher, daß die erste Ansicht die zutreffendere war. Es ist eine große Frage, ob man jemals wird feststellen können, was die Ursachen des Aufstandes gewesen sind. Zweifellos spielten innenpolitische Motive eine sehr wichtige Rolle, wenn man auch nicht ganz den Gedanken unterdrücken kann, daß Rußland die Hand im Spiel hatte. Rußland unterhält in Kabul eine große Gesandtschaft und arbeitet gegen England. Es intrigiert, wo es kann, und arbeitet mit einer riesigen Propaganda, um außer vielen anderen Englands Herrschaft in Asien zu stürzen, das Chaos zu schaffen und einen gewaltigen asiatischen Block zu schaffen, in dem es die führende Stellung einnimmt. Auf diese Weise versucht es, seine Ideen zu verbreiten, der Weltrevolution den Weg zu ebnen. Es hat Europa vorerst fallen lassen; dafür aber seine Tätigkeit in Asien in verstärktem Maße aufgenommen. Bei den europäischen Völkern haben die Russen wenig Gegenliebe für ihre Ideen gefunden, daher versuchen sie jetzt zunächst die asiatischen Völker zu gewinnen. Afghanistan ist für Rußland das Sprungbrett nach Indien. Das Volk war über die vielen Neuerungen des Königs mißmutig. Die Steuern waren hoch. Das Volk murrte, und die Gelegenheit, einen Aufstand zu unterstützen, war für Rußland günstig. Als im Sommer das afghanische Parlament zusammentrat, mußte der Emir verschiedene Konzessionen machen. Unter anderem wurde er gezwungen, die Mädchenschulen im Lande aufzuheben! Anfang August spielten sich die Kämpfe zwischen Hisarek und Gärdes ab, wo eine Abteilung Regierungstruppen eingeschlossen worden war. Von allen Teilen des Landes wurden nun Truppen herbeigezogen, und in den August-Septembertagen 1924 bot Kabul ein buntes Bild. Als die ersten Truppen ankamen, glaubten wir schon, es seien die Aufständischen. Ich arbeitete nachmittags gerade in meinem Zimmer, als ich in der Ferne ein tausendstimmiges Rufen und Schreien vernahm. Ich eilte hinaus und fragte die Diener, was es bedeute. Diese wußten aber auch nichts Bestimmtes zu sagen; Jakub nur sagte: »Ich werde gehen und sehen, was los ist.« Nach einer Weile kam er wieder und sagte, daß es Hilfstruppen der Mohmands seien, die den Emir unterstützen wollten. Da waren wir wieder beruhigt. Tags darauf wurde gemeldet, daß der Emir sich mit der Bitte um Überlassung von Flugzeugen an die Engländer gewandt habe. In der Nacht vom 8. zum 9. wurden wir durch lebhaftes Gewehrfeuer geweckt, das ganz in der Nähe war. Wir stiegen auf das Dach unseres Hauses und blickten aus unseren kleinen Ecktürmchen. Es war sehr dunkel, aber wir konnten doch, nachdem unser Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, die Umrisse der Häuser erkennen. In einem Hause am Fuße des Scher Dervase-Berges brannte noch Licht. Wir hörten vereinzelte laute Rufe und dann wieder eine Reihe von Schüssen, die aus verschiedenen Richtungen kamen. Einige wurden direkt gegenüber von unserem Hause abgegeben, ungefähr in der Richtung, wo die Brücke über den Fluß führt. Nach einer Stunde wurde es still, und wir legten uns wieder schlafen. Am Morgen hörten wir, daß es eine Räuberbande gewesen war, von der man einige der Burschen erwischt hatte. Mitte August verschlechterte sich die Lage. Das Jeschm – das Unabhängigkeitsfest –, das in jedem Sommer gefeiert wird, fiel aus; und die Regierung sowohl wie der Emir waren aus Paghman plötzlich zurückgekehrt. Am 20. August wurde ein großer Sieg der Regierungstruppen gemeldet. Es wurde erzählt, daß die Köpfe der 15 erschlagenen Mangals durch die Straßen getragen werden sollten. Aber nichts dergleichen geschah. Eine Kompanie Regierungstruppen wurde bei Ghasni abgefangen und vollständig ausgeplündert. Am 22. August, einem herrlichen Sommermorgen, trafen die beiden englischen Flugzeuge ein, die in ca. vier Stunden von Peshawar nach Kabul geflogen waren. Die Flugzeuge wurden den englischen Offizieren abgenommen, und in den folgenden Tagen schon flog der in afghanischen Diensten stehende deutsche Flieger Dr. Weiß an die Front, um zu rekognoszieren. Er bekam aber – trotzdem er das von den Mangals besetzte Gebiet überflog – nichts von feindlichen Truppen zu sehen. Er flog mehrmals in das Aufstandsgebiet und sollte eine Landung in Gärdes versuchen, wo die eingeschlossenen Regierungstruppen saßen. Er warf vorher ein Bündel Briefe über diesem Dorfe ab, um die Truppen zu informieren, einen geeigneten Landungsplatz ausfindig zu machen und durch Feuer zu markieren. Dann flog er wieder hin. Als er am ersten Tage nicht zurückkam, dachten wir uns nichts dabei; als aber zwei, drei Tage, ja eine ganze Woche verstrichen war, ohne daß wir ein Lebenszeichen von ihm hörten, machten wir uns doch Sorge um ihn. Da hieß es eines Tages, Weiß sei wieder zurück, und ein paar Tage später erschien er auch bei uns und erzählte seine Geschichte. Er war nach Gärdes geflogen, fand auch leicht den Platz, der für die Landung bestimmt war, und landete. Er ließ den Apparat auslaufen; da sah er aber, daß der Platz zu klein war. Ein breiter Graben tat sich vor ihm auf. Es gelang ihm zwar, diesen zu überfliegen; aber kaum war er wieder auf dem Boden, als direkt vor ihm ein anderer schmaler Graben sich hinzog, so daß die Maschine im Graben landete und der Propeller zerbrach. Von der eingeschlossenen Besatzung wurde er liebenswürdig aufgenommen. Nachdem er einige Tage dort geblieben, verkleidete er sich als Mangal, und es gelang ihm auch, mit einigen afghanischen regierungstreuen Offizieren sich durch das unsichere Gebiet durchzuschlagen. [Illustration: 63. Tadsch-Mahal, Agra] Im Laufe des Augusts hatte sich schon das Gerücht verbreitet, daß auch die Russen Flugzeuge schicken wollten. Und richtig, an einem herrlichen Septembermorgen gegen elf Uhr erschienen in großer Höhe fünf Flugzeuge, die wie Silberpünktchen am blauen Himmel schwebten. In ca. fünfstündigem Flug hatten diese die Strecke von der russischen Grenze bis nach Kabul zurückgelegt und dabei den 5000 Meter hohen Hindukusch überflogen; zweifellos eine großartige Leistung. Zuerst hieß es, Rußland habe die Flugzeuge dem Emir geschenkt; dann aber, daß die Afghanen wegen Kaufs der Apparate mit den Russen verhandelten. Nachmittags wurde großes Schaufliegen veranstaltet, bei dem Tausende von in persischer Schrift und Sprache abgefaßte Propagandazettelchen über Kabul abgeworfen wurden. Daß dies ganze Manöver mit den Flugzeugen nur darauf abzielte, sich die Freundschaft der Afghanen zu erobern und England zu ärgern, ist wohl ohne weiteres klar. Zuletzt hieß es dann auch, Rußland wolle die Flugzeuge nur dann abgeben, wenn auch die russischen Flieger mit übernommen würden. Wie diese Angelegenheit dann geregelt wurde, weiß ich nicht, da ich Anfang Oktober Afghanistan verließ. [Illustration: 64. Peshawar, Basar] Immer mehr Truppen wurden in Kabul zusammengezogen, und vor der Stadt war ein kleines Heerlager errichtet worden. Eines Morgens kamen ca. 4000 Mann aus Kohistan; viele zu Pferde. Jeder Stamm trug seine Fahnen, die schon manchen Sturm mitgemacht haben mußten, denn sie sahen alt und zerfetzt aus. Die Leute waren meist nur in Lumpengewänder gehüllt und bekamen in Kabul neue Anzüge. Auf dem Wege von ihren Heimatorten nach der Hauptstadt hatten sie natürlich alle Dörfer gebrandschatzt, und wir waren der Ansicht, daß diese wilden Stämme unter Umständen viel gefährlicher werden könnten als die Mangals selbst. Froh waren wir immer, wenn diese Burschen an die Front expediert wurden. [Illustration: 65. Im Zoologischen Garten, Peshawar] Anfang Oktober hatten die Regierungstruppen große Erfolge zu verzeichnen; Gärdes wurde frei, Hisarek genommen und die Aufständischen über den Altimurpaß nach Süden gedrängt. Im November fand eine Zusammenkunft zwischen Abgesandten des Emir und den Aufständischen in Dschelalabad statt, führte aber zu keinem Ergebnis, so daß die Kämpfe fortgesetzt wurden. Ende des Jahres brach der Aufstand zusammen. Die Strafen, die über die Mangals verhängt wurden, waren furchtbar. 1575 Männer wurden hingerichtet, 600 Frauen nach Kabul verschleppt, 3000 Häuser dem Erdboden gleichgemacht und niedergebrannt. So ist der Stamm der Mangals für lange Zeit lahmgelegt worden und wird sich sobald nicht wieder erheben können. Furchtbar sind überhaupt alle Strafen, die in Afghanistan verhängt werden. Räubern und Dieben wird die Hand abgeschlagen und der Stumpf in siedendes Öl gesteckt. Die Todesstrafe wird durch Hängen vollzogen oder dadurch, daß man den Delinquenten vor die Kanone bindet. Von unserem Hause aus sahen wir einen flachen Hügel, der sich hinter der Ark erhebt. Dort fanden die Hinrichtungen statt. Eine Riesenmenschenmenge strömte dann herbei, um das blutige Schauspiel mit anzusehen. Eines Nachmittags wurde eine ganze Reihe hingerichtet. Kanonenschuß folgte auf Kanonenschuß. Ein Freund von mir, der gerade an dem Berge vorbeiritt, sah zufällig, wie die Stücke des zerfetzten Körpers in die Luft gerissen wurden. Übrigens ist es nicht ganz ungefährlich, in der Nähe zu weilen. In Kandahar soll es vorgekommen sein, daß ein Mann, der bei der Vollstreckung des Urteils zugegen war, von dem losgerissenen Arm des Verurteilten derart an den Kopf getroffen wurde, daß er auf der Stelle tot war. Auch die Todesstrafe durch Steinigen ist noch nicht abgeschafft. Im vorigen Jahre wurden verschiedene Leute auf diese Weise hingerichtet. Grausam waren die Strafen, die die früheren Emire austeilten. Ein paar Beispiele mögen dies veranschaulichen. Wir hatten uns in Kabul einen großen Stall gemietet, dessen Besitzer ein alter Afghane war. Er hatte sich früher irgendeines Verbrechens schuldig gemacht – was es war, weiß ich nicht mehr – und wurde dadurch bestraft, daß ihm die Augenlider zusammengenäht wurden. Wie diese grausame Prozedur vor sich gegangen sein mag, kann man sich denken; denn daß man keine Operationsnadel dazu nahm, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Später wurden die Lider wieder aufgeschnitten. Er trug eine große, dunkle Hornbrille; einmal wohl zum Schutz der Augen, sodann, damit man seine verstümmelten Augen nicht so sehen konnte. Einen anderen interessanten Fall berichtet Thornton in seinem Buche: Notes from an Afghan Scrap Book: Eines Tages wurde vor Emir Abdur Rahman ein Bäcker gebracht, der zu leichtes Brot verkauft hatte. An jenem Tage war der Emir gerade in guter Stimmung; er schalt den Bäcker einen Betrüger und sagte dann zu ihm: »Kein Mensch kann im Leben vorwärtskommen, wenn er nicht ehrlich ist. Geh, arbeite, wie es der Koran vorschreibt!« Ein paar Wochen später wurde derselbe Mann wieder vor den König gebracht; er war desselben Vergehens wegen angeklagt. Dieses Mal sagte der Emir: »Du bist nicht nur ein Betrüger, sondern ein Schurke! Du zahlst 3000 Rupien, 3000 Annas und 3000 Pais (ca. 5000 Mark). Diese Strafe wird für dich so hart sein, daß du nie wieder vor mir zu erscheinen brauchst.« Einige Monate später aber geschah es, daß derselbe Mann trotzdem wieder vor den Emir gebracht wurde. Da aber war Abdur Rahman in finsterer Stimmung. Er sagte: »Komm einmal her, mein Freund, du bist ein Bäcker, nicht wahr!« »Jawohl, Sahib.« »Und deine Brote haben nicht die vorgeschriebene Größe?« »Nein, Sahib.« »Nun, dann muß in deinem Backofen zuviel Platz sein«; und in leidenschaftliche Erregung ausbrechend, rief der Emir: »Führt ihn fort und backt ihn in seinem eigenen Ofen!« Diesem Befehl wurde sofort Folge geleistet. Als ich eines Abends nach Hause kam, hörte ich, daß einer der in Staatsdiensten stehenden Italiener einen afghanischen Polizisten erschossen hatte. Wegen eines kleinen Vergehens – die einen sagten, er habe einem Postbeamten eine Ohrfeige versetzt, die anderen, er habe einem Tongafahrer das Fahrgeld zu zahlen verweigert, da er es unverschämt hoch fand – sollte er von Polizisten vor den Kotwali – den Polizeipräsidenten – gebracht werden. Piperno – so hieß der Italiener – wollte sich aber nicht wie ein Verbrecher durch die Stadt führen lassen und weigerte sich mitzugehen. Als die Polizisten ihn daraufhin festnehmen wollten, riß er sich los und verschloß sich in sein Zimmer. Darauf versuchten sie das Haus zu stürmen. In seiner Erregung schoß nun Piperno durch die Holztür, die die Polizisten mit ihren Bajonetten aufbrechen wollten, und traf dabei einen derselben tödlich. Darauf erbrachen die anderen die Tür und schleppten den Italiener auf die Polizeipräfektur. Er wurde nun zunächst im finstern Gefängnis untergebracht und nach langen Verhandlungen zum Tode verurteilt. Man wandte sich an die höheren Instanzen, aber auch die bestätigten das Urteil. Eines Morgens kamen unsere Diener und sagten, der Italiener werde zu Tode gesteinigt, ob sie hingehen und sich das Schauspiel ansehen dürften. Aber die Vollstreckung des Urteils wurde aufgeschoben. Einen Ausweg gab es noch, um das Schlimmste zu verhüten. Man konnte den »Mörder« loskaufen. Das übliche Lösegeld beträgt ca. 7000 bis 10000 Rupien (5600 bis 8000 Mark), und schließlich gelang es auch, zu der Summe von 15000 Rupien (12000 Mark) die Angehörigen des Polizisten zu bestimmen, auf das Blut des Italieners zu verzichten. Manchmal, wenn wir abends spät von einem Spaziergang am Gefängnis vorbeikamen, sahen wir aus den kleinen finsteren Räumen flackernden trüben Lichtschein in das Dunkel der Nacht dringen. Vor dem Eingange standen afghanische Polizisten in dunkelroten Uniformen mit schwarzen Aufschlägen und schwarzen Lammfellmützen. Das Ganze machte einen trostlos finstern Eindruck. Außer dem Gesandten und dem italienischen Arzte durfte kein Europäer den Italiener besuchen. Nachts schlief eine Wache in demselben Raume. Ich malte mir aus, welch furchtbare Stunden der Gefangene hier wohl durchleben mochte, Stunden, Tage, Wochen furchtbarster Ungewißheit. Als ich im Herbst Kabul verließ, saß er immer noch im Gefängnis. Wir alle hofften damals, daß er bald in Freiheit gesetzt werden würde; aber seine Leidensgeschichte sollte so bald nicht zu Ende gehen. Seit meiner Rückkehr aus Afghanistan hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Da brachten in den Junitagen die Tagesblätter die Nachricht, daß Piperno umgebracht worden war. Folgendes konnte ich in Erfahrung bringen: Als man sich über das Sühnegeld geeinigt hatte, wurde der Italiener eines Tages auf den Richtplatz geführt, wo er niederknien mußte und vom Richter dem Schwager des Getöteten übergeben wurde. Dieser zog sein langes Messer und warf es dann mit den Worten zu Boden: »Ein Afghane beschmutzt sich nicht die Hand mit dem Blute eines Ungläubigen.« Nach afghanischem Gesetz hätte Piperno nun noch zehn Jahre im Gefängnis absitzen müssen. Man kann verstehen, daß er schließlich einen Fluchtversuch unternahm, der durch Bestechung der Wachen glückte. Er soll bis zur Grenze gekommen sein, dann aber brach er zusammen. Der Sprache unkundig, von Sorgen und Kummer seelisch niedergedrückt, stellte er sich freiwillig wieder den afghanischen Behörden. Diese brachten ihn wieder nach Kabul zurück ins Gefängnis. Hier blieb er einige Tage, dann holten sie ihn in aller Stille heraus und richteten ihn hin. Die Europäer und die italienische Gesandtschaft erfuhren von der Hinrichtung erst, als schon alles vorbei war. Anfang Oktober verließ ich Kabul und begab mich über Dschelalabad-Peshawar nach Delhi, wo ich am 6. Oktober eintraf. XVI INDIENS MÄRCHENPRACHT a) Delhi Morgens, in aller Frühe, traf ich in der Hauptstadt Indiens ein. Ein Tonga brachte mich durch die stillen, noch unbelebten Straßen nach dem kleinen Hotel Albion, das im Kudziagarten, unter hohen Bäumen versteckt, gelegen ist. Die Luft war klar und rein, und es duftete nach Blumen und frisch geschnittenem Gras. Nach dem Frühstück fuhr ich mit dem Boy in die Stadt. Die roten Straßen leuchten aus dem dunklen Grün der Mango-, Bananen- und Feigenbäume hervor, und sie werden überall mit Wasser besprengt, was eine angenehme Kühle verbreitet. Wir fahren durch das berühmte Kaschmirtor, in das 1857 beim großen Aufstand von den Engländern die erste Bresche geschlagen wurde. Im Gegensatz zu Kabul und Peshawar fällt mir sofort die bunte Tracht der Inderinnen auf. Bei den Frauen herrscht Dunkelrot und Gelb vor; sie haben ein großes Tuch – den Sari – um den Körper geschlungen, und Arme und Füße sind mit schweren silbernen Ringen geschmückt. Ihr Gang ist königlich stolz; aber ihre Gesichter sind längst nicht so schön, wie die der Frauen Peshawars und Afghanistans. Auf den Straßen sehen wir das typische indische Bild: Ochsen- und Zebukarren, Tongas, Autos, Händler, die ihre Waren anbieten, ganz vereinzelt auch einen Europäer in weißem Tropenanzug. Alles geht ruhig und geordnet zu, und es kommt mir vor, als ob es Sonntag ist. In den Anlagen turnen Affen auf umgestürzten Baumstämmen umher, und kleine, grauschwarz gestreifte Eichhörnchen sieht man auf Schritt und Tritt. Kinder, manchmal ganz nackt, spielen am Straßenrande; Männer sitzen im Kreise im Schatten der hohen Bäume; spielen, rauchen Wasserpfeife, plaudern oder schlafen. Hin und wieder sieht man auch, wie in Afghanistan, eine ganz verschleierte Frau. Die Hauptstraße Delhis ist die Chandni Chauk, an die sich manch traurige Erinnerung knüpft. Hier wird einem noch der Platz gezeigt, wo 1738 der Perserkönig Nadir Schah mit gezogenem Schwerte stand und zusah, wie seine Soldaten im Laufe von acht Stunden mehr als 80000 Inder erschlugen, und wie Ströme Blutes durch die Gassen flossen. Auch 1857 hat diese Straße eine große Rolle gespielt. Eines der imposantesten Gebäude Delhis ist unzweifelhaft die Juma Mesjid, die große Moschee. Aber etwas störte mich, wenngleich ich auf den ersten Blick nicht sagen konnte, was es war. Ich besuchte die Moschee mehrmals, und immer wieder drängte sich mir dieses Gefühl auf. Schließlich erkannte ich, daß es der Kontrast zwischen dem dunkelroten Sandstein und dem weißen Marmor war, der die Disharmonie hervorrief. Es waren diese beiden Bausteine nicht fein genug gegeneinander abgestimmt, wie etwa in Sikandra oder Agra. Der plötzliche Übergang des massiven roten Sandsteins, der den Unterbau der Moschee bildet, zu dem zarten Weiß der Minarette und Kuppeln, wirkt störend und läßt uns kalt. Es ist gerade, als ob man einem schweren, gotischen Unterbau aus dunklem Gestein einen feinen weißen Renaissancebau aufsetzen würde. Anders aber wirkt das Bild abends, wenn die Sonne untergeht, und die Schatten der Nacht sich auf die Stadt legen. Dann verschwinden die Kontraste im Bau; wie eine Silhouette steht dann die Moschee da – gewaltig, imposant, eine der schönsten Bauten, die man sich denken kann. Auf den großen Freitreppen wimmelt es dann von Menschen; kleine Verkaufsstände werden aufgeschlagen; unzählige Händler sitzen auf den Stufen im Scheine kleiner Öllampen und bieten ihre Waren an. Es ist die Seele des mohammedanischen Indiens, die hier zu uns spricht. Ein paar Schritte durch enge Winkelgassen bringen mich von der Moschee aus nach dem Jainatempel. Ich muß meine Schuhe ausziehen, erhalte weiche Slipper und werde dann von einem Priester die weißen Marmorstufen zum Tempel geführt. Er liegt inmitten eng gedrängter Häuser und Gassen, ist nicht groß, wirkt aber durch seine Pracht und Stille. Weiße Marmorsäulen, Bogengänge bildend, und herrliche Freskenmalereien schmücken Decken und Wände. Leider sind sie aber an manchen Stellen zerstört. Der heiligste Raum ist mystisch dunkel gehalten; aber ich erkenne doch Götterbilder aus Bronze und Jade: eine Buddhastatue erhebt sich in der Mitte auf einem mit Schnitzereien und Schmuck fast überlasteten Piedestal. Leise nur bewegen wir uns, um nicht die feierliche Ruhe zu stören. Der Priester hat sein kleines Mädchen auf den Arm genommen und erklärt mir alles in freundlichster Weise. Abends fahren wir immer in die Parkanlagen. Wir besuchen den Bergrücken, von dem aus 1857 die Stadt von den Engländern beschossen wurde. Ein einfaches Denkmal ziert jetzt diese Stätte. Wir fahren dann weiter nach dem »Flagstaff tower«, wo 1857 Frauen und Kinder Zuflucht fanden, und passieren den vizeköniglichen Palast und das »Secretarys Office«. Auch hier herrscht überall tiefes Schweigen, denn fast alle Engländer sind in den Sommersitzen im Himalaja, da die Hitze noch ziemlich groß ist. Einsam und verlassen träumen die hohen weißen Gebäude im Schatten der großen Bäume. Auf Schritt und Tritt erhält man einen Begriff von Englands Macht, Größe und Kolonisationsfähigkeit, und man merkt bald, daß überall da, wo der »Union Jack« weht, Ruhe und Ordnung herrscht. Man staunt, wenn man sieht, was England hier in Indien geleistet hat, und sicherlich würden viele bei uns anders über Indien urteilen, wenn sie einmal längere Zeit dort weilen würden. Draußen vor der Stadt, in einer weiten Ebene, auf die die Sonne unbarmherzig niederbrennt, reiht sich Ruine an Ruine. Das alte Gemäuer ist an vielen Stellen von Vegetation überwuchert, und grüne Papageien haben hier ihre Schlupfwinkel gefunden. Unendlich still ist es hier draußen, und ungestört kann man hier seinen Gedanken nachhängen und träumen. Träumen von dem Glanz und der Pracht, die einst hier herrschten, vor Jahrhunderten, Jahrtausenden – – – als Indraprastha als Königssitz der Pândava gegründet wurde. Durch breite, von Tamarisken und Kandelaberkakteen eingefaßte Alleen fahren wir eines Tages gen Süden. Blaßblauer Himmel wölbt sich über dem Häusermeer der Stadt, und die Sonne übergießt alles mit ihrem hellen blendenden Licht, so daß man kaum wagt, die Augen zu öffnen. Wundervoll leuchten die Marmorkuppeln der großen Moschee in der Morgensonne! Wir halten vor einer großen Ruine. Hoch türmen sich die von Schlingpflanzen überwucherten, gewaltigen Mauern vor uns auf. Es sind die Überreste der Purana Kila, der 1534 von dem Großmogul Humajun erbauten Zitadelle. Inmitten der hohen Mauern dehnen sich tiefgrüne Rasenflächen aus, und betäubend duftende Blumen locken Schmetterlinge an; große Falter, die mit schweren seidenen Flügeln von Blüte zu Blüte schweben. Smaragdgrüne Papageien fliegen von Gemäuer zu Gemäuer; kein Mensch ist weit und breit zu erblicken, nur der alte Wächter, der hier angestellt ist, waltet seines Amtes. Wir fahren weiter nach dem Grabmal Humajuns. Mein Boy plaudert ständig und erzählt mir die größten Geschichten über die alten Baudenkmäler, Geschichten, die ich schon lange kenne. Ich bin unendlich froh, daß ich zu einer Zeit in Indien weile, wo noch nicht der große Fremdenstrom sich über das Land gießt. Überall bin ich fast der einzige Fremde und kann ganz ungestört Indiens Seele auf mich einwirken lassen. Was ich erlebe und zu sehen bekomme, das ist das unverfälschte, reine Indien, das Indien der alten Lieder, wie wir es uns nach den Büchern ausmalen. Je mehr ich das Land kennen und verstehen lerne, um so mehr fühle ich, daß ein großer Teil meines Lebens dem Studium dieses Märchenlandes gewidmet sein wird. Humajuns Grabmal wirkt imposant. Im Gegensatz zur großen Moschee harmoniert hier der rote Sandstein mit dem weißen Marmor sehr gut; aber nur deshalb, weil beide Gesteine eng miteinander verzahnt sind, und der zarte weiße Marmor in den roten Sandstein des Unterbaues eingelegt ist. Wenn man durch die hohen Hallen schreitet, hallen die Schritte von den Wänden und der Decke wider, auch wenn man noch so leise auftritt, um den Frieden nicht zu stören, der in diesen heiligen Gewölben herrscht. In der Mitte, direkt unter der hohen Kuppel, steht ein einfacher Marmorsarg. Er bezeichnet die Stelle, wo unter den Gewölben des Unterbaues der Sarkophag Humajuns steht. Nicht weit entfernt von diesem Bau ist das Grabmal Nizum-ud-Dins, eines mohammedanischen Heiligen. Man sieht nur einfache, braungelbe Mauern aufragen; einige hohe Bäume, ein paar Bettler, die hier herumlungern, das ist alles, was man zuerst erblickt. Man muß wieder große Filzschuhe anziehen, wird dann eine Treppe auf einen Plafond hinaufgeleitet, und hier strahlt einem der weiße Marmor entgegen, daß man die Augen schließt. Eine feingeschwungene, weiße Kuppel erhebt sich im Innern, und ein Säulengang von weißem Marmor faßt sie ein. In der einen Ecke des Hofes sind drei Fürstengräber. Am Kopfende des einen steht eine Marmortafel, auf der in persischen Lettern zu lesen ist: Laßt nichts als Gras mein Grab decken, Gras ist die beste Decke für die arme vergängliche Jehanara, die Schülerin der heiligen Familie Chist, die Tochter des Kaisers Schah Jehan. Sie war die Lieblingstochter des Großmoguls und hat ihn bis zu seinem Tode gepflegt. – Wundervoll zart sind die Marmorschnitzereien, die die schweren Türen zieren. Mit welch unendlicher Geduld und Liebe müssen die Künstler sich dieser Arbeit hingegeben haben! Wir gehen wieder vorbei an dem kleinen Teich, der in die Marmorplatten eingesenkt ist, steigen die steilen Stufen hinab und fahren weiter durch die glühende Chaussee nach Lalkot. Es ist sehr heiß, und wir atmen auf, als wir in dem von hohen Bäumen beschatteten Garten, der den berühmten Kutub-Minar einschließt, ankommen. Die Arbeiter, die hier die Anlagen in Ordnung halten, haben sich in den Schatten der Bäume gelegt und schlafen. Auch die Tiere scheinen in der Hitze ihren Mittagsschlaf zu halten. Die Zebus stehen unbeweglich, und die fetten schwarzen Wasserbüffel liegen in den kleinen Tümpeln am Straßenrande und träumen vor sich hin. Lange kriechen wir in den Ruinen umher, unter denen besonders die reichgeschnitzten Sandsteinpfeiler eines ehemaligen Hindutempels auffallen, der später in eine Moschee umgewandelt wurde. Im Hofe steht die berühmte eiserne Säule, die wahrscheinlich aus dem vierten Jahrhundert nach Christus stammt. Mein Boy führt mich von Ruine zu Ruine. Die Hitze ist unerträglich; kein Windzug regt sich, totenstill ist es ringsumher; nur eine Libelle summt leise an uns vorüber. Der 70 Meter hohe Kutub – Minarett und Siegesturm zugleich –, aus rotem Sandstein und weißem Marmor, steht wie ein Wächter inmitten der Ruinenfelder. In dem kleinen Bungalow, das inmitten des Gartens errichtet ist, nehme ich mein Mittagessen ein. Die Ruhe und der Frieden ringsumher stimmen einen feierlich und glücklich. Stundenlang könnte man hier auf der Gartenterrasse sitzen und träumen. Nachmittags fahren wir durch Raisina (Neu-Delhi) nach Delhi zurück, und abends unternehme ich noch eine kleine Spazierfahrt durch den Kudziapark. Die Luft ist herrlich, und man atmet tief; wir kommen an einem kleinen See vorbei, der von Palmenwald eingefaßt ist. Wie schwarze Silhouetten heben sich die Bäume vom goldgelben Abendhimmel ab. Am anderen Tage besuche ich das Fort. Ich hatte schon bei meinem Besuche der großen Moschee Gelegenheit gehabt, seine gewaltigen, roten Sandsteinmauern zu bewundern. Hat man im Innern das reich ornamentierte Tor, das beim Empfang von Gästen als Musikhalle diente, passiert, so öffnet sich einem ein großer, mit prächtigem Rasen bedeckter Innenhof, in dem sich die weißen Marmorprachtbauten Schah Jehans erheben. Der Diwan-i-Khas, die private Audienzhalle, ist vielleicht das schönste Gebäude, das ich je gesehen habe. Es ist unglaublich, was hier aus dem weißen Marmor herausgearbeitet ist! Schneeweiße Säulen, mit zierlichsten Blumenmustern aus Halbedelsteinen, die in den Marmor eingelegt sind, heben sich von dem tiefen Grün der Rasenflächen und dem roten Boden der Wege ab. Durch die Marmorgitter scheint die Sonne in die weiße Halle, und ihre Strahlen spielen auf den blanken Steinplatten. Hier in dieser Halle war es, wo 1738 Nadir Schah und Bahadur, König von Indien, am Vorabend des großen Massakers zusammensaßen, die Wasserpfeife rauchten und aus kleinen Täßchen Mokka tranken. Am folgenden Tage, um die gleiche Zeit, waren mehr als 80000 Inder von den Persern ermordet. Die Annalen erzählen uns, daß Bahadur mit Tränen im Auge vor dem Perserkönig niederfiel und für sein unglückliches Volk Gnade erflehte. Hier war es auch, wo die Großmoguln ihre Feste abhielten. Dann wurde der Marmorboden mit kostbaren Seidenteppichen ausgelegt und im Hofe ein Prachtzelt errichtet. Der Glanz und die Pracht müssen zu jener Zeit unbeschreiblich gewesen sein. Und hier wurden die Nachkommen des großen Akbar 1788 gefoltert und der greise Kaiser von Gulam Kadir, geblendet. Im Garten, etwas versteckt zwischen Grün, liegt wie ein verborgenes Kleinod die Perlenmoschee, ganz aus weißem und grauem Marmor, mit drei vergoldeten Kuppeln. Sie wurde 1659 von Aurengseb erbaut. Am Abend spät sage ich Delhi Lebewohl und fahre weiter nach Jaipur. b) Jaipur In einer schwülen Tropensommernacht, deren schwerer, süßer Blütenduft mich fast zu ersticken drohte, traf ich in Jaipur ein. Das Mondlicht lag silbern auf der von großen Kandelaberkakteen eingefaßten Straße, als mich eine alte Kutsche nach dem von Indern geleiteten Kaisar-i-Hind-Hotel brachte. Als ich nach kurzem Schlaf erwache, liegt flutendes Sonnenlicht über dem Land, und ein tiefblauer Himmel spannt sich über der rosenroten Stadt. Die großen, breiten Straßen sind von Kandelaberkakteen eingefaßt, an denen leuchtend gelbe Blüten hängen. Kamelreiter traben vorbei, heilige Zebus liegen auf den Trottoirs und lassen sich von der Sonne bescheinen, Ziegen turnen auf den Wellblechdächern umher, und Männer, Frauen und Kinder in buntesten Trachten geben dem Bilde ein märchenhaftes Gepräge. Wir besuchen einen Hindutempel. Im Hofe, unter einem Baldachin, steht eine große Bronzestatue, Schiwas Reitstier Nandi darstellend. Priester in weißen Gewändern gehen still umher, besprengen die Götterbilder mit heiligem Wasser und bewerfen sie mit Reis. Unter einem großen Mangobaume steht die Figur des Affengottes Hanuman, dem einige Kränze gelber Ringelblumen umgehängt sind. Verträumt liegt in der einen Ecke ein Brunnen. Ein kleines Mädchen schöpft hier Wasser; als ich vorgehe, da sieht sie mich und blickt mich erschrocken aus ihren großen, dunklen Augen an. Sie weiß nicht recht, ob sie bleiben oder fortlaufen soll. Ich war – außer den vier bis fünf stationierten englischen Beamten – der einzige Europäer in der Stadt und fiel deshalb überall sehr auf. Alle Häuser Jaipurs sind rosa getüncht; viele sind noch mit Bildern aus der Hindu-Mythologie bunt bemalt. Imposant wirkt der von Jai Singh II. erbaute »Palast der Winde«, mit mehr als 50 Erkern an Stelle der Fenster (Abb. 66). In den offenen Erdgeschossen befinden sich die Verkaufsstände, in den oberen Stockwerken die Wohnräume. Immer märchenhafter wird das Bild! Hunderte von Tauben flattern auf den großen Plätzen umher, wo sie gefüttert werden; Zebus, mit blauen Glasperlenketten behangen, stehen regungslos umher, als ob sie träumten. Grüne Papageien fliegen krächzend über die Straßen, und Affen turnen auf den Gesimsen der Häuser umher. Durch enge Winkelgassen gehen wir zum Goldschmied, der die berühmten emaillierten Jaipur-Goldwaren herstellt. Wir sitzen auf einer Veranda; er holt ein kleines Tischchen, legt eine schwarze Decke darauf und läßt eine verschlossene Kiste bringen. Er öffnet sie behutsam und breitet seine goldenen Schätze vor mir aus. Er spricht kein Wort; nur, wenn er ein neues Stück herausnimmt, blickt er mich groß fragend an, als ob er sagen wollte: Sahib, ist das nicht herrlich, und kannst du es übers Herz bringen, fortzugehen, ohne wenigstens ein schönes Stück mitzunehmen? Goldene Tassen und Schüsseln, Kästchen und Etuis, alle mit Emaille fein verziert, unter denen das tiefe Jaipurrot besonders hervorsticht, schimmern vor meinen Augen. Ich kaufe ihm einen Ring ab. Er holt ein großes Buch hervor, und ich muß ihm darauf bescheinigen, daß sein Laden die herrlichsten Schätze enthält, die ich je gesehen habe. Als ich ins Hotel zurückkehrte, warteten hier wieder ein paar Händler auf mich, die Edelsteine, Elfenbeinschnitzereien und Miniaturen anboten. Ich tat, als sähe ich sie nicht; aber sie gaben keine Ruhe. »Only look, Sir, do not buy!« »Nur anschauen, Herr, nicht kaufen!« Diese Worte dringen in Indien ständig an unser Ohr. [Illustration: 66. Palast der Winde, Jaipur] Nachmittags geht es hinaus, und wir besuchen den Palast des Maharadscha. Wenn man die schönen Bauten Schah Jehans in Delhi und Agra gesehen hat, ist man hier etwas enttäuscht. Die Audienzhallen lassen sich nicht mit denen Delhis und Agras vergleichen; die Säulen sind übertüncht, teilweise auch bunt bemalt, und von der feinen pietra-dura-Arbeit, die Schah Jehans Bauten ziert, ist hier nicht mehr viel zu sehen. [Illustration: 67. Grabmal Itimad-ud-Doulehs, Agra] Hinter den herrlichen Gartenanlagen liegen zwei Seen. Die Luft ist merkwürdig durchsichtig, klar und ruhig, und die Berge spiegeln sich haarscharf im blauen Wasser. Ein alter Wächter, der uns führte, versuchte die hier lebenden Krokodile zu locken. Langgestreckt hallte sein Ruf »Haberlan« über die weite Wasserfläche, und das Echo warf seine Worte zurück. Endlich tauchte ein großes Krokodil auf. Es schwamm langsam zu uns heran und wurde gefüttert. Als die Sonne sich dem Horizonte zuneigte und der Abendhimmel sich gelbrot zu färben begann, fuhren wir noch einmal durch den Park. Es hatte sich etwas abgekühlt – aber kein Blättchen rührte sich. Große schattige Alleen tun sich vor uns auf. Hier gehen die Eingeborenen spazieren, würdevoll und stolz, selbst dann, wenn die Armut aus ihren Gewändern spricht. Auf einem erhöhten Platze spielte die Kapelle des Maharadscha – deutsche Weisen, Straußwalzer! Da ist mir alles wie ein Traum: um mich das indische Leben, die Tropen, der schwere, betäubende Blütenduft, bizarre Marmorbauten, indisches Volksleben und daneben eine Kapelle, die heimatliche Weisen spielt! [Illustration: 68. Afghanisches Zollserai Peshawar] Wir fahren heim. Es dämmert bereits. Einige Gaslaternen brennen schon in den Straßen. Elefanten, bunt angemalt, schlendern schweren Schrittes ihrer Behausung zu; Zebus, schon halb schlafend, gehen bedächtig zwischen den hin und her eilenden Menschen und den wippenden Gadis (zweiräderige Wägelchen) umher, und die zahlreichen Pfauen auf den Dächern schreien ihr: paó paó. In den Hütten brennen schon die Feuer. Halbnackte Gestalten sitzen um die züngelnden Flammen und bereiten das Abendessen. Ein hübsches Mädchen, ganz weiß gekleidet, mit tiefschwarzem Haar, lehnt im Erkerfenster eines hohen rosenroten Hauses und blickt uns nach. Ich frage meinen Boy, und er erzählt mir, daß sie eine der Lieblingstänzerinnen des Maharadscha sei. Als ich, von den vielen Eindrücken des Tages ermüdet, ins Hotel zurückkehre und als einziger Gast im kleinen Speisesaal sitze, da packt mich eine große Wehmut, daß ich dieses schöne Land schon so bald verlassen soll. Stumm eilt der Diener hin und her. An den Wänden hängen Bilder der Maharadschas von Jaipur, und kostbare Messing- und Bronzearbeiten schmücken die Schränke. Die Tür zum Garten steht auf, und die Nachtluft dringt herein, schwül, lockend. Da beginnt draußen eine Geige zu spielen, leise, weinend – keine europäischen Weisen; sie schluchzt und klagt und singt von Sehnsucht ... Ich trete leise hinaus. – – – Da bricht der Alte mit dem Spiel ab, legt die Hände an die Stirn, grüßt mich ehrerbietig und schenkt mir zwei tief blutrote Rosen. Er spricht kein Wort. Ich gebe ihm ein paar Silberlinge und eile in mein Zimmer. Noch lange liege ich wach und höre dem Schreien der Pfaue zu. Die zwei Rosen verwahrte ich sorgfältig in einem großen Buche. Ich habe sie heute noch – eine Erinnerung an einen der schönsten und glücklichsten Tage meines Lebens. Verlassen – einsam – auf einer Klippe an einem dunkelgrünen See liegt eine weiße Burg. In den weißen Marmorhallen herrscht jetzt eine unendliche Stille. Keine Feste werden hier mehr gefeiert, keine Königinnen schreiten mehr über die blanken marmornen Fußböden, seit Jai Singh II. seine Residenz von Amber nach Jaipur verlegt hat. Wir gingen zu Fuß die großen breiten Steintreppen hinauf, die fast von der üppigen Vegetation überwuchert werden, und dann sind wir auf der Burg und werden von einem alten Wächter durch die Hallen geführt. Durchbrochene Marmorplatten bilden die Fenster. Es ist, als ob man die feinsten Brüsseler Spitzen vor die Öffnungen gespannt hat. Welche Arbeit, welche Pracht! Blumenranken und Schmetterlinge sind aus den weißen Marmorplatten geschnitten, die die Wände decken, und schwere Türen aus Sandelholz mit Elfenbein- und Perlmuttereinlagen schließen sich hinter uns. Leise nimmt mich der Wächter am Arm, führt mich in eine kleine weiße Marmorhalle und deutet schweigend auf eines der Fenster. Ich trete heran und lehne mich etwas über die Brüstung. Da sehe ich tief unter mir den blaugrünen See wie einen geschliffenen Türkis schimmern; kleine Inseln ragen aus dem Wasser hervor, und Tempel spiegeln sich in seinen Fluten. Ich stehe lange hier oben und kann mich kaum von dem herrlichen Anblick trennen. Dann schreiten wir – leise, auf Zehenspitzen, um den Frieden, der in diesen Hallen herrscht, nicht zu stören – durch die Marmorbäder und gehen nach dem Fort hinauf, das den Gipfel krönt. Dann geht es hinunter nach der toten Stadt Amber. Wir gehen von Tempel zu Tempel, von Ruine zu Ruine. Es ist elf Uhr, und die Hitze brütet zwischen den Mauern und Felsen. Keine Menschenseele ist zu erblicken, die Stadt ist tot, ausgestorben. Ein kleiner Hindutempel liegt versteckt inmitten all der Ruinen. Wir steigen die morschen, von Pflanzen überwucherten Stiegen hinan, kommen in einen Vorhof, wo die Blutspuren der zuletzt geopferten Ziege uns sagen, daß doch dann und wann noch Menschen diese Stätte aufsuchen. Wir steigen noch ein paar Stiegen hinan und sehen vor uns ein kleines, viereckiges, mit Wasser gefülltes Steinbassin, zu dem ein paar Stufen hinabführen. Auf dem untersten Tritt stehen zwei bronzene, kleine Götterbilder; sie sind über und über mit rosa Lotosblüten beworfen. In Gedanken versunken blicke ich auf das Wasser, in dem sich die Tempelwände spiegeln. Da tritt mein Diener an mich heran und flüstert: »Sahib, wir müssen gehen, es wird zu heiß werden, die Sonne hat gleich ihren höchsten Stand erreicht.« Ich aber tue, als ob ich ihn nicht höre, und bleibe noch eine Weile. Da regt es sich in der einen finsteren Ecke des Tempels; es muß jemand dort sein, ich höre schlürfende Schritte, heiseres Husten. Ich schaue meinen Boy fragend an. Da tritt ein altes, verhutzeltes, vom Alter gebeugtes Mütterchen aus dem finsteren Gange hervor und bettelt um einen Backschisch. Ist sie die Wächterin dieses Tempels? Ist sie eine Verstoßene, eine Aussätzige, die hier im Tempel Schiwas Schutz erfleht? Immer merkwürdiger, immer rätselhafter wird mir dies Märchenland Indien. Lange noch wandern wir in den Ruinen umher, aber es wird zu heiß, wenn mir auch der Abschied von der toten Stadt schwerfällt. Nun wird sie weiter am Fuße der weißen Burg träumen, und die Blumen werden weiter und weiter ranken und ihre Mauern und Türme überdecken. Ob ich Amber wohl je wiedersehen werde? c) Agra Nachts war an Schlaf nicht viel zu denken, denn der Wagen rüttelte und schüttelte. Im Himalajagebiet waren große Regenfluten herniedergegangen; die Flüsse waren angeschwollen, und stundenlang fuhren wir durch überschwemmte Gebiete. Weite Wasserflächen dehnten sich überall aus, und Kraniche und andere Wasservögel tummelten sich hier herum. Bäume, Sträucher, Hecken und Häuser standen im Wasser – ein trostloser Anblick. Gegen neun Uhr trafen wir in Agra ein. Wider meinen Willen war der erste Weg nach dem Tadsch-Mahal. Ich hatte so viel über dieses Grabmal gelesen, so viele Photographien gesehen, daß meine Erwartungen aufs höchste gespannt waren. Ich fürchtete, enttäuscht zu werden, und mit einem ängstlichen Gefühle näherte ich mich dem weißen Marmorbau (Abb. 63). In den Anlagen, durch die wir fuhren, war es sehr still; keine Europäer störten die Ruhe und die feierliche Stimmung. Ich weiß nicht, wie ich die Gefühle in Worten wiedergeben soll, die mich beim ersten Anblick des Tadsch überkamen. Stumm steht man vor der weißen Marmorpracht und schaut und schaut, und kann es gar nicht fassen, daß dies alles Wirklichkeit ist. Man möchte den weißen Marmor betasten, um sich zu vergewissern, daß es kein Trugbild, kein Traum ist. Und langsam steigt man die Stufen hinan; wagt kaum aufzutreten. Leise schreitet man in den großen Kuppelraum, wo in einem von durchbrochenen Marmorgittern eingefaßten Schreine die Sarkophage Schah Jehans und seiner Gattin stehen. Schweigend steht man vor diesen beiden Särgen, in denen das Herrscherpaar ruht, das Indien die schönsten Bauwerke schenkte. Und wenn man die Geschichte der schönen Kaiserin – der Mumtaz-i-Mahal – kennt, wenn man ihr Bild auf vielen alten Miniaturen zu sehen Gelegenheit gehabt hat, dann sagt einem der weiße Marmor noch soviel mehr. Wie muß der Kaiser diese Frau geliebt haben, daß er ihr ein solches Grabmal setzte! Der ganze Tadsch-Mahal ist ein Symbol der Liebe und Reinheit. Mehr als 20000 Arbeiter sollen 18 Jahre lang an diesem Bau gearbeitet haben, der noch heute genau so in seiner weißen Pracht erstrahlt wie vor 300 Jahren. Auf den geschnitzten Marmorsärgen liegen frische Oleanderblüten und Lorbeerblätter, und die alten, weißbärtigen Inder, die hier Wache halten, überreichen einem beim Abschied eine rote Blüte. Eine unendliche Wehmut packt den Menschen hier; eine Wehmut, die man nicht in Worten ausdrücken kann. Nachmittags besuche ich das Fort. Und wiederum ist hier das Schönste vielleicht der Blick auf den Tadsch, der sich in den Fluten des Flusses spiegelt. Herrliche Marmorhallen mit kostbarer »Pietra-dura«-Arbeit und weiß wie Schnee schmücken den dunkelroten Unterbau. Auf einem Altan wird noch der Platz gezeigt, wo der König und die Königin mit lebenden Figuren einst Schach spielten, und man sieht von der Terrasse aus in den Hof, in dem bei festlichen Gelegenheiten die großen Elefantenkämpfe abgehalten wurden. Man geht von Marmorsaal zu Marmorsaal, sieht die Räume, in denen einst eine unbeschreibliche Pracht waltete und manches Fest gefeiert wurde, wo aber auch Trauer und Leiden einzogen. Reizend ist der achteckige Jasminpavillon, ebenfalls ganz aus weißem Marmor mit Edelsteinen eingelegt. Dieser wurde von dem Großmogul Jehangir seiner Lieblingsfrau, der schönen Nur-Mahal geweiht. In diesem Fort wurde Kaiser Schah-Jehan von seinem Sohne Aurengseb gefangengesetzt. Sieben Jahre schmachtete er hier mit seiner schönen Lieblingstochter Jehanara Begam, die ihren Vater nicht verlassen wollte. Eines Tages äußerte er den Wunsch, noch einmal das Grabmal seiner Gattin – den Tadsch-Mahal – sehen zu dürfen. Die Bitte wurde ihm gewährt. An einem Januartage des Jahres 1666, begleitet von seiner Tochter, stieg er die Marmortreppe hinan, die zum Jasminturm führt. Noch einmal ruhte sein Auge auf dem weißen Marmorbau, der sich in den Fluten des Flusses spiegelte, dann verschied er. Die Perlmoschee in Agra ist ebenso schön wie die in Delhi, nur noch größer. Noch bei Sonnenuntergang sind wir oben auf der Terrasse des Palastes; einige indische Besucher stehen abseits und lassen den Blick über den großen Fluß schweifen, der tief unter uns an der Burg vorbeifließt. Langsam wandle ich mit meinem Boy auf dem Altan auf und ab, als aus einer weißen Halle zwei Inder und eine bildschöne Inderin heraustreten. Sie ist nur in einen großen weißen Schal gehüllt, der ihre Arme und eine Schulter freiläßt. Ihr feines, ovales Gesicht, aus dem zwei dunkle, melancholische Augen hervorblicken, aus denen eine unendliche Sanftmut spricht, ist von dem in der Mitte gescheitelten schwarz glänzenden Haar umrahmt. Als sie langsam die Marmorstufen hinabsteigt, wird sie gerade von den Strahlen der untergehenden Sonne getroffen. Sie bot einen märchenhaft schönen Anblick dar, und lange schaute ich der schlanken Gestalt nach, die mit unbeschreiblicher Würde durch die alten Marmorhallen des Palastes dahinschritt. Allgemein konnte ich die Beobachtung machen, daß die Frauen Agras viel hübschere und edlere Gesichtszüge haben als die Delhis und Jaipurs. Am folgenden Morgen besuche ich das Mausoleum Itimad-ud-Doulehs. Wir fahren am Flusse entlang, der noch vor kurzem hier alles überschwemmt hatte. Man sieht eingestürzte Häuser, umgefallene Pfosten und ganze Wagenladungen verdorbenen, verfaulten Getreides, das einen widerlichen Geruch verbreitet und von der Brücke aus in den Fluß geworfen wird. Das Grabmal ist in seiner Art ganz einzigstehend und zeigt ganz andere Architektur wie die übrigen Grabdenkmäler Indiens (Abb. 67). Am Nachmittag machen wir einen Ausflug nach Sikandra. Die Sonne brennt hernieder, daß die Straßen glühen, und ihr helles blendendes Licht läßt einen die Augen schließen. Wir kommen durch kleine Dörfer, die unter hohen Bäumen versteckt liegen und deren Häuschen mit Schilf gedeckt sind; die Bewohner sitzen auf der Erde vor ihren Behausungen, plaudern oder träumen vor sich hin. »Tscharpais«, Holzpritschen, stehen umher, und manch einer hält hier seinen Mittagsschlaf. Schlanke, hübsche Mädchen und Frauen – große Tonkrüge auf dem Kopfe tragend – schreiten langsam nach dem großen Ziehbrunnen. Dort ist auch die Dorfjugend versammelt, die inmitten von Hunden, Ziegen und Zebus herumtollt. Sowie die Kinder mich sehen, kommen sie herbeigelaufen und wollen einen Backschisch haben. Ich werfe ihnen eine Kupfermünze hin, und gleich beginnt das Balgen und Raufen. Sikandra, das Grabmal des großen Akbar, übt mit seinen Sandsteinbauten, in die weißer Marmor eingelegt ist, einen gewaltigen Eindruck aus. Auch hier hat der Künstler den roten Sandstein auf das Geschickteste mit dem weißen Marmor verbunden. d) Benares Auf der Fahrt nach Benares! Wie oft habe ich mir als Schuljunge schon gewünscht, einmal diese heiligste Stadt Indiens sehen zu dürfen; und jetzt war es Wirklichkeit geworden. Nachts fahre ich von Agra ab. Der Zug hat schon ein paar Stunden Verspätung als er in Agra eintrifft, und ich bezweifle sehr, daß wir in Moghul Serai den Anschluß nach Benares erhalten werden. Je mehr wir uns dem Osten nähern, um so feuchter wird die Luft und um so üppiger die Vegetation. Es ist eine Art Savannenlandschaft, durch die wir fahren; halb Steppe, in der einzelne große Bäume stehen, halb Felder und Wälder. Palmen wiegen sich im Winde, und kleine bewaldete Höhenzüge bringen etwas Abwechslung in das sonst eintönige Bild. Mit drei Stunden Verspätung kommen wir abends in Moghul Serai, einem elenden kleinen Dorfe, aber wichtigen Kreuzungspunkt der Bahnen, an. Der Zug nach Benares ist fort. Glücklicherweise steht ein Lastauto bereit, das die nach Benares fahrenden Passagiere – indische Pilger – übernimmt. Ich bin der einzigste Europäer und nehme neben dem Chauffeur Platz. Inder und Inderinnen in buntesten Gewändern und klingendem Schmuck nehmen die Plätze im Wagen und auf dem Gepäck ein. Dann beginnt eine interessante Fahrt. Es ist stockdunkel; nur unsere Scheinwerfer geben Licht und beleuchten die hohen Stämme der Mango- und Feigenbäume, die die Chaussee einfassen. Als wir an den Ganges kommen, da ist die Brücke gesperrt, da ein Güterzug erwartet wird; zahllose Zebukarren warten hier. Hell leuchten die großen Bogenlampen und werfen ihren Lichtschein auf das bunte Bild der Wagen und Menschen. Endlich können wir weiterfahren; die ersten Lichter der heiligen Stadt tauchen auf, und durch die hell erleuchteten Straßen eilen wir dahin. Da das Hotel außerhalb liegt, werden zuerst die Inder abgesetzt, und ich erhalte auf diese Weise schon ein kleines Bild von der heiligen Stadt am Ganges. Bald gehe ich schlafen; denn am anderen Morgen will ich in aller Frühe an den heiligen Fluß gehen. Morgenstunde am Ganges! Da gerade Hindufeiertag ist, sind die hohen Backsteinhäuser mit bunten Papierfähnchen, Blumen und Girlanden geschmückt, und vor den kleinen Kaufständen sind auf den Fußsteigen Scharen kleiner buntbemalter Götterbilder aufgestellt. Gelb schimmert der Himmel im Osten zwischen den hohen Platanen- und Feigenbäumen hindurch, als ich vom Hotel aus den Park der Sanskrit-Hochschule passiere. Eine bunte Menge belebt schon die Straßen, die an den heiligen Fluß führen. Frauen, in bunte Gewänder gehüllt, den Kopf mit goldgestickten Schals umhüllt und schwere silberne Ketten und Spangen um Hand- und Fußgelenk, eilen stolz vorüber. Pilger in verschiedenfarbigen Gewändern, die mit Abzeichen Schiwas und Wischnus bemalt sind, Bettler, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, unermüdlich die Opferschale den Vorübergehenden hinreichend, lenken den Blick auf sich. Dicke Bengalis mit Sonnenschirmen, hin und wieder sogar ein buddhistischer Priester in gelbem Gewande wandeln einher; und inmitten der Menge schreit und lacht die Jugend, die kleinen Hinduknaben und -mädchen, die den Europäer fragend mit ihren großen, dunklen Augen anstarren. Heilige, mit gelben Blumen bekränzte Zebus wandeln einher oder liegen auf den Fußsteigen. Silberhell liegt das Licht der aufgehenden Sonne auf den Fluten des großen Stromes. Mein Boy bahnt mir den Weg durch die Menge, als wir die große Treppe des Dasasamedh Ghat hinabsteigen. Um mich flutet das indische Leben, so bunt, daß ich die vielen Eindrücke gar nicht alle so schnell aufnehmen kann. Und während ich noch fast hilflos suchend am Strande stehe, den Blick über das Gewirr von Tempeln und Treppen schweifen lasse und versuche, in dem sinnverwirrenden, fast unmöglichen Farbenbilde, das sich meinem Auge bietet, einen Ruhepunkt zu finden, hat mein Boy ein Boot herangeholt, und ehe ich mich versehe, liege ich bereits in einem bequemen Korbsessel auf Deck und werde am Strande entlang gerudert. Bilder, eines seltsamer als das andere, ziehen vorüber. Unzählige Tempeltürme – kleine Fähnchen auf den vergoldeten Spitzen – unterbrechen malerisch das Bild der großen Freitreppen und Paläste, die teilweise infolge Unterspülung des Flusses abgesunken sind. Tausende und aber Tausende – Männer, Frauen und Kinder – sind hier am Ufer, beleben die großen Freitreppen, sitzen auf den abgesunkenen Palästen und Tempeln, sonnen sich, baden oder hören den Brahmanen zu, die unter großen Bastschirmen sitzen und Opfergelder entgegennehmen. Fakire hocken auf den Steinplatten; einer blickt unverwandt in die Sonne, ein anderer, mit Asche beschmiert und mit langem schwarzen Lockenhaar leistet einem Brahmanen Gesellschaft. Hier steigt ein bildhübsches Mädchen, nur mit dünnem weißen Schal bekleidet, die Stufen hinab ans Wasser, stellt ihren Bronzenapf auf das Gesims eines abgesunkenen Tempels, geht ins Wasser, bis es ihr an die Schultern reicht, hebt die Hände an die Stirn, blickt gegen die Sonne und murmelt andächtig ein Gebet. Ein altes Mütterchen mit grauem, kurzgeschnittenen Haar gießt aus einer Bronzeschüssel Wasser über Kopf und Schulter. Langsam treiben wir von Ghat zu Ghat. Auch die Leichenverbrenner sind an der Arbeit. Gerade wird ein in weiße Leinentücher gehüllter Leichnam auf den Scheiterhaufen gelegt; es dauert nur Minuten, und alles ist in Flammen und Rauch gehüllt. Götterbilder, mit Blumen bekränzt, umlagert von Scharen andächtiger Pilger, heilige Kühe, die auch hier am Strande umherwandeln, vervollständigen das bunte Bild. Malerisch liegt der kleine nepalesische Tempel halb versteckt unter Tamarinden- und Feigenbäumen. Wir legen hier an, gehen die großen Freitreppen hinauf und lassen uns vom Priester die seltsamen Schnitzereien am Tempelsims erklären. Herrlich ist der Blick von hier aus über den Fluß und das bunte Leben, das sich am Strande abspielt. Nachmittags gehen wir nach dem Heiligsten, was Benares hat, nach dem goldenen Tempel. Er liegt inmitten vieler Häuser und enger Gassen versteckt, und nur durch enge, korridorähnliche Zugänge kann man zu ihm gelangen. Je mehr wir uns der heiligen Stätte nähern, um so lauter wird das Stimmengewirr, das an unser Ohr dringt. Dumpf klingen Trommeln und Gongs. Bettler und Bettlerinnen, zerlumpt und aussätzig, kauern am Wege, halten unter beständigem Murmeln ihre messingnen Bettelschalen hin und bitten um eine Gabe. Immer lauter wird das Stimmengewirr, immer dichter das Gedränge. Ein großes, blumenbekränztes Zebu zwängt sich langsam durch den engen Gang, und auch wir müssen dem heiligen Tiere Platz machen. Die Luft ist dumpf, schwül, mit Feuchtigkeit gesättigt; ein Geruch von Schweiß und verfaulten Blumen verfolgt uns auf Schritt und Tritt. Ein von Säulen getragener Pavillon fesselt zuerst unseren Blick. Immer sinnverwirrender wird das Bild! Ziegelrot bemalte Götterbilder werden mit gelben Blumenkränzen geschmückt, mit Reis beworfen und mit Wasser besprengt; hastig eilen die Menschen hin und her. Tempeltrommeln rollen dumpf, und dazwischen mischt sich der Klang einer hellen Glocke. Man weiß nicht, wohin man den Blick wenden soll. Man sucht vergebens nach einem Platz, wo das Auge ausruhen kann. Hier werden in einer Küche für die Götter die Speisen gekocht, dort eilen weißgekleidete Tempeldienerinnen, die Götter zu bekränzen und zu besprengen. Eine von ihnen liegt auf den Marmorfliesen; sie wendet mir ihr feingeschnittenes Gesicht zu, das von glatt gescheiteltem schwarzen Haar eingefaßt ist, steht auf und huscht an mir vorüber. Ein paar Sekunden lang blickt sie mich aus ihren träumerischen, unergründlich tiefen Augen fragend an, dann aber ist sie schon wieder fort, um ein anderes Götterbild mit Weihwasser zu besprengen. Und so löst in Sekunden ein Bild das andere ab, und man steht vollkommen hilflos inmitten des Getriebes und findet sich nicht zurecht. Man möchte die Seele dieser Menschen ergründen, den Schleier der Mystik zerreißen, der über allem liegt, und möchte wissen, was der tiefere Sinn all dieser Riten und Gebräuche ist. Aber um in die Seele des Hinduismus einzudringen, bedarf es eines lebenslangen Studiums, und ob wir Europäer überhaupt bis zu den Tiefen der indischen Philosophie vordringen können, ist mir noch zweifelhaft. Von einem Priester werden wir in das Heiligste geführt. Von einer kleinen Nische aus dürfen wir dem buntesten, sinnverwirrendsten Treiben zuschauen, das sich in dem Innenhof des Tempels abspielt. Betäubt wird man von dem Geruch der stickigen Luft und dem Stimmengewirr. Man schließt unwillkürlich sekundenlang die Augen, fühlt die Schläfen hämmern und kann es gar nicht fassen, daß alles Wirklichkeit ist. Die fast nackten Menschen drängen sich um den heiligen Brunnen der Weisheit, aus dem ein Brahmane in silberner Schale Wasser schöpft und zum Trinken reicht. Immer wieder empfinde ich, wie vollkommen hilflos ich hier bin; es ist mir alles so phantastisch, so unergründlich, so unverständlich, und doch reizt es mich immer wieder, dem Treiben zuzuschauen. Wir besuchen dann den Affentempel, der sich in einem großen Teiche spiegelt. Pilger eilen hin und her, einige sitzen im Innern des Tempels vor dem furchtbaren Bilde der blumenbekränzten Göttin Durga; andere verfolgen auch hier einen auf Schritt und Tritt und betteln. Auf dem Boden sieht man noch das Blut der geopferten Ziege, das von räudigen Hunden aufgeleckt wird. Ein Priester führt uns die Stiegen hinan auf einen Altan, von dem aus wir den See zu unseren Füßen liegen sehen. Eine Schar Affen kommt in großen Sätzen angesprungen; sie sind ganz zahm und lassen sich füttern. Auch sie sind heilig, und wehe dem, der ihnen etwas zuleide tut! Ungefähr eine Stunde von Benares entfernt liegt Sarnath, jene denkwürdige Stätte, wo Buddha im großen Gazellenpark seine ersten Predigten hielt. Ein großer Stupa – ein turmartiger Reliquienschrein – und die Überreste eines Klosters erzählen uns noch von dem Leben, das einst hier herrschte. Jetzt liegt tiefes Schweigen über dieser ehrwürdigen Stätte; selten sieht man einen Menschen. Neben dem alten Stupa reckt ein kleiner Jaina-Tempel seinen spitzen Turm in die blaue Luft, und ein paar Inder und Inderinnen in leuchtend bunten Gewändern schreiten langsam seinem Eingange zu. Als die Sonne sich dem Horizonte zuneigt, müssen wir zurück nach Benares. Noch einmal werfe ich einen Blick nach der Stätte, wo Buddha weilte, und sehe das gelbe Gewand eines buddhistischen Priesters, der hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat, aus dem Grün seines Gärtchens hervorschimmern. Friede, unendlicher Friede liegt über dem Land, und man hat das Gefühl, daß es hier nie anders gewesen ist! Dunkler wird es und dunkler, und als wir uns Benares nähern, sehen wir am Straßenrande kleine Öllampen brennen, und auch an den Wurzeln der hohen Bäume flackern die Lichter. Auch die kleinen Schreine am Wege sind von brennenden Kerzen erhellt. Selbst aus dem Geäst der Bäume schimmert der trübe Lichtschein flackernder Öllampen in die tropische Sternennacht hinaus. Auch die Häuser sind illuminiert; auf dem Dachfirst und vor den Fenstern brennen Lichter, ist doch Hindu-Feiertag! Abends saß ich noch bis in die Nacht hinein auf der Terrasse des Hotels. Da kam es mir vor, als ob der Duft der Blumen von Stunde zu Stunde stärker wurde und sich immer betäubender auf uns legte. Große Nachtfalter umflatterten die Lampen, und die Grillen sangen ihr eintöniges Lied. Und dann ging es Kalkutta zu. Es war eine der schwülsten Nächte, die ich je erlebt habe. Die Feuchtigkeit der Luft steigerte sich von Stunde zu Stunde, und ich war froh, als ich endlich das dumpfige Bahnabteil verlassen konnte. Von Kalkutta hatte ich nicht viel. Die letzten Reisevorbereitungen ließen mich nicht zur Ruhe kommen, und die feuchte, heiße Luft machte gleichgültig gegen alles. Trotz der ständig rotierenden elektrischen Fächer war es im Zimmer kaum auszuhalten. Ich besuchte den großen Jaina-Tempel, der, was überladene Skulpturen, bunte Marmorhallen, seltsame Gartenanlagen anbetrifft, wohl kaum übertroffen werden kann. Eines Abends ließ ich mich durch den Botanischen Garten fahren, der mich aber enttäuschte. Als die Sonne rotgelb im Westen versank, fuhren wir in die Stadt zurück. Eine große Menschenmenge flutete in den Straßen, und noch einmal erhielt ich ein Bild vom großen, bunten Indien. Dann wurden die letzten Reisevorbereitungen getroffen, noch wichtige Einkäufe gemacht und das große Gepäck nach dem Kidderpore-Dock geschafft. XVII HEIMWÄRTS Am Morgen des 1. November 1924 fuhr die »Merkara« von Kalkutta ab. Eine Dampfbarkasse brachte uns ans Schiff. Der Himmel war bewölkt, aber es war schwül, feucht und drückend, wie bei uns vor einem schweren Gewitter. Langsam glitten wir aus dem Hafen heraus und ließen die Stadt hinter uns. Immer aber behielten wir das Ufer im Auge; fuhren manchmal ganz nahe heran und sahen die schilfgedeckten Hütten der Eingeborenen wie Pfahldorfhäuser unter den hohen Palmen träumen. Und dann ging es hinaus auf das Meer, das uns blaugrün entgegenschimmerte. Langsam entschwand die Küste unseren Blicken, und erst nach zwei Tagen sahen wir wieder Land, als wir nach Madras kamen. Ein furchtbares Wetter hielt uns hier zwei Tage fest. Ich ging mit einem Herrn an Land; wir nahmen uns einen Wagen und fuhren auf der Strandpromenade, der Marina, der Stadt zu. Hier war es drückend schwül, und man ahnte das kommende Wetter. In einem Hotelgarten nahmen wir unser Mittagessen ein, aßen nur wenig, waren zu schlaff, um nur die Gabel an den Mund zu führen. Schon morgens, als wir am Strande entlang fuhren, hatten wir eine Wolkenwand am Meere aufziehen sehen. Am Strande lief ein Trupp halbnackter schwarzer Eingeborener zu einem Boot, das durch die Brandung ans Ufer wollte. Ich wurde lebhaft an ein Bild erinnert, das ich als Schulbube einst in einem illustrierten Robinson-Krusoe-Buch gesehen hatte. Der schneeweiße Strand flimmerte im hellen Sonnenlicht, und der Gischt der sich überstürzenden Wogen glitzerte wie Tausende von Diamanten. Am Spätnachmittag brach der Sturm los. Der Regen klatschte hernieder, der Wind heulte und die Temperatur sank von Grad zu Grad. Das dicke Ankertau, mit dem unser Schiff befestigt war, riß mitten durch, so daß wir in der Reede ankern mußten. Die Wellen wurden von Stunde zu Stunde höher, und das Schiff schlingerte hin und her. Wie eine Nußschale schaukelte der kleine Lotsendampfer inmitten der hohen Wellen. Stets war es mit großen Schwierigkeiten verbunden, die Schiffstaue um die Bojen zu legen, die in den Wogen auf und ab tanzten. Um die Arbeit bewältigen zu können, mußte ein Inder von einem großen Boot aus auf die Boje springen, ein Kunststück, das ihm jedesmal glänzend gelang. Als am folgenden Tage sich der Sturm gelegt hatte, fuhren wir weiter nach Ceylon. Nie werde ich den Morgen vergessen, als die ersten Berge dieser paradiesischen Insel am Horizonte auftauchten. Blauschwarz, mit einem Stich ins Grünliche, schillerte das Meer, und in weichen, lila Tönen schwebten die Berge über der weiten Wasserfläche. Man konnte glauben, es sei eine Fata Morgana. Um die hohen, in bläulichen Farben schimmernden Berge der Insel, unter denen der Adamspik besonders hervortrat, hingen einige weiße Wolken, auf die die Sonne herniederschien. Am weißen Strande ziehen sich die Kokospalmenwälder hin, und die hohen Wipfel neigen sich im Winde. Schon von ferne sehen wir die Einfahrt in die Reede von Kolombo; kleine Auslegerboote, Einbäume, fahren an uns vorbei, und wir können mit dem Fernglase verschiedene Dampfer erkennen, die dem Hafen zusteuern oder in See stechen. Eine große Dreimasterbark wird von einem kleinen Dampfer herausgeschleppt. Es waren nur Stunden, die ich auf der Insel zubringen durfte, aber Stunden, die mir stets unvergeßlich bleiben werden. Noch sehe ich die hohen Palmenalleen vor mir, noch glaube ich, wenn abends alles still ist, das Rauschen der Brandung bei Mount Lavinia zu hören! Die roten Straßen, das vielfarbige saftige Grün der Wälder, das blaue Meer und der helle Himmel haben sich zu einem Bilde verdichtet, das immer wieder vor meine Augen tritt. Und Friede und Ruhe herrschen hier. Wie kleine Schlösser liegen die Bungalows der Engländer in schönen Gärten, und die Hütten der Eingeborenen schmiegen sich an die hohen Palmen. Am Straßenrande saßen Gaukler und Schlangenbändiger, die nach dem Klange einer Flöte ihre Kobras tanzen ließen. Kolombo hat auch viele schöne, im europäischen Stil erbaute Häuser und prächtige Läden. Auf den Straßen herrscht ein lebhafter Verkehr; ab und zu sieht man noch Rikschas; sonst aber triumphiert auch hier das Auto. Am anderen Morgen, in aller Frühe, als die Sonne ihre ersten Strahlen über das Eiland ausgoß, fuhren wir aus der Reede heraus. Langsam verschwanden die Palmenwälder und die Häuser, und bald schauten nur ein paar hellblaue Berge noch über das blaugrüne Meer. Lange stand ich an der Reeling, blickte hinüber nach Osten, wo Ceylons Gipfel langsam unter den Horizont tauchten, und nahm Abschied von Indien. Es wurde mir sehr schwer. Viele glückliche Tage, Wochen, ja Monate hatte mir Indien geschenkt. Jetzt ging es Europa zu. Es war mir, als ob ich mit dem Abschied von Indien auch Abschied von der Sonne nahm. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, bin ich erst wieder ein halbes Jahr in der Heimat, und schon drängt es mich wieder hinaus; die Stille der asiatischen Berge und die Märchenpracht Indiens rufen mich. Das Heimweh nach dem großen Asien hat mich bereits gepackt, und im stillen arbeite ich an neuen Reiseplänen. Ein großer Schmetterling begleitete unser Schiff zwei Tage lang, es war der letzte Gruß, den Indien uns sandte. Die Fahrt ging über den Indischen Ozean. Die See war so glatt wie ein Spiegel und vom reinsten Hellblau. Oft konnten wir fliegende Fische sehen; ich hatte nie geglaubt, daß sie so große Strecken über Wasser fliegen könnten. Mit einigen Engländern hatte ich mich sehr gut angefreundet, und wir vertrieben uns die Zeit mit Spielen aller Art. Schön war’s, wenn man in seinem Liegestuhl an Bord lag, ein schönes Buch las oder auf das blaue Meer hinausblickte. Ich habe mich oft über mich selbst gewundert; stundenlang konnte man untätig sitzen und vor sich hinträumen oder neue Pläne schmieden. Der große, weite, unendliche Ozean löst dieselben Wirkungen aus wie die flackernden Lagerfeuer, vor denen man auch stundenlang sitzen und in die Glut und züngelnden Flammen starren konnte. Mir vergingen die Tage fast zu schnell; Tage der Ruhe und Erholung im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn abends die Sonne sich dem Horizonte zuneigte und der Himmel in rotgelben Farben aufflammte, dann holte ich wohl meinen Malkasten und versuchte, die Bilder auf dem Papier festzuhalten. Aber es war nicht ganz leicht, da die Farben zu schnell wechselten. Violett, Orange und ein leuchtendes Rosa walteten vor und spielten ineinander. Der Himmel hatte manchmal eine hellgrüne Färbung; die Wolken formten sich zu seltsamen Bildern. Wenn man an der Reeling stand und in die leuchtenden Wolken blickte, dann glaubte man manchmal ein zweites grünblaues Meer zu sehen, in dem goldene Inseln und Eilande schwammen. Man erkannte Berggipfel, Seen, Meeresbuchten und Ebenen. Dann schien es einem, als ob auch dort die Sonne untergehe, denn langsam krochen auch über sie dunkle Schatten, und nur die höchsten Gipfel strahlten ein purpurnes Rosa aus. Es war wie ein Gruß aus einer besseren Welt; und erst wenn man wieder auf das wogende Meer sah, bemerkte man die Täuschung. Nach dem Abendessen lag man wieder – die Herren im Smoking, die Damen in großer Toilette – in den Liegestühlen an Deck, trank seinen eisgekühlten Whisky Soda oder Ginger Ale, plauderte oder hörte der Musik zu, die vom Salon her erklang. Manchmal gingen wir vor zwölf Uhr nicht schlafen. Eines Abends hatten wir etwas Meerleuchten. Mit dem einen Offizier und einer schönen Frau ging ich an den Bug des Schiffes. Wir lehnten uns über das Geländer, sahen große blaue Funken aufstieben und am Schiffe entlang laufen. Auch die sich überschlagenden Schaumkämme und Spritzer strahlten ein phosphoreszierendes Licht aus. Herrlich waren die Mondscheinnächte, wenn blauschwarze Wolken am Himmel hingen und das silberne Licht des Mondes langsam die Wolkenwand durchbrach. Schwarz sah dann das Meer aus, und nur zwei blendend silberweiße Streifen spiegelten das Mondlicht an der Stelle wider, wo Meer und Himmel zusammentrafen. Verlassen, wie ein totes Eiland, lag Sokotra zur Rechten. Dann kam Aden in Sicht. Noch sehe ich die hohen, kahlen Felsen vor mir aufragen, auf denen kein Fleck Grün zu entdecken war. Unten am Meere liegen die Häuser, einige große Baracken und ein Leuchtturm. Als wir Anker werfen, kommen viele kleine Boote längsseit des Schiffes, und die arabischen Händler bieten laut schreiend ihre Waren an. Sie dürfen nicht an Bord kommen, werfen daher Leinen an Deck, an die sie unten Körbe befestigen, und in diese legen sie dann die Waren, die sie anbieten: Straußenfedern, Zigaretten, Fächer, Halsketten usw. Man zieht dann die Leine an Deck, schaut sich die Sachen an, und hat man etwas gefunden, so nimmt man es heraus und legt das Geld dafür in den Korb, der dann wieder hinuntergelassen wird. Ich ging mit Familie H. an Land. Wir mußten uns ausbooten lassen, da die Dampfer am Kai nicht anlegen können. Wir besuchten verschiedene Läden, machten kleine Einkäufe und schlenderten am Strande entlang. Da unser Schiff erst am Spätnachmittag nach Aden gekommen war, so war es schon dunkel, als wir unsere Einkäufe beendet hatten. Der Sonnenuntergang war unbeschreiblich schön! Wie flüssiges Gold lag der Widerschein der untergehenden Sonne auf dem Meer, und die Felswände hoben sich wie Silhouetten ab. Als wir wieder vom Kai abstießen, war die Dunkelheit schon hereingebrochen; überall flammten die kleinen Lichter in den Läden auf, und die Dampfer, die im Hafen lagen, boten mit ihrem Lichtermeer ein wundervolles Bild. Dann fuhren wir weiter durch das Rote Meer. Nur einen Tag war die Hitze fast unerträglich. Man mochte sich kaum in seinem Liegestuhle rühren. Das einzig Erquickende war der eiskalte Zitronensaft. Oft konnten wir die arabische Küste und die fernen Berge wie einen feinen, hellen Strich erkennen. Dann wurden die Ferngläser hervorgeholt, und man suchte eifrig nach Dörfern oder Häfen. Mitten im Roten Meere trafen wir eine Barke mit braunen Segeln. Die Insassen waren Araber, die auf Fischfang ausgingen. Ich mußte unwillkürlich an die Piratenschiffe denken, mit denen die Araber früher die Küsten des Persischen Golfes und des Mittelmeers unsicher machten. Näher und näher rückte die Küste, und bald war Suez erreicht. Nachts fuhren wir in den Kanal ein, und als ich am anderen Morgen an Deck kam, dehnte sich rechts und links das Land aus. Langsam fuhren wir durch das grünblaue Wasser. Manchmal sahen wir Kamelkarawanen am Ufer; kleine baufällige Dörfer und einige Palmen unterbrechen die öde Steinwüste. Trotzdem Ismalia mit seinen herrlichen Palmenwäldern uns noch einmal ein Bild der indischen Märchenpracht vorzaubert, merken wir, wie es langsam kühler wird; Europa rückt näher und näher. In Port Said ziehen wir bereits den Mantel an. Grau ist der Himmel und schwarz das Wasser. Wir nehmen wieder Kohlen ein. Zwei große Schaluppen liegen längsseit unseres Schiffes; große Bretter werden von diesen aus an die Reeling gelegt, und dann schleppen die Trimmer die Säcke herauf. Wie in einem Ameisenstaate geht es zu. Düster und kalt ist es, kein freundliches Bild entzückt mehr unser Auge. Der Übergang vom Roten Meer nach dem Mittelmeer war außerordentlich kraß, und man vermißte die Sonne und das helle Licht, die Wärme und das Hellblau des Meeres. Ernst grüßt uns Europa, als ob es uns mahnen wollte, daß wir uns wieder den Ländern der Arbeit, der Sorge, des härtesten Lebenskampfes nähern. Düster blickt der Himmel drein, und wir können kaum an Deck weilen. Es ist kalt. Die fröhlichen Spiele haben aufgehört, die weißen Tropenkleider sind in den Koffern verstaut, auch die Besatzung des Schiffes hat marineblaue Uniformen angelegt. Die dunklen Anzüge kommen mir fast wie Trauerkleidung vor. Nachmittags passieren wir Kreta; die hohen Gipfel sind mit einer Schneedecke überzogen. Wenn doch nur einmal noch die Sonne kommen, nur einmal noch etwas wärmendes Sonnenlicht die trübe Stimmung verscheuchen wollte! Als wir am Morgen des 29. November in die Straße von Messina einfahren, erstrahlt der Himmel wieder im schönsten Hellblau, und große, weiße Haufenwolken schweben wie Eisberge im blauen Luftmeer. Weiße Städte liegen am Meer, und kleine Dörfer grüßen von den Felsen herab. Vom Ätna erblicken wir nicht sehr viel, denn sein Gipfel ist in Wolkenschleier gehüllt. Wohl aber sehen wir Messinas Häusermeer im Sonnenschein liegen. Das Meer ist vom reinsten Blaugrün, und kleine weiße Dampfer, die den Verkehr zwischen dem Festland und Sizilien vermitteln, durchschneiden die blauen Fluten. Am Nachmittag passieren wir den Stromboli, der seine dicken Dampfwolken in die Luft stößt. Direkt am Fuße des Vulkans liegen inmitten grüner Gärten weiße Häuschen. Der vulkanische Boden ist sehr fruchtbar, und daher siedeln sich die Bewohner, trotz der ihnen immer drohenden Gefahr, hier wieder an. Spät abends passieren wir Korsika und Sardinien; düster heben sich die trotzigen Felsklippen aus dem dunklen Meere heraus. Rote Blinkfeuer und weiße Lichter weisen dem Schiffe den Weg. Schon nachmittags hatte der Kapitän Meldung erhalten, daß Sturm drohe. Als wir abends im Rauchsalon saßen, plauderten und Erinnerungen austauschten, hörten wir plötzlich das Heulen des Sturmes. Und dann brach das Unwetter los. Blitz folgte auf Blitz, und Schlag auf Schlag rollte der Donner. Ich zog meinen Regenmantel an und sah mir das Naturschauspiel an. Hellblaue Blitze, immer mehrere zugleich, sprangen von Wolke zu Wolke und erhellten das aufgewühlte Meer. Stets haben Gewitter auf mich einen tiefen Eindruck gemacht; schon als Kind habe ich oft stundenlang am Fenster gestanden und dem Zucken der Blitze, dem Kampfe der Wolken zugeschaut. Ich habe manch schweres Gewitter in den Bergen mitgemacht, aber nichts hat mich so gepackt wie der nächtliche Gewittersturm zwischen Korsika und Marseille auf dem Mittelmeer. Am anderen Morgen fuhren wir in Marseille ein. Wir waren wieder in Europa, waren in einer großen Hafenstadt mit all ihrem Lärm und Getriebe. Bettelmusikanten standen am Kai. Ein kleines Mädchen spielte die Geige, eine andere die Ziehharmonika. Europas Elend und Sorgen sprachen aus den Gesichtern, aus den zerlumpten Kleidern. Nie habe ich mich so nach Indien und Asiens Einsamkeit zurückgesehnt als an diesem ersten Tage, an dem ich Europas Boden wieder betrat. Der Abschied vom Schiff fiel mir sehr schwer. Abends fuhr ich mit einem befreundeten Schweizer noch einmal an den Hafen hinaus; der Himmel war bewölkt, es war kalt und nebelig. Noch einmal gingen wir an Deck und blickten vom Schiffe aus über den Hafen, über das Meer von Masten und Schornsteinen. Der große Kran war gerade in Tätigkeit, und unzählige Ballen Tee wurden aus dem Laderaum ausgeladen. Dann fuhren wir mit dem Auto in die Stadt zurück. Nachts um zwölf Uhr verließ ich Marseille. Frankreich zeigte mir sein trübstes Gesicht. Fein rieselte der Regen an den Fensterscheiben herunter; Nebel lagen über den Feldern. Einige vertrocknete gelbe Blätter hingen noch an den Bäumen, und der Sturm sang sein trauriges Lied. In der zweiten Nacht passierte ich die deutsche Grenze, war wieder in der Heimat und grüßte wieder die alten, mir wohlbekannten Städte. [Illustration: Afghanistan –– Reiseweg des Verfassers.] Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen bei Ortsnamen wurden beibehalten. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Der Schmutztitel wurde entfernt. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Quer durch Afghanistan nach Indien" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.