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Title: Auf Schneeschuhen durch Grönland. Erster Band
Author: Nansen, Fridtjof
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Auf Schneeschuhen durch Grönland. Erster Band" ***
GRöNLAND. ERSTER BAND ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1898 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

  Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden, mit Ausnahme
  norwegischsprachiger Ortsbezeichnungen ('Österdalen', 'Österbygd'),
  als deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt.

  Die Fußnoten wurden an das Ende des jeweiligen Kapitels verschoben.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################



[Illustration: Fridtjof Nansen.]



                   Auf Schneeschuhen durch Grönland.

                                  Von

                         Dr. Fridtjof Nansen.


            Autorisirte deutsche Uebersetzung von M. Mann.


                            Zweite Ausgabe.


                   Mit 159 Abbildungen und 4 Karten.


                             Erster Band.


                               Hamburg.

           Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft

                       (vormals J. F. Richter).

                                 1898.



      Druck der Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
                  (vormals J. F. Richter) in Hamburg.



Inhalt.


                                                                   Seite

  Kap. I. Einleitung                                                   1

      II. Ausrüstung                                                  30

     III. Das Schneeschuhlaufen, die Entwickelung und die Geschichte
          dieser Kunst                                                74

     IV. Von Norwegen nach Island                                    132

      V. Reise von Island zum Klappmützenfang                        163

     VI. Die Klappmütze (~Cystophora Cristata~)                      182

    VII. An Bord des Jason                                           200

   VIII. Gegen Land. -- Das Treiben im Eise                          225

     IX. Wir treiben weiter durch das Eis                            244

      X. Historische Uebersicht über frühere Versuche, den
         Eisgürtel auf Grönlands Ostküste zu durchdringen etc.       267

     XI. Nordwärts an der Ostküste entlang. Zusammentreffen
         mit Eskimos                                                 307

    XII. Ein Eskimolager                                             326

   XIII. Weiter nordwärts an der Küste entlang                       358

    XIV. Neues Zusammentreffen mit Eskimos. Zwischen Eisbergen       379



[Illustration: An der Ostküste Grönlands 1882.

(Nach einer Skizze des Verfassers gezeichnet von E. Nielsen.)]



Kapitel I.

Einleitung.


Es war im Sommer 1882, als ich an Bord des norwegischen Seehundfängers
„+Viking+“ unter dem noch unbekannten Theil der grönländischen Ostküste
(auf dem 66° 50′ N. B.) im Eise stecken blieb. 24 Tage lagen wir dort
fest, und mit jedem Tage wurden wir zum Entsetzen der Besatzung der
felsigen Küste näher getrieben. Die Berggipfel und Gletscher dort
hinter dem Treibeise lagen am helllichten Tage da und glänzten. Am
Abend und zur Nachtzeit, wenn die Sonne sie bei ihrem Rundgang berührte
und den Horizont hinter ihnen in ein Feuermeer verwandelte, trat ihre
wilde Schönheit noch mehr hervor. Daß das Fernrohr vom Großmast aus
mehr als einmal am Tage gen Westen gerichtet wurde, und daß diese ganze
unbekannte Welt meine junge Seele zu sich hin zog und lockte, ist wohl
kaum zu verwundern. Unablässig grübelte ich darüber nach, +wie+ diese
Küste zu erreichen sei, die so Viele vergebens gesucht haben, und ich
kam zu dem Resultat, +daß+ sie zu erreichen sei, wenn nicht +durch+ das
Eis vermittels eines Schiffes -- wie man das früher versucht hatte --,
so doch +über+ dasselbe, und zwar indem man Boote hinter sich herzog.
Ich wollte sogar gleich einen Versuch machen und allein über das Eis
an Land spazieren. Dies Vorhaben scheiterte jedoch an dem Kapitän, der
es unter den obwaltenden Verhältnissen nicht verantworten zu können
glaubte, daß irgend Jemand das Schiff auf längere Zeit verließ.

Nach meiner Heimkehr schrieb ich infolge einer Aufforderung einen
Artikel in der „Geografisk Tidsskrift“ (7. Band, S. 76), in welchem
ich meine Vermuthung aussprach, daß sich Grönlands Ostküste ohne
Schwierigkeiten würde erreichen lassen, indem man mit einem
norwegischen Seehundfänger so weit wie möglich vordränge, das Schiff
dann verließe und sich über das Eis an Land begäbe. Daß mir schon
damals der Gedanke vorschwebte, in das Innere des Landes vorzudringen,
läßt sich also nicht leugnen, -- dieser Gedanke gewann jedoch erst bei
einer späteren Gelegenheit feste Gestalt.

Es war an einem Herbstabend im darauf folgenden Jahre -- also 1883 --,
ich erinnere mich dessen, als sei es gestern gewesen. Ich saß und hörte
gleichgültig zu, wie aus den Zeitungen vorgelesen wurde. Da fesselte
meine Aufmerksamkeit plötzlich ein Telegramm, welches berichtete,
daß Nordenskjöld glücklich von seiner Expedition nach Grönlands
Innerem zurückgekehrt sei, daß er keine Oasen, sondern nur endlose
Schneefelder gefunden habe, auf welchen seine beiden Lappen in kurzer
Zeit eine unglaubliche Strecke zurückgelegt und sich äußerst günstig
über die Schneeschuhbahn geäußert haben sollten. Der Gedanke, Grönland
auf Schneeschuhen von einer Küste bis zur anderen zu durchdringen,
durchzuckte mich wie ein Blitz. Der Plan war fertig, so wie er später
vorgelegt und ausgeführt wurde.

Mein Plan war in aller Kürze der folgende: Wenn man eine Expedition
kräftiger Schneeschuhläufer auf zweckmäßige Art ausrüstete, so mußten
diese im stande sein, Grönland zu durchqueren, falls sie von der
richtigen Seite anfingen; dieser letzte Punkt aber war von großer
Wichtigkeit.

Fing man, wie alle früheren Expeditionen, von der Westküste an, so
konnte man sicher sein, nicht durchzudringen. Man würde in dem Falle
die Fleischtöpfe Aegyptens hinter sich haben, während man vor sich nur
die unbekannte Eiswüste und die Ostküste hatte, die nicht viel besser
ist. Und selbst für den Fall, daß man durchdrang, hatte man einen
ebenso langen Weg zurückzulegen, um wieder in die Heimath zu gelangen.

Der einzig sichere Weg war meiner Meinung nach, durch das Treibeis
vorzudringen, an Grönlands öder, eisbedeckter Ostküste zu landen und
sich von hier aus nach der bewohnten Westküste zu begeben. Auf diese
Weise brach man alle Brücken hinter sich ab, man hatte nicht nöthig,
die Mannschaft vorwärts zu treiben, -- die Ostküste würde kaum einen
Einzigen zur Umkehr verlocken, während vor uns die Westküste lag, die
uns mit allen Annehmlichkeiten der Civilisation winkte und zu sich zog.
Da war keine Wahl, -- nur vorwärts! Die Parole würde lauten: Der Tod
oder Grönlands Westküste.

Im folgenden Jahr setzte ich meinen Plan einem Bekannten in
Dänemark brieflich auseinander und machte den Vorschlag, eine
dänisch-norwegische Expedition nach der Ostküste Grönlands zu
unternehmen. Die Dänen sollten die Ostküste untersuchen, während sich
die Norweger auf Schneeschuhen über das Inlandseis nach der Westküste
begaben.

Dieser Vorschlag führte jedoch zu keinem Resultat, und da ich
anderweitig stark in Anspruch genommen war, ruhte die Sache während
einiger Jahre. Erst im Herbst 1887 faßte ich den Entschluß, meinen
Plan allen Ernstes wieder aufzunehmen. Meine ursprüngliche Absicht
war es, die Expedition mit Privatmitteln auszuführen, als ich aber
von verschiedenen Seiten dringend aufgefordert wurde, die norwegische
Universität um die nöthigen Mittel zu ersuchen, um der Expedition
dadurch ein öffentliches, nationales Gepräge zu verleihen, willigte ich
ein und reichte ein Gesuch um 5000 Kronen zu der Ausführung einer Reise
nach diesem Plan an die Universität ein.

Das Gesuch wurde auf das kräftigste von dem akademischen Kollegium
unterstützt und der Regierung übersandt, damit diese die Sache
in Erwägung ziehen und das Gesuch auf reguläre Weise als
Regierungsvorschlag an das Storthing weiter befördern sollte. Von der
Regierung erhielt ich indessen die Antwort, daß man nicht glaube, auf
den Vorschlag eingehen zu können, und in den regierungsfreundlichen
Organen hieß es sogar, daß man keinerlei Grund habe, das norwegische
Volk die große Summe von 5000 Kronen bezahlen zu lassen, damit ein
Privatmann eine Vergnügungsreise nach Grönland unternehmen könne. Die
Meisten, die von meinem Plan hörten, hielten ihn für den reinsten
Blödsinn, -- ich müsse entweder nicht bei meinen fünf Sinnen oder
doch mindestens lebensüberdrüssig sein, -- was denn in Grönlands
Innerem zu holen sei? Glücklicherweise war eine Unterstützung seitens
der Regierung oder anderer keine Nothwendigkeit für mich, denn ich
erhielt von einem Manne in Kopenhagen das Anerbieten, mir die Summe,
um welche ich eingekommen war, auszubezahlen. Dieser Mann war der
Etatsrath +Augustin Gamél+, der sich schon durch die Ausrüstung der
+Dijmphna+-Expedition um die arktische Forschung verdient gemacht
hatte. Dies Anerbieten von einem Ausländer und einem mir persönlich
unbekannten Manne, zu einer Expedition beizutragen, welche von den
Meisten für Wahnsinn erklärt wurde, erschien mir so edelmüthig, daß ich
mich keinen Augenblick besinnen konnte, es anzunehmen.

[Illustration: Etatsrath Augustin Gamél.]

Erst im Januar 1888 trat ich in einem Artikel in der norwegischen
Zeitschrift „Naturen“, betitelt „Grönlands Inlandsis“, mit meinem Plan
an die Oeffentlichkeit. Nachdem ich u. a. die zahlreichen früheren
Versuche, in das Innere Grönlands vorzudringen, erwähnt hatte, sage ich:

„Mein Plan ist in aller Kürze der folgende: Mit drei bis vier der
besten, ausdauerndsten Skiläufer, die aufzutreiben sind, beabsichtige
ich, mich anfangs Juni mit einem der norwegischen Seehundsfangfahrzeuge
von Island aus nach Grönlands Ostküste zu begeben und ungefähr beim 66°
N. B. zu versuchen, mich so weit wie möglich der Küste zu nähern.[1]

Kann das Fahrzeug das Land nicht erreichen, was jedoch nach den von
den Seehundsfängern gemachten Erfahrungen, die sich häufig dieser
Küste genähert haben,[2] nicht unwahrscheinlich ist, -- so verläßt die
Expedition das Fahrzeug, sobald dies der Küste so nahe wie möglich
gekommen ist, und begiebt sich über das Eis an Land. Um über das offene
Wasser zu gelangen, das sich voraussichtlich in der Nähe der Küste
befindet, zieht man ein leichtes Boot auf Schienen hinter sich her
über das Eis. Daß eine solche Fahrt über das Treibeis möglich ist,
glaube ich auf Grund früherer Bekanntschaft mit demselben annehmen
zu können. Im Jahre 1882 machte ich nämlich mit dem Seehundsfänger
„Viking“ aus Arendal eine Reise in diese Gegend, und wir saßen im Juni
an der Ostküste von Grönland im Eise fest. 24 Tage hindurch trieben
wir an der Küste, an welcher ich jetzt an Land zu gehen gedenke,
entlang, und ich hatte während der Zeit auf meinen zahlreichen
Wanderungen und Jagdausflügen reichliche Gelegenheit, Bekanntschaft
mit der Beschaffenheit des Eises und den Schneeverhältnissen zu
machen, wie wir auch auf unserer Reise häufig infolge plötzlicher
Einklemmungen gezwungen waren, unsere Boote lange Strecken über die
Eisschollen zu ziehen. -- Auf diese Weise glaube ich also das Land
erreichen zu können. Am liebsten würde ich es sehen, wenn dies ein
wenig nordwärts von Kap Dan geschehen könnte, da die Küste hier noch
nicht von Europäern bereist ist und schon an der Küste vielerlei von
Interesse zu untersuchen sein würde. Weiter südwärts dagegen ist die
Küste verhältnißmäßig bekannt, da die dänische Frauenboots-Expedition
unter Kapitän +Holms+ Leitung im Jahre 1884 bis zu einem etwas nördlich
von Kap Dan gelegenen Punkt vordrang und in Angmagsalik, einer Kolonie
heidnischer Eskimos, etwas südlich von dem genannten Vorgebirge,
überwinterte. Nachdem wir die Untersuchungen an der Küste gemacht
haben, die sich ohne große Zeitvergeudung ausführen lassen, treten
wir sobald wie möglich die Wanderung über das Inlandseis an. Gelangt
die Expedition nördlich von Kap Dan ans Land, so beginnen wir unsere
Wanderung am Ende eines der dort belegenen Fjorde; landen wir dagegen
südlicher, so müssen wir uns in den tiefen Sermilikfjord begeben, um
von hier aus auf das Eis zu kommen.

Die Expedition versucht gleich so hoch wie möglich auf eisfreies
Terrain zu gelangen, selbst wenn die Steigung hier bedeutend stärker
sein sollte als auf den Gletschern; hierdurch hat man nämlich den
Vortheil, daß man, wenn es sich endlich als nothwendig zeigt, auf das
Eis zu gehen, voraussichtlich flacheres und ebeneres Eis finden und
gleichzeitig das schlimmste Gletschereis vermeiden wird, das uns durch
seine Unebenheiten und Spalten nicht geringe Gefahren und Hindernisse
in den Weg legen kann. Auf das Eis gekommen, richtet die Expedition
ihren Kurs auf Christianshaab an der Diskobucht, und sucht diesen Ort
baldmöglichst zu erreichen. Indem man sich nach der Diskobucht begiebt,
statt eine südlichere Richtung einzuschlagen, hat man auf der einen
Seite den Vortheil, daß man auf dem nördlicheren Wege voraussichtlich
eine bessere Schneeschuhbahn finden wird, und auf der anderen Seite
den, daß man an der Diskobucht, wo keine tiefen Fjorde in das Land
einschneiden, verhältnißmäßig leicht bewohnte Orte antreffen wird,
da die vor der Küste belegene Diskoinsel mit ihren etagenförmigen
Basaltklippen vom Inlandseise aus gesehen einen guten Wegweiser abgeben
dürfte, um von dort mit Leichtigkeit nach einer der beiden Kolonien
Jakobshafen oder Christianshaab zu gelangen, die ungefähr einen halben
Grad voneinander entfernt an der Diskobucht liegen.

Die Entfernung von der Ostküste, wo ich zu landen gedenke, bis zu der
Diskobucht beträgt ungefähr 670 ~km~; wenn man nun rechnet, daß man
täglich 20-30 ~km~ zurücklegen kann, was für Schneeschuhläufer sehr
mäßig gerechnet ist, so wird die Reise nicht über einen Monat währen;
nimmt man aber Proviant für die doppelte Zeit mit, so scheint alle
Wahrscheinlichkeit für einen glücklichen Ausgang vorhanden zu sein.

Der Proviant muß auf Schlitten gezogen werden. Außer den gewöhnlichen
Schneeschuhen (+Ski+) denke ich eine andere Art Schneeschuhe
(+Truger+)[3] mitzunehmen, die dort, wo der Schnee weich und naß ist,
zweckmäßiger sind.

Neben dem Proviant für ungefähr zwei Monate, sowie den verschiedenen
Arten von Schneeschuhen sollen ferner die nothwendigen Instrumente zur
Ortsbestimmung etc. etc. mitgenommen werden.“

Daß gegen einen Plan wie diesen auch in der Presse mehr oder weniger
kräftige Einwendungen erhoben wurden, ist ja nicht zu verwundern; sie
zeichneten sich jedoch durchgehend dadurch aus, daß sie auffallende
+Unkenntniß+ der Eis- und Schneeverhältnisse sowie der Passage über die
Eis- und Schneefelder verriethen.

Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, hier einige kleine Auszüge
aus einem Vortrag wiederzugeben, der von einem jungen dänischen
Grönlandsfahrer in Kopenhagen gehalten und in der dänischen Zeitschrift
„Neue Erde“ (~Ny Jord~) im Januar 1888 abgedruckt worden ist. Da heißt
es u. a.:

„Andere Pläne sind nicht weiter als bis auf das Papier gelangt, so
z. B. der Vorschlag in einem Ballon quer über das Inlandseis zu gehen,
der schon Ende des vorigen Jahrhunderts gemacht wurde. Zu der letzten
Klasse von Vorschlägen, die bis dahin nur bis auf das Papier gelangten,
gehört auch derjenige, der von dem nordischen Zoologen, dem Konservator
an dem Museum zu Bergen, +Fridtjof Nansen+ gemacht ist.“ -- -- --

„Es ist sehr viel, was für den Grundgedanken in +Nansens+ Expedition
spricht, sowohl daß er sich von der Ostküste nach dem civilisirten
Theil Grönlands hinüberzubegeben gedenkt (statt umgekehrt), als auch,
daß er als tüchtiger Skiläufer Ski als Beförderungsmittel benutzen
will. Aber mit dieser Anerkennung der Grundgedanken des Planes muß
auch für Jeden, der etwas von den Verhältnissen kennt, die Anerkennung
aufhören. Schon die Art und Weise, wie +Nansen+ die Ostküste zu
gewinnen gedenkt, indem er nämlich die sichere Schiffsplanke verlassen
und gleich einem Eisbären von einer schaukelnden Eisscholle auf
die andere wandern will, bis er das Ufer erreicht hat, ist ja so
dummdreist, daß man nicht weiß, was man dazu sagen soll.

Jedoch den Fall gesetzt, das Glück wäre dem Kühnen hold und +Nansen+
erreichte die Ostküste Grönlands, was will er dann anfangen, um das
eigentliche, ebene Inlandseis zu erreichen, -- mit anderen Worten, wie
will er über den äußeren Rand des Inlandseises gelangen, wo Fels auf
Fels aus der Eisdecke emporragt und diese aller Wahrscheinlichkeit nach
an den meisten Stellen unpassirbar macht.“ -- -- --

„+Nansens+ Plan, gerade die steilen Küstenfelsen zu erklimmen und von
dort auf das aufgedämmte hohe Eisfeld zu spazieren, verräth deshalb
eine vollständige Unkenntniß der Verhältnisse.“ -- --

-- -- „Mit dem, was man vom Außenlande sehen kann, hört meine Erfahrung
auf, und ich kann deswegen nicht darauf eingehen, den Plan zu
kritisiren, der darauf ausgeht, den inneren Theil des Inlandseises zu
passiren, und eine genügende Menge Proviant mit sich zu führen, -- ich
glaube übrigens, daß sich dieser Plan möglicherweise ausführen ließe,
falls +Nansen+ wirklich über den ersten Rand des Eises gelangen könnte.

Auf etwas ganz anderes dagegen halte ich mich für verpflichtet und
berechtigt in der vorliegenden Angelegenheit aufmerksam zu machen:
nämlich, daß meiner Ansicht nach Niemand das moralische Recht hat,
durch Wagnisse, die nur eine geringe Aussicht haben, zu irgend welchem
Resultat zu führen, die Eskimo-Einwohner Ostgrönlands zu belästigen,
indem man von ihnen verlangt, daß sie Einem aus der Klemme helfen, in
die man sich selber ohne jeglichen Zweck hineinbegeben hat. Es kann
nämlich für uns Wenige, die etwas von den Verhältnissen im dänischen
Ostgrönland kennen, kein Zweifel darüber sein, daß man, -- so wie
+Nansens+ Plan entworfen ist, falls nicht das Schiff die Küste erreicht
und auf ihn wartet, bis er gezwungen ist, seinen Plan aufzugeben, --
zehn gegen eins wetten kann, daß +Nansen+ entweder sein Leben und
vielleicht das Anderer, ohne allen Zweck aufs Spiel setzt oder auch,
daß er von den Eskimos aufgenommen und von diesen an der Küste entlang
bis zu den dänischen Stationen an der Westküste geführt wird. Niemand
aber hat das Recht, die Ostgrönländer ohne Zweck zu einer langen und
für sie verderblichen Reise zu veranlassen.“ -- -- --

Diese Artikel waren sicher in bester Absicht geschrieben, aber sie
geben doch ein klares Beispiel, welche fast abergläubische Angst viele
Menschen -- und darunter selbst Sachverständige und Autoritäten -- vor
dem Inlandseise und vor einer Passage über die Schnee- und Eisfelder
bis vor ganz kurzem empfunden haben müssen. Der Verfasser des oben
erwähnten Artikels hatte sich selber mehrere Jahre lang am Rande des
Inlandseises aufgehalten, aber niemals war ihm der Gedanke gekommen,
einen kleinen Spaziergang über diesen Rand hinaus zu machen. Er würde
sicher schon bei den ersten Schritten viele seiner groben Irrthümer
eingesehen haben und sich darüber klar geworden sein, „was eine völlige
Unkenntniß der Verhältnisse“ bedeute.

In einem anderen wenn möglich noch weniger sachkundigen Artikel hieß
es, daß wenn Nansen selber so verrückt sein wolle, so etwas zu wagen,
er doch sicher nicht einen einzigen Menschen mit sich bekommen würde,
und allein könne er das Wagniß doch nicht unternehmen!

Auch in der englischen Presse erschienen mehrere Artikel gegen die
Expedition.

Aber trotz aller dieser warnenden Stimmen und trotz der allgemeinen
Ansicht, daß das Ganze eine Tollheit sei, fanden sich doch genug
Menschen, die sich daran betheiligen wollten. Ich erhielt über 40
Gesuche von Leuten in den verschiedensten Stellungen. -- Da waren
Offiziere, Pharmaceuten, Kaufleute, Bauern, Seeleute, Studenten etc.
etc. Und außerdem waren noch Viele da, die kein direktes Gesuch
einreichten, die aber sagten, daß sie mehr als gerne mitwollten, und
daß sie sich melden würden, wenn sie wüßten, daß es ihnen nützen könne.
Es waren auch nicht allein Norweger, sondern aus Dänemark, Frankreich,
Holland und England liefen gleichfalls Gesuche ein.

Ich konnte indessen nur Leute gebrauchen, die mit dem Schneeschuhlaufen
vertraut und die als energische ausdauernde Menschen bekannt waren. Ich
wählte folgende Norweger: +Otto Sverdrup+, früheren Schiffskapitän,
+Oluf Dietrichson+, damals Premier-Lieutenant, jetzt Kapitän bei der
norwegischen Infanterie, und +Kristian Kristiansen Trana+, einen
norwegischen Bauernburschen. Da ich ursprünglich die Absicht hatte,
Rennthiere mitzunehmen, und da ich glaubte, Nutzen aus dem angeborenen
Ortssinn der Naturvölker, sowie ihrer Gabe, sich in alle möglichen
Lagen des Lebens zu finden, ziehen zu können, so schrieb ich an ein
paar mir empfohlener Männer in Finnmarken und fragte an, ob sie mir ein
paar Berglappen verschaffen könnten, die geneigt seien mitzukommen. Ich
fügte hinzu, daß es muthige Leute sein müßten, bekannt als besonders
ausdauernd und geeignet, sich auf unbekanntem Terrain zurecht zu
finden; auch müßten sie von vorneherein völlig über die gefahrvolle
Natur des Vorhabens unterrichtet sein, es müsse ihnen eingeschärft
werden, daß ebenso viel Aussicht vorhanden sei, daß sie nicht
zurückkehrten, als daß sie ihre Heimath glücklich wieder erreichten,
-- ferner müßten es unverheirathete Leute in einem Alter zwischen 30
und 40 Jahren sein, da ich glaube, daß Körper wie Geist in dem Alter am
widerstandfähigsten und geeignetsten für ein solches Unternehmen seien.

Es währte lange, ehe Antwort auf meine Vorfrage kam, -- die Post
gelangt nicht schnell zu den Bewohnern Finnmarkens, -- nur alle
vierzehn Tage kommt sie mittels einer Rennthierpost über das Gebirge
zu ihnen. Endlich als die Zeit bereits drängte, erhielt ich die
Antwort, ich könne zwei tüchtige Kerle aus Karasjok bekommen, wenn
ich gut bezahlen wolle. Ich ging so ungefähr auf ihre Forderungen ein
und telegraphirte, daß sie baldmöglichst kommen müßten. Dann erhielt
ich die Nachricht, sie seien unterwegs und würden den und den Tag
eintreffen, -- ich war natürlich sehr gespannt darauf, sie zu sehen.
An einem Sonnabend Abend wurden sie erwartet. Es waren Leute am
Bahnhof, um sie in Empfang zu nehmen und sie in ihr Logis zu führen.
Aber keine Lappen kamen. Auch am Sonntag kamen sie nicht. Niemand
konnte begreifen, was aus ihnen geworden war; endlich am Montag hieß
es, nun seien sie angekommen. Und wirklich, sie waren gekommen, -- mit
dem gemischten Güterzug statt mit dem Eilzug. Ich eilte nach ihrem
Logis und kam in ihr Zimmer, -- mitten in demselben stand ein junger,
hübscher Mann mit einem beinahe mehr finnischen als lappländischen
Aussehen, hinten in einer Ecke saß ein alter Mann mit langem, schwarzem
Haar, das ihm über die Schultern hing; er war klein von Wuchs, sah aber
noch kleiner aus, wie er da zusammengekrochen auf einer Kiste saß. Er
hatte ein stärkeres lappländisches Aeußere als der Junge. Auf ihn paßte
völlig die Beschreibung, die +Peder Daß+ (1685) von den Lappen giebt:

    Das Volk, das ist von ganz eigner Natur,
    Kurzbeinig im Wuchs und von kräft’ger Statur,
    Es gleicht auf ein Haar den Zwergen.

    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

    Mit klugem Aug, das gar scharf weiß zu schau’n,
    Von Antlitzfarbe ganz gelblich und braun,
    Spitzkinnig mit länglichen Kiefern.

Als ich eintrat, neigte er den Kopf und kreuzte die Arme auf
morgenländische Weise, -- der Junge grüßte auf ganz gewöhnliche Art.
Der Alte konnte nur wenig Norwegisch, deshalb mußte ich mit dem Jungen
sprechen. Ich fragte, ob sie sich wohl befänden, und weshalb sie mit
dem langsamen Zuge gekommen seien. Ja, sie hätten es nicht besser
gewußt, und dann sei es mit dem Zuge ein paar Kronen billiger gewesen.

„Wie alt seid Ihr denn?“ -- „Ich bin 26 Jahre alt, und er dort, Ravna,
ist 45 Jahre.“ Das war denn doch eine merkwürdige Geschichte! Ich hatte
ausdrücklich betont, daß sie zwischen 30 und 40 Jahre alt sein sollten.
„Ihr seid beide Berglappen?“ -- „Nein, nur Ravna ist Berglappe, ich bin
in Karasjok ansässig.“ -- Noch schlimmer; ich hatte ausbedungen, daß
es Berglappen sein sollten. „Aber seid Ihr denn gar nicht bange davor,
die Reise zu unternehmen?“ -- „Ja, wir ängstigen uns sehr, man hat
uns unterwegs gesagt, die Expedition sei so gefährlich, daß wir wohl
nicht lebendig wieder nach Hause kämen, und deshalb sind wir so bange
geworden.“ -- Aber das war denn doch zu arg! Sie waren nicht einmal
von dem in Kenntniß gesetzt worden, worauf sie eingingen, die armen
Menschen! Ich hatte die größte Lust, sie gleich wieder nach Hause zu
schicken, aber jetzt war es zu spät, andere Leute zu verschreiben.

Ich mußte sie behalten, deshalb war es das Beste, sie zu trösten, so
gut ich konnte und ihnen zu sagen, daß das, was die Leute redeten,
Unsinn sei, -- ihnen schon im voraus den Muth zu nehmen, hatte gar
keinen Zweck, sie konnten ihn ohnedies schnell genug verlieren. Wenn
sie auch nicht so stark und ausdauernd aussahen, wie ich es gewünscht
hatte, so machten sie doch den Eindruck von herzensguten, zuverlässigen
Menschen. Und daß sie das waren, haben sie in vollem Maße bewiesen, und
in Hinsicht auf ihre Ausdauer ließen sie nichts zu wünschen übrig. Als
Naturvolk betrachtet, hatte ich von ihnen übrigens bei weitem nicht den
erwünschten Nutzen. So wurden sie beispielsweise zu Rekognoscirungen
überall nicht verwendet.

In einer Schilderung,[4] welche +Balto+ von der ganzen Fahrt gemacht
hat, fährt er, nachdem er von seiner Reise von Finnmarken erzählt und
wie ihnen die Leute unterwegs allen Muth genommen hätten, indem sie
mich als einen ganz verrückten Menschen darstellten, folgendermaßen
fort:

„Am 14. April reisten wir von Trondhjem und kamen am 16. April nach
Kristiania. Nansen hatte einen Mann nach dem Bahnhofe geschickt, um uns
in Empfang zu nehmen, nämlich Sverdrup; er kam zu uns und fragte: „Seid
Ihr die beiden Männer, die mit Nansen wollen?“ -- Wir antworteten, daß
wir es seien. Sverdrup erzählte, daß auch er einer von denen sei, die
mit Nansen wollten, und er erzählte, daß er ausgegangen sei, um uns zu
empfangen. „Kommt jetzt mit mir!“ und wir gingen mit ihm, und er führte
uns in ein Hotel, das in der Tolbodgade Nr. 30 liegt. Nach Verlauf
einer Stunde kamen Nansen und Dietrichson, um uns zu begrüßen. Es war
überaus herrlich und wunderbar, als wir diesen unsern fremden Herrn
zu sehen bekamen, nämlich Nansen. Er war uns fremd, aber sein Antlitz
schien uns entgegen, als sei es das Antlitz unserer zurückgebliebenen
Eltern gewesen, so schön kam es mir vor, und so war auch sein an uns
gerichteter Willkommgruß. Alle die fremden Leute in der Stadt waren
sehr gut und freundschaftlich gegen uns Lappen während der ganzen
Zeit, die wir in Kristiania waren; von der Zeit an wurden wir noch
vergnügter, und das war sehr angenehm für uns.“

Da wir uns nun durch dies ganze Buch hindurch mit diesen fünf Menschen
beschäftigen sollen, wäre es vielleicht ganz angebracht, sie einzeln
vorzustellen. Wir wollen mit den Norwegern anfangen und sie dem Alter
nach vorführen.

+Otto Neumann Sverdrup+ wurde am 31. Oktober 1855 auf dem Hofe Haarstad
in Bindalen auf Helgeland geboren. Sein Vater war der Wald- und
Hofbesitzer +Ulrik Sverdrup+ und seine Mutter war +Petra Knoph+.

In einer rauhen Natur geboren und von Kindheit an daran gewöhnt, sich
in allen möglichen Beschäftigungen und in allem möglichen Wetter in
Wäldern und auf Bergen umherzutreiben, lernte er früh für sich selbst
sorgen und auf eigenen Füßen stehen. Er war noch ein kleiner Knabe,
als er anfing auf Skischuhen zu laufen, und daß sich in einem so
unkultivirten Distrikt wie in Bindalen die beste Gelegenheit findet,
sich zu einem tüchtigen und unerschrockenen Skiläufer auszubilden,
liegt auf der Hand. Mit zehn Jahren erhielt er eine Flinte, und von
der Zeit an streifte er stets auf Jagdausflügen umher, im Winter auf
Schneeschuhen, im Frühling auf der Auerhahn- und im Herbst auf der
Bärenjagd. Er wurde nicht in die Stadt geschickt, um zur Schule zu
gehen, sondern er hatte einen Hauslehrer. Eine besondere Vorliebe für
Bücher scheint er jedoch niemals gehabt zu haben.

Mit 17 Jahren ging er zur See und reiste dann während vieler Jahre
theils mit norwegischen, theils mit amerikanischen Schiffen.

Im Jahre 1878 machte er sein Steuermannsexamen in Kristiania und fuhr
dann mehrere Jahre als Steuermann. Als solcher erlitt er vor einigen
Jahren mit einem norwegischen Schoner an der Westküste von Schottland
Schiffbruch. Bei dieser Gelegenheit zeigte er so recht, welcher Kern
in ihm steckte, denn es ist hauptsächlich seiner Besonnenheit und
Schneidigkeit zu verdanken, daß die Mannschaft gerettet wurde. Einen
Schoner und ein Dampfschiff führte er als Kapitän, -- ein Jahr lang
lag er auch mit einem Fischkutter an der Nordlandsküste. Vor einer
Reihe von Jahren geschah es, daß man in Göteborg einen Führer für
+Nordenfeldts+ unterseeisches Boot suchte, das über die Nordsee nach
England geführt werden sollte. Man setzte eine Belohnung für Denjenigen
aus, der dies gefahrvolle Amt übernehmen wolle, aber es fand sich
Niemand, der es wagte. Da kam +Sverdrup+ zufällig dorthin und erbot
sich gleich dazu, er überredete einen Vetter, als Maschinist
mitzugehen, und diese Beiden wollten es übernehmen, das unsichere
Fahrzeug, das noch Niemand auf größere Entfernungen versucht hatte,
nach England zu führen, ja, +Sverdrup+ meinte, es sei ein wahrer Sport,
aber dann, im letzten Augenblick, änderten die Unternehmer ihren
Entschluß und ließen das Boot über die See bugsiren.

[Illustration: Schiffskapitän Otto Sverdrup.]

Während der letzten Jahre hat sich +Otto Sverdrup+ größtentheils auf
dem Gute seines Vaters aufgehalten, der vor ungefähr 11 Jahren seinen
Besitz in Bindalen verkauft und sich weiter südwärts auf Trana bei
Stenkjär angesiedelt hatte. Hier beschäftigte er sich bald mit dem
Einen, bald mit dem Andern, bald stand er dem Forstwesen, bald dem
Flößen des Holzes vor, bald war er Schmied, bald ging er auf Fischfang
aus, und überall war er der Erste. Sein liebster Zeitvertreib war es,
in stürmischem Wetter in einem Nordlandsboot auszusegeln, wenn das Boot
mit vierfach gerefften Segeln die schäumende Brandung durchschnitt,
ganz so, wie es bei +Peder Daß+ heißt:

    „Gebt acht auf die Schote!
    Schöpfkell in die Faust, das Auge im Wind,
    Stemmt gegen das Seil, seid schnell und geschwind,“ --

da gefiel +Sverdrup+ das Dasein.

Daß ein solcher Mann für eine Expedition wie geschaffen war, ist
selbstverständlich. Durch sein bewegtes, vielseitiges Leben hatte er
gelernt, sich in allen schwierigen Lagen zurechtzufinden. Stets war er
ruhig, immer wußte er Rath. --

+Oluf Christian Dietrichson+ wurde am 31. Mai 1856 in Skogn bei
Levanger geboren. Sein Vater war der Kreisarzt +Peder Wilhelm Krejdahl
Dietrichson+ und seine Mutter +Canuta Pauline Ditlevine Due+. Er
genoß eine strenge Erziehung und wurde früh zu männlicher Thätigkeit
angehalten und an das Leben in freier Luft gewöhnt. Sein Schulweg bis
Levanger, wo er bis 1873 die Schule besuchte, betrug fast eine deutsche
Meile, später kam er ein Jahr auf Trondhjems Lateinschule und von dort
nach Kristiania auf die Maribogadens-Schule, wo er bis 1876 blieb. Dann
nahm er ein Jahr lang Privatstunden und wurde 1877 Kadett, als solcher
kam er in die mittelste (die sogen. zweite) Klasse der damals aus fünf
Klassen bestehenden Kriegsschule. Im Jahre 1880 wurde er zum Offizier,
im Februar 1882 zum Seconde-Lieutenant und im Sommer 1890 zum Kapitän
in der Trondhjemschen Brigade ernannt.

1886 wurde er Premier-Lieutenant in derselben Brigade.

In den Wintersemestern 1882-84 machte er die Centralturnschule in
Kristiania durch und bildete sich zum Lehrer in der Gymnastik und
Waffenführung aus; im Jahre 1887 wurde er als Hülfslehrer bei dieser
Schule angestellt.

+Dietrichson+ hat sich sein Leben lang auf das eifrigste mit allen
körperlichen Uebungen beschäftigt. Von Natur hat er einen starken, wohl
proportionirten Körper, der durch gute Erziehung stets abgehärtet und
entwickelt worden ist.

In den späteren Jahren hat er jeden Winter lange Schneeschuhtouren
durch die verschiedenen norwegischen Berggegenden gemacht; er hat auf
seinen Schneeschuhen fast alle Thäler zwischen Skien und Trondhjem
durchwandert, und es giebt wohl kaum Jemand, der so viel von Norwegen
zur Winterszeit gesehen hat, wie er.

[Illustration: Kapitän O. C. Dietrichson]

Auf der Expedition gereichten uns die Kenntnisse, die er durch seine
militärische Ausbildung erworben hatte, zu großem Nutzen. Er übernahm
fast ausschließlich die Führung des meteorologischen Tagebuches, wie
auch die ausgeführten Landmessungen und die angefertigten Karten sein
Verdienst sind. Mit Selbstaufopferung und großem Eifer unterzog er
sich dieser Arbeit, die um so anerkennenswerther ist, wenn man bedenkt,
unter welchen Verhältnissen er arbeitete. Vollauf kann das wohl nur
Derjenige verstehen, der es versucht hat, bei einer Temperatur von
unter -30, seine Beobachtungen zu machen, und sein meteorologisches
Tagebuch genau und pünktlich wie gewöhnlich zu führen, selbst wenn man
todtmüde ist, und wenn von allen Seiten der Untergang droht, oder zu
schreiben, wenn die Finger so von Frost angeschwollen sind, daß man
kaum einen Bleistift halten kann. Ja, dazu gehört wahrlich mehr als das
gewöhnliche Maß von Energie und Charakter! --

+Kristian Kristiansen Trana+ war nicht mehr als 24 Jahre alt, als
er sich der Expedition anschloß. Dies ist freilich ein bedeutend
geringeres Alter, als wie ich es zu dergleichen Strapazen für
zweckmäßig halte, aber er war muthig und stark und hatte eine ganz
außerordentliche Lust zu dem Unternehmen. Auf +Sverdrups+ Empfehlung
hin besann ich mich deswegen nicht, ihn mitzunehmen. Ich sollte es auch
nicht bereuen, obgleich er sein kräftigstes Alter sicher noch nicht
erreicht hatte. Er wurde am 16. Februar 1865 in dem Oertchen Grinna
geboren, ein wenig südlich von Trana, dem jetzigen +Sverdrup+schen
Besitz. In seiner Heimath hat er sich hauptsächlich an Forstarbeiten
betheiligt, außerdem ist er mehrmals zur See gewesen und hat
infolgedessen ein wenig von der Welt gesehen. Er war ein tüchtiger,
zuverlässiger Bursche, und wenn +Kristian+ versprochen hatte, irgend
etwas auszuführen, so wußte ich stets, daß es gethan wurde. --

[Illustration: Kristian Kristiansen.]

+Samuel Johannesen Balto+ ist ein in Karasjok ansässiger Lappe, er
war 27 Jahre alt, als er sich auf die Expedition begab. Er war von
mittlerer Größe und hatte eigentlich nichts ausgeprägt Lappländisches
in seinem Aeußern. Er gehört zu den sogenannten Flußlappen, die
gewöhnlich größer von Wuchs sind und stark mit Kvänen (Finnen)
vermischt zu sein pflegen. Die meiste Zeit hatte er mit Forstarbeiten
verbracht, mehrere Jahre hindurch war er aber auch mit auf Fischfang
ausgezogen. Eine Zeitlang hatte er bei den Berglappen gedient und war
beim Hüten der Rennthiere behülflich gewesen.

So war er u. a. eine kurze Zeit hindurch Knecht bei +Ravna+ gewesen.
Er war ein lebhafter, aufgeweckter Bursche, eifrig bei allem, was er
vornahm; er unterschied sich hierin wesentlich von seinem Kameraden
+Ravna+. Dabei besaß er eine große Ausdauer und war stets bereit, bei
allem zu helfen, wodurch er für uns von großem Nutzen wurde. Mit seiner
fließenden Zunge und seinem gebrochenen Norwegisch war er auch im
wesentlichen das erheiternde Element unserer Expedition. --

[Illustration: Samuel Balto. Ole Ravna.]

+Ole Nielsen Ravna+ ist ein Berglappe aus der Karasjokgegend und
zählte 45 oder 46 Jahre, -- er war dessen selber nicht ganz sicher.
Sein ganzes Leben lang hat er als Nomade in seinem Zelt gelebt, mit
seinen Rennthieren auf den finnmarkischen Feldern umherziehend. Seine
Rennthierherde war vor seiner Reise nach Grönland nicht sonderlich
groß, -- sie zählte zwischen 200 und 300 Thiere. Er war der Einzige
von der Expedition, der verheirathet war, -- er verließ seine Frau und
fünf Kinder. Wie bereits vorhin erwähnt, hatte ich keine Ahnung davon,
-- ich hatte als Bedingung aufgestellt, daß keiner der Theilnehmer
verheirathet sein solle. Wie es die Berglappen in der Regel zu sein
pflegen, war er bedeutend phlegmatischer als der jüngere Lappe, er
sah es am liebsten, wenn wir uns nicht auf der Wanderschaft befanden,
um mit gekreuzten Beinen still in einer Ecke des Zeltes sitzen zu
können und nichts zu thun, nachdem er sich vorher gründlich vom Schnee
gereinigt hatte. Selten sah man ihn etwas vornehmen, ohne daß er direkt
dazu aufgefordert wurde. Er war sehr klein von Wuchs, aber überraschend
stark und ausdauernd, obwohl er sich selbst und seine Kräfte stets zu
schonen wußte. Er sprach, besonders zu Anfang der Reise, sehr wenig
norwegisch, aber infolgedessen konnten seine Bemerkungen oft äußerst
komisch klingen und große Heiterkeit hervorrufen. Er konnte nicht
schreiben und hatte keinen Begriff von einer so modernen Einrichtung
wie einer Uhr, lesen hingegen konnte er, und seine liebste Lektüre war
das neue Testament in lappländischer Sprache, von dem er sich niemals
trennen wollte.

Beide Lappen waren, wie sie selbst sagten, nur mitgegangen, um Geld
zu verdienen, nicht aus Lust an dem Unternehmen oder an Abenteuern.
Sie waren im Gegentheil äußerst bange vor dem Ganzen und ließen
sich leicht einschüchtern, was ja kein Wunder ist, wenn man bedenkt,
wie wenig sie von vorneherein über unsere Pläne unterrichtet waren.
Daß sie nicht so unwissend zurückkehrten, kann man u. a. aus Baltos
Aufzeichnungen ersehen, von denen auch späterhin einige mitgetheilt
werden sollen.

Beide Lappen waren übrigens gutartige und liebenswürdige Menschen. Ihre
Treue konnte oft etwas Rührendes haben, und ich habe sie mit der Zeit
sehr lieb gewonnen.


Fußnoten:

[1] Am liebsten wollte ich bei dem unbekannten Scoresbyfjord weiter
nordwärts landen. Dazu mußte man jedoch ein besonderes Fahrzeug
miethen, und da es voraussichtlich Schwierigkeiten machen dürfte, die
hierzu erforderlichen Geldmittel aufzutreiben, habe ich diesen Plan
vorläufig aufgegeben.

[2] Als Beispiel kann angeführt werden, daß dort im Sommer 1884 sehr
wenig Eis war und die Seehundsfänger die Klappmützen beinahe hart am
Lande fingen.

[3] Diese „+Truger+“ sind aus einem ovalen Holzrahmen gebildet und
mit einem Weidengeflecht überspannt. Sie werden in Norwegen viel
angewendet, selbst für Pferde.

[4] Auf meine Aufforderung hin schrieb Balto nach unserer Rückkehr
den folgenden Bericht in lappländischer Sprache. Prof. +Fries+ hat
freundlichst einige Theile davon übersetzt, und die Uebersetzung ist so
wortgetreu wie möglich gehalten.



Kapitel II.

Die Ausrüstung.


Bei Expeditionen von einer Natur, wie die, von welcher hier die Rede
ist, hängt selbstverständlich ein glücklicher Ausfall im wesentlichen
von der Ausrüstung ab; ja in diesem besonderen Fall würde das Leben
der Theilnehmer aufs Spiel gesetzt, wenn die Ausrüstung nicht so
war, wie sie sein sollte. Ein Nagel oder eine Fuge, die ihren Zweck
nicht erfüllen, können die ganze Expedition aufhalten, ja die
allerernstlichsten Folgen nach sich ziehen. Jede noch so kleine
Einzelheit muß gewissenhaft geprüft werden, und man darf weder
Veränderungen noch Umstände scheuen, bis alles so vollkommen wie
möglich ist. Das Ganze erfordert die bedachtsame Ueberlegung einer
langen Reihe von Bagatellen, von deren Summe aber der Erfolg abhängig
ist; es kann schwerlich zu viel Gewicht darauf gelegt werden. Viele der
früheren Expeditionen sind meiner Ansicht nach zu leicht über diesen
Punkt hinweggegangen.

Wie bereits erwähnt, war es ursprünglich meine Absicht, falls dies
ausführbar sei, Hunde oder Rennthiere zum Ziehen zu benutzen. Der
hierdurch entstehende Vortheil ist begreiflicherweise kein geringer,
sobald man die Thiere erst glücklich an der Stelle hat, von wo aus
die Schlittenfahrt ihren Anfang nehmen soll. Es ist von vielen
erfahrenen Männern gesagt worden, daß sich Zugthiere nicht zu langen
Schlittenexpeditionen eignen, da die Thiere -- sowohl Hunde wie
Rennthiere -- nur Proviant für sich selber in einem bestimmten Zeitraum
ziehen können. Ich verstehe indessen dies Raisonnement nicht, --
kann man die Thiere nicht den ganzen Weg benutzen, so steht man sich
immerhin gut dabei, sie so lange wie möglich zu benutzen und dann zu
schlachten.

Hat man eine genügende Anzahl Thiere -- Rennthiere oder Hunde -- und
nimmt man so viel Proviant für sie mit, wie sie neben der übrigen
Ausrüstung der Expedition ziehen können, so kann man mit ihrer
Hülfe schnell vorwärts kommen, ohne sich wesentlich anzustrengen.
Gleichzeitig hat man den Vortheil, daß man -- indem man die Thiere
nach und nach schlachtet -- sich beständig frisches Fleisch zu
verschaffen in der Lage ist. Auf diese Weise bedarf man auch keines
so umfangreichen Proviants für sich selber, wie dies sonst nothwendig
sein würde. Wenn man dann endlich gezwungen ist, die letzten Thiere zu
schlachten, muß man voraussichtlich ein gutes Stück vorwärts gekommen
sein, ohne an seinen eigenen Kräften zu zehren; nebenbei hat man den
Vortheil, sich die ganze Zeit hindurch an frischem Fleisch satt essen
zu können, was von großer Bedeutung ist, da man die Reise nun mit
ungeschwächten Kräften fortzusetzen vermag. Mancher wird einwenden, daß
dies nicht der Fall sein kann, wenn es sich um Hunde handelt, darauf
kann ich aber nur antworten, daß ich aus Erfahrung weiß, welch guter
Koch der Hunger ist, und daß Hundefleisch durchaus nicht unschmackhaft
ist, -- die Eskimos halten es sogar für einen Leckerbissen, -- und daß
Derjenige, der es unter Umständen wie den hier obwaltenden, nicht zu
essen imstande ist, sich nicht als Theilnehmer einer Expedition dieser
Art eignet.

Hätte ich gute Schlittenhunde auftreiben können, so würde ich
sie unbedingt mitgenommen haben. Die Hunde haben nämlich den
großen Vortheil vor den Rennthieren, daß sie bedeutend leichter
zu transportiren und nicht schwer zu füttern sind, sie ernähren
sich von demselben Proviant wie wir, während die Rennthiere ihren
eigenen Proviant haben müssen, der im wesentlichen aus Rennthiermoos
besteht, und umfangreich und schwer ist. Es war mir indessen nicht
möglich, in der kurzen Zeit, die mir zugemessen war, brauchbare Hunde
aufzutreiben, deswegen mußte ich den Gedanken aufgeben. Dann dachte
ich an Rennthiere, schrieb deswegen nach Finnmarken, versah mich sogar
in Röros mit Rennthiermoos. Aber dann stellte es sich heraus, daß mit
ihrer Verfrachtung große Schwierigkeiten verbunden waren, und daß es
noch größere Schwierigkeiten machen würde, sie in Grönland an Land zu
schaffen. Ich gab deshalb auch die Rennthiere auf und hielt mich nun
ausschließlich an die Menschen.

Wenn man jedes Stückchen Brot, welches man essen will, selbst ziehen
muß, da ist es ganz natürlich, daß man alles so leicht wie möglich
einzurichten sucht; der Proviant, die Geräthschaften, die Kleidung,
alles muß auf das geringste Minimum reduzirt werden. Wenn man mit einer
solchen Ausrüstung beschäftigt ist, so kommt man schließlich ganz
unbewußt dazu, den Werth aller Dinge nach ihrem Mangel an Gewicht zu
berechnen, ja selbst wenn es sich nur um ein Taschenmesser handelt,
kommt es vor allem darauf an, daß es leicht ist. Man muß sich aber
auch hüten, in der Jagd nach Leichtigkeit allzuweit zu gehen, -- die
Geräthschaften müssen +stark+ sein, denn sie sollen manche harte
Probe bestehen. Die Kleidung muß +warm+ sein, Niemand weiß, wie kalt
es wird, und der Proviant muß nahrhaft sein und aus verschiedenen
Nahrungsmitteln in passendem Verhältniß bestehen, denn uns steht ein
schweres Stück Arbeit bevor, weit schwerer als es sich wohl einer der
Theilnehmer träumen läßt.

[Illustration: Aufbruch am Morgen auf dem Inlandseise.]

Das Wichtigste bei einer Schlittenexpedition ist natürlich +der
Schlitten+. Da im Laufe der Zeiten, besonders von England aus, so
viele Schlittenexpeditionen nach den arktischen Regionen veranstaltet
sind, so sollte man annehmen, daß der Schlitten auf Grund der auf
diese Weise gewonnenen Erfahrungen einen hohen Grad der Entwickelung
angenommen haben müsse. Das ist nun freilich nicht der Fall, und man
kann sich nicht genug wundern, daß Expeditionen so neuen Datums,
wie z. B. die zweite deutsche Nordpolexpedition 1869-70 (nach der
Ostküste von Grönland), die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition
1872-74 (nach dem Franz Josef-Land) oder selbst die große englische
Nordpolexpedition unter +Nares+ 1875-76 (nach dem Smith Sund) mit so
großen, klotzigen, unzweckmäßigen Schlitten ausgerüstet wurden, wie
dies der Fall war. Weit besser stand es in dieser Beziehung mit den
beiden letzten amerikanischen Expeditionen (1881-84) und derjenigen,
die im Jahre 1884 unter +Schley+ und +Soleys+ Leitung zu +Greelys+
Entsatz ausgesandt wurde.

Der gewöhnliche Fehler bei den Schlitten der verschiedenen Expeditionen
bestand darin, daß sie zu schwer und zu klotzig gebaut und viel zu
groß waren. Wenn man dazu in Betracht zieht, daß sie gewöhnlich viel
zu schmale Schienen hatten, so wird es leicht zu verstehen sein, daß
sie tief in den Schnee einsanken und oft nur mit größter Schwierigkeit
vorwärts zu bewegen waren. Einzelne Expeditionen gebrauchten wohl die
in Amerika üblichen toboggans, die aus einem einzigen, vorn erhöhten
Brett bestehen. Sie sind gewöhnlich aus Birkenholz oder dergl. und
haben eine Länge von 2,5 ~m~ und eine Breite von 46 ~cm~ oder mehr.

Wir finden diese Schlitten schon im Anfange unsres Jahrhunderts zu
Expeditionen benutzt, -- beispielsweise führte +Franklin+ solche auf
seiner ersten Expedition mit sich. Der englische Reisende ~Dr.~ +Rae+
und nach ihm +Greely+ wandten ähnliche, auf beiden Seiten mit ganz
schmalen und niedrigen Schienen versehene Schlitten an. Es ist ganz
selbstverständlich, daß diese Schlitten sich bei losem Schnee gut auf
der Oberfläche halten und sich zu einer solchen Bahn vorzüglich eignen,
wenn aber der Schnee ein wenig härter ist, geben sie doch eine zu
starke Reibung und sind dann schwer zu ziehen.

Auf den Gedanken, die Schlitten auf breite Schienen zu stellen, sind
merkwürdigerweise nur sehr wenige Expeditionen gekommen.

+Payer+ sagt freilich in seinem Buch über die österreichisch-ungarische
Expedition, „daß breite Schlittenschienen den Marsch durch tiefen
Schnee sehr erleichtern“. Er meint damit Schienen von 2¾ Zoll Breite,
-- was für uns Norweger etwas ganz Natürliches ist, da wir von alten
Zeiten her an die „Skikjälker“ gewöhnt sind. Es sind dies kleine
Schlitten, die auf breiten, den Schneeschuhen (Ski) ähnlichen Schienen
ruhen und in vielen Gegenden Norwegens von den Schneeschuhläufern
sowohl im Walde wie im Gebirge angewendet werden, um Lasten wie Heu,
Holz und dergl. zu befördern. Sie werden an einem Seil gezogen,
aber durch eine an der Seite befestigte Stange gelenkt, was sehr
wichtig ist, um die „Kjälker“ zu verhindern, die Schneeschuhläufer
zu überfahren, wenn es in sausender Fahrt den Berg hinabgeht. Die
„Skikjälker“ sind über Schweden und Finnland bis nach Sibirien hin
verbreitet.[5]

Dieser Kjälke schwebte mir bei der Konstruktion des Schlittens vor, der
von uns zur Anwendung gelangte. Derselbe verband die Eigenschaften, die
bei einem Schlitten als die wichtigsten betrachtet werden müssen, -- er
war stark, leicht, hielt sich gut auf der Oberfläche und glitt leicht
über den Schnee hin, gleichviel wie derselbe beschaffen war. Außer den
norwegischen „Kjälkern“ hatte mir auch der Schlitten vorgeschwebt,
der in der +Greely+-Expedition beschrieben war und dessen sich die
Expedition bediente, welche ausging, um +Greely+ zu suchen.[6]

In dem Tischler +Christiansen+, jetzt in Naes in Telemarken ansässig,
fand ich einen tüchtigen und gewissenhaften Mann für die Anfertigung
der Schlitten. Er sparte nichts, um meinen Wünschen nachzukommen
und das ausgesuchteste Material zu verschaffen. Erst nach zahllosen
Aenderungen und Versuchen, -- u. a. auf einer Reise über das Gebirge
von Bergen nach Kristiania, -- entschloß ich mich für die Form, welche
wir dann später benutzten.

Alles Holzwerk mit Ausnahme der Schienen war von Eschenholz und aus so
zähen Stücken wie nur möglich. Da auserlesenes Eschenholz bekanntlich
ein außerordentlich starkes Material ist, konnte das Obergestell der
Schlitten sehr leicht und dünn angefertigt werden, ohne doch schwach zu
werden.

Die Schienen waren an einigen Schlitten aus Ulmenholz verfertigt, an
anderen aus Ahorn, -- welche beide Holzarten sich vorzüglich durch
ihre Glätte auf dem Schnee auszeichnen. In der Beziehung war es
freilich einerlei, woraus sie gemacht waren, denn die Schienen waren
mit dünnen Stahlplatten beschlagen, die ich abzunehmen dachte, sobald
wir auf losen Schnee kämen, die jedoch mit einer einzigen Ausnahme
während des ganzes Weges benutzt wurden.

Folgende Zeichnung giebt wohl eine so anschauliche Vorstellung von
dem Bau der Schlitten, daß jede weitere Beschreibung überflüssig ist.
Es waren gar keine Nägel verwendet worden, alles Zusammenfügen war
vermittelst Sorring bewerkstelligt, was den Schlitten elastischer
macht, so daß er bei Stößen u. dergl. nachgiebt, wo Nägel in der Regel
herausfallen. Die Folge hiervon war auch, daß auf der ganzen Reise
+nicht das Geringste zerbrochen wurde+. Die Länge der Schlitten betrug
ungefähr 2,90 ~m~ und die Breite etwa 0,50 ~m~. Maß man die Schienen
an der Unterseite von einer Spitze zur anderen, so betrug ihre Länge
2,89 ~m~, während die Breite 9,5 ~cm~ betrug. Daß sie sowohl hinten wie
vorne in die Höhe gebogen waren, gab dem Schlitten eine größere Stärke
und Elasticität, und gewährte gleichzeitig den Vortheil, daß man ihn,
falls das Vordertheil auf irgend eine Weise beschädigt werden sollte,
umwenden und das hintere Ende als Vordertheil benutzen konnte. Die
in die Höhe stehende Rücklehne, die man auf der Zeichnung erblickt,
war aus einer gebogenen, dünnen Eschenstange gemacht. Sie erwies sich
sehr praktisch zum Lenken und Schieben des Schlittens auf schwierigem
Terrain, wo eine Person nicht ausreichte, um einen Schlitten vorwärts
zu bewegen.

[Illustration: Schlitten der Expedition.]

Das Gewicht eines jeden Schlittens ohne die Stahlschienen betrug
ungefähr 11,5 ~kg~; mit den Stahlplatten unter den Schienen 13,75 ~kg~.
Außer diesen dünnen Stahlplatten war an der Mitte jeder Schiene auf
der Innenseite eine schmale, viereckige Stahlstange angebracht, die
als eine Art Kiel dienen und bei hart gefrorenem Boden die Schlitten
steuern und sie am Schleudern verhindern sollte, welches Letzteres von
großer Wichtigkeit ist, wenn man sich über Eisgletschern mit Spalten
hinbewegt, wo ein Schlenkern des Schlittens leicht ein Verschwinden in
der Tiefe zur Folge haben kann, -- und in einem solchen Falle kann man
froh sein, wenn man nicht mit in den Abgrund hinabgerissen wird.

Diese Stahlstangen leisteten uns, so lange sie festsaßen, vorzügliche
Dienste, da sie aber bei den heftigen Bewegungen der Schlitten auf dem
unebenen Terrain in der Nähe der Küste vielen Stößen ausgesetzt waren,
wurden sie bald abgerissen, -- besonders geschah letzteres, sobald wir
in die Kälte hinaufkamen, wo der Stahl so zerbrechlich wurde wie Glas.

Bei künftigen Expeditionen wäre deshalb ein Kiel unter den Schienen,
falls man einen solchen benutzen will, auf andere Weise anzubringen,
als wir es gethan hatten. Am stärksten würden solche Kiele natürlich
sein, wenn sie mit den Stahlplatten aus einem Stück gearbeitet wären,
dadurch würden diese aber den Vorzug verlieren, den unsere hatten,
nämlich daß sie abgenommen werden konnten, wenn man sich ihrer nicht
bedienen wollte.

Wie es aus der Zeichnung hervorgeht, befand sich in der Mitte der
Oberfläche der Schienen ein längslaufender Rücken, der ihnen, die des
Gewichts halber natürlich dünn waren, die nöthige Steifigkeit und
Elastizität gaben.

Die Schlitten waren darauf berechnet, je von einem Mann gezogen zu
werden, da es aber bei schwierigem Terrain am richtigsten ist, einen
Mann vorauszuschicken, um den besten Weg ausfindig zu machen, ohne daß
die Expedition deswegen Halt zu machen braucht, und da es gleichzeitig
am schwersten ist, im losen Schnee voranzugehen, so finde ich es am
zweckmäßigsten, wenn der erste Schlitten von zwei Männern gezogen wird.
Aus diesem Grunde hatten wir nur fünf Schlitten mitgenommen.

Welch ein Vortheil es ist, so viele kleinere Schlitten zu haben statt
weniger großer, wie die meisten früheren Expeditionen, scheint mir auf
der Hand zu liegen.

Bei schlechtem Terrain, wo man nur mühselig vorwärts kommt, ist es
schwer, die großen Schlitten mit ihrer schweren Last zu handhaben, ja
bei unserer Expedition würde es oft geradezu eine Unmöglichkeit gewesen
sein, ohne sie abzuladen und die Bagage zu tragen, während wir, wenn
wir zu Zweien oder Dreien den Transport eines unserer kleinen Schlitten
übernahmen, überall hindurch kommen konnten, ohne umzupacken oder
abzuladen. Zuweilen waren wir gezwungen sie ganz und gar, so wie sie
waren, zu tragen.

Das Verwandeln unserer Schlitten in Segelschlitten, was mehrmals
geschah, ging ohne weiteres vor sich, indem wir zwei oder drei
Schlitten nebeneinander stellten und vermittelst einiger Schneeschuhe
oder Stäbe zusammenbanden und festschnürten, dann errichteten wir
einige eigens dazu mitgebrachte Bambusrohre als Masten. Als Segel
benutzten wir unsern Zeltfußboden oder zwei Persenninge. Wenn wir die
Schlitten dann mit einer vorn angebrachten Steuerstange -- ähnlich
einer Wagendeichsel -- von Bambusrohr lenkten, so konnten wir auf diese
Weise ganz gut segeln. Wenn man bei einer Ausrüstung speciell diesen
Punkt ins Auge fassen würde, konnte man sich natürlich noch bedeutend
praktischer und zweckmäßiger einrichten, als wir es gethan hatten.
Meiner Ansicht nach muß dieser Art und Weise der Beförderung -- die
auf dem grönlandischen Inlandseis zuerst von dem Amerikaner +Peary+
angewandt wurde -- bei künftigen Expeditionen weit mehr Aufmerksamkeit
geschenkt werden, als bisher. Besonders dürfte es für die Untersuchung
des antarktischen Kontinents von Bedeutung werden.

Für eine Expedition wie die unsere ist selbstverständlich die
Konstruktion der „+Ski+“ von ebenso großer Wichtigkeit wie die der
Schlitten. Da ich aber im nächsten Kapitel unsere Ski eingehender
besprechen werde, so will ich vorläufig nur darauf hinweisen. Außer den
„Skiern“ führten wir auch indianische +Schneeschuhe+ und norwegische
+Truger+ mit uns.

Die indianischen Schneeschuhe bestehen bekanntlich aus einem Flechtwerk
von Thiersehnen (am häufigsten vom amerikanischen Elenthier), die in
einen Rahmen von zähem Holz (Eschenholz oder dergl.) gespannt werden.
Unsere Schneeschuhe hatten eine Länge von 1,06 ~m~ und eine Breite von
39 ~cm~.

Die norwegischen Schneeschuhe oder, wie wir sie nennen, „Truger“
waren aus Weidenflechtwerk angefertigt und hatten eine Form, wie aus
umstehender Zeichnung ersichtbar ist. Sie waren klein und hatten nur
eine Länge von ungefähr 89 ~cm~ und eine Breite von ca. 26 ~cm~.

Die Truger werden in einzelnen Gegenden Norwegens nicht selten
im Winter wie im Frühling verwendet. Besonders sind sie bei
Frühlingswetter besser zu gebrauchen, als die Ski. Die hauptsächliche
Verwendung finden die Truger jedoch in vielen Gegenden des Landes für
die Pferde. Diese Pferdetruger gleichen völlig den Menschentrugern,
nur ist die Befestigung selbstverständlich ein wenig anders und der
Form der Pferdehufe angepaßt. Unsere Fjordpferde lernen es sehr
bald, auf Trugern zu gehen, und können infolgedessen mit großem
Nutzen auf schneeigem Terrain verwendet werden, wo andere Pferde eine
Unmöglichkeit sind.[7]

[Illustration: Norwegischer Truger oder Lappenschuh.]

Schneeschuhe, sowohl indianische wie norwegische, stehen natürlich
unter gewöhnlichen Verhältnissen weit hinter den Skiern zurück,
d. h. falls ein Mann diese letzteren zu benutzen versteht. Wenn ich
trotzdem Schneeschuhe mitnahm, so geschah das aus dem Grunde, weil ich
glaubte, sie würden dort zweckmäßiger sein, wo es darauf ankam, die
schweren Schlitten die Hügel hinauf zu ziehen. Hierzu wurden sie denn
auch verwendet, -- ich selber gab den indianischen den Vorzug, ebenso
einzelne der anderen Norweger. Einer von ihnen konnte sich jedoch nicht
mit ihnen aussöhnen. Es erfordert nämlich ein wenig Uebung, um sich
ohne zu straucheln auf ihnen bewegen zu können. Er bediente sich dann
der norwegischen Truger, mit denen er freilich bedeutend tiefer in den
weichen Schnee hineinsank.

Lange fanden die Schneeschuhe überhaupt nicht Anwendung, bald
schnallten wir die Ski an und fanden, daß diese, selbst wenn es bergan
geht, vorzuziehen sind.

[Illustration: Das Boot der Expedition.]

Einen Vorzug haben allerdings die Schneeschuhe vor den Skiern, falls
unter diesen kein Fell ist, nämlich den, daß sie auch bei Thauwetter
benutzt werden können, wenn der Schnee ballt und sich unter den Skiern
festhängt. Ein zweiter Vorzug besteht darin, daß die Schneeschuhe
bedeutend leichter zu tragen sind als die Skier.

Um ein zweckmäßiges +Boot+ zu erhalten, das leicht genug war, um über
das Meereis gezogen zu werden, und dabei doch stark genug, um die
vielen Stöße aushalten zu können, denen es zwischen den launenhaften
Treibeisschollen ausgesetzt sein würde, -- ließ ich ein besonders für
diesen Zweck berechnetes in Kristiania bauen.

Die ganze Länge des Bootes betrug 5,96 ~m~, die größte Breite 1,88
m, die inwendige Tiefe 0,63 ~m~. Die Vertäfelung des Bootes bestand
aus einer doppelten Haut, von denen jede 10 ~mm~ dick war, und einer
Zwischenlage von dünnem Segeltuch. Die innere Vertäfelung bestand
aus Fichtenholz, die äußere aus norwegischem Eichenholz, beide auf
das sorgfältigste zusammengefügt. Die Bänder oder Spanten waren aus
gebogenem Eschenholz, 26 ~mm~ breit und 13 ~mm~ dick, mit einem Abstand
von 15¹⁄₇ ~mm~ voneinander. Auf der unteren Seite befand sich zu
beiden Seiten des Kieles je eine Schiene von Fichtenholz, die darauf
berechnet waren, das Boot während des Transportes über das Eis zu
stützen. Das Boot war sehr zweckmäßig gebaut, es war stark und dabei
elastisch genug, um dem Druck der Eisschollen nachzugeben. Ich bin
jedoch geneigt, eine einfache Vertäfelung der doppelten vorzuziehen, da
das Boot dadurch leichter zu steuern ist und die doppelte Vertäfelung
leicht Wasser aufnimmt und das Boot dadurch schwerer macht. Außerdem
ist ein Boot ohne Schienen einerseits ebenso leicht über das Eis
zu transportiren, während andrerseits bei einem Boot mit Schienen
die letzteren leicht in die Klemme gerathen, wenn sich das Eis
zusammenstaut, und dadurch das Boot zerstören.

Ein wichtiger Ausrüstungsgegenstand für alle arktischen Expeditionen
ist der +Schlafsack+. Für eine Expedition wie die unsere war die
Natur des Stoffes, aus welchem diese Säcke verfertigt werden sollten,
natürlich von größter Wichtigkeit. Ein solcher Sack mußte so leicht
wie möglich sein und dabei doch genügend Wärme gewähren. Auf früheren
Expeditionen hat man theilweise Wolle oder Filz dazu verwendet,
theilweise verschiedene Fellarten. Der wollene Stoff gewährt natürlich
den Vortheil, den Schweiß besser hindurch zu lassen, als wie es bei
Fellen der Fall ist; auf diese Weise kondensirt sich die Feuchtigkeit
bei starker Kälte nicht in dem Grade, wie in einem aus Fellen
bestehenden Sack, -- auf der anderen Seite aber hat der Wollstoff den
großen Fehler, daß er im Verhältniß zu seiner Wärme viel zu schwer
ist. Ich ging eine Zeitlang mit dem Gedanken um, wollene Schlafsäcke
zu versuchen, aber ich fand, daß sie zu wenig Wärme gaben, und ich
fürchte, daß, wenn wir uns wirklich derselben bedient hätten, wir kaum
die Westküste Grönlands lebendig erreicht haben würden.

[Illustration: Die halbe Expedition in ihrem Schlafsack.]

Nach verschiedenen Versuchen entschied ich mich endlich für Schlafsäcke
aus Rennthierfell, als das zweckmäßigste, was für den Augenblick
aufzutreiben war. Das Rennthierfell ist im Verhältniß zu seinem Gewicht
das wärmste aller mir bekannten Fellarten, besonders ist das Winterfell
des Rennthierkalbes äußerst leicht und warm. Dies konnte ich jedoch
leider nicht mehr rechtzeitig auftreiben, weshalb ich mich mit dem Fell
von „Simlern“ (Rennthierkühen), das bedeutend schwerer ist, begnügen
mußte. Eine Schattenseite bei den Rennthierfellen ist natürlich die,
daß die Haare sich leicht abscheuern, wie es auch nicht viel Wasser
verträgt, ohne daß die Haare ausfallen. In der Beziehung ist Hundefell
weit besser und stärker, die Wärme des Rennthierfelles erreicht es
freilich nicht. Noch besser als Hundefell ist Wolfsfell, das nur den
einen Fehler hat, sehr kostbar zu sein. Das Fell unserer Schlafsäcke
hielt während der ganzen Reise und auch den Winter auf der Westküste
gut vor. Es war für unsern Zweck vom Kürschner +Brandt+ in Bergen
besonders präparirt und ich hatte allen Grund, damit zufrieden zu sein.

Wir hatten zwei Schlafsäcke, von denen jeder so eingerichtet war,
daß er drei Mann fassen konnte. Dies ist sehr zweckmäßig, indem
ein Sack für drei Mann natürlich bedeutend leichter ist, als drei
„einschläfrige“ Säcke, und außerdem ist ein solcher viel wärmer, indem
drei Männer in demselben Sack sich gegenseitig erwärmen.

Einen noch größeren Vortheil würde man in dieser Hinsicht durch +einen+
Sack für die ganze Expedition erzielt haben. Dies mochte ich jedoch
nicht wagen, denn wenn der Schlitten, auf welchem dieser eine Sack lag,
in eine Eisspalte fiel, so würden wir ohne jeglichen Schutz gegen die
Nachtfröste dastehen, während wir -- falls einer der dreischläfrigen
Säcke verloren ging -- doch nicht rathlos waren, zur Noth konnten
nämlich vier Mann in dem einen Sack schlafen; man hätte dann allerdings
abwechseln müssen.

Nach oben zu waren die Säcke mit einem mützenartigen Deckel versehen,
die vermittelst zweier Riemen zugezogen werden konnten. So lange die
Kälte nicht allzu fühlbar war, pflegte es mit diesen geschlossenen
Deckeln warm zu werden, sobald es aber kälter wurde, waren wir froh,
soweit zuschnüren zu können, als die Riemen reichten.

Durch die Spalte, welche trotzdem blieb, hatten wir immerhin
Ventilation genug. Von der kühlen Nachtluft, die in Grönlands Innerem
weht, brauchte nicht viel in die Säcke zu dringen, um die Kälte
empfindlich werden zu lassen. Um die Schlafsäcke gegen Feuchtigkeit zu
schützen, hatte ich Bezüge aus dünnem Wachstuch anfertigen lassen, --
sobald wir aber auf das Inlandseis kamen, wurden diese Bezüge kassirt.

Luftkissen aus Kautschuck als Unterlage für die Säcke hielt ich nicht
für nothwendig, da die Säcke aus Rennthierfell waren; und da diese
Luftkissen ziemlich schwer sind, ist es natürlich ein Vortheil, wenn
man sie entbehren kann.

An +Kleidungsstücken+ hatten wir, mit Ausnahme einiger
Reservegegenstände, nicht viel mehr mit, als das, worin wir die
ganze Zeit, seit wir Norwegen verlassen hatten, gingen und standen.
Ausgenommen zwei „Päsker“ (Pelze) mit dazu gehörigen Beinkleidern aus
Rennthierfell, welche die Lappen mithatten, und einer kleinen, mit
Eichhornfell gefütterten Jacke, die ich mitnahm, freilich fast ohne
Verwendung dafür zu haben, hatten wir keinerlei Pelzbekleidung mit,
sondern waren von Kopf bis zu Fuß in Wolle gehüllt. Am bloßen Leibe
trugen wir dünne, wollene Hemden und ebensolche Unterbeinkleider,
dann kam eine dickere isländische wollene Unterjacke und darauf das
Oberzeug, das aus einer Jacke für den Oberkörper, Kniebeinkleidern
und Schneesocken für die Beine bestand und aus norwegischem Fries
verfertigt war. Diese Bekleidung erwies sich als äußerst praktisch.
Wollenes Zeug ist bei Strapazen, wie überall, das gesundeste, indem es
der Transpiration freien Durchgang gewährt, wogegen Leinen, Baumwolle
sowie Fellbekleidung dieselbe hemmen. Vor allen Dingen mußten wir es
natürlich vermeiden zu schwitzen, da dies bei starker Kälte leicht
eine Abkühlung mit nachfolgendem Erfrieren zur Folge haben kann. Wir
mußten deshalb lieber allmählich, wenn wir warm wurden, von unsern
Bekleidungsstücken ablegen, und so konnte es sich ereignen, daß die
Mitglieder der Expedition bei einer Kälte von 20-30 Grad nur mit einer
wollenen Unterjacke bekleidet waren und dabei schwitzten wie an einem
Sommertage.

Bei Wind, sowie in Schnee- und Regenwetter pflegten wir über
den wollenen Anzügen ein leichtes Kostüm von einer Art dünnem,
braungefärbten Segeltuch oder ähnlichem Stoff zu tragen, das so
imprägnirt sein sollte, daß es wasserdicht war, was übrigens keineswegs
der Fall war. Bei Wind und in Schneewetter war dies Kostüm freilich
ausgezeichnet, und wir benutzten es viel auf dem Inlandseise,
es schützte vorzüglich gegen das feine Schneegestöber, das dem
Staube gleicht und in alle Poren des wollenen Zeuges dringt, um es
schließlich, wenn es schmilzt, völlig zu durchnässen.

An der Jacke dieses Segeltuch-Kostüms war eine Kapuze angebracht, die
man über den Kopf ziehen konnte und die so groß war, daß man das ganze
Gesicht damit bedecken und es auf diese Weise vortrefflich gegen den
Wind schützen konnte, der bei der scharfen Kälte oft sehr beißend und
durchaus nicht ungefährlich für Wangen und Nase war.

[Illustration: Durch unebenes Eis in der Nähe der Westküste. 23.
September 1888.]

Als +Fußbekleidung+ benutzten wir außer gewöhnlichen Schuhen
(„Pechdrahtschuhen“) auch die in Norwegen allgemein bekannten
„Lauparsko“, die aus rohen Häuten oder -- wie die unseren -- aus
gegerbtem Leder verfertigt sind. Die Sohlen bestehen aus einem Stück
weichen Leders, das an den Seiten in die Höhe gebogen und mit einem
Stück Oberleder auf der Oberfläche des Fußes zusammengenäht ist,
ungefähr auf dieselbe Weise, wie die Lappen und Finnen mit ihren
„Komagern“ und die Eskimos mit ihren „Kamikern“ verfahren. Etwas
Aehnliches habe ich übrigens auch auf Island gesehen, obwohl die
Schuhe hier häßlicher und klotziger gemacht waren, als bei uns. In
diesen „Lauparschuhen“ trugen wir ein Paar dicke, gewalkte wollene
Strümpfe, sowie ein Paar dicke Ueberstrümpfe von Ziegenhaar, das außer
dem Vorzug, daß es warm hält, auch, gleich dem Queckgras (~carex
vesicaria~) der Lappen, die Eigenschaft besitzt, alle Feuchtigkeit an
sich zu ziehen und die Füße trocken zu halten.

[Illustration: Lauparschuh.]

Diese Lauparschuhe eignen sich vorzüglich als Fußbekleidung bei
Benutzung von Ski und Truger. Sie sind stärker als „Hautschuhe“
(Hudsko[8]) und „Finnenschuhe“, haben aber den Nachtheil, nicht so
warm zu sein wie diese. So konnte es z. B. vorkommen, daß wir am Abend
Mühe hatten, die Schuhe von den Füßen zu ziehen, indem Strümpfe,
Ueberstrümpfe und Schuhe fest aneinander gefroren waren. Die beiden
Lappen hatten jeder zwei Paar Finnenschuhe mit und noch eines außerdem,
welches von dem jüngsten Lappen zum Geschenk für mich bestimmt war.
Diese Finnenschuhe sind, wenn sie gut sein sollen, aus der Haut der
Beine des Rennthierochsen gemacht; die Fellstücken werden mit den
Haaren möglichst 24 Stunden in eine starke Borkenlauge (von Birkenrinde
oder dergl.) gelegt, oder auch mit Theerwasser gegerbt. Das Fell der
Hinterbeine wird zu den Sohlen und Seiten verwendet, während aus
dem Fell der Vorderbeine die Oberstücke verfertigt werden. Diese
Fellstücken werden so zusammengenäht, daß die Haare nach außen wenden.
Aehnliche Schuhe verfertigt man auch aus dem Stirn- und Kopffell der
Rennthiere. Diese Schuhe, die gewöhnlich „Skaller“ genannt werden, sind
wärmer, als die vorhin erwähnten, aber nicht so haltbar.

Diese Finnenschuhe, bei denen also die Haare nach außen stehen, sind
sehr warm und eignen sich vorzüglich zum Skilauf. Die Lappen füllen
sie mit Queckgras (~carex vesicaria~) und stecken ihre Füße nackt
ohne Strümpfe hinein. Der Grund, weshalb ich nicht selber solche
für die Mitglieder der Expedition mitgebracht hatte, lag in meiner
Befürchtung, daß sie der Nässe zu sehr ausgesetzt sein würden, was
sie nicht vertragen können. Die Finnenschuhe müssen in der Beziehung
sehr sorgfältig behandelt werden, wenn sie nicht sehr bald ruinirt
werden sollen. Von Feuchtigkeit merkten wir freilich nicht viel. Die
Finnenschuhe, die ich von +Balto+ erhielt, zog ich einige Meilen von
der Ostküste entfernt an und benutzte sie fast den ganzen Weg bis zur
Westküste, dann trug ich sie während des Winters viel, und selbst als
ich sie nach Norwegen mit zurückbrachte, waren sie nicht verschlissen.
Das ist sehr viel, wenn man in Betracht zieht, daß sie nicht neu
waren, als ich sie erhielt, -- +Balto+ hatte sie schon während des
vorhergehenden Winters benutzt. Ich überzeugte mich auf diese Weise
zur Genüge von der Zweckmäßigkeit der Finnenschuhe auf Reisen wie der
unsern und kann sie für solche Zwecke auf das wärmste empfehlen. Sie
wiegen ganz verschwindend wenig, so daß man, ohne es zu merken, ein
oder zwei Paar als Reserve mitnehmen kann. Wie bereits erwähnt, müssen
sie freilich, wenn sie halten sollen, gut behandelt werden, -- sind
sie naß geworden, so soll man sie am liebsten vor dem Schlafengehen
umwenden, so daß die Haarseite nach innen kommt, sie dann anziehen und
die Nacht über damit liegen. Auf diese Weise trocknet die Fellseite,
und das ist das wichtigste, um das Ausfallen der Haare zu vermeiden.

An den Händen trugen wir große wollene +Fausthandschuhe+, sogen.
„Lovanter“, über diese pflegten wir bei starker Kälte oder bei Wind
große Fausthandschuhe aus Hundefell, mit der rauhen Seite nach außen
gekehrt, zu tragen. Die Lappen benutzten gewöhnliche „Lappevanter“ aus
Rennthierfell mit der Haarseite nach außen. Wenn man diese Handschuhe
mit Queckgras füllt, wie die Finnenschuhe, so sind sie sehr warm. Für
die Benutzung und Behandlung von Instrumenten und Zeichengeräthschaften
brachte ich wollene Fingerhandschuhe mit.

Auf den Köpfen hatten wir +Mützen+ aus wollenem Stoff, die zum
Herunterklappen über Ohren und Nacken eingerichtet waren. Außerdem
hatten wir +Kapuzen+ von Fries und die bereits oben erwähnten Kapuzen
an unsern Segeltuchjacken. Wenn wir dies alles aufhatten, so war
unser Kopf gegen die schärfste Kälte, ja, gegen den beißendsten Wind
wohlverwahrt.

Von großer Bedeutung für eine Schlittenexpedition sind +Schneebrillen+,
um einer Schneeerblindung vorzubeugen. Was es zu bedeuten hat,
wenn man eine solche Kleinigkeit vergißt, davon giebt +Majsejews+
Expedition nach Novaja Semlja im Jahre 1839 ein deutliches Beispiel,
indem der Mangel an Schneebrillen die Ausführung der ganzen Expedition
verhinderte. Wir wandten Brillen aus dunklem, rauchfarbigem Glas an,
theils ohne, theils mit Körben von Drahtgeflecht an den Seiten, um
gegen das von unten und von den Seiten eindringende Licht zu schützen.
Ich selber benutzte hauptsächlich eine Brille von letzterer Form, die
ich von +Nordenskjöld+ erhalten hatte und die ich vorzüglich fand.

[Illustration: Unsere hölzerne Schneebrille.]

Außer diesen Brillen mit dunklem Glas wurden auch Brillen von schwarzem
Holz, die vor jedem Auge eine horizontale Spalte hatten, benutzt,
ähnlich den Brillen, deren sich verschiedene Polarvölker bedienen.
Diese Form von Brillen ist außerordentlich zweckmäßig und hat den
Vorzug vor den anderen, daß sie keine Gläser haben, welche bei feuchter
Luft beschlagen und den Augen hinderlich sind. Auf der anderen Seite
dagegen haben sie den Nachtheil, daß sie den Gesichtskreis sehr
beschränken. Besonders wenn man sich auf Schneeschuhen bewegt, hat
es seine großen Schattenseiten, den Boden unter sich nicht sehen zu
können. Diesem Uebelstande könnte vielleicht durch eine vertikale
Spalte, die quer über die horizontale läuft, abgeholfen werden.

Unser +Zelt+, das Lieutenant +Ryder+ in Kopenhagen mir freundlich
verschafft hatte, ließ ich so einrichten, daß es in fünf Stücken
voneinander genommen werden konnte, -- es bestand aus zwei
Seitenstücken, zwei Endstücken und dem Boden, der aus wasserdichtem
Segeltuch verfertigt war. Bei dieser Einrichtung war ich darauf
bedacht gewesen, alle Theile des Zeltes während einer Segelfahrt als
Segel für unsere Schlitten benutzen zu können, aber die Seiten- und
Endstücke des Zeltes waren von so dünnem, leichtem Baumwollstoff, daß
ich fürchtete, der Wind könne sie zerreißen, und es würde, gelinde
gesagt, unangenehm gewesen sein, auf die Weise das Zelt einzubüßen,
obendrein bei einer solchen Kälte und einem solchen Schneegestöber, wie
wir es hatten. Der Baumwollstoff, aus dem das Zelt bestand, leistete
uns übrigens vorzügliche Dienste, sowohl gegen Regen als auch gegen
Wind und Schnee, und da es nothwendig ist, daß das Zelt des Gewichtes
halber aus so dünnem Stoff wie möglich angefertigt ist, so möchte ich
künftigen Expeditionen den Rath geben, das ganze Zelt mit dem Fußboden,
der freilich gleich dem unseren aus wasserdichtem Segeltuch bestehen
muß, zu einem einzigen zusammenhängenden Stück zusammennähen zu lassen;
dies erhält so die Form eines Sackes und hat nur eine einzige Oeffnung,
nämlich die Zeltthür, und zwei Löcher im Boden für die Zeltstangen,
welche durch diese hindurch in den Schnee festgerammt werden. Ist
das Zelt auf diese Weise eingerichtet, so kann man den starken
Segeltuchboden ebenso gut als Segel benutzen, indem man das übrige
dünne Zelttuch zusammengebunden an der Vorderseite herabhängen läßt;
hierdurch vermeidet man die Unannehmlichkeit, unter der wir litten,
daß nämlich durch die Ritzen, welche infolge des Zusammenschnürens
der verschiedenen Stücke entstehen, der Schnee ins Zelt hineindringt.
Bei uns war das weniger praktisch eingerichtet, und es konnte bei
Schneegestöber vorkommen, daß wir, wenn wir am Morgen die Köpfe aus
den Schlafsäcken heraussteckten, diese vollständig mit Schnee bedeckt
fanden. Der Raum in unserem Zelt war gerade groß genug, daß unsere
beiden dreischläfrigen Schlafsäcke Platz auf dem Fußboden hatten, wenn
sie so hingelegt wurden, daß die Oeffnung des einen nach derselben
Richtung hin lag wie der Boden des anderen Sackes. Die Zeltstangen,
drei an der Zahl, zwei aufrecht stehende und eine, welche längs des
Firstes lag, waren aus Bambusrohr und erwiesen sich als sehr brauchbar,
-- die beiden kleineren wurden natürlich auch zu Skistäben verwendet.
Die Pardunen wurden vermittels eiserner Haken befestigt, die eine
breite blattförmige Klammer hatten, welche Widerstand gegen den Schnee
leisten konnte. Das genaue Gewicht unseres Zeltes, nachdem ich es durch
verschiedene Aenderungen bedeutend verringert hatte, ist mir leider
entfallen. Ich entsinne mich jedoch, daß es mit Pardunen, Zelthaken und
Stangen ein Gewicht von 8 Kilogramm nicht überstieg.

Es stand sehr fest im Schnee, bei stürmischem Wetter befürchteten wir
freilich mehrfach, daß es springen würde, und ich möchte deswegen gute
Sturmpardunen empfehlen, -- wir hatten allerdings auch einige, aber ein
paar davon sprangen oben beim Befestigungspunkt und waren nachher nicht
wieder auszubessern.

Der +Kochapparat+ spielt auf einer Schlittenexpedition eine äußerst
wichtige Rolle, denn er soll uns, wenn alles gefroren ist, jeden
Tropfen Trinkwasser liefern, den wir nicht vermittelst unserer
Leibeswärme schmelzen können. Vor allen Dingen kommt es bei dem
Kochapparat darauf an, daß er das Brennmaterial vollständig ausnützt,
das heißt, daß es so vollständig wie möglich verbrennt und so die
dadurch entwickelte Wärme bis aufs Aeußerste ausgenutzt wird. Das
Gewicht eines der wichtigsten Theile der Bagage kann dadurch auf ein
Minimum reducirt werden.

Als Brennmaterial steht zweifelsohne der reinste Spiritus unübertroffen
da. Außer anderen Vorzügen wie Reinlichkeit etc. hat er den --
wenigstens in der Praxis -- im Verhältniß zu seinem Gewicht die größte
Wärme zu geben. Zwei Schattenseiten sind jedoch damit verknüpft,
einmal, daß er infolge seiner Eigenschaft als Flüssigkeit leicht
verschüttet werden kann, was jedoch durch sichere Behälter und starke
Hähne, sowie eine vorsichtige Behandlung zu vermeiden ist, -- ferner
daß er trinkbar ist und unter kritischen Verhältnissen zu einer großen
Versuchung, selbst für den Besten werden kann. Dies läßt sich freilich
verhindern, indem man ihn durch Zusatz von Methyl-Alkohol unschmackhaft
macht, wie wir es thaten.

[Illustration: Kochapparat.]

Die Idee zu unserem Kochapparat hatte ich ursprünglich demjenigen
entnommen, der bei +Greelys+ Expedition (s. seinen Bericht S. 207)
angewandt wurde, und nach mehreren mit meinem Freund Kand. +L.
Schmelek+ in dessen chemischem Laboratorium angestellten Versuchen
blieben wir bei dem in obenstehender Figur abgebildeten Apparat
stehen. Die Einrichtung wird aus dieser Zeichnung hoffentlich leicht
ersichtlich sein. Der unterste Raum enthält eine Spirituslampe mit
sechs Dochten. Die Luft dringt durch im Boden befindliche Oeffnungen
in solcher Menge ein, daß sie eine vollständige Verbrennung bewirkt,
gleichzeitig muß sie durch die Flammen oder in der Nähe derselben
passiren und wird auf diese Weise verbrannt oder erwärmt, so daß
keine kalte Luft in den Apparat hinein kommen kann. Ist letzteres
aber nothwendig, z. B. falls der Wärmeraum oder der Spiritusbehälter
zu stark erhitzt wird, was leider oft bei uns der Fall war, so läßt
sich durch Oeffnen von drei Löchern in den Seiten des Wärmeraums
kalte Luft neben den Flammen zuführen. Das Kochgeschirr, das auf
den Wärmeraum gesetzt wird, ist aus verzinntem Kupfer. Es ist hoch
und cylinderförmig, durch die Mitte geht ein gleichfalls aus Kupfer
bestehender Schornstein, durch den die erwärmte und verbrannte Luft
aus dem Wärmeapparat bis unter den Boden eines breiten, flachen
Kupfergeschirres aufsteigt, das auf dem Kochgeschirr steht und nur zum
Schmelzen von Schnee dient. Nachdem die Luft jedenfalls einen großen
Theil ihrer Wärme dem Schornstein im Kochapparat und dem Boden des
Gefäßes, das darüber steht, mitgetheilt hat, entweicht sie dann wieder
durch Löcher an den Seiten unter diesem Geschirr.

Der untere Kochtopf wie das obere Gefäß sind an den Seiten durch dicken
Filz beschützt, das obere Gefäß ist außerdem mit einem Deckel bedeckt.

Bei Schnee von ungefähr -40° ~C.~ und einer Luft von ungefähr gleicher
Temperatur bedurfte es etwa einer Stunde, bis ich das Kochgefäß mit
kochender Schokolade und das obere Geschirr mit Wasser gefüllt hatte,
dessen Temperatur ein wenig über dem Schmelzpunkt betrug. Ich hatte
dann volle 5 Liter Schokolade und nicht ganz 4 Liter Wasser. Hierzu
hatte ich, wenn ich vorsichtig war, ungefähr 0,35 Liter Spiritus oder
ein wenig mehr verbraucht.

Bei einigen Versuchen, die von Professor +Sophus Torup+ nach unserer
Rückkehr auf dem physiologischen Laboratorium in Kristiania angestellt
sind, hat es sich gezeigt, daß unser Kochapparat selbst unter
günstigen Verhältnissen nur 52% von dem Brennwerth des verbrauchten
Alkohols ausnutzt, -- was eine sehr schlechte Ausnutzung des
Brennmaterials bedeutet. Frühere Expeditionen sind doch in dieser
Beziehung kaum günstiger gestellt gewesen.[9] Es unterliegt keinem
Zweifel, daß der Spiritusverbrauch durch fortgesetzte Verbesserungen in
bedeutendem Grade verringert werden könnte.

Um auch die Körperwärme zum Schmelzen zu verwerthen, hatte jeder Mann
eine Flasche von dünnem Eisenblech zum Füllen mit Schnee bei sich, die
man infolge ihrer flachen, abgerundeten Form ohne alle Beschwerde auf
der Brust tragen konnte.

Der +Proviant+ einer Schlittenexpedition muß im wesentlichen aus
getrockneten Nahrungsmitteln bestehen, da diese im Verhältniß zu ihrem
Gewicht am nahrhaftesten sind. Hermetische Sachen sind zwar gesunder
und leichter zu verdauen, haben aber ein zu großes Gewicht, so daß man
sie nur in geringem Maßstabe verwenden kann.

Ich hatte im voraus berechnet, daß wir pro Tag ¼ ~kg~ oder etwas mehr
gedörrtes Fleisch, ein eben solches Quantum Fett, sowie ein etwas
größeres Quantum gedörrtes Brot gebrauchen würden, dazu kamen dann
verschiedene andere Sachen wie Schokolade, Zucker, Fleischpepton,
Erbsensuppe etc., so daß sich die Ration pro Kopf täglich auf ein
Kilogramm oder ein wenig mehr feste Nahrung belaufen würde.

Unsere Tagesration pro Mann würde ungefähr folgendermaßen lauten: 200
~gr~ Albuminstoff, 240 ~gr~ Fett, 230 ~gr~ Mehlstoff und Zucker. Nun
berechnet man nach zahlreichen angestellten Versuchen, daß ein stark
arbeitender Mann, z. B. ein preußischer Soldat bei strengem Dienst zu
seiner Ernährung

  191 ~gr~ Albuminstoff,
   63 ~gr~ Fett,
  607 ~gr~ Mehlstoff und Zucker

gebraucht.

Zieht man in Betracht, daß 100 ~gr~ Fett an Nährwerth 230 ~gr~
Mehlstoff oder Zucker entsprechen, so würde unsere Tagesration sich im
Vergleich hiermit folgendermaßen gestellt haben:

  200 ~gr~ Albuminstoff,
   63 ~gr~ Fett,
  637 ~gr~ Mehlstoff und Zucker.

Da nun infolge der starken Kälte, der wir ausgesetzt waren, das
Bedürfniß nach Kohlehydraten stieg, dürfte unbestritten bleiben, daß
unsere Tagesrationen nicht als überreichlich angesehen werden können,
doch glaube ich, daß sie trotzdem ausreichend gewesen wären, wenn wir
nur die verschiedenen Stoffe in dem angegebenen Verhältniß gehabt
hätten. Aber infolge eines Mißverständnisses schlich sich in unsere
Verproviantirung ein Fehler in Form eines Mangels an Fettstoff ein, der
uns auf höchst unangenehme Weise fühlbar werden sollte. Herr +Beauvais+
in Kopenhagen, der uns unser Pemikan (gedörrtes Fleisch mit Fett
vermischt) liefern sollte, hatte mir mitgetheilt, daß er Pemikan auf
amerikanische Weise zubereite. Ich hatte keine Gelegenheit, mündlich
mit ihm hierüber zu sprechen, da ich aber von der Voraussetzung
ausging, daß sein Pemikan wie das gewöhnliche amerikanische zur Hälfte
oder zum Dritttheil aus Fett und im übrigen aus gedörrtem Fleisch
bestehe, so bestellte ich das berechnete Quantum bei ihm. Im letzten
Augenblick auf der Durchreise durch Kopenhagen erfuhr ich indessen, daß
sein Pemikan sorgfältig von allem Fett gesäubert sei. Dies war eine
unangenehme Ueberraschung, da ich aber ein ziemliches Quantum Butter
und Leberpastete mitgenommen hatte, so dachte ich, daß wir trotzdem
fertig werden könnten. Das hielt jedoch ziemlich schwer, und so kam
es denn, daß wir von einem förmlichen Heißhunger nach Fett verzehrt
wurden, von dem sich Niemand, der es nicht durchgemacht hat, eine
Vorstellung machen kann. +Beauvais’+ gedörrtes Fleisch war übrigens
vorzüglich.

Auf Kapitän +Hovgaards+ Rath machte ich einen Versuch mit +Beauvais’+
Leberpastete, die ich jedoch ganz unzweckmäßig für eine Schlittenreise
fand, denn erstens ist sie im Verhältniß zu ihrem Nahrungswerth zu
schwer, und zweitens enthält sie Wasser, welches friert und sie in
der Kälte so hart macht, daß wir mehrere Messer daran zerbrachen
und schließlich unsere Zuflucht zu der Axt nahmen, doch mußten wir
dann herumlaufen, um die Stücken aufzusammeln, die weit über die
Schneefläche hinsprangen.

Aeußerst zweckmäßig ist +Rousseaus Fleischpulver-Schokolade+,
welche die beiden guten Eigenschaften, nahrhaft und schmackhaft zu
sein, verbindet. Ich führte davon 20 Kilogramm mit mir, die bei dem
Fabrikanten in Paris bestellt waren. Nach der angegebenen Analyse
soll diese Schokolade nicht weniger als 20% Fleischpulver enthalten;
wir verzehrten sie in kleinen Portionen während des Marsches, und sie
wirkte außerordentlich belebend auf uns. Mit genügend Fett daneben
müßte sie ausgezeichnet sein. Sie ist nach meiner Erfahrung sehr
leicht verdaulich, was das Pemikan nicht ist. Dies hat sowohl seine
Schattenseiten wie seine Vortheile. Ist ein Stoff zu leicht verdaulich,
so wird er gleich in den Körper aufgenommen, und der Magen ist bald
wieder leer, man hat das Gefühl wieder hungrig zu sein, deshalb muß man
häufiger essen. Auf der anderen Seite ist ein Stoff wie das Pemikan
sicher für manchen Magen zu schwer verdaulich, infolgedessen geht eine
Menge Nahrung durch den Ernährungskanal, ohne ausgenutzt zu werden.

Im ganzen muß es als absoluter Vorzug für eine arktische Expedition
betrachtet werden, daß die Nahrungsmittel so leicht verdaulich
wie möglich sind, man muß daher bestrebt sein, sich solche in so
ausgedehntem Maße wie möglich zu verschaffen. Der Nutzwerth der
verdaulichen Stoffe ist im Verhältniß zu ihrem Gewicht weit größer als
der von weniger leicht verdaulichen Stoffen.

Als Brot verwandten wir theils schwedisches „Knäkkebröd“, das sehr
leicht ist und den Vorzug hat, nicht trocken zu schmecken und dadurch
die Empfindung des Durstes zu erregen, theils Fleischkakes, die wir
extra in England bestellen mußten, und die außer Mehl noch einen
bestimmten Prozentsatz Fleischpulver enthalten. Diese Kakes sind
wohlschmeckend und zugleich sehr nahrhaft.

Als warmes Getränk, was zwar keine Nothwendigkeit, aber doch eine große
Annehmlichkeit ist, verwendeten wir des Morgens gewöhnlich Schokolade
und des Abends Erbsensuppe. Die Schokolade wurde selbstverständlich
nicht aus Fleischschokolade bereitet, die nur roh verzehrt wurde,
sondern ausschließlich aus Vanilleschokolade. Zur Erbsensuppe benutzten
wir die deutsche Erbswurst von +A. Schörke & Co.+ in Görlitz. Auch
Bohnenwurst und Linsenwurst benutzten wir. Diese Präparate enthalten
außer gemahlenen Erbsen, Bohnen oder Linsen auch Speck und Schinken.
Ich versuchte ein ähnliches Londoner Fabrikat, doch war es nicht wie
das deutsche mit Fett gemischt, was dies so wohlschmeckend für uns
machte.

Wir hatten ferner Kaffee und Thee mitgenommen, den ersteren in Form
von Kaffeeextrakt in einem Quantum von ungefähr 1½ Liter. Nachdem wir
uns desselben ein paarmal des Nachmittags und des Abends bedient und
die Erfahrung gemacht hatten, daß man sich allerdings sehr wohl und
neubelebt durch das Getränk fühlt, daß man aber die Nacht darauf desto
schlechter oder garnicht schläft,[10] so beschränkte ich den Gebrauch
des Kaffees auf einzelne Morgen, da er uns aber auch dann nicht
sonderlich bekam, so wurde er zum Schreck und Kummer der Lappen völlig
verbannt, bis wir in die Nähe der Westküste gekommen waren.

Thee ist nach meiner Erfahrung weit weniger schädlich als Kaffee,
+löscht außerdem den Durst+ bedeutend besser. Dünner Thee mit
kondensirter Milch und Zucker wurde daher häufiger verwendet, besonders
des Morgens, als unsere Schokolade verbraucht war.

Im ganzen geht meine Erfahrung völlig gegen den Gebrauch narkotischer
Genußmittel, sei es Kaffee, Thee, Tabak oder spirituöser Getränke.
Eine gesunde Lebensregel ist, daß man zu allen Zeiten so natürlich
und einfach wie möglich leben soll, vor allem aber gilt dies, wo es
sich um ein Leben mit starken Strapazen, besonders in einem kalten
Klima handelt. Glaubt man etwas zu erreichen, indem man Körper und
Seele durch künstliche Mittel stimulirt, so verräth man, meiner
Meinung nach, außer einer Unkenntniß der einfachsten physiologischen
Gesetze entweder einen Mangel an Erfahrung oder auch einen Mangel an
Fähigkeit, seine Erfahrungen auszunutzen. Es scheint doch so einfach
und selbstverständlich, daß man im Leben nichts erhält, ohne auf irgend
eine Weise dafür bezahlen zu müssen, und daß infolgedessen künstliche
Reizmittel, selbst wenn sie keine direkte schädliche Wirkung hätten,
was zweifelsohne der Fall ist, doch keinen andern Zweck haben als
ein zeitweiliges Aufflackern mit einer nachfolgenden Erschlaffung.
Künstliche Reizmittel, mit Ausnahme von Schokolade, die nahrhaft
und sanft stimulirend ist, führen dem Körper keine nennenswerthen
Nährstoffe zu, und was man für den Augenblick an Kräften auf Vorschuß
erhält, muß man im nächsten Moment mit entkräftender Erschlaffung
bezahlen. Von Einzelnen wird sicher der Einwand erhoben werden, daß
es Fälle giebt, wo es nur darauf ankommt, für einen kurzen Augenblick
Kräfte zu haben; hierauf muß ich jedoch erwidern, daß ich nicht
einsehen kann, auf welche Weise ein solcher Fall auf einer langen
Schlittenexpedition eintreten sollte, wo es sich im Gegentheil um eine
so regelmäßige und sichere Arbeit wie nur möglich handelt.

Dies Alles mag Vielen so selbstverständlich erscheinen, als bedürfe es
der Erwähnung nicht, trotzdem aber sieht man bis in die neuesten Zeiten
arktische Expeditionen, versehen mit großen Ladungen nicht allein
von Tabak, sondern auch von schädlichen Reizmitteln wie spirituösen
Getränken, ausziehen. Charakteristisch ist z. B. das Verzeichniß über
die Getränke, welche die zweite deutsche Nordpolexpedition (siehe den
Bericht derselben, Einleitung S. 44 und 46) auf den beiden Schiffen
„Germania“ und „Hansa“ mit sich führte. Es ist traurig, wenn diese
verkehrte Auffassungsweise solche Folgen nach sich zieht, wie dies bei
der +Greely+-Expedition, der letzten großen Tragödie in der arktischen
Entdeckungsgeschichte, der Fall war. Wenn man hier sieht, wie z. B. der
kühne Sergeant +Rice+, ausgehungert, todtmüde und erfroren, sich durch
ein Quantum Rum, dem er sogar noch Ammoniak, das Schlimmste, worauf
er verfallen konnte, zufügt, retten zu können glaubt und wie er dann
unmittelbar darauf in den Armen seines Freundes +Friedericks+ stirbt,
während sich dieser seiner Kleider bis auf das Hemd beraubt, um die
erstarrenden Glieder seines Freundes zu erwärmen, -- da kann man nicht
umhin, sich eigenartig durch den Gedanken berührt zu fühlen, daß so
viel Energie, so viel Muth und so viele edle Selbstaufopferung nutzlos
verschwendet werden soll. Ich will nicht einmal der unheimlichen
Bacchanale Erwähnung thun, welche die Theilnehmer jener Expedition
in diesen ungastlichen Gegenden, vom Tode umringt, veranstalteten.
Außer der erschlaffenden Wirkung, welche der Alkohol auf die Ausdauer
ausübt, indem er durch ein Herabsetzen der Körpertemperatur und eine
Verringerung der Verdauungsthätigkeit geradezu schädlich wirkt, -- so
schwächt er auch die Energie und die Unternehmungskraft, und zwar in
erhöhtem Maße, wenn die Leute, wie es auf der +Greely+-Expedition der
Fall war, ausgehungert und fast erfroren sind.

Was soll man aber sagen, wenn ein so erfahrener Polarreisender wie
+Julius Payer+ in seinem Buch über die österreichisch-ungarische
Nordpolexpedition (1872-74) sagt, daß eine tägliche geringe Ration
Rum auf einer längeren Schlittenreise, besonders bei sehr niedriger
Temperatur, fast unentbehrlich ist (s. S. 224), während doch Branntwein
gerade bei einer niedrigen Temperatur am schädlichsten wirkt und
bekanntlich eine Verringerung der Körperwärme statt eine Erhöhung
derselben hervorbringt. Freilich sind sehr viele Menschen in diesem
Irrthum befangen, weil sie nach dem Genuß von Branntwein fühlen, daß
er „inwendig erwärmt“, und weil sie nach einem guten Mittag mit vielen
starken Weinen warm werden.

Viele sind der Ansicht, daß man den Branntwein, selbst wenn man ihn
nicht zu den täglichen Rationen benutzt, doch mitnehmen sollte, um
ihn als Medizin zu verwenden. Ich würde dieser Auffassung beistimmen,
wenn man mir einen einzigen Fall nachweisen könnte, wo der Genuß
von Branntwein zweckmäßig ist, so lange dies aber nicht geschieht,
beharre ich bei meiner Ansicht, daß +selbst der Vorwand, Branntwein
mitzunehmen, an und für sich schon verwerflich ist+.

Es ist entschieden das Richtigste, den Alkohol als Getränk von den
arktischen Expeditionen völlig auszuschließen.[11]

Weniger schädlich als spirituöse Getränke auf den Expeditionen ist der
+Tabak+, aber auch er (sowohl der Rauch- wie der Kautabak) wirkt bei
starken Anstrengungen in hohem Grade schädlich, selbstverständlich
nicht am wenigsten auf Expeditionen, wo Speisen und Getränke
nicht allzu reichlich vorhanden sind. Er hat nicht allein einen
ungünstigen Einfluß auf das Verdauungssystem, sondern er erschlafft
auch die Körperkräfte und verringert die Nervenkraft, die Ausdauer
und Zähigkeit. Bei der völligen Ausschließung des Tabaks von den
Expeditionen muß indessen ein Umstand in Betracht gezogen werden,
der in Bezug auf den Alkohol wegfällt (da man wohl nicht in die
Verlegenheit kommt, Trinker mitzunehmen), -- nämlich der, daß die
meisten Menschen so an den Tabak gewöhnt sind, daß sie ein völliges
Entbehren desselben sehr schmerzlich empfinden würden. Aus diesem Grund
ist es gewiß nicht rathsam, einen allzu krassen Uebergang zu machen,
man soll lieber den Verbrauch des Tabaks successive vermindern. Auf der
anderen Seite aber soll man es auch vermeiden, allzu starke Raucher
oder Kauer mitzunehmen.

Vier von den Theilnehmern an unserer Expedition rauchten (der
alte Lappe +Ravna+ und ich selber waren Nichtraucher), aber unser
Tabaksvorrath war nur klein. Auf der Wanderung durch Grönland wurde nur
jeden Sonntag und außerdem bei feierlichen Veranlassungen eine Pfeife
geleistet.

Außer dem oben erwähnten Proviant führten wir mit uns: Butter, gedörrte
Scholle (Queite), die sehr fett ist und daher sehr geschätzt wurde, ein
wenig Schweizerkäse, ein wenig „Myseost“, zwei Dosen Haferkakes, einige
eingemachte Preißelbeeren, gedörrten Kerbel, ein wenig Fleischpepton,
eine ganze Anzahl von Dosen mit kondensirter Milch etc.

Außerdem erhielten wir als Geschenk von der Hermetischen Fabrik in
Stavanger eine ganze Reihe von Sachen, die mitgenommen wurden und uns
während unseres Lebens im Treibeise und in den Böten an Grönlands
Ostküste vorzüglich mundeten, und diesen extra hinzukommenden
Leckerbissen hatten wir es zu verdanken, daß unser Proviant, der, wie
aus meinem Plan (s. S. 10) ersichtlich ist, auf 2 Monate berechnet
war, doch für die 2½2 Monate ausreichte, die vergingen von dem
Augenblick an, als wir den „Jason“ verließen, bis zu dem Tage, wo
+Sverdrup+ und ich Godthaab erreichten, -- ja wir behielten sogar noch
etwas Proviant, besonders gedörrtes Fleisch, übrig, wovon Mehrere von
uns noch lange nachdem wir nach Godthaab gekommen waren, aßen. Selbst
in der Weihnachtszeit verzehrten wir noch gedörrtes Fleisch, das die
Reise über das Inlandseis gemacht hatte.

Als zu der Verproviantirung gehörig können auch zwei doppelläufige
Gewehre mit Munition genannt werden. Jedes Gewehr hatte einen
Büchsenlauf von 9 ~mm~ Durchmesser und einen Hagellauf (Kaliber 20).

Bei einem Kaliber von so geringer Dimension erzielt man, daß das
Gewicht der erforderlichen Munition bedeutend reduzirt wird, und ich
fand es völlig ausreichend, sowohl für Seehunde als für Seevögel.
Sie genügen in den Händen eines sicheren Schützen auch für die
Eisbärenjagd. Das Wichtigste ist hier wie überall das, was sich hinter
dem Kolben befindet.

Der Zweck dieser Gewehre war ein doppelter -- einmal wollten wir uns
vermittelst derselben Proviant an der Ostküste verschaffen, besonders
falls eine Ueberwinterung nothwendig sein sollte; aus dem Grunde
beabsichtigte ich auch eine Büchse mit Munition an der Ostküste zu
deponiren, -- ferner wollten wir uns auf diese Weise mit frischem
Proviant versehen, falls wir die Westküste erreichten, ohne gleich
Menschen zu treffen, denn wenn man nur die Küste, eine Büchse und etwas
Munition hat, so kann es nicht an Lebensmitteln fehlen.

An wissenschaftlichen Instrumenten führte die Expedition folgendes mit:

1 +Theodolit+, ein vorzügliches vom Instrumentenmacher +Olsen+ in
Kristiania angefertigtes Instrument. Es war jedoch ein wenig schwer
(es wog ungefähr 3,2 ~kg~) und hatte ein nicht viel leichteres Stativ,
dafür gab es aber ausgezeichnete Observationen, sowohl terrestrische
als astronomische. Für künftige Expeditionen möchte ich allerdings
empfehlen, sowohl dies Instrument, als auch andere aus Aluminium
anfertigen zu lassen. Das Gewicht würde sich dadurch bedeutend
verringern lassen.

1 +Sextanten+ mit künstlichem Horizont. Es war dies ein kleiner
Taschensextant von +Perken, Son & Rayment+ in London, ein feines
kleines Instrument, das uns vorzügliche Dienste leistete. Zum Horizont
verwendeten wir Quecksilber, -- um die Mittagsstunde war es niemals so
kalt, daß dies fror. Da Quecksilber sehr schwer ist, glaube ich, daß
z. B. Oel zweckmäßiger für den Horizont zu verwenden wäre.

1 +Peilscheibe+ mit drei Bussolen (Kompassen) zur Messung der
Abweichung, sowie zu trigonometrischen Messungen.

5 +Taschenkompasse+.

3 +Aneroidbarometer+ von +Perken, Son & Rayment+ in London.

1 +Hypsometer+ oder +Kochbarometer+ mit zwei dazu gehörigen feinen
Thermometern. Das Prinzip dieses Barometers beruht auf einer
genauen Bestimmung von dem Siedepunkt des reinen Wassers, der sich
ja bekanntlich mit dem Luftdruck verändert und infolgedessen auch
mit der Höhe. Ich fand dies Barometer sehr bequem, und infolge
seines unbedeutenden Gewichts eignet es sich ganz vorzüglich für
eine Expedition wie die unsere, wo ein Quecksilber-Barometer
selbstverständlich zu schwer und zu umständlich zu transportiren ist.

6 +Schwingethermometer+. Diese sind darauf eingerichtet, an eine
Schnur gebunden und mit großer Schnelligkeit in der Luft herum
geschwungen zu werden. Hierdurch kommt die Thermometerkugel mit so
viel Luft in Berührung, daß die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf sie
verhältnißmäßig gering wird, und man so mit Leichtigkeit selbst mitten
im Sonnenschein die Temperatur der Luft messen kann.

Bindet man einen ganz dünnen Stoff wie Gaze oder dergl. über die
Kugel eines Schwingthermometers, so hat man, indem man diesen Stoff
anfeuchtet, ein gutes Mittel, den Feuchtigkeitsgrad der Luft durch
Vergleichung mit einem andern Thermometer zu messen.

1 +Minimumthermometer+ und

1 +Spiritusthermometer+.

4 +Ankeruhren+, sog. Halbchronometer; gewöhnliche Taschenchronometer
eignen sich kaum für derartige Expeditionen, da sie in gewissen
Stellungen leicht stehen bleiben. Wir hatten übrigens ein merkwürdiges
Unglück mit unseren Uhren, indem eine infolge eines Falles stehen
blieb, -- eine zweite ging, wahrscheinlich aus demselben Grunde, ein
wenig unzuverlässig, -- eine dritte, nämlich eine ältere, mir gehörige
Uhr, blieb wahrscheinlich infolge von Schmutz stehen, -- nur die vierte
hielt sich die ganze Zeit hindurch gut und erwies sich als vorzügliche
Uhr.

Ich glaube, daß die Expedition in betreff der Instrumente besonders
gut ausgerüstet war, und dies hatten wir im wesentlichen Herrn
Professor +H. Mohn+, dem Direktor des meteorologischen Instituts in
Kristiania, zu verdanken. Mit unermüdlichem Eifer nahm er sich unserer
wissenschaftlichen Ausrüstung an, und wenn wir werthvolle Observationen
zu machen im stande waren, so haben wir ihm dafür zu danken.

Infolge einer Aufforderung von Professor +Petterson+ in Stockholm
nahm ich die nothwendigen Instrumente mit, um für ihn auf der
Reise Luftproben zu sammeln. Diese Proben werden in einer Menge
mittelgroßer Glascylinder genommen, die sorgfältig von Luft gereinigt
und zugeschmolzen sind. Sobald sie geöffnet wurden, füllten sie
sich natürlich sogleich mit Luft, und wenn man sie dann sorgfältig
zuschmilzt, was vermittelst einer Spirituslampe und eines eigens dazu
eingerichteten Blaserohrs leicht geschehen kann, so enthalten sie Luft,
die man nun so weit man will transportiren kann.

Ein unentbehrlicher Artikel auf allen modernen Entdeckungsreisen
ist ein Photographir-Apparat. Ich hatte einen kleinen Apparat mit
zwei Rollkassetten für Papierrollen mit empfänglicher Gelatinfilm
mitgenommen.[12]

Es wäre zu schwer und unpraktisch gewesen, wenn ich hätte Glasplatten
transportiren wollen. Um die Papierrollen zu wechseln, führte ich auch
zwei rothe Laternen mit, eine aus Papier und eine aus Glas. Hierzu nahm
ich fünf Stearinlichte mit.

An weiteren Instrumenten, Geräthschaften etc. führten wir mit uns: 2
Aluminium-Fernröhre, 2 Podometer, 1 Axt, diverses kleineres Werkzeug
wie Messer, Feile, Pfriem, Pechdraht etc., Nähnadeln, Kneifzange,
Schraubenzieher, kleine Schrauben für die Stahlplatten unter den
Schlittenschienen etc. Außerdem Gewichte zum Auswägen des Proviants,
sog. Steigeisen aus Tyrol, Zacken, die in die Stiefelsohlen geschroben
werden, Manilla-Alpenseile, diverse Reserveleinen für Schlitten
etc., Eispickel mit Schäften aus Bambusrohr -- diese wurden auch zu
Skistäben verwendet --, einen Stahlspaten, der auf einen der Stäbe
geschraubt werden konnte und der zum Schneeschaufeln benutzt werden
sollte, hauptsächlich, um einen guten Zeltplatz zu schaffen oder
um Schneehütten zu bauen, falls das Zelt vernichtet würde, mehrere
Bambusstangen zu Masten und Steuerstangen während der Segelfahrt mit
Schlitten wie mit Böten; ein starkes Ziehtau, um Boot und Schlitten
über schwierige Stellen hinwegzuziehen, Zeichengeräthschaften,
Skizzenbücher und Notizbücher, Logarithmentabellen, Seekalender für
d. J. 1888 und 1889 etc. Ein großes Brennglas, Feuerstein, Stahl und
Lunte, Zündhölzer, die zum Theil in luftdicht verschlossenen Blechdosen
an verschiedenen Stellen der Bagage aufbewahrt waren, damit wir selbst,
wenn einige verloren gingen, doch genug hätten. Drei 10literhaltige
Spiritusfässer, Persennings, theils aus wasserdichtem Segeltuch,
theils aus Oeltuch über jeden Schlitten zu breiten, große Tragsäcke,
die im wesentlichen bestimmt waren, um bei schwierigem Terrain,
wo man nicht ziehen konnte, benutzt zu werden, die indessen als
Mantelsäcke für unsere Privatgarderobe Verwendung fanden. Verschiedene
Bootsgeräthschaften, wie lange Bootshaken (aus Bambusrohr), kurze
Bootshaken mit breiten Blättern versehen, so daß sie gleichzeitig
zum Wricken benutzt werden konnten, was in engem Fahrwasser zwischen
Treibeis, wo andere Ruder zu lang sind, sehr zweckmäßig ist, -- ferner
gewöhnliche Ruder, Reservedollen, Handpumpen mit Schläuchen, um das
Boot auszupumpen, wenn es belastet ist u. dergl. m. Ferner hatten wir
eine kleine Apotheke mitgenommen, in der sich Schienen und Bandagen
zum Verbinden bei Arm- und Beinbrüchen befanden, -- Chloroform,
Kokainauflösung zur Linderung von Schmerzen bei Schneeerblindungen,
Zahntropfen, Magenpillen, Vaselin etc. etc. Es ist selbstverständlich,
daß dies alles auf ein Minimum reduzirt war.

Im April unternahmen wir eine kleine Probeexpedition nach einem Wald
in der Nähe von Kristiania. Die Mitglieder der Expedition waren damals
mit Ausnahme eines Einzigen versammelt. Diesen Ausflug schildert
+Balto+ folgendermaßen:

„Eines Abends zogen wir vor die Stadt in einen Wald, um dort die Nacht
über zu bleiben und einen Versuch mit den Schlafsäcken zu machen, die
aus Rennthierfell verfertigt waren. Am Abend, als wir in den Wald
gelangten, wo wir die Nacht zubringen wollten, schlugen wir unser
Zelt auf. Darauf mußten wir Kaffee mit einer Maschine kochen, die mit
Spiritus kochen sollte. Der Maschinenkessel wurde mit Schnee gefüllt,
und wir zündeten Feuer darunter an. Es brannte mehrere Stunden, kam
aber nicht zum Kochen. Da mußten wir versuchen, von dem lauwarmen
Wasser zu trinken, zu dem Kaffeeextrakt gegossen wurde. Es schmeckte
aber nach nichts, denn es war fast kalt. Am Abend, als wir uns schlafen
legen wollten, krochen die vier Norweger in Schlafsäcke. +Nansen+
sagte, wir sollten uns auch in die Säcke legen, aber wir meinten, es
würde uns zu heiß werden. Wir brauchten nicht in die Säcke zu kriechen,
meinten wir, deshalb schliefen wir draußen. Am Morgen erwachte ich,
als die Uhr wohl sechs war, und da sah ich, daß unsere Leute in ihren
Säcken lagen und wie die Bären schliefen. Ich legte mich wieder hin und
schlief bis um 9 Uhr. Da weckte ich sie, denn ich wußte, daß ein Wagen
für uns um 10 Uhr bestellt war.“

Diese Schilderung bezeugt, daß einzelne Theile unserer Ausrüstung,
wie z. B. der Kochapparat, noch nicht so gut waren, wie sie wohl sein
konnten, aber wir hatten noch Zeit zu Verbesserungen. Diese wurden auch
vorgenommen, und als wir endlich in den ersten Tagen des Mai auszogen,
nachdem wir in der elften Stunde mehrere wichtige Dinge erhalten
hatten, war wenigstens das Meiste in der erwünschten Ordnung, und was
noch fehlte, das konnte während der Reise beschafft werden.


Fußnoten:

[5] Ueber die Skikjälker in Sibirien siehe u. a. Nicolaes Witsen „~Nord
en ost Tartarye.~“ ~Amsterdam 1705~ (Seite 820).

[6] ~Lieutenant Greely. Three Years of Artic Service. London 1886. Vol.
I.~ S. 199.

[7] Aus Xenophons Anabasis ersieht man übrigens, daß schon 400 Jahre
v. Chr. die Bewohner der armenischen Gebirge die Sitte kannten, den
Pferden Truger oder etwas ähnliches unter die Hufe zu binden.

[8] Schuhe aus roh gegerbten oder auch ganz rohen Ochsenhäuten mit
Haaren darauf. Sie werden ebenso wie die Finnenschuhe der Lappen in
Norwegen ganz allgemein zum Skilaufen verwendet.

[9] Die von Greely angegebenen Daten über den Kochapparat, der auf
der von ihm geleiteten Expedition in Anwendung kam, lauten ein wenig
sonderbar und die angeführten Zahlen müssen unkorrekt sein; denn
danach müßte man bei diesem Kochapparat 95% von dem Brennwerth des
verbrauchten Alkohols ausnützen können, was eine Unmöglichkeit ist.
Noch sonderbarer sind die von Payer mitgetheilten Daten; denn nach
diesen sollte man mit dem Kochapparat auf der Tegethof-Expedition mehr
als 100% von dem Brennwerth des Alkohols ausgenützt haben.

[10] Die Wirkung war bei Allen, selbst bei den Lappen, ganz auffallend
und ist sicher auf die empyreumatischen Oele, Kafëon, zurückzuführen,
deren starke giftige Wirkung bekannt ist. Wahrscheinlich enthält der
Kaffeeextrakt infolge seiner Zubereitungsweise diese Stoffe in weit
höherem Maße als der auf gewöhnliche Weise bereitete Kaffee, während
gleichzeitig der Mangel des als beruhigendes Mittel wirkenden Kafëin
ebenfalls durch die Zubereitungsweise verringert wird.

[11] Eine Reihe von Versuchen, die mit englischen Soldaten vorgenommen
wurden, sind in dieser Beziehung sehr bezeichnend. Eine Abtheilung
Soldaten erhielt den Befehl, eine bestimmte Strecke in möglichst kurzer
Frist zu marschiren; einigen von ihnen wurde Cognac in verschiedenen
Quantitäten mitgegeben, während Andere nur Wasser erhielten. Es stellte
sich dann heraus, daß, je mehr Alkohol während des Marsches genossen
war, desto mehr Zeit gebraucht wurde.

[12] Ich verwendete die sog. ~Eastman’s American Stripping Films~.



Kapitel III.

Das Schneeschuhlaufen, die Entwickelung und die Geschichte dieser Kunst.


Die Expedition, welche wir hier zu schildern gedenken, hat ihre
Entstehung einzig und allein dem norwegischen Schneeschuhlaufen zu
verdanken. Der Verfasser selber ist von seinem vierten Jahr an mit den
Schneeschuhen vertraut gewesen, wie auch jeder einzelne Theilnehmer ein
geübter Schneeschuhläufer war, und die Ausführung der ganzen Expedition
war auf der Ueberlegenheit der Schneeschuhe über jedes andere auf
Schneeflächen in Anwendung kommende Beförderungsmittel begründet.

Da liegt es denn sehr nahe, mit einer kurzen Schilderung der
Schneeschuhe zu beginnen, um so mehr, als nur wenige Menschen außerhalb
der vereinzelten Länder, in denen die Schneeschuhe benutzt werden, eine
Ahnung davon haben, was Schneeschuhlaufen ist, und ohne eine solche
Kenntniß Mancherlei in dieser Reisebeschreibung schwerlich zu verstehen
sein würde.

[Illustration: Schneeschuhläufer auf der Ebene.]

Schon der Verfasser des Königsspiegels (Kongespeilet) hat vor
ungefähr 640 Jahren darauf hingewiesen, daß es für Alle, die das
Schneeschuhlaufen nicht gesehen haben, höchst wunderbar erscheinen
muß, weil man auf zwei dazu eingerichteten Holzstücken so schnell über
Schneefelder dahin gleiten kann. Er behandelt unter anderem die Frage
über das Vorhandensein gezähmter Drachen in Indien und meint, daß
dies freilich wunderbar genug klingen mag, daß es aber auch bei uns
zu Lande Verhältnisse giebt, die den Völkern anderer Länder noch weit
wunderbarer erscheinen müssen. Er sagt:

„Weit mehr Verwunderung aber wird das erzeugen, was von den Männern
erzählt wird, die ein Holzstück oder dünne Bretter so zähmen können,
daß ein Mann, der nicht schneller zu Fuß ist als Andere, wenn er
nur Schuhe an den Füßen hat oder wenn er barfuß ist, -- daß dieser
Mann, sobald er 7-8 Ellen[13] lange dünne Bretter unter seine Füße
bindet, Vögel im Fluge oder die schnellsten Windhunde und Rennthiere
im Lauf überholt, welche letztere doch doppelt so schnell laufen wie
ein Hirsch, denn es giebt eine ganze Anzahl von Männern, die ihre
Schneeschuhe so gut zu gebrauchen wissen, daß sie im Lauf mit ihrem
Spieß Rennthiere und noch mehr zu treffen vermögen. Nun wird diese
Sache in allen den Ländern unglaublich, unwahrscheinlich und merkwürdig
erscheinen, in denen man nicht weiß, mit welcher List oder Kunst
es geschieht, daß dünne Bretter zu einer so großen Geschwindigkeit
abgerichtet werden können, daß oben in den Bergen nichts, was sich
auf der Erde bewegt, im schnellen Lauf dem Manne entgehen kann, der
Bretter an den Füßen hat; sobald er diese aber abnimmt, ist er nicht
geschwinder als andere Männer. In anderen Gegenden, wo die Leute nicht
an so Etwas gewöhnt sind, wird sich kaum ein Mann finden, er mag noch
so gewandt sein, der nicht alle Gewandtheit einbüßt, sobald solche
Holzstücke an seine Füße gebunden werden. Wir verstehen diese Sache
aus dem Grunde und haben im Winter, sobald Schnee liegt, Gelegenheit
genug, Männer zu sehen, welche diese List oder Kunst verstehen.“[14]

Die Schneeschuhe werden aus Holz angefertigt und sind in Norwegen in
der Regel 3-4 Zoll breit und ungefähr 8 Fuß lang, zuweilen länger,
zuweilen kürzer. Sie sind flach und glatt auf der Unterseite. Nach
vorne zu sind sie mehr oder weniger in die Höhe gebogen, zuweilen auch
am hinteren Ende ein wenig. Sie werden vermittelst eines Zehen-Riemens
befestigt, der ungefähr in der Mitte des Schneeschuhs angebracht ist,
und in den man die Fußspitzen steckt. Für alle guten Schneeschuhläufer
kommt dann ein Fersenband hinzu, das, von dem Zehenriemen ausgehend, um
die Ferse läuft.

Auf diesen Schneeschuhen kommt man durch eine eigene gleitende
Bewegung der Beine und des Unterkörpers vorwärts. Die Anfangsgründe
sind eigentlich nicht schwer zu erlernen, aber die Fertigkeit kann zu
einem hohen Grad von Vollkommenheit entwickelt werden. Man darf die
Schneeschuhe nicht aufheben und durch den Schnee stampfen, wie man es
oft von Stümpern sieht, -- sie gehen, als wenn sie barfuß durch ein
Moor wanderten. Es kommt im Gegentheil darauf an, die Füße gleitend
über den Schnee zu führen. Man hält sie immer ein wenig vorwärts, indem
der Körper elastisch und leicht der Bewegung folgt. Die Schneeschuhe
werden in paralleler Richtung so nahe wie möglich aneinander
vorbeigeführt, also nicht nach den Seiten wie die Schlittschuhe, was
gewiß Viele glauben, die das Schneeschuhlaufen nie gesehen haben.
Folglich bilden die Spuren, die ein tüchtiger Schneeschuhläufer
im Schnee hinterläßt, zwei parallele Linien. In der Hand hält man
gewöhnlich einen Stab, mit dem man sich während des Laufens hilft, und
der in einzelnen Gegenden eine ungewöhnliche Länge erreicht. Bei diesem
Vorwärtsgleiten kann ein guter Schneeschuhläufer auf der Ebene eine
große Geschwindigkeit erlangen.

[Illustration: Bergauf und bergab.]

Bergaufwärts geht es natürlich langsamer, aber auch hier wird ein
tüchtiger Schneeschuhläufer jedem Anderen überlegen sein. Ist der
Berg steil und hoch, so geht er nicht geradeaus, sondern nähert sich
dem Gipfel Schritt für Schritt kreuzend, oder auch er erklimmt ihn
seitwärts Schritt für Schritt und bildet so gleichsam eine Treppe
im Schnee. Ist der Hügel niedriger, und sind die Schneeschuhe nicht
zu lang, kann er auch auf die Weise, wie sie links auf umstehender
Zeichnung ersichtbar ist, direkt bergauf gehen. Man wendet die
Schneeschuhe auswärts, bis sie einen so großen Winkel gegeneinander
bilden, wie es der Abfall des Berges erfordert, und führt sie so, daß
das hintere Ende des einen in die Höhe gehoben und vor den anderen
hingesetzt wird. Die Spur im Schnee hat viele Aehnlichkeit mit dem
Hexenstich der Nähterinnen. Ein Hügel, den ein Schneeschuhläufer nicht
erklimmen könnte, ohne die Schneeschuhe abzuschnallen, muß wunderbar
aussehen. Schon +Olaus Magni+ sagt i. J. 1555: „Es giebt keinen
Berg, er mag noch so hoch sein, den er nicht auf listigen Umwegen zu
erklimmen vermöchte.“

Bergabwärts geht es ganz von selber, denn die Schneeschuhe gleiten
leicht über den Schnee dahin. Man muß sich nur auf denselben halten und
die Herrschaft über sie bewahren, so daß man nicht gegen Bäume oder
Steine läuft oder in einen Abgrund stürzt. Je steiler der Berg ist,
desto geschwindere Fahrt hat man, und nicht ohne Grund heißt es im
Königsspiegel, daß man auf Schneeschuhen den Vogel im Fluge überholt
und nichts, was sich auf der Erde bewegt, dem Schneeschuhläufer
entgehen kann.

Das Schneeschuhlaufen ist der nationalste aller nordischen Sports und
ein herrlicher Sport ist es; -- wenn irgend einer den Namen des Sports
aller Sports verdient, so ist es dieser. Nichts stählt die Muskeln so
sehr, nichts macht den Körper elastischer und geschmeidiger, nichts
verleiht eine größere Umsicht und Gewandtheit, nichts stärkt den
Willen mehr, nichts macht den Sinn so frisch wie das Schneeschuhlaufen.
Kann man sich etwas Gesunderes oder Reineres denken, als an einem
klaren Wintertag die Schneeschuhe unter die Füße zu schnallen und
waldeinwärts zu laufen? Kann man sich etwas Feineres oder Edleres
denken als unsere nordische Natur, wenn der Schnee ellenhoch über Wald
und Berg liegt? Kann man sich etwas Frischeres, Belebenderes denken,
als schnell wie der Vogel über die bewaldeten Abhänge dahinzugleiten,
während die Winterluft und die Tannenzweige unsere Wangen streifen und
Augen, Hirn und Muskeln sich anstrengen, bereit, jedem unbekannten
Hinderniß auszuweichen, das sich uns jeden Augenblick in den Weg
stellen kann? Ist es nicht, als wenn das ganze Kulturleben auf einmal
aus unseren Gedanken verwischt wird und mit der Stadtluft weit hinter
uns zurückbleibt, -- man verwächst gleichsam mit den Schneeschuhen und
der Natur. Es entwickelt dies nicht allein den Körper, sondern auch
die Seele, und hat eine tiefere Bedeutung für ein Volk als die Meisten
ahnen.

[Illustration: Bergabwärts im Walde.]

Wohl nirgends eignet sich die Natur besser für den Schneeschuhlauf
als in Norwegen; Hügel giebt es dort zur Genüge, und auch der
Schnee ist reichlich vorhanden. Von Kindesbeinen an werden wir an
die Schneeschuhe gewöhnt -- ein guter Haken krümmt sich bei Zeiten
--, und die Natur selbst zwingt die Knaben, ja auch die Mädchen in
manchen Gebirgsgegenden Norwegens, die Schneeschuhe zu gebrauchen,
sobald sie gehen können. Tief und weich liegt der Schnee den ganzen
Winter hindurch vor den Thüren der Häuser. Früh im Herbst kommt
er, um erst spät im Frühling wieder zu verschwinden. Wege sind in
manchen Gegenden nur sehr spärlich vorhanden, und Jeder -- es sei
Mann oder Frau --, der von einem Hof zum andern gelangen will, muß
die Schneeschuhe anschnallen, denn ohne sie versinkt man bis über die
Hüften im Schnee. Man wächst sozusagen mit den Schneeschuhen auf,
-- es ist nicht selten, daß man Mädchen und Knaben von 3-4 Jahren
sich üben sieht. Von dem Alter an oder vielleicht ein wenig später,
halten sich die Bauernknaben in steter Uebung. Berge haben sie in der
Regel gerade vor dem Hause und überall zu beiden Seiten der engen
Thäler, auf Schneeschuhen müssen sie ihren Schulweg zurücklegen
und auf Schneeschuhen verbringen sie die freie Zeit zwischen den
Unterrichtsstunden. Der Lehrer ist oft selbst mit dabei und stellt sich
an die Spitze der kleinen Schar. Und dann des Sonntagsnachmittags,
-- welch ein Fest ist es nicht den ganzen Winter hindurch, wenn sich
die ganze Dorfjugend, Kinder und Erwachsene, der Verabredung gemäß
versammelt, um in edlem Wettstreit sich miteinander zu messen und sich
zu amüsiren, solange das Tageslicht ausreicht. Und auch die Mädchen
sind dabei, aber sie wollen den Burschen lieber zuschauen, obwohl auch
sie die Schneeschuhe zu gebrauchen wissen und mancher gute Sport auf
Schneeschuhen von norwegischen Mädchen betrieben wird, ohne daß viel
Redens davon gemacht wird.

So gestaltet sich das Winterleben der Jugend in manchem norwegischen
Dorf. Die Knaben zählen noch nicht viele Jahre, und sie wissen schon,
welche Form ein guter Schneeschuh haben muß, wie das beste Holz für die
Schneeschuhe aussieht und wie man eine Weide biegen muß, um sie zum
Befestigen der Ski verwenden zu können; ein Jeder lernt es, ohne die
Hülfe Anderer fertig zu werden, er wächst heran und wird ein Mann für
sich selbst, wie sein Vater es war. -- Möge sich dies erhalten, möge
das Schneeschuhlaufen sich entwickeln und gedeihen, so lange es Männer
und Frauen in den norwegischen Thälern giebt!

Eine absolute Nothwendigkeit sind die Schneeschuhe hier in Norwegen
wie in ganz Nordeuropa und in Sibirien für die Winterjagd, auf der die
tüchtigsten Schneeschuhläufer in den Gemeinden ihre Ausbildung erhalten
haben.

Früher war es in Skandinavien ganz allgemein, daß man im Winter
die größeren Thiere, Elen- und Rennthiere, auf den Schneeschuhen
verfolgte. Wenn der Schnee tief ist, pflegt es für einen tüchtigen
Schneeschuhläufer nicht schwierig zu sein, das Wild einzuholen und zu
fällen, da es einsinkt und nur mit Mühe vorwärts kommen kann. Es war
eine spannende Jagd, die sowohl Stärke, wie Ausdauer und Gewandtheit in
der Benutzung der Schneeschuhe erforderte. Der Art und Weise, wie man
Rennthiere fällte, geschah schon in dem früher mitgetheilten Bruchstück
aus dem „Königspiegel“ Erwähnung.

Jetzt, wo diese Thiere im Winter geschont werden, hat damit diese Jagd
ein Ende; doch wird sie gewiß noch von Wilddieben in vielen Theilen
Skandinaviens, besonders in den flachen Walddistrikten Schwedens, wo
sie am leichtesten ist, betrieben.

Die Jagd, zu welcher der norwegische Bauer jetzt hauptsächlich die
Schneeschuhe benutzt, ist das Schneehuhnschießen und der Dohnenfang im
Gebirge. Diese Jagd ist friedlicher und weniger anstrengend, aber auch
sie hat ihre eigene Anziehungskraft. Das Umherstreifen in den Bergen im
Winter, wenn das Weidendickicht von der Schneelast tief herabgedrückt
liegt, wenn die Schneehühner, die so weiß sind, daß man sie nur
mit Mühe von ihrer Umgebung unterscheiden kann, im Birkengestrüpp
umherflattern und gackern, da kann Einem wohl der Sinn frei und leicht
werden, während das Auge über die weiße Fläche schweift. Und wenn man
dann mit der Büchse und dem Jagdnetz auf dem Rücken in sausender Fahrt
die langen, offenen Abhänge hinabgleitet, da braust das Blut weit
schneller durch die Adern!

Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich der norwegische Bauer auch auf der
Hasenjagd der Schneeschuhe bedient, und es kommt auch wohl vor, daß er
auf Schneeschuhen den Bären in seiner Höhle aufsucht, oder wenn der
Schnee tief und lose ist, den Luchs, den Vielfraß oder einen einzelnen
Bären verfolgt, der zufällig aufgeschreckt worden ist. Dem Lappen ist
es etwas ganz Gewöhnliches, auf Schneeschuhen seinem ärgsten Feind, dem
Wolf, nachzusetzen und ihn zu verfolgen, bis er ihn schießen oder mit
dem Skistab todtschlagen kann. Die meisten sibirischen Völker betreiben
ihre Winterjagd auf Schneeschuhen, und da der Winter den größten Theil
des Jahres ausmacht, ist es sehr begreiflich, welche Nothwendigkeit,
ja, man kann wohl sagen welche Lebensbedingung die Schneeschuhe für
viele dieser Völker sind.

Das Schneeschuhlaufen ist alt in Norwegen, -- wie alt ist nicht
zu sagen, es geht weiter in die graue Urzeit zurück als unsere
Aufzeichnungen reichen. In den Sagen von unserm Stammvater Nor
heißt es sehr charakteristisch, daß er und seine Begleiter auf
Schneeschuhen dahergezogen kamen. Sie warteten in Finnland, bis es
gute Schneeschuhbahn wurde, und zogen dann gen Westen weiter um den
Botnischen Meerbusen in das Land hinein. Diese Sagen sind jedoch
verhältnißmäßig späten Datums.

Hauptsächlich durch Prof. Gustav Storm, der dieser Frage eine
besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, erhielt ich einzelne werthvolle
Mittheilungen über die Geschichte der Schneeschuhe in Norwegen, und
ich will einiges davon hier wiedergeben. „Soweit ich es beurtheilen
kann,“ -- sagt Prof. Storm in einem Schreiben an mich -- „müssen die
Norweger und Schweden das Schneeschuhlaufen von den Lappen erlernt
haben.“ Die ältesten historischen Nachrichten sind jedenfalls auf
diese Richtung zurückzuführen. In der Mitte des 6. Jahrhunderts gaben
zwei südeuropäische Schriftsteller, der Grieche Prokop und der Gothe
Jordanis den Lappen einen Namen, welcher die Auffassung unserer
ältesten Vorfahren verräth. Beide erwähnen den Stamm der Normannen,
welcher auf dem 67°-68° n. Br. lebt, also die Nordländer, und der seine
nomadischen Nachbarn als +Skridfinnen+ bezeichnet. Die Nordländer
haben also den Finnen oder Lappen den Beinamen +Skrid+ gegeben, weil
sie fanden, daß das „+Skrida+“ charakteristisch für sie war; aber dies
„Skrida“ (gleiten) ist gerade in der alten Sprache der bezeichnende
Ausdruck für das sich Fortbewegen auf Schneeschuhen („~skrida á
skidum~“, -- „~Finnr skridr~“.)

Der Name +Skrid+finnen wurde in Norwegen und Schweden bald vergessen;
denn hier erlernte man gar bald die Kunst; der Name war aber südwärts
gedrungen und wurde auch später von den Schriftstellern anderer
germanischer Völker zur Bezeichnung der Lappen benutzt, so von
+Paulus Diaconus+ in seiner longobardischen Geschichte (ca. 790), vom
englischen König +Alfred+ (ca. 890), von +Adam von Bremen+ (ca. 1070)
und von +Saxo Grammaticus+ (ca. 1200).

In ganz alten Zeiten betrachteten die Norweger und die Nordländer
überhaupt die Lappen als die tüchtigsten Schneeschuhläufer und das
Schneeschuhlaufen als für sie charakteristisch. So läßt Snorre
Sturlassön die Königin Gunhild, die in Finnmarken von zwei Lappen
(ca. 920) erzogen wurde, von diesen sagen, „daß sie so tüchtig auf
Schneeschuhen sind, daß ihnen nichts entwischen kann, weder Mensch
noch Thier, und worauf sie zielen, das treffen sie“. In Magnus Barfods
Sage wird als altes Sprichwort angeführt: „Es sieht nach Schneewetter
aus, Knaben, sagten die Finnen, sie hatten „+Aandrer+“ zu verkaufen.“
Also pflegten die Norweger damals (1006) ihre Schneeschuhe bei den
Lappen zu kaufen, die nach Stephanius (Kommentar zum Saxo) noch im
17. Jahrhundert Meister im Verfertigen von Schneeschuhen sind. Die
~Historia Norwegiae~ (von ca. 1200) schildert die Lappen als tüchtige
Jäger, die in Fellzelten wohnen. Wenn sie umziehen, nehmen sie diese
auf den Rücken, befestigen glatte, hölzerne Stangen, „welche sie
+Aandrer+ nennen“, unter die Füße und eilen schneller als Vögel über
den Schnee und die Berge dahin. Der ungefähr gleichzeitige Saxo sagt
ebenfalls von den Lappen, „daß sie während der Jagd auf krumm gebogenen
Hölzern über die schneebedeckten Berge dahin eilen“, -- und als er die
Sage von König Harald und Toke erzählen will, läßt er den König sich
seiner Tüchtigkeit in der Kunst rühmen, „vermittels welcher die Finnen
(Lappen) über schneebedeckte Abhänge dahin eilen“. In der isländischen
Sage „Graagaasen“ (ca. 1250) heißt es u. a., daß der Geächtete so weit
fortgetrieben werden soll „wie der Lappe auf seinen Schneeschuhen
läuft, wie die Fichte wächst, wie der Adler an einem Frühlingstag
fliegt, wenn er den Wind unter beiden Flügeln mit sich hat.“ Dies ist
ganz zweifelsohne eine alte norwegische Gesetzformel, die nach Island
hinübergekommen ist.

Es könnte aus unseren Sagen noch mehr in Bezug auf das
Schneeschuhlaufen der Lappen angeführt werden, doch glaube ich, daß das
hier Erwähnte genügen wird, um zu beweisen, daß das Schneeschuhlaufen
in Norwegen von den Lappen eingeführt worden ist.

Wir verdanken es Storm, daß wir mit Sicherheit sagen können, daß das
Schneeschuhlaufen schon im 10. Jahrhundert in Norwegen betrieben
wurde, jedenfalls im Nordlande und wahrscheinlich auch überall in
den nördlichen Berggegenden, wahrscheinlich auch in den „Oplanden“.
In einer Reihe von Skaldengesängen aus dem 10. Jahrhundert werden
„Skid“ und „Oendurr“ (mit Fell bezogene Schneeschuhe) in poetischen
Bildern benutzt, die das Segeln des Schiffes über das Meer mit dem
Dahingleiten der Schneeschuhe vergleichen. Guthorm Sindre zu Haakon
des Guten Zeit nennt beispielsweise das Schiff „Svanevangens Ski“ (der
Schneeschuh des Meeres). Dies zeigt ganz deutlich, daß die Anwendung
von Schneeschuhen ganz allgemein gewesen sein muß, denn sonst würde
das Bild nicht zu verstehen gewesen sein. Noch wichtiger ist es, daß
der Schneeschuhsport seine Repräsentanten unter den Göttern hatte.
Der Nordländer Eyvind Skaldespilder (aus Helgeland) nennt in einem
Gedicht aus dem Jahre 990 Thasses Tochter Skade „Oendur-dís“ (d. h.
Schneeschuhgöttin), und der Isländer Einar Skaaleglam, der ungefähr im
Jahre 980 einen Lobgesang auf Haakon Jarl auf Lade dichtete, giebt Ullr
den Beinamen „Aanderguden“, (Oendur-jálkr, eigentlich Aandrernes Odin).
Zu bemerken ist noch, daß Skade vom Jotun-Stamme ist; wenn man nun
bedenkt, daß für die Norweger häufig Lappen und Kobold gleichbedeutend
waren, so liegt die Annahme nicht fern, daß Eyvind sie sich als von
lappländischer Abstammung gedacht hat. Von Ullr ist zu bemerken, daß
er in Dänemark nicht der Gott des Schneeschuhlaufens, sondern der Gott
des Schlittschuhlaufens ist, denn Saxo sagt von „Ollerus“, daß er statt
sich eines Schiffes zu bedienen, auf einem Bein über das Meer zu setzen
pflegte, über das er Hexengesänge gesungen hatte, d. h. er ging auf
„Islegger“, welches diejenige Form von Schlittschuhen ist, die unsere
Vorfahren anwendeten und die auch, wie aus zahlreichen archäologischen
Funden nachzuweisen ist, in Deutschland schon in sehr frühem Zeitalter
ganz allgemein gewesen sind. Sowohl in Norwegen, wie in Deutschland
finden sie zum Theil noch heute Verwendung.

Also wahrscheinlich erst im nördlichen Norwegen ist Ullr zum
Schneeschuhgott geworden, während das Schneeschuhlaufen wohl niemals
bis nach Dänemark gelangt ist, wo ja auch die Naturverhältnisse nicht
sehr dazu ermuntern. Die Sage von dem dänischen König Harald Blauzahn
und Toke, die vor dem Vorgebirge Kullen in Schoonen auf Schneeschuhen
stehen mußten, hat in dieser Beziehung keine weitere Bedeutung, da sie
zweifelsohne aus Norwegen stammt, wo genau dasselbe von einem König
Harald und „Hemingen den ungje“ erzählt wird.

In den historischen Sagen wird u. a. erzählt, daß als Egil
Skallagrimsön eines Winters (ca. 950) im Auftrag des norwegischen
Königs nach Vermland ziehen sollte, die Sendboten des Königs ihn
westlich von Eidskogen verließen, ihre Schneeschuhe nahmen, sie
anschnallten und Tag und Nacht liefen, bis sie an die Oplande und
nördlich von Doorefjeld bei dem König anlangten (Egils-Saga Kap. 71).
Daß Schneeschuhe auch schon früh auf Romerike benutzt wurden, erscheint
sehr wahrscheinlich, wenn wir hören, daß Harald Haardraade, der von
seinem 15. bis zum 31. Jahr (1030-46) im Süden war, schon in seiner
Jugend auf Ringerike das Schneeschuhlaufen erlernt hat.

Aus seiner Zeit stammt auch der Stoff zu den über das ganze Land
verbreiteten Heldengesängen von +Heming+, dessen wunderbares
Schneeschuhlaufen im Nordlande auch im Flatöbuche (ca. 1390) erwähnt
wird. Der Refrain lautet: „Hemingen das junge Blut auf Schneeschuhen
lief gar gut“, und dem Umstand, daß er eine so große Tüchtigkeit in dem
Lieblingssport des Volkes besaß, hat er es wahrscheinlich zu verdanken,
daß sein Name noch heute im Volksliede weiterlebt.

Später werden Schneeschuhe und Schneeschuhläufer an vielen Stellen in
den nordischen Sagen erwähnt, und daraus ist deutlich zu ersehen, daß
das Schneeschuhlaufen sich mit der Zeit zu einem allgemein in Norwegen
betriebenen Sport entwickelte.

Es ist ganz selbstverständlich -- sagt Storm --, daß das öffentliche
Postwesen während des Winters, wenn keine Schlittenbahn war und man
auch zu Pferd nicht durchzukommen vermochte, sich der Schneeschuhe
bediente, -- dies ist bereits aus Briefen von den Jahren 1525 und 1535
ersichtlich. Im letzteren heißt es, daß „der Bursche“ Anfang Dezember
auf Schneeschuhen „über Doorefjeld und alle Wälder nördlich nach
Throndhjem laufen mußte“.

Es liegt kein Grund vor zu der Annahme, daß die Norweger in früheren
Zeiten eine größere Gewandtheit im Schneeschuhlaufen besessen haben,
als dies jetzt der Fall ist, und wenn wir u. a. lesen, daß Arnljot
Gelline (ca. 1000) zwei Männer hinter sich auf seinen Schneeschuhen
stehen hatte und trotzdem so geschwind lief, als sei er los und ledig,
da wird jeder Schneeschuhläufer wissen, daß dieser Bericht in das
Reich der Phantasie zurückzuführen ist. Die Erzählung stammt von einem
Isländer, Snorre, und ist eine isländische Tradition; wie wir später
sehen werden, waren aber die Isländer durchaus nicht in der Kunst des
Schneeschuhlaufens bewandert.

Heutzutage haben sich die Schneeschuhe in ganz Norwegen eingebürgert,
vom Nordkap bis Lindesnäs, am wenigsten Verwendung hat man im Westlande
für diesen Sport, da die Schneeverhältnisse an manchen Stellen nicht
günstig dafür sind. Faßt man das ganze norwegische Volk zusammen, so
giebt es wohl verhältnißmäßig wenig Männer oder Knaben, welche die
Schneeschuhe nicht kennen und nicht auf ihren Gebrauch angewiesen
sind. Auch ein nicht unwesentlicher Theil der weiblichen Bevölkerung
versteht heutzutage die Führung der Schneeschuhe ebenso gut wie
zu Olaus Magnis Zeiten (1555), „da man Frauen mit ebenso großer
Gewandtheit -- wenn nicht gar mit noch größerer -- wie Männer auf Jagd
gehen sah“. Zum Glück für die Nation ist der Schneeschuhlauf in steter
Entwickelung begriffen.

Von Telemarken und Kristiania und Umgegend pflegen die tüchtigsten
Schneeschuhläufer zu kommen, aber in Oesterdalen, in Oplandene, in
Numedalen, Hallingdalen, Valders, Gudbrandsdalen, in der Gegend von
Drontheim und in Nordland und Finnmarken findet man ebenfalls tüchtige
Schneeschuhläufer.

In Schweden, wo die Schneeschuhe von den Lappen zwar zur selben Zeit
wie in Norwegen eingeführt wurden, ist das Schneeschuhlaufen weit
weniger entwickelt, -- es ist ja auch ganz natürlich, daß Norwegen
mit seinen zahlreichen Gebirgsdörfern bessere und zahlreichere
Schneeschuhläufer hervorbringen mußte, als das weit flachere Schweden,
wo die Schneeschuhe fast ausschließlich nur in den nördlichen Gegenden
bis zu Helsingeland, Dalarne und dem nördlichen Vermland bekannt sind
und benützt werden. Das Aufblühen dieses Sports in Norwegen während der
letzten Jahre hat jedoch dazu beigetragen, daß man auch in südlicher
gelegenen Städten mit Stockholm an der Spitze begonnen hat, den
Schneeschuhsport einzuführen.

[Illustration: Norwegische Schneeschuhläuferin.]

Von den Norwegern wurde das Schneeschuhlaufen schon in alten Zeiten
in +Island+ eingeführt, doch scheint es dort fast ganz wieder
in Vergessenheit gerathen zu sein, denn nirgends wird es in den
isländischen Sagen erwähnt, während die Isländer, die nach Norwegen
kommen, häufig das Schneeschuhlaufen schildern. Im vorigen Jahrhundert
war das Schneeschuhlaufen dort dermaßen in Verfall gerathen, daß eine
königliche Resolution vom Jahr 1780 eine Prämie für einen einzigen
norwegischen Mann, der die „Kunst besaß“, aussetzte, nämlich für den
Handelsgehülfen Buch auf Husavik, damit er 3 andere darin unterweisen
sollte. Das Schneeschuhlaufen wird dort oben jedoch niemals eine hohe
Stufe erreichen, so z. B. pflegt man die Schneeschuhe dort nicht an
den Füßen festzubinden, was ganz nothwendig ist, wenn man die volle
Herrschaft über dieselben erlangen will. Man hat mir freilich gesagt,
daß dort oben im Nordlande einzelne Isländer eine ziemliche Tüchtigkeit
erlangt haben sollen, -- ich möchte indessen nicht dafür einstehen, daß
bei dieser Beurtheilung der norwegische Maßstab angelegt worden ist.
Nach den Mittheilungen, die ich vom Kandidaten A. Hansen erhalten habe,
der Island im Jahre 1882 bereiste, liegen in der Mitte der Insel Höfe,
die den ganzen Winter von der Außenwelt abgeschnitten sind, weil die
Leute die Benützung der Schneeschuhe nicht kennen.

In +Grönland+ ist das Schneeschuhlaufen wahrscheinlich erst sehr spät
von Norwegern eingeführt worden. Es scheint dort nirgends bekannt
gewesen zu sein, als +Egede+ im Jahre 1721 nach Grönland kam; aber
seine gewandten Söhne, die ja aus dem Nordlande stammten, führten die
Schneeschuhe bereits im Jahre 1722 ein. In +Paul Egedes+ Tagebuch heißt
es: „Die grönländische Jugend mochte uns gern zum Besten haben. Dagegen
konnten wir uns rühmen, daß wir auf Schlittschuhen oder Schneeschuhen
laufen konnten -- -- --“

Das Schneeschuhlaufen wird jetzt theils von den dort ansässigen Dänen,
theils von den Eskimos betrieben, aber zu etwas besonderem hat es bis
dahin Niemand gebracht. Die Schneeschuhe haben dort niemals festen
Fuß gefaßt, sie werden mehr als Spielzeug zum Zeitvertreib in müßigen
Stunden betrachtet. Nur selten werden sie während des Winters zur Jagd
benutzt. Der Eskimo, der sich hauptsächlich auf der See aufhält, hat
den großen Vortheil nicht begriffen, der ihm dadurch erwachsen kann,
und es geschieht nur ganz ausnahmsweise, daß er ein Rennthier auf
Schneeschuhen verfolgt; einigemale kam es allerdings vor, während ich
mich in Grönland aufhielt.

In Amerika kannte man die Schneeschuhe ursprünglich nicht, in
letzterer Zeit sind sie freilich von den Skandinaviern in mehreren
Gegenden, besonders in den nördlichen, eingeführt worden. So erzählte
mir der bekannte norwegische Reisende, Kapitän +A. Jakobsen+, daß
„die Bevölkerung in einem Theil der Rocky-Mountains, wo im Winter
viel Schnee fällt, und besonders die Bergleute, seit langer Zeit
Schneeschuhe verwendet haben, hauptsächlich zur Beförderung der Post
zwischen entlegenen Bergwerkscompagnien und Dörfern. Die meisten dieser
Postboten sollen Skandinavier sein.“

In Wisconsin, Minnesota und den benachbarten Gegenden ist das
Schneeschuhlaufen durch Norweger eingeführt, an manchen Orten werden
sogar jährliche Wettrennen veranstaltet. In Kalifornien sind die
Schneeschuhe jetzt ebenfalls bekannt und eingebürgert.

Auch für die Eisenbahnanlagen in den Cordilleras zwischen Argentinien
und Chili suchte man vor kurzem norwegische Schneeschuhläufer.[15]

Im Kriege haben die Schneeschuhe in Skandinavien häufig Verwendung
gefunden. Das ist ja auch ganz selbstverständlich, da die Schneeschuhe
auf einem Winterfeldzug natürlich große Vortheile bieten müssen.

+Olaus Magni+ stellt auf seiner berühmten Karte über den Norden aus dem
Jahre 1539 die Finnen auf Schneeschuhen mit den Helsingern zu König
+Frodes+ Zeit kriegführend dar.

Der Erste, der sie bei der Kriegsführung verwandt hat, ist aller
Wahrscheinlichkeit nach König +Sverre+, und es gereicht seinem
Feldherrntalent sehr zur Ehre, daß er es verstanden hat, sie zu
benutzen, ja daß er sogar unter den Bewohnern der Hochlande ein
Schneeschuhläufercorps gebildet hat. In der Schlacht bei Oslo, im
März 1200, befiehlt König +Sverre+ bei der Musterung auf dem Eise
+Paul Belte+ und seiner Hochländerschar, ihre Schneeschuhe und
Stäbe zu ergreifen, die Schneeschuhe zu besteigen und die Ryenberge
hinaufzulaufen, um die Stärke des Feindes zu untersuchen. Aus den
Worten geht deutlich hervor, daß diese Schar mit Schneeschuhen zum
Kriegsgebrauch ausgerüstet gewesen ist. (Sverres-Saga Kap. 163.)

Seit jener Zeit sind die Schneeschuhe gewiß sehr häufig von den
Skandinaviern während ihrer Kriegszüge benutzt worden. Aber auch
hier tauchen die Lappen wieder auf; ich will nur an jenen Lappen aus
Finnmarken erinnern, der vor ungefähr 400 Jahren -- so lautet die
Erzählung -- gezwungen wurde, einer Abtheilung Russen als Wegweiser
über das Gebirge zu dienen. Es war in der Nacht und er zog auf
Schneeschuhen, die Fackel in der Hand, vor dem Feinde her, der in von
Rennthieren gezogenen Schlitten hinter ihm her kam. In blitzschneller
Fahrt eilte er in der Finsterniß der Nacht einem Abgrunde zu, die
Rennthiere folgten ihm im vollen Galopp, und indem er selber voran ging
und freiwillig den Todessprung that, zog er das ganze Gefolge nach sich
in die Tiefe. Einer anderen Sage zufolge soll er am Rande des Abgrundes
Halt gemacht und nur die Fackel hinab geworfen haben, worauf denn die
Russen, die dem Fackelschein folgten, in der Tiefe verschwanden. Noch
eine andere Sage berichtet, daß es keine Russen in Schlitten, sondern
Schweden auf Schneeschuhen waren, die er in das Verderben führte. Diese
Sage wird im Tysfjord in Nordland in die Zeit +Friedrich III.+ (ca.
1650) verlegt, in Snaasen im Drontheimschen in die Kriege mit +Karl
XII.+ Auch aus Solör kennt man die Sage. Wie dem auch sein mag, --
überall ist es ein +Lappe+ auf Schneeschuhen, der in den verschiedenen
Formen dieser Geschichte wiederkehrt.

Hieraus ist zu ersehen, daß die Lappen auch zu jener Zeit als
Schneeschuhläufer großes Ansehen genossen.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden in Norwegen besondere
Schneeschuhläufer-Compagnien errichtet, die jeden Winter ihre
Uebungen abhielten, und die Erzählung von der Oesterdalschen
Schneeschuhläufer-Compagnie wird sicher jedem Norweger bekannt sein.

Außer in Skandinavien sind die Schneeschuhe in +Finnland+ seit den
ältesten Zeiten gebräuchlich gewesen. Dies geht ganz deutlich aus dem
dreizehnten Gesang in der alten finnischen Dichtung Kalevala hervor,
wo +Lemminkäinens+ Jagd auf Schneeschuhen auf den Hiisihirsch in sehr
poetischer Weise geschildert wird. Der Anfang lautet:

    „Jetzt mein Spieß ist scharf und zugespitzet,
    Alle meine Pfeile sind bereit,
    Auch gespannt die Sehne meines Bogens,
    Nur die Schneeschuh’ fellbekleidet
    Fehlen mir noch für die Fahrt.“

Sehr bezeichnend ist es auch, daß hier von „fellbekleideten
Schneeschuhen“ (im Plural) die Rede ist und daß Lemminkäinen -- wie
im zweiten Vers geschildert wird -- zu einem Lappen, „zu dem schönen
Käuppi aus Lappland“ geht, um sich von ihm ein Paar gute Schneeschuhe
anfertigen zu lassen. Hiernach scheint es also, daß auch die Finnen die
Lappen zu Lehrmeistern gehabt haben.

Diese Dichtung ist in ihrer jetzigen Form von verhältnißmäßig spätem
Datum, doch stammt sie möglicherweise schon aus dem 12. und 13.
Jahrhundert.

In +Rußland+ finden wir die Schneeschuhe außer bei den Großrussen, den
Letten und einem Theil der Polen auch bei sämtlichen finnischen Völkern
bis an die Wolga hinab. Bei den +Permiern+ werden sie von +Herbenstein+
im Jahre 1549 erwähnt (~Rerum moscov. commentaria~).

In +Asien+ finden wir die Schneeschuhe über den ganzen nördlichen
Theil, nördlich von dem großen Steppen- und Wüstenzug -- bei sämtlichen
Völkern. Nach den Mittheilungen, die mir Kapitän +A. Jakobsen+ gemacht
hat, werden sie bei den Golden, Giljaken und Ainos merkwürdigerweise
hauptsächlich bei der Fahrt auf Hundeschlitten benutzt.[16] Der Kojure
(Kutscher) sitzt quer über seinem schmalen Schlitten und stützt sich
mit den Beinen, unter denen er Schneeschuhe hat.

+Jakobsens+ Kutscher erzählte ihm, daß die Tungusen sich der
Schneeschuhe zuweilen bedienen, daß sie sich, auf denselben stehend,
von Rennthieren ziehen lassen, indem sie in der linken Hand einen
Riemen halten, der an dem Rennthier befestigt ist, während sie mit
der Rechten steuern. Etwas Aehnliches muß nach der japanischen
Zeichnung, die Nordenskjöld in seiner Vega-Reise (II. Band, Seite 107)
wiedergiebt, auch bei den Ainos Sitte sein.[17] Wie mir Professor
+Fries+ erzählt, sollen auch die Lappen die Rennthiere zuweilen auf
diese Weise benutzen (er hat in seinem Buch „Laila“ eine Schilderung
davon gegeben), doch kann -- wie man ihm sagte, -- dies Kunststück nur
von den tüchtigsten und gewandtesten Schneeschuhläufern ausgeführt
werden.

Wie man sieht, führen die Aufklärungen über das Schneeschuhlaufen,
die wir in der Litteratur finden, nicht sehr weit zurück. Etwas
weiter gelangt man, wenn man seine Zuflucht zu der vergleichenden
sprachwissenschaftlichen Methode nimmt. Wenn sich derselbe Name für
Schneeschuhe bei jetzt weit voneinander getrennt lebenden Völkerstämmen
findet, muß eine Wahrscheinlichkeit vorhanden sein, daß diese
Völkerstämme einmal nahe bei einander wohnten, oder sogar +ein+ Volk
gebildet haben.

Mein Freund, der Bibliotheksamanuensis +Andr. M. Hansen+, hat mir in
dieser Hinsicht einen nicht zu unterschätzenden Beistand geleistet,
er hat u. a. in sehr schwer zugänglichen Schriften nach den Namen
geforscht, welche die Schneeschuhe in den Sprachen der verschiedenen
nordasiatischen und nordeuropäischen Völker haben. Diese Untersuchungen
haben durch bloßes Zusammenstellen der Namen zu sehr interessanten,
wenn auch nicht entscheidenden Resultaten geführt, die ich gern in
ihrer ganzen Ausdehnung hier wiedergeben möchte; das Thema ist aber
von zu specieller Natur, deswegen will ich mich damit begnügen, das
Wichtigste dieser Untersuchungen anzuführen.

Wir haben oben gesehen, wie unsere alten mythologischen Berichte und
Sagen darauf schließen lassen, daß wir gleich anderen europäischen
Völkern die Kunst des Schneeschuhlaufens wahrscheinlich von den
Lappen erlernt haben. Untersuchen wir nun aber unsere Benennungen für
Schneeschuhe, so können wir nichts Lappisches daran finden; +Ski+ sowie
+Aander+ (schwedisch +Skida+ und +Andor+) müssen beide echt arischen
Ursprungs sein, sie sind wahrscheinlich gleichzeitig mit der Einführung
der Schneeschuhe von alten Wortstämmen abgeleitet worden.

Wenden wir uns anderen arischen Sprachen zu, so finden wir auf russisch
+lysja+, auf polnisch +lyzwa+, auf lettisch +lushes+. Auch diese
Wörter müssen arischen Ursprungs sein, wenngleich sie auch nichts
mit den skandinavischen Benennungen gemein haben. In Bezug auf den
skandinavischen Zusammenhang der Schneeschuhbenennungen kommen wir
mit diesen arischen Sprachen kaum weiter als bis zu einem negativen
Resultat.

Wir sehen uns da der schwierigen Aufgabe gegenübergestellt,
die Schneeschuhe auf den unbekannten und unsicheren Wegen der
finnisch-ugrischen und sibirischen Sprachen zu verfolgen.

Beginnen wir bei unseren Nachbarn, den +Lappen+, so finden wir bei
ihnen die Worte +savek+ (fellbekleideter Schneeschuh) und +golas+
(längerer, unbekleideter Schneeschuh).

Die +Finnen+ haben mehr Benennungen: +hiiden+ und +suksi+ für
Schneeschuhe im allgemeinen; +lyly+ und +kalhu+ für die linken,
+sivakka+ und +potasma+ für die rechten Schneeschuhe.

Hiervon ist +lyly+ dasselbe Wort, was für Fichtenholz gebraucht wird,
+potasma+ bedeutet dasjenige, womit man ausschlägt, es sind dies also
abgeleitete Worte und infolgedessen von wenig Bedeutung für unser
Thema. +Kalhu+ ist regelrecht aus dem lappischen +golas+ umgebildet,
das seinerseits wahrscheinlich dem russischen +golysja+ entlehnt ist,
da das Wort unbekleidete (golo) Schneeschuhe (lysja) bedeutet. Nach
dieser Entlehnung zu urtheilen, könnte es den Anschein haben, als ob
die Lappen die Benutzung der unbekleideten Schneeschuhe von den Russen
erlernt hätten, aber dies ist doch wohl sehr zweifelhaft. +Savek+
und +sivakka+ gehören zweifelsohne zusammen und sind wahrscheinlich
erweiterte Formen von suk(si), +welches die einzige ursprüngliche
finnische Benennung für Schneeschuhe ist+.

Diese Annahme erhält eine Bestätigung, wenn wir uns südwärts zu den
übrigen Zweigen der baltischen Finnen zwischen dem Ladoga und Lithauen
wenden, zu den +Voten+, +Vespen+, +Esthen+ und +Liven+, bei denen wir
die Schneeschuhbenennungen +suhsi+, +suksi+, +suks+ und +soks+ finden.

Daß sich das Wort nach verschiedener Richtung hin erweitert hat,
spricht dafür, daß es das gemeinsame Erbe aus einer Zeit ist, in
welcher diese Finnen +ein+ Volk bildeten, aber die Möglichkeit einer
späteren Entlehnung ist doch nicht ganz ausgeschlossen.

Wenden wir uns indessen weiter nach Osten, so gelangen wir durch
ungefähr 1000 Kilometer russischer Bevölkerung zu den nächsten
Verwandten der Ostsee-Finnen, den Wolga-Bulgaren. Wenn wir hier bei
den +Mordwinen+ neben der Form +tokh+ dasselbe +soks+ wiedertreffen,
so muß die Annahme berechtigt erscheinen, daß die +Soks+ (Ski) bereits
gebraucht wurden, als die Wolga-Bulgaren und die baltischen Finnen noch
nicht getrennt waren.

Wir können auch ganz sicher annehmen, daß +tokh+ dasselbe Wort ist wie
+soks+, da s und t bekanntlich eine große Neigung haben, ineinander
überzugehen. Wahrscheinlich ist es wohl auch, daß der Stamm +kok+ in
+koklaske+ -- der Name für Schneeschuhe bei den +Tscheremissen+, dem
anderen Zweig der Wolga-Bulgaren, -- den gleichen Stamm hat wie tokh.
Diese Möglichkeit wird weiter unten bekräftigt werden.

Damit haben wir schon ein wahrscheinliches Alter von mindestens 1700
Jahren für die Schneeschuhe nachgewiesen, indem nämlich die gemeinsamen
entlehnten Benennungen aus der Zeit, als diese Stämme zusammen waren,
älter sein müssen, als altnordische und gothische.[18]

Mit völliger Bestimmtheit können wir jedoch die Möglichkeit einer
in späterer Zeit geschehenen Entlehnung noch nicht zurückweisen. Die
großrussische Bevölkerung, welche die Trennung bildet, besteht im
wesentlichen aus Finnen, die erst in den letzten 600 Jahren slavisirt
sind, und die Wolga war schon zu sehr früher Zeit ein stark befahrener
Verkehrsweg. Verfolgen wir indessen den Stammbaum weiter aufwärts,
so finden wir bei dem nächsten Seitenzweig, dem +permischen+ oder
+bjarmischen+, u. a. scheinbar isolirten Schneeschuhbenennungen
bekannte Stämme in Namen wie +artakh+ bei den +Permiern+, wo der Stamm
+takh+ ganz deutlich dasselbe ist wie die mordwinsche Zweigform +tokh+
und +kok+ bei den +Syrjänern+ in dem Worte +kört-kok+. Dies kok ist
dasselbe wie dasjenige, welches wir in koklaske bei den +Tscheremissen+
fanden.

[Illustration: Schneeschuhlauf im alten Stil. (Zeichnung von E.
Nielsen.)]

Hierdurch sind wir wieder eine bedeutende Strecke weiter hinauf in die
Urzeit des finnischen Stammes gelangt; bedeutend weiter aber kommen
wir, wenn wir tief im Innern Sibiriens bei den Ostjaken, die dem
+ugrischen+ Hauptzweig angehören, abermals auf das Wort +tokh+ stoßen.

Hiernach mußten die Schneeschuhe also schon in Asien bekannt sein,
ehe sich der asiatische Völkerstamm in +Finnen+ und +Ugrer+ getheilt
hatte, -- und dies muß lange vor unserer Zeitrechnung geschehen sein.

Weiter zurück können uns die Untersuchungen der finnisch-ugrischen
Sprachen kaum führen. Wenn wir indessen unsere Wanderung östlich
über Sibiriens Schneefelder fortsetzen, so stoßen wir auf viele
fremdklingende Benennungen für die Schneeschuhe, bis wir plötzlich bei
den beiden samojedischen Stämmen, den +Karagassen+ und +Sojoten+ im
südlichen Sibirien, die Formen +hok+ und +kok+ wiederfinden. Gehen wir
noch weiter östlich, so treffen wir bei den Tungusen im östlichsten
Sibirien wohlbekannte Wortstämme in +suksylta+ oder +soksalta+, bei den
+Golden+, +suksildä+ bei den +Manikow-Tungusen+ und +huksille+ bei den
+Kondogiri-Tungusen+. In dem ersten Theil dieser Wörter: +suk+ oder
+sok+ (das bei dem letztgenannten Völkerstamm in huk übergegangen ist),
werden wir ja, wie +Castrén+ bereits angedeutet hat, direkt auf +suks+
zurückgeführt, auf das Wort, mit welchem wir unsere Wanderung bei den
baltischen Finnen begannen. Hier, wenn nicht schon früher, erhalten wir
die direkte Bekräftigung, daß +suk+ dasselbe Wort sein kann wie +kok+,
indem wir sehen, daß suk in suksildä, in huk, in huksille übergegangen
ist; bei den Karagassen fanden wir außerdem die Form hok und bei den
Sojoten kok, und damit ist ja der Uebergang gegeben, denn es unterliegt
keinem Zweifel, daß diese Formen dieselben sind.[19]

Wie aber ist es zu erklären, daß so weitgetrennte Völkerstämme, wie die
finnischen Stämme an der Ostsee und die tungusischen Stämme am Stillen
Ocean, die durch ein Viertel des Umkreises der Erde getrennt sind,
dieselbe Benennung für die Schneeschuhe haben?

So schwierig die Beantwortung dieser Frage auf den ersten Blick
erscheinen mag, so liegt doch die Erklärung nahe genug, wenn man
die Wanderungen dieser beiden Hauptstämme ins Auge faßt. Beide
müssen nämlich, so weit wir wissen, aus der Gegend um Baikal und dem
Altaigebirge gekommen sein. Aus dem Umstande, daß man bei den Quellen
des Jenisei und des Ob eine ganze Reihe von Ortsnamen findet, die
sich nur aus dem finnischen Wörterschatz erklären lassen, hat man
geschlossen, daß die Finnen hier gewohnt haben müssen. Die Tungusen
ihrerseits sind von den Jakuten und Mongolen östlich und nördlich von
ihrem ursprünglichen Wohnsitz vertrieben worden.

Hierdurch werden wir also direkt in eine ferne Zeit zurückgeführt,
in der die finnisch-ugrischen und die tungusischen Stämme in der
Gegend des Altaigebirges und bei Baikal Nachbarn waren. Hier müssen
wir deswegen aller Wahrscheinlichkeit nach den Ursprung von +suks+
für Schneeschuh suchen, hier haben diese Völker jedenfalls die
erste Anwendung derselben gelernt. Hier wohnen auch noch heutzutage
Karagassen und Sojoten, deren Bezeichnungen für Schneeschuhe dem
entsprechend sind.

Hiermit haben wir die größten der Hauptgruppen untersucht, auf welche
die Benennungen der Schneeschuhe zurückgeführt werden können. Gehen wir
indessen weiter und vergleichen wir die übrigen sibirischen Namen für
Schneeschuhe, so werden wir noch zwei Gruppen finden, die uns beide auf
denselben Ausgangspunkt zurückführen.

Die eine dieser Gruppen ist hauptsächlich bei den +Samojeden+
am Ob in den Wörtern +tolds+, +told+, +tolde+ und +toldö+
repräsentirt,[20] dieselben Wörter finden wir in dem goldischen
+sok-solta+ oder +suk-sylta+ und dadurch in dem tungusischen Wort
+suk-sildä+ und +huk-sille+, ja wahrscheinlich sogar in dem +a-sil+
der Jenisei-Ostjaken wieder. +Solta+ kann zu +tolda+ verändert sein
und dies wieder zu +toldö+, während +sylta+ in +sildä+ und weiter in
+sille+ und +sil+ übergegangen ist.

Um uns zu erklären, wie die so weit voneinander getrennten Stämme der
Ostjaksamojeden und Tungusen dieselbe Benennung für Schneeschuhe haben
können, müssen wir uns wieder nach dem Altaigebirge und der Gegend um
Baikal wenden, da man annimmt, daß alle Samojeden früher auf diesem
Wege zu ihren jetzigen Aufenthaltsstätten gelangt sind.

Die dritte Hauptgruppe für Schneeschuhnamen bilden die Worte +sana+
und +hana+ bei den um den Baikalsee ansässigen +Burjäten+, +sana+ bei
den halbsamojedischen +Koibalen+ an den sanischen Bergen und +taña+
bei den +Tassoo-Samojeden+ in der Nähe der Mündung des Ob.[21] Um eine
Erklärung zu finden, wie diese gleichfalls fern voneinander lebenden
Völker, die auch zwei ganz verschiedenen Völkerstämmen angehören, zu
demselben Namen für Schneeschuhe gekommen sind, wenden wir uns zum
drittenmale jener Gegend zu, wo die Burjäten noch heute wohnen.

Außer den bereits erwähnten Namen für Schneeschuhe giebt es bei den
sibirischen Völkern noch einige wenige und, wie es scheint, isolirter
dastehende Benennungen. Es ist nicht möglich gewesen, wenigstens
nicht mit irgend welcher Sicherheit, dieselben auf einen gemeinsamen
Ursprung zurückzuführen, und deshalb wollen wir hier nicht näher
darauf eingehen; man wird sie alle auf der Karte sehen können. Zum
größten Theil gehören diese Benennungen Völkern an, die in sprachlicher
Hinsicht isolirt stehen, und von deren Stammverhältnissen und
Wanderungen wir nichts oder doch nur wenig Bestimmtes wissen.

Wenn wir nun indessen, wie oben nachgewiesen ist, finden, daß die
meisten Benennungen der Schneeschuhe in drei Hauptgruppen getheilt und
auf einen von drei Urstämmen oder Wurzeln zurückgeführt werden können,
wenn wir ferner, indem wir die Erklärung für die Ausbreitung dieser
drei Hauptgruppen suchen, immer wieder in dieselbe Gegend zurückgeführt
werden, aus der alle drei ursprünglich stammen müssen, da muß es uns
scheinen, daß wir kaum irren können, wenn wir annehmen, daß die Völker,
die sich jetzt dieser Wörter bedienen, sie ursprünglich gleichzeitig
mit dem Gebrauch der Schneeschuhe kennen gelernt haben, und zwar
ungefähr in derselben Gegend. Von hier aus haben sie die Schneeschuhe
dann mit verschiedenen Wandlungen an ihre jetzigen Wohnorte geführt.

Aus der Geschichte ersehen wir ferner, daß die arischen Völker, der
größte der Völkerstämme, deren Benennung für Schneeschuhe keiner
der drei Hauptgruppen angehört, erst in verhältnißmäßig später Zeit
die Kunst des Schneeschuhlaufens von den Lappen oder Finnen gelernt
haben, die ihrerseits wieder einen Hauptzweig der Völker bilden,
welche die ursprünglichen Wörter haben. Außerdem sahen wir, daß ihre
Benennungen für die Schneeschuhe neue Wörter arischen Ursprungs sind.
Da muß denn die Schlußfolgerung nahe liegen, daß die Schneeschuhe ihre
jetzige Verbreitung über die Erde verschiedenen Völkern zu verdanken
haben, welche die Benutzung in derselben Gegend erlernten, und die
dann auf ihren Wanderungen nach verschiedenen Richtungen hin die
Schneeschuhe mitgenommen und weiter verbreitet haben. Dieser gemeinsame
Ausgangspunkt aber ist die Gegend um das Altaigebirge und von Baikal.

Daß eine Grenzgegend wie diese das Geburtsland der Schneeschuhe sein
sollte, erscheint schon aus dem Grunde wahrscheinlich, weil die Völker,
als sie von Süden nach Norden zogen, wahrscheinlich dort, wo der Winter
anfängt, lang zu werden, und wo der Schnee tief liegt, Mittel erfanden,
über die Schneefelder zu gelangen, um nicht auf ihrer Wanderung gehemmt
oder während des Winters eingeschlossen zu werden.

Zu welcher Zeit die Schneeschuhe erfunden wurden, davon können
wir uns nicht einmal annähernd eine Vorstellung machen, von den
Sprachverhältnissen ist uns ebenfalls nichts bekannt, nur so viel
wissen wir, daß es sehr lange her sein muß.

Schon im Anfang unserer Zeitrechnung wohnten nach +Tacitus+ Finnen an
der Ostsee. Es ist klar, daß die Wanderung des Stammes nach Westen
zu sehr lange gewährt hat, während sich ein Zweig nach dem anderen
abtrennte, und die Zeit, in der die finnisch-ugrischen Völker noch tief
in der Mitte von Sibirien bei einander wohnten, ist sicher lange vor
der historischen Zeitrechnung zu suchen.

Wir müssen aber noch viel weiter zurückgehen, wenn wir die Zeit suchen
wollen, in der die verschiedenen Hauptstämme, der finnisch-ugrische,
der samojedische, der echt mongolische, der tungusische (die gewöhnlich
unter der gemeinsamen Bezeichnung mongolische Rasse zusammengefaßt
werden), Nachbarvölker waren oder gar +einen+ Stamm bildeten; hier
kommen wir an einen Zeitraum, den auch nur annähernd zu messen
uns jegliches Mittel fehlt. Aber bereits damals sollen also die
Schneeschuhe bekannt gewesen sein.

Wir Norweger sind bis dahin sehr geneigt gewesen, unser eigenes Land
als Wiege und Heim unseres liebsten Sports, des Schneeschuhlaufens,
zu betrachten. Eine mehr wissenschaftliche Untersuchung des Themas,
wie sie hier zum erstenmale in größerer Ausdehnung unternommen ist,
zwingt uns indessen zu der Annahme der vielleicht nicht willkommenen
Thatsache, daß wir zu den jüngeren der zahlreichen Stämme gehören,
welche diesen Sport aufgenommen haben und ihn betreiben, und daß wir
am äußersten Rande des unermeßlichen Striches liegen, auf welchem die
Benutzung der Schneeschuhe sogar noch fast allgemeiner zu sein scheint
als bei uns. Aber wenngleich wir das Schneeschuhlaufen erst spät
erlernt haben, so können wir uns doch damit trösten, daß wir gelehrig
gewesen sind, und um so besser ist es, daß wir diesen Sport zu einer
Blüthe gebracht haben, wie kein anderes Volk es vermochte.

+Wie+ aber sah denn der erste Schneeschuh aus? Diese Frage hat sich
gewiß Mancher gestellt, hat sie aber von sich gewiesen, in der Meinung,
daß sie nicht zu lösen sei, und wenn wir das ehrwürdige Alter der
Schneeschuhe in Betracht ziehen, mag es gar hoffnungslos erscheinen,
über die Beantwortung dieser Frage nachzugrübeln. Man kann nur die
wenigen Spuren verfolgen, die zu entdecken sind.

Die Kulturgeschichte hat eine ganze Reihe von Beispielen aufzuweisen,
daß sich Geräthschaften und dergl. nach Gesetzen entwickeln, die
vollkommen denjenigen entsprechen, welche die Entwickelung im Thier-
und Pflanzenreich beherrschen.

Nun ist es ein allgemein anerkanntes Gesetz in der Biologie, daß sich
die vollkommensten lebenden Formen dort entwickelt haben, wo große,
zusammenhängende Landstrecken den Kampf ums Dasein begünstigten,
während einfachere, primitivere Formen sich in isolirten oder
entlegeneren Gegenden erhalten oder selbständig entwickeln. Ein
ähnliches Gesetz muß auch in der Entwickelung der Geräthschaften
wiederzufinden sein; wir wollen versuchen, ob es sich nicht auch in den
Entwickelungsverhältnissen der Schneeschuhe nachweisen läßt.

Das Bedürfniß, über tiefen und losen Schnee hinwegzukommen, hat die
verschiedenen Einrichtungen ins Leben gerufen, die das Einsinken
verhindern sollen. Dort, wo der Schnee am tiefsten und am längsten
liegt, wird das Bedürfniß am fühlbarsten, wird man am eifrigsten um ein
Hülfsmittel bemüht sein.

Die größte, zusammenhängende Landstrecke, in welcher ein langer
Schneewinter herrscht, ist der nördliche Theil der alten Welt. Hier ist
es denn auch, wo wir die vollkommenste Entwickelung der Geräthschaften
finden, welche dazu dienen, über den Schnee hinwegzugleiten -- nämlich
der +Schneeschuhe+. Bei näherer Betrachtung finden wir, daß die Gegend,
in welche wir aus anderen Gründen den Ursprung der Schneeschuhe verlegt
haben, vollständig central in dieser Landstrecke liegt, die ziemlich
genau von den Jahresisothermen +6° C. abgegrenzt wird. Wie wir früher
gesehen haben, ist es nicht unmöglich, daß die Völker hier zuerst bei
ihrer Verbreitung über die Erde auf Naturverhältnisse stießen, welche
Mittel, um über die Schneeflächen zu gelangen, erforderlich machten.

Der entsprechende Strich in Nordamerika hat keine Schneeschuhe
hervorgebracht. Dies sekundäre Entwickelungscentrum hat dagegen einen
selbständigen Typus geschaffen oder vielmehr aus unvollständigeren
aus der alten Welt stammenden Urformen entwickelt -- nämlich den
+indianischen+ oder +kanadischen Schneeschuh+, der mit seinen
eleganten, harmonischen Formen von vielen, wenngleich irrthümlich,
unserem Schneeschuh (Ski) völlig gleichgestellt, ja sogar demselben oft
vorgezogen wird.

Man wird wenig Aussicht auf Erfolg haben, wenn man nach Formen, welche
den Urtypen des Ski oder Schneeschuhes gleichen, in den Gegenden sucht,
wo diese entwickelt sind. Gleich dem Naturforscher muß man sich, um
dergleichen Formen zu finden, weit lieber den isolirten Gebieten
zuwenden. Wir müssen uns auf Gebirgszüge begeben, die außerhalb des
Schneeschuhstriches liegen, die aber bis an die Temperaturgrenze des
Schneeschuhes reichen. Hier finden wir verschiedene Arten von +Trugern+.

In der alten Welt kennt man diese Truger aus Tibet, aus Armenien,
dem Kaukasus und verschiedenen Orten in Europa, und innerhalb des
Schneeschuhstriches findet man diese primitive Form neben dem Ski u. a.
in Skandinavien und bei den +Tschukschenen+ und Ainos (siehe Seite 96).

Schon in der klassischen Litteratur werden primitive Formen von Trugern
erwähnt. Im Jahre 400 v. Chr. lernte +Xenophon+ (wie bereits in der
Anmerkung S. 42 erwähnt), von den Eingeborenen in den armenischen
Bergen, Säcke (σακιά) über die Beine der Pferde zu binden, „da diese
sonst bis an den Bauch versanken“. Der Schnee lag klaftertief (Anabasis
IV., 5). -- +Strabo+ erzählt ungefähr i. J. 20 v. Chr. (XI., 5),
daß „die Bergbewohner am südlichen Abhang des Kaukasus sich Platten
(πλατεῖα) gleich Tamburins von ungegerbtem Ochsenfell mit Nägeln
versehen unter die Füße binden“. Das sollen sie auch noch jetzt thun.
In Armenien werden (nach demselben Schriftsteller), auch „runde
Scheiben (τροχίσκοι) von Holz mit Nägeln verwendet“. Nach +Suidas+
soll +Arrianos+ (ungefähr i. J. 140 n. Chr.) in einem jetzt verlorenen
Werk erzählt haben, „daß Brutios während eines Marsches in den Bergen
(Armenien?), wo der Schnee 17 Fuß tief lag, den Bewohnern der Gegend,
die an einen Verkehr während des Winters gewöhnt waren, befahl, vor dem
Heere herzugehen. Da banden sie runde Geräthe von Weiden (κύκλοι ἐκ
λύγων) unter die Füße.“

In diesen Schilderungen von antiken Trugern haben wir bereits
Andeutungen, die uns auf den Weg zu der Entwickelungsgeschichte der
Schneeschuhe (Ski) führen können.

Es handelt sich darum, daß man sich oben auf dem Schnee hält, indem man
die Sohle, mit der man auftritt, vergrößert. Das Umbinden der Beine
mit Säcken wurde wohl, falls diese Stelle bei +Xenophon+ richtig ist,
jedenfalls doch nur bei Thieren angewendet; die Tungusen und andere
Polarvölker pflegen das bei ihren Schlittenhunden zu thun, um sie gegen
Verletzungen durch den harten Schnee zu schützen. Am nächsten scheint
es zu liegen, daß man sich hölzerne Scheiben unter die Füße bindet. Um
den Gang zu erleichtern, werden diese dann länglich gemacht.

Von dieser länglichen Form kann die Entwickelung zwei Richtungen
einschlagen. +Entweder+ geht man von der ganz aus Holz bestehenden
Platte zu dem leichteren Weidengeflecht über, so wie +Arrianos+ es
schildert -- und damit haben wir gleich die norwegischen Truger
und wahrscheinlich den Ausgangspunkt, von welchem die Truger in
ihrer Allgemeinheit sich entwickelt haben, wahrscheinlich auch die
indianischen, wenn nicht ähnliche Einrichtungen selbständig für
sich an verschiedenen Gegenden der Erde erfunden sind -- +oder+ --
und das lag nahe in einer Zeit, in der man Thierhäute weit häufiger
verwandte als heute, -- man überzog die Platten mit Leder, um sie
stärker zu machen. Dies mag dann zuweilen ungegerbte Ochsenhaut mit
Eisnägeln gewesen sein, wie +Strabo+ es aus dem Kaukasus berichtet;
denn auf steilen Felsabhängen kam es sehr darauf an, daß man nicht
ausglitt. Bei weniger steilen Abhängen und auf der Ebene hat es
sich dann bald herausgestellt, daß es weit vortheilhafter war, die
Truger zum Gleiten einzurichten; da lag es denn sehr nahe, sie von
unterwärts mit Fell zu bekleiden, an dem die Haare noch festsaßen und,
indem sie sich umlegten, eine Gleitfläche bildeten. Man liest oft in
Reisebeschreibungen, daß die Naturvölker sich der Thierfelle bedienen,
um bergab zu fahren. +Strabo+ berichtet dies aus dem Kaukasus. Die
Indianer pflegen z. B. Fell unter ihre Truger zu legen, wenn es bergab
geht. Die Bezeichnung, welche die Eskimos für Schneeschuhe (Ski) haben,
bedeutet wörtlich „Fell zum Gleiten“ (nach +Kleinschmidt+). Ihre Ski
sind fast immer mit Fell bekleidet.

+Aber von dem Augenblick an, wo die Bewegung ins Gleiten übergeht,
haben sich die Truger zu Ski entwickelt.+

Um eine Stütze für die Annahme dieser Entwickelungsweise der Ski zu
erhalten, müssen wir untersuchen, ob es möglicherweise noch Skiformen
giebt, die durch ihre größere Breite und verhältnißmäßig geringe Länge
an die Trugerform erinnern.

Wenden wir uns ostwärts nach Sibirien, so werden, wie Kapitän +A.
Jakobsen+ mittheilt, die Skiformen immer kürzer und breiter. Ganz im
Osten, bei den Golden und Giljaken, sind sie nur 1,40-1,60 ~m~ lang und
16 ~cm~ breit.[22] Das Verhältniß zwischen der Länge und der Breite ist
folglich 9 : 1. Der Sprung bis zu langen, fellbekleideten Trugern ist
durchaus nicht groß, jedenfalls nicht größer als zum Beispiel bis zu
Drontheimschen oder Österdalschen Ski mit einem Verhältniß bis zu
30 : 1.

Einen deutlichen Eindruck, wie klein der Sprung vom Truger bis zum
Ski sein kann, erhält man, wenn man die Zeichnungen betrachtet, die
+Nordenskjöld+ in seiner Beschreibung der Vegareise (B. II., S. 106)
von einem Truge und einem Ski der +Tschukschen+ giebt. Der Uebergang in
der Form von dem einen bis zum anderen ist nicht groß; man mache den
Truge ganz von Holz und beziehe ihn mit Fell, und man hat einen Ski.

Geht man nach der amerikanischen Seite der Behringsstraße hinüber,
so findet man auch bei den Alaschka-Indianern lange, schmale Truger,
ähnlich denen der +Tschukschen+, die auffallend an die kurzen, kleinen
Ski erinnern, die man bei vielen ostsibirischen Völkern findet. Ski
findet man dagegen nicht bei den amerikanischen Völkern, falls sie
nicht später eingeführt worden sind.

Wie dies Schmalerwerden und dies Verlängern nach der Skiform zu im
westlichen Amerika zu erklären ist, und ob es irgend einer indirekten
Verbindung mit den Ski oder einer Beeinflussung derselben zuzuschreiben
ist, darüber wage ich mich im Augenblick nicht auszusprechen.

Im westlichen Sibirien gleichen die Ski in ihrer Form mehr den
gewöhnlichen europäischen Ski. Im „Museum für Völkerkunde“ in Berlin
hat man ein Paar Samojeden-Ski (mit Seehundsfell bezogen), die nach
einer von Kapitän +A. Jakobsen+ vorgenommenen Messung 2,20 ~m~ lang und
15 ~cm~ breit sind.[23]

Die älteste zuverlässige Zeichnung[24] von norwegischen Ski, die
wir besitzen, ist die von +Stephanus+ in seiner Ausgabe des Saxo i.
J. 1644. Diese Zeichnung, von der ich hier eine Kopie wiedergebe,
ist äußerst interessant, weil sie in hohem Grade an die Abbildungen
erinnert, die wir von tungusischen und ostsibirischen Ski haben. Sie
stellt möglicherweise eine jetzt verschwundene Skiform dar, die der
ursprünglichen bedeutend näher gestanden hat als die jetzige. Zuweilen
kann man sogar jetzt noch, besonders in den entlegneren Gegenden
Norwegens, eigenthümliche und scheinbar veraltete Formen antreffen.

[Illustration: Alter norwegischer Ski. (Nach einer Zeichnung aus dem
Jahre 1644.)]

Die fellbekleideten Ski scheinen demnach die ursprünglichste Form
gewesen zu sein; sie ist auch über ganz Sibirien verbreitet und scheint
dort die gebräuchlichste zu sein. In den ältesten norwegischen Sagen
und Skaldengedichten bedient man sich, wie wir bereits gesehen haben,
ursprünglich nur des Wortes Aander,[25] das jetzt zur Bezeichnung der
kurzen, fellbekleideten Ski der Lappen und Nordländer verwendet wird.

Nach dem russischen Ableitungswort +golos+ zu urtheilen, könnte es,
wie bereits bemerkt wurde, den Anschein haben, als ob die Lappen die
Benutzung der Ski ohne Fell erst von den Russen erlernt hätten. Dies
ist jedoch nicht wahrscheinlich, wenn wir sehen, daß solche Ski auch
häufig ganz östlich in Sibirien, bei den Tungusen, benutzt werden.
(Nach Mittheilung von +Jakobsen+.) Freilich haben sie hier dieselbe
Form wie die fellbekleideten Ski und sind wohl häufig nur eine Folge
von dem Mangel an Fellen.

Es hat überhaupt den Anschein, als wenn sie ihre hauptsächliche
Entwickelung in Europa erhalten haben, wo man wohl auch weniger Vorrath
an Fellen, dafür aber eine desto größere Auswahl von Holzsorten zum
Verfertigen von guten, unbekleideten Ski hatte.[26]

Indem man die schwere Fellbekleidung fortließ, konnte man den Ski
länger machen und ihm dadurch eine größere Tragfläche geben, so daß
er weniger einsank und desto leichter über den Schnee dahinglitt. In
Skandinavien und besonders in Norwegen hat diese Skiform ihre höchste
Entwickelung erreicht, und wo das Dahingleiten über den Schnee und das
Vorwärtskommen die Hauptsache sind, da muß diese Skiform wohl als die
vollkommenste angesehen werden.

Um einen kurzen Ueberblick über die Entwicklungsgeschichte des Skis zu
geben, so wie wir sie auf Grundlage des oben aufgestellten betrachten,
mag folgender Stammbaum aufgestellt werden:

  Nicht mit Fell bekleidete Ski (27 : 1)
                     │
             Aandrer (18 : 1)
                     │
          tungusische Ski (9 : 1)            indianische Schneeschuhe
                     │                                 │
       ovale, fellbekleidete Platten           Weidenplatten, Truger
                     ╲_________________________________│
                              runde Holzplatten.

Ich habe es für nöthig erachtet, den Ski und ihrer Geschichte eine
so ausführliche Behandlung zu geben, nicht allein weil es das erste
Mal ist, daß sie in weiterer Ausdehnung im Dienste der Wissenschaft
benutzt wurden, oder weil die ganze grönländische Expedition auf ihrer
Grundlage geplant und ausgeführt wurde, sondern ich that es auch, weil
dies kräftige Hülfsmittel im Kampf des Menschen mit dem Dasein bis
dahin durchaus nicht den Platz in der Forschung der Kulturgeschichte
erhalten hat, den es verdient. Es ist ein Geräth, das große, sonst kaum
bewohnbare Strecken dem Menschen zugänglich gemacht und das gerade den
Winter in diesen Gegenden zur Verkehrszeit umgewandelt hat, indem der
Schnee über Berg und Thal, von einem Dorf zum anderen Brücken spannt,
statt alle Wege und Stege zu verschließen.

Augenblicklich besitzen wir in Norwegen eine ganze Anzahl von
Skiformen; einige sind lang und schmal, andere kurz und breit; unter
einigen befindet sich ein großer hohler Rand, unter anderen ein
kleinerer, wieder andere haben zwei oder noch mehr kleinere Ränder,
während eine ganze Reihe von Formen gar keinen Rand haben und auf der
Unterseite völlig glatt sind. Es ist der Zweck des Randes, die Ski
fester zu machen, so daß sie, besonders auf harter Bahn, geradeaus
gehen, ohne nach den Seiten zu schleudern. Soweit mir bekannt ist,
werden Aandrer nur an ganz vereinzelten Stellen im Nordland benutzt.
Diese verbinden mit ihren vielen Nachtheilen den einen Vortheil, daß
sie auf einer bestimmten Schneeart glatter dahingleiten als gewöhnliche
Ski, indem die Haare des Fells das Festhängen (Ballen) des Schnees
verhindern, was bei Holz, besonders wenn er frisch oder feucht ist,
sehr leicht der Fall sein kann. Ferner besitzen sie den Vorzug, daß sie
nicht so leicht zurückgleiten, indem die Haare gegenhalten. Dies hat
freilich für einen guten Skiläufer nicht viel zu bedeuten.

Es würde uns zu weit führen, wenn wir uns hier auf eine Beschreibung
der zahlreichen verschiedenen Skiformen einlassen wollten, die in
Norwegen gebräuchlich sind. Es ist freilich zu beklagen, daß dies noch
nicht geschehen ist, wie es auch noch keine Sammlung unserer Skitypen
giebt, um so mehr, als unsere merkwürdigsten Formen allmählich durch
neue verdrängt werden und verschwinden.

Die Länge des Ski pflegt zwischen 2,2 ~m~ bis hinauf zu 3,1 ~m~
zu variiren. Das gewöhnliche Maß ist, daß der Mann, welcher sie
benutzen soll, wenn sie lothrecht stehen, zur Noth die Spitze mit der
ausgestreckten Hand erreichen kann.

Es ist nicht leicht zu sagen, welche Skiform die beste ist, denn dies
richtet sich nach der Beschaffenheit des Schnees und des Bodens, auf
welchem sie verwendet werden sollen. Will man schnell über Ebenen
und offene Berggegenden hinweg gelangen, wo nicht viele Schwingungen
zu machen sind, so thut man am besten, wenn man lange und schmale
Ski benutzt, während es sich von selbst versteht, daß man z. B. in
unwegsamen Waldgegenden kurze und breite Ski vorzieht, die leicht zu
wenden sind. Bei schwerem, losem Schnee kann man ferner lange und
breite Ski aus losem, leichtem Holz benutzen.

Als Skimaterial wird in den verschiedenen Gegenden äußerst
verschiedenes Holz benutzt. Außer Fichtenholz, was das gewöhnlichste
ist, verwendet man das Holz der Tanne (auch Grantennar, doch kommt dies
nur selten vor) der Esche, Ulme, Eiche, Erle, Espe, des Vogelbeerbaums
und ausnahmsweise auch wohl das des Ahorns. Es läßt sich ebenfalls
nicht leicht bestimmen, welche Holzart die beste ist, da die
verschiedenen Holzsorten ihre Vorzüge zu haben pflegen. Einzelne sind
glatter, besonders die Ulme ist hierfür bekannt, ja es wird sogar in
manchen Gegenden als gefährlich betrachtet, sich der aus Ulmenholz
verfertigten Ski zu bedienen, da man sich leicht darauf todtlaufen
kann. Im Volksmunde heißt es, daß der Teufel selber hinten auf den
Ulmen-Ski sitzt.

Nicht jeder Schnee ist gleich gut zum Schneeschuhlaufen. So ist
feuchter Schnee sehr ungünstig, besonders für Ski, die nicht mit Fell
bezogen sind. Er hängt daran fest und ballt sich zuweilen zu einer
festen Schicht zusammen, die viele Zoll, ja oft sogar einen Fuß dick
werden kann, und die das Vorwärtskommen sehr erschwert, was mancher
Skiläufer hat empfinden müssen, wenn er meilenweit entfernt von
bewohnten Stätten, und besonders auf dem losen Schnee in den Wäldern
von Tauwetter überrascht wurde. Wenn der Schnee so fest hängt, sagt
man, daß er „ballt“.

Hiergegen hat man verschiedene Mittel. Eins der gewöhnlichsten ist
das Tränken der Ski mit Leinöl oder mit Theer, der zum Theil mit
Talg versetzt ist; dies hilft ein wenig. Man reibt auch wohl die
untere Fläche mit Talg, Wachs, Stearin oder dergl. ein. Stearin ist
nach meiner Erfahrung das Beste, doch wird es ebenso wie die anderen
Stoffe schnell abgenutzt und muß erneut werden. Am besten haftet das
Stearin, wenn man es bei einem Feuer einreiben kann, über dem die
untere Fläche des Skis vor dem Einreiben erwärmt wird. Ein anderes,
häufig angewendetes Mittel besteht darin, die Ski mit einem Beutel mit
Salz, der ein wenig angefeuchtet ist, einzureiben, oder auch mit einem
gesalzenen Hering. Hierdurch kann man den Schnee eine kleine Weile
fernhalten, worauf dieselbe Behandlung abermals vorgenommen werden muß.

Nicht bei allen Holzsorten ballt der Schnee gleich leicht; die
fettigeren pflegen in dieser Beziehung die besten zu sein; so wird
z. B. das Fichtenholz als vorzüglich angesehen. Am zweckmäßigsten auf
Schnee, der die Neigung zum Ballen hat, sind und bleiben, wie bereits
erwähnt, die Aandrer. Sie haben indessen den Nachtheil, daß das Fell
bei Thauwetter die Nässe anzieht und sie schwerer macht.

Auch auf frischgefallenem Schnee gleitet es sich nicht leicht; er
pflegt, selbst wenn er bei Kälte fällt, Neigung zum Hängenbleiben zu
haben. Dasselbe ist auch der Fall beim Schneetreiben. Der Schnee wird
gewöhnlich, nachdem er dem Winde eine Weile ausgesetzt war, fein wie
Staub, er ballt sich fest zusammen und fühlt sich beim Gehen zäh wie
Tuch an. Besonders ist dies der Fall, wenn der Schnee bei starker
Kälte gefallen ist und seither keinem Thauwetter ausgesetzt war, denn
er ist dann schon von vornherein sehr fein. Solchen Schnee, und zwar
von der zähesten Art, hatten wir fast die ganze Zeit hindurch auf dem
Inlandseis in Grönland.

Es ist selbstverständlich, daß der Schnee, wenn man leicht darüber
hingleiten soll, nicht allein glatt, sondern auch einigermaßen fest
sein muß, so daß die Ski nicht zu tief einsinken.

Als guter Schnee ist deswegen derjenige zu betrachten, der bei
Thauwetter fällt, zusammensinkt und darauf scharfer Kälte ausgesetzt
ist. Noch besser ist es, wenn der Schnee erst dem Thauwetter und dann
der Kälte ausgesetzt war, so daß sich eine feste Kruste bilden konnte.
Fällt dann eine ganz dünne, ungefähr einige Centimeter dicke Schicht
losen, guten Schnees oder noch besser Reif, so wird es eine Skibahn
ersten Ranges, die Ski gleiten ganz erstaunlich leicht und selbst bei
der schwächsten Abschrägung geht es ganz von selber abwärts. Eine
glatte, harte Kruste ohne Schnee darauf ist insofern gut, als es sich
leicht darüber hingleiten läßt. Ist die Kruste aber zu hart, so haben
die Ski keinen Halt und schleudern, falls sie nicht eigens für diesen
Zweck eingerichtet sind, leicht hin und her. Bei unebenem Terrain ist
es deswegen bei solcher Bahn schwer, das Gleichgewicht zu behalten, um
so mehr, als man gewöhnlich in fliegender Fahrt dahinsaust.

Das Skilaufen ist nicht immer ohne Gefahr, und Derjenige, der sich
z. B. bei mit glatter Kruste überzogenem Schnee über steile Abhänge,
in unbekannten unebenen Gegenden dahinbewegt, muß die vollkommene
Herrschaft über seine Ski haben; denn sonst könnte es ihm ergehen, wie
es in einer alten Beschreibung heißt: „Falls er fällt, kann es ihm
leicht passiren, daß er Arm und Beine bricht.“[27] Es ist indessen zu
bewundern, wie wenig Unglücksfälle sich im ganzen auf Ski ereignen,
und insofern ist es ganz richtig, wenn es in derselben Beschreibung
weiter heißt: „Zum Glück für den Burschen pflegt in solchem Fall ein
geringeres Unglück einzutreten: seine Ski zerbrechen, was ebenso
schnell geschieht, als wie ein Pfeifenrohr zerbricht. Ich bin oft
Augenzeuge eines solchen Vorgangs gewesen.“

[Illustration: Im Sprung.]

Völlig so oft, wie es hiernach erscheinen mag, zerbrechen die Ski nun
freilich nicht. Für einen tüchtigen Skiläufer, der gute Ski hat, gehört
es zu den Ausnahmen, daß so etwas geschieht. Ein zerbrochener Ski fern
von Menschen auf tiefem Schnee kann übrigens unangenehm genug sein,
obwohl man deswegen nicht rathlos ist. Eins der Stücke wird, so gut
es eben geht, hergerichtet und an den Fuß geschnallt und dann geht es
darauf weiter vorwärts. Daß ein kühner Schneeschuhläufer bei Ausübung
seiner Kunst stets ein wenig wagt, das macht diesen Sport nur um so
anziehender, es erhöht die Spannung und trägt dazu bei, den Willen zu
stählen und die männliche Kraft zu entwickeln.

In den allerletzten Jahren hat das Schneeschuhlaufen in Norwegen einen
gewaltigen Aufschwung genommen; es ist in der Beziehung ein ganz neuer
Geist in das norwegische Volk gefahren. Dies haben wir im wesentlichen
den öffentlichen Skiversammlungen zu verdanken, namentlich denen in
Kristiania, wo die Telemarker sich einstellten und die jungen Städter
durch ihre Ueberlegenheit in Erstaunen setzten, und wo diese ihnen ihre
Kunstgriffe absahen und sie gar bald zu übertreffen lernten.

Derjenige, der diese mächtige Bewegung Schritt für Schritt mit
durchgemacht hat, der sich erinnert, wie öde und leer es noch vor 12
Jahren auf den Skihügeln vor der Stadt war, und der sieht, wie es jetzt
im Winter überall von jungen und alten, männlichen und weiblichen
Schneeschuhläufern wimmelt, -- kann sich nur über dies gesunde, frische
Leben freuen.

Bis ganz vor kurzem war der +Stab+ den Skiläufern fast ebenso
unentbehrlich wie die Ski selber; auf ihm ritt er den Berg hinab, wenn
die Geschwindigkeit zu groß wurde, zu ihm nahm er in jeder schwierigen
Lage seine Zuflucht, er war sein einziger Tröster in jeglicher
Noth. Dadurch erhielt freilich der Läufer eine gezwungene, hinten
überliegende Stellung, ohne die eigentliche Herrschaft über die Ski zu
erlangen oder sich auf seine eigenen Beine zu verlassen.

Dann aber entwickelte sich, besonders oben in Telemarken eine neue
Richtung. Die jungen Burschen aus Telemarken zeigten uns, daß man, wenn
man nur die gründliche Herrschaft über die Ski besitzt, weit größere
Schwierigkeiten überwinden kann, ganz abgesehen davon, daß die Haltung
sicher und frei wird, indem man den Körper anspannt und sich auf die
Kraft der eigenen Beine statt auf den Stab verläßt.

Es sind noch nicht viele Jahre verflossen, seit diese neue Methode
sich geltend machte, und doch hat sie schon eine ganze Umwälzung in
unserer Skiwelt hervorgerufen. Gleichzeitig damit machte die Kunst des
Luftsprunges ganz erstaunliche Fortschritte. Diese Kunst, die bei dem
sportsmäßigen Skilaufen stets als Hauptsache betrachtet wurde, hat
keine weitere praktische Bedeutung, denn Niemand sucht Schneeschanzen
auf oder macht lange Luftreisen, wenn er weite Strecken zurückzulegen
hat und seine Ski allen Ernstes gebraucht. Da sucht man dergleichen
Schwierigkeiten zu umgehen. Diese Luftsprünge können völlig als Spiel
betrachtet werden, aber sie sind ein nützliches Spiel, denn nichts
verleiht dem Körper in dem Maße die Herrschaft über sich selbst, nichts
giebt uns eine solche Sicherheit, einen solchen Muth und eine solche
Herrschaft über die Ski als das Springen.

[Illustration: Ein Luftsprung.]

Will man den Luftsprung ausführen, so sucht man Schneeschanzen auf,
die entweder von der Natur gebildet oder aus Schnee aufgeschaufelt
sind, und über die hinweg man in sausender Fahrt längere oder kürzere
Luftreisen machen kann. Man verlängert den Sprung häufig, indem man
auf der Kante der Schneeschanze den Anlauf nimmt. Auf diese Weise
kann man 20-25 ~m~ durch die Luft schweben, ja, es giebt Skiläufer,
die noch viel weiter zu springen vermögen. Man erzählt von einem
bekannten Skiläufer aus Telemarken, +Sóndre Auersen Nordheim+, daß er
30 ~m~ von einem Felsblock hinab sprang und auf beiden Füßen stehend
unten ankam. Der lothrechte Fall ist bei solchen Luftsprüngen nicht
unbedeutend; 8-12 ~m~ sind die durchschnittliche Höhe, also ungefähr
gleichbedeutend mit einem Fall aus der dritten Etage eines gewöhnlichen
Gebäudes. Während der Segelfahrt durch die Luft halten sich Einige
gerade wie eine Kerze, während andere die Beine unter sich ziehen
(siehe Seite 119 u. 122). Man pflegt, wenn man unten anlangt, das
rechte Bein vor das Linke zu schieben, und sinkt einen Augenblick in
das linke Knie, indem man mit fliegender Fahrt weitersaust. Gerade
der Umstand, daß man die Fahrt so lange beibehält, macht im Verein
mit der Weichheit des Schnees solche Sprünge möglich. Daß Viele nach
der Luftreise fallen, ist kein Wunder, und wenn man sie die Hügel
hinabrollen sieht, -- Arme, Beine und Ski durcheinander wirbelnd, --
in eine Wolke von Schnee gehüllt, da wird Jeder, der es nicht selbst
versucht hat, fest überzeugt sein, daß der kühne Skiläufer mindestens
Arm und Beine gebrochen hat. Und doch kommt ein wirklicher Unglücksfall
nur äußerst selten vor.

Zu sehen, wie ein tüchtiger Skiläufer seine Luftsprünge ausführt,
-- das ist eins der stolzesten Schauspiele, welche diese Erde uns
zu bieten vermag. Wenn man sieht, wie er frisch und keck den Berg
hinabgesaust kommt, wie er sich wenige Schritte vor dem Sprung
zusammenduckt, auf der Sprungkante den Anlauf nimmt und -- hui! --
wie eine Möve durch die Luft dahinschwebt, bis er 20-25 Meter weiter
abwärts die Erde berührt und in einer Schneewolke weitersaust, -- da
durchzittert es den Körper vor Freude und Begeisterung. Und einen
solchen Anblick kann man im Winter bei guter Skibahn täglich haben,
in Sonderheit aber bei den großen Skiversammlungen. Schon +Olaus
Magni+ erwähnt, daß man im 16. Jahrhundert „des Sports wegen auf Ski
läuft, wetteifernd wer der Erste sein wird, gleich wie die Läufer beim
gewöhnlichen Wettlauf, die um Prämien laufen.“ Diese Wettrennen sind
seit dem Jahre 1862 in den südlichen Gebirgsgegenden regelmäßig wieder
eingeführt. Die tüchtigsten Skiläufer des Landes treffen hier zusammen
und kämpfen um den ersten Preis. Der eine segelt noch eleganter durch
die Luft dahin wie der andere, während die Zuschauer in athemloser
Spannung warten, bis sie unten anlangen. Stehen sie auf ihren Füßen,
so werden sie mit endlosem Jubel begrüßt, während der Unglückliche,
welcher fällt, ein schallendes Hohngelächter über sich ergehen lassen
muß. Wer ein solches Wettrennen auf dem Huseby-Berge bei Kristiania
mitgemacht hat, der vergißt den Anblick nie wieder.

Um aber völlig Herr über seine Ski zu sein, muß man noch etwas mehr
verstehen, als nur auf ihnen zu springen. Man muß im stande sein,
sie, sobald es erforderlich ist, nach beiden Seiten zu schwingen,
sie ganz quer hinzustellen und vor jedem unerwarteten Hinderniß
Halt zu machen. Kann man das nicht, da ist man stets in Gefahr,
gegen Bäume und Erhöhungen im Terrain anzurennen, ja in unbekannte
Abgründe hinabzustürzen. Deswegen wird dies alles bei den jährlichen
Zusammenkünften geübt, und auch hierin sind die Bewohner von Telemarken
die Lehrmeister der neueren Zeit. Sie in voller Fahrt daherkommen, dann
plötzlich die Ski mit einer schnellen Wendung quer werfen und Halt
machen sehen, das ist vielleicht ein beinahe so stolzer Anblick, als
wenn man sie durch die Luft dahinfliegen sieht.

Die Ski sind vor allen Dingen ein Mittel zum Vorwärtsgelangen, und
deshalb ist und bleibt auch die Geschwindigkeit, mit welcher der
Skiläufer seinen Weg über ein ungebahntes Feld nehmen kann, der
wichtigste Theil des Skilaufens.

[Illustration: Das plötzliche Anhalten vor einem Abgrund.]

Obwohl der Sprung die größte Bewunderung bei den Zuschauern erregt,
so wird mit Fug und Recht bei unseren jährlichen Skiversammlungen
dem Fernlauf die größte Bedeutung beigelegt. Mancher glaubt, daß
es nur darauf ankommt, Stärke und Widerstandskraft zu besitzen, um
schnell lange Strecken auf Ski zurücklegen zu können, aber dies ist
ein Irrthum. Es kommt in ebenso hohem Grade darauf an, daß man mit
dem Gebrauch der Ski vertraut ist; am besten ist es, wenn man von
Kindheit an Uebung im Laufen hat, so daß man mit so wenig Schwierigkeit
wie möglich vorwärts gleitet. Durch lange Uebung, besonders in
der Kindheit, werden auch die Muskeln und derjenige Theil des
Nervensystems, der bei der Führung der Ski hauptsächlich in Anwendung
gelangt, stärker entwickelt. Was die Gewohnheit macht, ist leicht
zu verstehen, wenn man einen geübten und einen ungeübten Skiläufer
nebeneinander sieht, -- der Geübte gleitet dahin, als wenn das Ganze
ein Kinderspiel wäre, während der Ungeübte mit dem ganzen Körper
arbeitet und eine ganze Menge Muskelkraft vergeudet, um die nöthige
Bewegung zu erzielen. Man wird aus dem Grunde äußerst selten sehen,
daß Leute, die erst im späteren Alter die Benutzung der Ski erlernen,
sichere und ausdauernde Skiläufer werden. Bei wenig Dingen trifft
deswegen die Bedeutung des Sprichwortes: „Guter Haken krümmt sich früh“
mehr zu als bei diesem Sport; das ganze Körpersystem muß am liebsten
damit aufwachsen. Man darf aber hieraus nicht schließen, daß das
Skilaufen eine einseitige Ausbildung zur Folge hat, -- im Gegentheil,
wohl nichts entwickelt den Körper gesunder und harmonischer. Nicht
allein die Beine, sondern auch der Oberkörper und die Arme werden in
Mitleidenschaft gezogen. Die letzteren erhalten eine gesunde Bewegung
durch die Benutzung des Stabes während des Laufes, besonders wenn man
einen solchen in jeder Hand hat, so wie es in einigen Gegenden von
Lappland Sitte ist, und wie es auch in letzter Zeit bei schnellem
Laufen in Norwegen in Anwendung gelangte. Auf der Wanderung über das
grönländische Inlandseis bedienten auch wir uns zweier Stäbe.

Es ist unmöglich, eine Norm für die Geschwindigkeit aufzustellen, zu
der ein tüchtiger und ausdauernder Skiläufer es bringen kann, da dies
hauptsächlich von dem Terrain und von der Beschaffenheit des Schnees
abhängt. Auf guter Bahn und bei einigermaßen günstigem Terrain kann man
jedoch annehmen, daß er täglich ungefähr 100 Kilometer zurückzulegen
vermag.

Der längste Distancelauf, der in Norwegen abgehalten wurde, fand im
Februar 1888 bei Kristiania statt. Die Bahn war 50 Kilometer lang und
ging größtentheils über hügeliges, unebenes Waldterrain, -- unterwegs
waren viele Hindernisse verschiedenster Art aufgestellt, um die
Tüchtigkeit der Skiläufer zu erproben. Der Sieger legte die Bahn in 4
Stunden 26 Minuten zurück.

Der längste Distancelauf auf Schneeschuhen, der überhaupt bekannt ist,
wurde auf Veranlassung der Freiherren +Dickson+ und +Nordenskjöld+ am
3. und 4. April 1884 in Jokkmokk im nördlichen Schweden abgehalten.
Den ersten Preis errang der Lappe +Tuorda+ -- 37 Jahre alt -- der
+Nordenskjöld+ auf seiner Reise über das grönländische Inlandseis
begleitet hatte. Er legte nach Angabe der Preisrichter 220 Kilometer in
21 Stunden 22 Minuten zurück, -- der zweite, ebenfalls ein Lappe -- 40
Jahre alt -- kam 5 Minuten später an, und von den 6 Männern, von denen
5 Lappen waren, kam der letzte 46 Minuten später als der erste an. Die
Bahn war beinahe eben und führte zum größten Theil über eisbedeckte
Seen, -- folglich muß sie sehr leicht gewesen sein, wie auch die
Beschaffenheit des Schnees sehr günstig gewesen sein muß.

Bei früheren arktischen Expeditionen sind merkwürdigerweise die Ski nur
selten oder gar nicht zur Anwendung gelangt. Auf dem grönländischen
Inlandseis sind sie nur von sehr wenigen Expeditionen benutzt worden.

Schon im Jahre 1728 wurde sonderbarerweise der Gedanke in Dänemark
rege, daß, wenn das Innere Grönlands untersucht werden sollte, dies
nur auf Schneeschuhen geschehen könne, „indem einige junge, kecke
norwegische Leute, die daran gewöhnt waren, im Winter auf Ski in den
Bergen zu jagen, einen guten Theil des Landes nach allen Richtungen hin
erforschen konnten.“ Dieser Gedanke wurde jedoch von den Dänen niemals
zur Ausführung gebracht.

In den „Nachrichten von Island, Grönland und Davisstraße“ von +Johann
Anderson+ (Hamburg 1746) wird u. a. erzählt, daß ein Schiffer es auf
alle Weise versucht habe, in das grönländische Inlandseis einzudringen
„sogar mit den langen Fußbrettern, deren sich bekanntlich die Lappen
und Andere bei ihren Winterzügen bedienen, doch hat er nicht weit ins
Land hinein gelangen können, und nachdem er einen seiner Begleiter
verloren hatte, der sich zu weit vor wagte und vor ihren Augen versank,
so daß sie wohl seine Schreie und Klagen hörten, ihm aber nicht
zu Hülfe kommen konnten, hat er ohne diesen Menschen und ohne die
Hoffnung, jemals weiter vordringen zu können, umkehren müssen“.

1878 nahm die dänische Expedition unter Kapitän +Jensen+ Ski mit,
benutzte sie aber nicht. +Jensen+ berichtet, daß sie dagegen gute
Dienste als Feuerungsmaterial thaten.

Ski wurden ferner von 2 +Lappen+ benutzt, die +Nordenskjöld+ im Jahre
1883 begleiteten, sowie von +Peary+ und +Maigaard+ im Jahre 1886.

[Illustration: Die von der Expedition benutzten Ski, von oben, von der
Seite und im Durchschnitt gesehen.]

Zum Schluß will ich hier noch die Schneeschuhe beschreiben, die wir
auf unserer Expedition verwendeten. Sie gehörten eigentlich keiner
bestimmten norwegischen Form an, sondern waren so gemacht, wie ich
sie für Schneefelder von der Beschaffenheit, wie wir sie im Innern
Grönlands vorzufinden glaubten, am passendsten hielt. Wir hatten im
ganzen 9 Paar bei uns; 2 waren von Eichenholz, während die übrigen aus
Birkenholz verfertigt waren. Die Eichenski hatten eine Länge von 2,30
~m~. Die Breite betrug vorn bei der Biegung 9,2 ~cm~, von der Mitte
bis nach hinten dagegen 8 ~cm~. Auf der Oberfläche der Ski lief der
Länge nach sowohl vor wie hinter der Fußplatte eine Leiste entlang,
wodurch sie die nöthige Steifheit erhielten, ohne dadurch zu dick
oder zu schwer zu werden. An den oberen Seitenrändern waren sie ein
Stück vor und hinter dem Zehenriemen ein wenig eingeschnitten (siehe
den Querschnitt) so daß dieser nicht zu sehr vorstand und die Fahrt
hinderte. Auf der unteren Fläche hatten sie drei schmale Längsrillen.
Ungefähr dieselbe Form und dieselben Dimensionen hatten auch die 7 Paar
Birkenski. Durch Unachtsamkeit des Verfertigers wurden sie indessen ein
wenig schmäler in der Biegung, indem sie hier dieselbe Breite hatten,
wie weiter nach hinten zu. Infolgedessen tragen die Vorderenden der
Ski nicht so gut über den Schnee, wirken mehr wie ein Schneepflug und
erschweren den Gang. Leider erhielten wir die Ski so kurz vor unserer
Abreise, daß uns keine Zeit blieb, neue anfertigen zu lassen.

Diese Birkenski waren auf der unteren Fläche mit ganz dünnen
Stahlplatten belegt, die unter dem Fuße eine Oeffnung hatten (88
~cm~ lang und 5,3 ~cm~ breit), in welche ein Stück Fell von einem
Elenthierfuße eingefügt war. Ich hatte diese Stahlplatten an den Ski
befestigen lassen, weil ich viel feuchten und körnigen Schnee zu finden
erwartete, auf dem gewöhnliche hölzerne Ski nicht gleiten. Durch
Einfügen des Felles wollte ich bewirken, daß die Ski trotz der glatten
Stahlschienen nicht zurückglitten.

[Illustration: Die Befestigung der Ski über einem Löparschuh
angebracht.]

Wir trafen indes keinen solchen Schnee an und hätten uns diese
Vorkehrung ersparen können.

Die beiden Paar Eichenski erwiesen sich als sehr zweckmäßig und für
künftige Expeditionen glaube ich ausschließlich solche empfehlen zu
können.

Die Befestigung der Ski war äußerst einfach und bestand nur aus
einem Zehenband von dickem, steifem Leder und einem verhältnißmäßig
breiten Fersenriemen, der zu beiden Seiten ganz unten am Ski an das
Zehenband befestigt war. Eine steife Befestigung, etwa von Weiden oder
spanischem Rohr, wie es in Norwegen allgemein gebräuchlich ist, um
bergab zu fahren oder zu springen, eignet sich meiner Meinung zu langen
Wanderungen durchaus nicht. Sie ist durchaus nicht erforderlich, um
dem Träger die Herrschaft über die Ski zu verleihen, und sie ermüdet
und hindert den Fuß weit mehr als eine weichere, geschmeidigere
Befestigung durch Leder. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man
bei großen Entfernungen um so weniger ermüdet, je weniger man die
Befestigung fühlt.


Fußnoten:

[13] Nach Professor +Gustav Storm+ ist überall im „Königsspiegel“ von
Ellen statt von Fuß die Rede.

[14] Prof. +Gustav Storm+, Kristiania, hat die hier angeführte Stelle
gütigst übersetzt. (Königsspiegel, Kristiania-Ausgabe S. 19-20.)
Der Königsspiegel wurde ungefähr im Jahre 1250 von einem Norweger
geschrieben, der im nördlichen Namthal, entweder auf Vigten oder Naerö,
wohnte. (Siehe „Archiv für nordische Philologie“, I. 205-9.)

[15] Aus dem „Jahrbuch des norwegischen Touristenvereins für das Jahr
1889“ ersehe ich, daß in einem Artikel über den größten Wasserfall
der Erde von +A. G. Guillemard+ mitgetheilt wird (S. 17), daß es
in Australien keinen Schnee giebt, ausgenommen im Winter auf dem
Berge Kosciusco und den umliegenden Hochlanden und den Gipfeln der
südaustralischen Alpen, wo Schneeschuhe, die den norwegischen Ski sehr
ähnlich sind, von fast allen Bauern in der Gebirgsgegend um Kiandra
benutzt werden. Es verlautet nichts darüber, woher diese Schneeschuhe
gekommen sind, aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie vor
nicht gar langer Zeit von den Skandinaviern eingeführt worden sind.

[16] Bei Touren in den Wald werden dagegen vornehmlich Truger benutzt.

[17] Hierzu ist indessen zu bemerken, daß die Ainos keine zahmen
Rennthiere haben, folglich muß hier eine Verwechselung mit einem
anderen nordasiatischen Volk, das Rennthiere hält, vorliegen.

[18] ~+O. Donner.+ Acta soc. fenn. T. II.~

[19] In dem Worte +suatakha+, das bei den Mandschuren, dem südöstlichen
Seitenzweig der Tungusen, Schneeschuhe bedeutet, finden wir
möglicherweise denselben Stamm +takh+ wie in der Form +tokh+ bei den
Mordwinen und Ostjaken und die Form +artakh+ bei den Permiern wieder.

[20] Wie weit das samojedische Wort +tudo+ und +tuta+ dasselbe Wort
ist, müssen wir dahingestellt sein lassen.

[21] In den Wörtern +sana+, +hana+ und +taña+ haben wir einen ganz
ähnlichen Lautübergang wie in den Wörtern +sok+, +hok+ und +tokh+,
wodurch die Annahme, daß diese letzten Wörter Abweichungen von einem
Worte sind nur bekräftigt wird.

[22] Ein Paar Ski von den +Golden+ befinden sich im „Museum für
Völkerkunde“ in Berlin. Diese sind nach +Jakobsen+ 1,40 ~m~ lang und
16 ~cm~ breit. Sie sind aus Fichtenholz gemacht und mit Rennthierfell
bezogen. Der Zehenriemen besteht aus breitem Seehundsfell mit einem
breiten Fersenriemen. Sie sind vorn beträchtlich und hinten ganz
schwach in die Höhe gebogen.

[23] Kapitän +Jakobsen+ beschreibt in einem Brief an mich diese Ski
folgendermaßen: „Sie sind mit Seehundsfell bezogen und dort, wo der Fuß
ruht, mit Birkenrinde ein wenig vertieft; vor und hinter dieser Stelle
läuft eine schwache Leiste an dem Ski entlang. Die Biegung nach vorne
zu ist ziemlich stark.“

[24] +Olaus Magnis+ Zeichnungen aus den Jahren 1539 und 1555 sind
scheinbar unrichtig.

[25] Die Ableitung dieses Wortes läßt sich schwerlich bestimmen. In
Smaalenen habe ich das Wort +Andre+ zur Bezeichnung eines ähnlichen
Begriffs, nämlich des Eisens unter einer Schlittenschiene, gefunden.

[26] Als Uebergangsform muß wohl die Skiart betrachtet werden, welche
noch heute in Österdalen und den benachbarten Gegenden von Schweden,
sowie auch wohl noch in Finnland benutzt wird, und von welcher der
rechte Ski (Andor) kurz und oft fellbekleidet ist, während der linke
lang und unbekleidet ist.

[27] +Smith+, Beschreibung über Trysild u. s. w. Kap. 9, Seite 13.
Topograph. Journal für Norwegen. Bd. 6. Kristiania 1797-98.



Kapitel IV.

Von Norwegen über Schottland und die Faröer nach Island.


Um nach Grönlands Ostküste zu gelangen, war es, wie bereits erwähnt,
meine Absicht, einen norwegischen Seehundsfänger zu bewegen, daß er uns
von Island abholen und uns hinüberbringen sollte.

Nachdem ich Unterhandlungen mit den Rhedereien mehrerer Seehundsfänger
gepflogen, einigte ich mich schließlich mit dem Rheder des
Seehundsfängers „Jason“ aus Sandefjord dahin, daß uns der „Jason“
von Island abholen und den Versuch machen solle, uns an der Ostküste
von Grönland an Land zu setzen, wogegen ich mich verpflichtete, daß
der „Jason“ dadurch keinen pekuniären Verlust erleiden dürfe, indem
er z. B. seinen Fang oder dergl. vernachlässigte. „Jasons“ Kapitän,
+Mauritz Jacobsen+, war ein ruhiger und erfahrener Eismeerschiffer.
Meine Verabredung mit ihm ging darauf hinaus, daß er auf seinem Wege
nach dem Fangfeld in der Dänemarksstraße, nachdem er im Frühling in der
Gegend von Jan Mayen auf Fang ausgewesen war, uns Anfang Juni abholen
sollte, entweder aus +Isafjord+, oder wenn hier Eisverhinderungen
eintreten sollten, aus +Dyrafjord+ auf Island.

Am 2. Mai verließ ich Kristiania, um mich über Kopenhagen und London
nach Leith zu begeben, wo ich mit den übrigen Theilnehmern der
Expedition zusammentreffen wollte. Diese verließen Kristiania einen
Tag nach mir, um mit dem Dampfer über Kristianssand nach Schottland zu
gehen. Sie hatten die ganze Ausrüstung der Expedition bei sich.

Viele vernünftige Leute schüttelten bedenklich die Köpfe und drückten
uns wehmüthig die Hände, als wir reisten. Man dachte, wenn man es auch
nicht aussprach: „Dies ist wohl das letzte Mal, daß wir uns sehen.“

Die Abreise schildert +Balto+ folgendermaßen:

„Als wir die Stadt verließen und auf die Dampferbrücke gingen, waren
da viele Frauen und Herren, die uns an den Dampfer begleiteten, um
uns Glück wünschen zu können und Hurrah zu rufen. Diese Glückwünsche
brachten uns die Leute in all’ den kleinen Städten dar, die zwischen
Kristiania und Kristianssand liegen, denn sie glaubten, daß wir nie
wieder zurückkehren würden. Es würde uns wohl so gehen wie Herrn
+Sinclar+, der auf Raub nach Norwegen ausgezogen war.“

In Kopenhagen suchte ich Kapitän +Holm+, den Leiter der dänischen
Frauenbootsexpedition nach Grönlands Ostküste, auf und erhielt von
ihm allerlei werthvolle Auskünfte über die Eisverhältnisse in dem
von ihm bereisten Theil der Ostküste. Hier traf ich ebenfalls den
Handlungsgehülfen +Maigaard+, der in Gemeinschaft mit dem Amerikaner
+Peary+ eine Wanderung über das Inlandseis unternommen hatte (1886).
Er war einer der äußerst Wenigen, die lichten Blickes in die Zukunft
der Expedition schauten und nicht an der Möglichkeit einer Durchquerung
Grönlands zweifelten.

In Leith traf ich dann, wie bereits gesagt, mit den übrigen
Mitgliedern der Expedition zusammen, die sich scheinbar in bestem
Wohlsein befanden und viele Freundlichkeiten von dort ansässigen
Landsleuten empfangen hatten. +Balto+ spricht in seinem Bericht von
dem norwegischen Konsul wie von einem zweiten Vater, den er in Leith
gefunden und der sie Alle ganz übermäßig traktirte. -- Es scheint, als
habe er an vielen Orten Väter gefunden!

Nachdem wir viele Beweise schottischer Gastfreundschaft in Empfang
genommen hatten, begaben wir uns am Abend des 9. Mai an Bord des
dänischen Dampfers „Thyra“, der in Granton (ein wenig nördlich von
Leith) lag, und der uns nach Island führen sollte.

Die „Thyra“ gehört der Vereinigten Dampfschiffsgesellschaft in
Kopenhagen und ist der eine der beiden Dampfer, welche eine feste Route
zwischen Dänemark und Island bilden.

Um Mitternacht nahmen wir Abschied von den letzten Freunden, die uns
auf die einsame Brücke das Geleit gegeben hatten, und steuerten ins
Dunkle hinaus, um unsern Kurs nordwärts zu nehmen.


Fern in der Nordsee, umbraust von Meeresschlag und Wellenbrandung
liegen einige kleine Inseln. Es sind die Faröer.

Vor mehr denn tausend Jahren entdeckten die Norweger sie und siedelten
sich dort an, und seither gehörten die Inseln während langer Zeiten zu
Norwegen, und norwegische Fahrzeuge kommen jahraus, jahrein dahin.

Die Zeiten sind längst entschwunden, nur ganz ausnahmsweise verirrt
sich einmal ein Norweger nach diesen Inseln. Von aller Welt
abgeschlossen führen die Bewohner dort draußen im Meer ein Leben
für sich. Die Bevölkerung bildet einen kleinen abgesonderten und
verschollenen Ueberrest einer längst entschwundenen Zeit, aber wenn
wir Norweger zu ihnen kommen, werden wir trotzdem fühlen, daß wir
aus einem Stamm entsprossen sind. Sie haben noch viel von dem alten
norwegischen Volkscharakter und sprechen noch die alte norwegische
Sprache, die wir selber längst vergessen haben.

Abgeschlossen in sich selbst, über den Erinnerungen nordischer Größe
brütend, erhalten diese Leute ein seltsames Gepräge, das etwas ganz
Eigenartiges hat, gleich wie die Inseln, auf denen sie wohnen.

Die Faröer sind durch vulkanische Thätigkeit entstanden und bestehen
theils aus Basalt, der sich in geschmolzenem Zustand zu verschiedenen
Zeiten in gewaltigen Strömen aus der Erde ergossen hat, wie die Lava
heutzutage den Vulkanen entströmt. Diese Ströme sind gleichmäßig bis
an alle Seiten geflossen und erstarrt, der eine über dem andern, und
bilden jetzt eine Unzahl fast wagerechter Schichten, wie das überall
an den Seiten der Felsen ersichtlich ist. Diese erhalten dadurch etwas
eigenartig Gestreiftes und bilden häufig Absätze gleich mächtigen zum
Gipfel aufsteigenden Stufen, der wagerecht abgeschnitten und oben flach
ist.

Ursprünglich haben die Faröer wohl ein großes, zusammenhängendes Land
gebildet, wie Island jetzt, aber der Basalt ist eine lose Steinart, die
leicht verwittert. Im Laufe der Zeiten haben Regen, Frost, Eis, vor
allem aber das Meer dazu beigetragen, das Land in diese Anzahl kleiner
Inseln zu zerschneiden, die wir jetzt vorfinden.

Diese Ueberreste früheren Landes bieten aber einen unendlichen
Reichthum an wilden, malerischen Formen dar. Besonders an der West-
und der Nordküste, wo das Meer am gewaltsamsten eindringt und sich am
stärksten einbohrt, sind sie am zerklüftetsten.

Die dunklen Basaltwände stürzen sich oft in einer Höhe von mehreren
hundert, ja tausend Fuß ins Meer, häufig aber ragen noch einzelne
Felsstücke mit vielen wunderlichen Gestaltungen vor denselben auf.
Die Wogen brechen sich dagegen und schleißen sie mehr und mehr ab,
vermochten aber doch noch nicht, sie ganz zu entfernen.

[Illustration: Der Felsen „Kodlen“ mit den Klippen „Risen“ und
„Lyellingen“ an der Nordküste der Faröer. (Von Th. Holmboe nach einer
Photographie.)]

Wenn das Meer mit seiner ganzen Gewalt auf die Insel steht, wenn diese
dunklen, mächtigen Nordseewellen von weit her herangerollt kommen,
ihre nassen Schwingen ausbreitend und einander in ununterbrochener
Reihenfolge jagend, um sich dann mit donnerähnlichem Getöse in
bestimmten Zwischenräumen in die Klüfte und Höhlen zu stürzen, die sie
selber gegraben haben, wenn die Brandung tobt und sich weißschäumend
an allen Ecken bricht, wenn der Gischt hoch über die Bergwände und
bis ins Land hinein aufspritzt, da kann es wohl vorkommen, daß diese
Inseln einen so stürmisch meeresfrischen Anblick gewähren, welchen zu
schildern Worte nicht ausreichen.

[Illustration: Faröerscher Vogelfelsen.

(Von A. Bloch nach einer Photographie.)]

Aber jahraus, jahrein bricht sich das Meer auf diese Weise an den
Klippen. Unablässig wird das Vernichtungswerk, besonders von Westen her
fortgesetzt, -- die Inseln schwinden unmerklich hin.

Steine und weißer Gischt, -- das sind die Hauptzüge einer faröerschen
Landschaft; außerdem aber trägt das Vogelleben in nicht geringem
Grade zu ihrer Eigenthümlichkeit bei. Die Basaltwände mit ihren
zahllosen Absätzen bieten den Seevögeln aller Art einen vorzüglichen
Schlupfwinkel dar. Sie sind denn auch in großer Reichhaltigkeit
vertreten, es wimmelt im Wasser und auf den Felsen von Vögeln; in
der Luft über dem Wasser schwebend, heben sie sich gegen die dunklen
Basaltwände gleich einem lustigen Schneegestöber ab.

Nach diesen Inseln richteten wir unsern Kurs. Erst nach einer mehr als
zweitägigen Reise bei schönstem Wetter langten wir bei Trangisvaag,
einem kleinen Flecken auf der südlichsten Insel „Suderö“ an. Es liegt
an einem kleinen Fjord oder Einschnitt, von verhältnißmäßig niedrigen
Basaltfelsen umgeben, und bietet, soweit mir bekannt, kein besonderes
Interesse dar.

Sobald das Schiff die Anker ausgeworfen hatte, stieß vom Lande ein
Boot ab und näherte sich uns, es wurde von sechs jungen, muthigen
Färingern gerudert, die ihr eigenthümliches Nationalkostüm trugen,
bestehend aus einem Wams von dunkelbrauner oder kaffeebrauner Farbe,
Kniebeinkleidern, einer eigenartigen Mütze, die Aehnlichkeit mit
unseren norwegischen Zipfelmützen hat, die aber oben in Falten gelegt
und gewöhnlich dunkelbraun, blau oder rothgestreift ist, auf den Füßen
hatten sie sonderbare Lederschuhe, die sehr bequem zu sitzen schienen.
Sie waren aus einem einzigen Stück Leder verfertigt, das in die Höhe
gebogen und auf der Oberseite zusammengenäht war, und wurden ähnlich
wie Sandalen an die Füße geschnallt.

[Illustration: Unser faröerscher Lootse in seinem Nationalkostüm.

(Nach einer Photographie.)]

Das Boot legte beim Schiffe an und der Distriktsarzt und der
Ortsrichter kamen an Bord. Während das Boot dort lag, versuchte ich,
der Sprache der Färinger zu lauschen und, wenn möglich, ein wenig
davon zu verstehen. Ich wußte ja, daß sie von der alten norwegischen
abstammte und hatte gehört, daß sie mit unserem ländlichen Dialekt
Aehnlichkeit haben sollte, aber im Anfang bemühte ich mich vergebens,
auch nur ein einziges Wort aufzuschnappen, und doch klang der Accent
und der Tonfall genau so, als höre man daheim in der Gegend von Bergen
die Fischer miteinander plaudern.

Nach einem mehrstündigen Aufenthalt setzten wir unsere Fahrt fort.

Auf dem Wege nach Norden zu hatten wir eine frische Brise und ziemlich
dichte Nebel. Wir konnten jedoch +Klein-Dimon+ und +Groß-Dimon+, an
welchen wir vorüberkamen, erkennen.

Es sind dies zwei kleine Basaltinseln, die fast lothrecht aus der See
aufsteigen und im wesentlichen zahlreichen Seevögeln als Schlupfwinkel
dienen.

[Illustration: +Klein-Dimon.+ (Nach einer Photographie von Kapitän
Sörensen.)]

+Groß-Dimon+ hat einen einzigen Ansiedler, dessen Hof auf dem Gipfel
der Südseite der Insel liegt. Waren u. dergl., was von hier herab soll,
wird von der lothrechten Felswand an den Strand hinabgewunden. Die
Leute selber gelangen mittelst eines zum Theil in den Felsen gehauenen
Fußpfades hinauf und hinab. Da die Küste überall sehr steil ist, kann
dort im Winter kein Boot aufbewahrt werden, es muß im Herbst von der
Küste fortgenommen werden. Gebricht es den Bewohnern an irgend etwas,
so müssen sie es durch ein Signal zu erkennen geben, dann kommen Leute
zu ihnen, falls eine Annäherung möglich ist. Von Anfang November bis
Ende März ist es freilich schwer genug, mit einem Boot an der Insel zu
landen, da die See dann so heftig auf die Küste zu stehen pflegt.

In diesem Zeitraum pflegen die Inselbewohner fast ganz von der
Außenwelt abgeschnitten zu sein. Man erzählte mir, daß ihnen vor einer
Reihe von Jahren das Feuer ausgegangen sei. Es war Mitte November.
Sie hatten keine Zündhölzer und mußten infolgedessen ein halbes Jahr
von kalten Speisen leben, ohne Feuer im Ofen oder Licht an den langen
Winterabenden.

Auf Groß-Dimon wurde, so weit wir wissen, der Norweger +Sigmund
Bresteson+ -- der Nationalheld der Färinger -- von seinem Feinde
+Trand+ überfallen und von hier aus soll er -- als er verfolgt wurde
-- zusammen mit seinen Brüdern +Thorer+ und +Einar+ ins Wasser
gesprungen und nach Suderö -- eine Meile südwärts -- geschwommen
sein. Erzählt die Sage wahr, was mir sehr zweifelhaft erscheint,
so ist diese Schwimmtour die größte Heldenthat gewesen, die jemals
ausgeführt wurde, denn +Sigmund+ mußte nicht nur schwimmen, sondern,
als +Einar+ völlig erschöpft war, mußte er ihn auf den Rücken nehmen
und mit ihm schwimmen, bis er todt war, und als sie ein Viertel des
Weges zurückgelegt hatten, nahm er +Thorer+ auf den Rücken und schwamm
mit ihm, bis er Suderö erreichte. Hier wurde +Thorer+ von der Brandung
fortgespült, während +Sigmund+ die Küste erreichte. Dies soll sich zu
Anfang des Winters zugetragen haben und in einem Fahrwasser mit starken
Strömungen. Das wären tüchtige Burschen für eine Nordpolexpedition
gewesen!

Gegen Nachmittag erreichten wir +Torshavn+, welches bekanntlich die
Hauptstadt der Faröer ist. Es ist der Sitz des Amtmannes der Insel,
sowie der übrigen Beamten. Es hat seine eigene Zeitung „Dimmalätting“
(Morgendämmerung), die in Färinger-Sprache gedruckt wird und jeden
Sonnabend erscheint.

Der Ort hat ein kleines Fort mit drei und einer halben Erzkanone,
und wie man mir sagte, eine Besatzung von ungefähr 12 Mann, Andere
behaupteten freilich, es sei keine Spur von Besatzung vorhanden. Die
Mauern waren so hoch, daß wir darüber hinweg springen konnten, als wir
dort oben waren, um die Anlage zu besehen, und das Thor verschlossen
fanden.

Die Stadt liegt an zwei Buchten in einem etwas unebenen Terrain, von
kleineren Hügeln umgeben. Im Hintergrunde erheben sich höhere, jetzt
mit Schnee bedeckte Felsen. Von der See gesehen, gleicht Torshavn in
hohem Grade einem gewöhnlichen Küstenstädtchen im westlichen Norwegen.

[Illustration: Thor aus Kinnbacken des Finnfisches in Torshavn. (Nach
einer Photographie.)]

Die Torshavner leben, wie die übrige Bevölkerung der Faröer,
größtentheils von Fischen. Schafzucht wird freilich auch viel auf den
Inseln betrieben, man sieht hier überall so viele Schafe, wie sonst
kaum irgendwo. Auf jeden Menschen sollen achtzehn Schafe kommen. Da wir
infolge von Sturm vom Sonnabend bis zum Montag in Torshavn bleiben
mußten, hatten wir Gelegenheit, den Tanz der Färinger zu sehen, der
dort jeden Sonntag Abend um 10 Uhr aufgeführt wird.

Dies war der sonderbarste Tanz, der mir jemals vorgekommen ist.
Er bestand darin, daß alle Tanzenden, -- hier mochten es wohl an
Hundert sein -- Männer und Frauen, ohne Ordnung und ohne Eintheilung,
paarweise einander bei den Händen ergreifen und in einem einzigen
großen Kreis oder einer langen Kette tanzen. Man bewegt sich in
einer Art schleppendem Polkatritt zu dem Takt irgend eines Liedes,
oft eines dänischen, meistens aber eines faröerischen, zumal sind
alte Heldenlieder mit monotoner, schleppender Melodie sehr beliebt.
Alle Theilnehmer singen auf eine äußerst natürliche, gellende Weise
mit. Es schien darauf anzukommen, wer am besten mit seiner Stimme
durchzudringen im stande sei.

So bewegt man sich ununterbrochen nach demselben Takt bis 1 oder 2 Uhr
des Nachts im Kreise herum, bei besonders feierlichen Gelegenheiten
dauert diese Lustbarkeit auch wohl noch länger. Bei dem ganzen
Tanz giebt es keine andere Abwechselung, als daß man verschiedene
Schwingungen mit der Kette macht.

Hat man Lust, sich zu betheiligen, so zerreißt man die Kette an einer
beliebigen Stelle und reiht sich ein. Dies thaten sofort mehrere von
den Mitgliedern der Expedition. Sie gaben natürlich acht, zwischen
zwei schöne Mädchen zu kommen und widmeten sich dem Tanz mit einer
Lebhaftigkeit und einer Ausdauer, die einer besseren Sache werth
gewesen wäre.

Dieser Tanz schien die einzige Art und Weise zu tanzen zu sein, die man
auf den Faröern kannte. Er ist sicher eine Ueberlieferung von den alten
Norwegern. Ein ähnlicher hat sich bis zum vorigen Jahrhundert auf
Island erhalten. Er hieß „Viki vaka“. In Norwegen ist er freilich schon
seit langer Zeit verschwunden, und das kann uns nicht wunder nehmen.
Worin das Vergnügen bei dieser Lustbarkeit besteht, ist mir nicht recht
klar geworden.

[Illustration: Basaltfelsen bei Haraldsund, westlich von Klaksvig.
(Nach einer Skizze des Verfassers.)]

Es ist doch etwas Eigenartiges mit diesen Ueberlieferungen aus der
Vorzeit, es hat etwas Rührendes, daß diese Menschen hier jeden
Sonntagabend zusammen kommen, um einen Tanz zu tanzen, der überall
sonst längst verschwunden ist, und um Heldenlieder zu singen, deren
Sinn sie selber kaum mehr verstehen. --

Am Montag Vormittag kamen wir zu dem kleinen Handelsort +Klaksvig+,
dem nördlichsten Hafen, der auf den Faröern angelaufen wird. Er ist
von hohen Basaltfelsen umringt, die eine selbst für die Faröer selten
prononcirte Schichten- und Terrassenformation haben.

Hier halten wir uns zwei Stunden auf, dann geht die Fahrt nordwärts,
und nachdem wir den Reichthum der wilden, zerrissenen Formen bewundert
haben, welchen die Nordküste der Insel unserm Auge bietet, stechen wir
wieder in See und nehmen unseren Kurs auf Island.

Jetzt wird es uns an der Temperatur fühlbar, daß wir uns in nördlichen
Breitengraden befinden. Die Lappen in ihren Rennthierjacken froren
natürlich nicht, aber Einzelne von uns Anderen, die kein Pelzwerk mit
hatten, fanden die Luft doch ein wenig kühl. Dies veranlaßte +Ravna+
zu ziemlich ernsten Betrachtungen und er vertraute sich +Balto+ an,
der sofort zu uns kam und berichtete: „Er, +Ravna+, sagt zu mir: was
haben wir nur einmal gethan, daß wir mit diesen Menschen gegangen sind,
die so wenig Zeug haben, ich sehe, sie frieren schon jetzt, sie werden
in Grönland sterben, wo es so kalt ist, +Sverdrup+, +Dietrichsen+,
+Kristiansen+ und +Nansen+, und da müssen wir beiden Lappen auch
sterben, denn wir kennen ja den Weg nicht.“ --

+Ravna+ befand sich überhaupt weniger wohl an Bord. Im Anfang war er
seekrank, was sich jedoch nach einigen Tagen gab; +Balto+ meinte, weil
er sich von ihm habe mit Seewasser taufen lassen; ganz vertraut mit
der See und dem Schiffsleben wurde er aber niemals. So konnte er sich
durchaus nicht daran gewöhnen, unter Deck zu schlafen, es war ihm zu
beklommen dort, er steckte Kopf und Arme in seine Pelzjacke, kroch wie
ein Hund in einem Winkel auf Deck zusammen und schlief sicher ebensogut
wie wir. +Balto+, der schon früher Erfahrungen in Bezug auf die See
gemacht hatte, fand sich dagegen gleich zurecht an Bord. Er stand auf
gutem Fuß mit der Mannschaft und spielte dabei den großen Mann.

Auf der Seereise von Schottland nach Island, sowie auf dem
Meere zwischen Island und Grönland nahm ich täglich Luftproben,
hauptsächlich, um den Kohlensäuregehalt zu untersuchen. Die Luftproben
werden auf die in der Einleitung angeführte Weise genommen. So brachte
ich sogar Luft aus dem Innern Grönlands mit nach Hause.

Schon auf den Faröern verlauteten böse Nachrichten über die
diesjährigen Eisverhältnisse auf Island. Das Eis sollte so tief
südwärts liegen, wie es „seit Mannesgedenken“ nicht der Fall gewesen;
die Ostküste sei völlig unzugänglich. Nur allzubald sollten wir die
Wahrheit dieses Gerüchtes erfahren, indem wir schon nach 24stündiger
Reise in einer Entfernung von etwa 30 Meilen von Islands Ostküste auf
Eis stießen. Wir schlugen eine nördliche Richtung ein, um zu sehen, ob
es weiter nordwärts möglich sei, das Land zu erreichen, -- es war aber
vergebliche Mühe. Wir trafen auch mehrere Segler, die berichteten, daß
sich das Eis ganz hoch nach Norden hinauf erstreckte.

Am nächsten Tage, Mittwoch den 16. Mai, machten wir am Morgen noch
einen Versuch, die Ostküste ganz im Süden am +Berufjord+ zu erreichen,
aber auch hier hemmte das Eis schon 20 Meilen vom Lande entfernt
unsere Fahrt. Da war nun nichts anderes zu thun, wir mußten unseren
Kurs südwärts nehmen, und mit günstigem Winde segelten wir nun an
der bergigen, malerischen Südküste Islands entlang. Am Nachmittage
und Abend passirten wir Islands höchsten Berg, den +Oeräfajökull+,
der sich direkt vom Meeresufer bis zu einer Höhe von 1960 ~m~ erhob.
Als die Sonne ins Meer versank und ihre letzten Strahlen auf seine
schneebedeckten Seiten und den Wolkenschleier warf, der seinen Gipfel
umhüllt, da bot der Felsen einen großartigen Anblick dar. Hin und
wieder zertheilten sich die Wolken, und seine ganze Kegelform mit ihren
weichen Konturen enthüllte sich unserem Auge.

Der +Oeräfajökull+ ist ein Theil des +Vatnajökull+, auf dessen
südlicher Seite er liegt, dieser bedeutendsten Gletschermasse
in Island, die nächst dem grönländischen Inlandseis die größte
Gletschermasse der arktischen Gegenden ist.

Der Oeräfajökull ist ein alter Vulkan, der wohl nicht viele Ausbrüche
gehabt hat, seit die Norweger sich zum erstenmal in Island ansiedelten,
der aber trotzdem vielen Schaden angerichtet hat. Bei einem Ausbruch
in der Mitte des 14. Jahrhunderts zerstörte er zwei Kirchspiele, und
in +Thorvaldur Thoroddsens+ „+Lysing Island+“ (von Professor +Amund
Helland+ übersetzt) heißt es, daß ganz Litlaherad durch Jökulhlaup[28]
zerstört wurde und an einem Morgen 40 Höfe mit allem, was darin war,
ins Meer gefegt wurden, so daß nur wenige Menschen entkamen. Es
stürzten so viele Steine, Kies und Sand herab, daß dort, wo früher
eine Tiefe von 30 Klaftern gewesen war, sich fortan eine Sandfläche
erstreckte. Der letzte Ausbruch des Oeräfajökulls fand im Jahre 1727
statt, es wurden viele Höfe zerstört und viel Vieh getödtet.

Westlich vom Oeräfajökull und weiter ins Land hinein im Varmàrdalur
liegt Lakis Kraterreihe, wo im Jahr 1783 ein Ausbruch stattfand,
der heftiger und entsetzlicher war als irgend ein anderer seit der
Ansiedlung Islands. +Thoroddsen+ sagt: Man weiß nicht, daß je auf der
ganzen Welt auf einmal so viel Hraun (Lava) zum Vorschein gekommen
ist, wie bei diesem Ausbruch. Es heißt, daß in dieser Lava ebensoviel
Steine enthalten sind, wie in dem ganzen Mont Blanc.[29]

Ueberhaupt sind die mittleren und südwestlichen Theile Islands stark
vulkanischer Natur. Man kann hier dieselben Kräfte in Wirksamkeit
verfolgen, die sowohl Island, wie die Faröer gebildet haben. Die
Lavaströme aus der historischen Zeit haben sich bis 900 ☐~km~ über
älteren Tuft, Basalt oder präglacialer Lava ausgebreitet. Während die
Faröer wie die todte Ruine eines ehemals mächtigen Gebäudes daliegen,
ist derselbe Baumeister auf Island noch immer in Thätigkeit.

Die Hauptzüge in der Konstruktion sind an beiden Orten dieselben.
Island ist gleichsam ein Stapel flacher Basaltschalen, die Faröer
gleichen den Ueberbleibseln eines solchen Stapels, der nach Osten zu in
schräger Richtung ins Meer verläuft.

Am nächsten Morgen -- den 17. Mai -- näherten wir uns den
+Vestmanna-Inseln+ (Vestmannaeyjar), die ungefähr in der Mitte von
Islands Südküste einige Meilen ins Meer hinein liegen.

In dem herrlichsten Sonnenschein bei spiegelblanker See glitten wir
zwischen diesen steilen, hohen Basaltinseln hindurch und warfen vor dem
Hafeneingang auf +Heimaey+ die Anker aus. Es ist dies die größte von
den Inseln und gleichzeitig die einzige von der ganzen Gruppe, welche
bewohnt ist. Hier blieben wir eine Zeit lang liegen, um ein Boot vom
Lande her abzuwarten; so hatten wir Zeit, die Insel zu betrachten und
sie, soweit die Brandung es zuließ, zu photographiren.

[Illustration: Die Vestmanna-Inseln und der Eyafjallajökull bei
Sonnenuntergang.

(Von Th. Holmboe nach einer vom Verfasser im Mai 1882 angefertigten
Skizze.)]

Auch auf den Vestmanna-Inseln frißt das Meer sich ein und untergräbt
die Lavaschichten zu lothrechten Abstürzen mit gewaltigen Thoren
und Grotten. Es lag ein gewisser südländischer Typus über dem
Ganzen, unwillkürlich schweiften die Gedanken zu den Küsten von
Capri hinab und verglichen, aber in Bezug auf die Form tragen die
Vestermannsinseln sicher den Preis davon. Wir steuerten gerade unter
diese hohen Basaltfelsen, wo die Brandung emporspritzte und wo
die Seevögel uns schreiend in großen Schwärmen umkreisten. Es ist
etwas wunderbar Ueberwältigendes in dieser Natur. Man denke sich
einen herrlichen frischen Morgen mit dem strahlendsten Wetter, ein
krystallklares, grünes Meer und gerade vor uns auf dem Festlande
Islands zweithöchsten Berg, den Vulkan +Eyafjallajökull+, der sich
in einem Kegel hart am Meeresstrande zu einer Höhe von 1706 ~m~
erhebt und mit seiner mächtigen, weißen Schneehaube im Sonnenschein
glitzernd daliegt. Weiterhin erblickt man andere Jökler (Eisgletscher),
am hervorragendsten ist der +Hekla+ mit seiner jetzt schneeweißen
Kuppelform.

[Illustration: Die Nordseite der Vestmanna-Inseln. (Nach einer
Momentphotographie.)]

Die Fahrt geht indessen weiter an der Küste entlang, und bald versinkt
auch all diese Pracht ins Meer, nur der Hekla, der Tinnfjallajökull und
der Eyafjallajökull sind noch lange am Horizont sichtbar.

Späterhin am Nachmittage passiren wir +Reykjanäs+ mit Islands einzigem
Leuchtthurm, der auf einer hohen, weit ins Meer hinausragenden Klippe
liegt. Der Leuchtthurm ist in den letzten Jahren mehrfach von Erdbeben
heimgesucht worden. Das letzte Mal barst der Thurm, während zugleich
ein großes Stück des Felsens ins Meer stürzte. Man ist jetzt darauf
gefaßt, daß das Ganze eines schönen Tages im Meere verschwinden wird.
Der Leuchtthurm liegt übrigens auf sehr vulkanischem Boden und in
den traurigsten Umgebungen, die man sich vorstellen kann. Fast das
ganze Reykjanäs ist eine einzige große Lavaebene, die sich ins Meer
erstreckt. Ich war hier vor sechs Jahren am Lande und kann wohl sagen,
daß ich mich nicht erinnere, jemals eine traurigere Strecke Landes
durchwandert zu haben; kaum ein Grashalm war zu erblicken, alles war
kahle, schwarze Lava, die sich bis an den Horizont erstreckte ohne
weitere Abwechselung, als daß sie hie und da eine mehr röthlichere oder
gelblichere Farbe annahm. Außer dem Häuschen des Leuchtthurmwächters
war keine menschliche Wohnung zu sehen, so weit das Auge reichte, kein
lebendes Wesen, außer ein paar mageren, verhungernden Brachvögeln, die
auf der Reise nach dem Norden auf einer Art Wiese vor dem Hause des
Leuchtthurmwächters Rast machten, wo ein paar Schafe sich an einigen
abgestorbenen Grasbüscheln delektirten.

[Illustration: Reykjanäs mit Islands einzigem Leuchtthurm.

(Von Th. Holmboe nach einer Skizze des Verfassers.)]

Die einzige Abwechselung in dieser Einförmigkeit bildeten
einige Dampfsäulen, die an mehreren Stellen aus den kochenden,
schwefelhaltigen Quellen aufsteigen, deren es mehrere auf dieser
Halbinsel giebt. In der Entfernung gesehen, sind sie rauchenden
Kalköfen nicht unähnlich.

[Illustration: Reykjavik mit Islands einziger Landstraße. (Nach einer
Photographie.)]

Vor Reykjanäs ragen mehrere Klippen und Felsen aus dem Meere empor.
Die auffallendste dieser Formationen ist der sogenannte „Mehlsack“,
der wahrscheinlich so genannt ist, weil er eine gewisse Aehnlichkeit
mit einem mächtigen Sack hat, der aufrecht im Meere steht. Diese
Klippen sind bekannt, weil dort einstmals viele Scharen des jetzt
ausgestorbenen Geiervogels (~Alca impennis~) hausten.

Nachdem wir uns durch Wind und starken Seegang hindurchgekämpft
hatten, welch letzterer „Thyras“ Fahrt auf ein fast negatives Resultat
reduzirte, gelangten wir endlich in der Nacht nach Islands Hauptstadt
+Reykjavik+.

Wir sollten uns hier nicht lange aufhalten, hatten aber doch am Morgen
des nächsten Tages Gelegenheit, an Land zu gehen und die Stadt während
einiger Stunden zu besehen.

+Reykjavik+ ist keine große Stadt, sie hat ungefähr 3-4000 Einwohner
und besteht aus kleinen hölzernen Häusern, die über eine Ebene
zerstreut liegen. Es sind dort nur zwei Steingebäude, -- das
Althingsgebäude, in welchem Islands Althing oder Reichstag tagt, und
die Domkirche, -- sie sind aus Lava gebaut, woran die Insel sehr
reich ist, da die Lava fast den Hauptbestandtheil derselben bildet;
man kann sich nur wundern, daß nicht mehr Häuser aus diesem Material
erbaut werden, um so mehr als die Insel nicht einen einzigen Baum
aufzuweisen hat und jedes Stückchen Holz von außen her, größtentheils
aus Norwegen, eingeführt werden muß. Vor dem Althing liegt ein großer,
grasbewachsener Platz, der Austarvöllur, auf dem eine Bildsäule aus
Bronze von +Thorwaldsen+ steht, dessen Eltern aus Island stammen sollen.

Reykjavik muß eine äußerst bureaukratische Stadt sein, denn, wie
man sagt, wohnen nicht weniger als vierzig Beamte dort, so daß also
mindestens ein Beamter auf je hundert Einwohner kommt. Die armen
Menschen! Man sollte fast glauben, es müsse ein reiches Land sein, das
so viele Standespersonen ernähren kann!

Späterhin am Tage verließen wir Reykjavik, nachdem wir die Offiziere an
Bord des dänischen Kriegsschiffes „Fylla“ begrüßt hatten, das in den
Hafen dampfte, als wir eben im Begriff waren, ihn zu verlassen.

Wir richten unsern Kurs auf Snefellsnäs, um dann zu unserm nördlich
gelegenen Bestimmungsort Isafjord zu gelangen. Am Abend, gerade bei
Sonnenuntergang passirten wir den Snefellsjökull, der ein alter, auf
der Spitze des Vorgebirges gelegener Vulkan ist. Gleich einem Kegel
steigt er steil auf zu einer Höhe von 1413 ~m~. Er ist als vorzügliches
Seezeichen wohl bekannt, und manches Schiff hat seine weiße Mütze
sicher in den Hafen geleitet. Jetzt im Schein der untergehenden Sonne,
wo die letzten Strahlen seinen weißen Gipfel mit röthlichem Schimmer
färben, gewährt er einen zauberhaften Anblick.

[Illustration: Die „Thyra“ vor Snefellsnäs. (Von Th. Holmboe nach einer
Skizze des Verfassers.)]

Als wir am Morgen, den 19. Mai, auf Deck kamen, wurden wir von einer
steifen nördlichen Brise mit Schnee und Regen begrüßt, die hohen
Basaltfelsen an der Küste waren bis zum Fuß mit Schnee bedeckt, hier
und da sah man einzelne Eisblöcke in der See schwimmen. Es waren
Vorläufer, die meldeten, daß das Eis nicht mehr fern sei. Wir befanden
uns nun in der Nähe des Oenundarfjords und da die Brise anfing sich zu
einem Sturm mit einem dichter werdenden Schneegestöber zu steigern,
suchten wir hier, in dem vorzüglichen Hafen eine Zufluchtstätte, um
das Unwetter abzuwarten. Der Sturm nahm nun mit rasender Schnelligkeit
zu, und wir bekamen einen kleinen Begriff davon, was ein Sturm in
diesem nördlichen Fahrwasser zu bedeuten hat. Man wagte sich nicht
unnöthig auf Deck; man konnte sich freilich auf den Beinen halten,
aber der Sturm war doch derartig, daß man die Nase, sobald man sie
herausgesteckt hatte, schleunigst wieder einzog. Wir lagen indessen
sicher und gut im Hafen. Es war der Abend vor Pfingsten, weshalb
sollten wir es uns da nicht innerhalb unserer vier Wände so gemüthlich
wie möglich machen? Von der Landschaft ringsumher sahen wir nur sehr
wenig, eigentlich nur den Fuß der wahrscheinlich sehr hohen Felsen,
und oft auch den nicht einmal. Aus allem, was wir erkennen konnten,
ging hervor, daß wir uns in einer ausgeprägten Basaltgegend befanden.
Allmählich bedeckte indessen eine dichte Schneeschicht alles, und das
einzige, was sich von der Landschaft sagen ließ, war, daß hier ein
vollständiger Winter herrschte, und daß man, wenn der Schnee ein wenig
trockener gewesen wäre, man sicher die vorzüglichste Skibahn gehabt
hätte.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, befanden wir uns in Isafjord, wo
wir der Bestimmung nach an Land gehen sollten. War es in Oerundafjord
Winter gewesen, so war das hier nicht minder der Fall. Soweit das Auge
reichte, war alles mit Schnee bedeckt. Isafjord ist die zweitgrößte von
Islands drei Städten, sie liegt an einem kleinen Fjord, zwischen hohen
Felsen eingeklemmt.

In Isafjord sagte man mir, das Treibeis läge nicht weit nach Norden
hinauf, es läge südlich vom Kap Nord. Bei starken nördlichen Strömungen
könne es noch weiter südwärts treiben und den Eingang des Fjords
versperren. Dies geschieht freilich nur äußerst selten, aber es war
doch eine Möglichkeit vorhanden, daß der „+Jason+“ Schwierigkeiten
haben würde hereinzukommen und uns abzuholen. Um dies nicht zu
riskiren, beschloß ich, nach dem südlich gelegenen Dyrafjord zu gehen,
der nie durch Eis verschlossen wird, um dort den „+Jason+“ abzuwarten.
Dies stimmte mit der getroffenen Verabredung überein. Ich hinterließ
einen Brief in Isafjord, in welchen ich den Kapitän des „+Jason+“
benachrichtigte, daß wir in Dyrafjord zu finden seien, worauf wir,
nachdem wir uns überzeugt hatten, wie weit nach Süden hin das Eis lag,
eine südliche Richtung einschlugen.

[Illustration: Dyrafjord mit dem Glamujökull im Hintergrunde, von
Thingeyre aus gesehen.

(Nach einer Skizze des Verfassers.)]

Als wir am folgenden Morgen auf Deck kamen, segelten wir bei herrlichem
Wetter in den Eingang des schönen Dryafjord ein. Der Winter hatte
sich nun abermals zum Theil ins Gebirge zurückgezogen, und am Strande
entlang lächelte uns ein Stück Frühling entgegen. Bald warfen wir in
dem Hafen vor +Thingeyre+, dem Handelsplatz des Fjordes, unsere Anker
aus. Hier nahmen wir Abschied von „Thyras“ Führer, Kapitän +Sörensen+,
und der Mannschaft. Sie hatten vom ersten Augenblick an alles gethan,
um uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, -- beim
Abschiede sandten sie uns einen donnernden Salut nach.

Auf Thingeyre wurden wir von dem Kaufmann Konsul +Gram+, unter dessen
Dach wir die Wartezeit zubringen sollten, auf das herzlichste empfangen.

Der Handelsplatz, der seinen Namen dem Umstand verdankt, daß dort
früher das Thing abgehalten wurde, liegt auf einer angeschwemmten Bank
-- isländisch „~eyre~“ -- oder Landzunge, die sich ins Meer erstreckt.
Diese Landzunge ist eine Moräne, welche vor langen Zeiten, als Island
mit Eis und Schnee bedeckt war, von dem Gletscher vorgeschoben worden,
der den Fjord füllte und ihn -- wenigstens theilweise vertieft und
gebildet hat. Nach innen liegen mehrere solcher Moränen, eine vor der
anderen, und sie erstrecken sich gleich flachen Rücken theils über,
theils unter dem Wasser quer durch den Fjord; sie erschweren das
Vordringen der Schiffe und Böte oft sehr.

[Illustration: Der südliche Theil des Vestfirdir, vom Glamujökull aus
gesehen.

(Nach einer Skizze des Verfassers.)]

Diese Moränen sind unwiderlegliche Zeugen aus der Eiszeit, und in ihnen
sind unendliche Massen von Steinen und Sand fortgeschoben worden.

Dyrafjord ist zu beiden Seiten von steilen Basaltfelsen, ähnlich wie
wir sie auf den Faröern sahen, umgeben und im Hintergrunde wird es von
dem mächtigen +Glamujökull+ abgeschlossen. Dieser ist freilich nicht
sehr hoch -- er mißt ungefähr 910 ~m~ --, aber er ist doch der höchste
Berg des Westlandes, das im Grunde eine Insel für sich selbst bildet
und nur durch eine 10 ~km~ breite Landenge mit dem Hauptlande verbunden
ist.

Der Glamujökull besteht wie die ganze Landschaft hier rings umher aus
Basalt. Eines Tages bestiegen wir den Jökull. Wir nahmen Ski und Truger
mit, da es so aussah, als wäre dort oben tiefer, weicher Schnee. Darin
hatten wir uns jedoch geirrt, wir fanden sehr harten Schnee, auf dem
man sehr wohl gehen konnte, der aber auch eine vorzügliche Skibahn
darbot, ja eine allzugute, wie wir später zu unserem Kummer erfahren
sollten.

Wir hatten das schönste, klare Wetter und eine vorzügliche Aussicht vom
Gipfel herab. Es ist eine ganz eigenartige Landschaft, die man hier
vor sich hat, eine schneebedeckte, auffallend flache und ausgedehnte
Hochebene, die sich nach allen Seiten steil ins Meer stürzt. Im
Hintergrunde nach Süden zu sieht man den Snefellsjökull am Horizont
emporragen, leicht kenntlich an seiner kegelförmigen Gestalt.

Man erhält von hier oben gleichsam plötzlich einen deutlichen
Ueberblick über die Entstehung des ganzen Landes, wie die Basaltströme,
aus denen es gebildet ist, sich still und gleichmäßig nach allen Seiten
ergossen und eine große, zusammenhängende Fläche gebildet haben. Dann
ist das Meer und das Wetter mit Frost und Regen gekommen und während
der Eiszeit kamen die Gletschermassen und zehrten an der Fläche,
besonders an den Rändern, wo sich Fjorde und Thäler (Senkthäler)
bildeten. Späterhin hat die Verwitterung die Erweiterung derselben
fortgesetzt, sie haben jedoch nur am äußersten Rande einzudringen
vermocht, während die Hochebene in ihrem Innern noch ebenso flach und
unberührt daliegt, als da sie gebildet wurde.

[Illustration: Isländischer Bauerhof.

(Von A. Nielsen nach einer Photographie.)]

Auf dem Heimwege liefen wir auf Ski die steile Felswand hinab, wo wir
die schönsten langen Skihügel mit hartem Schnee fanden, auf denen
unsere stahlbeschlagenen Ski wie Glas dahinflogen. In sausender Fahrt
ging es über die Höhen dahin. Da ging +Balto+ unvorsichtig zu Werke
und wurde kopfüber einen kleinen Felsvorsprung hinabgeschleudert. Beim
Fallen verletzte er sich das eine Knie so ernstlich, daß wir unsere
liebe Noth hatten, ihn wieder nach Hause zu schaffen. Beim Aufsteigen
war +Balto+ sehr groß gewesen, er meinte: „Für uns Lappen ist es eine
Kleinigkeit, wir stecken den Stab zwischen die Beine und dahin geht’s.“
Als er aber diese Kunstfertigkeit bei dem ersten steilen Abhang zeigen
sollte, erging es ihm übel, und wir konnten uns ja trotz unseres
Mitleids des Lachens nicht enthalten. Längere Zeit hindurch war er nun
Invalide, und ich glaubte mich schon eines meiner Kameraden beraubt, ja
ich machte mich schon mit dem Gedanken vertraut, einen Ersatzmann für
ihn aus Island mitzunehmen, obwohl ich dort wohl schwerlich Jemanden
gefunden haben würde, der sich darauf eingelassen hätte, mitzugehen.
Bei täglicher Massage erholte er sich jedoch bald so weit, daß ich
Hoffnung hatte, ihn mitnehmen zu können, er selber war sehr muthlos
und fühlte sich äußerst unglücklich bei dem Gedanken, zurückbleiben
zu müssen. Ebenso +Ravna+, der glaubte, daß er entweder gezwungen
sein würde, allein mit uns zu gehen oder auch die Reise und damit den
Verdienst aufzugeben.

Die Zeit wurde uns übrigens auf Thingeyre keineswegs lang. Bald
bestiegen wir Berge, bald fuhren wir auf dem Fjord auf Jagd, bald
ritten wir, besuchten Bauerhöfe etc. etc. Besonders die Ritte auf den
kleinen, vorzüglichen isländischen Pferden waren äußerst amüsant.

Sitzt man quer über so einer kleinen Ratte und ist -- wie der Schreiber
dieses -- von Natur nicht gerade klein, so nimmt man sich kaum zu
seinem Vortheil aus, denn die Füße befinden sich in bedenklicher Nähe
des Erdbodens. Man erhält ein unheimliches Gefühl der Unsicherheit,
wie lange der Pferderücken wohl halten wird. Wenn es dann aber, was
das Zeug halten will, im wildesten Galopp dahingeht, über unwegbare
Stellen, wo die Steine unter den Pferdehufen rollen, durch Moore, wo
das Pferd fast versinkt, über Bäche und Klüfte, an steilen Hügeln
in die Höhe, an Felsabhängen und glatten Felsspalten entlang, kurz
durch ein solches Terrain, in dem ein gewöhnliches Pferd bei den
ersten Schritten die Beine brechen würde, und überall in derselben
rasenden Eile, ohne daß das Pferd auch nur einen einzigen Fehltritt
thut, -- ja da erhält man Respekt vor diesem gewiß in der ganzen
Welt unübertroffenen Gebirgspferd! Den höchsten Grad erreicht die
Verwunderung aber, wenn man an einen Gebirgsfluß kommt und sieht, wie
das Pferd entweder ohne weiteres durch den Strom watet, oder anfängt zu
schwimmen, während man selber zusehen kann, wie man trocken bleibt. Ist
der Fluß nicht sehr tief, so thut man am besten, die Beine auf den Hals
des Thieres zu legen, wenn man da nicht bei einer unerwarteten Bewegung
des Pferdes herunterrollt. Bekanntlich giebt es auf ganz Island weder
Wege noch Brücken, auf dem Pferderücken oder zu Fuß aber kommt man
überall durch.

Auf einem Bauerhof, in der Nähe von Dyrafjord, kaufte ich ein kleines
Pferd, das ich für die Expedition mitzunehmen gedachte. „Dies Pferd“
-- schrieb ich am 4. Juni in einem Brief nach Norwegen -- „nehme ich
mit, um es zum Ziehen des Bootes und der Bagage über die Eisschollen
an Grönlands Ostküste zu verwenden, und -- falls wir es so weit
mitbekommen, -- als Saumthier, um die Felsen an der Küste zu besteigen.
Es ist ja zweifelhaft, ob wir viel Nutzen davon haben werden, aber
jedenfalls bekommen wir, wenn wir es todtschießen, eine gute Mahlzeit
frischen Fleisches.“

Leider sollten wir nicht viel Nutzen davon haben! Es ist nicht so
leicht, im Frühling auf Island Futter aufzutreiben; so kam es denn, daß
ich mit Mühe und Noth Futter für nur einen Monat zusammenkaufen konnte.

Es war ein prächtiges, kleines Thier und hatte die seltene Eigenschaft,
daß es ans Ziehen gewöhnt war. Es war vor dem Pfluge gebraucht worden,
und das ist eine große Seltenheit auf Island, wo die Pferde ja
gewöhnlich nur mit Sattelzeug oder Saumsattel benutzt werden.

Eines Morgens während unseres Aufenthalts in Dyrafjord kam ein
Dreimaster in den Fjord gedampft und ankerte im Hafen, es war das
dänische Kriegsschiff „Fylla“. Dies war für uns natürlich eine Quelle
großer Freude. Mehrere Tage hindurch genossen wir den Umgang der
liebenswürdigen Offiziere und brachten manche gemüthliche Stunde an
Bord zu.

Indessen näherte sich unsere Wartezeit nun ihrem Ende. Wir konnten
jeden Tag gefaßt sein, den „Jason“ in den Fjord dampfen zu sehen, --
und fingen bereits an, ein wenig ungeduldig zu werden.

Da, an einem Sonntagvormittag -- es war am 3. Juni -- erblickten
wir weit draußen in der Fjordmündung einen kleinen Dampfer, welcher
sich keuchend näherte, -- Niemand wußte, was für ein Schiff das sein
könne, man kam aber bald zu dem Resultat, daß es eines von den kleinen
norwegischen Walfischfängern in Isafjord sein müsse. Er fährt um die
„Fylla“ herum, grüßt mit der norwegischen Flagge und geht im Hafen vor
Anker, ein Boot wird herabgelassen und kommt an Land. Unsere Freude
war groß, als wir in dem ersten Mann, der das Ufer betritt, Kapitän
+Jakobsen+, den braven Führer des „Jason“ erkannten. Es giebt natürlich
ein stürmisch bewegtes Wiedersehen, der Zusammenhang war mir bald
klar. Der „Jason“ war nach Isafjord gekommen, hatte uns dort nicht
gefunden und wollte deshalb nach Dyrafjord weiter gehen, aber der Wind
war entgegen, und es würde ihm mit seinem schweren Segelzeug schwer
geworden sein, gegen den Wind anzudampfen. Da war denn der Direktor
der norwegischen Walfischfanggesellschaft in Isafjord, Herr Grossierer
+Amli+ aus Kristiania, so unbeschreiblich liebenswürdig gewesen, uns
den „Isafold“, eins seiner Dampfböte, ohne Säumen nachzusenden, um
uns zu holen. Ein neuer, von einem Landsmann ausgehender Beweis, mit
welchem Wohlwollen die Expedition begleitet wurde.

[Illustration: Isländisches Bauermädchen in Nationalkostüm.

(Von A. Bloch nach einer Photographie.)]

Es entstand natürlich eine große Geschäftigkeit, alles in Ordnung
zu bringen; es fehlte auch nicht an helfenden Händen, die unsere
Bagage an Bord brachten. Allgemeines Interesse erregte es, daß das
kleine isländische Pferd über die Landungsbrücke sollte. Armes Thier,
es entschloß sich nur sehr widerwillig dazu, es mußte fast getragen
werden, hätte es aber eine Ahnung gehabt, welchem Schicksal es entgegen
ging, so glaube ich kaum, daß wir es aufs Schiff bekommen haben würden.

Als alles in Ordnung war und wir Abschied von Konsul +Gram+, von Faktor
+Wendel+ und den anderen in Dyrafjord gewonnenen Freunden genommen
hatten, dampften wir zum Fjord hinaus und stachen mit nördlichem Kurs
in See.

Die „Fylla“ sandte uns einen letzten Abschiedsgruß zu, indem die Musik
den norwegischen Nationalgesang (Mens Nordhavet bruser) anstimmte.
Lange noch hörten wir die Töne über das Meer hinschallen.

Schon am selben Abend warfen wir im Isafjordhafen unter kräftigen
Salutschüssen vom „Isafold“ wie vom „Jason“ unsere Anker aus. Der
„Jason“ war so reich mit Flaggen geschmückt, daß +Balto+ meinte,
„es sähe mit den vielen Flaggen aus wie ein Moor, das mit rothen
Multebeeren bedeckt sei“.

Als wir den „Jason“ betraten, wurden wir mit einem donnernden Hurrah
von der ganzen, aus nicht weniger als 63 Mann bestehenden Besatzung
begrüßt.

Der „Jason“ hatte bis zu jenem Tage einen ziemlich guten Fang gehabt,
er war in jenem Sommer eins der bevorzugtesten Schiffe von der ganzen
Seehundsfängerflottille. Er hatte 500 junge und ungefähr 1100 alte
Seehunde gefangen.


Fußnoten:

[28] Wenn ein Eisgletscher über einem Vulkan lagert, entströmt diesem
in der Regel keine Lava, sondern die Lava verwandelt sich in Asche.
Dagegen schmilzt etwas von dem Jökuleis, während anderes zerbricht
und mit gewaltiger Kraft den Berg hinabstürzt. Dies nennt man
„Jökulhlaup“. Da werden auf das Flachland Eis, große Steine, Kies und
Schlamm hinabgeführt, und nichts, was diesem Strom in den Weg kommt,
kann widerstehen. Es ist leicht zu verstehen, daß solche „Jökulhlaup“
weit gefährlicher sind als Lavaströme, weil sie mit einer so rasenden
Schnelligkeit kommen, während die Lava nur langsam fortschreitet.

[29] Siehe +A. Helland+: ~Lakis kratere. Univ. program, Kra. 1886.~



Kapitel V.

Reise von Island zum Klappmützenfang.


Am Abend des 4. Juni lichteten wir im herrlichsten Sonnenschein die
Anker. Gerade als wir den Fjord verließen, warf die sinkende Sonne
ihren letzten liebkosenden Schein auf die Basaltfelsen des Isafjords.
Die Westseiten derselben lächelten in der Abendsonne, während kalte
Schatten über allen Spalten der Abhänge in der Nähe der Gipfel und in
allen Klüften lagerten, die das Wasser an den Seiten gegraben hat, die
eigenthümlichen wagerechten Formationen schärfer hervorhebend.

Bald sandten wir diesem letzten Stück Europa unsern Abschiedsgruß zu,
ließen es hinter uns liegen und stachen in See.

Während wir uns vom Lande entfernen, schließt sich uns eine nach
Hunderten zählende Schar dreizehiger Möven (~Larus tridactylus~) an,
uns lautschreiend gleich einer weißblauen Wolke umschwebend, bald
sinkend, -- mit ausgebreiteten Flügeln dicht über das Kielwasser des
Schiffes dahinfliegend, -- bald steigend, in ihrem leichten anmuthigen
Lufttanz zu dem blauen Himmel aufflatternd.

Hier war Gelegenheit, die Geschicklichkeit im Vogelschießen zu üben, --
sie im Fluge mit der Kugel zu treffen, ist nicht so ganz leicht; mit
der Zimmerpistole und dem Revolver zielten wir auf sie. Die meisten
Schüsse treffen nicht; der Vogel schüttelt nur die Schwingen und
fliegt weiter, jetzt aber wird eine Möve getroffen, sie ist nicht ganz
todt, sie schlägt mit den Flügeln und sinkt, -- anmuthiges hülfloses
Geschöpf! Das Schiff geht ruhig weiter, es läßt sich nicht durch einen
klagenden Vogel in seinem Kurs stören, -- aber man kann ihn lange
sehen, weit, weit dort hinten, umkreist von seinen Kameraden mit ihrem
kläglichen, vorwurfsvollen Geschrei, mit den kraftlosen Flügeln die
Wasserfläche peitschend. Wie erbärmlich, ohne Zweck und Ziel einen
glücklichen Vogel um eines zweifelhaften Vergnügens willen zu opfern.

An jenem Tage wurde keine Büchse mehr angerührt, -- so etwas hinterläßt
eine kurze Weile einen tiefen Eindruck, dann aber wird es vergessen.

Ehe wir das isländische Fischrevier verlassen, müssen wir versuchen,
eines Gerichts frischen Fisches habhaft zu werden. Ungefähr eine Meile
vom Lande entfernt machen wir also Halt und werfen die Leinen aus. Nun
folgt eine Spannung von mehreren Minuten, während welcher Niemand ein
Wort spricht, -- an der einen Leine zuckt es, sie wird aufgezogen. Man
lehnt sich über den Schiffsrand; dort ganz unten im Wasser erglänzt es
weiß, ein großer, zappelnder Dorsch wird an Deck gezogen. Bald folgt
ein Fisch dem andern. Es ist ein lebhafter Wettstreit, wer die meisten
fängt. Es währt denn auch nicht lange, bis wir ein gutes Gericht Fisch
für uns und für die ganze Schiffsmannschaft haben. Mit dem Dorsch ist
es nun an und für sich ganz gut, aber es wäre ganz angenehm, wenn wir
auch einige Hellflundern fangen könnten. Deshalb fahren wir weiter
hinaus, dorthin, wo die Hellflunderbänke sein sollen. Wir machen einen
Versuch, sind aber diesmal nicht so glücklich. Wir wechseln den Platz
und suchen abermals, -- dasselbe Resultat. Ja, dann können wir nicht
mehr Zeit daran wenden, und wir richten unsern Kurs westwärts, auf das
Eis zu.

Es ist eine herrliche nordische Nacht. Die Sonne ist in das Meer
gesunken, -- im Westen und im Norden glüht noch der Tag. Ueber uns
der vielfarbige Himmel, -- unter uns das spiegelblanke Meer, das sich
in schwermüthigen Gedanken wiegt, -- in weicheren, noch feineren
Tönen giebt es einen Wiederschein von der gedämpften Farbenpracht
des Himmels, -- dazwischen der schwarze „Jason“, den seine Maschine
keuchend und stöhnend westwärts trägt. Hinter uns verschwindet Islands
Felsenküste in bläulich violettem Ton langsam im Meere, -- hinter uns
liegt die Heimath und das Leben, was aber liegt vor uns? Niemand weiß
es, aber es muß wohl etwas Schönes sein: Es ist eine gute Vorbedeutung,
die Fahrt unter einem solchen Himmel zu beginnen!

Solche Nächte sind doch das Schönste von allem Schönen auf Erden!

Was ist das Leben, -- ist es mehr als Hoffnung und Erinnerung?
Die Hoffnung, die gehört möglicherweise dem Morgen an, aber die
Erinnerungen, alle die lieblichen Erinnerungen, sie gehören dem Abend
und der Nacht.

Schon am folgenden Tage, Dienstag, den 5. Juni, erreichten wir das Eis,
das sich sehr weit nach Süden hin erstreckt.

Der Eindruck, den der Anblick der Treibeismassen des Polarmeers auf
den Seereisenden macht, wenn er das erste Mal mit ihm in Berührung
kommt, ist ganz eigenthümlich. Was man erblickt, ist für die
Meisten sicher sehr verschieden von dem, was man erwartet hat. Eine
gaukelnde Traumwelt mit wilden, phantastischen Formen, die nach allen
Richtungen hin über dem Horizont aufragt, stets wechselnd, immer
neu, ein Reichthum von strahlenden Regenbogenfarben, -- so ist das
Phantasiegebilde, das gewöhnlich von jenen Gegenden gemalt wird. So
aber sieht diese Eiswelt keineswegs aus; sie ist einförmig und einfach,
und doch macht sie einen eigenartigen Eindruck auf das Gemüth. Im
kleinen hat sie Formen, die bis in das Unendliche wechseln, und Farben,
die in allen Schattirungen von Blau und Grün spielen und sich brechen,
-- im großen aber wirkt diese Natur gerade durch ihre einfachen
Gegensätze. Das treibende Eis, das sich gleich einer mächtigen, weißen
Fläche glänzend und schimmernd ausdehnt, so weit das Auge reicht, einen
weißen Wiederschein auf Luft und Wolken werfend, -- das dunkle Meer,
das sich oft fast kohlschwarz von der weißen Fläche abhebt, -- und über
all dieser Einförmigkeit ein Himmel, bald weißblau an hellen Tagen,
bald dunkel drohend, mit treibenden Wolken bedeckt oder in dichte Nebel
gehüllt, bald erglühend im Sonnenauf- und Untergang, oder träumend in
der lichten Sehnsucht der Nächte. Und dann die dunkle Jahreszeit mit
den seltsamen Nächten, mit Sternenschimmer und Nordlicht über diesen
weißen Flächen spielend, oder der Mond, der wehmuthsvoller als sonst
auf Erden seine lautlose Bahn durch eine öde ausgestorbene Natur zieht.
Der Himmel hat in diesen Gegenden eine größere Bedeutung als überall
sonst, die Landschaft selber ist sich stets gleich, der Himmel aber
giebt ihr Farbe und Stimmung.

[Illustration: Die erste Begegnung mit dem Eise 1882. (Gezeichnet von
Th. Holmboe.)]

Niemals werde ich den Eindruck vergessen, den der erste Anblick dieser
Natur auf mich machte. Es war in einer finsteren Märznacht im Jahre
1882, als ich an Bord eines Seehundsfängers von Norwegen aus den
Eismassen entgegenfuhr, und in der Gegend von Jan Mayen das erste
Eis gemeldet wurde. Ich sprang auf Deck und starrte hinaus, aber
alles rings umher war finstere Nacht; ich konnte nichts erblicken.
Da plötzlich tauchte etwas Großes, Weißes aus dem Dunkel auf, es
wuchs und wurde immer weißer, wunderbar weiß im Gegensatz zu der
rabenschwarzen Meeresfläche. Das war die erste Eisscholle. Dann kamen
mehrere; sie tauchten schon in der Ferne auf, mit einem plätschernden
Geräusch glitten sie vorüber und verschwanden wieder. Da gewahrte ich
plötzlich einen sonderbaren Schein am nördlichen Himmel; am stärksten
war er unten am Horizont, erstreckte sich aber hoch gegen den Zenit.
Gleichzeitig vernahm ich ein schwaches Brausen, das von Norden kam,
dem Schall der Brandung gleich, wenn sie gegen eine Felsenküste
schlägt. Es war das Treibeis, das vor uns im Norden lag. Das Licht
war der Wiederschein, den die weiße Fläche desselben auf die nebelige
Luft wirft, das Geräusch aber rührte von der See her, welche über die
Eisschollen dahinbrauste, die rasselnd gegeneinander prallten. In
stillen Nächten kann man das Getöse ganz weit hinaus im Meere hören.

Wir näherten uns mehr und mehr, das Geräusch wurde stärker, die
treibenden Schollen um uns zahlreicher, -- jetzt stieß das Schiff
zuweilen gegen eine an. Unter schrecklichem Getöse wurde sie in die
Höhe gehoben und von dem starken Bug bei Seite geschleudert. Manchmal
waren die Stöße so heftig, daß das ganze Schiff bebte und man vornüber
auf das Deck geworfen wurde. Man konnte wahrlich nicht mehr in Zweifel
sein, daß man hier etwas Neuem, Unbekanntem entgegenfuhr. Wir nahmen
unsern Kurs ein paar Tage hindurch am Eise entlang. Da zog eines Abends
ein Unwetter herauf, wir waren des Seegangs müde und beschlossen, in
das Eis hineinzugehen, um dort den Sturm abzuwarten. Ehe wir aber
den Rand des Eises erreichten, brach der Sturm los. Die Segel wurden
gerefft, schließlich hatten wir nur noch ganz verschwindend wenig
Leinwand zurückbehalten, -- trotzdem aber flogen wir in sausender Fahrt
dahin. Das Schiff stieß gegen das Eis an, es wurde von einer Eisscholle
gegen die andere geschleudert, aber es mußte vorwärts und bahnte sich
seinen Weg durch die Finsterniß. Und nun kam das Schlimmste, nämlich
der Seegang, der immer stärker wurde. Die Eisschollen thürmten sich
auf, schlugen gegeneinander, es brauste und lärmte rings um uns her,
aber die kräftigen Kommandorufe des Kapitäns vermochten das Brausen
der Brandung zu übertönen. Pünktlich und schweigend gehorchten ihm die
bleichen Männer, alle waren auf Deck, unter Deck war sich jetzt, wo das
Schiff in allen Fugen krachte, Niemand seines Lebens mehr sicher.

Und weiter ging es in das Eis hinein, es schäumte und brauste vor dem
Bug, die Eisschollen rollten heran, zerschellten, wurden untergedrückt
oder bei Seite geschoben, -- da war keine Rede von Widerstand. Dort vor
uns im Dunkeln erhebt sich eine mächtige, weiße Eisscholle, sie droht
die Davids und das Takelwerk an der einen Seite fortzufegen; das Steuer
wird gewendet und unbeschädigt gleiten wir vorüber. Da rollt eine große
Welle heran, sie bricht sich weiß schäumend an der Windseite, das
Schiff erhält einen gewaltsamen Stoß, ein Krach erschallt, Holzsplitter
sausen uns um die Ohren, das Schiff legt sich auf die Seite, ein neuer
Krach ertönt, -- auf beiden Seiten ist die Schanzbekleidung zertrümmert.

Aber je weiter wir in das Eis hinein kommen, desto ruhiger wird es.
Der Seegang ist hier nicht so fühlbar, das Getöse wird schwächer,
nur der Sturm saust stärker denn je über uns hin. Es war ein Wagniß,
sich bei einem solchen Sturm auf das Eis zu begeben, aber wir gingen
unbeschädigt daraus hervor und waren jetzt in sicherem Hafen. Als
ich am nächsten Morgen auf Deck kam, war es bereits heller Tag, --
rings um uns her lag das Eis weiß und friedlich, nur die zertrümmerten
Schanzbekleidungen erinnerten an eine stürmische Nacht.

Ja, das war meine erste Begegnung mit dem Eise.

Wie ganz anders dagegen war es jetzt, -- an einem sonnenhellen Tage
erblickten wir es, blendend weiß lag es zitternd und bebend im
Sonnenlichte da; leise und friedlich trieb das Meer seine Wogen gegen
das kalte Gestade.

Man darf sich die Treibeismassen des Eismeeres nicht wie eine einzige,
zusammenhängende Fläche vorstellen. Sie bestehen aus zusammengestauten
Massen von größeren und kleineren Schollen, die eine Dicke von 6 ~m~,
ja 12-15 ~m~ und mehr haben können. Wie sie gebildet werden und woher
sie kommen, weiß noch Niemand mit Sicherheit zu sagen, -- dieser Prozeß
muß irgendwo auf dem offenen Meer im höchsten Norden vor sich gehen,
dort, wohin noch Niemand gelangt ist. Von dem Polarstrom wird dann das
Eis südwärts an der Ostküste Grönlands entlang geführt. Hier werden
von der See die großen, zusammenhängenden Flächen zertrümmert, und
die kleineren Schollen treiben dann weiter nach Süden zu. Durch das
Zusammenpressen und Zusammenstauen des Eises während eines starken
Seeganges thürmen sich die Schollen oft aufeinander auf und bilden
Eisberge, die 6-8 ~m~ über dem Meeresspiegel emporragen können.

Das auf diese Weise zerkleinerte Polareis trifft der Seehundsfänger
in der Dänemarksstraße an, und zwischen diesen oft sehr gefährlichen
Eisschollen bahnt er sich auf der Jagd nach Klappmützen seinen Weg mit
seinem starkgebauten Fahrzeuge.

Mehrere Tage gehen wir nun südlich am Eise entlang. Am Mittwoch
erblicken wir +Staalbjerghuk+, das nach unserer Berechnung 8
geographische Meilen von uns entfernt liegt.

Am Donnerstag -- den 7. Juni -- kamen wir an eine von Schlampeis
umgebene Eisspitze. Einzelne Klappmützen zeigen sich auf den Schollen.
Es war ein gutes Zeichen, so früh schon in der ersten Eisbucht, zu
der man kam, Seehunde zu sehen, und Bilder von Fangjahren, wie man
sie in früheren Zeiten hier in Grönland gekannt hatte, stiegen in der
lebhaften Phantasie der Seehundsfänger auf. Sie waren ja alle stark an
dem Erfolg interessirt, da ihre Einnahme davon abhängig ist, und die
Hoffnung hat bei vielen Menschen glücklicherweise die Angewohnheit,
ihnen das vorzuspiegeln, was sie wünschen. Sie steigt leicht, um ebenso
schnell wieder zu fallen.

Man erblickte mehrere Seehunde auf dem Eise, und der Kapitän entschloß
sich, einen kleinen Versuch zu wagen und einige Böte auf den Fang
auszusenden. Die Böte der einen Wacht, also die Hälfte sämtlicher
Schiffsböte, wurden ausgeschickt. Kapitän Sverdrup und Lieutenant
Dietrichson, die noch niemals an einem Fang theilgenommen hatten,
brannten natürlich vor Eifer, diese Unmenge von Wild zu sehen und
darauf zu schießen, sie waren deshalb nicht wenig erfreut, als es
endlich von dannen ging; ihrer Unerfahrenheit wegen mußten sie diese
erste Jagd jedoch unter Leitung eines erfahrenen Schützen unternehmen.
Bald hörte man es rings umher aus allen Richtungen knallen, aber es war
kein lebhaftes Feuer, bald hier, bald da ein Schuß, nicht als wenn es
wie bei einer heißen Jagd von allen Ecken und Kanten kracht und blitzt.
Es waren scheinbar einzelne, hauptsächlich kleinere Seehunde, die über
das Eis zerstreut lagen. Als die Böte zurückgekommen waren, wurden am
Nachmittage die Böte der anderen Wacht ausgesandt. Ich blieb den ganzen
Tag an Bord und schoß einige Seehunde vom Hintertheil des Schiffes.
Merkwürdigerweise kann man den Thieren in der Regel mit dem Schiffe
näher kommen als mit den kleinen Böten, bei deren Anblick sie schon in
großer Entfernung unter Wasser tauchen; mit einem Schiff dagegen kann
man zuweilen gegen die Eisscholle stoßen, auf der sie sitzen, ohne daß
sie sich vom Fleck bewegen.

Alles in allem hatten wir an diesem Tage 187 Seehunde gefangen, was
nicht viel ist. Es waren meistens junge Thiere, -- „Klappmützenferkel“.

An jenem Tage sahen wir westlich von uns im Eise mehrere Fangschiffe
und, an dem folgenden Tage sprachen wir mit einigen derselben. Es
war ganz selbstverständlich, daß sie alle gern mit dem „Jason“ reden
wollten, der diese sonderbare Grönlandsexpedition an Bord hatte. Der
Kapitän der „Magdalena“ aus Tönsberg kam an Bord und erhielt die Post
für die anderen Fahrzeuge ausgeliefert, da wir ja nach der Ostküste
von Grönland wollten und es unsicher war, ob wir den anderen Schiffen
begegnen würden. Die Art und Weise, wie die Post auf dem Eismeer
besorgt wird, ist höchst eigenthümlich. Wenn eins der Fahrzeuge um
Island herumfährt, so erhält es die Post für alle anderen Schiffe. Nun
wird man natürlich sagen, daß das Eismeer groß ist und daß es unsicher
sein kann, ob man einander hier oben begegnet, aber das ist eine
irrthümliche Ansicht. Das Fangterrain ist nicht größer, als daß man
hier oben nicht ebenso genau übereinander unterrichtet sei, als daheim
in einer kleinen Stadt über das Thun und Treiben seiner Mitmenschen.
Man liegt gern nahe bei einander und entfernt sich nur ungern weit von
den anderen Fahrzeugen, da man fürchtet, daß diese, während man fort
ist, einen guten Fang machen könnten.

Späterhin am Nachmittag passirten wir den „Geysir“ aus Tönsberg. Der
Kapitän kam an Bord, aß mit uns zu Abend und trank ein Glas Grog. Er
war so munter und froh, daß Niemand es übers Herz bringen konnte, ihm
die Mittheilung zu machen, daß er seit seiner Abreise aus der Heimath
drei Kinder an der Diptheritis verloren habe. So kann man hier oben
auf dem Eismeer leben, ohne zu ahnen, was in der Welt vor sich geht.
Alle Freuden und Sorgen drehen sich um Seehunde und Seehundsfang, ganz
Europa könnte zusammenstürzen, ohne daß man eine Ahnung davon hätte.

Während der Nacht passirten wir den „Morgen“, eines von Sven Foyns
Schiffen. Es kam gerade aus dem Eise und hatte die Felle von drei
frischgeschossenen Eisbären im Schlepptau, -- man pflegt die Bärenfelle
eine Zeitlang hinter dem Schiffe herzuschleppen, um sie zu reinigen.
Dies ärgerte +Dietrichson+ und +Sverdrup+ sehr, denn es war ihr
höchster Wunsch, Bären zu sehen und zu schießen.

Während der nächsten Tage nahmen wir einen westlichen Kurs, aber der
Wind war ungünstig, so daß es nicht so schnell ging, wie wir erwartet
hatten, besonders da wir uns bei jedem tieferen Einschnitt in das Eis
nach Seehunden umsahen, freilich ohne ein nennenswerthes Resultat.

Häufiger dagegen trafen wir Walfische, besonders die kleinere
Walfischart (~Hyperoodon diodon~) sahen wir viel. In Schaaren von 5, 6
oder auch mehreren kamen sie, wie das ihre Gewohnheit ist, dicht an die
Seiten des Fahrzeuges heran und tummelten sich dort oder lagen zuweilen
ganz still dicht vor dem Bug. Es sind ganz sonderbare Thiere, mit ihrem
weichen, runden Fettpolster über der Stirn, das sie gewöhnlich aus dem
Wasser herausstecken. Dies Fettpolster ist besonders bei dem Männchen
sehr auffallend und sticht sehr gegen den langen schmalen Rüssel ab, zu
dem sich die Kiefern verlängern und der fast niemals über dem Wasser
erscheint.

Der Rüsselwal muß zu den Zahnwalen gerechnet werden, obwohl er nur zwei
kleine Zähne hat, die ganz vorn im Unterkiefer ziemlich lose sitzen und
die bei den älteren Thieren sehr häufig ausfallen. Sie haben sichtbar
keine Spur von Nutzen von diesen Zähnen, die nur ein letzter Ueberrest
raubgieriger Vorfahren sind, die gleich den anderen Zahnwalen eine
lange und kräftige Reihe spitzer, kegelförmiger Zähne besaßen. Eine
veränderte Lebensweise hat die Zähne indessen unnütz gemacht, ganz
allmählich sind sie verschwunden, und nur die beiden sind noch übrig
geblieben. Der Rüsselwal hat übrigens, während er noch im Mutterleibe
liegt, den Ansatz zu einem vollständigen Gebiß, dem Erbtheil seiner
Väter. Jetzt lebt er von Oephalopoden und kleineren Thieren, die heil
verschluckt werden können, weshalb die Zähne völlig nutzlos sind.

Wie wenig Verwendung die Thiere für diese beiden Zähne haben, die ihnen
geblieben sind, davon erhielt ich vor einigen Jahren einen schlagenden
Beweis, indem mir, -- ich war damals am Museum in Bergen angestellt
-- der Zahn eines Rüsselwals zugesandt wurde, dessen Krone mit langen
Rankenfüßen (~Cirripedia~) dicht besetzt war; es waren Junge und Alte,
eine ganze Kolonie. Einzelne waren so groß, daß sie ganz aus dem Munde
des Thieres herausgestanden haben müssen. Wäre dieser Zahn benutzt
worden, so hätten diese Schmarotzer keinen Augenblick sitzen bleiben
können, ohne abgerissen zu werden. Der Zahn wird noch im Museum zu
Bergen aufbewahrt.

Dergleichen kleine Beobachtungen, wie unbedeutend sie auch erscheinen
mögen, sind doch oft für den Naturforscher von großem Interesse, denn
sie zeigen ihm auf wie unsicheren Füßen die anspruchsvolle aber doch so
allgemein verbreitete Annahme steht, daß alles in der Natur einen Zweck
hat.

Zuweilen trafen wir auch die großen, gewaltigen Blauwale, Grönlandswale
(~Balenoptera Sibaldii~), die Riesen der modernen Fauna. In weiter
Entfernung kann man sie kommen und pusten hören und die verdichtete
Dampfsäule ihren Nasenlöchern entsteigen sehen. Sie kommen näher und
dann -- vielleicht ehe man es ahnt -- stecken sie erst den Kopf mit dem
scharfen Kiel (am Nasenrücken entlang), dann den mächtigen Rücken --
mit der kleinen Flosse -- neben dem Schiff aus dem Wasser. Sie stoßen
den Athem von sich, eine mächtige Dampfwolke steigt in die Luft, -- es
ist, als wenn man das Ventil an einem Dampfkessel öffnet, man fühlt die
Luft förmlich vibriren. Dann krümmen sie den Rücken und verschwinden
wieder.

Am Sonntag, den 10. Juni, haben wir neblige, bedeckte Luft. Mehrere
Tage lang haben wir keine Observationen machen können und wissen nicht,
wie weit wir gekommen sind, aber die Strömung, die hier sehr stark
ist, muß uns sehr weit südwestwärts getrieben haben. Falls Aussicht
vorhanden wäre, das Land jetzt zu erreichen, müßten wir uns nun an
dem Punkte befinden, wo sich der Rand des Eises in westlicher oder
nordwestlicher Richtung abbiegt, aber es ist kein Anzeichen vorhanden,
was darauf schließen läßt. Dies sieht recht hoffnunglos aus. Die
Fangzeit für die Klappmützen nähert sich stark, es kann lange währen,
bis der „Jason“ wieder gegen den Strom nach Nordosten gelangt, um so
mehr, als wir jetzt östlichen Wind haben. Die anderen Schiffe können
währenddessen fangen, und ich hatte mich verpflichtet, den „Jason“
durch meine Expedition nicht vom Fang zurückzuhalten.

Am Vormittage wurde der Beschluß gefaßt, den Landungsversuch vorläufig
aufzugeben und bessere Zeiten abzuwarten. Wir kehren in östlicher
Richtung nach dem gewöhnlichen Fangterrain zurück, aber Wind und
Strömung sind uns nun entgegen und wir müssen unsere Zuflucht zum
Kreuzen nehmen.

Am folgenden Tage klärt es sich auf und wir bekommen Land in Sicht,
-- der erste lockende Anblick von Grönlands Ostküste, die in hohen,
zackigen Felsen vor uns aufragt. Das muß zweifelsohne das Land nördlich
von Kap +Dan+ sein. Wir sind nicht so weit davon entfernt, wie wir
annahmen, -- wahrscheinlich nur 15 Meilen.

Eine tiefe, enge Bucht schneidet in der Richtung des Landes in das Eis
ein. Sie scheint sich sehr weit zu erstrecken, -- das Ende ist nicht zu
erblicken, selbst nicht vom Mastkorb aus. Wir beschließen, den Versuch
zu machen, wie weit wir hineindringen können.

Der Wind ist günstig, er führt uns schnell durch die Bucht. Bald
schimmert uns jedoch Eis entgegen, ein Seehundfänger läßt den Muth
aber nicht so leicht sinken. Wir zwängen uns hindurch, vor „Jasons“
starkem Bug müssen die Eisschollen weichen. Nun gelangen wir in ein
großes, offenes, eisfreies Gewässer; in der Richtung nach dem Lande
zu ist, soweit das Auge reicht, kein Eis zu erblicken. Das sieht sehr
verheißend aus. Die Breiten- und Längengrade werden bestimmt, -- um die
Mittagszeit sind wir auf dem 65° 18′ N. B. und auf dem 34° 10′ W. L.
-- also noch über 13 Meilen vom Lande entfernt. Wir lassen jedoch die
Hoffnung nicht sinken, vielleicht können wir es doch bald erreichen.

Nachdem wir aber noch einige Stunden mit guter Fahrt vorwärts gekommen
sind, wird vom Mast aus abermals „Eis in Sicht“ gemeldet. Wir fahren
eine Strecke hinein, es stellt sich aber bald heraus, daß es zu dicht
liegt, um das Fahrzeug hindurch zu bringen. Wir sind nun 9-10 Meilen
vom Lande entfernt, und da das Eis vor uns ziemlich uneben ist,
halte ich es nicht für rathsam, hier schon jetzt einen Landgang zu
versuchen. Es ist besser, bis zu einer späteren Jahreszeit zu warten,
wo das Eis dünner geworden ist.

Es sieht freilich so aus, als ob wir weiter nach Norden uns dem Lande
bedeutend mehr nähern könnten, aber der „Jason“ soll, wie bereits
erwähnt, auf Seehundsfang, und wenn man sich dort mit aller Gewalt
durch das Eis zwängen will, so kann man Gefahr laufen, stecken zu
bleiben und so um die beste Fangzeit zu kommen. Deshalb wenden wir
abermals und nehmen für diesmal Abschied von der Ostküste Grönlands.
Bald verhüllen dichte Nebel das Land vor unserm Blick.

[Illustration: Unser erster Anblick von Grönlands Ostküste (bei
Ingolfsfjeld).

(Nach einer Skizze des Verfassers.)]

Ueber diesen unseren ersten Anblick von Grönland schreibt Balto: „Wir
segelten mehrere Tage in der Richtung auf Grönland zu, bis wir das
Land in Sicht bekamen. Aber es lag noch sehr weit von uns entfernt,
ungefähr 15 Meilen hinter dem Eise. Der Theil von Grönlands Ostküste,
den wir sahen, war nicht schön oder lieblich zu schauen, im Gegentheil
war die Küste häßlich und unheimlich anzusehen, denn fürchterlich hohe
Felsberge ragten wie Kirchthürme zu den Wolken des Himmels auf, die
ihre Gipfel bedeckten.“

Am nächsten Tage erhielten wir einen guten Beweis von der Stärke der
Strömung in diesem Fahrwasser. Die ganze Nacht hatten wir unter einem
starken östlichen Wind in nordöstlicher Richtung gekreuzt. Am nächsten
Vormittag bekamen wir wieder Land in Sicht, aber in ungefähr derselben
Richtung wie am vorhergehenden Tage.

In den folgenden Tagen kreuzen wir nordöstlich an der Eiskante entlang,
kommen aber nur wenig vorwärts, da der Wind und der Strom uns sehr
entgegen sind. Auch jetzt erblicken wir viele Rüsselwale, sowie
mehrere große Bartenwale, meistens wahrscheinlich Blauwale, die sich
fast alle in westlicher Richtung bewegen, vielleicht gegen Grönland.
Wahrscheinlich haben die Walfische ihre ganz bestimmten Wanderungen,
aber wir wissen bis dahin nur sehr wenig Bestimmtes darüber. Hin
und wieder erblickten wir eine kleinere Art des Bartenwales, -- die
Seehundsfänger nennen sie zuweilen Klappmützenwale, sie behaupten
nämlich, daß sich diese Thiere in der Nähe des Klappmützenfanges
aufhalten. Dem Anschein nach konnte es derselbe Wal sein, der an
den Küsten von Finnmarken vorkommt und dort Seiwal (~Balenoptera
borealis~) genannt wird. Ein paarmal sah ich den Speckhauer (Butzkopf)
(~Orca gladiator~), diese kleine Walfischart, die so leicht an ihrer
rechten Rückenflosse zu erkennen ist und die aus dem Grunde von den
norwegischen Fischern Staurhynning, Staurhval genannt wird. Es ist
ein selten kräftiger Schwimmer mit schnellen Bewegungen und einem
gefährlichen Gebiß. Er ist der Schrecken sämtlicher großer Wale, --
wo er sich zeigt, da fliehen sie über Hals und Kopf, und ein einziger
der kleinen Gladiatoren genügt, um die großen Riesen vor sich her zu
jagen, zuweilen sogar bis auf das Land. Die Angst, welche die großen
Walfische vor ihnen haben, ist nicht so ganz ohne Grund, denn sie
verfolgen sie und greifen sie von hinten an. Es pflegen ihrer mehrere
zu sein, mit ihren schnellen Bewegungen fahren sie auf ihre Feinde ein
und reißen ihnen große Stücke Speck aus den Seiten, -- daher der Name.
Von Schmerzen und Verzweiflung getrieben, peitschen die großen Wale
das Wasser und schießen mit Blitzesschnelle davon, von den kleinen
Ungeheuern verfolgt, die nicht nachlassen, bis die Feinde, ermattet von
der Anstrengung und dem Blutverlust, sich ergeben müssen. Aber nicht
Wale allein greifen die Butzköpfe an, auch die Seehunde sind Gegenstand
ihrer Raublust. Die Eskimos haben mir erzählt, daß sie gesehen haben,
daß diese Thiere (Ardluk, wie sie sie nennen) einen Seehund mit einem
einzigen Biß verschlingen.

An unseren Küsten scheint der Butzkopf zum Theil ein friedlicheres
Leben zu führen. Er wird viel von unseren Heringsfischern gesehen und
scheint hier nur von Heringen und Seien zu leben. Er scheint keine
Neigung zu haben, die großen Walfische anzugreifen, mit denen er
fortwährend in Berührung kommt, und sie ihrerseits scheinen keine Angst
vor ihm zu haben.

Was der Grund hierzu sein kann, ist noch nicht aufgeklärt. Vielleicht
findet er hier genug Fischnahrung, so daß er sich nichts aus dem Speck
der Wale macht, die Wahrscheinlichkeit aber spricht dafür, daß die
großen Bartenwale, welche auf die Heringsbänke kommen, nämlich der
Finnwal (~Balenoptera musculus~) und der Spitzenwalfisch (~Balenoptera
rostrata~) nicht die Wale sind, welche er anzugreifen pflegt. Ich
möchte zu der Annahme neigen, daß ihm diese zu schnell sind, weshalb
er den größeren, aber weniger schnellen Blauwal und möglicherweise auch
den Narwal (~Megaptera boops~) vorzieht.

Hin und wieder sah man die Seehunde im Wasser schlafen. Auf den Wellen
auf- und niederschaukelnd, gleichen sie zum Verwechseln den Korkbojen,
die auf dem Wasser schwimmen. Einzelne Seehunde lagen auch auf den
zerstreut umhertreibenden Eisschollen. Dies konnte möglicherweise ein
Zeichen sein, daß sich Seehunde im Eise vor uns befanden, aber die
Luft war dick, und wir hatten keine Ruhe, auf so etwas zu achten. Wir
sehnten uns danach, die anderen Fangschiffe wiederzusehen.

Endlich hatten wir ein wenig westlichen Wind, und eine zweitägige Fahrt
brachte uns wieder mit den anderen Schiffen zusammen. Man seufzte an
Bord des „Jason“ erleichtert auf, als es sich herausstellte, daß sie,
seit wir sie verlassen, nichts gefangen hatten.

Bis lange über Johannis hinaus lagen wir da und trieben uns außerhalb
des Eises in Nebel und schlechtem Wetter herum, von den Wellen hin und
hergeschaukelt, -- von Seehunden aber war keine Spur zu erblicken.

Nach Johannis würde es anders werden, meinte man, aber der St.
Johannisabend und der St. Johannistag und noch viele andere Tage
vergingen, ohne irgend welche Veränderung mit sich zu führen, --
nur das Wetter war besser geworden, -- wir hatten jetzt herrlichen,
herzerquickenden Sonnenschein. Dies verschönerte uns das Dasein ganz
bedeutend. So lange man die Sonne hat, darf man ja nicht klagen. Alle
Fahrzeuge, die sich in der Dänemarksstraße befinden, ungefähr 14-15
Stück, sind jetzt hier versammelt. Die ganze Schar fährt hintereinander
her in die Buchten hinein und wieder hinaus gleich einer Schafherde.
Sobald eines der Schiffe sich in eine Bucht hinein begiebt, folgen ihm
alle anderen, späht dann das erste Schiff nach Fang aus, so folgen alle
anderen seinem Beispiel, -- wendet es, so wenden auch die anderen und
dann gehts wieder in die offene See hinaus. Und dies wiederholt sich
Tag für Tag, Woche auf Woche.

Es wird vielleicht einzelne Leser interessiren, ein vollständigeres
Bild von dem Leben, den Wanderungen und dem Fang der Klappmützen zu
erhalten.

Da ich mehr Gelegenheit als die Meisten gehabt habe, Beobachtungen in
dieser Richtung anzustellen, will ich es versuchen, in einem besonderen
Kapitel eine kurzgefaßte Darstellung davon zu geben, soweit meine
Erfahrungen mir das gestatten.

Vieles, besonders die Wanderungen der Klappmützen betreffend, ist noch
in Dunkel gehüllt und bedarf deswegen einer gründlicheren Untersuchung.



Kapitel VI.

Die Klappmütze (~Cystophora cristata~).


Die Klappmütze (~Cystophora cristata~) ist eine sehr große Seehundsart,
die den See-Elephanten an der Westküste Amerikas und in den
antarktischen Meeren am nächsten verwandt ist, -- gleich diesen hat
das Männchen eine Mütze über der Nase, wodurch es sich auffallend von
allen anderen arktischen Seehunden unterscheidet. Das Weibchen hat
keine solche Mütze zum Aufblasen, obwohl die Haut über der Nase auch
bei ihm ein wenig lose und faltig ist.[30] Die Klappmütze kann eine
beträchtliche Größe erreichen und ist nächst dem blauen Seehund die
größte Seehundsart, die in unserem nordischen Fahrwasser vorkommt.
Gleich, wenn sie zur Welt kommt, ist sie bereit, ins Wasser zu gehen
und hat ein aus glatten Seehundshaaren bestehendes Fell, das am
Bauche ziemlich hell, beinahe weiß, auf dem Rücken aber grau ist.
Nach dem ersten Häuten ist es ein wenig gefleckt, und je mehr die
Klappmütze heranwächst, je mehr steigert sich dies, bis es schließlich
eine gräulich weiße Farbe mit zahlreichen größeren und kleineren
unregelmäßigen, über den ganzen Körper verbreiteten Flecken hat. Am
kleinsten sind die Flecken auf dem Kopf, aber sie sitzen hier so dicht,
daß der Kopf fast schwarz zu sein scheint. Das Männchen kann seine
Mütze zu ganz erstaunlichen Dimensionen aufblasen, wodurch der Kopf ein
ganz eigenthümliches Aussehen erhält. Dies geschieht jedoch nur selten.
Ich habe es nur gesehen, wenn es heftig gereizt wird, z. B. wenn es
angeschossen war. Gewöhnlich hängt die Mütze schlaff herunter und ragt
dann gleich einem ganz kurzen Rüssel über dem Rücken der Nase hervor.
Welchen Zweck diese Mütze hat ist nicht leicht zu verstehen. Es könnte
fast so aussehen, als wenn sie ein Vertheidigungsmittel zum Schutz
ihres empfindlichsten Punktes, nämlich der Nase sein sollte; diese ist
nämlich bei den Männchen im Laufe der Zeiten infolge ihres Kampfes
um die Weibchen sehr entwickelt worden, indem die bestbeschützten
siegreich aus diesem Kampfe hervorgegangen sind und Gelegenheit zur
Vermehrung gehabt haben.

[Illustration: Altes Klappmützenmännchen.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

Diese Erklärung erscheint mir jedoch lange nicht überzeugend; freilich
führen die Männchen in der Brunstzeit heftige Kämpfe miteinander, aber
ich kann nicht einsehen, weshalb gerade die Nasen dabei so ausgesetzt
sein sollten.

Die Klappmütze ist groß und ungewöhnlich stark. Sie ist auch muthig,
und wenn sie sich zur Wehr setzt, was oft geschieht, ist nicht mit ihr
zu spaßen, denn selbst auf dem Eise ist sie nicht so ganz unbehülflich
und im Wasser ist sie geradezu gefährlich. Die Eskimos, welche sie von
ihren schmalen Kajaken (Fellböten) aus fangen sollen, haben deshalb
nicht ohne Grund Respekt vor ihnen; haben sie doch mehr als einem
Eskimo das Leben geraubt! Im Jahre 1882 wurde mein Boot von einem
verwundeten Männchen angegriffen, das sich auf den Bootsrand stürzte
und mit den Zähnen auf mich loshieb, statt meiner aber den Bootsrand
traf, wo es tiefe Spuren hinterließ.

[Illustration: Klappmützenweibchen und Junge.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

Die Klappmütze ist ein ganz vorzüglicher Schwimmer und Taucher. Um ihre
Nahrung zu holen, die hauptsächlich aus Fischen besteht, kann sie bis
auf ganz erstaunliche Tiefen hinabtauchen, -- wie tief, läßt sich nicht
genau angeben. Einen ungefähren Begriff kann man sich jedoch daraus
machen, daß ich etwa in der Mitte zwischen Spitzbergen und Jan Mayen
in dem Magen einer Klappmütze einen Rothfisch (~Sebastes Norvegicus~)
gefunden habe; derselbe ist ein Tiefwasserfisch und lebt in einer Tiefe
zwischen 50 und 90 Klaftern. Wenn man bedenkt, welch starker Druck --
wenigstens über 4 Atmosphären -- in einer solchen Tiefe ist, so kann
man verstehen, daß die Burschen kaum eine schwache Brust haben können.
Als Beweis von der ungeheuren Kraft der Thiere kann auch angeführt
werden, daß sie im stande sind, direkt auf den Rand einer Eisscholle
hinaufzuspringen, die 6-8 Fuß über dem Wasser liegt.

Die Klappmütze ist eine fast vollständig pelagische Seehundsart, d. h.
sie hält sich nicht zu den Küsten, sondern folgt im wesentlichen dem
Treibeis auf ihren Wanderungen, und erscheint in dessen Gefolge überall
im Eismeer und dem nördlichen Theil des atlantischen Ozeans zwischen
Spitzbergen und Labrador und der Baffinsbucht. Ihre östliche Grenze
scheint ungefähr bei Spitzbergen zu sein, denn bei Novaja-Semlja kommt
sie nicht mehr vor.

Die Klappmütze ist sehr gesellig und unternimmt in größeren oder
kleineren Scharen mehrmals im Jahr bestimmte Wanderungen, die jedoch
nur noch wenig bekannt sind. An der Westküste von Grönland, wo die
Eskimos den Fang betreiben, sieht man freilich, daß sie zu bestimmten
Zeiten verschwinden; Niemand aber weiß mit Bestimmtheit zu sagen, wo
sie in der Zwischenzeit gewesen sind. Ich halte es für wahrscheinlich,
daß sie, wenn sie zum erstenmal im Winter oder im Frühling ganz
verschwinden, fern von der Küste liegendes Treibeis aufsuchen,[31] um
dort in Ruhe und Frieden ihre Jungen füttern zu können, die ungefähr
Ende März geboren werden. Ende April oder Anfang Mai zeigen sie sich
dann wieder an der Küste von Grönland. Wenn sie im Juni oder Anfang
Juli abermals verschwinden, so geschieht dies ebenfalls, um das
Treibeis aufzusuchen. Dann kommt nämlich die Zeit, wo sie ihr Haar
wechseln, und während dieses Prozesses gehen sie ungern ins Wasser. Am
liebsten liegen sie auf den Eisschollen und sonnen und wälzen sich.
Man kann auf solchen Eisschollen oft ganze Haufen von Haar finden. In
dieser Zeit fressen sie wenig und im Juli werden sie sehr mager.

Die Jagd pflegt im Juni zu beginnen, wenn die Fangschiffe nach der
Dänemarksstraße kommen, nachdem sie in der Gegend von Jan Mayen Jagd
auf eine andere Seehundsart, den sogenannten grönländischen Seehund
(~Phoca grönlandica O. F. M.~) gemacht haben. Einige von ihnen sind
auch vorher auf den Fang von Entenwalen, ~Bottlenose~ (~Hyperoodon
diodon~) nordöstlich von Island gegangen.

Es handelt sich vor allen Dingen darum, den Seehund zu finden, und
das ist oft schwierig genug, denn man darf sich nicht einbilden, daß
er über dem ganzen Eis dort oben zerstreut liegt. Um ihn zu finden,
müssen die Fahrzeuge oft wochenlang suchen. Sie gehen dann an dem
äußeren Rande des Treibeises entlang, und überall, wo sich Buchten oder
Oeffnungen im Eise befinden, dringen sie ein, -- während die Eismassen
nach allen Richtungen hin ununterbrochen mit dem Fernrohr von der auf
dem Großmast angebrachten Ausgucktonne untersucht werden. Entdeckt
man dann endlich nach längerem Spähen weiter ins Eis hinein Scharen
von Seehunden, und ist dies Eis nicht allzu dicht zusammengestaut, so
handelt es sich darum, die Maschinen so stark wie möglich zu heizen und
auf das Eis zu gehen, um so schnell wie möglich zu den Seehunden zu
gelangen, da man sonst Gefahr läuft, daß ein anderes Fangschiff Einem
den Rang ablaufen kann, was selbstverständlich nicht geschehen darf.

Beim Kartenspiel hören alle verwandtschaftlichen Rücksichten auf, heißt
es im Volksmunde, und dasselbe gilt in vollem Umfange auf dem Eismeer;
denn hier sucht man einander nach besten Kräften zu übervortheilen.
Liegen mehrere Schiffe in der Nähe, wenn man Seehunde erblickt, und
sie noch nicht aufmerksam darauf geworden sind, so kommt es natürlich
darauf an, sie durch List zu entfernen, so daß man den Fang für sich
allein hat. Zu diesem Zweck werden die unglaublichsten Kunstgriffe
angewandt; man dampft unter vollen Segeln nach einer ganz anderen
Richtung ab und thut, als sähe oder erwarte man dort Seehunde, um auf
diese Weise die Anderen mitzulocken, um dann, -- sobald sie folgen
und eine Strecke weit gekommen sind, zurückzuschleichen und allein
die Seehunde aufzusuchen, -- ja, das gehört zu den ganz gewöhnlichen
Manövern dort oben.

Wenn man sich dann mit aller Macht durch das Eis Bahn bricht und es
unter der Mannschaft auf Deck verlautet, daß man von der Tonne aus
Seehunde sieht, da läßt sich an Bord ein merkwürdiges Leben verspüren.
Alles kommt auf die Beine, Alle müssen auf das Vordertheil des Schiffes
hinauf, um zu sehen, ob sie die Seehunde nicht schon von Deck aus
erblicken können, -- man hat alle Hände voll zu thun, die Böte in Stand
zu setzen, zu untersuchen, ob im Bootskasten Brot und Speck, ob in den
Biertonnen Bier und ob Patronen in der Patronentasche sind. Man sieht
nach, ob die Büchsen auch ordentlich geputzt sind, denn jetzt muß man
sich vergewissern, daß alles zum Fang in Ordnung ist, und wenn man
weiter nichts zu thun hat, so schleift man sein Messer, damit es scharf
genug ist, um allen Seehunden, die man fängt, das Fell abzuziehen. Dann
geht’s abermals auf das Vordertheil des Schiffes hinauf, um nach den
Seehunden auszuspähen. Bald schweift das Auge zur Masttonne hinauf,
um zu sehen, nach welcher Richtung hin das lange Fernrohr zeigt, bald
wieder über die Eisfläche hin in derselben Richtung wie das Fernrohr,
und gewahrt man dann wirklich einen Seehund, so entsteht ein Leben, ein
Zeigen, ein lautes Durcheinanderreden; -- bald erblickt man mehrere,
gleich schwarzen Punkten tauchen sie weit vor uns im Eise auf; jeder
Seehund wird mit Jauchzen begrüßt.

Inzwischen arbeitet sich das Schiff ruhig und sicher durch das Eis. Aus
der Tonne erschallen Kommandorufe, bald heißt es „hart Backbord“, bald
„hart Steuerbord“ oder „~steady~“; die Zwei, welche am Steuer stehen,
arbeiten so, daß ihnen der Schweiß von der Stirn tropft und lassen das
Steuerrad herumdrehen wie an einem Spinnrocken. Das Schiff prallt mit
donnerähnlichem Getöse gegen die mächtigen Schollen an, so daß man oft
alle Mühe hat, sich auf den Beinen zu halten. Unten im Maschinenraum
wird ununterbrochen nachgeheizt, während sich die Schraube am Kiel
des Schiffes dreht und das Kielwasser bläulich aufwirbeln läßt, bis
die Eismassen es wieder bedecken. Oben in der Tone sitzt der Kapitän
und weidet sein Auge an den Seehundsmassen vor sich, wobei er seine
Pläne macht und den Weg sucht, den das Schiff gehen soll. Eine solche
Fahrt durch das Eis ist sehr spannend. Auf dem ganzen Schiffe herrscht
Erwartung und Unruhe. Endlich fällt das erlösende Wort: „Macht die Böte
klar!“

[Illustration: Klappmützenfang.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

Ein Jubelgeheul tönt über das ganze Schiff, am schlimmsten ist es
unten in den Mannschaftskojen, wo jetzt keiner mehr schlafen darf.
Alle ziehen ihre Fangkleider an, und in der Schiffsküche wird gekocht
und gebraten, damit die Mannschaft noch eine gute Mahlzeit zu sich
nehmen kann, ehe sie in die Böte geht. Oft fährt man dann noch einen
halben Tag ruhig weiter, bis man tiefer in das Lager der Seehunde
hineingekommen ist und mehr und mehr Thiere auf den Eisschollen
erblickt. Man macht erst Halt, nachdem man sich mitten im Herzen des
Fanges befindet, dort, wo sie ganz dicht nebeneinander liegen. Jetzt
endlich erschallt aus der Tonne das Kommando: „Fertig zum Fall!“, und
alles stürzt in die Böte, die zu beiden Seiten des Schiffes in den
Davids hängen. Dann erhält der Schütze jedes Bootes, -- es befindet
sich nur +ein+ Schütze in jedem Boot, -- der auch das Kommando
übernimmt, seine Befehle, in welcher Richtung er vorgehen soll, und
endlich heißt es: „Die Böte herab!“, und während das Schiff seine
Fahrt mäßigt, werden die Böte in aller Eile ins Wasser gelassen. Man
stößt ab und vertheilt sich nach der vorgeschriebenen Richtung hin.
Es ist ein stolzer Anblick, wenn die zehn Böte eines Fangschiffes auf
einmal vom Fahrzeuge abstoßen und jedes in seiner Richtung durch das
Eis dahinrudert. Aufgerichtet und spähend steht der Schütze vorne
in dem Boote, während der Steuermann hinten am Steuer steht und die
übrigen drei bis vier Mann die Ruder nach besten Kräften führen. Dann
kommt man in das Seehundslager hinein, und es beginnt ein Schießen
und Knallen nach allen Richtungen hin, -- es klingt oft, als würde
eine ganze Schlacht geschlagen. An einem hellen Sonnentag, wenn Massen
von Seehunden rings umher auf den Eisschollen liegen und sich sonnen,
ruht oft ein zauberhafter Schimmer über diesem Leben, das Demjenigen,
der es einmal mitgemacht hat, stets verlockend vor der Seele schweben
wird. Es kommt natürlich für jeden Schützen darauf an, der erste zu
sein, der mit beladenem Boot zum Schiffe zurückkehrt. Er sucht seine
Leute zu demselben Ehrgeiz zu entflammen und treibt die Böte so schnell
wie möglich vorwärts. Kommt man in die Nähe der Seehunde, so muß man
sorgfältig vermeiden, hinter einen Eisblock zu kommen, so daß der
Seehund das Boot aus dem Gesicht verliert, nachdem er es erst einmal
erblickt hat. Man muß versuchen, so direkt wie möglich auf den Seehund
loszurudern, damit er das Boot so lange wie möglich sehen kann. Wird
er plötzlich überrascht, so verschwindet er gleich. Sobald er das
Boot erblickt, erhebt er den Kopf, ist es aber noch weit entfernt,
so legt er sich gewöhnlich wieder hin und liegt ruhig auf dem Eise.
Inzwischen kommt das Boot heran, von vier kräftigen Rudern getrieben,
abermals erhebt er den Kopf und sieht nun viel bedenklicher aus. Er
schaut das Boot an, und er schaut ins Wasser hinab, er wird unruhig,
wälzt sich ein wenig dichter an den Rand hin, reckt den Hals und macht
sichtbare Anstalten zu verschwinden, da plötzlich bricht auf Kommando
des Schützen die ganze Bootsmannschaft in ein fürchterliches Geheul
aus; der Seehund stutzt, lauscht verwundert dem sonderbaren Geräusch,
nimmt sich dann aber wieder zusammen, macht noch eine Bewegung auf
den Rand der Eisscholle zu und will verschwinden. Da erhebt sich ein
noch stärkeres, langgezogeneres, unheimlicheres Geheul als das erste;
abermals reckt er den Hals, lauscht erstaunt und verwundert, indem er
das Boot anstarrt, das jetzt mit großer Geschwindigkeit herangeflogen
kommt, dann beugt er sich über den Rand, krümmt den Rücken und reckt
den Hals nach dem Wasser aus. Trotz des teuflischsten Geheuls will
er jetzt doch hineinspringen, und man hat die Schußweite noch nicht
erreicht. Da ist nichts weiter zu thun, als daß der Schütze schnell die
Flinte in die Höhe hebt und eine Kugel in den Eisrand gerade unterhalb
des Thieres sendet, so daß ihm Schnee und Eisstücke an Brust und Nase
fliegen. Das ist etwas Neues, -- erschrocken zieht er sich auf die
Eisscholle zurück und starrt auf den Rand des Eises. Während er noch
über dies neue Räthsel grübelt, ist das Boot mit schneller Fahrt in
Schußweite gelangt; die Ruder werden losgelassen und, in den Dollen
hängend, gleiten sie an der Seite entlang, Alle müssen regungslos still
sitzen, der Schütze erhebt die Flinte, ein Krach -- und in die Stirn
getroffen, fällt der Kopf des Seehundes wieder aufs Eis, diesmal, um
sich nicht wieder zu erheben.

Liegen mehrere Seehunde auf derselben Eisscholle oder ringsumher, so
kann man viele schießen, aber es gilt vor allen Dingen, die ersten
Seehunde, auf die man schießt, gleich so zu treffen, daß sie todt
wie ein Stein da liegen. Ich erinnere mich, im Jahre 1882 eine ganze
Bootsladung an einer Stelle geschossen zu haben, und ich hätte noch
mehrere Boote voll schießen können, wenn ich hätte fortfahren können,
denn wenn man sich erst so in das Seehundslager eingeschossen hat,
daß ringsumher an allen Ecken und Kanten todte Seehunde liegen, dann
liegen die anderen auch ruhig. Sie starren ihre todten Kameraden
an, die sie für lebendig halten und denken, können sie, denen der
Unruhestifter so nahe ist, ruhig liegen, so dürfen wir es immerhin
wagen.

Ist man dagegen so unglücklich, den ersten oder die ersten Seehunde
nicht sofort auf eine tödtliche Stelle (z. B. den Kopf) zu treffen,
so daß das Thier verwundet auf der Eisscholle umherspringt oder sich
mit einem Geplätscher ins Wasser stürzt, dann kann man ziemlich sicher
sein, daß die meisten anderen auch unruhig werden und seinem Beispiel
folgen. Deshalb muß man lieber einen Fehlschuß thun, als daß man einen
Seehund anschießt, und da liegt es denn auf der Hand, daß es von großer
Wichtigkeit ist, tüchtige Schützen auf der Seehundsjagd zu haben.

Sobald der Seehund geschossen ist, wird ihm das Fell abgezogen; es
handelt sich nun darum, den Thieren das Fell so schnell wie möglich
abzuziehen, um weiterzukommen und von den anderen Booten nicht überholt
zu werden. Deshalb kommt es auch sehr darauf an, daß der Schütze
tüchtige und geschickte Leute in seinem Boot hat.

Ein geübter Mann kann einem Seehund in ganz unglaublich kurzer Zeit
das Fell abziehen. Ich sah es oft in zwei Minuten ausführen. Erst wird
ein langer Schnitt vom Kopf bis zum Schwanz am Bauch entlang gemacht,
dann einige Schnitte an jeder Seite zwischen der Speckschicht und dem
Fleisch, dann einige Schnitte oben vom Kopf herunter und einige unten
beim Schwanz und den Hinterbeinen, und das Fell ist herunter! Darauf
zieht man die Vorderbeine, die noch festsitzen, heraus und befreit sie
mit ein paar Schnitten von der Haut, die jetzt ins Boot gebracht werden
kann. Man verwendet nur das Fell und die unter demselben liegende
dichte Speckschicht, die daran festhängt. Das Uebrige läßt man auf
dem Eise liegen als Speise für die Möven.

[Illustration: Das Häuten junger Klappmützen auf einer Eisscholle.

(Zeichnung von E. Werenskjold nach einer Photographie.)]

Der Klappmützenfang ist noch nicht so sehr lange in der Dänemarksstraße
betrieben worden. Man begann zuerst im Jahre 1876 damit, und während
der ersten acht Jahre wurde er mit kolossalem Erfolg von vielen
norwegischen[32] Fahrzeugen betrieben. Man fand überall Seehunde und
schoß sie zu Tausenden nieder. In jenem Zeitraum wurden ungefähr
500000 Stück geschossen und wenigstens ebenso viele sind durch Kugeln
getödtet, ohne daß man ihrer hat habhaft werden können. Dann trat
jedoch ein Umschlag ein; in den nun folgenden Jahren wurden fast gar
keine Klappmützen gefangen, beinahe alle Fahrzeuge sind Jahr für Jahr
erfolglos gewesen. Was kann der Grund dazu sein? Seehundsfänger haben
es auf den Wind, auf den Seegang, die ungünstigen Eisverhältnisse
geschoben, aber in dem allen liegt doch keine beruhigende Erklärung, so
daß man die Hoffnung auf bessere Fangjahre aufrecht erhalten könnte;
die Verhältnisse können wohl ein, immerhin zwei Jahre ungünstig sein,
tritt aber in einem Zeitraum von vier oder fünf Jahren keine Aenderung
ein, da kann man die Eisverhältnisse nicht mehr als stichhaltigen Grund
ansehen. In dem Maße können sich die Verhältnisse auf dem Eismeer nicht
verändert haben.

Außerdem waren wir mit dem „Jason“ zweifelsohne mehrmals in ebensolches
Eis hineingekommen, wie das, was wir in früheren Jahren als gutes
Eis betrachteten, ohne daß wir jetzt auch nur einen einzigen Seehund
erblickt hätten. Wenn wir Seehunde fanden, so lagen sie immer weiter
hinein auf dem dicken Eis, wurde das Eis morsch, so zogen sie sich
weiter zurück, dorthin, wo das Eis fest war.

Der Unparteiische kann nicht darüber in Zweifel sein, daß die Zahl
der Klappmützen ganz bedeutend abgenommen hat und zwar infolge der
hartnäckigen Verfolgung, deren Gegenstand sie gewesen sind. Für mich,
der ich zu zwei verschiedenen Zeitpunkten Gelegenheit gehabt hatte, das
Fangterrain hier oben zu besuchen, war der Unterschied zwischen früher
und jetzt sehr auffallend. Hier oben, wo ich im Jahre 1882 überall
Seehunde sah, sobald wir nur ein Stück ins Eis hineinkamen, -- hier war
im Jahre 1888 fast keine lebende Seele mehr zu erblicken. Anfangs hielt
ich diese Verringerung der Seehunde jedoch noch für bedeutend größer,
als sie in Wirklichkeit war.

Am 3. Juli sollte ich jedoch anderer Ansicht werden, denn -- wie später
ausführlicher erzählt werden wird, -- erblickte ich an dem Tage tiefer
ins Eis hinein so viele Klappmützen, wie ich mich kaum entsinne jemals
gesehen zu haben. Sie lagen aber auf so dicht zusammengestautem Eis, wo
man früher nicht nach ihnen gesucht hatte.

Was aber ist denn der Grund, daß der Klappmützenfang jahraus, jahrein
so schlecht ist? Das ist ein Räthsel, über das man wieder und wieder
grübeln kann, ohne doch zu einem sicheren Resultat zu kommen. Die
Auffassung, zu der ich allmählich gelangt bin, geht dahin, daß
einerseits der allzu starke Fang keine unwesentliche Rolle spielt, daß
es aber noch einen anderen Grund von vielleicht ebenso großer Bedeutung
giebt.

Dieser Grund kann doppelter Art sein. Er kann in einer Veränderung
der Natur und der Gewohnheiten zu suchen sein, die entweder auf
Erziehung oder auch auf direkte, natürliche Wahl im Kampf ums Dasein
zurückzuführen ist.

[Illustration: Eisbär und Klappmütze.]

Viele Menschen sind der Ansicht, daß sich die Thiere nicht
entwickeln können, daß sie keine Erfahrungen machen und daraus ihre
Schlußfolgerungen ziehen können. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht,
-- ich glaube, daß die Thiere, die wilden sowie die zahmen, Augen zum
Sehen und Ohren zum Hören haben, sie sammeln ihre Erfahrungen und
lernen so gut wie die Menschen, wenn auch nicht in so hohem Grade. Und
ein gutes Beispiel hiervon geben uns vielleicht gerade die Klappmützen
in der Dänemarkstraße. In früheren Zeiten lebten die Klappmützen ein
herrliches Leben hier oben auf dem Eise. Sie aßen und schliefen, hatten
ihre Liebesabenteuer und vermehrten sich. Nur einen einzigen wirklichen
Feind kannten die Klappmützen in jenem goldenen Zeitalter, nämlich den
Eisbären, und auch von ihm wurden sie nicht allzu häufig heimgesucht,
denn der Bär zieht sich, da er kein besonderer Schwimmer ist, gern
dahin zurück, wo das Eis fester ist; aus dem Grunde pflegten sich die
Klappmützen mehr am Rande des Eises in dem offenen Eis aufzuhalten.
Im Sommer des Jahres 1876 aber kam eine andere Art Eisbär aus dem
Meere her in die Dänemarkstraße geschwommen, und der war raubgieriger
und größer. Er war der norwegische Seehundsfänger „Eisbär“, der von
dem Veteranen der norwegischen Seehundsfänger, +Svend Foyn+, in diese
Gegend entsandt war. Dieser „Eisbär“ fand hier Unmassen von Seehunden
und brachte das eine Mal mehrere Tausend mit nach Hause. Seit jenem
Tage hatte das ruhige ungestörte Leben der Klappmützen hier oben
ein Ende. Jeden Sommer kamen Ende Mai und Anfang Juni Scharen von
norwegischen Seehundsfängern hier herauf, und da die Thiere zahm und
leicht zu fangen waren, nahm man gleich große Mengen mit. Ja, in den
ersten Jahren waren sie so zahm (sie ahnten ja nichts Böses), daß man
nicht nöthig hatte, sie zu schießen, man konnte sie auf den Eisschollen
todtschlagen, ja auf verschiedenen Schiffen ließ man die Leute gar
keine Flinten in die Boote mitnehmen, sondern ließ die Seehunde einfach
todtschlagen. Das goldene Zeitalter für die Seehundsfänger nahm jedoch
bald ein Ende. Die Klappmützen hatten bis dahin nicht geahnt, welche
Gefahr ihnen von diesen Fahrzeugen mit dem Ausguck auf dem Großmast
drohte, die einen ganzen Schwarm von Booten gegen sie aussandten, aber
sie machten bald ihre Erfahrungen, und es währte nicht lange, bis sie
scheu wurden. Jetzt mußte man sie aus weiter Entfernung schießen. Das
Merkwürdige dabei war, daß nicht allein die alten, erfahrenen Seehunde
scheu wurden, sondern auch bei den ganz jungen machte sich dies in
auffallender Weise bemerkbar. Entweder müssen also die alten Seehunde
ihrem Nachwuchs die gemachten Erfahrungen auf irgend eine Weise
mitgetheilt haben, oder auch müssen diese ihre Erfahrungen vermittelst
Erbschaft erhalten haben. Wie sich die Sache nun auch verhalten mag, so
ist es doch Thatsache, daß die Klappmützen, alte wie junge, mit jedem
Jahr scheuer geworden sind, -- sie haben es gelernt, sich vor einem
Feind in acht zu nehmen, den sie früher nicht kannten, und zwar haben
sie dies in dem kurzen Zeitraum von ungefähr zehn Jahren gelernt. Ich
glaube aber, daß die Weisheit der Klappmützen weitergeht. Sie haben
auch die Erfahrung gemacht, daß sie gerade dort, wo sie sich früher
am sichersten fühlten, nämlich am Rande des Eises -- jetzt am meisten
gefährdet waren; sie haben gelernt, daß, wenn sie in der Zeit des
Haarwechsels, wo sie gern auf dem Eise liegen, ungestört sein wollten,
sie sich auf das dichte Eis weiter hinein zurückziehen müßten. Hier
sind sie freilich den Angriffen des Eisbären ausgesetzt, entgehen aber
den weit schlimmeren der norwegischen Seehundsfänger.

Wie einleuchtend diese Erklärung auch erscheinen mag, so kann man sich
doch nicht verhehlen, daß es auch eine andere Erklärungsweise geben
kann. Geht man davon aus, daß nicht alle Seehunde von Anfang an gleich
scheu sind, was unleugbar der Fall ist, dann wird die Schlußfolgerung
nahe liegen, daß wenn man mit der Jagd beginnt, naturgemäß die am
wenigsten Scheuen, sowohl junge wie alte Seehunde, sich zuerst tödten
lassen, während die Scheueren entfliehen und sich vermehren können.

Auf diese Weise muß ja die Scheuheit sich in immer stärkerem Grad auf
das Geschlecht vererben. Hierdurch erhält man eine Erklärung, weshalb
die Klappmützen scheuer werden, nicht aber, weshalb sie sich weiter auf
das Eis zurückziehen als früher. Nimmt man indessen an, daß ebenso wie
es Seehunde giebt, die scheuer sind, auch solche existiren, die sich
mit Vorliebe draußen in dem offenen Eis aufhalten, während sich andere
gern weiter zurückziehen, -- so ist es ja ganz selbstverständlich, daß
diejenigen, die sich dort aufhalten, wo die Fahrzeuge am leichtesten
hinkommen, zuerst fortgeschossen werden, während die anderen verschont
bleiben und das Geschlecht vermehren können, das dann mehr und mehr die
erbliche Gewohnheit annimmt, sich weiter zurück auf dem dichten Eis zu
halten.

Welcher von den hier angeführten Erklärungsgründen die größte
Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist nicht so ganz leicht zu
entscheiden. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß sie alle beide
ihre Berechtigung haben, daß nämlich sowohl Erziehung und Erfahrung
als auch die natürliche Wahl im Kampf ums Dasein, mit anderen Worten
das Ueberleben der am glücklichsten Ausgerüsteten, die Ursache sind,
daß die Klappmützen, nachdem einmal Jagd auf sie gemacht wurde, ein
furchtsameres Naturell erhalten und ihre Gewohnheiten verändert haben.
Daß dies wirklich der Fall ist, wird Niemand bestreiten wollen, der
Gelegenheit gehabt hat, dem Fange beizuwohnen.


Fußnoten:

[30] Wenn +Robert Brown+ behauptet, daß auch das Weibchen bei den
Klappmützen eine Mütze hat, so ist dies ein vollständiger Irrthum.

[31] Die westgrönländische Klappmütze begiebt sich wahrscheinlich zum
Treibeise in die Gegend von Labrador, wo im Frühling viele gefangen
werden.

[32] Ein paar englische und amerikanische Schiffe versuchten den Fang,
nachdem die Norweger damit begonnen hatten, ebenfalls.



[Illustration: Der „Jason“ bahnt sich seinen Weg durch das Eis.

(Von Th. Holmboe nach einer Photographie.)]



Kapitel VI

An Bord des „Jason“.


Unser Leben an Bord des „Jason“ verging ganz angenehm, ohne große
Begebenheiten und Erlebnisse. Ueber die pekuniäre Seite des
Seehundsfanges, sowie die Aussichten für dessen Zukunft ließen wir uns
keine grauen Haare wachsen. Mit Ausnahme vereinzelter Fälle, wo der
Schuß nicht ganz so gut traf, wie er es hätte thun können, gab es nicht
viel dunkle Wolken an dem Horizont unseres Daseins.

Für die meisten Theilnehmer ist dies Leben ganz neu. Es giebt viel zu
sehen und zu beobachten, sowohl im Eise, wie auf dem Meer, und wenn man
Jäger ist, ermangelt man der Zerstreuung nicht. Hat man keine Seehunde
zu schießen, so kann man Alke schießen, denn deren giebt es genug.
In ganz kurzem Zeitraum kann man oft mehr als fünfzig dieser Thiere
erlegen, und wenn man sie nur im Fluge schießen will, ist es ein guter
Sport; wenigstens habe ich es häufig erlebt, daß Leute mehr als einen
Fehlschuß thun. Will man sie auf dem Wasser mit Kugeln schießen, so ist
auch das ein angenehmer Sport.

[Illustration: Seehunde in Sicht. „Hart Steuerbord!“

(Vom Verfasser nach einer Photographie.)]

Der Hauptsport hier oben ist und bleibt jedoch die Seehundsjagd. Es ist
eine ganz vorzügliche Uebung, die in ungewöhnlichem Maße dazu angethan
ist, zum ruhigen und kaltblütigen Büchsenschützen auszubilden. In der
Regel ist freilich der Abstand nicht sonderlich groß, -- er beträgt
gewöhnlich zwischen hundert und hundertundfünfzig Ellen, -- aber das
Ziel, auf das man schießt, ist nur klein. Es handelt sich nämlich
darum, den Seehund in den Kopf oder zur Noth in den Hals zu treffen;
trifft man ihn in den Körper, so springt er ins Wasser. Zuweilen, wenn
die Seehunde scheu sind, kann die Entfernung eine ganz beträchtliche
sein. Bedenkt man ferner, daß man von einem Boot aus schießen muß,
das in Bewegung ist, und daß die Beleuchtung hier oben über dem
glitzernden schneebedeckten Eise oft sehr störend wirkt, so wird man
verstehen können, daß nicht so ganz wenig dazu gehört, um ein guter
Seehundschütze zu werden. In der That giebt es deren auch nur sehr
wenige. Ich habe Leute gesehen, die ihre Büchse vorzüglich zu führen
wußten, wo es ein festes Ziel galt, die aber trotzdem, sobald es sich
um Seehunde handelte, regelmäßig vorbeischossen. Die Seehundjagd ist
auch nicht ohne Abwechselung, und ist man in der glücklichen Lage,
Schütze eines Bootes zu sein, und sich einem guten Fang gegenüber
zu befinden, glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu können, daß die
Meisten gleich mir die Augenblicke, die man hier oben in seinem kleinen
Fahrzeug verbringt, dessen Schütze, Anführer und Alleinherrscher man
ist, -- zu den schönsten ihres Lebens zählen werden. Man ist von der
herrlichsten, aus Eis, Himmel und Meer bestehenden Natur umgeben. Rings
umher auf den Eisschollen liegen die Seehunde, und ihr Anblick läßt das
Jägerblut schneller durch die Adern der meisten Menschen rollen, --
oft vielleicht ohne daß sie es wissen. Das Auge wird geschärft, alle
Kräfte werden angespannt und gleichsam auf das Gesicht und die Arme
konzentrirt, die die Büchse und die Ruder führen sollen; der Sinn ist
von dem einen Gedanken beseelt, Seehunde zu fangen und das Boot durch
das Eis zu schaffen, so daß man so viele Thiere wie möglich fangen kann.

Möglicherweise tritt in einem solchen Augenblick die wilde Natur des
Menschen in den Vordergrund. Es ist das Erbtheil unserer nomadischen,
von Jagd und Fischfang lebenden Vorfahren; sei dem, wie ihm wolle, eins
steht fest, es ist dies ein herrliches, freies Leben, das Geist und
Körper erquickt.

Wenn wir aber nicht auf Jagd gehen können und uns an Meer, Himmel und
Eis müde gesehen haben, so müssen wir uns irgend eine Abwechselung
suchen, denn wie schön dies alles auch ist, und wie sehr man sich auch
von Kindheit an die Ueberzeugung von der großartigen Schönheit des
mächtigen, rollenden, stets wechselvollen Meeres eingeprägt, so läßt
es sich doch nicht leugnen, daß man, wenn man es Wochen und Monate
angestaunt hat, schließlich entdeckt, daß es doch ein wenig einförmig
ist und man sich nach ein wenig Abwechselung sehnt.

Eine unserer größten Vergnügungen, die stets allgemeine Heiterkeit
erregte, war das Lassowerfen. Von dem Bootsmann bekamen wir, wenn
wir recht freundlich baten, eine dünne Leine, die ungefähr 10 bis 12
Klafter lang war. An dem Ende dieser Leine brachten wir eine Schlinge
an und damit war unser Lasso fertig. Die Lappen waren natürlich Meister
in der Benützung dieser Fangschnur, und von ihnen lernten wir es, --
sie bedienen sich derselben ja täglich, um ihre Rennthiere einzufangen.
Besonders der alte +Ravna+ hatte es bis zu einer erstaunlichen
Fertigkeit gebracht. Es war ein stolzer Anblick, ihn mit einer sicheren
Miene, die keinen Zweifel an seinem Erfolg aufkommen ließ, die Leine in
der rechten Hand aufrollen zu sehen. Dann beugte er den Kopf ein wenig
vornüber, heftete das Auge scharf auf das unglückliche Opfer, machte
ein paar Schritte über das Deck hin, leicht und geschmeidig wie eine
Katze, dann eine schnelle Bewegung mit dem gespannten rechten Arm, --
und blitzschnell rollt sich die Leine ab, und nie ihr Ziel verfehlend,
fällt die Schnur um den Kopf der Beute, die, mit Armen und Beinen
fechtend, sich von der beengenden Umarmung zu befreien sucht.

+Balto+ ist als festansässiger Lappe natürlich weniger geübt in dem
Gebrauch des Lassos, sein Stolz will dies aber nicht einräumen und
es giebt stets Veranlassung zu großer Heiterkeit, wenn Einer von
uns ihm die Schnur mit der Bemerkung fortnimmt, daß man sich besser
darauf verstehe als er; trifft es sich dann gar, daß man ihn wirklich
überwindet, so ist seine erstaunte und verdrießliche Miene ganz
unbezahlbar.

Mancherlei Spiele und Kraftproben werden auch an Bord betrieben. Mit
besonderer Leidenschaft betrieben wir ein Spiel, das darin bestand,
Figuren und Vierecke auf das Deck zu zeichnen, welche letztere
verschiedene Werthe repräsentiren und in welche man aus einer gewissen
Entfernung mit flachgeschlagenen Bleistücken werfen muß, ohne jedoch
eine Figur, den sogenannten „Narrenkopf“, zu berühren; geschieht dies
doch, so büßt man alles ein, was man durch die anderen Würfe gewonnen
hat. Oft bei gutem, stillem Wetter konnte man mehrere Partien dies
Spiel auf verschiedenen Theilen des Deckes betreiben sehen. Der Einsatz
war gewöhnlich ein Stück Kautabak.

Hatte dies Spiel seine Anziehungskraft verloren, so zogen wir uns wohl
hinten in die Kajüte zurück und nahmen unsere Zuflucht zum Kartenspiel,
und obwohl Einige von uns gar kein Interesse am Kartenspiel hatten,
konnten wir doch oft den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht
hinein spielen, -- ja oft begannen wir sogar schon am Vormittage.
Hauptsächlich spielten wir Whist; doch auch Treffknecht u. dergl.

Wir hatten nur ein einziges Spiel Karten, und das war zu Ende der Reise
so schmutzig, daß man kaum unterscheiden konnte, woraus die Karten
bestanden, aus Schmutz oder aus Papier. Wenn wir, was das gewöhnliche
war, bis Mitternacht aufsaßen, da mußten wir um die Zeit der Hundewache
nothwendigerweise etwas genießen. Dieser nächtliche Imbiß bestand
entweder aus Kaffee oder „Dänge“, besonders das letztere Gericht, das
aus aufgeweichtem, in Zucker und Butter gebräuntem Brot bestand, war
sehr beliebt.

Um diese Zeit erhielt auch die Mannschaft Kaffee, und man konnte dann
Nacht für Nacht den schönen Anblick genießen, Balto schlaftrunken und
in äußerst leichter Toilette die Treppe, die zu seinem Schlafraum
führte, heraufkommen zu sehen, um sich zu den Leuten zu begeben und
seinen mitternächtlichen Kaffee zu holen. Als Lappe war er so versessen
auf Kaffee, daß er unmöglich eine Gelegenheit vorübergehen lassen
konnte, dies herrliche Getränk zu genießen, selbst wenn er schon längst
in seine Koje gegangen war.

Lektüre war nur sehr wenig an Bord. Ich hatte nicht auf einen so
langen Aufenthalt auf dem Schiffe gerechnet und deshalb für keine
Reisebibliothek gesorgt. Dank einem Freunde der Expedition, Herrn
Buchhändler +Cammermeyer+ in Kristiania, waren wir doch mit einigen
Büchern versehen. Diese waren indessen bald gelesen, und jetzt entstand
ein geistiger Heißhunger an Bord, der geradezu bedrückend war. Man
machte Jagd auf alles mögliche, selbst die schlechtesten Räuberromane
und Indianererzählungen, die man bei der Mannschaft auftreiben konnte,
wurden mit Begier verschlungen. Es waren solche wie „Der blutige
Handschuh im Thale“, „Der rothe Hauptmann“, „Die schwarze Schlange“
u. dergl. Zuweilen unternahmen wir einen Kaperzug an Bord der anderen
Fahrzeuge.

Eine Einladung an Bord der anderen Fahrzeuge war eine sehr willkommene
Abwechselung, ebenso ein Besuch der fremden Kapitäne an Bord des
„Jason“. Ein eigenartiges, ganz sommerliches Bild gewährte es zuweilen,
diese Eismeerschiffer sich im Sonnenschein auf Deck gruppiren zu sehen.
Da saßen sie und tranken ihren Kaffee oder Wein, rauchten ihre Pfeifen
oder Cigarren und starrten auf das Meer hinaus oder auf die weißen
Eisschollen, die im Sonnenschein schaukelnd dalagen, während die Zeit
unter Lachen und Schwatzen schnell verstrich.

Zuweilen probirte man seine Schießkunst auch an den auf dem Wasser
schwimmenden Eisstücken aus, und manch guter Schuß wurde da ausgeführt.

Der einzige, der sich nicht recht wohl an Bord zu fühlen schien, war
unser alter Freund +Ole Nielsen Ravna+, der ältere der beiden Lappen.
Er war daran gewöhnt, mit seinen Rennthierscharen auf den Hochebenen
umherzustreifen, und das Leben an Bord auf dem engen, schaukelnden
Schiff gefiel ihm nicht. Er sehnte sich danach, wieder Land unter
den Füßen zu haben. +Balto+ dagegen scheint sich völlig dem Seeleben
acclimatisirt zu haben. Mit seinem munteren, aufgeweckten Sinne stets
bereit, irgend einen Narrenstreich auszuführen, war er bald der
Liebling der ganzen Besatzung geworden. Glücklicherweise war jetzt auch
sein rechtes Knie wieder vollständig geheilt.

Das Pferd, das wir von Island mitgebracht hatten, war der allgemeine
Liebling. Dies hatte indessen die unangenehme Folge, daß dem Thier
trotz des strengsten Verbots mehr Futter gebracht wurde, als wir
verantworten konnten, und eines Tages entdeckte ich zu meinem
Schrecken, daß der größte Theil des Heues verbraucht war. Von nun an
war das Pferd eine Quelle steter Sorge. Es mußte an allen Ecken und
Kanten mit dem Futter gespart werden, und wir zerbrachen uns den Kopf,
um ein Futtermittel zu finden. Wir gaben ihm rohes Seehundsfleisch,
eine Weile fraß es das, dann war es aus damit. Wir versuchten es mit
gedörrtem Fleisch, -- es ging genau ebenso. Nun gaben wir ihm Alke, die
mochte es im Anfang gern. Dann sammelten wir Tang, wovon eine Menge in
der See trieb, -- eine gewisse Tangart fraß es auch gern. So hielten
wir es eine Weile hin. Es gedieh anscheinend ganz gut und wurde ein
tüchtiger Seemann.

Der 9. Juli wurde indessen ein Tag der Trauer für die Expedition.
Da hatten wir nichts mehr, was es fressen wollte, und wir mußten es
erschießen. Es war, als verlören wir einen Freund. Der letzte Dienst,
den es uns leistete, war, daß es uns ein gutes Beefsteak lieferte, und
eine der Keulen nahmen wir später mit uns ins Boot, nachdem wir den
„Jason“ verließen, um an der Ostküste zu landen.

Wie rein die Luft hier oben ist, ersieht man daraus, daß ein solches
Stück Fleisch eine lange Zeit im Takelwerk hängen kann, ohne zu
verderben. Hier giebt es keine Bacillen, und infolgedessen kann kein
Verwesungsprozeß vor sich gehen, wenn er nicht durch den Schmutz an
Bord, der von Hause mitgebracht ist, herbeigeführt wird.

Das Vorurtheil der Leute, gewisse Dinge zu essen, ist oft geradezu
lächerlich. Davon erhielt ich bei dieser Gelegenheit einen guten
Beweis. Als das Pferd erschossen und nach allen Regeln der
Schlachtkunst zerlegt war, kam „Jank“ -- wie er an Bord genannt wurde
-- ein norwegischer Amerikaner, und fragte, ob er etwas Fleisch
bekommen könne. Er erhielt soviel er haben wollte und war sehr froh
darüber. Er schnitt sich gleich einige Stücke ab, die er roh verzehrte,
aber das Entsetzen und der Unwille, den diese ebenso unschuldige als
natürliche Handlungsweise erregte, war geradezu lächerlich. Da viel
mehr Fleisch vorhanden war, als die Expedition verwerthen konnte, bot
ich den Leuten davon an, aber nicht ein einziger wollte es haben, weil
es Pferdefleisch war. Später kam indessen einer von ihnen und fragte,
ob er das Fleisch bekommen könne, was übrig bliebe, dann wolle er es
einsalzen. Ich freute mich, doch +einen+ vernünftigen Menschen zu
finden, und fragte ihn, ob er nicht gleich etwas davon haben wolle, um
es frisch zu essen, da sei es ja viel wohlschmeckender. Er erwiderte,
das sei ja möglich, aber ich solle nur nicht glauben, daß er die
Absicht habe, das Pferdefleisch als Menschennahrung zu verwenden, --
nein, er wolle es als Schweinefutter gebrauchen.

Man ist oft wirklich nahe daran zu verzweifeln, wenn man sieht, wie
dumm und halsstarrig die Menschen sein können. Hier befinden sich
diese Leute an Bord eines Seehundsfängers, essen gesalzenes Fleisch
und klagen über Druck vor der Brust, wie sie es nennen, d. h. sie
haben Verdauungsbeschwerden infolge einer schlechten Ernährung, und
lassen dabei täglich Unmassen von frischem Seehundsfleisch auf dem Eise
liegen, das an der Küste von Grönland eine ganze Gemeinde beglücken
würde. Es ist aber eine Unmöglichkeit, die Leute dazu zu bewegen, es zu
essen, sie sterben lieber Hungers, als daß sie solche „unreinlichen“
Speisen essen. Ich vergesse ihr Entsetzen nicht, als ich einmal
das Blut eines eben geschossenen Seehundes auffing und den Steward
Schwarzsauer daraus machen ließ. Es hielt schwer, Jemanden zum probiren
zu bewegen. Diejenigen, welche es schließlich thaten, mußten einräumen,
daß es ganz vorzüglich schmeckte, und doch konnten sie nichts davon
herunterbringen, weil sie wußten, daß es aus Seehundsblut bereitet war.
Dafür aßen mehrere von den Mitgliedern der Expedition desto mehr davon,
ja, es geschah einmal, daß Einer von uns, nachdem er sein gewöhnliches
Abendbrot verzehrt hatte, wovon er eigentlich satt werden sollte, noch
18 -- sage achtzehn! -- Blutpfannkuchen aß. Da konnte freilich von
keinem Vorurtheil die Rede sein!

In gewisser Hinsicht hatte ich an Bord mehr zu thun als mir eigentlich
lieb war, -- nämlich als Arzt. Der Grund hierzu war der unselige
Umstand, daß sie mich „Doktor“ nannten, denn Doktor und Arzt ist ja für
gewöhnliche Menschen dasselbe. Und natürlich waren sie jetzt, wo sie
so leicht eines Doktors habhaft werden konnten, sämtlich krank. Ich
behandelte nicht allein die 64 Mann des „Jason“, sondern auch von den
anderen Fahrzeugen ringsumher kamen sie zu uns an Bord, um den Doktor
zu konsultiren, der einen solchen Ruf hatte. Der Versuch, diesen Leuten
klar zu machen, daß ein Doktor und ein Arzt nicht immer dasselbe ist,
würde völlig zwecklos gewesen sein. Doktor war ich, und Doktor mußte
ich sein, und wenn ich kein Doktor für sie sein wollte, so war es nur
böser Wille. Hier war nichts zu thun, als gute Miene zum bösen Spiel
zu machen, und außerdem ist ja zu allen Zeiten soviel Humbug in der
Heilwissenschaft betrieben, daß es ihrem Ansehen wohl kaum sonderlich
schaden konnte, wenn ich ihr ein wenig ins Handwerk pfuschte, und
außerdem heißt es ja so oft und sicher mit Recht, daß der wichtigste
Einfluß, den ein Arzt auf seine Patienten besitzt, durch das Vertrauen
bedingt ist, das seine Persönlichkeit erweckt, -- und daran schien
es in diesem Falle nicht zu fehlen. Es handelte sich nur darum, dies
Vertrauen zu benutzen, eine ernste, wichtige Miene aufzusetzen und
unverzagt ans Werk zu gehen.

Das Gewöhnlichste war, daß sie über Schmerzen „vor der Brust“ klagten
und sich dabei den Magen hielten. Ob sie nicht auch eine Schwere
im Kopfe fühlten? Ach ja, ganz frei davon wären sie nicht. Ob sie
nicht eine schlechte Verdauung hätten und an Verstopfung litten?
Ja, das käme wohl vor. Nun gut, das Unwohlsein wäre eine Folge der
Lebensweise an Bord, sie führten ein viel zu faules Leben und äßen
zu viel. Sie sollten dies unterlassen, sollten weniger essen und am
besten frisches Fleisch, z. B. Seehundsfleisch, sie sollten sich mehr
in der frischen Luft oben auf dem Deck bewegen, sich ein wenig mehr
Bewegung verschaffen. Wenn das alles nicht helfen wollte, müßten sie
wiederkommen, dann wollte ich ihnen eine Dosis englisches Salz oder
Ricinusöl geben. Ich hörte nie wieder von ihnen.

Andere kamen und klagten, daß sie so entsetzliche Kopfschmerzen hätten,
und daß sie zuweilen tiefe Schwermuth beschleiche. Dann fragte ich sie,
wie es mit ihrem Magen stände, ob sie nicht an Verstopfung litten. Ja,
mit der Verdauung wäre es nur schlecht bestellt. -- Das sei ja ganz
natürlich, bei dem faulen Leben und dem vielen Essen; mehr Arbeit und
weniger Essen würde eine gute Wirkung haben, und im übrigen lautete das
Rezept genau so wie oben. Zuweilen verordnete ich auch Magenmassage, --
und sehe die Burschen noch vor mir, wie sie in ihren Kojen lagen und
sich ihren Magen bearbeiteten.

Eines Tages kam ein Matrose von einem der anderen Fahrzeuge mit großer
Beschwerde an Bord. Eine hektische Röthe, wie sie Schwindsüchtigen
eigen ist, färbte seine Wangen. Er klagte über Lungenleiden. Es
unterlag keinem Zweifel, er war schwindsüchtig. Ich konnte nichts
machen, der Fall war hoffnungslos. Das einzige, was er thun konnte,
war, so fett wie möglich zu leben. Er solle Speck essen und Thran
trinken, das war der ganze Trost, den ich ihm geben konnte. Er
hatte auch in der letzten Zeit Thran getrunken, aber das war
Bottlenose-Thran, und der bekam ihm nicht. Der arme Kerl! Dieser
Bottlenose-Thran hat einen starken Einfluß auf den Magen, indem er
Diarrhoe verursacht, und damit hatte sich der Aermste in der letzten
Zeit abgeplagt! Das verringerte das Uebel natürlich nicht.

Ein wenig Nutzen konnte ich doch schaffen, nämlich bei Behandlung von
Wunden. Diese wurden im allgemeinen ganz unverantwortlich behandelt und
verursachten oft schlimme Geschwülste. Erst wenn es ganz schlimm damit
aussah, kamen sie, um sich Rath zu holen. Dann erhielten sie vor allen
Dingen eine tüchtige Moralpredigt für ihre Unreinlichkeit, darauf wurde
die Wunde von wochenaltem Schmutz gereinigt und mit antiseptischen
Mitteln behandelt. In der Regel erholten sie sich dann bald. Einen
ziemlich ernsten Fall hatten wir indes an Bord.

Eines Tages kam ein Mann von unserer Schiffsbesatzung und klagte,
daß er sich durch und durch elend fühle. Er habe Schmerzen in allen
Gliedern und Gelenken. Ich fragte ihn, wo er die meisten Schmerzen
fühle, und er antwortete: im Rücken. Aergerlich über alle diese
Menschen, die bald hier, bald da Schmerzen hatten, antwortete ich ihm,
es würde wohl Rheumatismus sein, und dagegen sei nicht viel zu machen.
Er solle sich warm anziehen und sich dem Wind nicht mehr aussetzen,
als es geradezu nöthig sei. Ein paar Tage später aber kam der Mann
wieder und sagte, nun müsse ich wirklich etwas für ihn thun, er könne
es nicht mehr aushalten vor Schmerzen. Es habe sich auf den rechten Arm
geschlagen, und der sei ganz geschwollen. Ich faßte sofort Verdacht und
fragte ihn, ob er nicht eine Wunde an der rechten Hand gehabt hätte; er
verneinte das jedoch. Das kam mir merkwürdig vor, da ich an dem einen
Finger einen Lappen erblickte; ich fragte ihn also, was das zu bedeuten
habe. Ach, das sei nichts -- erwiderte er --, er habe sich vor einigen
Tagen etwas Haut von dem einen Knöchel abgeschürft. Ich fragte, ob er
ihm nicht ein wenig geschmerzt hätte? Ja, das könne wohl sein, meinte
er. Ich erklärte ihm darauf, daß diese kleine Wunde die Veranlassung zu
dem schlimmen Arm sei, und daß er selber die Schuld trage. Er sollte
jetzt den Finger ordentlich waschen und den Arm entblößen, dann wollte
ich kommen und ihn mir ansehen. Es stellte sich denn auch wirklich
heraus, daß es eine stark entwickelte Blutvergiftung war. Der Arm war
über dem Ellenbogen nicht unbedeutend geschwollen. Vorläufig konnte ich
jedoch nichts thun, als den Arm in eine Binde legen und ihm strengste
Ruhe einschärfen. Aber es verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Der
Arm schwoll auf und die Schmerzen nahmen zu; er mußte in seiner Koje
bleiben. Zur Linderung der Schmerzen bekam er nasse Umschläge um den
Arm. Er hatte heftiges Fieber und konnte wenig oder nichts genießen.
Zuletzt hatte der Arm den Umfang eines gewöhnlichen Mannesschenkels.
Nun war es an der Zeit, einen Schnitt zu machen; aber ich kann nicht
leugnen, daß ich mich nur sehr ungern dazu entschloß. Alle meinten,
er müsse sterben, und ich könne ihn mit der Operation verschonen. Ich
war mehrmals täglich bei ihm. Nie werde ich diese Scene vergessen, --
eine Mannschaftskajüte, in welcher sich ungefähr 60 Mann befinden, die
alle durcheinander schreien und lärmen und allerlei Späße treiben, --
nein, das ist keine gute Krankenstube. Hier lag der Kranke in einer
engen, eingeschlossenen Koje, stöhnend und sich in seinen Schmerzen
windend, so daß der ganze Raum von seinem Jammergeschrei wiederhallte.
Dunkel und niedrig war es hier, ringsumher standen Schiffskisten,
überall lag oder hing das Arbeitszeug der Leute, der Fußboden war glatt
und schmutzig, und die Luft schlecht und beklommen. Von Zeit zu Zeit
prallte das Schiff gegen das Eis an und erbebte in seinen Fugen. Der
Kranke wurde von der einen Seite der Koje auf die andere geworfen,
es durchzuckte ihn jedesmal schmerzhaft, und sein Schrei klang noch
herzzerreißender als sonst.

In einer solchen Umgebung mußte ich die Operation vornehmen, -- sie
konnte nicht länger hinausgeschoben werden. Ein Federmesser, das auf
einem rauhen, groben Schleifstein gewetzt wurde, war das einzige
passende Instrument, was aufzutreiben war. Bei dem flackernden Schein
einer kleinen elenden Laterne sollte die Operation vor sich gehen, aber
es war eine ganz schwierige Sache, Jemanden zu finden, der mir die
Laterne halten wollte; -- Niemand wollte zusehen. Endlich waren jedoch
alle Vorbereitungen getroffen. Der Stahl drang ins Fleisch und wurde
vorwärts bewegt, um einen langen Schnitt zu bilden. Der Kranke schrie
außer sich vor Schmerzen, ob ich ihn denn tödten wolle! -- Dann kamen
ein paar Tropfen Blut und nun floß der weiße Eiter in dicken Strömen
aus der Wunde. Es war für Den, der zusah, gleichsam eine Erleichterung.
Der Kranke aber lag stöhnend, halb betäubt da, nach wenigen Minuten
begann er zu phantasiren. Er hatte das Bewußtsein verloren.

Während mehrerer Tage phantasirte er zeitweilig. Die Leute fürchteten
sich fast, bei ihm in der Kajüte zu sein, sie glaubten, er läge
im Sterben. Gleichzeitig war ein Anderer von der Schiffsbesatzung
wahnsinnig geworden, -- vor ihm fürchteten sie sich noch mehr. Viel
kann man wohl im Grunde nicht dazu sagen. In einer engen Kajüte einen
Kameraden zu haben, der wahnsinnig ist und einen zweiten, der in
Fieberphantasien rast, das ist nicht gerade gemüthlich.

Noch einmal mußte ich meinen Patienten schneiden. Der Eiter, der ihm
abging, hätte nach Litern bemessen werden können. Es zog sich mit ihm
in die Länge, denn er war sehr entkräftet, als ich aber das Schiff im
Juli an der Ostküste von Grönland verließ, hatte ich doch die Freude,
ihn wieder außerhalb seiner Koje zu sehen. Seinen dankbaren Blick, als
wir uns trennten, werde ich niemals vergessen.

Eine Wiedergabe meiner Tagebuchnotizen aus jener Zeit würde höchstens
für die Eismeerfahrer von Interesse sein, denn sie drehen sich im
wesentlichen nur darum, wie wir am Eise entlang und dann wieder aus
demselben herausfuhren, wie das Eis bald dünn, bald dick war, wie wir
bald mehr, bald weniger Seehunde auf dem Eise sahen und zuweilen sogar
große Scharen weiter hinein in dem dichten Eis erblickten, -- wie wir
uns mit den anderen Fahrzeugen um die Wette durch das Eis arbeiteten,
auf ganze Scharen von Seehunden zusteuernd, die jedoch im Wasser
verschwanden, sobald wir in ihre Nähe kamen, etc. etc.

Am 28. Juni waren wir weit in das Eis hineingelangt und befanden
uns ungefähr auf dem 66° 24′ N. B. und dem 29° 45′ W. L. Hier
erblickten wir in nördlicher Richtung Land (N.-O. ¼ O nach dem
Abweichungskompaß); besonders deutlich traten zwei Felsspitzen hervor.
Ihre wirkliche Form konnte man indessen nicht sehen, da sie bei der
diesen Eisfeldern eigenen Täuschung, welche durch die Strahlenbrechung
in den verschiedenen warmen und kalten Luftschichten über dem Eise
hervorgerufen wird, stark verändert waren und den quer abgeschnittenen
Zacken einer mit Schießlöchern versehenen Mauerkante glichen. Es
müssen die Felsspitzen an der Blosseville-Küste sein, aber sie lagen
westlicher als die auf der Karte angegebenen Berge.

Ich sprach später mit Kapitän +Iversen+ auf dem „Staerkodder“, der
weiter nördlich in das Eis vorgedrungen war als wir. Er konnte dort
ganz deutlich Land erkennen. Es sei ein äußerst gebirgiges Land, --
sagte er -- nicht flach wie weiter nach Süden zu an der Küste, wo er
im Jahre 1884 gewesen war (das war wahrscheinlich etwas nördlich vom
67° N. B.). Diese Angaben stimmen auch mit den Berichten überein, die
Kapitän +Holm+ in Angmagsalik von den Eskimos erhielt, und wonach er
seine Skizze von der nördlichen Ostküste entwarf. Diese Küste gehört,
wie wir wissen, zu den unbekanntesten Theilen unseres Erdballes.

[Illustration: Seehunde! Der Kapitän auf dem Ausguck.

(Vom Verfasser nach einer Photographie.)]

Am Abend des 28. Juni erblickten wir sehr viele Seehunde tiefer ins
Eis hinein. Wir sahen sie nun täglich während längerer Zeit, ohne
zu ihnen hingelangen zu können. Am 3. Juli kamen wir endlich weit
ins Eis hinein, wo viele Seehunde waren, das Eis lag aber so dicht
zusammengestaut, daß es nicht möglich war, die Böte hindurch zu
bekommen, und daher konnte kein Fang vor sich gehen. In der Nacht, wenn
die Sonne den Horizont erreicht, hat man einen weiten und scharfen
Blick über die Schneeflächen hier oben. Ich stieg in die Ausgucktonne,
um die Seehunde zu sehen. Ich hielt das Fernrohr vors Auge und richtete
es auf das Eis, und nun erblickte ich, wie bereits früher erwähnt,
solche Unmassen von Seehunden, wie ich nie früher auf einem Fleck
versammelt sah. Sie lagen -- wie der Steuermann sich ausdrückte --
so dicht wie Kaffeebohnen über das Eis gestreut. Wohin der Blick
auch schweifen mochte, überall hier auf dem Eise, von Nordosten bis
Nordwesten, lagen die Seehunde dicht wie Sand bis an den Horizont hin
und wahrscheinlich noch länger. Je weiter der Blick reichte, desto
dichter schien die Schar zu werden.

Am nächsten Tag hatten wir Nebel und noch dichteres Eis. Auch die See
war bewegt. Am Nachmittage verließen wir das Eis wieder.

Am 11. Juli machte sich eine starke Bewegung im Eise bemerkbar. Wir
waren in heftige Strömungen gerathen. Einige von uns, darunter ich,
saßen in der Messe, als der „Jason“ plötzlich von einer Eisscholle
einen solchen Stoß gegen den Bug bekommt, daß er sich hinten über
bäumt. Wir springen auf und erblicken nun quer vor dem Schiffe eine
zweite große Eisscholle, die mit sausender Fahrt gerade auf „Jasons“
Hintertheil lossteuert. Und wirklich, sie prallt dagegen, das ganze
Schiff erbebt und neigt sich auf die Seite, ein Krach ertönt, das
Steuer war gebrochen, aber glücklicherweise geschah nichts Schlimmeres.
Hätten wir die Eisscholle gegen die Seite bekommen, so hätte es
schlimm um uns gestanden, denn die Seiten sind der schwache Punkt der
Seehundsfänger.

Der nächste Tag verging damit, das Reservesteuer, das man immer
mitführt, einzusetzen. Damit war der Schaden kurirt.

Wir waren inzwischen so weit in den Sommer hineingekommen, daß nur
wenig Aussicht vorhanden war, mehr Seehunde zu fangen. Am 13. Juli
wurde deshalb zur allgemeinen Befriedigung der Entschluß gefaßt, aus
dem Eise herauszugehen und den Kurs westwärts auf Grönland zu zu nehmen.

[Illustration: Schlächterei an Bord. (Speck und Fleisch werden von den
Fellen gelöst.)

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

An jenem und dem darauf folgenden Tage wurden jedoch noch einige
Seehunde gefangen, denen wir draußen am Rande des Eises begegneten.
Alles in allem fingen wir ungefähr 100 Stück.

In der Nacht zwischen dem 14. und 15. Juli hatte der Steuermann Land
gesehen, ebenso am Morgen, und zwar meinte er, es sei gar nicht so weit
entfernt. Am Vormittag war es jedoch nebelig, und wir können nicht
beurtheilen, wie nahe wir sind.

Unsere Bagage wird auf Deck getragen und alles zur Abreise bereit
gehalten. Korrespondenzen, Briefe etc. werden geschrieben.

Als ich gegen Mittag unten sitze und Briefe nach Europa schreibe,
ertönt oben auf Deck das Zauberwort „Land!“ Ich springe auf. Welch
ein Anblick! Vor mir unter der Nebelwölbung lag das sonnenbeschienene
Grönland. Es war wiederum das Land bei Ingolfsberg.

Wir mochten ungefähr 8 Meilen vom Lande entfernt sein. Da wir vor uns
Eis erblickten, nahmen wir einen südlicheren Kurs, indem wir uns der
Küste mehr und mehr näherten.

Auf dem Wege nach Süden zu kamen wir an mehreren mächtigen Eisbergen
vorüber. Auf einigen derselben erblickten wir einzelne Blöcke. Wenn
man dieser Kolosse von weitem ansichtig wird, so sehen sie aus wie
ganze Strecken Landes und es kam mehrmals vor, daß wir sie für Inseln
hielten, die vor uns lägen. Weiter südlich von Kap Dan standen
besonders viele dieser Eisriesen auf Grund.

Von dem Ans-Land-gehen wurde jedoch weder an diesem noch an den
folgenden Tagen etwas; der Eisgürtel war zwischen 4 und 5 Meilen breit
-- da war es besser, die Verhältnisse weiter südwärts zu untersuchen.

Am 16. passirten wir Kap Dan, das mit seiner runden Kuppelform leicht
zu erkennen war. Das Eis lag noch in ziemlicher Entfernung vom Lande
ab, der Eisgürtel war noch ungefähr 4 Meilen breit. Weiter nach Westen
zu hatte es jedoch, nach der blauen Luft über dem Eise zu urtheilen,
den Anschein, als wenn eine Bucht tief in das Land hineinschneide. Wir
setzten unsere Hoffnung darauf, steuerten in der Richtung und kamen im
Laufe der Nacht auch wirklich in diese Bucht hinein.

Als ich am Morgen des 17. an Deck kam, sah ich ganz deutlich, daß
die Landung an diesem Tage versucht werden müsse. Eine Tour in die
Tonne hinauf konnte mich hierin nur bestärken. Die den Sermilikfjord
umgebenden Felsen lagen verlockend vor mir. Weiter westwärts konnte
man das Inlandseis, -- das Ziel unserer Sehnsucht -- erblicken, gleich
einer unermeßlichen weißen Fläche wölbte es sich dort drüben.

Es konnte nicht viel über 2½ Meilen bis zum Lande sein. Die erste
Strecke des Eises erschien einigermaßen passirbar, tiefer hinein war es
anscheinend freilich dichter zusammengestaut, aber ich konnte doch hie
und da einige kleinere offene Stellen erblicken, und außerdem schien
mir das Eis nicht von der schlimmsten Art zu sein. Es waren viele
kleine Schollen darunter, die freilich das Fortkommen erschweren, wenn
man die Boote über das Eis ziehen soll; will man aber mit den Booten
auf dem Wasserwege vordringen, so ist es weit besser, mit den kleinen
Schollen zu thun zu haben als mit den großen, die sich nur schwer vom
Fleck bewegen lassen. Von der Tonne aus konnte ich eine Luftspiegelung
von offenem Wasser auf der Innenseite des Eises, zwischen diesem und
dem Lande erblicken. Deswegen würde man wahrscheinlich, wenn man durch
das Herz des Eisgürtels hindurchgedrungen war, abermals nach dem
offenen Wasser auf der Innenseite zu weicheres Eis finden.

Für ein Fahrzeug wie der „Jason“ würde es zweifelsohne ein Leichtes
gewesen sein, sich durch diese Kleinigkeit von Eis eine Bahn zu
brechen; wie oft waren wir nicht schon durch weit stärkeres Eis
vorgedrungen, -- aber damals handelte es sich um Seehunde, um das
eigene Interesse des Schiffes, hier stellte sich das Verhältniß anders.
Hätte das Schiff mir gehört, würde ich mich keinen Augenblick besonnen
haben, es durch das Eis zu führen, aber nun waren wir Gäste an Bord
und das Schiff war nicht auf ein Anlaufen von Grönland versichert.
Die Strömungs- und Tiefenverhältnisse in diesem Fahrwasser waren noch
unbekannt. Verlor das Schiff seine Schraube im Eise, so war es aller
Wahrscheinlichkeit nach rettungslos verloren, da dieselbe durch keine
neue ersetzt werden konnte, und das Schlimmste war, daß wenn das Schiff
hier verlassen werden sollte, es schwierig für die 64 Mann, aus denen
die Besatzung bestand, sein würde, sich mit dem wenigen Proviant, den
wir an Bord hatten zu behelfen, bis sie an bewohnte Stätten kamen. Da
ich nun außerdem der Ansicht war, daß wir uns mit Leichtigkeit selber
durchhelfen würden, so fiel es mir keinen Augenblick ein, den Kapitän
zu ersuchen, uns weiter als bis an den Rand des Eises zu führen, so gab
ich denn den Befehl, unsere Habseligkeiten in die Böte zu schaffen und
diese klar zu machen.

Wie bereits erwähnt, hatte die Expedition ein eigens zu diesem Zweck
in Kristiania angefertigtes Boot mitgebracht, da dies aber allein
durch die recht umfangreiche Ausrüstung der Expedition so ziemlich
belastet werden würde, nahm ich mit Dank das freundliche Anerbieten des
Kapitäns an, uns eins von Jasons kleinsten Fangböten zu überlassen. Die
beiden Böte wurden heruntergelassen und neben das Schiff gelegt, und
nun entstand ein reges Leben und Treiben an Bord; wir öffneten unsere
sämtlichen Kisten und packten den Inhalt in die Böte. Es ist schwer zu
sagen, wer bei der Hülfeleistung am eifrigsten war, -- die Mitglieder
der Expedition oder die Schiffsmannschaft.

Wir legten die letzte Hand an unsere Korrespondenzen, an die Briefe in
die Heimath etc. etc. Und wer einen Freund oder eine Freundin hatte,
denen er ein letztes Lebewohl zu sagen wünschte, der that das jetzt,
-- man konnte ja nicht wissen, was die Zukunft uns bringen würde. Die
Stimmung unter den Mitgliedern der Expedition schien indessen eine
sehr heitere zu sein; man hatte von dieser kleinen Schar keineswegs
den Eindruck, als bereite sie sich zu einem ernsten Strauß vor.
Nach sechswöchentlichem Warten und Sehnen sollte nun endlich die
Erlösungsstunde schlagen. Wir hatten ein erhebendes Gefühl, als begeben
wir uns zu einem Tanz, wo wir die Geliebte treffen sollten. Nun ja, es
wurde ja auch ein Tanz, wenngleich nicht auf so vielen Rosen, wie wir
erwartet hatten, und die Auserwählte ließ gar lange auf sich warten.

An das norwegische „Morgenblatt“ schrieb ich vor unserer Abfahrt in
aller Eile folgenden Brief:

                               An Bord des „Jason“, den 17. Juli 1888.

Am 15. wurde nichts aus der Landung, ebensowenig gestern. Zwischen uns
und dem Lande lag ein 4-5 Meilen breiter Eisgürtel. Derselbe bestand
zwar theilweise aus offenem Eise, durch das wir hindurchrudern konnten,
aber wir wünschten weiter nach Westen zu am Kap Dan vorbei in der
Gegend von Inigsalik westlich vom Sermilikfjord zu landen, wo die Küste
weniger zerklüftet ist als im Osten. Das Land nördlich vom Kap Dan ist
nämlich die wildeste, zerrissenste Felsgegend, die ich jemals gesehen
habe, -- die wildesten norwegischen Felspartien, ja selbst die Alpen
können sich, was phantastische, himmelanstrebende Formen betrifft,
nicht damit messen. Die Höhen sind freilich nicht so beträchtlich, --
eine der höchsten Spitzen, der Ingolfsberg, mißt nur ungefähr 1885
~m~. Es ist ein scharfer, sehr hervortretender Felsen, den wir während
unserer ganzen Fahrt an der Küste entlang bis gestern Abend nicht
außer Sicht verloren. Es schien mir jedoch, als könne man weiter nach
Norden zu und wahrscheinlich tiefer ins Land hinein, Berge sehen, die
beträchtlich höher waren.

Das Land nördlich vom Kap Dan ist jedoch noch nicht untersucht und noch
von keines Europäers Fuß betreten worden. Gestern passirten wir Kap
Dan und in diesem Augenblick befinden wir uns nur noch 2 Meilen vom
Lande entfernt, gerade vor dem Sermilikfjord, bereit, sobald alles in
Ordnung ist, den „Jason“ zu verlassen, um, so viel wir sehen können,
durch Schlampeis und offenes Eis an Land zu kommen. Links von uns liegt
das Inigsalikland, und wir können hier hinter den Bergen zum erstenmal
den Rand des Inlandseises sehen, dieser mystischen Eiswüste, die nun
für die nächste Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach für mehr als einen
Monat unser Tummelplatz sein soll.

Das Inigsalikland scheint ein verhältnißmäßig ebenes Land zu sein, das
zur Erklimmung des Eises geeignet sein wird. Kapitän +Holm+, der Führer
der dänischen „Frauenbootsexpedition“, empfahl mir dies Land, und
von hier aus macht es den Eindruck, als wenn meine Erwartungen nicht
getäuscht werden sollten.

Aber unsere beiden Böte liegen schon zur Abreise bereit.

Da das Eis hier so dünn ist, habe ich außer dem Boot, das wir für die
Expedition mitnahmen, eins von „Jasons“ Fangböten erhalten. Es ist
nämlich weit bequemer, zwei Böte zu haben und außerdem ist es auch
sicherer für den Fall, daß das eine von dem Eise zerschlagen werden
sollte.

Und so bricht denn der Augenblick an, an dem wir „Jasons“ tapferem,
braven Führer, Kapitän +Jakobsen+, und der ganzen braven Besatzung
Lebewohl sagen sollen. Wir nehmen manch eine liebe Erinnerung an gute
Freunde und angenehme Stunden mit uns. Wir besteigen unsere Böte mit
der festen Zuversicht auf einen glücklichen Ausfall der bevorstehenden
Reise. Ein griechischer Weiser hat irgendwo einmal gesagt, die Hoffnung
sei der Traum der Wachenden! wohl an, Träume gehen auch zuweilen in
Erfüllung und ich glaube, das wird mit diesem Traum der Fall sein.

Ich hoffe, Kristianshaab erreichen zu können, bevor das letzte dänische
Schiff im September fährt, da würden wir noch im Herbst wieder zu Hause
sein; gelingt uns das nicht, dann kommen wir im nächsten Sommer. Auf
Wiedersehn!

                                                           Ihr
                                                    +Fridtjof Nansen+.

Ungefähr um 7 Uhr des Abends war alles zur Abreise bereit. Der
Sermilikfjord lag nun gerade vor uns. Nach Berechnung durch
Kreuzpeilung mußten wir uns 2½ geographische Meilen von der Mündung der
Bucht befinden. Ich kletterte zum letztenmal in die Tonne, um zu sehen,
welchen Kurs wir einzuschlagen hatten. Die Luftspiegelung des offenen
Wassers an der Innenseite des Eises war jetzt noch deutlicher sichtbar
als zuvor. In etwas westlicher Richtung von King Oskars Hafen schien
das Eis am dünnsten zu sein, weshalb ich mich für den Kurs entschied.

Siegesgewisser denn je zuvor stieg ich wieder auf Deck hinab, und nun
schlug die Abschiedsstunde. „Jasons“ ganze Mannschaft war auf Deck
versammelt. Trotz der Freude über die Aussicht auf einen glücklichen
Anfang unserer Fahrt bemächtigte sich unser aller doch ein wehmüthiges
Gefühl, als wir Abschied von diesen derben Seeleuten nahmen, unter
denen wir wohl Alle treue Freunde gewonnen hatten; jetzt setzten sie
freilich eine etwas bedenkliche Miene auf oder wandten sich mit einem
bezeichnenden Kopfschütteln ab. Man konnte sich wohl des Gedankens
nicht erwehren, daß man sich zum letztenmale sah. Zu allerletzt
drückten wir Kapitän +Jakobsen+ die Hand zum Abschied, und nie werde
ich die ruhige, einfache Art und Weise vergessen, mit der dieser
Urtypus eines norwegischen Seemannes uns sein wohlgemeintes Lebewohl
sagte und dem Wunsche Ausdruck gab, daß es uns gut ergehen möge.

Dann das Fallreb hinab und in die Böte. Während ich mich an das Steuer
des Bootes setzte, das uns vom „Jason“ überlassen war, und in dem
+Dietrichson+ und +Balto+ jeder ein Ruder führten, übernahm +Sverdrup+
den Oberbefehl des zweiten Bootes mit +Ravna+ und +Kristiansen+ als
Ruderer.

„Alle Mann an Platz? Stoßt ab!“ und indem die Böte unter den ersten
kräftigen Ruderschlägen durch das dunkle Wasser dahinschießen, hallt
die Luft wider von den drei kräftigen Hurrahrufen der 64 Mann,
während zwei weiße Rauchsäulen aus „Jasons“ beiden Kanonen uns ihren
letzten Gruß nachsenden. Dumpf rollt ihr Donner durch die dunkle,
regenschwangere Luft und erstirbt. Die letzte Brücke hinter uns ist
abgebrochen. -- -- Lebt wohl! Und unsere Böte gleiten unter den
taktfesten Ruderschlägen durch das Eis, um die erste, kalte Umarmung
der Natur zu empfangen, die uns nun für eine Zeit lang behausen soll.
Wir hatten Alle das beste Zutrauen zu unserem guten Stern, -- daß
Anstrengungen und Gefahren unser harrten, wußten wir, aber waren
überzeugt, daß wir sie zu überwinden im stande sein würden.



Kapitel VIII.

Gegen Land. -- Das Treiben im Eise.


Nachdem wir eine Strecke in das Eis eingedrungen waren, kam uns ein
Boot mit 12 Mann von dem zweiten Steuermann geleitet nach. Es war von
Kapitän +Jakobsen+ ausgesandt worden, um uns wenn möglich das erste
Stück durch das Eis hindurchzuhelfen durch Bahnbrechen oder Schleppen
der Böte. Sie begleiteten uns eine Weile, als ich aber sah, daß sie uns
nur wenig nützen konnten, dankte ich ihnen für ihre gute Absicht und
sandte sie wieder zurück.

Wir fanden eine ganze Strecke Schlampeis, wehten dem Boote ein Lebewohl
zu und steuerten direkt hinein.

Im Anfang ging es ganz gut mit uns. Das Eis lag so lose, daß wir fast
immer zwischen den Schollen hindurchrudern konnten, sonst mußten
Brechstangen und Aexte einen Weg bahnen. Nur an wenigen Stellen waren
wir gezwungen, die Böte über kleinere Schollen zu ziehen. Schon ehe
wir den „Jason“ verließen, hatte es angefangen, ein wenig zu regnen,
jetzt nahm der Regen zu, während der Himmel sich verdunkelte und eine
gewitterartige Stimmung annahm. Es war ein eigenthümlich wirkungsvoller
Anblick, diese Männer in ihren dunkelbraunen Waterproofs, die spitzen
Kapuzen gleich den Mönchen über den Kopf gezogen, sich sicher und
schweigend in ihren beiden Böten, von denen das eine dem andern im
Kielwasser folgte, durch die weißen, ruhigen Eisschollen hindurch
arbeiten zu sehen, die einen starken Kontrast zu dem dunklen,
gewitterschwangeren Nachthimmel bildeten. Ueber den zerrissenen
Felsen am Sermilikfjord lagerten dunkle Wolkenbänke, -- von Zeit zu
Zeit zerriß dieser Wolkenvorhang und durch die Spalten schaute man
in einen Himmel hinein, der in dem anhaltenden Strahlenglanz eines
arktischen Sonnenunterganges glühte und einen milden Wiederschein auf
die Ränder des dunklen Vorhanges warf. Es währte nicht lange und der
Vorhang schloß sich, dunkler als je, während wir uns Schlag auf Schlag
unverdrossen weiter arbeiteten und der Regen uns peitschend ins Gesicht
schlug. War dies ein Vorzeichen unseres eigenen Schicksals? Nein, gewiß
nicht, aber die Menschenseele ist schwach und abergläubisch, sie glaubt
so leicht, daß sich die Elemente und das Universum um ihr großes Selbst
-- den Mittelpunkt des Ganzen -- drehen.

Das Eis wurde ein wenig schwieriger, oft mußte man auf einen Eishügel
hinauf, um den besten Weg auszukundschaften, und von dem Gipfel eines
solchen Eishügels winkte ich dem „Jason“ mit der norwegischen Flagge
unser letztes Lebewohl zu, und der „Jason“ antwortete, indem er die
seine senkte. Dann ging es wieder vorwärts -- ohne Aufenthalt, denn
hier ist keine Zeit zu verlieren.

Wir hatten von Anfang an in westlicher Richtung einen großen Eisberg
vor uns gehabt. Seit längerer Zeit hatten wir uns ihm jedoch in
auffallender Weise genähert, obwohl wir uns nicht in der Richtung
vorwärts bewegten. Unser Kurs war bedeutend östlicher. Die Strömung
mußte uns westwärts führen. Und so verhielt es sich, -- mit
unwiderstehlicher Fahrt riß sie uns fort; es ward uns bald klar, daß
keine Rede davon sein konnte, diesen Eisberg an der östlichen Seite
zu umschiffen. Wir mußten uns in die Leeseite desselben begeben. Hier
geriethen wir jedoch plötzlich in einen reißenden Malstrom, der die
Eisschollen gegeneinander trieb, so daß sie sich krachend überschlugen
und droheten, unsere beiden Böte zu zerschmettern. +Sverdrup+ zog
das seine auf eine Scholle hinauf und befand sich in Sicherheit. Wir
arbeiteten uns zu einer eisfreien Stelle durch, schwebten aber in
Gefahr, jeden Augenblick zwischen den Eisschollen zerschmettert zu
werden. Da galt es aufmerksam zu sein, das Boot an allen gefährlichen
Punkten klar zu halten, es auf den „Fuß“ oder in die „Bucht“[33] eines
Eisberges zu retten, wenn das Eis preßte; aber dies war keine leichte
Aufgabe in den unwiderstehlichen Wirbeln. Mit vereinten Kräften gelang
es uns indessen. Wir kamen in die große eisfreie Stelle, in den Schutz
des Eisberges und waren vorläufig in Sicherheit. Nun handelte es sich
um +Sverdrup+. Ich winkte ihm zu, daß er versuchen sollte uns zu
folgen, er that es, und es gelang ihm, indem er sein Boot in ruhigerem
Fahrwasser hielt als wir.

Jetzt fanden wir eine eisfreie Stelle nach der anderen. Nur ein paarmal
verdichtete sich das Eis wieder, dies war besonders jedesmal der Fall,
wenn der Strom uns an einen der zahlreichen Eisberge, die ringsum auf
dem Grunde lagen, trieb, das Fahrwasser wurde aber regelmäßig freier,
sobald wir an ihnen vorbei passirt waren. Unsere Aussichten waren
Licht, unser Sinn war leicht. Der Regen hatte aufgehört und gerade
jetzt stieg die Sonne über dem zackigen Hintergrund des Sermilikfjords
empor, den noch wolkenbedeckten Himmel in Brand steckend und auf den
Gipfeln und Zinnen Feuer entzündend.

Vor uns lagen lange, eisfreie Strecken, ich glaubte schon vom Boote aus
das offene Wasser auf der Innenseite des Eises sehen zu können. Wir
hatten uns dem Lande auf der Westseite des Fjords sehr genähert, ich
konnte deutlich die Steine und die Unebenheiten der Klippen und Felsen
sehen. Nichts schien uns jetzt aufhalten und unsere Landung verhindern
zu können, wir sprachen schon davon, wo und wann wir den Kaffee an Land
kochen wollten.

Da verdichtete sich das Eis wieder, wir sahen uns genöthigt, die
Böte auf eine Scholle hinaufzuziehen. Mein Boot war in einer Enge
in eine ungünstige Stellung gekommen, und als das Eis sich wieder
mehr vertheilte und das Boot ausgesetzt werden sollte, schnitt eine
scharfe Eiskante in eine Planke an der einen Seite ein. Das Boot
konnte nicht schwimmen, da war nichts zu machen, als es abzuladen und
zur Reparatur wieder auf die Eisscholle zu ziehen. +Sverdrup+ mit
+Kristiansen+ als Assistent machten sich an die Arbeit und brachten mit
den verhältnißmäßig schlechten Hülfsmitteln, die ihnen zur Verfügung
standen, alles in verhältnißmäßig kurzer Zeit mit wahrer Meisterschaft
wieder in Ordnung. Als Material benutzte er ein Tannenbrett, das auf
dem Boden des Bootes gelegen hatte, einige große Nägel, eine Axt und
eine Holzkeule.

Dies schadhafte Boot sollte indessen über unser Schicksal entscheiden.
Während der Ausbesserung desselben verdichtete sich das Eis, der Himmel
bedeckte sich mit Wolken, und der Regen stürzte in Strömen herab,
alles ringsumher verhüllend. Da war denn nichts anderes zu machen, als
das Zelt aufzuschlagen und zu warten. Wir schrieben den 18. Juli, und
es war 10 Uhr des Vormittags. Das Beste, was wir thun konnten, war, in
unsere Schlafsäcke zu kriechen und den Schlaf nachzuholen, der uns nach
fünfzehnstündiger, anstrengender Arbeit im Eise nicht unerwünscht war.

Ehe wir uns zur Ruhe begaben, klärte es sich über dem Meere ein wenig
auf, und wir gewahrten in weiter Entfernung den „Jason“, der gerade
anheizte und eine Stunde später in See ging, wahrscheinlich im guten
Glauben, daß wir längst wohl behalten am Lande angelangt seien. „Als
+Ravna+ das Schiff zum letztenmale sah,“ schreibt +Balto+ in seiner
Reisebeschreibung, „sagte er zu mir: „Ach, wie dumm sind wir gewesen,
daß wir das Schiff verließen, um hier zu sterben. Es ist keine
Aussicht, daß wir lebendig davonkommen. Das große Meer wird unser Grab
werden.“ Ich antwortete ihm, daß es nicht richtig gewesen wäre, wenn
wir beiden Lappen zurückgekehrt wären. Wir würden keine Bezahlung
erhalten haben, und vielleicht hätte uns der norwegische Konsul auf
Kosten der Armenkasse nach Karasjok zurückbefördern müssen. Das wäre
doch eine große Schande gewesen.“

Während wir schliefen, mußte stets einer von uns Wache halten, um
zu melden, falls sich das Eis öffne, daß wir weiter kommen könnten.
+Dietrichson+ erbot sich gleich, die erste Wache zu übernehmen. Aber
der Zustand des Eises veränderte sich wenig oder gar nicht. Nur einmal
hatte es den Anschein, als würde es ein wenig loser, gleich darauf aber
schob es sich wieder mehr zusammen. Es war nicht daran zu denken, die
Böte über dies Eis zu ziehen, -- es war zu uneben und bestand aus zu
kleinen Schollen. Solange der Regen anhielt, mußten wir warten und
konnten voraussichtlich länger schlafen, als uns lieb war. Wir waren
bereits in die verkehrte Strömung gerathen.

Mit reißender Geschwindigkeit führte uns die Strömung westwärts in den
breiteren Eisgürtel auf der Westseite des Sermilikfjordes. Hier nahm
sie eine südlichere Richtung und führte uns vom Lande fort und zwar
schneller, als wir uns durch das Eis hindurcharbeiten konnten. Wären
wir nicht durch das beschädigte Boot aufgehalten, so würden wir aller
Wahrscheinlichkeit nach innerhalb des Gürtels gelangt sein, wo die
Strömung am reißendsten war, und in das ruhigere Wasser unterhalb des
Landes.

Die Schnelligkeit der Strömung, in die wir hier gerathen waren, zeigte
sich bedeutend größer, als man bis dahin allgemein angenommen hatte.
Daß hier starke Strömungen waren, wußte ich allerdings, und ich hatte
das auch berechnet, hätte ich aber eine Ahnung von ihrer wirklichen
Stärke gehabt, so wäre ich sicher ein wenig anders zu Werke gegangen.
Ich hätte mich dann bedeutend östlicher gehalten, gerade vor Kap Dan;
wir würden, indem wir uns quer durch die Strömung durchgearbeitet
hätten, aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Eisgürtel gelangt sein,
ehe wir westlich an der Mündung der Sermilikbucht vorbei und in den
breiteren Eisgürtel hineingerathen waren, wo die Strömung eine südliche
Richtung nimmt. Wie die Sache jetzt lag, blieb uns nichts übrig als
das tröstliche Bewußtsein, wie schön es hätte sein können. Eine Stunde
bei günstigem Fahrwasser und wir wären hindurch. Aber die Pforten
des Paradieses waren verschlossen und wir wurden gegen südlichere
Breitengrade getrieben. --

Inzwischen hatten wir genug zu thun, das Regenwasser, das durch die
Schnürlöcher in der unteren Zeltwand hineinsickerte, von dem Boden
des Zeltes aufzuschöpfen. Nachdem wir ungefähr 24 Stunden wesentlich
hiermit beschäftigt in unserm Zelt verbracht hatten, zertheilte sich
das Eis so weit, daß wir mit neuem Muth und erneuten Kräften unsere
Landungsversuche abermals beginnen konnten. Dies geschah am Morgen des
19. Juli ungefähr um 6 Uhr. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen,
und durch eine Lichtung in den Regenwolken konnten wir das Land am
Sermilikfjord erkennen. Wir waren über doppelt soweit davon entfernt
als im Anfang -- ungefähr vier Meilen --, schauten aber voller Hoffnung
vorwärts, denn wenn wir auch die Küste nicht bei Inigsalik (westlich
vom Sermilikfjord) erreichten, so hatten wir doch alle Aussicht,
südlich bei Pikiutdlek an Land zu gehen. Es galt jetzt nur, sich
unverdrossen quer durch den Strom zu arbeiten, dann mußten wir das
Ziel einmal erreichen. An Unverdrossenheit fehlte es uns freilich
nicht, und wir arbeiteten mit Lust. Bald kamen wir in den Schutz eines
mächtigen Eisberges, fanden lange eisfreie Stellen und gelangten ein
gutes Stück vorwärts. Da verdichtete sich plötzlich das Eis wieder,
und wir mußten uns abermals auf eine Eisscholle zurückziehen. Von
Zeit zu Zeit brach die Sonne durch, wir zogen die Böte ganz auf das
Eis herauf, schlugen unser Zelt auf und richteten uns so gemüthlich
wie möglich ein, zogen zum Theil trockenes Zeug an und trockneten die
durchnäßten Kleidungsstücke. Besonders für mich war dies letztere sehr
wünschenswerth, da ich am Tage bei der Arbeit ins Wasser gefallen war.
Ich wollte von der vorstehenden Kante einer Eisscholle in unser Boot
springen, als das Eis brach. Derartige unfreiwillige Bäder gehörten
übrigens zu den fast täglichen Begebenheiten auf unserer Expedition. Im
Laufe des Tages brach die Sonne völlig durch, und wir labten uns recht
gründlich an ihren milden Strahlen. Den Konserven, die uns Stavangers
Hermetische Fabrik geschenkt hatte, ließen wir volle Gerechtigkeit
widerfahren, auf den Eisschollen war vollauf des herrlichsten
Trinkwassers zu haben und in dem Bierfaß, das zu dem Boot vom „Jason“
gehörte, war noch Bier übrig. In jedem Fangboot eines Seehundsfängers
befindet sich nämlich ein Bierfaß und eine Brotkiste, die mit Brot und
Speck gefüllt ist. Diese Behältnisse hatte der Kapitän uns wohlgefüllt
und in bestem Zustande überlassen, und das kam uns jetzt zu gute.

Wir konnten draußen am Rande des Eises eine ziemlich starke Brandung
vernehmen, aber wir legten kein weiteres Gewicht darauf. Dem Anschein
nach trieben wir mehr und mehr vom Lande ab, die Berggipfel am
Similikfjord wurden kleiner und kleiner.

Am Abend blieb ich noch lange, nachdem die Anderen in ihre Schlafsäcke
gekrochen waren, auf, um Skizzen zu entwerfen. Es war ein herrlicher,
nordischer Abend mit jenen wunderbar weichen Farbentönen, die sich
gleichsam liebkosend an uns schmiegen, mit jener träumerischen, lichten
Melancholie, die sich so wohlthuend über unser Gemüth senkt und die
den nordischen Nächten so charakterisch ist. Die wilde, zerklüftete
Landschaft im Norden am Sermilikfjord hebt ihre kühngeschwungenen
Linien scharf gegen den glühenden Abendhimmel ab, während die mächtigen
Flächen des Inlandseises den Horizont im fernen Westen begrenzen und
sanft in den gelben Hintergrund mit seinen weichen Linien übergehen.

Es war alles so nahe, -- ärgerlich, daß nur ein Stückchen Treibeis uns
so hartnäckig von dem Ziel unserer Sehnsucht zu trennen vermochte!

Während ich so dasaß und zeichnete, vernahm ich plötzlich ein heftiges
Dröhnen im Eise. Es ist der wachsende Seegang, der sich Bahn bricht.
Ich schaue auf das Meer, der Himmel war da ein wenig dunkel. Mit dem
Gedanken, daß da draußen wohl ein Unwetter heraufzieht, daß uns dies ja
aber im Grunde nichts angeht, krieche ich endlich in den Schlafsack zu
meinem schlummernden Kameraden.

Am nächsten Morgen (den 20. Juli) erwachte ich infolge einiger heftiger
Stöße, welche unsere Eisscholle erhielt. Der Seegang mußte bedeutend
zugenommen haben. Wir krochen aus unseren Säcken und sahen, daß
unsere Eisscholle, in geringer Entfernung vom Zelte quer geborsten
war, die Lappen, welche sofort auf den höchsten Punkt der Scholle
geklettert waren, um sich umzusehen, riefen, daß sie das Meer erblicken
können. Und so verhielt es sich auch wirklich. Glänzend im Schein der
Morgensonne breitete sich das Meer in der Ferne aus; wir hatten es
nicht gesehen, seit wir den „Jason“ verließen.

In meinen Tagebuchaufzeichnungen von diesem Tage und von den folgenden
Tagen heißt es weiter:

„Der Seegang wächst, er bricht sich immer gewaltiger an unserer
Scholle; Eisstücke und zu Schnee zerriebenes Eis thürmen sich am Rande
der Scholle auf und bilden einen Wall, der dem ersten Anprall der
Wellen Widerstand leistet. Das Schlimmste ist jedoch, daß wir uns dem
Meere mit unheilverkündender Schnelligkeit nähern. Wir beladen unsere
Schlitten und versuchen sie über das Eis zu ziehen, entdecken aber gar
bald, daß die Schnelligkeit, mit der wir hinausgetrieben werden, uns zu
stark ist. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als uns nach einer
sichereren Eisscholle umzusehen, auf der wir unser Domizil aufschlagen
können, denn diejenige, auf der wir uns jetzt befinden, erscheint uns
ein wenig gebrechlich. Im Anfang war es eine runde Eisscholle von
ungefähr 30 ~m~ Durchmesser, aber in der Nacht barst sie einmal und nun
berstet sie abermals in anderer Richtung, so daß sie schließlich klein
wird. Dicht neben uns befindet sich eine große, dicke Eisscholle, die
noch unberührt ist, -- auf diese ziehen wir hinüber.

„Inzwischen nähern wir uns der Brandung mehr und mehr, der Lärm wächst,
die Wellen prallen gegen unsere Scholle an und treiben an allen Ecken
und Kanten darüber hin. Die Situation fängt an, kritisch zu werden.

„Die armen Lappen sind nicht in der besten Laune. Am Vormittage waren
sie gänzlich verschwunden, ich konnte nicht begreifen, wo sie geblieben
waren, da es auf dieser kleinen Eisscholle gerade nicht allzuviele
Stellen gab, an denen man sich voreinander verstecken konnte. Da fiel
es mir auf, daß einige Persennings sorgfältig über das eine Boot
gebreitet waren. Ich hob sie leise in die Höhe und sah die beiden
Lappen auf dem Boden des Bootes liegen. Der Jüngere, +Balto+, las dem
Aelteren auf Lappländisch aus dem neuen Testament vor. Ohne daß sie es
bemerkten, deckte ich die kleine Kirche, die sie sich so eingerichtet
hatten, leise wieder zu. Sie hatten das Leben aufgegeben und bereiteten
sich zum Tode vor.“ -- Wie mir +Balto+ lange nachher einmal gestand,
hatten sie einander dort unten im Boote ihre Herzen ausgeschüttet und
ihre blutigen Thränen vergossen, sich selbst und Andere mit bitteren
Vorwürfen überhäufend, daß sie je ihre Heimath verlassen hatten. Man
kann sich nicht verwundern, daß sie ängstlich waren; es war ihnen ja
alles so fremd. --

„Es ist das herrlichste Wetter mit sengendem Sonnenschein, so daß
wir die Schneebrillen herausholen müssen. Wir benutzen die Sonne,
um eine Ortsobservation vorzunehmen und durch Kreuzpeilung (des
Landes) bestimmen wir, daß wir uns auf dem 65° 8′ N. B. u. dem 38°
20′ W. L. befinden, also 30 Minuten (7½ Meilen) von der Mündung des
Sermilikfjordes und 23 bis 25 Minuten (ungefähr 6 Meilen) von dem
nächstgelegenen Lande.

„Das Mittagsessen wird wie gewöhnlich zubereitet, nur, daß wir in
Rücksicht auf die Verhältnisse Erbsensuppe kochen, -- die Verschwendung
hatten wir uns nämlich bis dahin nicht erlaubt, etwas zu kochen.
Während wir hiermit beschäftigt waren, wird die Bewegung indessen
stärker und stärker, so daß unser Kochapparat mehrmals fast umgeworfen
wird.

„In tiefem Schweigen nehmen die Lappen das Mittagsessen ein, die
anderen schwatzen und scherzen wie gewöhnlich und die heftigen Stöße
der Wellen geben Veranlassung zu Witzen, die bei den Lappen freilich
nicht auf dankbaren Boden fallen, sie sind scheinbar der Ansicht, daß
Zeit und Ort nicht recht passend zum Scherzen seien.

„Von der höchsten Spitze unserer Eisscholle kann man ganz deutlich
sehen, wie das Meer über die anderen Eisschollen dort draußen hinspült,
während der aufspritzende Schaum gleich weißen Wolken hoch in die blaue
Luft geschleudert wird, -- dort kann sich wohl schwerlich ein lebendes
Wesen auf dem Eise halten. Und es scheint unvermeidlich, daß auch wir
da hinausgetrieben werden! Aber unsere Scholle ist dick, wir hoffen,
daß sie eine Weile aushalten wird, und wir beabsichtigen nicht, sie
zu verlassen, ehe wir dazu gezwungen sind; tritt aber der Fall ein,
daß wir uns nicht mehr halten können, so müssen wir als letzten Ausweg
versuchen, unsere Böte durch die Brandung zu bringen. Das wird ein
feuchtes Vergnügen, aber unser Entschluß, den Kampf auf Tod und Leben
zu kämpfen, steht unerschütterlich fest.

„Eins der beiden belasteten Böte bei der heftigen Sturzsee und
den rollenden Eisschollen ins Wasser zu setzen, ohne daß es ganz
gefüllt oder ganz zerschmettert wird, das ließe sich allenfalls
bewerkstelligen, da wir ja die Besatzung der beiden Böte (alle 6
Mann) dazu verwenden können, -- schwieriger dagegen wird es für die
zurückbleibende Besatzung, das zweite Boot ins Wasser zu setzen. Wir
überlegen, wie sich das am besten einrichten läßt, kommen aber zu dem
Resultat, daß wir das Allernothwendigste in das +eine+ Boot nehmen
müssen, damit dies so leicht wie möglich wird, und daß wir dann im
Nothfall nur an dies denken wollen, -- im übrigen können wir nichts
thun, als abwarten, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn wir in
die Brandung hineingerathen.

„Wir haben jetzt kaum mehr als 300 ~m~ vor uns. Niemand von uns
zweifelt daran, daß wir uns vor Ablauf von wenigen Stunden entweder in
südlicher Richtung an dem Eise entlang auf dem Meere schaukeln oder im
Begriff sind auf den Grund des Meeres zu versinken.

„Der arme +Ravna+ verdient jedenfalls das größte Mitleid -- er ist noch
nicht an das Meer und an dessen Launen gewöhnt. Er geht schweigend
umher, steht von Zeit zu Zeit oben auf den höchsten Spitzen der
Eisscholle, starrt bekümmert in die Brandung hinaus, während die
Gedanken sicher hinüberschweifen zu der Rennthierheerde und zu dem Zelt
mit Frau und Kindern auf der finnmarkischen Hochebene, wo jetzt alles
Sonne und Sommer ist.

Ach ja, +Ravna+, --

    „Leb’ wohl ist stets ein bitt’res Wort, --
    Die Heimath ist der schönste Ort.“

          --  --  --  --  --  --  --  --  --  --  --  --  --

Es ist menschlich, in solchen Stunden die Erinnerung zu dem
zurückschweifen zu lassen, was uns als das Schönste im Leben
erschienen ist, und auf schönere Erinnerungen als auf die sonnigen Tage
oben auf den Bergen kann wohl kaum Jemand zurückblicken.

„Aber auch hier scheint die Sonne und zwar ebenso milde und friedlich
wie nur irgendwo, hier auf dem rollenden Meer und der tosenden
Brandung, die uns umbraust. Die Abendsonne ist herrlich, -- ebenso
roth wie gestern geht die Sonne unter, den westlichen Himmel in Feuer
tauchend und Land, Eis und Meer einen langen, glühenden Abschiedskuß
zusendend, ehe sie hinter dem Rande des Inlandseises verschwindet, --
kein Lüftchen regt sich, die Meeresfläche rollt uns gelb und blank wie
ein Schild unter dem Abendhimmel entgegen. Unwillkürlich fallen mir die
ersten Zeilen des alten bekannten Liedes ein:

    „Schön ist das Meer, wenn still es sich wölbet
    Blank wie ein Schild ob des Vikingers Grab. --“

„Ja, wahrlich, es ist ein erhebender Anblick, -- sieh diese mächtigen,
langen Wogen, wie sie uns gewaltsam entgegenrollen, als könne nichts
sie anhalten, dann schlagen sie krachend gegen das weiße Eis, erheben
ihre feuchten bläulich-grünen Schwingen, treiben Eisstücke und Schaum
vor sich her über den weißen Schnee und schleudern sie hoch empor zu
der blauen Luft. Der Gedanke an Untergang bei einem solchen Wetter
erscheint uns fast unglaublich, -- doch -- einmal muß es ja sein, und
eine schönere Abschiedsstunde kann man sich wohl kaum wünschen.

„Hier ist aber keine Zeit zu verlieren, wir nähern uns der Brandung mit
Windeseile. Die See geht so hoch, daß wir unten im Wellenthal nichts
von dem Eis um uns her erblicken, -- wir sehen sonst nur den Himmel
über uns, die Eisschollen prallen gegeneinander an, zerschellen und
zerstieben rings um uns her, auch unsere Scholle ist geborsten. Wen
wir binnen kurzem das Meer erreichen, werden wir alle unsere Kräfte
nöthig haben, denn wir müssen voraussichtlich mehrere Tage und Nächte
ununterbrochen rudern, um aus dem Bereiche des Eises zu gelangen.
Deswegen werden alle Mann zum Schlafen ins Zelt geschickt, das noch
nicht in die Böte gepackt wurde. +Sverdrup+ soll als der Erfahrenste
und Ruhigste die erste Wache übernehmen und uns im entscheidenden
Augenblick wecken. Nach Verlauf von 2 Stunden soll +Kristiansen+ ihn
ablösen.

„Vergebens spähe ich bei meinen Kameraden nach einem einzigen Zug,
der Furcht verrathen könnte, sie haben denselben ruhigen Ausdruck wie
gewöhnlich und die Unterhaltung wird ebenso lebhaft geführt wie sonst.
Nur die Lappen setzen bekümmerte Gesichter auf. Es scheint mir aber
doch, als sei eine ruhige Resignation über sie gekommen, sie sind fest
überzeugt, daß sie die Sonne zum letztenmale untergehen sahen. Trotz
dem Getöse der Brandung liegen wir bald Alle in festem Schlaf, auch
die Lappen sind bald eingeschlafen. Sie sind zu echte Naturkinder, als
daß die Angst sie ihres Schlafes berauben könnte. +Balto+, dem das
Zelt wohl nicht sicher genug erscheinen mochte, liegt oben auf dem
einen Boot, er erwacht nicht einmal, als es von den Wellen beinahe
fortgespült wird, so daß +Sverdrup+ seine liebe Mühe hat, es zu
halten. Nachdem ich eine Zeit lang geschlafen -- wie lange es gewesen,
vermag ich nicht zu sagen -- erwache ich durch ein brausendes Geräusch
dicht neben meinen Ohren an der äußeren Zeltwand. Die Eisscholle wogt
fühlbar auf und ab gleich einem Fahrzeug, das sich in starkem Seegang
befindet, und die Brandung donnert betäubender denn je gegen uns an.
Ich erwartete, jeden Augenblick +Sverdrups+ mahnenden Ruf zu vernehmen,
oder das Zelt mit Wasser gefüllt zu sehen, aber nichts von alledem
geschah. Deutlich hörte ich seinen wohlbekannten ruhigen Schritt auf
der Scholle zwischen dem Zelt und den Böten auf und nieder gehen. Es
war mir, als sähe ich seine kräftige Gestalt dort unbekümmert hin und
her wandern, die beiden Hände in den Taschen, ein wenig vorübergebeugt,
das nachdenkliche, unerschütterlich ruhige Gesicht auf die See
gerichtet, von Zeit zu Zeit auf den Kautabak im Munde priemend, -- --
-- dann verwirren sich meine Gedanken, -- ich schlafe wieder ein.

[Illustration: Sverdrups Nachtwache am 20. Juli. (Nach einer Skizze des
Verfassers gezeichnet von E. Nielsen.)]

„Erst gegen Morgen erwachte ich wieder und fuhr verwundert auf, --
die Brandung war jetzt nur noch vernehmbar wie das ferne Geräusch des
Donners. Als ich aus dem Zelte trat, sah ich, daß wir von dem offenen
Meer weit entfernt waren, -- wie aber sah unsere Eisscholle aus? Große
wie kleine Eisstücke waren an allen Seiten aufgeschwemmt und hatten
sich rings am Rande zu einem hohen Wall aufgethürmt. Nur die Erhöhung,
auf welcher das Zelt und das eine Boot standen, hatte die See nicht
erreicht.

„+Sverdrup+ erzählte, er sei im Laufe der Nacht mehrmals am Eingange
des Zeltes gewesen, um uns zu wecken. Einmal habe er die eine Krampe
schon in die Höhe gehoben, er besann sich aber wieder und begab sich zu
den Böten, wo er ein wenig wartete und in die Brandung hinaus sah. Der
Sicherheit halber hatte er aber die Zeltthür nicht wieder geschlossen.
Wir befanden uns damals gerade an dem äußersten Eisrande, dicht neben
uns schaukelten große Eishügel vorüber, die sich jeden Augenblick auf
unsere Eisscholle zu stürzen drohten, -- was gerade keine angenehme
Ueberraschung für uns gewesen wäre. Die Brandung spülte an allen Ecken
über unsere Scholle, aber der Wall von Eisstücken, der sich gebildet
hatte, hielt sie wenigstens so weit ab, daß das Zelt und das eine Boot
verschont blieben. Das zweite Boot, in dem +Balto+ lag, war so von den
Wellen umspült, daß +Sverdrup+ es mehrmals festhalten mußte.

„Dann aber verschlimmerte sich die Situation. Er näherte sich abermals
der Zeltthür, öffnete noch eine Krampe, besann sich jedoch. Er wollte
die nächste Sturzsee abwarten.

„Mehr Krampen sollte er jedoch nicht öffnen, denn gerade als es am
allerschlimmsten aussah, und unsere Eisscholle kurz davor war, in
die stärkste Brandung hineingeschleudert zu werden, veränderte sie
plötzlich ihren Kurs und steuerte mit ganz erstaunlicher Schnelligkeit
dem Lande zu. +Sverdrup+ sagte, es habe auf ihn den Eindruck gemacht,
als würde sie von einer unsichtbaren Hand gelenkt.

„Jetzt, als ich aus dem Zelt trat, waren wir weit fortgetrieben und
lagen in einem sicheren Hafen, nur das Brausen der Brandung, das
man noch deutlich hören konnte, erinnerte an die Ereignisse der
verflossenen Nacht. So brauchten wir denn diesmal unsere eigene
Seetüchtigkeit und die unserer Böte nicht auf die Probe zu stellen.

„Der 21. Juli war ein stiller Tag nach sturmbewegter Nacht. Alles
athmete Ruhe und Frieden, wir entfernten uns immer weiter vom Meere,
die Sonne schien mild und warm, die Eisschollen lagen ruhig und
einförmig rings um uns her, selbst die Lappen schienen sichtlich
erleichtert.

„Nur ein Gedanke nagte an meiner Ruhe, -- nämlich die Aussicht, daß
die Expedition diesmal mißlingen und dadurch ein ganzes Jahr verloren
gehen würde. Nun, wir müssen thun, was in unseren Kräften liegt und uns
übrigens mit Geduld wappnen.

„Wir benutzen die Sonne, um die Längen- und Breitengrade zu bestimmen.
Wir befinden uns auf dem 64° 39′ N. B. und dem 39° 15′ W. L., wir
können noch die Gipfel des Sermilikfjordes sehen, das Inlandseis von
Pikiudtlek nördlich bis Inigsalik breitet sich weiß und imponirend
vor uns aus; mit seinem graden, wagerechten Horizont gleicht es
einem einzigen, weißen unermeßlichen Meer; keine Nunatakker (d. h.
Felsspitzen, die aus dem Inlandseise aufragen) sind zu erblicken, nur
draußen, am Rande gewahren wir einzelne dunkle Gipfel und Klippen (am
bemerkenswerthesten ist der Nunatak bei Pikiudtlek), die sich von der
sonst ununterbrochenen weißen Fläche abheben.

„Die Landschaft hier unten hat einen ganz anderen Charakter wie die
nördlichere bei Sermilik, Angmagsalik und Ingolfsfjeld. Dort oben
steigt das Land hoch, zerklüftet und wild aus dem Meere auf, die ruhige
Fläche des Inlandseises liegt verborgen hinter einer Reihe herrlicher,
himmelanstrebender Bergzinnen, deren erhabene Schönheit unwillkürlich
das Auge fesselt und über die das Eis niemals hinwegzuwachsen und ans
Meer zu gelangen vermochte. Hier dagegen ist die Landschaft niedrig,
das Inlandseis durfte seine grenzenlose, weiße Fläche bis ins Meer
erstrecken, und die wenigen Formen, die hier hervortreten, sind
niedrig und ruhig. Sie sind vom Eise abgeschliffen, -- alles scheint
von dem übermächtigen Eis ins Meer hineingedrängt zu sein. Auch diese
Landschaft ist wild, aber es ist die öde Wildheit der Einförmigkeit.

„Da ist nichts, was das Auge fesseln kann, und deshalb schweift es
willenlos über die lockende Eiswüste und verliert sich in der Ferne, wo
der Horizont den Blick begrenzt. Leider liegt das alles weit, -- weit
von uns! Es ist wunderlich, dem Ziele so nahe gewesen zu sein und nun
wieder draußen auf offenem Meere schaukeln zu müssen.

„Das Eis öffnet sich ein wenig, wir entdecken eine eisfreie Stelle
und setzen das eine Boot aus, um zu versuchen, ob wir uns ein
wenig durcharbeiten können, aber es ist vergebliche Mühe, das
Schlampeis zwischen den Schollen (das sich durch das ununterbrochene
Gegeneinanderreiben der Eisschollen während des Seeganges gebildet
hat) ist so dick, daß wir mit den schwer belasteten Böten nicht
vorzudringen vermögen. Wir müssen unser Vorhaben vorläufig aufgeben.
Die Schlitten und Böte über die Eisschollen zu ziehen, ist ebenfalls
eine Unmöglichkeit, da der Zwischenraum zwischen den einzelnen Schollen
ein zu großer ist. Das Getöse der Brandung erschallt noch immer in der
Ferne, -- der Seegang hat nicht nachgelassen und hält das Eis nach wie
vor zusammen.“

An diesem Tage, dem ersten an welchem wir Zeit hatten an etwas anderes
als unser Vordringen durch das Eis oder ans Schlafen zu denken, fingen
wir unser meteorologisches Tagebuch an. Es wurde im wesentlichen
von +Dietrichson+ geführt, der sich dessen stets, selbst unter den
schwierigsten Verhältnissen, mit bewunderungswürdigem Eifer annahm.
Hauptsächlich wurde die Temperatur, der Luftdruck, die Feuchtigkeit der
Luft, die Stärke und die Richtung des Windes, sowie die Wolkendecke
und die Form der Wolken verzeichnet. Die Observationen wurden so oft
und so sorgfältig wie nur möglich gemacht. Natürlich werden bei einer
Expedition wie der unsrigen, auf der man in der Regel von anstrengender
Arbeit in Anspruch genommen ist viele Lücken in dem meteorologischen
Tagebuch entstehen, besonders des Nachts, wo man von der anstrengenden
Arbeit des Tages ausruhen soll. Trotzdem glaube ich aber, daß
das Tagebuch, das wir mit nach Hause brachten, dank Lieutenant
+Dietrichsons+ unverdrossenem Eifer, ziemlich vollständig ist und
manche werthvolle Beobachtungen enthält.


Fußnote:

[33] Das Seewasser zehrt, besonders in der Nähe der Wasserfläche, an
dem Eise; der Theil der Eisscholle, der sich dadurch unter dem Wasser
vorstreckt, heißt „der Fuß“; er bildet einen guten Zufluchtsort,
besonders wenn das Eis zusammenpreßt, indem er unter dem Wasser mit
der nächsten Eisscholle in Berührung kommt und sie auf diese Weise
fernhält, so daß eine offene Wasserfläche bleibt, auf der das Boot
sicher liegen kann. Auf gleiche Weise bilden die +Buchten+ in den
Eisschollen Zufluchtsörter, indem die Ränder die anderen Schollen
abhalten und der Boden frei bleibt.



Kapitel IX.

Wir treiben weiter durch das Eis.


Die nun folgenden Tage, während welcher wir an der Küste entlang im
Eise weitersegelten, waren ziemlich einförmig. Der eine Tag verging wie
der andere. Wir gaben genau acht, in welcher Richtung wir uns vorwärts
bewegten, jede Bewegung im Eise, die Farbe der Luft über dem Eise,[34]
jeder Windhauch war von Bedeutung, -- hofften wir doch, daß eine
günstige Strömung uns bald an die Küste führen würde.

An dies Leben zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen knüpfen sich
trotzdem für einzelne der Theilnehmer manche lichte Erinnerungen.
Da es möglicherweise -- besonders für künftige Expeditionen -- von
Interesse sein könnte, will ich hier in aller Kürze einen Auszug aus
meinen Tagebuchaufzeichnungen einschalten. Den meisten Lesern rathe ich
freilich, dies Stück zu überspringen.

„Gegen Nachmittag (am 21. Juli) erblicken wir von einem hohen Eishügel
eine tiefe aber sehr schmale Bucht, welche südlich von uns in das Eis
einschneidet. Unserer Beurtheilung nach treiben wir an dieser Bucht
entlang, dem Ende derselben zu. Unsere Hoffnung auf eine Veränderung
und auf baldige Landung steigt natürlich gleich.

„22. Juli. In der Nacht senkt sich dichter Nebel herab und verbirgt
alles unserm Blick, wir ahnen nicht, wohin wir treiben, hören aber die
Brandung ebenso deutlich wie vorher. Als die Nacht vorrückt, wird das
Getöse jedoch schwächer, und die Bewegung im Eise läßt ein wenig nach.

„Der Nebel und die Bewegung hält den ganzen Tag an, um Mittag
klärt sich jedoch der Himmel im Zenith so weit auf, daß ich mit
einer Wasserlache auf der Eisscholle als künstlichem Horizont eine
Breitenobservation veranstalten kann. Wir befinden uns auf dem 64° 18′
N. B. -- eine hübsche Fahrt südwärts: seit vorgestern Mittag haben wir
60 Minuten (5 Meilen) zurückgelegt.

„Da das Eis im Laufe des Vormittags ein wenig nachgelassen hat,
versuchen wir, ein leeres Boot auf das Schlampeis zwischen die
Eisschollen zu bringen. Wir können nur äußerst langsam vorwärtskommen,
und es ist besser, die Kräfte jetzt zu schonen, wo man im Nebel doch
nicht sehen kann, nach welcher Richtung hin wir uns durcharbeiten
müssen. Möglicherweise wird sich bald eine gute Aussicht auf Landung
melden und Beschlag auf alle Kräfte legen, die wir haben.

„Am Nachmittage klärt er sich auf, wir sind möglicherweise dem Lande
ein wenig näher gekommen. Ein schwacher Luftzug, mißweisend Nord bis
Ost, (rechtweisend ungefähr West bis Nord) macht sich bemerkbar. Wir
hoffen, daß er zunehmen und das Eis zertheilen wird, aber die Bewegung
in der See hält noch an. Wir bedürfen eines starken Sturmes vom Lande
her. Derselbe würde die Bewegung, welche das Eis zusammenhält, dämpfen
und es ins Meer hinausführen, so daß wir zwischen den Eisschollen
hindurch kommen könnten.

„Jetzt sehen wir rings um uns her viele große Klappmützen auf den
Eisschollen liegen, andere tauchen mit ihren großen, runden Köpfen
dicht neben unserer Scholle aus dem Wasser auf, um verwundert die neuen
Eisbewohner anzustarren, die hier angekommen sind, worauf sie dann mit
einem gewaltigen Klatschen wieder verschwinden. Dies ereignet sich
täglich. Wir könnten sie mit Leichtigkeit schießen, da wir ihrer aber
noch nicht bedürfen, lassen wir sie in Frieden leben. Wir haben noch
frisches Fleisch genug, -- eine große Keule von dem erschossenen Pferd
nahmen wir vom „Jason“ mit. Am Nachmittage hat sich das Eis wieder
verdichtet.

„23. Juli. Ueber Nacht stellten wir Wachen aus, jeder Mann sollte zwei
Stunden Wache halten. +Ravna+ gab bei der Gelegenheit Veranlassung zu
großer Heiterkeit. Er verstand sich nämlich nicht auf die Uhr und wußte
infolgedessen nicht, wann seine zwei Stunden abgelaufen waren. Der
Sicherheit halber patrouillirte er deswegen gewöhnlich vier oder fünf
Stunden, ehe er seinen Nachfolger weckte um zu fragen, ob nun die zwei
Stunden wohl um seien.

„Um 7½ Uhr des Morgens weckt +Dietrichson+ uns mit der Meldung, daß das
Eis sich zertheile. Zwischen den Eisschollen befindet sich zwar noch
Schlampeis, aber es hat doch den Anschein, als ob wir hindurch kommen
können. Nachdem wir die Böte beladen und wegen einer Verdichtung im
Eise noch eine halbe Stunde gewartet haben, gelangen wir endlich an
einige eisfreie Stellen. Nun geht es eine Weile schnell vorwärts. Ehe
wir die Eisscholle mit unserem Nachtquartier verließen, flog eine Schar
Trauerenten an uns vorüber, nach Norden zu, -- es war gleichsam ein
Gruß vom Lande her und genügte, um unsere Hoffnungen zu bestärken. Im
übrigen ist es ganz auffallend, wie arm an Vögeln die Gegend hier ist,
nicht einmal eine Möve läßt sich blicken.

„Wir treiben nun den ganzen Tag der Küste zu, warten geduldig, wenn das
Eis sich verdichtet, arbeiten dafür desto angestrengter, sobald es sich
vertheilt.

„Wir nähern uns dem Lande, unsere Hoffnung steigt. Von Südwesten her
kommt ein Rabe und zieht in nördlicher Richtung über uns hin, ein neuer
Gruß vom Lande.

„Mehrere große Seehunde -- ausgewachsene Klappmützen -- lassen sich
rings um uns her auf den Eisschollen blicken. Die Versuchung wird zu
groß für ein Jägerherz. +Sverdrup+ und ich müssen hin und ein altes
Klappmützenmännchen schießen, das ganz in unserer Nähe lagerte.
Nachdem ich mich an das Thier herangeschlichen habe, schieße ich es
auch. Als wir zu ihm herankommen, ist es nicht ganz todt, -- in meinem
zoologischen Eifer will ich die Gelegenheit benutzen, um Beobachtungen
über die Farbe der Augen und die Form der Mütze bei einer lebendigen
Klappmütze anzustellen, Dinge, die den Zoologen noch nicht hinreichend
bekannt sind. Während ich ganz hiervon in Anspruch genommen bin, wälzt
sich der Seehund an den Rand der Eisscholle, und ehe ich mir’s versah,
gleitet er ins Wasser. Im selben Augenblick, als er fällt, treibe ich
ihm einen Seehundshaken, den ich in der Hand halte, und +Sverdrup+ den
Bootshaken in den Leib. Nun entsteht ein heißer Kampf zwischen dem
Thier und uns; -- wir versuchen, seinen Schwanz und seinen Hinterkörper
in die Höhe zu halten, so daß er damit nicht ins Wasser gelangen kann,
denn in diesen Gliedern liegt seine Stärke. Eine Weile gelingt es uns
auch, aber er war stark im Todeskampf. Als ich sehe, daß wir ihn
schlecht gefaßt haben, rufe ich +Sverdrup+ zu, er solle die Büchse
nehmen und ihn erschießen; er meint aber, er hat ihn besser gefaßt als
ich, ich solle ihn todtschießen. Im selben Augenblick aber entgleitet
er uns, -- macht einige kräftige Schläge mit dem Hinterkörper und
verschwindet auf Nimmerwiedersehn. Ganz betroffen standen wir da und
schauten einander in die langen Gesichter und dann in die dunkle Tiefe
hinab, wo einzelne Luftblasen langsam aufstiegen, um an der Oberfläche
zu zerspringen, -- das war sein letzter Gruß. Obwohl wir gar keine
Verwendung für das Thier hatten, wirkte es doch recht abkühlend auf
uns, eine so große und stolze Beute auf so erbärmliche Weise einbüßen
zu müssen. Sverdrup meinte, es sei der größte Seehund gewesen, den er
je gesehen hätte. Für mitleidige Seelen sei es gesagt, daß er nicht
lange mehr hat leiden müssen, -- es waren nur die letzten Zuckungen im
Todeskampf. Die Kugel war freilich nur von feinem Kaliber (9 ~mm~) aber
sie hatte die richtige Stelle im Kopf getroffen.

„Gegen Abend stockt unsere Fahrt. Wir sind in eine ungewöhnlich unebene
und dichte Anhäufung von Eisschollen gerathen, so daß an ein Vordringen
mit den Böten nicht zu denken ist. Das Zelt wird auf dem Eise
ausgebreitet, ohne ausgespannt zu werden, wir legen die Schlafsäcke
oben auf, um gleich bei der Hand zu sein, sowie das Eis nachläßt. Wir
stellen wie gewöhnlich eine Wache auf und kriechen in die Säcke. Aber
das Eis zertheilt sich nicht. In der Nacht fällt starker Thau, so daß
die Schlafsäcke am nächsten Morgen ganz naß sind.

„24. Juli. Am Morgen liegt das Eis noch immer ebenso fest. Wir
entschließen uns, die Böte und Schlitten zu ziehen. Den größten Theil
der Bagage laden wir auf die Schlitten, die dann, wo wir auf eisfreies
Wasser stoßen, auf die Böte gesetzt werden können. Gerade als wir im
Begriff sind, abzugehen, läßt das Eis nach, so daß wir uns eine gute
Strecke durchstängeln können, -- dann müssen wir ziehen. Das geht nur
langsam, da das Eis nicht von bester Art ist, aber etwas ist besser als
nichts, und dem Lande nähern wir uns beständig. Unser Muth steigt, --
vor uns liegt das Land nördlich von +Igdloluarsuk+, wir fangen schon
an zu berechnen, wie lange wir von hier bis nach Pikiudtlek gebrauchen
werden, wo die Wanderung über das Inlandseis ihren Anfang nehmen
könnte. Auch heute sehen wir mehrere Vögel, einen Raben und eine Schar
von 8 kurzschwänzigen „Tyvejoer“. Es ist immerhin ein Trost, Vögel zu
sehen, es macht das Leben freundlicher.

[Illustration: Das Boot wird über das Eis gezogen.

(Von E. Nielsen nach Photographie.)]

„Da das Eis ungünstig ist und die Sonne mitten am Tage warm scheint,
machen wir Halt, schlagen unser Zelt auf, bereiten unser Mittagsmahl
und richten es an. Es wird unter folgenden Verhältnissen bereitet. Von
der Pferdekeule, die im Boote lag, schnitt ich so viel ab, wie ich für
6 Mann ausreichend hielt; ich hackte es auf einem Ruderblatt, schüttete
es in den einen Absatz des Kochapparats, that Salz hinzu, öffnete dann
ein paar Büchsen mit Marrofat-Erbsen, schüttete sie auf das Fleisch,
rührte das Ganze tüchtig um, und das Mittagessen war fertig. +Balto+
hatte während der ganzen Zeit neben mir gestanden und jede Bewegung
aufmerksam verfolgt, er war mir sogar behülflich gewesen. Er war -- wie
er sagte -- hungrig und freute sich auf ein gutes Mittagessen. Obwohl
er wie alle Lappen und die meisten weniger aufgeklärten Menschen ein
großes Vorurtheil gegen Pferdefleisch hatte, meinte er doch, als ich
die Erbsen zu dem gehackten Fleisch schüttete, dies schiene ja „ganz
herrlich“ zu werden.

„Als es fertig war, trug ich die Schüssel auf und setzte sie vor
die Anderen, die vor der Zeltthür saßen, und sagte, sie sollten nur
zulangen, -- das Gesicht aber, das +Balto+ da aufsetzte, wird wohl
Niemand, der es gesehen, so leicht wieder vergessen. Anfangs drückte es
den höchsten Grad fragender Verwunderung aus, und -- als er entdeckte,
daß es Ernst war -- einen Abscheu und ein so grundkomisches Entsetzen,
daß es uns unmöglich war, unsere Lachmuskeln im Zaum zu halten. +Balto+
theilte nun +Ravna+ auf Lappländisch mit, was hier vor sich ging, und
dieser, der bis dahin ein uninteressirter Zuschauer gewesen war, wandte
sich mit einem Ausdruck von noch größerem Abscheu ab.

„Ohne uns den Appetit dadurch stören zu lassen, langten wir übrigen
vier in die Schüssel und nahmen gehörig von der kräftigen Kost zu uns,
die uns Allen vorzüglich mundete. Die Lappen drückten eine stumme
Verzweiflung darüber aus. Wäre es nicht aus anderm Grunde, hätten wir
gern etwas Fleisch für sie kochen können; aber wir mußten sparsam
mit dem Spiritus umgehen. Nur ganz ausnahmsweise während unserer
Fahrt durch das Eis gestatteten wir uns den Luxus zu kochen, wir
würden späterhin noch genügend Verwendung für den Spiritus haben.
In der Regel waren unsere sämmtlichen Speisen kalt, und als Getränk
benutzten wir entweder reines Wasser, wovon stets ausreichend in
kleineren und größeren Lachen auf den Eisschollen vorhanden war,
oder auch wir vermischten das Wasser mit kondensirter Milch, was ein
sehr erquickendes Getränk abgab. -- Diesmal erhielten die Lappen
präservirtes Beef, was sie völlig für die erlittene Täuschung tröstete,
denn das war, wie +Balto+ sich ausdrückte „eine reinliche und kräftige
Speise“.

Als sehr bezeichnend will ich eine Antwort anführen, die +Balto+ gab,
als er einmal nach unserer Rückkehr nach Norwegen gefragt wurde, welche
Zeit auf der Reise ihm als die schlimmste erschienen sei.

„Am schlimmsten war es,“ -- antwortete +Balto+, -- „als wir im Treibeis
lagen und im Begriff waren, in den atlantischen Ocean hinauszutreiben.
Ich fragte Nansen, ob er glaube, daß wir an Land kommen würden, und er
antwortete „Ja“. Und dann fragte ich ihn, was wir denn eigentlich thun
sollten, und er antwortete, wir müßten nach Norden hin rudern, aber
ich fragte, wovon wir leben sollten, wenn wir nicht nach der Westküste
hinüber kämen, und er sagte, dann müßten wir Wild schießen. Da fragte
ich, womit wir denn das Wild kochen wollten, und Nansen antwortete, das
müßten wir roh essen, -- da wurde Balto sehr betrübt.“

„Gegen Abend ziehen wir wieder weiter, da aber das Eis nicht ganz fest
ist, die Bewegung stärker wird und das Wasser am Fuße der Schollen
einen für die Böte unheimlichen saugenden Zug hat, beschließen wir
bald, die Nacht über still zu liegen, um bessere Zeiten abzuwarten.
Uns umhüllte ein dichter, feuchter Nebel, der unsere Kleider völlig
durchnäßte, dazu wehte ein beißender Nordwestwind, der, wie ich hoffte,
das Eis zertheilen würde.

[Illustration: Der Bär macht Halt und betrachtet uns.

(Von E. Nielsen.)]

„25. Juli. Am Morgen ungefähr um 4½ Uhr weckt mich der Ruf des
wachthabenden +Kristiansen+, indem er in die Zeltthür hineinruft:
„Nansen, da kommt ein Bär.“ Ich sage ihm, er soll eine Büchse aus dem
Boot holen, fahre in meine Schuh und springe in ziemlich leichtem
Kostüm heraus. Der Bär kommt in vollem Galopp direkt auf unser Zelt zu,
als aber +Kristiansen+ mit der Büchse naht, macht er plötzlich Halt,
betrachtet uns einen Augenblick und ergreift die Flucht. Das war sehr
ärgerlich, aber die Anderen bekamen doch einen Eisbären zu Gesicht, und
danach hatten sie sich lange gesehnt.

„Nachdem wir unser Frühstück eingenommen hatten, begannen wir wieder,
unsere Böte vorwärts zu ziehen, mußten es aber schon auf der nächsten
Scholle aufgeben wegen der zunehmenden Bewegung im Wasser, die uns seit
dem Tage, als wir uns draußen in der Brandung befanden, noch nie ganz
verlassen hatte, und die das Eis dicht zusammenhielt, so daß wir nicht
ans Land kommen konnten.

„Im Laufe des Tages zertheilte sich das Eis mehrmals ein wenig, schob
sich aber immer gleich wieder zusammen. Ich will nicht versuchen,
vorzudringen, weil sich zwischen den Eisschollen viel Schlampeis
befindet und man bei dieser Bewegung keinen sicheren Hafen finden kann,
wenn sich das Eis plötzlich mit so rasender Fahrt zusammenschiebt, wie
das jetzt der Fall ist.

„Da wir nichts zu thun haben, beschließen wir, die Schlittenschienen
vom Rost zu reinigen, so daß sie leichter übers Eis gleiten können. Als
dies gethan ist, bereiten wir unser Mittagessen; -- Bohnensuppe wird
mit den Ueberresten von der rohen Fleischmahlzeit von gestern zusammen
mit etwas frisch abgeschnittenem Fleisch gekocht. Währenddessen
benutzen wir die Zeit, um die Breite zu nehmen, die 63° 18′ N.
beträgt; die Länge, welche wir am Nachmittage bemessen, ist 40° 15′.
Wir befinden uns also ungefähr 18 Minuten (4½ Meilen) vom Lande
entfernt. Wir sind bedeutend weiter vom Lande abgetrieben als wir
gestern waren, und unsere lichten Hoffnungen trüben sich wieder ein
wenig. Ein Rabe bringt uns indessen auch heute ein wenig Trost.

„Endlich ist unser Mittagessen fertig; es wird in die wenigen Tassen,
die wir haben, und in hermetische Blechbüchsen, die wir als Tassen
benützen, gefüllt. Wir fangen an zu essen und finden Alle, -- ja sogar
die Lappen -- daß es vorzüglich schmeckt. Da entdeckt +Ravna+ zu
seinem Schreck und Entsetzen, daß das Fleisch in der Suppe nicht ganz
durchgekocht ist, er kann infolgedessen nichts mehr herunterbringen,
sondern sitzt da und setzt eine klägliche Miene auf, die unsere
allgemeine Heiterkeit erregt. Sein kleines, scheckiges Gesicht ist
unter solchen Umständen ganz unbezahlbar komisch. +Balto+ ergeht
es nicht viel besser, er kann freilich die Suppe trinken, die er
„vorzüglich“ findet, das Fleisch aber schüttet er heimlich in eine
Wasserlache in der stillen Hoffnung, daß ich es nicht bemerken soll. Er
behauptet, daß er mit dem Propheten Elias sagen kann: „Herr, was ich
nicht gegessen habe, das kann ich auch nicht essen.“ Ich suchte ihm
begreiflich zu machen, daß Elias sicher so etwas nicht gesagt habe,
denn er aß, was Gott ihm sandte, daß aber ein Mann, den man den Apostel
Petrus nennt, allerdings so etwas Ähnliches gesagt haben solle, daß
dieser Ausspruch aber mit einem Gesicht, das er hatte, in Zusammenhang
stand und figürlich zu verstehen sei. Er schüttelte den Kopf ungläubig
und beharrte bei seiner Meinung, daß nur Heiden und Thiere rohes
Fleisch äßen. Zum Trost erhalten die Lappen jeder einen Fleischbiskuit.
Es kann nicht nützen, alte Hunde das Bellen lehren zu wollen.

„+Dietrichson+ und +Kristiansen+ fühlen heute Stechen in den Augen,
ich ermahne nun meine sämtlichen Gefährten, sorgfältig im Gebrauch der
Schneebrillen zu sein.

„Am Nachmittage ist der Zustand des Eises noch immer unverändert, wir
treiben mit schneller Fahrt südwärts. Während der letzten Nacht hatten
wir uns mehr vom Lande entfernt, jetzt nähern wir uns scheinbar wieder
mehr.

„Am Nachmittage befinden wir uns dem von +Graahs+ Reise bekannten
+Skjoldungen+ gegenüber. Von +Igdloluarsuk+ an haben wir wieder
eine herrliche Alpenlandschaft vor uns mit hohen, scharfen Zinnen
und zerrissenen Formen, die besonders am Abend bei glühendem
Sonnenuntergang von zauberhafter Schönheit sind.

„Die Bewegung wird auffallend stärker, obwohl wir ziemlich weit von
dem offenen Eisrande entfernt sind. Da draußen muß ein sehr heftiger
Seegang sein.

[Illustration: Unser Leben im Treibeise.

(Nach einer Photographie.)]

„Die Nächte fangen an, kalt zu werden, -- deshalb legen wir so viel wie
möglich von den Persenningen, Regenkleidern etc. unter die Schlafsäcke.
Man muß sich eben das Leben so angenehm wie möglich machen.

„Als die Anderen sich schlafen legen, übernehme ich die erste
Nachtwache, um meine Skizzen vom Lande zu vollenden, was mit großen
Schwierigkeiten verknüpft ist, da die Nächte hier weiter nach Süden zu
schon anfangen, dunkel zu werden.

[Illustration: Eine Mondscheinnacht im Treibeise.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

„Ringsumher herrscht tiefe Stille, kein Windhauch rührt sich, selbst
die wachsende Bewegung vermag den tiefen Frieden nicht zu brechen.
Groß und rund mit eigenartig röthlichem Glanz ist der Mond über die
Eisfläche im Osten aufgegangen, am nördlichen Horizont ist noch
ein schmaler, goldigglühender Abendstreifen sichtbar. Unter dem
Mond am äußersten Rande des Eises schimmert wie ein glänzendes Band
das rollende Meer, sonst erblickt man ringsumher, wohin das Auge
reicht, nichts als Eis und Schnee, und im Hintergrunde hebt sich die
grönländische Alpenlandschaft mit ihren feenhaft schönen Berggipfeln
von dem halbdunklen, träumerischen Himmel ab. Welch wunderbare
Sommernacht, wie weit entfernt aber von allem, was man mit Mondschein
und Sommerträumen zu verbinden pflegt.

„Dort vor mir auf dem Eise stehen die Böte, die Schlitten und das
Zelt, in dem jetzt die müden Gefährten in tiefem Schlummer liegen.
Dort in der Süßwasserlache neben mir spiegelt sich der Mond still und
friedlich. Die Gegenwart und alles, was uns umgiebt, schwindet, das
ganze Leben liegt gleichsam aus einer Perspektive gesehen vor uns, die
Größe der Natur läßt es so klein erscheinen. Und was für ein Unglück
ist denn geschehen, wenn man alles recht bedenkt? Sechs Menschen
treiben in südlicher Richtung auf einer Eisscholle. -- --

„Den 26. Juli. Keine Veränderung, außer daß wir dem Rande des Eises und
dem offenen Meer näher gekommen sind. Die Bewegung scheint merklich
abgenommen zu haben, trotz der Nähe des Meeres macht sie sich weniger
bemerkbar als gestern.

„Wir treiben südwärts an der Küste entlang, scheinbar mit großer
Schnelligkeit.

„Es ist vorläufig nichts zu machen, das Eis ist nicht fest genug, um
die Böte und Schlitten darüber hinzuziehen, liegt aber zu dicht, als
daß wir uns hindurch rudern oder stängeln können.

„Regenwetter hält uns im Zelt zurück.

„Wir müssen alles thun, um die Lappen zu ermuntern, die ihren Muth
mehr und mehr sinken lassen, sie glauben, daß wir schließlich in den
Atlantischen Ocean hinaustreiben. Eines Tages sprechen wir davon,
wann wir wohl an Land gehen werden, und einigen uns darüber, daß es
uns jedenfalls am Kap Farvel gelingen muß. Wir rechnen aus, wann
dies spätestens geschehen kann, und kommen zu dem Resultat, daß uns
dann noch Zeit genug bleibt, um uns an der Küste entlang nördlich
emporzuarbeiten, um über das Eis zu gehen. Einige meinen, daß es,
selbst wenn es dies Jahr zu spät werden sollte, doch am besten sei,
gleich so weit wie möglich in nördlicher Richtung an der Ostküste
vorzudringen, dort zu überwintern und das Leben so gut es geht zu
fristen, um dann im Frühling die Reise nach der Westküste anzutreten.
Ich bin der Ansicht, daß dies kein vernünftiger Plan ist, da es sehr
schwer sein wird, den mitgebrachten Proviant, den wir während der
Wanderung über das Eis nothwendigerweise haben müssen, unberührt zu
lassen, aber +Dietrichson+ meint, daß dies doch unser einziger Ausweg
sei, und -- wie er sich ausdrückt -- „wir riskiren ja nichts weiter
als das Leben dabei“. Während wir so verhandeln, sagt +Balto+: „Redet
doch nicht über so etwas, +Nansen+, wir kommen doch niemals an Land,
wir treiben in den Atlantischen Ocean hinaus; ich bitte meinen Gott
nur, daß er mich als bußfertigen Sünder sterben läßt, so daß ich in den
Himmel kommen kann. Ich habe so viel Böses im Leben gethan, aber jetzt
bereue ich es bitterlich, denn ich habe eine solche Angst, daß ich
nicht selig werde.“ Ich fragte +Balto+, ob er es nicht für nothwendig
halte, seine Sünden zu bereuen, selbst wenn er nicht so bald sterben
müsse. Ja, das könne wohl nicht schaden, meinte er, aber es habe dann
nicht so große Eile damit. Doch wolle er, wenn er diesmal mit heiler
Haut davon käme, versuchen, ein besseres Leben zu führen. Wahrlich,
ein naives Bekenntniß, das von einem eigenthümlichen Christenthum
zeugt, einem Christenthum, wie man es aber leider wohl nur zu oft
treffen kann. Ich fragte ihn, ob er denn, wenn er gerettet würde, das
Branntweintrinken unterlassen wolle. Ja, er glaube wohl, wenigstens
würde er nur ganz wenig trinken. Der verdammte Branntwein wäre schuld
daran, daß er auf diese Reise gegangen sei. Ich fragte, wie das zu
verstehen wäre. Er sei betrunken gewesen, als er N. N. begegnete,
der ihn fragte, ob er mit nach Grönland wolle. Er wäre damals so
muthig gewesen und habe gemeint, das sei etwas Rechtes für ihn. Aber
am nächsten Morgen, als er seinen Rausch ausgeschlafen hatte und sich
erinnerte, worauf er eingegangen sei, bereute er es bitterlich, meinte
aber, es sei zu spät, um die Sache zu ändern, jetzt würde er gern viel
Geld geben, wenn er nie mitgekommen wäre.

„Im übrigen ist die Stimmung im Zelt ganz vorzüglich; -- wir fühlen
uns dort, wo wir sind, sehr gemüthlich. Einige lesen, Andere führen
ihr Tagebuch, +Balto+ flickt Schuhe und +Ravna+ thut am liebsten --
wie gewöhnlich -- nichts. Nur die Aussicht, vielleicht wieder ins Meer
hinausgetrieben zu werden, ist nicht geradezu erbaulich.

[Illustration: Schwere Arbeit im Treibeise.

(Von A. Bloch nach einer Skizze des Verfassers.)]

„Gegen Nachmittag klärt es sich ein wenig auf, der Regen läßt nach, und
wir können Land sehen, das jetzt ebenso nahe wie früher vor uns liegt.

„Eine Stunde später fassen wir den Beschluß, uns durch das Schlampeis
hindurch zu arbeiten. Es ist gefährlich, aber es muß versucht werden;
wir nähern uns noch immer mit reißender Fahrt dem offenen Meere. Unter
steter Gefahr für unsere Böte kommen wir eine ansehnliche Strecke
vorwärts. Es gilt acht zu geben und die Böte glücklich in einen Hafen
zu bugsiren, sobald sich das Eis zusammenschiebt. Einmal retten wir
uns gerade im letzten Augenblick auf eine kleine niedrige Scholle, die
später unter dem Druck des Eises in mehrere Stücke zerberstet, auf der
wir aber doch sicher liegen.

„Als das Eis andauernd fest bleibt, fangen wir an, die Böte darüber
hinweg zu ziehen, was keineswegs eine leichte Arbeit ist, da die
Eisschollen infolge der Bewegung im Wasser bald getrennt, bald
gegeneinander getrieben werden und bald zerschellen. Am schwierigsten
ist es, die Schlitten von einer Eisscholle auf die andere überzuführen,
ohne sie in die See fallen zu lassen. Oft müssen wir lange warten, ehe
wir zurückkommen können, um den Rest der Schlitten oder die Böte von
der Scholle abzuholen, auf der wir sie verließen. Bei angestrengter
Aufmerksamkeit kommen wir doch einigermaßen schnell vorwärts. Aber was
nützt das alles? Freilich machen wir uns eine gute Bewegung damit, und
das ist eine wichtige Sache, einen andern Nutzen hat es aber nicht. Die
See arbeitet schneller als wir, und es hat den Anschein, als sollten
wir wieder in die Brandung hinausgetrieben werden. Wohlan, sei es, dann
wollen wir uns aber bei Zeiten einen sichern „Segler“ aussuchen. Wir
nehmen eine förmliche Inspektion aller Eisschollen in der Nähe vor, wir
haben jetzt ein gutes Verständniß davon, wie eine solche Eisscholle
beschaffen sein muß. Schließlich bestimmen wir uns für eine, die aus
bläulichem, festem Eis besteht, dick, aber nicht groß ist und ungefähr
die Form eines Fahrzeuges hat, so daß sie sich leicht auf den Wellen
wiegen kann, ohne zu zerschellen. Sie hat einen so hohen Rand, daß
die See nicht so leicht darüber hinwegspülen kann, auf einer Stelle
aber ist eine Lücke, durch welche wir die Böte mit Leichtigkeit von
dem Wasser aus heraufziehen können. Dies ist ohne Zweifel die beste
Eisscholle, die wir gehabt haben, und auf dieser gedenken wir -- falls
wir gezwungen werden, sie zu benutzen -- so lange zu bleiben, wie wir
uns halten können, mag auch die Brandung toben und brausen.

„Natürlich hatten wir uns auch diesmal vergewissert, daß sich genügend
Wasser auf der Scholle befand, ehe wir uns bestimmten, sie zu wählen.
Wasser findet man übrigens fast auf allen Schollen, indem der auf
denselben liegende Schnee schmilzt und das beste Trinkwasser liefert,
das sich in kleineren und größeren Lachen ansammelt. Da machten wir
denn lange Gesichter, als wir einmal Wasser in unseren Kochapparat
gefüllt hatten und sich nun beim Probiren herausstellte, daß es
salzhaltig war. Wir hatten nicht daran gedacht, daß fast aller Schnee
hier abgeschmolzen war. Wir fanden endlich auf den höchsten Punkten der
Scholle, wo noch Schnee lag, gutes Trinkwasser.

„Am Abend wurde ein vorzüglicher Kaffee servirt. Die Stimmung war sehr
animirt. Hätte Jemand den Kopf durch die Thür unseres gemüthlichen
Zeltes gesteckt und uns um unsere brodelnde Kaffeemaschine sitzen
sehen, so würde es kaum den Eindruck gehabt haben, daß dies Menschen
waren, die voraussichtlich binnen kurzem hinaus sollten, um einen Kampf
mit Treibeis, Meer und Brandung aufzunehmen, dem es wohl nicht an Ernst
fehlen konnte.

„Wir befinden uns nun gerade vor dem +Tingmiarmiuts+-Alpenland. Eine
schöne Felspartie immer schöner als die andere wechselt an Grönlands
großartiger Küste ab. Im Grunde ist es gar nicht so übel, hier durch
das Eis zu treiben, wir bekommen mehr von der Küste zu sehen, als dies
sonst der Fall gewesen wäre.

„Ueber Nacht ist das Wetter schön, still, kalt und heller Mondschein,
-- ganz so wie gestern.

„Es muß die Wirkung des Kaffees sein, daß ich Gefallen daran finde,
hier draußen zu sitzen und zu schwatzen, anstatt in den Sack zu
kriechen, um frische Kräfte für die Anstrengungen des morgenden Tages
zu sammeln. Gute Nacht!

„Den 27. Juli. Ich ging über Nacht doch nicht zu Bett. Das machte der
Kaffee, -- eine reine Kaffeevergiftung!

„Ich ging auf und nieder und schwatzte mit +Sverdrup+, während er Wache
hielt. Wir tauschten Erinnerungen aus unsern Knabenjahren aus. Die
ganze Menschheit und das Leben nehmen sich von hier oben im Treibeise
gesehen so wunderlich fern aus. Erst gegen Morgen krochen wir in unsern
Sack und fielen in einen unruhigen Schlummer.

„28. Juli. Gestern lagen wir still, ebenso heute. Unsere Furcht, am
äußeren Rande des Eises wieder in die Brandung zu gerathen, war nicht
ganz unbegründet. Wir näherten uns ihr gestern auf kaum 300 ~m~. Wir
sehnten uns jetzt fast darnach, hinaus zu kommen, da dies Leben im
Treibeis doch ein Ende haben mußte, sobald wir in das offene Meer
gelangten. Der Seegang war nicht stark und der Wind günstig, wir mußten
in 24 Stunden bei Kap Farvel sein, und dort konnten wir sicher durch
das Eis dringen und die Küste erreichen.

„Aber wir sollten nicht dahin gelangen. Als wir eine Weile an der
Eiskante entlang getrieben waren, geriethen wir abermals an eine Zunge
aus Treibeis, die sich südlich von uns zu erstrecken schien. Das Eis
ist hier sehr schmal. Durch Peilung verschiedener Punkte der Küste
entdeckten wir, daß wir -- die wir uns hart am Rande des Eises befanden
-- ungefähr 3¾ Meilen vom Lande bei Mogens Heinesensfjord befanden.

„Gestern hatten wir regnerisches, kaltes Winterwetter mit bedecktem
Himmel, heute lacht die Sonne warm und sehnsuchtweckend auf uns herab.
Das Inlandseis nördlich und südlich von +Karra Akungnak+ liegt rein
und weiß wie eine ebene, scheinbar leicht befahrbare Fläche da; im
Innern wird es durch Reihen von Nunataks unterbrochen, -- und zwar
durch weit mehr als auf Holms Karte verzeichnet sind. Es lockt und
zieht uns weit, weit hin nach dem unbekannten Innern. Nun wohl, einmal
wird unsere Zeit schon kommen!“ --

Mit diesem hoffnungsvollen Ausruf, der vielleicht wunderbar erscheinen
mag, wenn man so häufig getäuscht worden ist, schließen meine
Tagebuchsaufzeichnungen aus dem Treibeis. Die nächsten Aufzeichnungen
kommen vom 31. Juli und lauten folgendermaßen:

„Welch ein Unterschied zwischen der Scenerie, die mich jetzt umgiebt,
und der, inmitten welcher ich zuletzt schrieb: Damals Eis, Einsamkeit
und das Brausen des Meeres, jetzt heulende Hunde, Heiden in Unmassen,
niedergerissene Zelte, kurz -- Leben, Wirksamkeit und Sommer, vor allem
aber Grönlands Felsengrund unter unsern Füßen.“

Diese Worte schrieb ich beim Aufbruch von dem ersten Eskimolager,
auf das wir stießen, ehe ich aber mit den Mittheilungen aus meinem
Tagebuche fortfahren kann, muß ich erst erzählen, wie wir hierher
gelangten.

Am Abend des 28. Juli, nachdem ich meine obenangeführten Aufzeichnungen
beendet hatte, trat ein starker Nebel ein, der das Land vor unsern
Blicken verbarg. Im Laufe des Vormittages hatte sich das Eis mehrmals
ein wenig zertheilt, was um so bemerkenswerther war, da wir uns ganz
nahe an dem äußeren Eisrande befanden, wo der Seegang am stärksten
war; man durfte wohl erwarten, daß er das Eis zusammenhalten würde.
Die Veränderung im Zustand des Eises war jedoch nicht bedeutend genug
gewesen, als daß wir uns bei dem starken Seegang mit unsern Böten
hätten durcharbeiten können. Als aber Einige von uns den gewöhnlichen
Abendspaziergang vor dem Schlafengehen machen, fällt es uns auf, in wie
hohem Grade das Eis mehr und mehr nachläßt. Es hat den Anschein, als
ob das Eis nach der See zu sich mehr und mehr zertheilt, und das sieht
ganz sonderbar aus. Aber wir sind müde und haben keine rechte Lust, --
aufrichtig gesprochen, sind wir der ewigen Enttäuschungen überdrüssig;
ich ging mit dem Gedanken um, in See zu gehen. So krochen wir denn in
unsere Säcke. Eine Wache hatten wir aber wie gewöhnlich ausgestellt,
und der Wächter erhielt die Ordre, uns zu wecken, falls das Eis noch
mehr nachlassen sollte. In der Nacht verdichtete sich der Nebel, so daß
wir nichts von unserer Umgebung sehen konnten.

Gegen Morgen hielt +Sverdrup+ Wache. Er ging im Nebel auf und nieder,
-- erzählte er später, -- sah nach dem Kompaß und dachte, ob er denn
wirklich verrückt geworden sei. Entweder mußte er oder der Kompaß
es sein, denn er hörte die Brandung in der Richtung, wo nach seiner
Berechnung Westen sein mußte und wo folglich das Land lag, während
wir sie bis dahin stets von Osten her, wo sich das Meer gegen das
Eis brach, gehört hatten. Dies konnte nicht mit rechten Dingen
zusammenhängen. Später erklärte sich die Sache, wie wir sehen werden,
auf andere Weise. -- Er hatte die Brandung an der Küste gehört.

Am Morgen lag ich eine Weile wach im Schlafsack, Ravna hatte die Wache
gehabt und seine zwei Stunden wie gewöhnlich auf vier ausgedehnt.
Ich lag lange da und amüsirte mich über sein kleines rundes bärtiges
Gesicht, das durch die Thürspalte ins Zelt hineinguckte. Ich dachte, er
grübele wie gewöhnlich darüber nach, ob jetzt wohl seine zwei Stunden
abgelaufen seien, so daß er Kristiansen wecken könne, der nach ihm die
Wache übernehmen sollte. Allmählich fiel mir aber der eigenthümlich
unruhige Ausdruck seines sonderbaren Gesichtes auf. Ich fragte
schließlich: „Nun, Ravna, kannst Du Land sehen?“ Nie werde ich den Ton
vergessen, in welchem er auf seine naive Art erwiderte: „Ja, ja, Land,
allzu nahe!“ (Beide Lappen bedienten sich der Verstärkung „allzu“ statt
sehr oder viel.) Ich fragte, ob das Eis lose sei. „Ja, Eis lose.“ Diese
Worte trafen mich wie ein Blitz. Ich sprang aus dem Sack und eilte an
die Zeltthür. Vor uns lag das Land, näher als es jemals gewesen war.
Das Eis war ziemlich lose und an der Küste gewahrte ich offenes Wasser.
Ravna hatte wahrlich recht, das Land war „allzu“ nah, als daß wir müßig
in unseren Säcken liegen konnten. Ich weckte die Gefährten, und wir
fuhren in unsere Kleider und verzehrten unser Frühstück in fliegender
Eile. Die Böte wurden ins Wasser gesetzt und beladen. Es währte nicht
lange, bis wir fertig waren. Ehe wir die Eisscholle verließen, die uns
so wohl geführt hatte und die aller Wahrscheinlichkeit nach unsere
letzte sein sollte, begab ich mich auf den höchsten Punkt derselben,
um zu sehen, welchen Weg wir einzuschlagen hatten. Im Eise war eine
ganz merkwürdige Veränderung vor sich gegangen. Die ganze Treibeismasse
schien vom Lande ab in südwestlicher Richtung getrieben zu sein. Ich
konnte nur nach der Seite hin Eis entdecken, und die Luft über uns war
ganz weiß, wie über großen Eismassen. In südlicher Richtung an der
Küste entlang schien dagegen ganz offenes Wasser zu sein. Wir befanden
uns nicht sehr weit davon entfernt, es erstreckte sich in einem langen
Keil an der Küste und endete ein wenig nördlich von uns, wo das Eis
hart bis an das Land hinan zu liegen schien. Wir befanden uns auf der
inneren Seite der Eismasse, das Meer an der Außenseite konnte ich nicht
mit Gewißheit erkennen.

Wunderbar, wie schnell sich das Rad des Schicksals dreht! Es war ganz
klar, daß wir das Land in kurzer Frist erreichen mußten; hätte uns
jemand das gestern gesagt, so würde niemand von uns an eine solche
Möglichkeit geglaubt haben.

Wir stießen von unserer Eisscholle ab, und so schnell wie acht starke
Arme uns vorwärts zu führen vermochten, ging es durch das offene Wasser
zwischen den Eisschollen hindurch. Wir konnten fast den ganzen Weg
rudern, nur an einzelnen Stellen mußten wir uns Bahn brechen.

Nach Verlauf von wenigen Stunden waren wir aus dem Eise heraus. Das
Gefühl, das uns beseelte, als wir unsere Böte an der letzten Eisscholle
vorübersteuerten und das offene, blanke Wasser sich bis an die Küste
erstrecken sahen, läßt sich kaum mit Worten beschreiben. Wohl niemals
hat ein Arm mit größerem Entzücken das Steuerruder geführt, als der
meine in jenen Stunden. Es war, als seien wir aus einer langen,
traurigen Gefangenschaft erlöst, als breite sich die Zukunft plötzlich
hell und lockend vor uns aus. Und das Leben war jetzt auch licht.
Kann es je lichter vor uns liegen, als wenn man Aussicht hat, das
Ziel seiner Sehnsucht zu erreichen, als wenn man nach langer, langer
Ungewißheit wieder in eine sichere Spur gleitet? Das ist die zitternde
Freude des hereinbrechenden Tages, und ist der Tagesanbruch nicht stets
schöner, wonniger als der klare Tag?


Fußnote:

[34] Ist die Luft am Horizont über dem Eise dunkel, so ist dies ein
Zeichen, daß sich an der Stelle Schlampeis oder helleres Eis befindet;
die dunklere Wasserfläche giebt in der Luft oder in den Wolken einen
dunklen Widerschein. Solche Luft pflegt man Wasserhimmel zu nennen.



Kapitel X.

Historische Uebersicht über frühere Versuche, den Eisgürtel auf
Grönlands Ostküste zu durchdringen etc.


So hatten wir denn endlich die erste Schwierigkeit unserer Reise
überwunden. Wir hatten, wenn auch spät und auf einem südlicheren
Breitengrad als wir beabsichtigten, den Treibeisgürtel an der Ostküste
von Grönland durchdrungen und dies Ufer erreicht, was so Viele vor uns
vergebens versucht hatten.

Es ist nicht mehr als unsere Schuldigkeit, daß wir, bevor wir weiter
gehen, einen Rückblick auf diese Vielen werfen, die mit mehr oder
weniger Glück oder Unglück uns den Weg bahnten, wenn auch unser
Angreifen der Aufgabe sehr weit verschieden von der ihren war.

Die grönländische Ostküste wird bekanntlich nur von Wenigen besucht.
Der Grund hierzu ist wohl hauptsächlich der, daß alle Diejenigen,
welche eine Landung versucht haben, im Vordringen von dem Treibeis
gehemmt wurden, das der Polarstrom südwärts führt, und das den
größten Theil des Jahres in einem breiteren oder schmäleren Gürtel
zusammengedrängt an der Küste entlang liegt.

Diese schwierigen Eisverhältnisse waren den alten Norwegern sehr wohl
bekannt, was deutlich aus den vielen Berichten von Grönlandsreisen und
Schiffsunglücken im Treibeis an dieser Küste, von welchen die Sagen
berichten, hervorgeht.[35]

Einzelne Norweger müssen indessen die Küste erreicht haben.

So enthält die Floamanna-Sage (die in einer Handschrift aus dem Anfange
des fünfzehnten Jahrhunderts erhalten ist) einen Bericht, daß der
norwegische Isländer +Thorgils Orrabeinsfostre+ schon vor 900 Jahren
(998) auf einer Reise nach der Westküste Grönlands (zu +Erik Raude+
in Østerbygden) von widrigen Winden zurückgehalten wurde und nach
vielen Drangsalen Schiffbruch an der Ostküste von Grönland unterhalb
der Eisgletscher in einer Bucht an einem sandigen Ufer erlitt, zu
deren beiden Seiten große Eisgletscher ins Meer hinausragten.[36] Sehr
bezeichnend ist es, daß sich dies im Herbst, Mitte Oktober zugetragen
haben soll, in einer Jahreszeit, in der die Küste nach unseren jetzigen
Erfahrungen am leichtesten zugänglich ist.

Die hier ans Land Geworfenen sollen aus +Thorgils+ samt Frau und ganzem
Hausstand, sowie einem anderen Mann, +Jostein+, ebenfalls mit Frau und
Hausstand, bestanden haben. Die Sage beschreibt sehr eingehend, wie
+Thorgils+ vier Winter und vier Sommer hindurch sein Leben an dieser
ungastlichen Küste fristet, vermittelst der spärlichen Hülfsmittel, die
er sich dort verschaffen konnte und dem Wenigen, was aus dem Schiff
geborgen war -- ein Boot, ein paar Stück Kleinvieh und etwas Mehl.

Zwei Winter und den dazwischen liegenden Sommer hielt sich +Thorgils+
an dem Orte auf, wo er gestrandet war, indem er des Eises wegen nicht
fortkommen konnte.[37]

Zu Anfang des ersten Winters gebar +Thorgils+ Gattin, +Thorey+, einen
Sohn. Im Laufe desselben Winters starb +Jostein+, seine Gattin und
seine sämtlichen Hausgenossen infolge der Seuche. (Wahrscheinlich
Skorbut.) Es geht aus der Sage hervor, daß +Jostein+ es nicht
verstanden hat, seine Mannen in der nöthigen Zucht zu halten. Im
Frühling, der auf den zweiten Winter folgte, als +Thorgils+ eines Tages
mit einigen Begleitern oben auf die Gletscher hinaufgestiegen war, um
zu sehen, wie es mit dem Treibeise stehe, wurde +Thorey+ von seinem
Verwalter und den Leibeigenen ermordet, worauf diese mit dem geretteten
Boot und den eingesammelten Lebensmitteln gen Süden flüchteten. Als
+Thorgils+ heimkehrte, fand er sein Haus geplündert und seine Gattin
todt auf dem Bette liegen, das Kind aber an der Brust der Leiche
saugend. Dies war der härteste Schlag, der +Thorgils+ widerfahren war,
und die Sage berichtet, daß er das Leben des Kindes rettete, indem
er einen Einschnitt in eine seiner Brustwarzen machte und es sein
Blut saugen ließ; durch ein Wunder wurde das Blut später in Milch
verwandelt. Um sich Nahrungsmittel zu verschaffen, mußten +Thorgils+
und seine wenigen Begleiter wieder auf die Jagd gehen, und an Stelle
des gestohlenen Bootes verfertigten sie sich ein Fahrzeug aus Fellen,
das inwendig mit Holz oder Weidenzweigen steif gemacht wurde.

Dann löste sich der Eisgürtel und zwei ganze Sommer hindurch arbeiteten
sie sich nun in südlicher Richtung am Lande entlang, bis sie --
wahrscheinlich in der Nähe von Kap Farvel, einen Ort erreichen, wo ein
landflüchtiger Mann, +Rolf+ aus Østerbygden, sich angesiedelt und ein
Haus gebaut hatte.[38] Bei ihm blieb +Thorgils+ den Winter über und zog
dann im nächsten Sommer südwärts weiter, an der Landspitze vorüber, bis
er nach Østerbygden gelangte.

In dieser Sage ist viel Märchenhaftes enthalten, so z. B. daß
+Thorgils+ Besuch von +Thor+ erhielt, und die oben erwähnte Geschichte,
wie er das Kind säugte etc. Dies muß die Zuverlässigkeit des ganzen
Berichts in Zweifel stellen.

Die Beschreibung des Landes, an welchem +Thorgils+ entlang zog, sowie
die der Naturverhältnisse, stimmt indessen so genau mit den wirklichen
Verhältnissen an der Ostküste Grönlands überein, daß sie unmöglich
ganz erdichtet sein kann, sondern von Leuten herstammen muß, welche
diese Küste gesehen haben, ja die sogar sehr vertraut mit den dortigen
Verhältnissen gewesen sein müssen. Wenn man z. B. liest, wie +Thorgils+
im Frühling oder im Frühsommer auf die Gletscher hinaufstieg, um über
das Meer zu schauen, ob sich das Eis schon gelöst habe, da muß Jeder,
der die ostgrönländische Küste kennt, sich in Gedanken dorthin versetzt
fühlen. Wenn ferner beschrieben wird, wie sie weiterziehen, vorüber
an Eisgletschern und steilen Bergen, wie sie auf dem südlicheren
Theil ihrer Fahrt an vielen Fjorden vorüberrudern, und wie das Eis
während des größten Theils des Jahres bis hart an die Küste dicht
zusammengestaut liegt, -- da kann dies alles kaum auf andere Gegenden
als auf die Ostküste Grönlands passen.

So scheint es denn, daß, wenn auch die Erzählung von den sonderbaren
Erlebnissen +Thorgils+ mehr oder weniger erdichtet ist, der Verfasser
oder die Verfasser dennoch dies Land sehr wohl gekannt haben müssen,
und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die alten Norweger häufiger
entweder im Treibeis oder an der Küste Schiffbruch gelitten und sich
auf das Land gerettet haben.[39]

Daß unsere Vorfahren die ostgrönländischen Eisverhältnisse sehr wohl
kannten, geht übrigens ganz deutlich aus dem „Kongespeilet“ (ca. 1250)
hervor, dort heißt es: „Noch heute giebt es in demselben Meer gar viele
Wunder, obwohl sie nicht zu den Ungeheuern zu rechnen sind, denn sobald
man das Meiste des wilden Meeres hinter sich hat, befindet sich in der
See eine solche Unmenge von Eis, wie man etwas Aehnliches nirgends
in der ganzen Welt je gesehen hat. Einige von den Eisstücken sind so
flach, als wären sie auf dem Meere selber gefroren, dabei sind sie 4
und 5 Ellen dick und liegen so weit vom Lande entfernt, daß man 4 Tage
und länger über das Eis gehen kann, bis man das Land erreicht. Das
Eis aber liegt mehr nach Nordosten oder nach Norden vor dem Lande als
nach Süden oder Südwesten oder Westen, und deswegen muß Jeder, der das
Land erreichen will, so weit segeln, bis er an allen diesen Stellen,
wo Eis zu erwarten ist, vorübergekommen ist, und dann von dort bis an
das Land segeln. Es ist aber den Seefahrern häufiger zugestoßen, daß
sie das Land zu hastig gesucht haben, und dadurch in das Eis gerathen
sind. Einige aber haben sich daraus gerettet, und von diesen haben wir
Etliche gesehen und ihre Rede und ihren Bericht angehört. Aber Alle,
die zu diesem Treibeis gelangt sind, haben sich des Mittels bedient,
daß sie ihre Böte genommen und sie hinter sich her über das Eis gezogen
und sich an Land begeben haben, das Seeschiff aber und all ihr Hab
und Gut ist zurückgeblieben und verrottet. Einige haben sogar 4 oder
5 Tage, Andere noch länger auf dem Eise kampirt, ehe sie das Ufer
erreichten.

Dies Eis ist sehr wunderbar in seiner Beschaffenheit, es liegt zuweilen
so still, daß man annehmen könnte, verschiedene Waaken und große Fjorde
vor sich zu haben; zuweilen aber bewegt es sich so schnell, daß ein
Schiff, das guten Wind hat, nicht so schnell segeln kann, und dabei
treibt das Eis ebenso häufig gegen den Wind an wie mit demselben. Es
giebt in diesem Meere auch noch Eis von anderer Beschaffenheit, das die
Grönländer ~Fald-Jokler~ (~Fall Jökla~)[40] nennen. Die Gestalt dieses
Eises gleicht einem hohen Felsen, der aus dem Meere emporragt. Diese
Eisberge vermischen sich nicht mit anderem Eis, sondern stehen ganz
isolirt da.“

Diese Beschreibung ist so vorzüglich, daß sie noch heute vollkommen
genügen würde. Es geht deutlich daraus hervor, daß die Eisverhältnisse
im grönländischen Meer und in der Dänemarkstraße zu jener Zeit
dieselben waren wie jetzt, und die Behauptung, daß man aus den
Sagen schließen kann, sie seien damals anders gewesen, ist völlig
unbegründet.[41]

Eine Zeit nachdem der „Kongespeilet“ geschrieben war, fing die
Verbindung mit Grönland allmählich an aufzuhören, die norwegischen
Kolonien verfielen und die erworbenen Kenntnisse von den grönländischen
Verhältnissen geriethen in Vergessenheit.

Die Erinnerung an Grönland ist jedoch niemals geschwunden, und unter
den dänisch-norwegischen Königen nach Schluß des Mittelalters ist
oft die Rede davon, Leute auszusenden, um das verlorene „norwegische
(Steuer-) Land“ wieder zu finden. So war unter +Christian+ II. viel die
Rede davon, indem der norwegische Erzbischof +Valkendorf+ beschlossen
hatte, Grönland wieder unter das Drontheimsche Bisthum zu bringen,
aber sein Plan gelangte nicht zur Ausführung. Erst über die Mitte des
Jahrhunderts hinaus dachte man ernstlicher daran, das Land zu suchen,
und sandte wirklich eine Expedition zu diesem Zwecke aus.

Die ersten Expeditionen scheinen hauptsächlich nur den Zweck gehabt zu
haben, das Land wiederzufinden, gleichgültig an welchem Punkt; da war
es denn ganz natürlich, daß man in der Regel zuerst an die Ostküste
kam, die am nächsten gelegen war, und hier zu landen suchte. Ich
will in aller Kürze die wichtigsten dieser Versuche, die Ostküste zu
erreichen, besprechen.

Im Jahre 1579 wurde der Engländer +James Alday+ (oder +Jakob Aldax+
oder +Aldag+, wie er in der norwegischen Urkunde, Bestallungsbrief,
genannt wird) an die Spitze einer Expedition gestellt,[42] welche zwei
Schiffe umfaßte, und erhielt den Befehl, „Grönland besuchen zu sollen,
-- auf daß selbiges Land wieder unter seine rechte Obrigkeit (d. i. die
Krone Norwegens) komme -- desgleichen, daß die sämtlichen Gemeinden
dort zu Lande Gott dem Allmächtigen zu Lob und Ehren zum christlichen
Glauben gebracht werden und die wahre Religion und Gottesdienst
empfahen.[43]“

Ein an Bord dieses Schiffes, auf welchem sich +Alday+ selber befand,
geführtes Tagebuch, ist der einzige bekannte Bericht von dieser
Reise.[44] Man ersieht daraus, daß die Expedition am 26. August,
Morgens 6 Uhr, nachdem man 7 Tage vorher die Anker in Island gelichtet
hatte, der Ostküste Grönlands ansichtig wurde. An welcher Stelle der
Ostküste dies war, ist nicht leicht zu sagen. Es heißt nur, daß, als
sie „westnordwest am Lande entlang gingen, auch war der Wind nördlich
und waren wir damals oft 10 Seemeilen vom Lande entfernt“. Daraus, daß
sie in westnordwestlicher (mißweisender) Richtung gingen, sowie aus dem
bald darauf folgenden Passus: „Und sagte unser Kapitän, daß anderthalb
hundert Seemeilen zwischen Island und Grönland lägen“, scheint mir
hervorzugehen, daß sie sich eine gute Strecke nördlich vom Kap Dan
befunden haben, was auch mit dem folgenden Bericht stimmt, in dem es
von dem nächsten Tag (dem 27. August) u. a. heißt: „Als wir aber auf
4 Seemeilen nahe an das Land kamen, war da viel Eis dicht am Ufer,
deswegen gingen wir den ganzen Tag in südwestlicher Richtung weiter und
konnten doch nirgends eisfreies Land sehen. Außer dem Eis, das an der
Küste lag, kamen uns große Stücke Eis, so groß wie Kirchen entgegen.“

Ueber das Land heißt es:

„Es waren eitel hohe und große Steinklippen, wie die Felsen in Norwegen
und Island, und die vordersten Klippen waren so spitz wie nach oben zu
die Thürme, und zwischen den Klippen und oben auf ihnen lag sehr viel
Schnee.“

Dies ist eine gute Beschreibung von den Felsen um Ingolfsfjeld. Dann
gelangte man weiter gen Süden, und am 29. August erblickte man einen
großen und übermäßig hohen steinernen Felsen, der sich vom Lande aus in
das Meer hinaus schob mit einer Landzunge (wahrscheinlich in der Nähe
von Kap Dan) wo man zu landen gedachte, „denn wir sahen eine Bucht bei
demselben Felsen“.

Eine halbe Meile vom Lande entfernt wurde man indessen am Vordringen
gehindert „durch sehr viel Eis, das am Ufer lag, weshalb wir wieder in
die See hinaus mußten, und wollte unser Kapitän an dem Tage westlich
davon landen, denn das Eis verringerte sich mehr und mehr und das Land
wurde hier auch flacher.“

Dies ist wahrscheinlich westlich vom Kap Dan gewesen, die Küste biegt
hier nach Westen zu um, der Eisgürtel pflegt schmäler zu werden, oder
doch jedenfalls im Westen vom Sermilikfjorde, und das Land um diesen
Fjord herum und weiter nach Süden zu ist auffallend flacher als das
nördlicher gelegene Land.

Nachdem sie ihren Kurs von der Küste entfernt gehalten hatten, wurden
sie von einem Sturm überfallen und gezwungen, nach großen Gefahren
heimzukehren, ohne das Land zum zweitenmal in Sicht bekommen zu haben.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser Bericht ganz zuverlässig ist,
und daß also diese erste Expedition, die eine halbe Meile vom Lande
entfernt blieb, diejenige ist, die, soweit wir wissen, der Ostküste
Grönlands bis zum Jahre 1883 von der Seeseite aus am nächsten gekommen
ist. Ende August beginnt nämlich das Land bei Kap Dan in der Regel
schon zugänglicher zu werden, schon vor Mitte dieses Monats fanden wir
es eisfrei.[45]

+Alday+ war indessen der Ansicht, daß der ungünstige Ausfall seiner
Reise eine Folge der vorgerückten Jahreszeit sei. Für das nächste Jahr
wurde deswegen eine neue Expedition unter seiner Leitung vorbereitet.
Ob diese zur Ausführung gelangte, ist unsicher und erscheint nicht
glaubhaft, da man nichts davon gehört hat.

Dagegen unternahm im Jahre 1581 „ein Bagge und Norsker Mand“, +Mogens
Heinessön+[46] eine Reise auf eigene Kosten, um Grönland zu entdecken.

Er war übrigens im Besitz eines königlichen Schutzbriefes, auch war
ihm für den Fall eines günstigen Ausganges eine königliche Belohnung
zugesichert. Dieser „~dapffer Hane oc Styris Mand goed~“ nahm den alten
norwegischen Kurs nach Grönland und bekam Grönlands Ostküste in Sicht,
ja soll sogar den alten Felsen „Hvidsärk“ gesehen haben.

    „Er setzt aus von Island nach altem Brauch,
    Das däuchte der beste Weg ihm auch,
        Den wollt’ er zuerst versuchen.
    Dann steuert er nordwärts und dann gen West,
    Benützte den Sturm, wo er konnte best,
        Bis „Hvidsärk“ er endlich erblickte.
    Dort traf er auf Nebel, auf Eis und Sturm,
    Es bäumte die See sich hoch auf wie ein Thurm,
        An Landen war nirgends zu denken.“

Diese ganze Beschreibung von +Heinessöns+ Reise ist in der
„Grönländischen Chronika“[47] enthalten, aus welcher dies Citat
entnommen wurde, das leider den einzigen Bericht bildet, den wir
darüber haben. Wir erhalten jedoch den deutlichen Eindruck, daß der
„~dapffre Hane~“ die Eisverhältnisse an der Ostküste von Grönland eben
so ungünstig gefunden hat, wie sie heutzutage sind.

Wir sehen, daß er sich von Island aus „nordwärts und dann gen West“
begeben hat, daß er den „Hvidsärk“ erblickte, aber erst später bekam er
„allmählich das Land in Sicht“. Inwieweit dies dem Verfasser zur Last
gelegt werden muß, und ob er dies hinzugedichtet hat, nach der damals
allgemein herrschenden Ansicht, daß Hvidsärk in der Mitte zwischen
Grönland und Island liegen sollte, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen,
scheint aber sehr wahrscheinlich. Weniger annehmbar scheint mir die
Auslegung, daß +Mogens Heinessön+ einen großen Eisberg getroffen haben
soll, was in diesem Fahrwasser freilich vorkommen kann; er hätte seinen
Irrthum bald einsehen müssen, da ein solcher Eisberg ja ganz isolirt im
Meere liegt.

Wenn es heißt, daß das Schiff durch einen in der Tiefe liegenden
Magnet in seiner Fahrt gehemmt würde, so scheint mir die natürlichste
Erklärung hierfür, daß dies entweder ein gänzlich aus der Luft
gegriffener dichterischer Zusatz des Verfassers ist, der in
Zusammenhang steht mit dem damals herrschenden Aberglauben an das
magnetische Eismeer, und dies scheint mir das Natürlichste, --
oder auch es ist hierunter die in südwestlicher Richtung gehende
Meeresströmung zu verstehen, welche die in nordöstlicher Richtung
segelnden Schiffe am Weiterkommen hindert. Kurz vor dieser Stelle
steht, daß sie diesen Weg zogen.

    „Je länger man aber gen Osten kam,[48]
    Um so stärk’re Gewalt die Strömung annahm.“

Jeder, der es versucht hat, gegen diese Strömung anzukreuzen, weiß,
was das sagen will, und daß man bei etwas Aberglauben gar leicht in
Versuchung gerathen kann an „Magnete in der Tiefe“ zu glauben.

Die Expeditionen, welche von Dänemark im Jahre 1605[49] unter Leitung
des Schotten +John Cunningham+ (als Chef der Expedition), des
Engländers +James Hall+ (als ~Prinzipal-Pilot~), des Dänen +Godske
Lindenow+ und des Engländers +John Knight+, sowie 1606 mit +Godske
Lindenow+ als Höchstkommandirendem unternommen wurden, machten,
soweit man nach den spärlichen Berichten, die wir darüber haben,
urtheilen kann, keinen Versuch an der Ostküste Grönlands zu landen.
Die Behauptung, daß +Godske Lindenow+ während der ersten Reise am
südlichen Theil der Ostküste gelandet sein soll, scheint mir auf keiner
haltbaren Basis zu beruhen.

Diese Expeditionen landeten an der Westküste von Grönland, da sie aber
von dort keine Ausbeute heimbrachten, die nur einigermaßen mit den
Erwartungen im Einklang stand, so glaubte man, daß dies die Folge davon
sei, daß man das vermeintliche früher so reiche „Österbygd“ noch nicht
gefunden habe.

Bereits im Jahre 1607 wurde eine neue Expedition unter Leitung des
Holsteiners +Karsten Richardsen+ mit dem Engländer +James Hall+ als
„Pilot“ von +Christian+ IV. ausgesandt, um „Österbygden“ zu suchen. Man
war des Erfolges so sicher, daß man Norweger und Isländer mitsandte,
die als Dolmetscher dienen sollten, falls man Nachkommen der alten
grönländischen Norweger treffen würde.

„Sie sollen,“ so heißt es in der Instruktion des Königs[50] an die
Expedition, „mit Fleiß erforschen, ob sich die früher erwähnten
Kirchen, Klöster, Felsen, Landzungen, Fjorde, Höfe u. a. noch dort
befinden. Item ob dort ein Bischof, Pfarrer, Voigt ist, an den sie
Abgaben entrichten, und dem sie Gehorsam beweisen.“

Daß man damals keine ganz verkehrte Vorstellung von der Lage von
„Österbygden“ hatte, geht ganz deutlich aus derselben Instruktion
hervor, indem +Christian+ IV. darin sagt, daß der Eriksfjord -- „der
vornehmste Fjord in Österbygden -- südwestlich auf dem Lande zwischen
dem 60. und 61. Grade ungefährlich liegt, jedoch gegen die Ostseite des
Landes.“

Sie sollten auf diese südöstliche Landspitze zusteuern und nachdem
Österbygden untersucht war, sollten sie sich gen Norden an der Ostküste
entlang begeben, um dieselbe zu untersuchen.

Nach den Berichten in +Lyschanders+ Grönländischer Chronica, bekamen
sie Grönlands Ostküste am 28. Juni auf dem 59° N. Br. in Sicht. Sie
nahmen ihren Kurs auf das Land zu, wurden aber von dem Treibeis am
Landen verhindert.

Dann segelten sie nordwärts an der Ostküste entlang und müssen nach
+Lyschanders+ Beschreibung viele Versuche gemacht haben, durch das Eis
zu dringen, bis sie am 1. Juli zwischen dem 63. und 64. Grad N. Br.
den letzten verzweifelten Versuch wagten, der jedoch nicht glücklicher
ausfiel als die vorhergehenden.

    „Da standen so Schiffer wie Steuermann,
    Gleich Moses erschauend Kanaan,
    Und mußten doch draußen bleiben.
    Die Thränen netzten ihnen die Wangen,
    Sie sahen das Land, konnten nicht es erlangen.“

So mußten sie denn ihre Hoffnung aufgeben und wurden theils durch
Sturm, theils durch Wassermangel gezwungen, heimzuwenden. Noch im Juli
erreichten sie Kopenhagen.

In den Jahren 1652, 1653 und 1654 wurden von einem dänischen
Privatmann, dem General-Zollverwalter +Henrik Möller+, welcher
einen königlichen Freiheitsbrief zu dem Zweck erhalten hatte, drei
verschiedene Entdeckungs-, Fang- und Handelsexpeditionen ausgesandt.
Dieselben wurden von einem Ausländer, wahrscheinlich einem Holländer
Namens +David Danell+ (oder +De Nelle+) geleitet.

Die erste dieser Reisen ist hauptsächlich für die Geschichte der
grönländischen Ostküste von Interesse, indem verschiedene kräftige
Versuche, sie zu erreichen, gemacht wurden.[51] Da die früheren
Expeditionen an die Ostküste mißglückt waren, nahm +Danell+ seinen
Kurs weiter nördlich nach dem alten Seeweg, dem sog. „Eriksstevne“ zu.
Er reiste nördlich um Island herum, steuerte dann in südwestlicher
Richtung weiter und befand sich am 29. Mai auf dem 64° 19′ seiner
Vermuthung nach 50 Meilen von Reykjanäs entfernt. Am 2. Juni bekamen
sie Grönlands Ostküste in Sicht, vermuthlich bei Kap Dan,[52] konnten
aber weder an diesem noch an einem der folgenden Tage landen, weil das
Eis 4-7 Meilen vom Lande entfernt lag.[53]

Am 9. Juni wollten sie einen Hafen suchen, wahrscheinlich südlich vom
Kap Dan, „aber das Eis lag 2 Meilen breit im Hafen und vor dem Lande.
Sie setzten nun ein Boot aus, um einen Versuch zu machen, über das Eis
zu gehen, aber dies fing an zu brechen (?) und hätte sie fast alle ins
Unglück gestürzt.“

Dann segelten sie südwärts an der Ostküste entlang und da sie dieselbe
überall mit Eis versperrt fanden, gingen sie um die Mitte des Juni an
+Kap Farvel+ vorbei nach der Westküste.

Auf dem Rückwege machte +Danell+ Ende Juli einen neuen Versuch, die
Ostküste zu erreichen und ist scheinbar damals dem Lande sehr nahe
gewesen; am 23. Juli will man sogar vor einem Fjord oder einer Bucht
gewesen sein, die ganz eisfrei war, „und wenn die Nacht nicht so
schnell hereingebrochen wäre, würde man in den Fjord hineingesegelt
sein“.(?) Weiter nach Norden zu, auf dem 63° N. Br. will man bis auf 1
Meile an das Land hinangekommen sein, wo sie jedoch das feste (?) Eis
in einer Ausdehnung von ½ Meile (?) liegen sahen u. s. w.

Es geht aus +Danells+ Reise deutlich hervor, daß die Eisverhältnisse
an der Küste zu jener Zeit im Juni und im Juli genau dieselben gewesen
sind wie heutzutage.

Im folgenden Jahre (1653) im Juni segelte +Danell+ abermals an der
Ostküste entlang bis zu Kap Farvel, wurde aber überall von dem Eise
verhindert, sich dem Lande zu nähern. Am 19. Juni glaubte man auf dem
64° N. Br. das Herjolfsnäs der alten Norweger zu erblicken, wo das Eis
sich fünf oder sechs Meilen vom Lande aus erstreckte. Dann besuchte man
Grönlands Westküste.

Ob +Danell+ auf der Rückreise zu Anfang August abermals einen Versuch
machte, die Ostküste zu erreichen, ist nicht bekannt, im Bericht heißt
es nur, daß er, als er die Ostküste durch Eis versperrt fand, den
Entschluß faßte, nach Island zu gehen.

1654 treffen wir +Danell+ abermals an Grönlands Ostküste, diesmal
scheinbar weiter nach Süden zu, und er ist dort wahrscheinlich nur auf
dem Wege nach der Westküste vorübergereist. Ueber die Reise selber
weiß man nur sehr wenig, außer, daß sie vor Baals Revier (d. h. im
Godthaabs-Fjord) „eine Seejungfrau mit aufgelöstem Haar und von großer
Schönheit“ erblickten.

Im Jahre 1670 wurde ein Seekapitän, Namens +Otto Axelsen+, von dem
dänischen König ausgesendet, um das alte Grönland aufzusuchen. Er
kehrte noch im nämlichen Jahr zurück, aber es ist nichts über diese
seine erste Reise bekannt.

Im darauffolgenden Jahre (1671) wurde er abermals ausgesandt, aber er
kehrte niemals wieder heim. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sein
Fahrzeug bei einem Versuch, an der Ostküste von Grönland zu landen,
zerschellt ist.

+Danell+ hatte ohne jeglichen Grund das „Herjolfsnäs“ der Alten --
das in der Nähe von Österbygden liegen sollte -- an die Ostküste
verlegt (siehe oben). Dies hat, verbunden mit dem Umstande, daß man
die Nachkommen der alten Norweger an der Westküste noch nicht gefunden
hatte, +Theodor Thorlacius+ dazu verleitet, auf seiner Karte über
Grönland (aus d. J. 1668 oder 1669) Österbygden an die Ostküste von
Grönland zu verlegen, und dadurch war man für lange Zeiten in Bezug
auf die Lage irregeführt worden. Es handelte sich daher für die
Expeditionen, die an der Ostküste zu landen versuchten, nicht allein
darum, Grönland zu erreichen, sondern auch Österbygden zu finden.

Im Anfang des 18. Jahrhunderts (1721) kam bekanntlich der Norweger
+Hans Egede+ nach Grönland; er gründete dort eine Kolonie, und später
wurden dort mehrere gegründet. +Egedes+ Hauptzweck war es gewesen, den
Nachkommen der alten Norweger das Licht des Christenthums zu bringen,
aber auch er konnte keine solchen finden. Er war indessen fest davon
überzeugt, daß es deren an der Ostküste geben müsse.

Aus einem vom 29. August 1724[54] datirten Bericht ersieht man, daß
die Compagnie in Bergen, die +Egede+ aussandte, einem seiner Schiffe
(dem Hucker „Egte Sophia,“ Kap. +Hans Faester+) den Befehl gegeben
hatte, „die östliche Seite des Landes Grönland aufzusuchen und zu
rekognosciren, da es aber überall vom 66½° bis zum 60° mit Eis bedeckt
gewesen ist, so ist auch dieser Plan nicht so glücklich ausgefallen,
wie man es gerne gesehen und gewünscht hätte“. Am 12. Mai erreichte
das Schiff die Küste Grönlands und scheint drei Monate lang dem Eise
entlang zwischen dem 66° 30′ N. Br. und dem 60° 28′ N. Br. gekreuzt zu
haben in einer Entfernung von der Küste, welche „bisweilen 5, 10, 15,
20 und 25 Meilen betrug“ und „ohne einen Annäherungspunkt oder einen
Zugang gefunden zu haben“.

Es scheint, als habe man nun für längere Zeit den Muth verloren, ein
Landen an der Ostküste von der Seeseite aus zu versuchen. Erst im
Jahre 1786 wurde auf Veranlassung des Bischofs +Paul Egede+, +Hans
Egedes+ Sohn, eine neue Expedition von zwei Schiffen ausgesandt, um
Österbygden wiederzufinden. Die Expedition wurde unter die Leitung des
Kapitänlieutenants +Paul de Löwenörn+ gestellt.

Am 3. Juli bekamen sie zwischen dem 65° und dem 66° N. Br. ein hohes,
bergiges Land in Sicht (nördlich von Kap Dan), das sie den ganzen
Tag und den folgenden Morgen sahen; da scheint +Löwenörn+ indessen
durch das Treibeis abgeschreckt zu sein, wenigstens entfernte er sich
wieder von „Grönlands eisumgürteter Ostküste“, um einige Tage später
nach Island zurückzukehren, wo er längere Zeit im Dyrafjord vor Anker
lag. Dies war das einzige Mal, daß er das Land in Sicht bekam. Am
23. Juli ging er freilich abermals aus, um einen Versuch zu machen;
da er aber schon am folgenden Tage auf Treibeis stieß, scheint er
die Hoffnung sehr schnell aufgegeben zu haben; kurz darauf kehrte
er mit seinem größten Schiff nach Dänemark zurück. Obwohl dies ein
früherer Walfischfänger war, und also ausschließlich für die Fahrt im
Eismeere erbaut, sah er weniger von der Ostküste als die meisten seiner
Vorgänger. Eine besondere Vorliebe für das Treibeis scheint er hiernach
nicht gehabt zu haben. Es mag zu seiner Entschuldigung dienen, daß er
als Marineoffizier keine Erfahrung in der Eismeerschiffahrt hatte.

Als er nach Hause reiste, hinterließ er sein kleineres Fahrzeug,
die Yacht „Den nye Pröve“ unter dem Kommando von Sekondelieutenant
+Christian Thestrup Egede+ (einem Sohn des Bischof +Paul Egede+),
damit dieser weitere Versuche zur Auffindung von „Österbygden“ machen
könne. Als Nächstkommandirender wurde auf seinen speciellen Wunsch der
Sekondelieutenant +C. A. Rothe+ angestellt.

Was +Löwenörn+ an Muth und Unternehmungsgeist fehlte, scheint
+Egede+ in um so höherem Maße besessen zu haben, und mit der ganzen
Begeisterung seiner Jugend setzte er alles daran, um den Traum seines
Vaters: die Wiederentdeckung von Österbygden, zu verwirklichen. Schon
am 8. August -- am selben Tage, an dem +Löwenörn+ heimsegelte -- stach
er mit seiner kleinen Yacht in See, um noch in diesem Jahr einen
ernsten Versuch zur Erreichung der Küste zu machen.

Am 16. August bekamen sie das Land (wahrscheinlich nördlich von Kap
Dan) in Sicht, konnten aber infolge des Eises, das sich 7 Meilen von
der Küste erstreckte, nicht landen.

Am 20. August kamen sie weiter südlich vor der Mündung eines 1 Meile
breiten Fjordes -- zweifelsohne des Sermilik-Fjordes -- dem Lande bis
auf 2½ Meilen nahe; aber auch hier hemmte das Eis ihr Vordringen.

Eine Reihe von Stürmen, die sie schließlich zwangen, sich nach Island
zurückzuziehen, verhinderte sie späterhin, in diesem Jahr dem Lande
näher zu kommen.

Im Jahre 1787 machten +Egede+ und +Rothe+ nicht weniger als sechs
Versuche[55], von Island aus die Ostküste Grönlands zu erreichen, aber
obwohl ihnen in diesem Jahr noch ein Fahrzeug -- ein zweiter „Hucker“
-- von Kopenhagen nachgesandt wurde, gelang es ihnen nur einmal, Land
in Sicht zu bekommen. Dies geschah am 17. und 18. Mai, als sie in einer
tiefen Bucht im Eise nördlich von Kap Dan dem Lande bis auf 6 oder 7
Meilen nahe kamen.

Der letzte Versuch wurde vom 11. bis zum 29. September gemacht. Bei der
Kenntniß, die wir jetzt von den Eisverhältnissen an der Küste südlich
von Kap Dan haben, muß es merkwürdig erscheinen, daß sie zu einer so
späten Jahreszeit nicht landen konnten; der Grund hiervon war aber, daß
sie sich zu weit nach Osten und Norden hin befanden und außerdem mit
Stürmen und schlechtem Wetter zu kämpfen hatten.

Im Jahre 1833[56] (am 28. und 29. Juli) erblickte der französische
Marineoffizier, Lieutenant +de Blosseville+, einen Theil der Ostküste
zwischen dem 68° und 69° N. Br., konnte aber des Eises wegen nicht
landen. Infolge von Havarie sah er sich bald nachher gezwungen, nach
Island zurückzukehren. Am 5. August zog er abermals aus, seither hat
man aber nie wieder von ihm gehört.

Im Jahre 1859 kam der amerikanische Oberst +Schaffner+ in dem
Barkschiff „Wyman“ nach Grönland, um zu untersuchen, ob nicht ein
Telegraphenkabel von Europa nach Amerika über Grönland gelegt werden
könne. Am 10. Oktober ging er von Julianehaab südwärts an Kap Farvel
vorüber und an der Ostküste entlang, ungefähr bis zu der Höhe des
Lindenow-Fjords (auf dem 60° 25′ N. Br.). Er entdeckte „auch nicht
eine Handbreit Treibeis“ an der Küste, was sehr wahrscheinlich ist,
da sie zu einer so späten Jahreszeit eisfrei zu sein pflegt. Ein
Nordsturm, der das Schiff seewärts trieb, hinderte ihn jedoch, an der
Küste zu landen.

Am 18. Juli 1860 kam Mc. +Clintock+ an Bord des „Bulldog“ bei Kap
Wallö (60° 34′ N. Br.) unter die Küste, wurde aber durch Eis am Landen
verhindert.

Darauf ging er nach der Westküste und später nach Amerika. Auf der
Heimreise, nachdem er Julianehaab besucht hatte, näherte er sich
der Ostküste Grönlands abermals und kam am 8. Oktober bei Prinz
Christians-Sund (60° 2′ N. Br.) dem Lande bis auf eine geographische
Meile nahe. Er stieß hier auf sehr wenig Treibeis, in der Nacht aber
erhob sich ein heftiger Sturm, der drei Tage anhielt und den „Bulldog“
in die See zurücktrieb.

Im selben Jahr (1860) am 11. September kam abermals der Oberst
+Schaffner+, diesmal an Bord des hölzernen Dampfers „Fox“, unter
Leitung des englischen Polarfahrers Kapitän +Allen Young+ bei Kap Bille
der Ostküste Grönlands nahe (ungefähr auf dem 62° N. Br.). Der Zweck
dieser Expedition wie derjenige der eben erwähnten „Bulldog“-Expedition
war die Anstellung von Untersuchungen in Veranlassung der von Oberst
+Schaffner+ projektirten Telegraphenkabellegung über Grönland.

Bei Kap Bille fanden sie, wie mir +Allen Young+ mitgetheilt hat, so
wenig Eis, daß man mit Leichtigkeit hätte landen können. Man war
freilich -- wie es scheint -- noch zwei Meilen vom Lande entfernt.

Am 12. September fanden sie auf dem 61° 54′ N. Br. das Eis bis an das
Ufer dicht zusammengestaut.

Am 13. September dampften sie „gemächlich der Küste zu, bis ¾ Meilen
vom Lande entfernt“, in der Gegend von Omenarsuk; das Eis lag hier aber
zu dicht, als daß sie hätten landen können. Ein dunkler Wasserhimmel in
der Nähe von Lindenows-Fjord ließ indessen Kapitän +Young+ vermuthen,
daß er möglicherweise einen Ankerplatz unterhalb der Küste finden
könne. Als sich gegen Abend ein Sturm erhob, richtete er indessen
seinen Kurs seewärts, um sich später der Ostküste Grönlands nicht
wieder zu nähern.

Im Jahre 1863 wurde mit zwei eisernen Dampfschiffen „Baron Hambro“ und
„Karoline“ der Versuch gemacht, für ein englisches Handelshaus, das
von der dänischen Regierung die Erlaubniß dazu erhalten hatte, eine
Handelskolonie an der Ostküste von Grönland zu gründen. Der Engländer
+Taylor+ war der Führer der Expedition. Man verließ Hamburg am 21.
August, in der Hoffnung, die Küste zu so später Jahreszeit eisfrei
zu finden, aber man hatte sich verrechnet! Sie war vollständig von
Eis gesperrt, in das man sich mit diesen eisernen Schiffen nicht
hinauswagte.

Im Jahre 1865 kehrte +Taylor+ abermals zurück, diesmal mit dem starken,
hölzernen Dampfer „Erik“, der eigens für die Eismeerfahrt gebaut war.
Er fand abermals die Küste (ungefähr auf dem 63° N. Br.) mit Eis
versperrt, das sich trotz zweier kräftiger Versuche nicht durchbrechen
ließ.

Im Jahre 1879 fuhr der dänische Marineschoner „Ingolf“[57] unter
dem Kommando von Kapitän +A. Mourier+ mit Lieutenant +Wandel+ als
Nächstkommandirendem vom 6. bis zum 10. Juli an der Ostküste von
Grönland entlang, vom 69° N. Br. nach Süden zu bis in die Nähe von
Kap Dan. Man kam in eine tiefe Eisbucht hinein und kam dem Lande beim
Ingolfs-Berge bis auf 4-5 Meilen nahe, konnte aber des Eises wegen
nirgends landen.

Kapitän +Mourier+ hielt es nach dieser Expedition für ganz unmöglich,
die Ostküste Grönlands von der Seeseite aus zu erreichen. Bereits vier
Jahre später sollte die Unhaltbarkeit dieser Behauptung bewiesen werden.

Im Jahre 1882 war, wie bereits früher erwähnt, der Verfasser mit dem
Seehundsfänger „+Viking+“ auf Fang an der Ostküste von Grönland aus.
Wir blieben am 25. Juli zwischen dem 66° und 67° N. Br. im Eise stecken
und trieben mehrere Tage gerade auf die Küste zu, bis wir uns am 7.
Juli auf dem 66° 50′ N. Br. und dem 32° 35′ W. L. in einer Entfernung
von etwa sechs Meilen vom Lande zu befinden glaubten. Später trieben
wir langsam in südwestlicher Richtung weiter, bis wir endlich am 17.
Juli wieder frei kamen.[58]

Im Jahre 1883 machte +Nordenskjöld+ mit dem eisernen Dampfer „Sophia“
zwei Versuche, die Ostküste Grönlands zu erreichen. Am 12. Juni
erblickte man zum erstenmal Land bei Kap Dan, konnte aber des Eises
wegen nicht landen, weshalb man abermals einen südlichen Kurs an der
Küste entlang nahm. Dieses war indessen bis zum Kap Farvel, das man
am 15. Juni passirte, versperrt. Dann besuchte +Nordenskjöld+ die
Westküste Grönlands, wo er seine Eiswanderung antrat, von der späterhin
in diesem Buche die Rede sein wird.

Am 30. August kam er abermals auf der Rückreise am Kap Farvel vorüber.
Am 1. September stieß er südlich vom 62° N. Br. auf ein dichtes
Treibeisfeld, das sich weit ins Meer hinaus (25-30 Minuten) „vom
Eisgletscher bei Puisortok erstreckte. Aber südlich von dieser Eiszunge
schien das Meer nach dem Lande zu ganz eisfrei zu sein“. Als man unter
Land kam, stieß man dennoch auf einen Eisgürtel, „dessen Breite nicht
mehr als sechs Minuten betrug“. +Nordenskjöld+ meinte freilich, daß er
sich ohne allzu große Schwierigkeiten hätte durchbrechen lassen, aber
er versuchte es nicht, da die Küste dort unbewohnt sein sollte.

Es scheint, als ob die Eisverhältnisse, die +Nordenskjöld+ hier antraf
-- die Eiszunge, die sich ins Meer hinaus erstreckte und der schmale
Eisgürtel nach Süden zu an der Küste -- auffallend viel Aehnlichkeit
mit denjenigen hatten, die wir auf derselben Höhe oder vielmehr ein
wenig tiefer zu überwinden hatten. Es scheint, als wenn hier an dieser
Stelle, jedenfalls zeitweise, merkwürdige Unregelmäßigkeiten in den
Stromverhältnissen herrschen müssen; doch hiervon später mehr.

Ein Stück nördlich vom 62. Breitengrad schnitt eine tiefe Bucht nach
dem Lande zu in das Eis ein, am Ende derselben hemmte jedoch abermals
ein schmaler Eisgürtel ihr Vordringen.

Da +Nordenskjöld+ das Land ein wenig nördlicher zu erreichen wünschte,
versuchte er nicht weiter, hier durch das Eis zu dringen, „was wohl
kaum mit großen Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre“.

Endlich am 4. September sollte es +Nordenskjöld+ gelingen das
auszuführen, was so Viele vergebens erstrebt hatten: er kam mit dem
eisernen Schiff „Sophia“ durch verhältnißmäßig zerstreut liegendes Eis
im Westen von Kap Dan glücklich unter Land und ankerte in einer Bucht,
die er „König Oskars Hamn (Hafen)“ nannte. Hier ging man an diesem
Tage und am folgenden Morgen an Land und machte verschiedenartige
wissenschaftliche Einsammlungen und Beobachtungen. Man fand auch
zahlreiche, theils ganz frische Spuren von Eingeborenen, sah aber
Niemand, und dies ist, nach den Erfahrungen, die wir an der Küste
gemacht haben, äußerst merkwürdig, denn man war mitten in einem
bewohnten Küstenstrich gelandet. Die Expedition war auch nicht von
den Eskimos bemerkt worden, dagegen hatte sie als einziges sichtbares
Zeichen ihrer Gegenwart eine leere Bierflasche aus der Karlsberger
Brauerei hinterlassen, welche von den Eskimos gefunden und dem Kapitän
+Holm+[59] im darauf folgenden Jahr als ein übernatürlicher Gegenstand
vorgezeigt wurde; besonders schrieben sie der gelblichen Flüssigkeit,
von der sich noch ein Tropfen darin befand, göttliche Kräfte zu.

Am 5. September, am Tage nach der Ankunft lichtete die „Sophia“ den
Anker wieder und dampfte seewärts, um, wenn möglich, die Küste nördlich
von Kap Dan zu erreichen. Dies gelang jedoch nicht, und man sah sich
infolge von Kohlenmangel gezwungen, heimzukehren.

Im Jahre 1884 waren die Eisverhältnisse in der Dänemarksstraße sehr
günstig für eine Landung an der Ostküste von Grönland, und mehrere
von den norwegischen Seehundsfängern sind, wie ich aus zuverlässigen
Quellen erfahren habe, in der ersten Hälfte des Juli ungefähr auf
dem 67° N. Br. der Küste sehr nahe gewesen, einer von ihnen, Kapitän
+A. Krefting+ vom „Stärkodder“, fing hart am Lande Klappmützen, er
hätte, „falls es im Interesse des Schiffes gewesen wäre“, das Ufer mit
Leichtigkeit erreichen können.

Den letzten der zahlreichen Versuche, das Treibeis an der Ostküste von
Grönland zu durchdringen, kennt der Leser hoffentlich so genau aus der
früheren Beschreibung in diesem Buch, daß es überflüssig ist, hier
näher darauf einzugehen.[60]

Außer diesen Versuchen, die Ostküste Grönlands von der Seeseite zu
erreichen, muß hier einiger Vorfälle im Treibeise unterhalb dieser
Küste Erwähnung geschehen, um so mehr, als sie in gewisser Weise
Vorgänger unserer Beschwerden im Eise sind, obwohl die Letzteren im
Verhältniß zu dem, was sich auf der früheren Expedition ereignete, ein
Kinderspiel zu nennen sind.

Das Jahr 1777 hat in der Erinnerung aller Derer, die sich mit der
arktischen Entdeckungsgeschichte beschäftigen, einen unheimlichen
Klang, denn wohl niemals sind die arktischen Regionen Zeugen so
grenzenlosen Elends gewesen.

Es war dies ein sehr böses Eisjahr an den grönländischen Küsten und
in den Tagen zwischen dem 24. und dem 28. Juni blieben 27 oder 28
Walfischfänger verschiedener Nationalitäten[61] zwischen dem 74° und
75° N. Br. unterhalb der Ostküste[62] im Eise stecken.

Ein Theil dieser Schiffe kam im Laufe der folgenden Monate wieder
frei, 12 aber blieben im Eise stecken[63] und trieben südwärts an der
Küste entlang, wo sie allmählich zwischen den Eisschollen zertrümmert
wurden. Die ersten Schiffbrüche fanden am 19. und 20. August statt,
in diesen Tagen wurden 6 Schiffe ungefähr zwischen dem 67° und 68° N.
Br. in einer Entfernung von 12-14 Meilen von der Küste zertrümmert.
Die übrigen Fahrzeuge trieben in südlicher Richtung weiter an der
Küste entlang, die man fast die ganze Zeit hindurch im Auge behielt,
gewöhnlich nur 10 Meilen von derselben entfernt. Ende September befand
man sich zwischen dem 64° und 65° N. Br. Das letzte Schiff wurde am
11. Oktober 5-6 Meilen vom Lande entfernt, ungefähr auf dem 61½° N. B.
zertrümmert, also gerade vor +Anoritok+, wo unsere Eisfahrt endete. Die
Strecke, die es, seit es zuerst im Juni im Eise stecken blieb, treibend
in einem Zeitraum von 107 Tagen zurückgelegt hatte, betrug ungefähr
270 geogr. Meilen, -- es kommen folglich im Durchschnitt ungefähr 2½
Meilen auf jeden Tag. Während der letzten Zeit dieser Eisfahrt war die
Geschwindigkeit freilich bedeutend größer gewesen als zu Anfang. Bis
zum 20. August muß sie hiernach durchschnittlich ungefähr zwei Meilen,
von dieser Zeit bis Ende September ungefähr 2½ Meilen, dann aber etwa 4
Meilen betragen haben.

Die Besatzung der verunglückten Schiffe pflegte sich auf die noch nicht
gesunkenen zu retten, viele nahmen auch ihre Zuflucht zu dem Eise
und hielten sich darauf auf.[64] Unter immer zunehmendem Elend ging
es südwärts und viele der Leute starben allmählich, Einige ertranken,
Andere erfroren, die Meisten aber verhungerten, da in der Regel nur
wenig Proviant von den sinkenden Schiffen geborgen wurde, -- es war
schon von vorn herein knapp genug damit bestellt.

Auf dem letzten Schiffe hatten sich allmählich 286 Menschen
angesammelt, und zuletzt wurde die Noth sehr groß. Die tägliche Ration
bestand schließlich nur noch aus 10 Eßlöffeln voll Erbsen oder Grütze
pro Mann.

Anfang Oktober machten 12 Mann von diesem Schiff aus den Versuch,
über das Eis an Land zu gehen (ungefähr auf dem 63° N. Br.). Sie
erreichten auch eine Insel, als sie aber von hier aus nicht auf das
Festland gelangen konnten, kehrten sie wieder auf das Schiff zurück.
Dies sind also die ersten Male in neuerer Zeit, daß es unseres Wissens
gelungen ist, die Ostküste Grönlands von der See aus zu erreichen.[65]
Nach dem Schiffbruch hielt die Mehrzahl sich einige Tage bei einander
auf dem Eise auf. Als sie indessen einsahen, daß es, falls sie
in einer solchen Anzahl an bewohnte Stätten gelangten, unmöglich
sein würde, für so viele Nahrung zu schaffen, theilten sie sich in
mehrere Gruppen, von denen die eine das Land in nördlicher Richtung
zu erreichen suchte, während eine andere, größere Gruppe, die Küste
verließ, um quer durch das Land bis zur Westküste zu gelangen. Von
diesen Allen hat man jedoch später nie wieder gehört. Eine dritte
Gruppe von ungefähr 50 Mann ging südwärts an der Küste entlang und
traf nördlich von Kap Farvel, wahrscheinlich bei Alluk, auf Eskimos,
die sie freundlich aufnahmen, sie mit Proviant versahen und ihnen ihr
Frauenboot überließen, in welchem sie später die dänischen Kolonien an
der Westküste erreichten. Eine vierte Gruppe, ebenfalls aus ungefähr 50
Mann bestehend, suchte nicht an der Ostküste zu landen, sondern trieb
mit dem Eise um Kap Farvel herum, um nach vielen Leiden und zahlreichen
Verlusten an Menschenleben an der Westküste zu landen, theils bei
Fredrikshaab, theils in der Nähe von Godthaab.

Von den übrigen Besatzungen, die sich nicht an Bord des zuletzt
gescheiterten Schiffes befunden hatten, trieben verschiedene kleinere
Abtheilungen mit dem Eise bis Kap Farvel und gelangten in ihren Böten
bis zu den Kolonien an der Westküste, die Mehrzahl im Oktober oder
November. Die merkwürdigste von diesen Gruppen bestand aus 6 Mann mit
zwei Böten, die nördlich von Godthaab landeten. Diese 6 Mann hatten
die beiden Böte und fast den ganzen Proviant ihres Schiffes gerettet,
und statt sich wie ihre Kameraden auf ein anderes Schiff zu flüchten,
blieben sie auf dem Eise. Später gingen sie in See, ruderten und
segelten am Eise entlang, um Kap Farvel herum und weiter, bis sie
endlich nach vielen Leiden eine kleine Klippe nördlich von Godthaab,
ungefähr eine halbe Meile vom Festland entfernt, erreichten. Sie wußten
nicht, wo sie sich befanden, beschlossen aber, hier zu überwintern. Sie
lebten von dem geborgenen Proviant und erbauten sich aus Ruderstangen
und Segeln eine Hütte, in der sie infolge von Kälte und Wassermangel
große Qualen erlitten. Das Schlimmste war aber doch der Umstand, daß
die Wellen bei Sturm über die Klippe hinwegschlugen und sie stets
darauf gefaßt sein mußten zu ertrinken. Endlich, Ende März, fanden
einige Grönländer die Unglücklichen und zeigten ihnen den Weg nach
Godthaab. Diese 6 Mann müssen eine Entfernung von ungefähr 175 geogr.
Meilen theils auf dem Eise, theils im offenen Boot zurückgelegt haben.

Von allen Denen, die im Jahre 1777 an der Ostküste Grönlands entlang
trieben, sahen ungefähr 320 ihre Heimath nicht wieder während ungefähr
155 Grönlands Westküste erreichten und im folgenden Jahr nach Europa
zurückbefördert wurden. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, daß sie
sowohl von den Eskimos wie von den in Grönland ansässigen Dänen auf das
gastfreundlichste empfangen wurden.[66]

Im Winter 1869-1870 machte die Mannschaft der „Hansa“ gleichfalls eine
fast eben so merkwürdige, wenn auch nicht so ungemüthliche Reise auf
dem Eise an der Ostküste Grönlands entlang.

Die „Hansa“ war das eine der beiden Schiffe, welche die sogen. zweite
deutsche Nordpolexpedition an der nördlichen Ostküste Grönlands an Land
setzen sollten.

Bei dem Versuch, bis an die Küste vorzudringen, gelangte das eine
Schiff „Germania“, das außer Segeln eine Dampfmaschine hatte, glücklich
durch das Eis, während das Segelschiff „Hansa“ unter der Leitung von
Kapitän +Hegemann+ am 6. September auf dem 74° 6′ N. Br. und dem
16° 30′ W. L.[67] (ungefähr 10 geogr. Meilen vom Lande entfernt)
vollständig im Eise stecken blieb. Dann trieb das Schiff beständig
südwärts weiter in verhältnißmäßig geringer Entfernung vom Lande, bis
es am 19. Oktober zerschellt wurde und ungefähr auf dem 70° 50′ N. Br.
und dem 20° 30′ W. L. (einige Meilen von der sogen. Liverpool-Küste)
sank. Die ganze Besatzung des Schiffes rettete sich indessen mit dem
nöthigen Proviant auf das Eis, und nachdem sie sich darüber einig
geworden waren, ruhig hier zu verharren statt einen Landungsversuch zu
machen, erbauten sie aus den vom Schiff geborgenen Steinkohlen ein Haus
auf einer der Eisschollen. Hier verbrachten sie den ersten Theil des
Winters, während sie beständig in südlicher Richtung am Lande entlang
trieben. Während eines Sturmes am 15. Januar (auf dem 66° N. Br.) barst
die Eisscholle mitten unter dem Hause, und sie mußten ihre Zuflucht in
den Böten suchen. Später wurde auf einer anderen in der Nähe gelegenen
Eisscholle ein kleineres Haus gebaut. Unter häufigem Wechseln trieben
sie südwärts weiter, bis sie am 7. Mai ungefähr auf dem 61° 12′ N. Br.,
wenige Meilen vom Lande entfernt (also nicht weit von Anoritok) die
Eisscholle verlassen und in die Böte[68] gehen konnten, in denen
sie die Küste zu erreichen suchten, was ihnen jedoch erst am 4. Juni
gelang. Sie landeten auf der Insel +Iluilek+, die ungefähr auf dem 60°
53′ N. Br. liegt. Von hier aus gingen sie in südlicher Richtung weiter,
und endlich am 13. Juni erreichten die 3 Böte mit der vollzähligen
Besatzung der „Hansa“ glücklich die Herrnhuter Missionsstation
Friedrichsthal westlich von Kap Farvel.

Die Strecke, welche die Mannschaft der „Hansa“ trieb, seit ihr Schiff
in den ersten Tagen des September 1869 im Eise stecken blieb, bis sie
am 7. Mai 1870 die Eisscholle verließen, beträgt zusammen ungefähr
1080 Viertelmeilen oder 270 geogr. Meilen, (also ungefähr dieselbe
Entfernung wie die Eisfahrt d. J. 1777; siehe oben). Diese Entfernung
wurde in ungefähr 8 Monaten oder 246 Tagen zurückgelegt, was folglich
eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 1,1 geogr. Meilen per Tag
ergiebt, weniger als die Hälfte der Geschwindigkeit, mit welcher man
im Jahre 1777 trieb. Der Grund mag zum Theil darin zu suchen sein, daß
die Strömung im Winter nicht so stark ist, zum Theil darin, daß die
Mannschaft der „Hansa“ sich in geringerer Entfernung vom Lande befand.
Im November trieben sie übrigens durchschnittlich am schnellsten,
nämlich zwei geographische Meilen (7,8 Viertelmeilen); zu der Zeit
befanden sie sich noch nördlich von Island.

Vergleicht man diese Durchschnitts-Geschwindigkeiten (also 2,5 Meilen
im Jahre 1777 und 1,1 Meilen im Jahre 1869-70) mit derjenigen, die
wir während unseres elftägigen Treibens hatten und die sich auf
ungefähr 6 Meilen (5,8 Meilen) per Tag belief, da ist der Unterschied
sehr beträchtlich; während der meisten Tage legten wir sogar 7 Meilen
zurück. Wahrscheinlich ist der Grund zu diesem Unterschied darin zu
suchen, daß die Strömung im Sommer eine bedeutend größere Kraft hat als
zu anderen Zeiten des Jahres; ein anderer Grund läßt sich natürlich
auch darin suchen, daß die Mannschaft der „Hansa“ sich tiefer in
dem Eisgürtel befunden hat, während wir mehr am Rande waren. Die im
Jahre 1777 Verunglückten trieben, wie bereits erwähnt, während des
südlichsten Theils ihrer Fahrt mit bedeutend größerer Geschwindigkeit,
indem sie südlich vom 64° N. Br. eine Fahrt von 4,5 geographischen
Meilen per Tag hatten.[69]

Ich habe mehrmals Gelegenheit gehabt, eine Eigenthümlichkeit der
Strömung auf dem 61-62° N. Br. zu berühren (vergl. Seite 264, 291 und
298). Es scheint, als ob hier häufig eine Unregelmäßigkeit in der
Richtung und in der Schnelligkeit der Strömung stattfinden muß, die
möglicherweise dadurch entstehen kann, daß der Arm einer nördlicher
gehenden Strömung eine Veränderung im Eise bewirkt und Eiszungen
in das Meer hinaus schiebt (vergl. unsere Erfahrung Seite 248 und
+Nordenskjölds+ Seite 291).

Im ganzen scheint aus allem, was wir jetzt über Strömungen und
Eisverhältnisse wissen, hervorzugehen, daß der Polarstrom an der
Ostküste von Grönland südlich vom 69° N. Br. gewissen jährlichen
Perioden unterworfen ist. Diese können möglicherweise wieder
Veränderungen in nordwärts gehenden Strömungen ihren Ursprung zu
verdanken haben.


Die bisher in diesem Kapitel besprochenen Reisen haben die Kenntniß der
Ostküste Grönlands in keinem wesentlichen Grade gefördert.

Die Kenntniß, die wir von dem südlichen Theil der Küste haben, an der
entlang zu reisen wir im Begriffe stehen, verdanken wir im wesentlichen
zwei Expeditionen, und da es ohne diese, besonders die letzte derselben
kaum für uns möglich gewesen sein würde, nach Norden vorzudringen, so
liegt es sehr nahe, dieselbe mit einigen Worten zu erwähnen.

Da +Danells+ oben besprochene Reisen scheinbar die Unmöglichkeit einer
Landung an der Ostküste von Grönland nachgewiesen hatten, so liegt
es sehr nahe, daß man bald auf den Gedanken kam, die Westküste zum
Ausgangspunkt für Expeditionen am Lande entlang zu nehmen. Eine solche
Anschauung finden wir bereits um das Jahr 1664 von +P. H. Resen+[70]
und im Jahr 1703 von +Arngrim Vidalin+[70*] geäußert.

Wie bereits früher erwähnt, war +Hans Egede+, der Apostel Grönlands,
der Ansicht, daß Österbygden an der Ostküste Grönlands liegen müsse.
Schon im Jahr 1723 unternahm er eine Reise in südlicher Richtung von
seinem Wohnort, nahe dem jetzigen Godthaab, um diese Kolonie in zwei
Böten an der Küste entlang segelnd zu erreichen. Bei +Nanortalik+ auf
dem 60° 8′ N. Br. in der Nähe von Kap Farvel sah er sich indessen am
26. August infolge der späten Jahreszeit und unzureichenden Proviants
zur Rückkehr gezwungen. Später äußerte er jedoch die Meinung, daß
Österbygden an der Ostküste am leichtesten an der Küste entlang und
zwar wenn möglich in Eskimo-Frauenböten zu erreichen sei.

Ein Versuch, von Godthaab aus an der Küste entlang Österbygden zu
erreichen, der im Jahre 1733 von +Mathias Jochimsen+ unternommen wurde,
mißlang ebenfalls, indem man sich auf dem 61° N. Br. durch Eis am
Vordringen gehemmt sah.

Erfolgreicher war der tüchtige +Peder Olsen Wallöe+, ein Bornholmer,
der sich mehrere Jahre als Handelsmann auf Grönland aufhielt. Im August
1751 trat +Wallöe+ seine Reise von Godthaab aus in einem Frauenboot
mit einer Besatzung von 4 Grönländerinnen und 2 Europäern an. Im
ersten Jahr erreichte er den Distrikt des jetzigen Julianehaab, wo er
Untersuchungen anstellte und überwinterte. Im folgenden Jahr wurde die
Reise fortgesetzt, an Kap Farvel vorbei eine Strecke an der Ostküste
entlang, bis man auf dem 60° 56′ N. Br. an eine Insel gelangte, die
er „Nenese“ nennt; dort sah er sich jedoch am 8. August zur Umkehr
gezwungen. Dies ist der erste Europäer, von dem man mit Sicherheit
weiß, daß er die südliche Ostküste Grönlands betreten hat. Er erhielt
jedoch einen schlechten Lohn für seine verdienstvolle Reise und lebte
seither in den kümmerlichsten Verhältnissen in Dänemark. Er starb im
Jahr 1793 in einem Alter von 77 Jahren im Armenhospital zu Kopenhagen.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wies +Eggers+ deutlich in
einer im Jahre 1792 erschienenen Schrift nach, daß Österbygden auf der
südlichen Westküste gelegen habe; wenn man es nach der Ostküste verlegt
habe, so sei dies ein Irrthum von den Gelehrten der Vorzeit, welche die
alten norwegischen Berichte völlig verkehrt gedeutet hätten.

In den Jahren 1829-30 unternahm der Kapitänlieutenant in der dänischen
Flotte +W. A. Graah+ seine bedeutungsvolle Reise an der Ostküste
entlang in einem zum größten Theil mit Grönländerinnen bemannten
Frauenboot.[71]

Am 1. April erreichte man die Ostküste. Am 20. Juni auf dem 61° 47′
N. Br. faßte +Graah+ den kühnen Entschluß, sich von seinen europäischen
Genossen, die zurückkehrten, zu trennen und allein mit dem einen der
beiden Frauenboote und mit 6 Grönländern weiter zu gehen.

Am 27. Juni auf dem 63° 37′ N. Br. verließ ihn auch sein grönländisches
Gefolge bis auf drei junge Mädchen, die er endlich dazu vermochte,
ihm als Ruderer weiter das Geleite zu geben. Am 23. Juli erreichte er
seinen nördlichsten Zeltplatz, eine Insel, die er +Vendom+ (Kehr um)
nannte -- auf dem 65° 13′ N. Br., und am 18. August erbaute er auf
seinem nördlichsten Punkt, auf der nördlich davon gelegenen +Dannebrogs
Insel+ (65° 19′ N. Br.) eine Warte. Hier wurde er durch Eis am weiteren
Vordringen gehindert.

Am 21. August trat er die Rückreise an, und am 1. Oktober bezog er bei
einem Ort, den er +Nukarbik+ nennt (jetzt +Imarsivik+ auf dem 63° 22′
N. Br.) sein Winterquartier. Den Winter verbrachte er unter Krankheit
und großen Entbehrungen. Als der Frühling kam, hatte er indessen den
Muth nicht verloren, sondern machte am 5. April einen neuen Versuch,
in nördlicher Richtung vorzudringen. Am 25. Juli mußte er jedoch nach
den unglaublichsten Widerwärtigkeiten abermals umwenden, ohne so weit
gelangt zu sein wie im vorhergehenden Jahre.

Am 16. Oktober langte er endlich in +Frederikshaab+ an, nachdem er viel
erduldet hatte.

Die Frucht dieser merkwürdigen Reise waren gute Aufklärungen über
die Ostküste Grönlands bis an den 65. Breitengrad. Ueberreste von
Nordländern oder Ruinen von ihren Häusern fand +Graah+ dagegen auf
der ganzen von ihm bereisten Strecke nicht, und damit schien die
Unmöglichkeit nachgewiesen, daß Österbygden an der Ostküste gelegen
haben könne. Das Einzige, was +Graah+ an europäischen Ueberresten fand,
war eine Kanone, die bei Koremiut im +Uarket Fjord+ auf dem 61° 17′
N. Br. gefunden worden war. Diese muß wahrscheinlich von irgend einem
Schiff herstammen, das im Eise gescheitert und an der Küste entlang
getrieben ist.

Eine Nordländer-Ruine wurde indessen von dem Herrnhuter Missionär
+Brodbeck+ im Jahr 1881 bei Narsak auf der nördlichen Seite des
+Lindenow-Fjords+ oder +Kangerdlugsuatsiak+ (auf dem 60° 30′ N. Br.)
gefunden, wohin er in einem Frauenboot eine Reise unternahm, also die
dritte uns bekannte Reise an der südlichen Ostküste von Grönland. Es
ist dies die einzige Nordländer-Ruine, von der man an der Ostküste
weiß. Uebrigens hatte +Giesecke+, der die Grönländer davon hatte
erzählen hören, bereits im Anfang des Jahres darüber berichtet.

Die letzte Reise an dieser Küste entlang ist die +dänische
Frauenboot-Expedition+ unter Leitung von +G. Holm+, Kapitän in der
dänischen Marine. Sie währte 3 Jahre, von 1883-85, und war ebenso
wie +Graahs+ Expedition vom dänischen Staat ausgesandt worden. Sie
bildete einen Theil der seit 1876 fortgesetzten „geologischen und
geographischen Untersuchungen in Grönland“.

Die Expedition, die außer dem Führer, aus den Dänen Marinelieutenant
+Garde+, dem Nächstkommandirenden, +Peter Eberlin+, einem Botaniker und
Geologen, dem norwegischen Geologen +H. Knutsen+, sowie zwei dänischen
Grönländern, den Gebrüdern +Petersen+, die als Dolmetscher fungirten,
bestand, wurde in Frauenbooten mit grönländischer, meist aus Frauen
bestehender Besatzung unternommen. Infolge der früheren Expeditionen
hatte sich allmählich die Ueberzeugung, daß dies die einzige Art und
Weise sei, wie man die Ostküste Grönlands bereisen könne, bei den
dänischen Grönlandsfahrern eingebürgert.

Im ersten Sommer erreichte die gesammte Expedition mit 4 Frauenböten
und 10 Kajaks zu Anfang August +Iluilek+ an der Ostküste (60° 52′
N. Br.). Hier wurde ein Depot für das folgende Jahr zurückgelassen,
und am 10. August trat man abermals die Heimreise nach +Nanortalik+,
westlich von Kap Farvel, dem Standquartier der Expedition an, wo
überwintert wurde.

Im nächsten Jahr (1884) trat man die Reise an der Küste entlang mit
4 Frauenböten und 7 Kajaks an (im ganzen 31 Menschen außer den 6
Europäern). Ein Theil der Besatzung wurde am 18. Juli von +Karra
akungnak+ aus wieder nach Hause gesandt.

Am 28. Juli erreichte man +Tingmiarmiut+. Von hier aus kehrte die
Hälfte der Theilnehmer der Expedition unter Leitung von Lieutenant
+Garde+ nach +Nanortalik+ zurück, auf dem Wege Untersuchungen
vornehmend.

Kapitän +Holm+ mit dem übrigen Theil der Expedition, bestehend aus +H.
Knutsen+ und dem Dolmetscher +Johan Petersen+, sowie 2 Grönländern
und 6 Grönländerinnen und in 2 Frauenböten vertheilt, verließ am 30.
Juli +Tingmiarmiut+ und zog gen Norden weiter, an der Küste entlang.
Am 25. August kamen sie zu +Graahs+ nördlichstem Punkt auf der
+Dannebrogs-Insel+, also einen ganzen Monat später als dieser.

Am 1. September erreichten sie +Angmagsalik+ bei Kap +Dan+, wo sie
eine große bebaute Strecke mit ungefähr 400 Menschen fanden. Hier
überwinterten sie.

Im nächsten Sommer (1885) zogen sie am 9. Juni abermals südwärts und
stießen am 16. Juli bei +Umanak+ ungefähr auf dem 63° N. Br. mit den
übrigen Theilnehmern der Expedition, die von Süden kamen, zusammen. Am
18. August erreichte die ganze Expedition Nanortalik und kehrte bald
darauf nach Dänemark zurück.

Die wissenschaftliche Ausbeute dieser Expedition war überraschend
groß; die Ostküste bis zum 66° N. Br. ist dadurch in Bezug auf die
Bevölkerung und die natürlichen Verhältnisse gründlich untersucht
worden, und die genauen Karten, welche sie von der Küste geliefert hat,
haben es uns im wesentlichen ermöglicht, unsern Weg mit Sicherheit an
derselben entlang zu finden.


Fußnoten:

[35] Die alten norwegischen Kolonien in Grönland lagen bekanntlich
an der Westküste. Eine derselben „Østerbygden“ (Ostkolonie) lag
weit südwärts in dem jetzigen Kristianshaab-Distrikt; die andere
„Vesterbygden“ lag nördlicher, tiefer in die Bucht hinein bei dem
jetzigen Godthaab.

[36] Ich habe nicht ausfindig machen können, auf welche Stelle von
Grönlands Ostküste diese Beschreibung am besten paßt, obwohl sie sehr
charakteristisch für das Land genannt werden muß.

[37] Es ist undenkbar, daß das Eis den ganzen Sommer die Küste blockirt
haben sollte!

[38] An der ganzen Ostküste ist nur eine Nordländer Ruine bekannt;
dieselbe liegt bei Narsak im Lindenows-Fjord. Siehe den Bericht weiter
unten in diesem Kapitel.

[39] In den Sagen sind verschiedene Berichte über Schiffe enthalten die
im Treibeis verunglückt sind.

[40] Eisberge.

[41] Daß die Eisverhältnisse in der Dänemarkstraße im Mittelalter
dieselben waren wie jetzt, geht übrigens ganz deutlich aus einer
isländischen Sage hervor, in der berichtet wird, wie ein Isländer auf
den Berg stieg, um zu sehen, ob sich das Eis vom Lande loslösen wolle.
(Nach einer Mittheilung von Professor +Storm+ an mich.) Das Eis reichte
also bereits damals schon bis an die Küste von Island.

[42] Es ist nicht ganz sicher, ob dies die erste Expedition ist, welche
zur Wiederentdeckung Grönlands ausgesandt wurde. Aus einer Proklamation
von König +Frederik+ II. an die Grönländer vom 12. April 1568 ersieht
man, daß ein gewisser +Kristiern Aalborg+ in diesem Jahr mit einem
Schiff dorthin gehen sollte. Dagegen weiß man freilich nichts weiter
von der Expedition. Von demselben König wurde später zu gleichem
Zweck ebenfalls mit einem Russen, +Paul Nichetz+, verhandelt, welcher
behauptete, daß er den Weg nach Grönland kenne (wahrscheinlich eine
Verwechselung mit Spitzbergen oder Novaja Semlja), zu welchem Resultat
aber die Unterhandlungen führten, weiß man nicht.

[43] Vergleiche: ~Norske Rigs-Registranter, Kristiania 1863~, Bd. II.
S. 337.

[44] Gedruckt in: ~Grönlands historiske Mindesmærker~ (~Kopenhagen
1845~) Bd. III. Seite 641-647.

[45] +Aldays+ Expedition ist nicht die erste unter den uns bekannten,
die nach dem Mittelalter Grönland in Sicht bekommen. Der Engländer
+Martin Frobisher+ hatte bereits auf seinen drei Reisen (1576-78) zur
Entdeckung der Nordwest-Passage die Südküste in Sicht bekommen. Er
hielt sie für das Frisland der Zenier und nannte das Land „Neu-England“.

[46] +Mogens Heinessön+ war um die Zeit Bürger in Bergen; er war aber
von norwegischen Eltern auf den Faröern geboren und gilt als zweiter
faröerscher Nationalheld, der Erste war +Sigmund Bresteson+.

[47] ~Lyschander, Grönlands Chronica, Kjøbenhavn 1608.~

[48] Möglicherweise ist hierunter der magnetische Osten zu verstehen,
also ungefähr rechtweisend Nord-Ost.

[49] Vor diesen Expeditionen war die Ostküste von Grönland bereits
gefunden und von dem Engländer +John Davis+ betreten, der auf
seinen drei Reisen 1585-87 das Land fand (er benannte es „~Land of
desolation~“) und die Küste von dem südlichsten Theil bis zum 72° n.
Br. bereiste. Er ist folglich der erste Europäer, von dem man weiß, daß
er nach dem Mittelalter das Land betreten hat.

[50] Dieselbe ist in +Stenstrups+ Abhandlung: „Ueber Österbygden in
den Mittheilungen von Grönland“, Kopenhagen 1889, Bd. 9, Seite 12-14,
abgedruckt.

[51] Die einzige Mittheilung, die wir über diese Reise besitzen,
ist ein Bericht an +Friedrich+ III., von einem gewissen +Christian
Lund+ nach +Danells+ Tagebüchern verfaßt und in den alten
Manuskriptsammlungen der königlichen Bibliothek zu Kopenhagen
aufbewahrt. Im Jahre 1787 wurde von +John Eriksen+ ein Auszug dieses
Berichts in Druck herausgegeben. Siehe übrigens auch: „Grönlands
historische Denkmäler“, III., Seite 713-720.

[52] Ich habe nicht ausfindig machen können, woher Kapt. +A. Mourier+
die Nachricht genommen hat, daß +Danell+ „ein Vorgebirge auf dem
67° und eins auf dem 65½° N. Br.“ entdeckt haben soll. (Siehe
seinen Artikel über „+Ingolfs+ Reise 1879“ in der „Geographischen
Zeitschrift“, Kjöbenhavn Bd. 4, Seite 51, 1880.)

[53] +Danell+ hat in seinen Tagebüchern eine Reihe von Inseln
beschrieben, die z. T. 3-4 Meilen vom Lande südlich von +Kap Dan+
liegen sollten, und von denen er der einen den Namen „Hvidsadlen“ und
einer andern „Mastlös Skib“ gab. Es geht indessen deutlich aus der
Beschreibung hervor, daß diese Inseln nur große Eisberge gewesen sind,
deren es dort viele giebt und die +Danell+ unbekannt waren. Ich habe es
selber erlebt, daß alte Eismeerschiffer Eisberge und Land verwechselt
haben. Von fünf Inseln, in deren Nähe sie sich am 6. Juni befanden,
heißt es, „daß sie fast ganz mit Eis überzogen waren, mit Ausnahme
einer einzigen, welche ein schwärzliches Aussehen hatte, sehr hoch war
und ungefähr eine Meile (?) im Umfang maß“. Alles sehr bezeichnend
für Eisberge. Daß der eine Eisberg schwärzlich aussah, läßt darauf
schließen, daß er den Schlamm und den Kies und die Steine der Moräne
mit sich geführt hat, was durchaus nicht selten vorkommt. Ich traf
selber im Jahre 1882 einen solchen Eisberg an Grönlands Ostküste auf
dem 66° 50′ N. Br. und hielt ihn anfänglich für eine Insel. (Vergl.
meinen Artikel darüber im „Neuen Magazin für Naturwissenschaft“,
Kristiania 1883.)

Wenn +Graah+ im Jahre 1829 meinte, zwei oder drei von +Danells+ Inseln
wiedergefunden zu haben, so sind dies wahrscheinlich die Gipfel von
Kap Dan gewesen, die er am Horizont erblickt hat, wenn es nicht auch
Eisberge waren, obwohl es kaum anzunehmen ist, daß ein so erfahrener
Mann wie +Graah+ sich so irren sollte.

Ich kann mich Kapt. +Holms+ Auffassung (siehe Mittheilungen über
Grönland Bd. 9, S. 201) nicht anschließen, wenn er meint, daß +Danells+
Insel Hvidsadlen der Felsgipfel oder Nunatak auf dem Inlandseise sein
soll, den er so benennt. Ich habe selber diesen Nunatak in einer
Entfernung von mehreren Meilen vom Treibeise aus gesehen, ich sah aber
gleichzeitig das ganze Land mit dem Inlandseise, und es erscheint mir
unmöglich, daß er für eine Insel gehalten werden kann, um so mehr, als
+Danell+ nur drei Meilen von seiner Insel Hvidsadlen entfernt gewesen
sein will. Da der Name indessen auf den Nunatak paßt, den +Holm+ ihm
gegeben hat, sehe ich nicht ein, weshalb man ihn entfernen sollte.

[54] Gedruckt in den „Mittheilungen über Grönland“, Bd. 9. Kopenhagen
1889. Seite 28-29.

[55] Diese Versuche waren folgende: 1. Vom 1. bis zum 12. April. 2. Vom
8. bis 18. Mai (man erblickte Land). 3. Vom 8. Juni bis 3. Juli. 4. Vom
20. Juli bis 10. August. 5. Vom 26. bis 31. August. 6. Vom 11. bis 29.
September.

[56] Da hier nur der südliche Theil der Ostküste Grönlands für uns
von Interesse ist, erwähnen wir nicht weiter der verschiedenen
Expeditionen, die den nördlichen Theil besucht haben, wie z. B.
+Scoresby+, +Sabine+ und +Clavering+ im Jahre 1822 und 1823.

[57] Kapitän +A. Mourier+: Die Expedition des Marine-Schoners „Ingolf“
in der Dänemarksstraße im Jahre 1879. „Geographische Zeitschrift“, Bd.
4. Kopenhagen 1880. Seite 59.

Siehe auch über diese Expedition den Artikel +Wandels+ in den
„Mittheilungen über Grönland“, Bd. 6. 1883.

[58] Siehe hierüber: An der Ostküste Grönlands entlang. „Geographische
Zeitschrift“, Bd. 7. Kopenhagen 1884. Seite 76-79. Ebenfalls in diesem
Buche Seite 1.

[59] Ueber diese Expedition Näheres später in diesem Kapitel.

[60] Einem isländischen Bericht zufolge sollen einige Fischerfahrzeuge
im Jahre 1756 an der Ostküste Grönlands nordwestlich von Vestfirdir auf
Island geankert haben. Dies scheint jedoch nicht sehr wahrscheinlich zu
sein (siehe hierüber „Geographische Zeitschrift“, Kopenhagen, Bd. 7,
Seite 117 und 176).

Daß Mehrere von den im Jahre 1777 Verunglückten die Küste erreichten,
wird später erwähnt werden.

[61] Diese bestanden wahrscheinlich aus: 9 Hamburgern, 8 Engländern, 7
Holländern, 2 Schweden, 1 Bremenser und 1 Dänen.

[62] Hier kam es übrigens häufiger vor, daß Schiffe im Eise stecken
blieben, ohne daß es ihnen so schlimm erging wie den Unglücklichen im
Jahre 1777. Als Beispiel unter den vielen Fällen mag erwähnt werden,
daß im Jahre 1769 vier Schiffe Anfang Juli ungefähr auf dem 76° N. Br.
im Eise stecken geblieben und bis zum 16. und 19. November auf den 69°
N. Br. hinabgetrieben sein sollen; alsdann arbeiteten sich zwei aus
dem Eise heraus, während über das Schicksal der anderen beiden nichts
verlautet.

[63] Hiervon waren wahrscheinlich 6 Holländer und 6 Deutsche
(Hamburger). Die Mannschaft bestand größtentheils aus Dänen von
den Inseln an der Westküste von Jütland und Schleswig, sowie aus
Holsteinern.

[64] Zwei Schiffsbesatzungen retteten sich auf zwei Schiffe, die später
glücklich aus dem Eise heraus kamen.

[65] Von einer Abtheilung von 160 Mann, die schon am 30. September auf
dem 64° N. Br. ihre Zuflucht zum Eise und zu den Böten nehmen mußten,
sollen ungefähr 24 Mann etwa auf dem 63° N. B. den Versuch gemacht
haben, die Ostküste Grönlands zu erreichen, man hat aber später nie
wieder von ihnen gehört.

[66] Wenn +Julius Payer+ in seiner übrigens sehr unkorrekten Notiz
über diese Eisfahrt (+Payer+: „Die österreichisch-ungarische
Nordpolexpedition in den Jahren 1872-1874 u. s. w.“, Wien 1876, Seite
481) glauben zu machen scheint, daß die geretteten Mannschaften (die
er irrthümlich auf 12 schätzt) an der Westküste wie bei ihrer Heimkehr
nach Europa schlecht aufgenommen und behandelt wurden, so entbehrt
dies jeglicher Begründung und ist übrigens kräftig widerlegt und
hoffentlich für immer niedergeschlagen durch Kapitän +C. Normann+ in
seinem eingehenden Artikel, der in der „Geographischen Zeitschrift“ Bd.
2, Kopenhagen 1878, Seite 49-63 gedruckt wurde, und in welchem er eine
Zusammenstellung und einen Auszug aus den zahlreichen älteren, hiervon
handelnden Berichten giebt. Das Meiste des hier Angeführten ist diesem
Artikel entnommen.

[67] Also ungefähr auf derselben Stelle, wo die Walfischfänger im Jahre
1777 stecken blieben.

[68] Die Art und Weise, wie dies geschah, glich sehr dem von uns
Erlebten (29. Juli). Am 6. Mai hatte man noch keine Ahnung davon, daß
man die Eisscholle bald würde verlassen können, und war daher nicht
wenig erstaunt, als man am folgenden Tage nach dem Lande zu offenes
Wasser erblickte, auch war man seit dem vorhergehenden Tage 8 Minuten
oder 2 geographische Meilen nordwärts getrieben. Es scheinen auch
damals in dieser Höhe Unregelmäßigkeiten in der Strömung geherrscht zu
haben. Wie man sich erinnern wird, trieben auch wir während der letzten
Nacht, ehe wir aus dem Eise heraus kamen, nicht wesentlich südwärts.

[69] Es scheint, als wenn die Geschwindigkeit der Strömung eine Strecke
nördlich von Kap Dan bedeutend geringer ist als in der Nähe und südlich
davon. Es ist auch unter den norwegischen Seehundsfängern, die in
der Dänemarkstraße auf Fang ausgehen, ganz allgemein bekannt, daß
die Strömung an Gewalt zunimmt, je mehr man sich dem Kap Dan nähert.
Mehrere norwegische Seehundsfänger sind auch kürzere oder längere Zeit
unterhalb der Küste im Eise stecken geblieben, die Bewegung des Eises
ist aber, soweit ich es habe erfahren können, nicht bedeutend gewesen
(vergl. auch oben die Fahrt des „Viking“ 1882).

[70] und [70*] Siehe hierüber „Mittheilungen über Grönland“, Bd. 9.
Kopenhagen 1889, Seite 26.

[71] +W. A. Graah+: Entdeckungsreise an die Ostküste von Grönland
1828-31, Kopenhagen 1832.



Kapitel XI.

Nordwärts an der Ostküste entlang. Zusammentreffen mit Eskimos.


Das Erste, was wir thaten, nachdem wir glücklich das Eis überwunden
hatten, war dem Lande zuzustreben; wir mußten ja so bald wie möglich
Grönlands Felsenboden unter unsern Füßen fühlen, und außerdem hatte ich
schon vor längerer Zeit versprochen, an dem Tage, an dem wir unsern
Fuß auf festen Grund setzen würden, eine Festmahlzeit mit Schokolade
anzurichten.

Gerade vor uns und zunächst lag die Insel +Kutdleck+ mit ihrer hohen,
abgerundeten Kugelform. Dort konnten wir jedoch nicht landen, es würde
uns zu weit von unserm Kurs abgeführt haben, der nordwärts ging. Wir
steuerten deswegen lieber über das offene Wasser auf die nördlich
gelegene Insel +Kekertarsuak+ zu.

Auf dem Wege dahin kamen wir an einen mächtigen Eisberg, der hier
in dem offenen Wasser bis auf den Grund reichte. Auf seinem weißen
Rücken saßen Unmengen von Möven, die gleich dunklen Punkten darüber
hingestreut waren. Indem wir vorüberfuhren, fiel ein kolossales
Stück Eis mit großem Getöse ins Wasser, Scharen von Möven wurden
aufgeschreckt und umflatterten uns mit ihrem einförmigen Geschrei. Dies
war ein ganz neues Leben, und wir empfanden es als eine große Wohlthat,
ungehindert im offenen Wasser vorwärts rudern zu können.

Als wir eine Strecke weiter gekommen waren, entdeckten wir, daß doch
noch allerlei Hindernisse zu überwinden seien, ehe wir das Land
erreichten, denn wir stießen auf einen neuen Eisgürtel, der sich nach
Süden zu am Ufer entlang erstreckte. Er war jedoch nicht breit und
auch nicht sehr fest, so daß es uns nicht viel Mühe machte, ihn zu
durchbrechen. Endlich glitten wir -- die Böte mit norwegischer und
dänischer Flagge geschmückt -- unter eine steile Klippe, deren dunkle
Wand sich in dem blanken Wasser spiegelte und dies fast kohlschwarz
machte. Es gab einen Widerhall, wenn man sprach, -- das war ein
feierlicher Augenblick. Hinter dieser Klippe fanden wir einen Hafen, wo
wir mit den Böten anlegen konnten. Wir wetteiferten förmlich, ans Land
zu springen und Steine, wirkliche Steine unter den Füßen zu fühlen.
Wir kletterten auf die Klippen hinauf, um Umschau zu halten. Wir waren
wie die Kinder: ein Stückchen Moos, ein Grashalm, geschweige denn eine
Blume erregte einen ganzen Sturm von Gefühlen in uns. Es war alles so
neu, der Uebergang so kraß und so plötzlich. Die Lappen verschwanden
augenblicklich zwischen den Felsklippen, und es währte eine ganze Zeit,
ehe wir ihrer wieder ansichtig wurden.

Nachdem sich die erste stürmische Freude gelegt hatte, mußten wir
unsere Gedanken auf etwas Prosaischeres richten -- auf unsere
Festmahlzeit. Der Kochapparat wurde auf eine Klippe unten beim Boot
gestellt und in Wirksamkeit gebracht, um unsere Schokolade zu kochen.
Es waren Hände genug da, die dies verrichten konnten, und da eine ganze
Zeit darüber hingehen würde, so konnte ich ruhig dem Beispiel der
Lappen folgen und eine kleine Gebirgstour unternehmen, um mich u. a.
nach dem gen Norden führenden Wege umzusehen.

So stieg ich denn bergan, anfangs über einige kahle Klippen, dann über
ein kleines Schneefeld und endlich durch Moos und Heidekraut über eine
kleine Ebene, auf der große erratische Blöcke zerstreut umherlagen.
Wie sonderbar war es nicht, einmal wieder einen weiten Gesichtskreis
zu haben, das Meer und das Eis weit unter sich erglänzen zu sehen,
rings umher Reihen hoher Felsengipfel zu erblicken, die, von einem
Nebelschleier umgeben, im Sonnenschein dalagen, und dahinter das
Inlandseis, das kaum so hoch war, wie der eigene Standpunkt.

Im Süden lag die Insel +Kutdleck+ und noch weiter südwärts das schöne
Vorgebirge +Kap Tordenskjold+. Ich begrüßte es wie einen Landsmann,
nicht nur der Name, sondern auch die Form war mir heimisch. Ich setzte
mich auf einen Stein, um eine Skizze aufzunehmen und mich von der
Sonne bescheinen zu lassen. Wie ich so da saß, mich meiner Umgebung
und meines Lebens freuend, hörte ich etwas summend durch die Luft
herannahen und bei meiner Hand Halt machen. Es war eine auffallende
alte, wohlbekannte Musik, -- ich sah nach, und richtig -- eine Mücke,
eine lebendige Mücke! Und der einen folgten bald mehrere. Ich ließ sie
ruhig stechen, -- es war mir eine wahre Wonne. Sie gaben mir +fühlbare+
Beweise, daß ich mich auf festem Grund und Boden befand, diese lieben,
kleinen Wesen, die dort saßen und sich rund und roth saugten, -- es war
sicher lange her, seit sie zuletzt Menschenblut gekostet hatten. Wie
ich später erzählen werde, sollten wir freilich gar bald dieser Wonne
überdrüssig werden.

Ich hatte eine ganze Weile dort oben gesessen, als ich ein Zwitschern
vernahm und einen Schneesperling erblickte, der sich dicht neben mir
auf einen Stein niederließ, den neu angekommenen Gast verwundert
betrachtend, indem er das Köpfchen bald auf die eine, bald auf die
andere Seite legte; dann zwitscherte er wieder, hüpfte auf den nächsten
Stein, wo er noch eine Weile sitzen blieb, guckte mich abermals an und
-- weg war er. Es ist stets schön, dem Leben zu begegnen, nicht am
wenigsten wo es in Form kleiner zwitschernder Vögel zu uns kommt, es
erweckt einen Wiederklang der Vogelnatur in uns selber, besonders wenn
man Frühling und Sommer so lange entbehrt hat.

Von hier oben herab konnte ich eine ganze Strecke nordwärts schauen.
Es hatte den Anschein, als wenn wir auf der ersten Strecke Schlampeis
haben würden, aber ein wenig nördlich von +Inugsuit+ wurde das Eis
scheinbar fester und möglicherweise würden wir dort Mühe haben, uns
hindurch zu arbeiten.

Aber es war jetzt an der Zeit, sich wieder zu den Anderen
hinabzubegeben, -- jetzt mußte wohl die Schokolade fertig sein. Als ich
unten anlangte, war jedoch die Schokolade keineswegs fertig, das Wasser
kochte noch nicht einmal. Meine Begleiter hatten auf dem Treibeis keine
allzugroße Uebung im Kochen gehabt. Ich benutzte die Wartezeit, um eine
photographische Aufnahme von dieser Scene und von diesem Ort zu machen,
der ja in der Geschichte unserer Entdeckungsreise einen hervorragenden
Platz einnimmt.

Endlich war man fertig, und sechs begierige Kehlen konnten in langen
Zügen den herrlichen, kochendheißen Göttertrank einsaugen. Außer
reichlicheren Rationen als sonst wurden heute noch Extra-Rationen
in Form von Hafercakes, Schweizerkäse, Mysekäse und eingemachten
Preißelbeeren vertheilt. Das war wirklich eine königliche Mahlzeit, wie
wir sie noch nicht abgehalten hatten, aber wir hatten sie auch verdient
und wir genossen sie. Die Stimmung war sehr animirt.

Es wurde beschlossen, daß wir uns ausnahmsweise einmal Zeit lassen und
das Leben in vollen Zügen genießen wollten, damit mußte es dann aber
auch ein Ende haben. Von nun an lautete die Parole: So wenig Schlaf wie
möglich, so wenig und so schnelles Essen wie möglich, so viel Arbeit
wie möglich. Unsere Nahrung sollte im wesentlichen aus Wasser, Biskuits
und gedörrtem Fleisch bestehen. Wir hatten wenig oder gar keine Zeit,
um uns etwas zu kochen oder uns mit frischem Fleisch zu versehen,
obwohl es Wild genug gab. Die beste Zeit war bereits verloren gegangen,
es blieb nur noch wenig übrig von dem kurzen, grönländischen Sommer,
aber noch mußten wir die Westküste erreichen können, wenn wir nur die
Zeit gut ausnutzten. Es galt nur, energisch darauf loszugehen, -- und
das thaten wir.

[Illustration: Die Insel Kutdleck und Kap Tordenskjold, von
Kekertarsuak aus gesehen.

(Nach einer Skizze des Verfassers.)]

Als wir um fünf Uhr des Nachmittags endlich fertig waren, gingen wir
wieder in die Böte und zogen nordwärts an der Küste entlang.

Eine Strecke lang ging alles leicht und gut. Das Fahrwasser war glatt
und offen. Gegen Abend aber verschlimmerte sich die Situation. Das Eis
wurde dichter, wir konnten es oft nur mit Mühe durchbrechen. Zuweilen
stießen wir freilich auf lange offene Stellen, wo wir schnell vorwärts
rudern konnten. Blutroth versank die Sonne hinter den Bergen, die Nacht
war still und sehnsuchtserweckend, der Tag lag hinter den Zinnen und
Gipfeln und träumte. Die ganze Nacht hindurch arbeiteten wir uns in
nördlicher Richtung durch das Eis. Um Mitternacht war es schwer zu
sehen, wenn man aber genau acht gab, konnte man das Schlampeis und das
Wasser von dem festen Eise durch den Wiederschein unterscheiden, den
sie von dem gelblich rothen Nachthimmel gaben.

Ich strebte danach, nordwärts zu kommen, denn wir hatten nicht mehr
weit bis zu dem berüchtigten Gletscher +Puisortok+, an dem Kapitän
+Holm+ auf seiner Reise längs der Küste i. J. 1884 von dem Eise volle
17 Tage zurückgehalten wurde. Ich hielt es für eine Möglichkeit,
daß der Grund für den bösen Ruf, den dieser Ort hat, darin liegen
könne, daß das Treibeis hier durch die Strömung besonders stark
zusammengedrängt werde, und deshalb war es für mich von größter
Wichtigkeit, diese gefährliche Stelle so früh wie möglich zu erreichen,
um die erste günstige Gelegenheit, wo das Eis sich zertheilte, benutzen
und vorbeikommen zu können.

[Illustration: Unser erster Landungsplatz an der Ostküste Grönlands.

(Nach einer Photographie.)]

Im Laufe der Nacht gelangten wir unter das Vorgebirge +Kangek+ oder
+Kap Rantzau+, hier wurde das Eis so fest, daß wir nicht mehr so
rudern konnten, wie bisher, sondern uns hauptsächlich durchbrechen
mußten. Unseren Aexten, Bootshaken und Brechstangen mußte das Eis
indessen weichen, und wir kamen beständig vorwärts. Was die Sache
noch erschwerte, war, daß sich auf dem Wasser zwischen den Schollen
neues Eis bildete; dies nahm während der Nacht an Dicke zu und war
unsern Böten sehr hinderlich. Es hielt sich bis hoch in den folgenden
Tag hinein. Gegen Morgen fingen die Kräfte an zu erschlaffen, wir
hatten lange gearbeitet, waren hungrig, denn seit unserer gestrigen
Festmahlzeit hatten wir nichts genossen, und Einige von uns waren so
müde, daß sie kaum die Augen mehr offen halten konnten. In unserem
Streben, nordwärts zu gelangen, und in unserer Freude über dies neue
Leben hatten wir die Bedürfnisse des Körpers ganz vergessen, -- jetzt
meldeten sie sich mit verdoppelter Macht. Wir legten deswegen an
einer Eisscholle an, um ein wenig Rast zu halten und unser Frühstück
einzunehmen, obwohl wir eigentlich das Gefühl hatten, daß jetzt keine
Zeit zur Ruhe sei. Da kam der Tag, es wurde heller und heller, eine
rothe Gluth entzündete sich dort unten im Nordosten am Horizont,
-- strahlend stieg die Feuerkugel über den Eisrand empor. Körper
und Seele badeten sich in dem Lichtmeer, alle Müdigkeit war wie
weggeblasen. Und von neuem ging’s an die Arbeit im Lichte des jungen
Tages.

Das Eis aber war dichter denn je zuvor, -- Zoll für Zoll, Fuß für Fuß
mußten wir uns durchbrechen und kämpfen, um nordwärts zu gelangen. Oft
sah es fast hoffnungslos aus aber -- vorwärts mußten wir und vorwärts
kamen wir.

Wir ruderten an +Kap Rantzau+vorüber, vorüber an +Karra akungnak+,
bekannt von +Holms+ und +Gardes+ Reisen i. J. 1884, und kamen ans +Kap
Adelaer+, hier aber wurde es schlimmer denn je; die großen, mächtigen
Schollen lagen fest aufeinander gepreßt. Mit unseren langen Haken
versuchten wir sie auseinander zu stoßen, aber es nützte nichts, --
wir hieben alle sechs auf einmal zu, sie lagen unbeweglich da, --
noch einmal versuchten wir es mit Aufbietung aller unserer Kräfte,
-- jetzt wichen sie einen Zoll voneinander, das machte uns Muth;
noch einmal drauf los! sie gaben ein wenig nach; das half; nur nicht
nachlassen! Bald haben wir sie soweit auseinandergetrieben, daß die
Böte hindurchgleiten können, wenn man die vorstehenden Ränder mit der
Axt abschlägt. Dann schiebt man die Böte bis zur nächsten Scholle
hindurch; hier wiederholt sich dieselbe Geschichte. Mit vereinten
Kräften, die wir bis zum äußersten anstrengen, zwingen wir uns
vorwärts. Es erfordert eine nicht geringe Uebung, das Boot sicher
durch dies gefährliche Fahrwasser zu führen. Man muß einen Blick dafür
haben, wo die Eisschollen am besten anzugreifen sind, um sich einen Weg
hindurch zu bahnen, man muß die Kräfte, die einem zur Verfügung stehen,
aufs beste zu verwerthen wissen, und man muß die Gelegenheit gewandt
benutzen, um die Böte glücklich durch die auseinandergeschobenen
Eisschollen zu bringen, denn diese schließen sich augenblicklich
wieder, und wenn die Böte dann nicht auf der anderen Seite angelangt
sind, werden sie unbarmherzig zermalmt. Es geschah mehrmals, wenn wir
nicht schnell genug waren, daß ich +Sverdrups+ Boot, das dicht hinter
dem unseren folgte, zwischen die Eisschollen eingeklemmt sah, so daß
die Seiten ganz eingedrückt wurden, aber es war elastisch und wurde
stets im letzten Augenblick hindurch gezwungen, ohne daß ein Unglück
geschah.

[Illustration: Wir zwingen uns einen Weg nach Norden zu durch das Eis.

(Von E. Nielsen nach einer Photographie.)]

Schließlich kamen wir auch an Kap Adelaer vorüber und arbeiteten uns
fortwährend durch dichtes Eis hindurch am Lande entlang, bis zu dem
nördlich gelegenen Vorgebirge, dem ich den Namen +Kap Garde+ gegeben
habe.

Wir erreichten es endlich um die Mittagszeit und beschlossen, hier
zu landen, um uns durch Nahrung und Schlaf zu erquicken; diese
Ruhepause hatten wir nach fast vierundzwanzigstündiger Arbeit reichlich
verdient. Wir hatten soeben unsere Böte mit großer Mühe an den steilen
Klippen emporgezogen, unser Zelt aufgeschlagen und uns an das Abwägen
unserer Mahlzeit gemacht, als sich etwas ganz Unerwartetes, uns fast
unglaublich Erscheinendes ereignete.

Ich glaube, es wird von Interesse sein, wenn ich es mit denselben
Worten wiedergebe, mit denen ich es am nächsten Morgen in meinem
Tagebuch verzeichnete:

„Es war gestern (30. Juli) ungefähr um die Mittagszeit (11 Uhr?), als
wir nach einer unglaublich mühseligen Fahrt durch das Eis bei -- nun,
nennen wir es vorläufig Kap .... auf der Nordseite von +Karra akungnak+
angelegt hatten, um ein wenig Nahrung zu uns zu nehmen und endlich
einige Stunden zu schlafen. Den vielgefürchteten +Puisortok+ hatten
wir vor uns, hofften ihn aber noch selbigen Tages passiren zu können.
-- -- Während wir aßen, oder vielmehr während der Zubereitung unserer
einfachen Mahlzeit, vernahm ich zwischen Mövengeschrei und anderem
Geräusch Rufe, die eine fabelhafte Aehnlichkeit mit menschlichen
Stimmen hatten. Ich machte meine Gefährten darauf aufmerksam, aber es
war so wenig wahrscheinlich, in dieser Gegend Menschen anzutreffen,
daß wir so lange wie möglich versuchten von Lumme (~Columbus~) und
ähnlichen Vögeln zu sprechen, deren es hier freilich wohl ebensowenig
giebt wie Menschen. Trotzdem beantworteten wir die Rufe ein paarmal.
Sie kamen beständig näher. Gerade als wir mit den letzten Theilen
unserer Mahlzeit beschäftigt sind, vernehmen wir einen Ruf, der so
deutlich und so nahe klingt, daß die Meisten aufspringen und einer
von uns darauf schwört, daß es keine Lumme gewesen ist; selbst die
eifrigsten Anhänger der Lummentheorie werden zweifelhaft. Es währt
auch nicht lange, bis +Balto+, der mit dem Fernrohr bewaffnet auf
einen Felsblock geklettert ist, uns zuruft, daß er zwei menschliche
Wesen sehen kann. Ich springe selbst zu ihm hinauf, und richte das
Fernrohr auf zwei schwarze Punkte, die zwischen den Eisschollen bald
zusammen fahren, bald wieder auseinanderschnellen. Sie scheinen nach
einer Durchfahrt zu spähen, denn sie gehen mehrmals vorwärts und
wieder zurück, -- aber sieh, da kommen sie gerade auf uns zu, gleich
Mühlenflügeln bewegen sich die Ruder in der Luft. Es sind zwei kleine
Menschen in ihren Kajaks. Sie kommen näher und näher. +Balto+ setzt
eine halb verwunderte, halb ängstliche Miene auf und sagt, er fürchte
sich fast vor diesen wunderlichen Wesen. Da kommen sie, der Eine beugt
sich gleichsam zum Gruß in seinem Kajak vornüber (das war nun freilich
nicht der Fall), der Andere thut nichts. Mit einem einzigen Ruderschlag
legen sie an der Klippe an, kriechen aus ihren Kajaks, der Eine trägt
das seinige hinauf, der Andere läßt das seine im Wasser liegen, -- und
dann stehen sie vor uns, die beiden ersten Repräsentanten dieser viel
besprochenen Heiden (auf der Ostküste Grönlands). -- War der erste
Eindruck günstig? Ja, unbedingt, -- zwei freilich etwas wilde, aber
freundliche Gesichter lächeln uns an. Der Eine trug ein Seehundswams
und Seehundsbeinkleider, die ein gutes Stück bloßen Leibes sehen
ließen, sowie „Kamiken“ und als einzige Kopfbekleidung ein Perlenband.
-- -- --“

Hier wurden meine Tagebuchaufzeichnungen über diese seltsame Begegnung
unterbrochen, die Erinnerung daran steht indessen so lebendig vor
meiner Seele, als habe es sich gestern zugetragen, und infolgedessen
ist es nicht schwer, die Lücke auszufüllen. Der andere Grönländer trug
zu unserer Verwunderung theilweise Kleider europäischen Ursprungs,
indem der Oberkörper mit einem „Anorak“, ein jackenähnlichen
Kleidungsstück aus blauem Baumwollzeug mit weißen Tupfen bedeckt war,
-- an den Beinen hatte auch er Beinkleider aus Seehundsfell und Kamiken
(so wird die eigenthümliche Fußbekleidung der Grönländer genannt). In
der Mitte des Leibes war ein gutes Stück völlig nackend wie bei seinem
Kameraden.

Auf dem Kopfe hatte er eine sonderbare breite, flache Mütze mit
einem Schirm, der aus einem mit blauem Baumwollstoff überspannten
Tonnenreifen gebildet war. Ueber die ganze obere Fläche der Mütze
erstreckte sich ein rothes und weißes Kreuz. Diese Art Mützen in
verschiedenen starken Farben, in der Regel mit einem Kreuz verziert,
sind sehr allgemein unter den Eskimos der Ostküste, sie benutzen sie
auf ihren Fahrten in den Kajaks, theils weil sie nützlich sind, indem
der Schirm sie gegen die Sonne schützt, theils weil sie dieselben
für eine Zierde halten. Ich sah sie später voller Stolz ihre Mützen
vorzeigen.

Diese Beiden waren kleine Menschen, scheinbar noch ganz jung, und
der Eine, der nur ein Perlenband im Haar trug, war geradezu hübsch.
Er hatte eine dunkle, fast kastanienbraune Hautfarbe und langes,
rabenschwarzes Haar, das mit der Perlenschnur aus dem Gesicht gehalten
wurde und tief über Nacken und Schulter herabfiel, -- dazu ein breites,
rundes Gesicht mit beinahe regelmäßigen, weichen Zügen, die eine
beinahe weibliche Schönheit hatten, so ausgeprägt weiblich, daß wir
lange in Zweifel waren, ob wir wirklich einen Mann vor uns hätten. Sie
waren von leichtem, geschmeidigem Bau und graziösen Bewegungen.

Bei uns angekommen, begannen sie zu lächeln, zu gestikuliren und
durcheinander zu sprechen in einer Sprache, von der wir natürlich
kein Wort verstanden. Sie zeigten gen Süden und zeigten gen Norden
über das Eis hinüber und über das Land hinweg, dann zeigten sie auf
uns, auf die Böte und auf sich selbst, und während der ganzen Zeit
stand ihnen der Mund nicht still. Sie waren ganz ungewöhnlich beredt,
aber nichtsdestoweniger verstanden wir kein Wort. Wir lächelten ihnen
wieder zu und starrten sie mit einem dummen Gesicht an, während die
Lappen sich nicht recht wohl dabei zu befinden schienen. Sie fürchteten
sich ein wenig vor diesen „wilden Menschen“ und hielten sich in der
Entfernung.

Dann suchte ich einige Papiere heraus, auf die ein Bekannter
auf Grönländisch eine Reihe von Fragen geschrieben hatte, deren
Beantwortung für mich von Interesse sein konnte. Ich versuchte nun
hiernach, einige Fragen an sie zu richten, wie ich meinte auf gut
Grönländisch, nun aber kam die Reihe dumm auszusehen an sie. Ich
versuchte es nochmals, aber mit demselben Resultat, -- sie verstanden
kein Wort. Nach noch einigen Versuchen, warf ich verzweifelt die
Papiere fort, und nahm meine Zuflucht zu Zeichen, das ging besser,
und nun bekam ich heraus, daß sie ihrer Mehrere waren und daß sie
auf der Nordseite von Puisortok wohnten oder sich dort in einem
Lager befanden, daß man sich hart an den Gletscher halten müsse, um
nordwärts zu gelangen. Dann zeigten sie auf Puisortok und machten
eine Menge sonderbarer Gebärden, wobei sie eine ernste, bedenkliche
Miene aufsetzten und eine Unmenge redeten, was wahrscheinlich bedeuten
sollte, daß dieser Gletscher sehr gefährlich sei, daß man sich deswegen
in acht nehmen müsse. Die Ostgrönländer haben nämlich eine Menge
abergläubischer Begriffe von diesem Gletscher. Da versuchten wir ihnen
denn begreiflich zu machen, daß wir nicht von Süden her am Land entlang
gekommen seien, sondern über das Meer, was nur einen langen brummenden
Laut zur Folge hatte, fast wie das Brüllen einer Kuh, und der wohl
den höchsten Grad von Verwunderung bedeuten sollte. Sie betrachteten
gleichzeitig uns und einander mit einer zweifelhaften Miene, sie
glaubten natürlich kein Wort oder richtiger kein Zeichen davon, oder
auch wir mußten übernatürliche Wesen sein. Und das letztere war ihnen
wohl im Grunde nicht unwahrscheinlich.

Dann begannen sie, unsere Ausrüstung zu bewundern, -- die Böte
zogen vor allem ihre Aufmerksamkeit auf sich, besonders erregte der
Eisenbeschlag ihre höchste Bewunderung.

Wir gaben Jedem ein Stück Fleischbiskuit, worüber sie sehr erfreut
waren, sie aßen ein kleines Stück davon und hoben das Uebrige auf, das
wollten sie augenscheinlich mit in das Lager nehmen. Die ganze Zeit
hindurch standen sie da und zitterten und froren, was schließlich nicht
so merkwürdig war, denn sie hatten nur wenig Zeug an und waren, wie
gesagt, in der Mitte des Leibes nackend; auch war die Witterung nicht
gerade mild. Sie machten einige bezeichnende Gebärden, daß sie hier
auf der Klippe frören und wieder in ihre Kajaks zurückkehren wollten.
Durch Zeichen befragten sie uns, ob wir nach Norden hin kämen, worauf
wir eine bejahende Antwort gaben, dann zeigten sie noch einmal warnend
auf den Puisortok und gingen an den Strand hinab. Hier zogen sie ihre
Halbpelze an, legten die Kajaks zurecht und krochen dann behende und
leicht wie Katzen hinein. Mit wenigen Ruderschlägen flogen sie leicht
und lautlos über den Meeresspiegel dahin. Bald gingen die Ruder wie
Mühlenflügel, während sie zwischen den Eisschollen dahin schossen,
bald hielten sie an, um sich einen Weg zu bahnen und das Eis zur Seite
zu schieben oder um eine Durchfahrt zu erspähen, bald erhob sich der
Arm zum Wurf, er wurde gesenkt, hielt einen Moment still, während
der Pfeil eingestellt wurde, und dann schnellte er vorwärts gleich
einer Stahlfeder, indem der Pfeil vom Wurfgeschoß sauste. Und während
alledem entfernten sie sich mehr und mehr, bald sahen wir sie nur noch
als zwei schwarze Punkte zwischen dem Eise dort oben in der Nähe des
Gletschers, dann bogen sie um einen Eisberg und verschwanden aus unserm
Gesichtskreis. Und wir blieben zurück, über diese erste Begegnung
mit den Eskimos der Ostküste grübelnd. Es war so sonderbar und so
unerwartet, hier Menschen zu treffen, wo ja nach +Holms+ und +Gardes+
Erfahrungen keine wohnen sollten, daher schlossen wir, daß unsere neuen
Bekannten sich auf der Reise befunden hatten, und nachdem wir zu diesem
Resultat gekommen waren, begaben wir uns in unser Zelt und krochen in
unsere Schlafsäcke. Es währte auch nicht lange, bis wir Alle in einen
tiefen Schlaf gefallen waren.

Diese eben erzählte Begebenheit schildert +Balto+ ein ganzes Jahr
später und obwohl er niemals mein Tagebuch gelesen hatte, fast
gleichlautend mit meinen Aufzeichnungen. Ich kann mir das Vergnügen
nicht versagen, die betreffende Stelle hier wiederzugeben:

„Während wir aßen, hörten wir Laute, die wie Menschenstimmen klangen,
wir glaubten aber, daß es ein Rabe sei, welcher krächzte. Nach einer
kleinen Weile hörten wir dieselben Laute wieder; Einige von uns
glaubten, daß es Wasservögel seien, welche schrien. Ich nahm das
Fernrohr und lief auf einen Felsblock hinauf und spähte um mich. Da
sah ich etwas Schwarzes, das sich auf eine Eisscholle zu bewegte. Ich
rief: „Dort hinten kann man zwei Männer auf dem Eise sehen.“ Nansen
kam sofort herbeigelaufen und sah durch das Fernrohr. Wir hörten sie
nun ihre heidnischen Gesänge singen (?) und wir riefen sie an. Sie
hörten uns gleich und ruderten auf uns zu, und es währte nicht lange,
bis sie bei uns waren. Als sie sich uns näherten, verbeugte sich der
eine tief mit dem ganzen Körper, und als sie an den Strand kamen, nahm
jeder seinen Kajak in die Hand und ging auf das Land hinauf. Als sie an
uns herankamen, riefen sie Beide im Chor: „iö, iö!“ was soviel heißen
sollte, als daß sie sich wunderten, was für eine Art von Leuten wir
wohl seien. Wir versuchten nun, mit ihnen zu reden, aber wir verstanden
kein Wort von ihrer Sprache ...“

Am Nachmittag, ungefähr um 6 Uhr, erwachte ich und sprang aus dem Zelt,
um nach dem Eis zu sehen. Es wehte ein frischer Wind vom Lande her,
und das Eis hatte sich noch mehr zertheilt als vorhin. Es schien nach
Norden zu gutes Fahrwasser zu sein, da weckte ich denn die Gefährten.

Bald waren wir in den Böten und richteten unsern Kurs auf den
vielgefürchteten Puisortok. Wir hatten das herrlichste Fahrwasser
von der Welt. Ich fürchtete indessen, daß es schlimmer werden würde,
wenn wir weiter vorwärts gelangten, aber dies war keineswegs der
Fall. Das Eis, das dort lag, bestand im wesentlichen nur aus größeren
oder kleineren Stücken Gletschereises, und das ist in der Regel weit
leichter als das Treibeis mit Holzböten zu passiren, die nicht wie
Fellböte von dem Eis zerschnitten werden können. Am hinderlichsten
war uns der Umstand, daß das Wasser an einzelnen Stellen zwischen den
Eisschollen mit einer Unmenge von ganz kleinen Stücken Gletschereises
angefüllt war. Ohne weitere Störungen kamen wir an dem Gletscher
vorüber, mehrmals ganz dicht an seine lothrechte Eiswand hinanrudernd,
die in allen blauen Gletscherfarben spielt, von dem tiefsten Blau
drinnen in den Spalten und Schluchten bis zu dem hellsten Milchblau an
den geraden Eiswänden und höher gelegenen Stellen, die noch zum Teil
mit Schnee bedeckt sind.

Was diesen Gletscher eigentlich so gefürchtet gemacht hat, verstehe
ich nicht, denn er hat nur eine ganz unbedeutende Bewegung, wirft
infolgedessen nur wenig Eis ab, und wenn dies der Fall ist, sind es
doch stets nur kleinere Stücke, die herunterfallen, denn es liegt nicht
viel Eis in der Nähe.

Bereits +Graah+ und sogar mehrere Schriftsteller vor ihm, berichten
indessen von der übertriebenen Furcht der Eskimos vor diesem
gefährlichen Gletscher, der stets bereit ist, herabzustürzen und die
Vorüberfahrenden zu zerschmettern, und der selbst weit draußen im Meer
plötzlich große Eismassen aus der Tiefe emporschleudere und Böte und
Mannschaft vernichten kann. Der Name Puisortok deutet auch auf diese
Annahme hin. Er bedeutet nämlich: der Ort, an dem etwas emporgeschnellt
wird, und ist nicht ganz allein dastehend an der Ostküste. An mehreren
Stellen trifft man denselben Namen in Verbindung mit dem Gletscher, --
was dies eigentlich bedeuten soll, ist mir nicht ganz klar. Daß +Holms+
und +Gardes+ grönländische Mannschaft ebenfalls eine abergläubische
Furcht vor diesem Gletscher hegte, davon erhält man einen deutlichen
Eindruck, wenn man ihren interessanten Bericht ließt. +Garde+ erzählt,
daß die Bewohner der südlichen Westküste die Auffassung haben, daß
man, indem man den Puisortok passirte, unter einer überhängenden
Eiswand hinweg ruderte, die jeden Augenblick herabstürzen könne,
sowie über Eismassen, die unter dem Wasser verborgen lägen und nur
auf eine günstige Gelegenheit warteten, um emporzuschnellen und die
vorüberziehenden Böte zu zertrümmern.

Diese abergläubischen Vorstellungen haben die Bewohner der Westküste
natürlich von den an der Ostküste ansässigen Heiden erhalten, mit denen
sie zusammengetroffen sind. Diese besitzen sogar eine ganze Reihe von
Vorschriften darüber, wie man sich bei dem Passiren des Puisortok
zu verhalten hat, um mit heiler Haut davon zu kommen, -- man darf
nicht sprechen, nicht lachen, nicht essen, nicht rauchen, während man
vorüberfährt, auch darf man den Gletscher nicht ansehen und vor allem
das Wort Puisortok nicht aussprechen. Wenn man es thut, so stört man
den Gletscher, und das bedeutet einen gewissen Untergang.

Sei dem, wie ihm wolle, -- eins steht fest, der Puisortok verdient
seinen üblen Ruf nicht. Wie ich später entdeckte, ist er wahrscheinlich
ein verhältnißmäßig kleiner lokaler Gletscher, der auf einem
Gebirgsrücken liegt, welcher auf der Innenseite durch ein Thal von dem
eigentlichen Inlandseise getrennt wird. Dies ist auch der Grund für die
äußerst geringe Bewegung, die +Garde+ nachgewiesen hat.[72]

Das einzig Merkwürdige an diesem Gletscher ist, daß er mit einer so
großen Fläche an die See stößt. +Garde+ giebt seine Breite auf ¾
Meilen an, und das scheint mir durchaus zutreffend zu sein. Hierin muß,
wie auch +Garde+ annimmt, der Grund für die Furcht der Eskimos vor
diesem Gletscher liegen; wenn sie an der Küste entlang fahren wollen,
müssen sie hart an ihm vorüberrudern, da er direkt am Meer liegt ohne
jegliche Scherenbildung. Die Eskimos fahren überhaupt nur ungern
an Gletschern vorüber, was auch nicht so merkwürdig ist, da diese
Gletscher oft Eis ins Wasser abschieben, oder auch kleinere Stücke von
ihnen herabfallen, was leicht ein Unglück anrichten kann. Wenn sich ein
Boot in einem solchen Augenblick vor einem Gletscher befindet, so ist
es gewiß in den meisten Fällen rettungslos verloren, denn selbst wenn
es nicht direkt von den herabstürzenden Eismassen getroffen wird, so
geräth das Wasser doch in eine so heftige Bewegung, und die treibenden
Eisstücke und Eisschollen werden so heftig gegeneinander geschleudert,
daß ein Boot wohl nur schwer dem Untergang entrinnen würde.

Die meisten größeren Eisgletscher liegen unmittelbar an dem Ende enger
Fjorde, die sie selber im Laufe der Zeiten vermittelst ihrer starken
hinausschiebenden Bewegung, unter welcher sie Massen von Kies und
Steinen mit sich ins Meer hinausführen, gebildet und ausgegraben haben.
Bis an das Ende dieser Fjorde kommen die Eskimos selten, -- deshalb ist
es nicht nothwendig für sie, sich in der Nähe der gewaltigen Endwände
dieser Gletscher zu bewegen, deren launenhafte Gefährlichkeit sie nur
zu gut kennen.

Es ist daher kein Wunder, daß sie, wenn sie an einen so breiten
Eisgletscher wie den Puisortok kommen, an dem sie nothgedrungen vorüber
müssen, ängstlich sind, obwohl der Gletscher nur eine geringe Bewegung
hat.

Wie bereits gesagt, kamen wir sicher und gut an dem Gletscher vorüber,
und keine abergläubische Furcht hinderte uns, in vollen Zügen die
gewaltige Schönheit dieser zerklüfteten Eismassen zu genießen.

Das Fahrwasser war auch fernerhin verhältnißmäßig gut, und wir kamen
schnell vorwärts. Unser Muth war im Wachsen begriffen, und wir gewannen
mehr und mehr die unerschütterliche Ueberzeugung, daß uns jetzt nichts
mehr hindern könne und solle, unser Ziel glücklich zu erreichen.


Fußnote:

[72] Lieutenant +Garde+ berechnete eine Bewegung von zwei Fuß in 24
Stunden. Schon die Form des Eisgletschers wie seine Haltung beweisen,
daß er völlig lokal ist.



Kapitel XII.

Ein Eskimolager.


[Illustration: Eskimo von Kap Bille.

(Nach einer Photographie.)]

In der Nähe des nördlich vom +Puisortok+ gelegenen Vorgebirge +Kap
Bille+ angelangt, vernahmen wir vom Lande her sonderbare Laute,
gleichsam ein Gemisch von Menschenstimmen und Hundegeheul. Wir hielten
Ausguck und erblickten nun einige dunkle Massen, in denen Bewegung
zu sein schien, und als wir näher hinsahen, zeigte es sich, daß es
Menschenschwärme waren, die an den Felsabsätzen hinauf zerstreut waren
und lebhaft durcheinander sprachen, gestikulirten und auf uns zeigten,
die wir uns ruhig durch das Eis hindurch arbeiteten. Wir entdeckten
nun auch mehrere Fellzelte, die an die Felsen lehnten, und bemerkten
einen sonderbaren Geruch von Thran oder dergl., den der Wind uns vom
Lande her entgegentrug. Obwohl es noch nicht Abend war, konnten wir
der Versuchung nicht widerstehen, diese merkwürdigen, uns unbekannten
Menschen zu begrüßen. In demselben Augenblick, als wir die Böte dem
Lande zuwandten, steigerte sich der Lärm dort erheblich. Man schrie und
rief, man zeigte und eilte zum Strande hinab und auf die Felsklippen,
um besser sehen zu können. Sobald wir bei einigen Eisschollen Halt
machten, die uns den Weg versperrten und zu unseren langen Bootshaken
von Bambusrohr griffen, um uns einen Weg zu bahnen, kannte der Lärm
keine Grenzen mehr, -- man schrie und lachte. Dicht am Ufer kamen uns
einige Eskimos in ihren Kajaks entgegen. Unter ihnen erkannten wir auch
unsere beiden Freunde vom Vormittage. Sie lächelten über das ganze
Gesicht und waren äußerst freundlich, indem sie uns mit ihren kleinen
Fahrzeugen umkreisten, uns den Weg zu zeigen suchten, den wir ebensogut
allein finden konnten, und über unsere starken hölzernen Böte staunten,
die ruhig dahinglitten, ohne sich durch die Eisstücke beirren zu
lassen, die ihre Fellböte zweifelsohne zerschnitten haben würden.

[Illustration: Ein Eskimo-Knabe von Kap Bille.

(Nach einer Photographie.)]

Endlich glitten wir an den letzten Eisschollen vorüber, dem Lande zu,
wo sich unserm Auge in dem jetzt eingetretenen Halbdunkel eine so
phantastische Scene darbot, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. Den
ganzen Berg hinauf standen lange Reihen von Gruppen, die aus wunderlich
wilden, zerlumpt aussehenden Menschen, Männern, Frauen und Kindern,
gebildet wurden, alle ungefähr in derselben Tracht. Sie starrten uns
an, zeigten auf uns und stießen dieselben brüllenden Laute aus, die
wir am Vormittage gehört hatten; jetzt klang es geradezu täuschend
wie eine große Kuhherde, die um die Wette brüllt, wenn man am Morgen
die Stallthür öffnet, um ihnen Futter zu bringen. Unten am Strande
erblickten wir eine ganze Anzahl von Männern, die eifrig mit den Armen
in der Luft fochten, um uns einen guten Landungsplatz zu zeigen.[73]
Oben auf dem Berge erhoben sich mehrere gelbbraune Fellzelte, während
Kajaks, Frauenböte und verschiedene Gegenstände über den Strand
zerstreut lagen. Ringsumher auf dem Wasser schwärmten die Kajakmänner,
dazwischen die beiden mit uns Sechs bemannten Böte und als Staffage
der gewaltige Gletscher, das Treibeis und der blutrothe Abendhimmel, --
wahrlich ein Bild höchst eigener Art!

[Illustration: Eskimos von Kap Bille.

(Von E. Nielsen nach einer Photographie.)]

Da herrschte ein Leben und eine Bewegung, die in wohlthuendem
Widerspruch zu dem öden Schweigen stand, das uns bisher umgeben hatte.

Es währte natürlich nicht lange, bis wir an Land gekommen waren, die
Böte vertaut hatten und uns von den Heiden umringt sahen, die uns
und die Böte erst verwundert betrachteten und uns dann Alle mit dem
freundlichsten Lächeln begrüßten.

Die Sprache der Eskimos hat keinen Ausdruck für „Guten Tag“
oder „Willkommen“, -- ein freundliches Lächeln ist ihr einziger
Bewillkommnungsgruß.

Man sprach auf uns ein und rief uns in die Ohren, daß es klang wie das
Brodeln eines Kessels, -- und doch konnten wir keine Silbe von alledem
verstehen.

Wir schauten ein wenig um uns, -- sie schienen höchst gemüthlich zu
leben mitten zwischen Eis und Schnee, unwillkürlich empfanden wir den
Wunsch, länger bei ihnen verweilen zu dürfen.

Als wir vor dem größten Zelt stehen blieben, aus dem uns ein
gemüthlicher Lichtschein entgegendrang, wurden wir sofort durch Zeichen
aufgefordert, einzutreten. Wir folgten der Einladung und gelangten
durch die äußere Zeltöffnung an einen dünnen, durchsichtigen Vorhang
aus Darmhaut; die eine Ecke derselben wurde zurückgeschlagen, wir
mußten die Köpfe der Niedrigkeit halber senken und traten dann in einen
gemüthlichen Zeltraum ein.

Der Anblick und die Atmosphäre, die uns hier entgegendrang, mußte,
wenigstens auf europäische Augen und Nasen, milde gesprochen, höchst
fremdartig wirken. Ich hatte freilich gehört, daß die Eskimos an der
Ostküste Grönlands in ihren Hütten nur mit einem Minimum von Kleidern
angethan seien, sowie daß in ihren Wohnungen eine wenig angenehme
Atmosphäre herrschen sollte, daß es aber so aussähe und so merkwürdig
röche, hatte ich mir denn doch nicht vorgestellt. An dem Geruch allein
hatte man schon genug. Es war eine ganz eigenthümliche Mischung
von den verschiedenartigsten Ingredienzien. Am durchdringendsten
war der Thrangeruch aus den Thranlampen, dazu aber kamen noch die
verschiedensten Arten von menschlichen Ausdünstungen, sowie Dämpfe
von stinkenden Flüssigkeiten, die in Gefäßen aufbewahrt wurden; --
aus Rücksicht auf den Leser, will ich lieber mit der Beschreibung
innehalten. Man kann sich jedoch bald daran gewöhnen und die Atmosphäre
schließlich ganz angenehm finden; Allen erging es freilich nicht so,
und zwei von den Gefährten verschwanden bald aus dem Zelt.

[Illustration: I. Frauenbeinkleider. II. Männliche, III. Weibliche
Haustracht. IV. Amuletschnur, von Männern getragen. V. Kamik. VI. und
VII. Messer.]

Ich selber fand mich verhältnißmäßig bald zurecht, wenigstens so weit,
daß ich meine Augen gebrauchen und mich in der Wohnung umsehen konnte.
Das Erste, was meine Aufmerksamkeit erregte, war die Unmenge nackter
Körper, die ich rings umher im Zelt sitzen, liegen und stehen sah. Sie
trugen alle ihr „~nâtit~“ (Hausgewand), dies ist aber so klein, daß ein
ungeübtes Auge nicht sonderlich daran hängen bleibt. Es besteht aus
einem schmalen Band um die Lenden, das sich besonders bei den Frauen
auf das allergeringste beschränkt. Von falscher Scham war hier nicht
viel zu entdecken, und daß die Natürlichkeit, mit der man miteinander
verkehrte, uns Europäern, die wir an europäische Sitten gewöhnt waren,
ein wenig befremdend erschien, kann wohl nicht wunder nehmen. Daß
sogar Einzelne von uns errötheten, als wir sahen, wie ein paar junge
Mädchen und junge Burschen gleichzeitig mit uns ins Zelt kamen, sich
ganz ungenirt entkleideten, diese Haustracht anlegten und Platz auf der
Pritsche nahmen, ist wohl ganz erklärlich, wenn man bedenkt, wie lange
wir jetzt ausschließlich mit Männern zwischen Meer und Eis verkehrt
hatten. Besonders den Lappen schien dieser Anblick sehr anstößig zu
sein. Einen eigenthümlichen Eindruck machte es, als eine junge Mutter
sich ihrer Kleider entledigte und ohne weitere Umstände auf ihr Lager
zu ihrem Kinde kroch, das dort ganz nackend lag, um ihm, auf allen
Vieren über dem kleinen Wesen gebeugt, die Brust zu geben. Es war etwas
so rührend Natürliches, so Mütterlich-Zärtliches in dieser Scene, daß
es auf jeden Zuschauer, der nicht von einem verkehrten europäischen
Anstandsgefühl befangen war, einen tiefen Eindruck machen mußte. Sie
lag eine Weile völlig nackend da, dann schien es ihr ein wenig zu kalt
zu werden, denn sie breitete schützend eine Decke aus Seehundsfell, die
hübsch mit dem weißen Fell ungeborener junger Seehunde eingefaßt war,
über sich und das Kind.

Allmählich kamen mehr und mehr Menschen ins Zelt, bis es fast ganz
gefüllt war. Uns war gleich bei unserm Eintritt ein Platz auf einigen
Kisten angewiesen worden, die an dem Darmvorhang an der Vorderseite des
Zeltes entlang standen. Dies ist der Platz, den die Gäste einzunehmen
pflegen, während die Bewohner des Zeltes auf der langen Pritsche oder
der Bank liegen, die sich an der hinteren Wand des Zeltes hinzieht.
Sie ist aus Brettern gemacht und so breit, daß man quer darauf liegen
kann, während sich die Länge nach der Größe des Zeltes und der Zahl der
Bewohner richtet. Sie ist mit mehreren Schichten von Seehundsfellen
bedeckt und auf ihr verbringen die Eskimos ihr Leben in den vier
Wänden, hier sitzen sie, die Weiber gern mit gekreuzten Beinen, hier
arbeiten sie, hier essen, hier liegen, hier schlafen sie.

Die Zelte der Eskimos haben eine ganz eigenthümliche Form. Der
Zeltpfosten besteht aus einem Holzbock, über den lange Stangen in einem
Halbkreis gelegt werden, so daß die Spitzen einander berühren, über
diese wird eine doppelte Schichte von Fellen gebreitet, nach innen
zu Haarfelle, deren Haarseite nach innen wendet, und nach außen zu
Wasserfelle; hierzu werden hauptsächlich alte Felle benutzt, die früher
zu Frauenböten oder Kajaks gedient haben. Die Zeltöffnung befindet sich
unter dem erwähnten Bock, von dem eine Darmhaut herabhängt, die den
Vorhang des Zeltes bildet, wie das oben bereits geschrieben ist.

[Illustration: Besuch in einem Eskimozelt auf Kap Bille. (Von E.
Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

In dem Zelt, in welchem wir uns befanden, wohnten vier oder fünf
verschiedene Familien, -- jede dieser Familien hatte ihren durch
einen Pfosten begrenzten „Stand“ auf der Schlafbank, und dort saßen
Mann, Frau und Kinder auf einem Minimum von Platz. Ein 4 Fuß breiter
Pritschenplatz kann beispielsweise breit genug für einen Mann mit 2
Frauen und 6 Kindern sein. Vor dem Pritschenplatz einer jeden Familie
brannte eine Thranlampe mit breiter Flamme. Diese Lampen sind aus
Stein gefertigt, haben eine halbrunde Form, sind flach und ausgehöhlt
wie eine Schale und ziemlich groß, -- oft einen ganzen Fuß lang. Der
Docht besteht aus trocknem Moos, das flach an die eine Seite der
Lampe gelegt und stets mit frischem Speck genährt wird, der bald zu
Thran zerschmilzt. Es liegt den Frauen ob, diese Lampen in Ordnung
zu halten, und mit einem eigens dazu eingerichteten Stäbchen den
Docht zu putzen, so daß er nicht qualmt, aber auch nicht zu klein
brennt. Ueber diesen Lampen kochen sie diejenigen Speisen, die sie
nicht roh verzehren, in großen Steinkesseln, die von der Zeltdecke
herabhängen. Merkwürdigerweise brennen sie keinen Torf, obwohl dies
Feuerungsmaterial für sie ohne große Schwierigkeiten zu erlangen ist.
In diesem Zelt waren viele Lampen angebracht, über einigen hingen auch
große Kochtöpfe und brodelten. Die Lampen brennen Tag und Nacht. Sie
sorgen für die Heizung und für die Beleuchtung am Abend und während der
Nacht, -- die Eskimos schlafen nämlich nicht im Dunkeln wie wir, --
auch sorgen sie dafür, sich stets mit einem Aroma von Thran zu umgeben,
das auf uns Europäer nicht absolut angenehm wirkt, an das wir uns aber
doch sehr bald gewöhnen können.

Als wir so in einer Reihe auf diesen Kisten saßen und die fremden
Umgebungen betrachteten, machten unsere Wirthe Versuche, uns zu
unterhalten. Man erklärte uns den Zweck jedes Gegenstandes, den wir
betrachteten, theils durch Worte, die wir nicht verstanden, theils
durch Mienen und Bewegungen, aus denen wir uns besser vernehmen
konnten. Auf diese Weise erfuhren wir, daß einige Holzlatten, die unter
dem Zeltdach hingen, zum Trocknen der Kleider bestimmt waren, daß man
in den Kesseln Seehundsfleisch kochte etc. etc. Dann zeigte man uns
verschiedene Gegenstände, auf welche die Besitzer sehr stolz waren.
U. a. öffneten einige alte Frauenzimmer einen Beutel und nahmen ein
kleines Stück holländischen Rolltabaks heraus, ein Mann zeigte uns
ein Messer mit einem langen Knochenschaft. Diese beiden Gegenstände
waren wohl das Merkwürdigste in dem ganzen Zelt, denn sie wurden
mit der größten Ehrfurcht betrachtet. Dann versuchte man, uns die
Verwandtschaft der verschiedenen Zeltbewohner untereinander begreiflich
zu machen. Ein Mann umarmte ein fettes Frauenzimmer, worauf Beide mit
höchst zufriedener Miene auf einige jüngere Individuen zeigten, was
so viel bedeuten sollte, als daß sie Mann und Frau und diese anderen
ihre Kinder seien. Der Mann strich mit der Hand an dem Rücken der Frau
herab und kniff sie in ihr Fett, damit wir sehen sollten, wie schön und
prächtig sie sei, und wie stolz er auf sie war, was sie scheinbar sehr
zu schätzen wußte. Merkwürdigerweise schien keiner der Männer in diesem
Zelt mehr als eine Frau zu haben, sonst ist es an der Ostküste von
Grönland allgemeine Sitte, daß jeder Mann, der ein so guter Fänger ist,
daß ihm seine Mittel diesen Luxus gestatten, sich zwei Frauen hält, --
niemals aber mehr.

Die Männer sind in der Regel sehr gut gegen ihre Frauen, und man kann
sogar sehen, daß Eheleute einander küssen, was freilich nicht auf
europäische Art geschieht, sondern indem die Betreffenden die Nasen
aneinander reiben. Eheliche Streitigkeiten kommen übrigens auch vor,
und da kann es oft böse hergehen; die Uneinigkeit wird in der Regel
dadurch geschlichtet, daß die Frau eine Tracht Prügel oder einen
Messerstich in den Arm oder das Bein erhält, worauf das Verhältniß
ebenso zärtlich zu sein pflegt wie vorher, besonders wenn die Frau
Kinder hat. Zuweilen freilich bekommt auch der Mann bei solchen
Gelegenheiten Prügel; so erzählt +Holm+, daß ein Mann, der zwei Frauen
hatte, sich auf eine Prügelei mit der einen einließ und von ihr gehörig
durchgebläut wurde.

Im ganzen scheint das beste Verhältniß zwischen allen Bewohnern des
Zeltes zu herrschen; gegen uns war man sehr freundlich, lächelte und
lachte und redete ununterbrochen, obwohl man sich längst darüber klar
war, daß wir keine Silbe verstanden. Einer der älteren Zeltbewohner,
der scheinbar einen hervorragenden Platz einnahm, -- wahrscheinlich
ein Angekok,[74] mit einem sehr gewitzten Ausdruck und würdiger Miene
-- machte uns nach großen Anstrengungen durch Zeichen verständlich,
daß Einige von ihnen aus dem Norden gekommen seien und gen Süden
ziehen wollten, während Andere aus dem Süden kämen und nach Norden
zögen, sie wären einander zufällig begegnet, und nun kämen wir, und
das sei doch höchst amüsant. Nun wollte er aber gern wissen, woher
wir kämen; das war weit schlimmer, wir zeigten über das Meer und das
Treibeis hinweg und deuteten, so gut wir es vermochten, an, daß wir
letzteres durchbrochen hätten, daß wir im Süden an das Land gekommen
seien und nun gen Norden zögen. Bei diesem Bericht setzten unsere
neuen Freunde sehr bedenkliche Mienen auf, und nun wiederholte sich
der Chor brüllender Kühe, -- sie betrachteten uns wohl kaum als
natürliche Menschen. So wurde die Konversation fortgesetzt, und wir
unterhielten uns den Umständen nach ganz gut mit ihnen, aber für einen
Unbetheiligten würde die Pantomime, die von uns aufgeführt wurde, einen
sehr ergötzlichen Anblick abgegeben haben.

Ich will nicht gerade behaupten, daß alle die speckglänzenden
Gesichter, die uns hier umgaben, sehr reinlich waren. Von Natur hatten
ja freilich die meisten eine ziemlich gelbliche oder bräunliche Farbe,
wie viel von der Farbe in diesen auffallend dunklen Gesichtern aber
echt war, ist mir nicht ganz klar geworden. In einzelnen Gesichtern --
besonders in denen der Kinder -- hatte sich der Schmutz so festgesetzt,
daß er ganz schwarze Krusten bildete, die an einzelnen Stellen anfingen
abzufallen, und hier sah man die echte Hautfarbe hindurchschimmern. Bei
den Frauen, besonders den jungen, die selbstverständlich hier -- wie
überall -- sehr eitel sind, soll das Waschen nicht zu den Seltenheiten
gehören, ja +Holm+ beschuldigt sie sogar, „sehr reinlich zu sein“. Ohne
mich näher auf diese Wäsche einzulassen, glaube ich, daß es genügt,
wenn ich sage, daß sie als Waschwasser Urin verwenden. Derselbe Stoff
scheint auch ein sehr beliebtes Parfüm zu sein und wird ebenfalls als
Haarwasser benutzt. Dies sind die Schönheitsmittel, mit denen die Damen
sich in jenen Gegenden für die jungen Männer schmücken.

Weshalb der Urin sich eines so großen Ansehens bei den Eskimos erfreut,
daß er zu verschiedenen Zwecken in Gefäßen aufbewahrt wird, hat wohl
seinen Hauptgrund darin, daß er die Fähigkeit besitzt, Fett aufzulösen,
besonders wenn er alt wird, und nur mit Hülfe dieses Mittels ist es
ihnen möglich, ihre eingefetteten Gesichter und Hände, sowie ihre
Kleider zu reinigen, denn Seife hat man hier selbstredend nicht.
Auf Grund seiner fettauflösenden Fähigkeit wird auch alter Urin zum
Zubereiten von Fellen benutzt.

Hat man nichts Besseres zu thun, so giebt es keine beliebtere
Beschäftigung, als sich mit den Händen auf dem Kopfe herumzufahren
und sich bald hier, bald da in dem wahren Urwald von struppigem,
rabenschwarzem Haar zu kraulen. Besonders bei den Männern ist der
Haarwuchs sehr üppig und darf in der Regel wild wachsen, ohne
beschnitten zu werden, -- von Kämmen ist überall keine Rede. Zuweilen
werden förmliche Jagden in diesen schwarzen Urwäldern veranstaltet, und
die Jagdausbeute wird dann gewöhnlich sofort verzehrt. Nach Kapitän
+Holms+ Aussage soll es jedoch häufig geschehen, daß der Fang erst zur
Besichtigung und Bewunderung herumgeschickt und von jedem Einzelnen der
im Zelte Anwesenden besichtigt wird, worauf man ihn dem Eigenthümer
zurückgiebt, der ihn mit sichtlicher Befriedigung verzehrt. Uns war
es leider nicht vergönnt, Zeugen eines so interessanten Schauspiels
zu sein. Uebrigens scheint es, als ob die meisten Menschen in jenen
Gegenden ihre eigenen Koloniebewohner mit sich herumtragen. Als
Eigenthümlichkeit ist zu erwähnen, daß Flöhe bei den eigentlichen
Eskimos gar nicht vorkommen. Dies Ungeziefer können wir Europäer ihnen
noch mitbringen, und auf der Westküste von Grönland ist dies auch der
Fall gewesen, -- dort nennt man die Flöhe europäische Läuse.

Es scheint beinahe, als ob die Eskimos bei diesen ihren Bewohnern
ganz gut gedeihen, denn erstens gewährt ihnen die Jagd eine kleine
Zerstreuung in müßigen Stunden, und dann scheinen ihnen die Thierchen
ganz vorzüglich zu munden, ja sie werden sogar als Leckerbissen
betrachtet.

Zuweilen sollen die Eskimos auch besondere Fangapparate für diese
Thiere konstruirt haben. Sie bestehen aus Holzstöcken, an denen ein
Büschel Hasenwolle befestigt ist, und die vom Halse herab zwischen
die Kleider und die Haut gesteckt werden, wo sie eine Weile sitzen
bleiben. Daß diese Thiere allmählich in diese feine, weiche Wolle
hineinkriechen, ist nicht so unwahrscheinlich, und man soll auf diese
Weise oft einen sehr guten Fang machen können.

Nach allem, was ich hier erzählt habe, muß man zu der Anschauung
gelangen, daß diese Menschen einen äußerst abstoßenden Eindruck machen.
Aber dies ist keineswegs der Fall; -- hat man sich erst über ihre
eigenthümliche äußere Erscheinung hinweggesetzt, beachtet man die
Neigung der Hände, bald in die Nase, bald in die Ohren, bald in das
Haar zu fahren, nicht mehr, vergißt man den Schmutz in ihrem Gesicht,
-- wozu, nebenbei bemerkt, wir Theilnehmer an der Expedition allen
Grund hatten, -- gewöhnt man sich an die Atmosphäre und betrachtet
man ihre Wirthschaftsgegenstände nicht allzugenau, -- so wirken diese
Menschen durchaus anziehend. Man befindet sich sehr wohl in ihrer
Gesellschaft, es ist etwas angenehm Berührendes, Natürliches und Echtes
in ihrem Thun und Sein.

Ob sie hübsch sind? Das ist ja bekanntlich eine Frage, die sehr schwer
zu beantworten ist, da die Auffassung in dieser Hinsicht eine äußerst
verschiedene ist. Wenn wir ein bestimmtes Schönheitsideal, z. B. das
griechische, nehmen, dann ist die Sache bald erledigt. Formen, die nach
+der+ Richtung hingehen, findet man an der Ostküste von Grönland wohl
kaum. Können wir uns aber ein wenig von dem Schönheitstypus lossagen,
den wir von unseren Vorfahren ererbt haben und anbeten und darüber
einig werden, daß schön ist, was uns gefällt, -- da wird die Frage
weit schwieriger zu erledigen sein. Ich glaube, wenn man länger mit
diesem Volk zusammengelebt und sich ein wenig an dasselbe gewöhnt hat,
wird man einige sowohl schön als auch anziehend finden. Uebrigens
giebt es auch Gesichter, die selbst nach europäischem Geschmack hübsch
genannt werden können. So sah ich z. B. eine Frau, die mich lebhaft an
eine gefeierte Schönheit erinnerte, und nicht mir allein fiel diese
Aehnlichkeit auf, auch einer der Gefährten, der die betreffende Dame
kannte, bemerkte sie. Ich bin fest überzeugt, daß die Herren diese
Eskimodame umschwärmen, und sie nicht allein im höchsten Grade pikant,
sondern auch außerordentlich hübsch finden würden, falls sie sich in
eleganter Toilette in einem europäischen Salon zeigte.

[Illustration: Eine ostgrönländische Eskimoschöne in reiferem Alter.

(Nach einer Photographie.)]

In der Regel sind die Gesichter rund mit breiten, vorstehenden
Backenknochen und besonders bei den Frauen sehr fett. Die Wangen
stehen oft vollständig vor und strotzen von Fülle. Die Augen sind
dunkel und liegen ein wenig schräg, die Nase ist flach, zwischen den
Augen schmal und nach unten zu breit. Das ganze Gesicht macht oft den
Eindruck, als sei es flach gedrückt und in die Breite gegangen. Bei
den Frauen und besonders bei den Kindern ist es oft so flach, daß man
sehr gut ein Lineal von der einen Wange zu der anderen legen kann,
ohne in auffallender Weise mit der Nase in Kollision zu kommen, ja
bei einigen Kindern bildet die Nase förmlich eine Art von Vertiefung
mitten im Gesicht. Daraus wird man ersehen können, daß bei Vielen
von einer eigentlichen Schönheit nach europäischen Begriffen nicht
die Rede sein kann, aber das ist auch nicht die Art und Weise, auf
welche die Eskimos anziehend erscheinen. Es liegt in ihren rundlichen,
abgestumpften, fettglänzenden Zügen etwas so Freundliches, Zufriedenes
und Gemüthliches, daß sie anziehend wirken müssen. Ihre Glieder, sowohl
Hände und Füße, sind auffallend klein und wohlgestaltet; ihre Formen
sind im ganzen rundlich, ebenso ihre Bewegungen, -- man stößt sich an
nichts Eckigem, und ebenso ist es mit ihrem Leben. Dem Eskimo sind
seine eigenen Frauen die schönsten und zwar je fetter, desto schöner.
Ich glaube daher kaum, daß die europäischen Schönheiten sich Hoffnung
machen können, an der Ostküste Grönlands den Preis zu erringen. Es
herrscht dort im übrigen auch kein Mangel an Damen.

Das Haar der Eskimos ist rabenschwarz. Bei den Männern wird es oft
mit einer Perlenschnur aus der Stirn gehalten und fällt frei über die
Schultern herab. Man hält es für gefährlich, etwas von seinem Haar zu
verlieren. Bei Einzelnen, die keine Perlenschnur besitzen, wird es
über den Augen oder um den ganzen Kopf herum mit den Kiefern eines
Eishaies beschnitten, denn infolge ihres Aberglaubens darf Eisen unter
keiner Bedingung mit dem Haar in Berührung kommen. Eigenthümlich ist
die Sitte, welche erheischt, daß ein Mann, der in seiner Jugend sein
Haar beschnitten hat, sein ganzes Leben lang damit fortfahren und
dabei viele Formalitäten beobachten muß. Die Frauen binden das Haar am
Hinterkopf in einem Knoten auf, der mit einem Stück Fell umwickelt wird
und so steif wie möglich vom Kopf abstehen muß. Dies gilt natürlich
besonders für die jungen, unvermählten Damen, und um es zu erreichen,
ziehen sie das Haar so stramm aus der Stirn und den Schläfen, daß
es zuletzt ausfällt und sie in sehr jungem Alter kahl werden -- ein
solcher Kopf ist keineswegs ein schöner Anblick --, aber dann sind sie
meistens schon längst verheirathet und versorgt, und da hat es ja keine
Noth mehr. Für eine Eskimodame, die zur guten Gesellschaft gehört, ist
es ebenso nothwendig, das Haar aus der Stirn zu ziehen wie für eine
europäische Weltdame, daß sie sich schnürt. Sie sind sich insofern
gleich, nur ist die Neigung der Eskimos weit unschuldiger und bedeutend
weniger schädlich, als die der europäischen Damenwelt.

In dem Zelt, in welchem wir uns befanden, hatten die Frauen
durchgehends schönere, oder richtiger gesagt, weniger häßliche
Gesichter als die Männer, die freilich auch gut und freundlich
aussahen. Sie waren wie gewöhnlich bartlos mit Ausnahme eines Einzigen,
der einen kleinen dünnen schwarzen Bart über der Oberlippe hatte.

Als wir eine Weile dagesessen hatten, erhob sich einer der Väter des
Zeltes und ging hinaus. Nach einer Weile kehrte er wieder mit einem
langen Fangriemen von Seehundshaut zurück, den er, auf der Pritsche
sitzend, auseinander zu rollen begann. Ich betrachtete diese Anstalten
ganz verwundert, da ich nicht begreifen konnte, was er damit wollte;
dann aber zog er ein Messer hervor und schnitt ein großes Stück ab,
das er einem von uns überreichte. Dann schnitt er ein ebenso großes
Stück ab, das er einem Anderen von uns gab, und so weiter, bis wir alle
Sechs unser Ende erhalten hatten. Als diese Arbeit beendet war, sah er
uns lächelnd an, äußerst zufrieden mit sich und mit der ganzen Welt.
Darauf erhob ein Anderer sich, ging hinaus und kam mit einem Stück
Seehundsriemen zurück, das uns auf ähnliche Weise zertheilt wurde,
ein Dritter, ein Vierter und ein Fünfter folgten seinem Beispiel, bis
wir Alle eine ganze Anzahl von Seehundsfellriemen hatten. Die armen
Menschen gaben uns das Beste, was sie hatten, in dem Glauben, daß wir
Gebrauch davon machen könnten. Es waren Fangriemen, vermittelst welcher
man die Fangblase an den Harpunenspitzen befestigt, da sie auffallend
stark sind.

Nachdem diese Mildthätigkeit beendet war, saßen wir eine Weile
schweigend da und sahen einander an. Ich wartete, daß sie ein
Zeichen machen würden, um anzudeuten, daß sie Gegengeschenke von
uns erwarteten. Nach einer Weile erhob sich auch der Erste und kam
mit etwas zum Vorschein, das er augenscheinlich wie ein seltenes
Kleinod bewahrte. Es war nichts Geringeres als eine alte, verrostete,
schwerfällige Büchse mit dem merkwürdigsten Hahn, der mir je vor Augen
gekommen ist. Er bestand aus einem großen Stück Eisen, in das ein Loch
gebohrt war, wohinein man den Finger steckte, um den Hahn zu spannen.
Wie ich später erfuhr, war dies die Form der Büchsen, die gewöhnlich
auf Grönlands Westküste verwendet und die speciell zur Benutzung
in den Kajaks angefertigt werden. Nachdem er uns das Kuriosum mit
großem Stolz gezeigt hatte und nachdem wir pflichtschuldigst unserer
Bewunderung Ausdruck gegeben hatten, machte er einige sehr bezeichnende
Geberden, daß er nichts habe, was er dahinein thun könne. Ich that eine
Weile, als verstehe ich seine Absicht nicht, als dies aber nicht länger
anging, mußte ich ihm begreiflich machen, daß ich keine Munition für
seine Büchse habe. Er setzte ein sehr enttäuschtes, trauriges Gesicht
auf und verwahrte die Büchse wieder. Merkwürdigerweise äußerte keiner
der Anderen den Wunsch, daß sie irgend eine Erstattung für das uns
Geschenkte wünschten. Sie waren die personifizirte Gastfreundschaft
und Liebenswürdigkeit, aber auch sie hatten sicher den Hintergedanken,
daß sie Bezahlung für ihre Gaben erhalten würden, was auch
selbstverständlich am nächsten Tage der Fall war.

Die Gastfreundschaft bei diesen Menschen an der öden Küste Ostgrönlands
kennt übrigens keine Grenzen: selbst ihren ärgsten Feind können sie gut
behandeln und mehrere Monate bei sich behalten, wenn die Verhältnisse
ihn zu ihnen führen. Die Natur und ihr Nomadenleben hat sie gezwungen,
Gastfreundschaft zu üben und anzunehmen, und diese Tugend ist bei ihnen
ein Gesetz geworden.

Als wir uns so lange im Zelte aufgehalten hatten, wie wir wünschten,
was in Bezug auf einige der Gefährten, wie bereits erwähnt, nicht allzu
lange war, begaben wir uns wieder ins Freie.

Wir suchten uns einen Lagerplatz auf einer Fläche in der Nähe des
Landungsplatzes aus und brachten unsere Habe ans Ufer. Sofort stürzte
eine Schar von Eskimos auf die Böte, und unzählige Hände griffen
diensteifrig zu, um unsere Kisten und Säcke den Berg hinauf zu tragen.
Jeder Gegenstand wurde mit Ausrufen des Staunens betrachtet, man
lachte und amüsirte sich königlich. Besondere Freude und Bewunderung
erregten die großen, blanken Blechkasten, in denen wir zum Theil unsern
Proviant aufbewahrten, sie gingen von Hand zu Hand, wurden genau
untersucht und an allen Ecken und Kanten befühlt.

Bald waren die Böte leer, und wir wollten sie hinaufziehen, aber sofort
griffen Alle zu. Man warf die Fangleine ans Land, und nun zogen wohl
20-30 Mann, die in einer langen Reihe an den Berg hinauf standen, um
das leere Boot ans Ufer zu bringen. Das war ein Vergnügen! Und als
einer von uns auf gewöhnliche Seemannsart anfing zu singen: „Alle Mann
auf einmal hoi! o hoi!“ -- da erreichte die Freude ihren Höhepunkt,
man stimmte mit ein und lachte, Groß wie Klein, so daß man fast nicht
mehr ziehen konnte. Wir waren ihrer Ansicht nach sicher höchst amüsante
Geschöpfe. Bald waren die Böte oben, und wir konnten unser Zelt
aufschlagen. Dies mußten sie sehen, denn nichts interessirt die Eskimos
so wie das, was sich mit ihrer eigenen Lebensweise berührt, wie z. B.
das Zelt, die Böte und dergl. Das Merkwürdige hierbei erscheint ihnen
nämlich nicht überwältigend, das können sie begreifen, und so konnten
sie zur Genüge die schnelle Art und Weise bewundern, mit der wir unser
kleines Zelt aufschlugen, das so weit einfacher war wie ihre großen,
komplizirten Fellzelte, dagegen jedoch lange nicht so warm.

Auch unser Anzug erregte natürlich ihr Staunen, besonders schien die
Kleidung der Lappen ihren Beifall zu haben. Die hohen viereckigen
Mützen mit den vier Hörnern und ihre weiten, hemdähnlichen Kittel mit
rothen und gelben Kanten, -- das war etwas ganz Merkwürdiges! -- Wie
stieg aber das Staunen, als sie sich am Abend in ihren Rennthierwämsern
zeigten! Da mußten sie Alle hin und sie befühlen und an den Haaren
dieses wunderlichen Felles zupfen, denn so etwas war ihnen noch niemals
vorgekommen; dies war ja kein Seehundsfell, kein Bärenfell, auch kein
Fuchsfell, -- sollte es etwa Hundefell sein? Auf die heulenden Hunde
zeigend, fragten sie mit Zeichen und Gebärden, ob es dergleichen sei,
aber das war nicht der Fall, und damit war ihre Phantasie erschöpft.
+Balto+ redete und machte mit den Händen einige sehr bezeichnende
Bewegungen über den Kopf, die das Geweih der Rennthiere vorstellen
sollten, aber nein, -- hier stand ihr Verstand still. Rennthiere hatten
sie augenscheinlich niemals gesehen, diese kommen an dem Theil von
Grönlands Ostküste, wo sie leben, nicht vor.

[Illustration: Ein Eskimoknabe von Kap Bille.

(Nach einer Photographie.)]

Wir vertheilten unsere Rationen und nahmen unsere Abendmahlzeit vor der
Zeltthür ein, umgeben von einem großen Publikum. Dort standen Männer,
Weiber und Kinder in dreifachem Kreise, aufmerksam beobachtend, wie
jeder Bissen Biskuit zum Munde geführt wurde.

Wir konnten es nicht beachten, daß ihnen bei diesen Leckerbissen das
Wasser im Munde zusammenlief, denn wir hatten nicht mehr Brot, als wir
selber gebrauchten, und wenn wir an alle diese austheilen wollten,
so hätten wir tief in den Brotkasten greifen müssen: angenehm war es
freilich nicht zu essen, während so viele Blicke jeden Bissen trocknen
Biskuits förmlich verschlangen. Als wir gegessen hatten, gingen wir
ein wenig umher und sahen uns im Lager um.

Unten am Strande lag eine Anzahl Kajaks sowie ein paar Frauenböte, die
für mich natürlich ein großes Interesse hatten. Besonders einer der
Männer war sehr eifrig bemüht, mir alles zu zeigen. Jeder Gegenstand,
auf den mein Auge fiel, wurde mir sofort durch Gebärden erklärt. Vor
allen Dingen war ihm sehr daran gelegen, mir seinen Kajak zu zeigen,
der schön mit Knochen verziert war, und alle seine Waffen, die sich
in gutem Stand befanden und reich mit Knochenschnitzereien geschmückt
waren. Sein größter Stolz war jedoch seine Harpune, die, wie er mir
triumphirend zeigte, eine lange Spitze aus dem Zahn eines Narwals
hatte. Er erklärte mir auch sehr anschaulich, wie das Wurfbrett
benutzt wird, und wie die Harpune vermittelst derselben mit größerer
Kraft geschleudert werden kann. Auf seine Waffen und seinen Kajak ist
übrigens jeder Eskimo stolz und auf ihre Verzierung legt er großes
Gewicht.

Inzwischen war die Sonne untergegangen, die Nacht war hereingebrochen
und das wunderbar Märchenhafte dieser ganzen Scene und dieser Menschen,
die an allen Ecken und Kanten von Eis und Schnee umgeben sind, trat
jetzt nur noch mehr hervor.

Dunkle Gestalten bewegten sich auf dem Berge hin und her, am
eigenthümlichsten nahm sich die Silhouette der Frauen aus, die ihre
Kinder in den Amauten[75] trugen, sie sahen aus, als trugen sie große
Buckel auf dem Rücken. Durch die dünnen Darmvorhänge drang aus jedem
Zelt ein röthlicher Schimmer, welcher der Scenerie einen eigenartigen
Anstrich von Gemüthlichkeit und Wärme verlieh, und der die Gedanken
weit fortschweifen ließ. Er glich dem Schein von bunten Papierlaternen
und erinnerte unwillkürlich an illuminirte Gärten und Sommerfeste
in der Heimath. Aber hinter diesen Vorhängen lebte ein sorgloses,
glückliches Volk, das vielleicht mindestens ebenso glücklich war, wie
manche Völker jenseits des Oceans.

Es wurde allmählich Zeit, unsere Kojen aufzusuchen. Wir bedurften der
Ruhe gar sehr, denn in den letzten vierundzwanzig Stunden hatten wir
nur wenig Schlaf bekommen. Wir breiteten unsere Schlafsäcke auf den
Boden des Zeltes und rüsteten uns zum Schlafengehen. Dieser Prozeß war
abermals von größtem Interesse für die Eskimos, es sammelte sich sofort
ein dichter Kreis von Zuschauern um unsere Zeltthür. Ich muß gestehen,
es waren nicht Männer allein, -- auch das schöne Geschlecht war sehr
stark vertreten; es schien sie nicht im mindesten zu geniren, daß wir
ein Kleidungsstück nach dem andern ablegten, bis wir schließlich fast
ganz entblößt dastanden. Aber was sollten wir nur anfangen? Es würde
nicht sehr höflich gewesen sein, wenn wir die Damen gebeten hätten zu
verschwinden; und wenn wir ihnen hätten auseinandersetzen wollen, daß
es nach unseren Begriffen sehr anstößig sei, wenn Damen beim Auskleiden
der Herren zugegen sind, so würden wir, falls es uns überhaupt
gelungen wäre, uns verständlich zu machen, sicher ihr Staunen und ihre
Entrüstung hervorgerufen haben: auf der anderen Seite war es doch
zuviel verlangt, daß wir aus diesem Grunde ganz auf unsere Nachtruhe
verzichten sollten. Also gingen wir mit Todesverachtung an unser Werk.

Große Heiterkeit erregte es, als wir schließlich in unsere Schlafsäcke
krochen und ein Körper nach dem andern verschwand, bis von der ganzen
Expedition nichts als sechs Köpfe mehr sichtbar war; -- dann wurde die
Zeltthür zugezogen und gute Nacht gesagt!

[Illustration: Eskimo von Kap Bille. (Nach einer Photographie.)]

Diese Nacht konnten wir ruhig und ohne Wache schlafen, und wir
schliefen gut trotz Hundegeheul und Spektakel. Erst spät am Morgen
erwachten wir und hörten die Eskimos, die sich draußen geschäftig hin-
und herbewegten. Durch die Spalte in der Zeltthür konnten wir sie
sehen, wie sie ungeduldig auf- und niedergingen, voller Erwartung,
daß die Zeltthür sich öffnen würde, damit sie ihre Augen wieder an
all dem Wunderbaren dadrinnen weiden könnten. Wir sahen, daß sie
heute -- wahrscheinlich uns zu Ehren -- ihre besten Kleider angelegt
hatten. Ihre reinen weißen Ueberziehjacken oder Hemden aus Darmhäuten
leuchteten aus der Ferne wie weiße Leinewand, und sie wandelten auf
und ab, sich an ihrer eigenen Pracht ergötzend. Bei unsern Böten stand
eine ganze Versammlung, Einige von ihnen waren hinaufgeklettert,
Andere von ihnen standen ringsumher, und jeder einzelne Gegenstand,
jeder Eisenbeschlag wurde befühlt und untersucht; nichts aber wurden
beschädigt. Dann wurde die Zeltthür geöffnet, und sofort scharten sich
mehrere Kreise von Zuschauern um dieselbe, einer hinter dem anderen,
man stellte sich auf die Zehen, sie standen Kopf an Kopf da, um zu
sehen, wie wir in unsern Säcken lagen, wie wir herauskrochen, und wie
jedes einzelne Kleidungsstück angelegt wurde. Das größte Staunen und
die größte Verwunderung erregte ein bunter Gürtel, den +Kristiansen+
trug, und der mit strahlend bunten Perlen geschmückt und mit einer
großen Messingschnalle auf dem Magen geschlossen war. Diesen Gürtel
mußten sie in die Hand nehmen, nach allen Richtungen hin befühlen, und
dann fingen sie natürlich wieder an, zu brüllen wie Kühe. Nachdem er
seine Jacke angezogen hatte und vor dem Zelte stand, kam sogar ein Mann
auf ihn zu, hob die Jacke in die Höhe, um den Gürtel zu sehen. Dann
wurde unser Frühstück, das aus Biskuits und Wasser bestand, in tiefem
Schweigen vor ihren Augen verzehrt, geradeso wie am vorhergehenden
Abend.

[Illustration: Eskimo von Kap Bille.

(Nach einer Photographie.)]

Nachdem wir gegessen hatten, machten wir einen Spaziergang ins Freie.
Wir hatten uns vorgenommen, unser Leben an diesem Morgen ein wenig zu
genießen und uns die Menschen genauer anzusehen, ehe wir weiter fuhren.

Ich versuchte, unbemerkt eine photographische Aufnahme von dem
doppelten Zuschauerkreis, der unsere Zeltthür umringte, zu machen, als
ich aber den Apparat auf sie richtete, wurden Einige von ihnen auf mein
Thun aufmerksam, und nun stoben sie auseinander, als fürchteten sie,
daß eine Gewehrsalve oder irgend eine andere Zauberei aus dem Apparat
herausfahren werde. Gleich darauf machte ich einen Versuch, eine
auf dem Berge sitzende Gruppe zu photographiren, aber mit demselben
Resultat. Endlich wandte ich das Gesicht ab, that als beschäftige ich
mich mit etwas ganz anderem, wodurch ich ihre Aufmerksamkeit theilweise
ablenkte, und nun gelang es mir wirklich, einige Aufnahmen zu stande zu
bringen.

Darauf machte ich einen Rundgang durch das Lager mit meinem
photographischen Apparat. Vor einem kleinen Zelt, das abseits ganz für
sich lag, traf ich eine ungemein freundliche Dame, die augenscheinlich
die Hausfrau der Zeltfamilie war. Sie war verhältnißmäßig jung,
hatte ein sympathisches Aeußeres, ein lächelndes Antlitz mit zwei
schrägeliegenden schmeichelnden Augen, die sie auf eine höchst kokette,
anziehende Weise zu benutzen wußte; ihre Kleidung war zwar nicht
sehr elegant, was seinen Grund wohl darin hatte, daß sie bereits
verheirathet und versorgt war. Auf dem Rücken in der Amaute trug sie
ein kleines, schwarzes Kind, an dem sie große Freude zu haben schien;
gleich vielen der anderen Mütter war sie eifrig bemüht, das Kind dazu
zu bewegen, seine dunklen Guckäuglein aufzusperren und meine Wenigkeit
anzuschauen. Dies war auch eine Art und Weise, sich beliebt zu machen;
wir verkehrten überhaupt sehr gemüthlich miteinander, und es gelang
mir, unbemerkt einige Bilder aufzunehmen. Dann kam der Hausherr aus dem
Zelt und schien keineswegs überrascht zu sein, als er seine Gattin in
einem ~tête à tête~ mit einem fremden Herrn antraf. Er hatte offenbar
geschlafen, und da ihn das helle Tageslicht zu blenden schien, setzte
er sich einen Schirm oder vielmehr eine große hölzerne Schneebrille
über die Augen. Er war ein starkknochiger, treuherzig aussehender
Mann; gegen mich war er sehr freundlich und zeigte mir viele seiner
Sachen, besonders schien er sehr stolz auf seine Kajakmütze zu sein,
die ich absolut aufsetzen mußte, während er ohne weiteres meine Mütze
auf seinen Kopf setzte. Dies alles war mir sehr wenig angenehm. Ferner
zeigte er mir sein Frauenboot und noch mancherlei anderes, bis ich
weiterzog.

[Illustration: „Sie war verhältnißmäßig jung, hatte ein sympathisches
Aeußeres -- --“

(Von E. Nielsen nach einer Photographie.)]

Wir blickten auch durch die Thüren verschiedener Zelte. In dem einen
waren zwei junge Mädchen damit beschäftigt, eine große Möve aus einem
Kochtopf zu ziehen und zu verzehren, indem sie Jede an einem Ende
anbissen und vor lauter Wohlbehagen über das ganze Gesicht lachten. Der
größte Theil der Federn saß noch an dem Vogel, aber das schien nichts
zur Sache zu thun, sie spuckten sie wahrscheinlich wieder aus.

[Illustration: Da kam der Hausherr aus dem Zelt.

(Nach einer Photographie.)]

Einige Frauen hatten bemerkt, daß die Lappen Quickgras in ihren
Komagen trugen, und nun kamen sie mit großen Vorräthen für Jeden von
uns herbeigeschleppt, wobei sie sehr kokett lächelten. Wir dankten
natürlich verbindlichst, indem wir unsererseits huldvoll lächelten.
Da machten sie uns Zeichen, ob wir ihnen nicht dafür einige Nähnadeln
schenken wollten. Dies hätte ich nun ganz gut thun können, da ich
allerlei dergleichen mitgenommen hatte, in der Absicht, es als
Tauschmittel zu verwenden, wohl wissend, daß man an der Ostküste von
Grönland großen Werth auf so etwas legt. Es war jedoch meine Absicht,
es für eine eventuelle Ueberwinterung aufzubewahren, wo es mir sehr
zu statten kommen würde. Statt dessen schenkte ich ihnen aber einen
Blechkasten, der hermetisch verschlossene Sachen enthalten hatte. Sie
waren ganz außer sich vor Freude darüber, ihre Augen glänzten und sie
sprangen im Kreise umher, um den Anderen ihren Schatz zu zeigen. Das
Quickgras war uns sehr willkommen, denn das der Lappen ging bereits
auf die Neige, und ohne Gras in ihren Schuhen fühlen diese Menschen
sich unbehaglich. Im übrigen hatten sie allerlei an dem Quickgras der
Eskimos auszusetzen; es war nicht zur rechten Jahreszeit gesammelt und
nicht frisch geschnitten. Es nützte nicht, ihnen auseinanderzusetzen,
daß die Eskimos in der Regel keine größeren Vorräthe einzusammeln
pflegen, als nothwendig ist.

[Illustration: Eskimolager auf Kap Bille. (Von E. Nielsen nach einer
Photographie.)]

Aber nun wurde es bald Zeit für uns, aufzubrechen. Wir fingen
allmählich an, unsere Vorbereitungen hierzu zu treffen. Da kam ein Mann
und befragte uns durch Zeichen, ob wir nordwärts zu fahren gedächten.
Als wir dies bejahten, klärte sein Antlitz sich plötzlich auf, denn
auch er und seine ganze Sippschaft wollten gen Norden ziehen. Er lief
sofort zurück, um diese Neuigkeit zu verkünden, und nun entstand
ein reges Treiben in dem ganzen Lager; Europäer und Eskimos machen
sich eifrig daran, ihre Zelte abzubrechen, die Böte ins Wasser zu
setzen und sie zu beladen, während die Hunde um die Wette heulen.
-- Die Bewohner des Zeltes, in welchem wir am vorhergehenden Abend
gewesen waren, wollten gen Süden ziehen, -- ehe wir uns also trennten,
erwiderten wir natürlich die Geschenke, die wir erhalten hatten. Mit
einigen Blechdosen begab ich mich deswegen in das Zelt, wo ich einige
der Männer halbnackt bei der Mahlzeit sitzend fand. Als Jeder von ihnen
eine Blechdose erhalten hatte, waren sie sehr erfreut, und einige von
ihnen zeigten uns, wie sie sie in Zukunft als Trinkgefäße benutzen
wollten. Vor dem Zelt traf ich den Mann mit der Büchse, er drückte mir
abermals seinen Wunsch aus, etwas Pulver zu erhalten, als ich aber eine
Blechdose holte und ihm die gab, beruhigte er sich damit und freute
sich scheinbar sehr.

[Illustration: Der Abschied der Kajakmänner bei Kap Bille. -- --
Mehrere Kajaks flogen pfeilschnell hintereinander gen Süden.

(Von A. Bloch nach einer Photographie.)]

Bald waren alle die großen Fellzelte abgebrochen und in die Böte
geschafft. Es war erstaunlich, wie schnell die Eskimos sich zur Abreise
rüsten konnten mit all ihrem irdischen Hab und Gut und ihrem ganzen
Hausstand, aber da waren ja freilich auch viele Hände, die zugreifen
konnten. Wir selber waren auch beinahe reisefertig, als einer unserer
Säcke platzte und ein darin enthaltenes Gefäß mit Salz sich über einen
großen Theil des Proviants ergoß. Dies mußte sofort wieder in Ordnung
gebracht werden, weshalb unsere Abreise sich ein wenig verzögerte
und wir von den Eskimos Abschied nahmen. Zwei Frauenböte gingen gen
Süden, wo gutes Fahrwasser war, während zwei andere Frauenböte bald
darauf in nördlicher Richtung hinter einer Landzunge verschwanden.
Die Kajakmänner zögerten noch. Sie mußten noch etwas gründlicher und
intimer Abschied voneinander nehmen, ehe sie sich -- voraussichtlich
auf mehrere Jahre -- trennten, und nun wurden wir Zeugen der
komischsten Scene, die mir in meinem ganzen Leben vorgekommen ist. Es
waren wohl im ganzen zwölf Kajaks, die sich in schnurgerader Linie
dicht nebeneinander legten, als marschirte eine Rotte Soldaten auf.
Ich wurde auf dies sonderbare Manöver aufmerksam und war gespannt,
was nun kommen würde. Aber ich sollte nicht lange in Ungewißheit
bleiben, den nun wurden die Schnupftabakhörner herausgeholt und gingen
von Mann zu Mann. War das ein Geschnupfe! Man öffnete das Horn und
fuhr sich kräftig damit in die Nasen. Jedes Nasenloch wurde ganz voll
Schnupftabak gepfropft. Es waren mehrere Hörner in Wirksamkeit, und
jedes Horn machte zweimal die Runde. Man kann sich vorstellen, welche
Quantitäten verbraucht wurden. Einige von ihnen niesten derartig, daß
es mich wunder nahm, sie nicht mit ihren Kajaks kentern zu sehen.
Ich wollte eine photographische Aufnahme von dieser Scene machen,
da aber löste sich die Linie auf und ein Kajak nach dem anderen
flog dahin durch das Eis. Es ist Sitte bei den Eskimos der Ostküste,
sich gegenseitig mit Schnupftabak zu traktiren, -- ungefähr wie die
norwegischen Bauern sich gegenseitig in Schnaps zutrinken. In diesem
Fall hatten nur Diejenigen, die aus dem Süden kamen und nach Norden
gingen, etwas, womit sie traktiren konnten. Sie kamen scheinbar von
den dänischen Kolonien am Kap Farvel, während die nach Süden Ziehenden
sich offenbar auf der Reise dorthin befanden. Diese Geschäftsreisen
unternehmen die Eskimos an dieser Küste leider häufig. Sie haben einen
langen Weg bis zu dem Kaufmannsladen, um aus ihrer Heimath dorthin
zu gelangen, gebrauchen Diejenigen, welche am nördlichsten wohnen,
gewöhnlich ein paar Jahre.

Eine solche Geschäftsreise, hin und her, kann also vier Jahre währen,
und man kann sich denken, daß die einzelnen Menschen in ihrem Leben
nicht viele solcher Reisen machen können. Und doch geschieht es
häufig genug, um einen schädlichen Einfluß zu haben. Nun sollte man
annehmen, daß es das Bedürfniß nach einzelnen, ihnen nützlichen Dingen
sei, welche die Eskimos zu diesen Reisen veranlaßte; das ist jedoch
nicht zutreffend, denn die eigentliche Triebfeder ist ihre Sucht nach
+Tabak+. Das Rauchen und Kauen des Tabaks kennt man an der Ostküste
Grönlands nicht, dafür schnupft man aber stärker, als ich es je für
möglich gehalten. Der Tabak wird gewöhnlich in Rollen gekauft, sog.
Holländischer Rollentabak, zerschnitten und getrocknet -- über der
Lampe -- und zwischen zwei flachen Steinen zerrieben. Man vermischt
ihn mit feingestoßenem Kalkspat, mit Quarz oder dergl., um ihn zu
verlängern, einige behaupten, daß dies geschieht, um ihn wirksamer zu
machen (?).


Fußnoten:

[73] Indem die Eskimos den Ankommenden den Landungsplatz zeigen, ihre
Sachen an Land tragen und das Boot auf den Strand ziehen, wie sie es
mit uns thaten, zeigen sie, daß die Fremden ihnen willkommen sind. Ist
dies nicht der Fall, so stehen sie still, ohne sich zu rühren. Vergl.
„Mittheilungen aus Grönland“, 10. Heft, Kopenhagen 1888, Seite 171.

[74] So bezeichnen die heidnischen Eskimos ihre weisen Männer und
Geisterbeschwörer.

[75] Die Amaute ist ein jackenähnlicher Kragen, der von den Frauen
getragen wird, welche Säuglinge haben. Auf dem Rücken desselben
befindet sich eine beutelähnliche Erweiterung, in der das Kind gut und
warm ruht. Ein Riemen, der über der Hüfte um die Amaute gebunden wird,
hindert das Kind, zu tief in den Beutel hinabzusinken; so kann es auf
dem Rücken bei aller möglichen Arbeit mitgenommen werden, es geht mit
der Mutter ins Gebirge, es begleitet sie beim Rudern etc. Eine Eskimo
trennt sich nur selten von ihrem Säugling.



Kapitel XIII.

Weiter nordwärts an der Küste entlang.


Als wir endlich unsere Vorbereitungen zur Abreise getroffen hatten,
waren alle Kajakmänner verschwunden bis auf einen einzigen, der so
galant sein wollte, uns gen Norden zu begleiten. Die Scenerie war nun
ebenso öde und leer, wie sie vor einer Stunde voller Leben und Bewegung
gewesen war, -- statt auf Zelte, Hunde und Menschen schien die Sonne
jetzt auf Eis, Schnee und kahle Felsen herab.

Wir nahmen unsern Kurs nordwärts an der Küste entlang. Das Fahrwasser
war anfangs offen, und wir holten tüchtig mit den Rudern aus, denn die
Anderen hatten einen langen Vorsprung, und da wir uns einen großen
Vortheil von ihrer Kenntniß des Fahrwassers und der Eisverhältnisse
versprachen, so wollten wir die Reise gern in ihrer Gesellschaft
fortsetzen. Es währte denn auch nicht lange, bis wir sie eingeholt
hatten. Sie lagen im Schutz einer Landzunge und schienen unschlüssig
zu sein. In dem einen Boot erhoben sich einige Frauen und winkten
uns zu. Als wir näher kamen, forderten sie uns durch Zeichen auf,
vorauszurudern und ihnen einen Weg zu bahnen, denn das Eis war
ziemlich dicht. Dies war allerdings das Gegentheil von dem, was wir
erwartet hatten, aber wir glitten ruhig an ihnen vorüber zwischen
zwei mächtigen Eisschollen hindurch, die dicht nebeneinander lagen
und die sich scheinbar nicht aus der Stelle rücken ließen. Sie hatten
den Eskimos den Muth benommen. Als wir uns indessen, ohne anzuhalten,
mit unserm ersten Boot dazwischen klemmten, und, theils das Boot als
Keil benutzend, theils mit Hülfe unserer langen Bambusbootshaken, mit
denen wir alle Sechs auf einmal ausholten, diese Ungeheuer wirklich
auseinander trieben, -- da kannte ihr Staunen keine Grenzen und ihr
Gebrüll stand natürlich im Verhältniß dazu. Jetzt bahnten wir uns
unsern Weg weiter durch das Eis, das einigermaßen passirbar war. Dann
kamen die beiden Frauenböte der Eskimos und zu beiden Seiten folgten
4 Kajakmänner. Jede Bewegung, die wir machten, wurde von lebhaftem,
anhaltendem „Gebrüll“ begleitet, -- ich will nicht behaupten, daß es
die schönste Musik war, die ich gehört habe.

Viel Vergnügen gewährte es uns zu beobachten, wie die Kajakmänner
schnupften. Besonders einer von ihnen zeichnete sich in dieser
Beziehung aus. Ich glaube, er hielt alle zehn Minuten an, um sein
ungeheures Horn hervorzuholen und beide Nasenlöcher vollzustopfen, und
dann nieste er, daß es mir unerklärlich war, wie er sich in seinem
Kajak im Gleichgewicht halten konnte. Wenn er uns dann wieder ansah,
während ihm Schnupftabak und noch sonst allerlei über die Oberlippe
rann und ihm die Thränen die Backe hinabliefen, da war sein joviales
Gesicht so unbezahlbar, daß wir ihn regelmäßig mit einem herzlichen
Gelächter begrüßten, wozu er nickte und lächelte, als wenn er sehr
damit einverstanden sei. Und dann wurde von beiden Seiten das einzige
Wort gerufen, das wir behalten konnten, nämlich ~pitssak’ase~. Wir
meinten, daß es „schöne“ oder „herrliche Fahrt“ bedeute, denn es
wurde uns bei jeder Gelegenheit zugerufen, sowohl wenn wir das Eis
durchbrachen, als wenn wir durch das offene Wasser hindurchruderten.
Als wir später an die Westküste kamen, erfuhren wir von den Eskimos
dort, daß es so viel bedeutet als „Ihr seid geschickt“ oder auch: „Ihr
seid gut, Ihr seid freundlich.“

Die großen Böte der Eskimos, die sog. Frauenböte (auf Eskimoisch
heißen sie „Umiak“) werden bekanntlich nur von Frauen gerudert. Bei
den unvermischten Eskimos gilt es als unter der Würde eines Mannes, in
ihnen zu rudern. Ein Mann -- gewöhnlich das Oberhaupt einer Familie
-- muß es dagegen steuern, und zwar ist es seine Pflicht, sich darin
aufzuhalten, obwohl alle Seehundsfänger am liebsten in ihren Kajaks
fahren. Diese Frauenböte sind ungefähr dreißig Fuß lang oder darüber,
an der Ostküste Grönlands pflegen sie kürzer zu sein als an der
Westküste, da hier stets so viel Treibeis ist, daß ein längeres Boot
schwer zu handhaben wäre, -- überall sind diese Böte im Treibeis schwer
zu hantiren.

[Illustration: Als wir alle 6 Mann auf einmal zugriffen, mußte das Eis
weichen.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)]

Die Frauen in den beiden Böten, die uns begleiteten, ruderten ohne
regelmäßigen Takt und auf höchst eigenthümliche Art. Sie fingen mit
einigermaßen schnellen Schlägen an, mit einem passenden Moderato,
dann aber wurde der Takt schneller und schneller, die Ruderschläge
kürzer und kürzer, sie hoben die Körper ganz von den Sitzen auf,
so daß sie fast bei jedem Schlag in den Böten standen, wodurch das
Ganze ein merkwürdig hüpfendes Aussehen bekam. Plötzlich, mitten im
besten ~allegro vivace~, hält man inne, man verpustet sich einen
Augenblick, und dann beginnt dieselbe Geschichte wieder von neuem.
Ein solcher Ruck währt immer nur wenige Ruderschläge, man fährt aber
ununterbrochen damit fort. Die kurzen Ruder sind wohl zum Theil schuld
an dem auffallend kurzen Takt. Auf diese eigenthümliche Weise kommen
sie aber doch sehr schnell vorwärts. Im offenen Wasser nahmen sie es
mit uns auf, was auch kein Wunder war, wenn man bedenkt, daß in unsern
Böten nur 2 Mann an den Rudern saßen, während sich in jedem der ihren
bis zu 7 rudernde Frauen befanden. Einmal gewannen sie einen kleinen
Vorsprung vor uns. Als wir sie einholten, waren sie abermals von festem
Eis aufgehalten, und einige der Frauen winkten uns zu, daß wir ihnen zu
Hülfe kommen möchten. Wir kamen denn auch mit unsern langen Bootshaken
herbei und mußten laut auflachen, als wir einen Eskimo dastehen und
mit einem Stock auf eine Eisscholle losschlagen sahen. Es lag etwas
so unendlich Macht- und Hoffnungsloses in der Art und Weise, wie er
so allein dastand. Es fiel natürlich keiner von den Frauen in den
Böten, keinem der Männer in den Kajaks ein, ihm zu Hülfe zu kommen. Wir
griffen alle sechs Mann zu, und das Eis wich zurück, so daß unsere Böte
hindurch kommen konnten. Wir ruderten weiter, während die Frauenböte
infolge ihrer Länge in Verlegenheit kamen und große Beschwerde hatten,
sich durchzuarbeiten. Es war übrigens oft der Fall, daß sie festsaßen,
wo wir ihnen mit unsern kürzeren Böten schon den Weg gebahnt hatten;
auf diese Weise hätten wir oft einen langen Vorsprung gewinnen können,
wenn wir nicht gewartet hätten. Mit großem Staunen machte ich diese
Erfahrungen, die in krassem Widerspruch zu dem Lob stehen, das in der
Heimath von allen Seiten diesen Frauenböten gespendet wird. Sowohl
Kapitän +Holm+ als Kapitän +Garde+ sagen, daß eine Reise an Grönlands
Ostküste entlang ohne dieselben eine Unmöglichkeit ist. Dieser Ansicht
sind die Dänen übrigens schon seit langer Zeit gewesen. Sie haben
selbst keine oder doch nur wenig Erfahrung in der Führung eines Bootes
durch das Treibeis gehabt und haben infolgedessen die Ueberlegenheit
der Eskimos anerkannt; da diese jedoch nur Frauenböte haben, liegt
es nahe, dieselben für die besten zu halten und auch die aus Eskimos
bestehende Besatzung beizubehalten. Meiner Erfahrung nach verhält sich
jedoch die Sache gerade umgekehrt. Europäische Böte mit einer tüchtigen
europäischen Mannschaft, die an dies Leben gewöhnt ist, sind im
Treibeis bei weitem vorzuziehen. Die Behauptung, daß ein europäisches
Boot nicht genug tragen kann, ist völlig unbegründet.

Da der Tag zur Neige ging, mußten wir Europäer ein wenig Nahrung zu uns
nehmen. Wir machten deswegen Halt, um unsere Rationen auszutheilen. Die
Eskimos, die ein merkwürdiges Talent zum Fasten haben, zogen indessen
weiter. Nur zwei Kajakmänner blieben bei uns zurück, um uns essen zu
sehen. Zur Belohnung erhielten sie einige Stücke „Knäkkebrot“, worüber
sie sich sehr freuten.

Bald hatten wir die Andern so weit wieder eingeholt, daß wir sie
vor uns sehen konnten. Wir bemerkten, daß ein paar Kajakmänner an
der Nordseite der Ruds-Insel ans Land gegangen waren und von einem
Vorgebirge aus in nördlicher Richtung über das Eis und das Meer
spähten. Das waren schlimme Zeichen! Wahrscheinlich war das Eis
unpassirbar. Sie setzten ihren Weg jedoch fort, ehe wir sie erreichen
konnten, und ruderten über den Fjord, der zwischen der Insel und dem
Festlande liegt. Indessen hatte das Wetter sich verändert, dunkle
Wolken zogen am Himmel herauf, und es fing an zu regnen. Wir zogen
unsere braunen Regenkleider an und ruderten getrost weiter, waren aber
noch nicht weit vom Lande entfernt, als wir die Eskimoböte auf uns
zukommen sahen. Alle Frauen zeigten mit bekümmerten Mienen gen Himmel,
auch die Männer machten uns Zeichen zu, daß das Eis vor uns dicht und
schwierig sei, wir müßten Alle auf der Insel an Land gehen, um unsere
Zelte aufzuschlagen und zu übernachten. Ich bedeutete ihnen indessen
durch Zeichen, daß wir weiter wollten, aber sie erklärten, es sei ganz
unmöglich, vorwärts zu kommen. Hierüber hatte ich nun meine Zweifel,
aber ich wollte nicht weiter gehen, ehe ich an Land gewesen war, um
die Verhältnisse von einem Felsen aus selbst in Augenschein zu nehmen.
Infolgedessen ruderten wir Alle zurück, die Frauenböte richteten
ihren Kurs auf die Innenseite der Insel, während wir auf die nächste
Landzunge zusteuerten. Als einer der Kajakmänner dies sah, folgte er
uns, um die ganze Ueberredungskunst anzuwenden, die er durch Zeichen
zu entfalten vermochte. Es nützte ihm jedoch nichts, denn sobald
ich das Land erreicht hatte, sprang ich auf einen Felsvorsprung und
entdeckte nun, daß das Fahrwasser, so weit ich mit dem Fernrohr sehen
konnte, einigermaßen gut aussah; damit war es denn bestimmt, daß wir
weiter zogen. Als der Eskimo einsah, daß all seine Mühe vergeblich war,
ruderte er tiefbetrübt von dannen. Zum Abschied schenkte ich ihm noch
eine Blechdose, was seinen Kummer sehr zu mildern schien. Es war ganz
klar, daß einzig und allein der Regen die Eskimos zur Umkehr bestimmt
hatte. Sie wollten nicht gern naß werden, besonders die Frauen nicht,
was man ihnen ja auch nicht verdenken konnte, um so weniger als einige
von ihnen Säuglinge in ihren Amauten auf dem Rücken trugen. Daß sie
ihr Möglichstes thaten, um uns ebenfalls zur Umkehr zu bewegen, war
auch nicht zu verwundern, -- wir waren so merkwürdige Menschen, daß sie
gern noch eine Weile mit uns zusammen bleiben mochten, außerdem konnte
vielleicht das eine oder das andere für sie dabei abfallen.

[Illustration: Aussicht aus dem „Adlerhorst“ gegen Süden.

(Nach einer Photographie.)]

So zogen wir denn weiter, ganz stolz auf unsern Muth, während die
Eingeborenen, die doch das Fahrwasser kannten, zurückblieben. Eine
ganze Weile ging auch alles gut, und unser Muth wuchs mehr und mehr; in
der Mitte des Fjords angelangt, sollten wir jedoch empfinden, daß es
kein Kinderspiel war, auf das wir uns eingelassen hatten. Das Eis lag
hier ziemlich dicht, und eine reißende Malströmung wirbelte die großen
Schollen derartig herum, daß es nicht mehr angenehm war. Bald prallten
diese Kolosse gegeneinander, bald wichen sie zurück, und man mußte noch
vorsichtiger als gewöhnlich sein, wenn man unbeschädigt mit den Böten
hindurchkommen wollte. Und je weiter wir kamen, desto schlimmer wurde
die Situation. Einmal waren wir zwischen zwei lange Schollen gerathen,
die plötzlich, von anderen Schollen getrieben, mit gewaltiger Macht
gegeneinander gestoßen wurden. Durch einen schnellen Rückzug entgingen
wir noch im letzten Augenblick dem sichern Verderben. Gegen Abend, als
es bereits dunkelte, erreichten wir glücklich die andere Seite des
Fjords, hier war das Ufer jedoch sehr steil, und es fiel infolgedessen
nicht leicht, einen Zeltplatz zu finden. Es gelang uns, die Böte --
nachdem wir sie entleert hatten -- vermittelst eines starken Takels
in eine Felsschlucht hinaufzuziehen. Ein wenig aufwärts von dieser
Schlucht fanden wir einen Felsabsatz, der groß genug war, um unser
Zelt aufzunehmen. Das Ganze hatte eine große Aehnlichkeit mit einem
Adlernest, das an einem Felsen hängt, deshalb tauften wir den Ort
„Adlershorst“ (auf Eskimoisch heißt es übrigens Ingerkajarfik und liegt
auf dem 62° 10′ N. Br. und dem 42° 12′ W. L. auf dem Festlande).

Der Felsabsatz, der den Boden des Zeltes bildete, gab nicht gerade
den angenehmsten Schlafplatz ab, der mir vorgekommen ist. Er war so
abschüssig, daß wir uns am Morgen, als wir nach einem erquicklichen
Schlummer erwachten, an der einen Ecke des Zeltes übereinanderliegend
fanden.

Am nächsten Tage schien die Sonne wieder, es war das herrlichste
Wetter. Gerade vor uns, im Süden, fiel ein mächtiger Eisgletscher steil
ins Meer hinab; seine wilden zerrissenen Klüfte spielten im Sonnenlicht
in den märchenhaftesten Farben.

Wir nahmen unser Frühstück in aller Eile ein und ließen die Böte hinab,
beluden sie und zogen, nachdem wir eine photographische Aufnahme von
der südlichen Landschaft gemacht hatten, durch leidliches Fahrwasser
weiter. Ueberall stießen wir auf Treibeis, aber es war doch so weit
offen, daß wir in der Regel mit ziemlicher Leichtigkeit hindurchkommen
konnten.

Etwas über die Mittagszeit hinaus erreichten wir eine kleine Insel,
die vor dem Mogens Heinesens Fjord lag, dort legten wir in einem
vorzüglichen Hafen an um unser Mittagessen einzunehmen. Diese Insel
schien uns der schönste Fleck zu sein, den wir auf der Oberfläche
dieser Erde gesehen hatten. Sie war grün bewachsen mit Gras,
Heidekraut, Säuregras, Blumen in verschiedenen Farben etc. Oben auf
der Höhe fanden wir zwei Ruinen von Eskimobehausungen, und dort war
die Vegetation besonders üppig, und wir empfanden ein ungeheures
Wohlbehagen, als wir uns in dem hohen Gras ausstrecken und von der
brennendheißen Sonne bescheinen lassen konnten. Wir genossen diese süße
Ruhe eine kurze Weile, dann pflückten wir uns einige Blumensträuße zur
Erinnerung an dies kleine grönländische Idyll, bestiegen unsere Böte
und setzten die Reise gen Norden fort.

Die Küste, an der wir bis dahin entlang gefahren waren, zeichnet sich
eigentlich nicht durch besonders schöne Formationen aus. Sie ist
niedrig, einförmig und kahl. An den meisten Stellen gehen der Schnee
und die Gletscher bis hart an die See hinab, und wie man auch aus der
Karte ersehen kann, ragen nur verhältnißmäßig wenige graue Felsen aus
dem Schnee empor. Nachdem wir an jenem Nachmittag den Eingang zu Mogens
Heinesens Fjord passirt hatten, der von einer schönen Reihe wilder
Bergzinnen umgeben ist, kamen wir an eine ganz neue Landschaft. Hier
reichen nirgends Schneefelder und Eisgletscher bis an das Meer, überall
ist das Land frei, die Felsen ragen oft in bedeutender Höhe empor,
und nach dem Lande zu -- besonders im Norden -- trifft man überall
die herrlichsten Gebirgslandschaften, in denen sich wilde Gipfel und
Zinnen dicht nebeneinander erheben. Alles hier in der Welt ist relativ,
und dies gilt wohl nicht im geringsten hier, wo es uns vorkam, als
wenn wir in fruchtbare Gegenden gelangt seien. Sommergedanken und
Sommerstimmungen bemächtigten sich unserer Seele mitten zwischen
dem Treibeis, als wir jetzt an der Küste statt des ewigen Eises und
Schnees kahle Felswände erblickten. Der Uebergang hätte kaum fühlbarer
sein können, wenn wir jetzt plötzlich in die fruchtbarste Gegend
gekommen wären. Im Norden winkte und lockte die blauende Bergreihe des
Tingmiarmiuts-Landes, als sei dort das gelobte Land.

[Illustration: Ein großer Eisberg östlich von Nagtoralik.

(Nach einer Photographie.)]

Je nördlicher wir gelangten, desto häufiger wurden die großen Eisberge,
die hier an der Küste zum Theil bis an den Grund reichten. Gegen Abend
erblickten wir östlich von Nagtoralik einige weiße Spitzen, die über
den Horizont hinausragten. Sie hatten eine so eigenthümliche Form,
daß ich mir lange nicht darüber klar werden konnte, bis ich endlich
entdeckte, daß es die Zinnen eines kolossalen Eisberges waren, der eine
so phantastische Form hatte, wie ich sie noch niemals gesehen. Ich
machte eine photographische Aufnahme davon, die Entfernung war jedoch
so beträchtlich, daß das Bild bei weitem nicht den überwältigenden
Eindruck wiedergiebt, den der Eisberg auf uns machte, als wir in seine
Nähe kamen. Zu oberst ragten zwei Spitzen gleich schlanken Kirchthürmen
hoch in die Luft empor. Oben an der hohen, lothrechten Wand quer
durch das Feld befand sich ein großes Loch, und unten hatte die See
so große Grotten ausgehöhlt, daß ein kleines Schiff bequem unter das
Eisdach gehen konnte. In diesen Grotten sahen wir ein wunderbares
Farbenspiel von Blau bis zu dem tiefsten Ultramarin. Es sah aus wie
ein schwimmender, aus Saphiren gebauter Feenpalast, und ringsumher
rieselten Bäche und bildeten kleine Wasserfälle, die sich an den Seiten
herabstürzten, während aus den Grotten unaufhörlich der Laut tropfenden
Wassers zu uns heraufdrang. Es war Schönheit, aber von einer fremden
Natur, sie machte die Gedanken zu den geheimnißvollen Märchenlanden der
Kindheit zurückschweifen.

Nachdem wir in der Dunkelheit eine Weile nach einem Lagerplatz gesucht
hatten, legten wir gegen Abend an einer Insel an, die auf dem 62° 25′
N. Br., 42° 5′ W. L. liegt.

Wie gewöhnlich wurden die Böte geleert und dann ans Land gezogen.
Dies war vielleicht derselbe Platz, der einer ostgrönländischen Sage
zufolge der Schauplatz eines Kampfes zwischen einem Europäer und einem
Grönländer gewesen sein soll.[76]

Am nächsten Morgen -- den 2. August -- ruderten wir weiter und wollten
gerade über den Fjord, nördlich von der Insel +Uvdlorsiutit+ setzen,
kamen aber sehr bald in dichtes, undurchdringliches Eis hinein. Wir
mußten abermals umwenden, um auf das Land zuzusteuern und uns an der
Küste des Fjords entlang fortzuarbeiten. Da das Eis noch immer sehr
dicht zu sein schien, überlegten wir, ob es nicht besser sei, durch den
Sund, zwischen dem Festland und der eben erwähnten Insel, zu gehen, als
wir auf deren Südspitze Eskimozelte entdeckten. Wir landeten, um uns
nach dem nördlichen Fahrwasser zu erkundigen, waren aber nicht wenig
überrascht, als wir am Strande von einer Schar Frauen und fast völlig
nackter Kinder empfangen wurden, die wir als unsere Freunde vom Kap
Bille wiedererkannten. Sie lachten aus vollem Halse und erzählten, sie
seien an uns vorübergefahren, während wir schliefen, -- wahrscheinlich
am vorhergehenden Morgen. Sie hatten ihre Zelte auf einem gemüthlichen
kleinen mit Gras und Heidekraut bewachsenen Platz aufgeschlagen.
Nur ein Mann war zu erblicken, er stand eben bei dem einen Zelt und
besserte seinen zerbrochenen Kajak aus. Alle anderen Männer und Kajaks
waren verschwunden, -- wahrscheinlich waren sie auf Jagd aus, um sich
Nahrung zu schaffen.

Wir fragten nach dem Fahrwasser auf der Innenseite der Insel, aber
sie bedeuteten uns, daß wir auf der Außenseite bleiben müßten, ja man
wollte uns sogar weismachen, daß die Straße so schmal sei, daß man
unmöglich hindurchfahren könne. Dies war indessen eine Lüge, da +Holms+
Expedition mehrmals diesen Weg genommen hatte. Der Sicherheit halber
ruderten wir jedoch um die Insel herum und kamen in ziemlich gutes
Fahrwasser. Das Eis lag freilich in der Nähe der Landzungen überall
recht dicht, aber wir drangen hindurch und schlüpften am Lande entlang
fort.

Nach Mittag erreichten wir die Nordseite der Insel +Uvdlorsiutit+,
wo wir eine ganz merkwürdige Grotte fanden, die tief in den Felsen
hineinging.

Am Abend, als wir die Insel +Ansivit+ passirten an der nördlichen Seite
des Tingmiarmiut-Fjords, vernahmen wir in der Ferne vom Lande her einen
Chor heulender Hunde, woraus wir schlossen, daß sich ein Eskimolager
in der Nähe befinden müsse. Wir hatten aber keine Zeit, Besuche zu
machen, und zogen deshalb weiter, bis wir am Abend an einer Insel bei
+Nunarsuak+ (62° 43′ N. Br.; 41° 49′ W. L.) gelangten.

Am Morgen des folgenden Tages (den 3. August) wehte ein so frischer
Wind vom Lande her, daß wir beschlossen, unsere Segel aufzuspannen,
die in aller Eile aus dem Zeltboden für das eine Boot und aus zwei
zusammengenähten Persennings für das andere Boot hergestellt wurden. Im
Anfang ging es schnell nordwärts; es war eine reine Lust, wenn das Boot
sich auf die Seite neigte, mit dem Winde dahinzusausen durch das enge
Fahrwasser zwischen den Eisschollen, wo man genau acht geben mußte,
um nicht anzustoßen. Wir hatten jedoch noch nicht lange gesegelt, als
das Vergnügen anfing, ein recht zweifelhaftes zu werden. Die Windstöße
wurden heftiger und gingen in eine nördliche Richtung über. Bald hatten
wir den Wind uns derartig entgegen, daß wir die Segel nicht mehr führen
konnten.

[Illustration: Das Land nördlich von der Mündung des Tingmiarmiutfjords.

(Nach einer Photographie.)]

Wir ruderten nun eine Weile und gelangten an die hohe, steile Insel
Umanarsuak, von deren Bergen der Wind mit einer solchen Heftigkeit
herabstürmte, daß wir unsere liebe Noth hatten, das Boot vorwärts
zu zwingen. Es wurde schlimmer und schlimmer, zuweilen mußten wir
das Boot an den Eisschollen entlang ziehen, um es nur vorwärts zu
bekommen, und einmal waren wir nahe daran, in dem vom Sturm heftig
erregten Eis zerschellt zu werden. Die beiden Böte hatten sich bis
dahin einigermaßen zusammengehalten, nun aber nahm die Sache einen
ernsteren Charakter an. Niemand hatte mehr Zeit, auf den Andern zu
achten, Jeder mußte sich helfen, so gut er konnte. Gerade als es am
schlimmsten aussieht, holt einer der Leute in meinem Boot so kräftig
aus, daß sein Ruder am Schaft abbricht. Wir haben keine Reserveruder
mehr im Boot, sie sind alle im Eis zerbrochen. Hier ist aber keine
Zeit zu verlieren; wir mußten mit dem halben Ruder weiterarbeiten und
nur um so kräftiger zugreifen. Zuweilen fallen die Windstöße jedoch so
heftig über uns her, daß wir trotz aller unserer Kraftanstrengungen
zurückgedrängt werden. Da springt eine Dolle! Das war weit schlimmer
als das erste Mißgeschick, denn das Ruder hängt in einer Strippe, die
nur an einer Dolle befestigt ist, und alle anderen Ruderplätze sind
belästigt. So schnell es sich machen läßt, wird der Schaden reparirt,
und wir entgehen auch diesmal glücklich der Gefahr. Langsam aber mit
ziemlicher Sicherheit schrammen wir mit Aufbietung aller unserer Kräfte
am Lande entlang. Da kommen wir an eine Eisscholle; die Fangleine in
der Hand, springt +Dietrichson+ hinauf, um das Boot daran entlang zu
ziehen. In seinem Eifer bemerkt er jedoch nicht, daß er auf eine hohle,
vorstehende Eiskante springt, die mit ihm zusammenbricht, so daß er
kopfüber ins Wasser fällt. Dies war nun freilich nichts Ungewöhnliches
für uns, aber zu einem ungelegeneren Zeitpunkt konnte es kaum
geschehen. Gewandt und voller Geistesgegenwart wie er ist, kommt er
jedoch gleich wieder hinauf, und wie gewöhnlich ohne sich zu ergeben,
ergreift er abermals die Fangleine und zieht nun das Boot vorwärts;
-- -- die Arbeit hielt ihn warm, sonst wäre es wohl kaum zu ertragen
gewesen in diesen triefend nassen Kleidern und bei dem schneidenden
Wind. So etwas focht +Dietrichson+ jedoch niemals an.

Auch an dieser Eisscholle kamen wir glücklich vorüber, aber der Wind
hatte so zugenommen, daß wir nur noch mit der größten Anstrengung
vorwärts kommen konnten; die beiden Ruderer arbeiteten jedoch
meisterhaft mit den Ruderstummeln, die uns noch geblieben waren. Als
+Dietrichson+ das Boot mit einem Bootshaken von einer Eisscholle
abstoßen wollte, sprang der Haken, und es fehlte nur wenig, so wäre er
abermals über Bord gefallen. Wir hatten heute merkwürdig viel Unglück.

Endlich kamen wir jedoch in ruhigeres Fahrwasser unterhalb der Felsen
und erreichten bald das Land, wo +Sverdrups+ Boot kurz vor uns
angelangt war. Hier nahmen wir unsere Mittagsmahlzeit ein und machten
eine kleine Ruhepause, die wir wohl verdient hatten. Dann wurde die
Reise wieder fortgesetzt, aber der Wind war beinahe noch ebenso stark,
und als wir hinter der Südspitze von Umanuarsuak in ziemlich eisfreies
Fahrwasser kamen, rollte uns von dem nordwärts belegenen Fjord ein
recht unangenehmer Seegang entgegen. Obwohl es unserer Gewohnheit
nach noch ziemlich früh am Tage war, gingen wir deswegen, sobald wir
+Umanak+ erreicht hatten, ans Land. Hier hatten wir -- es war das
einzige Mal auf der ganzen Reise an der Küste entlang -- Zeit, uns
einen Zeltplatz auszuwählen und genossen das Behagen, auf einem Rasen
zu liegen, statt wie gewöhnlich auf dem harten Felsboden oder auf dem
Eise. Darüber wollen wir uns indes nicht beklagen; wir schliefen immer
ausgezeichnet, wenn wir nur stets genug Schlaf bekommen hätten.

Sobald wir ans Land gekommen waren und alles in Ordnung gebracht
hatten, beschlossen wir, Brennmaterial zu sammeln (was in Form von
Wachholderbüschen, Heidekraut u. dergl. reichlich vorhanden war), und
uns eine Kerbelsuppe zu kochen. Hierzu waren Alle bereit, es wurde
ein großartiger Eifer entfaltet, so daß bald ein gewaltiges Feuer
zwischen einigen großen Steinen aufflammte, über denen wir in einer
leeren Kakesdose das herrlichste Essen kochten, das man sich nur
denken kann. Schwerlich wird einer von Denjenigen, die an jenem Abend
um das Feuer herumsaßen und in Ruhe und Frieden das einzige warme
Gericht verzehrten, das sie während der ganzen Bootsreise an der Küste
entlang erhielten, den Zeltplatz auf Umanak oder der Griffenfelds-Insel
vergessen. Daß wir indessen nicht die Ersten waren, die das Leben
an dieser Stelle genossen, sahen wir u. a. an den Ruinen einiger
Eskimohäuser, die ganz in unserer Nähe lagen; und daß auch Scenen
weniger angenehmer Natur hier vorgefallen waren, davon zeugten deutlich
verschiedentliche Menschenknochen, die zwischen den Häusern zerstreut
lagen; besonders ungemüthlich grinste uns der Schädel eines alten
Eskimos an. Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, daß die Bewohner dieser
Häuser an Hungersnoth starben, und daß die verlassenen Wohnungen dann
im Laufe der Zeiten zusammenstürzten.

Am nächsten Tage -- den 4. August -- hatte sich der Wind zum Theil
gelegt, und wir konnten unsere Reise fortsetzen. Aber das Eis war oft
dicht, besonders schlimm sah es an der Mündung des Schesteds-Fjords
aus. Hier mußten wir weit hinaus, um einen Durchgang zu finden, und nur
mit Hülfe von Axt und Bootshaken konnten wir uns unsern Weg bahnen.
Um 9 Uhr des Abends kamen wir an einem herrlichen Lagerplatz vorüber,
da es aber unserer Ansicht nach noch zu früh war, um Rast zu machen,
ruderten wir in nördlicher Richtung weiter. Dafür mußten wir nun aber
bis 1½ Uhr arbeiten, ehe wir auf der Ostseite der Insel Uvivak eine
kleine Insel fanden, wo wir unsere Böte ans Land ziehen konnten (63° 3′
N. Br., 41° 18′ W. L.). An dem Tage hatten wir eine siebenzehnstündige
schwere Arbeit im Eise gehabt, nur durch eine halbstündige Mittagsrast
unterbrochen.

Am 5. August gings mit Hülfe von Axt und Bootshaken weiter durch dicht
zusammengepacktes Eis, das auf dem Wege nach Norden am ganzen Strande
entlang lag. Viele mächtige Eisberge lagen hier an der Küste. Als wir
gegen Nachmittag das Vorgebirge +Kutsigsormiut+ passirten und an einer
kleinen Insel anlegten, um eine Aussicht über das Fahrwasser zu haben,
sahen wir wenige hundert Ellen von uns entfernt plötzlich ein großes
Eisstück sich loslösen und von einem dieser Kolosse herabfallen, der
dadurch das Gleichgewicht verlor und mit einem ohrenzerreißenden Getöse
kopfüber stürzte. Das Meer gerieth in eine gewaltige Erregung, rings
umher wurden die Treibeisschollen gegen einander geschmettert, und
eine kleine Insel, die vor uns lag, war plötzlich völlig überspült von
schäumenden Wogen. Hätten wir unsern Weg fortgesetzt, wie wir anfangs
beabsichtigten, so wären unsere Böte wahrscheinlich an den Felsen
zerschellt.

Nach fast unglaublichen Anstrengungen erreichten wir spät am Abend eine
Insel mitten in der Mündung des Inugsuarmiut-Fjordes. Hier wollten wir
unser Lager aufschlagen, müde und erschöpft wie wir waren, zu unserer
Verwunderung aber kamen wir aus dem dichten Eis plötzlich in offenes
Fahrwasser hinein. Gerade bis gegen +Skjoldungen+ lag der Fjord beinahe
blank da. Es war sehr verlockend, diese Gelegenheit zu benützen, und
nach einer Extraration Fleischpulver-Schokolade setzten wir unsere
Fahrt fort und erreichten einen guten Lagerplatz auf einer Schere
unterhalb des Landes auf der anderen Seite (63° 12′ N. Br., 41° 8′
W. L.).

An der Ostküste von Grönland giebt es eine ziemlich starke Ebbe
und Fluth. Wir hatten in diesen Tagen das Unglück, einen niedrigen
Wasserstand zu treffen, gerade wenn wir des Abends die Böte an den
Strand ziehen mußten; infolgedessen mußten wir sie ein gutes Stück
hinauf ziehen, um sicher vor der Fluth zu sein. Auch in dieser Nacht
hatten wir Bagage wie Böte eine tüchtige Strecke aufs Land hinauf
gebracht, waren aber nicht wenig verwundert, als am nächsten Morgen
unser Bierfaß und ein Brett, womit wir die Böte gestützt hatten,
verschwunden waren. Die See hatte nicht allein die Böte erreicht,
sondern auch einen Theil der Proviantkasten unter Wasser gesetzt.
Diese waren jedoch dicht, und so hatte nichts gelitten; wir mußten uns
freuen, so billigen Kaufes davongekommen zu sein. Den Verlust unseres
Bierfasses, das wir zugleich mit dem Boot vom „Jason“ bekommen hatten,
beklagten wir alle sehr; nicht etwa, weil noch Bier darin gewesen wäre
-- das hatten wir längst ausgetrunken --, sondern weil wir die Tonne
mit Wasser zu füllen pflegten. Wenn wir das Wasser aus dem Spundloch
tranken und an der Tonne rochen, die noch einen gewissen Biergeruch an
sich hatte, so bildeten wir uns ein, daß wir eine Art Bier tränken.

Seit jenem Tage wurden die Böte stets sehr sorglich in acht genommen.

Uebrigens wurden wir an jenem Morgen von einem weniger willkommenen
Gast geweckt. Ich erwachte von einem heftigen Jucken über dem ganzen
Gesicht und fand das Zelt mit Mücken angefüllt. Hatten wir im Anfang
die Mücken voller Freude begrüßt, so wurden wir an diesem Morgen von
dieser Neigung geheilt, und wenn ein Morgen in gräßlicher Erinnerung
steht, so ist es dieser. Es war ein Wunder, daß wir unsern Verstand
nicht verloren. Nachdem ich völlig wach geworden, fuhr ich schnell in
meine Kleider und stürzte ins Freie hinaus, um diesen schlimmen Gästen
zu entgehen, aber da kam ich aus dem Regen in die Traufe! Hier stürzten
sich ganze Scharen dieses Teufelsungeziefers auf mein Gesicht und meine
Hände.

Am schlimmsten wurde es, als wir unser Frühstück verzehren wollten,
denn wenn man nicht einmal einen Bissen zu Munde führen kann, ohne
daß er mit einer dicken Schicht Mücken belegt wird, so wird Einem die
Sache denn doch zu toll! Wir flüchteten auf die höchsten Felsspitzen
in der Nähe, wo etwas Wind war, in der Hoffnung, hier unser Frühstück
in Ruhe verzehren zu können, -- war das doch der einzige Genuß, den
wir noch kannten. Wir sprangen von einer Felsklippe zur anderen, wir
hängten uns Taschentücher vor das Gesicht, zogen unsere Mützen über
Hals und Nacken, fochten und schlugen wie Rasende mit den Armen in der
Luft herum, lieferten wie gesagt die verzweifeltste Schlacht dieser
Uebermacht von Ungeheuern gegenüber, aber alles war vergebens. Wo
wir standen, gingen oder liefen, führten wir -- wie die Sonne ihre
Planeten -- unsere kleine Privatwelt von Freunden mit uns, bis wir uns
schließlich voller Verzweiflung dem Feind ergaben, uns an der ersten
besten Stelle niederwarfen und uns martern ließen, während wir in
fliegender Eile unser mit Mücken belegtes Frühstück verzehrten. Dann
machten wir unsere Böte klar und flohen auf das Meer, aber selbst
hierher verfolgten diese Scheusale uns. Schließlich schlugen wir in
wilder Verzweiflung mit Persennings, Jacken und was wir sonst finden
konnten, um uns, und als wir den Wind zum Bundesgenossen bekamen,
übermannten wir endlich den Feind. Der Blutverlust auf unserer Seite
war aber doch ganz beträchtlich.


Fußnote:

[76] Siehe „Mittheilungen über Grönland“, Bd. 9, Seite 187. Kopenhagen
1889.



Kapitel XIV.

Neues Zusammentreffen mit Eskimos. Zwischen Eisbergen.


Durch dicht gepacktes Eis fuhren wir an jenem Tage (6. August) um
+Skjoldungen+ herum, an dessen Nordseite wir wegen der Eisverhältnisse
ein gutes Stück in den Fjord hineinrudern mußten, an einem Lande
entlang, das in wilder Schönheit nicht hinter dem zurückstand,
was wir bisher gesehen hatten. Ueberall fielen die Gletscher mit
ihren lothrecht abgeschnittenen Wänden, in denen sich häufig tiefe,
dunkelblaue Grotten befanden, steil in das Meer ab. Es ist nicht ganz
ohne Gefahr, nahe an diese Eiswände heran zu rudern. Es geschah auch
an jenem Tage mehrmals, daß nicht weit von uns große Stücke von den
Gletschern ins Meer hinabstürzten, die ein vorüberfahrendes Boot ohne
Zweifel zu Staub zermalmt haben würden.

Als wir, andauernd unter schlechten Eisverhältnissen, über den
+Akorninapkangerdlua+ (Fjord) gerudert waren, vernahmen wir plötzlich
in der Nähe einer Insel bei +Singiartnarfik+ Rufe von Menschenstimmen
und verspürten gleichzeitig einen durchdringenden Thrangeruch. Wir
richteten unsere Blicke dem Lande zu und sahen nun ein Zelt und
viele Menschen, die sich in auffallend lebhafter Bewegung befanden.
Da es kein weiterer Umweg für uns war, steuerten wir auf sie zu,
jetzt aber verwandelte sich ihre Bewegung in eine wilde Flucht. Mit
allem, was man an Kostbarkeiten besaß, mit Fellen, Kleidern etc.
beladen, verschwand Einer nach dem Andern auf die Berge hinauf. In
einer langen Linie, die sich an den Felsabsätzen hinaufschlängelte,
konnten wir sie laufen sehen, was das Zeug halten wollte. Es schienen
fast ausschließlich Frauen und Kinder zu sein. Zuletzt sahen wir eine
Frau in die Thür des einzigen Zeltes, das wir erblicken konnten,
verschwinden, aber sie kam bald darauf mit einem Bündel Felle in den
Armen zurück und eilte dann, so schnell ihre Füße sie tragen konnten,
den Anderen nach, ins Gebirge hinauf. Mehr und mehr verschwanden sie
zwischen den Bergen, und das Letzte, was wir sahen, waren einige
Frauen, die auf einem Felsenkamm neugierig stehen blieben und uns
nachschauten. Wir ruderten indessen auf das Zelt zu; das einzige
lebende Wesen aber, was wir dort erblickten, war ein Hund, der vor der
Zeltthür lag und merkwürdigerweise nicht heulte. Obwohl wir nichts
mit diesen Menschen zu schaffen hatten, so war es uns doch ärgerlich,
daß wir so fortreisen sollten, ohne sie von unseren friedlichen
Absichten überzeugt zu haben. Wir machten ihnen Zeichen zu, wir
riefen die wenigen grönländischen Worte, die wir kannten, aber alles
war vergebens; -- sie standen regungslos da und glotzten uns an.
Endlich schien eine der Frauen unseren einladenden Winken nicht länger
wiederstehen zu können, sie näherte sich langsam und bedächtig, eine
zweite folgte ihr in einiger Entfernung. Allmählich kamen wir uns so
nahe, das wir das Sprechen hören konnten, was uns ja nicht viel nützen
konnte, da wir ihnen nur wenig zu sagen hatten, aber jedenfalls konnten
sie doch unsere freundlichen Gesichter und unsere beruhigenden Mienen
und Gebärden erkennen. Wir zeigten ihnen einige Blechdosen, die wir
ihnen schenken wollten. Dies schien ihnen freilich sehr verlockend.
Sie setzten äußerst verlegene Gesichter auf, die übrigens nicht
so aussahen, daß sie ihrer Schönheit wegen hätten besorgt zu sein
brauchen. Da zeigte sich plötzlich ein Mann auf der Bildfläche, und nun
bekamen sie Muth; sie begaben sich beinahe ganz an den Strand hinab
und blieben hier stehen, während wir in unseren Böten lagen. Wir sahen
einander an, während sie mit dem Manne als Vorsänger ihr gewöhnliches
Verwunderungsgebrüll anstimmten. Der Mann sah übrigens aus wie ein
wüthender Ochse, während er so dastand, obwohl er im Innern gewiß die
friedlichsten Gedanken hegte. Er trug auf dem Oberkörper einen Anorak
von Baumwollenzeug, und auf dem Kopf hatte er eine Kajakmütze von
der gewöhnlichen, breiten, flachen Form, aus einem Tonnenreifen mit
darüber gespanntem Baumwollstoff bestehend, mit einem roth und weißen
Kreuz verziert, -- alles unverkennbare Beweise von Verbindung mit den
westgrönländischen Handelsplätzen.

Wir näherten uns allmählich dem Strande, Einer von uns sprang ans Land,
aber wie von einer Tarantel gestochen, fuhren die Eskimos zurück,
um doch einen Zwischenraum von einigen Schritten zwischen sich und
uns zu schaffen; als sie sahen, daß wir auch jetzt keine Zeichen zu
feindlichen Tendenzen machten, gewannen sie wieder Muth und näherten
sich uns. Als wir ihnen gar das großartige Geschenk einer Blechdose
machten, war das gute Verhältniß besiegelt, und ihre Gesichter glänzten
vor Freude und Verwunderung über diese freigebigen Menschen. Allmählich
gesellten sich mehrere Eskimos zu uns; es schien, als wenn die Männer
in ihren Kajaks auf dem Wasser gewesen und durch das Geschrei der
Frauen herbeigelockt seien.

Allen wurde die kostbare Gabe gezeigt und hinzugefügt, daß wir durchaus
friedliche Individuen seien. Die merkwürdigste Erscheinung war ein
kleiner buckeliger Zwerg mit einem angenehmen, ältlichen Gesicht; --
er zeichnete sich übrigens durch einen ungewöhnlich guten Anzug aus.
Wir vertauten unsere Böte und machten einen Spaziergang ans Land. Wie
staunten wir jedoch, als wir hinter dem einen Zelt ein ganzes Zeltlager
fanden, das durch eine kleine Höhe unsern Blicken entzogen gewesen war.
Unser Staunen wuchs, als wir einen Dannebrog von einer kleinen Stange
wehen sahen, die neben dem einen Zelt aufgepflanzt war.

Diese Flagge mußte Einer von ihnen wahrscheinlich vor einigen Jahren
von Kapitän +Holm+ bekommen haben, denn er berichtet, daß er einigen
Eskimos Flaggen geschenkt habe. Merkwürdig war es, daß sie sich so
vor uns fürchteten, obwohl sie also früher mit Europäern in Berührung
gekommen sein mußten. Wir mußten wohl sehr unheimlich ausgesehen haben,
als wir so in unsern eigenen Böten und ganz allein angerudert kamen,
während Kapitän +Holm+ Böte wie die ihren mit einer Eskimobesatzung
hatte. Unmöglich ist es auch nicht, daß die Sagen, die von der
Westküste zu ihnen gedrungen sind, und welche erzählen, wie ihre
Vorfahren die Kavdlunaker, d. h. die Europäer, vernichtet haben, sie
mit der Furcht erfüllten, daß die Besiegten eines Tages in Schiffen
über das Meer heranziehen und Rache nehmen würden.

In einer kleinen Bucht unterhalb des Lagers lag ein Frauenboot, das
offenbar ins Wasser herabgelassen war, um zur Flucht bereit zu sein.
Da ich gern gedörrtes Seehundsfleisch probiren wollte und außerdem
dachte, daß es möglicherweise praktisch sein könne, unsern Proviant
ein wenig zu ergänzen, fragte ich vermittelst eines grönländischen
Wortes, das ich in meinem Wörterbuch gefunden hatte, danach; wie
gewöhnlich wollte es mir jedoch nicht gelingen, mich verständlich zu
machen. Als ich aber hinging und ein Stück Fleisch anfaßte, das vor
einem der Zelte zum Trocknen hing, verstanden sie mich sofort und kamen
mit einigen Rippenstücken herbei, -- hierfür gab ich ihnen eine große
Stopfnadel. Als sie diese kolossale Bezahlung erblickten, kamen sie
mit einem großen Stück Fleisch nach dem andern herbei, um mehr Nadeln
zu bekommen. Wir erhielten jeder unsere Geschenke an Seehundsfleisch,
wofür wir ihnen außer den Nadeln noch einige leere Blechdosen gaben.
Nur +Ravna+ wollte keine Geschenke annehmen und war trotz aller
Ueberredungen nicht dazu zu bewegen. Später erfuhr ich, daß er der
Ansicht gewesen sei, die armen Menschen würden wohl selber Verwendung
für ihr Fleisch haben, und eine Nähnadel sei doch eine zu geringe
Bezahlung.

Diese Begegnung mit den Eskimos schildert +Balto+ folgendermaßen:

„-- -- Als wir über eine Fjordmündung gerudert waren, rochen wir wieder
den Geruch von ranzigem Seehundsfett, aber die Heiden hatten uns
gesehen und mit Frauen und Kindern die Flucht ins Gebirge ergriffen,
weit fort von den Zelten. Als wir in die Bucht kamen, wo die Zelte
standen, machten wir Halt und sahen diesen Aermsten nach, die die
Flucht ergriffen. Dann rief +Nansen+ ihnen zu: „~Nogut piteagag~“,
-- was dasselbe ist wie: „Wir sind Freunde“ (furchtbar verkehrtes
Grönländisch), -- aber sie kehrten sich nicht daran, sondern winkten
uns mit der Hand zu, als wollten sie sagen: „Zieht fort! Zieht fort!“
Da kamen zwei Männer hinter einem Berg hervor, sie kamen an den Strand
herab, und als sie sich näherten, brüllten sie wie andere Heiden ihr:
„~iö, iö, iö!~“ Der eine Mann sah aus, als wenn er nicht höher als ein
Meter sei. Dann landeten wir und baten sie um etwas gedörrtes Fleisch,
das wir vor ihren Zelten hängen sahen, denn wir hatten in Kapitän
+Holms+ Buch gelesen, daß gedörrtes Seehundsfleisch sehr gut zu essen
sei. Wir gaben ihnen einige Nadeln für das Fleisch und zogen dann
weiter.“

Wie +Balto+ berichtet, stiegen wir bald wieder in unsere Böte und waren
noch nicht weit gekommen, als einige der Männer uns in ihren Kajaks
folgten, große Stücke gedörrten Seehundfleisches mit sich schleppend,
das sie uns gegen Nadeln vertauschen wollten. Als wir in die Böte
stiegen, sahen wir in weiter Ferne den obenerwähnten Zwerg ein großes
Stück Fleisch herbeischleppen, auch er wollte seinen Antheil haben,
aber er erreichte uns nicht mehr. Nicht wenig staunten wir, als wir
eine Weile später einen kleinen Kerl in einem Kajak weit hinten in
unserm Kielwasser heranrudern sahen und in ihm den Zwerg erkannten,
der unleugbar eine höchst komische Figur abgab, wie er so mit seinem
krummen Rücken aus der Oeffnung des Kajaks hervorragte. Er strengte
sich scheinbar sehr an, um uns wieder einzuholen, wir sollten sein
Fleisch haben! Aber trotz aller seiner Bemühungen erreichte er uns doch
nicht und mußte sein Vorhaben schließlich aufgeben, -- der Aermste!

Je nördlicher wir kamen, desto mehr Kajakmännern begegneten wir;
sie gaben uns Alle das Geleite und waren Alle äußerst freundlich
und mittheilsam. Schließlich hatten wir eine Eskorte von 7 Mann um
uns versammelt, die uns an allen Seiten umkreisten und die größte
Verwunderung über uns und unsere Böte an den Tag legten.

Als sie uns eine lange Strecke begleitet hatten und es zu dunkeln
begann, verminderten sie Einer nach dem Andern die Schnelligkeit ihrer
Fahrt und lagen dann noch eine Weile still, um uns nachzusehen, ehe sie
den Heimweg antraten. Gerade als uns die vier Letzten verlassen hatten
und noch still lagen, erblickte ich einen Seehund auf einer Eisscholle.
Obwohl das frische Fleisch ein großer Leckerbissen für uns gewesen
wäre, konnte ich es nicht unterlassen, den vier Kajaks zuzuwinken,
denn wir hatten alle die größte Lust zu sehen, wie die Eskimos auf
Seehundsjagd gingen. Sie kamen sofort zu uns, konnten aber gar nicht
begreifen, was wir wollten, denn von ihren niedrigen Kajaks aus konnten
sie den Seehund nicht auf dem Eise sehen. Ich zeigte auf das Thier,
sie spähten und spähten, bis sie seiner plötzlich ansichtig wurden,
und nun kam Bewegung in die Kajaks; die Ruder arbeiteten unverdrossen,
während sich die Eskimos vornüberbeugten, um unbemerkt im Schutze des
Eises vorwärts zu kommen. Zwei von ihnen gewannen einen Vorsprung vor
den Anderen und kamen in fliegender Eile näher und näher. Jetzt fing
der Seehund jedoch an, unruhig zu werden, aber jedes Mal, wenn er den
Kopf erhob und in der Richtung nach ihnen blickte, lagen sie still,
ohne auch nur ein Glied zu rühren, bis er sich wieder beruhigt hatte,
dann ruderten sie abermals kräftig darauf los, lagen dann wieder still
u. s. w. Auf diese Weise kamen sie so nahe an ihre Beute heran, daß
wir jeden Augenblick erwarteten, sie würden die Harpune auswerfen, --
da springt der Seehund plötzlich ins Wasser. Sie lagen nun eine Weile
still, zum Wurf bereit für den Fall, daß er sich wieder zeigen würde,
aber kein Seehund erscheint, und sie zogen niedergeschlagen heimwärts,
während wir ein wenig ärgerlich unsern Weg gen Norden in gutem
Fahrwasser fortsetzten. Wir übernachteten auf einer kleinen Insel in
einer Bucht an der Ostseite einer größeren Insel (63° 20′ N. B., 49°
W. L.). Diese ist aus früheren Zeiten dadurch bekannt, daß +Graah+ dort
auf der Westseite bei +Imarsivik+ i. J. 1829-30 überwinterte.

Am nächsten Tage (den 7. August) traten uns abermals schlimme
Eishindernisse in den Weg, wir kämpften uns aber muthig hindurch und
gelangten noch am selben Tage weiter nördlich an offeneres Fahrwasser.
Bis dahin hatten wir uns ganz vorzüglich aus +Holms+ und +Gardes+
Karten über die Küste orientiren können, hier aber verloren wir den
Faden. Es schienen hier viele kleinere und größere Inseln und Fjorde zu
sein, die entweder falsch oder auch gar nicht auf der Karte angegeben
waren, -- schließlich wurde die Sache so bunt, daß ich mich entschloß,
nach meinem eigenen Kopf zu gehen, und das half. Wie es sich mit der
Karte auf dieser Strecke von Savsivik bis zum Kap Mösting verhielt, war
mir ein Räthsel, bis ich später von +Holm+ erfuhr, daß er nicht dazu
gekommen war, diesen Theil in der kurzen Zeit, die ihm zu Gebote stand,
zu vermessen, er habe deswegen +Graahs+ Karte benutzen müssen, in der
Voraussetzung, daß sie zuverlässig sei, da er die Gegend von seinem
Winteraufenthalt her doch gründlich kennen sollte.

Die nördliche Küste war sehr reich an Seevögeln. Da waren u. a.
mehrere Vogelberge, und wir schossen an Blaumöven (~larus glaucus~)
und Grüllummen (~uria grylle~), was uns in den Weg kam. Wir krochen
auf einen Felsen hinauf, wo Unmengen von Lummenjungen nisteten, um auf
Junge zu fahnden, aber unsere Beute beschränkte sich auf zwei. In der
Regel legen die Grüllummen ihre Eier an ganz unzugängliche Orte, so
daß unbeflügelte Wesen nur mit der größten Lebensgefahr dahin gelangen
können. Die jungen Grüllummen sind übrigens sehr fett und schmeckten
ganz delikat.

Als wir vor einem Vogelberg auf der Nordseite von Kap Moltke lagen
und auf Blaumöven und Grüllummen schossen, vernahmen wir plötzlich
ein Sausen in der Luft und sahen eine Schar Eidergänse an uns
vorüberfliegen. Wir hatten gerade noch Zeit genug, in die Böte zu
springen, zu den Büchsen zu greifen und ihnen einen Schuß nachzusenden,
auf welchen zwei Vögel fielen. Es war dies das erste Mal, daß wir
Eidergänse an der Küste erblickten. Als es bereits dunkelte, zog
abermals ein Schwarm über uns hinweg nach Norden zu. Ich hörte
+Sverdrup+ im Boote hinter mir „Gebt Acht!“ rufen und vernahm auch das
Sausen ihres Flügelschlags, doch war es zu dunkel, um zu schießen,
ich konnte nur gegen den dunklen Hintergrund, den das Land bildete,
unterscheiden, daß sich etwas bewegte.

Indessen gelangen wir immer nördlicher, und die Angst der Lappen wird
mit jedem Tage sichtbarer und giebt sich in immer lauteren Tönen zu
erkennen. +Balto+, der das Wort führt, hat mir mehrmals anvertraut,
daß sie ruhiger geworden seien, seit wir den Eskimos begegnet waren
und gesehen hatten, daß dies gutartige Geschöpfe sind, die keine
Menschen fressen, wie man sich in Finnmarken erzählt habe, und daß man
im Nothfall bei ihnen überwintern kann. Seit wir aber, ihrer Ansicht
nach, die letzten Eskimos verlassen hatten und noch immer in nördlicher
Richtung weiter zogen, waren sie ängstlich geworden, klagten über die
schwere Arbeit, die karge Kost, jammerten, daß wir uns so weit vom Kap
Farvel entfernten und doch keine Stelle fanden, wo wir auf das Eis
gehen konnten. Ich tröstete ihn stets damit, daß das Land höher hinauf
bei Umivik oder nördlich davon besser sei, er müsse das ja selber
gesehen haben, als er im Eise trieb; aber er hatte nichts gesehen, und
schließlich wurden seine Klagen so laut, daß mir die Sache über ward
und ich ihm, statt ihn zu trösten, eine tüchtige Portion Schelte für
seine elende Feigheit zukommen ließ. Da aber brach das Unwetter los!
Er wollte mir nur lieber gleich sagen, was er in diesen Tagen alles in
sich hineingefressen habe: in Kristiania habe ich ihnen versprochen,
daß sie jeden Tag Kaffee haben sollten, und daß sie so viel zu essen
bekommen würden, wie sie nur wollten, aber in all’ diesen drei Wochen
hätten sie nur ein einziges Mal Kaffee bekommen, und wie sah es mit dem
Essen aus? Sie erhielten eine elende Portion ausgetheilt, die sie noch
dazu ausloosen müßten, -- er wollte es mir nur verrathen, daß keiner
von ihnen Allen auch nur ein einziges Mal satt geworden sei, seit sie
an die Küste gekommen waren. Hungern müßten sie und würden obendrein
wie die Hunde behandelt, es werde mit ihnen herumkommandirt, sie
müßten den ganzen Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeiten,
schlimmer als Thiere, -- nein, das wäre nicht zum Aushalten. Er für
seinen Theil würde gern viele tausend Kronen bezahlen, wenn er wieder
in der Heimath sein könne!

Ich erwiderte ihm, Kaffee hätten sie nicht bekommen, weil ihnen
einerseits nichts versprochen wäre, und weil wir andererseits keine
Zeit zum Kochen gehabt hätten. Ferner stellte ich ihm vor, was daraus
werden würde, wenn wir Alle nach Herzenslust essen wollten, dann würden
unsere Vorräthe wohl ungefähr bis zur Mitte von Grönland ausreichen,
und dann sei es sicher zu spät, das Geschehene zu bereuen. Wir müßten
redlich theilen wie Brüder, und was das Kommandiren anbeträfe, so müsse
er doch wohl einsehen können, daß auf einer solchen Expedition nur ein
einziger Wille herrschen könne.

Nein, er konnte nichts einsehen, er war und blieb untröstlich, daß
ihn das Schicksal mit Menschen zusammengeführt habe, die so „fremde
Sitten und Gebräuche hätten“, wie er sich ausdrückte. Was sich hier
geltend machte, waren die nomadischen Gewohnheiten der Lappen und
ihre Unfähigkeit, sich unterzuordnen, und dies kam trotz +Baltos+
liebenswürdigen Charakters wieder und wieder, worüber man sich ja nicht
wundern kann. Aber je länger wir zusammen waren, desto weniger blieb
davon zurück.

Es läßt sich übrigens nicht leugnen, daß es niederdrückend war, gleich
im Anfang auf so schwere Arbeit zu stoßen, wie wir sie an der Ostküste
hatten, und von so kärglichen Rationen gedörrter Nahrungsmittel leben
zu müssen. Unsere Mägen waren daran gewöhnt, gefüllt zu werden, und
konnten sich schwer in diese zwar kräftige, aber wenig umfangreiche
Kost finden. Mit der Zeit gewöhnten wir uns daran, und dann ging es
besser. „Es war das Bewußtsein, daß es genug war, was uns half,“ sagte
+Kristiansen+, als er später in der Heimath gefragt wurde, ob er
unterwegs satt geworden sei. Nein, satt sei er niemals gewesen. -- „Das
müsse aber doch ein unangenehmes Gefühl sein?“ -- „Ach ja, besonders im
Anfang, als wir nicht daran gewöhnt waren, aber dann versicherte uns
+Nansen+, daß das Essen, das wir bekämen, ausreichend sei, und das half
uns. Und wie Sie sehen können, hatte er vollständig Recht.“

Die Küste fing jetzt an, weniger steil zu werden, die Felsformationen
waren abgerundeter. Wir kamen nun in die Gegenden, wo wir an ein
Aufsteigen denken konnten, und nach denen ich mich so sehr gesehnt
hatte, denn selbst wenn uns hier ein Unglück zustoßen sollte, das
unser Vordringen an der Küste verhinderte, so konnten wir doch von
hier aus unsere Wanderung über das Inlandseis antreten. Die Hoffnung
steigerte sich fast bis zum Uebermuth. Das vorzügliche Fahrwasser,
das wir an jenem Abend hatten, und das herrliche Wetter trugen nicht
wenig zur Erhöhung der Stimmung bei. Ebenso wie am vorhergehenden
Abend stand am südlichen Himmel ein glänzendes Nordlicht; in langen,
wogenden Bändern rollten die Strahlenbündel hin und her. Es flimmerte
und brannte unruhig jagend, es war, als kämpften Schaaren mit glühenden
Spießen, bald wichen sie zurück, bald stürmten sie wieder vorwärts, und
plötzlich wie auf ein gegebenes Zeichen fuhren mächtige Strahlenbündel
flammend und wechselnd durcheinander. Es war, als dringe ein ganzer
Regen von glühenden Spießen auf einen bestimmten Punkt, die Krone, nahe
am Zenith ein, dann erlosch abermals alles, damit das ganze, wechselnde
Spiel wieder von vorne beginnen konnte. Die Eskimos knüpfen einen
schönen Aberglauben an das Nordlicht, -- sie glauben, daß es die Seelen
der verstorbenen Kinder sind, die Ball im Himmel spielen.

In der Nacht schlugen wir unser Lager auf der Innenseite der Insel
+Kekertarsuak+ auf. Kaum hatten wir unser Zelt ausgespannt, als uns
ein gewaltiges Getöse im Süden, in der Richtung vom Kap Moltke,
aufschreckte. Es war, als könnten wir die Erde unter uns zittern
vernehmen. Wir sprangen auf den nächsten Felsblock hinauf und schauten
gen Süden, konnten aber nichts entdecken, -- es war zu weit entfernt.
Das Getöse hielt ungefähr zehn Minuten an, und es klang, als stürze
eine ganze Felsmasse in die See hinab und verursache eine gewaltige
Bewegung, so daß die Wellen bis zu uns hinauf gelangten und sich an
Klippen und Riffen brachen. Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß es ein
kolossaler Eisberg war, der zusammenstürzte oder seine Lage veränderte,
obwohl auch die Möglichkeit eines Bergrutsches nicht ausgeschlossen ist.

[Illustration: „Der lieblichste Fleck, den wir bis dahin in Grönland
gesehen hatten.“

(Nach einer Photographie.)]

Am folgenden Tage (8. August) versuchten wir in offenem Fahrwasser
und bei herrlichstem Wetter auf der Innenseite der Insel bei
+Igdloluarsuk+ vorzudringen und über +Kangerdlugsuak+ oder den
Bernstorffs-Fjord zu gelangen, wurden aber nicht wenig überrascht,
als wir das Wasser hier vollständig mit Gletschereis und anderem Eis
angefüllt fanden, das bis hart an die Küste heran lag und jegliches
Vordringen hemmte. Nachdem ich das der Küste zunächst liegende
Vorgebirge der Insel +Sagliarusek+ bestiegen und mich von hier aus
vergewissert hatte, daß das Fahrwasser unpassirbar war, mußten wir
wieder zurückrudern, um die Insel von außen zu umschiffen.[77] An
der Südseite der Insel fielen uns im Innern der Bucht einige Steine
auf, die nebeneinander aufgerichtet waren. Wir ruderten dorthin, um
zu sehen, was das sei, und entdeckten nun den lieblichsten Fleck,
den wir überhaupt bis dahin in Grönland gesehen hatten, eine kleine
flache, grüne Wiese mit einem großen Süßwasserteich, in dem kleine
Fische schwammen (es war mir nicht möglich, die Art zu bestimmen).
Auf der einen Seite der Wiese lagen die Ruinen von Eskimohäusern,
eine derselben war auffallend größer als die anderen. In und vor dem
großen Hause fanden wir zahlreiche Menschenknochen, darunter den sehr
wohl konservirten Schädel eines Eskimos, den wir mitnahmen. Diese
Menschenknochen deuteten darauf hin, daß auch diese Ansiedelungen durch
Hungersnoth zerstört waren. Wir beschlossen, an diesem Orte unser
Leben ein wenig zu genießen, und obwohl es zu früh war, um unsere
Mittagsmahlzeit zu verzehren, ein wenig zu rasten, uns in dem üppigen
Gras auszustrecken und uns von der Sonne braten zu lassen. Die Eskimos
hatten wohl gewußt, was sie thaten, als sie sich hier an diesem Ort
niederließen, denn hier war ein vorzüglicher, wohlbeschützter Hafen
mit einem guten Strand, auf den man die Fellböte mit Leichtigkeit
hinaufziehen konnte, und dann vor allen Dingen diese lächelnde Natur!
Die fünf flachen Steine, die am Strande aufgerichtet waren, und die
zuerst meine Aufmerksamkeit erregten, blieben mir lange ein Räthsel;
seit ich jedoch mit Kapitän +Holm+ darüber gesprochen habe, scheint es
mir annehmbar, daß es Frauenbootsstützen gewesen sind, d. h. Stützen,
auf welche die Frauenböte zum Trocknen gelegt werden, und an die man
sie während des Winters festbindet.

Uebrigens findet man auf diesen Inseln[78] viele Spuren menschlichen
Wirkens. So fand ich auf mehreren Landzungen Warten oder, -- wie ich
glaube, -- Ueberreste von Fuchsfallen.

Bei der äußersten Insel am +Igdloluarsuk+ angelangt, fanden wir die
Mündung des Fjordes so voll von gewaltigen Eisbergen, daß wir ins
Meer hinausrudern mußten, um zu versuchen, ob das Fahrwasser dort
besser sei. Eine Strecke dringen wir glücklich zwischen den Eisbergen
hindurch, müssen aber bald innehalten. Von einer rasenden Strömung
zwischen diesen Kolossen eingeklemmt, lagen die Eisschollen so fest,
daß sie nicht aus der Stelle zu bewegen waren. Wir mußten wieder
umkehren und noch weiter ins Meer hinausrudern.

Als wir an einen leicht zugänglichen Eisberg kamen, machten wir sofort
den Versuch, ihn zu erklimmen, um eine Aussicht über das Fahrwasser zu
erhalten. Diese schwimmenden Kolosse nehmen sich von unten gesehen ganz
imponirend aus, aber das ist doch nichts im Vergleich mit dem Eindruck
von Größe, den man erhält, wenn man sich auf ihrem Gipfel befindet.
Der Eisberg, den wir bestiegen, war verhältnißmäßig flach und bildete
förmlich eine Hochebene von beträchtlichem Umfang. +Dietrichsen+
sagt in seinem Tagebuch, daß man beinahe eine Viertelstunde braucht,
um sie an der schmalsten Stelle zu durchqueren. Dort oben war der
Schnee hart und das Terrain hügelig, ganz ungewöhnlich geeignet zum
Schneeschuhlaufen. Der Eisberg war an dem höchsten Punkt sicher mehr
als 70 ~m~ über dem Meeresspiegel. Bedenkt man nun, daß sich 6 bis 7
Mal so viel Eis unter dem Wasser befindet, so hat ein solcher Berg
also eine Höhe von mindestens 400 ~m~. Fügt man hierzu eine Breite von
1000 ~m~ oder mehr, so kann man sich eine ungefähre Vorstellung davon
machen, welcher Art diese schwimmenden Eisklumpen sind, -- und deren
giebt es an der Küste entlang Hunderte und Tausende. Von dem Gipfel
des Eisberges herab hatten wir eine herrliche Aussicht. Die Gegend um
uns her glich einer Alpenlandschaft in Eis. Zwischen jedem Eisberg
waren Schluchten, auf deren Grunde man die See sehen konnte. Gerade
unter uns schlängelte sie sich wie ein schmales, dunkelblaues Band
durch eine enge Rinne, die von zwei lothrechten, mehrere hundert Fuß
hohen Eiswänden gebildet wurde.

Die Eisberge pflegen in zwei Formen zu erscheinen. Es hatte den
Anschein, als seien sie auf zwei ganz verschiedene Weisen entstanden.
Einzelne Berge sind an der Oberfläche wild zerklüftet, sind reich an
Spalten, Rissen und Schluchten. Ihre Oberfläche gleicht derjenigen der
Eisgletscher, die ins Meer hinausgedrängt werden. An ihrem bläulichen
Aussehen und ihren unregelmäßigen Formen, kann man sie schon von weitem
erkennen. Ihr Ursprung liegt klar auf der Hand --, sie stammen direkt
von den obenerwähnten Gletschern. Dann aber hat man eine andere, weit
prosaischere Form, und zu dieser gehörte der Eisberg, auf dem wir
uns befanden. Diese Form wird durch kolossale Eisblöcke ohne jene
zahlreichen blauen Schluchten und mit verhältnißmäßig glattpolirter
Oberfläche und quer abgeschnittenen, lothrechten Seiten gebildet. Sie
haben eine mehr weißlichblaue Färbung als die andere Art und machen
einen weit solideren Eindruck. Man kann ruhiger an sie heranrudern, als
an die anderen, denn es geschieht weit seltener, daß sich Stücke von
ihnen ablösen und den Vorüberfahrenden auf den Kopf fallen. Obwohl sie
mit ihrer ebenen Oberfläche völlig verschieden sind von den Gletschern,
die ins Meer hinabstürzen, so finden sie sich doch ohne Frage am
zahlreichsten vor. Man kann rechnen, daß man auf je einen der anderen
Art fünf von diesen trifft.

Woher aber stammen diese Eisberge? Oder wie haben sie sich gebildet?
Daß die Gletscher jemals so still und ruhig in die See hinabgleiten,
ohne zahlreiche Risse und Spalten an der Oberfläche zu bilden, ist
eine Unmöglichkeit. Auf der anderen Seite liegen ja diese Eisberge in
den Fjorden direkt vor den Gletschern mit ihrer ziemlich zerklüfteten
Oberfläche und müssen daher, eben so wohl als die Eisberge der anderen
Art von ihnen herstammen.

Die einzig annehmbare Erklärung dieser Erscheinung ist meiner Ansicht
nach der Umstand, daß beim Hinausgleiten die Oberfläche der Gletscher
bei den einen nach oben gekommen ist, während die anderen sich entweder
gleich beim Herabstürzen oder auch später gewendet haben, so daß sie
mit dem abpolirten Fuß oder einer der ziemlich ebenen Bruchflächen in
die Höhe ragen.

Zu unserer Freude bemerkten wir, daß sich hinter den Eisbergen offenes
Fahrwasser befand, scheinbar so weit das Auge reichte, und nachdem wir
uns über den Kurs geeinigt hatten, der uns sicher zu diesem Fahrwasser
führen mußte, stimmten wir einen Siegesgesang an, und kehrten wieder in
unsere Böte zurück, um mit voller Kraft an die Arbeit zu gehen und das
verlockende Fahrwasser zu erreichen, ehe das Eis sich verdichtete, was
bei den wechselnden Strömungen, die hier herrschen, schnell geschehen
kann. Wir hatten wenig Lust, die Nacht zwischen diesen launenhaften
Eiskolossen zu verbringen.

So schnell unsere Ruder uns befördern konnten, gings gen Norden durch
die engen Rinnen, wo wir nichts als das tiefblaue Wasser mit einzelnen
Eisschollen unter uns, hohe Eiswände zu beiden Seiten und einen kleinen
Streifen blauen Himmels über uns erblickten.

Obwohl mächtige Eisberge mehrmals um uns her zusammenstürzten oder
kenterten, das Wasser wild aufpeitschend und die Luft mit ihrem
gewaltigen Getöse erschütternd, so kamen wir doch unbeschädigt durch
die großen Eismassen, die weit nach Norden hinauf vor der Fjordmündung
lagen. An einer Stelle mußten wir, um vorwärts zu kommen, durch einen
Hohlweg gehen, der quer durch einen großen Berg führte und wo das
schmelzende Wasser unaufhörlich auf uns herabrieselte. Ob diese große
Menge von Eisbergen aus dem Bernstorffsfjord herrührte, war nicht zu
entscheiden und ist auch kaum anzunehmen, obwohl aus diesem Fjord die
größten der an der Ostküste befindlichen Eismassen stammen.

Nachdem wir wohlbehalten am +Kap Mösting+ vorüber und durch die
schlimmste Eisberggegend hindurch gekommen waren, übernachteten wir
auf einer kleinen Schere (63° 44′ N. Br., 40° 32′ W. L.). Da wir dort
keinen so großen, flachen Platz fanden, daß wir unser Zelt aufschlagen
konnten, legten wir uns in unseren Schlafsäcken auf den Felsen. Gerade
gegenüber auf dem Festlande befand sich ein Vogelberg mit Blaumöven,
die während der ganzen Nacht einen solchen Lärm machten, daß wir es im
Schlafe hörten und sie sich in unsere Träume hineindrängten. Zur Strafe
dafür machte ich am nächsten Morgen eine Visite drüben, die mehreren
von ihnen das Leben kostete und uns einen guten Proviant für die Küche
lieferte, in der wir jetzt allerlei noch nicht verwendetes Wild hatten.
Besonders die jungen Blaumöven, die eben flügge waren, sind eine
vorzügliche Speise.

Wir waren jetzt in eine Gegend gekommen, wo wir fast überall mit
ziemlicher Leichtigkeit auf das Inlandseis hinaufgelangen konnten. Dort
waren nach innen zu viele Nunataks (d. h. Berggipfel oder Felsmassen,
die über die Oberfläche des Eises emporragen). Der allgemeinen Annahme
der Grönlandsreisenden zufolge soll das Eis um diese Felszacken herum
uneben und zerklüftet sein. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die
Nunataks aus Gletschereis hervorragen, das sich in starker Bewegung
befindet, in diesem Falle bieten sie dem Eise einen Widerstand, gegen
den es gedrängt und gepreßt wird. An anderen Stellen dagegen -- glaube
ich -- machen die Nunataks das Eis eher eben, indem sie es gleichsam
festhalten und die gleitende Bewegung desselben, die diese Unebenheiten
und Risse verursacht, verhindern. Es lag jedoch für uns kein Grund vor,
das Inlandeis schon hier in Angriff zu nehmen, da das Fahrwasser bis
nach +Umivik+ hinauf offen zu sein schien, und von hier aus war die
Entfernung bis nach Kristianshaab bedeutend geringer.

[Illustration: Gegen Norden in offenem Fahrwasser zwischen Eisbergen.
9. August.

(Von A. Bloch nach einer Photographie.)]

In immer mehr offenem Wasser setzten wir die Reise gen Norden
fort, während rings um uns her an allen Ecken und Kanten Eisstücke
herabstürzten, bald von den Gletschern, bald von den Eisbergen.

Gegen Abend hatten wir ein merkwürdiges Erlebniß. Gerade als wir
zwischen einigen Eisbergen beschäftigt sind, zwei Eisschollen
auseinander zu sprengen, ertönt ein furchtbares Getöse, und ein großes
Stück des an der Backbordseite gelegenen Eisberges stürzt herab und
zertrümmert zum Theil die eine Eisscholle, auf der wir stehen, wühlt
einige mächtige Wogen auf und schafft uns das beste Fahrwasser, das
wir nur wünschen können. Hätten wir ein paar Minuten früher den Weg
eingeschlagen, den wir ursprünglich beabsichtigten, so wären wir wohl
zertrümmert worden. Dies war das dritte Mal, daß uns dies begegnete.

[Illustration: Aussicht gegen Norden von unserem Schlafplatz an
Kangerajuk.

(Nach einer Photographie.)]

Auf einer kleinen Insel +Kekertarsuatsiak+ vor dem +Krumpensfjord+,
wo wir unser Mittagsessen verzehrten, begab ich mich auf den Gipfel,
der sehr hoch war und von wo ich eine köstliche Aussicht über das
nördliche Fahrwasser hatte, das offen und fast ganz +frei von Treibeis
zu sein schien+, wenigstens so weit das Auge reichte, bis nach Umivik.
Gletschereis und Eisberge waren ziemlich zahlreich vorhanden, besonders
vor dem +Gyldenlöves-Fjord+ und der +Kolberger-Heide+ schienen viele
Eisberge zu liegen. Die hohen Berge bei Umivik, besonders der
kegelförmige +Kiatak+, der unser Ziel war, schienen ganz nahe zu
liegen, doch mußte die Entfernung nach der Karte noch sieben Meilen
betragen. Dies verschwieg ich den Gefährten, welche glaubten, daß wir
noch vor Hereinbruch der Nacht dorthin gelangen könnten, weswegen sie
aus Leibeskräften ruderten.

[Illustration: Wir segeln am letzten Tage unserer Seereise. 10. August.

(Von B. Bloch nach einer Augenblicks-Photographie.)]

Am Abend gelangten wir an eine Landzunge, +Kangerajuk+ an der
Kolberger-Heide, wo sich zwischen zwei mächtigen Gletschern ein wenig
freies Land befand (64° 4′ N. Br., 40° 34′ W. L.). Hier konnten wir
unsere Böte heraufziehen, einen Platz für unser Zelt fanden wir jedoch
nicht, weswegen wir uns wie in der vorhergehenden Nacht in unseren
Schlafsäcken an zwei Stellen hinlegten, wo wir gerade genügende
Fläche fanden, um liegen zu können. Da während der Nacht starker
Thau fiel, war unser Schlaf von ziemlich feuchter Beschaffenheit, --
von den Gletschern herab und von den vielen Eisbergen rings um uns
her ertönte ein ununterbrochenes Getöse, das durch Hinausgleiten und
Zusammenstürzen des Eises hervorgerufen wurde.

Früh am nächsten Morgen -- den 10. August -- wurde ich durch
einen Raben geweckt, der mir von einem Bergkamm gerade über uns
einen Morgengruß zusandte, und da der herrliche Sonnenschein zu
verlockend war, schleiche ich ganz unbemerkt aus dem Sack und
mache eine photographische Aufnahme von der Landschaft, einen
mächtigen vorspringenden Arm des Gletschers auf der Kolberger-Heide
im Hintergrunde und meine beiden Schlafgenossen, +Sverdrup+ und
+Dietrichson+, noch in tiefem Schlummer im Vordergrunde. Ich hoffe, sie
werden es mir verzeihen, daß sie auf diese Weise, ohne es zu wissen,
auf ihrem keuschen Lager liegend dargestellt werden. In der Ferne
erblickt man auf dem Bilde den kegelförmigen +Kiatak+.

Wir hatten das herrlichste Wetter und ganz eisfreies Fahrwasser, das
beste, das uns bis dahin vorgekommen war; mit schneller Fahrt ging es
nun unserem Ziel entgegen. Unser Mittagsmahl nahmen wir auf höchst
angenehme Weise ein, indem von Süden her eine schwache Brise wehte, so
daß wir unsere Segel aufsetzten und uns Muße zum Essen lassen konnten.
Ich bin niemals auf einen Felsen zugerudert, der mir so hartnäckig
vorgekommen ist, wie dieser +Kiatak+ -- 800 ~m~ hoch. Wir hatten ihn
nun zwei Tage lang gesehen und doch schien er uns noch immer gleich
fern zu liegen. Mit Hülfe von Rudern und Segeln schienen wir ihn jedoch
endlich bewältigen zu sollen, aber da kam der Seenebel. Ehe alles um
uns her verhüllt war, waren wir aber so nahe herangekommen, daß wir
sehen konnten, wo wir landen mußten, und unser Peilen mit dem Kompaß
aufnahmen.


Fußnoten:

[77] Oben auf dem Gipfel dieses Vorgebirges fand ich ein
niedergerissenes Bauwerk, aus einigen quer übereinanderliegenden
Steinen bestehend, die einen länglichen Raum bildeten. Obwohl die
Fuchsfallen der Eskimos in der Regel nicht ganz in dieser Weise gebaut
werden, glaube ich doch, daß dies die Trümmer einer solchen waren.

[78] Die große Insel, die auf +Holms+ Karte angeführt ist, ist nicht
eine einzige Insel, sondern eine schmale Meerenge theilt sie in zwei
Inseln, von denen die äußere die kleinere ist.




*** End of this LibraryBlog Digital Book "Auf Schneeschuhen durch Grönland. Erster Band" ***


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