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Title: Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt Author: Selow-Serman, K. E. Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. Copyright Status: Not copyrighted in the United States. If you live elsewhere check the laws of your country before downloading this ebook. See comments about copyright issues at end of book. *** Start of this Doctrine Publishing Corporation Digital Book "Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt" *** LETZTE FAHRT *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1917 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Wortvarianten, insbesondere bei Ortsnamen, wurden nicht vereinheitlicht. Die Umlaute Ä und Ü in Großbuchstaben werden im Original teilweise als deren Umschreibung (Ae, Ue) dargestellt. In der vorliegenden Bearbeitung wurde deren Schreibweise zu Ä und Ü vereinheitlicht. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: unterstrichen: _Unterstriche_ fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt [Illustration] Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1917 by August Scherl G. m. b. H., Berlin. Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt Von +K. E. Selow-Serman+ +1. bis 100. Tausend+ Druck und Verlag von August Scherl G. m. b. H. +Berlin+ Inhalt Seite Tsingtau-Lied 7 Auf dem Hsikiang 9 Hochwasser 20 Krieg 40 Nach Manila 50 Interniert 66 Weddigen 76 Wieder interniert 85 Im Mauritius-Orlan 94 In die Wüste 111 [Illustration: Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt] Tsingtau-Lied Verfaßt von Kapitänleutnant v. Möller In Hongkong die Winde, Sie wechseln geschwinde, Mal lau und gelinde, Mal heftig, mal rauh. Umgeben von Riffen, Von Bojen und Schiffen, Ein bißchen bekniffen, Da liegt die Tsingtau. Der Pik, der schaut munter Auf dies Kunterbunter Von oben herunter, Auf glitzerndes Blau. Die Wolken, sie schweben Am Pik, bleiben kleben Und unten bleibt eben Allein die Tsingtau. Im Delta da fahren Die Dschunken zu Paaren, Die Zampans in Scharen Und machen Radau, Doch leis und bedächtig, So grau und so prächtig, Bewaffnet und mächtig Erscheint die Tsingtau. Im Westfluß, da fährt sie, Viel Freude beschert sie, Viel Wasser begehrt sie Bis rauf nach Lungtschau. Und jeder verehrt sie, Den Handel vermehrt sie, Doch Kohlen verzehrt sie, Die kleine Tsingtau. Man lebt auf dem Lande, Man badet am Strande, Man schwimmt auf dem Sande, Man trinkt auch Kakau. Man dreht die Maschinen, Man spielt Mandolinen, Das ganze heißt dienen An Bord der Tsingtau. Wo Deutsche auch wohnen, Da zeigt man Kanonen, Besucht die Missionen, Die Zeiten sind mau, Wenn bei den Chinesen Ein Totschlag gewesen, Dann schrei’n Kantonesen: Wo bleibt die Tsingtau? Die Zeit geht behende, Sie ist bald zuende, Adieu liebe Sände, Adieu mein Tsingtau, Zur Heimat geht’s wieder, Zu Mutter und Brüder, Wir kehren nicht wieder Zurück zur Tsingtau. [Illustration: Kapitänleutnant v. Möller † Kommandant S. M. S. „Tsingtau“] Auf dem Hsikiang Ein leichtes Knirschen unter dem Schiffsboden ... einige kurze Stöße ... ein scharfer Ruck ... „S. M. S. Tsingtau“ sitzt auf einer Sandbank fest. „Beide Maschinen Stopp!“ Braunes Wasser quirlt zu beiden Seiten und am Heck auf, ganze Lehm- und Schlickklumpen kommen hoch. Das Schiff ist festgekommen. Bisher war die Reise, seit der Abfahrt von Kongmoon, wo Schießübungen abgehalten wurden, glatt verlaufen. „Eine verteufelte Geschichte!“ wendet sich der Kommandant, Kapitänleutnant v. Möller, an seinen neben ihm auf der Brücke stehenden Wachtoffizier, Leutnant z. D. v. Wenckstern. „Wenn das Wasser nicht bald steigt, sehe ich schwarz für unsere Ankunft in Wutschau!“ Am Bug, am Heck und an den Seiten sind ein Dutzend Leute damit beschäftigt, mit gemarkten Stangen die Wassertiefe zu messen und festzustellen, wo das Schiff aufsitzt. Vorne weist das Wasser schon wieder zwei Meter Tiefe auf. Die Sandbank, die nach Steuerbordseite abfällt, beginnt in der Höhe der Brücke. Vom Schornstein bis fast zum Heck muß „Tsingtau“ festsitzen: keine 90 Zentimeter Wasser! Während auf der Brücke nach den Peilungen überlegt wird, wie das Schiff loskommen kann, klingt’s von unten in unverfälschtem Hamburger Platt herauf: „Du Koarl, willt wi beid’ mol öwer Board jumpen unn ein losschuwen?“ Prompt kommt die Antwort zurück: „Tja Hein, denn will ick öwer erst min Boadeanzug antrekken!“ Ein leises Schmunzeln oben auf der Brücke. „Steuerbord 10, beide Maschinen Äußerste!“ Wieder färbt sich der Strom unter dem dunkelbraunen Sand und Schlick, den der Schraubenwirbel vom Grunde hochjagt; keine Bewegung aber kommt in das Schiff. Schwer lastet „Tsingtau“ auf dem Sande, die Landmarken bleiben unverändert. „Stopp! Beide Maschinen große Fahrt rückwärts!“ Eine halbe, eine ganze Minute peitschen die Schrauben das Wasser. „Stopp! Beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“ Da! Ein leises, kaum merkbares Zittern. Das Schiff neigt sich nach Steuerbord über, knirschend rutscht es von der Sandbank herunter, liegt grade, ist frei! Mit halber Fahrt, äußerst vorsichtig, wird der Weg stromaufwärts fortgesetzt. Das in Südchina stationierte Flußkanonenboot „Tsingtau“ ist am 16. Mai 1914 von Kongmoon in der Mündung des Hsikiang (Westfluß) abgegangen, um von Wutschau aus Erkundungsfahrten in unbekannte Flußgebiete der Provinz Kwangsi vorzunehmen und die deutsche Kriegsflagge dort zu zeigen. Eine für Offiziere und Mannschaften des kleinen Fahrzeugs äußerst interessante, aber keineswegs leichte Aufgabe. Der älteste Mann an Bord ist kaum Mitte der Dreißig, allen wohnt der Drang, der in jedem Deutschen sitzt, inne, Fremdes zu schauen, Neues, Ungewohntes zu erleben. Jeder freut sich der kommenden Tage, die sicherlich Zwischenfälle der mannigfachsten Art bringen werden. Nur wenige größere Städte weist die Karte auf, was dazwischenliegt, ist unbekanntes Land. Die kühnsten Hoffnungen werden an die Fahrt geknüpft: Jagdabenteuer, Fischerei, Zusammentreffen mit Piraten, Erwerb echt chinesischer Raritäten; je nach Liebhaberei. Langsam gleitet „S. M. S. Tsingtau“ gegen die Strömung an. Vom Löß, dem chinesischen Lehm gefärbt, wälzen sich die gelben Fluten in schnellem Laufe dem Meere zu. Voraus kommt eine Dschunke in Sicht. Das riesige, gezackte, braune Segel leuchtet im hellen Sonnenschein schon von weitem herüber. Zwei ungeheure Glotzaugen sind in grellen Farben zu beiden Seiten des Bugs aufgemalt. Fast unheimlich ist der Eindruck, als schöbe sich irgendein phantastisches Seeungeheuer herauf. Bis unter das Segel türmt sich die Ladung, die aus Ballen getrockneter Häute besteht. Stumpfsinnig hockt die Mannschaft an Deck herum. Eine unheimliche Gesellschaft, mit der man im Anfang so gar nichts anzufangen weiß, weil sie sich gleichen, wie ein Ei dem andern. Alle scheinen die gleichen starren Gesichter zu haben, auf denen nicht die geringste Regung eines eigenen Innenlebens zu erkennen ist. Alle tragen sie das blaue, billige Nankingzeug. Erst wenn man sie länger kennt, lernt man sie unterscheiden. Gleichgültig schweifen nüchterne Augen von drüben über das Kriegsschiff hinweg ins Leere. Auf hohem achteren Aufbau steht der Mann am Steuer. Schnell rauscht die Dschunke mit dem Strom vorbei, wie ein Bild aus längst entschwundenen Jahrtausenden anmutend. Kein Laut, keine Bewegung an Bord, als seien es nicht lebende Menschen. Zu beiden Seiten gleitet das Ufer entlang. Bis zu fünfzehn Metern hebt es sich stellenweise, kommt näher bald, um wieder weiter zurückzutreten. Aus bläulichem Dunste leuchten in der Ferne Bergzüge herüber, von deren Spitzen der kahle Fels im Sonnenglanze schimmert, wie ewiger Schnee. Die Gegend ist ziemlich belebt, reger Verkehr herrscht. Wie eine endlose Flut dehnen sich gelbe Reisfelder bis an den Horizont, wo die Berge ragen. Zwischen schlankem, grünbelaubtem Bambus glänzen helle Mauern einzelner Gehöfte, über denen sich Schilfdächer wölben. Als Ansteuerungsmarken und gleichzeitig als Wahrzeichen der Gegend dienen die eigentümlich geformten Pagoden, die sich auf kleinen Anhöhen erheben. In strahlendem Sonnenschein liegt die Gegend. Auf den Feldern arbeiten Leute, auf den Wegen ziehen ungefüge einräderige Karren langsam dahin. In einer stillen, schilfumstandenen Bucht sielen sich Wasserbüffel. Bis an den Hals stecken sie in ihrem geliebten Schlamme, nur der wild anmutende zottige Schädel mit den großen gutmütigen Augen sieht aus dem Wasser hervor. Ruhig, gleichmäßig dösen sie, kaum daß der Kopf sich dahin wendet, wo eben das deutsche Schiff vorbeizieht. Oben am Ufer steht ein altes Tier, das erstaunt nach dem schnaubenden Ungetüm herüberäugt. Ein kleiner, kaum vierjähriger Chinesenjunge, der mit Wasser wohl kaum noch während seiner kurzen Erdenlaufbahn Bekanntschaft gemacht hat, so dreckig ist er, sitzt auf seinem Rücken. Auch ihn läßt das Schiff völlig kalt. Eine sture Gesellschaft! Fremd in ihren Ansichten und der Auffassung vom Leben. Viele Jahrzehnte gehören wohl dazu, sie aus ihrer unheimlichen Ruhe aufzustören! Der Fluß verbreitert sich, die hier niedrigen Ufer treten zurück. Die Strömung wird geringer, die Gefahr des Festkommens steigt durch die Verflachung. Dauernd peilen die Leute von Deck aus die Wassertiefen. Mit geringer Geschwindigkeit, äußerst vorsichtig setzt „Tsingtau“ ihren Weg fort. Weit voraus sind die Segel zweier Dschunken zu sehen, die quer zum Strom fahren. Auf der oberhalb liegenden flammt ein Blitz, starker Pulverqualm wälzt sich am niedrigen Bug auf, ein schwacher Knall kommt herüber. Eine Kriegsdschunke, die soeben einen Piraten gefaßt hat. Daß der Flußräuber selbst an der Arbeit ist, scheint ausgeschlossen, da ihm das herankommende Kriegsschiff, dessen charakteristische Formen ihm wohlbekannt sind, bei der Ausübung seines Handwerks etwas unheimlich sein dürfte. „Geschütze und Maschinengewehre klar!“ Ein eiliges Hasten an Deck, Munition wird gemannt, die Geschütze werden geladen, Patronengurte in die Maschinengewehre eingezogen. Drüben geht die Jagd weiter. Vergebens versucht der Pirat das Ufer zu erreichen, die schnellere Kriegsdschunke kneift ihm den Weg ab. Einen Augenblick darauf scheint er seine Absicht geändert zu haben, will stromabwärts entkommen. Einen Augenblick nur. Weiß er doch zu genau, daß das ihm entgegenkommende Kriegsschiff ein viel gefährlicherer Gegner ist als der bisherige Verfolger. Wieder blitzt es auf der Kriegsdschunke auf, von der jetzt zwei bunte chinesische Flaggen wehen. Ein Treffer. Die Vollkugel fährt aus dem uralten Vorderlader und reißt einen erheblichen Fetzen aus dem Segel des Räubers, dessen Geschwindigkeit sich mehr und mehr verlangsamt. Rasch nähern sich die beiden Dschunken. Aufgeregt hetzt die Mannschaft an Deck des zuerst herankommenden Piraten herum. Der Mann am Steuer wirft sich mit voller Wucht gegen die Pinne, laute Kommandorufe, Schreien, Fluchen tönt herüber. Weit mehr Leute scheinen an Bord, als zur Bedienung des Fahrzeuges erforderlich sind. Alle in dem blauen Nankinganzug mit nacktem Oberkörper. Geradezu verboten sehen sie aus. Einige versuchen, auf dem achteren kleinen Mast ein Segel zu hissen, andere wieder laufen mit Flinten eines anscheinend uralten Systems nach dem hohen Aufbau und beginnen nach dem Verfolger hinüberzuschießen, der das Feuer sofort erwidert. Ein wildes Geknalle hebt an, bald hier, bald da ein Schuß, dann wieder eine ganze Salve. Schon jetzt ist zu sehen, daß die Kriegsdschunke überlegen, ein Eingreifen der „Tsingtau“ also unnötig ist. Wieder saust eine Kugel heran, trifft auf Deck, mitten in den Knäuel der zusammengedrängten Piraten, und schlägt ein halbes Dutzend Leute zu Boden. Vierkant drehen sie auf Land zu, um wenigstens das nackte Leben noch zu retten. Zu spät! Das zerfetzte Segel gibt dem Schiff keine Geschwindigkeit mehr, näher und näher rauscht der Verfolger, ununterbrochen feuernd, heran. In Todesangst -- wissen sie doch, was ihrer harrt -- springt ein Teil der Leute über Bord. Die Strömung faßt sie, wirbelt sie herum und entführt sie abwärts. Jetzt ist die Kriegsdschunke heran, geht am Piraten längsseit und macht fest. Mit Säbeln und Pistolen springen Soldaten herüber, bereit, jeden Widerstand zu ersticken. Im Handumdrehen ist das Werk getan. Wer noch lebt, wird gefesselt, daß er auch nicht ein Glied rühren kann, und wie ein gefüllter Sack an Bord der Kriegsdschunke geworfen. Die meisten freilich sind vorher schon unter den Kugeln gefallen oder ertrunken. Dann wird das erbeutete Fahrzeug in Schlepp genommen und nach Wutschau zugehalten, wohin auch S. M. S. „Tsingtau“ ihren Weg fortsetzt. Eine riesige, zinnengekrönte Mauer umgibt die Stadt, aus deren Mitte sich eine Anhöhe erhebt. Ein Gewimmel alter, halbverfallener Häuser, schmaler, winkeliger Gassen und Gäßchen, aus denen nur selten ansehnlichere Gebäude, die Sitze der Regierungsbehörden, ragen. Besseren Eindruck macht des Geschäftsviertel zwischen der Mauer und dem Fluß. Die Straßen sind reinlicher und breiter, die Häuser ansehnlich. Längs des Ufers ist auf dem gelben Schlick die Kaimauer aufgeführt. Einige Hulks europäischer Firmen, die Anlegeplätze der kleinen Flußdampfer liegen dicht am Ufer vor mehreren Ankern am Bug und Heck. Laufplanken führen an Land. Eine Stunde nach dem Kampf der Kriegsdschunke mit den Piraten rasselt der Anker des Kanonenbootes in den Grund. Kaum liegt „Tsingtau“, die in Wutschau wohlbekannt ist, ruhig, als auch schon vom Ufer kleine chinesische Zampans abstoßen. Geschäftstüchtige Schiffshändler kommen längsseit. In fließendstem Pidgeon-Englisch preist der Bumboatsman Wong-fa Eier und Hühner für einen lächerlich billigen Preis an, der aber trotzdem den richtigen Marktpreis noch immer um ein Vielfaches übersteigt. Einige der neu an Bord gekommenen Leute wollen sich das gute Geschäft, ein Dutzend Eier für fünfundzwanzig Cents erwerben zu können, nicht entgehen lassen, werden aber schleunigst von den alten, erfahrenen Tsingtau-Leuten belehrt, daß sie die Preise nicht verderben dürfen. Tatsächlich sehen sie sofort, daß Wong-fa, in schneller Erkenntnis, daß es hier keinen übermäßigen Profit gibt, sich grinsend ob der deutschen Geschäftstüchtigkeit mit zehn Pfennig für das Dutzend begnügt. Gegen Abend meldet sich der chinesische Lotse Ah-Koo mit seinen beiden Gehilfen an Bord, eine für die Weiterfahrt sehr wichtige Persönlichkeit, da es jetzt in unbekannte Flußgebiete geht, deren dauernde Veränderung durch Hochwasser, Strömung usw. in Karten und Büchern nicht festgelegt werden kann. Nur jahrelangen, ständigen Befahrern offenbart der Fluß seine Geheimnisse und läßt sie aus Strömungen und Wirbeln die richtige Fahrstraße erkennen. Bei Tagesanbruch geht die Fahrt stromaufwärts los. Das Bett wird enger, die Strömung reißender; höher, bis zu zweihundert Meter hebt sich das Ufer, steiles, kahles Gestein schiebt sich heran, das in jäher Wand zum Wasser abfällt. Die Durchbruchsstelle des Flusses durch den Fels, von dem noch Riffe und Klippen im Bette selbst, um die das Wasser in schäumenden Wirbeln hinwegschießt, zeugen: Die Kau-Wei-Hau-tan-Schnelle, die sich fast zwei Kilometer weit dahinzieht und wegen ihrer Gefährlichkeit berüchtigt ist. Jetzt heißt es aufpassen. Ruder- und Maschinenkommandos jagen einander. Ununterbrochen wirbelt der Rudergänger das Rad bald nach rechts, bald nach links herum; bald stoppt die eine Maschine, während die andere mit äußerster Kraft voraus arbeitet, dann wieder geht die eine zurück, um die Rudermanöver zu unterstützen. Haarscharf geht es an Wirbeln vorbei. Jetzt liegt „Tsingtau“ quer zum Strom, im nächsten Augenblick wirbelt sie herum und jagt mit äußerster Kraft voraus. Langsam, unendlich langsam nur verstreichen die Minuten, deren jede das Ende bringen, das deutsche Schiff auf die Klippen werfen kann. Mit unheimlicher Wucht preßt sich das Wasser durch das enge Felsentor, die Luft ist erfüllt von dem Brausen und Singen der dahinschießenden Massen. Ah-Koo trabt von einem Ende der Brücke zum anderen. Er ist Südchinese, viel temperamentvoller als seine Landsleute aus dem Norden des Reiches. Trotzdem bleibt er eingermaßen ruhig, führt das Schiff sicher durch das gefährliche Fahrwasser. Wenige Minuten noch, dann treten die drohenden Felsen weiter zurück, das Bett wird breiter und flacher. Die Schnellen sind überwunden, gleichmäßig, ohne Wirbel fließt der Strom wieder dahin. Dicht unter Land quält sich eine Dschunke durch die Schnellen. Vom Oberteil des Mastes führen Leinen an Land, an denen ungefähr sechzig Kerle, mühevoll auf schmalen Steigen kletternd, das Schiff vorwärts treideln. Stundenlang arbeiten sie, um durch die Schnellen zu kommen, die „Tsingtau“ soeben passierte. Plötzlich dringt ein wildes Rufen und Schreien herüber: Die Hauptschleppleine ist gebrochen! In wirrem Knäuel stürzen die Treidelmannschaften über- und durcheinander. Einen Augenblick später schlägt die Dschunke quer zum Strom, die Treidelmannschaften lassen die übrigen Leinen, die sie noch krampfhaft umklammerten, los. Das Schiff ist nicht mehr zu halten. Sekunden später stößt es auf eine Klippe auf, wird wie Papier herumgedreht. Ein dröhnendes Krachen, wildes Geschrei .... Die Dschunke kentert, verschwindet. Menschen und Schiffstrümmer treiben talabwärts. Jeder Rettungsversuch ist ausgeschlossen. Weit unterhalb erst gibt der Strudel die Leichen von sich. Hochwasser Das Flußbett wird immer seichter. Langsam windet sich „Tsingtau“ durch die schmale Fahrrinne. Der Wasserstand ist außergewöhnlich niedrig, da die Schneeschmelze in den birmanischen Grenzgebirgen in diesem Jahre sehr spät eingesetzt hat und die heiße Sonne Südchinas das Wasser schnell verdunsten läßt. Tage, vielleicht Stunden dauert es noch, und ein weiteres Vordringen stromaufwärts bis an das gesetzte Ziel wird überhaupt unmöglich. Allerdings muß die Schneeschmelze täglich eintreten. Wenn nur das Wasser dann nicht zu plötzlich herunterkommt! Das Unheil, das auf den weiten ebenen Uferlandschaften angerichtet werden kann, ist gar nicht abzusehen. Tenschien kommt in Sicht. Schon sind die Mauern und Häuser der Stadt deutlich zu erkennen, da stellt sich das Schicksal in Gestalt der Hwanghwa-Kiang-Barre hemmend in den Weg. Keine achtzig Zentimeter Wasser mehr, und kaum eine halbe Seemeile entfernt springt grell leuchtend weißer Sand aus dem Flusse. Es geht nicht weiter. Also Anker in den Grund und abwarten, bis das Wasser steigt. An Bord herrscht nicht gerade Trauer darüber, daß die Fahrt unterbrochen wird. Die Hitze ist allmählich trotz des doppelten Sonnensegels drückend geworden, ringsherum flirrt und flimmert die Luft, das warme Flußwasser spiegelt die Sonne so grell wieder, daß die Augen schmerzhaft geblendet werden, das Zeug, das doch wahrlich dünn genug ist, klebt bei der geringsten Bewegung am feuchten Körper an. An Land ist es zwar nicht besser, dafür aber gibt es wenigstens Abwechslung. Die Feuer unter den Kesseln werden gelöscht. Was nur einigermaßen entbehrlich ist, erhält Erlaubnis an Land zu gehen. Nicht allerdings, ohne daß der Erste Offizier den „Gewehrträgern“ besorgt einschärft, recht vorsichtig zu sein und nicht etwa zahmes, chinesisches Viehzeug, das käuflich bedeutend billiger zu erwerben ist, anzuschießen. Das soll nämlich, obwohl keiner es gewesen sein will, wiederholt vorgekommen sein. In Trupps ziehen die Leute los. Die einen wenden sich nach der Stadt, um Raritäten und was es sonst Begehrenswertes gibt, zu erwerben, die anderen streifen durch die Flußniederung, um dort zu jagen. Die an Bord bleiben, trösten sich schließlich damit, daß morgen an sie die Reihe kommt und die Kameraden dann zu Hause bleiben dürfen. Aus weiter Ferne klingen vereinzelte Gewehrschüsse herüber: die Jäger sind an der Arbeit. Spät nachmittags, als die Sonne zur Rüste zu gehen beginnt, findet sich alles wieder ein und -- ein wahrer Tierpark mit ihnen. Die Jäger sind zuerst zur Stelle. Sie haben einen Rehbock erlegt und durch ein Kesseltreiben zwei Rehkälber erbeutet, die sie jetzt mitbringen. Sorgfältig werden die hübschen Tierchen an Deck gehoben. Während der Bootsmann noch über den ungebetenen Zuwachs an Bord schimpft und in schwerer Sorge überlegt, wo er die Gäste unterbringen kann, erstirbt ihm vor dem, was die nächsten Minuten bringen, das Wort im Munde. Mehrere Zampans legen an Backbord an, und die zweite Jagdkarawane entsteigt ihnen mit ihrer Beute. Voran kommt ein Gürteltier, das der glückliche Besitzer liebevoll auf dem Arm trägt, dahinter in einem Bastkorbe eine meterlange Schlange, die recht harmlos ist, wenn sie auch gefährlich aussieht, und zwei Uhus, die leise krächzend mit ihren großen gelblichen Augen ins Helle starren. Zum Schlusse folgt noch ein bedeutend weniger harmloser Gast, eine wilde junge Tigerkatze. Der Eigentümer, der auf seine Beute sichtlich stolz ist, hat sie angeleint, hält sie aber durch eine lange Bambusstange in sicherer Entfernung von seinem Körper; fauchend und um sich schlagend wehrt sich das Tier gegen seine Einschiffung. Bis hierher hat der Bootsmann, dessen Augen in ungläubigem Schreck immer größer werden, seinen Zorn noch unterdrückt. Drei Hunde mit zwei Jungen gehören ohnedies schon zur Besatzung. Eine Schlange, zwei Rehe, zwei Uhus .... Grimmiger wird seine Miene, und als jetzt der letzte Gast, die Tigerkatze, erscheint, bricht er in echtem Danziger Idiom los: „Nu fehlt bloß noch, daß Ainer von Aich mit ’nem Elefonten kommt, dann schmaiß ich Aich aber hailig mitsomt Airem Viehzaig über Bord, wir sind doch hier in keiner Arche Noah nich!“ Nach einigem Hin und Her findet aber alles Unterkunft, und der Erzürnte beruhigt sich. Lange freilich dauert die ganze Herrlichkeit nicht. Die Tigerkatze hat am nächsten Tage schon, wahrscheinlich aus Gram über den Verlust ihrer Freiheit, wie ihr Besitzer behauptet, Selbstmord begangen, indem sie sich an ihrem Seil erhängt, ein Reh springt über Bord und ersäuft, und das andere geht später elendiglich an Überfütterung zugrunde. Wie im Fluge ziehen die Wochen dahin. Zahlreiche Chinesen kommen aus der Stadt, kauern am Ufer hin und sehen stundenlang dem Leben und Betriebe an Bord des Kriegsschiffes zu. Mit echt chinesischer Findigkeit ist auch sofort ein „fliegender Teehändler“ und ein Garküchenmann zur Stelle. Eines Tages macht sich besondere Bewegung an Land bemerkbar. Es wimmelt oben von blaugekleideten Leuten, und immer mehr noch strömen zusammen. Dann naht aus einem der Stadttore ein seltsamer Zug. Voran ein Mann mit einer hölzernen Tafel, auf der chinesische Schriftzeichen prangen. Dahinter kommen zahlreiche Soldaten mit Gewehren und Spießen. In ihrer Mitte führen sie eine schlotternde Gestalt in blauem Nankingzeuge, einen anscheinend älteren Mann, dessen Hände auf den Rücken gebunden sind. Im Geschwindschritt kommen sie, gefolgt von einem Schwarm Neugieriger, das Ufer hinab. Auf einem kleinen Platze wird Halt gemacht. Die Menge teilt sich, die Tafel wird mit einem Pfahl in die Erde gestoßen und der Gefesselte darangelehnt. Eine Exekution: Der Delinquent ist ein früherer Mandarin, den erst jetzt, einige Jahre nach der Revolution, an der auch er sich beteiligte, sein Schicksal ereilt. Mit Berücksichtigung seines früheren Standes wird er gnadenhalber nicht geköpft, sondern erschossen. Ein Kommando. Ein wildes Geknatter, das eine Salve darstellen soll, folgt. Der Mann am Pfahl rührt sich nicht. Starr, mehr tot als lebendig, blicken die glanzlosen Augen in die Mündungen der rauchenden Gewehre. Ein zweiter Befehl, eine zweite „Salve.“ Dann erst knickt der Gerichtete schwerfällig zusammen und stürzt nach vorne über. Er ist tot. Die Verwandten erhalten den Leichnam zur Bestattung und dürfen ihn am nächsten Tage wegbringen. Steuerbord voraus liegt die Sandbarre. Seit Tagen schon schimmert ihr weißer Sand im grellen Sonnenlichte. Fast stündlich scheint sie zu wachsen und sich zu vergrößern, wie eine Warnung für das harrende Schiff: Bis hierher und nicht weiter! Schneeweiße Reiher und wilde Enten hausen dort, tummeln sich umher. Kurz vor sechs Uhr morgens kommt der neue Tag herauf. Dichte Nebel liegen über dem Flusse, decken alles mit einem Schleier. Zwei Stunden vergehen, bis das Ufer sichtbar wird. Auf der Brücke unter dem Sonnensegel hält der Signalgast Wache. Ununterbrochen spähen seine Blicke über den Strom und suchen die weiße Wand zu durchdringen. Jetzt lichtet sich der Nebel, wird dünner, und strahlend bricht die Sonne durch. Ein Stutzen! Die Sandbank voraus ist verschwunden, kein Wirbel zeigt, wo sie noch wenige Stunden vorher aus dem Grunde hervorwuchs. Auch der unter den Ufern liegende Schlick ist überflutet, gleichmäßig rauscht das Wasser über ihn hinweg. Der Strom steigt, der Weg ist frei! Dampf auf in allen Kesseln, so schnell als möglich. Schwerer Rauch wälzt sich aus dem hohen Schornstein, bald drehen sich die Schrauben. Langsam zuerst, als wenn sie aus langer Ruhe erwacht wären. Alles ist klar zur Weiterfahrt. „Anker lichten!“ Wenige Minuten später hängt der Anker vor der Klüse. „Steuerbord 10, beide Maschinen halbe Fahrt voraus!“ Mitten im Strom strebt „S. M. S. Tsingtau“ den Hsikiang aufwärts. Es geht an schilfbewachsenen Flußinseln vorbei, an Mündungen kleiner Nebenflüsse, an Siedelungen, an Pagoden, die wie Wächter von den Höhen ins Land ragen, an mauerumgebenen Städten. Scharf biegt der Fluß nach Süden. An Steuerbordseite schimmern im Scheine der untergehenden Sonne die hellen Gebäude von Sünschau herüber, der Präfekturstadt von Schanscha-Schan. Wieder geht der Anker für eine Nacht in den Grund. Am nächsten Tage heißt es den Hsikiang verlassen und im Roten Flusse, dem Hungschui-Kiang, weiter vordringen. Das Bett ist bedeutend enger, die Ufer treten näher heran, gefährliche Wirbel schaffen schwierige Passagen; an besonders engen Stellen schießt die Strömung mit so reißender Wucht entgegen, daß „Tsingtau“ nur mit äußerster Kraft weiterkommt. Die Gegend wird interessanter als zuvor. Die Bergzüge, die die letzten Tage noch aus blauer Ferne herüber zum Strome dämmerten, schieben sich heran, kommen in greifbare Nähe. Spärlich zeigt sich Wald, nur um die Tempel ziehen sich dunkelgrüne Bambushaine. Drei Tage dauert die Fahrt auf dem Roten Flusse, dann geht es nach Norden in den noch schmäleren Liu-Kiang. In scharfen Biegungen und Windungen, die größte Aufmerksamkeit beim Manövrieren erfordern, zieht sich das Bett dahin bis Lautschau-fu, dem Ziel der Fahrt. „Tsingtau“ ist das erste Kriegsschiff, das so weit binnenlands seine Flagge zeigt. Ein Engländer, die „Moorhen“, hat es vorher schon versucht, mußte das Unternehmen aber aufgeben. Plötzlich, ganz ohne Übergang, treten die Berge zurück und machen einer fruchtbaren Ebene Platz. Mitten in weiten Reisfeldern und grünen Bambuswäldern wird das Häusergewirr von Lautschau-fu sichtbar. Auch hier windet sich eine zinnengekrönte Mauer um die Stadt, ziehen sich leichtgebaute Häuser außerhalb der Mauern zum Fluß hinab. Das erste europäische Kriegsschiff, der erste europäische Dampfer überhaupt, der hier anlegt. Das Aufsehen, das das nach chinesischen Begriffen ungeheure Schiff, das mit seinem hohen Gefechtsmast ja wirklich einem mächtigen Kampfschiffe ähnelt, hervorruft, ist unbeschreiblich. Aus der ganzen Stadt strömt die Menge durch die dem Wasser zugewendeten Tore zum Flusse hinab, wie mit einem Schlage stockt das ganze Geschäftsleben. Dumpfe Gongschläge, die überall hörbar werden, verkünden allenthalben das Ereignis. Ein Gewimmel ist das in den engen Gäßchen! Die Mauern sind von Neugierigen besetzt, kein Fleckchen, das die Möglichkeit bietet, das fremde Ungeheuer zu sehen, ist frei, und noch immer versiegt der Zustrom nicht. Viele, nein, die meisten von denen, die da neugierig auf den Fluß hinabstarren, haben einen Dampfer überhaupt noch nie gesehen. Die Menge wankt und weicht nicht; keine Bewegung an Deck, wo jetzt eben Kapitänleutnant v. Möller mit dem Dolmetscher erscheint, entgeht ihr. Ein Raunen und Flüstern erhebt sich, als sie die riesenhafte Gestalt des deutschen Offiziers, die unter den kleinen Südchinesen doppelt auffällt, gewahr werden. Alles drängt zu der Stelle hin, wo das Boot der „Tsingtau“ anlegt. Soldaten und Polizisten haben Mühe, das Volk zurückzudrängen. Rücksichtslos schlagen sie auf die Leute ein, schaffen Raum bis zu dem Platze, wo mehrere Sänften bereitstehen. Nervige Fäuste heben sie vom Boden. Die Soldaten ordnen sich als Eskorte ringsherum, und im Geschwindschritt geht es durch das Tor in die von Menschen erfüllte Stadt. Ein Meer von Chinesen wogt rechts und links, öffnet sich, um sich sofort wieder zu schließen und hinten nachzufluten. Mit einem Ruck werden die Sänften niedergestellt. Der Yamen des Bürgermeisters, dem der Besuch gilt, ist erreicht. Mehrere hohe Tore, geräumige Höfe, rings von Amtsgebäuden umgeben, führen in das Innere, wo der chinesische Würdenträger des Gastes harrt. Ein älterer, behäbiger Herr, in prächtige Seidengewänder gekleidet, aus dessen faltigem Antlitz die Augen klug in die Welt blitzen, nähert er sich, wie es das chinesische Zeremoniell vorschreibt, unter vielen Verbeugungen und geleitet seinen Gast in die Empfangshalle, wo auf kleinen Tischchen Erfrischungen bereitgestellt sind. Sogar ein Stuhl ist zu Ehren des Europäers vorhanden. Während in papierdünnen Schalen der grüne Tee gereicht wird, entspinnt sich mit Hilfe des Dolmetschers eine rege Unterhaltung. Der Bürgermeister erkundigt sich, wie es dem Kaiser geht, spricht in begeisterten Ausdrücken über das schöne Schiff und fragt, ob die deutsche Marine noch mehr so große, mächtige Fahrzeuge hätte. Ein feines Lächeln zittert über seine faltigen Züge, als ihm der Dolmetscher berichtet, die „Tsingtau“ sei nur eines der kleinsten Boote, über die die deutsche Flotte verfüge. Er glaubt es nicht, ist aber viel zu höflich, einen Zweifel laut werden zu lassen. Besonders erfreut ist er, als Kapitänleutnant v. Möller ihn einladet, sein Schiff zu besuchen. Unter dem gleichen Zeremoniell wie die Ankunft geht die Verabschiedung vor sich. Es folgen noch kurze Besuche bei den anderen Würdenträgern der Stadt, dann schlagen die Sänften den Weg nach dem Flusse ein. Durch enge, winkelige Gassen, in denen oft ein Geruch herrscht, der für europäische Nasen nicht gerade angenehm ist. Eine Stunde später erscheinen mit feierlichem Pomp, umgeben von großem Gefolge, der Bürgermeister und der Polizeipräsident an Bord. Die ganze Mannschaft ist in tadellosen weißen Anzügen an Deck aufgestellt. Am Fallrepp bewillkommt der Kommandant seine Gäste und führt ihnen sein Schiff vor. Er zeigt ihnen die Geschütze, die Scheinwerfer, die Maschinengewehre. Das Interesse ist groß. Vieles scheint den Chinesen ja unverständlich, nie aber kommt eine Frage über ihre Lippen, immer bewahren sie ihre würdevolle Haltung. Dann geht es in die Offiziermesse, wo die Gäste bewirtet werden. Eine halbe Stunde dauert der Besuch. Kaum ist er von Bord, als neuer eintrifft! Mister Pitt und andere Angehörige der amerikanischen Mission, die hier wirkt. Der Ruf, daß der Kommandant der „Tsingtau“ auf seinen zahlreichen Fahrten in das Innere besonders gute Beziehungen zu den Missionen unterhält und großes Verständnis für ihre Bestrebungen hat, ist bis hierher gedrungen. Die Begrüßung ist außerordentlich herzlich, in kurzer Zeit ist eine sehr angeregte Unterhaltung im Gang. Der Besuch erzählt über die interessante Gegend. Über die Räuber, die in den Bergen hausen, und regelmäßige Streifzüge in die Ebene, bis unter die Mauern der Stadt unternommen, berichten die Amerikaner, über die Machtlosigkeit der Polizeigewalt und über die seltsamen Ureinwohner der benachbarten Sön-miau-dse-Republiken, die, von bräunlicher Gesichtsfarbe, arische Züge aufweisen, ihre eigenen Gesetze und Religion haben und die chinesische Oberhoheit nicht anerkennen. Lange bleiben die Gäste noch über das Essen hinaus und werden erst entlassen, nachdem für den nächsten Tag Ausflüge verabredet worden sind. Der Himmel hat sich umzogen, es regnet. Unaufhörlich, in jähem Gusse strömt das Wasser herunter und plätschert auf Deck und auf das Sonnensegel. Tiefdunkel ist die Nacht, kein Stern am Himmel. Wie aus weiter Ferne schimmern verschwommen die Lichter der kaum hundert Meter ab liegenden Häuser vom Ufer herüber. Unheimlich gurgelt die Strömung am Schiffe längs. Die Ankerketten -- längst sind zur Vorsorge beide Anker ausgebracht -- rucken einigemale. „Tsingtau“ giert bald nach Steuer-, bald nach Backbord. Lebhaftes Rufen, laute Schreie dringen von den an Land vertauten Dschunken und Zampans durch die Nacht. Lichter blitzen auf, huschen hierhin und dorthin. Das Wasser kommt! Immer mehr nimmt die Bewegung an Land zu, stärker, dringlicher werden die Rufe. „Dampf auf!“ Alle Leute werden gepurrt. Unheimlich schnell naht die Gefahr. Mit furchtbarer Wucht kommt das Wasser von den Bergen herab, brausend schießt es vorbei, höher und höher steigt es. „Scheinwerfer anstellen!“ Blendend strahlt im nächsten Augenblick eine Lichtflut auf, bricht durch das Dunkel. Das Ufer ist überflutet, schon leckt das Wasser an die ersten Häuser heran. Überall hasten die Gestalten herum. In wilder Eile werden die Häuser geräumt. Einrichtungsgegenstände und Geräte werden nach der höhergelegenen Stadt hinaufgeschafft. Kinder und Hunde waten im Wasser hinten nach. Als die Lichtstrahlen hereinbrechen, stockt in jähem Schrecken an Land jede Bewegung. Furchtbar, grauenhaft dünkt die Chinesen das Erscheinen einer Sonne im nächtlichen Dunkel. Sind sie doch nur an Talg und ärmliche Petroleumlampen gewöhnt. Bald aber verstehen sie, daß der gute Lichtgeist ihnen beim Rettungswerke behilflich sein will und arbeiten in verdoppelter Eile. Das Inventar ist geborgen, jetzt geht es an das Einreißen der leichtgebauten Häuser selbst. Hier ein Pfahl, dort Latten, Bretter und Bohlen werden abgerissen. Klatschend stürzen die ihrer Stützen beraubten Lehmmauern zusammen, Strohdächer folgen ihnen nach. Das Unglück ist nicht allzugroß. Jedes Jahr kehrt das Hochwasser wieder, die Leute rechnen schon damit. Die Häuser werden abgerissen und, wenn sich die Flut verlaufen hat, eben neu aufgebaut. Lehm gibt es überall, nur das Holzwerk muß geborgen werden. So arbeiten sie also hastig, atemlos, wie gehetzt, als wäre jede Sekunde unwiederbringlich. Hohl braust die Strömung, scharfe Rucke gehen durch das Schiff. Die Ankerketten werden gesteckt. Wieder dröhnt am Ufer lautes Geschrei auf: Zwei Dschunken haben sich losgerissen und treiben in der reißenden Strömung flußabwärts in die Nacht. Bald nach oben, bald weiter unterhalb geistert die Lichtflut des Scheinwerfers, wo sie gerade gebraucht wird. Eben hat sie einen neuen Ausschnitt gefaßt, beleuchtet ihn taghell, als plötzlich, wie in einem Kinematographen, Leben in das Bild, das sich klar abhebt, kommt. Die beiden Häuser, die drüben abgetragen werden, verschwinden, andere, neue treten an ihre Stelle, Stadtmauern, ein Tor, Bäume ziehen vorbei. -- „Tsingtau“ treibt! -- Grell schlägt der Maschinentelegraph an, schrillt durch das Schiff. „Beide Maschinen halbe Fahrt voraus!“ .... Das Kommando kommt zurück ... „Große Fahrt!“ Immer reißender wird die Flut, ein Verbleiben auf dem Platze ist unmöglich, soll der Strom nicht Gewalt über das Schiff gewinnen. Eine Sekunde der Überlegung, eine kurze Besprechung mit Ah-Koo. „Anker lichten!“ Der gefährlichste Moment. Die Anker sind aus dem Grund, alles hängt jetzt von der Leitung des Schiffes und der Kraft der Maschinen ab. „Steuerbordmaschine äußerste Kraft voraus! Backbordmaschine äußerste Kraft rückwärts! Hart Backbord!“ .... Im reißenden Strome treibend dreht „Tsingtau“ trotz der schmalen Stelle glücklich mit dem Bug talabwärts. Mit rasender Geschwindigkeit saust das Schiff dahin, gespenstisch, in unheimlicher Fahrt gleiten die Ufer vorbei. Bald scheint es auf einen weiten See hinaus zu gehen, dann wieder springen steile Berge heran, deren Häupter sich ins endlose Dunkel verlieren. Noch schneller, atemberauschender wird die Fahrt an den engen Stellen. Tiefschwarz ist die Nacht, unaufhörlich strömt der Regen .... Der Fluß wird breiter, die Ufer treten zurück, ruhiger gleitet die Flut. In stillerem Wasser wird geankert. Die größte Gefahr ist abgewendet; hier wird die Dämmerung abgewartet. Grau und trübe kommt der Tag herauf und mit ihm die Erkenntnis, daß „S. M. S. Tsingtau“ außerhalb des Flusses mitten in einem chinesischen Dorfe vor Anker liegt. Dicht vor dem Bug tauchen die grünen Wipfel eines Baumes noch eben aus dem Wasser, ringsherum ragen die Dächer von Häusern. Fast zwanzig Meter ist der Fluß in der Nacht gestiegen, hat das ganze Tal mit seinen Fluten erfüllt und in einen See verwandelt. Dunkelbraun wälzt sich das Wasser dahin, langsamer dort, wo es ins Land getreten ist, schneller, in reißender Fahrt im eigentlichen Bette. Bootstrümmer treiben vorbei, ganze Hausdächer, kümmerliche Einrichtungsgegenstände, ertrunkenes Vieh. In bunter Abwechslung, stundenlang. Blaues Zeug leuchtet matt herüber. Eine Leiche -- eine zweite, dritte, ein halbes Dutzend. Im Schlaf von der Flut überrascht. Es wird heller, der Ankerplatz ist deutlicher zu übersehen. Ganze Familien sitzen da auf den Dächern um „Tsingtau“ herum, Männer, Frauen, Kinder, einzelnes, besonders wertvoll scheinendes Getier. Unaufhörlich leckt die Flut an den Lehmmauern, spült sie hinweg. Krachend stürzt bald hier, bald dort ein Haus zusammen, verschwindet in der Flut, und die Dächer treiben mit ihrer lebenden Last hinweg. Die Nachbarn, die sich noch sicher auf ihrem Platze fühlen, lachen, rufen, scheinen alles andere als Mitgefühl zu empfinden. Glücklich sind jetzt die Besitzer von Booten. Sie können sich, wenn auch erst viele Meilen unterhalb, in Sicherheit bringen. Ein Rettungswerk ist unmöglich. Der Strom schwillt weiter, längeres Verweilen kann gefährlich werden. Vor allem heißt es in den Fluß zurückkommen, um nicht, falls das Wasser sich ebenso plötzlich, wie es kam, verläuft, mitten in einem Reisfeld sitzen zu bleiben. Diesmal ist es allerdings gar nicht so einfach, Anker auf zu gehen. Mächtige Baumstämme haben sich zwischen die Ketten gesetzt und sie vertörnt. In unendlich mühseliger Arbeit muß das Holz, bevor die Ketten eingehievt werden können, mit Äxten und Sägen entfernt werden. Bis an die Hüften müssen die Leute in das Wasser, der Schweiß rinnt trotz strömenden Regens und kalten Windes, der von den Bergen niederbläst. Dann nach stundenlangem Bemühen sind die Anker an Bord, die Fahrt kann talabwärts fortgesetzt werden. Überall das gleiche, trostlose Bild: die braune Flut, die zu kochen scheint in ihrem rasenden Dahinschießen, Trümmer, totes Vieh, Leichen. Das Bett wird enger, stärker, brausender der Strom, der von Strudeln und Wirbeln erfüllt ist. Schneller und schneller, in unheimlicher Fahrt saust „Tsingtau“ dahin. Da! -- Das Schiff gehorcht dem Steuer nicht mehr, schießt, durch den Sog gezogen, in ein durch die Unterwasserklippen gebildetes Loch ... hart legt es sich über, als wollte es in der nächsten Sekunde kentern .... Wie instinktiv wirbelt der Rudergänger das Steuerrad herum. „Tsingtau“ richtet sich auf und rast in toller Fahrt weiter. Furchtbar war die Gefahr, nicht einen Augenblick aber haben Kommandant und Mannschaft die ruhige Überlegung verloren. Nicht so Ah-Koo, dem die Geschichte doch recht sehr an die Nieren gegangen ist. Er läuft von einem zum andern, reißt sein Hemd auf der Brust auf, deutet auf die Stelle, wo sein chinesisches Herz klopft und meint, glücklich grinsend: „Master, make looksee, make plenty bumbum; by -- by kaputtala!“ Womit er ungefähr sagen will, er hätte solches Herzklopfen gehabt, daß er darüber fast „kaputt“ gegangen wäre. Aus dem Liukiang geht es zurück in den Hung-schuikiang und von da in schnellster Fahrt in den Hsi-kiang, in dessen breitem und tiefem Bette sich das Hochwasser nur im Wasserstande fühlbar macht. Harte Tage liegen hinter den Tsingtauleuten. Das plötzlich in der Nacht eintretende Hochwasser, die Vernichtung der Vorstadt von Lautschau-fu, das Treiben der Dschunken und von „Tsingtau“ selbst, das Wenden des Schiffes in der reißenden Strömung, die Talfahrt, die in wahnwitziger Geschwindigkeit vor sich ging, die schrecklichen Eindrücke auf dem von Strudeln und Wirbeln erfüllten Flusse, die von Tod und Vernichtung sprachen, das gefahrvolle Passieren der Schnellen endlich, das jeden Augenblick den Untergang bedeuten konnte. In tollem Durcheinander gaukeln die Eindrücke noch in der erregten Phantasie, traumhaft, wie unwirklich dünkt die Ruhe und Stille. Unerhörte Anforderungen haben die letzten Tage an Kraft und Nerven gerichtet, ein ständiges „Angespanntsein“ war es, währenddessen das Wort „Schlaf“ gänzlich ausgeschaltet war. Jetzt ist das alles überwunden, scheint in unendliche Ferne gerückt. Nach vorsichtigem Loten gleitet „Tsingtau“ in einen stillen Seitenarm des Hsikiang. Der Anker fällt, die Maschine steht. Die wohlverdiente Sommerfrische kommt, die der Kommandant in Anbetracht der ausgestandenen Strapazen hier zu verbringen gedenkt. Das plötzlich eingetretene Hochwasser hat überdies die Fahrt stromaufwärts, die bedeutend länger geplant war, erheblich abgekürzt, so daß Zeit im Überfluß vorhanden ist. Klar und rein ist das Wasser des kleinen Flusses, fast jedes Steinchen auf dem Grunde ist zu sehen. In mäßiger Höhe streben auf beiden Seiten die steinigen Ufer hoch; vegetationsarm sind sie, da der heftige Regen hier immer wieder den letzten Rest kümmerlichen Bodens abwäscht, den nackten Fels zutage treten läßt. Spärlicher Graswuchs zeigt sich stellenweise, einzelne Büsche Farnkräuter, die nicht einmal die genügsamste chinesische Ziege füttern könnten. Weit hinter den Anhöhen dehnt sich die Ebene bis dahin, wo in blauer Ferne neue Hügel und Berge den Horizont abzuschließen scheinen. Keine Ansiedelung, kein Mensch, kein Lebewesen weit und breit! Hoch oben im klaren Blau nur zieht ein Bussard seine Kreise, Krähen segeln krächzend vorbei. Doppelt wohlig ist die tiefe Stille nach der Anspannung. Den ganzen Tag wird gebadet, die Leute klettern an Land herum, versuchen Fische zu fangen, kurz, führen das sorgenlose Leben von Sommerfrischlern, wie es nur selten den Schiffen der deutschen Marine beschieden ist. Nicht einmal Moskitos gibt es hier, obwohl die Sonne doch wieder mit tropischer Glut herunterbrennt und Wasser im Überfluß vorhanden ist. Ein Paradies für die Leute. Nur der Kommandant ist ernster und wortkarger als sonst. Wie ein schwerer Alp liegt die Nachricht, die Ende Juni wie ein Blitz aus heiterem Himmel eintraf, auf ihm, daß der österreichische Thronfolger und seine Gattin in Serajewo ermordet worden seien. Zunächst nur ein Telegramm, das der Draht und der Funke übermittelt hatten, eine jener vielen Nachrichten, die aus dem in unendlich scheinender Ferne liegenden Europa kaum für Minuten das gleichmäßige Leben Chinas zu unterbrechen geeignet waren. Am gleichen Tage spricht man noch davon, spinnt abends im bequemen Liegestuhl auf der Veranda der Klubs seine Gedanken darüber, und am nächsten Tage ist der Vorfall, so furchtbar tragisch er an sich auch sein mag, vergessen. Höchstens denkt man wieder daran, wenn nach Wochen die Zeitungen aus der Heimat, die nähere Einzelheiten bringen, eintreffen. Kapitänleutnant von Möller aber ist die grauenhafte Tragweite dieses Ereignisses klar. Wie abgeschnitten ist „Tsingtau“ von der Welt, seit jenes Unglückstelegramm eintraf. Das Hochwasser hat alle Postverbindungen unterbrochen, die Telegraphenleitungen zerstört. Der Kommandant sieht, wie sorglos seine Offiziere und Leute das Leben genießen. So behält er also seine Befürchtungen noch für sich. Nur sein Gesicht wird ernster, sorgenschwer. Ein Tag vergeht nach dem anderen. Prall und heiß glüht die Sonne vom wolkenlosen Himmel herunter, bescheint das deutsche Schiff in dem stillen Flusse, das fröhliche Leben und Treiben. Unvermittelt kommt eine Regenbö, der Ausläufer eines fernen Gewitters, herauf, heulend fegt der Sturm heran, zwängt sich durch das Tal und stürzt sich auf die „Tsingtau“. Ein Krachen, Splittern -- die Funkenstenge kommt, geknickt wie ein Streichholz, von oben auf Deck herunter. Plötzlich, wie er gekommen, ist der Sturm auch weg, und wolkenlos wölbt sich wieder der Horizont. Auf der Brücke steht neben Leutnant zur See von Wenckstern der Kommandant und sieht den Leuten zu, die geschäftig aufräumen. „Na ja, da haben wir den Salat! Nun können wir hier abbauen und uns in Wutschau eine neue Stenge kaufen,“ meint Kapitänleutnant von Möller. „Eigentlich schade“, erwiderte der Angesprochene. „Es war so schön hier, Herr Kapitänleutnant! Wollen wir nicht noch etwas hier bleiben? Ist ja auch für die Leute eine verdiente Erholung nach den schweren Tagen im Hochwasser.“ Der Kommandant nickt zustimmend. „Ich hätte ihnen den Aufenthalt auch gern noch vergönnt, aber ich weiß nicht, ich habe so eine merkwürdige Unruhe in mir, als ob draußen in der Heimat irgend etwas los wäre.“ „Nanu, Herr Kapitänleutnant, die einzige wichtige Nachricht war doch wohl nur der Mord von Sarajewo?“ „Über den mache ich mir ja gerade meine Gedanken, mein Bester. Welche Folgen kann die unselige Tat nach sich ziehen, welche Genugtuung, was für Garantien wird und muß Österreich von Serbien fordern? Denn daß die serbische Regierung dahinter steckt, ist nur zu wahrscheinlich. Der Weltbrand kann daraus entstehen, wenn ich auch im stillen hoffe, daß Rußland vor unserm Eingreifen Respekt hat und England neutral bleiben wird, um im Trüben zu fischen. Nein, wir wollen doch lieber morgen mittag fahren. Vielleicht wissen die Leute in Wutschau schon Näheres!“ „Schade, Herr Kapitänleutnant! So schön ist’s hier gewesen, so ruhig, so friedlich.“ Krieg Vor Wutschau rasselt der Anker der „Tsingtau“ in den Grund. Auch hier hat das Land infolge des Hochwassers ein gänzlich anderes Aussehen angenommen. Die lästigen Sandbänke und seichten Ufer sind verschwunden, in majestätischer Breite wälzt der Hsikiang seine Wasser dem Stillen Ozean zu. Diesmal braucht es weder Loten noch Peilen, in schlanker Fahrt geht es über die vielen Untiefen hinweg. Noch ist das Schiff nicht herumgeschwoit, als von Land her ein Boot absetzt. Post und Telegramme kommen an Bord, die schon tagelang hier warten und nun mit beinahe gefährlicher Verspätung die Nachricht von der politischen Spannung in Europa bringen. Die Zeitungen berichten bereits von Österreichs Kriegserklärung an Serbien und von Deutschlands Nibelungentreue, das seinen Entschluß kundgetan hat, an der Seite des Freundes und Bundesgenossen zu fechten. Der Krieg ... Der Schlaf floh in jener Nacht die wenigen deutschen Männer auf dem winzigen Schiffchen mitten in China. Die Nachricht, die sonst jedes Soldatenherz in freudige Aufregung gebracht hätte, hier wirkte sie anders. Da saß man nun weit, weit ab von der Heimat, auf einem Kriegsschiff, das doch eigentlich gar kein Kriegsschiff war, mit dem man wohl chinesische Rebellen und Räuber verscheuchen, aber nimmer Krieg führen konnte, ein Schiff, das sich nicht einmal aus der Dreimeilenzone hinauswagen durfte, weil es nur für die Flußfahrt gebaut war und bei leichtem Seegange schon dem Untergange geweiht sein mußte. Zu Hause da waren sie jetzt wohl begeistert, da brauste das „Deutschland über alles“, „Die Wacht am Rhein“ und „Haltet aus“ in die Lüfte. Hier durfte man das nicht, hier im neutralen Lande mußte man ruhig scheinen und seinen Grimm in sich hineinfressen. Zu Hause, da zogen sie jetzt hinaus in Feindesland, da jubelten sie ihrem Kaiser zu! Hier durfte man das nicht ... Die Brüder und Verwandten, die Kameraden bereiteten sich jetzt wohl schon auf den langerwarteten Kampf gegen den Feind, gegen das Volk, für das unsere Flotte nur „Willys Spielzeug“ war, vor: gegen England! -- Gegen England? -- -- Da wären also die Männer, mit denen man vor wenigen Wochen noch an einem Tisch saß, die so gern der deutschen Kameraden Gastfreundschaft genossen -- -- Feinde? Gerade die, mit denen man draußen so gern umging, weil man bei ihnen das meiste Verständnis fand! -- -- Auf die soll man also jetzt schießen, sie vernichten und töten? Die Kameraden von gestern. -- Das schöne Hongkong. -- Der Peak -- die Bowenroad, mit ihrem wundervollen Blick auf den Hafen -- Happy Valley. Abends dann der Klub, das nette Familienleben! Nicht nur bei den Deutschen. Da war in Hongkong ein Mädel, ein liebes, süßes, kleines Mädel, gertenschlank, mit blonden Haaren und blauen Augen, das noch kurz vor der Abfahrt gesagt hatte, es dächte viel an das „~Little german boat~“, -- das war ja nun auch wohl Feindin? Der nächste Morgen sieht die „Tsingtau“-Leute bei harter Arbeit. In aller Eile müssen die Vorräte des Schiffes aufgefüllt, Kohlen, Proviant und sonstiges Material an Bord geschafft werden, um allen Zufälligkeiten begegnen zu können. Der an Land wohnenden Europäer hat sich seit mehreren Tagen schon eine gewisse Aufregung bemächtigt, alles spricht vom Krieg, nicht offen, hinter allen Äußerungen aber birgt sich die Befürchtung, daß er seine furchtbare Wirkung auch auf das Wirtschaftsleben ausdehnen würde, daß zahllose alte Handelsbeziehungen, die im Laufe der Jahre gute Freundschaften geworden waren, mit einem Schlage zerschnitten würden. Es ist wohl ausgeschlossen, daß der Krieg selbst hier nach China übergreift. Sein Ausgang wäre später vielleicht von einer gewissen Bedeutung für das Land, da könnte die ~Pénétration Pacifique~ vom Süden vordringen, oder der rassenverwandte Japaner würde vielleicht versuchen, weitere Absatzgebiete an sich zu reißen, wenn er nicht schon vorher in müheloser Arbeit -- sind die Europäer doch mit sich selbst beschäftigt -- das tausendjährige Reich knechtet und ausbeutet. Denn was vom Japs zu erwarten ist, das hat er während der Revolution in Südchina in seiner ganzen brutalen Rücksichtslosigkeit gezeigt und bewiesen: daß ihm die chinesische Staatshoheit nichts weiter als ein leerer Begriff ist. Das Leben auf dem Flusse zeigt das gewöhnliche Bild. Heiß strahlt die Sonne vom Himmel herab auf die gelben Wellen. Schwer beladene, rotgestrichene Petroleum-Dschunken, auf denen die Blechtinns sich bis unter die Segel häufen, kommen stromaufwärts, andere mit Häuten, Holz und Vieh ziehen nach See zu. Vom Westen tauchen Rauchwolken auf, die sich in schneller Fahrt der Stadt nähern. -- Kriegsschiffe -- Kanonenboote. Bald verrät die Form sie als die beiden Franzosen „Vigilante“ und „Argos“. Wie werden sie sich verhalten, wenn sie hier in der Nähe des deutschen Kriegsschiffes vor Anker liegen? -- Jetzt sind sie querab. Schrille Pfiffe tönen auf allen drei Fahrzeugen. Die Mannschaften an Deck unterbrechen die Arbeit und machen Front, Kommandanten und Offiziere berühren mit der rechten Hand leicht zum Gruß die Mütze. Ein erneuter Pfiff hüben und drüben, und in schneller Talfahrt, ohne Unterbrechung, sausen die Franzosen weiter. Sollte die Unruhe in Europa etwa die Cantonesen angesteckt haben und das südchinesische Pulverfaß wieder vor einer Explosion stehen? Weitere Telegramme treffen im Laufe des Tages ein. Die Schicksalsstunde Europas bricht herein, kurze Zeit nur noch kann es dauern, bis der erste Schlag fällt. S. M. S. „Tsingtau“ ist seeklar. Am 1. August gleitet sie beim Morgengrauen in einer bisher unübertroffenen Geschwindigkeit stromabwärts nach Canton. Die vierhundert Kilometer bis dahin sollen in einem einzigen Tagesmarsch zurückgelegt werden. Weiter und weiter treten die Berge zurück, bis sie schließlich in blauer Ferne verdämmern. Gewaltig dehnt sich der Spiegel des Stromes, wo früher Reisfelder sich breiteten. Wie Inseln ragen dunkelgrüne Bambushaine, Tempelbauten und Pagoden aus dem Wasser hervor. Zahlreiche Flüchtlinge haben sich mit ihrem Vieh hierher gerettet. Aus kümmerlichen Schilfmatten haben sie sich notdürftige Unterkunftsstände, die ihnen Schutz gegen die Unbilden der Witterung bieten, geschaffen. Schwere Tage für die Armen. So unvermutet und plötzlich ist das Wasser hereingebrochen, daß sie kaum das nackte Leben zu retten vermochten. An Lebensmittel konnte keiner denken; nun dürfen sie hungern, bis das Wasser abfließt. Von der Regierung kommt ihnen keine Hilfe. Um einen vorspringenden Huck kommt einer der flachgehenden Flußdampfer in Sicht. Von weitem schon kündet sich das Brausen an, mit dem klatschend die riesigen Schaufelräder das Wasser hinter sich drücken. Nur langsam kommt er gegen den Strom an. Eine ungeheure Rauchwolke quillt aus dem Schornstein, zieht nach Land zu und scheint sich als eine endlose schwarze Fahne zu verlieren. Als die beiden Schiffe noch etwa anderthalb Seemeilen voneinander entfernt sind, gehen auf dem vordersten Mast des Dampfers Signalflaggen hoch. Noch sind sie nicht auszumachen, da der Westwind sie nach achtern auswehen läßt. Jedenfalls aber ist das Signal für die „Tsingtau“ bestimmt, die nun etwas nach Steuerbord ausschert, um das Signal ablesen zu können. Weithin leuchten die riesigen chinesischen Schriftzeichen: Dampfer „Whampoa“ aus Hongkong ... also ein Engländer. Am Heck flattert die rote Fahne mit dem Union-Jack. Der Steuermannsmaat, der das internationale Signalbuch eifrig wälzt, hat jetzt das Signal gefunden: „Habe wichtige Post für Sie.“ Die Schiffe nähern sich, und „Tsingtau“ schlägt einen Bogen, um sich auf der Höhe des „Whampoa“ zu halten. Beide Schiffe sind aus der Strömung in ruhigeres Wasser gelaufen, um so das Anbordnehmen der Post zu erleichtern. Gleich darauf stößt auch vom Engländer ein von Chinesen bedientes Boot ab; am Heck hat ein Europäer Platz genommen. In wenigen Minuten ist das Boot geschickt längsseit gebracht, und der Sekretär des deutschen Konsulats in Canton kommt mit Post für den Kommandanten an Bord. Kaum ist das kleine Fahrzeug wieder drüben aus dem Wasser geheißt, als auch schon die Räder mit voller Kraft zu schlagen beginnen und der Dampfer seine Fahrt stromaufwärts fortsetzt, während „Tsingtau“ nach Osten jagt. Während Kapitänleutnant von Möller die Post öffnet, umringt die Mannschaft den an Deck stehenden Konsulatsbeamten, um ihn nach neuesten Nachrichten, die aus Europa eintreffen, auszuforschen. Was er erzählt, läßt kaum noch einen Zweifel zu. Krieg mit Frankreich, Krieg mit Rußland, mit Serbien. Englands Haltung ist heute wohl noch unbestimmt, aber ... Während in den sofort sich bildenden Gruppen alle Möglichkeiten, was aus „Tsingtau“ und ihnen selbst werden soll, erörtert werden, erscheint der Kommandant auf der Brücke und läßt „Klar Schiff“ anschlagen. „Tsingtau“ macht gefechtsklar. Also Krieg! -- Auch hier im fernen Osten! Nach einer halben Stunde etwa sind die Vorbereitungen beendet, und „Tsingtau“ ist bereit, einem Gegner, der sich ihr auf dem Strom stellt, die Zähne zu zeigen. Ohne Zwischenfälle aber geht die Fahrt weiter. Die Dunkelheit bricht herein, die Lichter von Canton tauchen auf, und gleich darauf auch blitzen unter grünen Bäumen die erleuchteten Häuser von Shamien, der Fremdenniederlassung auf der gleichnamigen Insel, im Süden der Stadt herüber. Zahlreiche Dampfer liegen auf dem Strom vor Anker. An ihnen vorbei gleitet „Tsingtau“. Scharfe Augen spähen durch die Nacht. Richtig, drüben, kaum hundert Meter ab, liegen die beiden französischen Kanonenboote. Deutlich sind alle Einzelheiten an Deck drüben zu erkennen. Offiziere und Mannschaften tauchen aus dem Innern an Deck auf und verfolgen aufmerksam das Schiff, das langsam an ihnen vorüberzieht. Eisiges Schweigen hüben und drüben. Kein Pfiff ruft die Mannschaft zur militärischen Ehrenbezeigung, keine Hand hebt sich zum Gruße. -- Feinde! In der Heimat, Tausende von Meilen entfernt, brüllen wohl schon die Geschütze, dröhnt das Hurra der stürmenden Kameraden. Wenige Minuten später liegt S. M. S. „Tsingtau“ vertäut an ihren Bojen. Von Land stoßen Boote ab. Weitere Nachrichten kommen, die aber an den Entschlüssen des Kommandanten nichts mehr ändern. Still und ruhig liegt das Schiff. Nichts unterscheidet es äußerlich von dem Bilde, das es von früheren Tagen bot. Aus den auf dem Oberdeck liegenden Messen und Wohnräumen blitzt mitunter ein Lichtstrahl auf das dunkle Wasser des Cantonflusses hinaus, eine Tür öffnet sich, schließt sich rasch wieder; desto reger aber ist das Leben im Innern des Schiffes. Eifrig kramen und suchen die Leute an ihren Kleiderspinden, schnüren Bündel, packen ein und wieder aus. Eine schwere Arbeit, unter dem Vielen, das sich trotz des beschränkten Raumes angesammelt hat, das Wertvollste herauszufinden. Nur zu oft wandert so manches Stück aus dem Spinde heraus, um schließlich doch mit einem Seufzer schweren Herzens wieder zurückgelegt zu werden. Es geht nicht. Nur das Notwendigste darf mitgenommen werden, lautet der Befehl. Dunkel, in tiefer Stille brütet die Nacht über dem Strom. Aus weiter Ferne nur klingt gedämpft das Rattern einer Winde, das dumpfe Tuten einer Dampfpfeife herüber. Vier Glas, zwei Uhr morgens. Unter Deck ist die Mannschaft angetreten. Der Kommandant will sich von ihnen verabschieden. Wer weiß für wie lange? Für immer vielleicht? -- Schwere Minuten, die jedem Einzelnen von ihnen unauslöschlich im Gedächtnis bleiben werden. „Achtung!“ Gedämpft klingt es diesmal, nicht scharf, schneidig, wie sonst. Der Kommandant. „Zusammenschließen! Rührt euch!“ Der Abschied. Lange haftet der Blick Kapitänleutnants von Möller an den Leuten, deren jeden einzelnen er genau kennt. Sie merken, wie unendlich schwer ihm das wird, was er sagen will, wie es in seinem Innern arbeitet, wie er nach Worten sucht, um sie fühlen zu lassen, wie inhaltsvoll der Augenblick ist. „Kameraden! Ihr wißt wohl Alle, zu welchem Zweck ich euch hierher befohlen habe. Unser Allerhöchster Kriegsherr hat gestern die Mobilmachung von Heer und Flotte angeordnet. Trotz aller seiner Friedensliebe ist es ihm nicht gelungen, den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Vom Westen und Osten stürmen die Feinde auf uns und unsern treuen Verbündeten Österreich-Ungarn ein. Noch hat England sich nicht entschieden, jede Stunde aber kann es in die Reihe unserer Gegner führen. Wir sind allein. Das Kreuzergeschwader steht in der Südsee, wir sind nur auf uns angewiesen. Ihr wißt alle, daß wir mit unserm Schiff keine Gelegenheit haben können, dem Feinde im Kampfe gegenüberzutreten. Untätig zuzusehen, wie die Kameraden sich für Deutschlands Ehre und Ruhm schlagen, ist aber nicht deutschen Seemanns Art. Die Heimat ist unerreichbar, zu weit. Ein Stück deutscher Boden aber liegt auch hier im fernen Osten. Ihr sollt versuchen, euch nach Tsingtau durchzuschlagen. Sollte es auch dort zum Kampfe kommen, so werdet ihr sicher bald Gelegenheit finden, zu beweisen, daß auch ihr für die deutsche Flagge zu kämpfen und zu sterben wißt. Ihr seid von der „Tsingtau“! -- Vergeßt das nicht. Haltet zusammen. Ich weiß, daß ich nur Gutes von euch hören werde. Und nun geht mit Gott!“ -- -- -- Der Morgen graut, dichte Nebel liegen über dem Flusse, leise, geräuschlos lösen sich mehrere Boote von dem Schiff und streben dem nahen Lande zu .... Am 19. August, bei Bekanntwerden des japanischen Ultimatums ist die ganze Besatzung schon mehr als zweitausend Kilometer von ihrem Schiff entfernt, um das Stück Heimat, das Stückchen Deutschland im fernen Osten, das ihrem Schiffe seinen Namen gegeben hat, mit ihren Leibern und mit ihrem Blute gegen weiße und gelbe Habgier und Raublust zu verteidigen. Nach Manila Seit einer Viertelstunde schon schlendert ein baumlanger, schlanker junger Mensch vor dem Bahnhof in Canton auf und ab. Die straffe Haltung und das gebräunte Gesicht verraten schon von weitem den Offizier. Ungeduldig spähen die scharfen Augen die breite Straße hinunter, die von der Station nach der Stadt führt. Endlich erscheint dort, gerade als die Ungeduld des Wartenden auf dem Höhepunkt angelangt ist, ein Rikschamann mit seinem mit Gepäck beladenen Karren. „Kwai, kwaiiii! Schnell, los, los! Mach’ doch endlich, daß du herankommst, du langweiliger Kerl!“ Kaum hört der Chinese den Ruf und wird des Europäers ansichtig, als er auch seine letzte Kraft anspannt. In rasendem Laufe windet er sich durch das Gedränge, überquert den Platz und setzt endlich mit einem erleichterten Seufzer die Gabel vor dem Eingangstor der Station nieder. In hellen Strömen rinnt ihm der Schweiß über das gelbe Gesicht und den nackten Oberkörper. Während er noch grinsend das über Erwarten hohe „Teegeld“ einstreicht, springt ein anderer Chinese herzu, faßt das Gepäck und schleppt es auf einen Wink zur Zollabfertigungsstelle. Kapitänleutnant von Möller hat am frühen Morgen sein nach dem Abzug der Mannschaft so still gewordenes Schiff verlassen, um sich zunächst mit der Bahn nach Hongkong zu begeben. Ruhig, gelassen schreitet er jetzt hinter dem Kuli den Zollschranken zu. Eine unangenehme Geschichte, diese Zolluntersuchung, bei der jeder Koffer durchwühlt wird. Die Beamten hier brauchen nicht gerade alles zu wissen, was sich in seinem Gepäck birgt. Na, so arg scheint es ja auch nicht werden zu wollen. Der erste Koffer wird geöffnet. Einige Fragen des chinesischen Beamten nach Opium und ähnlichen verbotenen Dingen werden zufriedenstellend beantwortet, eben klappt der Deckel wieder herunter, als aus dem Hintergrunde eine scharfe Stimme ertönt. Erregt tritt ein europäischer Beamter heran und befiehlt dem Chinesen barsch, die Sachen nochmals gründlich zu durchsuchen. Ein kleines, schmächtiges Kerlchen mit kohlschwarzem Knebelbarte, dessen greuliche Aussprache schon beim ersten Wort den Franzosen verrät. Längere Zeit hat er von seiner dunklen Ecke, in der er sich vorher verborgen hielt, die alles überragende Gestalt von Möllers beobachtet, in dem sein Argwohn einen Deutschen vermutet, der im Begriff steht, nach Europa in den Krieg zu gehen. Wie ein wildgewordener Truthahn schießt er an die Schranke heran, schimpft über seinen nachlässigen Untergebenen: Was getan werden kann, dem Deutschen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, soll geschehen. Auch das kleinste, harmloseste Stückchen soll hervorgekramt, untersucht werden. Wenn der Passagier darüber den Zug versäumt und in Hongkong das vielleicht letzte Schiff -- wer weiß, ob England nicht morgen schon Farbe bekennt -- ohne ihn abgeht, ist wenigstens einer unschädlich. Offen freilich wagt er sich an den Riesen nicht heran, aber der gehässige Seitenblick, der den Deutschen streift, spricht Bände. Die Sache kann böse werden. Daß der Halunke ganze Arbeit macht, ist sicher. Noch aber ist nicht alles verloren. „Was abben Sie in Ihre Bagage?“ In ganz leidlichem Deutsch stellt er die Frage. Keine Antwort. Der Monsieur wiederholt bedeutend gereizter: „Ick bitte mir su sagen, was Sie abben in die Bagage ier?“ Ein erstaunter, verwunderter Blick trifft den Kleinen. In tadellosem Englisch kommt es aus dem Munde von Möllers: „~What do you mean, Sir?~“ Der Franzose stutzt einen Augenblick, dann zieht sich sein dunkles Gesicht in verbindliche Falten. „~Oh, you are English, Sir, I see! You are going to Hongkong? It’s all right, Sir!~“ Und diensteifrig schließt der Zollbeamte, der eitel Sonnenschein geworden ist, die Koffer. Nicht eine Miene hat der vermeintliche Engländer während der ganzen Szene verzogen. Als er aber mit seinem Gepäck draußen auf dem Bahnsteig ist, kann er einen leisen Seufzer der Erleichterung doch nicht unterdrücken. Na, das wäre ja diesmal noch gegangen! -- -- Nur wenige europäische Passagiere sind am Zuge, so daß der Kommandant der „Tsingtau“ ein Abteil für sich allein angewiesen erhält. Um so toller und lärmender geht es vor der dritten Klasse zu, wo starker Andrang von Chinesen herrscht. Mit ungeheurem Gepäck rücken sie an, ganze Betten schleppen sie in den Wagen, aus dem laute Protestrufe ertönen. Ein unaufhörliches Auf und Ab, ein Schnattern und Rufen, daß die Ohren gellen. Der Gedanke, daß der Zug auch wirklich pünktlich abfahren will, hat in ihren Köpfen keinen Raum. Erst das energische Dazwischentreten des Stationsvorstehers schafft Ordnung. Endlich ist es so weit. Ein Pfiff, ein Ruck, und der Zug setzt sich in Bewegung. In eine Ecke zurückgelehnt, fast teilnahmlos sitzt Kapitänleutnant von Möller mit geschlossenen Augen da. Draußen gleitet die chinesische Landschaft vorbei, weite Felder, Flüsse, Städte, Pagoden, der Zug hält, neue Passagiere steigen ein und aus. Ein amerikanisches Ehepaar, anscheinend auf der Hochzeitsreise, nimmt ihm gegenüber Platz. Sie haben keine Augen für den Mitreisenden, und dem ist das sehr recht. Unablässig arbeiten die Gedanken in seinem Hirn: was werden die nächsten Stunden bringen, wie sieht es in Hongkong aus? Ist England noch neutral? Gerade Hongkong ist für ihn heißer Boden, doppelt gefährlich. Oft schon hat er mit „Tsingtau“ dort geankert, eine ganze Reihe von englischen Bekanntschaften gemacht. Und eine Verkleidung, wie sie die Kameraden vorhaben, ist bei ihm schon seiner Größe wegen ziemlich zwecklos. Irgendeiner der Hafenbeamten, dieser oder jener englische Offizier würde ihn ja doch sofort erkennen. Da ist es mit dem Trick, der dem kleinen Franzosen gegenüber seinen Zweck so schön erfüllte, nicht abgetan. Ob die Engländer noch ein Schiff aus dem Hafen lassen, ob es überhaupt noch ein Wegkommen gibt? Glücklicherweise trifft der Zug am Bahnhof in Kaulun ein, als es schon dämmert. Unangefochten kommt er aus dem Stationsgebäude heraus. Draußen wimmeln ein paar Kerle herum. Zwei werden gegriffen, erhalten das Gepäck aufgepackt und recht laut und deutlich das Ziel angegeben, so daß die Umstehenden es auch hören können: „Nach dem englischen Klub!“ Daß der Auftraggeber sich die Geschichte später anders überlegt und zufällig den Weg nach dem deutschen Konsulat einschlägt, ist den Kulis nur angenehm: kostet doppelte Taxe. Gar zu groß ist die Wahrscheinlichkeit allerdings nicht, daß man ihn hier vermutet. Die Engländer wissen genau Bescheid, wo die „Tsingtau“ in diesem Augenblick liegt, denken gar nicht daran, daß die Besatzung schon weit weg ist und ihr Kommandant soeben durch die dunklen Straßen Kauluns eilt. An Speichern, Kasernen und Hotels geht es in schnellem Schritt vorbei, dann liegt der Hafen vor ihm. Hunderte von Lichtern schimmern auf dem ungeheuren Becken, dahinter blitzen und leuchten die hellen Fensterreihen der Häuser Hongkongs, die sich terrassenförmig die Berghänge hinaufziehen, durch die Nacht. Die feurige Schlange, die drüben in schneller Fahrt zum Horizont zu klettern scheint, ist die Drahtseilbahn, die Tram, wie das Volk sie hier nennt. Von der Signalstation auf dem Peak flammen farbige Lichter, Zeichen über ein- und auslaufende Schiffe. Gleich dahinter liegen riesige Kasernen in tiefem Dunkel. Was mag die Garnison jetzt wohl tun? Treffen sie schon die Vorbereitungen zum Abtransport nach Europa, oder denkt England noch nicht an Feindseligkeiten? Die Fähre legt an. Schnell ist von Möller mit seinen beiden chinesischen Begleitern an Bord. Wenige Minuten später hat das Boot den Hafen überquert und am Kai von Hongkong gelandet. Vorbei an Queens Building und am Hongkonghotel führt der Weg jetzt in die Queens Road, die Hauptverkehrsstraße Viktorias. Brausendes Leben strömt ihm entgegen, eine wahre Flut von Licht. Geschäftsladen an Geschäftsladen, hellerleuchtete Schaufenster, ein Gewimmel von Fußgängern aller Farbenschattierungen: Gelb, braun, bis hinunter zum tiefsten Schwarz. Weiße und farbige englische Soldaten und Matrosen schlendern lässig dazwischen, elektrische Bahnen sausen vorbei, Sänftenträger, die ihre Insassen nach den Klubs und Hotels bringen: Dinnerzeit. An einer Ecke haben die Blumenhändler ihre Verkaufsstände. Die herrlichsten Orchideen und Chrysanthemen, Rosen von märchenhafter Pracht halten sie feil. Hier biegt von Möller in die stille Seitenstraße ein, die bergaufwärts führt. Wenige Schritte noch bis dahin, wo sich die Straße gabelt, dann hält er an. Das Ziel ist erreicht, hier liegt das deutsche Konsulat. Kaum ein Lichtschein dringt aus den Fenstern. Freudig wird der Ankömmling aufgenommen, die Kulis werden entlohnt. Die erste Frage nach der Begrüßung lautet: „Wie steht’s mit England?“ Ein Achselzucken antwortet ihm. „Heute noch nicht!“ Dann ein erleichtertes „Gott sei Dank! Da komme ich noch weg.“ Freilich, Zeit ist nicht zu verlieren. Wie im Fluge gleiten die Stunden. Viel gibt’s zu erzählen, zu fragen, zu besprechen. Es ist schon spät, als von Möller nach herzlicher Verabschiedung das Haus verläßt und mit langen Schritten dem Murray Pier zueilt. Draußen auf der Reede liegt der deutsche Dampfer „Machew“, der am nächsten Morgen nach Manila auslaufen will. Die letzte Gelegenheit vielleicht, noch wegzukommen. Jede Stunde ist kostbar. Stockfinster ist es am Ufer, die Laternen, die um das Viktoriadenkmal stehen, werfen nur kümmerlichen Schein bis hierher. Kaum zweihundert Meter von Land entfernt schimmern die Lichter der „Tamar“, des alten englischen Dreideckers herüber, des Wahrzeichens des Hafens von Hongkong. Eine Pinasse legt soeben bei ihr an, der Fallreppspfiff ertönt. Offiziere steigen an Bord und verschwinden unter Deck. Nach der Kaulunwerft zu liegt ein großer Passagierdampfer, dessen hellerleuchtete Promenadendecks einladend zu winken scheinen. Von der Nordeinfahrt her kommt in ruhiger Fahrt ein Frachtdampfer vorbei. Nur die Laternen an den Masten brennen, und der rote Schein des Backbordseitenlichts ist wahrzunehmen. Vom Quai führen Steintreppen nach dem Wasser hinunter. Dort liegen gewöhnlich die Zampans, die den Verkehr im Hafen vermitteln. Ein paar Schritte nur, und die Stelle ist erreicht. Kein Boot! Weit und breit dehnt sich nur das schwarze Hafenwasser. Halt! Dort in der Ecke liegen dicht zusammengedrängt mehrere Dschunken und Boote. Zampan! Zampaaaan! .... schallt es gedämpft in die Nacht hinaus. Nichts rührt sich. Zampaaaaan! ... Alles bleibt ruhig, nur die Wellen von einem vorbeifahrenden Frachtdampfer glucksen und plätschern gegen die Granitquadern des Kais. Ein schwerer Schritt hallt in der Ferne, kommt heran. Eine hohe Gestalt löst sich aus der Dunkelheit: Ein indischer Polizist. Ein baumlanger Sikh, dessen spindeldürre Beine von Wickelgamaschen umschlossen sind, ganz in Khaki gehüllt, stelzt herbei. Sobald er den Europäer sieht, nimmt er militärische Haltung an. „~No Zampan to-night, Sir!~“ Nanu, es gibt heute Nacht keine Zampans? Der Inder, der das Staunen auf dem Gesicht von Möllers, den er wohl für einen englischen Offizier hält, bemerkt wiederholt sein „~no Zampan to-night!~“ und erklärt dann in gebrochenem Englisch, daß von heute ab kein Zampan nachts fahren dürfe. Ein böser Reinfall! Das Verbot des Zampanverkehrs spricht eine nur zu deutliche Sprache. Fort muß er noch heute nacht von hier. Ist doch „Machew“ die letzte Hoffnung. Ist sie weg und England erklärt morgen den Krieg, dann ist an ein Entkommen über See überhaupt nicht mehr zu denken. Hier in Viktoria aber interniert werden, um untätig als Gefangener den Krieg zu vertrauern, während es zu Hause hart auf hart hergeht, das mag kein deutscher Soldat. Wie aber wegkommen? Vorsichtig heißt es sein. Auch der Inder, der in einiger Entfernung steht und anscheinend nicht die Absicht hat, sich so bald zu entfernen, darf nicht merken, was auf dem Spiel steht. Der Kerl macht ohnedies schon ein so merkwürdiges Gesicht, als wundere er sich, worauf der Offizier denn hier in der Nacht warte. Eine Viertelstunde vergeht. Nichts zeigt sich, kein Fortkommen gibt es von hier. Selbst wenn einer der Zampanleute sich bereit erklärt, zu fahren, nützt das nicht viel. Ist das Verbot erlassen, dann kreuzen sicherlich ununterbrochen die Dampfboote der Polizei im Hafen, um auf Übertreter zu fahnden. In buntem Wirbel jagen die Gedanken und Überlegungen durch den Kopf des Wartenden, als plötzlich Laternen durch die Nacht blitzen; in schneller Fahrt kommt ein Dampfboot heran und legt ganz nahe bei der Fähre an. Ein Fahrzeug der Kaulunwerft, das Angestellte oder Offiziere eines der dort in Reparatur befindlichen Schiffe nach Hongkong bringt. Jetzt oder nie! Hier bietet sich eine Überfahrtsgelegenheit, vielleicht die letzte. Noch klingt das Lachen der sich entfernenden Europäer durch die Nacht herüber, als von Möller auch schon neben dem Boot steht, das soeben nach Kaulun zurückzukehren sich anschickt. Ein kurzes Unterhandeln mit dem Bootsführer, der den Fremden, den er nicht kennt und von dem er nicht weiß, was er so spät noch in Kaulun will, zuerst zurückweisen will, dann die Frage: „~You are an Officer, Sir? Allright, jump in!~“ „Sie sind Offizier? Gut, springen Sie herein! Schnell, schnell, wir haben keine Zeit, es ist spät!“ Im nächsten Augenblick springt die Maschine an, Funken stieben aus dem Schornstein, und in elegantem Bogen dreht das Boot auf die in der Ferne liegende Werft zu. In schneller Fahrt geht es vorwärts, die Lichter von Hongkong verschwinden allmählich in der Dunkelheit ... Polternd gleitet ein Glied der Ankerkette nach dem anderen binnenbords der „Machew“, an deren einer Signalleine der „blaue Peter“ im Winde flattert. Kapitän und wachthabender Offizier stehen mit Kapitänleutnant von Möller, der vor einer Stunde an Bord kam, auf der Brücke, der I. O. (Erster Offizier) auf der Back, um das Einhieven der Ankerkette zu beaufsichtigen. Jetzt hebt er die rechte Hand. Der Anker ist aus dem Grund. „Langsame Fahrt voraus!“ Am Heck quirlt das Schraubenwasser, langsam dreht „Machew“ auf die Ausfahrt und verläßt mit voller Fahrt den englischen Hafen. Die bewaldeten Hänge Hongkongs, das Tal mit dem Rennplatz und dem Kirchhofe, Fabriken, Lagerhäuser, Speicher und Kasernen gleiten vorbei. Auf der anderen Seite leuchten in der Morgensonne die braunen, unbewaldeten Berge des chinesischen Festlandes herüber. Noch ist die Gefahr nicht überwunden. Dem Hafenverkehr sind wahrscheinlich schon Beschränkungen auferlegt, nicht mehr alle nach außen führenden Wege sind frei. Von beiden Seiten tritt das Land näher heran, die Straße verengt sich zur Ausfahrt. Weit hinten liegt der Hafen mit seinen zahlreichen Schiffen, eine dunkle Wolke der qualmenden Schornsteine brütet über dem Wasser. Dicht unter Land schiebt sich der helle Körper eines kleinen englischen Zerstörers längs, aus dessen drei niedrigen Schornsteinen dichter Rauch quillt. Mit großer Fahrt läuft er den gleichen Kurs hinter „Machew“ her. Der Feind! Sicherlich gilt das dem deutschen Schiff, von dessen Heck die schwarz-weiß-rote Flagge weht. In wenigen Minuten ist er querab. Das Herz stockt den drei Männern auf der Brücke. Jetzt ... jetzt muß drüben das Signal hochgehen: „Stoppen Sie sofort!“ ... Bange Minuten ... eine Ewigkeit. Ohne sich um den Dampfer zu bekümmern, jagt der Engländer weiter. Einige kleine Polizeiboote liegen in der Einfahrt, auch sie scheinen nur Augen für die Kriegsfahrzeuge zu haben, und unbehelligt gleitet das deutsche Schiff an ihnen vorbei. Eine halbe Stunde später ist „Machew“ auf freier See und hält mit Ostkurs auf Manila zu. An einen Kreuzerkrieg ist hier draußen jetzt schon kaum zu denken. Der Feind vermutet sicher nicht, daß aus dem englischen Hongkong eine gute Prise im letzten Augenblicke noch auslaufen könnte. Zum ersten Male seit zwei Jahren atmet Kapitänleutnant von Möller wieder die Luft des freien Meeres. Tiefdunkelblau dehnen sich die Fluten des Stillen Ozeans, glatt wie ein Spiegel liegt die Oberfläche. Azurn spannt sich der wolkenlose Tropenhimmel über die See. Ein Strom von Licht und blendendheißem Glanze ergießt sich über das Schiff, erfüllt die Luft. Herrlich ist es hier! Und doch! Weit, tausende von Seemeilen weit entfernt, brausen und schäumen die grünen Wasser der Nordsee, reiten die Wellen mit kurzen Brechern heran. Und stählerne Kiele furchen in großer Fahrt vielleicht gerade in diesem Augenblick hindurch, zur Begegnung mit dem Feinde. Wer dort sein könnte! In der Mitte der Kameraden, ein Großkampfschiff oder ein Torpedoboot unter den Füßen! Eintönig rattern die Maschinen, einschläfernd ... ein Blitz flammt auf, Pulverqualm, dumpfe Schläge rollen über die See ... wie schön das ist ... ein Zusammenreißen, daß der starre in der Ferne suchende Blick wieder Leben bekommt. Der Krieg wird ja nicht in vier Wochen beendet sein. Ein wenig Glück nur, und auch er trifft zur Zeit ein, um teilzunehmen an dem Tage, da die junge deutsche Flotte zum Kampfe gegen den mächtigen Gegner antritt. Drei Tage schon fährt „Machew“ nach Osten. Schattenhaft dämmern in der Ferne dunkle Umrisse an der Kimm auf, verstärken sich, werden deutlicher: Die Philippinen. Der Kapitän hält direkt auf Land zu, um gegen Angriffe feindlicher Kreuzer möglichst geschützt zu sein. Bewaldete Hänge und ragende Berge wachsen allmählich empor. Hellgrünlich schimmern Korallenriffe, nur wenig überflutet. Leicht brandet die See über die seichten Stellen. Die Einfahrt in die Bucht von Manila öffnet sich. Die Befestigungen von Corregidor drohen herüber, im Scheine der untergehenden Sonne blitzen die Panzerkuppeln und Beobachtungsstände. Weiter südlich leuchtet aus dunklem Grün Cavite, wo die spanische Flotte von den Amerikanern unter Admiral Dewey erbarmungslos zusammengeschossen wurde. Mit Ostkurs steuert „Machew“ in die weite Bucht, in deren Hintergrund sich das weiße Häusermeer von Manila mit seinen zahlreichen Türmen breitet. Weiter links ragen die Schornsteine von Binando, dem Stadtteil der Geschäfte und Fabriken. Von der Brücke geht die Lotsenflagge hoch. Minuten darauf schießt aus dem Gewirr der im Hafen liegenden Schiffe in großer Fahrt der Lotsendampfer heran. „Machew“ stoppt, das Seefallrepp gleitet über die Reeling, und der Hafenlotse steigt an Deck, um das Schiff auf den zugewiesenen Ankerplatz zu bringen. „Sie haben ja noch Glück gehabt!“ wendet er sich, auf der Brücke angelangt, an den Kapitän. „Es wird sicher keine vierundzwanzig Stunden mehr dauern, und ein englischer Kreuzer liegt vor der Einfahrt. Wir wundern uns, daß man Sie überhaupt noch aus Hongkong herausgelassen hat.“ „Englischer Kreuzer? Also doch! Das war ja großer Dusel, daß „Machew“ noch im letzten Augenblick davongekommen ist.“ Unaufgefordert packt der Amerikaner all die Bären aus, die Reuter der Welt seit mehreren Tagen aufbindet. Die furchtbaren Verluste der Deutschen, den Selbstmord des Generals Emmich, die Vernichtung von sechzehn deutschen Linienschiffen und ähnlichen Blödsinn. Der wachthabende Offizier, der hinter dem Mann steht, ein waschechter Hamburger, brummt leise, aber ingrimmig vor sich hin: „Holt Mul, Quatschkopp, so wat glöwt uck bloß en Amerikaner!“ Ernster aber faßt Kapitänleutnant von Möller die Lage auf. Der erste Vorgeschmack von dem, womit Reuter sicherlich während der ganzen Dauer des Krieges die Welt vergiften und gegen die Mittelmächte aufhetzen wird. Leider stehen ihm ja alle Kabel zur Verfügung. Der Ankerplatz ist erreicht. Rasselnd gleitet der Steuerbordanker in den Grund. Die Maschinen gehen rückwärts, dann stoppen sie. „Machew“ ist nicht der einzige deutsche Dampfer, der hier liegt. In nächster Nähe flattert von verschiedenen Schiffen, bei denen ein Anlaufen von Manila sicherlich nicht im Fahrplan gestanden hatte, die deutsche Flagge im Abendwind. Auch ihnen ist es noch gelungen, sich rechtzeitig vor feindlichen Kreuzern in Sicherheit zu bringen. Kapitänleutnant von Möller benutzt die erste Gelegenheit, um an Land zum Konsul zu gehen. Was er erfährt, ist für ihn nicht allzu tröstlich. England, Frankreich, Rußland und Serbien stehen gegen Deutschland und Österreich. Feinde ringsum, wie durchkommen? Nach Hause aber muß er. Der Konsul kann ihm nicht viel Tröstliches sagen. Das Kreuzergeschwader des Admirals Grafen von Spee liegt bei Ponape. Der Weg dahin ist zwar nicht sehr weit, hat aber dafür den Fehler, daß von Manila keine einzige Verbindung dahin geht und man eher nach Europa kommen kann als nach den Karolinen. In Tsingtau liegt die „Emden“, wahrscheinlich aber nicht lange mehr. Bald wird auch sie versuchen, zum Kreuzergeschwader zu stoßen, um nicht bei der Belagerung von Tsingtau eingeschlossen zu werden. Damit ist es also nichts. Es bleiben die Wege nach Europa: der von Manila über Japan und Honolulu nach St. Francisco oder der über Holländisch-Indien. Einige Tage vergehen. Nur zu bald bestätigt sich in Kapitänleutnant von Möller die Überzeugung, daß er in Manila nicht lange verweilen darf. Bald ist er durch seine Länge eine stadtbekannte Erscheinung, und die englischen Spione brauchen nicht allzu lange, um herauszufinden, wer er eigentlich ist. Auf Schritt und Tritt folgen und überwachen sie ihn. Wenige Wochen nur, und ein Entweichen ist dann ganz ausgeschlossen. Seine Lage wird durch den Hinzutritt Japans in die Reihe der Gegner noch erschwert. Die gelbe Rasse, die hier zahlreich vertreten ist, betrachtet Manila längst als ihnen zustehende Kolonie und vermehrt noch die Zahl der Aufpasser. Untätig vergehen die Tage. Endlich bietet sich doch Gelegenheit zum Fortkommen. Ein deutscher Dampfer will die gefährliche Fahrt über See nach Holländisch-Indien wagen. Doppelt gefährlich, da sich bereits mehrfach englische und japanische Kreuzer vor dem Hafen gezeigt haben. In aller Heimlichkeit macht er seeklar. Noch liegt die Nacht über der weiten Bucht, als das Schiff der Ausfahrt zustrebt und in See geht. Keiner der eingeborenen Dienerschaft seines Gastgebers hat das Fehlen von Möllers bemerkt. Mit ruhigem Gewissen versichern sie den Spähern, die sich am frühen Morgen bereits in harmlosen Masken einfinden, daß der „lange Deutsche“ noch schliefe. Als ihnen der Schlaf aber heute merkwürdig lange zu dauern scheint, ist es zu spät. Kapitänleutnant von Möller schwimmt bereits auf der Höhe von Palawan seinem neuen Ziele zu. Interniert „Sie sind der Kaiserlich Deutsche Kapitänleutnant von Möller?“ „Jawohl!“ „Sie waren Kommandant des Kanonenboots „Tsingtau“ und sind Anfang September 1914 auf einem deutschen Schiff von Manila hierher nach Batavia gekommen?“ „Stimmt!“ „Welche Absicht hat Sie nach Java geführt?“ „Darüber verweigere ich die Auskunft!“ „Wir wissen auch ohne Ihre Antwort ganz genau, welchen Zweck Sie verfolgten, als Sie nach Batavia kamen. Sie beabsichtigten, auf diesem allerdings etwas unbequemen Umwege nach Europa und nach Deutschland zu gelangen, um dort am Kriege teilzunehmen. Zu diesem Zweck haben Sie sich zunächst offen an die Kapitäne der holländischen Post- und Frachtdampfer mit der Bitte gewandt, Sie nach Europa mitzunehmen. Als diese Bemühungen fehlschlugen, haben Sie, Herr Kapitänleutnant, versucht, Offiziere und Mannschaften des Dampfers zu bestechen, damit sie Ihnen auf ihren Schiffen einen heimlichen Unterkunftsraum, in dem Sie sich während der Fahrt unbehelligt aufhalten könnten, schaffen. Das wäre Ihnen auch fast gelungen, wenn nicht im letzten Augenblick noch ein Angestellter der Reederei durch einen Zufall dahintergekommen wäre. Schon bei Ihren ersten diesbezüglichen Versuchen war Ihnen seitens der Dampferagenturen eröffnet worden, daß die Mitnahme wehrpflichtiger deutscher Untertanen den holländischen Schiffen auf Grund besonderer Abmachungen der Königlich Niederländischen Regierung mit England streng untersagt sei. Sie haben trotzdem Ihre Anstrengungen nicht aufgegeben, sie vielmehr öfters noch wiederholt und damit eine Handlung begangen, die durchaus geeignet war, die Neutralität der Königlichen Regierung zu gefährden. Sie haben überdies holländische Staatsbürger zum Bruche getroffener internationaler Abmachungen verleitet, die sehr leicht schwere, politische Verwicklungen zur Folge haben konnten. Sind Sie, Herr von Möller, bereit, derartige Versuche künftig zu unterlassen und ruhig während der Kriegsdauer auf Java zu bleiben?“ „Nein!“ „Dann habe ich Ihnen zu eröffnen, daß Seine Exzellenz der Herr Generalgouverneur im Namen der Königlich Niederländischen Regierung Ihre Internierung unter Zuweisung von Batavia beziehungsweise von Weltevreeden als Aufenthaltsort verfügt hat. Eine Berufung gegen diese Maßnahme steht Ihnen nicht zu, Sie werden vom Neutralitätsoffizier noch genaue Anweisungen erhalten, wie Sie sich zu verhalten haben!“ Am frühen Morgen, als Kapitänleutnant von Möller sorglos beim Frühstück saß, war ihm durch einen holländischen Offizier die Aufforderung überbracht worden, sich unverzüglich im Gebäude des Generalgouvernements in Weltevreeden einzufinden. Die Nachricht kam nicht ganz unerwartet. War es ihm doch schon seit mehreren Wochen aufgefallen, daß ihm auf Schritt und Tritt einer der gelb- oder braunhäutigen Kerle folgte, daß er den Argwohn der Regierung erweckt haben mußte. Jetzt sollte also seinen Bemühungen, nach der Heimat zu gelangen, die er mit zäher Beharrlichkeit trotz aller Fehlschläge immer wieder fortgesetzt hatte, ein gewaltsames Ende bereitet werden. Anfang September war er nach glücklicher Überfahrt von Manila im Hafen von Tanjong Priok angelangt. Vom ersten Tage an versuchte er fortzukommen. Seine ursprüngliche Absicht war -- wovon der holländische Offizier, der ihm die Internierung in fließendem Deutsch mitgeteilt hatte, allerdings nichts wußte -- das Kreuzergeschwader zu erreichen. Über den Aufenthalt der deutschen Schiffe fehlte aber jede Nachricht, so daß die Suche nichts weiter als eine planlose Fahrt ins Ungewisse geworden wäre. „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ waren zuletzt -- darüber war aber auch schon geraume Zeit verstrichen -- von Papete auf Tahiti und Samoa gemeldet worden. Die beiden Plätze lagen auch so weit ab, daß bei der schlechten Verbindung von Java aus gar nicht an ein Hinkommen zu denken war. Wer mochte außerdem den Kurs wissen, den diese seither eingeschlagen hatten! Ob sie nun versuchten, um Kap Horn herum die Heimat zu erreichen? Vielleicht aber, und dafür sprach die größte Wahrscheinlichkeit, hatten sie sich dem von allen Seiten nahenden Gegner stellen müssen und waren nach hartem Kampfe unterlegen. Die Nachricht von dem siegreichen Tage bei Coronel steigerte seine Hoffnungen, bis dann der 8. Dezember kam und mit ihm die Kunde der Seeschlacht bei den Falklandsinseln. Mit einem Schlage war es vorbei. Wochenlang hatte er sich auch von der „Emden“ Befreiung erhofft. Der Indische Ozean war nicht weit, nur wenige Tagereisen entfernt lag Pulo-Penang. Auch damit war es nichts geworden. Nach ruhmreichem Wirken unterlag der Kleine Kreuzer, bis zum letzten Augenblick gegen den übermächtigen Gegner kämpfend, bei den Kokosinseln. Einen Augenblick hatte er an „Ayesha“ gedacht. Die aber mußte längst am Ziele angelangt sein. Wie fieberhaft sein Hirn auch arbeitete, es gab keine andere Möglichkeit, als sich, koste es, was es wolle, auf einem Schiffe nach der Heimat durchzuschlagen. Es fuhren außer den holländischen Postdampfern nur noch Frachtdampfer von javanischen Häfen nach Europa. Alle Möglichkeiten hatte Kapitänleutnant von Möller sorgsam erwogen. Er konnte als Neutraler oder selbst als Angehöriger einer feindlichen Macht an Bord gehen, keine Arbeit wäre ihm zu gering gewesen, sein Ziel zu erreichen. Als Matrose, als Kohlentrimmer, als Stewart. Immer wieder war das Hindernis da, seine Länge von zwei Metern, das beste Kennzeichen, ein Steckbrief, der stets vor ihm herlief. So hieß es also, die Internierung geduldig auf sich nehmen und abwarten. Vielleicht bescherte gerade der blinde Zufall ihm die Möglichkeit, wegzukommen. Schon zwei Stunden nach der Eröffnung der Internierung erscheint ein holländischer Offizier, der ihn darüber unterrichtet, wie er sich zu verhalten habe: zugewiesene Wohnung, tägliche Meldung usw. Im übrigen kann er tun und lassen, was er will. Mit den Fahrten nach Tanjong-Priok, wo die Dampfer innerhalb der Molen oder direkt an den Bahnschuppen lagen und löschten oder Ladung nahmen, war es jetzt freilich vorbei. Jedesmal, wenn ein Schiff auslief, war er dagewesen, sehnsüchtig hatten seine Blicke sich an die Fahrzeuge, die nach Europa gingen, geklammert, bis die Schornsteine und Masten unter der Kimm verschwunden waren. Dann hieß es eben, die Sehnsucht unterdrücken und zur Bahn wandern, die ihn zurück nach Batavia brachte. Bis zum nächsten Mal. An den Kontoren der Dampfergesellschaften stand er und sah, wie Mynheer van Deeken oder Mevrouw van Roeren oder Angehörige der feindlichen Mächte hinter den Glasfenstern verschwanden und anstandslos ihre Passage belegten. Die durften es. Nur den Untertanen der Mittelmächte gegenüber galten die Neutralitätsverpflichtungen Hollands, die ihm die Rückkehr abschnitten. Viel war in Batavia nicht los, das ihn hätte ablenken können. Tagsüber bummelte er durch die Straßen Weltevreedens, vorbei an den mitten aus Wäldern von Palmen und Tamarinden lugenden Bungaloos und Landhäusern der holländischen Handelsherren, besuchte die Läden der chinesischen, javanischen, indischen und japanischen Kuriositätenhändler oder schlenderte die Tamarindenallee entlang, die hinunter nach Batavia führte. Abends gab es die übliche Abfütterung auf der Hotelterrasse mit viel Licht und Musik. In den Zwischenpausen wurde dann von den Weißen und den zahlreichen Mischlingen an den Tischen ringsum die Lage in Europa und der Krieg besprochen und wiedergekaut. Als Grundlage dienten natürlich immer wieder, trotz aller handgreiflichen deutschen Erfolge, die Reutermeldungen. Oft und oft hieß es, die Zähne zusammenbeißen und die Faust in der Tasche ballen, wenn Leute, die alles eher als eigenes Urteilsvermögen hatten, die deutschen Soldaten beschimpften und in den Schmutz zogen. Selbst Männer, die die Deutschen als Kaufleute doch kennen müssen, beteiligen sich an dem Chor. Der Grund freilich ist klar: Der Konkurrent, dessen Rührigkeit und weitschauender Blick dem holländischen Phlegma über ist, wird unbequem. Wer garantiert auch dafür, daß die Deutschen nicht eines schönen Tages Holland überschlucken? Die englische Presse behauptet es, und die muß es doch wissen! Eine besondere Vergünstigung ist es, wenn von Möller nach Buitenzorg fahren darf. Durch herrliche Tropenlandschaften führt die Bahn, durch ganze Wälder von Palmen, Mangustinen, Bananen. Dann wieder dehnen sich weite Ananas- und Reisfelder; Kokos- und Bambushaine wechseln ab mit Sumpfland, aus dem seltsame, feurig tropische Blumen glühen. Volle, satte Farben überall. Zwischen dem dunklen Grün das flammende Rot, das Orange, das blendende Weiß. Bunte Schmetterlinge gaukeln, farbenblitzende Vögel schwirren erschreckt über den Bahndamm. Polternd und dröhnend jagt dann der Zug über eine Brücke. Tief unten wälzt sich ein breiter Fluß. Ungefüge Baumstämme liegen auf einer Sandbank. Träge Körper schieben sich vorwärts, heben die Köpfe ob des heranbrausenden Ungetüms, das über ihnen hinwegschnaubt: Krokodile. Einzelne schilfgedeckte Hütten, wie Pfahlbauten aus der Urväterzeit tauchen auf, ganze Kampongs, Dörfer der Eingeborenen, Villen und Landhäuser, Gärten und dahinter der ragende Salak, von dessen Kuppe leichte Rauchwolken in die blaue Luft stoßen. Trotz der Pracht der Natur ist das Leben eintönig. Besonders die Nachrichten aus Europa sind es, die es immer unerträglicher machen. Jeder Tag bringt neue Lügen von den Kriegsschauplätzen. Die Russen stehen bereits in der Nähe von Berlin, die Franzosen weit über dem Rhein, was von der deutschen Flotte noch schwimmt, ist kaum der Rede wert. Dann wieder kommen Streiflichter: Die Taten eines Weddigen, der zweimalige Vorstoß an die englische Küste, das Auftauchen der U-Boote in der Irischen See. Die Kameraden sind rührig an der Arbeit. Und er ferne, interniert! ... Ohne irgendwelche Ankündigung trifft von Möller eines Morgens die Nachricht, daß er nach Surabaja im östlichen Teile der Insel abzureisen habe, das ihm als neuer Internierungsort angewiesen sei. Ebenso wie Batavia und Weltevreeden ist ihm auch Surabaja aus dem Jahre 1906 bekannt, in dem er auf dem Kleinen Kreuzer „Leipzig“ die Ausreise über die Sundainseln machte. Die Veränderung stimmt ihn nicht gerade traurig. Wenigstens gibt es Abwechslung, andere Menschen, neue Gegenden. Vielleicht auch Bekannte aus der damaligen Zeit. Einige Tage später geht es los. Stundenlang klettert der Zug, höher und höher. Die ganze Wunderwelt der herrlichen Insel gleitet vorbei. An den kleinen Stationen hält die Bevölkerung in ihrer malerischen Tracht, dem schreiend bunten Sarong, ein Tuch oder den großen Schilfhut auf dem Kopf. Ungeheure Kaffee- und Zuckerplantagen durchschneidet die Bahn, gleitet über reißende Gebirgsflüsse, taucht in geschützte Täler, in denen Ananas und Bananen blühen. Dann wieder drohen schroffe Gebirge herunter. Regenschwer hängen graue Wolken um die Spitzen oder dampfende Rauchsäulen entströmen den Kratern. -- Die Nacht bricht ein. Plötzlich, ohne Übergang. Aus den Hütten leuchten die Herdfeuer, Signallaternen blitzen auf der Strecke, Myriaden von Glühwürmchen von einer Pracht und Leuchtkraft, wie sie nur die Tropen aufzuweisen vermögen, schweben längs des Bahndammes wie Sterne am dunklen Himmel. Ein langer Pfiff, die Fahrt verlangsamt sich; Maas, wo übernachtet werden soll, ist erreicht; der Zug hält. Frühmorgens geht die Fahrt weiter. Empfindlich kühl ist es hier oben, bis endlich die Sonne zum Vorschein kommt und der heiße Tag anbricht. Die gleichen wundervollen Naturbilder heute wie gestern. Urwald tritt stellenweise an die Bahn heran. Ein Gewimmel mächtiger Baumriesen, zwischen denen sich Gestrüpp breitet, Schlinggewächs in den abenteuerlichsten Formen spannt. Kreischend flattern Papageien vor der einherbrausenden Lokomotive ins Dickicht. Die Strecke senkt sich. Das Gebirge tritt zurück, riesige Plantagen in der Ebene begleiten stundenlang die Fahrt. Dann, als eben die Sonne untergeht, rollt der Zug in den Bahnhof von Surabaja ein. Mehrere Deutsche, die um von Möllers Ankunft wußten, begrüßen ihn. Es regnet Einladungen. Nach wenigen Tagen schon sind wertvolle Bekanntschaften geschlossen. Er wird in den Simpangklub und in die „Witte Sozietät“ eingeführt, besucht die Erholungsheime, die deutsche, in Surabaja ansässige Kaufleute den Mannschaften der hier vor Anker liegenden deutschen Dampfer in den Bergen errichtet haben. Wie im Fluge vergeht die Zeit. Zwar besteht auch hier Aufsicht, sie wird aber nicht so schwer empfunden wie in Batavia, weil sich die Landsleute so rührend um ihn sorgen. Das wichtigste aber ist: Auf der Reede liegen mehrere deutsche Dampfer. Auch die gute „Machew“ ist darunter, der er sein glückliches Entkommen aus Hongkong verdankt. Unbestimmt vorerst taucht der Gedanke an Flucht, der nie geschlummert hat, in ihm auf. Von Tag zu Tag nimmt er stärkere Formen an, verdichtet sich. Ist es einmal mit Hongkong so gut geglückt, kann es wohl hier ein zweites Mal gelingen! Weddigen Im kleinen Erfrischungsraum des Chinesen Eu-mo-lim sitzen an einem der runden Tische bei einem Glase „Fatbeer“ die beiden deutschen Schiffsoffiziere Deike und Schwarting einander gegenüber. Die Unterhaltung wird so leise geführt, daß kein Wort nach der Ecke dringt, in der einige Holländer ziemlich geräuschvoll Zucker- und Kaffeepreise erörtern. Trotzdem scheint der Gegenstand ihrer Unterredung so interessant, daß sie darüber ihr Bier vergessen, das in den Gläsern schal wird. Eine baumlange Gestalt erscheint in der Tür. Kapitänleutnant von Möller. Mit wenigen Schritten ist er am Tisch der beiden angelangt und nimmt neben ihnen Platz. Eine halbe Stunde etwa verstreicht in gleichgültigen Gesprächen, als die Holländer sich geräuschvoll erheben und den drei Deutschen das Lokal überlassen. Der bezopfte chinesische Boy kommt heran, räumt die Tische ab und verschwindet wieder. Sie sind allein. „Haben Sie sich überlegt, worüber wir gestern sprachen?“ beginnt von Möller. „Haben Sie einen Plan, der Aussicht auf Verwirklichung hat?“ „Jawohl, Herr Kapitänleutnant,“ erwidert der Vizesteuermann d. R. Deike. „Pläne haben wir genug geschmiedet. Alles kommt aber darauf hinaus, daß wir als Besatzung von fremden Schiffen oder als blinde Passagiere von hier nicht wegkommen können, uns kann nur ein eigener Untersatz nützen.“ „Eigener Untersatz? Wie wäre es,“ meint der Kapitänleutnant, „wenn wir es mit der „Machew“ versuchten? Besatzung würden wir hier doch mit leichter Mühe zusammenbekommen. Der einzige Weg, wohin wir kommen könnten, ist Arabien. „Choi-sing“ hat ihn uns ja gezeigt, und da haben wir wenigstens einigermaßen Gewißheit, die Heimat zu erreichen. Wenn wir den ganzen Dampfer voll Kohlen und Vorräte packen, muß es doch eine Kleinigkeit sein, bis zur arabischen Küste oder ins Rote Meer in einer Tour durchzufahren. Andere Wege kommen für uns überhaupt nicht in Betracht, da sie viel zu weit sind. Kein Neutraler gibt uns Kohlen, und mit Gewalt nehmen, ist ausgeschlossen.“ „Tja, Herr Kapitänleutnant,“ meldete sich nun der Oldenburger Schwarting, Bootsmannsmaat d. R., zum Worte. „Leute kriegen wir ja woll genuch! Viel mehr, als wir nötig haben, und wir könnten mit ihnen auch den Deuwel aus der Hölle holen, aber wir kommen mit dem Dampfer nie aus dem Hafen raus!“ Einen Augenblick der Überlegung, dann stimmt ihm von Möller zu. „Vorräte wären schon genug da, wenn wir alles zusammenpackten. Dazu müßten aber die Schiffe beieinander längsseit gehen, die ganzen Vorbereitungen wären viel zu umständlich, und glauben Sie mir, die Engländer hätten Wind davon, sowie nur eines der Fahrzeuge Dampf aufmacht. Bei ihrer wohlwollenden Neutralität würden die Mynheers es wahrscheinlich überhaupt nicht zulassen, außerdem wimmelt es hier von englischen und japanischen Spionen. Binnen vierundzwanzig Stunden hätten wir einen Kreuzer auf dem Halse. Ist denn kein einigermaßen anständiges Segelschiff im Hafen? Das wäre bedeutend einfacher, da brauchten wir nur Proviant und Wasser.“ „Und vor allem auch nicht so viel Leute“, fällt Deike ein. „Es liegen wohl schon ein paar Segler da, Herr Kapitänleutnant,“ erklärt Schwarting nach einigem Nachdenken, „das sind aber alles so olle verrottete Kähne, daß sie bei einem Kuhsturm glatt in die Binsen gehen.“ Kapitänleutnant von Möller hat sich inzwischen schon entschieden. „Wenn wir uns so ein Schiff verschaffen können, dann wollen wir es auf jeden Fall versuchen. Hauptsache ist ja, daß die Segel halten. Freilich, wie bekommen wir es? Das beste wird wohl sein, ich wende mich sofort an unsere Deutschen hier, die werden schon Rat wissen.“ -- Auf der Reede von Surabaja liegt ein kleiner Zweimastschoner von kaum vierzig Tonnen. Die weiße Außenbordsfarbe muß an einigen Stellen schon über die nicht mehr ganz einwandsfreie Schiffshaut hinwegtäuschen. Die „Ayesha“ der „Emden“-Leute ist ihm gegenüber das, was ein Großkampfschiff einem Kleinen Kreuzer bedeutet. Die Räume an Bord bieten so viel Platz, wie etwa ein Finkenwärder Fischer-Ewer. Leise gurgelt die Strömung zwischen Java und Maduro an ihm längs. Die Segel sind unter Deck verstaut, kein Mensch ist an Bord zu sehen. Aus der Mündung des Kallimas kommt eine kleine Dampfpinasse zum Vorschein und hält auf den Schoner zu. Längsseit macht sie fest, drei Europäer erheben sich aus den am Vordeck stehenden Korbstühlen und steigen an Deck. Aufmerksam wird das Oberdeck gemustert, Stagen und Taue und ihre Befestigungen geprüft, die Rudereinrichtung ausprobiert. Dann geht’s in den Raum hinunter, von wo ein Segel hinaufgemannt und an Deck ausgebreitet wird. „Na, viel Staat ist mit dem Ding nicht mehr zu machen, das fliegt sicher bei der ersten Bö aus den Lieken“, meint kopfschüttelnd Kapitänleutnant von Möller. „Mit dem Tauwerk ist auch nicht mehr viel los, Herr Kapitänleutnant. Die Segel müssen auf jeden Fall erneuert werden,“ gibt Schwarting sein sachkundiges Urteil zum besten. „Aber da wird auf den Dampfern schon Rat sein. Es sind genug neue Sonnensegel vorhanden, mehr, als wir brauchen. Wenn die Stagen und Wanten ordentlich überholt und nachgesetzt werden, kriegen wir den Pott schon hin.“ Jetzt mischt sich auch Deike in das Gespräch. „Herr Kapitänleutnant, ein Boot von der „Offenbach“ kommt herüber.“ „Nanu, was will denn der hier?“ „Das ist sicher der Mau“, erteilt Schwarting bereitwilligst Auskunft. „Der ist Offizier auf der „Offenbach“ und möchte auch mit.“ Fünf Minuten später ist das Boot längsseit, und zwei kräftige deutsche Gestalten klettern an Deck. Mau und sein Freund Gründler, auch ein Schiffsoffizier auf einem der deutschen Dampfer, Matrose des Landsturms. „Na, allmählich bringe ich ja meine ganze Besatzung zusammen“, meint schmunzelnd Kapitänleutnant von Möller. „Hoffentlich kommt es nun nicht zu weit herum, daß wir wegwollen.“ Wie einstimmig erfolgt von allen die Versicherung, daß keiner von ihnen daran denke, ein überflüssiges Wort zu sprechen. Großer Kriegsrat an Deck. Die Instandsetzung des Schiffes, dessen kostenlose Überlassung von den guten Freunden in Surabaja veranlaßt ist, besonders aber die Ausrüstung mit Proviant, Wasser, Karten, nautischen Instrumenten und sonstigem Bedarf für die weite Reise -- über fünftausend Seemeilen ist die Strecke lang -- werden erörtert. Die Dampferstraßen müssen vermieden werden. Durch die Malakkastraße darf die Fahrt also nicht gehen; auch muß mit den dort herrschenden Flauten und Windstillen gerechnet werden. Es heißt also, möglichst bald in den Indischen Ozean hinein und vielleicht unter Ansteuerung von Diego Garcia nach der arabischen Küste zuzuhalten. Unauffällig wird der Schoner wieder verlassen, damit nicht die Aufmerksamkeit der Hafenbehörden und des holländischen Kanonenbootes, das in der Nähe liegt, erregt werden. Die Überlegungen, die an Bord begonnen waren, wurden die nächsten Tage an Land weiter fortgesetzt. Alles muß genau berechnet werden, in tagelangen Beratungen wird auch die kleinste Einzelheit festgelegt. Bei einigermaßen günstigen Wind- und Wetterverhältnissen kann die Strecke in zwei bis zweieinhalb Monaten zurückgelegt werden. Allerdings muß bei dem kleinen Segelfahrzeug ebenso leicht mit sechs bis acht Monaten Fahrtdauer gerechnet werden. Segelhandbücher und Karten werden studiert, keiner von den Beteiligten, zu denen inzwischen noch der Leutnant a. D. von Arnim getreten ist, ist je in diesen Gegenden auf einem Segler gefahren. Sie alle kennen nur die Dampferstraße Aden-Colombo-Singapore, die eben vermieden werden muß und nur unmittelbar vor Ansteuern der arabischen Küste vorsichtig gekreuzt werden darf. Es wird genau festgestellt, was von den einzelnen Dampfern und was von Land an Bord geschafft werden soll. Lange Vorbereitungen sind nötig, besonders der großen Heimlichkeit wegen, mit der alles zu geschehen hat, müssen die Dampfer doch jederzeit darauf gefaßt sein, daß die holländischen Behörden zu ihnen an Bord kommen. Sei es, daß sie Wind von der beabsichtigten Flucht bekommen oder der Gegner wieder einmal, wie so oft schon, das Gerücht in die Welt setzt, daß die deutschen Schiffe auslaufen wollten. Neue Segel werden angefertigt, unauffällig Stagen und Tauwerk neu versehen. Von Tag zu Tag schreitet so das Seeklarwerden des Schoners fort. Ebenso eifrig sind zahlreiche Hände für die Ausrüstung des Schiffes an der Arbeit. Kisten werden gepackt und gezeichnet, alles muß so eingerichtet werden, daß der Proviant ohne große Mühe und längeres Umstauen unschwer erreichbar ist. In den Nächten kommen, sobald das Leben im Hafen verstummt, Boote von Land und von den Schiffen mit Kisten und Säcken beladen längsseit. Ein Stück nach dem anderen wandert durch das Luk in den Raum. Hartbrot, Büchsenfleisch, Reis, Mehl, Gemüse, dann wieder Tauwerk, Reservesegel, Holz für etwaige notwendige Reparaturen, Werg zum Dichten und ähnliches. Allmählich füllt sich so das Innere. Als letztes kommt Frischwasser in Fässern, Kombüsengeschirr, Seekarten, nautische Instrumente und die Einrichtung für den Unterkunftsraum, die von fürsorglichen Landsleuten gestiftet ist. Wissen die Eingeweihten doch ganz genau, welch ungeheures Wagnis die fünf unternehmen wollen, wie oft ihr Leben nur an einem dünnen Faden hängen wird, umdroht von Sturm und Wetter, umlauert von Feinden, auf einer Nußschale im Ozean. Was in ihren Kräften steht, tun sie gern und freudig. So wird das Schiff seeklar. Die Besatzung besteht aus Kapitänleutnant von Möller als Kommandant, dem Leutnant a. D. von Arnim aus Coblenz, dem Vizesteuermann d. R. Deike aus Bremervörde, Bootsmannsmaat d. R. Schwarting aus Elsfleth und den Matrosen des Landsturms Gründler aus Berlin und Mau aus Steinberg-Holz. Alles Leute besserer Lebensgewohnheiten, in Stellungen, die keinerlei Arbeiten von ihnen forderten, wie sie ihnen in den nächsten Monaten bevorstehen. Das große Ziel, das Vaterland zu erreichen und am Kriege noch teilnehmen zu dürfen, findet sie zu jeder, auch der geringsten Arbeit bereit. So ist eine Rollenverteilung nicht nötig. Jeder will Hand anlegen, wie es die Stunde bringt. Eine glänzende Lösung findet zum Schluß noch die Kombüsenfrage. Der türkische Untertan Said Achmad, den die gleiche Begeisterung nach Hause treibt wie die Deutschen, erklärt sich mit Freuden bereit, das Reich der Kombüse zu übernehmen. So ist die Besatzung also vollzählig und reicht zur Bedienung des Schiffes, das dann feierlich auf den Namen „Weddigen“ getauft wird, aus. Der Name soll ein Vorbild sein, ein Leitstern für das kühne Unternehmen, das deutsche Männer hier planen. Dunkle Nacht liegt über der Reede. Ein schweres Gewitter zieht vom Westen herauf. Unaufhörlich zucken die Blitze nach allen Richtungen, krachend rollt der Donner. Prasselnd strömt der Tropenregen herunter und verhindert auch auf kurze Entfernung die Sicht. Leise, unhörbar wird der Anker eingeholt. Tauwerk gleitet durch gutgeschmierte Blöcke, weiße Leinwand schwebt von Deck hoch, wird vom Winde gefaßt, strafft sich. Unmerklich taucht unter dem Druck der Bug ein, langsam zunächst, dann schneller gleitet „Weddigen“ mit Ostkurs auf die Ausfahrt zu, vorbei an den Dampfern und den holländischen Wachtschiffen, am Leuchtfeuer von Maduro in die See hinaus. Wieder interniert Helle Strahlen schießen im Osten aus der See zum Zenith empor. Stärker werden sie, leuchtender, bis plötzlich, wie mit einem Schlage der obere Rand der Sonne aus dem Wasser auftaucht. Wie flüssiges Gold zieht sich eine Bahn über die Oberfläche zur „Weddigen“, die in die flammende Lohe hineinzuhalten scheint. Der neue Tag ist da. Gegen Mitternacht hatte der Regen nachgelassen, die Wolken hatten sich mehr und mehr verzogen, bis schließlich die ganze Pracht des tropischen Sternenhimmels sich über der dunklen See wölbte. Kein Auge hatte sich seit Verlassen der Reede von Surabaja geschlossen. Jeden Augenblick konnte ein holländisches Schiff auftauchen und sie in der letzten Minute noch zurückholen. Mit Anbruch des Tages wächst die Gefahr, falls ihr Entweichen bereits bemerkt wurde. Hatte die Nacht mit ihrem Dunkel dem kleinen Fahrzeug noch einigermaßen Schutz gewährt, so muß die Helligkeit den Verfolger nur zu leicht auf die Spur bringen, da die neuen weißen Segel weithin leuchten. Nichts aber ist zu sehen. In der Ferne nur taucht in der Madurostraße ein Dampfer mit Kurs auf Surabaja auf. Es ist kaum anzunehmen, daß die Flucht bereits bemerkt ist; wird doch niemand es für möglich halten, daß von Möller es wagt, auf einem so kleinen Fahrzeug eine große Seereise zu unternehmen. Und lang muß die Fahrt sein, soll die Flucht überhaupt einen Zweck haben. Ringsherum liegt holländisches Gebiet, weiterhin kommt englischer Besitz. Im ärgsten Falle könnte den Holländern nur der Gedanke kommen, daß die Deutschen versuchen werden, durch die Makkassarstraße die Philippinen zu erreichen. Dort mögen sie nur nach Herzenslust suchen. Gefährlicher wäre die Fahrt geworden, wenn das Schiff nicht ordnungsmäßig in ihren Besitz übergegangen wäre. Da hätte der Eigentümer wohl sofort die holländischen Behörden in Bewegung gesetzt; das aber ist, dank der Fürsorge der Deutschen in Surabaja, nicht zu befürchten. Der Dienst ist leicht geregelt. Ein einziger Mann am Ruder genügt bei normalem Wind und Wetter zur Führung des Schiffes. Die Besatzung wird in zwei Wachen eingeteilt, um die nötigen Segelmanöver bei Kursänderung auszuführen. Alles ordnet sich gern und willig den Anordnungen des Kommandanten unter, der ganze Betrieb wird dadurch noch erleichtert, daß von den sieben Mann der Besatzung fünf alte befahrene Seeleute sind, deren große Sachkenntnis die Sicherheit des Schiffes gewährleistet. An Backbord kommen im Laufe des Vormittags Maduro und die vorgelagerten Inselchen allmählich aus Sicht, während an Steuerbordseite auch weiter noch die hohen Berge Javas vorübergleiten. Weit über sie hinweg ragt der Gipfel des Bromo, von dessen Spitze leise Rauchwolken in die klare Luft wirbeln. Nach wenigen Stunden endlich tritt auch an Steuerbord das Land zurück, und weit entfernt im Süden steigt in dunklen Umrissen die Insel Bali aus der See. Das erste Mittagessen an Bord. An Oberdeck wird „serviert“. Schon längere Zeit vorher haben die aus der Küche strömenden Wohlgerüche verraten, daß dieser Zweig des Unternehmens in guten Händen liegt. Die Speisen sind noch ganz landmäßig, der mitgegebene Frischproviant muß vor allem vertilgt werden. Er hält sich auch einigermaßen in der von fürsorglicher Hand mitgegebenen Eiskiste. Es gibt Suppe, Braten und Obst. Zwanglos sitzt alles beieinander, wie es auf einer Segeljacht, die zum Vergnügen in der Ostsee kreuzt, nicht idyllischer sein könnte. Im Vollgefühl der wiedergewonnenen Freiheit werden die Erlebnisse der letzten Tage durchgesprochen. So mancher Kamerad hätte Jahre seines Lebens gegeben, wenn er mitgedurft hätte. Mit leichter Mühe wäre das Schiff voll Leute gepackt worden, der Kreis der Eingeweihten durfte aber nicht allzuweit gezogen werden, sollte das Unternehmen nicht scheitern. Selbstverständlich gilt die Autorität des Kommandanten als unantastbar. Kriegsartikel werden nicht verlesen, die Besatzung braucht auch nicht achteraus gepfiffen zu werden, um dort zu hören, daß das Schiff „alleinfahrend“ sei und damit die Strafgesetze besonders scharf gehandhabt würden. Das ganze Leben spielt sich auf so engem Raume ab, einer ist so sehr auf den anderen angewiesen, daß der Verkehr von selbst viel leichter und zwangloser ist, als es sonst das militärische Unterordnungsverhältnis zulassen würde. Sie alle treibt nur das eine Verlangen, nach Hause zu kommen und an der Verteidigung des Vaterlandes teilhaben zu dürfen. Nach dem Mittagessen wird nach durchwachter Nacht ein ausgiebiger Schlaf gehalten. Die Wache hat Gründler, alle anderen lagern sich an Deck, und bald verraten ihre tiefen Atemzüge, wie groß die Anstrengungen des letzten Tages waren und wie tief die Erschöpfung ist. So vergeht der Tag, die Nacht kommt herauf, und wieder rötet sich im Osten der Himmel zum neuen Tage. Leicht nach Steuerbord überlegend, pflügt „Weddigen“ durch die tiefblaue See. Alle Segel stehen und sind prall gefüllt, so daß das Schiff mit einer Fahrt von fünf Seemeilen läuft. Am späten Nachmittag wird dicht unter Land gehalten. Durch die Lombokstraße soll es zwischen den Inseln Bali und Lombok in den Indischen Ozean gehen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit türmen sich tiefschwarze Wolken von allen Seiten auf, fahler Schein erhellt für Sekunden die Nacht, leiser Donner rollt dumpf in der Ferne. Das Feuer von Ambut kommt an Steuerbord in Sicht. Der Kurs geht auf Südost, dann auf Süd in die Lombokstraße. Der Wind schläft mehr und mehr ein, bis er schließlich durch die Berge der Insel Bali gänzlich abgefangen wird. Fast ohne Fahrt treibt „Weddigen“ auf der spiegelglatten See. Tagelang kann es dauern, bis die Straße durchfahren ist. Selbst unter Lombok herrscht völlige Windstille. Im Scheine des wieder wolkenlosen Himmels, auf dem in tropischer Helligkeit die Sterne funkeln, heben sich die Höhen ab. Dunkler Wald dehnt sich überall, nirgends ein Lichtschein, das geringste Zeichen, daß Lebewesen dort hausen. Das Schiff rührt sich kaum von der Stelle, die Nacht vergeht, und wieder bricht ein Tag an. Drüben ziehen sich Palmen und Mangroven, unberührter Urwald drängt bis ins Wasser herunter. Nirgends ist eine Siedelung zu sehen. Hinter einer kleinen vorgelagerten Insel springt das Land in See vor, eine Bucht öffnet sich. Dichtes Mangrovengebüsch, deren braune Stämme jetzt bei der Ebbe aus dem Watt hinausragen, zieht sich binnenlands in die Ebene. Vorgelagerte Schlammbänke, auf denen Reiher und Stelzvögel den Grund nach Beute absuchen, deuten darauf hin, daß hier ein Fluß mündet. Eine leichte, von Land her setzende Strömung bestätigt nach einer Stunde die Mutmaßung. Hier gibt’s Süßwasser. Zwar ist allerlei Vorrat an Bord, jede Gelegenheit zur Ergänzung aber muß wahrgenommen werden. Versäumt wird wegen der herrschenden Flaute sowieso nur sehr wenig. Unter vorsichtigem Peilen der Wassertiefe steuert „Weddigen“ in den Flußlauf hinein. Vorläufig ist das Wasser noch brackig, die Rinne ist aber so tief, daß das Schiff noch einige hundert Meter flußaufwärts fahren kann. Zu beiden Seiten ragt der tropische Wald. Eine leichte Biegung, „Weddigen“ rundet den Vorsprung, das Bett verbreitert sich zu einem kleinen See. Gerade voraus, unter dem Schutze einer Palmenpflanzung liegt eine Niederlassung. Niedere, langgestreckte Gebäude, etwas höher im Hintergrunde ein Bungalo. An einem Landungssteg ist ein kleiner Dampfer festgemacht, von dessen Heck die holländischen Farben blau weiß rot leuchten. Ein unbemerktes Wenden ist nicht mehr möglich. Schon seit längerem muß „Weddigen“ bemerkt worden sein. Ein Ruderboot stößt von drüben ab und kommt längsseit. Ein holländischer Beamter klettert an Deck, und nun erfüllt sich nur zu schnell das Verhängnis. Die Besatzung von sechs Weißen, von denen kein einziger einwandfreies Holländisch spricht, das Schiff ohne Ausklarungspapiere sind Umstände, die dem Residenten genügend Anlaß bieten, „Weddigen“ festzuhalten. Der Fall scheint ihm äußerst verdächtig, denn die schnell erfundene Erzählung von einer Vergnügungsfahrt glaubt er nicht. Dazu sind viel zu viel Vorräte an Bord, auch ist das Fehlen jeglicher eingeborenen Mannschaft in diesen Gegenden sehr merkwürdig. So muß „Weddigen“ also in der Nähe des Dampfers ankern. Dem Kommandanten wird eröffnet, daß er hierzubleiben und weitere Befehle abzuwarten hat. Die Stimmung an Bord ist nicht gerade rosig. Dazu also die vielen Vorbereitungen und Aufregungen der Flucht, um jetzt, so dicht vor dem freien Ozean so kläglich zu scheitern? Die Holländer sind zwar äußerst liebenswürdig und zuvorkommend, sobald aber von Möller bittet, auslaufen zu dürfen, stößt er auf starrköpfiges „Nein“, auf ständiges Mißtrauen. Der Resident will an die Regierung in Batavia berichten, da er an ein Auslaufen der „Weddigen“ aus Surabaja mit Erlaubnis der dortigen Hafenbehörden nicht glauben kann. Bis dahin hält er das Schiff fest. Ende der nächsten Woche wird der fahrplanmäßige Küstendampfer erwartet, der nach Abklappern der verschiedenen kleinen Küstenplätze in Pasuruan anlegt. Bis dann Antwort von Batavia zurück ist, vergeht mindestens ein Monat. In qualvoller Langeweile verfließt die Zeit. Ein gewaltsames Auslaufen zu erzwingen, ist nicht ratsam, da an Land holländisches Militär ist und unter Umständen alles aufs Spiel gesetzt wird. Es heißt also abwarten und auf eine günstige Gelegenheit zur Flucht hoffen. Nach einigen Tagen erscheint der Küstendampfer und nimmt den gewichtigen Brief mit. Wie die Antwort lauten wird, darüber sind sich die Leute des „Weddigen“ auch nicht eine Sekunde im Zweifel: Alles ist verloren. Es heißt also, unbedingt vorher ausrücken und bis dahin tun, als ob man das reinste Gewissen von der Welt hätte. Eine Woche nach der anderen verstreicht, ohne daß sich die kleinste Gelegenheit bietet. Sorgfältig werden die Lebensgewohnheiten der Holländer an Land und auf dem Dampfer beobachtet, ebenso das Fahrwasser und die Strömung studiert. Bei Tag ist ein Entkommen natürlich ausgeschlossen, der Posten an Land würde die Flucht sofort bemerken. Es könnte im günstigsten Falle nur Stunden dauern, bis sie vom Dampfer eingeholt wären. Während der Nacht aber muß „Weddigen“ auf Befehl des Residenten das vorgeschriebene Licht setzen, damit die Anwesenheit des Schiffes von Land aus jeden Augenblick festgestellt werden kann. Gerade hierauf aber gründet sich der Fluchtplan. Unauffällig sind von den Landgängen Bambusstangen an Bord gebracht worden, um angeblich als Angelstöcke verwendet zu werden. Die Zeit vergeht, Tage nur noch kann es dauern, bis die Antwort aus Batavia eintrifft. Der Neumond ist da. Tiefdunkel liegt die Nacht über dem Walde und der Ansiedlung. Eine Weile noch strahlt heller Lichtschein aus den Fenstern der Wohnung des Residenten, dann erlischt auch er, und nur die Laterne vom Mast des „Weddigen“ leuchtet in die Nacht. Kein Laut, schweigend liegt der Wald. Nur ein leichtes Knacken ab und zu verrät, daß der Posten an Land seine Runde macht. Die Bambusstangen werden hervorgeholt, aneinandergebunden und in den Grund des Flußbettes gestoßen. Vorsichtig wird die Spitze dann zur brennenden Laterne herübergezogen ... wenige Minuten später baumelt das Licht auf gleicher Höhe an der Bambusstange, die nun wieder gerade über das Wasser hinausragt. Mit unendlicher Vorsicht, völlig geräuschlos ... wird der Anker eingeholt ... langsam erfaßt die Strömung das Schiff ... es gleitet ... groß und größer wird der Zwischenraum, mehr und mehr bleibt die Laterne zurück ... Die Huck ... das Licht ist verschwunden ... an Land rührt sich nichts ... Die Ufer treten zurück, stärkerer Wellenschlag faßt „Weddigen“. Die Segel werden gesetzt, eine kräftige Nordbrise füllt sie. Rauschend teilt der Bug das Wasser, schneller und schneller wird die Fahrt. Längst ist vom Land nichts mehr zu sehen. Von achterlichem Winde getrieben, läuft „Weddigen“ am Morgen des 11. Dezember durch den Südausgang der Lombokstraße in den Indischen Ozean. Frei! Im Mauritius-Orkan Die Bewegungen der „Weddigen“ werden lebhafter, höher hebt sich das Vorschiff über die leichten Wellenberge der von Süden heranrollenden Dünung des Indischen Ozeans. Bereits vor Tagesanbruch ist Kapitänleutnant von Möller auf Westkurs gegangen. Kaum mehr erkennbar verdämmern in der Ferne die bläulichverschwommenen Umrisse der Insel Bali. Weit und breit ist kein Schiff, keine verdächtige Rauchfahne zu sehen. Eine Verfolgung wäre auch hier nicht mehr zu fürchten. Längst ist der Schoner aus dem holländischen Hoheitsbereich heraus, kein Neutraler hat mehr das Recht, ihn hier anzuhalten. Ein glücklich-wohliges Gefühl der endlich errungenen Freiheit stellt sich ein. Weit zurück liegen die Gefahren der Internierung, freie See dehnt sich vor ihnen. Freilich kann auf dem nahezu sechstausend Seemeilen langen Wege bis zur arabischen Küste noch mancherlei geschehen; ist das kleine Fahrzeug doch in hohem Maße von Wind und Wetter abhängig, und der Zufall kann ihm, wenn die Wahrscheinlichkeit auch nicht dafür spricht, einen feindlichen Kreuzer in den Weg führen. Mit günstigem Wind und gleichlaufender Meeresströmung gleitet „Weddigen“ weiter. Tagelang bleibt die langgestreckte Form der Insel Java in Sicht. Für die Navigierung bedeutet es, obgleich auch nautische Instrumente an Bord sind, eine große Erleichterung, stets Landmarken zur Feststellung des Schiffsortes und zur Vermeidung des Abtreibens zur Verfügung zu haben. Ein Tag verrinnt nach dem andern, der Begriff „Zeit“ ist völlig geschwunden. Ein Ausruhen von Körper und Geist ist die Fahrt, eine wohltuende Entspannung nach den zermürbenden Aufregungen der erzwungenen Muße während der Internierungszeit. Glühend heiß brennt die tropische Sonne an Deck, die frische Brise aber, die ständig weht, mildert die Hitze und läßt sie nicht als unangenehm empfunden werden. Fast regelmäßig stellt sich anfangs in den Abendstunden ein Gewitter ein. Von allen Seiten zischen die Blitze über die See, in schmetternden Schlägen kracht der Donner hinterdrein. Schnell wie das Wetter kommt, verzieht es sich wieder, und erfrischender Regen strömt herab. In allen erdenklichen Gefäßen wird das Wasser aufgefangen; ist es doch eine der wichtigsten Bedingungen, von der nicht zum geringsten das Gelingen der Fahrt abhängt. Die Kleidung ist mehr als leicht. Breite Tropenhüte beschatten die Gesichter, die trotzdem aber nach wenigen Tagen schon wie Hände und Arme einen Ton annehmen, hinter dem niemand beim besten Willen Europäer vermuten kann, wenn nicht die blauen Augen und das blonde Haar in seltsamem Widerspruch zu der negerartigen Hautfarbe ständen. Das ganze Leben spielt sich auf Deck ab. Ein Mann geht ohnedies stets Wache. Er hat nie Ursache, über zu große Einsamkeit zu klagen, da es niemand einfällt, nachtsüber unter Deck zu gehen. Die Nächte sind kühl und durch die häufigen Niederschläge feucht, aber auch das wird nicht als besonders störend empfunden. Nur ein paar Decken mehr werden heraufgeholt, um Erkältungen vorzubeugen. Die Medizinkiste ist zwar an Bord, die soll aber lieber nicht geöffnet werden. Eng beisammen liegt die Besatzung -- viel Raum bietet das Deck ja nicht -- und die Gedanken wandern vor dem Einschlafen weit voraus, dem Ziele zu, das jede Stunde ihnen, wenn auch langsam, näherbringt. In unwirklicher Pracht wölbt sich der dunkle Himmel. Ein Stern dicht am andern, ein Flimmern und Funkeln, daß deutlich an Deck alles zu erkennen ist. Nicht sonderlich hoch taucht im Süden dann um Mitternacht über dem Horizont das Kreuz des Südens auf. Klar und hell hebt sich das Bild vom nachtschwarzen Hintergrunde ab. Nur Wochen noch müssen vergehen, und der viel vertrautere Orion zeigt sich. Kein Laut ringsum. Leise, einschläfernd gurgelt das Bugwasser zu beiden Seiten dahin und singt den „Weddigen“-Leuten allmählich ihr Schlummerlied. Ein flüchtiges Wort noch flattert herüber, eine Frage, halb im Schlafe schon die Antwort, dann träumen sie, Kommandant und Leute, dem neuen Tage entgegen. Ruhig, leicht übergeneigt zieht das Schiff seine Bahn, in phosphoreszierendem Glanze leuchtet weit noch das Kielwasser. -- Der Mond kommt hoch. Geisterhaftes, bläulich-weißes Licht zittert über die See, zeichnet leuchtende Flecke auf dem leicht gekräuselten Wasser. Längst liegt Java zurück, auch die hohen Berge Sumatras, die eine Zeitlang in Sicht waren, sind verschwunden. Zur Ausnutzung des Äquatorialstromes hält von Möller weit von Land ab auf die Tschagosinseln zu. Ein Tag nach dem andern kommt herauf und versinkt wieder, bald zwei Wochen sind verstrichen. Weihnachten! -- Ein Fest, wie es wenigen Sterblichen nur beschieden ist, das den sechs ihr Leben hindurch unauslöschlich im Gedächtnis haften bleiben wird. Am späten Nachmittag wird die Weihnachtskiste geöffnet, die Deutsche Surabajas ihnen mitgegeben haben. Der Inhalt offenbart, welch liebende Sorgfalt beim Packen am Werke war. Zigarren und Zigaretten gibt es, Äpfel, Nüsse; sogar der säuberlich in einer Blechdose verwahrte Kuchen ist da. Der Kommandant hält die Weihnachtspredigt. Es sind die Worte, die sie alle so oft schon gehört haben. Diesmal wirken sie anders, erschütternd. Sie sind allein. In der grenzenlosen Einsamkeit des weiten Ozeans, auf einem kleinen morschen Schiffchen. In tiefem Schweigen vergehen die nächsten Stunden. Ein jeder weilt in Gedanken bei dem, was ihm das liebste ist, achtet die Ergriffenheit des Kameraden, die er selbst auch fühlt, und scheut sich, die Stimmung durch ein Wort zu zerreißen .... Wieder vergeht eine Woche, ein neues Jahr mit all seinen Hoffnungen und Wünschen steigt herauf. Es soll die Erfüllung bringen. Eine kurze Spanne Zeit noch, dann geht es nach Hause, zu den Kameraden, auf die Flotte. Nicht weit ab liegen die Kokosinseln. Von der Brandung des Indischen Ozeans umspült, ruht dort auf Korallenriffen das Wrack der unsterblichen „Emden“. Von hier segelte „Ayesha“ mit dem Landungszuge des deutschen Kreuzers in die Freiheit, und was die Kameraden zu einer Zeit, als zwanzig feindliche Schiffe auf sie Jagd machten, vollbrachten, das soll auch „Weddigen“ mit seiner kleinen Schar gelingen. Vierzehn Tage liegen hinter ihnen voll strahlenden Sonnenscheins, herrliche, tropische Nächte. Eine kurze Spanne Zeit noch, und die Küste Arabiens muß in Sicht kommen. Unter dem leichten Druck des südwestlichen Windes hält „Weddigen“ auf Diego-Garcia zu. Prall spannt die Brise die Segel, eine Fahrt, wie sie günstiger und besser nicht gewünscht werden kann. Heftige Windstöße sausen plötzlich kurz hintereinander von Süden heran, werfen sich in die Segel, daß das Schiff stark überholt und die Spritzer an Deck fegen. Besorgte Blicke spähen zum Horizont und nach dem Himmel. Wie erloschen ist das strahlende Licht, bleierngrau brütet es über ihnen. Blauschwarz wächst im Süden eine riesige Wand aus der See empor, ein fahler Schein glänzt in ihrer Mitte. Mit unheimlicher Schnelligkeit kommt sie herauf, Sekunden nur vergehen ... sie breitet sich aus, wächst, erreicht den Zenit. Wie ein grauenhaftes Ungeheuer kommt es herauf, das mit gierigem Rachen all das Licht verzehrt, vertilgt. Der Sturm ist da. Rauschend stürzt er heran, heulend wirft er sich auf den kleinen Schoner. Zum Platzen sind Stagen und Wanten gespannt. In Minuten ist die leichtbewegte See aufgewühlt, höher heben sich die Wellen. Es zischt und brodelt, Gischt erfüllt die ganze Atmosphäre. Wo immer die weißen Schaumkronen auf den Kämmen auftauchen, faßt sie der Sturm, reißt sie hoch, zerstiebt sie in Hunderttausende von Tropfen. Beim ersten Stoße, der ohne jedes Anzeichen heranbraust, hat sich „Weddigen“ schwer ächzend übergelegt. Noch hat er sich nicht wieder aufgerichtet, und der zweite, noch stärkere ist da. Ein Krachen und Splittern ... die Stange am Maste bricht. Flatternd schlägt das Toppsegel einen Augenblick gegen die Gaffel, dann faßt es der Sturm, wirbelt es wie Papier herum. Weit entfernt schlägt es in die See, in fliegender Hast wird ein Segel nach dem andern geborgen. Bei den wenigen Händen, die zur Verfügung stehen, ist es unmöglich, sie alle gleichzeitig zu sichern. Schon droht das Großsegel dem Toppsegel zu folgen, als es im letzten Augenblick noch gelingt, es, wenn auch beschädigt, zu bergen. Ein Mann muß das Ruder bedienen und dafür sorgen, daß nicht die See, die von Minute zu Minute gröber wird, Gewalt über das Schiff gewinnt. Seine ganze Kraft und Geschicklichkeit ist darauf gerichtet, das Bergen der Segel nach Möglichkeit zu erleichtern und zu verhindern, daß „Weddigen“ unter den Wellenbergen verschwindet. Furchtbar ist die Arbeit, immer höher noch heben sich die Wellen, krachend stürzen sie in Brechern über. Das ganze Oberdeck steht fußhoch unter Wasser. Mit der Lee-Reeling pflügt das Schiff minutenlang in der See längs, als wollte es sich nicht wieder aufrichten. Kaum ist es mehr möglich, sich an Deck vor dem „Überbordgerissenwerden“ zu sichern. Mit Händen, Armen und Beinen heißt es sich festklammern, jeder sich bietende Halt wird ausgenutzt. Kein trockener Faden ist mehr am ganzen Körper. Längst schon klebt das nasse Zeug, und immer wieder bricht klatschend ein neuer Schwall über sie herab. Durch den Niedergang achtern unter Deck zu gelangen, ist ausgeschlossen. Die kurze Zeit des Öffnens würde genügen, das Schiff vollzuschlagen und es dem sicheren Untergange zu weihen. Nur die leichten Sturmsegel stehen, um das Fahrzeug nicht gänzlich der Gewalt von Wind und See auszuliefern. Längst schon hat es jegliche Fahrt verloren, alle Bemühungen müssen sich darauf beschränken, das gebrechliche Schiff durch den Sturm zu bringen. Das ist längst keine vorübergehende Bö mehr. Der gefürchtete Mauritius-Orkan, dem die größten Seeschiffe weit aus dem Wege gehen, ist da. Düster, schwarz ist der Himmel, stärker und stärker rast es vom Süden heran, die ganze Luft erfüllt der Gischt, nichts ist zu sehen. Ein ungeheurer gläserner Wall nach dem andern brüllt heran, näher und näher ... jetzt ... jetzt bricht er über das Schiff, begräbt es unter seiner Masse ... eine Sekunde später steht „Weddigen“ hoch oben, saust talwärts, um wieder hochgerissen zu werden. Die Nacht. Mit unverminderter Heftigkeit tobt der Orkan weiter. Nichts ist zu sehen, nur der fahlweiße Gischt schimmert gespenstisch auf. Wie ein Ball wird das kleine Fahrzeug hin- und hergerissen, in allen Spanten ächzt es. Ringsum das Heulen und Toben der Elemente. Stunden? ... Jahre? ... So langsam und zähe verstreicht die Nacht, als wollte sie kein Ende nehmen, kein Mensch kann an Schlaf oder an Schutz denken; angeklammert oder festgelascht verharrt alles oben. Jeder Augenblick kann der letzte sein. Immer schwerer wird das nasse Zeug, schneidend kalt fegt der Wind. Seit sechzehn Stunden ist kein Bissen, kein Schluck Wasser über die zersprungenen Lippen gekommen. Nach qualvoll langem Warten endlich weicht die Dunkelheit, um einer fahlen Dämmerung Platz zu machen. Auf allen Gesichtern sind die Spuren der durchwachten Nacht und der unerhörten Anstrengungen zu sehen. Blasse Gesichter, aus denen übernächtige gerötete Augen sehen. Und weiter rast der Sturm. Ein Trost nur, daß es jetzt so weit hell ist, daß übersehen wird, welche Schäden angerichtet sind, und versucht werden kann, etwas Genießbares heraufzubekommen und die erstarrten Glieder durch wärmenden Trunk etwas zu beleben. Es sieht böse aus. Die Wanten und Stagen sind teilweise zerrissen oder haben sich losgearbeitet, die Reeling weist zerschlagene Stellen auf, am Bug halten die Decksnähte nicht mehr ganz dicht, es muß Wasser in den Raum gedrungen sein. Auch das Tauwerk zeigt arge Beschädigungen auf. Mit unendlicher Mühe gelingt es, in den Raum zu kommen. Die Ladung ist bis auf einige Kisten, die über Stag gegangen sind und deren Inhalt sich verstreut und zerbrochen im Raume herumtreibt, unversehrt. Bedenklich ist, daß anscheinend auch die Nähte außenbords nicht mehr dicht halten: an zahlreichen Stellen sickert langsam Wasser durch. Es ist ausgeschlossen, irgend etwas zur Beseitigung des gefährlichen Schadens zu unternehmen, solange das Schiff schwer arbeitet. Auch an Kochen ist gar nicht zu denken. Ein Stück Hartbrot wird heruntergewürgt, eine Dose Büchsenfleisch macht die Runde. Unentwegt wettert es weiter, fast scheint der Orkan an Wut noch zuzunehmen. Ein kurzes Krachen mischt sich in das brausende Tosen der See: die Gaffel, an der das Sturmsegel sitzt, ist gebrochen. Sollte „Weddigen“, was von Stunde zu Stunde unwahrscheinlicher wird, den Sturm überstehen, dann muß seemännische Geschicklichkeit versuchen, aus dem mitgenommenen Material Ersatz zu schaffen, sogut es eben geht. Für den Augenblick ist nichts zu machen. Düster und grau, wie der Tag gekommen ist, geht er zu Ende, und die Nacht bricht herein mit all ihren Schrecken. Ohne Murren ergibt sich die Besatzung in ihr Schicksal, wenn auch leise beim einen oder anderen sich der Gedanke an das Ende einschleicht. Immer mehr Wasser dringt durch die Außenbordshaut, die morschen Planken können nicht lange mehr halten. Nur der weiße Gischt leuchtet wie gestern gespenstisch auf, der Himmel ist dicht bezogen, und wieder verrinnt eine Stunde nach der anderen im harten Kampfe ums Leben. In die starre Wolkendecke kommt Bewegung. Ein schwarzer Wolkenfetzen löst sich ab, ein zweiter, ein dritter folgt ... eine hellere Stelle ... ein Stern. Strahlend funkelt er auf die kochende See, auf das kleine Fahrzeug, auf die sieben Männer ... Ein einzelner kleiner Stern nur, der da oben in mattem Glanze leuchtet, und doch bringt er neue Hoffnung, neuen Mut. Seit über vierzig Stunden wütet der Orkan, tobt und braust die See. Wie ein Fingerzeig einer höheren Macht leuchtet es von oben herab, tröstend, Besserung verheißend. Noch starren alle wie gebannt zu dem leuchtenden Pünktchen hinauf, das sich so seltsam in seiner Einsamkeit auf dem schwarzumzogenen Himmel abhebt, als sich plötzlich der Stern löst. In feurigem Bogen schießt er herab, verschwindet wie von der See verschlungen. Harte Männer sind es, die das Leben gelehrt hat, das, was sie fühlen, in ihrem Innersten zu verschließen. Nie aber haben sie sich ihrem Gotte näher gefühlt als in diesem kurzen Augenblick. Halb im Unterbewußtsein dämmert in ihnen der uralte Kinderglaube auf von dem Wunsche, der in Erfüllung geht, wenn er beim Fallen der Sternschnuppe gehegt ist. Von dem Moment an, da sie sich zur Flucht entschlossen, beseelt sie alle nur das eine Verlangen: Heim in den Krieg. Ein alter Kinderglaube nur, und doch übt er seltsame Wirkung aus. Wie neu gestählt geht es an die Arbeit, entschlossen, den Kampf mit Sturm und See siegreich zu bestehen. Und tatsächlich ist es, als hätte der Fall des Sternes den Höhepunkt des Orkans bedeutet. Von Stunde zu Stunde nimmt die Stärke des Windes ab. Als der Tag anbricht, hebt sich strahlend die Sonne aus dem aufgewühlten Ozean. Noch läuft die See hoch, der Gischt aber fegt nicht mehr, von den Kämmen gerissen, durch die Luft. Allmählich lassen auch die Brecher nach, einzeln nur lecken sie noch an Deck. Die Wellen, die vorher wie gläserne Ungeheuer heranrasten, verflachen mehr und mehr, der weiße Schaum verschwindet, und nur die Dünung noch verrät, welch Sturm hier tobte. In wohltuender Wärme strahlt die Sonne auf das Schiff, nimmt im Verein mit dem Winde die Feuchtigkeit aus dem Zeug, aus den Segeln und den Decksplanken, die bald in blendender Weiße leuchten. Schimmernde Salzkristalle haften überall, wie Edelsteine glitzern und funkeln sie. Ein Aufatmen geht durch die kleine Schar. Stunden erst sind vergangen, in denen jede Sekunde das Ende zu bringen drohte. Keiner denkt mehr daran, voraus fliegen die Gedanken dem Ziele zu. Jetzt heißt es vor allem, die Schäden festzustellen. „Weddigen“ ist arg mitgenommen. Außer der zerbrochenen Gaffel ist das stehende Gut teilweise gebrochen, fast ein Wunder ist es zu nennen, daß die Masten sich nicht losgearbeitet haben und über Bord gegangen sind. Weit bedenklicher aber noch zeigt sich nach längerer Untersuchung der Zustand des Raumes. Vom Oberdeck und durch die Seiten ist eine Menge Wasser durchgesickert. Mehr als fußhoch umspült es die unteren Kisten. Es heißt schleunigst pumpen und die durchlässigen Stellen dichten. Zum Glück ist vom Proviant so gut wie nichts verdorben, da beim Verstauen schon mit einem leichten Leckwerden des morschen Fahrzeuges gerechnet werden mußte. Todmüde sind sie, noch aber ist nicht Zeit zur Ruhe. So schnell wie möglich muß das Fahrzeug wieder seetüchtig gemacht werden. Während zwei Mann stundenlang die Pumpe bedienen, und das Wasser unten sichtbar abnimmt, gibt es an Oberdeck harte seemännische Arbeit. Es ist ein Glück gewesen, daß Segel und Tauwerk so gut wie neu waren. Die Schäden lassen sich von sachkundiger Hand in verhältnismäßig kurzer Zeit beseitigen. Schwieriger ist schon das Dichten der lecken Nähte, aber auch das gelingt gegen Abend, als die Dünung immer mehr nachläßt und das Schiff ruhig liegt. Das schwerste Stück ist das Wiederinstandsetzen der Gaffel. Auch hier wird mittels der mitgenommenen Reservehölzer Rat geschafft. Im Laufe des nächsten Tages ist „Weddigen“ wieder einigermaßen „hingetrimmt“. Seit fast neunzig Stunden zum erstenmal wieder zieht der Schoner in flotter Brise seinen Weg, nur dem fachmännischen Auge verrät die unmittelbare Nähe, was das kleine Schiff erlebt hat. Die Mittagshöhe wird genommen, das Besteck errechnet, auf der Karte abgesetzt: eine freudige Überraschung. Nur verhältnismäßig wenige Seemeilen ist „Weddigen“ nordwärts aus seinem Kurs gedrängt worden, kaum der Rede wert ist der Zeitverlust. Jetzt erst macht sich die tiefe Erschöpfung bemerkbar. Traumloser, tiefer Schlaf umfängt die Wachfreien. Mühsam, unter Aufbietung der letzten Kräfte kämpft der Mann am Ruder gegen die Müdigkeit, bis auch er, endlich abgelöst, die wohlverdiente Ruhe findet. Gleichmäßig und stetig treiben die Äquatorialwinde das Fahrzeug westwärts auf die Tschagosinseln zu. Heiß brennt die Sonne auf Deck und Segel, in tausend Reflexen spiegelt sie sich auf der glatten See. Fliegende Fische steigen in Scharen vor dem Bug auf, gleiten hundert Meter und mehr durch die Luft. Kaum zu fassen ist es, daß hier vor kurzem noch der furchtbarste Orkan mit Windstärke zwölf einherraste. Wie berechnet, kommen die Tschagosinseln in Sicht. Tausende von Meilen liegen hinter dem Schiff, weit mehr als der halbe Weg ist zurückgelegt. Freilich, das schwierigste Stück, das Kreuzen der Dampferstraße Aden-Colombo und die Landung in Arabien können noch manches Unerwartete bringen. Mit Nordwestkurs geht es von den Tschagosinseln, die nur in weiter Ferne als dunkle Punkte auftauchen und verschwinden, weiter auf Sokotra zu. Der Wind schläft ein. Immer schlaffer werden die Segel, schlagen leicht gegen die Masten, bis sie wie tot herunterhängen. Das Schiff verliert jede Fahrt. Prall brennt die Sonne auf das bewegungslos daliegende Fahrzeug. Die Nacht kommt, ein zweiter, ein dritter und vierter Tag. Kein Wind, kein Luftzug: der Stillengürtel der Tschagosinseln! Die Gesichter werden ernster, graue Sorge schleicht sich allmählich ein. Zwar ist reichlich Proviant und Wasser mitgenommen, an die Ergänzung des letzteren aber kann hier in der regenlosen Zeit nicht gedacht werden. Noch liegen mehr als tausend Seemeilen vor ihnen und von Tag zu Tag nimmt das Wasser mehr ab .... Eine Woche vergeht. Jeden Morgen spähen besorgte Blicke rundum auf die Oberfläche hin, ob nicht leichtes Kräuseln das Nahen einer Brise künde. Vom wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne, spiegelglatt liegt die See, wie ein leises Atmen nur geht es durch die tiefblau schimmernde Flut. In ungezählten Mengen segeln kleine gelbe Seetierchen dahin, Quallen in den schönsten Farben gleiten vorbei. Schwarz wölbt sich ein Rücken in einiger Entfernung aus der See, zwei kleine Wassersäulen heben sich: ein Walfisch. Träge, schlaff hängen die Segel. Die Sonne geht unter, dunkel färbt sich das Wasser. Leichtes Kräuseln schießt von Süden her über die Oberfläche herab. Ein Luftzug. Die Segel bewegen sich, gleiten vom Mast ab, wölben sich mehr und mehr, bis sie stehen. Die rettende Brise. Minuten später ist „Weddigen“ in guter Fahrt. In märchenhafter Pracht wölbt sich der tropische Himmel. Stern an Stern erglänzt, wie ein weiß leuchtendes Feld schimmert die Milchstraße herunter, so strahlend, daß in ihrem Scheine an Deck eine fast unwirkliche Helle herrscht. Dicht beisammen sitzt die Besatzung. Die überstandenen Sturmtage und die Gefahren der Windstille bieten reichlichen Gesprächsstoff. Manches erlebte Mißgeschick, mancher böse Zufall wirkt jetzt, in der Erinnerung gemildert, erheiternd. Jeder weiß anders zu erzählen und zu schildern. Der Kommandant schweigt. Das Gespräch wird karger, ruhiger, setzt minutenlang aus .... Die Sternschnuppe ... wie aus einem inneren Gedankengang heraus, halb unbewußt hat einer leise das Wort gesprochen.... Die Sternschnuppe .... Deutlich hebt sich der so unirdisch wirkende Vorgang vor ihren Augen ab .... Der einsame Stern ... die feurige Bahn ... der Wunsch ... ein leichtes Räuspern ... Kapitänleutnant von Möller spricht. Auch er kann den Gedanken an jene Nacht nicht los werden, in schlaflosen Stunden haben die Vorgänge in seinem Geiste feste Form angenommen. Einfach, schmucklos spricht er .. kein Laut. Bewegungslos hängen sie alle an seinen Lippen. Es war einmal ein Stern am hohen Himmelszelt, Der schaute gar so gern auf diese Erdenwelt; Er hatte viel erfahren, er hatte viel gesehen, Schon seit viel tausend Jahren sah er die Erd’ sich drehen; Er sah der Menschen Ringen um Geld und um Begehr, Er sah vor allen Dingen den Seemann auf dem Meer. Als er nun schon gealtert sein Ende fühlte nah’n, Da hat er, halb erkaltet, noch einen Schwur getan: Wenn je vom Firmament ein Seemann seinen Strahl Mit Aug’ und Instrumenten herab zur Kimm’ befahl, Dann wollte er gerne stürzen, quer durch die Atmosphär’, Mit seinem Leichnam würzen das schaumbedeckte Meer; Was dann in der Sekunde des Seemanns Herz geplagt, Sei ihm zur selben Stunde erfüllt und zugesagt. Es war einmal ein Kahn, gar morsch, doch gut bemannt, Den hat in Heimatswahl man „Weddigen“ benannt. Wohl neunzig Tag und Nächte fuhr er im Ozean, Daß er zur Heimat brachte sechs deutsche Untertan. Dies halbe Dutzend Mannen schaut stets zum Horizont, Wünscht sich nach langem Warten noch endlich an die Front. Weit westlich der Molukken, weit südlich vom Bengal, Sah’n durch die Wolken gucken sie manchen Sternenstrahl; Doch all das Glanzgeflimmer, es ließ sie gänzlich kalt, Es zog sie immer schlimmer zur Heimat mit Gewalt. Ihr Sinn war stets nach Haus, zur Heimat hin gelenkt, Wo in so schweren Strauß das Vaterland gedrängt. Schon wollt’ der Schoner hoffen, am Ziele bald zu sein: Der Weg schien scheinbar offen, das Schiff dem Feind zu klein. Da kam dahergebraust so ein Mauritz-Orkan, Der hat das Schiff zerzaust, ihm schrecklich wehgetan; Zerschunden sind die Wanten, die Gaffel geht entzwei, Blutend in allen Spanten, drehte das Schifflein bei. Die einz’ge deutsche Fahne auf weitem Weltenmeer, Sie weht auf diesem Kahne für deutsche Seefahrt sehr! Jetzt triefend tief im Tale, rauf auf den nächsten Kamm, So nahm die kleine Schale die See, auf der sie schwamm; und wie die Winde tosten, wie roh sie auch gerannt, Das Heck blieb stets nach Osten, der Bug zur Front gewandt. So ward er abgeritten, der wütende Orkan, Bis in des Sturmes Mitten ein Stern sich brach die Bahn. Wie einst ein Regenbogen sich wölbte auf Tsingtau, So strahlte ob den Wogen der Stern zum Kampf der Prau; Und wie der Mensch in Not wohl auch zum Strohhalm eilt, So hat das kleine Boot zum Stern hinaufgepeilt. Da fiel der Stern herab vom hohen Firmament Und fand sein feuchtes Grab im wilden Element. Die sechs an Bord, sie standen erschreckt im Schnuppenschein, Doch tief im Herzen fanden sie einen Wunsch allein: „Wenn wir auch unterliegen, wir sechs in dem Orkan, Das deutsche Volk soll siegen, wie wenn wir mitgetan!“ Da war der Stern erstaunt, daß solcher Wunsch es sei, Hat schnell noch zugeraunt dem Meer: „Ach, gib sie frei!“ Nach vierundzwanzig Stunden war der Orkan schon tot, Es hat hindurchgefunden das kleine off’ne Boot. Es fand hindurch zur Küste, eintausend Meilen fort, Hindurch dann durch die Wüste, hindurch zum Heimatsort. Die Mannen gingen fechten gar froh im Freiheitskrieg Und halfen Zweige flechten zum großen deutschen Sieg. Wollt die Moral erfragen von diesem Scherzgedicht? Denkt nur in allen Lagen ganz einfach eurer Pflicht; Denn wer die stets getan, ganz einsam, still und fern, Dem hilft auf seiner Bahn gar mancher guter Stern. Und wenn die Sterne fallen, wie’s abends oft geschieht, So denkt, daß Gott euch allen tief in die Herzen sieht. In die Wüste „Land voraus!“ Dunkel hebt sich in der Ferne ein langgestreckter Streifen aus der See. Höhenzüge wachsen aus ihm hervor, die dunkle Farbe wird heller und geht allmählich in Gelb über. Der Wüstensand Arabiens. Zweiundachtzig Tage Seefahrt liegen hinter den „Weddigen“-Leuten, an sechstausend Seemeilen sind zurückgelegt. Alle Fährlichkeiten hat das morsche Fahrzeug glücklich überstanden: Heiße Tropensonne, die das Pech in den Decksnähten schmelzen ließ, den Mauritius-Orkan, die Windstillen. Wie ein Traum ist es ihnen, daß da, in fast greifbarer Nähe das Land liegt, nach dem sie strebten. Näher kommt die Küste, deutlicher treten die Einzelheiten hervor. Langgezogene Dünen, hie und da niedriges Buschwerk. Einsam, verlassen scheint die Gegend. Unter Land brandet die See. Hier ist ein Anlegen zu gefährlich. Parallel zur Küste läuft „Weddigen“ eine Stunde lang westwärts. Überall glänzt drüben der gelbe Sand, über dem die heiße Sonne brütet. Zwischen zwei riesigen Dünen springt die Küste zurück. Gerade als das Schiff vor der Einbuchtung steht, hebt sich vom hellen Hintergrunde eine Gestalt ab. Ein Beduine. Ruhig, unbeweglich hält er auf seinem Hedschin (Reitkamel), nicht einen Augenblick läßt er das Fahrzeug, auf dem in diesem Moment die rote Flagge mit dem Halbmond hochgeht, aus dem Auge. Kapitänleutnant von Möller hält auf Land zu. Vorsichtig nähert sich der Schoner der Küste an einer Stelle, wo das Fehlen der Brandung günstige Gelegenheit zum Auflaufen bietet. Leise knirscht der Sand unter dem Kiel, einige kleine Rucke, das Schiff steht. Kaum hat der Kamelreiter bemerkt, daß die Fremden, deren Flagge er sofort erkannt hat, ans Land laufen, als er sein Tier in Bewegung setzt. In jagender Fahrt kommt er heran. „~Ta’al labaun!~“ Schallt die Stimme des Said Achmad ihm entgegen. „Komm her!“ Ein Stutzen drüben über den wohlverstandenen Zuruf, dann wirft er die Hand hoch und kommt näher an den Strand heran. Bis auf fünfzig Meter; dann hält er. Mißtrauische Blicke schweifen aus dunklen Augen herüber, schußbereit liegt das Gewehr in der Hand. Said Achmad ist inzwischen an Land gewatet und auf den Beduinen zugegangen. Eine Viertelstunde dauert die Unterhaltung, dann kehrt er zurück, während der Reiter sein Tier wendet und zwischen den Dünen verschwindet. Die Nachrichten, die Said bringt, sind überaus erfreulich. Die Stämme längs der Küste sind bis kurz vor Aden türkisch gesinnt. Gern wollen sie die Deutschen nach Lahadsch, wo sich General Said-Pascha, der Kommandeur der gegen Aden angesetzten türkischen Streitkräfte, befindet, bringen. Eine Stunde vergeht, dann tauchen zwischen den Dünen zahlreiche Reiter auf. Allen voran ein alter Beduine, der durch sein Äußeres schon den höheren Rang verrät. Weiße Gewänder, hohe rote Saffianstiefel: der Scheich. Bis dicht vor „Weddigen“ kommt er heran. Einige rauhe Kehllaute, das Kamel sinkt auf die Knie. Elastisch springt der Alte aus dem Sattel und nähert sich Said, der ihm entgegenkommt. Abermals eine kurze Verhandlung, dann winkt der Scheich seine Begleiter heran. Zwölf Männer sind es. Alles schlanke, sehnige Gestalten, die braunen Gesichter mit den scharfen Zügen vom weißen Burnus malerisch umrahmt. Auch die Deutschen verlassen jetzt das Schiff und v. Möller tritt auf den Scheich zu; der streckt ihm die Hand entgegen, heißt ihn Willkommen und erklärt sich gern bereit, ihn unter seinen Schutz zu nehmen und für sicheres Weitergeleiten nach Lahadsch zu sorgen. Ein Befehl an seine Leute, und sieben Hedschins werden herbeigeführt. Zum Transport des Gepäcks sind vier Lastkamele vorgesehen. Jetzt heißt es Abschied nehmen von dem kleinen Schiff, das sie wacker bis hierher geführt hat. Schwer nur trennen sich die Blicke von dem Fahrzeug, das ihnen durch drei Monate eine Heimat war. Vor ihnen aber liegt das große Ziel. In einer Stunde ist alles, was mitgenommen werden soll, an Land und auf die Tiere geladen, der Rest der Bestände und das Schiff selbst wird dem Scheich als Geschenk überlassen. Schwierig fällt zuerst die Einschiffung an Bord der Kamele. Es geht nicht ganz ohne erheiternde Zwischenfälle ab. Schließlich aber setzt sich die Karawane doch westwärts in Marsch in die Wüste. Ein letzter Blick noch von der Höhe einer Düne gilt „Weddigen“, dessen weißer Rumpf und dunkle Masten sich deutlich abheben, dann verschwindet er. Die Sonne geht unter, plötzlich, ohne Übergang. Weiß schimmern die Dünen im Lichte des Mondes, wie verschneite Landschaften. Bald auf Hügel klettern die Tiere, sausen talwärts, dann wieder führt der Weg durch das Geröll eines Wadi. Grünes Gestrüpp hebt sich ab, spärliche Grasnarben, um wieder nacktem, gelbem Sande Platz zu machen. Stundenlang. Der Scheich, der an der Spitze trabt, wirft den Arm in die Höhe. Rast. Den deutschen Seeleuten, die des Kamelreitens so gänzlich ungewohnt sind, bildet die Unterbrechung, wenn sie auch nur kurz währt, eine wahre Erlösung. Kaum haben sie die müden Glieder ausgestreckt, heißt es schon wieder in kühnem Schwunge auf die Kamele hinauf und weiter, in den heranbrechenden Morgen. Furchtbar eintönig und dennoch großartig in dieser grenzenlosen Einsamkeit wirkt die Landschaft. Dünen, Sand, selten, äußerst selten nur um eine Wasserstelle Gesträuch oder kleine arabische Niederlassungen. Armselige Hütten und Zelte, vor denen Ziegen, Kamele und Hunde sich herumtreiben. In der ärgsten Mittagshitze wird gerastet. Die Wüste dörrt aus. Viel Fett haben die zweiundachtzig Tage Seefahrt den „Weddigen“-Leuten nicht gelassen, was übrig blieb, zehrt nun die heiße arabische Sonne. Lahadsch. Weit vor Kapitänleutnant von Möller und seiner Schar ist die Kunde vom Nahen der Deutschen vor ihnen hergeeilt. Türkische Offiziere kommen ihnen entgegen und geleiten sie zum Pascha, der sie auf das herzlichste willkommen heißt und sie zu ihrer Fahrt beglückwünscht. Die türkischen Kameraden können von den Erlebnissen der sechs Deutschen nicht genug hören. Wieder und immer wieder müssen sie erzählen. Was sie ihnen an den Augen ablesen können, tun sie, noch lange bevor der Wunsch ausgesprochen ist. Wie ein Lauffeuer geht die Kunde durch die ganze Gegend, auf den Straßen werden die Alemans angehalten, begrüßt, bewundert. Am nächsten Tage führt Said-Pascha sie mit hinaus an die Front. In harten Kämpfen haben die Türken ihre Linien näher und näher an Aden herangeschoben, den Engländern in blutigem Ringen den Küstenstreifen Hadramaut entrissen. Einen Augenblick tritt die Versuchung heran, hierzubleiben und an der Seite des Bundesgenossen zu kämpfen. Eine Granate aus englischem Geschütz heult heran, bohrt sich in den Sand, der sich in hoher Wolke erhebt und explodiert mit berstendem Krach. Der erste feindliche Gruß. Hier wird gekämpft wie im fernen Europa, im Osten und Westen, gegen den gleichen Feind. Und weiter hinaus noch, durch die grüne Nordsee pflügen die stählernen Kiele das Meer. Dort ist ihr Platz, ihr endgültiges Ziel. Nur nicht zu spät kommen zur großen Entscheidungsschlacht. Ungern nur läßt Said-Pascha sie ziehen, nur zu gut versteht er aber, welche Gefühle es sind, die die deutschen Seeleute vorwärtstreiben, der Heimat zu. Alles, was in seinen Kräften steht, ihnen den Weg zu erleichtern, geschieht, und sein Offizierkorps wetteifert mit ihm. Nach wenigen Tagen ist alles bereit, Maultiere, Proviant, Führer und Begleitmannschaften. Am 18. März setzt sich nach feierlicher Verabschiedung der Zug in Bewegung. Das Ziel ist Sana, die Hauptstadt des Jemen. Über das fast zweitausend Meter hohe Engrisgebirge windet sich der Pfad. Kahl und öde ist das Gestein, verwittert und ausgedörrt. Ein Flimmern und Flirren geht unter dem glühenden Sonnenbrande von ihm aus, daß sich die Augen geblendet schließen. Selten nur zeigen sich in geschützten Tälern spärlicher Pflanzenwuchs und armselige Hütten. Wenige Städte nur werden berührt. Dala, Kataba, Djerim, Dhamar. Auch hier hat sich die Nachricht von der Ankunft der Deutschen verbreitet. Schneller als der Telegraph haben die arabischen Reiter die Kunde durchs Land getragen. Überall ist die Aufnahme gleich begeistert, liebevoll. Seit dem Einmarsch der „Ayesha“-Mannschaft in Sana sind Deutsche keine Fremden mehr in diesen Gegenden. Noch heute sprechen die Leute von den Tapferen, die weit über See herkamen und durch die Wüste drangen, nur um am Kampfe gegen die Inglisi teilnehmen zu dürfen. Siebzehn Tage dauert der Marsch. Sind hundert Kilometer gemacht, das Doppelte, das Zehnfache? Keiner kümmert sich mehr darum. Der eine Gedanke nur beseelt sie, wenn sie todmüde von den Kamelen sinken: Vorwärts, vorwärts, weit noch ist das Ziel. Unerhört ist die Anstrengung für die Leute. Immer wieder aber werden die Zähne zusammengebissen. Nur kein Aufenthalt. Steil schießt der Pfad hinab, mühsam windet er sich zum Passe empor und wieder ein Tal dahinter, eine neue Höhe, die es zu nehmen gilt, kein Ende fast. Dann, als die Kräfte zu versiegen drohen, liegt auf der Hochebene Sana vor ihnen. Weit dehnt sich das fruchtbare Land. Dorf neben Dorf ragt aus Bäumen und Gärten hervor, in der Mitte zieht sich die festungsartig von Mauern umgebene Stadt. Eine dichte Staubwolke wälzt sich auf der breiten Straße. Waffen blitzen, Klänge von Musik flattern, zerrissen vom Winde, heran. In feierlichem Aufzuge holen die türkischen Offiziere die deutschen Kameraden ein. Eine halbe Stunde noch, dann sind sie angelangt. Die Musik spielt „Deutschland, Deutschland über alles“, die Soldaten präsentieren. Rührend ist die Liebe, die von Möller und seinen Leuten entgegengebracht wird. Dicht gedrängt stehen die Einheimischen, rufen, winken, jubeln. Die beste Unterkunft, die die Stadt überhaupt aufzuweisen hat, muß herhalten. Zum erstenmal wieder schlafen die Deutschen in wirklichen, bequemen Betten, empfängt sie eine festliche Tafel, und sie lassen sich nicht lange nötigen. Zusehends verschwinden die Berge von Pilaw, mehr und mehr büßt der halbe Hammel, der auf dem Tische steht, seine Form ein. Dann kommt des Beste und Nötigste, sie schlafen. Tief, traumlos, bis in den hellen Tag hinein. Zwar sind die Glieder noch immer etwas steif von den Anstrengungen der letzten Tage, der Geist aber ist erfrischt, rege, plant bereits für die Zukunft. Eine herbe Enttäuschung bereitet von Möller der Bescheid, den er hier erhält, als er um Tiere für den Weiterritt zur nächsten Bahnstation bittet. Kamele, Pferde und Maultiere stehen ihm zur Verfügung, soviel er deren nur haben will. Die Schwierigkeiten des Landmarsches sind aber so groß, daß er, will er überhaupt heimkommen, sich entschließen muß, nach Hodeida zu gehen. Dort wird sich für alles Rat schaffen lassen. Überall stößt er auf das Andenken der „Ayesha“-Leute, die hier vierzehn Tage weilten; alles weiß von ihnen zu erzählen und zu berichten. Freudig, stolz, als sei es eine große Ehre, die ihnen widerfuhr, als Deutsche unter ihnen weilten. Auch denen ist es ähnlich gegangen: sie kamen von der Küste, um über Sana nach Hause zu gelangen, auch sie mußten zurück ans Meer. Zu ihrem Glück! Auf dem Landwege hätten sie nie das Ziel erreicht. Gebirge, Wüste, räuberische Beduinen waren Hindernisse, die sich kaum von einer so kleinen Schar überwinden ließen, und ebenso ist es jetzt. Halb getröstet befiehlt Kapitänleutnant von Möller also für den nächsten Tag den Aufbruch nach Hodeida. War der Marsch durch das öde Gebirgsland eine schwere Arbeit, so ähnelt er jetzt mehr einer Erholung. Eine schöne, neu angelegte breite Straße führt über bewaldete Berge hinweg, über fruchtbare Hochebenen. In den Tälern liegen Steinhäuser kleiner arabischer Siedelungen, von den Gipfeln grüßen einsame Burgen. In einem Han, einer kleinen Etappenstation am Wege, wird die erste und zweite Nachtruhe gehalten, dann geht es weiter nach Menacha. Auch hier holt die Garnison sie wieder ein, finden sie beste und liebevollste Aufnahme. Zwei Tagesmärsche, dann senkt sich das Bergland, und in der Ferne tauchen die langgestreckten Dünen des Wüstenstreifens auf, der sich zwischen Meer und Gebirge hinzieht. Bis hierher ist der Weg auf Maultieren zurückgelegt worden. Jetzt heißt es auf die Kamele hinauf, die schon bereitstehen. Wieder breitet sich im Mondschein weißschimmernd die Wüste mit ihren seltsamen Formen. Dort scheint in tiefem Schnee ein Dörfchen zu liegen, hier erheben sich ganze Städte .... bis ein Tier strauchelt oder durch ängstlichen Satz zur Seite unsanft in die Wirklichkeit zurückruft. Kein Weg, nirgends ein Anhalt. Dennoch leitet der Führer sie schnurgerade. In der Ferne taucht in verschwommenen Umrissen eine Gestalt auf. Riesengroß und phantastisch erscheint sie im unsicheren Lichte. Ein Beduine. Der Soldat an der Spitze faßt nach seinem Gewehr, entsichert es, macht sich, wie seine Kameraden, die den Deutschen als Geleitmannschaft mitgegeben sind, schußfertig. Wie ein Phantom ist inzwischen der Kamelreiter in der Ferne wieder verschwunden, und einsam und öde liegt die Wüste. Der Mond verschwindet, die Dämmerung lichtet sich. Deutlicher tritt der helle Sand, über den die Tiere in langem Trabe hinwegjagen, hervor. Die Sonne. Mit einem Schlage ändert sich das ganze Bild; Leben und Bewegung kommen hinein. Ein Flimmern und Gleißen, daß die Augen sich geblendet schließen. In rötlichem Glanze strahlt der gelbe Sand. An einer Wasserstelle ragt ein einsamer Tamarindenbaum, mehrere Zelte dicht daneben. Dunkle Uniformen tauchen auf, Gewehre funkeln in der Sonne. Soldaten sind es, die der Oberst von Hodeida von Möller bis hierher entgegengesandt hat. Der Kommandant, ein türkischer Hauptmann, tritt auf den Kapitänleutnant, den er an der hohen Gestalt bereits erkannt hat, zu und begrüßt ihn. Zusammen mit den Türken wird dann der Weg fortgesetzt. Sonst wird um die Mittagsstunde gerastet, heute denkt niemand mehr an eine Unterbrechung. Vier Stunden noch, dann liegt Hodeida vor ihnen, die See, dann geht es weiter, wieder ein Stück der Heimat näher. Seit Kapitänleutnant von Möller und seine Begleiter bei Lahadsch gelandet sind, jagen die Eindrücke einander. Fremdes Land, wenn auch den Verbündeten gehörig, fremde Völker, fremde Sitten. In atemloser Schnelligkeit gleitet das alles an ihnen vorüber, kaum erfaßt und schon wieder in weiter Ferne zurückliegend. Anforderungen werden an den Körper gestellt, wie sie kaum erdacht werden können. Und immer schneller, hastiger wird die Jagd. Ganz im Unterbewußtsein, kaum empfunden, steckt riesengroß die Sehnsucht, die Heimat zu erreichen. Und mit jeder Meile noch wächst sie, peitscht, treibt vorwärts. Nur kein unnützer Aufenthalt! Immer länger werden die Tage, immer wahrscheinlicher wird es, daß bald, bald der Entscheidungstag in der Nordsee anbricht. Und noch sind sechs Männer, auf die das Vaterland rechnen kann, ferne, in der Wüste. Jeder Tag unnützer Muße ist vielleicht unwiederbringlicher Verlust. Und so treibt von Möller, treibt jeder einzelne seiner Begleiter. Hodeida. Eine arabische Stadt, buntes Leben, Freunde, Bitten um ein Boot, das sie weiterbringen kann, Wahl der Begleiter und endlich die Stunde, in der es wieder weitergeht. Hat der Aufenthalt lange gedauert, zwei Tage, zehn, vierzehn? Weiter, nur weiter! -- -- -- Vom niedrigen Sambuk aus sind die flachen Dächer Hodeidas noch eben zu sehen, dann beim Runden der nächsten Huck verschwinden auch sie. Nach kurzem Aufenthalt in Hodeida hat von Möller mit seinen Begleitern einen Sambuk, eines der Segelfahrzeuge, die dem Verkehr der Anwohner des Roten Meeres dienen, zur Verfügung gestellt erhalten. Der geringe Tiefgang ermöglicht ein Fahren unmittelbar unter der Küste, zum Teil zwischen den vorgelagerten Inseln und Riffen hindurch, wohin selbst kleine Kanonenboote nicht zu folgen vermögen. Bis Djidda soll die Fahrt gehen, dann quer durch die Wüste zur Hedschasbahn. Die Seefahrt ist nicht ganz einfach. Dicht unter der Wasseroberfläche verborgen liegen zahlreiche Riffe und Klippen. Noch gefährlicher aber sind die feindlichen, im Roten Meer kreuzenden Kriegsschiffe, die die Küste ständig unter scharfer Bewachung halten. Ohne Zwischenfälle verläuft der Tag. Glühendheiß brennt die Sonne herunter, ununterbrochen gleitet an Steuerbord die trostlose Wüstenlandschaft vorbei. Einzelne kleine Inselchen und Korallenriffe werden umfahren. Nichts zeigt sich auf dem Wasser. Ganz fern nur verweht der Rauch eines auf die Insel Perim zusteuernden Dampfers. Die Nacht kommt, erfrischende Brise setzt mit der Dunkelheit ein. Sie verleiht dem Sambuk gute Fahrt, verlangt aber auch schärfsten Ausguck nach der Brandung, um ein Auflaufen zu vermeiden. Mitternacht. Eben wird die Wache übergeben: „Nichts in Sicht“, als plötzlich aus dem Dunkel ein greller Lichtkegel über das Wasser schießt. Ein feindliches Bewachungsschiff. Im Nu ist das Segel herunter, und regungslos, hinter einem Riff verborgen, liegt der Sambuk. Näher flutet das Licht, zittert bald hierhin, bald dorthin, gleitet heran. Entdeckt! Sekunden höchster Spannung vergehen, dann sucht der Lichtkegel wieder weiter, um schließlich ganz zu erlöschen. Gleichförmig vergehen die Tage. Hie und da streifen an Land Beduinen bis an die Küste heran. Sie verschwinden aber, als sie nur ein einheimisches Fahrzeug, das nicht weiter verdächtig ist, erblicken. Nur noch fünfzig Meilen trennen die kleine Schar von Konfuda, als mehrere feindliche Wachschiffe in bedrohliche Nähe kommen. Mit hoher Fahrt braust eines der niedrigen Kanonenboote bis auf etwa drei Seemeilen heran, stoppt. Von der Brücke spähen mit Kiekern und Doppelgläsern bewaffnete Augen nach dem Sambuk, der ruhig weitergleitet, aber auf alle Fälle gerüstet, dicht unter Land fährt. Drüben rührt sich nichts; wahrscheinlich ist ihnen das Fahrzeug nicht verdächtig und daß Araber, für die man sie augenscheinlich hält, auf ein Signal eingehen, kann nicht erwartet werden. Vielleicht auch trösten sie sich damit, daß weiter nördlich andere Kanonenboote stehen. Dort gibt es keine Riffe, die, wie hier, eine unmittelbare Durchsuchung hindern. Die gleichen Erwägungen aber sind es, die auf dem Sambuk angestellt werden, als weit voraus Rauchwolken auftauchen. Die Sache wird brenzlich. Jetzt heißt es an Land gehen. Südlich Konfuda landet Kapitänleutnant von Möller am Nachmittag in der Nähe eines kleinen Küstenplatzes. Dank seiner arabischen Begleitung sind bald Kamele zur Stelle, auf denen der Weitermarsch angetreten wird. Drei Tage später, am 28. April, reiten sie ungefährdet in die Stadt ein, und ebenso heil kommen sie nach einem weiteren Kamelritt, der sie über vierhundert Kilometer führt, am 16. Mai nach Djidda, dem Sitze eines türkischen Oberkommandos. Hier aber scheint die Reise ein Ende finden zu sollen. Schon in Friedenszeiten sind die in der Umgebung hausenden Wüstenstämme ihres religiösen Fanatismus wegen berüchtigt. Dazu kommt noch, daß sie ganz im Solde der Engländer stehen, die sie mit modernen Handwaffen ausgerüstet haben. Über fünfhundert Kilometer führt der Weg zur Bahn durch ihr Gebiet. Ohne überaus starke Deckungsmannschaften, die gerade jetzt nicht abkömmlich sind, ist das Unternehmen mehr als gefährlich. In überzeugender Weise versucht der Oberkommandierende von Möller von seinem Vorhaben abzubringen, hält ihm immer wieder das Tollkühne seiner Absichten vor. Umsonst ...... Die Kamele stehen bereit, ein arabischer Soldat und ein Basch Tschausch, die als Führer dienen sollen, warten auf den Befehl zum Abmarsch. Noch einmal tritt der Kommandeur an von Möller heran. „Herr Kapitänleutnant, ich habe leider nicht die Macht, Sie an Ihrem Vorhaben zu hindern, aber bitten kann ich Sie wieder und wieder, bleiben Sie hier. Sie wissen nicht, wie gefährlich der Weg ist, den Sie gehen wollen, wie verhetzt die Beduinen, die seit langem schon nur englisches Gold kennen. Denken Sie an die „Ayesha“-Leute!“ Eindringlich spricht der türkische Offizier auf den Deutschen ein, dessen hohe Gestalt ihn weit überragt. Einen Augenblick scheint es wie ein Zögern über das dunkelbraune, hager gewordene Gesicht von Möllers zu gehen, dann lächelt er: „Wenn Sie nun wüßten, Ihr Vaterland braucht Sie, über kurz oder lang kommt es zu einer großen, vielleicht zur Entscheidungsschlacht, in der jedermann nötig ist, würden Sie zögern, weil es gefährlich ist?“ Nicht einen Augenblick besinnt sich der Angeredete. „Ich würde gehen. Trotzdem möchte ich Sie warnen und bitten, bleiben Sie, tun Sie es nicht. Freilich, Sie sind ja fest entschlossen! So wünsche ich Ihnen nur, Ihr Gott möge mit Ihnen sein und Sie glücklich nach dem ersehnten Ziele geleiten.“ Ein fester Händedruck, dann wendet sich Kapitänleutnant von Möller an seine Begleiter, die mit ihm so manche Gefahr bestanden haben und die wie er bereit sind, neue aufzusuchen, um heim, in den Krieg zu kommen. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. In gleichmäßigem Schritt geht es durch die Straßen in die Wüste hinaus, die im Scheine der untergehenden Sonne blutigrot leuchtet .... Jetzt winden sie sich zwischen zwei Dünen hindurch, überschreiten den Wadi, sind draußen .... Kleiner und kleiner werden die Gestalten ... bläuliche Nebel fallen ein ... ein weißer Burnus leuchtet ... der letzte Sonnenstrahl blitzt auf einem Gewehrlauf .... Wie Pünktchen noch sind sie zu erkennen ... dann verschwinden sie dort, wo der gelbe Sand in die violetten Abendschatten übergeht .. fern ... in der Wüste ........... Telegramm des syrischen Armeekorps vom 3. Juni 1916: Wir haben zu unserem Bedauern erfahren, daß Kapitänleutnant von Möller und seine Begleiter neun Stunden von Djidda entfernt von Arabern ermordet wurden. Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin Deutsche Taten zur See _Emden-Ayesha._ +Die beiden Bücher von Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke.+ Selbsterlebtes von den sagenhaften Fahrten des ruhmreichen Schiffes, die abenteuerliche Fahrt des Verfassers auf See und der gefahrvolle Zug von Hodeida durch die arabische Wüste. -- Als Geschenkwerk in einem geschmackvoll gebundenen Bande vereinigt. Preis 3 Mark. Jeder Band einzeln: geheftet 1 Mark, gebunden 2 Mark. _Oberheizer Zenne._ +Der letzte Mann der „Wiesbaden“. Nach Mitteilungen des Oberheizers Zenne von Freiherrn Spiegel von und zu Peckelsheim, Kapitänleutnant.+ In der Seeschlacht am Skagerrak ging der Kleine Kreuzer „Wiesbaden“ verloren. Der einzig Überlebende erzählt durch die Feder des Verfassers vom Kriegstagebuch „U 202“ seine Beobachtungen über die Schlacht bis zum Untergang des Schiffes und seine Errettung nach 40stündigem Treiben auf den tosenden Wogen. Die schlichte Schilderung ist in Wahrheit ein Heldensang von deutschem Todesmute. -- Mit vier Abbildungen. -- Preis 1 Mark. Gebunden 2 Mark. _Kriegstagebuch „U 202“._ +Kommandant: Kapitänleutnant Freiherr von Spiegel.+ Wahrheitsgetreue, glänzende Schilderung unserer geheimnisvollen Unterseebootswaffe in ihrer gefahrvollen Tätigkeit vor dem Feinde. -- Geheftet 1 Mark. Elegant gebunden 2 Mark. _U-Boote im Eismeer._ Unsere U-Boote ziehen auf Kreuzerkrieg! Weit über den Polarkreis dringen sie vor, über das Nordkap, bis ins Weiße Meer. Schiff nach Schiff wird versenkt. Fast übermenschlich ist der Dienst. Ein Sturm nach dem anderen braust über die kleinen Fahrzeuge hinweg, tausende von Meilen trennen sie von der Heimat, nirgends ein Stützpunkt. In schwerster See, im Nebel gehen sie auf den Kreuzerkrieg. Gehetzt und gejagt, zeigen sie sich trotzdem wieder, vernichten und versenken. Ungezählte Millionen Schaden fügen sie dem Feinde zu. -- Preis 1 Mark. Gebunden 2 Mark. _„~V~ 188“._ +Meine Torpedoboot-Kriegsfahrten.+ Der Verfasser, Kapitänleutnant +Callisen+, Kommandant eines Torpedobootes, schildert in diesen wahrheitsgetreuen Aufzeichnungen seine gefährlichen und abenteuerlichen Erlebnisse im Seekrieg, seine wechselvollen Fahrten in Nord- und Ostsee, die ihn bis an die Küste Englands und bis nach Windau führen. -- Mit 16 photographischen Aufnahmen. 1 Mark, gebunden 2 Mark. _Im Torpedoboot gegen England._ +Kriegserlebnisse+ von +Fritz Graf+. +Inhalt+: Ausreise -- Durchbruch durch feindliche Kreuzer -- Rückkehr von New York -- In französischer Gefangenschaft -- Flucht und Ankunft in Kiel -- Torpedoboot im Vorpostendienst -- Fernunternehmen in der Nordsee -- Beschießung der Ostküste Englands -- Eine Fahrt durch Minenfelder -- Fliegerangriff auf Cuxhaven -- Die Kreuzerschlacht am 24. Januar -- Wachtdienst im Sund. -- Preis 1 M. Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin Die neuesten Bücher _Rund um die Erde zur Front._ +Dem Flüchtling nacherzählt von Otto Anthes.+ Die fesselnde Geschichte eines Deutschen, dem es nach zwei mißlungenen Fluchtversuchen endlich glückte, unter schrecklichen Gefahren und Entbehrungen durch Sibirien in die Mongolei und nach Peking zu entkommen. Von hier aus gelangte der Flüchtling über Japan, Amerika und Norwegen in die Heimat. -- Preis 2 Mark. Gebunden 3 Mark. _Aus der Hölle empor._ =Erlebnisse eines aus russischer Kriegsgefangenschaft Ausgetauschten.= +Von Hans Zuchhold.+ Ein in seiner Schlichtheit ergreifender Bericht über die unsäglichen Leiden, denen unsere verwundeten Kriegsgefangenen in Rußland preisgegeben sind. -- Preis 1 Mark. _Seine Hoheit -- der Kohlentrimmer._ =Die Kriegsheimfahrt des Herzogs Heinrich Borwin zu Mecklenburg.= Von +Johann zur Plassow+. Der Herzog wird in Amerika vom Ausbruch des Krieges überrascht. Die Engländer erschweren ihm die Rückkehr durch Aussetzen eines Fanggeldes von 2000 Pfund. Zahlreiche Spione heften sich dem kostbaren Wild an die Fersen. Aber mit stählerner Willenskraft kämpft sich der Herzog durch alle Schwierigkeiten und Gefahren hindurch und gelangt von New York aus als Kohlentrimmer über Kirkwall und Kristiania glücklich in die Heimat. -- Mit vier Aufnahmen. -- Preis 1 Mark. Vorzugs-Ausgabe: geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark. _Kriegsgefangen --_ +über England entflohen+! Von Lt. d. R. +Robert Neubau+. Der Verfasser, der in französische Gefangenschaft geraten war, erzählt seine Schicksale in Feindesland und die ihm mit geradezu indianerhafter List gelungene Flucht. -- Preis 1 Mark. _Breslau-Midilli._ +Ein Jahr unter türkischer Flagge. Selbsterlebtes nach Tagebuchblättern von W. Wath.+ Das Buch behandelt die Schicksale unseres Kleinen Kreuzers „Breslau“, der bei Kriegsbeginn in türkischen Besitz überging. Wir erfahren, in welch hinterlistiger Weise die englische Marinemisson die osmanische Flotte entwertet hatte, wie unsere deutschen Seeoffiziere Ordnung schafften, wie tapfer dann unsere blauen Jungens unter der türkischen Flagge fochten und im Schwarzen Meere dem zahlenmäßig weit überlegenen russischen Feinde schweren Schaden zufügten. -- Mit vier Abbildungen. -- Preis 1 Mark. _Sachsen im Felde (Ostfront)._ Von +Georg Freiherrn v. Ompteda+, Rittmeister. Der bekannte Romanschriftsteller stellt seine Landsleute in allen Kriegslagen dar, im Schützengraben, auf einsamer Wacht am Düna-Ufer, im Stabsquartier, im Unterstand, im Waldgefecht, bei der Attacke, dem einsamen Patrouillenritt und in fleißiger Etappenarbeit. Die Skizzen erwecken unsere Freude an dem frischen Lebenshumor der sächsischen Truppen und an der liebenswürdigen Erzählerkunst des Dichter-Rittmeisters. -- Preis 1 Mark. *** End of this Doctrine Publishing Corporation Digital Book "Kapitänleutnant v. Möllers letzte Fahrt" ***