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Title: Auf der Heidecksburg Author: Rein, Berthold Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Auf der Heidecksburg" *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. [Illustration: Cover] Rein / Auf der Heidecksburg Thüringer Heimatbücher Veröffentlichungen des Thüringer Heimatbundes Band 3 Berthold Rein Auf der Heidecksburg [Illustration] 1·9·2·6 Der Greifenverlag zu Rudolstadt (Thür.) Berthold Rein Auf der Heidecksburg [Illustration] 1·9·2·6 Der Greifenverlag zu Rudolstadt (Thür.) Ausstattung von Willi Geißler »Rudolstadt ist eine der schönern und sehr schönen Gegenden Deutschlands; ich habe es in allen Jahreszeiten gesehen.« Wilhelm von Humboldt, 2. Januar 1827 Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Greifenverlag Rudolstadt 1926. Gedruckt von Mänicke & Jahn A.-G., Rudolstadt, in der Ehmcke-Fraktur. Buchbinderarbeit ebenfalls von dort. [Illustration: Heidecksburg] Vorwort Wissenschaftlich oder künstlerisch aufmerksame Besucher von nah und fern stellen nicht selten Fragen nach Personen, Örtlichkeiten, Geschichts- oder Kunstdenkmälern auf der Heidecksburg. Die Heimatkunde vermochte bisher wohl allgemeine Auskunft zu erteilen, das Schloß mit seinen geistigen Beziehungen war aber doch nur wenig in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Wenn auch die Fürstin Elisabeth zur Lippe bei ihren Lieblingsstudien in Familien- und Kunstgeschichte vieles festgestellt hatte, so ging das doch nur selten über die Zeiten ihrer persönlichen Erinnerungen zurück. Mehreren Hofbeamten hatten die Pflichten ihres Dienstes nahegelegt, sich um die historische Bedeutung einzelner der ihrer Obhut anvertrauten Schätze zu bekümmern. Dankbar erkenne ich diese Vorarbeiten an. Seit mir die Aufgabe zufiel, zuerst im Auftrag der Güntherstiftung und dann im Dienst der Thüringischen Regierung, die Sammlungen der Heidecksburg zu beaufsichtigen und an ihrer Erhaltung zu tun, was unter den trüben Verhältnissen der Gegenwart möglich ist, trafen oft Anfragen von wissenschaftlichen Anstalten, Kunstvereinen und Gelehrten aus dem In- und Auslande ein, die ohne genauere Kenntnis der Archivakten nicht zu beantworten waren. Deshalb war es nötig, planmäßig zunächst im Staatsarchiv alles zu suchen, was Aufschluß über die Kunstwerke geben konnte, dann aber auch in Verbindung mit der Verwaltung anderer Schlösser und Archive zu treten. So ist es jetzt zum Beispiel möglich, von dem Ende des sechzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts 56 Maler zu unterscheiden, deren Werke vorhanden waren oder sind und in Beziehung zur thüringischen oder auch deutschen Kunstgeschichte stehen. Mit Architektur, Bildhauerei und Kunstgewerbe verhält es sich ähnlich. Aus dem, was von den Ergebnissen dieser Arbeit zunächst vielleicht die Aufmerksamkeit eines größeren Leserkreises erwarten kann, lege ich hiermit eine kleine Auswahl vor. Daß mich dabei Liebe zur Heimat geleitet hat, hoffe ich nicht besonders versichern zu müssen. Aus der Bekanntschaft mit der Vergangenheit kann für die Zukunft treue Erinnerung hervorgehen. Der Verwaltung des Staatsarchivs bin ich für nie ermüdende Geduld und dem Greifenverlag für unbekümmerten Wagemut zu großem Danke verpflichtet. Rudolstadt, Ostern 1926. Dr. Berthold Rein. Frühgeschichte der Burg Im Jahre 640 gründete der Herzog Rudolf von Thüringen auf einem felsigen Berge das Haus Rudolstadt. So behauptet die Sage. Eine Urkunde aus dem Anfang des neunten Jahrhunderts verzeichnet unter den Gütern des Klosters Hersfeld den Ort Rudolstadt und meldet, daß dort auch Slawen wohnen. Den unstet wandernden Viehzüchtern der sorbischen Stämme war an der Saale Halt geboten worden. Einzelnen von ihnen, die sich zu seßhaftem Leben entschlossen, räumten die deutschen Ackerbauer Wohnplätze neben ihren eigenen Gütern ein, wo sie als Viehknechte gute Dienste leisteten. Eine lange Burgenkette von Eichicht bis Naumburg sicherte die Grenze, Burgvögte sorgten für Ordnung ringsum und erweiterten ihre Gebiete allmählich ostwärts über die Saale. Das feste Haus Rudolstadt lag dem Waldland der Heide gegenüber und mag davon seinen Namen empfangen haben. In der Zeit um 900 vermachte ein Rudolstädter namens Bikko dem Kloster Fulda eine Schenkung, vermutlich das Fischerstal im Norden des Hains, das noch im achtzehnten Jahrhundert das Fuldental heißt. Urkunden des dreizehnten Jahrhunderts nennen als Zeugen für Verträge drei Pfarrer, Bruno, Heinrich und Hermann, von Radolvestat. Die Umgegend war bereits reich besiedelt, wie die vielen Dorfnamen im Tal und auf den Nachbarhöhen beweisen. Aus Burgvögten, die ihren Amtssitz auf den festen Häusern hatten, wurden allmählich erbliche Burgherren als Lehensleute höherer Machthaber, der Thüringer Landgrafen. Da Geldverkehr im Mittelalter spärlich war, traten bei Unternehmungen, die größere Summen erforderten, Verpfändungen oder Verkäufe auf Wiederkauf von Landbesitz ein, und so hören wir, daß auch Haus und Stadt Rudolstadt wiederholt aus einer Hand in die andere gingen. Am 29. November 1264 überließ der Graf Hermann von Orlamünde dem Erzbischof Ruprecht von Magdeburg sein gesamtes Eigentum, dabei auch Rudolstadt mit zwei Schlössern. Diese, das »niedere« und das »hohe« Haus, wechselten nach der Zeit mehrfach ihre Besitzer aus den Reihen der Orlamünder und der Schwarzburger Grafen, die benachbart und untereinander verschwägert waren. Die Schwarzburger Günther und Heinrich gaben am 20. Februar 1306 Rudolstadt, das niedere Haus und alles, was dazu gehörte, für neuntehalbhundert Mark dem Orlamünder Otto in Zahlung. Aber schon am 21. Januar 1334 gingen das obere und das untere Haus samt den damit verbundenen Stadtteilen in die Verwaltung Heinrichs X. von Schwarzburg über, und nach dessen Tode fiel 1340 Rudolstadt mit dem orlamündischen Erbe an seine Söhne, die Grafen Heinrich XII. und Günther XXV. Seitdem ist es schwarzburgisch geblieben. Während der Fastenzeit 1345 drang im Thüringischen Grafenkrieg ein Heereshaufe Landgraf Friedrich des Ernsthaften in Rudolstadt ein, plünderte und brannte es nieder, dabei gingen auch das Rathaus und die beiden Schlösser in Flammen auf. Wo das niedere Haus, die untere Burg, gestanden hat, läßt sich erschließen. Die Grenzen der Grundstücke und der alte Schloßweg geben den Hinweis dazu. Dieser, der heutige Schloßaufgang VI, in mehreren Jahrhunderten wiederholt erweitert, trägt die Merkmale eines mittelalterlichen Burgwegs und hat vor der Stelle, wo heute das Torgebäude steht, scharf nach rechts umgebogen, um über den Felsen die spitze Bergecke zu erreichen, die jetzt vom Schloßgarten verdeckt wird. Hier, von dieser schmalen Felsrippe aus, konnte die Burg über die weite Saalaue und das enge Tal des Wüstenbaches die Wache halten. Als ihre Zeit vorüber war, lagen die Trümmer noch lange umher. Graf Wolrad von Waldeck besuchte sie 1548 als Sehenswürdigkeit, und nachdem sie bereits in den gewaltigen Mauern der Schloßgartenterrassen aufgegangen waren, hieß eine Stelle am Südabhang 1669 noch »unter der alten Burg«. Unmittelbar am Fuße der steilen Höhe schob sich der Pfaffenhügel flach gegen die Talsohle vor. Er trug die Kapelle Sankt Andreas, den Mittelpunkt der deutsch-sorbischen Altstadt. Diese lief am Ufer des Wüstenbaches entlang und dehnte sich um drei Gutshöfe schließlich bis zur heutigen Brückengasse aus. Das obere Haus stand eine Felsstufe höher, am Ostende des heutigen Schloßhofes. Der Fahrweg zu dieser Burg zweigte an der Krümmung des älteren Burgwegs ab, lief dann noch ein Stück am Südabhang des Berges weiter und bog schließlich scharf und steil nach rechts um. Seine letzte Strecke im heutigen Schloßtunnel erinnert noch an mittelalterliche Wegeführung und an die Leistungen, die man früher, namentlich mit schwerem Fuhrwerk, Menschen und Tieren zumutete. Die Baustelle dieser oberen Burg hat wiederholt tiefgreifende Veränderungen erfahren, zuletzt im Jahre 1823 durch Anlage der Terrassenbauten, die mit Treppen und Reitwegen zum Schloßgarten hinunterführen. Das obere feste Haus, auch noch von den Orlamündern gebaut, schirmte die deutsche Stadt unmittelbar am Südfuße des Schloßberges. Ihre älteste Hauptstraße, die heutige Stiftsgasse und Kirchgasse, begann am Alten Tore vor dem Hause Stiftsgasse 44 und endete an der Stadtmauer bei der Kleinen Badergasse. Erst im Kampfe mit der Saale wuchs die Stadt nach Süden zu in die Breite. Ihr Gotteshaus war die Kapelle »Sente Elißabeth gelegin uff dem Martte«, an der Ecke der Ratsgasse. Das Leben der Burggrafen spielte sich durchaus nicht immer in der engsten Heimat ab. Landespolizei auszuüben und Güter zu verwalten überließen sie daheim ihren Beamten, während sie selbst Einkünfte und Ehren im Dienste größerer Herren suchten. Von Heinrich X. hören wir, er war Kriegsrat Kaiser Ludwigs des Bayern und erwarb sich Verdienste in den Kämpfen des Deutschen Ritterordens gegen die Polen. Einen Bau auf dem oberen Hause in Rudolstadt ließ er aufführen. Sein Bruder war Günther zu Blankenburg, der als Deutscher König 1349 in Frankfurt an Main starb. Heinrich XII. begleitete den Gegner seines Oheims, Karl IV., auf dessen Krönungszuge nach Mailand und Rom. Sein eigentlicher Wohnsitz war Sondershausen, während sein Bruder Günther in Arnstadt residierte. Beide bezogen aber auch zeitweise die Heidecksburg. Günther XXVIII. erbte zwar Rudolstadt, wohnte aber auf Ranis. Sein Amt als kaiserlicher Hofrichter führte ihn oft in die Ferne, so 1414–1417 auf das Konzil zu Konstanz, wo er starb. Heinrich XXIV. hielt nur vorübergehend auf dem Hause Rudolstadt Hof. Er war, wie sein Bruder Günther, der Erzbischof von Magdeburg, zunächst Priester geworden, verließ aber den geistlichen Stand, um das schwarzburgische Erbe anzutreten, und zeigte dann erst seine wahre Natur als streitbarer Held. Sechs Feldzüge gegen die Hussiten führte er als Amtmann im Vogtland. Heinrich XXVI. verschrieb seiner Gemahlin Elisabeth von Cleve Schloß und Stadt Rudolstadt als Witwensitz. Er ließ 1434–1448 ein neues Schloß mit drei Flügeln aufführen. Die Nordwand des heutigen Marstalles mit dem turmartigen runden Vorsprunge kann aus dieser Bauzeit stammen. Vier Söhne Heinrichs XXVI., die den Namen Heinrich trugen, wurden Geistliche. Der älteste von ihnen starb als Erzbischof von Bremen in Münster, der zweite war Provisor des Eichsfeldes und endete als fehdelustiger Kämpe in Bremen. Der dritte liegt als Dompropst in der Stiftskirche von Hildesheim begraben, und der vierte starb als Subdiakonus in Straßburg. Drei andere Söhne erhielten den Namen Günther und führten das weltliche Regiment in der Heimat fort. Der älteste von ihnen, Günther XXXVI., trat von Rudolstadt aus seine Palästinafahrt mit dem sächsischen Adel an, zog sich dann auf die Heidecksburg zurück und starb hier 1503. Günther XXXVIII. war 1450 in Rudolstadt geboren, hielt sich jedoch bald von der Heimat fern. Der jüngste, Günther XXXIX., bekleidete das Amt eines Statthalters von Bremen, erbte dann aber die schwarzburgische Herrschaft und erhielt 1518 zu Augsburg von Kaiser Maximilian die Bestätigung seiner Würden und Rechte. Mit sächsischer Hilfe schlug er 1525 den Bauernaufstand bei Stadtilm nieder. Er wird als demütig und leutselig gerühmt im Verkehr mit seinen Untertanen. Zur Reformation konnte er sich nicht verstehen, da er jeder Neuerung abhold blieb. [Illustration: Torhaus] Sein Sohn Heinrich XXXII. hatte die fromme und sanfte Natur des Vaters geerbt, doch erzeugte seine Neigung zur evangelischen Lehre ein tiefes Zerwürfnis zwischen beiden und wurde die Ursache, daß er in eine Art Verbannung von Arnstadt nach Rudolstadt ziehen mußte. Hier durfte er sich, ohne daß es der Öffentlichkeit auffiel, Privatgottesdienst nach der neuen Form in der Andreaskirche einrichten. Als sein Vater starb, zog er nach Arnstadt zurück und ließ der Reformation freien Lauf bis zu seinem Tode 1538. In dem Ehevertrag hatte er seiner Gemahlin die Ämter Rudolstadt und Blankenburg gesichert für den Witwenfall. Das Haus Blankenburg, der Greifenstein, war ganz baufällig, das Haus Rudolstadt hatte nur Umbauten nötig. Die Erinnerungen an drei gute Jahre ihrer jungen Ehe zogen nun die junge Witwe hierher. Katharina die Heldenmütige 1509–1567 Noch nicht sechzehn Jahre alt hatte sie die Henneberger Heimat verlassen, um dem Schwarzburger zu folgen, mit siebzehn Jahren war sie Mutter geworden, nun mußte sie als neunundzwanzigjährige Witwe ihr Schicksal selbst lenken. Zwei Töchter waren ihr am Leben geblieben, ein Kind erwartete sie. Warmes Herz, klarer Blick und kräftige Hand standen ihr zu Gebote. Das Bild Katharinas würde wohl in dem Dämmerschein der Vergangenheit verblaßt sein, wenn nicht Schillers Aufsatz vom Frühstück auf dem Schlosse zu Rudolstadt es wieder an das Licht gerückt hätte. Der einzige ursprüngliche Zeuge für die seltsame Begebenheit ist Cyriacus Spangenberg, einer ihrer vielen Schützlinge. Sein Werk »Adelsspiegel« war schon für Schiller nicht erreichbar und wird heute sehr selten sein. Deshalb lohnt es sich vielleicht, sein Zeugnis im Wortlaut wiederzugeben. »Hierbei will ich nur noch eine mannlich beherzte Tat einer deutschen Fürstin erzählen, wie ich die aus derselben eigen Munde Anno 1552 gehöret. Im Schmalkaldischen Kriege 1547 hat sichs zugetragen, als Kaiser Karl wieder aus Sachsen durch Thüringen nach dem Franken- und Schwabenland gezogen, mit den beiden gefangenen Fürsten, Herzog Johann Friedrich, Kurfürst zu Sachsen, und Landgraf Philipp zu Hessen, daß die Gräfin von Schwarzburg auf Rudolstadt, Frau Katharina, geborne Fürstin von Henneberg, Witwe, für ihre armen Untertanen Salvaguardien ausgebracht, damit dieselbigen an Viehe und Gütern für den durchziehenden Kriegsvolk unbeschädigt bleiben möchten. Hat dagegen sich erboten, damit auch das Städtlein Rudolstadt unbeschweret bleiben möchte, um ziemliche Bezahlung Brot und andere Speis und Trank heraus an die Saalbrücke zur Notdurft zu verschaffen, wie denn auch geschehen. Doch hat sie die Brücke einen guten Weg weiter von dem gewöhnlichen Ort vom Städtlein am Wasser hinab über die Saale schlagen lassen. Mittlerweile haben ihre armen Leute, was ihnen sonst lieb, aufs Schloß Rudolstadt aus dem Wege geflöhet. Und haben im Vorüberzuge Herzog Heinrich von Braunschweig beneben seinen Söhnen und der Duc de Alba an gedachte Gräfin werben lassen, das Morgenbrot bei ihr zu nehmen. Darauf sie zur Antwort geben, daß sie mit ihren Personen wohl zufrieden wäre, hätte aber ein schlecht gering und ungebauet Haus, darauf jetzigerzeit viel schwangere Weiber, Sechswöchnerinnen und Kinder von ihren Untertanen aus Furcht gewichen, wollte aber für sie wohl Raum finden und gerne mitteilen, was das Haus vermöchte. Doch darneben gebeten haben, damit fürlieb zu nehmen und auch die Verschaffung zu tun, daß ihre armen Leute der ausgebrachten Salvaguardi genießen möchten. Hat aber insonderheit den Herzog von Braunschweig durch einen ihrer Gesandten, der sie auf das Schloß bringen sollte, bitten lassen, ihre Gelegenheit und Zustand als einer Witwe zu bedenken und daran zu sein, daß nicht zuviel Gesindes mit aufs Haus kommen, noch sie, derweil sie sich diesmal so eilend keiner Gäste versehen, zu hoch überladen werden möchte. Wollte sie die Herren gerne haben und ihnen tun, was ihr Vermögen, doch dem Gesinde, so sie mitbringen würden, im Städtlein auch ihre Notdurft verschaffen. Hierauf gedachte Herren zu ihr auf das Haus kommen, denen sie auf eine Eile ziemliche gute Ausrichtung getan. Sie hat aber, alsbald ihr der Fürsten Zukunft zuentboten worden, ihre Junker in der Nähe eilends zu sich beschieden, beneben etlichen Schultheißen, wiewohl der Junker allbereit viel bei ihr auf dem Hause, dahin sie denn auch ihr Weib und Kinder geflöhet gehabt, gewesen. Unter der Mahlzeit aber kömmt ihr die Botschaft, daß die Spanier ungeachtet der Salvaguardien in etlichen Dörfern ihren armen Leuten das Viehe mit Gewalt genommen und mit sich davon getrieben, welches sie gar heftig bewegt, wie sie dann auch ein großmütiges Weib gewesen. Derwegen alsbald allen, die bei ihr auf dem Hause gewest, heimlich befohlen, sich mit ihrer besten Rüstung und Wehre gefaßt zu machen und auf der Fürsten Gesindlein Achtung zu geben, daß keins aus dem Hause komme, und derenwegen Tor und Pforten wohl in acht zu nehmen. Ist darnach wieder zu den Fürsten in das Gemach, da sie Mahlzeit gehalten, gangen und ihnen mit bewegtem Gemüt geklagt, wie es ihr und ihren armen Leuten ergehe über gegebene Sicherung. Dessen die Herren denn freundlich gelacht, sie heißen zufrieden sein und gesagt, daß in dergleichen Zügen ein solches nicht allerdinge noch allezeit so gar könnte verkommen werden. Darüber sie bei ihr selbst unmutig worden und begehret, sie wollten daran sein, daß ihre armen Leute ihr Viehe wieder bekommen möchten, oder es müßte Fürstenblut gelten für Ochsenblut. Welche Rede die Herren erstlich in Scherz geschlagen und sie vertröstet zu versuchen, das abgetriebene Viehe, wo nicht alles doch einsteils wieder zu bekommen. Damit sie aber nicht zufrieden gewesen, sondern begehret, alsbald dran zu sein, daß ihren armen Untertanen ihr Viehe wieder werden müßte. Da sie nun einen aus ihrem Mittel hienach senden wollen, das Viehe wieder zurückzubringen, hat sie befahret, es möchte derselbige dieses ihr angefangenes ernstes Werk und harte Wort dergestalt und mit solcher Unbescheidenheit bei andern fürbringen, daß beide ihr und ihren armen Leuten ein Argers draus entstehen möchte, und derentwegen nicht zugeben wollen, daß der Herren einer oder auch jemand von ihrem Gesinde abgesandt würde, sondern darauf gedrungen, schriftlich das Viehe wieder abzufordern, wollte sie von den Ihren etliche darzu abfertigen. Und hat auch mit angehänget, daß ihr keiner von dem Hause kommen sollte, sie wüßte dann gewiß, daß sie ihr Viehe wiederbekäme. Und im Fall, daß darüber etwas Gewaltsames von ihnen sollte fürgenommen werden, sollte ihr keiner lebendig vom Hause hinwegkommen. Und hat darauf ihre gewappneten Leute ins Gemach mit ihren Wehren hereintreten und allda aufwarten heißen, dessen denn der Duc de Alba nicht ein wenig erschrocken. Der Herzog von Braunschweig aber sich nichts merken lassen, sondern solches alles ihr zum besten gedeutet als einer solchen Landesmutter, die sich ihrer armen Leute billich mit Ernst annehmen und die nicht gerne verderbt wissen wollte, sie freundlich angeredet, sie sollte sich zufrieden stellen, es sollte der Sachen bald Rat geschafft werden. Und beneben dem Duc de Alba ein kurz ernstliches Schriftlein mit ihrem Handsigill gefertigt mit Anzeigung, was für Gefahr denen darauf stehen würde, so wider gegebene Salvaguardi das Viehe abgetrieben. Und haben solchen Zettel der Gräfin auf ihr Begehren zum besten zu bestellen übergeben, welchen sie denn auch durch die Ihrigen eilend abgefertigt. Aber die Herren nicht weglassen wollen, bis einer schnell zurück kommen und die Botschaft bracht, daß den Bauern ihr Viehe wieder worden. Darauf sie den Fürsten zum höchsten gedankt, dieselbigen ihr aber bei ihren fürstlichen Ehren zusagen und versichern müssen, solches, was sie aus dringender Not tun müssen, weder an ihr noch den Ihren zu eifern noch zu rächen. Und hat Herzog Heinrich dieses ernsten Scherzens darnach wohl lachen müssen, auch die Gräfin darum gelobet. Und sind also endlichen mit Frieden in gutem voneinander geschieden.« Bald nach jenem Ereignis sollte die unerschrockene Frau Gelegenheit haben, als Beschützerin des evangelischen Bekenntnisses dem Willen des fanatischen Kaisers selbst zu trotzen. Heimatschriftsteller des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erzählen gern davon. Der Saalfelder Pfarrer Kaspar Aquila, ein tätiger Gehilfe Luthers bei der Bibelübersetzung, war gegen das Augsburger Interim aufgetreten und wurde bei Karl V. verklagt, so daß dieser eine Prämie von 5000 Gulden auf seinen Kopf setzte. Die Saalfelder ersuchten die Gräfin, den Bedrohten auf einige Zeit in Verwahrung zu nehmen. Sie ließ einen Kutschwagen bis vor Saalfeld fahren. Der Magistrat holte den standhaften Prediger in seinem Hause ab und begleitete ihn durch das Blankenburger Tor. »Als die Frau Superintendentin damals beim Schießteiche ihre Tücher und Bettgewand gewaschen, erschrickt sie heftig über solchen Aufzug und fragt mit bestürztem Gemüte: Ei, daß Gott walte, wo wollt ihr meinen lieben Herrn hinführen? Darauf er sie mit den Armen umfangen und ihr mit folgenden Worten einen Kuß gegeben: Liebe Hausmutter, gehab dich mit den Kindern wohl! Bittet Gott für mich und gebet mir fleißig acht aufs Häusel! Darauf steiget der Herr Superintendent in Gottes Namen auf den Wagen und fähret geschwind fort auf den Hain zu. Zur Losung hatte die Gräfin dem Kutscher ein weißes Tuch mitgegeben, damit er es, wenn er nahe an das Schloß komme, zu einem Zeichen auswerfen sollte. Als solches geschehen, verschickte die Gräfin all ihr Hofgesinde hin und wieder in die Stadt, bis auf einen Einzigen, ihren Schneider, und logiert Herrn Aquilam in aller Stille in einem Oberstüblein. Hat die teure Wohltäterin über der Tafel etwas Köstliches gehabt, hat sie dieses gesagt: Gehe hin und bringe mir das dem kranken Mann! Da denn mehrgedachter Schneider schon gewußt, wem solch Essen zugehöre. Wenn die Gräfin zu gewissen Zeiten den Aquilam in seinem Stüblein besucht und denselben gefragt: Herr Aquila, wie stehts, was macht Ihr Gutes? hat er geantwortet: Gnädige Fürstin und Frau, da sitze ich und lese in meinem Psalterbüchlein die Worte: Deine Kinder werden um deinen Tisch sitzen wie die Ölzweige! Da fällt mir ein Zähren nach dem andern auf die Bibel. Als nun die Gräfin gedacht, sie vermöchte als eine Witwe den Aquilam nicht länger bei sich behalten, hat sie an ihre Herren Brüder geschrieben und sie gebeten, daß sie doch den Aquilam zu sich in Verwahrung nehmen und von ihr abfordern lassen wollten.« Lorenz Ritter, Poet und Priester in Blankenburg, besang die Gräfin: ~Sic Aquilam texit, qui propter dogmata Christi, Non, sibi commissa, tutus in orbe fuit, Sic alios etiam defendit saepe fideles Constantesque viros. En pietatis opus!~ So hat sie den Aquila beschützt, der wegen der Lehre Christi, die ihm anvertraut war, in der Heimat nicht sicher lebte, Ebenso verteidigte sie auch oft getreue und standhafte Männer. Sehet, welch ein Werk der Frömmigkeit! Über die Lebensereignisse und die Geistesart der heldenmütigen Frau ist manches aus den Archiven bekannt geworden, manches wird noch darin schlummern. Als Landesherrin bestand sie herzhaft auf ihren Rechten gegenüber Gebietsnachbarn, die gar nicht immer ritterlich gegen sie handelten. Dann fand sie aber bei den sächsischen Herzögen, voran bei Johann Friedrich dem Großmütigen, gute Obervormundschaft. Freimütig wie in Alltagsfragen verhielt sie sich in ihrem Bekenntnis zur Reformation, was gar nicht immer leicht war, zumal geistliche und weltliche Rücksichten zu ihrer Zeit noch vielfach ungeklärt einander durchkreuzten. Die Schwarzburgischen Besitzungen verursachten leicht Verdrießlichkeiten, da Nutzungsrechte der Verwandten an Bergwerk, Weinwachs, Jagd und Fischfang auf gemeinsamen Gebieten nebeneinander liefen. Sie verteidigte dann diplomatisch klug die Ansprüche ihrer Kinder, nicht ohne zartes Gefühl für Billigkeit. Die Verwaltung ihrer Ämter Blankenburg und Rudolstadt nahm sie in die Hand wie die Herrin eines großen Gutes, und sie griff zu, lenkte selbst und sah persönlich nach dem Rechten. Verlobungs- und Ehefragen ihrer Töchter erforderten feinen Takt, und sie bewies ihn in mütterlicher Liebe wie in vorbildlichem Verhalten ihren Schwiegersöhnen gegenüber, deren feinsinnigster, Graf Wolrad von Waldeck, ihr in seinem Tagebuch ein rührendes Denkmal setzte. Wissenschaft und Kunst haben schon Verlangen gehabt, etwas von der äußeren Erscheinung der Gräfin zu erfahren. Ein Bild von ihr ist nicht aufzufinden, und sollte es noch vorhanden sein, nicht mehr nachzuweisen. So bleiben als Äußerungen ihres Geistes ihre Briefe übrig. Katharina führte eine gewandte Feder, versäumte keine höfische Form, ließ aber darunter ihr Gemüt nicht ersticken, und ihre hennebergische Mundart klingt heimelig hindurch, auch der Goldglanz des Humors schimmert zwischen den Zeilen. Bilder von der Szene Fürstenblut für Ochsenblut! sind entstanden in der Zeit, da man historisch-theatralisch malte, aber unser nüchternes Urteil sucht Wahrheit. Auch die Dichtung hat sich mit dem Vorgang beschäftigt und tut das heute noch, aber fern von Wahrscheinlichkeit. Freunde der Graphologie mögen die Schriftzüge deuten, auch wenn sie hier nur stark verkleinert zu bringen sind. Sie bilden den Schluß eines Briefes an ihren Bruder. [Illustration] Euer Liebden treue schwester Catarina etc. Nur zu einer allgemeinen Vorstellung von der Gestalt der Gegnerin Albas kann uns das verhelfen, was man 1875 vorfand, als ihr Grab in der Stadtkirche aufgedeckt wurde. Ihre Größe betrug nicht ganz 1,70 Meter, und ihre Ringe, Weite 17, entsprechen einer kräftigen Frauenhand. Es sind drei fadendünne Reifen, zwei aus Silber, einer aus Gold, die samt Resten von brauner Seide und gemustertem Sammet in der Heidecksburg als Reliquie aufbewahrt werden. * * * * * Im Jahre 1572 erbte Graf Albrecht VII. die Ämter Rudolstadt und Blankenburg, er wurde in der Folge Stifter der Linie Schwarzburg-Rudolstadt und Stammvater dieses Fürstenhauses. Kaum hatte er seine Residenz bezogen, als am 27. März 1573 das Schloß niederbrannte. In seiner Jugend hatte er auf deutschen und italienischen Universitäten studiert, dann am Hofe des Prinzen Wilhelm von Oranien gelebt und Kriegsdienste bei dem Könige von Dänemark genommen. Was er dabei an Schloßbauten als schön und zweckmäßig kennengelernt hatte, wird ihm nun bei dem Neubau seines Hauses vorgeschwebt haben. Schon nach drei Jahren konnte er die Gräfin Juliane von Nassau, die Schwester des Oraniers, als Herrin in sein neues Heim einführen. Auch seine zweite Ehe mit der reichbegüterten und heiteren Pfälzerin Elisabeth von Leiningen-Westerburg wird nicht ohne Einfluß auf die Ausstattung der Heidecksburg geblieben sein. Bauteile dieser Periode dürften in den Untergeschossen des heutigen Südflügels und Westflügels zu suchen sein, und was von Schmuckformen die Zeit und neue Schadenfeuer überdauerte, fand pietätvolle Verwendung, so die schöne Portalumrahmung mit den fünf Statuen der Fürstentugenden vor dem Doppeleingang des Nordflügels. Die Bautätigkeit Albrechts VII. setzten seine Söhne fort. Unter Graf Karl Günther wird das Reithaus die Form angenommen haben, die es noch heute im wesentlichen zeigt. Auch das Gebäude der Landesschule, heute Landesbibliothek, war sein Werk. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der Pädagog Wolfgang Ratich in Karl Günthers Schloß Aufnahme fand als Lehrer bei den Sprachstudien seiner Gemahlin Anna Sophie, einer geborenen Prinzessin von Anhalt. Reiche Bautätigkeit entfaltete der zweite Sohn, Ludwig Günther, als er 1630 den Bruder beerbte. Trotz Schrecken und Nöten der Kriegsjahre führte er in glänzender Weise die Erneuerung der Stadtkirche aus. Bis an die Schwelle des Greisenalters war er ledig geblieben, da führte das Schicksal eine stattliche blonde Gestalt in sein Haus zur Feier einer Taufe, die ein verwandtes Ehepaar hier ausrichtete. Amilie Antonie von Oldenburg-Delmenhorst gab rasch entschlossen seiner Werbung nach und bewährte sich bald als geistiger Mittelpunkt eines werktätigen und ernst religiösen Lebens im Zeitalter Speners und im Sinne August Hermann Franckes. Von 1639 bis 1646 schenkte sie ihrem Gatten vier Töchter und einen Sohn, dann zog sie, die Tochter der weiten norddeutschen Ebene, als Witwe in das enge Waldtal von Leutenberg. Dort stand ihr als Wittum die Friedensburg zu. Mit weitem Blick und in fleißigem Tagewerk verwaltete sie ihre Güter. Ihre Kinder, dazu ihre Pflegetochter Amilie Juliane von Barby, erhielten unter ihrer Aufsicht eine musterhafte Erziehung für das tägliche Leben und eine wissenschaftliche Bildung, die der Zeit weit vorauseilte. Ihre Liebe für Kunst und Handwerk bewies sie in Aufträgen, soweit sie nur mit ihren Mitteln ausführbar waren, und mit der Bevölkerung wuchs sie zusammen in Freud und Leid der drangvollen Jahre. Lehrer ihrer Kinder, Geistliche in ihrer Nähe, Beamte ihres Haushalts, ein geschlossener Kreis Gleichgesinnter, gehören der Geschichte des evangelischen Kirchenliedes an und vererbten religiöse Dichtung bis auf Kindeskind (s. Rein, Die Friedensburg. Greifenverlag 1925). In der Heidecksburg sind sechs große kulturhistorisch merkwürdige Bilder aus ihrer Oldenburgischen Erbschaft übriggeblieben. Sie stellen die Sage von einem Gottesurteil dar und fanden mehrmals Besprechung in der Literatur, zuletzt 1921 in der Wilhelmshavener Zeitschrift Tide. Außer Einzelporträten nach dem Leben ist ein Bild von Amilie Antonies Kindern in großem Format vorhanden und eine idealisierte Familiengruppe unter dem Kreuz Christi. Amilie Juliane die Liederdichterin 1637–1706 Zu den wertvollsten geistigen Schätzen der evangelischen Kirche gehört das Lied: »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!« Besucher unseres Fürstenschlosses fragen nach der Dichterin, die in den Gesangbüchern als Reichsgräfin von Schwarzburg-Rudolstadt bezeichnet ist, und Fachgelehrte erkundigen sich nach Einzelheiten ihres Lebens. Albrecht Friedrich, Graf von Barby und Mühlingen, war bekümmert, denn die Kriegsfurie tobte um die Elblande, und seine Gemahlin Sophie Ursula erwartete ihre schwere Stunde. In den Thüringer Bergen lebte sein Oheim, Ludwig Günther von Schwarzburg, der wohnte allein auf seinem Hause Rudolstadt, denn er war trotz seiner 56 Jahre noch unvermählt. Bei ihm fand das Grafenpaar aus Barby Zuflucht, und hier wurde ihnen am 19. August 1637 eine Tochter geboren. Die Schwester der jungen Mutter, Amilie Antonie von Oldenburg und Delmenhorst, eilte aus dem Stift Quedlinburg herbei, unbekümmert um Kriegslärm, und hob ihre Nichte Amilie Juliane aus der Taufe. Das Schicksal fügte es, daß die Oldenburgerin Schloßherrin auf der Heidecksburg wurde und ihrem verwaisten Patenkind eine Heimat bieten konnte. In Rudolstadt und Leutenberg verlebte Amilie Juliane nun Kindheit und Jugendjahre. Dem Alter nach standen ihr von den vier Pflegeschwestern zwei besonders nahe, Sophie Juliane und Ludämilia Elisabeth. Als Lehrer wurde ihnen der Magister Johannes Hedwig bestellt, eine treue Seele, ein Meister der lateinischen Sprache und ein Erzieher zu peinlicher Ordnung und sauberer Arbeit. Die tiefgründige Lebensauffassung der mütterlichen Führerin ging auf Amilie Juliane über, und der Pflegebruder Albert Anton wählte sie zur Gattin. Am 7. Juli 1665 wurde die Heidecksburg ihr Heim auf Lebenszeit. Mit tüchtigem, nüchternem, wirtschaftlichem Sinn ergriff sie die Aufgaben ihres neuen Berufs. Mit reger Teilnahme und stets hilfsbereit begleitete sie die Geschicke ihrer Mitmenschen in Stadt und Land. Not gab es überall, im Grafenschloß wie in der Bauernhütte, denn es war wunden- und seuchenreiche Zeit. Mutterleid und -freud war der Gräfin beschieden, ein Töchterchen starb früh, aber ein Sohn, der spätere Fürst Ludwig Friedrich, wuchs kräftig heran. Ihre eigene starke Natur erlag schließlich, erschüttert durch ein Steinleiden, am 3. Dezember 1706. In dem Turmgewölbe der Stadtkirche bereitete ihr der Gemahl eine würdige Grabstätte, in der er selbst vier Jahre danach beigesetzt wurde. Aus der Kindheit Amilie Julianes ist ein Andachtsbuch erhalten, das sich die Vierzehnjährige zusammengestellt hat, in handlichem Oktav, mit kräftiger Schrift. Neben kleinen Schulgebeten treten reifere Gedanken auf. Insgesamt entspricht der Inhalt etwa dem, was sich eine ernste Konfirmandin auswählt an Gebeten, Sprüchen und Liedern. Eine gewisse Bekanntschaft mit der Literatur ist festzustellen. Auch das Geistliche Farbenlied: »In schwarz will ich mich kleiden!«, einem volkstümlichen Liebeslied nachgebildet, ist vorhanden. Es durchläuft mit 15 Strophen eine ganze Farbenskala der Symbolik. Die Auswahl für dieses Andachtsbuch wird, wenn nicht ganz und gar getroffen, so doch wenigstens stark beeinflußt worden sein durch die mütterliche Erzieherin oder durch den Magister Hedwig. Aus den Jahren 1656 und 1657 ist ein Schulheft wertvoll, starker Quartband, treffliches Büttenpapier, in Leder gebunden, für Freunde der Schriftkunst und der Barockformen eine Augenweide, mit spitzer, spitzer Feder geführt. Als Sinnspruch setzt die Neunzehnjährige voran: ~Duce deo, comite pietate~, Gott soll ihr Führer und fromme Liebe ihre Begleiterin sein. Zunächst treten schulgerechte Briefübungen auf über die einzelnen Artikel der Augsburgischen Konfession, in deutscher und lateinischer Sprache abgefaßt. Zwischen den gelehrten Erörterungen laufen Bestandteile eines Briefwechsels, der zum Teil wohl auf wirklichen Ereignissen beruht, zum Teil auch der sprachlichen Gewandtheit zuliebe erdichtet sein mag. Als Empfängerin ist die älteste Pflegeschwester, Sophie Juliane, gedacht. Verkehr zwischen Rudolstadt und Leutenberg, Reisen nach Altenburg und Leipzig, auch die Barbysche Heimat, finden Erwähnung. Als Bekenntnisse der eigenen Seele klingen wie eine Vorahnung des heutigen Pazifismus ihre Äußerungen: »O wollte Gott, daß Er aller Soldaten blutgierige Herzen dermaßen lenkte, daß sie sämtlich eine Abscheu ob solcher Kriegerei gewinnen und dem Frieden sich ergeben, damit auch nicht Deutschland wieder mit Krieg beleget und angefüllet werden möchte. Nun, wir müssen hierin uns des göttlichen Willens ergeben mit gefaßter Hoffnung, Er, als der aller Potentaten Herzen in seinen Händen hat, werde die Kriegesanfänger also regieren, daß kein Fünklein Unfried in Deutschland kommen möge!« Gleichberechtigung der Frauen vertritt sie, indem sie die Pflegeschwestern ermahnt, sie möchten »ihren Studiis mit mehrerem Fleiß obliegen, damit alle diejenigen, deren gefaßte Meinung, ob vermöchten die Weibsbilder zum Studieren keineswegs tüchtig sein, überwiesen und dero ungegründetes Vorgeben könnte verworfen werden«. Ein zweiter Teil dieses Heftes enthält Briefe an die vier Pflegeschwestern, ebenfalls sowohl deutsch wie lateinisch, zum Teil aus Rudolstadt, zum Teil aus Leutenberg datiert. Sie behandeln die Tugenden, erwähnen aber auch wieder Reisen und Pläne. Echtes Menschentum geht der Verfasserin über äußere Formen, denn sie rät einer jüngeren Verwandten, die vor einer Entscheidung steht: »Besser in einem Winkel oder einsamen Ort, als bei Hofe!« Der Briefwechsel Amilie Julianes hat sich nur aus einer kurzen Reihe von Jahren erhalten, spiegelt aber ihr Alltagsleben und ihre Umgebung bis in kleinste Züge wider, eine Fundgrube für Heimatgeschichte und Kulturgeschichte überhaupt. Über all ihre Briefe setzt die Liederdichterin, einem Gelübde gemäß, ~J. N. J.~, das heißt im Namen Jesu, oder ~J. H. S.~, das heißt Jesus, Heiland, Seligmacher. Im übrigen ist von ihrem innersten persönlichen Leben, ihren Glaubensangelegenheiten, wenig die Rede. Treue Gesinnung kommt zum Ausdruck, wenn sie von quäkerischer Schwärmerei zu berichten hat, oder wenn der Fürst von Hanau seine Brüder enterben und einen katholischen Landgrafen als Erben einsetzen will: Gott regiere ihn, daß er nicht gar zum Narren wird! Über ihr körperliches Befinden verliert sie selten ein Wort und gebraucht dann keinen zimperlichen Ausdruck. Sie bedauert höchstens, daß sie herzoglichen Besuch nicht gebührend begleiten kann, weil ihr die Beine steif sind wie Ochsengebratenes. Wie sah das Heim der Dichterin aus? Der Hauptbau des Schlosses war dreiflügelig, annähernd so in der Hauptfront wie er heute noch besteht. Nur dürfen wir uns die Umgebung des Gebäudes nicht wie die eines neuzeitlichen Schlosses vorstellen. In der gräflichen Wohnung selbst waren die Räume sehr beschränkt. Wurde eine Stube neu hergerichtet, wie das zitronfarbene Gemach mit Alkoven, so erkaufte die Hausherrin sich die Freude daran mit viel Mühe und Sorgfalt und bestickte die Wandbekleidung mit großen Flammen und Blumen. Die Wohnung von zwei höheren Hofbeamten befand sich auch im Haupthaus, ein Burgvogt mit Familie wohnte im Torgebäude, und viel Gesinde sonst noch hantierte und hauste in Nebenräumen des Schlosses. Zimmer für Gäste waren wohl vorgesehen, wenn diese aber unangemeldet mit großem Troß eintrafen, so entstand Verlegenheit und Spannung bei der Hausfrau. Und wenn zu besonderer Arbeit, zum Beispiel um Hirschhornwasser zu brennen, ein ungestörter Raum nötig war, so diente das Zimmer eines gerade verreisten Familiengliedes dazu. Sollte aber Festkonfekt gegen vorzeitige Zugriffe gesichert sein, dann war der Schrank in der Kleiderkammer das sicherste Versteck. Eine Terrasse diente als Reitbahn, und die Gartenanlagen waren bebaut mit Laubengängen aus schweren Holzbalken, zwischen denen die Beete für einheimische Pflanzen und die Gewächshäuser für Südfrüchte, Pomeranzen, Zitronen und Melonen, sich erstreckten. Der Schloßhof war eng. Unmittelbar an die herrschaftliche Wohnung reihten sich die Pferdeställe an, und auf der Nordseite standen die Kuh- und Schweineställe. Dazwischen waren für Fleischerei und für den Kellerbetrieb die nötigen Schuppen eingebaut. Ausgiebige Düngerstätten nahmen einen großen Teil des Hofes ein. Wenn auch Geldverkehr im siebzehnten Jahrhundert bereits sehr rege war, so brachten es doch die Nachkriegszeiten mit, daß der gräfliche Haushalt auf den Ertrag seiner Landwirtschaft angewiesen blieb. Ein Lieblingseigentum der Gräfin bildeten ihre Gutshöfe in Cumbach und in Schaala, aber auch an der Landwirtschaft um Schwarzburg und Leutenberg hatte sie Anteil, und sie betätigte ihn durch eigene Fürsorge und Arbeit. Wenn sie für drei gemästete Schweine und Branntwein 20 Gulden einnimmt, will sie Bettdrillich dafür kaufen. Wenn ihre Leute Flachs ausraufen, welcher gar schön wird, so verfügt sie umsichtig darüber, und die Hopfenernte will sie nicht zu früh losschlagen, da die Preise noch steigen werden. Von Kirschen und Nelken und Honiggewinn aus Cumbach, von allen Erstlingen der Ernte erhalten Pflegemutter und Schwestern in Leutenberg eine Probe. Im März besorgt sie junge »Gänsigen« und schickt die Zuchtgans mit, damit die Kleinen nicht »verfrieren«. [Illustration: Amilie Juliane] Ein großer Schwarm von Gesinde gehörte zum Haushalt und zehrte mit aus Küche und Keller. Wer auf dem Schloßberg nicht unterzubringen war, dem wurden Baustellen oder Häuser am Fuße desselben angewiesen. Von da konnten die Getreuen für ihre Alltagsgeschäfte oder als galonierte Diener für Festgelegenheiten oder endlich als Bewaffnete bei Not und Gefahr leicht zur Stelle sein. Diese Ansiedlungen mit ihrem Kleinleben sind noch heute die Freude kunstsinniger Fremder und ähneln den Söldnergassen reicherer Städte, wie Nürnberg. Mit allem, was darin sann und spann und lebte und webte, war die Gräfin vertraut. Auch sonst hielt sie in der Stadt mit Beamtenfamilien und eingeborenen Bürgern getreue Nachbarschaft, was namentlich bei Patenschaften, Verlobungsplänen, Hochzeiten, Krankheiten und Sterbefällen tagtäglich zum Ausdruck kam. Um den Grafen Albert Anton, den sie stets peinlich streng mit Nennung der Titulatur umschreibt, war sie ängstlich besorgt. Wenn ihr gnädiger Herr »kleine Liesichen« im Gesicht hat, muß ihm der Leibarzt zur Ader lassen. Ist er auf Reisen im Lande unterwegs, so bangt sie, bis er ihr gesund zurückkehrt. Seine Jagdbeute aus Paulinzelle an Wildschwein und Auerhahn ist ihr willkommen für die Küche, aber übermütige Jagdgesellschaften mit Zechgelagen sind ihr ein Greuel. Sie stellt dann gern fest, daß Albert Anton nicht daran teilnimmt, und verbietet auch ihrer Jungfer, bei ausgelassenen Tänzen mitzutun. Als eine Jagd morgens bis in die Nähe des Schlosses getrieben wird, muß die Hausfrau ihre Andacht abbrechen, sich Hals über Kopf antun und den hungrigen Weidmännern Würste und Schafkäse hinausschicken. Die Freude der jungen Mutter an ihrem »Lützigen« ist groß. Großmutter und Tanten erhalten Kunde von jedem Zähnchen, das sich zeigt, und von dem Unglück mit der Kinderklapper, an der er bald erstickt wäre, weil er sie ins »Maul« gesteckt hat. Als er der üblen Gewohnheit huldigt, an den Fingern zu saugen, bringt ihm der gute Doktor Mack ein klein Säcklein mit gefeiltem Hirschhorn, an dem er kauen muß. Auch Spiel und geistige Entwicklung des Kleinen müssen die Leutenberger Damen miterleben, und sie freuen sich, daß der Enkel und Neffe seine »Weihnachtsgebeterigen« schön aufsagt und die Melodie ~In dulci jubilo~ richtig singt. Als vernünftige Mutter stellt Amilie Juliane schließlich fest, Lützigen bedarf manchmal »eines kleinen Rütigens, denn er mir oft auf den Hals störret«. Zur Belohnung seiner Unarten bekommt der Fünfjährige dann eine eigene Stube. Besuch muß es unheimlich viel auf der Heidecksburg gegeben haben. Als fürstliche Nachbarn stellten sich die Reußen von Burgk, von Lobenstein, von Schleiz, von Gerau und von Gräiz ein. Auch sonst stiegen schwarzburgische Verwandte aus Arnstadt und Sondershausen und weitere Angehörige aus Norddeutschland auf der Heidecksburg ab. Adelige Beamte der Nachbarschaft, Herren und Damen aus der Stadt, alle waren willkommen, verursachten jedoch auch manche Geduldsprobe. Dann gehen Seufzer durch die Briefe der Vielgeplagten: »Gott gebe nur allezeit hübsche Fremde, nur nicht alles durcheinander. Es ist so ein Schwarm von Leuten da, daß ich es nicht sagen kann.« Wenn die Gräfin eine Reise vorhat, stellen sich die Pflügin, die Heidenreichin, die Vitztumin, die Conrektorin usw. ein: »Es sind ein Haufen Leute dagewesen, als ob ich aus der Welt reisen wollte.« Und wenn sie zurückkehrt: »Mutter Kathrein hat mich beneventiert.« Alle Sorgen ihrer Handwerker erlebt sie mit. Der Maler Daniel kann keinen Firnis auftreiben, sie schreibt darum, der »Tischner« Gabriel Fleck hat die Rahmen für die Kirchenbilder zu groß gemacht, sie weiß Rat dafür. Solange der Handels- und Marktverkehr sich in Rudolstadt abspielt, lassen sich die Botengänge leicht erledigen. Nun ist aber Schmuck und Silbergeschirr in Nürnberg zu bestellen oder zu holen, da muß der Trompeter Kaspar reiten. Einkäufe auf der Messe in Leipzig besorgt in schwierigen Fällen Hans Heinrich, der Maler, derselbe, der uns die Emporen der Stadtkirche mit Bildern geschmückt hat. Er hat Geschmack, das Rechte auszuwählen an Gewand und Tand, und vervollständigt bei dieser Gelegenheit gern feine Vorräte an guten Farben. Als außerordentlicher Gesandter für Vertrauensangelegenheiten erbietet sich auch der gute Doktor Mack. Ein lieber Winkel in der Grafschaft, ein Stück Jugendheimat der Gräfin, ist ihr Leutenberg mit seiner Umgebung. Hier kennt sie sich in allem aus. Als die Papiermühle dort eingerichtet wird, wünscht sie »gute und fröhliche Zeitung« auf das Leutenberger Papier schreiben zu können. Regelmäßig im Herbst wird Schwarzburg aufgesucht und von da dann die Waldreise angetreten auf die »Glashütte« und das »Neue Haus«. Darauf freuen sich die Teilnehmer, sie werden sich mit Glasmachen erlustieren und etwas von ihren Künsten in die Welt hinaussenden. Die Schmalenbuch und das Herrenhaus bedenkt sie aus »sonderbarer Liebe« mit einem Legat von 150 Gulden. Aus Frankenhausen schickt sie Silvesterbirnen heim und erzählt, wie sie die Salzkunst besehen hat und von den Salzherren mit Kuchen bewirtet worden ist. Aus Blankenburg am Harz schickt sie als duftenden Gruß einen Käse und setzt voraus, daß ihn die gnädige Frau Mutter in ein Tuch mit Wein schlagen wird. Dauert die Reise längere Zeit, oder erstreckt sie sich gar nach Norddeutschland zu den leiblichen Schwestern, dann stellt sich eine gesunde Sehnsucht ein nach dem Sohne, den die Tanten in Leutenberg einstweilen versorgen, und nach einer ruhigen Stunde daheim auf der Heidecksburg. Von ihrer Schwiegermutter und ihren Schwägerinnen hat Amilie Juliane Niederschriften über Landwirtschaft, Haushaltung und Küchenarbeiten geerbt und sich in einem stattlichen Quartband gesammelt. Goldene Regeln dabei: Ein Hausvater darf nichts verschieben, darf nicht erst morgen verrichten, was er heute tun soll. Jeden Abend trägt er seinem Gesinde auf, was am folgenden Morgen zu arbeiten ist, steht selbst früh auf und spricht seinen Leuten freundlich zu! Alte und neue Zeit stießen hart aufeinander. Einheimische Kräuter, Salbei, Wegbreit und Zichorienwurzeln, sammelte die Hausfrau noch, aber der Handelsverkehr brachte ihr schon reichlich Südfrüchte, Reis und Gewürze ins Haus. Zwischen den Küchenrezepten schrieb sie sich Heilmittel auf, so: »Ein gesundes Magenpulver durch den mannhaften Doktor Steffen von Venedig Römisch Kaiserlicher Majestät Maximiliano zum Gedächtnis verordnet«. Sterndeutung für Menschenleben war noch im Schwang, auch an die Wirkungen abenteuerlicher Operationen für verhextes Vieh glaubte man noch, aber das ~Dispensatorium Noricum in folio~, das große Nürnberger Arzeneibuch, war schon der wissenschaftliche Ratgeber der Hofapotheken in Rudolstadt und Leutenberg, die die Gräfinnen selbst führten samt Laboratorium und Kräuterboden. Zwei Gesangbücher, von der Hand Amilie Julianes geschrieben und für ihre täglichen Andachten bestimmt, liegen im Staatsarchiv auf der Heidecksburg. Das erste, aus dem Jahr 1652, ist mit zierlichen jugendlichen Zügen geschrieben, in dem zweiten führt eine kräftige Frauenhand die Feder. Die beiden Bücher gehören mit ihrem Inhalt dem persönlichsten Leben der Gräfin an und waren nicht bestimmt für das Auge und das Urteil anderer. Das zweite ist in der Auswahl bedeutender und reifer und beruht auf einem größeren Umblick in der Literatur. Die bekanntesten Lieder des siebzehnten Jahrhunderts kommen darin vor. Dichter mit Namen anzuführen, kam als allgemeine Sitte erst später auf. Es ist in keinem der beiden Bücher hier geschehen. Um lyrische Dichtung legt die Sage gern einen epischen Mantel. Das widerfuhr auch dem Sterbelied Amilie Julianes. Als am 19. September 1686 Herzog Johann Georg von Eisenach auf der Jagd vom Schlage getroffen tot zusammengesunken war, brachte man das Lied mit diesem Ereignis in Verbindung und nannte einen Geistlichen in Gräfentonna als Verfasser. Ein Konzept der Gräfin in der Kirchenbibliothek von Gera trug die Überschrift: Neuhaus, den 17. September 1686. Danach erzählte der Volksmund von einem Jagdunfall in Neuhaus. Die neuere Forschung hat aus den Gedanken und Wendungen des Liedes die innere Verwandtschaft mit den übrigen Gesängen der Dichterin nachgewiesen. Eines besonderen Ereignisses als Anlaß zu Todesgedanken bedurfte es in Kriegs- und Seuchenzeit nicht. Der Lebensweg der Gräfin war eingefaßt von Totenkreuzen, sie blieb schließlich die Letztüberlebende ihrer Barbyschen Familie, und in Rudolstadt starben drei ihrer Pflegeschwestern und Schwägerinnen erschütternd kurz nacheinander, darunter die ihr geistig nächstverwandte Ludämilie Elisabeth, die Dichterin jungfräulich zarter Glaubenslieder. Unter dem Eindruck solcher Erlebnisse wird auch ihr Lied entstanden sein: Werde munter, mein Gemüte, Und schau diesen Zustand an, Wie des Höchsten Wundergüte Großes hat an mir getan: Es geschieht, was er gebeut; Alles ja hat seine Zeit, Sterben und geboren werden Bleibt ein Wechsel dieser Erden. Ein Geschlechte muß vergehen, Und ein anders kömmt empor; Was vor Fälle oft geschehen, Stellt mein eigen Beispiel vor: Vater, Mutter, Brüder, Kind, Schwestern, die gestorben sind, Und wer sonst noch mußt erblassen, Haben alle mich verlassen. Ach! ich bin alleine blieben, Und mein ganz Geschlecht ist hin! Sollte mich das nicht betrüben, Die ich nun die Letzte bin? Ach! daß diesen bittern Schluß Die Erfahrung gründen muß, Und, daß eben an den Meinen Dieser Wechsel soll erscheinen! Hymnologische Studien von heute beschäftigen sich wieder mit der gräflichen Dichterin und könnten auf die Trauerreden hingewiesen werden, die nach ihrem Tode im Lande Schwarzburg gehalten wurden: drei Geistliche führen das Lied als Gedankenerbe der Gräfin an. Und wenn nach dem Neuhaus gefragt wird, wo die Gräfin verkehrte, so wäre der Pfarrer Johann Gottfried Holzhey von Mellenbach zu vernehmen. Er erinnert den trauernden Grafen Albert Anton daran, wie er fast einviertel Jahrhundert hindurch dem Grafenpaar zur Frühlings- und Herbstzeit auf dem tannenumrauschten Herrenhaus das Wort Gottes verkündet hat. Auch äußere sprachliche Form vermittelt Stimmung, darum sei das Lied hier buchstäblich so wiedergegeben, wie es von Seite 23 ab in dem Andachtsbuch der Gräfin steht: 1. Wer weiß, wie nahe mir mein Ende, Hin geht die Zeit, her kömbt der Tod, Ach! wie geschwinde und behende Kan kommen meine Sterbens Noth, Mein Gott! ich bitt durch Christi Blut, Machs nur mit meinem Ende gut. 2. Es kan vor Nachts leicht anders werden, Als es am frühen Morgen war, Denn weil ich leb auff dieser Erden, Leb ich in steter Todts Gefahr, Mein Gott! ich bitt etc. 3. HErr! lehr mich stets mein End bedencken, Und wenn ich einsten sterben muß, Die Seel in Jesu Wunden sencken Und ja nicht sparen meine Buß, Mein Gott! ich bitt etc. 4. Laß mich bey Zeit mein Hauß bestellen, Daß ich bereit sey für und für, Und sage frisch in allen Fällen: HErr! wie du wilt, so schicks mit mir, Mein Gott! ich bitt etc. 5. Mach mir stets Zucker süß den Himmel, Und Gallen bitter diese Welt, Gib daß mir in den Welt getümmel Die Ewigkeit sey vorgestellt, Mein Gott! ich bitt etc. 6. Ach! Vater deck all meine Sünde Mit dem Verdienste Jesu zu, Darein ich mich fest gläubig winde, Das gibt mir recht erwünschte Ruh, Mein Gott! ich bitt etc. 7. Ich weiß, in Jesu Blut und Wunden Hab ich mir recht und wohl gebett, Da find ich Trost in Todes Stunden, Und alles, waß ich gerne hett, Mein Gott! ich bitt etc. 8. Nichts ist, was mich von Jesu scheide, Nichts, es sey Leben oder Todt, Ich leg die Händ in seine Seite, Und sage: mein HErr und mein Gott! Mein Gott! ich bitt etc. 9. Ich habe Jesum angezogen Schon längst in meiner Heil. Tauff, Du bist mir auch daher gewogen, Hast mich zum Kind genommen auff, Mein Gott! ich bitt etc. 10. Ich habe Jesu Fleisch gegeßen, Ich hab sein Blut getruncken hier, Nun kanstu meiner nicht vergeßen, Ich bleib in Ihm und Er in mir, Mein Gott! ich bitt etc. 11. Nun komm mein End heut oder morgen, Ich weiß, daß mirs mit Jesu glückt, Ich binn und bleib in deinen Sorgen Mit Jesu Blut schön außgeschmückt, Mein Gott! ich bitt etc. 12. Ich leb indes in dir vergnüget, Und sterb ohn alles Kümmerniß, Mir gnüget, wie es mein Gott füget, Und glaub und weiß es ganz gewiß, Durch deine Gnad und Christi Blut Machst du’s mit meinem Ende gut. Ein Porträt Amilie Julianes nach dem Leben hat sich auf der Heidecksburg erhalten. Es stellt ihren Charakter glaubwürdig dar: feste geschlossene Züge, Gewand und Schmuck nicht weltfremd, klares Auge. Albert Antons Hofmaler war Seyfried Lammers aus Nordhausen. Unter seinem Namen wurde bisher alles zusammengefaßt, was uns jene Zeit an Bildern hinterlassen hat. Doch sind nach den Rentereirechnungen und Kirchenbüchern zwei Maler gleichen Namens auseinanderzuhalten als Vater und Sohn. Dem jüngeren von beiden werden zwei stark idealisierte Bilder Amilie Julianes zuzuschreiben sein. Sie zeigen die Dichterin als Freundin des Lammes und als Braut Jesu, mit viel Beiwerk von Sinnbildern und Sprüchen. * * * * * Unter Ludwig Friedrich, dem Sohne der Dichterin, 1710–1718, bereitete sich neue Zeit vor. Er veröffentlichte die Erhebung der Rudolstädter Linie in den Fürstenstand. Im Geiste seiner Eltern sorgte er für das Waisen- und Armenwesen. Sein Fürstentum wurde Beamtenstaat, und seine Residenzstadt vergrößerte sich durch Wohngebäude, die, behäbig breit angelegt und mit weiter Torfahrt versehen, daran erinnerten, daß die Hausherren zugleich auch Gutsbesitzer auf dem Lande waren. Wie die Heidecksburg als Barockschloß ausgesehen hat, zeigt ein Bild der Gräfin Ludämilie Elisabeth, wo der Blick auf Rudolstadt als Nebenszene dargestellt ist. Rokokozeit auf der Heidecksburg Die fürstlichen Bauherren bis 1793 waren dem Zuge ihrer Zeit entsprechend in französischer Bildung erzogen. Die Nachahmung Ludwigs XIV. stellte hohe Anforderungen an die Landesherren, sie mußten repräsentieren und sollten doch mit bescheidenen Mitteln haushalten. Friedrich Anton, 1718–1744, bekannte sich persönlich noch zu der einfachen Lebensauffassung, die von den Großeltern her auf ihn vererbt war, mußte aber dem Drängen des Zeitgeistes nachgeben. Auf Staatsverwaltung und Hofleben wirkte das französische Vorbild machtvoll ein. Die Spannung im Volke löste sich in einem Landstreite aus, der bis vor den Reichshofrat in Wien ging und durch gutmütiges Entgegenkommen des Fürsten einen friedlichen Ausgang erhielt. Als technischer Berater kam 1720 der Dresdener Oberlandbaumeister Pöppelmann nach Rudolstadt und ließ durch seine Werkleute die südliche Einfahrt mit Säulen und Korbbogen und das Tunnelgewölbe zum Schloßhof ausführen. Die Periode großer Schloßbrände traf danach auch das kleine Rudolstädter Land hart. Das Stammhaus Schwarzburg ging in Flammen auf, und kaum war es wiedererstanden, als ein großes Schadenfeuer die Heidecksburg heimsuchte. Der Bruder des Fürsten war voll in Anspruch genommen durch den Bau der Ludwigsburg, die 1735–1742 erstand und der voraussichtlich nicht zur Regierung kommenden Nebenlinie als Heim dienen sollte. Seine Schwester Sophie Juliane, Dekanissin von Gandersheim, half mit einem Vorschuß an die Baukasse aus. Den Rohbau des Westflügels erlebte der Fürst noch. Im Hauptarbeitsjahr 1744 am 1. September verschied er, und sein erst dreiundzwanzigjähriger Sohn trat die Regierung an. Johann Friedrich, 1744–1767, war von heiterer, sorgloser Natur, hatte wissenschaftliche und künstlerische Bildung in Frankreich und in den Niederlanden gefunden und wurde seinem Lande Reorganisator des Unterrichtswesens durch Gründung von Seminar und Gymnasium. Auf den 19. November 1744 war seine Vermählung mit Bernhardine Christine Sophie von Sachsen-Weimar festgesetzt, deshalb galt es, für den Einzug der »Herzogin« namentlich den großen Festsaal zu einer gewissen Vollendung zu bringen. Als Schülerin ihres kunstsinnigen und baufreudigen Vaters Ernst August blieb sie die treibende Kraft für die Arbeiten auf der Heidecksburg, bis der Siebenjährige Krieg ausbrach, und sie am 5. Juni 1757 ihrem Gemahl durch den Tod entrissen wurde. Ihr eigener Geschmack ging noch auf Rokokokunst aus, doch machte sich bereits die neue einfache, englisch genannte, Richtung bei der Wahl von Zimmergeräten geltend. Persönliche Gründe des jung verwitweten Fürsten und die allgemeine mißliche Zeitlage mochten dann zusammenwirken, daß nur die für den Haushalt nötigsten Arbeiten am Schloß und seiner Umgebung vorgenommen wurden. Als die ihm gebliebenen Kinder, zwei Töchter, vermählt waren, stand die Bautätigkeit gänzlich still. In der Regierung folgte ihm sein Oheim Ludwig Günther, 1767–1790, der Erbauer der Ludwigsburg. In Holland, Frankreich und Italien für Friedens- und Kriegsberuf erzogen, trat er erst mit 59 Jahren die Erbschaft des Fürstenschlosses an. Wohngeräte mit seinem Namenszug und Bildnisse erinnern in mehreren Räumen an ihn. Auch Fürst Friedrich Karl, 1790–1793, hatte sich noch in französischen Geschmack eingelebt. Der Naturkunde widmete er sein Studium, und das Naturhistorische Museum, wissenschaftlich weitergeführt, jetzt neu geordnet, ist ein Denkmal seiner Bestrebungen. * * * * * Am 26. Juli 1735 war das Schadenfeuer auf der Heidecksburg ausgebrochen, es legte in zwei Tagen den Westflügel, den Nordflügel und Teile des Südflügels in Trümmer und Asche. Landbaumeister von Rudolstadt war seit 1732 Johann Jakob Rousseau, vorher Königlich Polnischer Oberkonduktör, der neben Pöppelmann, Leplat, Longuelune und Knöffel noch 1726 unter den Künstlern am Schlosse Moritzburg aufgeführt wird. Seine Beziehungen zu den Dresdener und Warschauer Berufsgenossen legten es nahe, von dort Rat und Hilfe auch für die neuen unerwartet großen Aufgaben hier zu erbitten. Eng befreundet mit Rousseau war der Hauptvertreter der jüngeren Dresdener Barockkunst, Johann Christoph Knöffel. Er kam Ende Oktober 1735 und blieb bis 8. November in Rudolstadt, im Winter arbeitete er dann einen Plan aus. Im Frühjahr empfahl er geübte Dresdener Werkmeister, die von 1736 an auf der Baustelle tätig waren und die Fühlung mit ihm aufrecht erhielten. Er entschied 1737 technische Fragen, wieweit Gewölbe in der Einfahrt des Westflügels und in den Kellern des Nordbaues beibehalten werden sollten, sandte Risse und Modelle zu Fenstern, begutachtete Rousseaus Entwurf für den Turm und übermittelte 1741 für die Innenräume Anweisungen und Schablonen zum Schmuck der Wände und Decken »mit französischem Laubwerk in grotesker Art«. Bis 1748 beantwortete er Rudolstädter Bitten durch gelegentliche Auskunft. Einen zweiten Plan überreichte Anfang 1737 der Bauinspektor des Landgrafen von Ansbach, Johann David Steingruber, nachdem er im April des Jahres vorher die Brandstätte besichtigt hatte. Er wurde später bekannt als der Erneuerer der Moritz-Kirche in Koburg, als Erbauer der Pfarrkirche in Cadolzburg und als Architekturschriftsteller, scheint aber auf den Rudolstädter Bau keinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt zu haben. [Illustration: Großer Saal] Rousseaus Bauleitung läßt sich bis 1737 verfolgen, von da ab wuchs der junge Frankenhäuser Architekt Peter Kaspar Schellenschläger in die Bauaufsicht hinein. Sein Leben war erfüllt mit Leiden und Freuden des Schloßbaues, auch sonst ist seine Tätigkeit im Lande noch in manchen Spuren zu erkennen, so gab er dem Cumbacher Garten mit dem schönen Gittertor und dem Orangeriegebäude, jetzt Altersheim, das Gepräge. Als eigentliche Seele des Schloßbaues ist vom 24. Mai 1743 bis zu seinem Tode 1756 der Herzoglich Weimarische und Fürstlich Eisenachische Landbaumeister Gottfried Heinrich Krohne anzusehen. In irgendeiner näheren geistigen Beziehung zu den Dresdener Baumeistern muß auch er gestanden haben. Der Aufbau des Südflügels, der Oberbau des Turms, die Innenausstattung des Westflügels und wiederholt veränderte Pläne für den Nordflügel sind sein Werk. Viel beschäftigt mit Bauten in Eisenach, Gotha, Weimar, Jena, Burgau, Dornburg, Molsdorf, Stützerbach und Zillbach, suchte er dennoch Rudolstadt oft persönlich auf, reichte Arbeitspläne ein, sandte Einzelentwürfe, empfahl Künstler und Handwerker, vermittelte mit Geschäftshäusern, prüfte und nahm fertige Leistungen ab. Den Großen Festsaal mit den anstoßenden Gemächern und der Galerie, prächtige Denkmäler der Rokokokunst, stattete er bis in Einzelzüge mit seinem Geiste nach seinem Geschmack aus. Die Plastik ist am Schloßbau vertreten durch Andreas Bäume (Böhme) aus Dresden, der 1741–1742 die Front im Schloßhof verzierte. Dann streute seit 1742 der Mailänder Stukkateur Jean Baptiste Pedrozzi sein luftiges Rankenwerk über Decken und Wände der Festsäle. Mit Unterbrechungen lief diese Arbeit bis 1746, vorübergehend hielt sich der anspruchsvolle Künstler wieder in Dresden auf. Seine sprühende Formenphantasie wird sich dort noch verfolgen lassen, wie in Schloß und Hofkirche von Bayreuth die von Martino Pedrozzi als geistesverwandt zu beobachten ist. Ruhigeres, maßvoll abgestimmtes Rokokogezweig weist auf die Rudolstädter Familie Johann Tobias Müller und Söhne zurück. Als Holzbildhauer entwickelte sich Karl Adolph Kändler seit 1743 vom Gesellen bis 1756 zum Meister mit selbständig entworfenen, schwungvollen Leistungen, besonders an den Türen der Festräume wie an den Umrahmungen der großen Wandbilder in der Galerie und an Prunkmöbeln. Er wurde Lehrmeister Martin Klauers. An den Malerarbeiten beim Bau betätigte sich seit 1738 der Hofmaler Johann Christoph Morgenstern als Porträtist, der Stammvater der noch heute durch fünf Generationen bekannten Malerfamilie. Im Jahre 1741 trat als Maler der Dresdener Heinrich Klöffel auf. Karl Christlieb Reinthaler arbeitete als Handwerker am Bau seit 1743 und dann als frei schaffender Künstler bis 1769 an der Ausstattung. Die großen Wandbilder der Galerie sind unter seiner Hand entstanden. Leicht als Mensch, befangen im Zeitgeschmack, aber stolz auf seinen »italienischen Gusto«, kam aus Würzburg und Bamberg laut Spezialbefehl des Herzogs von Weimar der Historienmaler Leopold Deisinger, schrieb sich gern Daysigner und bevölkerte 1743–1744 die französisch umrahmten Stuckdecken mit Götterversammlungen aus der griechischen Sagenwelt. Im Jahre 1747 übernahm der Dresdener Hofprospektmaler Johann Alexander Thiele den Auftrag, vier Historienstücke zu liefern. Der Hofmaler Johann Heinrich Ritter aus Gotha fertigte 1748–1751 Prospekte an. Sechs große Bildnisse mit den dazu gehörigen Landschaften erbot sich der Weimarer Maler Heinze zu liefern, er brauchte Mittel zu einer Studienreise nach Holland. Johann Andreas Gottschalk in Altenburg sagte zu, neun perspektivische Partien einschließlich drei Superporten anzubringen, und am 1. Oktober 1755 versprach der Inspektor der Dresdener Gemäldegalerie Christian Wilhelm Ernst Dietrich, bis »Moedio Decempris« Superporten zu senden: »Waß die Ordinierung drauf ist, werde selbige so Eindheillen alß mit Confersadions ala Wattau.« Ein unterhaltender Abschnitt aus der Sitten- und Heimatgeschichte ließe sich zusammenstellen über Fröner-, Soldaten- und Handwerkerleben auf der Baustätte, über die Forstlieferungen, die Schillers Schwiegervater leitete, über die Steinbrüche am Langenschäder Steig, in Großkochberg und Kleingölitz, oder über die Schieferfuhren aus Lehesten, die von den Bauern des Leutenberger Bezirks zu stellen waren. Von den Kunsthandwerkern am Bau seien noch zwei genannt: der Schweizer Johannes Feer, der seit 1715 privilegierter Stück- und Glockengießer in Rudolstadt war, und sein Nachfolger seit 1759, der Nürnberger Johannes Mayer, Schillers Lehrmeister im Glockenguß. Von jenem stammen die Uhrglocken, von diesem 1770 das prachtvolle Dreigeläut im Turme. Auch einen zeitgenössischen Schriftsteller hat das Rokokoschloß mit seinen Kunstschätzen gefunden in Ernst Kämmerer, dem Hofmaler Ludwig Günthers. Er, der die Natur seiner Heimat Rudolstadt bereits mit dem Auge des Künstlers sah, zergliedert mit akademischen Theorien und in altväterischer Sprache die Werke seiner Berufsgenossen. Wielands Teutscher Merkur vom Jahr 1794 bringt aus seiner Feder mehrere Aufsätze, die trotz aller Nüchternheit für das Erwachen der Heimatliebe doch wertvoll sind. * * * * * Die Westfront des Schlosses trägt als Giebelschmuck den schwarzburgischen Adler. Über den Fenstern des Obergeschosses setzen sich fünf Trophäen aus Musikgeräten und Waffen zusammen, mit dem Grundgedanken: Wer Friedenswerk treiben will, soll Kriegswehr bereit halten! Einen Dresdener Entwurf für die Gesamtfassade ersetzte der Rudolstädter Kändler durch eine einfachere Lösung, die dem Wind und dem Wetter weniger Angriffsstellen bot und gerade durch Ruhe und Ebenmaß der Flächen vornehm wirkt. Die Spruchtafel über dem Eingang verkündet: ~Anno MDCCLXXXVI. Arx Ludovico Gunthero principe sarta tecta polita suum denuo nacta decus.~ (Im Jahre 1786. Unter der Regierung des Fürsten Ludwig Günther wurde das Schloß ausgebessert, gedeckt und gestrichen, es erhielt so von neuem sein schönes Aussehen.) Soweit die Durchfahrt gotisch gewölbt ist, stammt sie noch vom alten Bau. Nach dem Schloßhofe zu setzte der Neubau 1737 eine Doppelgalerie vor, um Tiefe für die Festsäle im Obergeschoß zu gewinnen. Die Hoffront des Westbaues ist stärker belebt durch Schmuck. Die Bekrönung des geschweiften Giebels trägt auf einem Wappenschild den Namenszug ~FA~, und die Spruchtafel darunter erinnert an die Vollendung des Rohbaues: ~Arce e cineribus resuscitata gratias deo agit princeps Fridericus Anthonius cum voto velit eandem servare fovere protegere. Anno MDCCXLI.~ (Nun, da die Burg aus der Asche wiedererstanden ist, sagt Fürst Friedrich Anton Gott Dank und bittet ihn, er wolle sie erhalten, hegen und beschützen. Im Jahre 1741.) Ein Medaillon, einst echt vergoldet, zeigt das Brustbild des Fürsten in Panzer und Allongeperücke. Das große Balkongitter, entworfen von Krohne, geht zart vom Barock zum Rokoko über. Vier Kränze unter den Kragsteinen deuten die Jahreszeiten an. Der Grundriß des Treppenhauses ist schiefwinklig, die Fundamente des älteren Baues schmiegten sich an die Felsschichten an. Der Reliefschmuck an den Gewölben bewegt sich in reicher Formensprache. In den Festräumen tut sich die Pracht des achtzehnten Jahrhunderts auf. Märchenstimmung umzaubert den staunenden Blick. Griechisch-römische Phantasie hatte Gestalten geschaffen, die noch als Sinnbilder bekannt und geläufig waren, aber die alles beherrschende französische Hofsitte schrieb ihnen die Bewegung vor. Das Gesellschaftsleben der eigenen Zeit stellten die Künstler gern dar, aber unter dem Zwang des Vorbildes von Versailles. Verlangen nach Natur und Sehnsucht nach Freiheit lag dennoch in ihren Bildern, wenn das auch nur in Maskentrachten und Schäferszenen zum Ausdruck kam. Aus fernen Zeiten, in fremden Gestalten: berauschender Duft für nüchterne Gegenwart! Im Roten Vorzimmer fällt ein lebensgroßes Reiterbild auf. Prinz Wilhelm Ludwig von Schwarzburg war Türkenbekämpfer unter Prinz Eugen und Oberst eines sächsischen Infanterieregiments in Freiberg. In der Heimat wurde er bekannt als der naturliebende Stammvater der Familie von Brockenburg, sein Bild fesselt aber auch allgemein das Auge als Kostümstudie. Ebenfalls aus der Frühzeit des achtzehnten Jahrhunderts stammt das große »historische Stück«: Fürst Friedrich Anton nimmt mit seinen Geschwistern eine Huldigung türkischer Abgesandter entgegen. Spitze Schneegipfel überragen eine Hügelkette. Ein pomphafter Siegeszug quillt aus dem engen Tale heraus. Zwei braune Orientalen überreichen kostbare Gefäße, ein phantastisch aufgeputzter Ritter nimmt die Gaben entgegen. Gelassen schauen die fürstlichen Herrschaften dem fremdartigen Vorgang zu. Zarte Rokokogewinde zieren die Decke des Gemachs. Im Roten Durchgangszimmer ziehen zwei Familienbilder die Aufmerksamkeit an. Sie sind Arbeiten des jüngeren Morgenstern. Auf dem kleineren erscheint Fürst Friedrich Karl mit seinem Verwandtenkreis: für Literaturkundige eine Illustration zu Schillers Briefwechsel aus den Rudolstädter Jahren. Auf dem größeren steht der spätere Fürst Ludwig Friedrich II. zwischen seinen Geschwistern in kindlicher Beschäftigung. Beide Gemälde unterhalten durch peinliche Darstellung der Trachten und Beigaben. Als Paradeschlafzimmer war ursprünglich das Rote Eckzimmer eingerichtet worden. Die Konsolen der Wandtische, die Rahmen der Spiegel und Bilder, die Nischen mit züngelnden Rosetten, der Fries als Abschluß der Wände und das Rankenwerk der Decke, sie zeigen, wie üppig freudig sich Rokokoleben bewegt. Naturalistische Zweige mit Blumen und Früchten, Laubgewinde in freier Entlehnung und kühner Verwandlung, Wellen, Wolken, Flammen: alles schwelgt in übermütigen Linien. Auf die Bestimmung des Schlafgemachs deutet das zarte Kaminbild hin, Venus schwebt herab zum Träumer Endymion. Kräftiger wirkt das Deckengemälde, Luna neigt sich auf Endymion, umgeben von Gestalten geistiger und sinnlicher Liebe. Ein Schild mit den Initialen Johann Friedrichs und Bernhardines erinnert an deren Vermählung 1744. Über der Tür zum nächsten Saal schildert eine Kopie nach Lodovico Carracci die Liebe im Goldenen Zeitalter. Der Rote Saal erhält seinen Hauptschmuck durch acht Gemälde des Allerweltkünstlers Dietrich. Zwei Allegorien, der Frühling verheißt Freuden, der Herbst spendet Genuß, zierlich in der Zeichnung und süß in der Farbengebung, muten an wie Porzellanmalerei in großen Maßstab übersetzt. Das Gleiche gilt von zwei Schäferszenen. Die Sehnsucht nach Natur liegt darin, aber der Weg zur Natur war noch nicht gefunden. Kämmerer, der Kunstbeschauer und Kunsttheoretiker, vertieft sich in diese beiden Gemälde: »In dem einen sind zwei Schäferinnen vorgestellt, welche mit einigen Schafen im Vordergrunde einer felsichten Landschaft ruhen. Eine Schäferin, mit einem rosenfarbenen Unterkleide und einem grünlichgelben Obergewande, welches in den Tiefungen der Falten grauviolette Schattierung hat, sitzt auf einem Felsen und wendet ihr Gesicht seitwärts auf die neben ihr stehende Person, indem sie auf ein nacktes Kind hinzeigt, das auf der anderen Seite neben ihr am Felsen mit einer Girlande spielt. Jene Person hat ein blaues Unterkleid und einen braunen Mantel; sie legt sich mit dem Arm auf den Felsen und hat einen Schäferstab in der Hand. Neben ihr steht ein Schaf, welches die Gruppe ausfüllt. Ganz vorn im Vorgrunde auf der linken Seite liegen drei Schafe und ein junges Lamm, auf der rechten aber ein blaues Tuch mit einem Becher. Zwischen diesen beiden Personen befinden sich in einiger Entfernung hinter dem Felsen zwei andere, davon die eine auf einem Instrumente spielt; die vordere ist blaugrün und weiß, die hintere hellrot und weiß gekleidet. Ihre Wirkung ist, daß sie die Hauptgruppe verbinden, und durch Zeichnung und Lokalität der Farben in der Landschaft die so angenehme Perspektive befördern. Neben diesen beiden Figuren erhebt sich ein buschiger Baum aus dem Schatten in die helle Luft hinauf. Hinter dem Baum sehen zwei ferne Felsen in rötlichem Tone der Abendluft vor, mit einem schönen Gewölke, das sich seitwärts von dem Felsen herüber zieht und das Gleichgewicht in die Landschaft bringt. Das andere Gemälde schildert die Liebe in der Person einer jungen Schäferin, welche ihrem Geliebten einen Kranz aufsetzt. Sie sitzen in dem Vorgrunde einer hohen felsichten Landschaft. Vor ihnen liegen zwei niedliche Lämmer, ein weißes Tuch, einige Blumen und ein Hirtenstab. Der Schäfer hat ein gelbes und braunes Gewand, die Schäferin ein weißes und gelbes Unterkleid und einen blauen Mantel mit rosenfarbenem Futter, der von ihren Achseln auf den Felsen, wo sie sitzt, heruntergefallen ist. Der Vorgrund ist mit Gras, Kräutern und Blumen verziert; an der Seite der Schäferin steht ein junger Rosenstock. Im Hintergrunde erhebt sich eine Felsenwand, mit Bäumen und Gesträuchen bewachsen, an welcher ein Mädchen von einem dünnbelaubten Aste, der sich zu ihr herunter streckt, Zweige abbricht, die sie zu dem Kranz des Schäfers holt. Sie kniet mit einem Bein auf einem Felsenstück und hat grauviolette und braune Kleidung. Neben ihr stehen zwei Schafe, davon eins, mit vielem Ausdruck in der Zeichnung und Stellung, in das Tal hinunter blökt. Einige ferne Berge sehen aus dem düstern Tale hervor, welche sich oben in das Dunstige der bläulichen Luft verlieren. Man muß die Mannigfaltigkeiten in der Zusammensetzung der kleinen Teile, in der Zeichnung und Farbe, in Licht und Schatten selbst vor Augen haben, um das Reizende dieser Gemälde recht zu empfinden. Eben die verschiedenen Charaktere der Gegenstände, die mancherlei Formen in der Zeichnung, die Nüancen der Farben, die kecken Pinselstriche, welche den Ausdruck der Oberfläche andeuten, die dockierten Lichter, die Tusche in den Tiefen der Schatten machen sie so lebhaft und interessant. Man bemerke in beiden Stücken den Vorgrund, wie ihm der Künstler am Rande einen Abhang gegeben hat, wodurch er eine Form erhält und nicht mit einer platten Fläche sich endigt, welches der ganzen Landschaft eine Rundung gibt, die Winkel ausfüllt, die Farben verändert und die Lichtmassen mit Schatten unterbricht und begrenzt, in deren Dunkel hie und da mit Lichtern aufgeblickte Kräuter und Blumen vorstehen.« Näher kommen dem wirklichen Leben die vier Gesellschaftsstücke über den Türen: Aufforderung zum Tanz, Maskenscherz, Tanz und Gesang. An der Steinbank des zweiten Bildes hat der Maler signiert: Dietericy 1755. Alles voll Esprit und Koketterie. Kämmerer faßt sein Urteil zusammen: »Die Gesellschaftsstücke sind so brillant gemalt, daß man ganz von ihnen hingerissen wird. Es ist zu bewundern, wie Dietrich es in seiner Gewalt hatte, jede Manier nachzuahmen. Diese Stücke sind in dem Geschmack des Watteau verfertigt. Die Fehler der französischen Zeichnung entdeckt man leicht an den Figuren, an ihren Stellungen und Proportionen. Indessen kann man sie wegen der Schönheit der Farben, wegen ihrer Reinheit und mannigfaltigen Abwechslung dennoch nicht genug betrachten. In dem einen Gemälde, welches die Musik vorstellt, sind an den zwei weiblichen Hauptpersonen die Gewänder von Atlas so natürlich und schön, als es je der fleißige Pinsel eines van der Werff und Netscher zu machen imstande war.« Über das tändelnde Leben des Tages will das Deckengemälde von Deisinger, Versammlung der Tugenden, erheben. In der Mitte thront die Weisheit mit dem Kelch des Glaubens, aus dem das Licht der Wahrheit aufsteigt. Links ruhen drei Frauengestalten: die Kunst mit einem Säulenkapitäl, der Handel mit dem Anker und das Streben nach Erfolg mit einem Lorbeerzweig. Dahinter zeigt eine Mutter mit zwei Kindern das häusliche Glück, ein drittes Kind mit Lichtkranz um die Schläfen senkt sich wie segnend herab. Rechts bewegen sich erhabene und eitle Liebe gegeneinander, die eine mit einem flammenden Herzen in der Hand, die andere mit einem Spiegel. Darunter versucht das Streben nach Ruhm, durch ein Zepter kenntlich gemacht, seine Überredungsgabe; doch das bescheidene Leben findet Genügen im Verkehr mit der Natur. Oben triumphiert die Gerechtigkeit mit Wage und Schwert, rechts von ihr glüht noch Hader, den sie löschen soll, links wohnt der Frieden, den sie gespendet hat. Unten trennt eine Nachtgestalt mit Fledermausflügeln zwei Menschen: eine bleiche Gestalt muß mit ihr entfliehen, eine blühend frische eilt in das Leben zurück. Die Liebe stürzt entwaffnet und mit verbundenen Augen dazwischen nieder. Plastik und Malerei des achtzehnten Jahrhunderts sollten öfters mit dem gleichzeitigen Schrifttum verglichen werden, die Gedankenwelt unserer Klassiker würde dadurch reizvolle Ergänzung erfahren. Vier Medaillons in Sepiaton erzählen naiv von Weltverkehr in der Ferne. Die Türen mit tüchtigen Schnitzereien Meister Kändlers, die Lichterkronen, die Eckleuchter mit Spiegelplatten, die Wandleuchter sind heimatliches Kunstgewerbe in französischem Geschmack. Die Umrahmungen der großen Wandbilder bewegen sich teils üppig, teils zierlich, die über den Türen lösen sich in zarte Knospenformen auf, während die um das Deckenbild auf weniger anspruchsvolle Renaissancemotive zurückgreifen. Nun öffnet sich die Flügeltür zum Großen Festsaal. Es wird kaum ein Fürstenschloß geben, wo die Kunst des achtzehnten Jahrhunderts in gleicher Weise frisch erhalten geblieben ist. Die Bodenfläche mißt 17 mal 15, die Höhe fast 12 Meter. Lisenen und Ansätze zu den Balkonstützen unterbrechen die Ostwand, die Westseite ist leicht geschweift. Die Schmalseiten weisen starke Barockbewegung auf mit Nischen und vorspringenden Gliedern. Zwischen Ober- und Untergeschoß läuft ein Gesims in den Balkon für die Musik über. An der Nord- und Südseite erhebt es sich giebelartig, hier trägt es die Wappen Johann Friedrichs und seiner Gemahlin Bernhardine, das eine flankiert von den Statuen der Wissenschaft und der Gerechtigkeit, das andere von denen der Baukunst und der Gastfreundschaft. Zarte Marmorfarben der Stuckwände sind fein gegeneinander abgestimmt. Der Rokokoschmuck steigert sich von der Goldmalerei in den Türnischen, durch Flachrelief bis zur Vollplastik in den Karyatiden unter der Musikbühne. In die großen Felder an der Ostwand sind zwei Schäferszenen von Dietrich eingelassen. Das nördliche Bild trägt die Signatur: ~Dietericy pinx.~ 1748. Auf einem Hügel am Fuß einer Tempelruine bläst ein Hirt die Flöte, ein zweiter schlägt die Triangel. Lebhaft bewegt sich eine anmutige Tänzerin mit einem Knaben zur Seite, eine andere ruht aus, eine dritte lauscht, um bald zu folgen. Ein Liebespaar voll Ahnung, nymphenartige Mädchen, ein Hirt als gemütlicher Silen, und Hirtinnen im Hintergrund begleiten mit Beifall oder Widerspruch den Vorgang. Weidetiere, im Vordergrund Schafe, in der Tiefe Rinder, Urne, Füllhorn und Prunkgefäße bilden das Beiwerk. Baum, Strauch und Landschaft ahnen in ihren seltsamen Formen bereits die Romantik. Farbenfreudiges Leben in Träumen! Das Gegenstück enthält eine Hochzeitszene. Ein junges Paar reicht sich über dem rauchenden Dreifuß die Hände. Venus mit dem holden Knaben führt sie zusammen. Ein Bursche bringt das bekränzte Lamm. Von links treten Göttinnen in den Festkreis ein, von rechts sehen Hirten staunend zu. Zwei Fackeln schlagen ihre Flammen ineinander. Am Himmel bescheren Liebesgötter das Glück der Gegenwart. Ein Fruchtkorb am Boden verheißt die Zukunft voll Segen. Die Gruppierung der Figuren und ihre Vereinigung mit der Landschaft bespricht Kämmerer ausführlich, er erkennt an den Gestalten das Studium nach dem Leben, fühlt allerdings auch bereits, daß Schlichtheit der Antike und gekünstelter Zeitgeschmack im Widerspruch stehen. Die nüchterne Art, mit der er die Farbenharmonie Dietrichs prüfend zerlegt, ist ebenfalls des Nachlesens wert. Im Obergeschoß sind die Ecknischen als Balkone für Zuschauer bei den Hoffesten eingerichtet. Hier wie in den drei Nischen zum Musikbalkon tragen die Wände und die Deckenwölbungen allegorische Malereien von Ritter aus Gotha. Über den goldenen Wappenstücken ist je ein Ölgemälde eingelassen, wiederum von Dietrich. Auf dem nördlichen erkennt man eine Bacchantin mit Thyrsusstab, sie hält eine Statuette empor. Eine Frauengestalt mit Glorienschein steht ihr zur Seite, und eine andere, die die entblößten Brüste hält, trägt fünf nackte Kinder im Schoß. Rauchendes Opferbecken, römische Rutenbündel mit Beilen und Feldzeichen lassen den Inhalt der ganzen Allegorie erschließen als Rechte und Pflichten des Landesherrn. Auf dem Gegenstück breitet ein geflügelter, bekränzter Jüngling die Arme aus, ein zweiter stützt sich auf ein Buch und drückt mit einem Stab den Kopf einer großen Schlange zu Boden. Eine weibliche Gestalt trägt in der Rechten einen Blumenstrauß, in der Linken ein Füllhorn mit Früchten: Beziehungen auf die Wirksamkeit der Fürstin! Prunkvolle Barockgitter, Eisen, vergoldet, von Krohne entworfen, bilden die Brüstungen für die Balkone. Die Stuckwände des Obergeschosses tragen matt abgetönte Marmorfarben, mit zarten Reliefornamenten in Weiß und Gold. Zwei weiße Gesimse und zwei zart gemalte Hohlkehlen führen zur Decke über. Flottes Rankenwerk umrahmt hier das große Deckengemälde: Versammlung der Götter, von Deisinger. Die Götter Griechenlands: antike Lebensauffassung, in der Überlieferung des italienischen Humanismus, verkörpert durch Modelle der Barockmenschheit! In höchsten Höhen schwebt Apollo, das Haupt umstrahlt von Licht, die Leier in der Linken, die Rechte ausgestreckt, er spendet Licht und Geist. Athene in Helm und Waffenkleid lauscht ihm, den Schild mit dem Medusenhaupt hat sie niedergelegt, die Waffen ruhen, des Krieges Stürme schweigen. Wie sie, so geben sich die Götter des Olymp und des Hades dem Eindruck hin, der von Apollos Kunst ausgeht, die einen versunken in Sinnen, die anderen lebhaft in Miene und Gebärde. Zeus führt in der Rechten den Blitz, weist aber friedlich auf Juno hin, die sich ihrem Pfau zuwendet. Der Adler, als Bote des Zeus, regt die Schwingen zum Flug auf die Erde, zwischen den Krallen ein Bündel Blitze. Neptun neben Amphitrite hält den Dreizack. Mars, glutäugig und gebräunt, trägt den Helm und führt die Lanze, läßt sich aber durch Venus und Amor zum Frieden überreden. Die drei Grazien bilden eine Gruppe für sich. Zwei von ihnen streben hinaus in die Welt, die dritte blickt gedankenvoll auf einen Rosenzweig, den sie in der Hand hält. Saturn mit der Sense offenbart durch eine Handbewegung: alles vergeht! Ein Satyr mit Bocksfüßen und -hörnern hat eben die Syrinx vom Munde abgesetzt, eine Nymphe ist bezaubert von seinen Tönen. Bacchus hat sich auf dem Pantherfell niedergelassen, er winkt mit dem Becher, Mänaden ruhen an seine Schulter gelehnt. Hephästus mit dem Zweizack wendet sich seiner Nachbarin Artemis zu. Herkules, umhüllt mit der Löwenhaut, stützt sich auf die Keule. Götter geringerer Geschlechter füllen den Hintergrund nach Erde und Unterwelt zu. Janus mit dem Doppelantlitz bewacht die Brücke, die im Schwung des Regenbogens den Wolkenhimmel überspannt. Zwischen Olymp und Erde verrichtet Merkur selbstbewußt und siegesgewiß den Botendienst. Deisingers Malweise in Freskotechnik hat, noch ehe seine Arbeit fertig war, Nachfrage und Bedenken erregt. Der Abstand zwischen dem schimmernden Saal und den stumpfen Farben der Decke ist zu stark, und diese Empfindung muß erst überwunden werden. Dann erschließt auch sein Werk einen fesselnden Blick auf einen denkwürdigen Abschnitt in der Entwicklung der Renaissance. In Verstandessprache übersetzt sagt sein Bild: Künste und Wissenschaften gedeihen, wenn Gewerbe und Verkehr blühen. Kronleuchter, Gläser, Armleuchter mit Spiegelwand nach Gotters Modellen aus Molsdorf, in Messing gegossen vom Schwertfeger Seitz, feuervergoldet: Rokokoblitze! Tageslicht wird solchem Festraum nicht gerecht. Aber im sanften warmen Schimmer von 387 Kerzen huscht tausendfacher Widerschein über die Goldranken im Rhythmus von Menuett und Gavotte. Der Hauptreiz des Grünen Saales besteht im Wohlklang von Farbtönen: zwei Grün, belebt durch zarte Goldbeigabe, braune Türen, weiße Decke! Einzelne Geräte gehen zum Stil Louis XVI. über; anmutiger als die unter Deckfarben verhüllten Formen erscheinen die Rahmen und Fußgestelle der Polstermöbel in unverfälschter Holzwirkung. Die großen Bildnisse Johann Friedrichs und Bernhardines beherrschen den Raum. Diese, wie die sechs Gesellschaftsstücke über den Türen sind Werke des Malers Johann Ernst Heinsius, geboren in Ilmenau, gestorben 1795 als Hofmaler in Weimar. Eine glänzende Monographie von Oulmont, Paris 1913, behandelt ihn, bedarf aber von Grund auf der Nachprüfung und Richtigstellung. Die beiden Bilder des Fürstenpaares sind in Lebensgröße ausgeführt. Die Prunksucht des Sonnenkönigs hatte den Ton angeschlagen. Die Macht der französischen Mode übertrug dann die Pose und den ganzen malerischen Apparat als Ausdruck für Souveränität auf die Fürstenbilder von Europa. Das Bild Johann Friedrichs zeigt eine kräftige Mannesgestalt. Die gebräunten Züge werden durch gepudertes Haar und weiße Halsbinde stark hervorgehoben. Roter Rockkragen, blaues Ordensband, glänzender Harnisch, dunkelroter Sammetmantel, hermelingefüttert, schwarzblauer Rock mit Spitzenmanschetten, Goldbrokat am Rockschoß, weiße Hose, schwarze Reiterstiefel mit blitzenden Sporen! Auch Kämmerer empfindet: Das Auge wird in Unruhe versetzt, es irrt umher, ohne das Ganze zu fassen, bis es endlich sich auf das Gesicht allein heftet. Der weite Mantel mit schweren Falten verleiht der Gestalt Breite und Wucht. Die Linke deutet auf den ritterlichen Helm, die Rechte führt den Kommandostab. Der silbergraue Tisch hebt sich mit funkelndem Widerschein von den Schattenflächen ab. Als Umrahmung dient der ganzen Erscheinung eine dunkle Säule und ein grünblauer schwerer Vorhang, der die Fernsicht auf rötlichgrauen Himmel und hellgrüne Landschaft einfaßt. Gern kehrt das Auge auf das gemütvolle deutsche Gesicht zurück, auf den frischen Blick und die gütigen Mienen eines fürsorglichen Landesherrn. Wenn die Chronik von ihm schwiege, seine Bildungsanstalten und Staatseinrichtungen eingingen, und deutsche Kunst- und Wissenschaftsgeschichte nicht mehr von ihm berichteten, so würde dieses Bild sein Denkmal sein: er war seinem Lande und seinem Hause ein Vorbild im Tun und im Dulden. Klugheit und Stolz spricht aus den Zügen seiner Gemahlin, Feinheit und Anmut aus Haltung und Bewegung, gerade weil das schwere Kostüm einen starken Gegensatz dazu bedeutet. Das gepuderte Haar, der leichte Federstutz, der Brillantschmuck in den Ohrgehängen und im Kollier erhöhen den Reiz der zierlichen Mienen. Mieder und breiter Rock, graublau mit schwerer Brokatstickerei, rotes Ordensband, roter Mantel mit weißem Pelz bestimmen die malerische Wirkung. Die linke Hand greift anmutig nach dem Mantelsaum, die rechte weist auf den Herzogshut hin. Ein Säulengang mit schwerer Draperie und einer Urne öffnet den Fernblick auf einen weiten, zarten Himmel. Kaum dreizehn Jahre hatte die Fürstin an der Seite ihres Gemahls gestanden, als sie im Alter von dreiunddreißig Jahren aus dem Leben abgerufen wurde. Auch ihr Bild bleibt eine sprechende Urkunde, wenn ihr Name nicht mehr an den Stätten genannt wird, wo ihr Kunstsinn und ihre Fürsorge gewaltet haben. Aus den sechs Gesellschaftsstücken über den Türen spricht ebenfalls unmittelbares Leben. Sie sind offensichtlich nicht Atelierkompositionen nach Modellen, die der Künstler ausgewählt und in die von ihm beabsichtigte Haltung gebracht hat, sondern Porträtgruppen, die sich ihm ungekünstelt boten im Verkehr am fürstlichen Hofe. Als Zeit kommt das Jahr 1765–1766 in Betracht. Die älteste Tochter Johann Friedrichs, Friderike, war jung vermählt mit dem späteren Fürsten Friedrich Karl, ihre Schwester war Braut des Fürsten Ludwig von Nassau-Saarbrücken. Geselliges Leben, Künste und Wissenschaften wurden eifrig gepflegt, und die »Ludwigsburger« verkehrten viel auf der Heidecksburg. Durch drei Bilder geht ein strenges Damengesicht mit hochgezogenen Brauen, auf fünf Bildern ziehen anmutige Züge eines Schwesternpaares die Aufmerksamkeit an. Sowohl diese, wie die der Herren lassen sich durch Vergleich mit den Einzelporträts aus jener Zeit näher bestimmen. Doch abgesehen von dem heimatlichen Interesse, auch künstlerisch und kulturgeschichtlich belohnen die Gemälde mit Genuß, wenn sie nicht nur flüchtig betrachtet werden. Wie bei den großen Porträts ist auch bei den Gruppenbildern die Beleuchtung so gewählt, daß sie dem von den Fenstern her einfallenden Lichte entspricht. Dichtkunst. Eine Prinzessin sitzt an einem Steintisch, in eine Handschrift versunken. Ein älterer Herr hinter ihr, der Fürst, bewegt eine Schriftrolle in der Hand. Ein junges Paar tritt erwartungsvoll hinzu. Ein jüngerer Herr hält sich bescheiden abwartend im Hintergrund. [Illustration: Grüner Saal] Sternkunde. Die ernste Prinzessin sitzt vor einem Tellurium und läßt sich belehren von einem Prinzen, der durch ein Augenglas auf das Instrument niederblickt. Der Fürst richtet ein Fernrohr zum Nachthimmel empor. Ein junges Paar tritt aus der Dunkelheit heraus, noch in ernstes Gespräch vertieft. Baukunst. Ein Prinz in der Rolle des Hofbaumeisters unterbreitet dem Fürstenpaar Risse zu einem neuen Gebäude, allem Anschein nach in Tempelform. Die Fürstin, offenbar erfahren in Kunstfragen, gibt sachliche Auskunft über ihre Wünsche. Der Fürst hört gefällig und nachgiebig zu und wird bewilligen, was der Bau kostet. Der Herr Hofbaumeister ist ganz Ohr, wird seine Zeichnung zusammenrollen und mit tiefer Verbeugung verschwinden. Meßinstrumente und Zeichengeräte liegen rechts vorn auf dem Arbeitstisch. Bildhauerkunst. In einem Atelier, wo fertige Arbeiten und Modelle die Stimmung andeuten, überreicht der Künstler eine Porträtbüste in Wachs. Die Empfängerin blickt mit ruhiger Verwunderung auf das Kunstwerk. Ihre Hofdame im Hintergrund, ein feuriges Gemüt, will den Beifall in ein spitzes Witzwort kleiden. Malerei. Ein Atelier mit dunklem Behang bildet die Szene. Die Malerin wendet dem Beschauer den Rücken zu. Sie blickt scharf seitwärts auf ihr Modell, dadurch zeigt sich ihr Gesicht im Profil. Das Auge ist ganz Aufmerksamkeit, die Miene vollständig erstarrt. Auf der Staffelei entsteht ein Brustbild. Lieblich in Blick und Haltung, zwingt sich das Modell zu Geduld. Geistreich trägt eine Hofdame zur Unterhaltung bei. Musik. Ein Herr und eine Dame halten ein Liederalbum: »Ach, kleine Rose, glaube mir, du sollst Luzinden schmücken!« Die Dame singt aufmerksam, der Herr vergißt sich und seinen Gesang in ihrem Anblick. Ein Flötenbläser begleitet das Lied. Zwei Hofdamen flüstern miteinander, eine ernst, die andere schalkhaft, sie deutet auf den Flötenbläser, vielleicht weil er Linkshänder ist! Die Goldrahmen der Bilder setzen sich aus kräftigem Blattwerk zusammen, wiederholt scheinen Farnwedel als Anregung gedient zu haben. Zierliche Goldleisten mit zarten Ranken fassen die grünen Wandfelder ein. Die Pyramidenöfen heben sich von lebhaft verzierten Ofenstücken sowohl hier, wie in dem graugrünen, einfachen Eckzimmer ab, wo Palmblätter in dem Formenspiel Verwendung gefunden haben. Die Decken sind schlicht weiß, aber mit duftigen Rosetten verziert. Mehr seltsam als schön wirkt das Bänderzimmer, früher als Vorraum für Audienzen benutzt. Auf düster grün gemalten Stoffbahnen heben sich weißgraue ovale Medaillons ab mit Köpfen in römischem Stil. Bandschleifen, rot und grün, halten die Plaketten und flattern weithin herab über die Wandflächen, von Blumengewinden durchflochten. Die Galerie an der Ostseite des Großen Saales hat wiederholt während der Baujahre Änderung des Planes erfahren. Schließlich gab Johann Friedrich dahin den Ausschlag, daß nicht Bildnisse von hoher Kunst, sondern weniger anspruchsvolle Landschaften die kunstvoll geschnitzten Rahmen Kändlers füllen sollten. Reinthaler entwarf daher zwölf Landschaften, in der Mehrzahl mit großen Figuren im Vordergrund, und setzte als unteren Abschluß in die geschnitzten Rahmen prachtvolle, gemalte Rokokogitter ein mit ausgiebigem Formgefühl in immer neuem Schwung der Linien. Landschaften und Figuren atmen den Geist des achtzehnten Jahrhunderts. Übertrieben steile Berge, Paläste und Ruinen aus der Vergangenheit, aber ohne tieferen Sinn für ihre Bedeutung, Weltverkehr aus der Gegenwart, namentlich Beziehungen zu Asien und Amerika, und das Hochgebirge, das noch schreckhaft empfunden und gefürchtet wurde! Nähe und Ferne, Gegenwart und Vergangenheit kommen zur Darstellung in den Figuren und gewähren Einblick in Beschäftigung und Sehnsucht ihrer Entstehungszeit. Auch ein Stück »Chinoiserie«, ein japanisches Zimmer, atmet noch Modelaune der Rokokozeit: Hinaus in ein erträumtes fernes Glück! Wiederum eine Vorahnung der Romantik! Seltsam nüchtern darin die kleinen Porträte aus den gräflichen und fürstlichen Familien! Unruhig und bizarr der Traum! Empirezeit auf der Heidecksburg Ludwig Friedrich II., 1793–1807, war eine Feuerseele, Jünger Goethes im Schauen von Schönheit, begeistert für Kunst und Kunstgewerbe, leidenschaftlicher Zeichner und Radierer. Als junger Prinz belebte er den Rudolstädter geselligen Kreis, in dem Schiller, der heimatlose Flüchtling, wieder aufatmete. Seine Kenntnisse von der Welt hatte er auf einer Studienreise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich erweitert und in Genf bei De la Rive sich im Malen und Radieren ausgebildet. Kunstblätter aus dieser Zeit sind erhalten geblieben. Ein Besuch am Hofe von Homburg hatte zur Vermählung mit der Prinzessin Karoline Luise von Hessen-Homburg geführt, die, selbst ein Bild blühender Schönheit und frischer Anmut, gleich ihm die Künste liebte und ausübte. Als das junge Paar Schloßherrschaft auf der Heidecksburg wurde, zogen die neuen Formen der klassizistischen Mode in der Zimmerausgestaltung und in der Ausstattung von Wohngerät hier voll ein. [Illustration: Weißes Zimmer] Unverfälscht hat sich das Weiße Zimmer erhalten. Athene und Aphrodite beherrschen den Raum, auf Tanz, Musik und Bühnenkunst weisen die Reliefs an den Wänden hin. Das Treppenhaus flankieren die Musen, und in den Glasgalerien zu ebener Erde stehen die letzten Gipsabgüsse aus dem Antikenkabinett, das sich das Fürstenpaar anlegte. Eine Reise nach Rom 1803 vermittelte die Bekanntschaft mit Künstlern, wie Gmelin, Rehberg, Metz, Reinhart und Angelika Kauffmann. Deren Kunstblätter, Originale oder Drucke, wurden dem Kupferstichkabinett auf der Heidecksburg eingereiht, Schätze, die der Heimat zur Zierde gereichen könnten, wenn Ausstellungsräume zu gewinnen wären. [Illustration: Karoline Luise] Auf das Rudolstädter Antikenkabinett wies Goethe 1805 den Philologen Fr. A. Wolf hin, als er ihn überzeugen wollte, daß auch Kunstwerke die Beweiskraft von Geschichtsdenkmälern haben können. Wolf reiste darauf mit H. Meyer nach Rudolstadt, fand jedoch die Kolossalköpfe der Dioskuren noch an der Erde stehen, wo ihre Schönheit nicht wirksam war. »Wohl aufgenommen von dem dortigen Hofe, vergnügte er sich in den bedeutend schönen Umgebungen, und so kam er nach einem Besuch in Schwarzburg mit seinem Begleiter vergnügt und behaglich, aber nicht überzeugt, zurück.« Noch im Jahre 1817 konnte das Verlangen nach antiker Formenschönheit derart stark in Goethe aufsteigen, daß er plötzlich wenigstens die nächsten Gipsabgüsse aufsuchen mußte. »Etwas dem Phidias Angehöriges mit Augen zu sehen, ward so lebhaft und heftig, daß ich an einem schönen sonnigen Morgen, ohne Absicht aus dem Hause fahrend, von meiner Leidenschaft überrascht, ohne Vorbereitung aus dem Stegreif nach Rudolstadt lenkte und mich dort an den erstaunenswürdigen Köpfen vom Monte Cavallo für lange Zeit herstellte.« Humorvolle Skizzen im Tagebuch des Fürsten zeigen die Vorgänge bei Ankunft und Aufstellung dieser Hilfsmittel für Kunstbetrachtung. Lehrer, Berater und Freund in oft täglichem Verkehr wurde dem Fürsten Ludwig Friedrich der Volkstedter Maler und Bossierer Franz Cotta, der den Kennern des Rudolstädter Porzellans noch heute oft in seinen Werken begegnet. Sein Sohn Heinrich Cotta, als Dresdener Student von Kügelgen so drastisch geschildert, folgte dem Vater in der Würde des Hofmalers und hinterließ in dem Kabinett die wertvollen Radierungen aus der Napoleonischen Zeit, seine unerschöpflichen Pferdestudien und humorvollen Szenen aus dem Volksleben. (S. Thüringer Heimat-Kalender 1926. Greifenverlag Rudolstadt.) Im Jahre 1797 kam Christian Friedrich Schuricht aus Dresden zu Gaste auf die Heidecksburg und gab Anweisungen für den Bau des Halbtempels, der romantischen Ruinen und des Teehauses im Schloßgarten, sowie der Anlagen auf dem Anger. Für Zimmereinrichtungen wies er auf die Vorlagen des Racknitzschen Werkes, Darstellung und Geschichte des Geschmacks, hin. Ferdinand Thierry, der spätere Landesbaumeister in Konstanz, fand sich aus Weimar ein, zeichnete peinlich feine Möbelentwürfe und Pläne für die Gartenhäuser und für die klassizistischen Gebäude in der Stadt. Seinen Bruder Wilhelm Thierry, Jugendlehrer Karoline Luises in Homburg, Maler und Radierer in Meiningen, ließ die Fürstin Architektur studieren. Er vollendete den Schloßbau im Ostflügel und legte die Terrassenbauten an, die zum Schloßgarten hinunterführen. (S. Thüringer Kalender 1926. Museum Eisenach.) Das Jahr 1806 erschütterte mit seinen weltgeschichtlichen Ereignissen auch das friedliche Leben auf der Heidecksburg. Die Schlacht von Saalfeld bereitete sich vor. Mit den letzten Tagen des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen hat die Sagenbildung sich viel beschäftigt. Vielleicht kann das trockene Hoffurierbuch helfen, Dichtung und Wahrheit zu scheiden. Es meldet: Ihro Königliche Hoheit Prinz Louis von Preußen sind den 7. Oktober hier angekommen mit einem Adjutanten, Kapitän von Kleist, einem Kammerdiener und drei Bedienten. Ihro Königliche Hoheit wurden ins grüne Zimmer, der Herr Adjutant ins alte Tafelzimmer logiert. Den 8. Oktober früh abgereist. Den 9. wieder hier. Den 10. abgereist. – Das Tagebuch des Fürsten gibt an, daß am 7. Oktober abends Ball und Souper zu Ehren der Gäste stattfand. Als der Geschützdonner von Saalfeld herüberdröhnte, bestand man darauf, daß die Fürstin mit ihren Kindern sich entfernte. Ihr selbst war es ein Lieblingsgedanke, Mut zu zeigen und Gefahr zu bestehen. Sie schämte sich aber später ihrer Eitelkeit, daß sie eine Heldenrolle habe spielen wollen und die Ihrigen dadurch einer Gefahr ausgesetzt hätte. Während einer Rastpause beruhigte sie ihre Nerven mit einer niedlichen Bleistiftzeichnung von der Weißenburg im Saaltale. Die Durchmärsche des Napoleonischen linken Flügels gingen durch Rudolstadt. Der Fürst blieb zur Stelle. Als die französischen Beamten Villain und Du Molart die Regierung übernahmen, mußte er sie gastlich im Schlosse aufnehmen. Schweren Sorgen und Gemütsbewegungen erlag sein schwacher Körper am 28. April 1807. Kerndeutsch, wenn auch gewohnt, französische Tagesanmerkungen zu schreiben, führte die Fürstin für ihren minderjährigen Sohn die Regentschaft bis 1814. Als Landesmutter, gleich der Königin Luise von Preußen, war sie umsichtige Diplomatin nach außen und unermüdliche Beraterin der Bedrängten, die aus dem ganzen Lande zu ihr kamen. Beamtenfamilien der Stadt bewahren noch heute Korrespondenzzettel als Reliquien auf, sie zeigen, wie die Fürstin ihren Bittstellern geholfen wissen wollte. Schillers Hinterbliebene fanden bei ihr Zuflucht in Not und Verlegenheit. (S. Schiller in Rudolstadt. Greifenverlag 1925.) Als Fürstinmutter blieb sie das verehrte Oberhaupt der prinzlichen und fürstlichen Familien auf der Heidecksburg bis an ihr Lebensende 1854. Künstler wußte sie anzuregen in vorbildlich moderner Weise, ohne Zwang auszuüben. [Illustration: Brunnen] Mit führenden Geistern stand sie in Gedankenaustausch. Wilhelm von Humboldt schreibt über sie in den Briefen an eine Freundin: »Rudolstadt, 2. Januar 1827. Die verwitwete Fürstin ist eine der Frauen, wie man sie selten findet. Ich kenne sie seit meiner Verheiratung. Wir heirateten in derselben Zeit, und ich war unmittelbar nach meiner Verheiratung mit meiner Frau, mit der sie sehr freundschaftlich verbunden ist, einige Wochen hier, so daß mir der Ort auch wegen dieser Erinnerung sehr lieb ist. Die Fürstin war sehr jung, ungemein liebenswürdig und schön. Als ich mit meiner Frau später in Rom war, kam sie mit dem Fürsten auf einige Monate hin, und wir lebten auch da viel miteinander. Bald nachher wurde sie Witwe und während der Minderjährigkeit des Prinzen Regentin des Landes. Sie führte in den schwierigsten Zeiten diese Regentschaft mit größter Klugheit, und stets mit der Güte und Wohltätigkeit, durch welche Fürsten, besonders in kleinen Ländern, sich von ihren Untertanen auch persönlich verehrt und geliebt machen können. Seit der Fürst die Regierung übernahm und die Erziehung der anderen Kinder vollendet ist, lebt sie bloß sich selbst, arbeitet und studiert für sich; sie besitzt sehr viele Kenntnisse, vorzüglich aber das, was man nicht ohne eigenen tiefen und umfassenden Geist erwirbt. Ihre Briefe sind gleich geist- und seelenvoll, und im Gespräch äußert sich dasselbe noch lebendiger und immer mit der größten Einfachheit und Bescheidenheit. Sie ist daher auch eigentlich kaum gekannt, nur bei den wenigen, die der Zufall ihr näher gebracht hat. Sie ist sehr religiös, verbindet das aber so schön mit dem tiefsten und freiesten philosophischen Nachdenken, daß die Religiosität ihr dadurch nur noch mehr eigen wird.« Humboldt erwähnt dann einen Wagenunfall, den sie erlitten hatte, und der sie zwang, nur noch zu Fuß zu gehen, und ihr nicht mehr erlaubte, sich weit vom Schlosse zu entfernen. Um die Natur zu genießen, ließ sie sich die Borkenhüttchen, Bauernhäuschen und Teetempelchen im griechischen Stil bauen, deren letzte noch heute vom Schloß aus durch den Hain und die Flur von Rudolstadt an verklungene Zeit erinnern. * * * * * Die gewaltigen Ereignisse der Weltgeschichte haben auch das Leben auf der Heidecksburg in den Grundfesten erschüttert. Der Weltenlenker wird wissen, wie er Geschicke und Herzen der Menschen zum rechten Ziele führt. Es sind nicht nur Vorgänge der engen Heimat, die sich in dem ehrwürdigen Schlosse der Schwarzburger Grafen und Fürsten abgespielt haben. Was die Heidecksburg uns überliefert, ist ein wichtiger Ausschnitt aus dem Thüringer Leben und ein wertvoller Bestand der deutschen Bildungsgeschichte überhaupt. Wer diese geistigen Schätze in Zukunft zu erhalten und zu betreuen hat, trägt die Verantwortung vor dem deutschen Gewissen. Inhalt Seite Vorwort 5 Frühgeschichte der Burg 7 Katharina die Heldenmütige 14 Amilie Juliane, die Liederdichterin 26 Rokokozeit auf der Heidecksburg 45 Empirezeit auf der Heidecksburg 72 Bilder: Heidecksburg 4/5 Torhaus 12/13 Amilie Juliane 32/33 Großer Saal 48/49 Grüner Saal 68/69 Weißes Zimmer 72/73 Karoline Luise 72/73 Brunnen 76/77 Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die fehlende Überschrift des ersten Kapitels wurde ergänzt. Zur leichteren Orientierung wurden die Titel unter den Bildern nach dem Bildverzeichnis ergänzt. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Auf der Heidecksburg" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.