By Author | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Title | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Language |
Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ] Look for this book on Amazon Tweet |
Title: Im grünen Tann Author: Achleitner, Arthur, 1858-1927 Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Im grünen Tann" *** Im grünen Tann Schwarzwaldnovellen von Arthur Achleitner Berlin Verein der Bücherfreunde Schall & Grund Inhalt Die Herzogskerze Giftklärle Der Pelagier Die Herzogskerze Über den „toten Bühl“, einen Teil der Hochebene im südlichen Schwarzwald Badens, braust der Herbstwind in langen Stößen; es seufzt der Tann in den niederen Lagen, oben aber auf der kahlen Höhe ächzen die wenigen alten knorrigen Buchen und am einsam ragenden Kruzifix bebt die Holzfigur des Heilandes, nachdem Regen und Wind die Holznägel gelockert und die Befestigung mürbe gemacht haben. Öd und rauh, unwirtlich ist dieser Strich badischen Schwarzwaldlandes, den der Volksmund selbst bezeichnend den „toten Bühl“ nennt, weil die Hügelreihe wahrhaftig an den Tod der Natur gemahnt, heimgesucht von scharfem Westwind und häufigem starken Schneefall, der schon auf die alten Strohdächer der Walddörfer fällt, wenn drüben am glitzernden Rhein, im sonnigen Garten des badischen Unterlandes Wiesen und Matten noch im spätsommerlichen Glanze prangen. Einzelne Gemarkungsnamen verraten nur zu deutlich die Selbstkritik der Wäldler über ihre engste, selten verlassene Heimat; hier heißt ein Wiesengrund das „elende Löchle“, dort eine felsendurchsetzte, von Bergföhren umwucherte Fläche das „öde Land“. Und verschlossen, rauh wie seine Heimat ist auch der Hauensteiner in dieser alten Gemarkung mit seiner zähen Anhänglichkeit an die alten Zeiten, an die sagenhaften alten „Handfesten und Privilegy“ des Grafen Hans, an sie Einung und mittelalterliche Reichsunmittelbarkeit mit ihren schweren Kämpfen gegen Obrigkeit und neues Recht. „Hotzen“ heißen die Bewohner des Hauensteiner Waldgrundes nach ihrer künstlich gefälteten Pluderhose, die oft zehn bis zwölf Ellen Tuch beansprucht, wenn die nach Geschmack und Brauch der stämmigen alemannischen Wäldler sein soll. Der über die unwirtlichen Höhen brausende Wind erzählt den Wäldlern manches von goldener Freiheit, die auf den herüberblinkenden Schweizer Bergen herrscht, er singt in kraftvoller Weise von Unabhängigkeit, wie sie in den Urkantonen des Nachbarlandes gedeiht; nichts aber dringt herein in den Tannichtschatten und in das Waldesweben von neuer, anderer Zeit, und unberührt bleibt der Hauensteiner vom Getriebe einer fremden Welt. Immer schärfer bläst der Wind aus West; schwarzgrau verhangen ist das Firmament, schon wirbeln einzelne Flocken über den „toten Bühl“ als Vorboten des frühen Winters mit seiner unerbittlich strengen Herrschaft, so er sich einmal eingenistet hat im öden Waldstrich, der hochgelegenen Heide und in den wuchtigen Steinfeldern. Immer dringlicher rüttelt der Wind an den mächtigen moosumwucherten Strohdächern des einsam im „toten Bühl“ liegenden Dörfchens Hochschür, als will er der Bedachung Stücke entreißen und fort in die Lüfte führen, den armen Wäldlern zum Trutz. Besonders wütet die Windsbraut um das einsam seitwärts dem Dörflein stehende Wirtshaus, dessen vergilbtes Schild kaum noch erkennen läßt, daß einst die drei Könige aus dem Morgenland Schutzpatrone für zechende Hotzen gewesen sind. Die Hochschürer haben denn auch völlig auf die morgenländischen Wirtshauskönige vergessen und lieber dem daneben stehenden abgeworbenen Lindenbaum zu Ehren die weltverlassene Raststätte zum „dürren Ast“ benamset, wo ein Säuerling verabreicht wird, der selbst grimmig verrissene Schuhe wieder zusammen zu ziehen in der Lage ist. Das sturmumtoste Wirtshaus ist geflickt, wo man es nur betrachtet; geflickt durch eingefügte Strohbüscheln das uralte verwitterte Dach, geflickt die eingedrückten Fensterscheiben durch Papierverklebung; die Thüren zeigen gähnende Löcher, durch welche der Höhenwind wohl luftig pfeift und den Qualm des Herdfeuers vergnüglich durch den Flur jagt bis hinter zum Tenn und durch das wackelige Scheuerthor hinaus auf die „Einfahr“. Grimmig gröhlt und rüttelt der Sturmwind am Hausgerät im „Schild“, im freien Raum, der noch vom vorgehenden Dach überwölbt ist; doch mag es hier knattern und krachen, ächzen und poltern, das Getöse lockt weder den Wirt zum „dürren Ast“, noch sonst einen Inwohner aus dem Hause hervor, und das Streulaub kann im tollsten Getriebe um das Haus wirbeln, niemand wird den Hausen etwa mit Tannicht biegen oder mit Steinen beschweren, um einer Entführung vorzubeugen. Streitpeterle, der Wirt zum „dürren Ast“ hat wichtigere Dinge im Kopf, als sich um solche geringfügige Sachen zu kümmern; er hockt drinnen in seiner Stube und brütet nach über eine Angelegenheit, die sein Sohn ihm heute morgen brühwarm aus Waldshut hinterbrachte, so eine vertrakte Neuerung, wie sie in letzter Zeit mehrfach die Wäldler überraschten und zum sinnieren veranlagten. Mit Amt und um eine Sache „uszuprobyre“ auch mit dem Hofgericht zu Freiburg zu prozessieren, ist für den alten Peter eine Kleinigkeit und ob seiner Prozeßlust, die sein Hab und Gut allmählich aufgesaugt, hat der „dürre Ast“-Wirt auch den Vulgärnamen „Streitpeterle“ wegbekommen, was ihn diesmal stumm und nachdenklich macht ist die Botschaft, daß die Regierung eine Feuerschauordnung verfügt und angeordnet haben solle, daß durch bestellte Schornsteinfeger die Kamine selbst in den Walddörfern und Einödhöfen untersucht und gekehrt werden müssen. Peterle hatte anfangs seinen flachshaarigen Buben, den zwanzigjährigen Jaköble mit weit ausgerufenen Augen und offenem Mund angestarrt, ohne ein Wort aus dem Schlund zu bringen. Für ihn war die Neuigkeit so überwältigend, als wenn Jobbeli etwa gemeldet hätte, der „Salpeterhannes“ sei wieder lebendig geworden und habe die Einung zu den Waffen gegen die vorderösterreichische Regierung gerufen, wiewohl Haus Albiez schon an die achtig Jahre im Grabe ruht. In einem Schwarzwaldhaus, in einem Einungsgehöft die Esse kehren! Und noch dazu bei Peter Gottstein, der sich aufs Protestieren und Prozessieren besser versteht als all' die gelahrten Herren von Freiburg bis Mannheim! Aber es wird nichts daraus! Hat der alte Gaugraf Hans von Hauenstein keinen Rauchfangkehrer gehabt, so kann der Streitpeterle solchen um vier Jahrhunderte später auch entbehren, zumal auch erst ausprobyret werden muß, ob die Appenzeller und Graubündener ihre Kamine fegen lassen oder ob sothane Verfügung ein uralte Rechte verletzender Eingriff der Regierung sei, welch' letztere den Hotzen nichts zu befehlen habe. Also sinniert Peterle vor sich hin und schiebt von Zeit zu Zeit die schwielige Rechte in sein buschiges Grauhaar, wie wenn er seinen Gedanken oben an der Schädeldecke Luft machen wollte. Und zeitweilig knurrt er und beißt die Zahnstumpen aufeinander. Dann springt er auf, schreitet auf ein Regal aus Tannenholz zu, in dem sich feinsäuberlich geordnet dicke Aktenstöße befinden und trägt nun Fascikel um Fascikel auf den rohgefügten Tisch, um nachzuschlagen, ob sich darinnen etwas vorfinde, worein man sich zu einem kräftigen Protest einhängen könne. Aber soviel Peter auch blättert in den Schriften, Nummer um Nummer durchnimmt, es findet sich nichts von Schlotfegerei. Gerichtsbeschlüsse, alte Hofentscheide von Großvaterszeiten her, unangenehme Sachen mit ihren Erinnerungen an die unglücklich verlaufenen Salpetererkriege und Prozeßakten, kostspielige Schriftstücke, die Peters schönste Kühe und Äcker verschlungen und ihn schier arm gemacht haben. Und nach Durchsicht seiner Registratur kommt Peterle folgerichtig in seinem Gedankengang zu dem Schluß: „Enthalten seine wohlgeordneten Akten nichts von einer Feuerbeschau und Schlotfegerei, so könne sothane Verordnung unmöglich Rechtens sein.“ Und daher nimmt Peter einen Bogen Kanzleipapier, taucht die verstaubte Feder in die halb eingetrocknete Tinte und kritzelt mit dem knisternden Gänsekiel nieder: „Beschluß! Von einer Verpflichtung, meinen Kamin durch ein fremdes Organ fegen zu lassen, findet sich in den Akten seit Großvaters Zeit her nichts vor, war auch niemals Brauch im Hauensteinschen Land. Daher wird sothaner Neuerung die Zustimmung verweigert und jeder fremde Schlotfeger hinausgeworfen, so er sich heraufwagt. Auch wird ihm Atzung und Trunk in der Gaststube nicht verabreicht. Gegeben am Evaristustage Anno 1805. Peter Gottstein.“ Mit vieler Mühe hat Peterle diesen „Beschluß“ zu Papier gebracht und sodann seinen Akten beigegeben. Förmlich erleichtert erhebt er sich, bringt die Fascikel wieder Nummer für Nummer in das Regal und spricht vor sich hin: „Und nun soll es Einer probyre, der Peterle wird zu handle wisse bi Gott!“ Im selben Augenblick wird die Thüre geöffnet und ein zierlicher Mädchenkopf luegt herein. Es ist des Wirtes Thrinele, die beim Anblick des Vaters und der Akten erschrocken stammelt: „Aber Ätti, schon wieder hascht mit den alten Papieren zu schaffen?“ „Das hat dich nichts zu kümmern, Thrinele! Auch verstehst du davon nichts! Das ist meine Sache, die ich ausprobyre werde bis zur letzten Instanz!“ Thrinele ist völlig in die Stube getreten und schreitet wie das Bachstelzlein auf den Vater zu, auf dessen Arm sie ihre Rechte legt und schmeichelnd bittet, es möge Ätti durch neues Prozessieren nicht sich und alle völlig ins Unglück bringen. Zugleich sucht das schmucke Mädel durch vorsichtiges Fragen herauszukriegen, was denn abermals die Prozeßlust des streitsüchtigen Vaters geweckt habe. Peter poltert denn auch rasch heraus, daß aus der behördlichen Schlotfegerei nichts werde, so lange er seine Arme rühren und auf den Beistand der gleichgesinnten Bühler rechnen könne. Thrinele vermag nicht sogleich zu erfassen, worum es sich aufs neue handle und fragt: „Schlotfegerei, was soll das bei uns? Das isch in unserer Gegnig (Gegend) nit Brauch gsi!“ „Der alte Graf Hans wird sich im Grabe umdrehen, wenn er vernehmen könnte, was für Neuerungen es giebt auf dem Wald! Aber es wird solche bei Gott nicht nicht geben! Noch leben treue Anhänger der heiligen Salpeterersache,[1] für die wir leben und sterben!“ „Ach Ätti! Laß' doch ab von solcher Sache! Sie hat sich überlebt und nur Unglück gebracht in unser Land!“ „Schweig' Maidli! Eine Sache, für die so viele Wäldler das Leben gelassen, Männer wie Wybervölker, überlebt sich nicht, sie stirbt nicht, so wenig wie unser alter Glauben! Wir wollen frei bleiben und treu der Kirche, alles andere ist eitel und für uns nicht von Rechtens! Und in meinen Rauchfang wird kein Franzose, kein Österreicher, wie kein anderer klettern! So wahr der alte Gott lebt und ich Peter Gottstein heiße!“ „Ist's denn aber auch wahr, daß wirkliche Schlotgücksler in den Wald kommen sollen?“ „Frili isch's wahr! Der Jaköble hat die Kunde mitgebracht von Waldshut und andere Botschaft dazu, daß die Wälderchnabe ohne Ausnahm' Soldate werden müsse und die Alten neue Steuern, Accise zahle! Gott verdamm' mi, daraus wird nichts, sag' ich!“ „Ätti, ich mein', das Schlotgückslen wär' aber doch noch zu ertragen!“ „Nein! Das wird nur der Anfang sein und alles andere kommt noch nach!“ „Wenn das Schlotfegen uns aber nichts kostet, mein ich —“ „Nichts kosten, haha! Ausziehen werden sie uns und schinden, bis die letzte Ziege aus 'm Haus ist! Das haben unsere Vordern erlebt mit dem Waldpropst wie mit 'm Vogt zu jeglichen Zeiten! Drum schwör' ich: Eher werd' ich zum Chilchhof getragen, bevor mir ein Fremder in den Schlot steigt! Und die Füsi (Flinten) sollen knattern wie zu Hannes Zeiten!“ Erschreckt wirst sich Thrinele an Vaters Brust und sucht ihn zu beruhigen mit dem Hinweis, daß ein Schlotgücksler doch wahrlich nicht ein Blutvergießen und sonstiges Unheil wert sei. Noch poltert der Alte: „Der Gücksler frili nit!“ da schreit des Wirtes blonder Jaköble wie besessen zur Thüre herein: „Sie kommen!“ und prasselt wieder zurück und durch den Flur ins sturmdurchtoste Freie. Augenblicklich stößt Peter sein Maidli von sich und zetert nach der Füsi, um den Gücksler gebührend mit einem Schrothagel begrüßen zu können. Wie umgewandelt ist Thrinele, verschwunden jegliche Sanftmut, ein entschlossener Zug tritt in ihrem zarten Gesichtchen hervor und scharf fordert sie den Ätti auf, Gewalt zu unterlassen. Doch schon greift der Wirt nach der Flinte, die in einer Ecke hängt, immer scharf geladen, da wirst sich Thrinele ihm entgegen, reißt das Gewehr samt dem Nagel herunter, mit zitternder Hand schlägt sie den Hahn zurück, dreht den Lauf dem Fenster zu und drückt blitzschnell ab. Dichter Pulverdampf erfüllt die Stube, klirrend fallen die Scheibenscherben auf das Pflaster vor dem Hause. Verdutzt blickt der Alte auf seine so urplötzlich resolut gewordene Tochter und auf das abgeschossene Gewehr. Thrinele stellt wortlos die Waffe in die Ecke und verläßt die Stube. Dann folgt ihr Peter, unschlüssig, wie er nun den Feind abwehren soll. Und da ist sie auch schon die Gücksler-Kommission: ein Beamter in Uniform mit langem Schleppsäbel und einer Aktentasche, einen gewaltigen Dreispitz mit Federbusch auf dem Kopf, und neben ihm der Rauchfangkehrer in schwarzer Adjustierung mit Kratzeisen und der Leiter auf der rechten Schulter. Des Alten Sohn Jaköble beguckt die seltsame Kommission ungefähr mit der Andacht, mit welcher eine Kuh das neue Scheunenthor beschaut, indes Thrinele vor dem gestrengen Kommissär einen Knicks macht und nach seinem Begehr fragt. Zögernd ist auch der Vater nähergetreten, der seine Fäuste in den Sack gesteckt, um seinen Ingrimm nicht äußerlich zu schnell erkennen zu lassen. Es funkeln seine Augen ohnehin verräterisch genug und die zusammengekniffenen Lippen künden keineswegs Liebe und Sanftmut. Mit schnarrender Stimme verkündet der Beamte das neue Edikt betr. den Schlotkehrzwang und fordert Unterwerfung und Einlaß für seinen schwarzen Begleiter im Namen des Großherzogs von Baden. Sodann fragt der Federbuschträger, sich zum Alten wendend, was der Schuß zu bedeuten hatte. Peter zieht sein Gesicht in höhnische Grimasse, Thrinele jedoch giebt schnell die Antwort, daß das Gewehr sich zufällig entladen und der Schuß keineswegs der anrückenden Kommission gegolten habe. „So so! Na, ist Euer Glück! Künftig spritzt aber keinem Beamten Schrot ins Gesicht, so Ihr nicht Bekanntschaft mit Eisenmeister und Galgen machen wollt. — Öffnet also und laßt den Kaminfeger ein zur Arbeit! Bei Euch, Peter Gottstein soll im oberen Wald begonnen werden!“ Nähertretend fragt Peter: „Warum bei mir zuerst?“ „Weil Ihr die wichtigste Person am „toten Bühl“ seid!“ Geschmeichelt steht Peter eine Weile und kratzt sich hinter'm Ohr. Was soll er thun? Daß man ihn mit seinem Einfluß auf die Wäldler respektiert, ihm gewissermaßen den Vorrang sogar beim Schlotfegen einräumt, schmeichelt ihm nicht wenig; aber er ist gewohnt, just das Gegenteil zu thun, was von ihm verlangt wird, und deshalb neigt er eher zu einer Verweigerung hin, es juckt ihn seine Protestleidenschaft. Auch ist sicher anzunehmen, daß die Salpeterer am toten Bühl überall den Schwarzen hinauswerfen und das Kaminfegen verweigern, wenn der Peter hierzu das leuchtende Beispiel gegeben haben wird. Und wenn der dicke Federbuschmann mit hinausgeworfen würde aus jeglichem Salpetererhofe, müßte das ein köstlicher Anblick sein, füglich aber ein Merks für die Freiburger Regierung, daß noch der alte Geist der Freiheit und Unabhängigkeit herrsche auf den Schwarzwaldhöhen. Auf gewöhnlichem Wege jedoch die Kommission unverrichteter Dinge vom „dürren Ast“ wegzuschieben, däucht Petern in seiner Führerwürde zu harmlos, vom Gehöft des Streitpeterle dürfen die Kommissionsleute nicht gewöhnlich gehen, sie müssen hüpfen, wie besessen rennen und ein Andenken an den „dürren Ast“ mitnehmen, das ihnen das Wiederkommen verleidet. Der Beamte wiederholt die Aufforderung und schwingt dabei die Aktenmappe, um seiner Wichtigkeit größeren Nachdruck zu geben. Über Peters Gesicht huscht ein höhnisches Lächeln, grinsend sagt er: „Wenn ich nicht will, kommt Ihr mir nicht ins Haus! Ich will Euch aber einlassen, so Ihr da mit Eurem Federbusch auch mit hinauf in den Schlot steiget!“ Erschrocken prallt der Beamte zurück und stottert: „Wie? was? Seid Ihr verrückt? Ich — ich — habe oben nichts zu thun — das ist des Kaminfegers Sache!“ Auch Thrinele kann das Lachen über die drollige Erscheinung des Federbuschmanns und dessen Schrecken nicht verbeißen und kichert vor sich hin, indessen Jobbeli in Vorahnung eines Spaßes die Hausthüre angelweit aufreißt und durch eine linkische Armbewegung zum Eintritt einladet. Peter besteht darauf, daß der Kommissär unter der Esse auf den Vollzug der Kehrordnung warten müsse, andernfalls lasse er den Schornsteiner nicht ein. Dem Beamten ist es zu thun, den Streitpeterle 'rum zu bekommen, auf daß er bei den übrigen Waldbauern nicht auf Widerstand stößt. Vielleicht ist es lediglich eine Marotte des eigensinnigen Hotzen, und Peter ist ja der größte Starrkopf der Wäldler. Auch tobt der Wind so grimmig um den Bühl, daß der Aufenthalt selbst in der rußigen Küche vorzuziehen sein wird. So entschließt sich denn der Kommissär zum Eintritt und hinter ihm und den Schornsteiner drängen die Andern nach ins Haus. Schon hinter der Thür beginnt der Federbuschmann zu husten, der Qualm des glimmenden Herdfeuers benimmt ihm schier den Atem. Der Schwarze meint, das Feuer müsse ausgelöscht werden, sonst könne er nicht in den Rauchfang aufsteigen. Mit Entschiedenheit aber fordert Peter nun sofortigen Beginn der „Regierungsthätigkeit“ des Schornsteiners und droht im Weigerungsfalle mit gewaltsamer Entfernung der ganzen Kommission. Das Faceletto vor den Mund haltend, giebt der Kommissär Befehl, den Schlot zu kehren, und gehorsam steigt der Schwarze auf seiner Leiter in die Esse. Kaum ist der Schornsteiner oben verschwunden, packt Peter blitzschnell einen Bund trockenen Reisigs und wirft es auf die glimmende Glut, und Jobbeli beeilt sich augenblicklich, des Vaters Beispiel kräftig und flink nachzuahmen. Gierig züngeln die Flammen auf, es prasselt das Reisig wie Zunder, im Nu ist die Küche raucherfüllt und in dicken Schwaden steigt der Qualm in den Schlot. Vergebens poltert der Kommissär gegen solch' boshaftes Beginnen und wischt sich die brennenden Augen aus; doch die Gottsteins kümmern sich nicht den Pfifferling um das Gezeter und werfen immer neues Reisig auf die prasselnde Glut. Nur Thrinele thut nicht mit und flüchtet vor Qualm und Rauch hinweg in ihre Stube. Ihr Beispiel ahmt hustend, schier erstickend der Bebuschte nach und stürmt ins Freie. Gleich darauf rasselt der Schornsteiner die Esse herab, betäubt vom Qualm und krachend fährt er mitten in die aufspritzende, funkensprühende Glut des Herdfeuers, worüber Peter und Jaköble ein wahres Freudengeheul anstimmen und sich die Seiten halten vor Lachen über das sie höchlich belustigende Schauspiel. Wie besessen springt der Schwarze aber vom Herd hinweg, heulend vor Schmerz und stürmt ins Freie, eine schwarze Fährte ziehend im frischgefallenen Neuschnee. Brüllend vor Vergnügen stürzen Peter und Jaköble ihm nach, um das Auge zu weiden an der rasenden Flucht der geprellten Kommission, bis der dicke Kommissär mit dem wackelnden Federbusch und hinterdrein der toll springende Schwarze hinter den Häusern von Hochschür verschwinden. * * * * * Gegen die neunte Abendstunde hat es zu schneien aufgehört. Die Wolken sind verzogen, klar ist der Himmel, besät von mildstrahlenden Sternen, und der Mond sendet sein Silberlicht herab auf den überzuckerten Tann und die weißschimmernden Bühlhöhen des Schwarzwaldes. Das Kreuz auf dem toten Bühl wirst vom magischen Licht übergossen, einen langen Schatten auf den schneeigen Grund und geisterhaft strecken die entlaubten Buchen ihre Äste gen Himmel. Es flimmert die öde Landschaft im glitzernden Schmuck winterlichen Geflockes, und gegen die Helle am Bühl sticht schaurig das Schwarz der Tannenwälder ab mit ihrer unheimlichen Finsternis und geheimnisvollen Starrheit. Der Wind hat sich gelegt; still ist's weit um, tot und leer. Nur zeitweise rutscht in kleinen Ballen der Neuschnee von den Tannengipfeln tiefer herab auf die Äste und von der weißen Last befreit schnellen die Zweige wieder hinauf zur normalen Lage. Das giebt ein knisterndes Geräusch im sonst kirchenstillen Tann, das sich zum dumpfen Getöse verstärkt, wenn die größer gewordene Schneelast durchbrechend auf den Waldboden aufschlägt. Schneestaub quillt dann für einen Augenblick auf, alles verhüllend; dann aber legt sich der weiße Staub, schwarz ragt die befreite Tanne auf in schauriger Hoheit und nächtlicher Majestät. Vom Kirchturm zu Hochschür schlägt es zehn Uhr nachts in langgedehnten Tönen. Wohl blinken die Fenster der wenigen Häuser des kleinen Dorfes im Mondenschein, doch ist jegliches Licht erloschen. Die Dörfler sind wohl längst zur Ruhe gegangen und schlafen den Schlaf des Gerechten, mit Ausnahme vielleicht jener Hochschürer, die dem Dörflein den üblen Ruf eingebracht haben, von dem Scheffel schreibt: „So einem in der Umgebung nachts in dem Keller eingebrochen und Kartoffeln geholt, oder ihm das frischgeschlachtete Schweinlein aus dem Kamin ausgeführt wird, so heißt's: es wird den Weg alles Fleisches nach Hochschür gegangen sein.“ Von einigen Häuschen lösen sich richtig schwarze Gestalten ab, hochgewachsene Männer, die dunklen Überwurf, wallende Mäntel und auf dem Kopf gewaltige Pelzmützen tragen. Schweigend stapfen diese Gestalten alle einem Ziele zu: hinauf zum Kreuz am toten Bühl. Und auch von anderen Seiten her pilgern Männer dicht vermummt gegen Frost und Kälte; die einen durch den Tann von Gebisbach her, andere von Altenschwand und Hottingen, von Sägeten, jenem Dörflein, von dem es heißt: Hochschür und Sägeten giebt eine Trägeten (Traglast, d.h. sie wiegen [im Rufe] gleich schwer), und von Herrischried. Seltsam düster heben sich die Gestalten ab vom glitzernden Schnee, schier geisterhaft in ihren schwarzen Mänteln und hohen Mützen. Von allen Seiten klimmen und steigen sie den toten Bühl hinan, schweigend, ernst, feierlich, und stellen sich im Kreise um das Kreuz auf, vor dem sie die Mützen lüfteten und das Knie beugten, zugleich das Kreuz auf der Brust schlagend. Doppelt und dreifach wird der Menschenring auf der Bühlhöhe, die Männer stehen wie die Mauern im rasch zusammengetretenen Schnee und harren der kommenden Dinge im gespenstischen Mondenschein, die Augen auf den Christus am Kreuze gerichtet. Und wie die Uhr von Hochschür die Geisterstunde schlägt, hebt einer aus der nächtlichen Versammlung an zu sprechen: „Im Namen der heiligen Jungfrau Maria. Gottwilche! (Willkommen).“ „Gottwilche!“ tönt es mit gedämpfter Stimme in dem dreifachen Menschenring. Streitpeter ist's, der den Willkomm ausgesprochen als der Vertrauensmann der Salpeterer am toten Bühl, der die Versammlung einberufen hat zur Besprechung wichtiger Dinge, und der nun den Ring verläßt, sich an den Kreuzstamm stellt und zu reden beginnt: „Gott wilche! 's isch e gheimi Sach, die mer han z' verhandle heroben am toten Bühl. Sin Ihr alle da, die ich g'lade han zur Geischterstund? Die Männer von Gebisbach, Altenschwand, Hottingen, Sägeten, Hochschür und Herrischried?“ Mit dumpfer Stimme melden sich die Verschworenen aus den ausgerufenen Orten. „Sind annere aus 'm Wald aach noch chomme?“ „Ja! Ich, Ägidius Riedmatter von Kuchelbach bin aach chomme!“ ruft ein alter Mann aus dem dritten Ring. Tiefe Bewegung geht durch die Menschenreihen, summendes Geflüster der Überraschung, daß sich ein Salpeterer auch aus dem Albthal eingefunden, der drüben Führer ist und Hauptverfechter der heiligen Sache. Peter fordert Riedmatter auf, ans Kreuz zu treten und der Versammlung zu sagen, was er als richtiger Salpeterer auf dem Herzen habe. Die Männer treten etwas zur Seite, um den alten Riedmatter durchzulassen, und mit festem Schritt tritt derselbe auf das magisch beleuchtete Kreuz, entblößt das von weißem Haar umrahmte Haupt und spricht mit kräftiger Stimme: „Im Namen der heiligen Jungfrau Maria seid gegrüßt, Salpeterer! Was ich euch han ze sage, isch kurz und bündig das: Wer ich bin, wisset ihr alle! Und mir, Ägidius Riedmatter isch in stiller Nacht der Geischt des Salpeterhannes, Albiez' Geischt wirklich und wahrhaftig erschienen, und selbiger Geischt hat mich eingeweiht und bezeichnet als Hannesle's Nachfolger in der Führerschaft der Salpeterer. Ich soll den Kampf aufnehmen und führen wie einst der Hannes selber! Und dem Mahnruf des Geischtes han ich Folge geleistet und drüben im Albthal mein heilig und schweres Amt übernommen. Heute in verschwiegener Nacht am Kreuz des toten Bühl bin ich erschienen und frage euch, ihr Mannen des Murgthales: Wollt Ihr mitkämpfen für die heilige Sache?“ „Ja! Wir wollen, im Namen des dreieinigen Gottes für die Freiheit unseres Volkes und für unseren Glauben!“ tönt es rauh, aber feierlich aus dem dreifachen Menschenringe. Nun frägt Peter den alten Riedmatter: „Ischt der Geischt des Hannes dir wirklich erschienen? Erhebe die rechte Hand zum Kreuz und schwör' es uns zur heiligen Dreifaltigkeit!“ „Ich schwör' es!“ „Dann glauben wir dir! Und du, Ägidi, sollst fürder auch unser Führer sein im heiligen Kampfe. Willst du?“ „Ja, ich will! An der Hand der alten Festen und Privilegy, der kaiserlichen Briefe will ich unsere Sache führen und nicht erlahmen in der Verteidigung unserer alten Rechte. Schwört mir Gehorsam und Gefolgschaft!“ „Wir schwören!“ „Und nun höret: Wie einst Hans Albiez müssen auch wir die uralten Rechte der Grafschaft Hauenstein verteidigen. Unsere Vereinigung, der im stillen auch tapfere Weiber, Söhne und Töchter angehören, ist bereit, dafür das Leben zu lassen. Ein offener Aufruhr mit den Waffen in der Faust kann uns jedoch nur das Schicksal unserer Großväter, die gewaltsame Verbannung, Verlust des Lebens und Eigentums eintragen. Wir müssen der Übermacht anjetzo noch weichen! Aber was wir können, was wir müssen, ist die Hochhaltung unserer alten Rechte, auf die wir niemals verzichten werden, auch dann nicht, wenn man uns die Bajonette auf die Brust setzt und zum Galgen schleift! Kein Verzicht, aber auch kein gewaltsam Auflehnen. Wir huldigen nicht, niemandem, wir wollen frei und unabhängig bleiben! Und große wichtige Dinge bereiten sich vor! Unser ärgster Feind, das Kloster zu St. Blasien, wird bald nicht mehr sein!“ Jähe Überraschung fährt durch die Menschenmenge, und laute Rufe tönen zum nächtlichen Himmel. „Ruhe! Das Kloster wird aufgehoben werden! Ich, der Nachfolger Albiez', sage es euch! Und haben wir diesen Feind los, so winkt die alte Freiheit wieder, die uns dort drüben die freien schweizer Berge verheißungsvoll zuwinken! Niemals hat irgend eine Herrschaft über uns zu Recht bestanden, nicht der Fürst von St. Blasien, nicht die Franzosen, nicht der Großherzog von Baden! Letzterer ist nicht unser Landesherr, er ist nur Meier (Verwalter), gesetzt vom Kaiser! Und niemals bestand die österreichische Herrschaft zu Recht! Wir verweigern auch dieser Herrschaft die Huldigung! Nur der Kaiser ist Schutzherr über uns und die Schweiz! Wir müssen ihn bitten, uns behilflich zu sein zur Wiedererlangung unserer alten Rechte, so da sind: Kein Schutzgeld, Freiheit von Steuern und Schatzungen, von Zinsen und Zehnten! Nur freiwillig stellen wir Milizen! Das alles haben die Kaiser uns zugesagt, so Kaiser Josef im Jahre 1782, so Kaiser Franz anno 1802. Ich habe die kaiserlichen Briefschaften und sage, wie Hans Fridli Gersbach von Bergalingen sagte: „«Wer diese Briefe lesen will, kann zu mir kommen: wer's nicht glauben will, hat hier in meinem Knorrenstock seinen Schulmeister. Ich hab's gesagt, ich sterbe dafür. Bedenkt zu Hause, daß Handschuhe hinter'm Ofen liegen,[2] ihr versteht mich!“» Wir hoffen auf Gott und den Kaiser und warten, wie es komme! Und was die Blutsteuer, die Stellung von Rekruten betrifft, die man wohl bald von uns fordern wird, so schafft bei Zeiten die Jungen fort. Über der Grenze wohnen auch Leute! Unterschreibt, so ihr schreiben könnt, nichts, versprecht nichts, verzichtet auf nichts! Und huldiget nicht! Weiteres werdet Ihr von mir hören! Im Namen der heiligen Mutter Gottes geht jetzt auseinander und schweiget, was ihr gehört. Amen!“ Mann für Mann tritt nun zu Riedmatter und schüttelt ihm wortlos die Hand, damit ein stummes Gelöbnis zur Gefolgschaft leistend. Und nach abermaliger Begrüßung des Kreuzes verlassen die Mannen stumm den Bühl. Riedmatter und Peter bleiben zurück in geheimer Zwiesprache. Erst als die Turmuhr eins schlägt, schreiten auch sie den weißschimmernden Bühl hinunter. Nur der vertretene Schnee giebt noch Kunde von der nächtlichen Versammlung. Bald darauf aber verhüllt der Mond sein leuchtend Antlitz, schwarze Wolken ziehen auf, der Westwind bläst aufs neue, und Neuschnee deckt abermals alles zu und verwischt jegliche Spur.... Winterszit, schweri Zit! Schnee uf alle Berge lit.... * * * * * In einem der Häuser am Ausgang des Dörfleins Rütte gellt eine Frauenstimme durch die Räume, und die Zornesrufe sind schier heraußen am schneebedeckten Sträßlein zu verstehen. Es ist des Josef Binker's Eheweib, die scharfe Vroni, welches den gutherzigen Gatten abkanzelt und ihm wieder einmal den Standpunkt klar macht. Der Josef ist ein sozusagen lammfrommer Mensch, dem man es vom Gesicht ablesen kann, daß er das Pulver nicht erfunden hat. Kleiner von Gestalt als die meisten der stämmigen Hotzen, hat er auch nichts vom kriegerischen Geist jener Hauensteiner, die vor 80 und 100 Jahren ihr Leben für die Salpeterersache einsetzten. Ihm geht Ruhe und Frieden über alles, und weil er immer und überall sich nachgiebig zeigt, hat ihm das Schicksal in seinen oft sonderbaren Launen ein Eheweib beschieden, das weit eher die Pluderhose zu tragen berechtigt wäre, als der Hotze selber. Fleißig und arbeitsam erledigt Sepli seine Kleinhäuslergeschäfte und ist am Abend glücklich, in der behaglich durchwärmten Stube sein Pfifli Tubak rauchen und sinnieren zu können. Was um ihn vorgeht im Wald, heroben oder draußen in der Welt mit ihren Kämpfen, das kümmert Binker nicht im mindesten; soll nur jeder sehen, wie er sich durch's Leben bringt. Ihm ist's viel wichtiger, die schlecht gedeihenden Kartoffeln zu ernten und rechtzeitig Holz für den Winter aus Haus zu schaffen. Ganz anders veranlagt ist seine Vroni, die, lebhaften Sinnes, trotz ihrer gesetzten Jahre, sich um alle öffentlichen Dinge kümmert und namentlich für die alte und neue Salpeterersache sich lebhaft interessiert, von der sie eine Besserung der Lage und ihrer eigenen Verhältnisse sich erhofft. So sehr Vroni aber bisher in ihren gutmütigen Mann hineingeredet hat, erzielt hat sie nichts, denn Josef ist nicht zu bewegen, für die Salpeterersache auch nur einen Schritt zu thun, und immer setzt er ihrem Andrängen passiven Widerstand entgegen und läßt Vroni belfern und schwätzen. Diesmal zieht das Weib alle Schleusen der Beredsamkeit und zetert, daß die Fenster klirren. Erst heute früh beim Wasserholen hat ihr eine Salpeterin von der nächtlichen Versammlung am toten Bühl erzählt und vertrauliche Mitteilung über die gefaßten Beschlüsse und die Führerschaft des Ägidius Riedmatter gemacht: Dinge, die Vroni ungemein interessierten und veranlaßten, ihren Beitritt zur Salpeterervereinigung durch die Nachbarin anmelden zu lassen. Und vom Dorfbrunnen heimgekehrt, war es Vroni's wichtiges Geschäft, alles liegen zu lassen und Josef aufzufordern, sich zum Ausgehen fertig zu machen und dem Vertrauensmann Peter Gottstein, dem Wirt zum „dürren Ast“ den Beitritt des Binker'schen Ehepaares zu erklären. Josef hatte diese Mitteilung ruhig und geduldig wie immer angehört, sein Pfifli in Brand gesteckt und dann gelassen zur Antwort gegeben: „I mog nit!“ Nun war's um ihn geschehen, und Vroni legte los, daß es eine Art hat. „Hesch du au e Kuraschi, bisch du e Ma?! Was bisch du? E Lamm, e Schof, das hockt de ganze Zit im Stübli und träumet und wartet, bis die bratene Täubli ihm ins Maul flieget! Dunderschiß, bisch du e Ma! Di soll der Dunder in Erdsbode verschlage, du Waschlappe du!“ Und was der erzürnten Vroni in die Hände kommt, wirft sie dem Gatten an den Leib, Häfele, den Besen und zu guterletzt den Milchkübel mit der Ziegenmilch, so daß heute wohl Fasttag bei Binkers sein wird, wenn Sepli die verspritzte Milch nicht vom Boden aufschlecken will. Das zornige Weib hätte das Gezeter aber ebenso gut vor einem Holzklotz halten können, die Wirkung wäre dieselbe geblieben. Josef rührt sich nicht und läßt die Vroni schreien, als sie aber anhebt aufs neue und ihm droht, ihn und das Haus zu verlassen mit den schwerwiegenden Worten: „Die Eh' isch ab, so du nit Salpeterer wirsch!“ da erhebt sich Sepli zitternd und sagt stotternd, so weit solle es denn doch nicht kommen. Augenblicklich nimmt Vroni diese Gemütsbewegung und den erreichten Vorteil wahr und bekräftigt ihre Rede mit der verschärften Drohung, daß sie noch in dieser Stunde von hinnen gehen werde, wenn Sepli nicht sofort dem Streitpeterle das Gelöbnis in die Hand leisten werde. „Ja, ja, i goh!“ stammelt der eingeschüchterte Wäldler und sucht nach seinem Mantel. Ein Freudenschimmer fliegt über Vroni's runzeliges Gesicht, und flink trägt sie dem besiegten Gatten Mantel, Pelzmütze und Stock herbei und drängt zur Eile. So ist Josef in seinem ganzen Leben noch nicht bedient worden, er fühlt sich wie ein Herr, und freut sich, es durch Nachgiebigkeit so wohlbehaglich zu haben. Freilich der Gang ist unangenehm und die Salpeterei ihm zuwider; aber vielleicht bekommt er fürder den Hausfrieden und wird's Vronele künftig sanftmütiger sein! Drum stapft Sepli mit 'm Pfifli im Mund hinüber durch Schnee und Wald gen Hochschür zum Wirt zum „dürren Ast“. Vroni aber muß eine Weile verschnaufen und überläßt sich ganz dem Wonnegefühl des erreichten Sieges. Daß die Drohung so gewirkt, überrascht sie eigentlich selbst, denn insgeheim hat sie eher befürchtet, daß Sepli sie gehen heißen würde. Hat sie ihm doch das Leben bisher sauer genug gemacht und verbittert und das Regiment scharf, fast zu scharf geführt. Und übermäßig jung und sauber ist's Vronele auch nicht mehr; Sepli könnte unschwer eine hübschere Gesponsin bekommen. Aber an so was denkt der Mann ja nicht und der Pfarrer würde ihm solche Gedanken schon austreiben. Ein Wäldler hat noch niemals sein angetrautes Weib verlassen. Freilich auch nicht eine Wäldlerin ihren Mann; aber die Salpeterersache ändert Brauch und Ordnung, Gewohnheit und Recht, weil sie ein Kampf um heilige Rechte ist. Und Sepli muß ein richtiger Salpeterer werden; dafür wird Vroni schon sorgen. * * * * * Des Streitpeterle hoffnungsvoller Sohn, 's Jaköble, hat zeitig früh aus den Federn gemußt, so früh, daß der Bursch im ersten Augenblick des Gewecktwerdens nicht wußte, ob es Mitternacht, Abend oder Morgen sei. Sein Zögern, die Langsamkeit, mit welcher er aus dem Bette kroch, hatte Ätti fuchtig gemacht, und Vaters Zornesrufe ließen Jobbeli flink in die Kleider fahren und fragen, wo es denn „füürig“ sei (wo es brenne)? Aber da kam der Bursch übel an, denn der Vater wetterte: „Dunderschiß, nu numme kein Wörtle mehr, steh uf und lueg, was i dir z'sage han: Du gohsch uf Herrischried und seist m Hottinger im Hus neben der Chilch: Ägid Basel! Er soll no hüt am Rhi uf'm Riedmatter warte, Botschaft abnehme und ruftrage bis Herrischried. Du wartsch dort und tragsch no in der Nacht Kundschaft her zu mir. Vostehsch, Jobbeli? Und steh' uf und laß di nit sehe, sei an nüt ze de Halunke! Uf jez un bhüdi!“ Damit drückte Peter dem Jobbeli etwas Geld in die Hand und schob den Burschen zur Thür hinaus in den bitterkalten, nebligen Wintermorgen. Der scharf um den Bühl wehende Wind trieb Jaköble zur Eile, auch schien ein Stehenbleiben nicht rätlich, weil Ätti unzweifelhaft in solchem Falle dem Bübli flinke Füße machen würde. Jedenfalls muß die Sache heillos pressant sein, sonst hätte Jobbeli nicht so früh aus den Federn gemußt. Freilich wenn der Hottinger vormittags noch nach Säckingen muß, heißt es sich sputen. Hernach aber hat Jobbeli heidenmäßig viel freie Zeit in Herrischried und kann hinterm warmen Ofen im „Roten Ochsen“ wartend liegen, bis der Hottinger vom Rhein wieder herauf zurückkommt. Also stapft Jaköble flink durch den harstigen Schnee nach Herrischried, wo die Essen rauchen zum Zeichen, daß die Morgensuppe gekocht wird. Das Haus neben der Kirche ist bald gefunden und der Hottinger erfragt, welcher alsbald forteilt, der Ordre gemäß, um den Salpetererführer in Säckingen zu erwischen. Jobbeli aber schlendert gemütlich zum „Roten Ochsen“, in dessen Gaststube eben der Ofen in Brand gesetzt wird. Der Bursch fragt nicht viel und kriecht auf die Bank hinterm Ofen um den Schlaf nachzuholen. Chüngi (Kunigunde) schaffet fleißig, die Stube in Stand zu setzen und kümmert sich nicht weiter um das Bühler Büebli. Gegen Mittag aber, als der Kuckuck in der Schwarzwälder Uhr unter Verbeugungen elfmal seinen Ruf in der behäbigen Stube erschallen läßt, kriecht Jobbeli hervor, reibt sich die Augen klar, streckt und dehnt die Glieder und bittet Chüngi, ihm ein Mittagsüppli zu geben, „ume Chrützer“ und aufgeschmälzte „Grundbire“ dazu und auch ein Schöppli Kaiserstühler. So setzt sich Jobbeli an den einen Tisch nahe dem Ofen und harret als einziger Gast in der braungeräucherten Stube seiner Atzung, welche die braunbezopfte Chüngi denn auch bald herbeiträgt und darauf das Kännlein badischen Weines. Still ist's in der Stube; nur Jobbelis Löffel klappert zuweilen und im dickbauchigen Ofen prasselt das Tannenholz, das frisch nachgefüllt worden. Draußen hat sich der Nebel gehoben und ist's lichter sonniger Tag geworden. Es flimmert und glitzert schier blendend; die Häuser tragen weiße Hauben und blitzende Streifen liegen auf den Fenstersimsen. Dicht beschneit sind die nahen Tannen, deren tiefes Grün neben dem überwältigenden Weiß kaum durchzudringen vermag. Ein Holzschlitten mit Blochen beladen, von Kühen gezogen, fährt vorüber mit pfeifendem Schleifen über den trockenen Schnee, geleitet von einem gegen die Kälte vorsorglich vermummten Knecht. Dann wird es wieder ruhig und still draußen. Drinnen tickt nur die Uhr in der Ecke über dem schwarzgeräucherten Kruzifix. Chüngi leistet nach dem Abtragen des leeren Geschirres dem Jobbeli Gesellschaft und fragt ihn nach dem Zweck seiner Anwesenheit in Herrischried. Und der Bursch, ein Schwerenöter, versichert gekommen zu sein, um in Chüngis schöne Rehaugen zu schauen, er hascht nach ihrem Händchen. Ungläubig wehrt das Maidli ab und schlägt Jobbeli auf die zudringlichen Pfoten: „O Jesis, was bisch du mer für e verlogenes Büebli!“ Lachend beteuert Jobbeli seine Behauptung und sucht Chüngi an der Hüfte zu umfassen, doch schwapp sitzen ihm des Mädchens fünf Finger im Gesicht, und der Bursch reibt sich verdutzt die geschlagene Wange. Im selben Augenblick wird die Thür geöffnet und ein stattlicher Bursch tritt ein, die Scene mit Hallo begrüßend und zu Jaköble gewendet, fragend: „Isch was gange, Jobbeli?“ Etwas zaghaft meint der Bühler: „'s isch nüt gange!“ Der wehmütige Ton reizt nun auch Chüngi zum silberhellen Gelächter, indes sich Michel, des Martin Biber zu Herrischried Einziger, zu Jobbeli an den Tisch setzt, ein Schöppli Durbacher bestellt und dem Bühler auf die Achsel klopft: „Musch es annersch mache, Jobbeli, ze Herrischried im Wald balzet der Urhahn annersch, haha!“ Das glaubt Jaköble gern nach den eben gemachten Erfahrungen, doch verspürt er wenig Lust, neue Balzversuche anzustellen. Der stämmige Martin verläßt auch das Thema gleich und fragt: „Jobbeli, hesch du Kuraschi, so müschet mer Charte und spiele mer'n Win aus!“ „Isch recht!“ stimmt Jobbeli zu, und Chüngi bringt die abgegriffenen Karten. Bald ist das Spiel im Gange und hin und her wendet sich das Glück, bis Fortuna ihre Gunst ausschließlich dem Bühler Büebli schenkt, so daß Jobbeli zechfrei wird und Groschen um Groschen in Bargeld einstreicht. „Zum Teufel, i verlier' heut no mi Röckli!“ ruft ärgerlich Michel und wirft einen Sechsbätzner auf den weinbetropften Tisch. „Halt zu mer, Heckener, bisch mi letzter!“ „Was isch Trumpf?“ „Alleweil oebbis e Herz! Weisch Jobbeli, e Herz het e jeder!“ „Gstoche sell Herz! Her ze mer, Heckener!“ „Dunderschiß, hesch du e Glück!“ „Wos mache mer jez? Hesch du no oebbis ze setze?“ „I will doch probire, un 's Glück hassadire, weisch wos, Jobbeli? Jez spiele mer ume Ohrläppli vonemer!“ „Topp, 's gilt! Was isch jez Trumpf?“ „Chrütz!“ „Gstoche! Hesch wieder verlore!“ „Bisch du ne Glückskind!“ staunt Michel. Jobbeli aber streicht das gewonnene Geld insgesamt ein und zieht sein Messer. „Was wilsch bi Gott du miterm Messer, Jobbeli?“ „'n Gwinnst will i einkassiere!“ „Mitem Messer?“ „Frili! Dein Ohrläppli werden mer gli habe!“ „Tod und Teufel!“ prasselt Michel auf und fährt zurück; doch Jaköble faßt zu, es ist ihm Ernst, das im Spiel gewonnene Ohrläppchen abzuschneiden. Chüngi zetert und schreit aus Leibeskräften um Hilfe; die Burschen raufen, Michel sucht dem Gegner das Messer zu entwinden, und Jobbeli sticht wutentbrannt blindlings zu. Mit einem Weheruf sinkt Michel zu Boden, die Hand auf die Brust pressend, aus welcher warmes Blut quillt. Jobbeli flüchtet zur Thür hinaus, auf den Ochsenwirt prallend, der schleunigst dem Verwundeten zu Hilfe springt, so daß der Übelthäter ungehindert entfliehen kann. Zwei Knechte tragen den Schwerverletzten ins väterliche Haus. * * * * * Der gutmütige, schläfrige Sepli ist richtig gehorsam und ob der Eheabbruch-Drohung ganz verdattert den toten Bühl hinangestapft durch Nebel, Wind und Schnee und hat den Streitpeter aufgesucht im Wirtshaus „Zum dürren Ast“. Der Vertrauensmann ist gottlob zu Hause; das verkündete Thrinele gleich beim Eintritt in das windschiefe, verklebte Haus, und Sepli atmete auf, wie von banger Sorge befreit, nachdem er vor der Hausmauer den Schnee von den Füßen abgestoßen hatte. Von der Salpetersache will er freilich jetzt ebenso wenig wissen, wie vordem; aber es ist ihm doch lieb, den Wirt anzutreffen, damit er seiner Vroni doch wenigstens beteuern kann, mit dem Salpeterer-Vertrauensmann gesprochen zu haben. Was aus der Unterredung werden wird, das mag der Himmel wissen, der Sepli weiß es nicht. In der warmen Gaststube begrüßt Sepli, sich an dem einzigen Tisch niederlassend, das Maidli mit der Bitte, dem Ätti zu sagen, daß er mit ihm reden möchte. „Und leng mer e Schöppli, Thrinele!“ fügt er bei und öffnet sein Wams, denn die Stubenwärme setzt ihm bereits tüchtig zu. Rasch ist Sepli bedient, und auch der Astwirt findet sich gleich darauf ein, um nach dem Begehr zu fragen. Jetzt ist der kitzlige Moment gekommen, wo Sepli mit der Farbe herausrücken muß. Und so stottert er denn etwas dergleichen, daß er auf Wunsch seines Eheweibes wegen der Salpeterersache heraufgekommen sei und dieserhalb mit dem Peter reden wolle bezw. müßte. Der Wirt sattelt augenblicklich um, als er das Wort „Salpeterer“ gehört, vergewissert sich, daß kein Unberufener in der Stube ist und wispert dann dem Besucher ins Ohr, doch lieber in die obere Stube zu kommen, wo sie die Angelegenheit zeugenlos und in aller Ruhe besprechen könnten. Oben sei es noch nicht gar so warm, fügt Peterle bei als Empfehlung des oberen Gelasses und beschwichtigt den um sein Schöppli besorgten Gast augenblicklich durch die Mitnahme von Wein und Brot. „Den Rock tragsch selber!“ bedeutet Peter und schreitet voran. In der oberen Stube angelangt, verschließt der Wirt sorgsam die Thüre und fragt den Besucher nach seinem Begehr. Da ist nun der gefürchtete Augenblick; was soll Sepli nun sagen? In arger Verlegenheit kratzt er sich hinterm Ohr und stottert dann mühsam heraus, daß sein Weib der Vereinigung beitreten wolle. Überrascht blickt Peter auf den Gast und fragt dann entgegen: „Und du, Sepli?“ „Ja, ich, no!“ „Wie, du willsch nit?“ „I weisch ja gar nüt!“ „So, du weisch nüt von unserer Sach! Na, da will i dir oebbes verzähle!“ Und tief Atem holend, beginnt Peterle, sichtlich von der Hoffnung erfüllt, den Gast für die Salpeterersache zu gewinnen, die Entwicklung derselben zu schildern. „Hör zu!“ „Ja!“ sagt Sepli und stärkt sich durch einen Schluck. „Die Salpeterer sind entstanden als politisch-religiöser Bund, als der Propst von Sankt Blasien im Jahre 1719 ein Dinggericht zu Remetswil ankündigte und auch richtig durch seine Amtsluit, den Waldvogt und die zwölf Waldrichter, eröffnete. Der Vogt verlas den Dingrodel von Anno 1467 als erneute Grundlage des Gerichts. Gegen diese Grundlage von Anno dazumal erhob der Einungsmeister Friedolin Albiez zu Birdorf Protest wegen Verjährung, wasmaßen der Dingrodel durch die Gnade der Kaiser längst abgethan, die Leibeigenschaft aufgehoben worden sei. Schwer stritten sich der Vogt und der Einungsmeister, und schlau erklärte der Waldvogt, daß es sich nicht um das abgeschaffte Wort Leibeigenschaft, sondern um die damit verbundenen, von dem Kaiser selbst als rechtskräftig anerkannten und deshalb unentwegt fortbestehenden Gebühren und Schuldigkeiten handle?[3] Aber alle Schlauheit der Deutung und Wortklauberei nützte dem Waldvogt nichts, die Wäldler hielten zum Einungsmeister und gingen unter Protest vom Dinggericht weg. Damit fing die Gärung an — ich han's alles genau in den Akten —, die sich verstärkte, als einige Jahre später der Abt Blasius III. unter Genehmigung der Regierung eine Verzeichnung der Ehen, Kinder, der Entlassenen, Urgroßahnen, Klosterluit und Unfreien zur Feststellung der Leibeigenschaftsgefälle in der Grafschaft Hauenstein vornehmen ließ. Und in dieser Zeit war's unser Hans Albiez zu Buch im Pfarrsprengel Birdorf, der Salpeterhannes, mit Schweizerblut von mütterlicher Seite in den Adern, der fest eingriff mit seiner Rede Gewalt, mit durchdringendem Verstand und trutzigem Sinn, mit Begeisterung für die zu Recht erkannte Sache. Hannes verkündete die Lehre, daß die Grafschaft nicht zu Österreich, sondern zum Deutschen Reich gehöre, daß sie frei, reichsunmittelbar sei, und dem Kaiser lediglich pro Kopf jährlich zwölf Kreuzer Schirmgeld zu zahlen habe. Auch Sankt Blasien habe kein Recht auf das Land, das wider der Hauensteiner Willen zu Wien an den Waldpropst verkauft worden sei. Und so kam's zum Krieg gegen die Machthaber, der größte Teil der Waldeinung schloß sich der gewaltigen Bruderschaft unter Albiez Führung zusammen. Bloß die ‚Halunken‘ thaten nicht mit, die feigen Schufte.“ „Wer seist?“ warf Sepli erstaunt ein. „Die Halunken, die zum Propst und zu Österreich hielten! Die Salpeterer aber verschworen sich, die fremden Fürsten abzuschaffen, die Steuern, Zinsen und Abgaben aufzuheben in der ganzen Grafschaft. Frei soll jeder Hotze sein, nur Gottes Wort soll allein richten über uns! Und Hans ging nach Wien zum Kaiser, unsere heilige Sache verfechtend; er redete tapfer für unser Recht und unsere Freiheit. Ihm glaubte der Kaiser und gab ihm einen Gnadenbrief, die Salpeterersache siegte.[4] Nur die Tröndle's thaten noch immer nicht mit, aber der neue Redmann und die Einungsmeister aus unseren Reihen besorgten ihnen das Nötige. Die Regierung zu Freiburg aber setzte ihre ganze Macht ein, den kaiserlichen Gnadenbrief[5] zu erlangen, ließ Albiez verhaften, im Gefängnis schmachten, wo ihn eine böse Krankheit von allen Leiden und aus seinem Martyrium erlöste. Seine Mahnung zu geeintem Widerstand hielten die Salpeterer heilig, fest standen sie gegen St. Blasien, dessen neuem Abt Franz Schechtelin die Huldigung ebenso tapfer verweigert ward, wie dem früheren Propst Blasius. Weg mußte die Leibeigenschaft! Mann für Mann stand auf, und auch die Weiber thaten mit! Lieber die Ehe ab, als hörig sein!“ „Ah, ah!“ stammelte Sepli. „Was seist?“ Unwillkürlich plappert der verwunderte Sepli heraus, daß sein Eheweib ihm heute morgen mit der gleichen Drohung zugesetzt und ihn dadurch veranlaßt habe, zu Petern zu gehen. Frohlockend prahlte Peter, daß solche Weiber die richtigen Bundesgenossen seien, vor schier hundert Jahren so gut wie heute. Handeln die Weiber auf dem Wald alle derart, so kann es nicht fehlen, und muß die alte Freiheit wiederkehren wie einst zur Zeit der Grafen Hans von Hauenstein! Peter gratuliert dem Sepli zu solch' tapferem Weib, um das Sepli zu beneiden wäre. Den Sepli fröstelt es bei solcher Rede, und am liebsten wär' er auf und davon. „I will dir aber weiter verzähle: was die Regierung auch befehlen mochte, es nützte nichts; fest stand der Bund, eitel war jegliches Patent, die Salpeterer rissen die Schriftstücke von den Kirchentüren und schonten nur des kaiserlichen Adlers. Wer in der Familie nicht zur heiligen Sache stand, wurde ausgestoßen. Man nennt das ‚purifiziere‘! Bei Nacht, an geweihten Orten, wurden Versammlungen abgehalten, immer mehr Anhänger scharten sich um die Waldfahne und um den neuen Führer Martin Thoma, den füürigen Müller am Haselbach. Er nahm zu Gurtweil und Hochsaal Anno 1727 den gesamten Salpeterern den Treuschwur ab und gab die Losung aus: Los von St. Blasien, los von Österreich! Und vor Weihnachten selbigen Jahres kamen die Sendboten von Wien zurück mit drei kaiserlichen Befehlen, wonach das Wort „leibeigen“ auf ewig abgethan sein soll, doch bestünden die Pflichten fort, und St. Blasiens Rechte müßten ungekränkt bleiben. Der Kaiser forderte: Man solle auf dem Wald Ruhe halten, dem Stift alle Gebühren zahlen und mit Handgelübde huldigen, auch den Sicherungsbrief[6] ausstellen; dagegen dürfe St. Blasien das Wort „leibeigen“ nie mehr gebrauchen. Und mit dem dritten Kaiserbrief wurde die Friburger Regierung aufgefordert, die verhafteten Achtmannen allsogleich auf freien Fuß zu setzen[7]. Sepli! Das muß herrlich gsi si! Und dem Abt muß der Schreck in alle Glieder g'fahre si, denn er zeterte und lehnte jegliches Handgelübde ab. Und gezittert werden die Halunken auch gehörig haben, denen es nun an den Kragen ging.[8] So mußte der Biber Hannes von Herrischried dran glauben, wie der Halunken-Redmann Tröndle von Niederalpfen....“ „Was ist diesen geschehen?“ fragt Sepli, dem der Angstschweiß auf der Stirne steht, dazwischen. „Den Biber Hannes, weisch, dem Großvater vom jetzigen Biber in Herrischried, hat man fast zu Tode „behandelt“; dem giftigen Tröndle nahm man die Pferde, ließ ihm den Weiher ab, fischte ihn aus, verstopfte seine Brunnen und nahm ihm den Mammon ab für die heilige Sache!“ „Das isch ja Raub!“ „Das verstehsch du nit, Sepli! Jeder Halunke isch Gegner und muß bekämpft were!“ „Ah, ah! Also bekämpft Ihr au mi?“ „Wenn du nit Salpeterer wirsch, schon!“ „I mag aber nit! I fercht' mi!“ Einlenkend sucht Peter den ruheliebenden furchtsamen Besucher zu beruhigen mit dem Hinweis, daß es ja heutzutage nicht mehr so scharf zugehe wie damals, und daß die jetzige Bruderschaft lediglich durch passiven Widerstand kämpfe. Heute sei auch nicht zu befürchten, daß wieder Soldaten auf Bauernkosten ins Land gelegt werden. „Soldaten seist?“ „Ja, weisch, damals waren die Salpeterer noch strammer, nit so landsem (langsam), man versteckte sich nicht hinem Lädemli (hinter dem kleinen Fensterladen) und schielte oebsch (etwa) nach den Husaren, man klopfte die Soldaten, besonders an jenem Pfingstdienstag[9] mit Füsi (Flinten), Spießen, Heugabeln und Prügeln.“ „Wer isch hernach 'prügelt wore?“ „Hm! Es isch bide Thile schlecht gange. Doch fercht' di nit, Sepli! Wir mache die Sach' annersch, wir führe nimme Krieg mit Waffen. Es goht au minem Papier!“ So sehr sich Peter bemüht, den Besucher für die Salpeterersache zu gewinnen, Sepli will nicht anbeißen, er macht Ausflüchte und schickt sich zum Gehen an. Ärgerlich begleitet Peter den Gast hinunter ins Erdgeschoß und sagt zu Sepli, er solle sich die Sache wenigstens noch einmal überlegen. Im selben Augenblick stolpert Jobbeli zur Hausthüre herein, erhitzt, verstört, blutbespritzt, so daß der Vater erschrocken fragt, was denn passiert sei. Der ängstliche Sepli steht wie angewurzelt, und Thrinele springt aus ihrer Stube herbei, zu fragen, was sich ereigne. Jobbeli will nicht mit der Sprache heraus und sucht sich davon zu drücken, doch der Vater besteht fest und scharf darauf, daß Jaköble beichte. Auch fragt der Vater, ob der Bursch Botschaft vom Hottinger über Riedmatter's Gang nach Basel habe. Jobbeli stottert heraus, daß er auf Hottinger nicht mehr warten konnte, weil er schleunigst flüchten müßte. „Hat 's en Chlapf gebe? Red', Jobbeli!“ Nun kann der Bursch nicht mehr entrinnen, er erzählt, seine Handlungsweise nach Kräften beschönigend, den Vorfall im „Ochsen“ zu Herrischried bis zu dem Stich in Michels Brust. Angstvoll hat Thrinele diesem Bericht gelauscht; wie Jobbeli aber erzählt, daß er — aus „Notwehr“ — den Michel niedergestochen habe, schreit Thrinele entsetzt auf und sinkt in die Kniee. Gleich darauf rafft sich das Maidli auf, packt ein Umhängtuch und stürmt hinaus in die abendliche Dämmerung. Ihr folgt nach kurzem Abschiedsgruß Sepli, der froh ist, das Haus hinter sich zu haben, und nun durch Schnee und Abendnebel heim geht zu seinem Salpetererweibe. Der Wirt aber zieht Jobbeli in die Wohnstube, um sich alles haarklein erzählen zu lassen und zu überlegen, was nun zu geschehen habe. Ein „Mordchlapf“ und eine Halunkenfamilie: ein übles Ding, das durch Wehrgeld kaum „abzuschaffen“ sein wird. Wenn es doch wenigstens Salpetererleute wären, da würde selbst bei einem Mordchlapf die Abschaffung[10] möglich sein. Aber so wird es seine Schwierigkeit haben, denn der Ätti des Gestochenen als Halunke, als Mitglied der Partei der „Ruhigen“, wird höchst wahrscheinlich nach dem Büttel schreien und zu Amt laufen. Und bald genug werden die Schergen den Bühl heraufkommen, um den Jobbeli zu holen. Drum wird es besser sein, wenn sich der Bursch bei Zeiten auf die Strümpfe und eine Wallfahrt nach Maria-Einsiedeln macht. Über der Schwyzer Grenze ist Jobbeli geborgen, doppelt gesichert, denn wie lang wird's dauern, dann möchten sie Jobbeli auch noch unter die Soldaten stecken. So giebt der schlaue Ätti dem Bürschli weisen Rat und hartes Geld, wie Jobbeli sich hinüber drücken soll in die freie Schweiz; doch der Bursch meint, so arg werde es doch nicht pressieren. Bis der alte Biber zum Amt nach Säckingen kommt und die Büttel wieder herauf zum Bühl werden leicht einige Tage vergehen. Lauft 's Bürschli dann über Rißwihl durch's Albthal hinunter zum Rhein, so kriegen die Büttel ihn sicher nicht. Der Alte glaubt zwar, eine sofortige Flucht wäre das Sicherste; da aber Jobbeli die eine Nacht wenigstens noch daheim verbringen und sich ordentlich ausschlafen möchte, so giebt der Ätti sich schließlich zufrieden. Dann aber fällt ihm bei, daß 's Maidli ja gleich nach der Ankunft des Jobbeli das Haus verlassen habe und wie toll davongerannt sei. Was das wohl zu bedeuten haben mag? 's Thrinele war ja ganz auseinander, wie Jobbeli verzählte vom Geräufe und dem Messerstich: „Dunderschiß! Sollte der Michel oebbe gar 's Maidli's Holderstock (Geliebter) sein! Dunderschiß, da soll doch der Dunder und 's Wetter Bide in Erdsboden abe verschlage! So en Verdruß!“ Jobbeli hat sein Lager aufgesucht, und auch Ätti löscht das Licht und begiebt sich zur Ruhe, hin und her überlegend, wie die böse Sache zu schlichten sei. Sein Haus darf Thrinele, die ungeratene Tochter, nimmer betreten; hat sie sich mit einem Halunken eingelassen, soll sie auch bei ihm bleiben. Lange meidet den sinnierenden Alten der wohlthätige Schlaf; doch endlich überkommt ihn der Schlummer, er träumt hinüber in die himmlische Grafschaft. * * * * * Still fallen draußen die Schneeflocken hernieder; es ist völlig windstill, totenruhig am einsamen Bühl und weit und breit kein Lebewesen. Doch aus dem Tann keucht eine dunkle Gestalt herauf, sich zeitweilig vergewissernd, daß niemand der frischen Fährte im Neuschnee folge. Der Mann nimmt die Richtung zum Wirtshaus und stapft quer über die Bühlhalde, hastig, als fürchte er just die letzte Strecke. Und endlich vor dem Hause stehend, wartet der nächtliche Wanderer nicht erst, bis der hochgehende Atem sich beruhigt, er klopft dreimal stark an die Thür und erneuert das Pochen, als alles still im Hause bleibt. Endlich regt sich etwas, ein schlürfender Schritt wird hörbar, und gedämpften Tones fragt der Wirt hinter der verriegelten Thüre, wer Einlaß fordere. „Im Namen der seligsten Jungfrau Maria, mach' uf!“ ruft der Mann. Jetzt öffnet Peter und läßt den nächtlichen Besucher ein und macht in der dumpfen Gaststube Licht, bei dessen Aufflackern der Wirt den Hottinger von Herrischried erkennt. „Bi Gott, du bisch selber! Was bringsch du? Hescht 'n Ägidi troffe am Rhi? Was seit er?“ Hottinger fordert zunächst Labung, ein christlich gemessenes Schöppli, und erst als der Wein vor ihm auf dem Tische steht und Hottinger sich durch einen tüchtigen Schluck gestärkt, vermeldet er flüsternden Tones die Botschaft, dass Ägidi richtig in Basel beim Advokaten gewesen sei und einen österreichischen Oberst[11] gesprochen habe. Unwillkürlich fährt Peterle auf, in höchster Spannung fragt er, was der Österreicher gesagt habe. Der Oberst habe — so fährt Hottinger fort — versichert, mit dem Österreichischwerden sei 's augenblicklich nichts, es ginge demnächst gegen die Franzosen, doch sei einstweilen der Accis aufgehoben.[12] „Was seist?“ „Jo, sell hat er gseit, der österreichische Obrist, und Ägidi hat gseit, ich soll dir's noch heut Nacht vermelde. Und wil der Jobbeli nit in Herrischried gsi isch, bin ich selber chome!“ Peter ist ganz Feuer und Flamme; die Kunde von der Accisaufhebung erregt ihn in hohem Maße. Er denkt nicht weiter über die Wahrscheinlichkeit der Meldung nach; die Kunde klingt wie Sphärenmusik, sie wird die Säumigen, die Ängstlichen aufrütteln und in die Arme der Bruderschaft führen. Die Salpeterersache wird aufs neue aufblühen. Den Accis wird man rundweg verweigern und Chriesi (kleine Waldkirche) brennen frei, ohne Steuer, und wenn's der Regierung nicht recht ist, soll sie's nur sagen, die Salpeterer werden ihren Mann stellen. In diesem Sinne spricht sich Peter aus und fragt sodann, ob Ägidi als Führer besondere Verhaltungsmaßregeln gegeben habe. Hottinger erzählt, daß Ägidi befohlen habe, es solle heimlich alles sich bewaffnen und die Kunde vertraut von Mund zu Mund getragen werden. Der Accis soll rundweg verweigert, der Accisor dort, wo er grob wird, hinausgeworfen werden. Es gelte diesmal ernstlichen Widerstand zu leisten. Die Bewaffneten werde Ägidi's Sohn, der Magnus führen, dem die Salpeterer gehorchen sollen. Weitere Kunde werde erfolgen, worauf losgeschlagen werden soll. Peter reibt sich vergnügt die Hände; nun wird die ersehnte Zeit des Dreinschlagens endlich anbrechen. Hottinger erhebt sich, hält vor der Thüre Auslueg, drückt dem Bundesgenossen stumm die Hand, und stapft den Bühl hinab durch die stille Winternacht. Peter holt noch in selber Stunde das alte Schrotgewehr aus dem Winkel hervor und macht es schußfertig. Er will jeden Augenblick bereit sein zum Kampf. Dann löscht er sorglich wie immer das Licht und legt sich nochmals zur Ruhe. * * * * * War das ein Jammer im Hause bei Bibers, als man den guten Michel totwund gestochen auf der Bahre brachte! Der alte Martin hatte behaglich auf der „Chauscht“ („Kunst“, die Ofenbank) gelegen und die Glieder am riesigen Kachelofen gewärmt, das ausgerauchte Tubakpfifli im Munde und seinen Gedanken nachhängend. Mütterchen saß am Fenster und ließ das Spinnrädchen surren, emsig arbeitend mit fleißiger Hand. Die schweren Männertritte im Flur ließen Mütterchen auffahren, erschrocken horchte sie, und auch Ätti zuckte zusammen: solcher Lärm ist etwas Unerhörtes im Biberhause. Und dann pochte es an der Stubenthüre, der „Ochsen“wirt schiebt den Kopf herein und flüstert, die Alten sollten nicht erschrecken, aber dem Michel sei etwas passieret. Mit einem gellenden Schrei namenloser Angst stürzt die Mutter auf den Wirt zu, der erschrocken zurückprallt, sie reißt die Thüre vollends auf, und unter Weherufen wirst sie sich auf den todesblassen, blutüberströmten Sohn, der ohnmächtig auf der Bahre liegt. Zitternd folgt ihr der alte Biber, dem die Kniee schlottern und die Pfeife aus dem Mund gefallen ist. Rasch faßt sich die Alte; hier thut Hilfe not. Auf ihr Geheiß wird Michel entkleidet und in sein Bett gebracht. Eine Dirn muß schleunigst zur Kräuterkäthe um Heilkräuter laufen. Mit bebender Hand legt Mütterchen einen neuen in Schnee getauchten Verband auf die Wunde, indes Biber sich vom „Ochsen“wirt den Hergang des Unglückes erzählen läßt. Gestochen, gemordet sein Bueb von einem Salpetererbueben! Unheil über Unheil kommt doch von diesen Leuten! Aber der Mordchlapf soll gerochen werden! Nicht durch neue Blutthat, doch das Gericht soll eingreifen. Der Wirt erbietet sich, einen Knecht zu Amt nach Säckingen zu schicken, auf daß Anzeige erstattet werde. Ob auch der Pfarrer geholt werden solle? Ätti will damit noch warten; so weit werde es hoffentlich doch noch nicht gefehlt sein. Kommt der Pfarrer mit dem Sterbsakrament in's Haus, so geht es Michel wirklich aus Leben. Lieber will der Alte den Kreuzvogel[13] in die Krankenstube stellen. „Hesch aber an en richtigen Kreuzvogel, Märte?“ fragt der Wirt. „Frili, er het en Schnabel uf de rechte Sit, das hilft vor Tod!“ „Gott gib's! B'hüet Gott derwil, Märte! Und wege 's Amt will ich 's schon besorge!“ Der „Ochsen“-wirt begiebt sich heim, und Ätti nimmt das Vogelbauer mit dem Kreuzschnabel und trägt es in Michels Stube, wo er den Sympathievogel aufs Fensterbrett stellt und dann leise Mütterchen fragt, wie es mit Michel stünde. Die Alte schüttelt den Kopf und horcht, das eine Ohr auf Michels Brust legend, ob das Herz noch schlägt. Und einzelne Tropfen aus ihren rotgeweinten Augen fallen auf das Linnen. Unten im Flötz werden abermals Schritte laut, und die Hausthüre fällt schwer ins Schloß; die alte Biberin winkt Ätti, er solle nachsehen. Vielleicht ist die Kräuterkäthi gekommen! Sie hofft es wenigstens und bedenkt im Augenblick nicht, daß diese noch gar nicht da sein kann. Ätti schleicht hinunter. Gedämpftes Stimmengewirr dringt in die stille Krankenstube; Mütterchen horcht auf das Gemurmel, doch vermag sie kein Wort zu erfassen. Wer wohl gekommen sein mag zu abendlicher Stunde? War das nicht ein Schluchzen, ein Ruf aus gequälter Menschenbrust? Unwillkürlich verläßt Muetti das Krankenbett und horcht zur Thüre hinaus. Seltsam, eine Weiberstimme! Und Ätti schilt, er will vom Maidli nichts wissen, er weist ihr die Thür! Und das fremde Maidli beschwört den Ätti, weinend, in Verzweiflung, sie zu Michel zu lassen, um ihn zu pflegen und zu warten. Muetti humpelt die Treppe hinunter, sie muß sehen und hören, was das zu bedeuten hat. Großer Gott, 's Thrinele vom toten Bühl ist's, die zur Nachtzeit gekommen ist und Krankenpflegerin bei Michel sein will! Woher das Maidli von dem Unglück weiß! Der Bruder, Jobbeli hat die Unthat eingestanden, und in ihrer Herzensangst ist's Thrinele auf und davon und durch Schnee und Nebel nach Herrischried gelaufen, weil es ihr das Herz abdrückt vor Angst und Schrecken. Das Herz abdrücken vor Angst! Wegen dem Michel. Der Alten dämmert etwas auf, das Maidli hat ein Herzensgeheimnis verraten vor Angst und Schrecken. Muetti fühlt Mitleid, doch Ätti will nichts vom Maidli wissen. Wär' nicht übel! Der Bruder bringt 'n Michel schier um, und die Schwester vom Mörder will als Pflegerin ins Haus! Und die ganze Sippe gehört zum Streitpeterle und ist salpeterisch! Nein, nein, Ätti will davon nichts wissen. In wilder Verzweiflung wirft sich Thrinele auf die Kniee und umklammert Muetti, laut schluchzend und bittend, und in bitterster Angst und Herzensnot gesteht 's Maidli, daß es den Michel liebt, treu, ehrlich und ehrsam und für ihn in den Tod gehen wolle. Und im Namen der barmherzigen Gottesmutter sollen die Alten erlauben, daß sie den Totwunden pflegt Tag und Nacht, bis Michel wieder gesundet. Dann wolle Thrinele gerne das Haus wieder lassen und niemand mehr belästigen. Muetti hat sich begütigend, gerührt zu Thrinele herabgebeugt und das Maidli dann zu sich heraufgezogen. Ihr ist so weich um's Herz. Noch ein Wesen, das den armen Michel liebt aus ganzer Seele. Und Ätti ist stumm geworden; sich abwendend wischt er sich eine Thräne aus dem Auge. Muetti nimmt Thrinele unter'm Arm und sagt. „So goh mit in Gottes Namen!“ Beide begeben sich in Michels Stube, wo Thrinele alsbald das Amt freiwilliger Krankenpflege übernimmt. Und seltsam! Kaum hat Thrinele die Stirn des Schwerverwundeten berührt, da hebt sich die Brust, das Leben kehrt zurück. Welch' ein Glück! Muetti läßt Thrinele nun beim Kranken und verkündet dem Ätti die frohe Kunde. „Wirsch sehe, Ätti, 's Maidli bringt uns den Michel durch und machet ihn wieder gesund!“ „Gott geb' 's!“ Und damit erteilt Ätti seine Zustimmung, Thrinele bleibt im Hause des Biberhannes. In später Nachtstunde kommt die Kräuterkäthi angehumpelt, doch Thrinele versichert, all' das Nötige von heilsamen Kräutern schon selber mitgebracht zu haben, und Michel habe auch schon den ersten Trank eingenommen. Ätti entlohnt die alte Käthi und überläßt die gesamte Pflege vertrauensvoll dem Thrinele, die still und doch geschäftig ihres Amtes waltet, dankbar und überglücklich, hoffnungsfreudig. Und Michel selbst ist wieder völlig bei Sinnen; wohl schmerzt die tiefe Stichwunde, doch scheint nichts Edles verletzt. Der Kräuterumschlag kühlt, und wohlig schmeckt der von Thrinele bereitete Trank. Über Thrineles Anwesenheit hocherfreut, möchte Michel gern sein Entzücken äußern, doch Maidlis kleine Händchen drücken den Patienten sanft und doch bestimmt wieder nieder, und das Reden wird Michel ganz und gar verboten. Sobald der Bueb noch ein Wörtchen spricht, werde Thrinele ihn verlassen und heimkehren. Diese Drohung wirkt, doch Michel liegt mit leuchtenden Augen im Bette, und seine Blicke verfolgen jede der zierlichen Bewegungen des heißgeliebten Maidli. Ab und zu kommt Muetti wohl nachsehen, und die ist überglücklich über die Besserung in Michels Zustand. * * * * * So winterstarr und still es ist am toten Bühl, so lebhaft geht es zu im Wirtshaus zum „dürren Ast“, wo eines Morgens die Amtsbüttel erschienen sind, um den Jobbeli zu holen. Ihnen hätte Streitpeter sicher einen warmen und eisernen Empfang aus seiner Flinte bereitet, wenn er nicht eben mit dem Accisor beschäftigt gewesen wäre, der die seit der Brennzeit fällige Branntweinsteuer einforderte und sehr energisch wurde, als Peter scheinheilig hoch und teuer sich verschwor, überhaupt nicht Schnaps gebraut zu haben. Beide stritten heiß und schwer, und Peter verweigerte rundweg jegliche Abgabe unter Androhung scharfen Papierprotestes. Doch der Accisor lachte darüber und spottete über den „Streitpeter“, den man demnächst Mores lehren werde. Der Hohn in dieser Ankündigung machte Peter stutzig, und unwillkürlich ruhiger werdend fragte er, was man denn just mit ihm vorhabe. Spöttisch lächelnd deutete der Beamte an, daß die Regierung auf Landeskosten den Streitpeter als Oppositionstypus in das Wachsfigurenkabinet aufnehmen werde. Peter stutzt, er versteht den Ausspruch nicht zu deuten und bittet sanfter, als es sonst seine Art ist, um eine Erklärung. Sein Gesicht in ernste Falten legend, sagt der Accisor: „Du kommst ins Wachskabinet als Müsterle für alle Wäldler, wie man sich um Haus und Hof und um den Kopf bringt aus starren Eigensinn und Prozeßwut!“ „Sell isch' mein Sach'!“ brüllt Peter, dem ein Licht im Hirnkasten aufgeht. „Und unsere Füsi werden euch flinke Bine mache!“ „Ah! So plant ihr, Rebellen! Nun, auch dafür kann man helfen!“ Derweil nun beide streiten, sind die Büttel ins Haus eingedrungen, und der gesuchte Jobbeli lief ihnen sozusagen in die Hände, als er, durch das Geräusch der in den Angeln quietschenden Thüre angelockt, nachsehen kam, wer als Gast vielleicht einen Trunk verlange. „Bisch du der Jobbeli?“ fragte der eine der Büttel, und wie der Bube bejahte, war er auch gefaßt und hatte die Hände auf den Rücken gebunden. Wohl zeterte Jobbeli und schrie nach dem Ätti, doch die Büttel drängten den Burschen hinaus und machten ihm durch kräftige Püffe flinke Beine. Auf das Geschrei hin kam Peter wohl nach vorne, doch war die Stube wie der Flur schon leer, und vor das Haus tretend, sah Peter gerade noch, wie sein Bueb in Gesellschaft zweier Bewaffneter in den Waldpfad einbog. Ein Wutschrei gellte durch das Haus. Überrumpelt! Zu spät gekommen! Der Bueb fortgeschleppt trotz schußfertig gehaltener Flinte! Peter ist völlig rasend! Er packt das Gewehr und stürmt hinaus. Doch kehrt er bald wieder um. Die Büttel haben zu viel Vorsprung, und daheim schnüffelt derweil der Accisor alles aus! Das wäre noch gefährlicher. Peter läuft ins Haus zurück, die Flinte schußbereit haltend, und fordert den Beamten auf, nunmehr schleunigst abzuziehen. Die Lage wird kritisch, doch der Accisor läßt sich nicht einschüchtern; er verlangt unter Androhung schwerer Strafe Bezahlung der Branntweinaccise. Peter brüllt vor Zorn und backt an. Jetzt weicht der Beamte und rettet sich durch eiligste Flucht. Peter aber drückt ab, donnernd kracht der Schuß, der ins Gesäß geschossene Accisor macht einen Luftsprung und stürzt vorne über in den glitzernden tiefen Schnee. Der Schuß alarmiert die Hochschürer, die bewaffnet herübereilen zum Ast-Wirtshause und vom Peter wissen wollen, ob es nunmehr losgehe gegen die Regierung. Höhnisch deutet Peter hinüber, wo der niedergeschossene Accisor liegt. Die Salpeterer stimmen ein Freudengeheul an; ist doch um einen Feind weniger. Der Wirt stachelt sie auf durch die weitere Mitteilung, daß die Büttel seinen Jobbeli fortgeschleppt hätten. Jetzt gelte es, scharf vorzugehen! Wer Waffen habe, solle sich ihm anschließen; er wolle nach Säckingen und seinen Bueben befreien. In jedem Walddorf solle geworben werden, auf daß die Schar der Salpeterer immer größer werde. Den Accisor aber solle man, wenn er auch bereits tot sei, zum mahnenden Exempel hängen, am Bühlkreuz aufhängen, damit die Regierung weiß, was ihren Leuten blüht im Hauensteiner freien Wald! „Mer hängenem!“ (Wir hängen ihn) brüllen die fanatischen Hochschürer und drängen ins Freie. Vor dem Hause warten sie, bis Peter die Thür abgeschlossen hat; dann brechen sie auf, johlend und gröhlend, und folgen der Accisorfährte im Schnee. Was ist das? Dort, wo der Mann offenbar gestürzt ist, deuten die Blutstropfen auf schwere Verletzung, der Schrothagel hat sein Ziel erreicht, der Schnee ist niedergedrückt und rot gefärbt, aber der Accisor ist nicht mehr da, verschwunden. Eine Rotfährte zieht hinab den Bühl: der Tote ist flüchtig gegangen. Abergläubisch bleiben einige der Salpeterer zurück; der Zug gegen den Tod dünkt ihnen unheimlich. Vergeblich hetzt Peter und stachelt sie auf. Sie gehen nicht weiter; Peter habe gesagt, der Accisor sei tot, mausetot geschossen, das Blut im Schnee deutet es richtig, und trotzdem ist der Tote verschwunden. Also geht die Sache nicht mit rechten Dingen zu, es hat der Leibhaftige seine Hand im Spiel, der Teufel hilft der Regierung! Die Hochschürer kehren um und laufen wie von Hunden gejagt heim. Nur Peter bleibt stehen, die feigen Kerle verfluchend, unschlüssig, was er nun beginnen solle. Allein kann er Jobbeli nicht befreien. Aber er kann zu Ägidi gehen und von ihm Beistand erbitten. Also stapft Peter über Rißwihl gen Kuchelbach. * * * * * Im Wald ist's schwarz geworden: verschwunden der glitzernde, leuchtende Schnee von Hang und Tann, schwarz der ungeheure dichte Forst, dunkelbraun die Wiesen und Matten, schmutziggelb drängen die Bergwasser durch die Schluchten und Thaler. Über die Schneewaldberge bläst der Föhn, und warmer Regen rieselt hernieder, stetig, ausdauernd, schneeverzehrend. Die Kälte hat sich über Nacht gebrochen, es taut allerorten trotz Winterszeit; die engen Dorfgassen gleichen großen Pfützen, die langen Eiszapfen an den Dachrinnen beginnen zu tropfen und fallen dann knisternd in sich zusammen. Verschwunden der Schnee von den Strohdächern, in sich zerfallen die weißen Hauben auf den Steigrohren der Brunnen. Überall sickerndes Schmelzwasser, ein Tröpfeln, ein Träufeln und Spritzen, wenn der Regen in langen Strichen auf die Gassen und Pfützen schlägt und Wasserfäulchen aufzieht. Auch im Wald zischt und brodelt es; das warme Himmelsnaß schlägt klatschend hernieder von Ort zu Ort, die schneeige Bürde zerreißend, durchfressend; Kruste um Kruste fällt geborsten, und gierig nagt das Meteorwasser an den Eisflächen und Wehstellen. Dazu rauscht es schaurig im befreiten Tann, der Föhn streicht über die Wipfel, ein Stöhnen, ein Seufzen, bald ein Brausen und Wirbeln fortgeführten und welken Laubes, das regenschwer tiefer fällt und sich in geschützteren Lagen völlig senkt, um weiter zu modern. Es dunstet der Tann, die vom Riesenpanzer befreite Erde strömt ihren scharfen erquickenden Duft aus, ein Atmen der Natur, eine Vorahnung des weit, weit in Ferne stehenden Wald- und Bergfrühlings. Und immer neue Regenschauer bringt der scharfe Föhn herein in den Hauensteiner Wald, Bäche schwellend, Wiesen überschwemmend. Schon zischen die Wässer die Wege entlang, und selbst das Sträßlein ist von den braunen Wellchen benagt, auf dem gleich schwarzen Gespenstern mehrere Männer in Uniformmänteln nach Herrischried schreiten, fluchend über das schandbare Unwetter und die früh hereingebrochene Nacht. Finster ist's, daß man die Hand vor Augen nicht sieht, und der Fuß sich weitertasten muß auf dem quitschigen Sträßlein. Allmählich wird indes der Regen dünner, er verliert sich zu einem feinen Wasserstaubrieseln und hört endlich ganz auf; nur der Föhn peitscht den Tann und rüttelt an den Dächern und Fensterläden in den Dörfern und Siedelungen. Es ist die Militärassentkommission, die Rekruten ausheben und zwangsweise einreihen will, nachdem auf alle bisherigen Einberufungen sich kein Hauensteiner gestellt hat. Der Kommission folgt in größerer Entfernung ein Trupp Hartschiere zur Bedeckung für alle Fälle, da den Salpeterern nicht zu trauen ist und selbe wahrscheinlich ganz aus dem Häuschen geraten werden, wenn man ihnen die Söhne wegnimmt. Der Major und Führer der Kommission ist in dieser pechschwarzen Finsternis unsicher geworden über die Gegend, in der man sich befindet. Nach seiner Schätzung muß nun doch wohl bald das Seitenthälchen kommen, in welchem der Hauptort des Hotzenlandes liegt, und wo morgen geamtet werden solle mit Waffengewalt, so letztere notwendig werden sollte. Wo der Führer stecke, fragt der Major stehenbleibend. „Der Führer vor!“ wird von Mund zu Mund gerufen, doch der Bursche, den man unterwegs gedungen, ist verschwunden. Der Kommandant flucht und wettert: das hat ihnen wahrlich noch gefehlt. Doch was ist das? Drüben auf einer Berghöhe flammt ein mächtiges Feuer auf, grell zum schwarzverhangenen Himmel lodernd. Und bald darauf wieder eins, von Bühl zu Bühl flammt es schaurig in rotem Scheine, und vom Föhn getrieben stieben die Funken auf, weithin den dunklen Tann und die Matten beleuchtend. „Wenn das nur nicht uns gilt!“ meint einer der Herren, der in den Bergfeuern Alarmzeichen vermutet. Auch der Major neigt dieser Anschauung zu und drängt nun zur Eile, auf daß Herrischried sobald als möglich erreicht werde. So wird denn die mühsame Wanderung fortgesetzt durch Nacht und Wind, bis endlich das Thälchen mündet, in das eingebogen wird. Bis vor die ersten Häuschen stapfen die ermüdeten Herren, ohne die unmittelbare Nähe des Dorfes zu gewahren. Jegliches Licht ist erloschen, schwarz ragen die Mauern und Holzhütten in die gähnende Nacht auf. Endlich findet die Kommission das Wirtshaus zum „Ochsen“, gleichfalls finster, lichtlos. Man klopft den Wirt heraus nach langem Bemühen, und nun beginnt ein Parlamentieren. Der Kommandant fordert Quartier für die Kommission, auch müsse der Bürgermeister geholt und Unterkunft für den Trupp Hartschiere geschaffen werden. Vom Fenster des oberen Stockwerkes erklärt der „Ochsen“wirt es für unmöglich, die Herren aufzunehmen. „Tod und Teufel! Warum nicht?“ wettert der Kommandant. „Hent ihr nit die Flammenziche bemerkt?“ „Was kümmert das uns! Aufgemacht, oder ich lasse Euch die Thür mit Kolben einschlagen!“ „Ich kann nit, Herr!“ ruft der Wirt und schlägt klirrend das Fenster zu. Ratlos stehen die Herren. Wenn doch nur die Hartschiere da wären! Ihre Bajonette würden gleich Wandel schaffen. Was huschen denn da um das Dorf so seltsame Gestalten? Bald nahe, bald sich entfernend, wie wenn etwas ausspekuliert werden sollte. Und plötzlich flammt eine Heuhütte auf, grausigen Schein über das Dorf werfend. „Füür!“ tönen wilde Rufe, Gewehre knattern, in dichten Scharen drängen unheimliche Männer, vermummt, geschwärzt im Gesicht, heran und eine mächtige Stimme gebietet: „Sie sind's! Im Namen der heiligen Jungfrau, nehm' jeder seinen Mann, und fort mit ihnen! Druf!“ Schreiend werfen sich die Salpeterer auf die Kommissionsherren, die wohl mit gezückten Degen sich wehren, aber doch rasch überwältigt, gebunden und fortgeschleppt werden. Und ein anderer Trupp der fanatischen Menge zieht beim Scheine des gierig aufzüngelnden Feuers vor die Häuser der „Halunken“, deren Inwohner vor das Strafgericht fordernd. Bald flammt es wieder auf, ein Halunkenhaus ist in Brand gesteckt worden, jammernd und heulend flüchten die Gepeinigten heraus, die wilde Bande raubt, was zu erwischen ist, johlend und gröhlend. Und jetzt zieht die tolle Schar vor das Biberhaus, des Erzhalunken, der niemals mitgethan und stets auf Seite der „Ruhigen“ gestanden. „Bibermärte rus!“ heult die Menge, wirst mit Steinen die Fenster ein und stößt mit Dreschflegeln nach der Thür. Schon schlagen einige mit Stein, Messer und Schwamm Funken, um auch diesem Haus den roten Hahn aufs Dach zu setzen; da taucht an einem Fenster des oberen Stockwerkes ein Mädchenkopf auf, grell vom Feuerschein beleuchtet, und scharf ruft Thrinele: „Haltet in, im Namen der heiligen Mutter Gottes!“ Überrascht, verblüfft schauen die Salpeterer empor; einzelne Bühler erkennen in dem mutigen Mädchen die Tochter ihres Vertrauensmannes Peter Gottstein und rufen: „'s isch by Gott s' Thrinele, e Salpetererchind!“ Wie das Maidli vom toten Bühl in das Halunkenhaus kommt, das fährt den Leuten wohl durch den Kopf, aber es ist jetzt keine Zeit zu langen Fragen. Auch lenkt der Ruf eines Wachpostens: „D' Hartschiere chomen!“ die Aufmerksamkeit von Thrinele ab, und aller Augen richten sich zur Thalmündung. Manche Burschen und Bauern zeigen Lust, sich zu drücken; sie wollen es doch lieber nicht auf einen regelrechten Kampf ankommen lassen. Doch da stürmt ein Weib heran, grell beleuchtet von den gierig zum nächtlichen Himmel schlagenden Flammen, die Vroni ist es, die ihren Mann hinter sich herzerrend zur Salpetererschar stößt, um in ihrer fanatischen Begeisterung mitzukämpfen gegen die Unterdrücker und Tyrannen. Mit gellender Stimme ruft das exaltierte Weib: „Druf, druf, schlagt sie tot, die Soldatenknechte! Lengt mer her e Füsi un für'n Sepli au öbbes ze schlage! Druf! Druf!“ Und da sind sie schon, die Hartschiere als Bedeckungsmannschaft der gebunden in den Gassen liegenden Kommission. Der Trupp rückt bei Feuerschein im Laufschritt an, und unheimlich blitzen ihre Bajonette. Einige Salpeterer schießen, doch gehen die Kugeln pfeifend über die Köpfe weg. Nun wird's Ernst, die Hartschiere verstehen keinen Spaß, ein Kommando ertönt: „Feuer!“ Weherufe werden laut, einige Salpeterer stürzen zu Boden, wimmernd und stöhnend, der große Haufen aber stiebt hinweg in rasender Flucht und verschwindet im Dunkel der Nacht. Die Soldaten aber durchsuchen nun die Gassen des Dorfes, binden die Offiziere los und pochen den „Ochsen“wirt heraus, der jetzt bereitwillig sein Haus öffnet und mit seinem rasch zur Stelle geschafften Gesinde die militärischen Gäste bedient. Dem Bürgermeister werden die Verwundeten übergeben und die „ruhigen“ Dörfler müssen Hilfe leisten. Das Dorf wird von Wachen umstellt wie im Kriege und für den Rest der Nacht die Ronde abgehalten. Scharf geht der Kommandant mit dem „Ochsen“wirt ins Gericht, dem sein feiges Verhalten vorgehalten wird. Demütig sucht dieser sich zu entschuldigen; er habe nicht anders gekonnt, wenn er in Kenntnis von dem beabsichtigten Überfall der Salpeterer sein Hab und Gut schützen wollte. Hätte er die Herren eingelassen, so wäre ihm sicher das Haus überm Kopf angezündet worden. Doch der erboste Kommandeur läßt dies nicht gelten, grimmig belegt er den Wirt mit kriegsgemäßer Kontribution: Verpflegung und Beherbergung von Stab und Mannschaft ohne Entgelt, für die Dauer der Rekrutierung. Wie der „Ochsen“wirt sich windet, wie er jammert und winselt! Aber es nützt nichts. Auf Befehl muß Wein in Fässern aus dem Keller heraufgeschafft und auf den Dorfplatz getragen werden, wo die Hartschiere biwackieren und vergnügt die süffige Kontribution in Empfang nehmen. Und die Rauchkammer wird ihres Inhaltes entleert, Rauchfleisch und Schinken verschwindet geschwind für immer. Und all das Fluchen nützt dem Wirt gar nichts. Er hat sich bös verrechnet mit seinem Kalkül. Hol' der Satan die Salpeterei! Im Hause des Bibermärte ist's nach der Flucht der Salpeterer ruhig geworden; die Gefahr ist vorüber. Die Alten fürchten zwar noch, daß sich auch die Soldaten bemerkbar machen werden und bleiben daher auf der „Kunst“ hocken, horchend und wartend. Dem Ätti ist die Rauchlust vergangen und Muetterli läßt die sonst so arbeitsfrohen Hände in den Schoß sinken. Leise knistert das Licht, und emsig tickt die Uhr in der Ecke. Oben aber in Michels Stube wartet Thrinele des langsam Genesenden, dem sie leise erzählt von dem Vorgang im Dorfe. Wie Michels Feueraugen glühen! Schade, daß er unthätig zu Bette liegen muß; gesund und heil hätte er den Salpeterern auf die Köpfe geschossen, daß es eine Art gewesen wäre. Thrinele beschwichtigt Michel und mahnt ihn, wieder weiter zu schlummern. Aber Michel findet die nötige Ruhe nicht mehr, es hämmern die Schläfen, und wild tobt das Blut in den Adern. Der Vorfall hat ihn erregt, die Wunde beginnt aufs neue zu schmerzen. Sanft drückt Thrinele den Fiebernden in die Kissen und legt ihr Händchen auf seine glühende Stirn. Das beruhigt den Kranken sichtlich, noch mehr aber das süße Geflüster des geliebten Mädchens. „Liebsch mi no, Thrinele?“ fragt leise der stillliegende Michel. Und 's Maidli flüstert unter holdem Erröten: „Bis in den Tod, Michel!“ „Weisch noch, Thrinele, wich ich 's erstemol chomen bin zu „Kilt“ und han di 'beten um di Herzli!?“ Wieder nickt Thrinele mit dem Chöpfli und sagt dann: „Ich han dir 's aber verbote!“ „Ja sell isch wahr by Gott! Un mir war 's, als isch d' Sunne g'storbe!“ „Es ha so si müsse, Michel! Doch mußt nit so viel rede!“ „So red' du, Thrinele! O wie chlopft mir mi Herz! Lueg, Thrinele! Weisch wie ma seit: 'ne Chuß in Ehre, wer will 's verwehre? Chüßt 's Blümeli nit si Schwesterli? Gi mir ne Chuß, i wer na schon gesunde!“ Und treuherzig bietet 's Maidli die kirschroten Lippen dem kranken Michel dar und drückt ihn dann wieder in die Kissen. * * * * * Die Nacht ist vorübergegangen; der Föhn hat gegen Morgen nachgelassen, es ist ruhig im Wald geworden. Noch tropft es im Tann, und die Wässerlein sickern zu Thale. Schwerer Dunst liegt über den Bergen, und im Thalgrunde wogt der Nebel, grau in grau. Auf dem Dorfplatze schlummern in ihre Mäntel gehüllt die Hartschiere am erloschenen Biwakfeuer; in Pyramiden zusammengestellt stehen die Gewehre, bewacht von den Posten. Und einsam stehen statuengleich um's Dorf die Wachen. Einzelne Hähne krähen den jungen nebligen Morgen an, das Hühnervolk weckend. Im „roten Ochsen“ regt's sich, eine Ordonnanz mit dem Trompeter verläßt das Haus, und gleich darauf schmettert der Alarmruf hell durch's Dorf. Flink springen die Hartschiere auf und greifen nach den Waffen; die Dörfler gucken verschlafen aus den Fenstern, es wird lebendig allenthalben in Herrischried. Die Offiziere eilen zur Truppe, den Wirt unwillig zur Seite stoßend, der noch in den Kleidern von gestern steckend, sich nach der Alarmursache erkundigen will. Und da ist auch schon der Major, grimmig und verdrossen. „Holt den Bürgermeister!“ befiehlt er und schreitet stolz zum Dorfplatze, wo die Hartschiere marschbereit stehen. Bald ist der Bürgermeister da, der nun Leute als Führer beschaffen soll zur zwangsweisen Herbeiführung der Rekruten. Unter tiefen Bücklingen versichert der Dorfchef: Wer zu den „Halunken“ gehöre, werde selber kommen; die Rekrutenaushebung sei allenthalben bekannt gemacht. Von den Salpeterern aber werde nicht einer kommen! „Dann holen wir die Kerle!“ „Mit Verlaub! Da isch nüt ze hole! Die Büebli sin alle marsch us, fort! Die heutige Nacht hat's bewiese!“ „Tod und Teufel, dann sind wir vergebens heraufgekommen!“ flucht der Major. „Doch nit, Ew. Gnaden! Von den Halunkenbueben wird jeder chome und sin Pflicht genüge!“ „Wer wird kommen?“ „Die Buebe von den Halunken!“ Verwundert beguckt der Major den Ortsvorsteher, ihm klingt es nahezu spanisch, daß die Halunken sich fügen und Soldaten werden wollen, während die anderen flüchtig gegangen sind. Der landkundige Zivilkommissär giebt indes die nötige Aufklärung, worauf der Kommandeur die Mannschaft wieder austreten und ihr vom „Ochsen“wirt die Morgensuppe reichen läßt. Gegen neun Uhr soll das Aushebungsgeschäft beginnen. Neugierig ob der kommenden Dinge stehen die Hartschiere umher, und von Luken und Fenstern gaffen die Dorfdirnen herunter. Selbst auf die Gasse herunterzukommen, wagen sie nicht, denn sie fürchten die rauhen Soldaten. In einer Stube des Wirtshauses harrt die Kommission der männlichen Dorfjugend und der Burschen aus den Einöden des hintersten Waldes. Allmählich trottet einer, zwei davon an, zaghaft, scheu und tief das Hüetli lüpfend vor den Hartschieren, die den Weg weisen zur gefürchteten Kommission. „Behalten“ wird natürlich jeder, so er nicht Krüppel ist, denn die stürmische Zeit verlangt möglichst viel Kanonenfutter. Noch riesig lang ist der Zettel mit den Namen der auszuhebenden Burschen, und grimmig überfliegt der Major immer wieder die Namen der Fehlenden. Eine Bewegung unter den Herren ist wahrnehmbar, aller Augen sind auf die Thür gerichtet, durch die mit tiefen Bücklingen der alte Biber tritt. Die Leutnants flüstern sich Witzworte über den „alten Rekruten“ zu, gespannt blickt der Major auf den Alten und fragt ihn dann barsch, was dessen Erscheinen vor der Kommission zu bedeuten habe. Der Alte zuckt erschrocken zusammen und stammelt dann, um Verlaub bittend, daß er an Stelle seines Bueben komme, der krank, von einem Salpeterer gestochen, zu Hause liege und daher nicht erscheinen könne. Wenn der Herr General aber wissen lassen thäte, wohin nach erfolgter Genesung der Bueb kommen solle, werde der Michel sicherlich sich stellen, freiwillig kommen, wasmaßen die Biberischen „Halunken“ seien und zur Ordnungspartei auf dem Walde gehören. Der Major kann sich einer gewissen Rührung kaum erwehren, und weich gestimmt, sagt er: „Es giebt doch seltsame „Halunken“! Ihr „Halunken“ oben im Walde seid ordentliche Leute, und die andern sind die rechten Halunken. Rein die verkehrte Welt! Aber wir brauchen Soldaten, wir können auf Euren Michel nicht verzichten. Geb Er, Biber, also dem Schreiber das Nähere an; sobald Euer Michel gesund ist, soll er sich beim Platzkommando in Freiburg stellen. Nun b'hüet Gott, Alter, Er ist ein wackerer Mann! Und für Euren Bueben will ich selber sorgen!“ Leutselig reicht der Major dem Wäldler die Hand und entläßt ihn mit dem Wunsch für baldige Besserung des Michels. Stunde um Stunde vergeht, es kommt niemand mehr. Die paar Burschen der Ordnungspartei von Herrischried, Engelschwand und Rütte und aus einigen Einöden sind „verassentiert“ und ausgehoben, die Salpeterer aber fern geblieben und offenbar flüchtig gegangen. Der Major sieht allmählich ein, daß der Bürgermeister richtig prophezeite. Indes soll doch noch eine kleine Streifung in Salpetererwohnsitze unternommen werden; vielleicht haben sich welche von den Auszuhebenden versteckt. Es geht also eine Patrouille, von einem älteren Leutnant befehligt, ab. Mittlerweile machen die Kommissionsherren es sich an der Mittagstafel bequem, die der arme „Ochsen“wirt abermals kontributionsgemäß kostenlos stellen muß. Die Hartschiere besetzen die gewöhnliche Gaststube und nehmen dort ihre Atzung ein, die Chüngi mit dem Fleischerknecht herbeischleppt. Der Wirt selbst zäpflet am Weinfaß und berechnet den Schaden aus der heillosen Geschichte, die er so pfiffig angepackt glaubte. Hol' der Kuckuck das vorsichtige Neutralsein! Was hat er jetzt davon, daß er zwischen Speicher und Dachsparren stand und zu keiner Partei hielt! Als „Sparrengücksler“ ist er erst recht unter die Wägen gekommen. Für die Salpeterer hatte er Heißwasser bereitgehalten zum „Gottwilche“, wenn sie gekommen wären, ihm das Thor einzuschlagen, und die Offiziere hat er abgewiesen, ihnen die Einkehr verweigert. Wahrscheinlich hätte die Kommission ohne Widerstand alles bei Heller und Pfennig bezahlt, und jetzt kriegt der „Ochsen“wirt keinen Chrützer! Die Patrouille ist resultatlos zurückgekehrt, die Einödhöfe sind leer bis auf die Wybervolk und weniges Greise. Die Männer und Burschen, alles Salpeterer, sind fort über die Waldberge. Näheres war aus den Weibern nicht herauszubringen. Dem Major dünkt weiteres Verweilen zwecklos, er läßt zum Sammeln blasen und rückt mit seiner Mannschaft ab über Todtmoos, um über Todtnau gen Freiburg zu marschieren. Wie der Wirt den letzten Hartschierfrack von rückwärts erblickt, macht er einen Luftsprung vor Freude, denn er hat längere Einquartierung befürchtet. * * * * * Die Höhenfeuer der verwichenen Nacht haben ihre besondere Bedeutung gehabt; es waren Alarmzeichen, die Ägidis Befehl an die gesamten Salpeterer übermittelten, in Eilmärschen bewaffnet ins Albthal zu ziehen und sich bei Kuchelbach zu sammeln. Durch vertraute Männer war die Kunde von Dorf zu Dorf, von Weiler zu Weiler bis in die entlegensten Einödhöfe getragen worden mit dem Beifügen, daß die Rekrutierungskommissionen dort, wo sie in geringer Bedeckung sich befänden, unschädlich gemacht werden sollten. Und wie das erste Feuer emporflammte, steckten die Auslueger ihre Stöße in Brand, von Bühl zu Bühl lohte es auf, und in wenigen Stunden riefen die Flammenzeichen durch die ganze Grafschaft die Salpeterer zu den Waffen. Mann für Mann, die Burschen im Rekrutenalter, Weiber und Mädchen, zogen aus in selbiger Nacht über Berg und Thal, durch den ungeheuren Tann mit Fackeln und Mordinstrumenten. Wer sich unterwegs sträubte mitzugehen, ward niedergeschlagen, Halunkenhäuser wurden wenigstens in Bezug auf Proviant ausgeraubt, und die Schnapsflaschen gingen von Mund zu Mund, die immer anschwellende Schar völlig trunken machend, so daß die Wälder von Geschrei und Gejohle widerhallten. Krähten an einsamen Waldhöfen die Göckel und gackerten Hennen, grunzten Schweine: flugs begann die wilde Jagd und mit brüllendem Halloh ward die Beute mitgeschleppt, so der Höfler zu Hause war und damit bekundete, daß er zur Halunkenpartei gehört. Jeder echte Salpeterer muß sich ja nach dem nächtlichen Alarmsignal auf der Wanderung nach Kuchelbach befinden! Wer zu Hause bleibt, ist ein Halunke! Es gilt die Freiheit der Grafschaft, es gilt den Glauben! Wie sonst die Bevölkerung der Hauensteiner Gemarkung am Allerseelensonntag von den Berghalden herabsteigt und frommen Sinnes zum Dörflein pilgert, um die Gräber der Verstorbenen zu schmücken und mit brennenden Kerzen unter Glockengeläute laut betend in feierlicher Prozession die Raststätten ewiger Ruhe zu umgehen: diesmal wallen die Scharen erregt, gröhlend, aus dem Tann herab gen Kuchelbach, dem Rufe zum Aufstand folgend. Der Friedhof des Dorfes ist der Sammelpunkt, und in der Kirche soll Gottes Segen erfleht werden für den Kampf ums heilige alte Recht. Die Glocken wimmern im frischen Morgen; Riedmatter, der Führer der weitverzweigten Bruderschaft, hat das Sturmgeläute befohlen und den protestierenden Pfarrer einfach im Pfarrhofe gefangen gesetzt und bewachen lassen. Wer gegen den Führer ist im Denken und Handeln, ist Halunke, auch der Pfarrer, auf den sonst der Hauensteiner viel hält, so dieser nicht neumodisch sich der Fremdherrschaft beugt und der Obrigkeit zu Willen ist. Es wimmelt auf den Halden, in dichten Scharen ziehen die fanatisch erregten Menschen herab, Kreuze tragend, bewaffnet bis an die Zähne mit altem Geraffel, Sensen, Gewehren, Dreschflegeln, Sicheln und Prügeln. Weithin ist das Gekreisch der trunkenen Weiber, das Gejohle der Männer hörbar; das Sturmgeläute stachelt zur Sinnlosigkeit auf. Der Friedhof zu Kuchelbach gleicht einem Kriegslager; die Salpeterer des Dorfes haben zwischen den Gräbern ihr Hauptquartier aufgeschlagen; es sollen auch die Toten ihren Anteil am Befreiungskriege haben! Waffen aller Art liegen wirr durcheinander auf den Grabhügeln, und außerhalb der Kirchhofsmauern sind fliegende Schänken errichten, in denen geraubter Halunkenwein für die „Brüder“ verzapft wird. Auf einem improvisierten Podium, mit Totenschädeln aus dem Beinhaus garniert, thront Ägidius Riedmatter, von bäuerliche Adjutanten umgeben. Der alte Mann hat einen ungeheuren Husarensäbel umgeschnallt, und seine Hotzenmütze trägt einen Gardistenfederbusch in österreichischen Farben zum Zeichen seiner Generalswürde. Mit Genugthuung sieht Riedmatter, dem das Machtgefühl zu Kopf gestiegen, auf die heranwallenden Scharen, die seine „Armee“ rasch verstärken. Auf solch' großen Zuzug hat der „Feldherr“ selbst nicht gerechnet. Wie die vielhundertköpfigen Scharen verköstigt und für die Nacht untergebracht werden sollen, kümmert Ägidi in seinem Hoheitsgefühle wenig. Was den Halunken in Kuchelbach, Unteralpfen und Birndorf abzunehmen war aus Rauchkammern und Kellern, ist im Requisitionswege genommen und ins Hauptquartier geschleppt worden. Das Weitere wird sich wohl finden, im Notfalle können die Scharen in der Kirche übernachten. Krieg und Not kennt kein Gebot. Wer weiß, wann es schon zum Angriff geht; je eher, desto besser, denn die versammelten Salpeterer sind voll guter Hoffnung und voll des Weines, der Begeisterung schafft. In solcher Stimmung kämpfen die Leute besser als abgehetzt und mit leerem Magen. Drum läßt Ägidi immer neue Fässer anzapfen; sie sollen toll werden, bis die Husaren und Panduren von Waldshut anrücken. Die „Adjutanten“ empfangen jeden neuen Trupp und geleiten die gröhlenden Leute vor den „Thron“ des „Feldherrn“ zur Huldigung. Riedmatter steht mit hocherhobenem Säbel auf dem Podium und läßt sich umjauchzen. Dann winkt er, Ruhe heischend, und befiehlt: „Hut ab und Mützen 'runter! Ich will reden!“ Allmählich wird es still im Kirchhof und dessen nächster Umgebung. Riedmatter reckt sich und wirft sich in die Brust. Dann hebt er an: „Gottwilche! Seid gegrüßt im Namen der heiligen Mutter Gottes! Und seid bedankt für euer Kommen! Es gilt jetzt einen Hauptschlag! Mit kleinen Mitteln haben wir uns bishero gewehret gegen Bedrückung jeglicher Art, gegen Zehent und Steuern und neumodische Verordnungen, die im Widerspruch stehen gegen alte Brief, Privilegy und Handfesten von unserem Grafen Hans von Hauenstein. Wie mir gemeldet, wollen sie uns jetzt die Blutsteuer auferlegen, unsere Söhne nehmen und zu Soldaten machen. Und weil auf meinen Befehl die Rekrutenkommissionen überall im Walde verjagt sind, wird man uns wohl Panduren, Kroaten und Husaren auf den Leib schicken, um uns zu zähmen und zu bändigen. Es soll ihnen aber by Gott übel bekommen. Denn fest geschlossen ist unser Bund, heilig unsere Sache! Ich sage es, und das genügt! So lange auch nur _drei_ Salpeterer zusammenhalten,[14] werden wir obsiegen, denn unsere Sache ist gerecht. Dafür ein Beispiel: Ein Halunke hat den Anspruch gethan: wenn die Salpeterer recht hätten, so wolle er den priesterlichen Segen nicht mehr empfangen. Und gestern begegnete der Mann zwischen Waldshut und Oberalpfen einem Kaplan, der ihm an einem Kreuz den Segen gab. Da ist der Halunke plötzlich tot niedergefallen. Also ist unsere Sache gerecht, vom Himmel, von Gott gesegnet! Des Himmels und des Papstes Beistand ist uns sicher! Und wir gehen freudig und mutig in den Kampf für Gott, den Glauben und unser Recht! Die Freiheit über alles! Schwöret mir anjetzo Treu' und Gehorsam, Tapferkeit vor dem Feinde! Schwöret!“ Mit erhobenen Armen und ausgespreitzten Fingern leisten die Scharen den verlangten Schwur, es kreischen die Weiber, es gröhlen die Männer und Jünglinge. Nur der Sepli von Herrischried, den seine Vroni zum Mitmarschieren gezwungen, rührt sich nicht, und er erhebt die Hand auch nicht, als sein fanatisches Weib ihm Rippenstoß über Rippenstoß verabreicht, und ihm abermals mit Eheabbruch droht. Im wirren Tumult beachtet niemand diese eheliche Streitscene; um die fehlende Schwurhand zu ersetzen, hebt Vroni ihre beiden Hände empor und schwört doppelt, gleichzeitig aber den bockbeinigen Gatten mit Fußtritten traktierend. Nach geleistetem Schwur drängt alles, rücksichtslos über die Gräber steigend, Kreuze achtlos brechend, hinaus zu den Weinfässern, die mit Gebrüll und Gejohle gestürmt werden wie die Berge von Rauchfleisch und Schinken. Eingekeilt in die Menge, wird auch der ruhige Sepli mit seiner Vroni hinausgeschoben. Kaum spürt Sepli etwas Freiheit, so trifft er Anstalt, sich zu drücken; ihm ist der ganze lächerliche und ebenso gefährliche Rummel in die Seele hinein zuwider. Er erkennt, daß die trunkenen Leute, ohne es zu ahnen, um ihr Leben spielen und vor dem Tode stehen, und drum will er sich für seine Person rechtzeitig in Sicherheit bringen, denn sind die Panduren einmal da, so wird einfach geschossen und nicht lange gefragt, ob einer Halunke oder Salpeterer sei. Mitgefangen, miterschossen, heißt es da. Vroni scheint zu ahnen, was Sepli beabsichtigt, und mit einem festen Griff packt sie den Ausreißer am Rockkragen und zerrt ihn mitten in die wilderregte Menge. Riedmatter sitzt noch immer gebieterisch auf seinem Thron und spricht einem dickbauchigen Weinkrug fleißig zu. Er will sich Mut antrinken. Da kommt kreidebleich ein Adjutant heran und stottert: „Die Kroaten kommen!“ Riedmatter das hören, den Säbel und die Mütze wegwerfen, mit einem Sprung vom Podium herabsetzend und wie rasend flüchtend, ist eins! Und wie besessen, zeternd, kreischend, um Hilfe schreiend eilen die Nächststehenden nach, indes von den jüngeren Burschen mehr aus Übermut und Ulk Schüsse abgefeuert werden. Und das ist zum Unglück, denn die im Laufschritt herankommenden Panduren glauben, die Schüsse der Rebellen haben ihnen gegolten und feuern nun in das zurückgebliebene Menschenhäuflein. Eine Kugel trifft den armen Sepli, der mit dem Rücken gegen die Panduren stehend, die Gefahr nicht wahrgenommen hatte und sich nicht mehr rechtzeitig retten konnte. Aufschreiend stürzt Sepli vornüber zu Boden mit durchschossener Brust. Sein Weib hat sich gleich hinter Riedmatter in Sicherheit gebracht. Drei, vier Salpeterer sinken gleichfalls tödlich verwundet nieder; alles andere ist flüchtig davon. Wie besäet ist der Platz am Kirchhof von Waffen und Gerümpel, zertretenen Fässern, Fleischresten und dergleichen. Die Panduren schwärmen aus, Husaren sausen im Galopp den Flüchtigen nach, das Dorf wird im Sturm genommen ohne Widerstand. Die Halunkengreise, Männer, Weiber und Kinder bieten dem Kommandeur die Schlüssel an und erklären den Sachverhalt, worauf sie pardonniert werden. Die Salpetererhäuser werden scharf durchsucht; sie sind leer, die Rebellen haben sich in den schützenden Tann geflüchtet. Vorsichtshalber wird auch noch die Kirche durchsucht, und in einem Beichtstuhl versteckt, finden die Panduren den Truppenführer der Salpeterer, den tapferen Magnus Riedmatter, der sofort gebunden und gefangen gesetzt wird. Und von den zurückkehrenden Husaren wird auch der alte Riedmatter, mit einem langen Strick an den Sattelknopf gebunden, gleich einem Kettenhunde eingebracht; auf flüchtigen Pferden haben die ungarischen Reiter den Messias der Salpeterer just noch überritten, als Ägidi in den schützenden Tann einspringen gewollt. Die Rebellen sind verschwunden, verstreut wie Spreu vom Winde. Verlassen ihre Gehöfte und Siedelungen, Felder und Wiesen. Das war ihr „Sieg“ zu Kuchelbach und Birndorf. Panduren schaufelten dem Opfer dieses unheilvollen Tages, dem armen Sepli, das Grab, und vor Anbruch der Nacht war er beerdigt. Tags darauf hauchten auch die übrigen angeschossenen Leute das Leben aus und fanden die Ruhestätte in einem gemeinsamen Grabe. * * * * * Was einem eingeborenen Hauensteiner wohl selten oder nie passiert: sich im Tann zu verirren und den Pfad, die Richtung zu verlieren, dem Streitpeter ist's passiert auf seiner Wanderung vom toten Bühl durch den Wald, über Berge, durch Schluchten hinüber ins Albthal. Peter ist irr gegangen und merkte dies erst, als nach langem Marsche der muntere Albbach noch immer nicht in Sicht treten wollte. Er ist zuviel in südliche Richtung geraten und steht schließlich vor Oberwihl, während er doch über Rißwihl nach Kuchelbach wollte. Der Vorgang ist nun zwar kein Unglück, aber eine heillose Verspätung bleibt es doch. Da Peter Hunger und Durst verspürt, will er sich im Wihler Wirtshaus stärken und hernach gen Thal heruntersteigen, um dann dem Steinbach entlang nach Kuchelbach zu marschieren. Was Peter noch nie als Glück betrachtet hat, was im Gegenteil in seinen Augen Schande ist: der Wihler Wirt ist Halunke und deshalb zu Hause geblieben. Schier das ganze Dorf ist leer, fast alles hat dem Aufgebot Folge geleistet und ist zum Kuchelbacher Friedhof-Hauptquartier gezogen. Durch die Anwesenheit des Wirtes bekommt daher Peter erwünschte Atzung, die ihm sonst sicher nicht geworden wäre bei versperrtem Hause. Freilich erkennt Peter aus den Mitteilungen des Halunken-Wirtes, daß er spät, sehr spät daran ist, denn die Wihler Salpeterer sind schon seit geraumer Zeit fortgezogen, wie toll, sagte der Wirt, und sicher ins Verderben. Peter horcht auf und fragt dann möglichst harmlos, wieso die Leute ins Verderben gezogen wären. Der Wirt erklärt, daß das Aufgebot auch in Albbruck bekannt geworden sein müßte, weil bald darauf reitende Boten nach Säckingen und Waldshut abgegangen seien. So hätte wenigstens ein Wihler, der in Albbruck die wie rasend fortstürmenden Reiter gesehen habe, heimgekommen in Wihl erzählt. Peter meint, das könne aber doch mit anderen Dingen zusammenhängen, und an Verrat des Aufgebotes glaube er nicht. Verrat brauche das — entgegnet der Wirt — nicht zu sein: die Salpeterer haben es laut genug ausgeschrieen, daß sie nach Kuchelbach zur Sammlung ziehen, und dann in geschlossenen Reihen nach Waldshut marschieren wollen, um Abrechnung zu halten und die alte Einungsordnung einzusetzen im Wald. „Ausgeschrieen? Das isch frili dumm!“ stammelt Peter ganz verdattert. Ihm will solche Ungeheuerlichkeit nicht zu Kopf: Aufgebot, den ganzen Kampfplan öffentlich auszuschreien und den Halunken preiszugeben — was müssen die Albthaler Salpeterer für Schafsköpfe sein. Und wegen der Reiterboten glaubt der Wirt, daß Panduren und Husaren wohl nach Kuchelbach kommen und die ganze tolle Gesellschaft einfangen, wenn nicht niederhauen werden. „Mit de Salpeterer goht's nidsi: (abwärts)!“ versichert der Wirt. Petern leidet's nicht mehr in der Wirtschaft; er will eiligst zu Ägidi laufen und ihn warnen, ihm das Gehörte vertraulich mitteilen, die Bruderschaft in gute Deckung bringen und vor Überfall sichern. Eine Angst befällt Petern, der lauft wie noch nie im Leben. Schon sieht er den Albbach glitzern tief unten im Thale, eine kurze Stecke noch und er wird in Kuchelbach sein. Was ist das für ein Lärm? Wie rasend flüchten Menschen die Hänge hinan, schreiend, von Verzweiflung getrieben, und hinterdrein jagen Husaren; Gewehre knattern, Pulverdampf steigt auf — eine entsetzliche Menschenjagd ist's — die Salpeterersache ist verloren! Peter starrt einen Augenblick hinab ins Thal, dann aber regt sich der Selbsterhaltungstrieb in ihm und jäh kehrt er um, zurück in rasendem Lauf, hinein in den Wald und heimwärts mit fliegendem Atem. Verloren die Salpeterei! Verloren, bevor sie zum Sieg ausgezogen! Verloren die Grafschaft, das alte Recht, die alte Einung! Sie werden nun Soldaten in alle Dörfer legen, die Mitglieder der Bruderschaft einzeln herauszufangen und zu Freiburg vor'm Hofgericht massakrieren. Drum hinein in den dichtesten Wald — der Tann allein schützt den Schwarzwälder — dort, wo die Nadeln am dichtesten sind. Atemlos, abgehetzt, von Angst gefoltert, an allem verzweifelnd, erreicht Peter sein heruntergekommenes ärmliches Haus am Bühl; scheu blickt er um sich, namentlich gen Hochschür hinüber, er fürchtet überall Panduren und Husaren hervorbrechen zu sehen. Alles ist ruhig wie vordem: schwarz der Tann, graugelb die Matten und Hänge, weggewaschen der Schnee — eine Totenstille liegt über dem Bühl. Gottlob! Hier herauf sind die Häscher noch nicht gedrungen. Aber sie werden kommen! Hastig sucht Peter nach dem Thorschlüssel; endlich findet er ihn und schließt auf. Schnell rafft er Proviant zusammen und bindet alles in ein Linnen. Soll er auch einen Krug Wein mitnehmen? Ein Geräusch draußen läßt Petern davon Abstand nehmen, schreckerfüllt packt er das Linnen und jagt, wie von Furien verfolgt, in den Tann. Sogar seine Akten hat er im Stich gelassen, und angelweit offen steht die Hausthür. Vom „Schild“ rasselt ein leerer Blumentopf völlig herunter, den die Hauskatze ins Rollen gebracht; das war das Geräusch, das Peter in die Flucht gejagt. * * * * * Es ist wieder Winter geworden auf dem Wald; erst zog es an und wurde scharf kalt in der Nacht, dann schob der Westwind graue Wolken heran, aus denen die Flinsen anfangs zaghaft herabfielen, bis die Flocken Mut bekamen und in tollem Wirbel zur Erde flatterten. Immer größer wurde das Geflock, Hügel und Matten kleiden sich wieder weiß, ins Leichentuch der Natur, und geduldig halten auch die ernsten Tannen still bei dieser Liebeswerbung des weißen Wintergastes. Es schneit ununterbrochen stundenlang; dann wird es kalt, bitter kalt, wie sich's gehört zur Adventszeit. Steif gefroren ist alles, ein ungeheurer Panzer hält die Schwarzwalderde umschlungen, fest, ehern und silberweiß. „Und wo me luegt, isch Schnee un Schnee, Me sieht ke Stroß' und Fueßweg meh.“ So grimmig der Winter wiedergekommen mit Ungestüm und Macht, im alten Hause bei Biber ist Frühling: Michel ist wieder gesundet, er steht, wenn auch noch etwas schwach und matt, wieder auf den Beinen und verbringt die kurzen Tagesstunden auf der „Kunst“ beim warmen Kachelofen im Untergelaß. Thrinele hat ihre Kräuterreste zusammengepackt und sich fertig gemacht, das Haus zu verlassen. Ihre Pflegeraufgabe ist gethan, und damit der Zweck ihrer Anwesenheit erfüllt. Mit rührenden Worten hat sie der alten Biberin herzlich gedankt für die gütige Aufnahme und Erlaubnis, daß sie dem Michel Pflegerin sein dürfte. Und Muetti nahm das Maidli in die Arme und küßte es ab und nannte Thrinele „Tochter“; und 's Maidli weinte Freudenthränen am Herzen der alten seelensguten Frau. Ob es freilich dazu kommen werde, daß Michel und Thrinele vereint am Altar stehen werden, das kann nur Gott allein wissen. Die Zeiten sind schlimm, und böse die Verhältnisse. Wollten auch Bibers — der Ätti muß doch auch erst gefragt werden — zustimmen in der Erkenntnis, daß es weit und breit auf dem Wald kein braveres Maidli gebe, Thrineles Vater ist streitsüchtig und der Salpeterersache ergeben. Und niemals hat man gehört, daß Kinder aus Halunken- und Salpetererfamilien im Wald zusammen geheiratet hätten. Sicherlich wird der Streitpeter böse sein, daß Thrinele über Hals und Kopf das Vaterhaus verließ und Aufnahme bei Halunken gefunden; von einer Heirat wird er erst recht nichts wissen wollen. Ist ja doch landbekannt, daß er lieber verderben, als die Sache der Salpeterer aufgeben wolle, für die er nahezu alles geopfert, für die er sozusagen bettelarm geworden ist. Ein halbdutzend Kühe, Pferde und Fahrnisse hat seine Streitlust, sein Kampf gegen die Obrigkeit schon verschlungen, das Anwesen ist verschuldet, heruntergekommen, aber zäh hält Peter an seinem Wahne fest. Das weiß man am Bühl wie zu Herrischried, und drum — so meint Muetti — müsse man das Weitere Gott, dem Lenker der Schicksale überlassen. Wortlos, das Köpfchen geneigt, hat Thrinele der Alten zugehört; 's Maidli nickt unter Thränen und ist bereit sich zu fügen, zu entsagen. Nur dem Ätti möchte sie noch danken, sich von ihm verabschieden. Aber der alte Biber ist seit einigen Tagen — Thrinele hat das gar nicht bemerkt — von Hause fort und nach Säckingen zu Amt gegangen. Heute wird er zurückerwartet; bis zu seiner Rückkehr solle Thrinele daher im Hause bleiben, und solle es dann zu spät zum Heimgehen auf den Bühl werden, so müsse 's Maidli eben noch eine Nacht bei Bibers verbringen. Und so wartet denn Thrinele, rückt die Kunkel ans Fenster und spinnt fleißig, daß das Rädli summt und surrt. Zartfühlend hat Muetti auf ein Weilchen die Stube verlassen und sich anderwärts zu schaffen gemacht, auf daß das Pärchen Abschied nehmen könne, wer weiß auf wie lange Zeit. Michel kommt denn auch, noch etwas unsicher gehend, auf das emsig spinnende Maidli zugeschritten, legt liebkosend seine Hand auf Thrineles Köpfchen und flüstert: „Will d'Sunne wirkli von mir goh?“ Seufzend nickt's Maidli, und salziges Wasser füllet die Äuglein. „Gohst licht von mir?“ Weinend bittet 's Maidli: „Mach' mir 's Herz nit schwer, Michel! Lueg: Wenn im Früehlig 's Schwälmli wieder singt: vielleicht das Glück uns zusamme bringt! Wir müsse warte und uf Gott vertraue!“ Schwere Schritte vor dem Haus unterbrechen das Gespräch der beiden; es ist Ätti, der von Säckingen zurückgekehrt ist und lärmend sich den Schnee von den schweren Schuhen abflößt. Schon im Flur begrüßt ihn Muetti, gleichzeitig fragend, wie es sei zu Amt und was Ätti ausgerichtet habe. Lachend mahnt der Alte: „Zit lasse, Muetti, sust erstickst am viele Frage!“ In die Stube eintretend, wird Biber herzlich begrüßt und willkommen geheißen vom Sohn und der Thrinele. „Potz tausig! Isch der Bueb au wieder uf de Bine! Gottwilche ußerm Bett!“ Damit hat nun das Reden beim Ätti vorerst ein Ende; er langt nach dem Pfifli, es muß erst ein Weilchen Tubak geraucht werden, dann kann's ans Verzählen gehen. Muetti bringt zur Stärkung ein Gläschen Chriesiwasser, das Ätti bedächtig leert und dann mit der Zunge schnalzt. Dann wird's still in der warmen Stube, und Thrineles Rädchen summt und brummt. Das Pfifli ist zu Ende geraucht. Jetzt spricht Ätti: „Michel!“ „Was isch, Ätti?“ „Nüt isch!“ „Wie sagsch?“ Schmunzelnd vor innerem Vergnügen erzählt der Vater, daß der Amtmann erklärte, der Michel könne ruhig zu Hause bleiben. Die Geschichte von der Anmeldung des Kranken, seine Bereitwilligkeit nachzudienen, sobald er wieder gesund sei, in Verbindung mit der Salpetererschlacht bei Kuchelbach habe die Regierung veranlaßt, den Michel vom Militärdienst zu befreien. Es würden lediglich Salpetererbuben zwangsweise eingereiht, Halunkensöhne aber wieder losgegeben. Unter anderen werde auch Jobbeli, des Streitpeters Sohn, nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe unters Militär gebracht zum warnenden Beispiel für andere Salpeterer. Wie Michel aufjubelt! Seine bleichen Wangen röten sich, er zittert vor Freude, drückt dem Ätti die Hand und bittet Thrinele, seine Freude zu teilen und zu bleiben in Vaters Haus. Herzlich wünscht 's Maidli dem Michel Glück, erhebt sich aber dann, verabschiedet sich dankend für all das Genossene bei Ätti, Muetti und Michel, und hüllt sich in ihr Tuch. „Bhüet Gott mitsamme, bhüet Gott!“ Und fort ist 's Maidli. Michel ist vors Haus getreten; kaum erblickt er noch 's Thrinele, wie es hastig durchs Thälchen eilt, der Straße nach Hottingen zu. Und weit draußen, an der Biegung des Thalsträßleins dreht Thrinele um und winkt zurück, einen Augenblick nur, dann stapft es in abendlicher Dämmerung heim zum toten Bühl. * * * * * Von Leuten, die zu Freiburg waren und trotz Schnee und Wintersnot über Todtnau in den Wald heimgekehrt sind, ist die Kunde von Bühl zu Bühl getragen worden, daß das Gericht die erwischten Salpeterer abgeurteilt habe. Den alten Riedmatter wie seinen Sohn habe man ins Arbeitshaus gebracht, wo beide schimpflich das Rad drehen müßten. Andere seien zu öffentlichen Strafarbeiten verurteilt, und diejenigen, die glücklich in die Schweiz gelangten, dann aber nach einiger Zeit über die Grenze gingen, um zu Haus und Hof zurückzukehren, seien am Rhein abgefaßt und in den Amtsgefängnissen eingekerkert worden. Außerdem brachten die Leute die Kunde mit, daß nach der Schneeschmelze eine allgemeine Streife nach Salpeterern vorgenommen, jeder, ob an Kuchelbach beteiligt oder nicht, eingefangen und alle Jungens zum Militär gesteckt werden, die kleinen Kinder aber weggenommen würden. Mit Bangen sahen die eingeschüchterten Salpeterer daher der trüben Zukunft entgegen, und bei manchem stiegen Zweifel auf, ob denn wirklich die „heilige Sache“ recht behalten werde. * * * * * Spät am Abend langte Thrinele am Heimatshause auf dem toten Bühl an und fand zu ihrer großen Verwunderung die Thür offen, den Eingang schneeverweht, das Haus menschenleer. Wo Jobbeli steckt, weiß Thrinele aus Bibers Munde; wo aber Ätti weilt, das kann sich das Mädchen nicht denken. Der jungfräuliche Schnee im Hausflur deutet darauf, das seit längerer Zeit das Haus unbetreten geblieben sein muß; es ist nirgends eine Spur, ein Menschentritt wahrnehmbar. Und kalt ist es in allen Stuben, erloschen jegliches Feuer. In der Gaststube liegen wirr verstreut Brotreste, Messer und Gabel, Wäsche durcheinandergeworfen, wie wenn jemand in großer Eile darnach gesucht hätte und verscheucht worden wäre. Sollten Hochschürer das verlassene Haus „heimgesucht“ haben? Mit dem flackernden Kienspahn sucht Thrinele den Keller ab und findet einen abgefüllten Krug neben dem Fasse stehen, der offenbar vergessen worden ist. In den übrigen Stuben fehlt nichts, es liegt und steht alles, wie es Thrinele vor ihrem Abgang zurückgelassen. Nur die Rauchkammer ist eines Teiles vom Inhalte beraubt. Also werden Schinkenfreunde aus Hochschür dagewesen sein, deren Vorliebe für Rauchfleisch und Schweinskeulen landbekannt ist. Thrinele fegt zunächst den Wehschnee aus dem Flur, schließt die Thür ab und macht im Ofen der unteren Stube Feuer an; ebenso sorgt sie für Erwärmung ihrer Schlafstube. Wie das wohlig prasselt! Geschäftig säubert Thrinele die Stuben und fegt sie rein, emsig und unverdrossen. Wo nur Ätti sein mag? Auf einen Rüffel wegen ihrer plötzlichen Flucht zur Pflege des Gestochenen macht sich Thrinele vorweg gefaßt: Ätti wird höchst wahrscheinlich heillos poltern und fluchen. Aber Thrineles Gewissen ist rein, sie hat so handeln müssen, ihr Herz hat sie dazu gedrängt. Dafür will 's Maidli jetzt um so treuer das Haus beschützen und bewahren. Wie Ätti den „Dürren Ast“ nur so leicht verlassen konnte, die Thüre offen, alles preisgegeben dem nächstbesten Stromer?! Das soll jetzt anders werden; ja Thrinele ist fest entschlossen, verdächtige Gäste überhaupt nicht einzulassen. Lieber nichts verdienen! Eben kommt Thrinele zum Nachschüren wieder ins Erdgeschoß, da schreckt ein Klopfen sie auf, es pocht jemand an der Thür. Mit verhaltenem Atem horcht Thrinele. Eine dumpfe Stimme ruft außen: „Flieh', Peter! Im Namen der heiligen Maria, bring' dich in Sicherheit! Alles isch verloren!“ Thrinele bebt an allen Gliedern. Was soll die Warnung bedeuten? Der Fremde entfernt sich wieder; deutlich vernimmt das Mädchen die Schritte im knirschenden, steif gefrorenen Schnee. Thrinele eilt die Treppe hinan, reißt im oberen Gelaß ein Fenster auf und beugt sich hinaus, um vielleicht noch sehen zu können, wer der Warner gewesen ist. Im Zwielicht des flimmernden Schnees und des schwachen Blinkens der wenigen Sterne am Himmel kann sie nur noch eine schwarze Gestalt wahrnehmen, die eilig den Bühl hinunterläuft. Eine eilige Warnung, offenbar eines Freundes, der selbst die Häscher fürchtet und sich gar nicht die Zeit genommen hat, auf das Öffnen der Hausthüre zu warten. Dem Ätti droht also Gefahr; Thrinele wird wach bleiben müssen. Wer weiß, ob nicht schon in dieser Nacht die Büttel oder Soldaten kommen werden. „Alles ist verloren!“ hat jener Mann gerufen; das kann doch nur die Salpeterersache angehen, für welche Thrinele sich noch nie hat begeistern können. Sie ist, seit sie die Ruhe und den Frieden bei Bibers, in der Halunkenfamilie, kennen gelernt, jetzt völlig für die Partei der „Ruhigen“, die über kurz oder lang wohl Oberhand im Wald wird gewinnen müssen. Was bei ständigem Streit, bei der Prozeßwut herauskommt, hat Thrinele im Vaterhause zur Genüge kennen gelernt; die letzte Kuh ist aus dem Stall und vom Advokaten verschlungen worden, die wenigen Felder sind unbebaut geblieben und Ättis Waldgrund ist gelichtet. Verarmt die ganze Familie, Gott sei's geklagt! Wenn je an Hochzeit gedacht werden dürfte: was kann's Maidli dem Michel anheiraten und mitbringen? Nichts als ihr gutes Herz und den guten Willen, ihm, dem Geliebten, treu zu dienen! Und das, so flüstert Thrinele im einsamen Haus vor sich hin, ist ja so wenig! Die Nacht geht rum, ohne daß sich etwas ereignet; Thrinele hat angekleidet im Bette gewacht, nur auf kurze Zeit sich wohltätigem Schlummer überlassen. Am frühen, dämmerigen Morgen hält Thrinele Nachsuche in den Küchenvorräten, und da sieht es übel genug aus. Mehl und Butter muß ergänzt werden, auch Salz geht zur Neige. Zum Glück findet das Mädchen etwas Kleingeld zum Einkauf in der Schublade Ättis, und damit pilgert Thrinele, nachdem sie das Haus wohl verwahrt, hinüber nach Hochschür und trägt den Proviant im Rückenkorb dann wieder ins winterlich einsame Haus. * * * * * Wienechtzit! Weihnachten im Walde naht, schneebeladen stehen die dunklen Tannen als richtige Weihnachtsbäume, festgefroren klammert sich das erstarrte Geflock ans Geäst. Eisig kalter Wind pfeift um die Bühlhöhen und heult in den eisgeschmückten Schluchten. Mehr denn je umlagern die einsamen Wäldler den Ofen und verbringen die Zeit auf der „Chauscht“. Strohumhüllt stehen die Brunnen, auf daß das nötige Wasser nicht einfriert. Überall tiefer Schnee, starres Eis, und eine bittere Kälte! Wer nicht muß, verläßt das schützende Haus nicht, und draußen giebt es um Weihnachten keine Arbeit, zumal die Holzarbeit längst erledigt ist. Die Feiertage stehen vor der Thür. Thrinele hat es sich angelegen sein lassen, die Stuben sauber zu fegen und verbringt die langen, stillen Abende am schnurrenden Spinnrad, mit Gedanken an den Geliebten und an den verschwundenen Vater. Bittere Sorge um ihn erfüllt das junge Herz, seit Thrinele in Hochschür erfahren, daß in Kuchelbach die Salpeterersache ein so böses Ende nahm. Niemand will aber an jenem Unglückstage den Streitpeter gesehen haben; die Hochschürer Salpeterer, so sie sich durch rasende Flucht retten konnten, verstehen es auch nicht, warum just der Vertrauensmann beim Zuge nach Kuchelbach gefehlt hat. Daß er etwa Halunke geworden sei, ist nicht wahrscheinlich, dagegen spricht sein Verschwinden. Es müßte nur sein, daß er verunglückt, an einsamer, wenig begangener Stelle von einer Pandurenkugel niedergestreckt und noch nicht aufgefunden worden sei. Ein ganz rätselhaftes Verschwinden! Übel genug steht die Salpeterersache an sich, wenn auch für die nächsten Monate, so lange des starren Winters Macht auf dem Walde gebietet, keine Gewaltmaßregeln gegen die Bruderschaft zu gewärtigen sind. Und jener fremde Warner wird ein Salpeterer, vielleicht aus Herrischried gewesen sein, der von der Kuchelbacher Niederlage erfahren hat und den Ätti eilig verständigen wollte in der Meinung, daß die Panduren auch zum toten Bühl heraufkommen würden. Früh dämmert es am Bühl, doch wirft die große Schneefläche noch so viel Schimmer in die Stube, daß Thrinele eine Weile ohne Kienspan spinnen kann. Im Kachelofen knistert und prasselt das eingeschürte Tannenholz, behagliche Wärme verbreitend. An Einsamkeit gewohnt, empfindet 's Maidli die winterliche Gefangenschaft nicht so schrecklich, zumal ja die Arbeit die Zeit kürzt. Ein Knirschen im Schnee wird hörbar, das knarrende Geräusch nähert sich dem Hause. Sollte ein Gast kommen? Fast fürchtet sich Thrinele. Ein Ausblick durch die mit Eisblumen gezierten Fenster ist nicht möglich, zum Aufhauchen eines Guckloches im Fenster fehlt die Zeit. Es pocht am sorglich verschlossenen Thor, erschrocken fährt Thrinele auf und eilt hinaus. „Wer isch drauße?“ fragt das Mädchen im kalten Flur. „Ufgemacht! Ich, der Peter Gottstein bin's und will in mi Haus!“ „Ätti, Ätti!“ ruft Thrinele überrascht und schließt, zitternd vor Überraschung und Erregung auf. „Rasch, rasch! schließ' zu!“ schreit Peter und eilt in die warme Stube, um sogleich am Ofen die „Chauscht“ aufzusuchen und sich die steif gewordenen Hände zu wärmen. Ob verdächtige Gestalten, Soldaten in der Nähe gesehen wurden, fragt Peter und beruhigt sich erst, als Thrinele versichert, seit vielen Tagen niemanden in der Umgebung gesehen zu haben. Dann wär' es gut, meint Ätti und fordert Atzung nebst Wein, langentbehrte Dinge im Waldversteck. Verwundert steht 's Maidli vor dem verwildert aussehenden Vater, der ihre Anwesenheit im Hause als selbstverständlich zu betrachten scheint und alles Vorhergegangene ignoriert. „Versteckt warsch, Ätti?“ „Leng' mir e Schöppli!“ befiehlt der Alte; das Weitere werde er schon erzählen. Thrinele holt gleich einen Krug voll Wein aus dem Keller und bringt den Rest Rauchfleisch, den die Hochschürer Schinkenfreunde zurückzulassen die Güte hatten. Peter labt sich und haut ein, tüchtig und eilig. „Hasch Hunger, Ätti?“ „Dummes Geschwätz! Iß wenn d' chasch (kannst) un nüt hasch! Ich han schon drei Tag' nüt mehr 'gesse! Lueg!“ Und nun erzählt Ätti, inzwischen immer nach verdächtigen Schritten horchend, wie er am Abend nach der Kuchelbacher Schlacht heimgerannt, mit wenig Proviant in den tiefsten Tann geflüchtet sei und sich dort in einer Rindenhütte verborgen gehalten habe. „Bi diese Kälte?!“ Es sei furchtbar kalt gewesen, namentlich zur Nachtzeit, und knapp die Nahrung. Als alles aufgekehrt gewesen, habe er in tiefer Nacht es gewagt, neuen Proviant zu holen. „Dann war Ätti selber der Schinkendieb?“ wirft Thrinele ein. „Wie?“ Thrinele setzt dem Vater auseinander, daß die Rauchkammer nahezu gänzlich ausgeraubt sei. Peter schüttelt den Kopf; den benötigten Proviant habe er keineswegs aus seinem eigenen Hause geholt, sondern einem Hochschürer Keller, — es war ein Halunkenkeller — wo ein frischgeschlachtetes Schweinlein hing, entnommen, und — weil es pressierte — die Zahlung auf später verschoben. Fehlt etwas im „Ast“-Wirtshause, dann haben andere ihm seine Vorräte — gestohlen. Ja die Hochschürer!!! Also niemand von den Panduren war heroben am Bühl; auch niemand von den Behörden! Abermals versichert Thrinele, daß sie niemanden gesehen habe. Hm! Dann hat Peter die furchtbare Entbehrung gelitten ganz grundlos! Ebenso gut hätte er zu Hause in seinem Bett liegen können. Aber zu trauen ist der Geschichte nicht. Und verloren ist die Salpeterersache doch! „Wie sagsch, Ätti?“ „Es ist nicht mehr an einen Sieg zu glauben. Aber ich will mich an Gottvater selber wenden, er soll entscheiden zwischen uns und dem Großherzog, und darnach wollen wir uns halten und fürder leben. Ich habe es mir gründlich überlegt draußen im bitterkalten Tann, und der Zweifel sind immer mehr geworden, ob wir allein recht hätten oder ob vielleicht doch der badische Herzog Herr ist und nicht bloß „Maier“ (Verwalter) vom Kaiser!“ „Ätti! Du glaubsch an den Herzog?!“ ruft freudigst überrascht Thrinele aus. „Noch nicht! Der Herrgott soll entscheiden! Und nun halt' du Wache! Weck' mich beim geringsten Geräusch! Morgen soll sich's entscheiden. Guete Nacht, Thrinele!“ Wie eine Katze schleicht der Alte in seine Stube, um nach langer Entbehrung wieder einmal in einem Bett zu schlafen. Gerne wacht Thrinele für den Vater; kann sie doch jetzt ungestört ihren Gedanken nachhängen, die diesmal freudiger Art sind. Ist Ätti auch noch nicht ganz für den Großherzog, so befindet er sich doch bereits auf dem Weg, der zur Partei der „Ruhigen“ hinüberführt, und kann Ätti überzeugt werden, daß die Einungszeiten vorüber sind und der Großherzog zu Recht herrscht in seinem Lande, dann wird Ätti sicherlich die Salpeterer aufgeben und badisch werden. Und dann freue dich, junges Herz! Ist Ätti selber Halunke, wird ihm auch die Halunkenfamilie Biber nicht mehr als Feind erscheinen.... * * * * * Der nächtlichen Sternenpracht machen rasch aufziehende graue Wolken ein Ende; ein steifer Nordwest jagt sie heran, es schneit bei großer Kälte: hartgefrorner kleinkörniger Schnee, der klirrend ausschlägt bei Berührung der harstigen alten Schneedecke. Und immer dunkler färbt sich das Firmament; tief hängen schwarze Wolken, bald hierhin, bald dorthin gejagt, ein eigentümlich Sausen erfüllt die Luft, grelle Blitze zucken hernieder: ein Gewitter ist im Anzuge. Dann springt der Wind um und bläst aus Süd, weicher werden die Flocken, Regentropfen fallen dazwischen: ein tolles Chaos in schwarzer Nacht mit unheimlichem Knistern, das auch noch forttobt am Morgen, die Tageshelle zurückhaltend. Verwundert betrachtet Peter den Sturm der Elemente von seinem offenen Stubenfenster aus; solche Gewitterstimmung verbunden mit Knistern und Sausen hat er um Weihnachten noch niemals wahrgenommen. Und abergläubisch fragt er sich unwillkürlich, was diese Trübung, diese Gewitterstimmung zu außergewöhnlicher Zeit wohl bedeuten möge. Will die Natur Unheil drohen, wie sonst blutigrote Kometen Krieg verkünden? Steht der dräuende Himmel in Verbindung mit der niedergehenden Salpeterersache? Schwarz, düster wie das Firmament ist ja die Zukunft der Wäldler seit der Metzelei am Friedhof zu Kuchelbach! Ein schauriger Beginn des Weihnachtsfestes, ein unheimlicher Heiliger Abend im Walde! Aber just bei solchem Himmel soll das Gottesgericht abgehalten werden. Gottvater soll entscheiden am Heiligen Abend über die heilige Sache und den Großherzog! Peter will nicht länger zögern; das Gottesgericht soll mit zwei Kerzen abgehalten werden und zwar um die siebente Abendstunde oben am Kreuz der Bühlhöhe. Drum sucht er, sich ins untere Gelaß begebend, nach Kerzen, wie solche, als sein Weib noch lebte, häufig während eines Gewitters angezündet worden sind, geweihte, sorglich aufbewahrte Wetterkerzen, bei deren Brand gebetet wurde, auf daß der Herr der Heerscharen und Elemente jeglich Unheil vom Hause ablenken und den Blitzstrahl in den Tann führen möge. In die Gaststube tretend, findet der Alte Thrinele schlummernd im Stuhl am Fenster mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen. Wie die Thür ins Schloß fällt, schreckt das Mädchen zusammen und erwacht. „Ätti, verzeih'! Der Schlaf hat mich überwältigt! Es isch aber niemand chommen!“ Wohl grollt Peter über solche „Wacht“, bei welcher einem das Haus weggetragen werden könnte; doch ist sein Sinn zu sehr auf das geplante Gottesgericht gerichtet, und milder, als es sonst seine Art ist, fragt er 's Maidli, wo denn die Wetterkerzen aufbewahrt seien. „Wetterkerzen! Jez ze Wienechtszit?“ „Wienecht hin, Wienecht her! Ich mueß die Kerze han!“ Thrinele eilt in ihre Stube und kommt alsbald mit zwei schwarzen Kerzen zurück und überreicht sie dem Ätti. Sinnend betrachtet der Alte die alten Kerzen, die noch keine Verwendung gefunden und wohl noch von Muetti aufbewahrt worden sind. Wenn man nur gewiß wüßte, ob die Kerzen auch richtig geweiht worden sind. Wenn nicht, so kann das Gottesgericht nicht richtig abgehalten werden. Sie aber nochmal, der Sicherheit wegen, weihen zu lassen, ist auch nicht angängig, denn der Pfarrer würde unzweifelhaft nach dem Grund einer abermaligen Weihe fragen, und Peter ist nicht gewillt, Gründe anzugeben und sich dreinreden zu lassen. Was aber thun? Peter will sicher gehen, die Kerzen müssen geweiht sein. Ob die Weihe aber nur der Geistliche vornehmen kann? Ein Gedanke fährt dem Alten durch den Kopf, und urplötzlich fragt er die Tochter, ob Weihwasser im Hause sei. „Weihwasser?“ Thrinele vermag sich vor Verwunderung nicht zu fassen. Was doch der Ätti für sonderbare Dinge verlangt. Weihwasser ist vor Jahr und Tag in die sogenannten Weihwasserkesselchen neben der Schlafstubenthüre gegeben worden. Thrinele selbst hat es dem Taufbecken der Kirche entnommen und in einem Fläschchen heimgetragen. Wenn 's nicht völlig eingetrocknet ist, wird es wohl noch vorhanden sein. Ätti meint, daß solche Rede beweise, daß Thrinele nicht gar oft den Finger mit Weihwasser genetzt und das Kreuzzeichen gemacht hab. „Leng' es her!“ Gehorsam und über den Tadel des Vaters betroffen holt Thrinele das Kesselchen, worin sich ein Rest des geweihten Wassers befindet. Das genügt für den beabsichtigten Zweck. Peter schafft die Tochter aus der Stube, er will allein sein für eine Weile. Sodann bekreuzt sich der Alte und spricht vor sich hin: „Heiligste Jungfrau und Mutter Gottes Maria! Ich beschwöre dich durch das Blut des Heilandes, der für uns am Kreuz gestorben, steh' mir bei, nimm mich auf in die Zahl deiner Diener und sei Fürsprecherin für mich!“ Sodann nimmt er die beiden Kerzen, senkt sie mit dem unteren Teil in den Rest des Weihwassers und spricht: „Es steige herab in diese Quelle des Wassers die Kraft des Heiligen Geistes und gebe ihm wie den Kerzen die heilige Weihe! Amen!“ Dreimal macht Peter das Kreuzeszeichen über die Kerzen und beendigt die nach seiner Meinung nun betätigte „Weihe“. Sein Gewissen ist nun beruhigt, die Kerzen sind zum Gottesgericht geeignet. Sorgsam wickelt er selbe nun in ein Stück Papier, das er dem Kalender entreißt, und steckt sie in seine Rocktasche. Sodann ruft er nach der Tochter und fragt, was alles zu besorgen sei für die Weihnachtstage. Er giebt Thrinele einige Bätzner, womit 's Maidli, so der Schnee einen Gang ins Dorf verstatte, das Nötige einkaufen solle. Er selber werde, der Sicherheit halber, den Tag im Walde verbringen und erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehren. Trotz des schweren Schneefalles und der unheimlichen Witterung verlaßt Peter das Haus und watet, bis an den Bauch in den Schnee sinkend, über den Bühl dem Tann zu. Thrinele bahnt sich mühsam den Weg in's Dorf, um Vorräte einzukaufen. Bei Bekannten spricht sie vor, um die müden Füße etwas ausruhen zu lassen, und wie es schon geht, giebt ein Wort das andere. Auf die Frage, wie es zu Hause, im „dürren Ast“ gehe, platzt 's Maidli glücklich heraus, daß Ätti vergangenen Abend nach längerer Abwesenheit plötzlich heil und gesund, bloß arg verfroren, heimgekehrt sei und heute morgen die geweihten Wetterkerzen verlangt habe, mit denen er das Haus verlassen habe und in den Tann gegangen sei. Ist das eine Neuigkeit! Der Streitpeter zurück, gesund! Und alles hat bereits geglaubt, er liege irgendwo erschossen und verschneit! Und um Weihnachten verlangt er Wetterkerzen und geht damit in den Wald. Was das bedeuten mag? Offenbar will er sie opfern am Bühlerkreuz für die „gute“ Sache der Salpeterer. Das ist ein frommes, verdienstliches Werk, an dem man sich eigentlich auch beteiligen sollte, zum Nutzen der Salpeterersache. Thrinele beendet das Gespräch; ihr ist immer unbehaglich, wenn von der „guten“ Sache gesprochen wird, weil sie stets insgeheim befürchtet, um ihre Meinung gefragt oder als heimliche „Halunkin“ erkannt zu werden. Unter der Vorgabe, daß der Weg durch den tiefen Neuschnee beschwerlich sei und Zeit verlange, entfernt sich Thrinele, ahnungslos, daß sie mit ihren Mitteilungen die Neugierde der Dörfler, die sofort verständigt wurden, aufs höchste wachgerufen hat. Es dauert auch nicht lange, da stapfen Männer und Burschen tapfer durch den Schnee und waten der Bühlhöhe zu. Am Waldesrand aber verbergen sie sich hinter den mächtigen Tannen, um der kommenden Dinge zu harren. Früh wird es dunkel — hell ist's den ganzen Tag über nicht geworden — die Gewitterwolken hängen noch immer dräuend, pechschwarz tief herab, der Schneefall hat Nachmittag aufgehört, doch saust und knistert es ganz unheimlich, ein sonderbarer phosphoreszierender Schimmer strahlt von der Schneedecke am Bühl aus. Unverdrossen harren die Dörfler aus im Schnee stehend und auf das „Ereignis“ wartend. Und da taucht auch richtig der alte Peter auf oben auf der Bühlhöhe und schreitet, mühsam im Schnee watend, dem Grenze zu, an dessen Schaft er die Wetterkerzen befestigt und selbe dann anzündet. Peter knieet nieder und ruft mit lauter Stimme: „Entscheide du, o Herr des Himmels und der Erde! Gott soll richten zwischen uns. Es brennt die Kerze für unsere heilige Sache und neben ihr die Kerze für den Herzog! Entscheide, o Herr, bestimme durch das Kerzenlicht und laß' erkennen dein Urteil! Ich füge mich der Sache, für welche die Kerze am längsten brennt! Verloren ist jene, die zuerst verlöscht! Entscheide, o Herr! So walte das Gottesgericht! Amen!“ Lautlos sind die Dörfler nähergerückt, die Augen in höchster Spannung auf das Kreuz und die brennenden Kerzen gerichtet. Peter starrt unverwandt auf die beiden Kerzen, die seinen Zweifeln ein Ende machen, entscheiden sollen, wessen Sache die gute und richtige ist. Und nun knistert die Salpetererkerze, sie flackert auf, glost und verlöscht — — —. Ruhig, stetig brennt die Herzogskerze fort. „Der Herzog hat recht!“ schreit Peter mit gellender Stimme und erhebt sich. Im selben Augenblick strahlt heller weißer Lichtschimmer vom Kreuze aus in Büschelform, es saust und knistert geisterhaft ringsum, ein seltsam Lichtbüschel, weißglühend flammt von der Herzogkerze aus, es leuchtet Peters Hut in einem bläulich weißen Licht, seine ganze Gestalt ist von weißvioletten Strahlen umflossen, eine blendende weiße Lichtsäule flammt vom Kreuz auf: Elmsfeuer! Peter, überwältigt von dieser Lichterscheinung und dem Gottesgericht wirft sich in die Kniee, und desgleichen beugen sich die herangekommenen Dörfler, kreuzschlagend, fassungslos die erloschene Kerze und die ruhig brennende, weißschimmernde Herzogskerze anstarrend. Jetzt bemerkt Peter die Salpetererschar und ruft ihr zu mit vor Aufregung bebender Stimme: „Gott hat entschieden, aus ist's mit den Rechten vom Grafen Hans! Der Großherzog ist Herr, Gott ist für ihn! Ich werde Halunke, ich werde badisch, so wahr mir Gott helfe!“ Fassunglos, überwältigt starren die Salpeterer den Peter und das Kerzengericht an. Richtig ist eine Kerze erloschen, die andere brennt, und das Elmsfeuer leuchtet mit magischem Licht dazu. Unwillkürlich flüstern die Leute: „Der Großherzog ist Herr!“ Und mit einemmale erlischt das Elmsfeuer, es ist dunkel ringsum, nur der Schnee flimmert. Fort sind die Wetterwolken, klar der Himmel, milder Sternenschein glitzert herab, und unentwegt brennt am Kreuzesschaft die Herzogskerze. Peter ist befreit von seinem Zweifel, für ihn ist die Salpeterersache abgethan; er will badischer Unterthan werden. Schier mit Ehrfurcht tastet seine zitternde Hand nach der Herzogskerze, die er brennend vom Kreuzesschaft nimmt und wie ein Heiligtum vor sich herträgt. Und seltsam: es brennt diese Kerze trotz des Luftzuges; Peter bringt sie brennend durch den tiefen Schnee und durch dunkle Nacht heim zum toten Bühl, die Kerze wie ein Kleinod bewahrend. In scheuer Entfernung, Abstand haltend, folgen ihm die Dörfler, denen das Gottesgericht ein Wunder dünkt, vor dem sie vorerst fassungslos sind. Schon viel früher als Ätti angegeben, luegt Thrinele nach dem Vater aus: ein Gefühl der Freude, eine unbestimmte Ahnung, eine innere Unruhe nimmt dem Mädchen die Ruhe. Thrinele vermag nicht zu spinnen, sie kann nicht ruhig sitzen, nicht stehen bleiben. Es ist ihr, als werde sie in der nächsten Stunde etwas Ungewöhnliches, für ihre Verhältnisse Außergewöhnliches erleben, und Ätti werde ihr das Glück heimbringen. Und da kommt der Vater richtig vom Bühl herab, eine Kerze tragend! Was das wohl zu bedeuten hat? Wie verklärt im Gesicht tritt Ätti feierlich in sein windschiefes Haus, krampfhaft die Kerze tragend, und begiebt sich in die Gaststube, wo er die Kerze sorgsam in einen Leuchter steckt und weiterbrennen läßt. Verwundert folgt Thrinele ihm nach; sie hat die Frage, was es denn mit dieser zum Stümpfchen herabgebrannten Kerze sei, auf den Lippen, doch wagt sie keine Anrede angesichts der feierlichen Haltung des Ätti. Nun knieet der Vater nieder, betet andächtig ein Ave Maria, bekreuzt sich und sagt: „Ich bin geheilt von allem Zweifel und Wahn, ich werde badisch, Amen!“ Ein Jubelruf tönt durch die stille kleine Stube, und Thrinele fliegt dem Vater an den Hals, Ätti küssend und umarmend. Sanft wehrt der Alte die stürmischen Liebkosungen ab und mahnt Thrinele, nun die Kerze auszublasen, das Stümpfchen aber solle als Heiligtum fürder aufbewahrt werden als sichtbares Zeichen des Gottesgerichtes am toten Bühl. Gehorsam befolgt 's Maidli diesen Auftrag. Dann aber fragt Thrinele bewegten Herzens, wie denn das Wunder gekommen sei. Lange dauert es, bis Ätti seiner inneren Erregung Herr wird. Er hockt auf der „Chauscht“ den Blick auf das Kerzenstümpchen gerichtet, mit gefalteten Händen. Allmählich findet er die Sprache wieder und flüstert vor sich hin: „Badisch! Der Großherzog ist Herr! Gott ist für ihn, der Herzog ist mein Landesherr, ich halt' zu ihm!“ „Ätti!“ „Was isch?“ „Ätti! Darf ich an badisch were?“ „Gewiß wirsch du an badisch!“ Wieder tönt ein heller Jubelruf durch das Gemach, der Petern veranlaßt, der Vermutung Ausdruck zu geben, daß es Thrinele am Ende weniger um den Großherzog als um einen anderen Badener zu thun sei. Eine jähe Röte fliegt über des Mädchens Wangen; Thrinele huscht zu Ätti auf die Ofenbank und weint sich an Vaters Brust aus vor Glückseligkeit. Weich gestimmt, fragt Ätti, zu wem Thrinele denn damals geflüchtet sei, und erglühend stottert 's Maidli heraus, daß sie Jobbelis Unthat durch freiwillige Krankenpflege einigermaßen gut machen wollte. Also war 's Maidli bei Bibers in Herrischried? Thrinele nickt und birgt das glühende Köpfchen an Vaters Brust. „Also isch Bibers Michel der Holderstock?“ Thrinele haucht ein „Ja!“ vor sich hin und hebt die Hände bittend empor. Ätti erhebt sich, und angstvoll sieht Thrinele auf den Vater, der vom Aktengestell einen Pack Schriften herabnimmt, auf den Tisch legt und auf einen frischen Bogen zu schreiben beginnt: „Es ist usprobyrt am heutigen Tage und erledigt die Appellation an den höchsten Richter der Lebendigen und Toten durch sothanes Gottesgericht, allwo heute stattgefunden am toten Bühl zu Füßen des Kreuzes und geendet zu Recht und Gunsten des Großherzogs von Baden! Es erfließet daraus der Beschluß: Ich, Peter Gottstein, Wirt zum „dürren Ast“, anerkenne für mich und meine Kinder die Herrschaft des Großherzogs über mich und Familie, und werde mit Heutigem badisch. Als „Halunke“ genehmige ich — die Zustimmung des anderen Teiles vorausgesetzt — die Neigung meiner Tochter zu Bibers Michel mit daraus entgehenden Folgen i. e. eventuell Heirat, wozu die braungefleckte Kuh zu verkaufen ist, die bei Hottinger im Pfand steht für zu Salpetererzwecken gegebene Darlehen. Der Hottinger kriegt, was maßen ich mich von der „Sach'“ wende, nichts — die Kuh wird einfach geholt. Auch wird durch heutigen Beschluß jegliches Prozessieren gegen badische Behörden eingestellt, wobei der Erwartung Ausdruck gegeben wird. Es werde auch badischerseits unnütze Drängelei hinfüro unterlassen. Der Großherzog hat meinen Sohn Jakob von der Militär freizugeben, wofür ich zwei Weihkerzen geopfert habe. Gegeben im Wirtshaus zum „dürren Ast“ am heiligen Abend vor Weihnachten Peter Gottstein, verflossener Streitpeter und badischer Unterthan.“ Peter setzt einen mordsgroßen Punkt am Schlusse hin und reicht das mühsam gekritzelte Schriftstück der Tochter, die den „Beschluß“ überfliegt und überglücklich dem Vater aus tiefstem Herzensgrunde dankt. Nur wegen des Jobbeli meint Thrinele, es werde Schwierigkeiten haben, den Bruder vom Großherzog freizubekommen, denn der Herrscher werde von Jobbeli wenig oder gar nichts wissen. „So? Meinsch?! Dann werd' ich's ihm sage! Ich goh nach Karlsruh' un wer minem Großherzog selber rede! So thue ich by Gott, ich der Peter Gottstein als badischer Unterthan!“ Als badischer Unterthan leistet sich Peter am heiligen Abend einen Extraschoppen Durbacher, an dem sich auch Thrinele beteiligen muß, die am liebsten mit ihrem glückseligen Herzchen durch Nacht und Schnee nach Herrischried in ein bekanntes Haus laufen und die wundersame Kunde vom Badischwerden des guten Ätti den Biberschen vermelden möchte. Doch ist daran heute in später Abendstunde nicht mehr zu denken. Still und einsam wird denn die „heilige Nacht“ gefeiert im Wirtshause zum „dürren Ast“ am toten Bühl. * * * * * Mit steifer Kälte ist der Weihnachtstag angebrochen, ein echter Wintermorgen auf einsamer Waldeshöh'. Thrinele hat sich zum Kirchgang stattlich in der Landestracht herausgeputzt, wünscht Ätti glückstrahlend einen „guete Morge“ und stapft dann eilig durch den knirschenden Schnee nach Herrischried. Peter hat sich mit dem Tubakpfifli auf die „Kunst“ zurückgezogen und hängt seinen Gedanken nach. Er sinnirt darüber, wie er es anfangen soll, um seinen Bueben vom Militär los zu bekommen. Es muß ja fürder anders werden auf dem Bühl! Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihm indes nicht, denn die Hochschürer rücken in Scharen an, um sich Peter, den neuen „Badener“, anzugucken. Soviel Gäste hat die Wirtsstube zum „dürren Ast“ noch nicht gesehen; Kopf an Kopf hocken die Leute, das Tubakspfifli im Munde, drinnen und trinken ihre Schöppli und debattieren den außerordentlichen Fall. Peter hat alle Hände voll zu thun, um die Gäste zu bedienen und erneut zu versichern, daß der Akt bereits geschlossen, daß er thatsächlich die Salpeterersache aufgegeben habe und badisch geworden sei auf Grund des vorgenommenen Gottesgerichtes. Mancher Hochschürer bringt den Mund nicht mehr zu vor Staunen, und mit Ehrfurcht und Bewunderung wird das auf den Akten thronende Kerzenstümpchen betrachtet, das eine so ungeheure Wirkung bei Streitpeterle hervorgebracht hat. Unter den Gästen herrscht arger Zweifel bezüglich weiteren Verhaltens: die einen wollen nicht so geschwind „umsatteln“, den alten Einungstraum aufgeben, wiewohl nicht zu leugnen sei, daß die „guet Sach“ heillos übel stehe. Andere neigen zur Nachahmung von Peters Beispiel hin, da die Kerze für den Großherzog gesprochen und sogar der Himmel selbst durch das Elmsfeuer sich für die „badische Sach“ erklärt habe. Nur fragt es sich, welcher Profit für einen Anschluß zum Großherzog herausspringe. Gar manchem blüht zum Frühjahr Einziehung zum Militär und das Freiburger Arbeitshaus für die Kuchelbacher Beteiligung. Wenn man daher dem Großherzog wirklich huldige, müßte dieser doch wohl sich erkenntlich zeigen und zum mindesten die drohenden Strafen nachlassen. Was Peter dazu meine? Und Peter spricht zu den Gästen: „Loset! Ich will euch sage: Göihmer zu ihm, ich will minem Großherzog rede als jetziger Vertrauensma der badischen Halunke, un ihm usenandersetze, was geschehe muß by Gott für die neuen badische Unterthane! Wer will mitgohn?“ Sogleich melden sich zwei Hochschürer, die sich von solcher Deputation mehr versprechen, denn vom zähen Festhalten am alten Trutz und Widerstand. Eine Weile überlegen die andern, das Gottesgericht giebt den Ausschlag, die Anhänger Peters vermehren sich und schließlich erklären sämtliche anwesende Dörfler, dem Großherzog huldigen zu wollen in der Voraussetzung, daß sie ihren alten katholischen Glauben beibehalten dürfen. Und der Peter soll der Führer sein. So ward es abgeredet und durch Handschlag bekräftigt. Der Großherzog hat um ein Dutzend Unterthanen mehr im Lande. Gegen Mittag brechen die Hochschürer auf und kehren ins Dorf zurück. Wie Lauffeuer verbreitet sich, daß gehuldigt und der tote Bühl badisch werden solle, und maßloses Erstaunen erfaßt die Salpetererweiber, die bisher energisch für die „guet und heilig Sach'“ agitiert haben. Was da die „Wybervölker“ über den Streitpeter und seinen Umfall redeten, klang nicht schmeichelhaft für den „Astwirt“ und auch für manchen Salpeterer fiel ein scharfes Wort ab. Doch die Hochschürer Mannen erklärten, unter allen Umständen die Deputationsreise „usprobyre“ zu wollen; nach Karlsruhe werde gegangen und mit dem Großherzog geredet, wie's Brauch sei im Hauenstein. Derlei Versicherungen wurden von Salpeterern abgegeben, so fest und bestimmt dem Eheweib gegenüber, daß manche den Pantoffel schwingende Salpeterin starr vor Staunen wie steinern stand und die Worte nicht fand, um ihren altgewohnten Standpunkt dem sonst so unterwürfige Gatten zu präzisieren. Ja, der Großherzog! Der imponiert sogar den Wybervölkern auf dem Wald und verschlaget ihnen die Rede. Wenn diese Wirkung anhält, wird jeder Pantoffelknecht unter den Salpeterern bereitwilligst badischer Unterthan und pfeift auf die mittelalterliche Einung und die alten Rechte des Grafen Hans. Drum sind die meisten Hochschürer hochvergnügt und förmlich lüstern auf die badische Staatsangehörigkeit. Wo sich indes die Weiber ganz und gar weigerten, badisch zu werden und auf die „heilige Sach“ zu verzichten, wurde feierlich die Geschichte vom Gottesgericht und der Herzogskerze mit dem Elmsfeuer erzählt und dadurch manch abergläubisches Salpetererweib eingeschüchtert und gewissermaßen zum Badischwerden vorbereitet. Am Nachmittag des Christtages hat der „dürre Ast“ einen Besuch erhalten, auf welchen der Wirt nicht vorbereitet war: die Vroni von Herrischried ist gekommen trotz Schnee und des heiligen Tages, grimmig und voll Entrüstung, gewillt, mit dem abgefallenen Vertrauensmann der Salpeterer Abrechnung zu halten. Der alte Peter guckte und horchte nicht wenig, wie das aufgeregte Weib ihm in die stille Stube prasselte und polternd loslegte, daß es eine Art hatte. Sie hätte es bereits gehört, daß Peter sein Volk, den Glauben und die „heilige Sach'“ verraten habe und abgefallen sei wegen einer dummen Kerze! Aber sie, die um der „heiligen Sach'“ willen ihren Mann verloren, aus Begeisterung für die Salpeterei zur Wittib geworden, sie dulde es nicht, daß Peter badisch werde und andere mit verführe zur Huldigung für Einen, der nur Verwalter sei im Lande. Das wäre eine schöne Ordnung in der Einung: Zuerst beredet der Vertrauensmann die Leute und hetzt sie zur Salpeterersache, jagt sie ins mörderische Feuer der Panduren, und wie's schief geht, läßt er alles im Stich und tritt zum Großherzog über! Vroni glaubt die Kerzengeschichte nicht, das sei Schwindel, elende Flunkerei, und sie werde ihm die Augen auskratzen, wenn er nicht zur „heiligen Sach'“ zurückkehre und Salpeterer bleibe. Und wehe ihm, wenn er auch noch andere zum Abfall veranlasse! Wisse er nicht, was Treu und Glauben und ein heiliger Eid sei, so soll's ihm beigebracht werden am eigenen Leib! „So sag ich und du bisch e Lump und Schuft, e ganz miserablichs Masbild, e Gauner und Verräter! — Aber du pasch ze de Herre, du Lumpekerli!“ Peter hat den Erguß über sich ergehen lassen, stumm und geduldig; jetzt aber ist's genug, er nimmt 's Pfifli aus den, Mund, legt es auf den Tisch, faßt das zeternde Weib am Genick und spricht: „Im Namen des Großherzogs von Baden, hinaus!“ Ein Ruck, ein Krach — das zeternde Weib fliegt durch die rasch aufgerissene Thür hinaus in den Schnee. Gelassen schließt Peter wieder die Thür und setzt sein Pfifli in Brand. Vroni rafft sich auf, klopft das Geflock von den Kleidern, droht zornglühend mit erhobener Faust dem ganzen Hause und trollt ab. Der Wirt soll's büßen! Unterwegs stößt Vroni auf Bibers, die Thrinele begleiten und deren Vater besuchen wollen. Mit einer Flut von Scheltworten überschüttet das Weib diese Halunkensippe, die sich jetzt breit mache im Hauenstein und das Land verrate. Der alte Biber aber lacht der Vroni vergnügt ins Gesicht und wünscht ihr „en guete Obe“. Das Pärchen aber stapft vergnüglich voran im Schnee, Michel überglücklich und stillfröhlich 's Maidli. Und übermütig ist der Michel in seiner Glückseligkeit über die Bekehrung von Thrinele's Ätti, so übermütig, daß er manchmal hüpft und in den tiefsten Schnee springt zugleich kläglich jammernd: „Thrinele, wo simmer? Mer seige verirret! Wo me loft und lueget, überall Schnee! Hilf, Thrinele!“ Und wenn 's Maidli gutmütig dem im tiefen Schnee hockenden Buebli die Hand hilfreich bietet, zieht der Schalk 's Thrineli herunter mit starkem Ruck, fängt 's Maidli in seinen Armen auf und küßt es ab, daß die Kreuzvögel und die geschäftigen Meisen verwundert gucken und der Gimpel noch sehnsüchtiger als sonst nach seiner aschgrauen Gefährtin flötet im eintönigen Lied. Und kommen die Alten dann näher und sieht Ätti das Geschmatz und Getuschel der Jungen, so droht er wohl mit dem Finger: „Laßt doch, ihr Thunichtgut und Liebesgesindel! Es isch mer, mer seige numme wit vom dürre Ast! Seiget manierlich, was müsset sust Thrineles Ätti von euch halte“! Und Michel ruft zurück: „Ätti wasch seist: bisch au emal jung gsi nu hasch es nit anersch gemacht, hihi!“ Dabei hilft Michel dem glühenden Thrinele wieder heraus aus dem Schnee und stellt 's Maidli manierlich auf den Weg, den Vroni's Fußstapfen markieren. Vorm Hause angelangt, ruft Bibers Ätti absichtlich polternd, wobei es zuckt in seinen Mundwickeln: „He, Streitpeterle, ufgemacht s' Hüsli, Herrluit wöllent in, badische Luit!“ Verwundert kommt der Wirt herausgelaufen und schlägt die Hände überm Kopf zusammen vor Verwunderung. „Gell, da guckt Er!“ spottet Bibers Ätti, und Michel reicht Petern die Hand. „Gottwilche!“ ruft Peter und schüttelt den Bibers der Reihe nach die Hand, indes Thrinele ins Haus huscht, um zum Willkomm alles schnell zu bereiten. Der Astwirt geleitet sodann die seltenen Gäste in die warme Stube und setzt ihnen vom Besten aus seinem Keller vor, denn solcher Besuch muß geehrt werden am Weihnachtstage. Bibers Ätti fällt auch gleich mit der Thür ins Haus durch den Einwurf in Peter's Rede: „Vergiß by Gott nit ze erwähne, was inegschriebe hesch in d' Akte den Beschluß, un lasse mer lebe beim Win en Großherzog von Bade, hoch, hoch, hoch!“ Es klingen die Gläser zusammen, eine weihevolle Stimmung erfaßt die Gemüter. Es ist ja auch zum erstenmale in seinem Leben, daß Peter in ein Hoch auf den Landesherrn einstimmt. Und wie getrunken ist auf die Gesundheit des Fürsten, meint Peter, nach seinem Pfifli langend: „Wos weisch denn du, Biber, von mine Akte?“ „Gell, da guckt Er! Weisch, s' Thrinele isch gar gesprächig, hihihi! Aber sell Akte gfalle mer, hesch Recht by Gott, Peter! Allewil guet badisch und Ordnung muß si!“ Ein wundersam Plaudern ist's auf der „Chauscht“ im „dürren Ast“, so wohlig und behaglich, so lebensfroh und hoffnungsfreudig. Die Alten hocken tapfer beisammen, weniger seßhaft sind freilich die Jungen, und Michel findet immer eine andere Ausrede, um mit 'm Thrinele zu verschwinden und 'm Maidli draußen Kuß um Kuß zu rauben. Haben die Alten die Politik erörtert des Langen hin und her, wobei Biber es billigt, daß Peter mit dem Großherzog selber über die Lage reden will, so zieht Bibers Muetti dann die Zukunft der Jungen ins Gespräch, weil darüber ja doch auch etzliche Wörtlein gesprochen werden müssen. Peter fühlt sich da freilich etwas befangen, und seine Prozeßwutsünden fallen ihm schwer aufs Gewissen; aber ehrlich sagt er es rund heraus, daß durch seine frühere Streitlust und die fanatisch betriebene Salpeterei Kuh um Kuh aus dem Stalle zum Advokaten ging und fürs Thrinele jetzt kein Kuhschwanz mehr im Hause sei. Die Neigung habe er freilich aktenmäßig protokolliert und in Gnaden genehmigt, aber mit einer Mitgift hapert es gewaltig, wenigstens für die nächste Zeit. In Zukunft wolle er sich statt um Parteihader und Advokatenkniffe mehr um Kartoffeln und Wiese und Feld kümmern; vielleicht geht es dann wieder auswärts mit der Wirtschaft. Solche guten Vorsätze lobt der alte Biber tüchtig und erklärt, daß Thrinele auch ohne Mitgift einziehen könne ins Biberhaus, wasmaßen die Sinnesänderung Peterles auch was wert sei. Auch Muetti stimmt bei, weil ihr die Hauptsache ist, die Kinder glücklich vereint zu sehen. Bei Petern aber regt sich doch noch etwas, was dem alten Trotz, der Streitlust ähnlich sieht: er will die Geschichte nicht überstürzt sehen; von Hochzeit könne erst geredet werden, wenn er mit 'm Großherzog ins Reine gekommen ist. Bedingungslos wolle er sich nicht unterwerfen und huldigen. Den Jobbeli muß der Herzog 'rausgeben und die alten Salpeterersünden verzeihen. Thut's der Fürst nicht, so wird aus der ganzen Geschichte nichts und die Anerkennung wird dem Großherzog aktenmäßig verweigert. Davon läßt sich der alte Starrkopf nicht abbringen, so viel sich Muetti auch bemüht. Ätti meint indes, der Großherzog werde schon einwilligen, so ihm die Lage richtig geschildert werde, denn darauf komme es hauptsächlich an. Und morgen braucht ja nicht schon nach Karlsruhe gewandert zu werden; es wird besser sein, wenn sich der gute Wille inzwischen bei manchen Leuten noch weiter verbreitet. Ist dann der Winter 'rum und besteht die gute Absicht noch, dann solle Peter die Bekehrten zum Großherzog führen, ihm huldigen und ihn hübsch um Verzeihung bitten. Dann werde alles gut werden! So ward es abgeredet im „dürren Ast“, und widerspruchslos erklärte sich Peter einverstanden. Den Großherzog wird es auch nicht umbringen, wenn er auf die Huldigung der Bühler Salpeterer noch etliche Wochen warten muß, meint Peter. Biber lacht, daß die Scheiben klirren, und hält sich die Seiten. Muetti will dann noch Thrineles Küche besichtigen, worauf der Heimgang angetreten werden soll. Peter holt zum Abschiedstrunk eine Kanne alten Durbacher aus dem Keller; heut läßt er sich nicht lumpen. Und wahr ist's: So wohlig war ihm noch nie ums Herz. Schon zieht die Dämmerung über den Bühl, da treten Bibers nach herzlicher Verabschiedung den Rückweg an. So lange man sich sehen kann, winkt Thrinele fleißig ihre Grüße nach, und auch Gottstein-Ätti entbietet vorm Hause stehend seinen Abschiedsgruß. Und vor dem Schlafengehen kritzelt er zum Gedenken in seine Akten den Besuch und die Absprache mit Bibers ein, der Ordnung halber, und der Passus: „Der Großherzog hat auf die Huldigung noch etzliche Zeit zu warten“ wird zweimal dick unterstrichen. Außerdem rutschte dem Peter ein mächtiger Klecks aus dem Gänsekiel, so daß es aussah, als habe der Skribent ein Trauersiegel darunter gesetzt. * * * * * Auf dem Wald hat der Schnee allmählich doch dem Drängen des Frühlings weichen müssen; Föhn und warmer Regen haben des Winters Macht gebrochen, schwarz steht der Tann, dunkel die Wiesen, auf denen die ersten Anemonen und Schlüsselblümelein vorwitzig und neugierig die Köpfchen in die Welt stecken und zartes Gras zu sprießen beginnt. Nur in den tiefen, wilden Schluchten liegt noch Schnee. Goldiger Sonnenschein lacht über Berg und Thal, und würziger Odem streicht über die Bühlhöhen: Frühlingshauch erquickend und labend. An einem Frühlingstage, wonnig und sonnig, war es, daß Biber-Ätti dem Peter auf dem toten Bühl sagen ließ durch Michel, es sei jetzt Zeit zur Wanderung nach Karlsruhe. Im ersten Augenblick machte diese Botschaft Petern stutzig, und unwillkürlich dachte er, wieso denn der Biber wissen könne, daß es jetzt Zeit sei. Fast möchte Peter eine versteckte Absicht wittern; doch er beruhigt sich bald, zumal Michel meinte, der Schnee sei weg, daher könne man gut und bequem über Todtnau nach Freiburg und dann auf der Landstraße über Offenburg nach Karlsruhe wandern. So gescheit wäre Peter selbst auch gewesen. Wie dann Michel dringlich wurde und bettelte, es möge Peter-Ätti doch seinetwegen recht bald zum Großherzog gehen, da lachte Peter, weil er die Absicht merkte, und ging sofort nach Hochschür, um seine Mannen aufzubieten zum Gang nach Karlsruhe. Michel labte sich unterdessen an Thrineles Kirschenlippen. * * * * * In der Residenz zu Karlsruhe steht unter Peter Gottsteins Führung ein wohlgezähltes Dutzend Bühler Hotzen in ihrer malerischen Landestracht, stramm und stämmig wie die heimatlichen mächtigen Tannen. Wie sie aufmarschierten, gab es ein Geschau, und die Leute liefen der Deputation nach, als sei wunder was zu sehen. Peter fühlt sich, stolz steht er in dem hohen Saale. Er hat den Lakaien beim Eintritt nur gesagt, er sei der Peter Gottstein vom toten Bühl und Führer der Hochschürer Deputation und wolle mit dem Großherzog reden, und augenblicklich führte man ihn und seine Mannen hinauf in die Residenz zu einem Herrn mit großmächtigen glitzernden Dingern auf der Brust und einem goldenen Schlüssel hinten am Gefäß ober dem Röckli, das aussieht wie ein Schwalbenschwanz. Wie der Herr freundlich und lieb mit Peter that! Die Hand hat er dem verflossenen Salpeterer gegeben und gesagt, er habe ihn bereits jeden Tag erwartet und freue sich, die wackere Hotzendeputation zum Regenten führen zu können. Da gab es denn auch gleich das erste Mißverständnis, denn Peter platzte heraus: „Nüt da, Herre! Ze nem Regente göihmer nüt, mer wöllent zem Großherzog selber!“ Erst wie der freundliche Herr ausdeutschte, daß der Regent ja der allergnädigste Großherzog selber sei, gab sich Peter zufrieden und fragte gleichzeitig, ob das lange Warten auf die Deputation dem Großherzog etwas geschadet habe. Da guckte der Herr mit dem Schlüssel hinten am Röckli verwundert, hieß die Leute im Saale warten und ging dann fort, um den Großherzog zu verständigen. Eine Weile schon stehen die Hochschürer und begaffen die Pracht und Herrlichkeit im Saal, und Peter meint, der Großherzog müsse aber weit weg wohnen, weil er so lang braucht auf dem Weg hierher. Und ein Hochschürer verweist auf das schlechte Wetter, es regnet fest, und in der Stadt haben die Leut' oft so dünne schlechte Schüchle. Und ein Dritter glaubt, die Stuben seien groß und breit genug, daß der Herzog fahren könnt', wenn ihm der Weg zu weit wäre. Endlich regt sich was; die Flügelthüren werden aufgerissen, Fouriere treten ein, der freundliche Herr von vorhin kommt herangeschritten, ernst, würdevoll und so steif, als hätte er einen Butterrührstecken verschluckt. Die Hochschürer reißen Mund und Augen auf; gar manchem klopft das Herz hörbar. Ein paar Herren in schimmernder Uniform kommen heran und stellen sich spalierbildend auf, und jetzt, als der Letzte, schreitet Karl Friedrich, leutselig grüßend auf die Deputation zu und fragt nach dem Führer derselben. Peter soll jetzt vortreten und reden; aber viel lieber möchte er eine Maus sein und sich ins nächste Loch verkriechen. Wie hoheitsvoll der Großherzog vor ihm steht, machtgebietend und doch so gütig. Nochmal fragt Karl Friedrich: „Wer ist euer Führer?“ Ganz verdattert steht Peter wie versteinert, so daß einer der Hochschürer ihm laut zuruft: „Peterle, gang füri, er frißt di nit!“ Das wirkt; Peter tritt vor, reicht dem Fürsten treuherzig die Hand und spricht: „Grüeß Gott, Herr Großherzog! Der Führer bin by Gott ich, der Wirt zum „dürren Ast“ am toten Bühl im Hauenstein!“ „Schön von dir, mein Sohn! Ich weiß bereits! Was wollt ihr nun von mir?“ „Wartet e bitzeli, Herre! Sell chomt spötli! Wisset oder wissent Er nüt: Mer seig jez Halunken un wöllent badisch were!“ Verwundert blickt der Großherzog auf den Sprecher und dann wie fragend auf den nebenstehenden Minister, der flüsternd den Ausdruck „Halunke“ erklärt. Hoheit schmunzelt; die Unterhaltung mit den urwüchsigen Leuten aus dem tiefsten Schwarzwald belustigt den Fürsten sichtlich. „Red' Er nur weiter, Peter!“ „Also lueg! Die Kerze hent gsproche für Euch mit Licht ufm tote Bühl! Mit de Bruederschaft isch us! Mer geruhe Euch anzuerkennen als unsern Großherzog un wöllent Euch huldige, sothanermaßen Ihr de Bedingungen erfüllen wollet!“ Karl Friedrich hustet in sein Taschentuch vor Vergnügen, und die Herren des Hofdienstes haben größte Mühe, das Kichern zu unterdrücken. „Wennder nit wollet, huldige mer nit un weret wieder Salpeterer, un Ihr heut de Schade!“ „Nunu, nicht gleich so obenaus, Er Schwerenöter! Habt mich lange genug warten lassen!“ „Jo, Herre, im Wald lit de Schnee lang un de Weg isch wit! Geh du rus by de Schnee, wenn d' chasch! Un umgebracht het's Warte di au nit!“ Karl Friedrich lacht Thränen des Vergnügens und die Herren platzen auch eine Lachsalve nach der andern heraus. „Un wissenter wos: Ihr seigt Halunke un mer schließent Euch an, so Ihr, Herre Großherzog, gelobet an Idesstatt frizegebe mi Jobbeli von de Soldate! Mer were huldige, wennder uns lasch unsere alte Glaube, denn mer wollet blibe katholisch!“ Karl Friedrich richtet sich auf und spricht ernst und weihevoll: „Höret, ihr Leute vom Schwarzwald! Es ist Mein Wille, jedem Meiner Unterthanen zu lassen seinen Glauben, in dem er aufgewachsen. Jeder bete zu seinem Gott! Aber Ordnung müßt ihr halten, euch fügen den Anordnungen der Behörden, aufgeben alte, nie erfüllbare Träume! So ihr tüchtige Unterthanen werdet, soll euch Salpeterern verziehen, den Eingekerkerten die Strafe geschenkt sein! Haltet Euch fürder brav und wacker, so sollt ihr in Mir alle Zeit einen treu um euer Wohl besorgten Landesvater haben!“ „Ihr redet wie en Buch, Herre, und mer wöllent's befolge, aber sagsch: Wos isch minem Jobbeli?“ Wieder flüstert einer der Herren Seiner königlichen Hoheit etwas ins Ohr, worauf Karl Friedrich lächelnd spricht: „Ihr sollt Euren Sohn freibekommen, Streitpeter!“ „Halt' in, Herre! Seller bin i nimeh, un wennder sell Wörtli nomal seit, seigt mer gschiedene Luit!“ „Um so besser, Peter! Begrabt jeglichen Streit und werdet fürder gute badische Unterthanen!“ „Sell wöllent mer were!“ ruft freudig Peter aus und kniet nieder zur Huldigung. Mit zum Schwur erhobenen Händen geloben die Hochschürer Treue bis in den Tod und Befolgung der Gesetze. Und aufbringend schreit Peter: „De gnädigst' Großherzog soll lebe, hoch, hoch, hoch!“ Donnernd braust der Jubelruf aus den rauhen Schwarzwäldler Kehlen durch den weiten Saal: „Hoch, hoch, hoch!“ Peter faßt die Hand des Monarchen und küßt sie bewegten Herzens, und alle seine Mannen folgen seinem Beispiel. Am liebsten hätte der glückselige Peter den Fürsten gleich ganz umarmt, aber er fürchtete, den lieben guten Großherzog zu verdrücken, und unterließ daher die Liebkosung. Gerührt dankt Karl Friedrich den Leuten, drückt jedem die Hand zum Abschied mit den Worten: „Bleibt fürder gut badisch!“ Dann zieht sich der Monarch leutselig grüßend vom Gefolge begleitet zurück. Der Kammerherr aber händigt den Hochschürern ein Geldgeschenk ein, und Peter insbesondere bekommt noch einen Zettel mit der Freigabe seines Sohnes, den er gleich aus der Kaserne holen kann. Jubelnd ziehen die Hotzen aus der Residenz, und noch am gleichen Tage verlassen sie, Jobbeli in ihrer Mitte, die schöne Stadt. Peter aber tauscht mit keinem Fürsten um sein Frohgefühl und um die Freude, daß sogar der Großherzog ihn gleich gekannt und mit ihm wie seinesgleichen gesprochen hatte. Daß Peter anfangs etwas Scheu empfunden, hat er bereits glücklich wieder vergessen. Jetzt zieht er stolz an der Spitze der Deputation heimwärts durch den „Garten Badens“ hinauf zu den schwermütigen Schwarzwaldbergen. Je näher es der Heimat zugeht und endlich die Murg wieder sichtbar wird, desto schneller wird Peter im Schritt; er brennt förmlich darauf, seine Führererlebnisse den Leuten zu erzählen, und sich namentlich mit dem Biber-Ätti auszusprechen. Am Eingang in das Seitenthälchen, das nach Herrischried führt, verabschiedet sich Peter von der Deputation, schickt selbe heim mit Grüßen ans Thrinerle und eilt nun, was er laufen kann, zu Bibers. Biber-Ätti hockt beim „Ochsen“wirt und muß auf Peters Bitte sofort geholt werben, weshalb Michel geschwind hinüberspringt. Unterdessen setzt Muetti dem vielgewanderten Gast einen Krug alten Chriesiwassers vor und läßt sich fürs erste erzählen, daß die Reise von Erfolg begleitet war und die Deputation wirklich dem Großherzog gehuldigt habe. Peter sei also wirklich und leibhaftig hinfüro badisch. Die anderen werden wohl in die Hände des Amtmanns den Treueid leisten, bis auf die Unverbesserlichen, die Salpeterer bleiben werden. Doch da ist ja der Ätti! Schmunzelnd reicht der alte Biber dem Gast die Hand zum Willkomm, und nun läßt Peter seiner Zunge freien Lauf. Er erzählt umständlich haarklein seine Erlebnisse bis auf das Herzklopfen beim Erscheinen des Großherzogs, und prahlt nicht wenig, daß der Fürst seine Lebensgeschichte so genau gewußt und mit ihm so fein, schier brüderlich gethan habe. Trocken wirft Biber-Ätti dazwischen die Bemerkung ein: „Isch kein Wunder!“ Betroffen guckt Peter den Sprecher an und fragt, wie das gemeint sei. Und nun setzt Märte dem aufhorchenden Peter auseinander, daß ein Landesherr, zumal in so schwerer, ereignisreicher Zeit, etwas mehr zu thun habe, als sich um einen Salpeterervertrauensmann im tiefsten Schwarzwald kümmern zu können. Daß Peter Gottstein badisch werden wolle, ist sicher sehr löblich und selbst für den Großherzog erfreulich, aber das Großherzogthum geht deswegen noch nicht aus dem Leim. Damit Peter aber entsprechenden Empfang finden sollte, und man bei Hofe auch wußte, um was es sich handle, habe Biber den Gang nach Säkkingen nicht gescheut und dem Amtmann alles haarklein erzählt. Darauf sei ein langer Bericht nach Karlsruhe abgegangen, und als die Antwort eintraf, daß die Deputation empfangen werden und die Huldigung stattfinden könne in der Residenz, da habe Biber den Peter wissen lassen: es sei Zeit! Und dementsprechend werde die Sache auch ihren Lauf in Karlsruhe genommen haben. Peter weiß nach dieser Aufklärung nicht, soll er sich ärgern oder lachen. Doch ist eines sicher, Märte hat ihm die Geschichte wesentlich erleichtert, denn ohne den vorangegangenen Bericht hätte Peter wohl langmächtig mit dem Großherzog reden müssen, bis dieser alles begriffen hätte. Und die Hauptsache ist ja doch der Frieden mit der Regierung und die Freigabe des Jobbeli. „Hasch en Buebe mit?“ fragt Biber und meint, als Peter freudig die Frage bejaht, man könne dann die Geschichte von dem damaligen Messerstich durch Abschaffung nach dem alten Brauch zum Austrag bringen. In diesem Augenblick aber schlägt bei Peter die alte Pfiffigkeit durch, und schlau, schlagfertig erwidert er, daß der alte Brauch wohl bei den Salpeterern zur Einungszeit Geltung gehabt, bei badischen Unterthanen, die frisch gehuldigt, jedoch nicht mehr in Anwendung gebracht werden dürfe. Ätti lacht aus vollem Halse. Die Prozeßkunst und all' die Advokatenschliche habe sich Peter trotz des Huldigungseides doch glücklich in sein badisches Unterthanendasein hinübergerettet. Es soll übrigens die Geschichte nicht weiter aufgerührt werden; Jobbeli mußte feierlich auf Michels verspieltes Ohrläppchen verzichten und den Biberbueben für den Stich um Verzeihung bitten. Damit aber die Gottsteinsippe dennoch ihre verdiente Strafe erhalte, solle die Hochzeit zwischen Thrinele und Michel in Bälde stattfinden. „Wilsch, Peterle?“ „Jo, ich will's by Gott!“ Ein kräftiger Handschlag beschließt den Pakt. * * * * * Als Mann von Wort, ein edler Fürst, ließ Karl Friedrich den zu Freiburg und Breisach gefangen gesetzten Salpeterern die Freiheit wiedergeben[15] und schenkte allen jegliche Strafe. Und als Thrinele mit Michel glücklich vereint war, da sagte Peter im Kreise der Hochzeitsgesellschaft, das Badischsein sei doch nicht so ohne, ihm habe Glück und Segen gebracht die — _Herzogskerze_. Fußnoten: [1] Die Bewohner des Hauensteins hatten sich im Mittelalter dank seiner kraftvollen Einungsverfassung zu einer Bauernschaft zusammengeschaart, die später sich energisch gegen Leibeigenschaft und jegliche Bedrückung, namentlich gegen die Hoheit des Klosters St. Blasien wehrte. Auf fiktive alte „Handfeste und Privilegy“ pochend wollten sie sich, nachdem es mit allerlei Mitteln gelungen war, sich von St. Blasien loszukaufen, auch der österreichischen Herrschaft gegenüber zur reichsunmittelbaren freien Bauerngrafschaft emporringen. Zu offenem Aufruhr rief der Einungsmeister von Birndorf, Johann Fridolin _Albiez_, der den Salpeter im Haunsteinschen Lande gewann und allgemein „Salpeterhannes“ genannt wurde, ein Mann von ungewöhnlicher Thatkraft und Rednergabe bei schier mystischer Hingabe an den Katholizismus. Albiez predigte das Märchen, daß der letzte Gaugraf Hans von Hauenstein Vogt gewesen sei und in seinem Testament beurkundet habe, daß die Grafschaft nach seinem Tode frei an Reich und Kaiser zurückfalle und reichsunmittelbar zu bleiben habe. Es sei nur der Kaiser Schutzherr des Landes, die Grafschaft aber frei, niemandem mit Pflichten unterthan. Diese Lehre verbunden mit altwiedertäuferischen Ideen entfachte mehrere sogenannte Salpetererkriege, die mit maßloser Erbitterung geführt wurden, schließlich aber mit völliger Niederlage der Salpeterersache und Verbannung der Hetzer nach Ungarn und Siebenbürgen endeten. Die Rückkehr einiger „Salpeterer“ aus Belgrad, durch die Gnade Maria Theresias, entfachte neue Erhebungen, ein Auflodern der Salpeterersache bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Anhänger der Albiez, Riedmatter &c. hießen „Salpeterer“, die ruhigen Waldbewohner, die sich fügten in die Zeitverhältnisse und Ordnung hielten, wurden „Halunken“ gescholten und bitter verfolgt. [2] D.h.: Es sind Unberufene oft in der Nähe. [3] J.L. Meyer, Geschichte der Salpeterer, Freiburg 1837. [4] So prahlte Albiez, in facto aber wurde er verhalten, binnen 24 Stunden Wien zu verlassen und der Landestelle in Freiburg die Beschwerden vorzutragen. Auch wurde er, heimgekehrt, für seine Lästerung gegen St. Blasien vom Waldvogt mit Gefängnis und dreißig Thalern gebüßt und erst nach abgelegtem Handgelübde: „Fürder wider St. Blasien nicht zu schimpfen,“ entlassen. [5] Der Brief ist fiktif, es wurde sogar in den Wiener Kanzleien nach etwaigem Konzept nachgeforscht, aber nirgends etwas gefunden. Die Mär von diesem Brief diente lediglich als Agitationsmittel. [6] Der Sicherungsbrief von 1720 sprach aus, daß trotz der Umwandlung des Wortes Leibeigen in Eigen alle bisherigen Pflichten erfüllt werden müssen. [7] Wien schuf durch diese zweckwidrigen Maßregeln auf dem Wald heillose Zustände, eine horrende Gesetzlosigkeit und schürte statt zu dämpfen das Feuer des Widerstandes zu offener Rebellion, die denn auch 1728 zu Thatsache geworden ist, welche der neue Waldvogt Freiherr von Reischach nicht aufzuhalten vermochte. [8] Eine Rotte völlig Fanatischer durchstreifte den Wald, raubte und plünderte und schuf grauenhafte Zustände. Dazu hetzten einzelne Schweizer (ein Prediger zu Wandach und der Advokat Dr. Lieder in Basel) die Rasenden zu wilden Gewaltthaten. [9] Am 18. Mai 1728 erhob sich unter Führung Thoma's im Rücken der Truppen des Oberst Baron Thüngen ein allgemeiner Landsturm, der jedoch rasch erstickt wurde, als scharf geschossen und verschiedene Aufrührer getötet wurden. Außerdem wurde ein Teil der Truppen ständig in die Walddörfer gelegt und die Huldigung zwangsweise vorgenommen. Die Salpeterer verlegten sich hierauf auf einen zähen schriftlichen Streit, der mit der Ablösung der Rechte St. Blasiens endete, gegen welche Ablösung wieder ein Teil der verbissensten Salpeterer protestierte. Das Urteil gegen die Rebellen aus den Maitagen wurde 1730 zu Waldshut, wohin die Salpeterer gelockt wurden, vollzogen: Thoma in Dogern an den Pranger gestellt, auf Lebenszeit in die Festung Belgrad verbannt, und sein Name schandenhalber in Stein eingegraben. Andere kamen nach Ungarn und Siebenbürgen, auch nach Breisach und wurden eingekerkert. Mit Beginn des Türkenkrieges entließ man die Verbannten, die nach ihrer Heimkehr sofort auf's neue randalierten und den zweiten Salpetererkrieg heraufbeschworen. [10] Die Hauensteiner pflegten um jene Zeit technisch festzustellen, welcher Art die Körperbeschädigung ist, und nach diesem Befund wurde die Entschädigung bestimmt. Nach Zahlung des „Wehrgeldes“ war die Sache abgethan oder, wie der technische Ausdruck auf dem Wald heißt, „abgeschafft“. Scheffel schreibt diesbezüglich in seinen „Reisebildern“: „Wenn die Hauensteiner wegen Störung des öffentlichen Friedens (nach einer solennen Keilerei) noch vor's Amt zittert wurden, so brachten sie gewöhnlich das Dokument über die Abschaffung durch die Familienhäupter mit und wunderten sich höchlich, wenn sie hie und da noch ‚im öffentlichen Interesse‘ auf einige Wochen ins Gefängnis wandern mußten.“ [11] Österreichische Truppen wurden in Basel konzentriert. Dieser Umstand ließ die Salpetererfackel aufs neue auflodern. Riedmatter war thatsächlich in Basel, erzielte aber natürlich für seine Sache bei den österreichischen Truppenführern, die in Kriegsbereitschaft standen und andere Gedanken im Kopf hatten, nicht das Mindeste; dennoch versicherte Riedmatter daheim, wesentlich Resultate erzielt zu haben, und hetzte die Bevölkerung zu offenem Widerstand gegen badische Verfügungen auf. [12] Diese handgreifliche Lüge brachte Riedmatter in den Wald und entfachte dadurch den wilden Schnapskrieg. [13] Kreuzvogel, Kreuzschnabel (Loxia curvirostra) wird als Stubenvogel gehalten in dem Glauben, daß er vom Hause Blitz, Krankheit und Tod abhält, so der Vogel ein „rechter“ ist, d.h. ein solcher, dessen Oberschnabel nach rechts gerichtet ist. „Über den Kreuzvogel geht kein Tier, der ist über Schwalben und Störche.“ [14] Aktenmäßig festgestellt. [15] Auch Riedmatter wurde in Freiheit gesetzt und sank alsbald, da seine Unfähigkeit zur Führerschaft selbst dem dümmsten Salpeterer bald einleuchtete, in völlige Vergessenheit. Die Sekte machte sich alsdann in den fünfziger Jahren nach der religiösen Seite hin wieder bemerkbar. Heutzutage sind wohl die wenigen Sonderlinge im Aussterben. Giftklärle Aus dem Flur des schwarzgrau verwitterten Hauses, das in einer von dunklen Tannen umrahmten Thalbuchtung unweit des malerischen Dörfleins Lauterbach an der Straße von Schramberg über den Fohrenbühl nach Hornberg liegt, gellen zornige Rufe, und gleich darauf erscheint auch im Rahmen der weitgeöffneten Hausthüre die Person, die durch Scheltworte ihrem Ärger Luft macht. Es ist Klärle, die prächtig gewachsene schwarzhaarige Tochter des Giftbauern und künftige Erbin des Gehöftes, das einst ein Vergabungshof (Lehen) war, eine Begiftung.[16] In der äußeren Erscheinung ist Klärle unstreitig ein allerliebstes, herrlich gebautes Schwarzwaldkind von zwanzig Jahren, ein Mädel zum Dreinbeißen, aber immer ärgerlich, kurz angebunden gegen jedermann, nie zufrieden und tyrannisch gegen den alten Vater wie gegen das Bäschen Bärbel, das die selige Mutter einst aus Mitleid und Barmherzigkeit in den Gifthof aufgenommen und mit Klärle aufwachsen ließ. Kann es der alte Vater dem Klärle nie recht machen, Bärbel in ihrer Abhängigkeit schon gar nicht, und bei jeder Gelegenheit kann die etwa achtzehnjährige Waise es hören, daß sie nur geduldet sei auf dem Hof aus Gnad' und Barmherzigkeit, die aber auch einmal ein Ende nehmen kann und muß, wenn 's Bärbele sich nicht bessert und alles verkehrt angreift. Wieviele Seufzer aus Bärbels junger Brust gestiegen, weiß nur der liebe Gott im Himmel. Wenn Bärbel gelegentlich verweint mit geröteten Äuglein ihre Arbeit verrichtete und der würdige Pfarrer von Lauterbach just bedächtig des Weges kam, da fragte Hochwürden wohl nach der Ursache der Thränen, verstummte aber sofort, wenn die Scheltworte Klärles an sein Ohr drangen. Wie's im Gifthof zugeht, war nicht schwer zu erraten, und der Pfarrer tröstete die arme Waise durch milde Worte und den Hinweis auf späteren Himmelslohn. Der geistliche Herr hat es wohl einmal versucht, der Giftklärle ins Gewissen zu reden und ihr Herz zu rühren, aber erzielt hat er nichts und mußte sich schnippisch genug abkanzeln lassen. Daher ist der gute Pfarrer der Meinung, daß Klärle wohl ein Herz von Stein habe, ähnlich wie der Kohlenmunkpeter, dem der Holländermichel am Tannenbühl das warme Herz genommen und ihm ein steinern Herz in die Brust gegeben hat. Und so betet der geistliche Herr wohl des öfteren, es möge Gott selbst eingreifen und Klärles harten Sinn bessern. Unter der Thür stehend, ruft Klärle hinüber in den kleinen Garten, wo die Waise beschäftigt ist, etwas Gemüse abzuschneiden. „He, Bärbel! Wie lang soll es noch dauern? Bleibst wohl über Nacht draußen im Kraut? Eil' dich, es isch e Schand! Drinen in der Küch' geh'n die Töpfe über, aufgeräumt isch au nit ordentlich! Eine Schand' isch's mit der langweiligen Person! Eil' dich, Fauldirn!“ Bärbel, ein schmächtig Mädel mit wundersamen Rehaugen, fährt bei diesen Scheltworten erschrocken auf, rafft das Gemüse zusammen und eilt dem Hause zu. „Gleich, Klärle, ich bin ja schon da!“ ruft das Mädchen und trägt die gefüllte Schürze in die Küche, um dann die Töpfe vom Feuer zu ziehen. Diesen Handgriff hätte Klärle leicht selber machen können, aber die Gifttochter thut niemals das, was sich eigentlich von selbst versteht, und schiebt jegliche Arbeit der Waise zu. Mühsam unterdrückt Bärbel die vordringenden Thränen und hantiert flink in der rauchgeschwärzten Küche, indes Klärle sich auf den Rain begiebt, um nach dem Wetter zu sehen. Im Vorübergehen wird eine aufgeblühte Nelke der Ehre des Abpflückens gewürdigt, und wie das Mädchen sich eben die Blume ans Mieder stecken will, tönt es von der Straße her, gesungen von einer kräftigen sonoren Männerstimme: „Was guckscht denn so traurig? Sei luschtig und froh! 's isch oimol ein Leaba 's isch oimol no so!“ Unwillig dreht Klärle den Kopf nach dem Sänger, und beim Anblick des feschen Burschen, dessen Augen die prächtige Mädchengestalt schier verschlingen möchten, wirst Klärle spöttisch die Lippen auf und zuckt geringschätzig die Achseln. Der Bursch aber läßt sich nicht so kühl schnippisch abspeisen und singt weiter: „Alt wirscht ja von selber, So tanz noh ond spreng, Ond weischt a sei's Liedle: Sei luschtig ond seng!“ Erwartungsvoll sieht der Bursch hinüber zur trutzigen Dirn und zwirbelt sich den herrschen Schnauzer auf. Doch Klärle bückt sich, reißt einen Zwiebelknollen aus dem Erdreich und wirft ihn unter spöttischem Lachen auf die Straße hinaus, gleichsam zum höhnischen Lohn für das Gesangel. Nicht faul, hebt der Bursch die Zwiebel auf, befestigt sie an seinem Hut und erweist dem Maidle eine spöttische Reverenz durch eine tiefe Verbeugung, zugleich rufend: „Schönsten Dank, gnädig's Fräula!“ Mit jähem Ruck wendet sich zornglühend das Mädchen zu dem Spötter auf der Straße, drohend den schöngeformten Arm erhebend und ruft über den Zaun: „Jetzt gang aber, oder ich lupf' dich übern Rain, du Bänkelsinger und Straßengauner!“ Statt zu gehen, hält sich der Bursch die Seiten und lacht aus vollem Halse: „Klärle, so g'falscht mir! Bischt e rassig's Maidle!“ Starr vor Staunen sieht Klärle, wie der fremde Bursch mit gewandtem Schwung über den Zaun setzt und auf sie zukommt. Bebend vor Entrüstung über solche Frechheit guckt Klärle, wo sich ein Prügel finde, mit dem sie den Eindringling züchtigen könne, aber da ist der Bursch schon, faßt das Maidle um die Hüften und drückt ihm trotz verzweifelter Gegenwehr einen kräftigen Kuß auf die rosigen Lippen. Lachend läßt der Bursch nun die glühende Klärle los und spricht: „Mueßt nit so wild sein, schön's Klärle, hihi!“ Den Hut lupfend, geht der Bursch von dannen. Klärle zetert jetzt aus vollem Halse und ruft den alten Vater zu Hilfe. Doch der Giftbauer, der im Fenster des oberen Stockwerkes liegend den Vorfall beobachtete, grinst vergnügt und kichert herunter: „Ganz recht isch dir g'scheh'n! Der hat dir's gründlich b'sorget, hihi!“ Klärle macht zornglühend eine jähe Wendung, guckt sprachlos vor Entrüstung zum Vater hinauf und springt ins Haus. Gleich darauf gellt ihre Stimme durch den Flur: wieder ist's Bärbel, an der das Mädchen seinen Zorn ausläßt, und Tellergeklirr und prasselnde Scherben künden nichts Gutes. Wenn das so fort geht, wird bald kein Geschirr mehr im Hause sein und künftig alles aus Holzschüsseln gegessen werden müssen. Der Giftbauer, ein schwächlich, von Gicht häufig geplagtes Männlein, humpelt die ächzende Holztreppe hinunter ins Erdgeschoß, um sich den Kampf in der Nähe zu besehen. Kaum aber guckt er in die Küche, da schmettert ihm Klärle schon entgegen: „Was willscht? Mannerluit hent nüt z'suchen in der Küch'! Gang nur glei, oder i gang!“ Und zur Bekräftigung ihrer scharfen Aufforderung greift Klärle nach einem Besen, so daß der Giftbauer schleunigst den Rückzug antritt und in die Wohnstube flüchtet, wo er im Lehnstuhl am Fenster über sein harbes Töchterlein nachdenken und auf das Mittagsmahl warten kann. Es ist eine böse Sach' mit dem Klärle! Zwar hält sie die Wirtschaft ganz ordentlich zusammen und dirigiert das Gesinde wie ein General seine Truppen, hält es zur Arbeit an, besser, als es der Giftbauer in rüstigen Jahren selber vermochte. Aber Lust und Fröhlichkeit ist mit dem Heranwachsen der Tochter völlig aus dem Hause geschwunden; man hört kein frohes Liedel mehr, kein Lachen, dafür Gezeter und Gekeife, so schlimm, wie es sogar bei Mutters Zeit nicht gewesen, und Mutter war gewiß scharfzüngig und hatte eine Schneid' entwickelt, wie solche die schärfsten Lauterbacher Bueben nicht besaßen. Tief aufseufzend flüstert der Alte vor sich hin: Wenn nur der Rechte einmal käme und Klärle zähmen würde! Aber der darf gehörig Haare auf den Zähnen haben, sonst verspielt er und muß sich ducken und kriegt den Teufel ins Haus. So eine Zähmung wünscht der Gifter seiner Tochter vom ganzen Herzen, doch quält ihn auch wieder der Gedanke, wie es einsam im Hause sein werde, wenn Klärle einmal fort sein wird. Freilich ist dann immer noch die Bärbel da, aber die ist eben doch nicht sein eigen Fleisch und Blut. Den Dienstboten macht Klärle heute ganz besonders flinke Füße, denn es ist ja Vorabend vor Pfingsten und muß daher gefegt und gescheuert werden mehr denn je im arbeitsreichen Jahre. Wie's Gewitter ist Klärle hinterdrein und ihre scharfen Worte treiben die Leute an wie Geißelhiebe die Pferde. Kaum daß die scharfe Tochter dem Gesinde Zeit zum Mittagessen ließ, so drängte sie zur Arbeit; sie selbst rührte keinen Bissen an und hielt während des Mittagsmahles nach ihrer Eigenart die Hände vor das Gesicht, um nur ja niemanden sehen zu müssen. Der Vater wagte die Bemerkung, daß es doch wohl nicht so arg pressieren werde mit der Arbeit, der Tag sei lang genug, und bis zur Dämmerung dürfte doch alles auf dem nicht zu großen Hof gerichtet sein. Spitz kam es augenblicklich von Klärles Lippen, wobei das Mädchen zornig mit den kleinen Fäusten auf den Tisch schlug: „So, meint der Vater? So wird's recht! Den Dienstboten auch noch die Stange halten und vorreden, daß sie sich Zeit lassen sollen! Das wär' mir die rechte Wirtschaft! Warum denn nicht gleich der Stalldirn eine Seidenmantill' umhängen und den Kuhhirten regieren lassen! Nein, daraus wird nichts! Ich hab' die Verantwortung, und so lang ich im Hause bin, regier' ich, verstanden! — Auf jetzt, es ist abgegessen! Bärbel, bet' den Vaterunser und dann fort zur Arbeit!“ Gehorsam betet Bärbel vor und das Gesinde nach. Dann verschwindet alles aus der Stube, froh, der hantigen Tochter aus den Augen zu kommen. Auch der Alte humpelt von dannen, verdrossen ob der ihm gewordenen Abkanzlung, wo er es doch so gut gemeint hat. Bärbel begiebt sich wieder zur Spülarbeit in die Küche, indes Klärle die Fegarbeit vor dem Gehöft beaufsichtigt und die eine Dirn schilt, daß sie so viel Staub aufwirbelt und das Wassersprengen vergessen habe. Gleich darauf wettert das Mädchen, daß die Milchgeschirre, die Buttergefäße nicht blank genug gescheuert seien und Flecken aufweisen, die augenblicklich mit Seife und Sand nochmal gerieben werden müßten. Und über dem einen Fenster im oberen Stockwerk zeigen sich gar Spinnweben! Ob man wohl ersticken soll im Gifthof? Zornerfüllt packt Klärle einen Besen, streckt sich und sucht das Spinngewebe wegzuwischen. Um sich eine größere Körperlänge zu verschaffen, steigt das Mädel rücksichtslos auf ein umgestülptes, eben frisch gescheuertes Butterfaß und stochert nach dem Gewebe. Doch das Faß schwankt, Klärle verliert das Gleichgewicht, sucht mit dem Besen am Fensterrahmen einen Halt zu gewinnen, und klirr — eine Scheibe ist eingestoßen, und die Glasscherben fallen knirschend herunter. Mit einem Satze ist Klärle herabgesprungen und stößt das Faß mit dem Fuße vor. Das schadenfrohe Gekicher der Mägde entfacht ihren Zorn und Ärger zur hellen Wut, und ein wahres Donnerwetter prasselt auf die Dirnen herab. Immer näher klingendes Schellengeläute heimziehender Kühe läßt Klärle mitten in der Rede einhalten, wie versteinert steht das Mädchen und starrt auf den Hirten, einen etwa zwanzigjährigen Burschen, der mit lautem „Hüh!“ die ihm anvertraute Herde dem heimatlichen Stall zutreibt und fröhlich dazu die Geißel schnalzen läßt. Und einmal von der Straße weg, setzen sich die prächtigen Hornisten in Trab trotz des vollen Gesäuges und drängen der Stallthüre zu. Jetzt findet Klärle die Sprache wieder; im Sturmschritt eilt sie auf den Hirten zu und fährt ihn an: „He Märte, bischt närrisch worde?! s' Dunnerwetter soll di versprenga, was kommst denn du gant am helllichten Tag hoim!“ Gelassen nickt Martin, der Hirt, der Hoftochter zu, schiebt sich zwischen den Kühen durch, öffnet die Stallthüre und läßt seine Hornisten ein; dann stellt er sich ganz gemütlich vor Klärle hin und meint, sobald die Kühe getränkt seien, könne Vrenele mit dem Melken beginnen. Klärle ist ob solcher Frechheit völlig perplex; am helllichten Tage das Vieh von der Weide abzutreiben, das ist unerhört, und der Bursche entschuldigt sich darob noch nicht einmal und thut, als sei das selbstverständlich. „Närrisch, rein närrisch isch es und zum greina! Aber dir soll der Grind gewaschen werde, du Bengel, du Tagedieb! Vom Lohn soll dir's abgezogen werde!“ Die letztere Drohung schüchtert Martin wohl etwas ein, doch meint er, am Vorabend vor Pfingsten werde eine Ausnahme schon erlaubt sein, weil ein Hirt sich doch auch vorrichten müsse zum morgigen Schellenmarkt. Klärle zetert mit voller Lungenkraft, daß ihr der Schellenmarkt völlig gleichgültig sei und sie nichts kümmere. Auch verweigere sie die Erlaubnis zum Besuch des Schellenmarktes aus Strafe für das vorzeitige Verlassen des Weideplatzes. Der sonst so gefügige Hirt aber lehnt sich jetzt entschieden auf; ein Hirt gehöre von altersher am Pfingstsonntag auf den Schellenmarkt am Fohrenbühl, und wenn's den Bauern nicht recht sei, können sie zu Pfingsten ihr Vieh selber hüten. So war's immer Brauch im Schwarzwald, und er, der Martin, werde diesen Brauch der Klärle zu lieb nicht ändern. „Du bleibscht daheim, sag' ich!“ Martin zuckt die Achseln und schickt sich an, das Mädchen einfach stehen zu lassen. Diese Respektswidrigkeit ahndet Klärle jedoch augenblicklich, und schwapp hat der Hirt einen Schlag um die Ohren, daß es patscht. Im Burschen kämpft es sichtlich, doch gewinnt alsbald die Vernunft die Oberhand; hochrot im Gesicht reibt sich Martin die geschlagene Wange und meint, es wäre nicht nötig gewesen, ihn zu schlagen, denn noch sei er nicht zum Schellenmarkt gegangen, das Verbot sei also noch nicht übertreten. Höhnisch rät Klärle ihm, er soll es nur nicht wagen, den morgigen Schellenmarkt zu besuchen. Frühmorgens habe er wie immer die Kühe aufzutreiben, und wehe ihm, wenn er sich am Fohrenbühl sehen lasse. „Und jetzt geh' deiner Arbeit nach!“ Der Giftbauer hat sein Nachmittagsschläfchen gemacht und humpelt eben vors Haus, um seinen alten Körper etwas zu sonnen. Der scharfe Wortwechsel lockt ihn an und eiliger als sonst stapft er um die Hausecke, um zu hören und sehen, was denn schon wieder los sei. Beim Geräusch der klatschenden Ohrfeige bleibt der Alte erschrocken flehen, hebt seinen Krückstock wie abwehrend in die Höhe und ruft Klärle zu, sie solle es in ihrem Zorn und Ärger nicht zu weit treiben und die Dienstleute nicht auch noch körperlich mißhandeln. Augenblicklich dreht sich Klärle um und schreit erregt dem Vater zu: „Soll ich mich vielleicht von dem rebellischen Volk schlagen lassen! Wer nicht pariert, der kriegt Hiebe; wer nicht hört, muß fühlen. Ist das auch eine Art, am helllichten Tag die Weide zu verlassen? Und wegen was? Bloß damit der Kerl seine Vorbereitungen zum Schellenmarkt machen kann! Haha! Ich werd' ihm den Schellenhandel austreiben!“ „Na, Klärle! Es ist ja alter Brauch, daß die Hirten sich am Pfingstsonntag zum Schellenmarkt auf dem Fohrenbühl versammeln!“ „So, und soll dann vielleicht ich das Vieh hüten am Pfingstsonntag?“ „Wer redet denn von dir?! Das kann doch der nächstbeste Knecht besorgen. Der Pfingstsonntag gehört nun einmal seit undenklichen Zeiten den Hirten, und die Bauern des ganzen Bezirkes haben sich diesem Brauch gefügt und hüten am Jahrtag ihr Vieh selber!“ „Mögen die anderen thun, was sie wollen: ich leide es nicht, und der Gifthof fügt sich diesem Brauch nicht! Und ein Feigling ist der Martin, daß er sich schlagen läßt!“ „So? Was hättest denn gesagt, wenn er dir den Schlag zurückgegeben und die stolze Gifttochter nach Gebühr durchgeprügelt hätte?“ „Was mich — —“ „Ja, dich durchgeprügelt! Das Recht hätte der Hirt gehabt, und mehr als davonjagen hättest den Martin auch nicht können! Er ist aber ein braver Bursch und hat den Schlag ruhig hingenommen. Ich rate dir ernstlich, anders umzugehen mit unseren Leuten! Du könntest einmal an den Unrechten kommen, und dann erlebst was! Und dann vergiß nicht, daß einem weiblichen Wesen solches Drauf- und Dreingehen nicht gut ansteht!“ „Ich hab' auf niemanden aufzupassen!“ „Doch! Auf dich selber, Klärle!“ Martin hat, unter der Stallthüre stehend, diesem Wortwechsel zugehört, ebenso standen die Dirnen hinter den Fenstern des unteren Gelasses und preßten die Nasen an die Scheiben, um ja kein Wörtchen zu überhören. Wie nun der Alte sich wendet, um sein gewohntes Plätzchen auf der Bank vor dem Hause aufzusuchen, und Klärle mit zusammengekniffenen Lippen dem Hause zuschreitet, stieben die Mägde auseinander wie eine Schar aufgescheuchter Spatzen. Und zum erstenmal schweigt das Mädchen auf eines anderen Rede. Wortlos auch besichtigt Klärle am Abend die gethane Arbeit; daß die Gestrenge nicht laut tadelt, ist für die Dienstboten nach bisheriger Erfahrung das höchste Lob und ein außerordentliches Ereignis, das denn auch im geheimen gründlich durchgesprochen wird. Zum Abendessen ist Klärle nicht erschienen; man wartete auf sie, und als sie gar zu lange auf sich warten ließ, schickte der Vater hinauf in Klärles Stube und ließ sagen, daß Essenszeit sei. Die Dirn kam jedoch mit dem Bescheid wieder herunter, daß Klärle nicht komme und man ohne sie zu Abend essen solle. Verwundert schüttelt der alte Gifter den grauen Kopf und löffelt dann langsam sein Abendsüpplein. Bei Tisch schwiegen die Dienstboten; aber nach Beendigung der Mahlzeit ließen sie ihre Mäuler laufen, und wurde hin- und herdebattiert, ob vielleicht doch der Alte mit seiner kernigen Ansprache das Mädel eingeschüchtert habe. * * * * * In den stillfriedlichen Feierabend und das liebliche Gelände des entzückenden waldreichen Lauterbachthales blickt, am geöffneten Fenster sitzend, Klärle, den schönen Kopf auf den Arm gestützt, und ihre Lippen flüstern immer wieder die Worte des Vaters: „Paß' auf dich selber auf!“ Diese Mahnung giebt Klärle zu denken; sie geht ihr mehr zu Herzen, als sie sich selber eingestehen will. Was der Vater damit sagen wollte? Ist sie so schlimmer Art, daß sie jede ihrer Handlungen, jedes Wort künftig einer Selbstüberwachung unterziehen soll und muß? Thut sie denn Schlechtes, wenn sie scharf ist und den Leuten auf die Finger sieht zum Nutzen des Hofes? Und sind denn die Dienstboten nicht überall und immer faul und nachlässig? Was ist denn überhaupt geschehen am heutigen Tage? Bärbel muß scharf behandelt werden, sonst geht es nicht vorwärts im Hauswesen; den Bänkelsinger kanzelte Klärle doch verdientermaßen ab, leider rächte sie sich nicht für die freche Umarmung und den infamen Kuß. Die vorzeitige Heimkehr des Martin von der Weide ist eine Ungehörigkeit, die Strafe verdient. Freilich, der Schlag ins Gesicht des sonst braven, treuherzigen Burschen war eine übereilte That und nicht gerade notwendig. Wie das wieder gut gemacht werden könnte? Wenn sie dem Hirt den Besuch des Fohrenbühler Schellenmarktes morgen gestattet, wäre eine Sühne gegeben. Sühne! Ist denn das Verbrechen so groß, einem Burschen handgreiflich zu zeigen, wer der Herr ist im Hause? Und ist denn nicht alles wie verschworen gegen sie? Auf Schritt und Tritt stößt sie auf Widerstand und Ungehorsam. Nur durch strenges Auftreten und scharfe Zucht sind die Leute im Zaum zu halten. Es geht nicht anders! Oder doch? Wie weihevoll vom Lauterbacher Kirchturm die Ave-Glocke herübertönt! So friedlich und feierlich! Und leise rauscht es im nahen Tann, der würzigen Odem ausströmte. Stimmengeflüster unter Klärles Fenster erregen des Mädchens Aufmerksamkeit, Klärle horcht, sich etwas vorbeugend, was gesprochen wird. Der Stimme nach ist's Bärbel, die spricht: „Nein, Martin, du darfst es glauben: schlecht ist Klärle nicht! Sie meint es auch nicht so schlimm und geht nur etwas arg scharf ins Zeug! Sie ist die gute Seele selber! Ihr fehlt ein vertrautes Wesen, die richtige Aussprache! So lang' sie Freud' und Leid, Ärger und Verdruß immer allein in sich verarbeiten und hinunterwürgen muß, wird ihre Verbitterung nicht schwinden.“ Und Martin erwidert: „Sie hat doch dich, Bärbel!“ „Du darfst nicht vergessen, Märte, daß sie alleweil die Herrin ist und ich nur geduldet bin auf dem Hof! In mir sieht sie nichts als eine dienende, aus Gnad' und Barmherzigkeit aufgenommene Person, was ich ihr schließlich nicht einmal verübeln kann.“ „Na, just dreinschlagen braucht sie auch nicht! Mich hat es elend gejuckt, als ich den Hieb um die Ohren spürte —“ „Nimm ihr's nicht übel, Märte! Wer weiß, ob es Klärle hinterher nicht selber leid ist. Und besonders männlich und tapfer war's auch nicht gewesen, wenn du ihr den Schlag zurückgegeben hättest, mein' ich!“ „Zurückgeschlagen hätt' ich nie! Es hat mich nur gejuckt in den Fäusten! Nein, nein! Ich, und Klärle schlagen, sie, die ich am liebsten auf den Händen tragen möcht'!“ „Wie sagst, Märte?“ „Ich mein' nur bloß! Weißt, die Klärle ist ja so viel schön!“ Bärbel preßt die Lippen aufeinander und wird blaß. In den lauen Abend blickend bemerkt Martin davon nichts und spricht mehr für sich leise vor sich hin: „Ja, ein wundersam Mädel ist die Klärle! Freilich viel zu noblicht für unsereinen, aber anschmachten darf einer sie doch! Und ihr zu lieb' geh' ich trotz Brauch und Recht morgen nicht auf den Schellenmarkt, so gern ich mein zweites Geläut ergänzen möchte! Weißt, Bärbel, mir fehlt zum zweiten Geläut noch eine Glocke! Hab' ich die dazu paffende im Ton, dann kommt meinen Schellen keines gleich im ganzen Schwarzwald! Aber es wird schwer halten, denn ich hab' keine Tauschschelle und zum Kaufen kein Geld. Vom Bauern kann ich nichts fordern, und bis Weihnachten ist noch lang hin.“ Bärbel hat sich jäh erhoben, und verwundert fragt Martin: „Wohin laufst denn? Willst schon zur Ruh'?“ „Wart' einen Augenblick, Märte! Ich komm' gleich wieder zurück!“ Und weg ist das schmächtige Mädel. Martin guckt Bärbel verdutzt nach und brummt dann: „Die hat auch ihre Mucken wie die andere!“ Wie von einer Natter gestochen, ist Klärle, die alles gehört, zurückgefahren, sie hat im Nu begriffen, weshalb Bärbel in ihre Stube gelaufen ist, und die Einhändigung der Spargroschen zum Schellenkauf will Klärle verhindern, sie weiß selbst nicht warum. Ein schriller Ruf dringt durch das kirchenstille Haus: „Bärbel!“ Martin zuckt zusammen und bringt sich in Sicherheit, indem er eiligst die Knechtstube aufsucht. * * * * * Ein herrlicher Pfingsttag ist angebrochen mit all' der Sommerpracht und goldigstem Sonnenzauber. Grün schimmert es von den Wiesen und Hängen, frisch und saftvoll; mild ist selbst der Tann geworden, dessen düsteres Schwarz sich lichtet durch die jungen Triebe. Durch den jungen Sommermorgen zittern die Glockentöne herüber, die mit eherner Zunge mahnen zum Gottesdienst. Schon sind die Ehehalten fort, festlich gekleidet, die Dirnen geputzt in der schmucken Wäldlertracht mit hängenden Zöpfen. Der alte Giftbauer steht zum Kirchgang gerüstet vor dem Hause, denn zu heiligen Zeiten pflegt er, wenn auch humpelnd, seiner Christenpflicht zu genügen, wenn anders das Wetter es erlaubt. Und heute ist ja ein Pfingsttag, wie er schöner nicht erträumt werden kann. Doch die Zeit drängt, die Glocken rufen schon zum zweiten Male, und Klärle ist noch immer nicht fertig. Ungeduldig klopft der Alte mit seinem Krückstock auf die Bank vorm Hause und ruft in den Hof: „He, Klärle, wo steckst so lang! Wir versäumen sicher noch Amt und Predigt!“ Von drinnen tönt es durch den Flur heraus: „Geh nur voraus, Vater, ich komme gleich nach!“ Ärgerlich humpelt der Giftbauer der Straße zu. Daß doch Klärle immer was Extriges haben muß! Und niemals ist ein Fertigwerden mit den Weibsleuten. Als Letzte verläßt richtig Klärle den Hof, nachdem sie das Hausthor vorsorglich abgesperrt und den Schlüssel in der Tasche ihres Festtagsrockes geborgen. Eilig läuft das wundersam geputzte Mädel gen Lauterbach und erreicht das Gotteshaus just im Augenblick, wie Pfarrer und Ministrant die Sakristei verlassen und die Orgel ertönt zum Beginn der heiligen Handlung. Bis zur Bank, wo seit Menschengedenken die Giftischen ihren Platz in der Kirche haben, kann Klärle nicht mehr vordringen, die Andächtigen bilden eine dichte Menschenmauer, und Klärle ist gezwungen, inmitten des „geringen Volkes“ von verspäteten Knechten und Mägden stehend der Messe anzuwohnen. Das ärgert die stolze Klärle nicht wenig, doch ist's nicht zu ändern. Von besonderer Andacht ist bei Unmut und Arger keine Rede; Klärle möchte am liebsten die Kirche wieder verlassen, doch stehen die Gläubigen hinter ihr in so dichten Scharen hinaus bis auf den Friedhof, daß an ein Durchdrängen jetzt mitten im Amt nicht zu denken ist. Auch würde es heilloses Aufsehen erregen, wenn just die Tochter des Giftbauern die Kirche während des Gottesdienstes verlassen würde. Mit besonderer Würde und Feierlichkeit besteigt der Pfarrer die Kanzel und beginnt die Predigt, nachdem er die versammelte Gemeinde gesegnet. Des würdigen Mannes scharfes Auge hat Klärle eingekeilt in der Knechte Schar wahrgenommen, und unschwer errät Hochwürden, daß das Mädchen sich verspätet habe und sich nun wohl nach seiner Art über diese Umgebung schwer ärgern werde. Der Pfarrer erinnert an die Verheißung Christi, die am zehnten Tage nach des Heilandes Himmelfahrt in Erfüllung ging. In Jerusalem waren die Apostel, Maria und wohl an hundertzwanzig Gläubige versammelt, und alle beteten gemeinschaftlich um die dritte Stunde (neun Uhr morgens). Da entstand plötzlich ein Brausen, das das ganze Haus gleich einem Sturmwinde erfüllte, und der Geist Gottes kam in Gestalt feuriger Zungen über die Betenden herab, erfüllte sie mit seinen Gaben und bewirkte bei ihnen, daß sie die Lehre Jesu klar begriffen, gab ihnen die Gabe der Sprachen und erfüllte sie mit Mut, um die Lehre Gottes überall zu predigen. An jenem Tage hielt Apostel Paulus eine erschütternde Rede an das Volk, und dreitausend Juden bekannten sich zur Lehre Jesu und ließen sich taufen. Und heute ist das Pfingstfest, eine Gedächtnisfeier zur Erinnerung an die Gründung der christlichen Kirche für die ganze Menschheit. Mit der Feier dieses Festes steht auch die Natur im Einklang; das heilige Pfingstfest fällt in eine Jahreszeit, wo die Natur im Sinnbilde die Wirkungen darstellt, welche der heilige Geist bei seiner ersten Ausgießung in der Menschheit im Ganzen hervorrief, und welche er noch immer hervorruft, wenn er in die Seele der einzelnen Christen einkehrt. Unter dem wohlthätigen Einfluß der Sonne entwickeln sich in schnellem Wachstum die Keime und Knospen, welche die Früchte des Sommers und Herbstes tragen sollen, die ganze Natur prangt in vollendeter Schönheit. Die Knospen im christlichen Sinne sind aber hauptsächlich die Liebe, der Friede, Geduld, Milde und Güte, und um diese Früchte des heiligen Geistes sollen alle jene zu Gott flehen, in deren Herzen diese himmlichen Tugenden nicht wohnen. Ist es Zufall, daß der Prediger den Kopf eben in die Richtung dreht, wo Klärle mit hochrotem Kopf steht? Geduld, Milde und Güte und die Gifthof-Klärle — —?! Unwillkürlich guckt alles in nächster Umgebung auf das Mädchen, das zornglühend am liebsten in die Erde versinken möchte. Die Knechte stoßen sich gegenseitig mit den Ellbogen, ein leises Gezischel bei den Weibsleuten wird hörbar; die Leute haben erfaßt, daß die Worte von der Kanzel offenbar auf die Gifttochter gemünzt sind, und darüber ist sich auch Klärle klar. Wild drängt ihr heißes Blut zum Herzen, es hämmern die Schläfen, sie glüht vor Zorn über diese Bloßstellung nach ihrer Meinung und einem unwiderstehlichen Drange folgend, drückt das Mädchen die nächststehenden Burschen zur Seite, schafft sich Platz durch Püffe und Stöße und drängt sich durch die Menschenmauer hindurch ins Freie. Ein Gemurmel des Unwillens, des Staunens erfüllt den Raum, niemand achtet der weiteren Worte des Pfarrers; die Thatsache, daß die Gifttochter beleidigt und absichtlich die Kirche verlassen, wirkt zu überraschend. Das Ärgernis vergrößert sich, da auch noch der Gifthofhirt, der, auf der Chortreppe stehend, die Entfernung Klärles wahrgenommen hat, unter kräftigen Stößen und Püffen zum Ausgang drängt und sichtlich bestrebt ist, dem Mädchen Beistand zu leisten. Klärle hat sich durch den Menschenwall durchgearbeitet und steht, tief Atem holend, an allen Gliedern bebend und hochrot im Gesicht, im Friedhof, begafft von den Burschen, die im Gotteshause keinen Platz mehr gefunden und nun ihrem Erstaunen über den verfrühten Austritt Klärles unverhohlen Ausdruck geben. So spottet einer der Lauterbacher Buben: „He, Klärle! Isch dir's zu warm worden drinnen, oder hat der Pfarrer gestichelt!“ Das Mädchen wird blaß bis in die Lippen, es flimmert Klärle schwarz vor den Augen vor Erregung. Im selben Augenblick tritt Martin an ihre Seite, faßt sie bei der Hand und führt sie mit den Worten: „Komm, Klärle, dir isch übel!“ hinweg. Auf der Straße angelangt, reißt sich Klärle unwillig los und stürmt davon. Verdutzt guckt Martin dem Mädchen nach, Klärles Sinnen, Denken und Fühlen verstehe ein anderer, der Hirt kann's nicht verstehen. Gemächlich trollt Martin heim, unterwegs sich die Worte des Pfarrers zurechtlegend, die der Hirt wohl auch für richtig findet, nur hätte der Pfarrer nicht so deutlich auf Klärle sticheln sollen, die ja so arg empfindlich ist. Jedenfalls hat es der Pfarrer jetzt bei Klärle gründlich verschüttet. Die wird nun einen Humor entwickeln! Na, guet' Nacht! Das kann hübsch werden. Und wie von einer Vorahnung erfaßt, reibt sich Martin seine Wangen, entschlossen, der schlagfertigen Haustochter künftig sorgsam auszuweichen. Im Hause steht das Thor angelweit offen, doch von Klärle ist nichts zu sehen. Martin sucht seine Kammer auf, kleidet sich wieder werktäglich, weil er ja doch laut gemessenem Befehl der Haustochter auf die Weide muß und ihm der Besuch des Schellenmarktes verboten ist. Und nach dem Vorfall in der Kirche ist an eine Zurücknahme des Verbotes ganz und gar nicht zu denken. * * * * * Auf dem engen Kirchplatz zu Lauterbach ist es wohl seit der Kriegserklärung gegen Frankreich und der Thronbesteigung König Wilhelms II. des Guten nicht mehr so lebhaft zugegangen, als nach Beendigung des Gottesdienstes am heutigen Pfingsttag. Die Leute drängten aus der Kirche in einer Eile, als stünde das Dach in Flammen, und in Weiberröcken und Mädchenzierrat gab es Risse, die willig in Kauf genommen wurden, wenn es nur gelang, so schnell wie möglich das Ereignis der Predigt auf die Gifthofkläre besprechen zu können. Daß der Pfarrer recht hat, ist eine ausgemachte Sache; das bestätigt jedes, das mit der spitzen Klärle je in Berührung gekommen ist. Und unverdient ist diese Kanzelmahnung sicherlich nicht; dagegen ist die Nippenburg gegen ein Zündholzschächtelchen zu wetten, daß die Kanzelmahnung bei Klärle just das Gegenteil erzielen wird. Die jungen Lauterbacherinnen wundert daher die Kurasche des Pfarrherrn, den 's Klärle doch schon einigemale heidenmäßig respektwidrig schnippisch behandelt hat. Ältere Leute wieder äußern die Ansicht, daß damit der Pfarrer nur Öl ins Feuer gegossen habe. Ein wahres Kreuzfeuer von Fragen und Bemerkungen hatte der alte Giftbauer auszustehen, als er ahnungslos aus der Kirche kam. Daß seine Tochter das Stichblatt der Pfingstpredigt gewesen, hat er nicht im geringsten gemerkt; im Gegenteil war er der Meinung, daß der würdige Pfarrer seit Langem nicht so eindringlich und gut das Wort des Herrn verkündigt hat. Und so ganz im geheimen hat der Alte gebetet, es möchte der Geist der Liebe, Milde, Güte und Geduld auch in Klärle einziehen und deren Herz weicher stimmen. Der Ansturm der Lauterbacher überrascht daher den Alten höchlich, er verblüfft ihn; der Gifter kann es nicht fassen, daß der „Stich“ auf Klärle allein gemünzt gewesen. Aber da versichert wird, daß seine Tochter in höchster Erregung vor Beendigung des Gottesdienstes die Kirche verlassen, sich gewaltsam den Austritt erzwungen hat, so wird dem wohl so sein, und der Alte seufzt, und flink, wie seit Jahren nicht, stapft er von dannen, die Leute einfach stehen lassend. Die Gichtschmerzen sind ihm ganz verflogen, schier gebraucht er den Krückstock nimmer im Bestreben, dem Geschwätz so rasch als möglich zu entkommen. Der Kaspar vom Jörgenmicheleshof mit der Zwiebel auf dem Hut, dem Andenken an die Begegnung mit der Gifthofklärle, hat Mühe, den fortstürmenden Gifthofer einzuholen und sich zusammenzureimen, wie doch das Zipperlein die Leute laufen läßt, wenn's pressiert. Und dem Gifter pressiert es, als stünde sein Hof in Flammen; er biegt eben von der Straße ab, wie Kaspar mit der Zwiebel am Hute in Rufnähe kommt. Soll er den Alten aufhalten? Lieber nicht! Auch künden erregte Laute aus dem Gehöft, daß das durch den Pfarrer heraufbeschworene Gewitter sich eben entladet. Offenbar läßt Klärle jetzt in ihren vier Wänden den Gefühlen freien Lauf. Kaspar entfernt sich gegen den Fohrenbühl zu, um vom Schellenmarkt möglichst viel zu profitieren, der nach dem Lauterbacher Gottesdienst seinen Anfang nimmt. Im Gifthof sind die Dienstboten nach Amt und Predigt wieder vollzählig erschienen, und gemächlich freuen sich die Knechte der Festtagsruhe vor dem Essen, nur die Dirnen müssen Hausarbeit in der Küche verrichten. Martin, werktäglich gekleidet, mit der langen Geißel bewaffnet, schreitet eben der Stallthüre zu, um seine Kühe loszuketten und auf die Weide zu treiben, da kommt Klärle aus dem Flötz und ruft ihn an: „He, Märte, was soll's?“ Verwundert dreht sich der Hirt um und guckt Klärle an. „Wohin willst, Märte? Warum steckst du am heiligen Fest in Werktagskleidern?“ „Auf die Weide will ich! Hast es ja ausdrücklich befohlen!“ „Du bleibst hier! Augenblicklich ziehst dich um, dem Pfingsttag zu Ehren! Und die Kühe treibt Vrenele aus bis zum Abend!“ Martin starrt Klärle fassungslos an. „Hörst schlecht? Dageblieben sag' ich! Und nach dem Essen begleitest du mich zum Schellenmarkt, verstanden!“ Den Befehl hat der Hirt verstanden, aber warum die Gifttochter jetzt den Sinn so geändert, warum sie sogar ihn zur Begleitung auffordert, das will ihm nicht in den Kopf. Aber ihm kann's recht sein! Vergnügt begiebt er sich wieder zurück in seine Kammer und kleidet sich abermals um. Mit offenen Mäulern stehen die Knechte herum und staunen; der heutige Tag bringt eine Überraschung nach der anderen. Klärle geht dann hinüber in den Garten, um den Vater zu verständigen, daß sie nach Tisch mit dem Hirt auf den Fohrenbühl gehen werde. Es möge der Vater mit Bärbel unterdessen das Haus hüten. Der Alte hat alles schon vernommen; Klärles Stimme ist nicht zu überhören. Ihm kann's recht sein, nur meint der Gifter, daß es vielleicht für Klärle besser sei, sich nach dem Vorfall in der Kirche lieber nicht unter die Leute zu mischen. Auch pflege es auf dem Schellenmarkt nicht immer glatt abzugehen! Jedenfalls werde Klärle gut thun, vor Dämmerung heimzukehren! Denn nach dem Gebetläuten sei noch immer gerauft worden beim Schellenmarkt am Fohrenbühl! Klärle ist ganz vom Widerspruchsgeist erfaßt; die gutmütige Mahnung erzielt bei ihr das Gegenteil; sie geht jetzt erst recht. Auf die Leute hat sie nicht aufzupassen, und mit dem stichligen Pfarrer werde sie schon noch abrechnen. Und vom Vater wäre es auch schöner gewesen, wenn er, statt wie toll heimzurennen und sich vor den Leuten zu verstecken, dem Pfarrer seine Meinung gesagt hätte. Der Hirt — so ein Wicht! — hat mehr Schneid und Anhänglichkeit bewiesen und hat wenigstens versucht, ihr beizustehen. Drum darf er zur Belohnung für seinen guten Willen auf den Schellenmarkt, und sein zweites Geläut werde sie, die Tochter vom Gifthof, ihm aus eigenen Mitteln ergänzen. „Aber Klärle, das ist doch ganz aus der Weis' gegen Brauch und Sitte!“ „Eben deswegen thue ich's!“ „Aber, hör' doch! Seit Menschengedenken schafft sich im Schwarzwald ein Hirt sein Geläut selbst, und deshalb ist auch jeder Waldhirt so stolz, das beste Geläut zu besitzen!“ „Unser Märte wird nicht minder stolz auf sein Kuhgeläut sein, wenn ich ihm die noch fehlende Schelle einhandle!“ „Na, das kann ein schönes Geguck werden: die Gifthoftochter und Schellen handelnd!“ „Ich thu's, und wenn sich alles auf den Kopf stellt darüber!“ Schellengeläute veranlaßt Klärle, sich zum Stallausgang zu begeben, wo Vrenele eben die Kühe ins Freie läßt und zur Weide treiben will. „He! Nimm der Bläß' und der Scheckigen die Schellen ab und gieb sie dem Märte! Kannst die beiden Küh' heut ohne Geläut austreiben. Morgen soll 's Geläut dann beieinander sein.“ Wenn die Dirn Zeit dazu hätte, sie würde die Hände überm Kopf zusammenschlagen. So aber hat sie Mühe, den fortdrängenden Kühen die Glocken abzunehmen und händigt selbe dem vergnügt schmunzelnden Hirten ein, der sich nicht wenig auf die ihm gewordene Bevorzugung einbildet und nicht übel Lust hätte, der Klärle seine Liebe zu erklären, wenn die Sache nicht so gefährlich wäre. Ein einzig uneben Wort, und die Geschichte schlägt ins Gegenteil um, der Schellenmarkt fällt ins Wasser, und Martin hat seine Hiebe dazu, wenn er nicht gar vom Hof gejagt würde. Aus diesen Erwägungen behält der Hirt seine zärtlichen Gefühle lieber bei sich und läßt sich über die Gunstbezeugung gebührend bewundern. Bei Tisch langt er sich im Bewußtsein, Hahn im Korb zu sein, die größten Brocken heraus, ein Frevel, der ihm zu normalen Zeiten sicherlich einen gehörigen Rüffel eingetragen hätte. Heute gucken die Knechte und Dirnen bloß, zumal Klärle dem Hirt übern Tisch zuruft, er solle sich beeilen, denn sie werden gleich nach dem Essen ausbrechen. Der Vater fragt, ob von den Knechten jemand auf den Markt gehen dürfe. Klärle erwidert gleichgiltig: „Mit mir nicht! Doch will ich's niemand verwehren, sofern die Leute zur Dämmerung wieder zu Hause sein werden!“ Das Gesinde vergißt aufs Essen vor Verwunderung, nur Martin schiebt mit Gabel und Löffel in den Mund, was er hineinbringen kann, und grinst dazu vor Vergnügen. Wenn das so fortgeht, kann er möglicherweise heut abend schon erklärter Tochtermann vom Gifter, und in sechs Wochen Giftbauer sein. Dann soll's hoch hergehen! Vor Wonne und Seligkeit hat der Hirt beim Schlucken nicht besonders acht gegeben und muß jetzt husten, daß er blau im Gesicht wird. Ärgerlich fragt Klärle: „Was hat denn der Esel? Er erstickt wohl noch an Butterspätzlen!“ Das kühlt die Glückseligkeit des Martin augenblicklich ab, und auch der Kloß rutscht sofort in den Magen, aus Respekt vor der Giftbauerntochter. * * * * * So stillruhig es auf dem Höhenzug zwischen dem Gutach- und Berneckthal, Fohrenbühl genannt, sonst ist und menschenleer auf der an Wiesen und Weideplätzen und Tannenwäldern vorbeiziehenden Straße nach dem badischen Städtchen Hornberg, heute wimmelt es von Hirten, Knechten und Dirnen, Bauern und Bäuerinnen, die alle der Grenze und Wasserscheide auf der Höhe zuwandern, wo noch auf württembergischem Boden das Wirtshaus zum „Adler“, etwa fünfzig Schritte davon auf badischer Erde das Wirtshaus zum „Schwanen“ steht. Die Straße durchschneidet quer die Landesgrenze und stehen die Grenzpfähle zwischen den beiden Häusern, die Wiesen, Granitfindlinge und die ungeheuren Felder der für die Schwarzwaldhänge typischen gelben Ginsterblume, hier zu Lande „Herrgottschühle“ genannt, trennen. Beide Wirte haben für den heutigen, vom besten Wetter begütigten Fohrenbühler Schellenmarkt Vorkehrungen getroffen, fliegende Schänken errichtet, Tische und Bänke vor die Häuser gestellt, um den „Einfall“ zu erleichtern. In einer Bude hält ein Schramberger Kaufmann neue Kuhschellen feil und Peitschen dazu, in einer anderen sind Tücher, Lebzelten und dergleichen für die Dirnen zum Kaufe ausgelegt, die von den Marktbesuchern denn auch gebührend bewundert werden. Innen und außen sind die beiden Wirtshäuser bereits dicht belagert von Durstigen; auf der Straße und bis hinüber in die Wiesen jedoch stehen die Hirten, die Löwen des heutigen Tages, und probieren die Schellen, daß es wirr durcheinandertönt. Gar mancher Bursch hält sich die Schelle dicht an das Ohr, um sich vom Klang, von der Gesamtharmonie zu überzeugen, bevor er den Kauf oder Tausch abschließt. Da jeder läutet und unzählige Schellen probiert werden, ist es nicht leicht, einen richtigen Dreiklang oder ein größeres harmonisches Geläute zusammenzubringen. Es schwirrt und klingt über die Höhe hinein in den sonnenbegossenen, harzduftenden, kirchenstillen Wald: ein vielstimmiges Kontert von Kuhglocken, ein Schellenchaos, bei dem man sein eigenes Wort nicht versteht. Hat ein Hirt aber das Kunststück fertig gebracht und seine Glocken harmonisch vereinigt, ist der Tausch oder Kauf abgeschlossen, dann tönt wohl ein Jauchzer der Freude dazwischen und Neugierige umzingeln den Glücklichen und probieren seine Schellen. So lärmt es und tönt es, die Hirten jubeln und jauchzen, trinken und streiten, wenn einer oder der andere auf Tausch oder Verkauf nicht eingehen will. In das Menschengewoge, das sich zwischen den beiden Wirtshäusern staut, taucht eben Klärle mit dem Hirten Martin, welchem die Gifttochter, nachdem sie wortlos mit ihm den Fohrenbühl hinangestiegen, knapp vor dem „Schwanen“ eröffnete, daß er nach den zum Geläut noch fehlenden Schellen suchen und solche einhandeln solle, wozu ihm Klärle das nötige Geld überreichte. Freudestrahlend bedankte sich der Hirt und steuerte der Hauptgruppe von Glockenhändlern zu, indes Klärle, von der Menschenmenge schier geschoben, allmählich den Buden nahekam, in welchen Tücher und dergleichen feilgehalten werden. Das Getriebe ist zu lebhaft, als daß eine einzelne Person auffallen könnte. Hie und da streifte das Mädchen wohl Bekannte, die dann untereinander tuschelten und sich wohl über die Stichelei unterhielten. Klärle achtete ihrer nicht weiter und ließ sich weiterschieben, teilnahmlos, gleichgiltig und gelangweilt. Schier reut es sie, auf den Fohrenbühl in dieses Menschengewoge gegangen zu sein, und allmählich reift in ihr der Entschluß, wieder heimzukehren. Hart vor einer Bude stehend, wird Klärle plötzlich angesprochen, der Kaspar vom Jörgenmicheleshof steht vor ihr und fragt: „Nun, schöne Klärle, wie ist's mit uns beiden? Willst für die Zwiebel nicht ein Halstüchel eintauschen? Bist noch so spitzig wie neulich?“ Unangenehm überrascht sieht das Mädchen zu dem stämmigen Burschen auf, und zornig kommt es von Klärles leicht zitternden Lippen: „Laß mich' in Ruh! Mit Bänkelsingern hab' ich nichts zu schaffen!“ Die scharfe Rede erregt Aufsehen unter den nächststehenden Leuten, die nähertreten und erwartungsvoll aufhorchen. Das schöne Paar ist im Nu von einer Menschenmenge eingekeilt, ein Entrinnen so leicht nicht möglich. Gutmütig meint Kaspar: „Mußt nicht gar so spitz sein! Es war nicht bös gemeint, und schau, dein Wurfgeschoß trage ich noch am Hut! Ein Nägele von dir war' mir lieber!“ Mit einem Griff reißt Klärle die Zwiebel von Kaspars Hut und ruft: „Für so 'nen Lumpen ist das selbst zu gut! Du brauchst nichts zu tragen von mir!“ „Halt, schnippisches Ding! Der Knollen ist mein! Dir aber rate ich, geh manierlicher um mit den Leuten!“ „Du willst Manier predigen, du, der wie ein Räuber in friedliche Häuser einbricht und Mädchen überfällt! Schande über dich, Kitteljäger!“ „So meinst?! Na warte, das Wort soll dir noch einmal auf der Zunge brennen! Wir rechnen noch ab miteinander! Hört zu, Bueben am Fohrenbühl: Sie hat auf die Zähn' wohl e Härle, Schneidet ab den Leuten die Ehr': So bleib denn fürder: _Giftklärle_, Dich nimmt der Teufel nimmermehr!“ Schallend Gelächter folgt diesem Trutzgesangel, laut rufen die Leute: „_Giftklärle_!“ und spotten, da sie augenblicklich den Doppelsinn in dieser Bezeichnung begreifen und fühlen, daß Kaspar ihr den Spottnamen für ihr „giftiges“ (schnippisches) Wesen aufgebracht hat. Von Mund zu Mund fliegt der Spottname; nicht einer findet ihn ungerecht, man gönnt dem unverträglichen Mädel diese öffentliche Abkanzelung und witzelt allenthalben übers „giftige Giftklärle“. Wutentbrannt, zornglühend drängt sich Klärle durch die Menschenmenge, die dem enteilenden Mädchen den neuen Spottnamen nachrufen. In rasendem Lauf flüchtet Klärle die Bühlstraße hinab, dem heimatlichen Hofe zu. Kaspar aber, der Held des Tages, feiert seinen Sieg über die trutzige Dirn bald im „Schwanen“, bald im „Adler“. Immer lebhafter wird es auf dem Fahrenbühl; der Wein thut seine Wirkung, immer hitziger werden die Burschen. Martin hat einen Hirten gefunden, der die Ergänzung im richtigen Glockenton zu seinem Geläut hätte, die paffende Schelle aber nicht hergeben will. Martin giebt sich die größte Mühe, den Burschen zu bereden, und bietet die gesamte von Klärle erhaltene Barschaft für die Glocke. Je dringlicher Martin wird, desto störrischer zeigt sich der Hirt, der schließlich, um den lästigen Händler abzuschütteln, höhnisch sagt: „Und wenn ich die Schelle auch dir gäbe, sie käm dann doch auf den Hof und der — _Giftklärle_ geb' ich sie nicht!“ Martin stutzt; von dem Vorfall an der Tücherbude hat er nichts wahrgenommen, doch fühlt er augenblicklich den Hohn in der Bezeichnung für seine Bauerntochter und ist zur Abwehr bereit. Die Schellen in den Sack schiebend, streift Martin die Rockärmel zurück, holt zum Schlag aus und ruft: „Nimm das Wort zurück, Lump, oder —!“ „Was oder — nichts oder!“ Schwapp hat Martin einen Hieb, daß ihm die Ohren sausen. Auf so ein erstes Zusammenprallen streitender Hirten wird beim Schellenmarkt förmlich gewartet, um sodann eine regelrechte, saftige „Holzerei“ ins Werk zu setzen, die zu den notwendigen Freuden des Festes gehört. Im Nu sind die Kampfhähne umringt; die Lauterbacher Bueben schlagen sich auf Martins Seite im Gefühl württembergischer Zusammengehörigkeit, und die Partei des badischen Gegners nehmen selbstverständlich die Burschen und Hirten aus dem Gutachthal. Um die Streitursache wird weiter nicht gefragt, es wird gerufen auf württembergischer Seite. „Hie Beutelsbach!“, kampflustig brüllen die Badener: „Hie Zähringen!“ und nun prallen die Burschen aufeinander, das Gebalge beginnt, kreischend fliehen Dirnen und Weiber aus dem Kampfbereich, die älteren Bauern hingegen beobachten mit Feldherrnaugen die „Schlacht“. Der Hirt vom Gifthof hat entschieden Pech am heutigen Pfingstfest; jämmerlich durchgebleut kommt er zu Fall, und im Kampfgewühl wird wenig Rücksicht auf deinen gebräunten Teint und seinen Gesichtsvorsprung genommen. Freund und Feind, Zähringer und Beutelsbacher treten auf seinem Körper herum, hin und her wogt der Kampf. Das bemerkt Kaspar, der erst die Flucht Klärles eine Weile beobachtet hat, und Mitleid erfaßt ihn; mit einem wuchtigen Satz springt er in den Menschenknäuel, wirft die Burschen links und rechts zur Seite, packt den am Boden liegenden Martin und zerrt ihn mit kräftiger Faust vom Kampfplatz weg. Arg zerschunden, getreten und verschlagen braucht der Hirt eine Weile, bis er auf eigenen Füßen stehen kann. Kaspar stützt den Burschen und führt ihn dann den Bühl hinab, heim bis in die Nähe des Gifthofes, den kläglich nach dem verlorenen Geld und um die vertretenen Schellen jammernden Hirten tröstend und beruhigend. Auf dem Fohrenbühl giebt es grimmig verschlagene Köpfe mit den schönsten Beulen, die aber augenblicklich auseinanderfahren, wie der Landjäger auftaucht. Hei, wie die Burschen nun flüchtig über die Grenze springen! Wie ein Schwarm Heuschrecken hupfen sie ins badische Land,[17] und fallen im „Schwanen“ ein, friedlich jetzt und einig, durstig und ob der Kraftausübung seelenvergnügt. Der Schellenhandel wird jetzt friedfertiger fortgesetzt, es klingt und tönt aufs neue hinaus in den verklärten Abend, und die letzten Sonnenstrahlen vergolden die fernen Höhen des Kniebis wie die Wipfel der langgedehnten Wälder. * * * * * Tannenumschattet steht am Moserkopf, in eine Mulde eingebuchtet auf einer kleinen, windgeschützten Blöße inmitten des düsteren Tanns eine ziemlich verfallene Blockhütte, auf deren flachem Dach eine Moosschicht grünt und deren Fugen mit dürrem Farrenkraut verstopft sind. Klein und sparsam sind die Fenster mit teils eingetragenen, teils erblindeten Scheiben in der schwarzen Hütte angebracht, vom Tann beschattet, so daß sie stets im Dunkel stehen. Eingefallen liegt nebenan ein Schuppen in Trümmern, der wohl einst Aufbewahrungsort der Kienstöcke für einen Theerschweeler gewesen sein mag, als noch an dieser Stelle in tiefer Waldesabgeschiedenheit getheert und Pech erzeugt wurde. Bruchstücke eines Theerofens liegen verstreut, von Farrenkraut umwuchert, auf dem schwärzlichen Boden. Ein unheimlich Bild der Verwahrlosung, des Verfalls bietet diese einsame Siedelung im dichten finsteren Tann, zu welcher durch den stillen Wald ein wenig betretener, moosiger Pfad führt. Würde nicht ein blauer Schurz an der verwitterten Hüttenthür hängen und bläulicher Rauch sich den Weg ins Freie suchen, man würde die Blockhütte für unbewohnt, verlassen gehalten haben. An dieser Stätte jedoch haust seit Jahren, Winters wie Sommers über ein altes Weiblein, gemeiniglich die Kräuterliese genannt, die hier aus sorglich gesammelten Kräutern heilsame Tränklein braut und an Hilfsbedürftige draußen im Lauterbach- und Berneckthale für wenige Groschen abgiebt und davon das karge Leben fristet. Durch ein abschreckend Äußeres ist das alte Weiblein immer, wo es sich in bewohnten Gegenden sehen läßt, ein Gegenstand der Furcht für Kinder, die das Weiblein für eine Hexe halten, für eine unheimliche Zauberin. Übermütige Burschen üben Spott am Weiblein, und die Dirnen weichen der Kräuterliese aus. Aber wenn so ein junges Ding einen Trank oder Rat braucht, wenn ein Mädel wohl gar durch geheimnisvolle Karten einen Blick in die Zukunft thun und erkunden will, wie der ersehnte Bräutigam heißen wird, dann huscht wohl so ein Waldmaidle durch den kirchenstillen Tann zur Hütte und fordert Einlaß in die dumpfe einsame Hütte. Weihevoller Abend ist's im Wald; das geheimnisvolle Flüstern in den Wipfeln ist erstorben, Meisen und Krummschnäbel sind zur Ruhe gegangen, majestätisches Schweigen waltet ringsum, und zauberhaftes silberweißes Mondlicht spielt herein auf die Blöße und zittert durch das dunkle Geäst der mächtigen Fichten und Tannen. Versunken in Gedanken lehnt ein lieblich Mädchen an der einen Seite des verfallenen Schuppens und blickt zum klaren, sternenbesäten Himmel empor, von dem ein kleiner Fleck von der Blöße aus zu sehen ist. Ringsum ragt der Tann auf, schützend und bewachend, ein ungeheurer Wall von Baumriesen. Es ist Klärle, die stumm, in sich gekehrt, vom Silberlicht umflossen steht und manchmal seufzt. Das Mädchen hat sich in die Waldeinsamkeit geflüchtet, hier bei der alten Kräuterliese hofft Klärle Ruhe zu finden vor den hämischen boshaften Leuten, Ruhe für das eigene Herz. Hier wird sie das schlimme Wort, das ihr auf dem Fohrenbühl zugerufen wurde, nicht mehr zu hören bekommen, jenes Wort, das sie getroffen bis ins Herz. Wie sie Unterkunft erbat bei der Kräuterliese unter Zusicherung guter Entlohnung, verschwieg Klärle die wahre Ursache ihrer Flucht vor dem Menschen, und schützte das Bedürfnis nach Waldluft und Ruhe vor. Und bereitwillig hat die Alte Klärle aufgenommen und ein dürftig Kämmerlein eingeräumt, so daß das Mädchen damit zufrieden wäre. Nach Gründen fragte das Weiblein nicht weiter; Ruhe werde 's Maidle schon finden und ein Tränklein auch, wenn es solchen wolle. Die Kost werde mager sein und dürftig das Lager aus getrocknetem Moos. Zum Tanzen werde es nicht kommen im Tann des Moserkopfes. Ruhe hat Klärle; aber jenes verhaßte Wort drängt sich immer wieder ins Gedächtnis und rückt ihr die widerliche Scene auf dem Fohrenbühl vor das geistige Auge. Wie leicht hat sie früher Vorfälle vergessen, wie rasch ist sie über unangenehme Scenen hinweggegangen! Bittende Worte hat sie verlacht, die Menschen mißachtet, schlecht behandelt; sie ist kalt und unempfindlich geblieben bei anderer Not und Elend und hat die schlimmsten Auftritte wenige Augenblicke später vergessen. Bei einem Ohr hinein, beim andern wieder hinaus; nachhaltend blieb nichts als eine Leere im Herzen, ein immer unzufriedenes Herz. Und jetzt? Immer wieder mahnt ein unerklärliches Gefühl, immer tönt ihr jenes Wort im Ohr; sie sieht, wohin sie blickt, die Gestalt jenes stämmigen Burschen, der hochaufgerichtet, mit lohendem Blick und zuckenden Lippen ihr jenes Wort zuschleuderte; sie hört das Hohngelächter der Leute immer wieder, und es krampft sich das Herz zusammen, ein namenloses Gefühl von Haß, Zorn, Bitterkeit und Ohnmacht zieht schmerzend durch ihre wogende Brust. O, wenn nur jener Augenblick aus dem Leben zu streichen wäre! Und mußte es denn so kommen? Was hat der Kaspar gewollt? War es notwendig, ihn so zu behandeln? Hat der Bursch nicht recht gehabt mit dem vergeltenden Wort? Es nagt wie Reue in ihrem Herzen. Sie hätte die häßliche Scene verhüten können; das grausame Wort wäre ungesprochen geblieben, wenn — —. „Selbst bin ich Schuld!“ flüstert Klärle vor sich hin. Und mit Bangen fühlt sie, daß sie die ersehnte Ruhe selbst hier, mitten im Tann, nicht finden werde. Ist sie denn schlecht, verderbten Gemütes? Hat sie nicht manchmal Wohlthaten geübt, Hungrige gespeist, Durstige gelabt, die Armen bedacht? Ist es kein Samariterwerk, daß sie die Bärbel belassen auf dem Hof? Pflegte sie nicht stets den alten Vater und führte die Wirtschaft regsam und sorglich? Scharf und hitzig ist sie, aber nicht schlecht. Und dennoch diese Strafe! Erst der Pfarrer mit der öffentlichen Mahnung und dann der widerwärtige Auftritt auf dem Bühl. Vervehmt, verhöhnt, verspottet von allen! Gebrandmarkt für immer! Ausgestoßen aus der Gemeinschaft, sie, die Erste nach Geburt und Rang in der Bevölkerung des ganzen Thales! Ein Flüchtling mit namenloser Qual im Herzen! Mit jähem Entschluß hat sie das Vaterhaus verlassen, der Behaglichkeit am heimischen Herde entsagt. Zierat und Schmuck, alles zurückgelassen, geflohen vor den Menschen, und dennoch kein Friede, keine Ruhe! Die Kräuterliese ist ins Freie getreten und mahnt zum Schlafengehen. Die Nacht sei da, und die Hütte müßte geschlossen werden. „Ich kann nicht schlafen!“ versichert seufzend Klärle und tritt zur Liese. „Hast wohl einen argen Kummer im jungen Herzen, Maidle?“ fragt teilnahmsvoll die Alte. „Mit frohem Mut und Lustigkeit bist wohl nicht fort und hereingeflüchtet zur alten Liese?“ Klärle schluchzt, heiße Thränen schießen über ihre Wangen. „Komm, mein Kind, weine dich aus, Thränen lindern; sag, was dich drückt. Schau, die alte Liese ist ein häßlich Ding, aber guten Herzens! Sie hat Mitleid mit dir und will dir helfen, so dir zu helfen ist auf Erden!“ „Mir kann niemand mehr helfen!“ „Das wäre bös! Was hast denn verbrochen, Maidle!“ „Ich — nichts! Aber gebrandmarkt bin ich dennoch — unmöglich fürder im Thale und unter den Leuten!“ „Gebrandmarkt sagst du? Wie das und weshalb!“ Unter Thränen, an die Alte geschmiegt, erzählt Klärle stotternd, zaghaft das Ereignis, und besänftigend, tröstend legt Liefe ihre dürre Knochenhand auf den Scheitel Klärles. „Das ist freilich schlimm, recht schlimm! Und den bösen Namen wirst so schnell nicht von dir bringen können, ledig nicht!“ Klärle reißt sich mit jähem Ruck los und blickt die Alte entsetzt an. Erst nach einer Weile stammelt sie, am ganzen Körper bebend: „Du wirst damit doch nicht sagen wollen, daß —“ Die Alte nickt und ergänzt den Satz: „Daß du erst als Weib eines Mannes den üblen Beinamen loswerden wirst!“ Klärle atmet auf; im ersten Schreck hat sie schon geglaubt, am Ende gar den Menschen heiraten zu sollen, der ihr den furchtbaren Schimpf angethan. „Du meinst, ich solle überhaupt heiraten!“ „Ja, den Kaspar!“ Klärle kreischt auf, wie wenn eine Schlange sie gebissen hätte: „Den, nein, niemals, lieber sterben!“ „Nicht so hitzig, Maidle! Mit dem Sterben hat es Zeit! Doch komm in die Hütte, ich will abschließen und dir dann drinnen etwas erzählen, was ich noch nie jemandem mitgeteilt. Komm, Klärle! Denk, ich sei deine Mutter! Ich will dir wahrlich wohl, so verschrien ich auch bei den Leuten bin.“ Willig folgt Klärle der Alten in die Hütte und setzt sich zu deren Füßen. Die Alte hebt dann an, leise, geheimnisvoll: „Du hast am Bühl den ersten Schmerz erlebt und ich weiß es, wie weh es werden kann in der Menschenbrust! Nur wer Schmerz empfunden, versteht des anderen Schmerz und Leid. Schmerz läutert die Seele! Auch du mußt solche Läuterungen durchmachen, auf daß dein Gemüt anders, besser werde. Auch ich bin „geläutert“ worden!“ „Du?“ „Ja, ich! Daß ich die alte Kräuterliese bin, ein runzlig altes Weible, das weißt du! Daß auch ich einst ein schmuckes Ding war wie du anjetzo, das kannst du nicht wissen, weil es damals noch keine Gifttochter gegeben hat!“ „Oh, das schlimme, häßliche Wort!“ „Na, nur nicht übertrieben sein, Maidle! Dein Elternhaus ist nun einmal der Gifthof und dieser Heimat brauchst du dich nicht zu schämen! Höre denn: Wenn es je im Schwarzwald ein lustig, aber hochfahrend trutzig Maidle gegeben, war ich es in meiner Heimat, im Murgthal. Der alten guten Mutter machte ich das Leben sauer durch Übermut und frevlen Leichtsinn. Körbe austeilen, als die Freier kamen, war mir höchste Lust, so sehr auch Mütterlein mahnte. Und ein besonderes Vergnügen war es mir, einen braven, guten Burschen, der ehrlich um mich freien wollte, zu quälen und zu verspotten. Und je eifriger er sich um mein Herz bemühte, treu zu mir hielt, desto größer war mir die Lust, ihn zu schmähen. Klein war sein Hab und Gut, ich nannte ihn öffentlich einen Bettler und schrie vor Lust, als er zusammenzuckte und ihm das Herz verkrampfte. Umstehende Flößer lachten dazu, was mich reizte, meinem getreuen Verehrer zuzurufen: Bevor ich dich nehme, du Habenichts und Hasenfuß, geh' ich mit dem nächstbesten Flößer in die weite Welt! Die Flößer gröhlten vor Vergnügen. In meiner Verblendung warf ich mich einem besonders starken, stattlichen Burschen an die Brust, herzte denselben und ließ mich lachend hinwegführen“. „Wie sagst, Liese?“ Mit zitternder Stimme erzählt die Alte weiter: „Ja, ja, das Unglaubliche ist wahr geworden. Durchgegangen bin ich, wie ich stand und war in meinem grenzenlosen Übermut und Leichtsinn. Und dann ward ich verlassen, höhnisch davongejagt. Und ich hab's nicht besser verdient, Fern der Heimat, mittellos und ehrlos geworden, mußte ich bettelnd heimziehen.... Mütterchen lag draußen im Friedhof, und mein guter, treuer Freund ist fortgezogen, verschollen. Mit Fingern deuteten die Dörfler auf mich, die ich zur Schande des Dorfes geworden. Für weniges Geld veräußerte ich den kleinen Besitz und folgte überall nach meinem Freunde fragend, dessen Spur in die Fremde“. „Hast ihn gefunden, den guten, braven Menschen?“ „Ja, weit weg von der Heimat und tot. Sein Grab zu schmücken und zu pflegen, erschien mir höchste Pflicht auf Erden. So lange die Groschen aus dem Erlös reichten, konnte ich in dem fremden Ort verbleiben, dann versuchte ich mich zu verdingen, ich wollte ja gerne als Magd dienen, nur um dem teuren Grabe nahebleiben zu können. Doch als ausweislose Fremde, mittellos schaffte man mich aus, zwangsweise wurde ich fortgeführt. Als Bettlerin sah ich die Grenze wieder. Im Heimatsdorfe gab es böse Gesichter, niemand wollte von mir was wissen. Es war eine furchtbare Zeit. Man mied mich wie eine Pestkranke. Und Beeren suchend kam ich immer tiefer in den Wald, herein zu euch, als gebrochenes, schwergeprüftes Weib und fand durch deines Vaters Güte ein Unterkommen hier in dieser dem Verfall preisgegebenen Hütte, wo ich die „Kräuterliese“ geworden bin und Gott für diese Unterkunft danke jeglichen Tag!“ „Dann bist du ja noch nicht so alt, als es allgemein heißt!“ „Bin ich auch nicht, aber Not und Entbehrung, die Seelenqual und endlose Reue haben mir Falten ins Gesicht gegraben und den Rücken gekrümmt. Ich büße ein Leben lang und habe mich dreingefunden, daß ich's so und nicht anders verdiene. Und büßen will ich bis ans Ende. Geläutert ist die Seele!“ Mit einem langen Seufzer endet Liese ihre Erzählung und preßt dann die dürren Finger an die feuchten Augen. Weich gestimmt, mit bebender Stimme, mitleidsvoll flüstert Klärle: „Was mußt du gelitten haben, Liese!“ Leise weint Liese vor sich hin in dunkler Nacht. Dann erhebt sie sich, tastet in der Finsternis nach Klärle, legt ihre Rechte segnend auf des Mädchens Kopf, wünscht eine „geruhsame Nacht“ und begiebt sich zur Ruhe. Klärle erwidert mit zuckender Stimme den gleichen Wunsch und sucht ihr dürftig Lager auf. Das Mädchen ist erschüttert, warmes Mitleid erfüllt die Seele, und es reift der Entschluß, der guten hartgeprüften Liese den Lebensabend zu verbessern. Mit diesem Vorsatz entschlummert Klärle, mit einem lieblichen Lächeln auf den Lippen. * * * * * Taufrisch ist der Morgen angebrochen im Tann. Es glitzert und flimmert im Geäst, es schimmert auf den Blättern des Farrenkrautes, wie Edelstein und Demant funkeln die Tautropfen im verachteten Ginster und edlen die Pfrieme für wenige Stunden. Im Tann konzertiert die Schar fröhlicher beschwingter Sänger, es klingt der Wald, und leise wiegen sich die Wipfel im erquickenden Morgenwind. Und über den gewaltigen Forst blaut ein entzückender Himmel und gleißend Gold sendet die Sonne herab, verklärend und belebend. Durch den Tann schreitet auf dem weichen, taunassen Pfade der Jungbauer vom Jörgenmicheleshof eilig der Teerschweelerhütte am Moserkopf zu; Kaspar will einen Heiltrank für eine kranke Kuh von der Kräuterliese holen. Wie er endlich an die Waldblöße gelangt und die verfallene Hütte gewahrt, ruft Kaspar: „He, Liese, komm' heraus, Kundschaft ist da!“ und schreitet vollends zur Hüttenthüre. Kaum ist der Ruf verklungen, tritt Klärle aus der Hütte, jäh zusammenfahrend und erbleichend beim Anblick des Jungbauers. Auch Kaspar ist ob der unvermuteten Begegnung verwirrt und grüßt verlegen: „Grüß Gott! Wer hätte das geglaubt! Die Klärle bei der Kräuterliese im finsteren Wald!“ Mühsam kämpft Klärle mit sich und ihren widerstreitenden Gefühlen; unwillkürlich greifen die Hände nach den tobenden Schläfen. Heiß jagt das Blut durch die Adern und drängt zum Herzen. Wirr ist's ihr im Kopf, es kreisen wie toll die Gedanken. Was will er, der Verhaßte hier? Wie stattlich er ist! Ein frischer stämmiger Mann! Kommt er ihretwegen? Will er um Verzeihung bitten, den entsetzlichen Namen zurücknehmen? Will er sühnen, die namenlose Qual von ihr nehmen? Er sieht aber nicht wie ein Büßer aus, seine Augen haben den Glanz wie früher, die ganze Gestalt verrät stahlharte Energie. Unter Kaspars Blick erschauernd, erwidert Klärle endlich dessen Gruß, zaghaft, etwas schüchtern, und fügt unsicher hinzu: „Was führt dich so früh herein in den Tann?“ Frisch und schneidig klingt es aus Kaspars Mund: „Einen Heiltrank will ich holen von der Kräuterliese!“ „So! Bist selber krank oder jemand auf deinem Hof?“ Kaspar lacht hell auf und versichert: „Nein, Gottlob, mir fehlt nichts als die Hochzeiterin! Aber eine Kuh will nicht milchen, und da muß die Liese helfen mit einem Tränklein!“ Wie ein Schatten huscht der Unmut und Verdruß über Klärles Antlitz. Verflogen sind im Nu die guten Vorsätze, die alte üble Laune ist wieder da, spitz und schnippisch wird der Ton ob der ihr widerfahrenen Enttäuschung. „So, eine Kuh! Und deswegen laufst selber 'rein in den Wald? Hast wohl niemand zum Schicken auf dem Hofe? Oder laufst selber gern und drückst dich von der Bauernarbeit!“ „Na, du bist doch wohl noch wie früher! Und von dir will ich weiter nichts! Dich kuriert selbst die Waldluft nicht von deiner bösen Laune! He, Liese!“ Kaspar tritt in die Hütte ein und läßt Klärle unbeachtet stehen, die sich auf die Lippen beißt und nur mühsam die Thränen des Zornes zurückdrängt. Liese kommt endlich zum Vorschein; sie hat die Begegnung des Paares vom Fenster aus recht gut wahrgenommen und ist absichtlich in der Hütte geblieben in der Hoffnung, daß sich die Beiden vielleicht doch durch eine Aussprache wieder nähern werden, wozu das stille einsame Plätzchen im Walde so recht geeignet wäre. Aber aus dem Tone entnahm Liese augenblicklich, daß es mit Klärle noch lange nicht so weit ist, daß der alte Trotz und Unmut noch in ihrem Herzen sitzt. Das schmerzt die gute Liese bitter, und die üble Laune erfaßt auch sie. Mit sicherem Griff holt sie aus einer Ecke ein Fläschchen mit dem Trank und überreicht selbes dem verblüfften Kaspar, der doch noch gar nicht gesagt, was er wolle. Liese fertigt den Jungbauer kurz ab: „Weiß schon, was du willst! Hier ist der Trank für die Kuh, er kostet einen Groschen! Und Narren seid ihr beide, Narren, ausgesprochene Narren! Mach' weiter! Seid lästige Leute!“ Kaspar weiß nicht, was er sagen soll ob solcher Behandlung. Er sucht den Groschen aus dem Geldbeutel und legt ihn auf das Fenstersims; dann aber meint er, halb scherzhaft und halb ärgerlich: „Ihr Weiber paßt aber schon recht gut zusammen: Schnippisch und giftig die Junge und grob die Alte! Könnt' euch sehen lassen ums Geld, ihr zwei Giftniggel!“ Unter spöttischem Lachen entfernt sich Kaspar, auf das Fläschchen ganz vergessend. Liese aber kann sich nicht mehr halten in ihrem Unmut und prasselt auf Klärle zu. „Das muß ich aber schon sagen: eine unvernünftigere Person giebt's im ganzen Schwarzwald nicht, wie du! Bringt ein glücklicher Zufall den Burschen herein in den Tann, die Gelegenheit ist günstig, und du Giftniggel stoßest den Jungbauern von dir wie 'ne Natter!“ „Liese, nimm das Wort zurück! Ich kann's nicht hören!“ „Papperlapapp! Du wirst noch ganz anderes zu hören kriegen in deinem Leben! Ein Giftniggel bist du, daß es schon eine Schand ist! Aber du wirst dir die Hörner schon noch abstoßen! Und recht, ganz recht hat der Bursch gehabt, als er dich auf'm Fohrenbühl die Giftklärle genannt! Ganz recht! Ich werde dich künftig auch nur mehr „Giftklärle“ nennen! Verdienst es nicht anders.“ Wutentbrannt kreischt Klärle auf und hebt drohend den Arm. „Was willst? Drohen willst? Willst mich altes schwaches Weib wohl gar schlagen, he? Hüte dich! Ich habe mehr Kraft in den alten Knochen, als du glaubst! Und es juckt mich, dir den „Gift“ aus dem Körper zu schlagen! Für dich wär' das ein Glück! Anders als mit Gewalt geht der „Gift“ ja doch nicht aus dir heraus! Über dich muß es noch ganz anders kommen, von einer Läuterung ist noch keine Spur vorhanden! Von fremdem Leid und Unglück lernst du nichts! Sollst es an dir selber empfinden! Und mit uns beiden ist es jetzt aus! Geh' du nur wieder hinaus auf deinen Hof, bei mir hast keinen Unterschlupf mehr! Ich will dich nicht mehr um mich haben! Und je mehr die Leute dich spotten und höhnen, desto besser ist es! Ärgere dich gelb und grün, diese Farben passen zur Giftklärle! Fort, hinweg mit dir!“ „Liese!“ schreit Klärle auf und hebt flehend die Hände zu ihr empor. „Nein! Ich will dich nicht mehr sehen! Du bist unverbesserlich! Fort!“ Gebieterisch streckt Liese den Arm aus und deutet auf den Pfad hinaus. Klärle schluchzt, dann überkommt sie der alte Trotz, ein harter Zug erscheint auf ihren zusammengekniffenen Lippen; die Augen funkeln, die Hände ballen sich zu Fäusten. Festen Schrittes, ohne Abschiedswort, geht das Mädchen von dannen. Mitten im Tann aber überkommt das einsame Mädel das Gefühl grenzenloser Verlassenheit mit überwältigender Macht. Verloren ist selbst die karge Zufluchtsstätte im Walde; das bettelarme Weib sogar hat ihr die Thür gewiesen. „Also bin ich Schlechter noch als ein Bettelweib!“ flüstert Klärle. Und wie das Mädchen aufschaut, fällt Klärles Blick auf ein Kreuz im Walde, angeheftet an eine mächtige Fichte. Aufschluchzend wirft sich Klärle in die Knie, läßt den Thränen freien Lauf und faltet die Hände zu inbrünstigem Gebet. Versunken im heißen Flehen um Erlösung aus schwerer Herzenspein hört das Mädchen nicht das schwache Geräusch nahender Schritte. Der Pfarrer von Lauterbach ist es, der sich im Walde ergeht und beim Anblick der betenden Klärle innehält, verwundert und erfreut. Inbrünstig betet das Mädchen: „Habe Mitleid mit mir Armen, o Gott! Gieb mir den Frieden ins Herz und Erlösung!“ Da hebt salbungsvoll und mild der Geistliche zu sprechen an: „Der Friede soll dir werden, Kind!“ Erschrocken erhebt sich Klärle und blickt sich um. Jähe Röte schießt ihr in die Wangen. „Beruhige dich, Klärle! Von mir hast du nichts zu befürchten!“ „Das sagen Sie, Herr Pfarrer, Sie, der —“ „Was soll's —?“ „Sie wollen mir den Frieden verheißen, Sie, der mich am Pfingsttag vor der ganzen Gemeinde öffentlich in der Kirche abgekanzelt hat!“ „Mit nichten, mein Kind! Das bildest du dir nur ein!“ „Sie haben doch die Predigt nur auf mich gemünzt und den Kopf nach mir gewendet —“ „Nein, Klärle, du bist im Irrtum! Ob ich den Kopf zu dir gewendet, weiß ich nicht; ich wußte ja gar nicht, wo du knietest oder standest!“ „Großer Gott! Dann galt die Predigt gar nicht mir allein?!“ „Doch!“ „Wie?“ „Höre zu, Klärle! Die Predigt galt allen und dir insofern, als auch du Einkehr in dein eigen Herz halten sollst. Wenn du aber glaubst, daß eine Predigt an so hochheiligem Feste ausschließlich einem hochfahrenden Bauernmädchen gewidmet sein könnte, so ist solche Annahme Vermessenheit und strafwürdig. Tilge Hochmut und Trotz in dir, Klärle! Dann erst kann dir Friede werden! Bete öfter mit gleicher Inbrunst zum Gekreuzigten, und du wirst Erhörung finden! Geh' mit Gott, Klärle und sühne! Amen!“ Sanft lächelnd bietet der würdige Priester dem Mädchen die Hand. Klärle zögert einen Augenblick, dann aber beugt sie sich etwas nieder, und haucht den Kuß der Ehrerbietung auf die priesterliche Hand. Wie Wirbelwind stürmt Klärle dann durch den Wald mit übervollem Herzen, indes der Pfarrer seinen Weg in den Tann fortsetzt. * * * * * Auf der Straße zum Dorfe angelangt, schreitet Klärle langsamer vorwärts. Eine ungeahnte Seligkeit erfüllt ihr Herz. Der Alp ist geschwunden, nach der Versicherung des Pfarrers, daß die Pfingstpredigt nicht ihr allein gegolten. Es war also keine Stichelei auf sie gewesen. Die Tadelsworte will sie gern ertragen. Zur Verwunderung entgegenkommender Leute grüßt Klärle diese zuerst mit freundlichen Worten und lieblichem Lächeln, so daß die Dörfler ebenso freundlich danken. Keines gebraucht das häßliche Wort; die Leute nennen sie einfach „Klärle“. Wie das wohlthut! Still zieht Klärle im Gifthof ein. Der Vater hält im Lehnstuhl sein Mittagsschläfchen. Klärle schleicht sich sachte in die Stube zum Vater hin, kniet nieder und küßt dessen rechte Hand. Darüber erwacht der Gifter; verwundert blickt er auf sein knieend Kind. Ihm ist wie ein Traum, ein schöner Traum, und unwillkürlich fährt er sich mit der linken Hand über die Augen. Erglühend lispelt Klärle. „Gruß Gott, Vater! Verzeih' mir, daß ich dich verlassen! Nimm mich in alter Liebe und in Gnaden wieder auf! Ich will dir fürder eine gehorsame liebende Tochter sein.“ Sprachlos vor Überraschung blickt der Alte hernieder auf sein verwandeltes Kind. Dann zuckt es in seinem Gesicht, wie Wetterleuchten huscht es über die runzligen Wangen, die Augen werden feucht, die welken Lippen beben. „Wach' ich, oder träum' ich!“ flüstert der Alte. „Du wachst, Vater! Ich bin wieder da! Verzeih' mir!“ bittet Klärle und küßt abermals die Hand des Vaters. „O Gott, ich danke dir! Du hast mir mein Kind wieder gegeben, gut und lieb! Sei willkommen daheim, Klärle! Ich bin glücklich!“ Mit beiden Händen zieht der Vater sein Kind an die Brust und küßt das Mädchen herzhaft ab. Dann möchte der Gifter aber Näheres wissen; wo Klärle war, was ihr Herz gebessert habe und eine Menge Fragen mehr. Klärle schüttelt den Kopf und bettelt: „Nicht fragen, Vater! Noch bin ich nicht fertig mit mir! Bitte, laß allein mich zurechtfinden!“ „Wie du willst! Gott lenkt sichtlich dein Herz und es wird alles wieder gut werden!“ Klärle's erster Gang vom Vater weg, gilt der Küche, wo Bärbel mit der Spülarbeit beschäftigt ist. „Grüß Gott, Bärbel!“ ruft vergnügt, schier zärtlich Klärle. Ein Schrei, ein Gepolter, Scherbengeklirr giebt Antwort auf solche Überraschung. Bärbel steht wie versteinert und starrt Klärle an, als sei es ihr Geist, der am helllichten Tag erschienen. Die Küchendirn hält Mund und Auge offen und erwartet des Himmels Einsturz. Ohne über die zerbrochene Schüssel ein Wort zu verlieren, reicht Klärle der maßlos überraschten Bärbel die Hand, faßt die naßen Finger ungescheut und spricht: „Grüß Gott, nochmal, Bärbel! Ich bin wieder da, und nun wollen wir treue Freundschaft halten!“ Bärbel stößt ein wahres Jammergeheul aus und gebärdet sich ganz verzweifelt, indes die Dirn wie Flugfeuer wegspringt, um Hilfe zu holen. Von den Hofleuten eilt herbei, wer in der Nähe war, und in scheuer Entfernung guckt das Gesinde auf die verwandelte Tochter des Hauses. Verwundert steht Klärle inmitten der geräumigen Küche und beguckt ihrerseits die kreischende Bärbel, welche abwehrend die Hände vor sich hält, als Klärle auf das Mädel zugeht, um es zu beruhigen. Bärbel retiriert um den Herd herum zu den Knechten, dort Schutz suchend. Klärle ruft: „Aber Bärbel! Bist närrisch geworden?“ „Ich nicht, aber bei dir ist's nimmer richtig!“ tönt es zurück. Jetzt begreift Klärle, und silberhelles Lachen klingt durch den Raum. Die Leutchen halten Klärle ob ihrer Milde und Güte für verrückt geworden. Klärle wird rasch wieder ernst; das Verhalten Bärbels giebt zu denken. „Geht an die Arbeit, Leute!“ befiehlt die Tochter. Das wirkt augenblicklich. „Sie ist doch noch die Alte!“ flüstern die Dirnen und huschen hinweg, und auch die Knechte trotten davon, fest überzeugt, daß Klärle der Bärbel bloß einen Possen spielen wollte. * * * * * Im Gifthofe geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Neu für Bärbel und den Vater ist nur, daß Klärle oft stundenlang beim Nähzeug sitzt und Schäden an Kleidern repariert oder strickt und sonstige Handarbeiten verrichtet. Der Vater hat die Frage, wie denn solche Verwandlung gekommen, immer auf der Zunge, aber stets schluckt er die Frage wieder unausgesprochen hinab. Klärle will nicht darüber reden, drum wird es besser sein, wenn sich alles von selber weiter entwickelt. Nur meint der Vater, von dem vielen Sitzen könnte Klärle krank werden, weil sie es nicht gewohnt sei. Doch Klärle verneint das lächelnd mit dem Hinweis, daß sie sich an derartige Arbeiten gewöhnen wolle und Näherinnen ja doch das Gleiche thun müßten, ohne zu Grunde zu gehen. „Hm! Aber die Näherin muß es thun! Du hast aber solche Arbeit nicht nötig!“ „Ein weibliches Wesen gehört zeitweilig an den Nähtisch und zur Strickwolle. Bitte, lieber Vater, laß mich, wozu mich's drängt. Ich verspreche dir auch, davon nicht krank zu werden!“ „Na, ich weiß nicht, ob das viele Sitzen nicht Gift ist —“ „Vater! sprich das Wort nicht mehr aus in meiner Gegenwart oder —“ schreit erbleichend Klärle und springt auf mit abwehrend erhobenen Händen. Erschrocken stottert der Alte: „Aber, Maidle, was hast denn nur?“ Klärle aber verläßt augenblicklich die Stube und schließt sich oben in ihrer Kammer ein. Vor dem Hause auf der Bank hockend, zerbricht sich der Gifter schier den Kopf über die sonderbaren Eigenheiten der Tochter, die bald niemand mehr verstehen wird. * * * * * Tage und Wochen vergingen; der Heumahd ist die Grummeternte gefolgt, ein leichtes Herbsteln in der Natur wird wahrnehmbar. Die Arbeiten gehen ihren gewesenen Gang. Immer stiller werdend waltet Klärle auf dem Hofe ihres Amtes. Körperlich ist an ihr keinerlei Veränderung wahrzunehmen, nur sticht ihre Milde gegen jedermann stark ab gegen ihr früheres scharfes lärmendes Gebahren. Daß Klärle auffällig oft an einer Stelle sitzt, wo der Richtung nach der Fohrenbühl sich erhebt, und unverwandten Blickes hinaufstarrt, obwohl nicht das geringste zu sehen ist, das entgeht dem Vater nicht und erregt in ihm doch allmählich Besorgnis, die ihn schließlich veranlaßt, mit dem Vertrauensmann der Dörfler, mit dem Pfarrer, Rücksprache zu pflegen. Ohne seine Absicht bekannt zu geben, ist der Gifter eines Tages nach Lauterbach gehumpelt und für eine Weile im Pfarrhof verschwunden. Am selben Abend, als der Gifter mit Klärle allein in der Wohnstube ist, meinte er so leichthin, daß Klärle am nächsten Sonntag nicht in die Kirche kommen solle. Mit jähem Ruck wirft die Tochter den Kopf auf und fragt scharf: „Wer will mir, wenn ich es will, den Kirchgang verbieten?“ „Nu nu! Nicht gleich obenaus fahren, Klärle! Dem Pfarrer wäre es lieber, wenn du nicht anwesend wärest!“ „Was hat der Pfarrer vor mit mir?“ „Das hat er mir nicht auf die Nase gebunden. Doch werden wir es ja hören, was es giebt. Wenn du indes gehen willst, ist's dir unbenommen. Der Pfarrer hält übrigens große Stücke auf dich und ist fest überzeugt, daß du dich zum Frieden durchringen wirst.“ Klärle erglüht wie eine Pfingstrose und neigt den Kopf tief zur Näharbeit herab. Im selben Augenblick pocht es an der Stubenthür und ein etwa siebenjähriger Knirps schiebt seine kleine Gestalt herein, in der rechten Hand krampfhaft ein in Papier gehülltes Fläschchen tragend. Zaghaft geht der Knirps auf das Mädchen zu und fragt. „Bist du die Klärle?“ „Ja, Kleiner, was willst oder bringst?“ „Da, das da hat mir die Kräuterliese für dich übergeben. Du darfst es aber erst aufmachen, wenn ich hinter der Thür bin!“ „So, Vorschriften auch noch! Wart' einen Augenblick, ich will dir etwas aus der Küche zum Botenlohn geben!“ „Nein, nein, ich brauch' nichts!“ zetert angstvoll der Kleine und springt davon, als sei der Teufel hinterdrein. Der Gifter lacht aus vollem Halse; Klärle begiebt sich wieder an den Nähtisch und löst das Fläschchen aus der Umhüllung. Ein Wutschrei entfährt ihrem Mund, sie stampft mit dem Fuße, ballt die Faust und zischt: „Schändlich! Soll ich mich auch noch von Bettelweibern verhöhnen lassen! Ich hätte nicht übel Lust das Zeug zum Fenster hinauszuwerfen!“ „Dann öffne aber vorher, es war' schad' um die ganzen Scheiben!“ meint trocken der Vater im Lehnstuhl und fragt dann, was denn los sei. „Ach was! Eine Bosheit der Kräuterliese, die mir ein „Gegengift gegen die Giftklärle“ schickt, eine „Medizin zur Läuterung der Seele“. So steht es wenigstens auf dem Fläschchen angeschrieben. Zu dumm! Ich werde — nein, nichts werde ich, keinen Tropfen werde ich einnehmen davon! Aber ihr werde ich die Bosheit eintränken!“ „Klärle!“ „Was willst Vater?“ „Ich mein', die Liese will dich mahnen an etwas?“ „An was?“ „Das weiß ich nicht. Du wirst es schon wissen!“ Klärle verstummt, nimmt das Fläschchen zu sich und verläßt die Stube. * * * * * Die folgenden Tage wird der „Gegengift“-Sendung mit keinem Worte erwähnt. Mit Spannung harrt der Alte der Dinge, die der Sonntag bringen soll. Und als die Glocken am Tag des Herrn zum Gottesdienst riefen, fragte der Gifter, zum Kirchgang gerietet: „Nun, Klärle, wie ist's? Gehst mit oder thuest dem Pfarrer den Gefallen? Oder bringt dich die Neugier um?“ „Ich bleibe daheim und werde mein Gebet im Kämmerlein verrichten!“ erwidert ruhig Klärle und winkt dem Vater liebevoll zum Abschied mit der Hand. Im dichtgefüllten Gotteshause lauscht die Schar der Lauterbacher andächtig der weihevollen Predigt, die der Pfarrer schließt mit den Worten: „Liebet einander im christlichen Sinne.“ Seltsamerweise bleibt der Prediger aber auf der Kanzel, überblickt die gespannt zu ihm aufblickenden Gläubigen und beginnt aufs neue: „Geliebte in Christo dem Herrn! Als ich am heiligen Pfingstfeste zu euch sprach und euch ermahnte zu Geduld, Milde und Güte, Frieden zu halten und einander zu lieben, nicht zu hassen, da war meine Mahnung an euch alle in der ganzen Gemeinde gerichtet, keineswegs aber an eine einzelne Person! Unliebsamerweise hat jedoch diese Mahnung eine Deutung gefunden, als hätte ich eine bestimmte Person im Auge gehabt. Dem war und ist nicht so, und darum sind alle daran geknüpften Folgerungen hinfällig. Das Gotteshaus ist nicht der Ort zu persönlichem Tadel, nicht der Ort für menschliche Dinge. Meine priesterliche Liebe umfaßt euch alle! Und wie der Herr sprach, so spreche ich an seiner Statt: Gehet hin und liebet einander!“ Die Gemeinde segnend, verläßt der würdige Pfarrer die Kanzel und setzt sodann die heilige Handlung am Altare fort. Nach Beendigung des Gottesdienstes harrt der alte Gifter an der Friedhofsmauer, umgeben von zahlreichen Dörflern, die lebhaft die Ansprache des Pfarrers besprechen, des Priesters, der freundlich grüßend aus der Kirche tritt und besonders dem Gifter liebevoll zunickt. Gifter humpelt auf den Pfarrer zu, drückt ihm herzhaft die Hand und dankt ihm aus tiefstem Herzensgrunde für die guten Worte. Klärle wird sich schon noch selber bedanken für diese Wohlthat, die jeglichem Gerede über die „Stichelei“ ein Ende machen wird. „Grüß mir die Klärle! Es wird noch alles gut werden!“ sagt der Pfarrer und begiebt sich in sein Haus. Gar mancher Bauer und Bursch reicht dem Gifter die Hand, gleichsam als wollten sie gut machen, was sie über Klärle ob der vermeinten Stichelei gesprochen. Ganz wohlig ist es dem Alten ums Herz, wie er nun gemächlich durch das stille Gelände seinem Hof zuschreitet, hochzufrieden mit dem wackeren Pfarrer, der so gut und lieb für Klärle eingetreten ist. Und da steht ja Klärle lieblich wie ein junger Maimorgen am Rain, den Vater erwartend. „Grüß Gott, Klärle!“ „Grüß Gott, Vater!“ „Maidle, der Herr Pfarrer —“ „... hat für mich gesprochen, der liebe seelensgute Herr!“ „Du weißt schon?“ „Martin, der Hirt, war auch in der Kirche und hat mir Kunde gethan. O, wie bin ich dem geistlichen Herrn dafür dankbar! Aber, Vater, ich hätte eine große Bitte an dich!“ „Red', Klärle! Ich bin ja glücklich, wenn ich dir einen Gefallen erweisen kann!“ „Ja, Vater, du bist so lieb und gut!“ „Schieß' nur los, Klärle! Deine Bitte ist im voraus erfüllt! Was soll ich thun? Willst was vom Krämer in Schramberg oder ein neues Gewand?“ „Nein, nein! Vater! Geh', sei so lieb und bring' den Kaspar vom Jörgenmichel dazu, daß er —“ Betroffen weicht der Gifter einen Schritt zurück und kratzt sich hinterm Ohr. „Willst du nicht, Vater?“ „Hm! Das ist eine heikle Sach', Klärle! Nicht, daß ich nicht zu ihm gehen will, o nein, ich geh' gern für dich! Aber es ist die Frage, was Kaspar sagen wird! Ich fürchte, er fertigt mich kurzer Hand ab und läßt mich stehen!“ Klärle läßt den Kopf hängen und geht trübselig ins Haus. Der Vater humpelt ihr wohl nach und sucht sie zu trösten, doch das Mädchen hört nicht auf sein Reden und schließt sich im Kämmerlein ein. Gifter reibt sich seine Stirne, als wenn er dadurch einen besonders geistreichen Gedanken aus dem Hirnkasten herausbringen möchte. Es ist doch rein wie verhext: Jetzt, wo's Klärle weich ist im Gemüt, zur Versöhnung geneigt, rein nimmer zu kennen vor Sanftmut und Milde, jetzt hapert es dennoch, jetzt soll der beleidigte Teil das erste Wort zum Guten geben! Daß Kaspar bockbeinig bleiben wird, ist ihm gar nicht zu verübeln. Ob aber, wie es eigentlich sein sollte, Klärle noch so mürbe wird im Sinn, daß sie selber die Hand zur Versöhnung bietet und Abbitte leistet, das wagt der Alte trotz der bisherigen Sinnesänderung Klärle's doch nicht zu hoffen. Aber immerhin soll der Versuch gemacht werden. Wie er steht im Feiertagsrock, pilgert der Gifter sofort die Straße in der Richtung zum Fohrenbühl hinan und biegt sodann ab, wo ein Seitenweg zum Jörgenmichelhof führt. Wenn nicht Rauch aus dem Schlot des Hofes aufstiege, könnte man meinen, es sei keine Katze im Hause, so still ist's hier. Gifter scheut sich, polternd einzutreten durch die leicht angelehnte Thür. In solcher Mission ist es nicht angezeigt, großspurig aufzutreten, darum geht Gifter schier demütig ins Haus und klopft an die nächstbeste Thür im Flötz. Keine Antwort. Wird wohl niemand drinnen sein. Vielleicht hockt der Kaspar noch im Wirtshaus zu Lauterbach und schöppelt. Unwillkürlich klinkt aber Gifter doch die Thür auf, und überrascht fährt es ihm aus der Kehle: „Oha!“ Kaspar zuckt erschrocken zusammen und sucht in arger Verlegenheit ein Fläschchen zu verbergen, indes er stottert: „Je, der Gifter in eigener Person!“ Der Alte faßt sich und begrüßt den Jungbauer: „Bist ja doch zu Hause, Kaspar! Mit Verlaub setze ich mich, bin von der Rennerei am heutigen Vormittag arg müde, und mein Gehwerk taugt nichts mehr!“ „Ja ja! Nimm Platz, Gifter! Darf ich dir mit 'm Gläschen Kirsch aufwarten?“ „Nein nein, ich dank'! Schnaps ist für mich Gift!“ „So?“ lacht Kaspar. „Ich dächte, dem Gifter wird solches Gift nicht schaden. Hast doch Gift genug im Gifthof!“ Betroffen guckt der Alte auf, und sein Auge sucht in Kaspars Miene zu erforschen, wie die Rede gemeint sein könnte. „Verstehst mich nicht? Macht auch nichts! Ist nicht bös' gemeint!“ „So, um so besser! Hast wohl auch etwas wie Gift in dem Fläschchen, he?“ Eine jähe Röte fliegt über Kaspars Gesicht. Zum Beseitigen des Fläschchens ist's zu spät. Mit scheinbarer Gleichgültigkeit erzählt er, daß man heutzutage von Betteleien nicht verschont bleiben könne. Die Kräuterliese drinnen im Wald hätte ihm so ein Tränkchen geschickt, jedenfalls in der Hoffnung, ein ordentliches Trinkgeld dafür zu bekommen. Gifter horcht auf. „Wie sagst, ein Tränklein von der Kräuterliese?“ „Ja, jedenfalls eine neue Art des Bettels!“ „Hm!“ „Was meinst, Gifter?“ „Du, Kaspar, das ist kurios! Mein Klärle hat das gleiche kriegt als ‚Gegengift‘!“ „Ah! Und hat sie's genommen?“ „Fuchsteufelswild ist 's worden!“ „So! Hat das Tränklein ihr nicht geschmeckt? Es ist nicht so übel zu nehmen!“ „Ah, hast es gar schon verkostet!“ „Ich, nein! Was dir nicht einfällt!“ „So? Woher weißt denn dann, daß es nicht so übel zu nehmen ist?“ Kaspar beißt sich ärgerlich auf die Lippen im Gefühle, sich verschnappt zu haben. Ablenkend fragt er, was Gifter von ihm wolle. Der Alte merkt die Absicht, läßt aber nicht locker. „Du, Kaspar! Weilst vom ‚Gegengift‘ schon etwas genommen, könntest auch bereits etwas friedsameren Blutes geworden sein —“ „Ich, wieso?“ „Na, ich meine: Wenn 's Gegengift bei dir wirkt, dann wäre es an der Zeit, daß du mein Maidle von dem Spottnamen befreien würdet!“ „Schickt dich Klärle?“ „Es wär' ihr Wunsch, daß du ihr den Spottnamen wegnähmest!“ „Ich will dir was sagen, Gifter: Daß Klärle von Haus aus nach dem Hofnamen Giftklärle heißt und ist, das wird sie leiden müssen, weil dein Hof halt der Gifthof ist. Den Spottnamen wird sie wohl tragen müssen, so lang sie so ‚giftig‘ bleibt. Will sie's geändert haben, so muß sie schon selber um gut Wetter bitten. Diplomatische Zwischenhändler brauchen wir nicht im Schwarzwald!“ „Kruzitürken!“ „Wie meinst, Gifter!“ „Ganz wie ich mir's gedenkt hab', just so redest daher!“ „Warum bist denn zu mir 'kommen?“ „Na ja! Man probiert viel im Leben! Probier du nur das Fläschle aus, vielleicht hilft 's Tränkle auch bei dir! Adjes, Kaspar!“ „B'hüet Gott, Gifter! Komm gut heim! Und wenn du auf 'n Schramberger Herbstmarkt kommst, trinken wir 'n Schoppen mitnander im ‚Lamm‘! adjes!“ Ziemlich ärgerlich stapft Gifter den Weg wieder zurück. Ist doch ein Kreuz mit so hartschädeligen Leuten! Probiert der Kerl das Tränkle wie die Klärle das ihre aus Neugier oder gar aus geheimer Sympathie, und dennoch will keines nachgeben, und jedes thut, als kümmere sich eins um 's andere nicht. Zum Kuckuckholen das! Gott bessere 's! * * * * * Das liebliche Lauterbacherthal prangt in den tiefleuchtenden Farben des Herbstes, verklärt durch die mildstrahlende Sonne, die erst gegen Mittag mit den flatternden Herbstfäden und Reifschleiern aufräumt und in Dunst zerstäuben läßt. Wo vereinzelt Buchen und Eschen stehen am Rain, schimmert das Laub in gelben und rötlichen Farben, immer gleich steht der Tann, gerüstet zum kommenden Winter. Die Wiesen und Matten tragen noch ihr grünes Sommergewand, nur die Stoppelfelder künden die Spätzeit des Jahres mit reifverbrannten Halmresten. Mild und klar ist der Herbsttag, ein Prachtwetter für einen Jahrmarkt. Auf der gut gepflegten Straße gen Schramberg pilgern die Lauterbacher in mehr oder minder großen Gruppen, behaglich und vergnügt. Eine Gruppe für sich bilden die Leute vom Gifthof mit Klärle und dem Vater an der Spitze. Auch der Hirt Martin ist dabei, da die Kuhdirn seinen Dienst versieht auf Klärles Geheiß. Ein frohes Jahrmarktvergnügen soll dem Hirt Ersatz bieten für die Fohrenbühler Hiebe zu Pfingsten, so hat Klärle gesagt und dem überglücklichen Martin einige Groschen in die Hand gedrückt. Jetzt stolziert der Hirt neben Bärbel, die nicht minder vergnügt ist, die Straße entlang. Frohes Leben herrscht im schmucken Städtchen Schramberg, in dessen Hauptstraße zahlreiche Marktfieranten ihre Buden aufgeschlagen haben, in welchen ein Kunterbunt von Gegenständen feilgehalten wird. Die Wäldler sind in dichten Scharen herbeigeströmt; es treffen sich da die zunächst der Stadt wohnenden Lauterbacher, Leute aus dem romantischen Berneckthale, die Kinzigthaler, Alpirsbacher und Schiltacher stauen sich im Menschengewoge, auch Oberndorfer haben ihre Oberamtsstadt verlassen und sind über das Plateau von Waldmössingen herübergewandert, um die Schramberger Marktfreuden zu genießen, so da Karussells, Schießstände &c. bieten. In den Buden werden Waren geprüft, Tücher ans Licht gehalten, Töpfe abgeklopft, Geschirr eingehandelt von den Weibern; Burschen und Bauern handeln Schnitzpfeifen ein, auch wohl Hüte und Holzschuhe und dergleichen mehr. Wer durch die Hauptstraße will, muß sich Schritt für Schritt langsam Raum erkämpfen. Dicht gefüllt sind die Wirtsstuben auf der „Post“ und im „Lamm“, wo dem Oberndorfer Gerstensaft und württembergischen Landwein fleißig zugesprochen wird. Die Zecher stehen selbst im Flötz und bis heraus auf die Straße, da drinnen unmöglich mehr Platz zu finden ist. Wo Bekannte aufeinander stoßen, giebt es laute Begrüßungen, ein lebhaftes Fragen nach Gesundheit und Ernteergebnis. Auch der alte Gifter hat Freunde aus dem Kinzigthale getroffen, die der Freude über sein Gehwerk Ausdruck geben, da der Gifter mit dem Pedal wieder gut bei einander sei. Und wie's mit der Fechsung stünde, wollen die Kinziger wissen, und wie's der Klärle gehe. Der Gifter schiebt die Pfeifenspitze vom rechten Mundwinkel in den linken und meint gelassen. „Jo, 's ischt aelles guet! Ma' ka' huier mit 'm Herrgott z' frieda sei!“ Was um den Gifter herumsteht, lacht aus vollem Halse, nur Gifter selbst macht ein saures Gesicht dazu; seine Falkenaugen haben soeben im Gewühle den Jörgenmicheles-Kaspar auftauchen sehen, und nun befürchtet Gifter einen abermaligen Zusammenprall Kaspars mit seiner Klärle wie seinerzeit auf dem Fohrenbühl, zumal die Tochter nicht besonders erbaut war, als sie vom Mißerfolg der diplomatischen Vermittlung hörte. Daß Klärle damals nicht aufbrauste und springgiftig wurde, ist wohl der Mitteilung zuzuschreiben, daß Kaspar das Tränkle „Gegengift“ wirklich gekostet habe. Seither ist diese Angelegenheit nicht mehr besprochen worden, und Gifter bekam Ruhe. Nun steuert der Malefiz-Kaspar aber auf die Gifterischen zu, und da kann es was absetzen. Rasch blickt Gifter um sich, erwägend, ob er seine Leute nicht doch irgendwo zur Seite bringen und dem Kaspar ausweichen könnte. Aber die Menge steht fest wie eine Mauer, seitlich hindert eine große Lebzelterbude ein Auskneifen, es giebt kein Durchdrücken mehr. Gleich dem Vater hat auch Klärle den Kaspar erblickt, und siedheiß ward ihr dabei; es ist ihr, als schlüge das Herzblut bis in die Kehle hinauf und würde ihr der Hals zugeschnürt. Gern würde sie davonflüchten wie ein hochgemachtes Reh, aber sie ist gleich den Ihrigen eingekeilt, und ein Durchdrücken würde so langsam vor sich gehen, daß der rücksichtslos vordrängende Jungbauer doch noch früher an der Bude sein würde. Warum auch flüchten vor ihm? fragt sich Klärle blitzschnell, und bleibt wie angewurzelt stehen. — Wie stämmig, männlich schön der Kaspar ist! Und wie tüchtig er damals küßte! Klärles Herz klopft hörbar. Und da ist er wirklich. Mit einigen Ellbogenpüffen hat er die Kinziger seitlich geschoben, murrenden Burschen keck und doch lustig ins Gesicht gelacht, daß seine weißen Zähne schimmerten, und nun steht er Aug in Aug mit der erglühenden Klärle. Kaspars Lippen schließen sich, eine leichte Verlegenheit huscht über sein Gesicht. Seine Absicht war es, mit den Gifterischen zusammenzukommen, und nun er sie glücklich gefunden hat, fühlt er sich nicht sicher. Doch was ist das? Klärle geht einen Schritt ihm entgegen, purpurn glühend, reicht ihm die Hand und sagt: „Grüß Gott, Kaspar!“ Jetzt zuckt es bei Kaspar, und das Herz will zerspringen. Seine Stimme bebt bei den Worten: „Du — du — wie ist mir denn — du, Klärle, bietest mir einen Gruß?!“ Mit zitternder Stimme sagt Klärle zur Freude des Vaters: „Ja, Kaspar! Ich will gut machen, was ich verübt! Aber eine Bitte hab' ich an dich!“ Jauchzend kommt es von Kaspars Lippen: „Red, Klärle! Was ich thun kann, thue ich für dich!“ „Eine Bitte: Kaspar, nimm den Namen — du weißt schon welchen — von mir weg!“ Dabei sieht ihm das Mädel so lieb in die Augen, daß Kaspar es am liebsten in die Arme nehmen und abküssen möchte. „Gern, Klärle! Wenn's dir nur was nützt!“ „Die Hauptsach' ist, daß du mich nicht mehr so nennst!“ „Das ist dir die Hauptsach'?! Ja, wie ist mir denn? Dann bist du mir ja gar nimmer bös'?“ Klärle, der die Augen wässerig werden, schüttelt den Kopf, daß die Häubchenbänder flattern. „Dann bist mir am End vor lauter „Gift“ gar gut 'worden?“ Jetzt nickt das süße Mädel, zugleich hebt es die Händchen bittend empor: „Nimmer dieses Wort?“ „Ja, Herzensmaidle: Wenn dir das Wort so zuwider ist, solltest doch ganz vom Gifthof wegziehen, dann hörst das Wort überhaupt nimmer!“ „Kaspar!“ „Klärle! Willst lieber Jörgenmichelesbäuerin heißen?“ „Ja, Kaspar!“ ruft überglücklich Klärle, und das schöne Paar hält sich überglücklich umschlungen. Verwundert über diese plötzliche Gefühlsänderung der zwei sich bisher spinnefeind gewesenen jungen Leute, gucken die Leute mit offenen Mäulern. Dem alten Gifter ist die Pfeife aus dem Munde gefallen vor Überraschung. Dann aber schießt das helle Wasser ihm aus den Augen, in den Mundwinkeln zuckt's wie in den gichtigen Beinen und in einer Anwandlung von Übermut jauchzt der Alte und hebt die Beine, als wollt' er wie die Gebirgler schuhplatteln. Im selben Augenblick taucht im Menschengewühl auch die Kräuterliese auf und strebt, mit zwei Lebzeltenherzen bewaffnet, der Gruppe der Glückseligen zu. Klärle jubelt beim Anblick der Alten, die dem Paare die Lebzeltenherzen mit feierlicher Würde überreichend schelmisch fragt, ob das Gegengift gründlich gewirkt habe. „Und ob!“ rufen Kaspar und Klärle gleichzeitig und liebkosen die vor Rührung weinende Kräuterliese. Klärle erinnert sich auch jetzt in dieser glücklichen Stunde ihres Gelöbnisses und kündet der Alten an, daß sie nach der Hochzeit im Jörgenmicheleshof aufziehen könne. Ein energisches „Halt!“ macht die Leute auseinanderfahren. Der Gifter stellt sich in Positur und verkündet daß er, weil gar nicht um Genehmigung gebeten, seine Einwilligung versage. Vor Schrecken verschlägt es dem Kaspar die Rede; doch Klärle stellt sich energisch vor dem Vater auf, stützt die Hände auf die Hüften und droht: „Was? Du willst jetzt in der Stunde meiner Bekehrung, meines Glückes ‚nein‘ sagen?! Wenn du mir das anthust, bleib' ich die Giftklärle zu deiner Straf', wie ich früher war!“ Da zuckt der Alte zusammen im drollig markierten Schreck und ruft: „He, Kaspar! Stürz du dich lieber in dein Unglück!“ Jubelnd umringt alles das Brautpaar. Auch Martin und Bärbel haben sich endlich durch die Menschenwoge durchgezwängt und bringen ihre Glückwünsche dar. Der Hirt fragt gleichzeitig, wie es mit dem Geläut nun stände, und jauchzt vergnügt, als die Braut ihm erlaubt, gleich jetzt ein vollständiges Schellengeläut für die Kühe beider Höfe auf ihre Kosten zu kaufen. Im „Lamm“ ward die Verlobung gefeiert und manches Hoch ausgebracht im guten Sinne auf die liebe, gute, glücklich gewordene Giftklärle. Fußnoten: [16] Die Gift-Gabe, Vergabung, Urgift, Handgift, jemanden mit Gütern begiftigen („bei diser gnad, _gifte_ und freyheit“). Aus der alten Sprache ist ins Hochdeutsche nur noch die _Mitgift_ herübergenommen. [17] Die Balgerei nach dem offiziellen Schellenmarkt ohne akuten Anlaß ist traditionell und hat in der Folge dazu geführt, daß jeweils der Markt von der badischen, das Jahr darauf von der württembergischen Behörde verboten wurde. Das Bestehen der badischen Polizeistunde zwingt ohnehin die Zecher, nachts 11 Uhr den „Schwanen“ zu verlassen und in den württembergischen „Adler“ zu übersiedeln. Getanzt darf in keiner Wirtschaft werden. In neuerer Zeit verhindert polizeiliches Aufgebot von badischer Gendarmerie und württembergischen Landjägern größere Ausschreitungen. Der Pelagier Ein trüber Herbsthimmel hängt über dem Stiftsforst „Zankwald“, der sich südlich von Alpirsbach weithin erstreckt in mächtigem Tannen- und Fichtenbestand. Der steif aus Norden blasende Wind jagt graues Gewölk über das düstere Firmament; im Walde rauscht es schaurig, die Baumriesen ächzen und knarren. Unverdrossen hämmert der Specht und flattern die Meisen, Kreuzschnäbel gaukeln in den Zweigen, und rucksend, quietschend, fauchend, murrend üben die Eichhörnchen ihre Kletterstücke trotz des brausenden Waldsturmes. Auf einem Kahlschlag steht eine Hegerhütte nebst einem kleinen holzgefügten Stall, das Heim des Waldhegers, das der Klosterleibeigene Eusebius Wurfbaum bewohnt mit seinem Weibe und den paar Ziegen auf Befehl des Abtes von Alpirsbach. Der Heger ist Pelagier[18], ein Höriger des Benediktinerklosters, der mit Genehmigung des Prälaten in der Waldeinsamkeit heiraten durfte, und zur Forstarbeit sowie zum Jagdschutz verpflichtet ist sein Leben lang. Im stillen Tann hat der rauhe Pelagier wenig wahrgenommen von den wirren Zeiten und Schrecknissen des unheilvollen Krieges. Nur wenn er gelegentlich an die Straßen des Schwarzwaldes kommt, hört er die Namen Tilly und Wallenstein nennen und vernimmt schreckliche Kunde über die Heimsuchung der württembergischen Lande und die harte Prüfung des Herzogs Eberhard III., der die Heimat verlassen und nach Straßburg flüchten mußte. Dann dauert Euseben der arme Herzog, und der Heger ist doppelt froh um sein entlegen stilles Heim im Walde, wohin sich noch kein Krieger oder Landsknecht verirrte, wo bei aller Kärglichkeit und Entbehrung doch das Pflänzlein Zufriedenheit gedeiht. Heute rauscht der Tann ein brausend Trauerlied. Euseb, der rauhe, wetterharte Heger, steht weinend am Lager seines toten Weibes und drückt der treuen Gefährtin die Augen zu. Still ist sie hinübergeschlummert mit einem Lächeln auf den Lippen. Soll Euseb ihr im Walde eine Ruhestätte graben? Doch das wird der Abt nicht leiden, weil der Christ in geweihte Erde kommen soll. Der Pelagier rüstet einen Handkarren aus, trägt die Leiche aus der sturmumtosten Waldhütte, birgt sie im Karren, legt einen Mantel darüber und fährt sein totes Weib durch den rauschenden, windgepeitschten Tann. Ein mühsam Fahren das auf engen Pfaden, die sich erst im Reuthiner Berg etwas erweitern zur sogenannten „alten Steige“. Wie der trübe Himmel heute zur Stimmung Eusebs paßt! Trauer oben wie herunten. Euseb mit seinem Karren nähert sich allmählich der von Reuthin nach Alpirsbach führenden Straße, da veranlaßt ihn der Hufschlag eines galoppierenden Gaules aufzusehen. Ein Reiter ist's, der hinter einem schwarzgekleideten Menschen herjagt. Und mit jähem Satz flüchtet der Verfolgte seitlich in das Holz. Dröhnend ruft der Reitersmann: „Faß' ihn! faß, faß!“ Euseb blickt stieren Auges auf den Reiter; der Flüchtling ist im Tann verschwunden. Knapp vor dem Pelagier hält der Reiter den Gaul an mit scharfem Zügelruck, so daß das edle Tier aufbäumt. Jetzt erkennt Euseb erst zu seinem Schrecken in dem Reiter seinen Gebieter, den Abt Alphons von Alpirsbach, und grüßt denselben demütig und angsterfüllt. Wie Hagelwetter prasseln auf den Hörigen die Vorwürfe herab, der stolze, dem Temperment nach hitzige und jähzornige Abt poltert vom Gaul herunter, warum der Heger den Befehl nicht befolgt, den flüchtigen Prädikanten nicht aufgehalten habe. Bebend vor Angst stammelt Euseb eine Entschuldigung; er habe nicht begriffen, um was es sich handelte, er sei ganz in seinen Schmerz und Jammer versunken gewesen. Gleichzeitig deutet der Pelagier mit einer Handbewegung auf die Last seines Karrens. „Was soll das heißen?“ fragt dröhnenden Tones der stolze Abt und schiebt sich die Prälatenkette auf der Brust zurecht. Demütig erwidert Euseb, den Mantel von der Leiche etwas zurückschiebend, so daß deren Antlitz sichtbar wird: „Vergebung, gnädiger Herr! Mein Weib ist gestorben! Ich fahre die Leiche zum Beinhaus!“ „Der Lutheraner ist entwischt durch deine Dummheit! Das tote Weib wär' dir nicht davongelaufen! Nun verhetzt der Prädikant mir die ganze Gegend! Das sollst du mir büßen! Man mißachtet nicht ungestraft meine Befehle! Hast du die Tote auch gezinst?“ „Herr! Mein armes Weib ist heute früh erst gestorben!“ wimmert der Hörige. „Gezinst muß werden nach altem Recht! Das beste Stück Vieh im Stalle ist verfallen durch den Tod des Eheweibes!“ „Gnädiger Herr! Ich habe nur zwei Ziegen oben im Zankwald!“ „Nichts da! Laß Er das Geflenn! Recht bleibt Recht. Er hat die beste Ziege an den Zinsmeister abzuliefern und vom Weib das Haupttuch, den Gürtel und die guten Schuhe! So verlangt es das Erbrecht des Klosters! Weh' dir, wenn du nicht getreulich zinsest!“ Dem Gaul die Sporen gebend, sprengt der herrische Abt davon. Wie vernichtet steht der Pelagier, bittere Thränen fließen über seine Wangen. Mit zitternden Händen deckt er das Totenantlitz wieder mit dem Mantel zu und fährt hinab zum Kloster. Trübe Gedanken erfüllen ihn. Welch' harte Zeit! Und selbst im herbsten Schmerz wird unerbittlich Zins und Gefäll eingefordert! Wie arm doch ein Höriger ist im Vergleich zu den beneidenswerten freien Leuten! Grausig rauscht's im Tann und die Wipfel neigen sich. Ist's ein letztes Waldesgruß an die Tote? — — — * * * * * Düster ragt die Klosterstätte zu Alpirsbach in die Dämmerung auf; der wolkige Himmel, der brausende Sturm nehmen der sonst so lieblichen Gegend den sonnigen Zauber wie der Kinzig die Fröhlichkeit. Dunkler als sonst sind des Flüßchens Wellen, fast schwärzlich zeigt sich dessen Granitgrund. Auf den rostfarbigen Wiesen schleicht der Nebel entlang, den zeitweilig der Sturmwind zu dicken Schwaden ballt, dann wieder in wirre Fetzen zerreißt. Und der ringsum stehende dichte Forst beugt seine Wipfel. Wie immer zu abendlicher Stunde kündet die Glocke vom Klosterturm das Ave, doch diesmal verschlingt der Sturmwind die weihevollen Töne und entführt sie in die Lüfte. Am mächtigen Bau der stolzen Abtei rüttelt der Wind vergebens; wohlverwahrt sind all' die Fenster und Balken. Fest geschlossen die Pforte mit dem eisernen Klopfer daran. Majestätisch ragt die alte Kirche in die sturmgepeitschten Lüfte auf, ein herrlich Denkmal romanischer Baukunst, der Stolz vieler Jahrhunderte, der steinerne Ruhm des Zollernhauses. Um die Abtei scharen sich die Siedelungen der Klosterunterthanen, festgefügte Häuser in patriarchalischer Bauart. Inmitten der waldgekrönten Hügel wirkt die Kathedrale doppelt mächtig, und das Kloster gleicht einer Trutzburg. Der schmerzgebeugte Pelagier ist den Siedelungen entlang mit seinem Karren der Abtei zugefahren und hält nun vor der Pforte, deren Klopfer er kräftig in Bewegung setzt. Doch fest geschlossen bleibt das gewaltige Thor, um welches der Sturm tobt mit wilder Gewalt. Wieder klopft der Hörige, doch übertönt der Wind sofort das Geräusch des Klöppels. Kaum vermag Euseb sich in diesem Sturm auf den Füßen zu erhalten. Es gilt indes, da die zunehmende Dunkelheit zur Eile drängt, die Tote zu bergen an geheiligtem Ort. Einlaß findet er nicht, man hört in der Abtei sein Klopfen nicht, so muß er denn selber sehen, wie er ins Beinhaus gelangt. Er nimmt die Tote auf den Rücken und schleppt die teure Last hinüber in den Friedhof, dessen Eisenthor der Sturmwind aufgerissen hat, so daß der späte Gast Einlaß findet. Wie schaurig es ist zu nächtlicher Stunde im Reich des Todes! Und arg wütet der Sturm an dieser geheiligten Stätte; Grabkreuze sind umgeworfen, die Trümmer verschleppt, Grabhügel aufgerissen, Cypressen entwurzelt, ein Chaos, das wirr durcheinanderwirbelt, im Kreisel an die Mauer geworfen wird und klirrend, klappernd, krachend wieder zurückfällt, um aufs neue vom Sturmwind erfaßt zu werden. Euseb erreicht mit knapper Not das Beinhaus; mit grimmer Wut hat der Sturm es versucht, ihm die Last zu entreißen. Wie Euseb die Thüre der Schädelkammer öffnet, fährt auch schon der Wind hinein, es rollen die Gebeine und Totenköpfe wirr und klappernd durcheinander. Mit Aufgebot aller Kraft drückt der Pelagier die Thür wieder ins Schloß, worauf Ruhe wird in der unheimlichen Kammer. Dann bettet er sein Weib auf dem kalten Fließ, setzt sich daneben und hält Totenwache durch die schaurige Nacht. * * * * * Wie das leibhaftige Ungewitter jagt auf der Straße Abt Alphons dem Kloster zu durch Nacht und Wind; der erschreckte Gaul stürmt in rasendem Lauf heran, so daß der Reiter Mühe hat, im Sattel zu bleiben. Vor der Pforte pariert er den Gaul, steigt ab, nimmt den Zügel in den Arm und klopft kräftig Einlaß fordernd. Vergebliche Mühe. Doch der stolze Abt kennt keine Geduld, er hebt den schweren Reitstock, ein kräftiger Schlag in die Fensterscheibe der Pförtnerstube, klirrend fallen die Scherben ins Gemach, und dröhnend ruft Abt Alphons hinein: „Aufgemacht! Knecht heraus!“ Der Kopf eines Klosterbruders taucht am eingeschlagenen Fenster auf und fährt erschrocken blitzschnell zurück. Gleich darauf dreht sich das schwere Thor, und vom Sturmwind erfaßt, schlägt es krachend auf. Ein Knecht springt heraus und übernimmt den Gaul. Der Abt tritt ein, indes der Pförtner sich bemüht, des Thores Herr zu werden und es zu schließen. Dann freilich jammert der Klosterbruder in seiner Zelle über den gewaltthätigen Abt und die eingeschlagenen Scheiben. Muß der Pförtner doch die schaurige Nacht bei zerschlagenem Fenster verbringen, preisgegeben der kalten Luft und dem eindringenden Wind. In seiner Behausung des weitläufigen Klosters angekommen, gebietet Abt Alphons dem Aufwärter, sogleich den Konventualen und Großkeller zu zitieren. Bald steht P. Jakob, der greise Chef der gesamten Klosterhaushaltung, vor dem bedeutend jüngeren Prälaten in schuldiger Ehrfurcht und nach dem Begehr des Vorgesetzten fragend. „Erstatt' Er mir, mein Bruder, Bericht über die Mission unseres P. Gotthard, auf daß ich weitere Maßregeln anordnen kann. Doch setz' Er sich, mein Bruder! Seine Füße sind älter und müder!“ Mit einem Streifblick auf die Reitkleidung des Abtes meint P. Jakob: „Ew. Gnaden werden auch müde sein von anstrengendem Ritt?“ „Das Reiten thut mir wohl, und selbst ein scharfes Jagen ist mir nicht unwillkommen. Doch muß selbes von Erfolg begleitet sein. Leider ist mir heute trotz scharfen Rittes ein Prädikant entkommen, entwischt durch die Dummheit eines Pelagiers. Doch zur Sache! Was ist's mit Gotthard?“ Mit heiser Stimme, mild und besonnen referiert der Großkeller: „Was lange befürchtet ward, ist zur Thatsache geworden, die Leute unseres Gebietes, allen voran der Vogt Georg Adrian von Ehlenbogen, neigen der Wittenberger Lehre zu und haben sich geweigert, ihre Kinder katholisch taufen zu lassen. Sie wollen zum Herzog halten und württembergisch werden! Gotthard ist unterrichteter Dinge zurückgekehrt.“ „Wie, was?! Also Rebellion gegen uns?“ „Das möchte ich doch nicht behaupten. Auch zeigte sich nirgends etwa körperlicher Widerstand oder Auflehnung. Des schweren Haders, des überlangen Krieges im Lande überdrüssig, sehnen sich die Leute nach Ruhe und Frieden, den doch wohl der Herzog, sofern er in sein Gebiet völlig eingesetzt ist, mehr gewährleisten dürfte, als die fremden Herren mit ihren wilden Landsknechten.“ „Ist Er bei Sinnen, mein Bruder? Ein Konventuale von Alpirsbach redet dem Klosterfeind, dem Württemberger, das Wort?“ „Nicht doch! Ich bin nur der unmaßgeblichen Meinung, daß der Herzog den Württembergern wie selbst uns im Schwarzwald näher steht, als Tilly und Wallenstein!“ „Eberhard ist aber unserer Kirche Feind, ein Lutheraner!“ „Das Letztere ist richtig; doch ist damit noch nicht gesagt, daß er ein Feind unseres Klosters ist. Wär' er das, so hätte das Elias Zeiter wie Ew. Gnaden Vorgänger in der Abtwürde sicher zu fühlen bekommen!“ „Er vergißt, mein Bruder, daß Zeiter evangelischer Abt gewesen!“ „Gewiß weiß ich das, wie mir auch bewußt, daß Zeiter von warmem Patriotismus und treuer Anhänglichkeit für das herzogliche Haus erfüllt war.“ „Der Herzog sinnt auf Gebietsvermehrung und Machterweiterung, und dieser Sinn ist uns gefährlich! Eberhard wird nicht früher ruhen, bis er auch Herr von Alpirsbach ist. Ihn lockt die Herrschaft über unsere 297 Ortschaften und 800 Hörige, wie der gesamte klösterliche Besitz. Als Abt und Herr muß ich ihn ebenso bekämpfen, mich wehren wie als treuer Sohn meiner Kirche. Das ist meine Pflicht, heilig beschworen! Ich kann und darf nicht anders handeln. Auch ist der Kaiser für unsere Sache, die Waffengewalt sprach für uns!“ „Wohl ist das richtig! Doch wie entsetzlich sieht es aus im württembergischen Lande! Dörfer und Städte sind ausgeplündert und eingeäschert, Kalw in Flammen, niedergebrannt Waiblingen und Herrenberg. Hungersnot und Seuchen im Volk, dazu plündernde Kriegshorden fremder Nationen! Es ist ein Greuel!“ „Es gilt den Glauben! Und dieser wird siegen und siegreich bleiben!“ „Ich kann nur nicht helfen: Ich würde es freudig begrüßen, wenn bald Ruhe und Friede würde im heimgesuchten Württemberg!“ „Er will doch damit nicht sagen, daß dieser Frieden auf Kosten unserer Kirche erkauft werden soll?!“ „Nein! Aber kommen wird doch die Zeit, daß auch unser stilles Alpirsbach wieder herzoglich wird, wie zur Zeit der Reformation.“ „Das zu verhüten ist meine wichtigste Aufgabe, für die ich mein Leben hinzugeben bereit bin. — Doch zurück zur Ehlenbogener Angelegenheit! Die Leute treten also bereits offen auf Seite des Herzogs, trotzdem sie zur Alpirsbacher Herrschaft gehören?“ „Gotthard vermeldet dies!“ „Und die Leute wollen ihre Kinder evangelisch taufen lassen!“ „So meldet Gotthard!“ „Gottes Zorn soll die Abtrünnigen treffen! Mit Gewalt werde ich dreinfahren, mit strafender Gewalt ihre Seelen retten für unsere Kirche!“ „Verzeiht Ew. Gnaden! Zu wild ist ohnehin unsere Zeit! Versucht es mit Milde und Güte! Will einer württembergisch und lutherisch werden, wird ihn Gefängnis und Schwert sicher nicht in unsere Arme zurückführen. Übet Milde und Güte, Herr!“ „Nein, niemals! Vergeblich wäre jedes Wort! Hier bin ich Herr auf Alpirsbacher Grund und Boden, nicht der Herzog! Mit Waffengewalt werde ich die Rebellen bekämpfen und züchtigen!“ „Thut es nicht, Ew. Gnaden! Je schärfer Ihr dreinfahrt, desto lauter werden die Leute nach des Herzogs Hilfe rufen!“ „Sollen es nur thun! Keines Menschen Stimme reicht bis Straßburg!“ „Aber Menschenfüße tragen hin, und kommen wird die Zeit, daß Eberhard heimkehrt in sein Land!“ „Er scheint das ja schier zu hoffen?!“ „Für den im Exil lebenden Herzog selbst, ja! Bedroht Eberhard uns, dann freilich muß auch ich ihn als Feind des Klosters betrachten!“ „Wenn ich Ihn recht verstehe, will Er beim alten Glauben verbleiben und möchte dennoch württembergisch werden?“ Der greise Konventuale seufzt und schweigt. „Noch spricht Österreich für uns, also liegt uns der Kaiser näher als der Herzog! — Für morgen stell' Er mir, mein Bruder, ein Dutzend handfester Höriger, ich will die Abtrünnigen verhaften lassen und strafen!“ P. Jakob nickt zum Zeichen, daß er den Befehl vernommen und geht dann gebeugt von dannen. Vor seinem geistigen Auge ziehen die in der Klosterchronik geschilderten schweren Zeiten vorüber, da Prälat Kaspar mit glühendem Eifer den württembergischen Staatsgedanken und die Reformierten bekämpfte, mit Assistenz von 8000 österreichischen Soldaten eingesetzt ward in die vielumstrittene Abtei zu Alpirsbach, und dennoch den Niedergang des Klosters ebensowenig aufzuhalten vermochte, wie das Umsichgreifen einer allseitig empfundenen Sehnsucht nach Ordnung und Frieden unter schwarzroter Flagge. Dem alten guten Großkeller schwant eine Katastrophe im stillen waldumrauschten Alpirsbach, und sein Sehnen geht dahin, sie nicht mehr zu erleben. Bei seinem Alter sind die Tage gezählt, sein Hoffen wird in diesem Leben nicht mehr Erfüllung finden, ebensowenig wie die Beseitigung des Rechtsgrundsatzes für Alpirsbach, daß die Abteiluft pflichtig mache und der Territorialherr das Hauptrecht[19] habe. So sucht denn P. Jakob seine Zelle auf, nachdem er den Befehl des Abtes einem Frater übermittelt hatte, der das Aufgebot der Hörigen zu vollziehen bemüht ist. * * * * * Über Nacht hat sich der Wind gelegt; still bricht der Morgen an, düster schwermütig. Der schwarze Tann, der Alpirsbach ringsum einschließt, grüßt unheimlich herein. Im Stift ist die Matutin vorüber; es regen die Brüder fleißig die Hände, und die Patres haben an den verschiedenen Altären die Messe gelesen, worauf die Mönche sich im Refektorium versammeln. Stumm sitzen sie an der langen Tafel, an deren Spitze in Gedanken versunken Abt Alphons thront. Niemand wagt, den Vorgesetzten aufmerksam zu machen, daß das Frühstück bereits auf dem Tische steht, und die Milch wohl kalt werden wird bei längerem Zaudern. Vor dem Abt zuzugreifen, verstößt gegen Sitte und Regel. Was den Prälat wohl so sehr beschäftigen mag? Ein Frater kommt still ins Refektorium geschlichen und wispert dem Großkeller geheime Kunde ins Ohr, und erschrocken starrt P. Jakob dem Boten ins Gesicht. Dann erhebt sich der Großkeller und schreitet hastig, in sichtlicher Aufregung hinauf zum Abt, dem er leise mitteilt: „Ew. Gnaden! Ein Sendbote ist angekommen!“ Den Kopf aufwerfend fragt Alphons: „Wie, was?“ „Ein Sendbote ist da!“ „Von wem gesandt?“ „St. Georgen läßt Ew. Gnaden eine Kunde thun!“ Erregt springt Alphons auf und befiehlt: „Bringt den Boten in meine Zelle!“ Unterwegs ruft der Abt dem Großkeller zu, die Hörigen mit Frater Hilarius abzufertigen, es bleibe beim Befehl der Verhaftung des Vogtes von Ehlenbogen. Die Neuigkeit leise besprechend nehmen die Patres den Morgenimbiß ein, indes P. Jakob den Befehl vollzieht mit schwerem Herzen. Am Fenster seines mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Gemaches stehend, liest Alphons die ihm gewordene Epistel des Abtes vom Stift St. Georgen, der ihm rät, den Klosterschatz, Urkunden und Privilegien so rasch als möglich an sicheren Ort, am besten nach Villingen zu verbringen, denn es drohe schwere Gefahr: Österreich werde die Klöster opfern, und Eberhard zugreifen. Bleich bis in die Lippen ist Abt Alphons geworden, und seine Hände zittern. Daß es schlecht stehe um die Klosterherrschaft, weiß Alphons seit dem Regensburger Reichstag, wo man ihn samt den später erschienenen Kollegen von den Beratungen ausgeschlossen, selbst nur zu gut, und die Chancen der Abteien stiegen und fielen je nach den Fortschritten, die Württembergs Alliierte auf dem Schauplatz des Krieges oder der Diplomatie machten. Welche Gefahr mag nun jetzt im Anzug sein, da der Amtsbruder von St. Georgen zur Flucht rät? Gilt das kaiserliche Mandat[20] nicht mehr? Haben die kaiserlichen Truppen eine Niederlage erlitten? Warum nur der Kollegissimus nichts Näheres schreibt?! Doch, da unten am Rand der Epistel ist hingekritzelt: „Bayern und Österreich haben uns aufgegeben, wir aber haben beschlossen, uns unter französischen Schutz zu begeben, um die Selbständigkeit zu retten: Thue desgleichen! Befehlshaber ist Baron d'Oisonville in Breisach! Georg.“ Heiß steigt dem Abt das Blut zu Kopf; der Gedanke Frankreich zum Schutz aufzurufen, erregt Alphons, es hämmern und pochen die Schläfe, sein Körper zittert und die zuckenden Lippen flüstern: „Frankreich! Frankreich! Wird es uns nützen, uns retten? Die Not und Gefahr ist groß! Kommt Eberhard ins Land zurück, so ist 's zu Ende!“ Ein Seufzer aus gequälter Brust begleitet diese Worte. Dem in seinen alten Rechten bedrohten Abt ist es schwer ums Herz. Mag der Prälat von Georgen leichter sich unter französischen Schutz begeben haben oder bereit sein zu diesem unzweifelhaft folgenschweren Schritt: Alphons vermag ihn nicht so rasch zu thun. Es regt sich im tiefsten Grunde ein Gefühl der Anhänglichkeit an die Heimat, und diese ist und bleibt ja doch das deutsche Württemberg. Aber wie zerfahren sind die Verhältnisse im schwäbischen Heimatlande! Der fremde, freilich den Glauben schirmende österreichische Kaiser, für die Klöster Hort und Schützer, gebietet mit Waffengewalt, der Schwede kämpft für den Herzog und den neuen Glauben, und eigentlicher Herr, angestammt von Gottes Gnaden, Landesvater ist der exilierte Herzog Eberhard. Fern der Heimat lebt der Herzog; kommt er wieder und siegen die schwedischen Waffen, so endet die Klosterherrschaft wie einst unter Abt Jakob Hohenreuter. Ein Rangen ist's um Pflicht und Vaterlandsliebe. Hier gebietet der Eid auf Glauben und Papst, dort mahnt das Gefühl der Landesangehörigkeit. Kann und darf sich der Abt von Alpirsbach von den Prälaten und Bischöfen trennen, darf er die Herrschaft des Klosters preisgeben dem andersgläubigen Landesherrn? Ist der Abt nicht durch heilige Eide gebunden, sein Leben hinzugeben für den Bestand der Abtei nach verbrieften Rechten? Gewährt Österreich, Kurbayern dem Kloster nicht mehr Schutz und Schirm, so ist es Pflicht, neuen Schutz zu suchen. Eberhard bietet solchen nicht, sein Sinn muß auf Wiedergewinn seines Landes und Neuerwerb, Vergrößerung des Gebietes, Einverleibung der selbstherrlichen Klöster gerichtet sein. Sein Scepter bedeutet das Ende.... Wie aber, wenn des Großkellers Sehnen Verwirklichung finden könnte? Württembergisch werden und dennoch beim alten Glauben bleiben! Wird Eberhard das bewilligen können? Muß er nicht, gestützt auf Gustav Adolfs Erfolge, folgerichtig vorgehen, dem Protestantismus Ausbreitung gewähren, nachdem das herzogliche Haus sich dem neuen Glauben zugewandt? Und benötigt Eberhard nicht den Reichtum der Klöster zur Wiederaufrichtung des Herzogtumes? Er ist gezwungen zur Einverleibung! Ein harter Zug zeigt sich in Alphonsens Antlitz, wie er nach Pergament und Feder greift, um dem Amtsbruder in Georgen Antwort zu geben in unverfänglichen Worten. Mit dem Schreiben, verborgen im Wams, reitet bald darauf der Bote ab. Noch sitzen die Mönche beim Morgenimbiß, da bittet Eusebius demütig in der Pförtnerzelle, es möge einer der Patres die Beerdigung seines Weibes vornehmen, der Meßner und Totengräber sei bereits verständigt. Grimmig fährt der Bruder Pförtner den Bittsteller an: „Was erfrechst du dich, du, ein Pelagier! Die ehrwürdigen Herren sitzen noch beim Imbiß! Kannst du nicht warten? Den Zuchtmeister werd' ich dir auf den Hals schicken! So eine Frechheit! Als ob das tote Pelagierweib nicht warten könnte!“ Der Pförtner ereifert sich, daß sich seine dicken Wangen glutrot färben und seine Zornesrufe durch die Gänge hallen. Angelockt von dem Gezeter kommt P. Jakob in die Zelle und fragt nach dem Anlaß so lauter Strafrede. Erbost will der Pförtner abermals loslegen, doch der milde alte Mönch heißt ihn schweigen und fordert den Pelagier auf, sein Anliegen vorzubringen. Euseb wiederholt seine Bitte um kirchliche Beerdigung seines verdorbenen Eheweibes. Gutmütig nickt P. Jakob dem Hörigen Genehmigung zu, gleichzeitig dem Pförtner sein Verhalten verweisend. Ein Mensch sei auch ein Höriger, und Christenpflicht sei es, solcher Bitte zu willfahren. Zu Euseb gewendet, heißt der Pater ihn alles vorzubereiten, er selbst werde Chorrock und Stola holen und die Einsegnung vornehmen. Dankbaren Gefühles entfernt sich Euseb, und der alte Mönch huscht hinauf in seine Zelle. Knurrend bleibt der Pförtner zurück und setzt die Flickarbeit an der eingeschlagenen Scheibe fort, ärgerlich, daß der Großkeller mit seiner Güte noch die Leute völlig verderben werde. Wegen eines Pelagiers gleich laufen! Prügeln hätte man ihn sollen für sein Ansinnen, die Patres beim Imbiß stören zu wollen! Ein Höriger verdient überhaupt nichts als Prügel bei jeder Gelegenheit, auf daß er den Unterschied zwischen frei und hörig begreife und fühle. Würdig hat der seelensgute alte Mönch die Handlung am Grabe vollzogen, dem erschütterten Pelagier warme Trostesworte gespendet und ein Gebet für die Tote verrichtet. Niemand steht außer dem Priester, dem Pelagier und Totengräber und Küster am offenen Grabe. Letztere mürrisch, denn für die Einscharrungsarbeit erhalten sie keinen Lohn. Drum eilen sie sich auch so mit dem Zuwerfen des Grabes, und insbesondere der dicke Küster glaubt den schmerzbewegten Witwer an die baldigst vorzunehmende Zinsleistung gemahnen zu sollen. Wie dem armen Pelagier das Herz krampft! Einen letzten Blick wirst er auf die Stätte, die sein Liebstes birgt, dann verläßt er den Friedhof und kehrt langsamen Schrittes in den Wald zurück. Der Tann hat mehr Mitleid und heißt den Heger willkommen durch sanftes Rauschen. Und noch am selben Tage erscheint der Zinsmeister, um das Falltier, Hut, Schuhe, Gürtel und Tuch des Weibes zu holen. „Nimm doch gleich die andere Ziege auch mit!“ ruft verbittert der Pelagier. „Das beste Stück für den Abt! Mehr zu nehmen, bin ich nicht befugt. Wenn es dich ärgert, mach' es anders! Warum bist du unfrei geboren worden!“ Dem Hohn schließlich noch Großkellers Auftrag, Wildpret für die Klosterküche zu beschaffen, beifügend, entfernt sich der Zinsmeister mit der Fallziege und den Zinsgegenständen der toten Pelagierin. Euseb starrt vor sich hin, teilnahmslos, wie geistesabwesend. Der große Schmerz wirkt lähmend auf den schier gebrochenen Mann. * * * * * Euseb ist in den Tann gezogen, um auf ein Schmaltier zu pirschen und die Stiftsküche mit frischem Wildpret zu versorgen. Den bitteren Schmerz drängt er gewaltsam zurück, es ruft die Pflicht. Mag das Stift noch so hart umgehen mit den Hörigen und das Dasein eines Pelagiers ein jämmerliches sein: zu ändern ist es nicht solange die Abtei Herrin ist und die Leibeigenschaft zu Recht besteht. Wenn freilich der Württemberger über das Stift käme! Wenn Eberhard von Straßburg in sein Erbland zurückkehren und seine Hand auf Alpirsbach legen würde — —! Ob es dann nicht anders, die Leibeigenschaft aufgehoben werden würde?! Frei sein; wie das herrlich sein müßte! Unwillkürlich hat sich Euseb aufgerichtet, es hebt und dehnt sich seine starke Brust, höher geht sein Atem. Wenig achtsam, ganz erfüllt von dem berauschenden Gedanken an ein Freiwerden von Hörigkeit, ist der Pelagier auf ein dürres Ästlein getreten, und das knarrende Geräusch läßt ihn zusammenzucken. Wie achtlos und unklug für einen Jäger! Lautlos pirscht Euseb weiter durch das in feierlicher Ruhe liegende weitgedehnte Waldgebiet und steuert einer kleinen Waldwiese zu, nahe der von Süd heraufziehenden Straße. Plötzlich lärmt im dichten Stangenholz eine Amsel, den Abendfrieden jäh unterbrechend, und sichernd zieht ein Feisthirsch von Holz zur Äsung. Ein kapitaler Zwölfer ist's, der plötzlich aufwirft und sichert. Auch Euseb sieht scharf aus nach der Ursache der Beunruhigung des stolzen Hirsches. Dunkle Gestalten kommen die Straße herangezogen in Wehr und Waffe; hochgemacht durch das von diesen verursachte Geräusch prasselt der Hirsch ins Holz zurück und ist in wenigen Fluchten verschwunden. Ärgerlich tritt der Pelagier auf die Straße hinaus und äugt nach den schwätzenden Gestalten. Bei Gott, Musketiere sind es, Franzosen, die offenbar gen Alpirsbach marschieren als Vorhut! Ein jäher Schreck durchfährt den Heger und blitzschnell jagen die Gedanken durch den Kopf. Droht dem Kloster Gefahr, soll er in rasender Flucht zum Stift eilen und warnen? Soll er den Trupp aufhalten? Wer aber wird die Abtei alarmieren? Wie kommen die Franzosen in die Waldeinsamkeit? Was thun? Es wirbelt dem Manne im Kopf. Unschlüssig sucht er zunächst Deckung im Dickicht des hart die Straße besäumenden Waldes; er will sich über die Zahl der anrückenden Truppen vergewissern. Der Trupp zieht schwätzend mit geschulterten Gewehren vorüber. Immer finsterer wird es im Tann und stiller. Euseb lauscht gespannt in die Waldesnacht hinaus; sein geübtes Ohr vernimmt dann das dumpfe Geräusch schwerer Tritte, es wird eine größere Kolonne heranmarschieren. Nun gilt es, so rasch wie möglich den Abt zu verständigen, die Abtei zu besetzen mit waffenfähigen Hörigen, auf daß der Feind scharf empfangen werden könne. Der Pelagier huscht längs des Waldrandes in flüchtigen Sätzen durch den dunkeln Forst, biegt, als er der Vorhut in den Rücken kommt, seitlich ein, umkreist den Trupp, und stürmt nach Alpirsbach. Die friedliche Siedelung, aus deren Fenstern trauliche Lichter blinken, wird jäh durch Eusebs Alarmrufe aufgeschreckt, die Klosterunterthanen stürzen aus den Häusern und fragen bestürzt den von Haus zu Haus laufenden Pelagier, was denn los sei. „Die Franzosen kommen, bewaffnet euch!“ schreit Euseb und eilt in die Abtei, um auch hier zu alarmieren. Fassungslos rennen die Brüder durcheinander, erregt verlassen auch die Patres ihre Zellen. Euseb wird zum Abt geführt, dem er hastig Meldung macht vom Anzug der gefürchteten französischen Musketiere. Lächelnd nimmt Abt Alphons den Bericht entgegen und sagt: „Die kommen rascher, als ich erwartet! Du hättest jedoch ruhig in deinem Revier bleiben können!“ „Verzeihung Euer Gnaden! Ich glaubte — der Feind — wir werden verloren sein, darum rief ich alles zu den Waffen!“ stammelt der Pelagier. „Nein, nein! Nichts von Waffen! Das Kloster soll die Schutztruppe gut empfangen und reichlich bewirten und die Unterthanen den Soldaten Quartier geben!“ „Herr! Kommen die Franzosen denn als Freund?“ „Gewiß! Ich selbst habe sie gerufen!“ Ein Ruf namenloser Überraschung entfährt dem weitgeöffneten Mund des Hörigen. „Es ist so! Die Franzosen sollen uns schützen!“ „Ihr, ihr habt die Fremden gerufen gegen Württemberg — —! Ihr, ein deutscher Abt?“ Zornig stampft Alphons mit dem Fuße auf den Boden und spricht drohend: „Was unterfängst du dich, du, ein Höriger! Geh' und vermelde den Unterthanen meinen Willen: Die Soldaten sind freundlich aufzunehmen und einzuquartieren! Fort mit dir!“ Euseb verläßt das Gemach des Abtes mit wirrem Kopf; ist er auch nur ein armer Leibeigener des Stiftes, unfrei und zu harter Arbeit geboren: das Verhalten des mächtigen Prälaten versteht er nicht, sein deutscher Sinn vermag nicht zu fassen, wie man fremdes Kriegsvolk zum Schutze herbeirufen kann. Ob sothanes Thun sich nicht bitter rächen wird?! Dem Hörigen schwant schweres Unheil und tiefe Betrübnis spricht aus seinem Gesicht. Wie Euseb den Gang herabkommt, stößt er auf den greisen Großkeller, der ihn sofort fragt, ob es wahr sei, daß französische Soldaten im Anzuge gen Alpirsbach seien. Der Pelagier bejaht seufzend und fügt hinzu, daß er eben Seiner Gnaden davon Meldung erstattet habe. Erwartungsvoll fragt Pater Jakob weiter: „Nun, und was befiehlt der Abt?“ „Die von ihm herbeigerufenen Musketiere sollen —“ „Was sagst du? Der Abt selbst hätte sie gerufen?“ „Ja, so sagte er! Sie sollen das Kloster vor dem Württemberger schützen, und wir Unterthanen sollen das fremde Kriegsvolk freundlich aufnehmen und beherbergen.“ „Das ist ja himmelschreiend! Seine Gnaden selbst — ich kann's nicht glauben! Ich muß den Abt selber fragen!“ Und bestürzt eilt der alte Konventuale hinauf zu den Gemächern des Prälaten. Euseb verläßt die in vollem Aufruhr befindliche Abtei und sucht trotz nächtlicher Finsternis das Grab seines Weibes auf, um an denselben ein Gebet für die Tote zu verrichten. Wie fassungslos kommt Pater Jakob herunter und steuert in die Küche, um dem Personal den Befehl des Abtes zu überbringen, daß alles zur Bewirtung der Franzosen bereit gehalten werden solle. Das Unglaubliche ist zur That geworden: Alphons selbst hat nach Breisach geschrieben und das fremde Kriegsvolk gerufen! Trommelwirbel tönt durch die finstere Nacht, die Musketiere rücken ein, begafft von den Klosterunterthanen. Kommandorufe werben laut, eine Abteilung marschiert dröhnenden Schrittes auf die Abtei zu und stellt sich auf. Rasselnd fahren die Gewehrkolben nieder und schlagen auf dem harten Boden auf. Kopf an Kopf gedrängt beschauen die Klosterbrüder das ungewohnte militärische Schauspiel. Der Platz vor der Abtei füllt sich immer mehr mit Musketieren, die bei Fackelbeleuchtung einschwenken und Posto fassen. Ein Offizier tritt in die Klosterpforte und verlangt den Abt zu sprechen. Mit offenem Munde guckt der Pförtner den Franzosen an. „Sacre bleu, avant!“ Der Pförtner steht wie versteinert. Doch da kommt Abt Alphons bereits in eigener Person zum Empfang und lädt den Offizier zum Eintritt ein. Ein Schwall gallischer Worte fliegt dem Abt entgegen: der Kommandeur erstattet wohl eine militärische Meldung, deutet mit dem Degen auf seine Soldaten und schwätzt weiter. Unwillkürlich suchen des Abtes Finger einen Ruhepunkt hinter den Ohren. Eine üble Situation. Der Abt muß schleunigst französisch lernen, sonst wird ein Verkehr unmöglich sein. Einstweilen muß die Zeichensprache aushelfen; der Abt lädt durch eine Armbewegung zum Eintritt ein. Der Kommandeur überreicht einen Brief, verbeugt sich und giebt, zur Truppe gewendet, Befehl zum Einrücken. Die Offiziere treten heran, schreiten unter Führung des Abtes ins Refektorium, und hinterdrein folgt ein Teil der Musketiere, indes der Rest auf dem Platz verbleibt. Ratlos sieht Abt Alphons die Invasion des klösterlichen Refektoriums: die Mannschaft greift aus den Schüsseln jegliches Erreichbare, labt sich durch flüchtigen Trunk aus den Kannen und Krügen und tritt dann auf Befehl wieder ab. Gleich darauf marschiert die andere Abteilung im Refektorium auf, lärmend, schwätzend, drängend. Der Kommandeur fordert frisches Auftragen von Lebensmitteln; die Klosterherren stehen stumm wie die Mauern. Ein neuer Befehl — und ein Dutzend Mann springen fort, suchen die Küche und schleppen aus ihr herauf, was sie erwischen können. Vergeblich zetert der Koch und seine Gehilfen, sie werden rücksichtslos zur Seite gestoßen. Lachend bringen die Soldaten die requirierten Viktualien herauf, und rasch ist die Verteilung vorgenommen. Sodann werden dem Abt die leeren Kannen vorgewiesen und durch Umkehren der Krüge der Wunsch nach frischer Füllung deutlich zum Ausdruck gebracht. Auf einen Wink des Abtes verschwindet Pater Jakob und einige Brüder, aber gleichzeitig auch die Requisiteure der Kompagnie, die vergnüglich den Gang in den Keller mitmachen und sogleich kleinere Fässer „fassen“ und auf den Platz vor der Abtei bringen, wo die Truppe mit schallendem Halloh das Naß begrüßen. Die Musketen werden in Pyramiden zusammengestellt, Becher und Krüge aus dem Kloster geschleppt, die Fässer angebrochen, und nun wird gezecht bei qualmendem Fackelschein. Bald verkünden kreischende Weiberstimmen, daß die Franzosen neben Wein und Lied auch noch Weiber zu lieben pflegen. Im Refektorium ist's stiller geworden, und verweilen nur noch die drei Offiziere und der Abt mit einigen Konventualen. Auf einen Wink des Prälaten wird die Tafel rasch frisch gedeckt, worauf Alphons auf gut deutsch die Herren einlädt, am Abendmahl teilzunehmen. Wie gut doch die Franzosen jetzt deutsch verstehen! Sie erweisen der Klosterküche alle Ehre und sprechen dem Weine tapfer zu. Nur die jetzt unter französischem „Schutz“ stehenden Mönche lassen alles unberührt, ihnen, wie dem Abt selbst, ist jeglicher Appetit vergangen. Beklommen flüstert P. Gotthard dem Prälaten zu, wie das denn für die Nacht, wo denn die Menge Soldaten untergebracht werden solle. Unter einer höflichen Verbeugung gegen den Abt sagt zu aller Überraschung der Kommandeur im holperigem Deutsch: „Kloster für alles sorgen muß!“ Dazu ist trotz der schweren Last der Abt gern bereit, im Frohgefühle, daß der Offizier doch etwas Deutsch versteht, und giebt Alphons sofort Befehl, die Offiziere und Sergenten in der Abtei selbst, einen Teil der Musketiere in den Lagerräumen, den Rest der Soldaten jedoch in den Häusern der Hörigen und sonstigen Unterthanen unterzubringen. Sofort erheben sich die Offiziere, um die Durchführung dieser Anordnung persönlich zu überwachen. Die Mönche können das Tischgebet ja alleine verrichten. Indes es draußen wie im Kloster lärmend hergeht, liest Abt Alphons das ihm übergebene Schreiben von Baron l'Oisonville. Wenn auch nicht alle Ausdrücke und Redewendungen ihm verständlich sind, den Inhalt erfaßt der Abt doch sofort, und erblassend starrt er auf das inhaltschwere Schreiben, in welchem der französische General kurz und bündig mitteilt, daß das Gesuch um Schutz bewilligt werde durch Entsendung von einhundert Mann nebst drei Offizieren gegen monatliche Zahlung einer Entschädigung von dreißig Gulden rheinischer Währung und Verpflegung der gesamten Musketiere auf die Dauer von vier Jahren und Verpflichtung zum Schadenersatz an Menschenleben, Wehr und Waffen im Falle jeglicher kriegerischer Aktion, so solche aus einem Angriff von Schweden oder Württembergern auf klösterlichem Grund und Boden erfließen sollte. Abt Alphons faßt sich an die Stirne, und bebend flüstert er: „Großer Gott! was habe ich gethan!“ — — Tief erschüttert sucht er seine Gemächer auf; er muß allein sein jetzt, allein mit sich selber. * * * * * Rücksichtslos, gewaltthätig vollzieht sich zu später Stunde bei Fackelschein die Einquartierung bei den Klosterunterthanen, deren Schreckensrufe zum nächtlichen Himmel tönen. Auch Abt Alphons wird durch das Geschrei und Gejammer der Leute, die man aus den Betten riß, um selbst darin zu ruhen, aus seiner Erstarrung geweckt und verstört blickt er durch das Fenster auf den Schauplatz der heraufbeschworenen Kriegsgreuel. Johlend hetzen betrunkene Soldaten dürftig gekleidete Mädchen, die sie aus den Häusern gejagt, umher; Weiber werden von Gatten und Kindern gerissen und mißhandelt, Burschen geprügelt, wenn sie sich im geringsten wehren gegen verlangte Knechtesdienste, und Männer gefangen gesetzt, sobald sie gegen solches Gebahren protestieren. Wird einer der Offiziere sichtbar, so weichen die Musketiere wohl zurück und geben Ruhe; kaum aber kehren die Befehlshaber den Rücken, wird um so wilder getobt, und behaglich lachen die aufgestellten Posten zu den wüsten Scenen. Eine schönere Gelegenheit zu einem Lasterleben ohne Dienst kann der Soldateska nimmer geboten werden; sie ist Gast eines reichen Klosters und Schützer, daher auch Gebieter. Die Soldaten haben rasch die günstige Lage begriffen und lassen ihrem Übermut vollends die Zügel schießen, zumal der überreiche Weingenuß die rauhen Kriegsknechte toll gemacht hat. Händeringend steht der Abt am Fenster, Verzweiflung im Herzen. Ist er völlig wehrlos gegen solche Greuel in nächster Nähe der geweihten Stätte? Noch ist er Herr auf eignem Grund und Boden, noch ist er und nicht die Franzosen Abt und Gebieter von Alpirsbach. Alphons rafft sich auf, er will solche Übelthaten gleich am ersten Abend unterdrückt sehen, heute noch, ehe sie weiter um sich greifen. Entschlossen geht der Abt hinab zum Refektorium, wo er die Offiziere beim Wein sitzend wähnt. Dem ist wirklich so: die Franzosen sitzen an der Klostertafel beim Würfelspiel. Entsetzt besieht Alphons diese Gruppe: im Refektorium ein Würfelspiel! Und wie bereitwillig die jüngeren Konventualen und Brüder den Herren immer neue Kannen zutragen und vergnüglich dem Würfelspiel zusehen! Wie einst Jesus Christus die Händler aus dem Tempel, so möchte Abt Alphons die Offiziere jetzt in heiliger Entrüstung von dannen jagen ... Aber hat nicht er selbst sie gerufen, sie als Gäste aufgenommen im früher so stillfriedlichen Kloster?! — Wieder dringt Geschrei und Johlen herein. Der Abt zuckt zusammen, fest pressen sich seine Lippen aufeinander, würdevoll schreitet er auf den Kapitän zu. Ärgerlich ob der Störung im Spiel, erhebt sich der Kommandeur und fragt, halb zum Abt, halb aber zu den Spielern gewendet, nach dem Wunsche des Klostervorstandes. Mit bebender Stimme weist Alphons auf die beobachteten wüsten Vorgänge draußen hin und fordert Zucht und Ordnung. Der Kapitän zuckt die Achseln und erwidert leichthin: „à la guerre comme à la guerre, Monsieur l' Abbé!“ und wendet sich vollends zu den Spielern. Eine jähe Röte schießt dem Prälaten ins Antlitz, zornig ruft er. „Nein, Herr Kapitan! Hier giebt es keinen Krieg zu führen, zunächst noch nicht! Was ich gesehen, sind Kriegsgreuel, und solche dulde ich nicht! Ich bin Herr und Gebieter hier und verbiete dergleichen!“ Spöttisch sieht der Kapitän dem Redner ins Gesicht und spricht unter höhnischem Lächeln: „Pardon, Monsieur l'Abbé! Dominateur et chef de Alpirsbak sein ik! Bon soir!“ Unbekümmert um den sprachlos gewordenen Abt und die wie versteinert stehenden Mönche setzt sich der Kapitän wieder zu den Offizieren und würfelt vergnüglich weiter. Und was die Konventualen wie die Fratres noch mehr als die Kunde, das Alphons selbst die Franzosen herbeigerufen, überrascht, daß ist die Thatsache, daß der Abt die Anmaßung der Franzosen widerspruchslos läßt und mit gesenktem Haupte aus dem zur Lasterhöhle gewordenen Refektorium schreitet. Der früher herrisch stolze Abt beugt sich einem gallischen Windbeutel und überläßt dem Franzosen die Herrschaft über Alpirsbach! Die Mönche suchen nun auch ihre Zellen auf bis auf die Aufwärter, die verharren müssen, bis es den Franzosen gefällig ist, das Spiel und Gelage zu beendigen, um sodann die Lichter auszulöschen und die Herren in ihre Gemächer zu führen. * * * * * Knieend am Grabe seines Weibes hat Euseb ein inbrünstig Gebet verrichtet; eben ist er im Begriff, sich zu erheben und den Friedhof zu verlassen, als Trommelwirbel an sein Ohr schlägt. Die Franzosen sind da, auf welche der Pelagier vergessen hat in seiner Wehmut und Andacht. Mit dem widerwärtigen Kriegsvolk will Euseb am liebsten gar nicht in Berührung kommen, weswegen er am Grabhügel verharrt, geschützt durch die finstere Nacht. All' die wüsten Vorgänge kann Euseb von hier aus deutlich wahrnehmen, und die Greuel lassen ihn erschauern. Seine Fäuste ballen sich, die Adern schwellen, heiß drängt das Blut zum Herzen. Und all' das wüste Treiben eines ausgeladenen Kriegsvolkes hat der Abt selbst heraufbeschworen, selbst verlegt auf den stillen Weiheboden von Alpirsbach! Der Deutsche schrie nach dem Franzosen! Und nun hat er die Bescherung! Den deutschen Württemberger fürchtete er, und französische Schändlichkeit muß er nun dulden. O, hätte der stolze mächtige Abt auch nur ein winzig Teil von dem deutschen Empfinden des armen Hörigen! Doch jetzt ist's zu spät! Der gallische Hahn ist gerufen, und nun kräht er... Jenes Mägdlein in dürftiger Kleidung, verfolgt von einigen betrunkenen Soldaten, flüchtet in Todesangst direkt auf den Friedhof zu, und brüllend vor sinnloser Lust folgen die Kerle. Wie sie aber bei Fackelschein erkennen, daß Grabkreuze aufragen, prallen sie zurück und machen kehrt. Nur ein Musketier dringt in den Kirchhof ein und taumelt der weißgekleideten Gestalt des Mädchens nach. Was gilt dem Franzosen die Friedhofsruhe und geweihte Stätte der Toten! Hart an Euseb vorbei hastet die entsetzte Jungfer, hinterdrein fluchend und johlend der Kriegsknecht. Plötzlich erhebt sich der Pelagier in seiner ganzen Größe, reißt vom nächsten Grabe das Holzkreuz aus der Erde und schlägt es mit Wucht auf den Schädel des Wälschen. „Der schändet deutsche Tugend nimmer!“ flüstert Euseb, ruft dann leise das Mädchen herbei, dem er rät, die Schreckensnacht im Beinhause des Friedhofes zu verbringen. Dort sei die Jungfer sicher vor jeglicher Nachstellung. Wohl zittert das Mädchen, aber lieber bei Gebeinen und Totenköpfen die Nacht verbracht, als unter französischer Lasterhaftigkeit. Der Pelagier aber setzt mit kühnem Sprung über die Friedhofsmauer und entflieht unter dem schützenden Dunkel der Herbstnacht in den Tann. Spät erst verlöschen Lichter und Fackeln und legt sich der Lärm und Jammer. Nur der gleichmäßige Schritt der Wachposten ist hörbar und kurze Rufe bei Ablösung derselben. In seinem Gemach kniet der Abt vor dem Kruzifix, bitterlich weinend, den unglückseligen Schritt bereuend und Gott den Allmächtigen um Schutz für das Kloster anflehend.... * * * * * In der Dämmerung des kalten nebligen Morgens verläßt das Mädchen frostdurchschüttelt das Beinhaus und huscht durch den Friedhof, um über den Platz vor der Abtei das Elternhaus so rasch als möglich zu erreichen. Doch der Wachposten hält die Jungfer an, sein Ruf lockt Soldaten herbei, die eben im Begriff standen, das Frühstück zu requirieren, mit Halloh wird das nur mit Hemd und Nachtjäcklein bekleidete Mädchen umringt. Gellend schreit das geängstigte Mädchen um Hilfe und wehrt sich verzweifelt gegen die Zudringlichkeiten der Musketiere. Ein Sergent aber, der die Flucht aus dem Friedhof wahrgenommen, tritt in denselben, um nachzusehen, was sich wohl zwischen den Gräbern ereignet haben möchte. Bald hat er die Leiche des erschlagenen Soldaten erblickt, auf die er losstürzt und dabei aus Leibeskräften um Hilfe ruft. Betroffen lassen die Musketiere das Mädchen los und laufen in den Kirchhof, den Kameraden zu holen. Ein betäubendes Geschrei folgt, die Soldaten zetern und brüllen, der Sergent läßt durch den Trompeter Alarm blasen, und in wilden Sätzen stürmen die Musketiere notdürftig bekleidet, doch mit ihren Waffen heran. Im Kloster wie in den Häusern wird's lebendig, Hörige, Mönche laufen zusammen, auch die Offiziere kommen mit blankgezogenen Degen angerannt, Befehle schreiend und die Kompagnie formierend. Hastig fordert der Kapitän en chef Rapport, und ein wilder Fluch entfährt seinem Munde beim Anblick des ermordeten Musketiers. Dann wird eine Patrouille zur Fahndung nach dem unbekannten Mörder entsendet und ein Lieutenant mit vier Mann abgeschickt, den Abt herabzuholen. Abgehärmt, bleich nach schlaflos verbrachter Nacht, unsicheren Ganges folgt Abt Alphons dem Offizier heraus auf den Klosterplatz. Ohne Gruß deutet der Kapitän mit der Degenspitze auf die am Boden liegende Leiche und fordert Rechenschaft vom Prälaten, der für jeden Mann wie für jede Waffe verantwortlich sei. Alphons bebt; die Leiche sagt ihm das, was er in der Rede des Kommandeurs nicht verstanden. „Monsieur l'Abbé sein obligé, müssen zahlen contribution: cent florins par l'homme, und stellen un homme Ersatz. Und Strafe extra an jede Mann cinq sous! Wird meurtier nix gestellt: deux fois cent florins!“ Alphons ringt in Verzweiflung die Hände: „Ich bin doch unschuldig an der Unthat!“ Der Kommandeur läßt die Kompagnie einrücken, den Toten in das Beinhaus tragen und begleitet den fassungslosen Abt in das Kloster, um die verhängte Kontribution sofort einzukassieren. * * * * * Zu wahren Schreckenstagen wurde für das Kloster die nächste Zeit; die Musketiere zeigten sich immer gieriger, raubten aus Küche und Keller, immer dabei auf die Mordthat verweisend, die gerochen, für die die gesamte Bevölkerung bestraft werden müsse. Das Schutzgeld verlangte der Kapitän auf Monate voraus, verpraßte es teils im Spiel mit den Offizieren, teils schickte er es nach Frankreich und forderte dann immer neue Summen, sobald Ebbe im Beutel war. So kam es eines Tages dazu, daß der Großkeller Pater Jakob dem Abt mit Betrübnis mitteilen mußte, daß alle Vorräte aufgezehrt seien und neue Lebensmittel beschafft werden müßten. Zugleich fragte der greise Konventuale, ob er selbst vielleicht in Dornhan[21] Lebensmittel verlangen solle. Abt Alphons will jedoch selbst, und zwar nach Villingen reisen, in der Hoffnung, mit dem Amtsbruder Georg von Sankt Georgen zusammentreffen zu können, behufs einer Beratung der durch die Herbeirufung der Franzosen geschaffenen bösen Lage des Klosters. Alphons giebt bezüglichen Befehl und trifft die nötigen Vorkehrungen; insonders wird auch der Kapitän verständigt mit dem Ersuchen, einige Musketiere zum persönlichen Schutze des Abtes abzuordnen, wasmaßen bei den unruhigen Zeiten allgemeiner Unsicherheit militärische Begleitung dringend nötig ist, und der Abt immerhin eine größere Summe Geldes zum Einkauf von Nahrungsmitteln mit sich führen wird. Über den Zweck der Reise informiert, stellt der Kommandeur bereitwillig eine Abteilung seiner Musketiere zur Verfügung, die in Wehr und Waffen des Aufbruchbefehles harren. Aus seinem Bedenken gegen die Reise nach Villingen und gegen diese Begleitung macht Pater Jakob dem Abt gegenüber kein Hehl, doch Alphons weist jede Mahnung unwirsch zurück. Ihn drängt es nach einer Aussprache mit dem Abt von Sankt Georgen, mit dem er reden muß, um zu erfahren, ob auch jenes Kloster unter französischem Schutz so schwer leidet. Hat Georg dem Alpirsbacher geraten, die Franzosen zu rufen, so weiß der Georgener möglicherweise Rat, sie wieder los zu werden. Und die Greuelwirtschaft muß ein baldiges Ende finden; nur ist sich Alphons darüber nicht klar, wie er die Franzosen aus dem Klostergebiet bringen soll. Vier Jahre solchen „Schutz“ zu dulden, ist unmöglich, unerträglich für Alphons, der die nagende Reue im Herzen trägt, die Reue, den Rat des Georgener Abtes befolgt zu haben aus übertriebener Furcht vor dem Württemberger. Daß ihn der begangene Schritt reut, gesteht Alphons freilich niemandem; aber der alte Pater Jakob liest aus des Abtes gramdurchfurchtem Antlitz deutlich, was dessen Herz bewegt, und deswegen hofft der Großkeller auf baldige Befreiung von der Franzosenherrschaft in der Erwartung, daß der Abt den rechten Weg dazu sicher finden werde. Wie zu Alpirsbach erpreßten die herumstreunenden Musketiere auch in anderen Ortschaften der Umgegend Geld und Gut in grausamster Weise. Sie durchstreiften den Tann hinüber nach Peterzell, raubten die Siedelungen an der Straße nach Schenkenzell aus und statteten selbst den Schilbachern Besuch ab, wobei sie den Leuten das gesamte Vieh wegtrieben. Je mehr die Gebrandschatzten jammerten, desto toller trieb es das zuchtlose Kriegsvolk, das durch seine Grausamkeit eine wahre Geißel für das Klostergebiet ist. Die Lust an Menschenqual stieg ins Maßlose; hohnlachend schraubten die Kriegsknechte die Steine von den Pistolen ab und zwängten die Daumen der Beraubten an ihre Stelle; sie zerschnitten Weibern die Fußsohlen und streuten Salz in die offenen Wunden, das sie dann unter wieherndem Gebrüll von Ziegen ablecken ließen. Kindern, so sie nicht sofort sagten, wo die Eltern Geld vergraben haben, wurde die Zunge durchstochen und Roßhaare durchgezogen, und Männern wurde vielfach ein mit Knoten versehenes Seil um die Stirne gebunden, das mit einer Kurbel so fest zugedreht wurde, daß den Gequälten die Kopfhaut in Fetzen gerissen wurde. Weiber wurden am lichten Tage auf freiem Felde vergewaltigt und ihnen dann mit viehischer Lust Löcher in die Kniescheiben gebohrt. Ein besonders beliebtes Martermittel war das „Feuerkriechen“, das überall dort angewendet wurde, wo sich ein Backofen befand. Erst raubte die Horde, wessen sie habhaft werden konnte, dann zwängte sie die Bauern und Weiber in den Backofen, vor dessen Ausgang ein Feuer angezündet wurde. Sodann wurde an der Rückseite des Backofens ein Loch ausgebrochen und mit Piken durch dasselbe auf die Leute eingestochen und diese dadurch gezwungen, den Backofen zu verlassen und durch das Feuer ins Freie zu kriechen. Je mehr sich die Gequälten dabei verbrannten und heulten, desto größer war die Freude der entmenschten Soldateska. Zu all' diesen fürchterlichen Grausamkeiten kam häufige Brandstiftung, sobald die Musketiere nichts mehr wegschleppen konnten. Weitum im Klostergebiet herrschte Schrecken und Entsetzen, Verzweiflung unter den gepeinigten Hörigen und Unterthanen. Wer sie in dieser gräßlichen Not aufrichtete, zu nächtlicher Stunde tröstete und Mut zusprach und baldige Befreiung verhieß, das war der Pelagier Euseb, der von Hof zu Hof bis in die entfernteren Einödsiedelungen im Schwarzwald schlich und verkündete, daß die Männer und Burschen bewaffnet in jener Nacht im Hohlweg bei Alpirsbach sich versammeln und die Franzosen niedermachen sollen, wenn auf der Höhe des Zankwaldes und des Bettelmännchens im Hardenwald Feuer lohen werden zum Zeichen des Aufstandes. * * * * * Ein trüber Novembertag ist über dem Schwarzwald angebrochen; bleigrau verhangen ist das Firmament, öd die Landschaft weitum, schwarz steht der Tann, dunkel ragen die Felsen aus dem Gewirr der Zwergföhren im Hinteren Lehengericht des engen Schiltachthales. Knapp ist hier Raum für das Bächlein und die Straße gen Schramberg zwischen den ginsterumwucherten, dicht von Tannen, Fichten und Föhren bestandenen Schwarzwaldbergen. Nur wenige Siedelungen hat dieses waldreiche Thälchen, die zusammen die Gemeinde „Hinteres Lehengericht“ bilden im Gegensatz zum „Vorderen Lehengericht“ im Kinzigthale. Auch diesen Einsiedlern im Walde geheime Kunde zu thun und den Aufstand gegen die unglückselige Franzosenherrschaft zu Alpirsbach zu organisieren, ist Euseb über die Höhenzüge gewandert und hält eben Rast am Waldesrande nahe der Straße, doch gut gegen Späherblicke verborgen. Der Pelagier hockt unter einer mächtigen Tanne und hat die Büchse quer über seine Kniee gelegt, so daß er jeden Augenblick kampf- und schußbereit ist, falls Gefahr drohen sollte. Das Geräusch eines Hufschlages auf der hartgefügten Straße veranlaßt Euseb zu scharfem Ausblick auf die Straße, die der Abt von Alpirsbach im bequemen Schritt heranreitet in Begleitung einiger Musketiere. Euseb zuckt zusammen; ihm ist der Anblick der Wälschen ins Herz hinein verhaßt, seine Fäuste ballen sich und die Adern schwellen. Wie verblendet doch der stolze Prälat ist, daß er Fremde zu seiner Begleitung nimmt! Genügen ihm die eigenen Unterthanen nicht zum Schutz? Doch was soll das heißen? Die Musketiere im Rücken des Reiters stecken die Köpfe zusammen, sie drohen mit erhobenen Gewehren, und jetzt springen sie auf den ahnungslosen Abt los, einer der Franzosen backt an und zielt — —. Blitzschnell springt Euseb auf, visiert scharf und schießt. Kopfüber stürzt der Franzose nieder, erschreckt geht der Gaul des Abtes durch, schreiend fliehen die Musketiere rückwärts gen Alpirsbach. Der Pelagier springt jedoch dem Gebieter nach, um ihm schützend Geleit zu geben. Knapp vor dem Flecken Schramberg gelingt es Euseb, den Abt, der mühsam sein Roß wieder beruhigte, einzuholen. Kaum wird Alphons des Hörigen ansichtig, der mit dem wieder schußfertigen Gewehr keuchend herangelaufen kommt, da wettert der Abt zornig darüber, daß der Heger so nahe der Straße schieße und Menschenleben gefährde. Auch habe der leichtfertige Pelagier ihm nun das Geleite verjagt! „Was willst du hier? Dein Gehege ist doch oben im Zankwald!“ Demütig, die Mütze in der Faust, steht Euseb vor dem Gebieter: „Verzeiht Ew. Gnaden! Ich bin Euch nachgelaufen, um Euch Geleit zu geben und zu schützen!“ „Warum hast du so nahe der Straße geschossen?“ „Es galt Euer Leben zu retten!“ „Wie, was?“ „Erlaubt mir, Euch zu begleiten! Ich bürge sicheres Geleit!“ „Wo sind die Musketiere?“ Ein bitteres Lächeln tritt auf des Pelagiers Lippen. Euseb deutet mit dem Arm nach rückwärts. „Was, zurückgelaufen sind die Kerle?“ „Bis auf einen, ja!“ „Bis auf einen — was soll das heißen?“ „Der eine küßt den Erdboden!“ „Was? Du wirst doch niemand verletzt haben?“ „Nein, Ew. Gnaden! Verletzt nicht, aber totgeschossen hab' ich den Meuchler!“ „Was soll's; ich verstehe nicht! Red' deutlicher, Pelagier!“ „Der Franzmann wollte weiter nichts, als Euch rücklings vom Gaul schießen, und ich schoß ein klein wenig früher ihn hinweg.“ „Bist du toll?!“ „Nein! Gottlob ist's gelungen!“ „Mich, sagst du, mich wollte einer der Musketiere vom Gaul schießen? Meine Schutzbegleitung — —?!“ „Nette Schützer das! Na, Ew. Gnaden sind die Schandbuben los!“ Betroffen schaut Alphons auf den Pelagier herab, der finster vor ihm steht; ihm dämmert allmählich der wahre Sachverhalt auf, doch vermag er das Motiv des meuchlerischen Überfalles nicht zu fassen. „Du meinst, die Franzosen wollten mir ans Leben?“ Euseb nickt. „Aber weshalb?“ „Ew. Gnaden haben wohl Geld bei sich?“ „Großer Gott — du hast recht! Abscheulich! Die Kerle wollten mich berauben, sie, die mir zum Schutz von Leben und Gut beigegeben wurden! Gott selbst hat dich zur rechten Zeit geschickt!“ Von einem warmen Gefühle erfaßt, reicht der Abt dem Hörigen vom Gaul herab die Hand: „Ich danke dir! Begleite mich nach Villingen! Ich glaube nun selbst: ich bin von meinen Unterthanen besser behütet!“ Stramm richtet sich Euseb auf und spricht mit besonderer Betonung: „Jagt das welsche Gesindel fort, Herr! Wir helfen Euch!“ Alphons seufzt. Das giebt dem Pelagier Mut zu weiteren Bemerkungen: „Jagt die Schandmenschen fort, ehe es zu spät!“ „Wenn ich das nur könnte! Die Greuel sind fürwahr himmelschreiend!“ „Das war vorauszusehen!“ sagt halblaut Euseb und schreitet neben dem langsam reitenden Gebieter, der ob dieses leisen Vorwurfes unwillkürlich das Haupt tiefer sinken läßt. Stumm geleitet der Pelagier seinen Herrn durch das stille Schramberg südwärts. Nach einer Weile spricht Euseb, mehr für sich: „Fort müssen sie, baldigst und für immer!“ „Wie sie aber fortbringen?“ wirst Alphons ein, obwohl er anfänglich keine Lust hatte, sich über solch wichtige Angelegenheiten mit einem Hörigen auszusprechen. „Könnt Ihr es nicht, Herr, so thun es wir!“ „Wie, ihr? Die wenigen Unterthanen von Alpirsbach! Der Franzosen sind es hundert Mann, waffengeübte Musketiere!“ „Zum Klosterbann gehören noch mehr Leute!“ „Nein, nein, nur keine Gewaltthat, die noch mehr Elend über das Kloster bringen wird!“ „Ihr habt es zunächst in der Hand, o Herr, die Blutsauger fortzubringen —“ „Wieso ich?“ „Ihr zahlt einfach das Schutzgeld nimmer —“ „Wie, du weißt —“ „Ich weiß gar nichts! Ich mutmaße jedoch, daß Ihr die Welschen bezahlet, denn ohne Schutzgeld würden die Franzosen nicht bleiben.“ „Richtig kalkuliert! Also du meinst, ich solle nichts mehr bezahlen und dem General den Schutz kündigen!“ „Schickt dem General Botschaft, er soll sein Gesindel zurückberufen!“ Wieder entsteigt der Brust des Abtes ein Seufzer im Gedanken an die vierjährige Schutzfrist. „Ihr könnt das wohl nicht, Herr? Seid wohl vielleicht gebunden an eine bestimmte Zeitdauer?“ Alphons nickt betrübt. „Dann zahlt die Franzosen auch für diese Frist und wir sind die Bluthunde los!“ „Das kostet schweres Geld — —“ „Ist aber immer noch besser, als wenn Land und Volk völlig zu Grunde gerichtet wird. Denkt an das arme verwüstete Vaterland, o Herr!“ Euseb trollet gesenkten Kopfes voraus; jeder überläßt sich seinen Gedanken. * * * * * Seit der Abt das Stift verlassen, geht es toll zu in Alpirsbach; es ist, als feiern die Mäuse Hochzeit, da die Katze aus dem Hause. Die Musketiere vertreiben sich die Langeweile durch Fahndung nach Gut und Geldeswert und betrachten raubgierig die Kirche des Stiftes, auf deren mutmaßliche Schätze sie urplötzlich aufmerksam geworden sind, als ihrer einige den P. Jakob in reichgesticktem Meßgewand die Messe lesen gesehen. Wohl zaudern die Kerle beim Überschreiten der gottgeweihten Stätte, doch ist die Scheu rasch überwunden, zumal niemand in der Kirche sich befindet als der Küster, der im Begriffe steht, das Münster wieder zu verschließen. In wenigen Augenblicken ist dieser überwältigt, gebunden und geknebelt; die Raubgesellen springen sodann auf den Hochaltar, sprengen das Tabernakel auf und rauben die kostbare Monstranze und das Ciborium. Aus anderen Altären werden Kelche, die Silberleuchter genommen, Kästen in der Sakristei geplündert, Gewänder weggeschleppt, alles in unheimlicher Eile und Geschäftigkeit, ohne Lärm. Erst draußen bei der Beuteteilung wird es laut, die Räuber streiten unter sich, keiner gönnt dem anderen einen Vorteil; die Monstranze wird zertrümmert, und in blutigem Geraufe wird um ihre Goldteile gekämpft, ebenso zerschlägt die Bande alle übrigen goldenen und silbernen Kirchengeräte, um eine Teilung zu ermöglichen. Da von dieser Beute nur ein kleiner Bruchteil der Räuber Anteil haben kann, die übrige Mannschaft leer ausgehen muß, ist die Unzufriedenheit, der Neid, Habgier und Raublust auch der anderen geweckt, die nun aufs neue nach Schätzen suchen. Vergeblich setzen und wehren sich die bestürzten Klosterbrüder gegen Kirchenraub und Schändung des Gotteshauses; sie werden verhöhnt und verspottet und unter Gejohl gezwungen, in der Kirche Führer in die Grüfte, wo die verdorbenen Abte beigesetzt sind, zu machen. Die wälschen Raubgesellen erbrechen mit Pieken die Särge und fahnden nach Schmuck und Ringen, Gebeine achtlos verschleudernd und durcheinander werfend. In Verzweiflung ob solcher Unthaten hat einer der Fratres sich in den Glockenturm geschlichen, wo er die Sturmglocke zieht, um die Klosterunterthanen und Hörigen zu Hilfe zu rufen. Kaum wimmert die Glocke vom Turm, da stürmen einige Musketiere auch schon hinauf, fassen den Frater und werfen ihn hohnlachend durch das Schallloch hinunter, so daß der Ärmste mit zerschmetterten Kopf und gebrochenen Gliedern unten auffällt. Voll Entsetzen aber flüchten die Alpirsbacher mit Weib und Kind von dannen, hinein trotz rauhem Wind und Winterskälte in den Tann, gehetzt von den Peinigern, die ihre helle Lust an dieser Menschenjagd haben. Und angesichts solcher Schreckenstaten der zügellosen Musketiere verhalten sich die Offiziere völlig passiv, sie rühren keine Hand zur Abwehr und obliegen in den Klosterwaldungen dem Gejaide. Vergebens sucht nach der Kirchenberaubung P. Jakob im Kloster nach den Herren, um sie zu beschwören, weitere Greuel zu verhüten; sie sind fort, die Raubgesellen sich selbst überlassen. Mit Verzweiflung im Herzen schließt sich der alte Konventuale in seine Zelle ein, den Erlöser Tod ersehnend. * * * * * Vom Pelagier begleitet hat Abt Alphons seine Kaufgeschäfte in Villingen erledigt, den Georgener Abt jedoch nicht angetroffen und daher sofort den Rückweg wieder angetreten. Eine innere Unruhe treibt ihn zur Eile, und Euseb hat Mühe, seinem Gebieter zu folgen. Reitet er jedoch Anhöhen im Schritt hinan, so läßt der Abt den Pelagier nahe an den Gaul herantreten, um ein Gespräch anzuknüpfen. Der sonst so stolze Abt hat das Bedürfnis, sich mit dem Pelagier, den er schätzen gelernt, auszusprechen. Wie treu besorgt der Pelagier um ihn gewesen ist auf der bisherigen Reise, ein Schützer und Diener, der auf nichts vergaß, was dem Herrn frommen konnte. Und wie der Mann an seiner Heimat hängt! Fast überkommt den Abt ein Bedauern, den zinspflichtigen Hörigen beim Tod seines Weibes so hart behandelt zu haben. Einer augenblicklichen Gefühlsregung nachgebend sagt der Abt: „Höre, Euseb! Du hast dich wacker gehalten! Ich will dir die Zinsziege wieder zurückgeben und anderes dazu!“ Der Hörige schüttelt den Kopf. „Wie, du verschmähst die Gabe?“ „Verzeiht mir, Herr! Die Zeit ist anders geworden, ich kann Stallvieh jetzt nicht brauchen, bin zu wenig mehr zu Hause, kann es nicht betreuen.“ „Wie soll ich das verstehen?“ „Ich kann darüber nicht reden! Bald wird alles klar sein!“ „Du sprichst in Rätseln, Euseb!“ „Schafft die Franzosen fort, Herr! Befreit die Heimat von den Blutsaugern, es ist höchste Zeit dazu!“ „Wenn es mir jedoch nicht gelingt?“ Finster blickt der Pelagier vor sich hin, seine Fäuste ballen sich, und dumpf spricht er: „Dann jagen wir sie fort!“ Auch auf des Abtes Antlitz legt sich tiefer Ernst, beklommen murmeln seine Lippen: „Mir ahnt noch Schlimmeres! Mir schwant das Ende unter Eberhard!“ Euseb bleibt plötzlich flehen und unwillkürlich verhält der Abt den Gaul, zugleich besorgt um sich blickend. „Was ist's, droht uns Gefahr?“ Euseb legt seine Rechte an den Sattel, schaut zum Abt empor, treuherzig, seelenvoll und spricht mit bewegter Stimme: „Herr! Haltet zu Württemberg!“ Unter dem kraftvollen Schenkeldruck und Sporenstoß sprengt der Gaul im Galopp hinweg, zur Seite geschleudert stürzt Euseb nieder und sein Kopf schlägt im Falle auf einen Stein auf, so daß das Blut sogleich aufspritzt. Früh dämmert es; nebelverhüllt ist das schweigsame Gelände, finster steht der mächtige Tann. Abt Alphons jagt den schäumenden Gaul die Straße entlang; noch eine Anhöhe, dann geht's hinunter nach Alpirsbach. Ein seltsam rötlicher Schimmer liegt über dem Gelände; das kann nimmer ein verspätet Abendrot sein. Flammen sind es, rotglühende Feuersäulen, die zum Nachthimmel lodern und grausig das Münster und die stolze Abtei beleuchten. In Alpirsbach brennt es; schon wimmern die Glocken schaurig um Hilfe. Der Abt drückt dem müden Gaul die zackigen Sporen aufs neue in die Weichen und rast dem Kloster zu. Dunkle Gestalten rennen hin und her und suchen zu bergen in den brennenden Häusern der Stiftshörigen; doch die trunkenen Soldaten wehren den Mönchen brüllend und jauchzend. Blökend rennt das Vieh um die lodernden Stätten, auf das die Musketiere Jagd machen und mit den Musketen schießen. Krachend stürzen die glimmenden Balken ein, Funkengarben stieben auf, ein Knistern und Prasseln, ein Johlen und Brüllen, Zetern und Schreien, und dazwischen Glockengewimmer. Und die trunkenen Scharen drängen zappelnde Mönche ans Feuer, der Pförtner wird gefaßt unter tierischem Gelächter, rohe Fäuste zerren die Kutte auf, ein Wurf — das schwarze Mönchlein fällt mitten in die wabernde Lohe — ein markdurchdringender Schrei — gierig schlagen die Flammen drüber. Gröhlend begrüßen die wüsten Brandstifter den heransprengenden, zornglühenden Abt, sie springen herbei unter den Spottrufen und zeigen Lust, den Prälaten vom zitternden Pferd zu reißen. Mit Schauder blickt Alphons auf die trunkene Schar und die Zerstörung ringsum. Einer der Landsknechte muntert auf, den Abt ins Feuer zu werfen, brüllend greifen die Kerle zu, sie jagen nun die Mönche, die sie vor dem Württemberger Herzog schützen sollen. Da stürzen zwei der Offiziere atemlos, mit verstörten Mienen heran. Betroffen weichen die Musketiere zur Seite und geben Raum. Auf Befehl des Leutnants schmettert ein Hornist das Alarmsignal in die Dämmerung. Die Musketiere eilen zu den Waffen und sammeln sich beim Scheine der brennenden Häuser. Der andere Offizier vermeldet in aller Eile, daß der Kapitän im Walde erschossen worden sei, und ein später abgefangener Mann eingestanden habe, daß die Schweden im Anzug seien. Der Abt möge den Leichnam des Kapitäns holen — er liegt in der Nähe einer Hegerhütte — und beerdigen lassen. Dann übernimmt der Offizier die Kompagnie, und schier fluchtartig vollzieht sich der Abzug der Franzosen, die das Kloster schutzlos verlassen in der Stunde der Gefahr. Fassungslos steht der Abt von den Mönchen umringt. Aus dem Laubwald und drüben aus dem Tann des Bettelmännchenberges lohen mächtige Feuersäulen auf, schaurig den Wald mit rotem Schein beleuchtend. Bittere Thränen stürzen dem Abt aus den Augen beim Anblick der ausgeraubten, geschändeten Kirche und der Verwüstung im Kloster wie in den Häusern der geflohenen Unterthanen. Mühsam dämpfen die Mönche die in sich zusammengesunkene Glut der Brunst, und kehren dann in die Abtei zurück, sorgenvoll und angsterfüllt der schrecklichen Schweden harrend. Im Tann nahe der Straße gen Süden ist's lebendig geworden, von allen Seiten auf geheimen Pfaden eilen Burschen und Bauern herbei und harren im Hohlweg, gut gedeckt hinter Baumstämmen, des Anzuges ihrer Peiniger und des Angriffsbefehles des Pelagiers Euseb. Von Mund zu Mund ist die Kunde gegangen, daß Euseb den Kapitän erschossen und den zwei Offizieren Botschaft gethan vom Anzug der Schweden, weshalb anzunehmen sei, daß die Franzosen die Flucht gen Schiltach ergreifen werden. Von jedem Gehöft sind wehrhafte Männer gekommen, als das Flammensignal aufloderte, und stumm harren ihrer etliche zweihundert Mann, freilich schlecht bewaffnet, der Musketiere. Wie Schafe im Gewitter kommen sie bei Fackelschein herangerannt und dringen in den Hohlweg ein, wo sie durch die felseneingeengte Straße sich dicht zusammenschließen müssen. Ein gellender Pfiff tönt durch den finstern Tann, es raschelt im Walde, an den Felsrändern tauchen schwarze Gestalten auf, die Steine und Granitblöcke herunterschleudern mitten unter die Musketiere. Weherufe, Geschrei, Kommandorufe dringen aus der Schlucht. Mit Morgensternen, Sensen, Dreschflegeln, alten Flinten hauen am Ausgang des Hohlweges die Bauern auf die fliehenden Franzosen ein; die von Euseb im voraus aufgerichteten und nun schnell entzündeten Holzstöße leuchten zur Befreiungsarbeit. Schreckerfüllt sucht ein Teil der Soldaten rückwärts zu entkommen; doch auch an diesem Schluchtausgang hat Euseb seine Verschworenen aufgestellt, die niemand durchlassen. Unablässig prasseln Steine in die Reihen der bewegungslosen in der Falle gefangenen Wälschen, zerschmetternd und vernichtend. Nur wenige der Musketiere vermögen zu feuern; es fehlt an Raum in der engen Schlucht, die Verwirrung ist zu groß, die Fackeln sind erloschen, im Gewühl ausgetreten worden. Wer stürzt, wird zertreten. Das Geheul der Soldaten ist fürchterlich. Euseb und eine Schar mit Schußwaffen ausgerüsteter Bauern feuern von den Felsen herab in die eingekeilte Menge, und nach jedem Schuß stürzt ein Franzose tödlich getroffen nieder. Ein Verzweiflungskampf an den beiden Schluchtausgängen entbrennt, doch die Bauern halten die Sperre, wenn ihrer auch schon viele schwerverwundet gefallen sind. Auf Geheiß Eusebs werden brennende Scheiter in die Reihen der Wälschen geworfen, bei deren Geflacker sicherer die verzweifelten Feinde aufs Korn genommen werden können. Knieend flehen die Franzosen um Pardon, haufenweise werfen sie die Musketen weg, aber die Stunde der Wiedervergeltung unsäglicher Greuel ist gekommen, die Blutsauger werden niedergeschlagen; nur wenigen gelingt es, der Schlucht und dem Blutbad im Dunkel zu entrinnen. Bis zum dämmernden Morgen verharren die Bauern, um sodann bei wachsendem Licht ihre Toten und Verwundeten zu bergen. Die Franzosen läßt man liegen; ächzt und stöhnt noch der eine oder andere, so erhält er den Gnadenhieb auf den Kopf. Dann ziehen die Bauern durch den Tann ab, jeder seinem heimatlichen Gehöft zu, stumm und still. Das Befreiungswerk aus furchtbarster Qual und Not ist gethan. — — — * * * * * Ein Jahr ist vergangen; des grausamen überlangen Krieges müde verhandelten die Gesandten der kriegführenden Mächte zu Osnabrück und Münster über einen endgültigen Frieden. Für Herzog Eberhard, der wieder zu Stuttgart residierte, trat der Schwedenkanzler Oxenstierna ein, und heiße Kämpfe auf diplomatischem Gebiete verursachte die württembergische Klosterfrage. Lange wurde die Restitution der Klöster zu Gunsten des Herzogs hintertrieben, bis man aus gänzlicher Ermattung der Verhandlungen in der Sitzung zu Osnabrück auf den Vorschlag kam, daß der Herzog die Ordensleute in den Klöstern belasse, jedoch die hohe Obrigkeit über sie behalte, wie er sie vor der Reformation innegehabt habe. Oxenstierna aber erklärte, daß man die Klöster dem Herzog überlassen und das übrige seinem Gewissen anheimstellen solle. Württemberg solle in den geistlichen und weltlichen Besitz und in die Rechte wie vor dem Kriege eingesetzt werden. Da die katholischen Mächte wegen einiger schwäbischer Klöster den Krieg fortzusetzen doch nicht gewillt waren, bestimmte denn auch das Friedensinstrument zu Osnabrück[22], daß die Klöster[23] dem Herzog von Württemberg zufallen. Damit erlangte das württembergische Fürstenhaus einen Zuwachs von Gebieten, Rechten und Reichtümern, wie es solche vorher weder durch Fehden, Kriege, noch Heiraten, Käufe und Erbschaften in derartigem Umfange erworben hatte. Im Stift zu Alpirsbach hat Abt Alphons es sich angelegen sein lassen, die Schäden an Gebäulichkeiten auszubessern, Wohnhäuser für die Unterthanen aufzubauen, das Münster neu zu weihen und Kirchengeräte zu beschaffen, den Stiftskeller zu versorgen und das Zinswesen neu zu ordnen. Inmitten dieser arbeitsreichen Zeit entschlief sanft und selig Pater Jakob hochbetagt, gesegnet vom Abt, mit einem Lächeln auf den welken Lippen. Er hat es überstanden. Seinem Wunsch gemäß ward seine Leiche ohne besonderen Pomp still in der Gruft des Münsters beigesetzt. Die Unterthanen der Abtei weinten ihm manche Thräne nach, denn der liebe, alte, freundliche und wohlwollende Konventuale hatte aller Liebe und Verehrung besessen. Und fast schien es, als sei mit dem milden, versöhnlichen Greis auch das Glück des Klosters geschwunden. Hin und her überlegt der Abt, wie der Kaiser mehr für das Kloster interessiert werden könnte, auf daß die drohende Restitution wirkungslos an Alpirsbach vorübergehen könne. Keinen Stein soll der Württemberger vom Stift bekommen, verschwor sich der Abt Alphons, in welchem der alte Trutz und Stolz auf die Unabhängigkeit des Stiftes wieder erwacht ist. Da kam an einem milden Oktobertag ein reitender Bote aus Sulz mit einem Schreiben, das die Kunde vom Friedensschluß zu Osnabrück und vom Übergang des Klosters an Württemberg brachte. Knapp vor Eintreffen dieses Boten hatte der Abt sorgfältig unter eine Beschwerdeschrift an den Kaiser das Sigillum der Abtei angebracht und liebevoll das Stiftswappen betrachtet. Erbleichend liest Alphons die Unglücksbotschaft, die seiner Herrschaft für immer ein Ende bereitet. „Verloren, rettungslos verloren!“ stammelt der Abt und sinkt in sich zusammen. Dann aber rafft er sich wieder auf und schreit in wilder Erregung: „Ich protestiere, dieser Frieden ist ungiltig, er ist hinterlistig eingegangen und läuft der Stiftung unseres Klosters wie dem Religionsfrieden zuwider. Ich verlasse das Stift gutwillig nun und nimmer. Ich protestiere nach Osnabrück!“ Als sich die Erregung gelegt und Abt Alphons den Konventualen von dem westphälischen Frieden und Auslieferung der Klöster an Herzog Eberhard Mitteilung gemacht hatte, las er seinen Protest an den Kaiser von Österreich in seiner stillen Stube wieder durch, und manche Thräne netzte das Pergament, als er mit bebender Hand die Nachschrift hinzufügte: „Dieweilen den Teufeln in der Hölle, wenn sie eine Erlösung zu hoffen hätten, nicht versagt wäre, den Weg Rechtens zu betreten, dies dem Abt und Ordensleuten von Alpirsbach nicht versagt sein könne.“ Mit Bestürzung haben die Mönche die neue Kunde aufgenommen; die trautstille Stätte im grünen Tann, das stolze Kloster wie das herrliche Münster verlassen zu müssen, stimmt die Konventualen tieftraurig, und wehmütig suchen sie ihre Habseligkeiten zusammen, um für den Tag der Abreise von Alpirsbach gerüstet zu sein. Froher wirkte die Kunde auf die Hörigen und Unterthanen, in deren Herzen die Zugehörigkeit zu Württemberg sich mächtig regt und die Hoffnung keimt, daß unter des Herzogs Herrschaft vielleicht über kurz oder lang die Freiheit blühen könnte. So schaut denn in Alpirsbach alles gespannt aus nach den Sendboten des Herzogs: die Mönche mit Bangen, die Untertanen mit leisen Hoffnungen. * * * * * Mit steifer Kälte ist der 1. Dezember im Schwarzwald angebrochen; tiefer Schnee bedeckt den Tann wie das Gelände, grimmig kalt pfeift der Wind über die starre Landschaft. Bis auf die Hörigen, die unter Eusebs Anleitung im Holze arbeiten, ist kein Mensch zu sehen in der ganz nordisch gewordenen Gegend. Wer es kann, hockt am warmen Ofen. Unbeachtet reitet ein Mann in dunklem Wams, gefolgt von zwei berittenen Knechten, in scharfem Tempo auf die Abtei zu. Reif und Eis sitzt an den Kleidern, auf Bart und Har der Reiter, die Gäule dampfen. Vom Münster kündet eine Glocke die Mittagszeit. Im Galopp sprengen die Reiter vor das Kloster und halten vor der Pforte an. Eilig verläßt einer der Knechte den Sattel, und fordert heftig klopfend Einlaß. Ein Frater öffnet und starrt mit weitaufgerissenen Augen auf den Knecht, der Württembergs Farben am Koller trägt. Und da ist auch schon der Herr selbst, der im Namen des Herzogs Eberhard den Abt zu sprechen fordert. Kammerrat Orth ist es, der gekommen, um das Kloster zu übernehmen. Scheu drängen sich die Fratres in den Gängen, indes ein Mönch den Abt verständigt, der leichenblaß das auf seiner Brust ruhende goldene Prälatenkreuz umklammert. Auf einen Wink entfernt sich der Frater und führt den Gesandten des Herzogs in den Sprechsaal der Abtei. Auf dem Gang in diesen Saal ist's dem Abt, als schreite er als Delinquent zur Hinrichtung; es schlottern die Kniee, es hämmert in den Schläfen, in den Ohren saust es und heiß drängt das Blut zum Herzen. Alphons atmet schwer und heftig, krampfhaft hält er das goldne Kreuz, das Abzeichen seiner Würde und Macht, umklammert, das ihm nun abgefordert werden wird. Vor der Saalthüre hält der Abt einen Augenblick inne und flüstert ein Stoßgebet mit zuckenden Lippen. Es gilt einen Verzweiflungskampf auf diplomatischem Wege. Es muß sein! Fest drückt Alphons auf die Klinke und tritt ein. Hoheitsvoll schreitet er auf den sich verbeugenden Kammerrat zu, begrüßt ihn durch ein Neigen des Kopfes und fragt nach dem Begehr des Besuches. Das Auge fest auf den Abt gerichtet, beginnt der Landbote Württembergs: „Ew. Gnaden habe ich im Auftrage meines gnädigsten Gebieters, des Herzogs Eberhard, zur Räumung des Klosters und Übergabe jeglichen Stiftseigentums, sowie zur Huldigung auf Württembergs Herrscher aufzufordern.“ Wie Wetterleuchten zuckt es in des Abtes Antlitz; heftig geht der Atem, es grollt und wogt in seiner Brust. Mühsam keucht Alphons hervor: „Dem protestiere ich wie gegen den erschlichenen Frieden. Ich weiche nur der Gewalt!“ Hochaufgerichtet zieht der Kammerrat ein Schreiben aus dem Wams. „Hier ein Handschreiben meines gnädigsten Herzogs an Ew. Gnaden zu meiner Legitimation sowohl, als zum Beweise huldvoller Gesinnung des Herzogs, sofern die Übergabe in Güte vor sich gehen wird.“ Mit jähem Ruck ergreift der Abt das herzogliche Schreiben, zerreißt es ungelesen und wirst die Fetzen dem Gesandten vor die Füße. Grollend spricht er. „Ich habe mit Eurem Herzog nichts zu verhandeln. Ich protestiere! Der Friede von Osnabrück gilt nicht für Alpirsbach!“ „Ich warne Ew. Gnaden! Mild und gütig läßt Euch der Herzog auffordern, den Beschluß der Mächte zu respektieren, Euch zu fügen in das unabänderliche Schicksal! Schont Gut und Leben! Weigert Ihr Euch, so muß Gewalt sprechen, denn die bewilligte Restitution wird durchgeführt, und Alpirsbach muß württembergisch werden!“ „Nein, nun und nimmer! Ich weiche nur der Gewalt!“ „Dann ist jegliches Verhandeln in Güte zu Ende! Gehabt Euch wohl inzwischen! Mögen Ew. Gnaden es nicht bereuen!“ Kühl sich verbeugend, entfernt sich sporenklirrend der Gesandte aus dem Saale und läßt den Abt in schwerster Gemütsbewegung stehen. Kurz darauf kündet lebhafter Hufschlag auf dem hartgefrorenen Boden, daß der herzogliche Sendbote mit Begleitung Alpirsbach, ohne Gastfreundschaft vom Kloster gefordert zu haben, verläßt. Alphons begiebt sich, mehr aus Gewohnheit denn aus Bedürfnis, nach der folgenschweren Unterredung ins Refektorium, wo er den zu Tische versammelten Konventualen verkündet, daß soeben ein herzoglicher Gesandter die Übergabe des Klosters verlangte, die ihm verweigert worden sei. Nun werde wohl Gewalt gebraucht werden. Der Wegnahme von Dokumenten, Zinsbüchern, des transportablen Klosterschatzes müsse daher vorgebeugt werden durch schleunigste Überführung derselben in den Pfleghof zu Rottweil. In diesem Sinne fordert der Abt die Konventualen auf, alles Wertvolle zu bergen und ihm behilflich zu sein. Unberührt bleiben die Speisen; den Mönchen ist der Schreck in die Glieder gefahren. Bebend fragt der silberhaarige P. Gotthard: „Und wenn die Herzoglichen kommen, wohin richtet sich unser Schritt?“ „Ich werde nach Ochsenhausen flüchten und Ihr mit mir!“ kündet der Abt, verrichtet das Gebet nach Tische und begiebt sich in seine Gemächer. Hastig suchen die Konventualen ihre Zellen auf; es rumort im Kloster, Kisten werden herbeigeschleppt und gepackt, ein Kramen und Suchen überall nach Wertgegenständen, ein Hämmern und Schlagen, daß auf Chorgebet und Magnifikat heute völlig vergessen wird. Durch die Fratres ist die Kunde auch rasch zur Kenntnis der Unterthanen gekommen, die nun eilig trotz der Kälte neugierig in die unteren Räume der Abtei laufen, um Näheres zu erfahren über das bevorstehende Württembergischwerden. Die Männer werden angehalten, Gäule und Fuhrwerk zu schaffen, auf daß die wertvolle Stiftshabe so rasch wie möglich geflüchtet werde. Der ganze Ort gerät in Aufregung und Bewegung. Einige Tage vergehen in rastloser Bergungsarbeit, und Abt Alphons ist eifrig daran, Bestandteile der Registratur, die er nicht mitnehmen kann, zu vernichten. Seinen schriftlichen Protest gegen den Frieden und die Restitution hat er wohl abgesandt, ist aber von der Wirkungslosigkeit dieses Schrittes überzeugt. Er will nur seiner Pflicht bis aufs äußerste genügen und kein Mittel außer Waffenwiderstand, den ihm die Ordensregel verbietet, unversucht lassen. So fertigt er denn den ersten Transport der Stiftshabe ab, hochbeladen fahren die Klosterknechte und Hörigen die Wagen nach Rottweil. Am 19. Dezember war es, daß sich ein Trupp von sechzig Mann in württembergischen Fahnen mit Kammerrath Orth an der Spitze der Abtei nahte. Kaum erblickten die von Abt Alphons aufgehellten Späher das Anrücken der Mannschaft, da eilten diese ins Kloster und schlugen Alarm. Was Beine hat in Alpirsbach, läuft auf dem Klosterplatze zusammen; von Hof zu Hof fliegt die Kunde wie Flugfeuer, und selbst bis in den Tann dringt die Kunde vom großen Moment der Klosterübergabe an Württemberg. Auch Euseb der Pelagier hört davon; ein Zittern geht durch seinen Körper, ihm schwindelt der Kopf. Was er ersehnt, wofür er sein Leben freudig geben würde: nun soll es wahr werden! Beil und Säge wegwerfend, stürmt er quer durch den Tann in jähen Sätzen hinunter zum Kloster. Dumpf dröhnt der Schritt der württembergischen Soldaten auf dem gefrorenen Klosterplatze, wo Halt gemacht wird. Kammerrath Orth steigt vom Gaul und begiebt sich ins Kloster, wo die Mönche zeternd durcheinanderlaufen und nach ihren Taschen suchen. Wieder stehen sich der Abt und der Gesandte des Herzogs im Sprechsaal gegenüber. Mit feierlichem Ernst fordert Orth im Namen Eberhards die Übergabe der Abtei mit Hinweis auf die ihm zu Gebote stehende Gewalt. Ein Wehruf entflieht des Abtes Lippen: „Verloren, verloren!“ Mild mahnt der Gesandte, durch freiwilligen Abzug das Leben der Mönche und Unterthanen zu schonen. Thränen stürzen aus Alphons' Augen, mit zitternder Stimme spricht er: „Ich weiche in Gottes Namen aus dem Kloster, das nahezu 600 Jahre frei bestanden! Ich weiche der Gewalt als letzter katholischer Abt von Alpirsbach![24] Doch laßt mir mein Eigentum, so solches noch im Kloster ist!“ „Kraft meiner Vollmacht bewillige ich dies! Gott sei mit Ew. Gnaden fürder! Von diesem Augenblick an ist Alpirsbach mit allen Rechten und Besitz Eigentum Württembergs!“ Wie gebrochen giebt Alphons sein Abtkreuz dem Gesandten und wankt hinaus. Schlitten fahren vor die Abtei, auf welche die Mönche und Fratres ihre Bündel und Säcke legen. Weinend nehmen die Konventualen Abschied von den zurückbleibenden Unterthanen und ihrem Kloster. Dann besteigen sie selbst die Fahrzeuge, die Gäule ziehen an, fort geht es aus der Waldheimat. Auf Geheiß des Gesandten huldigt das Klostervolk von Alpirsbach dem neuen Herrn und Gebieter, dem Herzog Eberhard von Württemberg, unter Salutschüssen der herzoglichen Truppe. In diesem Augenblicke kommt Euseb herangestürmt. In die Hochrufe auf den Landesherrn mischt sich ein gellender Schmerzensschrei. Euseb stürzt zu Boden mit durchschossener Brust. Eine Kugel hat sich verirrt und den Weg in ein gut württembergisch Herz genommen. So endete im heißersehnten Augenblick der Vereinigung mit Württemberg Euseb, der Pelagier. Fußnoten: [18] _Pelagier_ sind leibeigene Leute der Abtei, die von früheren Herren an den Altar des hl. _Pelagius_ übergeben worden sind, Manns- und Frauenpersonen, die „werden nicht gehalten wie andere eigene Leute“. Sie bildeten, mochten sie vormals freie, sich selbst aus Frömmigkeit ergeben haben, oder als Leibeigene von andern an das Stift übergeben worden sein, eine eigene Bruderschaft zum hl. Pelagius „in dem langen Münster“ zu Alpirsbach. [19] Für den ganzen Umfang des Klostergebietes hatte der jeweilige Abt von Alpirsbach das sogenannte Hauptrecht, d.h. „das Recht, von jeder Mannsperson, sie besitze Güter, welche sie wolle, sie sei dem Kloster mit Leib verwandt oder nicht, das beste zur Zeit des Todes vorhandene Stück Vieh zu beziehen.“ Die Pelagier waren außer diesen Hauptfall noch einen jährlichen Zins von drei Hellern auf den Tag und Altar des hl. Pelagius schuldig. Dagegen erhielt jeder Pelagier zwei Laib Roggenbrot, jedes im Wert von einem Kreuzer. [20] Das Streben der bedrohten Äbte ging dahin, sich ihre Rechte durch kaiserliche Erlasse zu sichern, weshalb eine Immediateingabe an den Kaiser gerichtet wurde. Hievon verständigt, protestierte Eberhard III. gegen die Überlastung Württembergs durch kaiserliche und ligistische Truppen und die Übergriffe der Prälaten insonders. Trotz dieses Protestes erfolgte das kaiserliche Mandat vom 7. Mai 1640, womit Eberhard aufgefordert wurde, alle Handlungen zu unterlassen, über welche die Prälaten Klage führten, als da seien: Anmaßung der bischöflichen Jurisdiktion, Affigierung von Religionsmandanten, Abhaltung der Leute vom katholischen Gottesdienst mit bewaffneter Hand, Aufdrängung längst verwirkter Schutzgerechtigkeit und Obrigkeit &c. Auf dieses Mandat hin wurde seitens der herzoglichen Diplomaten dem Wiener Hof zur Kenntnis gebracht, daß der Herzog stets von den Prälaten bei den kaiserlichen Gerichten geplagt, stündliche Eingriffe in dessen geistliche und weltliche Rechte gemacht, und die zu den Klöstern gehörigen Kirchen unter dem Vorwande kaiserlicher Vollmacht ihm entzogen werden. Diese diplomatische Aktion hatte den Erfolg, daß die Prälaten mit Ausnahme der dem Herzog freundlich gesinnten Äbte von Maulbronn, Bebenhausen und Königsbronn von den Reichstagssitzungen ausgeschlossen wurden. [21] In Dornhan besaß das Kloster allen Zehnten, desgleichen den Blutzehnten, Grund und Boden, auch den Stab über Erb und Eigen. (Von jedem Fohlen vier Tübinger, von jedem Kalb, Lamm oder Kitz je einen Tübinger, und „was Lämmer vor dem Maytag verkauft wurden, die gaben den 10. Pfennig und das 10. Milchschwein, desgleichen Hühner und Gänse.“) [22] § 24 Artikel IV. [23] 14. Oktober 1648. Die Klöster waren: Anhausen, Bebenhausen, Maulbronn, Lorch, Adelberg, Denkendorf, Hirsau, Blaubeuren, Herbrechtingen, Murrhart, Alpirsbach, Königsbronn, Herrenalb, St. Georgen, Reichenbach, Pfullingen, Lichtenstern u.a. [24] Auf Alphons Kleinhans folgten 19 evangelische Äbte bis zur Auflösung des ganzen Klosterbestandes im Jahre 1807. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Im grünen Tann" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.