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Title: Märchen für Kinder
Author: Andersen, Hans Christian, 1805-1875
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Märchen für Kinder" ***


                H. C. Andersens

              MÄRCHEN FÜR KINDER.

  Frei nach der Reclamschen Ausgabe bearbeitet

                      von

                  Paul Arndt.


   Mit 5 Buntbildern von N. _Karasin_, sowie

             40 Textillustrationen

  von A. Zick, P. Schnorr, F. Reiß, E. Klimsch,
   E. Kepler, M. Flashar, H. Effenberger etc.


                Neunte Auflage.

    [Illustration/Abbildung: Loewes Verlag]

                   Stuttgart
                 Loewes Verlag
                 Ferdinand Carl.


     Druck von _Carl Hammer_ in Stuttgart.



Märchengruß.

  [Abbildung/Illustration: capH_iii.png]

  _Hans Andersen, der Märchendichter_,
  Nennt man ihn nur, landaus, landein;
  Da lachen strahlende Gesichter,
  Da jubeln Bub’ und Mägdelein!
  Ihm sang und klang, ihm lebt’ und lachte,
  Was anderer Ohr und Auge tot,
  Das Seelenlose fühlt’ und dachte
  Und ward beseelt, -- wenn er gebot.

  Den er gepflückt im Wunderlande,
  Den allerschönsten Märchenstrauß,
  Geknüpft mit rot und weißem Bande,
  Streut’ einst er in die Welt hinaus.
  Und aus dem Strauß die zart’sten Triebe,
  Die er bestimmt der _Kinderschar_,
  Sind hier gesammelt euch zuliebe;
  Wir bieten sie euch freudig dar.

  Längst ist er schon von uns gegangen,
  Der Dichter, der den Kindern lieb,
  Doch leben noch in Jugendprangen
  Die _Märchen_, die für euch er schrieb.
  Sie klingen fort und werden klingen
  Unsterblich noch in später Zeit,
  Und sich wie gold’ne Fäden schlingen
  Um Kind und Märchenherrlichkeit.

  Des _grauen Entleins_ Abenteuer,
  Der _Zinnsoldat_, auf einem Bein
  Standhaft im Wasser und im Feuer,
  Die _Schwäne_ und ihr Schwesterlein;
  Das Märlein von dem _Tannenbaume_,
  Vom _Koffer_, der die Luft durchschwirrt,
  Vom _Sandmann_ und Klein-Hjalmars Traume,
  Vom _Tölpelhans_, der König wird.

  Sie wollen plaudern, wollen scherzen,
  Sie wollen bei euch Kindern sein,
  Und dringen in die Kinderherzen
  Mit ernster Lehre mahnend ein. --
  So macht dem luftigen Gelichter
  Ein Heim in Herz und Haus bereit,
  Und seid gegrüßt vom Märchendichter,
  Die ihr ja selber Märchen seid!



Inhalts-Übersicht.

                                      Seite
  Däumelieschen                             1
  Die Störche                               8
  Der fliegende Koffer                     11
  Der Schneemann                           15
  Es ist ein Unterschied                   18
  Das Feuerzeug                            20
  Das häßliche Entlein                     25
  Die Stopfnadel                           31
  Tölpelhans                               33
  Fünf in der Schote                       36
  Das Märchen vom Sandmann                 38
  Die Theekanne                            45
  Die Blumen der kleinen Ida               46
  Das kleine Mädchen
    mit den Schwefelhölzern                50
  Die wilden Schwäne                       52
  Die glückliche Familie                   61
  Der Engel                                63
  Der standhafte Zinnsoldat                65
  Des Kaisers Nachtigall                   68
  Die Schneekönigin                        74
  Fliedermütterchen                        91
  Der Tannenbaum                           97
  Das alte Haus                           103
  Der Buchweizen                          107
  Die roten Schuhe                        109



Däumelieschen.

  [Abbildungen/Illustrations: capH1.png, pic3.jpg]


Hilfe suchend kam einmal eine Frau zu einer alten Hexe und fragte sie,
ob sie ihr nicht ein kleines Mädchen verschaffen könnte.

„O ja, das soll nicht schwer halten!“ sagte die Hexe. „Da hast du ein
Gerstenkorn; das ist nicht etwa von der Art, wie es auf einem
Bauernfelde wächst, oder womit die Hühner gefüttert werden. Lege es in
einen Blumentopf, dann wirst du etwas zu sehen bekommen!“

„Besten Dank!“ sagte die Frau und gab der Hexe ein Geldstück, ging dann
heim, pflanzte das Gerstenkorn, und sogleich wuchs eine große herrliche
Blume hervor, die vollkommen einer Tulpe glich, aber die Blätter
schlossen sich fest zusammen, als ob sie noch in der Knospe wären.

„Das ist eine schöne Blume!“ sagte die Frau und küßte sie auf die
herrlichen roten und gelben Blätter, aber wie sie sie noch küßte, that
die Blume einen großen Knall und öffnete sich. Es war, wie man nun sehen
konnte, eine wirkliche Tulpe; aber mitten in der Blüte, auf dem grünen
Blumengriffel, saß ein winzig kleines, blondlockiges Mädchen, fein und
lieblich. Sie war nicht größer als ein Daumen, und deswegen wurde sie
_Däumelieschen_ genannt.

Eine prächtige, lackirte Wallnußschale erhielt sie zur Wiege, blaue
Veilchenblätter waren ihre Matratze und ein Rosenblatt ihr Deckbett.
Darin schlief sie des Nachts, aber am Tage spielte sie auf dem Tische.
Die Frau hatte einen Teller darauf gestellt, um den sie einen ganzen
Kranz Blumen gelegt hatte, deren Stengel in das Wasser reichten. Hier
schwamm ein großes Tulpenblatt und auf diesem durfte Däumelieschen
sitzen und von der einen Seite des Tellers bis zur andern schwimmen.
Zum Rudern hatte sie zwei weiße Pferdehaare. Das sah unbeschreiblich
niedlich aus. Sie konnte auch singen, o so fein und lieblich, wie man
nie zuvor gehört hatte.

Eines Nachts, als sie in ihrem hübschen Bettchen lag, kam durch das
Fenster, in dem eine Scheibe zerbrochen war, eine häßliche Kröte
hereingehüpft; sie hüpfte gerade auf den Tisch hernieder, wo
Däumelieschen lag und unter dem roten Rosenblatte schlief.

„Das wäre eine schöne Frau für meinen Sohn!“ sagte die Kröte, und dann
ergriff sie die Wallnußschale, in der Däumelieschen schlief, und hüpfte
mit ihr durch die Scheibe in den Garten hinunter.

Da floß ein großer, breiter Bach; aber dicht am Ufer war es sumpfig und
morastig; hier wohnte die Kröte mit ihrem Sohne. Hu, der war eben so
garstig und häßlich, das ganze Ebenbild seiner Mutter. „Koax, Koax,
breckekekex,“ war alles, was er sagen konnte, als er das hübsche, kleine
Mädchen sah.

„Schwatz’ nicht so laut, sonst wacht sie auf!“ sagte die alte Kröte,
„sie könnte uns sonst noch entlaufen, denn sie ist so leicht wie ein
Eiderflaum! Wir wollen sie in den Bach hinaus auf eines der breiten
Wasserlilienblätter setzen, das ist für sie, die so leicht und klein
ist, wie eine Insel. Da kann sie nicht entlaufen, während wir den
Festsaal unten tief unter dem Sumpfe, wo ihr wohnen und leben sollt,
in Stand setzen.“

Die alte Kröte schwamm nun nach einem der großen, grünen Blätter, welche
inmitten des Baches aus dem Wasser ragten, als ob sie darauf schwämmen,
und setzte die Nußschale mit Däumelieschen auf dasselbe nieder.

Das arme kleine Mädchen erwachte beim ersten Morgengrauen, und da es
wahrnahm, wo es war, fing es gar bitterlich an zu weinen, denn Wasser
umgab von allen Seiten das große grüne Blatt.

Die alte Kröte saß unten im Sumpfe und schmückte ihr Zimmer mit Schilf
und gelben Wasserlilien, denn für die neue Schwiegertochter sollte
alles auf das Feinste hergerichtet werden. Darauf schwamm sie mit dem
garstigen Sohne zu dem Blatte hinaus, wo Däumelieschen stand. Die alte
Kröte verneigte sich vor ihr bis tief ins Wasser hinein und sagte: „Hier
stell’ ich dir meinen Sohn vor, der dein Mann werden soll. Ihr werdet
unten im Sumpfe ganz prächtig wohnen.“

„Koax, Koax, breckekekex!“ war alles, was der Sohn sagen konnte. Darauf
schwamm die alte Kröte mit ihrem Sohn fort und sie nahmen Däumelieschens
Bett für die neue Ausstattung gleich mit. Da saß das arme kleine Mädchen
und weinte heiße Thränen auf das grüne Blatt hinab, denn sie wollte
weder bei der häßlichen Kröte wohnen, noch ihren häßlichen Sohn zum
Manne haben. Die kleinen Fische, welche unten im Wasser schwammen,
hatten die Kröte recht wohl gesehen und gehört, was sie sagte. Sie
wollten Däumelieschen gern vor der Kröte und ihrem häßlichen Sohne
retten und nagten mit ihren scharfen Zähnen den Stiel des Blattes ab und
nun schwamm das Blatt mit Däumelieschen hinab, weit, weit fort, wohin
die Kröte nicht gelangen konnte.

Däumelieschen segelte an gar vielen Städten vorüber, und die kleinen
Vögel saßen in den Büschen, sahen sie und sangen: „Welch niedliches
kleines Mädchen!“ Weiter und immer weiter schwamm das Blatt mit ihr;
so reiste denn Däumelieschen ins Ausland.

Ein allerliebster kleiner Schmetterling wurde nicht müde sie zu
umflattern und schwebte endlich auf das Blatt hernieder, denn er konnte
Däumelieschen gar wohl leiden. Diese war hoch erfreut, denn die Kröte
konnte sie jetzt nicht mehr erreichen, und es war köstlich, wo sie
segelte. Die Sonne schien auf das Wasser und dieses glänzte wie
schimmerndes Gold. Da nahm sie ihren Gürtel, schlang das eine Ende
desselben um den Schmetterling und befestigte das andere am Blatte. Das
glitt jetzt weit schneller das Wasser hinunter und sie mit, denn sie
stand ja auf dem Blatte.

Plötzlich kam ein großer Maikäfer angeflogen, der sie gewahrte und
augenblicklich seine Klauen um ihren schlanken Leib schlug und mit ihr
auf einen Baum flog. Aber das grüne Blatt schwamm den Bach hinab und der
Schmetterling flog mit, denn er war an das Blatt gebunden und konnte
sich auch nicht befreien.

Gott, wie sehr erschrak das arme Däumelieschen, als der Maikäfer mit ihr
auf den Baum hinaufflog! Am meisten betrübte sie jedoch der Gedanke an
den schönen, weißen Schmetterling, den sie an das Blatt gebunden hatte.
Konnte er nicht loskommen, mußte er ja rettungslos verhungern.

Der Maikäfer setzte sich mit Däumelieschen auf das größte Blatt des
Baumes, speiste sie mit dem Blütenhonig und sagte ihr, sie wäre sehr
schön, obgleich sie einem Maikäfer in keinem Stücke ähnelte. Später
kamen noch viele Maikäfer zu Besuch; sie beguckten Däumelieschen von
allen Seiten und die Maikäferfräulein rümpften die Fühlhörner und
sagten: „Sie hat ja nur zwei Füße; das sieht doch zu jämmerlich aus!“

„Wie häßlich sie ist!“ sagten auch die alten Maikäferfrauen, und
trotzdem war Däumelieschen so schön. So kam sie auch dem Maikäfer vor,
der sie entführt hatte, da aber alle anderen darin übereinstimmten, sie
wäre häßlich, so glaubte er es zuletzt ebenfalls und wollte sie nun gar
nicht haben; sie konnte gehen, wohin sie wollte. Sie flogen mit ihr vom
Baume hinunter und setzten sie auf ein Gänseblümchen. Da weinte sie,
weil sie so häßlich wäre, daß sie nicht einmal die Maikäfer unter sich
dulden wollten.

Während des ganzen Sommers lebte Däumelieschen ganz allein in dem großen
Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem
großen Klettenblatte auf, so daß sie gegen den Regen geschützt war.
Blütenhonig war ihre Speise und ihren Durst stillte sie an dem Tau, der
morgens auf den Blättern stand. So verstrich Sommer und Herbst, aber nun
kam der Winter, der kalte, lange Winter. Alle Vögel, die ihr so schön
vorgesungen hatten, flogen ihrer Wege, die Bäume und Blumen welkten
dahin; das große Klettenblatt, unter dem sie gewohnt hatte, schrumpfte
zusammen, und es blieb nur noch ein gelber, vertrockneter Stengel. Sie
fror bitterlich, ihre Kleider waren zerrissen und sie selbst war gar
fein und klein; das arme Däumelieschen mußte erfrieren. Es begann zu
schneien und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, that dieselbe Wirkung,
als wenn man auf uns eine Schaufel voll wirft, denn wir sind groß, sie
aber war nur einen Daumen lang. Da hüllte sie sich in ein verwelktes
Blatt, aber das erwärmte sie nicht; sie zitterte vor Kälte.

Hart am Saume des Waldes, wohin sie jetzt gelangt war, lag ein großes
Kornfeld, allein das Korn war längst eingeerntet, nur die nackten,
trockenen Stoppeln ragten aus der gefrorenen Erde hervor. Ihr kamen sie
wie ein großer Wald vor, den sie zu durchwandern hatte, und sie
klapperte nur so vor Kälte. Da kam sie vor die Thür der Feldmaus. Deren
ganzes Reich bestand in einer kleinen Höhle unter den Kornstoppeln. Dort
wohnte die Feldmaus geschützt und behaglich, hatte die ganze Stube voll
Korn und eine prächtige Küche und Speisekammer. Das arme Däumelieschen
stellte sich an die Thür, gerade wie jedes andere Bettelmädchen, und bat
um ein kleines Stückchen Gerstenkorn, denn sie hatte seit zwei Tagen
nicht das Geringste zu essen bekommen.

„Du arme Kleine!“ sagte die Feldmaus, denn es war im Grunde genommen
eine gute, alte Feldmaus, „komm’ in meine warme Stube herein und iß mit
mir!“

Da sie nun Gefallen an Däumelieschen fand, sagte sie: „Du kannst getrost
den Winter über bei mir bleiben, aber du mußt mir die Stube hübsch
sauber halten und mir Geschichten erzählen, denn das ist meine Lust!“
Däumelieschen that, was die gute, alte Feldmaus verlangte und hatte es
ganz vortrefflich bei ihr.

„Nun bekommen wir gewiß bald Besuch!“ sagte die Feldmaus. „Mein Nachbar
pflegt mich täglich zu besuchen. Der hat noch mehr vor sich gebracht,
als ich, hat große Säle und geht in einem herrlichen schwarzen
Sammetpelze einher. Könntest du den zum Manne bekommen, dann wärest du
gut versorgt.“

Doch Däumelieschen mochte den Nachbar gar nicht haben, denn er war ein
Maulwurf. Er kam und machte in seinem schwarzen Sammetpelze seine
Aufwartung. Er wäre sehr reich und sehr gelehrt, sagte die Feldmaus.
Seine Wohnung war auch in der That zwanzigmal größer als die der
Feldmaus, und Gelehrsamkeit besaß er, aber die Sonne und die herrlichen
Blumen konnte er gar nicht leiden; über sie wußte er nur Schlimmes zu
erzählen, weil er sie nie gesehen hatte.

Er hatte sich vor Kurzem einen langen Gang von seinem bis zu ihrem Hause
durch die Erde gegraben; in ihm durfte die Feldmaus und Däumelieschen
mit seiner Erlaubnis nach Herzenslust spazieren. Er bat sie aber, nicht
vor dem toten Vogel zu erschrecken, der im Gange läge. Es war ein ganzer
Vogel mit Federn und Schnabel, der erst kürzlich beim Beginn des Winters
gestorben sein konnte und nun gerade da begraben war, wo er seinen Gang
angelegt hatte.

Der Maulwurf nahm ein faules Stück Holz in das Maul, weil es im Dunkeln
wie Feuer schimmert, ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen,
finsteren Gange. Als sie zu der Stelle gelangten, wo der tote Vogel lag,
drückte der Maulwurf mit seiner breiten Nase gegen das Gewölbe und stieß
die Erde auf, so daß ein großes Loch entstand, durch welches das Licht
hereinschimmerte. Mitten auf dem Boden lag eine tote Schwalbe, die
schönen Flügel fest an die Seite gedrückt, die Beine und den Kopf unter
die Federn gezogen. Der arme Vogel war sicher vor Kälte gestorben.
Däumelieschen hatte inniges Mitleid mit ihr, sie liebte alle die kleinen
Vögel, hatten sie ihr doch den ganzen Sommer hindurch so schön etwas
vorgesungen und vorgezwitschert, aber der Maulwurf stieß ihn mit seinen
kurzen Beinen und sagte: „Nun pfeift er nicht mehr! Es muß doch
jämmerlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Außer seinem
„Quivit“ hat ja ein solcher Vogel durchaus nichts und muß im Winter
elendiglich verhungern!“

„Ja, das könnt Ihr als vernünftiger Mann wohl sagen!“ entgegnete die
Feldmaus. „Was hat ein Vogel für all sein Quivit, wenn der Winter kommt?
Er muß elendiglich verhungern und erfrieren.“

Däumelieschen sagte nichts, als aber die beiden andern dem Vogel den
Rücken wandten, neigte sie sich hinab, schob die Federn, die über seinem
Kopfe lagen, zur Seite und küßte ihn auf die geschlossenen Augen.
„Vielleicht war er es, der mir im Sommer so schön etwas vorsang,“ dachte
sie, „wie viel Freude hat er mir verschafft, der liebe, schöne Vogel.“

Der Maulwurf stopfte nun das Loch, durch welches das Tageslicht
hineinschien, wieder zu und begleitete die Damen nach Hause. Aber in der
Nacht konnte Däumelieschen schlechterdings nicht schlafen. Da erhob sie
sich von ihrem Bette und flocht aus Heu einen großen, schönen Teppich,
trug ihn hinunter, breitete ihn über den toten Vogel aus und legte
weiche Baumwolle, die sie im Zimmer der Feldmaus gefunden hatte, dem
Vogel zur Seite, damit er warm liegen möchte in der kalten Erde.

„Lebewohl, du lieber schöner Vogel!“ sagte sie; „Lebewohl und Dank für
deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die
Sonne auf uns so warm hernieder schien!“ Dann legte sie ihr Köpfchen an
des Vogels Brust, fuhr aber sogleich erschrocken zusammen, denn es war
fast, als ob etwas in derselben klopfte. Das war des Vogels Herz. Der
Vogel war nicht tot, er lag nur in einer Betäubung, war jetzt erwärmt
worden und bekam wieder Leben.

Im Herbste fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern, verspätet
sich aber eine, so friert sie so, daß sie wie tot zur Erde fällt und
liegen bleibt, wohin sie fällt, und der kalte Schnee seine Decke über
sie breitet.

Däumelieschen schauderte ordentlich, so war sie erschreckt worden, denn
der Vogel war ihr gegenüber, die kaum Daumeslänge hatte, ja so
erschrecklich groß, aber sie faßte doch wieder Mut, legte die Baumwolle
dichter um die Schwalbe und holte ein Krausemünzenblatt, dessen sie sich
selbst als Deckbettes bedient hatte, und legte es über den Kopf des
Vogels.

In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm hinunter, und nun
war er lebendig, aber so matt, daß er nur einen kurzen Augenblick seine
Augen zu öffnen und Däumelieschen anzusehen vermochte, die, weil sie
kein anderes Lämpchen haben konnte, mit einem Stückchen faulen Holzes in
der Hand neben ihm stand.

„Herzlichen Dank, du niedliches kleines Kind!“ sagte die kranke Schwalbe
zu ihr. „Ich bin vortrefflich erwärmt! Bald erhalte ich meine Kräfte
wieder und kann dann draußen im warmen Sonnenschein umherfliegen.“

„Ach!“ sagte sie, „es ist draußen gar kalt, es schneit und friert!
Bleib’ du in deinem warmen Bettchen, ich werde dich schon pflegen!“

Darauf brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatte und diese
trank und erzählte ihr, wie sie sich an einem Dornbusche einen ihrer
Flügel verletzt hätte, weshalb sie nicht mehr so schnell wie die andern
Schwalben zu fliegen vermochte, als dieselben weit weg nach den warmen
Ländern fortzogen. Endlich war sie auf die Erde gefallen, und was
weiteres mit ihr geschehen, wußte sie nicht.

Den ganzen Winter blieb sie nun da unten und Däumelieschen nahm sich
ihrer auf das Beste an und hatte sie lieb. Weder der Maulwurf noch die
Feldmaus erfuhr das Geringste davon, weil sie die arme Schwalbe nicht
leiden mochten.

Sobald der Frühling kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die
Schwalbe Däumelieschen Lebewohl, die nun das Loch öffnete, welches der
Maulwurf in die Decke gemacht hatte. Die Sonne schien herrlich auf sie
hernieder und die Schwalbe fragte, ob sie sie begleiten wollte, sie
könnte ja auf ihrem Rücken sitzen, und dann wollten sie weit hinaus in
den grünen Wald fliegen. Aber Däumelieschen wußte, daß es die alte
Feldmaus betrüben würde, wenn sie dieselbe auf solche Art verließ.

„Nein, ich kann nicht!“ sagte Däumelieschen. „Lebewohl, lebewohl!
du gutes, liebes Mädchen!“ sagte die Schwalbe und flog hinaus in den
Sonnenschein. Däumelieschen sah ihr nach und die Thränen traten ihr in
die Augen, denn sie hatte die Schwalbe gar lieb.

„Quivit, quivit!“ sang der Vogel und flog hinein in den grünen Wald.

Däumelieschen war sehr betrübt. Sie erhielt nie Erlaubnis, in den warmen
Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, das auf dem Acker über dem Hause
der Feldmaus ausgesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; für das
arme kleine Mädchen, das kaum Daumeslänge hatte, war es ein völlig
undurchdringlicher Wald.

„Während des Sommers sollst du nun an deiner Aussteuer nähen!“ sagte die
Feldmaus zu ihr, denn nun hatte der Nachbar, der langweilige Maulwurf in
dem schwarzen Sammetpelze, sich um sie beworben.

Däumelieschen mußte nun die Spindel drehen und die Feldmaus nahm vier
Spinnen in Lohn, die Tag und Nacht spinnen und weben mußten. Jeden Abend
kam der Maulwurf auf Besuch und sprach nur immer davon, daß, wenn der
Sommer vergangen, die Sonne nicht mehr so warm scheinen würde, dann
wollte er mit Däumelieschen Hochzeit feiern. Sie war aber gar nicht
vergnügt, denn sie hatte den langweiligen Maulwurf keineswegs lieb.
Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, und jeden Abend, wenn sie
unterging, schlich sie sich zur Thür hinaus, und sobald der Wind die
Kornähren auseinander wehte, daß sie den blauen Himmel sehen konnte,
dachte sie daran, wie hell und schön es hier draußen wäre, und wünschte
so sehr, die liebe Schwalbe wiederzusehen; aber die kam nie wieder, die
war gewiß weit fort in den schönen grünen Wald geflogen.

Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelieschen ihre ganze Aussteuer
fertig.

„In vier Wochen sollst du Hochzeit halten!“ sagte die Feldmaus zu ihr.
Aber Däumelieschen weinte und sagte, sie wollte den langweiligen
Maulwurf nicht haben.

„Schnickschnack!“ sagte die Feldmaus, „sei nur nicht widerspenstig,
sonst muß ich dich mit meinen weißen Zähnen beißen.“

Nun sollte Hochzeit sein. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelieschen
zu holen.

„Lebewohl, du klarer Sonnenstrahl!“ sagte sie und streckte die Ärmchen
hoch empor und ging auch eine kurze Strecke vom Hause der Feldmaus fort,
denn nun war das Korn geerntet und nur die dürren Stoppeln standen noch
da. „Lebewohl, Lebewohl!“ sagte sie und schlang ihre Ärmchen um eine
kleine rote Blume, die daneben stand. „Grüße die liebe Schwalbe von mir,
wenn du sie zu sehen bekommst!“

„Quivit, quivit!“ ertönte es in demselben Augenblicke über ihrem Kopfe.
Sie blickte auf, es war die Schwalbe, die gerade vorüberflog. Sobald sie
Däumelieschen gewahrte, wurde sie sehr froh, sie erzählte derselben, wie
ungern sie den garstigen Maulwurf zum Manne nähme und daß sie nun tief
unter der Erde wohnen sollte, wo das Sonnenlicht nie hineinschiene.

„Nun kommt der kalte Winter,“ sagte die Schwalbe, „ich fliege nach den
warmen Ländern fort. Willst du mich begleiten? Du kannst auf meinem
Rücken sitzen! Fliege nur mit mir, du süßes kleines Däumelieschen, die
du mir das Leben gerettet hast, als ich erfroren in dem finstern Schooße
der Erde lag!“

„Ja, ich ziehe mit dir,“ sagte Däumelieschen, und setzte sich auf des
Vogels Rücken, mit den Füßen auf seine ausgebreiteten Flügel, band ihren
Gürtel an einer der stärksten Federn fest, und nun erhob sich die
Schwalbe hoch in die Lüfte, über Wälder und Seen, hoch hinauf über die
großen Gebirge, wo immer Schnee liegt.

Endlich kamen sie nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit
heller als hier, der Himmel war doppelt so hoch und an den Gräben und
Hecken wuchsen die herrlichsten grünen und blauen Weintrauben. In den
Wäldern hingen Zitronen und Apfelsinen; Myrthen und Krausemünzen
erfüllten alles mit ihrem Duft. Aber die Schwalbe flog immer noch weiter
und es wurde schöner und schöner. Unter den prachtvollsten grünen Bäumen
an dem blauen See stand seit alten Zeiten ein weißes Marmorschloß.
Weinreben rankten sich um hohe Säulen; an der äußersten Spitze waren
viele Schwalbennester und in einem derselben wohnte die Schwalbe, welche
Däumelieschen trug.

„Hier ist mein Haus!“ sagte die Schwalbe. „Suche dir aber selbst eine
der prächtigsten Blumen aus, die da unten wachsen, und ich will dich
dann hinaufsetzen, und dein Los wird so glücklich sein, als du nur
irgend wünschen kannst!“

„O wie herrlich!“ sagte Däumelieschen und klatschte in die kleinen
Händchen.

Da lag eine große, weiße Marmorsäule, welche zur Erde gesunken und in
drei Stücke zerborsten war, zwischen ihnen aber wuchsen die schönsten
großen weißen Blumen. Die Schwalbe flog mit Däumelieschen hinunter und
setzte sie auf eines der breiten Blätter. Aber wer malt ihr Erstaunen:
mitten in der Blume saß ein kleiner Mann, so weiß und durchsichtig, wie
wenn er von Glas wäre. Die niedlichste goldene Krone hatte er auf dem
Kopfe und die prächtigsten hellen Flügel auf den Schultern. Er selbst
war nicht größer als Däumelieschen. Es war der Engel der Blumen. In
jeder Blume wohnte so ein kleiner Mann oder eine Frau, dieser aber war
der König über alle.

Der kleine Prinz erschrak gewaltig vor der Schwalbe, denn gegen ihn, der
so klein und fein war, schien sie ein wahrer Riesenvogel zu sein. Als er
aber Däumelieschen gewahrte, ward er gar froh, war sie doch das
allerschönste Mädchen, das er bis jetzt gesehen hatte. Deshalb nahm er
die Goldkrone von seinem Haupte und setzte sie ihr auf, fragte, wie sie
hieße und ob sie seine Gemahlin sein wollte, dann sollte sie Königin
über alle Blumen werden.

Däumelieschen gab dem schönen Prinzen das Jawort, und von jeder Blume
kam eine Dame, oder ein Herr, so allerliebst, daß es eine Lust war.
Jedes brachte Däumelieschen ein Geschenk, aber das beste von allen waren
ein Paar schöne Flügel von einer großen weißen Fliege. Sie wurden
Däumelieschen am Rücken befestigt und nun konnte auch sie von Blume zu
Blume fliegen. Überall herrschte darüber Freude und die Schwalbe saß
oben in ihrem Neste und sang ihnen etwas vor, so gut sie vermochte, aber
im Herzen war sie gleichwohl betrübt, denn sie hatte Däumelieschen gar
lieb und würde sich nie von ihr getrennt haben.

„Du sollst fortan nicht mehr Däumelieschen heißen!“ sagte der Engel der
Blumen zu ihr, „das ist ein häßlicher Name und du bist so schön. Wir
wollen dich _Maja_ nennen!“

„Lebewohl, lebewohl!“ sagte die Schwalbe, und zog wieder fort aus den
warmen Ländern, weit fort nach unserem kalten Himmelsstriche. Dort hatte
sie ein kleines Nest oben an dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen
erzählen kann. Dem sang sie ihr „Quivit, quivit,“ vor. Davon haben wir
die ganze Geschichte.



Die Störche.

  [Abbildung/Illustration: pic8.jpg]


Auf dem letzten Hause eines kleinen Dörfchens befand sich ein
Storchnest. Die Storchmutter saß im Neste bei ihren vier Jungen, welche
den Kopf mit dem kleinen schwarzen Schnabel, denn er war noch nicht rot
geworden, hervorstreckten. Ein Stückchen davon stand auf der Dachfirste
starr und steif der Storchvater. Man hätte meinen können, er wäre aus
Holz gedrechselt, so stille stand er. „Gewiß sieht es recht vornehm aus,
daß meine Frau eine Schildwache bei dem Neste hat!“ dachte er. Und er
stand unermüdlich auf einem Beine.

Unten auf der Straße spielte eine Schar Kinder und als sie die Störche
erblickten, sang einer der dreistesten Knaben und allmählich alle
zusammen einen Vers aus einem alten Storchliede, so gut sie sich dessen
erinnern konnten:

  Störchlein, Störchlein, fliege,
  Damit ich dich nicht kriege,
  Deine Frau, die liegt im Neste dein
  Bei deinen lieben Kindelein:
  Das eine wird gepfählt,
  Das andere wird abgekehlt,
  Das dritte wird verbrannt,
  Das vierte dir entwandt!

„Höre nur, was die Jungen singen!“ sagten die kleinen Storchkinder. „Sie
sagen, wir sollen gebraten und verbrannt werden!“

„Daraus braucht ihr euch nichts zu machen!“ sagte die Storchmutter.

Aber die Knaben wiederholten es immer von Neuem und wiesen mit Fingern
nach dem Storche. Nur ein Knabe, _Peter_ mit Namen, sagte, es wäre eine
Sünde und Schande, sich über die Tiere lustig zu machen, und nahm an
ihrem Unfug nicht Teil. Die Storchmutter tröstete ihre Kinder: „Kümmert
euch nicht darum!“ sagte sie; „seht nur, wie ruhig und unbekümmert euer
Vater dasteht, und zwar auf einem Beine!“

„Uns ist so bange!“ sagten die Jungen und zogen ihre Köpfe in das Nest
zurück.

Als am nächsten Tage die Kinder wieder zum Spielen zusammenkamen und die
Störche erblickten, begannen sie wieder ihr altes Lied:

  Das eine wird gepfählt,
  Das andere wird abgekehlt! --

„Werden wir wohl gepfählt und verbrannt?“ fragten die Storchkinder.

„Nein, sicher nicht!“ erwiderte die Mutter. „Ihr sollt fliegen lernen;
ich werde euch schon einüben! Dann geht es hinaus auf die Wiese und auf
Besuch zu den Fröschen. Das wird eine Lust werden!“

„Und was dann?“ fragten die Storchkinder.

„Dann versammeln sich alle Störche, die hier im Lande wohnen und darauf
beginnt die große Herbstübung. Da muß man gut fliegen, das ist von
großer Wichtigkeit, denn wer nicht fliegen kann, wird von dem General
mit seinem Schnabel totgestochen. Lernt deshalb nur fliegen, wenn der
Unterricht beginnt!“

„Dann werden wir aber doch gepfählt, wie die Knaben behaupteten, und
höre nur, jetzt sagen sie es schon wieder!“

„Hört auf mich und nicht auf sie!“ sagte die Storchmutter. „Nach der
großen Übung fliegen wir nach den warmen Ländern, weit fort von hier,
über Berge und Wälder. Nach Ägypten fliegen wir, wo es dreieckige
Steinhäuser giebt, die in einer Spitze zusammenlaufen und bis über die
Wolken ragen. Da ist auch ein Fluß, der aus seinen Ufern tritt und das
ganze Land mit Schlamm bedeckt. Man geht im Schlamm und ißt Frösche.“

„O!“ riefen alle Jungen.

„Ja, da ist es wunderbar schön! Man thut den ganzen Tag nichts Anderes
als essen. Und während wir es so gut haben, ist hier zu Lande nicht ein
grünes Blatt auf den Bäumen. Hier ist es so kalt, daß die Wolken in
Stücke gefrieren und in kleinen weißen Läppchen herniederfallen, was
dann die Menschen Schnee nennen.“

„Zerfrieren denn auch die unartigen Knaben in lauter Stücke?“ fragten
die Storchkinder.

„Nein, in Stücke zerfrieren sie nicht, aber es fehlt nicht viel daran
und sie müssen in der dunklen Stube und hinter dem Ofen sitzen.“

Inzwischen war schon einige Zeit verstrichen, und die Jungen waren so
groß, daß sie im Neste aufrecht stehen und sich weit umschauen konnten.
Der Storchvater kam jeden Tag mit wohlschmeckenden Fröschen, kleinen
Schlangen und allen auffindbaren Storchleckereien geflogen.

„Hört, nun müßt ihr fliegen lernen!“ sagte eines Tages die Storchmutter,
und dann mußten alle vier Junge auf die Dachfirste hinaus. O, wie sie
schwankten! Wie sie suchten, sich mit den Flügeln im Gleichgewicht zu
erhalten, und doch nahe daran waren, hinunter zu fallen.

„Seht nun auf mich!“ sagte die Mutter. „So müßt ihr den Kopf halten!
So müßt ihr die Beine setzen! Eins, zwei! eins, zwei! Das wird euch in
der Welt vorwärts bringen!“ Darauf flog sie eine kurze Strecke und die
Jungen machten einen kleinen plumpen Satz. Bums! da lagen sie, denn sie
waren noch zu schwerfällig.

„Ich will nicht fliegen!“ sagte das eine Junge und kroch wieder in das
Nest hinein. „Ich mache mir nichts daraus, nach den warmen Ländern zu
kommen.“

„So willst du also hier im Winter erfrieren? Sollen etwa die Knaben
kommen und dich pfählen, abkehlen und verbrennen? Dann will ich sie
rufen!“

„O nein!“ sagte das Storchkind und hüpfte dann wieder auf das Dach zu
den andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein wenig
fliegen, und nun meinten sie auch in der Luft schweben zu können.

„Seht, das war sehr gut!“ sagte die Storchmutter; „Ihr sollt morgen mit
mir in den Sumpf fliegen. Dort kommen mehrere nette Storchfamilien mit
ihren Kindern zusammen.“

„Aber sollen wir denn an den unartigen Knaben keine Rache nehmen?“
fragten die Storchjungen.

„Laßt sie schreien, was sie wollen! Ihr erhebt euch doch zu den Wolken
und kommt nach dem Lande der Pyramiden, während sie frieren müssen und
kein grünes Blatt noch einen süßen Apfel haben!“

„Ja, wir wollen uns rächen!“ flüsterten sie einander zu und dann wurde
wieder fleißig geübt.

Von allen Knaben auf der Gasse war keiner ärger, das Spottlied zu
singen, als gerade der, welcher es zuerst angestimmt hatte, und das war
ein ganz kleiner Bursche, denn er zählte sicher nicht mehr als sechs
Jahre. Die Storchkinder meinten freilich, er wäre hundert Jahre, weil er
so viel größer als ihre Mutter und ihr Vater war. Was wußten sie davon,
wie alt kleine und große Kinder sein könnten. Ihre ganze Rache sollte
sich über diesen Knaben ergießen; er hatte ja mit dem Liede den Anfang
gemacht und war dessen noch nicht müde geworden. Die jungen Störche
waren sehr aufgebracht und je größer sie wurden, desto weniger wollten
sie es leiden.

Nun kam der Herbst. Alle Störche versammelten sich allmählich, um gegen
Winter nach den warmen Ländern zu fliegen. Was für eine Übung ging
voraus! Über Wälder und Städte mußten sie, nur um zu sehen, wie gut sie
fliegen könnten, denn es war ja eine große Reise, welche bevorstand.
Unsere jungen Störche machten ihre Sache so hübsch, daß sie die Zensur:
„Ausgezeichnet gut mit Frosch und Schlange“ erhielten. Das war das
allerbeste Zeugnis und den Frosch und die Schlange durften sie essen,
und thaten es auch.

„Nun müssen wir uns rächen!“ sagten sie.

„Jawohl!“ sagte die Storchmutter. „Was ich mir ausgedacht habe, das ist
gerade das Richtige! Ich weiß, wo der Teich ist, in dem alle die kleinen
Menschenkinder liegen, bis der Storch kommt und sie ihren Eltern bringt.
Die niedlichen kleinen Kinder schlafen und träumen so süß, wie sie
nachher nie mehr träumen. Alle Eltern wollen gern so ein kleines Kind
haben, und alle Kinder wollen eine Schwester oder einen Bruder haben.
Nun wollen wir nach dem Teiche hinfliegen und für jedes der Kinder eins
holen, welche das arge Lied nicht gesungen und sich über die Störche
nicht lustig gemacht haben!“

„Aber jener schlimme, häßliche Junge, welcher es zu singen angefangen
hat, was machen wir mit ihm?“

„Im Teiche dort liegt ein kleines, totes Kind, welches sich tot geträumt
hat. Das wollen wir zu ihm hintragen, dann muß er weinen, weil wir ihm
ein totes Brüderchen gebracht haben. Allein dem guten Knaben, den ihr
gewiß noch nicht vergessen habt, dem, welcher meinte: Es ist eine Sünde
und Schande, sich über die Tiere lustig zu machen, dem wollen wir sowohl
ein Brüderlein, als auch ein Schwesterlein bringen, und da der Knabe
_Peter_ heißt, so sollt ihr sämtlich Peter gerufen werden!“

Und wie sie es gesagt hatte, geschah es. Seitdem hießen alle Störche
_Peter_ und werden noch heute so genannt.



Der fliegende Koffer.

  [Abbildung/Illustration: pic11.jpg]


Es war einmal ein Kaufmann, der so reich war, daß er die ganze Straße
und beinahe noch ein Seitengäßchen mit lauter harten Thalern pflastern
konnte. Allein das that er nicht, er wußte sein Geld anders anzuwenden.
Gab er einen Dreier aus, bekam er einen Thaler wieder. Aber er mußte
doch sterben und sein Sohn bekam nun all dies Geld und er lebte lustig,
ging jede Nacht auf Maskenbälle, machte Papierdrachen aus Thalerscheinen
und so konnte das Geld schon abnehmen und that es auch.

Zuletzt besaß er nicht mehr als wenige Groschen und hatte keine andern
Kleider als ein Paar Pantoffeln und einen alten Schlafrock. Nun
bekümmerten sich seine Freunde nicht länger um ihn, da sie sich ja mit
ihm zusammen nicht auf der Straße sehen lassen konnten; nur einer von
ihnen, ein gutmütiger Mensch, sandte ihm einen alten Koffer und ließ ihm
sagen: „Pack ein!“ Ja, das war nun wohl recht gut, aber er hatte nichts
einzupacken und deshalb setzte er sich selbst in den Koffer.

Das war ein absonderlicher Koffer. Sobald man an das Schloß drückte,
konnte er fliegen. Er that es und husch! flog er mit ihm durch den
Schornstein, über die Stadt hinweg, hoch hinauf bis über die Wolken,
weiter und immer weiter fort.

Endlich kam er nach dem Lande der Türken. Den Koffer verbarg er im Walde
unter dürren Blättern und ging dann in die Stadt hinein. Das konnte er
recht wohl thun, denn bei den Türken ging ja alles wie er in Schlafrock
und Pantoffeln. Da begegnete er einer Frau und fragte sie: „Was ist das
für ein großes Schloß hier unmittelbar bei der Stadt, dessen Fenster so
hoch sitzen?“

„Dort wohnt die Tochter des Königs!“ sagte sie, „es ist ihr geweissagt
worden, daß sie einstmals über ihren Bräutigam sehr unglücklich werden
würde und deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und
die Königin zugegen sind!“

„Ich danke!“ sagte der Kaufmannssohn und dann ging er in den Wald
hinaus, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach des Schlosses
und kroch durch das Fenster zur Prinzessin hinein.

Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so lieblich, daß er sie küssen
mußte. Sie erwachte und erschrack heftig, er aber sagte, er wäre der
Türkengott, der durch die Luft zu ihr gekommen wäre und das schmeichelte
ihr.

Da saßen sie nun Seite an Seite und er erzählte ihr Märchen und
Geschichten.

Ja, das waren herrliche Geschichten! Dann freite er um die Prinzessin
und sie sagte sogleich ja.

„Aber Sie müssen den Sonnabend herkommen, da ist der König und die
Königin bei mir zum Thee. Sie werden sehr stolz darauf sein, daß ich den
Türkengott bekomme. Aber sorgen Sie dafür, daß Sie ein recht schönes
Märchen erzählen können, denn das gewährt meinen Eltern die angenehmste
Unterhaltung. Meine Mutter hört gern ernste und vornehme, und mein Vater
lustige, über die man lachen kann.“

„Ja, ich bringe keine andere Brautgabe, als ein Märchen!“ und dann
trennten sie sich; aber die Prinzessin gab ihm einen mit Goldstücken
besetzten Säbel, und die Goldstücke konnte er besonders gebrauchen.

Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock, ließ seinen Koffer
recht schön herrichten, setzte sich dann draußen in den Wald und
dichtete ein Märchen. Das sollte bis zum Sonnabend fertig sein und das
war nicht so leicht. Als es nun fertig war, siehe da war es gerade
Sonnabend.

Der König, die Königin und der ganze Hof warteten bei der Prinzessin mit
dem Thee. Als der Kaufmannssohn nun angeflogen kam, wurde er sehr
freundlich empfangen.

„Wollen Sie nun ein Märchen erzählen!“ sagte die Königin, „eins, welches
tiefsinnig und belehrend ist!“

„Aber worüber man auch lachen kann!“ sagte der König.

„Jawohl!“ sagte er und erzählte nun folgendes:

„Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer, die sich auf ihre hohe Abkunft
was einbildeten. Ihr Stammbaum, das heißt die große Fichte, von der
jedes ein kleines, kleines Stückchen war, stand als ein großer alter
Baum im Walde. Die Schwefelhölzer lagen nun auf dem Gesimse zwischen
einem Feuerzeuge und einem alten eisernen Topfe und diesen erzählten sie
von ihrer Jugend. „Ja, als wir auf dem grünen Zweige waren,“ sagten sie,
„da waren wir wahrlich auf einem grünen Zweige. Jeden Abend und Morgen
gab es Diamantthee, das war der Tau, den ganzen Tag hatten wir
Sonnenschein, wenn nämlich die Sonne schien und alle die kleinen Vögel
mußten uns Geschichten erzählen. Wir konnten recht gut merken, daß wir
auch reich waren, denn die Laubbäume waren nur im Sommer bekleidet, aber
unsere Familie hatte die Mittel, für Sommer und Winter grüne Kleider
anzuschaffen. Nun aber kamen Holzhauer und es entstand eine große
Umwälzung; unsere ganze Familie zersplitterte sich. Der Stammherr
erhielt als Hauptmast Platz auf einem prächtigen Schiffe, das die Welt
umsegeln konnte, wenn es wollte. Den anderen Zweigen wurden andere
Stellen eingeräumt und wir haben nun die Aufgabe, der niederen Menge das
Licht anzuzünden.“

„Ich weiß ein anderes Lied zu singen!“ sagte der Eisentopf, an dessen
Seite die Schwefelhölzer lagen. „Seit ich das Licht der Welt erblickte,
bin ich viele mal gescheuert und gekocht worden. Ich sorge für das
Dauerhafte und bin, eigentlich gesprochen, der erste hier im Hause.
Meine einzige Freude ist, nach Tische rein und fein auf dem Gesimse zu
liegen und mit den Kameraden vernünftig zu plaudern. Nehme ich aber den
Wassereimer aus, der doch bisweilen auf den Hof hinunter kommt, so leben
wir hier immer hinter zugemachten Thüren. Unser einziger Neuigkeitsbote
ist der Marktkorb, aber der redet zu aufrührerisch über die Regierung
und das Volk.“

„Nun sprichst du zu viel!“ sagte das Feuerzeug und der Stahl schlug
gegen den Feuerstein, daß Funken sprühten. „Wollen wir uns nicht einen
lustigen Abend machen?“

„Ja, lasset uns davon sprechen, wer der Vornehmste ist!“ sagten die
Schwefelhölzer.

„Nein, ich spreche nicht gern von mir selber!“ versetzte der Thontopf.
„Ich schlage eine Abendunterhaltung vor. Ich will den Anfang machen und
etwas erzählen; jeder teilt mit, was er erlebt hat. Da kann man sich so
trefflich hineinfinden und es ist sehr lustig! Also hört: An der Ostsee
bei den dänischen Buchten brachte ich meine Jugend bei einer stillen
Familie zu; die Möbel wurden poliert, der Fußboden aufgewischt und alle
vierzehn Tage wurden neue Vorhänge aufgesteckt!“

„Wie anschaulich Sie doch erzählen!“ sagte der Haarbesen. „Man kann
gleich hören, daß ein Frauenzimmer erzählt; es zieht sich etwas
Reinliches hindurch!“

„Ja, das fühlt man!“ sagte der Wassereimer und machte einen Satz, daß es
auf dem Boden nur so klatschte!

Der Topf fuhr fort zu erzählen und das Ende entsprach dem Anfange.

Alle Teller klirrten vor Freude und der Haarbesen zog grüne Petersilie
aus dem Sandloche und bekränzte den Topf, weil er wußte, er würde die
andern dadurch ärgern und „bekränze ich ihn heute,“ dachte er, „so
bekränzt er mich morgen!“

„Nun will ich tanzen!“ sagte die Feuerzange und tanzte. „Werde ich nun
auch bekränzt?“ fragte die Feuerzange und sie wurde es.

„Das ist doch nur Pöbel!“ dachten die Schwefelhölzer.

Nun sollte die Theemaschine singen, aber sie entschuldigte sich mit
Erkältung; auch könnte sie nur in kochendem Zustande singen, aber es
geschah eigentlich aus lauter Vornehmthuerei; sie wollte nur auf dem
Tisch drinnen bei der Herrschaft singen.

Im Fenster saß eine alte Feder, mit der die Magd zu schreiben pflegte.
Es war nichts Bemerkenswertes an ihr, ausgenommen, daß sie zu tief in
das Tintenfaß getaucht war, aber gerade darauf that sie sich etwas zu
Gute. „Will die Theemaschine nicht singen,“ sagte sie, „so mag sie es
bleiben lassen. Draußen sitzt im Bauer eine Nachtigall, die singen kann;
sie hat zwar nichts gelernt, aber gleichwohl wollen wir ihr das heute
Abend nicht übel auslegen!“

„Ich finde es im höchsten Grade unpassend,“ äußerte der Theekessel, der
das Amt eines Küchensängers bekleidete und ein Halbbruder der
Theemaschine war, „daß ein fremder Vogel angehört werden soll. Ist das
patriotisch? Ich fordere den Marktkorb auf, darüber sein Urteil
abzugeben!“

„Ich ärgere mich nur!“ sagte der Marktkorb, „ich ärgere mich so sehr,
wie es sich niemand vorstellen kann! Würde es nicht weit vernünftiger
sein, das ganze Haus einmal auf den rechten Fleck zu setzen? Jeder
sollte dann schon den ihm gebührenden Platz erhalten, und ich würde die
ganzen Anordnungen treffen!“

„Ja, laßt uns Lärm machen!“ riefen sie sämtlich. Plötzlich ging die
Thüre auf. Es war das Dienstmädchen, und nun standen sie still und
wagten nicht Muck zu sagen. Aber da war kein Topf, der nicht ein Gefühl
seiner Macht und Würde gehabt hätte. „Ja, wenn ich nur gewollt hätte,“
dachte ein jeder, „dann würde es sicher einen lustigen Abend gegeben
haben!“

Das Dienstmädchen nahm die Schwefelhölzer und machte Feuer mit ihnen an
-- Gott bewahre uns, wie sie sprühten und aufflammten.

„Nun kann ein jeder sehen, daß wir die ersten sind!“ dachten sie.
„Welchen Glanz, welches Licht wir haben!“ -- und nun waren sie
ausgebrannt. Und nun ist auch meine Geschichte aus.“

„Das war ein herrliches Märchen!“ sagte die Königin. „Ich fühlte mich im
Geiste ganz zu den Schwefelhölzern in die Küche versetzt. Ja, nun sollst
du unsere Tochter haben!“

„Jawohl!“ sagte der König, „du sollst unsere Tochter den Montag
bekommen!“ denn nun sagte er zu ihm, als zu einem künftigen
Familiengliede, „du“.

Die Hochzeit war also festgesetzt und den Abend vorher wurde die ganze
Stadt erleuchtet; es war außerordentlich prachtvoll.

„Ich muß wohl auch daran denken, mein Scherflein zu den Feierlichkeiten
beizutragen!“ dachte der Kaufmannssohn, und nun kaufte er Raketen,
Knallerbsen und alles erdenkliche Feuerwerk, legte es in seinen Koffer
und flog damit in die Luft empor.

Rutsch! ging es in die Höhe und verpuffte unter vielem Lärm.

Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, daß ihnen die Pantoffeln um die
Ohren fuhren. Dergleichen Lufterscheinungen hatten sie niemals gesehen.
Nun sahen sie ein, daß es der Türkengott selber war, der die Prinzessin
bekommen sollte.

Sobald sich der Kaufmannssohn mit seinem Koffer wieder in den Wald
hinabgelassen hatte, dachte er: „Ich will doch in die Stadt gehen, um
mir berichten zu lassen, wie es sich ausgenommen hat.“ Man kann sich
wohl zusammenreimen, daß er Lust dazu hatte.

Nein, was ihm die Leute doch alles erzählten! Ein jeder, bei dem er sich
erkundigte, hatte es in seiner Weise gesehen, aber einen prächtigen
Eindruck hatte es auf alle gemacht.

„Ich sah den Türkengott selbst!“ erzählte der eine, „er hatte Augen wie
blitzende Sterne und einen Bart wie schäumendes Wasser!“

„Er flog in einem feurigen Mantel,“ berichtete ein anderer.

Ja, das waren vortreffliche Sachen, die er zu hören bekam, und den Tag
darauf sollte er Hochzeit haben.

Nun ging er nach dem Walde zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen --
aber wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funke war von dem
Feuerwerk zurückgeblieben, der Feuer gefangen und den Koffer in Asche
gelegt hatte. Er konnte nicht mehr fliegen, nicht mehr zu seiner Braut
gelangen.

Sie aber stand den ganzen Tag auf dem Dache und harrte seiner. Sie
wartet noch, er aber durchzieht die Welt und erzählt Märchen, die jedoch
nicht mehr so lustig sind, wie das von den Schwefelhölzchen.



Der Schneemann.

  [Abbildungen/Illustrations: pic15.jpg, tafel2.jpg]


„Es knackt und prasselt in mir, so schön kalt ist es!“ sagte der
Schneemann. „Der eisige Wind bringt einem fürwahr Leben in die Glieder.
Und sieh nur, wie die große Lampe da oben verglüht!“ Er meinte die
untergehende Sonne. „Sie soll mich nicht zum Blinzeln bringen, ich halte
meine Bruchstücke schon noch zusammen.“

Es waren zwei große dreieckige Dachziegelstücke, die ihm als Augen
dienten. Sein Mund war ein Stück von einer alten Harke, weshalb derselbe
auch Zähne hatte.

Er war unter Hurrahruf der Knaben geboren, begrüßt von dem
Schellengeläute und dem Peitschengeknall der Schlitten.

Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, rund und groß, klar und
schön in der blauen Luft.

„Nun haben wir sie wieder von einer andern Seite,“ sagte der Schneemann.
Er glaubte, es wäre die Sonne, welche sich abermals zeigte. „Ich habe es
ihr abgewöhnt, mich anzuglühen und anzuglotzen! Nun kann sie dort oben
hängen und so viel Licht verbreiten, daß ich mich selbst sehen kann.
Wüßte ich nur, wie man es anzustellen hat, um vom Flecke zu kommen.
Vermöchte ich es, so würde ich jetzt auf das Eis hinuntergehen, um zu
schlittern, wie ich es die Knaben thun sah. Aber ich verstehe nicht zu
laufen.“

„Weg, weg!“ bellte der alte Kettenhund, der etwas heiser geworden
seitdem er nicht mehr Stubenhund war; „die Sonne wird dich schon laufen
lehren; das habe ich an deinen Vorgängern gesehen. Weg, weg, und weg
sind Alle!“

„Ich verstehe dich nicht, Kamerad!“ sagte der Schneemann. „Soll mich
etwa die da oben laufen lehren?“ Er meinte den Mond. „Sie lief freilich
vorher, als ich sie starr ansah, und jetzt schleicht sie sich wieder von
einer anderen Seite heran.“

„Du weißt nichts,“ sagte der Kettenhund, „aber du bist ja auch erst vor
Kurzem zusammengeklatscht! Das, was du jetzt siehst, heißt der Mond, und
das was unterging, war die Sonne. Sie kommt morgen wieder und wird dich
dann schon lehren in den Wallgraben hinunter zu laufen.“

„Ich verstehe ihn nicht,“ sprach der Schneemann bei sich selbst, „aber
ich habe eine Empfindung davon, daß es etwas Unangenehmes ist, was er
mir andeutet. Sie, die er die Sonne nennt, ist meine Feindin.“

„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund, ging dreimal im Kreise um sich selbst
und legte sich dann in sein Haus, um zu schlafen.

Es trat eine Veränderung im Wetter ein. Ein dicker und feuchter Nebel
legte sich am Morgen über die ganze Gegend. Kurz vor Aufgang der Sonne
fing es ein wenig an zu wehen. Der Wind war eisig, der Frost
durchschüttelte einen, aber welch ein herrlicher Anblick bot sich dar,
als sich nun die Sonne erhob! Alle Bäume und Sträucher standen mit Reif
bedeckt da. Die Gegend glich einem ganzen Walde weißer Korallen. Es war,
als ob alle Zweige von blendend weißen Blüten bedeckt wären.

Es war eine wunderbare Pracht. Als dann die Sonne schien, funkelte
alles, als wäre es mit Diamantstaub überschüttet.

„Ach wie herrlich das ist!“ sagte ein junges Mädchen, welches mit einem
jungen Manne in den Garten hinaustrat und gerade neben dem Schneemanne
Halt machte, von wo sie sich die schimmernden Bäume anblickten. „Einen
schöneren Anblick hat man selbst im Sommer nicht!“ sagte sie, und ihre
Augen strahlten.

„Und so einen Kerl, wie diesen hier, hat man erst gar nicht,“ entgegnete
der junge Mann und zeigte auf den Schneemann hin. „Er ist
ausgezeichnet!“

Das junge Mädchen lächelte, nickte dem Schneemanne zu und tänzelte dann
mit ihrem Freunde über den knirschenden Schnee.

„Wer waren die Beiden?“ fragte der Schneemann den Kettenhund. „Du bist
älter auf dem Hofe als ich, kennst du sie?“

„Versteht sich!“ sagte der Kettenhund. „Sie hat mich ja gestreichelt und
er mir öfter einen Knochen gegeben; die beiße ich nicht.“

„Aber was stellen sie hier vor?“ fragte der Schneemann.

„Brautleute!“ erwiderte der Kettenhund. „Sie gehören zur Herrschaft.“

„Man ist doch noch recht dumm, wenn man kaum erst gestern geboren ist,
das merke ich an dir! Ich bin alt und besitze Kenntnisse, ich kenne Alle
auf dem Hofe. Und ich habe eine Zeit gekannt, wo ich hier nicht in der
Kälte und an der Kette stand. Weg, weg!“

„Die Kälte ist prächtig,“ sagte der Schneemann. „Erzähle, erzähle! Aber
du mußt mit deiner Kette nicht so rasseln, denn dabei knackt es gleich
in mir.“

„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund. „Ich bin ein Hündchen gewesen, klein
und niedlich, sagten sie. Damals lag ich drinnen im Schlosse auf einem
Sammetstuhle, lag auf dem Schooße der Herrin. Ich hieß der „Hübscheste,“
der „Schönfuß.“ Dann wurde ich der Herrschaft zu groß und sie gaben mich
deshalb der Haushälterin. Ich kam in die Kellerwohnung; von dort, wo du
stehst, kannst du gerade in die Kammer hineinsehen, in der ich die
Herrschaft gewesen bin, denn das war ich bei der Haushälterin. Es war
wohl ein geringerer Platz als oben, aber hier war es behaglicher. Ich
wurde nicht wie oben von den Kindern gedrückt und mit umhergeschleppt.
Ich hatte eben so gutes Futter wie zuvor und weit mehr. Ich hatte mein
eigenes Kissen, und ferner gab es dort einen Ofen, der doch, namentlich
in jetziger Zeit, das Schönste in der Welt ist! Ich kroch völlig unter
ihn, so daß ich ganz verschwand. O, von diesem Kachelofen träume ich
noch jetzt! Weg, weg!“

„Sieht ein Kachelofen denn so schön aus?“ fragte der Schneemann. „Ähnelt
er mir?“

„Er ist der gerade Gegensatz von dir! Kohlschwarz ist er und hat einen
langen Hals mit einer Messingtrommel. Er frißt Brennholz, so daß ihm das
Feuer aus dem Munde sprüht.“

Der Schneemann sah hin und bemerkte wirklich einen schwarzen,
blankpolierten Gegenstand mit einer Messingtrommel. Das Feuer strahlte
nach vorn auf den Fußboden hinaus. Dem Schneemann wurde ganz sonderbar
zu Mute. Er hatte eine Empfindung, von der er sich selber keine
Rechenschaft ablegen konnte. Es überschlich ihn etwas, was er nicht
kannte, was aber alle Menschen kennen, wenn sie nicht Schneemänner sind.

  [Farbtafel/Plate]

„Und weshalb verließest du sie?“ fragte der Schneemann. „Wie konntest du
überhaupt eine solche Stelle verlassen?“

„Ich war dazu gezwungen,“ sagte der Kettenhund. „Sie warfen mich hinaus
und legten mich an die Kette. Ich hatte den kleinsten Junker in das Bein
gebissen, weil er mir den Knochen, an welchem ich nagte, fortstieß. Bein
für Bein, heißt es bei mir! Aber das nahmen mir des Knaben Eltern übel,
und seit der Zeit habe ich hier an der Kette liegen müssen und meine
helle Stimme verloren. Höre nur, wie heiser ich bin. Weg, weg! Das ist
das Ende vom Liede gewesen!“

Der Schneemann hörte nicht mehr darauf; er blickte beständig nach der
Kellerwohnung der Haushälterin, blickte in ihre Stube hinein, wo der
Kachelofen auf seinen vier eisernen Füßen stand und sich in seiner
ganzen Größe zeigte, die der des Schneemanns in nichts nachgab.

„Es knackt so eigentümlich in mir!“ sagte er. „Soll ich dort nie
hineinkommen? Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es
würde fast ungerecht sein, wenn er nicht befriedigt würde. Ich muß
hinein, ich muß mich an ihn lehnen, und sollte ich auch das Fenster
zerschlagen!“

„Dort kommst du nie hinein!“ sagte der Kettenhund, „und kämest du
wirklich zum Kachelofen, dann wärest du weg, weg!“

„Ich bin jetzt schon so gut wie weg,“ sagte der Schneemann, „ich
zerbreche, glaube ich.“

Den ganzen Tag stand der Schneemann da und sah zum Fenster hinein.
In der Dämmerung wurde die Stube noch traulicher. Aus dem Kachelofen
leuchtete es so mild, wie weder Mond noch Sonne leuchten kann, nein, wie
nur der Kachelofen zu leuchten vermag, wenn etwas in ihm steckt. Ging
die Thüre auf, so schlug die Flamme hinaus, es war so ihre Gewohnheit.
Des Schneemannes weißes Antlitz wurde dann von einer flammenden Röte
übergossen, und auch seine Brust leuchtete in rötlichem Glanze.

„Ich halte es nicht aus,“ sagte er. „Wie schön es ihn kleidet, die Zunge
herauszustrecken.“

Die Nacht war sehr lang, aber dem Schneemann kam sie nicht so vor. Er
stand in Gedanken versunken, und sie erfroren, daß sie knackten.

Früh morgens waren die Kellerfenster zugefroren; sie trugen die
schönsten Eisblumen, die ein Schneemann nur verlangen kann, allein sie
verbargen den Kachelofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte
die Flamme nicht mehr sehen. Es knackte, es war eben im herrlichsten
Frostwetter, über das sich ein jeder Schneemann freuen muß, aber er
freute sich nicht darüber. Er hätte sich glücklich fühlen können und
dürfen, aber er war nicht glücklich, er litt eben gar zu sehr am
„Kachelofenweh“.

„Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann,“ sagte der
Kettenhund; „ich habe auch einmal an derselben Krankheit gelitten, habe
sie aber überstanden. Weg, weg! -- Jetzt bekommen wir
Witterungswechsel.“

Und Witterungswechsel trat ein, es schlug in Tauwetter um. Das Tauwetter
nahm zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und
das ist das echte Zeichen.

Eines Morgens stürzte er zusammen. Es ragte etwas einem Besenstiel
Ähnliches dort in die Höhe, wo er gestanden hatte. Um diesen Gegenstand,
der ihm Halt verleihen sollte, hatten ihn die Knaben aufgerichtet.

„Nun kann ich seine Sehnsucht verstehen!“ sagte der Kettenhund. „Der
Schneemann hat eine Ofenkratze im Leibe gehabt. Sie war es, die sich in
ihm bewegt hat. Nun hat er es überstanden. Weg, weg!“

Und bald war auch der lange, böse Winter überstanden.

„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund; aber die kleinen Mädchen sangen auf
dem Hofe:

  „Schießt auf, ihr Blümlein, frisch und hold,
  Zeig’, Weide, deine Woll’ wie Gold!
  Ihr Vöglein kommt, singt hell und klar,
  Schon ist der letzte Februar,
  Ich singe mit, Kuckuck, Quivit!
  Komm’ Sonne, komm’, wenn ich dich bitt!“

Und nun denkt niemand mehr weder an den Winter, noch an den Schneemann
und sein „Kachelofenweh“, selbst nicht einmal der heisere Kettenhund.



Es ist ein Unterschied.

  [Abbildungen/Illustrations: capD.jpg, pic19.jpg]


Der Mai war gekommen. „Der Frühling ist da!“ predigten Büsche und Bäume,
Felder und Wiesen. Es wimmelte von Blüten und vor allem oben an der
Hecke. Da stand ein Apfelbäumchen, welches nur einen einzigen, von
rosenroten Knospen überladenen Zweig getrieben hatte.

Das Bäumchen wußte wohl selbst, wie schön es war, denn das liegt im
Blatte gerade so wie im Blute. Deshalb war es auch durchaus nicht
überrascht, als plötzlich auf dem Wege dicht vor ihm ein
herrschaftlicher Wagen anhielt und die junge Gräfin in demselben sagte,
der Apfelbaum wäre das Lieblichste, was man sehen könnte, er wäre der
Frühling selbst in seiner herrlichsten Offenbarung. Der Zweig wurde
abgebrochen und sie hielt ihn in ihrer feinen Hand und beschattete ihn
mit ihrem seidenen Sonnenschirme. Darauf fuhren sie nach dem Schlosse,
wo sie hohe Säle und prächtige Zimmer aufnahmen. Klare, weiße Vorhänge
flatterten an den offenen Fenstern und prächtige Blumen standen in
glänzenden, durchsichtigen Vasen, und in eine derselben, die schimmerte,
als ob sie aus frischgefallenem Schnee ausgeschnitten wäre, wurde der
Apfelzweig zwischen frische, lichte Buchenzweige gesetzt; es war eine
Lust ihn anzusehen.

Da wurde der Zweig stolz, und das war ja ganz begreiflich.

Viele Leute von mancherlei Gattung kamen durch die Zimmer, und je nach
dem Ansehen, in welchem sie standen, durften sie ihre Bewunderung
aussprechen. Einige sagten durchaus nichts und Andere sagten zu viel,
und der Apfelzweig merkte, daß zwischen den Menschen ebenso gut ein
Unterschied wäre, wie zwischen den Gewächsen, und da er gerade in das
offene Fenster gesetzt war, von wo aus er sowohl in den Garten als auf
das Feld hinabblicken konnte, so hatte er genug Blumen und Pflanzen zur
Betrachtung und Überlegung. Da standen reiche und arme, selbst einige
allzu arme.

„Arme, verworfene Kräuter!“ sagte der Apfelzweig, „da ist wahrlich ein
Unterschied gemacht. Wie unglücklich mögen sie sich fühlen, falls derlei
Art überhaupt fühlen kann, wie ich und meinesgleichen zu fühlen
vermögen. Da ist wahrlich ein Unterschied gemacht, aber er muß gemacht
werden, sonst wären ja alle einerlei!“

Der Apfelzweig sah mit einem gewissen Mitleid besonders auf eine Art
Blumen, die sich in großen Mengen auf Feldern und an Gräben vorfanden.
Niemand band sie in einen Strauß, sie waren viel zu gewöhnlich dazu, ja
man konnte sie sogar zwischen den Pflastersteinen finden, sie schossen
überall wie das ärgste Unkraut empor und hatten zum Überfluß noch den
häßlichen Namen „des Teufels Butterblumen.“

„Armes, verachtetes Gewächs!“ sagte der Apfelzweig, „du kannst nichts
dafür, daß du wurdest, was du wurdest, daß du so gewöhnlich bist. Aber
es ist mit den Gewächsen wie mit den Menschen, es müssen Unterschiede
sein!“

„Unterschiede,“ sagte der Sonnenstrahl und küßte den blühenden
Apfelzweig, küßte aber auch des Teufels gelbe Butterblumen draußen auf
dem Felde, alle Brüder des Sonnenstrahls küßten sie, die armen Blumen,
wie die reichen.

Der Apfelzweig hatte nie über des lieben Gottes unendliche Liebe gegen
alles, was in ihm lebt und webt, nachgedacht; der Strahl des Lichtes
wußte es besser: „Du siehst nicht weit! Du siehst nicht klar!“ -- sagte
er. „Welches ist das verworfene Kraut, das du besonders beklagst?“

„Des Teufels Butterblumen!“ rief der Apfelzweig. „Nie werden sie in
einen Strauß gebunden, sie werden mit Füßen getreten, es giebt zu viele
von ihnen, und wenn sie in Samen schießen, fliegt er in Wollenflocken
dahin und hängt sich den Leuten an die Kleider. Unkraut ist es!“

Über das Feld kam plötzlich eine ganze Schaar Kinder daher; das jüngste
derselben war noch so klein, daß es von den anderen getragen wurde. Als
es in das Gras zwischen die gelben Blumen niedergesetzt wurde, lachte es
laut vor Freude, zappelte mit den Beinchen, wälzte sich umher, pflückte
nur die gelben Blumen und küßte sie in süßer Unschuld. Die etwas
größeren Kinder brachen die Blumen von den Stielen und bildeten Ringe
aus denselben, bis endlich, Glied an Glied, eine ganze Kette daraus
wurde, mit welcher sie sich schmückten. Aber die größeren Kinder
pflückten vorsichtig die Stengel, die die flockenartig zusammengesetzte
Samenkrone trugen, die lose, luftige, wollige Blume, welche wie ein
kleines Kunstwerk aus den feinsten Federn, Flocken oder Daunen gebildet
dasteht. Sie hielten sie an den Mund, um sie mit einem Hauch
wegzublasen. Wer es fertig brächte, bekäme neue Kleider, ehe das Jahr um
wäre, hatte Großmutter gesagt.

Die verachtete Blume war bei dieser Gelegenheit ein anerkannter Prophet.

„Siehst du?“ sagte der Sonnenstrahl, „siehst du die Schönheit, siehst du
die Macht derselben?“

„Ja, für Kinder!“ versetzte der Apfelzweig.

Da kam ein altes Mütterchen auf das Feld hinaus und grub mit ihrem
stumpfen grifflosen Messer unten um die Wurzel der Blumen und zog sie
heraus; einige der Wurzeln wollte sie als Zusatz zum Kaffee benutzen,
andere wollte sie dem Apotheker als Arzneimittel verkaufen.

„Schönheit ist doch etwas Höheres!“ sagte der Apfelzweig. „Nur die
Auserwählten kommen in das Reich des Schönen! Es giebt einen Unterschied
zwischen den Gewächsen, wie es einen Unterschied zwischen den Menschen
giebt.“

Der Sonnenstrahl sprach von Gottes unendlicher Liebe gegen alles
Erschaffene und zu allem, was Leben hat, und daß er in Zeit und Ewigkeit
alles gleichmäßig verteilt hätte.

„Ja, das ist nur Ihre Ansicht,“ sagte der Apfelblütenzweig.

Und nun traten Leute in das Zimmer, und die junge Gräfin kam, sie, die
den Apfelzweig so hübsch in die durchsichtige Vase gestellt hatte, wo
das Sonnenlicht ihn bestrahlen konnte. Sie brachte eine Blume, oder was
es sonst war, die zwischen drei oder vier Blättern, die dütenähnlich um
sie gehalten wurden, versteckt war, damit sie kein Zug oder Windhauch
verletzen könnte. Dabei wurde sie mit einer solchen Sorgfalt und
Vorsicht getragen, wie sie nicht einmal dem feinen Apfelzweig zu Teil
geworden war. Ganz behutsam wurden nun die großen Blätter fortgenommen,
und was kam zum Vorschein? Die kleine flockige Samenkrone der gelben
verachteten Butterblume! Sie war es, die sie so sorgfältig gepflückt
hatte und so sorgsam trug, damit nicht einer der feinen Federpfeile, die
gleichsam ihre Nebelkappe bilden und so lose sitzen, abgeblasen würde.
Unversehrt und herrlich hatte sie nun dieselbe; sie bewunderte ihre
schöne Gestalt, ihre luftige Klarheit, ihre ganze eigentümliche
Zusammensetzung, ihre Schönheit, wenn die Samenkrone vom Winde
fortgeblasen würde.

„Sieh doch, wie wunderbar schön sie der liebe Gott geschaffen hat!“
sagte die Gräfin. „Ich will sie mit dem Apfelzweige malen; wohl ist
dieser unendlich schön, aber in anderer Weise hat auch diese arme Blume
vom lieben Gott gar viele Schönheiten erhalten. Wie verschieden sie auch
sind, dennoch sind sie beide Kinder im Reiche der Schönheit.“

Und der Sonnenstrahl küßte die arme Blume und küßte den blühenden
Apfelzweig, dessen Blätter dabei zu erröten schienen.



Das Feuerzeug.

  [Abbildungen/Illustrations: pic21.jpg, pic23.jpg, pic24.jpg]


Ein Soldat kam auf der Landstraße daher marschiert. Er trug einen
Tornister und einen Säbel, weil er im Kriege gewesen war. Da begegnete
er einer alten Hexe, die entsetzlich häßlich war. Sie sagte: „Guten
Abend, Soldat! Was für einen großen Säbel und zierlichen Tornister du
doch hast! Du bist ein echter Soldat!“

„Schönen Dank, alte Hexe,“ sagte der Soldat.

„Siehst du dort den Baum?“ fragte die Hexe. „Er ist innen hohl. Wenn du
ihn bis zum Gipfel ersteigst, erblickst du ein Loch, durch welches du
hinabgleiten und bis tief in den Baum hinunterkommen kannst. Ich werde
dir einen Strick um den Leib binden, um dich wieder heraufziehen zu
können, sobald du mich rufst!“

„Was soll ich denn da unten im Baume?“ fragte der Soldat ganz
verwundert.

„Geld holen!“ sagte die Hexe. „Du mußt wissen, sobald du auf den Boden
des Baumes hinunterkommst, so befindest du dich in einem langen Gange;
dort ist es ganz hell, weil da über hundert Lampen brennen. Dann
gewahrst du drei Thüren. Du kannst sie öffnen, der Schlüssel steckt
darin. Gehst du in die erste Kammer hinein, so erblickst du mitten auf
dem Fußboden eine große Kiste, auf welcher ein Hund sitzt. Er hat Augen
so groß wie Gänseeier, aber darum darfst du dich nicht kümmern! Ich gebe
dir meine blau karrierte Schürze, die kannst du auf den Fußboden
ausbreiten; packe dann den Hund, setze ihn auf meine Schürze, öffne die
Kiste und nimm, so viel Geld du willst. Es ist lauter Kupfer; willst du
aber lieber Silber haben, so mußt du in das nächste Zimmer hineintreten;
dort sitzt ein Hund, der Augen hat so groß wie Mühlräder; aber darum
brauchst du dich nicht zu kümmern, setze ihn nur auf meine Schürze und
nimm dir von dem Gelde. Willst du dagegen Gold haben, so kannst du es
auch bekommen, so viel du nur zu tragen vermagst, wenn du in die dritte
Kammer hineingehst. Allein der Hund, welcher hier auf der Geldkiste
sitzt, hat Augen, jedes so groß wie ein runder Turm. Aber darum brauchst
du dich nicht zu kümmern. Setze ihn nur auf meine Schürze, so thut er
dir nichts, und nimm aus der Kiste, so viel Gold du willst.“

„Nicht übel,“ sagte der Soldat. „Aber du willst doch auch was von dem
Gelde haben?“

„Nein,“ antwortete diese, „nicht einen Pfennig. Hole mir nur das alte
Feuerzeug, welches meine Großmutter vergaß, als sie zum letztenmale
unten war.“

„Gut,“ sagte der Soldat, „knüpfe mir dann den Strick um den Leib.“

„Hier ist er,“ sagte die Hexe, „und hier ist meine blau karrierte
Schürze!“

So kletterte denn der Soldat den Baum hinauf, glitt dann durch das Loch
hinunter und stand nun in dem großen Gange, wo die vielen hundert Lampen
brannten. Dann öffnete er die erste Thür. Uh! da saß der Hund mit Augen
so groß wie Gänseeier, und glotzte ihn an.

Der beherzte Soldat setzte ihn gleich auf die Schürze der Hexe und
füllte seine Taschen mit Kupfergeld, verschloß die Kiste, setzte den
Hund wieder hinauf und ging in das andere Zimmer. Potztausend! da saß
der Hund mit Augen so groß wie Mühlräder.

„Glotz mich nicht so an,“ sagte der Soldat und setzte den Hund auf die
Schürze. Als er aber das viele Silbergeld sah, warf er alles Kupfergeld
fort und füllte sich die Taschen und den Tornister mit Silber. Dann ging
er in die dritte Kammer, wo der Hund war mit Augen so groß wie ein
runder Turm.

„Guten Abend,“ sagte der Soldat, hob den Hund herunter und öffnete die
Kiste. Was sah er da für eine Menge Gold! Man hätte können ganz
Kopenhagen und die Zuckerferkel, Zinnsoldaten, Peitschen und
Schaukelpferde der ganzen Welt dafür kaufen. Nun warf der Soldat alles
Silbergeld, womit er seine Taschen und seinen Tornister gefüllt hatte,
fort und nahm statt dessen Gold, ja alle Taschen, der Tornister, der
Tschako und die Stiefel wurden angefüllt, so daß er kaum gehen konnte.
Nun hatte er Geld! Den Hund setzte er auf die Kiste, schlug die Thür zu
und rief dann durch den Baum hinauf:

„Zieh mich nun empor, alte Hexe!“

„Hast du denn auch das Feuerzeug?“ fragte die Hexe.

„Wahrhaftig,“ sagte der Soldat, „das hatte ich rein vergessen,“ und nun
ging er und nahm es. Die Hexe zog ihn empor und wie er wieder vom Baume
herabstieg, da purzelten nur so die Goldstücke aus Taschen, Stiefeln und
Tornister, so voll waren sie bis obenan.

„Was willst du denn mit dem Feuerzeug?“ fragte der Soldat, als er nun
wieder auf den Beinen stand.

„Das geht dich nichts an!“ sagte die Hexe, „du hast ja Geld bekommen,
gieb mir jetzt nur das Feuerzeug.“

„Larifari!“ sagte der Soldat; „gleich sagst du mir, was du damit willst,
oder ich ziehe meinen Säbel und dann soll es dir schlecht bekommen!“

„Nein!“ sagte die Hexe.

Da wollte der Soldat mit dem Säbel nach ihr schlagen, aber ehe es dazu
kam, lag sie schon mausetot da. Er aber band all sein Geld in ihre
Schürze, nahm diese wie ein Bündel auf den Rücken, steckte das Feuerzeug
in die Tasche und ging geraden Weges nach der Stadt.

Im besten Wirtshaus kehrte er ein, verlangte die besten Speisen und
wohnte in den schönsten Zimmern, denn aus dem armen Soldaten war nun ein
vornehmer Herr geworden. Man erzählte ihm von allen Herrlichkeiten der
Stadt und von dem Könige und wie reizend seine Tochter, die Prinzessin
sei.

„Wo kann man sie zu sehen bekommen?“ fragte der Soldat.

„Niemand darf sie sehen,“ war die Antwort. „Sie wohnt in einem großen
kupfernen Schlosse, ringsum durch viele Mauern und Türme geschützt.
Niemand außer dem Könige darf bei ihr aus- und eingehen, weil geweissagt
ist, daß sie mit einem ganz gemeinen Soldaten verheiratet werden wird,
und das kann der König nicht dulden.“

„Ich möchte sie wohl sehen!“ dachte der Soldat, aber dazu bekam er ja
keine Erlaubnis.

Nun lebte er lustig in den Tag hinein. Da er aber jeden Tag nur Geld
ausgab und nie etwas einnahm, so hatte er zuletzt nur noch zwei Pfennig
übrig, und mußte aus den prächtigen Zimmern, die er bisher bewohnt
hatte, in ein gar ärmliches Stübchen unterm Dache ziehen, mußte sich
seine Stiefeln selbst bürsten und mit einer Stopfnadel zusammennähen und
keiner seiner Freunde kam zu ihm, weil man so viele Treppen zu ihm
hinaufzusteigen hatte.

Es war ein ganz dunkler Abend, und er konnte sich nicht einmal ein Licht
kaufen; da erinnerte er sich plötzlich, daß sich noch ein Lichtstumpf in
dem Feuerzeuge befinden müßte, welches er aus dem hohlen Baume
mitgenommen hatte.

Er holte das Feuerzeug, aber als er Feuer schlug, sprang die Thüre auf
und der Hund mit den Augen wie Gänseeier stand vor ihm. „Was befiehlt
mein Herr?“ fragte er. „Ei, das ist ein drolliges Feuerzeug!“ rief der
Soldat. „Schaffe mir Geld!“ befahl er dem Hunde und -- wips war er fort
-- wips -- war er wieder da und hielt einen großen Beutel voll Geld in
seiner Schnauze.

Nun wußte der Soldat, was das für ein prächtiges Feuerzeug war! Schlug
er einmal, so kam der Hund, welcher auf der Kiste mit dem Kupfergeld
saß; schlug er zweimal, so kam der, welcher das Silbergeld hatte, und
schlug er dreimal, so kam der, welcher das Gold hatte.

Da dachte er auch sogleich an die Prinzessin: „Es ist doch kurios, daß
man sie nicht zu sehen bekommt! Sie soll so schön sein, behauptet jeder,
aber was kann ihr das nützen, wenn sie immer in dem großen
Kupferschlosse sitzen muß. Kann ich sie denn gar nicht zu sehen
bekommen? -- Halt! -- Mein Feuerzeug!“ Nun schlug er Feuer, und -- wips
-- kam der Hund mit Augen so groß wie Gänseeier.

„Es ist zwar mitten in der Nacht,“ sagte der Soldat, „aber ich möchte
doch gar zu gern die Prinzessin sehen, nur einen kleinen Augenblick!
Willst du sie mir verschaffen?“

Der Hund war gleich aus der Thüre, und ehe es der Soldat dachte, sah er
ihn schon mit der Prinzessin wieder. Sie saß und schlief auf des Hundes
Rücken und war so schön, daß man sehen konnte, daß es eine wirkliche
Prinzessin war. Der Soldat war ganz überglücklich und konnte sich nicht
enthalten, sie zu küssen. Gleich darauf lief der Hund mit der Prinzessin
wieder zurück.

Am andern Morgen zog der Soldat wieder in die prächtigen Zimmer
hinunter, zeigte sich in guten Kleidern und da erkannten ihn alle seine
guten Freunde wieder und hielten natürlich große Stücke auf ihn.

Zu gleicher Zeit, als der König und die Königin beim Frühstück saßen,
sagte die Prinzessin, sie hätte in der Nacht einen ganz wunderlichen
Traum von einem Hunde und einem Soldaten gehabt. Sie wäre auf dem Hunde
geritten und der Soldat hätte sie geküßt.

„Das wäre eine schöne Geschichte!“ sagte die Königin.

Nun sollte eine der alten Hofdamen in der nächsten Nacht am Bette der
Prinzessin wachen, um zu sehen, ob es ein wirklicher Traum wäre, oder
was es sonst sein könnte.

In der Nacht kam auch richtig der Hund, nahm die schöne Prinzessin und
lief, was er nur laufen konnte, allein die alte Hofdame zog
Wasserstiefel an und lief ebenso schnell hinterher. Als sie nun sah, daß
sie in einem großen Hause verschwanden, dachte sie: „Nun weiß ich, wo es
ist!“ und zeichnete mit einem Stück Kreide ein großes Kreuz an die
Thüre. Darauf ging sie heim und legte sich nieder und auch der Hund kam
mit der Prinzessin wieder. Als er aber sah, daß ein Kreuz auf die Thüre,
wo der Soldat wohnte, gezeichnet war, nahm er ebenfalls ein Stück Kreide
und machte auf alle Thüren der ganzen Stadt Kreuze. Und das war klug
gethan, denn nun konnte ja die Hofdame die richtige Thüre nicht finden,
da an allen Kreuze waren.

Früh Morgens kam der König und die Königin, die alte Hofdame und alle
Offiziere, um zu sehen, wo die Prinzessin gewesen war.

„Da ist es!“ sagte der König, als er die erste mit einem Kreuze
bezeichnete Thüre erblickte.

„Nein, dort ist es!“ sagte die Königin, als sie die zweite Thüre mit dem
Kreuzzeichen bemerkte.

„Aber da ist eins und dort ist eins!“ riefen sie sämtlich; wohin sie
sahen, waren Kreuze an den Thüren. Da sahen sie denn wohl ein, daß alles
Suchen vergeblich wäre.

Aber die Königin war eine außerordentlich kluge Frau. Sie nähte einen
kleinen Beutel, den füllte sie mit feiner Buchweizengrütze, band ihn der
Prinzessin auf den Rücken und schnitt darauf ein kleines Loch in den
Beutel, so daß die Grütze den ganzen Weg, den die Prinzessin passierte,
bestreuen konnte.

Nachts kam der Hund wieder, nahm die Prinzessin auf seinen Rücken und
lief mit ihr zu dem Soldaten, der so gern ein Prinz gewesen wäre, um sie
heimführen zu können.

Der Hund merkte durchaus nicht, wie die Grütze über den ganzen Weg vom
Schlosse bis zu dem Fenster, wo er mit der Prinzessin die Mauer
hinauflief, verstreut wurde. Nun sahen es des Morgens der König und die
Königin deutlich, wo ihre Tochter des Nachts gewesen war, und da machten
sie kurzen Prozeß mit dem Soldaten und warfen ihn ins Gefängnis.

Ach, wie finster und langweilig war es darin! Auch sagte man ihm:
„Morgen wirst du gehängt werden!“ Das war just nicht vergnüglich zu
hören, und dazu hatte er sein Feuerzeug daheim im Wirtshause gelassen.
Am Morgen konnte er durch das Eisengitter vor seinem kleinen Fenster
sehen, wie das Volk aus der Stadt herbeieilte, ihn hängen zu sehen. Er
hörte die Trommeln und sah die Soldaten marschieren. Alle Leute waren
auf den Beinen; dabei war auch ein Schusterjunge mit Schurzfell und
Pantoffeln; er galoppierte so eilig, daß ihm ein Pantoffel abflog und
gerade gegen die Mauer, hinter welcher der Soldat saß und durch das
Eisengitter hinausschaute.

„Hör einmal, Schusterjunge! Du brauchst dich nicht so zu beeilen,“ sagte
der Soldat zu ihm, „es wird doch nichts daraus, bevor ich komme. Willst
du aber in meine frühere Wohnung laufen und mir mein Feuerzeug holen, so
sollst du vier Groschen bekommen. Aber lauf und nimm die Beine in die
Hand!“ Der Schusterjunge wollte gern das Geld haben und eilte
pfeilgeschwind nach dem Feuerzeuge, gab es dem Soldaten und -- --
ja nun werden wir es zu hören bekommen.

Außerhalb der Stadt war ein großer Galgen aufgemauert, ringsum standen
die Soldaten und viele hunderttausend Menschen. Der König und die
Königin saßen auf einem prächtigen Throne, den Richtern und dem ganzen
Rate gerade gegenüber.

Schon stand der Soldat oben auf der Leiter, als man ihm aber den Strick
um den Hals legen wollte, bat er, man möge ihn doch noch eine Pfeife
Tabak rauchen lassen.

Das wollte ihm nun der König nicht abschlagen, und so nahm der Soldat
sein Feuerzeug und schlug Feuer, ein, zwei, dreimal. Siehe! da standen
alle Hunde da, der mit Augen so groß wie Gänseeier, der mit den Augen
wie Mühlräder, und der, welcher Augen hatte so groß wie ein runder Turm.

„Helft mir, daß ich nicht gehängt werde!“ sagte der Soldat, und da
stürzten sich die Hunde auf die Richter und den ganzen Rat, ergriffen
den einen bei den Beinen, den andern bei der Nase und warfen sie viele
Klaftern hoch in die Luft, so daß sie beim Niederfallen in Granatstücke
zerschlagen wurden.

„Ich will nicht!“ sagte der König, aber der größte Hund nahm sowohl ihn
wie die Königin und warf sie allen anderen nach. Da erschraken die
Soldaten und alles Volk schrie: „Lieber Soldat, du sollst unser König
sein und die schöne Prinzessin haben!“

Darauf setzte man den Soldaten in des Königs Carosse, und alle drei
Hunde tanzten voran und riefen: „Hurrah!“ und die Jungen pfiffen auf den
Fingern und die Soldaten präsentierten. Die Prinzessin kam aus dem
kupfernen Schlosse heraus und wurde Königin und das gefiel ihr gar wohl.
Die Hochzeit währte acht Tage und die drei Hunde saßen mit an der
Hochzeitstafel und machten große Augen.



Das häßliche Entlein.

  [Abbildungen/Illustrations: pic28.jpg, pic30.jpg, tafel3.jpg]


Auf dem Lande draußen war es herrlich. Es war ja Sommer! Auf den Wiesen
stand das Heu in Schobern und dort stelzte der Storch auf seinen roten
Beinen umher und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von
seiner Mutter gelernt.

Um den Acker und die Wiesen zogen sich große Wälder und mitten in
denselben befanden sich tiefe Seen. O, es war herrlich da draußen auf
dem Lande! Mitten im warmen Sonnenscheine lag da ein altes Rittergut,
von tiefen Kanälen umgeben, und von der Mauer an bis zum Wasser hinunter
wuchsen dort große Klettenblätter, die so hoch waren, daß unter den
größten kleine Kinder aufrecht stehen konnten. Darin war es gerade so
wild wie im tiefsten Walde. Hier lag eine Ente auf ihrem Neste, um ihre
Jungen auszubrüten, aber jetzt war sie dessen fast überdrüssig, weil es
doch gar zu lange dauerte und sie dabei so selten Besuch bekam.

Endlich platzte ein Ei nach dem andern. „Pip, pip!“ sagte es, alle
Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus.

„Rap, Rap! Eilt, eilt!“ rief sie, und da rappelten und beeilten sie sich
nach Kräften und guckten unter den grünen Blättern nach allen Seiten
umher.

„Wie groß ist doch die Welt!“ sagten alle Jungen; denn freilich hatten
sie jetzt ganz anders Platz als zu der Zeit, da sie noch drinnen im Ei
lagen.

„Glaubt denn das Gelbschnäbelchen, das sei schon die ganze Welt!“ sagte
die Mutter. „Die geht noch weit über die andere Seite des Gartens hinaus
bis in das Feld des Pfarrers; da bin ich indes noch nie gewesen! -- --
Ihr seid doch alle hübsch beisammen!“ setzte sie hinzu und erhob sich.
„Nein, ich habe noch nicht alle! Das größte Ei liegt immer noch da! Wie
lange soll denn das noch dauern? Nun habe ich es wirklich bald satt!“
Und dann legte sie sich wieder.

„Nun, wie geht es?“ fragte eine alte Ente, die auf Besuch gekommen war.

„Es dauert mit dem einen Ei so lange!“ sagte die Ente, welche brütete.
„Es zeigt sich noch kein Loch in demselben. Aber nun sollst du die
andern sehen. Es sind die hübschesten jungen Enten, die ich je gesehen
habe.“

„Zeige mir doch das Ei, welches nicht bersten will,“ meinte die Alte.
„Verlaß dich darauf, es ist ein Putenei. So bin ich auch einmal genarrt
worden und ich hatte meine liebe Not mit den Jungen, denn sie fürchteten
sich vor dem Wasser, kann ich dir sagen. Erst konnte ich sie gar nicht
ausbekommen, so viel ich auch rappte und schnappte, ermahnte und
nachhalf! -- Laß mich doch das Ei sehen! Ja, das ist ein Putenei! Laß es
liegen und lehre lieber deine andern Kinder schwimmen!“

„Ich will doch noch ein wenig darauf liegen bleiben!“ entgegnete die
Ente. „Habe ich nun so lange gelegen, kommt es auf etwas länger auch
nicht an!“

„Jeder nach seinem Geschmack!“ sagte die alte Ente und nahm Abschied.

Endlich platzte das große Ei. „Pip, Pip!“ sagte das Junge und kroch
heraus. Es war sehr groß und auffallend häßlich. Die Ente besah es sich.
„Das ist ja ein entsetzlich großes Entlein!“ sagte sie. „Keines von den
andern sieht so aus. Sollte es wirklich eine junge Pute sein? Nun, da
wollen wir bald dahinterkommen! In das Wasser muß es, und sollte ich es
selbst hineinstoßen!“

Am nächsten Tage war prächtiges herrliches Wetter! Die Sonne schien
brennend heiß auf alle die grünen Kletten hernieder. Die Entleinmutter
erschien mit ihrer ganzen Familie am Kanale.

„Platsch!“ sprang sie in das Wasser. „Rap, rap!“ rief sie und ein
Entlein nach dem andern plumpste hinein. Das Wasser schlug ihnen über
dem Kopf zusammen, aber sie tauchten gleich wieder empor und schwammen
stolz dahin, die Beine bewegten sich von selbst und alle waren sie in
dem nassen Elemente, selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit.

„Nein, das ist keine Pute!“ sagte sie. „Sieh nur Einer, wie hübsch es
die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält. Rap, rap! Ich werde euch
im Entenhofe vorstellen, aber haltet euch immer in meiner Nähe, damit
euch Niemand trete, und nehmt euch vor der Katze in Acht!“

Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Ein erschrecklicher Lärm
herrschte drinnen, denn zwei Familien bekämpften sich um einen Aalkopf,
und trotzdem bekam ihn die Katze.

„Seht, so geht es in der Welt zu!“ sagte die Entleinmutter, und
schnappte mit dem Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben.
„Gebraucht nun eure Beine,“ sagte sie, „seht zu, daß ihr euch etwas
beeilt und neigt den Hals vor der alten Ente dort. Sie ist die
vornehmste von allen hier. Spanisches Blut rollt in ihren Adern,
deshalb ist sie so schwerfällig. Wie ihr seht, trägt sie einen roten
Lappen um das Bein. Das ist etwas unvergleichlich Schönes und die
höchste Auszeichnung, welche je eine Ente erhalten kann. Ein
wohlgezogenes Entlein setzt die Beine weit auseinander, gerade wie
Vater und Mutter! Seht so! Neigt nun euren Hals und sagt: „Rap!““

Und das thaten sie. Aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie
und sprachen: „Seht nur einmal! Nun sollen wir die Sippschaft auch noch
bekommen, als ob wir nicht schon genug wären! Pfui, wie das eine Entlein
aussieht! Das wollen wir nicht unter uns dulden!“ Und sogleich flog eine
Ente hin und biß es in den Nacken.

„Laß es zufrieden!“ sagte die Mutter, „es thut ja niemand etwas!“

„Aber es ist so groß und so seltsam,“ sagte die Ente, welche es gebissen
hatte, „und deshalb muß es weggejagt werden!“

„Das sind schöne Kinder, die Mütterchen hat!“ sagte herablassend die
alte Ente mit dem Lappen um den Fuß. „Sämtlich schön mit Ausnahme des
einen, welches mißglückt ist! Ich wünschte, sie könnte es umbrüten!“

„Das geht nicht, Ihro Gnaden!“ sagte die Entleinmutter. „Es ist nicht
hübsch, aber es hat ein sehr gutes Gemüt und schwimmt ebenso
vortrefflich wie eines der andern, ja ich darf sagen, fast noch etwas
besser. Ich denke, es wird sich auswachsen oder mit der Zeit kleiner
werden. Außerdem ist’s ja ein Enterich und da schadet ihm die
Häßlichkeit nicht so viel.“

„Die anderen Entlein sind ja ganz niedlich!“ sagte die Alte. „Thut nun,
als ob ihr zu Hause wäret, und findet ihr einen Aalkopf, so könnt ihr
mir ihn bringen!“

Und so waren sie wie zu Hause.

Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen und so
häßlich war, wurde gebissen, gepufft und gehänselt von den Enten wie von
den Hühnern. „Es ist zu groß,“ sagten sie allesamt, und der Puterhahn,
der mit Sporen geboren war, und deshalb in dem Wahne stand, daß er
Kaiser wäre, blies sich wie ein Schiff mit vollen Segeln auf, ging
gerade auf dasselbe zu, kollerte und wurde ganz rot am Kopfe. Das arme
Entlein wußte weder, wie es stehen, noch wie es gehen sollte. Es war
betrübt, daß es so häßlich aussah und dem ganzen Entenhofe zum Gespötte
diente.

So ging es den ersten Tag und später wurde es schlimmer und schlimmer.
Das arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister waren
recht unartig und sagten oft zu ihm: „Wenn dich nur die Katze holen
wollte, du garstiges Ding!“ und die Mutter seufzte: „Wärest du nur weit
fort!“ Die Enten bissen es, die Hühner hackten es und die Futtermagd
stieß es mit dem Fuße.

Da lief und flog es über den Zaun; die Vöglein in den Büschen erhoben
sich erschrocken in die Luft. „Daran ist meine Häßlichkeit schuld!“
dachte das Entlein und schloß die Augen, lief aber trotzdem weiter. So
gelangte es bis zu einem großen Moore, in dem die wilden Enten wohnten.
Hier lag es die ganze Nacht, denn es war sehr müde und traurig.

Am Morgen flogen die wilden Enten auf und erblickten den neuen
Kameraden. „Was bist du denn für ein Landsmann?“ fragten sie, und das
Entlein drehte sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.

„Du bist abschreckend häßlich!“ sagten die wilden Enten, „aber das kann
uns einerlei sein, wenn du nur nicht in unsere Familie hineinheiratest!“
Das Arme, es dachte wahrlich nicht ans Heiraten. Ihm war nur daran
gelegen, die Erlaubnis zu erhalten, im Schilfe zu liegen und Moorwasser
zu trinken.

Zwei ganze Tage lang hatte es da gelegen, als zwei wilde Gänse oder
vielmehr Gänseriche dorthin kamen. Sie waren noch nicht gar lange aus
dem Ei gekrochen und deshalb auch etwas vorschnell.

„Höre, Kamerad, du bist so häßlich, daß du förmlich hübsch bist und wir
dich gut leiden können. Willst du zu uns halten und Zugvogel sein?“
fragten sie.

„Piff, Paff!“ knallte es da plötzlich und beide wilde Gänseriche fielen
tot in das Schilf hinab und das Wasser wurde rot von Blut. „Piff, paff!“
knallte es abermals und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem
Schilfe auf, und dann knallte es wieder. Es war große Jagd; die Jäger
lagen rings um das Moor herum, ja, einige saßen oben in den Baumzweigen,
welche sich weit über das Röhricht hinstreckten. Der blaue Pulverdampf
zog wie Wolken durch die dunklen Bäume hindurch und ruhte weit über dem
Wasser. In den Sumpf drangen die Jagdhunde hinein. Was war das für ein
Schreck für das arme Entlein! Es drehte den Kopf, um ihn unter die
Flügel zu stecken, als in demselben Augenblicke ein fürchterlich großer
Hund dicht vor ihm stand; die Zunge hing dem Tiere ganz lang aus dem
Halse und die Augen funkelten gräßlich. Er berührte das Entlein fast mit
der Schnauze, wies die scharfen Zähne und -- platsch! zog er sich
zurück, ohne es zu packen.

„Gott sei Dank!“ seufzte das Entlein, „ich bin so häßlich, daß mich
selbst der Hund nicht beißen mag!“

So lag es denn ganz still, während die Schrotkörner in das Schilf
sausten und Schuß auf Schuß knallte.

Erst am späten Nachmittage wurde es still, aber das arme Junge wagte
noch nicht sich zu erheben. Es wartete noch mehrere Stunden, ehe es sich
umschaute, und dann eilte es, so schnell es konnte, aus dem Moore
weiter.

Gegen Abend erreichte es ein erbärmliches Bauernhäuschen, welches in so
traurigem Zustande war, daß es selbst nicht wußte, nach welcher Seite es
fallen sollte, und so blieb es stehen. Der Sturm sauste dermaßen um das
wilde Entlein, daß es sich setzen mußte, um Widerstand zu leisten. Und
es wurde immer schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, daß sich die
Thüre aus der einen Angel gehoben hatte und so schief hing, daß es durch
die Spalte in die Stube hineinschlüpfen konnte und das that es.

Hier wohnte eine alte Frau mit ihrem Kater und ihrem Huhne; der Kater,
welchen sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und spinnen.
Selbst Funken konnte man ihm entlocken, wenn man ihn im Dunkeln gegen
die Haare strich. Das Huhn hatte sehr kleine niedrige Beine und wurde
deshalb Kurzbeinchen genannt.

Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein und der Kater begann
zu spinnen und das Huhn zu klucken.

„Was ist das!“ rief die Frau und schaute sich um, da sie aber nicht gut
sah, hielt sie das Entlein für eine fette Ente. „Das ist ja ein
sonderbarer Fang!“ sagte sie, „nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es
nur kein Enterich ist! Das müssen wir erproben.“

So wurde denn das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen, aber
Eier kamen nicht.

Nun war der Kater der Herr im Hause und das Huhn war die Frau.

„Kannst du Eier legen?“ fragte es.

„Nein!“ -- „Nun gut, dann hast du hier im Hause nichts zu sagen!“

Und der Kater sagte: „Kannst du einen Buckel machen, kannst du spinnen,
kannst du Funken sprühen?“ -- „Nein!“ -- „Dann darfst du auch durchaus
keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!“

  [Farbtafel/Plate]

Und das Entlein saß im Winkel und war schlechter Laune. Da dachte es
unwillkürlich an die frische Luft und den Sonnenschein und bekam eine so
eigentümliche Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß es sich endlich
nicht länger enthalten konnte, es dem Huhne anzuvertrauen.

„Was sprichst du da?“ fragte dasselbe. „Du hast nichts zu thun, deshalb
plagen dich so seltsame Launen. Lege Eier oder spinne, dann gehen sie
vorüber!“

„Aber es ist herrlich, auf dem Wasser zu schwimmen!“ entgegnete das
Entlein, „herrlich, sich den Kopf in den Fluten zu kühlen oder auf den
Grund niederzutauchen!“

„Ja, das muß wirklich ein prächtiges Vergnügen sein!“ sagte das Huhn
spöttisch, „bist du denn närrisch geworden! Frage einmal den Kater, der
ist der Klügste, den ich kenne, ob es ihm so angenehm vorkommt, auf dem
Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen!“

„Ihr versteht mich nicht!“ sagte das Entlein.

„Wenn wir dich nicht verstehen, wer sollte dich dann wohl verstehen!
Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater und ich. Sieh
jetzt nur zu, daß du Eier legst und spinnen und Funken sprühen lernst!“

„Ich glaube, ich gehe in die weite Welt hinaus!“ sagte das Entlein.

„Ja, thue das!“ entgegnete das Huhn.

So ging denn das Entlein. Es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter,
aber von allen Tieren wurde es um seiner Häßlichkeit willen übersehen.

Jetzt erschien der Herbst; die Blätter im Walde wurden gelb und braun,
der Sturm entführte sie und wirbelte sie umher und oben in der Luft
machte sich die Kälte bemerkbar. Die Wolken hingen schwer von Hagel und
Schneeflocken, und auf dem Zaune stand ein Rabe und schrie: „Au, au!“
vor lauter Kälte. Ja, man konnte schon ordentlich frieren, wenn man nur
daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut.

Eines Abends, die Sonne ging gerade wunderbar schön unter, kam ein
ganzer Schwarm prächtiger, großer Vögel aus dem Gebüsch hervor, wie sie
das Entlein noch nie so schön gesehen hatte. Sie waren blendend weiß und
hatten lange geschmeidige Hälse; es waren _Schwäne_. Sie stießen einen
merkwürdigen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, großen Schwingen aus
und flogen aus den kalten Gegenden fort nach wärmeren Ländern, nach
offenen Seen. Sie stiegen so hoch, so hoch, daß dem häßlichen jungen
Entlein ganz seltsam dabei zu Mute wurde.

Es konnte die prächtigen, die glücklichen Vögel nicht vergessen, und
sobald es sie nicht mehr wahrnahm, tauchte es bis auf den Grund unter,
und geriet, als es wieder emporkam, förmlich außer sich. Es wußte nicht,
wie die Vögel hießen, noch wohin sie zogen, aber doch hatte es dieselben
lieb wie nie jemand zuvor. Neid kam gleichwohl nicht in sein Herz. Wie
hätte ihm auch nur in den Sinn kommen können, sich eine solche Schönheit
zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen, wenn nur die Enten es hätten
unter sich dulden wollen; -- das arme häßliche Tier.

Und der Winter wurde so kalt, so kalt! Das Entlein mußte unermüdlich
umherschwimmen, um das Zufrieren des Wassers zu verhindern. Aber jede
Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, schmäler und schmäler. Es war
eine Kälte, daß die Eisdecke krachte. Das Entlein mußte fortwährend die
Beine gebrauchen, damit sich das Loch nicht völlig schloß. Endlich wurde
es matt, lag ganz still und fror so im Eise fest.

In der Frühe des folgenden Morgens kam ein Bauer, der das arme Tier
gewahrte. Er ging hin, zerschlug das Eis mit seinem Holzschuh, rettete
es und trug es heim zu seiner Frau. Da lebte es wieder auf.

Die Kinder wollten mit demselben spielen. Da aber das Entlein glaubte,
sie wollten ihm wehe thun, fuhr es in der Angst gerade in eine
Milchschüssel, so daß die Milch in der Stube umherspritzte. Dann flog
das Entlein auf das Gestell, auf welchem die Butter aufbewahrt wurde und
von hier in die Mehltonne hinein und dann wieder in die Höhe. Da könnt
ihr euch denken, wie es aussah! Die Frau schrie und schlug mit der
Feuerzange nach demselben, die Kinder liefen einander über den Haufen
und lachten und lärmten. Nur gut, daß die Thüre offen stand; so konnte
sich das Entlein zwischen die Sträucher in den frischen Schnee hinaus
retten, und da lag es nun bis auf den Tod erschöpft.

Allein, es würde wahrlich zu traurig sein, all die Not zu erzählen,
welche das Entlein in dem harten Winter auszustehen hatte. -- Es lag
zwischen dem Röhricht im Moor, als die Sonne wieder warm zu scheinen
begann; die Lerchen sangen, der Lenz war da.

Da entfaltete es mit einem male seine Schwingen, stärker sausten sie als
zuvor und trugen es kräftig vorwärts, und ehe dasselbe es recht wußte,
befand es sich in einem großen Garten, wo die Äpfelbäume in voller Blüte
standen, wo die Fliedersträuche dufteten und ihre langen, grünen Zweige
zu den sich sanft dahinschlängelnden Bächen und Kanälen
herniedersenkten! O wie war es hier so köstlich, so frühlingsfrisch! Und
gerade vor ihm kamen aus dem Dickicht drei schöne, weiße Schwäne
angeschwommen; mit gekräuseltem Gefieder glitten sie leicht und
majestätisch über das Wasser dahin. Das Entlein erkannte die schönen
Tiere und wurde von einer eigentümlichen Schwermut ergriffen.

„Ich will hinfliegen zu ihnen, den königlichen Vögeln, und sie werden
mich tot beißen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern
wage. Aber besser von ihnen getötet, als von den Enten gezwackt, von den
Hühnern gepickt, von der Hühnermagd gestoßen zu werden und im Winter
alles mögliche Weh über sich ergehen zu lassen!“ Und es flog auf das
Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen, die mit gesträubten
Federn auf dasselbe losschossen.

„Tötet mich nur!“ sagte das arme Tier, neigte sein Haupt gegen den
Wasserspiegel und erwartete den Tod, -- aber was sah es in dem klaren
Wasser? Es sah unter sich sein eigenes Bild, aber es war nicht mehr ein
plumper, schwarzgrauer Vogel, häßlich und Abscheu erweckend, es war
selbst ein schneeweißer _Schwan_ mit stolzem Gefieder.

Es thut nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in
einem Schwanenei gelegen hat! -- Nun fühlte es sich glücklich über alle
die Not und Widerwärtigkeit, welche es ausgestanden hatte. Nun verstand
es erst, sein Glück und all die Herrlichkeit zu würdigen, die es überall
begrüßte. -- Und die großen Schwäne kamen herbei und streichelten es mit
dem Schnabel.

Da traten einige kleine Kinder in den Garten. Sie warfen Brot und Körner
in das Wasser, und das Kleinste rief: „Seht, da ist ein neuer!“ Und
jubelnd stimmten die andern Kinder ein: „Ein neuer, ein neuer Schwan ist
gekommen!“

Sie klatschten in die Hände, tanzten umher, holten Vater und Mutter
herbei und es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen und sie
sagten alle: „Der neue ist der schönste, so jung und majestätisch!“ Und
die alten Schwäne verneigten sich vor ihm.

Da überschlich ihn Schüchternheit und Verschämtheit und er verbarg den
Kopf unter den Flügeln; es war ihm so eigen zu Mute, er wußte selbst
nicht wie. Er war allzuglücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein
gutes Herz wird niemals stolz. Er dachte daran, wie er verhöhnt worden
und hörte nun alle sagen, er wäre der schönste von allen schönen Vögeln.
Die Fliedersträuche neigten sich zu ihm in das Wasser hinunter, und die
Sonne schien warm und erquickend. Da sträubte er sein Gefieder, der
schlanke Hals erhob sich und aus Herzensgrunde jubelte er: „So viel
Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das _häßliche
Entlein_ war!“



Die Stopfnadel.

  [Abbildung/Illustration: capE.jpg]


Es war einmal eine Stopfnadel, die so fein und spitz war, daß sie sich
einbildete, eine Nähnadel zu sein.

„Seht jetzt nur darauf, daß ihr mich ordentlich festhaltet!“ sagte die
Stopfnadel zu den Fingern, welche sie hervorholten. „Laßt mich nicht
los! Falle ich auf den Boden, wird es kaum möglich sein, mich wieder zu
finden, so fein bin ich!“

„Nun, nun! Nur nicht zu viel des Eigenlobes!“ sagten die Finger und
faßten sie dann fest um den Leib.

„Seht ihr, ich komme mit Gefolge!“ rief die Stopfnadel und zog einen
langen Faden hinter sich her.

Die Finger lenkten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin,
dessen Oberleder einen Riß bekommen hatte und jetzt zusammengenäht
werden sollte.

„Das ist eine niedrige Arbeit!“ sagte die Stopfnadel, „ich komme nie
hindurch, ich zerbreche, ich zerbreche!“ -- und da zerbrach sie. „Habe
ich nicht oft genug wiederholt!“ jammerte sie, „daß ich zu fein bin!“

„Nun taugt sie zu nichts mehr!“ meinten die Finger, mußten sie aber doch
festhalten, die Köchin machte ihr einen Kopf aus Siegellack und steckte
sie dann vorn in ihr Tuch.

„Sieh, jetzt bin ich eine Busennadel!“ sagte die Stopfnadel; „ich wußte
wohl, daß ich zu Ehren kommen würde; aus Was wird Was!“ und dabei lachte
sie innerlich, denn äußerlich kann man es einer Stopfnadel nie ansehen,
daß sie lacht. Da saß sie nun so stolz, als führe sie in einer Kutsche
und blickte nach allen Seiten.

„Darf ich mir wohl erlauben, Sie zu fragen, ob Sie von Gold sind?“
fragte sie die Stecknadel, welche ihre Nachbarin war. „Sie haben ein
vortreffliches Äußeres und Ihren eigenen Kopf, wenn derselbe auch nur
klein ist. Sie müssen dafür Sorge tragen, daß sich derselbe auswächst,
denn man kann nicht allen das Ende mit Siegellack versehen!“ Dabei
richtete sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe, daß sie sich aus dem
Tuche löste und in die Gosse fiel, gerade als die Köchin das Spülicht
ausgoß.

„Nun gehen wir auf Reisen!“ sagte die Stopfnadel; doch da saß sie fest
in der Gosse. „Mein gutes Bewußtsein ist mir geblieben;“ damit tröstete
sie sich und hielt sich stramm und aufrecht.

Allerlei segelte über sie dahin, Holzstückchen, Stroh und
Zeitungspapier. „Sieh, wie sie dahinsegeln!“ sagte die Stopfnadel. „Sie
wissen nicht, was unter ihnen steckt! Ich stecke und sitze hier. Sieh,
da treibt jetzt ein Holzpflock, der denkt an nichts in der Welt als an
Pflöcke und Klötze und er ist selbst einer. Dort schwimmt ein Strohhalm;
sieh, wie er sich schwenkt, wie er sich dreht! Ich sitze geduldig und
still; ich weiß, was ich bin und das bleibe ich!“

Eines Tages gewahrte sie dicht an ihrer Seite einen glänzenden
Gegenstand, deswegen die Stopfnadel vermutete, daß es ein Diamant wäre;
aber es war nur ein gewöhnlicher Glasscherben. Da derselbe flimmerte,
redete ihn die Stopfnadel an und gab sich ihm als Busennadel zu
erkennen. „Sie sind wohl ein Diamant?“ -- „Ja, ich bin etwas
dergleichen!“ Und so hielten sie sich denn gegenseitig für sehr kostbare
Gegenstände und sprachen über den jetzigen Hochmut der Welt.

„Ich habe meine Wohnung in einer sehr feinen, bunten Schachtel gehabt,
welche einer Köchin gehörte,“ begann die Stopfnadel ihre Erzählung. „Sie
hatte an jeder Hand fünf Finger; aber obgleich dieselben nur da waren,
um mich zu halten und aus der Schachtel zu nehmen, so waren sie doch
erschrecklich eingebildet.“

„Zeichneten sie sich denn durch Glanz aus?“ fragte der Glasscherben.

„Durch Glanz?“ rief die Stecknadel aus, „nein, durch eitel Hochmut! Es
waren fünf Brüder, alle geborne „Finger“; in aufrechter Haltung hielten
sie sich stolz neben einander, obwohl ihre Länge sehr verschieden war.
Der Äußerste von ihnen, der Däumerling, war kurz und dick; er stand
nicht mit in Reih und Glied, sondern vor demselben und dann hatte er nur
ein Gelenk im Rücken, er konnte sich nur in einer Richtung verbeugen,
der Topflecker fuhr in Süßes und Saures, zeigte nach Sonne und Mond und
drückte auf die Feder, wenn sie schrieben; der Langemann überragte die
andern um Haupteslänge; der Ringhalter ging mit goldenen Reifen um den
Leib einher und der kleine Peter Spielmann that gar nichts und war
darauf noch stolz. Prahlerei war es und Prahlerei blieb es, und darum
warf ich mich in die Gosse.“

„Und nun sitzen wir beisammen und glänzen!“ sagte der Glasscherben.
Plötzlich strömte mehr Wasser in den Rinnstein, welches nun über den
Rand trat und den Glasscherben mit sich riß.

„Sieh, nun wurde der befördert!“ sagte die Stopfnadel. „Ich bleibe
sitzen, ich bin zu fein, aber das ist mein Stolz und der ist
achtungswert!“ So saß sie in aufrechter Haltung da und machte sich viele
Gedanken.

„Ich möchte fast annehmen, daß ich von einem Sonnenstrahl geboren bin,
so fein bin ich. Mich dünkt sogar, daß mich die Sonne fortwährend unter
dem Wasser sucht. Ach, ich bin so fein, daß mich die eigene Mutter nicht
finden kann. Hätte ich mein altes Auge noch, welches abbrach, ich
glaube, ich könnte Thränen vergießen. -- Nein, ich könnte es doch nicht
thun, weinen ist nicht fein.“

Eines Tages lagerten sich einige Gassenbuben neben dem Rinnsteine und
wühlten in demselben umher, wo sie alte Nägel, Kupferdreier und
dergleichen fanden.

„Au!“ schrie der eine, indem er sich an der Stopfnadel stach. „Das ist
ja ein schlimmer Bursche!“

„Ich bin kein Bursch, ich bin ein Fräulein!“ erwiederte die Stopfnadel,
aber niemand hörte es. Der Siegellack hatte sich abgelöst und deshalb
hielt sie sich für noch feiner als zuvor.

„Da kommt eine Eierschale angesegelt!“ sagten die Knaben und steckten
dann die Stopfnadel fest in die Schale.

„Weiße Wände und selbst schwarz!“ sagte die Stopfnadel, „das kleidet
gut! Nun kann man mich doch sehen! -- Wenn ich nur nicht seekrank werde,
denn sonst breche ich noch mehr!“ Aber sie wurde nicht seekrank und
brach nicht weiter.

„Es ist gegen die Seekrankheit doch gut, wenn man einen stählernen Magen
hat und dabei immer eingedenk bleibt, daß man etwas mehr als ein Mensch
ist! Bei mir ist es nun vorüber; je feiner man ist, destomehr kann man
aushalten!“ -- „Krach!“ stöhnte die Eierschale, während ein Lastwagen
über sie hinging. -- „Ach, wie das drückt!“ seufzte die Stopfnadel. „Nun
werde ich doch seekrank; ich breche, ich breche!“ Aber sie brach nicht,
trotzdem sie von einem Lastwagen überfahren wurde, sie lag der Länge
nach da -- und da mag sie liegen bleiben.



Tölpelhans.


Draußen auf dem Lande in einem alten Herrenhof lebte ein Gutsbesitzer,
der zwei so kluge Söhne hatte, daß sie um die Tochter des Königs freien
wollten und das durften sie, denn dieselbe hatte bekannt machen lassen,
daß sie denjenigen zum Gemahl nehmen wollte, der sich am gewandtesten
und klügsten mit ihr unterhalten könnte.

Die beiden bereiteten sich nun acht Tage lang vor. Längere Zeit
bedurften sie nicht dazu, denn sie hatten Vorkenntnisse und die sind
immer nützlich. Der eine wußte das ganze lateinische Lexikon und drei
Jahrgänge der städtischen Zeitung auswendig und zwar rückwärts wie
vorwärts. Der andere hatte sich mit sämtlichen Paragraphen aller
Zunftgesetze und mit dem, was jeder Zunftmeister wissen mußte, bekannt
gemacht. Auf diese Weise, meinte er, könnte er über Staats- und gelehrte
Sachen mitsprechen. Außerdem verstand er Tragebänder zu sticken, denn er
war fein und fingerfertig.

„Ich bekomme die Königstochter!“ sagten sie alle beide, und deshalb gab
ihr Vater jedem von ihnen ein schönes Pferd; der, welcher das Lexikon
und die Zeitungen auswendig wußte, bekam ein kohlschwarzes, und der,
welcher sich zunftmeisterlich gebahren und sticken konnte, erhielt ein
milchweißes. Als sie im Hofe zu Pferde steigen wollten, erschien der
dritte Bruder, denn es waren ihrer dreie, aber niemand zählte ihn als
Bruder mit, weil er nicht die gleiche erstaunliche Gelehrsamkeit besaß
wie die beiden anderen, und alle Welt nannte ihn nur _Tölpelhans_.

„Wo wollt ihr hin, daß ihr euch in den Bratenrock geworfen habt?“ fragte
er.

„An den Hof, um mit der Königstochter zu plaudern! Hast du nicht gehört,
was im ganzen Lande ausgetrommelt wird?“ und darauf erzählten sie es
ihm.

„Potztausend, da muß ich mit dabei sein!“ sagte Tölpelhans, und die
Brüder lachten ihn aus und ritten von dannen.

„Vater, gieb mir ein Pferd!“ rief Tölpelhans. „Ich bekomme solche Lust,
mich zu verheiraten. Nimmt sie mich, so nimmt sie mich, und nimmt sie
mich nicht, so nehme ich sie doch!“

„Was ist das für ein Geschwätz!“ sagte der Vater. „Dir gebe ich kein
Pferd. Du kannst ja nicht sprechen!“

„Soll ich kein Pferd bekommen,“ sagte Tölpelhans, „so nehme ich den
Ziegenbock, der gehört mir und ist im Stande mich zu tragen!“ Damit
setzte er sich rittlings auf den Ziegenbock, stieß ihm die Hacken in die
Seite und sprengte die Landstraße entlang. Hui, wie das ging! „Hier
komme ich!“ rief Tölpelhans und darauf sang er, daß es wiederhallte.

Die Brüder ritten aber ganz still voran; sie sprachen kein einziges
Wort, sie mußten alle die guten Einfälle, die sie vorbringen wollten,
noch einmal überlegen.

„Halloh! Halloh!“ rief Tölpelhans, „hier komme ich! Seht, was ich auf
der Landstraße fand!“ Mit diesen Worten zeigte er ihnen eine tote Krähe,
die er gefunden hatte.

„Tölpel!“ fuhren sie ihn an, „was willst du mit derselben?“

„Ich will sie der Königstochter schenken!“

„Ja, thue es!“ sagten sie, lachten und ritten weiter.

Da rief Tölpelhans wieder: „Halloh! Halloh! Hier komme ich! Seht, was
ich jetzt gefunden habe!“

Die Brüder wandten sich wieder um, sich den seltenen Schatz anzusehen.
„Tölpel!“ sagten sie, „das ist ja ein alter Holzschuh, von welchem der
obere Teil abgegangen ist! Soll die Königstochter den etwa auch haben?“

„Das soll sie!“ sagte Tölpelhans, und die Brüder lachten, ritten weiter
und kamen ihm eine große Strecke voraus.

„Halloh! Halloh! Hier bin ich!“ rief Tölpelhans.

„Was hast du wieder gefunden?“ fragten die Brüder.

„Oh!“ sagte Tölpelhans, „es ist eigentlich kein Gesprächsgegenstand! Wie
sie sich aber freuen wird, die Königstochter!“

„Pfui!“ sagten die Brüder, „das ist ja Schlamm, der aus dem
Straßengraben ausgeworfen ist.“

„Das stimmt!“ sagte Tölpelhans, „und er ist von der allerfeinsten Art,
daß man ihn gar nicht festhalten kann!“ und darauf füllte er sich die
Tasche damit an.

Aber die Brüder ritten, was das Zeug halten wollte, und überholten ihn
eine ganze Stunde. Sie hielten an dem Stadtthore, an welchem die Freier,
je nach ihrer Ankunft, numeriert und in Reih und Glied gestellt wurden,
je sechs in jedem Gliede und so dicht, daß sie kaum die Arme rühren
konnten.

Alle übrigen Bewohner des Landes standen rings um das Schloß bis zu den
Fenstern hinauf, um mit anzusehen, wie die Königstochter die Freier
empfing. Merkwürdig! Sobald einer derselben die Schwelle ihres Zimmers
überschritt, verließ ihn sein Rednertalent.

„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“

Jetzt kam derjenige der Brüder, der das Lexikon auswendig wußte, aber
bei dem langen Stehen in Reih und Glied hatte er es völlig vergessen.
Dazu knarrte der Fußboden und die Decke war von Spiegelglas, so daß er
sich selbst auf dem Kopfe sah, und nun standen sogar an jedem Fenster
drei Schreiber und ein Stadtältester, die Alles, was gesprochen wurde,
aufschrieben, damit es sofort in die Zeitung komme. Es war entsetzlich,
es war furchtbar! Und zum Überfluß war im Ofen eingefeuert, daß er
glühte.

„Hier herrscht eine drückende Hitze!“ begann der Freier das Gespräch.

„Das kommt daher, weil mein Vater heute junge Hähne bratet!“ sagte die
Königstochter.

Da stand er; nicht ein Wort wußte er zu erwiedern. -- Bäh! --

„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“ und so mußte er seiner
Wege ziehen. Nun kam der zweite Bruder.

„Hier ist eine entsetzliche Hitze!“ sagte er.

„Ja, wir braten heute junge Hähne!“ versetzte die Königstochter.

„Wie belie -- --“ fragte er, und alle Schreiber schrieben: „Wie belie --
--?“

„Taugt nichts!“ sagte die Königstochter. „Weg!“

Nun kam Tölpelhans, er ritt auf seinem Ziegenbocke gerade in das Zimmer
hinein. „Das ist denn doch eine glühende Hitze!“ sagte er.

„Das rührt davon her, daß ich junge Hähne brate!“ entgegnete die
Königstochter.

„Das wäre ja herrlich!“ sagte Tölpelhans, „dann kann ich wohl auch eine
Krähe gebraten bekommen?“

„Den Gefallen will ich Ihnen gern erweisen!“ erwiederte die
Königstochter, „aber haben Sie auch etwas, worin sie gebraten werden
kann, denn ich habe hier weder Topf noch Pfanne!“

„Hier ist ein vortreffliches Kochgeschirr,“ rief Tölpelhans fröhlich,
zog den alten Holzschuh hervor und legte die Krähe hinein.

„Aber wo bekommen wir die Sauce her?“ meinte die Königstochter.

„Die habe ich in der Tasche!“ sagte Tölpelhans und darauf schüttete er
etwas Schlamm aus der Tasche.

„Du gefällst mir,“ sagte die Königstochter, „du kannst doch antworten
und du kannst reden, und dich will ich zu meinem Gemahle erheben! Aber
weißt du wohl, daß jedes Wort, das wir sagen und gesagt haben,
aufgeschrieben wird und morgen in die Zeitung kommt? An jedem Fenster
siehst du drei Schreiber und einen Stadtältesten stehen.“

„Das sind wohl die Herrschaften da!“ versetzte Tölpelhans. „Dann muß ich
dem Stadtältesten schon mein Bestes schenken!“ Zugleich wandte er seine
Taschen um und warf ihm den ganzen Schlamm gerade ins Gesicht.

„Da hast du dir gut zu helfen gewußt!“ sagte die Königstochter. „Das
hätte ich nicht zu thun vermocht! Aber ich werde es wohl noch lernen!“
--

Und so wurde Tölpelhans denn König, bekam eine Frau und eine Krone und
saß auf einem Throne, und das alles haben wir der Zeitung des
Stadtältesten entnommen -- auf die freilich auch kein rechter Verlaß
ist.



Fünf in einer Schote.

  [Abbildung/Illustration: pic37.jpg]


Fünf Erbsen saßen der Reihe nach in einer Schote. Sie waren grün und die
Schote war grün, und deshalb glaubten sie, daß die ganze Welt grün wäre
und das war völlig richtig. Die Sonne schien und erwärmte von außen die
Schote, der Regen machte sie rein und durchsichtig. Es war in ihr warm
und schön, hell des Tages und finster des Nachts, wie es sein mußte, und
die Erbsen wurden, wie sie so dasaßen, immer größer und nachdenklicher,
denn mit etwas mußten sie sich doch beschäftigen.

„Sollen wir hier immer sitzen bleiben?“ sagten sie. „Wenn wir von dem
langen Sitzen nur nicht hart werden. Es kommt uns fast so vor, als ob es
auch da draußen noch etwas gibt; eine Ahnung sagt uns das!“

Und Wochen vergingen; die Erbsen wurden gelb und die Schote wurde gelb.
„Die ganze Welt wird gelb!“ sagten sie, und das durften sie wohl
behaupten.

Da empfanden sie einen Ruck in der Schote; sie wurde abgerissen, kam in
Menschenhände und wurde mit mehreren andern gefüllten Schoten in eine
Rocktasche gesteckt. „Nun werden wir bald geöffnet werden!“ sagten sie.

„Ich möchte nur wissen, wer von uns es am weitesten bringen wird,“ sagte
die kleinste Erbse.

„Geschehe, was da wolle!“ sagte die größte.

„Krach!“ da platzte die Schote, und alle fünf Erbsen rollten in den
hellen Sonnenschein hinaus. Sie lagen in einer Kinderhand; ein kleiner
Knabe hielt sie fest und sagte, die Erbsen wären gerade recht für seine
Knallbüchse; und sogleich schoß er eine weg.

„Nun fliege ich in die weite Welt! Halt mich, wenn du kannst!“ und dann
war sie fort.

„Ich,“ sagte die zweite, „fliege gerade in die Sonne hinein, das ist
eine richtige Erbsenschote und sehr passend für mich.“ Weg war sie.

„Wir schlafen, wohin wir kommen,“ sagen die beiden andern, „aber wir
werden schon noch vorwärts rollen!“ und damit rollten sie erst auf die
Erde, ehe sie in die Knallbüchse kamen, aber hinein kamen sie. „Wir
bringen es am weitesten!“

„Geschehe, was da wolle!“ sagte die letzte und wurde in die Höhe
geschossen. Sie flog gegen das alte Brett unter dem Giebelstubenfenster,
gerade in eine Ritze, die mit Moos und lockerer Erde ausgefüllt war, und
das Moos schloß sich wärmend um sie. Da lag sie verborgen, aber nicht
vergessen von Gott. „Geschehe, was da wolle!“ sagte sie.

Die kleine Giebelstube wurde von einer armen Frau bewohnt, die am Tage
ausging, um allerlei schwere Arbeiten zu verrichten, denn Kräfte hatte
sie und fleißig war sie, aber gleichwohl blieb sie arm. Zu Hause in der
kleinen Stube lag während dessen ihre halberwachsene einzige Tochter;
sie war zart und fein; ein ganzes Jahr hatte sie zu Bett gelegen und
schien weder leben noch sterben zu können.

„Sie geht zu ihrer kleinen Schwester!“ sagte die Frau. „Ich hatte nur
zwei Kinder, aber da teilte der liebe Gott mit mir und nahm das eine zu
sich! Nun möchte ich wohl gern das andere behalten, das mir noch übrig
geblieben ist, aber er will sie wohl nicht getrennt lassen, und sie geht
zu ihrer kleinen Schwester hinauf!“

Aber das kranke Mädchen starb nicht; geduldig und still lag es den
ganzen Tag da, während die Mutter auf Verdienst abwesend war.

Es war Frühling und noch früh am Morgen. Gerade als die Mutter auf ihre
Arbeit gehen wollte, schien die Sonne gar freundlich zum kleinen Fenster
hinein auf den Fußboden, und das kranke Mädchen richtete seinen Blick
auf die unterste Scheibe.

„Was ist doch das für Grünes dort neben der Scheibe? Es bewegt sich im
Winde!“

Die Mutter trat an das Fenster und öffnete es halb. „Ih!“ sagte sie,
„das ist wahrhaftig eine junge Erbse, die mit ihren grünen Blättchen
hervorgesproßt ist. Wie ist die hier in die Spalte hinaufgekommen?
Da hast du ja einen kleinen Garten, an dessen Anblick du dich weiden
kannst!“

Das Bett der Kranken wurde näher an das Fenster gerückt, von wo sie die
hervorsprossende Erbse erblicken konnte, und die Mutter ging auf Arbeit
aus.

„Mutter, ich glaube, ich erhole mich wieder!“ sagte am Abend das kleine
Mädchen. „Die Sonne hat heute so warm zu mir hereingeschienen. Die
kleine Erbse gedeiht vortrefflich; und ich will auch gedeihen und mich
im Sonnenscheine wieder erholen.“

„Oh daß es so geschehen möchte!“ sagte die Mutter, doch glaubte sie
nicht an die Möglichkeit. Allein neben das grüne Pflänzlein, welches
ihrem Kinde so frohe Lebensgedanken eingeflößt hatte, steckte sie einen
kleinen Stock, damit der Wind ihm nicht schaden könne, und so gedieh und
wuchs es lustig.

„Sie setzt sogar Blüten an,“ sagte die Mutter, und nun begann sie auch
zu hoffen, daß ihr Kind sich wieder erholen könne, denn es hatte sich
des Morgens selbst im Bett aufgerichtet und mit strahlenden Augen seinen
kleinen Erbsengarten, den die eine einzige Erbse bildete, betrachtet. In
der nächsten Woche war die Kranke zum erstenmale über eine Stunde auf.
Draußen vor’m Fenster war eine weißrote Erbsenblüte völlig aufgebrochen.
Das Mädchen küßte die feinen Blätter ganz leise. Dieser Tag war ein
Festtag für sie.

„Der liebe Gott hat sie selbst gepflanzt und dann gedeihen lassen, um
dir, mein teures Kind, und mir damit Hoffnung und Freude zu geben!“
sagte die frohe Mutter und lächelte der Blume zu, wie einem guten,
gottgesandten Engel.

Aber nun die andern Erbsen! -- ja die, welche in die weite Welt
hinausflog: „Halte mich, wenn du kannst!“ fiel in die Dachrinne und
geriet in einen Taubenkropf, wo sie lag wie Jonas in dem Wallfischbauch.
Die beiden faulen brachten es gerade ebensoweit, sie wurden ebenfalls
von Tauben aufgepickt und das heißt wenigstens einen soliden Nutzen
schaffen; aber die vierte, welche sich bis in die Sonne emporschwingen
wollte -- -- die fiel in den Rinnstein und lag Tage und Wochen darin,
in dem schmutzigen Wasser, wo sie entsetzlich aufschwoll.

„Ich werde prächtig dick!“ sagte die Erbse. „Ich werde noch platzen,
und weiter, glaube ich, kann es keine Erbse bringen, oder hat es je
gebracht. Ich bin die ausgezeichnetste von den fünf aus derselben
Schote!“ -- Und der Rinnstein gab dieser Ansicht seinen Beifall.

Aber an dem Dachfenster stand das Mädchen mit leuchtenden Augen und mit
Gesundheit auf den Wangen, und sie faltete ihre Hände über der
Erbsenblüte und dankte Gott für dieselbe.



Das Märchen vom Sandmann.

  [Abbildungen/Illustrations: pic39.jpg, pic43.jpg]


In der ganzen Welt versteht niemand so schöne Geschichten zu erzählen
wie der alte liebe _Sandmann_. Gegen Abend, wenn die Kinder noch hübsch
artig am Tische oder auf ihrem Stühlchen sitzen, kommt das alte Männchen
ganz leise die Treppe herauf, denn es geht auf Socken. Husch, öffnet es
die Thüre und streut den Kindern Sandkörnchen in die Augen, so fein, so
fein, aber doch immer genug, daß sie nicht länger die Augen aufzuhalten
vermögen. Deshalb sind sie auch nicht im stande, ihn zu sehen. Er
schlüpft gerade hinter sie, bläst ihnen sanft in den Nacken und dann
wird ihnen das Köpfchen gar schwer. O ja, aber es thut ihnen nicht weh,
denn der Sandmann meint es mit den Kindern gerade gut. Er verlangt nur,
daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am besten, wenn man sie zu
Bette bringt.

Sobald die Kinder nun schlafen, setzt sich das alte Männchen zu ihnen
auf das Bett. Er geht stattlich einher; sein Rock ist von Seidenzeug,
aber es ist unmöglich, die Farbe desselben zu bestimmen, denn er
schillert grün, rot und blau, je nach welcher Richtung er sich dreht.
Unter jedem Arm hält er einen Regenschirm, einen mit Bildern darauf,
welchen er über die Kinder ausspannt und dann träumen sie die ganze
Nacht die herrlichsten Geschichten, und einen ohne irgend eine
Zeichnung. Diesen stellt er über die unartigen Kinder, damit sie ganz
bewußtlos schlafen. Wenn sie am Morgen aufwachen, haben sie dann nicht
das Allermindeste geträumt.

Nun wollen wir hören, wie der Sandmann eine ganze Woche lang jeden Abend
zu einem kleinen Knaben, der _Hjalmar_ hieß, kam und was er ihm
erzählte! Es sind im ganzen sieben Geschichten, weil es sieben
Wochentage giebt.


_Montag._

„Nun will ich dir meinen ganzen Staat zeigen,“ sagte der Sandmann am
Abend zum Hjalmar, der im Bette lag.

Da verwandelten sich alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen,
die ihre langen Zweige unter der Decke hin und die Wände entlang
streckten, so daß die ganze Stube wie das herrlichste Lusthaus aussah.
Alle Zweige waren voll Blumen, und jede Blume war schöner als eine Rose,
duftete balsamisch und, wollte man sie essen, war sie süßer als
Eingemachtes. Die Früchte glänzten gerade wie Gold, und Weißbrödchen
waren da, die vor lauter Rosinen platzten -- es war unvergleichlich
schön. Plötzlich aber ließ sich in dem Tischkasten, wo Hjalmars
Schulbücher lagen, ein entsetzliches Jammern vernehmen.

„Was ist das nur?“ fragte der Sandmann, und zog den Tischkasten auf.
Es war die Tafel, in der es zerrte und zupfte, denn es hatte sich eine
falsche Zahl in das Rechenexempel eingeschlichen, so daß die Zahlen
auseinander laufen wollten. Der Griffel hüpfte und sprang an seiner
Schnur, als stellte er einen kleinen Hund vor, der dem Rechenexempel
helfen möchte, aber er war es nicht im Stande. Und dann jammerte es auch
in Hjalmars Schreibebuch, daß es ordentlich häßlich mit anzuhören war.
Auf jeder Seite standen der Länge nach von oben nach unten sämtliche
große Buchstaben, ein jeder mit einem kleinen zur Seite, einer hinter
dem andern. Das bildete die Vorschrift, und neben dieser standen wieder
einige Buchstaben, die sich einbildeten, ebenso auszusehen, weil sie aus
Hjalmars eigener Feder herrührten. Aber, o weh! sie sahen fast aus, als
ob sie über die Linien, auf denen sie doch stehen sollten, gestolpert
wären.

„Seht, so solltet ihr euch halten!“ sagte die Vorschrift. „Seht, etwas
schräg, aber mit kräftigem Schwung!“ -- „O, wir wollen gern,“ sagten
Hjalmars Buchstaben, „aber wir können nicht, wir sind so schlimm und
unwissend!“ -- „Dann sollt ihr Kinderpulver bekommen!“ sagte der
Sandmann. -- „O nein!“ riefen sie und dann standen sie mit einem male
kerzengerade, daß es eine Lust war. -- „Heute werden keine Geschichten
erzählt!“ sagte der Sandmann. „Jetzt muß ich sie einexerzieren! Eins,
zwei! Eins, zwei!“ Nun exerzierte er die Buchstaben ein, und sie standen
so gerade und gesund da, wie nur eine Vorschrift immer stehen kann. Als
aber der Sandmann ging und Hjalmar am Morgen nachsah, da waren sie eben
so jämmerlich wie zuvor.


_Dienstag._

Sobald Hjalmar im Bette war, benetzte der Sandmann mit seiner kleinen
Zauberspritze alle Möbel in der Stube, und sofort begannen sie zu
plaudern und plauderten sämtlich von sich selbst.

Über der Kommode hing ein großes Gemälde in einem reich vergoldeten
Rahmen, welches eine herrliche Landschaft darstellte. Als der Sandmann
dasselbe mit seiner Zauberspritze benetzt hatte, begannen die Vögel
darauf zu singen, die Baumzweige bewegten sich, und die Wolken flogen so
natürlich, daß man ihren Schatten über die Landschaft konnte
dahinschweben sehen.

Nun hob der Sandmann den kleinen Hjalmar so hoch, daß derselbe seine
Füße in den Rahmen hineinstellen konnte und zwar gerade in das hohe
Gras. Da stand er nun. Die Sonne schien durch die Zweige auf ihn
hernieder. Er lief hin an das Wasser und setzte sich in ein kleines
Boot, welches da lag. Es war rot und weiß angestrichen, die Segel
leuchteten wie Silber, und zwei herrliche, schneeweiße Schwäne kamen
herbei, spannten sich vor das Boot und zogen es an dem grünen Walde
vorüber. Die prächtigsten Fische mit silbernen und goldenen Schuppen
schwammen hinter dem Boote her; bisweilen schnellten sie über das Wasser
empor, daß es plätscherte, und Vögel flogen in zwei langen Reihen hinten
nach, die Mücken tanzten und die Maikäfer brummten „bum, bum“. Alle
wollten Hjalmar folgen und jeder hatte eine Geschichte zu erzählen.

Das war allerdings eine Segelfahrt, wie sie sein mußte! Bald waren die
Wälder dicht und dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Park mit
Sonnenschein und Blumen, und große Schlösser von Glas und Marmor lagen
darin. Auf den Altanen standen Prinzessinen, und alle waren kleine
Mädchen, die Hjalmar recht wohl kannte, denn er hatte schon früher mit
ihnen gespielt. Bei jedem Schlosse standen kleine Prinzen Schildwache.
Sie schulterten mit goldenen Säbeln und ließen Rosinen und Zinnsoldaten
regnen. Das waren wirkliche Prinzen.

Bald segelte Hjalmar durch Wälder, bald gerade durch große Säle oder
mitten durch eine Stadt. Er kam auch durch diejenige, in welcher sein
Kindermädchen wohnte, das gute Mädchen welches ihn getragen hatte, als
er ein ganz, ganz kleiner Knabe war und das ihn so lieb gehabt. Dasselbe
nickte und winkte und sang den niedlichen Vers, den es selbst gedichtet
und Hjalmar gesandt hatte:

  Ich denke dein in mancher Stund’,
  Du süßes Kind, du Liebling mein!
  Ich hab’ geküßt dir deinen Mund,
  Die Stirne, Wangen, rot und fein!
  Dein erstes Wort vernahm mein Ohr!
  Doch mußt’ ich fort, vergiß mein nicht!
  Gott segne dich, den ich verlor,
  Du Engel aus des Herren Licht!

Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf ihren Stengeln und die
alten Bäume nickten, als ob der Sandmann auch ihnen Geschichten
erzählte.


_Mittwoch._

Nein, wie der Regen herniederströmte! Hjalmar konnte es im Schlafe
hören, und als der Sandmann ein Fenster öffnete, stand das Wasser gerade
bis an das Fenster hinauf. Ein ganzer See wälzte sich schon da draußen
und das prächtigste Schiff lag hart vor dem Hause.

„Willst du mitsegeln, kleiner Hjalmar?“ fragte der Sandmann, „dann
kannst du heute Nacht nach fremden Ländern reisen und morgen doch wieder
hier sein!“

Im Nu stand da Hjalmar in seinen Sonntagskleidern mitten auf dem
prächtigen Schiffe und sofort heiterte sich das Wetter auf und sie
segelten durch die Straßen, kreuzten um die Kirche, und nun war alles
eine große, wilde See. Sie segelten so lange, bis kein Land mehr zu
erblicken war. Sie bemerkten auch eine Schar Störche, die gleichfalls
die Heimat verlassen hatten und nach den warmen Ländern wollten. Ein
Storch flog dicht hinter dem anderen und sie waren schon weit, weit
geflogen. Einer derselben war so müde, daß ihn seine Flügel kaum noch
länger zu tragen vermochten. Er blieb hinter den anderen zurück, machte
noch ein paar Flügelschläge, dann ließ er sich hinabsinken und -- bums!
da stand er auf dem Verdecke.

Da nahm ihn der Schiffsjunge und sperrte ihn in das Hühnerhaus zu den
Hühnern, Enten und Truthähnen. Der arme Storch stand ganz
eingeschüchtert mitten unter ihnen.

„Seht ihr den nicht?“ gackerten alle Hühner.

Der kalekutische Hahn blies sich aus Leibeskräften auf und fragte ihn,
wer er wäre? Die Enten gingen rückwärts und stießen einander an: „Spute
dich, spute dich!“

Der Storch erzählte vom warmen Afrika, von den Pyramiden und vom
Strauße, der wie ein wildes Pferd durch die Wüste dahinstürme, aber die
Enten verstanden nicht, was er sagte, und darum stießen sie einander an:
„Wir sind wohl einig darüber, daß er dumm ist?“

„Ja, er ist sicherlich dumm!“ sagte der kalekutische Hahn und kollerte
dann. Da schwieg der Storch ganz still und dachte an sein Afrika.

Aber Hjalmar ging hin zum Hühnerhause, öffnete die Thüre, rief den
Storch und dieser hüpfte auf das Verdeck zu ihm hinaus. Nun hatte er
sich ausgeruht, und es war gerade, als ob er Hjalmar zunickte, um sich
bei ihm zu bedanken. Darauf breitete er seine Schwingen aus und flog
nach den warmen Ländern, aber die Hühner gluckten, die Enten
schnatterten und der kalekutische Hahn wurde ganz rot am Kopfe.

„Morgen wollen wir Suppe von euch kochen!“ sagte Hjalmar und da erwachte
er und lag in seinem Bettchen.


_Donnerstag._

„Weißt du was?“ sagte der Sandmann, „fürchte dich nur nicht; hier wirst
du eine kleine Maus gewahren!“ und dabei hielt er ihm seine Hand mit dem
leichten, niedlichen Tierchen hin. „Sie ist gekommen, dich zur Hochzeit
einzuladen. Hier sind zwei Mäuschen, die heute Nacht in den Ehestand
treten wollen. Sie wohnen unter dem Fußboden in deiner Mutter
Speisekammer.“

„Aber wie kann ich durch das kleine Mäuseloch im Fußboden
hindurchkommen?“ fragte Hjalmar.

„Laß mich nur machen!“ versetzte der Sandmann. „Ich will dich schon
klein genug bekommen!“ Darauf benetzte er Hjalmar mit seiner
Zauberspritze, der nun sofort kleiner und kleiner wurde, bis er zuletzt
nur fingergroß war.

„Nun kannst du dir vom Zinnsoldaten die Kleider borgen, ich denke, sie
werden dir jetzt schon passen, und es nimmt sich gut aus, sich in
Gesellschaft in Uniform zu zeigen.“

„Jawohl!“ sagte Hjalmar, und dann war er im Augenblicke wie der
niedlichste Zinnsoldat angekleidet.

„Wollen Sie nicht so freundlich sein, sich in Ihrer Frau Mutter
Fingerhut zu setzen?“ sagte die kleine Maus, „dann werde ich die Ehre
haben, Sie zu ziehen!“

„O Himmel! Will sich das Fräulein selbst bemühen!“ sagte Hjalmar, und so
fuhren sie zur Mäusehochzeit.

Zuerst gelangten sie in einen weitläufigen Gang unter dem Fußboden, der
nicht höher war, als daß sie ohne anzustoßen mit dem Fingerhut darin
fahren konnten, und der ganze Gang war mit faulem Holz erleuchtet.

„Riecht es hier nicht prächtig?“ sagte die Maus, welche ihn zog. „Der
ganze Gang ist mit Speckschwarten eingerieben.“

Nun kamen sie in den Brautsaal hinein; hier standen zur Rechten alle die
kleinen Mäusefräulein, und die zischelten und tuschelten, als ob sie
sich über einander lustig machten. Zur Linken standen alle jungen
Mäuseherren und strichen sich mit der Pfote den Schnauzbart; aber mitten
im Kreise erblickte man das Brautpaar. Sie standen in einer ausgehöhlten
Käserinde.

Immer mehr und mehr Fremde erschienen; es fehlte nicht viel, so hätten
die Mäuse einander tot getreten; dazu hatte sich das Brautpaar mitten in
die Thür gestellt, so daß man weder hinein noch hinaus gelangen konnte.
Wie der Gang, so war auch das ganze Zimmer mit Speckschwarten
eingerieben; das war die ganze Bewirtung; indes wurde zum Nachtisch eine
Erbse vorgewiesen, in welche eine kleine Maus aus der Familie die Namen
des Brautpaares hineingebissen, d.h. die ersten Buchstaben. Es war etwas
ganz Außerordentliches.

Alle Mäuse versicherten, es wäre eine ausgezeichnete Hochzeit und die
Unterhaltung wäre sehr vergnügt gewesen.

Dann fuhr Hjalmar wieder nach Hause. Er war zwar in vornehmer
Gesellschaft gewesen, hatte aber auch gehörig zusammenkriechen, sich
klein machen und in Zinnsoldaten-Uniform erscheinen müssen.


_Freitag._

„Was werden wir denn diese Nacht unternehmen?“ fragte Hjalmar.

„Ich weiß nicht, ob du heute Nacht wieder Lust hast, eine Hochzeit
mitzumachen. Sie ist freilich anderer Art als die gestrige. Deiner
Schwester große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Hermann
heißt, soll sich mit der Puppe Bertha verheiraten, und da außerdem
derselben Geburtstag ist, wird es an Geschenken nicht fehlen. Da sieh
einmal!“

Mit diesen Worten deutete der Sandmann nach dem Tische. Auf demselben
stand das kleine Papphaus mit Licht in den Fenstern, und alle
Zinnsoldaten präsentierten vor der Thüre desselben das Gewehr. Das
Brautpaar saß, ein Jedes gegen einen Tischfuß gelehnt, ganz gedankenvoll
da, und dazu hatte es auch Grund genug. Aber der Sandmann, angethan mit
der Großmutter schwarzem Rocke, vollzog die Trauung. Nach Beendigung
derselben stimmten alle Möbel in der Stube folgendes Lied an:

  Es brause unser Lied empor
  Für’s teure Paar in hellem Chor.
  Sie stehen beide wie ein Pflock,
  Denn Handschuhleder ist ihr Rock!
  :,: Hurrah! Hurrah! dem schönen Paar,
  Das unsrer Stube Zierde war! :,:

Und nun überreichte man ihnen Geschenke, doch hatten sie sich alle
Eßwaren verbeten.

„Wollen wir nun das Landleben genießen, oder eine Hochzeitsreise
antreten?“ fragte der Bräutigam. Darauf wurde die Schwalbe, die sich in
vielen Ländern umgesehen, und die alte Hofhenne, welche fünfmal Küchlein
ausgebrütet hatte, zu Rate gezogen. Die Schwalbe erzählte von den
schönen, warmen Ländern, wo die Weintrauben groß und schwer an den
Stöcken hängen, wo die Luft so mild wäre und die Berge Farben hätten,
wie man sie hier zu Lande niemals an denselben sieht.

„Es fehlt ihnen aber doch unser Grünkohl!“ sagte die Henne. „Ich brachte
einen Sommer mit allen meinen Kücheln auf dem Lande zu. Dort war eine
Sandgrube, in der wir umhergehen und scharren konnten. Auch hatten wir
Zutritt zu einem Garten mit Grünkohl! O wie grün der war! Ich kann mir
nichts Schöneres denken!“

„Aber ein Kohlkopf sieht wie der andere aus,“ sagte die Schwalbe, „und
dann herrscht hier oft so unangenehme Witterung!“

„O, daran hat man sich schon gewöhnt!“ sagte die Henne.

„Aber hier ist es kalt, es friert!“

„Das ist für den Kohl gerade dienlich!“ sagte die Henne. „Übrigens kann
es auch bei uns sehr warm sein. Hatten wir nicht vor vier Jahren einen
Sommer, wo fünf Wochen lang eine solche Hitze war, daß man kaum atmen
konnte? Dann leben aber bei uns auch keine giftigen Tiere, wie in jenen
Ländern, und wir sind frei von Räubern! Ein Bösewicht kann der nur sein,
welcher unser Land nicht für das schönste hält! Er verdiente wahrlich
nicht, hier zu weilen!“ Weinend unterbrach sich die Henne und setzte
dann schluchzend hinzu: „Auch ich bin gereist! Ich bin einmal in einem
Korbe über zwölf Meilen weit gefahren! Das Reisen gewährt
schlechterdings kein Vergnügen!“

„Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!“ sagte die Puppe Bertha. „Ich
halte nichts davon, eine Gebirgsreise zu unternehmen, denn kaum ist man
oben, so geht es gleich wieder hinunter! Nein, wir wollen hübsch nach
der Sandgrube hinausziehen und uns im Kohlgarten ergehen!“

Und dabei blieb es!


_Sonnabend._

„Erzählst du mir nun Geschichten?“ fragte der kleine Hjalmar, sobald ihn
der Sandmann zu Bette gebracht hatte.

„Heute abend haben wir nicht Zeit dazu,“ sagte der Sandmann und spannte
seinen schönen Regenschirm über ihn auf. „Sieh nur diese Chinesen an!“
Der ganze Schirm glich einer großen chinesischen Schale mit blauen
Bäumen und spitzen Brücken und kleinen Chinesen darauf, die dastanden
und mit dem Kopfe nickten. „Wir müssen bis morgen die ganze Welt schön
aufgeputzt haben,“ sagte der Sandmann, „es ist dann ja ein heiliger Tag,
es ist Sonntag. Ich will auf den Kirchturm steigen, um nachzusehen, ob
die kleinen Kirchengeister die Glocken putzen, damit ihr Geläute schön
klingt; und was die allerschwierigste Arbeit ist, ich will alle Sterne
herunterholen, um sie aufzupolieren. Aber erst müssen sie numeriert
werden und ebenso die Löcher, in denen sie da oben sitzen, damit sie
ihren rechten Platz wieder erhalten können, sonst würden sie nicht
festsitzen und wir bekämen zu viel Sternschnuppen, indem einer nach dem
andern herabpurzelte!“

„Hören Sie, wissen Sie was, Herr Sandmann!“ begann ein altes Portrait,
welches an der Wand hing, an welcher Hjalmar schlief, „ich bin Hjalmars
Urgroßvater. Ich danke Ihnen zwar, daß Sie dem Knaben Geschichten
erzählen, aber Sie dürfen doch seine Begriffe nicht verwirren. Die
Sterne können nicht heruntergeholt und geputzt werden! Die Sterne sind
Weltkörper, gerade so wie unsere Erde, und das ist eben das Gute an
ihnen.“

„Besten Dank, du alter Urgroßvater!“ sagte der Sandmann, „besten Dank!
Du bist ja das Haupt der Familie, du bist das Urhaupt! Aber ich bin
älter als du. Ich bin ein alter Heide. Die Römer und Griechen nannten
mich den Traumgott. Ich bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme
noch hinein. Ich verstehe mit Niedrigen wie mit Großen umzugehen! Nun
kannst du statt meiner erzählen!“ Nach diesen Worten verließ der
Sandmann verdrießlich das Zimmer und nahm seinen Schirm mit.

„Nun, man wird doch wohl seine Meinung noch sagen dürfen!“ brummte das
alte Portrait.

Und da erwachte Hjalmar.


_Sonntag._

„Guten Abend!“ sagte der Sandmann, und Hjalmar nickte, drehte aber
gleich des Urgroßvaters Portrait gegen die Wand um, damit es nicht wie
gestern mitsprechen könnte.

„Nun mußt du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die
in einer Schote wohnten, von Hahnenfuß, der Hennenfuß den Hof machte,
und von der Stopfnadel, deren Spitze so fein war, daß sie sich
einbildete, eine Nähnadel zu sein!“

„Man kann auch des Guten zuviel bekommen!“ sagte der Sandmann. „Ich
zeige dir am liebsten etwas, wie du weißt! Ich will dir meinen Bruder
zeigen, aber der kommt zu niemand öfter als einmal. Tritt er zu jemand
heran, so nimmt er ihn mit auf sein Pferd und erzählt ihm Geschichten.
Er weiß nur zwei, die eine ist so unvergleichlich schön, wie sich
niemand in der Welt vorstellen kann; und die andere ist über alle
Beschreibung häßlich und abscheulich!“ Darauf hob der Sandmann den
kleinen Hjalmar zum Fenster empor und sagte: „Dort wirst du meinen
Bruder sehen, welchen sie auch den _Tod_ nennen. Siehst du, sein Rock
ist mit Silberstickerei verziert, er trägt eine stattliche
Husarenuniform; ein Mantel von schwarzem Sammet flattert bis über das
Pferd hinaus! Sieh, wie er im Galopp dahinjagt!“

Und Hjalmar sah, wie der Tod vorwärts eilte und junge wie alte Leute auf
sein Pferd nahm; einige setzte er vorn, andere hinten auf, aber immer
fragte er erst: „Wie steht es mit dem Censurbuche?“ -- „Gut!“ sagten sie
sämtlich. -- „Ja, laß mich nur selbst sehen!“ erwiderte er, und dann
mußten sie ihm das Buch zeigen. Alle nun, die „Sehr gut“ und
„Ausgezeichnet“ hatten, kamen vorn auf das Pferd und ihnen erzählte er
die herrliche Geschichte; doch diejenigen, welche „Ziemlich gut“ und
„Mittelmäßig“ hatten, mußten hinten auf und die häßliche Geschichte mit
anhören. Sie schauderten und weinten, sie wollten vom Pferde springen,
vermochten es aber nicht, denn sie waren sofort fest an demselben
angewachsen.

„Das ist aber der herrlichste Sandmann!“ sagte Hjalmar, „vor dem fürchte
ich mich nicht!“

„Das sollst du auch nicht!“ sagte das Männchen. „Sorge nur dafür, daß du
ein gutes Sittenzeugnis erhältst!“ --

Das ist nun die Geschichte vom Sandmann! Lasse dir heute abend mehr von
ihm erzählen.



Die Theekanne.

  [Abbildung/Illustration: capI45.jpg]


Ich kannte einmal eine stolze Theekanne, stolz auf ihr Porzellan, stolz
auf ihre lange Tülle, stolz auf ihren breiten Henkel. Und davon sprach
sie gern; von ihrem Deckel dagegen sprach sie nicht; er hatte seine
Mängel, und davon spricht man nicht gern, das thun schon die Andern zur
Genüge. Die Tassen, der Sahnentopf und die Zuckerschale, kurzum das
ganze Theegeschirr würden sicherlich die Gebrechlichkeit des Deckels
nicht vergessen, und weit mehr davon reden, als von dem guten Henkel und
der ausgezeichneten Tülle; das wußte die Theekanne.

„Oh, ich kenne sie!“ sprach sie für sich selbst; „ich erkenne auch
ebensogut meine Mängel, und darin besteht meine Demut. Mängel haben wir
ja alle, aber man hat dann auch wieder seine besondere Begabung. Die
Tassen erhielten einen Henkel, die Zuckerschale einen Deckel, ich
erhielt beides und noch eine Tülle, die mich zur Königin am Theetische
macht. Die andern zwei sind nur Dienerinnen des Wohlgeschmacks, ich aber
bin die Spendende, die Herrscherin, ich verbreite Segen unter der
durstenden Menschheit; in meinem Innern werden die Theeblätter in dem
kochenden Wasser verarbeitet.“

Dies alles sagte die Theekanne in ihrer sorglosen Jugendzeit. Sie stand
auf dem gedeckten Tische, sie wurde von der feinsten Hand gehoben. Aber
die feinste Hand war linkisch, die Theekanne fiel, die Tülle brach ab,
der Henkel brach ab, vom Deckel verlohnt sich’s gar nicht erst zu reden.
Besinnungslos lag die Kanne am Boden, weithin entströmte ihr das
kochende Wasser.

„Nie werde ich diesen entsetzlichen Augenblick vergessen!“ sagte die
Theekanne, wenn sie später sich selbst ihren Lebenslauf erzählte. „Ich
wurde Invalide genannt, in einen Winkel gesetzt und einer armen Frau
geschenkt. Ich stieg nun zur Armut hernieder und stand zwecklos da, aber
gerade da, wo ich stand, begann mein besseres Leben. Erde wurde in mich
hineingepackt; für eine Theekanne ist das ebensogut, wie begraben zu
werden, aber in die Erde wurde eine Blumenzwiebel gelegt. Wer sie
hineinlegte, wer sie mir schenkte, weiß ich nicht, aber geschenkt wurde
sie mir. Und die Zwiebel lag in der Erde, die Zwiebel lag in mir, sie
wurde mein lebendiges Herz, wie ich es nie vorher gehabt hatte. Leben
und Kraft lag in mir, allerlei Kräfte regten sich: der Puls schlug, die
Zwiebel keimte, die in ihr schlummernden Gefühle brachen in einer
schönen Blume hervor. Ich sah sie, ich trug sie, ich vergaß mich selbst
in ihrer Schönheit. Sie sagte mir keinen Dank, sie dachte nicht an mich;
sie wurde bewundert und gepriesen. Ich war so froh darüber. Wie hätte
ich es nicht sein müssen! Eines Tages vernahm ich, wie gesagt wurde, sie
verdiene einen besseren Topf. Man zerbrach mich in Stücke. Oh, das that
schrecklich weh, aber die Blume kam in einen besseren Topf. Und ich? Ich
wurde hinausgeworfen in den Hof, ich liege nun als alter Scherben da.
Aber in mir lebt die Erinnerung fort und die kann mir niemand rauben.“



Die Blumen der kleinen Ida.

  [Abbildungen/Illustrations: capT46.jpg, pic49.jpg]


„Tausend noch einmal, sind meine armen Blumen welk!“ rief bestürzt die
kleine _Ida_. „Gestern abend waren sie noch so schön und nun hängen sie
alle vertrocknet die Köpfchen. Warum thun sie das?“ fragte sie den
Studenten, den sie sehr gern hatte, weil er schöne Geschichten wußte und
drollige Bilder ausschnitt: Herzen mit kleinen Mädchen darin, welche
tanzten, und große Schlösser, deren Thüren sich öffnen ließen.

„Ja, weißt du, was deinen Blumen fehlt?“ sagte der Student, „sie sind
heute Nacht auf dem Balle gewesen und deshalb lassen sie die Köpfe
hängen.“

„Aber die Blumen können ja nicht tanzen!“ sagte die kleine Ida.

„O ja!“ sagte der Student, „sobald es dunkel wird und wir andern
schlafen, dann springen sie lustig umher; fast jede Nacht haben sie
Ball.“

„Kann denn ein Kind mit auf den Ball kommen?“

„Ja,“ sagte der Student, „die kleinen niedlichen Gänseblümchen und
Maiblümchen.“

„Wo tanzen die schönen Blumen?“ fragte die kleine Ida.

„Bist du nicht öfters vor dem Thore bei dem großen Schlosse gewesen, wo
der König im Sommer wohnt und der schöne Garten mit den vielen Blumen
ist? Du hast ja die Schwäne gesehen, die auf dich zuschwimmen, wenn du
ihnen Brotkrümchen geben willst. Dort findet wirklich Ball statt, das
kannst du mir glauben!“

„Erst gestern ging ich mit meiner Mutter draußen im Garten!“ sagte Ida,
„aber an allen Bäumen fehlten die Blätter und es waren gar keine Blumen
mehr da! Wo sind sie? Im Sommer sah ich so viele!“

„Die sind drinnen im Schlosse!“ sagte der Student. „Du mußt wissen,
sobald der König und alle Hofleute wieder in die Stadt ziehen, dann
laufen die Blumen sofort aus dem Garten auf das Schloß und sind lustig.
Das solltest du einmal sehen. Die beiden reizendsten Rosen setzen sich
auf den Thron und sind dann König und Königin. Die großen Hahnenkämme
stellen sich alle an der Seite auf und stehen und verneigen sich. Das
sind die Kammerjunker. Nun kommen die niedlichsten Blumen und dann ist
da großer Ball. Die blauen Veilchen stellen kleine Seekadetten vor, sie
tanzen mit Hyazinthen und Crocus, welche sie Fräulein anreden. Die
Tulpen und Feuerlilien, das sind Matronen, die passen auf, daß recht
schön getanzt wird und alles fein ordentlich hergeht.“

„Aber,“ fragte die kleine Ida, „ist denn niemand da, der die Blumen
dafür bestraft, daß sie in des Königs Schlosse tanzen?“

„Es ist niemand da, der darüber etwas Genaues wüßte!“ sagte der Student.
„Mitunter kommt des Nachts freilich der alte Schloßverwalter, der da
draußen die Aufsicht zu führen hat. Sobald aber die Blumen sein großes
Schlüsselbund rasseln hören, verhalten sie sich ganz still, verstecken
sich hinter den langen Vorhängen und stecken den Kopf hervor. „„Mein
Geruch sagte es mir, es sind hier Blumen im Saale!““ sagt der alte
Schloßverwalter, aber sehen kann er sie nicht.“

„Das ist drollig,“ sagte die kleine Ida und klatschte in die Hände.
„Aber könnte ich denn die Blumen nicht auch sehen?“

„O ja!“ sagte der Student, „vergiß nur nicht, sobald du wieder
hinauskommst, durch das Fenster zu schauen, dann siehst du sie sicher.
Das that ich heute, da lag eine lange Narcisse im Sofa und dehnte sich;
das war eine Hofdame.“

„Kommen auch die Blumen aus dem botanischen Garten da hinaus? Können sie
den weiten Weg machen?“

„Jawohl!“ sagte der Student, „denn, sobald sie wollen, können sie
fliegen. Hast du nicht schon die herrlichen Schmetterlinge gesehen, die
roten, gelben und weißen? Sie sehen fast wie Blumen aus und sind es auch
gewesen. Sie sind vom Stengel hoch hinauf in die Luft gesprungen und
haben dann mit ihren Blättern wie mit kleinen Flügeln geschlagen, und
nun flogen sie. Da sie sich gut aufführten, durften sie auch am Tage
fliegen, brauchten nicht wieder nach Hause zu kommen und still auf dem
Stengel zu sitzen, und so wurden diese Blätter schließlich wirkliche
Flügel. Das hast du ja selbst gesehen.“

„Ach wie drollig!“ sagte die kleine Ida und lachte.

„Wie kann man einem Kinde dergleichen vorreden!“ sagte der mürrische
Kanzleirat, welcher zum Besuch gekommen war und im Sofa saß. Er konnte
den Studenten gar nicht leiden und brummte stets, wenn er ihn die
komischen Bilder ausschneiden sah.

Aber der kleinen Ida kam es doch ganz lustig vor, was ihr der Student
von ihren Blumen erzählte und sie dachte viel daran.

Die Blumen ließen also die Köpfe hängen, weil sie vom nächtlichen Tanze
müde waren; sie waren gewiß krank. Im Puppenbette lag ihre Puppe Sophie
und schlief, aber die kleine Ida sagte zu ihr: „Du mußt leider
aufstehen, Sophie, und damit fürlieb nehmen, heute Nacht im Schubfache
zu liegen; die armen Blumen sind krank und da müssen sie in deinem Bette
liegen; vielleicht werden sie dann wieder frisch und wohl!“ Damit nahm
sie die Puppe heraus, die sehr ärgerlich aussah und kein einziges Wort
sagte, denn es verdroß sie, daß sie nicht ihr Bett behalten durfte.

Dann legte Ida die Blumen in das Puppenbett, zog die kleine Decke ganz
über sie und sagte, sie sollten nun hübsch stille liegen, sie würde
ihnen dann Thee kochen, damit sie wieder wohl und frisch werden und
morgen wieder aufstehen könnten. Die Vorhänge zog sie dicht um das
kleine Bett, damit die Sonne ihnen nicht in die Augen scheinen sollte.

Auch den ganzen Abend hindurch konnte sie sich nicht enthalten, an das
zu denken, was ihr der Student erzählt hatte. Als sie nun selbst zu Bett
sollte, huschte sie erst hinter die Gardinen vor den Fenstern, wo die
prächtigen Blumen ihrer Mutter, Hyazinthen und Tulpen, standen, und
flüsterte ihnen ganz leise zu: „Ich weiß es nun, ihr sollt heute Nacht
auf den Ball!“ Aber die Blumen thaten, als verständen sie nichts und
rührten kein Blatt, allein die kleine Ida wußte doch, was sie wußte.

Als sie nun zu Bett gegangen war, lag sie noch lange und dachte, wie
hübsch es doch sein müßte, die herrlichen Blumen draußen auf dem
Schlosse des Königs tanzen zu sehen. „Ob meine Blumen wohl wirklich mit
dabei gewesen sind?“ Dann fiel sie aber in Schlaf. In der Nacht erwachte
sie wieder. Sie hatte von den Blumen und dem Studenten geträumt, den der
Kanzleirat ausgezankt und dabei gesagt hatte, er wollte ihr bloß etwas
weis machen. In der Schlafkammer, wo Ida lag, war es ganz stille; die
Nachtlampe brannte auf dem Tische und ihr Vater und ihre Mutter
schliefen.

„Ob meine Blumen jetzt wohl in Sophiens Bett liegen?“ sagte sie bei sich
selbst; „ich möchte es doch gar zu gern wissen!“ Sie richtete sich ein
wenig auf und blickte nach der Thüre. Sie war nur angelehnt und drinnen
lagen die Blumen und all ihr Spielzeug. Sie lauschte und da war es ihr,
als hörte sie drinnen in der Stube auf dem Klavier spielen, aber ganz
leise und so hübsch, wie sie nie zuvor gehört hatte.

„Jetzt tanzen gewiß alle Blumen drinnen!“ sagte sie; „ach, wie gern
möchte ich es doch sehen!“ aber sie durfte nicht aufstehen, weil sie
sonst Vater und Mutter geweckt hätte. „Wenn sie doch nur hereinkommen
wollten!“ sagte sie; aber die Blumen kamen nicht. Als nun die hübsche
Musik immer weiter spielte, konnte sie es nicht länger mehr aushalten,
denn es war zu herrlich. Unhörbar kletterte sie aus ihrem kleinen Bette,
ging ganz leise nach der Thüre und sah in die Stube hinein. Nein, war
das drollig, was sie nun zu sehen bekam!

Eine Nachtlampe brannte nicht darin, aber der Mond schien durch das
Fenster mitten auf den Fußboden, so daß es fast tageshell war. Alle
Hyazinthen und Tulpen standen in zwei langen Reihen auf dem Boden, am
Fenster waren keine mehr zu sehen, da standen die leeren Töpfe. Auf dem
Boden tanzten die Blumen ganz niedlich um einander herum, bildeten
ordentliche Ketten und hielten einander an den langen grünen Blättern,
wenn sie sich herumschwenkten. Am Klavier saß eine große Feuerlilie,
welche die kleine Ida bestimmt im Sommer gesehen hatte, denn sie
erinnerte sich noch ganz wohl, daß der Student gesagt hatte: „Seht nur,
wie sie dem Fräulein Lina ähnelt!“ Damals hatte Ida gelacht, aber jetzt
sah sie, daß die lange, gelbe Blume dem Fräulein glich. Niemand bemerkte
die kleine Lauscherin. Nun sah sie einen großen blauen Crocus mitten auf
den Tisch springen, auf dem das Spielzeug stand, direkt auf das
Puppenbett zugehen und die Vorhänge auf die Seite schieben. Da lagen die
kranken Blumen, aber sie richteten sich sofort empor und nickten den
andern auf dem Fußboden zu, daß sie auch mittanzen wollten. Der alte
Herr auf dem Räucherkästchen, dem die Unterlippe abgebrochen war, stand
auf und verneigte sich vor den hübschen Blumen. Sie sahen gar nicht mehr
krank aus, hüpften unter die andern hinunter und waren recht vergnügt.

Horch! War es nicht, als ob etwas vom Tische herunterfiele? Ida schaute
hin. Es war die Fastnachtsrute, welche heruntersprang. Sie schien
ebenfalls mit zu den Blumen zu gehören. Sie war auch sehr niedlich, und
oben in der Spitze saß eine kleine Wachspuppe, die einen genau eben so
breiten Hut auf dem Kopfe hatte, wie ihn der Kanzleirat trug. Die
Fastnachtsrute hüpfte auf ihren drei roten Stelzfüßen mitten unter die
Blumen, und stampfte, weil sie Mazurka tanzte, laut den Boden. Den Tanz
verstanden die andern Blumen nicht, denn sie waren gar leicht und
konnten nicht aufstampfen.

Die Wachspuppe auf der Fastnachtsrute wurde plötzlich groß und lang,
schwang sich hoch über die Papierblumen empor und rief ganz laut. „Wie
kann man einem Kinde dergleichen vorreden! Das ist dummes Zeug!“ und da
ähnelte die Wachspuppe dem Kanzleirate mit seinem breiten Hute auf das
täuschendste; sie sah gerade eben so gelb und brummig aus. Aber die
Papierblumen schlugen ihn an die dünnen Beine und da schrumpfte er
wieder zusammen und wurde eine winzig kleine Wachspuppe. Das war ein zu
komischer Anblick! Die kleine Ida konnte sich des Lachens nicht
enthalten.

In demselben Augenblicke klopfte es ganz laut inwendig in dem
Schubfache, wo Idas Puppe, Sophie, bei vielem anderen Spielzeug lag. Das
Männchen auf dem Räucherkästchen lief bis an die Kante des Tisches,
legte sich der Länge nach auf den Bauch und fing an den Schubkasten ein
wenig herauszuziehen. Da richtete sich Sophie empor und sah sich ganz
verwundert um. „Hier ist ja Ball!“ sagte sie, „warum hat mir es denn
niemand gesagt?“

„Willst du mit mir tanzen?“ fragte das Räuchermännchen.

„Fürwahr, das stände mir gerade an, mit dir zu tanzen!“ sagte sie und
wandte ihm den Rücken. Hierauf setzte sie sich auf das Schubfach und
dachte, es würde schon eine oder die andere Blume kommen und sie
engagieren, aber es kam keine. Nun hustete sie, hm, hm, hm, aber
gleichwohl kam keine. Das Räuchermännchen tanzte ganz allein und gar
nicht so übel.

Da nun keine der Blumen Sophie zu sehen schien, ließ sie sich vom
Schubfach gerade auf den Boden herabgleiten, so daß ein großer Lärm
entstand. Alle Blumen umringten sie auch gleich und fragten, ob sie sich
keinen Schaden gethan hätte, und sie benahmen sich alle sehr
zuvorkommend gegen sie, besonders die Blumen, die in ihrem Bette gelegen
hatten. Aber sie hatte keinen Schaden genommen und alle Blumen Idas
dankten ihr für das prächtige Bett und bewiesen ihr große Zuneigung. Sie
zogen sie mit sich bis mitten auf den Boden, wo der Mond schien, tanzten
mit ihr und alle andern Blumen schlossen einen Kreis um sie. Nun war
Sophie fröhlich und sagte, sie möchten getrost ihr Bett behalten, sie
läge eben so gern im Schubfache.

Aber die Blumen sagten: „Empfange unsern besten Dank, allein wir können
nicht mehr lange leben; morgen sind wir tot; sage aber der kleinen Ida,
sie möchte uns draußen im Garten dort, wo der Kanarienvogel liegt,
begraben. Dann würden wir im Sommer noch weit schöner wieder aufblühen!“

„Nein, ihr dürft nicht sterben!“ sagte Sophie und küßte dann die Blumen.
In dem Augenblicke ging die Saalthüre auf und eine große Menge
prachtvoller Blumen tanzte herein. Ida konnte sich gar nicht denken,
woher sie gekommen waren; es waren gewiß die Blumen draußen vom Schlosse
des Königs. An der Spitze gingen zwei herrliche Rosen und trugen kleine
Goldkronen, das war ein König und eine Königin. Darauf folgten die
niedlichsten Levkojen und Nelken, die nach allen Seiten hin grüßten. Sie
hatten Musik mit sich, große Mohnblüten und Päonien bliesen auf
Erbsenschoten, so daß sie ganz rot im Gesicht waren. Die blauen
Glockenblumen und die kleinen weißen Schneeglöckchen klingelten, als ob
sie Schellen trügen. Das war eine komische Musik. Dann kamen gar viele
andere Blumen und tanzten allesamt, die blauen Veilchen und die roten
Tausendschön, die Gänseblümchen und Maiblümchen. Und alle Blumen küßten
einander, was sehr niedlich anzusehen war.

Schließlich sagten die Blumen einander gute Nacht. Da schlich sich denn
auch die kleine Ida in ihr Bett, wo sie von allem, was sie gesehen
hatte, träumte.

Als sie am nächsten Morgen aufstand, ging sie sogleich zu dem kleinen
Tische, um zu sehen, ob die Blumen noch dort wären. Sie zog den Vorhang
vor dem kleinen Bett zur Seite, ja, da lagen sie sämtlich, aber sie
waren ganz welk, weit mehr als gestern. Sophie lag im Schubfache, wohin
Ida sie gelegt hatte; sie sah sehr schläfrig aus.

„Kannst du dich auf das besinnen, was du mir sagen solltest?“ fragte die
kleine Ida, allein Sophie machte ein dummes Gesicht und sagte auch nicht
ein einziges Wort.

„Du bist gar nicht artig,“ sagte Ida, „und doch tanzten sie sämtlich mit
dir.“ Dann nahm sie ein Papierschächtelchen, das mit niedlichen Vögeln
bemalt war, öffnete es und legte die toten Blumen hinein. „Das soll euer
hübscher Sarg sein,“ sagte sie, „und wenn später _Jonas_ und _Adolph_
kommen, da sollen sie bei dem Begräbnisse draußen im Garten mit zugegen
sein, damit ihr im Sommer wieder wachsen könnt und noch weit schöner
werdet!“

Jonas und Adolph waren zwei frische Knaben und Spielgenossen von Ida;
ihr Vater hatte jedem von ihnen eine neue Armbrust geschenkt, die sie
bei sich hatten, um sie Ida zu zeigen. Sie erzählte ihnen von den armen
Blumen, die gestorben waren, und dann durften sie dieselben begraben.
Beide gingen mit ihrer Armbrust auf den Schultern voran und die kleine
Ida folgte ihnen mit den toten Blumen in der niedlichen Schachtel.
Draußen im Garten gruben die Kinder ein kleines Grab und Ida setzte die
Blumen, nachdem sie dieselben noch einmal geküßt hatte, mit der
Schachtel in die Erde. Adolph und Jonas schoßen mit der Armbrust über
das Grab, denn sie hatten weder Flinten noch Kanonen.



Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern.

  [Abbildungen/Illustrations: pic51.jpg]


Es war entsetzlich kalt; es schneite und der Abend dunkelte bereits; es
war der letzte Abend im Jahre, Sylvesterabend. In dieser Kälte und in
dieser Finsternis ging auf der Straße ein kleines armes Mädchen mit
bloßem Kopfe und mit nackten Füßen. Es hatte wohl freilich Pantoffeln
angehabt, als es von Hause fortging, aber das waren die seiner
verstorbenen Mutter gewesen und da sie ihr nicht paßten, so hatte sie
die Kleine verloren, als sie über die Straße eilte, während zwei Wagen
in rasender Eile vorüberjagten; der eine Pantoffel war nicht wieder
aufzufinden und mit dem andern machte sich ein Knabe aus dem Staube.

Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten zierlichen Füßchen, die
vor Kälte ganz rot und blau waren. In ihrer alten Schürze trug sie eine
Menge Schwefelhölzer und ein Bund hielt sie in der Hand. Während des
ganzen Tages hatte ihr niemand etwas abgekauft, niemand ein Almosen
gereicht. Hungrig und frostig schleppte sich die arme Kleine weiter und
sah schon ganz verzagt und eingeschüchtert aus. Die Schneeflocken fielen
auf ihr langes blondes Haar, das schön gelockt über ihren Nacken
hinabfloß. Aus allen Fenstern strahlte heller Lichterglanz und über alle
Straßen verbreitete sich der Geruch von köstlichem Gänsebraten. Es war
ja Sylvesterabend und dieser Gedanke erfüllte alle Sinne des kleinen
Mädchens.

In einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas weiter
in die Straße vorsprang als das andere, kauerte es sich nieder. Seine
kleinen Beinchen hatte es unter sich gezogen, aber es fror nur noch mehr
und wagte es trotzdem nicht, nach Hause zu gehen, da es noch kein
Schächtelchen mit Streichhölzern verkauft, noch keinen Pfennig erhalten
hatte. Es hätte gewiß vom Vater Schläge bekommen, und kalt war es zu
Hause ja auch; sie hatten das bloße Dach über sich und der Wind pfiff
schneidend hinein, obgleich Stroh und Lumpen in die größten Ritzen
gestopft waren. Ach, wie gut mußte die Wärme eines Schwefelhölzchens
thun! Wenn es nur wagen dürfte, eines aus dem Schächtelchen
herauszunehmen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger daran zu
wärmen! Endlich zog das Kind eines heraus. „Ritsch!“ wie sprühte es, wie
brannte es. Das Schwefelholz strahlte eine warme helle Flamme aus, wie
ein kleines Licht, als es das Händchen um dasselbe hielt. Es war ein
merkwürdiges Licht; es kam dem Mädchen vor, als säße es vor einem großen
eisernen Ofen mit Messingbeschlägen und Messingverzierungen; das Feuer
brannte so schön und wärmte so wohlthuend! Die Kleine streckte schon die
Füße aus, um auch diese zu wärmen -- da erlosch die Flamme. Der Ofen
verschwand -- sie saß mit einem Stümpfchen des ausgebrannten
Schwefelholzes in der Hand da.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und die Stelle
der Mauer, auf welche der Schein fiel, wurde durchsichtig wie ein Flor.
Die Kleine sah gerade in die Stube hinein, wo der Tisch gedeckt stand
und köstlich dampfte die gebratene Gans darauf. Und was noch herrlicher
war, die Gans sprang aus der Schüssel und watschelte mit Gabel und
Messer im Rücken über den Fußboden hin; gerade auf das arme Mädchen zu.
Da erlosch das Schwefelholz und nur die dicke kalte Mauer war zu sehen.

Sie zündete ein neues an. Da saß die Kleine unter dem herrlichsten
Weihnachtsbaum; er war noch größer und noch weit reicher ausgeputzt als
der, den sie am heiligen Abende bei dem reichen Kaufmann durch die
Glasthüre gesehen hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen
Zweigen, und bunte Bilder schauten auf sie hernieder; die Kleine
streckte beide Hände nach ihnen in die Höhe -- da erlosch das
Schwefelholz. Die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher und
sie sah jetzt erst, daß es die hellen Sterne waren. Einer von ihnen fiel
herab und zog einen langen Feuerstreifen über den Himmel.

„Jetzt stirbt jemand!“ sagte die Kleine; denn die alte Großmutter,
welche sie allein freundlich behandelt hatte, jetzt aber längst tot war,
hatte gesagt: „Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor!“

Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer; es warf einen weiten
Lichtschein rings umher und im Glanze desselben stand die alte
Großmutter hell beleuchtet mild und freundlich da.

„Großmutter!“ rief die Kleine, „o nimm mich mit dir! Ich weiß, daß du
verschwindest, sobald das Schwefelholz ausgeht, verschwindest, wie der
warme Kachelofen, der köstliche Gänsebraten und der große flimmernde
Weihnachtsbaum!“ Schnell strich sie den ganzen Rest der Schwefelhölzer
an, welche sich noch im Schächtelchen befanden, sie wollte die
Großmutter festhalten; und die Schwefelhölzer verbreiteten einen solchen
Glanz, daß es heller war als am lichten Tage. So schön, so groß war die
Großmutter nie gewesen; sie nahm das kleine Mädchen auf ihren Arm und
hoch schwebten sie empor in Glanz und Freude; Kälte, Hunger und Angst
wichen von ihm -- sie waren bei Gott.

Aber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine
Mädchen mit roten Wangen, mit Lächeln um den Mund -- tot, erfroren am
letzten Tage des alten Jahres. Der Morgen des neuen Jahres ging über der
kleinen Leiche auf, welche mit den Schwefelhölzern, wovon fast ein
Schächtelchen verbrannt war, dasaß. „Sie hat sich wärmen wollen!“ sagte
man. Niemand wußte, was sie Schönes gesehen hatte, in welchem Glanze sie
mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war.



Die wilden Schwäne.

  [Abbildungen/Illustrations: pic57.jpg, tafel4.jpg]


Weit von hier, dort, wohin die Schwalben fliegen, ehe unser Winter
eintritt, lebte ein König, der hatte elf Söhne und eine Tochter, _Elise_
genannt. Die elf Prinzen gingen stets mit einem Stern auf der Brust und
dem Säbel an der Seite zur Schule. Sie schrieben mit Diamantgriffeln auf
goldenen Tafeln. Ihre Schwester Elise saß auf einem Stühlchen von
Spiegelglas und besaß ein Bilderbuch, welches das halbe Königreich
gekostet hatte.

Der König verheiratete sich zum zweitenmal, da er Witwer war, und zwar
mit einer bösen Königin, welche die armen Kinder gar nicht lieb hatte.
Schon den ersten Tag konnten sie es ganz deutlich merken. Im Schloße war
ein großes Fest und da spielten die Kinder: „Es kommt Besuch“; aber
während sie sonst alle Kuchen und Bratäpfel, die nur irgend aufzutreiben
waren, erhielten, gab ihnen die Königin nur Sand in einer Tasse und
sagte, sie könnten ja so thun, als ob es etwas wäre.

In der folgenden Woche übergab sie die kleine Elise einer Bauernfamilie
auf dem Lande, und es dauerte nicht lange, bis sie dem Könige so viel
über die armen Prinzen in den Kopf gesetzt hatte, daß er sich nun gar
nicht mehr um sie kümmerte.

„Fliegt hinaus in die Welt und sorgt für euch selber!“ sagte die böse
Königin; „fliegt als große Vögel, ohne Stimme.“ Aber so schlimm, wie sie
beabsichtigte, konnte sie es doch nicht ausführen: die Prinzen
verwandelten sich in elf herrliche, wilde Schwäne. Mit einem seltsamen
Schrei flogen sie zu den Schloßfenstern hinaus über den Park und Wald
hinweg.

Es war noch ganz früh, als sie an jenem Bauernhause, in dem ihre
Schwester gerade im Bette lag und schlief, vorbeikamen. Hier schwebten
sie über dem Dache, drehten ihre langen Hälse hin und her und schlugen
mit den Flügeln aber niemand sah oder hörte es. Sie mußten wieder
weiter, hoch zu den Wolken empor, fort in die weite Welt, wo sie bis zu
einem großen finstern Wald flogen, der sich bis an den Meeresstrand
erstreckte.

  [Farbtafel/Plate]

Die arme kleine Elise stand in der Bauernstube und spielte mit einem
grünen Blatte, denn anderes Spielzeug hatte sie nicht. Sie stach ein
Loch in das Blatt, schaute durch dasselbe zur Sonne hinauf und dann war
es ihr gerade, als wenn sie die hellen Augen ihrer Brüder erblickte.

Ein Tag verlief wie der andere. Wehte der Wind durch die großen
Rosenhecken draußen vor dem Hause, dann flüsterte er den Rosen zu: „Wer
kann schöner sein als ihr?“ aber die Rosen schüttelten den Kopf und
sagten: „Elise ist es!“ Und saß am Sonntage die alte Hausmutter vor der
Thüre und las in ihrem Gesangbuch, dann schlug der Wind die Blätter um
und sagte zu dem Buche: „Wer ist frömmer als du?“ -- „Elise ist es!“
sagte das Gesangbuch.

Als Elise fünfzehn Jahre alt war, sollte sie an den Hof ihres Vaters
zurückkehren. Kaum hatte aber die Königin die auffallende Schönheit des
Mädchens gesehen, als auch ihr Herz sogleich von Zorn und Haß gegen sie
erfüllt wurde. Gar zu gern hätte sie nun auch ihre Stieftochter in einen
wilden Schwan verwandelt, doch durfte sie es nicht sogleich wagen, da ja
der König seine Tochter sehen wollte.

Früh morgens ging die Königin in das Bad, nahm drei Kröten, küßte sie
und sagte zu der einen: „Setze dich, wenn Elise in das Bad kommt, auf
ihren Kopf, damit sie träge wird wie du!“ -- „Setze dich auf ihre
Stirn!“ sagte sie zu der andern, „damit sie häßlich wird wie du, so daß
sie ihr Vater nicht erkennt!“ -- „Ruhe an ihrem Herzen!“ flüsterte sie
der dritten zu, „laß sie einen bösen Sinn bekommen, damit sie dadurch
Pein erleidet!“ Darauf setzte sie die Kröten in das klare Wasser,
welches sofort eine grünliche Farbe annahm. Nun befahl sie Elise, ein
Bad zu nehmen. Während dieselbe nun in dem grünlichen Wasser
untertauchte, setzte sich ihr die eine Kröte in das Haar, die andere auf
die Stirn und die dritte ans Herz. Elise schien es aber gar nicht zu
bemerken. Als sie sich wieder emporrichtete, schwammen drei rote
Mohnblumen auf dem Wasser. Wären die Tiere nicht giftig gewesen und
hätten sie nicht von der Hexe einen Kuß erhalten, so wären sie in rote
Rosen verwandelt worden, Blumen aber wurden sie trotzdem, weil sie auf
ihrem Haupte und an ihrem Herzen geruht hatten. Sie war zu fromm und
unschuldig, als daß die Zauberkunst Gewalt über sie zu gewinnen
vermochte.

Als das die böse Königin sah, rieb sie Elise mit Walnußsaft ein, so daß
sie ganz dunkelbraun wurde. Es war jetzt unmöglich, die hübsche Elise
wieder zu erkennen.

Als ihr Vater sie in diesem Zustand erblickte, erschrak er nicht wenig
und erklärte, das wäre seine Tochter nicht. Niemand wollte sie wieder
erkennen, außer dem Kettenhunde und den Schwalben, das waren aber arme
Tiere und hatten nichts mitzusprechen.

Da weinte die arme Elise und gedachte ihrer elf Brüder, die alle
verschwunden waren. Betrübt schlich sie sich aus dem Schlosse hinaus und
ging den ganzen Tag über Feld und Sumpf bis in den großen Wald hinein.
Sie wußte zwar nicht, wohin sie wollte, aber in ihrer Betrübnis sehnte
sie sich nach ihren Brüdern, die gewiß, so dachte sie, gleich ihr in die
Welt hinausgejagt worden waren. Diese wollte sie suchen und hoffte sie
auch zu finden.

Sie war vollständig vom Wege abgekommen und die Nacht brach herein.
Da legte sie sich dann auf das weiche Moos, sprach ihr Abendgebet und
lehnte ihr Köpfchen gegen einen Baumstumpf. Dort war es so still, die
Luft war so mild, und ringsumher im Grase und auf dem Moose funkelten,
wie in grünlichem Feuer, hunderte von Leuchtkäferchen. Als sie einen
Zweig mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Insekten wie
Sternschnuppen zu ihr hernieder.

Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; als sie erwachte, stand
die Sonne schon hoch. Allerdings konnte sie dieselbe nicht sehen, denn
die hohen Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest aus, aber die
Strahlen spielten dort oben wie ein wehender Goldflor. Sie hörte das
Wasser plätschern, das kam aus vielen, reichen Quellen, welche alle in
einen Teich mündeten, in dem der herrlichste Sandboden war. Zwar wuchs
hier dichtes Gebüsch ringsherum, doch hatten an einer Stelle die Hirsche
eine große Öffnung gebildet und nach dieser Richtung hin ging Elise zum
Wasser.

Als sie in demselben ihr eigenes Angesicht erblickte, erschrak sie auf
das heftigste, so braun und häßlich war es. Kaum aber hatte sie ihr
kleines Händchen naß gemacht und sich Augen und Stirn damit gerieben,
so schien auch die weiße Haut wieder hervor. Da legte sie flugs ihre
Kleider ab und stieg in’s Wasser. Ein schöneres Königskind fand sich
nirgends in der Welt.

Als sie sich wieder angekleidet und ihr Haar geflochten hatte, ging sie
noch tiefer in den Wald hinein. Dort war es so still, daß sie ihre
eigenen Fußtritte hörte und jedes welke Blatt, welches sich unter ihren
Füßen bog, und sie empfand so recht die Einsamkeit, die sie nie zuvor
gekannt hatte.

Die zweite Nacht im Walde brach herein. Diesmal funkelte nicht ein
einziges Leuchtkäferchen aus dem Moose hervor und betrübt legte sie sich
zum Schlafe nieder. Da schien es ihr, als beugten sich die Baumzweige
über ihr zur Seite und der liebe Gott sähe mit milden Augen auf sie
hernieder und kleine Engel guckten über seinem Haupte und unter seinen
Armen hervor.

Als sie am andern Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es nur
geträumt hätte oder ob es Wirklichkeit gewesen wäre.

Sie machte sich wieder auf den Weg und begegnete sehr bald einer alten
Frau, die Beeren in ihrem Korbe trug. Die Alte schenkte ihr einige
derselben und Elise fragte, ob sie nicht elf Prinzen hätte durch den
Wald reiten sehen.

„Nein,“ sagte die Alte, „aber gestern sah ich elf Schwäne mit goldenen
Kronen auf dem Kopfe den Bach hinabschwimmen; ich will dir den Weg dahin
zeigen.“

Sie führte Elise eine Strecke weiter bis zu einem Abhange, an dessen
Fuße ein Bach vorüberrauschte.

Elise sagte nun der Alten Lebewohl und ging dann den Bach bis zu seiner
Mündung entlang.

Da lag nun das ganze herrliche Meer vor dem jungen Mädchen ausgebreitet
da. Aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war zu
sehen, auf welchem sie hätte weiter gelangen können. Sie betrachtete die
unzähligen kleinen Steine am Strande; das Wasser hatte sie alle rund
geschliffen. Unermüdlich hatte es darüber hingerollt.

„Dank für eure Lehre, ihr klaren Wogen!“ rief Elise. „Einmal, das sagt
mir mein Herz, werdet ihr mich zu meinen Brüdern tragen!“

Auf dem angespülten Seegrase lagen elf weise Schwanenfedern; sie
sammelte sie zu einem Strauß. Wassertropfen lagen auf ihnen, ob es Tau
war oder Thränen, konnte niemand sehen.

Als die Sonne eben untergehen wollte, gewahrte Elise elf wilde Schwäne
mit goldenen Kronen auf dem Kopfe, die dem Lande zuflogen; einer
schwebte hinter dem andern, es sah wie ein langes, weißes Band aus. Da
stieg Elise den Abhang hinauf und versteckte sich hinter einem Busch.
Die Schwäne ließen sich unmittelbar in ihrer Nähe nieder und schlugen
mit ihren großen, weißen Flügeln.

Als die Sonne unter das Wasser tauchte, sanken plötzlich die
Schwanenhüllen und elf herrliche Prinzen, Elisens Brüder, standen da.
Sie stieß einen lauten Schrei aus, denn, hatten sie sich auch sehr
verändert, so wußte sie doch, daß sie es waren. Rasch sprang sie auf
und umarmte ihre Brüder voller Freude, einen nach dem andern, rief
jeden bei Namen, und die Brüder waren unendlich glücklich, als sie ihr
Schwesterchen, das jetzt so groß und schön war, sahen und erkannten.
Sie lachten und weinten und waren bald darüber einig, wie böse ihre
Stiefmutter gegen sie alle gehandelt hätte.

„Wir Brüder,“ erzählte nun der Älteste, „fliegen als wilde Schwäne, so
lange die Sonne am Himmel steht; ist sie untergegangen, erhalten wir
unsere menschliche Gestalt wieder. Unsere Hauptsorge muß es deshalb
sein, beim Sonnenuntergang festen Grund und Boden unter den Füßen zu
haben, denn fliegen wir dann noch zwischen den Wolken, müssen wir, als
Menschen, in die Tiefe hinabstürzen. Hier wohnen wir nicht; es liegt ein
eben so schönes Land als dieses am jenseitigen Meeresufer; der Weg dahin
ist weit, wir müssen über das große Meer und keine Insel liegt auf
unserm Wege, auf der wir übernachten könnten; nur eine einsame kleine
Klippe ragt inmitten desselben hervor. Sie ist gerade groß genug, daß
wir Seite an Seite dicht nebeneinander ruhen können. Dort übernachten
wir in unserer Menschengestalt; ohne sie könnten wir unser teures
Vaterland nie wiedersehen, denn zwei der längsten Tage des Jahres
gebrauchen wir zu unserem Fluge. Nur einmal jährlich ist es uns
vergönnt, unsere Heimat zu besuchen. Elf Tage dürfen wir dann hier
weilen, über diesen großen Wald hinfliegen, von wo wir das väterliche
Schloß erblicken. Und hier haben wir dich, liebes Schwesterchen,
gefunden. Noch zwei Tage dürfen wir hier bleiben, dann müssen wir über
das Meer nach einem herrlichen Lande aufbrechen, welches aber doch nicht
unser Vaterland ist. Allein wie sollen wir es nur anfangen, dich
mitzunehmen?“

„Was kann ich thun, um euch zu erlösen?“ fragte die Schwester. Nun
berieten und unterhielten sie sich fast die ganze Nacht; nur wenige
Stunden senkte sich der Schlummer auf ihre Augen.

Elise erwachte plötzlich vom Rauschen der Schwanenflügel, welche über
sie hinsausten. Die Brüder waren wieder versammelt und flogen in großen
Kreisen und zuletzt weit fort, doch blieb wenigstens einer von ihnen,
der jüngste, zurück. Der Schwan legte seinen Kopf in ihren Schoß und sie
streichelte seine Schwingen; den ganzen Tag waren sie beisammen. Gegen
Abend kamen die andern zurück und als die Sonne untergegangen war,
standen sie in ihrer natürlichen Gestalt da.

„Morgen fliegen wir von hier fort und dürfen vor einem ganzen Jahr nicht
zurückkommen; aber wir haben beschlossen, dich nicht zu verlassen. Hast
du Mut, uns zu begleiten? Sollten unser aller Flügel nicht Kraft genug
haben, mit dir über das Meer zu fliegen?“

„Ja, nehmt mich mit!“ rief Elise freudig aus.

Die ganze Nacht brachten sie nun damit zu, aus der geschmeidigen
Weidenrinde und dem zähen Schilf ein starkes Netz zu flechten; auf
dieses legte sich Elise, und als nun die Sonne sich erhob und die Brüder
in wilde Schwäne verwandelt wurden, ergriffen sie das Netz mit ihren
Schnäbeln und flogen mit ihrer teuren Schwester, die noch im süßen
Schlummer lag, hoch zu den Wolken empor. Die Sonnenstrahlen schienen ihr
gerade ins Antlitz, weshalb einer der Schwäne über ihrem Haupt
einherschwebte, um ihr mit seinen breiten Flügeln kühlen Schatten zu
gewähren.

Sie waren schon weit vom Lande weg, als Elise erwachte. Sie glaubte noch
zu träumen, so wunderbar kam es ihr vor, über das Meer hoch durch die
Luft getragen zu werden. Ihr zur Seite lag ein Zweig mit herrlichen
reifen Beeren und ein Bund wohlschmeckender Wurzeln. Diese hatte der
jüngste der Brüder gesammelt und für sie hingelegt, und dankbar lächelte
sie ihn an, denn sie erkannte, daß er es war, der über ihrem Haupte
einherflog und sie mit den Flügeln beschattete.

Sie schwebten so hoch, daß das erste Schiff, welches sie unter sich
erblickten, ihnen wie eine Möve vorkam, die auf dem Wasser lag. Eine
große Wolkenmasse stand hinter ihnen, bergehoch aufgetürmt, und auf
dieser gewahrte Elise ihren eigenen Schatten und den der elf Schwäne,
der in Riesengröße ihren eilenden Flug begleitete. Den ganzen Tag flogen
sie, wie ein sausender Pfeil durch die Luft geht, aber doch ging es
jetzt, wo sie die Schwester zu tragen hatten, bedeutend langsamer als
sonst. Da zog sich ein Unwetter zusammen und der Abend näherte sich.
Ängstlich sah Elise die Sonne mehr und mehr sinken, und noch immer war
die einsame Klippe im Meere nicht zu erblicken. Es kam ihr vor, als ob
die Schwäne stärkere Flügelschläge machten. Die schwarze Wolkenmasse kam
näher und näher, die starken Windstöße verkündeten einen Sturm. Die
Wolken hatten sich in einer einzigen großen, Unheil drohenden Masse
zusammengeballt, die sich bleiförmig vorwärts schob. Blitz leuchtete auf
Blitz.

Jetzt hatte die Sonne den Meeresspiegel erreicht. Elisen klopfte das
Herz. Da schossen die Schwäne hinab, so schnell, daß sie zu fallen
vermeinte. Aber jetzt schwebten sie wieder. Die Sonne war schon zur
Hälfte unter das Wasser getaucht, da bemerkte sie erst die kleine Klippe
unter sich. Sie sah nicht größer als ein Seehund aus, der den Kopf aus
dem Wasser erhebt. Die Sonne sank schnell; nur ein schmaler Streifen
blitzte noch über dem Wasser hervor, da berührte ihr Fuß festen Boden.
Das Sonnenlicht erlosch wie der letzte Funken eines brennenden Papieres.
Arm in Arm sah sie ihre Brüder um sich stehen, aber mehr Platz, als
unabweislich für diese und sie erforderlich war, fand sich auch nicht.
Die See schlug gegen die Klippe und ergoß sich wie ein Regenguß über
sie; der Himmel leuchtete, als wenn er in Flammen stände und der Donner
rollte Schlag auf Schlag. Aber Schwester und Brüder hielten einander
fest an den Händen und blieben getrost und mutig.

Als der Tag graute, war die Luft rein und still. Sobald die Sonne sich
erhob, flogen die Schwäne mit Elisen von der Insel fort. Das Meer ging
noch hoch, so daß es, als sie hoch in der Luft schwebten, ihnen vorkam,
als ob der weiße Schaum auf der dunkelgrünen See Millionen Schwäne
wären, die sich auf dem Wasser schaukelten.

Als die Sonne höher stieg, erblickte Elise vor sich ein Bergland, halb
schwimmend in der Luft, mit glitzernden Eismassen auf den Felsen, und
mitten auf denselben dehnte sich ein wohl meilenlanges Schloß aus mit
einem kühnen Säulengange über dem andern. In der Tiefe wogten
Palmenwälder und prächtige Blumen wie Mühlräder groß. Sie erkundigte
sich, ob dies Land das Ziel ihrer Reise wäre, aber die Schwäne
schüttelten den Kopf, denn was sie sah, war das herrliche, beständig
wechselnde Wolkenschloß der Fee Fata Morgana. Sie schaute aufmerksamer
hin und es war nur der Meeresnebel, der sich über das Wasser hinwälzte.
Nun gewahrte sie auch bald das wirkliche Land, dem sie zueilten. Dort
erhoben sich herrliche blaue Berge mit Zedernwäldern, Städten und
Schlössern. Lange vor Sonnenuntergang saß sie auf dem Felsen vor einer
großen Höhle, welche mit feinen grünen Schlingpflanzen bewachsen war;
sie nahmen sich wie gestickte Teppiche aus.

„Nun wollen wir sehen, was du heute Nacht hier träumen wirst!“ sagte der
jüngste Bruder und führte sie in ihr Schlafzimmer.

„O möchte ich doch träumen, wie ich euch erlösen kann!“ erwiderte sie.
Dieser Gedanke beschäftigte sie so lebhaft, sie bat Gott so innig um
seine Hilfe, ja selbst im Schlaf betete ihr Geist weiter, daß es ihr
endlich vorkam, als flöge sie hoch in die Luft zu Fata Morganas
Wolkenschlosse, und die Fee käme ihr entgegen, schön und glänzend. Und
doch glich sie auch wieder der alten Frau, die ihr im Walde Beeren
gegeben und von den Schwänen mit den goldenen Kronen erzählt hatte.

„Deine Brüder können erlöst werden!“ sprach sie, „hast du aber auch Mut
und Ausdauer? Wohl ist das Meer weicher als deine feinen Hände und formt
doch die harten Steine um, aber es fühlt nicht den Schmerz, den deine
Finger fühlen werden. Siehst du diese Brennessel, die ich in meiner Hand
halte? Von derselben Gattung wachsen viele um die Höhle, in welcher du
schläfst. Nur diese und solche, welche aus den Gräbern des Friedhofs
hervorsprossen, kannst du brauchen. Merke das; diese mußt du pflücken,
wenn sie deine Hand auch voll Blasen brennen werden. Brichst du nun die
Nesseln mit deinen Füßen, so erhältst du Flachs, aus dem du elf
Panzerhemden mit langen Ärmeln flechten und binden mußt; wirf diese über
die elf Schwäne, so ist der Zauber gelöst. Aber sei dessen wohl
eingedenk, daß du von Beginn bis zur Beendigung dieser Arbeit, und
sollten Jahre dazwischen liegen, nicht sprechen darfst; das erste Wort,
welches über deine Lippen kommt, fährt wie ein tötender Dolch in das
Herz deiner Brüder; an deiner Zunge hängt ihr Leben!“ Zugleich berührte
sie Elisens Hand mit der Nessel; diese brannte wie glühendes Feuer, so
daß die Prinzessin vor Schmerz erwachte. Es war heller, lichter Tag und
dicht neben der Stelle, wo sie geschlafen hatte, lag eine Nessel gleich
der, welche sie im Traume gesehen hatte. Da fiel sie auf ihre Kniee,
dankte dem lieben Gott und trat aus der Höhle, um sofort ihre Arbeit zu
beginnen.

Mit ihren feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln, die
sich wie Feuer anfühlten. Große Blasen brannten sie an ihren Händen und
Armen, aber gerne wollte sie dies erleiden, konnte sie doch ihre lieben
Brüder dadurch erlösen. Sie brach jede Nessel mit ihren nackten Füßen
und flocht den grünen Flachs.

Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder und erschraken, als
sie Elise stumm fanden. Zunächst hielten sie es für eine neue
Bezauberung ihrer bösen Stiefmutter, als sie aber ihre Hände sahen,
begriffen sie, was sie um ihretwillen vorhatte.

Die ganze erste Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn es ließ ihr
keine Ruhe, ehe sie nicht die lieben Brüder erlöst hatte. Den ganzen
folgenden Tag saß sie, während die Schwäne fort waren, in ihrer
Einsamkeit, aber nie war ihr die Zeit so schnell verflogen. Ein
Panzerhemd war schon fertig und nun begann sie das zweite.

Da ließ sich zwischen den Bergen der Klang eines Jagdhorns vernehmen.
Sie wurde ängstlich, der Ton kam immer näher; sie hörte Hundegebell.
Erschreckt zog sie sich in die Höhle zurück, band die Nesseln, die sie
gesammelt und gehechelt hatte, in ein Bund und setzte sich darauf.

Plötzlich kam ein großer Hund aus dem Gesträuch gesprungen, bald kamen
noch mehrere und nach wenigen Minuten stand eine Gruppe Jäger vor dem
Höhleneingang. Der schönste derselben, der König des Landes, redete
Elise an: „Wo bist du hergekommen, du herrliches Kind?“

Elise schüttelte den Kopf, sie durfte ja nicht reden, denn es galt ihrer
Brüder Leben und Erlösung. Ihre Hände verbarg sie unter der Schürze,
damit der König nicht sähe, was sie zu leiden hätte.

„Begleite mich!“ begann er von neuem; „hier darfst du nicht bleiben.
Bist du ebenso gut, wie du schön bist, so will ich dich in Seide und
Samt kleiden und dir die goldene Krone auf das Haupt setzen.“ Sie weinte
und rang ihre Hände, aber der König sagte: „Ich will nur dein Glück,
einst wirst du mir dafür danken!“ Dann stürmte er vorwärts zwischen den
Bergen hindurch, hielt sie vor sich auf dem Pferde und die Jäger jagten
hinterher.

Als die Sonne niedersank, lag die prächtige Königsstadt mit ihren
Kirchen und Kuppeln vor ihnen, und der König führte sie in sein Schloß,
wo in hohen Marmorsälen große Wasserkünste plätscherten, wo Wände und
Decken mit Gemälden verziert waren, aber sie hatte keine Augen dafür,
sie weinte und trauerte. Willenlos duldete sie, daß die Frauen ihr
königliche Kleider anlegten, ihr Perlen in das Haar flochten und feine
Handschuhe über die verbrannten Finger zogen.

Als sie in aller ihrer Pracht dastand, war sie so blendend schön, daß
sich der Hof noch tiefer vor ihr verneigte, und der König erwählte sie
zu seiner Braut, obwohl der Erzbischof den Kopf schüttelte und meinte,
das schöne Waldmädchen wäre sicher eine Hexe. Doch der König hörte nicht
darauf, ließ die Musik erklingen und sie wurde durch duftende Gärten in
die prächtigsten Säle hineingeführt. Aber nicht ein Lächeln glitt über
ihren Mund oder strahlte aus ihren Augen. Nun öffnete der König ein
kleines Zimmer dicht daneben, wo sie schlafen sollte. Es war mit
köstlichen grünen Teppichen ausgeschmückt und ähnelte vollkommen der
Höhle, in welcher der König sie gefunden hatte. Auf dem Fußboden lag das
Bund Flachs, welchen sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der
Decke hing das Panzerhemd, welches schon fertig gestrickt war. Alles
dies hatte einer der Jäger als Merkwürdigkeit mitgenommen.

„Hier kannst du dich in deine frühere Heimat zurückträumen!“ sprach der
König. „Hier ist die Arbeit, die dich dort beschäftigte. Jetzt, mitten
in deiner Pracht, wird es dich unterhalten, an die vergangene Zeit
zurückzudenken.“

Als Elise das erblickte, was ihrem Herzen so nahe lag, spielte ein
Lächeln um ihren Mund und das Blut kehrte in ihre Wangen zurück; sie
dachte an die Erlösung ihrer Bruder, küßte dem Könige die Hand, und er
drückte sie an sein Herz und ließ durch alle Kirchenglocken das
Hochzeitsfest verkündigen. Das schöne, stumme Mädchen aus dem Walde ward
die Königin des Landes. Der Erzbischof selbst mußte ihr die Krone auf
das Haupt setzen und in seinem Unwillen drückte er ihr den engen Reifen
so fest auf die Stirne, daß es ihr Schmerzen verursachte.

Ihr Mund war stumm, hätte doch ein einziges Wort ihren Brüdern das Leben
gekostet, allein ihre Augen spiegelten ihre innige Zärtlichkeit gegen
den guten, schönen König wieder, der alles that, um sie zu erfreuen.
Hätte sie sich ihm nur anvertrauen, ihm ihr Leid gestehen dürfen! Nun
aber mußte sie stumm sein, mußte stumm ihr Werk vollenden. Deshalb
schlich sie sich nachts in ihr verstecktes Kämmerlein, welches wie die
Höhle ausgeschmückt war, und strickte ein Panzerhemd nach dem andern
fertig; als sie jedoch das siebente begann, hatte sie keinen Flachs
mehr.

Wie sie wußte, wuchsen die Nesseln, welche sie allein verwenden durfte,
auf dem Friedhofe, aber sie mußte sie selbst pflücken; wie sollte sie
das anfangen?

„Ich muß es wagen, der liebe Gott wird seine Hand nicht von mir
abziehen!“ dachte sie.

Mit einer Herzensangst, als hätte sie eine böse That vor, schlich sie
sich in einer mondhellen Nacht in den Garten hinunter und ging durch die
langen Baumwege und einsamen Straßen nach dem Friedhofe hinaus. Dort
erblickte sie auf einem der breitesten Leichensteine einen Kreis
häßlicher Hexen. Elise mußte dicht bei ihnen vorüber, und sie hefteten
ihre bösen Blicke auf sie, aber sie betete, sammelte die brennenden
Nesseln und nahm sie mit sich nach dem Schlosse.

Nur ein einziger Mensch hatte sie hierbei gesehen, der Erzbischof; er
war noch wach, wenn die andern schliefen. Es hatte sich seine Meinung
nun doch bewährt, daß es mit ihr nicht stände, wie es mit einer Königin
stehen sollte. Sie war eine Hexe und darum hatte sie den König und das
ganze Volk bethört. Er erzählte dem Könige, was er gesehen hatte und was
er befürchtete. Da rollten dem Könige zwei schwere Thränen über die
Wangen herunter. Er that des Nachts, als ob er schliefe, aber es kam
kein ruhiger Schlaf in seine Augen; er merkte, wie Elise aufstand, wie
sie dieses jede Nacht wiederholte, und jedesmal ging er ihr leise nach
und sah, daß sie in ihrer Kammer verschwand.

Tag für Tag wurde seine Miene finsterer. Elise sah es wohl, begriff aber
nicht weshalb. Doch ängstigte sie dieses Benehmen, und was litt sie
nicht erst in ihrem Herzen um ihrer Brüder willen. Auf den königlichen
Sammet und Purpur rannen ihre bitteren Thränen nieder. Inzwischen war
ihre Arbeit nun bald vollendet, nur ein Panzerhemd fehlte noch, aber sie
hatte nun keinen Flachs mehr und nicht eine einzige Nessel. Einmal, nur
dieses letztemal noch, mußte sie deshalb zum Friedhofe hinaus wandern
und einige Hände voll pflücken.

Elise ging, aber der König und der Erzbischof folgten ihr und sahen sie
in die Kirchhofspforte hineintreten und verschwinden. Als sie sich
derselben näherten, erblickten sie auf den Grabsteinen die Hexen, wie
sie Elise erblickt hatte, und der König wandte sich ab, denn er
vermutete die Königin unter ihnen.

„Das Volk möge sie verurteilen!“ sagte er, und das Volk verurteilte sie
zum Scheiterhaufen.

Aus den prächtigen Königssälen wurde sie in ein finsteres, feuchtes Loch
geschleppt, in welches der Wind durch das Gitterfenster hineinpfiff;
anstatt des Sammets und der Seide gab man ihr das Bund Nesseln, welches
sie gesammelt hatte, darauf konnte sie ihr Haupt legen. Die harten,
brennenden Panzerhemden, welche sie gestrickt hatte, sollten ihr statt
Kissen und Decke dienen, doch konnte man ihr nichts Lieberes schenken.
Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und betete dabei inbrünstig zu Gott.

Da sauste gegen Abend dicht am Gitter ein Schwanenflügel, es war der
jüngste der Brüder, der endlich die Schwester aufgefunden hatte. Laut
schluchzte sie auf vor Freude, obgleich sie wußte, daß die kommende
Nacht vielleicht die letzte war, die sie zu leben hatte. Aber jetzt war
ihre Arbeit ja auch beinahe vollendet und ihre Brüder waren hier.

Die kleinen Mäuse liefen über den Fußboden, schleppten die Nesseln bis
zu ihren Füßen hin, um doch auch ein wenig zu helfen, und die Drossel
setzte sich an das Gitter des Fensters und sang so lustig sie konnte,
damit Elise den Mut nicht verlieren sollte.

Es begann gerade zu dämmern, erst in einer Stunde sollte die Sonne
aufgehen, da standen die elf Brüder vor dem Portale des Schlosses und
verlangten, vor den König geführt zu werden. Das könnte nicht geschehen,
erhielten sie aber zur Antwort, es wäre ja noch Nacht, der König
schliefe und dürfte nicht geweckt werden. Sie baten, sie drohten, die
Wache kam, ja selbst der König trat aus seinem Schlafzimmer und fragte,
was das zu bedeuten hätte, aber in dem Augenblicke stieg strahlend die
Sonne empor und nun war kein Bruder mehr zu sehen, aber über das Schloß
hinweg flogen elf wilde Schwäne.

Auf einem schlechten Karren wurde die arme Königin zur Richtstätte
geführt; sie trug ein häßliches, graues Gewand, ihr langes Haar wallte
aufgelöst um das schöne Haupt, ihre Wangen waren leichenblaß, ihre
Lippen bewegten sich leise, während ihre Finger den grünen Flachs
flochten. Selbst auf ihrem Todeswege unterbrach sie die begonnene Arbeit
nicht, die zehn Panzerhemden lagen zu ihren Füßen, an dem elften
strickte sie.

„Seht nur die Hexe an,“ rief das Volk; „mit ihrem häßlichen Zauberwerk
sitzt sie da. Reißt es ihr in tausend Stücke!“

Alle drängten auf sie ein und wollten es ihr zerreißen. Da kamen elf
weiße Schwäne geflogen, die setzten sich rings um sie auf den Karren und
schlugen mit ihren großen Schwingen. Da wich der Haufen erschrocken zur
Seite.

„Das ist ein Zeichen vom Himmel! Sie ist sicherlich unschuldig!“
flüsterten viele, wagten es aber nicht laut auszusprechen.

Nun ergriff sie der Büttel bei der Hand; da warf sie eiligst den
Schwänen die elf Hemden über und plötzlich standen elf stattliche
Prinzen da, aber der jüngste hatte anstatt des einen Armes einen
Schwanenflügel, denn seinem Panzerhemde fehlte ein Ärmel, den sie noch
nicht vollendet hatte.

„Nun darf ich sprechen!“ rief sie aus, „ich bin unschuldig!“

„Ja, unschuldig ist sie!“ sagte der älteste Bruder und erzählte dann
alles, was geschehen war, und während er sprach, verbreitete sich ein
Duft wie von tausenden von Rosen, denn jedes Stück Brennholz des
Scheiterhaufens hatte Wurzel geschlagen und Zweige getrieben. Da stand
eine duftende Hecke, hoch und groß mit roten Rosen; zu alleroberst aber
wiegte sich eine Blume, weiß und leuchtend, die wie ein Stern erglänzte.
Diese brach der König, steckte sie Elisen vor die Brust und nun erwachte
sie mit Frieden und Glückseligkeit in ihrem Herzen.

Alle Kirchenglocken läuteten von selbst und die Vögel kamen in großen
Schwärmen; es wurde ein Hochzeitszug zurück zum Schlosse, wie ihn noch
kein König gesehen hatte.



Die glückliche Familie.

  [Abbildung/Illustration: capD61.jpg]


Das größte von allen Blättern ist wohl das Klettenblatt; ein Kind kann
es als Schürze oder als Regenschirm benutzen; aber eine Schnecke ißt es
am liebsten auf; es ist ihre Lieblingsspeise. Daher hatte man in der
Nähe eines Edelsitzes Kletten gesät, weil die Schnecken wiederum eine
Lieblingsspeise der Herrschaften auf dem Edelhofe waren. Aber diese
waren gestorben, das Schloß war verfallen, der Garten verwildert; nur
die Kletten wucherten fort, sie bildeten einen dichten Klettenwald und
in diesem wohnten die beiden letzten uralten Schnecken.

Wie alt sie waren, wußten sie selbst nicht, konnten sich aber dessen
noch ganz gut entsinnen, daß ihrer weit mehr gewesen waren, daß sie
von einer aus fremden Ländern eingewanderten Familie abstammten und daß
für sie und die Ihrigen der ganze Wald angepflanzt war. Sie waren über
denselben nie hinausgekommen; gleichwohl war es ihnen nicht unbekannt,
daß noch etwas zu der Welt gehörte, was Rittergut hieß. Dort oben wurde
man gekocht, wovon man schwarz wurde, und dann wurde man auf eine
silberne Schüssel gelegt; was dann aber weiter geschah, wußten sie
nicht. Was das übrigens zu bedeuten hätte, gekocht zu werden und auf
silberner Schüssel zu liegen, konnten sie sich nicht vorstellen, nur
sagte ihnen ein dunkles Gefühl, daß das etwas Herrliches und überaus
Vornehmes sein müßte.

Die alten weißen Schnecken waren die vornehmsten in der Welt, wie sie
sehr wohl wußten; lediglich um ihretwillen war der Wald da, und das
Rittergut war da, damit sie gekocht und auf silberne Schüsseln gelegt
werden konnten.

Sie lebten jetzt sehr einsam und glücklich, und da sie selbst ohne
Kinder waren, so hatten sie eine kleine gewöhnliche Schnecke an
Kindesstatt angenommen. Der Kleine wollte indes nicht wachsen, da er zu
niedriger Abkunft war. Aber die Alten, besonders die Schneckenmutter,
meinten doch, eine Zunahme merken zu können, und letztere bat den Vater,
er möchte nur das kleine Schneckenhaus befühlen, und das that er und
fand, daß die Mutter recht hatte. --

„Höre nur, wie es heute auf die Kletten plätschert!“ sagte an einem
Regentage der Schneckenvater. „Ich bin nur froh, daß wir unser gutes
Haus haben und der Kleine auch das seinige. Für uns ist allerdings
besser gesorgt als für alle übrigen Geschöpfe, woraus du ersiehst, daß
uns die Herrschaft in der Welt gehört! Von Geburt an besitzen wir ein
Haus und der Klettenwald ist um unsertwillen angepflanzt worden!“ --
„Ich möchte nur wissen, was außerhalb desselben ist!“ meinte die
Schneckenmutter.

„Außerhalb ist nichts! Das Schloß ist vielleicht eingestürzt!“ sagte der
Schneckenvater, „oder der Klettenwald ist darüber hinweggewachsen, so
daß die Menschen nicht mehr heraus können!“

„Hast du auch schon daran gedacht, wo wir eine Frau für unsern Kleinen
herbekommen könnten?“ fragte die Schneckenmutter. „Glaubst du nicht, daß
weit, weit in den Klettenwald hinein sich noch jemand unserer Art finden
sollte?“

„Schwarze Schnecken, meine ich, werden wohl zahlreich vorhanden sein,“
sagte der Alte, „schwarze Schnecken ohne Haus, aber die gehören trotz
ihrer Eingebildetheit zu dem gemeinen Volke. Wir könnten jedoch die
Ameisen damit beauftragen; sie laufen, als wenn sie etwas zu thun
hätten, regelmäßig hin und her; sie wissen gewiß eine Frau für unser
Schneckchen!“

„Ich weiß freilich die allerschönste!“ sagte eine Ameise; „aber ich
befürchte, es wird sich nicht machen, da es sich um eine Königin
handelt!“ -- „Das thut nichts!“ sagten die Alten. „Hat sie ein Haus?“ --
„Sie hat ein Schloß!“ sagte die Ameise. „Das schönste Ameisenschloß mit
siebenhundert Gängen.“ -- „Nein, besten Dank!“ sagte die
Schneckenmutter, „unser Sohn soll nicht in einen Ameisenhaufen! Wißt ihr
nichts Besseres, so wollen wir uns an die weißen Mücken wenden; sie
fliegen in Regen und Sonnenschein weit umher und kennen den Klettenwald
von innen und von außen!“

„Wir haben eine Frau für ihn!“ sagten die Mücken. „Hundert
Menschenschritte von hier sitzt auf einem Stachelbeerstrauche eine
kleine Schnecke mit einem Hause.“ -- „Gut, laßt sie zu ihm kommen!“
sagten die Alten, „er hat einen Klettenwald, sie hat nur einen Strauch!“

Da holten sie das kleine Schneckenfräulein. Das dauerte acht Tage, aber
das war gerade das Hervorragende dabei; damit bewies sie, daß echtes
Schneckenblut in ihr rollte.

Darauf wurde Hochzeit gefeiert. Sechs Leuchtkäfer leuchteten, so gut sie
vermochten; sonst verlief die Feierlichkeit in aller Stille, denn die
alten Schnecken konnten Schwärmen und Lustbarkeiten nicht leiden.
Dagegen wurde von der Schneckenmutter eine schöne Rede gehalten; der
Vater war nicht dazu im Stande, er war zu bewegt, und dann übergaben sie
ihnen den ganzen Klettenwald als Erbteil und wiederholten, was sie stets
gesagt hatten, daß es das Beste in der Welt wäre, wenn sie und ihre
Kinder einst auf das Schloß kommen, schwarz gekocht und auf eine
silberne Schüssel gelegt werden würden.

Nach Schluß der Rede krochen die Alten in ihre Häuser und kamen nie
wieder heraus; sie schliefen. Das junge Schneckenpaar regierte im Walde
und erhielt eine zahlreiche Nachkommenschaft, nie aber wurden sie
gekocht und nie kamen sie auf eine silberne Schüssel, weshalb sie
meinten, daß das Schloß eingestürzt und alle Menschen in der Welt
ausgestorben wären, und da ihnen niemand widersprach, galt es natürlich
als wahr. Der Regen schlug auf die Klettenblätter, um ihnen eine
Trommelmusik vorzumachen, und die Sonne leuchtete, um ihretwegen den
Klettenwald in ein Lichtmeer zu tauchen und sie waren sehr glücklich und
die ganze Familie war glücklich, und sie war es wirklich.



Der Engel.

  [Abbildungen/Illustrations: capB63.jpg, pic64.jpg]


Bei jedem guten Kinde, wenn es stirbt, steigt ein Engel Gottes auf die
Erde nieder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet seine großen
weißen Flügel aus, fliegt über alle Stätten hin, die das Kind lieb
gehabt hatte, und pflückt eine ganze Hand voll Blumen, die er zu Gott
hinaufbringt, damit sie dort noch schöner als auf Erden blühen. Der
liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber der Blume, die ihm am
liebsten ist, gibt er einen Kuß und dadurch erhält sie Stimme und vermag
in der großen Glückseligkeit mitzusingen.

Sieh, dies alles erzählte ein Engel Gottes, als er ein totes Kind zum
Himmel trug und das Kind hörte es wie im Traume. Sie schwebten hin über
die Stätten der Heimat, wo das Kind gespielt hatte, und kamen durch
Gärten mit herrlichen Blumen.

„Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen?“ fragte der
Engel.

Da stand ein schlanker, prächtiger Rosenstock, aber eine böse Hand hatte
den Stamm umgebrochen, so daß alle Zweige voll großer,
halbaufgebrochener Knospen verwelkt herabhingen.

„Der arme Rosenstock!“ sagte das Kind. „Ob er nur oben bei Gott zur
Blüte gelangen kann?“

Und der Engel nahm ihn, küßte aber das Kind dafür und das Kleine öffnete
seine Augen zur Hälfte. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen,
nahmen jedoch auch die verachtete Goldblume und das wilde
Stiefmütterchen mit.

„Jetzt haben wir Blumen!“ jubelte das Kind, und der Engel nickte. Es war
Nacht und überall herrschte Stille. Sie blieben in der großen Stadt und
schwebten in einer der schmalsten Gassen, wo allerhand Gerümpel
umherlag, denn es war Ziehtag gewesen.

Der Engel zeigte auf die Scherben eines Blumentopfes hinunter und auf
einen Klumpen Erde, der herausgefallen war und durch die Wurzeln einer
großen, verwelkten, und deshalb auf die Straße hinausgeworfenen
Feldblume zusammengehalten wurde.

„Die nehmen wir mit!“ sagte der Engel. „Ich will dir gleich erzählen,
weshalb!“ Und nun flogen sie und der Engel erzählte:

„Dort unten in der engen Straße, in dem niedrigen Keller, wohnte ein
armer, kranker Knabe. Von Kindesbeinen an war er immer bettlägerig
gewesen. Wenn er sich am wohlsten fühlte, konnte er die kleine Stube auf
Krücken ein paarmal auf- und niedergehen; das war das Höchste. Während
weniger Sommertage fielen die Sonnenstrahlen ein halbes Stündchen in den
Kellerflur hinein. Wenn dann der arme Junge dasaß und die warme Sonne
auf sich herniederscheinen ließ, und durch seine feinen Finger, die er
sich vor das Gesicht hielt, das rote Blut hindurchschimmern sah, dann
hieß es: „Heute ist er ausgewesen!“ Den Wald in seinem herrlichen
Frühlingsgrün kannte er nur dadurch, daß ihm des Nachbars Sohn den
ersten Buchenzweig brachte. Den hielt er über den Kopf und träumte nun,
unter Buchen zu ruhen, wo die Sonne schiene und die Vögel sängen.

„An einem schönen Lenztage brachte ihm der Nachbarssohn mehrere
Feldblumen, worunter sich auch eine mit der Wurzel befand. Sie wurde in
einen Topf gepflanzt und an das Fenster dicht neben seinem Bette
gestellt. Die Blume war von einer glücklichen Hand gepflanzt, sie wuchs,
trieb neue Schößlinge und trug jedes Jahr ihre Blumen. Sie ersetzte dem
kranken Knaben den schönsten Garten, war sein kleiner Schatz auf dieser
Erde. Er begoß und wartete sie und sorgte dafür, daß sie jeglichen
Sonnenstrahl, der durch das niedrige Fenster hereinglänzte, bis auf den
letzten erhielt. Die Blume wuchs selbst in seine Träume hinein, denn für
ihn allein wuchs sie, verbreitete sie ihren Duft und erfreute sie das
Auge. Ihr wandte er im Tode sein Antlitz zu, als der Herr ihn rief.

„Ein ganzes Jahr ist er nun bei Gott gewesen. So lange hat die Blume
vergessen im Fenster gestanden und ist verdorrt und deshalb auf die
Straße hinausgeworfen worden. Und dies ist die arme verdorrte Blume, die
wir mit in unseren Strauß genommen haben, denn diese schlichte Blume hat
mehr Freude gebracht als die reichste Blume in dem Garten einer
Königin.“

„Aber, woher weißt du dies alles?“ fragte das Kind, welches der Engel
zum Himmel emportrug. -- „Ich weiß es!“ sagte der Engel, „ich war ja
selbst der kleine kranke Knabe. Sollte ich meine Blumen nicht kennen?“
Und das Kind öffnete seine Augen nun ganz und schaute dem Engel in sein
herrliches, freundliches Antlitz.

In demselben Augenblicke waren sie in Gottes schönem Himmel, wo Freude
und Glückseligkeit war. Und Gott drückte das tote Kind an sein Herz und
da erhielt es Flügel wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm
dahin. Gott drückte alle die Blumen an sein Herz, aber die arme
vertrocknete Feldblume küßte er und sie erhielt Stimme und sang mit all
den Engeln, die um Gott schwebten, einige ganz nahe, andere in großen
Kreisen um diese herum, immer weiter und weiter hinaus bis in die
Unendlichkeit, alle aber gleich glücklich. Alle sangen sie, Klein und
Groß, das gute, nun so gesegnete Kind, wie die arme Feldblume, die
vertrocknet, im Kehricht mit hinausgeworfen, in der engen, dunklen
Straße dagelegen hatte.



Der standhafte Zinnsoldat.

  [Abbildung/Illustration: pic65.jpg]


Es waren einmal fünfundzwanzig Zinnsoldaten, die alle Brüder waren,
da man sie aus einem und demselben alten Zinnlöffel gegossen hatte.
Das Gewehr hielten sie im Arm, das Gesicht vorwärts gegen den Feind
gerichtet; rot und blau, kurzum herrlich war die Uniform.

Das Allererste, was sie in dieser Welt hörten, nachdem der Deckel von
der Schachtel, in welcher sie lagen, abgenommen wurde, war das Wort:
„Zinnsoldaten!“ Das rief ein kleiner Knabe und klatschte vor Wonne in
die Hände. Er hatte sie zu seinem Geburtstage bekommen und stellte sie
nun auf dem Tisch in Schlachtordnung auf.

Der eine Soldat glich dem andern auf das Genaueste, nur ein einziger war
etwas verschieden: er hatte nur ein Bein, denn da er zuletzt gegossen
worden, hatte das Zinn nicht mehr ausgereicht; doch stand er auf seinem
einen Beine eben so fest wie die andern auf ihren beiden, und gerade er
sollte sich durch sein denkwürdiges Schicksal besonders auszeichnen.

Auf dem Tische, wo sie aufgestellt wurden, befand sich noch vieles
andere Spielzeug; aber dasjenige, welches am meisten die Aufmerksamkeit
auf sich zog, war ein hübsches Schloß von Papier. Durch die kleinen
Fenster konnte man inwendig in die Säle hineinschauen. Vor demselben
standen kleine Bäume, rings um ein Stück Spiegelglas, welches einen See
vorstellen sollte. Das war wohl alles niedlich, aber das Niedlichste
blieb doch ein kleines Mädchen, welches vor dem offenen Schloßportale
stand. Es war ebenfalls aus Papier ausgeschnitten, hatte aber ein
seidenes Kleid an und ein kleines, schmales, blaues Band über den
Schultern; mitten auf diesem saß ein funkelnder Stern, so groß wie ihr
ganzes Gesicht. Das kleine Mädchen streckte ihre beiden Arme anmutig in
die Höhe, denn sie war eine Tänzerin, und dann erhob sie das eine Bein
so hoch, daß es der Zinnsoldat gar nicht entdecken konnte und dachte,
daß sie, wie er, nur Ein Bein hätte.

„Die paßte für mich als Frau!“ dachte er, „aber sie ist zu vornehm für
mich, sie wohnt in einem Schlosse, und ich habe nur eine Schachtel, die
ich mit vierundzwanzig teilen muß, das ist keine Wohnung für sie. Doch
will ich zusehen, ob ich ihre Bekanntschaft machen kann!“ Dann legte er
sich der Länge nach hinter eine Schnupftabaksdose, die auf dem Tische
stand. Von hier konnte er die kleine feine Dame, die nicht müde wurde,
auf einem Bein zu stehen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, genau
beobachten.

Als es Abend wurde, legte man die übrigen Zinnsoldaten in ihre Schachtel
und die Leute im Hause gingen zu Bette. Nun begann das Spielzeug zu
spielen, der Nußknacker schlug Purzelbäume und der Griffel fuhr lustig
über die Tafel hin. Es entstand ein Lärm, daß der Kanarienvogel
aufwachte und seinen Gesang mit hineinschmetterte. Die beiden Einzigen,
welche sich nicht von der Stelle bewegten, waren der Zinnsoldat und die
kleine Tänzerin. Sie stand kerzengerade auf der Zehenspitze und hatte
beide Arme erhoben; er war auf seinem Einen Bein ebenso standhaft, nicht
einen Augenblick wandte er seine Augen von ihr ab.

Jetzt schlug es Mitternacht und klatsch! sprang der Deckel von der
Schnupftabaksdose, aber nicht etwa Schnupftabak war darin, nein, sondern
ein kleiner schwarzer Kobold; das war ein Kunststück.

„Zinnsoldat!“ sagte der Kobold, „du wirst dir noch die Augen aussehen!“
-- Aber der Zinnsoldat that, als ob er nichts gehört hätte. -- „Ja,
warte nur bis morgen!“ rief ihm dann der Kobold noch zu.

Als es nun Morgen ward und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat
in das offene Fenster gestellt, und war es nun der Kobold oder ein
Zugwind, gleichviel, plötzlich flog das Fenster auf und der Soldat fiel
aus dem dritten Stockwerke häuptlings hinunter. Das war ein
schrecklicher Sturz. Er streckte sein Eines Bein gerade in die Luft und
blieb auf dem Helme, das Bajonett nach unten, zwischen den
Pflastersteinen stecken.

Die Dienstmagd und der kleine Knabe liefen sogleich hinunter, um ihn zu
suchen; aber obgleich sie beinahe auf ihn getreten hätten, konnten sie
ihn doch nicht erblicken.

Nun begann es zu regnen; Tropfen folgte auf Tropfen, bis es ein
tüchtiger Platzregen wurde; als er vorüber war, kamen zwei Straßenjungen
dorthin.

„Sieh, sieh!“ sagte der eine, „da liegt ein Zinnsoldat, der muß hinaus
und segeln!“

Nun machten sie ein Boot aus Zeitungspapier, setzten den Zinnsoldaten
mitten hinein und ließen ihn den Rinnstein hinunter segeln. Beide Knaben
liefen nebenher und klatschten in die Hände. Hilf Himmel, was für Wellen
erhoben sich in dem Rinnstein und welch reißender Strom war da! Ja,
es mußte ein wahrer Platzregen heruntergekommen sein. Das Papierboot
schwankte auf und nieder und bisweilen drehte es sich im Kreise, daß
den Zinnsoldaten ein Schauer überlief. Trotzdem blieb er standhaft,
verfärbte sich nicht, sah geradeaus und behielt das Gewehr im Arm.

Plötzlich trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke; hier war es
so dunkel wie in seiner Schachtel. „Wo mag ich jetzt nur hinkommen?“
dachte er. „Ja, ja, das ist des Kobolds Schuld!“

In diesem Augenblicke erschien eine Wasserratte, welche unter der
Rinnsteinbrücke wohnte.

„Hast du einen Paß?“ fragte die Ratte. „Her mit dem Passe!“

Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt sein Gewehr nur noch fester.
Das Boot fuhr weiter und die Ratte hinterher. Hu! wie sie mit den Zähnen
knirschte und den Spänen und dem Stroh zurief: „Haltet ihn auf! Er hat
keinen Zoll bezahlt, er hat keinen Paß vorgezeigt!“

Aber die Strömung wurde stärker und stärker; der Zinnsoldat konnte,
schon ehe er das Ende des Brettes erreichte, den hellen Tag erblicken,
aber er hörte zugleich einen brausenden Ton, der auch eines tapferen
Mannes Herzen erschrecken konnte. Denkt euch, der Rinnstein stürzte am
Ende der Brücke gerade in einen großen, breiten Kanal hinab, was ihm
gleiche Gefahr bringen mußte als uns, wollten wir Menschen einen großen
Wasserfall hinuntersegeln.

Er war jetzt schon so nahe dabei, daß er nicht mehr anzuhalten
vermochte. Das Boot fuhr hinab, der arme Zinnsoldat hielt sich, so gut
es gehen wollte, aufrecht. Niemand sollte ihm nachsagen können, daß er
auch nur mit den Augen geblinkt hätte. Das Boot drehte sich drei-,
viermal um sich selbst und füllte sich dabei bis zum Rande mit Wasser,
es mußte sinken. Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im Wasser, und
tiefer und tiefer sank das Boot. Mehr und mehr löste sich das Papier
auf; jetzt ging das Wasser schon über des Soldaten Haupt, -- da dachte
er an die kleine, niedliche Tänzerin, die er nie mehr erblicken sollte;
und es klang vor des Zinnsoldaten Ohren:

  „Morgenrot, Morgenrot,
  Leuchtest mir zum frühen Tod.“

Nun zerriß das Papier und der Zinnsoldat fiel hindurch, wurde aber in
demselben Augenblicke von einem großen Fische verschlungen.

Nein, wie finster war es da drinnen; da war es noch schlimmer als unter
der Rinnsteinbrücke und vor allen Dingen so gar eng. Gleichwohl war der
Zinnsoldat standhaft und lag, so lang er war, mit dem Gewehre im Arme.

Der Fisch fuhr umher und machte die entsetzlichsten Bewegungen; endlich
wurde es ganz still, und wie ein Blitzstrahl fuhr es durch ihn hin. Dann
drang ein heller Lichtglanz hinein und jemand rief laut: „Ein
Zinnsoldat!“ Der Fisch war gefangen, auf den Markt gebracht und verkauft
worden und so in die Küche hinausgewandert, wo ihn die Magd mit einem
großen Messer aufschnitt. Sie faßte den Soldaten mitten um den Leib und
trug ihn in die Stube hinein, wo sämtliche den merkwürdigen Mann sehen
wollten, der im Magen eines Fisches umhergereist war; der Zinnsoldat war
jedoch darauf gar nicht stolz. Man stellte ihn auf den Tisch und da --
nein, wie wunderlich kann es doch in der Welt zugehen, befand sich der
Zinnsoldat in der nämlichen Stube, in der er vorher gewesen war, er sah
die nämlichen Kinder und das nämliche Spielzeug stand auf dem Tische:
das herrliche Schloß mit der niedlichen kleinen Tänzerin. Sie hielt sich
immer noch auf dem einen Beine und hatte das andere hoch in der Luft,
sie war ebenfalls standhaft. Das rührte den Zinnsoldaten so, daß er
beinahe Zinn geweint hätte, aber das schickte sich nicht. Er sah sie und
sie sah ihn an, aber sie sagten einander nichts.

Plötzlich ergriff der eine der kleinen Knaben den Zinnsoldaten und warf
ihn geradewegs in den Ofen hinein, obgleich hierzu eigentlich gar kein
Grund vorlag; doch gewiß hatte es ihm der Kobold in der Dose eingegeben.

Der Zinnsoldat stand mitten im Feuer und fühlte eine ganz entsetzliche
Hitze. Die Farben waren von ihm abgegangen, ob das von den
Reisestrapazen herrührte oder vom Kummer, wußte er nicht. Er sah das
Dämchen an und fühlte, wie er schmolz; aber noch stand er aufrecht und
hielt sein Gewehr im Arm. Da ging plötzlich eine Thür auf, ein Windhauch
erfaßte die Tänzerin und diese flog gleich einer Sylphe in den Ofen zum
Zinnsoldaten, loderte auf und war dahin. Da schmolz auch der Zinnsoldat
zu einem Klumpen, und als die Magd am nächsten Morgen die Asche aus dem
Ofen nahm, fand sie ihn gestaltet wie ein kleines Herz. Von der Tänzerin
war nichts übrig als der Flitterstern, der schwarz gebrannt war.



Des Kaisers Nachtigall.

  [Abbildungen/Illustrations: capD68.jpg, pic73.jpg, tafel5.jpg]


Das Schloß des Kaisers von China war das prächtigste in der Welt, durch
und durch von feinem Porzellan. Im Garten sah man die herrlichsten und
merkwürdigsten Blumen und an den allerprächtigsten waren silberne
Glocken befestigt, die fortwährend tönten, damit man nicht vorüberginge,
ohne die Blumen zu bemerken. Alles war in des Kaisers Garten auf das
Geschmackvollste und Kunstreichste ausgegrübelt und er erstreckte sich
so weit, daß selbst der Gärtner das Ende desselben nicht kannte.

Aus dem Garten gelangte man in einen Wald, und dieser stieß an das Meer,
welches blau und tief war. Große Schiffe konnten unter den überhängenden
Zweigen hinsegeln, und in diesen wohnte eine Nachtigall, welche so
himmlisch schön sang, daß selbst der arme Fischer, der vollauf von
seinem Geschäft in Anspruch genommen war, still lag und lauschte, wenn
er nachts ausgefahren war, sein Netz aufzuziehen und dann die Nachtigall
hörte. „Mein Gott’, wie ist das schön!“ sagte er, dann aber mußte er
seinem Gewerbe nachgehen und vergaß den Vogel. Doch wenn derselbe in der
nächsten Nacht wieder sang, und der Fischer dorthin kam, wiederholte er:
„Mein Gott, wie ist das doch schön!“

Von allen Ländern der Welt kamen Reisende nach der Stadt des Kaisers und
bewunderten dieselbe, das Schloß und den Garten; vernahmen sie aber die
Nachtigall, dann sagten sie alle: „Das ist doch das Allerbeste!“

Die Reisenden erzählten davon nach ihrer Heimkunft, und die Gelehrten
schrieben Bücher über die Stadt, das Schloß und den Garten, aber die
Nachtigall vergaßen sie nicht, der wurde das Hauptkapitel gewidmet; und
die, welche dichten konnten, schrieben die herrlichsten Gedichte über
die Nachtigall im Walde bei der tiefen See.

Die Bücher wurden in alle Sprachen übersetzt und einige gerieten dann
auch einmal dem Kaiser in die Hände. Er saß in seinem goldenen Stuhl,
las und las und nickte jeden Augenblick mit dem Kopfe, denn es freute
ihn, diese prächtigen Beschreibungen von der Stadt, dem Schlosse und dem
Garten zu vernehmen. „Aber die Nachtigall ist doch das Allerbeste!“
stand da geschrieben.

„Was soll das heißen?“ fragte der Kaiser. „Die Nachtigall? Die kenne ich
ja gar nicht. Giebt es einen solchen Vogel in meinem Kaiserreiche und
sogar in meinem eigenen Garten? Davon habe ich nie gehört. So etwas muß
man erst aus Büchern erfahren!“

Darauf rief er seinen Kavalier. „Hier soll sich ja ein höchst
merkwürdiger Vogel aufhalten, der Nachtigall genannt wird!“ redete ihn
der Kaiser an. „Man sagt, daß er das Allerbeste in meinem großen Reiche
ist! Weshalb hat man mir nie etwas von demselben gesagt?“

„Ich habe ihn nie vorher nennen hören!“ sagte der Kavalier; „er ist nie
bei Hofe vorgestellt worden!“

„Ich will, daß er heute abend herkommt und vor mir singt!“ fuhr der
Kaiser fort. „Die ganze Welt weiß, was ich habe, und ich weiß es nicht.“

„Ich habe ihn nie vorher nennen hören!“ entgegnete der Kavalier, „aber
ich werde ihn suchen, ich werde ihn finden!“

Aber, wo war er zu finden? Der Kavalier lief treppauf und treppab, durch
Säle und Gänge, keiner von allen, die er traf, hatte von der Nachtigall
je reden gehört; und der Kavalier lief wieder zum Kaiser und behauptete,
es müßte gewiß eine Fabel der Buchschreiber sein.

„Ja, aber das Buch, in dem ich es gelesen habe,“ versetzte der Kaiser,
„ist mir von dem großmächtigen Kaiser von Japan geschickt worden und
folglich ist es keine Unwahrheit. Ich will die Nachtigall hören! Sie
soll heute abend hier sein! Sie steht in meiner allerhöchsten Gnade!“

Der Kavalier und mit ihm der halbe Hof suchten und fragten nun nach der
merkwürdigen Nachtigall, die alle Welt kannte, nur niemand bei Hofe.

Endlich trafen sie ein armes kleines Küchenmädchen. Sie sagte: „O Gott,
die Nachtigall! Die kenne ich gut! Ja, wie kann die singen! Jeden Abend
darf ich meiner Mutter einige Speisereste bringen. Sie wohnt unten am
Meeresufer, und wenn ich zurückkehre, müde bin und im Walde ruhe, dann
höre ich die Nachtigall singen. Die Thränen treten mir dabei in die
Augen, es kommt mir gerade so vor, als ob mich meine Mutter küßte!“

„Kleines Küchenmädchen!“ sagte der Kavalier, „ich will dir eine
Anstellung in der Schloßküche verschaffen, wenn du uns zur Nachtigall
führst, denn sie ist heute abend zum Gesang befohlen!“

Darauf zogen sie alle nach dem Wald hinaus, wo die Nachtigall zu singen
pflegte, der halbe Hof war mit. Als sie im besten Marsche waren, fing
eine Kuh zu brüllen an.

„Oh!“ sagte ein Hofjunker, „nun haben wir sie! Es steckt doch wirklich
eine ganz außerordentliche Kraft in einem so kleinen Tierchen. Ich habe
sie sicher schon früher einmal gehört!“

„Nein, das sind Kühe, welche brüllen!“ sagte das kleine Küchenmädchen;
„wir sind noch weit von der Stelle entfernt!“

Jetzt quackten Frösche im Sumpfe. „Herrlich!“ sagte der chinesische
Schloßbonze. „Nun höre ich sie, es klingt gerade wie kleine Glocken.“

„Nein, das sind die Frösche!“ versetzte das kleine Küchenmädchen. „Aber
nun werden wir sie, denke ich, bald hören.“ Da begann die Nachtigall zu
schlagen.

„Das ist sie!“ rief das kleine Mädchen, „hört, hört, und dort sitzt
sie!“ und dabei zeigte sie auf einen kleinen, grauen Vogel oben in den
Zweigen.

„Ist es möglich!“ sagte der Kavalier, „so einfach von Aussehen hätte ich
sie mir nicht vorgestellt!“

„Kleine Nachtigall!“ rief das kleine Küchenmädchen ganz laut, „unser
allergnädigster Kaiser wünscht, daß du vor ihm singst!“

„Mit größtem Vergnügen!“ sagte der Vogel, und sang gleich, daß es eine
wahre Lust war.

„Es klingt gerade wie Glasglocken!“ sagte der Kavalier, „und seht nur
die kleine Kehle, wie die sich anstrengt! Es ist merkwürdig, daß wir sie
früher nie gehört haben! Sie wird einen großen Erfolg bei Hofe haben!“

„Soll ich noch einmal vor dem Kaiser singen?“ fragte die Nachtigall,
welche glaubte, daß der Kaiser zugegen wäre.

„Meine vortreffliche, liebe Nachtigall!“ sagte der Kavalier, „ich habe
die große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute abend zu befehlen, wo Sie
Seine kaiserliche Gnaden mit Ihrem reizenden Gesange bezaubern sollen!“

„Es nimmt sich im Grünen am besten aus!“ entgegnete die Nachtigall, aber
sie ging doch mit, als sie hörte, daß es der Kaiser wünschte.

Im Schlosse war alles im festlichen Staate. Wände und Fußboden, die von
Porzellan waren, erglänzten im Scheine vieler tausend goldener Lampen.
Die schönsten Blumen, die recht laut klingeln konnten, waren in den
Gängen aufgestellt. Da war ein Laufen und Rennen, und von dem starken
Zugwind klingelten alle Glocken, so daß man sein eigenes Wort nicht
verstand.

Mitten in dem Saale, in welchem der Kaiser saß, war eine kleine, goldene
Säule aufgestellt, auf welcher die Nachtigall sitzen sollte. Der ganze
Hof war dort versammelt, und das kleine Küchenmädchen hatte die
Erlaubnis erhalten, hinter der Thür zu stehen, da ihr nun der Titel
einer „wirklichen Hofköchin“ beigelegt war.

Die Nachtigall sang so lieblich, daß dem Kaiser Thränen in die Augen
traten; die Thränen liefen ihm über die Wangen hinab, und nun sang die
Nachtigall noch schöner, daß es recht zu Herzen ging. Der Kaiser war so
froh und zufrieden, daß er zu bestimmen geruhte, die Nachtigall sollte
einen goldenen Pantoffel um den Hals tragen. Die Nachtigall aber dankte,
sie hätte schon eine hinreichende Belohnung erhalten.

„Ich habe Thränen in den Augen des Kaisers gesehen, das ist mir der
reichste Schatz! Eines Kaisers Thränen haben eine wunderbare Macht! Gott
weiß, ich bin belohnt genug!“ Dann sang sie wieder mit ihrer süßen,
bezaubernden Stimme. Ja, die Nachtigall machte wirklich Glück.

Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihren eigenen Käfig haben und die
Freiheit genießen, zweimal des Tages und einmal des Nachts sich im
Freien zu ergehen. Zwölf Diener mußten sie begleiten, die sie alle an
einem um das eine Bein geschlungenen Bande festhielten. Ein solcher
Ausgang war nun eben kein Vergnügen.

Eines Tages wurde dem Kaiser eine große Kiste mit der Aufschrift
„Nachtigall!“ überreicht.

„Da haben wir nun gewiß ein Buch über unsern berühmten Vogel!“ dachte
der Kaiser; aber es war kein Buch, es war ein kleines Kunstwerk, welches
in einer Schachtel lag, eine künstliche Nachtigall, die der lebendigen
ähneln sollte, aber überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt
war. Sobald man den künstlichen Vogel aufzog, konnte er eines der Stücke
singen, welche die wirkliche Nachtigall sang, und dabei bewegte er den
Schwanz auf und nieder und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals hing
ihm ein Bändchen, auf dem geschrieben stand: „Die Nachtigall des Kaisers
von Japan ist arm gegen die des Kaisers von China!“

„Das ist herrlich!“ sagten sie sämtlich, und derjenige, welcher den
künstlichen Vogel überbracht hatte, erhielt sofort den Titel eines
„kaiserlichen Oberhofnachtigallenüberbringers“.

„Nun müssen sie zusammen singen! Was wird das für ein Duett werden!“

So mußten sie denn zusammen singen, aber es wollte nicht recht gehen,
denn die wirkliche Nachtigall ging auf ihre Art und der Kunstvogel ging
auf Walzen. „Der trägt nicht die Schuld!“ sagte der Spielmeister, „der
ist besonders taktfest und ganz aus meiner Schule!“ Nun sollte der
Kunstvogel allein singen. -- Er machte ein ebenso großes Glück wie der
wirkliche und dann bot er auch einen viel prächtigeren Anblick.

Dreiunddreißigmal sang er ein und dasselbe Stück und wurde doch nicht
müde. Die Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört, doch meinte der
Kaiser, daß nun auch die lebendige Nachtigall etwas vortragen sollte --
-- aber wo war diese? Niemand hatte bemerkt, daß sie zum offenen Fenster
hinausgeflogen war, fort zu ihren grünen Wäldern.

„Aber was ist denn das?“ rief der Kaiser; und alle Hofleute schalten und
meinten, die Nachtigall wäre ein höchst undankbares Tier. „Den besten
Vogel haben wir doch!“ trösteten sie sich und so mußte der Kunstvogel
wieder singen. Der Spielmeister lobte den Vogel über alle Maßen, ja, er
versicherte, er wäre besser als die wirkliche Nachtigall, nicht nur was
die Kleider und die vielen strahlenden Diamanten anbelangte, sondern
auch hinsichtlich seines Innern.

Der Kaiser stimmte ihm bei und der Spielmeister erhielt Befehl, den
Vogel am nächsten Sonntage dem Volke vorzuweisen. Und die Leute hörten
ihn und waren ganz entzückt und riefen: „O!“ und hielten nach ihrer
Sitte einen Finger in die Höhe und nickten dabei. Aber die armen
Fischer, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, meinten: „Das
klingt wohl ganz hübsch, es läßt sich auch eine Ähnlichkeit der Melodie
nicht ableugnen, aber es fehlt doch etwas. Was es nur sein mag?“

Die wirkliche Nachtigall ward aus Land und Reich verwiesen; der
Kunstvogel aber hatte seinen Platz auf einem seidenen Kissen,
unmittelbar neben dem Bette des Kaisers. Alle Geschenke, die er erhalten
hatte, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er
bereits bis zum „Kaiserlichen Nachttischsänger“ mit dem Range eines
Rates erster Klasse aufgestiegen.

So ging es ein ganzes Jahr: Der Kaiser, der Hof und alle andern Chinesen
kannten jeden Laut in dem Gesange des Kunstvogels auswendig, aber gerade
deshalb hielten sie die größten Stücke auf ihn. Sie konnten selbst
mitsingen und thaten es. Die Gassenbuben sangen: „Zizizi!
Kluckkluckkluck!“ und der Kaiser sang es. O, es war himmlisch!

Aber eines Abends, als der Kunstvogel gerade am besten sang, und der
Kaiser im Bette lag und zuhörte, ging es inwendig im Vogel: „Schwupp!“
Da sprang etwas: „Schnurrrrr!“ Alle Räder liefen herum, und dann schwieg
die Musik.

Der Kaiser sprang sogleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt holen,
aber was konnte der helfen! Dann schickte man nach dem Uhrmacher, und
nach vielem Fragen und vielem Untersuchen setzte er den Vogel wenigstens
einigermaßen wieder in Stand, erklärte aber, er müßte sehr geschont
werden, denn die Zapfen wären abgenutzt und es wäre unmöglich, neue
dergestalt einzusetzen, daß die Musik sicher ginge. Da war nun große
Trauer. Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen,
und schon das war ein großes Wagnis. Dann aber hielt der Spielmeister
eine kleine Rede und versicherte, daß es noch ebenso gut wäre wie
früher, und dann war es auch ebenso gut wie früher.

Nun waren fünf Jahre verstrichen, als das ganze Land plötzlich eine
wirkliche Ursache zu großer Trauer bekam, denn der Kaiser, der sehr
geliebt wurde, erkrankte lebensgefährlich. Ein neuer Kaiser war schon im
voraus gewählt und das Volk stand auf der Straße und fragte, wie es mit
dem Herrn stände. Es hieß schon, der Kaiser sei tot. Aber der Kaiser war
noch nicht tot. Steif und bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den
langen Sammetvorhängen und den schweren Goldquasten. Hoch oben stand ein
Fenster offen und der Mond schien herein auf den Kaiser und den
Kunstvogel.

Der arme Kaiser konnte kaum noch atmen, es war ihm, als ob etwas auf
seiner Brust läge. Er schlug die Augen auf und da sah er, daß es der Tod
war, der auf seiner Brust saß. Er hatte sich seine goldene Krone
aufgesetzt und hielt in der einen Hand den goldenen Säbel des Kaisers
und in der andern dessen prächtige Fahne. Aus den Falten der großen
Sammetvorhänge schauten ringsumher seltsame Köpfe hervor, einige sehr
häßlich, andere Frieden verheißend und mild. Es waren alle böse und gute
Thaten des Kaisers, die ihn jetzt, wo der Tod auf seinem Herzen saß,
anblickten.

„Erinnerst du dich dessen?“ flüsterte eine nach der anderen. „Erinnerst
du dich dessen?“ und dann erzählten sie ihm so viel, daß ihm der Schweiß
von der Stirne lief.

„Das habe ich nie gewußt!“ seufzte der Kaiser. „Musik, Musik, die große
chinesische Trommel!“ rief er, „damit ich nicht alles höre, was sie
sagen!“

Aber sie verstummten nicht, und der Tod nickte zu allem, was gesagt
wurde.

„Musik, Musik!“ schrie der Kaiser. „Du kleiner lieblicher Goldvogel,
singe doch, singe! Ich habe dir Gold und Kostbarkeiten gegeben, ich habe
dir selbst meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt, singe doch,
singe!“

Aber der Vogel schwieg, es war niemand da, ihn aufzuziehen, und sonst
sang er nicht. Aber der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen,
leeren Augenhöhlen anzuschauen, und es war so still, so erschrecklich
still.

Da ertönte plötzlich, dicht neben dem Fenster, der herrlichste Gesang.
Er rührte von der kleinen, lebendigen Nachtigall her, die draußen auf
einem Zweige saß. Sie hatte von ihres Kaisers Not gehört und war deshalb
gekommen, ihm Trost und Hoffnung zuzusingen. Und wie sie sang,
erbleichten die Spukgestalten mehr und mehr, immer rascher pulsierte das
Blut in des Kaisers schwachem Körper und selbst der Tod lauschte und
sagte: „Fahre fort, kleine Nachtigall, fahre fort!“

„Ja, wenn du mir des Kaisers goldenen Säbel, seine Fahne und seine Krone
geben willst.“

Und der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang hin, und die Nachtigall
war unermüdlich. Sie sang von dem stillen Friedhofe, wo die weißen Rosen
wachsen, wo der Flieder duftet und wo das frische Gras von den Thränen
der Überlebenden benetzt wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem
Garten und schwebte wie ein kalter, weißer Nebel zum Fenster hinaus.

„Dank, Dank!“ sagte der Kaiser, „du himmlischer kleiner Vogel, ich kenne
dich wohl! Dich habe ich aus meinem Lande und Reiche verwiesen, und doch
hast du die bösen Geister von meinem Bette hinweggesungen, den Tod von
meinem Herzen vertrieben! Wie soll ich dir lohnen?“

„Du hast mir gelohnt!“ sagte die Nachtigall, „Thränen haben deine Augen
vergossen, als ich das erstemal sang; das vergesse ich dir nie, das sind
die Juwelen, die eines Sängers Herzen wohl thun. Aber schlafe nun, werde
frisch und gesund! Ich will dich einsingen.“

Sie sang -- -- und der Kaiser fiel in einen süßen, sanften, erquickenden
Schlaf.

  [Farbtafel/Plate]

Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf ihn, als er gestärkt und
gesund erwachte. Noch war keiner von seinen Dienern zurückgekommen, denn
sie hielten ihn für tot, aber die Nachtigall saß noch da und sang.

„Immer mußt du bei mir bleiben!“ sagte der Kaiser; „du sollst nur
singen, wenn du willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend
Stücke!“

„Thue das nicht!“ sagte die Nachtigall. „Er hat gethan, was er zu thun
vermochte; behalte ihn auch fernerhin. Ich kann in einem Schlosse nicht
wohnen, doch laß mich zu dir kommen, so oft mich das Verlangen dazu
treibt; dann will ich des Abends dort auf dem Zweige vor dem Fenster
sitzen und dir vorsingen, damit du froh, aber auch zugleich nachdenklich
wirst. Ich will singen von den Glücklichen und von denen, welche leiden;
ich will singen vom Bösen und Guten, was dir verhehlt wird. Der kleine
Singvogel fliegt weit umher zu dem armen Fischer, zu des Landmannes
Dach, zu jedem, der fern von dir und deinem Hofe ist. Dein Herz liebe
ich mehr, als deine Krone, und doch hat die Krone etwas von dem Dufte
des Heiligen an sich. -- Ich komme, ich singe dir vor! Aber Eins mußt du
mir versprechen!“

„Alles!“ sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht,
die er sich selbst angelegt hatte, und legte den Säbel, der von Gold
schwer war gegen sein Herz.

„Um Eines bitte ich dich! Erzähle niemand, daß du einen kleinen Vogel
hast, der dir alles sagt, dann wird es noch besser gehen!“

Darauf flog die Nachtigall fort.

Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehen; -- ja,
da standen sie und der Kaiser sagte ganz frisch und munter: „_Guten
Morgen!_“



Die Schneekönigin.

Märchen in sieben Geschichten.

  [Abbildungen/Illustrations: capE74, pic76.jpg, pic79.jpg, tafel1.jpg]


_Erste_ Geschichte. +Der Zauberspiegel.+

Ein böser Zauberer hatte einst einen Spiegel angefertigt, der die
Eigenschaft besaß, daß alles Gute und Schöne, das sich darin spiegelte,
zusammenschrumpfte und häßlich grinste, während das, was nichts taugte,
deutlich hervortrat und sich gut ausnahm. Das wäre lustig, meinten die,
welche die Schule des Zauberers besuchten, denn dieser gab Unterricht im
Zaubern. Sie liefen mit dem Spiegel umher und zuletzt war weder ein Land
noch ein Mensch, die nicht ihr verdrehtes Bild gesehen hätten.

Nun wollten sie zuletzt sogar auch noch zum Himmel emporfliegen, um mit
den Engeln und dem lieben Gott ihren Spott zu treiben. Je höher sie mit
dem Spiegel flogen, desto stärker grinste er, daß sie ihn kaum
festhalten konnten. Höher und höher flogen sie, Gott und seinen Engeln
immer näher. Da erbebte der Spiegel in seinem Grinsen so furchtbar, daß
er ihren Händen entglitt und auf die Erde hinunterstürzte, wo er in
hundert Millionen, Billionen und noch mehr Stücke zerbrach. Aber gerade
hienieden richtete er weit größeres Unglück an als zuvor, denn einige
Stücke waren kaum so groß wie ein Sandkorn, und diese verbreiteten sich
über die ganze weite Welt. Wo sie den Leuten in die Augen kamen, da
blieben sie sitzen, und dann sahen die Menschen alles verkehrt oder
hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache, denn jedes
Spiegelsplitterchen hatte dieselben Kräfte behalten, welche dem ganzen
Spiegel eigen waren. Einigen Menschen drang ein solcher Spiegelsplitter
sogar in das Herz, und dann war es entsetzlich, das Herz wurde förmlich
ein Eisklumpen. Einige Scherben waren so groß, daß sie zu
Fensterscheiben benutzt wurden, andere Stücke dienten als Brillengläser,
was natürlich eine große Verwirrung anrichtete. Und immer noch flogen
kleine Glassplitter in der Luft umher. Wir werden nun hören, was durch
dieselben geschah.


_Zweite_ Geschichte. +Die Nachbarskinder.+

In der großen Stadt, wo so viel Leute beisammenwohnen, daß nicht alle
ein Gärtchen haben können, sondern viele sich mit Blumentöpfen begnügen
müssen, lebten einst zwei arme Kinder, die einen etwas größeren Garten
als einen Blumentopf besaßen. Sie waren nicht Bruder und Schwester,
hatten einander aber eben so lieb, als ob sie es wären. Ihre Eltern
wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie bewohnten zwei Dachkammern,
da, wo das Dach des einen Nachbarhauses das des andern berührte und die
Wasserrinne zwischen den Dächern entlang lief. Dort hinaus blickte aus
jedem Hause ein Fenster. Man brauchte nur über die Rinne zu schreiten,
um von dem einen Fenster nach dem andern zu gelangen.

Jedes Elternpaar hatte draußen einen hölzernen Kasten angebracht, in
welchem die nötigsten Küchenkräuter gezogen wurden. Auch befand sich
in jedem Kästchen ein kleiner Rosenstock und beide wuchsen und gediehen
herrlich. Nun gerieten die Eltern auf den Gedanken, die Kästen quer über
die Rinne so auszustellen, daß sie fast von dem einen Fenster bis zu
dem andern reichten und sich völlig wie zwei Blumenwälle ausnahmen.
Erbsenranken hingen über die Kästen hinunter und die Rosenstöcke trieben
lange Zweige, rankten sich um die Fenster, neigten sich einander zu
und bildeten fast eine Laube, und die Kinder erhielten oftmals die
Erlaubnis, hinauszuklettern und unter den Rosen miteinander zu spielen.

Im Winter war ja dies Vergnügen vorüber. Die Fenster waren dann oft ganz
zugefroren. Doch dann wärmten sie Kupferdreier auf dem Ofen, hielten sie
gegen die gefrorene Scheibe und dann bildete sich dort ein prächtiges
Guckloch, so rund, o so rund; dahinter strahlte ein glückliches sanftes
Auge, eines hinter jedem Fenster. Das war der kleine Knabe und das
kleine Mädchen. Er hieß _Kay_ und sie hieß _Gerda_. Im Sommer konnten
sie rasch bei einander sein, im Winter aber mußten sie die vielen
Treppen hinunter und hinauf. -- Draußen wirbelte der Schnee.

„Jetzt schwärmen die weißen Bienen!“ sagte die alte Großmutter.

„Haben sie auch eine Bienenkönigin?“ fragte der kleine Knabe.

„Die haben sie!“ sagte die Großmutter, „sie fliegt immer dort, wo sie am
dichtesten schwärmen. Sie ist die größte von allen Schneeflocken, und
nie ist sie ruhig auf Erden, sie fliegt gleich wieder zu der schwarzen
Wolke empor. Manche Winternacht fliegt sie durch die Straßen der Stadt
und guckt zu den Fenstern hinein, und dann gefrieren diese so wunderbar,
als wären sie mit Blumen besäet.“

„Ja, das habe ich gesehen!“ riefen beide Kinder, und nun wußten sie, daß
es Wahrheit wäre.

„Kann die Schneekönigin hereinkommen?“ fragte das kleine Mädchen.

„Laß sie nur kommen,“ sagte der Knabe, „dann setze ich sie auf den
warmen Kachelofen und sie muß zerschmelzen!“

Aber die Großmutter strich ihm das Haar glatt und erzählte andere
Geschichten.

Des Abends, als der kleine Kay zu Hause und halb ausgezogen war,
kletterte er auf den Stuhl am Fenster und guckte zu dem kleinen Loch
hinaus. Ein paar Schneeflocken fielen draußen und eine derselben, die
allergrößte, blieb auf dem Rande des einen Blumenkastens hängen. Die
Schneeflocke wuchs und wuchs, bis sie sich zuletzt in eine vollständige
Frau verwandelte, in den feinsten weißen Flor gehüllt, der wie von
Millionen sternartiger Flocken zusammengesetzt war. Sie war schön und
fein, aber von Eis, dem blendenden, blinkenden Eis, doch war sie
lebendig. Die Augen funkelten wie zwei helle Sterne, aber unstät rollten
sie umher ohne Ruh und Rast. Sie nickte nach dem Fenster zu und winkte
mit der Hand. Der kleine Knabe erschrak und sprang vom Stuhle hinunter.
Da war es, als flöge ein großer Vogel draußen an dem Fenster vorüber.

Am folgenden Tag war klares Frostwetter -- -- und dann begann es zu
thauen, der Lenz hielt seinen Einzug, die Sonne schien, die Spitzen der
Grashälmchen sproßten hervor, die Schwalben bauten Nester, die Fenster
wurden geöffnet, und die kleinen Kinder saßen wieder in ihrem Gärtchen
hoch oben in der Dachrinne über allen Stockwerken.

Die Rosen blühten während dieses Sommers besonders schön. Das kleine
Mädchen hatte ein Lied gelernt und sang es dem Knaben vor und er sang
mit:

  „Ich liebe die Rosen in all ihrer Pracht,
  Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“

Kay und Gerda saßen und sahen sich das Bilderbuch mit den vielen Tieren
und Vögeln an, da war es -- die Uhr auf dem großen Kirchturme schlug
gerade fünf -- daß Kay sagte: „Au! es ging mir wie ein Stich durch das
Herz! Und jetzt ist mir etwas ins Auge geflogen!“ Das kleine Mädchen
faßte ihn um den Hals; er blinzelte mit den Augen: nein, es war durchaus
nichts zu sehen.

„Ich denke, es ist fort!“ sagte er, aber fort war es nicht. Es war
gerade einer von diesen Glassplittern, die von dem Spiegel abgesprungen
waren, dem Zauberspiegel. Wir entsinnen uns desselben wohl noch, der
bewirkte, daß alles Große und Gute, welches sich darin abspiegelte,
klein und häßlich wurde, und jeder Fehler an einer Sache sich sofort
bemerkbar machte. Der arme Kay, ihm war ein solches Splitterchen auch
gerade in das Herz eingedrungen. Das sollte nun bald wie ein Eisklumpen
werden. Nun that es zwar nicht mehr wehe, aber da war es.

„Weshalb weinst du?“ fragte er. „So siehst du häßlich aus. Mir fehlt ja
durchaus nichts! Pfui!“ rief er plötzlich aus, „die Rose da ist ja vom
Wurme angefressen! Und sieh, jene ist gar nicht gerade gewachsen. Das
sind eigentlich recht häßliche Rosen. Sie sind ebenso garstig wie die
Kasten, in denen sie stehen!“ Und dann stieß er heftig mit dem Fuße
gegen den Kasten und riß die beiden Rosen ab.

„Kay, was thust du!“ rief das kleine Mädchen; und als er ihr heftiges
Erschrecken bemerkte, riß er noch eine Rose ab und sprang dann in sein
Fenster hinein.

Wenn sie später mit dem Bilderbuche kam, spottete er darüber und wenn
die Großmutter Geschichten erzählte, kam er stets mit einem Aber
dazwischen; zuweilen schlich er sich hinter ihr her, setzte ihre Brille
auf und ahmte ihre Stimme nach. Er konnte bald allen Leuten in der
Straße Gang und Redeweise nachahmen und besonders das Unschöne wußte er
treffend zu kopieren. Aber daran war das Glas schuld, welches ihm in die
Augen geflogen war, das Glas, welches ihm in dem Herzen saß. Daher kam
es, daß er sogar die kleine Gerda neckte, die ihn von ganzer Seele lieb
hatte.

Seine Spiele nahmen jetzt einen ganz anderen Charakter an, sie wurden
mehr verständig. An einem Wintertage, als Schneegestöber eingetreten
war, kam er mit einem Vergrößerungsglase, hielt seine blauen Rockzipfel
hinaus und ließ die Schneeflocken darauf fallen.

„Sieh nun einmal in das Glas, Gerda!“ sagte er, und jede Schneeflocke
wurde ungleich größer und nahm sich wie eine prächtige Blume oder ein
zehnzackiger Stern aus. Es gewährte einen herrlichen Anblick.

„Siehst du, wie kunstreich!“ rief Kay aus; „das bietet weit mehr
Vergnügen und Stoff zum Nachdenken dar, als die wirklichen Blumen! Auch
ist kein einziger Fehler an ihnen, sie sind ganz regelmäßig; wenn sie
nur nicht schmelzen würden!“

Nicht lange darauf kam Kay mit großen Fausthandschuhen und seinem
Schlitten auf dem Rücken. Er flüsterte Gerda in die Ohren: „Ich habe
Erlaubnis bekommen, auf den großen Platz zu fahren, wo die Andern
spielen!“ und fort war er.

Dort auf dem Platze banden mitunter die kecksten Knaben ihre Schlitten
an die Bauernwagen und fuhren dann eine tüchtige Strecke mit. Das ging
gerade recht lustig. Als das Spiel im vollen Gange war, kam ein großer,
weiß angestrichener Schlitten. Eine Person saß in demselben, die in
einen weißen, rauhen Pelz eingehüllt und mit einer weißen Pelzmütze
bedeckt war. Der Schlitten fuhr zweimal um den Platz herum und Kay
gelang es, seinen kleinen Schlitten an denselben festzubinden und nun
fuhr er mit. Rascher und immer rascher ging es gerade in die nächste
Straße hinein. Der Führer des Schlittens wandte den Kopf und nickte ihm
so freundlich zu, als ob sie mit einander bekannt wären. So oft Kay
seinen kleinen Schlitten abbinden wollte, nickte die Person abermals und
dann blieb Kay sitzen; sie fuhren gerade zum Stadtthore hinaus. Da wurde
das Schneegestöber so heftig, daß der kleine Knabe nicht die Hand vor
den Augen mehr erkennen konnte, während er gleichwohl weiter fuhr.
Endlich ließ er den Strick fallen, um sich von dem großen Schlitten los
zu machen, aber es half nichts, sein kleines Fuhrwerk hing fest und es
ging mit Windeseile. Da rief er ganz laut, aber niemand hörte ihn, und
der Schnee wirbelte und der Schlitten flog vorwärts. Mitunter gab es
einen Stoß, als ob man über Gräben und Hecken führe. Er war ganz
entsetzt, wollte sein Vaterunser beten, konnte sich aber nur noch auf
das große Einmaleins besinnen.

Die Schneeflocken wurden größer und größer, zuletzt sahen sie wie große
weiße Hühner aus. Plötzlich sprangen die Pferde zur Seite, der Schlitten
hielt und die Person, welche ihn fuhr, erhob sich; Pelz und Mütze waren
von lauter Schnee. Es war eine Dame, hoch und schlank, blendend weiß,
es war die _Schneekönigin_.

„Wir sind wacker vorwärts gekommen,“ sagte sie. „Aber ist das etwa ein
Wetter zum Frieren? Komm, krieche mit in meinen Bärenpelz hinein!“ und
sie setzte ihn in den Schlitten an ihre Seite und schlug den Pelz um
ihn, daß es ihm vorkam, als versänke er in einen Schneehaufen.

„Frierst du noch?“ fragte sie und küßte ihn dann auf die Stirn. Huh, das
war noch kälter als Eis, das ging ihm gleich bis ans Herz, welches ja
schon halb und halb ein Eisklumpen war. Ihm war zu Mute, als sollte er
sterben; -- aber nur einen Augenblick, dann that es ihm gerade gut.
Er empfand nichts mehr von der Kälte um sich.

„Meinen Schlitten! vergiß meinen Schlitten nicht!“ Dessen erinnerte er
sich zuerst. Er wurde auch auf eins der weißen Hühner gebunden, welches
mit dem Schlitten auf dem Rücken hinterher flog. Die Schneekönigin küßte
Kay noch einmal und dann hatte er die kleine Gerda und die Großmutter
und alle daheim vergessen.

Kay fürchtete sich gar nicht vor der Schneekönigin; er erzählte ihr, daß
er im Kopfe rechnen könne und sogar mit Brüchen, daß er die Größe und
Einwohnerzahl der Länder wüßte und sie lächelte zu allem. Und sie flog
mit ihm, flog hoch hinauf zu der schwarzen Wolke und der Sturm sauste
und brauste, als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen,
über Meere und Länder. Unten in der Tiefe sauste der kalte Wind, heulten
die Wölfe, flimmerte der Schnee und über denselben flogen die schwarzen,
schreienden Krähen hinweg, aber über ihnen glänzte der Mond groß und
klar und zu ihm schaute Kay auf, die lange, lange Winternacht hindurch.
Am Tage schlief er zu den Füßen der Schneekönigin.


_Dritte_ Geschichte. +Der Blumengarten der Zauberin.+

Aber was wurde aus der kleinen Gerda, als Kay nicht wiederkam? Wo in
aller Welt befand er sich doch? -- Niemand wußte es, niemand konnte
Auskunft erteilen. Die Knaben erzählten nur, daß sie gesehen, wie er
seinen kleinen Schlitten an einen großen und prächtigen angebunden
hätte, der in die Straßen hinein und dann zum Stadtthore hinausgefahren
wäre. Niemand wußte, wo er war; viele Thränen flossen, die kleine Gerda
weinte bitterlich und lange. Dann hieß es, er wäre tot, er wäre in dem
Flusse ertrunken, der nahe bei der Stadt vorbeifloß. O, es waren recht
lange dunkle Wintertage.

Jetzt erschien der Lenz mit wärmerem Sonnenscheine.

„Kay ist tot und fort!“ sagte die kleine Gerda.

„Das glaube ich nicht!“ sagte der Sonnenschein.

„Er ist tot und fort!“ sagte sie zu den Schwalben.

„Das glauben wir nicht!“ entgegneten dieselben, und endlich glaubte die
kleine Gerda es auch nicht mehr.

„Ich will meine neuen roten Schuhe anziehen!“ sagte sie eines Morgens,
„diejenigen, welche Kay noch nie gesehen hat, und dann will ich zum
Flusse hinuntergehen und mich bei diesem erkundigen!“

Noch war es ganz früh, als sie sich erhob, die alte Großmutter, welche
noch schlummerte, küßte, die roten Schuhe anzog und dann ganz allein zum
Thore hinaus nach dem Flusse ging.

„Ist es wahr, daß du mir meinen kleinen Spielkameraden genommen hast?
Ich will dir meine roten Schuhe schenken, wenn du mir ihn wiedergeben
willst!“

Es kam ihr vor, als ob die Wellen ihr so eigentümlich zunickten. Dann
nahm sie ihre roten Schuhe, das liebste, was sie besaß, und warf sie
beide in den Fluß, aber sie fielen dicht an das Ufer, und die kleinen
Wellen trugen sie wieder zu ihr an das Land, als wollte der Fluß sie
ihres liebsten Eigentums nicht berauben, zumal er ja den kleinen Kay
nicht hatte. Nun aber glaubte sie, daß sie die Schuhe nicht weit genug
hinausgeworfen hätte, und kletterte deshalb in ein Boot, welches im
Schilfe lag. Sie ging bis an das äußerste Ende und warf die Schuhe von
neuem in die Wellen. Das Boot war jedoch nicht befestigt, und bei der
Bewegung, welche sie machte, glitt es vom Lande ab. Sie bemerkte es zwar
und beeilte sich zurückzukommen, aber ehe es ihr gelang, war das Boot
schon ein Stück vom Ufer, und nun glitt es rascher den Fluß abwärts.

Da erschrak die kleine Gerda gewaltig und begann zu weinen, allein nur
die Sperlinge hörten sie und diese konnten sie nicht an das Land tragen,
aber sie flogen das Ufer entlang und zwitscherten, als wollten sie sie
trösten: „Hier sind wir! Hier sind wir!“ Das Boot trieb mit dem Strome;
die kleine Gerda saß ganz still in bloßen Strümpfen. Ihre kleinen roten
Schuhe schwammen hinterher, konnten das Boot jedoch nicht erreichen,
da dasselbe schneller vom Strome fortgerissen wurde.

Lieblich war es an beiden Ufern; prächtige Blumen, alte Bäume und die
Abhänge mit Schafen und Kühen belebt, aber nicht ein Mensch war zu
sehen.

„Vielleicht trägt mich der Fluß zum kleinen Kay hin!“ dachte Gerda und
da wurde sie besserer Laune, sie erhob sich und betrachtete viele
Stunden lang die schönen grünen Ufer. Dann fuhr sie an einem großen
Kirschgarten vorüber, in welchem ein Häuschen mit merkwürdig roten und
blauen Fenstern stand; übrigens war es mit Stroh gedeckt und draußen
standen zwei hölzerne Soldaten, welche vor den Vorübersegelnden das
Gewehr schulterten.

Gerda rief sie an; sie hielt sie für lebendig, aber sie antworteten
natürlich nicht; sie kam ihnen ganz nahe, die Strömung trieb das Boot
gerade auf das Land zu.

Gerda rief noch lauter und da trat aus dem Hause eine alte, alte Frau,
die sich auf einen Krückstock stützte. Um sich gegen die Sonne zu
schützen, hatte sie einen großen Hut auf, der mit den schönsten Blumen
bemalt war.

„Du liebes armes Kind!“ sagte die alte Frau, „wie bist du auf den großen
starken Strom gekommen und so fern in die weite Welt hinausgetrieben!“
Darauf ging die alte Frau bis an den Rand des Wassers, zog das Boot mit
ihrem Krückstock an das Land und hob die kleine Gerda heraus.

Obgleich Gerda froh war, auf das Trockene zu kommen, fürchtete sie sich
doch ein wenig vor der fremden alten Frau.

„Komme doch und erzähle mir, wer du bist und wie du hierher kommst!“
sagte sie.

Gerda erzählte ihr alles und fragte sie, ob sie den kleinen Kay nicht
gesehen hätte. Die alte Frau meinte, er käme wohl noch, sie möchte nur
nicht betrübt sein und Kirschen essen und sich ihre Blumen ansehen. Dann
nahm sie Gerda bei der Hand, ging mit ihr in das kleine Häuschen und
schloß die Thüre zu.

Die Fenster waren sehr hoch angebracht und die Scheiben waren rot, blau
und gelb. Das Tageslicht fiel ganz eigentümlich herein, aber auf dem
Tische standen die köstlichsten Kirschen und Gerda aß nach Herzenslust
davon, weil sie die Erlaubnis dazu erhalten hatte. Während sie aß,
kämmte ihr die alte Frau das Haar mit einem goldenen Kamme, und das Haar
ringelte sich und schimmerte goldig um ihr liebes freundliches
Gesichtchen, welches rund war und wie eine Rose blühte.

„Nach einem so holden kleinen Mädchen habe ich mich schon lange
gesehnt!“ sagte die Alte. „Du wirst nun sehen, wie gut wir uns
gegenseitig gefallen werden!“ Und je länger sie das Haupt der kleinen
Gerda kämmte, desto mehr vergaß dieselbe ihren Pflegebruder Kay, denn
die alte Frau konnte zaubern, aber eine böse Zauberin war sie nicht. Sie
ging in den Garten hinaus, streckte ihren Krückstock über alle
Rosenstöcke aus und diese versanken sofort in die schwarze Erde. Die
Alte befürchtete, daß Gerda beim Anblick der Rosen ihrer eigenen
gedenken, sich dadurch des kleinen Kay erinnern und dann davonlaufen
würde.

Jetzt führte sie Gerda in den Blumengarten hinaus. Welch’ ein Duft,
welch’ eine Pracht herrschte hier! Alle erdenkliche Blumen, und zwar für
jede Jahreszeit, standen hier in üppigstem Flor. Gerda hüpfte vor Freude
und spielte, bis die Sonne hinter den hohen Kirschbäumen unterging. Dann
bekam sie ein hübsches Bett mit rotseidenen Kissen, die mit blauen
Veilchen gestopft waren, und schlief und träumte so herrlich, wie eine
Königin.

Am nächsten Morgen durfte sie wieder mit den Blumen in dem warmen
Sonnenscheine spielen -- und so ging es viele Tage. Gerda kannte jede
Blume, aber wie viele auch vorhanden waren, so kam es ihr doch vor, als
ob eine darunter fehlte, nur wußte sie nicht welche. Eines Tages sah sie
aber auf dem Sonnenhut der alten Frau eine gemalte Rose. Sie sprang
zwischen den Beeten umher und suchte eine Rose unter den Blumen, aber da
war keine zu finden. Da setzte sie sich hin und weinte; aber ihre heißen
Thränen fielen gerade auf eine Stelle, wo ein Rosenstock versunken war,
und als die warmen Thränen die Erde benetzten, da schoß plötzlich der
Stock ebenso blühend, wie er versunken war, empor, und Gerda umarmte
ihn, küßte die Rosen und gedachte der hübschen Rosen daheim und dabei
kam ihr auch der kleine Kay wieder in den Sinn.

„O wie lange bin ich nun schon hier bei der alten Frau!“ sagte das
kleine Mädchen. „Ich wollte ja Kay suchen! -- Wißt ihr nicht, wo er
ist?“ fragte sie die Rosen. „Glaubt ihr, daß er tot und fort ist?“

„Tot ist er nicht!“ sagten die Rosen. „Wir sind ja in der Erde gewesen,
wo alle Tote sind, aber dort war Kay nicht!“

„Dank, tausend Dank!“ erwiderte die kleine Gerda und ging zu den andern
Blumen, schaute in ihren Kelch und fragte: „Wißt ihr nicht, wo der
kleine Kay ist?“

Aber jede Blume stand in der Sonne und träumte ihr eigenes Märchen oder
Geschichtchen. Von diesen vernahm die kleine Gerda viele, viele, aber
keine wußte etwas von Kay.

„Es ist vergebens, daß ich die Blumen frage, sie wissen nur ihr eigenes
Lied, sie erteilen mir keine Auskunft!“ sagte Gerda, als ihr die Blumen
des Gartens ihre Geschichten erzählt hatten. Und dann schürzte sie ihr
Röckchen auf, um besser laufen zu können und eilte nach dem Ausgang des
Gartens.

Die Thüre war zwar verschlossen, doch drückte sie auf die verrostete
Klinke, bis sie nachgab und die Thüre aufsprang, und nun lief die kleine
Gerda barfuß in die weite Welt hinaus. Dreimal schaute sie zurück, aber
niemand verfolgte sie. Endlich konnte sie nicht mehr gehen und setzte
sich auf einen großen Stein. Als sie nun um sich schaute, war der Sommer
vorbei; es war Spätherbst, was man in dem schönen Garten, wo fortwährend
Sonnenschein herrschte und Blumen aller Jahreszeiten standen, gar nicht
hatte wahrnehmen können.

„Gott, wie viel Zeit habe ich versäumt!“ sagte die kleine Gerda. „Es ist
ja Herbst geworden, da darf ich nicht rasten!“ und sie erhob sich, um
weiter zu gehen.

O wie wund und müde ihre kleinen Füße waren, und wie rauh und kalt es
ringsumher aussah! Die langen Weidenblätter waren gelb und in großen
Perlen träufelte der Tau herab. Ein Blatt nach dem andern fiel ab, nur
der Schlehendorn trug noch Früchte, die freilich herb genug waren und
den Mund zusammenzogen. O, wie grau und schwer es in der weiten Welt
doch war! --


_Vierte_ Geschichte. +Prinz und Prinzessin.+

Gerda mußte sich wieder ausruhen. Da hüpfte auf dem Schnee gerade vor
ihr eine große Krähe, die schon dagesessen, sie aufmerksam angeschaut
und mit dem Kopfe gewackelt hatte. Nun sagte sie: „Kra, kra! -- gut’
Tag, gut’ Tag!“ Besser konnte sie es nicht aussprechen, aber trotzdem
meinte sie es mit dem kleinen Mädchen sehr gut und fragte, wohin sie so
allein in die weite Welt hinausginge. Das Wort allein verstand Gerda nur
zu wohl und fühlte den ganzen Inhalt desselben gar tief, und dann
erzählte sie der Krähe ihr ganzes Leben und Schicksal und fragte, ob sie
Kay nicht gesehen hätte.

Und die Krähe nickte ganz bedächtig und sagte: „Es könnte sein, es
könnte sein!“

„Wie? Glaubst du?“ rief das kleine Mädchen und küßte die Krähe so
ungestüm, daß sie dieselbe fast tot gedrückt hätte.

„Vernünftig, vernünftig!“ entgegnete die Krähe. „Ich denke, es wird der
kleine Kay sein! Aber jetzt hat er dich wohl schon vergessen. Doch es
macht mir Mühe, deine Sprache zu reden. Allein, wenn du die
Krähensprache verstehst, dann kann ich besser erzählen!“

„Nein, die habe ich nicht gelernt!“ sagte Gerda, „doch die Großmutter
konnte sie recht geläufig. Hätte ich sie nur gelernt!“

„Thut nichts, thut nichts!“ sagte die Krähe, „ich werde erzählen, so gut
ich kann,“ und dann erzählte sie, was sie wußte:

„In dem Königreiche, in welchem wir hier sitzen, wohnt eine ungeheuer
kluge Prinzessin. Eines Tages fiel es dieser ein, sich zu vermählen. Sie
wollte jedoch einen Mann haben, der zu antworten verstand, wenn man ihn
anredete, einen, der nicht nur dastand und vornehm aussah, denn das ist
höchst langweilig. Nun ließ sie alle Hofdamen zusammentrommeln, und als
diese ihre Willensmeinung vernahmen, wurden sie sehr froh. „So hab ichs
gern!“ rief eine jede, „daran hab’ ich neulich auch schon gedacht!“

„Die Zeitungen erschienen sofort mit einem Rande von Herzen und den
Namenszügen der Prinzessin. Manniglich konnte darin schwarz auf weiß
lesen, daß es einem jeden jungen Manne von hübschem Äußeren frei stände,
auf das Schloß zu kommen und mit der Prinzessin zu sprechen, und den,
welcher so zu reden verstände, daß er sich trotz des ihn umgebenden
Glanzes unbefangen äußerte und zugleich am besten spräche, den wollte
die Prinzessin zum Manne nehmen! -- „Ja, ja!“ sagte die Krähe, „du
kannst es mir glauben, es ist so wahr, wie ich hier sitze. Die Leute
strömten herzu, da war ein Gedränge und Gelaufe, aber dennoch glückte es
niemand, weder den ersten noch den zweiten Tag. Wenn sie draußen auf der
Straße waren, konnten alle vortrefflich plaudern, sobald sie aber zum
Schloßportale hereintraten und die silberstrotzenden Leibwächter und die
Treppen hinauf die Diener in Gold und die großen erleuchteten Säle
erblickten, dann wurden sie verwirrt. Standen sie nun vor dem Throne,
auf welchem die Prinzessin saß, so vermochten sie nur ihr letztes Wort
nachzusprechen, und diese Wiederholung flößte ihr kein Interesse ein.
In ganzen Reihen standen sie vom Stadtthore bis zum Schlosse. Ich war
selbst drinnen, um es mit anzusehen!“ versicherte die Krähe.

„Aber Kay, der kleine Kay!“ fragte Gerda. „Wann kam er? Befand er sich
unter der Menge?“

„Eile mit Weile! nun sind wir gerade bei ihm! Am dritten Tage kam eine
kleine Person, weder mit Pferd, noch mit Wagen, ganz lustig und guter
Dinge gerade auf das Schloß hinaufspaziert. Seine Augen blitzten wie
deine, er hatte prächtiges langes Haar, aber sonst ärmliche Kleider.“

„Das war Kay!“ jubelte Gerda. „O, dann habe ich ihn gefunden!“ und dabei
klatschte sie in die Hände.

„Er hatte einen kleinen Ranzen auf seinem Rücken!“ sagte die Krähe.

„Nein, das war sicherlich sein Schlitten!“ sagte Gerda, „denn damit ging
er fort!“

„Das ist wohl möglich!“ entgegnete die Krähe; „ich sah nicht so genau
hin! Aber so viel weiß ich, daß er, als er in das Schloßthor hineintrat
und die silberstrotzenden Leibwachen und die Treppen hinauf die Diener
in Gold erblickte, nicht im Geringsten in Verlegenheit geriet. Er nickte
ihnen flüchtig zu und sagte: „Das muß langweilig sein, auf der Treppe zu
stehen. Ich gehe lieber hinein!“ Drinnen erglänzten die Säle in hellem
Kerzenscheine. Geheimeräte und Exzellenzen gingen auf bloßen Füßen und
trugen goldene Gefäße; man konnte wohl beklommen werden. Seine Stiefel
knarrten entsetzlich laut, doch schien er sich darüber gar nicht zu
beunruhigen.“

„Das ist ganz gewiß Kay!“ rief Gerda, „ich weiß, er hatte neue Stiefel;
ich habe sie in der Stube der Großmutter knarren hören!“

„Ja, geknarrt haben sie!“ versetzte die Krähe, „und munter und guter
Dinge ging er gerade zur Prinzessin hinein; dieselbe saß auf einer
Perle, die so groß wie ein Spinnrad war. Alle Hofdamen mit ihren Zofen,
und den Zofen ihre Zofen, und alle Kavaliere mit ihren Dienern, und den
Dienern ihrer Diener, die sich auch einen Burschen hielten, standen
ringsherum aufgestellt.“

„Das muß fürchterlich sein!“ sagte die kleine Gerda. „Und Kay hat die
Prinzessin doch bekommen?“

„Ja, er hat sie bekommen,“ sagte die Krähe, „da er so gut zu reden
verstand.“

„Ja, sicher! das war Kay!“ sagte Gerda, „er war so klug, er konnte mit
Brüchen im Kopfe rechnen! -- O, willst du mich nicht auf dem Schlosse
einführen!“

„Ja, das ist leicht gesagt!“ meinte die Krähe. „Aber wie machen wir das?
Denn das will ich dir nur sagen, so ein kleines Mädchen, wie du bist,
erhält nie Erlaubnis zum Eintritt!“

„Ja, die bekomme ich!“ rief Gerda aus. „Wenn Kay von meiner Ankunft
hört, kommt er gleich heraus und holt mich!“

„Erwarte mich dort am Zaune!“ erwiderte die Krähe, wackelte mit dem
Kopfe und flog davon.

Es war schon dunkel, als die Krähe zurückkehrte. „Rar, rar!“ sagte sie.
„Es ist für dich unmöglich, in das Schloß zu gelangen, weil du barfuß
bist. Die silberstrotzenden Leibwachen und Diener in Gold würden es
nicht gestatten. Weine jedoch nicht, du sollst doch schon hinaufkommen.
Ich habe nämlich eine Base, die im Schlosse Kammerjungfer ist, die kennt
eine kleine Hintertreppe, die zum Schlafzimmer hinaufführt, und sie
weiß, wo sie den Schlüssel holen kann!“

Sie gingen in den Garten hinein, in den großen Baumgang, wo schon ein
Blatt nach dem andern abfiel, und als auf dem Schlosse nach und nach die
Lichter ausgelöscht wurden, führte die Krähe die kleine Gerda zu einer
Hinterthür, die nur angelehnt war.

O, wie Gerdas Herz vor Angst und Sehnsucht klopfte! Ihr war zu Mute, als
ob sie etwas Böses thun wollte, und sie wollte doch nur erfahren, ob der
kleine Kay da wäre. Ja, er mußte es sein! Sie stellte sich ganz lebendig
seine klugen Augen, sein langes Haar vor; sie sah ihn ordentlich
lächeln, wie damals, als sie daheim unter den Rosen saßen. Er würde sich
gewiß freuen, sie zu sehen und dann von ihr zu hören, einen wie weiten
Weg sie um seinetwegen zurückgelegt hätte, und wie betrübt sie alle zu
Hause gewesen wären, als er nicht wieder heimkehrte. O, das war eine
Furcht und eine Freude!

Nun waren sie auf der Treppe. Dort brannte eine kleine Lampe auf einem
Schranke. Mitten auf dem Fußboden stand die Base der Krähe und
betrachtete Gerda, die sich vor ihr verneigte.

„Ich werde vorangehen,“ begann die Schloßkrähe. „Wir gehen hier den
geraden Weg, denn da begegnen wir niemand!“

„Mir ist, als ob jemand hinter uns kommt!“ sagte Gerda, und es sauste
wirklich etwas an ihr vorüber. Es war, als ob Schatten über die Wand hin
glitten, Pferde mit flatternden Mähnen und schlanken Beinen,
Jägerburschen, Herren und Damen zu Pferde.

„Das sind nur Träume!“ sagte die Krähe, „sie kommen und holen die
Gedanken der hohen Herrschaft zur Jagd ab.“

Nun traten sie in den ersten Saal hinein; er war mit rosenrotem Atlas
behängt und künstliche Blumen zogen sich an allen Wänden hinauf. Hier
sausten die Träume schon an ihnen vorüber, flogen aber so schnell, daß
Gerda die hohe Herrschaft nicht zu sehen bekam. Ein Saal war immer
prächtiger als der andere; der Anblick der vielen Kostbarkeiten konnte
einen förmlich betäuben. Jetzt waren sie in dem Schlafzimmer. Die Decke
desselben glich einer großen Palme mit Blättern vom herrlichsten Glase,
und mitten auf dem Fußboden hingen an einem dicken Stengel von Gold zwei
Betten, deren jedes die Gestalt einer Lilie hatte. Das eine, in welchem
die Prinzessin lag, war weiß; das andere war rot, und in diesem sollte
Gerda den kleinen Kay suchen. Sie bog eines der roten Blätter zur Seite
und da erblickte sie einen braunen Nacken. Ja, das war Kay! Sie rief
ganz laut seinen Namen, hielt die Lampe, daß das Licht auf ihn fiel --
die Träume sausten zu Pferde wieder in die Stube hinein -- er erwachte,
wandte das Haupt -- -- -- und es war nicht der kleine Kay.

Der Prinz ähnelte ihm nur im Nacken, war aber jung und schön. Und aus
dem weißen Lilienbette guckte die Prinzessin hervor und fragte, was das
wäre. Da weinte die kleine Gerda und erzählte ihre ganze Geschichte und
alles, was die Krähen für sie gethan hätten.

„Du arme Kleine!“ sagten der Prinz und die Prinzessin und lobten die
Krähen und sagten, sie wären gar nicht böse auf sie, sie sollten es aber
doch ja nicht öfter thun. Indes sollten sie eine Belohnung erhalten.

„Wollt ihr frei fliegen?“ sagte die Prinzessin, „oder wollt ihr eine
feste Anstellung als Hofkrähen haben, mit allem, was aus der Küche
abfällt?“

Und beide Krähen verneigten sich und baten um feste Anstellung, denn sie
dachten an ihr Alter und sagten, es wäre so schön, im Alter sorgenfrei
leben zu können.

Der Prinz erhob sich aus seinem Bette und ließ Gerda in demselben
schlafen, und mehr konnte er doch nicht thun. Sie faltete ihre keinen
Händchen und dachte: „Wie gut Menschen und Tiere doch sind!“ und dann
schloß sie die Augen und entschlummerte sanft.

Am nächsten Morgen wurde sie von Kopf bis zu Fuß in Sammet und Seide
gekleidet. Sie wurde freundlich aufgefordert, auf dem Schlosse zu
bleiben und herrlich und in Freuden zu leben, aber sie bat lediglich um
einen kleinen Wagen mit einem Pferde und um ein Paar Stiefelchen, dann
wollte sie wieder in die weite Welt hinausfahren und Kay suchen.

Sie erhielt sowohl Stiefelchen als auch einen Muff und ward niedlich
gekleidet. Als sie fort wollte, hielt vor der Thüre ein neues Wägelchen
aus reinem Golde, das Wappen des Prinzen und der Prinzessin leuchtete
wie ein Stern auf demselben. Kutscher, Diener und Vorreiter saßen da mit
goldenen Kronen auf dem Kopfe. Der Prinz und die Prinzessin halfen Gerda
in den Wagen und wünschten ihr alles Glück. „Lebewohl, lebewohl!“ riefen
ihr beide nach, und die kleine Gerda weinte und die Krähen auch. Die
Waldkrähe begleitete sie die ersten drei Meilen; sie saß ihr zur Seite,
weil sie das Fahren auf dem Rücksitz nicht vertragen konnte. Inwendig
war der Wagen mit Zuckerbretzeln gefüttert und die Sitzkasten waren mit
Früchten und Pfeffernüssen angefüllt.

So ging es die ersten drei Meilen, dann sagte auch die Krähe Lebewohl,
und das war der schwerste Abschied. Sie flog auf einen Baum und schlug
mit ihren schwarzen Flügeln, solange sie noch den Wagen, der wie der
helle Sonnenschein glänzte, sehen konnte.


_Fünfte_ Geschichte. +Das kleine Räubermädchen.+

Sie fuhren durch den dunklen Wald, aber der Wagen leuchtete weithin.
„Das ist Gold!“ riefen die Räuber, stürzten hervor, fielen den Pferden
in die Zügel, erschlugen die kleinen Vorreiter, den Kutscher und die
Diener und zogen nun die kleine Gerda aus dem Wagen.

„Sie ist fett, sie ist reizend, sie ist mit Nußkernen gemästet!“ sagte
das alte Räuberweib, welches einen langen struppigen Bart und
Augenbrauen hatte, die ihr bis über die Augen herabhingen. „Das ist
ebenso gut wie ein kleines fettes Lamm! Nun, wie soll sie schmecken.“
Bei diesen Worten zog sie ihr blankes Messer heraus und das blitzte, daß
es Angst einjagen konnte.

„Au!“ schrie das Weib zu gleicher Zeit. Kein Wunder! der Frau wilde und
ungeberdige Tochter, die auf ihrem Rücken hing, hatte sie in das Ohr
gebissen und so konnte sie nicht gleich dazu kommen, Gerda zu
schlachten.

„Sie soll mit mir spielen!“ sagte das kleine Räubermädchen herrisch.
„Sie soll mir ihren Muff, ihr schönes Kleid geben, sie soll neben mir in
meinem Bette schlafen!“

„Ich will in den Wagen hinein!“ sagte das kleine Räubermädchen, und es
mußte und wollte seinen Willen haben, denn es war gar verhätschelt und
gar halsstarrig. Es setzte sich mit Gerda hinein und dann fuhren sie
über Stock und Stein immer tiefer in den Wald. Das kleine Räubermädchen
war eben so groß wie Gerda, aber kräftiger, breitschultriger und
gebräunter. Seine Augen waren ganz schwarz, sie sahen fast traurig aus.
Es faßte die kleine Gerda um den Leib und sagte: „Sie sollen dich nicht
schlachten, so lange ich nicht böse auf dich werde! Du bist gewiß eine
Prinzessin?“

„Nein,“ erwiderte die kleine Gerda, und erzählte ihr alles, was sie
erlebt hatte und wie lieb sie den kleinen Kay hätte.

Jetzt hielt der Wagen still; sie befanden sich mitten auf dem Hofe eines
Räuberschlosses. Von oben bis unten war es geborsten, Raben und Krähen
flogen aus den offenen Löchern, und die großen Bullenbeißer, die
aussahen, als könnte jeder einen Menschen verschlingen, sprangen hoch
empor, aber ohne zu bellen, denn das war verboten.

Mitten auf dem steinernen Fußboden des großen, alten, verräucherten
Saales brannte ein großes Feuer. Der Rauch zog unter der Decke hin und
drang durch die zahlreichen Risse und Sprünge ins Freie. In einem großen
Braukessel wurde Suppe gekocht und Hasen wie Kaninchen wurden am Spieße
gedreht.

„Du sollst diese Nacht mit mir bei allen meinen lieben Tierchen
schlafen!“ sagte das Räubermädchen. Sie erhielten nun zu essen und zu
trinken und gingen dann nach einer Ecke, wo Stroh und Decken lagen. Oben
drüber saßen auf Latten und Stangen wohl an hundert Tauben, die alle zu
schlafen schienen, sich aber doch ein wenig bewegten, als die kleinen
Mädchen kamen.

„Die gehören samt und sonders mir!“ sagte das kleine Räubermädchen und
ergriff schnell eine der nächsten, hielt sie an den Beinen und
schüttelte sie, bis sie mit den Flügeln schlug.

„Dort sitzt das Waldgesindel!“ fuhr sie fort und deutete auf eine Menge
Stäbe, die hoch oben vor einem Loche in die Mauer eingeschlagen waren.
„Das ist mein Waldgesindel und hier steht mein altes, liebstes Bä!“
Dabei zog sie ein Renntier am Geweihe hervor, welches einen blanken
Kupferring um den Hals hatte und angebunden war. „Jeden Abend kitzle ich
es mit meinem scharfen Messer am Halse, wovor es sich sehr fürchtet!“
Das kleine Mädchen zog ein langes Messer aus einer Spalte in der Mauer
und ließ es über den Hals des Renntieres hingleiten.

„Willst du das Messer während des Schlafes bei dir behalten?“ fragte
Gerda und sah sie etwas ängstlich an.

„Ich schlafe immer mit dem Messer!“ sagte das kleine Räubermädchen. „Man
weiß nicht, was sich ereignen kann. Aber nun lass mich’s noch einmal
hören, was du mir vorhin von dem kleinen Kay erzähltest, und weshalb du
in die weite Welt hinausgegangen bist.“ Und Gerda begann ihre Geschichte
wieder von vorn, und die Waldtauben girrten oben in ihrem Käfig, die
andern Tauben aber schliefen. Das kleine Räubermädchen legte einen Arm
um Gerda’s Hals, hielt das Messer in der andern Hand und schnarchte, daß
man es hören konnte, Gerda jedoch war nicht imstande, ein Auge zu
schließen, wußte sie doch nicht, ob sie leben bleiben oder sterben
sollte. Die Räuber saßen rund um das Feuer, sangen und tranken und das
Räuberweib schlug Purzelbäume. O, es war dem kleinen Mädchen wahrhaft
entsetzlich, dies mit ansehen zu müssen.

Da sagten die Waldtauben: „Kurre, kurre! wir haben den kleinen Kay
gesehen. Ein weißes Huhn trug seinen Schlitten, er saß auf dem Wagen der
Schneekönigin, welche unmittelbar über den Wald hinfuhr, als wir im
Neste lagen. Sie blies uns junge Tauben an und mit Ausnahme von uns
beiden starben alle; kurre, kurre!“

„Was sagt ihr dort oben?“ rief Gerda. „Wohin reiste die Schneekönigin?
Ist euch etwas davon bekannt?“

„Sie reiste vermutlich nach Lappland, denn dort ist immer Schnee und
Eis! Frage nur das Renntier, welches dort angebunden steht!“

„Dort ist Eis und Schnee, dort ist ein gesegnetes und herrliches Land!“
versetzte das Renntier. „Dort springt man in den großen, glitzernden
Thälern frei umher. Dort hat die Schneekönigin ihr Sommerzelt, aber ihr
festes Schloß hat sie oben nach dem Nordpole zu, auf der Insel, die
Spitzbergen genannt wird!“

„O, Kay, lieber Kay!“ seufzte Gerda.

„Nun mußt du still liegen!“ sagte das Räubermädchen, „sonst stoße ich
dir das Messer in den Leib!“

Am Morgen erzählte Gerda ihr alles, was die Waldtauben gesagt hatten,
und das kleine Räubermädchen sah ganz ernsthaft aus, nickte jedoch mit
dem Kopfe und sagte: „Das ist ganz gleich! -- Weißt du, wo Lappland
liegt?“ fragte sie das Renntier.

„Wer sollte es wohl besser wissen, als ich,“ sagte das Tier, und die
Augen leuchteten ihm im Kopfe. „Dort bin ich geboren und aufgewachsen,
dort habe ich mich auf den Schneefeldern umhergetummelt.“

„Höre!“ sagte das Räubermädchen zu Gerda. „Wie du siehst, sind unsere
Mannsleute sämtlich fort, aber Mutter ist noch hier und bleibt auch zu
Hause. Zum Frühstück trinkt sie jedoch aus der großen Flasche und
entschlummert bald darauf. Dann will ich etwas für dich thun.“

Als nun die Mutter aus ihrer Flasche getrunken hatte und einen kleinen
Nickkopf machte, ging das Räubermädchen zum Renntiere und sagte: „Ich
hätte zwar ganz besondere Lust, dich noch manchmal mit dem scharfen
Messer zu kitzeln, denn das ist außerordentlich belustigend, aber
gleichviel, ich will trotzdem deinen Strick lösen und dir hinaushelfen,
daß du nach Lappland laufen kannst, aber du mußt laufen wie noch nie und
mir dieses kleine Mädchen nach dem Schlosse der Schneekönigin bringen,
wo sich ihr Spielkamerad aufhält. Du hast wohl gehört, was sie erzählte,
denn sie schwatzte laut genug, und du pflegst zu lauschen!“

Das Renntier sprang vor Freude hoch auf. Das Räubermädchen hob die
kleine Gerda hinauf und war vorsichtig genug, sie festzubinden und ihr
sogar ein kleines Sitzkissen zu geben. „Das ist einerlei!“ sagte sie,
„da hast du deine Pelzstiefelchen wieder, denn es wird kalt werden, den
Muff behalte ich aber, er ist doch gar zu niedlich! Gleichwohl sollst du
nicht frieren. Hier hast du meiner Mutter große Fausthandschuhe, sie
reichen dir gerade bis an die Ellbogen! Zieh sie an!“

Gerda weinte vor Freude.

„Solch’ Gejammer kann ich nicht ausstehen!“ sagte das kleine
Räubermädchen. „Nun mußt du gerade vergnügt aussehen! Hier hast du noch
zwei Brote und einen Schinken, damit du nicht zu hungern brauchst!“
Beides wurde hinten auf das Renntier gebunden; das kleine Räubermädchen
öffnete die Thüre, lockte alle die großen Hunde herein, zerschnitt dann
den Strick mit ihrem Messer und sagte zum Renntiere: „Lauf nun, aber
gieb wohl auf das kleine Mädchen acht!“

Und Gerda streckte die Hände mit den großen Fausthandschuhen gegen das
Räubermädchen aus, sagte Lebewohl und dann flog das Renntier vorwärts
über Gebüsch und Gestrüpp, durch den großen Wald, über Sümpfe und
Steppen, so schnell es vermochte. Die Wölfe heulten und die Raben
schrieen. Schwaches Knistern ließ sich aus weiter Ferne vernehmen und
starkes Wetterleuchten zeigte sich auf allen Seiten.

„Das sind meine alten Nordlichter!“ sagte das Renntier, „sieh, wie sie
leuchten!“ und dann lief es noch hurtiger vorwärts, Tag und Nacht. Die
Brote wurden verzehrt, der Schinken dazu und dann waren sie in Lappland.


_Sechste_ Geschichte. +Die Lappin und die Finnin.+

Vor einem kleinen, unansehnlichen Häuschen machten sie Halt. Das Dach
ging bis zur Erde hinunter, und die Thüre war so niedrig, daß die
Bewohner nur auf dem Bauche kriechend sich durch den Eingang zwängen
konnten. Mit Ausnahme einer Lappin, welche neben einer Thranlampe stand
und Fische briet, war niemand daheim. Das Renntier erzählte ihr Gerdas
ganze Geschichte, zuerst jedoch seine eigene, welche ihm ungleich
wichtiger erschien, und Gerda war vor Kälte so erstarrt, daß sie nicht
zu reden vermochte.

„Ach, ihr Armen!“ sagte die Lappin, „da habt ihr noch weit zu laufen!
Ihr müßt über hundert Meilen weit in das Innere der Finnmark hinein,
denn dort hat die Schneekönigin ihre Sommerwohnung und läßt jeden Abend
blaue Flammen auflodern. Ich werde in Ermangelung des Papiers ein paar
Worte auf einen trocknen Stockfisch schreiben, den werde ich euch an die
Finnin dort oben mitgeben, welche euch bessere Auskunft erteilen kann,
als ich!“

Als sich Gerda nun wieder erwärmt und zu essen und zu trinken bekommen
hatte, schrieb die Lappin ein paar Worte auf einen trocknen Klippfisch,
bat Gerda, denselben wohl zu verwahren, band sie wieder auf das Renntier
und dieses sprang davon. Oben in der Luft knisterte es und die ganze
Nacht brannten die schönsten blauen Nordlichter; und dann kamen sie nach
Finnmark und klopften an den Schornstein der Finnin, denn sie hatte
nicht einmal eine Thür.

Es herrschte eine Hitze darin, daß sogar die Finnin nur eine ganz dünne
Bekleidung trug. Sie war klein und starrte von Schmutz. Sie löste sofort
die Kleider der kleinen Gerda auf, zog ihr die Fausthandschuhe und
Stiefel aus, weil sie die Hitze sonst nicht hätte ertragen können, legte
dem Renntiere ein Stück Eis auf den Kopf und las dann, was auf dem
Klippfische geschrieben stand.

„Du bist sehr klug!“ sagte das Renntier; „ich weiß, du kannst alle Winde
der Welt mit einem Zwirnsfaden zusammenbinden. Wenn der Schiffer den
einen Knoten löst, erhält er guten Wind, löst er den andern, dann bläst
ein scharfer Wind, und löst er den dritten und vierten, dann stürmt es,
daß die Wälder niederstürzen. Willst du dem kleinen Mädchen nicht einen
Trank geben, daß sie die Kraft von zwölf Männern erhält und die
Schneekönigin überwindet?“

„Die Kraft von zwölf Männern!“ sagte die Finnin, „die würde sicher nicht
ausreichen!“ Dann ging sie nach einem Gestell, holte ein großes
zusammengerolltes Fell hervor und entrollte es. Seltsame Buchstaben
waren darauf geschrieben, und die Finnin las, daß ihr dicke
Schweißtropfen von der Stirn rieselten.

Aber das Renntier bat so beweglich für die kleine Gerda und diese
schaute die Finnin mit so bittenden, thränenfeuchten Augen an, daß
dieselbe das Renntier in eine Ecke zog, wo sie demselben zuflüsterte,
während sie ihm frisches Eis auf den Kopf legte:

„Der kleine Kay ist wirklich bei der Schneekönigin, findet dort alles
nach seinem Wunsche und Behagen und meint, ihm sei das beste Los in der
Welt zugefallen. Das rührt aber davon her, daß ihm ein Glassplitter in
das Herz und ein Glaskörnchen in das Auge gedrungen ist. Beides muß erst
heraus, sonst wird er nie wieder ein tüchtiger Mensch und die
Schneekönigin behält Gewalt über ihn.“

„Aber kannst du der kleinen Gerda nichts eingeben, daß sie Macht über
das Ganze erhält?“

„Ich kann ihr keine größere Macht geben, als sie schon besitzt! Siehst
du nicht, wie groß diese ist? Siehst du nicht, wie Menschen und Tiere
ihr dienen müssen, wie sie auf bloßen Füßen so gut in der Welt vorwärts
gekommen ist? Von uns darf sie ihre Macht nicht erfahren, die sitzt in
ihrem Herzen und besteht darin, daß sie ein süßes, unschuldiges Kind
ist. Kann sie nicht selbst in das Schloß der Schneekönigin eindringen
und den kleinen Kay von dem Glase befreien, dann können wir nicht
helfen! Zwei Meilen von hier beginnt der Garten der Schneekönigin;
dorthin kannst du das kleine Mädchen bringen; setze sie neben dem großen
Busche ab, der mit roten Beeren bedeckt im Schnee steht. Halte dich
nicht mit langem Geschwätz auf und beeile dich, hierher zurückzukommen!“
Dann hob die Finnin die kleine Gerda auf das Renntier, welches aus
Leibeskräften davon eilte.

„Meine Stiefelchen! Meine Fausthandschuhe!“ rief die kleine Gerda, der
sich die schneidende Kälte fühlbar machte. Aber das Renntier wagte nicht
anzuhalten, es lief, bis es den großen Busch mit den roten Beeren
erreichte. Dort setzte es Gerda ab, küßte sie auf den Mund, wobei dem
Tiere große heiße Thränen über die Backen hinabrollten, und dann lief
es, so schnell es konnte, wieder zurück. Da stand nun die arme Gerda,
ohne Stiefelchen, ohne Handschuhe, mitten in der unwirtbaren, kalten
Finnmark.

Sie lief vorwärts, so schnell sie vermochte. Da zeigte sich plötzlich
ein ganzes Regiment Schneeflocken. Sie fielen aber nicht etwa vom Himmel
herab, der war ganz klar und strahlte von Nordlichtern, die
Schneeflocken flogen vielmehr gerade über die Oberfläche der Erde hin
und nahmen, je näher sie kamen, an Größe zu. Gerda erinnerte sich noch,
wie groß und kunstvoll sie unter dem Brennglase ausgesehen hatten. Aber
hier zeigten sie sich wahrlich noch in ganz anderer Größe und
Schreckensgestalt; es waren lebendige Wesen, es waren die Vorposten der
Schneekönigin. Sie hatten die seltsamsten Gestalten; einige sahen aus
wie häßliche, große Stachelschweine, andere wie ganze Schlangenknäuel,
aus denen die Köpfe hervorragten, und andere wie kleine dicke Bären, auf
welchen sich die Haare sträubten; alle aber schimmerten weiß, alle aber
waren lebendige Schneeflocken.

Da betete die kleine Gerda ihr Vaterunser. Die Kälte war so stark, daß
sie ihren eigenen Atem sehen konnte, welcher ihr wie Rauch vor dem Munde
stand. Der Atem wurde dichter und dichter und verwandelte sich in lauter
kleine Engel, die, sobald sie die Erde berührten, mehr und mehr wuchsen,
und alle Helme auf dem Kopfe und Spieß und Schild in den Händen hatten.
Ihre Anzahl vermehrte sich, und als Gerda ihr Vaterunser beendet hatte,
war eine ganze Legion um sie versammelt. Sie stachen mit ihren Spießen
nach den schrecklichen Schneeflocken, daß dieselben in hundert Stücke
zersprangen, und die kleine Gerda sicher und fröhlich vorwärts schreiten
konnte. Die Engel streichelten ihre Füße und Hände und da fühlte sie die
Kälte weniger und ging rasch auf das Schloß der Schneekönigin zu.

Aber nun müssen wir erst sehen, wie es Kay geht. Er dachte wahrlich
nicht an die kleine Gerda und am allerwenigsten, daß sie draußen vor dem
Schlosse stände.


_Siebente_ Geschichte. +Im Schlosse der Schneekönigin.+

Die Mauern des Schlosses waren von dem wirbelnden Schnee aufgetürmt und
schneidende Winde hatten die Thüren und Fenster gebildet. Über hundert
Säle reihten sich aneinander, wie sie gerade ein Schneetreiben
zusammengeweht hatte; der größte erstreckte sich viele Meilen weit. Alle
aber waren von starken Nordlichtern erleuchtet und waren groß, leer,
eisig kalt und schimmernd. Nie herrschte hier eine Lustbarkeit, nicht
einmal ein kleiner Bärenball, wobei der Sturm hätte die Blasinstrumente
spielen können; leer, weit und kalt war es in den Sälen der
Schneekönigin. Die Nordlichter flammten so regelmäßig, daß man berechnen
konnte, wann sie am höchsten und wann sie am niedrigsten standen. Mitten
in dem leeren und unendlichen Schneesaale war ein gefrorener See. Er war
in tausend Stücke geborsten, aber jedes Stück glich dem andern auf das
Genaueste, so daß es ein wahres Kunstwerk war. Mitten auf demselben saß
die Schneekönigin, so oft sie zu Hause war, und dann sagte sie, sie säße
im Spiegel des Verstandes, und dieser wäre der beste in dieser Welt.

Der kleine Kay war ganz blau vor Kälte, ja fast schwarz, aber er merkte
es doch nicht, denn sie hatte ihm den Frostschauer weggeküßt, und sein
Herz war so gut wie ein Eisklumpen. Er ging und schleppte einige
scharfe, flache Eisstücke herbei, die er auf alle mögliche Weise
zusammenlegte, um ein gegebenes Muster nachzubilden, gerade so, wie wenn
wir kleine Holzstückchen zu bestimmten Figuren zusammenpassen, was das
chinesische Spiel genannt wird. Kay ging auch und legte Figuren, es
waren die allerkunstreichsten, es war das „Eisspiel des Verstandes“.
In seinen Augen waren diese Figuren ganz ausgezeichnet und von der
allerhöchsten Wichtigkeit; das bewirkte das Glaskörnchen, welches ihm im
Auge saß; er legte ganze Figuren, die ein geschriebenes Wort bildeten,
aber immer scheiterte er an der Zusammensetzung des Wortes, welches er
gerade wünschte, des Wortes: „_Ewigkeit_“, und die Schneekönigin hatte
gesagt. „Kannst du mir diese Figur zu stande bringen, dann sollst du
dein eigener Herr sein, und ich schenke dir die ganze Welt und noch ein
Paar neue Schlittschuhe!“ Aber er konnte es nicht.

„Nun sause ich fort nach den warmen Ländern!“ sagte die Schneekönigin.
„Ich will in meine schwarzen Töpfe hineingucken!“ Das waren die
feuerspeienden Berge Aetna und Vesuv, wie man sie nennt. „Ich werde sie
ein wenig mit Weiß überziehen, das gehört dazu und thut den Zitronen und
Weintrauben gut!“ Darauf flog die Schneekönigin fort und Kay saß ganz
allein in dem viele Meilen weiten, leeren Eissaale, betrachtete die
Eisstücke und dachte und dachte, daß es in ihm ordentlich knackte. Ganz
steif und still saß er da, man hätte glauben können, er wäre erfroren.

In diesem Augenblicke trat die kleine Gerda durch die große
Eingangspforte in das Schloß. Schneidende Winde wehten ihr entgegen,
aber sie betete ihr Abendgebet und da legten sich die Winde, als ob sie
schlafen wollten. Sie trat in die großen leeren, kalten Säle -- da
gewahrte sie Kay; sie erkannte ihn, sie flog ihm um den Hals, hielt ihn
fest umschlungen und rief: „Kay! süßer, lieber Kay! so habe ich dich
endlich gefunden!“

Er aber saß ganz still, steif und kalt; -- da weinte die kleine Gerda
heiße Thränen, sie fielen auf seine Brust, sie drangen in sein Herz, sie
tauten den Eisklumpen auf und verzehrten das kleine Spiegelsplitterchen
in demselben. Er blickte sie an und sie sang:

  „Ich liebe die Rosen in all’ ihrer Pracht,
  Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“

Da brach Kay in Thränen aus; er weinte so, daß ihm das Spiegelkörnchen
aus den Augen geschwemmt wurde, er erkannte sie und jubelte: „Gerda!
süße, liebe Gerda! -- Wo bist du doch so lange gewesen und wo bin ich
gewesen?“ Und er schaute rings um sich her. „Wie kalt es hier ist! Wie
leer und weit es hier ist!“ Und er umfaßte Gerda und sie lachte und
weinte vor Freude. Das war ein so lieblicher Anblick, daß sogar die
Eisstücke vor Freude ringsumher tanzten. Als sie nun müde waren, legten
sie sich gerade auf die Buchstaben, von denen die Schneekönigin gesagt
hatte, wenn er sie ausfindig machen könnte, sollte er sein eigener Herr
sein und sie wollte ihm die ganze Welt und noch ein Paar neue
Schlittschuhe schenken.

Gerda küßte ihm die Wangen und sie wurden wieder blühend; sie küßte ihn
auf die Augen und sie glänzten wie die ihrigen; sie küßte ihn auf Hände
und Füße und er war gesund und munter. Nun mochte die Schneekönigin
dreist nach Hause kommen, sein Freibrief stand mit flimmernden
Eisstücken geschrieben da.

Sie reichten einander die Hände und wanderten aus dem großen Schlosse
hinaus. Auch sprachen sie von der Großmutter und von den Rosen oben auf
dem Dache, und wo sie gingen, legten sich die Winde und die Sonne brach
hervor. Als sie den Busch mit den roten Beeren erreichten, stand das
Renntier da und wartete. Es hatte ein zweites Renntier mitgebracht und
beide trugen Gerda und Kay erst zu der Finnin, in deren heißer Stube sie
sich wärmten, und dann zur Lappin, welche ihnen neue Kleider genäht und
ihren Schlitten in stand gesetzt hatte. Die Renntiere und die Lappin
begleiteten sie bis zur Landesgrenze, dort nahmen sie Abschied. „Lebt
wohl!“ sagten sie sämtlich. Die ersten kleinen Vögel begannen zu
zwitschern, der Wald trieb grüne Knospen und aus demselben heraus kam
auf einem prächtigen Pferde, welches Gerda kannte (es war nämlich vor
den goldenen Wagen gespannt gewesen), ein junges Mädchen angeritten mit
einer weithin leuchtenden roten Mütze auf dem Kopfe und Pistolen im
Gürtel. Es war das kleine Räubermädchen. Sie erkannte Gerda sofort und
Gerda erkannte sie auch, das war eine Freude. Gerda streichelte ihr die
Wangen und fragte nach dem Prinzen und der Prinzessin.

„Die sind nach fremden Ländern gereist!“ sagte das Räubermädchen.

„Aber die Krähe?“ fragte die kleine Gerda.

„Ach, die Krähe ist tot!“ antwortete sie; „ihre Base trauert um sie mit
einem schwarzwollenen Lappen um das Bein. Doch nun erzähle mir, wie es
dir ergangen ist und wie du seiner habhaft geworden bist!“

Und Gerda und Kay erzählten alle beide.

Das Räubermädchen reichte beiden die Hand, nahm Abschied und ritt dann
in die weite Welt hinaus.

Aber Kay und Gerda gingen Hand in Hand, und während sie dahinschritten,
war es ein herrliches Frühlingswetter und die Blumen dufteten. Die
Kirchenglocken läuteten und sie erkannten die hohen Türme, die große
Stadt, es war ihre Geburtsstätte, und sie gingen in dieselbe hinein und
hin zu der Thüre der Großmutter, die Treppe hinauf, in die Stube hinein,
wo noch alles auf derselben Stelle wie früher stand. Die alte Uhr sagte:
„Tick, tack!“ und die Zeiger drehten sich. Während sie aber durch die
Thüre schritten, bemerkten sie, daß sie erwachsene Menschen geworden
waren. Die Rosen blühten von der Dachrinne her zu den offenen Fenstern
herein, und da standen die kleinen Kinderstühlchen, und Kay und Gerda
setzten sich, ein jedes auf den seinigen, und hielten einander bei den
Händen. Wie einen schweren Traum hatten sie die kalte leere Herrlichkeit
bei der Schneekönigin vergessen. Großmutter saß in Gottes klarem
Sonnenscheine und las laut aus der Bibel: „Es sei denn, daß ihr umkehrt
und werdet wie die Kinder, so könnet ihr nicht in das Reich Gottes
kommen!“

Und Kay und Gerda schauten einander in die Augen und verstanden auf
einmal das alte Lied:

  „Ich liebe die Rosen in all’ ihrer Pracht,
  Doch mehr noch den Heiland, der selig uns macht!“

Da saßen die beiden, Erwachsene und doch Kinder, Kinder im Herzen; und
es war Sommer, warmer, erquickender Sommer. --



Fliedermütterchen.

  [Abbildungen/Illustrations: capB91, pic95.jpg]


Bebend vor Fieberfrost lag ein kleiner Knabe im Bett, weil er sich
erkältet hatte. Er war mit nassen Füßen nach Hause gekommen, doch
niemand konnte begreifen, wie das geschehen war, da es nicht geregnet
hatte. Seine Mutter ließ die Theemaschine hereinbringen, um ihm eine
gute Tasse Fliederthee zu kochen, denn der wärmt. Zu gleicher Zeit trat
auch der alte, muntere Mann zur Thüre herein, der ganz oben im Hause
wohnte und völlig für sich allein lebte, denn er hatte weder Weib noch
Kind, hatte aber die Kinder gar lieb und wußte so viele Märchen und
Geschichten zu erzählen, daß es eine Lust war, ihm zuzuhören.

„Jetzt trinke deinen Thee!“ sagte die Mutter, „dann erzählt dir der
Onkel vielleicht auch ein Märchen.“

„Ja, wenn man nur immer gleich ein neues wüßte!“ versetzte der alte Mann
und nickte gutmütig. „Aber wo hat denn der Kleine die nassen Füße
herbekommen?“ fragte er dann.

„Ja, wo er sie her hat,“ entgegnete die Mutter, „ist eben das
Unbegreifliche!“

„Erzählen Sie mir ein Märchen?“ fragte der Knabe.

„Ja, wenn du mir genau angeben kannst, denn das muß ich zuerst wissen,
wie tief der Rinnstein da drüben in der Gasse ist, in der deine Schule
liegt?“

„Gerade bis mitten an die Schäfte,“ sagte der Knabe, „aber dann muß ich
schon in das tiefe Loch treten!“

„Sieh, sieh! also da stammen die nassen Füße her!“ sagte der alte Mann.
„Nun müßte ich freilich ein Märchen erzählen, aber ich weiß keines
mehr.“ Die Mutter warf Fliederthee in die Kanne und goß siedendes Wasser
darüber.

„Erzählen Sie, erzählen Sie!“ bat der Knabe.

„Ja, wenn ein Märchen von selbst kommen wollte, aber solch echtes ist
gar vornehm, das kommt nur, wenn es Lust dazu hat -- --! Doch halt!“
sagte er plötzlich. „Da haben wir eins! Gieb acht, jetzt ist eins dort
in der Theekanne!“

Der kleine Knabe blickte nach der Theekanne hinüber, der Deckel hob sich
mehr und mehr und die Fliederblumen kamen frisch und weiß heraus,
trieben große lange Zweige, sogar aus der Tülle breiteten sie sich nach
allen Seiten aus und wurden größer und größer. Es war der prächtigste
Fliederbusch, ein ganzer Baum, der bis in das Bett hineinragte und die
Vorhänge zur Seite schob. Wie das blühte und duftete! Mitten im Baume
saß eine alte freundliche Frau in einem seltsamen Gewande, welches grün
wie die Blätter des Fliederbaumes war und einen Besatz von großen weißen
Fliederblüten hatte. Man konnte nicht sogleich unterscheiden, ob es Zeug
oder lebendiges Grün und Blumen waren.

„Wie heißt die Frau?“ fragte der Knabe.

„Die Römer und Griechen,“ entgegnete der alte Mann, „nannten sie eine
_Dryade_, aber das verstehen wir nicht. Draußen in den neuen Anlagen
haben wir einen bessern Namen für sie, dort heißt sie
„_Fliedermütterchen_“. Von ihr will ich dir nun erzählen. Höre zu:

„Ein ebenso großer, blühender Baum stand draußen in den neuen Anlagen
und zwar in der Ecke eines kleinen Hofes, welcher zu einem kleinen
Häuschen gehörte. Unter diesem Baume saßen eines Nachmittags im
herrlichsten Sonnenschein zwei alte Leute. Es war ein alter, alter
Seemann und sie seine alte, alte Frau. Sie waren Urgroßeltern und
sollten bald ihre goldene Hochzeit feiern, konnten sich aber nicht genau
des Datums erinnern. Fliedermütterchen saß in dem Baume und sah ebenso
vergnügt aus wie hier. „„Ich weiß wohl, wann eure goldene Hochzeit
ist!““ sagte sie, doch hörten jene es nicht, sie sprachen von alten
Tagen.“

„Erinnerst du dich dessen wohl noch,“ sagte der alte Seemann, „wie wir
ganz klein waren und umherliefen und spielten? Es war gerade in diesem
nämlichen Hofe, wo wir jetzt sitzen. Wir pflanzten kleine Stöckchen in
die Erde und machten uns einen Garten.“

„Ja,“ erwiderte die alte Frau, „dessen erinnere ich mich sehr wohl, und
wir begossen die Stöckchen, und eines derselben, ein Fliederzweig,
schlug Wurzeln, trieb grüne Schößlinge und ist nun zu dem großen Baume
herangewachsen, unter welchem wir alten Leute jetzt hier sitzen.“

„So ist’s!“ sagte er, „und dort in jener Ecke stand eine Wasserkufe;
dort schwamm mein Kahn, ich hatte ihn mir selbst geschnitzt. Wie er
segeln konnte! Ich sollte freilich das Segeln bald in andrer Weise
erlernen!“

„Ja, aber erst gingen wir in die Schule und lernten etwas!“ sagte sie,
„und dann wurden wir eingesegnet. Wir weinten alle beide; des
Nachmittags erstiegen wir Hand in Hand den runden Turm und schauten über
Kopenhagen und den Meeresspiegel hin. Dann gingen wir nach
Friedrichsberg hinaus, wo der König und die Königin in ihrer prächtigen
Gondel auf den Kanälen umherfuhren.“

„Aber mir war es freilich bald beschieden, in andrer Weise
umherzusegeln, und das so manches Jahr hindurch, weit hinaus auf langen,
beschwerlichen Reisen.“

„Ja, ich weinte oft deinetwegen!“ unterbrach sie ihn, „denn ich glaubte,
du lägest tot in der Tiefe des Wassers! Manche, manche Nacht stand ich
auf und sah nach, ob die Wetterfahne sich drehte. Sie drehte sich wohl,
doch du kamst nicht. Ich entsinne mich noch deutlich, wie eines Tages
ein heftiger Platzregen herniederrauschte, der Kehrichtkärrner machte
vor der Thüre meiner Dienstherrschaft Halt, ich ging mit dem
Kehrichtfasse hinunter und blieb an der Thüre stehen. Gerade wie ich so
dastand, kam plötzlich der Postbote auf mich zu und gab mir einen Brief.
Er war von dir. O, wie der umhergereist war! Ich brach ihn in Hast auf
und las ihn. Ich lachte und weinte, ich war so froh! Da stand, daß du in
den warmen Ländern wärest, wo die Kaffeebohnen wachsen. Was für ein
glückliches, gesegnetes Land muß das sein! Du erzähltest so viel und ich
sah es alles im Geiste, während der Regen fort und fort
herniederplätscherte und ich noch immer mit dem Kehrichtfasse dastand.
Plötzlich tauchte jemand neben mir auf, der mich um den Leib faßte -- --
--“

„Und dem du zur Belohnung eine klatschende Ohrfeige versetztest!“

„Wußte ich doch nicht, daß du es warst! Du warst mit deinem Briefe
zugleich angekommen; und du warst so schön -- --, doch das bist du noch.
Du machtest mit einem langen gelbseidenen Taschentuche Staat und trugest
einen weißen, funkelnagelneuen Hut. Du warst so fein. Gott, was war es
doch für ein Wetter, und wie sah die Straße aus!“

„Dann heirateten wir uns,“ fuhr er fort.

„Ja, und wie unsere Kinder nun sämtlich herangewachsen und brave
Menschen geworden sind,“ sagte sie.

„Und auch ihre Kinder haben schon wieder Kinder, das sind Kindeskinder,“
fiel der alte Matrose ein. „Wie mich dünkt, haben wir gerade in dieser
Zeit unsere Hochzeit gefeiert,“ setzte er hinzu.

„Ja, just heute ist der goldene Hochzeitstag!“ sagte Fliedermütterchen
und steckte den Kopf gerade zwischen die beiden Alten; diese aber
hielten sie für die Nachbarin, die ihnen zunickte. Sie schauten sich
einander an und hielten die Hände verschlungen. Bald darauf erschienen
die Kinder und Kindeskinder, die sehr wohl wußten, daß es der goldene
Hochzeitstag war und auch schon am Morgen gratuliert hatten; aber
während sich die Alten der Ereignisse aus längst vergangenen Jahren so
gut erinnerten, war ihnen dies wieder entfallen. Der Fliederbaum duftete
stark, und die Sonne, welche sich ihrem Untergange zuneigte, schien dem
greisen Ehepaare gerade ins Antlitz. Beide sahen rotwangig aus, und das
kleinste der Kindeskinder tanzte um sie herum und rief voller
Glückseligkeit, daß es heute abend hoch hergehen sollte, sie würden
warme Kartoffeln bekommen. Fliedermütterchen nickte in ihrem Baume und
rief mit allen anderen „Hurrah“.

„Aber das war ja gar kein Märchen!“ unterbrach der kleine Knabe den
Erzähler.

„Ja, das mußt du freilich verstehen!“ entgegnete der Alte. „Aber laß uns
das Fliedermütterchen danach fragen!“

„Es war kein Märchen!“ sagte Fliedermütterchen; „nun aber kommt es. Aus
der Wirklichkeit wächst gerade das seltsamste Märchen heraus; sonst
könnte ja mein prächtiger Fliederstrauch auch nicht aus der Theekanne
emporgesproßt sein.“

Darauf nahm es den Knaben aus seinem Bette, umschlang ihn mit den Armen
und die blütenbedeckten Zweige schlugen um sie zusammen, so daß sie wie
in der dichtesten Laube saßen. Diese flog mit ihnen durch die Luft, es
war unvergleichlich schön. Fliedermütterchen hatte sich plötzlich in ein
kleines niedliches Mädchen verwandelt, doch war der Rock noch von
demselben grünen, weißgeblümten Zeuge, welches Fliedermütterchen
getragen hatte. An der Brust hatte es eine wirkliche Fliederblüte und um
sein aschblondes, lockiges Haar einen ganzen Kranz von Fliederblüten.
Seine Augen waren groß und blau, o, es war eine Freude, dasselbe
anzusehen!

Hand in Hand gingen sie aus der Laube und standen nun in dem schönen
Blumengarten der Heimat. Bei dem frischen Rasenplatze lag der Stock des
Vaters an einen Pflock angebunden. Für die Kleinen war Leben in dem
Stocke; sobald sie sich quer über denselben setzten, verwandelte sich
der blanke Knopf in einen stolz wiehernden Kopf; die lange schwarze
Mähne flatterte, vier schlanke kräftige Beine wuchsen hervor: das Tier
war stark und feurig. Im Galopp ritten sie um den Rasenplatz herum und
fortwährend rief das kleine Mädchen, welches, wie wir wissen, niemand
anders als Fliedermütterchen war: „Nun sind wir auf dem Lande! Siehst du
das Bauernhaus mit dem großen Backofen, der wie ein riesengroßes, in der
Mauer befindliches Ei auf den Weg herausguckt? Der Fliederbaum läßt
seine Zweige über ihn herabhängen und der Hahn schreitet stolz einher
und scharrt nach Futter für seine Hühner. Doch nun vorwärts nach dem
prächtigen Rittergute!“

Und alles, was das kleine Mädchen, das hinten auf dem Stocke saß, sagte,
das flog auch an ihnen vorüber; der Knabe sah es, und doch kamen sie nur
um den Rasenplatz herum. Dann spielten sie in dem Seitengange und
steckten auf dem Boden einen kleinen Garten ab. Das Mädchen nahm die
Fliederblüte aus seinem Haar, pflanzte sie und sie wuchs ganz eben so
wie bei jenen Alten in die Höhe, als dieselben noch als Kinder, wie
früher erzählt ist, in den neuen Anlagen miteinander spielten. Wie jene
wandelten sie Hand in Hand, doch erstiegen sie nicht den roten Turm,
ergingen sich nicht im Friedrichsberger Parke, nein, das kleine Mädchen
faßte den Knaben um den Leib und dann flogen sie weit umher, und es war
Frühling und wurde Sommer, es war Herbst und wurde Winter, und tausend
Bilder spiegelten sich in den Augen und in dem Herzen des Knaben ab, und
immer sang das kleine Mädchen ihm vor: „Das darfst du nie vergessen!“
Während des ganzen Fluges duftete der Fliederbaum gar süß und herrlich.
Der Knabe nahm wohl die Rosen und die Blumen wahr, aber der Fliederbaum
duftete noch balsamischer, denn seine Blüten hingen an des kleinen
Mädchens Herzen und an dieses lehnte das kranke Knäblein während des
Fluges oft das müde Haupt.

„Hier ist es herrlich im Frühling!“ sagte das kleine Mädchen und sie
standen in einem knospenden Buchenwalde, wo grüner Waldmeister zu
ihren Füßen duftete und blaßrote Anemonen aus dem jungen Gras schauten.
„O, wäre es immer Frühling!“

„Hier ist es herrlich im Sommer!“ sagte sie und sie fuhren an alten
Burgen aus der Ritterzeit vorüber, deren rote Mauern und zackige Giebel
sich in den Gräben spiegelten, in denen Schwäne schwammen und in die
alten kühlen Baumgänge hinaufschauten. Auf dem Felde wogte das Korn
gleich der bewegten See, rote und gelbe Blumen wiegten sich in den
Gräben, an den Gehegen rankten sich wilder Hopfen und blühende Winden
empor, und des Abends ging der Mond groß und voll auf, und die
Heuschober auf den Wiesen dufteten süß. „Das vergißt sich nie!“

„Hier ist es herrlich im Herbst!“ sagte das kleine Mädchen, und die Luft
wurde doppelt so hoch und blau, der Wald nahm die schönsten Farben von
Rot, Gelb und Grün an, die Jagdhunde stürmten vorwärts, ganze Scharen
wilder Vögel flogen kreischend über die Hünengräber hin, auf denen sich
Brombeerranken über die alten Steine hinzogen. Auf dem tiefblauen Meere
zeigten sich überall weiße Segler, und in der Tenne saßen alte Frauen,
Mädchen und Kinder und pflückten Hopfen in ein großes Gefäß. Die Jungen
sangen Lieder, aber die Alten erzählten Märchen von Kobolden und
Zauberern. „Besseres ließ sich nicht leicht denken!“

„Hier ist es herrlich im Winter!“ sagte das kleine Mädchen, und alle
Bäume standen mit Reif bedeckt da, als wären sie in weiße Korallen
verwandelt. Der Schnee knirschte unter den Füßen, als ob man immer neue
Stiefel anhätte, und vom Himmel fiel eine Sternschnuppe nach der andern.
Im Zimmer wurde der Weihnachtsbaum angezündet, da gab es Geschenke und
fröhliche Laune. In der Bauernstube auf dem Lande ertönte lustiger
Fiedelklang, unter Jauchzen und Lachen haschte man nach Äpfelschnitten
und selbst das ärmste Kind bekannte: „Es ist doch herrlich im Winter!“

Ja, es war auch herrlich! Das kleine Mädchen zeigte dem Knaben alles und
der Fliederbaum duftete und die rote Flagge mit dem weißen Kreuze
flatterte, die Flagge, unter welcher der alte Seemann aus den neuen
Anlagen gesegelt war. Und aus dem Knaben wurde ein Jüngling und er
sollte hinaus in die weite Welt, weit fort nach den warmen Ländern,
wo der Kaffee wächst. Aber beim Abschied nahm das kleine Mädchen eine
Fliederblüte von der Brust und gab sie ihm zum Aufbewahren. Er legte sie
in sein Gesangbuch, und so oft er es im fremden Lande öffnete, fiel sein
Blick zuerst auf die Stelle, wo die Blüte der Erinnerung lag. Je länger
er sie anblickte, desto frischer wurde sie; er fühlte gleichsam einen
Duft aus den heimischen Wäldern und deutlich sah er zwischen den
Blütenblättern das kleine Mädchen mit seinen klaren Augen hervorlugen
und hörte, wie sie ihm zuflüsterte: „Hier ist es herrlich im Frühling,
Sommer, Herbst und Winter!“ Und Hunderte von Bildern glitten dann durch
seine Gedanken.

So verstrichen viele Jahre und er war nun ein alter Mann und saß mit
seiner alten Frau unter einem blühenden Baume. Sie hielten einander an
den Händen, genau so wie es der Urgroßvater und die Urgroßmutter draußen
in den neuen Anlagen gethan hatten, und sie sprachen gleichfalls von den
alten Tagen und von der goldenen Hochzeit. Das kleine Mädchen mit den
blauen Augen und den Fliederblüten im Haare saß oben im Baume, nickte
ihnen Beiden zu und sagte: „Heute ist der goldne Hochzeitstag!“ --
Darauf nahm es zwei Blumen aus seinem Kranze, küßte dieselben und nun
leuchteten sie zuerst wie Silber, dann wie Gold, und als es diese auf
die Häupter der Alten legte, verwandelte sich jede Blüte in eine goldene
Krone. Da saßen sie Beide wie ein König und eine Königin unter dem
duftenden Baume, der völlig wie ein Fliederbaum aussah, und er erzählte
seiner alten Frau die Geschichte vom Fliedermütterchen, so wie sie ihm
als kleinem Knaben erzählt worden war, und es schien Beiden, als ob
vieles darin vorkäme, was ihrer eigenen Geschichte ähnelte.

„Ja, so ist es,“ sagte das kleine Mädchen im Baume; „einige nennen
mich Fliedermütterchen, andere Dryade, aber mein wahrer Name ist
_Erinnerung_. Ich habe meinen Platz in dem grünen Baume, welcher wächst
und wächst. Ich schaue weit zurück und kann erzählen. Hast du auch deine
Blüte noch?“

Und der alte Mann öffnete sein Gesangbuch; da lag die Fliederblüte,
so frisch, als wäre sie erst vor kurzem hineingelegt worden, und
Fliedermütterchen, oder vielmehr die Erinnerung, nickte, und die beiden
Alten mit den goldenen Kronen saßen in der glühenden Abendsonne. Sie
schlossen die Augen, und -- und -- ja da war das Märchen aus.

Der kleine Knabe lag in seinem Bettchen, er wußte nicht, ob er alles
geträumt oder ein Märchen gehört hatte. Die Theekanne stand auf dem
Tische, aber es sproßte kein Fliederbaum aus ihr hervor, und der alte
Mann, welcher erzählt hatte, ging eben zur Thüre hinaus.

„Wie schön war das!“ sagte der kleine Knabe. „Mutter, bin ich in den
warmen Ländern gewesen?“

„Ja, das glaube ich wohl!“ sagte die Mutter, „wenn man zwei bis an den
Rand gefüllte Tassen Fliederthee trinkt, dann kommt man schon nach den
fremden Ländern!“ Und sie deckte ihn gut zu, damit er sich nicht von
neuem erkältete. „Du hast wohl geschlafen, während ich saß und mit
unserem alten Freunde darüber stritt, ob es eine Geschichte oder ein
Märchen wäre.“

„Und wo ist Fliedermütterchen?“ fragte der Knabe.

„Das steckt in der Theekanne!“ sagte die Mutter, „und da kann es
bleiben!“



Der Tannenbaum.

  [Abbildung/Illustration: pic97.jpg]


Weit draußen im Walde stand ein niedlicher Tannenbaum; er hatte einen
guten Platz, die Sonne konnte zu ihm dringen, Luft war genug da und rund
umher wuchsen viele größere Kameraden, Tannen und Fichten. Aber der
kleine Tannenbaum wollte nur immer wachsen und wachsen; er dachte nicht
an den warmen Sonnenschein und die frische Luft, bekümmerte sich nicht
um die Bauernkinder, wenn sie draußen im Walde umherschwärmten, um
Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oftmals kamen sie mit einem ganzen
Topfe voll oder hatten Erdbeeren auf Strohhalme gezogen. Dann setzten
sie sich neben das Bäumchen und sagten: „Ach, wie klein der ist!“ Doch
das gefiel dem Bäumchen nicht. Im nächsten Jahre war es schon um einen
Schuß größer und das Jahr darauf war es wieder um einen gewachsen; denn
bei einem Tannenbaume kann man, sobald man zählt, wie oft er einen neuen
Trieb angesetzt hat, genau die Jahre seines Wachstums berechnen.

„O, wäre ich doch ein so großer Baum wie die anderen!“ seufzte das
Bäumchen, „dann könnte ich meine Zweige weit ausbreiten und mit dem
Gipfel in die weite Welt hinaus schauen! Dann würden die Vögel ihre
Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn es stürmte, könnte ich
so vornehm nicken wie dort die anderen.“

Weder der Sonnenschein, noch die Vögel, noch die roten Wolken, die
morgens und abends über ihn hinsegelten, machten ihm Freude.

War es nun Winter, und Schnee lag blendend weiß ringsherum, dann kam oft
ein Hase angesprungen und setzte gerade über das Bäumchen hinweg. O, das
war empörend! Aber zwei Winter verstrichen und im dritten war der Baum
schon so hoch, daß der Hase um ihn herumlaufen mußte. „O, wachsen,
wachsen, groß und alt werden, das ist doch das einzig Schöne in der
Welt!“ dachte der Baum.

Im Spätherbst erschienen regelmäßig Holzhauer und fällten einige der
größten Bäume. Das geschah jedes Jahr und den jungen Tannenbaum, der nun
schon tüchtig in die Höhe geschossen war, befiel Zittern und Beben
dabei, denn mit Gepolter und Krachen stürzten seine Kameraden zur Erde,
die Zweige wurden ihnen abgehauen, sie sahen nun ganz nackt, lang und
schmal aus, sie waren kaum noch wiederzuerkennen. Dann aber wurden sie
auf Wagen gelegt und Pferde zogen sie zum Walde hinaus.

Wohin sollten sie? -- Was stand ihnen bevor? --

Als im Frühjahr die Schwalbe und der Storch kamen, fragte sie der Baum:
„Wißt ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen nicht
begegnet?“

Die Schwalbe wußte nichts, doch der Storch sah sehr nachdenklich aus,
nickte mit dem Kopfe und sagte: „Ja, ich glaube fast; mir begegneten auf
meiner Rückreise von Ägypten viele neue Schiffe. Auf denselben standen
prächtige Mastbäume; ich darf wohl behaupten, daß sie es waren; sie
verbreiteten Tannengeruch. Ich kann vielmals grüßen, sie überragen
alles!“

„O, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinzufliegen! Wie
ist es eigentlich, dieses Meer, und wem ähnelt es?“

„Ja, das ist etwas weitläufig zu erklären!“ sagte der Storch und ging.

„Freue dich deiner Jugend!“ sagten die Sonnenstrahlen, „freue dich
deines Wachstums, des jungen Lebens, welches dich erfüllt!“

Und der Wind küßte den Baum, und der Tau weinte Thränen über ihn, allein
der Tannenbaum verstand es nicht.

In der Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die nicht
einmal so groß waren, noch im gleichen Alter standen wie unser
Tannenbäumchen, das weder Ruh noch Rast hatte, sondern nur immer weiter
wollte. Diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten,
behielten immer ihre Zweige, sie wurden auf Wagen gelegt und Pferde
zogen sie aus dem Walde.

„Wohin bringt man sie?“ fragte der Tannenbaum. „Sie sind nicht größer
als ich, ja da war sogar einer dabei, der noch weit kleiner aussah.
Weshalb behalten sie alle ihre Zweige? Wo fahren sie hin?“

„Das wissen wir, das wissen wir!“ zwitscherten die Sperlinge. „Unten in
der Stadt haben wir zu den Fenstern hineingeschaut. O, sie gelangen zur
größten Pracht und Herrlichkeit, die sich denken läßt! Wir haben
gesehen, daß sie mitten in die warme Stube hineingepflanzt und mit den
herrlichsten Sachen, mit vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und
vielen hundert Lichtern ausgeschmückt wurden!“

„Und dann?“ fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. „Und dann?
Was geschieht dann?“

„Ja, mehr haben wir nicht gesehen, es war unvergleichlich!“

„Ob auch mir dieses Los zufallen wird, diesen strahlenden Weg zu gehen?“
jubelte das Bäumchen. „Das ist noch besser, als über das Meer zu fahren.
O, wie mich die Sehnsucht verzehrt! O wäre ich erst auf dem Wagen! Wäre
ich erst in der warmen Stube mit all’ ihrer Pracht und Herrlichkeit! Und
dann? Ja dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, weshalb würde
man mich sonst so ausschmücken! Da muß noch etwas Größeres, noch etwas
Herrlicheres kommen -- --!“

„Freue dich meiner!“ sagte die Luft und sagte der Sonnenschein; „freue
dich deiner frischen Jugend draußen im Freien!“

Aber das Bäumchen freute sich gar nicht; es wuchs und wuchs, Winter und
Sommer stand es dunkelgrün da! Die Leute, welche es sahen, sagten: „Das
ist ein hübscher Baum!“ und zur Weihnachtszeit wurde er zuerst von allen
gefällt! Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem
Seufzer zu Boden. Er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er vermochte
an gar kein Glück mehr zu denken. Er war betrübt, von der Heimat zu
scheiden, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war. Er wußte ja,
daß er nie mehr die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und
Blumen wiedersehen würde.

Der Baum kam erst wieder zu sich, als er im Hofe, mit den andern Bäumen
abgeladen, einen Mann sagen hörte: „Der ist prächtig! Wir brauchen
keinen andern!“

Nun kamen zwei Diener im vollen Staate und trugen den Tannenbaum in
einen großen, prächtigen Saal. Er wurde in ein großes, mit Sand
gefülltes Gefäß gestellt, doch konnte niemand merken, daß es ein Gefäß
war, denn es wurde ringsherum mit grünem Zeug behängt und stand auf
einem großen bunten Teppiche. O, wie der Baum bebte! Was sollte doch nun
geschehen? Die Diener und die Fräulein kamen und putzten ihn aus. Über
die Zweige hängten sie kleine, aus buntem Papier ausgeschnittene Netze,
mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete Äpfel und Walnüsse hingen wie
festgewachsen herab, und über hundert rote, blaue und weiße Lichterchen
wurden an den Zweigen befestigt. Puppen, die wie leibhaftige Menschen
aussahen, schwebten im Grünen, und ganz oben auf der Spitze strahlte ein
Stern von Flittergold. Es war prächtig, ganz unvergleichlich prächtig!

„Heute Abend,“ sagten alle, „heute Abend wird er strahlen!“

„O!“ dachte der Baum, „wäre es doch erst Abend! Würden doch nur die
Lichter bald angezündet! Und was mag dann geschehen? Ob wohl die Bäume
aus dem Walde kommen und mich anschauen? Ob die Sperlinge gegen die
Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachsen und Winter und Sommer
geschmückt dastehen werde?“ --

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz! Welche Pracht! Der
Baum bebte in allen Zweigen dabei, so daß einige Nadeln an einem der
Lichter Feuer fingen. Es sengte ordentlich.

„Gott bewahre uns!“ schrieen die Fräulein und löschten es schnell aus.

Nun durfte der Baum nicht einmal beben. O, das war ein Graus! Er war so
besorgt, etwas von all’ seinem Staate zu verlieren; er war von all’ dem
Glanze wie betäubt. -- Und nun öffneten sich beide Flügelthüren, und
eine Menge Kinder stürzten herein, als ob sie den ganzen Baum umrennen
wollten. Die älteren Leute kamen bedächtig hinterher; die Kleinen
standen ganz stumm, aber nur einen kurzen Augenblick, dann jubelten sie
wieder so, daß es wiederhallte. Sie tanzten um den Baum, und ein
Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt.

„Was haben sie nur vor?“ dachte der Baum. „Was soll da geschehen?“ Die
Lichter brannten bis auf die Zweige herunter und darauf löschte man sie
aus und die Kinder erhielten Erlaubnis, den Baum zu plündern. O, die
stürzten auf ihn los, daß es in allen Zweigen knackte. Wäre er nicht mit
der Spitze und dem goldenen Stern an der Decke befestigt gewesen, so
hätten sie ihn sicher umgeworfen.

Die Kinder tanzten nun mit ihrem prächtigen Spielzeuge umher. Niemand
beachtete den Baum, mit Ausnahme der alten Kinderfrau, die aufmerksam
zwischen die Zweige nach einem etwa vergessenen Apfel blickte.

„Eine Geschichte, eine Geschichte!“ riefen die Kinder und zerrten einen
kleinen, dicken Mann nach dem Baume hin. Er setzte sich gerade unter
denselben nieder, „denn so,“ meinte er, „sind wir im Grünen. Aber ich
erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ivede-Avede hören oder
die von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinabfiel und sich doch auf den
Thron schwang und die Prinzessin erhielt?“

„Ivede-Avede!“ schrieen einige, „Klumpe-Dumpe!“ schrieen andere. Was war
das für ein Rufen und Durcheinanderschreien! Nur der Tannenbaum schwieg
still. Seine Rolle war vorüber, er hatte ja seine Schuldigkeit gethan!

Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinabfiel und sich
doch auf den Thron schwang und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder
klatschten in die Hände und riefen: „Erzähle, erzähle!“ Sie wollten auch
noch die Geschichte von Ivede-Avede hören, mußten sich aber mit
Klumpe-Dumpe begnügen. Der Tannenbaum stand ganz still und gedankenvoll,
nie hatten die Vögel draußen im Walde dergleichen erzählt. „Klumpe-Dumpe
fiel die Treppe hinab und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es
in der Welt zu!“ dachte der Tannenbaum und hielt es für Wahrheit, weil
der Erzähler ein so netter Mann war. „Ja, ja, wer kann wissen,
vielleicht falle ich auch die Treppe hinab und bekomme eine Prinzessin!“
Und er freute sich darauf, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und
Spielzeug, mit Gold und Früchten bekleidet zu werden.

„Morgen werde ich nicht zittern!“ dachte er. „Ich werde eine recht
herzliche Freude über alle meine Herrlichkeit empfinden. Morgen werde
ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe hören und vielleicht auch
die von Ivede-Avede.“ Und der Baum stand die ganze Nacht still und
gedankenvoll da.

Am folgenden Morgen traten die Diener und Mägde herein.

„Nun beginnt der Staat von neuem!“ dachte der Baum, aber sie schleppten
ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf bis auf den Boden und dort
stellten sie ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht fiel.
„Was hat denn das zu bedeuten?“ dachte der Baum. „Was habe ich denn hier
zu thun? Was mag ich denn hier hören sollen?“ Er lehnte sich gegen die
Mauer und stand da und sann und sann. Und Zeit hatte er genug dazu, denn
es verstrichen Tage und Nächte. Niemand kam herauf und als endlich
einmal jemand kam, geschah es nur zu dem Zwecke, einige große Kasten in
den Winkel zu stellen.

„Nun ist draußen Winter!“ dachte der Baum. „Die Erde ist hart und mit
Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll
ich wahrscheinlich bis zum Frühling hier im Schutze stehen! Wie
fürsorglich doch das ist! Wie gut die Menschen doch sind! Wäre es hier
nur nicht so dunkel und so erschrecklich einsam! Nicht einmal ein
Häschen ist hier zu finden! Draußen im Walde war es doch lustig, wenn
der Schnee lag und der Hase vorübersprang, ja selbst wenn er über mich
hinwegsetzte; aber damals gefiel es mir freilich nicht. Hier oben ist es
aber doch entsetzlich einsam!“

„Pip, pip!“ sagte plötzlich eine kleine Maus und schlüpfte hervor, und
darauf kam noch eine kleine. Sie schnüffelten an dem Tannenbaume und
schmiegten sich durch die Zweige desselben.

„Es herrscht heute eine furchtbare Kälte!“ sagten die zwei kleinen
Mäuschen; „nicht wahr, du alter Tannenbaum?“

„Ich bin noch gar nicht alt!“ versetzte der Tannenbaum, „es giebt viel
ältere als ich bin!“

„Wo kommst du her?“ fragten die Mäuse, „und was weißt du?“ Sie waren
gewaltig neugierig. „Erzähle uns doch von dem herrlichsten Plätzchen auf
Erden! Bist du schon dort gewesen? Bist du schon in der Speisekammer
gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke
hängen, wo man auf Talglichtern tanzt, mager hineingeht und fett
herauskommt?“

„Die kenne ich allerdings nicht,“ sagte der Baum, „aber den Wald kenne
ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!“ Darauf erzählte er
ihnen alle Erlebnisse seiner Jugend und die Mäuschen hatten dergleichen
nie zuvor gehört.

„O!“ sagten die Mäuschen, „wie glücklich du gewesen bist, du alter
Tannenbaum!“

„Ich bin durchaus nicht alt!“ erwiderte der Tannenbaum, „erst in diesem
Winter bin ich ja aus dem Walde gekommen! Ich stehe in meinem
allerbesten Alter, ich bin nur sehr gewachsen!“

„Wie schön du erzählst!“ sagten die Mäuschen, und in der nächsten Nacht
kamen sie mit vier andern kleinen Mäusen wieder, welche den Baum auch
erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto lebhafter trat es
ihm selbst vor die Augen und er sagte: „Es waren doch wirklich
glückliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die
Treppe hinab und bekam doch die schöne Prinzessin.“

„Wer ist Klumpe-Dumpe?“ fragten die Mäuschen.

Nun erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, dessen er sich Wort für
Wort entsinnen konnte. Und die Mäuschen wären aus lauter Freude fast in
die Spitze des Baumes gesprungen. In der folgenden Nacht versammelten
sich noch weit mehr Mäuse und am Sonntag kamen sogar zwei Ratten. Die
behaupteten aber, die Geschichte sei nicht lustig, und das betrübte die
Mäuschen, denn sie kam ihnen nun auch weniger schön vor.

„Können Sie nur die eine Geschichte erzählen?“ fragten die Ratten.

„Nur die eine!“ antwortete der Baum, „ich hörte sie an meinem
glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich
ich war!“

„Das ist eine höchst elende Geschichte! Wissen Sie keine von Speck und
Talglichtern? Keine Speisekammergeschichten?“

„Nein!“ sagte der Baum.

„Nun, dann danken wir dafür!“ erwiderten die Ratten und kehrten zu den
Ihrigen zurück.

Zuletzt blieben die Mäuschen auch fort und da seufzte der Baum: „Es war
doch ganz hübsch, als sie um mich saßen, die muntern Mäuschen, und auf
meine Erzählungen lauschten! Nun ist das gleichfalls vorbei. Aber die
schöne Zeit wird wiederkommen!“

Und eines Morgens, da kamen Leute herauf und kramten auf dem Boden
umher. Die Kasten erhielten einen andern Platz und der Baum wurde
hervorgezogen. Sie warfen ihn unsanft auf den Fußboden, aber sofort
schleppte ihn ein Hausknecht nach der Treppe hin, wo das Tageslicht
schimmerte.

„Nun beginnt das Leben wieder!“ dachte der Baum. Er fühlte die frische
Luft, den ersten Sonnenstrahl, -- und nun war er draußen auf dem Hofe.
Alles ging so schnell, daß der Baum völlig vergaß, sich selbst zu
betrachten; zu viel Neues war ringsumher anzustaunen. Der Hof stieß an
einen Garten und alles stand darin in voller Blüte. Die Rosen hingen
frisch und duftend über den kleinen Staketenzaun hinüber, die
Lindenbäume blühten und die Schwalben flogen umher und zwitscherten:
„Quirre virrevit, mein Mann ist gekommen!“ Aber den Tannenbaum meinten
sie damit nicht.

„Nun will ich leben!“ jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus.
Ach, sie waren alle vertrocknet und gelb und zwischen Unkraut und
Nesseln lag er in einem Winkel da. Der Goldpapierstern saß noch oben auf
der Spitze und leuchtete im hellsten Sonnenscheine.

Auf dem Hofe selbst spielten ein paar von den lustigen Kindern, die am
Weihnachtsabend um den Baum getanzt hatten und dabei so fröhlich gewesen
waren. Eines der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.

„Sieh, was da noch an dem alten, häßlichen Tannenbaume sitzt!“ rief es
und trat auf die Zweige, daß sie unter seinen Stiefeln knackten.

Und der Baum betrachtete all’ die Blumenpracht und Frische im Garten,
betrachtete dann sich selbst und wünschte, daß er in seinem finstern
Winkel auf dem Boden geblieben wäre. Er gedachte seiner frischen Jugend
im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so
fröhlich der Geschichte von Klumpe-Dumpe zugelauscht hatten.

„Vorbei, vorbei!“ seufzte der arme Baum. „Hätte ich mich doch gefreut
als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!“

Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund
lag da; hell loderte es auf unter dem großen Braukessel. Er seufzte
tief, jeder Seufzer tönte wie ein kleiner Schuß. Deshalb liefen die
Kinder, welche draußen spielten, herbei, setzten sich vor das Feuer,
schauten hinein und riefen: „Piff, paff!“ Aber bei jedem Knalle, der ein
tiefer Seufzer war, gedachte der Baum eines Sommertages im Walde, einer
Winternacht draußen, wenn die Sterne glänzten. Er gedachte des
Weihnachtsabends und des Klumpe-Dumpe, des einzigen Märchens, welches er
gehört hatte und zu erzählen wußte, -- und dann war der Baum verbrannt.

Die Kinder spielten im Hofe und der kleinste hatte auf der Brust den
Goldstern, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte.
Nun war dieser vorüber und mit diesem auch der Baum nebst seiner
Geschichte. Vorbei, vorbei -- und so geht es mit allen Geschichten.



Das alte Haus.

  [Abbildungen/Illustrations: capI103.jpg, pic105.jpg]


In einem Seitengäßchen stand ein altes, altes Haus; es war fast
dreihundert Jahre alt. Dies konnte man an dem Balken lesen, wo die
Jahreszahl von Tulpen und Hopfenranken umschlungen eingeschnitten war.
Da standen auch in altertümlicher Schreibart ganze Verse und über jedem
Fenster war in den Balken ein fratzenhaftes Gesicht eingeschnitten und
am ganzen Gebäude wucherte der Epheu üppig empor. Das eine Stockwerk
trat weit über das andere heraus und dicht unter dem Dache lief eine
Bleirinne, die am Ende einen Drachenkopf als Zierat trug. Das
Regenwasser sollte aus dem Rachen seinen Ausgang nehmen, fand aber
seinen Weg durch den Bauch, denn es war ein Loch in der Rinne.

Alle andern Häuser in der Straße waren neu und man konnte es ihnen zur
Genüge ansehen, daß sie mit dem alten Hause nichts zu thun haben
wollten.

Gerade gegenüber in der Straße standen gleichfalls neue und hübsche
Häuser und am Fenster eines derselben saß ein kleiner Knabe mit frischen
roten Wangen, mit hellen, strahlenden Augen, welchem dies alte Haus noch
am besten gefiel, sowohl im Sonnenschein wie im Mondenschein. Und
blickte er zu der Mauer hinüber, von der der Kalk abgefallen war, dann
konnte er dasitzen und sich mit seiner regen Einbildungskraft die
seltsamsten Bilder entwerfen, wie die Straße früher müßte ausgesehen
haben mit ihren Treppen, Erkern und spitzen Giebeln. Er vermochte im
Geiste Soldaten mit Hellebarden zu sehen und Dachrinnen, die in der
Gestalt von Drachen und Lindwürmern ausliefen.

Das Haus bewohnte ein alter Mann. Er ging noch immer in den altmodischen
Kniehosen, trug einen Rock mit großen Messingknöpfen und eine Perücke,
der man es ansehen konnte, daß es eine echte Perücke war. Jeden Morgen
kam ein alter Mann zu ihm, um aufzuräumen und Gänge zu besorgen, sonst
war der alte Mann in den Kniehosen ganz allein in dem alten Hause.
Bisweilen trat er an das Fenster und blickte hinaus, und der kleine
Knabe nickte ihm zu und der alte Mann nickte wieder. Auf diese Weise
wurden sie erst miteinander bekannt und dann Freunde, obgleich sie nie
miteinander gesprochen hatten, aber das war ja auch gleichgültig.

Der kleine Knabe hörte seine Eltern oft sagen: „Dem alten Manne da
drüben geht es sehr gut, aber er lebt so erschrecklich einsam!“

Am nächsten Sonntage wickelte der kleine Knabe etwas in ein Stück
Papier, that es in ein kleines Pappschächtelchen, ging hinunter vor die
Thür, und als der alte Mann, welcher die Gänge besorgte, in das alte
Haus wollte, sagte er zu ihm:

„Höre, willst du dies deinem Herrn von mir bringen? Ich besitze zwei
Zinnsoldaten, dies ist der eine; er soll ihn haben, weil ich weiß, daß
er so ganz allein ist!“

Das Gesicht des alten Mannes wurde mit einemmale ganz heiter; er nickte
und trug den Zinnsoldaten zu dem alten Mann hinauf, welcher den Vorgang
vom Fenster aus mit angesehen hatte. Bald darauf geschah von dort die
Anfrage, ob der kleine Knabe nicht drüben einen Besuch abstatten wolle.
Dazu erhielt er auch von seinen Eltern die Erlaubnis und so kam er in
das alte Haus.

Die Messingknöpfe an dem Treppengeländer glänzten weit stärker als
sonst; man hätte vermuten können, daß sie zu Ehren des Besuches geputzt
worden wären, und es schien, als ob die ausgeschnitzten Trompeter --
denn an der Thüre waren Trompeter angebracht -- in ihre aus Holz
geschnitzten Trompeten: „Tratteratra, der kleine Knabe ist da!“ bliesen.
Der ganze Hausflur war mit alten Portraits behängt. Dann kam eine
Treppe, die aufwärts und auf einen baufälligen Altan führte, der ganz
mit Grün bewachsen, wie ein Garten aussah. Hier standen altmodische
Blumentöpfe, die Gesichter mit Eselsohren darstellten; die Blumen waren
sich aber völlig selbst überlassen und wuchsen wild auf.

Von hier trat man in ein Zimmer, dessen Wände mit Schweinsleder
bekleidet waren. Die darauf gedruckten, goldenen Blumen gewährten einen
gar freundlichen Anblick. -- „Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder
besteht!“ sagten die Wände. Darauf gelangte der kleine Knabe in das
Erkerzimmer, in welchem der alte Mann saß.

„Besten Dank für den Zinnsoldaten, mein kleiner Freund!“ sagte der alte
Herr, „und Dank, daß du zu mir herüberkommst!“

Nun sah sich der Knabe erst ein wenig in dem mit alten Möbeln
überfüllten Zimmer um. Mitten an der Wand hing das Portrait einer
jungen, lebensfrohen Frau, aber in altväterischer Tracht, mit gepudertem
Haar und steifleinenem Rocke. Sie schaute mit gar sanften Augen auf den
Knaben hernieder, der den alten Mann sogleich fragte: „Wo hast du diese
herbekommen?“

„Vom Trödler drüben!“ sagte der alte Mann. „Dort hängen noch viele
Bilder; niemand kennt sie oder kümmert sich um sie, denn die Personen,
welche sie vorstellen, sind sämtlich längst begraben; aber in jungen
Tagen habe ich diese gekannt, und nun ist auch sie gestorben und weilt
schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr auf Erden.“

„Meine Eltern sagten, du seiest ganz allein,“ begann der kleine Knabe
wieder.

„O,“ sagte der Greis, „die alten Gedanken und alles, was sie in meiner
Seele wachrufen, kommen und besuchen mich, und nun kommst du ja auch!
-- Mir geht es ganz gut!“

Darauf nahm er vom Bücherbrett ein Bilderbuch. Was war darin alles zu
sehen! Lange Prozessionen, die seltsamsten Kutschen, wie sie heutigen
Tages längst von unsern Straßen verschwunden sind, und sonst noch die
wunderbarsten Dinge. O, was war das für ein Bilderbuch!

Der alte Mann ging in das Nebenzimmer, um Eingemachtes, Äpfel und Nüsse
zu holen; -- für einen kleinen Knaben war es da oben in dem alten Hause
gar nicht so übel.

„Ich kann es nicht aushalten!“ begann plötzlich der Zinnsoldat, welcher
auf der Kommode stand, zu sprechen; „hier ist es so einsam und traurig;
nein, wenn man an ein Familienleben gewöhnt ist, kann man sich an die
unheimliche Stille in diesem Hause hier gar nicht gewöhnen! -- Ich kann
es nicht aushalten!“

„Du brauchst doch nicht zu klagen!“ sagte der kleine Knabe, „mir kommt
es hier sehr hübsch vor, zumal da alle die alten Gedanken und alles, was
sie in des alten Mannes Seele wachrufen, zu Besuch kommen!“ -- „Die sehe
und kenne ich aber nicht!“ sagte der Zinnsoldat, „ich kann es nicht
aushalten!“ -- „Du mußt!“ erwiderte der kleine Knabe.

Der alte Mann erschien jetzt wieder mit dem heitersten Gesicht, dem
herrlichsten Eingemachten, mit Äpfeln und Nüssen, und darum dachte der
kleine Knabe nicht länger an den Zinnsoldaten.

Glücklich und vergnügt kam der Kleine wieder nach Hause. Tage und Wochen
verstrichen seitdem und nach dem alten Hause und von dem alten Hause
nickte man sich gegenseitig freundlich zu; und dann kam der kleine Knabe
wieder hinüber.

Die ausgeschnitzten Trompeter bliesen: „Tratteratra! der kleine Knabe
ist da!“ und auch sonst war es genau so wie beim ersten male, denn da
drüben verstrich ein Tag wie der andere.

„Ich kann es nicht aushalten!“ sagte da wieder der Zinnsoldat, „ich habe
Zinn geweint! Hier ist es zu trübselig! Jetzt weiß ich, was es heißt,
Besuch von seinen alten Gedanken zu erhalten. Ich habe den Besuch der
meinigen gehabt und sah euch alle so deutlich vor mir. Ihr Kinder
standet alle mit gefalteten Händen vor dem Tische und sanget euern
Morgen-Choral. Vater und Mutter waren in gleich feierlicher Stimmung,
als plötzlich die Thüre aufging und die kleine Schwester Marie, welche
immer tanzt, sobald sie nur Musik hört, hereinkam. So stand sie denn
erst auf dem einen Beinchen und neigte den Kopf ganz vornüber, und dann
auf dem andern und neigte den Kopf wieder ganz vornüber. Ihr standet
sämtlich sehr ernsthaft da, obgleich das euch sauer genug wurde, ich
aber mußte innerlich so lachen, daß ich vom Tische fiel und mir eine
Beule schlug, mit der ich noch einhergehe, denn es war nicht recht von
mir, zu lachen. Erzähle mir, ob ihr des Sonntags noch singt? Erzähle mir
etwas von der kleinen Marie! Und wie befindet sich mein Kamerad, der
andere Zinnsoldat? Ja, der ist fürwahr glücklich! -- Ich kann es nicht
aushalten!“

„Du bist verschenkt!“ war die Antwort; „du mußt bleiben. Kannst du das
nicht begreifen?“

Der alte Mann kam mit einem Kasten, worin viel zu sehen war, Häuschen
aus Kreide gearbeitet und Balsambüchsen und alte Karten, so groß und so
vergoldet, wie man sie heutigen Tages nie mehr erblickt. Der Inhalt
großer Kästen wurde besichtigt, und auch das Klavier geöffnet; heiser
klangen die Töne, die der alte Mann hervorlockte; dann summte er leise
ein Lied vor sich hin.

„Ja, das konnte sie singen!“ sagte er, und dabei nickte er ihrem
Portrait zu, welches er bei dem Trödler gekauft hatte und hellauf
leuchteten dabei die Augen des alten Mannes.

„Ich will in den Krieg! Ich will in den Krieg!“ rief der Zinnsoldat,
so laut er konnte, und stürzte sich gerade auf den Fußboden hinab.

Ja, wo war er geblieben? Der alte Mann suchte, der kleine Knabe suchte,
fort war er und fort blieb er. Der Zinnsoldat war durch eine Ritze
gefallen und lag nun im offenen Grabe.

Der Tag verging und der kleine Knabe kam nach Hause, und Wochen auf
Wochen verstrichen. Die Fenster waren fest zugefroren. Der kleine Knabe
mußte lange dasitzen und auf die Scheiben hauchen, um ein Guckloch nach
dem alten Hause hinüber zu erhalten. Dort war der Schnee in alle
Schnörkel eingedrungen; die ganze Treppe war verschneit, als ob niemand
dort zu Hause wäre. Es war dort auch niemand zu Hause -- der alte Mann
war tot.

Am Abend hielt ein Wagen vor der Thür und auf demselben wurde er in
seinem engen Sarge nach dem Lande hinaus gefahren, um dort in seinem
Erbbegräbnisse zu ruhen. Da fuhr er nun, aber niemand folgte, alle seine
Freunde waren ja tot. Nur der kleine Knabe warf dem Sarge beim
Vorüberfahren einen Kußfinger nach.

Einige Tage darauf fand in dem alten Hause Auktion statt. Der kleine
Knabe sah von seinem Fenster aus, wie man alles forttrug: die alten
Ritter und die alten Damen, die Blumentöpfe mit langen Ohren, die alten
Stühle und die alten Spinden, alles zerstreute sich, einiges kam in
diese, anderes in jene Hände. Ihr Portrait, welches er beim Trödler
aufgefunden hatte, wanderte wieder zum Trödler und da blieb es für immer
hängen, denn niemand kannte die Frau mehr und niemand bekümmerte sich um
das alte Bild.

Im Frühling riß man das alte Haus selbst nieder, denn es war nur noch
ein altes Gemäuer, sagten die Leute. Man konnte von der Straße aus
gerade in das Zimmer mit der schweinsledernen Bekleidung hineinsehen,
welche fetzenweise abgerissen wurde; verwildert hing der Epheu an dem
alten Altan um die stürzenden Balken. So wurde dort alles gründlich dem
Boden gleich gemacht! -- „Das half!“ sagten die Nachbarhäuser. --

Auf dem nämlichen Platze wurde ein schönes Haus mit großen Fenstern und
weißen glatten Mauern aufgeführt, aber vorn, wo eigentlich das alte Haus
gestanden hatte, wurde ein kleiner Garten angelegt und gegen die
Nachbarmauern rankten wilde Weinreben empor. Auf den Ranken schaukelten
sich die Sperlinge und plauderten in ihrer Sprachweise miteinander; aber
nicht von dem alten Hause, dessen sie sich nicht mehr erinnerten. --

Viele Jahre vergingen; aus dem Knaben war ein tüchtiger Mann geworden.
Er bewohnte mit seiner jungen Frau das neue, schöne Haus, vor dem sich
der Garten befand. Einst stand er neben ihr, während sie eine Blume
pflanzte und die Erde mit ihren feinen Fingern festdrückte. „Au!“ Was
war das? Sie hatte sich gestochen. Eine Spitze guckte aus der weichen
Erde hervor.

Das war -- ja denkt euch nur! -- das war der Zinnsoldat, derselbe, der
dort oben bei dem alten Manne abhanden gekommen und allmählich durch
Gebälk und Schutt hindurchgeglitten war und endlich viele Jahre in der
Erde gelegen hatte.

Die junge Frau wischte den Soldaten zuerst mit einem grünen Blatte und
dann mit ihrem feinen Taschentuche ab; es kam dem Zinnsoldaten vor, als
erwachte er aus tiefer Ohnmacht.

„Laß mich ihn sehen!“ sagte der junge Mann, lachte und schüttelte den
Kopf. „Derselbe kann es wohl schwerlich sein, aber er erinnert mich an
eine Geschichte, die ich mit einem Zinnsoldaten erlebte, als ich noch
ein kleiner Knabe war!“ Dann erzählte er seiner Frau von dem alten Hause
und dem alten Manne und von dem Zinnsoldaten, den er ihm hinübergesandt,
weil er so erschrecklich einsam war. Er erzählte dies so anschaulich,
als ob es sich erst jetzt vor ihren Augen zutrüge, so daß der jungen
Frau über das alte Haus und dem alten Mann die Thränen in die Augen
traten.

„Es ist gleichwohl möglich, daß es der nämliche Zinnsoldat ist!“
erwiderte sie. „Ich will ihn aufbewahren und alles im Gedächtnis
behalten, was du mir erzählt hast. Aber das Grab des alten Mannes mußt
du mir zeigen!“

„Ja, das kenne ich nicht,“ sagte er, „und niemand kennt es! Alle seine
Freunde waren tot, niemand pflegte ihn, und ich war ja damals ein
kleiner Knabe.“

„Wie entsetzlich einsam muß er doch gewesen sein!“ rief sie aus.

„Entsetzlich einsam!“ sagte der Zinnsoldat, „aber herrlich ist es, nicht
vergessen zu werden!“

„Herrlich!“ rief etwas dicht neben ihnen, aber außer dem Zinnsoldaten
sah niemand, daß es ein Fetzen der schweinsledernen Wandbekleidung war.
Alle Vergoldung hatte er verloren, er sah wie nasse Erde aus, aber seine
Ansicht hatte er sich doch bewahrt und er sprach sie aus:

  „Vergoldung vergeht,
  aber Schweinsleder besteht!“

Doch das glaubte der Zinnsoldat nicht.



Der Buchweizen.

  [Abbildung/Illustration: pic107.jpg]


Wenn man nach einem Gewitter an einem Buchweizenfelde vorübergeht, nimmt
man oft wahr, daß es schwarz und wie versengt aussieht. Es ist gerade,
als ob eine Feuerflamme über dasselbe hinweggegangen wäre und der
Landmann sagt dann: „Das hat der Buchweizen vom Blitzstrahl bekommen!“
Aber weshalb hat er das bekommen? -- Ich will erzählen, was mir der
Sperling gesagt hat, und der Sperling hat es von einer alten Weide, die
neben einem Buchweizenfelde stand und noch daselbst steht. Es ist eine
gar ehrwürdige, hohe Weide; sie neigt sich vorn über und die Zweige
hängen auf die Erde hinunter, wie wenn sie grünes, langes Haar
vorstellten.

Auf allen Feldern ringsumher wuchs Korn, Roggen, Gerste und Hafer.
O, der köstliche Hafer! Wenn er reif ist, nimmt er sich wie eine ganze
Menge kleiner, gelber Kanarienvögel auf einem Zweige aus. Das Korn
versprach einen reichen Erntesegen, und je schwerer es war, desto tiefer
neigte es sich in frommer Demut.

Aber da war auch ein Buchweizenfeld und dies lag der alten Weide gerade
gegenüber. Dem Buchweizen fiel es nicht ein, sich wie das andere Korn zu
neigen; er trug den Kopf hoch und stand stolz und steif da.

„Ich bin wohl ebenso reich, wie die Ähre,“ sagte er, „und bin überdies
weit hübscher. Kennst du jemand, der sich prächtiger ausnimmt als ich
und die Meinigen, du alte Weide?“

Und die Weide nickte mit dem Kopfe, als wollte sie sagen: „Freilich
kenne ich welche!“

Plötzlich zog sich ein entsetzliches Unwetter zusammen. Alle Feldblumen
falteten ihre Blätter oder neigten ihre feinen Köpfe hernieder, während
der Sturm über sie dahinfuhr. Nur der Buchweizen brüstete sich in seinem
Stolze.

„Neige dein Haupt wie wir!“ sagten die Blumen.

„Das habe ich gar nicht nötig!“ versetzte der Buchweizen.

„Neige dein Haupt wie wir!“ rief das Korn. „Jetzt kommt der Sturmengel
geflogen! Er hat Flügel, die von den Wolken bis zur Erde
herunterreichen. Er zerschlägt dich, ehe du ihn um Gnade anflehen
kannst!“

„Ich will mich aber nicht neigen!“ sagte der Buchweizen.

„Schließe deine Blüten und neige deine Blätter!“ ermahnte auch die alte
Weide. „Sieh nicht in den Blitz, wenn die Wolke bricht! Selbst die
Menschen dürfen das nicht, denn in dem Blitze kann man bis in Gottes
Himmel hineinschauen; doch vermag dieser Anblick sogar die Menschen zu
blenden. Was würde da nicht erst uns, den Gewächsen der Erde, geschehen,
wagten wir es, die wir doch weit geringer sind!“

„Weit geringer?“ entgegnete der Buchweizen. „Nun will ich erst gerade in
Gottes Himmel sehen!“ Und er that es in seinem Übermute und Stolz. Es
war, als wenn die ganze Welt in Flammen stände, so blitzte es.

Als sich das Unwetter verzogen hatte, standen die Blumen und das Korn in
der stillen, reinen Luft vom Regen erfrischt da, aber der Buchweizen war
vom Blitz kohlschwarz gebrannt; er war nun ein totes, nutzloses Gewächs.

Der alte Weidenbaum bewegte seine Zweige und Wassertropfen träufelten
von seinen Blättern, gerade wie Thränen, und die Sperlinge fragten:
„Weshalb weinst du? Hier ist es ja wunderbar erquickend! Sieh, wie die
Sonne leuchtet und die Wolken eilen! Weshalb weinst du also, du alte
Weide?“

Und die Weide erzählte von dem Stolze und dem Übermute und von der
Strafe des Buchweizens. Denn die Strafe folgt immer. Die Sperlinge haben
mir die Geschichte erzählt, als ich sie eines Abends um ein Märchen bat.



Die roten Schuhe.

  [Abbildung/Illustration: pic109.jpg]


Einst lebte ein kleines Mädchen, welches gar fein und niedlich war, doch
seiner großen Armut wegen im Sommer stets barfuß und im Winter mit
großen Holzschuhen gehen mußte, wovon der Spann seiner Füßchen ganz rot
und wund wurde.

Die alte Mutter Schusterin, welche mitten im Dorfe wohnte, nähte für die
Kleine, welche _Karen_ hieß, aus alten roten Tuchlappen ein Paar
Schühchen, welche das Kind am Begräbnistage seiner Mutter erhielt und
sie da zum erstenmal trug. Zum Trauern waren sie freilich nicht recht
geeignet, aber sie hatte ja keine andern, und darum zog sie dieselben
über ihre nackten Füßchen und schritt so hinter dem ärmlichen Sarge her.

Da kam auf einmal ein großer altmodischer Wagen angefahren, in welchem
eine alte Frau saß. Sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte
Mitleid mit demselben. Deshalb sagte sie zu dem Geistlichen: „Hört,
würdiger Herr, gebt mir das kleine Mädchen, dann will ich getreulich für
dasselbe sorgen!“

Karen bildete sich ein, sie hätte das alles nur den roten Schuhen zu
verdanken, aber die alte Frau sagte, sie wären abscheulich und ließ sie
verbrennen. Karen selbst wurde rein und kleidsam angezogen; sie mußte
den Unterricht besuchen und nähen lernen, und die Leute sagten, sie wäre
niedlich, aber der Spiegel sagte: „Du bist mehr als niedlich, du bist
schön!“ --

Da reiste einmal die Königin durch das Land und hatte ihre kleine
Tochter, die eine Prinzessin war, bei sich. Die Leute strömten vor das
Schloß und auch Karen fand sich da ein. Die kleine Prinzessin stand
weißgekleidet an einer Balkonthür und ließ sich bewundern; Schleppe oder
Goldkrone hatte sie nicht, aber herrliche rote Saffianschuhe, die
freilich weit zierlicher waren als die, welche Mutter Schusterin der
kleinen Karen genäht hatte. Ja, was könnte es Schöneres in der Welt
geben als rote Schuhe!

Jetzt war Karen so alt, daß sie eingesegnet werden sollte; sie erhielt
neue Kleider und neue Schuhe sollte sie auch haben. Der beste
Schuhmacher in der Stadt nahm zu ihrem kleinen Fuße Maß. Mitten unter
den Schuhen, im großen Glasschranke, standen ein Paar rote, genau wie
sie die Prinzessin getragen hatte; wie schön waren die! Der Schuhmacher
sagte auch, sie wären für ein Grafenkind gearbeitet, hätten aber nicht
gepaßt.

„Das ist wohl Glanzleder?“ fragte die alte, kurzsichtige Frau, „sie
glänzen so schön!“

„Ja, sie glänzen!“ sagte Karen; und sie paßten und wurden gekauft; aber
die alte Frau, welche ja so schlecht sah, wußte nicht, daß sie rot
waren, denn nie würde sie sonst Karen erlaubt haben, mit roten Schuhen
zur Einsegnung zu gehen, aber so that sie es.

Alle Menschen sahen ihr nach den Füßen, und als sie über die
Kirchschwelle zur Chorthüre hineintrat, kam es ihr vor, als ob selbst
die alten Bilder in der Kirche die Augen auf ihre roten Schuhe hefteten;
und nur an diese dachte sie auch, als ihr der Prediger die Hand auf das
Haupt legte und von der heiligen Taufe redete, vom Bunde mit Gott und
daß sie sich nun wie eine erwachsene Christin aufführen sollte. Die
Orgel spielte so feierlich, die lieblichen Kinderstimmen sangen und der
alte Kantor sang, aber Karen dachte nur an die roten Schuhe.

Am Nachmittage erfuhr dann die alte Frau von allen Seiten, daß Karens
Schuhe rot gewesen wären und sie sagte, das schickte sich nicht und in
Zukunft sollte Karen, so oft sie zur Kirche ginge, stets schwarze Schuhe
anziehen, selbst wenn sie alt wären.

Am folgenden Sonntage war die erste Abendmahlfeier der Konfirmanden;
Karen sah erst die schwarzen Schuhe an, dann die roten -- und dann noch
einmal die roten und zog sie an.

Es war herrlicher Sonnenschein; Karen und die alte Frau schlugen einen
Fußsteig durch das Kornfeld ein, auf dem es etwas stäubte.

An der Kirchthüre stand ein alter Soldat mit einem Krückstock und mit
einem merkwürdig langen Barte, der mehr rot als weiß war; ja, rot war er
sicher. Er verneigte sich bis zur Erde und fragte die alte Frau, ob er
ihr vielleicht die Schuhe abstäuben sollte. Karen streckte gleichfalls
ihren Fuß vor. „Sieh, welch’ prächtige Tanzschuhe!“ sagte der Soldat.
„Sitzt fest, wenn ihr tanzt!“ und dann schlug er mit der Hand gegen die
Sohlen.

Die alte Frau reichte dem Soldaten ein Geldstück und trat darauf mit
Karen in die Kirche ein.

Alle Menschen drinnen sahen nach Karens roten Schuhen und alle Bilder
sahen nach ihnen, und als Karen vor dem Altare niederkniete und den
goldenen Kelch an die Lippen setzte, dachte sie nur an die roten Schuhe.
Es war, als ob sie vor ihr im Kelche schwämmen; und sie vergaß das Lied
mitzusingen, sie vergaß ihr Vaterunser zu beten.

Alle Leute verließen jetzt die Kirche und die alte Frau stieg in ihren
Wagen. Schon erhob Karen den Fuß, um hinter ihr einzusteigen, als der
alte Soldat, welcher dicht dabeistand, sagte: „Sieh, welch’ prächtige
Tanzschuhe!“ -- Karen konnte sich nicht enthalten, einige Tanzschritte
zu thun, sowie sie aber begann, tanzten die Beine unaufhaltsam fort. Es
war, als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten. Sie tanzte um die
Kirchenecke, denn sie vermochte nicht inne zu halten. Der Kutscher mußte
hinterher laufen und sie greifen; er hob sie in den Wagen, aber auch
jetzt setzten die Füße ihren Tanz rastlos fort, so daß sie die alte gute
Frau empfindlich trat. Erst als sie die Schuhe auszog, erhielten die
Beine Ruhe. Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt, aber
Karen wurde nicht müde, sie immer wieder zu betrachten.

Nun erkrankte die alte Frau lebensgefährlich und Karen, die ihr am
nächsten stand, sollte sie warten und pflegen. Aber in der Stadt war ein
großer Ball, zu dem Karen eingeladen war. Sie sah die alte Frau an, die
ja doch rettungslos verloren war, sie sah die roten Schuhe an, und es
kam ihr vor, als ob keine Sünde dabei wäre. -- Sie zog die roten Schuhe
an, und das konnte sie ja auch wohl, aber dann ging sie auf den Ball und
begann zu tanzen. Das war gewiß nicht recht von ihr.

Als sie aber nach rechts tanzen wollte, tanzten die Schuhe nach links,
und als sie den Saal hinauf wollte, tanzten die Schuhe den Saal
hinunter, die Treppe hinab, durch die Straße und zum Stadtthore hinaus.
Tanzen that sie und tanzen mußte sie, gerade hinaus in den finstren
Wald.

Da leuchtete es zwischen den Bäumen und sie glaubte, es wäre der Mond,
denn es war ein Gesicht, aber es war der alte Soldat mit dem roten
Barte; er saß und nickte und sagte: „Sieh, welch’ prächtige Tanzschuhe!“

Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen, aber sie hingen
fest, wie angewachsen, und tanzen mußte sie über Felder und Wiesen, in
Regen und Sonnenschein, bei Tag und bei Nacht, aber nachts war es am
entsetzlichsten.

Sie tanzte auf den einsamen Kirchhof hinauf, aber die Toten, die dort
ruhten, tanzten nicht, sie hatten viel Besseres zu thun, als zu tanzen.
Sie wollte sich auf das Grab des Armen setzen, wo das bittere Wurmkraut
blühte, aber für sie war weder Ruh noch Rast, und als sie auf die offene
Kirchthüre zutanzte, erblickte sie neben derselben einen Engel in langen
weißen Kleidern, mit Flügeln, welche von den Schultern bis auf die Erde
hinabreichten; sein Antlitz war streng und ernst und in der Hand hielt
er ein breites leuchtendes Schwert.

„Tanzen sollst du!“ sagte er, „tanzen mit deinen roten Schuhen, bis du
bleich und kalt wirst! Tanzen sollst du von Thür zu Thür, und wo stolze,
eitle Kinder wohnen, sollst du anklopfen, daß sie dich hören und sich
vor dir fürchten! Tanzen sollst du, tanzen -- -- -- --“

„Gnade!“ rief Karen. Aber sie vernahm nicht, was der Engel antwortete,
denn die Schuhe trugen sie durch die Pforte auf das Feld hinaus, über
Weg und Steg, und immer mußte sie tanzen.

Eines Morgens tanzte sie vor einer Thür vorüber, die ihr sehr wohl
bekannt war. Drinnen tönte Choralgesang, man trug einen blumenbekränzten
Sarg hinaus. Da wußte sie, daß die alte Frau gestorben war und es
beschlich sie das Gefühl, als ob sie von allen verlassen und von Gottes
Engel verdammt wäre.

Tanzen that sie und tanzen mußte sie, tanzen in der dunklen Nacht. Die
Schuhe trugen sie über Dornen und Baumstümpfe, und sie riß sich bis aufs
Blut; sie tanzte über die Haide nach einem kleinen, einsamen Hause. Hier
wohnte, wie sie wußte, der Scharfrichter, und sie klopfte mit den
Fingern an die Scheiben und sagte:

„Kommt heraus! Kommt heraus! Ich kann nicht hineinkommen, denn ich muß
tanzen.“

„Ich bin der Scharfrichter“, entgegnete es von drinnen, „ich höre, daß
meine Axt klirrt.“

„Schlagt mir meine Füße mit den roten Schuhen ab“, bat Karen.

Der Scharfrichter kam aus dem Hause heraus und schlug ihr die Füße mit
den roten Schuhen ab, aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über
das Feld hin in den tiefen Wald hinein.

Er verfertigte ihr Stelzfüße und Krücken, lehrte sie ein Sterbelied,
welches die armen Sünder zu singen pflegen, und sie schritt weiter über
die Haide.

„Nun habe ich genug um der roten Schuhe willen gelitten!“ sagte sie,
„nun will ich in die Kirche gehen, damit man mich sehen kann!“ Schnell
ging sie auf die Kirchthüre zu, als sie sich ihr aber näherte, tanzten
die roten Schuhe vor ihr her und sie erschrak und kehrte um.

Die ganze Woche hindurch war sie traurig und weinte viel heiße Thränen,
als aber der Sonntag kam, sagte sie: „Fürwahr, nun habe ich genug
gelitten und gestritten! Jetzt möchte ich glauben, daß ich eben so gut
bin wie viele von denen, welche in der Kirche sitzen und hochmütig auf
die andern herabschauen.“ Mutig trat sie den Weg an; aber sie war erst
bis zur Eingangsthüre zum Friedhofe gelangt, als sie plötzlich die roten
Schuhe vor sich hertanzen sah. Sie erschrak, wandte um und bereute von
ganzem Herzen ihre Sünde.

Sie ging zur Pfarre und bot sich als Magd an; sie versprach fleißig zu
sein und alles zu thun, was in ihren Kräften stände; auf Lohn sähe sie
nicht, sie wünschte nur, wieder ein Obdach zu erhalten und bei guten
Menschen zu sein. Die Frau Pfarrerin fühlte Mitleid mit ihr und nahm sie
in Dienst. Sie war stets fleißig und in sich gekehrt. Sie saß still da,
und lauschte aufmerksam zu, wenn der Pfarrer aus der Bibel vorlas. Alle
Kinder gewannen sie lieb; sobald dieselben aber von Putz und Staat und
davon sprachen, wie schön es doch sein müßte, eine Prinzessin zu sein,
schüttelte sie den Kopf.

Am folgenden Sonntage gingen alle zur Kirche und fragten sie, ob sie sie
begleiten wollte, aber traurig und mit Thränen in den Augen sah sie auf
ihre Krücken, und nun gingen die andern hin, Gottes Wort zu hören, sie
aber ging allein in ihr kleines Kämmerlein, welches nur so groß war, um
einem Bett und einem Stuhle Platz zu gewähren. Hier setzte sie sich mit
ihrem Gesangbuche hin, und während sie frommen Sinnes darin las, trug
der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber und sie erhob ihr
mit Thränen benetztes Antlitz und sagte: „Gott sei mir Sünderin gnädig!“

Da schien die Sonne hell und klar, und dicht vor ihr stand der Engel
Gottes in den weißen Kleidern, derselbe, welchen sie in jener
verhängnisvollen Nacht an der Kirchthüre gesehen hatte, aber er hielt
nicht mehr das scharfe Schwert, sondern einen herrlichen grünen Zweig
voller Rosen. Er berührte mit demselben die Decke, welche sich höher und
höher dehnte und dort, wo sie berührt war, einen goldenen Stern
hervorleuchten ließ, und er berührte die Wände und sie erweiterten sich
allmählich, bis sie die Orgel erblickte, welche gespielt wurde, und die
alten Bilder der früheren Pfarrer sah. Die Gemeinde saß in den festlich
geschmückten Stühlen und sang aus dem Gesangbuche. So war die Kirche
selbst zu der armen Magd in ihre kleine, enge Kammer gekommen; oder auch
war sie dahingekommen. Sie saß in dem Kirchstuhle bei den übrigen Leuten
des Pfarrers, und als sie nach Beendigung des Chorals aufblickte,
nickten sie ihr zu und sagten: „Das war recht, daß du kamst, Karen!“ --
„Das war Gnade!“ erwiderte sie.

Und die Orgel klang und der Chor der Kinderstimmen tönte mild und
lieblich. Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den
Kirchenstuhl, in welchem Karen saß. Ihr Herz war so voller Sonnenschein,
Friede und Freude, daß es brach. Auf den Sonnenstrahlen flog ihre Seele
zu Gott und vor seinem Thron war niemand, der nach den roten Schuhen
fragte.


       *       *       *       *       *

In demselben Verlage und in eleganter Ausstattung sind erschienen:


+Beliebte, reich illustrierte Märchenbücher.+

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    unter dem Titel: „_Im Märchenwalde_“, mit 3 Bunt-, 6 Ton- und 60
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    In 4o. Mit 6 Farbdruckbildern von _C. Offterdinger_ und prachtvollem
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    Archipel für die reifere Jugend. Mit 4 feinen Farbdruckbildern von
    _Fritz Bergen_. 2. Aufl. Ein starker _Oktav_band, gebunden in ganz
    Kaliko mit reicher Deckenpressung. Preis 3 Mark.

+Coopers+ Lederstrumpf-Erzählungen. Für die Jugend herausgeg. von
    +Oskar Höcker+. Mit 5 Farbdruckbildern von Prof. _C. Offterdinger_,
    sowie 25 Textillustrationen von _W. Zweigle_. 9. Aufl. Ein starker
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+Foehle, L.+ Unter Wilde verschlagen. Erzählung aus Deutschafrika. Für
    die Jugend bearbeitet. Mit 3 Farbdruckbildern von _W. Zweigle_.
    3. Aufl. 8o. Geb. in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. 1½ Mk.

+Marryat-Pannwitz+, Sigismund Rüstig. Eine Robinsonade. Nach Marryat
    für die Jugend bearbeitet von _Max Pannwitz_. Ein starker Quartband.
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+Moritz, P.+, Der Waldläufer. Nach +Ferrys+ Roman für die Jugend
    bearbeitet. Mit 5 feinen Farbdruckbildern nach Aquarellen von
    _Fritz Bergen_ und 30 Textabbildungen von _W. Zweigle_. 5. Aufl.
    Ein starker _Oktav_band, gebunden in ganz Kaliko mit reicher
    Deckenpressung. Preis 3 Mark.

+Ortleb, H.+, Wolfszahn, der Siouxhäuptling. Eine Erzählung aus dem
    wilden Westen Nordamerikas. Für die reifere Jugend bearbeitet. Mit
    3 feinen Farbdruckbildern von _W. Zweigle_. 3. Aufl. 8o. Gebunden
    in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. 3 Mark.

+Pajeken, Fr. J.+, Jim der Trapper. Eine Erzählung aus dem wilden
    Westen Nordamerikas. Für die Jugend bearbeitet. Mit 4 feinen
    Farbdruckbildern von _Fritz Bergen_. 3. Aufl. Ein starker
    _Oktav_band in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. 3 Mark.

+Pajeken, Fr. J.+, Im wilden Westen und 3 andere Erzählungen aus
    Nord- und Südamerika. Für die Jugend bearbeitet. Mit 4 feinen
    Farbdruckbildern von _Fritz Bergen_. 3. Aufl. Ein starker
    _Oktav_band in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. Preis
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+Pajeken, Fr. J.+, Das Vermächtnis des Invaliden. Eine Erzählung aus
    den Nordstaaten Amerikas. Für die reifere Jugend bearbeitet. Mit
    8 Tonbildern nach Zeichnungen von _Fritz Bergen_ und _G. Koch_.
    Ein starker _Groß-Oktav_band in ganz Kaliko mit reicher
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+Pajeken, Fr. J.+, Mitaha-sa das Pulvergesicht. Eine Erzählung aus den
    Nordstaaten Amerikas. Für die Jugend herausgegeben. Mit 8 Tonbildern
    nach Zeichnungen von _Joh. Gehrts_. Ein starker _Groß-Oktav_band in
    ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. Preis 5 Mark.

+Pajeken, Fr. J.+, Die Mestize und 3 andere Erzählungen aus Nord- und
    Südamerika. Für die Jugend herausgegeben. Mit 4 Farbdruckbildern
    von _A. Richter_. Ein starker _Oktav_band, gebunden in ganz Kaliko
    mit reicher Deckenpressung. Preis 3 Mark.

+Pajeken, Fr. J.+, Andrew Brown, der rote Spion. Eine Erzählung aus
    dem wilden Westen Nordamerikas. Für die reifere Jugend bearbeitet.
    Mit 4 Farbdruckbildern von _Fritz Bergen_. 2. Aufl. Ein starker
    _Oktav_band, gebunden in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung.
    Preis 3 Mark.

+Pajeken, Fr. J.+, Martin Forster. Erlebnisse eines Knaben im wilden
    Westen. Mit 4 feinen Farbdruckbild. von _A. Richter_. Ein stark.
    _Oktav_band, in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. Preis 3 Mk.

+Pajeken, Fr. J.+, Bill der Eisenkopf. Eine Erzählung aus der Wildnis
    Nordamerikas. Für die Jugend herausgegeben. Mit 6 Tonbildern von
    _Joh. Gehrts_. Ein starker _Groß-Oktav_band, geb. in ganz Kaliko
    mit reicher Deckenpressung. Preis 5 Mk.

+Peltz, E.+, Afrikanischer Lederstrumpf. Erzählung aus den Amatolas.
    Mit 5 Farb- und 4 Tonbild. Ein starker _Oktav_band, gebunden in
    ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung. 3 Mark.

+Stein, Adalbert+, Auf gefahrvoller Prisenjagd. Eine Erzählung für
    die Jugend. Nach dem Englischen des Kapitän _Marryat_ bearbeitet.
    Mit 4 Farbdruckbildern von _Fritz Bergen_. 3. Aufl. Ein starker
    _Oktav_band. Elegant gebunden in ganz Kaliko mit reicher
    Deckenpressung. Preis 3 Mk.

+Wildenstein, K.+, Dolf der Burenheld. Gefahren und Erlebnisse
    eines jungen Deutschen im jüngsten Burenkriege. Mit 4 feinen
    Farbdruckbildern von _B. Friedrich_. 4. Auflage. Ein starker
    _Oktav_band, gebunden in ganz Kaliko mit reicher Deckenpressung.
    3 Mark.


       *       *       *       *       *


Errata:

und der kalte Schnee seine Decke über / sie breitet.
  text: ... breitet,
drei Stücke zerborsten
  text: zer/zerborsten _at line break / am Linienende_
ein kleines, totes Kind, welches
  text: welche
auf den rechten Fleck zu setzen?
  text: ... setzen.
„Weg, weg!“ bellte der Kettenhund, ging dreimal im Kreise
  text: , _missing / fehlt_
Ein Soldat kam auf der Landstraße daher marschiert.
  text: maschiert
man möge ihn doch noch eine Pfeife Tabak rauchen lassen
  text: ihm ... lassen
„Ja, das muß wirklich ein prächtiges Vergnügen sein!“
  text: daß muß
„Sie haben ein / vortreffliches Äußeres
  text: Äußere
auf eine / silberne Schüssel gelegt
  text: silberner
Mitten in dem Saale
  text: Sale
Dann würden die Vögel ihre / Nester zwischen meinen Zweigen bauen
  text: zwischen meine Zweigen
Ein starker / _Oktav_band, gebunden in ganz Kaliko
  text: _Oktavband_

Quotation Marks / Anführungszeichen:

„Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer
  text: „„Es war einmal ...
über die Regierung / und das Volk.“
  text: “ _missing / fehlt_
Im Fenster saß eine alte Feder
  text: „Im Fenster saß...
Neigt nun euren Hals und sagt: „Rap!““
  text: ... und sagt: „Rap!“
zum Manne nehmen! -- Ja, ja!“ sagte die Krähe
  text: „Ja, ja!“
„einige nennen / mich Fliedermütterchen
  text: „ _missing / fehlt_
von Ivede-Avede.“
  text: “ _missing / fehlt_





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