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Title: Zur Psychopathologie des Alltagslebens - Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum
Author: Freud, Sigmund, 1856-1939
Language: German
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                        Zur

         Psychopathologie des Alltagslebens

           (Über Vergessen, Versprechen,
         Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)


                        Von

               Prof. Dr. Sigm. Freud

                      in Wien


          Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
         Dass niemand weiss, wie er ihn meiden soll.

                          Faust, II. T., V. Akt.



                    BERLIN 1904

                VERLAG VON S. KARGER

                   KARLSTRASSE 15



  DURCHGESEHENER ABDRUCK AUS DER MONATSSCHRIFT FÜR
         PSYCHIATRIE UND NEUROLOGIE BD. X.

              ALLE RECHTE VORBEHALTEN.


        Druck von _H. Klöppel_, Quedlinburg.



I.

Vergessen von Eigennamen.


Im Jahrgange 1898 der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie habe
ich unter dem Titel »Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit«
einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier wiederholen
und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den
häufigen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigennamen an einem
prägnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der psychologischen
Analyse unterzogen und bin zum Ergebnis gelangt, dass dieser gewöhnliche
und praktisch nicht sehr bedeutsame Einzelvorfall von Versagen einer
psychischen Funktion -- des Erinnerns -- eine Aufklärung zulässt, welche
weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens hinausführt.

Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem man die Erklärung
forderte, wie es zugehe, dass einem so oft ein Name nicht einfällt, den
man doch zu kennen glaubt, sich begnügen, zu antworten, dass Eigennamen
dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger Gedächtnisinhalt.
Er würde die plausibeln Gründe für solche Bevorzugung der Eigennamen
anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorganges aber nicht
vermuten.

Für mich wurde zum Anlass einer eingehenderen Beschäftigung mit dem
Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung gewisser
Einzelheiten, die sich zwar nicht in allen Fällen, aber in einzelnen
deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich nicht nur
_vergessen_, sondern auch _falsch erinnert_. Dem sich um den entfallenen
Namen Bemühenden kommen andere -- _Ersatznamen_ -- zum Bewusstsein, die
zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch mit grosser
Zähigkeit immer wieder aufdrängen. Der Vorgang, der zur Reproduktion des
gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam _verschoben_ und so zu
einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, dass
diese Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen ist, sondern
gesetzmässige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich
vermute, dass der oder die Ersatznamen in einem aufspürbaren
Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir
gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den
Hergang des Namenvergessens zu verbreiten.

In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiele war es der Name des
Meisters, welcher im Dom von _Orvieto_ die grossartigen Fresken von den
»letzten Dingen« geschaffen, den zu erinnern ich mich vergebens bemühte.
Anstatt des gesuchten Namens -- _Signorelli_ -- drängten sich mir zwei
andere Namen von Malern auf -- _Botticelli_ und _Boltraffio_, die mein
Urteil sofort und entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige
Name von fremder Seite mitgeteilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und
ohne Schwanken. Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen
Assoziationswegen sich die Reproduktion in solcher Weise -- von
_Signorelli_ auf _Botticelli_ und _Boltraffio_ -- verschoben hatte,
führte zu folgenden Ergebnissen:

a) Der Grund für das Entfallen des Namens _Signorelli_ ist weder in
einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem psychologischen
Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen derselbe eingefügt
war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der
Ersatznamen -- Botticelli -- und ungleich vertrauter als der andere der
Ersatznamen -- Boltraffio --, von dessen Träger ich kaum etwas anderes
anzugeben wüsste als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der
Zusammenhang aber, in dem sich das Namenvergessen ereignete, erscheint
mir harmlos und führt zu keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit
einem Fremden eine Wagenfahrt von Ragusa in Dalmatien nach einer Station
der Herzegowina; wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und
ich fragte meinen Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und
dort die berühmten Fresken des *** besichtigt habe.

b) Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das in jener
Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere, und gibt sich als
eine _Störung des neu auftauchenden Themas durch das vorhergehende_ zu
erkennen. Kurz, ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob
er schon in Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in
_Bosnien_ und in der _Herzegowina_ lebenden Türken unterhalten. Ich
hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizierenden
Kollegen gehört hatte, dass sie sich voll Vertrauen in den Arzt und voll
Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen
muss, dass es für den Kranken keine Hilfe gibt, so antworten sie:
»_Herr_, was ist da zu sagen? Ich weiss, wenn er zu retten wäre, hättest
du ihn gerettet.« -- Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte und
Namen: _Bosnien_, _Herzegowina_, _Herr_ vor, welche sich in eine
Assoziationsreihe zwischen _Signorelli_ und _Botticelli_ -- _Boltraffio_
einschalten lassen.

c) Ich nehme an, dass der Gedankenreihe von den Sitten der Türken in
Bosnien etc. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken zu stören, darum
zukam, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen hatte, ehe sie noch zu
Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, dass ich eine zweite Anekdote
erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte.
Diese Türken schätzen den Sexualgenuss über alles und verfallen bei
sexuellen Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre
Resignation bei Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines
Kollegen hatte ihm einmal gesagt: »Du weisst ja, _Herr_, wenn das nicht
mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.« Ich unterdrückte die
Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema
nicht im Gespräch mit einem Fremden berühren wollte. Ich tat aber noch
mehr; ich lenkte meine Aufmerksamkeit auch von der Fortsetzung der
Gedanken ab, die sich bei mir an das Thema »Tod und Sexualität« hätten
knüpfen können. Ich stand damals unter der Nachwirkung einer Nachricht,
die ich wenige Wochen vorher während eines kurzen Aufenthaltes in
_Trafoi_ erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viele Mühe
gegeben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben
ein Ende gemacht. Ich weiss bestimmt, dass mir auf jener Reise in die
Herzegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt,
nicht zur bewussten Erinnerung kam. Aber die Übereinstimmung _Trafoi_ --
_Boltraffio_ nötigt mich anzunehmen, dass damals diese Reminiszenz trotz
der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur Wirksamkeit
gebracht worden ist.

d) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht mehr als ein
zufälliges Ereignis auffassen. Ich muss den Einfluss eines _Motivs_ bei
diesem Vorgang anerkennen. Es waren Motive, die mich veranlassten, mich
in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten der Bosnier etc.) zu
unterbrechen, und die mich ferner beeinflussten, die daran sich
knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in Trafoi geführt hätten, in
mir vom Bewusstwerden auszuschliessen. Ich _wollte_ also etwas
vergessen, ich hatte _etwas verdrängt_. Ich wollte allerdings etwas
anderes vergessen als den Namen des Meisters von Orvieto; aber dieses
andere brachte es zustande, sich mit diesem Namen in assoziative
Verbindung zu setzen, so dass mein Willensakt das Ziel verfehlte, und
ich _das eine wider Willen_ vergass, während ich _das andere mit
Absicht_ vergessen wollte. Die Abneigung, zu erinnern, richtete sich
gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu erinnern, trat an einem
anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung
und Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt beträfen. -- Die
Ersatznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie
vor der Aufklärung; sie mahnen mich (nach Art eines Kompromisses) eben
so sehr an das, was ich vergessen, wie an das, was ich erinnern wollte,
und zeigen mir, dass meine Absicht, etwas zu vergessen, weder ganz
gelungen noch ganz missglückt ist.

e) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich zwischen dem
gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und Sexualität etc.,
in dem die Namen Bosnien, Herzegowina, Trafoi vorkommen) hergestellt
hat. Das hier eingeschaltete, aus der Abhandlung des Jahres 1898
wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich darzustellen.

[Illustration]

Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden. Das eine
Silbenpaar ist in einem der Ersatznamen unverändert wiedergekehrt
(_elli_), das andere hat durch die Übersetzung _Signor_ -- _Herr_
mehrfache und verschiedenartige Beziehungen zu den im verdrängten Thema
enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduktion
verloren gegangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als ob eine
Verschiebung längs der Namenverbindung »_Her_zegowina und _Bo_snien«
vorgenommen worden wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn und auf die
akustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei
diesem Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schriftbilder eines
Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rebus) umgewandelt werden soll. Von dem
ganzen Hergang, der anstatt des Namens Signorelli auf solchen Wegen die
Ersatznamen geschaffen hat, ist dem Bewusstsein keine Kunde gegeben
worden. Eine Beziehung zwischen dem Thema, in dem der Name Signorelli
vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden verdrängten Thema, welche
über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr Buchstabenfolgen)
hinausginge, scheint _zunächst_ nicht auffindbar zu sein.

Es ist vielleicht nicht überflüssig, zu bemerken, dass die von den
Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduktion und des
Vergessens, die in gewissen Relationen und Dispositionen gesucht werden,
durch die vorstehende Aufklärung einen Widerspruch nicht erfahren. Wir
haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten Momenten, die
das Vergessen eines Namens bewirken können, noch ein _Motiv_ hinzugefügt
und überdies den Mechanismus des Fehlerinnerns klar gelegt. Jene
Dispositionen sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die
Möglichkeit zu schaffen, dass das verdrängte Element sich assoziativ des
gesuchten Namens bemächtige und es mit sich in die Verdrängung nehme.
Bei einem anderen Namen mit günstigeren Reproduktionsbedingungen wäre
dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja wahrscheinlich, dass ein
unterdrücktes Element allemal bestrebt ist, sich irgendwo anders zur
Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht, wo ihm
geeignete Bedingungen entgegenkommen. Andere Male gelingt die
Unterdrückung ohne Funktionsstörung, oder, wie wir mit Recht sagen
können, ohne _Symptome_.

Die Zusammenfassung der Bedingungen für das Vergessen eines Namens mit
Fehlerinnern ergibt also: 1. eine gewisse Disposition zum Vergessen
desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungsvorgang, 3.
die Möglichkeit, eine _äusserliche_ Assoziation zwischen dem
betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element herzustellen.
Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr hoch veranschlagen
müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Assoziation eine solche in
den allermeisten Fällen durchzusetzen sein dürfte. Eine andere und
tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äusserliche Assoziation
wirklich die genügende Bedingung dafür sein kann, dass das verdrängte
Element die Reproduktion des gesuchten Namens störe, ob nicht doch
notwendig ein intimerer Zusammenhang der beiden Themata erforderlich
wird. Bei oberflächlicher Betrachtung würde man letztere Forderung
abweisen wollen und das zeitliche Aneinanderstossen bei völlig
disparatem Inhalt für genügend halten. Bei eingehender Untersuchung
findet man aber immer häufiger, dass die beiden durch eine äusserliche
Assoziation verknüpften Elemente (das verdrängte und das neue) ausserdem
einen inhaltlichen Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel
_Signorelli_ lässt sich ein solcher erweisen.

Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des Beispiels
_Signorelli_ gewonnen haben, hängt natürlich davon ab, ob wir diesen
Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltes Vorkommnis erklären
müssen. Ich muss nun behaupten, dass das Namenvergessen mit Fehlerinnern
ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: _Signorelli_ aufgelöst
haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten
konnte, war ich auch imstande, es mir in der vorerwähnten Weise als
durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muss auch noch einen
anderen Gesichtspunkt zugunsten der typischen Natur unserer Analyse
geltend machen. Ich glaube, dass man nicht berechtigt ist, die Fälle von
Namenvergessen mit Fehlerinnern prinzipiell von solchen zu trennen, in
denen sich unrichtige Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese
Ersatznamen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan; in anderen
Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch
Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und sie zeigen
dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten
Namen, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Bewusstwerden der
Ersatznamen scheinen zwei Momente massgebend zu sein, erstens die
Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am
psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der grösseren oder
geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte
äusserliche Assoziation zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein
guter Teil der Fälle von Namenvergessen _ohne_ Fehlerinnern schliesst
sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus
des Beispieles: _Signorelli_ gilt. Ich werde mich aber gewiss nicht der
Behauptung erkühnen, dass alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche
Gruppe einzureihen seien. Es gibt ohne Zweifel Fälle von Namenvergessen,
die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl vorsichtig
genug dargestellt haben, wenn wir aussprechen: _Neben dem einfachen
Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor, welches durch
Verdrängung motiviert ist_.



II.

Vergessen von fremdsprachigen Worten.


Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint innerhalb
der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt[1]. Anders
steht es bekanntlich mit den Vokabeln einer fremden Sprache. Die
Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vorhanden,
und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich in der
Ungleichmässigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz, je
nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung. Dieses
Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach demselben Mechanismus vor
sich, den uns das Beispiel: _Signorelli_ enthüllt hat. Ich werde zum
Beweise hierfür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten
ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines
nicht substantivischen Wortes aus einem lateinischen Zitat betrifft. Man
gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.

Im letzten Sommer erneuerte ich -- wiederum auf der Ferienreise -- die
Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer Bildung, der, wie ich
bald merkte, mit einigen meiner psychologischen Publikationen vertraut
war. Wir waren im Gespräch -- ich weiss nicht mehr wie -- auf die
soziale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und er,
der Ehrgeizige, erging sich in Bedauern darüber, dass seine Generation,
wie er sich äusserte, zur Verkümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht
entwickeln und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloss
seine leidenschaftlich bewegte Rede mit dem bekannten _Vergil_schen
Vers, in dem die unglückliche _Dido_ ihre Rache an _Äneas_ der Nachwelt
überträgt: Exoriare ...., vielmehr er wollte so schliessen, denn er
brachte das Zitat nicht zustande und suchte eine offenkundige Lücke der
Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(e) ex
nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte machen Sie
nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Verlegenheit
weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie
heisst er eigentlich vollständig?“

Gerne, erwiderte ich und zitierte, wie es richtig lautet:

    Exoriar(e) _aliquis_ nostris ex ossibus ultor!

„Zu dumm, ein solches Wort zu vergessen. Übrigens von Ihnen hört man ja,
dass man nichts ohne Grund vergisst. Ich wäre doch zu neugierig, zu
erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten Pronomen aliquis
komme.“

Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ich einen Beitrag
zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können wir gleich
haben. Ich muss Sie nur bitten, mir _aufrichtig_ und _kritiklos_ alles
mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre
Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten[2].

„Gut, also da komme ich auf den lächerlichen Einfall, mir das Wort in
folgender Art zu zerteilen: _a_ und _liquis_.“

Was soll das? -- „Weiss ich nicht.“ -- Was fällt Ihnen weiter dazu ein?
-- „Das setzt sich so fort: _Reliquien_ -- _Liquidation_ --
_Flüssigkeit_ -- _Fluid_. Wissen Sie jetzt schon etwas?“

Nein, noch lange nicht. Aber fahren Sie fort.

„Ich denke,“ fuhr er höhnisch lachend fort, „an _Simon_ von _Trient_,
dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen
habe. Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade jetzt wieder gegen
die Juden erhoben wird, und an die Schrift von _Kleinpaul_, der in all
diesen angeblichen Opfern Inkarnationen, sozusagen Neuauflagen des
Heilands sieht.“

Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Thema, über das
wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.

„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel in einem
italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war
überschrieben: Was der h. Augustinus über die Frauen sagt. Was machen
Sie damit?“

Ich warte.

„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiss ausser Zusammenhang mit unserem
Thema steht.“

Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und --

„Ich weiss schon. Ich erinnere mich eines prächtigen alten Herrn, den
ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres _Original_. Er
sieht aus wie ein grosser Raubvogel. Er heisst, wenn Sie es wissen
wollen, _Benedikt_.“

Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von Heiligen und Kirchenvätern:
Der heilige _Simon_, _St. Augustinus_, _St. Benediktus_. Ein
Kirchenvater hiess, glaube ich, _Origines_. Drei dieser Namen sind
übrigens auch Vornamen, wie _Paul_ im Namen _Kleinpaul_.

„Jetzt fällt mir der heilige _Januarius_ ein und sein Blutwunder -- ich
finde, das geht mechanisch so weiter.“

Lassen Sie das; der heilige _Januarius_ und der heilige _Augustinus_
haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht an das
Blutwunder erinnern?

„Das werden Sie doch kennen? In einer Kirche zu Neapel wird in einer
Phiole das Blut des heiligen Januarius aufbewahrt, welches durch ein
Wunder an einem bestimmten Festtage wieder _flüssig_ wird. Das Volk hält
viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt, wenn es sich verzögert,
wie es einmal zur Zeit einer französischen Okkupation geschah. Da nahm
der kommandierende General -- oder irre ich mich? war es Garibaldi? --
den geistlichen Herrn bei Seite und bedeutete ihm mit einer sehr
verständlichen Geberde auf die draussen aufgestellten Soldaten, er
_hoffe_, das Wunder werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich
wirklich ...“

Nun und weiter? Warum stocken Sie?

„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen ... das ist aber zu intim
für die Mitteilung .. Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang und keine
Nötigung, es zu erzählen.“

Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie ja nicht zwingen, zu
erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen Sie aber auch nicht
von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes Wort „aliquis“ vergessen
haben.

„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine Dame gedacht,
von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns beiden recht
unangenehm wäre.“

Dass ihr die Periode ausgeblieben ist?

„Wie können Sie das erraten?“

Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügend darauf
vorbereitet. Denken Sie an die _Kalenderheiligen_, _an das Flüssigwerden
des Blutes zu einem bestimmten Tage_, _den Aufruhr, wenn das Ereignis
nicht eintritt_, _die deutliche Drohung, dass das Wunder vor sich gehen
muss, sonst_ .. Sie haben ja das Wunder des heiligen Januarius zu einer
prächtigen Anspielung auf die Periode der Frau verarbeitet.

„Ohne dass ich es gewusst hätte. Und Sie meinen wirklich, wegen dieser
ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchen »_aliquis_« nicht
reproduzieren können?“

Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie sich doch an Ihre Zerlegung
in _a--liquis_ und an die Assoziationen: _Reliquien_, _Liquidation_,
_Flüssigkeit_. Soll ich noch den als _Kind hingeopferten_ heiligen
Simon, auf den Sie von den Reliquien her kamen, in den Zusammenhang
einflechten?

„Tun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese Gedanken, wenn
ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen dafür
gestehen, dass die Dame eine Italienerin ist, in deren Gesellschaft ich
auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein?“

Ich muss es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie sich alle diese
Zusammenhänge durch die Annahme eines Zufalls aufklären können. Ich
sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren wollen, wird
Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle“ führen.

Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für deren Überlassung ich
meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen. Erstens, weil
mir in diesem Falle gestattet war, aus einer Quelle zu schöpfen, die mir
sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Beispiele von
psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier
zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere
Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu
vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muss, die betreffenden
Phänomene seien eben Erfolge und Äusserungen der Neurose. Es hat also
besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde
Person zum Objekt einer solchen Untersuchung erbietet. In anderer
Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von
Wortvergessen _ohne_ Ersatzerinnern beleuchtet und meinen vorhin
aufgestellten Satz bestätigt, dass das Auftauchen oder Ausbleiben von
unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche Unterscheidung nicht
begründen kann.[3]

Der Hauptwert des Beispieles: _aliquis_ ist aber in einem anderen seiner
Unterschiede von dem Falle: _Signorelli_ gelegen. Im letzteren Beispiel
wird die Reproduktion des Namens gestört durch die Nachwirkung eines
Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und abgebrochen wurde, dessen
Inhalt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem neuen Thema stand,
in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem verdrängten und
dem Thema des vergessenen Namens bestand bloss die Beziehung der
zeitlichen Kontiguität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden
durch eine äusserliche Assoziation in Verbindung setzen konnten.[4] Im
Beispiele: aliquis hingegen ist von einem solchen unabhängigen
verdrängten Thema, welches unmittelbar vorher das bewusste Denken
beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die
Störung der Reproduktion erfolgt hier aus dem Inneren des angeschlagenen
Themas heraus, indem sich unbewusst ein Widerspruch gegen die im Zitat
dargestellte Wunschidee erhebt. Man muss sich den Hergang in folgender
Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, dass die gegenwärtige
Generation seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue
Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängern
übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft ausgesprochen.
In diesem Momente fährt ihm ein widersprechender Gedanke dazwischen.
»Wünschest du dir Nachkommenschaft wirklich so lebhaft? Das ist nicht
wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn du jetzt die Nachricht
erhieltest, dass du von der einen Seite, die du kennst, Nachkommen zu
erwarten hast? Nein, keine Nachkommenschaft, -- wiewohl wir sie für die
Rache brauchen.« Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem
er genau wie im Beispiel Signorelli eine äusserliche Assoziation
zwischen einem seiner Vorstellungselemente und einem Elemente des
beanstandeten Wunsches herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst
gewaltsame Weise durch einen gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg.
Eine zweite wesentliche Übereinstimmung mit dem Beispiel Signorelli
ergibt sich daraus, dass der Widerspruch aus verdrängten Quellen stammt
und von Gedanken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit
hervorrufen würden. -- Soviel über die Verschiedenheit und über die
innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir
haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die
Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden
inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der leichter
verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt
begegnen.

  [1] Ob die Häufigkeit der Anwendung allein diesen Schutz erklären
  kann, ist mir zweifelhaft. Ich habe wenigstens beobachtet, dass
  Vornamen, die doch nicht die beschränkte Zugehörigkeit der Eigennamen
  teilen, dem Vergessen ebenso leicht unterliegen, wie letztere. Eines
  Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer
  Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte, und dessen Person
  ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von
  seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wusste,
  keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch
  keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Strasse, um
  Firmenschilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das
  erste Mal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, dass ich
  zwischen dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen
  hatte, die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein
  Bruder im gleichen Falle ähnlich gegen eine kranke Schwester benommen?
  Die äusserliche Verbindung zwischen den Gedanken über die fremde und
  über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht worden, dass
  die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich
  verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen: Daniel und Franz, die
  sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie
  auch Amalia, Namen aus den Räubern von _Schiller_, an welche sich ein
  Scherz des Wiener Spaziergängers _Daniel Spitzer_ knüpft. -- Ein
  unterdrückter Gedanke über die eigene Person oder die eigene Familie
  wird häufig zum Motiv des Namenvergessens, als ob man beständig
  Vergleiche zwischen sich selbst und den Fremden anstellte. Das
  seltsamste Beispiel dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr
  _Lederer_ berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit
  einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zusammen, den er seiner jungen
  Frau vorstellen musste. Da er aber den Namen des Fremden vergessen
  hatte, half er sich das erste Mal mit einem unverständlichen Gemurmel.
  Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich, ein zweites Mal
  begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch aus der
  Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er leider
  vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener
  Menschenkenntnis: Ich glaube es gerne, dass Sie sich meinen Namen
  nicht gemerkt haben. Ich heisse wie Sie: _Lederer_! -- Man kann sich
  einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen
  eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet. Ich verspürte sie
  unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen Sprechstunde
  ein Herr _S. Freud_ vorstellte.

  [2] Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich
  verbergen, dem Bewusstsein zuzuführen. Vgl. meine „Traumdeutung“,
  p. 69.

  [3] Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Analyse:
  _Signorelli_ und der: _aliquis_ betreffs der Ersatzerinnerungen um
  Einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer
  Ersatzbildung begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner
  nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen Bemühungen, das
  fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz eingefallen
  sei, berichtete er, dass er zunächst die Versuchung verspürt habe, ein
  _ab_ in den Vers zu bringen: nostris ab ossibus (vielleicht das
  unverknüpfte Stück von a-liquis) und dann, dass sich ihm das
  _Exoriare_ besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als
  Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses
  war. Als ich ihn bat, doch auf die Assoziationen von Exoriare aus zu
  achten, gab er mir Exorzismus an. Ich kann mir also sehr wohl denken,
  dass die Verstärkung von Exoriare in der Reproduktion eigentlich den
  Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die
  Assoziation: _Exorzismus_ von den Namen der _Heiligen_ her erfolgt.
  Indes sind dies Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht.
  -- Es erscheint nun aber wohl möglich, dass das Auftreten irgend einer
  Art von Ersatzerinnerung ein konstantes, vielleicht auch nur ein
  charakteristisches und verräterisches Zeichen des tendenziösen, durch
  Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatzbildung bestände
  auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatzbildungen ausbleibt, in
  der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen benachbart
  ist. Im Beispiele: Signorelli war z. B., solange mir der Name des
  Malers unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von
  Fresken und an sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes
  Selbstportrait _überdeutlich_, jedenfalls weit intensiver als visuelle
  Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten. In einem anderen Falle, der
  gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt ist, hatte ich von
  der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden Stadt den
  Strassennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer aber wie zum
  Spott -- überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen
  mir die grösste Schwierigkeit bereitet.

  [4] Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwischen
  den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller
  Überzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten
  Gedanken über das Thema von Tod und Sexualleben stösst man doch auf
  eine Idee, die sich mit dem Thema des Cyclus von Orvieto nahe berührt.



III.

Über die Deckerinnerungen.


In einer zweiten Abhandlung (1899 in der Monatsschrift für Psychiatrie
und Neurologie veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres
Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der
auffälligen Tatsache ausgegangen, dass die frühesten Kindheitserinnerungen
einer Person häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgiltig und
nebensächlich ist, während von wichtigen, eindrucksvollen und
affektreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiss nicht allgemein!)
sich im Gedächtnis des Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt
ist, dass das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine
Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, dass diese Auswahl im
Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien vor sich geht, als zur Zeit der
intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, dass
diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen
verdanken ihre Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz
in der Reproduktion für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren
Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln lässt,
deren direkte Reproduktion aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da
sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer assoziativen
Beziehung ihres Inhaltes zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben
sie auf den Namen »Deckerinnerungen«, mit welchem ich sie ausgezeichnet
habe, begründeten Anspruch.

Die Mannigfaltigkeiten in den Beziehungen und Bedeutungen der
Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatze nur gestreift,
keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel
habe ich eine Besonderheit der _zeitlichen_ Relation zwischen der
Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders
hervorgehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem
der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis
vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewusst geblieben waren, in
späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der
Verschiebung eine _rückgreifende_ oder _rückläufige_. Vielleicht noch
häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, dass ein
indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im
Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit
einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion sich
Widerstände erheben. Dies wären _vorgreifende_ oder _vorgeschobene_
Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Gedächtnis bekümmert, liegt
hier der Zeit nach _hinter_ der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte
noch mögliche Fall nicht vermisst, dass die Deckerinnerung nicht nur
durch ihren Inhalt, sondern auch durch Kontiguität in der Zeit mit dem
von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also die _gleichzeitige_ oder
_anstossende_ Deckerinnerung.

Ein wie grosser Teil unseres Gedächtnisschatzes in die Kategorie der
Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neurotischen
Denkvorgängen diesen zufällt, das sind Probleme, in deren Würdigung ich
weder dort eingegangen bin, noch hier eintreten werde. Es kommt mir nur
darauf an, die Gleichartigkeit zwischen dem Vergessen von Eigennamen mit
Fehlerinnern und der Bildung der Deckerinnerungen hervorzuheben.

Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten der beiden Phänomene
weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt es sich um
Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität
oder in Gedanken Erlebtes; dort um ein manifestes Versagen der
Erinnerungsfunktion, hier um eine Erinnerungsleistung, die uns
befremdend erscheint; dort um eine momentane Störung -- denn der eben
vergessene Name kann vorher hundert Male richtig reproduziert worden
sein und es von morgen an wieder werden --, hier um dauernden Besitz
ohne Ausfall, denn die indifferenten Kindheitserinnerungen scheinen uns
durch ein langes Stück unseres Lebens begleiten zu können. Das Rätsel
scheint in diesen beiden Fällen ganz anders orientiert zu sein. Dort ist
es das Vergessen, hier das Merken, was unsere wissenschaftliche
Neugierde rege macht. Nach einiger Vertiefung merkt man, dass trotz der
Verschiedenheit im psychischen Material und in der Zeitdauer der beiden
Phänomene die Übereinstimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier
wie dort um das Fehlgehen des Erinnerns; es wird nicht das vom
Gedächtnis reproduziert, was korrekterweise reproduziert werden sollte,
sondern etwas anderes zum Ersatz. Dem Falle des Namenvergessens fehlt
nicht die Gedächtnisleistung in der Form der Ersatznamen. Der Fall der
Deckerinnerungsbildung beruht auf dem Vergessen von anderen wesentlichen
Eindrücken. In beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle Empfindung
Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer Form.
Beim Namenvergessen _wissen_ wir, dass die Ersatznamen _falsch_ sind;
bei den Deckerinnerungen _verwundern_ wir uns, dass wir sie überhaupt
besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse nachweist, dass die
Ersatzbildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch Verschiebung
längs einer oberflächlichen Assoziation zustande gekommen ist, so tragen
gerade die Verschiedenheiten im Material, in der Zeitdauer und in der
Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern,
dass wir etwas Wichtiges und Allgemeingiltiges aufgefunden haben. Dieses
Allgemeine würde lauten, dass das Versagen und Irregehen der
reproduzierenden Funktion weit häufiger, als wir vermuten, auf die
Einmengung eines parteiischen Faktors, einer _Tendenz_ hinweist, welche
die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen
entgegenzuarbeiten bemüht ist.



IV.

Das Versprechen.


Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Muttersprache gegen
das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so
häufiger einer anderen Störung, die als »Versprechen« bekannt ist. Das
beim normalen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der
Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogen.
»Paraphasien«.

Ich befinde mich hier in der ausnahmsweisen Lage, eine Vorarbeit
würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben _Meringer_ und _C. Mayer_ eine
Studie über »Versprechen und Verlesen« publiziert, an deren
Gesichtspunkte die meinigen nicht heranreichen. Der eine der Autoren,
der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von
linguistischen Interessen zur Untersuchung veranlasst worden, den Regeln
nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte aus diesen
Regeln auf das Vorhandensein »eines gewissen geistigen Mechanismus«
schliessen zu können, »in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes,
und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden
und verknüpft sind« (p. 10).

Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des
»Versprechens« zunächst nach rein deskriptiven Gesichtspunkten als
_Vertauschungen_ (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo).
_Vorklänge_ oder _Antizipationen_ (z. B. es war mir auf der Schwest...
auf der Brust so schwer), _Nachklänge_, _Postpositionen_ (z. B. „Ich
fordere Sie _auf_, _auf_ das Wohl unseres Chefs _auf_zustossen“ für
anzustossen), _Kontaminationen_ (z. B. „Er setzt sich auf den
Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf
die Hinterbeine“), _Substitutionen_ (z. B. „Ich gebe die Präparate in
den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien noch
einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame)
hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied,
ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung etc. einzelne Laute des
Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.

Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt _Meringer_
eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute auf. Wenn wir
den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren,
wendet sich bereits der Erregungsvorgang den späteren Lauten, den
folgenden Worten zu, und soweit diese Innervationen mit einander
gleichzeitig sind, können sie einander abändernd beeinflussen. Die
Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach
und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang. Es handelt sich nun
darum, zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes sind.
_Meringer_ meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die
höchste Intensität zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem
vergessenen Wort, z. B. einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewusstsein
kommt, hatte jedenfalls die grösste Intensität vor dem Vergessen
(p. 160). Die hochwertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe
und der Wortanlaut und der oder die betonten Vokale“ (p. 162).

Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben. Ob der Anlaut
des Namens zu den höchstwertigen Elementen des Wortes gehöre oder nicht,
es ist gewiss nicht richtig, dass er im Falle des Wortvergessens zuerst
wieder ins Bewusstsein tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn
man sich bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so wird
man verhältnismässig häufig die Überzeugung äussern müssen, er fange mit
einem bestimmten Buchstaben an. Diese Überzeugung erweist sich nun
ebenso oft als unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten,
man proklamiert in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in
unserem Beispiel: _Signorelli_ ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und
sind die wesentlichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige
Silbenpaar _elli_ ist im Ersatznamen Botti_celli_ dem Bewusstsein
wiedergekehrt.

Wenn man der Vermutung Raum gibt, dass ein ähnlicher Mechanismus wie der
fürs Namenvergessen nachgewiesene auch an den Erscheinungen des
Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu einer tiefer begründeten
Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede,
welche sich als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein durch
den Einfluss eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durch das
Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des
Satzes oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert --
hierher gehören alle oben _Meringer_ und _Mayer_ entlehnten Beispiele
--; zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle:
_Signorelli_ zustande kommen durch Einflüsse _ausserhalb_ dieses Wortes,
Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man
nicht intendiert, und von deren Erregung man erst durch eben die Störung
Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das
Gemeinsame, in der Stellung innerhalb oder ausserhalb desselben Satzes
oder Zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Entstehungsarten
des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so gross, als
er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens in
Betracht kommt. Es ist aber klar, dass man nur im ersteren Falle
Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen
Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen
Beeinflussung ihrer Artikulation mit einander verknüpft, also Schlüsse,
wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen
hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse ausserhalb des nämlichen
Satzes oder Redezusammenhanges würde es sich vor allem darum handeln,
die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage,
ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der
Sprachbildung verraten kann.

Man darf nicht behaupten, dass _Meringer_ und _Mayer_ die Möglichkeit
der Sprechstörung durch »kompliziertere psychische Einflüsse«, durch
Elemente ausserhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben Redefolge
übersehen haben. Sie mussten ja bemerken, dass die Theorie der
psychischen Ungleichwertigkeit der Laute strenge genommen nur für die
Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht.
Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen,
z. B. bei den Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben auch
sie unbedenklich die Ursache des Versprechens _ausserhalb_ des
intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt durch schöne
Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende Stellen:

(p. 62.) »Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem _Innern_ für
»Schweinereien« erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form und
beginnt: »Dann aber sind Tatsachen zum _Vorschwein_ gekommen ...«
_Mayer_ und ich waren anwesend und Ru. bestätigte, dass er
»Schweinereien« gedacht hatte. Dass sich dieses gedachte Wort bei
»Vorschein« verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der
Ähnlichkeit der Wörter seine genügende Erklärung.« --

(p. 73.) »Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den
Kontaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die
»schwebenden« oder »vagierenden« Sprachbilder eine grosse Rolle. Sie
sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewusstseins, so doch noch in
wirksamer Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit des zu sprechenden
Komplexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei
oder kreuzen den Zug der Wörter. Die »schwebenden« oder »vagierenden«
Sprachbilder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich
abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge).«

(p. 97.) »Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit möglich, wenn ein
anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewusstseinsschwelle liegt, _ohne
dass es gesprochen zu werden bestimmt wäre_. Das ist der Fall bei den
Substitutionen. -- So hoffe ich, dass man beim Nachprüfen meine Regeln
wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, _dass man_ (wenn ein
anderer spricht) _sich Klarheit darüber verschafft, an was Alles der
Sprecher gedacht hat_.[5] Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li.
sagte in unserer Gesellschaft: »Die Frau würde mir Furcht ein=l=agen.«
Ich wurde stutzig, denn das =l= schien mir unerklärlich. Ich erlaubte
mir, den Sprecher auf seinen Fehler »ein=l=agen« für »ein=j=agen«
aufmerksam zu machen, worauf er sofort antwortete: »=J=a, das kommt
daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der =L=age u. s. f.««

„Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem kranken Pferde
gehe. Er antwortet: „Ja, das _draut_ .. dauert vielleicht noch einen
Monat.“ Das „draut“ mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von
dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S.
aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, „das ist eine
_traurige_ Geschichte.“ Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne
und diese vermengten sich.“

Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf die
„vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des Bewusstseins
stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt sind, und die Forderung,
sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe, an die
Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen
unbewusstes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur dass wir von
den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden Elementes
einen längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen
haben.

Ich verweile noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für das die
Beispiele _Meringers_ Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht des Autors
selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im intendierten Satz
mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren gestattet,
sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbildung,
Kompromissbildung (Kontamination) im Bewusstsein zur Geltung zu bringen.

    _lagen_, _dauert_, _Vorschein_.
    _jagen_, _traurig_, _...schwein_.

Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“[6] dargetan,
welchen Anteil die _Verdichtungs_arbeit an der Entstehung des sog.
manifesten Trauminhaltes aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine
Ähnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen
des unbewussten Materials wird da zum Anlass genommen, um ein Drittes,
eine Misch- oder Kompromissvorstellung zu schaffen, welche im
Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt, und die infolge dieses
Ursprungs so häufig mit widersprechenden Einzelbestimmungen ausgestattet
ist. Die Bildung von Substitutionen und Kontaminationen beim Versprechen
ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster
Tätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.

In einem kleinen für weitere Kreise bestimmten Aufsatz (Neue freie
Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich versprechen kann“) hat
_Meringer_ eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fälle von
Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen
man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „Man erinnert
sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des
österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung _eröffnete_: »Hohes
Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und soviel Herren und
erkläre somit die Sitzung für _geschlossen_!« Die allgemeine Heiterkeit
machte ihn erst aufmerksam, und er verbesserte den Fehler. Im
vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein, dass der
Präsident sich _wünschte_, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von
der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schliessen, aber -- eine häufige
Erscheinung -- der Nebengedanke setzte sich wenigstens teilweise durch,
und das Resultat war »geschlossen« für »eröffnet«, also das Gegenteil
dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige Beobachtung
hat mich belehrt, dass man gegensätzliche Worte überhaupt sehr häufig
mit einander vertauscht; sie sind eben schon in unserem
Sprachbewusstsein assoziiert, liegen hart nebeneinander und werden
leicht irrtümlich aufgerufen.“

Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so leicht, wie
hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, dass das
Versprechen in Folge eines Widerspruchs geschieht, der sich im Innern
des Redners gegen den geäusserten Satz erhebt. Wir haben den analogen
Mechanismus in der Analyse des Beispiels: _aliquis_ gefunden; dort
äusserte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines Wortes anstatt
seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung
des Unterschiedes bemerken, dass das Wörtchen aliquis eines ähnlichen
Gegensatzes, wie ihn »schliessen« zu »eröffnen« ergibt, eigentlich nicht
fähig ist, und das »eröffnen« als gebräuchlicher Bestandteil des
Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.

Zeigen uns die letzten Beispiele von _Meringer_ und _Mayer_, dass die
Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluss vor- und nachklingender
Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum
Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten
ausserhalb des intendierten Satzes, _deren Erregung sich sonst nicht
verraten hätte_, so werden wir zunächst erfahren wollen, ob man die
beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel
der einen von einem Fall der anderen Klasse unterscheiden kann. An
dieser Stelle der Erörterung muss man aber der Äusserungen _Wundts_
gedenken, der in seiner eben erscheinenden umfassenden Bearbeitung der
Entwicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie, I. Band, I. Teil
p. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen des Versprechens behandelt.
Was bei diesen Erscheinungen und anderen, ihnen verwandten, niemals
fehlt, das sind nach _Wundt_ gewisse psychische Einflüsse. „Dahin gehört
zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluss der von den
gesprochenen Lauten angeregten _Laut_- und _Wortassoziationen_. Ihm
tritt der Wegfall oder der Nachlass der diesen Lauf hemmenden Wirkungen
des Willens und der auch hier als Willensfunktion sich betätigenden
Aufmerksamkeit als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der
Assoziation darin sich äussert, das ein kommender Laut antizipiert oder
die vorausgegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmässig eingeübter
zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, dass ganz andere
Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer Beziehung stehen,
auf diese herüberwirken -- alles dies bezeichnet nur Unterschiede in der
Richtung und allenfalls in dem Spielraum der stattfindenden
Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch kann es in
manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine bestimmte Störung
zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit grösserem Rechte _nach dem
Prinzip der Komplikation der Ursachen_[7] auf ein Zusammentreffen
mehrerer Motive zurückzuführen habe.“ (p. 380 und 381.)

Ich halte diese Bemerkungen _Wundts_ für vollberechtigt und sehr
instruktiv. Vielleicht könnte man mit grösserer Entschiedenheit als
_Wundt_ betonen, dass das positiv begünstigende Moment der Sprechfehler
-- der ungehemmte Fluss der Assoziationen -- und das negative -- der
Nachlass der hemmenden Aufmerksamkeit -- regelmässig miteinander zur
Wirkung gelangen, so dass beide Momente nur zu verschiedenen
Bestimmungen des nämlichen Vorganges werden. Mit dem Nachlass der
hemmenden Aufmerksamkeit tritt eben der ungehemmte Fluss der
Assoziationen in Tätigkeit; noch unzweifelhafter ausgedrückt: _durch_
diesen Nachlass.

Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst gesammelt, finde
ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und allein auf das,
was _Wundt_ »Kontaktwirkung der Laute« nennt, zurückführen müsste. Fast
regelmässig entdecke ich überdies einen störenden Einfluss von etwas
_ausserhalb_ der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein
einzelner, unbewusst gebliebener Gedanke, der sich durch das
Versprechen kundgibt und oft erst durch eingehende Analyse zum
Bewusstsein gefördert werden kann, oder es ist ein allgemeineres
psychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede richtet.

Beispiel a): Ich will gegen meine Tochter, die beim Einbeissen in einen
Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, zitieren:

    Der Affe gar possierlich ist,
    Zumal wenn er vom Apfel frisst.

Ich beginne aber: Der _Apfe..._ Dies scheint eine Kontamination von
»_Affe_« und »_Apfel_« (Kompromissbildung) oder kann auch als
Antizipation des vorbereiteten »Apfel« aufgefasst werden. Der genauere
Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat schon einmal begonnen und
mich das erstemal dabei nicht versprochen. Ich versprach mich erst bei
der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die Angesprochene,
von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese
Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu
werden, muss ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine
Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.

b) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau _Schre_singer ... Die Frau
heisst _Schle_singer. Dieser Sprechfehler hängt wohl mit einer Tendenz
zur Erleichterung der Artikulation zusammen, denn das l ist nach
wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich muss aber hinzufügen, dass sich
dieses Versprechen bei meiner Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige
Minuten zuvor »Apfe« anstatt »Affe« vorgesagt hatte. Nun ist das
Versprechen in hohem Grade ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen,
bei dem _Meringer_ und _Mayer_ diese Eigentümlichkeit bemerkt haben.
Einen Grund für diese psychische Kontagiosität weiss ich nicht
anzugeben.

c) „Ich klappe zusammen wie ein _Tassenmescher_ -- _Taschenmesser_“,
sagt eine Patientin zu Beginn der Stunde, die Laute vertauschend, wobei
ihr wieder die Artikulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen
waschen weisse Wäsche -- _Fischflosse_“ und ähnliche Prüfworte) zur
Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerksam gemacht,
erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute »Ernscht« gesagt
haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute wird es
also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und
hatte das »Ernst« scherzhaft zu »Ernscht« verbreitert. Im Laufe der
Stunde verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich merke
endlich, dass sie mich nicht bloss imitiert, sondern dass sie einen
besonderen Grund hat, im Unbewussten bei dem Worte Ernst als Namen zu
verweilen.[8]

d) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die _Ase natmen_ --
Nase atmen“ passiert derselben Patientin ein anderes Mal. Sie weiss
sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige jeden Tag in
der _Hasenauergasse_ in die Tramway, und heute früh ist mir während des
Wartens auf den Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde
ich _Asenauer_ aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut
immer weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Reminiszenzen an Franzosen,
die sie kennen gelernt hat, und langt nach weitläufigen Umwegen bei der
Erinnerung an, dass sie als 14jähriges Mädchen in dem kleinen Stück
„Kurmärker und Picarde“ die Picarde gespielt und damals gebrochen
Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, dass in ihrem Logierhaus ein
Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen
wachgerufen. Die Lautvertauschung ist also Folge der Störung durch einen
unbewussten Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.

e) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen
Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst verschollenen
Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An welche
Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des Anderen gegriffen hat,
will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf
einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über
Sommerwohnungen. Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen sei,
antwortet sie: an der _Berglende_ anstatt _Berglehne_.

f) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage, wie es
ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiss nicht, ich sehe ihn jetzt nur
_in flagranti_“. Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe mich recht
geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort gegeben zu haben. Sie müssen mich
natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig
Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: _en passant_.“ Wir wussten
damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremdworte
genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fortsetzung
des vortägigen Themas eine Reminiszenz, in welcher das Ertapptwerden _in
flagranti_ die Hauptrolle spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte
also die damals noch nicht bewusst gewordene Erinnerung antizipiert.

g) Gegen eine Andere muss ich an einer gewissen Stelle der Analyse die
Vermutung aussprechen, dass sie sich zu der Zeit, von welcher wir eben
handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater einen uns noch
unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran, erklärt
es übrigens für unwahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch mit
Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muss ihnen das eine lassen: Es
sind doch besondere Menschen, sie haben alle _Geiz_ -- ich wollte sagen
_Geist_.“ Das war denn auch wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem
Gedächtnis verdrängt hatte. Dass sich in dem Versprechen gerade jene
Idee durchdrängt, die man zurückhalten will, ist ein häufiges Vorkommnis
(Vgl. den Fall von _Meringer_: zum Vorschwein gekommen). Der Unterschied
liegt nur darin, dass die Person bei _Meringer_ etwas zurückhalten will,
was ihr bewusst ist, während meine Patientin das Zurückgehaltene nicht
weiss, oder wie man auch sagen kann, nicht weiss, dass sie etwas und was
sie zurückhält.

h) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zu Kaufmann in der
Mathäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch empfehlen“, sagt mir
eine Dame. Ich wiederhole: „Also bei _Mathäus_ .... bei _Kaufmann_ will
ich sagen.“ Es sieht aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen
Namen an Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich auch
wirklich zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf
anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der
Mathäusgasse steht nämlich das Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt
hatte. Der Eingang des Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke
ich, dass ich deren Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem
Umweg bewusst machen muss. Der Name Mathäus, bei dem ich verweile, ist
mir also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Strasse. Er eignet
sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Mathäus ist ausschliesslich
ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Strasse
heisst auch nach einem Personennamen: Radetzky.

i) Folgenden Fall könnte ich ebenso gut bei den später zu besprechenden
»Irrtümern« unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die
Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung erfolgt, ganz
besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir ihren Traum: Ein
Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiss zu töten. Es führt
den Entschluss aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet usw.
Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert
sofort, dass sie gestern abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe
bei Schlangenbissen mit angehört. Wenn ein Erwachsener und ein Kind
gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man zuerst die Wunde des
Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für die
Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel darauf an, hat
er auch geäussert, von welcher Art man gebissen worden ist. Hier
unterbreche ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, dass wir nur
sehr wenig giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die
gefürchteten sind? „Ja, er hat die _Klapper_schlange hervorgehoben“.
Mein Lachen macht sie dann aufmerksam, dass sie etwas Unrichtiges gesagt
hat. Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt
ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt ja bei uns nicht vor; er hat von
der Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf die Klapperschlange?“ Ich
vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich hinter ihrem
Traum verborgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiss kann kaum
etwas anderes sein als eine Anspielung auf die schöne =Kl=eo=p=at=r=a.
Die weitgehende Lautähnlichkeit der beiden Worte, die Übereinstimmung in
den Buchstaben =Kl..p..r= in der nämlichen Reihenfolge und in dem
betonten =a= sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den
Namen _Klapper_schlange und _Kleopatra_ erzeugt bei ihr eine momentane
Einschränkung des Urteils, derzufolge sie an der Behauptung, der
Vortragende habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von
Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoss nimmt. Sie weiss
sonst so gut wie ich, dass diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat
gehört. Wir wollen es ihr nicht verübeln, dass sie an die Versetzung der
Klapperschlange nach Egypten ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind
gewöhnt, alles Aussereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich
selbst musste mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung
aufstellte, dass die Klapperschlange nur der neuen Welt angehört.

Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung der Analyse. Die
Träumerin hat gestern zum erstenmal die in der Nähe ihrer Wohnung
aufgestellte _Antonius_gruppe von _Strasser_ besichtigt. Dies war also
der zweite Traumanlass (der erste der Vortrag über Schlangenbisse). In
der Fortsetzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren Armen, zu
welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen
Reminiszenzen an »_Arria_ und _Messalina_«. Das Auftauchen so vieler
Namen von Theaterstücken in den Traumgedanken lässt bereits vermuten,
dass bei der Träumerin in früheren Jahren eine geheim gehaltene
Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang des
Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen Schlangenbiss
zu enden“, bedeutet wirklich nichts anderes als: Sie hat sich als Kind
vorgenommen, einst eine berühmte Schauspielerin zu werden. Von dem Namen
_Messalina_ zweigt endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen
Inhalt dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in
ihr die Besorgnis erweckt, dass ihr einziger Bruder eine nicht
standesgemässe Ehe mit einer Nicht-_Arierin_, eine _Mésalliance_
eingehen könnte.

Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur Auflösung
und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist sehr häufig die
Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorgebrachten Reden und Einfällen
des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der zwar sich zu
verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in
mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft das
Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendsten und
andererseits sonderbarsten Beispielen dartun könnte. Die Patienten
sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie konsequent, ohne das
Versprechen zu merken, »meine Mutter«, oder bezeichnen ihren Mann als
ihren »Bruder«. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam, dass sie
diese Personen miteinander »identifiziert«, in eine Reihe gebracht
haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr desselben Typus
bedeutet. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wortfügung,
eine gezwungen erscheinende Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines
verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten
aufzudecken.

In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich eben noch dem
»Versprechen« subsumieren lassen, finde ich also nicht den Einfluss von
Kontaktwirkungen der Laute, sondern den von Gedanken ausserhalb der
Redeintention massgebend für die Entstehung des Versprechens und
hinreichend zur Aufhellung des zustande gekommenen Sprechfehlers. Die
Gesetze, nach denen die Laute verändernd auf einander einwirken, möchte
ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für
sich allein die korrekte Ausführung der Rede zu stören. In den Fällen,
die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie bloss den
vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenes
psychisches Motiv bequemerweise bedient, ohne sich aber an den
Machtbereich dieser Beziehungen zu binden. In einer grossen Reihe von
Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgesetzen völlig
abgesehen. Ich befinde mich hierbei in voller Übereinstimmung mit
_Wundt_, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens als
zusammengesetzte und weit über die Kontaktwirkungen der Laute
hinausgehende vermutet.

Wenn ich diese »entfernteren psychischen Einflüsse« nach _Wundts_
Ausdruck für gesichert halte, so weiss ich andererseits von keiner
Abhaltung, um auch zuzugeben, dass bei beschleunigter Rede und
einigermassen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedingungen fürs
Versprechen sich leicht auf das von _Meringer_ und _Mayer_ bestimmte
Mass einschränken können. Bei einem Teil der von diesen Autoren
gesammelten Beispiele ist wohl eine kompliziertere Auflösung
wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:

    Es war mir auf der _Schwest..._
                       _Brust_ so _schwer_.

Geht es hier wohl so einfach zu, dass das _schwe_ das gleichwertige
_Bru_ als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen, dass die Laute
_schwe_ ausserdem durch eine besondere Relation zu dieser
Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein
als die Assoziation: _Schwester_ -- _Bruder_, etwa noch: _Brust_ der
_Schwester_, die zu anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter
der Szene unsichtbare Helfer verleiht dem sonst harmlosen _schwe_ die
Macht, deren Erfolg sich als Sprechfehler äussert.

Für anderes Versprechen lässt sich annehmen, dass der Anklang an obszöne
Worte und Bedeutungen das eigentlich Störende ist. Die absichtliche
Entstellung und Verzerrung der Worte und Redensarten, die bei unartigen
Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als beim harmlosen
Anlass an das Verpönte zu mahnen, und diese Spielerei ist so häufig,
dass es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch unabsichtlich und wider
Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: _Eischeissweibchen_ für
_Eiweissscheibchen_, _Apopos_ Fritz für _Apropos_, _Lo=k=uskapitäl_ für
_Lotuskapitäl_ etc. vielleicht noch die Alab=ü=sterb=a=chse
(Alabasterbüchse) der hl. Magdalena gehören wohl in diese Kategorie.[9]
-- „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs _auf_zustossen“, ist
kaum etwas anderes als eine unbeabsichtigte Parodie als Nachklang einer
beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, zu dessen Feierlichkeit der
Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde ich wohl daran
denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des
triumphierenden Imperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den
Gefeierten in Spottliedern laut zu äussern. -- _Meringer_ erzählt von
sich selbst, dass er zu einer Person, die als die älteste der
Gesellschaft mit dem vertraulichen Ehrennamen »Senexl« oder »altes
Senexl« angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost Senex altesl!“ Er
erschrak selbst über diesen Fehler (p. 50). Wir können uns vielleicht
seinen Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe »Altesl« an den
Schimpf »alter Esel« kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem
Alter (d. i., auf die Kindheit reduziert, vor dem Vater) sind grosse
innere Strafen gesetzt.

Ich hoffe, die Leser werden den Wertunterschied dieser Deutungen, die
sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele, die ich selbst
gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen. Wenn
ich aber im stillen immer noch an der Erwartung festhalte, auch die
scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf Störung durch
eine halb unterdrückte Idee _ausserhalb_ des intendierten Zusammenhanges
zurückführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte
Bemerkung von _Meringer_. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, dass
niemand sich versprochen haben will. Es gibt sehr gescheute und ehrliche
Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt, sie hätten sich
versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behauptung so allgemein zu
nehmen, wie sie durch das »niemand« von _Meringer_ hingestellt wird. Die
Spur Affekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar
von der Natur des Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist
gleichzusetzen dem Ärger, wenn wir einen vergessenen Namen nicht
erinnern, und der Verwunderung über die Haltbarkeit einer scheinbar
belanglosen Erinnerung, und weist allemale auf die Beteiligung eines
Motivs am Zustandekommen der Störung hin.

Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung, wenn es absichtlich
geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen, wo es als
unabsichtliches Versprechen auftritt, dieselbe Bedeutung haben. Jene
Person, die nach _Mayers_ Bericht einmal »_Freuder_« sagte anstatt
_Freud_, weil sie kurz darauf den Namen »_Breuer_« vorbrachte (p. 38),
ein andermal von einer _Freuer-Breud_schen Methode (p. 28) sprach, war
wohl ein Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonderlich entzückt.
Einen gewiss nicht anders aufzuklärenden Fall von Namensentstellung
werde ich weiter unten beim Verschreiben mitteilen. In diesen Fällen
mengt sich als störendes Moment eine Kritik ein, welche bei Seite
gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkte der Intention
des Redners nicht entspricht. In anderen und weit bedeutsameren Fällen
ist es Selbstkritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Äusserung, was
zum Versprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz
nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung
die Absicht derselben aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere
Unaufrichtigkeit blossgelegt hat.[10] Das Versprechen wird hier zu einem
mimischen Ausdrucksmittel.

Man gelangt von hier aus zu jenen Redestörungen, die nicht mehr als
Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort,
sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede beeinträchtigen, wie
z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit. Aber hier wie dort ist
es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der Rede verraten
wird. Ich glaube wirklich nicht, dass jemand sich versprechen würde in
der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebeswerbung,
in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz
in all den Fällen, in denen _man ganz dabei ist_, wie wir so bezeichnend
sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein Autor schreibt,
dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen,
welches wir bei der Ableitung des einzelnen Sprechfehlers nicht
entbehren können. Eine klare und unzweideutige Schreibweise belehrt uns,
dass der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir gezwungenen und
gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig gesagt wird, nach mehr
als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil eines nicht genugsam
erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen, oder die erstickte
Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören.

  [5] Von _mir_ hervorgehoben.

  [6] Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900.

  [7] Von _mir_ hervorgehoben.

  [8] Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluss von
  unbewussten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den
  Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewusst
  als Klage vorbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleibe
  beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen
  (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärnthnerstrasse gemahnt,
  welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die Konzeption
  zu annoncieren pflegt.

  [9] Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als
  Symptom so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort
  _ruinieren_ durch _urinieren_ zu ersetzen, zurückgeführt war.

  [10] Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. _Anzengruber_ im
  „G'wissenswurm“ den heuchlerischen Erbschleicher.



V.

Verlesen und Verschreiben.


Dass für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen Gesichtspunkte
und Bemerkungen Geltung haben, wie für die Sprechfehler, ist bei der
inneren Verwandtschaft dieser Funktionen nicht zu verwundern. Ich werde
mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig analysierte Beispiele
mitzuteilen, und keinen Versuch unternehmen, das Ganze der Erscheinungen
zu umfassen.


A. Verlesen.

a) Ich durchblättere im Caféhaus eine Nummer der »Leipziger
Illustrierten«, die ich schräg vor mir halte, und lese als Unterschrift
eines sich über eine Seite erstreckenden Bildes: Eine Hochzeitsfeier _in
der Odyssee_. Aufmerksam geworden und verwundert rücke ich mir das Blatt
zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier _an der Ostsee_. Wie
komme ich zu diesem unsinnigen Lesefehler? Meine Gedanken lenken sich
sofort auf ein Buch von _Ruths_ »Experimentaluntersuchungen über
Musikphantome etc.«, das mich in der letzten Zeit viel beschäftigt hat,
weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme
streift. Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches
»Analyse und Grundgesetze der Traumphänomene« heissen wird. Kein Wunder,
dass ich, der ich eben eine »Traumdeutung« veröffentlicht habe, mit
grösster Spannung diesem Buch entgegensehe. In der Schrift _Ruths_ über
Musikphantome fand ich vorne im Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des
ausführlichen induktiven Nachweises, dass die althellenischen Mythen und
Sagen ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und Musikphantomen, in
Traumphänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug damals sofort im
Texte nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung der
Szene, wie _Odysseus_ vor _Nausikaa_ erscheint, auf den gemeinen
Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf die schöne Stelle in
_G. Kellers_ »Grünem Heinrich« aufmerksam gemacht, welche diese Episode
der Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von der Heimat
irrenden Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung zum
Exhibitionstraum der Nacktheit hinzugefügt (p. 170). Bei _Ruths_
entdeckte ich nichts davon. Mich beschäftigen in diesem Falle offenbar
Prioritätsgedanken.

b) Wie kam ich dazu, eines Tages aus der Zeitung zu lesen: „_Im Fass_
durch Europa, anstatt: _zu Fuss_?“ Diese Auflösung bereitete mir lange
Zeit Schwierigkeiten. Die nächsten Einfälle deuteten allerdings: Es
müsse das Fass des Diogenes gemeint sein, und in einer Kunstgeschichte
hatte ich unlängst etwas über die Kunst zur Zeit Alexanders gelesen. Es
lag dann nahe, an die bekannte Rede Alexanders zu denken: Wenn ich nicht
Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein. Auch schwebte mir etwas von
einem gewissen _Hermann Zeitung_ vor, der in eine Kiste verpackt sich
auf Reisen begeben hatte. Aber weiter wollte sich der Zusammenhang
nicht herstellen, und es gelang mir nicht, die Seite in der
Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen, auf welcher mir jene Bemerkung ins
Auge gefallen war. Erst Monate später fiel mir das bei Seite geworfene
Rätsel plötzlich wieder ein, und diesmal zugleich mit seiner Lösung. Ich
erinnerte mich an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel, was für
sonderbare Arten der _Beförderung_ die Leute jetzt wählten, um nach
Paris zur Weltausstellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube,
scherzhaft mitgeteilt worden, dass irgend ein Herr die Absicht habe,
sich von einem anderen Herrn in einem _Fass_ nach Paris rollen zu
lassen. Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch
solche Torheiten Aufsehen zu machen. _Hermann Zeitung_ war in der Tat
der Name desjenigen Mannes, der für solche aussergewöhnliche
Beförderungen das erste Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein, dass
ich einmal einen Patienten behandelt, dessen krankhafte Angst vor der
Zeitung sich als Reaktion gegen den krankhaften _Ehrgeiz_ auflöste, sich
gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen. Der
mazedonische Alexander war gewiss einer der ehrgeizigsten Männer, die je
gelebt. Er klagte ja, dass er keinen Homer finden werde, der seine Taten
besinge. Aber wie konnte ich nur _nicht daran denken_, dass ein anderer
_Alexander_ mir näher stehe, dass Alexander der Name meines jüngeren
Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstössigen und der Verdrängung
bedürftigen Gedanken in betreff dieses Alexanders und die aktuelle
Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die
Tarife und _Transporte_ angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für
seine Lehrtätigkeit an einer kommerziellen Hochschule den Titel
Professor erhalten. Für die gleiche _Beförderung_ bin ich an der
Universität seit mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu
haben. Unsere Mutter äusserte damals ihr Befremden darüber, dass ihr
kleiner Sohn eher Professor werden sollte als ihr grosser. So stand es
zur Zeit, als ich die Lösung für jenen Leseirrtum nicht finden konnte.
Dann erhoben sich Schwierigkeiten auch bei meinem Bruder; seine Chancen,
Professor zu werden, fielen noch unter die meinigen. Da aber wurde mir
plötzlich der Sinn jenes Verlesens offenbar; es war, als hätte die
Minderung in den Chancen des Bruders ein Hindernis beseitigt. Ich hatte
mich so benommen, als läse ich die Ernennung des Bruders in der Zeitung,
und sagte mir dabei: Merkwürdig, dass man wegen solcher Dummheiten (wie
er sie als Beruf betreibt) in der Zeitung stehen (d. h. zum Professor
ernannt werden) kann! Die Stelle über die hellenistische Kunst im
Zeitalter Alexanders schlug ich dann ohne Mühe auf und überzeugte mich
zu meinem Erstaunen, dass ich während des vorherigen Suchens wiederholt
auf derselben Seite gelesen und jedesmal wie unter der Herrschaft einer
negativen Halluzination den betreffenden Satz übergangen hatte. Dieser
enthielt übrigens gar nichts, was mir Aufklärung brachte, was des
Vergessens wert gewesen wäre. Ich meine, das Symptom des Nichtauffindens
im Buche ist nur zu meiner Irreführung geschaffen worden. Ich sollte die
Fortsetzung der Gedankenverknüpfung dort suchen, wo meiner Nachforschung
ein Hindernis in den Weg gelegt war, also in irgend einer Idee über den
mazedonischen Alexander, und sollte so vom gleichnamigen Bruder sicherer
abgelenkt werden. Dies gelang auch vollkommen; ich richtete alle meine
Bemühungen darauf, die verlorene Stelle in jener Kunstgeschichte wieder
aufzufinden.

Der Doppelsinn des Wortes »_Beförderung_« ist in diesem Falle die
Assoziationsbrücke zwischen den zwei Gedankenkreisen, dem unwichtigen,
der durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem interessanteren, aber
anstössigen, der sich hier als Störung des zu Lesenden geltend machen
darf. Man ersieht aus diesem Beispiel, dass es nicht immer leicht wird,
Vorkommnisse wie diesen Lesefehler aufzuklären. Gelegentlich ist man
auch genötigt, die Lösung des Rätsels auf eine günstigere Zeit zu
verschieben. Je schwieriger sich aber die Lösungsarbeit erweist, desto
sicherer darf man erwarten, dass der endlich aufgedeckte störende
Gedanke von unserem bewussten Denken als fremdartig und gegensätzlich
beurteilt werden wird.

c) Ich erhalte eines Tages einen Brief aus der Nähe Wiens, der mir eine
erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort meine Frau an und
fordere sie zur Teilnahme daran auf, dass _die_ arme Wilhelm M. so
schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist. An den Worten, in
welche ich mein Bedauern kleide, muss aber etwas falsch geklungen haben,
denn meine Frau wird misstrauisch, verlangt den Brief zu sehen und
äussert als ihre Überzeugung, so könne es nicht darin stehen, denn
niemand nenne eine Frau nach dem Namen des Mannes, und überdies sei der
Korrespondentin der Vorname der Frau sehr wohl bekannt. Ich verteidige
meine Behauptung hartnäckig und verweise auf die so gebräuchlichen
Visitkarten, auf denen eine Frau sich selbst mit dem Vornamen des Mannes
bezeichnet. Ich muss endlich den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen
darin tatsächlich »der arme W. M.«, ja sogar, was ich ganz übersehen
hatte: »der arme _Dr._ W. M.«. Mein Versehen bedeutete also einen,
sozusagen krampfhaften, Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne
auf die Frau zu überwälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name
eingeschobene Titel passte schlecht zu der Forderung, es müsste die Frau
gemeint sein. Darum wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser
Verfälschung war aber nicht, dass mir die Frau weniger sympathisch wäre
als der Mann, sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine
Besorgnisse um eine andere, mir nahe stehende Person rege gemacht,
welche eine der mir bekannten Krankheitsbedingungen mit diesem Falle
gemeinsam hatte.


B. Verschreiben.

a) Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnungen meist von
geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner Überraschung
mitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen das
verschriebene Datum »Donnerstag den 20. Okt.«. Es ist nicht schwierig,
diese Antizipation aufzuklären, und zwar als Ausdruck eines Wunsches.
Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurückgekehrt und
fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäftigung, aber die
Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen
Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. _Oktober_ ankündigte.
Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl
gedacht haben: Die X. sollte doch schon da sein; wie schade um den
vollen Monat! und in diesem Gedanken rückte ich das Datum vor. Der
störende Gedanke ist in diesem Falle kaum ein anstössiger zu nennen;
dafür weiss ich auch sofort die Auflösung des Schreibfehlers, nachdem
ich ihn erst bemerkt habe.

b) Ich erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahresbericht für
Neurologie und Psychiatrie und muss natürlich mit besonderer Sorgfalt
die Autornamen revidieren, die, weil verschiedenen Nationen angehörig,
dem Setzer die grössten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen
fremd klingenden Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren, aber
einen einzigen Namen hat merkwürdiger Weise der Setzer _gegen_ mein
Manuskript verbessert und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich
_Buckrhard_ geschrieben, woraus der Setzer _Burckhard_ erriet. Ich hatte
die Abhandlung eines Geburtshelfers über den Einfluss der Geburt auf die
Entstehung der Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüsste
auch nichts gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er
trägt auch ein Schriftsteller in Wien, der mich durch eine unverständige
Kritik über meine »Traumdeutung« geärgert hat. Es ist gerade so, als
hätte ich mir bei der Niederschrift des Namen _Burckhard_, der den
Geburtshelfer bezeichnete, etwas Arges über den anderen B., den
Schriftsteller, gedacht, denn Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie
ich schon beim Versprechen erwähnt habe, Schmähung.[11]

c) Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht
mit ebensoviel Recht dem »Vergreifen« einordnen könnte: Ich habe die
Absicht, mir aus der Postsparkassa die Summe von 300 Kronen kommen zu
lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken
will. Ich bemerke dabei, dass mein Konto auf 4380 Kr. lautet und nehme
mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 Kr. herunterzusetzen, die
in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden soll. Nachdem ich den
Check ordnungsmässig ausgeschrieben und die der Zahl entsprechenden
Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, dass ich nicht =380=
Kr., wie ich wollte, sondern gerade =438= bestellt habe, und erschrecke
über die Unzuverlässigkeit meines Tuns. Den Schreck erkenne ich bald als
unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer worden, als ich vorher war.
Aber ich muss eine ganze Weile darüber nachsinnen, welcher Einfluss hier
meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewusstsein
anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will die beiden
Zahlen, 380 und 438, von einander abziehen, weiss aber dann nicht, was
ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlicher
Einfall den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja _zehn Prozent_ des
ganzen Konto von 4380 Kr.! 10 pCt. Rabatt hat man aber beim
_Buchhändler_! Ich besinne mich, dass ich vor wenigen Tagen eine Anzahl
medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben,
ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 Kronen anzubieten. Er
fand die Forderung zu hoch und versprach, in den nächsten Tagen
endgiltige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir
gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken verausgaben soll.
Es ist nicht zu verkennen, dass es mir um diese Ausgabe leid tut. Der
Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums lässt sich besser verstehen
als Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das
Bedauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte Verarmungsangst,
sind meinem Bewusstsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht
verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung
desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich
gar nicht zutrauen, wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei
Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre, und
wenn ich nicht vor einigen Tagen einen Traum gehabt hätte, welcher die
nämliche Lösung erforderte.[12]

_Wundt_ gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu
bestätigende Tatsache, dass wir uns leichter verschreiben als
versprechen (l. c. p. 374). „Im Verlaufe der normalen Rede ist
fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet,
Vorstellungsverlauf und Artikulationsbewegung mit einander in Einklang
zu bringen. Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch
mechanische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben ...., so treten
daher solche Antizipationen besonders leicht ein.“

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Verlesen auftritt,
giebt Anlass zu einem Zweifel, den ich nicht unerwähnt lassen möchte,
weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer fruchtbaren
Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim
_Vorlesen_ die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verlässt und sich
eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der
Aufmerksamkeit ist nicht selten, dass er überhaupt nicht anzugeben
weiss, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unterbricht und
befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer
richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, dass die Lesefehler sich unter
solchen Bedingungen merklich vermehren. Von einer ganzen Reihe von
Funktionen sind wir auch gewöhnt, anzunehmen, dass sie automatisch, also
von kaum bewusster Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen
werden. Daraus scheint zu folgen, dass die Aufmerksamkeitsbedingung der
Sprech-, Lese- und Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei
_Wundt_ lautet (Wegfall oder Nachlass der Aufmerksamkeit). Die
Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben uns eigentlich
nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der Aufmerksamkeit
anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine
_Störung_ der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden
Gedanken.

  [11] Vgl. etwa die Stelle im _Julius Caesar_ III. 3:

       _Cinna._ Ehrlich, mein Name ist Cinna.

       _Bürger._ Reisst ihn in Stücke! er ist ein Verschworener.

       _Cinna._ Ich bin Cinna der Poet! Ich bin nicht Cinna der
       Verschworene.

       _Bürger._ Es tut nichts; sein Name ist Cinna, reisst ihm den
       Namen aus dem Herzen und lasst ihn laufen.

  [12] Es ist dies jener Traum, den ich in einer kurzen Abhandlung,
  „Über den Traum“, No. VIII der „Grenzfragen des Nerven- und
  Seelenlebens“, herausgegeben von _Löwenfeld_ und _Kurella_ 1901, zum
  Paradigma genommen habe.



VI.

Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.


Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegenwärtigen
Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so brauchte man ihn nur an die
Gedächtnisfunktion zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen.
Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamentalen
Phänomen des Erinnerns und Vergessens im Zusammenhange Rechenschaft zu
geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man als
tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen.
Vielleicht ist uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das
Erinnern, seitdem uns das Studium des Traumes und pathologischer
Ereignisse gelehrt hat, dass auch das plötzlich wieder im Bewusstsein
auftauchen kann, was wir für längst vergessen geschätzt haben.

Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichtspunkte, für
welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, dass das
Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen zeitlichen
Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, dass beim Vergessen eine
gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken stattfindet und ebenso
unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir
kennen einige der Bedingungen für die Haltbarkeit im Gedächtnis und für
die Erweckbarkeit dessen, was sonst vergessen würde. Bei unzähligen
Anlässen im täglichen Leben können wir aber bemerken, wie unvollständig
und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist. Man höre zu, wie zwei
Personen, die gemeinsam äussere Eindrücke empfangen, z. B. eine Reise
mit einander gemacht haben, eine Zeitlang später ihre Erinnerungen
austauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der
andere oft vergessen, als ob es nicht geschehen wäre, und zwar ohne dass
man ein Recht zur Behauptung hätte, der Eindruck sei für den einen
psychisch bedeutsamer gewesen als für den anderen. Eine ganze Anzahl der
die Auswahl fürs Gedächtnis bestimmenden Momente entzieht sich offenbar
noch unserer Kenntnis.

In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Vergessens einen
kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mir das
Vergessen selbst widerfährt, einer psychologischen Analyse zu
unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen
Gruppe dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in
Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende wissen
sollte. Ich will noch bemerken, dass ich zur Vergesslichkeit im
allgemeinen (für Erlebtes, nicht für Gelerntes!) nicht neige, und dass
ich durch eine kurze Periode meiner Jugend auch aussergewöhnlicher
Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknabenzeit war es
mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelesen hatte,
auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war ich
imstande, populäre Vorträge wissenschaftlichen Inhalts unmittelbar
nachher fast wortgetreu niederzuschreiben. In der Spannung vor dem
letzten medizinischen Rigorosum muss ich noch Gebrauch von dem Rest
dieser Fähigkeit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den
Prüfern wie automatisch Antworten, die sich getreu mit dem Text des
Lehrbuches deckten, welchen ich doch nur einmal in der grössten Hast
durchflogen hatte.

Die Verfügung über den Gedächnisschatz ist seither bei mir immer
schlechter geworden, doch habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein
überzeugt, dass ich mit Hilfe eines Kunstgriffes weit mehr erinnern
kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der
Sprechstunde sich darauf beruft, dass ich ihn schon einmal gesehen habe,
und ich mich weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt erinnern kann,
so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von Jahren,
von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Aufschreibungen oder
die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle meines Einfalles
ermöglichen, da zeigt es sich, dass ich selten um mehr als ein Halbjahr
bei über 10 Jahren geirrt habe.[13] Ähnlich, wenn ich einen entfernteren
Bekannten treffe, den ich aus Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern
frage. Erzählt er von den Fortschritten derselben, so suche ich mir
einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, kontrolliere durch die
Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat, bei älteren
Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht angeben kann, welche
Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte. Ich bin zuletzt so kühn
geworden, dass ich meine Schätzung immer spontan vorbringe, und laufe
dabei nicht Gefahr, den Vater durch die Blossstellung meiner
Unwissenheit über seinen Sprössling zu kränken. Ich erweitere so mein
bewusstes Erinnern durch Anrufen meines jedenfalls weit reichhaltigeren
unbewussten Gedächtnisses.

Ich werde also über _auffällige_ Beispiele von Vergessen, die ich an mir
selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide Vergessen von Eindrücken
und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von Vorsätzen, also
Unterlassungen. Das einförmige Ergebnis der ganzen Reihe von
Beobachtungen kann ich voranstellen: _In allen Fällen erwies sich das
Vergessen als begründet durch ein Unlustmotiv_.


A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.

a) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlass zu
heftigem Ärger. Wir sassen an der Table d'hôte einem Herrn aus Wien
gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu erinnern
wusste. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft nicht zu
erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber
gehört hatte, verriet zu sehr, dass sie seinem Gespräch mit den Nachbarn
zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die
den dort gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig und endlich
gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Verwandten Klage über
dieses Verhalten meiner Frau. Ich war aber nicht imstande, auch nur ein
Wort der Unterhaltung jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher
nachtragend bin und keine Einzelheit eines Vorfalls, der mich geärgert
hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in diesem Falle wohl durch
Rücksichten auf die Person der Ehefrau motiviert. Ähnlich erging es mir
erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim Bekannten über
eine Äusserung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen Stunden
gefallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den bemerkenswerten
Umstand gehindert, dass ich die betreffende Äusserung spurlos vergessen
hatte. Ich musste erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern.
Es ist leicht zu verstehen, dass dies mein Vergessen analog zu fassen
ist der typischen Urteilsstörung, welcher wir unterliegen, wenn es sich
um unsere nächsten Angehörigen handelt.

b) Ich hatte es übernommen, einer fremd in Wien angekommenen Dame eine
kleine eiserne Handkassette zur Aufbewahrung ihrer Dokumente und Gelder
zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte mir mit ungewöhnlicher
visueller Lebhaftigkeit das Bild einer Auslage in der Inneren Stadt vor,
in welcher ich solche Kassen gesehen haben musste. Ich konnte mich zwar
an den Namen der Strasse nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, dass
ich den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt auffinden werde,
denn meine Erinnerung sagte mir, dass ich unzählige Male an ihm
vorübergegangen sei. Zu meinem Ärger gelang es mir aber nicht, diese
Auslage mit den Kassetten aufzufinden, obwohl ich die Innere Stadt nach
allen Richtungen durchstreifte. Es blieb mir nichts anderes übrig,
meinte ich, als mir aus einem Adressenkalender die Kassenfabrikanten
herauszusuchen, um dann auf einem zweiten Rundgang die gesuchte Auslage
zu identifizieren. Es bedurfte aber nicht soviel; unter den im Kalender
angezeigten Adressen befand sich eine, die sich mir sofort als die
vergessene enthüllte. Es war richtig, dass ich ungezählte Male an dem
Auslagefenster vorübergegangen war; jedesmal nämlich, wenn ich die
Familie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem nämlichen Hause
wohnt. Seitdem dieser intime Verkehr einer völligen Entfremdung gewichen
war, pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch
die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt
hatte ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Strasse in
der Umgebung begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot
darauf läge, ausgewichen. Das Unlustmotiv, welches in diesem Fall meine
Unorientiertheit verschuldete, ist greifbar. Der Mechanismus des
Vergessens ist aber nicht mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine
Abneigung gilt natürlich nicht dem Kassenfabrikanten, sondern einem
anderen, von dem ich nichts wissen will, und überträgt sich von diesem
anderen auf die Gelegenheit, wo sie das Vergessen zustande bringt. Ganz
ähnlich hatte im Falle _Burckhard_ der Groll gegen den einen den
Schreibfehler im Namen hervorgebracht, wo es sich um den anderen
handelte. Was hier die Namensgleichheit leistete, die Verknüpfung
zwischen zwei im Wesen verschiedenen Gedankenkreisen herzustellen, das
konnte im Beispiel von dem Auslagefenster die Kontiguität im Raum, die
untrennbare Nachbarschaft ersetzen. Übrigens war dieser letzte Fall
fester gefügt; es fand sich noch eine zweite inhaltliche Verknüpfung
vor, denn unter den Gründen der Entfremdung mit der im Hause wohnenden
Familie hatte das Geld eine grosse Rolle gespielt.

c) Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten
ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Wohnung beschäftigt mich
die Idee, ich müsste schon wiederholt in dem Hause gewesen sein, in
welchem sich die Firma befindet. Es ist mir, als ob mir die Tafel
derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während ich in
einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich kann mich
aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch wen ich dort
besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleichgiltig und
bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich
auf dem gewöhnlichen Umwege, indem ich meine Einfälle dazu sammle, dass
sich einen Stock über den Lokalitäten der Firma B. & R. die Pension
_Fischer_ befindet, in welcher ich häufig Patienten besucht habe. Ich
kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaux und die Pension
beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen
im Spiele war. Ich finde nichts für die Erinnerung Anstössiges an der
Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort
wohnten. Ich vermute auch, dass es sich um nicht sehr Peinliches handeln
kann; sonst wäre es mir kaum gelungen, mich des Vergessenen auf einem
Umwege wieder zu bemächtigen, ohne äussere Hilfsmittel wie im vorigen
Beispiel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein, dass mich eben vorhin,
als ich den Weg zu dem neuen Patienten antrat, ein Herr auf der Strasse
gegrüsst hat, den ich Mühe hatte zu erkennen. Ich hatte diesen Mann vor
Monaten in einem anscheinend schweren Zustand gesehen und die Diagnose
der progressiven Paralyse über ihn verhängt, dann aber gehört, dass er
hergestellt sei, so dass mein Urteil unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht
etwa hier eine der Remissionen vorliegt, die sich auch bei Dementia
paralytica finden, so dass meine Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre!
Von dieser Begegnung ging der Einfluss aus, der mich an die
Nachbarschaft der Bureaux von B. & R. vergessen liess, und mein
Interesse, die Lösung des Vergessenen zu finden, war von diesem Fall
strittiger Diagnostik her übertragen. Die assoziative Verknüpfung aber
wurde bei geringem inneren Zusammenhang -- der wider Erwarten Genesene
war auch Beamter eines grossen Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen
pflegte -- durch eine Namensgleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem
gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen hatte, hiess auch
_Fischer_, wie die in dem Haus befindliche, vom Vergessen betroffene
Pension.

d) Ein Ding _verlegen_ heisst ja nichts anderes als vergessen, wohin man
es gelegt hat, und wie die meisten mit Schriften und Büchern
hantierenden Personen bin ich auf meinem Schreibtisch wohl orientiert
und weiss das Gesuchte mit einem Griff hervorzuholen. Was anderen als
Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung. Warum
habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt wurde,
so verlegt, dass er unauffindbar geblieben ist? Ich hatte doch die
Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, »Über die Sprache«, zu
bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen geistreich belebten
Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psychologie und dessen Kenntnisse
in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiss. Ich meine, gerade darum
habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses Autors
zur Aufklärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen
Tagen hat mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert
mich ganz an den Ihrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe.“ Der
Redner wusste nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren,
als ich noch jünger und anschlussbedürftiger war, hat mir ungefähr das
Nämliche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines
bekannten medizinischen Autors angepriesen hatte. „Ganz Ihr Stil und
Ihre Art.“ So beeinflusst hatte ich diesem Autor einen um näheren
Verkehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort
in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich ausserdem
noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn ich
habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin durch dieses
Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte Buch zu bestellen,
obwohl ein wirkliches Hindernis durch das Verschwinden des Kataloges
nicht geschaffen worden ist. Ich habe ja die Namen des Buches und des
Autors im Gedächtnis behalten.[14]

e) Im Sommer dieses Jahres erklärte ich einmal meinem Freunde Fl., mit
dem ich in regem Gedankenaustausch über wissenschaftliche Fragen stehe:
Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz
und voll auf den Boden der Annahme einer ursprünglichen Bisexualität des
Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort: „Das habe ich Dir schon
vor 2½ Jahren in Br. gesagt, als wir jenen Abendspaziergang machten.
Du wolltest damals nichts davon hören.“ Es ist nun schmerzlich, so zum
Aufgeben seiner Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an
ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes nicht
erinnern. Einer von uns beiden musste sich da täuschen; nach dem Prinzip
der Frage _cui_ prodest? musste ich das sein. Ich habe im Laufe der
nächsten Wochen in der Tat alles so erinnert, wie mein Freund es in mir
erwecken wollte; ich weiss selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei
halte ich noch nicht, ich will mich darauf nicht einlassen. Aber ich bin
seither um ein Stück toleranter geworden, wenn ich irgendwo in der
medizinischen Literatur auf eine der wenigen Ideen stosse, mit denen man
meinen Namen verknüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines
Namens vermisse.

Ausstellungen an seiner Ehefrau -- Freundschaft, die ins Gegenteil
umgeschlagen hat -- Irrtum in ärztlicher Diagnostik -- Zurückweisung
durch Gleichstrebende -- Entlehnung von Ideen; es ist wohl kaum
zufällig, dass eine Anzahl von Beispielen des Vergessens, die ohne
Absicht gesammelt worden sind, zu ihrer Auflösung des Eingehens auf so
peinliche Themata bedürfen. Ich vermute vielmehr, dass jeder Andere, der
sein eigenes Vergessen einer Prüfung nach den Motiven unterziehen will,
eine ähnliche Musterkarte von Widerwärtigkeiten aufzeichnen können wird.
Die Neigung zum Vergessen des Unangenehmen scheint mir ganz allgemein zu
sein; die Fähigkeit dazu ist wohl bei verschiedenen Personen verschieden
gut ausgebildet. Manches _Ableugnen_, das uns in der ärztlichen
Tätigkeit begegnet, ist wahrscheinlich auf _Vergessen_ zurückzuführen.
Unsere Auffassung eines solchen Vergessens beschränkt den Unterschied
zwischen dem und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische
Verhältnisse und gestattet uns, in beiden Reaktionsweisen den Ausdruck
desselben Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der
Verleugnung unangenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von
Kranken gesehen habe, ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis
geblieben. Eine Mutter informierte mich über die Kinderjahre ihres
nervenkranken, in der Pubertät befindlichen Sohnes und erzählte dabei,
dass er wie seine Geschwister bis in späte Jahre an Bettnässen gelitten
habe, was ja für eine neurotische Krankengeschichte nicht bedeutungslos
ist. Einige Wochen später, als sie sich Auskunft über den Stand der
Behandlung holen wollte, hatte ich Anlass, sie auf die Zeichen
konstitutioneller Krankheitsveranlagung bei dem jungen Mann aufmerksam
zu machen, und berief mich hierbei auf das anamnestisch erhobene
Bettnässen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Tatsache sowohl für
dies als auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das wissen
könne, und hörte endlich von mir, dass sie selbst es mir vor kurzer Zeit
erzählt habe, was also von ihr vergessen worden war.[15]

Man findet also auch bei gesunden, nicht neurotischen Menschen reichlich
Anzeichen dafür, dass sich der Erinnerung an peinliche Eindrücke, der
Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand entgegensetzt. Die volle
Bedeutung dieser Tatsache lässt sich aber erst ermessen, wenn man in die
Psychologie neurotischer Personen eingeht. Man ist genötigt, ein solches
_elementares Abwehrbestreben_ gegen Vorstellungen, welche
Unlustempfindungen erwecken können, ein Bestreben, das sich nur dem
Fluchtreflex bei Schmerzreizen an die Seite stellen lässt, zu einem der
Hauptpfeiler des Mechanismus zu machen, welcher die hysterischen
Symptome trägt. Man möge gegen die Annahme einer solchen Abwehrtendenz
nicht einwenden, dass wir es im Gegenteil häufig genug unmöglich finden,
peinliche Erinnerungen, die uns verfolgen, los zu werden und peinliche
Affektregungen wie Reue, Gewissensvorwürfe zu verscheuchen. Es wird ja
nicht behauptet, dass diese Abwehrtendenz sich überall durchzusetzen
vermag, dass sie nicht im Spiel der psychischen Kräfte auf Faktoren
stossen kann, welche zu anderen Zwecken das Entgegengesetzte anstreben
und ihr zum Trotz zustande bringen. _Als das architektonische Prinzip
des seelischen Apparates lässt sich die Schichtung, der Aufbau aus
einander überlagernden Instanzen erraten_, und es ist sehr wohl möglich,
dass dies Abwehrbestreben einer niedrigeren psychischen Instanz
angehört, von höheren Instanzen aber gehemmt wird. Es spricht jedenfalls
für die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, wenn wir
Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen auf sie
zurückführen können. Wir sehen, dass manches um seiner selbst willen
vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendenz
ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeutsames, zum
Vergessen, welches in assoziative Verknüpfung mit dem eigentlich
Anstössigen geraten ist.

Der hier entwickelte Gesichtspunkt, dass peinliche Erinnerungen mit
besonderer Leichtigkeit dem motivierten Vergessen verfallen, verdiente
auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder
eine zu geringe Beachtung gefunden hat. So erscheint er mir noch immer
nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugenaussagen vor
Gericht,[16] wobei man offenbar der unter Eidstellung des Zeugen einen
allzu grossen purifizierenden Einfluss auf dessen psychisches
Kräftespiel zutraut. Dass man bei der Entstehung der Traditionen und der
Sagengeschichte eines Volkes einem solchen Motiv, das dem Nationalgefühl
Peinliche aus der Erinnerung auszumerzen, Rechnung tragen muss, wird
allgemein zugestanden. Vielleicht würde sich bei genauerer Verfolgung
eine vollständige Analogie herausstellen zwischen der Art, wie
Völkertraditionen und wie die Kindheitserinnerungen des einzelnen
Individuums gebildet werden.

Ganz ähnlich wie beim Namenvergessen kann auch beim Vergessen von
Eindrücken Fehlerinnern eintreten, das dort, wo es Glauben findet, als
Erinnerungstäuschung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäuschung in
pathologischen Fällen -- in der Paranoia spielt sie geradezu die Rolle
eines konstituierenden Momentes bei der Wahnbildung -- hat eine
ausgedehnte Literatur wachgerufen, in welcher ich durchgängig den
Hinweis auf eine Motivierung derselben vermisse. Da auch dieses Thema
der Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich in unserm
Zusammenhange der Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares Beispiel
einer eigenen Erinnerungstäuschung mitteilen, bei dem die Motivierung
durch unbewusstes verdrängtes Material und die Art und Weise der
Verknüpfung mit demselben deutlich genug kenntlich werden.

Als ich die späteren Abschnitte meines Buches über Traumdeutung schrieb,
befand ich mich in einer Sommerfrische ohne Zugang zu Bibliotheken und
Nachschlagebüchern und war genötigt, mit Vorbehalt späterer Korrektur,
allerlei Beziehungen und Zitate aus dem Gedächtnis in das Manuskript
einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagträumen fiel mir die
ausgezeichnete Figur des armen Buchhalters im »_Nabab_« von _Alph.
Daudet_ ein, mit welcher der Dichter wahrscheinlich seine eigene
Träumerei geschildert. Ich glaubte mich an eine der Phantasien, die
dieser Mann -- Mr. Jocelyn nannte ich ihn -- auf seinen Spaziergängen
durch die Strassen von Paris ausbrütet, deutlich zu erinnern und begann
sie aus dem Gedächtnis zu reproduzieren. Wie also Herr Jocelyn auf der
Strasse sich kühn einem durchgehenden Pferd entgegenwirft, es zum Stehen
bringt, der Wagenschlag sich öffnet, eine hohe Persönlichkeit dem Coupé
entsteigt, Herrn Jocelyn die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein
Retter, Ihnen verdanke ich mein Leben. Was kann ich für Sie tun?“

Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phantasie, tröstete ich
mich, würden sich leicht zuhause verbessern lassen, wenn ich das Buch
zur Hand nähme. Als ich dann aber den »_Nabab_« durchblätterte, um die
druckbereite Stelle meines Manuskriptes zu vergleichen, fand ich zu
meiner grössten Beschämung und Bestürzung nichts von einer solchen
Träumerei des Herrn Jocelyn darin, ja der arme Buchhalter trug gar nicht
diesen Namen, sondern hiess _Mr. Joyeuse_. Dieser zweite Irrtum gab dann
bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der Erinnerungstäuschung.
_Joyeux_ (wovon der Name die feminine Form darstellt): so und nicht
anders müsste ich ja meinen eigenen Namen: _Freud_ ins Französische
übersetzen. Woher konnte also die fälschlich erinnerte Phantasie sein,
die ich _Daudet_ zugeschrieben hatte? Sie konnte nur ein eigenes Produkt
sein, ein Tagtraum, den ich selbst gemacht, und der mir nicht bewusst
geworden, oder der mir einst bewusst gewesen und den ich seither
gründlich vergessen. Vielleicht dass ich ihn selbst in Paris gemacht, wo
ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch die Strassen spaziert bin,
eines Helfers und Protektors sehr bedürftig, bis Meister _Charcot_ mich
dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des »_Nabab_« habe ich dann
wiederholt im Hause _Charcots_ gesehen. Das Ärgerliche an der Sache ist
nur, dass ich kaum irgend einem anderen Vorstellungskreis so feindselig
gegenüberstehe, wie dem des Protegiertwerdens. Was man in unserem
Vaterlande davon sieht, verdirbt einem alle Lust daran, und meinem
Charakter sagt die Situation des Protektionskindes überhaupt wenig zu.
Ich habe immer ungewöhnlich viel Neigung dazu verspürt, »selbst der
brave Mann zu sein«. Und gerade ich musste dann an solche, übrigens nie
erfüllte, Tagträume gemahnt werden! Ausserdem ist der Vorfall auch ein
gutes Beispiel dafür, wie die zurückgehaltene -- in der Paranoia
siegreich hervorbrechende -- Beziehung zum eigenen Ich uns in der
objektiven Erfassung der Dinge stört und verwirrt.


B. Das Vergessen von Vorsätzen.

Keine andere Gruppe von Phänomenen eignet sich besser zum Beweis der
These, dass die Geringfügigkeit der Aufmerksamkeit für sich allein nicht
hinreiche, die Fehlleistung zu erklären, als die des Vergessens von
Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur Handlung, der bereits
Billigung gefunden hat, dessen Ausführung aber auf einen geeigneten
Zeitpunkt verschoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall
allerdings eine derartige Veränderung in den Motiven eintreten, dass der
Vorsatz nicht zur Ausführung gelangt, aber dann wird er nicht vergessen,
sondern revidiert und aufgehoben. Das Vergessen von Vorsätzen, dem wir
alltäglich und in allen möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir
uns nicht durch eine Neuerung in der Motivengleichung zu erklären,
sondern lassen es gemeinhin unerklärt, oder wir suchen eine
psychologische Erklärung in der Annahme, gegen die Zeit der Ausführung
hin habe sich die erforderliche Aufmerksamkeit für die Handlung nicht
mehr bereit gefunden, die doch für das Zustandekommen des Vorsatzes
unerlässliche Bedingung war, damals also für die nämliche Handlung zur
Verfügung stand. Die Beobachtung unseres normalen Verhaltens gegen
Vorsätze lässt uns diesen Erklärungsversuch als willkürlich abweisen.
Wenn ich des Morgens einen Vorsatz fasse, der abends ausgeführt werden
soll, so kann ich im Laufe des Tages einigemal an ihn gemahnt werden. Er
braucht aber tagsüber überhaupt nicht mehr bewusst zu werden. Wenn sich
die Zeit der Ausführung nähert, fällt er mir plötzlich ein und
veranlasst mich, die zur vorgesetzten Handlung nötigen Vorbereitungen zu
treffen. Wenn ich auf einen Spaziergang einen Brief mitnehme, welcher
noch befördert werden soll, so brauche ich ihn als normales und nicht
nervöses Individuum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu
tragen und unterdessen nach einem Briefkasten auszuspähen, in den ich
ihn werfe, sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stecken, meiner Wege
zu gehen, meine Gedanken frei schweifen zu lassen, und ich rechne
darauf, dass einer der nächsten Briefkästen meine Aufmerksamkeit erregen
und mich veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und den Brief
hervorzuziehen. Das normale Verhalten bei gefasstem Vorsatz deckt sich
vollkommen mit dem experimentell zu erzeugenden Benehmen von Personen,
denen man eine sog. »posthypnotische Suggestion auf lange Sicht« in der
Hypnose eingegeben hat.[17] Man ist gewöhnt, das Phänomen in folgender
Art zu beschreiben: Der suggerierte Vorsatz schlummert in den
betreffenden Personen, bis die Zeit seiner Ausführung herannaht. Dann
wacht er auf und treibt zur Handlung.

In zweierlei Lebenslagen gibt sich auch der Laie Rechenschaft davon,
dass das Vergessen in bezug auf Vorsätze keineswegs den Anspruch
erheben darf, als ein nicht weiter zurückführbares Elementarphänomen zu
gelten, sondern zum Schluss auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich
meine: im Liebesverhältnis und in der Militärabhängigkeit. Ein
Liebhaber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich bei
seiner Dame entschuldigen, er habe leider ganz daran vergessen. Sie wird
nicht versäumen, ihm zu antworten: „Vor einem Jahr hättest Du es nicht
vergessen. Es liegt Dir eben nichts mehr an mir.“ Selbst wenn er nach
der oben erwähnten psychologischen Erklärung griffe und sein Vergessen
durch gehäufte Geschäfte entschuldigen wollte, würde er nur erreichen,
dass die Dame -- so scharfsichtig geworden wie der Arzt in der
Psychoanalyse -- zur Antwort gäbe: „Wie merkwürdig, dass sich solche
geschäftlichen Störungen früher nicht ereignet haben.“ Gewiss will auch
die Dame die Möglichkeit des Vergessens nicht in Abrede stellen; sie
meint nur, und nicht mit Unrecht, aus dem unabsichtlichen Vergessen sei
ungefähr der nämliche Schluss auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie
aus der bewussten Ausflucht.

Ähnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unterschied zwischen
der Unterlassung durch Vergessen und der in Folge von Absicht
prinzipiell, und zwar mit Recht, vernachlässigt. Der Soldat _darf_ an
nichts vergessen, was der militärische Dienst von ihm fordert. Wenn er
doch daran vergisst, obwohl ihm die Forderung bekannt ist, so geht dies
so zu, dass sich den Motiven, die auf Erfüllung der militärischen
Forderung dringen, andere Gegenmotive entgegenstellen. Der Einjährige
etwa, der sich beim Rapport entschuldigen wollte, er habe _vergessen_,
seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe sicher. Aber diese Strafe
ist geringfügig zu nennen im Vergleich zu jener, der er sich aussetzte,
wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinem Vorgesetzten
eingestehen würde: „Der elende Gamaschendienst ist mir ganz zuwider.“
Wegen dieser Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam, bedient
er sich des Vergessens als Ausrede, oder kommt es als Kompromiss
zustande.

Frauendienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, dass alles zu ihnen
Gehörige dem Vergessen entrückt sein müsse, und erwecken so die Meinung,
Vergessen sei zulässig bei unwichtigen Dingen, während es bei wichtigen
Dingen ein Anzeichen davon sei, dass man sie wie unwichtige behandeln
wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreche. Der Gesichtspunkt der
psychischen Wertschätzung ist hier in der Tat nicht abzuweisen. Kein
Mensch vergisst Handlungen auszuführen, die ihm selbst wichtig
erscheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger Störung auszusetzen.
Unsere Untersuchung kann sich also nur auf das Vergessen von mehr oder
minder nebensächlichen Vorsätzen erstrecken; für ganz und gar
gleichgültig werden wir keinen Vorsatz erachten; denn in diesem Falle
wäre er wohl gewiss nicht gefasst worden.

Ich habe nun wie bei den früheren Funktionsstörungen die bei mir selbst
beobachteten Fälle von Unterlassung durch Vergessen gesammelt und
aufzuklären gesucht und hierbei ganz allgemein gefunden, dass sie auf
Einmengung unbekannter und uneingestandener Motive -- oder, wie man
sagen kann, auf einen _Gegenwillen_ -- zurückzuführen waren. In einer
Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisse
ähnlichen Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz
aufgegeben hatte, mich zu sträuben, so dass ich durch Vergessen gegen
ihn demonstrierte. Dazu gehört, dass ich besonders leicht vergesse, zu
Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeitsfeiern und Standeserhöhungen zu
gratulieren. Ich nehme es mir immer wieder vor und überzeuge mich immer
mehr, dass es mir nicht gelingen will. Ich bin jetzt im Begriffe, darauf
zu verzichten, und den Motiven, die sich sträuben, mit Bewusstsein Recht
zu geben. In einem Übergangsstadium habe ich einem Freund, der mich bat,
auch für ihn ein Glückwunschtelegramm zum bestimmten Termin zu besorgen,
vorher gesagt, ich würde an beide vergessen, und es war nicht zu
verwundern, dass die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit
schmerzlichen Lebenserfahrungen zusammen, dass ich nicht imstande bin,
Anteilnahme zu äussern, wo diese Äusserung notwendigerweise übertrieben
ausfallen muss, da für den geringen Betrag meiner Ergriffenheit der
entsprechende Ausdruck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt, dass ich
oft vorgebliche Sympathie bei anderen für echte genommen habe, befinde
ich mich in einer Auflehnung gegen diese Konventionen der
Mitgefühlsbezeugung, deren soziale Nützlichkeit ich andererseits
einsehe. Kondolenzen bei Todesfällen sind von dieser zwiespältigen
Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen entschlossen habe,
versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätigung mit
gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da findet sie ihren
Ausdruck auch niemals durch Vergessen gehemmt.

Ähnlich erklären sich durch den Widerstreit einer konventionellen
Pflicht und einer nicht eingestandenen inneren Schätzung die Fälle, in
denen man Handlungen auszuführen vergisst, die man einem anderen zu
seinen Gunsten auszuführen versprochen hat. Hier trifft es dann
regelmässig zu, dass nur der Versprecher an die entschuldigende Kraft
des Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel die
richtige Antwort gibt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er es
nicht vergessen. Es gibt Menschen, die man als allgemein vergesslich
bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt gelten lässt
wie etwa den Kurzsichtigen, wenn er auf der Strasse nicht grüsst.[18]
Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die sie gegeben,
lassen alle Aufträge unausgeführt, die sie empfangen haben, erweisen
sich also in kleinen Dingen als unverlässlich und erheben dabei die
Forderung, dass man ihnen diese kleineren Verstösse nicht übel nehmen,
d. h. nicht durch ihren Charakter erklären, sondern auf organische
Eigentümlichkeit zurückführen solle. Ich gehöre selbst nicht zu diesen
Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Handlungen einer solchen
Person zu analysieren, um durch die Auswahl des Vergessens die
Motivierung desselben aufzudecken. Ich kann mich aber der Vermutung per
analogiam nicht erwehren, dass hier ein ungewöhnlich grosses Mass von
nicht eingestandener Geringschätzung des anderen das Motiv ist, welches
das konstitutionelle Moment für seine Zwecke ausbeutet.

Bei anderen Fällen sind die Motive des Vergessens weniger leicht
aufzufinden und erregen, wenn gefunden, ein grösseres Befremden. So
merkte ich in früheren Jahren, dass ich bei einer grösseren Anzahl von
Krankenbesuchen nie an einen anderen Besuch vergesse als bei einem
Gratispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Beschämung hierüber habe
ich mir angewöhnt, die Besuche des Tages schon am Morgen als Vorsatz zu
notieren. Ich weiss nicht, ob andere Ärzte auf dem nämlichen Wege zu der
gleichen Übung gekommen sind. Aber man gewinnt so eine Ahnung davon, was
den sog. Neurastheniker veranlasst, die Mitteilungen, die er dem Arzt
machen will, auf dem berüchtigten »Zettel« zu notieren. Angeblich fehlt
es ihm an Zutrauen zur Reproduktionsleistung seines Gedächtnisses. Das
ist gewiss richtig, aber die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke
hat seine verschiedenen Beschwerden und Anfragen höchst langatmig
vorgebracht. Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment
Pause, darauf zieht er den Zettel hervor und sagt entschuldigend: Ich
habe mir etwas aufgeschrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der
Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er wiederholt jeden Punkt
und beantwortet ihn selbst: Ja, darnach habe ich schon gefragt. Er
demonstriert mit dem Zettel, wahrscheinlich nur eines seiner Symptome,
die Häufigkeit, mit der seine Vorsätze durch Einmengung dunkler Motive
gestört werden.

Ich rühre ferner an Leiden, an welchen auch der grössere Teil der mir
bekannten Gesunden krankt, wenn ich zugestehe, dass ich besonders in
früheren Jahren sehr leicht und für lange Zeit vergessen habe, entlehnte
Bücher zurückzugeben, oder dass es mir besonders leicht begegnet,
Zahlungen durch Vergessen aufzuschieben. Unlängst verliess ich eines
Morgens die Tabaktrafik, in welcher ich meinen täglichen Zigarreneinkauf
gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war eine höchst harmlose
Unterlassung, denn ich bin dort bekannt und konnte daher erwarten, am
nächsten Tag an die Schuld gemahnt zu werden. Aber die kleine
Versäumnis, der Versuch, Schulden zu machen, steht gewiss nicht ausser
Zusammenhang mit den Budgeterwägungen, die mich den Vortag über
beschäftigt hatten. In bezug auf das Thema von Geld und Besitz lassen
sich die Spuren eines zwiespältigen Verhaltens auch bei den meisten sog.
anständigen Menschen leicht nachweisen. Die primitive Gier des
Säuglings, der sich aller Objekte zu bemächtigen sucht (um sie zum Munde
zu führen), zeigt sich vielleicht allgemein als nur unvollständig durch
Kultur und Erziehung überwunden[19].

Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen Beispielen einfach _banal_
geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge
stosse, die jedermann bekannt sind, und die jeder in der nämlichen Weise
versteht, da ich bloss vorhabe, das Alltägliche zu sammeln und
wissenschaftlich zu verwerten. Ich sehe nicht ein, weshalb der Weisheit,
die Niederschlag der gemeinen Lebenserfahrung ist, die Aufnahme unter
die Erwerbungen der Wissenschaft versagt sein sollte. Nicht die
Verschiedenheit der Objekte, sondern die strengere Methode bei der
Feststellung und das Streben nach weitreichendem Zusammenhang machen den
wesentlichen Charakter der wissenschaftlichen Arbeit aus.

Für die Vorsätze von einigem Belang haben wir allgemein gefunden, dass
sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Motive gegen sie erheben.
Bei noch weniger wichtigen Vorsätzen erkennt man als zweiten Mechanismus
des Vergessens, dass ein Gegenwille sich von wo anders her auf den
Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem andern und dem Inhalt des
Vorsatzes eine _äusserliche_ Assoziation hergestellt worden ist. Hierzu
gehört folgendes Beispiel: Ich lege Wert auf schönes Löschpapier und
nehme mir vor, auf meinem heutigen Nachmittagsweg in die Stadt neues
einzukaufen. Aber an vier aufeinanderfolgenden Tagen vergesse ich daran,
bis ich mich befrage, welchen Grund diese Unterlassung hat. Ich finde
ihn dann leicht, nachdem ich mich besonnen habe, dass ich zwar
»Löschpapier« zu schreiben, aber »Fliesspapier« zu sagen gewöhnt bin.
»_Fliess_« ist der Name meines Freundes in Berlin, der mir in den
nämlichen Tagen Anlass zu einem quälenden, besorgten Gedanken gegeben
hat. Diesen Gedanken kann ich nicht los werden, aber die Abwehrneigung
(vgl. Seite 39) äussert sich, indem sie sich mittelst der Wortgleichheit
auf den indifferenten und darum wenig resistenten Vorsatz überträgt.

Direkter Gegenwille und entferntere Motivierung treffen in folgendem
Falle von Aufschub zusammen: In der Sammlung »Grenzfragen des Nerven-
und Seelenlebens« hatte ich eine kurze Abhandlung über den Traum
geschrieben, welche den Inhalt meiner »Traumdeutung« resümiert.
_Bergmann_ in Wiesbaden sendet eine Korrektur und bittet um umgehende
Erledigung, weil er das Heft noch vor Weihnachten ausgeben will. Ich
mache die Korrektur noch in der Nacht und lege sie auf meinen
Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen mitzunehmen. Am Morgen vergesse
ich daran, erinnere mich erst nachmittags beim Anblick des Kreuzbandes
auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse ich die Korrektur am
Nachmittag, am Abend und am nächsten Morgen, bis ich mich aufraffe und
am Nachmittag des zweiten Tages die Korrektur zu einem Briefkasten
trage, verwundert, was der Grund dieser Verzögerung sein mag. Ich will
sie offenbar nicht absenden, aber ich finde nicht, warum. Auf demselben
Spaziergang trete ich aber bei meinem Wiener Verleger, der auch das
Traumbuch publiziert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie
von einem plötzlichen Einfall getrieben: „Sie wissen doch, dass ich den
»Traum« ein zweites Mal geschrieben habe?“ -- „Ah, da würde ich doch
bitten.“ -- „Beruhigen Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die
_Löwenfeld-Kurella_sche Sammlung.“ Es war ihm aber doch nicht recht; er
besorgte, der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich
widersprach und fragte endlich: „Wenn ich mich früher an Sie gewendet
hätte, würden Sie mir die Publikation untersagt haben?“ -- „Nein, das
keineswegs.“ Ich glaube selbst, dass ich in meinem vollen Recht
gehandelt und nichts Anderes getan habe, als was allgemein üblich ist;
doch scheint es mir gewiss, dass ein ähnliches Bedenken, wie es der
Verleger äusserte, das Motiv meiner Zögerung war, die Korrektur
abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei
welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie
unvermeidlich, einige Blätter Text aus einer früheren, in anderem Verlag
erschienenen Arbeit über zerebrale Kinderlähmung unverändert in die
Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von _Nothnagel_ hinübernahm.
Dort findet aber der Vorwurf abermals keine Anerkennung; ich hatte auch
damals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der »Traumdeutung«)
loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe
noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlass vor,
den einer Übersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich
die bei einer Publikation in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt
habe. Ich hatte dem übersetzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für
diese Anmerkungen die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und
habe einige Jahre später Grund zur Annahme bekommen, dass der Autor mit
dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.

Es gibt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis verrät, dass das
Vergessen von Vorsätzen nichts Zufälliges ist. »Was man einmal zu tun
vergessen hat, das vergisst man dann noch öfter.«

  [13] Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzelheiten
  des damaligen ersten Besuches bewusst aufzutauchen.

  [14] Für vielerlei Zufälligkeiten, die man seit _Th. Vischer_ der
  „Tücke des Objekts“ zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen
  vorschlagen.

  [15] In den Tagen, während ich mit der Niederschrift dieser Seiten
  beschäftigt war, ist mir folgender, fast unglaublicher Fall von
  Vergessen widerfahren. Ich revidiere am 1. Januar mein ärztliches
  Buch, um meine Honorarrechnungen aussenden zu können, stosse dabei im
  Juni auf den Namen M....l und kann mich an eine zu ihm gehörige Person
  nicht erinnern. Mein Befremden wächst, indem ich beim Weiterblättern
  bemerke, dass ich den Fall in einem Sanatorium behandelt, und dass ich
  ihn durch Wochen täglich besucht habe. Einen Kranken, mit dem man sich
  unter solchen Bedingungen beschäftigt, vergisst man als Arzt nicht
  nach kaum sechs Monaten. Sollte es ein Mann, ein Paralytiker, ein Fall
  ohne Interesse gewesen sein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk
  über das empfangene Honorar kommt mir all die Kenntnis wieder, die
  sich der Erinnerung entziehen wollte. M....l war ein 14jähriges
  Mädchen gewesen, der merkwürdigste Fall meiner letzten Jahre, welcher
  mir eine Lehre hinterlassen, an die ich kaum je vergessen werde, und
  dessen Ausgang mir die peinlichsten Stunden bereitet hat. Das Kind
  erkrankte an unzweideutiger Hysterie, die sich auch unter meinen
  Händen rasch und gründlich besserte. Nach dieser Besserung wurde mir
  das Kind von den Eltern entzogen; es klagte noch über abdominale
  Schmerzen, denen die Hauptrolle im Symptombild der Hysterie zugefallen
  war. Zwei Monate später war es an Sarkom der Unterleibsdrüsen
  gestorben. Die Hysterie, zu der das Kind nebstbei prädisponiert war,
  hatte die Tumorbildung zur provozierenden Ursache genommen, und ich
  hatte, von den lärmenden aber harmlosen Erscheinungen der Hysterie
  gefesselt, vielleicht die ersten Anzeichen der schleichenden
  unheilvollen Erkrankung übersehen.

  [16] Vgl. _Hans Gross_, Kriminalpsychologie 1898.

  [17] Vgl. _Bernheim_, Neue Studien über Hypnotismus, Suggestion und
  Psychotherapie, 1892.

  [18] Frauen sind mit ihrem feinen Verständnis für unbewusste seelische
  Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn
  man sie auf der Strasse nicht erkennt, also nicht grüsst, als an die
  nächstliegenden Erklärungen zu denken, dass der Säumige kurzsichtig
  sei oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe. Sie schliessen,
  man hätte sie schon bemerkt, wenn man sich „etwas aus ihnen machen
  würde“.

  [19] Der Einheit des Themas zuliebe darf ich hier die gewählte
  Einteilung durchbrechen und dem oben Gesagten anschliessen, dass in
  bezug auf Geldsachen das Gedächtnis der Menschen eine besondere
  Parteilichkeit zeigt. Erinnerungstäuschungen, etwas bereits bezahlt zu
  haben, sind, wie ich von mir selbst weiss, oft sehr hartnäckig. Wo der
  gewinnsüchtigen Absicht abseits von den grossen Interessen der
  Lebensführung, und daher eigentlich zum Scherz, freier Lauf gelassen
  wird wie beim Kartenspiel, neigen die ehrlichsten Männer zu Irrtümern,
  Erinnerungs- und Rechenfehlern und finden sich selbst, ohne recht zu
  wissen wie, in kleine Betrügereien verwickelt. Auf solchen Freiheiten
  beruht nicht zum mindesten der psychisch erfrischende Charakter des
  Spiels. Das Sprichwort, dass man beim Spiel den Charakter des Menschen
  erkennt, ist zuzugeben, wenn man hinzufügen will: den unterdrückten
  Charakter. -- Wenn es unabsichtliche Rechenfehler bei Zahlkellnern
  noch gibt, so unterliegen sie offenbar derselben Beurteilung. -- Im
  Kaufmannsstande kann man häufig eine gewisse Zögerung in der
  Verausgabung von Geldsummen, bei der Bezahlung von Rechnungen und dgl.
  beobachten, die dem Eigner keinen Gewinn bringt, sondern nur
  psychologisch zu verstehen ist als eine Äusserung des Gegenwillens,
  Geld von sich zu tun. -- Mit den intimsten und am wenigsten klar
  gewordenen Regungen hängt es zusammen, wenn gerade Frauen eine
  besondere Unlust zeigen, den Arzt zu honorieren. Sie haben gewöhnlich
  ihr Portemonnaie vergessen, können darum in der Ordination nicht
  zahlen, vergessen dann regelmässig, das Honorar vom Hause aus zu
  schicken, und setzen es so durch, dass man sie umsonst -- „um ihrer
  schönen Augen willen“ -- behandelt hat. Sie zahlen gleichsam mit ihrem
  Anblick.



VII.

Das Vergreifen.


Der dankenswerten Arbeit von _Meringer_ und _Mayer_ entnehme ich noch
die Stelle (p. 98):

»Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie entsprechen den
Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten des Menschen sich oft einstellen
und ziemlich töricht »Vergesslichkeiten« genannt werden.«

Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den
kleinen Funktionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet.

Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung ist, eine
solche Auffassung zugelassen haben, so liegt es nahe, auf die Fehler
unserer sonstigen motorischen Verrichtungen die nämliche Erwartung zu
übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen gebildet; alle die
Fälle, in denen der Fehleffekt das Wesentliche scheint, also die
Abirrung von der Intention, bezeichne ich als »_Vergreifen_«, die
anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweckmässig erscheint,
benenne ich »_Symptom- und Zufallshandlungen_«. Die Scheidung ist aber
wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir kommen ja wohl zur Einsicht,
dass alle in dieser Abhandlung gebrauchten Einteilungen nur deskriptiv
bedeutsame sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes
widersprechen.

Das psychologische Verständnis des »Vergreifens« erfährt offenbar keine
besondere Förderung, wenn wir es der Ataxie und speziell der »kortikalen
Ataxie« subsumieren. Versuchen wir lieber, die einzelnen Beispiele auf
ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde wiederum
Selbstbeobachtungen hierzu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir
nicht besonders häufig finden.

a) In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch häufiger
machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, dass ich, vor der Türe, an
die ich klopfen oder läuten sollte, angekommen, die Schlüssel meiner
eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um -- sie dann fast beschämt wieder
einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies
der Fall war, so muss ich annehmen, die Fehlhandlung -- Schlüssel
herausziehen anstatt zu läuten -- bedeutete eine Huldigung für das Haus,
wo ich in diesen Missgriff verfiel. Sie war äquivalent dem Gedanken:
»Hier bin ich wie zu Hause«, denn sie trug sich nur zu, wo ich den
Kranken lieb gewonnen hatte. (An meiner eigenen Wohnungstür läute ich
natürlich niemals.) Die Fehlhandlung war also eine symbolische
Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewusste Annahme
bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiss der Nervenarzt genau,
dass der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil
von ihm erwartet, und dass er selbst nur zum Zweck der psychischen
Hilfeleistung ein übermässig warmes Interesse für seine Patienten bei
sich gewähren lässt.

b) In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zweimal täglich
zu festgesetzten Zeiten vor einer Türe im zweiten Stock auf Einlass
warte, ist es mir während dieses langen Zeitraums zweimal (mit einem
kurzen Intervall) geschehen, dass ich um einen Stock höher gegangen bin,
also mich »_verstiegen_« habe. Das eine mal befand ich mich in einem
ehrgeizigen Tagtraum, der mich »höher und immer höher steigen« liess.
Ich überhörte damals sogar, dass sich die fragliche Tür geöffnet hatte,
als ich den Fuss auf die ersten Stufen des dritten Stockwerks setzte.
Das anderemal ging ich wiederum »in Gedanken versunken« zu weit; als ich
es bemerkte, umkehrte und die mich beherrschende Phantasie zu erhaschen
suchte, fand ich, dass ich mich über eine (phantasierte) Kritik meiner
Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf gemacht wurde, dass ich
immer »zu weit ginge«, und in die ich nun den wenig respektvollen
Ausdruck »_verstiegen_« einzusetzen hatte.

c) Auf meinem Schreibtische liegen seit vielen Jahren neben einander ein
Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile ich nach Schluss der
Sprechstunde fort, weil ich einen bestimmten Stadtbahnzug erreichen
will, stecke bei vollem Tageslicht anstatt des Hammers die Stimmgabel in
die Rocktasche und werde durch die Schwere des die Tasche herabziehenden
Gegenstandes auf meinen Missgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so
kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewöhnt ist, wird ohne
Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Momentes erklären und
entschuldigen. Ich habe es trotzdem vorgezogen, mir die Frage zu
stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers
genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den
Griff richtig auszuführen, um nicht Zeit mit der Korrektur zu versäumen.

Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage, die
sich mir da aufdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein _idiotisches_ Kind,
bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindrücke prüfte, und das durch
die Stimmgabel so gefesselt wurde, dass ich sie ihm nur schwer
entreissen konnte. Soll das also heissen, ich sei ein Idiot? Allerdings
scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer assoziiert,
lautet »_Chamer_« (hebräisch: Esel).

Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muss hier die Situation befragen.
Ich eile zu einer Konsultation in einem Ort an der Westbahnstrecke, zu
einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten
vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der
mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob es sich um
Rückenmarksverletzung oder um traumatische Neurose -- Hysterie --
handle. Das soll ich nun entscheiden. Da wäre also eine Mahnung am
Platze, in der heiklen Differentialdiagnose besonders vorsichtig zu
sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man diagnostiziere viel zu
leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die
Beschimpfung ist noch nicht gerechtfertigt! Ja, es kommt hinzu, dass die
kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen
jungen Mann gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich
gehen konnte. Ich diagnostizierte damals Hysterie und nahm den Kranken
später in psychische Behandlung, und dann stellte es sich heraus, dass
ich freilich nicht unrichtig diagnostiziert hatte, aber auch nicht
richtig. Eine ganze Anzahl der Symptome des Kranken war hysterisch
gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber
hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastbarer Rest
sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen liess. Die
den Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Affektion
zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können,
aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen
der Heilung, das ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten.
Der Missgriff nach der Stimmgabel anstatt nach dem Hammer liess sich
also so in Worte übersetzen: Du Trottel, Du Esel, nimm Dich diesmal
zusammen, dass du nicht wieder eine Hysterie diagnostizierst, wo eine
unheilbare Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben Ort
vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch zum
Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer
spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem
idiotischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.

Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch
das Fehlgreifen vernehmlich macht. Zu solcher Verwendung als
Selbstvorwurf ist der Fehlgriff ganz besonders geeignet. Der Missgriff
hier will den Missgriff, den man anderswo begangen hat, darstellen.

d) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe
anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt
sehr selten vor, dass ich etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders
geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner
Nervmuskelapparate sind Gründe für so ungeschickte Bewegungen mit
unerwünschtem Erfolg bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiss also kein
Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je zerschlagen
hätte. Ich bin durch die Enge in meinem Studierzimmer oft genötigt, in
den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton- und
Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so
dass Zuschauer die Besorgnis ausdrücken, ich würde etwas
herunterschleudern und zerschlagen. Es ist aber niemals geschehen. Warum
habe ich also unlängst den marmornen Deckel meines einfachen
Tintengefässes zu Boden geworfen, so dass er zerbrach?

Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor, die
für die Aufnahme des gläsernen Tintenfässchens ausgehöhlt ist; das
Tintenfass trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz
von Bronzestatuetten und Terrakotta-Figürchen ist hinter diesem
Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben,
mache mit der Hand, welche den Federstiel hält, eine merkwürdig
ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel des
Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung
ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im
Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie
sehr schön und äusserte dann: „Jetzt sieht Dein Schreibtisch wirklich
hübsch aus, nur das Tintenzeug passt nicht dazu. Du musst ein schöneres
haben.“ Ich begleitete die Schwester hinaus und kam erst nach Stunden
zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an dem verurteilten
Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloss ich etwa aus den Worten der
Schwester, dass sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen
Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeug zu beschenken, und zerschlug
das unschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht
zu nötigen? Wenn dem so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur
scheinbar ungeschickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und
zielbewusst und verstand es, allen wertvolleren in der Nähe befindlichen
Objekten schonend auszuweichen.

Ich glaube wirklich, dass man diese Beurteilung für eine ganze Reihe von
anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muss. Es ist
richtig, dass diese etwas Gewaltsames, Schleuderndes, wie
Spastisch-ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von
einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit,
die man den bewusst willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen
kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit, haben
sie übrigens mit den motorischen Äusserungen der hysterischen Neurose
und zum Teil auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulismus
gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche unbekannte
Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.

Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen derselben scheint
sehr häufig zum Ausdruck unbewusster Gedankengänge verwendet zu werden,
wie man gelegentlich durch Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den
abergläubisch oder scherzhaft daran geknüpften Deutungen im Volksmunde
erraten möchte. Es ist bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschütten
von Salz, Umwerfen eines Weinglases, Steckenbleiben eines zu Boden
gefallenen Messers u. dgl. knüpfen. Welches Anrecht auf Beachtung solche
abergläubische Deutungen haben, werde ich erst an späterer Stelle
erörtern; hierher gehört nur die Bemerkung, dass die einzelne
ungeschickte Verrichtung keineswegs einen konstanten Sinn hat, sondern
je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als Darstellungsmittel
bietet.

Wenn dienende Personen gebrechliche Gegenstände durch Fallenlassen
vernichten, so wird man an eine psychologische Erklärung hiefür gewiss
nicht in erster Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler
Motive nicht unwahrscheinlich. Nichts liegt dem Ungebildeten ferner als
die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke. Eine dumpfe Feindseligkeit
gegen deren Erzeugnisse beherrscht unser dienendes Volk, zumal wenn die
Gegenstände, deren Wert sie nicht einsehen, eine Quelle von
Arbeitsanforderung für sie werden. Leute von derselben Bildungsstufe und
Herkunft zeichnen sich dagegen in wissenschaftlichen Instituten oft
durch grosse Geschicklichkeit und Verlässlichkeit in der Handhabung
heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnen haben, sich mit ihrem Herrn
zu identifizieren und sich zum wesentlichen Personal des Instituts zu
rechnen.

Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten, braucht
gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorischer
Aktion gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppelsinn dieser Ausdrücke
weist bereits auf die Art von verhaltenen Phantasien hin, die sich durch
solches Aufgeben des Körpergleichgewichts darstellen können. Ich
erinnere mich an eine Anzahl von leichteren nervösen Erkrankungen bei
Frauen und Mädchen, die nach einem Fall ohne Verletzung aufgetreten
waren und als traumatische Hysterie zufolge des Schrecks beim Falle
aufgefasst wurden. Ich bekam schon damals den Eindruck, als ob die Dinge
anders zusammenhingen, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung
der Neurose und ein Ausdruck derselben unbewussten Phantasien sexuellen
Inhalts gewesen, die man als die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen
vermuten darf. Sollte dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen,
welches lautet: „Wenn eine Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken“?

e) Dass zufällige Aktionen eigentlich absichtliche sind, wird auf keinem
anderen Gebiete eher Glauben finden als auf dem der sexuellen
Betätigung, wo die Grenze zwischen beiderlei Arten sich wirklich zu
verwischen scheint. Dass eine scheinbar ungeschickte Bewegung höchst
raffiniert zu sexuellen Zwecken ausgenutzt werden kann, davon habe ich
vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich traf
in einem befreundeten Hause ein als Gast angelangtes junges Mädchen,
welches ein längst für erloschen gehaltenes Wohlgefallen bei mir erregte
und mich darum heiter, gesprächig und zuvorkommend stimmte. Ich habe
damals auch nachgeforscht, auf welchen Bahnen dies zuging; ein Jahr
vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl gelassen. Als nun der Onkel des
Mädchens, ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat, sprangen wir beide auf,
um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen. Sie war behender
als ich, wohl auch dem Objekt näher; so hatte sie sich zuerst des
Sessels bemächtigt und trug ihn mit der Lehne nach rückwärts, beide
Hände auf die Sesselränder gelegt, vor sich hin. Indem ich später
hinzutrat und den Anspruch, den Sessel zu tragen, doch nicht aufgab,
stand ich plötzlich dicht hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um
sie geschlungen, und die Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem
Schoss. Ich löste natürlich die Situation ebenso rasch, als sie
entstanden war. Es schien auch keinem aufzufallen, wie geschickt ich
diese ungeschickte Bewegung ausgebeutet hatte.

Gelegentlich habe ich mir auch sagen müssen, dass das ärgerliche,
ungeschickte Ausweichen auf der Strasse, wobei man durch einige Sekunden
hin und her, aber doch stets nach der nämlichen Seite wie der oder die
Andere, Schritte macht, bis endlich beide vor einander stehen bleiben,
dass auch dieses »den Weg Vertreten« ein unartig provozierendes Benehmen
früherer Jahre wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der
Ungeschicklichkeit verfolgt. Aus meinen Psychoanalysen Neurotischer
weiss ich, dass die sogenannte Naivität junger Leute und Kinder häufig
nur solch eine Maske ist, um das Unanständige unbeirrt durch Genieren
aussprechen oder tun zu können.

f) Die Effekte, die durch das Fehlgreifen normaler Menschen zustande
kommen, sind in der Regel von harmlosester Art. Gerade darum wird sich
ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob Fehlgriffe von
erheblicher Tragweite, die von bedeutsamen Folgen begleitet sein können,
wie z. B. die des Arztes oder Apothekers, nach irgend einer Richtung
unter unsere Gesichtspunkte fallen.

Da ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche Eingriffe vorzunehmen,
habe ich nur über ein Beispiel von ärztlichem Vergreifen aus eigener
Erfahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame, die ich seit Jahren
zweimal täglich besuche, beschränkt sich meine ärztliche Tätigkeit beim
Morgenbesuch auf zwei Akte: ich träufle ihr ein paar Tropfen Augenwasser
ins Auge und gebe ihr eine Morphiuminjektion. Zwei Fläschchen, ein
blaues für das Kollyrium und ein weisses mit der Morphinlösung, sind
regelmässig vorbereitet. Während der beiden Verrichtungen beschäftigen
sich meine Gedanken wohl meist mit etwas anderem; das hat sich eben
schon so oft wiederholt, dass die Aufmerksamkeit sich wie frei benimmt.
Eines Morgens bemerkte ich, dass der Automat falsch gearbeitet hatte,
das Tropfröhrchen hatte ins weisse anstatt ins blaue Fläschchen
eingetaucht und nicht Kollyrium, sondern Morphin ins Auge geträufelt.
Ich erschrak heftig und beruhigte mich dann durch die Überlegung, dass
einige Tropfen einer zweiprozentigen Morphinlösung auch im Bindehautsack
kein Unheil anzurichten vermögen. Die Schreckempfindung war offenbar
anderswoher abzuleiten.

Bei dem Versuch, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir zunächst
die Phrase ein: „sich an der Alten vergreifen“, die den kurzen Weg zur
Lösung weisen konnte. Ich stand unter dem Eindrucke eines Traumes, den
mir am Abend vorher ein junger Mann erzählt hatte, dessen Inhalt sich
nur auf sexuellen Verkehr mit der eigenen Mutter deuten liess.[20] Die
Sonderbarkeit, dass die Sage keinen Anstoss an dem Alter der Königin
Jokaste nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis zu stimmen, dass es sich
bei der Verliebtheit in die eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige
Person handelt, sondern um ihr jugendliches Erinnerungsbild aus den
Kinderjahren. Solche Inkongruenzen stellen sich immer heraus, wo eine
zwischen zwei Zeiten schwankende Phantasie bewusst gemacht und dadurch
an eine bestimmte Zeit gebunden wird. In Gedanken solcher Art versunken
kam ich zu meiner über neunzigjährigen Patientin, und ich muss wohl auf
dem Wege gewesen sein, den allgemein menschlichen Charakter der
Oedipusfabel als das Korrelat des Verhängnisses, das sich in den Orakeln
äussert, zu erfassen, denn ich vergriff mich dann „bei oder an der
Alten“. Indes dies Vergreifen war wiederum harmlos; ich hatte von den
beiden möglichen Irrtümern, die Morphinlösung fürs Auge zu verwenden,
oder das Augenwasser zur Injektion zu nehmen, den bei weitem harmloseren
gewählt. Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlgriffen, die
schweren Schaden stiften können, in ähnlicher Weise wie bei den hier
behandelten eine unbewusste Absicht in Erwägung ziehen darf.

Hier lässt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche, und
ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen. Es ist bekannt,
dass bei den schwereren Fällen von Psychoneurose Selbstbeschädigungen
gelegentlich als Krankheitssymptome auftreten, und dass der Ausgang des
psychischen Konfliktes in Selbstmord bei ihnen niemals auszuschliessen
ist. Ich habe nun erfahren, und werde es eines Tages durch gut
aufgeklärte Beispiele belegen, dass viele scheinbar zufällige
Schädigungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbstbeschädigungen
sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur Selbstbestrafung, die
sich sonst als Selbstvorwurf äussert, oder ihren Beitrag zur
Symptombildung stellt, eine zufällig gebotene äussere Situation
geschickt ausnützt, oder ihr etwa noch bis zur Erreichung des
gewünschten schädigenden Effektes nachhilft. Solche Vorkommnisse sind
auch bei mittelschweren Fällen keineswegs selten, und sie verraten den
Anteil der unbewussten Absicht durch eine Reihe von besonderen Zügen,
z. B. durch die auffällige Fassung, welche die Kranken bei dem
angeblichen Unglücksfalle bewahren.[21]

Wer an das Vorkommen von halb absichtlicher Selbstbeschädigung -- wenn
der ungeschickte Ausdruck gestattet ist -- glaubt, der wird dadurch
vorbereitet anzunehmen, dass es ausser dem bewusst absichtlichen
Selbstmord auch halb absichtliche Selbstvernichtung -- mit unbewusster
Absicht -- gibt, die eine Lebensbedrohung geschickt auszunützen und sie
als zufällige Verunglückung zu maskieren weiss. Eine solche braucht
keineswegs selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbstvernichtung ist
bei sehr viel mehr Menschen in einer gewissen Stärke vorhanden, als bei
denen sie sich durchsetzt; die Selbstbeschädigungen sind in der Regel
ein Kompromiss zwischen diesem Trieb und den ihm noch entgegenwirkenden
Kräften, und auch wo es wirklich zum Selbstmord kommt, da ist die
Neigung dazu eine lange Zeit vorher in geringerer Stärke oder als
unbewusste und unterdrückte Tendenz vorhanden gewesen.

Auch die bewusste Selbstmordabsicht wählt ihre Zeit, Mittel und
Gelegenheit: es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewusste einen
Anlass abwartet, der einen Teil der Verursachung auf sich nehmen und sie
durch Inanspruchnahme der Abwehrkräfte des Individuums von ihrer
Bedrückung frei machen kann.[22] Es sind keineswegs müssige Erwägungen,
die ich da vorbringe; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend
zufälligem Verunglücken (zu Pferde oder aus dem Wagen) bekannt geworden,
dessen nähere Umstände den Verdacht auf unbewusst zugelassenen
Selbstmord rechtfertigen. Da stürzt z. B. während eines
Offizierswettrennens ein Offizier vom Pferde und verletzt sich so
schwer, dass er mehrere Tage nachher erliegt. Sein Benehmen, nachdem er
zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch bemerkenswerter
ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief verstimmt durch den Tod
seiner geliebten Mutter, wird von Weinkrämpfen in der Gesellschaft
seiner Kameraden befallen, er äussert Lebensüberdruss gegen seine
vertrauten Freunde, will den Dienst quittieren, um an einem Kriege in
Afrika Anteil zu nehmen, der ihn sonst nicht berührt[23]; früher ein
schneidiger Reiter, weicht er jetzt dem Reiten aus, wo es nur möglich
ist. Vor dem Wettrennen endlich, dem er sich nicht entziehen kann,
äussert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei unserer Auffassung
nicht mehr verwundern, dass diese Ahnung Recht behielt. Man wird mir
entgegenhalten, es sei ja ohne weiteres verständlich, dass ein Mensch in
solcher nervöser Depression das Tier nicht zu meistern versteht wie in
gesunden Tagen. Ich bin ganz einverstanden; nur möchte ich den
Mechanismus dieser motorischen Hemmung durch die Nervosität in der hier
betonten Selbstvernichtungsabsicht suchen.

Wenn so ein Wüten gegen die eigene Integrität und das eigene Leben
hinter anscheinend zufälliger Ungeschicklichkeit und motorischer
Unzulänglichkeit verborgen sein kann, so braucht man keinen grossen
Schritt mehr zu tun, um die Übertragung der nämlichen Auffassung auf
Fehlgriffe möglich zu finden, welche Leben und Gesundheit anderer
ernstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die Triftigkeit
dieser Auffassung vorbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern
entnommen, deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde
über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgriff,
sondern, was man eher eine Symptom- oder Zufallshandlung nennen kann,
auf die Spur brachte, welche dann die Lösung des Konflikts bei dem
Patienten ermöglichte. Ich übernahm es einmal, die Ehe eines sehr
intelligenten Mannes zu bessern, dessen Misshelligkeiten mit seiner ihn
zärtlich liebenden jungen Frau sich gewiss auf reale Begründungen
berufen konnten, aber wie er selbst zugab, durch diese nicht voll
erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken der
Scheidung, den er dann wieder verwarf, weil er seine beiden kleinen
Kinder zärtlich liebte. Trotzdem kam er immer wieder auf den Vorsatz
zurück und versuchte dabei kein Mittel, um sich die Situation erträglich
zu gestalten. Solches Nichtfertigwerden mit einem Konflikt gilt mir als
Beweis dafür, dass sich unbewusste und verdrängte Motive zur Verstärkung
der mit einander streitenden bewussten bereit gefunden haben, und ich
unternehme es in solchen Fällen, den Konflikt durch psychische Analyse
zu beenden. Der Mann erzählte mir eines Tages von einem kleinen Vorfall,
der ihn aufs äusserste erschreckt hatte. Er »hetzte« mit seinem älteren
Kind, dem weitaus geliebteren, hob es hoch und liess es nieder und
einmal an solcher Stelle und so hoch, dass das Kind mit dem Scheitel
fast an den schwer herabhängenden Gasluster angestossen hätte. _Fast_,
aber doch eigentlich nicht oder gerade eben noch! Dem Kind war nichts
geschehen, aber es wurde vor Schreck schwindlig. Der Vater blieb
entsetzt mit dem Kinde im Arme stehen, die Mutter bekam einen
hysterischen Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser
unvorsichtigen Bewegung, die Heftigkeit der Reaktion bei den Eltern
legten es mir nahe, in dieser Zufälligkeit eine Symptomhandlung zu
suchen, welche eine böse Absicht gegen das geliebte Kind zum Ausdruck
bringen sollte. Den Widerspruch gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses
Vaters zu seinem Kinde konnte ich mildern, wenn ich den Impuls zur
Schädigung in die Zeit zurückverlegte, da dieses Kind das einzige und so
klein gewesen war, dass sich der Vater noch nicht zärtlich für dasselbe
zu interessieren brauchte. Dann hatte ich es leicht, anzunehmen, dass
der von seiner Frau wenig befriedigte Mann damals den Gedanken gehabt
oder den Vorsatz gefasst: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar
nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau
scheiden lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten
Wesens musste also unbewusst weiterbestehen. Von hier ab war der Weg zur
unbewussten Fixierung dieses Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige
Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des
Patienten, dass der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter der
Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Auseinandersetzungen
zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte. Der weitere
Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Kombination auch durch
den therapeutischen Erfolg.

  [20] Des _Oedipus-Traumes_, wie ich ihn zu nennen pflege, weil er den
  Schlüssel zum Verständnis der Sage von König Oedipus enthält. Im Text
  des Sophokles ist die Beziehung auf einen solchen Traum der Jokaste in
  den Mund gelegt. (Vgl. „Traumdeutung“, p. 182.)

  [21] Die Selbstbeschädigung, die nicht voll auf Selbstvernichtung
  hinzielt, hat in unserem gegenwärtigen Kulturzustand überhaupt keine
  andere Wahl, als sich hinter der Zufälligkeit zu verbergen, oder sich
  durch Simulation einer spontanen Erkrankung durchzusetzen. Früher
  einmal war sie ein gebräuchliches Zeichen der Trauer; zu anderen
  Zeiten konnte sie Ideen der Frömmigkeit und Weltentsagung Ausdruck
  geben.

  [22] Der Fall ist dann schliesslich kein anderer als der des sexuellen
  Attentats auf eine Frau, bei dem der Angriff des Mannes nicht durch
  die volle Muskelkraft des Weibes abgewehrt werden kann, weil ihm ein
  Teil der unbewussten Regungen der Angegriffenen fördernd entgegen
  kommt. Man sagt ja wohl, eine solche Situation _lähme_ die Kräfte der
  Frau; man braucht dann nur noch die Gründe für diese Schwächung
  hinzufügen. Insofern ist der geistreiche Richterspruch des _Sancho
  Pansa_, den er als Gouverneur auf seiner Insel fällt, psychologisch
  ungerecht. (Don Quijote II. T. Kap. XLV.) Eine Frau zerrt einen Mann
  vor den Richter, der sie angeblich gewaltsam ihrer Ehre beraubt hat.
  _Sancho_ entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem
  Angeklagten abnimmt, und gibt diesem nach dem Abgange der Frau die
  Erlaubnis, ihr nachzueilen und ihr die Börse wieder zu entreissen. Sie
  kommen beide ringend wieder, und die Frau berühmt sich, dass der
  Bösewicht nicht imstande gewesen sei, sich der Börse zu bemächtigen.
  Darauf _Sancho_: Hättest Du Deine Ehre halb so ernsthaft verteidigt
  wie diese Börse, so hätte sie Dir der Mann nicht rauben können.

  [23] Dass die Situation des Schlachtfeldes eine solche ist, wie sie
  der bewussten Selbstmordabsicht entgegenkommt, die doch den direkten
  Weg scheut, ist einleuchtend. Vgl. im „_Wallenstein_“ die Worte des
  schwedischen Hauptmanns über den Tod des Max Piccolomini: „Man sagt,
  er wollte sterben“.



VIII.

Symptom- und Zufallshandlungen.


Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Ausführung einer
unbewussten Absicht erkannten, traten als Störungen anderer
beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem Vorwand der
Ungeschicklichkeit. Die Zufallshandlungen, von denen jetzt die Rede sein
soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, dass sie
die Anlehnung an eine bewusste Intention verschmähen und also des
Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen,
weil man Zweck und Absicht bei ihnen nicht vermutet. Man führt sie aus,
„ohne sich etwas bei ihnen zu denken“, nur „rein zufällig“, „wie um die
Hände zu beschäftigen“, und man rechnet darauf, dass solche Auskunft der
Nachforschung nach der Bedeutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um
sich dieser Ausnahmsstellung erfreuen zu können, müssen diese
Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeschicklichkeit in
Anspruch nehmen, bestimmte Bedingungen erfüllen; sie müssen
_unauffällig_ und ihre Effekte müssen geringfügig sein.

Ich habe eine grosse Anzahl solcher Zufallshandlungen bei mir und
anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Untersuchung der einzelnen
Beispiele, dass sie eher den Namen von _Symptomhandlungen_ verdienen.
Sie bringen etwas zum Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen
vermutet, und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu
behalten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher
betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.

Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptomhandlungen erhält
man allerdings bei der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker. Ich
kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen dieser Herkunft zu
zeigen, wie weit und wie fein die Determinierung dieser unscheinbaren
Vorkommnisse durch unbewusste Gedanken getrieben ist. Die Grenze der
Symptomhandlungen gegen das Vergreifen ist so wenig scharf, dass ich
diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt hätte unterbringen können.

a) Eine junge Frau erzählte als Einfall während der Sitzung, dass sie
sich gestern beim Nägelschneiden „ins Fleisch geschnitten, während sie
das feine Häutchen im Nagelbett abzutragen bemüht war“. Das ist so wenig
interessant, dass man sich verwundert fragt, wozu es überhaupt erinnert
und erwähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer
Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich der Ringfinger, an dem das
kleine Ungeschick vorfiel, der Finger, an dem man den Ehering trägt. Es
war überdies ihr Hochzeitstag, was der Verletzung des feinen Häutchens
einen ganz bestimmten, leicht zu erratenden Sinn verleiht. Sie erzählt
auch gleichzeitig einen Traum, der auf die Ungeschicklichkeit ihres
Mannes und auf ihre Anästhesie als Frau anspielt. Warum war es aber der
Ringfinger der linken Hand, an dem sie sich verletzte, da man doch den
Ehering an der rechten Hand trägt? Ihr Mann ist Jurist, »Doktor der
Rechte«, und ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt
(scherzhaft: »Doktor der Linke«) gehört. Eine Ehe zur linken Hand hat
auch ihre bestimmte Bedeutung.

b) Eine unverheiratete junge Dame erzählt: „Ich habe gestern ganz
unabsichtlich eine 100 Guldennote in zwei Stücke gerissen und die Hälfte
davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll das auch eine
Symptomhandlung sein?“ Die genauere Erforschung deckt folgende
Einzelheiten auf: Die Hundertguldennote: Sie widmet einen Teil ihrer
Zeit und ihres Vermögens wohltätigen Werken. Gemeinsam mit einer anderen
Dame sorgt sie für die Erziehung eines verwaisten Kindes. Die 100 Gulden
sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Couvert
einschloss und vorläufig auf ihren Schreibtisch niederlegte.

Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer anderen
Wohltätigkeitsaktion beisteht. Diese Dame wollte eine Reihe von Namen
von Personen notieren, an die man sich um Unterstützung wenden könnte.
Es fehlte an Papier, da griff meine Patientin nach dem Couvert auf ihrem
Schreibtisch und riss es, ohne sich an seinen Inhalt zu besinnen, in
zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt, um ein Duplikat der
Namensliste zu haben, das andere ihrer Besucherin übergab. Man bemerke
die Harmlosigkeit dieses unzweckmässigen Vorgehens. Eine
Hundertguldennote erleidet bekanntlich keine Einbusse an ihrem Werte,
wenn sie zerrissen wird, falls sie sich aus den Rissstücken vollständig
zusammensetzen lässt. Dass die Dame das Stück Papier nicht wegwerfen
würde, war durch die Wichtigkeit der darauf stehenden Namen verbürgt,
und ebensowenig litt es einen Zweifel, dass sie den wertvollen Inhalt
zurückstellen würde, sobald sie ihn bemerkt.

Welchem unbewussten Gedanken sollte aber diese Zufallshandlung, die sich
durch ein Vergessen ermöglichte, Ausdruck geben? Die besuchende Dame
hatte eine ganz bestimmte Beziehung zu unserer Kur. Es war dieselbe, die
mich seinerzeit dem leidenden Mädchen als Arzt empfohlen, und wenn ich
nicht irre, hält sich meine Patientin zum Dank für diesen Rat
verpflichtet. Soll die halbierte Hundertguldennote etwa ein Honorar für
diese Vermittlung darstellen? Das bliebe noch recht befremdlich.

Es kommt aber anderes Material hinzu. Einige Tage vorher hatte eine
Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt, ob das
gnädige Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn machen
wolle, und am Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der Dame, war der
Werbebrief des Freiers eingetroffen, der viel Anlass zur Heiterkeit
gegeben hatte. Als nun die Dame das Gespräch mit einer Erkundigung nach
dem Befinden meiner Patientin eröffnete, konnte sie wohl gedacht haben:
„Den richtigen Arzt hast Du mir zwar empfohlen, wenn Du mir aber zum
richtigen Mann (und dahinter: zu einem Kind) verhelfen könntest, wäre
ich Dir doch dankbarer.“ Von diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus
flossen ihr die beiden Vermittlerinnen in eins zusammen, und sie
überreichte der Besucherin das Honorar, das ihre Phantasie der anderen
zu geben bereit war. Völlig verbindlich wird diese Lösung, wenn ich
hinzufüge, dass ich ihr erst am Abend vorher von solchen Zufalls- oder
Symptomhandlungen erzählt hatte. Sie bediente sich dann der nächsten
Gelegenheit, um etwas Analoges zu produzieren.

Eine Gruppierung der so überaus häufigen Zufalls- und Symptomhandlungen
könnte man vornehmen, je nachdem sie gewohnheitsmässig, regelmässig
unter gewissen Umständen, oder vereinzelt erfolgen. Die ersteren (wie
das Spielen mit der Uhrkette, das Zwirbeln am Bart etc.), die fast zur
Charakteristik der betreffenden Personen dienen können, streifen an die
mannigfaltigen Tikbewegungen und verdienen wohl im Zusammenhange mit
letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten Gruppe rechne ich das
Spielen, wenn man einen Stock, das Kritzeln, wenn man einen Bleistift in
der Hand hält, das Klimpern mit Münzen in der Tasche, das Kneten von
Teig und anderen plastischen Stoffen, allerlei Hantierungen an seiner
Gewandung u. dgl. mehr. Unter diesen spielenden Beschäftigungen
verbergen sich während der psychischen Behandlung regelmässig Sinn und
Bedeutung, denen ein anderer Ausdruck versagt ist. Gewöhnlich weiss die
betreffende Person nichts davon, dass sie dergleichen tut, oder dass sie
gewisse Modifikationen an ihrem gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat,
und sie übersieht und überhört auch die Effekte dieser Handlungen. Sie
hört z. B. das Geräusch nicht, das sie beim Klimpern mit Geldstücken
hervorbringt, und benimmt sich wie erstaunt und ungläubig, wenn man sie
darauf aufmerksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft ohne es zu
merken, mit seinen Kleidern vornimmt, bedeutungsvoll und der Beachtung
des Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzuges, jede kleine
Nachlässigkeit, wie etwa ein nicht schliessender Knopf, jede Spur von
Entblössung will etwas besagen, was der Eigentümer der Kleidung nicht
direkt sagen will, meist gar nicht zu sagen weiss. Die Deutungen dieser
kleinen Zufallshandlungen, sowie die Beweise für diese Deutungen ergeben
sich jedesmal mit zureichender Sicherheit aus den Begleitumständen
während der Sitzung, aus dem eben behandelten Thema und aus den
Einfällen, die sich einstellen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die
anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammenhanges unterlasse
ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von Beispielen mit Analyse
zu unterstützen; ich erwähne diese Dinge aber, weil ich glaube, dass sie
bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten.

Ich kann etwa aus meiner psychotherapeutischen Erfahrung einen Fall
erzählen, in dem die mit einem Klumpen Brotkrume spielende Hand eine
beredte Aussage ablegte. Mein Patient war ein noch nicht 13j., seit fast
zwei Jahren schwer hysterischer Knabe, den ich endlich in
psychoanalytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt in
einer Wasserheilanstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er musste nach
meiner Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und seiner
Altersstufe entsprechend von sexuellen Fragen gequält sein; ich hütete
mich aber, ihm mit Aufklärungen zur Hilfe zu kommen, weil ich wieder
einmal eine Probe auf meine Voraussetzungen anstellen wollte. Ich durfte
also neugierig sein, auf welchem Wege sich das Gesuchte bei ihm andeuten
würde. Da fiel es mir auf, dass er eines Tages irgend etwas zwischen den
Fingern der rechten Hand rollte, damit in die Tasche fuhr, dort weiter
spielte, es wieder hervorzog etc. Ich fragte nicht, was er in der Hand
habe; er zeigte es mir aber, indem er plötzlich die Hand öffnete. Es war
Brotkrume, die zu einem Klumpen zusammengeknetet war. In der nächsten
Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, formte aber aus
ihm, während wir das Gespräch führten, mit unglaublicher Raschheit und
bei geschlossenen Augen Figuren, die mein Interesse erregten. Es waren
unzweifelhaft Männchen mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen, wie die
rohesten prähistorischen Idole, und einem Fortsatz zwischen beiden
Beinen, den er in eine lange Spitze auszog. Kaum dass dieser gefertigt
war, knetete er das Männchen wieder zusammen; später liess er es
bestehen, zog aber einen ebensolchen Fortsatz an der Rückenfläche und an
anderen Stellen aus, um die Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich
wollte ihm zeigen, dass ich ihn verstanden habe, ihm aber dabei die
Ausflucht benehmen, dass er sich bei dieser Menschen formenden Tätigkeit
nichts gedacht habe. In dieser Absicht fragte ich ihn plötzlich, ob er
sich an die Geschichte jenes römischen Königs erinnere, der dem
Abgesandten seines Sohnes eine pantomimische Antwort im Garten gegeben.
Der Knabe wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so viel
kürzerer Zeit als ich gelernt haben musste. Er fragte, ob das die
Geschichte von dem Sklaven sei, auf dessen glattrasierten Schädel man
die Antwort geschrieben habe. Nein, das gehört in die griechische
Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König Tarquinius Priscus hatte
seinen Sohn Sextus veranlasst, sich in eine feindliche latinische Stadt
einzuschleichen. Der Sohn, der sich unterdes Anhang in dieser Stadt
verschafft hatte, schickte einen Boten an den König mit der Frage, was
nun weiter geschehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in
seinen Garten, liess sich dort die Frage wiederholen und schlug
schweigend die grössten und schönsten Mohnköpfe ab. Dem Boten blieb
nichts übrig als dieses dem Sextus zu berichten, der den Vater verstand
und es sich angelegen sein liess, die angesehensten Bürger der Stadt
durch Mord zu beseitigen.

Während ich redete, hielt der Knabe in seinem Kneten inne, und als ich
mich anschickte zu erzählen, was der König in seinem Garten tat, schon
bei den Worten »schlug schweigend«, hatte er mit einer blitzschnellen
Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen. Er hatte mich also
verstanden und gemerkt, dass er von mir verstanden worden war. Ich
konnte ihn nun direkt befragen, gab ihm die Auskünfte, um die es ihm zu
tun war, und wir hatten binnen kurzem der Neurose ein Ende gemacht.

Von den vereinzelten Zufallshandlungen will ich ein Beispiel mitteilen,
welches auch ohne Analyse eine tiefere Deutung zuliess, das die
Bedingungen trefflich erläutert, unter denen solche Symptome vollkommen
unauffällig produziert werden können, und an das sich eine praktisch
bedeutsame Bemerkung anknüpfen lässt. Auf einer Sommerreise traf es
sich, dass ich einige Tage an einem gewissen Orte auf die Ankunft meines
Reisegefährten zu warten hatte. Ich machte unterdes die Bekanntschaft
eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien und
sich bereitwillig mir anschloss. Da wir in demselben Hôtel wohnten,
fügte es sich leicht, dass wir alle Mahlzeiten gemeinsam einnahmen und
Spaziergänge miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte
er mir plötzlich mit, dass er heute abends seine mit dem Eilzuge
anlangende Frau erwarte. Mein psychologisches Interesse wurde nun rege,
denn es war mir an meinem Gesellschafter bereits am Vormittag
aufgefallen, dass er meinen Vorschlag zu einer grösseren Partie
zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaziergang einen gewissen Weg
als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf dem
Nachmittagsspaziergang behauptete er plötzlich, ich müsste doch hungrig
sein, ich sollte doch ja nicht seinetwegen die Abendmahlzeit
aufschieben, er werde erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend
essen. Ich verstand den Wink und setzte mich an den Tisch, während er
auf den Bahnhof ging. Am nächsten Morgen trafen wir uns in der Vorhalle
des Hôtels. Er stellte mir seine Frau vor und fügte hinzu: Sie werden
doch mit uns das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung
in der nächsten Strasse vor und versicherte, ich würde bald nachkommen.
Als ich dann in den Frühstückssaal trat, sah ich, dass das Paar an einem
kleinen Fenstertisch Platz genommen hatte, auf dessen einer Seite sie
beide sassen. Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber über
dessen Lehne hing der grosse und schwere Lodenmantel des Mannes herab,
den Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser gewiss
nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren Lagerung. Es
hiess: für Dich ist hier kein Platz, Du bist jetzt überflüssig. Der Mann
bemerkte es nicht, dass ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu
setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort anstiess und ihm
zuflüsterte: Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.

Bei diesem wie bei anderen ähnlichen Erlebnissen habe ich mir gesagt,
dass die unabsichtlich ausgeführten Handlungen unvermeidlich zur Quelle
von Missverständnissen im menschlichen Verkehr werden müssen. Der Täter,
der von einer mit ihnen verknüpften Absicht nichts weiss, rechnet sich
dieselben nicht an und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der
andere hingegen erkennt, indem er regelmässig auch solche Handlungen
seines Partners zu Schlüssen über dessen Absichten und Gesinnungen
verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als dieser
selbst zuzugeben bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer
aber entrüstet sich, wenn ihm diese aus seinen Symptomhandlungen
gezogenen Schlüsse vorgehalten werden, erklärt sie für grundlos, da ihm
das Bewusstsein für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über
Missverständnis von Seiten des anderen. Genau besehen beruht ein solches
Missverständnis auf einem Zufein- und Zuvielverstehen. Je »nervöser« zwei
Menschen sind, desto eher werden sie einander Anlass zu Entzweiungen
bieten, deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt
leugnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt.
Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrichtigkeit, dass die
Menschen unter den Vorwänden des Vergessens, Vergreifens und der
Unabsichtlichkeit Regungen den Ausdruck gestatten, die sie besser sich
und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen
können. Man kann in der Tat ganz allgemein behaupten, dass jedermann
fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmenschen betreibt und
diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne sich selbst.
Der Weg zur Befolgung der Mahnung γνῶθι σεαυτὸν führt durch das Studium
seiner eigenen scheinbar zufälligen Handlungen und Unterlassungen.



IX.

Irrtümer.


Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Fehlerinnern nur
durch den einen Zug unterschieden, dass der Irrtum (das Fehlerinnern)
nicht als solcher erkannt wird, sondern Glauben findet. Der Gebrauch des
Ausdruckes »Irrtum« scheint aber noch an einer anderen Bedingung zu
hängen. Wir sprechen von »Irren« anstatt von »falsch Erinnern«, wo in
dem zu reproduzierenden psychischen Material der Charakter der
objektiven Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes
erinnert werden soll als eine Tatsache meines eigenen psychischen
Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung oder Widerlegung durch die
Erinnerung anderer zugänglich ist. Den Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in
diesem Sinn bildet die Unwissenheit.

In meinem Buche »Die Traumdeutung (1900)« habe ich mich einer Reihe von
Verfälschungen an geschichtlichem und überhaupt tatsächlichem Material
schuldig gemacht, auf die ich nach dem Erscheinen des Buches mit
Verwunderung aufmerksam geworden bin. Ich habe bei näherer Prüfung
derselben gefunden, dass sie nicht meiner Unwissenheit entsprungen sind,
sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses zurückleiten, welche sich
durch Analyse aufklären lassen.

a) Auf p. 266 bezeichne ich als den Geburtsort _Schillers_ die Stadt
_Marburg_, deren Name in der Steiermark wiederkehrt. Der Irrtum findet
sich in der Analyse eines Traumes während einer Nachtreise, aus dem ich
durch den vom Kondukteur ausgerufenen Stationsnamen _Marburg_ geweckt
wurde. Im Trauminhalt wird nach einem Buch von _Schiller_ gefragt. Nun
ist _Schiller_ nicht in der Universitätsstadt _Marburg_, sondern in dem
schwäbischen _Marbach_ geboren. Ich behaupte auch, dass ich dies immer
gewusst habe.

b) Auf p. 135 wird _Hannibals_ Vater _Hasdrubal_ genannt. Dieser Irrtum
war mir besonders ärgerlich, hat mich aber in der Auffassung solcher
Irrtümer am meisten bestärkt. In der Geschichte der _Barkiden_ dürften
wenige der Leser des Buches besser Bescheid wissen als der Verfasser,
der diesen Fehler niederschrieb und ihn bei drei Korrekturen übersah.
Der Vater _Hannibals_ hiess _Hamilkar Barkas_, _Hasdrubal_ war der Name
von _Hannibals_ Bruder, übrigens auch der seines Schwagers und
Vorgängers im Kommando.

c) Auf p. 177 und p. 370 behaupte ich, dass _Zeus_ seinen Vater Kronos
entmannt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe ich aber
irrtümlich um eine Generation vorgeschoben; die griechische Mythologie
lässt ihn von _Kronos_ an seinem Vater _Uranos_ verüben.

Wie ist es nun zu erklären, dass mein Gedächtnis in diesen Punkten
Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser des Buches
überzeugen können, das entlegenste und ungebräuchlichste Material zur
Verfügung stellte? Und ferner, dass ich bei drei sorgfältig
durchgeführten Korrekturen wie mit Blindheit geschlagen an diesen
Irrtümern vorbeiging?

Man hat von _Lichtenberg_ gesagt, wo er einen Witz gemacht habe, dort
liege ein Problem verborgen. Ähnlich kann man über die hier angeführten
Stellen meines Buches behaupten: wo ein Irrtum vorliegt, da steckt eine
Verdrängung dahinter. Richtiger gesagt: eine Unaufrichtigkeit, eine
Entstellung, die schliesslich auf Verdrängtem fusst. Ich bin bei der
Analyse der dort mitgeteilten Träume durch die blosse Natur der Themata,
auf welche sich die Traumgedanken beziehen, genötigt gewesen, einerseits
die Analyse irgendwo vor ihrer Abrundung abzubrechen, andererseits einer
indiskreten Einzelheit durch eine leise Entstellung die Schärfe zu
benehmen. Ich konnte nicht anders und hatte auch keine andere Wahl, wenn
ich überhaupt Beispiele und Belege vorbringen wollte; meine Zwangslage
leitete sich mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume ab,
Verdrängtem, d. h. Bewusstseinsunfähigem, Ausdruck zu geben. Es dürfte
trotzdem genug übrig geblieben sein, woran empfindlichere Seelen Anstoss
genommen haben. Die Entstellung oder Verschweigung der mir selbst noch
bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos durchführen
lassen. Was ich unterdrücken wollte, hat sich oftmals wider meinen
Willen den Zugang in das von mir Aufgenommene erkämpft und ist darin als
von mir unbemerkter Irrtum zum Vorschein gekommen. In allen drei
hervorgehobenen Beispielen liegt übrigens das nämliche Thema zu Grunde;
die Irrtümer sind Abkömmlinge verdrängter Gedanken, die sich mit meinem
verstorbenen Vater beschäftigen.

ad. a) Wer den auf p. 266 analysierten Traum durchliest, wird teils
unverhüllt erfahren, teils aus Andeutungen erraten können, dass ich bei
Gedanken abgebrochen habe, die eine unfreundliche Kritik am Vater
enthalten hätten. In der Fortsetzung dieses Zuges von Gedanken und
Erinnerungen liegt nun eine ärgerliche Geschichte, in welcher Bücher
eine Rolle spielen und ein Geschäftsfreund des Vaters, der den Namen
_Marburg_ führt, denselben Namen, durch dessen Anruf in der
gleichnamigen Südbahnstation ich aus dem Schlaf geweckt wurde. Diesen
Herrn _Marburg_ wollte ich bei der Analyse mir und den Lesern
unterschlagen; er rächte sich dadurch, dass er sich dort einmengte, wo
er nicht hingehört, und den Namen des Geburtsortes _Schillers_ aus
_Marbach_ in _Marburg_ veränderte.

ad. b) Der Irrtum _Hasdrubal_ anstatt _Hamilkar_, der Name des Bruders
an Stelle des Namens des Vaters, ereignet sich gerade in einem
Zusammenhange, der von den Hannibalphantasien meiner Gymnasiastenjahre
und von meiner Unzufriedenheit mit dem Benehmen des Vaters gegen die
»Feinde unseres Volkes« handelt. Ich hätte fortsetzen und erzählen
können, wie mein Verhältnis zum Vater durch einen Besuch in England
verändert wurde, der mich die Bekanntschaft meines dort lebenden
Halbbruders aus früherer Ehe des Vaters machen liess. Mein Bruder hat
einen ältesten Sohn, der mir gleichalterig ist; die Phantasien, wie
anders es geworden wäre, wenn ich nicht als Sohn des Vaters, sondern des
Bruders zur Welt gekommen wäre, fanden also kein Hindernis an den
Altersrelationen. Diese unterdrückten Phantasien fälschten nun an der
Stelle, wo ich in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie
mich nötigten, den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen.

ad. c) Dem Einfluss der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich
es zu, dass ich die mythologischen Greuel der griechischen Götterwelt um
eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir
lange Zeit eine im Gedächtnis geblieben: „Vergiss nicht, in Bezug auf
Lebensführung, eines“, hatte er mir gesagt, „dass Du nicht der zweiten,
sondern eigentlich der dritten Generation vom Vater aus angehörst.“
Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder verheiratet und war um
so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich begehe den
besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der Pietät zwischen
Eltern und Kindern handle.

Es ist auch einige Male vorgekommen, dass Freunde und Patienten, deren
Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen anspielte,
mich aufmerksam machten, die Umstände der gemeinsam erlebten Begebenheit
seien von mir ungenau erzählt worden. Das wären nun wiederum historische
Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Richtigstellung
nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, dass meine Erinnerung des
Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit
Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch hier wieder _ein unbemerkter
Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung_.

Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben sich scharf
andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So war es z. B.
Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in die _Wachau_ den Aufenthalt
des Revolutionärs _Fischhof_ berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte
haben nur den Namen gemein; das _Emmersdorf_ _Fischhofs_ liegt in
Kärnthen. Ich wusste es aber nicht anders.

Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern, für
die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahlreich oder besonders
bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht Grund
hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der ungleich
wichtigeren _Urteilsirrtümer_ der Menschen im Leben und in der
Wissenschaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichensten
Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahrgenommenen
äusseren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim
Durchgang durch die psychische Individualität des Wahrnehmenden erfährt.



X.

Determinismus. -- Zufalls- und Aberglauben. -- Gesichtspunkte.


Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man
folgende Einsicht hinstellen: _Gewisse Unzulänglichkeiten unserer
psychischen Leistungen_ -- deren gemeinsamer Charakter sogleich näher
bestimmt werden soll -- _und gewisse absichtslos erscheinende
Verrichtungen erweisen sich, wenn man das Verfahren der
psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohlmotiviert und
durch dem Bewusstsein unbekannte Motive determiniert_.

Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene eingereiht zu werden,
muss eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen:

a) Sie darf nicht über ein gewisses Mass hinausgehen, welches von
unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck »innerhalb der
Breite des Normalen« bezeichnet wird.

b) Sie muss den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an
sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher korrekter
ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen.
Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit
der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen
Vorganges sofort erkennen.

c) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer
Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern müssen versucht
sein, sie durch »Unaufmerksamkeit« zu erklären oder als »Zufälligkeit«
hinzustellen.

Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die
Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben,
Vergreifen und die sog. Zufallshandlungen. Die gleiche Zusammensetzung
mit der Vorsilbe _ver_ deutet für die meisten dieser Phänomene die
innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so
bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen
an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.

I. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar
durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der
Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen
Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem
Aufsatz des Literarhistorikers _R. M. Meyer_ in der »Zeit« ausgeführt
und an Beispielen erläutert gefunden, dass es unmöglich ist, absichtlich
und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiss
ich, dass man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem
Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen.
Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige,
wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren
strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten
hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten
Vornamens kurz erörtern und dann ein analoges Beispiel einer
»gedankenlos hingeworfenen« Zahl ausführlicher analysieren.

α) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen für die
Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vornamen ich ihr in der
Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr gross; gewiss schliessen
sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der echte Name,
sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich
Anstoss nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders
seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen
nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, dass
sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird.
Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der
Name _Dora_. Ich frage nach seiner Determinierung. Wer heisst denn nur
sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der
lautet, dass das Kindermädchen meiner Schwester so heisst. Aber ich
besitze soviel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, dass ich den
Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine
Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung
bringt. Ich sah auf dem Tisch im Speisezimmer meiner Schwester einen
Brief liegen mit der Aufschrift: „An Fräulein Rosa W.“ Erstaunt fragte
ich, wer so heisst, und wurde belehrt, dass die vermeintliche Dora
eigentlich Rosa heisst, und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus
ablegen musste, weil meine Schwester den Ruf »Rosa« auch auf ihre eigene
Person beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal
ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde
ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge
zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht
bewusst machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für
eine Person suchte, _die ihren eigenen nicht beibehalten durfte_, fiel
mir kein anderer als »Dora« ein. Die Ausschliesslichkeit beruht hier auf
fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin
rührte ein auch für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluss von der
im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.

β) In einem Briefe an meinen Freund in B. kündige ich ihm an, dass ich
jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts
mehr an dem Werk ändern will, »möge es auch =2467= Fehler enthalten«.
Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine
Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt,
wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:

„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens. Du
findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der
Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heissen: irgend
eine grosse Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts
Willkürliches, Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit
Recht erwarten, dass das Unbewusste sich beeilt hat, die Zahl zu
determinieren, die von dem Bewussten freigelassen wurde. Nun hatte ich
gerade vorher in der Zeitung gelesen, dass ein General E. M. als
Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten. Du musst wissen, der Mann
interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam
er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzt: „Sie
müssen mich aber in 8 Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu
arbeiten, worauf der Kaiser wartet.“ Damals nahm ich mir vor, die
Laufbahn des Mannes zu verfolgen, und siehe da, heute (1899) ist er am
Ende derselben, Feldzeugmeister und schon im Ruhestande. Ich wollte
ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an,
dass ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich
erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: „Da müsstest Du also auch
schon im Ruhestande sein?“ Und ich protestiere: Davor bewahre mich Gott.
Nach diesem Gespräch setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben.
Der frühere Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es
war falsch gerechnet; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner
Erinnerung. Meine Grossjährigkeit, meinen =24.= Geburtstag also, habe
ich im Militärarrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert
hatte). Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl
=24= in 2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so
bekommst Du die =67=! D. h. auf die Frage, ob ich auch in den Ruhestand
treten will, habe ich mir im Wunsch noch 24 Jahre Arbeit zugelegt.
Offenbar bin ich gekränkt darüber, dass ich es in dem Intervall, durch
das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und
doch wie in einer Art von Triumph darüber, dass er jetzt schon fertig
ist, während ich noch Alles vor mir habe. Da darf man doch mit Recht
sagen, dass nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467 ihrer
Determinierung aus dem Unbewussten entbehrt.“

Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar willkürlich
gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen
Erfolg wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts,
dass sie sich der Mitteilung entziehen. Gerade an diesen Analysen ist
mir zweierlei besonders auffällig: Erstens die geradezu somnambule
Sicherheit, mit der ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in
einen rechnenden Gedankengang versenke, der dann plötzlich bei der
gesuchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der sich die ganze
Nacharbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, dass die Zahlen meinem
unbewussten Denken so bereitwillig zur Verfügung stehen, während ich
ein schlechter Rechner bin und die grössten Schwierigkeiten habe, mir
Jahreszahlen, Hausnummern und dergleichen bewusst zu merken. Ich finde
übrigens in diesen unbewussten Gedankenoperationen mit Zahlen eine
Neigung zum Aberglauben, deren Herkunft mir selbst noch fremd ist. Meist
stosse ich auf Spekulationen über die Lebensdauer meiner selbst und der
mir teuren Personen, und bestimmend auf die unbewussten Spielereien muss
eingewirkt haben, dass mein Freund in B. die Lebenszeiten der Menschen
zum Gegenstand seiner auf biologische Einheiten gegründeten Rechnungen
genommen hat. Ich bin nun mit einer der Voraussetzungen, von denen er
hierbei ausgeht, nicht einverstanden, möchte aus höchst egoistischen
Motiven gerne gegen ihn Recht behalten und scheine nun diese Rechnungen
auf meine Art nachzuahmen.

II. Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich gewählter
Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems
beitragen. Gegen die Annahme eines durchgehenden psychischen
Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes
Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens. Dieses
Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den
Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend
etwas berechtigt sein. Es äussert sich aber, soviel ich beobachten kann,
nicht bei den grossen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen
Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des psychischen Zwanges
und beruft sich auf sie („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“).
Hingegen möchte man gerade bei den belanglosen, indifferenten
Entschliessungen versichern, dass man ebensowohl anders hätte handeln
können, dass man aus freiem, nicht motiviertem Willen gehandelt hat.
Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des Überzeugungsgefühles
vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der
Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem Unbewussten
ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, dass die bewusste
Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen
erstreckt. Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite
frei gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite,
aus dem Unbewussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch
lückenlos durchgeführt.

III. Wenngleich dem bewussten Denken die Kenntnis von der Motivierung
der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sachlage abgehen muss,
so wäre es doch erwünscht, einen psychologischen Beweis für deren
Existenz aufzufinden; ja es ist aus Gründen, die sich bei näherer
Kenntnis des Unbewussten ergeben, wahrscheinlich, dass solche Beweise
irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten
Phänomene nachweisen, welche einer unbewussten und darum verschobenen
Kenntnis von dieser Motivierung zu entsprechen scheinen.

a) Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im Verhalten der
Paranoiker, dass sie den kleinen, sonst von uns vernachlässigten Details
im Benehmen der anderen die grösste Bedeutung beilegen, dieselben
ausdeuten und zur Grundlage weitgehender Schlüsse machen. Der letzte
Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloss auf ein allgemeines
Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf
dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht hatten. Ein
anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Strasse gehen, mit
den Spazierstöcken fuchteln u. dgl.[24]

Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bedürftigen, welche
der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und
Fehlleistungen gelten lässt, verwirft der Paranoiker also in der
Anwendung auf die psychischen Äusserungen der anderen. Alles, was er an
den anderen bemerkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er
nur dazu? Er projiziert wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen,
was im eigenen unbewusst vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen
Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so vielerlei zum Bewusstsein
durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst durch die Psychoanalyse
als im Unbewussten vorhanden nachweisen.[25] Der Paranoiker hat also
hierin in gewissem Sinne Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen
entgeht, er sieht schärfer als das normale Denkvermögen, aber die
Verschiebung des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine
Erkenntnis wertlos. Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen
Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück
Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser Auffassung der
Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis
der Überzeugung erleichtern, welche sich beim Paranoiker an alle diese
Deutungen geknüpft hat. _Es ist eben etwas Wahres daran_; auch unsere
nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen
zugehörige Überzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies _Gefühl_ ist
für ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges oder für die
Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den
übrigen Zusammenhang ausgedehnt.

b) Ein anderer Hinweis auf die unbewusste und verschobene Kenntnis der
Motivierung bei Zufalls- und Fehlleistungen findet sich in den
Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Meinung durch die Diskussion
des kleinen Erlebnisses klar legen, welches für mich der Ausgangspunkt
dieser Überlegungen war.

Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf
die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahr beschäftigen
sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe
oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Manipulationen zweimal
täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewusste
Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und während der
Beschäftigung mit ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es
liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange
sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, von dem ich erzähle, habe ich
Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder
der Kutscher auf dem Wagenstandplatz vor meinem Hause kennt die Adresse
der alten Frau, denn jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute
ereignet es sich nun, dass der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern
vor dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich
aussehenden Parallelstrasse Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe
ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu
bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte Dame
nicht vorfinde? Für mich gewiss nicht, aber wenn ich _abergläubisch_
wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen
Fingerzeig des Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau
sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat,
sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. _Ich_ erkläre
allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.

Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuss gemacht und dann in
»Gedanken«, in der »Zerstreutheit« vor das Haus der Parallelstrasse
anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall
erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlung mit
unbewusster Absicht. Diesem »_Vergehen_« müsste ich wahrscheinlich die
Deutung geben, dass ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen
erwarte.

Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in folgendem:

Ich glaube nicht, dass ein Ereignis, an dessen Zustandekommen mein
Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige
Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, dass eine
unbeabsichtigte Äusserung meiner eigenen Seelentätigkeit mir allerdings
etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben
angehört; ich glaube zwar an äusseren (realen) Zufall, aber nicht an
innere (psychische) Zufälligkeit. Der Abergläubische umgekehrt: er weiss
nichts von der Motivierung seiner zufälligen Handlungen und
Fehlleistungen, er glaubt, dass es psychische Zufälligkeiten gibt; dafür
ist er geneigt, dem äusseren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben, die
sich im realen Geschehen äussern wird, im Zufall ein Ausdrucksmittel für
etwas draussen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir
und dem Abergläubischen sind zwei: erstens projiziert er eine
Motivierung nach aussen, die ich innen suche; zweitens deutet er den
Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber
das Verborgene bei ihm entspricht dem Unbewussten bei mir, und der
Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu
deuten, ist uns beiden gemeinsam.

Ich nehme nun an, dass diese bewusste Unkenntnis und unbewusste Kenntnis
von der Motivierung der psychischen Zufälligkeiten eine der psychischen
Wurzeln des Aberglaubens ist. _Weil_ der Abergläubische von der
Motivierung der eigenen zufälligen Handlungen nichts weiss, und weil die
Tatsache dieser Motivierung nach einem Platz in seiner Anerkennung
drängt, ist er genötigt, sie durch Verschiebung in der Aussenwelt
unterzubringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum auf
diesen einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der Tat, dass ein
grosses Stück der mythologischen Weltauffassung, die weit bis in die
modernsten Religionen hinein reicht, _nichts anderes ist als in die
Aussenwelt projizierte Psychologie_. Die dunkle Erkenntnis psychischer
Faktoren und Verhältnisse[26] des Unbewussten spiegelt sich -- es ist
schwer, es anders zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muss hier zur
Hilfe genommen werden -- in der Konstruktion einer _übersinnlichen
Realität_, welche von der Wissenschaft in _Psychologie des Unbewussten_
zurückverwandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom
Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der
Unsterblichkeit und dgl. in solcher Weise aufzulösen, die _Metaphysik_
in _Metapsychologie_ umzusetzen. Die Kluft zwischen der Verschiebung des
Paranoikers und der des Abergläubischen ist minder gross, als sie auf
den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken begannen, waren
sie bekanntlich genötigt, die Aussenwelt anthropomorphisch in eine
Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem Gleichnis aufzulösen; die
Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten, waren also Handlungen,
Äusserungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen
wie die Paranoiker, welche aus den unscheinbaren Anzeichen, die ihnen
die Anderen geben, Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, welche
mit Recht die zufälligen und unbeabsichtigten Handlungen ihrer
Nebenmenschen zur Grundlage der Schätzung ihres Charakters machen. Der
Aberglaube erscheint nur so sehr deplaziert in unserer modernen,
naturwissenschaftlichen, aber noch keineswegs abgerundeten
Weltanschauung; in der Weltanschauung vorwissenschaftlicher Zeiten und
Völker war er berechtigt und konsequent.

Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm ein widriger
Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht; er handelte konsequent
nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung abstand,
weil er an der Schwelle seiner Tür gestolpert war (»Un Romain
retournerait«), so war er uns Ungläubigen auch absolut überlegen, ein
besserer Seelenkundiger, als wir uns zu sein bemühen. Denn dies Stolpern
konnte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegenströmung in seinem
Innern beweisen, deren Kraft sich im Momente der Ausführung von der
Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des vollen Erfolges ist man
nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte einig dem gewünschten
Ziel entgegenstreben. Wie antwortet _Schillers_ _Tell_, der so lange
gezaudert, den Apfel vom Haupt seines Knaben zu schiessen, auf die Frage
des Vogts, wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?

    „Mit diesem zweiten Pfeil durchbohrt' ich -- Euch,
    Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
    Und _Euer_ -- wahrlich -- hätt' ich _nicht_ gefehlt.“

IV. Als ich unlängst Gelegenheit hatte, einem philosophisch gebildeten
Kollegen einige Beispiele von Namenvergessen mit Analyse vorzutragen,
beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das
Namenvergessen anders zu. So leicht darf man es sich offenbar nicht
machen; ich glaube nicht, dass mein Kollege je vorher an eine Analyse
bei Namenvergessen gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie es bei
ihm anders zugehe. Aber seine Bemerkung trifft doch ein Problem, welches
viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden. Trifft die hier
gegebene Auflösung der Fehl- und Zufallshandlungen allgemein zu oder nur
vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingungen, unter
denen sie zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene
herangezogen werden darf? Bei der Beantwortung dieser Frage lassen mich
meine Erfahrungen im Stiche. Ich kann nur davon abmahnen, den
aufgezeigten Zusammenhang für selten zu halten, denn so oft ich bei mir
selbst und bei meinen Patienten die Probe angestellt, hat er sich wie in
den mitgeteilten Beispielen sicher nachweisen lassen oder haben sich
wenigstens gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben. Es ist nicht zu
verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der
Symptomhandlung zu finden, da die Grösse der inneren Widerstände, die
sich der Lösung widersetzen, als entscheidender Faktor in Betracht
kommt. Man ist auch nicht imstande, bei sich selbst oder bei den
Patienten jeden einzelnen Traum zu deuten; es genügt, um die
Allgemeingiltigkeit der Theorie zu bestätigen, wenn man nur ein Stück
weit in den verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der Traum, der
sich beim Versuche, ihn am Tage nachher zu lösen, refraktär zeigt, lässt
sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheimnis entreissen,
wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung die mit einander
streitenden psychischen Wertigkeiten herabgesetzt hat. Das nämliche gilt
für die Lösung der Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispiel von
Verlesen „Im Fass durch Europa“ auf Seite 32 hat mir die Gelegenheit
gegeben zu zeigen, wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse
zugänglich wird, wenn das _reale Interesse_ an den verdrängten Gedanken
nachgelassen hat. So lange die Möglichkeit bestand, dass mein Bruder den
beneideten Titel vor mir erhielte, widerstand das genannte Verlesen
allen wiederholten Bemühungen der Analyse; nachdem es sich
herausgestellt hatte, dass diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei,
klärte sich mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte.
Es wäre also unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse
widerstehen, zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier
aufgedeckten psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese
Annahme noch andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden
wahrscheinlich allgemein vorhandene Bereitwilligkeit, an eine andere
Erklärung der Fehl- und Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder
Beweiskraft bar; sie ist, wie selbstverständlich, eine Äusserung
derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben, und
die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, gegen dessen
Aufhellung aber sträuben.

Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, dass die verdrängten
Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in Symptom- und Fehlhandlungen
ja nicht selbständig schaffen. Die technische Möglichkeit für solches
Ausgleiten der Innervationen muss unabhängig von ihnen gegeben sein;
diese wird dann von der Absicht des Verdrängten, zur bewussten Geltung
zu kommen, gerne ausgenützt. Welche Struktur- und Funktionsrelationen es
sind, die sich solcher Absicht zur Verfügung stellen, das haben für den
Fall der sprachlichen Fehlleistung (vgl. Seite 17) eingehende
Untersuchungen der Philosophen und Philologen festzustellen sich bemüht.
Unterscheiden wir so an den Bedingungen der Fehl- und Symptomhandlung
das unbewusste Motiv von den ihm entgegenkommenden physiologischen und
psychophysischen Relationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb
der Breite der Gesundheit noch andere Momente gibt, welche, wie das
unbewusste Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege dieser Relationen
die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen. Es liegt nicht auf
meinem Wege, diese Frage zu beantworten.

V. Seit den Erörterungen über das Versprechen haben wir uns begnügt, zu
beweisen, dass die Fehlleistungen eine verborgene Motivierung haben, und
uns mit dem Hilfsmittel der Psychoanalyse den Weg zur Kenntnis dieser
Motivierung gebahnt. Die allgemeine Natur und die Besonderheiten der in
den Fehlleistungen zum Ausdruck gebrachten psychischen Faktoren haben
wir bisher fast ohne Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht
versucht, dieselben näher zu bestimmen und auf ihre Gesetzmässigkeit zu
prüfen. Wir werden auch jetzt keine gründliche Erledigung des
Gegenstandes versuchen, denn die ersten Schritte werden uns bald belehrt
haben, dass man in dies Gebiet besser von anderer Seite einzudringen
vermag. Man kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens
anführen und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Welches Inhalts und
welcher Herkunft sind die Gedanken und Regungen, die sich durch die
Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches sind die Bedingungen
dafür, dass ein Gedanke oder eine Regung genötigt und in den Stand
gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittel zu bedienen? 3.
Lassen sich konstante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art der
Fehlhandlung und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachten
nachweisen?

Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der letzten Frage
zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Beispiele von Versprechen haben
wir es für nötig gefunden, über den Inhalt der intendierten Rede
hinauszugehen, und haben die Ursache der Redestörung ausserhalb der
Intention suchen müssen. Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen
nahe und war dem Bewusstsein des Sprechenden bekannt. In den scheinbar
einfachsten und durchsichtigsten Beispielen war es eine gleichberechtigt
klingende andere Fassung desselben Gedankens, die dessen Ausdruck
störte, ohne dass man hätte angeben können, warum die eine unterlegen,
die andere durchgedrungen war (Kontaminationen von _Meringer_ und
_Mayer_). In einer zweiten Gruppe von Fällen war das Unterliegen der
einen Fassung motiviert durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark
genug zur völligen Zurückhaltung erwies (»zum Vorschwein gekommen«).
Auch die zurückgehaltene Fassung war klar bewusst. Von der dritten
Gruppe erst kann man ohne Einschränkung behaupten, dass hier der
störende Gedanke von dem intendierten verschieden war, und kann hier
eine, wie es scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der
störende Gedanke ist entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziation
verbunden (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm
wesensfremd, und durch eine befremdende _äusserliche_ Assoziation ist
gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken, der oft unbewusst
ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psychoanalysen bei
Patienten gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluss
gleichzeitig aktiv gewordener, aber völlig unbewusster Gedanken, die
sich entweder durch die Störung selbst verraten (_Klapper_schlange --
_Kleopatra_) oder einen indirekten Einfluss äussern, indem sie
ermöglichen, dass die einzelnen Teile der bewusst intendierten Rede
einander stören (_Ase natmen_: wo _Hasenauer_strasse, Reminiszenzen an
eine Französin dahinter stehen). Die zurückgehaltenen oder unbewussten
Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind von der
mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt uns diese
Überschau also nach keiner Richtung.

Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und Verschreiben
führt zu den nämlichen Ergebnissen. Einzelne Fälle scheinen wie beim
Versprechen einer weiter nicht motivierten Verdichtungsarbeit ihr
Entstehen zu danken (z. B.: der _Apfe_). Man möchte aber gern erfahren,
ob nicht doch besondere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine
solche Verdichtung, die in der Traumarbeit regelrecht, in unserem wachen
Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bekommt hierüber aus den
Beispielen selbst keinen Aufschluss. Ich würde es aber ablehnen, hieraus
den Schluss zu ziehen, es gebe keine solchen Bedingungen als etwa den
Nachlass der bewussten Aufmerksamkeit, da ich von anderswoher weiss,
dass sich gerade automatische Verrichtungen durch Korrektheit und
Verlässlichkeit auszeichnen. Ich möchte eher betonen, dass hier, wie so
häufig in der Biologie, die normalen oder dem Normalen angenäherten
Verhältnisse ungünstigere Objekte der Forschung sind als die
pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten Störungen
dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung
schwererer Störungen Licht empfangen.

Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Beispielen, welche
eine entferntere und kompliziertere Motivierung erkennen lassen. »Im
Fass durch Europa« ist eine Lesestörung, die sich durch den Einfluss
eines entlegenen, wesensfremden Gedankens aufklärt, welcher einer
verdrängten Regung von Eifersucht und Ehrgeiz entspringt, und den
»Wechsel« des Wortes »_Beförderung_« zur Verknüpfung mit dem
gleichgiltigen und harmlosen Thema, das gelesen wurde, benützt. Im Falle
_Burckhard_ ist der Name selbst ein solcher »Wechsel«.

Es ist unverkennbar, dass die Störungen der Sprechfunktionen leichter
zustande kommen und weniger Anforderungen an die störenden Kräfte
stellen als die anderer psychischer Leistungen.

Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Vergessens im
eigentlichen Sinne, d. h. des Vergessens von vergangenen Erlebnissen
(das Vergessen von Eigennamen und Fremdworten, wie in den Abschnitten I
und II könnte man als »Entfallen«, das von Vorsätzen als »Unterlassen«
von diesem Vergessen sensu strictiori absondern). Die Grundbedingungen
des normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt. Man wird auch daran
gemahnt, dass nicht alles vergessen ist, was man dafür hält. Unsere
Erklärung hat es hier nur mit jenen Fällen zu tun, in denen das
Vergessen bei uns ein Befremden erweckt, insofern es die Regel verletzt,
dass Unwichtiges vergessen, Wichtiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird.
Die Analyse der Beispiele von Vergessen, die uns nach einer besonderen
Aufklärung zu verlangen scheinen, ergibt als Motiv des Vergessens
jedesmal eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche Empfindungen
erwecken kann. Wir gelangen zur Vermutung, dass dieses Motiv im
psychischen Leben sich ganz allgemein zu äussern strebt, aber durch
andere gegenwirkende Kräfte verhindert wird, sich irgendwie regelmässig
durchzusetzen. Umfang und Bedeutung dieser Erinnerungsunlust gegen
peinliche Eindrücke scheinen der sorgfältigsten psychologischen Prüfung
wert zu sein; auch die Frage, welche besonderen Bedingungen das
allgemein angestrebte Vergessen in einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus
diesem weiteren Zusammenhange nicht zu lösen.

Beim Vergessen von Vorsätzen tritt ein anderes Moment in den
Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnernden nur
vermutete Konflikt wird hier greifbar, und man erkennt bei der Analyse
der Beispiele regelmässig einen Gegenwillen, der sich dem Vorsatze
widersetzt, ohne ihn aufzuheben. Wie bei früher besprochenen
Fehlleistungen erkennt man auch hier zwei Typen des psychischen
Vorgangs; der Gegenwille kehrt sich entweder direkt gegen den Vorsatz
(bei Absichten von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst
wesensfremd und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine _äusserliche_
Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).

Derselbe Konflikt beherrscht die Phänomene des Vergreifens. Der Impuls,
der sich in der Störung der Handlung äussert, ist häufig ein
Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die
Gelegenheit benützt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine
Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die
Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsameren
und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen.

Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder Symptomhandlungen
immer mehr zurück. Diese vom Bewusstsein gering geschätzten oder ganz
übersehenen motorischen Aeusserungen dienen so mannigfachen unbewussten
oder zurückgehaltenen Regungen zum Ausdruck; sie stellen meist
Phantasien oder Wünsche symbolisch dar. --

Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Regungen seien, die
sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, lässt sich sagen, dass
in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von
unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist.
Egoistische, eifersüchtige, feindselige Gefühle und Impulse, auf denen
der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden
nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vorhandene,
aber von höheren seelischen Instanzen nicht anerkannte Macht irgendwie
zu äussern. Das Gewährenlassen dieser Fehl- und Zufallshandlungen
entspricht zum guten Teil einer bequemen Duldung des Unmoralischen.
Unter diesen unterdrückten Regungen spielen die mannigfachen sexuellen
Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein Zufall des Materials,
wenn gerade sie so selten unter den durch die Analyse aufgedeckten
Gedanken in meinen Beispielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele
aus meinem eigenen Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die
Auswahl von vornherein parteiisch und auf den Ausschluss des Sexuellen
gerichtet. Andere Male scheinen es höchst harmlose Einwendungen und
Rücksichten zu sein, aus denen die störenden Gedanken entspringen.

Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage, welche
psychologischen Bedingungen dafür gelten, dass ein Gedanke seinen
Ausdruck nicht in voller Form, sondern in gleichsam parasitärer als
Modifikation und Störung eines anderen suchen müsse. Es liegt nach den
auffälligsten Beispielen von Fehlhandlung nahe, diese Bedingung in einer
Beziehung zur Bewusstseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder
entschieden ausgeprägten Charakter des »Verdrängten«. Aber die
Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter in immer
mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Neigung, über etwas als
zeitraubend hinwegzukommen, -- die Erwägung, dass der betreffende
Gedanke nicht eigentlich zur intendierten Sache gehört, -- scheinen als
Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der dann auf den Ausdruck
durch Störung eines anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zu spielen
wie die moralische Verurteilung einer unbotmässigen Gefühlsregung oder
die Abkunft von völlig unbewussten Gedankenzügen. Eine Einsicht in die
allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und Zufallsleistungen lässt
sich auf diese Weise nicht gewinnen. Einer einzigen bedeutsamen Tatsache
wird man bei diesen Untersuchungen habhaft; je harmloser die Motivierung
der Fehlleistung ist, je weniger anstössig und darum weniger
bewusstseinsunfähig der Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck
bringt, desto leichter wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man
ihm seine Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des
Versprechens werden sofort bemerkt und spontan korrigiert. Wo es sich um
Motivierung durch wirklich verdrängte Regungen handelt, da bedarf es zur
Lösung einer sorgfältigen Analyse, die selbst zeitweise auf
Schwierigkeiten stossen oder misslingen kann.

Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Untersuchung
als einen Hinweis darauf zu nehmen, dass die befriedigende Aufklärung
für die psychologischen Bedingungen der Fehl- und Zufallshandlungen auf
einem anderen Wege und von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der
nachsichtige Leser möge daher in diesen Auseinandersetzungen den
Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen dieses Thema ziemlich
künstlich aus einem grösseren Zusammenhange herausgelöst wurde.

VI. Einige Worte sollen zum mindesten die Richtung nach diesem weiteren
Zusammenhange andeuten. Der Mechanismus der Fehl- und Zufallshandlungen,
wie wir ihn durch die Anwendung der Analyse kennen gelernt haben, zeigt
in den wesentlichsten Punkten eine Übereinstimmung mit dem Mechanismus
der Traumbildung, den ich in dem Abschnitt »Traumarbeit« meines Buches
über die Traumdeutung auseinandergesetzt habe. Die Verdichtungen und
Kompromissbildungen (Kontaminationen) findet man hier wie dort; die
Situation ist die nämliche, dass unbewusste Gedanken sich auf
ungewöhnlichen Wegen, über äusserliche Assoziationen, als Modifikation
von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen. Die Ungereimtheiten,
Absurditäten und Irrtümer des Trauminhaltes, denen zufolge der Traum
kaum als Produkt psychischer Leistung anerkannt wird, entstehen auf
dieselbe Weise, freilich mit freierer Benützung der vorhandenen Mittel,
wie die gemeinen Fehler unseres Alltagslebens; _hier wie dort löst sich
der Anschein inkorrekter Funktion durch die eigentümliche Interferenz
zweier oder mehrerer korrekter Leistungen_. Aus diesem Zusammentreffen
ist ein wichtiger Schluss zu ziehen: Die eigentümliche Arbeitsweise,
deren auffälligste Leistung wir im Trauminhalt erkennen, darf nicht auf
den Schlafzustand des Seelenlebens zurückgeführt werden, wenn wir in den
Fehlhandlungen so reichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des
wachen Lebens besitzen. Derselbe Zusammenhang verbietet uns auch,
tiefgreifenden Zerfall der Seelentätigkeit, krankhafte Zustände der
Funktion als die Bedingung dieser uns abnorm und fremdartig
erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen[27].

Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit, welche die
Fehlhandlungen wie die Traumbilder entstehen lässt, wird uns erst
ermöglicht, wenn wir erfahren haben, dass die psychoneurotischen
Symptome, speziell die psychischen Bildungen der Hysterie und der
Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus alle wesentlichen Züge dieser
Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle schlösse sich also die
Fortsetzung unserer Untersuchungen an. Für uns hat es aber noch ein
besonderes Interesse, die Fehl-, Zufalls- und Symptomhandlungen in dem
Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den
Leistungen der Psychoneurosen, den neurotischen Symptomen,
gleichstellen, gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, dass die
Grenze zwischen nervöser Norm und Abnormität eine fliessende, und dass
wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unterlage. Man kann sich vor
aller ärztlicher Erfahrung verschiedene Typen von solcher bloss
angedeuteten Nervosität -- von formes frustes der Neurosen --
konstruieren: Fälle, in denen nur wenige Symptome, oder diese selten
oder nicht heftig auftreten, die Abschwächung also in die Zahl, in die
Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krankhaften Erscheinungen
verlegen; vielleicht würde man aber gerade den Typus nicht erraten,
welcher als der häufigste den Übergang zwischen Gesundheit und Krankheit
zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus, dessen
Krankheitsäusserungen die Fehl- und Symptomhandlungen sind, zeichnet
sich nämlich dadurch aus, dass die Symptome in die mindest wichtigen
psychischen Leistungen verlegt sind, während alles, was höheren
psychischen Wert beanspruchen kann, frei von Störung vor sich geht. Die
gegenteilige Unterbringung der Symptome, ihr Hervortreten an den
wichtigsten individuellen und sozialen Leistungen, so dass sie
Nahrungsaufnahme und Sexualverkehr, Berufsarbeit und Geselligkeit zu
stören vermögen, kommt den schweren Fällen von Neurose zu und
charakterisiert diese besser als etwa die Mannigfaltigkeit oder die
Lebhaftigkeit der Krankheitsäusserungen.

Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten Fälle,
an dem auch die Fehl- und Zufallshandlungen Anteil haben, liegt in der
_Rückführbarkeit der Phänomene auf unvollkommen unterdrücktes
psychisches Material, das vom Bewusstsein abgedrängt, doch nicht jeder
Fähigkeit, sich zu äussern, beraubt worden ist_.

  [24] Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Beurteilung
  unwesentlicher und zufälliger Äusserungen bei anderen zum
  „Beziehungswahn“ gerechnet.

  [25] Die durch Analyse bewusst zu machenden Phantasieen der Hysteriker
  von sexuellen und grausamen Misshandlungen decken sich z. B.
  gelegentlich bis ins Einzelne mit den Klagen verfolgter Paranoiker. Es
  ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der identische
  Inhalt uns auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur
  Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.

  [26] Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.

  [27] Vgl. hierzu „Traumdeutung“ p. 362.



[ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
steht.

wir unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.
wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.

in _a--liquis_ und an die Assoziationen: _Reliquien_ _Liquidation_,
in _a--liquis_ und an die Assoziationen: _Reliquien_, _Liquidation_,

Eigennamen, hier um komplete Eindrücke, um entweder in der Realität
Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität

den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkatogorien noch
den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien noch

einige minder wichtige (oder für unserere Zwecke minder bedeutsame)
einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame)

daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der =L=age u. s. f.«
daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der =L=age u. s. f.««

Monat. „Das „draut“ mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von
Monat.“ Das „draut“ mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von

man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. »Man erinnert
man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „Man erinnert

österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung _eröffnete_: „Hohes
österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung _eröffnete_: »Hohes

erkläre somit die Sitzung für »_geschlossen_!« Die allgemeine Heiterkeit
erkläre somit die Sitzung für _geschlossen_!« Die allgemeine Heiterkeit

Laute und Worte desselben Satzes enstehen kann, die zum
Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum

  (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärthnerstrasse gemahnt,
  (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärnthnerstrasse gemahnt,

Tarife und _Transporte_ angehen, und sollte zu einer gewisssen Zeit für
Tarife und _Transporte_ angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für

austauschen. Was dem einem fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der
austauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der

»Löschpapier« zu schreiben, aber »Fliesspapier« zu sagen gewöhnt gewöhnt
bin.
»Löschpapier« zu schreiben, aber »Fliesspapier« zu sagen gewöhnt bin.

  Geld von sich zu tun -- Mit den intimsten und am wenigsten klar
  Geld von sich zu tun. -- Mit den intimsten und am wenigsten klar

c) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe
d) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe

Gelegenheit: es ist ganz im Einklang damit, we nndie unbewusste einen
Gelegenheit: es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewusste einen

  Teil der unbewussten Regungen der Angegriffenen fördernd entgegend
  Teil der unbewussten Regungen der Angegriffenen fördernd entgegen

Entstellung, die schliessslich auf Verdrängtem fusst. Ich bin bei der
Entstellung, die schliesslich auf Verdrängtem fusst. Ich bin bei der

anstatt vors richtige gekommen wäre Das würde ich für keinen Zufall
anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall

»Wechsel» des Wortes »_Beförderung_« zur Verknüpfung mit dem
»Wechsel« des Wortes »_Beförderung_« zur Verknüpfung mit dem
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