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Title: Ueber Goethes Hermann und Dorothea
Author: Hehn, Victor, 1813-1890
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Ueber Goethes Hermann und Dorothea" ***


produced from scanned images of public domain material


Ueber

Goethes Hermann und Dorothea.

Von

_Viktor Hehn._


Aus dessen Nachlaß herausgegeben

von

Albert Leitzmann und Theodor Schiemann.


Stuttgart 1893.

_Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung_
Nachfolger.


Alle Rechte vorbehalten.


Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.



Vorwort.


Viktor Hehns litterarische Thätigkeit ist durch seine ungerechte
Verbannung nach Tula im Jahre 1851 gewaltsam durchbrochen worden. Er
hatte bis dahin unermüdlich gesammelt, und mit wahrhaft
bewunderungswürdigem Fleiß nicht nur die lange Reihe seiner
Reisetagebücher zu stilistischer Vollendung ausgearbeitet, sondern auch
in seinen Kollegienheften eine deutsche Litteraturgeschichte entworfen,
die überall auf eigene Studien gegründet, die klassische Periode unsrer
Litteratur, speziell Schiller und Goethe, soweit es der damalige Stand
der Wissenschaft erlaubte, erschöpfend behandelte. Schon damals war ihm
Goethe der Meister, zu dem er aufschaute und die später in seinen
Gedanken über Goethe niedergelegten Anschauungen und Urteile lassen sich
im Keim bereits in jenen für seine Schüler an der Universität bestimmten
Vorlesungen wiederfinden. Nur daß sie in Zweck und Anlage eine andre
Behandlung des Problems verlangten und teils zu ausführlichen
Kommentaren einzelner Werke, und bestimmter zu einem Ganzen
zusammengefaßter Dichtungen sich gestalteten, teils einen biographischen
Charakter trugen. Daß Hehn in den vier Jahren seiner Dorpater
Dozentenzeit neben seinen weitgreifenden linguistischen Studien, die
damals auch die esthnische Sprache umfaßten, die Zeit fand, den
ungeheuren Stoff nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch zu
bewältigen, wird nur verständlich, wenn man weiß, daß er von jeher das
litterarhistorische Gebiet mit besonderer Liebe gepflegt hat, und in
seinen sorgfältig bewahrten Kollektaneen, die bis in den Anfang der
dreißiger Jahre zurückreichten, Vorarbeiten besaß, die ihm nunmehr sehr
zu statten kamen. Es kann als sicher angenommen werden, daß Hehn
einzelne Abschnitte seiner Vorlesungen zu selbständigen Darstellungen zu
erweitern gedachte. Ausgeführt hat er den Plan nur mit Hermann und
Dorothea. Das Manuskript war fertiggestellt, auch die Vorrede bereits
geschrieben, als seine Verhaftung erfolgte.

Sämtliche Papiere Hehns wurden mit Beschlag belegt und nach Petersburg
gebracht. Auch nach der »Begnadigung« im Mai 1855 wurden sie ihm nicht
wiedererstattet, das geschah erst viel später. Hehn schreibt darüber im
Dezember 1874 seinem älteren Bruder: »(Meine Papiere) werden endlich
geordnet werden müssen, nachdem sie vor 23 Jahren in den Händen der
heiligen Hermandad gewesen sind -- die sich in ihrer Liebenswürdigkeit
die besten Stücke ausgewählt und zum Andenken behalten hat. Bisher war
ich zu weichlich, daran zu rühren; nur daß von meinen Dorpater
Kollegienheften einzelne Bogen, wahrscheinlich besonders anstößige,
fehlen, habe ich konstatiert und mich giftig geärgert.« Zu einer
vollständigen Ordnung der Papiere ist es nun überhaupt nicht gekommen.
Es scheint, daß Hehn jenes von ihm als »weichlich« bezeichnete Gefühl,
nicht überwinden konnte. Nur mit den Tagebüchern und den Heften seiner
Lesefrüchte machte er eine Ausnahme. Die wurden fleißig durchackert, und
es läßt sich noch heute an dem Unterschiede der Handschrift verfolgen,
wo er für nötig hielt, Korrekturen anzubringen, oder etwa durch ein
Fragezeichen seiner inzwischen anders gewordenen Ueberzeugung Ausdruck
zu geben. »Hermann und Dorothea« gehört zu den nicht berührten
Manuskripten und ist leider in der »dritten Abteilung« (so hieß die
Geheimpolizei in Petersburg) ebenfalls beraubt worden. Glücklicherweise
gestatten die zum Teil erhaltenen Konzepte des Buches die Lücken mit
annähernder Sicherheit in Hehns Geiste zu schließen.

Hehn war 37 Jahre alt, als er das Manuskript über Hermann und Dorothea
fertigstellte. So wesentlich sich auch nachher sein politisches Urteil
modifizierte und sein Wissen bereicherte, sein ästhetisches Urteil war
um jene Zeit bereits dasselbe wie in späteren Jahren. Wo er, wie in den
»Gedanken über Goethe« über das Goethesche Epos redet, finden wir keinen
Widerspruch zu seinen mehr als ein Menschenalter früher formulierten
Ausführungen. Es bietet dem Freunde Hehnscher Gedankenarbeit aber einen
besonderen Reiz, zu verfolgen, wie in diesen Werken des kräftigsten
Mannesalters eine Wärme der Empfindung überwiegt, die später oft durch
eine kühle Ironie in Beurteilung von Menschen und Verhältnissen
zurückgedrängt wurde. Findet das Hehnsche Buch die Beachtung und
Anerkennung, die wir ihm wünschen, so soll es der Vorläufer anderer
sein.

Theodor Schiemann.



Inhalt.


                                                           Seite

Einleitung                                                   1-4

Hermann und Dorothea                                        5-26

Wahl des Stoffes. Warum kein politischer                   26-51

Stoffquelle, Entstehung und Aufnahme                       52-60

Ort und Zeit                                               60-65

Gang der Fabel                                             65-85

Charaktere                                                86-100

Sitten und Lebenssphäre                                  100-114

Diktion                                                  114-129

Vers                                                     129-139

Andre deutsche Epen (Luise von Voß, Messias von Klopstock)
zur Vergleichung                                         139-146

Anmerkungen                                              147-164

    Einleitung                                           148-150

    Hermann und Dorothea                                 150-156

    Wahl des Stoffes. Warum kein politischer             156-158

    Stoffquelle, Entstehung und Aufnahme                 158-159

    Ort und Zeit                                             159

    Gang der Fabel                                           159

    Charaktere                                               160

    Sitten und Lebenssphäre                              160-161

    Diktion                                              161-162

    Vers                                                 162-163

    Andre deutsche Epen (Luise von Voß, Messias von Klopstock)
        zur Vergleichung                                 163-164



Einleitung.


Wieder über Goethe! ruft vielleicht mancher und wirft das Buch
ungeduldig beiseite. Aber was haben wir denn sonst noch Großes, was
besitzen wir bis jetzt noch andres, nicht im Traum, sondern wahrhaft,
als Goethe? Wie die Franzosen sich das Bild der Revolution, ihres
Heroenzeitalters, in immer neuer Beleuchtung vorführen, so füllen wir
Bibliotheken über die Literatur und vornehmlich über deren größte
Gestalt, den einzigen wirklichen Dichter, der uns zu teil geworden. Jch
bringe meinen Beitrag zu den vielen andern. Der fromme Beter, aus dem
Tempel tretend, pflanzt dankbar auch sein Bäumchen, so daß im Lauf der
Jahre ein immer herrlicherer Hain das Heiligtum umrauscht.

Noch ist die Arbeit, Goethe in das Bewußtsein der Nation einzuführen,
lange nicht vollendet. Wer die herrschende Bildung beobachtet hat, muß
gestehen, daß die große Mehrzahl gar nicht ahnt, wieviel sie an Goethe
besitzt. Seine Dichtungen sind berühmt und von allen gekannt, genossen
und empfunden sind sie nur von wenigen. Sinn für Poesie ist überhaupt
nicht weiter verbreitet als Talent z. B. für Mathematik. Die meisten
haften an dem falschen Golde rhetorischen Schmuckes, werden kindisch
gelockt von den Flittern der Diktion und, wenn es sich um Gestalten
handelt, nur durch abstrakte Idealität berührt und fortgerissen. Selbst
unter denen, die als Goethes Ausleger aufgetreten sind, haben sich nicht
alle durch das Entzücken des poetischen Genusses und das Streben, auch
andre daran teilnehmen zu lassen, zu ihrem Amte berufen geglaubt,
sondern wurden vielmehr durch schulphilosophische Bedürfnisse,
religiöse, politische, soziale Standpunkte, also mehr durch ein
scholastisches und praktisches Interesse dazu geführt. Sie suchten an
jenen Dichtungen die Gelegenheit, sie drängten sich den Inhalt schon
mitbringend an sie heran, statt in unbefangener Hingabe die schöne
Menschlichkeit und reine Darstellung auf sich wirken zu lassen und der
Empfindung andrer näher zu bringen. So ist in den zahlreichen Schriften
über Faust zwar jedes Wort, das in des Helden Monologen, in den
Gesprächen mit Mephistopheles und Wagner ausgesprochen wird, zu einem
heiligen Text geworden, zu dem die Noten und Exkurse sich häuften und
welcher zu aller Art von Schriften und Verhandlungen Sprüche liefert,
aber die wundervollen Szenen zwischen Faust und Gretchen, die Blüte des
Werkes, wo die volle dichterische Schöpfungsmacht das ergreifendste
individuelle Bild von Lieb und Leid des Menschenlebens vor uns hinwirft,
bilden weiße Seiten, bei denen die geschäftige Interpretation schweigt.
Wenn es Rötscher über sich vermag, bei Gretchens Gestalt und über sie
hinweg an Unschuld, Fall und Erlösung des Menschengeschlechts, die durch
sie dargestellt werden, zu denken, so müssen wir an seinem poetischen
Sinne ebenso sehr zweifeln, als wenn Viehoff in seinem neusten Kommentar
zu Goethes Gedichten die Schönheit derselben in Zäsur und Alliteration,
iambischem und trochäischem Rhythmus, in das Vorherrschen dieses und
jenes Vokals u. s. w. setzt. So findet Karl Grün die volle Bedeutung des
Goetheschen Geistes in Wilhelm Meisters Wanderjahren, im zweiten Teil
des Faust u. s. w., während z. B. Hermann und Dorothea von ihm kaum
berührt wird. Auch ihm also liegt die soziale Wahrheit näher am Herzen
als die poetische Kunst: er kann gleichgültig vorübergehen, wo die
letztere unwiderstehlich fesselt; er kann liebevoll verweilen, wo sie
erloschen ist. Sind so die Ausleger nicht immer das Organ reiner Freude
an der Gegenwart der Poesie geworden, so findet man unter der großen
Menge der Leser und Urteiler überwundene Meinungen und längst verlassene
Standpunkte noch so sehr in vollem Bestand, daß es fortwährend not thut,
die in engerem Kreise gewonnene ästhetische Einsicht von neuem
vorzutragen. Der moralisch-didaktische Gesichtspunkt einem Dichterwerk
gegenüber, die religiösen Abstraktionen, der Dualismus zwischen
Sinnlichem und Uebersinnlichem, Leib und Seele, Irdischem und
Himmlischem, der alle Kunst bis zur Wurzel zerstört, die Flucht aus der
vollen Wirklichkeit der Natur und des Lebens, das Unvermögen, in der
ersteren den innerlich bildenden Geist, in den Gestalten des letzteren
die sie hervortreibende und beseelende Sittlichkeit zu empfinden -- dies
alles ist in der großen Masse der Gebildeten noch so wenig erschüttert,
daß es noch vieler und wiederholter Anwendung der Wahrheit auf einzelne
Punkte bedarf, ehe sie sich des Sieges wird rühmen dürfen.

Unter den Goetheschen Dichtungen hat übrigens Hermann und Dorothea
verhältnismäßig nur wenig von sich reden gemacht. Voll klarer Einsicht
in das Wesen des homerischen Epos ist die gleich nach Erscheinen des
Goetheschen Werkes verfaßte Rezension von August Wilhelm Schlegel.
Geistvolle Bemerkungen enthält ein Aufsatz über Hermann und Dorothea von
Yxem, den wir, wie billig, für unsre Darstellung benutzt haben. Nur
geringe Belehrung haben wir in Wilhelm von Humboldts Schrift über
Hermann und Dorothea gefunden, die schon im Jahre 1799 als erster und
einziger Teil der ästhetischen Versuche erschien. Die Darstellung hält
sich in blut- und markloser Abstraktion, von deren Höhe das lebendige
poetische Individuum ganz aus dem Gesicht verschwindet, und löst man den
jedesmaligen Gedanken aus der gezwungenen Eleganz und eisigen
Vornehmheit des Ausdrucks, so findet man ihn gewöhnlicher, als es den
Anschein hatte. Wenn Schiller daher nach Lektüre der ihm übersandten
Schrift von der kunstphilosophischen Theorie überhaupt nichts mehr
wissen wollte, so wird diese Stelle seines Briefes zwar gewöhnlich als
Geständnis der Umkehr, in der er sich vom Denker zum schaffenden Dichter
gerade befand, gefaßt; vieles aber an jener Stimmung kommt gewiß auf
Rechnung des gerade sehr unfruchtbaren Buches, aus dessen Veranlassung
er sich äußert. Auch Goethe wandte sich bald von der Lektüre desselben
unwillig ab, angeblich weil ihn der Tadel eines in dem Gedicht
vorkommenden Motivs verdroß. Auch uns hat die ganze umfangreiche
Abhandlung geringere Ausbeute geliefert als die wenigen Seiten, die der
vortreffliche Hillebrand dem Gedichte widmet. Gervinus erwähnt dasselbe
nur vorübergehend, weniger, wie wir glauben, aus Gründen seines Prinzips
historischer Genesis, dem er selbst häufig genug untreu wird, als wegen
der seiner Darstellung überhaupt zu Grunde liegenden Kälte gegen den
Dichter des Humanismus.



Hermann und Dorothea.


Von allen Dichtungen Goethes ist keine, wenn wir den Werther ausnehmen,
gleich anfangs von der Nation mit so allgemeinem Beifall aufgenommen
worden, als Hermann und Dorothea. Der Faust, der jetzt vielleicht unter
den Goetheschen Werken das populärste ist, auch im Auslande, gewann sein
Ansehen erst allmählich und wohl erst in der späteren Gestalt, in der er
zur Zeit der romantischen Schule im Jahre 1808 neuvermehrt in zweiter
Auflage erschien. Hermann und Dorothea war dem Stoffe nach so deutsch
und so menschlich ansprechend und zugleich eine so durchsichtige und
vollendete Kunstgestalt, daß das Gedicht sowohl die Menge, die nur nach
dem Stoffe urteilt, als den gebildeten Kunstsinn, dem nur die Form, die
künstlerische Behandlung gilt, zur Bewunderung hinriß. Schiller
erklärte, nachdem er Hermann und Dorothea gelesen, dies Gedicht für den
Gipfel der Goetheschen, ja aller modernen Kunst. Wilhelm von Humboldt
knüpfte in einem eigenen Buche, das bald nach Hermann und Dorothea unter
dem Titel »Aesthetische Versuche« erschien, an dies Gedicht eine
ausführliche Erörterung allgemeiner ästhetischer Prinzipien. Auch August
Wilhelm Schlegel nannte in einer eigenen Beurteilung Hermann und
Dorothea ein vollendetes Kunstwerk im großen Stil, ein Buch voll goldner
Lehren der Weisheit und Tugend. Mit gleicher Bewunderung äußern sich
neuere Kritiker. Hermann und Dorothea, sagt Hillebrand, der ganz
kürzlich eine vortreffliche Geschichte der deutschen Nationalliteratur
von Lessing bis auf die Gegenwart verfaßt hat, Hermann und Dorothea ist
ein Bibelwerk deutscher Religion und Tugend. Und Gervinus meint, wenn
jetzt ein alter Grieche wieder auferstünde, so wäre in der ganzen
neueren Literatur Hermann und Dorothea das einzige Gedicht, das wir ihm
ohne Verlegenheit anbieten dürften. Auch Rosenkranz hält wie Humboldt
und Gervinus Hermann und Dorothea in künstlerischer Hinsicht für das
vollendetste von Goethes Werken. Goethe selbst hatte eine besondere
Vorliebe für dasselbe: er konnte es, wie er in den Tag- und Jahresheften
erzählt, nie ohne Thränen der Rührung vorlesen.

Ein ähnliches Urteil spricht unser eigenes Gefühl: wir haben alle das
Gedicht, das uns hier beschäftigen soll, gelesen und genossen. Dennoch
aber erhöht diesen Genuß Mitteilung und klares Bewußtsein seiner
Quellen; die Wirkung, die ein schönes Gedicht auf uns macht, strebt von
selbst nach einem angemessenen Ausdruck, und da ein wahrhaftes
Kunstwerk, wie Hermann und Dorothea, immer halb unbewußt von dem
künstlerischen Genius geschaffen ist, gleichsam eine Unendlichkeit von
Absichten in sich birgt, so ist es zwar schwer, ein so beseeltes und
ganz individuelles Gebilde treffend zu charakterisieren, gleichsam die
Fäden seiner Textur aufzuwinden und den Eindruck, den es macht, kritisch
in die einzelnen wirkenden Motive zu zerlegen; dennoch aber bietet es
gerade durch seinen Reichtum der Auslegung und Betrachtung die
verschiedensten Seiten dar und gibt der Aesthetik fruchtbare
Gelegenheit, ihre allgemeinen Prinzipien daran zu messen.

Hermann und Dorothea ist ein Epos oder, wie Jean Paul es noch näher
bezeichnet, ein episches Idyll. Wir werden also, um dem Gedicht seine
Stelle, gleichsam seine substanzielle Heimat anzuweisen, im folgenden
uns ausführlich daran erinnern müssen, welches das Wesen und die Gesetze
der epischen Dichtung überhaupt sind; wir werden dann zu Goethe
zurückkehren und finden, daß er durch eine einzige Gunst der Natur ganz
zum epischen Dichter geboren war und daß das Wesen seiner Dichtung mit
dem Wesen der epischen Dichtung auf das glücklichste zusammenfällt. Wir
werden darauf zusehen, ob die Zeit und Nation, in welche der Dichter
fiel, dem Epos günstig war oder nicht, welches sein Verhältnis zu den
großen politischen Begebenheiten von damals und zu der ihn umgebenden
nationalen Welt war, ob es leicht war hier einen epischen Stoff zu
finden und ob der Dichter eine glückliche Wahl dabei getroffen. Wir
werden dann weiter die Begebenheit selbst, die der Dichter uns erzählend
vorführt, die Personen und Charaktere, die er in Handlung setzt, sowie
die ganze Art der Darstellung und Behandlung näher ins Auge fassen. Auch
die Diktion, der sprachliche Ausdruck, der Versbau gehört zur
Charakteristik des Gedichts, sowie zum Schluß die Begleichung mit den
beiden epischen Vorgängern unsres Gedichts in der deutschen Literatur,
ich meine mit Klopstocks Messias und Voßens Luise dazu dienen wird, die
Eigentümlichkeit und den Wert unsres Gedichts ins Licht zu setzen. Dies
also der Faden, an dem unsre Betrachtung fortlaufen wird.

Die inneren Gesetze der epischen Poesie werden wir nirgends sicherer
erkennen und in reinerer Gestalt wiederfinden können, als bei dem Vater
aller epischen Poesie, dem alten Homer. Das glückliche Volk der Griechen
war ja so künstlerisch und poetisch organisiert, daß bei ihnen die
einzelnen Gattungen der poetischen Idee sich in naturgemäßer Stufenfolge
eine aus der andern entwickeln und sich selbst ihre notwendige Form
erschufen, so daß die inneren Momente des Begriffs nirgends so rein mit
der Wirklichkeit, die Poetik mit der Geschichte der Poesie
zusammenfällt. Goethe selbst hatte, indem er Hermann und Dorothea
dichtete, den Homer als Vorbild vor Augen und so ruft er eben mit Bezug
auf seinen Hermann:

    Denn Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.

Wir werden also, indem wir die Grundzüge der epischen Poesie entwerfen,
dies immer im Hinblick auf Homer thun.

Epos, Wort, Sage ist die Poesie im Kindheitsalter der Völker, in den
Anfängen der Geschichte. Die epische Poesie blüht in jener
Morgendämmerung, wo ein Volk schon aus der Wildheit und Stumpfheit des
ersten Naturdaseins zum Geiste erwacht ist, wo aber die geistigen und
sittlichen Mächte noch nicht als etwas Bewußtes, klar Erkanntes und als
eine abgesonderte feste Gewalt dem Menschen gegenüberstehen, sondern
dieser auf ganz naive Weise mit dem sittlichen Gebot noch eins ist. Es
gibt in dieser Periode zwar schon ein Staatsleben, aber noch nicht in
Form bestimmter Gesetze und fester Rechte, die die Freiheit des
Einzelnen zügeln. Jeder trägt vielmehr die politische Sitte in seiner
eignen Brust und, indem er ihr folgt, weiß er nicht, daß es anders sein
könnte. Gesetz und Empfindung sind noch nicht geschieden und die
Empfindung ist es eben, die den politischen Zustand geschaffen hat. So
ist Agamemnon zwar König, aber diese Herrschaft beruht auf keinem
geschriebenen Gesetze. Wenn er den besten Anteil von der Beute erhält,
so versteht sich dies bei jedem von selbst. An welchem Punkte seine
Macht aufhört und die der Aristokratie, der Geronten und Basileis
beginnt und die letztere wieder durch die Volksversammlung beschränkt
wird, dies ist nicht durch feste Satzung bestimmt, sondern durch das
Allgemeingefühl der Einzelnen von selbst gegeben. Eine durch Reflexion
bestimmte, durch Beratung zu stande gebrachte geschriebene promulgierte
Verfassung gibt es nicht; die politische Ordnung hat keinen andern Boden
als die unbefangene Gesinnung aller. Ebenso ist auch das Recht und die
Rechtspflege nicht eine für sich bestehende Welt; die Bestimmungen
derselben sind schwankend; es hat keine andre bindende Form, als die ihm
durch das unmittelbare Volksleben, durch das Rechtsgefühl und den
Billigkeitssinn gegeben wird. Hat einer z. B. einen Mord begangen, was
bei dem frischen Dasein der homerischen Menschen nichts Seltenes ist, so
sucht er die Familie des Getöteten durch eine Buße zu versöhnen oder er
verläßt fliehend die Heimat: eins oder das andre macht ihm die Sitte zur
Pflicht. Streiten zwei um ein Gewicht Goldes, so bildet das Volk im
Freien einen Kreis, die Greise als Richter sitzen auf erhöhten
steinernen Stufen, das Szepter als Zeichen richterlichen Ansehens und
erfahrener Weisheit in der Hand: hin und her wird gestritten, das Volk
fällt von beiden Seiten schreiend ein, die Herolde gebieten Ruhe;
endlich geben die Greise nach eigenem Sinne und unmittelbarem
Wahrheitsgefühl die Entscheidung. So ist auch das Kriegswesen der
homerischen Zeit ohne äußerlich zwingende Norm und gestaltet sich aus
dem Grunde des in allen Teilnehmern lebenden kriegerischen Sinnes. Keine
Disziplin braucht wie in späteren Zeiten die widerstrebende Willkür der
Individuen zu zügeln; wenn sich die Reihen fest zusammenschließen, wenn
ein Kämpfer dem andern hilft, wenn um den Leichnam des Gefallenen die
Ueberlebenden rettend und schirmend sich scharen, so geschieht dies
nicht nach Befehl, sondern durch eine innere Nötigung, die jeden von
selbst drängt. So handelt in diesem epischen Zeitalter das Individuum
ganz naiv und unbewußt nach dem Zuge seiner Menschlichkeit; es ist von
dem Volksgeist in allem, was es thut und fühlt, bestimmt und in den
allgemeinen Mächten, die das Leben und die Sitte bilden, völlig
enthalten. Es sind mit einem Worte objektive, substanzielle Menschen. So
wie nun in einer späteren Periode der Geschichte die Trennung des
Subjekts von der Substanz vor sich geht, treten wir aus der spezifisch
epischen Welt heraus. Das Gemüt und die Gesinnung des Einzelnen sind
nicht mehr im Einklang mit dem Geltenden: was früher bei seinem Thun
eine innere Notwendigkeit war, das steht ihm jetzt gegenüber als ein
moralisches Gebot; es gibt feste Rechte und Gesetze, die sich dem Gefühl
des Einzelnen als Schranke entgegensetzen; der Staat tritt auf als eine
bestimmte Verfassung mit besondern Satzungen, geschaffen durch
Gesetzgeber; letzterer freilich faßt auch nur die geltende nationale
Empfindung in Sätze und Formeln, dennoch ist schon diese Form des
geschriebenen Gesetzes die erste Stufe der Reflexion; das poetische
Gesamtleben der episch-heroischen Zeit wird zu einer prosaischen Ordnung
der Dinge. Wird nun das in sich gebrochene Gemüt, das aufgehört hat ein
totales zu sein, in sich selbst zurückgetrieben, um dort in subjektiven
Empfindungen und Betrachtungen zu weilen, so gibt diese Beschäftigung
des Subjekts mit sich selbst der lyrischen Poesie Entstehung; drängt es
umgekehrt den Zwiespalt mit der bestehenden Welt nach außen und sucht
praktisch und handelnd sein Inneres in der objektiven Welt geltend zu
machen, so führt dieser Kampf individueller Zwecke und Charaktere mit
den allgemeinen objektiven Mächten zur dramatischen Poesie.

Wie aber in der Periode des Epos die Kräfte des Menschen überhaupt noch
in Einheit sind, so ist auch sein sinnliches Dasein noch nicht von dem
geistigen unterdrückt. Die homerischen Helden sind ganze volle, zugleich
herrlich sinnliche und edel geistige Menschen, stehen im engen Verkehr
mit der äußern Natur, und die physischen Bedürfnisse und deren
Befriedigung gelten ihnen eben so sehr, als wir sie zu verhüllen
streben. Essen und Trinken ist in ihrem Lebenslauf keine Nebensache, und
die äußeren Verrichtungen, die dazu nötig sind, stehen nicht unter ihrer
Würde. Der Held schlachtet selbst seinen Ochsen und zerlegt und reinigt
ihn und brät das Fleisch; der Sessel, auf dem er sitzt, das Bett, in dem
er schläft, die Matten, Segel und Ruderbänke des schnellen hohlen
Schiffes, mit dem er übers Meer gekommen, sein Helm, sein Schild, sein
Panzer und der Speer, mit dem er sich zur Schlacht wappnet, der Wagen,
mit dem er über die troischen Gefilde eilt, die Zügel, die Pferde --
alles dies gehört wesentlich zum Kreise, in dem seine Persönlichkeit
gegenwärtig ist. Und indem er in diese sinnlichen Beschäftigungen und
physischen Bedürfnisse sein ganzes Ich hineinlegt, werden diese
Verrichtungen selbst geadelt und gleichsam menschlicher. Für uns
arbeiten Maschinen und Fabriken; wir beteiligen uns an den sinnlichen
Geschäften nur halb, unser edleres Selbst ist nicht dabei zugegen;
Diener thun es für uns hinter unserm Rücken; Handwerker verfertigen
unser Gerät; die Speisen kommen uns künstlich bereitet schon zu und
diejenige Klasse, die sich mit jenen Verrichtungen abgibt, hat dafür den
geistigen Adel eingebüßt, den die homerischen Menschen bei all ihrem
Thun bewahren. So macht es jetzt einen rührenden Eindruck auf uns, wenn
Penelope, die Fürstin von Ithaka, und Helena, die Gattin des
Königssohnes Paris, selbst ihr Gewand weben, daß Nausikaa selbst am
Meeresufer mit ihren Mägden ihre Kleider wäscht und trocknet. Wenn von
dem einen Helden gerühmt wird, daß die Beredsamkeit von seinen Lippen
geflossen wie süßer Honig (ein sehr geistiges Lob), so preist der
Dichter dafür andre wegen ihrer mächtigen Stimme, wegen der
Schnelligkeit ihrer Füße und der Kraft, mit der sie große Steine
aufheben und fortschleudern, also wegen sinnlicher Eigenschaften. Das
Ansehen des Königs stützt sich auf die Gewalt des Heldenkörpers, durch
die der Herrscher dem Volk überlegen ist. Der Kampf selbst ist ein
körperlicher: Mann trifft auf Mann. Voll schöner symbolischer Gebräuche
ist die Kriegführung, die Bestattung, der Opferdienst, öffentlich ist
die Volksversammlung, sie bewegt sich in lauter sichtbaren und hörbaren
Formen. So gilt das Recht der Sinnlichkeit unverkürzt und das Sittliche
und Physische verschmelzen mit gleicher Macht zum Bilde einer totalen,
in sich einigen und ungebrochenen Menschennatur.

Auf diesem Boden also entsteht das Epos und damit ergeben sich alle
Eigenschaften dieser poetischen Gattung von selbst. Wenn der Held abends
von seinen Thaten ruht, wenn nach beendigtem Mahle das Verlangen nach
Speise und Trank gestillt ist, dann tritt der Rhapsode auf und sein Lied
ist eine ideale Reproduktion des Erlebten und Vollführten, Erzählung
geschehener Thaten und Begebenheiten, Erinnerung an eine nähere und
fernere Vergangenheit. Solche Gesänge tönen bei jedem Fest, unter jedem
Dache, überhaupt wenn die Mußezeit eingetreten ist. Sie sind nicht
willkürlichen und individuellen Inhalts; nicht der Einzelne hat sie mit
diesem bestimmten Geiste gefüllt und in dieser bestimmten Form
gestaltet; er ist ein Organ, gleichsam der Mund des Volkes, das
lautwerdende Allgemeingefühl. Das Nibelungenlied, sagt Grimm, hat sich
selbst gedichtet. So haben diese Rhapsodieen einen inneren Zug
zusammenzufließen; zugleich bildet sich die anfangs schwankende Sage
durch vielseitigen Austausch zu einer festen Gestalt. Das so entstehende
epische Gedicht wird in einer Periode, wo überhaupt mehr die allgemeinen
Lebensgesetze gelten als das Individuum, das ganze nationale Leben
umfassend spiegeln; es wird ein Abbild der Thaten und Gesinnungen des
Volkes überhaupt. Das Volk selbst dichtet das wahre Epos und spricht
sich darin mit allen seinen Eigentümlichkeiten aus. Das epische Gedicht
erzählt uns daher keine vereinzelte That, sondern die Bewegung, die Züge
und Kämpfe nationaler Massen: in ihm herrscht nicht eine einzelne
Empfindung oder Leidenschaft oder eine begrenzte Herzens- und
Lebenssituation wie im lyrischen Gedicht oder im Drama, sondern es
umschließt die volle Totalität einer Nation und einer Zeit. Dadurch nur
wird auch das Epos zum Hauptbuche, zur allgemeinen Quelle der Erziehung
und Bildung oder, wie Hegel treffend sagt, zur Bibel des Volkes. So
blieb Homer für immer der heilige Lehrer der Griechen, dessen Aussprüche
wie Entscheidungen eines Gottes galten, auf den sich jeder berief, der
das Fundament wurde, auf welches sich die gesamte poetische, religiöse
und sittliche Bildung der Griechen auferbaute. Homer schuf nach Herodot
den Griechen ihre Götter, die Tragiker entnahmen ihm die Fabel ihrer
Stücke, die Philosophen maßen ihre Ansichten an ihm; Grenzstreitigkeiten
wurden nach seinen Aussprüchen geschlichtet; Lykurg legte ihn der
altdorischen Ordnung, die er befestigte, zu Grunde; in Athen war Homer
das Erziehungsbuch der Jugend. Eine ähnliche epische Bibel hat fast jede
bedeutende Nation in einem gewissen Stadium ihrer Geschichte
hervorgebracht: die Indier haben ihre großen Epen wie die Griechen ihren
Homer; so erzeugten die Italiener gleichfalls am Anfangspunkt ihres
nationalen Werdens ihren Dante, für dessen Erklärung sogar eigene
Lehrstühle an den Universitäten errichtet wurden; so die Portugiesen
ihren Camoens, der ebenfalls in einer Periode des Aufschwunges der
portugiesischen Volksmacht lebte und diesen Aufschwung, nämlich die
Entdeckungsfahrten nach Indien in seine Lusiaden aufnahm; und nicht
anders wurde im deutschen Mittelalter Wolfram von Eschenbachs Parzival
der treue und vollständige Spiegel des damals herrschenden mystischen
Rittertums und wurde daher auch das am allgemeinsten verbreitete Buch,
Genuß und Vorbild für alle. Manchen Bibeln fehlt die epische Form, z. B.
dem alten Testament, wo auch niedergelegt ist, was das jüdische Volk an
Sage und Geschichte, an Poesie und Nachdenken besaß, obgleich im Alten
Testament das Religiöse zu sehr vorherrscht, als daß wir es für ein
wirkliches Epos erklären könnten. Ebenso verhält es sich mit den
religiösen Grundbüchern der Perser und Araber, dem Zendavesta und dem
Koran. Eben aber weil das Epos auf diese Weise den ganzen geistigen
Schatz eines Volkes in sich schließt, rührt es in seiner reinsten
Gestalt auch nicht von einem einzelnen Dichter her, sondern ist aus
Rhapsodieen, Volksgesängen, epischen Bruchstücken aller Art
zusammengeflossen. Wie Homer sind auch die Nibelungen und Gudrun, auch
das finnische Epos auf diese Weise entstanden. Hegel widersetzt sich
zwar mit Nachdruck der Wolfschen Hypothese, wonach die Ilias und Odysse
aus gesonderten Teilen erst später zusammengesetzt worden: aber er thut
dies nicht aus Gründen historischer Kritik, sondern weil er mit Recht
glaubte, die Einheit sei einem Gedicht unerläßlich und ein wahrhaftes
Kunstwerk müsse ein geschlossenes Ganzes bilden. Allein die Einheit
braucht deshalb nicht verloren zu gehen: es kommt durch die
Gleichartigkeit des in der epischen Zeit alle Einzelnen beherrschenden
Volksgeistes und seiner Sage in die getrennten Bruchstücke von selbst
Einheit des Tones und lebendiger Zusammenhang; ferner ist ja das Epos in
der Gestalt, wie es den späteren Geschlechtern überliefert wird, das
Werk eines Ordners und Zusammensetzers (Diaskeuasten), der nach einem
bestimmten Gedanken verfährt, welcher in den Bruchstücken selbst
enthalten ist. So konnten die Ilias und Odyssee, obgleich sie nur eine
Konkretion alter Heldengesänge und epischer Hymnen sind, dennoch den
strengen Zusammenhang haben, dessen Fugen nur das geschärfte kritische
Auge an manchen Stellen entdeckt. Umgekehrt fehlt es in manchen
reflektierten späteren Epen, obgleich sie von einem Dichter herstammen,
an der nötigen inneren Gleichartigkeit. Die Aeneis des Virgil z. B.
besitzt die künstlerische Einheit nicht; die Geschichte von der Dido
z. B. fällt aus dem epischen Ton heraus und ist eine ganz tragische
Episode. Auch Klopstocks Messias ist, weil der Dichter ungefähr zwanzig
Jahre daran arbeitete, sehr disparat in seinen einzelnen Teilen. Gerade
wenn das Gedicht das unmittelbare Produkt des naiv dichtenden Volkes
ist, wird es in sich zusammenstimmen, so lang es auch sei. Das echte
Epos wird immer das Ansehen haben, als wenn das Volk selbst mit dunklem
Triebe nach Selbstdarstellung es geschaffen: der Einzelne, der daran
gearbeitet, verliert sich; das Nibelungenlied hat sich selbst gedichtet,
es ist erwachsen. Daher sagt Jakob Grimm sehr wahr: es gibt gute und
schlechte lyrische Gedichte, gute und schlechte Dramen, aber dem echten
Epos steht nur ein falsches gegenüber. Dies ist der Mangel z. B. bei
Virgil: er ist ein künstlicher gelehrter Dichter, der an die Wahrheit
der Dinge, die er erzählt, selbst nicht glaubt; er ist in dem Bewußtsein
der von ihm geschilderten Welt nicht befangen, schafft mit Absicht, ahmt
nach und stutzt seine Rede mit rhetorischen Blumen auf. Nur in einer
Hinsicht zeigt er sich als wahrhaft epischen Dichter: auch ihn nämlich
durchdringt wie das ganze römische Volk das Bewußtsein der Herrlichkeit
dieses Volkes, seine göttergleiche Größe, der Stolz und die Pracht der
Weltherrschaft. An solchen Stellen ist auch er nur ein Ausdruck seines
Volkes, die Begeisterung ist keine künstliche und die Worte strömen ihm
zu, daher er auch fünf Jahrhunderte hindurch in allen Schulen bei den
Römern der gefeierte Liebling blieb.

Indem wir nun mit Recht das Epos für das poetische Totalbild eines
Volkes und einer Zeit ansehen, ist dies nicht so zu verstehen, als solle
das Gedicht ein ethnographisches Gemälde sein oder eine geordnete
Schilderung der damals herrschenden Sitten, wie sie der Historiker
unternimmt. Vielmehr fordert das Gesetz aller Poesie auch beim Epos, daß
der allgemeine Geist sich zu einer bestimmten epischen Begebenheit
zusammenziehe und sich individualisiere, und daß nicht das ganze Volk
oder gar die Menschheit, sondern ein bestimmter Held Subjekt derselben
sei. Das nationale Leben wird uns im Epos in einer einzelnen begrenzten
That vorgeführt; es kommt durch eine bestimmte Situation, durch
bestimmte Zwecke und Handlungen als ein konkretes Individualbild zur
Anschauung. Einen Konflikt und eine Kollision verlangt auch das Epos,
aber dieser Konflikt ist von dem dramatischen sehr verschieden. Im Drama
stehen sittliche Mächte in Kollision; das Subjekt, das sich auf dem
Punkte ihres Zusammenstoßes befindet, geht zu Grunde. Oder das
Individuum macht sein individuelles Pathos, den inneren Drang seiner
Leidenschaft der objektiven Ordnung der Dinge gegenüber geltend; es
kreuzt mit seinen subjektiven Zwecken die des Schicksals und der
sittlichen Notwendigkeit und macht untergehend die tragische Erfahrung
seiner Endlichkeit. In der epischen Welt aber gibt es noch keinen so
tiefen Zwiespalt; der Lauf des Schicksals tritt dem Streben des
Einzelnen nicht entgegen, sondern hebt und fördert es. Die epische
Kollision vernichtet daher den Frieden des Menschen nicht; ohne die
harmonische Entfaltung des Volksganzen zu stören, bringt sie nur eine
belebende Bewegung hervor. Eine passende epische Kollision ist daher der
Krieg, in welchem die Nation ihre Kräfte übt und Wachstum und Entfaltung
beschleunigt fühlt; nur darf der Krieg kein innerer, im Schoße des Volks
selbst ausgebrochener sein, kein Dynastieenkampf wie bei Shakespeare,
kein Bruderzwist um das Erbe des Thrones, denn dann stehen wir auf dem
tiefen Boden der dramatischen Kollision. Auch Entdeckungszüge wie die
der Portugiesen bei Camoens, eine Kreuzfahrt wie bei Tasso sind ein
schöner epischer Stoff: auch dort türmen sich die Hindernisse, die
Gefahren nur auf, um überwunden zu werden, und der Widerstand der
Wirklichkeit dient nur dazu bei jedem Schritte sich dieser Wirklichkeit
vollständiger und glücklicher zu bemächtigen. Auf diesem allgemeinen
Boden epischer Kollision tritt nun die ganz individuelle epische
Begebenheit auf, und in ihr bewegen sich die epischen Charaktere. Auch
der Charakter des epischen Helden schwebt wie die Begebenheit in der
Mitte zwischen der nationalen Basis und seiner individuellen
Besonderheit. Er ist, was jeder sein kann, was jeder im Grunde ist: dies
in ihm Waltende ist nichts andres als die allgemeine Lebensgrundlage,
die alle trägt. Sein Streben ist kein Kampf, weder mit dem Schicksal
noch mit der ihn umgebenden Volksnatur. Er will nicht die Welt
umgestalten und etwas erst noch in seinen Gedanken Vorhandenes
realisieren, sondern in der Realität selbst wirkend, folgt er dem Zuge
der Dinge mehr in ein äußeres Geschehen verflochten als durch wirkliche
That, die immer in dem Innern des Subjekts entspringend in der Welt der
Objekte sich durchsetzt, die Natur nach Zwecken seiner Freiheit
umformend. Im Epos ist daher kein verwickeltes psychologisches Getriebe,
kein verstecktes Motiv; die Handlungen fließen aus dem Instinkt des
Ganzen. Die erzählte Begebenheit strömt ruhig an uns vorüber; der äußere
Vorgang, Umstände, Zufälle, Ereignisse, dasjenige, was dem Helden
begegnet, nicht der Held selbst als eine innerlich von Absichten bewegte
oder von streitenden Motiven aus dem Gleichgewicht gebrachte
Persönlichkeit ist im Epos das Wesentliche. Danach lassen sich alle
geschichtlichen Charaktere in epische und dramatische einteilen. Der
epische Held ist nur eine Konzentration der Nation und der Zeit; was er
will und fühlt, ist Wille und Gefühl aller. Er ist daher immer
glücklich, er ist der Günstling des Geschickes und die Götter sind mit
ihm. Die Macht der Umstände trägt ihn von Erfolg zu Erfolg, Hindernisse
und Hemmungen weichen, sein eigenes Innere ist offen, harmonisch bewegt;
keine individuelle Willkür reißt ihn los von der Lebensgemeinschaft mit
allen übrigen, und, indem er ein umfassendes Werk mit Größe vollführt,
ist diese Vollführung vielmehr das bewußtlose Werden der Dinge selbst.
Bei den tragischen Charakteren, die der reine Gegensatz der epischen
sind, ist die religiöse Harmonie zur Empörung geworden. In Zeitaltern
vorgeschrittener Zivilisation isoliert sich der begabte weiter blickende
Genius; er fühlt der stumpfen Masse gegenüber höhere Einsicht,
überwiegende Kraft in sich; er bildet den ersten Strahl des kommenden
Zeitalters; in dem Kampf gegen das Bestehende fällt er als Opfer; der
zähen Gewohnheit, der Beschränktheit gegenüber verblüht er langsam; oder
er überwindet den Widerstand, steigt zum höchsten Glanz empor und will
die Welt nach seinen Zwecken zwingen. Aber da ereilt ihn nach dem
tiefsinnigen Ausdruck der Alten der Neid der Götter, die nicht dulden
können, daß ein Sterblicher sich mit ihnen messe und das Steuer der
Weltregierung ihren Händen entreiße. Indem er sein individuelles Pathos
zum alleinigen Gesetz macht, stört er den Gesamtkomplex der sittlichen
Mächte, die in gegenseitiger Durchdringung das Leben bilden; seine Kraft
und Größe nach einer Seite ist seine Schwäche nach der andern; die
durchbrochene Ordnung stellt sich wieder her, die Massen reagieren gegen
ihn und, wo er am höchsten stand, stürzt er am tiefsten; in dem
Augenblick, wo seine Pläne dem Gelingen am nächsten waren, sinken sie in
Staub. Die Götter, die den epischen Helden lieben, hassen und vernichten
den tragischen. Prometheus ist der wahre Typus tragischer Helden. Cäsar,
Xerxes, der in seinem Uebermut den Hellespont geißelte, Ajax, den Pallas
ins Verderben stürzt, sind tragische Charaktere, die daher auch von den
Dichtern, von Shakespeare, Aeschylus und Sophokles gewählt wurden.
Manche Figuren der Weltgeschichte tragen, je nachdem sie aufgefaßt
werden, mehr den tragischen oder den epischen Charakter, z. B. Napoleon.
Im ersten Stadium seines Lebens, als Obergeneral in Italien und Aegypten
ist er der epische Held, den die Schwinge des Jahrhunderts und die
Strömung der Dinge glück- und sieggewährend trägt; seine Thaten sind ein
sonnenbeglänztes Epos; allmählich isoliert er seine Zwecke; er verliert
sich in eine immer kühnere und einsamere Höhe; die objektive Welt mit
allen endlichen Bedingungen und Verhältnissen, die Völker mit ihrer
nationalen Denkart werden ihm nur der gleichgültige Stoff, dem er die
Form seines idealen Willens aufprägen will; da reagiert eben diese reale
Welt, die sich von keinem Einzelnen aus dem Schwerpunkt rücken lassen
will; die Katastrophe, d. h. das plötzliche Umschlagen erfolgt und den
Vermessenen trifft ein erschütterndes Verderben. So ist auch bei
Alexander dem Großen, bei Kolumbus eine doppelte Auffassung möglich:
epische Helden sind beide, insofern sie nur Organ des Zeitgeistes sind;
der eine öffnet den Orient, der andre den fernen Occident; beide sind
von dem allgemeinen Streben der beengten Völker nach Erweiterung des
Weltbewußtseins zu glücklichem Ziele getragen; in das Leben beider
mischt sich aber bald das tragische Unglück, dem der eine in der Blüte
der Jugend, der andre nach einer Kette von Kränkungen und Mißgeschicken
verfällt.

Die letzte Betrachtung, die wir dem Epos zu widmen haben, betrifft,
nachdem wir die epische Substanz bezeichnet, die epische Haltung, die
Weise der poetischen Behandlung im Epos. Diese wird die einfache
Konsequenz von jener sein, und auch darin kann uns Homer das Muster
sein. Da das Epos in jene frühe Zeit fällt, wo die fühlende Seele in
unmittelbarer Einheit mit der Welt ist und der Wille noch keinen Kampf
mit den Naturtrieben zu bestehen hat, so wird auch die ganze epische
Darstellung von jenem heitern Frieden und jener ungetrübten Harmonie
überall getragen sein. Da ferner der epische Dichter von einer
vergangenen Zeit nur erzählt, da, was er vorträgt, nur durch den stillen
Sinn des Ohres vernommen wird und nicht wie im Drama in unmittelbar
ergreifende Gegenwart tritt, so wird der Gemütsanteil ein milderer, die
Stimmung eine freiere und der Sänger gewinnt Raum zu plastischer
Entfaltung aller Seiten und Umstände, zu ruhiger Entwicklung und
ebenmäßiger Anerkennung auch des Kleinsten und Geringfügigsten. Im Drama
ist der Charakter der Personen gleichsam nur von einer Seite beleuchtet,
insofern sie nämlich durch eine vorherrschende Leidenschaft, durch eine
besondere Stellung zum System des Ganzen in den tragischen
Kollisionsfall verwickelt sind. Das Epos aber hat nicht einen besonderen
Gesichtspunkt, es beleuchtet die Persönlichkeit von allen Seiten, in
allen Beziehungen und stellt den ganzen Menschen mit verweilender
Ausführlichkeit als eine Totalität von Neigungen, Eigentümlichkeiten und
Interessen vor unser geistiges Auge. Das Drama eilt unruhig durch eine
Reihe von immer heftigeren Dissonanzen seinem Ziele entgegen; von
Steigerung zu Steigerung drängt es der Katastrophe zu; der Zuschauer,
zwischen Furcht und Hoffnung bewegt, in sich selbst geteilt und aus dem
Gleichgewicht harmonischen Selbstgefühls gerissen, findet keine Ruhe als
in dem endlichen Ausgangspunkt, wo die gewaltsame Spannung sich in
ideales Mitleid auflöst und die Harmonie des vollendeten Kunstbaues uns
die innere Versöhnung wiedergibt. Umgekehrt bleiben wir dem epischen
Erzähler gegenüber immer in der Freiheit des Gemütes und in der
allseitigen Integrität unsrer Kräfte. Statt wie im Drama den Gehalt
heftig zusammenzudrängen, entfaltet er vielmehr das ganze Leben, die
ganze Breite menschlichen Wirkens und Daseins mit allen Nebenumständen,
allen Nebenstimmungen in gleichmäßig heller Beleuchtung. Seine
freundliche Ansicht der Dinge gewährt auch dem Unscheinbarsten ein
Dasein im Ganzen und er verweilt gern dabei. Mit göttlicher
Unparteilichkeit und Unbefangenheit gibt Homer jedem Gegenstande, dem
größten wie dem kleinsten seinen Namen und sein Recht; nachgiebig und
milde hebt er jede zur Seite sich anschließende Beziehung hervor, sie
mag wichtig oder unwichtig sein, und sich ganz hinter der von ihm
geschilderten Welt verbergend läßt er alles und jedes sich in seinen
eigensten Tönen aussprechen und nach seiner eigensten Form und Stelle in
das reiche und mannigfache Bild einfügen. In dem weiten Umfang seines
anschauenden Geistes und in der gleichmäßigen Wärme seiner Teilnahme ist
nichts als störend, überflüssig oder unbedeutend ausgeschlossen. Er
berichtet uns nicht bloß, wie seine Helden hassen, lieben und kämpfen,
sondern auch, wie sie die Sohlen anlegen und über das Unterkleid den
Mantel werfen; er zählt uns alle Stücke der ehernen Rüstung auf von den
Beinschienen bis zum Haarbusch des Helms, ebenso alle Polster und
weicheren wollenen Teppiche des Bettes; er folgt der Mahlzeit in allen
ihren Teilen, die Helden waschen sich die Hände, sie erhalten alle
gleiche Portionen Fleisch zugeteilt, die Herolde mischen den Wein mit
Wasser und gießen aus dem Mischkessel jedem Gaste das Getränk in den
kleineren Becher u. s. w. Treten im entscheidenden Moment der Schlacht
zwei Kämpfer einander gegenüber, schon ist die Lanze gehoben, so hat der
Dichter doch noch Zeit und heitere Seelenruhe genug uns mit den
bisherigen Schicksalen des einen oder des andern bekannt zu machen, wo
er bisher gelebt, wer seine Mutter und sein Vater gewesen, ja wie dessen
Vater geheißen und wo und wie alt er gestorben sei. Ganz von dieser
epischen Ruhe sind auch Homers Dialoge, die Wechselreden der Helden und
der Götter unter einander durchdrungen. Sie mögen in heftiger
Leidenschaft mit einander streiten oder sie mögen Befehle geben und
empfangen oder prahlend mit einander im Wortkampf wetteifern oder in
Todesnot um Rettung flehen oder forschen oder erzählen, immer ist es der
langsame, ruhig strömende Fluß, der nirgends anhält, aber auch nirgends
mit stürmischer Gewalt fortdrängt. Ein gutes Beispiel epischen
Verweilens bildet die Stelle, wo die Amme Eurykleia beim Fußwaschen
plötzlich ihren Herren, den als Bettler zurückgekehrten Odysseus an der
Narbe am Knie erkennt. Es ist der Moment höchster Spannung: dennoch
erzählt der Dichter nun ausführlich, wie Odysseus in der Jugend zu
dieser Narbe gekommen, bei einem Besuch bei Autolykus auf dem Parnaß;
die Eberjagd, auf der der Eber ihm die Wunde beibrachte, wird mit allen
Einzelheiten geschildert; die dabei vorkommenden Reden werden
mitgeteilt; endlich wird mit den Worten: »diese Narbe also erkannte die
alte Amme« wieder eingelenkt. Wiederum als Patroklus getötet worden und
Achilles die Waffen ergriffen, schwärmt er voll Wut und
Vernichtungseifer auf dem Schlachtfelde: da trifft er auf den Lykaon,
den Sohn des Priamus; ein Augenblick genügte, um den Unglücklichen zu
verderben. Aber der Dichter schiebt ruhig diesen Augenblick noch auf: er
erzählt uns zuerst, wie Achilles schon früher einmal den Lykaon in
dunkler Nacht in des Vaters Weingarten überfallen; der Jüngling schnitt
sich da mit scharfem Messer von einem Feigenbaum junge Ruten; diese
Ruten sollten zu Wegweisern dienen; doch überfiel ihn nun dort
unversehens der göttliche Sohn des Peleus. Aber er schickte den
Gefangenen auf einem Schiffe über das Meer und verkaufte ihn ins
schöngebaute Lemnos. Käufer aber war Euneus, Sohn des Jason. Von dort
kaufte ihn ein Freund los, viel Gold gebend, Eetion der Imbrier, und
schickte ihn nach Troja zurück in die göttliche Arisbe. Von dort
heimlich entfliehend kam er ins väterliche Haus zurück. Daselbst war er
elf Tage, sich des Umgangs seiner Lieben freuend, nachdem er Lemnos
verlassen, am zwölften aber traf er wieder auf den Achilles. Jetzt also
stehen wir wieder bei dem Moment wie vor jener Einschaltung. Aber noch
fällt der tödliche Streich nicht. Achilles ist verwundert den nach
Lemnos Verkauften wieder auf dem Kampfplatz vor sich zu sehen und jetzt
folgt ein lautes Selbstgespräch von zehn Versen, in welchen Achilles
ausruft: Fürwahr ich glaube, die von mir getöteten Troer kehren aus der
Unterwelt wieder zurück; so habe ich diesen doch in die heilige Lemnos
verkauft, aber das graue salzige Meer hat ihn nicht zurückhalten können
und viele kommen doch wider ihren Willen im Meere um; aber nun will ich
sehen, ob er, wenn er meines Speeres Schärfe erfahren, auch von da
zurückkehren wird oder ob ihn die Erde bändigen wird, die ja auch den
Kräftigen bändigt. Jetzt beschreibt der Dichter, wie Lykaon im Gemüte
nicht sterben gemocht, in welcher Stellung Achilles ihm gegenüber
gestanden, wie Lykaon darauf bittend sich ihm genaht, und nun folgt in
mehr als zwanzig Versen diese Bittrede, in der Lykaon wieder Zug für Zug
erzählt, wie er in dem Obstgarten gefangen worden, für hundert Ochsen
nach Lemnos verkauft sei, elf Tage zu Haus zugebracht u. s. w. Ich sehe,
sagt er, daß meine Mutter mich nur zu kurzem Leben geboren hat, die
Laothoe, die Tochter des greisen Altes, welcher über die kriegerischen
Leleger herrscht in der hohen Pedasos am Flusse Satnioeis. Dieses Altes
Tochter hatte Priamus wie viele andre: wir waren von der Mutter zwei
Kinder, du wirst sie wohl beide töten, den einen hast du schon getötet,
den göttergleichen Polydorus u. s. w. Hierauf antwortet Achilles
seinerseits ausführlich in fast ebenso langer Rede, worin er den Tod des
Patroklus anführt, und nun erfolgt die Tötung, deren nähere Umstände
gleichfalls genau angegeben werden. Solche Beispiele des wahrhaft
epischen Tones ließen sich aus Homer unzählige anführen. Der Dichter
folgt aber in der Reihe der Zeitmomente nur dem Gesetz poetischer
Anschaulichkeit und, wenn er manchmal das Ausgedehnte zusammenfaßt, so
entfaltet er meistens das, was sich in der Wirklichkeit zusammendrängt,
z. B. wenn sich eine spannende Lage, ein heftiges Gefühl in unsrer Brust
oft nur in einem kurzen Ausruf oder in einem einzigen Wort Luft macht,
zu voller Darlegung des darin liegenden mannigfaltigen Gehaltes. Der
epische Dichter gleicht darin ganz dem bildenden Künstler: auch dieser
hält einen im Zeitflusse vorübergehenden Moment fest und stellt ihn mit
festen und vollen Marmorumrissen vor unsre Anschauung, so daß wir seinen
ganzen Inhalt entfaltet und bleibend vor uns haben. Daher nun auch die
Neigung des epischen Dichters zu Episoden. Im Drama duldet die Angst
der Erwartung kein Abspringen, es folgt immer in strenger Linie Schlag
auf Schlag dem Endziele, aber das Epos ist der wahre Boden der
mannigfaltigsten Episoden. Der Dichter wie der Zuhörer folgen in ihrem
inneren Frieden jedem Zuge der sich darbietenden Gelegenheit; wo ein
Seitenpfad sich öffnet, wird er harmlos betreten. Homer macht nichts
parteiisch, weil er das Recht eines jeden Dinges kennt und bereit ist es
ihm zu geben. Seine Darstellung will weder loben noch tadeln, sondern
nur sich selbst genugthun. Ganze Gesänge der Ilias, kann man sagen, sind
nur Episoden, so der sehr schöne fünfte, der von der Tapferkeit und den
Thaten des Diomedes handelt; in den Gesängen aber sind die unzähligen
kleineren Digressionen wieder, so zu sagen, für sich bestehende Epen im
kleinen, Teilgebilde, die ein eigentümliches Leben führen und nur locker
und lose mit dem Hauptgange zusammenhängen; polypenartig wächst Epos aus
Epos hervor. Jeder Punkt in dem großen Gebilde ist für sich belebt;
jeder Satz hat seine eigne Seele und ist um seiner selbst willen da; und
daher auch die lose Wort- und Satzverknüpfung überhaupt, die bis in die
kleinste Form von dem epischen Prinzip durchdrungen ist. Auch die
häufigen ausgeführten Gleichnisse, die alle epischen Dichter dem Homer
nachgebildet haben, sind von diesem Geiste ruhigen Verweilens bei
Nebenvorstellungen eingegeben: indem dem Dichter bei irgend einer
Situation eine ähnliche aus einem andern Gebiete einfällt, verweilt er
bei dieser zweiten, die unter der Hand zu einem eigenen Ganzen wird und
ein selbständiges Interesse gewinnt, was sich auch in dem Uebergange aus
dem abhängigen Nebensatze in einen Hauptsatz zeigt, der bei homerischen
Gleichnissen so oft vorkommt. Dieselbe epische Ruhe zeigt sich bei den
so häufigen Wiederholungen: wenn bei Homer ein Bote eine Meldung zu
bringen hat, so wird er den Auftrag gewiß, so lang dieser sein mag, mit
allen Nebenmotiven in denselben Worten wiederholen. Auch dies ist ja nur
ein Zeichen jener göttlichen Geduld, die durch die ganze epische Welt
waltet, jener zwar immer schaffenden und bildenden epischen Phantasie,
die aber, eben weil sie solchen Reichtum im Schoße trägt, ganz wie die
gebärende Natur selbst mit ihrem Erzeugen halb zurückhaltend zögert. Das
Epos, sagt Herder einmal, muß langweilig sein: dies ist in dem Sinne
wahr, als es allen dramatischen Drang, alle lyrische Erreglichkeit und
Unruhe ausschließt. Aber das dadurch mangelnde lebhaftere Interesse
ersetzt es durch die Sinnlichkeit, durch die Plastizität, durch das
helle Licht und den ununterbrochenen greifbaren Umriß, womit es den
anschauenden Sinn entzückt.

Wir haben uns scheinbar von Goethe und unserm Gedicht weit entfernt,
aber in der That dadurch die wichtigsten Anhaltspunkte zu seiner
Beurteilung und Charakterisierung gewonnen.

Goethe war seiner ganzen Naturanlage nach nicht bloß ein Dichter,
sondern im besondern ein epischer Dichter nach den Merkmalen, die wir
oben angegeben haben. Sein ganzes Leben ist ein großes episches Gedicht
und verfloß in innerer und äußrer Harmonie unter dem stillen Bilden der
Lebensschicksale. Eine Altersstufe löste mit unmerklichem Werden die
andre ab und jede trug im vollen Walten des Naturgesetzes die ihr
eigentümlichen Blüten und Früchte. Der Strom seines Lebens stockte und
wirbelte nie, von feindlichen Hindernissen gehemmt; in sanften Windungen
umging er den Fuß entgegentretender Felsberge. Goethe war immer
glücklich und jedes Mißgeschick verwebte er ausgleichend in den großen
Zusammenklang seines Lebens und der Natur. Wohl hatte auch er innere
Kämpfe zu bestehen, Kämpfe voll tiefer Spaltung und Verfinsterung der
Seele, denn er war ja ein Dichter, aber immer stimmte die reiche
Heilkraft seiner Natur das gebrochene Gemüt wieder zur heitern
Versöhnung mit der Welt und mit sich selbst. Immer in kindlichem
Zusammenhang mit der Ordnung der Natur und in ihren stillen
gesetzmäßigen Gang einstimmend konnte er daher zu der Tragödie, die die
Kämpfe des Subjekts mit den objektiven Mächten oder den Konflikt der
letzteren unter sich poetisch darstellt, sich nicht bestimmt fühlen. Ich
fühle deutlich, schreibt er an Schiller, daß der bloße Versuch eine
wahre Traggödie zu schreiben mich innerlich zerstören würde. In der
epischen Welt dagegen, die von jenem Leiden der subjektiven Freiheit
nicht berührt wird, fand er den Frieden wieder, den die Natur und das
rein und einfach Schöne gewährt. Von Shakespeare entfernte er sich, je
länger er lebte, immer mehr; zu Homer fühlte er sich immer mehr gezogen;
er dachte in Sizilien lange über den Plan zu einem Drama Nausikaa nach,
er begann in späterer Zeit ein Heldengedicht, die Achilleis: in beiden
wollte er mit Homer wetteifern. Das Epische liegt teils vor dem
Tragischen, d. h. wo dieses in der ungetrübten Brust noch nicht
hervorgebrochen ist, teils in der Höhe über demselben, wo nach
Ueberwindung aller Qualen und Widersprüche der endlichen Welt die
bewußtvolle Versöhnung und Seligkeit wieder eingetreten ist. Goethe nun
stand in dieser Region echter in sich beruhigter Menschlichkeit. Die
höchste Bildung war ihm die reinste Menschlichkeit; Schönheit und
Sittlichkeit, ebenso Glück und Sittlichkeit war ihm eins. Der Zustand,
wo die Pflicht mit der Neigung, der moralische Wille mit dem natürlichen
Triebe nicht zusammenstimmt, wo wir also nicht in vollem ungeteiltem
Besitz unsrer selbst sind, war ihm unerträglich. Er folgte dem schönen
Zuge seiner Natur, aber nicht der gemeinen und häßlichen, sondern der
edeln und geläuterten. Dies ist ganz jene Geistesstufe, die wir oben als
die dem Epos und dem epischen Dichter eigentümliche gefunden haben.
Goethes besonderes Erbteil war eine mächtige Energie der Phantasie und
die volle Gabe der Anschauung. Dadurch blieb er in einem Zeitalter des
kalten und trocknen Verstandes ein ewiger Jüngling. Mit klarem Blick
schaute und beobachtete er die Dinge um sich her, trübte ihr Anschauen
nie durch Haß und eigne Einmischung, ließ sie unbefangen auf sich wirken
und stellte sie mit idealer Kunstläuterung dann in ihrer innersten
Wahrheit wieder dar. Wahrheit und Natur sind daher die Hauptmerkmale
aller Goetheschen Dichtung. Die objektive Treue, mit der das
Menschenleben und die Natur sich in seiner Dichtung spiegelt, die
plastische Sinnlichkeit, mit der alle Darstellungen seiner Hand im
heitern Sonnenlicht nachbildender Kunst uns entgegentreten, läßt sich
nur mit der Plastik und Objektivität des Homer vergleichen. Merck, der
ältere Freund Goethes, erriet diese Gabe des Dichters schon frühe und
äußert in einem Briefe, Goethes unverrückbare Richtung sei die, dem
Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, während die andern nur die
Imagination zu verwirklichen suchten. Auch Schiller bemerkt über Goethe,
bei keinem modernen Dichter finde sich so die volle sinnliche Wahrheit
der Dinge als bei ihm. Goethe hielt sich ganz an die lebendige Gegenwart
der ihn umgebenden Dinge und fand in ihr den Gehalt der Ewigkeit:

    Willst du ins Unendliche schreiten,
    Geh nur im Endlichen nach allen Seiten!

Das Uebersinnliche galt ihm nur, insofern es sich im Sinnlichen
offenbart; er schaute das Allgemeine im Besondern an; so war er Realist
und Idealist zugleich. Nach fernen Idealen jagen war ihm zuwider;
sentimentale Sehnsucht, wenn sie ihn beschlich, legte er in ein
lyrisches Lied nieder, das ihn wieder heilte und befreite, und bog sie
zur erfüllten Gegenwart um. Daher kam es nun auch, daß Goethe wie später
Schiller, der Mann der Freiheit, der Dramatiker, von Kant, daß so der
epische Goethe von Spinoza mächtig angezogen ward. Goethe liebte und
studierte diesen Denker, besonders seine Ethik eifrig, mit dem er in
ursprünglicher Wahlverwandtschaft stand. Die alles ausgleichende Ruhe
Spinozas, die Goethe selbst an ihm preist, war nur das Widerspiel seiner
eigenen Sinnes- und Darstellungsweise. Was er selbst längst gefühlt,
davon fand er die bewußte Erkenntnis bei Spinoza: die Gegenwart des
Unendlichen im Endlichen, die Unabtrennbarkeit der Idee von der
Erscheinung, die erhabene sittliche Ruhe und Versöhnung, die
pantheistische Nähe Gottes in allem. Auch Spinoza wie Goethe sah in der
Welt, in den Dingen, die uns umgeben, in jedem Augenblick, der uns
geschenkt ist, überall die Immanenz, d. h. das bleibende Inwohnen eines
ewigen Gehaltes und eine große Harmonie, in der das All zusammenklingt.
Jene episch-plastische Richtung, die der Dichter durch seine eigene
Natur und durch Spinoza erhalten hatte, kam zur völligen Reife in dem
plastischen Italien. Die Natur- und Kunstwelt Italiens gab ihm die
durchsichtige Klarheit, die vollendete Form, die objektive Bestimmtheit
und den milden Frieden, der seine Werke von da an auszeichnet. Die
bildende Kunst, weil sie so reine Anschauung ist, die Natur, weil sie
ohne Willkür ihr stilles, aber tiefes Leben vollendet, waren von jetzt
an für immer Gegenstände seiner Liebe und Betrachtung. Noch aus Rom
schreibt Goethe, er glaube nun doch wohl einzusehen, daß er mehr zur
Poesie als zur bildenden Kunst geboren sei, woraus also folgt, daß es
eine Zeit gegeben, wo er sich zum Bildhauer bestimmt glaubte.
Naturwissenschaft, Beschäftigung mit der eigentlichen Kunst hat er sein
ganzes übriges Leben lang nicht aufgegeben. Die Dichtwerke, die er aus
Italien mitbrachte, Iphigenie, Tasso, Wilhelm Meister, tragen den reinen
epischen Kunstcharakter deutlich an sich. Zwar bewegt sich die Iphigenie
aus dem innerlichen Boden seiner Seelenvorgänge, aber in der ganzen Form
herrscht die Gleichmäßigkeit, Stille und der sanfte Fluß des Epos.



Wahl des Stoffes. Warum kein politischer.


In Goethe selbst lagen alle Bedingungen zum epischen Dichter: desto
schwieriger war es mitten in der Prosa einer alternden Welt einen Stoff
zu finden, der der epischen Darstellung fähig war. Treten wir den
damaligen Zeiten und Volksverhältnissen näher, um zu sehen, welcher Art
dieser Stoff nur sein konnte.

Man hat es in neuerer Zeit Goethe oft zum Vorwurf gemacht, daß er so
egoistisch sich abgeschlossen und nichts für sein Volk gethan. Er mit
seiner mächtigen Rede hätte die schlummernde Nation zur Freiheit wecken,
zu Thaten begeistern und zur politischen Größe führen sollen. Aber statt
dem unterdrückten Recht seine hilfreiche Stimme zu leihen, suchte er
Selbstgenuß in der schönen Kunst; ohne Herz für die Leiden des
Vaterlandes, das in den Fesseln feudaler Barbarei oder moderner
Polizeigewalt lag und in unzählige Herrschaften zerstückt das
Schlachtfeld Europas bildete, vergnügte er sich als Höfling in Weimar
und weder die Thaten Friedrichs des Großen noch die Unmacht des heiligen
römischen Reichs deutscher Nation erregten ihn zu Begeisterung oder
Unwillen. Besonders gegen das große Weltereignis, das am Ende des
Jahrhunderts von Frankreich aus seine Donner über den Weltteil rollen
ließ, hätte er nicht mit solcher Abneigung sich verschließen sollen:
denn wo ließ sich ein mächtigerer Stoff für Epos oder Tragödie finden
und wodurch konnte ein wahrhafter Dichter würdiger zu großen Gesängen
gestimmt werden und tiefer alle Herzen der Zeitgenossen und der
nachkommenden Geschlechter zu bewegen hoffen?

Es war besonders Ludwig Börne, ein gewiß ebenbürtiger Gegner, der diese
Vorwürfe häufte. Lessing sagt in einem Briefe, er laufe Gefahr ärgerlich
zu werden und mit Goethen trotz dem Genie, worauf dieser so poche,
anzubinden. Ein halbes Jahrhundert später erfüllte ein Geistesverwandter
Lessings die Drohung gegen den unterdes mächtig gewordenen Dichter. In
immer erneuerten hingeworfenen Bemerkungen kommt er auf Goethe zurück,
den er von Anbeginn gehaßt zu haben gesteht, und schleudert aus der Glut
seines edeln Herzens, in der sich sein Märtyrerleben verzehrte,
leuchtende Brandkugeln in Goethes Kunstanlagen. Goethe, ruft er aus,
hätte ein Herkules sein können, sein Vaterland von großem Unrate zu
befreien; aber er holte sich bloß die goldenen Aepfel der Hesperiden,
die er für sich behielt, und dann setzte er sich zu den Füßen der
Omphale und blieb da sitzen. Wie ganz anders lebten und wirkten die
großen Dichter und Redner Italiens, Frankreichs und Englands! Und nun
führt er das Beispiel Dantes, Alfieris, Montesquieus, Voltaires,
Rousseaus, Miltons u. s. w. an. Die furchtlose unbestechliche Richterin,
sagt er ein andermal, wird Goethe fragen: Dir ward ein hoher Geist, hast
du je die Niedrigkeit beschämt? Der Himmel gab dir eine Feuerzunge, hast
du je das Recht verteidigt? Du hattest ein gutes Schwert, aber du warst
immer nur dein eigener Wächter! Wenn Gottes Donner rollen und
niederschmettern das Gequieke der Menschlein da unten, dann horcht ein
edles Herz und jauchzt und betet an und, wer angstvoll ist, hört und ist
still und betet; der Dämische aber verstopft sich die Ohren und hört
nicht und betet nicht und betet nicht an. Schiller während der heißen
Tage der französischen Revolution schrieb in der Ankündigung der Horen:
Vorzüglich aber und unbedingt wird sich die Zeitschrift alles verbieten,
was sich auf Staatsreligion und politische Verfassung bezieht. So sprach
und dachte auch Goethe, er, der angstvoller als eine Maus beim leisesten
Geräusche sich in die Erde hineinwühlt und Luft, Licht, Freiheit, ja des
Lebens Breite, wonach sich selbst die totgeschaffenen Steine sehnen,
alles, alles hingibt, um nur in seinem Loche ungestört am gestohlenen
Speckfaden knuppern zu können. Als ich heute gegen Weimar zu fuhr,
schreibt er in einem Briefe, und es vor mir lag mit seinen roten Dächern
im Wintersonnenschein kalt und freundlich, und ich dachte, daß Goethe
darin schon länger als fünfzig Jahre wohne, daß er es nie verlassen, da
überfiel mich wieder der Groll gegen diesen zahmen, geduldigen,
zahnlosen Genius. Wie ein Adler erschien er mir, der sich unter der
Dachtraufe eines Schneiders angenistet. Und ein solcher Mensch sollte
doch ein fleischfressendes Tier sein und nicht wie ein Spatz Gerste
essen, auch nicht aus der schönsten Hand. Und zu Goethes Tag- und
Jahresheften von 1790 ruft er: Was? Goethe, ein reichbegabter Mensch,
ein Dichter, damals in den schönsten Jahren des Lebens, wo der Jüngling
neben dem Manne steht, wo der Baum der Erkenntnis zugleich mit Blüten
und mit Früchten prangt, er war im Kriegsrate, er war im Lager der
Titanen, da, wo vor vierzig Jahren der zwar freche, doch erhabene Kampf
der Könige und Völker begann, und zu nichts begeisterte ihn dies
Schauspiel, zu keiner Liebe, zu keinem Hasse, zu keinem Gebete, zu
keiner Verwünschung, zu gar nichts trieb es ihn an als zu einigen
Stachelgedichten, so wertlos nach seiner eigenen Schätzung, daß er sie
nicht einmal aufbewahrte, sie dem Leser mitzuteilen? Und als die
prächtigsten Regimenter, die schönsten Offiziere an ihm vorüberzogen,
da gleich der jungen blassen Frau eines alten Mannes bot sich seinem
Beobachtungsgeiste kein anderer, kein besserer Stoff dar als die
vergleichende Anatomie? Und als er in Venedig am Ufer des Meeres
lustwandelte, Venedig, ein gebautes Märchen aus Tausend und einer Nacht,
wo alles tönt und funkelt, Natur und Kunst, Mensch und Staat,
Vergangenheit und Gegenwart, Freiheit und Herrschaft, wo selbst Tyrannei
und Mord nur wie Ketten in einer schauerlichen Ballade klirren, die
Seufzerbrücke, die zehn Männer, es sind Szenen aus dem fabelhaften
Tartarus, Venedig, wohin ich sehnsuchtsvolle Blicke wende, doch nicht
wage ihm nahe zu kommen, denn die Schlange österreichischer Polizei
liegt davor gelagert und schreckt mich mit giftigen Augen zurück, dort,
die Sonne war untergegangen, das Abendrot überflutete Meer und Land und
die Purpurwellen des Lichts schlugen über den felsigen Mann und
verklärten den ewig Grauen und vielleicht kam Werthers Geist über ihn
und dann fühlte er, daß er noch ein Herz habe, daß es eine Menschheit
gebe um ihn, einen Gott über ihm, und dann erschrak er wohl über den
Schlag seines Herzens, entsetzte sich über den Geist seiner gestorbenen
Jugend, die Haare standen ihm zu Berge und da in seiner Todesangst,«nach
gewohnter Weise, um alle Betrachtungen loszuwerden«, verkroch er sich in
einen geborstenen Schafschädel und hielt sich da versteckt, bis wieder
Nacht und Kühle über sein Herz gekommen! Und den Mann soll ich verehren?
den soll ich lieben? u. s. w.

Um diese Vorwürfe zu würdigen, ist es nötig, das Jahrhundert, in dem
Goethe lebte, und die Nation, die ihn hervorgebracht hatte, kurz zu
zeichnen.

Das achtzehnte Jahrhundert verfolgte bei den drei Hauptvölkern Europas
eine ganz verschiedene Richtung: es war in England industriell, in
Frankreich emanzipativ, in Deutschland ästhetisch. Das achtzehnte
Jahrhundert erhob England zu der kolossalen Industrie, die jetzt das
Staunen der Welt bildet; damals begann von geringen Anfängen die
Baumwollenproduktion, die der Töpferwaren, die Stahl- und
Eisenbearbeitung und stieg mit rapidem Wachstum zu ihrer jetzigen Höhe
auf. In den industriellen Bezirken wurden kleine Flecken, ärmliche
Fischerdörfer in wenigen Jahren mächtige Fabrikstädte; ganze
Grafschaften verwandelten sich in unermeßliche rauchumhüllte
Werkstätten. Industrielle Genies traten auf, die durch Erfindungen aller
Art, durch unermüdliche Beharrlichkeit den wichtigsten Zweigen in der
Stille einen raschen Schwung gaben. Ein verbessertes Verfahren drängte
das andre, eine Maschine die andre. In gleichem Verhältnis mit der
Entwicklung der Industrie stieg die der See- und Kolonialmacht Englands.
England eroberte Ostindien, das große anglo-indische Reich ward
gegründet und den Franzosen, Spaniern, zuletzt auch den Holländern alle
ihre Kolonien entrissen. Der nordamerikanische Freiheitskrieg zwar
schien dies Wachstum unterbrechen zu wollen, eine der wichtigsten
Kolonien hatte sich losgerissen und Frankreich gewann wieder Vorteile.
Aber die langwierigen Kämpfe mit der französischen Revolution und mit
Napoleon machten England zur Herrscherin in allen Meeren; wenn man Kuba
ausnimmt, welches Spanien verblieb, und Java, welches die Holländer
retteten, so gingen alle bedeutenden und reichen Niederlassungen in
allen Teilen der Welt und alle wichtigen Seestationen in Englands Hände
über; es faßte Fuß im mittelländischen Meer, riß den levantischen Handel
an sich und öffnete sich Mittel- und Südamerika, indem es den Abfall der
spanischen Dependenzen begünstigte. So machte das achtzehnte Jahrhundert
England in größerem Maßstabe zu dem, was im siebzehnten Jahrhundert
Holland gewesen war.

Eine ganz andre Mission hatte das Jahrhundert in Frankreich zu erfüllen.
Hier war politische und religiöse Emanzipation der Punkt, dem alle
nationalen Kräfte zuströmten. Nach der formellen Klassik unter Ludwig
dem Vierzehnten wurde unter dem Regenten und unter Ludwig dem
Fünfzehnten Kritik und Skepsis in allen Gebieten herrschend. Was schon
Cartesius an die Spitze gestellt hatte »=de omnibus dubitandum est=«, was
darauf Pierre Bayle mit durchdringendem Scharfsinn, obgleich noch
schüchtern begonnen hatte, das wurde jetzt von Voltaire, Rousseau und
den Encyklopädisten umfassend ins Werk gesetzt. Es war das Jahrhundert
der Aufklärung, das überall mit der Leuchte der Humanität und
Philosophie die Gespenster des Aberglaubens zu bannen und die Fesseln
barbarischer Traditionen zu brechen suchte. Unter der Fahne der Ideen
Vernunft, Natur, Menschheit, Freiheit, mit den Waffen des Spottes, der
Beredtsamkeit und der Kritik ward ein siegreicher Kampf mit den Dogmen
und der Hierarchie der Kirche und den politischen Einrichtungen geführt.
Der Deismus, der in England keine nationalen Wurzeln gehabt hatte und
bald abgestorben war, ward in Frankreich zur populären Sache des
Jahrhunderts erhoben. Montesquieu, der schon in seinen =lettres persanes=
die Kirche empfindlich getroffen hatte, lenkte durch seinen esprit des
lois die Blicke der Nation aus den Staat; Rousseau untersuchte in seinem
=contrat social= das Fundament der politischen Gesellschaft; Voltaire, der
Alleinherrscher seiner Zeit, lag sein langes Leben hindurch mit den
Ungeheuern der Finsternis im Kampf, die er spielend erlegte; die
Encyklopädisten unterwarfen alles Gegebene den dekomponierenden
Operationen ihres Verstandes; Beaumarchais untergrub durch seine Komödie
»die Hochzeit des Figaro« den Adel: so nahm in allem das Subjekt die
Autonomie in Anspruch und nichts galt mehr, als was sich vor Vernunft
und Menschengefühl rechtfertigen konnte. Während in England zugleich mit
dem Industrialismus und wachsendem Volkswohlstand der finstere
Methodismus sich verbreitete, die Hochkirche erstarrte, die Oligarchie
und Kastensonderung sich befestigte, der Staat ein irrationales Gewächs
blieb und in Gebräuchen, Meinungen und Sitten das Mittelalter und die
Scholastik ihre Herrschaft behaupteten, brach Frankreich die Bastille
und die Adelsschlösser nieder, hob in der Nacht des 4. August alle
feudalen Vorrechte auf, impfte durch Jefferson Amerika seine Demokratie
ein, rief die Schwarzen von St. Domingo zur Freiheit auf und durchzog
mit Ideen und Kriegsheeren den Weltteil.

Ganz anders gestaltete sich die Aufgabe, an deren Lösung Deutschland in
diesem Jahrhundert arbeitete. Sie war weder kommerziell wie in England,
noch progressistisch wie in Frankreich, sondern ästhetisch und
metaphysisch; die innere Freiheit und Schönheit des Gemütes war das
Ziel, das den Besten der in äußeren geistlosen Formen erstorbenen Nation
vorschwebte.

Auf das rege nationale Leben im Reformationszeitalter war geistige
Erstarrung gefolgt. Die Universitäten, von denen im sechzehnten
Jahrhundert zum Teil die frische Bewegung ausgegangen war, waren jetzt
die Stätten, wo das Geistesdunkel am sorgfältigsten gepflegt wurde.
Toter Formalismus und barbarische Scholastik umschnürten dort die
lebendige Wissenschaft, die zum gemeinen Handwerk herabgesunken war und
den strebenden Geist, wo er nur seine Flügel zu regen suchte, mit
geistlosem Mechanismus niederdrückte und in die Formel der Orthodoxie
zurückdrängte. Die Schultraditionen wurden auf den Universitäten mit
pedantischer Despotie aufrechterhalten; von den Kathedern ertönte mit
steifer Ernsthaftigkeit die dürre und geistlose, mitunter durch Zoten
gewürzte Paragraphen- und Zitatenweisheit. Der enge Geist der
Korporation schloß die Universitäten gegen das Volk und das Leben ab.
Dieser Geist zeigte sich in der lächerlichen Steifheit und Würde der
gravitätischen Universitätslehrer, unter denen der Brotneid herrschte
(in der That kämpften sie oft mit dem Hunger), sowie in der empörenden
Roheit und dem Pennalismus des Burschenlebens, das sich ohne idealen
Schwung in brutalen Lizenzen dem bürgerlichen Leben ebenso abgeschlossen
gegenüberstellte. Ueberall war statt der Volkssprache das echte Organ
der Scholastik, das Latein, in Gebrauch. Leibniz sagt: =in Germania inter
alias causas ideo fixior est scholastica philosophia, quod sero et ne
nunc quidem satis germanice philosophari coeptum est=. Das Latein bildete
die dicke Mauer zwischen dem Volk und den Gelehrten: jenes erfuhr nichts
von den gelehrten Spitzfindigkeiten und konnte ihnen also weder Spott
noch gesunden Menschenverstand entgegensetzen; diese raubten sich
dadurch selbst den freien Blick ins Leben und bauten, wie Schlosser sich
ausdrückt, im Dunkeln ihre Kartenhäuser, die nur Träumer bewohnen
konnten. Selbst die literarischen Journale, doch für das lebendige
Bedürfnis des Tages und für Kenntnisnahme aller berechnet, erschienen
in lateinischer Sprache, welche Sitte sich bis tief ins achtzehnte
Jahrhundert erhielt: während in Frankreich und England die einheimischen
Sprachen schon eine klassische wissenschaftliche Prosa aufzuweisen
hatten, während z. B. in Paris das =journal des sçavans= in französischer
Sprache erschien, gab es in Leipzig eine lateinische Literaturzeitung
unter dem Namen =acta eruditorum=, in Hamburg eine andre =nova literaria
Germaniae= u. s. w. Das =journal des sçavans= wurde in Deutschland durch
den Professor Nitzsch ins Lateinische übersetzt und noch in der Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts sah sich der Philosoph Wolff genötigt, mit
seiner deutsch geschriebenen Logik ein Gleiches zu thun, um sie seinen
gelehrten Amtsbrüdern zugänglich zu machen. Als es Thomasius im Jahre
1688 in Halle wagte, seine Vorlesungen in deutscher Sprache
anzukündigen, war der Skandal ungeheuer und von allen Seiten traf
Verhetzung und Verachtung den kühnen Verletzer der Zunftgesetze: man
erklärte seinen Schritt mit schadenfrohem Dünkel aus seiner Unwissenheit
im Latein. Diejenige Wissenschaft aber, die durch den traurigsten
Einfluß das Leben und alle übrigen Wissenschaften lähmte, war die
Theologie. Die frische religiöse Polemik der Reformationszeit hatte die
starren Formen einer blinden und fanatischen Orthodoxie als Niederschlag
zurückgelassen. Eigensinnige Theologen stritten über Nebenpunkte des
fertigen dogmatischen Systems mit einer Heftigkeit und Hartnäckigkeit,
neben welcher jede andre wahrhaft fruchtbare Geistesarbeit erstickt
ward. In uniformer Rechtgläubigkeit wurde von allen Kathedern gelehrt
und von allen Kanzeln gepredigt. Jeder etwas freier denkende Kopf ward
durch Verfolgung zum Verstummen gezwungen und, wenn er Widerstand
leistete, das weltliche Schwert zu Hilfe gerufen. Der gegenseitige Haß
der Lutheraner und Reformierten war fast ärger als ihr gemeinsamer gegen
die katholische Kirche, und an den protestantischen Höfen hatten die
Oberhofprediger dieselbe einflußreiche und intrigante Rolle, wie die
Beichtväter an den katholischen. Dieser trocknen Schultheologie
gegenüber konnte die katholische Kirche wenigstens aus dem reichen
Schatz ihrer alten Mystik, Kunst und Liturgie schöpfen und an
Fanatismus gaben die lutherischen Zeloten und Kanzelpolemiker den
Jesuiten und römischen Pfaffen der schlimmsten Zeiten nichts nach. Fast
derselbe blinde Positivismus wie in der Theologie herrschte auch in der
Jurisprudenz. Was dort die Formel des Symbols, war hier die Formel des
römischen Rechts. Das lebendige, mit dem Volksbewußtsein verschlungene
Recht war ebenso zur Buchstabenweisheit einer abgeschlossenen Zunft
geworden. Man wird von Schauder ergriffen, wenn man einen Blick in die
damalige Kriminalistik wirft. Nicht bloß zogen sich die Prozesse durch
alle Windungen des Formalismus mit endloser Langsamkeit in die Länge,
sondern ohne Ahnung von dem innern Seelenleben des Verbrechers, von den
Motiven und Gemütsleiden, die zu dem Verbrechen geführt, von den
sozialen und politischen Schäden, deren Symptom es war, wurden mit
Anwendung der Folter Geständnisse erpreßt und schaudervoll grausame
Hinrichtungen verfügt. Die Juristenfakultäten, denen die Akten zur
Begutachtung übersandt wurden, wetteiferten in unmenschlichen
Entscheidungen. Die monströseste Geburt aber, die die positive
Jurisprudenz und die positive Theologie in gemeinsamer Umarmung
erzeugten, waren die entsetzlichen Hexenprozesse, die im siebzehnten
Jahrhundert in ganz Deutschland häufig waren und sich bis ins achtzehnte
Jahrhundert erhalten: theologische Finsternis und juristische Barbarei
wirkten in ihnen zusammen. Die Philosophie war noch immer die
kümmerliche, gedrückte =ancilla theologiae=; bald mit dem Fluch belegt,
bald zu formellen Geschäften benutzt, nahm sie im Verbande der
Wissenschaften ungefähr die Stelle ein, wie die Juden im politischen
Verbande. Leibniz wandte sich in seiner großartigen, vielseitigen
Wirksamkeit mehr an die Höfe und das Ausland und bediente sich bei
seinen Schriften des Lateinischen und Französischen; rücksichtsvoll,
schonend, ängstlich wie er war, flößte er dem breit herrschenden
Dogmatismus keine Besorgnis ein. Erst um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts begann die Leibnizsche Philosophie unter der systematisch
verständigen Gestalt, die ihr Christian Wolff gegeben hatte, die übrigen
Wissenschaften zu rationalisieren. Unter den Händen der Philologie jener
Zeiten verwandelten sich die Schätze des Altertums in totes Gestein und
bildeten ein Gewicht mehr, den Geist herabzudrücken. Weit entfernt,
durch das ideale Menschentum, das aus den Schriften und Kunstwerken der
Griechen redet, erfrischend und begeisternd die erstarrten Pulse der
Nation zu lösen, hatten die Philologen kaum eine Ahnung von dem wahren
Leben jener Völker, die der Gegenstand ihrer gelehrten Bemühungen waren.
Erst in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wurde durch
Heyne in Göttingen die trockne grammatisch-kommentatorische
Zitatengelehrsamkeit, deren Hauptquartier besonders Sachsen war, von der
ästhetischen Richtung gemildert; erst Friedrich August Wolf emanzipierte
die Philologie als eigne Wissenschaft aus der niedern Stellung eines
theologisch-pädagogischen Mittels; bis auf Buttmann wurden die
grammatischen Regeln nicht aus den Klassikern, sondern meistens aus dem
Neuen Testament abstrahiert. Die Wurzel dieses überall sichtbaren
unfreien Geistes lag in dem traurigen Zustand der Pädagogik und der
Schule. Hier waltete, wie in der äußern Disziplin der Bakel, so im
Unterricht der Zwang kirchlicher Autorität und die Tyrannei der Methode.
Statt die Jugend in naturgemäßer Selbstentwicklung zu fördern und zur
Menschlichkeit zu bilden, waren die gelehrten Schulen nur darauf aus,
durch unfruchtbare Pedanterie alle genialen Regungen in ihr zu töten;
lateinisch sprechen, lateinische Verse machen, war der Triumph der
Schulbildung. Die Naturwissenschaft, noch in der Kindheit begriffen,
ward bei jedem Schritt von der Kirche und deren Dogmen behindert.
Ueberhaupt war das Gefühl für die Natur und die Hingebung an sie durch
den supranaturalen Wunderglauben erstickt; der Standpunkt, sie zu
betrachten, war der mechanische und der teleologische. Die Theologie,
die überall den Mittelpunkt bildete, hatte ja den ganzen Inbegriff der
natürlichen und menschlichen Dinge als weltlich und _also_ nichtig von der
Teilnahme ausgeschlossen, die Erforschung derselben fast als Sünde
gestempelt: wie konnte die Naturforschung, ja die Wissenschaft überhaupt
gedeihen, solange der theologische Standpunkt die Gemüter beherrschte?
Gehen wir von der Wissenschaft zum Leben und zur Sitte über, so finden
wir hier alles in gleicher Unnatur befangen und von toten
konventionellen Formen eingeschnürt. Den geselligen Umgang hemmten
willkürliche Anstandsgesetze, weitläufige Umschweife und Titulaturen,
Heuchelei und schamlose Servilität. Das Ihr in der Anrede ward zum
künstlichen Er, das Er zum völlig abgeschmackten Sie. Nirgends trat der
Mensch selbst hervor, nirgends sprach der Mensch zum Menschen. Die freie
soziale Bildung, die in Frankreich längst aufgeblüht war und sich ihre
eignen Regeln geschaffen hatte, kam nach Deutschland nicht in ihrem
humanen Prinzip, sondern in ihren Regeln hinüber, die nun einen
lächerlich-unwahren Zwang ausübten. Eine prüde Moral hielt die beiden
Geschlechter ferne voneinander; die Stände waren durch strenge Schranken
geschieden und jede Extravaganz der Leidenschaft oder der Begeisterung
über die Linien der Satzung und des Herkommens fand an der Menge eine
lieblose und verdammungssüchtige Richterin. Da auf solche Art das Leben
in jeder Richtung in Formalismus erstarrt war und das Herz der Nation
unter einer dicken Eisrinde stillstand, so konnte auch die Poesie ohne
Wurzeln in der nationalen Wirklichkeit nur ein dürftiges, künstliches
Dasein fristen. Da sie aus dem Quell des lebendigen Menschengefühls
nicht zu schöpfen fand, fiel sie bald in geistlose Leere, bald in
unerträglichen metaphorischen Bilderprunk; sie war in Form und Ausdruck
wie im Inhalt unwahr und konventionell. Obgleich Opitz kaiserlicher Rat
gewesen war, stand das Geschäft des Dichters immer noch in schlimmem Ruf
und Bürger empfahl sich bei den Göttinger Professoren schlecht durch
sein Versemachen.

Aus jenem Formenzwange nun, aus der Selbstentfremdung in dürren
objektiven Satzungen die Nation zu Wahrheit und Natur zurückzuführen,
dem Gemüte, der innerlichen Welt des Subjekts ihr Recht wiederzuerobern,
die falschen Konvenienzen zu brechen, die dumpfen Kerker der Pedanterie
und Scholastik dem Licht zu öffnen, dies war die Arbeit und die Aufgabe
des achtzehnten Jahrhunderts, und auf diesem Punkt ist es, wo Goethe
durch seine Dichtungen den unvergänglichen Lorbeer gewann. Alle
politischen Fragen lagen bei dieser naturalistisch-ästhetischen
Emanzipation außer dem Gesichtskreise. Der Kampf richtet sich gegen die
Schranken, die die freie Subjektivität einengen: das Individuum soll mit
den tiefen Rätseln und Mysterien seines Inneren, mit der ganzen
Unendlichkeit seiner Empfindung das arme Schema der fertigen äußeren
Gattungen durchbrechen, es soll zugleich in schöner Selbstbildung die
Welt anerkennen und mit der positiven Vernunft ihrer Einrichtungen sich
erfüllen; die abstrakten Sätze des hochmütigen, in Kirche und
Wissenschaft verhärteten Verstandes sollen sich in dem Lebensstrom der
totalen allumfassenden Natur auflösen; die Sitte soll wieder die
Wahrheit ursprünglichen Menschengefühls aussprechen und durch schöne
Kultur die elende, heuchlerische Moral ersetzen. Wie seit den Zeiten der
Reformation über zwei Jahrhunderte lang die Theologie das Szepter
geführt und das theologische Interesse den Mittelpunkt gebildet hatte,
so setzte diese neue Zeit über den Trümmern der theologischen Welt die
Schönheit als Herrscherin ein. Winckelmann führte zuerst die Nation in
die Heiligtümer der alten Kunst ein, wo die Versöhnung der Natur und des
Geistes sichtbar vollzogen war; in den marmornen Darstellungen
griechischer Götter, die die Theologen als Teufelswerke und Götzenbilder
der Heiden gebrandmarkt hatten, gingen ihm Ideale der Schönheit und
echten Menschlichkeit auf, die er in seiner Kunstgeschichte mit naiver
Begeisterung beschrieb. Lessings Bestimmung war es, die Schule, diesen
Alp, der auf Deutschland drückte, wegzuwälzen. Mit gewandter Unruhe in
alle Gebiete der Wissenschaft und Kunst bald kritisch, bald produktiv
Streifzüge machend, störte er überall die hochmütige Sicherheit des
gelehrten Besitzstandes und legte Feuer an die morschen hölzernen
Burgen, in denen dieser verschanzt saß. Indem er die Stellen
bezeichnete, wo die wahre Quelle der Poesie, des echten religiösen
Gefühls sprudelte, warf er die Gedichte und orthodoxen Lehren seiner
Zeit als leere Hülsen fort. Wie Winckelmann, der Kunstbegeisterte, aus
dem alten Luthertum austrat, so wußte auch Lessing nicht bloß in seinen
Schriften die umfassendste Gelehrsamkeit in die Form der leichteren
dialogischen Prosa zu bringen, sondern warf auch in seinem Leben allen
pedantischen Zwang ab. Nathan der Weise, sein letztes Werk, befreite
ganz im Sinne des Jahrhunderts die Idee der Menschenliebe und
Menschenachtung aus den positiven Religionen, die auf den Haß und die
alleinige Formel gebaut waren. Gleicherweise ist auch in Herders langer
Schriftstellerlaufbahn die primitive Menschennatur der überall
durchklingende Grundton. Auch er suchte das starre Eis der leblos
gewordenen Formen durch den warmen Hauch des Gemütes zu schmelzen; in
die dürre altlutherische Orthodoxie führte er die belebenden Mächte der
Dichtung und Sage, der Liebe und Phantasie, die Mystik, Vision und
orientalische Bilderwelt, in die Theorie der Dichtkunst die Natur, die
Genialität, das Volkslied, die Unmittelbarkeit der künstlerischen
Produktion, die nationelle und historische Charakterbestimmtheit ein. So
knüpfte sich an ihn der Anbruch jener Epoche, die stürmend und drängend
den inneren Genius aus den Fesseln jeglicher Unnatur zu befreien
trachtete. Goethe war das poetische Genie, das diese Befreiung in
positiven Dichterthaten vollzog; er wollte nach seinen eignen Worten den
Menschen das Gefühl eines edeln und wahren Daseins zum Bewußtsein
bringen. Schon in seinen Jugendliedern, die auf die kalte,
moralisierende, gemachte Lyrik unmittelbar folgen, trifft die wahrste,
naivste, seelenvollste Melodie unser Ohr; im Werther werden alle Leiden
und Seligkeiten eines einseitigen Gemütslebens, das mit sich und der
Welt in grausamem Bruch ist, vor uns erschlossen; im Tasso ist
gleichfalls die innere Welt der Dichterbrust in ihrem thränenvollen
Kampf mit der herben Realität, mit der sie eigenwillig und übergreifend
sich noch nicht in Einklang gesetzt hat, vor unser Auge gezaubert; der
Faust ist das tiefsinnige Drama von dem Ich, das auf sich selbst
gestützt an sich verzweifelt, schmerzvoll ringt, in Genuß und Erkenntnis
vergeblich sich zu genügen strebt und endlich in freier Wirksamkeit und
Thätigkeit den Frieden gewinnt; in der Iphigenie stehen wir auf dem
Boden des schon gewonnenen Sieges und die Schönheit einer edeln Seele
ist Herrin über die blinde Verworrenheit der Leidenschaft und über Fluch
und Frevel grauenvoller Vergangenheit; in den römischen Elegieen ist in
dem süßen Genuß befriedigter Liebe, in der unbefangenen Grazie reinen
menschlichen Empfindens alle negative, naturfeindliche Moral auch selbst
als Feindin aus dem Bewußtsein geschwunden und nur die hineinblickenden
Zeugen einer großen untergegangenen Welt mischen Tropfen der Wehmut in
den Kelch heiterer Freude, diese mehr lindernd als trübend. So bilden in
Goethes Dichtungen überall innere Seelenstimmungen das Thema und in
tausend variierenden Modulationen singt er von den Leiden und der
Heilung der Brust. Die innere Unendlichkeit des Subjekts hat sich
aufgethan und es läutert sich zu Schönheit und Adel. Daher das weibliche
Ideal Goethe am herrlichsten gelungen ist, denn des Weibes Bestimmung
ist, sich mit der Welt ins Gleichgewicht zu setzen, nicht mit ihr
heroisch zu kämpfen. Mit der Politik, wo im Lärm der Leidenschaft und
That die innere Musik der Seele verhallt und die stille Entwicklung
natürlichen Werdens durch die Empörung des Eigenwillens unterbrochen
wird, mit dieser konnte Goethe und das ganze ihn umgebende Geschlecht
nichts zu schaffen haben wollen. Wo Goethe ein politisches Thema zu
behandeln unternimmt, z. B. im Götz, im Egmont, da verwandelt es sich
unter seiner Hand in ein Gemälde innerer Seelenzustände. So bekämpft und
verhöhnt auch Lessing die Aristokratie hochgelehrter Perückenhäupter,
nirgends die politische Aristokratie, den Sultanismus, die
Favoritenherrschaft seiner Zeit. Auch er war ein Literat, kein
Publizist. Die Männer des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich kamen
in die Bastille, sie mußten ihre Bücher in Holland drucken lassen und
diese wurden von Staatswegen öffentlich verbrannt: die gleichzeitigen
deutschen Reformatoren blieben in Frieden mit der Zensur, denn ihre
Bücher waren auf Befreiung des inneren Menschen und des Privatlebens,
nicht auf bürgerliche Emanzipation gerichtet; was sie zerstören wollten,
war die Satzung in Kunst, Moral und Sitte; was sie erobern wollten, war
die Welt im theologischen Sinne des Wortes. Selbst Schiller, den man als
den historischen Dramatiker zu bezeichnen pflegt, hielt sich unter den
Kantschen Werken am meisten an die Kritik der Urteilskraft, wo der
Kampf der Freiheit in der Schönheit sich versöhnt, und entfaltet in
seinen Dramen mehr Neigung zu psychologischen Schilderungen und zum
Pathos des Individuums, als Talent für Zeichnung der ehernen Züge der
Zeitphysiognomie im großen. Mit Recht sagt Gustav Pfizer über den
Wallenstein: Wallenstein macht doch nicht den Eindruck, daß von dem
Schicksal des darin auftretenden Helden die Wendung des welthistorischen
Krieges und das Schicksal Deutschlands großenteils abhänge; Wallenstein
selbst interessiert uns nur als Individuum, als psychologischer, nicht
als historischer Held; Deutschland, das blutende, zerrissene und einer
noch grausenvolleren Zukunft entgegenschauende Deutschland jener Zeit
ist weder in den Piccolomini, noch in Wallensteins Tod vertreten. Auch
in der Maria Stuart ist es nicht der Konflikt zwischen dem
Staatsinteresse Englands und den Forderungen der Menschlichkeit, nicht
der Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus, auch nicht der
zwischen dem sächsischen und dem schottisch-französischen Volksstamm, es
ist nicht dieser politische Konflikt, der die Seele des Stücks ausmacht,
sondern weibliche Eifersucht führt die tragische Katastrophe herbei und
wir befinden uns ganz in dem privaten Gebiet individueller
Charakterentwicklung. Ganz in dem Sinne jener Literaturepoche ist es,
wenn Schiller in der Ankündigung der Horen sagt, es sei Bedürfnis, durch
ein allgemeines höheres Interesse an dem, was rein menschlich ist, die
Gemüter wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt
unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen. Daß
auch in den Briefen über ästhetische Erziehung Schiller nicht die
ästhetische Kultur zu einem geschichtlichen Durchgangspunkt machen
wollte, durch welchen die Völker in den verschiedenen Perioden der
Weltgeschichte gehen müssen, um für die politische Freiheit reif zu
werden, daß also der ganze Gegensatz für Schiller nicht, wie Gervinus
will, ein empirischer Einteilungsgrund des historischen Materials ist,
sondern die ästhetische Erziehung nur eine sittlich-schöne Wiedergeburt
bezweckt, welche, wird sie jemals vollendet, die politische Wiedergeburt
ersetzte und sie enthielte, dies hat Guhrauer vortrefflich gegen
Gervinus und dessen einseitige Betonung des historisch-politischen
Elementes auseinandergesetzt.

Nichts natürlicher also, als daß Goethe, der Dichter des achtzehnten
Jahrhunderts (denn das war er, obgleich sein Leben auch das erste
Drittel des neunzehnten umfaßte), von dem politischen Geiste unberührt
blieb, der jenseit des Rheins so furchtbare Ereignisse ins Leben rief.
Das deutsche Publikum war allen politischen Gegenständen gegenüber
apathisch, es bewegte sich in ganz anderen Sphären; so auch die Dichter.
Ich selbst und mein engerer Kreis, erzählt Goethe von seiner Jugend,
befaßten uns nicht mit Zeitungen und Neuigkeiten; uns war darum zu thun,
den Menschen kennen zu lernen; die Menschen überhaupt ließen wir gern
gewähren. Die Revolution fand zwar anfangs in Klopstock einen
enthusiastischen Anhänger, aber wie alles bei diesem Dichter war auch
diese Bewunderung eine abstrakte; die Freiheit, die ihm vorschwebte, war
eine Seifenblase, die sehr bald zerplatzte; als die Revolution sich auf
konkretem Boden nach den Bedingungen der Wirklichkeit gestaltete, als
sie wie jedes Ideal in die historischen Verhältnisse eingehend durch
diese sich durchkämpfen mußte, da hatte er nicht Sinn für wirkliche
Politik genug, um sie in diesem Kampf zu begleiten; er ward der Idee bei
der ersten unvollkommenen Gestalt, die sie annahm, untreu und schmähte
sie nun mit derselben Grandiloquenz, mit der er sie früher gepriesen
hatte.

Im allgemeinen, muß man bekennen, liegt in der deutschen Natur wenig
politischer Sinn. Wir sind ein Volk der Familie, des Privatlebens, des
Gemütes, und dieser Zug geht durch die ganze Geschichte Deutschlands.
Der Feudalstaat des Mittelalters, dieses germanische Produkt, ruht auf
der Treue, der Liebe, dem Gemüte, der Hingabe des einzelnen an den
einzelnen. Der Vasall folgt dem Lehnsherren, der selbst wieder Vasall
eines Höheren ist: er ergibt sich dem Dienst einer Persönlichkeit, nicht
einem allgemeinen Gedanken. Privatbeziehungen, privatrechtliche
Verhältnisse bilden zusammengerechnet den mittelalterlichen Staat. Alles
zerfällt in eine bunte Mannigfaltigkeit besonderer Existenzen. Jeder
Stand hat seine Rechte und Vorrechte, eine Freiheit steht neben der
andern. Eine allgemeine ordnende Vernunft, ein auf dem gleichen humanen
Anspruch aller einzelnen ruhendes Gesetz gibt es nicht. Der Baron, der
oben auf dem Felsen haust, wird anders gerichtet als der Leibeigene, der
unten an die Scholle gebannt ist, beide anders als der Bürger der
Reichsstadt; in der Stadt hat jede Zunft ihre Gerechtigkeit, ihr
Herkommen, ihren Schutzpatron; dieses Kloster hat Immunitäten, die jenem
fehlen; der einzelne steuert nicht dem Staate, sondern demjenigen, dem
er pflichtig ist; er gehört in Gesichtskreis und Sitte nicht dem
Vaterlande, denn ein solches gibt es nicht, sondern dem Gau, in dem er
geboren ist, und auch nicht dem Gau, sondern der Stadt, deren Bürger er
ist, und auch nicht dieser, sondern der Zunft, zu der er gehört.

Der Feudalstaat ist eigentlich gar kein Staat, weil ihm die Form der
Allgemeinheit fehlt und in ihm alles privatrechtlich und lokal ist. Der
Sinn für das Lokale und im engsten Sinne Heimische ist in der deutschen
Natur vorherrschend. Deutschland hat keine großen Städte erzeugt, wo der
Weltverkehr sich drängt, wo das Leben sich zu großen Verhältnissen
aufhäuft und in raschem Umschwung fortbraust: höchstens kommen solche
Städte und auch die größeren Staaten da vor, wo im Osten das deutsche
Blut schon durch Vermischung alteriert ist. In den kleinen Städten unter
engen lokalen Verhältnissen hat sich die eigentümliche deutsche
bürgerliche Sittlichkeit ausgebildet. Arbeitsam und fleißig mehrt der
deutsche Bürger in ruhigem Tagewerk seine Habe, lebt dem kleinen Amte
und Gewerbe, erfüllt geduldig seine Pflichten und Gewohnheit und Geduld,
diese echt deutschen Genien, führen ihn täglich auf demselben Pfade hin
und zurück. Einem hereinbrechenden Landesunglück, dem Kriege, der
Feuersbrunst setzt er den passiven Widerstand seines Fleißes, seiner
heimischen Anhänglichkeit entgegen: die böse Zeit geht vorüber und mit
den alten Gesinnungen richtet sich das alte Leben wieder ein.
Individuelle Existenzen und beschränkte Sphären gliedern die Stadt in
ihrem Innern, das Staatsganze liegt außer der Reflexion des echten
deutschen Bürgers; Verordnungen, höhere Befehle nimmt er mit angeborner
Scheu vor der Obrigkeit entgegen; in ferner Glorie schwebt der Fürst vor
seiner Phantasie und tief rührt es ihn, wenn dieser durch persönliches
Erscheinen, durch Herablassung oder auch nur durch erzählte Anekdoten
humanen Benehmens seinem treuen Gemüte näher gerückt wird. Vor einem
Kaiser oder König gestanden, ein Wort aus ihrem Munde vernommen zu haben
ist eine Ehre, die durch Tradition von Großmutter auf Enkel vererbt
wird; wer bei der Durchreise des Prinzen durch die halbgeöffnete Thür
hat lauschen können, weiß nachher seinen horchenden Freunden von der
wunderbaren Einfachheit oder dem wunderbaren Ueberfluß der fürstlichen
Tafel, Garderobe u. s. w. zu erzählen. Dem deutschen Bürger in seiner
stillen Privatexistenz verwandelt sich alles Politische in ein
Persönliches, eine Anekdote. In dem Wochenblatt nimmt er besonders
diejenigen Stellen mit Interesse auf, die von merkwürdigen Naturspielen,
sonderbaren Prozessen und Testamenten und dergleichen handeln. Höchstens
abends mit dem Nachbar beim Kruge Bier liebt er es, zu kannegießern und
aus gemütlichem Hafen sich erzählen zu lassen, wie weit hinten in der
Türkei die Völker aufeinander schlagen. Er phantasiert lieber über die
Politik des Auslands, als er in den einheimischen Angelegenheiten einen
Schritt thut und, wenn bei andern Nationen morgens im Kaffeehause aus
den Zeitungsblättern die Stimmung sich bildet, aus der die Thaten des
Tages hervorgehen, so politisiert der deutsche Bürger abends nach
vollbrachtem Tagewerk zur Erholung auf Museen, Ressourcen, Kasinos und
legt sich dann zu Bett, um alle Träume und Großthaten zu verschlafen. Er
baut sich in seiner Häuslichkeit, in seinem Familienleben seine eigene
kleine Welt, die mit Wall und Graben umzogen ist und von der aus er das
übrige große Welt- und Völkerleben als ein Fremdes und Feindliches sich
gegenüberliegen sieht; er ist in seinem Hause nach Goethes Ausdruck wie
im Schiff auf dem Meere. Der Romane lebt in der Gesellschaft, im
politischen Gewühl, auf der Straße und flieht seine vier Wände als
drückend und beengend und den Aufenthalt in ihnen als that- und
gedankenlos; der Deutsche atmet auf, wenn er seine Schwelle wieder
betritt, die sein Heiligtum von der harten Außenwelt scheidet. Dort
trägt alles das Gepräge gemütlicher Innigkeit, behaglicher Ruhe, des
Langsamen, Gewohnten und Ererbten von dem Schlafrock und der Pfeife bis
zu den blankgescheuerten Thürgriffen, dem Familiensalzfaß, dem
einförmigen Tiktak der Wanduhr, die noch vom Großvater stammt, der alten
Bibel, auf deren erstem Blatt der Geburtstag von Vater, Mutter,
sämtlichen Kindern und beiden Großeltern steht, der Wochenordnung,
wonach der Montag diese, der Sonnabend jene bestimmte Speise bringt
u. s. w. In der deutschen Ehe, der deutschen bürgerlichen Häuslichkeit
und lokalen Genügsamkeit waltet Treue und Gemüt, in der Thätigkeit der
mehr politischen Völker Verstand und Wille. Mit dem Familienprinzip
hängt die aristokratische Ueber- und Unterordnung, die gleichfalls dem
deutschen Stamme eigen ist, eng zusammen. Das Adelsgefühl ruht auf dem
Gefühl der unverletzten Heiligkeit der Familie, die sich bis auf
Voreltern und Enkel erstreckt und alle Glieder derselben, ja das
Stammschloß, die Bilder, Sammlungen und Diener zu einem gemütlichen
Ganzen vereinigt. Tritt der Deutsche aus der Familie heraus, so empfängt
ihn nicht die Welt oder der Staat, sondern der Stand; die Erweiterung
des Familiengeistes ist der Standesgeist. Daher in Deutschland
Rangstufen, Kastenabsonderungen, Absonderung der höheren und der
niederen Klassen, die in romanischen Ländern, wo alle durch eine gewisse
Gleichheit des Benehmens, der Empfindung und der Sprache verbunden sind,
nicht vorkommt. Abneigung und Scheu trennt in Deutschland den Zivilisten
vom Militär, den Edelmann vom Bürger, diesen vom Bauer, den Kaufmann vom
Gelehrten; auch hier also das vorherrschende Prinzip die Privatexistenz.

Alle diese Züge sind seit Goethes Zeit durch die fortgehende Geschichte
gemildert worden; in den größeren Städten hat sich das Leben dem der
übrigen europäischen Länder ähnlich gestaltet und die Eisenbahnen werden
dazu beitragen, die nationellen Schranken und die partikulären
Lebenskreise zu erweitern. Goethe selbst aber und sein Jahrhundert
hatten keinen Beruf, weder politisch zu wirken noch eine politische
Wirksamkeit, die nicht vorhanden war, poetisch darzustellen. Die
französische Revolution war etwas Fremdes, von dem deutschen Gefühl
nicht Geteiltes; sie fand in der Masse kein Echo und konnte also auch
nicht Stoff eines Epos sein. Aber noch war jenes stille und sittliche
deutsche Familien- und Bürgerleben vorhanden, dort war ein echt
nationaler Kern gegeben; noch bestand jene zwar beschränkte, aber in
sich volle und tiefe Empfindung, die allmählich von den Wogen der
anbrechenden politischen Aera verschlungen und in dem Mechanismus und
der Berechnung der Fabrikindustrie erstickt werden sollte. Hermann und
Dorothea ist das Epos von der deutschen Bürgertugend, das Epos von der
Familie und dem Privatbesitz, dieser Substanz des deutschen Geistes. Es
ist darum ein episches Idyll, wie es Jean Paul benannte, ein
bürgerliches Epos nach Humboldts Bezeichnung, kein heroisches und
historisches. Idyllisch ist es, weil das einfach Menschliche, die
überall wiederkehrende, auf dem Menschengefühl selbst ruhende Sitte, die
stillen Verhältnisse, mit denen die ewig gleiche Natur selbst den
Menschen umgibt, heiter und warm uns aus dem Gedichte entgegenwehen. In
einer Zeit der Reflexion und der Zerfallenheit machen diese
Darstellungen und Zustände nach Hegels Bemerkung dasjenige in uns
lebendig, was zum unvergänglichen Reiz in den ursprünglich menschlichen
Verhältnissen der Odyssee und der patriarchalischen Gemälde des Alten
Testaments gehört, das Freien am Brunnen, das Leben mit den Herden, Zorn
und Segen des Vaters, das Keimen der Familie aus der Familie u. s. w.
Erhöht wird der Reiz dieser Schilderung noch durch den Umstand, daß wir
das idyllische Privatleben gleichsam noch am Rande des Abgrunds in den
letzten Momenten vor seinem Untergange fassen: schon kündigt sich das
politische Zeitalter dumpfgrollend im Hintergrunde an; schon steht der
festgestalteten Lebensordnung unsrer Familie die wilde Auflösung des
Zuges der Vertriebenen gegenüber und, wie ferne Gebirge vom Horizont in
ein friedliches Thal hinübersehen, so hallen die gewaltigen Ideen und
wilden Männer und furchtbaren Ereignisse der Revolution aus gedämpfter
Ferne bis in unsre idyllische Welt, die durch den Kontrast nur noch
inniger an unser Herz tritt. Hierin könnte man Hermann und Dorothea mit
Virgils Eklogen vergleichen, wo gleichfalls ländliche Gemälde auf den
schrecklichen Hintergrund der römischen Revolutionsgeschichte
aufgetragen werden, nur daß bei Virgil die innere Wahrheit der
Darstellung fehlt, die an Hermann und Dorothea entzückt. Das Bewußtsein
eines glücklichen Privatlebens dem Schwanken politischer Umwälzungen
gegenüber wird in dem Gedichte selbst an mehreren Stellen deutlich
ausgesprochen. So sagt die Mutter zu Hermann:

    Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist,
    Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.

Und der Pfarrer verteidigt in einer herrlichen Schilderung das
verharrende, immer wiederkehrende Leben des ruhigen Bürgers:

    Aber jener ist auch mir wert, der ruhige Bürger, u. s. w.

Und den gleichen Gedanken als den Sinn und das Resultat des ganzen
Gedichtes spricht Hermann am Schlusse aus:

    Desto fester sei bei der allgemeinen Erschüttrung,
    Dorothea, der Bund! u. s. w.

Hermann und Dorothea ist so wenig ein politisches Gedicht, daß es
vielmehr in seiner innersten Substanz antipolitisch ist, daß es uns als
ein unverdorbenes Vermächtnis aus jener stillen Zeit überliefert ist,
die den Stürmen der politischen Epoche vorausging. Es ist aus der
inneren Tiefe der deutschen Nationalität hervorgehoben, die überall nur
die zweite Rolle spielen wird, wo die Aufgabe aus der Stille der Natur
in den Kampf des Willens, aus der Familie in den Staat sich versetzt.

Karl Grün wendet Goethes Abkehr von der Politik positiv und will
darthun, die Erringung abstrakter politischer Rechte sei Goethe zu wenig
gewesen und er habe weiterblickend jenes ganze Streben als zu eng und
leer verschmäht. Allein Goethe ruht nicht auf der überwundenen
politischen Bewegung, nicht auf deren Konsequenzen, sondern auf der Zeit
vor der Revolution, wo jene Bewegung noch gar nicht hervorgebrochen war.
Der Kommunismus setzt die Tendenzen des Liberalismus als durchgeführt
voraus; das System politischer Gleichheit, die gleiche Geltung
abstrakter Persönlichkeit ist ihm nur nicht genug: er will jedem
einzelnen auch gleiches Wohlsein, gleiche Möglichkeit humaner Bildung,
wahrhaften Anteil an den materiellen und geistigen Gütern des Lebens
verbürgen und den Individualismus in einem sozialen Organismus zugleich
binden und befreien. Nun strebt zwar auch die deutsche Dichtung nach dem
Besitz humaner Schönheit, aber ohne dem Leben die vorgefundene, durch
Naturkräfte ihm gegebene Gestalt nehmen zu wollen. Im Gegenteil, die
Idee der Natur ist es, die jenes ganze Geschlecht, an dessen Spitze
Goethe steht, bei seinem Abfall wie bei seinem Schaffen leitet. Der
Frieden der Natur, ihre stille Entwicklung, ihr Gewährenlassen wird das
Vorbild auch im Menschenleben: Was die Pflanze willenlos ist, sei du es
wollend, das ist's. Die Liebe wird wieder in ihr Recht eingesetzt,
ebenso die dunkle mächtige Naturkraft des Genies, die Familie, die
Tradition, die Sage, die Poesie. Der Mensch fühlt sich mitbegriffen in
dem großen schaffenden All, ordnet sich ihm unter und wird in offener
Hingabe, im Drang der Umstände und Bedingungen zum Gleichgewicht schöner
Bildung getragen. Aller starren Satzungen, durch welche die
Menschenwillkür der Natur entgegentritt, allem leblosen Dünkel des
Verstandes, den abstrakt formalistischen Diktaten der Kirche entzieht
sich das Subjekt durch Wiederherstellung lauteren Menschengefühls in
sich. Alle Unruhe der kämpfenden Geschichte, jeder Anspruch, empörerisch
Leben und Gesellschaft umzugestalten, wird von Goethe als dem Werden und
Wachsen der Natur entgegengesetzt verabscheut. Die ausbrechenden
politischen Stürme sind daher störend, sie drängen nach Goethes eigenem
Ausdruck ruhige Bildung zurück. Der Sozialismus betrachtet nun zwar sein
Objekt, den Menschen, auch nicht als abstraktes Rechtsindividuum,
sondern als lebendiges Ganzes, dem in allen Bedürfnissen und in seiner
vollen Bestimmung Rechnung getragen werden soll; er will ihn kein Opfer
werden lassen weder der negativen Moralität noch den Scheinbildern
religiöser Transscendenz; hier in dem Rhodos dieser reichen Gegenwart
soll er genießen und sich bilden und der Fülle der Welt sich
bemächtigen. Aber der Sozialismus will mit dem autonomischen Prinzip der
Revolution eingreifen und gestalten und das Recht des Individuums auf
allseitige Existenz in Vollzug setzen. Der Sozialismus verwirklicht ein
philosophisches Ideal, er ist revolutionär und so dem
naturphilosophischen Humanismus Goethes gerade entgegengesetzt. Goethe
steht außer der Geschichte, der Kommunismus fußt auf ihr, indem er ihre
bisherigen Resultate bekämpft. Goethe läßt bei seiner Humanisierung des
Individuums den Staat außer Augen, der Kommunismus will gerade die leere
Form des Staates erfüllen. Goethe ist unpolitisch, der Kommunismus ist
ultrapolitisch. Und welche Verwandtschaft hätte die affirmierende
Anerkennung des Privateigentums in Hermann und Dorothea, welches Gedicht
Karl Grün auch weislich übergeht, mit den Tendenzen des Kommunismus?
Gewiß finden wir gerade hier den echten Goethe reiner als in manchen
Grillen der Wanderjahre, die der Greis geschrieben.

Auch Dahlmann bespricht in seiner Geschichte der französischen
Revolution das Verhältnis des kritischen Geistes in Frankreich zu der
deutschen Literaturperiode des achtzehnten Jahrhunderts. Nachdem er
Montesquieu, Rousseau und Voltaire genannt, fährt er fort: Faßt man
diese drei hervorragenden Köpfe zusammen und fügt noch als vierten Mann
den genialen Diderot hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiste
trug, so erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei
weitem höhere Güter als bloß industrielle antastete, damals als er seine
fleißigen Reformierten ausstieß; denn er schnitt mit ihnen das Asyl für
eine unabwendbare Entwicklung der menschlichen Geisteskräfte ab, welche
sich in dieser bedächtig prüfenden Glaubensform unschädlich hätte
ablagern können; der Protestantismus ist ja nun einmal begnügt, wo man
ihn auch allenfalls bloß duldet, der Katholizismus dagegen will die
Alleinherrschaft führen und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu; aber
herrscht denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher sich die ersten
Köpfe der Nation mit Trotz und Geringschätzung abwenden? Ganz anders
stand auch diese Sache im deutschen Reiche; denn in demselben
achtzehnten Jahrhundert trug der deutsche Reichsboden vier großbegabte
Männer, welche ihr gediegenes Wesen aufrichtig hinstellen durften, wie
es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glaubenssatzungen stehe,
welchen der westfälische Frieden Schutz verleiht: Winckelmann, Lessing,
Goethe und Schiller; Pflanzen dieser edeln Gattung konnten nur auf einem
Boden gedeihen und ihre unsterblichen Früchte zeitigen, auf welchem der
Protestantismus ein Recht des Daseins hat und sich zugleich mit dem
Katholizismus friedlich eingewöhnen und ausgleichen soll, da denn der
unwiderstehliche Wert solcher höheren Naturen den seichten
Verketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft; was diese
deutschen Männer nicht ohne heißen Kampf zwar, aber ohne Verbitterung
ihres lichten Innern überwanden, die Hindernisse, welche dumpfer
Glaubenseifer einer edeln Geistesbildung entgegensetzt, an diesen
Klippen scheiterten jene starken Geister Frankreichs und es schlug hier
die verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine giftige
Leichtfertigkeit um, weil sie keinen erlaubten Boden fand. -- Hier haben
wir die beliebte deutsche Weise, religiöse Kategorieen überall zum
Mittelpunkt von allem zu machen und sie auf Gebiete zu übertragen, wo in
ihnen die Bewegung gar nicht liegt. Dahlmann teilt also die vulgäre
Meinung protestantischer Theologen, Frankreich sei deshalb in die
Revolution gefallen, weil der Protestantismus dort nicht hatte
durchgesetzt werden können, womit die ebenso verbreitete katholische
Ansicht, die Revolution sei nur die natürliche Konsequenz des in der
Reformation enthaltenen Aufruhrprinzipes, in direktem Widerspruch steht.
Nun ist es aber reine Täuschung, das Luthertum oder den Calvinismus des
siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts für eine liberale Lehre zu
halten, die einen unschädlichen Abzugskanal für den Vorwitz und das
Neuerungsgelüst der Menschen gebildet hätte. Der Protestantismus setzte
Autorität gegen Autorität, den geschriebenen Buchstaben gegen die
Tradition; die lutherische Dogmatik ist in keinem Punkte freisinniger,
in mehr als einem naturwidriger als die katholische; nicht die Autonomie
der Vernunft, deren Verstocktheit und Blindheit die Reformatoren nicht
genug einschärfen können, sondern der Glaube und die Schrift ist die
Losung des Kampfes. Den Scheiterhaufen der Inquisition steht die
Verbrennung Servets gegenüber, die von Melanchthon öffentlich gebilligt
wurde. Mußte Galilei im Kerker widerrufen, so mußte der Philosoph Wolff
auf Anklagen der Pietisten Halle und Preußen binnen vierundzwanzig
Stunden verlassen bei Strafe des Stranges. Ludwig der Vierzehnte trieb
die Reformierten durch Dragoner zum Lande hinaus, aber das
erzprotestantische England verfolgte die Katholiken auf nicht minder
empörende Weise und emanzipierte sie erst vierzig Jahre nach der
französischen Revolution und auch da nur teilweise. Erst als durch das
mannigfaltigste Zusammenwirken der verschiedensten Ursachen, besonders
durch den Einfluß der Naturwissenschaften die Glaubensfinsternis
gebrochen ward, begann der Protestantismus die Geistesfreiheit, die
außer ihm gewonnen worden, für sein Prinzip zu erklären und auch das in
ganz allgemeiner theoretischer Weise, da er gleichzeitig =in praxi= der
Aufklärung jeden Schritt streitig machte. Winckelmann freilich fand in
der hellenischen Kunst die selige Anschauung einer mit dem Geiste
versöhnten schönen Sinnlichkeit; aber ist dies protestantisch, da doch
der spezifische Charakter des Protestantismus gerade in der
Sittenstrenge liegt, die er gegen die Sinnenfreundlichkeit des
Katholizismus geltend machte? Mit keiner Epoche hat das Aufblühen der
Poesie in Deutschland eine tiefere Aehnlichkeit als mit dem Humanismus
Italiens im fünfzehnten Jahrhundert, der ganz so auf allmählicher
Ueberwindung der Asketik des Mittelalters ruht, wie der deutsche auf
Ueberwindung der lutherischen Theologie. Gerade gegen jenen
Schönheitskultus in Italien aber war die Reformation gerichtet. Freilich
ist die genannte Blütezeit Italiens doch in mancher Beziehung reicher
als die drei Jahrhunderte später erfolgende deutsche, reicher um das
mannigfache historische Leben, das gleichzeitig in Italien nicht fehlt.
Stellt sich dem wunderbaren Genius Rafaels der ihm so nahe verwandte
Goethes gegenüber, so suchen wir in Deutschland vergeblich nach einem
Macchiavelli. Daß die politische und die humane Bildung getrennt sein
können, sehen wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in England.
Nirgends ist das reine Menschengefühl weniger entwickelt als in England,
diesem angeblich hoch-zivilisierten Musterlande unsrer Doktrinärs,
nirgends die Liberalität der Lebensansicht durch eine dickere Mauer
theologischer Satzung und konventioneller Moral behindert: Heuchelei und
Prüderie, Nutzen und Selbstsucht, Pharisäismus, Barbarei in der Kunst,
öffentliche Herrschaft der Formel bilden eine trübe Atmosphäre der
Unfreiheit, die auf dem englischen Leben und Denken lastet. Jene ideale
Bildung des inneren Menschen, die Deutschland im achtzehnten Jahrhundert
erreichte, ist bis auf den heutigen Tag in dem puritanischen England
nicht erreicht und es kann zu ihr nicht anders gelangen, als durch
politische Unglückstage. Auch in Frankreich war unter all den
mannigfachen Bestrebungen nach dem Licht die Kunst und die Läuterung der
Kunstempfindung nicht mitbegriffen. Dennoch bildet Frankreich für die
ästhetische Verjüngung Deutschlands im achtzehnten Jahrhundert die
Voraussetzung. Lessing bekämpfte Voltaires Poetik, aber den Mut zu allen
seinen kritischen Thaten gab ihm nur die breite Basis der Aufklärung,
die Voltaire über den ganzen Weltteil gelegt. Auch die geniale
Auflehnung in Goethe und seinen Genossen ist ohne den unmittelbar
vorausgegangenen Kampf der kritischen Geister Frankreichs, der in einer
positivistisch erstarrten Welt Luft und Licht schaffte, nicht denkbar.
Für einen Geschichtschreiber wie Dahlmann ist es nun gewiß ein
unglücklicher Gedanke, nach Wegen zu spähen, wie das von ihm
geschilderte Ereignis hätte vermieden werden können, und friedliche
Archäologen, Literaten und Dichter wie Winckelmann, Lessing, Goethe und
Schiller höher zu schätzen, als historische Männer wie Voltaire und
Rousseau. Nach dem Maß der Geschicke des Weltteils und der Geschichte
der europäischen Menschheit im großen gemessen, ist der einzige Voltaire
unendlich wichtiger als alle vier genannten Deutschen zusammen, und es
müßte eine wahre Festlust für einen Historiker sein, seinen Einfluß zu
schildern.



Stoffquelle, Entstehung und Aufnahme.


Goethe liebte es nicht, wenn man ihn fragte, woher er den Stoff zu
seinen Dichtungen genommen, wenn man gleichsam in die geheimnisvolle
Werkstatt treten wollte, in der sie entstanden. So verriet er auch
nicht, wie er zu der unserm Gedicht zu Grunde liegenden Fabel gekommen.
Dennoch hat er später in Wahrheit und Dichtung, in seiner Erklärung der
Harzreise im Winter u. s. w. selbst den Schleier, der die Entstehung
mancher seiner Gedichte verhüllte, vor den Augen der Neugierigen
weggezogen. Auch zu Hermann und Dorothea ist später die Quelle mit
Wahrscheinlichkeit in einem Vorfall entdeckt worden, der sich im Jahre
1732 bei Vertreibung der Protestanten aus Salzburg ereignete. Nachdem
schon im Jahre 1809 im Morgenblatt jemand darauf aufmerksam geworden,
mußte 1827, wo Panses neue ausführliche Geschichte dieser Auswanderung
erschien, jedem Leser die Aehnlichkeit einer darin erzählten kleinen
Begebenheit mit der Fabel von Hermann und Dorothea in die Augen fallen.
Geschöpft ist dieselbe ursprünglich aus einigen von der Salzburger
Emigration handelnden und mit dem Ereignis gleichzeitigen Schriften.
Eine von ihnen oder vielleicht ein neuer Abdruck in irgend einem
Zeitungs- oder Unterhaltungsblatt muß Goethe in die Hände gefallen sein.
Wir geben die betreffende Stelle aus einer kleinen Flugschrift vom Jahre
1732, die die Quelle der übrigen Berichte gewesen zu sein scheint und
den Titel führt: Das liebthätige Gera gegen die Saltzburgischen
Emigranten d. i. kurze und wahrhaftige Erzählung, wie dieselben in der
gräflich Reuß-Plauischen Residenzstadt Gera angekommen. Dort heißt es
(nach dem Abdruck in einem Aufsatz von Yxem, woselbst sich auch die drei
übrigen Relationen in vergleichender Zusammenstellung nebst
interessanten Bemerkungen finden):

In Alt-Mühl, einer Stadt im Oettingischen gelegen, hatte ein gar feiner
und vermögender Bürger einen Sohn, welchen er oft zum Heyrathen
angemahnet, ihn aber dazu nicht bewegen können. Als nun die Saltzburger
Emigranten auch durch dieses Städtgen passiren, findet sich unter ihnen
eine Person, welche diesem Menschen gefällt, dabey er in seinem Herzen
den Schluß fasset, wenn es angehen wolle, dieselbe zu heyrathen;
erkundigt sich dahero bei denen andern Saltzburgern nach dieses Mädgens
Aufführung und Familie, und erhält zur Antwort, sie wäre von guten,
redlichen Leuten und hätte sich jederzeit wohl verhalten, wäre aber von
ihren Eltern um der Religion willen geschieden und hätte solche zurücke
gelassen. Hierauf gehet dieser Mensch zu seinem Vater und vermeldet ihm,
weil er ihn so oft sich zu verehlichen vermahnet, so hätte er sich
nunmehro eine Person ausgelesen, wenn ihm nur solche der Vater zu nehmen
erlauben wolle. Als nun der Vater gerne wissen will, wer sie sey, sagt
er ihm, es wäre eine Saltzburgerin, die gefalle ihm, und wo er ihm diese
nicht lassen wolte, würde er niemalen heyrathen. Der Vater erschrickt
hierüber und will es ihm ausreden, er läßt auch einige seiner Freunde
und einen Prediger ruffen, um etwa den Sohn durch ihre Vermittelung auf
andere Gedancken zu bringen; allein alles vergebens. Daher der Prediger
endlich gemeinet, es könne Gott seine sonderbare Schickung darunter
haben, daß es sowol dem Sohne, als auch der Emigrantin zum besten
gereichen könne, worauf sie endlich ihre Einwilligung geben, und es dem
Sohn in seinen Gefallen stellen. Dieser gehet sofort zu seiner
Saltzburgerin und fragt sie, wie es ihr hier im Lande gefalle? sie
antwortet: Herr gantz wohl. Er versetzet weiter: ob sie wol bey seinem
Vater dienen wolte? Sie sagt: gar gerne; wenn er sie annehmen wolle,
gedencke sie ihm treu und fleißig zu dienen, und erzehlet ihm darauf
alle ihre Künste, wie sie das Vieh füttern, die Küh melcken, das Feld
bestellen, Heu machen und dergleichen mehr verrichten könne. Worauf sie
der Sohn mit sich nimmet und sie seinem Vater präsentiret. Dieser fragt
das Mädgen, ob ihr denn sein Sohn gefalle, und sie ihn heyrathen wolle?
Sie aber, nichts von dieser Sache wissend, meinet, man wolle sie
vexiren, und antwortet: Ey, man solle sie nur nicht foppen, sein Sohn
hätte vor seinen Vater eine Magd verlangt, und wenn er sie haben wolle,
gedächte sie ihm treu zu dienen und ihr Brod wohl zu erwerben. Da aber
der Vater darauf beharret und der Sohn auch sein ernstliches Verlangen
nach ihr bezeiget, erkläret sie sich: Wenn es denn Ernst seyn solte, so
wäre sie es gar wohl zufrieden, und sie wolte ihn halten, wie ihr Aug im
Kopf. Da nun hierauf der Sohn ihr ein Ehe-Pfand reichet, greiffet sie in
den Busen und sagt: Sie müsse ihm doch auch wol einen Mahl-Schatz geben;
womit sie ihm ein Beutelgen überreichet, in welchem sich 200 Stück
Ducaten befunden.

Vergleichen wir diese Erzählung mit dem darauf gebauten Goetheschen
Gedicht, so tritt der ganze Unterschied des bloßen Faktums und
prosaischen Vorfalls mit einer von der Phantasie wiedergeborenen idealen
Begebenheit hervor. Der Dichter hatte mit dem rohen Stoffe, nachdem er
ihn aller Zufälligkeit entkleidet, eine doppelte Prozedur vorzunehmen:
er mußte ihm eine Seele, eine Idee einhauchen und von diesem Lebenspunkt
aus die Form sich gestalten und bis ins einzelnste individuell
herausarbeiten lassen. Es war eine Familienbegebenheit, eine auf
verworrener Wanderung in einer kleinen Stadt zu stande gekommene Heirat,
die in der Anekdote vorlag: die Familie, Darstellung des in der Familie
und dem Bürgertum waltenden und durch Tradition sich immer neu
erzeugenden Geistes unmittelbarer Sittlichkeit, Kontrastierung desselben
mit der Unruhe geschichtlicher Kämpfe, dies wurde folglich die Idee des
Gedichts, nach der sich nun alle übrigen Teile desselben dienend
richteten. Um die Familie zu vollenden, war auch die Mutter nötig, die
in der Anekdote fehlt; die dort erwähnten mehreren Freunde zog der
Dichter der Ueberschaulichkeit wegen in zwei zusammen; mit Vater,
Mutter, Sohn, zwei Hausfreunden und der hinzukommenden Tochter war der
menschliche Kreis der Familie vollendet. Alle diese Gestalten empfingen
den Typus der reinen Menschlichkeit und der besondern Sphäre, deren
Vertreter sie waren, während der Bürger und sein Sohn nur reale
Individuen waren mit allem Eigensinn und Zufall der endlichen Existenz;
zugleich aber wurden sie zu allseitig bestimmten und plastisch
verkörperten Individuen, während die prosaische Quelle nur ganz
allgemein die Personen nannte, mit denen jener Vorfall sich ereignet
hatte. Der Gastwirt, der Pfarrer, der Apotheker vertreten die drei
Hauptfiguren jeder kleinen Stadt. Daß das Mädchen dem Jüngling einen
Mahlschatz von zweihundert Dukaten gereicht habe, blieb als eine unreine
Zuthat der Wirklichkeit weg. Der so im großen umgestaltete Stoff mußte
nach allen Seiten motiviert, durch Belebung im einzelnen nahe gerückt,
nach Zeit, Lokalität und Umständen als gegenwärtig vor unsre Phantasie
gestellt werden. Dies alles hat der Dichter geleistet und, wie viel dazu
gehörte, welchen Reichtum schöpferischer Akte bei aller Einfalt diese
Belebung des Stoffes erforderte, lehrt ein Blick auf die Quelle. Mit
fester Bildnerhand, deren Züge überall von der Inspiration der Phantasie
wie von der bewußten Einsicht gereifter Kunsterfahrung geleitet werden,
hat er den Plan folgerichtig entworfen, sicher durchgeführt, an jedem
Punkte festgehalten, die Personen eigentümlich charakterisiert und
zugleich zu idealen Typen generalisiert, die Lokalität so individuell
bestimmt, daß wir sie kennen wie unser Vaterhaus, die Zeit endlich so
glücklich gewählt, daß Familie und Bürgertum gerade in jenem bestimmten
Moment von der innigsten Lebenswärme durchdrungen erscheinen. Die
Salzburgische Religionszwistigkeit nämlich war eine verschollene,
verhältnismäßig kleinliche Angelegenheit: der Dichter ließ sie fort und
setzte die französische Revolution an ihre Stelle, die bei weitem
mächtiger die gemütliche Privatexistenz erschütterte und von deren
ergreifenden, das heterogen gestimmte Gemüt des Dichters zerrüttenden
Eindrücken er sich soeben zu ästhetischer Freiheit der Betrachtung
wiedererhoben hatte. Zugleich mußte nun das thüringische Städtchen zu
einem Städtchen am Rhein werden und danach die ganze Welt der Sitten und
die Oertlichkeit im einzelnen sich richten.

Goethe glaubte an dem Stoffe einen besonders glücklichen Fund gemacht zu
haben. Er schreibt an Heinrich Meyer: der Gegenstand selbst ist äußerst
glücklich, ein Sujet, wie man es in seinem Leben nicht zweimal findet;
wie denn überhaupt die Gegenstände zu wahren Kunstwerken seltener
gefunden werden, als man denkt, deswegen auch die Alten beständig sich
nur in einem gewissen Kreise bewegen. Die letztere Bemerkung zu prüfen,
würde hier zu weit führen; wir erinnern nur an Friedrich Vischers
geistvolles Wort, die Findung des Stoffes sei dem geheimen
Wechselgespräche zwischen Zufall und Genius zu überlassen, an dem
Instinkt habe der Künstler seine Wünschelrute, an dem Zufall seinen
Boden.

Auch die Idee zu Hermann und Dorothea hatte Goethe schon mehrere Jahre
mit sich herumgetragen, wie Schiller an Körner schreibt. Es ging also
mit diesem Gedicht wie mit den meisten der übrigen Dichtungen Goethes:
er trägt sie lange, sie werden langsam reif, eine gewisse Weichlichkeit
hält ihn ab, die Schmerzen und die Arbeit, die mit der Ablösung
verbunden sind, zu übernehmen; auch wird ihm der geheime innere Schatz
so lieb, daß er ihn ungern an die Außenwelt entläßt. So gehen viele
Goethesche Konzeptionen ganz verloren, weil ihre Geburtsstunde niemals
kam; andre blieben Fragment, Entwurf; bei andern kam der Moment der
eigentlichen Niederschlagung zu spät, d. h. des Dichters Lebensalter war
darüber hinaus. Eine alte Idee war so die Braut von Korinth, die um
dieselbe Zeit entstand und von deren befreundeten Gestalten der Dichter
ungern schied. Manches überließ er auch Schiller. Der Moment der
Ausführung war aber bei Hermann und Dorothea ein sehr glücklicher. Mit
niemand war über den Plan hin- und hergesprochen worden, wie etwa bei
Wilhelm Meister, also kein innerer Zweifel, keine störende Reflexion;
die Geschwindigkeit der Produktion, wie sie Goethe in jugendlichen
Jahren besessen, war wiedergekehrt. Die Ausführung, schreibt Schiller an
Körner, die gleichsam unter meinen Augen geschah, ist mit einer mir
unbegreiflichen Leichtigkeit und Schnelligkeit vor sich gegangen, so daß
er neun Tage hintereinander jeden Tag über anderthalb Hundert Hexameter
schrieb. Schiller mußte dies unbegreiflich sein, da Schiller, von der
Natur nicht so begünstigt, überhaupt der Schönheit und Vollendung des
Daseins sich nicht so unbefangen und göttlich heiter erfreuend, alle
seine Produkte mit ernstem Willen und mühevoll der Natur abtrotzen und
abringen mußte, wovon natürlich die Spuren immer noch sichtbar blieben.
Die Ausführung geschah übrigens im Herbst 1796 teils in Weimar und Jena,
teils in dem lieblichen Bergstädtchen Ilmenau. Vossens Luise hatte das
Gedicht zwar »nicht veranlaßt, aber doch neuerdings geweckt«: beide
Gedichte sind übrigens himmelweit verschieden, wie wir später sehen
werden, und es ist lächerlich, sie vergleichen zu wollen.

Goethe war selbst mit dem Gedicht sehr zufrieden, was immer ein
günstiges Zeichen ist: es war der Prozeß der Entäußerung also nie vor
sich gegangen. Er liebte das Gedicht vorzulesen, was er nie ohne Thränen
der Rührung konnte. Zum erstenmal geschah es ihm auch, daß das Publikum
gleich anfangs zufrieden war, daß ein freudiger Widerhall ihm
antwortete, während er sonst immer erst sein Volk allmählich zu sich
heranziehen und immer erst eine Generation vergehen mußte. Seine
philisterhaften prosaischen Feinde, die preußische Schule mit ihrem
beschränkten sogenannten gesunden Menschenverstande mäkelten dennoch
auch an diesem Gedichte herum; Kritiker der alten Schule nahmen eine
wohlweise Miene an. Der Rezensent z. B. in der neuen Bibliothek der
schönen Wissenschaften und freien Künste sagt, die einen hätten das
Gedicht ebenso sehr erhoben, als andre es herabgesetzt hätten; wir
glauben für unsre Person, daß es ebensowenig ohne Einschränkung gerühmt
als ohne Einschränkung getadelt werden könne. Also mattherzige Mäßigung,
wie wir sie auch bei den jetzigen Gegensätzen, den religiösen und
politischen, bei Alltagsköpfen finden, die sich dabei sehr weise dünken.
Das Gedicht, fährt er fort, liegt auf dem Gange der epischen und
mimischen Gattung: Unsinn!

Goethe sandte seinem Epos ein kleines elegisches Gedicht nach unter dem
Titel Hermann und Dorothea, das sich unter den lyrischen Gedichten
findet und worin er wie ein Vorredner von sich, seinem Publikum, seinem
Werke spricht. Dennoch ist in dem schönen Gedichte alles Prosaische und
bloß Individuelle durch eine ganz poetische Behandlung ausgelöst. Ein
Hauch menschlich-natürlicher Lebenseinfalt, ein Zug rührender
Vertraulichkeit durchweht diese Worte; man muß das Gedicht lesen,
nachdem man Hermann und Dorothea gelesen, um auch den liebenswürdigen
Dichter selbst, sein Haus, seine Person sich nahe gerückt zu sehen. Er
klagt über kommendes Alter und bittet das Geschick nur um zweierlei, um
die fortwährende Gunst der Muse und um einen stillen und frohen
häuslichen Kreis; beides wird ihm die Jugend erhalten und die Heiterkeit
nicht erlöschen lassen. Heller flamme das Feuer im Kamin, das die Gattin
schürt und in das der Knabe spielend das Reis wirft. Der Wein fehle im
Becher nicht, die Freunde mögen kommen und sich zu freundlichen
Gesprächen niederlassen und des Dichters neuestes Werk hören. Auf sehr
treffende und herzliche Weise spricht er selbst von diesem seinem
Lieblingskinde; den idyllisch-idealen Charakter deutet er in den Worten
an:

    Deutschen selber führ' ich euch zu in die stillere Wohnung,
      Wo sich nah der Natur menschlich der Mensch noch erzieht.

Auch daß Krieg und Revolution als Hintergrund die einfach rührende
Idylle trägt, wird in den folgenden Versen angedeutet; dann sagt der
Dichter:

    Hab' ich euch Thränen ins Auge gelockt und Lust in die Seele
      Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzlich ans Herz!

Interessant sind auch die literarischen Anspielungen in dem Gedichte und
die Weise, wie der Dichter auch literarische Kritik in die Grazie
elegischer Poesie aufzulösen verstand. So freut er sich darüber, daß
Friedrich August Wolf den einen Dichter Homer in mehrere Rhapsoden
zerlegt hat, denn der _eine_ war zu groß und schlug allen Mut nieder:

    Erst die Gesundheit des Mannes, der endlich vom Namen Homeros
      Kühn uns befreiend uns auch ruft in die vollere Bahn!
    Denn wer wagte mit Göttern den Kampf und wer mit dem Einen?
      Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.

Später freilich dachte Goethe anders. Auch Voß bekommt wegen seiner
Luise ein nur allzu freigebiges Lob:

    Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise
      Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.

Beide Dichter, Schiller und Goethe, überschätzten das Vossische Gedicht
und liest man Schillers Aeußerungen in seiner naiven und
sentimentalischen Dichtung, wo er griechischen und naiven Geist in der
Luise findet, so begreift man nicht, wie Schillers sonst so
eindringendes Urteil hier sich so bestochen zeigt. Auch in diesem
Gedicht ärgert man sich, gleich hinter Homer den Schulmeister von Eutin
mit dem Werke seiner etwas groben Finger erwähnt zu sehen. Wie Voß einen
Kranz bekommt, so werden andrerseits die Tadler abgewiesen, die Goethe
wegen seiner Elegieen und Epigramme, wegen des üppigen und stachlichten
Tons Vorwürfe gemacht. Er beruft sich auf seine römischen Vorgänger und
meint mit vollem Recht, gerade er habe den Geist des Altertums ergriffen
und die Alten aus dem Staube der Schulstube in das Leben geführt:

    Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich begeistert,
      Daß Martial sich zu mir auch, der Verwegne, gesellt?
    Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten,
      Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt?

Und mit Bezug auf die neue Art, den Genuß der Liebe auch poetisch
auszusprechen:

    Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?

So ist das ganze Gedicht warm, persönlich, eine liebenswürdige Beichte:
so führt es uns ein in den traulichen Kreis des Goetheschen Hauses, in
das Heiligtum seines schönen Gemüths und weiß über alles dies den Glanz
der Poesie, eine antike Hoheit und Milde zu verbreiten. Schiller
schreibt darüber: Ihre Elegie macht einen eigenen tiefen Eindruck, der
keines Lesers Herz, wenn er eins hat, verfehlen kann; ihre nahe
Beziehung auf eine bestimmte Existenz gibt ihr noch einen Nachdruck mehr
und die hohe schöne Ruhe mischt sich darin so schön mit der
leidenschaftlichen Farbe des Augenblicks; es ist mir eine neue
trostreiche Erfahrung, wie der poetische Geist alles Gemeine der
Wirklichkeit so schnell und so glücklich unter sich bringt und durch
einen Schwung, den er sich selbst gibt, aus diesen Banden heraus ist,
so daß die gemeinen Seelen ihm nur mit hoffnungsloser Verzweiflung
nachsehen können.



Ort und Zeit.


Der Dichter versetzt uns in ein Städtchen am Rhein zur Zeit der
Revolutionskriege. Es liegt von der großen Heerstraße seitwärts in einer
glücklichen Verborgenheit, denn von den Vertriebenen sagt der Wirt, daß
sie

                              Durch den glücklichen Winkel
    Dieses fruchtbaren Thals und seiner Krümmungen wandern.

Und an einer andern Stelle:

                              Schon ist der neue Chausseebau
    Fest beschlossen, der uns mit der großen Straße verbindet.

Gerade in dieser stillen Abgelegenheit, die nicht bis zur völligen
barbarischen Isolierung geht, konnte sich die häusliche Sittlichkeit
guter Menschen entwickeln und erhalten. Unser Städtchen liegt am
Mittelrhein gerade da, wo in weintragender, fruchtbarer, vielbevölkerter
Gegend die Sitten menschlicher sind und das Blut leichter und fröhlicher
ist. Der Vater wünscht einmal, sein Sohn Hermann solle sich etwas in der
Welt umthun und

                Sehn zum wenigsten Straßburg und Frankfurt
    Und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist.

Und in einer Rede des Pfarrers kommt Straßburg nochmals vor:

    Denn wir waren in Straßburg gewohnt den Wagen zu lenken,
    Als ich den jungen Baron dahin begleitete; täglich
    Rollte der Wagen, geleitet von mir, das hallende Thor durch
    Staubige Wege hinaus bis fern zu den Auen und Linden
    Mitten durch Scharen des Volks, das mit Spazieren den Tag lebt.

In jener Gegend hatte der Dichter selbst seine Heimat, dort waren seine
Jugendjahre verflossen: in Frankfurt war er geboren, in Straßburg hatte
er zwei Jahre zugebracht, die durch sein Liebesverhältnis mit
Friederike von Sesenheim, durch die Bekanntschaft mit Herder und die
literarische Revolution in seinem Innern zu den inhaltvollsten seines
Lebens geworden waren. Dort liegen die Wurzeln seiner Poesie. Wer aus
dem Norden Deutschlands den Main überschreitet, der wird an dem vollen
Leben und der naiven Fröhlichkeit der Menschen inne, daß er in Goethes
Heimat- und Jugendluft atmet: hier wurden seine Lieder empfangen und
geboren; hier umklang des Dichters Seele von früh auf in der konkreten
und graziösen Volkssprache jener Hans-Sachsische Ton, der in seinen
Werken so unendlich heimatlich zu uns spricht und über den wir mit so
tiefer Rührung lächeln; hier fand er in der vollen Teilnahme an dem
Leben und in der Fülle der Anschauung, die es gewährte, ein Präservativ
gegen den blöden und zähen Pedantismus der Schule; hier endlich in dem
Element leichterer Sitten an der Grenze des hellen und humanen
Frankreich knüpften und lösten sich immer von neuem die Bande der Liebe,
wie sie bei dem gröberen niederdeutschen Stamme und den Engländern, die
nur die beiden gleich widerwärtigen Pole der Prüderie und der
Prostitution kennen, in so unbefangen menschlicher Weise nimmermehr
möglich gewesen wäre. Alle Dichtungen Goethes sind nur später
aufschlagende Blüten seines Main- und Rheinaufenthalts und wir dürfen
behaupten, daß auch Hermann und Dorothea nicht bloß auf jenem Schauplatz
spielt, sondern in seiner Essenz von dorther geflossen ist.
Kindergefühle und alte Eindrücke belebten des Dichters Darstellung jener
Menschen und Gegenden. Er war in dem dortigen Bürgertum geboren und
blieb ihm bei aller aristokratischen Vornehmheit innerlich verwandt. Wir
müssen uns unser Städtchen in einem der Querthäler des Rheins denken; es
ist wahrscheinlich von Fachwerk erbaut und mit einer Mauer und einem
trocknen Graben umgeben. Das Städtchen enthält eine fleißige,
wohlhabende Bevölkerung voll Lust, Neugier und Thätigkeit; es ist
gewerbsam, denn

    Mancher Fabriken befliß man sich da und manches Gewerbes

und die Einwohner betrieben neben dem städtischen Geschäft auch Weinbau
und Ackerbau. Am Markte liegt das neue grüngestrichene Haus des
Kaufmanns, des reichen Mannes, mit großgetäfelten Fenstern und weißer
Stuckatur in grünen Feldern, denn wer thut es dem Kaufmann nach, der

                                    bei seinem Vermögen
    Auch die Wege noch kennt, auf denen das Beste zu haben?

Woraus zugleich hervorgeht, daß die Fenster der übrigen Häuser aus jenen
kleinen sechseckigen, mit Blei verbundenen Scheibchen bestehen. Am
Markte liegt auch die Apotheke zum Engel und das Wirtshaus zum goldenen
Löwen, dessen Besitzer der Vater unsres Hermann ist; beide waren einst
nach dem großen Brande, der das Städtchen vor zwanzig Jahren zerstört
hatte, die schönsten am Markte, sind jetzt aber von dem Hause des
Kaufmanns verdunkelt. So ist auch der goldene Engel Michael, der die
Offizin des Apothekers bezeichnet, von der Zeit ganz gebräunt. An das
Wirtshaus zum goldenen Löwen stoßen doppelte Höfe, Scheunen und Ställe;
ihnen schließt sich der weite Garten mit Apfel- und Birnbäumen und
Kohlpflanzungen an und reicht bis an die Stadtmauer, bis zu einer Laube
von Jelängerjelieber. Dort hatte einst der Ahnherr unsres Löwenwirtes,
der würdige Bürgermeister, aus besondrer Gunst ein Pförtchen durch die
Mauer brechen dürfen, um den weiten Umweg durch das Thor zu vermeiden.
Trat man durch das Pförtchen hinaus und überschritt den trocknen Graben,
so gelangte man an den aufsteigenden Weinberg, den ein bedeckter
Laubgang auf unbehauenen Platten hinanführte; zu beiden Seiten wuchsen
große, weiße und rötlichblaue Trauben, nicht zum Keltern, sondern zum
Nachtisch, und den übrigen Berg bedeckten Stöcke mit kleineren Trauben,
von denen der edle Wein kommt. Rief man auf der Höhe des Weinbergs, so
kam ein geschwätziges Echo von den Türmen der Stadt zurück. Eine Thür
führte dort auf das weite goldene Kornfeld, das den breiten Rücken des
Hügels bedeckte und das man auf einem schmalen Grasrain durchschritt dem
Birnbaum zu, der oben die Grenze der Felder bezeichnete, die dem Wirt
zum goldenen Löwen gehörten. Man wußte nicht, wer jenen Baum gepflanzt.
Er war weit und breit in der Gegend zu sehen, seine Früchte waren
berühmt; in seinem Schatten freuten sich die Schnitter des Mahles und
rasteten die Hirten mit ihrer Herde. Bänke von hohem Rasen und Stein
umgaben seinen Stamm. Zwei der lieblichsten und rührendsten Szenen des
Gedichts spielen unter diesem Baum und man kann von ihm wohl rühmen, was
Cicero von der berühmten Platane des Plato, die am Anfang des Phädrus
vorkommt, preisend sagt, daß sie mehr durch die Darstellung des
Philosophen als durch den Quell an ihrem Fuße so gediehen. Verfolgte man
von dem Baume den Pfad weiter, so erblickte man bald den Turm eines
Dorfes und sah die Häuser und umgebenden Gärten in geringer Entfernung.
Dort lag ein weiter, grüner, rasenbedeckter Anger, den uralte Linden
beschatteten, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort. Unter den
Bäumen befand sich ein flachgegrabener Brunnen, zu dem man auf Stufen
hinabstieg; eine Mauer faßte den immer lebendigen Quell ein und
steinerne Bänke zum Ruhen umgaben ihn. Das Wasser stand in hohem Rufe:

    Säuerlich war's und erquicklich, gesund zu trinken den Menschen.

Auch an diesem Brunnen unter diesen Bäumen geht eine der herrlichsten
Szenen vor, die Begegnung beider Liebenden, ihr Gespräch und gemeinsames
Schöpfen. Ueber die Bedeutung der Linden vor den Dörfern, in deren
Schatten sich die Gerichtsstätte der Gemeinde befand, vergleiche man
Jakob Grimms deutsche Rechtsaltertümer, wo zwei interessante Stellen aus
Hans Sachs angeführt sind. Auch außer der Weihe zur Gemeindestätte ist
die Linde auf dem Anger, die Quelle unter der Linde ein altnationaler,
ländlicher Lustort und durch die Poesie so verbreitet wie die Platane
bei den antiken Dichtern. So heißt es im Parzival:

    =dâ vor stuont ein linde breit
    ûf einem grüenen anger=

und an einer andern Stelle:

    =dâ vermûret und geleitet was
    durch den schaten ein linde.=

Auch in Tristan und Isolt weiß der Dichter das einsame Paradies, in
welches er die Liebenden versetzt, nicht besser zu schmücken als durch
einen Anger, drei Linden und in ihrem Schatten eine Quelle:

    =und einhalp was ein planje,
    dâ vlôz ein funtanje,
    ein vrischer küeler brunne
    durchlûter als diu sunne;
    dâ stuonden ouch drî linden obe
    schône unde ze lobelîchem lobe,
    die schermeten den brunnen
    vor regene unde vor sunnen.=

Diese ganze Lokalität ist nicht etwa abgesondert geschildert, nicht ein
vorausgeschicktes Gemälde, welches abstrakt, d. h. außer dem lebendigen
Zusammenhang mit dem Treiben und den Empfindungen der Menschen vor uns
aufgestellt würde, sondern alle Züge sind unbefangen in die Erzählung
verwebt, einer nach dem andern tritt in der Entfaltung der Fabel von
selbst mit ein, trägt diese und wird von ihr getragen und atmet in
demselben heitern Element anschaulicher Gegenwart.

An die Oertlichkeit schließt sich die Jahreszeit, das Wetter, der
Himmel. Ein halber Tag genügt dem Gedicht: die am Mittag beginnende
Handlung ist am Abend vollendet. Wir befinden uns im Hochsommer, glühend
brennt die Sonne, kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen. Unter dem
Thorweg des Hauses ist zwar Schatten, aber die Fliegen umsummen die
Gläser und, wer behaglich ruhen und trinken will, zieht sich in die
inneren Räume zurück, wo die stärkeren Mauern die warme Luft abwehren.
Hermann, der ins nahe Dorf eine Fahrt gemacht, läßt die Pferde im
Schatten der Bäume halten, und wie sie nach Hause eilen, quillt der
Staub wirbelnd unter ihren Hufen. Schon wankt das Korn schwer und
golden, die Ernte ist für den nächsten Tag bevorstehend. Nach dem heißen
Tage steigt am Abend der klare Vollmond am Himmel auf, mit ihm ein
schweres Gewitter. Die Sonne hatte beim Untergehen mit getürmten Wolken
gekämpft und bald hier bald dort hervorbrechend eine kurze glühende
Beleuchtung über die Gegend geworfen: später, als es völlig Nacht
geworden, blickte der Mond mit schwankenden Lichtern durchs Laub, bis
ihn die schwarzen Wetterwolken gänzlich umhüllten. Die Nacht bedeckt
sich immer breiter mit sinkenden Wolken, der Sturm saust, der Donner
grollt und Regengüsse schlagen herab. Auch dieser einfache
Witterungsverlauf verwebt sich untrennbar mit dem Thun und Fühlen der
geschilderten Menschenwelt; zu rechter Zeit mit kurzen Zügen angedeutet,
hebt er anschaulich und ausdrucksvoll deren Momente. Wie herrlich
begleitet die Mondnacht und das Gewitter Hermanns und Dorotheas Heimgang
durch das Kornfeld und den Weinberg, ihr Ruhen unter dem Birnbaum, ihr
schüchtern vertrautes Gespräch und die Umarmung auf den Stufen! Und die
letzte Szene im Hause, wo wir der Vollendung des reinsten Liebes- und
Familienglücks beiwohnen, wie rührend wird sie gehoben durch das draußen
stürmende Unwetter und den Regen, der durch die finstre Nacht
niederströmt! Auch daß der Dichter gerade den Sommer wählte, ist der
glückliche Griff des Genies. Der Hochsommer ist die Zeit, wo das
nordische Leben für einige Wochen an dem Himmel Ioniens teilnimmt, wo
die Geschäfte und Zusammenkünfte der Menschen in die freie Natur treten,
wo die unförmlichen Hüllen fallen, die farbigen Trachten sich
hervorwagen und unter Bäumen, auf Wegen und in Gärten Gestalten und
Szenen sich bilden. In dem ganzen Gedicht waltet eine sommerliche,
lichtvolle Phantasie, gerade wie umgekehrt auf dem ganzen Hamlet die
Nebel Skandinaviens liegen.



Gang der Fabel.


Wie die Grammatiker die Geschichte des Herodot nach der Zahl der Musen
in neun Bücher teilten, wie manche, z. B. Krates von Mallos, auch den
Homer nach neun Gesängen ordneten, so hat auch Goethe sein kleines Epos
in neun Gesänge zerlegt und jeden nach einer Muse benannt. Er ließ die
Musen abwechselnd singen mit schöner Stimme von der Götter Herrlichkeit
und den Schmerzen der Endlichkeit:

                            ἀμειβόμεναι ὀπί καλῇ
    ὑμνεῦσίν ῥα θεῶν δῶρ' ἄμβροτα ἠδ' ἀνθρώπων
    τλημοσύνας.

Und ganz wie die Grammatiker jedem Gesange des Homer eine Ueberschrift
gegeben hatten, die dessen Inhalt andeuten sollte, z. B. τὰ ἐν Πύλῳ,
νέκυια, μνεστηροφονία, ὄνειρος, so überschrieb auch Goethe jeden Gesang
mit einem ganz allgemein gehaltenen Titel, z. B. Schicksal und Anteil,
die Weltbürger, das Zeitalter u. s. w. Alles dies fand man unbescheiden
(so z. B. der Rezensent in der Bibliothek der schönen Wissenschaften)
zumal im Hinblick auf jenes Epigramm, welches erzählt, daß Herodot die
Musen bewirtet und von jeder eines seiner Bücher zum Zeichen der
Dankbarkeit erhalten habe. Allein wenn Goethe es in den Gedichten dieser
Zeit liebte, den Musen seinen Gesang zu weihen, so hat dieser fromme
Dienst keinen andern Sinn, als daß der bescheidene Dichter still
zurücktritt und den Gesang sich selbst durch seinen eigenen
innewohnenden Trieb, eben durch die Huld der Musen Gestalt und Gesetze
geben läßt. Der Rhapsode, sagt Goethe selbst, sollte als ein höheres
Wesen in seinem Gedichte nicht selbst erscheinen; er läse hinter einem
Vorhange am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit
abstrahierte und nur die Stimme der Musen im allgemeinen zu hören
glaubte. Die Abteilung in Gesänge wird übrigens wie die des Dramas in
Akte durch das Gesetz des pulsierenden Rhythmus, des Wechsels von
Spannung und Ruhe erfordert: jeder Gesang umschließt mehr oder minder
ein eigentümliches Bild und der Sänger benutzt jene momentane
Unterbrechung, die Phantasie auf einen neuen Schauplatz zu versetzen
oder den Sprung zu einer eintretenden weiteren Entwicklung der erzählten
Begebenheiten zu erleichtern.

Der Dichter versetzt uns, was auch die Alten vom Homer rühmten, ohne
Vorrede mitten in die Dinge. Das alte Ehepaar sitzt unter dem Thorweg
des Hauses in behaglicher Ruhe und des Vaters abgerissen hingeworfene
Bemerkungen, zwischen denen Pausen zu denken sind, lehren uns sogleich,
wo wir sind und was heute vorgeht. Die Kriegsnot hat eine Menge Menschen
von jenseit des Rheines zur Flucht genötigt, sie ziehen in einiger
Entfernung von der Stadt vorbei, alle Einwohner sind trotz dem heißen
Mittag hinausgewandert, den Zug zu sehen, und auch Hermann, der Sohn,
ist in der neuen Kutsche hingefahren, um die Notleidenden zu erquicken.
Allmählich kommen die Neugierigen zurück, die Straßen füllen sich, der
reiche Kaufmann von drüben kommt an sein neues Haus gefahren, auch der
Pfarrer und der Apotheker sind wieder da und gesellen sich grüßend zu
den beiden Sitzenden. Einige allgemeine Betrachtungen, die die beiden
hinzugekommenen Hausfreunde über das heutige Ereignis in verschiedenem
Sinne anstellen, unterbricht die ungeduldige Hausfrau mit der Frage nach
dem, was sie denn gesehen. Der Apotheker, schnell das Wort ergreifend,
gibt darauf eine lebendige Schilderung des verworrenen Zuges der
Flüchtigen, der ordnungslos unter Unfällen und Bildern mannigfachen
Elends dem Dorfe zuging. Dieser Bericht rührt den menschlichen Hauswirt,
aber in seiner behaglichen Art will er die Gedanken davon abwenden und
lädt die Freunde zu einem erfrischenden Glase Wein in den kühleren Saal.
Dort sitzen die drei Männer um den großen braunen Tisch und fröhliche
Hoffnung belebt den Wirt. Dies Städtchen, ruft er aus, dessen Wohlstand
seit dem großen Brande so sichtlich gedeiht, Gott wird es nicht von
neuem untergehen lassen. Ja, fährt er nach einer bestätigenden
Zwischenrede des Pfarrers fort, der mächtige Rheinstrom wird uns wie
Wall und Graben schützen; die Streiter sind müde, alles deutet auf
Frieden. Und wenn dann das Friedensfest gefeiert wird und in der Kirche
Orgel, Glocke und Trompete das Tedeum begleiten, wenn doch dann dies
hohe Landesfest für mich auch ein häusliches Fest würde und mein Hermann
mit der Braut vor den Altar träte. Aber ich fürchte, das wird nicht so
sein, denn so thätig zu Hause, so schüchtern ist er nach außen, zeigt
sich nicht unter den Leuten und flieht den Tanz und die Gesellschaft
junger Mädchen. Indem er so sagte, rollte Hermanns Wagen donnernd unter
den Thorweg.

Damit schließt der erste Gesang. Er enthält die Exposition in
unmittelbar frischem Gemälde; noch kein Hindernis, kein Knoten, aber
deutlich ist die eigentümliche Welt des Gedichts vor uns ausgebreitet,
in der wir schon heimisch sind: die Bürgersitten, die Lage des
Städtchens, Ort, Tageszeit, die Familie, das Ereignis des Tages, das
bald das individuellere unseres Gedichts zur Folge haben wird; auch die
Charaktere sind angedeutet; in dem Wunsche des Vaters und seiner
Schilderung des Sohnes liegt die kommende Handlung; Aussicht auf
fröhliche Entwicklung ist in dem ganzen heiter epischen Tone schon im
voraus gegeben. Der Dichter versetzte uns nicht selbst in das Gedränge
der Flüchtigen, welches Schauspiel uns zu mächtig in Anspruch genommen
hätte; wir sollten vor allen Dingen mit dem behaglichen Bürgerhause und
dessen Gliedern vertraut werden und, nachdem auf die Familie
hinreichendes Licht gefallen, werden wir später an der Hand des Dichters
den hohen Standpunkt ersteigen, wo wir das politische Wetter drohend am
Himmel sehen.

Der zweite Gesang führt uns die Personen schon näher, und indem dies
geschieht, schürzt sich der Knoten zusehends. Hermann tritt ins Zimmer
und des Pfarrers kundiger Blick erkennt an seinem ganzen Wesen eine
Veränderung: der Jüngling ist munterer und heiterer. Dies bestätigt
unsre Ahnung von etwas Geschehenem, das bald in ruhigem epischem
Fortgang sich vor uns aufthun wird. Hermann erzählt, wie er mit seinem
Wagen etwas zu spät gekommen und den Zug schon vorüber gefunden; nur ein
Wagen mit Ochsen bespannt war zurückgeblieben, den ein Mädchen, zu Fuße
schreitend, mit langem Stabe lenkte. Das Mädchen sprach den Jüngling um
eine Gabe für die auf dem Wagen im Stroh liegende bleiche Wöchnerin an,
und da Hermann gerade deshalb gesandt worden, gibt er rasch und freudig
das mitgebrachte wollene und leinene Zeug her. Wie das Mädchen weiter
ins Dorf ziehen will, hat Hermann schnell so viel Vertrauen zu ihr
gefaßt, daß er ihr auch alle Lebensmittel, die er im Wagen liegen hat,
mitgibt mit dem Auftrag, alles im Dorfe unter die Notleidenden zu
verteilen. Das Mädchen verspricht dies und beide scheiden. Nachdem
Hermann so berichtet, spricht der Apotheker den Gedanken aus, wie doch
derjenige glücklich sei, der in so schweren Zeiten nicht für Weib und
Kind zu sorgen hat. Diese so einfache, sich von selbst ergebende und mit
dem besondern Charakter des Sprechenden übereinstimmende Wendung leitet
in unaufhaltsamem Fortschritt die Verwicklung ein. Hermann nämlich
tadelt die Gesinnung des Nachbars und erklärt gerade heute lieber als je
sich zur Heirat entschließen zu wollen. Beide Eltern stimmen freudig ein
und die Mutter erzählt ausführlich, wie auch sie einst unter furchtbarer
Not unmittelbar nach dem großen Brande ihre Ehe geschlossen, und lobt
Hermann wegen seines Vertrauens, im Krieg und unter Trümmern freien zu
wollen. Da fällt aber der Vater lebhaft ein und meint: Besser ist
besser. Hermann soll kein unbegütertes Mädchen in ein leeres Haus, in
drückende, armselige Verhältnisse führen; es soll die Wirtschaft
reichlich besorgt und das häusliche Behagen durch gute Mitgift gleich
anfangs verbürgt sein. Ja, Hermann, fügt er hinzu, du würdest mein Alter
hoch erfreuen, wenn du mir aus jenem grünen Kaufmannshause dort drüben
eine Schwiegertochter brächtest; der Mann ist reich, von seinen drei
Töchtern solltest du eine wählen. Hermann erwidert, dies sei auch seine
Absicht gewesen, aber die Mädchen seien eitel und lieblos, und dabei
erzählt er einen Vorfall, wo sie singend und beim Klaviere sitzend sich
über ihn lustig gemacht. Während die Mutter Hermanns Urteil über die
Mädchen zu mildern sucht, fährt der Vater zornig auf und wirft ihm
Beschränktheit und Mangel an Ehrgefühl vor. Da der Sohn sich schweigend
der Thür naht, ruft der Vater immer mehr entrüstet: Denke nicht, mir je
eine Bäuerin als Schwiegertochter ins Haus zu bringen; ich verlange von
ihr, sie soll sich gefällig zu benehmen wissen, Erziehung haben und
meinem Hause zur Ehre gereichen. Da verließ Hermann schweigend das
Zimmer.

Meisterhaft dient dieser Gesang dazu die Charaktere in den Wechselreden
zu entfalten und in ihrer Verschiedenheit das Hindernis zu begründen,
das die beginnende Handlung zugleich aufhält und forttreibt. Vater und
Sohn empfinden verschieden im Punkt der Wahl eines Mädchens: der Boden
eines Konflikts ist gelegt; wir ahnen, daß Hermann im Herzen schon die
Geliebte trägt, daß ihr Stand mit den Wünschen des heftigen Vaters nicht
übereinstimmt; wie von selbst fallen unsre Gedanken auf jenes Mädchen,
von dem Hermann eben erzählt hat; er, der in der Wirtschaft Erfahrene,
konnte das Mädchen und alles, was sie sorgend that, gewiß rasch
beurteilen. Vielleicht wären ihm die Gefühle, die ihr Anblick, ihr
Gespräch in ihm erregt, nicht einmal deutlich zum Bewußtsein gekommen
oder er hätte sie still und ängstlich verborgen, wenn nicht die einfache
Bemerkung des Apothekers und das daran sich knüpfende Gespräch seinen
inneren Zustand rasch zur Reife gebracht und die Verhältnisse in
scharfer Beleuchtung gezeichnet hätte. Hier ist keine Wendung, kein
Glied in der Kette wegzudenken. Man kann die Erzählung der Mutter von
dem Brande und ihrer an dies Unglück sich knüpfenden Heirat als eine
Episode betrachten, damit auch dies epische Erfordernis hier nicht
fehle; in der That führt die ganze Stelle von dem Boden der
gegenwärtigen Situation ab und gewährt ein kleines, überaus liebliches
und wahres Bild für sich; dennoch aber ist sie in dem Fortgang des
Gespräches wesentlich und steht in der nächsten inneren Beziehung zur
Gegenwart. Die in diesem und dem ersten Gesange geschilderten Szenen der
Flucht und Verwirrung erinnern übrigens an manches, was der Dichter
selbst in der Champagne erlebte und in seinem Tagebuche, der Campagne in
Frankreich, uns erzählt hat, so namentlich das Umstürzen des großen
schwerbepackten Wagens und die von dem unbekannten Mädchen der bleichen
Wöchnerin geleistete Hilfe.

Der dritte Gesang enthält noch keine weitere faktische Fortführung. Wir
hören den fortgehenden Reden zu, die dazu dienen, die Charaktere und
Gesinnungen zu entwickeln und den in ihnen liegenden Gegensatz sowie die
mögliche Ausgleichung nach allen Seiten zu beleuchten. Nach dem harten
Anstoß und der bewegten Leidenschaft des vorigen Gesanges beruhigt sich
in diesem die Stimmung; gegenseitiges Gespräch mildert die Aufregung
des Vaters sowie die Furcht des Hörers. Die Mutter, nachdem sie den
Vater wegen seines harten Benehmens gescholten, eilt dem Sohne nach, um
ihn zu begütigen.

Am Anfang des vierten Gesanges begleiten wir die suchende Mutter auf
ihrem Wege. Hier wird nun die Gegend geschildert, Garten, Weinberg,
Feld, Birnbaum, immer aber in unbefangener Verknüpfung mit der Wanderung
der besorgten, sich nach ihrem Sohne umsehenden Mutter. Naturbild und
Muttersorge tritt als eins und unabgesondert in unsre Empfindung ein.
Die Naturschilderung ist nicht die modern-sentimentale, nicht die
Gemütsschwelgerei Werthers, was mit dem Tone des ganzen Gedichts
gestritten hätte, sie ist auch nicht die des abstrakten Kenners der
Landschaft, sondern sie bleibt auf dem Standpunkt des unverdorbenen
menschlichen Gefühls, das sich zwar der Natur freut, aber diese Freude
noch gar nicht von dem Wohlsein, dem Nutzen und der Fruchtbarkeit
abtrennt. Der Weinberg ist schön, aber besonders deshalb, weil er so
herrliche Trauben trägt. Um den Birnbaum schwebt die Poesie des Alters,
die Poesie ferner Landschaft, die vor dem unter ihm rastenden Wanderer
ausgebreitet liegt, aber nicht minder dient zu seiner Verherrlichung,
daß er so schmackhafte Früchte trägt und dem Hirten wie dem Schnitter in
der heißen Mittagsstunde willkommenen Schatten gewährt. Einen bloß
malerischen Baum mit schöner Aussicht zu schätzen läge ganz außer der
Empfindungssphäre unsres Gedichts. Die Darstellung schwebt vielmehr in
jener Mitte, wo der Gegensatz des rein prosaischen Nutzens und der
unwahren weichherzigen Natursentimentalität noch gar nicht
hervorgebrochen ist; sie erhält sich in jener primitiven, wiederum
homerischen Einheit, wo die Schönheit der Natur und die Natur als Sphäre
des Ackerbauers, Gärtners, Jägers, Fischers, Schiffers u. s. w. zu einem
Gesamteindruck zusammenfließen und ein Gesamtgefühl bilden. Landschaft
und Wetter, Sonne, Pflanzen, Wiesen und Berge, alles wird hier mit dem
Auge des schaffenden Arbeiters, des besitzenden Bürgers, des
einsammelnden, von der Erde sich nährenden Ansiedlers betrachtet; die
Natur wird geliebt als Bodenkultur, als αἶα βιόδωρος in Sophokles'
Philoktet. Zugleich erhalten wir das Bild der geschäftigen Hausfrau, die
keinen Schritt vergeblich thut, sich in ihrem Gebiete und Besitze fühlt
und in diesem Gefühl ihr kleines, durch Fleiß erworbenes Königreich
durchwandert. Der Spur des Sohnes immer weiter folgend, finden wir ihn
endlich abgewandt unter dem Birnbaum sitzend. Er hat Thränen im Auge,
indem die Mutter ihn überrascht. In dem nun folgenden Gespräch tritt uns
die Hauptperson, Hermann, nahe ans Herz. Wie durch Zauber thut sich sein
Sein und Wesen vor uns auf, wir hören seine Geständnisse und die echt
menschliche Wahrheit seiner Worte und Entschließungen gewinnt ihm unsre
Teilnahme und Rührung. Obgleich ganz episch in langen weitausholenden
Reden sich fortbewegend, enthält die ganze Szene doch mit meisterhafter
Entwicklung den Verlauf innerer Gemütsbewegungen, die sich unter Thränen
in der Einsamkeit erst verbergen, dann halb sich verraten, dann endlich
hervorbrechen und zum Entschlusse, zur That werden, den Prozeß zwischen
der leidenschaftlichen Seelenerregung des Sohnes und Jünglings, die sich
endlich in die Brust der Mutter ergießt, und der erst betroffenen, dann
mit liebevoller Besorgnis forschenden, endlich nach erfolgtem Geständnis
beratenden mütterlichen Helferin. Zu der Wahrheit, mit der dieser
stufenweise fortgehende Prozeß fortgeführt ist, zu der Sicherheit, mit
der sich das Verhältnis von Mutter und Sohn nach den in ihm liegenden
Momenten darlegt, kommt noch der Reichtum dieses Verhältnisses selbst,
der Reichtum an sittlich-menschlichen Motiven, den der Augenblick bei
aller Einfachheit in sich trägt. Ein Sohn, den eine unglückliche Liebe
in seinem Innern schmerzvoll zerreißt, eine weinende Mutter, die sich
voll Muttermitleid forschend und ratend über ihn niederbeugt -- diese
Szene ist an sich rührend und heilig. Sie ist heilig, wie es die
Madonnenbilder Rafaels sind, auf denen gleichfalls durch Darstellung der
Mutter mit dem Kinde der reinste menschliche Inhalt uns vor Augen
gestellt wird. Und diese menschlich rührende Szene ist in eine
Oertlichkeit verlegt, die sie mit allem poetischen Zauber umgibt: es ist
der Rasensitz unter jenem Birnbaum, von wo der sehnsüchtig kummervolle
Blick nach der Gegend hinreicht, in der die Geliebte weilt.

In dem fünften Gesang wird, wie die Mutter vorhergesagt hatte, die
Einwilligung des Vaters wirklich erlangt. Hiermit ist die Verwicklung
gelöst und scheinbar ein Schluß herbeigeführt. Allein auf ganz epische
Weise liegt in der Auflösung eine neue Verwicklung, ein neues Hindernis,
das der Strom der Erzählung ruhig zu umgehen hat. Der Apotheker hat den
Vorschlag gethan, doch erst das Mädchen zu prüfen und die Gemeinde, in
der sie aufgewachsen, nach ihr zu befragen. Diese Wendung ist abermals
dem Charakter des Apothekers angemessen; sie fließt auch sonst auf
natürliche Weise aus der Lage der Dinge, denn man will doch vorher
erfahren, wer und wie das unbekannte Mädchen ist; indem aber dieser Rat
des Vaters Zustimmung erst möglich macht, knüpft er dieselbe doch an
eine erst zu erfüllende Bedingung und das accelerierende Moment ist
zugleich ein retardierendes. Im übrigen enthält auch diese Szene in
ihrer successiven Entwicklung und dem Spiel der einander
gegenübergestellten Charaktere die größte Naturwahrheit. An Hermann
zeigt sich in jedem Wort, daß die Liebe ihn, den blöden und unbeholfenen
Jüngling, schnell zum Manne gereift hat, daß sie seinen Blick geschärft
und seine Sprache beflügelt hat. Der Vater, der lebhaft gutmütige Mann,
ist nach dem Zornausbruch von heute mittag schon innerlich nachgiebig
gestimmt; da kommen nun Sohn, Mutter und Freunde mit ihrer dringenden
Ansprache; anfangs schweigt er verwundert; endlich wie einer, der sich
einer Sache nicht voll überlassen mag, macht er die Seitenbemerkung,
Hermanns Zunge, die immer gestockt, sei nun mit einemmale gelöst; dann
gleichsam aus Scham, von einer lange mit Eifer und Würde verfochtenen
Gesinnung jetzt abgehen zu sollen, kleidet er seine Zustimmung in die
humoristische Wendung, er erfahre, was jedem Ehemann und Vater gedroht
sei, daß Mutter und Freunde immer den Willen des Sohnes begünstigen; und
wie noch halb grollend richtet er die Zusage nicht an den Sohn, sondern
an die übrigen Anwesenden: Gehet und prüfet und bringt mir meinetwegen
die Tochter ins Haus, wo nicht, so mag er das Mädchen vergessen; wie
dies alles in ähnlicher Lage im Leben überall sich wiederholt.

Nach einer ganz homerischen Beschreibung des Anschirrens der Pferde
folgt die Fahrt ins Dorf. Hermann hält die Pferde im Schatten der Linde
und die beiden Hausfreunde gehen nach Erkundigung aus. Wir begleiten sie
in das Gewühl der Menschen, von dem wir eine episch ausführliche
niederländische Genreschilderung erhalten. Nachdem wir uns Schritt vor
Schritt der politischen Sphäre genähert, stehen wir endlich betrachtend
vor dem furchtbaren Ereignis der Revolution und des Krieges, welches
allen stillen Naturbildungen den Untergang droht, um die Welt aus Nacht
und Chaos nach Vernunftprinzipien neu zu gestalten. Hermanns Liebe tritt
für einen Augenblick zurück, aber nur um sich auf dem nun sich
zeichnenden düstern Hintergrund desto heller abzuheben. Aus der Tiefe
der Auflösung selbst wird die ewig wirksame Bildungskraft von neuem die
Familie hervortreiben. In dem verworrenen Zuge der Flüchtlinge, in der
Schilderung des Richters tritt uns Auflösung aller sittlichen Bande,
Zerrüttung entgegen, aber, wie gewaltig auch der furchtbare Sturm der
Geschichte die Wohnungen des Privatgeistes niederwerfe, immer wieder
faßt der Mensch von neuem Fuß, knüpft neue Bande, steckt neue Grenzen
des Besitzes aus und gründet feste Anstalten, in die er den Inhalt des
Gemütes gießt. Die Revolution tritt uns nahe, aber nur damit
antipolitisch und antikommunistisch die Privatexistenz, die Familie, das
Eigentum sich bewähre und aus der Zerstörung neu erzeuge. Als das Symbol
dieser in der Menschheit wohnenden Naturmacht wird uns Dorothea
erscheinen, sie, die Flüchtige, Elternlose, des väterlichen Hauses, des
Bräutigams Beraubte, die in den Krieg und die Verwirrung als ein
hilfloses Mädchen Verschlagene, die dennoch, wo sie auch ist, sorgend
und weiblich durch Rat, Pflege und Hilfeleistung eine Sphäre der Liebe
um sich zieht, die endlich als künftige Gattin und Mutter in einen neuen
Familienkreis einzieht, den sie durch ihre Einkehr vollendet und
abschließt. Gleich bei den ersten Schritten, die die beiden Freunde
unter die Menge thun, treffen sie diese in Streit: die Männer drohen
einander, die Weiber mischen sich schreiend ein. Das häßliche Bild wird
aber rasch vor den Augen weggezogen und es folgt eine versöhnende
patriarchalische Szene. Ein langes Zwiegespräch zwischen dem Pfarrer und
dem ehrwürdigen Richter der Gemeinde füllt den Schluß des fünften und
den Anfang des sechsten Gesanges. Wir erhalten eine Schilderung des
Verlaufes der Revolution, der Freiheitsbegeisterung, der darauf
folgenden Enttäuschung, der Greuel des Krieges; wir hören von Dorotheens
heroischer Selbstverteidigung. Unterdes hat der Apotheker das Mädchen
aufgespürt und zieht den geistlichen Herrn mit fort. Wir blicken mit
beiden durch die Lücke des Zauns und sehen zum erstenmal Dorotheen.
Nachdem wir soeben alle Zerrüttung des Krieges durchlebt, nachdem wir
voll Bewunderung und Entsetzen von der That der männermordenden Jungfrau
(ἀνδροκτόνος) gehört, erblicken wir sie nicht schreitend, nicht
handelnd, sondern ruhig und betrachtungsvoll dasitzend, in ihrem Arm das
neugeborene Kind; wir sehen sie als liebende Helferin und künftige
Mutter. Der Richter tritt nochmals hinzu und vollendet durch weitere
Nachricht über das Mädchen das geistige Bild, das wir von ihr gefaßt.
Nachdem wir durch alles Gesehene und Erfahrene sicher geworden, daß
Hermanns Wahl eine glückliche gewesen, nachdem seine Liebe durch ihre
Beziehung zu dem Schicksal der Völker und Staaten eine tiefere
allgemeine Bedeutung für uns gewonnen, eilen wir mit ungeduldiger
Teilnahme zu dem am Brunnen harrenden Jüngling, ihm die herrliche
Botschaft zu bringen. Allein abermals hat sich, kaum daß die Spannung
gelöst ist, eine neue vorbereitet. Hermanns Seele, in der Einsamkeit
sich selbst überlassen, ist unterdes von schweren Sorgen befallen
worden, von Sorgen, wie sie ein liebendes und also ängstliches Herz zu
quälen pflegen. Daß die Freunde von Dorotheen nur Gutes erfahren würden,
wußte er im voraus: aber wird sie selbst auch einwilligen? Wird sie dem
ersten besten, der da kommt, zu folgen bereit sein? und ist ihr Herz
nicht vielleicht schon versagt? Während einer komischen
Zwischenerzählung des Apothekers, die recht für die epische Gelassenheit
Zeugnis gibt und deren für den gegenwärtigen Moment Unpassendes der
gesprächige Mann nicht merkt, hat Hermann innerlich nach Art der
Liebenden einen zugleich kräftigen und dennoch ängstlichen und
ausweichenden Entschluß gefaßt. Die Freunde sollen ohne ihn nach Hause
fahren und den Eltern die Nachricht bringen; er will allein
zurückbleiben, Dorotheen selbst befragen und den näheren Fußweg am
Birnbaum vorbei entweder glücklich mit ihr nach Hause herabsteigen oder
ohne sie einsam zurückschleichen. Alle Worte, die er hier spricht, sind
die eines liebenden, zwischen Jammer und Glück hin- und hergeworfenen
Herzens, die dieselbe Wahrheit, Tiefe und Zartheit an sich tragen wie in
Alexis und Dora. Wir schweben mit dem Jüngling in Erwartung, teilen
seine Betrübnis, lächeln über die drolligen Scherze bei der Abfahrt der
Freunde, aber innerlich bewegt sehen wir mit Hermann den Staub sich
erheben, sich zerstreuen und stehen wie er ohne Gedanken.

Je näher wir mit Eröffnung des siebenten Gesanges dem Schlusse rücken,
desto reicher werden die aufgewandten poetischen Mittel, die Empfindung
immer inniger, ängstlicher, die Darstellung immer seelenvoller und ihre
zartbleichen Farben steigern und röten sich unmerklich. Das innere Herz
und die äußere Natur, die Stimmung der Seele und die umgebende
Landschaft, der Zug der Liebe und der leise spielende Zufall, alles
neigt sich zusammen, Sinn und Bedeutung des Bildes zu steigern und
sammelt alle Zauber der Phantasie zu der Fülle der zartesten Rührung,
die aus dem Grunde eines lauter menschlichen Verhältnisses quillt. Der
Gesang beginnt mit einem ebenso wahren als prachtvollen Gleichnis. Wie
der Wanderer am Abend die versinkende Sonne noch einmal ins Auge faßt
und dann geblendet ihr Bild schweben sieht, wohin er die Blicke auch
wendet, so sah Hermann Dorotheens Gestalt sich vor seinem Auge durch das
Feld bewegen. Es war der Traum der Liebe, in welchem die Geliebte dem
geblendeten Auge überall gegenwärtig ist, aber der Traum verschmilzt
hier mit der Wirklichkeit: Hermann erwacht und staunt und staunt wieder,
denn Dorothea kommt wirklich, es ist kein Scheinbild, sie ist es
selbst. Mit Krügen in der Hand kommt sie zum Brunnen geschritten, um
Wasser zu schöpfen. Der Zufall führte sie gerade jetzt zur Quelle, bei
der Hermann in Sorgen der Liebe einsam träumte.

Der Zufall! Man könnte ihn mit Humboldt das Wunderbare unsres Gedichts
nennen. Unter die Erfordernisse eines epischen Gedichts stellte die
pedantische Theorie früherer Zeit auch eine sogenannte Maschinerie des
Wunderbaren: es sollten im Epos Götter und Dämonen auftreten und mit
phantastischen Hebeln in das Treiben der Menschen eingreifen. Daher
wurde von dem Dichter eine Götterwelt erfunden, es wurden allegorische
Personifikationen abstrakter Begriffe in Bewegung gesetzt und der Gang
der Handlung nicht als ihre eigene innere, sie forttreibende Dialektik,
sondern als das Werk überirdischer Figuren dargestellt. Schon bei Virgil
sind die Gespräche und Anordnungen der Götter mehr eine kalte
Maschinerie des nachahmenden und reflektierenden Dichters als eine in
der Anschauung unbefangenen Volksglaubens sicher befestigte Welt. Anders
bei Homer. In dem homerischen Zeitalter kamen die sittlichen Mächte, die
das Leben gestalten, nicht als solche dem Menschen zum Bewußtsein; sie
wurden in ein Jenseits verlegt und jede wurde ein Gott, eine handelnde
Person. Die Heiligkeit des Gastrechts z. B., die da, wo sie verletzt
wird, sich an ihrem rohen Verächter in dessen eigenem Busen und eigenem
Lebensschicksal rächt, wurde zu einer lebendigen Person, die über ihre
Aufrechterhaltung wachte; der Geist der Kunstfertigkeit, der überall aus
der menschlichen Natur, wo diese sich entwickelt, hervorbricht, wurde zu
der offenbaren Gabe des sie konkret personifizierenden Hephaistos, dem
nun alle bedeutenden Kunstwerke, deren Möglichkeit dem naiv staunenden
Natursohn ein Geheimnis scheint, beigelegt wurden; die Gewandtheit des
rüstigen jugendlichen Körpers, in ihrem Adel dunkel gefühlt, wurde
Eigenschaft des Hermes, dem sie das Menschengeschlecht verdankte und dem
es nun jede Palästra weihte u. s. w. Streiten zwei Stimmen in der Brust
des Helden und entscheidet er sich nach solchem Selbstkampfe für eines,
so wird dies vorgestellt als Befehl oder Rat eines erscheinenden
Gottes, das Gute als Hilfeleistung des Gottes gegen den erkorenen
Liebling, das Böse als Berückung durch den feindseligen Dämon. Nicht
anders mit den Wirkungen der Götter in der Natur. Das tiefe Leben der
Natur kam dem kindlichen Menschen überall entgegen in tausend Gestalten
und Phänomenen, in ewigem Zeugen, Gebären und Vernichten; als ein von
innen bildendes plastisches Prinzip konnte er es nicht fassen; je mehr
er es aber als ein Unwiderstehliches und Göttliches empfand, desto mehr
war er geneigt, es in Göttergestalten zu verwandeln und nun den Blitz
und Donner dem Zeus, das Erdbeben dem Poseidon u. s. w. zuzuschreiben.
Daher ist in jener mythischen Region eigentlich nichts Wunderbares, denn
die Substanz jener Götter bilden nur irdische Lebensmächte und sie sind
so vollständig in konkrete Individuen übergegangen, daß sie wirkliche
menschliche Wesen, nur in gesteigerter Kraft und Stimmung abgeben. Ein
modernes Epos nun wie Hermann und Dorothea ist über jene mythische
Anschauungsweise hinaus. Die Götter sind in die Brust des Menschen
zurückgekehrt, ihre Einwirkung ist in das Walten und die
Selbstoffenbarung des Weltgesetzes überhaupt zurückverlegt. Das
Geschehen im Epos ist so wunderbar und natürlich zugleich wie das Leben
selbst. Was dem Menschen widerfährt, ist teils nur die Konsequenz seines
eigenen Thuns, teils ist es durch den großen Weltzusammenhang, durch den
Komplex aller Gesetze und Bedingungen des menschlichen Gesamtlebens
mitgesetzt. So ist alles endliche Schicksal wunderbar, denn es steigt
aus dem Grunde der Idee auf und erhält von ihr tiefere Bedeutung, es ist
aber auch natürlich, denn alles hat seine Gründe in der Verknüpfung mit
dem übrigen. Man kann das Hereinragen der französischen Revolution in
die idyllische Familienwelt das Wunderbare unsres Epos nennen,
dasjenige, was in unsrem Gedicht die Götter der Ilias ersetzt; und in
der That derjenige, der auf naive Weise in der Substanz der
Familiensittlichkeit begriffen ist, wird von der gewaltigen, die
Grundlagen der Privatexistenz umwerfenden politischen Idee wie von einer
unbegreiflichen That höherer Dämonen getroffen; umgekehrt aber ließe
sich auch sagen, die Naturkraft der Familie bilde das Wunderbare, da sie
dem in der politischen Sphäre ganz Heimischen als ein unbegreiflich
zäher fundamentaler Widerstand entgegentritt. So gesetzmäßig nun auch
alles Geschehen ist, so wird dennoch, da wir eben in einer endlichen
Welt begriffen sind, immer ein irrationaler Rest bleiben, der sich in
die Formel nicht auflösen lassen will: es ist eben das, was wir Zufall
nennen, wo so ist und auch anders sein könnte, was grundlos sich gefügt
hat, was zutrifft, ohne daß dies Eintreffen aus dem Zweck und Gesetz der
gerade vorliegenden Sphäre erklärt werden kann. Da dieser Zufall eben
irrationell und unberechenbar ist, können wir ihn das Wunderbare nennen.
Daß Dorothea gerade zum Brunnen kommen muß, wo Hermann noch dasteht, ist
ein liebliches Spiel des Schicksals; es ist, als hätten freundliche
Genien ihr den Gedanken geweckt und ihren Gang geleitet, und gern
gewähren wir dies Hineinspielen des bald neckenden, bald hilfreichen
Ungefährs in einer Darstellung, wo alles auf dem sichern Grunde der
ewigen Naturwahrheit ruht.

Hermann redet die kommende Dorothea an, die verwundert ist, den
Wohlthäter von heute morgen hier wiederzufinden. Sie erwiedert
freundlich seinen Gruß und erklärt ihm ihr Kommen. Beide steigen die
steinernen Stufen hinab und setzen sich auf die kleine Mauer, die den
Quell einfaßt; sie beugt sich über und schöpft, er faßt den andern Krug
und beugt sich über; sie sehen ihr Bild in dem blauen Spiegel schwanken
und nicken sich freundlich zu. Dorothea reicht dem Jüngling den Krug und
er trinkt; darauf ruhen sie beide vertraulich auf die Gefäße gelehnt.

Diese Gruppe beider Liebenden, die, während oben der Sommer glüht, hier
unten am rinnenden Brunnen sitzen, auf die Wasserkrüge sich lehnend,
gleicht an Sitte, Einfalt und Adel antiken oder orientalischen
Darstellungen, als müßte die Phantasie sich nicht weit davon die Säulen
eines Tempels denken oder als wären jene Linden Palmen des Morgenlandes.
Dennoch ist das ganze Bild wiederum ländlich, dorfmäßig, deutsch,
heimatlich; das nur Menschliche kehrt ja unter jedem Himmelsstrich
wieder. Nehmen wir zu jener äußeren Gestalt der Szene Hermanns innerlich
bebendes Herz, die bedeutungsvolle Beziehung des Jünglings zu dem
Mädchen, die Spannung der Liebe, die sie zu ewiger Verbindung zu
einander zieht und deren Zug dennoch von Scheu und Selbstbeherrschung
aufgehalten wird, so bethätigt sich hier und in dem folgenden Gesange
die Kunst, durch welche Goethe so einzig ist, die Kunst, die tiefste und
leiseste Stimmung der Seele in die äußere Anschauung, das Bild der
äußeren Anschauung in die Empfindung des Herzens zurückzuführen.

Auf ihre Frage, was ihn hierhergeführt, bringt er halbverhüllt sein
Anliegen vor, dessen Sinn Dorothea mißversteht. Sie glaubt als dienende
Magd von ihm geworben zu werden, geht schnell auf den Antrag ein und ist
bereit mit ihm zu gehen. Kommt mit mir, sagt sie, und empfangt mich aus
den Händen der lieben Freunde, denen ich die Krüge wiederbringe. Beide
stehen auf, sehen noch einmal ihr Bild im Brunnen und süßes Verlangen
ergreift sie. Dann gehen sie durch den Garten zu der Scheune, wo die
Wöchnerin ein Unterkommen gefunden hat. Daß Hermann ihr das
Mißverständnis nicht löste, daß seine Rede so unbestimmt blieb, liegt in
der ängstlichen Natur des Jünglings und der Liebe überhaupt; er bebt vor
der Entscheidung zurück und desto mehr, je mehr von ihr abhängt; das
Mädchen nur überhaupt ins Haus zu führen scheint ihm schon Glück und
Gewinn. Wir selbst zittern mit ihm und freuen uns des Auswegs, durch den
schon viel gewonnen und noch nichts verloren ist. Hermann, innerlich das
süße Geheimnis tragend, ist fast stumm; beglückt Dorotheen zur Seite zu
gehen ist er doch feierlich und wie abwesend. Mit Leichtigkeit bewegt
sich dagegen das gewandte Mädchen vor ihm; sie spricht mit holder Demut
und heiterem Verstande von ihrer Lage, dem Schritte, den sie zu thun
gedenke; sie weiß, wo sie ist und was sie thut; sie ist es, die Hermann
leiten und mitziehen muß. Und in diese Unbefangenheit, die so sehr mit
Hermanns verliebter Schwermut kontrastiert, in diese Leichtigkeit des
anmutigen Benehmens mischt sich mit leichter Andeutung ein Zug
mädchenhaften Strebens dem Jüngling zu gefallen, ein Bewußtsein von der
Macht, die sie über ihn ausübt. Wir ahnen, daß auch sie nicht frei ist
von zärtlicher Neigung. Die Abschiedsszene, die nun folgt, unterbricht
das Spiel der Liebe, die Schwüle der Empfindung mit naiv wahren Zügen,
mit Ernst und Heiterkeit. Dorothea erscheint hier als Glied der Familie
wie eine liebe Tante oder ältere Schwester, die das Hauswesen besorgt
und den Schlüssel zum Speiseschrank führt und an die die Kinder
vertraulich gewöhnt sind. Ihr Bild tritt uns verklärt aus dem Spiegel
der Liebe entgegen, die sie in der befreundeten Familie erweckt hat, des
Bedauerns, das ihr Wegziehen bei groß und klein erregt. Alle segnen sie,
die Mutter weint um sie, die Kinder wollen von ihr nicht lassen, der
Richter, der ernste Menschenkenner, preist den, in dessen Haus sie
kommt. Zugleich aber hat Dorothea weder Vater und Mutter noch
Geschwister, so daß das Interesse des Hörers sie Hermann zu teil werden
zu sehen gar nicht durch übergroßen Schmerz der Trennung geteilt wird.
Vielmehr laufen alle Ströme der Empfindung ungeschwächt darauf hin
Hermann und dessen würdige Familie in den Besitz des schönen seltenen
Mädchens gelangen zu sehen.

Der folgende achte Gesang enthält in reizender Bewegung alle Zauber der
holdesten idyllischen Romantik, die sich zu dem zartesten Natur- und
Seelengemälde vereinigen. Der Sommerabend, der mit kühlem Schatten die
Gluten dämpft, der groß aufgehende, am Himmel herrlich glänzende Mond,
das Gewitter, das die untergehende Sonne umtürmt, um dann in schweren
Donnern über den Häuptern der Menschen zu rollen, die wechselnde, aus
glühenden Sonnenblicken, weißem Mondlicht und dunkeln Wolkenschatten
ahnungsvoll gemischte Beleuchtung, der Pfad durch die uns wohlbekannte
liebliche Oertlichkeit, das wankende Korn, das die Gestalten der
Wandernden an Höhe fast erreicht, der ehrwürdige Birnbaum, unter dem
Hermann heute um das Mädchen geweint, an dessen Hand er nun nach wenigen
verhängnisvollen Stunden dahinwandelt, die belaubte Treppe den Weinberg
hinab -- dazu das Herzensgeheimnis, das beide in sich tragen, die süße
Beklommenheit, die auf dem Jüngling lastet, die Schüchternheit, die bei
dem vollsten Herzen und in der günstigsten Stunde ihm dennoch den Mund
verschließt, die oft so lieblich doppelsinnigen Worte des Gesprächs, das
wir oft eine Wendung nehmen sehen, wo die Blume der Liebe in offenem
Geständnis die Knospe sprengen zu wollen scheint, Dorotheens Ausgleiten
auf den Platten des Weinbergs, die Umarmung, in der Hermann sie auffängt
und die Wärme des Herzens, den Balsam des Atems empfindet, die edle
Selbstbeherrschung, die er in diesem Moment zeigt, Dorotheens Scherz, zu
dem sie bei aller eignen inneren Bewegung doch noch Freiheit des Gemütes
und der Sitte genug hat -- dies alles würde diesen Gesang zur Krone der
ganzen Dichtung machen, wenn es nicht unpassend wäre, in einem Gedicht
wie das unsre von besonders schönen Stellen zu reden, in einem Gedicht,
wo ein mildes Licht über alle Teile seine harmonische Heiterkeit
verbreitet, jeder einzelne Punkt Zweck des Ganzen ist und das
Fortstürmen der Erzählung ebenso mächtig als still, der Anteil des
Gemütes ein ebenso inniger als freier ist. Auch hier spielt der Zufall,
der Liebende ja so oft begünstigt oder neckt, da ihnen alles von
Bedeutung ist und alles ihrer Empfindung eine Handhabe gewährt, sein
liebliches Spiel. Dorothea, unter dem Birnbaum sitzend, sieht im hellen
Mondlicht die Häuser und Höfe der Stadt daliegen, besonders ein Fenster
hell im Wiederschein glänzen: dies Fenster ist zufällig gerade Hermanns;
er sagt es ihr auch; es ist meines, spricht er, vielleicht wird es nun
das deine; dann, als hätte er sich schon zu deutlich verraten, fügt er
hinzu: wir verändern im Hause, welche Worte wieder einen Doppelsinn
enthalten. Auch das Fehltreten Dorotheens, das dem Jüngling noch vor der
Verlobung das Glück schafft die Geliebte ans Herz drücken zu können, ist
ein Spiel des Schicksals, das Amor selbst mit sinnvoller List gefügt zu
haben scheint.

Aus der Sphäre der Empfindung und des Liebesspieles hebt uns der letzte
Gesang, der nach der Urania, der Sternenmuse, benannt ist, in die Höhen
der Familie. So fein auch hier wieder die Spiegelung des wirklichen
Lebens, so reich die Szene an Zügen ist, die der Natur unmittelbar
abgelauscht sind, so sehr alles dadurch in vertrauliche Nähe gerückt
wird, so tritt doch hier im Schlußgesange in und mit der Empfindung für
das sich krönende Verhältnis der uns liebgewordenen Personen der hohe
Sinn des Gedichts, der Ideengehalt zu Tage: Tod und Leben, der Kreislauf
der Lebensalter, Saat und Frucht des Menschenlebens, Schicksal und
Sitte, die Familie in ihrer festen Grundlage mit ihrem Schatz dunkler
unmittelbarer Naturgefühle und die Geschichte, die die Wohnungen der
Naturbestimmtheit zerbrechend Völker gegen Völker treibt und sie eins
nach dem andern als Werkzeuge der sich in ununterbrochener Entwicklung
vollziehenden Idee verwendet. Goldne Worte tiefer Wahrheit hat der
Dichter dem Pfarrer in den Mund gelegt, wenn dieser über den Tod und die
Vergänglichkeit des Lebens die doppelte Ansicht des Philosophen und des
Religiösen ausspricht:

                                    Des Todes rührendes Bild steht
    Nicht als Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen.
    Jenen drängt es ins Leben zurück und lehret ihn handeln;
    Diesem stärkt es zu künftigem Heil im Trübsal die Hoffnung;
    Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit Unrecht
    Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen.
    Zeige man doch dem Jüngling des edel reifenden Alters
    Wert und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises
    Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende!

Während also der Fromme in dem Tode nicht das Ende sieht, sondern an ihn
die Vorstellung fortgesetzten Lebens knüpft, fordert der Gedanke des
Todes den Weisen auf die Gegenwart zu ergreifen, sie mit Wesentlichem zu
füllen und ewig zu sein in jedem Momente. Die Vergänglichkeit aber ist
zugleich eine immerwährende Erneuerung, der ewige Untergang eine ewige
Geburt; so blicke denn der Jüngling auf den Wert des Alters, dem er
unaufhaltsam zureift, und der Greis auf die Jugend, in der er sich
selbst wiederholt, daß beide sich des ewigen Kreises ohne egoistisches
Bedauern, ohne Vorwurf gegen die Weltordnung erfreuen. Die ewige
Verjüngung und Erneuerung der Familie zeigt sich in Hermanns und
Dorotheens Bunde, denen Vater und Mutter als Repräsentanten des Alters
gegenüberstehen. Bei der Verlobungsszene findet der Pfarrer mit
Erstaunen an Dorotheens Finger den früheren Verlobungsring und nun hält
Dorothea eine Rede, die das idyllische Familienbild in den Zusammenhang
mit dem großen Ganzen der geistigen Welt erhebt. Der Rat, den der
scheidende Bräutigam ihr hinterließ:

    Aber dann auch setze nur leicht den beweglichen Fuß auf! u. s. w.

das Bild, das er ihr von den Stürmen der gewaltigen Zeit entwirft:

                                        Alles bewegt sich
    Jetzt auf Erden einmal, es scheint sich alles zu trennen u. s. w.

-- es ist die Stimme der Geschichte selbst, die heiligend und
erschütternd in unsern stillen Kreis hineinruft, um diesen auf den
Gipfel zu heben, wo der Mensch den Zusammenhang des kleinsten Lebens mit
dem größten überblickt. Die frohe Zuversicht aber, die beim Einsturz
aller politischen Formen das Gefühl der unverrückbaren Festigkeit des
Familienfundamentes und des Eigentums dem darauf fußenden Manne gewährt,
dieses echt deutsche Gefühl, diesen letzten Sinn des Gedichts spricht
Hermann in den Schlußworten befriedigend aus. Man könnte sich darüber
wundern, daß Goethe nicht, um die in dem Gedicht herrschende Empfindung
noch mehr abzuschließen, durch eine eingeflochtene Nachricht den Frieden
mit Frankreich und die Sicherheit der Rheinlande zu stande kommen läßt,
um so mehr, da er selbst gerade zur Zeit, wo er an dem Gedicht
arbeitete, an Schiller schreibt: Auch mir kommt der Friede zu statten
und mein Gedicht gewinnt dadurch eine reinere Einheit. Der Dichter
begnügte sich den Vater gleich anfangs von frohen Friedenshoffnungen,
auf die alles deute, von dem festlichen Friedenstedeum, das bevorstehe,
sprechen zu lassen und im Geiste sehen nun auch wir voraus, daß Hermanns
Hochzeit an dem Tage des großen Landesfestes mitbegangen werden kann.
Was den Gang der Szene im einzelnen betrifft, so versetzt uns der
Dichter bei Eröffnung des Gesanges auf einen neuen Schauplatz, ins
elterliche Haus, wo Eltern und Freunde erwartungsvoll der Ankunft
Hermanns harren. Durch die Schilderung der Ungeduld der Mutter, die
lange Erzählung des Apothekers, die Betrachtung des Pfarrers über Tod
und Leben wird der langen Szene der beiden Liebenden gegenüber, die den
ganzen vorigen Gesang einnahm, das Gleichgewicht und die Symmetrie
wiederhergestellt, wonach für das elterliche Haus ein ungefähr gleiches
Verweilen gefordert war. Sehr gewandt ist das Mittel, durch welches der
Dichter das holde Geständnis der Liebe Dorotheen entlockt, über deren
Gesinnung wir bisher nicht ganz sicher waren; die Weise, wie dies aus
dem Mißverständnis sich entwickelt, ist zugleich eine sehr natürliche,
dem Charakter sowohl des Vaters als Hermanns angemessene und stellt uns
noch zum Schluß die ganze mädchenhafte Zartheit Dorotheens, die sich mit
echt weiblicher Entschlossenheit paart, vor die Augen. Der Mißton, der
dem harmonischen Zusammenklang aller Umstände und Charaktere vorhergeht,
erreicht in Dorotheens Rede die höchste Stufe; denn sie will ja wieder
fort; aber er ist auf demselben Punkt der schönen Auflösung am nächsten,
da das Motiv ihrer Entfernung ja die heimliche Liebe zu Hermann ist. Im
übrigen ist auch hier die Naturwahrheit jedes ausgesprochenen Wortes zu
bewundern, die sich mehr nachfühlen als erklären läßt und die den Leser
desto tiefer ergreift, je reicher an Menschen- und Lebenserfahrung er
ist. So wenn die Mutter zu wiederholten Malen das Zimmer der Männer
verläßt und wieder betritt und vom Gewitter spricht und, daß der Mond
sich schon verdunkelt habe, und von der Gefahr der Nacht und die Freunde
lebhaft tadelt, daß sie von Hermann sich getrennt, und der Vater unmutig
nach Weise der Männer sie bedeutet: Mach nicht schlimmer das Uebel; du
siehst, wir harren ja selbst. Oder die muntern Worte, mit denen der
Vater die eben hereingetretene Dorothea neckend begrüßt: Ja, das gefällt
mir, mein Kind u. s. w.; oder auch diejenigen, die er später spricht im
Widerwillen gegen das Weinen des Mädchens: Also das ist mir zuletzt für
die höchste Nachsicht geworden u. s. w.



Charaktere.


Nachdem wir in dem Bisherigen die substanzielle Welt, die sich hier vor
uns öffnet, besprochen haben, gehe ich über zur Beleuchtung der
individuellen Charakterbilder, die der Dichter auf diesem Boden, in
dieser Atmosphäre uns vorführt und in denen der allgemeine darin
herrschende Geist sich individualisiert, sich zusammenfaßt.

Der Hausvater, ein behaglicher, wohl etwas beleibter Wirt, der im
Wohlstande lebt, besitzt nicht bloß sein Gasthaus zum goldenen Löwen,
sondern er ist wie die Bürger kleiner Städte zugleich Landwirt und es
gehört ihm außer dem großen Garten auch ein schöner Weinberg und ein
weites Kornfeld. Im Hause ist unser Wirt etwas herrisch und brummig,
gerade wie Hausväter zu sein pflegen. Mütterchen, seit langen Jahren mit
ihm verbunden, weiß ihn aber zu behandeln und erträgt sein auffahrendes
Wesen mit Gleichmut. Unübertrefflich ist die Physiognomie des alten
Ehebundes gezeichnet: Gewohnheit verbindet beide, ihre Gefühle sind mit
ihnen alt geworden, ja sie streiten miteinander und dennoch würden sie
die Hälfte ihres Selbst verlieren, wenn eins dem andern entrissen würde.
Obgleich sie sich gegen den Sohn auf verschiedene Weise benehmen, sind
sie doch durch gemeinschaftlichen Besitz dieses einzigen Kindes eins und
oft bestimmen sie ihm mit elterlichem Geschwätz bald dieses bald jenes
Mädchen zur Braut. Der alte Herr ist auch Mitglied des Rates gewesen,
hat mit tüchtigem Geschäftssinn manches zur Verbesserung der Verwaltung,
zur Ausbesserung der Gebäude und Reinlichhaltung der Straßen gewirkt,
sich aber auch mit seinen Kollegen im Rat tüchtig gezankt und, wenn er
dann nach Hause kam, mußten die Hausgenossen die üble Laune und den
mitgebrachten Aerger entgelten. Bei Tische trinkt er nach Sitte jener
weintragenden Gegend einige Schoppen, erhitzt sich dabei, wird
gesprächiger, aber auch leicht zum Zorne gereizt und spricht dann manch
heftiges Wort, das ihn am Abend, wenn der kleine Rausch verflogen,
wieder gereut. Nachher ist er dann auch wieder sehr leicht zu behandeln
und für dasjenige, wogegen er heftig geeifert, zu gewinnen. Verhaßt ist
ihm wie vielen älteren Herren das Weinen, Jammern, das viele Reden der
Weiber, das ihn aus seiner Ruhe stört; droht das Geschnatter oder das
Lamentieren anzugehen, dann steht er ärgerlich auf und geht in sein
Schlafzimmer, um sich zu Bette zu legen. Seine Einwilligung zu seines
Sohnes Heirat gibt er halb scherzend nur deswegen, weil er im
entgegengesetzten Fall nur Trotz und Thränen voraussieht. Eine gewisse
Gravität und bürgerlich-stattliche Haltung ist ihm angeboren; bedächtig
schreitet er Sonntags aus der Kirche, so daß die Schuljugend dadurch zu
Neckereien gereizt wird. Seinen Sohn Hermann hat er immer zu tadeln, wie
so oft Väter thun, wenn sie grämlich geworden; er möchte ihn anders
haben und versteht dessen Charakter nicht; er möchte ihn gern nach
Vätereitelkeit zu höherem Stande streben sehen und wünscht ihm feinere
Manieren, gewandteres Benehmen; überhaupt hält er, wie Hermann selbst
Dorotheen mitteilt, auf Aeußeres und auf zierliches Benehmen und er
rühmt von sich selbst, daß er als guter Gastwirt jeden nach Stand und
Charakter zu behandeln wisse. Er will daher auch kein bäurisches Mädchen
zu sich als Schwiegertochter ins Haus; sie soll das Klavier spielen und
die schönsten und besten Leute sollen sich Sonntags bei ihm versammeln.
Bei all diesen Eigenheiten ist der Vater dennoch eine kernhafte und
gutmütige Natur. Das Elend der Vertriebenen rührt ihn und er gibt gern
das Seinige hin ihr Unglück zu mildern. So erteilt ihm auch der Dichter
das Epitheton: der menschliche Hauswirt. Und die neue Schwiegertochter,
so sehr ihr Stand und ihre Armut seinen Lieblingswünschen entgegen ist,
umarmt er dennoch herzlich, die Thränen verbergend.

Die Mutter ist ein echtes Weib, eine echt bürgerliche Hausfrau. Das
Haus, der Keller, der Garten sind das Reich, in dem sie geschäftig
waltet. Voll Besorgnis ihren Sohn suchend, geht sie einmal durch den
Garten und nimmt gleich im Vorbeigehen einige Raupen vom Kohl und stellt
die Stützen der Obstbäume zurecht. Als Weib ist sie leichter gerührt als
der Vater, beweglicher als dieser in seiner bürgerlichen Gravität. Die
Thränen kommen ihr, wie der Dichter sagt, leichtlich ins Auge. Obgleich
sie im wesentlichen sich dem Grundton anschließt, in dem der Vater denkt
und spricht, so hat sie doch oft als Weib und Mutter die raschen Worte
und heftigen Meinungen zu mildern, zu denen jener im Eifer sich
hinreißen läßt. Sie steht als wahrhafte Mutter mit ihrem Sohn in regem
Gemütsbündnis; dieser verläßt nie das Haus, er sagt es ihr denn; sie
neigt sich zu ihm, wenn er leidet, weint mit ihm, errät seine Gedanken,
empfängt seine Geständnisse und schilt den Vater, wenn dieser über ihren
Hermann ungeduldig wird. Sie und der Vater erinnern lebhaft an Goethes
Eltern, denn auch im Goetheschen Hause war die geistvolle nachsichtige
Mutter oft die heimliche Verbündete des genialen Sohnes, wenn dessen
Dichternatur mit der pedantischen Gravität des Vaters in Widerspruch
trat. Auch Wilhelm Meister stand wie Hermann mit seiner Liebe, so mit
seinem Theaterdurst und seinen Kunstidealen dem alten Kaufherren Meister
innerlich fern, der Mutter aber durch Vertrauen und Einverständnis nahe.

Hermann der Sohn zeigt uns die deutsche Natur, die deutsche nationale
Eigenheit in einem meisterhaften Individualbilde verkörpert. Hermann ist
treu und fleißig, gediegen und tüchtig. Ihm ist nicht gegeben, mit
raschem Geistesblick die Dinge zu ergreifen, aus der Tiefe der Seele die
Gedanken mühelos an die Oberfläche zu heben, mit energischem Willen
augenblicklich die Menschen und Einrichtungen nach seiner Absicht und
Einsicht zu zwingen. Geistesgegenwart geht ihm ab, die Waffe der List
ist ihm versagt, die feinere und geistreichere, aber oft auch nichtigere
und leicht verbrausende Lust des Lebens ist ihm unbekannt. Hermann
sprudelt nicht von Witz- und Geistesfunken, die, nachdem sie einen
Moment geleuchtet, erlöschend in Asche versinken; seine Auffassung ist
langsam, aber, wenn sie erfolgt ist, immer der Wahrheit eines reinen und
innigen Gemütes entsprechend. Hermann denkt immer mehr, als er spricht;
auf ihn kann man sich verlassen, sowohl auf sein Gemüt, als auf sein
Wort, als auf die Arbeit, die er thut. In Gesellschaft ist er blöde,
sein Auftreten, seine Kleider sind etwas bäurisch; herzlosen
Weltmenschen erscheint er lächerlich und der Gewandtheit gegenüber ist
er waffenlos. In der Schule ging es mit ihm langsam; der Vater klagt,
daß Hermann immer der Unterste saß; er konnte eben nicht flüchtig
aufnehmen, um das Aufgenommene von jedem neuen Eindruck wieder wegspülen
zu lassen; aber war etwas von ihm angeeignet, so war es gewiß seiner
Natur gemäß und sein Besitztum für immer. Gutmütig und langsam, ließ er
sich von seinen Schulkameraden manches gefallen, nur wenn sein
Innerstes, sein Gemüt mit ins Spiel kam, z. B. wenn über seinen Vater,
über dessen bedächtigen Gang und großblumigen Schlafrock gespottet
wurde, dann erwachte sein Zorn und blind und wütend hieb er um sich;
denn gerade, wenn eine schwerfällige Natur wie die Hermanns einmal
empört wird, so wirft sie unaufhaltsam wie ein Element alle Schranken
vor sich nieder. Fließend und beredt sprechen war Hermann nicht gegeben:
Deine Zunge stockte immer, sagt der Vater. Desto besser gelangen ihm
bäuerliche Arbeiten auf dem Felde, im Weinberg, im Garten. Die Hengste
im Stall besorgt er selbst; er hat sie auferzogen und vertraut sie
keinem andern an, recht ein ländlicher Bursche, dessen Freunde ja immer
die Pferde sind. Er wohnt in der Kammer im oberen Stock, ist frühmorgens
mit der Sonne auf und wenige Stunden gesunden Schlafs genügen ihm.
Ueberhaupt ist er gesund, hat starke Nerven und einen hohen Wuchs. Er
ist kein sentimental schwindsüchtiger Jeanpaulischer Romanheld, der
Sehnsucht nach den Sternen hat. Von künstlichen Reizen und exotischen
Phantasien weiß er nichts: er ist der ruhige Bürgerssohn, der nicht für
das Weite und Umfassende, nicht für Staat, Krieg, Wissenschaft, Ehre
bestimmt ist, sondern für die immer wiederkehrenden Geschäfte des
Ackerbaues und ein enges geordnetes Erwerbs- und Familienleben. Zwar
will er einmal aus den gewohnten Lebensverhältnissen scheiden und mit in
den Krieg ziehen, aber nicht weil ihm jene zu eng sind oder dieser den
inneren Thatendrang zu stillen verspricht, sondern gerade weil er in
Gestaltung seines häuslichen Lebens durch Widerspruch gestört worden
und weil die Liebe, die Seelenbezwingerin, auch ihn für den Augenblick
aus dem Gleichgewicht gebracht hat. In der Uniform zu prunken und als
Soldat vor den Mädchen zu stolzieren, diese Eitelkeit fällt ihm nicht
ein. Am Schlusse des Gedichts spricht er eine standhafte patriotische
Gesinnung aus, aber nur weil der gewonnene Besitz eines geliebten Weibes
ihn mit der Empfindung des Eigentums überhaupt erfüllt hat; nun ist das
Meine meiner als jemals, ruft er aus; es ist der Mut des
Bürgerwehrmannes, des Nationalgardisten, der für den Bestand des
Besitzes auch sterben kann und, wenn die Gefahr vorüber ist, rasch zu
seiner Sphäre des Privaterwerbes zurückkehrt. Bei aller Beschränktheit
des Blickes und der Wünsche ist Hermann rein von Gemüt, unbefleckten
Herzens, voll Zartgefühl gegen die Eltern. Er ist ein ungestörtes
Naturprodukt und ein sicherer Instinkt führt ihn auf das ihm Gemäße, das
er bald erkennt und als das Seinige festhält. So hat er auch Dorotheen
gefunden, nach wenigen Augenblicken erkannt und in einem Tage ist seine
Ehe entschieden. Das Unbehülfliche und Beschränkte seines Wesens ist nur
die äußere Gegenseite der inneren Unverrückbarkeit und Integrität seines
Gemütes. Auch die Art, wie seine Liebe zu Dorotheen sich äußert, stimmt
ganz zu seinem übrigen Wesen und dem Lebenskreise, dessen Produkt er
ist. Kein idealer Wahn der Phantasie, der den Jüngling zu den Füßen des
Mädchens stürzt, kein himmelhoch Jauchzen, zum Tode betrübt; sondern in
stiller Kammer hat er sich einsam gefühlt; der Garten, das Feld, die
Geschäfte sind ihm öde erschienen; der Vater wird alt, die Habe mehrt
sich, für wen schaffen und wirken? Er entbehrte der Gattin, er sehnte
sich nach einer Lebensgefährtin. In solcher Stimmung stieß er auf
Dorotheen und findet rasch, daß sie für ihn bestimmt ist; herzliche
Neigung fesselt ihn so entschieden, daß er das Haus verlassen will, wenn
ihm das Mädchen versagt wird, und ist eine sichere Gewähr für bleibendes
häusliches Glück. So haben wir in Hermanns Liebe nur den Zug der
Sittlichkeit, die Gestalt gewinnen will, das stille Anknüpfen eines
bürgerlichen Ehebundes, nicht die phantastische Ueberspannung einer
poetischen Jugendleidenschaft, deren Flamme, je verzehrender sie um den
ergriffenen Gegenstand lodert, desto eher in diesem Besitze erlischt.

Durch die Gruppe der genannten drei Personen ist die Familie vollendet.
Zu ihr treten zwei Hausfreunde, der Pfarrer und der Apotheker des
Städtchens. Beide sind an Bildung der schlichten Bürgersfamilie
überlegen, der Pfarrer mehr von der idealistischen, der Apotheker von
der realistischen Seite. Doch erkennt man an dem Pfarrer als einem durch
wissenschaftliche Studien Gebildeten eine wirkliche
Geistesüberlegenheit, während der Apotheker seinem Berufe angemessen,
der zwischen dem Gelehrten und Techniker in der Mitte schwebt, eine
halbe Stellung einnimmt und sich mehr die Miene höherer Weisheit gibt,
als diese wirklich besitzt.

Der Pfarrer ist als Kandidat der Theologie nach Vollendung der
Universitätsstudien, wie dies zu geschehen pflegt, Hofmeister eines
jungen Barons gewesen und mit ihm nach Straßburg gegangen, wo der
Zögling wahrscheinlich studieren sollte. Als Hofmeister hat er die Welt
auch in höheren Kreisen etwas kennen gelernt; er versteht z. B. die
weltmännische Kunst einen Wagen vom Bocke zu lenken; überhaupt ist er
kein beschränkter und bäurischer Dorfpfarrer. Er vertritt in dem engen
Bürgerleben der kleinen Stadt den weiteren Geistesblick, die tiefere
Einsicht. Natürlich kennt er sein Fach, die heilige Geschichte, aber
auch in der profanen ist er wohlbewandert. Seine Ansichten tragen das
Gepräge der Versöhnlichkeit und milden Heiterkeit; durch humane Toleranz
ist er die Zierde der Stadt; in allem, was er sagt, drückt sich edle
Lebensweisheit ab; immer weist er auf das Höhere und Vernünftige, auf
die innere Ordnung hin, die dem blinden Treiben der Welt zu Grunde
liegt; er findet das Gute überall heraus und empfiehlt das Sittliche als
das allein Zweckmäßige und Glückbringende. Kein Rigorismus, kein
religiöser Fanatismus, kein Pfaffentum ist in ihm. Auch als mildthätig
zeigt er sich: im Dorf unter den Vertriebenen hat er schnell sein
Silbergeld verschenkt und händigt auch noch ein Goldstück dem Richter
ein, um es durch diesen den Armen zukommen zu lassen. Der Dichter nennt
ihn einen Jüngling, näher dem Manne.

Der Charakter des Apothekers ist äußerst fein von dem Dichter
gezeichnet, so daß es schwer ist, dies leichte und doch so konsequente
Gebilde zu fassen. Haben wir in dem Pfarrer einen ernstfreundlichen
Mann, der in seinen sittlichen Grundsätzen und in reifer Bildung bei
jedem Handeln den Schwerpunkt findet, so bewegt sich der Apotheker
geschäftig und unruhig hin und her; er kann mit der Rede nicht an sich
halten, sondern nimmt jedem das Wort vor dem Munde weg; in seiner
Lebendigkeit schießt er an dem Ziel auch vorbei; er ist rührig und thut
sich auf seine List und Schlauheit etwas zu gute; auch allgemeine
Betrachtungen weiß er anzustellen und gibt sich als einen
Vielerfahrenen, aber er ist zu unstäten Geistes, als daß seine Ansichten
das Wahre und die Wurzel des menschlichen Lebens getroffen hätten, und
häufig hat der Pfarrer den rechten Gesichtspunkt wiederherzustellen. Er
ist ein gutmütiger, dienstfertiger Alltagsmensch, der glücklich ist,
wenn man ihm eine Hantierung aufträgt, mit Bestrebungen und
Besorgnissen, die er mit der großen Menge praktisch-realistischer
Menschen teilt. Geduld ist seine Sache nicht. Schon als Knabe, erzählt
er uns selbst, war ihm einmal, als der Wagen, der sie zu den Linden
führen sollte, zu lange ausblieb, die Geduld völlig ausgegangen; er lief
wie ein Wiesel dahin und dorthin, Treppen hinauf und hinab und von dem
Fenster zur Thür. Die Hände prickelten ihm, er kratzte die Tische,
stampfte mit den Füßen und das Weinen war ihm nahe. Da führte ihn der
Vater ans Fenster und wies auf die gegenüberliegende Werkstatt des
Tischlers, der den Sarg macht, in den wir uns alle legen müssen, früh
genug, ob wir geduldig oder ungeduldig seien. Seitdem, meint er, wurde
ihm die Ungeduld mit der Wurzel ausgerissen, aber er täuscht sich mit
dieser Behauptung. Während im Dorfe der Pfarrer mit dem Richter im
Gespräch begriffen ist und dies Gespräch eine allgemeinere Wendung
nimmt, treibt den behenden Mann die Unruhe fort, er läuft beiseite und
späht durch Hecken und Gärten nach der Unbekannten. Nachdem endlich
beide über das Mädchen hinreichende Erkundigung eingezogen und indem sie
nun wieder zu Hermann kommen, spricht er schon aus der Ferne dem
Harrenden zu, er kann nicht an sich halten. Wie Hermann an einer
früheren Stelle des Gedichts seinen Entschluß kundthut, Dorotheen zur
Gattin zu wählen, stimmt der Pfarrer sogleich freudig bei, der Apotheker
aber rät erst das Mädchen zu prüfen, ob sie des Bräutigams auch wert
sei. Dieselbe vulgäre Klugheit zeigt er in dem Augenblick, wo der
Pfarrer zum ersten Mal Dorotheen erblickt und, von ihrer Gestalt
ergriffen, der Schönheit ihrer Seele sogleich gewiß ist: dem Schein ist
nicht zu trauen, warnt er weise; man soll über niemand urteilen, bevor
man mit ihm den Scheffel Salz verzehrt hat. Gleich anfangs, wo er vom
Anblick des Zuges der Vertriebenen zurückgekehrt ist, nennt er jeden
glücklich, der nicht Weib und Kind daheim hat in so gefährlichen Zeiten,
denn einem solchen kann das Schicksal nichts Ernstes anhaben und sein
Bündel ist leicht geschnürt. Ich selbst habe, sagt er, die Kostbarkeiten
beiseite gepackt, um mich ohne Zeitverlust aufmachen zu können, obgleich
ich die gesammelten Kräuter und Wurzeln ungern verlasse. Unser Apotheker
ist also unverheiratet und in der That macht er den Eindruck eines
Hagestolzen, der nirgends recht festen Fuß gefaßt hat. Wo am Schlusse
des Gedichts die Verwicklung glücklich gelöst ist und die übrigen in
Empfindung verloren sind, neigt sich der Apotheker sogleich mit
Segenswünschen. Eine komische Rolle spielt er, wo er sich in den Wagen
setzen soll, den der Pfarrer leitet: er zaudert und sitzt während der
ganzen Fahrt wie einer, der immer zum weislichen Sprunge bereit ist.
Etwas spaßhaft ist auch seine Wohlthätigkeit: da er kein Geld bei sich
hat, so zieht er wenigstens den gestickten ledernen Tabaksbeutel, öffnet
ihn zierlich und teilt mit dem fremden Richter die wenigen Pfeifen
Knaster, den er zu loben nicht ermangelt. Der Dichter hat den ganzen
Charakter mit einer leichten liebenswürdigen Ironie behandelt, die aber
nirgends stark hervortritt, sondern sich gleichsam nur in einem leisen
Lächeln des erzählenden Sängers kundgibt.

Wenn wir den Richter erwähnt, der wie der Vater die Kinder, wie ein
altorientalischer Patriarch einen ziehenden Stamm, so die Haufen der
Fliehenden mit Weisheit und würdigem Ernste lenkt und ermahnt, so ist
von den Hauptgestalten nur noch eine übrig: Dorothea. Dorothea ist ein
starkes Dorfmädchen in der Tracht, wie sie an zwei Stellen des Gedichts
beschrieben wird, mit blauem, gefaltetem Rock, rotem Brustlatz,
schwarzem Mieder und einer Halskrause. Sie wäscht und trägt, sie treibt
die Ochsen des Wagens, sie holt Wasser und verdingt sich als Magd. Sie
hat auch, wie der Schultheiß erzählt, einmal ihre und ihrer Gefährtinnen
Unschuld gegen eindringendes Kriegsgesindel verteidigt, indem sie mit
rascher Körperkraft den ersten zu Boden hieb und die andern in die
Flucht jagte. Dies beweist ihre Entschlossenheit. Es fehlt ihr aber
deshalb nicht an Zartheit der Empfindung; denn nicht nur ist sie
hilfreich gegen die Wöchnerin und weiß die Kinder an sich zu fesseln;
sie hat auch früher mit liebender Aufopferung einen alten Verwandten,
bei dem sie wohnte, bis an seinen Tod gepflegt; obgleich ihr Auge, wie
Hermann sagt, mehr Verstand als Liebe blickt, hat sie doch schnell eine
zärtliche Neigung zu dem Jüngling gefaßt und die letzte Szene offenbart
uns unter der Hülle der kräftigen Magdgestalt den zartesten Seelenadel
und eine echt jungfräuliche Delikatesse. Eigentümlich weiblich ist es,
wenn Dorothea sich abweisend und kurz abfertigend gegen Hermann benimmt,
z. B. da, wo er ihr den Wasserkrug abnehmen will und sie dies nicht
zugibt. Dorothea ist ein Mädchen von der Westgrenze Deutschlands, etwa
aus dem Kurfürstentum Trier oder Mainz; in ihr verschmilzt das deutsche
Gemüt mit dem feinen Takt und Verstand der französischen Nachbarn.
Selten wird sie von sentimentaler Rührung angewandelt und auch, wo sie
sich der Empfindung überläßt, verliert sie den freien Blick über den
Moment und das, was er fordert, nicht. Scheinbar als Magd in das Haus
ihres künftigen Gatten gelangt, übersieht sie beim ersten Scherzwort
sogleich die Gefahr ihrer Lage und mit Kraft und Offenheit beschließt
sie durch augenblickliche Entfernung ihr zu entgehen. Dies, sowie die
Feinheit ihres immer angemessenen Benehmens, das Taktvolle ihrer Worte
und die verständige Klarheit bei allem Handeln ist ein Anflug aus dem
nahen Frankreich, wie dies Dorothea selbst einmal andeutet. Sie wird,
wie vorauszusehen ist, des Vaters Lieblingstochter werden. Gegen
Dorothea steht Hermann etwas zurück: er ist der Weiche, Innerliche,
sehnsüchtig Bewegte, sie die Besonnene, Bestimmte, die ihre richtige
Empfindung sogleich in die That, z. B. das Mitleid in Hilfsleistung
umsetzt. So finden wir auch in diesem Paar das Charakterverhältnis
wieder, das durch alle Liebespaare der Goetheschen Dichtung geht. Eine
gewisse Weichheit zeichnet die Männer aus und sie sind alle der
weiblichen Vollkommenheit gegenüber leidend und gefangen; so Weislingen,
Werther, Clavigo, Egmont, Tasso, Wilhelm Meister, Eduard. Das weibliche
Ideal gelang Goethe unübertrefflich: er hatte aber selbst zu viel
seelenvolle Weichheit in seiner Natur, als daß er heroischer
Männlichkeit vollkommen hätte nachempfinden können. Von dem Heroismus
aber, der auch in der weiblichen Natur liegt und in entscheidenden
Momenten großen Unglücks oder dringender Gefahr hervortritt, legt auch
Dorothea Zeugnis ab, indem sie die eindringenden Soldaten so tapfer
abwehrt. Diese Selbstverteidigung Dorotheens als einen falschen,
widerwärtigen Zug zu tadeln ist leicht. Wenn auch Wilhelm von Humboldt
sich den Tadlern anschließt, so scheint uns dieses Urteil noch ein Rest
jener stolzen und kalten Idealität, die Humboldt eigentümlich war und
die er in seinem Umgang mit Schiller reichlich pflegte. Die übrigen
minderbegabten Rezensenten, die das Gedicht nach seinem Erscheinen in
den damaligen kritischen Instituten beurteilten, fanden noch eine viel
größere Menge von Zügen unzart und platt; daß sie Ochsen treibt, daß sie
um eine Wöchnerin und ihr eben geborenes nacktes Kind beschäftigt ist
u. s. w.; dies alles ist wider die konventionelle Delikatesse. Sie
mußten folgerecht Dorotheens ganze Gestalt, ja alle Personen und Sitten
des Gedichtes verwerfen. Auch daß Dorothea schon früher einen Bräutigam
gehabt, könnte ihr in den Augen manches Lesers schaden, denn es ist also
nicht die erste frische Liebe, die sie zu Hermann führt, jene Liebe, von
der das bis dahin unbefangene nichtsahnende Herz plötzlich und
unwiderstehlich überrascht wird. Allein die romantische subjektive Liebe
als solche zu schildern war hier überhaupt des Dichters Zweck nicht,
sondern eine werdende Ehe. Er wollte in einem ruhigen Gemälde die Art
und Weise darlegen, wie in einer unverdorbenen bürgerlichen Welt auf
unbefangen menschlichem Wege das Institut der Ehe sich verwirklicht und
von Geschlecht zu Geschlecht sich erneut. Gerade Dorotheens früheres
Unglück, der Verlust ihres Bräutigams gibt ihr bei aller Kraft der
Seele, bei aller Heiterkeit des Schaffens einen rührenden Zug, der uns
das liebliche Mädchen noch näher bringt. Wer daran Anstoß nimmt, daß
Dorothea schon einmal geliebt, der wird in dem Gedicht auch sonst noch
viel vermissen, aber auch die eigentümliche Welt, in der es sich bewegt,
ganz verkennen. Alle Gefühlsschwelgerei, alle Exzentrizität der
Leidenschaft hat der Dichter durchgängig abgewiesen; in der Gesinnung
echter Bürger, sowie in dem Gange ihres Lebens waltet ja nicht sowohl
phantastische Ueberspannung als verständiger Realismus. Hermann und
Dorothea stehen beide nicht zu einander wie Romeo und Julie. Nachdem
Goethe in früheren Dichtungen alles Entzücken und alle Verzweiflung der
Liebe aus tiefster Erfahrung ausgesprochen, neigte sich seine Dichtung
in späteren Jahren den stillen Beziehungen der Ehe zu und, wie in den
Wahlverwandtschaften die Ehe selbst und die in ihr schlummernden
negativen Mächte das Thema bilden, so ist die Muse unseres Gedichts nach
des Dichters eigenen Worten diejenige, die gern die herzliche Liebe
begünstigt und den Bund eines lieblichen Paares vollenden hilft.

Dies sind die Charaktere des Gedichts. Man weiß nicht, was man an ihnen
mehr bewundern soll, die ideale Wahrheit und individuelle Lebendigkeit
oder die poetisch-konkrete Entfaltung oder die feine Nüancierung oder
die Kunst plastischer Gruppierung. Sie sind alle dem Leben selbst
abgelauscht, sie ergreifen durch das wiederkehrend Menschliche, das ewig
Allgemeine, das uns in ihnen entgegentritt. Sie sind ein Ausdruck der
unwandelbaren Naturkräfte, die das Leben durchdringen und gestalten, der
Gefühle, Bestrebungen und Stimmungen, die überall sind, wo nur ein Herz
menschlich schlägt, heute wie im grauen Altertum, bei Homer wie in
unsrer täglichen Erfahrung. Als Schattenbilder im Reiche der Phantasie
in idealen Höhen geboren, treten sie in vertraute Nähe zu uns heran und
wir erkennen sie wieder als befreundete Gestalten, aus denen unsere
eigene innerste Herzenserfahrung spricht. Bei allem individuellen
Kolorit sind sie so typisch, daß wir sie in der äußersten Ferne
wiederfinden: der Apotheker ist in unserm Kreise, was Pylades in der
Iphigenie, Antonio im Tasso, Mephistopheles im Faust, was bei Homer der
erfindungsreiche Odysseus; der Vater gleicht im Rate seiner Freunde und
Familiengenossen dem götterberatenen, gewaltig herrschenden, leicht
zürnenden Sohn des Kronos, den seine Umgebung durch List und Ueberredung
dennoch beherrscht; er wünscht wie jeder Vater, wie Hektor beim Homer,
daß ihm der Sohn nicht gleich sei, sondern ein Besserer; der Pfarrer,
der in Hermanns Liebe die Stimme des Schicksals vernimmt und dieser zu
folgen für die edelste Weisheit hält, er ist, was der Seher Kalchas bei
Homer, welcher kannte, was ist, was war und was sein wird; beide
Hausfreunde stehen sich gegenüber wie Erfahrung und Idee, wie Verstand
und Vernunft als Typen geistiger Gegensätze; und Hermann selbst in
seiner stillen arbeitsamen Naturexistenz, er ist der Jüngling überhaupt,
der zum Manne heranreift, und wie Telemach wohnt er im oberen Stock und
ist auf mit der rosenfingerigen Eos; ja gegen den Schluß mit wachsendem
Kraftgefühl erhebt sich seine Gestalt zu der des Heros überhaupt, der
mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes trägt, den sein Weib zur
Schlacht wappnet:

                            Und drohen diesmal die Feinde
    Oder künftig, so rüste mich selbst und reiche die Waffen!

Dies Typische spricht sich in dem Gedicht an zahlreichen Stellen aus,
z. B. wenn die Mutter ausruft: So sind die Männer! oder der Vater: Sind
doch ein wunderlich Volk, die Weiber! oder wenn er sagt, er erfahre, was
jedem Vater gedroht ist, daß den heftigen Willen des Sohnes die Mutter
immer allzugelind begünstigt. Hermann, von seiner Liebe sprechend, ruft
aus: Ja, es löset die Liebe, das fühl' ich, jegliche Bande, wenn sie
die ihrigen knüpft; und nur das hinzugefügte »das fühl' ich« führt jenes
allgemeine in die Sphäre des besondern Individuums zurück. Wie in
Hermann der Sohn und Jüngling, so spricht und handelt in Dorothea das
Mädchen, das Weib überhaupt: und sie sagt dies wiederum selbst, wo sie
ihren Schritt als Magd dienen zu wollen als allgemeine weibliche
Bestimmung des Dienens und Sorgens hinstellt. Ist Hermann der
Telemachus, der Hektor überhaupt, so erscheint in Dorothea der Typus
griechischer Jungfrauen, Töchter und Heldenfrauen, die liebende
Andromache, die weise gewaltige Athene, die πάρθενος ἀνδροκτόνος, die
schreitende Kanephore oder das =amphora=tragende Mädchen u. s. w.
Nirgends zeigt sich ferner im Gedichte die Absicht einen Menschen vor
uns hinzustellen, keine abstrakte Zeichnung, keine besondere
Charakterschilderung; sondern, indem uns die Begebenheit erzählt wird,
ergeben sich zugleich und unabtrennbar in organischem Zusammenhang die
sie tragenden und von ihr wiedergetragenen Charaktere. Die Handlung geht
nur fort, insofern der Charakter sich entfaltet, und diese Entfaltung
eben ist es, die die Handlung weiterführt. So konkret auf diese Art die
Charaktergebilde vor uns entstehen, so fein sind sie unter einander
nüanciert. Alle Personen sind in der idyllischen Sphäre des Ganzen
enthalten, sie sind alle ein Spiegel reiner Sitten, gemütlicher Güte und
bürgerlich schlichten Verstandes. Dennoch hat diese gleiche Substanz in
jedem auf eigentümliche Weise Gestalt gewonnen: hier der Vater mit
leichter Hinneigung zu den Schwächen und Eigenheiten des Alters, der
Bevormundung, der Eitelkeit; dort der Sohn mit tiefer Färbung
unbehilflicher Gemütskonzentrierung; hier der Pfarrer als ein etwas
pedantischer Verbesserer; dort der Apotheker mit seinem naiv drolligen
Egoismus; dort die Mutter, die bewußtlos gutmütig alles nur in ihrem
Hermann sieht u. s. w. Uebrigens treten die Charaktere in dem Gedicht
selbst lange nicht so schneidend hervor, wie wir sie oben aus
zerstreuten Zügen zusammengestellt; manche Reden, die der eine spricht,
könnte man bei flüchtigem Hinsehen auch wohl dem andern zuteilen. Wie
alles in unserm Gedicht maßvoll ausgeglichen und verschmolzen ist, so
zittert auch um die Charaktere ein feiner Aether, sie ebenso beleuchtend
als verhüllend, ein zarter Nebel, der zwar durchscheinend ist, aber die
Härte mildert und eine reizende Blässe um sie gießt. Man muß die sich
bewegenden Personen aufmerksam verfolgen, sie lange ansehen, um die
ganze Zartheit der Nüancierung zu empfinden. Aeußerst kunstvoll und
plastisch sind sie endlich gruppiert. Die stille Gruppe der idyllischen
Hauptgestalten wird durch den Gegensatz der flüchtenden Menge, die
verworren von der Grenze herzieht und, wie sie alle Brunnen im Dorfe
getrübt hat, so auch mit trüben Sinnen und in leidenschaftlichem Gezänke
auf ihrem Wege weiterdrängt, getragen und beleuchtet. Des Vaters
Ungeduld hebt die liebevolle Nachsicht der Mutter; an die im Mittelpunkt
stehende Familie treten zu beiden Seiten die beiden innerlich
verschiedenen Hausfreunde heran; der realistischen Gruppe des Vaters und
Apothekers stellt sich die idealistische des Pfarrers und Richters
gegenüber; hier der Vater mit den beiden Freunden in kälterer Stimmung
und unter allgemeineren Gesprächen im Wirtssaale, dort gleichzeitig die
liebende Mutter mit dem tiefergriffenen Sohn unter dem Birnbaum; Hermann
und Dorothea, das selig beklommene Paar, am Brunnen, auf dem Heimgang,
draußen im Mondlicht, unter drohenden Gewitterwolken, ihnen gegenüber
die unruhig harrenden Eltern und Freunde im Hause; endlich in der
Schlußszene die rührende Vereinigungsgruppe aller Personen in
mannigfaltiger Beziehung zu dem Ereignis, je nach der Nüance des
Charakters und der Beteiligung näher und weiter mit leichterer und
tieferer Seelenbewegung zu dem glücklichen Momente sich stellend. Die
Linien sind überall so einfach, die Gestalten so heiter und rein, die
Momente bei aller Tiefe der Bedeutung so faßlich, daß hier alles die
bildende Kunst zu einer Reihe von Figuren und Gruppen aufzufordern
scheint. Bei der herrlichen Gruppe, die Hermann und Dorothea bilden, wo
sie auf den Stufen des Weinbergs gestrauchelt ist und er sie in seinen
Armen hält, ruft der Dichter selbst:

                                            So stand er
    Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt.

Vielleicht schwebte seiner Phantasie hier unbewußt die Gruppe des
Sabinerinnenraubs von Giovanni da Bologna in der Loggia zu Florenz vor:
ein sich stemmender heldenhafter Jüngling, der ein junges Weib hoch
trägt ganz wie Hermann hier die über ihm hochschwebende Dorothea. Beide
am Brunnen sitzend, neben einander herschreitend, am Baumstamm ruhend
--lauter Momente für eine Marmorgruppe. An Meyer schreibt er, die
höchste Instanz, vor der das Gedicht gerichtet werden könne, sei die,
vor welche der Menschenmaler seine Kompositionen bringt; und an
Schiller, er habe die Vorteile, deren er sich in Hermann und Dorothea
bediente, alle von der bildenden Kunst gelernt. In der That gibt es kein
neueres Gedicht, dem die klare stille Kunst der Plastik verwandter und
dessen Phantasiegebilde leichter in sichtbare Marmorgestalten zu
verwandeln wären.



Sitten und Lebenssphäre.


Schon oben ist von dem epischen Gedicht gesagt, daß es das Leben in
seiner ganzen Breite vor uns aufrollt, mit freundlicher Anerkennung dem
Kleinsten wie dem Größten eine Stelle in dem Gemälde gewährt und den
Menschen als sinnlich-geistige Totalität im konkreten Zusammenhang mit
der ganzen ihn umgebenden Welt der Dinge in den poetischen Spiegel
aufnimmt. Nun hat aber eben unser Leben eine Gestalt, wie sie dem
Dichter und Künstler nicht zusagt, sei es infolge der Zivilisation oder
infolge des düstern Klimas, welches ein schönes Gleichgewicht
menschlicher Entwicklung nicht begünstigt. Das Sinnliche ist bei uns
zurückgedrängt, die frische Energie der Existenz, die in schönen und
kräftigen Formen nach außen tritt, ist bei uns gebrochen. Der Maler
sträubt sich gegen unsre Kleidertracht als phantasielos: er flieht mit
seinen Darstellungen in frühere Jahrhunderte oder in einsame
Gebirgsthäler oder in den Orient und sucht dort kleidsame farbige
Gewänder, malerische Formen und Schnitte, prächtigen Schmuck, Adel und
Einfalt der Erscheinung. Wie weit haben sich bei uns die Formen des
Umgangs von jener naiven Ursprünglichkeit entfernt, mit der der Mensch
die ganze Macht seiner innern Leidenschaft und Gesinnung in sein äußeres
Benehmen, in den Ausdruck des Gesichts, in Gang, Haltung und Wort
hineinlegte! In unsrer Geselligkeit darf weder der Zorn und Haß, noch
die Freude und Liebe rein hervorbrechen und sich energisch in der
sinnlichen Erscheinung malen. Nirgends versetzen wir in unser äußeres
Thun den vollen Inhalt eines ungebrochenen Herzens, wir achten im
Gegenteil unser Naturdasein gering und schätzen den Menschen nur nach
dem Maß seiner geistigen Thätigkeit.

Im homerischen Zeitalter stehen die Helden noch im engen Verkehr mit der
äußern Natur: bei ihnen verschmelzen das Sittliche und Physische zum
Bilde einer totalen und in sich einigen Menschennatur. Wie ganz anders
bei uns! Wir beteiligen uns an den sinnlichen Geschäften nur halb oder
gar nicht mehr. Schon hört bei uns das Handwerk allmählich auf, wo der
Mensch mit gemütlichem Anteil in ein bestimmtes Werk seiner Hände sich
vertieft: es verwandelt sich in Fabrik- und Maschinenarbeit, die ihr
Produkt gleichgültig und uniform zu Tage wirft. Wo sonst ein Herold in
bunter Tracht mit silberner Trompete den Krieg ankündigte, da wird jetzt
ein Manifest geschrieben. Krieg und Schlacht sind mechanisch geworden,
eine halb mathematische Wissenschaft, die mit Truppenlinien, mit Carrés,
mit Stoß und Gegenstoß massenhaft operiert; es kann der Sieg gewonnen,
die Schlacht verloren sein, ohne daß der einzelne Krieger etwas davon
gewahr geworden. Die Erfindung des Schießpulvers hat wie die des Geldes,
welche letztere erst in unsrem Jahrhundert zu ihren Konsequenzen
gekommen, das volle einzelne Leben in Abstraktionen aufgelöst. Statt der
naiven Rechtsverhandlungen unter offnem Himmel, wo der geehrte Sinn der
Handlung in zahlreichen symbolischen Formen hervortrat, werden jetzt
zwischen düstern Mauern Aktenstöße zusammengeschrieben und Paragraphen
zitiert. Die Staaten befehden sich durch Noten und Schriften; wo der
Mensch sonst mit Mund und Auge, mit Wort und That hervortrat, da wird
jetzt in geheimen Staatskabinetten geschrieben; geschrieben wird
überall, in Büreaus, in Amtsstuben, in Kanzleien; dem lauten bunten
Leben tritt die Polizeiregel, der freien Individualität die
mechanisierte hierarchische Verwaltung entgegen. Schreiben und Lesen ist
bei uns an die Stelle von allem getreten. Und doch ist der Mensch, wie
Goethe selbst sagt, eigentlich nur berufen in der Gegenwart durch seine
Persönlichkeit zu wirken; Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache,
stille für sich Lesen ein trauriges Surrogat der Rede. Unsre Sinne,
nicht mehr im Kampf mit den Elementen geübt, sind stumpf und blöde
geworden; jede eigensinnige Individualität, d. h. jede Durchdringung
ganz eigentümlicher Umstände und Bedingungen, die in dieser Art nie
wiederkehren kann, ist in negativen allgemeinen Richtungen
untergegangen. Nivelliert sind auch unsre Städte, in denen man das Haus
nach der Nummer, in Amerika, diesem Lande moderner Prosa, sogar die
Straße nach der Nummer aufsucht; nivelliert ist das Land, wo regelmäßige
Grenzen einen Acker von dem andern sondern und die Naturfreiheit der
Landschaft immer weiter vor der verfolgenden Bodenkultur zurückweicht.
Der wechselnde Pfad, der den Reiter unter Gefahren und Mühseligkeiten
durch Wälder, durch Ströme und über Berge führte, er ist zur geraden und
öden Chaussee geworden, diese zur noch abstrakteren Eisenbahn. Der Tag
des Städters wird von dem Amt, von der Gewohnheit prosaisch und
pünktlich geregelt; der Landmann blickt nicht mehr nach der Sonne, um
sich die Tageszeit anschaulich-sinnlich vom Himmel zu holen; er hat eine
Uhr, ein mechanisches Werkzeug dazu. Die Maschine dringt auch immer mehr
in den Ackerbau: Sähmaschinen, Dreschmaschinen, selbst Pflugmaschinen
ersetzen die lebendige Hand; wenn der Ackerbauer sonst mit kundigem
Blick den Horizont übersah, um das kommende Wetter zu erraten, wenn ihm
dabei poetisch-abergläubische Traditionen, gereimte Sprüche behilflich
waren, so hat er jetzt ein Barometer an der Wand hängen, wenn nicht gar
ein Hygrometer. Ein unfruchtbarer Acker wurde sonst als vom Teufel
verdorben, vom bösen Blick gestochen unter geheimnisvollen Gebräuchen
exorzisiert und neugeweiht; jetzt wird ein Lehrbuch der
Agrikulturalchemie aufgeschlagen und der Boden entmischt und gemischt.
Die seltsamen bunten mannigfaltigen Tauf-, Hochzeits- und
Beerdigungsgebräuche unsrer Ahnen sind nur noch in schwachen Spuren
übriggeblieben; der Volkstanz, sonst voll Charakter und unmittelbarer
Energie, ist allmählich zu dem bleichen Schatten unsrer
Gesellschaftstänze geworden, wo von schöner Darstellung nicht mehr die
Rede sein kann und die, je feiner die Gesellschaft ist, desto
ängstlicher als bloße abstrakte Formen aufrecht erhalten werden; der
Ausdruck gerade wird bei ihnen gemieden, die zu starke Erhitzung gilt
für unanständig. So ist unser ganzes Leben aus einem blühenden naiven
Naturdasein zu einem abstrakten, ohnmächtig reflektierten, von einigen
allgemeinen Formeln umschlossenen geworden. Fern sei der Gedanke diese
Losreißung von dem natürlichen Pflanzenleben zu verurteilen; Abstraktion
ist gegen Unmittelbarkeit die höhere Stufe und unser allzu geistiges
Dasein muß zu einer zweiten Natur, zum Ziel schöner Sittlichkeit führen;
so wie unsre Sitten aber jetzt sind, müssen sie den Dichter und Künstler
anwidern, vor der ästhetischen Betrachtung sind sie verworfen. In
welchem traurigen Dilemma befindet sich der Bildhauer, der einen
heutigen Helden als Statue zu bilden hat: abgesehen davon, daß
Heldengröße heutzutage nicht durch Kraft und Anmut des Leibes, sondern
auf Kosten derselben erreicht wird, die Skulptur also an dem zu
verherrlichenden Manne eigentlich nichts darzustellen findet, so muß der
Künstler entweder das abstrakt idealisierende Kostüm, z. B. die antike
Toga, wo alle Wahrheit aufgeopfert wird, oder den modernen Frack und die
Militäruniform wählen, wo alle plastische Schönheit ausgeschlossen ist.
Einen Mann wie Napoleon konnte der Erzgießer in seinem Ueberrock und
seinem dreieckigen Hute auf die Vendômesäule stellen: der Held hatte
sich so der Völkerphantasie auf immer eingeprägt und von historischer
Macht ergriffen hat der Sinn beim Anschauen des Bildes gleichsam nicht
Zeit auf die Linie der Schönheit zu achten. Im übrigen ist die Bildnerei
beschränkt auf mythologische Figuren und Gruppen, überhaupt auf
Gegenstände, die unserm Sinn und Leben fernliegen. Wie sie das Nackte
bei uns schmerzlich vermißt, denn wir verhüllen alles, wie sie unsern
gebrechlichen verunstalteten Körper überhaupt verschmäht, so sucht die
Malerei bei uns vergebens nach Repräsentation, nach augenfälligen
Szenen, Handlungen und Momenten. Der epische Dichter, um auf diesen
zurückzukommen, befindet sich in gleicher Verlegenheit wie die bildende
Kunst; er soll eine Welt poetisch schildern, die sich der poetischen
Darstellung auf allen Punkten entzieht, die sich gar nicht fassen läßt,
da sie das Sinnliche abgestreift oder, wo sie es nicht aufgeben konnte,
wenigstens so viel als möglich ins Dunkel verwiesen hat.

Unter solchen Umständen griff Goethe mit glücklichem Takt nach
derjenigen Schicht der Gesellschaft, die der Einfalt der Natur in Worten
und Werken noch nahe stand, ohne mit dumpfem Blödsinn gegen die Weite
der Welt und des Lebens verschlossen zu sein. Es ist eine Bürgerfamilie,
die zugleich das schöne uralte heilige patriarchalische Geschäft des
Ackerbaues treibt. Dadurch ist sie mit der lebendigen Natur in
beständiger Berührung; Wolken und Winde, Regen und Sonne, der stille
Wechsel der Jahreszeiten ist ihr wichtig; körperliche Arbeit wird von
ihr gefordert; ihre Mühen wie ihre Erholungen sind sinnlicher Art.
Hermanns Vater ist kein bleicher, blöder Gelehrter, dem es hinter der
Oellampe gleichgültig ist, ob es in der übrigen freien Welt regnet oder
schneit; er sitzt vor seiner Thür und zum Himmel schauend spricht er:
Schönes Erntewetter morgen! Hermann, der Sohn, schirrt die Pferde
selbst, legt ihnen das Gebiß an, zieht die Riemen durch die Schnallen,
befestigt die Zügel, führt die so geschirrten Tiere auf den Hof, auf den
unterdes der Knecht die Kutsche schon hinausgeschoben, setzt sich auf
den Bock, bändigt die Hengste, schwingt die Peitsche und fährt bergan
und bergunter. Er ist es, der arbeitend und anordnend auf den Feldern
waltet; am Erntetag, wo gewiß die ganze Familie Hand anlegt, wird dann
auch das ländliche Mahl im Schatten des Baumes gehalten, ganz wie auf
dem Schilde des Achilles, während die Schnitter die goldnen Halme
sicheln und zusammenbinden, die Herolde unter der Eiche das schöne Mahl
bereiten und körbetragende Frauen ihnen dabei zur Hand gehen. Hermann
sagt von sich selbst:

    Und ich verstehe wohl gut die weltlichen Dinge zu sondern,
    Auch hat die Arbeit den Arm und die Füße mächtig gestärket.

Auch sein Blick ist scharf: auf seiner ersten Fahrt fällt ihm sogleich
ein Wagen, von tüchtigen Bäumen gefügt, ins Auge; zwei gewaltige Ochsen
schreiten ihn ziehend daher, die er sogleich als ausländische erkennt.
Auch Dorothea ist ein Mädchen voll frischer bäuerlicher Lebenskraft: sie
ist keine ätherisch-sentimentale Stubenblume, trägt kein Korsett, ist in
keiner Pension erzogen und liest keine blumigen Novellen aus Almanachen
mit goldnem Schnitt, keine vergoldeten Gedichte von Theodor Körner oder
Emanuel Geibel. Der Richter rühmt von ihr, sie sei rüstig geboren und
ebenso gut als stark; Hermann selbst vergißt neben dem Verstande, der
sich in ihren Worten zeigt, unter ihren Eigenschaften nicht die frohe
Gewandtheit, die Stärke des Arms, die volle Gesundheit der Glieder.
Phantasielose Rezensenten der alten Schule fanden es bei Erscheinen des
Gedichts zu niedrig, daß Dorothea die Ochsen treibt, Wasser holt, sich
als Magd verdingt. Aber gerade dies Bild Dorotheens neben den Ochsen mit
dem Stabe ist wie das der Wasserschöpfenden von rührender homerischer
Einfalt und Menschlichkeit. Der Ochse und die Kuh sind seit der ersten
Gesittung des Menschengeschlechts in das Leben und die Sitten desselben
verflochten, es sind heilige Tiere wie das Roß, sie sind poetisch wie
der Pflug; sie dienen dem Menschen in geruhiger Würde, ganz Nahrung und
Gedeihen ausdrückend. Gern verweilt die Phantasie an ihnen gleichwie an
Szenen aus der kindlichen Zeit primitiver Menschengeschlechter, gern
stellte auch die bildende Kunst den Menschen neben sie und statt
Niedrigkeit finden wir Adel in jener Gruppe Dorotheens und Hermanns auf
der Landstraße. Auch Dorotheens bäuerliche Tracht ist noch so bunt
sinnlich, daß sie Stück für Stück an zwei Stellen des Gedichts vom
Dichter beschrieben, daß das Mädchen auf ganz episch primitive Weise
nach ihr erkannt und beurteilt werden konnte. Bei alle dem sind es
nicht bloße Bauern, die wir vor uns haben; sie sind nicht wie diese
stumpfsinnig auf das nächste sinnliche Dasein gerichtet. Das städtische
Bürgertum, dem sie zugleich angehören, die Wohlhabenheit, in der sie
leben, hat ihre freiere geistige und sittliche Entwicklung begünstigt.
Hermanns Vater ist kein roher Dorfbauer, er ist zugleich Gastwirt,
dadurch mit den verschiedensten Menschen in Berührung gekommen, in den
Stand der Reflexion übergetreten und eine Art Weltmann im kleinen
geworden. Auch bei den übrigen Personen finden wir auf ganz homerische
Weise die Einfalt der Lebensgewohnheiten und kindlich-sinnliche
Beschränktheit der Lebenssphäre mit echt menschlicher Zartheit der
Empfindung und gesunder Einsicht in die allgemeinen Verhältnisse
gepaart. Jene Wohlhabenheit, die so günstig wirkt, wird dennoch nur
durch Arbeit erhalten, wie sie nur durch Arbeit gewonnen worden; und
diese Arbeit ist wiederum nicht die des armen Knechtes, des gedrückten
Hörigen und an gemeine Dienstverrichtungen gefesselten Proletariers; sie
macht darum nicht roh und unflätig wie in dem einen, nicht unterwürfig
und gehorsam wie in dem andern Falle. Der fleißige Hermann hat dennoch
noch einen Knecht, der ihm zur Hand geht. So gewann der Dichter gerade
bei solcher Lebensstellung seiner Personen die nötige Naturlebendigkeit,
indem er zugleich eine reiche Welt innerlicher sittlicher Motive vor uns
aufthun konnte. Wir sammeln im Folgenden die einzelnen Züge, die das
Bild dieser bürgerlich-ländlichen Sphäre der Sitten vervollständigen.

Hermanns Vater hat auf der Brandstätte beider Häuser die Mutter zur
Gattin gewählt; der Brand aber war vor zwanzig Jahren geschehen; Hermann
selbst wird also nicht mehr als achtzehn oder neunzehn Jahre zählen.
Dennoch ist er längst von den Eltern getrieben worden, sich eine Braut
zu wählen und ihm selbst ist das Leben öde und einsam erschienen, weil
er der Gattin entbehrte: alles dies schon im achtzehnten bis neunzehnten
Jahre. So ist hier also die schöne Naturordnung noch ungeirrt, nach
welcher der Jüngling, wenn er zeugungsfähig geworden, mit dem Weibe sich
verbindet und jetzt erst das sittlich erfüllte Leben, derjenige
Abschnitt desselben beginnt, zu dem alles Vorhergehende nur
Vorbereitung ist. In der Zivilisation unsrer großen Städte heiratet der
Mann meistens dann, wenn er abgelebt ist und nach erschöpftem Genuß sich
ein häusliches Asyl schaffen will; die Ehe ist das Hospital für den im
Kriegsdienst des Lebens Aufgeriebenen und Ermüdeten. In frischen Jahren
fehlt in der Regel das ernährende Amt oder die einseitig geistige
Ausbildung ist noch nicht vollendet oder das Freiheitsgefühl hindert den
Jüngling bei unsrer Form der Ehe sich auf ewig zu binden. Die Idee der
Familie kommt dabei nur verkümmert zur Wirklichkeit; wie selten ist
jener so rührend patriarchalische Kreis, wo um das würdige weiße Haupt
des Ahnherren die Kinder, die Enkel, die Schwiegersöhne und
Schwiegertöchter, die homerischen γαλόῳ καὶ εἰνάτερες εὔπεπλοι mit ihren
Abkömmlingen sich gruppieren und seine segnende welke Hand küssen, wo
der Großvater noch rüstig sich regt und neben ihm mit Höfen und Aeckern
der Sohn, der Enkel sich angebaut hat. Auch Hermanns Mutter war nach
ihrer eigenen Erzählung fast noch ein Kind, da der Vater sie zur Braut
wählte, so daß wir wohl hoffen dürfen, sie werde noch als Großmutter, ja
als Aeltermutter in der Mitte des jüngeren Geschlechts sich einer
erneuten Jugend freuen. Gegenüber der abgeschmackten Gefühlsromantik
unsrer Schauspiele und Romane, die gerade dort alles Interesse erschöpft
glauben, wo der eigentliche Inhalt des Lebens erst recht beginnt, gehört
auch dies zu der Lauterkeit homerischer Empfindungsweise, die uns aus
dem ganzen Gedicht so wohlthuend anweht.

Auch der folgende echtbürgerliche, auf Hervorwachsen einer Familie aus
der andern bezügliche Zug fehlt in dem Gedichte nicht. Die Eltern
bereiten der Tochter schon frühe eine Art Aussteuer: die Mutter sammelt
ihr manche Jahre hindurch Leinwand im Kasten, zu der sie das Garn ohne
Zweifel selbst gesponnen hat, die Taufpaten verehren ihr Silbergerät und
der Vater legt im Pult die seltene Goldmünze für sie zur Seite.

Ein Zug von hoher Wahrheit wird es jedem, der das Bürgerleben, die
Sitten der kleinen Stadt kennt, erscheinen, wenn bei den Personen unsres
Gedichts das Brandunglück, von dem die Stadt vor zwanzig Jahren
betroffen wurde, zur Zeitbestimmung dient und beim Zurückdenken die
Epochen des Familienlebens, das Vorhandene und Geschaffene im Geiste
sich immer an jenes Ereignis knüpfen. Es war zwei Jahre nach dem großen
Brande, sagt der, der auf ein Vergangenes sich besinnt, der das
Geburtsjahr irgend eines Hauses, einer Einrichtung u. s. w. angeben
will.

In älterer Zeit, berichtet der Apotheker, war es Gebrauch, daß, wenn die
Eltern für ihren Sohn eine Braut sich ersehen hatten, sie einen
vertrauten Freund des Hauses als Freiersmann zu den Eltern des Mädchens
sandten. Dieser kam etwa Sonntags nach Tische stattlich geputzt in das
erkorene Haus, sprach zuerst über allgemeines, lenkte dann das Gespräch
geschickt auf die Tochter, die er samt ihren Eltern rühmte, dann auf den
Mann, der ihn gesandt hatte, den er gleichfalls lobte. Gegenseitig
merkte man bald die Absicht und den Willen und konnte sich weiter
erklären; ward der Antrag abgelehnt, so war's für keinen eine Schande.
Gelang aber die Unterhandlung, so blieb in dem Hause des neuen Paares
der Freiersmann auf immer der erste. Jetzt ist das alles, fügt der
Sprechende hinzu, mit andern guten Gebräuchen aus der Mode gekommen.
--Hier ist zunächst die letzte Aeußerung in ganz bürgerlichem Geiste:
der Bürger liebt es, in die behaglichen Zustände der Gegenwart
eingesponnen, auf die Sitte der Voreltern sich zu beziehen und mit der
Phantasie sich eine gemütlich ideale Welt aus Erinnerungen des Alten zu
erbauen. Auch Homer hat eine solche großväterliche Zeit im Hintergrunde,
wo die Menschen stärker waren und mit den Göttern verkehrten; οἷοι νῦν
βροτοί εἰσιν heißt es oft halb verächtlich. So beruft sich auch der
Vater an einer Stelle auf die Alten:

    Einmal für allemal gilt das wahre Sprüchlein der Alten.

Dann ist jene Art der Ehestiftung, wo die Eltern wählen, die ganz
unverfälscht bürgerliche; nicht die Romantik eigensinniger Phantasie,
wie bei dem Minnen des Rittertums, sondern Gemüt und Verstand, das
Familiengefühl sind bei derselben thätig; nicht Individuum verbindet
sich mit Individuum, sondern Familie mit Familie. Der Sohn muß heiraten,
dieser Entschluß geht voraus; die Eltern ratschlagen; indem sie seinen
Sinn auf ein Mädchen lenken, folgt daraus die Neigung. Und Hegel an
einer merkwürdigen Stelle der Rechtsphilosophie erklärt diese Art der
Ehestiftung sogar für sittlicher als diejenige, wo nicht die
Veranstaltung der wohlgesinnten Eltern und der Entschluß zur
Verehelichung den Anfang macht und die Neigung erst zur Folge hat,
sondern wo der Jüngling verzaubert an der Vorstellung eines bestimmten
Mädchens haftet: dort nämlich gilt die objektive Sittlichkeit der Ehe
überhaupt, hier setzt die moderne übergreifende Subjektivität an eine
Grille alles Glück und Wehe. Dennoch liegt in jener Wahl durch die
Eltern etwas Hartes, Gebundenes, Unerschlossenes; es wird darum diese
Sitte in die Zeit der Eltern zurückverlegt, also in eine Höhe, zu der
wir mit Ehrfurcht aufblicken und von der alle Quellen der Sittlichkeit
zu uns herabgerauscht kommen.

Nachdem die Woche fleißig gearbeitet worden, ist der Sonntag die Zeit
der Erholung, der Landfahrten. Dieser bürgerliche Zug kommt mehrmals
vor. Damals, als der Vater des Apothekers dem Knaben durch Hinweisung
auf die Tischlerwerkstatt die Ungeduld benahm, war es ein Sonntag und
die Fahrt sollte zum Lindenbrunnen gehen. Als vor zwanzig Jahren die
Feuersbrunst ausbrach, wurde sie deshalb so gefährlich, weil als am
Sonntag alle Leute in festlichen Kleidern spazierend auf den Dörfern und
in Schenken und Mühlen zerstreut waren. Und heute, wo unsre Geschichte
vorgeht, ist gleichfalls Sonntag; nur heute hat der arbeitsame Hauswirt
Zeit, behaglich unter dem Thorweg zu sitzen und mit den Nachbarn zu
schwatzen; nur heute können diese auf der Stelle die Fahrt ins Dorf
machen und dort verweilend sich erkundigen. Gerade diese Bedeutung des
Sonntags und der Feste ist dem Bürgerstande eigentümlich. Dem Vornehmen
und Reichen ist jeder Tag gleich, er würde es für schlechten Ton halten,
gerade am Sonntag sich besonders herauszuputzen und überläßt sich an
jedem Tage mit Freiheit dem Genuß und der Pflege des Körpers. Der Bürger
besucht Sonntagvormittags in festlichen Kleidern, frisch gewaschen und
gekämmt, das Gesangbuch unter dem Arm, die Kirche und macht nachmittags
Spaziergänge zum Thor hinaus, begleitet von Frau und Töchtern und
Gesellen und Burschen, wie dies im Faust am Ostersonntag geschildert
wird. Die Stube ist an solchem Tage frisch mit Sand bestreut; ein
Gericht mehr kommt auf den Tisch. Unübertrefflich hat Goethe selbst das
Poetische der arbeitsamen Regelmäßigkeit des Bürgerlebens in dem Gedicht
»der Schatzgräber« ausgedrückt, welches mit den Worten schließt:

    Tages Arbeit, abends Gäste,
    Saure Wochen, frohe Feste
    Sei dein künftig Zauberwort.

Das Bürgertum, wo es unverdorben und in seinem ursprünglichen Sinn sich
erhalten hat, liebt es die sittlichen Mächte, von denen es regiert wird,
in Sprichwörter, Maximen, Lebensregeln, allgemeine Erfahrungssätze
zusammenzufassen. Der ehrsame Meister, wenn er seinen Lehrlingen gute
Lehren mit auf den Weg gibt, wenn er abends auf der Bank vor seiner
Hausthür sitzt und das menschliche Treiben behaglich bespricht, die
Nachbarn, wenn sie beim Kruge Bier sich das Herz öffnen, bedienen sich
immer sprichwörtlicher Sentenzen, in denen sich ihre Moral wie ihre
Lebensweisheit ausdrückt. Solche Erfahrungssätze sind eigentlich die
Religion des ehrsamen, fleißigen, verständig-herzlichen Bürgers und sie
leiten sein Thun mehr als die Dogmen, die er Sonntags in der Kirche
hört, so heiß ihm auch oft die Hölle dort gemacht wird. In der
Bürgerregion sind die Sprichwörter ganz eigentlich zu Hause. Als die
Adelsromantik im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts abblühte und die
Literatur von den Schlössern der adligen Grafen und Herren zu den
zünftigen Meistern der Städte herabstieg, da that sich in
Spruchgedichten jene bürgerliche Lebensweisheit auf wie im wälschen
Gast, in Freidanks Bescheidenheit, im Renner des Hugo von Trimberg, in
den Priameln der Meistersängerschulen, jene dumm-tüchtige,
unerschütterliche, etwas konventionelle Moral, die den bürgerlichen
Philister ausmacht. So ist auch Sancho Panza, der Repräsentant des
derben plebejischen Realismus, ganz voll von Sprichwörtern, mit denen
er die sublimen Schwärmereien seines Herren ins komische zieht.
Sprichwort und Fabel ist Handwerkspoesie. In Hermann und Dorothea ist
dies der Ton, in dem alle Reden gehalten sind; es sind ganz bürgerliche
Reflexionen, menschliche Verhältnisse betreffend, voll naiven Glaubens
an die sittlichen Ideen, wie ihn Weltmenschen so oft belachen, ohne die
dogmatische Herzenshärtigkeit, wie sie Theologen so oft beherrscht,
Maximen, gesammelt aus der Lebenserfahrung des Kleinstädters und
Dorfbewohners, eingegeben von der Mitempfindung des in den mannigfachen
menschlichen Verhältnissen waltenden sittlichen Geistes. Da das
Sprichwort Allgemeingedanke des Volkes ist, da es traditionelle Klugheit
enthält, so kann es nicht originell und geistreich sein und der geniale
Kopf verschmäht es; es ist der Ausdruck des begrenzt-sittlichen,
beschränkt-verständigen Bürgertums, das eine natürliche Abneigung gegen
alles Ungewöhnliche hat, dem nichts ferner liegt als Schrankenlosigkeit
des Gefühls oder der Phantasie. Blättern wir nur in den Anfangsgesängen
unsres Gedichtes, so finden wir eine Menge dieser unscheinbaren
Reflexionen:

    Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirtschaft. --
    Mancherlei Dinge bedarf der Mensch und alles wird täglich
    Teurer: da seh' er sich vor des Geldes mehr zu erwerben. --
    Ein wackerer Mann verdient ein begütertes Mädchen. --
    Ungerecht bleiben die Männer, die Zeiten der Liebe vergehen. --
    Was im Menschen nicht ist, kommt auch nicht aus ihm. --
    Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden erwachsen
    Und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat,
    Keine Spur nachlassend von seiner lebendigen Wirkung. --
    Wo nicht immer von oben die Ordnung und Reinlichkeit wirket,
    Da gewöhnet sich leicht der Bürger zu schmutzigem Saumsal,
    Wie der Bettler sich auch an lumpige Kleider gewöhnet. --
    Denn wir können die Kinder nach unserm Sinne nicht formen;
    So wie Gott sie uns gab, so muß man sie haben und lieben,
    Sie erziehen aufs beste und jeglichen lassen gewähren. --
    Der eine hat die, die andern andere Gaben,
    Jeder braucht sie und jeder ist doch nur auf eigene Weise
    Gut und glücklich. --
    Einmal für allemal gilt das wahre Sprüchlein der Alten:
    Wer nicht vorwärts geht, der kommt zurücke; so bleibt es. --
    Denn wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste. --
                                              Ein Tag ist
    Nicht dem anderen gleich: der Jüngling reifet zum Manne;
    Besser im stillen reift er zur That oft als im Geräusche
    Wilden schwankenden Lebens, das manchen Jüngling verderbt hat. --
    Aller Zustand ist gut, der natürlich ist und vernünftig. --
    Vieles wünscht sich der Mensch und doch bedarf er nur wenig,
    Denn die Tage sind kurz und beschränkt der Sterblichen Schicksal. --
    Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet gefunden:
    Eh du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret,
    Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser,
    Wie du es habest mit ihm und wie die Freundschaft bestehe. --
                            Der Augenblick nur entscheidet
    Ueber das Leben des Menschen und über sein ganzes Geschicke;
    Denn nach langer Beratung ist doch ein jeder Entschluß nur
    Werk des Moments, es ergreift doch nur der Verständ'ge das Rechte;
    Immer gefährlicher ist's beim Wählen dieses und jenes
    Nebenher zu bedenken und so das Gefühl zu verwirren u. s. w.

Auch Schiller liebt es, in lyrischen Gedichten wie in Tragödien
Sentenzen anzubringen, aber wie verschieden sind sie von denen in unsrem
Gedicht! Es sind Prachtgedanken, philosophische Sprüche, mit bildlichem
Schmuck umgeben, blendende rhetorische Antithesen; hier ist es der
schlichte Sinn der mannigfaltigen Lagen des Lebens, der ohne Prätension
in einer allgemeinen Bemerkung sich aufthut. Daher ergreifen diese Reden
wie echte Lebensweisheit; daher kann man von diesem Gedicht sich durchs
ganze Leben begleiten lassen und es immer wieder vornehmen und lesen.
Die Maximen sind nur leichte ideale Gegenbilder der schönen realen
Sittlichkeit, die sich hier als eine konkrete Welt von Handlungen und
Charakteren vor uns ausbreitet.

Die positive Religion hat in diesem Gedicht voll reiner Menschlichkeit
keine Stelle gefunden. Nur einmal tritt sie in einer vorübergehenden
Andeutung auf, wo des Tedeums am Friedensfeste erwähnt wird; der Vater
wünscht, Hermann möchte dann auch mit der erwählten Braut vor den Altar
treten. Die Religion ist hier also nicht getrennt von dem schönsten
Inhalt des Menschenlebens und seinen reichsten Momenten, der
Friedensfeier und der Ehestiftung, Momente, die so reich sind, daß alle
Lebenskraft, die die Kirche noch besitzt, ihr von dorther zufließt und
sie an ihnen parasitisch ihr Dasein fristet.

Kleinstädtisch und bürgerlich ist auch die Geltung, die der
Nachbarschaft zukommt. Der Apotheker wird als Nachbar angeredet und er
hat als solcher ein Recht, der Familie nahe zu stehen. Frisch, Herr
Nachbar, getrunken! ruft ihm der Vater zu, und ein andermal: Gern geb'
ich es zu, Herr Nachbar. Auch Hermann redet ihn so an: Nachbar,
keineswegs denk' ich wie Ihr. Die Nähe der Wohnung wird zum Bande der
Freundschaft, zur geistigen Nähe und Vertraulichkeit. Nachbarn sehen
sich oft, kümmern sich um einander, helfen sich aus; die Kinder
erwachsen zusammen spielend auf denselben Höfen, an denselben
Gartenzäunen. Alexis und Dora, auch Hermanns Eltern waren
Nachbarskinder. So wird auch Frau Martha im Faust von Gretchen Nachbarin
angeredet und ihre Freundschaft rührt daher. Der Vater wünscht, Hermann
möge aus dem grünen Nachbarhause sich eine der Töchter des Kaufmanns
wählen, mit denen er als Knabe so oft gespielt. In großen Städten umgibt
uns keine trauliche Teilnahme der Nahewohnenden; wir verlieren uns
isoliert und fremd in den wechselnden Strom der gleichgültigen Menge.
Kaum kennen wir den, der über uns im zweiten Stock wohnt, kaum grüßen
wir ihn; in demselben Hause oft zu gleicher Zeit eine Hochzeit und ein
Leichenbegängnis, beide nichts von einander wissend; aus den Zeitungen
erfahren wir, daß gestern in dem Dachzimmer uns gegenüber ein
Selbstmörder seinem Leben ein Ende gemacht; und wenn ein einsamer
Unglücklicher, in der Verlassenheit weinend, aus dunkler Kammer auf die
Straße hinausblickt, sieht er oft die Fensterreihe, die ihm gegenüber
liegt, glänzend erleuchtet und weiß nicht, welches Fest dort von
Unbekannten begangen wird, ob eine Verlobung oder ein Geburtstag oder
eine Rangerhöhung.

Den armen Flüchtlingen gegenüber findet sich die Bürgerfamilie nicht
durch einen baren Geldbeitrag ab, nicht mit einer Hilfeleistung =in
abstracto= ohne menschliche Nähe und Teilnahme; sie sendet den Ueberfluß
der Wirtschaft, Schinken und Brot, Bier und Leinwand und läßt den
Notleidenden so unmittelbar teilnehmen an der eigenen Wohlhabenheit. So
kauft der ländliche Bürger seine Hausbedürfnisse auch nicht für Geld aus
dem Laden: er braut sein Bier selbst, backt sein eigenes Brot, gewinnt
die Wäsche aus eigenem Flachs durch eigenes Spinnen und Weben und
erzieht das Schwein selbst, das ihm den Schinken und die Würste liefert.
Ist das Erzeugnis der eigenen Arbeit auch nicht immer so vollkommen wie
die aus großen Anstalten bezogene Ware, so ist es doch lauter und echt,
nicht bloß scheinbar, auch nicht vermengt und gefälscht. Und auch besser
schmeckt es und trägt sich besser, denn die Erinnerung an die eigene
Mühe, an manche aufgewandte Kunst und Fertigkeit haftet daran.



Diktion.


Das Innere der Dichtung, wie wir es bisher besprochen, tritt mit seiner
Entfaltung in Stil und Sprache bis in das einzelne Wort nach außen und
ist in der körperlichen Hülle überall durchsichtig und gegenwärtig. Wie
der Umfang des Bildes bei allem Reichtum der Lebenserfahrung, den es
einschließt, nicht groß ist, so ist auch in der Diktion Einfalt und
schlichte Bescheidenheit das erste Merkmal, das uns in die Augen fällt.
Aus dem reichen Schatz von Worten und Wendungen, die die Sprache bot,
griff der Dichter nach dem Unscheinbarsten und Gewöhnlichsten; er ist so
sparsam an Schmuck, daß der Unkundige, der Verbildete geneigt ist, das
Maß für Kälte und die Sparsamkeit für Armut zu erklären. Die äußerste
Anspruchslosigkeit zeigt sich gleich bei den Epitheten, mit denen der
Dichter die Nennung der Personen begleitet: der treffliche Hauswirt, der
menschliche Hauswirt, der gute Vater, der edle verständige Pfarrherr,
der wohlgebildete Sohn, der alte würdige Richter, der gehaltene
Jüngling, der sinnige Jüngling u. s. w. Dieselbe Schlichtheit herrscht
auch sonst in der Wahl adjektivischer Bezeichnungen. Dorothea sagt:

                            O laßt mich dieser Erinnrung
    Einen Augenblick weihen, denn wohl verdient sie der Gute.

Der Pfarrer sagt von Dorotheen, die eben in höchster Erregung ihr holdes
Bekenntnis gethan und nun durch die Sturmnacht nach Hause will, wodurch
sie jedem um das Geheimnis wissenden Anwesenden so ungemein lieblich
erscheinen muß:

    Welche Klugheit hätte denn wohl das schöne Bekenntnis
    Dieser Guten entlockt?

Dorothea spricht mit demselben Lieblingsworte des Dichters zu Hermann:

    Guter, dem ich zunächst ein freundlich Schicksal verdanke.

Und früher am Brunnen:

    Da ich finde den Guten, der uns so manches gereicht hat.

Von der Wöchnerin sagt sie:

    Ja, ich gehe mit euch, sobald ich die Krüge den Freunden
    Wiedergebracht und noch mir den Segen der Guten erbeten.

Hermann spricht zu den Freunden:

    Glaubt ihr, es sei ein Weib von solcher Schönheit und Sitte
    Aufgewachsen, um nie den guten Jüngling zu reizen?

Und:

    Und mit wenigen Worten entscheide die Gute mein Schicksal!

Zu Dorothea auf dem Heimgange:

    Gutes Mädchen, halte mich nicht für kalt und gefühllos!

Dorothea zur Wöchnerin:

    O, so gedenkt des Jünglings, des guten, der sie uns reichte!

Unmittelbar darauf heißt es:

    Und sie kniete darauf zur guten Wöchnerin nieder.

Einige Verse weiter spricht der Richter:

    Aber den Menschen, der alles erhält, wenn er tüchtig und gut ist.

Der Pfarrer sagt:

                                    Komm, daß wir
    Um sie werben und bald nach Hause führen die Gute.

Den schreienden Kindern wird versprochen:

        Sie geht in die Stadt und bringt euch des guten
    Zuckerbrotes genug, das euch der Bruder bestellte.

Nach Goethes Weise, der ganz als Dichter von dem Schlechten nicht
abstrakt moralisch verletzt, sondern als von etwas Ordnungswidrigem
ästhetisch gestört wird, steht auch in unserm Gedicht dem Wunderlichen
und Verworrenen als Tadel das Ruhige und Verständige als Lob gegenüber.
Der Vater sagt:

    Mir ist lästig dies wunderliche Beginnen.

Ferner:

    Leidenschaftlich Geschrei, das heftig verworren beginnet.

Und Dorothea nennt sich da, wo sie dem Vater den Verdruß abbittet, eine
Verworrene:

    Ja, der erste Verdruß, an dem ich Verworrene schuld war,
    Sei der letzte zugleich!

Dagegen ist das Ruhige und Verständige überall das mild lobende Beiwort.
Dorothea sagt zu Hermann:

    Kommt und empfanget den ruhigen Dank von allen Erquickten!

Der Pfarrer, als er den Richter die Streitenden hat beschwichtigen
sehen, preist seinen ruhigen Sinn:

    Als der Geistliche nun die Rede des Mannes vernommen
    Und den ruhigen Sinn des fremden Richters entdeckte.

Auch an dem Bürgerlose rühmt er das Ruhige:

    Aber jener ist auch mir wert, der ruhige Bürger. --
    Nein, der Mann bedarf der Geduld, er bedarf auch des reinen
    Immer gleichen ruhigen Sinns und des graden Verstandes. --
    Segnet immer darum des Sohnes ruhig Bemühen!

Hermann sagt von dem Eindruck, den Dorothea auf ihn gemacht:

    Als ich die Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen.

Und Dorothea in der Abschiedsszene wiederum von ihm:

    Also folg' ich ihm gern; er scheint ein verständiger Jüngling.

Der Pfarrer gibt Hermann dasselbe Prädikat:

    Nun verkennet es nicht, das Mädchen, das eurem geliebten
    Guten verständigen Sohn zuerst die Seele bewegt hat.

Auch sonst findet sich das gemäßigte Beiwort:

    Es ergreift doch nur der Verständ'ge das Rechte.

Ein andermal:

    Bald zu thun und gleich, was recht mir deucht und verständig.

Ein drittesmal:

    Ach, da sieht man sich um, wer wohl der verständigste Mann sei.

Auch das Reinliche und Saubere erscheint als allgemeines Lob, nicht bloß
der Kleider:

    Aber ich geb' euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider;

sondern auch sonst:

    Ließ zurück die Mauern der Stadt und die reinlichen Türme. --
      Wo die Hengste rasch den reinen Hafer verzehrten. --
    Knüpften mit sauberen Stricken die Kraft der Pferde. --
    Wenn ihr im Schatten der Ruh' und der reinen Quelle genießet. --
    Denn, wer die Städte gesehen, die großen und reinlichen, ruht nicht. --
    Die ihr das Kinn umgibt, das runde, mit reinlicher Anmut.

Dieselbe Mäßigung zeigt sich in den Ausdrücken für Schmerz und Freude.
Ein wiederkehrendes Wort ist das milde 'traurig', ihm gegenüber
'bequemlich', 'erquicklich', 'behaglich', 'freundlich', besonders
'munter'. Das Wort 'munter' kehrt z. B. in der Erzählung des Richters
von den Revolutionsereignissen mit kurzen Zwischenräumen dreimal wieder.
Mit derselben Einfalt wiederholt sich überall das Wort 'herrlich' als
höchstes Lob, zu dem die Rede es bringt: herrlich glänzte der Mond; im
Schatten des herrlichen Baumes; die herrliche weite Landschaft.

    Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Unglück? --
      Sie sollten uns nicht den herrlichen Boden betreten. --
    Von der herrlichen That, die jene Jungfrau verrichtet. --
    Und so fühlt er die herrliche Last. --
                              Es zeigte das herrliche Paar sich. --
    Alle lobten das herrliche Wasser. --
    Kam ihm die hohe Gestalt des herrlichen Mädchens entgegen. --
      Und redet nicht mehr die herrlichen Worte vergebens u. s. w.

Von höchster Anspruchslosigkeit sind auch die folgenden Adjektiva:

    Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit. --
    Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden beschattet. --
    Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt. --
    Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter. --
    Morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte.

Ebenso die adverbialen Zusätze:

    Da versetzte der Wirt mit männlichen klugen Gedanken. --
    Ruhig erwiderte drauf der Sohn mit ernstlichen Worten. --
    Und es versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck u. s. w.

Dieselbe Blässe des Ausdrucks bei Schilderung der die Personen
bewegenden Empfindung. Das Mädchen, sagt Hermann von seiner Geliebten:

                    Das ich allein nach Haus zu führen begehre. --
    Wünschtest du nicht noch vorhin, er möchte heiter und lebhaft
    Für ein Mädchen empfinden? --
    Sollt' ich im Arme der Braut, der zuverlässigen Gattin
    Mich nicht erfreuen des Kriegs?

Dorothea von ihrer Liebe zu Hermann:

    Sondern weil mir fürwahr im Herzen die Neigung sich regte
    Gegen den Jüngling. --
              Wo ich beschämt und ängstlich nur stehe,
    Frei die Neigung bekennend und jene thörichte Hoffnung.

Hermann tadelt des Apothekers Egoismus, der

                            Leiden und Freuden zu teilen
    Nicht verstehet und nicht dazu von Herzen bewegt wird.

Dieselbe kühle Wendung braucht der Pfarrer von Hermanns Liebe:

                    Das Mädchen, das eurem geliebten
    Guten verständigen Sohn zuerst die Seele bewegt hat.

Auch die Wonne der endlichen Vereinigung beider Liebenden spricht sich
zwar gesteigerter, aber immer noch mit sparsamer Beherrschung des
Ausdrucks am Schlusse aus:

                    Da schön mir die Liebe das Glück hier
    Neu bereitet und mir die herrlichsten Hoffnungen aufschließt.

Auch in den Naturszenen sind nur ganz milde Farben aufgetragen:

                                                Die herrliche weite
    Landschaft, die sich vor uns in fruchtbaren Hügeln umherschlingt.

So die Schilderung der Weinlese, selbst im vorletzten Gesange die des
Gewitters und Mondscheins:

    Also gingen die zwei entgegen der sinkenden Sonne u. s. w.

und später:

    Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter u. s. w.

Diese Einfalt und Schlichtheit der Rede hat aber nicht den Sinn, als sei
sie dem Gegenstande nicht gewachsen. Im Gegenteil: mit den geringsten
Mitteln erreicht der Dichter die tiefste Wirkung. Die Wahrheit ist es,
wodurch er wie durch Zauber die Phantasie weckt und das Gemüt rührt.
Kein falsches Wort drängt sich zwischen den Gegenstand und die
Anschauung, kein ungehöriger Ton trübt die durchsichtige Klarheit, die
uns bis ins innerste Herz der Dichtung blicken läßt. Alles bloß
Rhetorische, alle künstlichen Blumen, Tropen und Metaphern sind hier
ausgeschlossen. Ein Pöbelgeschmack, der grelle Farben liebt, eine durch
Gewürz abgestumpfte Zunge, ein kindisches Urteil, das sich durch
blitzende Glasperlen bestechen läßt, kann an dieser einfach-wahren Rede
kein Gefallen finden, die so schmiegsam dem jedesmaligen Gegenstande
sich anschließt, die Empfindung in ihren innersten Tönen voll und leise
hervorströmt und überall den gediegenen Gehalt des Gedankens ohne Abzug
und Zusatz auf ganz antik naive Weise ausprägt. Je prunkloser und
ruhiger sie ist, desto mehr hat es der Dichter in der Gewalt durch
vermehrte Wärme, erhöhte Farbe und beschleunigte Bewegung die Wirkung an
passenden Punkten ins Unendliche zu steigern. Solche Stellen sind die
Blumen unter den Blättern im Kranz:

    Gib auch Blätter, den Glanz der blendenden Blumen zu mildern;
      Auch das Leben verlangt ruhige Blätter im Kranz.

So ist zwar zur Schilderung von Hermanns Liebe nicht viel Aufwand von
Worten gemacht, dennoch kommen glühendere Stellen wie folgende vor, wo
nun die Wirkung um so tiefer ist:

    Ich will den Mund noch sehen, von dem ein Kuß und das Ja mich
    Glücklich macht auf ewig, das Nein mich auf ewig zerstöret. --
                            Und süßes Verlangen ergriff sie. --
    Hermann hörte die Worte nur flüchtig; ihm bebten die Glieder
    Innen und stille war der ganze Kreis nun auf einmal.

Wenn der keusche Dichter einmal ein Bild braucht, so übt es gewiß durch
beglückende Wahrheit eine ergreifende Macht auf unsre Phantasie. Ein
geringerer Dichter hätte sich z. B. die Gelegenheit nicht nehmen lassen
das Gewitter, das die Liebenden überfällt, mit Pomp zu schildern: Hier
finden wir nur wenige Striche, die aber eine zauberische Wirkung üben.
Sie gingen, heißt es, der sinkenden Sonne entgegen, die sich
gewitterdrohend in Wolken hüllte und aus dem Schleier bald hier bald
dort eine ahnungsvolle Beleuchtung strahlte. Diese Worte malen aufs
glücklichste den Zustand des Himmels und der Erde in dem Moment, wo
Gewitterwolken die Sonne zu verhüllen drohen. Die Streiflichter fallen
dann glühend auf das Feld, über den Wald, sind zerstreut und
vorübergehend, erscheinen hie und da, werden abwechselnd vom
Wolkendunkel verschlungen und überfliegen die Gegend, wie eine plötzlich
erhellende Ahnung den Geist überfliegt, der dann wieder in bewußtloses
Dunkel versinkt. Indem Hermann und Dorothea unter den Birnbaum gelangt
sind, ist es schon Nacht; nur der Vollmond steht am Himmel. Vor ihnen,
sagt der Dichter, lagen in Massen gegen einander Lichter hell wie der
Tag und Schatten dunkler Nächte. Das Eigentümliche des Mondlichtes die
Welt in große Massen abzusondern ist hier so wahr und einfach angegeben,
daß die dadurch erregte Phantasie das Ganze des Bildes leicht vollzieht.
Auch in Schillers Erwartung heißt es:

    Der Mond erhebt sein strahlend Angesicht,
    Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen.

Wie glücklich ist das Gefühl der Wolkennacht in dem Verse ausgedrückt:

    Nicht die Nacht, die breit sich bedeckt mit sinkenden Wolken.

Oder das Gefühl des Ackerbaus, der über fruchtbare Ebenen seinen Segen
erstreckt:

    Von der Erde sich nährend, die weit und breit sich aufthut.

Oder das Gefühl irrender Flucht, entgegengesetzt dem Gefühl der
Sicherheit, die fester Anbau gewährt:

    Aber zerrüttet die Not die gewöhnlichen Wege des Lebens,
    Reißt das Gebäude nieder und wühlet Garten und Saat um,
    Treibt den Mann und das Weib vom Raum der traulichen Wohnung,
    Schleppt in die Irre sie fort durch ängstliche Tage und Nächte u. s. w.

Wie sehr es dem Dichter um Wahrheit, nicht um die künstlichen Regeln der
Rhetorik und Stilistik zu thun ist, lehrt z. B. die Stelle, wo die
Mutter unter dem Birnbaum den Sohn auffordert in seinen Geständnissen
fortzufahren: Fahre nur fort u. s. w. Hier folgt sich unmittelbar das
Wort 'heftig' dreimal, das Wort 'geschickt' zweimal.

Als eine weitere Eigenschaft der Diktion unsres Gedichts ist eine
gewisse epische Breite, behagliche Geschwätzigkeit und anmutige Fülle zu
erwähnen. Die Rede fließt überall wie ein langsamer breitausgedehnter
Strom von Gedanken zu Gedanken. Dahin gehören Stellen wie folgende:

    Wenn er ihm täglich nützt und mit den Gütern ihm dienet. --
    Wo ihm das Ehbett stand und wo er zu ruhen gewohnt war. --
                                            Ihr habt mich
    Auf halbwahren Worten ertappt und halber Verstellung. --
    Durch dein Wort verführt und deine bedeutenden Reden.

Von dem Geiste geschwätziger Behaglichkeit ist auch die Form der Sätze
und Perioden, die in dem Gedichte herrscht, eingegeben. Immer hell und
natürlich hält sie eine anmutige Mitte zwischen einem leidenschaftlich
abgebrochenen Aufreihen von lauter Hauptsätzen und der rednerischen
vielverschlungenen Periodik. Eine immer wiederkehrende
Lieblingsverbindung der Sätze ist die mit 'denn', auch wo das Folgende
nicht unmittelbar den Grund des Vorhergehenden enthält: diese Partikel
verbindet er auf ganz allgemeine Weise mit behaglich-schwatzender
Argumentation. Beispiele finden sich überall:

    O, wie geb' ich dir recht, du gutes treffliches Mädchen,
    Daß du zuförderst dich nach dem Sinne der Eltern befragest!
    Denn so strebt' ich bisher vergebens dem Vater zu dienen u. s. w.

Oder:

    Aber noch früh genug merkt' ich, sie hatten mich immer zum besten;
    Und das war mir empfindlich, mein Stolz war beleidigt, doch mehr noch
    Kränkte mich's tief, daß so sie den guten Willen verkannten,
    Den ich gegen sie hegte, besonders Minchen, die Jüngste.
    Denn so war ich zuletzt an Ostern hinübergegangen u. s. w.

Und:

    Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern.
    Deinetwegen kam ich hieher und was soll ich's verbergen?
    Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern,
    Denen ich traulich das Haus und die Güter helfe verwalten u. s. w.

Oder:

    Billig seid ihr, o Freund, zu den guten Wirten zu zählen,
    Die mit tüchtigen Menschen den Haushalt zu führen bedacht sind.
    Denn ich habe wohl oft gesehn, daß man Rinder und Pferde
    So wie Schafe genau bei Tausch und Handel betrachtet u. s. w.

Eine ebenso häufige Uebergangsform ist 'und so', die gleichfalls das
Gepräge liebenswürdiger wortreicher Gemütsruhe trägt. Wo wir das Gedicht
aufschlagen, stoßen wir auf diese Verbindung:

    Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter. --
    Und so fühlt' er die herrliche Last, die Wärme des Herzens. --
    Was ein Knecht schon verrichtet des wohlbegüterten Mannes,
    Thust du; indessen muß der Vater des Sohnes entbehren,
    Der ihm zur Ehre doch auch vor andern Bürgern sich zeigte.
    Und so täuschte mich früh mit leerer Hoffnung die Mutter. --
    Dieser kannte das Leben und kannte der Hörer Bedürfnis,
    War vom hohen Werte der heiligen Schriften durchdrungen,
    Die uns der Menschen Geschick enthüllen und ihre Gesinnung;
    Und so kannt' er wohl auch die besten weltlichen Schriften.

Noch eigentümlicher, aber voll Grazie ist die Verbindung mit 'so auch':

    Was er begehrte, das war ihm gemäß; so hielt er es fest auch. --
    Denn er redet gar manches in seiner heftigen Art aus,
    Das er doch nicht vollbringt; so gibt er auch zu das Versagte. --
    Und sie reichte das Wasser herum; da tranken die Kinder
    Und die Wöchnerin trank mit den Töchtern; so trank auch der Richter.

Dahin gehört auch die anmutige Art einen Nebenzug in Form eines kurzen
Hauptsatzes ohne weitere Verbindung folgen zu lassen:

    Und so sitzend umgaben die drei den glänzend gebohnten
    Runden braunen Tisch; er stand auf mächtigen Füßen. --
    Und so kam auch zurück mit seinen Töchtern gefahren
    Rasch an die andere Seite des Markts der begüterte Nachbar
    An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes,
    Im geöffneten Wagen; er war in Landau verfertigt.

Wir führen noch drei Stellen an, die für die in dem Gedicht herrschende
Satzverbindung charakteristisch sind:

    Lange hab' ich gelebt und weiß mit Menschen zu handeln,
    Weiß zu bewirten die Herren und Frauen, daß sie zufrieden
    Von mir weggehn; ich weiß den Fremden gefällig zu schmeicheln.
    Aber so soll mir denn auch ein Schwiegertöchterchen endlich
    Wieder begegnen und so mir die viele Mühe versüßen. --
    Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer,
    Freund sich los von Freund; so löst sich Liebe von Liebe. --
    Heilig sei dir der Tag, doch schätze das Leben nicht höher
    Als ein anderes Gut; und alle Güter sind trüglich.

So heißt es im Reineke Fuchs:

                                  So scheut das böse Gewissen
    Licht und Tag; es scheute der Fuchs die versammelten Herren,

was prosaisch wäre: der Fuchs scheute die Versammlung, wie das böse
Gewissen Licht und Tag zu scheuen pflegt.

Ueberhaupt könnte Hermann und Dorothea gerade im Punkt des Periodenbaus
zu einer reichen Quelle der Belehrung werden. Die Rede fließt so
verbindungslos und dennoch in so ununterbrochenem Zusammenhang, sie
bewegt sich bei dem freisten Gang so voll Numerus, die Glieder, die sich
logisch auf einander beziehen, sind oft so weit von einander, ohne
jemals die volle Klarheit dieser Beziehung einzubüßen; das epische
Prinzip der Episodik durchdringt so sehr jedes einzelne, daß man auch
hierin an Homer und die bei diesem Dichter herrschende Einheit von
Kunst und kindlicher Einfalt erinnert wird. Jakob Grimm bemerkt in
seiner Grammatik, es finde sich nach epischer Weise in Hermann und
Dorothea kein einziges Präsens historicum, während in Vossens Luise am
Anfang des dritten Gesangs aus der Erzählung gewichen wird und Wielands
Oberon nach romanischer Weise solche Präsentia im Ueberfluß hat.

Bei aller Wahrheit und Natürlichkeit unterscheidet sich die poetische
Sprache in unserm Gedicht dennoch von der prosaischen des gemeinen
Lebens. Der Dichter erreicht diese Idealität, indem er scheinbar den
Boden der alltäglichen Rede gar nicht verläßt, ja indem er auf demselben
ganz bequemlich sich niederläßt. Die Nachlässigkeiten der mündlichen
Rede erhebt er zu poetischen Freiheiten: dies zeigt sich sogleich an der
Wortstellung. Diese ist überall die ganz natürliche des täglichen Redens
und nirgends gehindert, verschoben und gezwungen wie so oft bei Voß und
Klopstock; im Sprechen aber lassen wir ein Wort, das uns erst im Lauf
der Rede eingefallen ist, nachfolgen, während es eigentlich schon hätte
vorangehen müssen. Dies wendet nun der Dichter als poetische Kühnheit
an, z. B.

    Was ein Knecht schon verrichtet des wohlbegüterten Mannes

oder:

    Die uns sollte hinaus zum Brunnen führen der Linden.

So ist an unzähligen Stellen des Gedichts der Genetiv von dem
regierenden Substantiv getrennt. Eben dahin gehört die so häufig
vorkommende Nachsetzung des Adjektivs mit dem Artikel, die gleichfalls
nur der poetischen Sprache angehört und dennoch aus der Rede des
gemeinen Lebens entspringt, wo wir das vergessene Adjektiv gleichsam
erklärend nachholen:

    Unbewegt und stolz will keiner dem andern sich nähern,
    Keiner zum guten Worte, dem ersten, die Zunge bewegen. --
    Denn wer die Städte gesehen, die großen und reinlichen, ruht nicht.

Nicht anders ist die versetzte Wortfolge bei Stellen wie folgende zu
erkären:

    Als du zu Pferden nur und Lust nur bezeigtest zum Acker. --
                            Der eine mit schwächeren Tieren
    Wünschte langsam zu fahren, der andere emsig zu eilen.

Etwas weiter erhebt sich der Dichter von der Sprache der Prosa in den
zusammengesetzten Adjektiven wie folgende: der vielbegehrende Städter,
der allverderbliche, der vielbedürfende Krieg, die gartenumgebenen
Häuser, die wohlgezimmerten Scheunen, der wohlumzäunte Weinberg, die
wohlerneuerte Kirche. So anspruchslos diese Adjektiva auch sind, so wohl
sie sich in die deutsche Rede fügen, so erinnern sie doch an die antike
Dichtersprache: πάμφθαρτος, πολυφθόρος, εὐκτίμενος, εὐναιετάων und
unzähliges andre der Art. Hier ist der Ort auf die vielfachen Anklänge
an die Ausdrucksweise der Alten und besondes Homers, die das Gedicht
durchziehen, aufmerksam zu machen.

Zwar, so groß die Verwandtschaft ist, die das Goethesche Gedicht in
Geist und Ton mit Homer an den Tag legt, so wenig läßt sich sagen, daß
der Dichter direkt nachgeahmt hätte. Er ließ sich vielmehr von Homers
Anschauungs- und Empfindungsweise ganz durchdringen und schuf dann auf
modernem Boden und mit modernen Mitteln ein Gedicht, das in seiner Weise
ganz denselben heitern reinmenschlichen stillrührenden Eindruck macht.
Dennoch aber hat der Dichter hin und wieder Formeln aus den Alten
herübergenommen, mit denen er in heitrer Ueberlegenheit nur spielt, die
aber dennoch dazu beitragen den Naturton, die nationale Wahrheit des
Denkens und der Rede durch kleine, fremdartig reizende Unterbrechungen
noch rührender hervortreten zu lassen oder im Zusammenklang mit den
entferntesten Weisen uralter Menschensprache in ihrer ewigen Geltung zu
bestätigen. So wird die Wirkung des Gedichts, die wunderbare Harmonie
seiner Form durch jene Nachahmungen, die von einer kaum merklichen
Ironie angeflogen sind, nur noch erhöht.

Zwei Stellen erinnern uns an Virgil und Cicero. Bei der Szene, wo der
ehrwürdige Schultheiß die streitende und drohende Menge durch sein
Auftreten schnell besänftigt, scheint der Dichter eine Stelle in Virgils
Aeneis vor Augen gehabt zu haben:

    =Ac veluti magno in populo cum saepe coorta est
    seditio saevitque animis ignobile volgus
    jamque faces et saxa volant, furor arma ministrat,
    tum, pietate gravem ac meritis si forte virum quem
    conspexere, silent arrectisque auribus adstant;
    ille regit dictis animos et pectora mulcet.=

Noch deutlicher ist die Uebereinstimmung einer Reflexion des Richters
über den Leichtsinn, mit welchem man Menschen wählt, während man doch
Rinder, Pferde und Schafe erst genau bei Tausch und Handel betrachtet,
mit einer den gleichen Gedanken enthaltenden Stelle in Ciceros Schrift
über die Freundschaft: =sed saepe querebatur, quod omnibus in rebus
homines diligentiores essent, ut capras et oves quot quisque haberet,
dicere posset, amicos quot haberet, non posset dicere; et in illis
quidem parandis adhibere curam, in amicis eligendis neglegenter esse nec
habere quasi signa quaedam et notas, quibus eos, qui ad amicitiam essent
idonei, judicarent.= Cicero hat selbst wieder eine ähnliche Stelle in
Xenophons Memorabilien vor Augen gehabt, die aber weiter von Goethes
Worten abliegt als Ciceros Nachbildung.

Antik ist auch der Anruf der Musen:

    Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt u. s. w.

Aber der Dichter verlegte ihn nicht an den Anfang des ganzen Gedichts,
wo er uns kalt und fremd entgegenträte, sondern nachdem wir zu inniger
Teilnahme gerührt worden und der ganze Ton des Gedichtes sich unmerklich
gesteigert, rufen wir mit dem Dichter die freundlichen Göttinnen an,
deren Erwähnung nun halb wie ein frommes Gebet halb wie ein heitres
Spiel erscheint. Auch Homer ruft ja nicht bloß am Anfang des Epos,
sondern bei bedeutungsvollen Abschnitten die Musen an:

    Ἔσπετε νῦν μοι, Μοῦσαι, ὀλύμπια δώματ' ἔχουσαι;

und so ruft auch unser Dichter:

    Aber saget (ἔσπετε) vor allem, was jetzt im Hause geschiehet.

Homer ist reich an Gleichnissen. Unser Dichter hat nur ein einziges,
aber ein sehr schönes und wahres:

    Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne
    Sie noch einmal ins Auge, die schnellverschwindende, faßte u. s. w.

Goethe selbst erklärte diese Sparsamkeit durch den Grund, weil einem
mehr sittlichen Gegenstande das Zudringen von Bildern aus der physischen
Welt nur lästig gewesen wäre, d. h. er hatte nicht so viel äußerlich
Sinnliches zu schildern wie Homer, sondern mehr Seelenvorgänge; ganz
derselbe Unterschied wie zwischen seiner Iphigenie und der griechischen.
Zwei andre Gleichnisse treten nicht in Gestalt selbständiger Teilgebilde
hervor, sondern sind mehr in die Rede verflochten.

Auch die homerische Sitte schon dagewesene Stellen mit gleichen Worten
zu wiederholen ist nur einmal in unserm Gedicht nachgeahmt, bei
Schilderung nämlich von Dorotheens Tracht. Gerade dadurch aber wird das
Mädchen aufs festeste unsrer Anschauung eingeprägt. Der ganze Ton dieser
Schilderung ist übrigens homerisch und das Altertümliche darin
kontrastiert auf drollige Weise mit dem Modernen in der Tracht der
heutigen Bäuerin, so daß auch hier die schon erwähnte leichte Ironie
sich zeigt.

Gleichfalls homerisch ist die Detailschilderung des Anschirrens der
Pferde:

    Hermann eilte zum Stalle sogleich, wo die mutigen Hengste
    Ruhig standen und rasch den reinen Hafer verzehrten u. s. w.

Auch hier liegt in der Anwendung homerischer Formen auf die
Stallgeschäfte eines heutigen Burschen ein Zug ironischer
Schalkhaftigkeit.

Die halb ernste halb scherzende Wendung, wodurch der Dichter die Person,
die er als sprechende bezeichnen will, selbst anredet, ist ebenfalls dem
Homer nachgebildet. Wie Homer den Eumäus anredet:

    Τὸν δ' ἀπαμειβόμενος προσέφης, Εὔμαις συβῶτα,

so spricht auch unser Dichter zum Apotheker:

    Aber du zaudertest noch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest,

und zum Richter:

    Aber du sagtest indes, ehrwürdiger Richter, zu Hermann.

Auch Homers Weise jeder Person, jedem Gegenstande ein Adjektiv
beizugeben, welches nun zum festen Begleiter des Substantivs wird ohne
Rücksicht auf den Zusammenhang jeder einzelnen Stelle, auch diese
freundlich epische Weise, die mit heitrer Anerkennung kein Ding ohne
rühmendes Beiwort lassen will, findet sich in unserm Gedicht wieder. Da
heißt es: die reinlichen Türme, der kräftig strotzende Kohl, die mutigen
Hengste, die schön versilberten Schnallen, die saubern Stricke, die
geräumigen Plätze, der gewölbte Busen, die reinliche Anmut, zierliches
Eirund, die wohlgebildeten Knöchel u. s. w. Selbst Homers fixierte
Adjektiva fehlen nicht:

          Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern. --
    Und es erstaunten die Freunde, die liebenden Eltern erstaunten. --
    Weiß ich durch dich nur versorgt das Haus und die liebenden Eltern.

In der Abschiedsszene heißt es von den fremden Frauen:

    Denn so sagte wohl eine zur andern flüchtig ans Ohr hin,

und gleich darauf:

    Aber ein' und die andre der Weiber sagte gebietend;

beide Verse nahe übereinstimmend mit dem homerischen:

    ὧδε δέ τις εἴπεσκεν, ἰδών ἐς πλησίον ἄλλον.

Noch andre homerische Formeln sind: mit fliegenden Worten, mit
geflügelten Worten (ἔπεα πτερόεντα), da befahl ihm sein Geist (θυμὸς
ἄνωγεν, ἐποτρύνει, κελεύει), und süßes Verlangen ergriff sie (καί με
γλυκὺς ἵμερος αἱρεῖ), denn Zwiespalt war mir im Herzen (διάνδιχα
μερμήριξα). Auch die homerische Umschreibung mit »Kraft« (μένος, ἴς βίη)
ist einigemal angewandt:

    Abgemessen knüpften sie drauf an die Wage mit saubern
    Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde. --
                                                Und freute
    Sich der eigenen Saat und des herrlich nickenden Kornes,
    Das mit goldener Kraft sich im ganzen Felde bewegte.

Griechisch ist die Umschreibung mit »Mann«: der wandernde Mann (ἀνὴρ
ὁδοιπόρος), ein Knecht des wohlbegüterten Mannes (ἀνὴρ ἀφνειός), der
Richter von diesen flüchtenden Männern (ἀνὴρ ἱκέτης), die häufige
Wiederkehr der Versicherungsformel »fürwahr« und »wahrlich«, die
Verbindung des Verbums »sein« mit dem Dativ, z. B. dem ist kein Herz im
ehernen Busen (χάλκεον ἦτορ), dem ist kein Sinn in dem Haupte (ἐν φρεσὶ
θυμός), mir ist im tiefsten Herzen beschlossen, wäre mir jetzt nur Geld
in der Tasche, und es ist mir genug davon im Kasten des Wagens u. s. w.

Noch leisere Homerismen ließen sich in Menge anführen, nur daß die
Grenze, wo sie beginnen und die ungemischt deutsche Ausdrucksweise
aufhört, nicht zu bestimmen ist, da die fremde Färbung oft nur wie ein
kaum sichtbarer Hauch über die nationale Rede hinschwebt:

    Aber ich geb' euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider. --
    Viele Leinwand der Tochter von feinem und starkem Gewebe. --
                                            Des Gewinnes,
    Welcher sich reichlich um ihn und um die Seinen herumhäuft. --
    Und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist. --
    Aber keine von allen erschien die herrliche Jungfrau. --
    Aber es kommt der Abend heran und die vielen Gespräche
    Sind nun zwischen ihm und seinen Freunden gewechselt. --
    (Das Gespräch), das viel hin und her nach allen Seiten geführt wird. --
    Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten. --
                                Da freut' ich mich seines
    Anblicks so sehr, als wär' mir der Himmlischen einer erschienen. --
    Daß ich diene daselbst den reichen trefflichen Eltern. --
    Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers.

('Besitzer' deutsch nicht ohne Ergänzung möglich, nicht absolut.)



Vers.


Für das Epos, welches instinktiv auf dem Boden des poetischen
Gesamtlebens einer Zeit erwächst, erfindet der Einzelne nicht die
Versgattung, sie gibt sich ihm als die einzig vorhandene und höchstens
bildet er sie aus. In der epischen Zeit ist der epische Vers die
poetische Form überhaupt, und erst später, wenn mit dem Erwachen der
Subjektivität die Lyrik auftritt, entfalten sich mannigfache Maße und
Rhythmen, und jedes Lied ist je nach dem eigentümlichen Gefühl, von dem
es beseelt ist, verschieden moduliert. So war der Hexameter bei den
Griechen das erste und zugleich epische Versmaß für immer, dessen Geburt
und Werden sich in eine dunkle, bewußtlose Zeit verliert. Diese
Sicherheit und Notwendigkeit ging nun einem in die jüngste moderne Zeit
gestellten Dichter wie Goethe ab; das Versmaß blieb seiner eigenen Wahl,
wo nicht gar seiner Erfindung überlassen. Historisch gegebene Versmaße
gab es nur folgende und auch nur dem Literaten, nicht dem Volke gegeben:
der Hexameter der Alten, die Terzinen und Stanzen der Italiener, der
französische Alexandriner, der Nibelungenvers. Von diesen war der
Alexandriner durch die letzte literarische Revolution vor kurzem, als im
Deutschen zu eintönig, sogar aus kleineren Gedichten verbannt worden;
von ihm konnte zum epischen Gebrauch nicht die Rede sein. Die Terzinen,
die Dante angewandt hatte, die achtzeiligen Stanzen bei Tasso, Ariost,
Camoens waren zu künstlich, zu musikalisch und melodisch, um dem
epischen Erzähler bei seiner heitern, gleichmäßigen Entfaltung dienen zu
können. Die Nibelungenstrophe hatte den Vorteil, national zu sein, aber
auch dies nur scheinbar, denn die Zeit, in der sie gebraucht, die
Gedichte, zu denen sie verwandt worden, waren durch eine unermeßliche
Kluft von der Gegenwart geschieden; Jahrhunderte totaler Vergessenheit
lagen dazwischen, und wer mit jenem Versmaß in die Mitte der
Zeitgenossen hätte treten wollen, brachte ihnen gewiß etwas weit
Fremderes, als die Metra der Alten waren. Goethe und die damalige Zeit
kannten zudem die altdeutschen Dichtungen kaum, so daß schon darum die
Anwendung ihrer Form eine Unmöglichkeit war. Später freilich wurden jene
Dichtungen durch die neualtdeutschen Romantiker und
christlich-germanischen Patrioten eifrig hervorgesucht, gepriesen und
anempfohlen, so daß es z. B. die Nibelungen zu einer gewissen
Popularität gebracht haben, die indes gleichfalls mehr eine künstliche,
der Schule angehörige ist und daher auch wahrscheinlich mit den
Tendenzen, von denen sie getragen wurde, wieder absterben wird. Seit dem
Auftreten der romantischen Doktrin ist die Nibelungenstrophe in epischen
Romanzen häufig angewandt worden; mit ihr verband sich ein Streben nach
volksmäßiger Kindlichkeit des Tons, eine gesuchte Unbehilflichkeit, eine
reflektierte Unmittelbarkeit, naive Anwendung ausfüllender Formeln, aber
unter diesem Schein der Herablassung und freiwillig angelegter
Knechtsgestalt verbarg sich ein wirkliches poetisches Unvermögen, die
wirklich mangelnde Fähigkeit, einen reichen Inhalt zu seiner eignen
schönen Form zu vollenden. Auch Gervinus meint, hinter der
Nibelungenstrophe verstecke sich die Armut sehr leicht, und fügt
treffend hinzu, die Romanzenabteilung zerpflücke das Epos wieder in
seine ersten Elemente. Was von der Nibelungenstrophe, gilt in noch
höherem Maße von den sogenannten höfischen Reimpaaren; der Reim
überhaupt mit seiner Rückkehr und seinem Widerhall und als Ausdruck der
die Seele durchziehenden Klänge ist der anschauenden Heiterkeit des
epischen Erzählens ganz unangemessen. Für Goethe blieb also nur der
Hexameter übrig, ein fremder, ein griechischer Vers. Aber derselbe
Dichter, der in der Iphigenie die antike Formschönheit mit der modernen
Unendlichkeit des Gefühls zu vermählen und die Nebel nordischer
Phantastik mit griechischer Sonnenheiterkeit zu durchleuchten gewußt
hatte, der in unserm Epos den Geist homerischer Einfalt durch eine ganz
moderne Welt wehen ließ, demselben war es vorbehalten, auch den
heroischen und elegischen Vers der Alten nach Klopstocks und Vossens
mühevoller, nicht immer glücklicher Anstrengung mit so leichter
Aneignung in unsre Sprache zu verpflanzen, daß es schien, er habe
derselben von jeher angehört.

Die ersten Versuche, deutsche Hexameter zu machen, fallen in die Zeit,
wo das Mittelalter abblühte und der Geist nach dem Rausche
transszendenter Romantik vor allem nach Form verlangte; wie in der
Architektur, in der Tragödie, in der Behandlung der Sprache u. s. w.
Nachahmung des Antiken herrschend wurde, so auch in der Versform.
Fischart, der in seiner Bearbeitung des Rabelais deutsche Hexameter
anbrachte, verbindet sie noch mit dem einheimischen Reim. Erst Opitz
indes stellte im siebzehnten Jahrhundert die neuere deutsche Prosodie
fest, ohne welche deutsche Hexameter ein Unding waren. Das Gesetz
derselben bestand darin, daß nicht die äußere Zeitdauer, die nach Länge
und Kürze des Vokals und nach dem Zusammenstoß der Konsonanten gemessen
wird, sondern die Bedeutsamkeit eine Silbe zur langen mache und daß im
Deutschen die Länge mit dem Accent zusammenfällt. Nach einigen Versuchen
des Christian Weise (1642-1700, Rektor am Gymnasium zu Zittau) und des
Heräus (1671-1730, Hofdichter bei Kaiser Karl dem Sechsten in Wien) war
es erst Klopstock, der mit Entschiedenheit von der scholastischen
Tradition quantitierender lateinischer Metrik abging und den Hexameter
nach dem modernen Gesetz accentuierender Rhythmik bildete. Voß erzählt
in seiner Zeitmessung der deutschen Sprache von seinem Lehrer in der
Schule, wie dieser über die unverständigen Neuerungen Klopstocks gezürnt
und seinen Schülern die Worte aus Luthers Bibelübersetzung als echten
Hexameter wiederholt habe:

    Daß Isaak scherzte mit seinem Weibe Rebekka.

Klopstocks ziemlich mangelhafter Hexameter wurde von Johann Heinrich Voß
vervollkommnet. Voß suchte den deutschen Hexameter der technischen
Strenge des alten zu nähern; er bemühte sich um Spondeen, vermied,
soviel er konnte, den Trochäus, schuf sich künstliche Daktylen, setzte
fest, welche Silben lang, welche kurz sein müßten, welche als
mittelzeitig bald kurz bald lang gebraucht werden könnten, und gelangte
so zu Hexametern wie folgende:

    Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau,

oder:

    Jetzo begann holdselig ihr Lied die melodische Jungfrau
    Und des Gesangs Wohllaut, eindringenden Worten vereinigt,
    Wallete hell, dann leise gedämpft in die Stille des Abends.
    Von hinschmelzendem Halle gesänftiget lauschten sie ringsum,
    Fühlten erstaunt der Natur Hoheit und schwangen sich aufwärts
    Ueber Mond und Gestirne zu Gott und den Seligen Gottes.

Da aber der Genius der deutschen Sprache sich gegen solche vollkommene
Hexameter sträubte, so mußten häufig Listen und Zwangsmittel angewandt
werden, um ihn zu bändigen. Voß brauchte Diminutiva auf -lein, z. B.
'Söhnlein' statt 'Sohn', um Spondeen zu gewinnen; er setzte den
Komparativ der Adjektiva für den Positiv, z. B. 'der grünere Hain' statt
'der grüne', behielt das durch den Sprachgebrauch ausgestoßene e der
Verbalflexion bei, wie in dem obigen Beispiel 'wallete', 'besänftiget',
beides, um Daktylen zu erzwingen; er brach die Worte durch schwere
Spondeen wie 'drauf antwortetest', 'du ehrwürdiger', wodurch das
Grundgesetz von der Geltung des Accents umgestoßen ward, da niemand
sagt: 'antwortetest', 'ehrwürdiger'. Das schlimmste aber war, daß die
Versnot überall eine ganz undeutsche Ausdrucksweise, die des natürlichen
Gefühles spottete, und lateinisch-griechische Wendungen und
Wortstellungen herbeiführte. Der Sieg, den der Genius des Deutschen
durch die akzentuierende Rhythmik über die lateinische Prosodie
erfochten hatte, war abermals durch scholastische Metrik verkümmert; der
Hexameter in dieser harten und steifen Gestalt war ein fremder, ein
aufgedrängter Vers, aus dem keine Seele sprach. Erst Goethe und Schiller
machten ihn aus einem Kunststück der Schule zum Eigentum der Nation und
bewiesen sich durch die feine Grazie ihrer Behandlung als größere
Verskünstler und metrische Meister als Voß, August Wilhelm Schlegel und
Platen. Selbst bei dem Letztgenannten überwiegt das Interesse der
glänzenden Technik des Verses zu sehr, um den lautern und vollen
ästhetischen Eindruck nicht zu stören. Auch Platens Verse sind nicht
'frei und schlank wie aus dem Nichts entsprungen' und noch fühlen wir an
ihnen die Gegenwart der widerstrebenden unbezwungenen Materie, deren
Schwere nicht weichen will, so gewandt auch der Meißel an ihr sich
herumbewegt; wir fühlen, daß der Inhalt erst allmählich nach dem
Bedürfnis des Verses entstand und daß jene prächtige Form zwar in einem
kleinen Gedicht, in einer einzelnen Stelle erreicht werden, nicht aber
ein langes Epos hindurch sich erhalten und dessen mannigfaltigen
Reichtum begleiten konnte. So wird wahrhafter Formensinn in die
triumphierende Ueberlegenheit nicht einstimmen, mit welcher Voß und
Platen auf die weimarischen Hexameter herabsehen.

Goethe gab bei seinem Hexameter zuförderst alle Versmalerei auf, die mit
Absicht durch den Gang des Verses den jedesmaligen Gegenstand
versinnlichen will. In Zeiten, wo das wahrhafte poetische Gefühl
verschwunden war, bei Dichtern, die nach verständigen Regeln den Effekt
erzwingen wollten, bildeten solche künstliche Malereien den Gipfel
poetischer Schönheit. In der didaktisch-moralischen Zeit der deutschen
Literatur wurden die Verse des Virgil und Ovid, wo das Galoppieren des
Pferdes durch lauter Daktylen, das Fallen der Hämmer durch lauter
Spondeen, das Gequäk der Frösche durch ähnliche Laute versinnlicht wird,
höchlich bewundert und Voß gab in seinen Uebersetzungen ähnliche
Malereien mit Treue, oft sogar übertreibend wieder. Daher sein:

    Hurtig mit Donnergepolter entrollt ihm der tückische Marmor,

und:

    Ihn von der Au' aufwälzend den Berg.

Er selbst dichtete:

    Als ringsher pechschwarz aufstieg grau'ndrohende Sturmnacht.

Homers und Goethes Vers wissen nichts von dergleichen Künsteleien und
der Inhalt gibt die Wahl und Zusammenstellung der Worte von selbst.
Hinterdrein kann man dann hie und da ein ungesuchtes Zusammentreffen
bewundern, wie in den beiden angeführten homerischen Versen:

    Αὖτις ἔπειτα πέδονδε κυλίνδετο λᾶας ἀναιδής. --
    Λᾶαν ἄνω ὤθεσκε ποτὶ λόφον,

oder in dem Hexameter unsres Gedichts:

    Hatte der Ahnherr einst, der würdige Burgemeister,

wo der spondeische Ausgang den Eindruck der Würde unterstützt; weit
öfter aber werden wir den Vers, unbekümmert um den jedesmaligen Sinn,
seinen eigenen gleichmäßigen Gang verfolgen sehen. Und letzteres gerade
ist die Idee des Verses. Die gebundene Rede besteht eben darin, daß ohne
Rücksicht auf den mannigfach wechselnden Gedanken ewig ein und dieselbe
unveränderliche rhythmische Form wiederkehrt. Wäre jene Wortmalerei das
Richtige, so müßte ein festes Versmaß überhaupt verworfen werden. Dieses
bindet den Strom mannigfacher Empfindungen und Anschauungen an ein
unverbrüchliches Gleichmaß und steht nur zu dem Ganzen des Gesanges,
nicht aber zu jedem Punkt der Bewegung in entsprechendem Verhältnis.

Goethe wandte den Trochäus da an, wo die alten Dichter den Spondeus
gebraucht hatten. Eigentliche Spondeen nämlich sind im Deutschen
unmöglich. Selbst Voß erkennt dies in einer vorübergehenden Bemerkung
an, deren Gewicht er aber nicht einsah. Steigende Spondeen, sagt er,
ahmen den Jambus, sinkende den Trochäus nach. Der Grund dieser
Unmöglichkeit, reine Spondeen im Deutschen zu bilden, liegt auch sehr
nahe. Bei den Alten, wo die Länge der Silbe etwas für sich Bestehendes
und von dem metrischen Iktus Gesondertes war, konnte auch diejenige
Silbe des Spondeus lang sein, die diesen erhöhten Ton nicht erhielt; im
Deutschen aber, wo die Länge eben nur in jener Erhebung der Stimme,
abgesehen von der quantitativen Zeitdauer, besteht, sind zwei Silben,
von denen nur eine den Ton hat, unmöglich zu einem Spondeus zu
vereinigen. Voß half sich auf eine doppelte Weise, um dennoch wirkliche
Spondeen zu erzwingen, indem er beidemal das Gesetz des deutschen
Wortaccentes verletzte. Er ließ nämlich entweder zwei wirklich betonte
Silben zusammen einen Spondeus bilden und sagte:

    Der Herrscher im Donnergewölk Zeus

oder

    Faßte, dieweil Karl drängte, den Arm des bescheidenen Jünglings,

wo aber die zweite Silbe 'Zeus', 'Karl' entweder wider Sinn und
Sprachgebrauch den Ton verliert oder beide Silben betont werden und also
aufhören, sich zu der Einheit eines Fußes zu verbinden. Oder er bildete
sogenannte geschleifte Spondeen, indem er die starkbetonte Silbe in die
Senkung, die schwachbetonte in die Hebung brachte und z. B. sagte.

              Wer getrost fortgehet, der kommt an. --
    Es verfolgt Schwachheit absterbendes Alters,

womit aber aller deutschen Wortbetonung Hohn gesprochen ist. Niemand
sagt 'fortgéhet', es müßte denn sein, daß der Gegensatz zum Fortreiten,
Fortfliegen u. s. w. auf das Gehen den Ton verlegte. Aus dem obigen
folgt, daß auch der deutsche Daktylus ein ganz andrer ist als der
antike; doch kommt auf diesen Unterschied in der Anwendung wenig an.

Wahrhafte Spondeen sind im Deutschen nicht möglich, und angebliche
Spondeen wie 'Weinberg', 'Schauspiele' fügen sich ohne Zwang in
trochäischen Rhythmus. Goethe wandte ähnliche Wörter mit Unbefangenheit
auch im Daktylus an, da in der That die Rede über die zweite Silbe mit
Leichtigkeit fortgeht, z. B.:

    Unverzeihlich find' ich den Leichtsinn, doch liegt er im Menschen. --
    Der im Glück wie im Unglück sich eifrig und thätig bestrebet. --
    Ungern würd' ich sie sehn, mich schmerzt der Anblick des Jammers. --
    Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirtschaft. --
    Meinem Vaterland hilfreich zu sein und schrecklich den Feinden. --
    Alle mit Fleiße gepflanzt der Gäste Nachtisch zu zieren.

Goethe hielt den trochäischen Gebrauch solcher Wörter für so
unverfänglich, daß er selbst da, wo die Aenderung auf der Hand lag,
diese Aenderung verschmähte:

    Und unten Weinberg und Garten,

wo es so leicht gewesen wäre umzustellen 'Garten und Weinberg', was aber
nach Humboldts Bemerkung die natürliche Aufeinanderfolge gestört haben
würde, da dem von der Höhe des Hügels Blickenden zuerst der Weinberg und
dann erst die Gärten sich boten.

Den so auf die Bedingungen heimatlicher Rede zurückgeführten Vers
behandelte Goethe mit der anmutigsten Leichtigkeit. Der Vers drängt sich
nirgends vor, er drängt sich nirgends gewaltsam auf. In dem dunkeln,
beglückenden Gefühl, sicher und leicht von dem rhythmischen Element
getragen zu sein, überlassen wir uns mit ungestörter Empfindung der
lebendigen Wirkung des schönen Inhalts. Keine ungehörige Wendung, kein
unnützer Zusatz, kein empfindlicher Abzug verrät den Zwang des Metrums;
die Worte, überall klar und natürlich, werden in edler Wohlbewegung von
selbst zu Hexametern, und haben wir oben den epischen,
leichtverschlungenen Periodenbau bewundert, so müssen wir hier
bewundern, wie der Gang der Rede mit dem Gang des Verses in Anfang,
Mitte und Ende so harmonisch zusammenstimmt. Kunstlos und doch voll
Kunst, nachlässig und doch voll Haltung bewegen sich diese Verse im
Spiel der Trochäen und Daktylen, gegliedert durch passende Zäsuren, den
Perioden entgegen und von ihnen ab, bis sie schließlich mit ihnen
zusammentreffen. Auch in der naiven Zwanglosigkeit des Verses kann
Goethe mit Homer verglichen werden. Wie ungezwungen bewegt sich der
Rhythmus gleich in der Anfangsrede:

    Hab' ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen!
    Ist doch die Stadt wie gekehrt, wie ausgestorben. Nicht fünfzig,
    Deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern u. s. w.

Wie würdig ohne gesuchten Pomp in dem Gleichnis:

    Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne
    Sie noch einmal ins Auge, die schnellverschwindende, faßte,
    Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens
    Schweben siehet ihr Bild; wohin er die Blicke nur wendet,
    Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben.

Oder in der Naturschilderung:

    Also gingen die zwei entgegen der sinkenden Sonne,
    Die in Wolken sich tief gewitterdrohend verhüllte,
    Aus dem Schleier bald hier bald dort mit glühenden Blicken
    Strahlend über das Feld die ahnungsvolle Beleuchtung.

Goethe verdankte die Schönheit seines Hexameters, die in Deutschland, wo
die Schule und das Handwerk immer mächtig war, geringe kritische
Anerkennung fand, bloß dem Ohr und dem richtigen Gefühl, denn die
Theorie desselben war ihm fremd. Er ging, wie einst wegen des Jambus zu
Moritz, so zu Voß in die Schule und hätte von diesem bei minder
glücklichem Instinkt viel böse Angewöhnungen annehmen können. Hin und
wieder erscheinen in dem Gedicht vossische Kunstgriffe, die wir indessen
gerade zu den metrischen Fehlern zählen. Wenn es heißt:

    Tretet herein in den heiteren Raum, in das kühlere Sälchen,

so ist das Diminutiv 'Sälchen' für 'Saal' ein ganz vossischer Notbehelf,
zwei Silben zu erzwingen, wo der Sinn sich mit einer begnügt hätte. Auch
der bald darauf gebrauchte pretiöse Genetiv:

    Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines,

der unnütz hinzugefügte Spondeus 'sorgsam', denn die Sorgsamkeit bildet
hier gar keinen wesentlichen Zug, sowie die ganze folgende zu
niederländische Schilderung der geschliffenen Flasche, der grünlichen
Gläser u. s. w. ist eine nicht angenehm auffallende Nachahmung des
Dichters der Luise. Einigemal begegnen auch Vossens beliebte schleifende
Spondeen: auf halbwahren Worten ertappt, selbst hinging nach Paris, daß
unwillig sie flieht, vom scheu-unsicheren Blicke, die hochherzig ein
Mädchen vollbrachte u. s. w., und es könnte wohl sein, daß der Dichter
manche Stellen der Art als besondern metrischen Schmuck
hineinkorrigierte, als er die letzten Gesänge des Gedichts noch einmal
mit Humboldt genau durchging und dessen prosodische Bemerkungen
benutzte, worüber er an Schiller berichtet.

Der mit Geschrei und Jubel dem Dichter vorgehaltene siebenfüßige
Hexameter:

    Ungerecht bleiben die Männer und die Zeiten der Liebe vergehen

scheint uns ein Schreibfehler, der durch Weglassung des 'und' leicht zu
verbessern ist, wenn nicht vielmehr die Zäsur bei 'Männer' das Ohr des
Dichters täuschte; denn eben die Zäsur und Pause hebt mit Leichtigkeit
über die ganz flüchtigen drei Silben weg. In der neuesten Quartausgabe
von Goethes Werken finden wir das 'und' getilgt. Riemer erzählt: Ich
hatte Goethen bereits aufmerksam darauf gemacht; weil aber der Vers,
ohne sein proverbialisches Ansehen zu verlieren und eine gewisse =grata
negligentia= einzubüßen, nicht wohl zu ändern war, ich mich auch
erinnerte, daß Friedrich August Wolf einmal, von diesem Verse sprechend,
ihn nicht nur entschuldigt, sondern auch durch homerische Beispiele
erläutert habe, so ließen wir ihn stehen oder hingehen. Nun machte
später auch Heinrich Voß, der Sohn, auf ihn aufmerksam und Goethe soll,
wie jener erzählt, gesagt haben, die siebenfüßige Bestie möge als
Wahrzeichen stehen bleiben.



Andre deutsche Epen (Luise von Voß, Messias von Klopstock) zur
Vergleichung.


Die Luise von Voß, schon 1783 gedichtet, ist in vielfacher Beziehung ein
dem Goetheschen verwandtes Gedicht; ja man hat Hermann und Dorothea
geradezu für eine Nachahmung jenes Idylls erklärt, die natürlich, wie ja
der Nachahmer immer der Unfreie und an produktiver Kraft Geringere ist,
hinter der Schönheit des Urbildes zurückblieb. Andre, die billig sein
wollten, ließen unentschieden, ob Luise oder Hermann und Dorothea den
Vorzug verdiene, und sprachen bescheiden, sich sehr klug dünkend: =non
nostrum inter vos tantas componere lites=. Niebuhr ging soweit, das
vossische Gedicht mit Homer in Vergleich zu stellen und den letztern
gegen das erstere hingeben zu wollen: das Urteil eines plattdeutschen
oder friesischen Bauernsohnes, sehr willenskräftig, aber ungeheuer
einseitig, mit geringem Sinn für griechische Humanität. Aehnliche Gunst
fand die Luise merkwürdiger Weise auch bei Goethe und Schiller. Goethe
liebte sie vorzulesen, wie er selbst erzählt, und man kann nicht
leugnen, daß sie ihm vorschwebte, als er seinen Hermann dichtete. In dem
Proömium zu Hermann und Dorothea sagt er:

    Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise
      Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.

Und Schiller äußert über sie in der Abhandlung über naive und
sentimentalische Dichtung: Diese Idylle, obgleich nicht durchaus von
sentimentalischen Einflüssen frei, gehört ganz zum naiven Geschlecht
und ringt durch individuelle Wahrheit und gediegene Natur den besten
griechischen Mustern mit seltenem Erfolge nach; sie kann daher, was ihr
zu hohem Ruhm gereicht, mit keinem modernen Gedicht aus ihrem Fache,
sondern muß mit griechischen Mustern verglichen werden, mit welchen sie
auch den so seltenen Vorzug teilt uns einen reinen, bestimmten und immer
gleichen Genuß zu gewähren. Schiller findet also ganz dasselbe in der
Luise, was wir von Hermann und Dorothea gerühmt haben: den antiken
Geist, die Naivetät der Auffassung und Darstellung. Voß selbst hatte
eine hohe Meinung von seinem Gedicht und sah das Erscheinen von Hermann
und Dorothea als einen Triumph mehr für sich an. Er schreibt 1797 an den
alten Gleim, einst den Mäcen aller jungen Dichter, jetzt einen
Allerweltsversmacher, der von der neuen klassischen Poesie nichts
begriff: Sie werden für manche zu eilfertig gearbeitete Stellen durch
sehr schöne entschädigt werden; die zur Vorrede bestimmte Elegie beweist
hinlänglich, daß es ihm Ernst war etwas wo nicht Homerisches, doch
Homeridisches aufzustellen, um auch diesen Kranz des Apollo zu gewinnen;
ich werde mich herzlich freuen, wenn Griechenlands Geist uns Deutschen
ein vollendetes Kunstwerk gewährt, und nicht engherzig nach meiner Luise
mich umsehen; aber ebenso ehrlich denke ich für mich und sage es Ihnen:
Die Dorothea gefalle, wem sie wolle; Luise ist sie nicht; sieh, ich
wollte keck thun und fühle doch, daß ich rot werde. Gleim machte daraus
den Vers:

    Luise Voß und Dorothea Goethe,
    Schön beide wie die Morgenröte,
    Stehn da zur Wahl
    Und Wahl macht Qual.
    Hier aber, seht, ist nichts zu quälen,
    Hier kann die Wahl nicht fehlen:
    Luise Voß ist mein in Lied und in Idyll;
    Die andre nehme, wer da will.

Auch die Luise ist ein Idyll und schildert häusliche beschränkte
Zustände, einfältige sittlichreine gemütvolle Menschen. Die Sitten eines
Landpfarrerhauses in Norddeutschland treten uns in dem Rahmen des
Gedichtes mit allem Detail entgegen. Luise, die Tochter wird mit dem
Kandidaten Walther vermählt und zieht als künftige Frau Pastorin von
Grünau nach Seldorf. Der ehrwürdige Pfarrer von Grünau, die geschäftige
Mutter und Hausfrau, die gräfliche Nachbarschaft, Hans der Knecht,
Susanne die Magd bilden zusammen einen gemütvollen ländlichen Kreis,
dessen Thun und Reden uns durch manchen Zug echter Menschlichkeit rührt.
Soweit enthält das Gedicht denselben idyllischen Grundton wie Hermann
und Dorothea, gleich welchem es auch in Hexametern geschrieben ist. Aber
Hermann und Dorothea ist nicht bloß ein Idyll, sondern auch ein Epos. Es
hängt durch tausend Fäden mit dem ganzen Menschenleben zusammen, von dem
es ein Stück ist; jede einzelne Empfindung mündet in den Strom großer
objektiver weltbewegender Mächte, während in der Luise der Blick in den
kleinen Familienvorgängen des engen Pfarrhauses gebannt bleibt. So
vollzieht sich in dem Goetheschen Gedicht auch eine wirkliche
Begebenheit, mit welcher zugleich die Charaktere sich entwickeln und in
der ein Menschendasein handelnd den Reichtum seines Inhalts, seiner
Motive und Richtungen darlegt; eine stille sichere, gemessen wandelnde
Erzählung führt von der freundlichen Ruhe unerschlossener Existenz zu
Konflikten und Gegensätzen, von da in die Grundempfindung der
Versöhnung, in die Vernunft und Schönheit sittlicher Ordnung zurück.
Vossens Luise beschreibt etwas Vorhandenes. Luise ist die Braut Walthers
von Anfang an und die geschilderten Lebensverhältnisse werden nicht
durch Störung oder Kampf gezwungen, ihren Inhalt zu bewähren. Das
vossische Gedicht ist also ein reines Idyll mit allem Unzureichenden,
was diese Gattung hat, mit allem Ueberdruß, den sie so leicht erregt,
und aller Armut trotz der gehäuften konkreten Züge. Sehen wir weiter auf
die poetischen Kräfte, die in beiden Gedichten wirksam sind, so geht uns
vollends alle Vergleichung aus. In Hermann und Dorothea öffnet uns ein
Dichtergenius eine ideale, durch das Feuer der Phantasie von allen
Schlacken geläuterte Welt; in Voßens Luise kopiert ein niederländischer
Genremaler ängstlich und genau die kleinsten Bestimmtheiten der
Wirklichkeit. Essen und Trinken, die Mahlzeit vom ersten bis zum
letzten Gericht, die Kleider, der Schlafrock, das Pfeifenrohr, die ganze
Hauseinrichtung, alle Verrichtungen des täglichen Lebens werden in
ausführlicher Malerei aufgeboten, um unsrer Anschauung Realität zu
bieten; dennoch will sich das Bild nicht beleben, es bleibt tot. Auf
mechanische Weise stellt sich Zug neben Zug; die Schilderung erwächst
nicht organisch aus innerem Kern durch den bildenden Instinkt der
Phantasie. Die Goetheschen Personen sind poetische Geschöpfe, sie sind,
wie wir schon oben sahen, Typen und Individuen zugleich; die vossischen
sind eine mechanische Mosaik, Kinder der Reflexion. Der Dichter fragte
sich: wie muß eine Mutter sich benehmen? wie machen es die Mütter
gewöhnlich? wie zeigt sich eine Pfarrersfrau? und nun wandte er die
Züge, die er durch Reflexion über das Mutter- und Gattenverhältnis
gefunden, auf seine Pfarrerin von Grünau an. Ebenso der Vater: er ist
der individualisierte Pfarrer- und Hausvaterstand, der norddeutsche
Pfarrer, wie ihn die Beobachtung findet und die Abstraktion sich denkt.
Daher fehlt den Personen die innere Beseelung, welche die Gebilde
schöpferischer Phantasie durchdringt; so fehlt die Kunst des
Wesentlichen, des Vor- und Rücktretens der Züge, die Kunst idealer
Zeichnung, die, wahrer und konsequenter als die Natur, doch nicht in
jedem einzelnen Punkte nach Verkörperung strebt. Dieselbe bewußte
Absicht zeigt sich in der überall hervortretenden bestimmten Tendenz des
Dichters. Er will uns ein Gemälde reiner Sitten geben; seine letzte
Triebfeder ist nicht der Reiz des Schaffens, sondern moralische
Stimmung, soziale Beobachtung, sittengeschichtliches Interesse.
Aufklärung, Widerwille gegen Dogmen, werkthätige liebevolle Religiosität
erscheint als eine Herzensangelegenheit des Dichters, aber sie geht
neben seinem poetischen Bilden einher, sie wird direkt gepredigt, es
werden sogar Bücher genannt, die sich darauf beziehen, so daß wir uns
aus dem Reiche ästhetischer Freiheit auf den Boden der Erde
zurückversetzt finden. Auch in der äußern Form endlich suchen wir
vergeblich die edle Grazie, die liebliche Anmut und harmonische
Vollendung von Goethes Gedicht. Absicht, Mühe, Unnatur, Verkünstelung
entstellt den Ausdruck und Vers fast überall. Mit diesen
spondeenreichen Hexametern voll Zwang und Arbeit, mit dem Tone kostbarer
Gesuchtheit kontrastiert dann seltsam der Naturalismus einzelner Worte
und Vorfälle, ebenso mit der durchgängigen lastenden Schwere des
Ausdrucks der hin und wieder gemachte Versuch dichterisch spielen und
tändeln zu wollen. Was Voß in allen Gedichten abging, Feinheit der
Technik, fehlt auch seiner Luise. So sind auch die Nachahmungen Homers
und der Alten lange nicht so anmutig in das Ganze verwebt als bei
Goethe; sie ragen mehr oder minder als fremde Stücke aus der Rede
hervor, ohne in ihren Strom zu verfließen.

Fehlt es auf diese Weise dem vossischen Gedicht an Idealität, so leidet
Klopstocks Messias an dem entgegengesetzten, für die Kunst, die am
wenigsten der Sinnlichkeit entbehren kann, noch viel schlimmeren Fehler
des Mangels an Realität. Klopstock hat religiöse Abstraktionen in
Handlung gesetzt, denen aller Zauber lebendiger Gegenwart, alle Wärme
pulsierenden Lebens abgeht. Eben weil sie Abstraktionen sind, duldeten
sie kein näheres Eingehen; wie gestaltlose Schatten wallen sie an uns
vorüber. Voß ist ein Genremaler, Klopstocks Messias eine lange unfaßbare
Musik. Die Handlung ist keine wahre und wirkliche, auf konkreten
Verhältnissen und menschlichen Triebfedern ruhende und in dem
Zusammenhang der Welt begriffene; sie geht über dem Wirklichen in leeren
Räumen vor sich und verläßt die Erde, den vertrauten Wohnsitz der
Menschen. Ueberall nicht sowohl erfülltes Leben als abstrakte Beziehung
auf das dogmatische System, statt anschaulicher Gegenwart zerfließende
religiöse Sentimentalität. Wie anders wäre ein Dichter von wirklicher
Gestaltungskraft verfahren! Das damalige Palästina in seinem
historischen Zustande, die herrschenden Römer, die pharisäischen
Priester mit ihrer Sophistik und ihrem starren Halten an der Satzung,
das Volk der Juden selbst, die auf religiöse Innigkeit dringende, dem
Gesetz die Gesinnung entgegenhaltende neue Sekte der Christen; dazu die
durch Tradition gegebene, nur weiter auszufüllende und zu belebende
Geschichte Christi, die von dem Zwang des Dogmas befreit, aus der
falschen transzendenten Höhe mitten in das Leben verlegt, in einem
schönen Bilde voll Bedeutung und Wärme eine edle Menschlichkeit vor uns
hätte entfalten können; in den Gruppen der politisch Herrschenden und
Beherrschten, der religiös Gebietenden und sich Auflehnenden wirksam
sich entgegenstehende Massen; in den Individualitäten Jesu, des
Verräters Judas, der übrigen Jünger u. s. w. mit einander
kontrastierende, leicht zu gruppierende Charaktere; die Aussicht auf die
einstige Größe der neuen Religion, die antizipierenden Blicke auf die
Geschichte der Kirche wie bei Virgil auf die spätere römische
Weltherrschaft; endlich die südliche Natur des Landes und die damit
zusammenhängenden Sitten, die Palmen und Kamele, Wüsten und Quellen, der
Oelberg und der Tempel, das wunderbare tote Meer -- alles dies gab einer
wahrhaft bildenden Phantasie den reichsten Stoff eine handelnde
konkrete, menschlich das Herz ergreifende Welt zu schaffen. Statt dessen
ging Klopstock an sein Gedicht nicht als gestaltender Epiker, sondern
als musikalischer Lyriker, nicht mit der freien, der Natur der Dinge
sich hingebenden Anschauung des Dichters, sondern mit der Andacht eines
seiner Sünde sich bewußten Herzens, das seine Bedürfnisse mit Hilfe
endlichen Verstandes zu übersinnlichen Wesen macht, denen man nicht
nahen darf, ohne daß sie sich wie alle Abstraktionen in das Nichts
auflösen. Daher in dem ganzen Epos nichts als Empfindungen, daher
Erhabenheit die einzige Stimmung. Der Dichter sucht unablässig zu
steigern, höher zu fliegen, Erweiterung auf Erweiterung zu häufen; er
streift alles sich begrenzende, sich individuell zusammenfassende Leben
ab und findet sich zuletzt in der erhabenen anschauungslosen Leere, in
dem reinen Reich unsagbarer Empfindung; er verstummt. Ermüdung und
Langeweile überfällt den Leser nach wenigen Schritten, die er durch
diese Sammlung von leeren Empfindungen und Reden gemacht hat. Alles
Sinnliche und Körperliche, alles wahrhaft Natürliche und Reelle liegt
tief unter uns; wir steigen von Anbetung zu Anbetung, von Greuel und
Grauen zu Greuel und Grauen; beides als bloß abstrakt kann uns nicht in
wirklichen Umrissen und Farben, sondern nur mit Worten gereicht werden.
Ausrufungen, Floskeln rhetorischer Erhabenheit, Hymnen, Jubel- und
Verzweiflungsgesänge ersetzen die lebenbeseelte Menschen- und Naturwelt
einer wirklichen Dichterphantasie. Zu alledem kommt die Gezwungenheit
der Sprache, aus der uns gleichfalls nicht die Laute vertraulich
redender Menschengeschlechter entgegentönen; sie ist wie durch den Ruck
eines Zauberschlüssels aus der natürlichen Stimmung gedreht, sie ist
immer wie außer sich, sie schreit, sie ruft, sie windet sich
konvulsivisch; harte Worte reiben sich knarrend aneinander, hohle Töne
hallen durch die gestaltlose Oede.

So sind denn beide Gedichte, die idyllische Luise wie der erhabene
Messias, Mißgeschöpfe nach entgegengesetzter Richtung hin. Verschmäht es
die Kunst, täuschende Wachsfiguren zu bilden, so hascht sie noch viel
weniger nach Traumbildern: ihre Marmorgestalten sind wahre und dennoch
ideale, natürliche und doch überirdische, lebenerfüllte und doch stille
und kalte Wesen. Wie keusch ist der Dichter von Hermann und Dorothea in
individualisierenden Einzelheiten des Lebens, in Essen und Trinken,
Kleidern, Sitten, Idiotismen der Umgangssprache dem Dichter der Luise
gegenüber! Wie heiter sinnlich entfaltet er in bestimmten Handlungen,
Lokalitäten, menschlichen Motiven das Gemälde vor uns, verglichen mit
den sich jagenden Phantasmagorieen und der verhallenden Musik des
Klopstockischen Gedichts! Er läßt die Charaktere durch Handlungen vor
uns entstehen, während in der Luise nur Beschreibung ist; er nüanciert
und individualisiert sie, während die Personen Klopstocks als
verkleidete Abstraktionen des Guten und Bösen, der Allmacht und Unmacht
u. s. w. alle den gleichen wesenlosen Typus tragen. Von einer Tendenz
ist in Hermann und Dorothea keine Spur; Voß und Klopstock sind beide
Theologen, der eine ein rationalistischer, der andre ein orthodoxer, und
beide haben theologische Absichten. Aus Hermann und Dorothea weht uns
ein geläuterter Geist echter Humanität an, der eins ist mit dem Element
ästhetischer Freiheit und schöner Kunstdarstellung; bei Klopstock
verdrängt Gebet und Fluch die stille Heiterkeit des bildenden Dichters,
die theologische Satzung den Geist freier Betrachtung der Dinge. Beide
Dichter endlich, Voß sowohl als Klopstock sind deutsch und national,
aber ebenfalls in beschränkter Weise. Voß malte manche Seiten
norddeutschen Seins und Lebens mit Glück und befreundete sich mit den
ehrbaren Gestalten begrenzter Sittlichkeit in derjenigen Sphäre, welcher
er durch seine Geburt angehörte, aber er erschöpfte den Gehalt des
deutschen Volkes nicht, sein Deutschtum ist zu eng; Klopstock besang den
leeren Begriff Vaterland und fuhr auf den Flügeln der Begeisterung für
alles Germanische dahin, aber er verkehrte nicht freundlich und
vertraulich mit den konkreten Interessen und den wirklichen Zuständen
des deutschen Volkes und Landes, sein Deutschtum ist zu abstrakt. Es
kostete darum Klopstock auch nichts in seinem Hauptgedicht, welches als
Epos vor allem einen nationalen Boden verlangte, den Kreis des
Vaterländischen zu verlassen und dem religiösen, wohl auch dem
theologischen Interesse auf Kosten des nationalen Genüge zu geben,
welches ihm Goethe in dem Gedicht »die Kränze« auf gewohnte
mildentschuldigende Weise vorwarf. Goethe ist auch nationaler als beide
Dichter, er ist deutscher als irgend einer unsrer Dichter, obgleich er
nie für Arminius geschwärmt, den Welschen immer freundlich gewesen und
seinen Widerwillen gegen eine christlich-germanische Erneuerung des
Mittelalters nicht verhehlt. In Hermann und Dorothea ist deutscher Geist
in echter Wesenhaftigkeit: da aber alles Krankhafte und Irrige, worin
dieser Geist sich selbst verlor, von dem Gedicht ausgeschlossen blieb,
so erscheint es ebenso deutsch als homerisch und human.

Wir haben im Obigen über beide Gedichte, die Luise und den Messias,
etwas hart geurteilt, weil es uns darauf ankam, ihr poetisches
Wertverhältnis zu Hermann und Dorothea deutlich zu betonen. Für sich
betrachtet haben beide gewiß manche Schönheiten, die Luise im naiven,
die Messiade im sentimental-elegischen Tone; den, der die höchsten
Forderungen mitbringt, können sie nicht befriedigen. So ist denn auch
Klopstocks Messias nach einer oft gemachten Bemerkung längst schon ohne
Leser; und von Vossens Luise bleibt August Wilhelm Schlegels Ausspruch
wahr: Bei der Nachwelt wird es Luisen empfehlen können, daß sie Dorothea
zur Taufe gehalten hat.



Anmerkungen.


Die eigenartigen grossen Vorzüge der Auffassung und Darstellung, die aus
Viktor Hehns Gedanken über Goethe (zweite Auflage, Berlin 1888) allen
wahren Freunden unsres Dichters bekannt und liebgeworden sind, die Wärme
der persönlichen Hingabe, die Kraft individuellster Anschauung, das
feine Verständnis für den innersten Wesensgehalt der Poesie und
besonders der Goetheschen Poesie finden sich in vollem Masse auch in
seinen Betrachtungen über Hermann und Dorothea, Goethes innigste und
vollendetste Dichtung. Hehns Manuskript lag fast ganz druckfertig vor
und bedurfte nirgends grösserer Aenderungen: schade nur, dass es nicht
lückenlos erhalten ist. Zwar fehlt nichts Grösseres und Vollständiges,
denn alle in der Disposition S. 6 aufgezählten Punkte kommen in unserm
Texte zur Behandlung; aber an zwei Stellen fehlen leider Bogen, die den
Schluss von Kapiteln enthalten haben. So sollten sich S. 26 noch
Betrachtungen anschliessen, die mit Gedanken über die Spuren der
Entstehung der Tragödie bei den Griechen aus dem Epos beginnen, welche
aber wegen ihres durchaus fragmentarischen Charakters von mir ganz
fortgelassen sind; ihre Ausdehnung lässt sich nicht ermessen und auch so
hat das Kapitel befriedigenden Abschluss. Dann fehlte der Schluss des
Kapitels über die Lebenssphäre, wo ich S. 114 wenigstens den Schluss des
abgebrochenen Satzes und der Betrachtung aus den Gedanken über Goethe S.
253 hierher übernehmen konnte; vielleicht hat noch mancher andre Zug,
der dort sich findet, hier näher beleuchtet werden sollen. Viele Sätze
und auch zuweilen grössere Abschnitte unsres Buches, die ich unten
verzeichnet habe, finden sich schon in den Gedanken über Goethe: sie
konnten hier im Zusammenhange nicht entbehrt werden, wenn sie auch der
Verfasser, der wohl an eine Herausgabe unsres Buches nicht mehr dachte,
schon dort in weiterer Ausgestaltung verwertet hat. Ausgeschieden aus
dem Text, um den ruhigen Fluss genussreicher Lektüre nicht durch öde
Zahlen zu unterbrechen, habe ich alle genaueren Zitate: ich bringe sie
hier in den Anmerkungen nach, denen ich auch einige kleinere auf
zerstreuten Blättern erhaltene Parerga Hehns eingefügt habe; meine
eigenen Zuthaten, meist Literaturnachweise bringend, nehme man für
nichts als anspruchslose Glossen, die ich dem mir liebgewordenen Buche
nicht vorenthalten mochte.



Einleitung.


S. 2. Rötscher, Zum Verständnis des Goetheschen Faust, erschienen in
seinen dramaturgischen und ästhetischen Abhandlungen (Leipzig 1846) S.
36.

Viehoff, Goethes Gedichte erläutert und auf ihre Veranlassungen, Quellen
und Vorbilder zurückgeführt nebst Variantensammlung und Nachlese, 3
Bände, Düsseldorf 1846-53, die 3. Auflage erschien Stuttgart 1876; vgl.
über ähnliche Dinge Scherer, Aufsätze über Goethe S. 5.

Grün, Ueber Goethe vom menschlichen Standpunkte, Darmstadt 1846; vgl.
auch S. 46. 48. Das eigenartige Buch, so sehr es oft Goethes innerstes
Wesen verkennt und seiner Poesie nicht gerecht wird, enthält doch eine
Reihe sehr anregender und tüchtiger Betrachtungen.

S. 3. Die gesamte Literatur über Hermann und Dorothea verzeichnet jetzt
am ausführlichsten Max Koch in der 2. Auflage von Goedekes Grundriss zur
Geschichte der deutschen Dichtung Band 4, S. 689.

Schlegel besprach Goethes Hermann und Dorothea in der Jenaischen
allgemeinen Literaturzeitung 1797 Nr. 393-396, wiederabgedruckt in
seinen Charakteristiken und Kritiken Band 2, S. 260 und seinen
sämtlichen Werken Band 11, S. 183; vgl. auch S. 5. »August Wilhelm
Schlegels ästhetische Kritik kann sich sicherlich mit allem, was die
damalige Zeit hervorbrachte, auch der philosophischen Tiefe nach messen
und fand erst an Hegels und Vischers Aesthetik eine ebenbürtige
Fortsetzung und beziehungsweise Gegnerschaft.... Gleich seine ersten
kritischen Versuche in Jena, über Goethes römische Elegieen und über
Hermann und Dorothea, ragten sowohl historisch als theoretisch über das
Gewöhnliche hoch hinaus. Die römischen Elegieen, die ein bedenkliches
moralisches Wagnis schienen, besprach er mit einer Sachkenntnis und
Wärme, mit einem freien poetisch-sittlichen Gefühl, wie man es den
damaligen und späteren Geschmacksrichtern und Neidern, z. B. Herder,
wohl hätte wünschen mögen.... Wie über die römischen Elegieen war auch
August Wilhelm Schlegels Charakteristik von Hermann und Dorothea eine in
wenig Worten erschöpfende Vorausnahme alles dessen, was jemals über dies
Epos einsichtiges gesagt worden ist« Gedanken über Goethe S. 112. 113.
114. Hehn selbst verdankt Schlegels Rezension in seinen Betrachtungen
viele Anregung, namentlich in den Kapiteln über das Epos und die
Homerismen.

Yxem, Ueber Goethes idyllisches Epos Hermann und Dorothea, erschienen in
von der Hagens Germania (Neues Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft
für deutsche Sprache und Altertumskunde) Band 2, S. 98.

Humboldt, Aesthetische Versuche, erster Teil, über Goethes Hermann und
Dorothea, Braunschweig 1799, wiederabgedruckt in seinen gesammelten
Werken Band 4, S. 1; die 4. Auflage der Einzelausgabe (Braunschweig
1882) enthält wertvolle geschichtliche Vorerinnerungen von Hettner; vgl.
auch S. 5. 77. 95. 136. »In diesem Buche, das von dem Goetheschen
Gedichte handeln will, verschwindet dasselbe als poetisches Individuum
fast ganz unsern Augen und es wird in Weise Schillers, nur noch körper-
und inhaltsloser, über Gattungen und Formen reflektiert und die
Ueberlegung hin und her gewendet, ohne dass sich etwas Greifbares ergäbe
... Humboldts ... Anlage, die als Adel der Gesinnung und Idealität, aber
auch als Eleganz und Kälte bezeichnet werden kann« Gedanken über Goethe
S. 114. 226. Vorurteilsfreier und liebevoller wird Humboldts grosses
Werk von Hettner in den oben erwähnten Vorerinnerungen gewürdigt, die in
ihren Schlussbetrachtungen den richtigen Schlüssel für das Verständnis
des Buches geben: es muss durchaus in festgefügtem Zusammenhang mit
Humboldts sprachwissenschaftlichen und streng-philosophischen Ansichten
betrachtet werden. Tieferes Verständnis irgend einer Seite von Humboldts
Wesen und Leistungen ist ohne eingehende Verwertung von Steinthals
unübertrefflichem Kommentar zu den sprachphilosophischen Werken (Berlin
1884) überhaupt unmöglich.

Schillers Eindruck von Humboldts Werk ersieht man am besten aus seinem
Briefe an Humboldt vom 27. Juni 1798 (Briefwechsel zwischen Schiller und
Humboldt S. 297), den mir Hehn jedoch unrichtig in seiner Grundstimmung
zu deuten scheint; Goethes Ansicht erhellt aus seinem Schreiben an
Humboldt vom 16. Juli 1798 (Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von
Humboldt S. 55).

S. 4. Hillebrand, Die deutsche Nationalliteratur seit dem Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts, besonders seit Lessing, bis auf die Gegenwart
handelt im 2. Bande S. 236 über unser Gedicht; vgl. auch S. 5. »Selbst
Joseph Hillebrand, der von allen Literarhistorikern Goethe am tiefsten
erkannte, hat sich von Gervinus nicht ganz freihalten können.... Wo
Hillebrand selbst spricht, da ist er vortrefflich« Gedanken über Goethe
S. 171, Anm. 2.

Gervinus spricht über Hermann und Dorothea im 5. Bande seiner Geschichte
der deutschen Dichtung S. 522; vgl. auch S. 5. 40. 131. »Er schrieb eine
Geschichte der deutschen Dichtung, wie er sein Buch nannte, in nicht
dichterischer, sondern moralisch-prosaischer Absicht, wo natürlich alle
Grössenverhältnisse sich umkehrten. Er schätzte das jedesmalige
poetische Produkt nicht nach seinem eigenen inneren Werte, auch nicht
als Glied einer fortgehenden Entwicklung, sondern insofern es ein Mittel
werden konnte die ästhetische Stimmung aufzuheben und statt des
literarischen ein politisches Zeitalter mit Bürgerfreiheit und
nationaler Grösse, wie er, Gervinus, sie konstruiert hatte,
herbeizuführen.... Gervinus wurde eine viel studierte Autorität und mit
seiner Doktrin, die Epoche der schönen Seelen sei vorüber und die des
Heroismus angebrochen, neben den übrigen badischen und rheinischen
Professoren der Führer in dem allgemeinen Umschwung. Und sieht man
jetzt, nachdem ein halbes Jahrhundert darüber hingegangen, auf ihn
zurück, so muss man bekennen, er war eigentlich ein beschränkter
Querkopf, der sich selbst oft eigensinnig das Ziel verrückte; kein
rechter Gelehrter, obwohl er als Literarhistoriker viel hatte lesen
müssen; ursprünglich ein Kaufmann, und was dem fehlt, holt man
bekanntlich nie wieder ein. Seine unharmonische Natur malte sich in dem
unerträglich harten Stil: man legt seine Bücher mit dem Gefühl aus der
Hand, als hätte man sich durch ein Dorngestrüpp durcharbeiten müssen und
stünde nun mit zerrissenen Kleidern und zerzausten Haaren da; aber eben
dadurch wuchs sein Ansehen, denn die schöne Form hat in Deutschland
immer verdächtig gemacht« Gedanken über Goethe S. 165. 167. Es ist, als
wenn Hehn nie Gervinus' herrliches Shakespearebuch gelesen hätte; sein
Urteil ist mit Ausnahme der Stilbemerkung recht unbillig und ohne rechte
Fühlung mit Gervinus' innerster Eigenart. Sympathischer und richtiger
ist Hermann Grimms Urteil, der in seinem Goethe S. 90 eine Lanze für den
Schöpfer unsrer Literaturgeschichte bricht; vgl. auch Scherer,
Geschichte der deutschen Literatur S. 723.



Hermann und Dorothea.


S. 5. Das zitierte Urteil Schillers steht in seinem Briefe an Heinrich
Meyer vom 21. Juli 1797 (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe Band
1, S. 296 Spemann).

S. 6. Rosenkranz, Goethe und seine Werke S. 346.

Tag- und Jahreshefte von 1796: Goethes Werke Band 35, S. 65 Weimarische
Ausgabe; vgl. auch S. 57. »Mit Rührung erinnere ich mich, wie uns Goethe
in tiefer Herzensbewegung unter hervorquellenden Thränen den Gesang, der
das Gespräch Hermanns mit der Mutter am Birnbaume enthält, gleich nach
der Entstehung vorlas. So schmilzt man bei seinen eigenen Kohlen, sagte
er, indem er sich die Augen trocknete,« berichtet Karoline von Wolzogen
in ihrem Leben Schillers S. 225 Cotta, wiederabgedruckt in Goethes
Gesprächen Band 1, S. 186.

Jean Pauls Charakteristik wird auch S. 45 erwähnt.

S. 11. Im neuen literarischen Anzeiger von 1807 bemerkt Jakob Grimm: »es
ist ungereimt ein Epos erfinden zu wollen, denn jedes Epos muss sich
selbst dichten, von keinem Dichter geschrieben werden«; die Stelle ist
wiederabgedruckt in seinen kleinen Schriften Band 4, S. 10, Anm. 4;,
vgl. auch S. 14. Wie wir heutzutage über dieses Grundprinzip Grimms zu
denken haben, zeigt Scherer in seinem Jakob Grimm S. 145 und in seiner
Poetik S. 133.

S. 12. Hegel, Vorlesungen über Aesthetik Band 3, S. 332; vgl. auch S.
13. 45. 109. Bei Hegels Auftreten »öffnete sich ein unermesslicher
Reichtum vor den trunkenen Blicken, die wiedergewonnene Heimat des
Geistes, und vor der Wärme dieses neuaufgegangenen Frühlings schmolzen
die starren hartnäckigen Trennungen des abstrahierenden Verstandes und
der dualistischen Moral« Gedanken über Goethe S. 15. Hehns
philosophische Ansichten sind durchgehends von Hegel beeinflusst (vgl.
Dehio in Hehns Italien S. VI); auch seine in unsrem Werke
ausgesprochenen allgemeinen Ansichten von Poesie und ihrer Entwicklung
fussen überall auf dem Lebensboden der Hegelschen Aesthetik, dem
greifbarsten und bleibendsten Werke des Philosophen; doch drängt sich
nirgends der Anschluß an den verehrten Meister übermässig oder störend
hervor; der genauer Vergleichende findet oft Aehnlichkeiten bis in den
Ausdruck hinein. Vor unstatthafter Einmischung Hegelscher Dialektik
bewahrte Hehn sein feines poetisches und menschliches Gefühl für die
Gestalten und Formen Goethescher Dichtung.

Herodot sagt im 2. Buche § 53 von Hesiod und Homer: οὗτοι δέ εἰσι οἱ
ποιήσαντες θεογονίην Ἕλλησι, καὶ τοῖσι θεοῖσι τὰς ἐπωνυμίας δόντες καὶ
τιμάς τε καὶ τέχνας διελόντες καὶ εἔδεα αὐτῶν σημήναντες.

S. 13. Hegel, Vorlesungen über Aesthetik Band 3, S. 388.

S. 20. Die homerischen Beispiele finden sich Odyssee Buch 19, Vers 392
und Ilias Buch 21, Vers 34.

S. 23. Gemeint ist Herders Aufsatz im 5. Bande der Adrastea »Vom
Langweiligen, das die Epopöe oft begleitet« sämtliche Werke Band 24, S.
284 Suphan. Ich verdanke den Nachweis der Freundlichkeit Bernhard
Suphans.

Mit der Natur der epischen Poesie beschäftigen sich noch einige Blätter
aus Hehns Nachlaß, aus denen ich hier folgendes mitteilen möchte:

     »Das Epos hat mit der Plastik und deren Objektivität im Sinne
     sowohl des substanziellen Gehalts als auch der Darstellung in Form
     realer Erscheinung die meiste innere Verwandtschaft. Darum blühte
     beides in Griechenland. Die Welt der homerischen Gedichte ist in
     der schönen Schwebe zwischen den allgemeinen Lebensgrundlagen der
     Sittlichkeit in Familie, Staat, religiösem Glauben, Recht, und der
     individuellen Besonderheit des Charakters, in dem schönen
     Gleichgewicht zwischen Geist und Natur, zweckvoller Handlung und
     äußerem Vorgang, nationaler Basis der Unternehmungen und einzelnen
     Absichten und Thaten; die freie Bewegung einzelner Helden erscheint
     gemäßigt durch den Ernst des Schicksals und die Bestimmtheit der
     Zwecke. Daher auch die Naivetät der erscheinenden Göttergebilde,
     die ganz menschlich und es doch nicht ironisch sind.

     Das Epos, seines poetischen Gewands entkleidet, gibt dasjenige, was
     Geschichte in geistvoller Behandlung und Naturbeschreibung in ihrer
     größten Allgemeinheit gewährt, einen vollkommenen Ueberblick über
     die Menschheit und die Natur in ihrer Verbindung. Nur daß der
     Dichter nicht die Vollständigkeit der Objekte braucht, sondern
     mittelst eines einzelnen Objekts noch mehr leistet, da er das Gemüt
     in eine unendliche Stimmung versetzt. Der epische Dichter genießt
     die weiteste Aussicht; seine Dichtung ist am meisten fähig den
     Menschen mit dem Leben zu versöhnen.

     Das Epos gibt der Musik Gestalt, der Skulptur Bewegung und Sprache.

     Idyll heißt nicht bloß eine Dichtungsart, sondern eine
     Empfindungsweise. Die Idylle beschreibt einen Zustand, das Epos
     erzählt eine Handlung.

     Der Kampf individueller Charaktere, Zwecke und Leidenschaften mit
     den objektiven Mächten führt zur dramatischen Poesie. Das Epos
     fordert aber noch jene unmittelbare Einheit von Empfindung und
     Handlung, von inneren konsequent sich durchführenden Zwecken und
     äußeren Begebenheiten, eine Einheit, welche nur in den ersten
     Perioden des nationalen Lebens vorhanden ist. Indes ist die epische
     Kunst selbst später als jener naive unmittelbare Volkszustand, der
     unbefangen sich in seinem poetischen Dasein heimisch fühlt. Homer
     und Ossian folgen der von ihnen geschilderten Zeit.

     Dennoch muß der epische Dichter ganz in den geschilderten
     Verhältnissen und diesem Glauben stehen und er bringt nur die Kunst
     der Darstellung, das poetische Bewußtsein hinzu. Fehlt diese
     Verwandtschaft im Leben und Vorstellen, so wird das Gedicht
     disparat. Die Scheidung zwischen dem künstlerischen Geist und der
     geschilderten nationalen Wirklichkeit ist unangemessen und störend
     z. B. in Goethes Achilleis. Auf der einen Seite stehen die Szenen
     des vergangenen Weltzustandes, auf der andern Formen und
     Gesinnungen einer davon verschiedenen Gegenwart. Dadurch wird der
     frühere Glaube zu einer kalten Sache, einem Aberglauben, einem
     leeren Schmuck, einer bloßen sogenannten poetischen Maschinerie,
     der alle Lebendigkeit, aller Pulsschlag wahren Lebens, alle Seele
     abgeht.

     Der Weltzustand, in welchem das Epos entsteht, ist ein solcher, daß
     das allgemeine Leben zwar schon eine vorhandene Wirklichkeit ist,
     aber noch im engsten ursprünglichen Zusammenhang mit den
     Individuen, die dies allgemeine Leben bewußtlos als ihr eigenes
     Leben fühlen. Im Epos sollen nicht die Helden einen Gesamtzustand
     erst gründen, denn er fiele dann in das Gemüt und den Willen des
     Subjekts und erschiene nicht als objektiv vorhanden.

     Jedes Epos muß ein bestimmtes Volk schildern. Das Prinzip
     griechischen Geistes lernt man in lauterer Quelle aus Homer kennen.
     Zweierlei Art nationaler Wirklichkeit: positive spezielle Gebräuche
     und Substanz des Volksgeistes, die im Lauf der Zeit unverändert
     bleibt. Hermann und Thusnelda sind uns nicht mehr national, auch
     die Nibelungen können nicht mehr gefühlt werden. Die besondre
     Nationalität muß allgemein-menschliche Geltung haben. So haben
     Homers Gedichte ewige Gegenwart. Das indische Epos ist zu
     überwiegend spezifisch: das Menschliche kann nicht durchbrechen.

     Das Nibelungenlied hat inneres Mark. Auch in ihm ist substanzieller
     Gehalt in Bezug auf Familie, Gattenliebe, Vasallentum, Diensttreue,
     Heldenschaft; dennoch ist die ganze Kollision eher dramatisch und
     tragisch als episch. Die Darstellung hat keinen individuellen
     Reichtum, keine lebendige Anschaulichkeit; sie verliert sich ins
     Harte, Wilde, Grausame; die Charaktere gleichen in ihrer abstrakten
     Schroffheit mehr rohen Holzbildern, als daß sie der menschlich
     ausgearbeiteten geistvollen Individualität homerischer Personen
     vergleichbar wären.

     Die epische Begebenheit muß auf den Boden der sie umgebenden
     totalen Volksnatur gegründet sein, die individuelle That darf nicht
     mit dieser Natur in Gegensatz stehen. Das allgemeine Leben muß in
     so konkreten einzelnen Thaten aufgefaßt sein, daß daraus notwendig
     eine bestimmte Situation, bestimmte Zwecke und Handlungen, eine
     bestimmte Begebenheit hervorgeht. Die einzelne epische Handlung muß
     erstens individuell lebendig und bestimmt sein und zweitens
     epischen Charakter haben; drittens muß sie eine innere
     Notwendigkeit des Fortgangs haben, welche teils als Schicksal,
     teils als offenbare Leitung ewiger Göttermächte erscheint.

     Das epische Geschehen muß in die äußere Realität der umgebenden
     Welt eintreten und nicht bloß innerlich vorgesetzter Zweck des
     Individuums sein, welchen dieses in sich zur Realität bringt.
     Daher ist die epische Begebenheit nicht bloß Durchführung von
     Zwecken, sondern es treten in sie Umstände, Naturereignisse,
     Zufälle u. s. w. ein. Sie ist keine That streng genommen, sondern
     ein Geschehen. Sie muß eine ganz individuelle sein, daher nicht
     bloß Staat, Vaterland, Menschheit das Subjekt sind, sondern ein
     besonderer Held; trotzdem keine Biographie.

     Der epische Charakter muß eine Totalität von Zügen, ein ganzer
     Mensch sein; daher die Breite der Zeichnung nach allen Seiten hin,
     während im Drama das Pathos, die eine Richtung des Menschen
     beleuchtet ist und ihn ganz verschlingt. Als total und das
     Eigentümliche der Nation und Zeit in sich zusammenfassend haben
     diese Helden das Recht, an die Spitze gestellt zu sein. Die Nation
     konzentriert sich in ihnen zum Subjekt. Der epische Charakter geht
     nicht in seinem Zwecke auf; nicht seine Wirksamkeit, sondern was
     ihm begegnet, ist die Hauptsache.

     Der dramatische Charakter macht sich sein Schicksal selber, dem
     epischen wird es durch die Macht der Umstände gemacht. Das Drama
     kehrt das innere Recht der Handlung objektiv heraus, das Epos aber
     stellt das totale Dasein dar und diesem substanziellen Zustande
     folgt das Individuum und leidet demgemäß. Das Schicksal bestimmt,
     was geschieht. Die epische Gerechtigkeit richtet nicht die Person,
     wie die dramatische, sondern die Sache; daher ein Grundzug der
     Trauer.

     Die Notwendigkeit des Schicksals kann doppelt zur Darstellung
     gebracht werden. Der Dichter stellt entweder die Begebnisse hin und
     erklärt ihren Gang nicht durch das Mithandeln ewiger Göttermächte.
     Dennoch muß durch das Ganze sich die Empfindung durchdrängen, daß
     es sich nicht um das bloß Zufällige handelt, sondern die Geschicke
     in sich selbst begründet sind, ohne daß die dunkle Macht deshalb
     hervortritt, bestimmt individualisiert und in ihrer Thätigkeit
     poetisch vorgestellt wird. Hierher gehört das Nibelungenlied. Oder
     es erscheint eine vielgestaltige Götterwelt, welche eingreift.
     Zwischen Göttern und Menschen ist wechselseitige Selbständigkeit
     nötig. Die ersteren dürfen nicht leblose Abstraktionen, die
     Menschen nicht bloß willenlose Werkzeuge sein. Im Christentum haben
     die Engel und Genien zu wenig Körper. In Bezug auf die Götterwelt
     besonders ist der Unterschied künstlicher und ursprünglicher Epen
     wichtig: so bei Virgil und Homer. Die Anschauungsweise des Dichters
     und der dargestellten Welt bei Virgil ist nicht im Einklang: die
     Götter sind bloße Erdichtungen, künstliche Mittel, mit denen es
     nicht Ernst ist. Bei Homer schweben die Götter in dem magischen
     Licht zwischen Dichtung und Wahrheit: der Glaube an sie ist der
     Glaube an den substanziellen Gehalt, den sie repräsentieren.
     Gemacht sind auch Milton, Bodmer, Klopstock, Voltaire; überall
     Zwiespalt des Inhalts und der Reflexion des Dichters. Bei Klopstock
     spukt Wolffsche Metaphysik. Gottvater und die himmlischen
     Heerscharen sind gar nicht zur Individualisierung gemacht, wie die
     homerischen Götter. Klopstocks Welt ist bodenlos, seine Engel und
     Teufel leere Einbildung, Abbadonna, der bekehrte Teufel, eine
     absurde Inkonsequenz des Lasters, des personifizierten Lasters.
     Klopstock gefällt sich in unrealen Personen und Dingen, die nicht
     aus der wirklichen Welt und deren poetischem Gehalt herausgegriffen
     sind. Moralische Weltrichterschaft geht auf Allgemeines, während
     Dante bestimmte Personen verurteilt. Die Reden der Erzväter und
     biblischen Figuren stimmen schlecht mit der geschichtlichen Gestalt
     zusammen, in der wir sie kennen. Der historische Fond ist hier
     verflüchtigt, im ganzen Gedicht viel Hohles, Abstrakt-Verständiges
     und zum absichtlichen Gebrauch Herbeigeholtes.

     Das Epos muß Einheit und Rundung haben. Dadurch ist es ein Werk der
     freien Kunst, während die Wirklichkeit sich zerstreut, in einem
     endlosen Verlauf von Ursachen, Wirkungen und Folgen sich fortzieht.

     Das Epos blüht nur in Zeiten ruhigen Behagens, es stirbt in Zeiten
     drangvoller Arbeit, rapider Entwicklung. Mit der fortschreitenden
     Kultur ist zugleich Entzweiung gegeben, darum ist das Epos nicht
     die Kunstform zivilisierter Zeitalter.

     Das Epos floß aus Volksgesängen zusammen. Sobald eine größere Menge
     derselben gegeben, aufgeschrieben und gesammelt war, so kam von
     selbst die Aufforderung sie untereinander zu verbinden. Eine
     Zusammensetzung dieser Art fließt aus dem bestimmten Gedanken, um
     den sich die Teile fest verbinden, den sie halb dem epischen
     Dichter an die Hand geben, den dieser zur andern Hälfte selbst
     ausbildet. Diese Einheit, die man lächerlicherweise als einen
     Beweis gegen die volksmäßige Entstehung der großen Epen hat geltend
     machen wollen, ist die Grundbedingung jedes größeren in ein Ganzes
     geschlossenen Volksepos.

     Die epische Betrachtungsweise des Lebens ist gleich der antiken,
     der griechischen. Konzentration in allem Dichten und Treiben, Liebe
     des Ortes und Vaterlandes, Lebenslust, frohes Ergreifen der nahen
     Gegenwart, Einheitsliebe, Umfriedigung, Geschlossenheit, das
     Unendliche überall als eins und sich verwirklichend in dem
     Einzelnen und Endlichen und Individuellen. Bei den Neueren und den
     nordischen Völkern herrscht phantastische Ausschweifung, die Flucht
     in die Ferne, in das Endlose und in die jenseitige Zukunft. Die
     Tempel der Griechen sind in der schönsten Harmonie des Inneren und
     Aeußeren, mit einem Blick überschaubar; jeder gotische Dom ist mit
     riesenhafter Anlage begonnen, als ob er nie fertig werden sollte:
     theokratische Rundbogen, ritterliche Spitzbogen, industrielle
     Böden; ungeheure Türme, deren Einzelheiten dem Auge verschwinden,
     bei den Griechen Metopen und Skulpturen großartiger, um den
     Eindruck zu lassen, um alles einem Blick zu gewähren.

     Das Epos ist weder komisch noch tragisch: es spaltete sich nicht in
     diese zwei Zweige wie das Drama. Denn indem das Epos erzählt, was
     war, indem es auf ein altertümliches Heroengeschlecht gerichtet
     ist, ist es vorherrschend ernst, ruhig, heiter; das Drama, die
     Gegenwart darstellend, ist teils tragisch teils komisch, wie die
     Begebenheiten der bürgerlichen Welt.

     Das Epos und die naive Dichtung bleibt bei den geschilderten
     wirklichen Zuständen stehen, die sentimentale bezieht sich auf
     Ideen. Das Epos fällt in Zeiten, wo die Kraft der Phantasie
     lebendig ist, daß sie keiner Hilfe bedarf.«

Die feinsinnigsten Bemerkungen über epische Poesie, besonders über Homer
und seine Zeit, die letzthin erschienen sind, finden sich in Hermann
Grimms herrlichem Buche über die Ilias, dessen Fortsetzung jeder echte
Freund der Poesie mit Sehnsucht erwartet.

Die Stelle Goethes an Schiller steht im Briefe vom 9. Dezember 1797
(Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe Band 1, S. 360 Spemann).

S. 24. Ueber Goethes Nausikaa (Werke Band 10, S. 97. 406 Weimarische
Ausgabe) vgl. Scherer, Aufsätze über Goethe S. 177.

S. 25. Schiller urteilt über Goethe in seiner Abhandlung über naive und
sentimentalische Dichtung: »Dieses gefährliche Extrem des
sentimentalischen Charakters ist der Stoff eines Dichters geworden, in
welchem die Natur getreuer und reiner als in irgend einem andern wirkt
und der sich unter modernen Dichtern vielleicht am wenigsten von der
sinnlichen Wahrheit der Dinge entfernt« (Sämtliche Schriften Band 10, S.
476 Goedeke).

Der Goethesche Spruch in den Werken Band 2, S. 216 Weimarische Ausgabe.

S. 26. Goethes Ausspruch über seine künstlerische Befähigung steht in
der italienischen Reise unter dem Datum des 23. Februar 1788 (Werke Band
24, S. 474 Hempel); ein Originalbrief, der diese Worte enthielte, ist
nicht vorhanden.



Wahl des Stoffes. Warum kein politischer.


S. 27. Die Aeusserung Lessings in einem Briefe an seinen Bruder Karl vom
11. November 1774 (Werke Band 20 Abteilung 1, S. 589 Hempel).

Ueber Börnes Beziehungen zu Goethe handelt ausführlich Brandes, Das
junge Deutschland S. 48; vgl. auch Gedanken über Goethe S. 164. 313.

S. 32. Der Ausspruch Leibnizens (_dissertatio de stilo philosophico_ §
12) wird zitiert in Feuerbachs Darstellung, Entwicklung und Kritik der
Leibnizschen Philosophie S. 193.

S. 33. Hehn verweist hier auf Prutz, Geschichte des deutschen
Journalismus Band 1, S. 279.

Ueber Thomasius vgl. Minors Aufsatz in der Vierteljahrsschrift für
Literaturgeschichte Band 1, S. 1. Wertvolle historische Nachweise über
das Deutsche als Universitätssprache enthält die Jenaer Doktorschrift
von Hodermann, Universitätsvorlesungen in deutscher Sprache um die Wende
des 17. Jahrhunderts, Friedrichroda 1891, die leider viel zu wenig
bekannt geworden ist.

S. 36. Ueber die Anredeformeln, wie sie in Goethes Werken vorkommen,
vgl. Gedanken über Goethe S. 274.

S. 37. Mit der obigen guten Charakteristik Lessings vergleiche man die
heissblütige Verkennung seines Verhältnisses zu Goethe in den Gedanken
über Goethe S. 56. Wie kann man Lessing so verkennen und als Neid gegen
Goethe auffassen, was doch nichts als eine leidige Voreingenommenheit
seines Urteils in betreff des Werther und ein gut Teil Heterogeneität
der Natur und Weltanschauung war! Auch Biedermanns Darstellung des
Verhältnisses beider (Goethejahrbuch Band 1, S. 17) befriedigt nicht.

S. 38. »Herder war keine harmonische Natur, sondern eigenwillig und
ungleich, bald weich und freundlich, bald herzlos und ungerecht, von
mehr dialektischem als konstruktivem Geiste, wie Goethe von ihm sagt«
Gedanken über Goethe S. 14.

S. 40. Das Urteil Pfizers in der Vorrede zu seinem Buche: Der Wälsche
und der Deutsche, Aeneas Sylvius Piccolomini und Gregor von Heimburg,
Stuttgart 1844.

Gervinus' Auseinandersetzung über Schillers ästhetische Briefe in seiner
Geschichte der deutschen Dichtung Band 5, S. 468.

S. 41. Guhrauer, Goethe im Verhältnis zu Politik und Geschichte in Brans
Minerva 1846 Band 4, S. 181; vgl. besonders S. 228.

»Nicht Goethe, sondern Schiller war der poetisch vollendete Ausdruck des
achtzehnten Jahrhunderts, der dreifach oder hundertfach erhöhte
Klopstock; Goethe stand im tiefsten Gegensatz zu dem Geiste desselben
und seine Dichtung begleitete dessen Phasen und Epochen keineswegs, wie
öfter mit Unrecht behauptet worden« Gedanken über Goethe S. 109.

Goethes Aeusserung über Zeitungen im 17. Buch von Dichtung und Wahrheit
(Werke Band 29, S. 69 Weimarische Ausgabe).

S. 43. Für die Ehrfurcht vor Höheren verweist Hehn auf Riemer,
Mitteilungen über Goethe Band 1, S. 155.

S. 45. »Und was anders ist der Sinn der ganzen Dichtung von Hermann und
Dorothea, als dass in wilder Zeit, in der Auflösung alles Gewordenen,
doch die heilende Naturkraft sich bewährt und in Haus und Besitz, in
Stiftung der Familie, in begrenztem Dasein und wiederkehrender, sich
bescheidender Thätigkeit die ewige Ordnung unzerstörbar ist?« Gedanken
über Goethe S. 239.

Humboldts Charakteristik der bürgerlichen Epopöe findet sich in § 77
seiner Schrift über Hermann und Dorothea (S. 154 der 4. Auflage;
gesammelte Werke Band 4, S. 205).

Hegel, Vorlesungen über Aesthetik Band 1, S. 238.

S. 46. Ueber Goethes Beziehungen zur französischen Revolution handelt
Hehn ausführlich in den Gedanken über Goethe S. 93.

S. 47. Das Zitat aus Schillers Distichon »Das Höchste« (Sämtliche
Schriften Band 11, S. 74 Goedeke).

S. 48. Dahlmann, Geschichte der französischen Revolution S. 9.

S. 50. Ueber Rafael und Goethe vgl. Hermann Grimm, Goethe S. 183.

S. 51. Ueber Voltaires Schätzung durch Goethe vgl. Hermann Grimm, Goethe
S. 48.



Stoffquelle, Entstehung und Aufnahme.


S. 52. Ein Aufsatz »Ueber den mutmasslichen Stoff zu Goethes Hermann und
Dorothea« erschien im Morgenblatt 1809 Nr. 138.

Panse, Geschichte der Auswanderung der evangelischen Salzburger im Jahre
1732, Leipzig 1827.

Yxem, Ueber die Quelle des idyllischen Epos Hermann und Dorothea von
Goethe, erschienen in von der Hagens Germania (Neues Jahrbuch der
Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache und Altertumskunde) Band
2, S. 137.

S. 55. Goethes Aeusserung an Heinrich Meyer in einem Briefe vom 28.
April 1797 (Riemer, Briefe von und an Goethe S. 51).

S. 56. Schillers Brief an Körner ist vom 28. Oktober 1796 (Briefwechsel
Schillers mit Körner Band 3, S. 374); aus demselben Briefe ist auch das
Zitat S. 57.

S. 57. Die Rezension steht in der Bibliothek der schönen Wissenschaften
und freien Künste Band 61, S. 230. 260, wiederabgedruckt bei Braun,
Goethe im Urteile seiner Zeitgenossen Band 2, S. 306; vgl. auch S. 66.
Im allgemeinen vgl. über die Aufnahme von Hermann und Dorothea beim
Publikum Gedanken über Goethe S. 99.

Die Elegie Hermann und Dorothea steht in Goethes Werken Band 1, S. 293
Weimarische Ausgabe, Anmerkungen dazu in Goethes Gedichten Band 1, S.
431 Loeper.

S. 59. Schillers Brief ist vom 9. Dezember 1796 (Briefwechsel zwischen
Schiller und Goethe Band 1, S. 229 Spemann)



Ort und Zeit.


S. 61. Ueber den süddeutschen Charakter vgl. auch Gedanken über Goethe
S. 18.

S. 63. Die ciceronianische Stelle findet sich _de oratore_ Buch 1, § 28
und lautet: _nam me haec tua platanus admonuit, quae non minus ad
opacandum hunc locum patulis est diffusa ramis quam illa, cujus umbram
secutus est Socrates, quae mihi videtur non tam ipsa aquula, quae
describitur, quam Platonis oratione crevisse_.

Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer S. 796.

Die beiden Parzivalstellen sind 162, 8 und 185, 28 Lachmann.

S. 64. Die Stelle aus Gottfried von Strassburgs Tristan steht 420, 23
Massmann.

S. 65. Hochsommer: vgl. Gedanken über Goethe S. 307.



Gang der Fabel.


S. 66. Homers Hymnus auf Apollo Vers 189.

Goethes Aeusserung über den rhapsodischen Vortrag findet sich in der mit
Schiller gemeinsam redigierten Arbeit »Ueber epische und dramatische
Dichtung« (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe Band 1, S. 368
Spemann).

S. 70. Die Stellen in der Campagne in Frankreich sind Aufzeichnungen vom
4. und 11. Oktober 1792 (Werke Band 25, S. 82. 94 Hempel).

S. 71. βιόδωρος αἶα Sophokles' Philoktet Vers 1138; vgl. auch Gedanken
über Goethe S. 298.

S. 77. Humboldt handelt vom Wunderbaren im Epos in § 41 seines Buches
über Hermann und Dorothea (S. 86 der 4. Auflage; gesammelte Werke Band
4, S. 114).

S. 84. Goethes Brief an Schiller, worin er des Friedensschlusses
gedenkt, ist vom 13. Mai 1797 (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe
Band 1, S. 275 Spemann).



Charaktere.


S. 88. Die Schilderung von Hermanns Charakter ist fast wörtlich schon in
den Gedanken über Goethe S. 237 verwertet.

S. 91. Ueber die öfter aufgeworfene Frage, ob der Pfarrer Katholik oder
Protestant sei, äussert sich sehr richtig Hehn folgendermassen: »Ob der
Pfarrer in Hermann und Dorothea ein katholischer oder protestantischer
Geistlicher ist und ob er Messe liest oder eine Predigt hält, bleibt bei
der hohen und freien Religiosität, die ihn in Thun und Reden leitet,
unentschieden: doch könnte die Erwähnung des Tedeums, wo zur Orgel die
Glocke tönt, und der Umstand, dass nirgends seiner Familie gedacht ist,
mehr für das erstere sprechen; hinwiederum ist er aber auch Mentor eines
jungen Barons in Strassburg gewesen, also wie Lenz und Herder, und mit
solchem Amt pflegt der lutherische Kandidat seine Laufbahn zu beginnen«
(Gedanken über Goethe S. 34).

S. 94. Hier ist zu erwähnen, dass das Urbild der Dorothea nach
Bielschowskys Ansicht (Die Urbilder zu Hermann und Dorothea: Preussische
Jahrbücher Band 60, S. 335; vgl. auch Band 69, S. 666) Goethes frühere
Geliebte Lili sein soll, deren Schicksale bei ihrer Flucht vor den
eindringenden Franzosen Goethe verwertet habe. Mir sind Bielschowskys
Argumente in keiner Weise überzeugend.

S. 95. Humboldts Tadel dieses Motivs findet sich in § 34 seines Buches
über Hermann und Dorothea (S. 69 der 4. Auflage; Gesammelte Werke Band
4, S. 92); vgl. auch Goethes Gespräche Band 7, S. 37.

S. 97. Ueber das Typisch-homerische in unserm Gedicht handelt Hehn auch
Gedanken über Goethe S. 201.

Πατρός γ' ὅδε πολλὸν ἀμείνων Ilias Buch 6, Vers 479.

S. 100. Goethes Aeusserung an Meyer ist aus einem Briefe von 28. April
(Riemer, Briefe von und an Goethe S. 51), die an Schiller aus einem
Briefe vom 8. April 1797 (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe Band
1, S. 258 Spemann).



Sitten und Lebenssphäre.


S. 104. Ausführlich handelt Hehn über Goethes poetische Verwertung des
Bürgertums in den Gedanken über Goethe S. 234.

Die Homerstelle lautet (Ilias Buch 18, Vers 558):

    κήρυκες δ' ἀπάνευθεν ὑπὸ δρυὶ δαῖτα πένοντο,
    βοῦν δ' ἱερεύσαντες μέγαν ἄμφεπον, αἱ δὲ γυναῖκες
    δεῖπνον ἐρίθοισιν λεύκ' ἄλφιτα πολλὰ πάλυνον.

S. 106. Ueber frühe Ehe bei Goethe vgl. Gedanken über Goethe S. 220.

S. 108. Der ganze Abschnitt vom Freiwerben in früherer Zeit steht fast
wörtlich so auch in den Gedanken über Goethe S. 246.

S. 109. Hegel, Philosophie des Rechts § 162; vgl. Gedanken über Goethe
S. 247.

Ueber die Sonntagserholungen der Bürger bei Goethe vgl. Gedanken über
Goethe S. 250.

S. 110. Ueber Sentenzen als ethischen Ausdruck des Bürgertums vgl.
Gedanken über Goethe S. 241.

S. 113. Ueber die Geltung der Nachbarschaft in Goethes Werken vgl.
Gedanken über Goethe S. 243.

Der Endabschnitt steht fast wörtlich in den Gedanken über Goethe S. 253.



Diktion.


S. 119. Das Distichon aus Goethes Gedicht »Der neue Pausias und sein
Blumenmädchen« (Werke Band 1, S. 273 Weimarische Ausgabe).

S. 120. Ueber Goethes Schilderungen der Wirkung des Mondlichts vgl.
Gedanken über Goethe S. 291.

S. 123. Reineke Fuchs Gesang 1, Vers 15.

S. 124. Grimm, Deutsche Grammatik Band 4, S. 146.

S. 125. Die ironische Färbung der antikisierenden Sprache, die auch S.
127 behauptet wird, möchte ich in Abrede stellen trotz Hehns Ausspruch:
»Wohl aber, wie so oft bei Goethe, bewirkt die Wahrheit des Tones, dass
über die Erzählung wie ein leichter ironischer Hauch hinzuschweben
scheint« (Gedanken über Goethe S. 71).

Virgil, Aeneis Buch 1, Vers 148.

S. 126. Cicero, Laelius § 62.

In Xenophons Memorabilien Buch 2, Kapitel 4, § 4 heisst es: ἔτι δὲ πρὸς
τούτοις ὁρᾶν ἔφη τοὺς πολλοὺς τῶν μὲν ἄλλων κτημάτων καὶ πάνο πολλῶν
αὐτοῖς ὄντων τὸ πλῆθος εἰδότας, τῶν δὲ φίλων ὀλίγων ὄντων τὸ πλῆθος
ἀγνοοῦντας.

Die Homerstelle steht Ilias Buch 2 Vers 484, Buch 11 Vers 218, Buch 14
Vers 508, Buch 16 Vers 112.

S. 127. Goethes Aeusserung über die Gleichnisse in seinem Gedicht in
einem Briefe an Schiller vom 23. Dezember 1797 (Briefwechsel zwischen
Schiller und Goethe Band 1, S. 370 Spemann).

Die beiden in die Rede verflochtenen Gleichnisse sind Gesang 1 Vers 176:

    Denn wer erkennet es nicht, dass seit dem schrecklichen Brande,
    Da er so hart uns gestraft, er uns nun beständig erfreut hat
    Und beständig beschützt, so wie der Mensch sich des Auges
    Köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen Gliedern ihm lieb ist;

und Gesang 3 Vers 9:

    Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden entwachsen
    Und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat,
    Keine Spur nachlassend von seiner lebendigen Wirkung.

Die Homerstelle steht Odyssee Buch 14 Vers 55. 165. 360. 442. 507, Buch
16 Vers 60. 135. 464, Buch 17 Vers 272. 311. 380. 512. 579.



Vers.


S. 129. Für dies ganze Kapitel verweise ich auf Hehns äusserst anregende
Abhandlung »Einiges über Goethes Vers« im Goethejahrbuch Band 6, S. 176.
Die bessernde Arbeit, die Goethe in metrischer und stilistischer
Hinsicht seinem Epos angedeihen liess, wird erst nach Erscheinen des
unser Gedicht enthaltenden Bandes der Weimarischen Ausgabe klar und
eingehend beurteilt werden können; einstweilen orientiert Schreyers
Abhandlung »Goethes Arbeit an Hermann und Dorothea« im Goethejahrbuch
Band 10, S. 196.

S. 131. Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung Band 4, S. 132.

Ueber den Anfang des deutschen Hexameters vgl. Wackernagel, Geschichte
des deutschen Hexameters und Pentameters bis auf Klopstock, Berlin 1831,
wiederabgedruckt in seinen kleineren Schriften Band 2, S. 1; ferner
Martins Aufsatz in der Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte Band
1, S. 98.

S. 132. Voss, Zeitmessung der deutschen Sprache S. 13.

S. 134. Bei Platens Tadel über die weimarischen Hexameter verweist Hehn
auf Nr. 99 der Deutschen Jahrbücher von 1841.

Die beiden Homerverse stehen Odysee Buch 11 Vers 598. 596.

S. 135. Voss, Zeitmessung der deutschen Sprache S. 127.

S. 136. Humboldts Bemerkung steht in § 102 seiner Schrift über Hermann
und Dorothea (S. 201 der 4. Auflage; gesammelte Werke Band 4, S. 266)

S. 138. Der Bericht Goethes an Schiller in seinen Briefen vom 8. und 15.
April 1797 (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe Band 1, S. 257.
260 Spemann). Humboldts prosodische Bemerkungen stehen in seinen Briefen
an Goethe vom 6. und 30. Mai 1797 (Goethes Briefwechsel mit den
Gebrüdern von Humboldt S. 32; Goethejahrbuch Band 8, S. 67).

Riemer, Mitteilungen über Goethe Band 2, S. 586.



Andre deutsche Epen (Luise von Voss, Messias von Klopstock) zur
Vergleichung.


S. 139. Ueber Vossens Luise vgl. noch Gedanken über Goethe S. 228.

Andre Urteile Niebuhrs zitiert Hehn in den Gedanken über Goethe S. 103.
132.

Goethe schreibt an Schiller am 28. Februar 1798: »Mein Gedicht scheint,
wie ich aus diesen Nachrichten sehe, Voss nicht so wohlthätig als mir
das seine. Ich bin mir noch recht gut des reinen Enthusiasmus bewusst,
mit dem ich den Pfarrer von Grünau aufnahm, als er sich zuerst im Merkur
sehen lies, wie oft ich ihn vorlas, so dass ich einen grossen Teil davon
noch auswendig weiss, und ich habe mich sehr gut dabei befunden, denn
diese Freude ist am Ende doch produktiv bei mir geworden, sie hat mich
in diese Gattung gelockt, den Hermann erzeugt, und wer weiss was noch
daraus entstehen kann. Dass Voss dagegen mein Gedicht nur _se
defendendo_ geniesst, thut mir sehr leid für ihn. Denn was ist dann an
unserm ganzen bisschen Poesie, wenn es uns nicht belebt und uns für
alles und jedes, was gethan wird, empfänglich macht? Wollte Gott, ich
könnte wieder von vorn anfangen und alle meine Arbeiten als ausgetretene
Kinderschuhe hinter mir lassen und was Besseres machen« (Briefwechsel
zwischen Schiller und Goethe Band 2, S. 51 Spemann).

S. 140. Schiller, Sämtliche Schriften Band 10, S. 489 Anmerkung Goedeke.

Vossens Brief an Gleim in seinen Briefen Band 2, S. 339; ebenda S. 340
Anmerkung steht Gleims oben zitiertes Gedicht.

S. 143. »Die Ehrbarkeit und die theologische Dogmatik, das gestalt- und
inhaltlose Kraftgefühl, der Schwung in die Leere des Erhabenen, die
Spannung zwischen Geist und Sinn, die Versenkung in dunkle
Zusammenklänge, die grübelnde Gewaltsamkeit gegen die Sprache, die
Thränen der Schwermut um nichts, der persönliche Ernst statt der offenen
Hingabe an Welt und Leben, dies waren die Eigenschaften, die das
sächsische Deutschland an dem Sänger des Messias und der Oden entzückten
und ihm begeisterte Jünger zuführten«, Gedanken über Goethe S. 11; vgl.
auch daselbst S. 61.

S. 146. Goethes Gedicht »Die Kränze« steht in den Werken Band 2, S. 136
Weimarische Ausgabe; Anmerkungen dazu in Goethes Gedichten Band 1, S.
400 Loeper.

Schlegels Ausspruch über Vossens Luise steht im Athenäum 1798 (Gedanken
über Goethe S. 229).

_Jena_, 20. Juli 1893.

Albert Leitzmann.





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