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Title: Der Goldene Topf
Author: Hoffmann, E. T. A. (Ernst Theodor Amadeus), 1776-1822
Language: German
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DER GOLDENE TOPF

von

E.T.A. HOFFMANN:

Mit 11 Federzeichnungen von Edmund Schaefer



[Illustration: Titelbild. Die Frauenkirche in Dresden]



Erstes bis fünftes Tausend
Verlag von Gustav Kiepenheuer Weimar 1913



ERSTE VIGILIE.


Die Unglücksfälle des Studenten Anselmus. Des Konrektors Paulmann
Sanitätsknaster und die goldgrünen Schlangen.


Am Himmelfahrtstage, Nachmittags um drei Uhr rannte ein junger Mensch in
Dresden durchs schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und
Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß Alles, was der
Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die
Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr
zugeworfen. Auf das Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die
Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen
Menschen und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, so daß er,
vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen nicht eben besonders
gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell
einsteckte. Nun öffnete sich der festgeschlossene Kreis, aber indem der
junge Mensch hinausschoß, rief ihm die Alte nach: Ja, renne -- renne nur
zu, Satanskind -- ins Kristall bald Dein Fall -- ins Kristall! -- Die
gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so daß
die Spaziergänger verwundert still standen, und das Lachen, das sich erst
verbreitet, mit einem Mal verstummte. -- Der Student Anselmus (niemand
anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes
sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen
ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich den auf ihn
gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. Wie er sich nun
durch das Gewühl geputzter Menschen durcharbeitete, hörte er überall
murmeln: »Der arme junge Mann -- ei! über das verdammte Weib!« -- Auf ganz
sonderbare Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem
lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben, so daß man
dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah. Die Frauenzimmer
verziehen dem wohlgebildeten Gesichte, dessen Ausdruck die Glut des innern
Grimms noch erhöhte, so wie dem kräftigen Wuchse des Jünglings alles
Ungeschick, so wie den ganz außer dem Gebiete aller Mode liegenden Anzug.
Sein hechtgrauer Frack war nämlich so zugeschnitten, als habe der
Schneider, der ihn gearbeitet, die moderne Form nur vom Hörensagen gekannt,
und das schwarzatlasne wohlgeschonte Unterkleid gab dem Ganzen einen
gewissen magistermäßigen Stil, dem sich nun wieder Gang und Stellung
durchaus nicht fügen wollte. -- Als der Student schon beinahe das Ende der
Allee erreicht, die nach dem Linkschen Bade führt, wollte ihm beinahe der
Atem ausgehen. Er war genötigt langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den
Blick in die Höhe zu richten, denn noch immer sah er die Äpfel und Kuchen
um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war
ihm nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am schwarzen Tor. So war er
bis an den Eingang des Linkschen Bades gekommen; eine Reihe festlich
gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten
ertönte von innen, und immer lauter und lauter wurde das Gewühl der
lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anselmus beinahe in
die Augen getreten; denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein
besonderes Familienfest für ihn gewesen, an der Glückseligkeit des
Linkschen Paradieses teilnehmen, ja er hatte es bis zu einer halben Portion
Kaffee mit Rum und einer Bouteille Doppelbier treiben wollen, und um so
recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt
und tunlich war. Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um
alles gebracht, was er bei sich getragen. An Kaffee, an Doppelbier, an
Musik, an den Anblick der geputzten Mädchen -- kurz -- an alle geträumten
Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei und schlug endlich
den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem
Holunderbaume, der aus der Mauer hervorgesprossen, fand er ein
freundliches Rasenplätzchen; da setzte er sich hin und stopfte eine Pfeife
von dem Sanitätsknaster, den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann,
geschenkt. -- Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben
Wellen des schönen Elbstroms; hinter demselben streckte das herrliche
Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den duftigen
Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch
grünenden Wälder, und aus tiefer Dämmerung gaben die zackichten Gebirge
Kunde vom fernen Böhmerland. Aber finster vor sich hinblickend blies der
Student Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich
laut, indem er sprach: »Wahr ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz
und Elend geboren! -- Daß ich niemals Bohnenkönig geworden, daß ich im Paar
oder Unpaar immer falsch geraten, daß mein Butterbrot immer auf die fette
Seite gefallen, von allem diesen Jammer will ich gar nicht reden: aber ist
es nicht ein schreckliches Verhängnis, daß ich, als ich denn doch nun dem
Satan zum Trotz Student geworden war, ein Kümmeltürke sein und bleiben
mußte? -- Ziehe ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erstemal
einen Talgfleck hineinzubringen, oder mir an einem übeleingeschlagenen
Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je einen Herrn
Hofrat oder eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern, oder gar
auf dem glatten Boden auszugleiten und schändlich umzustülpen? Hatte ich
nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe von drei bis
vier Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt,
meinen Gang geradeaus zu nehmen, wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges
Mal ins Kollegium, oder wo man mich sonst hinbeschieden, zu rechter Zeit
gekommen? Was half es, daß ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich
vor die Tür hinstellte, den Drücker in der Hand? denn so wie ich mit dem
Glockenschlage aufdrücken wollte, goß mir der Satan ein Waschbecken über
den Kopf, oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, daß ich
in tausend Händel verwickelt wurde und darüber Alles versäumte. -- Ach!
ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume künftigen Glücks, wie ich stolz
wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum geheimen Sekretär bringen! Aber
hat mir mein Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? -- Ich weiß, daß
der geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes Haar nicht leiden
mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem
Hinterhaupt, aber bei der ersten Verbeugung springt die unglückselige
Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel
das Zöpfchen dem geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach und stürze
über den Tisch, an dem er frühstückend gearbeitet hat, so daß Tassen,
Teller, Tintenfaß, Sandbüchse klirrend herabstürzen, und der Strom von
Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt.
Herr, sind Sie des Teufels? brüllt der erzürnte geheime Rat und schiebt
mich zur Tür hinaus. -- Was hilft es, daß mir der Konrektor Paulmann
Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat? Wird es denn mein Unstern
zulassen, der mich überall verfolgt? -- Nur noch heute! -- Ich wollte den
lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit feiern, ich wollte
ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte eben so gut wie jeder andre
Gast in Linkes Bade stolz rufen können: Marqueur -- eine Flasche Doppelbier
-- aber vom besten bitte ich! -- Ich hätte bis spät Abends sitzen können,
und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich
geputzter schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen,
ich wäre ein ganz anderer Mensch geworden; ja, ich hätte es so weit
gebracht, daß wenn diese oder jene gefragt: wie spät mag es wohl jetzt
sein? oder: was ist denn das, was sie spielen? da wäre ich mit leichtem
Anstande aufgesprungen, ohne mein Glas umzuwerfen, oder über die Bank zu
stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte vorwärts bewegend,
hätte ich gesagt: Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die
Ouvertüre aus dem Donauweibchen, oder: es wird gleich sechs Uhr schlagen.
-- Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel deuten können? -- Nein! sage
ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl
zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige zu zeigen, daß ich mich auch
wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber
da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb, und nun muß ich in
der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster -- « Hier wurde der Student Anselmus
in seinem Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln
unterbrochen, das sich dicht neben ihm im Grase erhob, bald aber in die
Zweige und Blätter des Holunderbaumes hinaufglitt, der sich über seinem
Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald
als kosten Vöglein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen
Hin- und Herflattern rührend. Da fing es an zu flüstern und zu lispeln, und
es war als ertönten die Blüten wie aufgehangene Kristallglöckchen. Anselmus
horchte und horchte. Da wurde, er wußte selbst nicht wie, das Gelispel und
Geflüster und Geklingel zu leisen halbverwehten Worten:

    Zwischen durch -- zwischen ein -- zwischen Zweigen, zwischen
    schwellenden Blüten, schwingen, schlängeln, schlingen wir uns --
    Schwesterlein -- Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer -- schnell,
    schnell herauf -- herab -- Abendsonne schießt Strahlen, zischelt
    der Abendwind -- raschelt der Abendwind -- raschelt der Tau --
    Blüten singen -- rühren wie Zünglein, singen wir mit Blüten und
    Zweigen -- Sterne bald glänzen -- müssen herab -- zwischen durch,
    zwischen ein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns
    Schwesterlein. --

So ging es fort im Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte:
das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich
verständlichen Worten flüstert. -- Aber in dem Augenblick ertönte es über
seinem Haupte wie ein Dreiklang heller Kristallglocken; er schaute hinauf
und erblickte drei in grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die
Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der Abendsonne entgegenstreckten.
Da flüsterte und lispelte es von neuem in jenen Worten, und die Schlänglein
schlüpften und kosten auf und nieder durch die Blätter und Zweige; und wie
sie sich so schnell rührten, da war es als streue der Holunderbusch tausend
funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter. Das ist die Abendsonne, die
so in dem Holunderbusch spielt, dachte der Student Anselmus: aber da
ertönten die Glocken wieder und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr
Köpfchen nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder fuhr es ihm wie ein
elektrischer Schlag, er erbebte im Innersten -- er starrte hinauf, und ein
Paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit unaussprechlicher
Sehnsucht, so daß ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des
tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen
Verlangens immer in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in
lieblichen Akkorden die Kristallglocken, und die funkelnden Smaragde fielen
auf ihn herab und umspannen ihn, in tausend Flämmchen um ihn herflackernd
und spielend mit schimmernden Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und
sprach: »Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloß Dich, aber Du
verstandest mich nicht: der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe
entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und sprach: »Ich umspielte Deine
Schläfe, aber Du verstandest mich nicht: der Hauch ist meine Sprache, wenn
ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das Gewölk und
der Schein brannte wie in Worten: »Ich umgoß Dich mit glühendem Gold, aber
Du verstandest mich nicht: Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe
entzündet.«

Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen
Augenpaars, wurde heißer die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte
und bewegte sich alles, wie zum frohen Leben erwacht. Blumen und Blüten
dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend
Flötenstimmen; und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen
vorüberfliehenden Abendwolken in ferne Lande. Aber als der letzte Strahl
der Sonne schnell hinter den Bergen verschwand und nun die Dämmerung ihren
Flor über die Gegend warf, da rief, wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe
Stimme:

Hei, hei! was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben? -- Hei,
hei! wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! genug gesonnt, genug
gesungen. -- Hei, hei! durch Busch und Gras -- durch Gras und Strom! --
Hei, -- hei -- Her u -- u -- u nter -- Her u -- u -- u nter!

So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die
Kristallglocken zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und
Anselmus sah, wie die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras
nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich in
die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes
Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend
verdampfte.



ZWEITE VIGILIE.


Wie der Student Anselmus für betrunken und wahnwitzig gehalten wurde. --
Die Fahrt über die Elbe. -- Die Bravourarie des Kapellmeisters Graun.
Conradis Magen-Likör und das bronzierte Äpfelweib.


»Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste«, sagte eine ehrbare Bürgersfrau,
die vom Spaziergange mit der Familie heimkehrend, still stand und mit
übereinandergeschlagenen Armen dem tollen Treiben des Studenten Anselmus
zusah. _Der_ hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes umfaßt und
rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: »O nur noch einmal
blinket und leuchtet, ihr lieblichen goldnen Schlänglein, nur noch einmal
laßt eure Glockenstimmchen hören! Nur noch einmal blicket mich an, ihr
holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muß ja sonst vergehen in
Schmerz und heißer Sehnsucht!« Und dabei seufzte und ächzte er aus der
tiefsten Brust recht kläglich, und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld
den Holunderbaum, der aber statt aller Antwort nur ganz dumpf und
unvernehmlich mit den Blättern rauschte, und so den Schmerz des Studenten
Anselmus ordentlich zu verhöhnen schien. -- »Der Herr ist wohl nicht recht
bei Troste,« sagte die Bürgersfrau, und dem Anselmus war es so, als würde
er aus einem tiefen Traum gerüttelt oder gar mit eiskaltem Wasser begossen,
um ja recht jähling zu erwachen. Nun sah er erst wieder deutlich, wo er
war, und besann sich, wie ein sonderbarer Spuk ihn geneckt und gar dazu
getrieben habe, ganz allein für sich selbst in laute Worte auszubrechen.
Bestürzt blickte er die Bürgersfrau an und griff endlich nach dem Hute, der
zur Erde gefallen, um davon zu eilen. Der Familienvater war unterdessen
auch herangekommen und hatte, nachdem er das Kleine, das er auf dem Arm
getragen, ins Gras gesetzt, auf seinen Stock sich stützend mit Verwunderung
dem Studenten zugehört und zugeschaut. Er hob jetzt Pfeife und Tabaksbeutel
auf, die der Student fallen lassen, und sprach, beides ihm hinreichend:
»Lamentier' der Herr nicht so schrecklich in der Finsternis, und vexier' Er
nicht die Leute, wenn ihm sonst nichts fehlt, als daß Er zu viel ins
Gläschen geguckt -- geh' Er fein ordentlich zu Hause und leg' Er sich aufs
Ohr!« Der Student Anselmus schämte sich sehr, er stieß ein weinerliches
Ach! aus. -- »Nun, nun«, fuhr der Bürgersmann fort, »laß es der Herr nur
gut sein, so was geschieht dem Besten, und am lieben Himmelfahrtstage kann
man wohl in der Freude seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun.

[Illustration: Der Student]

Das passiert auch wohl einem Manne Gottes -- der Herr ist ja doch wohl
ein Kandidat. -- Aber wenn es der Herr erlaubt, stopf' ich mir ein
Pfeifchen von seinem Tabak, meiner ist mir da droben ausgegangen.« Dies
sagte der Bürger, als der Student Anselmus schon Pfeife und Beutel
einstecken wollte, und nun reinigte der Bürger langsam und bedächtig seine
Pfeife, und fing eben so langsam an zu stopfen. Mehrere Bürgermädchen waren
dazugetreten, die sprachen heimlich mit der Frau und kicherten mit
einander, indem sie den Anselmus ansahen. Dem war es, als stände er auf
lauter spitzigen Dornen und glühenden Nadeln. So wie er nur Pfeife und
Tabaksbeutel erhalten, rannte er spornstreichs davon. Alles was er
Wunderbares gesehen, war ihm rein aus dem Gedächtnis geschwunden, und er
besann sich nur, daß er unter dem Holunderbaum allerlei tolles Zeug ganz
laut geschwatzt, was ihm denn um so entsetzlicher war, als er von jeher
einen innerlichen Abscheu gegen alle Selbstredner gehegt. Der Satan
schwatzt aus ihnen, sagte sein Rektor, und daran glaubte er auch in der
Tat. Für einen am Himmelfahrtstage betrunkenen Candidatus theologiae
gehalten zu werden, der Gedanke war ihm unerträglich. Schon wollte er in
die Pappelallee bei dem Koselschen Garten einbiegen, als eine Stimme hinter
ihm her rief: Herr Anselmus! Herr Anselmus! wo rennen Sie denn um tausend
Himmelswillen hin in solcher Hast? Der Student blieb wie in den Boden
gewurzelt stehen, denn er war überzeugt, daß nun gleich ein neues Unglück
auf ihn einbrechen werde. Die Stimme ließ sich wieder hören: Herr Anselmus,
so kommen Sie doch zurück, wir warten hier am Wasser! -- Nun vernahm der
Student erst, daß es sein Freund, der Konrektor Paulmann war, der ihn rief;
er ging zurück an die Elbe und fand den Konrektor mit seinen beiden
Töchtern, sowie den Registrator Heerbrand, wie sie eben im Begriff waren in
eine Gondel zu steigen. Der Konrektor Paulmann lud den Studenten ein, mit
ihm über die Elbe zu fahren und dann in seiner, auf der Pirnaer Vorstadt
gelegenen Wohnung Abends über bei ihm zu bleiben. Student Anselmus nahm das
recht gern an, weil er denn doch so dem bösen Verhängnis, das heute über
ihn walte, zu entrinnen glaubte. Als sie nun über den Strom fuhren, begab
es sich, daß auf dem jenseitigen Ufer bei dem Antonschen Garten ein
Feuerwerk abgebrannt wurde. Prasselnd und zischend fuhren die Raketen in
die Höhe und die leuchtenden Sterne zersprangen in den Lüften, tausend
knisternde Strahlen und Flammen um sich sprühend. Der Student Anselmus saß
in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer; als er nun aber im Wasser den
Widerschein der in der Luft herumsprühenden und knisternden Funken und
Flammen erblickte, da war es ihm als zögen die goldnen Schlänglein durch
die Flut. Alles, was er unter dem Holunderbaum Seltsames geschaut, trat
wieder lebendig in Sinn und Gedanken, und aufs neue ergriff ihn die
unaussprechliche Sehnsucht, das glühende Verlangen, welches dort seine
Brust in krampfhaft schmerzvollem Entzücken erschüttert. »Ach, seid ihr es
denn wieder, ihr goldenen Schlänglein, singt nur, singt! In eurem Gesange
erscheinen ja wieder die holden lieblichen dunkelblauen Augen -- ach, seid
ihr denn unter den Fluten!« -- So rief der Student Anselmus und machte
dabei eine heftige Bewegung, als wolle er sich gleich aus der Gondel in die
Flut stürzen. »Ist der Herr des Teufels?« rief der Schiffer, und erwischte
ihn beim Rockschoß. Die Mädchen, welche bei ihm gesessen, schrieen im
Schreck auf und flüchteten auf die andere Seite der Gondel! der Registrator
Heerbrand sagte dem Konrektor Paulmann etwas ins Ohr, worauf dieser
mehreres antwortete, wovon der Student Anselmus aber nur die Worte
verstand: »Dergleichen Anfälle -- noch nicht bemerkt?« -- Gleich nachher
stand auch der Konrektor Paulmann auf und setzte sich mit einer gewissen
ernsten gravitätischen Amtsmiene zu dem Studenten Anselmus, seine Hand
nehmend und sprechend: Wie ist Ihnen, Herr Anselmus? Dem Studenten Anselmus
vergingen beinahe die Sinne, denn in seinem Innern erhob sich ein toller
Zwiespalt, den er vergebens beschwichtigen wollte. Er sah nun wohl
deutlich, daß das, was er für das Leuchten der goldenen Schlänglein
gehalten, nur der Widerschein des Feuerwerks bei Antons Garten war; aber
ein nie gekanntes Gefühl, er wußte selbst nicht, ob Wonne, ob Schmerz, zog
krampfhaft seine Brust zusammen, und wenn der Schiffer nun so mit dem Ruder
ins Wasser hineinschlug, daß es wie im Zorn sich emporkräuselnd plätscherte
und rauschte, da vernahm er in dem Getöse ein heimliches Lispeln und
Flüstern: Anselmus! Anselmus! siehst Du nicht, wie wir stets vor Dir
herziehen? -- Schwesterlein blickt Dich wohl wieder an -- glaube -- glaube
-- glaube an uns! -- Und es war ihm, als säh er im Widerschein drei
grünglühende Streifen. Aber als er dann recht wehmütig ins Wasser
hineinblickte, ob nun nicht die holdseligen Augen aus der Flut
herausschauen würden, da gewahrte er wohl, daß der Schein nur von den
erleuchteten Fenstern der nahen Häuser herrührte. Schweigend saß er da und
im Innern mit sich kämpfend; aber der Konrektor Paulmann sprach noch
heftiger: Wie ist Ihnen, Herr Anselmus? Ganz kleinmütig antwortete der
Student: Ach, lieber Herr Konrektor, wenn Sie wüßten, was ich eben unter
dem Holunderbaum bei der Linkeschen Gartenmauer ganz wachend mit offnen
Augen für ganz besondere Dinge geträumt habe, ach, Sie würden mir es gar
nicht verdenken, daß ich so gleichsam abwesend -- Ei, ei, Herr Anselmus,
fiel der Konrektor Paulmann ein, ich habe Sie immer für einen soliden
jungen Mann gehalten, -- aber träumen -- mit hellen offenen Augen träumen,
und dann mit einem Mal ins Wasser springen wollen, das -- verzeihen Sie
mir, können nur Wahnwitzige oder Narren! -- Der Student Anselmus wurde ganz
betrübt über seines Freundes harte Rede; da sagte Paulmanns älteste Tochter
Veronika, ein recht hübsches blühendes Mädchen von sechzehn Jahren: Aber,
lieber Vater, es muß dem Herrn Anselmus doch was Besonderes begegnet sein,
und er glaubt vielleicht nur, daß er gewacht habe, unerachtet er unter dem
Holunderbaum wirklich geschlafen und ihm allerlei närrisches Zeug
vorgekommen, was ihm noch in Gedanken liegt. -- Und, teuerste Mademoiselle,
werter Konrektor, nahm der Registrator Heerbrand das Wort, sollte man denn
nicht auch wachend in einen gewissen träumerischen Zustand versinken
können? So ist mir in der Tat selbst einmal Nachmittags beim Kaffee in
einem solchen Hinbrüten, dem eigentlichen Moment körperlicher und geistiger
Verdauung, die Lage eines verlornen Aktenstücks wie durch Inspiration
eingefallen, und nur noch gestern tanzte auf gleiche Weise eine herrliche
große lateinische Frakturschrift vor meinen hellen offenen Augen umher.
Ach, geehrtester Registrator, erwiderte der Konrektor Paulmann, Sie haben
immer solch einen Hang zu den Poeticis gehabt, und da verfällt man leicht
in das Phantastische und Romanhafte. Aber dem Studenten Anselmus tat es
wohl, daß man sich seiner in der höchst betrübten Lage, für betrunken oder
wahnwitzig gehalten zu werden, annahm; und unerachtet es ziemlich finster
geworden, glaubte er doch zum erstenmale zu bemerken, wie Veronika recht
schöne dunkelblaue Augen habe, ohne daß ihm jedoch jenes wunderbare
Augenpaar, das er in dem Holunderbaum geschaut, in die Gedanken kam.
Überhaupt war dem Studenten Anselmus mit einem Mal nun wieder das Abenteuer
unter dem Holunderbaum ganz verschwunden; er fühlte sich so leicht und
froh, ja er trieb es wie im lustigen Übermute so weit, daß er bei dem
Heraussteigen aus der Gondel seiner Schutzrednerin Veronika die hülfreiche
Hand bot, und ohne weiteres, als sie ihren Arm in den seinigen hing, sie
mit so vieler Geschicklichkeit und so vielem Glück zu Hause führte, daß er
nur ein einziges Mal ausglitt und, da es gerade der einzige schmutzige
Fleck auf dem ganzen Wege war, Veronikas weißes Kleid nur ganz wenig
bespritzte. Dem Konrektor Paulmann entging die glückliche Änderung des
Studenten Anselmus nicht, er gewann ihn wieder lieb und bat ihn der harten
Worte wegen, die er vorhin gegen ihn fallen lassen, um Verzeihung. Ja,
fügte er hinzu, man hat wohl Beispiele, daß oft gewisse Phantasmata dem
Menschen vorkommen und ihn ordentlich ängstigen und quälen können; das ist
aber körperliche Krankheit, und es helfen Blutigel, die man, salva venia,
dem Hintern appliziert, wie ein berühmter bereits verstorbener Gelehrter
bewiesen. Der Student Anselmus wußte nun in der Tat selbst nicht, ob er
betrunken, wahnwitzig oder krank gewesen; auf jeden Fall schienen ihm aber
die Blutigel ganz unnütz, da die etwaigen Phantasmata gänzlich verschwunden
und er sich immer heiterer fühlte, je mehr es ihm gelang sich in allerlei
Artigkeiten um die hübsche Veronika zu bemühen. Es wurde wie gewöhnlich
nach der frugalen Mahlzeit Musik gemacht; der Student Anselmus mußte sich
ans Klavier setzen und Veronika ließ ihre helle klare Stimme hören. --
Werte Mademoiselle, sagte der Registrator Heerbrand, Sie haben eine Stimme
wie eine Kristallglocke! -- »Das nun wohl nicht!« fuhr es dem Studenten
heraus, er wußte selbst nicht wie, und alle sahen ihn verwundert und
betroffen an. -- »Kristallglocken tönen in Holunderbäumen wunderbar!
wunderbar!« fuhr der Student Anselmus halbleise murmelnd fort. Da legte
Veronika ihre Hand auf seine Schulter und sagte: Was sprechen Sie denn da,
Herr Anselmus? Gleich wurde der Student wieder ganz munter und fing an zu
spielen. Der Konrektor Paulmann sah ihn finster an, aber der Registrator
Heerbrand legte ein Notenblatt auf das Pult und sang zum Entzücken eine
Bravourarie vom Kapellmeister Graun. Der Student Anselmus akkompagnierte
noch manches, und ein fugiertes Duett, das er mit Veronika vortrug und das
der Konrektor Paulmann selbst komponiert, setzte alles in die fröhlichste
Stimmung. Es war ziemlich spät worden und der Registrator Heerbrand griff
nach Hut und Stock, da trat der Konrektor Paulmann geheimnisvoll zu ihm hin
und sprach: Ei, wollten Sie nicht, geehrter Registrator, dem guten Herrn
Anselmus selbst -- nun! wovon wir vorhin sprachen -- Mit tausend Freuden,
erwiderte der Registrator Heerbrand, und begann, nachdem sie sich im Kreise
gesetzt, ohne weiteres in folgender Art: »Es ist hier im Orte ein alter
wunderlicher merkwürdiger Mann, man sagt, er treibe allerlei geheime
Wissenschaften; da es nun eigentlich dergleichen gar nicht gibt, so halte
ich ihn eher für einen forschenden Antiquar, auch wohl nebenher für einen
experimentierenden Chemiker. Ich meine niemand andern als unsern geheimen
Archivarius Lindhorst. Er lebt, wie Sie wissen, einsam in seinem entlegenen
alten Hause, und wenn ihn der Dienst nicht beschäftigt, findet man ihn in
seiner Bibliothek oder in seinem chemischen Laboratorio, wo er aber
niemanden hineinläßt. Er besitzt außer vielen seltenen Büchern eine Anzahl
zum Teil arabischer, koptischer, und gar in sonderbaren Zeichen, die keiner
bekannten Sprache angehören, geschriebene Manuskripte. Diese will er auf
geschickte Weise kopieren lassen, und es bedarf dazu eines Mannes, der sich
darauf versteht mit der Feder zu zeichnen, um mit der größten Genauigkeit
und Treue alle Zeichen auf Pergament und zwar mit Tusche übertragen zu
können. Er läßt in einem besondern Zimmer seines Hauses unter seiner
Aufsicht arbeiten, bezahlt außer dem freien Tisch während der Arbeit jeden
Tag einen Speziestaler, und verspricht noch ein ansehnliches Geschenk, wenn
die Abschriften glücklich beendet. Die Zeit der Arbeit ist täglich von
zwölf bis sechs Uhr. Von drei bis vier Uhr wird geruht und gegessen. Da er
schon mit ein paar jungen Leuten vergeblich den Versuch gemacht hat, jene
Manuskripte kopieren zu lassen, so hat er sich endlich an mich gewendet,
ihm einen geschickten Zeichner zuzuweisen; da habe ich an Sie gedacht,
lieber Herr Anselmus, denn ich weiß, daß Sie sowohl sehr sauber schreiben,
als auch mit der Feder sehr zierlich und rein zeichnen. Wollen Sie daher in
dieser schlechten Zeit und bis zu Ihrer etwanigen [etwaigen] Anstellung den
Speziestaler täglich verdienen und das Geschenk obendrein, so bemühen Sie
sich morgen Punkt zwölf Uhr zu dem Herrn Archivarius, dessen Wohnung Ihnen
bekannt sein wird. Aber hüten Sie sich ja vor jedem Tintenflecken; fällt er
auf die Abschrift, so müssen Sie ohne Gnade von vorn anfangen, fällt er auf
das Original, so ist der Herr Archivarius imstande Sie zum Fenster
hinauszuwerfen, denn es ist ein zorniger Mann.« -- Der Student Anselmus war
voll inniger Freude über den Antrag des Registrators Heerbrand: denn nicht
allein, daß er sauber schrieb und mit der Feder zeichnete, so war es auch
seine wahre Passion, mit mühsamem kalligraphischem Aufwande abzuschreiben;
er dankte daher seinen Gönnern in den verbindlichsten Ausdrücken und
versprach die morgende Mittagsstunde nicht zu versäumen. In der Nacht sah
der Student Anselmus nichts als blanke Speziestaler und hörte ihren
lieblichen Klang. -- Wer mag das dem Armen verargen, der um so manche
Hoffnung durch ein launisches Mißgeschick betrogen, jeden Heller zu Rate
halten und manchem Genuß, den jugendliche Lebenslust forderte, entsagen
mußte. Schon am frühen Morgen suchte er seine Bleistifte, seine
Rabenfedern, seine chinesische Tusche zusammen; denn besser, dachte er,
kann der Herr Archivarius keine Materialien erfinden. Vor allen Dingen
musterte und ordnete er seine kalligraphischen Meisterstücke und seine
Zeichnungen, um sie dem Archivarius, zum Beweis seiner Fähigkeit das
Verlangte zu erfüllen, aufzuweisen. Alles ging glücklich von statten, ein
besonderer Glücksstern schien über ihn zu walten, die Halsbinde saß gleich
beim ersten Umknüpfen wie sie sollte, keine Naht platzte, keine Masche
zerriß in den schwarzseidenen Strümpfen, der Hut fiel nicht noch einmal in
den Staub, als er schon sauber abgebürstet. -- Kurz! -- Punkt halb zwölf
Uhr stand der Student Anselmus in seinem hechtgrauen Frack und seinen
schwarzatlasnen Unterkleidern, eine Rolle Schönschriften und
Federzeichnungen in der Tasche, schon auf der Schloßgasse in Conradis Laden
und trank -- eins -- zwei Gläschen des besten Magenlikörs; denn hier,
dachte er, indem er auf die annoch leere Tasche schlug, werden bald
Speziestaler erklingen. Unerachtet des weiten Weges bis in die einsame
Straße, in der sich das uralte Haus des Archivarius Lindhorst befand, war
der Student Anselmus doch vor zwölf Uhr an der Haustür. Da stand er und
schaute den großen bronzenen Türklopfer an; aber als er nun auf den letzten
die Luft mit mächtigem Klange durchbebenden Schlag der Turmuhr an der
Kreuzkirche den Türklopfer ergreifen wollte, da verzog sich das metallene
Gesicht im ekelhaften Spiel blauglühender Lichtblicke zum grinsenden
Lächeln. Ach! es war ja das Äpfelweib vom schwarzen Tor. Die spitzigen
Zähne klappten in dem schlaffen Maule zusammen, und in dem Klappern
schnarrte es: »Du Narre -- Narre -- Narre -- warte, warte! warum warst
hinausgerannt! Narr!« -- Entsetzt taumelte der Student Anselmus zurück, er
wollte den Türpfosten ergreifen, aber seine Hand erfaßte die Klingelschnur
und zog sie an, da läutete es stärker und stärker in gellenden Mißtönen,
und durch das ganze öde Haus rief und spottete der Widerhall: Bald Dein
Fall ins Kristall! -- Den Studenten Anselmus ergriff ein Grausen, das im
krampfhaften Fieberfrost durch alle Glieder bebte. Die Klingelschnur senkte
sich hinab und wurde zur weißen durchsichtigen Riesenschlange, die umwand
und drückte ihn, fester und fester ihr Gewinde schnürend, zusammen, daß die
mürben zermalmten Glieder knackend zerbröckelten und sein Blut aus den
Adern spritzte, eindringend in den durchsichtigen Leib der Schlange und ihn
rot färbend. -- Töte mich, töte mich! wollte er schreien in der
entsetzlichen Angst, aber sein Geschrei war nur ein dumpfes Röcheln. -- Die
Schlange erhob ihr Haupt und legte die lange spitzige Zunge von glühendem
Erz auf die Brust des Anselmus, da zerriß ein schneidender Schmerz jählings
die Pulsader des Lebens und es vergingen ihm die Gedanken. -- Als er wieder
zu sich selbst kam, lag er auf seinem dürftigen Bettlein, vor ihm stand
aber der Konrektor Paulmann und sprach: Was treiben Sie denn um des Himmels
Willen für tolles Zeug, lieber Herr Anselmus!

[Illustration: Anselmus und die Schlange]



DRITTE VIGILIE.


Nachrichten von der Familie des Archivarius Lindhorst. Veronikas blaue
Augen. Der Registrator Heerbrand.


Der Geist schaute auf das Wasser, da bewegte es sich und brauste in
schäumenden Wogen und stürzte sich donnernd in die Abgründe, die ihre
schwarzen Rachen aufsperrten, es gierig zu verschlingen. Wie triumphierende
Sieger hoben die Granitfelsen ihre zackicht gekrönten Häupter empor, das
Tal schützend, bis es die Sonne in ihren mütterlichen Schoß nahm und es
umfassend mit ihren Strahlen wie mit glühenden Armen pflegte und wärmte. Da
erwachten tausend Keime, die unter dem öden Sande geschlummert, aus dem
tiefen Schlafe und streckten ihre grünen Blättlein und Halme zum Angesicht
der Mutter hinauf, und wie lächelnde Kinder in grüner Wiege, ruhten in den
Blüten und Knospen Blümlein, bis auch sie von der Mutter geweckt erwachten
und sich schmückten mit den Lichtern, die die Mutter ihnen zur Freude auf
tausendfache Weise bunt gefärbt. Aber in der Mitte des Tals war ein
schwarzer Hügel, der hob sich auf und nieder wie die Brust des Menschen,
wenn glühende Sehnsucht sie schwellt. -- Aus den Abgründen rollten die
Dünste empor, und sich zusammenballend in gewaltige Massen, strebten sie
das Angesicht der Mutter feindlich zu verhüllen; die rief aber den Sturm
herbei, der fuhr zerstäubend unter sie; und als der reine Strahl wieder den
schwarzen Hügel berührte, da brach im Übermaß des Entzückens eine herrliche
Feuerlilie hervor, die schönen Blätter wie holdselige Lippen öffnend, der
Mutter süße Küsse zu empfangen. -- Nun schritt ein glänzendes Leuchten in
das Tal! es war der Jüngling Phosphorus, den sah die Feuerlilie und flehte
von heißer, sehnsüchtiger Liebe befangen: sei doch mein ewiglich, Du
schöner Jüngling! denn ich liebe Dich und muß vergehen, wenn Du mich
verlassest. Da sprach der Jüngling Phosphorus: ich will Dein sein, Du
schöne Blume, aber dann wirst Du, wie ein entartet Kind, Vater und Mutter
verlassen, Du wirst Deine Gespielen nicht mehr kennen, Du wirst größer und
mächtiger sein wollen als alles, was sich jetzt als Deinesgleichen mit Dir
freut. Die Sehnsucht, die jetzt Dein ganzes Wesen wohltätig erwärmt, wird
in hundert Strahlen zerspaltet Dich quälen und martern; denn der Sinn wird
die Sinne gebären, und die höchste Wonne, die der Funke entzündet, den ich
in Dich hineinwerfe, ist der hoffnungslose Schmerz, in dem Du untergehst,
um aufs neue fremdartig emporzukeimen. -- Dieser Funke ist der Gedanke!
-- Ach! klagte die Lilie, kann ich denn nicht in der Glut, wie sie jetzt in
mir brennt, Dein sein? Kann ich Dich denn mehr lieben als jetzt, und kann
ich Dich denn schauen wie jetzt, wenn Du mich vernichtest? Da küßte sie der
Jüngling Phosphorus, und wie vom Lichte durchstrahlt loderte sie auf in
Flammen, aus denen ein fremdes Wesen hervorbrach, das schnell dem Tale
entfliehend im unendlichen Raume herumschwärmte, sich nicht kümmernd um die
Gespielen der Jugend und um den geliebten Jüngling. Der klagte um die
verlorne Geliebte, denn auch ihn brachte ja nur die unendliche Liebe zu der
schönen Lilie in das einsame Tal, und die Granitfelsen neigten ihre Häupter
teilnehmend vor dem Jammer des Jünglings. Aber einer öffnete seinen Schoß
und es kam ein schwarzer geflügelter Drache rauschend herausgeflattert und
sprach: meine Brüder, die Metalle schlafen da drinnen, aber ich bin stets
munter und wach und will dir helfen. Sich auf- und niederschwingend
erhaschte endlich der Drache das Wesen, das der Lilie entsprossen, trug es
auf den Hügel und umschloß es mit seinem Fittich; da war es wieder die
Lilie, aber der bleibende Gedanke zerriß ihr Innerstes und die Liebe zu dem
Jüngling Phosphorus war ein schneidender Jammer, vor dem, von giftigen
Dünsten angehaucht, die Blümlein, die sonst sich ihres Blickes gefreut,
verwelkten und starben. Der Jüngling Phosphorus legte eine glänzende
Rüstung an, die in tausendfarbigen Strahlen spielte, und kämpfte mit dem
Drachen, der mit seinem schwarzen Fittich an den Panzer schlug, daß er hell
erklang; und von dem mächtigen Klange lebten die Blümlein wieder auf und
umflatterten wie bunte Vögel den Drachen, dessen Kräfte schwanden und der
besiegt sich in der Tiefe der Erde verbarg. Die Lilie war befreit, der
Jüngling Phosphorus umschlang sie voll glühenden Verlangens himmlischer
Liebe, und im hochjubelnden Hymnus huldigten ihr die Blumen, die Vögel, ja
selbst die hohen Granitfelsen als Königin des Tals. -- Erlauben Sie, das
ist orientalischer Schwulst, werter Herr Archivarius! sagte der Registrator
Heerbrand, und wir baten denn doch, Sie sollten, wie Sie sonst wohl zu tun
pflegen, uns etwas aus Ihrem höchst merkwürdigen Leben, etwa von Ihren
Reiseabenteuern und zwar etwas Wahrhaftiges erzählen. -- Nun was denn?
erwiderte der Archivarius Lindhorst, das was ich soeben erzählt, ist das
Wahrhaftigste, was ich Euch auftischen kann, Ihr Leute, und gehört in
gewisser Art auch zu meinem Leben. Denn ich stamme eben aus jenem Tale her,
und die Feuerlilie, die zuletzt als Königin herrschte, ist meine
Ur-ur-ur-ur-Großmutter, weshalb ich denn auch eigentlich ein Prinz bin.
-- Alle brachen in ein schallendes Gelächter aus. -- Ja lacht nur recht
herzlich, fuhr der Archivarius Lindhorst fort, Euch mag wohl das, was ich
freilich nur in ganz dürftigen Zügen erzählt habe, unsinnig und toll
vorkommen, aber es ist dessen unerachtet nichts weniger als ungereimt oder
auch nur allegorisch gemeint, sondern buchstäblich wahr. Hätte ich aber
gewußt, daß Euch die herrliche Liebesgeschichte, der auch ich meine
Entstehung zu verdanken habe, so wenig gefallen würde, so hätte ich lieber
manches Neue mitgeteilt, das mir mein Bruder beim gestrigen Besuch
mitbrachte. -- »Ei, wie das? Haben Sie denn einen Bruder, Herr Archivarius?
-- Wo ist er denn -- wo lebt er denn? Auch in königlichen Diensten, oder
vielleicht ein privatisierender Gelehrter?« So fragte man von allen Seiten.
-- »Nein!« erwiderte der Archivarius, ganz kalt und gelassen eine Prise
nehmend, »er hat sich auf die schlechte Seite gelegt und ist unter die
Drachen gegangen.« -- »Wie beliebten Sie doch zu sagen, wertester
Archivarius,« nahm der Registrator Heerbrand das Wort, »unter die Drachen?«
-- »Unter die Drachen?« hallte es von allen Seiten wie ein Echo nach.
-- »Ja, unter die Drachen«, fuhr der Archivarius Lindhorst fort, eigentlich
war es Desperation. Sie wissen, meine Heren [Herren], daß mein Vater vor
ganz kurzer Zeit starb, es sind nur höchstens dreihundertfünfundachtzig
Jahre her, weshalb ich auch noch Trauer trage; der hatte mir, dem Liebling,
einen prächtigen Onyx vermacht, den durchaus mein Bruder haben wollte. Wir
zankten uns bei der Leiche des Vaters darüber auf eine ungebührliche
Weise, bis der Selige, der die Geduld verlor, aufsprang und den bösen
Bruder die Treppe hinunterwarf. Das wurmte meinen Bruder, und er ging
stehenden Fußes unter die Drachen. Jetzt hält er sich in einem
Cypressenwalde dicht bei Tunis auf, dort hat er einen berühmten mystischen
Karfunkel zu bewachen, dem ein Teufelskerl von Nekromant, der ein
Sommerlogis in Lappland bezogen, nachstellt, weshalb er denn nur auf ein
Viertelstündchen, wenn gerade der Nekromant im Garten seine Salamanderbeete
besorgt, abkommen kann, um mir in der Geschwindigkeit zu erzählen, was es
gutes Neues an den Quellen des Nils gibt.« -- Zum zweiten Male brachen die
Anwesenden in ein schallendes Gelächter aus, aber dem Studenten Anselmus
wurde ganz unheimlich zu Mute, und er konnte den Archivarius Lindhorst kaum
in die starren, ernsten Augen sehen, ohne innerlich auf eine ihm selbst
unbegreifliche Weise zu erbeben. Zumal hatte die rauhe, aber sonderbar
metallartig tönende Stimme des Archivarius Lindhorst für ihn etwas
geheimnisvoll Eindringendes, daß er Mark und Bein erzittern fühlte. Der
eigentliche Zweck, weshalb ihn der Registrator Heerbrand mit in das
Kaffeehaus genommen hatte, schien heute nicht erreichbar zu sein. Nach
jenem Vorfalle vor dem Hause des Archivarius Lindhorst war nämlich der
Student Anselmus nicht dahin zu vermögen gewesen, den Besuch zum zweiten
Male zu wagen; denn nach seiner innigsten Überzeugung hatte nur der Zufall
ihn, wo nicht vom Tode, doch von der Gefahr, wahnsinnig zu werden befreit.
Der Konrektor Paulmann war eben durch die Straße gegangen, als er ganz von
Sinnen vor der Haustür lag, und ein altes Weib, die ihren Kuchen- und
Äpfelkorb bei Seite gesetzt, um ihn beschäftigt war. Der Konrektor Paulmann
hatte sogleich eine Portechaise herbeigerufen und ihn so nach Hause
transportiert. »Man mag von mir denken, was man will«, sagte der Student
Anselmus, »man mag mich für einen Narren halten oder nicht -- genug! -- an
dem Türklopfer grinste mir das vermaledeite Gesicht der Hexe vom schwarzen
Tore entgegen; was nachher geschah, davon will ich lieber gar nicht reden;
aber wäre ich aus meiner Ohnmacht erwacht und hätte das verwünschte
Äpfelweib vor mir gesehen (denn niemand anders war doch das alte um mich
beschäftigte Weib), mich hätte augenblicklich der Schlag gerührt, oder ich
wäre wahnsinnig geworden.« Alles Zureden, alle vernünftigen Vorstellungen
des Konrektors Paulmann und des Registrators Heerbrand fruchteten gar
nichts, und selbst die blauäugige Veronika vermochte nicht, ihn aus einem
gewissen tiefsinnigen Zustande zu reißen, in den er versunken. Man hielt
ihn nun in der Tat für seelenkrank und sann auf Mittel, ihn zu zerstreuen,
worauf der Registrator Heerbrand meinte, daß nichts dazu dienlicher sein
könne als die Beschäftigung bei dem Archivarius Lindhorst, nämlich das
Nachmalen der Manuskripte. Es kam nur darauf an, den Studenten Anselmus auf
gute Art dem Archivarius Lindhorst bekannt zu machen, und da der
Registrator Heerbrand wußte, daß dieser beinahe jeden Abend ein gewisses
bekanntes Kaffeehaus besuchte, so lud er den Studenten Anselmus ein, jeden
Abend so lange auf seine, des Registrators Kosten in jenem Kaffeehause ein
Glas Bier zu trinken und eine Pfeife zu rauchen, bis er auf diese oder jene
Art dem Archivarius bekannt und mit ihm über das Geschäft des Abschreibens
der Manuskripte einig geworden, welches der Student Anselmus dankbarlichst
annahm. »Sie verdienen Gottes Lohn, werter Registrator, wenn Sie den jungen
Menschen zur Raison bringen,« sagte der Konrektor Paulmann. -- »Gottes
Lohn!« wiederholte Veronika, indem sie die Augen fromm zum Himmel erhob und
lebhaft daran dachte, wie der Student Anselmus schon jetzt ein recht
artiger junger Mann sei, auch ohne Raison! -- Als der Archivarius Lindhorst
eben mit Hut und Stock zur Tür hinausschreiten wollte, da ergriff der
Registrator Heerbrand den Studenten Anselmus rasch bei der Hand, und mit
ihm dem Archivarius den Weg vertretend, sprach er: »Geschätztester Herr
geheimer Archivarius, hier ist der Student Anselmus, der, ungemein
geschickt im Schönschreiben und Zeichnen, Ihre seltenen Manuskripte
kopieren will.« -- »Das ist mir ganz ungemein lieb,« erwiderte der
Archivarius Lindhorst rasch, warf den dreieckigen soldatischen Hut auf den
Kopf und eilte, den Registrator Heerbrand und den Studenten Anselmus bei
Seite schiebend, mit vielem Geräusch die Treppe hinab, so daß beide ganz
verblüfft dastanden und die Stubentür anguckten, die er dicht vor ihnen
zugeschlagen, daß die Angeln klirrten. »Das ist ja ein ganz wunderlicher
alter Mann,« sagte der Registrator Heerbrand, -- »Wunderlicher alter Mann,«
stotterte der Student Anselmus nach, fühlend, wie ein Eisstrom ihm durch
alle Adern fröstelte, daß er beinahe zur starren Bildsäule geworden. Aber
alle Gäste lachten und sagten: »Der Archivarius war heute einmal wieder in
seiner besonderen Laune, morgen ist er gewiß sanftmütig und spricht kein
Wort, sondern sieht in die Dampfwirbel seiner Pfeife oder liest Zeitungen;
man muß sich daran gar nicht kehren.« -- »Das ist auch wahr« dachte der
Student Anselmus, »wer wird sich an so etwas kehren! Hat der Herr
Archivarius nicht gesagt, es sei ihm ganz ungemein lieb, daß ich seine
Manuskripte kopieren wolle? -- Und warum vertrat ihm auch der Registrator
Heerbrand den Weg, als er gerade nach Hause gehen wollte? -- Nein, nein, es
ist ein lieber Mann, im Grunde genommen, der Herr geheime Archivarius
Lindhorst, und liberal erstaunlich -- nur kurios in absonderlichen
Redensarten. -- Allein was schadet das mir? -- Morgen gehe ich hin Punkt
zwölf Uhr, und setzten sich hundert bronzierte Äpfelweiber dagegen.«



VIERTE VIGILIE


Melancholie des Studenten Anselmus. -- Der smaragdene Spiegel. -- Wie
Archivarius Lindhorst als Stoßgeier davonflog und der Student Anselmus
niemandem begegnete.


Wohl darf ich geradezu Dich selbst, günstiger Leser, fragen, ob Du in
Deinem Leben nicht Stunden, ja Tage und Wochen hattest, in denen Dir all'
Dein gewöhnliches Tun und Treiben ein recht quälendes Mißbehagen erregte,
und in denen Dir, alles was Dir sonst recht wichtig und wert in Sinn und
Gedanken zu tragen vorkam, nun läppisch und nichtswürdig erschien. Du
wußtest dann selbst nicht, was Du tun und wohin Du Dich wenden solltest.
Ein dunkles Gefühl, es müsse irgendwo und zu irgend einer Zeit ein hoher,
den Kreis alles irdischen Genusses überschreitender Wunsch erfüllt werden,
den der Geist, wie ein strenggehaltenes furchtsames Kind gar nicht
auszusprechen wage, erhob Deine Brust, und in dieser Sehnsucht nach dem
unbekannten Etwas, das Dich überall, wo Du gingst und standest, wie ein
duftiger Traum mit durchsichtigen, vor dem schärferen Blick zerfließenden
Gestalten umschwebte, verstummtest Du für alles was Dich hier umgab. Du
schlichst mit trübem Blick umher wie ein hoffnungslos Liebender, und alles,
was Du die Menschen auf allerlei Weise im bunten Gewühl durcheinander
treiben sahst, erregte Dir keinen Schmerz und keine Freude, als gehörtest
Du nicht mehr dieser Welt an. Ist Dir, günstiger Leser, jemals so zu Mute
gewesen, so kennst Du selbst aus eigener Erfahrung den Zustand, in dem sich
der Student Anselmus befand. Überhaupt wünschte ich, es wäre mir schon
jetzt gelungen, Dir, geneigter Leser, den Studenten Anselmus recht lebhaft
vor Augen zu bringen. Denn in der Tat, ich habe in den Nachtwachen, die ich
dazu verwende, seine höchst sonderbare Geschichte aufzuschreiben, noch so
viel Wunderliches, das wie eine spukhafte Erscheinung das alltägliche Leben
ganz gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinausrückte, zu erzählen, daß mir
bange ist, Du werdest am Ende weder an den Studenten Anselmus noch an den
Archivarius Lindhorst glauben, ja wohl gar einige ungerechte Zweifel gegen
den Konrektor Paulmann und den Registrator Heerbrand hegen, unerachtet
wenigstens die letztgenannten achtbaren Männer noch jetzt in Dresden
umherwandeln. Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll
herrlicher Wunder, die die höchste Wonne, sowie das tiefste Entsetzen in
gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin ihren Schleier
lüftet, daß wir ihr Antlitz zu schauen wähnen -- aber ein Lächeln
schimmert oft aus dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der
in allerlei verwirrendem Zauber mit uns spielt, so wie die Mutter oft mit
ihren liebsten Kindern tändelt -- ja, in diesem Reiche, das uns der Geist
so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die
bekannten Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt, im gemeinen
Leben, um Dich herwandeln, wiederzuerkennen. Du wirst dann glauben, daß Dir
jenes herrliche Reich viel näher liege, als Du sonst wohl meintest, welches
ich nun eben recht herzlich wünsche, und Dir in der seltsamen Geschichte
des Studenten Anselmus anzudeuten strebe. -- Also, wie gesagt, der Student
Anselmus geriet seit jenem Abende, als er den Archivarius Lindhorst
gesehen, in ein träumerisches Hinbrüten, daß [das] ihn für jede äußere
Berührung des gewöhnlichen Lebens unempfindlich machte. Er fühlte, wie ein
unbekanntes Etwas in seinem Innersten sich regte und ihm jenen wonnevollen
Schmerz verursachte, der eben die Sehnsucht ist, welche dem Menschen ein
anderes, höheres Sein verheißt. Am liebsten war es ihm, wenn er allein
durch Wiesen und Wälder schweifen und wie losgelöst von allem, was ihn an
sein dürftiges Leben fesselte, nur im Anschauen der mannigfachen Bilder,
die aus seinem Innern stiegen, sich gleichsam selbst wiederfinden konnte.
So kam es denn, daß er einst, von einem weiten Spaziergange heimkehrend,
bei jenem merkwürdigen Holunderbusch vorüberschritt, unter dem er damals
wie von Feerei befangen, so viel Seltsames sah; er fühlte sich
wunderbarlich von dem grünen heimatlichen Rasenfleck angezogen, aber kaum
hatte er sich daselbst niedergelassen, als alles, was er damals wie in
einer himmlischen Verzückung geschaut, und das wie von einer fremden Gewalt
aus seiner Seele verdrängt worden, ihm wieder in den lebhaftesten Farben
vorschwebte, als sähe er es zum zweiten Mal. Ja, noch deutlicher als damals
war es ihm, daß die holdseligen blauen Augen der goldgrünen Schlange
angehören, die in der Mitte des Holunderbaumes sich emporwand, und daß in
den Windungen des schlanken Leibes all' die herrlichen Krystall-Glockentöne
hervorblitzen mußten, die ihn mit Wonne und Entzücken erfüllten. So wie
damals am Himmelfahrtstage, umfaßte er den Holunderbaum und rief in die
Zweige und Blätter hinein: »Ach nur noch einmal schlängle und schlinge und
winde Dich, Du holdes grünes Schlänglein, in den Zweigen, daß ich Dich
schauen mag! Nur noch einmal blicke mich an mit Deinen holdseligen Augen!
Ach ich liebe Dich ja und muß in Trauer und Schmerz vergehen, wenn Du nicht
wiederkehrst!« Alles blieb jedoch stumm und still, und wie damals rauschte
der Holunderbaum nur ganz unvernehmlich mit seinen Zweigen und Blättern.
Aber dem Studenten Anselmus war es als wisse er nun, was sich in seinem
Innern so rege und bewege, ja was seine Brust so im Schmerz einer
unendlichen Sehnsucht zerreiße. »Ist es denn etwas anderes,« sprach er,
»als daß ich Dich so ganz mit voller Seele bis zum Tode liebe, Du
herrliches goldenes Schlängelein, ja daß ich ohne Dich nicht zu leben
vermag und vergehen muß in hoffnungsloser Not, wenn ich Dich nicht
wiedersehe, Dich nicht habe wie die Geliebte meines Herzens -- aber ich
weiß es, Du wirst mein und dann alles, was herrliche Träume aus einer
andern höhern Welt mir verheißen, erfüllt sein.« -- Nun ging der Student
Anselmus jeden Abend, wenn die Sonne nur noch in die Spitzen der Bäume ihr
funkelndes Gold streute, unter den Holunderbaum und rief aus tiefer Brust
mit ganz kläglichen Tönen in die Blätter und Zweige hinein nach der holden
Geliebten, dem goldgrünen Schlänglein. Als er dieses wieder einmal nach
gewöhnlicher Weise trieb, stand plötzlich ein langer hagerer Mann in einem
weiten lichtgrauen Überrock gehüllt und rief, indem er ihn mit seinen
großen feurigen Augen anblitzte: »Hei, hei, was klagt und winselt denn da?
-- Hei, hei, das ist ja Herr Anselmus, der meine Manuskripte kopieren
will.« Der Student Anselmus erschrak nicht wenig vor der gewaltigen Stimme;
denn es war ja dieselbe, die damals am Himmelfahrtstage gerufen: Hei, hei!
was ist das für ein Gemunkel und Geflüster usw. Er konnte vor Staunen und
Schreck kein Wort herausbringen. -- »Nun, was ist Ihnen denn, Herr
Anselmus?« fuhr der Archivarius Lindhorst fort (niemand anders war der Mann
im weißgrauen Überrock), »was wollen Sie von dem Holunderbaum und warum
sind Sie denn nicht zu mir gekommen, um Ihre Arbeit anzufangen?« --
Wirklich hatte der Student Anselmus es noch nicht über sich vermocht, den
Archivarius Lindhorst wieder in seinem Hause aufzusuchen, unerachtet er
sich jenen Abend ganz dazu ermutigt; in diesem Augenblick aber, als er
seine schönen Träume und noch dazu durch dieselbe feindselige Stimme, die
schon damals ihm die Geliebte geraubt, zerrissen sah, erfaßte ihn eine Art
Verzweiflung und er brach ungestüm los: »Sie mögen mich nun für wahnsinnig
halten oder nicht, Herr Archivarius, das gilt mir ganz gleich, aber hier
auf diesem Baume erblickte ich am Himmelfahrtstage die goldgrüne Schlange
-- ach! die ewig Geliebte meiner Seele und sie sprach zu mir in herrlichen
Kristalltönen, aber Sie -- Sie, Herr Archivarius, schrieen und riefen so
schrecklich übers Wasser her.« -- »Wie das, mein Gönner?« unterbrach ihn
der Archivarius Lindhorst, indem er ganz sonderbar lächelnd eine Prise
nahm. -- Der Student Anselmus fühlte, wie seine Brust sich erleichterte,
als es ihm nur gelungen, von jenem wunderbaren Abenteuer anzufangen und es
war ihm als sei es schon ganz recht, daß er den Archivarius geradezu
beschuldigt: er sei es gewesen, der so aus der Ferne gedonnert. Er nahm
sich zusammen, sprechend: »Nun, so will ich denn alles erzählen, was mir an
dem Himmelfahrtsabende Verhängnisvolles begegnet und dann mögen Sie reden
und tun und überhaupt denken über mich was Sie wollen.« -- Er erzählte nun
wirklich die ganze wunderliche Begebenheit von dem unglücklichen Tritt in
den Äpfelkorb an, bis zum Entfliehen der drei goldgrünen Schlangen übers
Wasser und wie ihn nun die Menschen für betrunken oder wahnsinnig gehalten.
»Das alles,« schloß der Student Anselmus, »habe ich wirklich gesehen und
tief in der Brust ertönen noch im hellen Nachklange die lieblichen Stimmen,
die zu mir sprachen; es war keineswegs ein Traum und soll ich nicht vor
Liebe und Sehnsucht sterben, so muß ich an die goldgrünen Schlangen
glauben, unerachtet ich an Ihrem Lächeln, werter Herr Archivarius,
wahrnehme, daß Sie eben diese Schlangen nur für ein Erzeugnis meiner
erhitzten, überspannten Einbildungskraft halten.« -- »Mit nichten,«
erwiderte der Archivarius in der größten Ruhe und Gelassenheit, »die
goldgrünen Schlangen, die Sie, Herr Anselmus, in dem Holunderbusch gesehen,
waren nun eben meine drei Töchter, und daß Sie sich in die blauen Augen der
jüngsten, Serpentina genannt, gar sehr verliebt, das ist nun wohl klar. Ich
wußte es übrigens schon am Himmelfahrtstage und da mir zu Hause, am
Arbeitstisch sitzend, des Gemunkels und Geklingels zuviel wurde, rief ich
den losen Dirnen zu, daß es Zeit sei nach Hause zu eilen; denn die Sonne
ging schon unter und sie hatten sich genug mit Singen und Strahlentrinken
erlustigt!« -- Dem Studenten Anselmus war es als würde ihm nur etwas mit
deutlichen Worten gesagt, was er längst geahnt; und ob er gleich zu
bemerken glaubte, daß sich Holunderbusch, Mauer, Rasenboden und alle
Gegenstände rings umher leise zu drehen anfingen, so raffte er sich doch
zusammen und wollte etwas reden; aber der Archivarius ließ ihn nicht zu
Worte kommen, sondern zog schnell den Handschuh von der linken Hand, und
indem er den in wunderbaren Funken und Flammen blitzenden Stein eines
Ringes dem Studenten vor die Augen hielt, sprach er: Schauen Sie her,
werter Herr Anselmus, Sie können darüber, was Sie erblicken, eine Freude
haben. Der Student Anselmus schaute hin, und, o Wunder! Der Stein warf wie
aus einem brennenden Fokus Strahlen rings herum, und die Strahlen
verspannen sich zum hellen, leuchtenden Kristallspiegel, in dem in
mancherlei Windungen, bald einander fliehend, bald sich in einander
schlingend, die drei goldgrünen Schlänglein tanzten und hüpften. Und wenn
die schlanken in tausend Funken blitzenden Leiber sich berührten, da
erklangen herrliche Akkorde wie Kristallglocken und die mittelste streckte
wie voll Sehnsucht und Verlangen das Köpfchen zum Spiegel heraus und die
dunkelblauen Augen sprachen: Kennst Du mich denn -- glaubst Du denn an
mich, Anselmus? -- nur in dem Glauben ist Liebe -- kannst Du denn lieben?
-- O Serpentina, Serpentina! schrie der Student Anselmus in wahnsinnigem
Entzücken; aber der Archivarius Lindhorst hauchte schnell auf den Spiegel,
da fuhren in elektrischem Geknister die Strahlen in den Fokus zurück, und
an der Hand blitzte nur wieder ein kleiner Smaragd, über den der
Archivarius den Handschuh zog. Haben Sie die goldnen Schlänglein gesehen,
Herr Anselmus? fragte der Archivarius Lindhorst. Ach Gott, ja! erwiderte
der Student, und die holde liebliche Serpentina. Still! fuhr der
Archivarius Lindhorst fort, genug für heute! übrigens können Sie ja, wenn
Sie sich entschließen wollen bei mir zu arbeiten, meine Töchter oft genug
sehen, oder vielmehr, ich will Ihnen das wahrhaftige Vergnügen verschaffen,
wenn Sie sich bei der Arbeit recht brav halten, das heißt: mit der größten
Genauigkeit und Reinheit jedes Zeichen kopieren. Aber Sie kommen ja gar
nicht zu mir, unerachtet mir der Registrator Heerbrand versicherte, Sie
würden sich nächstens einfinden und ich deshalb mehrere Tage vergebens
gewartet. -- Sowie der Archivarius Lindhorst den Namen Heerbrand nannte,
war es dem Studenten Anselmus erst wieder, als stehe er wirklich mit
beiden Füßen auf der Erde und er wäre wirklich der Student Anselmus, und
der vor ihm stehende Mann der Archivarius Lindhorst. Der gleichgültige Ton,
in dem dieser sprach, hatte im grellen Kontrast mit den wunderbaren
Erscheinungen, die er wie ein wahrhafter Nekromant hervorrief, etwas
Grauenhaftes, das durch den stechenden Blick der funkelnden Augen, die aus
den knöchernen Höhlen des magern, runzligen Gesichts wie aus einem Gehäuse
hervorstrahlten, noch erhöht wurde, und den Studenten ergriff mit Macht
dasselbe unheimliche Gefühl, welches sich seiner schon auf dem Kaffeehause
bemeisterte, als der Archivarius so viel Abenteuerliches erzählte. Nur mit
Mühe faßte er sich, und als der Archivarius nochmals fragte: nun, warum
sind Sie denn nicht zu mir gekommen? da erhielt er es über sich, alles zu
erzählen, was ihm an der Haustür begegnet. Lieber Herr Anselmus, sagte der
Archivarius, als der Student seine Erzählung geendet, lieber Herr Anselmus,
ich kenne wohl das Äpfelweib, von dem Sie zu sprechen belieben; es ist eine
fatale Kreatur, die mir allerhand Possen spielt, und daß sie sich hat
bronzieren lassen, um als Türklopfer die mir angenehmen Besuche zu
verscheuchen, das ist in der Tat sehr arg und nicht zu leiden. Wollten Sie
doch, werter Herr Anselmus, wenn Sie morgen um zwölf Uhr zu mir kommen und
wieder etwas von dem Angrinsen und Anschnarren vermerken, ihr gefälligst
etwas Weniges von diesem Likör auf die Nase tröpfeln; dann wird sich
sogleich alles geben.

[Illustration: Wie ein großer Vogel]

Und nun Adieu! lieber Herr Anselmus, ich gehe etwas rasch, deshalb will
ich Ihnen nicht zumuten, mit mir nach der Stadt zurückzukehren. Adieu! auf
Wiedersehen, morgen um zwölf Uhr. -- Der Archivarius hatte dem Studenten
Anselmus ein kleines Fläschchen mit einem goldgelben Likör gegeben und nun
schritt er rasch von dannen, so daß er in der tiefen Dämmerung, die
unterdessen eingebrochen, mehr in das Tal hinabzuschweben als zu gehen
schien. Schon war er in der Nähe des Koselschen Gartens, da setzte sich der
Wind in den weiten Überrock und trieb die Schöße auseinander, daß sie wie
ein Paar große Flügel in den Lüften flatterten und es dem Studenten
Anselmus, der verwunderungsvoll dem Archivarius nachsah, vorkam, als breite
ein großer Vogel die Fittiche aus zum raschen Fluge. -- Wie der Student nun
so in die Dämmerung hineinstarrte, da erhob sich mit krächzendem Geschrei
ein weißgrauer Geier hoch in die Lüfte und er merkte nun wohl, daß das
weiße Geflatter, das er noch immer für den davonschreitenden Archivarius
gehalten, schon eben der Geier gewesen sein müsse, unerachtet er nicht
begreifen konnte, wo denn der Archivarius mit einem Male hingeschwunden.
»Er kann aber auch selbst in Person davongeflogen sein, der Herr
Archivarius Lindhorst,« sprach der Student Anselmus zu sich selbst; »denn
ich sehe und fühle nun wohl, daß alle die fremden Gestalten aus einer
fernen wundervollen Welt, die ich sonst nur in ganz besondern merkwürdigen
Träumen schaute, jetzt in mein waches reges Leben geschritten sind und ihr
Spiel mit mir treiben. -- Dem sei aber wie ihm wolle! Du lebst und glühst
in meiner Brust, holde, liebliche Serpentina, nur Du kannst die unendliche
Sehnsucht stillen, die mein Innerstes zerreißt. Ach, wann werde ich in Dein
holdseliges Auge blicken, liebe, liebe Serpentina!« -- -- So rief der
Student Anselmus ganz laut. -- »Das ist ein schnöder unchristlicher Name,«
murmelte eine Baßstimme neben ihm, die einem heimkehrenden Spaziergänger
gehörte. Der Student Anselmus, zu rechter Zeit erinnert wo er war, eilte
raschen Schrittes von dannen, indem er bei sich selbst dachte: wäre es
nicht ein rechtes Unglück, wenn mir jetzt der Konrektor Paulmann oder der
Registrator Heerbrand begegnete! -- Aber er begegnete keinem von beiden.



FÜNFTE VIGILIE


Die Frau Hofrätin Anselmus. -- Cicero de officiis. -- Meerkatzen und
anderes Gesindel. -- Die alte Lise. -- Das Aequinoctium.


Mit dem Anselmus ist nun einmal in der Welt nichts anzufangen, sagte der
Konrektor Paulmann, alle meine guten Lehren, alle meine Ermahnungen sind
fruchtlos, er will sich ja zu gar nichts applizieren, unerachtet er die
besten Schulstudia besitzt, die denn doch die Grundlage von allem sind.
Aber der Registrator Heerbrand erwiderte schlau und geheimnisvoll lächelnd:
Lassen Sie dem Anselmus doch nur Raum und Zeit, wertester Konrektor, das
ist ein kurioses Subjekt, aber es steckt viel in ihm und wenn ich sage:
viel, so heißt das: ein geheimer Sekretär, oder wohl gar ein Hofrat. -- Hof
-- fing der Konrektor im größten Erstaunen an, das Wort blieb ihm stecken.
-- Still, still, fuhr der Registrator Heerbrand fort, ich weiß, was ich
weiß! Schon seit zwei Tagen sitzt er bei dem Archivarius Lindhorst und
kopiert, und der Archivarius sagte gestern Abend auf dem Kaffeehause zu
mir: Sie haben mir einen wackern Mann empfohlen, Verehrter; aus dem wird
was; -- und nun bedenken Sie des Archivarii Konnexionen -- still -- still
-- sprechen wir uns übers Jahr! -- Mit diesen Worten ging der Registrator
in fortwährendem schlauem Lächeln zur Tür hinaus und ließ den vor Erstaunen
und Neugier verstummten Konrektor im Stuhle festgebannt sitzen. Aber auf
Veronika hatte das Gespräch einen ganz eignen Eindruck gemacht. Habe ich's
denn nicht schon immer gewußt, dachte sie, daß der Herr Anselmus ein recht
gescheiter, liebenswürdiger junger Mann ist, aus dem noch was Großes wird?
Wenn ich nur wüßte, ob er mir wirklich gut ist! -- Aber hat er mir nicht
jenen Abend, als wir über die Elbe fuhren, zweimal die Hand gedrückt? Hat
er mich nicht im Duett angesehen mit solchen ganz sonderbaren Blicken, die
bis ins Herz drangen? Ja, ja, er ist mir wirklich gut -- und ich --
Veronika überließ sich ganz, wie junge Mädchen wohl pflegen, den süßen
Träumen von einer heitern Zukunft. Sie war Frau Hofrätin, bewohnte ein
schönes Logis in der Schloßgasse oder auf dem Neumarkt, oder auf der
Moritzstraße -- der moderne Hut, der neue türkische Schal stand ihr
vortrefflich -- sie frühstückte im eleganten Negligee im Erker, der Köchin
die nötigen Befehle für den Tag erteilend. »Aber daß Sie mir die Schüssel
nicht verdirbt, es ist des Herrn Hofrats Leibessen!« -- Vorübergehende
Elegants schielen herauf, sie hört deutlich: »Es ist doch eine göttliche
Frau, die Hofrätin, wie ihr das Spitzenhäubchen so allerliebst steht!« --
Die geheime Rätin Ypsilon schickt den Bedienten und läßt fragen, ob es der
Frau Hofrätin gefällig wäre, heute ins Linkesche Bad zu fahren? -- »Viel
Empfehlungen, es täte mir unendlich leid, ich sei schon engagiert zum Tee
bei der Präsidentin Tz.« -- Da kommt der Hofrat Anselmus, der schon früh in
Geschäften ausgegangen, zurück; er ist nach der letzten Mode gekleidet;
»wahrhaftig schon zehn,« ruft er, indem er die goldne Uhr repetieren läßt
und der jungen Frau einen Kuß gibt: »wie geht's, liebes Weibchen, weißt Du
auch, was ich für Dich habe?« fährt er schäkernd fort und zieht ein Paar
herrliche, nach der neuesten Art gefaßte Ohrringe aus der Westentasche, die
er ihr statt der sonst getragenen gewöhnlichen einhängt. »Ach, die schönen
niedlichen Ohrringe!« ruft Veronika ganz laut und springt, die Arbeit
wegwerfend, vom Stuhl auf, um in dem Spiegel die Ohrringe wirklich zu
beschauen. »Nun, was soll denn das sein?« sagte der Konrektor Paulmann,
der, eben in Cicero de officiis vertieft, beinahe das Buch fallen gelassen,
»man hat ja Anfälle wie der Anselmus.« Aber da trat der Student Anselmus,
der wider seine Gewohnheit sich mehrere Tage nicht hatte sehen lassen ins
Zimmer, zu Veronikas Schreck und Erstaunen, denn in der Tat war er in
seinem ganzen Wesen verändert. Mit einer gewissen Bestimmtheit, die ihm
sonst gar nicht eigen, sprach er von ganz andern Tendenzen seines Lebens,
die ihm klar geworden, von den herrlichen Aussichten, die sich ihm
geöffnet, die mancher aber gar nicht zu schauen vermöchte. Der Konrektor
Paulmann wurde, der geheimnisvollen Rede des Registrators Heerbrand
gedenkend, noch mehr betroffen und konnte kaum eine Silbe hervorbringen,
als der Student Anselmus, nachdem er einige Worte von dringender Arbeit bei
dem Archivarius Lindhorst fallen gelassen und der Veronika mit eleganter
Gewandtheit die Hand geküßt, schon die Treppe hinunter, auf und von dannen
war. »Das war ja schon der Hofrat,« murmelte Veronika in sich hinein, »und
er hat mir die Hand geküßt, ohne dabei auszugleiten oder mir auf den Fuß zu
treten, wie sonst! -- er hat mir einen recht zärtlichen Blick zugeworfen
-- er ist mir wohl in der Tat gut.« -- Veronika überließ sich aufs neue
jener Träumerei, indessen war es als träte immer eine feindselige Gestalt
unter die lieblichen Erscheinungen, wie sie aus dem künftigen häuslichen
Leben als Frau Hofrätin hervorgingen, und die Gestalt lachte recht höhnisch
und sprach: »das ist ja alles recht dummes ordinäres Zeug und noch dazu
erlogen, denn der Anselmus wird nimmermehr Hofrat und Dein Mann; er liebt
Dich ja nicht, unerachtet Du blaue Augen hast und einen schlanken Wuchs und
eine feine Hand.« -- Da goß sich ein Eisstrom durch Veronikas Inneres und
ein tiefes Entsetzen vernichtete die Behaglichkeit, mit der sie sich nur
noch erst im Spitzenhäubchen und den eleganten Ohrringen gesehen. Die
Tränen wären ihr beinahe aus den Augen gestürzt und sie sprach laut: »Ach,
es ist ja wahr, er liebt mich nicht und ich werde nimmermehr Frau
Hofrätin!« »Romanstreiche, Romanstreiche!« schrie der Konrektor Paulmann,
nahm Hut und Stock und eilte zornig von dannen. -- Das fehlte noch,
seufzte Veronika und ärgerte sich recht über die zwölfjährige Schwester,
welche, teilnahmslos an ihrem Rahmen sitzend, fortgestickt hatte.
Unterdessen war es beinahe drei Uhr geworden und nun gerade Zeit das Zimmer
aufzuräumen und den Kaffeetisch zu ordnen; denn die Mesdemoiselles Oster
hatten sich bei der Freundin ansagen lassen. Aber hinter jedem Schränkchen,
das Veronika wegrückte, hinter den Notenbüchern, die sie vom Klavier,
hinter jeder Tasse, hinter der Kaffeekanne, die sie aus dem Schrank nahm,
sprang jene Gestalt wie ein Alräunchen hervor und lachte höhnisch und
schlug mit den kleinen Spinnenfingern Schnippchen und schrie: er wird doch
nicht Dein Mann, er wird doch nicht Dein Mann! Und dann, wenn sie alles
stehen und liegen ließ und in die Mitte des Zimmers flüchtete, sah es mit
langer Nase riesengroß hinter dem Ofen hervor und knurrte und schnurrte: er
wird doch nicht Dein Mann! »Hörst Du denn nichts, siehst Du denn nichts,
Schwester?« rief Veronika, die vor Furcht und Zittern gar nichts mehr
anrühren mochte. Fränzchen stand ganz ernsthaft und ruhig von ihrem
Stickrahmen auf und sagte: »Was ist Dir denn heute, Schwester? Du wirfst ja
alles durcheinander, daß es klippert und klappert, ich muß Dir nur helfen.«
Aber da traten schon die muntern Mädchen in vollem Lachen herein und in dem
Augenblick wurde nun auch Veronika gewahr, daß sie den Ofenaufsatz für eine
Gestalt und das Knarren der übel verschlossenen Ofentür für die
feindseligen Worte gehalten hatte. Von einem innern Entsetzen gewaltsam
ergriffen, konnte sie sich aber nicht so schnell erholen, daß die
Freundinnen nicht ihre ungewöhnliche Spannung, die selbst ihre Blässe, ihr
verstörtes Gesicht verriet, hätten bemerken sollen. Als sie schnell
abbrechend von all dem Lustigen, das sie eben erzählen wollten, in die
Freundin drangen, was ihr denn um des Himmels willen widerfahren, mußte
Veronika eingestehen, wie sie sich ganz besondern Gedanken hingegeben und
plötzlich am hellen Tage von einer sonderbaren Gespensterfurcht, die ihr
sonst gar nicht eigen, übermannt worden. Nun erzählte sie so lebhaft, wie
aus allen Winkeln des Zimmers ein kleines graues Männchen sie geneckt und
gehöhnt habe, daß die Mesdemoiselles Oster sich schüchtern nach allen
Seiten umsahen und ihnen bald gar unheimlich und grausig zu Mute wurde. Da
trat Fränzchen mit dem dampfenden Kaffee herein, und alle drei sich
besinnend, lachten über ihre eigene Albernheit. Angelika, so hieß die
älteste Oster, war mit einem Offizier versprochen, der bei der Armee stand
und von dem die Nachrichten solange ausgeblieben, daß man an seinem Tode,
oder wenigstens an seiner schweren Verwundung kaum zweifeln konnte. Dies
hatte Angelika in die tiefste Betrübnis gestürzt, aber heute war sie
fröhlich bis zur Ausgelassenheit, worüber Veronika sich nicht wenig
wunderte und es ihr unverhohlen äußerte. »Liebes Mädchen«, sagte Angelika,
»glaubst Du denn nicht, daß ich meinen Viktor immerdar im Herzen, in Sinn
und Gedanken trage? aber eben deshalb bin ich so heiter! -- ach Gott! -- so
glücklich, so selig in meinem ganzen Gemüte! denn mein Viktor ist wohl, und
ich sehe ihn in weniger Zeit als Rittmeister, geschmückt mit den
Ehrenzeichen, die ihm seine unbegrenzte Tapferkeit erwarben, wieder. Eine
starke, aber durchaus nicht gefährliche Verwundung des rechten Arms, und
zwar durch den Säbelhieb eines feindlichen Husaren, verhindert ihn zu
schreiben, und der schnelle Wechsel seines Aufenthaltes, da er durchaus
sein Regiment nicht verlassen will, macht es auch noch immer unmöglich mir
Nachricht zu geben; aber heute Abend erhält er die bestimmte Weisung, sich
erst ganz heilen zu lassen. Er reiset morgen ab, um herzukommen, und indem
er in den Wagen steigen will, erfährt er seine Ernennung zum Rittmeister,«
-- »Aber liebe Angelika,« fiel Veronika ein, »das weißt Du jetzt schon
alles?« -- »Lache mich nicht aus, liebe Freundin,« fuhr Angelika fort,
»aber Du wirst es nicht, denn könnte nicht Dir zur Strafe gleich das kleine
graue Männchen dort hinter dem Spiegel hervorgucken? -- Genug, ich kann
mich von dem Glauben an gewisse geheimnisvolle Dinge nicht losmachen, weil
sie oft genug ganz sichtbarlich und handgreiflich, möcht' ich sagen, in
mein Leben getreten. Vorzüglich kommt es mir nun garnicht einmal so
wunderbar und unglaublich vor, als manchem andern, daß es Leute geben kann,
denen eine gewisse Sehergabe eigen, die sie durch ihnen bekannte
untrügliche Mittel in Bewegung zu setzen wissen. Es ist hier am Orte eine
alte Frau, die diese Gabe besonders besitzt. Nicht sowie andere ihres
Gelichters, prophezeit sie aus Karten, gegossenem Blei oder aus dem
Kaffeesatze, sondern nach gewissen Vorbereitungen, an denen die fragende
Person teilnimmt, erscheint in einem hellpolierten Metallspiegel ein
wunderliches Gemisch von allerlei Figuren und Gestalten, welche die Alte
deutet und aus ihnen die Antwort auf die Frage schöpft. Ich war gestern
Abend bei ihr und erhielt jene Nachrichten von meinem Viktor, an deren
Wahrheit ich nicht einen Augenblick zweifle.« -- Angelika's Erzählung warf
einen Funken in Veronika's Gemüt, der schnell den Gedanken entzündete, die
Alte über den Anselmus und über ihre Hoffnungen zu befragen. Sie erfuhr,
daß die alte [Alte] Frau Rauerin hieße, in einer entlegenen Straße vor dem
Seetor wohne, durchaus nur Dienstags, Mittwochs und Freitags von sieben Uhr
abends, dann aber die ganze Nacht hindurch bis zum Sonnen-Aufgang zu
treffen sei und es gern sehe, wenn man allein komme. -- Es war eben
Mittwoch, und Veronika beschloß, unter dem Vorwande die Osters nach Hause
zu begleiten, die Alte aufzusuchen, welches sie denn auch in der Tat
ausführte. Kaum hatte sie nämlich von den Freundinnen, die in der Neustadt
wohnten, vor der Elbbrücke Abschied genommen, als sie geflügelten Schrittes
vor das Seetor eilte und sich bald in der beschriebenen abgelegenen engen
Straße befand, an deren Ende sie das kleine rote Häuschen erblickte, in
welchem die Frau Rauerin wohnen sollte. Sie konnte sich eines gewissen
unheimlichen Gefühls, ja eines innern Erbebens nicht erwehren, als sie vor
der Haustür stand. Endlich raffte sie sich, des innern Widerstrebens
unerachtet, zusammen, und zog an der Klingel, worauf sich die Tür öffnete
und sie durch den finstern Gang nach der Treppe tappte, die zum obern Stock
führte, wie es Angelika beschrieben. »Wohnt hier nicht die Frau Rauerin?«
rief sie in den öden Hausflur hinein, als sich niemand zeigte; da erscholl
statt der Antwort ein langes klares Miau, und ein großer schwarzer Kater
schritt mit hochgekrümmtem Rücken, den Schweif in Wellenringeln hin- und
herdrehend, gravitätisch vor ihr her bis an die Stubentür, die auf ein
zweites Miau geöffnet wurde. »Ach sieh da, Töchterchen, bist Du schon hier?
komm herein -- herein!« So rief die heraustretende Gestalt, deren Anblick
Veronika an den Boden festbannte. Ein langes, hagres, in schwarze Lumpen
gehülltes Weib! indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn,
verzog sich das zahnlose Maul, von der knöchernen Habichtsnase beschattet,
zum grinsenden Lächeln, und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken
werfend durch die große Brille. Aus dem bunten um den Kopf gewickelten
Tuche starrten schwarze borstige Haare hervor, aber zum Gräßlichen erhoben
das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über
die Nase wegzogen. -- Veronika's Atem stockte, und der Schrei, der der
gepreßten Brust Luft machen sollte, wurde zum tiefen Seufzer, als der Hexe
Knochenhand sie ergriff und in das Zimmer hineinzog. Drinnen regte und
bewegte sich alles, es war ein Sinne verwirrendes Quieken und Miauen und
Gekrächze und Gepiepe durcheinander. Die Alte schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie: Still da, ihr Gesindel! Und die Meerkatzen kletterten
winselnd auf das hohe Himmelbett, und die Meerschweinchen liefen unter den
Ofen und der Rabe flatterte auf den runden Spiegel; nur der schwarze Kater,
als gingen ihn die Scheltworte nichts an, blieb ruhig auf dem großen
Polsterstuhl sitzen, auf den er gleich nach dem Eintritt gesprungen. --

[Illustration: "Frau Rauerin"]

Sowie es still wurde, ermutigte sich Veronika; es war ihr nicht so
unheimlich als draußen auf dem Flur, ja selbst das Weib schien ihr nicht
mehr so scheußlich. Jetzt erst blickte sie im Zimmer umher. -- Allerhand
häßliche ausgestopfte Tiere hingen von der Decke herab, unbekanntes
seltsames Geräte lag durcheinander auf dem Boden, und in dem Kamin brannte
ein blaues sparsames Feuer, das nur dann und wann in gelben Funken
emporknisterte; aber dann rauschte es von oben herab, und ekelhafte
Fledermäuse wie mit verzerrten lachenden Menschengesichtern schwangen sich
hin und her, und zuweilen leckte die Flamme herauf an der rußigen Mauer,
und dann erklangen schneidende, heulende Jammertöne, daß Veronika von Angst
und Grausen ergriffen wurde. »Mit Verlaub, Mamsellchen,« sagte die Alte
schmunzelnd, erfaßte einen großen Wedel und besprengte, nachdem sie ihn in
einen kupfernen Kessel getaucht, den Kamin. Da erlosch das Feuer, und wie
von dickem Rauch erfüllt, wurde es stockfinster in der Stube, aber bald
trat die Alte, die in ein Kämmerchen gegangen, mit einem angezündeten Licht
wieder herein, und Veronika erblickte nichts mehr von den Tieren, von den
Gerätschaften, es war eine gewöhnliche ärmlich ausstaffierte Stube. Die
Alte trat ihr näher und sagte mit schnarrender Stimme: »Ich weiß wohl, was
Du bei mir willst, mein Töchterchen: was gilt es, Du möchtest erfahren, ob
Du den Anselmus heiraten wirst, wenn er Hofrat worden!« -- Veronika
erstarrte vor Staunen und Schreck, aber die Alte fuhr fort: »Du hast mir ja
alles gesagt zu Hause beim Papa, als die Kaffeekanne vor Dir stand, ich war
ja die Kaffeekanne, hast Du mich denn nicht gekannt? Töchterchen, höre! Laß
ab, laß ab, von dem Anselmus, das ist ein garstiger Mensch, der hat meinen
Söhnlein ins Gesicht getreten, meinen lieben Söhnlein, den Äpfelchen mit
den roten Backen, die, wenn sie die Leute gekauft haben, ihnen wieder aus
den Taschen in meinen Korb zurückrollen. Er hält's mit dem Alten; er hat
mir vorgestern den verdammten Auripigment ins Gesicht gegossen, daß ich
beinahe darüber erblindet, Du kannst noch die Brandflecken sehen,
Töchterchen! Laß ab von ihm, laß ab! -- Er liebt Dich nicht: denn er liebt
die goldgrüne Schlange, er wird niemals Hofrat werden, weil er sich bei den
Salamandern hat anstellen lassen, und er will die grüne Schlange heiraten,
laß ab von ihm, laß ab!« -- Veronika, die eigentlich ein festes standhaftes
Gemüt hatte und mädchenhaften Schreck bald zu überwinden wußte, trat einen
Schritt zurück und sprach mit ernsthaftem gefaßtem Ton: »Alte! ich habe
von Eurer Gabe in die Zukunft zu blicken gehört und wollte darum,
vielleicht zu neugierig und voreilig, von Euch wissen, ob wohl Anselmus,
den ich liebe und hoch schätze, jemals mein werden würde. Wollt Ihr mich
daher, statt meinen Wunsch zu erfüllen, mit Eurem tollen unsinnigen
Geschwätze necken, so tut Ihr Unrecht; denn ich habe nur gewollt, was Ihr
Andern, wie ich weiß, gewährtet. Da Ihr, wie es scheint, meine innigsten
Gedanken wisset, so wäre es Euch vielleicht ein Leichtes gewesen, mir
manches zu enthüllen, was mich jetzt quält und ängstigt, aber nach Euern
albernen Verleumdungen des guten Anselmus mag ich von Euch weiter nichts
erfahren. Gute Nacht!« -- Veronika wollte davoneilen, da fiel die Alte
weinend und jammernd auf die Knie nieder und rief das Mädchen am Kleide
festhaltend: »Veronikchen, kennst Du denn die alte Lise nicht mehr, die
Dich so oft auf den Armen getragen und gepflegt und gehätschelt?« Veronika
traute kaum ihren Augen; denn sie erkannte ihre, freilich nur durch hohes
Alter und vorzüglich durch die Brandflecke entstellte ehemalige Wärterin,
die vor mehreren Jahren aus des Konrektor Paulmann's Hause verschwand. Die
Alte sah auch nun ganz anders aus, sie hatte statt des häßlichen
buntgefleckten Tuches, eine ehrbare Haube, und statt der schwarzen Lumpen
eine großblumige Jacke an, wie sie sonst wohl gekleidet gegangen. Sie
stand vom Boden auf und fuhr, Veronika in ihre Arme nehmend, fort: es mag
Dir alles, was ich Dir gesagt, wohl recht toll vorkommen, aber es ist dem
leider so. Der Anselmus hat mir viel zu Leide getan, doch wider seinen
Willen; er ist dem Archivarius Lindhorst in die Hände gefallen, und der
will ihn mit seiner Tochter verheiraten. Der Archivarius ist mein größter
Feind, und ich könnte Dir allerlei Dinge von ihm sagen, die würdest Du aber
nicht verstehen, oder Dich doch sehr entsetzen. Er ist der weise Mann, aber
ich bin die weise Frau -- es mag darum sein! -- Ich merke nun wohl, daß Du
den Anselmus recht lieb hast, und ich will Dir mit allen Kräften beistehen,
daß Du recht glücklich werden und fein ins Ehebett kommen sollst, wie Du es
wünschest.« -- »Aber sage Sie mir um des Himmels willen, Lise!« fiel
Veronika ein -- Still, Kind -- still! unterbrach sie die Alte, ich weiß was
Du sagen willst, ich bin das worden, was ich bin, weil ich es werden mußte,
ich konnte nicht anders. Nun also! -- ich kenne das Mittel, das den
Anselmus von der törichten Liebe zur grünen Schlange heilt und ihn als den
liebenswürdigsten Hofrat in Deine Arme führt; aber Du mußt helfen! -- »Sage
es nur gerade heraus, Lise! ich will ja alles tun; denn ich liebe den
Anselmus sehr!« lispelte Veronika kaum hörbar. -- Ich kenne Dich, fuhr die
Alte fort, als ein beherztes Kind, vergebens habe ich Dich mit dem Wauwau
zum Schlaf treiben wollen: denn gerade alsdann öffnetest Du die Augen, um
den Wauwau zu sehen; Du gingst ohne Licht in die hinterste Stube und
erschrecktest oft in des Vaters Pudermantel des Nachbars Kinder. Nun also!
-- ist's Dir Ernst, durch meine Kunst den Archivarius Lindhorst und die
grüne Schlange zu überwinden, ist's Dir Ernst, den Anselmus als Hofrat
Deinen Mann zu nennen, so schleiche Dich in der künftigen Tag- und
Nachtgleiche nachts um elf Uhr aus des Vaters Hause und komme zu mir; ich
werde dann mit Dir auf den Kreuzweg gehen, der unfern das Feld
durchschneidet, wir bereiten das nötige, und alles wunderliche was Du
vielleicht erblicken wirst, soll Dich nicht anfechten. Und nun,
Töchterchen, gute, Nacht, der Papa wartet schon mit der Suppe. -- Veronika
eilte von dannen, fest stand bei ihr der Entschluß, die Nacht des
Äquinoktiums nicht zu versäumen, denn, dachte sie, die Lise hat Recht, der
Anselmus ist verstrickt in wunderliche Bande, aber ich erlöse ihn daraus
und nenne ihn mein immerdar und ewiglich, mein ist und bleibt er, der
Hofrat Anselmus.



SECHSTE VIGILIE


Der Garten des Archivarius Lindhorst nebst einigen Spottvögeln. -- Der
goldene Topf. -- Die englische Kursivschrift. -- Schnöde Hahnenfüße. -- Der
Geisterfürst.


Es kann aber auch sein, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, daß der
superfeine starke Magenlikör, den ich bei dem Monsieur Conradi etwas
begierig genossen, alle die tollen Phantasmata geschaffen, die mich vor der
Haustür des Archivarius Lindhorst ängsteten. Deshalb bleibe ich heute ganz
nüchtern und will nun wohl allem weitern Ungemach, das mir begegnen könnte,
Trotz bieten. -- Sowie damals, als er sich zum ersten Besuch bei dem
Archivarius Lindhorst rüstete, steckte er seine Federzeichnungen und
kalligraphischen Kunstwerke, seine Tuschstangen, seine wohlgespitzten
Rabenfedern ein, und schon wollte er zur Tür hinausschreiten, als ihm das
Fläschchen mit dem gelben Likör in die Augen fiel, das er von dem
Archivarius Lindhorst erhalten. Da gingen ihm wieder all' die seltsamen
Abenteuer, welche er erlebt, mit glühenden Farben durch den Sinn, und ein
namenloses Gefühl von Wonne und Schmerz durchschnitt seine Brust.
Unwillkürlich rief er mit recht kläglicher Stimme aus: »Ach, gehe ich denn
nicht zum Archivarius, nur um Dich zu sehen, Du holde liebliche
Serpentina?« -- Es war ihm in dem Augenblick so, als könne Serpentina's
Liebe der Preis einer mühevollen gefährlichen Arbeit sein, die er
unternehmen müßte, und diese Arbeit sei keine andere, als das Kopieren der
Lindhorstischen Manuskripte. -- Daß ihm schon beim Eintritt ins Haus, oder
vielmehr noch vor demselben allerlei wunderliches begegnen könne, wie
neulich, davon war er überzeugt. Er dachte nicht mehr an Conradi's
Magenwasser, sondern steckte schnell den Likör in die Westentasche, um ganz
nach des Archivarius Vorschrift zu verfahren, wenn das bronzierte Äpfelweib
sich unterstehen sollte ihn anzugrinsen. -- Erhob sich denn nicht auch
wirklich gleich die spitze Nase; funkelten nicht die Katzenaugen aus dem
Türdrücker, als er ihn auf den Schlag zwölf Uhr ergreifen wollte? -- Da
spritzte er, ohne sich weiter zu bedenken, den Likör in das fatale Gesicht
hinein, und es glättete und plättete sich augenblicklich aus zum glänzenden
kugelrunden Türklopfer. Die Tür ging auf, die Glocken läuteten gar lieblich
durch das ganze Haus: klingling -- Jüngling -- flink -- flink -- spring
-- spring -- klingling. -- Er stieg getrost die schöne breite Treppe hinauf
und weidete sich an dem Duft des seltenen Räucherwerks, der durch das Haus
floß. Ungewiß blieb er auf dem Flur stehen, denn er wußte nicht, an welche
der vielen schönen Türen er wohl pochen sollte; da trat der Archivarius
Lindhorst in einem weiten damastenen Schlafrock heraus und rief: »Nun es
freut mich, Herr Anselmus, daß Sie endlich Wort halten, kommen Sie mir nur
nach, denn ich muß Sie ja doch wohl gleich ins Laboratorium führen.« Damit
schritt er schnell den langen Flur hinauf und öffnete eine kleine
Seitentür, die in einen Korridor führte. Anselmus schritt getrost hinter
dem Archivarius her; sie kamen aus dem Korridor in einen Saal oder vielmehr
in ein herrliches Gewächshaus, denn von beiden Seiten bis an die Decke
hinauf standen allerlei seltene wunderbare Blumen, ja große Bäume mit
sonderbar gestalteten Blättern und Blüten. Ein magisches blendendes Licht
verbreitete sich überall, ohne daß man bemerken konnte, wo es herkam, da
durchaus kein Fenster zu sehen war. So wie der Student Anselmus in die
Büsche und Bäume hineinblickte, schienen lange Gänge sich in weiter Ferne
auszudehnen. -- Im tiefen Dunkel dicker Zypressenstauden schimmerten
Marmorbecken, aus denen sich wunderliche Figuren erhoben, Kristallstrahlen
hervorspritzend, die plätschernd niederfielen in leuchtende Lilienkelche;
seltsame Stimmen rauschten und säuselten durch den Wald der wunderbaren
Gewächse, und herrliche Düfte strömten auf und nieder. Der Archivarius war
verschwunden und Anselmus erblickte nur einen riesenhaften Busch glühender
Feuerlilien vor sich. Von dem Anblick, von den süßen Düften des Feengartens
berauscht, blieb Anselmus festgezaubert stehen. Da fing es überall an zu
kichern und zu lachen und feine Stimmchen neckten und höhnten: Herr
Studiosus, Herr Studiosus! wo kommen sie denn her? warum haben Sie sich
denn so schön geputzt, Herr Anselmus? -- Wollen Sie eins mit uns plappern,
wie die Großmutter das Ei mit dem Steiß zerdrückte und der Junker einen
Klecks auf die Sonntagsweste bekam? Können Sie die neue Arie schon
auswendig, die Sie vom Papa Starmatz gelernt, Herr Anselmus? -- Sie sehen
recht possierlich aus in der gläsernen Perücke und dem [den] postpapiernen
Stülpstiefeln! -- So rief und kicherte und neckte es aus allen Winkeln
hervor, ja dicht neben dem Studenten, der nun erst wahrnahm, wie allerlei
bunte Vögel ihn umflatterten und ihn so in vollem Gelächter aushöhnten.
-- In dem Augenblick schritt der Feuerlilienbusch auf ihn zu, -- und er
sah, daß es der Archivarius Lindhorst war, dessen blumigter in gelb und rot
glänzender Schlafrock ihn nur getäuscht hatte. »Verzeihen Sie, werter Herr
Anselmus,« sagte der Archivarius, »daß ich Sie stehn ließ, aber
vorübergehend sah ich nur nach meinem schönen Kaktus, der diese Nacht seine
Blüten aufschließen wird -- aber wie gefällt Ihnen denn mein kleiner
Hausgarten?« -- »Ach Gott, über alle Maßen schön ist es hier,
geschätztester Herr Archivarius,« erwiderte der Student, »aber die bunten
Vögel moquieren sich über meine Wenigkeit gar zu sehr!« -- »Was ist denn
das für ein Gewäsche?« rief der Archivarius zornig in die Büsche hinein. Da
flatterte ein großer grauer Papagei hervor, und sich neben dem Archivarius
auf einen Myrtenast setzend und ihn ungemein ernsthaft und gravitätisch
durch eine Brille, die auf dem krummen Schnabel saß, anblickend, schnarrte
er: Nehmen Sie es nicht übel, Herr Archivarius, meine mutwilligen Buben
sind einmal wieder recht ausgelassen, aber der Herr Studiosus sind selbst
daran schuld, denn -- »Still da! still da!« unterbrach der Archivarius den
Alten, »ich kenne die Schelme, aber Er sollte sie besser in Zucht halten,
mein Freund! -- gehen wir weiter, Herr Anselmus!« -- Noch durch manches
fremdartig aufgeputzte Gemach schritt der Archivarius, so daß der Student
ihm kaum folgen und einen Blick auf all' die glänzenden sonderbar geformten
Mobilien und andere unbekannte Sachen werfen konnte, womit alles überfüllt
war. Endlich traten sie in ein großes Gemach, in dem der Archivarius, den
Blick in die Höhe gerichtet, stehen blieb, und Anselmus Zeit gewann, sich
an dem herrlichen Anblick, den der einfache Schmuck dieses Saals gewährte,
zu weiden.

[Illustration: Der Archivarius, Anselmus und Serpentina unter dem goldenen
Topf]

Aus den azurblauen Wänden traten die goldbronzenen Stämme hoher Palmbäume
hervor, welche ihre kolossalen, wie funkelnde Smaragde glänzenden Blätter
oben zur Decke wölbten; in der Mitte des Zimmers ruhte auf drei aus dunkler
Bronze gegossenen ägyptischen Löwen eine Porphyrplatte, auf welcher ein
einfacher goldener Topf stand, von dem, als er ihn erblickte, Anselmus nun
gar nicht mehr die Augen wegwenden konnte. Es war als spielten in tausend
schimmernden Reflexen allerlei Gestalten auf dem strahlend polierten Golde
-- manchmal sah er sich selbst mit sehnsüchtig ausgebreiteten Armen -- ach!
neben dem Holunderbusch -- Serpentina schlängelte sich auf und nieder, ihn
anblickend mit den holdseligen Augen. Anselmus war außer sich vor
wahnsinnigem Entzücken. »Serpentina! -- Serpentina!« schrie er laut auf, da
wandte sich der Archivarius Lindhorst schnell um und sprach: »Was meinen
Sie, werter Herr Anselmus? -- Ich glaube, Sie belieben meine Tochter zu
rufen, die ist aber ganz auf der andern Seite meines Hauses in ihrem Zimmer
und hat soeben Klavierstunde; kommen Sie nur weiter!« Anselmus folgte
beinahe besinnungslos dem davonschreitenden Archivarius, er sah und hörte
nichts mehr, bis ihn der Archivarius heftig bei der Hand ergriff und
sprach: »Nun sind wir an Ort und Stelle!« Anselmus erwachte wie aus einem
Traum und bemerkte nun, daß er sich in einem hohen, rings mit
Bücherschränken umstellten Zimmer befand, welches sich in keiner Art von
gewöhnlichen Bibliothek- und Studierzimmern unterschied. In der Mitte stand
ein großer Arbeitstisch und ein gepolsterter Lehnstuhl vor demselben.
»Dieses,« sagte der Archivarius Lindhorst, ist vor der Hand Ihr
Arbeitszimmer; ob Sie künftig auch in dem andern blauen Bibliotheksaal, in
dem Sie so plötzlich meiner Tochter Namen riefen, arbeiten werden, weiß ich
noch nicht; -- aber nun wünschte ich mich erst von Ihrer Fähigkeit, die
Ihnen zugedachte Arbeit wirklich meinem Wunsch und Bedürfnis gemäß
auszuführen, zu überzeugen.« Der Student Anselmus ermutigte sich nun ganz
und gar, und zog nicht ohne innere Selbstzufriedenheit und in der
Überzeugung, den Archivarius durch sein ungewöhnliches Talent höchlich zu
erfreuen, seine Zeichnungen und Schreibereien aus der Tasche. Der
Archivarius hatte kaum das erste Blatt, eine Handschrift in der
elegantesten englischen Schreibmanier, erblickt, als er recht sonderbar
lächelte und mit dem Kopfe schüttelte. Das wiederholte er bei jedem
folgenden Blatte, so daß dem Studenten Anselmus das Blut in den Kopf stieg
und er, als das Lächeln zuletzt recht höhnisch und verächtlich wurde, in
vollem Unmute losbrach: »Der Herr Archivarius scheinen mit meinen geringen
Talenten nicht ganz zufrieden?« -- »Lieber Herr Anselmus,« sagte der
Archivarius Lindhorst, »Sie haben für die Kunst des Schönschreibens
wirklich treffliche Anlagen, aber vor der Hand, sehe ich wohl, muß ich mehr
auf Ihren Fleiß, auf Ihren guten Willen rechnen, als auf Ihre Fertigkeit.
Es mag auch wohl an den schlechten Materialien liegen, die Sie verwandt.«
-- Der Student Anselmus sprach viel von seiner sonst anerkannten
Kunstfertigkeit, von chinesischer Tusche und ganz auserlesenen Rabenfedern.
Da reichte ihm der Archivarius Lindhorst das englische Blatt hin und
sprach: »Urteilen Sie selbst!« -- Anselmus wurde wie vom Blitz getroffen,
als ihm seine Handschrift so höchst miserabel vorkam. Da war keine Ründe in
den Zügen, kein Druck richtig, kein Verhältnis der großen und kleinen
Buchstaben; ja, schülermäßige schnöde Hahnenfüße verdarben oft die sonst
ziemlich geratene Zeile. »Und dann,« fuhr der Archivarius Lindhorst fort,
»ist Ihre Tusche auch nicht haltbar.« Er tunkte den Finger in ein mit
Wasser gefülltes Glas, und indem er nur leicht auf die Buchstaben tupfte,
war alles spurlos verschwunden. Dem Studenten Anselmus war es, als schnüre
ein Ungetüm ihm die Kehle zusammen, er konnte kein Wort herausbringen. So
stand er da, das unglückliche Blatt in der Hand, aber der Archivarius
Lindhorst lachte laut auf und sagte: »Lassen Sie sich das nicht anfechten,
wertester Herr Anselmus; was Sie bisher nicht vollbringen konnten, wird
hier bei mir vielleicht besser sich fügen; ohnedies finden Sie ein besseres
Material, als Ihnen sonst wohl zu Gebote stand. Fangen Sie nur getrost
an!« -- Der Archivarius Lindhorst holte erst eine flüssige schwarze Masse,
die einen ganz eigentümlichen Geruch verbreitete, sonderbar gefärbte,
scharf zugespitzte Federn und ein Blatt von besonderer Weiße und Glätte,
dann aber ein arabisches Manuskript aus einem verschlossenen Schranke
herbei, und so wie Anselmus sich zur Arbeit gesetzt, verließ er das Zimmer.
Der Student Anselmus hatte schon öfters arabische Schrift kopiert, die
erste Aufgabe schien ihm daher nicht so schwer zu lösen. »Wie die
Hahnenfüße in meine schöne englische Kursivschrift gekommen, mag Gott und
der Archivarius Lindhorst wissen,« sprach er, »aber daß sie nicht von
_meiner_ Hand sind, darauf will ich sterben.« -- Mit jedem Worte, das
nun wohlgelungen auf dem Pergamente stand, wuchs sein Mut und mit ihm seine
Geschicklichkeit. In der Tat schrieb es sich mit den Federn ganz herrlich,
und die geheimnisvolle Tinte floß rabenschwarz und gefügig auf das blendend
weiße Pergament. Als er nun so emsig und mit angestrengter Aufmerksamkeit
arbeitete, wurde es ihm immer heimlicher in dem einsamen Zimmer, und er
hatte sich schon ganz in das Geschäft, welches er glücklich zu vollenden
hoffte, geschickt, als auf den Schlag drei Uhr ihn der Archivarius in das
Nebenzimmer zu dem wohlbereiteten Mittagsmahl rief. Bei Tische war der
Archivarius Lindhorst bei ganz besonderer heiterer Laune; er erkundigte
sich nach des Studenten Anselmus Freunden, dem Konrektor Paulmann und dem
Registrator Heerbrand und wußte vorzüglich von dem letztern recht viel
Ergötzliches zu erzählen. Der gute alte Rheinwein schmeckte dem Anselmus
gar sehr und machte ihn gesprächiger, als er wohl sonst zu sein pflegte.
Auf den Schlag vier Uhr stand er auf, um an seine Arbeit zu gehen, und
diese Pünktlichkeit schien dem Archivarius Lindhorst wohl zu gefallen. War
ihm schon vor dem Essen das Kopieren der arabischen Zeichen geglückt, so
ging die Arbeit jetzt noch viel besser vonstatten, ja er konnte selbst die
Schnelle und Leichtigkeit nicht begreifen, womit er die krausen Züge der
fremden Schrift nachzumalen vermochte. -- Aber es war als flüsterte aus dem
innersten Gemüte eine Stimme in vernehmlichen Worten: ach! könntest du denn
das vollbringen, wenn du _sie_ nicht in Sinn und Gedanken trügest,
wenn du nicht an _sie_, an _ihre_ Liebe glaubtest? -- Da wehte es
wie in leisen, leisen, lispelnden Kristallklängen durch das Zimmer: Ich bin
Dir nahe -- nahe -- nahe! -- ich helfe Dir -- sei mutig -- sei standhaft,
lieber Anselmus! -- ich mühe mich mit Dir, damit Du mein werdest! Und so
wie er voll inneren Entzückens die Töne vernahm, wurden ihm immer
verständlicher die unbekannten Zeichen -- er durfte kaum mehr hineinblicken
in das Original -- ja es war, als stünden schon wie in blasser Schrift die
Zeichen auf dem Pergament, und er dürfe sie nur mit geübter Hand schwarz
überziehen. So arbeitete er fort von lieblichen tröstenden Klängen, wie von
süßem zartem Hauch umflossen, bis die Glocke sechs Uhr schlug und der
Archivarius Lindhorst in das Zimmer trat. Er ging sonderbar lächelnd an den
Tisch, Anselmus stand schweigend auf, der Archivarius sah ihn noch immer so
wie in höhnendem Spott lächeld [lächelnd] an; kaum hatte er aber in die
Abschrift geblickt, als das Lächeln in dem tiefen feierlichen Ernst
unterging, zu dem sich alle Muskeln des Gesichts verzogen. -- Bald schien
er nicht mehr derselbe. Die Augen, welche sonst funkelndes Feuer strahlten,
blickten jetzt mit unbeschreiblicher Milde den Anselmus an, eine sanfte
Röte färbte die bleichen Wangen, und statt der Ironie, die sonst den Mund
zusammenpreßte, schienen die weichgeformten anmutigen Lippen sich zu öffnen
zur weisheitvollen ins Gemüt dringenden Rede. Die ganze Gestalt war höher,
würdevoller; der weite Schlafrock legte sich wie ein Königsmantel in
breiten Falten um Brust und Schultern, und durch die weißen Löckchen,
welche an der hohen offenen Stirn lagen, schlang sich ein schmaler goldner
Reif. »Junger Mensch,« fing der Archivarius an im feierlichen Ton, »junger
Mensch, ich habe noch ehe Du es ahntest, all' die geheimen Beziehungen
erkannt, die Dich an mein Liebstes, Heiligstes fesseln! -- Serpentina liebt
Dich, und ein seltsames Geschick, dessen verhängnisvollen Faden feindliche
Mächte spannen, ist erfüllt, wenn sie Dein wird, und wenn Du als notwendige
Mitgift den goldnen Topf erhältst, der ihr Eigentum ist. Aber nur dem
Kampfe entsprießt Dein Glück im höheren Leben. Feindliche Prinzipe fallen
Dich an, und nur die innere Kraft, mit der Du den Anfechtungen widerstehst,
kann Dich retten von Schmach und Verderben. Indem Du hier arbeitest,
überstehst Du Deine Lehrzeit; Glauben und Erkenntnis führen Dich zum nahen
Ziele, wenn Du festhältst an dem, was Du beginnen mußtest. Trage sie recht
getreulich im Gemüte, _sie_, die Dich liebt, und Du wirst die
herrlichen Wunder des goldnen Topfs schauen und glücklich sein immerdar.
-- Gehab Dich wohl! Der Archivarius Lindhorst erwartet Dich morgen um zwölf
Uhr in Deinem Kabinet! -- Gehab Dich wohl!« -- Der Archivarius schob den
Studenten Anselmus sanft zur Tür hinaus, die er dann verschloß, und er
befand sich in dem Zimmer, in welchem er gespeist, dessen einzige Tür auf
den Flur führte. Ganz betäubt von den wunderbaren Erscheinungen blieb er
vor der Haustür stehen, da wurde über ihm ein Fenster geöffnet, er schaute
hinauf, es war der Archivarius Lindhorst; ganz der Alte im weißgrauen
Rocke, wie er ihn sonst gesehen. -- Er rief ihm zu: »Ei, werter Herr
Anselmus, worüber sinnen Sie denn so, was gilt's, das Arabische geht Ihnen
nicht aus dem Kopf? Grüßen Sie doch den Herrn Konrektor Paulmann, wenn Sie
etwa zu ihm gehen, und kommen Sie morgen Punkt zwölf Uhr wieder. Das
Honorar für heute steckt bereits in Ihrer rechten Westentasche.« -- Der
Student Anselmus fand wirklich den blanken Speziestaler in der bezeichneten
Tasche, aber er freute sich gar nicht darüber. -- »Was aus dem allen werden
wird, weiß ich nicht,« sprach er zu sich selbst; »umfängt mich aber auch
nur ein toller Wahn und Spuk, so lebt und webt doch in meinem Innern die
liebliche Serpentina, und ich will, ehe ich von ihr lasse, lieber
untergehen ganz und gar, denn ich weiß doch, daß der Gedanke in mir ewig
ist, und kein feindliches Prinzip kann ihn vernichten; aber ist der Gedanke
denn was anderes als Serpentina's Liebe?«



SIEBENTE VIGILIE


Wie der Konrektor Paulmann die Pfeife ausklopfte und zu Bett ging.
-- Rembrandt und Höllen-Breughel. -- Der Zauberspiegel und des Doktors
Eckstein Rezept gegen eine unbekannte Krankheit.


Endlich klopfte der Konrektor Paulmann die Pfeife aus, sprechend: Nun ist
es doch wohl Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. -- »Ja wohl,« erwiderte die
durch des Vaters längeres Aufbleiben beängstete Veronika, »denn es schlug
längst zehn Uhr.« Kaum war nun der Konrektor in sein Studier- und
Schlafzimmer gegangen, kaum hatten Fränzchens schwerere Atemzüge kundgetan,
daß sie wirklich fest eingeschlafen, als Veronika, die sich zum Schein auch
ins Bett gelegt, leise, leise wieder aufstand, sich anzog, den Mantel
umwarf und zum Hause hinausschlüpfte. -- Seit dem Augenblick, als Veronika
die alte Lise verlassen, stand ihr unaufhörlich der Anselmus vor Augen, und
sie wußte selbst nicht, welch eine fremde Stimme im Innern ihr immer und
ewig wiederholte, daß sein Widerstreben von einer ihr feindlichen Person
herrühre, die ihn in Banden halte, welche Veronika durch geheimnisvolle
Mittel der magischen Kunst zerreißen könne. Ihr Vertrauen zu der alten Lise
wuchs mit jedem Tage, und selbst der Eindruck des Unheimlichen, Grausigen
stumpfte sich ab, so daß alles Wunderliche, Seltsame ihres Verhältnisses
mit der Alten ihr nur im Schimmer des Ungewöhnlichen, Romanhaften erschien,
wovon sie eben recht angezogen wurde. Deshalb stand auch der Vorsatz bei
ihr fest, selbst mit Gefahr, vermißt zu werden und in tausend
Unannehmlichkeiten zu geraten, das Abenteuer der Tag- und Nachtgleiche zu
bestehen. -- Endlich war nun die verhängnisvolle Nacht des Äquinoktiums, in
der ihr die alte Lise Hülfe und Trost verheißen, eingetreten, und Veronika,
mit dem Gedanken der nächtlichen Wanderung längst vertraut geworden, fühlte
sich ganz ermutigt. Pfeilschnell flog sie durch die einsamen Straßen, des
Sturmes nicht achtend, der durch die Lüfte brauste und ihr die dicken
Regentropfen ins Gesicht warf. Mit dumpf dröhnendem Klange schlug die
Glocke des Kreuzturmes elf Uhr, als Veronika ganz durchnäßt vor dem Hause
der Alten stand. »Ei, Liebchen, Liebchen, schon da! -- nun warte, warte!«
-- rief es von oben herab -- und gleich darauf stand auch die Alte, mit
einem Korbe beladen und von ihrem Kater begleitet, vor der Tür. »So wollen
wir denn gehen und tun und treiben, was ziemlich ist und gedeiht in der
Nacht, die dem Werke günstig.« Dies sprechend ergriff die Alte mit kalter
Hand die zitternde Veronika, welcher sie den schweren Korb zu tragen gab,
während sie selbst einen Kessel, Dreifuß und Spaten auspackte. Als sie ins
Freie kamen, regnete es nicht mehr, aber der Sturm war stärker geworden;
tausendstimmig heulte es in den Lüften. Ein entsetzlicher
herzzerschneidender Jammer tönte herab aus den schwarzen Wolken, die sich
in schneller Flucht zusammenballten und alles einhüllten in dicke
Finsternis. Aber die Alte schritt rasch fort, mit gellender Stimme rufend:
»leuchte -- leuchte, mein Junge!« Da schlängelten und kreuzten sich blaue
Blitze vor ihnen her, und Veronika wurde inne, daß der Kater knisternde
Funken sprühend und leuchtend vor ihnen herumsprang, und dessen ängstliches
grausiges Zetergeschrei sie vernahm, wenn der Sturm nur einen Augenblick
schwieg. -- Ihr wollte der Atem vergehen, es war als griffen eiskalte
Krallen in ihr Inneres, aber gewaltsam raffte sie sich zusammen, und sich
fester an die Alte klammernd sprach sie: »Nun muß alles vollbracht werden,
und es mag geschehen was da will!« -- »Recht so, mein Töchterchen!«
erwiderte die Alte, »bleibe fein standhaft, und ich schenke Dir was Schönes
und dem Anselmus obendrein!« Endlich stand die Alte still und sprach: »Nun
sind wir an Ort und Stelle!« Sie grub ein Loch in die Erde, schüttete
Kohlen hinein und stellte den Dreifuß darüber, auf den sie den Kessel
setzte. Alles dieses begleitete sie mit seltsamen Gebärden, während der
Kater sie umkreiste. Aus seinem Schweif sprühten Funken, die einen
Feuerreif bildeten. Bald fingen die Kohlen an zu glühen, und endlich
schlugen blaue Flammen unter dem Dreifuß hervor. Veronika mußte Mantel und
Schleier ablegen und sich bei der Alten niederkauern, die ihre Hände
ergriff und fest drückte, mit den funkelnden Augen das Mädchen anstarrend.
Nun fingen die sonderbaren Massen -- waren es Blumen -- Metalle -- Kräuter
-- Tiere, man konnte es nicht unterscheiden -- die die Alte aus dem Korbe
genommen und in den Kessel geworfen, an zu sieden und zu brausen. Die Alte
ließ Veronika los, sie ergriff einen eisernen Löffel, mit dem sie in die
glühende Masse hineinfuhr und darin rührte, während Veronika auf ihr Geheiß
festen Blickes in den Kessel hineinschauen und ihre Gedanken auf den
Anselmus richten mußte. Nun warf die Alte aufs neue blinkende Metalle und
auch eine Haarlocke, die sich Veronika vom Kopfwirbel geschnitten, sowie
einen kleinen Ring, den sie lange getragen, in den Kessel, indem sie
unverständliche, durch die Nacht grausig gellende Töne ausstieß, und der
Kater im unaufhörlichen Rennen winselte und ächzte. -- -- Ich wollte, daß
Du, günstiger Leser, am dreiundzwanzigsten September auf der Reise nach
Dresden begriffen gewesen wärest; vergebens suchte man, als der späte
Abend hereinbrach, Dich auf der letzten Station aufzuhalten; der
freundliche Wirt stellte Dir vor, es stürme und regne doch gar zu sehr und
überhaupt sei es auch nicht geheuer in der Äquinoktialnacht so ins Dunkle
hineinzufahren; aber Du achtetest dessen nicht, indem Du ganz richtig
annahmst: ich zahle dem Postillon einen ganzen Taler Trinkgeld und bin
spätestens um ein Uhr in Dresden, wo mich im goldenen Engel oder im Helm
oder in der Stadt Naumburg ein gut zugerichtetes Abendessen und ein weiches
Bett erwartet. Wie Du nun so in der Finsternis daherfährst, siehst Du
plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten. Näher
gekommen erblickst Du einen Feuerreif, in dessen Mitte bei einem Kessel,
aus dem dicker Qualm und blitzende rote Strahlen und Funken emporschießen,
zwei Gestalten sitzen. Gerade durch das Feuer geht der Weg, aber die Pferde
prusten und stampfen und bäumen sich -- der Postillon flucht und betet
-- und peitscht auf die Pferde hinein -- sie gehen nicht von der Stelle.
-- Unwillkürlich springst Du aus dem Wagen und rennst einige Schritte
vorwärts. Nun siehst Du deutlich das schlanke holde Mädchen, die im weißen
dünnen Nachtgewande bei dem Kessel kniet. Der Sturm hat die Flechten
aufgelöst und das lange kastanienbraune Haar flattert frei in den Lüften.
Ganz im blendenden Feuer der unter dem Dreifuß emporflackernden Flammen
steht das engelschöne Gesicht, aber in dem Entsetzen, das seinen Eisstrom
darüber goß, ist es erstarrt zur Totenbleiche, und in dem stieren Blick, in
den hinaufgezogenen Augenbrauen, in dem Munde, der sich vergebens dem
Schrei der Todesangst öffnet, welcher sich nicht der von namenloser Folter
gepreßten Brust entwinden kann, siehst Du ihr Grausen, ihr Entsetzen; die
kleinen Händchen hält sie krampfhaft zusammengefaltet in die Höhe, als
riefe sie betend die Schutzengel herbei, sie zu schirmen vor den Ungetümen
der Hölle, die, dem mächtigen Zauber gehorchend, nun gleich erscheinen
werden. -- So kniet sie da, unbeweglich wie ein Marmorbild. Ihr gegenüber
sitzt auf dem Boden niedergekauert ein langes, hageres, kupfergelbes Weib
mit spitzer Habichtsnase und funkelnden Katzenaugen; aus dem schwarzen
Mantel, den sie umgeworfen, starren die nackten knöchernen Arme hervor, und
rührend in dem Höllensud lacht und ruft sie mit krächzender Stimme durch
den brausenden tosenden Sturm. -- Ich glaube wohl, daß Dir, günstiger
Leser, kenntest du auch sonst keine Furcht und Scheu, sich doch bei dem
Anblick dieses Rembrandtschen oder Höllen-Breughelschen Gemäldes, das nun
ins Leben getreten, vor Grausen die Haare auf dem Kopfe gesträubt hätten.

[Illustration: Veronika und Frau Rauerin brauen den Liebestrank]

Aber Dein Blick konnte nicht loskommen von dem im höllischen Treiben
befangenen Mädchen, und der elektrische Schlag, der durch alle Deine
Fibern und Nerven zitterte, entzündete mit der Schnelligkeit des Blitzes in
Dir den mutigen Gedanken, Trotz zu bieten den geheimnisvollen Mächten des
Feuerkreises; in ihm ging Dein Grausen unter, ja der Gedanke selbst keimte
auf in diesem Grausen und Entsetzen als dessen Erzeugnis. Es war Dir, als
seist Du selbst der Schutzengel einer, zu denen das zum Tode geängstigte
Mädchen flehte, ja als müßtest Du nur gleich Dein Taschenpistol
hervorziehen und die Alte ohne weiteres totschießen! Aber, indem Du das
lebhaft dachtest, schriest Du laut auf: Heda! oder: was gibt es dorten?
oder: was treibt ihr da? -- Der Postillon stieß schmetternd in sein Horn,
die Alte kugelte um in ihren Sud hinein, und alles war mit einem Mal
verschwunden in dickem Qualm. -- Ob Du das Mädchen, das Du nun mit recht
innigem Verlangen in der Finsternis suchtest, gefunden hättest, mag ich
nicht behaupten, aber den Spuk des alten Weibes hattest Du zerstört, und
den Bann des magischen Kreises, in den sich Veronika leichtsinnig begeben,
gelöst. -- Weder Du, günstiger Leser, noch sonst jemand, fuhr oder ging
aber am dreiundzwanzigsten September in der stürmischen den Hexenkünsten
günstigen Nacht des Weges, und Veronika mußte ausharren am Kessel in
tödlicher Angst, bis das Werk der Vollendung nahe. -- Sie vernahm wohl, wie
es um sie her heulte und brauste, wie allerlei widrige Stimmen
durcheinander blökten und schnatterten, aber sie schlug die Augen nicht
auf, denn sie fühlte, wie der Anblick des Gräßlichen, des Ensetzlichen
[Entsetzlichen], von dem sie umgeben, sie in unheilbaren zerstörenden
Wahnsinn stürzen könne. Die Alte hatte aufgehört im Kessel zu rühren, immer
schwächer und schwächer wurde der Qualm und zuletzt brannte nur eine
leichte Spiritusflamme im Boden des Kessels. Da rief die Alte: Veronika,
mein Kind! mein Liebchen! schau hinein in den Grund! was siehst Du denn
-- was siehst Du denn? -- Aber Veronika vermochte nicht zu antworten,
unerachtet es ihr schien, als drehten sich allerlei verworrene Figuren im
Kessel durcheinander; immer deutlicher und deutlicher gingen Gestalten
hervor, und mit einem Mal trat, sie freundlich anblickend und die Hand ihr
reichend, der Student Anselmus aus der Tiefe des Kessels. Da rief sie laut:
Ach, der Anselmus! -- der Anselmus! -- Rasch öffnete die Alte den am Kessel
befindlichen Hahn, und glühendes Metall strömte zischend und prasselnd in
eine kleine Form, die sie daneben gestellt. Nun sprang das Weib auf und
kreischte, mit wilder gräßlicher Gebärde sich herumschwingend: Vollendet
ist das Werk -- Dank Dir, mein Junge! -- hast Wache gehalten -- Hui -- Hui
-- er kommt! -- beiß ihn tot, beiß ihn tot! Aber da brauste es mächtig
durch die Lüfte, es war als rausche ein ungeheurer Adler herab, mit den
Fittichen um sich schlagend, und es rief mit entsetzlicher Stimme: »Hei,
hei! -- ihr Gesindel! nun ist's aus -- nun ist's aus -- fort zu Haus!« Die
Alte stürzte heulend nieder, aber der Veronika vergingen Sinn und Gedanken.
-- Als sie wieder zu sich selbst kam, war es heller Tag geworden, sie lag
in ihrem Bette und Fränzchen stand mit einer Tasse dampfenden Tees vor ihr,
sprechend: Aber sage mir nur, Schwester, was Dir ist! da stehe ich nun
schon eine Stunde oder länger vor Dir, und Du liegst wie in der Fieberhitze
besinnungslos da und stöhnest und ächzest, daß uns angst und bange wird.
Der Vater ist Deinetwegen heute nicht in die Klasse gegangen und wird
gleich mit dem Herrn Doktor hereinkommen. -- Veronika nahm schweigend den
Tee; indem sie ihn hinunterschlürfte, traten ihr die gräßlichen Bilder der
Nacht lebhaft vor Augen. »So war denn wohl alles nur ein ängstlicher Traum,
der mich gequält hat? -- Aber ich bin doch gestern Abend wirklich zur Alten
gegangen, es war ja der dreiundzwanzigste September? -- Doch bin ich wohl
schon gestern recht krank geworden und habe mir das alles nur eingebildet,
und nichts hat mich krank gemacht, als das ewige Denken an den Anselmus und
an die wunderliche alte Frau, die sich für die Lise ausgab und mich wohl
nur damit geneckt hat.« -- Fränzchen, die hinausgegangen, trat wieder
herein mit Veronika's ganz durchnäßtem Mantel in der Hand. »Sieh nur,
Schwester!« sagte sie, »wie es Deinem Mantel ergangen ist; da hat der Sturm
in der Nacht das Fenster aufgerissen und den Stuhl, auf dem der Mantel lag,
umgeworfen, da hat es nun wohl hineingeregnet, denn der Mantel ist ganz
naß.« -- Das fiel der Veronika schwer aufs Herz, denn sie merkte nun wohl,
daß nicht ein Traum sie gequält, sondern daß sie wirklich bei der Alten
gewesen. Da ergriff sie Angst und Grausen und ein Fieberfrost zitterte
durch alle Glieder. Im krampfhaften Erbeben zog sie die Bettdecke fest über
sich; aber da fühlte sie, daß etwas Hartes ihre Brust drückte, und als sie
mit der Hand danach faßte, schien es ein Medaillon zu sein; sie zog es
hervor, als Fränzchen mit dem Mantel fortgegangen, und es war ein kleiner
runder hellpolierter Metallspiegel. »Das ist ein Geschenk der Alten[,]«
rief sie lebhaft, und es war als schössen feurige Strahlen aus dem Spiegel,
die in ihr Innerstes drangen und es wohltuend erwärmten; der Fieberfrost
war vorüber und es durchströmte sie ein unbeschreibliches Gefühl von
Behaglichkeit und Wohlsein. An den Anselmus mußte sie denken, und als sie
immer fester und fester den Gedanken auf ihn richtete, da lächelte er ihr
freundlich aus dem Spiegel entgegen wie ein lebhaftes Miniaturporträt. Aber
bald war es ihr, als sähe sie nicht mehr das Bild -- nein! -- sondern den
Studenten Anselmus selbst leibhaftig. Er saß in einem hohen seltsam
ausstaffierten Zimmer und schrieb emsig. Veronika wollte zu ihm hintreten,
ihn auf die Schulter klopfen und sprechen: Herr Anselmus, schauen Sie doch
um sich, ich bin ja da! Aber das ging durchaus nicht an, denn es war als
umgebe ihn ein leuchtender Feuerstrom, und wenn Veronika recht genau
hinsah, waren es doch nur große Bücher mit vergoldetem Schnitt. Aber
endlich gelang es der Veronika, den Anselmus ins Auge zu fassen, da war es
als müsse er im Anschauen sich erst auf sie besinnen, doch endlich lächelte
er und sprach: Ach! -- sind Sie es, liebe Mademoiselle Paulmann? Aber warum
belieben Sie sich denn zuweilen als Schlänglein zu gebärden? Veronika mußte
über diese seltsamen Worte laut auflachen; darüber erwachte sie wie aus
einem tiefen Traume, und sie verbarg schnell den kleinen Spiegel, als die
Tür aufging und der Konrektor Paulmann mit dem Doktor Eckstein ins Zimmer
kam. Der Doktor Eckstein ging sogleich ans Bett, faßte lange in tiefem
Nachdenken versunken Veronika's Puls und sagte dann: Ei! Ei! Hierauf
schrieb er ein Rezept, faßte noch einmal den Puls, sagte wiederum: Ei! Ei!
und verließ die Patientin. Aus diesen Äußerungen des Doktors Eckstein
konnte aber der Konrektor Paulmann nicht recht deutlich entnehmen, was der
Veronika denn wohl eigentlich fehlen möge.



ACHTE VIGILIE


Die Bibliothek der Palmbäume. -- Schicksale eines unglücklichen
Salamanders. -- Wie die schwarze Feder eine Runkelrübe liebkoste und der
Registrator Heerbrand sich sehr betrank.


Der Student Anselmus hatte nun schon mehrere Tage bei dem Archivarius
Lindhorst gearbeitet; diese Arbeitsstunden waren für ihn die glücklichsten
seines Lebens, denn immer von lieblichen Klängen von Serpentina's
tröstenden Worten umflossen, ja oft von einem vorübergleitenden Hauche
leise berührt, durchströmte ihn eine nie gefühlte Behaglichkeit, die oft
bis zur höchsten Wonne stieg. Jede Not, jede kleinliche Sorge seiner
dürftigen Existenz war ihm aus Sinn und Gedanken entschwunden, und in dem
neuen Leben, das ihm wie im hellen Sonnenglanze aufgegangen, begriff er
alle Wunder einer höheren Welt, die ihn sonst mit Staunen, ja mit Grausen
erfüllt hatten. Mit dem Abschreiben ging es sehr schnell, indem es ihm
immer mehr dünkte, er schreibe nur längst gekannte Züge auf das Pergament
hin und dürfe kaum nach dem Original sehen, um alles mit der größten
Genauigkeit nachzumalen. -- Außer der Tischzeit ließ sich der Archivarius
Lindhorst nur dann und wann sehen, aber jedesmal erschien er genau in dem
Augenblick, wenn Anselmus eben die letzten Zeichen einer Handschrift
vollendet hatte, und gab ihm dann eine andere, verließ ihn aber gleich
wieder schweigend, nachdem er nur mit einem schwarzen Stäbchen die Tinte
umgerührt und die gebrauchten Federn mit neuen, schärfer gespitzten
vertauscht hatte. Eines Tages, als Anselmus mit dem Glockenschlag zwölf
bereits die Treppe hinaufgestiegen, fand er die Tür, durch die er
gewöhnlich hineingegangen, verschlossen, und der Archivarius Lindhorst
erschien in seinem wunderlichen wie mit glänzenden Blumen bestreuten
Schlafrock von der andern Seite. Er rief laut: »Heute kommen Sie nur hier
herein, werter Anselmus, denn wir müssen in das Zimmer, wo Bhogovotgita's
Meister unsrer warten.« Er schritt durch den Korridor und führte Anselmus
durch dieselben Gemächer und Säle, wie das erste Mal. Der Student Anselmus
erstaunte auf's neue über die wunderbare Herrlichkeit des Gartens, aber er
sah nun deutlich, daß manche seltsame Blüten, die an den dunklen Büschen
hingen, eigentlich in glänzenden Farben prunkende Insekten waren, die mit
den Flüglein auf und nieder schlugen und durcheinander tanzend und wirbelnd
sich mit ihren Saugrüsseln zu liebkosen schienen. Dagegen waren wieder die
rosenfarbenen und himmelblauen Vögel duftende Blumen, und der Geruch, den
sie verbreiteten, stieg aus ihren Kelchen empor in leisen lieblichen Tönen,
die sich mit dem Geplätscher der fernen Brunnen, mit dem Säuseln der hohen
Stauden und Bäume zu geheimnisvollen Akkorden einer tiefklagenden Sehnsucht
vermischten. Die Spottvögel, die ihn das erste Mal so geneckt und gehöhnt,
flatterten ihm wieder um den Kopf und schrieen mit ihren feinen Stimmchen
unaufhörlich: »Herr Studiosus, Herr Studiosus, eilen Sie nicht so -- gucken
Sie nicht so in die Wolken -- Sie könnten auf die Nase fallen. -- He, he!
Herr Studiosus -- nehmen Sie den Pudermantel um -- Gevatter Schuhu soll
Ihnen den Toupet frisieren.« So ging es fort in allerlei dummem Geschwätz,
bis Anselmus den Garten verlassen. Der Archivarius Lindhorst trat endlich
in das azurblaue Zimmer; der Porphyr mit dem goldnen Topf war verschwunden,
statt dessen stand ein mit violettem Samt behangener Tisch, auf dem die dem
Anselmus bekannten Schreibmaterialien befindlich, in der Mitte des Zimmers
und ein ebenso beschlagener Lehnstuhl stand vor demselben. »Lieber Herr
Anselmus,« sagte der Archivarius Lindhorst, »Sie haben nun schon manches
Manuskript schnell und richtig zu meiner Zufriedenheit kopiert, Sie haben
sich mein Zutrauen erworben; das Wichtigste bleibt aber noch zu tun übrig,
und das ist das Abschreiben oder vielmehr Nachmalen gewisser in besonderen
Zeichen geschriebener Werke, die ich hier in diesem Zimmer aufbewahre und
die nur an Ort und Stelle kopiert werden können. Sie werden daher künftig
hier arbeiten, aber ich muß Ihnen die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit
empfehlen; ein falscher Strich, oder was der Himmel verhüten möge, ein
Tintenfleck auf das Original gespritzt, stürzt Sie ins Unglück.« --
Anselmus bemerkte, daß aus den goldnen Stämmen der Palmbäume kleine
smaragdgrüne Blätter herausragten; eins dieser Blätter erfaßte der
Archivarius, und Anselmus wurde gewahr, daß das Blatt eigentlich in einer
Pergamentrolle bestand, die der Archivarius aufwickelte und vor ihm auf den
Tisch breitete. Anselmus wunderte sich nicht wenig über die seltsam
verschlungenen Zeichen, und bei dem Anblick der vielen Pünktchen, Striche
und Züge und Schnörkel, die bald Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten
darzustellen schienen, wollte ihm beinahe der Mut sinken, alles so genau
nachmalen zu können. Er geriet darüber in tiefe Gedanken. »Mut gefaßt,
junger Mensch!« rief der Archivarius, »hast Du bewährten Glauben und wahre
Liebe, so hilft Dir Serpentina!« Seine Stimme tönte wie klingendes Metall,
und als Anselmus in jähem Schreck aufblickte, stand der Archivarius
Lindhorst in der königlichen Gestalt vor ihm, wie er ihm bei dem ersten
Besuch im Bibliothekzimmer erschienen. Es war dem Anselmus, als müsse er
von Ehrfurcht durchdrungen auf die Knie sinken, aber da stieg der
Archivarius Lindhorst an dem Stamm eines Palmbaums in die Höhe und
verschwand in den smaragdnen Blättern. -- Der Student Anselmus begriff, daß
der Geisterfürst mit ihm gesprochen und nun in sein Studierzimmer
hinaufgestiegen, um vielleicht mit den Strahlen, die einige Planeten als
Gesandte zu ihm geschickt, Rücksprache zu halten, was nun mit ihm und der
holden Serpentina geschehen solle. -- Auch kann es sein, dachte er ferner,
daß ihn Neues von den Quellen des Nils erwartet, oder daß ein Magus aus
Lappland ihn besucht -- mir geziemt es nun, emsig an die Arbeit zu gehen.
-- Und damit fing er an die fremden Zeichen der Pergamentrolle zu
studieren. -- Die wunderbare Musik des Gartens tönte zu ihm herüber und
umgab ihn mit süßen lieblichen Düften, auch hörte er wohl die Spottvögel
kickern, doch verstand er ihre Worte nicht, was ihm auch recht lieb war.
Zuweilen war es auch als rauschten die smaragdenen Blätter der Palmbäume
und als strahlten dann die holden Kristallklänge, welche Anselmus an jenem
verhängnisvollen Himmelfahrtstage unter dem Holunderbusch hörte, durch das
Zimmer. Der Student Anselmus, wunderbar gestärkt durch dies Tönen und
Leuchten, richtete immer fester und fester Sinn und Gedanken auf die
Überschrift der Pergamentrolle, und bald fühlte er wie aus dem Innersten
heraus, daß die Zeichen nichts anders bedeuten könnten, als die Worte: Von
der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange. -- Da ertönte ein
starker Dreiklang heller Kristallglocken. -- »Anselmus, lieber Anselmus,«
wehte es ihm zu aus den Blättern, und o Wunder! an dem Stamm des Palmbaums
schlängelte sich die grüne Schlange herab. -- »Serpentina! holde
Serpentina!« rief Anselmus wie im Wahnsinn des höchsten Entzückens, denn so
wie er schärfer hinblickte, da war es ja ein liebliches herrliches Mädchen,
die mit den dunkelblauen Augen, wie sie in seinem Innern lebten, voll
unaussprechlicher Sehnsucht ihn anschauend, ihm entgegenschwebte. Die
Blätter schienen sich herabzulassen und auszudehnen, überall sproßten
Stacheln aus den Stämmen, aber Serpentina wand und schlängelte sich
geschickt durch, indem sie ihr flatterndes, wie in schillernden Farben
glänzendes Gewand nach sich zog, so daß es sich dem schlanken Körper
anschmiegend nirgends hängen blieb an den hervorragenden Spitzen und
Stacheln der Palmbäume. Sie setzte sich neben dem Anselmus auf denselben
Stuhl, ihn mit dem Arm umschlingend und an sich drückend, so daß er den
Hauch, der von ihren Lippen strömte, die elektrische Wärme ihres Körpers
fühlte. »Lieber Anselmus!« fing Serpentina an, »nun bist Du bald ganz mein,
durch Deinen Glauben, durch Deine Liebe erringst Du mich, und ich bringe
Dir den goldnen Topf, der uns beide beglückt immerdar.« -- »O Du holde,
liebe Serpentina,« sagte Anselmus, »wenn ich nur Dich habe, was kümmert
mich sonst alles Übrige? Wenn Du nur mein bist, so will ich gern untergehen
in all' dem Wunderbaren und Seltsamen, was mich befängt seit dem
Augenblick, als ich Dich sah.« -- »Ich weiß wohl,« fuhr Serpentina fort,
»daß das Unbekannte und Wunderbare, womit mein Vater oft nur zum Spiel
seiner Laune Dich umfangen, Grausen und Entsetzen in Dir erregt hat, aber
jetzt soll es, wie ich hoffe, nicht wieder geschehen, denn ich bin in
diesem Augenblick nur da, um Dir, mein lieber Anselmus, alles und jedes aus
tiefem Gemüte, aus tiefer Seele haarklein zu erzählen, was Dir zu wissen
nötig, um meinen Vater ganz zu kennen und überhaupt recht deutlich
einzusehen, was es mit ihm und mit mir für eine Bewandtnis hat.« Dem
Anselmus war es, als sei er von der holden lieblichen Gestalt so ganz und
gar umschlungen und umwunden, daß er sich nur mit ihr regen und bewegen
könne, und als sei es nur der Schlag ihres Pulses, der durch seine Fibern
und Nerven zitterte; er horchte auf jedes ihrer Worte, das bis in sein
Innerstes erklang und wie ein leuchtender Strahl die Wonne des Himmels in
ihm entzündete. Er hatte den Arm um ihren schlanker als schlanken Leib
gelegt, aber der schillernde glänzende Stoff ihres Gewandes war so glatt,
so schlüpfrig, daß es ihm schien, als könne sie, sich ihm schnell
entwindend, unaufhaltsam entschlüpfen, und er erbebte bei dem Gedanken.
»Ach, verlaß mich nicht, holde Serpentina!« rief er unwillkürlich aus, »nur
Du bist mein Leben!« -- »Nicht eher heute,« sagte Serpentina, »als bis ich
alles erzählt habe, was Du in Deiner Liebe zu mir begreifen kannst. --
Wisse also, Geliebter, daß mein Vater aus dem wunderbaren Geschlecht der
Salamander abstammt, und daß ich mein Dasein seiner Liebe zur grünen
Schlange verdanke. In uralter Zeit herrschte in dem Wunderlande Atlantis
der mächtige Geisterfürst Phosphorus, dem die Elementargeister dienten.
Einst ging der Salamander, den er vor allen liebte (es war mein Vater), in
dem prächtigen Garten, den des Phosphorus Mutter mit ihren schönsten Gaben
auf das herrlichste geschmückt hatte, umher und hörte, wie eine hohe Lilie
in leisen Tönen sang: »Drücke fest die Äuglein zu, bis mein Geliebter, der
Morgenwind, Dich weckt.« Er trat hinzu; von seinem glühenden Hauch berührt,
erschloß die Lilie ihre Blätter und er erblickte der Lilie Tochter, die
grüne Schlange, welche in dem Kelch schlummerte. Da wurde der Salamander
von heißer Liebe zu der schönen Schlange ergriffen, und er raubte sie der
Lilie, deren Düfte in namenloser Klage vergebens im ganzen Garten nach der
geliebten Tochter riefen. Denn der Salamander hatte sie in das Schloß des
Phosphorus getragen und bat ihn: vermähle mich mit der Geliebten, denn sie
soll mein eigen sein immerdar. Törichter, was verlangst du! sprach der
Geisterfürst, wisse, daß einst die Lilie meine Geliebte war und mit mir
herrschte; aber der Funke, den ich in sie warf, drohte sie zu vernichten
und nur der Sieg über den schwarzen Drachen, den jetzt die Erdgeister in
Ketten gebunden halten, erhielt die Lilie, daß ihre Blätter stark genug
blieben, den Funken in sich zu schließen und zu bewahren. Aber, wenn Du die
grüne Schlange umarmst, wird Deine Glut den Körper verzehren und ein neues
Wesen schnell emporkeimend sich Dir entschwingen. Der Salamander achtete
der Warnung des Geisterfürsten nicht; voll glühenden Verlangens schloß er
die grüne Schlange in seine Arme, sie zerfiel in Asche und ein geflügeltes
Wesen aus der Asche geboren rauschte fort durch die Lüfte. Da ergriff den
Salamander der Wahnsinn der Verzweiflung und er rannte Feuer und Flammen
sprühend durch den Garten und verheerte ihn in wilder Wut, daß die
schönsten Blumen und Blüten verbrannt niedersanken und ihr Jammer die Luft
erfüllte. Der hocherzürnte Geisterfürst erfaßte im Grimm den Salamander und
sprach: Ausgeraset hat Dein Feuer -- erloschen sind Deine Flammen,
erblindet Deine Strahlen -- sinke hinab zu den Erdgeistern, die mögen Dich
necken und höhnen und gefangen halten, bis der Feuerstoff sich wieder
entzündet und mit Dir als einem neuen Wesen aus der Erde emporstrahlt.

[Illustration: Die Lilie]

Der arme Salamander sank erloschen hinab, aber da trat der alte mürrische
Erdgeist, der des Phosphorus Gärtner war, hinzu und sprach: Herr! wer
sollte mehr über den Salamander klagen als ich? Habe ich nicht all die
schönen Blumen, die er verbrannt, mit meinen schönsten Metallen geputzt?
habe ich nicht ihre Keime wacker gehegt und gepflegt und an ihnen manche
schöne Farbe verschwendet? -- und doch nehme ich mich des armen Salamanders
an, den nur die Liebe, von der Du selbst schon oft, o Herr, befangen, zur
Verzweiflung getrieben, in der er den Garten verwüstet. Erlasse ihm die zu
harte Strafe! -- Sein Feuer ist für jetzt erloschen, sprach der
Geisterfürst; in der unglücklichen Zeit, wenn die Sprache der Natur dem
entarteten Geschlecht der Menschen nicht mehr verständlich sein, wenn die
Elementargeister in ihre Regionen gebannt, nur aus weiter Ferne in dumpfen
Anklängen zu den Menschen sprechen werden, wenn dem harmonischen Kreise
entrückt, nur ein unendliches Sehnen ihm die dunkle Kunde von dem
wundervollen Reiche geben wird, das er sonst bewohnen durfte, als noch
Glaube und Liebe in seinem Gemüte wohnten, -- in dieser unglücklichen Zeit
entzündet sich der Feuerstoff des Salamanders auf's neue, doch nur zum
Menschen keimt er empor und muß, ganz eingehend in das dürftige Leben,
dessen Bedrängnisse ertragen. Aber nicht allein die Erinnerung an seinen
Urzustand soll ihm bleiben, sondern er lebt auch wieder auf in der heiligen
Harmonie mit der ganzen Natur, er versteht ihre Wunder und die Macht der
verbrüderten Geister steht ihm zu Gebote. In einem Lilienbusch findet er
dann die grüne Schlange wieder, und die Frucht seiner Vermählung mit ihr
sind drei Töchter, die den Menschen in der Gestalt der Mutter erscheinen.
Zur Frühlingszeit sollen sie sich in den dunklen Holunderbusch hängen und
ihre lieblichen Kristallstimmen ertönen lassen. Findet sich dann in der
dürftigen armseligen Zeit der innern Verstocktheit ein Jüngling, der ihren
Gesang vernimmt, ja, blickt ihn eine der Schlänglein mit ihren holdseligen
Augen an, entzündet der Blick in ihm die Ahnung des fernen wundervollen
Landes, zu dem er sich mutig emporschwingen kann, weil er die Bürde des
Gemeinen abgeworfen, keimt mit der Liebe zur Schlange in ihm der Glaube an
die Wunder der Natur, ja an seine eigene Existenz in diesen Wundern
glutvoll und lebendig auf, so wird die Schlange sein. Aber nicht eher, bis
drei Jünglinge dieser Art erfunden und mit den drei Töchtern vermählt
werden, darf der Salamander seine lästige Bürde abwerfen und zu seinen
Brüdern gehen. Erlaube, Herr, sagte der Erdgeist, daß ich diesen drei
Töchtern ein Geschenk mache, das ihr Leben mit dem gefundenen Gemahl
verherrlicht. Jede erhält von mir einen Topf vom schönsten Metall, das ich
besitze; den poliere ich mit Strahlen, die ich dem Diamant entnommen; in
seinem Glanze soll sich unser wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang
mit der ganzen Natur besteht, in blendendem herrlichem Widerschein
abspiegeln, aus seinem Innern aber in dem Augenblick der Vermählung eine
Feuerlilie entsprießen, deren ewige Blüte den bewährt befundenen Jüngling
süß duftend umfängt. Bald wird er dann ihre Sprache, die Wunder unseres
Reichs verstehen und selbst mit der Geliebten in Atlantis wohnen. -- Du
weißt nun wohl, lieber Anselmus, daß mein Vater eben der Salamander ist,
von dem ich Dir erzählt. Er mußte seiner höheren Natur unerachtet sich den
kleinlichsten Bedrängnissen des gemeinen Lebens unterwerfen, und daher
kommt wohl oft die schadenfrohe Laune, mit der er manche neckt. Er hat mir
oft gesagt, daß für die innere Geistesbeschaffenheit, wie sie der
Geistesfürst Phosphorus damals als Bedingnis der Vermählung mit mir und
meinen Schwestern aufgestellt, man jetzt einen Ausdruck habe, der aber nur
zu oft unschicklicher Weise gemißbraucht werde; man nenne das nämlich ein
kindliches poetisches Gemüt. -- Oft finde man dieses Gemüt bei Jünglingen,
die der hohen Einfachheit ihrer Sitten wegen und weil es ihnen ganz an der
sogenannten Weltbildung fehle, von dem Pöbel verspottet würden. Ach,
lieber Anselmus, Du verstandest ja unter dem Holunderbusch meinen Gesang
-- meinen Blick -- Du liebst die grüne Schlange, Du glaubst an mich und
willst mein sein immerdar! Die schöne Lilie wird emporblühen aus dem
goldnen Topf und wir werden vereint glücklich und selig in Atlantis wohnen!
-- Aber nicht verhehlen kann ich Dir, daß im gräßlichen Kampf mit den
Salamandern und Erdgeistern sich der schwarze Drache loswand und durch die
Lüfte davonbrauste. Phosphorus hält ihn zwar wieder in Banden, aber aus den
schwarzen Federn, die im Kampfe auf die Erde stäubten, keimten feindliche
Geister empor, die überall den Salamandern und Erdgeistern widerstreben.
Jenes Weib, das Dir so feindlich ist, lieber Anselmus, und das, wie mein
Vater recht gut weiß, nach dem Besitz des goldnen Topfes strebt, hat ihr
Dasein der Liebe einer solchen, aus dem Fittich des Drachen herabgestäubten
Feder zu einer Runkelrübe zu verdanken. Sie erkennt ihren Ursprung und ihre
Gewalt, denn in dem Stöhnen, in den Zuckungen des gefangenen Drachen werden
ihr die Geheimnisse mancher wundervollen Konstellation offenbar, und sie
bietet alle Mittel auf, von außen hinein ins Innere zu wirken, wogegen sie
mein Vater mit den Blitzen, die aus dem Innern des Salamanders
hervorschießen, bekämpft. Alle die feindlichen Prinzipe, die in schädlichen
Kräutern und giftigen Tieren wohnen, sammelt sie und erregt, sie mischend,
in günstiger Konstellation, manchen bösen Spuk, der des Menschen Sinne mit
Grauen und Entsetzen befängt und ihn der Macht jener Dämonen, die der
Drache im Kampfe unterliegend erzeugte, unterwirft. Nimm Dich vor der Alten
in acht, lieber Anselmus, sie ist Dir feind, weil Dein kindlich frommes
Gemüt schon manchen ihrer bösen Zauber vernichtet. -- Halte treu -- treu
-- an mir, bald bist Du am Ziel!« -- »O meine -- meine Serpentina!« rief
der Student Anselmus, »wie sollte ich denn nur von Dir lassen können, wie
sollte ich Dich nicht lieben ewiglich!« -- Ein Kuß brannte auf seinem
Munde, er erwachte wie aus einem tiefen Traume; Serpentina war
verschwunden, es schlug sechs Uhr, da fiel es ihm schwer aufs Herz, daß er
nicht das mindeste kopiert habe; er blickte voll Besorgnis, was der
Archivarius wohl sagen werde, auf das Blatt, und o Wunder! die Kopie des
geheimnisvollen Manuskripts war glücklich beendigt, und er glaubte,
schärfer die Züge betrachtend, Serpentina's Erzählung von ihrem Vater, dem
Liebling des Geisterfürsten Phosphorus im Wunderlande Atlantis,
abgeschrieben zu haben. Jetzt trat der Archivarius Lindhorst in seinem
weißgrauen Überrock, den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, herein;
er sah in das von dem Anselmus beschriebene Pergament, nahm eine große
Priese und sagte lächelnd; das dacht ich wohl! Nun! hier ist der
Speziestaler, Herr Anselmus, jetzt wollen wir noch nach dem Linkeschen Bade
gehen -- nur mir nach! -- Der Archivarius schritt rasch durch den Garten,
in dem ein solcher Lärm von Singen, Pfeifen, Sprechen durcheinander war,
daß der Student Anselmus ganz betäubt wurde und dem Himmel dankte, als er
sich auf der Straße befand. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, als
sie dem Registrator Heerbrand begegneten, der freundlich sich anschloß. Vor
dem Tore stopften sie die mitgenommenen Pfeifen; der Registrator Heerbrand
beklagte kein Feuerzeug bei sich zu tragen, da rief der Archivarius
Lindhorst ganz unwillig: »was Feuerzeug! -- hier ist Feuer, so viel Sie
wollen!« Und damit schnippte er mit den Fingern, aus denen große Funken
strömten, die die Pfeifen schnell anzündeten. »Sehen Sie das chemische
Kunststückchen,« sagte der Registrator Heerbrand, aber der Student Anselmus
dachte nicht ohne inneres Erbeben an den Salamander. -- Im Linkeschen Bade
trank der Registrator Heerbrand so viel starkes Doppelbier, daß er, sonst
ein gutmütiger stiller Mann, anfing in einem quäkenden Tenor Burschenlieder
zu singen, und jeden hitzig fragte: ob er sein Freund sei oder nicht, und
endlich von dem Studenten Anselmus zu Hause gebracht werden mußte, als der
Archivarius Lindhorst schon längst auf und davon war.



NEUNTE VIGILIE


Wie der Student Anselmus zu einiger Vernunft gelangte. -- Die
Punschgesellschaft. -- Wie der Student Anselmus den Konrektor Paulmann für
einen Schuhu hielt und dieser darob sehr erzürnte. -- Der Tintenklecks und
seine Folgen.


Alles das Seltsame und Wundervolle, welches dem Studenten Anselmus täglich
begegnet war, hatte ihn ganz dem gewöhnlichen Leben entrückt. Er sah keinen
seiner Freunde mehr und harrte jeden Morgen mit Ungeduld auf die zwölfte
Stunde, die ihm sein Paradies aufschloß. Und doch, indem sein ganzes Gemüt
der holden Serpentina und den Wundern des Feenreiches bei dem Archivarius
Lindhorst zugewandt war, mußte er zuweilen unwillkürlich an Veronika
denken, ja manchmal schien es ihm als träte sie zu ihm hin und gestehe
errötend, wie herzlich sie ihn liebe und wie sie danach trachte, ihn den
Phantomen, von denen er nur geneckt und verhöhnt werde, zu entreißen.
Zuweilen war es, als risse eine fremde, plötzlich auf ihn einbrechende
Macht ihn unwiderstehlich hin zur vergessenen Veronika, und er müsse ihr
folgen wohin sie nur wolle, als sei er festgekettet an das Mädchen. Gerade
in der Nacht darauf, als er Serpentina zum erstenmal in der Gestalt einer
wunderbar holdseligen Jungfrau geschaut, als ihm das wunderbare Geheimnis
der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange offenbar worden,
trat ihm Veronika lebhafter vor die Augen als jemals. -- Ja! -- erst als er
erwachte, wurde er deutlich gewahr, daß er nur geträumt habe, da er
überzeugt gewesen, Veronika sei wirklich bei ihm und klage mit dem Ausdruck
eines tiefen Schmerzes, der sein Innerstes durchdrang, daß es ihre innige
Liebe den phantastischen Erscheinungen, die nur seine innere Zerrüttung
hervorrufe, aufopfern und noch darüber in Unglück und Verderben geraten
werde. Veronika war liebenswürdiger, als er sie je gesehen; er konnte sie
kaum aus den Gedanken bringen, und dieser Zustand verursachte ihm eine
Qual, der er bei einem Morgenspaziergang zu entrinnen hoffte. Eine geheime
magische Gewalt zog ihn vor das Pirnaer Tor und eben wollte er in eine
Nebenstraße einbiegen, als der Konrektor Paulmann hinter ihm her kommend
laut rief: »Ei, ei! -- wertester Herr Anselmus! -- Amice! -- Amice! wo um
des Himmels willen stecken Sie denn? Sie lassen sich ja gar nicht mehr
sehen -- wissen Sie wohl, daß sich Veronika recht sehnt wieder einmal eins
mit Ihnen zu singen? -- Nun kommen Sie nur, Sie wollten ja doch zu mir!«
Der Student Anselmus ging notgedrungen mit dem Konrektor. Als sie in das
Haus traten, kam ihnen Veronika sehr sauber und sorgfältig gekleidet
entgegen, so daß der Konrektor Paulmann voll Erstaunen fragte: Nun, warum
so geputzt, hat man denn Besuch erwartet? -- aber hier bringe ich den Herrn
Anselmus! -- Als der Student Anselmus sittig und artig der Veronika die
Hand küßte, fühlte er einen leisen Druck, der wie ein Glutstrom durch alle
Fibern und Nerven zuckte. Veronika war die Heiterkeit, die Anmut selbst,
und als Paulmann nach seinem Studierzimmer gegangen, wußte sie durch
allerhand Neckerei und Schalkheit den Anselmus so hinauf zu schrauben, daß
er alle Blödigkeit vergaß und sich zuletzt mit dem ausgelassenen Mädchen im
Zimmer herumjagte. Da kam ihm aber wieder einmal der Dämon des Ungeschicks
über den Hals, er stieß an den Tisch und Veronikas niedliches Nähkästchen
fiel herab. Anselmus hob es auf, der Deckel war aufgesprungen und es
blinkte ihm ein kleiner runder Metallspiegel entgegen, in den er mit ganz
eigner Lust hineinschaute. Veronika schlich sich leise hinter ihn, legte
die Hand auf seinen Arm und schaute, sich fest an ihn schmiegend, ihm über
die Schulter auch in den Spiegel. Da war es dem Anselmus, als beginne ein
Kampf in seinem Innern: -- Gedanken -- Bilder -- blitzten hervor und
vergingen wieder -- der Archivarius Lindhorst -- Serpentina -- die grüne
Schlange -- endlich wurde es ruhiger und alles Verworrene fügte und
gestaltete sich zum deutlichen Bewußtsein. Ihm wurde es nun klar, daß er
nur beständig an Veronika gedacht, ja daß die Gestalt, welche ihm gestern
in dem blauen Zimmer erschienen, auch eben Veronika gewesen, und daß die
phantastische Sage von der Vermählung des Salamanders mit der grünen
Schlange ja nur von ihm geschrieben, keineswegs aber erzählt worden sei. Er
wunderte sich selbst über seine Träumereien und schrieb sie lediglich
seinem durch die Liebe zu Veronika exaltierten Seelenzustande, sowie der
Arbeit bei dem Archivarius Lindhorst zu, in dessen Zimmern es noch überdem
so sonderbar betäubend dufte. Er mußte herzlich über die tolle Einbildung
lachen, in eine kleine Schlange verliebt zu sein und einen wohlbestallten
geheimen Archivarius für einen Salamander zu halten. »Ja, ja! -- es ist
Veronika!« rief er laut; aber indem er den Kopf umwandte, schaute er gerade
in Veronikas blaue Augen hinein, in denen Liebe und Sehnsucht strahlten.
Ein dumpfes Ach! entfloh ihren Lippen, die in dem Augenblick auf den
seinigen brannten. »O ich Glücklicher!« seufzte der entzückte Student, »was
ich gestern nur träumte, wird mir heute wirklich und in der Tat zuteil.« --
»Und willst Du mich denn wirklich heiraten, wenn Du Hofrat geworden?«
fragte Veronika. »Allerdings!« antwortete der Student Anselmus; indem
knarrte die Tür und der Konrektor Paulmann trat mit den Worten herein:
»Nun, wertester Herr Anselmus, lasse ich Sie heute nicht fort, Sie nehmen
vorlieb mit einer Suppe, und nachher bereitet uns Veronika einen köstlichen
Kaffee, den wir mit dem Registrator Heerbrand, welcher herzukommen
versprochen, genießen.« -- »Ach, bester Herr Konrektor,« erwiderte der
Student Anselmus, »wissen Sie denn nicht, daß ich zum Archivarius Lindhorst
muß, des Abschreibens wegen?« -- »Schauen Sie Amice!« sagte der Konrektor
Paulmann, indem er ihm die Taschenuhr hinhielt, welche auf halb eins wies.
Der Student Anselmus sah nun wohl ein, daß es viel zu spät sei zu dem
Archivarius Lindhorst zu wandern und fügte sich den Wünschen des Konrektors
um so lieber, als er nun die Veronika den ganzen Tag über schauen und wohl
manchen verstohlenen Blick, manchen zärtlichen Händedruck zu erhalten, ja
wohl gar einen Kuß zu erobern hoffte. So hoch verstiegen sich jetzt die
Wünsche des Studenten Anselmus, und es wurde ihm immer behaglicher zu Mute,
je mehr er sich überzeugte, daß er bald von all den phantastischen
Einbildungen befreit sein werde, die ihn wirklich ganz und gar zum
wahnwitzigen Narren hätten machen können. -- Der Registrator Heerbrand fand
sich wirklich nach Tische ein und als der Kaffee genossen und die Dämmerung
bereits eingebrochen, gab er schmunzelnd und fröhlich die Hände reibend zu
verstehen: er trage etwas mit sich, was durch Veronikas schöne Hände
gemischt und in gehörige Form gebracht, gleichsam foliiert und rubriziert,
ihnen allen an dem kühlen Oktoberabende erfreulich sein werde. »So rücken
Sie denn nur heraus mit dem geheimnisvollen Wesen, das Sie bei sich tragen,
geschätztester Registrator,« rief der Konrektor Paulmann; aber der
Registrator Heerbrand griff in die tiefe Tasche seines Matins und brachte
in drei Reprisen eine Flasche Arrak, Zitronen und Zucker zum Vorschein.
Kaum war eine halbe Stunde vergangen, so dampfte ein köstlicher Punsch auf
Paulmanns Tische. Veronika kredenzte das Getränk, und es gab allerlei
gemütliche muntere Gespräche unter den Freunden. Aber so wie dem Studenten
Anselmus der Geist des Getränkes zu Kopfe stieg, kamen auch alle Bilder des
Wunderbaren, Seltsamen, was er in kurzer Zeit erlebt, wieder zurück. Er sah
den Archivarius Lindhorst in seinem damastnen Schlafrock, der wie Phosphor
erglänzte; er sah das azurblaue Zimmer, die goldnen Palmbäume, ja es wurde
ihm wieder so zu Mute, als müsse er doch an die Serpentina glauben; es
brauste, es gärte in seinem Innern. Veronika reichte ihm ein Glas Punsch,
und indem er es faßte, berührte er leise ihre Hand. »Serpentina! Veronika!«
seufzte er in sich hinein. Er versank in tiefe Träume, aber der Registrator
Heerbrand rief ganz laut: »Ein wunderlicher alter Mann, aus dem niemand
klug wird, bleibt er doch, der Archivarius Lindhorst. -- Nun, er soll
leben! stoßen Sie an, Herr Anselmus!« -- Da fuhr der Student Anselmus auf
aus seinen Träumen und sagte, indem er mit dem Registrator Heerbrand
anstieß: »Das kommt daher, verehrungswürdiger Herr Registrator, weil der
Herr Archivarius Lindhorst eigentlich ein Salamander ist, der den Garten
des Geisterfürsten Phosphorus im Zorn verwüstete, weil ihm die grüne
Schlange davongeflogen.« -- »Wie -- was?« fragte der Konrektor Paulmann.
-- »Ja,« fuhr der Student Anselmus fort, »deshalb muß er nun königlicher
Archivarius sein und hier in Dresden mit seinen drei Töchtern wirtschaften,
die aber weiter nichts sind als kleine goldgrüne Schlänglein, die sich in
Holunderbüschen sonnen, verführerisch singen und die jungen Leute verlocken
wie die Sirenen.« -- »Herr Anselmus, Herr Anselmus!« rief der Konrektor
Paulmann, »rappelt's Ihnen im Kopfe? was um des Himmels willen schwatzen
Sie für ungewaschenes Zeug?« -- »Er hat Recht,« fiel der Registrator
Heerbrand ein, »der Kerl, der Archivarius, ist ein verfluchter Salamander,
der mit den Fingern feurige Schnippchen schlägt, die einem Löcher in den
Überrock brennen wie glühender Schwamm. -- Ja, ja, Du hast Recht,
Brüderchen Anselmus, und wer es nicht glaubt, ist mein Feind!« Und damit
schlug der Registrator Heerbrand mit der Faust auf den Tisch, daß die
Gläser klirrten. »Registrator! sind Sie rasend?« schrie der erboste
Konrektor. -- »Herr Studiosus! Herr Studiosus! was richten Sie denn nun
wieder an?« -- »Ach!« sagte der Student, »Sie sind auch weiter nichts als
ein Vogel -- ein Schuhu, der die Toupets frisiert, Herr Konrektor!« --
»Was? -- ich ein Vogel -- ein Schuhu -- ein Friseur?« -- schrie der
Konrektor voller Zorn -- »Herr, Sie sind toll -- toll!« -- »Aber die Alte
kommt ihm über den Hals,« rief der Registrator Heerbrand. -- »Ja, die Alte
ist mächtig,« fiel der Student Anselmus ein, »unerachtet sie nur von
niederer Herkunft; denn ihr Papa ist nichts als ein lumpiger Flederwisch
und ihre Mama eine schnöde Runkelrübe, aber ihre meiste Kraft verdankt sie
allerlei feindlichen Kreaturen, giftigen Kanaillen, von denen sie umgeben.«
-- »Das ist eine abscheuliche Verleumdung,« rief Veronika mit zornglühenden
Augen, »die alte Lise ist eine weise Frau und der schwarze Kater keine
feindliche Kreatur, sondern ein gebildeter junger Mann von feinen Sitten
und ihr Cousin germain.« -- »Kann der Salamander fressen, ohne sich den
Bart zu versengen und elendiglich draufzugehn?« sagte der Registrator
Heerbrand. »Nein, nein!« schrie der Student Anselmus, »nun und nimmermehr
wird er das können: und die grüne Schlange liebt mich; denn ich bin ein
kindliches Gemüt und habe Serpentinas Augen geschaut.« -- »Die wird der
Kater auskratzen,« rief Veronika. -- »Salamander -- Salamander bezwingt sie
alle -- alle,« brüllte der Konrektor Paulmann in höchster Wut; »aber bin
ich in einem Tollhause? bin ich selbst toll? -- was schwatze ich denn für
wahnwitziges Zeug? -- Ja ich bin auch toll -- auch toll!« -- Damit sprang
der Konrektor Paulmann auf, riß sich die Perücke vom Kopfe und schleuderte
sie gegen die Stubendecke, daß die gequetschten Locken ächzten und im
gänzlichen Verderben aufgelöst den Puder weit umherstäubten. Da ergriffen
der Student Anselmus und der Registrator Heerbrand die Punschterrine, die
Gläser, und warfen sie jubelnd und jauchzend an die Stubendecke, daß die
Scherben klirrend und klingend umhersprangen. »Vivat Salamander! -- pereat
-- pereat die Alte! zerbrecht den Metallspiegel, hackt dem Kater die Augen
aus! -- Vöglein -- Vöglein aus den Lüften -- Eheu -- Eheu -- Evoe
-- Salamander!« -- So schrien und brüllten die Drei wie Besessene
durcheinander. Laut weinend sprang Fränzchen davon; aber Veronika lag
winselnd vor Jammer und Schmerz auf dem Sopha. Da ging die Tür auf, alles
war plötzlich still und es trat ein kleiner Mann in einem grauen Mäntelchen
herein. Sein Gesicht hatte etwas seltsam Gravitätisches, und vorzüglich
zeichnete sich die krummgebogene Nase, auf der eine große Brille saß, vor
allen jemals gesehenen aus. Auch trug er solch eine besondere Perücke, daß
sie eher eine Federmütze zu sein schien. »Ei, schönen guten Abend!«
schnarrte das possierliche Männlein, »hier finde ich ja wohl den Studiosus
Herrn Anselmus? Gehorsamste Empfehlung vom Herrn Archivarius Lindhorst und
er habe heute vergebens auf den Herrn Anselmus gewartet; aber morgen lasse
er schönstens bitten, ja nicht die gewohnte Stunde zu versäumen.« Damit
schritt er wieder zur Tür hinaus und alle sahen nun wohl, daß das
gravitätische Männlein eigentlich ein grauer Papagei war. Der Konrektor
Paulmann und der Registrator Heerbrand schlugen eine Lache auf, die durch
das Zimmer dröhnte und dazwischen winselte und ächzte Veronika wie von
namenlosem Jammer zerrissen; aber den Studenten Anselmus durchzuckte der
Wahnsinn des innern Entsetzens und er rannte bewußtlos zur Tür hinaus durch
die Straßen. Mechanisch fand er seine Wohnung, sein Stübchen. Bald darauf
trat Veronika friedlich und freundlich zu ihm und fragte: warum er sie denn
im Rausch so geängstigt habe und er möge sich nur vor neuen Einbildungen
hüten, wenn er bei dem Archivarius Lindhorst arbeite. »Gute Nacht, gute
Nacht, mein lieber Freund,« lispelte leise Veronika und hauchte einen Kuß
auf seine Lippen. Er wollte sie mit seinen Armen umfangen, aber die
Traumgestalt war verschwunden und er erwachte heiter und gestärkt. Nun
mußte er selbst recht herzlich über die Wirkungen des Punsches lachen; aber
indem er an Veronika dachte, fühlte er sich recht von einem behaglichen
Gefühl durchdrungen.

[Illustration: Der Graue Papagei überbringt Anselmus eine Botschaft des
Achivarius Lindhorst]

Ihr allein, sprach er zu sich selbst, habe ich es zu verdanken, daß ich
von meinen albernen Grillen zurückgekommen bin. Wahrhaftig, mir ging es
nicht besser als jenem, welcher glaubte, er sei von Glas, oder dem, der die
Stube nicht verließ, aus Furcht von den Hühnern gefressen zu werden, weil
er sich einbildete, ein Gerstenkorn zu sein. Aber, sowie ich Hofrat
geworden, heirate ich ohne weiteres die Mademoiselle Paulmann und bin
glücklich. -- Als er nun mittags durch den Garten des Archivarius Lindhorst
ging, konnte er sich nicht genug wundern, wie ihm das alles sonst so
seltsam und wundervoll habe vorkommen können. Er sah nichts als gewöhnliche
Scherbenpflanzen, allerlei Geranien, Myrtenstöcke und dergleichen. Statt
der glänzenden bunten Vögel, die ihn sonst geneckt, flatterten nur einige
Sperlinge hin und her, die ein unverständliches unangenehmes Geschrei
erhoben, als sie den Anselmus gewahr wurden. Das blaue Zimmer kam ihm auch
ganz anders vor und er begriff nicht, wie ihm das grelle Blau und die
natürlichen goldnen Stämme der Palmbäume mit den unförmlichen blinkenden
Blättern nur einen Augenblick hatten gefallen können. -- Der Archivarius
sah ihn mit einem ganz eignen ironischen Lächeln an und fragte: »Nun, wie
hat Ihnen gestern der Punsch geschmeckt, werter Anselmus?« -- »Ach gewiß
hat Ihnen der Papagei,« -- erwiderte der Student Anselmus ganz beschämt;
aber er stockte: denn er dachte nun wieder daran, daß auch die Erscheinung
des Papageis wohl nur Blendwerk der befangenen Sinne gewesen. »Ei, ich war
ja selbst in der Gesellschaft,« fiel der Archivarius Lindhorst ein, »haben
Sie mich denn nicht gesehen? Aber bei dem tollen Unwesen, das Ihr triebt,
wäre ich beinahe hart beschädigt worden; denn ich saß eben in dem
Augenblicke noch in der Terrine, als der Registrator Heerbrand danach
griff, um sie gegen die Decke zu schleudern und mußte mich schnell in des
Konrektors Pfeifenkopf retirieren. Nun Adieu, Herr Anselmus! -- seien Sie
fleißig, auch für den gestrigen versäumten Tag zahle ich den Speziestaler,
da Sie bisher so wacker gearbeitet.« -- »Wie kann der Archivarius nur solch
tolles Zeug faseln!« sagte der Student Anselmus zu sich selbst und setzte
sich an den Tisch, um die Kopie des Manuskripts zu beginnen, das der
Archivarius wie gewöhnlich vor ihm ausgebreitet. Aber er sah auf der
Pergamentrolle so viele sonderbare krause Züge und Schnörkel durcheinander,
die, ohne dem Auge einen einzigen Ruhepunkt zu geben, den Blick verwirrten,
daß es ihm beinahe unmöglich schien das alles genau nachzumalen. Ja bei dem
Überblick des Ganzen schien das Pergament nur ein bunt geaderter Marmor
oder ein mit Moosen durchsprenkelter Stein. -- Er wollte dessen unerachtet
das Mögliche versuchen und tunkte getrost die Feder ein; aber die Tinte
wollte durchaus nicht fließen, er spritzte die Feder ungeduldig aus und --
o Himmel! ein großer Klecks fiel auf das ausgebreitete Original. Zischend
und brausend fuhr ein blauer Blitz aus dem Fleck und schlängelte sich
krachend durch das Zimmer bis zur Decke hinauf. Da quoll ein dicker Dampf
aus den Wänden, die Blätter fingen an zu rauschen wie vom Sturme
geschüttelt und aus ihnen schossen blinkende Basilisken im flackernden
Feuer herab, den Dampf entzündend, daß die Flammenmassen prasselnd sich um
den Anselmus wälzten. Die goldnen Stämme der Palmbäume wurden zu
Riesenschlangen, die ihre gräßlichen Häupter in schneidendem Metallklange
zusammenstießen und mit den geschuppten Leibern den Anselmus umwanden.
»Wahnsinniger! erleide nun die Strafe dafür, was Du im frechen Frevel
tatest!« -- So rief die fürchterliche Stimme des gekrönten Salamanders, der
über den Schlangen wie ein blendender Strahl in den Flammen erschien, und
nun sprühten ihre aufgesperrten Rachen Feuerkatarakte auf den Anselmus und
es war als verdichteten sich die Feuerströme um seinen Körper und würden
zur festen eiskalten Masse. Aber indem des Anselmus Glieder enger und enger
sich zusammenziehend erstarrten, vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder
zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von
einem glänzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand
erheben oder sonst sich rühren, stieß. -- Ach! er saß in einer
wohlverstopften Kristallflasche auf einem Repositorium im Bibliothekzimmer
des Archivarius Lindhorst.

[Illustration: Anselmus saß in einer wohlverstopften Kristallflasche]



ZEHNTE VIGILIE


Die Leiden des Studenten Anselmus in der gläsernen Flasche. -- Glückliches
Leben der Kreuzschüler und Praktikanten. -- Die Schlacht im
Bibliothekzimmer des Archivarius Lindhorst. -- Sieg des Salamanders und
Befreiung des Studenten Anselmus.


Mit Recht darf ich zweifeln, daß Du, günstiger Leser, jemals in einer
gläsernen Flasche verschlossen gewesen sein solltest, es sei denn, daß ein
lebendiger neckhafter Traum Dich einmal mit solchem feeischen Unwesen
befangen. War das der Fall, so wirst Du das Elend des armen Studenten
Anselmus recht lebhaft fühlen. Hast Du aber auch dergleichen nie geträumt,
so schließt Dich Deine rege Phantasie mir und dem Anselmus zu Gefallen wohl
auf einige Augenblicke in das Kristall ein. -- Du bist von blendendem
Glanze dicht umflossen, alle Gegenstände ringsumher erscheinen Dir von
strahlenden Regenbogenfarben erleuchtet und umgeben -- alles zittert und
wankt und dröhnt im Schimmer -- Du schwimmst regungs- und bewegungslos wie
in einem festgefrornen Äther, der Dich einpreßt, sodaß der Geist vergebens
dem toten Körper gebietet. Immer gewichtiger und gewichtiger drückt die
zentnerschwere Last Deine Brust -- immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug
die Lüftchen weg, die im engen Raum noch auf- und niederwallten -- Deine
Pulsadern schwellen auf und von gräßlicher Angst durchschnitten zuckt jeder
Nerv im Todeskampfe blutend. -- Habe Mitleid, günstiger Leser, mit dem
Studenten Anselmus, den diese namenlose Marter in seinem gläsernen
Gefängnisse ergriff; aber er fühlte wohl, daß der Tod ihn nicht erlösen
könne: denn erwachte er nicht aus der tiefen Ohnmacht, in die er im Übermaß
seiner Qual versunken, als die Morgensonne in das Zimmer hell und
freundlich hineinschien und fing seine Marter nicht von neuem an? Er konnte
kein Glied regen; aber seine Gedanken schlugen an das Glas, ihn im
mißtönenden Klange betäubend und er vernahm statt der Worte, die der Geist
sonst aus dem Innern gesprochen, nur das dumpfe Brausen des Wahnsinns. --
Da schrie er auf in Verzweiflung: »O Serpentina -- Serpentina, rette mich
von dieser Höllenqual!« Und es war als umwehten ihn leise Seufzer, die
legten sich um die Flasche wie grüne durchsichtige Holunderblätter; das
Tönen hörte auf, der blendende verwirrende Schein war verschwunden und er
atmete freier. »Bin ich denn nicht an meinem Elende lediglich selbst
Schuld? ach! habe ich nicht gegen Dich selbst, holde, geliebte Serpentina
gefrevelt? habe ich nicht schnöde Zweifel gegen Dich gehegt? habe ich nicht
den Glauben verloren und mit ihm alles, alles was mich hoch beglücken
sollte? Ach Du wirst nun wohl nimmer mein werden, für mich ist der goldne
Topf verloren, ich darf seine Wunder nimmermehr schauen! Ach, nur ein
einziges Mal möcht' ich Dich sehen, Deine holde süße Stimme hören,
liebliche Serpentina!« -- So klagte der Student Anselmus von tiefem
schneidendem Schmerz ergriffen; da sagte jemand dicht neben ihm: »Ich weiß
garnicht was Sie wollen, Herr Studiosus, warum lamentieren Sie so über alle
Maßen?« -- Der Student Anselmus wurde gewahr, daß neben ihm auf demselben
Repositorium noch fünf Flaschen standen, in welchen er drei Kreuzschüler
und zwei Praktikanten erblickte. -- »Ach, meine Herren und Gefährten im
Unglück,« rief er aus, »wie ist es Ihnen denn möglich, so gelassen, ja so
vergnügt zu sein, wie ich es an Ihren heitern Mienen bemerke? Sie sitzen ja
doch eben so gut eingesperrt in gläsernen Flaschen als ich und können sich
nicht regen und bewegen, ja nicht einmal was Vernünftiges denken, ohne daß
ein Mordlärmen entsteht mit Klingen und Schallen und ohne daß es Ihnen im
Kopfe ganz schrecklich saust und braust. Aber Sie glauben gewiß nicht an
den Salamander und an die grüne Schlange!« -- Sie faseln wohl, mein Herr
Studiosus,« erwiderte ein Kreuzschüler, »nie haben wir uns besser befunden
als jetzt: denn die Speziestaler, welche wir von dem tollen Archivarius
erhalten für allerlei konfuse Abschriften, tun uns wohl; wir dürfen jetzt
keine italienischen Chöre mehr auswendig lernen, wir gehen jetzt alle Tage
zu Josephs oder sonst in andere Kneipen, lassen uns das Doppelbier wohl
schmecken, sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen, singen wie
wirkliche Studenten: gaudeamus igitur und sind seelenvergnügt.« -- »Die
Herren haben ganz recht,« fiel ein Praktikant ein, »auch ich bin mit
Speziestalern reichlich versehen, wie hier mein teurer Kollege nebenan und
spaziere fleißig auf den Weinberg, statt bei der leidigen Aktenschreiberei
zwischen vier Wänden zu sitzen.« -- »Aber meine besten wertesten Herren,«
sagte der Student Anselmus, »spüren Sie es denn nicht, daß Sie alle samt
und sonders in gläsernen Flaschen sitzen und sich nicht regen und bewegen,
viel weniger umherspazieren können?« -- Da schlugen die Kreuzschüler und
die Praktikanten eine helle Lache auf und schrien: »Der Studiosus ist toll,
er bildet sich ein in einer gläsernen Flasche zu sitzen und steht auf der
Elbbrücke und sieht gerade hinein ins Wasser. Gehen wir nur weiter!«
-- »Ach,« seufzte der Student, »die schauten niemals die holde Serpentina,
sie wissen nicht was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist! deshalb
spüren sie nicht den Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander
bannte, ihrer Torheit, ihres gemeinen Sinnes wegen; aber ich Unglücklicher
werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich
liebe, mich nicht rettet.« -- Da wehte und säuselte Serpentina's Stimme
durch das Zimmer: »Anselmus! glaube, liebe, hoffe!« -- Und jeder Laut
strahlte in das Gefängnis des Anselmus hinein und das Kristall mußte seiner
Gewalt weichen und sich ausdehnen, daß die Brust des Gefangenen sich regen
und bewegen konnte. Immer mehr verringerte sich die Qual seines Zustandes
und er merkte wohl, daß ihn Serpentina noch liebe und daß nur _sie_ es
sei, die ihm den Aufenthalt in dem Kristall erträglich mache. Er bekümmerte
sich nicht mehr um seine leichtsinnigen Unglücksgefährten, sondern richtete
Sinn und Gedanken nur auf die holde Serpentina. -- Aber plötzlich entstand
von der andern Seite her ein dumpfes widriges Gemurmel. Er konnte bald
deutlich bemerken, daß dies Gemurmel von einer alten Kaffeekanne mit
halbzerbrochenem Deckel herrührte, die ihm gegenüber auf einem kleinen
Schrank hingestellt war. Sowie er schärfer hinschaute, entwickelten sich
immer mehr die garstigen Züge eines alten verschrumpften Weibergesichts und
bald stand das Äpfelweib vom schwarzen Tor vor dem Repositorium. Die
grinste und lachte ihn an und rief mit gellender Stimme: »Ei, ei,
Kindchen! -- mußt Du nun ausharren? -- Ins Kristall nun Dein Fall! hab' ich
Dir's nicht längst vorausgesagt?« -- »Höhne und spotte nur, Du verdammtes
Hexenweib,« sagte der Student Anselmus, »Du bist Schuld an allem, aber der
Salamander wird Dich treffen, Du schnöde Runkelrübe!« -- »Ho, ho!«
erwiderte die Alte, »nur nicht so stolz! Du hast meinen Söhnlein ins
Gesicht getreten, Du hast mir die Nase verbrannt, aber doch bin ich Dir
gut, Du Schelm, weil Du sonst ein artiger Mensch warst und mein Töchterchen
ist Dir auch gut. Aus dem Kristall kommst Du aber nun einmal nicht, wenn
ich Dir nicht helfe; hinauflangen zu Dir kann ich nicht; aber meine Frau
Gevatterin, die Ratte, welche gleich über Dir auf dem Boden wohnt, die soll
das Brett entzweinagen, auf dem Du stehst, dann purzelst Du hinunter und
ich fange Dich auf in der Schürze, damit Du Dir die Nase nicht zerschlägst,
sondern fein Dein glattes Gesichtlein erhältst und ich trage Dich flugs zu
Mamsell Veronika, die mußt Du heiraten, wenn Du Hofrat geworden.« -- »Laß
ab von mir, Satansgeburt,« schrie der Student Anselmus voller Grimm, »nur
Deine höllischen Künste haben mich zu dem Frevel gereizt, den ich nun
abbüßen muß. -- Aber geduldig ertrage ich alles: denn nur hier kann ich
sein, wo die holde Serpentina mich mit Liebe und Trost umfängt! -- Hör' es
Alte und verzweifle! Trotz biete ich Deiner Macht, ich liebe ewiglich nur
Serpentina -- ich will nie Hofrat werden -- nie die Veronika schauen, die
mich durch Dich zum Bösen verlockt! -- Kann die grüne Schlange nicht mein
werden, so will ich untergehen in Sehnsucht und Schmerz! -- Hebe Dich weg
-- hebe Dich weg -- Du schnöder Wechselbalg!« -- Da lachte die Alte auf,
daß es im Zimmer gellte und rief: »So sitze denn und verderbe, aber nun
ist's Zeit ans Werk zu gehen: denn mein Geschäft hier ist noch von anderer
Art.« -- Sie warf den schwarzen Mantel ab und stand da in ekelhafter
Nacktheit, dann fuhr sie in Kreisen umher und große Folianten stürzten
herab, aus denen riß sie Pergamentblätter, und diese im künstlichen Gefüge
schnell zusammenheftend und auf den Leib ziehend, war sie bald wie in einen
seltsamen bunten Schuppenharnisch gekleidet. Feuersprühend sprang der
schwarze Kater aus dem Tintenfasse, das auf dem Schreibtische stand und
heulte der Alten entgegen, die laut aufjubelte und mit ihm durch die Tür
verschwand. Anselmus merkte, daß sie nach dem blauen Zimmer gegangen und
bald hörte er es in der Ferne zischen und brausen, die Vögel im Garten
schrien, der Papagei schnarrte: »Rette -- rette! Raub -- Raub!« -- In dem
Augenblick kam die Alte ins Zimmer zurückgesprungen, den goldenen Topf auf
dem Arm tragend und mit gräßlicher Geberde wild durch die Lüfte schreiend:
»Glück auf! -- Glück auf! -- Söhnlein -- töte die grüne Schlange! auf,
Söhnlein, auf!« -- Es war dem Anselmus als höre er ein tiefes Stöhnen, als
höre er Serpentina's Stimme. Da ergriff ihn Entsetzen und Verzweiflung.
-- Er raffte alle seine Kräfte zusammen; er stieß mit Gewalt, als sollten
Nerven und Adern zerspringen, gegen das Kristall -- ein schneidender Klang
fuhr durch das Zimmer und der Archivarius stand in der Tür in seinem
glänzenden damastnen Schlafrock; »Hei, hei! Gesindel, toller Spuk
-- Hexenwerk -- hierher -- heisa!« So schrie er. Da richteten sich die
schwarzen Haare der Alten wie Borsten empor, ihre glutroten Augen
erglänzten von höllischem Feuer und die spitzigen Zähne des weiten Rachens
zusammenbeißend, zischte sie: »frisch -- frisch 'raus -- zisch aus, zisch
aus! und lachte und meckerte höhnend und spottend und drückte den goldnen
Topf fest an sich und warf daraus Fäuste voll glänzender Erde auf den
Archivarius, aber so wie die Erde den Schlafrock berührte, wurden Blumen
daraus, die herabfielen. Da flackerten und flammten die Lilien des
Schlafrocks empor und der Archivarius schleuderte die in knisterndem Feuer
brennenden Lilien auf die Hexe, die vor Schmerz heulte; aber indem sie in
die Höhe sprang und den pergamentnen Harnisch schüttelte, verlöschten die
Lilien und zerfielen in Asche. »Frisch darauf, mein Junge!« kreischte die
Alte, da fuhr der Kater auf in die Luft und brauste fort nach der Tür über
den Archivarius; aber der graue Papagei flatterte ihm entgegen und faßte
ihn mit dem krummen Schnabel im Genick, daß rotes feuriges Blut ihm aus dem
Halse stürzte und Serpentina's Stimme rief: »Gerettet! -- gerettet!« -- Die
Alte sprang voll Wut und Verzweiflung auf den Archivarius los, sie warf den
Topf hinter sich und wollte, die langen Finger der dürren Fäuste
emporspreizend, den Archivarius umkrallen; aber dieser riß schnell den
Schlafrock herunter und schleuderte ihn der Alten entgegen. Da zischten und
sprühten und brausten blaue knisternde Flammen aus den Pergamentblättern
und die Alte wälzte sich im heulenden Jammer und trachtete immer mehr Erde
aus dem Topfe zu greifen, immer mehr Pergamentblätter aus den Büchern zu
erhaschen, um die lodernden Flammen zu ersticken; und wenn ihr es gelang
Erde oder Pergamentblätter auf sich zu stürzen, verlöschte das Feuer. Aber
nun fuhren wie aus dem Innern des Archivarius flackernde zischende Strahlen
auf die Alte. »Hei, hei! drauf und dran -- Sieg dem Salamander!« dröhnte
die Stimme des Archivarius durch das Zimmer, und hundert Blitze
schlängelten sich in feurigen Kreisen um die kreischende Alte. Sausend und
brausend fuhren in wütendem Kampfe Kater und Papagei umher; aber endlich
schlug der Papagei mit den starken Fittichen den Kater zu Boden und mit den
Krallen ihn durchspießend und festhaltend, daß er in der Todesnot gräßlich
heulte und ächzte, hackte er ihm mit dem scharfen Schnabel die glühenden
Augen aus, daß der brennende Gischt herausspritzte. -- Dicker Qualm strömte
da empor, wo die Alte zur Erde niedergestürzt unter dem Schlafrock gelegen;
ihr Geheul, ihr entsetzliches schneidendes Jammergeschrei verhallte in
weiter Ferne. Der Rauch, der sich mit durchdringendem Gestank verbreitet,
verdampfte, der Archivarius hob den Schlafrock auf und unter demselben lag
eine garstige Runkelrübe. »Verehrter Herr Archivarius, hier bringe ich den
überwundenen Feind,« sprach der Papagei, indem er den [dem] Archivarius
Lindhorst ein schwarzes Haar im Schnabel darreichte. »Sehr gut, mein
Lieber,« antwortete der Archivarius, »hier liegt auch meine überwundene
Feindin, besorgen Sie gütigst nunmehr das Übrige; noch heute erhalten Sie
als ein kleines Douceur sechs Kokosnüsse und eine neue Brille, da, wie ich
sehe, der Kater Ihnen die Gläser schändlich zerbrochen.« -- »Lebenslang der
Ihrige, verehrungswürdiger Freund und Gönner!« versetzte der Papagei sehr
vergnügt, nahm die Runkelrübe in den Schnabel und flatterte damit zum
Fenster hinaus, das ihm der Archivarius Lindhorst geöffnet.

[Illustration: Der Rauch verdampfte]

Dieser ergriff den goldenen Topf und rief stark: »Serpentina,
Serpentina!« -- Aber wie nun der Student Anselmus hoch erfreut über den
Untergang des schnöden Weibes, das ihn ins Verderben gestürzt, den
Archivarius anblickte, da war es wieder die hohe majestätische Gestalt des
Geisterfürsten, die mit unbeschreiblicher Anmut und Würde zu ihm
hinaufschaute. -- »Anselmus,« sprach der Geisterfürst, »nicht Du, sondern
nur ein feindliches Prinzip, das zerstörend in Dein Inneres zu dringen und
Dich mit Dir selbst zu entzweien trachtete, war Schuld an Deinem Unglauben.
Du hast Deine Treue bewährt, sei frei und glücklich.« Ein Blitz zuckte
durch das Innere des Anselmus, der herrliche Dreiklang der Kristallglocken
ertönte stärker und mächtiger, als er ihn je vernommen -- seine Fibern und
Nerven erbebten -- aber immer mehr anschwellend dröhnte der Akkord durch
das Zimmer, das Glas, welches den Anselmus umschlossen, zersprang und er
stürzte in die Arme der holden lieblichen Serpentina.



ELFTE VIGILIE


Des Konrektors Paulmann Unwille über die in seiner Familie ausgebrochene
Tollheit. -- Wie der Registrator Heerbrand Hofrat worden und im stärksten
Froste in Schuhen und seidenen Strümpfen einherging. -- Veronika's
Geständnisse. -- Verlobung bei der dampfenden Suppenschüssel.


Aber sagen Sie mir nur, wertester Registrator, wie uns gestern der
vermaledeite Punsch so in den Kopf steigen und zu allerlei Allotriis
treiben konnte?« -- Dies sprach der Konrektor Paulmann, indem er am andern
Morgen in das Zimmer trat, das noch voll zerbrochener Scherben lag und in
dessen Mitte die unglückliche Perücke in ihre ursprünglichen Bestandteile
aufgelöst im Punsche umherschwamm. Als der Student Anselmus zur Tür
hinausgerannt war, kreuzten und wackelten der Konrektor Paulmann und der
Registrator Heerbrand durch das Zimmer, schreiend wie Besessene und mit den
Köpfen aneinander rennend, bis Fränzchen den schwindligen Papa mit vieler
Mühe ins Bett brachte und der Registrator in höchster Ermattung aufs Sofa
sank, welches Veronika, ins Schlafzimmer flüchtend, verlassen. Der
Registrator Heerbrand hatte sein blaues Schnupftuch um den Kopf gewickelt,
sah ganz blaß und melancholisch aus und stöhnte: »Ach, werter Konrektor,
nicht der Punsch, den Mamsell Veronika köstlich bereitet, nein! -- sondern
lediglich der verdammte Student ist an all' dem Unwesen schuld. Merken Sie
denn nicht, daß er schon längst mente captus ist? Aber wissen Sie denn
nicht auch, daß der Wahnsinn ansteckt? -- Ein Narr macht viele; verzeihen
Sie, dies ist ein altes Sprichwort; vorzüglich, wenn man ein Gläschen
getrunken, da gerät man leicht in die Tollheit und manövriert unwillkürlich
nach und bricht aus in die Exercitia, die der verrückte Flügelmann
vormacht. Glauben Sie denn, Konrektor, daß mir noch ganz schwindlig ist,
wenn ich an den grauen Papagei denke?« -- »Ach was,« fiel der Konrektor
ein, »Possen! -- es war ja der alte kleine Famulus des Archivarii, der
einen grauen Mantel umgenommen und den Studenten Anselmus suchte.« -- »Es
kann sein,« versetzte der Registrator Heerbrand, »aber ich muß gestehen,
daß mir ganz miserabel zu Mute ist; die ganze Nacht über hat es so
wunderlich georgelt und gepfiffen.« -- »Das war ich«, erwiderte der
Konrektor, »denn ich schnarche stark.« -- »Nun, mag das sein,« fuhr der
Registrator fort, »aber Konrektor, Konrektor! -- nicht ohne Ursache hatte
ich gestern dafür gesorgt, uns einige Fröhlichkeit zu bereiten -- aber der
Anselmus hat mir alles verdorben. -- Sie wissen nicht -- o Konrektor,
Konrektor!« -- Der Registrator Heerbrand sprang auf, riß das Tuch vom
Kopfe, umarmte den Konrektor, drückte ihm feurig die Hand, rief noch einmal
ganz herzbrechend: »O Konrektor, Konrektor!« und rannte Hut und Stock
ergreifend schnell von dannen. »Der Anselmus soll mir nicht mehr über die
Schwelle,« sprach der Konrektor Paulmann zu sich selbst, »denn ich sehe nun
wohl, daß er mit seinem verstockten innern Wahnsinn die besten Leute um ihr
bißchen Vernunft bringt; der Registrator ist nun auch geliefert -- ich habe
mich bisher noch gehalten, aber der Teufel, der gestern im Rausch stark
anklopfte, könnte doch wohl am Ende einbrechen und sein Spiel treiben.
-- Also apage Satanas! -- fort mit dem Anselmus!« -- Veronika war ganz
tiefsinnig geworden, sie sprach kein Wort, lächelte nur zuweilen ganz
seltsam und war am liebsten allein. »Die hat Anselmus auch auf der Seele«,
sagte der Konrektor voller Bosheit, »aber es ist gut, daß er sich garnicht
sehen läßt, ich weiß, daß er sich vor mir fürchtet -- der Anselmus, deshalb
kommt er garnicht her.« Das Letzte sprach der Konrektor Paulmann ganz laut,
da stürzten der Veronika, die eben gegenwärtig, die Tränen aus den Augen
und sie seufzte: »Ach, kann denn der Anselmus herkommen? Der ist ja schon
längst in die gläserne Flasche eingesperrt.« -- »Wie? was?« rief der
Konrektor Paulmann. »Ach Gott -- ach Gott, auch sie faselt schon wie der
Registrator, es wird bald zum Ausbruch kommen. -- Ach du verdammter
abscheulicher Anselmus!« -- Er rannte gleich fort zum Doktor Eckstein, der
lächelte und sagte wieder: »Ei, ei!« -- Er verschrieb aber nichts, sondern
setzte dem wenigen, was er geäußert, noch weggehend hinzu: »Nervenzufälle!
-- wird sich geben von selbst -- in die Luft führen -- spazieren fahren
-- sich zerstreuen -- Theater -- Sonntagskind -- Schwestern von Prag --
wird sich geben!« -- »So beredt war der Doktor selten,« dachte der
Konrektor Paulmann, »ordentlich geschwätzig.« -- Mehrere Tage und Wochen
und Monate waren vergangen, der Anselmus war verschwunden, aber auch der
Registrator Heerbrand ließ sich nicht sehen, bis am vierten Februar, da
trat er in einem neuen modernen Kleide vom besten Tuch, in Schuhen und
seidenen Strümpfen, des starken Frostes unerachtet, einen großen Strauß
lebendiger Blumen in der Hand, mittags Punkt zwölf Uhr in das Zimmer des
Konrektors Paulmann, der nicht wenig über seinen geputzten Freund
erstaunte. Feierlich schritt der Registrator Heerbrand auf den Konrektor
los, umarmte ihn mit feinem Anstande und sprach dann: »Heute an dem
Namenstage Ihrer lieben verehrten Mamsell Tochter Veronika will ich denn
nun alles gerade heraussagen, was mir längst auf dem Herzen gelegen!
Damals, an dem unglücklichen Abend, als ich die Ingredienzien zu dem
verderblichen Punsch in der Tasche meines Matins herbeitrug, hatte ich es
im Sinn, eine freudige Nachricht Ihnen mitzuteilen und den glückseligen Tag
in Fröhlichkeit zu feiern; schon damals hatte ich es erfahren, daß ich
Hofrat geworden, über welche Standeserhöhung ich jetzt das Patent cum
nomine et sigillo principis erhalten und in der Tasche trage.« -- »Ach,
ach! Herr Registr -- Herr Hofrat Heerbrand, wollte ich sagen,« stammelte
der Konrektor. -- »Aber Sie, verehrter Konrektor,« fuhr der nunmehrige
Hofrat Heerbrand fort: »Sie können erst mein Glück vollenden. Schon längst
habe ich die Mamsell Veronika im Stillen geliebt und kann mich manches
freundlichen Blickes rühmen, den sie mir zugeworfen und der mir deutlich
gezeigt, daß sie mir wohl nicht abhold sein dürfte. Kurz, verehrter
Konrektor! -- ich, der Hofrat Heerbrand, bitte um die Hand Ihrer
liebenswürdigen Demoiselle Tochter Veronika, die ich, haben Sie nichts
dagegen, in kurzer Zeit heimzuführen gedenke.« -- Der Konrektor Paulmann
schlug voll Verwunderung die Hände zusammen und rief: »Ei -- Ei -- Ei --
Herr Registr -- Herr Hofrat wollte ich sagen, wer hätte das gedacht! --
Nun, wenn Veronika Sie in der Tat liebt, ich meines Teils habe nichts
dagegen; vielleicht ist auch ihre jetzige Schwermut nur eine versteckte
Verliebtheit in Sie, verehrter Hofrat; man kennt ja die Possen.« -- In dem
Augenblick trat Veronika herein, blaß und verstört, wie sie jetzt
gewöhnlich war. Da schritt der Hofrat Heerbrand auf sie zu, erwähnte in
wohlgesetzter Rede ihres Namenstages und überreichte ihr den duftenden
Blumenstrauß nebst einem kleinen Päckchen, aus dem ihr, als sie es öffnete,
ein paar glänzende Ohrgehänge entgegenstrahlten. Eine schnelle fliegende
Röte färbte ihre Wangen, die Augen blitzten lebhafter und sie rief: »Ei,
mein Gott! Das sind ja dieselben Ohrgehänge, die ich schon vor mehreren
Wochen trug und mich daran ergötzte!« -- »Wie ist denn das möglich?« fiel
der Hofrat Heerbrand etwas bestürzt und empfindlich ein, »da ich dieses
Geschmeide erst seit einer Stunde in der Schloßgasse für schmähliches Geld
erkauft?« -- Aber die Veronika hörte nicht darauf, sondern stand schon vor
dem Spiegel, um die Wirkung des Geschmeides, das sie bereits in die kleinen
Öhrchen gehängt, zu erforschen. Der Konrektor Paulmann eröffnete ihr mit
gravitätischer Miene und mit ernstem Ton die Standeserhöhung Freund
Heerbrands und seinen Antrag. Veronika schaute den Hofrat mit
durchdringendem Blick an und sprach: »Das wußte ich längst, daß Sie mich
heiraten wollten. -- Nun es sei! -- ich verspreche Ihnen Herz und Hand,
aber ich muß Ihnen nur gleich -- Ihnen Beiden nämlich, dem Vater und dem
Bräutigam, manches entdecken, was mir recht schwer in Sinn und Gedanken
liegt -- jetzt gleich, und sollte darüber die Suppe kalt werden, die, wie
ich sehe, Fränzchen soeben auf den Tisch setzt.« Ohne des Konrektors und
des Hofrats Antwort abzuwarten, unerachtet ihnen sichtlich die Worte auf
den Lippen schwebten, fuhr Veronika fort: »Sie können es mir glauben,
bester Vater, daß ich den Anselmus recht von Herzen liebte und als der
Registrator Heerbrand, der nunmehr selbst Hofrat geworden, versicherte, der
Anselmus könne es wohl zu so etwas bringen, beschloß ich, er und kein
anderer solle mein Mann werden. Da schien es aber, als wenn fremde
feindliche Wesen ihn mir entreißen wollten und ich nahm meine Zuflucht zu
der alten Lise, die ehemals meine Wärterin war und jetzt eine weise Frau,
eine große Zauberin ist. _Die_ versprach mir zu helfen und den Anselmus mir
ganz in die Hände zu liefern. Wir gingen Mitternachts in der Tag- und
Nachtgleiche auf den Kreuzweg, sie beschwor die höllischen Geister und mit
Hilfe des schwarzen Katers brachten wir einen kleinen Metallspiegel zu
Stande, in den ich, meine Gedanken auf den Anselmus richtend, nur blicken
durfte, um ihn ganz in Sinn und Gedanken zu beherrschen. -- Aber ich bereue
jetzt herzlich das alles getan zu haben, ich schwöre allen Satanskünsten
ab. Der Salamander hat über die Alte gesiegt, ich hörte ihr Jammergeschrei,
aber es war keine Hilfe möglich, sowie sie als Runkelrübe vom Papagei
verzehrt worden, zerbrach mit schneidendem Klange mein Metallspiegel.«
Veronika holte die beiden Stücke des zerbrochenen Spiegels und eine Locke
aus dem Nähkästchen und beides dem Hofrat Heerbrand hinreichend, fuhr sie
fort: »Hier nehmen Sie, geliebter Hofrat, die Stücke des Spiegels, werfen
Sie sie heute Nacht um zwölf Uhr von der Elbbrücke, und zwar von da wo das
Kreuz steht, hinab in den Strom, der dort nicht zugefroren, die Locke aber
bewahren Sie auf treuer Brust. Ich schwöre nochmals allen Satanskünsten ab
und gönne dem Anselmus herzlich sein Glück, da er nunmehr mit der grünen
Schlange verbunden, die viel schöner und reicher ist als ich. Ich will Sie,
geliebter Hofrat, als eine rechtschaffene Frau lieben und verehren!« --
»Ach Gott! -- ach Gott!« rief der Konrektor Paulmann voller Schmerz, »sie
ist wahnsinnig, sie ist wahnsinnig -- sie kann nimmermehr Frau Hofrätin
werden -- sie ist wahnsinnig!« -- »Mit nichten,« fiel der Hofrat Heerbrand
ein, »ich weiß wohl, daß Mamsell Veronika eine Neigung für den vertrackten
Anselmus gehegt, und es mag sein, daß sie vielleicht in einer gewissen
Überspannung sich an die weise Frau gewendet, die, wie ich merke, wohl
niemand anders sein kann als die Kartenlegerin und Kaffeegießerin vor dem
Seetore, kurz, die alte Rauerin. Nun ist auch nicht zu leugnen, daß es
wirklich wohl geheime Künste gibt, die auf den Menschen nur gar zu sehr
ihren feindlichen Einfluß äußern, man liest schon davon in den Alten; was
aber Mamsell Veronika von dem Sieg des Salamanders und von der Verbindung
des Anselmus mit der grünen Schlange gesprochen, ist wohl nur eine
poetische Allegorie -- gleichsam ein Gedicht, worin sie den gänzlichen
Abschied von dem Studenten besungen.« -- »Halten Sie das wofür Sie wollen,
bester Hofrat!« fiel Veronika ein, »vielleicht für einen recht albernen
Traum.« -- »Keineswegs tue ich das,« versetzte der Hofrat Heerbrand, »denn
ich weiß ja wohl, daß der Anselmus auch von geheimen Mächten befangen, die
ihn zu allen möglichen tollen Streichen necken und treiben.« Länger konnte
der Konrektor Paulmann nicht an sich halten, er brach los: »Halt, um Gottes
willen, halt! Haben wir uns denn etwa wieder übernommen im verdammten
Punsch, oder wirkt des Anselmi Wahnsinn auf uns? Herr Hofrat, was sprechen
Sie denn auch wieder für Zeug? -- Ich will indessen glauben, daß es die
Liebe ist, die Euch in dem Gehirn spukt; das gibt sich aber bald in der
Ehe, sonst wäre mir bange, daß auch _Sie_ in einigen Wahnsinn
verfallen, verehrungswürdiger Hofrat und würde dann Sorge tragen wegen der
Deszendenz, die das malum der Eltern vererben könnte. -- Nun, ich gebe
meinen väterlichen Segen zu der fröhlichen Verbindung und erlaube, daß Ihr
Euch als Braut und Bräutigam küsset.« Dies geschah sofort und es war, noch
ehe die aufgetragene Suppe kalt geworden, die förmliche Verlobung
geschlossen. Wenige Wochen nachher saß die Frau Hofrätin Heerbrand
wirklich, wie sie sich schon früher im Geiste erblickt, in dem Erker eines
schönen Hauses auf dem Neumarkt und schaute lächelnd auf die Elegants
hinab, die vorübergehend und hinauflorgnettierend sprachen: »Es ist doch
eine göttliche Frau, die Hofrätin Heerbrand!« -- --



ZWÖLFTE VIGILIE


Nachricht von dem Rittergut, das der Anselmus als des Archivarius Lindhorst
Schwiegersohn bezogen, und wie er dort mit Serpentina lebt. -- Beschluß.


Wie fühlte ich recht in der Tiefe des Gemüts die hohe Seligkeit des
Studenten Anselmus, der mit der holden Serpentina innigst verbunden, nun
nach dem geheimnisvollen wunderbaren Reiche gezogen war, das er für die
Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen erfüllte Brust
schon so lange gesehnt! Aber vergebens blieb alles Streben, Dir, günstiger
Leser, all' die Herrlichkeiten, von denen der Anselmus umgeben, auch nur
einigermaßen in Worten anzudeuten. Mit Widerwillen gewahrte ich die
Mattigkeit jedes Ausdrucks. Ich fühlte mich befangen in den Armseligkeiten
des kleinlichen Alltagslebens, ich erkrankte in quälendem Mißbehagen, ich
schlich umher wie ein Träumender, kurz, ich geriet in jenen Zustand des
Studenten Anselmus, den ich Dir, günstiger Leser, in der vierten Vigilie
beschrieben. Ich härmte mich recht ab, wenn ich die elf Vigilien, die ich
glücklich zu stande gebracht, durchlief, und nun dachte, daß es mir wohl
niemals vergönnt sein werde, die zwölfte als Schlußstein hinzuzufügen: denn
so oft ich mich zur Nachtzeit hinsetzte, um das Werk zu vollenden, war es
als hielten mir recht tückische Geister (es mochten wohl Verwandte
-- vielleicht cousins germains der getöteten Hexe sein) ein glänzend
poliertes Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blaß, übernächtig und
melancholisch, wie der Registrator Heerbrand nach dem Punschrausch. -- Da
warf ich denn die Feder hin und eilte ins Bett, um wenigstens von dem
glücklichen Anselmus und der holden Serpentina zu träumen. So hatte das
schon mehrere Tage und Nächte gedauert, als ich endlich ganz unerwartet von
dem Archivarius Lindhorst ein Billet erhielt, worin er mir folgendes
schrieb:

Ew. Wohlgeboren haben, wie mir bekannt geworden, die seltsamen Schicksale
meines guten Schwiegersohnes, des vormaligen Studenten, jetzigen Dichters
Anselmus, in elf Vigilien beschrieben und quälen sich jetzt sehr ab, in der
zwölften und letzten Vigilie einiges von seinem glücklichen Leben in
Atlantis zu sagen, wohin er mit meiner Tochter auf das hübsche Rittergut,
welches ich dort besitze, gezogen. Unerachtet ich nun nicht eben gern sehe,
daß Sie mein eigentliches Wesen der Lesewelt kundgetan, da es mich
vielleicht in meinem Dienst als geheimer Archivarius tausend
Unannehmlichkeiten aussetzen, ja wohl gar im Collegio die zu ventilierende
Frage veranlassen wird: inwiefern wohl ein Salamander sich rechtlich und
mit verbindenden Folgen als Staatsdiener eidlich verpflichten könne, und
inwiefern ihm überhaupt solide Geschäfte anzuvertrauen, da nach Gabalis und
Swedenborg den Elementargeistern durchaus nicht zu trauen -- unerachtet nun
meine besten Freunde meine Umarmung scheuen werden, aus Furcht, ich könnte
in plötzlichem Übermut was weniges blitzen und ihnen Frisur und
Sonntagsrock verderben -- unerachtet alles dessen sage ich, will ich Ew.
Wohlgeboren doch in der Vollendung des Werks behilflich sein, da darin viel
Gutes von mir und von meiner lieben verheirateten Tochter (ich wollte, ich
wäre die beiden übrigen auch schon los) enthalten. Wollen Sie daher die
zwölfte Vigilie schreiben, so steigen Sie Ihre verdammten fünf Treppen
hinunter, verlassen Sie Ihr Stübchen und kommen Sie zu mir. Im blauen
Palmbaumzimmer, das Ihnen schon bekannt, finden Sie die gehörigen
Schreibmaterialien und Sie können dann mit wenigen Worten den Lesern kund
tun, was Sie geschaut: das wird ihnen besser sein, als eine weitläufige
Beschreibung eines Lebens, das Sie ja doch nur vom Hörensagen kennen. Mit
Achtung

    Ew. Wohlgeboren ergebenster

    der Salamander Lindhorst
    p. t. königl. geh. Archivarius.

Dies freilich etwas rauhe, aber doch freundschaftliche Billet des
Archivarius Lindhorst war mir höchst angenehm. Zwar schien es gewiß, daß
der wunderliche Alte von der seltsamen Art, wie mir die Schicksale seines
Schwiegersohnes bekannt geworden, die ich, zum Geheimnis verpflichtet, Dir
selbst, günstiger Leser, verschweigen mußte, wohl unterrichtet sei, aber er
hatte das nicht so übel vermerkt, als ich wohl befürchten konnte. Er bot ja
selbst hilfreiche Hand, mein Werk zu vollenden, und daraus konnte ich mit
Recht schließen, wie er im Grunde genommen damit einverstanden sei, daß
seine wunderliche Existenz in der Geisterwelt durch den Druck bekannt
werde. Es kann sein, dachte ich, daß er selbst die Hoffnung daraus schöpft,
desto eher seine beiden noch übrigen Töchter an den Mann zu bringen, denn
vielleicht fällt doch ein Funke in dieses oder jenes Jünglings Brust, der
die Sehnsucht nach der grünen Schlange entzündet, welche er dann in dem
Holunderbusch am Himmelfahrtstage sucht und findet. Aus dem Unglück, das
den Anselmus betroffen, als er in die gläserne Flasche gebannt wurde, wird
er die Warnung entnehmen, sich vor jedem Zweifel, vor jedem Unglauben recht
ernstlich zu hüten. Punkt elf Uhr löschte ich meine Studierlampe aus und
schlich zum Archivarius Lindhorst, der mich schon auf dem Flur erwartete.
»Sind Sie da -- Hochverehrter! -- nun das ist mir lieb, daß Sie meine
guten Absichten nicht verkennen -- kommen Sie nur!« -- Und damit führte er
mich durch den von blendendem Glanze erfüllten Garten in das azurblaue
Zimmer, in welchem ich den violetten Schreibtisch erblickte, an welchem der
Anselmus gearbeitet. -- Der Archivarius Lindhorst verschwand, erschien aber
gleich wieder mit einem schönen goldenen Pokal in der Hand, aus dem eine
blaue Flamme hoch emporknisterte. »Hier,« sprach er, »bringe ich Ihnen das
Lieblingsgetränk Ihres Freundes, des Kapellmeisters Johannes Kreisler. --
Es ist angezündeter Arrak, in den ich einigen Zucker geworfen. Nippen Sie
was weniges davon, ich will gleich meinen Schlafrock abwerfen und zu meiner
Lust, und um, während Sie sitzen und schauen und schreiben, Ihrer werten
Gesellschaft zu genießen, in dem Pokal auf- und niedersteigen.« -- »Wie es
Ihnen gefällig ist, verehrter Herr Archivarius,« versetzte ich; »aber wenn
ich nun von dem Getränk genießen will, werden Sie nicht« -- »Tragen Sie
keine Sorge, mein Bester!« rief der Archivarius, warf den Schlafrock
schnell ab, stieg zu meinem nicht geringen Erstaunen in den Pokal und
verschwand in den Flammen. -- Ohne Scheu kostete ich, die Flamme leise
weghauchend, von dem Getränk, es war köstlich!

       *       *       *       *       *

Rühren sich nicht in sanftem Säuseln und Rauschen die smaragdenen Blätter
der Palmbäume, wie vom Hauch des Morgenwindes geliebkost? -- Erwacht aus
dem Schlafe heben und regen sie sich und flüstern geheimnisvoll von den
Wundern, die wie aus weiter Ferne holdselige Harfentöne verkünden! -- Das
Azur löst sich von den Wänden und wallt wie duftiger Nebel auf und nieder,
aber blendende Strahlen schießen durch den Duft, der sich wie in
jauchzender kindischer Lust wirbelt und dreht und aufsteigt bis zur
unermeßlichen Höhe, die sich über den Palmbäumen wölbt. -- Aber immer
blendender häuft sich Strahl auf Strahl, bis in hellem Sonnenglanze sich
der unabsehbare Hain aufschließt, in dem ich den Anselmus erblicke.
-- Glühende Hyazinthen und Tulpianen und Rosen erheben ihre schönen Häupter
und ihre Düfte rufen in gar lieblichen Lauten dem Glücklichen zu: wandle,
wandle unter uns, Geliebter, der Du uns verstehst -- unser Duft ist die
Sehnsucht der Liebe -- wir lieben Dich und sind Dein immerdar! -- Die
goldnen Strahlen brennen in glühenden Tönen: wir sind Feuer von der Liebe
entzündet. Der Duft ist die Sehnsucht, aber Feuer das Verlangen, und wohnen
wir nicht in Deiner Brust? Wir sind ja Dein eigen! -- Es rischeln und
rauschen die dunklen Büsche -- die hohen Bäume: Komme zu uns!
-- Glücklicher! -- Geliebter! Feuer ist das Verlangen, aber Hoffnung unser
kühler Schatten. Wir umsäuseln liebend Dein Haupt, denn Du verstehst uns,
weil die Liebe in Deiner Brust wohnet. -- Die Quellen und Bäche plätschern
und sprudeln: Geliebter, wandle nicht so schnell vorüber, schaue in unser
Kristall -- Dein Bild wohnt in uns, das wir liebend bewahren, denn Du hast
uns verstanden! -- Im Jubelchor zwitschern und singen bunte Vöglein: Höre
uns, höre uns, wir sind die Freude, die Wonne, das Entzücken der Liebe!
-- Aber sehnsuchtsvoll schaut Anselmus nach dem herrlichen Tempel, der sich
in weiter Ferne erhebt. Die künstlichen Säulen scheinen Bäume und die
Kapitäle und Gesimse Akanthusblätter, die in wundervollen Gewinden und
Figuren herrliche Verzierungen bilden. Anselmus schreitet dem Tempel zu, er
betrachtet mit inniger Wonne den bunten Marmor, die wunderbar bemoosten
Stufen. »Ach nein,« ruft er wie im Übermaß des Entzückens, »sie ist nicht
mehr fern!« Da tritt in hoher Schönheit und Anmut Serpentina aus dem Innern
des Tempels, sie trägt den goldenen Topf, aus dem eine herrliche Lilie
entsprossen. Die namenlose Wonne der unendlichen Sehnsucht glüht in den
holdseligen Augen, so blickt sie den Anselmus an, sprechend: »Ach,
Geliebter! die Lilie hat ihren Kelch erschlossen -- das Höchste ist
erfüllt: Gibt es denn eine Seligkeit, die der unsrigen gleicht?« Anselmus
umschlingt sie mit der Inbrunst des glühendsten Verlangens -- die Lilie
brennt in flammenden Strahlen über seinem Haupte. Und lauter regen sich
die Bäume und die Büsche, und heller und freudiger jauchzen die Quellen
-- die Vögel -- allerlei bunte Insekten tanzen in den Luftwirbeln -- ein
frohes, freudiges, jubelndes Getümmel in der Luft -- in den Wässern -- auf
der Erde feiert das Fest der Liebe! -- Da zucken Blitze überall leuchtend
durch die Büsche -- Diamanten blicken wie funkelnde Augen aus der Erde
-- hohe Springbäche strahlen aus den Quellen -- seltsame Düfte wehen mit
rauschendem Flügelschlag daher, -- es sind die Elementargeister, die der
Lilie huldigen und des Anselmus Glück verkünden. -- Da erhebt Anselmus das
Haupt wie vom Strahlenglanz der Verklärung umflossen. -- Sind es Blicke?
-- sind es Worte? -- ist es Gesang? -- Vernehmlich klingt es: »Serpentina!
-- der Glaube an Dich, die Liebe hat mir das Innerste der Natur
erschlossen! -- Du brachtest mir die Lilie, die aus dem Golde, aus der
Urkraft der Erde, noch ehe Phosphorus den Gedanken entzündete, entsproß --
sie ist die Erkenntnis des heiligen Einklangs aller Wesen und in dieser
Erkenntnis lebe ich in höchster Seligkeit immerdar. -- Ja, ich
Hochbeglückter habe das Höchste erkannt -- ich muß Dich lieben ewiglich, o
Serpentina! -- nimmer verbleichen die goldenen Strahlen der Lilie, denn wie
Glaube und Liebe, ist ewig die Erkenntnis.«

       *       *       *       *       *

Die Vision, in der ich nun den Anselmus leibhaftig auf seinem Rittergute
in Atlantis gesehen, verdanke ich wohl den Künsten des Salamanders und
herrlich war es, daß ich sie, als alles wie im Nebel verloschen, auf dem
Papier, das auf dem violetten Tisch lag, recht sauber und augenscheinlich
von mir selbst aufgeschrieben fand. -- Aber nun fühlte ich mich von jähem
Schmerz durchbohrt und zerrissen. »Ach glücklicher Anselmus, der Du die
Bürde des alltäglichen Lebens abgeworfen, der Du in der Liebe zu der holden
Serpentina die Schwingen rüstig rührtest und nun lebst in Wonne und Freude
auf Deinem Rittergut in Atlantis! -- Aber ich Armer! -- bald -- ja in
wenigen Minuten bin ich selbst aus diesem schönen Saal, der noch lange kein
Rittergut in Atlantis ist, versetzt in mein Dachstübchen und die
Armseligkeiten des bedürftigen Lebens befangen meinen Sinn und mein Blick
ist von tausend Unheil wie von dickem Nebel umhüllt, daß ich wohl niemals
die Lilie schauen werde.« -- Da klopfte mir der Archivarius Lindhorst leise
auf die Achsel und sprach: »Still, still, Verehrter! klagen Sie nicht so!
-- Waren Sie nicht eben selbst in Atlantis und haben Sie denn nicht auch
dort wenigstens einen artigen Meierhof als poetisches Besitztum Ihres
innern Sinns? -- Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwa anderes als
das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als
tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?«

       *       *       *       *       *

    Ende des Märchens.





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