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Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1.
Author: Humboldt, Alexander von, 1769-1859
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1." ***


Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents.
Band 1.


by Alexander von Humboldt



Edition 01 , (September 3, 2007)



               In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff.

         Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers.

   Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache.

                            ------------------

                                   1865

                            ------------------

                               Erster Band



CONTENTS


Vorwort
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel



VORWORT


Einem wissenschaftlichen Reisenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn
er eine vollständige Uebersetzung seiner Arbeiten jeder auch noch so
geschmackvollen Abkürzung derselben vorzieht. Bouquer´s und La Condamine´s
mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Theilnahme
gelesen; und da jeder Reisende gewissermaßen  den Zustand der
Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtpunkte darstellt,
welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhangen, so ist das
wissenschaftliche Interesse um so lebendiger, als die Epoche der
Darstellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige
Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das
Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begründet werden,
in besonderen Zugaben über stündliche Barometer-Veränderungen, Neigung der
Magnetnadel und Intensität der magnetischen Erdkraft zusammengedrängt. Die
Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen
Nachtheil, zu Abkürzungen in der Uebersetzung des Originaltextes der Reise
Anlaß geben können. Diese Betrachtung war auch geeignet mich bald mit dem
Unternehmen zu versöhnen, einem größeren Kreise gebildeter Leser, die
bisher mehr mit der Natur als mit scientifischen Wissen befreundet waren,
einen etwas *abgekürzten Text der Reise in die Tropen-Gegenden des Neuen
Continents* darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich setze
gern hinzu angeerbter Freundschaft meinen Arbeiten eine so lange und
sorgfältige Pflege geschenkt hat, hat mich aufgefordert diese neue
Ausgabe, welche einem vielseitig unterrichteten Gelehrten, Herrn
Bibliothekar Professor _Dr._ *Hauff* anvertraut ist, nicht bloß, so viel
mein Uralter und meine gesunkenen Kräfte es erlauben, zu revidiren,
sondern auch mit Zusätzen und Berichtigungen zu bereichern. Die
Naturwissenschaft ist, wie die Natur selbst, in ewigem *Werden* und
Wechsel begriffen. Seit der Herausgabe des ersten Bandes der Reise sind
jetzt 45 Jahre verflossen. Die Berichtigungen müßten also zahlreich seyn:
in geognostischer Hinsicht wegen Bezeichnung der Gebirgs-Formationen und
der metamorphosirten Gebirge, des wohlthätigen Einflusses der Chemie auf
die Geognosie, wie in allem, was anbetrifft die Vertheilung der Wärme auf
dem Erdkörper und die Ursach der verschiedenen Krümmung monatlicher
Isothermen (nach Dove´s meisterhaften Arbeiten). Die durch die neue
Ausgabe veranlaßte Erweiterung des Kreises wissenschaftlicher Anregung
kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwickelungsgange physischer
Forschungen wie in dem der politischen Institutionen ist Stillstand durch
unvermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen
*Rückschrittes* geknüpft.

Es würde mir dazu eine innige Freude seyn noch zu erleben, wie die
Unternehmer es hoffen, daß meine in den Jahren freudig aufstrebender
Jugend ausgeführte Reise, deren einer Genosse, mein theurer Freund, *Aimé
Bonpland*, bereits, im hohen Alter, dahingegangen ist, in unserer eigenen
schönen Sprache von demselben deutschen Volke mit einigem Vergnügen
gelesen werde, welches mehr denn zwei Menschenalter hindurch mich in
meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meiner Laufbahn durch ein
eifriges Wohlwollen beglückt und selbst meinen spätesten Arbeiten durch
seine partheiische Theilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat.

*Berlin*, 26. März 1859.

*Alexander v. Humboldt.*



ERSTES KAPITEL


        Vorbereitungen — Abreise von Spanien — Aufenthalt auf den
                            Kanarischen Inseln


Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Weltmeer anordnet, durch
welche die Kenntniß des Erdballes erweitert und die physischen
Wissenschaften gefördert werden, so stellt sich ihrem Vorhaben keinerlei
Hinderniß entgegen. Der Zeitpunkt der Abfahrt und der Plan der Reise
können eingehalten werden, sobald die Schiffe ausgerüstet und die
Astronomen und Naturforscher, welche unbekannte Meere befahren sollen,
gewählt sind. Die Inseln und Küsten, deren Produkte die Seefahrer kennen
lernen sollen, liegen außerhalb des Bereiches der staatlichen Bewegungen
Europas. Wenn längere Kriege die Freiheit zur See beschränken, so stellen
die kriegführenden Mächte gegenseitig Pässe aus; der Haß zwischen Volk und
Volk tritt zurück, wenn es sich von der Förderung des Wissens handelt, das
die gemeine Sache der Völker ist.

Anders, wenn nur ein Privatmann auf seine Kosten eine Reise in das Innere
eines Festlandes unternimmt, das Europa in sein System von Kolonien
gezogen hat. Wohl mag sich der Reisende einen Plan entwerfen, wie er ihm
für seine wissenschaftlichen Zwecke und bei den staatlichen Verhältnissen
der zu bereisenden Länder die angemessenste scheint; er mag sich die
Mittel verschaffen, die ihm fern vom Heimathland auf Jahre die
Unabhängigkeit sicher, aber gar oft widersetzen sich unvorhergesehene
Hindernisse seinem Vorhaben, wenn er eben meint, es ausführen zu können.
Nicht leicht hat aber ein Reisender mit so vielen Schwierigkeiten zu
kämpfen gehabt als ich vor meiner Abreise nach dem spanischen Amerika.
Gern wäre ich darüber weggegangen und hätte meine Reisebeschreibungen mit
der Besteigung des Pic von Tenerifa begonnen, wenn nicht das Fehlschlagen
meiner ersten Pläne auf die Richtung meiner Reise nach der Rückkehr vom
Orinoko bedeutenden Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige
Schilderung dieser Vorgänge, die für die Wissenschaft von keinem Belang
sind, von denen ich aber wünschen muß, daß sie richtig beurteilt werden.
Da nun einmal die Neugier des Publikums sich häufig mehr an die Person des
Reisenden als an seine Werke heftet, so sind auch die Umstände, unter
denen ich meine ersten Reisepläne entworfen, ganz schief aufgefaßt
worden.(1)

Von früher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch, ferne, von
Europäern wenig besuchte Länder bereisen zu dürfen. Dieser Drang ist
bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieses vor uns liegt wie ein
schrankenloser Horizont, wo uns nichts so sehr anzieht als starke
Gemüthsbewegung und Bilder physischer Fährlichkeiten. In einem Lande
aufgewachsen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonien in
beiden Indien steht, später in einem fern von der Meeresküste gelegenen,
durch starken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur
See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir
nur aus den lebendigen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz
besonderen Reiz für uns; Alles in Entlegenheit undeutlich Umrissene
besticht unsere Einbildungskraft; Genüsse, die uns nicht erreichbar sind,
scheinen uns weit lockender, als was uns im engen Kreise des bürgerlichen
Lebens bietet. Die Lust am Botanisiren, das Studium der Geologie, ein
Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Gesellschaft eines
berühmten Mannes, Georg Forsters, dem das Glück geworden war, Capitän Cook
auf seiner zweiten Reise um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den
Reiseplänen, die ich schon mit achtzehn Jahren gehegt, Gestalt und Ziel zu
geben. Wenn es mich noch immer in die schönen Länder des heißen Erdgürtels
zog, so war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden
Wanderleben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannichfaltigen
Naturprodukten reiche Natur zu sehen, die Aussicht, Erfahrungen zu
sammeln, welche die Wissenschaften förderten. Meine Verhältnisse
gestatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich so
lebhaft beschäftigten, und ich hatte sechs Jahre Zeit, mich zu den
Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzustellen gedachte,
vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereisen und die Kette der
Hochalpen zu untersuchen, deren Bau ich in der Folge mit den Anden von
Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verschiedenen Zeiten mit
Instrumenten von verschiedener Construction arbeitete, wählte ich am Ende
diejenigen, die mir als die genauesten und dabei auf dem Transport
dauerhaftesten erschienen; ich fand Gelegenheit, Messungen, die nach den
strengsten Methoden vor genommen wurden, zu wiederholen, und lernte so
selbstständig die Grenzen der Irrthümer kennen, auf die ich gefaßt seyn
mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereist, aber die
vulkanischen Striche in Neapel und Sizilien nicht besuchen können. Ungern
hätte ich Europa verlassen, ohne Vesuv, Stromboli und Aetna gesehen zu
haben; ich sah ein, um zahlreiche geologische Erscheinungen, namentlich in
der Trappformation, richtig aufzufassen, mußte ich mich mit den
Erscheinungen, wie noch tätige Vulkane sie bieten, näher bekannt gemacht
haben. Ich entschloß mich daher im November 1797, wieder nach Italien zu
gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen
und die Freundlichkeit Jacquins und Josephs van der Schott mich in meinen
vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durchzog mit Leopold von
Buch, von dem seitdem ein treffliches Werk über Lappland erschienen ist,
mehrere Teile des Salzburger Landes und Steiermark, Länder, die für den
Geologen und Landschaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber
über die Tiroler Alpen gehen wollte, sah ich mich durch den in ganz
Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reise nach Neapel
aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der bereits die
Küsten Illyriens und Griechenlands als Alter thumsforscher besucht hatte,
mir den Vorschlag gemacht, ihn auf einer Reise nach Oberegypten zu
begleiten. Der Ausflug sollte nur acht Monate dauern; geschickte Zeichner
und astronomische Werkzeuge sollten uns begleiten, und so wollten wir den
Nil bis Assuan hinaufgehen und den zwischen Tentyris und den Cataracten
gelegenen Teil des Saïd genau untersuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen
Planen nie ein außertropisches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der
Versuchung nicht widerstehen, Länder zu besuchen, die in der Geschichte
der Kultur eine so bedeutende Rolle spielen. Ich nahm den Vorschlag an,
aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich bei der Rückkehr nach
Alexandrien allein durch Syrien und Palästina weiter reisen dürfte. Sofort
richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir später zu
gute kam, als es sich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexicaner mit
denen der Völker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe
Aussicht, mich nach Egypten einzuschiffen, da nöthigten mich die
eingetretenen politischen Verhältnisse, eine Reise aufzugeben, die mir so
großen Genuß versprach. Im Orient standen die Dinge so, daß ein einzelner
Reisender gar keine Aussicht hatte, dort Studien machen zu können, welche
selbst in den ruhigsten Zeiten von den Regierungen mit mißtrauischen Augen
angesehen werden.

Zur selben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreise in die Südsee
unter dem Befehl des Kapitäns Baudin im Werk. Der ursprüngliche Plan war
großartig, kühn und hätte verdient, unter umsichtiger Leitung ausgeführt
zu werden. Man wollte die spanischen Besitzungen in Südamerika von der
Mündung des Rio de la Plata bis zum Königreich Quito und der Landenge von
Panama besuchen. Die zwei Corvetten sollten sofort über die Inselwelt des
Stillen Meeres nach Neuholland gelangen, die Küsten desselben von
Vandiemensland bis Nuytsland untersuchen, bei Madagaskar anlegen und über
das Kap der guten Hoffnung zurückkehren. Ich war nach Paris gekommen, als
man sich eben zu dieser Reise zu rüsten begann. Der Charakter des Kapitäns
Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzuflößen; der Mann hatte
meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Brasilien
gebracht, und der Wiener Hof war dabei schlecht mit ihm zufrieden gewesen;
da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine so weite Reise unternehmen und
ein so schönes Stück der Welt hätte kennen lernen können, so entschloß ich
mich, auf gutes Glück die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubniß,
mich mit meinen Instrumenten auf einer der Corvetten, die nach der Südsee
gehen sollten, einzuschiffen, und machte nur zur Bedingung, daß ich mich
von Kapitän Baudin trennen dürfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux,
der bereits Persien und einen Teil von Nordamerika besucht hatte, und
Bonpland, dem ich mich anschloß, und der mir seitdem aufs innigste
befreundet geblieben, sollten die Reise als Naturforscher mitmachen.

Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer so großen und
ehrenvollen Unternehmung Theil nehmen zu dürfen, da brach der Krieg in
Deutschland und Italien von neuen aus, so daß die französische Regierung
die Geldmittel, die sie zu der Entdeckungsreise angewiesen, zurückzog und
dieselbe auf unbestimmte Zeit verschob. Mit Kummer sah ich alle meine
Aussichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für
mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beschloß ich nur so
bald als möglich, wie es auch sey, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu
unternehmen, das meinen Unmuth zerstreuen könnte.

Ich wurde mit einen schwedischen Konsul, Skiöldebrand, bekannt, der dem
Dey von Algier Geschenke von seiten seines Hofes zu überbringen hatte und
durch Paris kam, um sich in Marseille einzuschiffen. Dieser achtenswerthe
Mann war lange auf der afrikanischen Küste angestellt gewesen, und da er
bei der algerischen Regierung gut angeschrieben war, konnte er für mich
auswirken, daß ich den Theil der Atlaskette bereisen durfte, auf den sich
die bedeutenden Untersuchungen Desfontaines nicht erstreckt hatten. Er
schickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka
gingen, und er versprach mir, mich auf diesem Wege nach Egypten zu
befördern. Ich besann mich keinen Augenblick, eine so gute Gelegenheit zu
benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reise nach
Frankreich entworfen, sofort ausführen zu können. Bis jetzt hatte kein
Mineralog die hohe Bergkette untersucht, die in Marokko bis zur Grenze des
ewigen Schnees aufsteigt. Ich konnte darauf rechnen, daß ich, nachdem ich
in den Alpenstrichen der Berberei einiges für die Wissenschaft gethan, in
Egypten bei den bedeutenden Gelehrten, die seit einigen Monaten zum
Institut von Cairo zusammengetreten waren, dasselbe Entgegenkommen fand,
das mir in Paris in so reichem Maße zu Theil geworden. Ich ergänzte rasch
meine Sammlung von Instrumenten und verschaffte mir die Werke über die zu
bereisenden Länder. Ich nahm Abschied von meinem Bruder, der durch Rath
und Beispiel meine Geistesrichtung hatte bestimmen helfen. Er billigte die
Beweggründe meines Entschlusses, Europa zu verlassen; eine geheime Stimme
sagte uns, daß wir uns wieder sehen würden. Diese Hoffnung hat uns nicht
betrogen, und sie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ
Paris mit den Entschluß, mich nach Algier und Egypten einzuschiffen, und
wie nun einmal der Zufall in allen Menschenleben regiert, ich sah bei der
Rückkehr vom Amazonenstrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das
Festland von Afrika betreten zu haben.

Die schwedische Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen
sollte, wurde zu Marseille in den letzten Tagen Oktobers erwartet.
Bonpland und ich begaben uns um diese Zeit dahin, und eilten um so mehr,
da wir während der Reise immer besorgten, zu spät zu kommen und das Schiff
zu versäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns
zunächst bevorstanden.

Skiöldebrand war so ungeduldig als wir, seinen Bestimmungsort zu
erreichen. Wir bestiegen mehrmals am Tage den Berg Notre Dame de la Garde,
von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont
sichtbar wurde, setzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in
großer Unruhe vergeblich geharrt, ersahen wir aus den Zeitungen, daß die
schwedische Fregatte, die uns überführen sollte, in einem Sturm an den
Küsten von Portugal stark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe
einlaufen müssen, um ausgebessert zu werden. Privatbriefe bestätigten die
Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas — so hieß die Fregatte — vor
dem Frühjahr nicht nach Marseille kommen konnte.

Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu
bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick
des Meeres mahnte uns fortwährend an unsere zertrümmerten Hoffnungen. Auf
einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die
Fregatte Boudeuse, die Bougainville auf seiner Reise um die Welt befehligt
hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüstete, die Expedititon des
Kapitäns Baudin mitzumachen, des besonderen Wohlwollens des berühmten
Seefahrers zu erfreuen gehabt. Nur schwer vermochte ich zu schildern, was
ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerson auf die Inseln der
Südsee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen sich ein Schmerzgefühl in
alle unsere Empfindungen mischt.

Wir hielten immer noch am Gedanken fest, uns an die afrikanische Küste zu
begeben, und dieser zähe Entschluß wäre uns beinahe verderblich geworden.
Im Hafen von Marseille lag zur Zeit ein kleines ragusanisches Fahrzeug,
bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies schien uns eine günstige
Gelegenheit; wir kamen ja auf diese Weise in die Nähe von Egypten und
Syrien. Wir wurden mit dem Kapitän wegen der Ueberfahrtspreises einig; am
folgenden Tage sollten wir unter Segel gehen, aber die Abreise verzögerte
sich glücklicherweise durch einen an sich ganz unbedeutenden Umstand. Das
Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen sollte, war in der
großen Kajüte untergebracht. Wir verlangten, daß zur Bequemlichkeit der
Reisenden und zur sicheren Unterbringung unserer Instrumente das
Notwendigste vorgekehrt werde. Allermittelst erfuhr man in Marseille, daß
die tunesische Regierung die in der Berberei niedergelassenen Franzosen
verfolge, und daß alle aus französischen Häfen ankommenden Personen ins
Gefängnis geworfen würden. Durch diese Kunde entgingen wir einer großen
Gefahr; wir mußten die Ausführung unserer Pläne verschieben und
entschlossen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns
im nächsten Frühjahr, wenn anders die politischen Zustände im Orient es
gestatteten, in Cartagena oder in Cadiz einschiffen zu können.

Wir reisten durch Katalonien und das Königreich Valencia nach Madrid. Wir
besuchten auf dem Wege die Trümmer Tarragonas und des alten Sagunt,
machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montserrat, dessen hoch
aufragende Gipfel von Einsiedlern bewohnt sind, und der durch die
Contraste eines kräftigen Pflanzenwuchses und nackter, öder Felsmassen ein
eigenthümliches Landschaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch
astronomische Rechnung die Lage mehrerer für die Geographie Spaniens
wichtiger Punkte zu bestimmen; ich maß mittels des Barometers die Höhe des
Centralplateaus und stellte einige Beobachtungen über die Inclination der
Magnetnadel und die Intensität der magnetischen Kraft an. Die Ergebnisse
dieser Beobachtungen sind die sich erschienen, und ich verbreite mich hier
nicht weiter über die Naturbeschaffenheit eines Landes, in dem ich mich
nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von so vielen
unterrichteten Männern bereist worden ist.

Zu Madrid angelangt, fand ich bald Ursache, mir Glück dazu zu wünschen,
daß wir uns entschlossen, die Halbinsel zu besuchen. Der Baron Forell,
sächsischer Gesandter am spanischen Hofe, kam mir auf eine Weise entgegen,
die meinen Zwecken sehr förderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten
mineralogischen Kenntnissen das regste Interesse für Unternehmungen zur
Förderung der Wissenschaft. Er bedeutete mir, daß ich unter der Verwaltung
eines aufgeklärten Ministers, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo,
Aussicht habe, auf meine Kosten im Inneren des spanischen Amerika reisen
zu dürfen. Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, besann ich
mich keinen Augenblick, diesen Gedanken zu ergreifen.

Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der König nahm
mich äußerst wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gründe, die mich
bewogen, eine Reise in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu
unternehmen, und reichte dem Staatssecretär eine darauf bezügliche
Denkschrift ein. Der Ritter d’Urquijo unterstützte mein Gesuch und räumte
alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Minister handelte hierbei desto
großmüthiger, da ich in gar keiner persönlichen Beziehung zu ihn stand.
Der Eifer, mit dem er fortwährend meine Absichten unterstützte, hatte
keinen anderen Beweggrund als seine Liebe zu den Wissenschaften. Es wird
mir zu angenehmen Pflicht, in diesem Werke der Dienste, die er mir
erwiesen, dankbar zu gedenken.

Ich erhielt zwei Pässe, den einen vom ersten Staatsecretär, den anderen
vom Rath von Indien. Nie war einem Reisenden mit der Erlaubniß, die man
ihm ertheilte, mehr zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung
einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen. Um alle Bedenken zu beseitigen,
welche die Vicekönige oder Generalcapitäne, als Vertreter der königlichen
Gewalt in Amerika, hinsichtlich des Zweckes und Wesens meiner
Beschäftigungen erheben könnten, hieß es im Paß der _primera secretaria de
estado:_ »ich sey ermächtigt, mich meiner physikalischen und geodätischen
Instrumente mit voller Freiheit zu bedienen; ich dürfe in allen spanischen
Besitzungen astronomische Beobachtungen anstellen, die Höhen der Berge
messen, die Erzeugnisse des Bodens sammeln und alle Operationen ausführen,
die ich zur Förderung der Wissenschaft gut finde«. Diese Befehle von
Seiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereignisse
Don D´Urquijo vom Ministerium hatte abtreten müssen. Ich meinerseits war
bemüht, diese sich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich
übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der
Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials über die
Geographie und Statistik der Colonien, das dem Mutterlande von einigen
Werth seyn konnte. Dem von mir vor meiner Abreise gegebenen Versprechen
gemäß übermachte ich dem naturhistorischen Cabinet zu Madrid mehrere
geologische Sammlungen. Da der Zweck unserer Reise ein rein
wissenschaftlicher war, so hatten Bonpland und ich das Glück, uns das
Wohlwollen der Colonisten wie der mit der Verwaltung dieser weiten
Landstriche betrauten Europäer zu erwerben. In den fünf Jahren, während
wir den neuen Continent durchzogen, sind wir niemals einer Spur von
Mißtrauen begegnet. Mit Freude spreche ich es hier aus; unter den
härtesten Entbehrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur, haben wir uns
nie über menschliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.

Verschiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen sollen, noch länger in
Spanien zu verweilen. Abbé Cavanilles, ein Mann gleich geistreich wie
mannigfaltig unterrichtet; Née, der mit Hänke die Expedition Malaspinas
als Botaniker mitgemacht und allein eine der größten Kräutersammlungen,
die man je in Europa gesehen, zusammengebracht hat; Don Casimir Ortega,
Abbé Pourret und die gelehrten Verfasser der Flora von Peru, Ruiz und
Pavon, stellten uns ihre reichen Sammlungen zur unbeschränkten Verfügung.
Wir untersuchten zum Theil die mexicanischen Pflanzen, die von Sesse,
Mociño und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das
naturhistorische Museum zu Madrid gelangt waren. In dieser großen Anstalt,
die unter der Leitung Clavijos stand, des Herausgebers einer gefälligen
Uebersetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologischen
Suiten aus den Cordilleren; aber Proust, der sich durch die große
Genauigkeit seiner chemischen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein
ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns interessante Nachweisungen
über verschiedene mineralische Substanzen Amerikas. Mit bedeutendem Nutzen
hätten wir uns wohl noch länger mit den Naturprodukten der Länder
beschäftigt, die das Ziel unserer Forschungen waren, aber es drängte uns
zu sehr, von der Vergünstigung, die der Hof uns gewährt, Gebrauch zu
machen, als daß wir unsere Abreise hätten verschieben können. Seit einen
Jahr war ich so vielen Hindernissen begegnet, daß ich es kaum glauben
konnte, daß mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfüllung gehen sollte.

Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen Theil
von Altcastilien, durch das Königreich Leon und Galizien nach Corunna, wo
wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der Winter war streng und
lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der Reise der milden
Frühlingstemperatur, die schon so weit gegen Süd gewöhnlich nur den
Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte noch die hohen
Granitgipfel der Guadarama; aber in den tiefen Thälern Galiziens, welche
an die malerischen Landschaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren
alle Felsen mit Cistus in voller Blüthe und baumartigem Heidekraut
überzogen. Man ist froh, wenn man die castilische Hochebene hinter sich
hat, welche fast ganz von Pflanzenwuchs entblöst und wo es im Winter
empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß ist. Nach den wenigen
Beobachtungen, die ich selbst anstellen konnte, besteht das Innere
Spaniens aus einer weiten Ebene, die 300 Toisen (584 Meter) über dem
Spiegel des Meeres mit secundären Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips,
Steinsalz, Jurakalk bedeckt ist; das Klima von Castilien ist weit kälter
als das von Toulon oder Genua; die mittlere Temperatur errecht kaum 15
Grad der hunderttheiligen Scale. Man wundert sich, daß unter der Breite
von Calabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbäume im Freien nicht
mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist umgeben von
einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren Punkten Chamärops, der
Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem
nördlichen Afrika gemeinsame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfrost zu
leiden. Unter dem 36 – 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur
17 – 20 Grad, und durch den Verein von Verhältnissen, die hier nicht
aufgezählt werden können, ist dieser glückliche Landstrich der vornehmste
Sitz des Gewerbfleißes und der Geistesbildung geworden.

Kommt man im Königreich Valencia von der Küste des Mittelmeeres gegen die
Hochebene von Mancha und Castilien herauf, so meint man, tief im Land, in
weithin gestreckten schroffen Abhängen die alte Küste der Halbinsel vor
sich zu haben. Dieses merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der
Samothracier und andere geschichtliche Zeugnisse, welche darauf
hinzuweisen scheinen, daß durch den Ausbruch der Wasser aus den
Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der südliche Theil
Europas zerrissen und vom Mittelmeer verschlungen worden ist. Nimmt man
an, diese Sagen seyen keine geologischen Träume, sondern beruhen wirklich
auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, so hätte die spanische
Centralebene dem Anprall der gewaltigen Fluthen widerstanden, bis die
Wasser durch die zwischen den Säulen des Hercules sich bildende Meerende
abfloßen, so daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählig sank und
einerseits Niederegypten, andererseits die fruchtbaren Ebenen von
Tarragena, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung
dieses Meeres zusammenhängt, dessen Daseyn von so bedeutendem Einfluß auf
die frühesten Culturbewegungen der Menschheit war, ist von ganz besonderem
Interesse. Man könnte denken, Spanien, das sich als ein Vorgebirge
inmitten der Meere darstellt, verdanke seine Erhaltung seinem
hochgelegenen Boden; ehe man aber auf solche theoretische Vorstellungen
Gewicht legt, müßte man erst die Bedenken beseitigen, die sich gegen die
Durchbrechung so vieler Dämme erheben, müßte man wahrscheinlich zu machen
suchen, daß das Mittelmeer einst in mehrere abgeschlossene Becken getheilt
gewesen, dere alte Grenzen durch Sicilien und die Insel Candia angedeutet
scheinen. Die Lösung dieser Probleme soll uns hier nicht beschäftigen, wir
beschränken uns darauf, auf den auffallenden Contrast in der Gestaltung
des Landes am östlichen und am westlichen Ende Europas aufmerksam zu
machen. Zwischen den baltischen und dem schwarzen Meer erhebt sich das
Land gegenwärtig kaum fünfzig Toisen über den Spiegel des Oceans, während
die Hochebene von Mancha, wenn sie zwischen den Quellen des Niemen und des
Dnieper läge, sich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darstellen
würde. Es ist höchst anziehend, auf die Ursachen zurückzugehen, durch
welche die Oberfläche unseres Planeten umgestaltet worden seyn man;
sicherer ist es aber, sich an diejenigen Seiten der Erscheinungen zu
halten, welche der Beobachtung und Messung des Forschers zugänglich sind.

Zwischen Astorga und Corunna, besonders von Lugo an, werden die Berge
allmählich höher. Die secundären Gebirgsbildungen verschwinden mehr und
mehr, und die Uebergangsgebirgsarten, die sie ablösen, verkünden die Nähe
des Urgebirgs. Wir sahen ansehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandstein,
den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und
Grauwackenschiefer aufführen. Ich weiß nicht, ob diese Formation, die im
südlichen Europa nicht häufig vorkommt, auch in andern Strichen Spaniens
aufgefunden worden ist. Eckige Bruchstücke von lydischem Stein, die in den
Thälern am Boden liegen, schienen uns darauf zu deuten, daß die Grauwacke
dem Uebergangsschiefer aufgelagert ist. Bei Corunna selbst erheben sich
Granitgipfel, die bis zum Cap Ortegal fortstreichen. Diese Granite, welche
einst mit denen in Bretagne und Wales in Zusammenhang gestanden haben
mögen, sind vielleicht die Trümmer einer von den Fluthen zertrümmerten und
verschlungenen Bergkette. Schöne große Feldspathkrystalle sind für dieses
Gestein charakteristisch, Zinnstein ist darin eingesprengt, und von den
Galiciern wird darauf ein mühsamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben.

In Corunna angelangt, fanden wir den Hafen von zwei englischen Fregatten
und einem Linienschiff blokirt. Diese Fahrzeuge sollten den Verkehr
zwischen dem Mutterland und den Colonien in Amerika unterbrechen; den von
Corunna, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot _(Correo
maritimo)_ nach der Havana aus und alle zwei Monate ein anderes nach
Buenos Aires oder der Mündung des la Plata. Ich werde später den Zustand
der Posten auf dem neuen Continent genau beschreiben; hier nur so viel,
daß seit dem Ministerium des Grafen Florida Blanca der Dienst der
»Landcouriere« so gut eingerichtet ist, daß Einer in Paraquay oder in der
Provinz Jaen de Bracamoros nur durch sie ziemlich regelmäßig mit Einem in
Neumexiko oder an der Küste von Neukalifornien correspondiren kann, also
so weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Cap der Guten
Hoffnung ist. Ebenso gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in
Aragonien zur Post gibt, nach Chili oder in die Missionen am Orinoko, wenn
nur der Name des Coregimiento oder Bezirks, in dem das betreffende
indianische Dorf liegt, genau angegeben ist. Mit Vergnügen verweilt der
Gedanke bei Einrichtungen, die für eine der größten Wohlthaten der Cultur
der neueren Zeit gelten können. Die Einrichtung der Curiere zur See und im
inneren Lande hat das Band zwischen den Kolonien unter sich und mit dem
Mutterlande enger geknüpft. Der Gedankenaustausch wurde dadurch
beschleunigt, die Beschwerden der Colonisten drangen leichter nach Europa
und die Staatsgewelt konnte hin und wieder Bedrückungen ein Ende machen,
die sonst aus so weiter Ferne nie zu ihrer Kenntniß gelangt wären.

Der Minister hatte uns ganz besonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo
empfohlen, der seit kurzem die Oberaufsicht über den Seeposten hatte.
Dieser Officier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Corunna
mit der Einrichtung neuer Werfte beschäftigt. Er bot Allem auf, um uns den
Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der
Corvette *Pizarro* [Nach dem spanischen Sprachgebrauch war der Pizarro
eine leichte Fregatte _(Fregata lijera)_.] einzuschiffen, die nach der
Havana und Mexico ging. Dieses Fahrzeug, das die Post für Juni an Bord
hatte, sollte mit der Alcudia segeln, dem Paketboot für den Mai, das wegen
der Blokade seit drei Wochen nicht hatte auslaufen können. Der Pizarro
galt für keinen guten Segler, aber durch einen glücklichen Zufall war er
vor kurzem auf seiner langen Fahrt von Rio de la Plata nach Corunna den
kreuzenden englischen Fahrzeugen entgangen. Clavijo ließ an Bord der
Korvette Einrichtungen treffen, daß wir unsere Instrumente aufstellen und
während der Ueberfahrt unsere chemischen Versuche über die atmosphärische
Luft vornehmen konnten. Der Capitän des Pizarro erhielt Befehl, bei
Tenerifa so lange anzulegen, daß wir den Hafen von Orotava besuchen und
den Gipfel des Pic besteigen könnten.

Die Einschiffung verzögerte sich nur zehn Tage, dennoch kam uns der
Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen
einzulegen, die wir in den schönen, noch von keinem Naturforscher
betretenen Thälern Galiciens gesammelt; wir untersuchten die Tange und
Weichthiere, welche die Fluth von Nordwest her in Menge an den Fuß des
steilen Felsen wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules steht. Dieser
Thurm, auch »der eiserne Thurm« genannt, wurde im Jahre 1788 restauriert.
Er ist 92 Fuß [30 m] hoch, seine Mauern sind 4 und einen halben Fuß
[1,46 m] dick, und nach seiner Bauart ist er unzweifelhaft ein Werk der
Römer. Eine in der Nähe der Fundamente gefundene Inschrift, von der ich
durch Herrn de Labordes Gefälligkeit eine Abschrift besitze, besagt, der
Thurm sey von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt *Aqua Flavia*
(Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heißt der eiserne Thurm der
Herkulesthurm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechischen
oder phönicischen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo,
Galizien, das Land der Galläci, sey von griechischen Colonien bevölkert
gewesen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrläa in seiner Geographie
von Spanien hätten sich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules
in diesen Landstrichen niedergelassen. [Die Phönicier und die Griechen
besuchten die Küsten von Galizien _(Gallaecia)_ wegen des Handels mit
Zinn, das sie von hier wie von den Cassiteridischen Inseln bezogen.]

Die Höhen von Ferrol und Corunna sind an derselben Bai gelegen, so daß ein
Schiff, das bei schlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach
der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen
kann. Ein solcher Vortheil ist unschätzbar in Strichen, wo die See fast
beständig hoch geht, wie zwischen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre,
den Vorgebirgen Trileucum und Artabrum der algen Geographen. Ein enger,
von steilen Granitfelsen gebildeter Canal führt in das weite Becken von
Ferrol. In ganz Europa findet sich kein zweiter Ankerplatz, der so
merkwürdig weit ins Land hineinschnitte. Dieser enge, geschlängelte Paß,
durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, sieht aus, als wäre er durch
eine Fluth oder durch wiederholte Stöße heftiger Erdbeben eingerissen. In
der Neuen Welt, an der Küste von Neuandalusien, hat die _Laguna des
Opisco_, der »Bischofsee«, genau dieselbe Gestalt wie der Hafen von
Ferrol. Die auffallendsten geologischen Erscheinungen wiederholen sich auf
den Festländern an weit entlegenen Punkten, und der Forscher, der
Gelegenheit gehabt, verschiedene Welttheile zu sehen, erstaunt über die
durchgehende Gleichförmigkeit im Ausschnitt der Küsten, im krummen Zug der
Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppirung. Das zufällige
Zusammentreffen derselben Ursachen mußte allerorten dieselben Wirkungen
hervorbringen, und mitten aus der Mannigfaltigkeit der Natur tritt uns in
der Anordnung der todten Stoffe, wie in der Organisation der Pflanzen und
Thiere, eine gewisse Uebereinstimmung in Bau und Gestaltung eingegen.

Auf der Ueberfahrt von Corunna nach Ferrol machten wir über einer Untiefe
beim »weißen Signal,« in der Bai, die nach d’Anville der _portus magnus_
der Alten war, mittels einer Thermometersonde mit Ventilen einige
Beobachtungen über die Temperatur der See und über die Abnahme der Wärme
in den über einander gelagerten Wasserschichten. Ueber der Bank zeigte das
Instrument an der Meeresfläche 12°5 bis 13°3 Grad  der hunderttheiligen
Scale, während ringsumher, wo das Meer sehr tief war, der Thermometer bei
12°8 Lufttemperatur auf 15° – 15°3 stand. Der berühmte Franklin und
Jonathan Williams, der Verfasser des zu Philadelphia erschienenen Werkes
»_thermometric Navigation,_« haben zuerst die Physiker darauf aufmerksam
gemacht, wie abweichend sich die Temperaturverhältnisse der See über
Untiefen gestalten, sowie in der Zone warmer Wasserströme, die aus dem
Meerbusen von Mexico zur Bank von Neufoundland und hinüber an die
Nordküsten von Europa sich erstreckt. Die Beobachtung, daß sich die Nähe
einer Sandbank durch ein rasches Sinken der Temperatur an der Meeresflüche
verkündet, ist nicht nur für die Physik von Wichtigkeit, sie kann auch für
Sicherheit der Schiffahrt von großer Bedeutung werden. Allerdings wird man
über dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen; aber
Beobachtungen, wie ich sie im Verlauf dieser Reisebeschreibung anführen
werde, thun zur Genüge dar, daß ein Temperaturwechsel, den die
unvollkommensten Instrumente anzeigen, die Gefahr verkündet, lange bevor
das Schiff über der Untiefe anlangt. In solchen Fällen mag die Abnahme der
Meerestemperatur den Schiffer veranlassen, zum Senkblei zu greifen in
Strichen, wo er sich vollkommen sicher dünkte. Auf die physischen Ursachen
dieser verwickelten Erscheinungen kommen wir anderswo zurück. Hier sey nur
erwähnt, daß die niedrigere Temperatur des Wassers über den Untiefen
großentheils daher rührt, daß es sich mit tieferen Wasserschichten mischt,
welche längs der Abhänge der Bank zur Meeresoberfläche aufsteigen.

Eine Aufregung des Meeres von Nordwest her unterbrach unsere Versuche über
die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen so hoch,
weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in dessen Folge die
englischen Schiffe sich hatten von der Küste entfernen müssen. Man wollte
die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man schiffte alsbald unsere
Instrumente, unsere Bücher, unser ganzes Gepäcke ein; aber der Westwind
wurde immer stärker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten
den Aufschub, um an unsere Freunde in Deutschland und Frankreich zu
schreiben. Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat
etwas Ergreifendes. Wenn man sich noch so bestimmt vergegenwärtigt, wie
stark der Verkehr zwischen den beiden Welten ist, wie leicht man bei den
großen Fortschritten der Schifffahrt über den atlantischen Ocean gelangt,
der, der Südsee gegenüber, ein nicht sehr breiter Meeresarm ist, das
Gefühl, mit dem man zum erstenmal eine weite Seereise antritt, hat immer
etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von
früher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Wesen, an denen unser
Herz hängt, im Begriff, gleichsam den Schritt in ein neues Leben zu thun,
ziehen wir uns unwillkührlich in uns selbst zusammen und über uns kommt
ein Gefühl des Alleinseyns, wie wir es nie empfunden.

Unter den Briefen, die ich kurz vor unserer Einschiffung schrieb, befand
sich einer, der für die Richtung unserer Reise und den Verlauf unserer
späteren Forschungen sehr folgereich wurde. Als ich Paris verließ, um die
Küste von Afrika zu besuchen, schien die Entdeckungsreise in die Südsee
auf mehrere Jahre verschoben. Ich hatte mit Kapitän Baudin die Verabredung
getroffen, daß ich, wenn er wider Vermuthen die Reise früher antreten
könnte und ich davon Kenntniß bekäme, von Algier aus in einen
französischen oder spanischen Hafen eilen wolle, um die Expedition
mitzumachen. Im Begriff, in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt
dieses Versprechen. Ich schrieb Kapitän Baudin, wenn die Regierung in auch
jetzt noch den Weg um Cap Horn nehmen lassen wolle, so werde ich mich
bemühen, mit ihm zusammenzutreffen, in Montevideo, in Chili, in Lima, wo
immer er in den spanischen Kolonien anlegen möchte. Treu dieser Zusage,
änderte ich meinen Reiseplan, sobald die amerikanischen Blätter im Jahre
1801 die Nachricht brachten, die französische Expedition sey von Havre
abgegangen, um von Ost nach West die Welt zu umsegeln. Ich miethete ein
kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Insel Cuba nach Portobelo
und von da über die Landenge an die Küste der Südsee. In Folge einer
falschen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich über 800 Meilen [Unter
Meilen ohne Beisatz sind immer französische Lieues zu verstehen.] [3600
km] in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereisen wollen. Erst
in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des beständigen
Secretärs der ersten Classe des Institutes, daß Kapitän Baudin um das Kap
der Guten Hoffnung gegangen und die West- und Ostküste Amerikas gar nicht
berührt habe. Nicht ohne ein Gefühl von Wehmut gedenke ich einer
Expedition, die mehrfach in mein Leben eingreift, und die kürzlich von
einem Gelehrten [Peron, der nach langen schmerzlichen Leiden im 35. Jahre
der Wissenschaft entrissen wurde.] beschrieben worden ist, den die Menge
der Entdeckungen, welche die Wissenschaft ihm dankt, und der aufopfernde
Muth, den er auf seiner Laufbahn unter den härtesten Entbehrungen und
Leiden bewiesen, gleich hoch stellen.

Ich hatte auf die Reise nach Spanien nicht meine ganze Sammlung
physikalischer, geodätischer und astronomischer Werzeuge mitnehmen können;
ich hatte die Doubletten in Marselle in Verwahrung gegeben und wollte sie,
sobald ich Gelegenheit gefunden hätte, an die Küste der Berberei zu
gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen lassen. In ruhigen Zeiten ist
Reisenden sehr zu rathen, daß sie sich nicht mit allen ihren Instrumenten
beladen; man läßt sie besser nachkommen, um nach einigen Jahren
diejenigen, zu ersetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport
gelitten haben. Diese Vorsicht erscheint besonders dann geboten, wenn man
zahlreiche Punkte durch rein chronometrische Mittel zu bestimmen hat. Aber
während eines Seekriegs thut man klug, seine Instrumente, Handschriften
und Sammlungen fortwährend bei sich zu haben. Wie wichtig dies ist, haben
traurige Erfahrungen mir bewiesen. Unser Aufenthalt zu Madrid und Corunna
war zu kurz, als daß ich den meteorologischen Apparat, den ich in
Marseille gelassen, hätte von dort kommen lassen können. Nach unserer
Rückkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denselben nach der Havana zu
schicken, aber ohne Erfolg; weder diese Apparat, noch die achromatischen
Fernröhren und der Thermometer von Arnold, die ich in London bestellt,
sind mir in Amerika zugekommen.

Getrennt von unseren Instrumenten, die sich an Bord der Corvette befanden,
brachten wir noch zwei Tage in Corunna zu. Ein dichter Nebel, der den
Horizont bedeckte verkündete endlich die sehnlich erwartete Aenderung des
Wetters. Am 4. Juni abends drehte sich der Wind nach Nordost, welche
Windrichtung an der Küste von Galizien in der schönen Jahreszeit für sehr
beständig gilt. Am fünften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich
wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine englische Escadre
sey vom Wachtposten Sisarga signalisirt worden und scheine nach der
Mündung des Tajo zu segeln. Die Leute, welche unsere Corvette die Anker
lichten sahen, äußerten laut, ehe drei Tage vergehen, seyen wir
aufgebracht und mit dem Schiffe, dessen Los wir teilen müßten, auf dem
Wege nach Lissabon. Diese Prophezeiung beunruhigte uns um so mehr, als wir
in Madrid Mexicaner kennengelernt hatten, die sich dreimal in Cadiz nach
Veracruz eingeschifft hatten, jedesmal aber fast unmittelbar vor dem Hafen
aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Canal, durch den
man aus dem Hafen von Corunna fährt, ist lang und schmal; da er sich gegen
Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge
machen, von denen drei so gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer
äußerst langsam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, schwebten wir in
Gefahr, da uns die Strömung sehr nahe an die Klippen trieb, an denen sich
das Meer mit Ungestüm bricht. Unsere Blicke hingen am Schloß St. Antonio,
wo damals der unglückliche Malaspina als Staatsgefangener saß. Im
Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu besuchen, welche dieser
bedeutende Forscher mit so vielem Erfolg bereist hat, hätte ich mit meinen
Gefährten gern bei einem minder traurigen Gegenstande verweilt.

Um sechs ein halb Uhr kamen wir am Thurm des Herkules vorüber, von dem
oben die Rege war, der Corunna als Leuchtthurm dient, und auf dem man seit
ältesten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieses Feuers
steht in schlechtem Verhältnis mit dem schönen stattlichen Bauwerk; es ist
so schwach, daß die Schiffe es erst gewahr werden, wenn sie bereits Gefahr
laufen zu stranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See sehr unruhig und
der Wind bedeutend frischer. Wir steuerten gegen Nordwest, um nicht den
englischen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in diesen Strichen
kreuzten. Gegen neun Uhr sahen wir das Licht in einer Fischerhütte von
Sisarga, das letzte, was uns von der Küste von Europa zu Gesicht kam. Mit
der zunehmenden Entfernung verschmolz der schwache Schimmer mit dem Licht
der Sterne, die am Horizont aufgingen, und unwillkürlich blieben unsere
Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem
Alter, wo die Empfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft besitzt, eine
weite Seereise angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der
Einbildungskraft wach, wenn so ein leuchtender Punkt in finsterer Nacht,
der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küste des
Heimatlandes bezeichnet!

Wir mußten die Segel einziehen. Wir segelten zehn Knoten in der Stunde,
obgleich die Corvette nicht zum Schnellsegeln gebaut war. Um sechs Uhr
morgens wurde das Schlingern so heftig, daß die kleine Bramstange brach.
Der Unfall hatte indessen keine schlimmen Folgen. Wir brauchten zu
Ueberfahrt von Corunna nach den Canarien dreizehn Tage, und dies war lang
genug, um uns in so stark befahrenen Strichen wie die Küsten von Portugal
der Gefahr auszusetzen, auf englische Schiffe zu stoßen. Die ersten drei
Tage zeigte sich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade
unsere Mannschaft, die sich auf kein Gefecht einlassen konnte.

Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Cap Finisterre. Die Gruppe von
Granitfelsen, die dieses Vorgebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den
Berg Corcubion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Cap Finisterre ist
niedriger als das Land umher, aber die Toriñona ist auf hoher See 76,5 km
weit sichtbar, woraus folgt, daß die höchsten Gipfel derselben nicht unter
582 m hoch seyn können.

Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Masten ein englisches Convoi
signalisiert, das gegen Südost an der Küste hinsteuerte. Ihm zu entgehen,
wichen wir die Nacht hindurch aus unserem Curs. Damit durften wir in der
großen Cajüte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu
werden. Diese Vorsicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und
in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeschrieben
ist, brachte uns tödtliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir
in fünf Jahren gemacht hatten. Wir mußten uns fortwährend der
Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwassers zu beobachten
oder an der Theilung der astronomischen Instrumente die Zahlen abzulesen.
In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, ist man
unter diesen Umständen schon um sechs Uhr abends außer Thätigkeit gesetzt.
Dies war für mich um so verdrießlicher, als ich vermöge meiner
Constitution nie seekrank wurde, und so oft ich an Bord eines Schiffes
war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.

Eine Fahrt von der spanischen Küste nach den Canarien und von da nach
Südamerika bietet wenig Bemerkenswerthes, zumal in der guten Jahreszeit.
Es ist weniger Gefahr dabei, als oft bei der Ueberfahrt über die großen
Schweizer Seen. Ich theile daher hier nur die allgemeinen Ergebnisse
meiner magnetischen und meteorologischen Versuche in diesem Meeresstriche
mit.

Am 9. Juni, unter 39° 50’ der Breite und 16° 10’ westlicher Länge vom
Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen
Strömung zu spüren, welche von den azorischen Inseln nach der Meerenge von
Gibraltar und nach den canarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den
mir der Gang der Berthoud´schen Seeuhr angab, mit des Steuermanns
Schätzung verglich, konnte ich die kleinsten Aenderungen in der Richtung
und Geschwindigkeit der Strömungen bemerken. Zwischen dem 37. und
30. Breitengrade wurde das Schiff in vierundzwanzig Stunden zuweilen
18 bis 26 Meilen nach Ost getrieben. Anfänglich war die Richtung des
Stromes Ost ¼ Südost, aber in der Nähe der Meerenge wurde sie genau Ost.
Capitan Macintosh und einer der gebildetsten Seefahrer unserer Zeit, Sir
Erasmus Gower, haben die Veränderungen beobachtet, welche in diese
Bewegung des Wassers zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es
kommt nicht selten vor, daß Schiffer, welche die canarischen Inseln
besuchen, sich an der Küste von Lancerota befinden, während sie meinten an
Teneriffa landen zu können. Baugainville befand sich auf seiner Ueberfahrt
vom Cap Finisterre nach den Canarien im Angesicht der Insel Ferro um
4 Grade weiter nach Ost, als seine Rechnung ihm ergab.

Gemeinhin erklärt man die Strömung, die sich zwischen den azorischen
Inseln, der Südküste von Portugal und den Canarien merkbar macht, daraus,
daß das Wasser des atlantischen Oceans durch die Meerenge von Gibraltar
einen Zug nach Osten erhalte. De Fleurieu behauptet sogar in den
Anmerkungen zur Reise des Capitän Marchand, der Umstand, daß das
Mittelmeer durch die Verdunstung mehr Wasser verliere, als die Flüsse
einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der
Einfluß der Meerenge sey sechshundert Meilen [2700 km] weit auf offener
See zu spüren. Bei aller Hochachtung, die ich einem Seefahrer schuldig
bin, dessen mit Recht sehr geschätzten Werken ich viel zu danken habe, muß
es mir gestattet seyn, diesen wichtigen Gegenstand aus einem weit
allgemeineren Gesichtspunkte zu betrachten.

Wirft man einen Blick auf das atlantische Meer oder das tiefe Thal, das
die Westküsten von Europa und Afrika von den Ostküsten des neuen Continent
trennt, so  bemerkt man in der Bewegung der Wasser entgegengesetzte
Richtungen. Zwischen den Wendekreisen, namentlich zwischen der
afrikanischen Küste am Senegal und dem Meere der Antillen, geht die
allgemeine, den Seefahrern am längsten bekannte Strömung fortwährend von
Morgen nach Abend. Dieselbe wird mit dem Namen *Aequinoctialstrom*
bezeichnet. Die mittlere Geschwindigkeit derselben unter verschiedenen
Breiten ist sich im Atlantischen Ozean und in der Südsee ungefähr gleich.
Man kann sie auf 9 bis 10 Meilen [40 bis 45 km] in 24 Stunden, somit auf
0,59 bis 0,65 Fuß [0,18 bis 0,21 m] in der Secunde schätzen(2). Die
Geschwindigkeit, mit der die Wasser in diesen Strichen nach Westen
strömen, ist etwa ein Viertheil von der der meisten großen europäischen
Flüsse. Diese der Umdrehung des Erdballes entgegengesetzte Bewegung des
Oceans hängt mit jenem Phänomen wahrscheinlich nur insofern zusammen, als
durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren
Luftschichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen,
in Passatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoctialstrom ist die Folge der
allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Passatwinde
versetzt wird, und lokale Schwankungen im Zustande der Luft bleiben ohne
merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geschwindigkeit der Strömung.

Im Canal, den der atlantische Ocean zwischen Guyana und Guinea auf 20 bis
23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite
gegraben hat, wo die Passatwinde häufig durch Winde aus Süd ode
Süd-Süd-West unterbrochen werden, ist die Richtung des Aequinoctialstroms
weniger constant. Der afrikanischen Küste zu werden die Schiffe nach
Südost fortgetrieben, während der Allerheiligenbai und dem Vorgebirge
St. Augustin zu, denen die Schiffe, die nach der Mündung des La Plata
steuern, nicht gerne nahe kommen, der allgemeine Zug der Wasser durch eine
besondere Strömung maskirt ist. Letztere Strömung ist vom Cap St. Roch bis
zur Insel Trinidad fühlbar, sie ist gegen Nordwest gerichtet mit einer
Geschwindigkeit von einem bis anderthalb Fuß in der Secunde.

Der Aequinoctialstrom ist, wenn auch schwach, sogar jenseits des
Wendekreises des Krebses unter 26 und 28 Grad der Breite fühlbar. Im
weiten Becken des atlantischen Oceans, sieben- bis achthundert Meilen von
der afrikanischen Küste, beschleunigt sich der Lauf der europäischen
Schiffe, welche nach den Antillen gehen, ehe sie in die heiße Zone
gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 28. bis 35. Grad, zwischen den
Parallelkreisen von Teneriffe und Ceuta, unter 46 bis 48 Grad der Länge,
bemerkt man keine constante Bewegung; denn eine 140 Meilen breite Zone
trennt den Aequinoktialstrom, der nach West geht, von der großen
Wassermasse, die nach Ost strömt und sich durch auffallend hohe Temperatur
auszeichnet. Auf diese Wassermasse, bekannt unter dem Namen *Golfstrom*
(_Golfstream_), sind die Physiker seit 1776 durch Franklins und Sir
Charles Blagdens schöne Beobachtungen aufmerksam geworden. Da in neuerer
Zeit amerikanische und englsiche Seefahrer eifrig bemüht sind, die
Richtung desselben zu ermitteln, so müssen wir weiter ausholen, um ienen
allgemeinen Gesichtspunkt für das Phänomen zugewinnen.

Der Aequinoctialstrom treibt die Wasser des atlantischen Oceans an die
Küsten der Moskito-Indianer und von Honduras. Der von Süd nach Nord
gestreckte neue Continent hält diese Strömung auf wie ein Damm. Die
Gewässer erhalten zuerst die Richtung nach Nordwest, gelangen durch die
Meerenge zwischen Cap Catoche und Cap. St. Antonio in den Meerbusen von
Mexico, und folgen den Krümmungen der mexicanischen Küste von Vera-Cruz
zur Mündung des Rio del Norte, und von da zur Mündung des Mississippi und
denUntiefen westwärts von der Ostspitze von Florida. Nach dieser großen
Drehung nach West, Nord, Ost und Süd nimmt die Strömung wieder die
Richtung nach Nord und drängt sich mit Ungestüm in den Canal von Bahama.
Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27 Grad der Breite, eine
Geschwindigkeit von 80 Meilen in 24 Stunden, also von 5 Fuß in der Secunde
beobachtet, obgleich gerade ein sehr starker Nordwind wehte. Beim Ausgang
des Canals von Bahama, unter dem Parallel von Cap Cañaveral, kehr sich der
Golfstrom oder Strom von Florida nach Nordost. Er gleicht hier einem
reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geschwindigkeit von fünf Meilen
in der Stunde. Der Steuermann kann, sobald er den Rand der Strömung
erreicht, mit ziemlicher Sicherheit annehmen, um was er sich in seiner
Schätzung geirrt, und wie weit er noch nach New-York, Philadelphia oder
Charlestown hat; die hohe Temperatur des Wassers, sein starker Salzgehalt,
die indigoblaue Farbe und die schwimmenden Massen Tang, endlich die im
Winter sehr merkbare Erhöhung der Lufttemperatur geben den Golfstrom zu
erkennen. Gegen Norden nimmt seine Geschwindigkeit ab, während seine
Breite zunimmt und die Gewässer sich abkühlen. Zwischen Cayo Biscaino und
der Bank von Bahama ist er nur 15 Meilen, unter 28½ Grad Breite schon 17,
und unter dem Parallel von Charlestown, Cap Henlopen gegenüber, 40 bis
50 Meilen breit. Wo die Strömung am schmalsten ist, erreicht sie eine
Geschwindigkeit von 3 bis 4 Meilen in der Stunde, weiter nach Norden zu
beträgt dieselbe nur noch eine Meile. Die Gewässer des mexicanischen
Meerbusens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordost ihre hohe
Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41 Grad der Breite noch 22° 5
(18° Reaumur) beobachtete, während außerhalb des Stroms das Wasser an der
Oberfläche kaum 17° 5 (14° R.) warm war. Unter der Breite von New-York und
Oporto zeigt somit der Golfstrom dieselbe Temperatur wie die tropischen
Meere unter 18 Grad Breite, also unter der Breite von Portorico und der
Inseln des grünen Vorgebirgs.

Vom Hafen von Boston an und unter dem Meridian von Halifax, unter
14° 25’ der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen
80 Seemeilen Breite. Hier kehrt er sich auf einmal nach Ost, so daß sein
westlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten
Wasser wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufoundland
wegstreicht, die Bolney sinnreich die Barre an der Mündung dieses
ungeheurn Meerstroms nennt. Höchst auffallend ist der Abstand zwischen der
Temperatur des kalten Wassers über dieser Bank und der Wärme der Gewässer
der heißen Zone, die durch den Golfstrom nach Norden getrieben werden;
jene betrug nach meinen Beobachtungen 8°7 – 10 (7 – 8° R.), diese
21 – 22°5 (17 – 18° R.). In diesen Strichen ist die Wärme im Meere höchst
sonderbar vertheilt: die Gewässer der Bank sind um 9°4 kälter als das
benachbarte Meer, und dieses ist um 3° kälter als der Strom. Diese Zonen
können ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene
Wärmequelle oder einen Grund der Wärmeerniedrigung hat, und beide Momente
beständig fortwirken.(3)

Von der Bank von Neufoundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den
Azoren bleibt der Golfstrom nach Ost oder Ost-Süd-Ost gerichtet. Noch
immer wirkt hier in den Gewässern der Stoß nach, den sie tausend Meilen
von da in der Meerende von Florida, zwischen der Insel Cuba und den
Untiefen der Schildkröteninseln, erhalten haben. Diese Entfernung ist das
Doppelte von der Länge des Laufs des Amazonenstromes von Jaen oder dem Paß
von Manseriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inseln Corvo und Flores, der
westlichsten der Gruppe der Azoren, nimmt die Strömung eine Meeresstrecke
von 160 Meilen in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rückreise aus
Südamerika nach Europa diese beiden Inseln aufsuchen, um ihre Länge zu
berichtigen, so gewahren sie immer deutlich den Zug des Wassers nach
Südost. Umter 33 Grad der Breite rückt der tropische Aequinoctialstrom dem
Golfstrom sehr nahe. In diesem Striche des Weltmeeres kann man an Einem
Tage aus den Gewässern, die nach West laufen, in diejenigen gelangen, die
nach Südost oder Ost-Süd-Ost strömen.

Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida seine Richtung gegen die
Meerenge von Gibraltar, die Insel Madera und die Gruppe der Canarien. Die
Pforte bei den Säulen des Herkules beschleunigt ohne Zweifel den Zug des
Wassers gegen Ost. Und in diesem Sinne mag man mit Recht behaupten, die
Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlantischer Ozean zusammenhängen,
äußere ihren Einfluß auf sehr weite Ferne; sehr wahrscheinlich würden
aber, auch wenn die Meerenge nicht bestände, Fahrzeuge, die nach Teneriffa
segeln, dennoch nach Südost getrieben, und zwar infolge eines Anstoßes,
dessen Ursprung man an den Küsten der neuen Welt zu suchen hat. Im weiten
Meeresbecken pflanzen sich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeer.
Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man
sich Rechenschaft von dem Wechsel in ihrer Geschwindigkeit, warum sie bald
abnimmt, wie zwischen dem Canal von Bahama und der Bank von Neufoundland,
bald wieder wächst, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den
canarischen Inseln, so kann man nicht darüber im Zweifel seyn, daß
dieselbe Ursache, welche die Gewässer im Meerbusen von Mexiko herumdreht,
sie auch bei der Insel Madera in Bewegung setzt.

Südlich von letztgenannter Insel läßt sich die Strömung in ihrer Richtung
nach Südost und Süd-Süd-Ost gegen die Küste von Afrika zwischen Cap Cantin
und Cap Bojador verfolgen. In diesen Strichen sieht sich ein Schiff bei
stillem Wetter nahe an der Küste, wenn es sich nach der nicht berichtigten
Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Ist die Oeffnung bei Gibraltar
die Ursache der Bewegung des Wassers, warum hat dann die Strömung südlich
von der Meerenge nicht die entgegengesetzte Richtung? Im Gegentheil aber
geht sie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erst grade nach Süd und
dann nach Südwest. Cap Blanc, nach Cap Verd das am weitesten sich
hinausstreckende Vorgebirge, scheint Einfluß auf diese Richtung zu äußern,
und unter der Breite desselben mischen sich die Wasser, deren Bewegung wir
von der Küste von Honduras bis zur afrikanischen verfolgt haben, mit dem
großen tropischen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu
beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer westwärts
von den Canarien der eigenthümliche Zug der Aequinoktialgewässer schon in
der gemäßigten Zone, von 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber
im Meridian der Insel Ferro kommen sie Schiffe südwärts bis zum Wendekreis
des Krebses, ehe sie sich nach Schätzung ostwärts  von ihrer wahren Länge
befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropischen Stroms und der
Passatwinde nach den Jahreszeiten sich verschiebt, so zeigt sich auch der
Golfstrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Diese Schwankungen sind
besonders auffallend vom 28. Breitegrad bis zur großen Band von
Neufoundland, ebenso zwischen dem 48. Grad westlicher Länge von Paris und
dem Meridian der Azoren. Die wechselnden Winde in der gemäßigten Zone und
das Schmelzen des Eises am Nordpol von wo in den Monaten Juli und August
eine bedeutende Masse süßen Wassers nach Süden abfließt, erscheinen als
die vornehmsten Ursachen, aus welchen sich in diesen hohen Breiten Stärke
und Richtung des Golfstoms verändern.

Wir haben gesehen, daß zwischen dem 11. und 43. Grad der Breite die
Gewässer des atlantischen Oceans mittelst Strömungen fortwährend im Kreise
umhergeführt werden. Angenommen, ein Wassertheilchen gelange zu derselben
Stelle zurück, von der es ausgegangen, so läßt sich, nach dem, was wir bis
jetzt von der Geschwindigkeit der Strömungen wissen, berechnen, daß es zu
seinem 3800 Meilen langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein
Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes absähe, gelangte in
dreizehn Monaten von den canarischen Inseln an die Küste von Caracas. Es
brauchte zehn Monate, um im Meerbusen von Mexico herum zu kommen und um zu
den Untiefen der Schildkröteninseln gegenüber vom Hafen von Havana zu
gelangen, aber nur vierzig bis fünfzig Tage vom Eingang der Meerenge von
Florida bis Neufoundland. Die Geschwindigkeit der rückläufigen Strömung
von jener Bank bis an die Küste von Afrika ist schwer zu schätzen; nimmt
man sie im Mittel auf 7 oder 8 Meilen in vierundzwanzig Stunden an, so
ergeben sich für diese letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches sind
die Wirkungen des langsamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewässer des
Oceans herumführt. Das Wasser des Amazonenstroms braucht von Tomependa bis
zum Gran-Para etwa fünfundvierzig Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Teneriffa hatte das Meer auf der Rhede von
Santa Cruz einen Stamm der _Cedrela odorata_, noch mit der Rinde,
ausgeworfen. Dieser amerikanischen Baum wächst nur unter den Tropen oder
in den zunächst angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küste von
Terra Firma oder Honduras abgerissen worden. Die Beschaffenheit des Holzes
und der Flechten auf der Rinde zeigte augenscheinlich, daß der Stamm nicht
etwa von einem der unterseeischen Wälder herrührte, welche durch alte
Erdumwälzungen in die Flötzgebilde nördlicher Länder eingebettet worden
sind. Wäre der Cedrelastamm, statt bei Teneriffa ans Land geworfen zu
werden, weiter nach Süden gelangt, so wäre er wahrscheinlich rings um den
ganzen atlantischen Ocean geführt worden und mittels des allgemeinen
tropischen Stroms wieder in sein Heimathland gelangt. Diese Vermuthung
wird durch einen älteren Fall unterstützt, dessen Abbé Viera in seiner
allgemeinen Geschichte der Canarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit
Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Insel Lancerota nach Santa Cruz
auf Teneriffa gehen sollte, auf die hohe See getrieben, als sich niemand
von der Mannschaft an Bord befand. Der Zug der Gewässer von Morgen nach
Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küste von Guyana bei Caracas
strandete.

Zu einer Zeit, wo die Schifffahrtskunst noch wenig entwickelt war, bot der
Golfstrom dem Geiste eines Christoph Columbus sichere Anzeichen vom Daseyn
westwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit
einem unbekannten Menschenstamme angehörten, wurden gegen Ende des
15. Jahrhunderts bei den azorischen Inseln ans Land geworfen. Ungefähr um
dieselbe Zeit fand Columbus Schwager, Peter Borrea, Statthalter von Porto
Santo, am Strande dieser Insel mächtige Stücke Bambusrohr, die von der
Strömung und den Westwinden angeschwemmt worden waren. Diese Leichname und
diese Rohre machten den genuesischen Seemann aufmerksam; er errieth, daß
beide von einem gegen West gelegenen Festlande herrühren mußten. Wir
wissen jetzt, daß in der heißen Zone die Passatwinde und der tropische
Strom sich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Umdrehung der Erde
widersetzen. Erzeugnisse der neuen Welt können in die alte Welt nur in
hohen Breiten und in der Richtung des Stroms von Florida gelangen. Häufig
werden Früchte verschiedener Bäume der Antillen an den Küsten der Inseln
Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die
Canarier, diese Früchte kommen von der bezauberten Insel St. Borondon, die
nach den Seemannsmärchen und gewissen Sagen westwärts in einem Striche des
Oceans liegen sollte, der beständig in Nebel gehüllt sey.

Mit dieser Uebersicht der Strömungen im Atlantischen Meere wollte ich
hauptsächlich darthun, daß der Zug der Gewässer gegen Südost, von Kap
St. Vincent zu den canarischen Inseln, eine Wirkung der allgemeinen
Bewegung ist, in der sich die Oberfläche des Ozeans an seinem Westende
befindet. Wir erwähnen daher nur kurz des Arms des Golfstroms, der unter
dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südwest
nach Nordost gegen die Küsten von Europa gerichtet ist. Diese Abtheilung
des Stromes wird sehr reißend, wenn der Wind lange aus West geblasen hat.
Gleich dem, der an Ferro und Gomera vorüberstreicht, wirft er alle Jahre
an die Westküsten von Irland und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem
heißen Erdstrich Amerikas eigenthümlich sind. Am Strande der Hebriden
findet man Samen von _Mimosa scandens_, _Dolichos urens_, _Guilandina
bonduc_, und verschiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem
benachbarten Festland. Die Strömung treibt nicht selten wohl erhaltene
Fässer mit französischen Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen
Schiffbruch gelitten. Neben diesen Beispielen von den weiten Wanderungen
der Gewächse stehen andere, welche die Einbildungskraft beschäftigen. Die
Trümmer des englischen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war,
wurden an der schottischen Küste gefunden. In denselben Strichen kommen
zuweilen verschiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der
Antillen bewohnen. Hat der Westwind lange angehalten, so entsteht in den
hohen Breiten eine Strömung, die von den Küsten von Grönland und Labrador
bis nordwärts von Schottland gerade nach Ost-Süd-Ost gerichtet ist. Wie
Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1864,
amerikanische Wilde vom Stamme der Eskimos, die ein Sturm in ihren Canoes
aus Fellen auf die hohe See verschlagen, mittels der Strömung zu den
orcadischen Inseln. Dieser letztere Fall verdient um so mehr
Aufmerksamkeit, als man daraus ersieht, wie zu einer Zeit, wo die
Schifffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Bewegung der Gewässer des
Oceans ein Mittel werden konnte, um die verschiedenen Menschenstämme über
die Erde zu verbreiten.

Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des
Golfstroms, so wie über die Fortsetzung desselben gegen die Küsten von
Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufälligen Beobachtung
einiger unterrichteten Männer, welche in verschiedenen Richtungen über das
atlantische Meer gefahren sind. Da die Kenntiß der Strömungen zu Abkürzung
der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so wäre es von so großem Belang
für die praktische Seemannskunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn
Schiffe mit vorzüglichen Chronometern im Meerbusen von Mexico und im
nördlichen Ocean zwischen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz
eigens zu dem Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abstand sich der
Golfstrom in den verschiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der
verschiedenen Winde südlich von der Mündung des Mississippi und ostwärts
von den Vorgebirgen Hatteras und Codd hält. Dieselben könnten zu
untersuchen haben, ob der große Strom von Florida beständig am östlichen
Ende der Bank von Neufoundland hinstreicht, und unter welchem Parallel
zwischen dem 32. und 40. Grad westlicher Länge die Gewässer, die von Ost
nach West strömen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am
nächsten gerückt sind. Die Lösung der letzteren Frage ist desto wichtiger,
als die meisten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Cap der guten
Hoffnung nach Europa zurückgehen, die bezeichneten Striche befahren. Neben
der Richtung und Geschwindigkeit der Strömungen könnte sich eine solche
Expedition mit Beobachtungen über die Meerestemperatur, über die Linien
ohne Abweichung, die Inclination der Magnetnadel und die Intensität der
magnetischen Kraft beschäftigen. Beobachtungen dieser Art erhalten einen
hohen Werth, wenn der Punkt, wo sie angestellt worden, astronomisch
bestimmt ist. Auch in den von Europäern am starksten besuchten Meeren,
weit von jeder Küste, kann ein unterrichteten  Seemann der Wissenschaft
wichtige Dienste leisten. Die Entdeckung einer unbewohnten Inselgruppe ist
von geringerem Interesse, als die Kenntniß der Gesetze, welche um eine
Menge vereinzelter Thatsachen das einigende Band schlingen.

Denkt man den Ursachen der Strömungen nach, so erkennt man, daß sie viel
häufiger vorkommen müssen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewässer des
Meeres können durch gar mancherlei in Bewegung gesetzt werden, durch einen
äußern Anstoß, durch Verschiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch
das zeitweise, Schmelzen des Polareises, endlich durch das ungleiche Maaß
der Verdunstung unter verschiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieser
Ursachen zum selben Effekt zusammen, bald bringen sie entgegengesetzte
Effekte hervor. Schwache, aber beständig in einem gnazen Erdgürtel wehende
Winde, wie die Passatwinde, bedingen eine Bewegung vorwärts, wie wir sie
selbst bei den stärksten Stürmen nicht beobachten, weil diese auf ein
kleines Gebiet beschränkt sind. Wenn in einer großen Wassermasse die
Wassertheilchen an der Oberfläche specifisch verschieden schwer werden, so
bildet sich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Wasser am
kältesten ist, oder am meisten salzsaures Natron, schwefelsauren Kalk und
schwefelsaure oder salzsaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den
Wendekreisen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als
7 – 8 Grad der hunterttheiligen Scale. Dieß ergibt sich aus zahlreichen
Beobachtungen des Commodore Ellis und Perons. Da in diesen Strichen die
Lufttemperatur nie unter 19 – 20 Grad sinkt, so kann das Wasser einen dem
Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Wassers so nahe gerückten
Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Existenz solcher
kalten Wasserschichten in niedern Breiten weist somit auf einen Strom hin,
der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; sie weist ferner darauf
hin, daß die Salze, welche das specifische Gewicht des Wassers verändern,
im Ocean so vertheilt sind, daß sie die von der Verschiedenheit im
Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß in Folge der Umdrehung der Erde die Wassertheilchen je
nach der Breite eine verschiedene Geschwindigkeit haben, so sollte man
voraussetzen, daß jede von Süd nach Nord gehende Strömung zugleich nach
Ost, die Gewässer dagegen, die vom Pol zum Aequator strömen, nach West
abgelenken müßten. Man sollte ferner glauben, daß diese Neigung den
tropischen Strom bis zu einem gewissen Grad einerseits verlangsamen,
andererseits dem Polarstrom, der sich im Juli und August, wenn das Eis
schmilzt, unter der Breite der Bank von Neufoundland und weiter nordwärts
regelmäßig einstellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte
nautische Beobachtungen, die ich bestätigen Gelegenheit hatte, indem ich
die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers
verglich, widersprechen diesen theoretischen Annahmen. In beiden
Hemisphären weichen die Polarströme, wenn sie merkbar sind, ein wenig nach
Ost ab; und nach unserer Ansicht ist der Grund dieser Erscheinung in der
Beständigkeit der in hohen Breiten herrschenden Westwinde zu suchen.
Ueberdieß bewegen sich die Wassertheilchen nicht mit derselben
Geschwindigkeit wie die Lufttheilchen, und die stärksten Meereströmungen,
die wir kennen, legen nur 8 bis 9 Fuß in der Secunde zurück; es ist
demnach höchst wahrscheinlich, daß das Wasser, indem es durch verschiedene
Breiten geht, die denselben entsprechende Geschwindigkeit annimmt, und daß
die Umdrehung der Erde ohne Einfluß auf die Richtung der Strömungen
bleibt.

Der verschiedene Druck, dem die Meeresfläche in Folge der wechselnden
Schwere der Luft unterliegt, erscheint als eine weitere Ursache der
Bewegung, die besonders ins Auge zu fassen ist. Es ist bekannt, daß die
Schwankungen des Barometers im Allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei
auseinanderliegenden, im selben Niveau befindlichen Punkten eintreten.
Wenn am einen dieser Punkte der Barometer einige Linien tiefer steht als
am andern, so wird sich dort das Wasser in Folge des geringeren Luftdrucks
erheben, und diese örtliche Anschwellung wird andauern, bis durch den Wind
das Gleichgewicht der Luft wiederhergestellt ist. Nach Bauchers Ansicht
rühren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die sogenannten
»Seiches«, eben davon her. In der heißen Zone können die stündlichen
Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresfläche
hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdrucks
entspricht, zwischen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das
Quecksilber am höchsten steht; aber diese Schwingungen, wenn sie überhaupt
merkbar sind, können keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge
haben.

Ueberall wo eine solche durch die Ungleichheit im specifischen Gewicht der
Wassertheile entsteht, bildet sich ein doppelter Strom, ein oberer und ein
unterer, die entgegengesetzte Richtungen haben. Daher ist in den meisten
Meerengen wie in den tropischen Meeren, welche die kalten Gewässer der
Polarregionen aufnehmen, die ganze Wassermasse bis zu bedeutender Tiefe in
Bewegung. Wir wissen nicht, ob es sich eben so verhält, wenn die
Vorwärtsbewegung, die man nicht mit dem Wellenschlag verwechseln darf,
Folge eines äußern Anstoßes ist. De Fleurien führt in seinem Bericht über
die Expedition der Isis mehrere Thatsachen an, die darauf hinweisen, daß
das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig ist, als die Physiker gewöhnlich
annehmen. Ohne hier auf eine Untersuchung einzugehen, jmit der wir uns in
der Folge zu beschäftigen haben werden, bemerken wir nur, daß, wenn der
äußere Anstoß ein andauernder ist, wie bei den Passatwinden, durch die
gegenseitige Reibung der Wassertheilchen die Bewegung nothwendig von
Meeresfläche sich auf die tieferen Wasserschichten fortpflanzen muß. Eine
solche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer  beim Golfstrom schon lange
an; auf die Wirkungen derselben scheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten,
welche das Meer aller Orten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht,
sogar mitten in den Sandbänken an den Nordküsten der Vereinigten Staaten.
Dieser ungeheure Strom warmen Wassers hat, nachdem er in fünfzig Tagen vom
24. bis 45. Grad der Breite 450 Meilen zurückgelegt, trotz der bedeutenden
Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 – 4 Grad von seiner
ursprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Masse
und der Umstand, daß das Wasser ein schlechter Wärmeleiter ist, machen,
daß die Abkühlung nicht rascher erfolgt. Wenn sich somit der Golfstrom auf
dem Boden des atlantischen Oceans ein Bett gegraben hat, und wenn seine
Gewässer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung sind, so müssen sie auch
in ihren untern Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter
derselben Breite Meeresstriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Diese
Fragen sind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittelst des Senkbleis
mit Thermometer zu lösen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den
canarischen Inseln gerathe man in die Strömung und dieselbe treibe vom
39. Breitegrade an die Schiffe nach Südost. Auf unerer Fahrt von Corunna
nach Südamerika machte sich der Einfluß dieses Zugs der Wasser noch weiter
nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung sehr ungleich;
sie betrub täglich im Mittel zwölf Meilen, das heißt usnere Corvette wurde
in sechs Tagen um 72 Seemeilen gegen Ost abgetrieben. Als wir auf 140
Meilen (Lieues) Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar
schnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in diesen Strichen
das Maximum der Geschwindigkeit nicht der Oeffnung der Meerenge selbst
entspricht, sondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung
einer Linie, die man durch die Meerenge und Cap Vincent zieht. Diese Linie
läuft von der Gruppe der azorischen Inseln bis zum Cap Cantin parallel mit
der Richtung der Gewässer. Es ist ferner zu bemerken, und der Umstand ist
für die Physiker, die sich mit der Bewegung der Flüssigkeiten
beschäftigen, nicht ohne Interesse, daß in diesem Stück des rückläufigen
Stromes, in einer Breite von 120 bis 140 Meilen, nicht die ganze
Wassermasse dieselbe Geschwindigkeit, noch dieselbe Richtung hat. Bei ganz
ruhiger See zeigen sich an der Oberfläche schmale Streifen, kleinen Bächen
gleich, in denen das Wasser mit einem für das Ohr des geübten Schiffers
wohl hörbaren Geräusch hinströmit. Am 13. Juni, unter 34° 35’ nördlicher
Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge solcher Strombetten. Wir
konnten die Richtung derselben mit dem Compaß aufnehmen: die einen liefen
nach Nordost, anderen nach Ost-Nord-Ost, trotz dem, daß der allgemeine Zug
der See, wie die Vergleichung der Schätzung mit der chronometrischen Länge
angab, fortwährend nach Südost gieng. Sehr häufig sieht man eine stehende
Wassermasse von Wasserfäden durchzogen, die nach verschiedenen Richtungen
strömen; solches kann man täglich an der Oberfläche unserer Landseen
beobachten, aber seltener bemerkt man solch partielle Bewegungen kleiner
Wassertheile in Folge lokaler Ursachen mitten in einem Meeresstrome, der
sich über ungeheure Räume erstreckt und sich immer in derselben Richtung,
wenn auch nicht mit bedeutender Geschwindigkeit fortbewegt. Die sich
kreuzenden Strömungen beschäftigen unsere Einbildungskraft, wie der
Wellenschlag, weil diese Bewegungen, die den Ocean in beständiger Unruhe
erhalten, sich zu durchdringen scheinen.

Wir fuhren am Cap Vincent, das aus Besalt besteht, auf mehr als 80 Meilen
[360 km] Entfernung vorüber. Auf 15 Meilen [67,5 km] erkennt man es nicht
mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Nähe des
Caps, soll, wie die Steuerleute behaupten, auf 26 Meilen [117 km] in See
sichtbar seyn. Verhält es sich wirklich so, so ist die Foya 700 Toisen
(1363 Meter) hoch, also 116 Toisen (225 Meter) höher als der Vesuv. Es ist
auffallend, daß die portugiesische Regierung kein Feuer auf einem Punkte
unterhält, nach dem sich alle vom Cap der guten Hoffnung und vom Cap Horn
kommenden Schiffe richten müssen; nach keinem anderen Punkte wird mit so
viel Ungeduld ausgeschaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm
des Herkules und am Cap Spichel sind so schwach und so wenig weit
sichtbar, daß man sie gar nicht rechnen kann. Dazu wäre das
Capuzinerkloster, das auf Kap Vincent steht, ganz der geeignete Platz zu
einem Leuchtturm mit sich drehendem Feuer, wie zu Cadix und an der
Garonnemündung.

Seit unserer Abfahrt von Corunna und bis zum 36. Breitegrad hatten wir
außer Meerschwalben und einigen Delphinen fast kein lebendes Wesen
gesehen. Umsonst sahen wir uns nach Tangen und Weichthieren um. Am
11. Juni aber hatten wir ein Schauspiel, das uns höchlich überraschte, das
wir aber später in der Südsee häufig genossen. Wir gelangten in einen
Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Medusen bedeckt war. Das
Schiff stand beinahe still, aber die Weichtiere zogen gegen Südost,
viermal rascher als die Strömung. Ihr Vorüberzug währte beinahe
dreiviertel Stunden, und dann sahen wir nur noch einzelne Individuen dem
großen Haufen, wie wandermüde, nachziehen. Kommen diese Thiere vom Grunde
des Meeres, das in diesen Strichen wohl mehrere tausend Toisen tief ist?
oder machen sie in Schwärmen weite Züge? Wie man weiß, lieben die
Weichthiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem
Wasserspiegel, welche Kapitän Vobonne im Jahr 1732 nordwärts von der Insel
Porto Santo gesehen haben will, wirklich vorhanden sind, so läßt sich
annehmen, daß diese ungeheure Masse von Medusen dorther kam, denn wir
befanden uns nur 28 Meilen [126 km] von jenen Klippen. Wir erkannten neben
der _Medusa aurita_ von Baster und der _M. pelagica_ von Bosc mit acht
Tentakeln _(Pelagia denticulata, Peron)_ eine dritte Art, die sich der
_M. hysocella_ nähert, die Vandelli an der Mündung des Tajo gefunden hat.
Sie ist ausgezeichnet durch die braungelbe Farbe und dadurch, daß die
Tentakeln länger sind als der Körper. Manche dieser Meernesseln hatten
vier Zoll [10 cm] im Durchmesser; ihr fast metallischer Glanz, ihre
violett und purpurn schillernde Färbung hob sich vom Blau der See äußerst
angenehm ab.

Unter den Medusen fand Bonpland Bündel der _Dagysa notata_, eines
Weichthiers von sonderbarem Bau, das Sir Joseph Banks zuerst kennen
gelernt hat. Es sind kleine gallertartige Säcke, durchsichtig,
walzenförmig, zuweilen vieleckig, 13 Linien  [3 mm] lang, 2 – 3 [0,5 bis
0,7 mm] im Durchmesser. Diese Säcke sind an beiden Enden offen. An der
einen Oeffnung zeigt sich eine durchsichtige Blase mit einem gelben Fleck.
Diese Cylinder sind der Länge nach aneinander geklebt wie Bienenzellen und
bilden 6 – 8 Zoll [16 bis 21 cm] lange Schnüre. Umsonst versuchte ich die
galvanische Elektricität an diesen Weichthieren; sie brachte keine
Zusammenziehung hervor. Die Gattung _Dagysa_, die zur Zeit von Cooks
erster Reise zuerst aufgestellt wurde, scheint zu den Salpen zu gehören.
Auch die Salpen wandern in Schwärmen, wobei sie sich zu Schnüren an
einander hängen, wie wir bei der _Dagysa_ gesehen.

Am 13. Juni Morgens unter 34° 33’ Breite sahen wir wieder bei vollkommen
ruhiger See große Haufen des letzterwähnten Thiers vorbeitreiben. Bei
Nacht machten wir die Beobachtung, daß alle drei Medusenarten, die wir
gefangen, nur leuchteten, wenn man sie ganz leicht anstieß. Diese
Eigenschaft kommt also nicht der von Forskael in seiner _Fauna Aegytiaca_
beschriebenen _Medusa noctiluca_ allein zu, die Gmelin mit der _Medusa
pelagica_ Löflings vereinigt, obgleich sie rote Tentakeln und braune
Körperwarzen hat. Legt man eine sehr reizbare Meduse auf einen Zinnteller
und schlägt mit irgendeinem Metall an den Teller, so wird das Tier schon
durch die leichte Schwingung des Zinns leuchtend. Galvanisirt man Medusen,
so zeigt sich zuweilen der phosphorische Schein im Moment, wo man die
Kette schließt, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht
unmittelbar berühren. Die Finger, mit denen man es berührt, bleiben ein
paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehäuse
der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Körper einer Meduse und
leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, so erscheint der Schimmer
wieder, wenn man mit der trockenen Hand über das Holz fährt. Ist derselbe
wieder verschwunden, so läßt er sich nicht noch einmal hervorrufen, wenn
auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig ist. Wie wirkt in diesem
Falle die Reibung oder der Stoß? Die Frage ist schwer zu beantworten. Ruft
etwa eine kleine Temperaturerhöhung den Schein hervor, oder kommt er
wieder, weil man die Oberfläche erneuert und so die Theile des Thiers,
welche den Phosphorwasserstoff entbinden, mit dem Sauerstoff der
atmosphärischen Luft in Berührung bringt? Ich habe durch Versuche, die im
Jahre 1797 veröffentlicht worden, dargethan, daß Scheinholz in reinem
Wasserstoff und Stickstoff nicht mehr leuchtet, und daß der Schein
wiederkehrt, sobald man die kleinste Blase Sauerstoff in das Gas treten
läßt. Diese Thatsachen, deren wir in der Folge noch mehrere anführen
werden, bahnen uns den Weg zur Erklärung des Meerleuchtens und des
besonderen Umstandes, daß das Erscheinen des Lichtschimmers mit dem
Wellenschlag in Zusammenhang steht.

Zwischen Madera und der afrikanischen Küste hatten wir gelinde Winde oder
Windstille, wodurch ich mich bei den magnetischen Versuchen, mit denen ich
mich bei der Ueberfahrt beschäftigte, sehr gefördert sah. Wir wurden nicht
satt, die Pracht der Nächte zu bewundern; nichts geht über die Klarheit
und Heiterkeit des afrikanischen Himmels. Wir wunderten uns über die
ungeheure Menge Sternschnuppen, die jeden Augenblick niedergingen. Je
weiter wir nach Süden kamen, desto häufiger wurden sie, besonders bei den
canarischen Inseln. Ich glaube auf meinen Reisen die Beobachtung gemacht
zu haben, daß diese Feuermeteore überhaupt in manchen Landstrichen
häufiger vorkommen und glänzender sind als in anderen. Nie sah ich ihrer
so viele als in der Nähe der Vulkane der Provinz Quito und in der Südsee
an der vulkanischen Küste von Guatimala. Der Einfluß, den Oertlichkeit,
Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternschnuppen zu haben scheinen,
trennt diese Classe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrscheinlich
dem Weltraume außerhalb unseres Luftkreises angehören. Nach den
übereinstimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erscheinen in
Europa viele Sternschnuppen nicht mehr als 30,000 Toisen [58 470 m] über
der Erde. Man hat sogar eine gemessen, die nur 14,000 Toisen [27 280 m]
hoch war. Es wäre zu wünschen, daß dergleichen Messungen, die nur
annähernde Resultate ergeben können, öfters wiederholt würden. In den
heißen Landstrichen, besonders unter den Tropen, zeigen die Sternschnuppen
einen Schweif, der noch 12 bis 15 Secunden fortleuchtet; ein andermal ist
es, als platzten sie und zerstieben in mehrere Lichtfunken, und im
allgemeinen sind sie viel weiter unten in der Luft als im nördlichen
Europa. Man sieht sie nur bei heiterem, blauen Himmel, und unter einer
Wolke ist wohl noch nie eine beobachtet worden. Häufig haben die
Sternschnuppen ein paar Stunden lang eine und dieselbe Richtung, und dies
ist dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Lussac
und ich Lichterscheinungen  beobachtet, die denen, welche mich bei meinem
langen Aufenthalt in Mexiko und Quito beschäftigten, sehr ähnlich waren.
Das Wesen dieser Meteore hängt vielleicht ab von der Beschaffenheit von
Boden und Luft, gleich gewissen Erscheinungen von Luftspiegelung und
Strahlenbrechung an der Erdoberfläche, wie sie an den Küsten von Calabrien
und Sicilien vorkommen.

Wir bekamen auf unserer Fahrt weder die Inseln Desiertas noch Madera zu
Gesicht. Gerne hätte ich die Länge dieser Inseln berichtigt und von den
vulkanischen Bergen nordwärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De Borda
berichtet, man sehe diese Berge auf 20 Meilen [90 km], was nur auf eine
Höhe von 414 Toisen (806 Meter) hinweise; wir wissen aber, daß nach
neueren Messungen der höchste Gipfel von Madera 5167 englische Fuß oder
807 Toisen [1573 m] hoch ist. Die kleinen Inseln Desiertas und Salvages,
auf denen man Orseille und _Mesembryanthemum crystallinum_ sammelt, haben
nicht 200 Toisen senkrechter Hähe. Es scheint mir von Nutzen, die
Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzweisen, weil sich mittelst
einer Methode, deren in dieser Reisebeschreibung öfter Erwähnung geschieht
und deren sich Borda, Lord Mulgrave, de Rossel und Don Cosme Churruca auf
ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit
guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hinlänglicher Genauigkeit
ermitteln läßt, wie weit sich das Schiff von einem Vorgebirge oder von
einer gebirgigen Insel befindet.

Als wir 40 Meilen [180 km] ostwärts von Madera waren, setzte sich eine
Schwalbe auf die Marsstenge. Sie war so müde, daß sie sich leicht fangen
ließ. Es war eine Rauchschwalbe _(Hierundo rustica, Lin.)_. Was mag einen
Vogel veranlassen, in dieser Jahreszeit und bei stiller Luft so weit zu
fliegen? Bei d´Entrecasteaux´ Expedition sah man gleichfalls eine
Rauchschwalbe 60 Meilen [270 km] weit vom weißen Vorgebirge; das war aber
Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, sie komme eben aus
Europa. Wir befuhren diese Striche im Juni, und seit langer Zeit hatte
kein Sturm das Meer aufgerührt. Ich betone den letzteren Umstand, weil
kleine Vögel, sogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die
hohe See verschlagen werden, wie wir es in der Südsee, westwärts von der
Küste von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lanzarota, einer der sieben großen
Canarien, anzulegen, um sich zu erkundigen, ob die Engländer die Rhede von
Santa Cruz auf Teneriffa blokirten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel,
welchen Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die
mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die
Länge gehalten, die ich fast immer zweimal des Tags bestimmte, indem ich
zum Uebertrag der Zeit Morgens und Abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich
am 16. Juni, um neun Uhr morgens, als wir schon unter 20° 26’ der Breite
waren, änderte der Capitän den Curs und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich
bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam
Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont erschien. Um fünf
Uhr, bei niedriger stehender Sonne, lag die Insel Lanzarota so deutlich
vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges messen konnte, der
majestätisch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan
hielten, der in der Nacht vom ersten September 1730 so große Verwüstungen
angerichtet hat.

Die Strömung trieb uns schneller gegen die Küste, als wir wünschten. Im
Hinfahren sahen wir zuerst die Insel Fortaventura, bekannt durch die
vielen Kameele(4), die darauf leben, und bald darauf die kleine Insel
Lobos im Canal zwischen Fortaventura und Lancerota. Wir brachten die Nacht
zum Theil auf dem Verdeck zu. Der Mond beschien die vulkanischen Gipfel
von Lanzerota, deren mit Asche bedeckten Abhänge wie Silber schimmerten.
Antares glänzte nahe der Mondscheibe, die nur wenige Grad über dem
Horizont stand. Die Nacht war wunderbar heiter und frisch. Obgleich wir
nicht weit von der afrikanischen Küste und der Grenze der heißen Zone
waren, zeigte der hunderttheilige Thermometer nicht mehr als 18°. Es war,
als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmasse
vermehrte. Zum erstenmal konnte ich an einem zweizölligen Sextanten von
Troughton mit sehr feiner Theilung den Nonius ablesen, ohne mit einer
Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unserer Reisegefährten waren
Canarier; gleich allen Einwohnern der Insel priesen sie enthusiastisch die
Schönheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan schwere
Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das schöne Sternbild
des Scorpion. Wir sahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren
wahrscheinlich Fischer, die sich zur Fahrt rüsteten. Wir hatten auf der
Reise fortwährend in den alten spanischen Reisebeschreibungen gelesen, und
diese sich hin und her bewegenden Lichter erinnerten uns an die, welche
Pedro Guttierez, ein Page der Königin Isabella, in der denkwürdigen Nacht,
da die neue Welt entdeckt wurde, auf der Guanahani sah.

Am 17. Morgens war der Horizont nebligt und der Himmel leicht umzogen.
Desto schärfer traten die Berge von Lanzerota in ihren Umrissen hervor.
Die Feuchtigkeit erhöht die Durchsichtigkeit der Luft und rückt zugleich
scheinbar die Gegenstände näher. Diese Erscheinung ist jedem bekannt, der
Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der
Anden sieht, hygrometrische Betrachtungen anzustellen. Wir liefen, mit dem
Senkblei in der Hand, durch den Canal zwischen den Inseln Alegranza und
Montaña Clara. Wir untersuchten den Archipel kleiner Eilande nördlich von
Lanzerota, die sowohl auf der sonst sehr genauen Karte von de Fleurieu,
als auf der Karte, die zur Reise der Fregatte Flora gehört, so schlecht
gezeichnet sind. Die auf Befehl des Herrn de Castries i. J. 1786
veröffentlichte Karte des Atlantischen Oceans hat dieselben irrigen
Angaben. Da die Strömungen in diesen Strichen ausnehmend rasch sind, so
mag die für die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier
stehen, daß die Lage der fünf kleinen Inseln Alegranza, Clara, Graciosa,
Roca del Este und Infierno nur auf der Karte der canarischen Inseln von
Borda und im Atlas von Tofiño genau angegeben ist, welcher letztere sich
dabei an die Beobachtungen von Don Jose Varela hielt, die mit denen der
Fregatte Boussole ziemlich übereinstimmen.

Inmitten dieses Archipels, den Schiffe, die nach Teneriffa gehen, selten
befahren, machte die Gestaltung der Küsten den eigenthümlichsten Eindruck
auf uns. Wir glaubten uns in die euganäischen Berge im Vincentinischen
oder an die Ufer des Rheins bei Bonn versetzt (Siebengebirge). Die
Gestaltung der organischen Wesen wechselt nach den Klimaten, und diese
erstaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Vertheilung der
Pflanzen und Thiere seinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die
vielleicht früher gebildet worden, als die Ursachen, von welchen die
Abstufung der Klimate abhängt, in Wirksamkeit getreten, sind in beiden
Hemisphären die nämlichen. Die Porphyre, welche glasigen Feldspath oder
Hornblende einschließen, die Phonolithe (Werners Porphyrschiefer),
Grünsteine, Mandelsteine und Basalte zeigen fast so constante Formen wie
in der Auvergne, im böhmischen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den
Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am symmetrischen Bau der
Berge, an den gestutzten, bald einzeln stehenden, bald zu Gruppen
vereinigten Kegeln, an den Plateaux, die an beiden Enden mit einer runden
niedrigen Kuppe gekrönt sind.

Der ganze westliche Theil von Lanzerota, den wir in der Nähe sahen, hat
ganz das Ansehen eines in neuester Zeit von vulkanischem Feuer verwüsteten
Landes. Alles ist schwarz, dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit
dem Fernrohr Basalt in ziemlich dünnen, stark fallenden Schichten. Mehrere
Hügel gleichen dem Monte nuovo bei Neapel oder den Schlacken- und
Aschenhügeln, welche am Fuße des Vulkanes Jorullo in Mexiko in Einer Nacht
aus dem berstenden Boden emporgestiegen sind. Nach Abbé Viera wurde auch
im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Insel völlig umgewandelt. Der »große
Vulkan«, dessen wir oben erwähnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan
von *Temanfaya* heißt, verheerte das fruchtbarste und bestangebaute
Gebiet; neun Dörfer wurden durch die Lavaströme völlig zerstört. Ein
heftiges Erdbeben war der Katastrophe vorangegangen, und gleich starke
Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher gespürt. Letztere Erscheinung ist
um so auffallender, je seltener sie nach einem Ausbruch ist, wenn einmal
nach dem Ausfluß der geschmolzenen Stoffe die elastischen Dämpfe durch den
Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen Vulkanes ist ein
runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach den Höhenwinkeln, die ich in
verschiedenen Abständen genommen, scheint seine absolute Höhe nicht viel
über 300 Toisen [580 m] zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und
die der Inseln Alegranza und Clara sind kaum 100 bis 120 Toisen [95 bis
134 m] hoch. Man wundert sich, daß Gipfel, die sich auf hoher See so
imposant darstellen, nicht höher seyn sollten. Aber nichts ist so unsicher
als unser Urtheil über die Größe der Winkel, unter denen uns Gegenstände
ganz nahe am Horizont erscheinen. Einer Täuschung derart ist es
zuzuschreiben, wenn vor den Messungen de Churrucas und Galeanos am Cap
Pilar die Berge an der Magellanschen Meerenge und des Feuerlandes bei den
Seefahrern für ungemein hoch galten.

Die Insel Lanzerota hieß früher *Titeroigotra*. Bei der Ankunft der
Spanier zeichneten sich die Bewohner vor den anderen Canariern durch
Merkmale höherer Kultur aus. Sie hatten Häuser aus behauenen Steinen,
während die Guanchen auf Teneriffa, als wahre Troglodyten, in Höhlen
wohnten. Auf Lanzerota herrschte zu jener Zeit ein seltsamer Gebrauch, der
nur bei den Tibetanern vorkommt. [In Tibet ist übrigens die Vielmännerei
nicht so häufig, als man glaubt, und von der Priesterschaft mißbilligt.]
Eine Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der Rechte des
Familienhauptes wechselten. Der eine Ehemann war als solcher nur während
eines Mondumlaufs anerkannt, sofort übernahm ein anderer das Amt und jener
trat in das Hausgesinde zurück. Es ist zu bedauern, daß wir von den
Geistlichen im Gefolge Johanns von Béthencourt, welche die Geschichte der
Eroberung der Canarien geschrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines
Volkes erfahren, bei dem so sonderbare Bräuche herrschten. Im fünfzehnten
Jahrhundert bestanden auf der Insel Lanzerota zwei kleine voneinander
unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geschieden waren, dergleichen
man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmäler, die den
Nationalhaß überleben.

Wegen des Windes mußten wir zwischen den Inseln Alegranza und Montaña
Clara durchfahren. Da Niemand am Bord der Corvette je in diesem Canal
gewesen war, so mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund
bei 25 und 32 Faden [45 bis 60 m]. Mit dem Senkbleu wurde eine organische
Substanz von so sonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange nicht wußten, ob
wir sie für einen Zoophyten oder für eine Tangart halten sollten. Auf
einem bräunlichen, drei Zoll langen Stiel sitzen runde lappige Blätter mit
gezahntem Rand. Sie sind hellgrün, lederartig und gestreift wie die
Blätter der Adianten und des _Ginkgo biloba_. Ihre Fläche ist mit steifen,
weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwicklung sind die concav und in
einander geschachtelt. Wir konnten keine Spur von willkührlicher Bewegung,
von Irritabilität daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem
Galvanismus versuchten. Der Stiel ist nicht holzig, sondern besteht aus
einem hornartigen Stoff, gleich der Achse der Gorgonen. Da Stickstoff und
Phosphor in Menge in verschiedenen cryptogamischen Gewächsen nachgewiesen
sind, so wäre nichts dabei herausgekommen, wenn wur auf chemischem Wege
hätte ermitteln wollen, ob dieser organische Körper dem Pflanzen- oder dem
Thierreich angehöre. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern sehr
nahe kommt, so stellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und nannten ihn
_Fucus vitifolius_. Die Haare, mit denen das Gewächs bedeckt ist, kommen
bei vielen andern Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es frisch
aus der See unter dem Mikroscop untersucht wurde, nicht die drüsigen
Körper in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gattungen
_Ulva_ und _Fucus_ die Fructificationen enthalten; aber wie oft findet man
Tange, die vermöge ihrer Entwicklungsstufe in ihrem durchsichtigen
Paranchym noch keine Spur von Körnern zeigen.

Ich hätte diese Einzelheiten, die in die beschreibende Naturgeschichte
gehören, hier übergangen, wenn sich nicht am Fucus mit weinblattähnlichen
Blättern ein physiologische Erscheinung von allgemeinerem Interesse
beobachten ließe. Unser Seetang hatte, an Madreporen befestigt, 192 Fuß
tief am Meeresboden vegetirt, und doch waren seine Blätter so grün wie
unsere Gräser. Nach de Bouguers Versuchen(5) wird das Licht, das durch 180
Fuß Wasser hindurchgeht, im Verhältniß von 1 zu 1477,8 geschwächt. Der
Tang von Alegranza ist also ein neuer Beweis für den Satz, daß Gewächse im
Dunkeln vegetiren können, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln
eingeschlossenen Keime mancher Liliengewächse, der Embryo der Malven, der
Rhamnoiden, der Pistazie, der Mistel und des Citronenbaums, die Zweige
mancher unterirdischen Pflanzen, endlich die Gewächse, die man in
Erzgruben findet, wo die umgebende Luft Wasserstoff oder viel Stickstoff
enthält, sind grün ohne Lichtgenuß. Diese Thatsachen berechtigen zu der
Annahme, daß der Kohlenwasserstoff, der das Parenchym dunkler oder heller
grün färbt, je nachdem der Kohlenstoff in der Verbindung vorherrscht, sich
nicht bloß unter dem Einfluß der Sonnenstrahlen im Gewebe der Gewächse
bildet.

Turner, der so viel für die Familie der Tange geleistet hat, und viele
andere bedeutende Botaniker sind der Ansicht, die Tange, die man an der
Meeresfläche findet, und die unter dem 23. und 35. Grad der Breite und dem
32. der Länge sich dem Seefahrer als eine weite überschwemmte Wiese
darstellen, wachsen ursprünglich auf dem Meeresgrund und schwimmen an der
Oberfläche nur im ausgebildeten Zustand, nachdem sie von den Wellen
losgerissen worden. Ist dem wirklich so, so ist nicht zu läugnen, daß die
Familie der Seealgen große Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben
festhält, daß Farblosigkeit die nothwendige Folge des Mangels an Licht
ist; denn wie sollte man voraussetzen können, daß so viele Arten von
Ulvaceen und Dictyoteen mit grünen Stengeln und Blättern auf Gestein
unmittelbar unter der Meeresfläche gewachsen sind?

Nach den Angaben eines alten portugiesischen Wegweisers meinte der Capitän
des Pizarro sich einem kleinen Fort nördlich von Teguise, dem Hauptort von
Lancerota, gegenüber zu befinden. Man hielt einen Basaltfelsen für ein
Kastell, man salutirte es durch Aufhissen der spanischen Flagge und warf
das Boot aus, um sich durch einen Officier beim Commandanten des
vermeintlichen Forts erkundigen zu lassen, ob die Engländer in der
Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, daß
das Land, das wir für einen Theil der Küste von Lanzerota gehalten, die
kleine Insel Graciosa sey und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde
keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlußpunkt einer
weiten Bai bildete. Ganz unbeschreiblich ist das Gefühl des
Naturforschers, der zum erstenmal einen außereuropäischen Boden betritt.
Die Aufmerksamkeit wird von so vielen Gegenständen in Anspruch genommen,
daß man sich von seinen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben vermag.
Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Naturkörper vor sich zu haben,
und in der Aufregung erkennt man häufig Dinge nicht wieder, die in unseren
botanischen Gärten und naturgeschichtlichen Sammlungen zu den gemeinsten
gehören. 100 Toisen [ca. 200 m] vom Ufer sahen wir einen Mann mit der
Angelruthe fischen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die
Flucht und versteckte sich hinter Felsen. Die Matrosen hatten Mühe, seiner
habhaft zu werden. Der Anblick der Corvette, der Kanonendonner am
einsamen, jedoch zuweilen von Kapern besuchten Orte, das Landen des
Bootes, Alles hatte dem armen Fischer Angst eingejagt. Wir erfuhren von
ihm, die kleine Insel Graciosa, an der wir gelandet, sey von Lanzerota
durch einen engen Canal, el Rio genannt, getrennt. Er erbot sich, uns in
den Hafen los Colorados zu führen, wo wir uns hinsichtlich der Blokade von
Tenerifa erkundigen könnten; da er aber zugleich versicherte, seit
mehreren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gesehen zu haben, so
beschloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu steuern.

Das kleine Stück der Insel Graciosa, das wir kennengelernt, gleicht den
aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei Neapel zwischen Portici und Torre
del Greco. Die Felsen sind nackt, ohne Bäume und Gebüsche, meist ohne Spur
von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceolarien, kamen
hin und wieder auf dem Basalt vor. Laven, die nicht mit vulkanischer Asche
bedeckt sind, bleiben Jahrhunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem
afrikanischen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trockenheit die
Entwicklung der cryptogamischen Gewächse.

Mit Sonnenuntergang schifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel,
aber er Wind war zu schwach, als daß wir unseren Weg nach Teneriffa hätten
fortsetzen können. Die See war ruhig; ein röthlicher Dunst umzog den
Horizont und ließ alle Gegenstände größer erscheinen. In solcher
Einsamkeit, ringsum so viele unbewohnte Eilande, schwelgten wir lange im
Anblick einer wilden, großartigen Natur. Die schwarzen Berge von Graciosa
zeigten fünf, sechshundert Fuß [160 bis 200 m] hohe senkrechte Wände. Ihre
Schatten, die auf die Meeresfläche fielen, gaben der Landschaft einen
schwermüthigen Charakter. Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes
stiegen Basaltfelsen aus dem Wasser auf. Ihr Dasein mahnte uns an die weit
entlegene Zeit, wo unterseeische Vulkane neue Inseln emporhoben oder die
Festländer zertrümmerten. Alles umher verkündete Verwüstung und
Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des
Bildes die Küste von Lanzerota. In einer engen Schlucht, zwischen zwei mit
verstreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog sich ein kleiner bebauter
Landstrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchteten das zur Ernte
reife Korn. Selbst die Wüste belebt sich, sobald man den Spuren der
arbeitsamen Menschenhand begegnet.

Wir versuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Canal
zwischen Alegranza und Montaña Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit
hereingelangt waren, um an der Nordspitze von Graciosa ans Land zu gehen.
Da der Wind sehr flau wurde, so trieb uns die Strömung nahe zu einem Riff,
an dem sich die See ungestüm brach, und das die alten Karten als
»Infierno« bezeichneten. Als wir das Riff auf zwei Kabellängen vom
Vordertheil der Corvette vor uns hatten, sahen wir, daß es eine drei, vier
Klafter [5,8 bis 7,8 m] hohe Lavakuppe ist, voll Höhlungen und bedeckt mit
Schlacken, die den Coaks [Koks] oder der schwammigen Masse der
entschwefelten Steinkohle ähnlich ist. Wahrscheinlich ist die Klippe
Infierno(6) welche die neueren Karten _Roca del Oeste_ (westlicher Fels)
nennen, durch das vulkanische Feuer emporgehoben. Sie kann sogar früher
weit höher gewesen seyn; denn die »neue Insel« der Azoren, die zu
wiederholten malen aus dem Meere gestiegen, in den Jahren 1638 und 1719,
war 354 Fuß [115 m] hoch [Im Jahre 1720 war die Insel auf 7 – 8 Meilen
(31 bis 36 km) sichtbar. In denselben Strichen ist im Jahre 1811 wieder
eine Insel erschienen.] geworden, als sie im Jahre 1728 so gänzlich
verschwand, daß man da, wo sie gestanden das Meer 80 Faden [146 m] tief
fand. Meine Ansicht vom Ursprung der Basaltkuppe Infierno wird durch ein
Ereigniß bestätigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derselben
Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temanfaya erhoben sich
vom Meeresboden zwei pyramidale Hügel von steiniger Lava und verschmolzen
nach und nach mit der Insel Lanzerota.

Da der schwache Wind und die Strömung uns aus dem Canal von Alegranza
nicht herauskommen ließen, beschloß man, während der Nacht zwischen der
Insel Clara und der _Roca del Oeste_ zu kreuzen. Dieß hätte beinahe sehr
schlimme Folgen für uns gehabt. Es ist gefährlich, sich bei Windstille in
der Nähe dieses Riffes aufzuhalten, gegen das die Strömung ausnehmend
stark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Strömung
gewahr zu werden. Die nahe vor uns senkrecht aus dem Wasser aufsteigenden
Felsmassen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Corvette
gehorchte dem Steuer fast nicht mehr und jeden Augenblick fürchtete man zu
stranden. Es ist schwer begreiflich, wie eine einzelne Basaltkuppe mitten
im weiten Weltmeer das Wasser in solche Aufregung versetzen kann. Diese
Erscheinungen, welche die volle Aufmerksamkeit der Physiker verdienen,
sind übrigens den Seefahrern wohl bekannt; sie treten in der Südsee,
namentlich im kleinen Archipel der Galapagos-inseln, in furchtbarem
Maßstab auf. Der Temperaturunterschied zwischen der Flüssigkeit und der
Felsmasse vermag den Zug der Strömung zu ihnen hin nicht zu erklären, und
wie sollte man es glaublich finden, daß sich das Wasser am Fuße der
Klippen in die Tiefe stürzt, und daß bei diesem fortwährenden Zug nach
unten die Wassertheilchen den entstehenden leeren Raum auszufüllen suchen
(7)?

Am 18. Morgens wurde der Wind etwas frischer, und so gelang es uns, aus
dem Canal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal sehr nahe, und
jetzt bemerkten wir im Gestein große Spalten, durch welche wahrscheinlich
die Gase entwichen, als die Basaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren
die kleinen Inseln Alegranza, Montaña Clara und Graciosa aus dem Gesicht.
Sie scheinen nie von Guanchen bewohnt gewesen zu seyn und man besucht sie
jetzt nur, um Orseille dort zu sammeln; diese Pflanze ist übrigens weniger
gesucht, seit so viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen Europa
kostbare Farbstoffe liefern. Montaña Clara ist berühmt weger der schönen
Canarienvögel, die dort vorkommen. Der Gesang dieser Vögel wechselt nach
Schwärmen, wie ja auch bei uns der Gesang der Finken in zwei benachbarten
Landstrichen häufig ein anderer ist. Auf Montaña Clara gibt es auch
Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren nicht so öde ist als die
Küste, die wir gesehen. Der Name Alegranza kommt her von »La Joyeuse«, wie
die ersten Eroberer der Canarien, zwei normännische Barone, Jean de
Béthencourt und Gadifer de Salle, die Insel benannten. Es war der erste
Punkt, wo sie gelandet. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen auf der
Insel Graciosa, von der wir ein kleines Stück gesehen, beschlossen sie,
sich der benachbarten Insel Lanzerota zu bemächtigen, und wurden von
Guadarfia, dem Häuptling der Guanchen, so gastfreundlich empfangen, wie
Cortez im Palast Montezumas. Der Hirtenkönig, der keine anderen Schätze
hatte als seine Ziegen, wurde so schmählich verraten, wie der mexikanische
Sultan.

Wir fuhren an den Küsten von Lanzerota, Lobos und Fortaventura hin. Die
zweite scheint früher mit den andern zusammengehangen zuhaben. Diese
geologische Hypothese wurde schon im siebzehnten Jahrhundert von einem
Franziskaner, Juan Galindo, aufgestellt. Er war sogar der Ansicht, König
Juba habe nur sechs canarische Inseln genannt, weil zu seiner Zeit drei
derselben nur Eine gebildet. Ohne auf diese unwahrscheinliche Hypothese
einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Canarien für die
beiden Inseln Innonia, die Inseln Rivaria, Ombrios, Canaria und Capraria
der Alten erklärt.

Da der Horizont dunstig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von
Lanzerota nach Teneriffa des Gipfels des Pik de Teyde nicht ansichtig
werden. Ist der Vulkan wirklich 1905 Toisen [3712 m] hoch, wie Bordas
letzte trigonometrische Messung angibt, so muß sein Gipfel auf 43
Seemeilen [80 km] zu sehen sey, das Auge am Meeresspiegel angenommen und
die Refraction gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob
der Pic zwischen Lanzerota und Fortaventura, der nach Varelas Karte 2° 29’
oder gegen 50 Meilen (Lieues) davon entfernt ist, je gesehen worden sey.
Der Punkt scheint indessen durch einige Offiziere der königlich spanischen
Marine entschieden worden zu seyn; ich habe an Bord der Corvette Pizarro
ein Schifftagebuch in Händen gehabt, in dem stand, der Pic von Tenerifa
sey in 135 Seemeilen [250 km] Entfernung beim südlichen Vorgebirg von
Lanzerota, genannt Pichiguera, gesehen worden, und zwar erschien der
Gipfel unter einem so großen Winkel, daß der Beobachter, Don Manuel
Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte noch 9 Meilen weiter weg gesehen werden
können. Das war im September, gegen Abend, bei sehr feuchtem Wetter.
Rechnet man 15 Fuß als Erhöhung des Auges über der See, so finde ich, daß
man, um die Erscheinung zu erklären, eine Refraction gleich 0,158 des
Bogens anzunehmen hat, was für die gemäßigte Zone nicht außerordentlich
viel ist. Nach den Beobachtungen des Generals Roy schwanken in England die
Refractionen zwischen 1/20 und 1/3, und wenn es wahr ist, daß sie an der
Küste von Afrika diese äußersten Grenzen erreichen, woran ich sehr
zweifle, so könnte unter gewissen Umständen der Pic vom Verdeck eines
Schiffes auf 61 Seemeilen gesehen werden.

Seeleute, die häufig diese Striche befahren und über die Ursachen der
Naturerscheinungen nachdenken, wundern sich, daß der Pic de Teyde und der
der Azoren(8) zuweilen in sehr großer Entfernung zum Vorschein kommen, ein
andermal in weit größerer Nähe nicht sichtbar sind, obgleich der Himmel
klar erscheint und der Horizont nicht dunstig ist. Diese Umstände
verdienen die Aufmerksamkeit des Physikers um so mehr, als viele Fahrzeuge
auf der Rückreise nach Europa mit Ungeduld des Erscheinens dieser Berge
harren, um ihre Länge danach zu berichtigen, und sie sich wieder davon
entfernt glauben, als sie in Wahrheit sind, wenn sie sie bei hellem Wetter
in Entfernungen, wo die Sehwinkel schon sehr bedeutend seyn mußten, nicht
sehen können. Der Zustand der Atmosphäre hat den bedeutendsten Einfluß auf
die Sichtbarkeit ferner Gegenstände. Im Allgemeinen läßt sich annehmen,
daß der Pic von Tenerifa im Juli und August, bei sehr warmem, trockenem
Wetter, ziemlich selten sehr weit gesehen wird, daß er dagegen im Januar
und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige
Stunden vor einem starken Regen in außerordentlich großer Entfernung zu
Gesicht kommt. Die Durchsichtigkeit der Luft scheint, wie schon oben
bemerkt, in erstaunlichem Maaße erhöht zu werden, wenn eine gewisse Menge
Wasser gleichförmig in derselben verbreitet ist. Zudem darf man sich nicht
wundern, wenn man den Pic de Teyde seltener sehr weit sieht, als die
Gipfel der Anden, die ich so lange Zeit habe beobachten können. Der Pic
ist nicht so hoch als der Theil des Atlas, an dessen Abhang die Stadt
Marocco liegt, und nicht wie dieser mit ewigem Schnee bedeckt. Der *Piton*
oder *Zuckerhut*, der die oberste Spitze des Pics bildet, wirft allerdings
vieles Licht zurück, weil der aus dem Krater ausgeworfene Bimsstein von
weißlicher Farbe ist; aber dieser kleine abgestutzte Kegel mißt nur ein
Zwanzigtheil der ganzen Höhe. Die Wände des Vulkans sind entweder mit
schwarzen, verschlackten Lavablöcken oder mit einem kräftigen
Pflanzenwuchse bedeckt, dessen Masse um so weniger Licht zurückwirft, als
die Baumblätter voneinander durch Schatten getrennt sind, die einen
größeren Umfang haben als die beleuchteten Theile.

Daraus geht hervor, daß der Pic von Tenerifa, abgesehen vom *Piton*, zu
den Bergen gehört, die man, wie Bouguer sich ausdrückt, auf weite
Entfernung nur *negativ* sieht, weil sie das Licht auffangen, das von der
äußersten Grenze des Luftkreises zu uns gelangt, und wir ihr Daseyn nur
gewahr werden, weil das Licht in der sie umgebenden Luft und das , welches
die Lufttheilchen zwischen dem Berge und dem Auge des Beobachters
fortpflanzen, von verschiedener Intensität sind. [Aus den Versuchen
desselben Beobachters geht hervor, daß, wenn dieser Unterschi8ed für
unsere Organe merkbar werden und der Berg sich deutlich vom Himmel abheben
soll, das eine Licht wenigstens um ein Sechzigtheil stärker seyn muß als
das andere.] Entfernt man sich von der Insel Teneriffa, so bleibt der
Piton oder Zuckerhut ziemlich lange *positiv* sichtbar, weil er weißes
Licht reflektirt und sich vom Himmel hell abhebt; da aber dieser Kegel nur
80 Toisen [156 m] hoch und an der Spizte 40 Toisen [78 m] breit ist, so
hat man neuerdings die Frage aufgeworfen, ob er bei so unbedeutender Masse
auf weiter als 40 Meilen sichtbar seyn kann, und ob es nicht
wahrscheinlicher ist, daß man in See den Pic erst dann als ein Wölkchen
über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Basis des Piton
heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu
100 Toisen [200 m] an, so findet man, daß der kleine Kegel in 40 Meilen
Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als 3
Minuten erscheint. Dieser Winkel ist groß genug, um einen Gegenstand
sichtbar zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als in der
Basis breit, so dürfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner
seyn, und der Gegenstand machte doch noch einen Eindruck auf unsere
Organe; aus mikrometrischen Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur
dann die Grenze der Sichtbarkeit ist, wenn die Gegenstände nach allen
Richtungen von gleichem Durchmesser sind, Man erkennt in einer weiten
Ebene einzelne Baumstämme mit bloßem Auge, obgleich der Sehwinkel nur 25
Secunden beträgt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, der sich dunkelfarbig abhebt, von
der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien zum Auge gelangen, deren eine
am Berg endet, während die andere bis zur Grenze des Luftmeers fortläuft,
so folgt daraus, daß, je weiter man vom Gegenstand wegrückt, desto kleiner
der Unterschiede wird zwischen Licht der umgebenden Luft und dem Licht der
vor dem Berg befindlichen Luftschichten. Daher kommt, daß nicht sehr hohe
Berggipfel, wenn sie sich über dem Horizont zu zeigen  anfangen, anfangs
dunkler erscheinen als Gipfel, die man auf sehr große Entfernung sieht.
Ebenso hängt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird,
nicht allein vom Zustand der untern Luftschichten ab, auf die unsere
meteorologischen Beobachtungen beschränkt sind, sondern auch von der
Durchsichtigkeit und der physischen Beschaffenheit der höheren Regionen;
denn das Bild hebt sich desto besser ab, je stärker das Licht in der Luft,
das von den Grenzen der Atmosphäre herkommt, ursprünglich ist, oder je
weniger Verlust es auf seinem Durchgang erlitten hat. Dieser Umstand macht
es bis zu einem gewissen Grade erklärlich, warum bei gleich heiterem
Himmel, bei ganz gleichem Thermometer- und Hygrometerstand nahe an der
Erdoberfläche, der Pic auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt sind,
des einemal sichtbar ist, das anderemal nicht. Wahrscheinlich würde man
sogar den Vulkan nicht häufiger sehen können, wenn die Höhe des
Aschenkegels, an dessen Spitze sich die Krateröffnung befindet, ein
Viertheil der ganzen Berghöhe wäre, wies es beim Vesuv der Fall ist. Die
Asche, zu Pulver zerriebener Bimsstein, wirft das Licht nicht so stark
zurück als der Schnee der Anden. Sie macht, daß der Berg bei sehr großem
Abstand sich nicht hell, sondern weit schwächer dunkelfarbig abhebt. Sie
trägt so zu sagen dazu  bei, die Antheile des in der Luft verbreiteten
Lichtes, deren veränderliche Unterschiede einen Gegenstand mehr oder
weniger deutlich sichtbar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit
Granitsand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren, [_Los
Pajonales_, von _paja_, Gras. So heißt die Zone der grasartigen Gewächse,
welche unter der Region des ewigen Schnees liegt.] die goldgelb sind,
treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als
Gegenstände, die man negativ sieht; aber nach der Theorie besteht eine
gewisse Grenze, jenseits welcher diese letzteren sich bestimmter vom Blau
des Himmels abheben.

Bei den colossalen Berggipfeln von Quito und Peru, die über die Grenze des
ewigen Schnees hinausragen, wirken alle günstigen Umstände zusammen, um
sie unter sehr kleinen Winkeln sichtbar zu machen. Wir haben oben gesehen,
daß der abgestumpfte Gipfel des Pic von Tenerifa nur gegen 300 Toisen
[580 m] Durchmesser hat. Nach den Messungen, die ich im Jahre 1803 zu
Riobamba angestellt, ist die Kuppe des Chimborazo 153 Toisen [298 m] unter
der Spitze, also an einer Stelle, die 1300 Toisen [2533 m] höher liegt als
der Pik, noch 673 Toisen (1312 Meter) breit. Ferner nimmt die Zone des
ewigen Schnees ein Viertheil der ganzen Berghöhe ein, und die Basis dieser
Zone ist, von der Südsee gesehen, 3437 Toisen (6700 Meter) breit. Obgleich
aber der Chimborazo um zwei Drittel höher ist als der Pic, sieht man ihn
doch wegen der Krümmung der Erde nur 38 1/3 Meilen weiter. Wenn er im
Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glänzt
sein Schnee so stark, daß man glauben sollte, er müßte sehr weit in der
Südsee sichtbar seyn. Glaubwürdige Schiffer haben mich versichtert, sie
haben ihn bei der Klippe Muerto, südwestlich von der Insel Puna, auf 47
Meilen [211,5 km] gesehen. So oft er noch weiter gesehen worden, sind die
Angaben unzuverlässig, weil die Beobachter ihrer Länge nicht gewiß waren.

Das in der Luft verbreitete Licht erhöht, indem es auf die Berge fällt,
die Sichtbarkeit derer, die positiv sichtbar sind; die Stärke desselben
vermindert im Gegentheil die Sichtbarkeit von Gegenständen, die, wie der
Pic von Teneriffa und der der Azoren, sich dunkelfarbig abheben. Bouguer
hat auf theoretischem Wege gefunden, daß nach der Beschaffenheit unserer
Atmosphäre Berge negativ nicht weiter als auf 35 Meilen gesehen werden
können. Die Erfahrung — und diese Bemerkung ist wichtig — widerspricht
dieser Rechnung. Der Pik von Tenerifa ist häufig auf 36, 38, sogar auf 40
Meilen gesehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichsinseln
hat man den Gipfel des Mowna-Roa(9) und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee
darauf lag, dicht am Horizont auf 53 Meilen gesehen. Dies ist bis jetzt
das auffallendste bekannte Beispiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und
was noch merkwürdiger ist, es handelt sich dabei von einem Gegenstand, der
nur negativ sichtbar ist.

Ich glaubte diese Bemerkungen am Ende dieses Capitels zusammenstellen zu
sollen, weil sie sich auf eines der wichtigsten Probleme der Optik
beziehen, auf die Schwächung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch
die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktischen Nutzen sind.
Die Vulkane Teneriffas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha,
der Pic von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mowna-Roa und der
St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresstrecken oder auf den
Küsten der Continente, und dienen so dem Seefahrer, der die Mittel nicht
hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu bestimmen,
gleichsam als Bojen im Fahrwasser. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieser
natürlichen Bojen zusammenhängt, ist für die Sicherheit der Schifffahrt
von Belang.

                            ------------------



    1 Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in sechs Bänden, das
      unter dem seltsamen Titel: »Reise um die Welt und in Südamerika, von
      A. v. Humboldt, erschienen bei Vollmer in Hamburg«, niemals Kenntniß
      genommen habe. Diese in meinem Namen verfaßte Reisebeschreibung
      scheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach
      einzelnen Abhandlungen, die ich in der ersten Classe des
      französischen Institutes gelesen, zusammengeschrieben zu seyn. Um
      das Publikum aufmerksam zu machen, hielt es der Kompilator für
      angemessen, einer Reise in einige Länder des neuen Kontinentes den
      anziehenderen Titel einer »Reise um die Welt« zu geben.

    2 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemisphären
      anzustellen Gelegenheit gehabt, mit denen zusammengestellt, die in
      den Werken von Cook, Lapérouse, d´Entrecasteur, Vancouver,
      Macartney, Krusenstern und Marchand gegeben sind, und darnach
      schwankt die Geschwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den
      Tropen zwischen 5 und 18 Meilen in 24 Stunden, somit zwischen
      0,3 und 1,2 Fuß in der Secunde.

    3 Wenn es sich von der Meerestemperatur handelt, hat man sorgfältig
      vier ganz gesonderte Erscheinungen zu unterscheiden: 1) die
      Temperatur des Wassers an der Oberfläche unter verschiedenen
      Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Wärme in
      den über eineander gelagerten Wasserschichten; 3) den Einfluß der
      Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Temperatur der
      Strömungen, die mit constanter Geschwindigkeit die Gewässer der
      einen Zone durch ruhenden Gewässer der andern hindurchführen.

    4 Diese Kameele, die zum Feldbau dienen und deren Fleisch man im Lange
      zuweilen eingesalzen ißt, lebten hier nicht vor der Eroberung der
      Inseln durch die Béthencourts. Im sechzehnten Jahrhundert hatten
      sich die Esel auf Fortaventura dergestalt vermehrt, daß sie
      verwildert waren und man Jagd auf sie machen mußte. Man schoß ihrer
      mehrere tausend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde
      auf Fortaventura sind von berberischer Rasse und ausgezeichnet
      schön.

    5 In 32 Faden Tiefe kann der Fucus nur von einem Lichte beleuchtet
      gewesen seyn, das 203mal stärker ist als das Mondlicht, also gleich
      der Hälfte des Lichts, das eine Talgkerze auf 1 Fuß Entfernung
      verbreitet. Nach meinen direkten Versuchen wird aber das _Lepidium
      saticum_ beim glänzenden Lichte zweier Argandschen Lampen kaum
      merkbar grün.

    6 Ich bemerke hier, daß diese Klippe schon auf der berühmten
      venetianischen Karte des Andrea Bianco angegeben ist, daß aber mit
      dem Namen Infierno, wie auch auf der ältesten Karte des Picigano,
      Teneriffa bezeichnet ist, wahrscheinlich, weil die Guanchen den Pic
      als den Eingang der Hölle ansahen.

    7 Mit Verwunderung liest man in einem sonst ganz nützlichen, unter den
      Seeleuten sehr verbreiteten Buche, in der neunten Ausgabe des
      _Practical Navigator_ von Hamilton Moore, p. 200, in Folge der
      Massenattractien oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug
      schwer von der Küste weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von
      dieser selbst angezogen.

    8 Die Höhe dieses Pics beträgt nach de Fleurien 1100 Toisen [2144 m],
      nach Ferrer 1238 [2413], nach Tofino 1260 [2457], aber diese Maaße
      sind nur annähernde Schätzungen. Der Capitän des Pizarro, Don Manuel
      Cagigal, hat mir aus seinem Tagebuch bewiesen, daß er den Pic der
      Azoren auf 37 Meilen Entfernung gesehen hat, zu einer Zeit, wo er
      seiner Länge wenigstens bis auf 2 Minuten gewiß war. Der Vulkan
      wurde in Süd 4° Ost gesehen, so daß der Irrthum in der Länge auf die
      Schätzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluß haben
      konnte. Indessen war der Winkel, unter dem der Pic der Azoren
      erschien, so groß, daß Cagigal der Meinung ist, der Vulkan müsse auf
      mehr als 40 oder 42 Lieues zu sehen seyn. Der Abstand von 37 Lieues
      setzt eine Höhe von 1431 Toisen [2789 m] voraus.

    9 Der Mowna-Roa auf den Sandwichsinseln ist nach Marchand über 2598
      Toisen hoch, nach King 2577, aber diese Messungen sind, trotz ihrer
      zufälligen Uebereinstimmung, keineswegs auf zuverlässigem Wege
      erzielt. Es ist eine ziemlich auffallende Erscheinung, daß ein
      Berggipfel unter 19° Breite, der wahrscheinlich über 2500 Toisen
      hoch ist, von Schnee ganz entblößt wird. Die starke Abplattung des
      Mowna-Roa, der *Mesa* der alten spanischen Karten, seine vereinzelte
      Lage im Weltmeer und die Häufigkeit gewisser Winde, die durch den
      aufsteigenden Strom abgelenkt, in schiefer Richtung wehen, mögen die
      vornehmsten Ursachen seyn. Es läßt sich nicht wohl annehmen, daß
      sich Capitän Marchand in der Schätzung des Abstandes, in dem er am
      10. Oktober 1791 den Gipfel des Mowna-Roa sah, bedeutend geirrt
      habe. Er hatte die Insel O-Whyhee erst am 7. Abends verlassen, und
      nach der Bewegung der Gewässer und den Mondsbeobachtungen am
      10. betrug die Entfernung wahrscheinlich sogar noch mehr als 53
      Meilen. Ueberdieß berichtet ein erfahrner Seemann, de Fleurien, daß
      der Pic von Teneriffa selbst bei nicht ganz klarem Wetter auf 35 bis
      36 Meilen zu sehen sey.



ZWEITES KAPITEL


      Aufenthalt auf Teneriffa — Reise von Santa Cruz nach Orotava —
                           Besteigung des Pics


Von unserer Abreise von Graciosa an war der Horizont fortwährend so
dunstig, daß trotz der ansehnlichen Höhe der Berge Canarias _(Isla de la
gran Canaria)_ die Insel erst am 19. Abends in Sicht kam. Sie ist die
Kornkammer des Archipels der »glückseligen Inseln«, und man behauptet, was
für ein Land außerhalb der Tropen sehr auffallend ist, in einigen Strichen
erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im
Juni. Canaria ist noch nie von einem unterrichteten Mineralogen besucht
worden; sie verdiente es aber um so mehr, als mir ihre in parallen Ketten
streichenden Berge von ganz andrem Charakter schienen, als die Gipfel von
Lancerota und Teneriffa. Nichts ist für den Geologen anziehender als die
Beobachtung, wie sich an einem bestimmten Punkte die vulkanischen
Bildungen zu den Urgebirgen und den securdären Gebirgen verhalten. Sind
einmal die canarischen Inseln in allen ihren Gebirgsgliedern erforscht, so
wird sich zeigen, daß man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer
Hebung durch unterseeische Feuerausbrüche zugeschrieben hat.

Am 19. Morgens sahen wir den Berggipfel Naga (_Punta de Naga_, _Anaga_
oder _Nago_), aber der Pik von Teneriffa blieb fortwährend unsichtbar. Das
Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse.
Als wir uns der Rhede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, daß der
Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war sehr unruhig, wie
fast immer in diesen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das
Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war so dicht, daß man kaum auf ein
paar Kabellängen sah. Aber eben da man anfing den Platz zu salutiren,
zerstreute sich der Nebel völlig, und da erschien der Pic de Teyde in
einem freien Stück Himmel über den Wolken, und die ersten Strahlen der
Sonne, die für uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des
Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vordertheil der Corvette, um dieses
herrlichen Schauspiels zu genießen, da signalisirte man vier englische
Schiffe, die ganze nahe an unseren Hintertheile auf der Seite lagen. Wir
waren in ihnen vorbeigesegelt, ohne daß sie uns bemerkt hatten, und
derselbe Nebel, der uns den Anblick des Pic entzogen, hatte uns der Gefahr
entrückt, nach Europa zurückgebracht zu werden. Wohl wäre es für
Naturforscher ein großer Schmerz gewesen, die Küste von Teneriffa von
weitem gesehen zu haben, und einen von Vulkanen zerrütteten Boden nicht
betreten zu dürfen.

Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro näherte sich so viel möglich
dem Fort, um unter den Schutz desselben zu kommen. Hier auf dieser Rhede,
als zwei Jahre vor unserer Ankunft die Engländer zu landen versuchten, riß
eine Kanonenkugel Admiral Nelson den Arm ab (im Juli 1797). Der
Generalstatthalter der canarischen Inseln [Don Andrès de Perlasca.]
schickte an den Capitän der Corvette den Befehl, alsbald die
Staatsdepechen für die Statthalter der Colonien, das Geld an Bord und die
Post ans Land schaffen zu lassen. Die englischen Schiffe entfernten sich
von der Rhede; sie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd
gemacht, das wenige Tage vor uns von Corunna abgegangen war. Es hatte in
den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen müssen, und mehrere Passagiere,
die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Teneriffa fuhren, waren
gefangen worden.

Die Lage dieser Stadt hat große Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem
besuchtesten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten ist die Hitze aus
denselben Ursachen sehr groß; aber von  außen erscheint Santa Cruz
trübseliger. Auf einem öden, sandigen Strande stehen blendend weiße Häuser
mit platten Dächern und Fenstern ohne Glas vor einer schwarzen senkrechten
Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein hübscher Hafendamm aus gehauenen
Steinen und der öffentliche, mit Pappeln besetzte Spaziergang bringen die
einzige Abwechselung in das eintönige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt sich
der Pic weit weniger malerisch aus als im Hafen von Orotava. Dort ergreift
der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der
wilden Physiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananengruppen am
Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lorbeeren und Pinien ist das
vulkanische Gestein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie
sogar Völker, welche unter dem schönen Himmel von Griechenland und Italien
wohnen, im östlichen Teil von Teneriffa eine der glückseligen Inseln
gefunden zu haben meinten. Die Ostküste dagegen, an der Santa Cruz liegt,
trägt überall den Stempel der Unfruchtbarkeit. Der Gipfel des Pics ist
nicht öder als das Vorgebirge aus basaltischer Lava, das der Punta de Naga
zuläuft und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Gesteines eben erst den
Grund zu einstiger Dammerde legen. ImHaven von Orotava erscheint die
Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von 16 ½°, während auf dem
Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4° 36’ beträgt. [Der Spitze des
Vulkans ist von Orotava etwa 8600, von Santa Cruz 22,500 Toisen entfernt.]

Trotz diesem Unterschied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum
so weit über den Horizont aufsteigt, als der Vesuv, vom Molo von Neapel
aus gesehen, so ist dennoch der Anblick des Pics, wenn man ihn vor Anker
auf der Rhede zum erstenmal sieht, äußerst großartig. Wir sahen nur den
Zuckerhut; sein Kegel hob sich vom reinsten Himmelsblau ab, während
schwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 1800 Toisen [3500 m] Höhe
einhüllten. Der Bimsstein, von den ersten Sonnenstrahlen  beleuchtet, warf
ein röthliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der
Hochalpen färbt. Allmählich ging dieser Schimmer in das blendendste Weiß
über, und es ging uns wie den meisten Reisenden, wir meinten, der Pic sey
noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des
Kraters gelangen können.

Wir haben in der Cordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß
Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungurahua, sich öfter unbewölkt
zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten besetzt ist,
wie der Antisana und der Pichincha; aber der Pic von Teneriffa ist, trotz
seiner Kegelgestalt, einen großen Theil des Jahres in Dunst gehüllt, und
zuweilen sieht man ihn auf der Rhede von Santa Cruz mehrere Wochen lang
nicht ein einzigesmal. Die Erscheinung erklärt sich ohne Zweifel daraus,
daß er westwärts von einem großen Festland und ganz isoliert im Meere
liegt. Die Schiffer wissen recht gut, daß selbst die kleinsten,
niedrigsten Eilande die Wolken anziehen und festhalten. Ueberdieß erfolgt
die Wärmeabgabe über den Ebenen Afrika’s und über der Meeresfläche in
verschiedenem Verhältniß, und die Luftschichten, welche die Passatwinde
herführen, kühlen sich immer mehr ab, je weiter sie gegen Wesst gelangen.
Die Luft, die über dem hießen Wüstensand ausnehmend trochen war,
schwängert sich rasch, sobald sie mit der Meeresfläche oder mit der Luft,
die auf dieser Fläche ruht, in Berührung kommt. Man sieht also leicht,
warum die Dünste in Luftschichten sichtbar werden, die, vom Festland
weggeführt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der sie sich mit Wasser
gesättigt hatten. Zudem hält die bedeutende Masse eines frei aus dem
atlantischen Meere aufsteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind
der hohen See zutreibt.

Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaubnis von seiten des
Statthalters, ans Land gehen zu dürfen. Ich nützte die Zeit, um die Länge
des Hafendammes von Santa Cruz zu bestimmen und die Inclination der
Magnetnadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu
18° 33’ 10" an. Diese Bestimmung weicht um 3–4 Bogenminuten von derjenigen
ab, die sich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingré, Borda,
Vancouver und la Peyrouse ergibt. Guenot hatte übrigens gleichfalls
18° 33’ 36" gefunden und der unglückliche Capitän Blight 18° 34’ 30". Die
Genauigkeit meines Ergebnisses wurde drei Jahre darauf bei der Expedition
des Ritters Krusenstern bestätigt: man fand für Santa Cruz 16° 12’ 45"
westlich von Greenwich, folglich 18° 33’ 0" westlich von Paris. Diese
Angaben zeigen, daß die Längen, welche Capitän Cook für Teneriffa und das
Cap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit westlich sind. Derselbe
Seefahrer hatte im Jahr 1799 die magnetische Inclination gleich 61° 52’
gefunden. Bonpland und ich fanden 62° 24’, was mit dem Resultat
übereinstimmt, das de Rossel bei d’Entrecasteaux’s Expedition im Jahr 1791
erhielt. Die Declination der Nadel schwankt um mehrere Grade, je nachdem
man sie auf dem Hafendamm oder an verschiedenen Punkten nordwärts längs
des Gestades beobachtet. Diese Schwankungen können ein einem von
vulkanischem Gestein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit
Gay-Lussac die Beobachtung gemacht, daß am Abhang des Vesuvs und im Innern
des Kraters die Intensität der magnetischen Kraft durch die Nähe der Laven
modicirt wird.

Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um sich nach
politischen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen
geplagt hatten, stiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde sogleich zur
Corvette zurückgeschickt, weil die auf der Rhede sehr gefährliche Brandung
es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erste, was uns zu
Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebräuntes, schlecht
gekleidetes Frauenzimmer, das die *Capitana* hieß. Hinter ihr kamen einige
andere in nicht anständigerem Aufzug; sie bestürmten uns mit der Bitte, an
Bord des Pizarro gehend zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt
wurde. In diesem von Europäern so stark besuchten Hafen ist die
Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als
Anführerin gewählt, und sie hat große Gewalt über sie. Sie läßt nichts
geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht verträgt, sie
fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die
Officiere wenden sich an sie, wenn man fürchtet, daß sich einer von der
Mannschaft versteckt habe, um auszureißen.

Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiß
vor, und doch stand der Thermometer nur auf 25 Grad. Wenn man lange
Seeluft geathmet hat, fühlt man sich unbehaglich, so oft man ans Land
geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthält als die Luft am Land,
wie man irrthümlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den
Gasgemischen geschwängert ist, welche die thierischen und Pflanzenstoffe
und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwährend in den
Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse
entziehen, wirken gewaltig auf die Organe, zumal wenn sie nicht schon seit
längerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind.

Santa Cruz de Tenerifa, das Añaza der Guanchen, ist eine ziemlich hübsche
Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir ist die Menge von Mönchen und
Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Ländern unter spanischem
Zepter sehen zu müssen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch
nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der
Dominicaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die
Einwohnerschaft Abends zusammenkommt, um der Kühle zu genießen, und das
berühmte dreißig Fuß [10 m] hohe Denkmal aus carrarischen Marmor, geweiht
unserer lieben Frau von Candelaria, zum Gedächtniß ihrer wunderbaren
Erscheinung zu Chimisay bei Guimar im Jahre 1362. Der Hafen von Santa Cruz
ist eigentlich ein großes Caravanserai auf dem Wege nach Amerika und
Indien. Fast alle Reisebeschreibungen beginnen mit einer Beschreibung von
Madeira und Teneriffa, und wenn die Naturgeschichte dieser Inseln der
Forschung noch ein ungeheures Feld bietet, so läßt dagegen die Topographie
der kleinen Städte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava fast nichts zu
wünschen übrig.

Die Empfehlungen des Madrider Hofes verschafften uns auf den Canarien, wie
in allen anderen spanischen Besitzungen, die befriedigendste Aufnahme. Vor
allem ertheilte uns der Generalcapitän die Erlaubniß, die Insel zu
bereisen. Der Oberst Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregimentes,
nahm uns in seinem Hause auf und überhäufte uns mit Höflichkeit. Wir
wurden nicht müde, in seinem Garten im Freien gezogene Gewächse zu
bewundern, die wir bis jetzt nur in Treibhäusern gesehen hatten, den
Bananenbaum, den Melonenbaum, die _Poinciana pulcherrima_ und andere. Das
Klima der Canarien ist indessen nicht warm genug, um den ächten _Platano
arton_ mit dreieckiger, sieben bis acht Zoll langer Frucht, der eine
mittlere Temperatur von etwa 24 Graden verlangt und selbst nicht im Thale
von Caracas fortkommt, reif werden zu lassen. Die Bananen auf Teneriffa
sind die, welche die spanischen Colonisten *Camburis* oder *Guineos* und
*Dominicos* nennen. Der Camburi, der am wenigsten vom Frost leidet, wird
sogar in Malaga mit Erfolg gebaut [Die mittlere Temperatur dieser Stadt
beträgt nur 18°.]; aber die Früchte, die man zuweilen zu Cadix sieht,
kommen von den Canarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier
Tagen machen. Die Musa, die allen Völkern der heißen Zone bekannt ist, und
die man bis jetzt nirgends wild gefunden hat, variiert meist in ihren
Früchten, wie unsere Apfel- und Birnenbäume. Diese Varietäten, welche die
meisten Botaniker verwechseln, obgleich sie sehr verschiedene Klimate
verlangen, sind durch lange Cultur constant geworden.

Am Abend machten wir eine botanische Excursion nach dem Fort Passo Alto
längs der Basaltfelsen, welche das Vorgebirge Naga bilden. Wir waren mit
unserer Ausbeute sehr schlecht zufrieben, denn die Trockenheit und der
Staub hatten die Vegetation so ziemlich vernichtet. _Cacalia Kleinia_,
_Euphorbia canariensis_ und sehr verschiedene andere Fettpflanzen, welche
ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem sie
wachsen, mahnten uns durch ihren Habitus daran, daß diese Inseln Afrika
angehören, und zwar dem dürrsten Striche dieses Festlandes.

Der Capitän der Corvette hatte zwar den Befehl, so lange zu verweilen, daß
wir die Spitze des Pics besteigen könnten, wenn anders der Schnee es
gestattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der
englischen Schiffe dürften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fünf
Tagen rechnen. Wir eilten demnach, in den Hafen von Orotava zu kommen, der
am Westabhang des Vulkans liegt, und wo wir Führer zu finden sollten. In
Santa Cruz konnte ich Niemanden auffinden, der den Pic bestiegen gehabt
hätte, und ich wunderte mich nicht darüber. Die merkwürdigsten Dinge haben
desto weniger Reiz für uns, je näher sie uns sind, und ich kannte
Schaffhauser, welche den Rheinfall niemals in der Nähe gesehen hatten.

Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la
Laguna, die 350 Toisen [682 m] über dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir
konnten diese Höhenangabe nicht verificiren, denn wegen der Brandung
hatten in der Nacht nicht an Bord gehen können, um Barometer und
Inclinationscompaß zu holen. Da wir voraussahen, daß wir bei unserer
Besteigung des Pic sehr würden eilen müssen, so war es uns ganz lieb, daß
die Instrumente, die uns in unbekannteren Ländern dienen sollten, hier
keiner Gefahr aussetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf läuft an der
rechten Seite eines Baches oder *Barranco* hin, der in der Regenzeit
schöne Fälle bildet; er ist schmal und vielfach gewunden. Nach meiner
Rückkehr habe ich gehört, Herr von Perlasca habe hier eine neue Straße
anlegen lassen, auf der Wagen fahren können. Bei der Stadt begegneten uns
weiße Kameele, die sehr leicht beladen schienen. Diese Thiere werden
vorzugsweise dazu gebraucht, die Waaren von der Douane in die Magazine der
Kaufleute zu schaffen. Man ladet ihnen gewöhnlich zwei Kisten Havanazucker
auf, die zusammen 900 Pfund wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13
Zentner oder 52 castilische Arrobas steigern. Auf Teneriffa sind die
Kameele nicht sehr häufig, während ihrer auf Lanzerota und Fortaventura
viele Tausende sind. Diese Inseln liegen Afrika näher und kommen daher
auch in Klima und Vegetation mehr mit diesem Continent überein. Es ist
sehr auffallend, daß dieses nützliche Thier, das sich in Südamerika
fortpflanzt, dies auf Teneriffa fast nie thut. Nur im fruchtbaren Distrikt
von Adexe, wo die bedeutendsten Zuckerrohrpflanzungen sind, hat man die
Kameele zuweilen Junge werfen sehen. Diese Lastthiere, wie die Pferde,
sind im fünfzehnten Jahrhundert durch die normännischen Eroberer auf den
Canarien eingeführt worden. Die Guanchen kannten sie nicht, und dies
erklärt sich wohl leicht daraus, daß ein so gewaltiges Thier schwer auf
schwachen Fahrzeugen zu transportiren ist, ohne daß man die Guanchen als
die Ueberreste der Bevölkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben
braucht, sie gehören einer anderen Rasse an als die Westafrikaner.

Der Hügel, auf dem die Stadt San Christobal de la Laguna liegt, gehört dem
System von Basaltgebirgen an, die, unabhängig vom System neuerer
vulkanischer Gebirgsarten, einen weiten Gürtel um den Pic von Teneriffa
bilden. Der Basalt von Laguna ist nicht säulenförmig, sondern zeigt nicht
sehr dicke Schichten, die nach Ost unter einem Winkel von 30 – 40 Grad
fallen. Nirgends hat er das Ansehen eines Lavastroms, der an den Abhängen
der Pics ausgebrochen wäre. Hat der gegenwärtige Vulkan diese Basalte
hervorgebracht, so muß man annehmen, wie bei den Gesteinen, aus denen die
Somma neben dem Vesuv besteht, daß sie in Folge eines unterseeischen
Ausbruchs gebildet sind, wobei die weiche Masse wirklich geschichtet
wurde. Außer  einigen baumartigen Euphorbien, _Cacalia Kleinia_ und
Fackeldisteln (Cactus), welche auf den Canarien, wie im südlichen Europa
und auf dem afrikanischen Festland verwildert sind, wächst nichts auf
diesem dürren Gestein. Unsere Maulthiere glitten jeden Augenblick auf
stark geneigten Steinlagern aus. Indessen sahen wir die Ueberreste eines
alten Pflasters. Bei jedem Schritt stößt man in den Colonien auf Spuren
der Thatkraft, welche die spanische Nation im sechzehnten Jahrhundert
entwickelt hat.

Je näher wir Laguna kamen, desto kühler wurde die Luft, und dies thut um
so wohler, da es in Santa Cruz zum Ersticken heiß ist. Da widrige
Eindrücke unsere Organe stärker angreifen, so ist der Temperaturwechsel
auf dem Rückweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man
nähere sich der Mündung eines Schmelzofens. Man hat dieselbe Empfindung,
wenn man an der Küste von Caracas vom Berg Avila zum Hafen von Guayra
niedersteigt. Nach dem Gesetz der Wärmeabnahme machen in dieser Breite 350
Toisen Höhe nur drei bis vier Grad Temperaturunterschied. Die Hitze,
welche dem Reisenden so lästig wird, wenn er Santa Cruz de Teneriffa oder
Guayra betritt, ist daher wohl dem Rückprallen der Wärme von den Felsen
zuzuschreiben, an welche beide Städte sich lehnen.

Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrscht, macht die Stadt für die
Canarier zu einem köstlichen Aufenthaltsort. Auf einer kleinen Ebene,
umgeben von Gärten, am Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und
Erdbeerbäume krönen, ist die Hauptstadt von Teneriffa wirklich ungemein
freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meheren
Reiseberichten glauben sollte, an einem See. Das Regenwasser bildet hier
periodisch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der überall in der Natur
vielmehr einen früheren Zustand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge
hat, zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes ausgetrockenetes
Becken ist. Laguna ist in seinem Wohlstand herabgekommen, seit die
Seitenausbrüche des Vulkans den Hafen von Garachico zerstört haben und
Santa Cruz der Haupthandelsplatz der Inseln geworden ist; es zählt nur
noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in sechs Klöstern. Manche
Reisende behaupten, die Hälfte  der Bevölkerung bestehe aus Kuttenträgern.
Die Stadt ist mit zahlreichen Windmühlen umgeben, ein Wahrzeichen des
Getreidebaus in diesem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieser
Gelegenheit, daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das
Korn hieß auf Teneriffa _tano_, auf Lanzerota _triffa_; die Gerste hieß
auf Canaria _aramotanoque_, auf Lanzerota _tamosen_. Geröstetes
Gerstenmehl _(gofio)_ und Ziegenmilch waren die vornehmsten Nahrungsmittel
dieses Volkes, über dessen Ursprung so viele systematische Träumereien
ausgeheckt worden sind. Diese Nahrung weist bestimmt darauf hin, daß die
Guanchen zu den Völkern der alten Welt gehörten, wohl selbst zur
caucasischen Race, und nicht, wie die andern Atlanten [Ich lasse mich hier
auf keine Verhandlung über die Existenz der Atlantis ein und erwähne nur,
daß nach Diodor von Sicilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten,
weil sie von der übrigen Menschheit getrennt worden, bevor überhaupt
Getreide gebaut wurde.], zu den Volksstämmen der neuen Welt; die letzteren
kannten vor der Ankunft der Europäer weder Getreide, noch Milch, noch
Käse.

Eine Menge Capellen, von den Spaniern _ermitas_ genannt, liegen um die
Stadt Laguna. Umgeben von immergrünen Bäumen auf kleinen Anhöhen, erhöhen
diese Capellen, wie überall den malerischen Reiz der Landschaft. Das
Innere der Stadt entspricht dem Aeußern durchaus nicht. Die Häuser sind
solid gebaut, aber sehr alt und die Straßen öde. Der Botaniker hat
übrigens nicht zudauern, daß die Häuser so alt sind. Dächer und Mauern
sind bedeckt mit _Sempervivum canariense_ und dem zierlichen
_Trichomanes_, dessen alle Reisende gedenken; die häufigen Nebel geben
diesen Gewächsen Unterhalt.

Anderson, der Naturforscher bei Capitän Cooks dritter Reise, gibt den
europäischen Aerzten den Rath, ihre Kranken nach Teneriffa zu schicken,
keineswegs auf der Rücksicht, welche manche Heilkünstler die entlegendsten
Bäder wählen läßt, sondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmäßigkeit
des Klimas der Canarien. Der Boden der Inseln steigt amphitheatralisch auf
und zeigt, gleich Peru und Mexico, wenn auch in kleinerem Maaßstab, alle
Klimate, von afrikanischer Hitze bis zum Froste der Hochalpen. Santa Cruz,
der Hafen von Orotava, die Stadt desselben Namens und Laguna sind vier
Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe darstellen. Das
südliche Europa bietet nicht dieselben Vortheile, weil der Wechsel der
Jahreszeiten sich noch zu stark fühlbar macht. Teneriffa dagegen,
gleichsam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereisen von
Spanien, hat schon ein gut Theil der Herrlichkeit aufzuweisen, mit der die
Natur die Länder zwischen den Wendekreisen ausgestattet. Im Pflanzenreich
treten bereits mehrere der schönsten und großartigsten Gestalten auf, die
Bananen und die Palmen. Wer Sinn für Naturschönheit hat, findet auf dieser
köstlichen Insel noch kräftigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der
Welt scheint mir geeigneter, die Schwermuth zu bannen und einen
schmerzlich ergriffenen Gemüthe den Frieden wiederzugeben, als Teneriffa
und Madeia. Und solches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die
reine Luft, sondern vor allem das Nichtvorhandensein der Sklaverei, deren
Anblick einen in beiden Indien so tief empört, wie überall, wohin
europäische Colonisten ihre sogenannte Aufklärung und ihre Industrie
getragen haben.

Im Winter ist das Klima von Laguna sehr nebligt und die Einwohner beklagen
sich häufig über Frost. Man hin indessen nie schneien sehen, woraus man
schließen sollte, daß die mittlere Temperatur der Stadt über 18°,7
(15° R.) beträgt, das heißt mehr als in Neapel. Für streng kann dieser
Schluß nicht gelten; denn im Winter hängt die Erkältung der Wolken weniger
von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der
augenblicklichen Erniedrigung der Wärme, der ein Ort vermöge seiner
besondern Lage ausgesetzt ist. Die mittlere Temperatur der Hauptstadt von
Mexico ist z. B. nur 16°,8 (13°,5 R.), und doch hat man in hundert Jahren
nur ein einziges mal schneien sehen, während es im südlichen Europa und in
Afrika noch an Orten schneit, die über 19 Grad mittlere Temperatur haben.

Wegen der Nähe des Meeres ist das Klima von Laguna im Winter milder, als
es nach der Meereshöhe seyn sollte. Herr Broussonet hat sogar, wie ich mit
Verwunderung hörte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava,
Brotfruchtbäume _(Artocarpus incisa)_ und Zimmtbäume _(Laurus cinnamomum)_
angepflanzt. Diese köstlichen Gewächse der Südsee und Ostindiens wurden
hier einheimisch, wie auch in Orotava. Sollte dieser Versuch nicht
beweisen, daß der Brotfruchtbaum in Calabrien, auf Sicilien und in Grenada
fortkäme? Der Anbau des Kaffeebaumes ist in Laguna nicht in gleichem Maaße
gelungen, wenn auch die Früchte bei Tegueste und zwischen dem Hafen von
Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrscheinlich
sind örtliche Verhältnisse, vielleicht die Beschaffenheit des Bodens und
die Winde, die in der Blüthezeit wehen, daran Schuld. In andern Ländern,
z. B. bei Neapel, trägt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Früchte,
obgleich die mittlere Temperatur kaum über 18 Grad der hunderttheiligen
Scale beträgt.

Auf Teneriffa ist die mittlere Höhe, in der jährlich Schnee fällt, noch
niemals bestimmt worden. Solches ist mittelst barometrischer Messung
leicht auszuführen, es ist aber bis jetzt fast in allen Erdstrichen
versäumt worden; und doch ist diese Bestimmung von großem Belang für den
Ackerbau in den Colonien und für die Meteorologie, und ganz so wichtig als
das Höhenmaaß der untern Grenze des ewigen Schnees. Ich stelle die
Ergebnisse meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Uebersicht
zusammen.

Diese Tafel gibt nur das Durchschnittsverhältniß, das heißt die
Erscheinungen, wie sie sich im ganzen Jahre zeigen. Besondere Lokalitäten
können Ausnahmen herbeiführen. So schneit es zuweilen, wenn auch sehr
selten, in Neapel, Lissabon, sogar in Malaga, also noch unter dem 37. Grad
der Breite, und wie schon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko
fallen sehen, die 1173 Toisen [2286 m] über dem Meere liegt. Dies war seit
mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereigniß trat gerade am
Tage ein, da die Jesuiten vertrieben wurden, und wurde vom Volke natürlich
dieser Gewaltmaaßregel zugeschrieben. Noch ein auffallenderes Beispiel
bietet das Klima von Valladolid, der Hauptstadt der Provinz Mechoacan.
Nach meinen Messungen liegt diese Stadt unter 19° 41’ der Breite nur
tausend Toisen hoch; dennoch waren daselbst wenige Jahre vor meiner
Ankunft in Neuspanien die Straßen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt.

Auch auf Teneriffa hat man an einem Orte über Esperanza de la Laguna,
dicht bei der Stadt dieses Namens, in deren Gärten Brotbäume wachsen,
schneien sehen. Dieser außerordentliche Fall wurde Broussonet von sehr
alten Leuten erzählt. Die _Erica arborea_, die _Mirica Faya_ und _Arbutus
callycarpa_ litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im
Freien waren, kamen dadurch um. Diese Beobachtung ist für die
Pflanzenphysiologie von Wichtigkeit. In heißen Ländern sind die Gewächse
so kräftig, daß ihnen der Frost weniger schadet, wenn er nur nicht lange
anhält. Ich habe auf der Insel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut
gesehen, wo der hunderttheilige Thermometer auf 7 Grad, ja zuweilen fast
auf den Gefrierpunkt fällt. In Italien und Spanien gehen Orangen- und
Dattelbäume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat.
Im Allgemeinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, daß
Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und somit auch für
ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich sind, als
solche, die in einem Erdreich wachsen, daß ihnen nur wenig Nahrungssäfte
bietet(10)

Zwischen der Stadt Laguna, und dem Hafen von Orotava und der Westküste von
Teneriffa kommt man zuerst durch ein hügligtes Land mit schwarzer
thonigter Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkrystalle
findet. Wahrscheinlich reißt das Wasser diese Krystalle vom anstehenden
Gestein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige
Flötzschichten den Boden der geologischen Untersuchung. Nur in einigen
Schluchten kommen säulenförmige, etwas gebogene Basalte zu Tag, und
darüber sehr neue, den vulkanischen Tuffen ähnliche Mengsteine. In
denselben sind Bruchstücke des unterliegenden Basalts eingeschlossen, und
wie versichert wird, finden sich Versteinerungen von Seethieren darin;
ganz dasselbe kommt im Vicentinischen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Tal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land,
von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe
im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist,
reicher in der Entwicklung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer
des Orinoko, die Cordilleren in Peru und die schönen Thäler von Mexiko
durchwandert, muß ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so
anziehendes, durch die Vertheilung von Grün und Felsmassen so harmonisches
Gemälde vor mir gehabt zu haben.

Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Cocosnußbäume; weiter oben
stechen Bananengebüsche von Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig
mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben bepflanzt,
die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüthen bedeckte Orangenbäume,
Myrten und Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf
freistehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstücke durch
Hecken von Agave und Cactus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische
Gewächse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren
Wasserquellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit
Eis und Schnee bedeckt ist, genießt man in diesem Landstrich eines ewigen
Frühlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme
Kühlung. Die Bevölkerung der Küste ist hier sehr stark; sie erscheint noch
größer, weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der
Landschaft noch erhöht. Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit
ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältniß. Die das Land
bauen, sind meist nicht Eigenthümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit
gehört dem Adel, und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa unglücklich
gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Canarien zu keiner Blüthe
gelangen.

Von Tegueste und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, berühmt
durch seinen trefflichen Malvasier, ist die Küste wie ein Garten angebaut.
Ich möchte sie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur
ist die Westseite von Teneriffa unendlich schöner wegen der Nähe des Pics,
der bei jedem Schritt wieder eine andere Ansicht bietet. Der Anblick
dieses Berges ist nicht allein wegen seiner imposanten Masse anziehend; er
beschäftigt lebhaft des Geist und läßt uns den geheimnisvollen Quellen der
vulkanischen Kräfte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein
Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure
Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die
fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöschenden Feuers. Der Anblick eines
Feuerschlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat
indessen etwas Niederschlagendes. Die Geschichte des Erdballes lehrt uns,
daß die Vulkane wieder zerstören, was sie in einer langen Reihe von
Jahrhunderten aufgebaut. Inseln, welche die unterirdischen Feuer über die
Fluthen emporgehoben, schmücken sich allmählich mit reichem, lachenden
Grün; aber gar oft werden diese neuen Länder durch dieselben Kräfte
zerstört, durch die sie vom Boden des Ozeans über seine Fläche gelangt
sind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts sind als Schlacken- und
Aschenhaufen, einst so fruchtbar als die Gelände von Tacoronte und Sauzal.
Wohl den Ländern, wo der Mensch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht
mißtrauen darf!

Auf unserem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die hübschen Dörfer
Matanza und Victoria. Diese beiden Namen findet man in allen spanischen
Colonien neben einander; sie machen einen widrigen Eindruck in einem
Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. *Matanza* bedeutet Schlachtbank,
Blutbad, und schon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft
worden. In der neuen Welt weist er gewöhnlich auf eine Niederlage der
Eingeborenen hin; auf Teneriffa bezeichnet Matanza den Ort, wo die Spanier
von denselben Guanchen geschlagen wurden, die man bald auf den spanischen
Märkten als Sklaven verkaufte.

Ehe wir nach Orotava kamen, besuchten wir den botanischen Garten nicht
weit vom Hafen. Wir trafen da den französischen Viceconsul Legros, der oft
auf der Spitze des Pic gewesen war und an dem wir einen vortrefflichen
Führer fanden. Er hatte mit Capitän Baudin eine Fahrt nach Antillen
gemacht, durch die der Pariser Pflanzengarten ansehnlich bereichert worden
ist. Ein furchtbarer Sturm, den Ledru in seiner Reise nach Portorico
beschreibt, zwang das Fahrzeug bei Teneriffa anzulegen, und das herrliche
Klima der Insel brachte Legros zu dem Enschluß, sich hier niederzulassen.
Ihm verdankt die gelehrte Welt Europa’s die ersten genauen Nachrichten
über den großen Seitenausbruch des Pics, den man sehr uneigentlich den
Ausbruch des Vulkans von Chahorra nennt. [Am 8. Juni 1798.]

Die Anlage eines botanischen Gartens auf Teneriffa ist ein sehr
glücklicher Gedanke, da derselbe sowohl für die wissenschaftliche Botanik
als für die Einführung nützlicher Gewächse in Europa sehr förderlich
werden kann. Die erste Idee eines solchen verdankt man dem Marquis von
Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Mann, der Poivre an die
Seite gestellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu fördern, von
seinem Vermögen den edelsten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Kosten
ließ er den Hügel von Durasno, der amphitheatralisch aufsteigt, abheben,
und im Jahr 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der
Ansicht, daß die Canarien, vermöge des midlen Klimas und der
geographischen Lage, der geeignetste Punkt seyen, um die Naturprodukte
beider Indien zu acclimatisiren, um die Gewächse aufzunehmen, die sich
allmählich an die niedrigere Temperatur des südlichen Europa gewöhnen
sollen. Asiatisch, afrikanische, südamerikanische Pflanzen gelangen leicht
in den Garten bei Orotava, um den Chinabaum [Ich meine die Chinaarten, die
in Peru und im Königreich Neu-Grenada auf dem Rücken der Cordilleren,
zwischen 1000 und 1500 Toisen Meereshöhe an Orten wachsen, wo der
Thermometer bei Tag zwischen 9 und 10 Grad, bei Nacht zwischen 3 und 4
Grad steht. Die orangegelbe Quinquina _(Cinchona lancifolia)_ ist weit
weniger empfindlich als die rothe _(C. oblongifolia)_] in Sicilien,
Portugal oder Grenada einzuführen, müßte man ihn zuerst in Durasno oder
Laguna anbauen und dann erst die Schößlinge der canarischen China nach
Europa verpflanzen. In besseren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr
in Fesseln schlägt, kann der Garten in Teneriffa auch für die starken
Pflanzensendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Diese
Gewächse gehen häufig, ehe sie unsere Küsten erreichen, zu Grunde, weil
sie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salzwasser geschwängerte Luft
athmen müssen. Im Garten von Orotava fänden sie eine Pflege und ein Klima,
wobei sie sich erholen könnten. Da die Unterhaltung des botanischen
Gartens von Jahr zu Jahr kostspieliger wurde, trat der Marquis denselben
der Regierung ab. Wir fanden daselbst einen geschickten Gärtner, einen
Schüler Aitons, des Vorstehers des königlichen Gartens zu Kew. Der Boden
steigt in Terrassen auf und wird von einer natürlichen Quelle bewässert.
Man hat die Aussicht auf die Insel Palma, die wie ein Castell aus dem
Meere emporsteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier: man hatte,
wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgesteckt, mit auf Gerathewohl aus
Linnés _systema vegetabilium_ genommen schienen. Diese Anordnung der
Gewächse nach den Classen des Sexualsystems, die man leider auch in
manchen europäischen Gärten findet, ist dem Anbau sehr hinderlich. In
Durasno wachsen Proteen, der Gojavabaum, der Jambusenbaum, die Chirimoya
aus Peru, [_Annona Cherimolia_ Lamarck.] Mimosen und Heliconien im Freien.
Wir pflückten reife Samen von mehreren schönen Glycinearten aus
Neuholland, welche der Gouverneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg
angepflanzt hat und die seitdem auf den südamerikanischen Küsten wild
geworden sind.

Wir kamen sehr spät in den Hafen von Orotava, [_Puerto de la Cruz_. Der
einzige schöne Hafen der Canarien ist der von San Sebastiano auf der Insel
Gomera.] wenn man anders diesen Namen einer Rhede geben kann, auf der die
Fahrzeuge unter Segel gehen müssen, wenn der Wind stark aus Nordwest
bläst. Man kann nicht von Orotova sprechen, ohne die Freunde der
Wissenschaft an Cologan zu erinnern, dessen Haus von jeher den Reisenden
aller Nationen offen stand. Mehrere Glieder dieser achtungswerthen Familie
sind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan ist bei
gründlichen, mannigfaltigen Kenntnissen der feurigste Patriot. Man ist
freudig überrascht, auf einer Inselgruppe an der Küste von Afrika der
liebenswürdigen Geselligkeit, der edlen Wißbegierde, dem Kunstsinn zu
begegnen, die man ausschließlich in einem kleinen Theile von Europa zu
Hause glaubt.

Gerne hätten wir einige Zeit in Cologans Hause verweilt und mit ihm in der
Umgegend von Orotava die herrlichen Punkte San Juan de la Rambla und
Rialexo de Abaxo besucht. Aber auf einer Reise wie die, welche ich
angetreten, kommt man selten dazu, der Gegenwart zu genießen. Die quälende
Besorgniß, nicht ausführen zu können, was man den andern Tag vorhat,
erhält einen in beständiger Unruhe. Leidenschaftliche Natur- und
Kunstfreunde sind auf der Reise durch die Schweiz oder Italien in ganz
ähnlicher Gemüthsverfassung; da sie die Gegenstände, die Interesse für sie
haben, immer nur zum kleinsten Theil sehen können, so wird ihnen der Genuß
durch die Opfer verbitternt, die sie auf jedem Schritt zu bringen haben.

Bereits am 21. Morgens waren wir auf dem Weg nach dem Gipfel des Vulkans.
Legros, dessen zuvorkommende Gefälligkeit wir nicht genug loben können,
der Secretär des französischen Consulats zu Santa Cruz und der englische
Gärtner von Durasno teilten mit uns die Beschwerden der Reise. Der Tag war
nicht sehr schön, und der Gipfel des Pic, den man in Orotava fast immer
sieht, von Sonnenaufgang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehüllt. Ein
einziger Weg führt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginsterebene
und das Malpays, derselbe, den Pater Feullée, Borda, Labillardière, Barrow
eingeschlagen, und überhaupt alle Reisenden, die sich nur kurze Zeit in
Teneriffa aufhalten konnten. Wenn man den Pic besteigt, ist es gerade, wie
wenn man das Chamounithal oder den Aetna besucht: man muß seinen Führern
nachgehen und man bekommt nur zu sehen, was schon andere Reisende gesehen
und beschrieben haben.

Der Contrast zwischen der Vegetation in diesem Striche von Teneriffa und
der in der Umgegend von Santa Cruz überraschte uns angenehm. Beim kühlen,
feuchten Klima war der Boden mit schönem Grün bedeckt, während auf dem Weg
von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Hülsen hatten, aus
denen bereits der Samen ausgefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der
kräftige Pflanzenwuchs den geologischen Beobachtungen hinderlich. Wir
kamen an zwei kleinen glockenförmigen Hügeln vorüber. Beobachtungen am
Vesuv und in der Auvergne weisen darauf hin, daß dergleichen runde
Erhöhungen von Seitenausbrüchen des großen Vulkans herrühren. Der Hügel
Montannitta de la Villa scheint wirklich einmal Lava ausgeworfen zu haben;
nach den Ueberlieferungen der Guanchen fand dieser Ausbruch im Jahr 1430
statt. Der Obest Franqui versicherte Borda, man sehe noch deutlich, wo die
geschmolzenen Stoffe hervorquollen, und die Asche, die den Boden ringsum
bedecke, sey noch nicht fruchtbar. [Ich entnehme diese Notiz einer
interessanten Handschrift, die jetzt in Paris im _Dépôt des cartes de la
Marine_ aufgewahrt wird. Sie führt den Titel. _Résumé des opérations
géographiques des côtes d´Espagne et de Portugal sur l´Océan, d´une partie
des côtes occidentales de l´Afrique et des îles Canaries, par le chevalier
de Borda._ Es ist dies die Handschrift, von der de Fleurien in seinen
Noten zu Marchands Reise spricht und die mir Borda zum Theil schon vor
meiner Abreise mitgetheilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht
veröffentlichte Beobachtungen daraus ausgezogen.] Ueberall, wo das Gestein
zu Tag ausgeht, fanden wir basaltartigen Mandelstein (Werner) und
Bimssteinconglomerat, in dem Rapilli oder Bruchstücke von Bimsstein
eingeschlosen sind. Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von
Pausilipp und mit den Puzzolanschichten, die ich im Thal von Quito, am
Fuße des Vulkans Pichincha, gefunden habe. Der Mandelstein hat
langgezogene Poren, wie die obern Lavaschichten des Vesuv. Es scheint dieß
darauf hinzudeuten, daß eine elastische Flüssigkeit durch die geschmolzene
Materie durchgegangen ist. Trotz diesen Uebereinstimmungen muß ich noch
einmal bemerken, daß ich in der ganzen unteren Region des Pics von
Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavastrom, überhaupt keinen
vulkanischen Ausbruch gesehen habe, der scharf begrenzt wäre. Regengüsse
und Ueberschwemmungen wandeln die Erdoberfläche um, und wenn zahlreiche
Lavaströme sich vereinigen und über eine Ebene ergießen, wie ich es am
Vesuv im _Atrio dei Cavalli_ gesehen, so verschmelzen sie in einander und
nehmen das Ansehen wirklich geschichteter Bildungen an.

Villa de Orotava macht schon von weitem einen guten Eindruck durch die
Fülle der Gewässer, die auf den Ort zueilen und durch die Hauptstraßen
fließen. Die Quelle _Aqua mansa_, in zwei große Becken gefaßt, treibt
mehrere Mühlen und wird dann in die Weingärten des anliegenden Geländes
geleitet. Das Klima in der *Villa* ist noch kühler als am Hafen, da dort
von morgens zehn Uhr ein starker Wind weht. Das Wasser, das sich bei
höherer Temperatur in der Luft aufgelöst hat, schlägt sich häufig nieder,
und dadurch wird das Klima sehr nebligt. Die Villa liegt etwa 160 Toisen
(312 Meter) über dem Meer, also zweihundert Toisen niedriger als Laguna;
man bemerkt auch, daß dieselben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat
später blühen.

Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am steilen Abhang eines
Hügels; die Straßen schienen uns öde, die Häuser, solid gebaut, aber
trübselig anzusehen, gehören fast durch einem Adel, der für sehr stolz
gilt und sich selbst anspruchsvoll als _dozo casas_ bezeichnet. Wir kamen
an einer sehr hohen, mit einer Menge schöner Farn bewachsenen
Wasserleitung vorüber. Wir besuchten mehrere Gärten, in denen die
Obstbäume des nördlichen Europas neben Orangen, Granatbäumen und
Dattelpalmen stehen. Man versicherte uns, letztere tragen hier so wenig
Früchte als in Terra Firma an der Küste von Cumana. Obgleich wir den
Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiseberichten kannten, so setzte
uns seine ungeheure Dicke dennoch in Erstaunen. Man behauptet, der Stamm
dieses Baumes, der in mehreren sehr alten Urkunden erwähnt wird, weil er
als Grenzmarke eines Feldes diente, sey schon im fünfzehnten Jahrhundert
so ungeheuer dick gewesen wie jetzt. Seine Höhe schätzten wir auf 50 bis
60 Fuß [16 bis 19,5 m]; sein Umfang nahe über den Wurzeln beträgt 45 Fuß
[14,6 m]. Weiter oben konnten wir nicht messen, aber Sir Georg Staunton
hat gefunden, daß zehn Fuß [3,25 m] über dem Boden der Stamm noch zwölf
englische Fuß [3,90 m] im Durchmesser hat, was gut mit Bordas Angabe
übereinstimmt, der den mittleren Umfang zu 33 Fuß 8 Zoll [10,93 m] angibt.
Der Stamm theilt sich in viele Aeste, die kronleuchterartig aufwärts ragen
und an den Spitzen Blätterbüschel tragen, ähnlich der Yucca im Tale von
Mexiko. Durch diese Theilung in Aeste unterscheidet sich sein Habitus
wesentlich von der der Palmen.

Unter den organischen Bildungen ist dieser Baum, neben der Adansonie oder
Baobab in Senegal, ohne Zweifel einer der ältesten Bewohner unseres
Erdballs. Die Baobabs werden indessen noch dickder als der Drachenbaum von
Villa d´Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 34 Fuß Durchmesser
haben, wobei sie nicht höher sind als 50 bis 60 Fuß(11). Man muß aber
bedenken, daß die Adansonia, wie die Ochroma und alle Gewächse aus der
Familie der Bombaceen, viel schneller wächst(12) als der Drachenbaum, der
sehr langsam zunimmt. Der in Herrn Franqui’s Garten trägt noch jedes Jahr
Blüten und Früchte. Sein Anblick mahnt lebhaft an »die ewige Jugend der
Natur« [_Aristoteles de longit. vitae. cap. 6._], die eine unerschöpfliche
Quelle von Bewegung und Leben ist.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Canarien, auf
Madera und Porto Santo vorkommt, ist eine merkwürdige Erscheinung in
Beziehung auf die Wanderung der Gewächse. Auf dem Kontinent und Afrika(13)
ist er nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigentliches
Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach Teneriffa verpflanzt worden,
wo er gar nicht häufig vorkommt? Ist sein Daseyn ein Beweis dafür, daß in
sehr entlegener Zeit die Guanchen mit andern, mit asiatischen Völkern in
Verkehr gestanden haben?

Von Villa da Orotava gelangten wir auf einem schmalen steinigen Pfad durch
einen schönen Kastanienwald _(el Monte de Castaños)_ in eine Gegend, die
mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachsen ist. Der
Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüthen, mit denen
der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt ist, stechen angenehm ab
von den Blüthen des _Hypericum canariense_, das in dieser Höhe sehr häufig
vorkommt. Wir machten unter einer schönen Tanne halt, um uns mit Wasser zu
versehen. Dieser Platz ist im Lande unter dem Namen _Pino del Dornajito_
bekannt; seine Meereshöhe beträgt nach Borda´s barometrischer Messung 522
Toisen [1017 m]. Man hat da eine prachtvolle Aussicht auf das Meer und die
ganze Westseite der Insel. Beim _Pino del Dornajito_, etwas rechts vom Weg
sprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer hinein,
es fiel auf 15°,4.  Hundert Toisen davon ist eine andere eben so klare
Quelle. Nimmt man an, daß diese Gewässer ungefähr die mittlere Wärme des
Orts, wo sie zu Tage kommen, anzeigen, so findet man als absolute Höhe des
Platzes 520 Toisen, die mittlere Temperatur der Küste zu 21° und unter
dieser Zone eine Abnahme der Wärme um einen Grad auf 93 Toisen angenommen.
Man dürfte sich nicht wundern, wenn diese Quelle etwas unter der mittleren
Lufttemperatur bliebe, weil sich sich wahrscheinlich weiter oben am Pic
bildet, und vielleicht sogar mit den kleinen unterirdischen Gletschern
zusammenhängt, von denen weiterhin die Rede seyn wird. Die eben erwähnte
Uebereinstimmung der barometrischen und der thermometrischen Messung ist
desto auffallender, als im Allgemeinen, wie ich anderwärts ausgeführt, [So
hat Hunter in den blauen Bergen auf Jamaica die Quellen immer kälter
gefunden, als sie nach der Höhe, in der sie zu Tage kommen, seyn sollten.]
in Gebirgsländern mit steilen Hängen die Quellen eine zu rasche
Wärmeabnahme anzeigen, weil sie kleine Wasseradern aufnehmen, die in
verschiedenen Höhen in den Boden gelangen, und somit ihre Temperatur das
Mittel aus dem Temperaturen dieser Adern ist. Die Quellen des Dornajito
sind im Lande berühmt; als ich dort war, kannte man auf dem Weg zum Gipfel
des Vulkans keine andere. Quellenbildung setzt eine gewisse Regelmäßigkeit
im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkanischem Boden
verschluckt das löcherige, zerklüftete Gestein das Regenwasser und läßt es
in große Tiefen versinken. Deshalb sind die Canarien größtentheils so
dürr, trotzdem daß ihre Berge so ansehnlich sind und der Schiffer
fortwährend gewaltige Wolkenmassen über dem Archipel gelagert sieht.

Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht sich der Weg bergan, aber
durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten _(Barancos)_
verdienen diesen Namen nicht. Geologisch betrachtet, ist die ganze Insel
Teneriffa nichts als ein Berg, dessen fast eiförmige Grundfläche sich
gegen Nordost verlängert, und der mehrere Systeme vulkanischer, zu
verschiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweisen hat. Was man im
Lande für besondere Vulkane ansieht, wie der *Chahorra* oder *Montaña
Colorada* und die *Urca*, das sind nur Hügel, die sich an den Pic anlehnen
und seine Pyramide maskiren. Der große Vulkan, dessen Seitenausbrüche
mächtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indessen nicht genau in der
Mitte der Insel, und diese Eigenthümlichkeit im Bau erscheint weniger
auffallend, wenn man sich erinnert, daß nach der Ansicht eines
ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater
im Piton die Hauptrolle bei den Umwälzungen der Insel Teneriffa gespielt
hat. Auf die Region der baumartigen Heiden, *Monte Verde* genannt, folgt
die der Farn. Nirgends in der gemäßigten Zone habe ich _Pteris_,
_Blechnum_ und _Asplenium_ in solcher Menge gesehen; indessen hat keines
dieser Gewächse den Wuchs der Baumfarn, die in Südamerika, in fünf,
sechshundert Toisen Höhe, ein Hauptschmuck der Wälder sind. Die Wurzel der
_Pteris aquilina_ dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung;
sie zerreiben sie zu Pulver und mischen ein wenig Gerstenmehl darunter.
Dieses Gemisch wird geröstet und heißt *Gofio*; ein so rohes
Nahrungsmittel ist ein Beweis dafür, wie elend das niedere Volk auf den
Canarien lebt.

Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, sehr dürren Schluchten
(_cañadas_) durchzogen. Ueber der Region der Farn kommt man durch ein
Gehölz von Wachholderbäumen (_cedro_) und Tannen, das durch die Stürme
sehr gelitten hat. An diesen Ort, den einige Reisende _la Caravela_ nenne,
will Edens [Die Reise wurde im August 1715 gemacht. Carabela heißt ein
Fahrzeug mit lateinischen Segeln. Die Tannen vom Pic dienten früher als
Mastholz und die königliche Marine ließ im Monte Verde schlagen.] kleine
Flammen gesehen haben, die er nach den physikalischen Begriffen seiner
Zeit schwefligten Ausdünstungen zuschreibt, die sich von selbst entzünden.
Es ging immer aufwärts bis zum Felsen *Gayta* oder *Portillo*; hinter
diesem Engpaß, zwischen zwei Basalthügeln, betritt man die große Ebene des
Ginsters (_los Llanos del Retama_). Bei Laperouses Expedition hatte
Manneron den Pic bis zu dieser etwa 1400 Toisen über dem Meere gelegenen
Ebene gemessen, er hatte aber wegen Wassermangels und des üblen Willens
der Führer die Messung nicht bis zum Gipfel des Vulkans fortsetzen können.
Das Ergebniß dieser zu zwei Drittheilen vollendeten Operation ist leider
nicht nach Europa gelangt, und so ist das Geschäft von der Küste an noch
einmal vorzunehmen.

Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um über die Ebene des
Ginsters zu kommen, die nichts ist als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der
hohen Lage zeigte hier der hunderttheilige Thermometer gegen
Sonnenuntergang 13°,8, das heißt 3°,7 mehr als mitten am Tage auf dem
Monte Verde. Dieser höhere Wärmegrad kann nur von der Strahlung des Bodnes
und  von der weiten Ausdehnung der Hochebene herrühren. Wir litten sehr
vom erstickenden Bimsstaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten
in der Ebene stehen Büsche von *Retama*, dem _Spartium nubigenum_
d´Aitons. Dieser schöne Strauch, den de Martinière [Einer der Botaniker,
die auf Laperouses Seereise umkamen.] in Languedoc, wo Feuermaterial
selten ist, einzuführen räth, wird neun Fuß hoch, er ist mit
wohlriechenden Blüthen bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs
begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geschmückt. Die dunkelbraunen
Ziegen des Pics gelten für Leckerbissen; sie nähren sich von den Blättern
des Spartium und sind in diesen Einöden seit unvordenklicher Zeit
verwildert. Man hat sie sogar nach Madera verpflanzt, wo sie geschätzter
sind, als die Ziegen aus Europa.

Bis zum Felsen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des
Ginsters ist der Pic von Teneriffa mit schönem Pflanzenwuchs überzogen,
und nichts weist auf Verwüstungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen
Vulkan zu besteigen, dessen Feuer so lange erloschen ist, wie das des
Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsstein bedeckte Ebene
betreten, so nimmt die Landschaft einen ganz anderen Charakter an; bei
jedem Schritt stößt man auf ungeheure Obsidianblöcke, die der Vulkan
ausgeworfen. Alles ringsum ist öd und still; ein paar Ziegen und Kaninchen
sind die einzigen Bewohner dieser Hochebene. Das unfruchtbare Stück des
Pics mißt über zehn Quadratmeilen, und da die unteren Regionen, von ferne
gesehen, in Verkürzung erscheinen, so stellt sich die ganze Insel als ein
ungeheurer Haufen verbrannten Gesteins dar, um den sich die Vegetation nur
wie ein schmaler Gürtel zieht.

Ueber der Region des _Spartium nubigenum_ kamen wir durch enge Schründe
und kleine, sehr alte, vom Regenwasser ausgespülte Schluchten zuerst auf
ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen
sollten. Dieser Platz, der mehr als 1530 Toisen [2982 m] über der Küste
liegt, heißt _Estancia de los Ingleses_(14), ohne Zweifel, weil früher die
Engländer den Pik am häufigsten besuchten. Zwei überhängende Felsen bilden
eine Art Höhle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu diesem Ort, der
bereits höher liegt als der Gipfel des Canigu, kann man auf Maulthieren
gelangen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand
erreichen zu können glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es
Sommer war und der schöne afrikanische Himmel über uns, hatten wir doch in
der Nacht von der Kälte zu leiden. Der Thermometer fiel auf 5 Grad.
Unsere Führer machten ein großes Feuer von dürren Zweigen der Retama an.
Ohne Zelt und Mäntel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Gesteins, und
die Flammen und der Rauch, die der Wind beständig gegen uns her trieb,
wurden uns sehr lästig. Wir hatten noch nie eine Nacht in so bedeutender
Höhe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, daß wir einst in Städten
wohnen würden, die höher liegen als die Spitze des Vulkans, den wir morgen
vollends besteigen sollten. Je tiefer die Temperatur sank, desto mehr
bedeckte sich der Pic mit dicken Wolken. Bei Nacht stockt der Zug des
Stroms, der den Tag über den Ebenen in die hohen Luftregionen aufsteigt,
und im Maaße als sich die Luft abkühlt, nimmt auch ihre das Wasser
auflösende Kraft ab. Ein sehr starker Nordwird jagte die Wolken; von Zeit
zu Zeit brach der Mond durch das Gewölk und seine Scheibe glänzte auf tief
dunkelblauen Grunde; im Angesicht des Vulkans hatte diese nächtliche Scene
etwas wahrhaft Großartiges. Der Pic verschwand bald gänzlich im Nebel,
bald erschien er unheimlich nahe gerückt und warf wie eine ungeheure
Pyramode seinen Schatten auf die Wolken unter uns.

Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trüben Schein einiger Kienfackeln
nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Besteigung an der
Nordostseite, wo der Abhang ungemein steil ist, und wir gelangten nach
zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das seiner isolirten Lage wegen
_Alta Vista_ heißt. Hier halten sich auch die _Neveros_ auf, das heißt die
Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee suchen und in den
benachbarten Städten verkaufen. Ihre Maulthiere, die das Klettern mehr
gewöhnt sind, als die, welche man den Reisenden gibt, gehen bis zur Alta
Vista und die Neveros müssen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen. Ueber
diesem Punkte beginnt das *Malpays*, wie man in Mexiko, in Peru und
überall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entblößten und mit
Lavabruchstücken bedeckten Landstrich nennt.

Wir bogen rechts von Wege am, um die *Eishöhle* zu besehen, die in 1728
Toisen [3367 m] Höhe liegt, also unter der Grenze des ewigen Schnees in
dieser Breite. Wahrscheinlich rührt die Kälte, die in dieser Höhle
herrscht, von denselben Ursachen her, aus denen sich das Eis in den
Gebirgsspalten des Jura und der Pyrenäen erhält, und über welche die
Ansichten der Physiker noch ziemlich auseinander gehen(15). Die natürliche
Eisgrube des Pics hat übrigens nicht jene senkrechten Oeffnungen, durch
welche die warme Luft entweichen kann, während die kalte Luft am Boden
ruhig liegen bleibt. Das Eis scheint sich hier durch starke Anhäufung zu
erhalten, und weil der Proceß des Schmelzens durch die bei rascher
Verdunstung erzeugte Kälte verlangsamt wird. Dieser kleine unterirdische
Gletscher liegt an einem Ort, dessen mittlere Temperatur schwerlich unter
3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigentlichen Gletscher der Alpen,
vom Schneewasser gespeist, das von den Berggipfeln herabkommt. Während des
Winters füllt sich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnenstrahlen
nicht über den Eingang hinaus eindringen, so ist die Sommerwärme nicht im
Stande, den Behälter zu leeren. Die Bildung einer natürlichen Eisgrube
hängt also nicht sowohl von der absoluten Höhe der Felsspalte und der
mittleren Temperatur der Luftschicht, in der sie sich befindet, als von
der Masse des Schnees, der hineinkommt, und von der geringen Wirkung der
warmen Winde im Sommer. Die im Innern eines Berges eingeschlossene Luft
ist schwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Testaccio in Rom
sieht, dessen Temperatur von der der umgebenden Luft so bedeutend
abweicht. Wir werden in der Folge sehen, daß am Chimborazo ungeheure
Eismassen unter dem Sand liegen, und zwar, wie auf dem Pic von Teneriffa,
weit unter der Grenze des ewigen Schnees.

Bei der Eishöhe _(Cueva del Hielo)_ stellten bei Laperouses Seereise
Lamanon und Mongès ihren Versuch über die Temperatur des siedenden Wassers
an. Sie fanden dieselbe 88°,7, während der Barometer auf 19 Zoll 1 Linie
stand. Im Königreich Neugranada, bei der Capelle Guadeloupe in der Nähe
von Santa Fe de Bogota, sah ich das Wasser bei 89°,9 unter einem Luftdruck
von 19 Zoll 1,9 Linien sieden. Zu Tambores, in der Provinz Popayan, fand
Caldas 89°,5 für die Temperatur des siedenden Wassers bei einen
Barometerstand von 18 Zoll 11,6 Linien. Nach diesen Ergebnissen könnte man
vermuthen, daß bei Lamanons Versuch das Wasser das Maximum seiner
Temperatur nicht ganz erreicht hatte.

Der Tag brach an, als wir die Eishöhle verließen. Da beobachteten wir in
der Dämmerung eine Erscheinung, die auf hohen Bergen häufig ist, die aber
bei der Lage des Vulkanes, auf dem wir uns befanden, besonders auffallend
hervortrat. Eine weiße flockige Wolkenschicht entzog das Meer und die
niedrigeren Regionen der Insel unseren Blicken. Die Schicht schien nicht
über 800 Toisen [1560 m] hoch; die Wolken waren so gleichmäßig verbreitet
und lagen so genau in Einer Fläche, daß sie sich ganz wie eine ungeheure
mit Schnee bedeckte Ebene darstellten. Die colossale Pyramide des Piks,
die vulkanischen Gipfel von Lanzerota, Forteventura und Palma ragten wie
Klippen aus dem weiten Dunstmeer empor. Ihre dunkle Färbung stach grell
vom Weiß der Wolken ab.

Während wir auf den zertrümmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei
wir oft die Hände zu Hülfe nehmen mußten, beobachteten wir eine
merkwürdige optische Erscheinung. Wir glaubten gegen Ost kleine Raketen in
die Luft steigen zu sehen. Leuchtende Punkte, 7 – 8 Grad über dem
Horizont, schienen sich zuerst senkrecht aufwärts zu bewegen, aber
allmählich ging die Bewegung in eine waagrechte Oszillation über, die acht
Minuten anhielt. Unsere Reisegefährten, sogar die Führer äußerten ihre
Verwunderung über die Erscheinung, ohne daß wir sie darauf aufmerksam zu
machen brauchten. Auf den ersten Blick glaubten wir, diese sich hin und
her bewegenden Lichtpunkte seyen die Vorläufer eines neuen Ausbruchs des
großen Vulkanes von Lanzerota. Wir erinnerten uns, daß Bouquer und La
Condamine bei der Besteigung des Vulkans Pichincha den Ausbruch des
Cotopaxi mit angesehen hatten; aber die Täuschung dauerte nicht lange, und
wir sahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünste vergrößerten Bilder
verschiedener Sterne waren. Die Bilder standen periodisch still, dann
schienen sie senkrecht aufzusteigen, sich zur Seite abwärts zu bewegen und
wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Diese Bewegung dauerte eine bis zwei
Secunden. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der seitlichen
Verrückung genau zu messen, aber den Lauf eines Lichtpunktes konnten wir
ganz gut beobachten. Er erschien doppelt durch Luftspiegelung und ließ
keine leuchtende Spur hinter sich. Als ich im Fernrohr eines kleinen
Troughtonschen Sextanten die Sterne mit einen hohen Berggipfel auf
Lanzerota in Contact brachte, konnte ich sehen, daß die Oscillation
beständig gegen denselben Punkt hinging, nämlich gegen das Stück des
Horizontes, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, und daß, abgesehen von
der Declinationsbewegung des Sterns, das Bild immer an denselben Fleck
zurückkehrte. Diese scheinbaren seitlichen Refractionen hörten auf, lange
bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich verschwanden. Ich habe hier
genau wiedergegeben, was wir in der Dämmerung beobachteten, versuche aber
keine Erklärung der auffallenden Erscheinung, die ich schon vor zwölf
Jahren in Zachs astronomischem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung
der Dunstbläschen in Folge des Sonnenaufgangs, die Mischung verschiedener,
in Temperatur und Dichtigkeit sehr von einander abweichenden Luftschichten
haben ohne Zweifel zu der Verrückung der Gestirne in horizontaler Richtung
das ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches sind wohl die starken
Schwankungen der Sonnenscheibe, wenn eben den Horizont berührt; aber diese
Schwankungen betragen selten mehr als zwanzig Secunden, während die
seitliche Bewegung der Sterne, wie wir sie auf dem Pic in mehr als 1800
Toisen Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken, und
auffallender war als alle Erscheinungen, die man bis jetzt als Wirkungen
der Brechung des Sternlichts angesehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und
die ganze Nacht in 2100 Toisen Höhe auf dem Rücken der Anden, in Antisana,
konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phänomen übereingekommen
wäre.

Ich wünschte in so bedeutender Höhe wie die, welche wir am Pic von
Teneriffa erreicht hatten, den Moment des Sonnenaufganges genau zu
beobachten. Kein mit Instrumenten versehener Reisender hatte noch eine
solche Beobachtung angestellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer,
dessen Gang mir sehr genau bekannt war. Der Himmelsstrich, wo die
Sonnenscheibe erscheinen sollte, war dunstfrei. Wir sahen den obersten
Rand um 4 Uhr 48’ 55" wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend ist, der
erste Lichtpunkt der Scheibe berührte unmittelbar die Grenze des
Horizonts; wir sahen demnach den wahren Horizont, das heißt einen Strich
Meers auf mehr als 43 Meilen Entfernung. Die Rechnung ergibt, daß unter
dieser Breite in der Ebene die Sonne um 5 Uhr 1 Minute 50 Secunden, oder
11 Minuten 51,3 Secunden später als auf dem Pic hätte anfangen sonnen
aufzugehen. Der beobachete Unterschied betrug 12 Minuten 55 Secunden, und
dieß kommt ohne Zweifel von der Ungewißheit hinsichtlich der
Refractionsverhältnisse für einen Abstand vom Zenith, wofür keine
Beobachtungen vorliegen(16).

Wir wunderten uns, wie ungemein langsam der untere Rand der Sonne sich vom
Horizont zu lösen schien. Dieser Rand wurde erst um 4 Uhr 56 Min. 56 Sec.
sichtbar. Die stark abgeplattete Sonnenscheibe war scharf begrenzt; es
zeigte sich während des Aufgangs weder ein doppeltes Bild noch eine
Verlängerung des untern Randes. Der Sonnenaufgang dauerte dreimal länger,
als wir in dieser Breite hätten erwarten sollen, und so ist anzunehmen,
daß eine sehr gleichförmig verbreitete Dunstschicht den wahren Horizont
verdeckte und der aufsteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der
Sterne, das wir vorhin im Osten beobachtet, kann man die Langsamkeit des
Sonnenaufgangs nicht wohl einer ungewöhnlich starken Brechung der vom
Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuschrieben; denn, wie le
Gentil es täglich in Pondichery und ich öffers in Cumana beobachet haben,
erniedrigt sich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur
der Luftschicht unmittelbar auf der Meeresfläche sich erhöht.

Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, ist äußerst
ermüdend. Der Abhang ist steil und die Lavablöcke wichen unter unseren
Füßen. Ich kann dieses Stück des Weges nur mit den *Moränen* der Alpen
vergleichen, jenen Haufen von Rollsteinen, welche am untern Ende der
Gletscher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pic haben aber scharfe Kanten
und lassen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu
fallen Leider trug die Faulheit und der üble Wille unserer Führer viel
dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen; sie glichen weder den
Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage
geht, daß sie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unsere
canarischen Führer waren träg zum Verzweifeln: sie hatten tags zuvor uns
bereden wollen, nicht über die Station bei den Felsen hinaufzugehen; sie
setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter
uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt
hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des
Vulkanes gewesen war.

Nach dreistündigem Marsch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer
kleinen Ebene, _la Rambleta_ genannt; aus ihrem Mittelpunkte steigt der
Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen
Treppenpyramiden in Fejoum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und
die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren ersteres viermal höher ist als
letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Piks zu 1904 Toisen [3710 m] an,
so liegt die Rambleta 1820 Toisen [3546 m] über dem Meere. Hier befinden
sich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen *Nasenlöcher des Piks*
(_Narices des Pico_) heißen. Aus mehreren Spalten im Gestein dringen hier
in Absätzen warme Wasserdünste; wir sahen den Thermometer darin auf 43°,2
steigen; Labillardière hatte acht Jahre vor uns diese Dämpfe 53°,7 heiß
gefunden, ein Unterschied, der vielleicht nicht sowohl auf eine Abnahme
der vulkanischen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechsel in der Erhitzung
der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe sind geruchlos und scheinen reines
Wasser. Kurz vor dem großen Ausbruch des Vesuv im Jahr 1806 beobachteten
Gay-Lussac und ich, daß das Wasser, das in Dampfform aus dem Innern des
Kraters kommt, Lackmuspapier nicht röthete. Ich kann übrigens der kühnen
Hypothese mehrerer Physiker nicht beistimmen, wornach die *Naslöcher des
Pic* als die Mündungen eines ungeheuren Destillierapparates, dessen Boden
unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten seyn sollen. Seit man die
Vulkane sorgfältiger beobachetet und der Hang zum Wunderbaren sich in
geologischen Büchern weniger bemerkbar macht, fängt man an den
unmittelbaren beständigen Zusammenhang zwischen dem Meer und den Herden
des vulkanischen Feuers mit Recht stark in Zweifel zu ziehen(17). Diese
durchaus nicht auffallende Erscheinung erklärt sich wohl sehr einfach. Der
Pic ist einen Theil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir selbst fanden noch
welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonell und Armstrong haben im
Jahre 1806 im Malpays eine sehr starke Quelle entdeckt, und zwar hundert
Toisen über der Eishöhle, die vielleicht zum Theil von dieser Quelle
gespeist wird. Alles weist also darauf hin, daß der Pic von Teneriffa,
gleich den Vulkanen der Anden und der Inzel Lucon, im Inneren große
Höhlungen hat, die mit atmosphärischem Wasser gefüllt sind, das einfach
durchgesickert ist. Die Wasserdämpfe, welche die Naslöcher und die Spalten
im Krater ausstoßen, sind nichts als dieses selbe Wasser, das durch die
Wände, über die es fließt, erhitzt wird.

Wir hatten jetzt noch den steilsten Theil des Berges, der die Spitze
bildet, den Piton, zu ersteigen. Der Abhang dieses kleinen, mit
vulkanischer Asche und Bimssteinstücken bedeckten Kegels ist so schroff,
daß es fast unmöglich wäre, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht
einem alten Lavastrom nachginge, der aus dem Krater geflossen scheint und
dessen Trümmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Diese Trümmer bilden eine
verschlackte Felswand, die sich mitten durch die lose Asche hinzieht. Wir
erstiegen den Piton, indem wir uns an diesen Schlacken anklammerten, die
scharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie sie sind, uns nicht selten
in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Hügel
zu ersteigen, dessen senkrechte Höhe kaum 90 Toisen [175 m] beträgt. Der
Vesuv, der dreimal niedriger ist als der Vulkan auf Teneriffa, läuft in
einen fast dreimal höheren Aschenkegel aus, der aber nicht so steil und
zugänglicher ist. Unter allen Vulkanen, die ich besucht, ist nur der
Jorullo in Mexiko noch schwerer zu besteigen, weil der ganze Berg mit
loser Asche bedeckt ist.

Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt ist, wie bei Eintritt des Winters,
so kann die Steilheit des Anhanges den Reisenden in die größte Gefahr
bringen. Le Gros zeigte uns die Stelle, wo Kapitän Baudin auf seiner Reise
nach Teneriffa beinahe ums Leben gekommen wäre. Muthig hatte er gegen Ende
Dezembers 1797 mit den Naturforschern Advenier, Mauger und Riedlé die
Besteigung des Gipfels des Vulkans unternommen. In der halben Höhe des
Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum
Glück machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, daß er nicht noch weiter
mit beschleunigter Geschwindigkeit hinabflog. Wie man mir versichert, ist
ein Reisender, der den mit festem Rasen bedeckten Abhang des Col de Balme
hinabgerollt war, erstickt gefunden worden.

Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, daß wir
kaum Platz fanden, bequem niederzusitzen. Wir standen vor einer kleinen
kreisförmigen Mauer aus porphyrartiger Lava mit Pechsteinbasis; diese
Mauer hinterte uns, in den Krater hinabzusehen. [La Caldera oder der
Kessel des Pics. Der Name erinnert an die *Oules* der Pyrenäen.] Der Wind
blies so heftig aus West, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten.
Es war acht Uhr morgens und wir waren starr vor Kälte, obgleich der
Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt stand. Seit lange waren wir an
eine sehr hohe Temperatur gewöhnt, und der trockene Wind steigerte das
Frostgefühl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche
sich durch die Hautausdünstung um uns her bildete, fortwährend wegführte.

Der Krater des Pic hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meisten
anderen Vulkane, die ich besucht, z. B. mit dem des Vesuvs, des Jorullo
und Pipincha, keine Aehnlichkeit. Bei diesen behält der Piton seine
Kegelgestalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang ist im selben Winkel geneigt
und gleichförmig mit einer Schicht sehr fein zertheilten Bimssteins
bedeckt; hat man die Spitze dieser drei Vulkane erreicht, so blickt man
frei bis auf den Boden des Schlunds. Der Pic von Teneriffa und der
Cotopaxi dagegen sind ganz anders gebaut; auf ihrer   Spitze läuft
kreisförmig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne stellt sich
diese Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgestutzten Kegel dar.
Beim Cotopaxi erkennt man dieses eigenthümliche Bauwerk über 2000 Toisen
weit mit bloßem Auge, weßhalb auch noch kein Mensch bis zum Krater dieses
Vulkans gekommen ist. Beim Pik von Tenerifa ist der Kamm, der wie eine
Brustwehr um den Krater läuft, so hoch, daß er gar nicht zur *Caldera*
gelangen ließe, wenn sich nicht gegen Ost eine Lücke darin befände, die
von einem sehr alten Lavaerguß herzurühren scheint. Durch diese Lücke
stiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptisch ist; die
große Achse läuft von Nordwest nach Südost, etwa Nord 35° Ost. Die größte
Breite der Öffnung schätzten wir auf 300 Fuß [97 m], die kleinste auf 200
Fuß [65 m]. Diese Angaben stimmen ziemlich mit den Messungen von Berguin,
Verela und Borda; nach diesen Reisenden messen die zwei Axen 40 und 30
Toisen. [Cordier, der den Gipfel des Pics vier Jahre nach mir besucht hat,
schätzt die große Axe auf 65 Toisen. Lamanon gibt dafür 50 T. an, Odonnell
aber gibt dem Krater 550 Baras (236 Toisen) Umfang.]

Man sieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht allein von der
Höhe und der Masse des Berges abhängt, dessen Hauptöffnung er bildet.
Seine Weite steht sogar selten im Verhältniß mit der Intensität des
vulkanischen Feuers oder der Thätigkeit des Vulkans. Beim Vesuv, der gegen
den Pik von Teneriffa nur ein Hügel ist, hat der Krater einen fünfmal
größeren Durchmesser. Bedenkt man, daß sehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel
weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenspalten, so könnte man versucht
seyn anzunehmen, daß, je niedriger die Vulkane sind, ihre Krater, bei
gleicher Kraft und Thätigkeit, desto größer seyn müßten. Allerdings gibt
es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur sehr kleine Oeffnungen haben,
und man könnte es als ein geologisches Gesetz hinstellen, daß die
colossalsten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben,
wenn sich nicht in den Cordilleren mehrere Beispiele [Die großen Vulkane
Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Messungen Krater mit
Diametern von mehr als 500 und 700 Toisen.] des gegentheiligen Verhaltens
fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatsachen
anzuführen, welche einst auf das, was man den äußern Bau der Vulkane
nennen kann, einiges Licht werfen könnten. Dieser Bau ist so mannigfaltig
als die vulkanischen Erscheinungen selbst, und will man sich zu
geologischen Vorstellungen erheben, die der Größe der Natur würdig sind,
so muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muster des
Vesuv, des Stromboli und des Aetna gebaut wären.

Die äußeren Ränder der *Caldera* sind beinahe senkrecht; sie stellen sich
ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus gesehen. Wir stiegen
auf den Boden des Kraters auf einen Streif zerbrochener Laven, der zu der
Lücke in der Umfassungsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen
Spalten zu spüren, aus denen Wasserdampf mit einem eigenthümlichen Sumsen
strömte. Einige dieser Luftlöcher oder Spalten befinden sich äußerhalb des
Kraterumfanges, am äußeren Rand der Brüstung, welche den Krater umgibt.
Ein in dieselben gebrachter Thermometer stieg rasch auf 68 und 75 Grad. Er
zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an; aber wir konnten das
Instrument erst ansehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns
nicht die Hände verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen
die Hitze der des siedenden Wassers gleich war. Man könnte glauben, diese
Dämpfe, die stoßweise hervorkommen, enthalten Salzsäure oder
Schwefelsäure; läßt man sie aber an einem kalten Körper sich verdichten,
zeigen sie keinen besondern Geschmack, und die Versuche mehrerer Physiker
mit Reagentien beweisen, daß die Fumarolen des Pic nur reines Wasser
aushauchen; diese Erscheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des
Jorullo übereinstimmt, verdient desto mehr Aufmerksamkeit, als Salzsäure
in den meisten Vulkanen in großer Menge vorkommt und Bauquelin sogar in
den porphyrähnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzsäure gefunden
hat.

Ich habe an Ort und Stelle die Ansicht des inneren Kraterrandes
gezeichnet, wie er sich darstellt, wenn man durch die gegen Ort gelegene
Lücke hinabsteigt. Nichts merkwürdiger als diese Aufeinanderlagerung von
Lavaschichten, die Krümmungen zeigen, wie der Alpenkalkstein. Diese
ungeheuren Bänke sind bald wagrecht, bald geneigt und wellenförmig
gewunden, und Alles weist darauf hin, daß einst die ganze Masse flüssig
war, und daß mehrere störende Ursachen zusammenwirkten, um jedem Strom
seine bestimmte Richtung zu geben. An der obenumlaufenden Mauer sieht man
das seltsame Astwerk, wie man es an der entschwefelten Steinkohle
beobachtet. Der nördliche Rand ist der höchste; gegen Südwest erniedrigt
sich die Mauer bedeutend und am äußersten Rand ist eine ungeheure
verschlackte Lavamasse angebacken. Gegen West ist das Gestein
durchbrochen, und durch eine weite Spalte sieht man den Meereshorizont.
Vielleicht hat die Gewalt der elastischen Dämpfe im Moment, wo die im
Krater aufgestiegene Lava überquoll, hier durchgerissen.

Das Innere des Trichters weist darauf hin, daß der Vulkan seit
Jahrtausenden nur noch aus seinen Seiten Feuer gespieen hat. Diese
Behauptung gründet sich nicht darauf, weil sich am Boden der Caldera keine
großen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten könnte. Die Physiker, die die
Natur selbst beobachtet haben, wissen, daß viele Vulkane in der
Zwischenzeit zweier Ausbrüche ausgefüllt und fast erloschen scheinen, daß
sich dann aber im vulkanischen Schlund Schichten sehr rauher, klingender
und glänzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhöhungen,
Auftreibungen durch die elastischen Dämpfe, kleine Schlacken- und
Aschenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Pic von
Teneriffa zeigt keiens dieser Merkmale; sein Boden ist nicht im Zustand
geblieben, wie ein Ausbruch ihn zurückläßt. Durch den Zahn der Zeit und
den Einfluß der Dämpfe sind die Wände abgebröckelt und haben das Becken
mit großen Blöcken steinigter Lava bedeckt.

Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, dessen
Hauptthätigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Vesuv, wechselt die Tiefe des
Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pic von Teneriffa dagegen
scheint die Tiefe seit langer Zeit sich gleichgeblieben zu seyn. Edens
schätzte sie im Jahre 1715 auf 115 Fuß [37 m], Cordier im J. 1803 auf 110
[35,5 m]. Nach dem Augenmaaß hätte ich geglaubt, daß der Trichter nicht
einmal so tief wäre. In seinem jetzigen Zustand ist er eigentlich eine
Solfatara; er ist ein weites Feld für interessante Beobachtungen, aber
imposant ist sein Anblick nicht. Großartig wird der Punkt nur durch die
Höhe über dem Meeresspiegel, durch die tiefe Stille in dieser Region,
durch den unermeßlichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges
überblickt.

Die Besteigung des Vulkans von Teneriffa ist nicht nur dadurch anziehend,
daß sie uns so reichen Stoff für wissenschaftliche Forschung liefert; sie
ist es noch weit mehr dadurch, daß sie den, der Sinn hat für die Größe der
Natur, eine Fülle malerischer Reize bietet. Solche Empfindungen zu
schildern, ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer auf, da
sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermeßlichkeit des Raums und die
Größe, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenden Gegenstände mit
sich bringen. Wenn ein Reisender die hohen Berggipfel unseres Erdballs,
die Cataracten der großen Ströme, die gewundenen Thäler der Anden zu
beschreiben hat, so läuft er Gefahr den Leser durch den eintönigen
Ausdruck seiner Bewunderung zu ermüden. Es scheint mir den Zwecken, die
ich bei dieser Reisebeschreibung im Auge habe, angemessener, den
eigenthümlichen Charakter zu schildern, der jeden Landstrich auszeichnet.
Man lehrt die Physiognomie einer Landschaft deste besser kennen, je
genauer man die einzelnen Züge auffaßt, sie unter einander vergleicht und
so auf dem Wege der Analysis den Quellen der Genüsse nachgeht, die uns das
große Naturgemälde bietet.

Die Reisenden wissen aus Erfahrung, daß man auf der Spitze hoher Berge
selten eine so schöne Aussicht hat und so mannigfaltige malerische Effekte
beobachtet als auf den Gipfeln von der Höhe des Vesuvs, des Rigi, des Puy
de Dome. Colossale Berge wie der Chimborazo, der Antisana oder der
Montblanc haben eine so große Masse, daß man die mit reichem Pflanzenwuchs
bedeckten Ebenen nur in großer Entfernung sieht und ein bläulicher Duft
gleichförmig auf der ganzen Landschaft liegt. Durch seine schlanke Gestalt
und seine eigenthümliche Lage vereinigt nun der Pic von Teneriffa die
Vortheile niedrigerer Gipfel mit denen, wie sehr bedeutende Höhen sie
bieten. Man überblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren
Meereshorizont, der über die höchsten Berge der benachbarten Inseln
hinaufreicht, man sieht auch die Wälder von Teneriffa und die bewohnten
Küstenstriche so nahe, daß noch Umrisse und Farben in den schönsten
Contrasten hervortreten. Es ist als ob der Vulkan die kleine Insel, die
ihm zur Grundlage dient, erdrückte; er steigt aus dem Schooße des Meeres
dreimal höher auf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn sein seit
Jahrhunderten halb erloschener Krater Feuergarben auswürfe wie der
Stromboli der äolischen Inseln, so würde der Pik von Tenerifa dem Schiffer
in einem Umkreis von mehr als 260 Meilen als Leuchtthurm dienen.

Wir lagerten uns am äußern Rande des Kraters und blickten zuerst nach
Nordwest, wo die Küsten mit Dörfern und Weilern geschmückt sind. Vom Winde
fortwährend hin und her getriebene Dunstmassen zu unser Füßen boten uns
das mannigfaltigste Schauspiel. Eine ebene Wolkenschicht zwischen uns den
tiefen Regionen der Insel, dieselbe, von der oben die Rede war, war da und
dort durch die kleinen Luftströme durchbrochen, welche nachgerade die von
der Sonne erwärmte Erdoberfläche zu uns heraufsandte. Der Hafen von
Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gärten und Weinberge um die
Stadt wurden durch eine Oeffnung sichtbar, welche jeden Augenblick größer
zu werden schien. Aus diesen einsamen Regionen blickten wir nieder in eine
bewohnte Welt; wir ergötzten uns am lebhaften Contrast zwischen den dürren
Flanken des Pics, seinen mit Schlacken bedeckten steilen Abhängen, seinen
pflanzenlosen Plateaus, und dem lachtenden Anblick des bebauten Landes;
wir sahen, wie sich die Gewächse nach der mit der Höhe abnehmenden
Temperatur in Zonen vertheilen. Unter dem Piton beginnen Flechten die
verschlackten, glänzenden Laven zu überziehen; ein Veilchen [_Viola
cheiranthifolia_], das der _Viola decumbens_ nahe steht, geht am Abhang
des Vulkans bis zu 1740 Toisen [3390 m] Höhe, höher nicht allein als die
andern krautartigen Gewächse, sondern sogar höher als die Gräser, welche
in den Alpen und auf dem Rücken der Kordilleren unmittelbar an die
Gewächse aus der Familie der Kryptogamen stoßen. Mit Blüthen bedechte
Retamabüsche schmücken die kleinen, von den Regenströmen eingerissenen und
durch die Seitenausbrüche verstopften Thäler; unter der Retama folgt die
Region der Farn und auf diese die der baumartigen Heiden. Wälder von
Lorbeeren, Rhamnus und Erdbeerbäumen liegen zwischen den Heidekräutern und
den mit Reben und Obstbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner
Teppich breitet sich von der Ebene der Ginster und der Zone der
Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattelpalmen und Musen, deren Fuß das
Weltmeer zu bespülen scheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieser
Pflanzenkarte an; im Folgenden gebe ich einiges Nähere über die
Pflanzengeographie der Insel Teneriffa.

Daß auf der Spitze des Pics die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der
Küste einem so nahe gerückt scheinen, dazu trägt die erstaunliche
Durchsichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung
erkannten wir nicht nur die Häuser, die Baumstämme, das Takelwerk der
Schiffe, wir sahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den
lebhaftesten Farben glänzen.  Diese Erscheinung ist nicht allein dem hohen
Standpunkt zuzuschreiben, sie deutet auf eine eigenthümliche
Beschaffenheit der Luft in den heißen Ländern. Unter allen Zonen erscheint
ein Gegenstand, der sich auf dem Meeresspiegel befindet und von dem die
Lichtstrahlen in wagrechter Richtung ausgehen, weniger lichtstark, als
wenn man ihn vom Gipfel eines Berges sieht, wohin die Wasserdämpfe durch
Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende
Unterschiede werden vom Einfluß der Klimate bedingt; der Spiegel eines
Sees oder eines breiten Flusses glänzt bei gleicher Entfernung weniger,
wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom
Gipfel der Cordilleren von Peru oder Mexico sieht. Je reiner und heiterer
die Luft ist, desto vollständiger wird das Licht bei seinem Durchgang
geschwächt. Wenn man von der Südsee her auf die Hochebene von Quito oder
Antisana kommt, so wundert man sich in den ersten Tagen, wie nahe gerückt
Gegenstände erscheinen, die sieben, acht Meilen entfernt sind. Der Pic von
Teyde genießt nur zwar nicht des Vortheils, unter den Tropen zu liegen,
aber die Trockenheit der Luftsäulen, welche fortwährend über den
benachbarten afrikanischen Ebenen aufsteigen und die die Westwinde rasch
herbeiführen, verleiht der Luft der canarischen Inseln eine
Durchsichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens,
sondern vielleicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückstehen.
Auf dieser Durchsichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landschaften
unter den Tropen; sie hebt den Glanz der Farben der Gewächse und steigert
die magische Wirkung ihrer Harmonien und ihrer Contraste. Wenn eine große,
um die Gegenstände verbreitete Lichtmasse in gewissen Stunden des Tages
die äußern Sinne ermüdet, so wird der Bewohner südlicher Klimate durch
moralische Genüsse dafür entschädigt. Schwung und Klarheit der Gedanken,
innerliche Heiterkeit entsprechen der Durchsichtigkeit der umgebenden
Luft. Man erhält diese Eindrücke, ohne die Grenzen von Europa zu
überschreiten; ich berufe mich auf die Reisenden, welche jene durch die
Wunder des Gedankens und der Kusnt verherrlichten Länder gesehen haben,
die glücklichen Himmelsstriche Griechenlands und Italiens.

Umsonst verlängerten wir unseren Aufenthalt auf dem Gipfel des Pics, des
Moments harrend, wo wir den ganzen Archipel der glückseligen Inseln(18)
würden übersehen können. Wir sahen zu unseren Füßen Palma, Gomera und die
Große Canaria. Die Berge von Lanzerota, die bei Sonnenaufgang dunstfrei
gewesen waren, hüllten sich bald wieder in dichte Wolken. Nur die
gewöhnliche Refraction vorausgesetzt, übersieht das Auge bei hellen Wetter
vom Gipfel des Vulkans ein Stück Erdoberfläche von  5700 Quadratmeilen
[115000 qkm], also so viel als ein Viertheil der Oberfläche Spaniens. Oft
ist die Frage aufgeworfen worden, ob man von dieser ungeheurn Pyramide die
afrikanische Küste sehen könne. Aber die nächsten Striche dieser Küste
sind 2 Grad 49 Minuten im Bogen, oder 56 Meilen [252 km] entfernt; da nun
der Gesichtshalbmesser des Horizonts des Pics 1 Grad 47 Minuten beträgt,
so kann Cap Bojador nur sichtbar werden, wenn man ihm 200 Toisen
Meereshöhe gibt. Wiir wissen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei
Cap Bojador sind, sowie der Pic südlich von diesem Vorgebirge, den die
Seefahrer Peñon grade nennen. Wäre der Gipfel des Vulkans von Teneriffa
zugänglicher, so ließen sich dort ohne Zweifel bei gewissen Windrichtungen
die Wirkungen ungewöhnlicher Refraction beobachten. Liest man die Berichte
spanischer und portugiesischer Schriftsteller über die Existenz der
fabelhaften Insel San Borondon oder Antilia, so sieht man, daß in diesen
Strichen vorzüglich der feuchte West-Süd-Westwind Luftspiegelungen zur
Folge hat;(19) indessen wollen wir nicht mit Viera glauben, »daß durch das
Spiel der irdischen Refraction die Inseln des grünen Vorgebirges, ja sogar
die Apalachen in Amerika den Bewohnern der Canarien sichtbar werden
können.«

Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Pics empfanden, war für die
Jahreszeit sehr bedeutend. Der hunderttheilige Thermometer(20) zeigte
entfernt vom Boden und von den Fumarolen, die heiße Dämpfe ausstoßen, im
Schatten 2°,7. Der Wind war West, also dem entgegengesetzt, der einen
großen Teil des Jahres Teneriffa die heiße Luft zuführt, die über den
glühenden Wüsten Afrikas aufsteigt. Da die Temperatur im Hafen von
Orotava, nach Herrn Savagis Beobachtung, 22°,8 war, so nahm die Wärme auf
94 Toisen Höhe um einen Grad ab. Dieses Ergebniß stimmt vollkommen mit dem
überein, was Lamanon und Saussure auf den Spitzen des Pics und des Aetna,
obwohl in sehr verschiedenen Jahreszeiten, beobachtet haben. [Lamanons
Beobachtung ergiebt einen Grad auf 99 Toisen, obgleich die Temperatur des
Pics um 9° von der von uns beobachteten abwich. Am Aetna fand Saussure die
Abnahme gleich 91 Toisen.] Die schlanke Gestalt dieser Berge bietet den
Vortheil, daß man die Temperatur zweier Luftschichten fast senkrecht über
einander beobachten kann, und in dieser Beziehung gleichen die
Beobachtungen, die man bei der Besteigung des Vulkans von Teneriffa macht,
denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es ist
indessen zu bemerken, daß die See wegen ihrer Durchsichtigkeit und wegen
der Verdunstung weniger Wärme den hohen Luftschichten zusendet als die
Ebenen; daher ist es auf vom Meer umgebenen Berggipfeln im Sommer kälter
als auf Bergen mitten im Lande; dieses Moment hat aber nur geringen
Einfluß auf die Abnahme der Luftwärme, da die Temperatur der tiefen
Regionen in der Nähe des Meeres gleichfalls eine niedrigere ist.

Anders verhält es sich mit dem Einflusse der Windrichtung und der
Geschwindigkeit des aufsteigenden Stroms; letzterer erhöht nicht selten
die Temperatur der höchsten Berge in erstaunlichem Grade. Am Abhang des
Antisana im Königreich Quito sah ich in 2837 Toisen Höhe den Thermometer
auf 19° stehen; Labillardière beobachtete am Kraterrand des Pic von
Teneriffa 18°,7, wobei er alle erdenkliche Vorsicht gebraucht hatte, um
den Einfluß zufälliger Ursachen auszuschließen. Da die Temperatur der
Rhede von Santa Cruz zur selben Zeit 28° war, so betrug der Unterschied
zwischen der Luft an der Küste und der auf dem Pic 9°,3 statt 20°, die
einer Wärmeabnahme von einem Grad auf 94 Toisen entsprechen. Ich finde im
Schiffstagebuch von l´Entrecasteaux´s Expedition, daß damals in Santa Cruz
der Wind Süd-Süd-Ost war. Vielleicht wehte derselbe Wind stärker in den
hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in schiefer Richtung die warme
Luft vom nahen Festlande der Spitze des Piton zu. Labillardières
Besteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 statt, und in den Schweizer
Alpen hat man die Beobachtung gemacht, daß der Temperaturunterschied
zwischen Berg und Tiefland im Herbst geringer ist als im Sommer. Alle
diese Schwankungen im Maß der Temperaturabnahme haben auf die Messungen
mittelst des Barometers nur insofern Einfluß, als die Abnahme in den
dazwischenliegenden Schichten nicht gleichförmig ist, und von der
arithmetischen gleichmäßigen Progression, wie die angewandten Formeln sie
annehmen, abweicht.

Wir wurden auf dem Gipfel des Pics nicht müde, die Farbe des blauen
Himmelsgewölbes zu  bewundern. Ihre Intensität im Zenith schien uns gleich
41° des Cyanometers. Man weiß nach Saussures Versuchen, daß diese
Intensität mit der Verdünnung der Luft zunimmt, und daß dasselbe
Instrument zu selben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39° und auf der
Spitze des Montblanc 40° zeigte. Dieser Berg ist um 540 Toisen höher als
der Vulkan von Teneriffa, und wenn trotz diesem Unterschied auf ersterem
das Himmelsblau nicht so dunkel ist, so rührt dies wohl von der
Trockenheit der afrikanischen Luft und der Nähe der heißen Zone her.

Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um sie auf der Fahrt nach Amerika
chemisch zu zerlegen. Die Flasche war so gut verschlossen, daß, als wir
sie nach zehn Tagen öffneten, das Wasser mit Gewalt hineindrang. Nach
mehreren Versuchen mit Salpetergas in der engen Röhre des Fontanaschen
Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hunderttheile weniger
Sauerstoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieses Resultat, da
die Methode jetzt für ziemlich unzuverlässig gilt. Der Krater des Pics hat
so wenig Tiefe und die Luft darin erneuert sich so leicht, daß schwerlich
mehr Stickstoff darin ist als an der Küste. Wir wissen überdem aus
Gay-Lussacs und Theodor Saussures Versuchen, daß die Luft in den höchsten
Luftregionen wie in den tiefsten 0,21 Sauerstoff enthält.(21)

Wir sahen auf dem Gipfel des Pics keine Spur von Psora, Lecidium oder
andern Crytogamen, kein Insekt flatterte in der Luft. Indessen findet man
hie und da ein hautflügligtes Insekt an den Schwefelmassen angeklebt, die
von schwefligter Säure feucht sind und die Oeffnungen der Fumarolen
auskleiden. Es sind Bienen, die wahrscheinlich die Blüthen des _Spartium
nubigenum_ aufgesucht hatten und vom Winde schief aufwärts in diese Höhe
getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem
Gipfel des Mont-Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kälte zu
Grunde, während die Bienen auf dem Pic geröstet werden, wenn sie
unvorsichtig den Spalten, an denen sie sich wärmen wollen, zu nahe kommen.

Trotz dieser Wärme, die man am Rande des Kraters unter den Füßen spürt,
ist der Aschenkegel im Winter mehrere Monate mit Schnee bedeckt.
Wahrscheinlich bilden sich unter der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich
denen unter den Gletschern in der Schweiz, die beständig eine niedrigere
Temperatur haben als der Boden, auf dem sie ruhen. Der heftige kalte Wind,
der seit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fuße des Piton Schutz zu
suchen. Hände und Gesicht waren uns erstarrt, während unsere Stiefel auf
dem Boden, auf den wir den Fuß setzten, verbrannten. In wenigen Minuten
waren wir am Fuß des Zuckerhuts, den wir so mühsam erklommen, und diese
Geschwindigkeit war zum Theil unwillkürlich, da man häufig in der Asche
hinunterrutscht. Ungern schieden wir von dem einsamen Ort, wo sich die
Natur in ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die
canarischen Inseln noch einmal besuchen zu können, aber aus dem Plan wurde
nichts, wie aus so vielen, die wir damals entwarfen.

Wir gingen langsam durch das Malpays; auf losen Lavablöcken tritt man
nicht sicher auf. Der Station bei den Felsen zu wird der Weg abwärts
äußerst beschwerlich; der dichte kurze Rasen ist so glatt, daß man sich
beständig nach hinten überbeugen muß, um nicht zu stürzen. Auf der
sandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22°,5, und dieß schien
uns nach dem Frost, der uns auf dem Gipfel geschüttelt, eine erstickende
Hitze. Wir hatten gar kein Wasser; die Führer hatten nicht allein den
kleinen Vorrath Malvasier, den wir der freundlichen Vorsage Cologans
verdankten, heimlich getrunken, sondern sogar die Wassergefäße zerbrochen.
Zum Glück war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben.

In der schönen Region der Farn und der baumartigen Heiden genossen wir
endlich einiger Kühlung. Eine dicke Wolkenschicht hüllte uns ein; sie
hielt sich in 600 Toisen Höhe über der Niederung. Während wir durch diese
Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erscheinung zu beobachten, die
uns später am Abhang der Cordilleren öfters vorgekommen ist. Kleine
Luftströme trieben Wolkenstreifen mit verschiedener Geschwindigkeit nach
entgegengesetzten Richtungen. Dieß nahm sich aus, als ob in einer großen
stehenden Wassermasse kleine Wasserströme sich rasch nach allen Seiten
bewegten. Diese theilweise Bewegung der Wolken rührt wahrscheinlich von
sehr verschiedenen Ursachen her, und man kann sich denken, daß der Anstoß
dazu sehr weit her kommen mag. Man kann den Grund in den kleinen
Unebenheiten des Bodens suchen, die mehr oder weniger Wärme strahlen, in
einem auf irgend einem chemischen Proceß beruhenden Temperaturunterschied,
oder endlich in einer starken elektrischen Ladung der Dunstbläschen.

In der Nähe der Stadt Orotava trafen wir große Schwärme von Canarienvögeln
[_Fringilla Canaria_. La Caille erzählt in seiner Reisebeschreibung nach
dem Cap, auf der Insel Salvage fänden sich diese Vögel in so ungeheurer
Menge, daß man in einer gewissen Jahreszeit nicht umhergehen könne, ohne
Eier zu zertreten.] Diese in Europa so wohl bekannten Vögel waren ziemlich
gleichförmig grün, einige auf dem Rücken gelblich; ihr Schlag glich dem
der zahmen Canarienvögel, man bemerkt indessen, daß die, welche auf der
Insel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzerota
gefanden werden, einen stärkeren und zugleich harmonischeren Schlag haben.
In allen Himmelsstrichen hat jeder Schwarm derselben Vogelart seine eigene
Sprache. Die gelben Canarienvögel sind eine Spielart, die in Europa
entstanden ist, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Teneriffa
in Käfigen sahen, waren in Cadix und anderen spanischen Häfen gekauft.
Aber der Vogel der canarischen Inseln, der von allen den schönsten Gesang
hat, ist in Europa unbekannt, der Capirote, der so sehr die Freiheit
liebt, daß er sich niemals zähmen ließ. Ich bewunderte seinen weichen,
melodischen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe
genug zu Gesicht bekommen, um zu bestimmen, welcher Gattung sie angehört.
Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitän Cook auf
Teneriffa gesehen haben will, so existiren sie nur in Reiseberichten, die
einander abschreiben. Es gibt auf den Canarien wieder Papageien noch
Affen, und obgleich erstere in der neuen Welt bis Nordcarolina wandern, so
glaube ich doch kaum, daß in der alten über dem 28sten Grad nördlicher
Breite welche vorkommen.

Wir kamen, als der Tag sich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten
daselbst die unerwartete Nachricht, daß der Pizarro erst in der Nach vom
24. zum 25. unter Segel gehen werde. Hätten wir auf diesen Aufschub
rechnen können, so wären wir entweder länger auf dem Pic geblieben(22)
oder hätten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden
Tag durchstreiften wir die Umgegend von Orotava. Da fühlten wir recht, daß
der Aufenthalt auf Teneriffa nicht bloß für den Naturforscher von
Interesse ist; man findet in Orotava Liebhaber von Literatur und Musik,
welche den Reiz europäischer Gesellschaft in diese fernen Himmelsstriche
verpflanzt haben. In dieser Beziehung haben die canarischen Inseln mit den
übrigen spanischen Kolonien, Havanna ausgenommen, wenig gemein.

Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem ländlichen Feste in Herrn
Littles Garten bei. Dieser Handelsmann, der den Canarien bei der letzten
Getreidetheuerung bedeutende Dienste erwiesen, hat einen mit vulkanischen
Trümmern bedeckten Hügel angepflanzt und an diesem köstlichen Punkt einen
englischen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aussicht auf die
Pyramide des Pics, auf die Dörfer an der Küste und die Insel Palme hat,
welche die weite Meeresfläche begrenzt. Ich kann diese Aussicht nur mit
der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinsichtlich der
Großartigkeit der Massen und der Fülle des Pflanzenwuchses steht Orotave
über beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkans auf
einmal ein eigenthümliches Schauspiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel
die Spanier eingeführt hatten, obgleich er an sich uralt ist, hatten die
Hirten die Johannisfeuer angezündet. Die zerstreuten Lichtmassen, die vom
Winde gejagten Rauchsäulen hoben sich an den Seiten des Pics vom
Dunkelgrün der Wälder ab. Freudengeschrei drang aus der Ferne zu uns
herüber, und schien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen
einsamen Orten unterbrach.

Die Familie Cologan besitzt ein Landhaus näher an der Küste als das eben
beschriebene. Der Name, den ihm der Eigenthümer gegeben, bezeichnet den
Eindruck, den dieser Landsitz macht. Das Haus *la Paz* hatte zudem noch
besonderes Interesse für uns. Borda, dessen Tod wir bedauerten, hatte hier
bei seiner letzten Reise nach den Canarien gewohnt. Auf einer kleinen
Ebene in der Nähe hat er die Standlinie zur Messung der Höhe des Pics
abgesteckt. Bei dieser trigonometrischen Messung diente der große
Drachenbaum von Orotava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter
Reisender eine genauere Messung des Vulkans mittelst astronomischer
Repetitionskreise vornehmen, so müßte er die Standlinie nicht bei Orotava,
sondern bei *los Silos*, an einem Orte, *Bante*  genannt, messen; nach
Broussonet ist keine Ebene in der Nähe des Pics so groß wie diese. Wir
botanisirten bei la Paz und fanden in Menge das _Lichen roccella_ auf
basaltischem, von der See bespülten Gestein. Die Orseille der Canarien ist
ein sehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von
Teneriffa als von den unbewohnten Inseln Salvage, Graciosa, Alagranza,
sogar von Canaria und Hierro.

Am 24. Juni Morgens verließen wir den Hafen von Orotava; in Laguna
speisten wir beim französischen Consul. Er hatte die Gefälligkeit, die
Besorgung der geologischen Sammlungen zu übernehmen, die wir dem
Naturaliencabinett des Königs von Spanien übermachten. Als wir vor der
Stadt auf die Rhede hinausblickten, sahen wir zu unserem Schreck den
Pizarro, unsere Corvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir,
er lavire mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die englischen bei Teneriffa
stationirten Schiffe waren verschwunden, und wir hatten keinen Augenblick
zu verlieren, um aus diesen Strichen wegzukommen. Wir schifften uns allein
ein; unsere Reisegefährten waren Canarier gewesen, die nicht mit nach
Amerika gingen.

Ehe wir den Archipel der Canarien verlassen, werfen wir einen Blick auf
die Geschichte des Landes.

Vergeblich sehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den
ersten schriftlichen Urkunden über die Ausbrüche des Pics von Teneriffa
um. Diese Seefahrer hielten sich ängstlich an die Küsten, sie liefen jeden
Abend in eine Bay und ankerten, uns so konnten sie nichts von einem Vulkan
wissen, der 56 Meilen vom Festland von Afrika liegt. Hanno berichtet
indessen von leuchtenden Strömen, die sich in das Meer zu ergießen
schienen; jede Nacht haben sich auf der Küste viele Feuer gezeigt, und der
große Berg, der *Götterwagen* genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die
bis zu den Wolken aufgestiegen. Aber dieser Berg, nordwärts von der Insel
der Gorillas,(23) bildete das Westende der Atlaskette, und es ist zudem
sehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem
vulkanischen Ausbruch herrührten, oder von dem bei so vielen Völkern
herrschenden Brauch, die Wälder und das dürre Gras der Savannen
anzuzünden. In neuester Zeit waren ja auch die Naturforscher, welche die
Expedition unter Controadmiral d´Entrecasteaux mitmachten, ihrer Sache
nicht gewiß, als sie die Insel Amsterdam mit dickem Rauch bedeckt sahen.
Auf der Küste von Caracas sah ich mehrere Nächte hinter einander röthliche
Feuerstreifen von brennendem Grase, die sich täuschend wie Lavaströme
ausnahmen, die von den Bergen herabkamen und sich in mehrere Arme
theilten.

Obgleich in den Reisetagebüchern des Hanno und des Scylax, so weit sie uns
erhalten sind, keine Stelle vorkommt, die sich mit einigen Schein von
Recht auf die canarischen Inseln beziehen ließe, ist es doch sehr
wahrscheinlich, daß die Carthager und auch die Phönicier den Pic von
Teneriffa gekannt haben. [Einer der angesehensten deutschen Gelehrten,
Heeren, hält die glückseligen Inseln Diodors von Sicilien für Madera und
Porto Santo.] Zu Platos und Aristoteles Zeit waren dunkle Gerüchte davon
zu den Griechen gedrungen, nach deren Vorstellung die ganze Küste von
Afrika jenseits der Säulen des Hercules von vulkanischem Feuer verheert
war.(24) Die Inseln der Seligen, die man Anfangs im Norden, jenseits der
riphäischen Gebirge bei den Hyperboräern [Die Vorstellung vom Glück, der
hohen Kultur und dem Reichthum der Bewohner des Nordens hatten die
Griechen, die indischen Völker und die Mexicaner mit einander gemein.],
später südwärts von Cyrenaica gesucht hatte, wurden nach Westen verlegt,
dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glückselige
Inseln nannte, war lange ein schwankender Begriff, wie der Name *Dorado*
bei den ersten Eroberern Amerikas. Man versetzte das Glück an das Ende der
Welt, wie man den lebhaftesten Geistesgenuß in einer idealen Welt jenseits
der Grenzen der Wirklichkeit sucht.

Es ist nicht zu verwundern, daß vor Aristoteles die griechischen
Geographen keine genaue Kenntniß von den canarischen Inseln und ihren
Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach West und Nord die See
befuhr, die Carthager, fanden ihren Vortheil dabei, wenn sie diese
entlegenen Landstriche in den Schleier des Geheimnisses hüllten. Der
carthagische Senat duldete keine Auswanderung Einzelner und ersah diese
Inseln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politischen Unfälle; so
sollten für die Carthager seyn, was der freie Boden von Amerika für die
Europäer bei ihren bürgerlichen und religiösen Zwistigkeiten geworden ist.

Die Römer wurden erst achtzig Jahre vor Octavians Regierung näher mit den
canarischen Inseln bekannt. Ein bloßer Privatmann wollte den Gedanken
verwirklichen, den der carthagische Senat mit weiser Vorsicht gefaßt. Nach
seiner Niederlage durch Sylla sucht Sertorius, müde des Waffenlärms, eine
sichere, ruhige Zufluchtsstätte. Er wählt die glückseligen Inseln, von
denen man ihm an den Küsten von Bätika eine reizende Schilderung entwirft.
Er sammelt sorgfältig, was ihm von Reisenden an Nachrichten zukommt; aber
in den wenigen Stücken dieser Nachrichten, die auf uns gekommen sind, und
in den umständlicheren Beschreibungen des Sebosus und des Juba ist niemals
von Vulkanen und vulkanischen Ausbrüchen die Rede. Kaum erkennt man die
Insel Teneriffa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Pics bedeckt,
am Namen *Nivaria*, der einer der glückseligen Inseln beigelegt wird. Man
könnte darnach annehmen, daß der Vulkan damals kein Feuer gespien habe,
wenn sich aus dem Stillschweigen von Schriftstellern etwas schließen
ließe, von denen wir nichts besitzen als Bruchstücke und trockene
Namenverzeichnisse. Umsonst sucht der Physiker in der Geschichte Urkunden
über die ältesten Ausbrüche des Pics; er findet nirgends welche außer in
der Sprache der Guanchen, in der das Wort »Echeyde«(25) zugleich die Hölle
und den Vulkan von Teneriffa bedeutete.

Die älteste schriftliche Nachricht von der Thätigkeit des Vulkans, die ich
habe auffinden können, kommt aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
Sie findet sich in der Reisebeschreibung(26) des Aloysio Cadamusto, der im
Jahr 1505 auf den Canarien landete. Dieser Reisende war nicht selbst Zeuge
eines Ausbruchs, er versichert aber bestimmt, der Berg brenne fortwährend
gleich dem Aetna und das Feuer sey von Christen gesehen worden, die als
Sklaven der Guanchen auf Teneriffa lebten. Der Pic befand sich also damals
nicht im Zustand der Ruhe wie jetzt, denn es ist sicher, daß kein
Reisender und kein Einwohner von Teneriffa der Mündung des Pics von weitem
sichtbaren Rauch, geschweige denn Flammen, hat entsteigen sehen. Es wäre
vielleicht zu wünschen, daß der Schlund der *Caldera* sich weiter öffnete,
die Seitenausbrüche würden damit weniger heftig und die ganze Inselgruppe
hatte weniger von Erdbeben zu leiden.

Ich habe zu Orotava die Frage besprechen hören, ob anzunehmen sey, daß der
Krater des Pics im Lauf der Jahrhunderte wieder in Thätigkeit treten
werde. In einer so zweifelhaften Sache kann man sich nur an die Analogie
halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahr 1611 der Krater des Vesuvs
im Innern mit Gebüsch bewachsen. Alles verkündete die tiefste Ruhe, und
dennoch warf derselbe Schlund, der sich in ein schattiges Thal verwandeln
zu wollen schien, zwanzig Jahre später Feuersäulen und ungeheure Massen
Asche aus. Der Vesuv wurde im Jahr 1631 wieder so thätig, als er im Jahr
1500 gewesen war. So könnte möglicherweise auch der Krater des Pics sich
eines Tags wieder umwandeln. Er ist jetzt eine Solfatare, ähnlich der
friedlichen Solfatare von Puzzuoli; aber sie ist auf der Spitze eines noch
thätigen Vulkans gelegen.

Die Ausbrüche des Pics waren seit zweihundert Jahren sehr selten, und
solche lange Pausen scheinen charakteristisch für sehr hohe Vulkane. Der
kleinste von allen, der Stromboli, ist fast in beständiger Thätigkeit.
Beim Vesuv sind die Ausbrüche seltener, indessen häufiger als beim Aetna
und dem Pic von Teneriffa. Die colossalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi
und der Tungurahua speien kaum einmal im Jahrhundert Feuer. Bei thätigen
Vulkanen scheint die Häufigkeit der Ausbrüche im umgekehrten Verhältniß
mit der Höhe und der Masser derselben zu stehen. So schien auch der Pic
nach zwei und neunzig Jahren erloschen, als im Jahr 1792 der letzte
Ausbruch durch eine Seitenöffnung im Berg Chahorra erfolgte. In diesem
Zeitraum hat der Vesuv sechzehnmal Feuer gespieen.

Ich habe anderwo ausgeführt, daß der genze gebirgigte Theil des
Königreichs Quito anzusehen ist als ein ungeheurer Vulkan von 700
Quadratmeilen Oberfläche, der aus verschiedenen Kegeln mit eigenen Namen,
Cotopaxi, Tungurahua, Pichincha, Feuer speit. Ebenso ruht die ganze Gruppe
der canarischen Inseln gleichsam auf Einem untermeerischen Vulkan. Das
Feuer brach sich bald durch diese, bald durch jene der Inseln Bahn. Nur
Teneriffa trägt in seiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater
auf der Spitze, die in jahrhundertlangen Perioden aus ihren Seiten
Lavaströme ergießt. Auf den andern Inseln haben die verschiedenen
Ausbrüche an verschiedenen Stellen stattgefunden, und man findet dort
keinen vereinzelnten Berg, an den die vulkanische Thätigkeit gebunden
wäre. Die von uralten Vulkanen gebildete Basaltrinde scheint dort aller
Orten unterhöhlt, und die Lavaströme, die auf Lanzerota und Palma
ausgebrochen sind, kommen geologisch durchaus mit dem Ausbruch überein,
der im Jahr 1301 auf der Insel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte.

Es folgt hier die Liste der Ausbrüche, deren Andenken sich bei den
Geschichtschreibern der Insel seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
erhalten hat.

*Jahr 1558.* — Am 15. April. Zur selben Zeit wurde Teneriffa zum erstenmal
von der aus der Levante eingeschleppten Pest verheert. Ein Vulkan öffnet
sich auf der Insel Palma, nahe einer Quelle im _Partido de los Llanos_.
Ein Berg steigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet sich ein Krater, der
einen hundert Toisen breiten und über 2500 Toisen langen Lavastrom
ergießt. Die Lava stürzt sich ins Meer, und durch die Erhitzung des
Wassers gehen die Fische in weitem Umkreis zu Grunde. [Dieselbe
Erscheinung wiederholte sich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina
auf dem Meeresboden ausbrach. Das calcinirte Skelett eines Haifisches
wurde im erloschenen, mit Wasser gefüllten Krater gefunden.]

*Jahr 1646.* — Am 13. November thut sich ein Schlund auf der Insel Palma
bei Tigalate auf; zwei andere bilden sich am Meeresufer. Die Laven, die
sich aus diesen Spalten ergießen, machen die berühmte Quelle Foncaliente
oder Fuente Santa versiegen, deren Mineralwasser Kranke sogar aus Europa
herbeizog. Nach einer Volkssage wurde dem Ausbruch durch ein seltsames
Mittel Einhalt geboten. Das Bild unserer lieben Frau zum Schnee wurde aus
Santa Cruz an den Schlund des Vulkans gebracht, und alsbald fiel eine so
ungeheure Masse Schnee, daß das Feuer dadurch erlosch. In den Anden von
Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, daß die Thätigkeit
der Vulkane durch vieles einsickerndes Schneewasser gesteigert wird.

*Jahr 1677.* — Dritter Ausbruch auf der Insel Palma. Der Berg las Cabras
wirft aus einer Menge kleienr Oeffnungen, die sich nacheinander bilden,
Schlacken und Asche aus.

*Jahr 1704.* — Am 31. December. Der Pic von Teneriffa macht einen
Seitenausbruch in der Ebene les Infantes, oberhalb Ocore, im Bezirk
Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705
thut sich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, eine Meile von
Icore auf. Die Lava ist so stark, daß sie das ganze Thal Fasnia oder Areza
ausfüllt. Dieser zweite Schlund hört am 13. Januar zu speien auf. Ein
dritter bildet sich am 2. Februar in der Cañada de Araso. Die Lava in drei
Strömen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Melosar durch einen
Felsgrat aufgehalten, der einen unübersteiglichen Damm bildet. Während
dieser Ausbrüche spürt die Stadt Orotava, die nur einen schmaler Damm von
den neuen Schlünden trennt, starke Erdstöße.

*Jahr 1706.* — Am 5. Mai. Ein weiterer Seitenausbruch des Pics von
Teneriffa. Der Schlund bricht ab südlich vom Hafen von Garachico, damls
dem schönsten und besuchtesten der Insel. Die volkreiche, wohlhabende
Stadt hatte eine malerische Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei
Lavaströme zerstören sie in wenigen Stunden; kein Haus blieb stehen. Der
Hafen, der schon im Jahr 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwasser viel
Erdreich hineingeführt, wurde so ausgefüllt, daß die sich aufthürmenden
Laven in der Mitte seines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings
um Garachico, wurde das Erdreich völlig umgewandelt. Aus der Ebene stiegen
Hügel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmassen wurden durch die
häufigen Erdstöße der Dammerde und des Pflanzenwuchses beraubt und blieben
nackst stehen. Nur die Fischer ließen nicht vom heimathlichen Boden.
Muthig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten sie wieder ein
Dörfchen auf Schlackenhaufen und dem verglasten Gestein.

*Jahr 1730.* — Am 1. September. Eine der furchtbarsten Catastrophen
zerstört den Landungsplatz der Insel Lancerota. Ein neuer Vulkan bildet
sich bei Temenfaya. Die Lavaströme und die Erdstöße, welche den Ausbruch
begleiten, zerstören eine Menge Dörfer, worunter die alten Flecken der
Guanchen Tingafa, Macintase und Guatisca. Die Stöße dauern bis 1736 fort,
und die Bewohner von Lancerota flüchten sich großen Theils auf die Insel
Fortanventra. Während dieses Ausbruchs, von dem schon im vorigen Capitel
die Rede war, sieht man eine dicke Rauchsäule aus der See aufsteigen.
Pyramidalische Felsen erheben sich über der Meeresfläche, die Klippen
werden immer größer und verschmelzen allmählich mit der Insel selbst.

*Jahr 1798.* — Am 9. Juni. Seitenausbruch des Pics von Teneriffa, am
Abhang des Berges Charhorra oder Venge, [Der Abhang des Berges Venge, auf
dem Ausbruch stattfand, heißt Chazajañe.] an einem völlig unbebauten Ort.
Dieser Berg, der sich an den Pic anlehnt, galt von jeher für eine
erloschenen Vulkan. Er besteht zwar aus festen Gebirgsarten, verhält sich
aber doch zum Pic wie der Monte Rosso, der im Jahr 1661 aufstieg, oder die
_boche nueve_, die im Jahr 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Vesuv. Der
Ausbruch des Chahorra währte drei Monate und sechs Tage. Die Lava und die
Schlacken wurden aus vier Mündungen in Einer Reihe ausgeworfen. Die drei
bis vier Toisen hoch aufgethürmte Lava legte drei Fuß in der Stunde
zurück. Da dieser Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Teneriffa
erfolgt war, so war der Eindruck desselben bei den Einwohnern noch sehr
lebhaft. Ich sah bei Herrn le Gros in Durasno eine von ihm an Ort und
Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo
Cologan hat diese Oeffnungen, acht Tage nachdem sie aufgebrochen, besucht
und die Haupterscheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufsatz beschrieben,
von dem er mir eine Abschrift mittheilte, um sie meiner Reisebeschreibung
einzuverleiben. Seitdem sind dreizehn Jahre verflossen; Bory St. Vincent
ist mir mit der Veröffentlichung des Aufsatzes zuvorgekommen, und so
verweise ich den Leser auf sein interessantes Werk: _Essai sur les îles
fortunées._ Ich beschränke mich hier darauf, Einiges über die Höhe
mitzutheilen, zu der sehr ansehnliche Felstücke aus den Oeffnungen des
Chahorra emporgeschleudert wurden. Cologan zählte während des Falls der
Steine 12–15 Secunden, [Cologan bemerkt, der Fall habe sogar über 15
Sekunden gedauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte,
bis er auffiel.] das heißt er fing im Moment zu zählen an, wo sie ihre
höchste Höhe erreicht hatten. Aus dieser interessanten Beobachtung geht
hervor, daß die Felstücke aus der Oeffnung über dreitausend Fuß hoch
geschleudert wurden.

Alle in dieser chronologischen Uebersicht verzeichneten Ausbrüche gehören
den drei Inseln Palma, Teneriffa und Lancerota an. Wahrscheinlich sind vor
dem sechzehnten Jahrhundert die übrigen Inseln auch vom vulkanischen Feuer
heimgesucht worden. Nach mit mitgetheilten unbestimmten Notizen läge
mitten auf der Insel Ferro ein erloschener Vulkan und ein anderer auf der
Großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig zu erfahren, ob sich
an der Kalkformation von Fortaventura oder am Granit und Glimmerschiefer
von Gomera Spuren des unterirdischen Feuers zeigen.

Die rein seitliche vulkanische Thätigkeit des Pics von Teneriffa ist
geologisch um so merkwürdiger, als sie dazu beiträgt, die Berge, die sich
an den Hauptvulkan anlehnen, isolirt erscheinen zu lassen. Allerdings
kommen auch beim Aetna und beim Vesuv die großen Lavaströme auch nicht aus
dem Krater selbst, und die Masse geschmolzener Stoffe steht meist im
umgekehrten Verhältniß mit der Höhe, in der sich die Spalte bildet, welche
die Lava auswirft. Aber beim Vesuv und Aetna endet ein Seitenausbruch
immer damit, daß der Krater, das heißt die eigentliche Spitze des Bergs,
Feuer und Asche auswirft. Beim Pic von Teneriffa ist solches seit
Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahr 1798
blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat sich nicht gesenkt,
während nach Leopolds von Buch scharfsinniger Bemerkung beim Vesuv die
größere oder geringere Tiefe des Kraters fast ein untrügliches Zeichen
ist, ob ein neuer Ausbruch bevorsteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie einst geschmolzenen Felsmassen
des Pics, wie die Basalte und Mandelsteine sich allmählich mit einer
Pflanzendecke überzogen haben, wie die Gewächse an den steilen Abhängen
des Vulkans vertheilt sind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der
canarischen Inseln zukommt.

Im nördlichen Theile des gemäßigten Erdstrichs bedecken cryptogamische
Gewächse zuerst die steinigte Erdrinde. Auf die Flechten und Moose, deren
Lauf sich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und anderen
phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heißen Erdstrichs und
zwischen den Tropen selbst. Allerdings findet man dort, was auch manche
Reisende sagen mögen, nicht allein auf den Bergen, sondern auch an
feuchten, schattigen Orten Funarien, Dicranum- und Bryumarten; unter den
zahlreichen Arten dieser Gattungen befinden sich mehrere, die zugleich in
Lappland, auf dem Pic von Teneriffa und in den blauen Bergen auf Jamaica
vorkommen; im Allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Ländern in
der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und Moosen. Auf den Canarien, wie
in Guinea und an den Felsenküsten von Peru, sind es die Saftpflanzen, die
den Grund zur Dammerde legen, Gewächse, deren mit unzähligen Oeffnungen
und Hautgefäßen versehenen Blätter der umgebenden Luft des darin
aufgelöste Wasser entziehen. Sie wachsen in den Ritzen des vulkanischen
Gesteins und bilden gleichsam die erste vegetabilische Schicht, womit sich
die Lavaströme überziehen. Ueberall wo die Laven verschlackt sind oder
eine glänzende Oberfläche haben, wie die Basaltkuppen im Norden von
Lancerota, entwickelt sich die Vegetation ungemein langsam darauf, und es
vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buschwerk darauf wächst. Nur wenn die
Lava mit Tuff und Asche bedeckt ist, verliert sich auf vulkanischen
Eilanden die Kahlheit, die sich in der erstene Zeit nach ihrer Bildung
auszeichnet, und schmücken sie sich mit einer üppigen glänzenden
Pflanzendecke.

In seinem gegenwärtigen Zustand zeigt die Insel Teneriffa oder das
*Chinerfe* [Aus *Chinerfe* haben die Europäer durch Corruption
*Tschineriffe*, *Teneriffa* gemacht.] der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die
man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der
Fichten, der Retama, der Gräser. Diese Zonen liegen am steilen Abhang des
Pics wie Stockwerke über einander und haben 1750 Toisen senkrechte Höhe,
während 15 Grad weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu
1300–1400 Toisen absoluter Höhe herabreicht. Wenn auf Teneriffa die
Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, so rührt dies nicht
daher, weil ewiges Eis(27) und die Kälte der umgebenden Luft ihnen
unübersteigliche Grenzen setzen: vielmehr lassen die verschlackten Laven
des Malpays und der dürre, zerriebene Bimsstein des Piton die Gewächse
nicht an den Kraterrand gelangen.

Die *erste Zone*, die der Reben, erstreckt sich vom Meeresufer bis in
2–300 Toisen Höhe; sie ist die am stärksten bewohnte und die einzige, wo
der Boden sorgfältig bebaut ist. In dieser tiefen Lage, im Hafen von
Orotava und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält sich der
hunderttheilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag
auf 15–17°; im Sommer steigt die Hitze nicht über 25 oder 26°, ist also um
5–6° geringer als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und
St. Petersburg eintritt. Dieß ergibt sich aus den Beobachtungen Savaggi´s
in den Jahren 1795–1799. Die mittlere Temperatur der Küste von Teneriffa
scheint wenigstens 21° (16°,8 R.) zu seyn, und ihr Klima steht in der
Mitte zwischen dem von Neapel und dem heißen Erdstrichs. Auf der Insel
Madera sind die mittleren Temperaturen des Januar und des August, nach
Heberden, 17°,7 und 23°,8, in Rom dagegen 5°,6 und 26°,1. Aber so ähnlich
sich die Klimate von Madera und Teneriffa sind, kommen doch die Gewächse
er ersteren Insel im Allgemeinen in Europa leichter fort als die von
Teneriffa. Der _Cheiranthus longifolius_ von Orotava z. B. erfriert in
Marseille, wie de Candolle beobachtet hat, während der _Cheiranthus
mutabilis_ von Madera dort im Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert
auf Madera nicht so lang als auf Teneriffa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baumartiger Euphorbien,
Mesembryanthemum-Arten, die vom Cap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes
verbreitet sind, die _Cacalia Kleinia_, der Drachenbaum, und andere
Gewächse, die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den saftigen
Blättern und der blaugrünen Färbung den Typus der Vegetation Afrikas
tragen. In dieser Zone werden der Dattelbaum, der Bananenbaum, der
Zuckerrohr, der indische Feigenbaum, _Arum colocasia_, dessen Wurzel dem
gemeinen Volk ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europäischen
Obstarten, der Weinstock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von
Ende März bis Anfang Mai geschnitten, und man hat mit dem Anbau des
Otaheite´schen Brodbaums, des Zimmtbaums von den Molukken, des Kaffeebaums
aus Arabien und des Cacaobaums aus Amerika gelungene Versuche gemacht. Auf
mehreren Punkten der Küste hat das Land ganz den Charakter einer
tropischen Landschaft. Chamärops und der Dattelbaum kommen auf der
fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Küste von Genua und in der
Provence bei Antibes unter 39–44 Grad der Breite ganz gut fort; einige
Dattelbäume wachsen sogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer
Temperatur von 2°,5 unter dem Gefrierpunkt aus. Wenn aber dem südlichen
Europa nur erst ein geringes Theil von Schätzen zugetheilt ist, welche die
Natur in der Region der Palmen ausstreut, so ist die Insel Teneriffa, die
unter derselben Breite liegt wie Egypten, das südliche Persion und
Florida, bereits mit denselben Pflanzengestalten geschmückt, welche den
Landschaften in der Nähe des Aequators ihre Großartigkeit verleihen.

Bei der Musterung der Sippen einheimischer Gewächse vermißt man ungern die
Bäume mit den zartgefiederten Blättern und die baumartigen Gräser. Keine
Art der zahlreichen Familie der Sensitiven ist auf ihrer Wanderung zum
Archipel der Canarien vorgedrungen, während sie auf beiden Continenten bis
zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika ist die _Schrankchia
uncinata_ Wildenows [_Mimosa horridula, Michaux_] bis hinauf in die Wälder
von Virginien verbreitet; in Afrika wächst die _Acacia gummifera_ auf den
Hügeln bei Mogador, in Asien, westwärts vom caspischen Meer, hat v.
Biberstein die Ebenen von Ehyrvan mit _Acacia stephaniana_ bedeckt
gesehen. Wenn man die Pflanzen von Lancerota und Fortaventura, die der
Küste von Marocco am nächsten liegen, genauer untersuchte, könnten sich
doch unter so vielen Gewächsen der afrikanischen Flora leicht ein paar
Mimosen finden.

Die *zweite Zone*, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von
Teneriffa; es ist dieß auch die Region der Quellen, die aus dem immer
frischen, feuchten Rasen sprudeln. Herrliche Wälder krönen die an den
Vulkan sich lehnenden Hügel Hier wachsen vier Lorbeerarten [_Laurus
indica, L. foetens, L. nobilis_ und _L. Til._. Zwischen diesen Bäumen
wachsen _Aridisia excelsa_, _Rhamnus glandulosus_, _Erica arborea_, _Erica
Texo._], eine der _Quercus Turneri_ aus den Bergen Tibets nahestehende
Eiche, [_Quercus Canariensis, Broussonet._] die _Visnea Mocanera_, die
_Myrica Faya_ der Azoren, ein einheimischer Olivenbaum (_Olea excelsa_),
der größte Baum in dieser Zone, zwei Arten _Sideroxylon_ mit ausnehmend
schönem Laub, _Arbutus callycarpa_ und andere immergrüne Baume aus der
Familie der Myrten. Winden und ein vom europäischen sehr verschiedener
Epheu (_Hedera canariensis_) überziehen die Lorbeerstämme, und zu ihren
Füßen wuchern zahllose Farn, [_Woodwardia radicans, Asplenium palmatum,
A. canariense, A. latifolium, Nothalaena subcurdata, Trichomanes
canariensis, T. speciosus_ und _Davallia canariensis_.] von denen nur drei
Arten [Zwei _Acrostichum_ und das _Ophyoglossum lusitanicum_.] schon in
der Regin der Reben vorkommen. Auf dem mit Moosen und zartem Grad
überzogenen Boden prangen überall die Blüthen der _Campanula aurea_, des
_Chrysanthemum pinnatifidum_, der _Mentha canariensis_ und mehrerer
strauchartiger Hypericumarten [_Hypericum canariense_, _H. floribundum_
und _H. glandulosum._]. Pflanzungen von wilden und geimpften Kastanien
bilden einen weiten Gürtel um das Gebiet der Quellen, welches das grünste
und lieblichste von allen ist.

Die *dritte Zone* beginnt in 900 Toisen absoluter Höhe, da wo die letzten
Gebüsche von Erdbeerbäumen, _Myrica Faya_ und des schönen Heidekrauts
stehen, das bei den Eingeborenen Texo heißt. Diese 400 Toisen breite Zone
besteht ganz aus einem mächtigen Fichtenwald, in dem auch Broussonets
_Juniperus Cedro_ vorkommt. Die Fichten haben sehr lange, ziemlich steife
Blätter, deren zuweilen zwei, meist aber drei in einer Scheide stecken. Da
wir ihre Früchte nicht untersuchen konnten, wissen wir nicht, ob diese
Art, die im Wuchs der schottischen Fichte gleicht, sich wirklich von den
achtzehn Fichtenarten unterscheidet, die wir bereits in der alten Welt
kennen. Nach der Ansicht eines berühmten Botanikers, dessen Reisen die
Pflanzengeographie Europas sehr gefördert haben, de Candolle,
unterscheidet sich die Fichte von Teneriffa sowohl von der _Pinus
atlantica_ in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo,(28)
die dem Becken des mittelländischen Meeres angehört und nicht über die
Säulen des Herkules hinauszugehen scheint. Die letzten Fichten fanden wir
am Pic etwa in 1200 Toisen Höhe über dem Meer. In den Cordilleren von
Neuspanien, im heißen Erdstrich, gehen die mexicanischen Fichten bis zu
2000 Toisen Höhe. So sehr auch die verschiedenen Arten einer und derselben
Pflanzengattung im Bau übereinkommen, so verlangt doch jede zu ihrem
Fortkommen einen bestimmten Grad von Wärme und Verdünnung der umgebenden
Luft. Wenn in den gemäßigten Landstrichen und überall, wo Schnee fällt,
die constante Bodenwärme etwas höher ist als die mittlere Lufttemperatur,
so ist anzunehmen, daß in der Höhe des Portillo die Wurzeln der Fichten
ihre Nahrung aus einem Boden ziehen, in dem in einer gewissen Tiefe der
Thermometer höchstens auf 9 bis 10 Grad steigt.

Die *vierte und fünfte Zone*, die der Retama und der Gräser, liegen so
hoch wie die unzugänglichsten Gipfel der Pyrenäen. Es ist dieß der öde
Landstrich der Insel, wo Haufen von Bimsstein, Obsidian und zertrümmerter
Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen lassen. Schon oben war von den
blühenden Büschen des Alpenginsters _(Spartium nubigenum)_ die Rede,
welche Oasen in einem weiten Aschenmeer bilden. Zwei krautartige Gewächse,
_Scrophularia glabrata_ und _Viola cheiranthifolia_, gehen weiter hinauf
bis ins Malpays. Ueber einem vom der afrikanischen Sonne ausgebrannten
Rasen bedeckt die _Cladonia paschalis_ dürre Strecken; die Hirten zünden
sie häufig an, wobei sich dann das Feuer sehr weit verbreitet. Dem Gipfel
des Pic zu arbeiten Urceolarien und andere Flechten an der Zersetzung des
verschlackten Gesteins, und so erweitert sich auf von Vulkanen verheerten
Eilanden Floras Reich durch die nie stockende Thätigkeit organischer
Kräfte.

Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Teneriffa, so sehen wir, daß die
ganze Insel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbäumen und Fichten
erscheint, der kaum an seinen Rändern von Menschen urbar gemacht ist, und
in der Mitte ein nacktes steinigtes Gebiet umschließt, das weder zum
Ackerbau noch zur Weide taugt. Nach Broussonets Bemerkung läßt sich der
Archipel der Canarien in zwei Gruppen theilen. Die erste begreift
Lancerota und Fortaventura, die zweite Teneriffa, Canaria, Gomera, Ferro
und Palma. Beide weichen im Habitus ihrer Vegetation bedeutend von
einander ab. Die ostwärts gelegenen Inseln, Lancerota und Fortaventura,
haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; sie sind fast quellen los, und
diese Eilande haben noch mehr als die andern die Charakter vom Continent
getrennter Länder. Die Winde wehen hier in derselben Richtung und zu
denselben Zeiten; _Euphorbia mauritanica_, _Atropa frutescens_ und
_Sonchus arborescens_ wuchern im losen Sand und dienen wie in Afrika den
Kameelen als Futter. Auf der westlichen Gruppe der Canarien ist das Land
höher, stärker bewaltet, und besser von Quellen bewässert.

Auf dem ganzen Archipel finden sich zwar mehrere Gewächse, die auch in
Portugal(29), in Spanien, auf den Azoren und im nordwestlichen Afrika
vorkommen, aber viele Arten und selbst einige Gattungen sind Teneriffa,
Porto-Santo und Madera eigenthümlich, unter andern _Mocanera_, _Plocama_,
_Bosea_, _Canarina_, _Drusa_, _Pittosporum_.Ein Typus, der sich als ein
nördlicher ansprechen läßt, der der Kreuzblüthen, [Von den wenigen
Cruciferen in der Flora von Teneriffa führen wir an: _Cheiranthus
longifolius_, _Ch. frutescens_, _Ch. scoparis,_ _Erysimum bicorne_,
_Crambe strigosa_, _C. laevigata_.] ist auf den Canarien schon weit
seltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Süden, im tropischen
Landstrich beider Continente, wo die mittlere Lufttemperatur über 22° ist,
verschwinden die Kreuzblüthen fast gänzlich.

Eine Frage, die für die Geschichte der fortschreitenden Entwicklung des
organischen Lebens auf dem Erdball von großer Bedeutung erscheint, ist in
neuerer Zeit viel besprochen worden, nämlich, ob polymorphe Gewächse auf
vulkanischen Inseln häufiger sind als anderswo? Die Vegetation von
Teneriffa unterstützt keineswegs die Annahme, daß die Natur auf
neugebildetem Boden in Pflanzenformen weniger streng festhält. Broussonet,
der sich so lang auf den Canarien aufgehalten, versichert, veränderlich
Gewächse seyen nicht häufiger als im südlichen Europa. Wenn auf der Inseln
Bourbon so viele polymorphe Arten vorkommen, sollte dies nicht vielmehr
von der Beschaffenheit Bodens und des Klimas herrühren, als davon, daß die
Vegetation jung ist?

Wohl darf ich mir schmeicheln, mit dieser Naturskizze von Teneriffa
einiges Licht über Gegenstände verbreitet zu haben, die bereits von so
vielen Reisenden besprochen worden sind; indessen glaube ich, daß die
Naturgeschichte dieses Archipels der Forschung noch ein weites Feld
darbietet. Die Leiter der wissenschaftlichen Entdeckungsfahrten, wie sie
England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland zu ihrem Ruhme
unternommen, haben meist zu sehr geeilt, von den Canaren wegzukommen. Sie
dachten, da diese Inseln so nahe bei Europa liegen, müßten sie genau
beschrieben seyn; sie haben vergessen, daß das Innere von Neuholland
geologisch nicht unbekannter ist als die Gebirgsarten von Lancerota und
Gomera, Porto-Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereisen Jahr für Jahr
ohne bestimmten Zweck die besuchtesten Länder Europas. Es wäre
wünschenswerth, daß einer und der andere, den ächte Liebe zur Wissenschaft
beseelt und dem die Verhältnisse eine mehrjährige Reise gestatten, den
Archipel der Azoren, Madera, die Canarien, die Inseln des grünen
Vorgebirgs und die Nordwestküste von Afrika bereiste. Nur wenn man die
atlantischen Inseln und das benachbarte Festland nach den selben
Gesichtspunkten untersucht und die Beobachtungen zusammenstellt, gelangt
man zur genauen Kenntniß der geologischen Verhältnisse und der Verbreitung
der Thiere und Gewächse.

Bevor ich die alte Welt verlasse und in die neue übersetze, habe ich einen
Gegenstand zu berühren, der allgmeineres Interesse bietet, weil der sich
auf die Geschichte der Menschheit und die historischen Verhängnisse
bezieht, durch welche ganze Volkssstämme vom Erdboden verschwunden sind.
Auf Cuba, St. Domingo, Jamaica fragt man sich, wo die Ureinwohner dieser
Länder hingekommen sind; auf Teneriffa fragt man sich, was aus den
Guanchen geworden ist, deren in Höhlen versteckte, vertrocknete Mumien
ganz allein der Vernichtung entgangen sind. Im fünfzehnten Jahrhundert
holten fast alle Handelsvölker, besonders aber die Spanier und
Portugiesen, Sklaven von den Canarien, wie man sie jetzt von der Küste von
Guinea holt. [Die spanischen Geschichtsschreiber sprechen von Fahrten,
welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben sollen, um
Guanchensklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da diese Fahrten
nach dem Jahr 1530 fallen müßten.] Die christliche Religion, die in ihren
Anfängen die menschliche Freiheit so mächtig förderte, mußte der
europäischen Habsucht als Vorwand dienen. Jedes Individuum, das gefangen
wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man
noch nicht zu beweisen gesucht, daß der Neger ein Mittelding zwischen
Mensch und Thier ist; der gebräunte Guanche und der afrikanische Neger
wurden auf dem Markte zu Sevilla mit einander verkauft, und man stritt
nicht über die Frage, ob nur Menschen mit schwarzer Haut und Wollhaar der
Sklaverei verfallen sollen.

Auf dem Archipel der Canarien bestanden mehrere kleine, einander feindlich
gegenüber stehende Staaten. Oft war dieselbe Insel zwei unabhängigen
Fürsten unterworfen, wie in der Südsee und überall, wo die Cultur noch auf
tiefer Stufe steht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieselbe
arglistige Politik, wie jetzt auf den Küsten von Afrika: sie leisteten den
Bürgerkriegen Vorschub. So wurde ein Guanche Eigenthum des andern, und
dieser verkaufte jenen den Europäern; manche zogen den Tod der Sklaverei
vor und tödteten sich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der
Canarien durch den Sklavenhandel, durch die Menschenräuberei der Piraten,
besonders aber durch lange blutige Zwiste bereits starke Verluste
erlitten, als Alonso de Lugo sie vollends eroberte. Den Ueberrest der
Guanchen raffte im Jahr 1494 größtentheils die berühmte Pest, die
sogenannte *Modorra* hin, die man den vielen Leichen zuschrieb, welche die
Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen lassen. Wenn ein
halb wildes Volk, das man um sein Eigenthum gebracht, im selben Lande
neben einer civilisirten Nation leben muß, so sucht es sich in den
Gebirgen und Wäldern zu isoliren. Inselbewohner haben keine andere
Zuflucht, und so war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des
siebzehnten Jahrhunderts so gut wie ausgerottet; außer ein paar alten
Männern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht immer verschmäht
haben, sich mit den Eingeborenen zu vermischen; aber die heutigen
Canarier, die bei den Spaniers schlechtweg *Isleños* heißen, haben
triftige Gründe, eine solche Mischung in Abrede zu ziehen. In einer langen
Geschlechtsfolge verwischen sich die charakteristischen Merkmale der
Racen, und da die Nachkommen der Andalusier, die sich auf Teneriffa
niedergelassen, selbst von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe sind, so kann
die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der Racen nicht merkbar
verändert worden seyn. Es ist Thatsache, daß gegenwärtig kein Eingeborener
von reiner Race mehr lebt, und sonst ganz wahrheitsliebende Reisende sind
im Irrthum, wenn sie glauben, bei der Besteigung des Pics schlanke,
schnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben. Allerdings wollen
einige canarische Familien vom letzten Hirtenkönig von Guimar abstammen,
aber diese Ansprüche haben wenig Grund; sie werden von Zeit zu Zeit wieder
laut, wenn einer aus dem Volk, der brauner ist als seine Landsleute, Lust
bekommt, sich um eine Officiersstelle im Dienste des Königs von Spanien
umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel seines Ruhms
erstiegen hatte, war es Brauch, die sanfte Gemüthsart der Guanchen zu
rühmen, wie man in unserer Zeit die Unschuld der Bewohner von Otaheiti
gepriesen hat. Bei beiden Bildern ist das Colorit glänzender als wahr.
Wenn die Völker, erschöpft durch geistige Genüsse, in der Verfeinerung der
Sitten nur Keime der Entartung vor sich sehen, so finden sie einen eigenen
Reiz in der Vorstellung, daß in weit entlegenen Ländern, beim Dämmerlicht
der Cultur, in der Bildung begriffene Menschenvereine eines reinen,
ungestörten Glückes genießen. Diesem Gefühl verdankt Tacitus zum Theil den
Beifall, der ihm geworden, als der den Römern, den Unterthanen der
Cäsaren, die Sitten der Germanen schilderte. Dasselbe Gefühl gibt den
Beschreibungen der Reisenden, die seit dem Ende des verflossenen
Jahrhunderts die Inseln des stillen Oceans besucht haben, den
unbeschreiblichen Reiz.

Die Einwohner der zuletzt genannten Inseln, die man wohl zu stark
gepriesen hat und die einst Menschenfresser waren, haben in mehr als einer
Beziehung Aehnlichkeit mit den Guanchen von Teneriffa. Beide sehen wir
unter dem Joche eines feudalen Regiments seufzen, und bei den Guanchen war
diese Staatsform, welche so leicht Kriege herbeiführt und sie nicht enden
läßt, durch die Religion geheiligt. Die Priester sprachen zum Volk:
»Achaman, der große Geist, hat zuerst die Edlen, die Achimenceys,
geschaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugetheilt. Nach den Edeln
hat Achaman das gemeine Volk geschaffen, die Achicaxnas; dieses jüngere
Geschlecht nahm sich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das
höchste Wesen erwiederte, das Volk sey dazu da, den Edeln dienstbar zu
seyn, und habe kein Eigenthum nöthig.« Eine solche Ueberlieferung mußte
den reichen Vasallen der Hirtenkönige ungemein behagen; auch stand dem
Faycan oder Oberpriester das Recht zu, in den Adelstand zu erheben, und
ein Gesetz verordnete, daß jeder Achimencey, der sich herbeiließe, eine
Ziege mit eigenen Händen zu melken, seines Adels verlustig seyn sollte.
Ein solches Gesetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des
homerischen Zeitalters. Es befremdet, wenn man schon bei den Anfängen der
Cultur die nützliche Beschäftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit
Verachtung gebrandmarkt sieht.

Die Guanchen waren berühmt durch ihren hohen Wuchs; sie erschienen als die
Patagonen der alten Welt und die Geschichtschreiber übertrieben ihre
Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reisen dem Volksstamm
am Südende von Amerika eine colossale Körpergröße zuschrieb. Mumien von
Guanchen habe ich nur in den europäischen Cabinetten gesehen; zur Zeit
meiner Reise waren sie auf Teneriffa sehr selten; man müßte sie aber in
Menge finden, wenn man die Grabhöhlen, die am östlichen Abhang des Pics
zwischen Arico und Guimar in den Fels gehauen sind, bergmännisch
aufbrechen ließe. Diese Mumien sind so stark vertrocknet, daß ganze Körper
mit der Haut oft nicht mehr als sechs bis sieben Pfund wiegen, das heißt
ein Drittheil weniger als das Skelett eines gleich großen Individuums, von
dem man eben das Muskelfleisch abgenommen hat. Die Schädelbildung ähnelt
einigermaßen der der weißen Race der alten Egypter, und die Schneidezähne
sind auch bei den Guanchen stumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber diese
Zahnform ist rein künstlich und bei genauerer Untersuchung der Kopfbildung
der alten Guanchen haben geübte Anatomen [Blumenbach, _Decas quinta
collectionis craniorum diversarum gentium illustrium._] gefunden, daß sie
im Jochbein un dim Unterkiefer von den ägyptischen Mumien bedeutend
abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, so findet man Ueberbleibsel
aromatischer Kräuter, unter denen immer das _Chenopodium ambrosioides_
vorkommt; zuweilen sind die Leichen mit Schnüren geschmückt, an denen
kleine Scheiben aus gebrannter Erde hängen, die als Zahlzeichen gedient zu
haben scheinen und die mt den Quippos der Peruaner, Mexicaner und Chinesen
Aehnlichkeit haben.

Da im Allgemeinen die Bevölkerung von Inseln den umwandelnden Einflüssen,
wie sie Folgen von Wanderungen sind, weniger ausgesetzt ist als die
Bevölkerung der Festländer, so läßt sich annehmen, daß der Archipel der
Canarien zur Zeit der Carthager und Griechen vom selben Menschenstamm
bewohnt war, den die normännischen und spanischen Eroberer vorfanden. Das
einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen
kann, ist ihre Sprache; leider sind uns aber davon nur etwa hundert
fünfzig Worte aufbehalten, die zum Theil dasselbe in der Mundart der
verschiedenen Inseln bedeuten. Außer diesen Worten, die man sorgfältig
gesammelt, hat man in den Namen vieler Dörfer, Hügel und Thäler wichtige
Sprachreste vor sich. Die Guanchen, wie Basken, Hindus, Peruvianer und
alle sehr alten Völker, benannten die Oertlichkeiten nach der
Beschaffenheit des Bodens, den sie bebauten, nach der Gestalt der Felsen,
deren Höhlen ihnen als Wohnstätten dienten, nach den Baumarten, welche die
Quellen beschatteten.

Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine
Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber seit die Sprachforscher durch
Hornemanns Reise und durch die scharfsinnigen Untersuchungen von Marsden
und Ventura auf die Berbern aufmerksam geworden sind, die, gleich den
slavischen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke verbreitet
sind, hat man gefunden, daß in der Sprache der Guanchen und in den
Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir führen folgende Beispiele an:

+-------------+----------------+----------------+
|             |     Guanchisch |     Berberisch |
+-------------+----------------+----------------+
|     Himmel, |      *Tigo*,   |      *Tigot.*  |
+-------------+----------------+----------------+
|      Milch, |       *Aho*,   |      *Acho.*   |
+-------------+----------------+----------------+
|     Gerste, |     *Temasen*  |     *Tomzeen.* |
+-------------+----------------+----------------+
|      Korb,  |     *Carianas* |     *Carian.*  |
+-------------+----------------+----------------+
|     Wasser, |      *Aenum*   |      *Anan.*   |
+-------------+----------------+----------------+

Ich glaube nicht, daß diese Sprachähnlichkeit ein Beweis für gemeinsamen
Ursprung ist; aber sie deutet darauf hin, daß die Guanchen in alter Zeit
in Verkehr standen mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die
Numidier, Getuler und Garamanten verschmolzen sind und das vom Ostende des
Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oase von Syuah und Audjelah
sich ausbreitet. Die Eingeborenen der Canarien nannten sich Guanchen, von
*Guan*, Mensch, wie die Tongusen sich *Pye* und *Donky* nennen, welche
Worte dasselbe bedeuten, wie Guan. Indessen sind die Völker, welche die
Berbersprache sprechen, nicht alle desselben Stammes, und wenn Scylax in
seinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs
mit langen Haaren beschreibt, so erinnert dieß an die körperlichen
Eigenschaften der canarischen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philosophischem Gesichtspunkte untersucht,
desto mehr zeigt sich, daß keine ganz allein steht; diesen Anschein würde
auch die Sprache der Guanchen(30) noch weniger haben, wenn man von ihrem
Mechanismus und ihrem grammatischen Bau etwas wüßte, Elemente, welche von
größerer Bedeutung sind als Wortform und Gleichlaut. Es verhält sich mit
gewissen Mundarten wie mit den organischen Bildungen, die sich in der
Reihe der natürlichen Familien nirgends unterbringen lassen. Sie stehen
nur scheinbar so vereinzelt da; der Schein schwindet, so bald man eine
größere Masse von Bildungen überblickt, wo dann die vermittelnden Glieder
hervortreten.

Gelehrt, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt,
Egypten sehen, sind vielleicht der Ansicht, das Geschlecht Typhons und die
Guanchen stehen in Zusammenhang mittelst der Berbern, ächter Atlanten, zu
denen die Tibbos und Tuarycks der Wüste gehören. [Hornemanns Reise von
Cairo nach Mourzouk.] Es genügt hier aber an der Bemerkung, daß eine
solche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwischen der Berbersprache und
dem Coptischen, das mit Recht für ein Ueberbleibsel des alten Egyptischen
gilt, unterstützt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, stammt von Spaniern und zu einem
sehr kleinen Theil von Normannen ab. Obgleich diese beiden Volksstämme
drei Jahrhunderte lang demselben Klima ausgesetzt gewesen sind, zeichnet
sich dennoch der letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der
Normannen wohnen im Thal Taganana zwischen Punte de Naga und Punta de
Hidalgo. Die Namen Grandville und Dampierre kommen in diesem Bezirke noch
ziemlich häufig vor. Die Canarier sind ein redliches, mäßiges und
religiöses Volk; zu Haus zeigen sie aber weniger Betriebsamkeit als in
fremden Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeist treibt diese Insulaner,
wie die Biscayer und Catalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen, und
in Amerika überall hin, wo es spanische Colonien gibt, von Chili und dem
la Plata bis nach Neumexico. Ihnen verdankt man großentheils die
Fortschritte des Ackerbaus in den Colonien. Der ganze Archipel hat kaum
160,000 Einwohner, und der *Isleños* sind vielleicht in der neuen Welt
mehr als in ihrer alten Heimath.

+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|             | hatte auf Q. | i. J. | Einwohner | auf die Q.M. |
|             | Seemeilen    |       |           |              |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Teneriffa    | 73           | 1790  | 70,000,   | 958          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Fortaventura | 63           | 1790  | 9,000,    | 142          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Die große    | 60           | 1790  | 50,000,   | 833          |
|Canaria      |              |       |           |              |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Palma        | 27           | 1790  | 22,600,   | 837          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Lancerota    | 26           | 1790  | 10,000,   | 384          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Gomera       | 14           | 1790  | 7,400,    | 528          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+
|Ferro        | 7            | 1790  | 5,000,    | 714          |
+-------------+--------------+-------+-----------+--------------+

An Wein werden auf Teneriffa geerntet 20–24,000 Pipes, worunter 5000
Malvasier; jährliche Ausfuhr von Wein 8–9000 Pipes; Gesammt-Getreideernte
des Archipels 54,000 Fanegas zu hundert Pfund. In gemeinen Jahren reicht
diese Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die großentheils von Mais,
Kartoffeln und Bohnen (_Frisoles_) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und
der Baumwolle ist von geringem Belang, und die vornehmsten Handelsartikel
sind Wein, Branntwein, Orseille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung,
die Tabakspacht eingerechnet, 240,000 Piaster.

Auf nationalökonomische Erörterungen über die Wichtigkeit der canarischen
Inseln für die Handelsvölker Europas lasse ich mich nicht ein. Ich
beschäftigte mich während meines Aufenthalts zu Caracas und in der Havana
lange mit statistischen Untersuchungen über die spanischen Colonien, ich
stand in genauer Verbindung mit Männern, die auf Teneriffe bedeutende
Aemter bekleidet, und so hatte ich Gelegenheit, viele Angaben über den
Handel von Santa Cruz und Orotava zu sammeln. Da aber mehrere Gelehrte
nach mir die Canarien besucht haben, standen ihnen dieselben Quellen zu
Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken,
die vor dem meinigen erschienen sind, genau verzeichnet steht. Ich
beschränke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schildung, die
ich vom Archipel der Canarien entworfen, geschlossen seyn mag.

Es ergeht diesen Inseln, wie Egypten, der Krimm und so vielen Ländern,
welche von Reisenden, welche in Contrasten Wirkung suchen, über das Maaß
gepriesen oder heruntergesetzt worden sind. Die einen schildern von
Orotava aus, wo sie ans Land gestiegen, Teneriffa als einen Garten der
Hesperiden; sie können das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen
Anbau nicht genug rühmen; andere, die sich in Santa Cruz aufhalten mußten,
sahen in den glückseligen Inseln nichts als ein kahles, dürres, von einem
elenden, geistesbeschränkten Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, daß
die Natur auf diesem Archipelagus, wie in den meisten gebirgigen und
vulkanischen Ländern, ihre Gaben sehr ungleich vertheilt hat. Die
canarischen Inseln leiden im Allgemeinen an Wassermangel; aber wo sich
Quellen finden, wo künstlich bewässert wird oder häufig Regen fällt, da
ist auch der Boden ausnehmend fruchtbar. Das niedere Volk ist fleißig,
aber es entwickelt seine Thätigkeit ungleich mehr in fernen Colonien als
auf Teneriffa selbst, wo dieselbe auf Hindernisse stößt, die eine kluge
Verwaltung allmählich aus dem Wege räumen könnte. Die Auswanderung wird
abnehmen, wenn man sich entschließt, das unangebaute Grundeigenthum des
Staats unter der Einwohnerschaft zu vertheilen, die Ländereien, welche zu
den Majoraten der großen Familien gehören, zu verkaufen und allmählich die
Feudalrechte abzuschaffen.

Die gegenwärtige Bevölkerung der Canarien erscheint allerdings
unbedeutend, wenn man sie mit der Bevölkerung mancher europäischen Länder
vergleicht. Die Insel Madera, deren fleißige Bewohner einen fast von
Pflanzenerde entblößten Felsen bebauen, ist siebenmal kleiner als
Teneriffa, und doch doppelt so stark bevölkert; aber die Schriftsteller,
die sich darin gefallen, die Entvölkerung der spanischen Colonien mit so
grellen Farben zu schildern und den Grund davon in der kirchlichen
Hierarchie suchen, übersehen, daß überall seit der Regierung Philipps V.
die Zahl der Einwohner in mehr oder minder rascher Zunahme begriffen ist.
Bereits ist auf den Canaren die Bevölkerung relativ stärker als in beiden
Castilien, in Estremadure und in Schottland. Alle Inseln zusammengerückt
stellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebentheil weniger Flächeninhalt
hat als die Insel Corsica und doch gleich viel Einwohner zählt.

Obgleich die Inseln Fortaventura und Lancerota, die am schlechtesten
bevölkert sind, Getreide ausführen, während Teneriffa gewöhnlich nicht
zwei Drittheile seines Bedarfs erzeugt, so darf man doch daraus nicht den
Schluß ziehen, daß auf letzterer Insel die Bevölkerung aus Mangel an
Lebensmitteln nicht zunehmen könnte. Die canarischen Inseln sind noch auf
lange vor den Uebeln der Ueberbevölkerung bewahrt, deren Ursachen Mathus
so sicher und scharfsinnig entwickelt hat. Das Elend des Volks ist um
vieles gelindert worden, seit der Kartoffelbau eingeführt ist und man
angefangen hat mehr Mais als Gerste und Weizen zu bauen.

Die Bewohner der Canarien sind ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und
ein Inselvolk zugleich. Will man sie richtig beurtheilen, muß man sie
nicht nur in ihrer Heimath sehen, wo ihr Fleiß auf gewaltige Hemmnisse
stößt; man muß sie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem
Rücken der Anden, auf den glühenden Ebenen der Philippinen, überall wo
sie, einsam in unbewohnten Ländern, Gelegenheit finden die Kraft und die
Thätigkeit zu entwickeln, welcher der wahre Reichthum des Colonisten sind.

Die Canarier gefallen sich darin, ihr Land als einen Theil des
europäischen Spaniens zu betrachten, und sie haben auch wirklich die
castilianische Literatur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfasser des
*Pensador*), Viera, Yriarte und Betancourt sind in Wissenschaft und
Literatur mit Ehren genannt; das canarische Volk besietzt die lebhafte
Einbildungskraft, die den Bewohnern von Andalusien und Grenada eigen ist,
und es ist zu hoffen, daß die glückseligen Inseln, wo der Mensch wie
überall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinst
einen eingebornen Dichter finden, der sie würdig besingt.

                            ------------------



   10 Die Schwäche der Lebenskraft zeigt sich an den Maulbeerbäumen, die
      auf magerem sandigen Boden in der Nähe des baltischen Meeres gezogen
      werden. Die Spätfröste thun ihnen weit weher als den Maulbeerbäumen
      in Piemont. In Italien bringt ein Frost von 5 Grad unter dem
      Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume nicht um. Diese Bäume, die
      weniger empfindlich sind als Citronen, erfrieren nach Galesio erst
      bei –10° der hunderttheiligen Scale.

   11 Adanson wundert sich, daß die Baobabs nicht von andern Reisenden
      beschrieben worden seyen. Ich finde in der Sammlung des Grynäus, daß
      schon Aloysio Cadamosto vom hohen Alter dieser ungeheuren Bäume
      spricht, die er im Jahr 1504 gesehen, und von denen er ganz richtig
      sagt: _»eminentia altitudinis non quadrat magnitudini.«
      Cadam. navig. c. 42_. Am Senegeal und bei Praya auf den Cap
      Verdischen Inseln haben Adanson und Staunton Adansonien gesehen,
      deren Stamm 56 bis 60 Fuß im Umfang hatte. Den Baobab mit 34 Fuß
      Durchmesser hat Golberry im Thal der zwei Gagnack gesehen.

   12 Ebenso verhält es sich mit den Platanen _(Platanus occidentalis)_,
      die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemessen hat und die 20 Fuß
      über dem Boden noch 15 7/10 Fuß im Durchmesser hatten. Die Taxus,
      die Kastanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypressen, die
      Bombax, die Mimosen, die Cäsalpinen, die Hymenäen und die
      Drachenbäume sind, wie mir scheint, die Gewächse, bei denen in
      verschiedenen Klimaten Fälle von so außerordentlichem Wachsthum
      vorkommen. Eine Eiche, die zugelcih mit gallischen Helmen im Jahr
      1809 in den Torfgruben im Departement der Somme beim Dorf Aseux,
      sieben Lieues von Abbéville, gefunden wurde, gibt dem Drachenbaum
      von Orotava in der Dicke nichts nach. Nach Angabe von Traullée hatt
      der Stamm der Eiche 14 Fuß Durchmesser.

   13 Schousboue (Flora von Marocco) erwähnt seiner nicht einmal unter den
      cultivirten Pflanzen, während er doch vom Cactus, von der Agave und
      der Yucca spricht. Die Gestalt des Drachenbaumes kommt verschiedenen
      Arten der Gattung Dracaena am Cap der Guten Hoffnung, in China und
      auf Neuseeland zu; aber in der neuen Welt vertritt die Yucca die
      Stelle derselben; denn die _Dracaena borealis_ d’Aitons ist eine
      _Convallaria_, deren Habitus sie auch hat. Der im Handel unter dem
      Namen Drachenblut bekannte adstringierende Saft kommt nach unseren
      Untersuchungen an Ort und Stelle von verschiedenen amerikanischen
      Pflanzen, die nicht derselben Gattung angehören, unter denen sich
      einige Lianen befinden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöstern
      Zahnstocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt sind, und
      die man uns sehr anpries, weil sie das Zahnfleische conserviren
      sollten.

   14 Diese Benennung war schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im
      Brauch. Edens, der alle spanischen Wörter verdreht, wie noch heute
      die meisten Reisenden, nennt sie *Stancha*; es ist Bordas *Station
      des rochers*, wie aus den daselbst beobachteten Barometerhöhen
      hervorgeht. Diese Höhen waren nach Cordier im Jahr 1803 19 Zoll 9,5
      Linien, und nach Borda und Varela im Jahr 1776 19 Zoll 9,8 Linien,
      während er Barometer zu Orotava bis auf eine Linie ebenso hoch
      stand.

   15 In den meisten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George, zwischen
      Riort und Rolle, bildet sich an den Kalksteinwänden selbst im Sommer
      eine dünne Schichte durchsichtigen Eises. Pictet hat die Beobachtung
      gemacht, daß der Thermometer alsdann in der Luft der Höhle nicht
      unter 2 – 3° steht, so daß man das Frieren des Wassers einer
      örtlichen, sehr raschen Verdunstung zuzuschreiben hat.

   16 In der Rechung wurden für 91° 54’ scheinbaren Abstands vom Zenith
      57’ 7" Refraction angenommen. Die Sonne erscheint bei ihrem Aufgang
      auf dem Pic von Teneriffa um so viel früher, als sie braucht, um
      einen Bogen von 1° 54’ zurückzulegen. Für den Gipfel des Chimborazo
      nimmt dieser Bogen nur um 41’ zu. Die Alten hatten so übertriebenen
      Vorstellungen von der Beschleunigung des Sonnenaufgangs auf dem
      Gipfel hoher Berge, daß sie behaupteten, die Sonne sey auf dem Berg
      Athos drei Stunden früher sichtbar, als am Ufer des ägeischen
      Meeres. (Strabo Buch VII.) Und doch ist der Athos nach Delambre nur
      713 Toisen hoch.

   17 Diese Frage ist mit großem Scharfsinn von Breislack in seiner
      _Introduzzione alle Geologia_ erörtert. Der Cotopaxi und der
      Popocatepetl, die ich im Jahr 1804 Rauch und Asche auswerfen sah,
      liegen weiter vom großen Ocean und dem Meere der Antillen als
      Grenoble vom Mittelmeer und Orleans vom atlantischen Meer. Man kann
      es allerdings nicht als einen bloßen Zufall ansehen, daß man keinen
      thätigen Vulkan entdeckt hat, der über 40 Seemeilen von der
      Meeresküste läge; aber die Hypothese, nach der das Meerwasser von
      den Vulkanen aufgesogen, destillirt und zersetzt würde, scheint mit
      sehr zweifelhaft.

   18 Von allen kleinen canarischen Inseln ist nur die Rocca del Este vom
      Pic auch bei hellem Wetter nicht zu sehen. Sie liegt 3°,5 ab,
      Salvage dagegen nur 2° 1’. Die Insel Madera, die 4° 29’ entfernt
      ist, wäre nur dann zu sehen, wenn ihre Berge über 3000 Toisen hoch
      wären.

   19 »_La refraction de par todo._« Wir haben schon oben bemerkt, daß die
      amerikanischen Früchte, welche das Meer häufig an die Küsten von
      Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächse der Insel San Borondon
      gehalten wurden. Dieses Land, das nach der Volkssage von einen
      Erzbischof und sechs Bischöfen regiert wurde, und das, nach Pater
      Feijoos Ansicht, das auf einer Nebelschicht projicirte Bild der
      Insel Ferro ist, wurde im sechzehnten Jahrhundert vom König von
      Portugal Ludwig Perdigon geschenkt, als dieser sich zur Eroberung
      desselben rüstete.

   20 Nach Odonell und Armstrong stand auf dem Gipfel des Pics am
      2. August 1806 um acht Uhr Morgnes der Thermometer im Schatten auf
      13°,8, in der Sonne auf 20°,5; Unterschied oder Wirkung der
      Sonne: 6°,7.

   21 Im Merz 1805 fingen Gay-Lussac und ich beim Hospiz auf dem Mont
      Cenis in einer stark elektrisch geladenen Wolke Luft auf und
      zerlegten sie im Volta´schen Eudometer. Sie enthielt keinen
      Wasserstoff und nicht um 0,002 weniger Sauerstoff als die Pariser
      Luft, die wir in hermetisch verschlossenen Flaschen bei uns hatten.

   22 Da viele Reisende, welche bei Santa Cruz de Teneriffa anlegen, die
      Besteigung des Pics unterlassen, weil sie nicht wissen, wie viel
      Zeit man dazu braucht, so sind die folgenden Angaben wohl nicht
      unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Engländer sich der
      Maulthiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Besteigung des
      Pics und zur Rückkehr in den Hafen 21 Stunden; nämlich von Orotava
      zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felsenstation 6, von da
      nach der Caldera 3 ½. Für die Rückkehr rechne ich 9 Stunden. Es
      handelt sich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt,
      keineswegs von der, die man auf die Untersuchung der Produkte des
      Pic oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tag gelangt man von
      Santa Cruz de Teneriffa nach Orotava.

   23 Auf dieser Insel sah der carthaginensische Feldherr zum erstenmal
      eine große menschenähnliche Affenart, die Gorillas. Er beschreibt
      sie als durchaus behaarte Weiber, und als höchst bösartig, weil sie
      sich mit Nägeln und Zähnen wehrten. Er rühmt sich, ihrer drei die
      Haut abgezogen zu haben, um sie mitzunehmen. Gosselin verlegt die
      Insel der Gorillas an die Mündung des Flusses Nun, aber nach dieser
      Annahme müßte der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elephanten weiden
      sah, unter 35½ Grad Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika.

_   24 Aristoteles, Mirab. Auscultat._ Solinus sagt vom Atlas: _vertex
      semper nivalis lucet nocturnis ignibus_; aber dieser Atlas ist
      gleich dem Berge Meru der Hindus ein aus richtigen Begriffen und
      mythischen Fictionen zusammengesetztes Ding, und lag nicht auf einer
      der hesperischen Inseln, wie Abbé Viera und nach ihm verschiedene
      Reisende annehmen, die den Pic von Teneriffa beschreiben. Die
      folgenden Stellen lassen keinen Zweifel hierüber: Herodot IV, 184.
      Strabo XVII. Mela III, 10. Plinius V, 1. Solinus I, 24, sogar Diodor
      von Sicilien III.

   25 Der Berg hieß auch *Aya-dyrma*, in welchem Wort Horn (_de Origin.
      Americ. p._ 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach
      Strabo, Plinius und Solinus *Dyris* war. Diese Ableitung ist höchst
      zweifelhaft; lagt man auf die Vokale mehr Werth, als sie bei den
      orientalischen Völkern haben, so findet man *Dyris* fast ganz in
      *Daran*, wie die arabischen Geographen den östlichen Theil des
      Atlasgebirges nennen.

_   26 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et
      inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus
      conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hispanas sexaginta
      vel septuaginta, non difficulter eam intueantur. Quod cernatur a
      longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in
      medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim
      mensuram excedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter
      flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui
      capti aliquando haec animadvertere. __Al. Cadamusti__ Navigatio ad
      terras incognitas c. 8._

   27 Obgleich der Pic von Teneriffa sich nur in den Wintermonaten mit
      Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die seiner Breite
      entsrpechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz
      schneefrei ist, so könnte dieß nur von der freien Lage des Berges in
      der weiten See, von der Häufigkeit aufsteigender sehr warmer Winde
      oder von der hohen Temperatur der Asche des Piton herrühren.. Beim
      gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse lassen sich diese Zweifel
      nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexicos bis zum Parallel der
      Pyrenäen und der Alpen, zwischen dem 20. und dem 45. Grad ist die
      Curve des ewigen Schnees durch keine direkte Messung bestimmt
      worden, und da sich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0°,
      20°, 45°, 62° und 71° nördlicher Breite bekannt sind, unendliche
      viele Curven ziehen lassen, so kann die Beobachtung nur sehr
      mangelhaft durch Rechnung ergänzt werden. Ohne es bestimmt zu
      behaupten, kann man als wahrscheinlich annehmen, daß unter 28° 17’
      die Schneegrenze über 1900 Toisen liegt. Vom Auquator an, wo der
      Schnee mit 2460 Toisen, also etwa in der Höhe des Montblanc beginnt,
      bis zum 20. Breitegrad, also bis zur Grenze des heißen Erdstrichs,
      rückt der Schnee nur 100 Toisen herab; läßt sich demnach annehmen,
      daß 8 Grad weiter in einem Klima, das fast noch durchaus als ein
      tropisches erscheint, der Schnee schon 400 Toisen tiefer stehen
      sollte? Selbst vorausgesetzt, der Schnee rückte vom 20. bis zum
      45. Breitegrad in arithmetischer Progression herab, was den
      Beobachtungen widerspricht, so finge der ewige Schnee unter der
      Breite des Pic erst bei 2050 Toisen über der Meeresfläche an, somit
      550 Toisen höher als in den Pyrenäen und in der Schweiz. Dieses
      Ergebniß wird noch durch andere Beobachtungen unterstützt. Die
      mittlere Temperatur der Luftschicht, mit der der Schnee im Sommer in
      Berührung kommt, ist in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem
      Aequator ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 28½
      Grad sey die Temperatur gleich Null, so ergibt sich nach dem Gesetz
      der Wärmeabnahme, auf 98 Toisen einen Grad gerechnet, das der Schnee
      in 2058 Toisen über einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von
      21°, wie sie der Küste von Teneriffa zukommt, lieben bleiben muß.
      Diese Zahl stimmt fast ganz mit der, welche sich bei der Annahme
      einer arithmetischen Progression ergibt. Einer der Hochgipfel der
      Sierra de Nevada de Grenada, der Pico de Beleta, dessen absolute
      Höhe 1781 Toisen beträgt, ist beständig mit Schnee bedeckt; da aber
      die untere Grenze des Schnees hier nicht gemessen worden ist, so
      trägt dieser Berg, der unter 37° 10’ der Breite liegt, zur Lösung
      des vorliegenden Problems nichts bei. Durch die Lage des Vulkans von
      Teneriffa mitten auf einer nicht großen Insel kann die Curve des
      ewigen Schnees schwerlich hinaufgeschoben werden. Wenn die Winter
      auf Inseln weniger streng sind, so sind dagegen auch die Sommer
      weniger heiß, und die Höhe des Schnees hängt nicht sowohl von der
      ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mittlere
      Wärme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee schon
      bei 1500 Toisen oder  selbst etwas tiefer, was bei einem unter 37½°
      der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend erscheint. In der
      Nähe des Polarkreises, wo die Sommerhitze durch den fortwährend aus
      dem Meere aufsteigenden Nebel gemildert wird, zeigt sich der
      Unterschied zwischen Inseln oder Küsten und dem inneren Lande höchst
      auffallend. Auf Island z. B. ist auf dem Osterjöckull, unter 65° der
      Breite, die Grenze des ewigen Schnees in 482, in Norwegen dagegen,
      unter 67°, fern von der Küste in 600 Toisen Höhe, und doch sind hier
      die Winter ungleich strenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur
      geringer als in Island. Nach diesen Angaben erscheint es als
      wahrscheinlich, daß Bouquer und Saussure im Irrthum sind, wenn sie
      annehmen, daß der Pic von Teneriffa die untere Grenze des ewigen
      Schrees erreiche. Unter 28° 17’ der Breite ergeben sich für diese
      Grenze wenigstens 1950 Toisen, selbst wenn man sie zwischen dem
      Aetna und den Bergen von Mexico durch Interpolation berechnet.
      Dieser Punkt wird vollständig ins Reine gebracht werden, wenn einmal
      der westliche Theil des Atlas gemessen ist, wo bei Marocco unter 31½
      Grad Breite ewiger Schnee liegt.

_   28 Pinus halepensis._ Nach de Candolles Bemerkung hieße diese Fichte,
      die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreicht und Spanien
      gegen das Mittelmeer in Italien, in Kleinasien und in der Barbarei
      vorkommt besser _Pinus mediterranea._ Sie ist der herrschende Baum
      in den Fichtenwäldern des südöstlichen Frankreichs, wo sie von Gonan
      und Gerard mit der _Pinus sylvestris_ verwechselt worden ist.

   29 Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pic von Teneriffa das
      schöne _Satyrium diphyllum_ (_Orchis cordata, Willd._) erkannt, die
      Link in Portugal gefunden. Die Canarien haben nicht die _Dicksonia
      Culcita_, den einzigen Baumfarn, der unter 39° der Breite vorkommt,
      wohl aber _Asplenium palmatun_ und _Myrica Faya_ mit der Flora der
      Azoren gemein. Letzterer Baum findet sich in Portugal wild,
      Hofmannsegg hat sehr alte Stämme  gesehen, es bleibt aber
      zweifelhaft, ob er in diesen Theil unseres Continents einheimisch
      oder eingeführt ist. Denkt man über die Wanderungen der Gewächse
      nach zieht man in Betracht, daß es geologisch möglich ist, daß
      Portugal, die Azoren, die Canarien und die Atlaskette einst durch
      nunmehr im Meer versunkene Länder zusammengehangen habe, so
      erscheint das Vorkommen der _Myrica Facya_ im westlichen Europa zum
      mindestens ebenso auffallend, als wenn die Fichte von Aleppe auf den
      Azoren vorkäme.

   30 Nach Vaters Untersuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende
      Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit aus einander gelegener Völker:
      Hund bei den Huronen in Amerika _aguienon_, bei den Guanchen aguyan;
      *Mensch* bei den Peruanern _cari_, bei den Guanchen _coran_; *König*
      bei den Mandingos in Afrika _monso_, bei den Guanchen _monsey_. Der
      Name der Insel Gomera kommt um Worte Gomer zum Vorschein, das der
      Name eines Berberstammes ist. (*Vater*, Untersuchungen über Amerika,
      S. 170.) Die Guanchischen Worte _alcorac_, Gott, und _almogaron_,
      Tempel, scheinen arabischen Ursprungs, wenigstens bedeutet in
      letzterer Sprache _almoharram_ *heilig*.



DRITTES KAPITEL


     Überfahrt von Teneriffa an die Küste von Südamerika — Ankunft in
                                  Cumana


Am 25. Juni Abends verließen wir die Rhede von Santa Cruz und schlugen den
Weg nach Südamerika ein. Es wehte stark aus Nordost und das Meer schlug in
Folge der Gegenströmungen kurze gedrängte Wellen. Die canarischen Inseln,
auf deren hohen Bergen ein röthlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem
Gesicht. Nur der Pic zeigte sich von Zeit zu Zeit in Blinken,
wahrscheinlich, weil der in der hohen Luftregion herrschende Wind dann und
wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erstenmal empfanden wir,
welchen lebhaften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des
heißen Erdgürtels, wo die Natur so reich, so großartig und so wundervoll
auftritt, auf unser Gemüth macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Teneriffa
verweilt, und doch schieden wir von der Insel, als hätten wir lange dort
gelebt.

Unsere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem östlichsten Hafen von
Terra Firma, war so schön als je eine. Wir schnitten den Wendekreis des
Krebses am 27., und obgleich der *Pizarro* eben kein guter Segler war,
legten wir doch den neunhundert Meilen [4050 km] langen Weg von Küste von
Afrika zur Küste der neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir fuhren auf 50
Meilen [225 km] westwärts am Vorgebirge Bojador, am weißen Vorgebirge und
an den Inseln des grünen Vorgebirges vorüber. Ein paar Landvögel, der der
starke Wind auf die hohe See verschlagen, zogen uns einige Tage nach.
Hätten wir nicht unsere Länge mittelst der Seeuhren genau gekannt, so
wären wir versucht gewesen zu glauben, wir seyen ganz nahe der
afrikanischen Küste.

Unser Weg war derselbe, den seit Kolumbus erster Reise alle Fahrzeuge nach
den Antillen einschlagen. Vom Parallel von Madera bis zum Wendekreis nimmt
dabei die Breite rasch ab, während man an Länge fast nichts zulegt; hat
man die Zone des beständigen Passatwindes erreicht, so fährt man von Ost
nach West auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den spanischen
Seefahrern _el Golfo de las Damas_ heißt. Wie alle, welche diese Striche
befahren, machten auch wir die Beobachtung, daß, je weiter man gegen
Westen rückt, der Passat, der Anfangs Ost-Nord-Ost war, immer mehr Ostwind
wird.

Hadley(31) hat in einer berühmten Abhandlung die Theorie des Passats
entwickelt, wie sie gemeiniglich angenommen ist, aber die Erscheinung ist
eine weit verwickeltere, als die meisten Physiker glauben. Im atlantischen
Ocean ist die Länge wie die Abweichung der Sonne von Einfluß auf die
Richtung und die Grenzen der Passatwinde. Dem neun Continent zu gehen sie
in beiden Halbkugeln 8 bis 9 Grad über den Wendekreis hinauf, während in
der Nähe von Afrika die veränderlichen Winde weit über den 28. oder
27. Grad hinunter herrschen. Es ist im Interesse der Meteorologie und der
Schifffahrt zu bedauern, daß die Veränderungen, denen die Luftströmungen
unter den Tropen im stillen Ocean unterliegen, weit weniger bekannt sind
als das Verhalten derselben Ströme in einem engeren Meeresbecken, wo die
nicht weit auseinander liegenden Küsten von Guinea und Brasilien ihre
Einflüsse geltend machen. Die Schiffer wissen seit Jahrhunderten, daß im
atlantischen Ocean der Aequator nicht mit der Linie zusammenfällt, welche
die Passatwinde aus Nordort und die aus Südost scheidet. Diese Linie
liegt, nach Hadley richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad
nördlicher Breite, und wenn ihre Lage daher rührt, daß die Sonne in der
nördlichen Halbkugel länger verweilt, so weist sie darauf hin, daß die
Temperaturen der beiden Halbkugeln [Nimmt man mit Aepinus an, daß die
südliche Halbkugel nur um 1/14 kälter ist als die nördliche, so ergibt die
Rechnung für die nördliche Grenze des Ost-Süd-Ost-Passats 1° 28’.] sich
verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft über der Südsee die
Rede ist, werden wir sehen, daß westwärts von Amerika der Südost-Passat
nicht so weit über den Aequator hinausreicht als im atlantischen Ocean.
Der Unterschied in der Luftströmung dem Aequator zu vom einen und vom
andern Pol her kann ja nicht unter allen Längengraden derselbe seyn, das
heißt auf Punkten der Erdkugel, wo die Festländer sehr verschieden breit
sind und sich mehr oder minder weit gegen die Pole erstrecken.

Es ist bekannt, daß auf der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von
Acapulco nach den Philippinen, die Matrosen fast keine Hand an die Segel
zu legen brauchen. Man fährt in diesen Strichen, als ginge es auf einem
Flusse hinunter, und es ist zu glauben, daß es kein gewagtes Unternehmen
wäre, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter
westwärts aber, an der Küste von St. Marta und im Meerbusen von Mexico
weht der Wind sehr stark und macht die See sehr unruhig.(32)

Je weiter wir uns von der afrikanischen Küste entfernten, desto schwächer
wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und diese
Windstillen wurden regelmäßig durch elektrische Erscheinungen
unterbrochen. Schwarze, dichte, scharf umrissene Wolken zogen sich im Ost
zusammen; man konnte meinen, es sey eine Bö im Anzug und man werde die
Marssegel einreffen müssen, aber nicht lange, so erhob sich der Wind
wieder, es fielen einige schwere Regentropfen und das Gewitter verzog
sich, ohne daß man hatte donnern hören. Es war interessant, während dessen
die Wirkung schwarzer Wolken zu beobachten, die einzeln und sehr tief
durch das Zenith liefen. Man spürte, wie der Wind allmählig stärker oder
schwäcker wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunstbläschen sich
näherten oder entfernten, ohne daß die Elektrometer mit langer
Metallstange und brennendem Docht in den untern Luftschichten eine
Aenderung in der elektrischen Spannung anzeigten. Mittels solcher kleinen,
mit Windstillen wechselnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und Juli
von den canarischen Inseln nach den Antillen oder an die Küsten von
Südamerika. Im heißen Erdstrich lösen sich die meteorologischen Vorgänge
äußerst regelmäßig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der
Schifffahrt lange denkwürdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadix
nach Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite umlegen mußten,
weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-West blies. Welch
bedeutende Störung im regelmäßigen Lauf der Luftströmungen muß man
annehmen, um sich von einem solchen Gegenwind Rechenschaft zu geben, der
ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Barometers in seiner
stündlichen Schwankung gestört haben wird!

Einige spanische Seefahrer haben neuerlich einen andern Weg nach den
Antillen und zur Küste von Terra Firma als den von Christoph Columbus
zuerst eingeschlagenen zur Sprache gebracht. Sie schlagen vor, man sollte
nicht gerade nach Süd steuern, um den Passat aufzusuchen, sondern auf
einer Diagonale zwischen Cap St. Vincent und Amerika in Länge und Breite
zugleich vorrücken. Dieser Weg, der die Fahrt abkürzt, da man den
Wendekreis etwa 20° westwärts vom Punkte schneidet, wo ohn die Schiffe
gewöhnlich schneiden, ist von Admiral Gravina mehreremale mit Glück
eingeschlagen worden. Dieser erfahrene Seemann, der in der Schlacht von
Trafalgar einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahr 1802 auf diesem schiefen
Wege mehrere Tage vor der französischen Flotte nach St. Domingo, obgleich
er zufolge eines Befehls des Madrider Hofs mit seinem Geschwader im Hafen
von Ferrel hatte einlaufen und sich dort eine Zeitlang aufhalten müssen.

Diese neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadix nach Cumana etwa um
ein Zwanzigtheil ab; da man aber erst unter dem 40. Grad der Länge die
Tropen betritt, so läuft man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden
zu thun zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südwest blasen. Beim alten
Verfahren wird der Nachtheil, daß man einen längeren Weg macht, dadruch
ausgeglichen, daß man sicher ist, in den Passat zu gelangen und ihn auf
einem größeren Stück der Ueberfarht benützen zu können. Während meines
Aufenthalt in den spanischen Colonien sah ich mehrere Kauffahrer an
kommen, die aus Furcht vor Kapern den schiefen Weg eingeschlagen hatten
und ausnehmend rasch herübergekommen waren; nur nach wiederholten
Versuchen wird man sich bestimmt über einen Punkt aussprechen können, der
zum mindesten so wichtig ist als die Wahl des Meridians, auf dem man bei
der Fahrt nach Buenos Ayres oder Cap Horn den Aequator schneiden soll.

Nichts geht über die Pracht und die Milde des Klimas im tropischen
Weltmeer. Während der Passatwind stark blies, stand der Thermometer bei
Tage auf 23–24 Grad, bei Nacht zwischen 22 und 22,5. Um den Reiz dieser
glücklichen Erdstriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß
man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küsten von Chili nach
Europa gesegelt haben. Welcher Abstand zwischen den stürmischen Meeren in
nördlichen Breiten und diesen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe
herrscht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den
spanischen Küsten zu kurz und so angenehm wäre als die Reise aus der alten
in die neue Welt, so wäre die Zahl der Europäer, die sich in den Kolonien
niedergelassen, lange nicht so groß, als sie jetzt ist. Das Meer, in dem
die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen
Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spanier den seltsamen Namen
_Golfe de las Yeguas_. [Der Meerbusen der Stuten.] Colonisten, die an die
See nicht gewöhnt sind, und lange einsam in den Wäldern von Guyana, in den
Savanen von Caracas oder auf den Cordilleren von Peru gelebt haben,
fürchten sich vor dem Seestrich bei den Bermuden mehr als jetzt die
Bewohner von Lima vor der Fahrt um Cap Horn. Sie übertreiben in der
Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenktlich
ist. Sie verschieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das
ihnen gewagt erscheint, und meist überrascht sie der Tod, während sie sich
zur Rückreise rüsten.

Nördlich von den Inseln des Grünen Vorgebirges stießen wir auf große
Bündel schwimmenden Tangs. Es war die tropische Seetraube, _Fucus natans_,
die nur bis zu 40° nördlicher und südlicher Breite auf dem Gestein unter
dem Meeresspiegel wächst. Diese Algen schienen hier, wie südwestlich von
der Bank von Neufoundland, das Vorhandenseyn der Strömungen anzuzeigen.
Die Seestriche, wo viel einzelner Tag vorkommt, und die mit Seegewächsen
bedeckten Strecken, welche Columbus mit großen Wiesen vergleicht und die
der Mannschaft der Santa Maria unter 42° der Länge Schrecken einjagten,
sind nicht mit einander zu verwechseln. Durch die Vergleichung vieler
Schiffstagebücher habe ich mich überzeugt, daß es im Becken des nördlichen
Atlantischen Oceans zwei solcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die
nichts miteinander zu tun haben. Die größte derselben(33) liegt etwas
westlich vom Meridian von Fayal, einer der azorischen Inseln, zwischen
35 und 36° der Breite. Die Meerestemperatur beträgt in diesem Strich
16 bis 20 Grad, und die Nordostwinde, die dort zuweilen sehr stark sind,
treiben schwimmende Tanginseln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum
20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung
nach Europa zurückfahren, kommen über diese Fucusbank, die nach den
spanischen Schiffern von den kleinen Antillen und von den canarischen
Inseln gleich weit entfernt ist; die Ungeschicktesten können darnach ihre
Länge berichtigen. Die zweite Fucusbank ist wenig bekannt; sie liegt unter
22 und 26° der Breite, 80 Seemeilen [148 km] westlich vom Meridian der
Bahamainseln, und ist von weit geringerer Ausdehnung. Man stößt auf sie
auf der Fahrt von den Caycosinseln nach den Bermuden.

Allerdings kennt man Tangarten mit 800 Fuß [260 m] langen Stengeln [_Fucus
giganteus_, _Forster_ oder _Laminaria pyrifera_, _Lamouroux_.], und diese
Cryptogamen der hohen See wachsen sehr rasch; dennoch ist kein Zweifel
darüber, daß in den oben beschriebenen Strichen die Tange keinesweg am
Meeresboden haften, sondern in einzelnen Bündeln auf dem Wasser schwimmen.
In diesem Zustand können diese Gewächse nicht viel länger fortvegetiren
als ein vom Stamm abgerissener Baumast. Will man sich Rechenschaft davon
geben, wie es kommt, daß bewegliche Massen sich seit Jahrhunderten an
denselben Stellen befinden, so muß man annehmen, daß sie vom Gestein
73 bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nachwuchs fortwährend
wieder ersetzt, was die tropische Strömung wegreißt. Diese Strömung führt
die tropische Seetraube in hohe Breiten, an die Küsten von Norwegen und
Frankreich, und die Algen werden südwärts von den Azoren keineswegs vom
*Golfstrom* zusammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es wäre zu
wünschen, daß die Schiffer in diesen mit Pflanzen bedeckten Strichen
häufiger das Senkblei auswärfen; man versichert, holländische Seeleute
haben mittelst Leinen aus Seidenfäden zwischen der Bank von Neufoundland
und der schottischen Küste eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme
das Meer wenig bewegt ist, losgerissen werden, darüber ist man noch nicht
im Klaren. Wir wissen nur nach den schönen Beobachtungen von Lamouroux,
daß die Algen zwar vor der Entwicklung ihrer Fructificationen ausnehmend
fest am Gestein hängen, dagegen nach dieser Zeit oder in der Jahreszeit,
wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation stockt, sehr leicht
abzureißen sind. Fische und Weichthiere, welche die Stengel der Tange
benagen, mögen wohl auch dazu beitragen, sie von ihren Wurzeln zu lösen.

Vom 22. Breitengrad an fanden wir die Meeresfläche mit fliegenden Fischen
[_Exocoetus volitans._] bedeckt; sie schnellten sich fünfzehn, ja achtzehn
Fuß [4,5, ja 6 m] in die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich
scheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenstand zu berühren, von dem
die Reisenden so viel sprechen, als von Delphinen und Haifischen, von der
Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle diese Dinge bieten den
Physikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn sie
sich ganz besonders damit beschäftigen. Die Natur ist eine unerschöpfliche
Quelle der Forschung, und im Maß, als die Wissenschaft vorschreitet,
bietet sie dem, der sie recht zu befragen weiß, immer wieder eine neue
Seite, von der er sie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwähne der fliegenden Fische, um die Naturkundigen auf die ungeheure
Größe ihrer Schwimmblase aufmerksam zu machen, die bei einem 6,4 Zoll
langen Fisch 3,6 Zoll lang und 0,9 breit ist und 3½ Kubikzoll [60 ml] Luft
enthält. Die Blase nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Thieres ein,
und trägt somit wahrscheinlich dazu bei, daß es so leicht ist. Man könnte
sagen, dieser Luftbehälter diese ihm vielmehr zum Fliegen als zum
Schwimmen, denn die Versuche, die Provenzal und ich angestellt, beweisen,
daß dieses Organ selbst bei den Arten, die damit versehen sind, zu der
Bewegung an die Wasserfläche herauf nicht durchaus nothwendig ist. Bei
einem jungen 5,0 Zoll langen Exocoetus bot jede der Brustflossen, die als
Flügen diesen, der Luft bereits eine Oberfläche von 3 7/10 Quadratzoll
dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nervenstränge, die zu den zwölf
Strahlen dieser Flossen verlaufen, fast dreimal dicker sind als die Nerven
der Bauchflossen. Wenn man die ersteren Nerven galvanisch reizt, so gehen
die Strahlen, welche die Haut der Brustflossen tragen, fünfmal kräftiger
auseinander, als die der andern Flossen, wenn man sie mit denselben
Metallen galvanisirt. Der Fisch kann sich ab er auch zwanzig Fuß [6,5 m]
weit wagrecht fortschnellen, ehe er mit der Spitze seiner Flossen die
Meeresfläche wieder berührt. Man hat diese Bewegung und die eines flachen
Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die
Wellen hüpft, ganz richtig zusammengestellt. So ausnehmend rasch die
Bewegung ist, kann man doch deutlich sehen, daß das Thier während des
Sprungs die Luft schlägt, das heißt, daß es die Brustflossen abwechselnd
ausbreitet und einzieht. Dieselbe Bewegung beobachtet man am fliegenden
Seescorpion auf den japanischen Flüssen, der gleichfalls eine große
Schwimmblase hat, während sie den meisten Seescorpionen, die nicht
fliegen, fehlt [_Scorpaena porcus_, _S. scrofa_, _S. dactyloptera_,
Delaroche.]. Die Exocoetus können, wie die meisten Kiementhiere, ziemlich
lange und mittelst derselben Organe im Wasser und in der Luft athmen, das
heißt der Luft wie dem Wasser den darin enthaltenen Sauerstoff entziehen.
Sie bringen einen großen Theil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr
elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlassen sie das
Meer, um den gefräßigen Goldbrassen zu entgehen, so begegnen sie in der
Luft den Fregatten, Albatrossen und andern Vögeln, die sie im Flug
erschnappen. So werden an den Ufern des Orinoco Rudel von Cabiais, [_Cavia
Capybara._ L.] wenn sie vor den Krokodilen aus dem Wasser flüchten, am
Ufer die Beute der Jaguars.

Ich bezweifle indessen, daß sich die fliegenden Fische allein um der
Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Wasser schnellen. Gleich den
Schwalben schießen sie zu Tausenden Fort, gerade aus und immer gegen die
Richtung der Wellen. In unsern Himmelsstrichen sieht man häufig am Ufer
eines klaren, von der Sonne beschienenen Flusses einzeln stehende Fische,
die somit nichts zu fürchten haben können, sich über die Wasserfläche
schnellen, als machte es ihnen Vergnügen, Luft zu athmen. Warum sollte
dieses Spiel nicht noch häufiger und länger bei den Exocoetus vorkommen,
die vermöge der Form ihrer Brustflossen und ihres geringen specifischen
Gewichtes sich sehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forscher
auf, zu untersuchen, ob andere fliegende Fische, z. B. _Exocoetus
exiliens_, _Trigla volitans_ und _T. horundo_ auch so große Schwimmblasen
haben wie der tropische Exocoetus. Dieser geht mit dem warmen Wasser des
Golfstroms nach Norden. Die Schiffsjungen schneiden ihm zum Spaß ein Stück
der Brustflossen ab und behaupten, diese wachsen wieder, was mir mit den
bei andern Fischfamilien gemachten Beobachtungen nicht zu stimmen scheint.

Zur Zeit, da ich von Paris abreiste, hatten die Versuche, welche
_Dr._ Broddelt in Jamaica mit der Luft in der Schwimmblase des
Schwertfisches angestellt, einige Physiker zur Annahme veranlaßt, daß
unter den Tropen dieses Organ bei den Seefischen reines Sauerstoffgas
enthalte. Auch ich hatte diese Vorstellung, und so war ich überrascht, als
ich in der Schwimmblase des Exocoetus nur 0,04 Sauerstoff auf 0,94
Stickstoff und 0,02 Kohlensäure fand. Der Antheil des letzteren Gases, der
mittelst der Absorption durch Kalkwasser in graduirten Röhren gemessen
wurde, [Anthracometer, gekrümmte Röhren mit einer großen Kugel.] schien
constanter als der des Sauerstoffs, von dem einige Exemplare fast noch
einmal so viel zeigten. Nach Biots, Cosigliachi´s und Delaroche´s
interessanten Beobachtungen muß man annehmen, daß der von Broddelt secirte
Schwertfisch in großen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fische bis zu
94 Procent Sauerstoff in ihrer Schwimmblase zeigen.

Am 1. Juli, unter 17° 42’ der Breite und 34° 21’ der Länge stießen wir auf
die Trümmer eines Wrackes. Wir konnten einen Mastbaum sehen, der mit
schwimmendem Tang überzogen war. In einem Strich, wo die See beständig
ruhig ist, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben.
Vielleicht daß diese Trümmer aus den nördlichen stürmischen Meeren kamen,
und infolge der merkwürdigen Drehung, welche die Wasser des Atlantischen
Meeres in der nördlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck
zurückwanderte, wo das Schiff zugrunde gegangen.

Am dritten und vierten fuhren wir über den Theil des Oceans, wo die Karten
die Bank des Maalstroms verzeichne; mit Einbruch der Nacht änderte man den
Curs, um einer Gefahr auszuweichen, deren Vorhandenseyn so zweifelhaft
ist, als das der Inseln Fonseco und Santa Anna.(34) Es wäre wohl klüger
gewesen, den Curs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von
sogenannten wachenden Klippen, die zum Theil allerdings vorhanden sind,
größtentheils aber sich von optischen Täuschungen herschreiben, die auf
der See häufiger sind als im Binnenland. Die Lage der wirklich
gefährlichen Punkte ist meist wie auf Gerathewohl angegeben; sie waren von
Schiffern gesehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten,
und meist kann man sicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn
man den Punkten zusteuert, wo sie auf den Karten angegeben sind. Als wir
dem vorgeblichen Maalstrom nahe waren, konnten wir am Wasser keine andere
Bewegung bemerken, als ein Strömung nach Nordwest, die uns nicht so viel
in Länge zurücklegen ließ, als wir gewünscht hätten. Die Stärke dieser
Strömung nimmt zu, je näher man dem neuen Continente kommt; sie wird durch
die Bildung der Küsten von Brasilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die
Gewässer des Orinoco und des Amazonenstroms, wie manche Physiker
behaupten.

Seit unserem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder
Nacht die Schönheit des südlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter
wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unseren Blicken
aufstiegen. Ein sonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in
einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Uebergang aus
der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf
kennt, immer tiefer hinabrücken und endlich verschwinden sieht. Nichts
mahnt den Reisenden so auffallend an die ungeheure Entfernung seiner
Heimath, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppirung der großen
Sterne, einige zerstreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchstraße
wetteifern, Strecken, die sich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben
dem Südhimmel eine ganz eigenthümliche Physiognomie. Dieses Schauspiel
regt selbst die Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen
Wissenschaften sehr ferne stehen und zum Himmelsgewöbe aufblicken, wie man
eine schöne Landschaft oder eine großartige Aussicht bewundert. Man
braucht kein Botaniker zu seyn, um schon am Anblick der Pflanzenwelt den
heißen Erdstrich zu erkennen, und wer auch keine astronomischen Kenntnisse
hat, wer von Flamsteads und Lacaille’s Himmelskarten nichts weiß, fühlt,
daß er nicht in Europa ist, wenn er das ungeheure Sternbild des Schiffs
oder die leuchtenden Magellanschen Wolken am Horizont aufsteigen sieht.
Erde und Himmel, Allem in den Aequinoctialländern drückt sich der Stempel
des Fremdartigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren seit einigen Tage mit Dunst erfüllt. Erst
in der Nacht vom vierten zum fünften Juli, unter 16° Breite, sahen wir das
südliche Kreuz zum erstenmal deutlich; es war stark geneigt und erschien
von Zeit zu Zeit zwischen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das
Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es
einem Reisenden gestattet ist, von seinen persönlichen Empfindungen zu
sprechen, so darf ich sagen, daß ich in dieser Nacht einen der Träume
meiner frühesten Jugend in Erfüllung gehen sah.

Wenn man anfängt geographische Karten zu betrachten und Schilderungen der
Seefahrer zu lesen, so fühlt man für gewisse Länder und gewisse Klimate
eine Art Vorliebe, von der man sich in reiferem Alter keine Rechenschaft
zu geben vermag. Eindrücke der Art äußern einen nicht ungebedeutenden
Einfluß auf unsere Entschlüsse, und wie instinkmäßig suchen wir
Gegenständen, die schon so lange eine geheime Anziehungskraft für uns
gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beschäftigte,
nicht um Astronomie zu treiben, sondern nur um die Sterne kennen zu
lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menschen, die ein sitzendes
Leben lieben, ganz fremd ist. Der Hoffnung entsagen zu sollen, jemals jene
herrlichen Sternbilder am Südpol zu erblicken, das schien mit sehr hart.
Im ungeduldigen Drange, die Aequatorialländer kennen zu lernen, konnte ich
nicht die Augen zum Sterngewölbe aufschlagen, ohne an das südliche Kreuz
zu denken und mir die erhabenen Verse Dante’s vorzusagen, welche sich nach
den berühmtesten Auslegern auf jenes Sternbild beziehen:(35)

Jo mi volsi a man destra e posi mente
All´ altro polo, e vidi quattro stelle,
Non viste mai fuor ch´ alla prima gente.

Goder parea lo ciel di lor fiammelle,
O settentrional vedovo sito,
Pio che privato se di mirar quelle!

Unsere Freude beim Erscheinen des südlichen Kreuzes wurde lebhaft von
denjenigen unter der Mannschaft getheilt, die in den Colonien gelebt
hatten. In der Meereseinsamkeit begrüßt man einen Stern wie einen Freund,
von dem man lange Zeit getrennt gewesen. Bei den Portugiesen und Spaniern
steigert sich diese gemüthliche Theilnahme noch durch besondere Gründe:
religiöses Gefühl zieht sie zu einem Sternbild hin, dessen Gestalt an das
Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Väter in den Einöden der neuen
Welt aufgepflanzt.

Da die zwei großen Sterne, welche Spitze und Fuß des Kreuzes bezeichnen,
ungefährt dieselbe Rectascension haben, so muß das Sternbild, wenn es
durch den Meridian geht, fast senkrecht stehen. Dieser Umstand ist allen
Völkern jenseits des Wendekreises und in der südlichen Halbkugel bekannt.
Man hat sich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den verschiedenen
Jahreszeiten das südliche Kreuz aufrecht oder geneigt ist. Es ist eine
Uhr, die sehr regelmäßig etwa vier Minuten im Tag vorgeht, und an keiner
anderen Sterngruppe läßt sich die Zeit mit bloßem Auge so genau
beobachten. Wie oft haben wir unsere Führer in den Savannen von Venezuela
oder in der Wüste zwischen Lima und Truxillo sagen hören: »Mitternacht ist
vorüber, das Kreuz fängt an sich zu neigen!« Wie oft haben wir uns bei
diesen Worten an den rührenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an
der Quelle des Fächerpalmenflusses zum letztenmale mit einander sprechen
und der Greis beim Anblick des südlichen Kreuzes sie mahnt, daß es Zeit
sey zu scheiden!

Die letzten Tage unserer Ueberfahrt waren nicht so günstig, als das milde
Klima und die ruhige See hoffen ließen. Nicht die Gefahren der See störten
uns in unserem Genusse, aber der Keim eines bösartigen Fiebers entwickelte
sich unter uns, je näher wir den Antillen kamen. Im Zwischendeck war es
furchtbar heiß und der Raum sehr beschränkt. Seit wir den Wendekreis
überschritten, stand der Thermometer auf 34 bis 36 Grad. Zwei Matrosen,
mehrere Passagiere und, was ziemlich auffallend ist, zwei Neger von der
Küste von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen,
die epidemisch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen
Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kräftigsten,
delirirten schon am zweiten Tage und die Kräfte lagen völlig darnieder.
Bei der Gleichgültigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt
wird, was mit der Führung des Schiffes und der Schnelligkeit der
Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitän nicht daran, gegen die
Gefahr, die uns bedrohte, die gemeinsten Mittel vorzukehren. Es wurde
nicht geräuchert, und ein unwissender, phlegmatischer galicischer Wundarzt
verordnete Aderlässen, weil er das Fieber der sogenannten Schärfe und
Verderbnis des Blutes zuschrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und
wir hatten vergessen, beim Einschiffen uns selbst damit zu versehen;
unsere Instrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unsere Gesundheit,
und wir hatten unbedachterweise vorausgesetzt, daß es an Bord eines
spanischen Schiffes nicht an peruanischer Fieberrinde fehlen könne.

Am achten Juli genas ein Matrose, der schon in den letzten Zügen lag,
durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl werth ist. Seine Hängematte war
so befestigt, daß zwischen seinen Gesicht und dem Deck keine zehn Zoll
[26 cm] Raum blieben. In dieser Lage konnte man ihm unmöglich die
Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den spanischen Schiffen hätte das
Allerheiligste mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze
Mannschaft dabei seyn müssen. Man schaffte daher den Kranken an einen
luftigen Ort bei der Lucke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines
viereckiges Gemach hergestellt hatte. Hier sollte er liegen bis zu seinem
Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer übermäßig heißen,
stockenden, mit Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere,
fortwährend erneuerte gebracht, so kam er allmählich aus seiner Betäubung
zu sich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwischendeck fortgeschafft worden,
fing die Genesung an, und wie denn in der Arzneikunde dieselben Thatsachen
zu Stützen der entgegengesetzten Systeme werden, so wurde unser Arzt durch
diesen Fall von Wiedergenesung in seiner Ansicht von der Entzündung des
Bluts und von der Nothwendigkeit des Eingreifens durch Aderlässen,
abführende und asthenische Mittel aller Art bestärkt. Wir bekamen bald die
verderblichen Folgen dieser Behandlung zu sehen und sehnten uns mehr als
je nach dem Augenblick, wo wir die Küste Amerikas betreten könnte.

Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute um 1° 12’ von der
Länge abgewichen, die mir mein Chronometer angab. Dieser Unterschied
rührte weniger von der allgemeinen Strömung her, die ich den
»Rotationsstrom« genannte habe, als von dem eigenthümlichen Zuge des
Wassers nach Nordwest, von der Küste von Brasilien gegen die kleinen
Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Insel Guadeloupe
abgekürzt wird.(36) Am zwölften Juli glaubte ich ankündigen zu können, daß
Tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht seyn werde. Wir befanden uns
jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10° 46’ der Breite und 60° 54’
westlicher Länge. Einige Reihen Mondsbeobachtungen bestätigten die Angabe
des Chronometers; aber wir wußten besser, wo sich die Corvette befand, als
wo das Land lag, dem unser Curs zuging und das auf den französischen,
spanischen und englischen Karten so verschieden angegeben ist. Die aus den
genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera sich ergebenden
Längen waren damals noch nicht bekannt gemacht.

Die Steuerleute verließen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines
Chronometers; sie lächelten zu der Behauptung, daß  bald Land in Sicht
kommen müsse, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es
gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am dreizehnten gegen
sechs Uhr Morgens hörte, man sehe von den Masten ein sehr hohes Land,
jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete sehr
stark und die See war sehr unruhig. Es regnete hie und da in großen
Tropfen und Alles deutete auf ungestümes Wetter. Der Capitän des Pizarro
hatte beabsichtigt, durch den Canal zwischen Tabago und Trinidad zu
laufen, und da er wußte, daß unsere Corvette sehr langsam wendete, so
fürchtete er gegen Süden unter dem Wind und der Mündung des Dragon nahe zu
kommen. Wir waren allerdings unserer Länge sicherer als der Breite, da
seit dem elften keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach
doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte,
befanden wir uns in 11° 6’ 50", somit 15 Minuten weiter nach Nord als nach
der Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinocostrom seine Gewässer
in den Ocean ergießt, mag in diesen Strichen immerhin den Zug der
Strömungen steigern; wenn man aber behauptet, bis auf 60 Meilen von der
Mündung des Orinoco habe das Meerwasser eine andere Farbe und sey weniger
gesalzen, so ist dieß ein Mährchen der Küstenpiloten. Der Einfluß der
mächtigsten Ströme Amerikas, des Amazonenstroms, des la Plata, des
Orinoco, des Mississippi, des Magdalenenstroms, ist in dieser Beziehung in
weit engere Grenzen eingeschlossen, als man gemeiniglich glaubt.

Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhöhen hinlänglich bewies, daß
das hohe Land, das am Horizont aufstieg, nicht Trinidad war, sondern
Tabago, steuerte der Capitän dennoch nach Nord-Nord-West fort, um letztere
Insel aufzusuchen, die sogar auf Bordas schöner Karte des atlantischen
Oceans fünf Minuten zu weit südlich gesetzt ist. Man sollte kaum glauben,
daß an Küsten, welche von allen Handelsvölkern besucht werden, so
auffallende Irrthümer in der Breite sich Jahrhunderte lang erhalten
könnten. Ich habe diesen Gegenstand anderswo besprochen, und so bemerke
ich hier nur, daß sogar auf der neuesten Karte von Westindien von
Arrowsmith, die im Jahr 1803, also lange nach Churrucas Beobachtungen
erschienen ist, die Breiten der verschiedenen Vorgebirge von Tabago und
Trinidad um 6–11 Minuten falsch angegeben sind.

Durch die Beobachtung der Sonnenhöhe um Mittag wurde die Breite, wie ich
sie nach Douwes Verfahren erhalten, vollkommen bestätigt. Es blieb kein
Zweifel mehr über den Schiffsort den Inseln gegenüber, und man beschloß,
um das nördliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwischen dieser Insel
und la Grenada durchzugehen und auf einen Hafen der Insel Margarita
loszusteuern. In diesen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von
Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unserem Glück war die See sehr
unruhig und ein kleiner, englischer Kutter überholte uns, ohne uns nur
anzurufen. Bonpland und mir war vor einem solchen Unfall weniger bang,
seit wir so nahe am amerikanischen Festland sicher waren, daß wir nicht
nach Europa zurückgebracht wurden.

Der Anblick der Insel Tabago ist höchst malerisch. Es ist ein sorgfältig
bebauter Felsklumpen. Des blendende Weiß des Gesteines sticht angenehm vom
Grün zerstreuter Baumgruppen ab. Sehr hohe cylindrische Fackeldisteln
krönen die Bergkämme und geben der tropischen Landschaft einen ganz
eigenen Charakter. Schon ihr Anblick sagt dem Reisenden, daß er eine
amerikanische Küste vor sich hat: denn die Cactus gehören ausschließlich
der neuen Welt an, wie die Heidekräuter der alten. Der nordöstliche Theil
der Insel Tabago ist der gebirgigste, nach den Höhenwinkeln, die ich mit
dem Sextanten genommen, scheinen indessen die höchsten Gipfel an der Küste
nicht über 140–150 Toisen [270 bis 290 m] hoch zu seyn. Am südlichen
Vorgebirge senkt sich das Land und läuft in die »Sandspitze« aus, die nach
meiner Rechnung unter 10° 20’ 13" der Breite und 62° 47’ 30" der Länge
liegt. Wir sahen mehrere Felsen über dem Wasserspiegel, an denen sich die
See mit Ungestüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der
Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60°
nach Südost fallen. Es wäre zu wünschen daß ein geübter Mineralog die
großen und kleinen Antillen von der Küste von Paria bis zum Vorgebirge von
Florida bereiste und die ehemalige, durch Strömungen, Erderschütterungen
und Vulkane auseinander gerissene Bergkette untersuchte.

Wir waren eben um das Nordcap von Tabago und die kleine Insel St. Giles
gelaufen, als man vom Mastkorb ein feindliches Geschwader signalisirte.
Wir wendeten sogleich und die Passagiere wurden unruhig, da mehrere ihr
kleines Vermögen in Waaren gesteckt hatten, die sie in den spanischen
Colonien zu verwerthen gedachten. Das Geschwader schien sich nicht zu
rühren, und es zeigte sich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für
Segel angesehen hatte.

Wir fuhren über die Untiefe zwischen Tabago und la Grenada. Die Farbe der
See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche
zeigte der Thermometer nur 23°, während er ostwärts auf hoher See unter
derselben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25°,6 stand.
Trotz der Strömung zeigte die geringe Temperatur des Wassers die Untiefe
an, die nur auf wenigen Karten angegeben ist. Nach Sonnenuntergang wurde
der Wind schwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, desto mehr
klärte sich der Himmel auf. In dieser und in den folgenden Nächten fielen
wieder sehr viele Sternschnuppen; gegen Nord zeigten sie sich nicht so
häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küste wir jetzt
hinzufahren anfingen. Diese Vertheilung weist darauf hin, daß diese
Meteore, über deren Wesen wir noch so sehr im Unklaren sind, zum Theil von
örtlichen Ursachen abhängig seyn mögen.

Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Bocca de Dragon in Sicht. Wir konnten die
Insel Chacachacarreo sehen, das westlichste der Eilande zwischen dem
Vorgebirge Paria und dem nordwestlichen Vorgebirge von Trinidad. Fünf
Meilen von der Küste, bei der *Punte de la Baca*, wurden wir gewahr, daß
eine eigenthümliche Strömung die Corvette nach Süd trieb. Durch den Zug
des Wassers, das aus der Bocca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von
Ebbe und Fluth entsteht eine Gegenströmung. Man warf das Senkblei aus und
fand 36–43 Faden Tiefe über einem Grund von grünlichem, sehr feinem Thon.
Nach Dampiers Grundsätzen hätten wir in der Nähe einer von sehr hohen,
steil aufsteigenden Gebirgen gebildeten Küste keine so geringe Meerestiefe
erwartet. Wir lotheten fort bis zum _Cabo de tres puntas_ und fanden
überall erhöhten Meeresgrund, dessen Umriß das Streichen der ehemaligen
Meeresküste zu bezeichnen scheint. Die Temperatur des Meeres war hier
23–24 Grad, somit 1,5 bis 2 Grad niedriger als auf hoher See, das heißt
jenseits der Ränder der Bank.

Das _Cabo de tres puntas_, von Columbus selbst so benannt [Im
August 1598.], liegt nach meinen Beobachtungen unter 65° 4’ 5" der Länge.
Es erschien uns um so höher, da seine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt
waren. Das ganze Ansehen der Berge von Paria, ihre Farbe und besonders
ihre meist runden Umrisse ließen uns vermuthen, daß die Küste aus Granit
bestehe; die Folge zeigte aber, wie sehr man sich, selbst wenn man sein
Lebenlang in Gebirgen gereist ist, irren kann, wenn man über die
Beschaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urtheilt.

Wir benützten eine Windstille, die ein paar Stunden anhielt, um die
Intensität der magnetischen Kraft beim _Cabo de tres puntas_ genau zu
bestimmen. Wir fanden sie größer als auf hoher See ostwärts von Tabago, im
Verhältniß von 257 zu 229. Während der Windstille trieb uns die Strömung
rasch nach West. Ihre Geschwindigkeit betrug 3 Meilen in der Stunde; sie
nahm zu, je näher wir dem Meridian der *Testigos* kamen, eines Haufens von
Klippen, die aus der weiten See aufsteigen. Als der Mond unterging,
bedeckte sich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder stärker und es
stürzte ein Platzregen nieder, wie sie dem heißen Erdstrich eigen sind und
wir auf unsern Zügen im Binnenlande sie so oft durchgemacht haben.

Die an Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete sich rasch aus, seit
wir uns nahe der Küste von Terra Firma befanden; der Thermometer stand bei
Nacht regelmäßig zwischen 22 und 23°, bei Tag zwischen 24 und 27°. Die
Congestionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das
Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir
waren aber so ziemlich am Ziele unserer Fahrt, und so hofften wir alle
Kranke genesen zu sehen, wenn man sie an der Insel Margarita oder im Hafen
von Cumana, die für sehr gesund gelten, ans Land bringen könnte.

Diese Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngste Passagier bekam
das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige
Opfer. Es war ein junger Asturier von neunzehn Jahren, der einzige Sohn
einer armen Wittwe. Mehrere Umstände machten den Tod des junge Mannes, aus
dessen Gesicht viel Gefühl und große Gutmüthigkeit sprachen, ergreifend
für uns. Er war mit Widerstreben zu Schiffe gegangen; er hatte seine
Mutter durch den Ertrag seiner Arbeit unterstützen wollen, aber diese
hatte ihre Liebe und den eigenen Vortheil dem Gedanken zum Opfer gebracht,
daß ihr Sohn, wenn er in die Colonien ginge, bei einem reichen Verwandten,
der auf Cuba lebte, sein Glück machen könnte. Der unglückliche junge Mann
verfiel rasch in Betäubung, redete dazwischen irre und starb am dritten
Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder schwarze Erbrechen rafft in Vera
Cruz nicht leicht die Kranken so furchtbar schnell dahin. Ein anderer,
noch jüngerer Asturier wich keinen Augenblick vom Bette des Kranken und
bekam, was ziemlich auffallend ist, die Krankheit nicht. Er wollte mit
seinem Landsmann nach San Jago de Cuba gehen und sich dort von ihm im
Hause des Verwandten einführen lassen, auf den sie ihre ganze Hoffnung
gesetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund
überlebte, sich seinem tiefen Schmerze überließ und die unseligen
Ratschläge verwünschte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun
allein und verlassen dastand.

Wir standen beisammen auf dem Verdeck in trüben Gedanken. Es war kein
Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrschte, hatte seit einigen Tagen
einen bösartigen Charakter angenommen. Unsere Blicke hingen an einer
gebirgigen, wüsten Küste, auf die zuweilen ein Mondstrahl durch die Wolken
fiel. Die leise bewegte See leuchtete in schwachem phosphorischen Schein;
man hörte nichts als das eintönige Geschrei einiger großer Seevögel, die
das Land zu suchen schienen. Tiefe Ruhe herrschte ringsum am einsamen Ort;
aber diese Ruhe der Natur stand im Widerspiel mit den schmerzlichen
Gefühlen in unserer Brust. Gegen acht Uhr wurde langsam die Todtenglocke
geläutet; bei diesem Trauerzeichen brachen die Matrosen ihre Arbeit ab und
ließen sich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende
Handlung, die an die Zeiten gemahnt, wo die ersten Christen sich als
Glieder Einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Menschen
im Gefühl gemeinsamen Unglücks einander näher bringt. In der Nacht
schaffte man die Leiche des Asturiers auf das Verdeck, und auf die
Vorstellung des Priesters wurde er erst nach Sonnenaufgang ins Meer
geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der römischen
Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schicksal des
jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen frisch und gesund
gesehen hatten.

Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich dieses bösartige oder
atactische Fieder sey, und wenn die langen Windstillen die Ueberfahrt von
Cumana nach Havana verzögerten, so mußte man besorgen, daß es viele Opfer
fordern könnte. An Bord eines Kriegsschiffs oder eines Transportschiffs
machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Eindruck, als wenn man in
einer volkreichen Stadt einem Leichenzug begegnet. Anders an Bord eines
Paketboots mit kleiner Mannschaft, wo zwischen Menschen, die dasselbe
Reiseziel haben, sich nähere Beziehungen knüpfen. Die Passagiere auf dem
Pizarro spürten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit,
beschlossen aber doch, das Fahrzeug am nächsten Landungsplatz zu verlassen
und die Ankunft eines andern Postschiffes zu erwarten, um ihren Weg nach
Cuba oder Mexico fortzusetzen. Sie betrachteten das Zwischendeck des
Schiffes als einen Herd der Ansteckung, und obgleich es mir keineswegs
erwiesen schien, daß das Fieber durch Berührung anstecke, hielt ich es
doch durch die Vorsicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es schien
mir wünschenswerth, Neuspanien erst nach einem längeren Aufenthalt an den
Küsten von Venezuela und Paria zu besuchen, wo der unglückliche Löffling
nur sehr wenige naturgeschichtliche Beobachtungen hatte machen können. Wir
brannten vor Verlangen, die herrlichen Gewächse, die Bose und Bredemeyer
auf ihrer Reise in Terra Firma gesammelt und die eine Zierde der
Gewächshäuser zu Schönbrunn und Wien sind, auf ihrem heimathlichen Boden
zu sehen. Es hätte uns sehr wehe getan, in Cumana oder Guayra zu landen,
ohne das Innere eines von den Naturforschern so wenig betretenen Landes zu
betreten.

Der Entschluß, den wir in der Nacht vom vierzehnten auf den fünfzehnten
Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den Verfolg unserer
Reisen. Statt einiger Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra
Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoco,
an den Cassiquiare und an die Grenze der portugiesischen Besitzungen am
Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieser unserer
Reiserichtung, daß wir während eines so langen Aufenthaltes in den
Aequinoctialländern so gesund blieben.

Bekanntlich schweben die Europäer in den ersten Monaten, nachdem sie unter
den glühenden Himmel der Tropen versetzt worden, in sehr großer Gefahr.
Sie betrachten sich als acclimatisirt, wenn sie die Regenzeit auf den
Antillen, in Vera Cruz oder Carthagena überstanden haben. Diese Meinung
ist nicht unbegründet, obgleich es nicht an Beispielen fehlt, daß Leute,
die bei der ersten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der
folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Fähigkeit, sich zu
acclimatisieren, scheint im umgekehrten Verhältniß zu stehen mit dem
Unterschied zwischen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der des
Geburtslandes des Reisenden oder Colonisten, der das Klima wechselt, weil
die Lufttemperatur den mächtigsten Einfluß auf die Reizbarkeit und die
Vitalität der Organe äußert. Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede sind mehr
gefährdet, wenn sie auf die Inseln oder nach Terra Firma kommen, als ein
Spanier, ein Italiener und selbst ein Bewohner des südlichen Frankreichs.
Für die nordischen Völker beträgt der Unterschied in der mittleren
Temperatur 19–21 Grad, für die südlichen nur 9–10. Wir waren so glücklich,
die Zeit, in der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft, im
ausnehmend heißen, aber sehr trockenen Klima von Cumana zu verleben, einer
Stadt, die für sehr gesund gilt. Hätten wir unsern Weg nach Vera Cruz
fortgesetzt, so hätten wir leicht das Loos mehrerer Passagiere des
Paketboots *Aleudia* theilen können, das mit dem *Pizarro* in die Havana
kam, als eben das *schwarze Erbrechen* auf Cuba und an der Ostküste von
Mexico schreckliche Verheerungen anrichtete.

Am 15. Morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge St. Joseph, waren wir
von einer Menge schwimmenden Tangs umgeben. Die Stengel desselben hatten
die sonderbaren, wie Blumenkelche und Federbüsche gestalteten Anhänge, wie
sie Don Hypolite Ruiz auf seiner Rückkehr aus Chili beobachtet und in
einer besondern Abhandlung als die Geschlechtsorgane des _Fucus natans_
beschrieben hat. Ein glücklicher Zufall setzte uns in den Stand, eine
Beobachtung zu berichtigen, die sich nur Einmal der Naturforschung
dargeboten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefischt hatte,
waren durchaus identisch mit den Exemplaren, die wir der Gefälligkeit der
gelehrten Verfasser der peruanischen Flora verdankten. Als wir beide unter
dem Mikroscop untersuchten, fanden wir, daß diese angeblichen
Befruchtungswerkzeuge, diese Pistille und Staubfäden eine neue Gattung
Pflanzenthiere aus der Familie der Ceratophyten seyen. Die Kelche, welche
Ruiz für Pistille hielt, entspringen aus hornartigen, abgeplatteten
Stielen, die so fest mit der Substand des Fucus zusammenhängen, daß man
sie gar wohl für bloße Rippen halten könnte; aber mit einem sehr dünnen
Messer gelingt es, sie abzulösen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die
nicht gegliederten Stiele sind Anfangs schwarzbraun, werden aber, wenn sie
vertrocknen, weiß und zerreiblich. In diesen Zustand brausen sie mit
Säuren auf, wie die kalkigte Substanz der Sertularia, deren Spitzen mit
den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fucus Aehnlichkeit haben. In der
Südsee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der
tropischen Seetraube dieselben Anhängsel gefunden, und eine sehr
sorgfältige Untersuchung überzeugte uns, daß sich hier ein Zoophyt an den
Tang heftet, wie der Epheu den Baumstamm umschlingt. Die unter dem Namen
weiblicher Blüthen beschriebenen Organe sind über zwei Linien lang, und
schon diese Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Pistille nicht aufkommen
lassen sollen.

Die Küste von Paria zieht sich nach West fort und bildet eine nicht sehr
hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenförmigen Umrissen. Es
dauerte lange, bis wir die hohe Küste der Insel Margarita zu sehen
bekamen, wo wir einlaufen sollten, um hinsichtlich der englischen Kreuzer,
und ob es gefährlich sey, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzuziehen.
Sonnenhöhen, die wir unter sehr günstigen Umstängen genommen, hatten uns
gezeigt, wie unrichtig damals selbst die gesuchtesten Seekarten waren. Am
15. Morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66° 1’ 15" der Länge
befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Insel St. Margarita,
während wir nach der verkleinerten Karte des atlantischen Oceans über das
westliche sehr hohe Vorgebirge der Insel, das unter 66° 0’ der Länge
gesetzt ist, bereits hätten hinaus seyn sollen. Die Küsten von Terra Firma
wurden vor Fidalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufügen,
vor meinen astronomischen Beobachtungen in Cumana, so unrichtig
gezeichnet, daß für die Schifffahrt daraus hätten Gefahren erwachsen
können, wenn nicht das Meer in diesen Strichen beständig ruhig wäre. Ja
die Fehler in der Breite waren noch größer als die in der Länge, denn die
Küste von Neuandalusien läuft westwärts vom _Capo de tres Puntas_ 15–20
Meilen weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahr 1800 erschienenen
Karten angegeben ist.

Gegen elf Uhr Morgens kam uns ein sehr niedriges Eiland zu Gesicht, auf
dem sich einige Sanddünen erhoben. Durch das Fernrohr ließ sich keine Spur
von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder standen
cylindrische Cactus wie Kandelaber. Der fast pflanzenlose Boden schien
sich wellenförmig zu bewegen infolge der starken Brechung, welche die
Sonnenstrahlen erleiden, wenn sie durch Luftschichten hindurchgehen, die
auf einer stark erhitzten Fläche aufliegen. Die Luftspiegelung macht, daß
in allen Zonen Wüsten und sandiger Strand sich wie bewegte See ausnehmen.

Das flache Land, das wir vor uns hatten, stimmte schlecht zu der
Vorstellung, die wir uns von der Insel Margarita gemacht. Während man
beschäftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne sie in
Uebereinstimmung bringen zu können, signalisirte man vom Mast einige
kleine Fischerboote. Der Capitän des Pizarro rief sie durch einen
Kanonenschuß herbei; aber ein solches Zeichen dient zu nichts in Ländern,
wo der Schwache, wenn er dem Starken begegnet, glaubt sich nur auf
Vergewaltigungen gefaßt machen zu müssen. Die Boote ergriffen die Flucht
nach Westen zu, und wir sahen uns hier in derselben Verlegenheit, wie bei
unserer Ankunft auf den Canarien vor der kleinen Insel Graciosa. Niemand
an Bord war je in der Gegend am Land gewesen. So ruhig die See war, so
schien doch die Nähe eines kaum ein paar Fuß hohen Eilandes
Vorsichtsmaßregeln zu erheischen. Man steuerte nicht weiter dem Lande zu,
und warf eilends den Anker aus.

Küsten, aus der Ferne gesehen, verhalten sich wie Wolken, in denen jeder
Beobachter die Gegenstände erblickt, die seine Einbildungskraft
beschäftigen. Da unsere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den
Karten, die uns zur Hand waren, im Widerspruch standen, so verlor man sich
in eitlen Muthmaßungen. Die einen hielten Sandhaufen für Indianerhütten
und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen mußte;
andere sahen die Ziegenheerden, welche im dürren Thal von San Juan so
häufig sind; sie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in
Wolken gehüllt schienen. Der Capitän beschloß einen Steuermann ans Land zu
schicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Wasser zu lassen, da das
Boot auf der Rhede von Santa Cruz durch die Brandung stark gelitten hatte.
Da die Küste ziemlich fern war, konnte die Rückfahrt zur Corvette
schwierig werden, wenn der Wind Abends stark wurde.

Als wir uns eben anschickten, ans Land zu gehen, sah man zwei Piroguen an
der Küste hinfahren. Man rief sie durch einen zweiten Kanonenschuß an, und
obgleich man die Flagge von Castilien aufgezogen hatte, kamen sie doch nur
zögernd herbei. Diese Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus Einem
Baumstamm, und in jeder befanden sich achtzehn Indianer vom Stamme der
Guayqueries [Guaykari], nackt bis zum Gürtel und von hohem Wuchs. Ihr
Körperbau zeugte von großer Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein
Mittelding zwischen braun und kupferroth. Von weitem, wie sie unbeweglich
dasaßen und sich vom Horizont abhoben, konnte man sie für Bronzestatuen
halten. Dieß war uns um so auffallender, da es so wenig dem Begriff
entsprach, den wir uns nach manchen Reiseberichten von der eigenthümlichen
Körperbildung und der großen Körperschwäche der Eingeborenen gemacht
hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die
Grenzen der Provinz Cumana nicht zu überschreiten, wie auffallend die
Guayqueries äußerlich von den Chaymas und den Caraiben verschieden sind.
So nahe alle Völker Amerikas miteinander verwandt scheinen, da sie ja
derselben Race angehören, so unterscheiden sich doch die Stämme nicht
selten bedeutend im Körperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln
Hautfarbe, im Blick, aus dem den einen Seelenruhe und Sanftmuth, bei
andern ein unheimliches Mittelding von Trübsinn und Wildheit spricht.

Sobald die Piroguen so nahe waren, daß man die Indianer spanisch anrufen
konnte, verloren sie ihr Mißtrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir
erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, sey die
Insel Coche, die immer unbewohnt gewesen und an der die spanischen
Schiffe, die aus Europa kommen, gewöhnlich weiter nördlich zwischen
derselben und der Insel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar
einen Lootsen einzunehmen. Unbekannt in der Gegend, waren wir in den Canal
südlich von Coche gerathen, und da die englischen Kreuzer sich damals
häufig in diesen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer für ein
feindliches Fahrzeug angesehen. Die südliche Durchfahrt hat allerdings
bedeutende Vortheile für Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; sie
hat weniger Wassertiefe als die nördliche, weit schmalere Durchfahrt, aber
man läuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man sich nahe an den Inseln Lobos
und Moros del Tunal hält. Der Canal zwischen Coche und Margarita wird
durch die Untiefen am nordwestlichen Vorgebirge von Coche und durch die
Bank an der Punte de Mangles eingeengt.

Die Guayqueries gehören zum Stamm civilisirter Indianer, welche auf den
Küsten von Margarita und in den Vorstädten von Cumana wohnen. Nach den
Caraiben des spanischen Guyana sind sie der schönste Menschenschlag in
Terra Firma. Sie genießen verschiedener Vorrechte, da sie seit der ersten
Zeit der Eroberung sich als treue Freunde der Castilianer bewährt haben.
Der König von Spanien nennt sie daher auch in seinen Handschreiben »seine
lieben, edlen und getreuen Guayqueries«. Die Indianer, auf die wir in den
zwei Piroguen gestoßen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht
verlassen. Sie wollten Bauholz in den Cedrowäldern [_Cedrela odorata_
Linné] holen, die sich vom Cap San José bis über die Mündung des Rio
Carupano hinaus erstrecken. Sie gaben uns frische Cocosnüsse und einige
Fische von der Gattung _Choetodon_, deren Farben wir nicht genug bewundern
konnten. Welche Schätze enthielten in unseren Augen die Kähne der armen
Indianer! Ungeheure Vijaoblätter [_Heliconia bihai._] bedeckten
Bananenbüschel; der Schuppenpanzer eines Tatou [Armadill, _Dasypus_,
_Cachicamo_], die Frucht der _Crescentia cujete_, die den Eingeborenen als
Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäischen Cabinetten zu den
gemeinsten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil sie uns lebhaft
daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das
längstersehnte Ziel erreicht hatten.

Der *Patron* einer der Piroguen erbot sich, an Bord des Pizarro zu
bleiben, um uns als Lootse zu dienen. Der Mann empfahl sich durch sein
ganzes Wesen; er war ein scharfsinniger Beobachter und hatte sich in
lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimischen
Gewächsen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erste
Indianer, dem wir bei unserer Landung begegneten, der Mann war, dessen
Bekanntschaft unseren Reisezwecken äußerst förderlich wurde. Mit Vergnügen
schreibe ich in dieser Erzählung den Namen Carlos del Pino nieder, so hieß
der Mann, der uns sechzehn Monate lang auf unseren Zügen längs der Küsten
und im inneren Lande begleitet hat.

Gegen Abend ließ der Capitän der Corvette den Anker lichten. Bevor wir die
Untiefe oder den _Placer_ bei Coche verließen, bestimmte ich die Länge des
östlichen Vorgebirges der Insel und fand sie 66° 11’ 53". Westwärts
steuernd hatten wir bald die kleine Insel Cubagua vor uns, die jetzt ganz
öde ist, früher aber durch Perlenfischerei berühmt war. Hier hatten die
Spanier unmittelbar nach Columbus und Ojedas Reisen eine Stadt unter dem
Namen Neucadix gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden ist. Zu Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und
Toledo, wie auf den großen Messen von Augsburg und Brügge bekannt. Da
Neucadix kein Wasser hatte, so mußte man es an der benachbarten Küste aus
dem Manzanaresflusse holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum,
beschuldigte, daß es Augenentzündungen verursache. Die Schriftsteller
jener Zeit sprechen alle vom Reichthum der ersten Ansiedler und vom Luxus,
den sie getrieben; jetzt erheben sich Dünen von Flugsand auf der
unbewohnten Küste und der Name Cubagua ist auf unseren Karten kaum
verzeichnet.

In diesem Striche angelangt, sahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im
Westen der Insel Margarita majestätisch am Horizont aufsteigen. Nach den
Höhenwinkeln, die wir in 18 Meilen Entfernung nahmen, mögen diese Gipfel
500–600 Toisen absolute Höhe haben. Nach Louis Berthoud´s Chronometer
liegt Cap Macanao unter 66° 47’ 5" Länge. Ich nahm die Felsen am Ende des
Vorgebirges auf, nicht die sehr niedrige Landzunge, die nach West
fortstreicht und sich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für
Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Ostspitze der Insel
Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitsecunden
ab.

Der Wind war sehr schwach; der Capitän hielt es für rathsamer, bis zu
Tagesanbruch zu laviren. Er scheute sich, bei Nacht in den Hafen von
Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier
vorgekommen war, schien diese Vorsicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte
Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hintertheil anzuzünden; man
hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben
Feuer darauf. Dem Capitän des Postschiffes wurde ein Bein weggerissen und
er starb wenige Tage darauf in Cumana.

Wir brachten die Nacht zum Theil auf dem Verdeck zu. Der indianische
Lootse unterhielt uns von den Thieren und Gewächsen seines Landes. Wir
hörten zu unserer großen Freude, wenige Meilen von der Küste sey ein
gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landstrich, wo empfindliche Kälte
herrsche, und auf den Ebenen kommen zwei sehr verschiedene Krokodile
[_Crocodilus acutus_ und _C. Bava_.] vor, ferner Boas, elektrische Aale
[_Gymnotus electricus_, _Temblador_.] und mehrere Tigerarten. Obgleich die
Worte *Bava*, *Cachicamo* und *Temblador* uns ganz unbekannt waren, ließ
uns die naive Beschreibung der Gestalt und der Sitten der Thiere alsbald
die Arten erkennen, welche die Creolen so benennen. Wir dachten nicht
daran, daß diese Thiere über ungeheure Landstriche zerstreut sind, und
hofften, sie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts
reizt die Neugierde des Naturkundigen mehr als der Bericht von den Wundern
eines Landes, das er betreten soll.

Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne, malerische Küste vor
uns. Die Berge von Neuandalusien begrenzten, halb von Wolken verschleiert,
nach Süden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloß erschien
zwischen Gruppen von Cocosbäumen. Um neun Uhr morgens, ein und vierzig
Tage nach unserer Abfahrt von Corunna, gingen wir im Hafen vor Anker. Die
Kranken schleppten sich auf das Verdeck um sich am Anblick eines Landes zu
laben, wo ihre Leiden ein Ende finden sollten.

                            ------------------



   31 Daß fortwährend ein oberer Luftstrom vom Aequator zu den Polen und
      ein unterer von den Polen zum Aequator geht, dieß ist, die Arago
      dargethan hat, schon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierüber
      entwickelte der berühmte englische Physiker in einer Rede vom Jahr
      1686. »Ich glaube,« fügt er hinzu, »daß sich mehrere Erscheinungen
      in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus
      Polarströmen erklären lassen.« Hadley führt diese interessante
      Stelle nicht an; andererseits nimmt Hooke, wo er auf die Passatwinde
      selbst zu sprechen kommt, Galileis unrichtige Theorie an, nach der
      sich die Erde und die Luft mit verschiedener Geschwindigkeit bewegen
      sollen.

   32 Die spanischen Seeleute nennen die sehr starken Passatwinde in
      Cartagena _los brisotes de la Santa Martha_ und im Meerbusen von
      Mexico _las brizas pardas_. Bei letzteren Winden ist der Himmel grau
      und umwölkt.

   33 Phönicische Fahrzeuge scheinen in »in 30 Tagen Schiffahrt und mit
      dem Ostwind« zum *Grasmeer* gekommen zu seyn, das bei den Spaniern
      und Portugiesen _Mar de Sargazo_ heißt. Ich habe anderswo dargetan,
      daß diese Stelle im Buche des Aristoteles »_De Mirabilibus_« sich
      nicht wohl, wie eine ähnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die
      Küste von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, daß das Gras
      bedeckte Meer, das die phönicischen Schiffe in ihrem Lauf aufhielt,
      das _Mar de Sargazo_ gar, so braucht man nicht anzunehmen, daß die
      Alten im Atlantischen Meer über den 30. Grad westlicher Länge vom
      Meridian von Paris hinausgekommen seyen.

   34 Die Karten von Jefferys und Van-Keulen geben vier Inseln an, die
      nichts als eingebildete Gefahren sind: die Inseln Garca und Santa
      Anna, westlich von den Azoren, die grüne Insel (unter 14° 52’
      Breite, 28° 30’ Länge) und die Insel Fonseco (unter 13° 15’ Breite,
      57° 10’ Länge). Wie kann man an die Existenz von vier Inseln in von
      Tausenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von so vielen
      kleinen Riffen und Untiefen, die seit hundert Jahren von
      leichtgläubien Schiffern angegeben worden sind, sich kaum zwei oder
      drei bewahrheitet haben? Was die allgemeine Frage betrifft, mit
      welchen Grade von Wahrscheinlichkeit sich annehmen läßt, daß
      zwischen Europa und Amerika eine auf eine Meile sichtbare Insel
      werde entdeckt werden, so könnte man sie einer strengen Rechnung
      unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die seit
      dreihundert Jahren jährlich das atlantische Meer befahren, und wenn
      man dabei die ungleiche Vertheilung der Fahrzeuge in verschiedenen
      Strichen berüchsichtigte. Befände sich der Maalstrom, nach
      Van-Keulens Angabe unter 16° Breite und 39° 30’ Länge, so wären wir
      am 4. Juli darüber weggefahren.

         35 Rechts an des andern Poles Firmament
      Boten sich dar vier Sterne meinen Blicken,
      Die nur dem ersten Paar zu schaun vergönnt.

      Ihr Schimmer schien den Himmel zu entzücken:
      O mitternächt´ger Bogen, so verwaist,
      Weil du an ihnen nie dich kannst erquicken!

      (Nach Kannegießers Uebersetzung).

   36 Im atlantischen Meere ist ein Strich, wo das Wasser immer milchigt
      erscheint, obgleich die See dort sehr tief ist. Diese merkwürdige
      Erscheinung zeigt sich unter der Breite der Insel Dominica und etwa
      unter 57° der Länge. Sollte an diesem Punkt, noch östlicher als
      Barbados, ein versunkenes vulkanisches Eiland unter dem Meerespiegel
      liegen?



VIERTES KAPITEL


         Erster Auftenthalt in Cumana. — Die Ufer des Manzanares


Wir waren am 16. Juli mit Tagesanbruch auf dem Ankerplatz, gegenüber der
Mündung des Rio Manzanares, angelangt, konnten uns aber erst spät am
Morgen ausschiffen, weil wir den Besuch der Hafenbeamten abwarten mußten.
Unsere Blicke hingen an den Gruppen von Cocosbäumen, die das Ufer säumten
und deren über sechzig Fuß [20 m] hohe Stämme die Landschaft beherrschten.
Die Ebene war bedeckt mit Büschen von Cassien, Capparis und den
baumartigen Mimosen, die gleich den Pinien Italiens ihre Zweige
schirmartig ausbreiten. Die gefiederten Blätter der Palmen hoben sich von
einem Himmelsblau ab, das keine Spur von Dunst trübte. Die Sonne stieg
rasch zum Zenith auf; ein blendendes Licht war in der Luft verbreitet und
lag auf den weißlichen Hügeln mit zerstreuten cylindrischen Cactus und auf
dem ewig ruhigen Meere, dessen Ufer von Alcatras [Ein brauner Pelikan von
der Größe des Schwans. _Pelicanus fuscus_, _Linné_.], Reihern und Flamingo
bevölkert sind. Das glänzende Tageslicht, die Kraft der Pflanzenfarben,
die Gestalten der Gewächse, das bunte Gefieder der Vögel, alles trug den
großartigen Stempel der tropischen Natur.

Cumana, die Hauptstadt von Neuandalusien, liegt eine Meile [4,5 km] vom
Landungsplatz oder der Batterie _de la Bocca_, bei der wir ans Land
gestiegen, nachdem wir über die Barre des Manzanares gefahren. Wir hatten
über eine weite Ebene [_El Salado_] zu gehen, die zwischen der Vorstadt
der Guayqueries und der Küste liegt. Die starke Hitze wurde durch die
Strahlung des zum Theil pflanzenlosen Bodens noch gesteigert. Der
hunderttheilige Thermometer, in den weißen Sand gesteckt, zeigte 37°,7. In
kleinen Salzwasserlachen stand er auf 30°,5, während im Hafen von Cumana
die Temperatur des Meeres an der Oberfläche meist 25°,2 bis 26°,3 beträgt.
Die erste Pflanze, die wir auf dem amerikanischen Festland pflückten, war
die _Avicennia tomentosa_ (_Mangle prieto_), die hier kaum zwei Fuß hoch
wird. Dieser Strauch, das _Sesuvium_, die gelbe _Gomphrena_ und die Cactus
bedecken den mit salzsaurem Natron geschwängerten Boden; sie gehören zu
den wenigen Pflanzen, die, wie die europäischen Heiden, gesellig leben,
und dergleichen in der heißen Zone nur am Meeresufer und auf den hohen
Plateaus der Anden vorkommen. Nicht weniger interessant ist die die
cumanische Avicennia durch eine andere Eigenthümlichkeit: diese Pflanze
gehört dem Gestade und der Küste von Malabar gemeinschaftlich an.

Der indische Lootse führte uns durch seinen Garten, der viel mehr einem
Gehölz als einem bebauten Lande glich. Er zeigte uns als Beweis der
Fruchtbarkeit des Klimas einen Käsebaum _(Bombax heptaphyllum)_, dessen
Stamm im vierten Jahre bereits gegen dritthalb Fuß [75 cm] Durchmesser
hatte. Wir haben an Ufern des Orinoco und des Magdalenenflusses die
Beobachtung gemacht, daß die Bombax, die Carolineen, die Ochromen und
andere Bäume aus der Familie der Malven ausnehmend rasch wachsen. Ich
glaube aber doch, daß die Angabe des Indianers über das Alter des
Käsebaumes etwas übertrieben war; denn in der gemäßigten Zone, auf dem
feuchten und warmen Boden Nordamerikas zwischen dem Mississippi und den
Aleghanis werden die Bäume in zehn Jahren nicht über einen Fuß [32 cm]
dick, und das Wachsthum ist dort im Allgemeinen nur um ein Fünftheil
rascher als in Europa, selbst wenn man zum Vergleich die Platane, den
Tulpenbaum und _Cupressus disticha_ wählt, die zwischen neun und fünfzehn
Fuß [3 und 4,5 m] dick werden. Im Garten des Lootsen am Gestade von Cumana
sahen wir auch zum erstenmal einen *Guama*(37) voll Blüthen, deren
zahlreiche Staubfäden sich durch ihre ungemeine Länge und ihren
Silberglanz auszeichnen. Wir gingen durch die Vorstadt der Indianer, deren
Straßen geradlinigt und mit kleinen, ganz neuen Häusern von sehr
freundlichem Ansehen besetzt sind. Dieser Stadttheil war infolge des
Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unserer Ankunft zerstört hatte,
eben erst neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hölzernen Brücke
über den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der
kleinen Art vorkommen, begegneten uns überall die Spuren dieser
schrecklichen Katastrophe; neue Gebäude erhoben sich auf den Trümmern der
alten.

Wir wurden vom Capitän des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don
Vicente Emparan, geführt, um ihm die Pässe zu überreichen, die das
Staatssecretariat uns ausgestellt. Er empfing uns mit der Offenheit und
edlen Einfachheit, die von jeher Züge des baskischen Volkscharakters
waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde,
hatte er sich als Schiffscapitän in der königlichen Marine ausgezeichnet.
Sein Name erinnert an einen der merkwürdigsten und traurigsten Vorfälle in
der Geschichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwischen Spanien und
England schlugen sich zwei Brüder des Statthalters Emparan bei Nacht vor
dem Hafen von Cadix mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff für
ein feindliches hielt. Der Kampf war so furchtbar, daß beide Schiffe fast
zugleich sanken. Nur ein sehr kleiner Theil der beiderseitigen Mannschaft
wurde gerettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander kurz
vor ihrem Tode zu erkennen.

Der Statthalter von Cumana äußerte sich sehr zufrieden über unseren
Entschluß, uns eine Zeitlang in Neuandalusien aufzuhalten, das zu jener
Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in seinen Gebirgen
und an den Ufern seiner zahlreichen Ströme der Naturforschung das reichste
Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimischen
Pflanzen gefärbte Baumwolle und schöne Möbeln ganz aus einheimischen
Hölzern; er interessirte sich lebhaft für alle physischen Wissenschaften
und fragte uns zu unserer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß
die Luft unter dem schönen tropischen Himmel weniger Stickstoff
_(azotico)_ enthalte als in Spanien, oder ob, wenn das Eisen hierzulande
rascher oxydire, dies allein von der größeren Feuchtigkeit herrühre, die
der Haarhygrometer anzeige. Dem Reisenden kann der Name des Vaterlandes,
wenn er ihn auf einer fernen Küste aussprechen hört, nicht lieblicher in
den Ohren klingen, als uns hier die Worte Stickstoff, Eisenoxyd,
Hygrometer. Wir wußten, daß wir, trotz der Befehle des Hofs und der
Empfehlung eines mächtigen Ministers, bei unserem Aufenthalt in den
spanischen Colonien mit zahllosen Unannehmlichkeiten zu kämpfen haben
würden, wenn es uns nicht gelang, bei den Regenten dieser ungeheuren
Landstrecken besondere Theilnahme für uns zu wecken. Emparan war ein zu
warmer Freund der Wissenschaft, um es seltsam zu finden, daß wir so weit
hergekommen, um Pflanzen zu sammeln und die Lage gewisser Oertlichkeiten
astronomisch zu bestimmen. Er argwöhnte keine andern Beweggründe unserer
Reise als die in unseren Pässen angegebenen, und die öffentlichen Beweise
von Achtung, die er uns während unseren langen Aufenthaltes in seinem
Regierungsbezirke gegeben, haben Großes dazu beigetragen, uns überall in
Südamerika eine freundliche Aufnahme zu verschaffen.

Am Abend ließen wir unsere Instrumente ausschiffen und fanden zu unserer
Befriedigung keines beschädigt. Wir mietheten ein geräumiges, für die
astronomischen Beobachtungen günstig gelegenes Haus. Man genoß darin, wenn
der Südwind wehte, einer angenehmen Kühle; die Fenster waren ohne
Scheiben, nicht einmal mit Papier bezogen, das in Cumana meist statt des
Glases dient. Sämmtliche Passagiere des Pizarro verließen das Schiff, aber
die vom bösartigen Fieber Befallenen genasen sehr langsam. Wir sahen
welche, die nach einem Monat, trotz der guten Pflege, die ihnen von ihren
Landsleuten geworden, noch erschrecklich blaß und mager waren. In den
Spanischen Colonien ist die Gastfreundschaft so groß, daß ein Europäer,
käme er auch ohne Empfehlung und ohne Geldmittel an, so ziemlich sicher
auf Unterstützung rechnen kann, wenn er krank in irgend einem Hafen ans
Land geht. Die Catalonier, Galizier und Biscayer stehen im stärksten
Verkehr mit Amerika. Sie bilden dort gleichsam drei gesonderte
Corporationen, die auf die Sitten, den Gewerbsfleiß und den Handel der
Colonien bedeutenden Einfluß haben. Der ärmste Einwohner von Siges oder
Vigo ist sicher, im Hause eines catalonischen oder galizischen *Pulpero*
(Krämer) Aufnahme zu finden, ob er nun nach Chile oder nach Mexiko oder
auf die Philippinen kommt. Ich habe die rührendsten Beispiele gesehen, wie
für unbekannte Menschen ganze Jahre lang unverdrossen gesorgt wird. Man
kann hören, Gastfreundschaft sey leicht zu üben in einem herrlichen Klima,
wo es Nahrungsmittel im Ueberfluß gibt, wo die einheimischen Gewächse
wirksame Heilmittel liefern, und der Kranke in seiner Hängematte unter
einem Schuppen das nöthige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlast,
welche die Ankunft eines Fremden, dessen Gemüthsart man nicht kennt, einer
Familie verursacht, für nichts rechnen? und die Beweise gefühlvoller
Theilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die während
einer langen, schweren Wiedergenesung nimmer ermüdet, soll man von dem
allen absehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, daß, vielleicht mit
Ausnahme einiger sehr volkreichen Städte, seit den ersten Niederlassungen
spanischer Ansiedler in der neuen Welt die Gastfreundschaft nicht merkbar
abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, daß dieß allerdings anders werden
muß, wenn einmal Bevölkerung und Industrie in den Colonien rascher
zunehmen, und wenn sich auf der Stufe gesellschaftlicher Eintwicklung, die
man als vorgeschrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die alte
castilianische Offenheit allmählich verliert.

Unter den Kranken, die in Cumana an Land kamen, befand sich ein Neger, der
einige Tage nach unserer Ankunft in Raserei verfiel; er starb in diesem
kläglichen Zustand, obgleich sein Herr, ein siebzigjähriger Mann, der
Europa verlassen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfs von
Californien, eine neue Heimath zu suchen, ihm alle erdenkliche Pflege
hatte zu Theil werden lassen. Ich erwähne dieses Falls, um zu zeigen, daß
zuweilen Menschen, die im heißen Erdstrich geboren sind, aber in einem
gemäßigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einflüssen der tropischen
Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Mensch von achtzehn Jahren, sehr
kräftig und auf der Küste von Guinea geboren. Durch mehrjährigen
Aufenthalt auf der Hochebene von Castilien hatte aber seine Constitution
den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heißen Zone für die
Bewohner nördlicher Länger so gefährlich macht.

Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehört einer geologisch sehr
interessanten Bildung an. Da mir aber seit meiner Rückkehr nach Europa
einige Reisende mit der Beschreibung von Küstenstrichen, die sie nach mir
besucht, zuvorgekommen sind, so beschränke ich mich hier auf Bemerkungen,
die außerhalb des Kreises ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der
Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual streicht von Ost nach West vom
Gipfel *Imposible* bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer
sehr fernen Zeit scheint das Meer diesen Gebirgsdamm von der Felsen küste
von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco ist
durch einen Einbruch des Meeres entstanden, und ohne Zweifel stand damals
an der Südküste das ganze mit salzsaurem Natron getränkte Land, durch das
der Manzanares läuft, unter Wasser. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana
läßt diese Thatsache so unzweifelhaft erscheinen, als daß die Becken von
Paris, Oxford und Wien einst Meerboden gewesen. Das Meer zog sich langsam
zurück und legte das weite Gestade trocken, auf dem sich eine Hügelgruppe
erhebt, die aus Gips und Kalkstein von der neuesten Bildung besteht.

Die Stadt Cumana lehnt sich an diese Hügel, die einst ein Eiland im Golf
von Cariaco waren. Das Stück der Ebene norwärts von der Stadt heißt »der
kleine Strand« (_Plaga chica_); sie dehnt sich gegen Ost bis zur Punta
Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit _Gomphrena flava_ bedecktes
Thal den Punkt, wo einst der Durchbruch der Gewässer stattfand. Dieses
Tal, dessen Eingang durch kein Außenwerk vertheidigt wird, erscheint als
der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meisten ausgesetzt ist. Der
Feind kann in voller Sicherheit zwischen der *Punta Arenas del Barigon*
und der Mündung des Manzanares durchgehen, wo die See 40–50 [73–91 m] und
weiter nach Südost sogar 87 Faden [159 m] tief ist. Er kann an der *Punta
Delgada* landen und das Fort St. Antonio und die Stadt Cumana im Rücken
angreifen, ohne daß er vom Feuer der westlichen Batterien auf der Playa
Chica an der Mündung des Stroms und beim *Cerro Colorado* etwas zu
fürchten hätte.

Der Hügel aus Kalkstein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Insel im
ehemaligen Golf betrachten, ist mit Fackeldisteln bedeckt. Manche davon
sind 30–40 Fuß [10–13 m] hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere
Aeste kronleuchterartig getheilter Stamm nimmt sich höchst seltsam aus.
Bei Maniquarez an der Punta Araya maßen wir einen Cactus, dessen Stamm
über vier Fuß neun Zoll [1,54 m] Umfang hatte. Ein Europäer, der nur die
Fackeldisteln unserer Gewächshäuser kennt, wundert sich, wenn er sieht,
daß das Holz dieses Gewächses mit dem Alter sehr hart wird, daß es
Jahrhunderte lang der Luft und Feuchtigkeit widersteht, und daß es die
Indianer von Cumana vorzugsweise zu Rudern und Türschwellen verwenden.
Nirgends in Südamerika kommen die Gewächse aus der Familie der Nopaleen
häufiger vor als in Cumana, Coro, Curaçao und auf der Insel Margarita. Nur
dort könnte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der
Cactus schreiben, die nicht in Hinsicht auf Blüthen und Früchte, aber nach
der Form des gegliederten Stamms, nach der Zahl der Gräten und der
Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten bilden. Wir werden in
der Folge sehen, wie diese Gewächse, die für ein heißes, trockenes Klima,
wie das Egyptens und Californiens, charakteristisch sind, immer mehr
verschwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt.

Die Cactusgebüsche spielen auf dürrem Boden in Südamerika dieselbe Rolle
wie in unseren nördlichen Ländern die mit Binsen und Hydrocharideen
bewachsenen Brüche. Ein Ort, wo stachlichte Cactus von hohem Wuchs in
Reihen stehen, gilt fast für undurchdringlich. Solche Stellen, *Tunales*
genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Gürtel
nackt ist, sie sind ebensosehr von den Stämmen gefürchtet, die ganz
bekleidet gehen. Auf unsern einsamen Spaziergängen versuchten wir es
manchmal in den *Tunal* einzudringen, der die Spitze des Schloßberges
krönt und durch den zum Theil ein Fußweg führt. Hier ließe sich der Bau
dieses sonderbaren Gewächses an Tausenden von Exemplaren beobachten.
Zuweilen wurden wir von der Nacht überrascht, denn in diesem Klima gibt es
fast keine Dämmerung. Unsere Lage war dann desto bedenklicher, da der
*Cascabel* oder die Klapperschlange, der *Coral* und andere Schlangen mit
Giftzähnen zur Legezeit solche heißen trockenen Orte aufsuchen, um ihre
Eier in den Sand zu legen.

Das Schloß St. Antonio liegt auf der westlichen Spitze des Hügels, aber
nicht auf dem höchsten Punkt; es wird gegen Osten von einer nicht
befestigten Höhe beherrscht. Der *Tunal* gilt hier und überall in den
spanischen Niederlassungen für ein nicht unwichtiges militärisches
Vertheidigungsmittel. Wo man Erdwerke anlegt, suchen die Ingenieurs recht
viele stachlichte Fackeldisteln darauf anzubringen und ihr Wachsthum zu
befördern, wie man auch die Krokodile in den Wassergräben der festen
Plätze hegt. In einem Klima, wo die organische Natur eine so gewaltige
Triebkraft hat, zieht der Mensch fleischfressende Reptilien und mit
furchtbaren Stacheln bewehrte Gewächse zu seiner Vertheidigung herbei.

Das Schloß St. Antonio, wo man an Festtagen die Flagge von Castilien
aufzieht, liegt nur 30 Toisen [58,5 m] über dem Wasserspiegel des
Meerbusens von Cariaco. Auf seinem kahlen Kalkhügel beherrscht es die
Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfährt, höchst malerisch da. Es
hebt sich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur
Schneeregion aufsteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau
verschmilzt. Geht man vom Fort St. Antonio gegen Südwest herab, so kommt
man am Abhang desselben Felsen zu den Trümmern des alten Schlosses Santa
Maria. Dies ist ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kühlen
Seewindes und der Aussicht auf den Meerbusen zu genießen. Die hohen
Berggipfel der Insel Margarita erscheinen über der Felsenküste der
Landenge von Araya; gegen Westen mahnen die kleinen Inseln Caracas,
Picuito und Boracha an die Katastrophe, durch welche die Küste von Terra
Firma zerrissen worden ist. Diese Eilande gleichen Festungswerken, und da
die Sonne die untern Luftschichten, die See und das Erdreich ungleich
erwärmt, so erscheinen ihre Spitzen infolge der Luftspiegelung
hinaufgezogen, wie die Enden der großen Vorgebirge der Küste. Mit
Vergnügen verfolgt man bei Tage diese wechseln den Erscheinungen; bei
Einbruch der Nacht sieht man dann, wie die in der Luft schwebenden
Gesteinmassen sich wieder auf ihre Grundlage niedersenken, und das
Gestirn, das der organischen Natur Leben verleiht, scheint durch die
veränderliche Beugung seiner Strahlen den starren Fels vom Fleck zu rücken
und dürre Sandebenen wellenförmig zu bewegen.

Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwischen dem Schlosse St. Antonio und
den kleinen Flüssen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des
ersteren Flusses gebildete Delta ist ein fruchtbares Land, bewachsen mit
Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewächsen, die in den Gärten oder
*Charas* der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes
Gebäude aufzuweisen, und bei der Häufigkeit von Erdbeben wird sie
schwerlich je welche haben. Starke Erdstöße kommen zwar im selben Jahre in
Cumana nicht so häufig vor als in Quito, wo durch prächtige, sehr hohe
Kirchen stehen; aber die Erdbeben in Quito sind nur scheinbar so heftig,
und in Folge der eigenthümlichen Beschaffenheit des Bodens und der Art der
Bewegung stürzt kein Gebäude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren
anderen Städten, die weit von den Schlünden thätiger Vulkane liegen, wird
die Reihe schwacher Erdstöße nach Ablauf vieler Jahre leicht durch größere
Katastrophen unterbrochen, die in ihren Wirkungen dener einer springenden
Mine ähnlich sind. Wir werden öfters Gelegenheit haben, auf diese
Erscheinungen zurückzukommen, zu deren Erklärung so viele eitle Theorien
ersonnen worden sind, und für die man eine Classification gefunden zu
haben glaubte, wenn man senkrechte und wagrechte Bewegungen, stoßende und
wellenförmige Bewegungen annahm.(38)

Die Vorstädte von Cumana sind fast so stark bevölkert wie die alte Stadt.
Es sind ihrer drei: Die der *Serritos* auf dem Wege nach der Plaga chica,
wo einige schöne Tamarindenbäume stehen, die südöstlich gelegene, San
Francisco genannt, und die große Vorstadt der Guayqueries. Der Name dieses
Indianerstammes war vor der Eroberung ganz unbekannt. Die Eingeborenen,
die denselben jetzt führen, gehörten früher zu der Nation der Guaraunos,
die nur noch auf dem Sumpfboden zwischen den Armen des Orinoco lebt. Alte
Männer versicherten mich, die Sprache ihrer Vorfahren sey eine Mundart des
Guaraunosprache gewesen, aber seit hundert Jahren gebe es in Cumana und
auf Margarita keinen Eingeborenen vom Stamme mehr, der etwas anderes
spreche als castilianisch.

Das Wort *Guayqueries* verdankt, gerade wie die Worte *Peru* und
*Peruaner*, seinen Ursprung einem bloßen Mißverständnisse. Als die
Begleiter des Columbus an der Insel Margarita hinfuhren, auf deren
Nordküste noch jetzt der am höchsten stehende Theil dieser Nation wohnt,
stießen sie auf einige Eingeborene, die Fische harpunirten, indem sie
einen mit einer sehr feinen Spitze versehenen, an einen Strick gebundenen
Stock gegen sie schleuderten. Sie fragten sie in haytischer Sprache, wie
sie hießen: die Indianer aber meinten, die Fremden erkundigten sich nach
den Harpunen aus dem harten, schweren Holz der Macanapalme und
antworteten: *Guaike*, *Guaike*, das heißt: spitziger Stock. Die
Guayqueries, ein gewandtes, civilisirtes Fischervolk, unterscheiden sich
jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoco, die ihre Hütten an
den Stämmen der Morichepalme aufhängen.

Die Bevölkerung von Cumana ist in der neuesten Zeit viel zu hoch angegeben
worden. Im Jahre 1800 schätzten sie Ansiedler, die in nationalökonomischen
Untersuchungen wenig Bescheid wissen, auf 20,000 Seelen, wogegen
königliche bei der Landesregierung angestellte Beamte meinten, die Stadt
samt den Vorstädten habe nicht 12,000. Depons gibt in seinem schätzbaren
Werk über die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28,000
Einwohner; andere geben im Jahr 1810 30,000 an. Wenn man bedenkt, wie
langsam die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem
Land, sondern in den Städten, so läßt sich bezweifeln, daß Cumana bereits
um ein Drittheil volkreicher seyn sollte als Vera Cruz, der vornehmste
Hafen des Königreichs Neuspanien. Es läßt sich auch leicht darthun, daß im
Jahr 1802 die Bevölkerung kaum über 18,000 bis 19,000 Seelen betrug. Es
waren mir verschiedene Notizen über die statistischen Verhältnisse des
Landes zu Hand, welche die Regierung hatte zusammenstellen lassen, als die
Frage verhandelt wurde, ob die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine
Personalsteuer ersetzt werden könnten, und ich darf mir schmeicheln, daß
meine Schätzung auf ziemlich sichern Grundlagen ruht.

Eine im Jahr 1792 vorgenommene Zählung ergab für die Stadt Cumana, ihre
Vorstädte und die einzelnen Häuser auf eine Meile in der Runde nur 10,740
Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarete, versichert, daß man
sich bei dieser Zählung höchstens um ein Drittheil oder ein Viertheil
geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen Taufregister, so macht
sich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber
sind allerdings sehr fruchtbar, besonders die eingeborenen, aber wenn auch
die Pocken im Lande noch unbekannt sind, so ist doch die Sterblichkeit
unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil sie in völliger
Verwahrlosung aufwachsen und die üble Gewohnheit haben, unreife,
unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der Geburten beträgt im
Durchschnitt 520 bis 600, was auf eine Bevölkerung von höchstens 16,800
Seelen schließen läßt. Man kann versichert seyn, daß sämmtliche
Indianerkinder getauft und in das Taufregister der Pfarre eingetragen
sind, und nimmt man an, die Bevölkerung sey im Jahr 1800 26,000 Seelen
stark gewesen, so käme auf dreiundvierzig Köpfe nur Eine Geburt, während
sich die Geburten zur Gesammtbevölkerung in Frankreich wie 28 zu 100 und
in den tropischen Strichen von Mexico wie 17 zu 100 verhalten.

Vermuthlich wird sich die indianische Vorstadt allmählich bis zum
Landungsplatz ausdehnen, da die Fläche, auf der noch keine Häuser oder
Hütten stehen, höchstens 340 Toisen lang ist. Dem Strande zu ist die Hitze
etwas weniger drückend als in der Altstadt, wo wegen des Zurückprallens
der Sonnenstrahlen vom Kalkboden und der Nähe des Berges St. Antonio die
Temperatur der Luft ungemein hoch steigt. In der Vorstadt der Guayqueries
haben die Seewinde freien Zutritt, der Boden ist Thon und damit, wie man
glaubt, den heftigen Stößen der Erdbeben weniger ausgesetzt, als die
Häuser, die sich an die Felsen und Hügel am rechten Ufer des Manzanares
lehnen.

Bei der Mündung des kleinen Flusses Santa Catalina ist der Saum des Ufers
mit sogenannten Wurzelträgern [_Rhizophora Mangle._] besetzt; aber diese
*Manglares* sind nicht groß genug, um der Salubrität der Luft in Cumana
Eintrag zu thun. Im übrigen ist die Ebene theils kahl, theils bedeckt mit
Büschen von _Sesubium portulacastrum_, _Gomphrena flava_, _Gomphrena
myrtifolia_, _Talinum cuspidatum_, _Talinum cumanense_ und _Portulaca
lanuginosa_. Unter diesen krautartigen Gewächsen erheben sich da und dort
die _Avicennia tomentosa_, die _Scoparia dulcus_, eine strauchartige
Mimose mit sehr reizbaren Blättern, besonders aber Cassien, deren in
Südamerika so viele vorkommen, daß wir auf unsern Reisen mehr als dreißig
neue Arten zusammengebracht haben.

Geht man zur indischen Vorstadt hinaus und am Fluß gegen Süd hinauf, so
kommt man zuerst an ein Cactusgebüsch und dann an einen wunderschönen
Platz, den Tamarindenbäume, Brasilienholzbäume, Bombax und andere durch
ihr Laub und ihre Blüthen ausgezeichnete Gewächse beschatten. Der Boden
bietet hier gute Weide, und Melkereien, aus Rohr erbaut, liegen zerstreut
zwischen den Baumgruppen. Die Milch bleibt frisch, wenn man nicht in der
Frucht des Flaschenkürbisbaums, die ein Gewebe aus sehr dichten Holzfasern
ist, sondern in porösen Thongefäßen von Maniquarez aufbewahrt. In Folge
eines in nördlichen Ländern herrschenden Vorurtheils habe ich geglaubt, in
der heißen Zone geben die Kühe keine sehr fette Milch; aber der Aufenthalt
in Cumana, besonders aber die Reise über die weiten mit Gräsern und
krautartigen Mimosen bewachsenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt,
daß sich die Wiederkäuer Europas vollkommen an das heißeste Klima
gewöhnen, wenn sie nur Wasser und gutes Futter finden. Die
Milchwirthschaft ist in den Provinzen Neuandalusien, Barcelona und
Venezuela ausgezeichnet, und häufig ist die Butter auf den Ebenen der
heißen Zone besser als auf dem Rücken der Anden, wo für die Alppflanzen
die Temperatur in keiner Jahreszeit hoch genug ist und sie daher weniger
aromatisch sind als auf den Pyrenäen, auf den Bergen Estremaduras und
Griechenlands.

Den Einwohnern Cumanas ist die Kühlung durch den Seewind lieber als der
Blick ins Grüne, und so kennen sie fast keinen andern Spaziergang als den
großen Strand. Die Castilianer, denen man nachsagt, sie seyen im
allgemeinen keine Freunde von Bäumen und Vogelgesang, haben ihre Sitten
und ihre Vorurtheile in die Colonien mitgenommen. In Terra Firma, Mexico
und Peru sieht man selten einen Eingeborenen einen Baum pflanzen allein in
der Absicht, sich Schatten zu schaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der
großen Hauptstädte weiß man in diesen Ländern so gut wie nichts von
Alleen. Die dürre Ebene von Cumana zeigt nach starken Regengüssen eine
merkwürdige Erscheinung. Der durchnäßte, von den Sonnenstrahlen erhitzte
Boden verbreitet jenen Bisamgeruch, der in der heißen Zone Thieren der
verschiedensten Klassen gemein ist, dem Jaguar, den kleinen Arten von
Tigerkatzen, dem Cabiaï [_Cavia capybara_, _Linné_], Galinazogeier
[_Vultur aura_, _Linné_], dem Krokodil, den Vipern und Klapperschlangen.
Die Gase, die das Vehikel dieses Aromas sind, scheinen sich nur in dem
Maaße zu entwickeln, als der Boden, der die Reste zahlloser Reptilien,
Würmer und Insekten enthält, sich mit Wasser schwängert. Ich habe
indianische Kinder vom Stamme der Chaymas achtzehn Zoll lange und sieben
Linien breite [40 cm lange und 15 mm breite]  Scolopender oder Tausendfüße
aus dem Boden ziehen und verzehren sehen. Wo man den Boden aufgräbt, muß
man staunen über die Massen organischer Stoffe, die wechselnd sich
entwickeln, sich umwandeln oder zersetzen. Die Natur scheint in diesen
Himmelsstrichen kraftvoller, fruchtbarer, man möchte sagen mit dem Leben
verschwenderischer.

Am Strande und bei den Melkereien, von denen eben die Rede war, hat man,
besonders bei Sonnenaufgang, eine sehr schöne Aussicht auf die Gruppe
hoher Kalkberge. Da diese Gruppe im Hause, wo wir wohnten, nur unter einem
Winkel von drei Grad erscheint, diente sie mir lange dazu, die
Veränderungen in der irdischen Refraction mit den meteorologischen
Veränderungen in der irdischen Refraction zu vergleichen. Die Gewitter
bilden sich mitten in dieser Cordillere, und man sieht von weitem, wie die
dicken Wolken sich in starken Regen auflösen, während in Cumana sechs bis
acht Monate lang kein Tropfen fällt. Der höchste Gipfel der Bergkette, der
sogenannte Brigantin, nimmt sich hinter dem Brito und dem Tetaraqual
höchst malerisch aus. Sein Name rührt her von der Gestalt eines sehr
tiefen Thals an seinem nördlichen Abhang, das dem Inneren eines Schiffes
gleicht. Der Gipfel des Bergs ist fast ganz kahl und abgeplattet, wie der
Gipfel des Mawna-Roa auf den Sandwichinseln; es ist eine senkrechte Wand,
oder, um mich des bezeichnenderen Ausdruckes der spanischen Schiffer zu
bedienen, ein Tisch, eine _mesa_. Diese eigenthümliche Bildung und die
symmetrische Lage einiger Kegel, die den Brigantin umgeben, brachten mich
anfänglich auf die Vermuthung, daß diese Berggruppe, die ganz aus
Kalkstein besteht, Glieder der Basalt- oder Trappformation enthalten
möchte.

Der Statthalter von Cumana hatte im Jahr 1797 muthige Männer ausgeschickt,
die das völlig unbewohnte Land untersuchen und einen geraden Weg nach
Neu-Barcelona über den Gipfel der *Mesa* eröffnen sollten. Man vermuthete
mit Recht, dieser Weg werde kürzer und für die Gesundheit der Reisenden
nicht so gefährlich seyn als der längs der Küste, den die Couriere von
Caracas einschlagen; aber alle Bemühungen, über die Bergkette zu kommen
waren fruchtlos. In diesen Ländern Amerikas, wie in Neuholland(39) im
Westen von Sidney, bietet nicht sowohl die Höhe der Cordilleren als die
Gestaltung des Gesteins schwer zu besiegende Hindernisse. Durch das von
den Gebirgen im Innern und dem südlichen Abhang des *Cerro de San Antonio*
gebildete Längenthal fließt der Manzanares. In der ganzen Umgegend von
Cumana ist dieß der einzige ganz bewaldete Landstrich; er heißt die *Ebene
der Charas*, [*Chacra*, verdorben *Chara*, heißt eine von einem Garten
umgebene Hütte.] wegen der vielen Pflanzungen, welche die Einwohner seit
einigen Jahren den Fluß entlang versucht haben. Ein schmaler Pfad führt
vom Hügel von San Francisco durch den Forst zum Kapuzinerhospiz, einem
höchst angenehmen Landhaus, das die aragonesischen Mönche für alte
entkräftete Missionäre, die ihres Amtes nicht mehr walten können, gebaut
haben. Gegen Ost werden die Waldbäume immer kräftiger und man sieht hier
und da einen Affen [Der gemeine *Machi* oder Heulaffe.], die sonst in der
Gegend sehr selten sind. Zu den Füßen der Capparis, Bauhinien und des
Zygophyllum mit goldgelben Blüthen breitet sich ein Teppich vom Bromelien
[Chihuchihue, aus der Familie der Ananas.] aus, deren Geruch und deren
kühles Laub die Klapperschlangen hieher ziehen.

Der Manzanares hat sehr klares Wasser und zum Glück nichts mit dem
Madrider Manzanares gemein, der unter seiner prächtigen Brücke noch
schmäler erscheint. Er entspringt, wie alle Flüsse Neuandalusiens, in
einem Striche der Savanen (Llanos), der unter dem Namen der Plateaus von
Jonoro, Amana und Guanipa bekannt ist und beim indianischen Dorfe San
Fernando die Gewässer des Rio Juanillo aufnimmt. Man hat der Regierung
öfter, aber immer vergeblich, den Vorschlag gemacht, beim ersten *Ipure*
ein Wehr bauen zu lassen, um die Ebene der Charas künstlich zu bewässern,
denn der Boden ist trotz seiner scheinbaren Dürre ausnehmend fruchtbar,
sobald Feuchtigkeit zu der herrschenden Hitze hinzukommt. Die Landleute,
die im Allgemeinen in Cumana nicht wohlhabend sind, sollten nach und nach
die Auslagen für die Schleuße ersetzen. Bis das Projekt in Ausführung
kommt, hat man Schöpfräder, durch Maulthiere getriebene Pumpen und andere
sehr unvollkommene Wasserwerke angelegt.

Die Ufer des Manzanares sind sehr freundlich, von Mimosen, Erythrina,
Ceiba und anderen Bäumen von riesenhaftem Wuchs beschattet. Ein Fluß,
dessen Temperatur zur Zeit des Hochwassers auf 22° fällt, während der
Thermometer der Luft auf 30–33° steht, ist eine unschätzbare Wohltat in
einem Lande, wo das ganze Jahr eine furchtbare Hitze herrscht und man den
Trieb hat, mehrere Male des Tages zu baden. Die Kinder bringen sozusagen
einen Teil ihres Lebens im Wasser zu; alle Einwohner, selbst die
weiblichen Glieder der reichsten Familien, können schwimmen, und in einem
Lande, wo der Mensch dem Naturstande noch so nahe ist, hat man sich, wenn
man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der
Fluß heute kühler sey als gestern. Man hat verschiedene Bademethoden. So
besuchten wir jeden Abend eine Zirkel sehr achtungswerter Personen in der
Vorstadt der Guaykari. Da stellte man bei schönem Mondschein Stühle ins
Wasser; Männer und Frauen waren leicht bekleidet, wie in manchen Bädern
des nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar
Stunden im Flusse sitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten sich
nach Landessitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom
starken Regenfall in den benachbarten Distrikten, besonders aber vom
Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf
machen. Durch die *Bavas* oder kleinen Krokodile, die jetzt sehr selten
sind und den Menschen nahe kommen, ohne anzugreifen, ließ sich die
Gesellschaft durchaus nicht stören. Diese Tiere sind drei bis vier Fuß
[1 bis 1,3 m] lang; wir haben nie eines im Manzanares gesehen, wohl aber
Delphine, die zuweilen bei Nacht im Flusse heraufkommen und die Badenden
erschrecken, wenn sie durch ihre Luftlöcher Wasser spritzen.

Der Hafen von Cumana ist eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa
aufnehmen könnte. Der ganze Meerbusen von Cariaco, der sechsunddreißig
Semeilen [67 km] lang und sechs bis acht [11 bis 15 km] breit ist, bietet
vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küste von Peru kann
nicht stiller und ruhiger seyn als das Meer der Antillen von Portocabello
an, namentlich aber vom Vorgebirge Codera bis zur Landspitze von Paria.
Von den Stürmen bei den Antillischen Inseln spürt man nie etwas in diesem
Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer befährt. Die einzige
Gefahr im Hafen von Cumana ist eine Untiefe, *Baxo del Morro roxo*, die
von West nach Ost 900 Toisen [1750 m] lang ist und so steil abfällt, daß
man dicht dabei ist, ehe man sie gewahr wird.

Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich beschrieben, weil es mir
wichtig schien, eine Gegend kennenzulernen, die seit Jahrhunderten der
Herd der fruchtbarsten Erdbeben war. Ehe wir von diesen außerordentlichen
Erscheinungen sprechen, erscheint es mir als zweckmäßig, die verschiedenen
Züge des von mir entworfenen Naturbildes zusammenzufassen.

Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird von einem Schlosse
beherrscht. Kein Glockenturm, keine Kuppel fällt von weitem dem Reisenden
ins Auge, nur einige Tamarinden-, Kokosnuß- und Dattelstämme erheben sich
über die Häuser mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, besonders dem
Meere zu ist trübselig, staubig und dürr, wogegen ein frischer, kräftiger
Pflanzenwuchs von weitem den geschlängelten Lauf des Flusses bezeichnet,
der die Stadt von den Vorstädten, die Bevölkerung von europäischer und
gemischter Abkunft von den kupferfarbenen Eingeborenen trennt. Der
freistehende, kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine
große Masse Licht und strahlender Wärme zurück; er besteht aus Breccien,
deren Schichten versteinerte Seetiere einschließen. In weiter Ferne gegen
Süden streicht dunkel ein mächtiger Gebirgszug hin. Dies sind die hohen
Kalkalpen von Neuandalusien, wo dem Kalk Sandsteine und andere neuere
Bildungen aufgelagert sind. Majestätische Wälder bedecken diese Kordillere
im innern Land und hängen durch ein bewaldetes Tal mit dem nackten,
tonigen und salzhaltigen Boden zusamen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel
von bedeutender Größe tragen zur eigentümlichen Physiognomie des Landes
bei. Am Gestade und am Meerbusen sieht man Scharen von Fischreihern und
Alcatras, sehr plumpen Vögeln, die gleich den Schwänen mit gehobenen
Flügeln über das Wasser gleiten. Näher bei den Wohnstätten der Menschen
sind Tausende von Galinazogeiern, wahre Chakals unter dem Gefieder,
rastlos beschäftigt, tote Tiere zu suchen. Ein Meerbusen, auf dessen
Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt die sekundären Gebirgsbildungen vom
primitiven Schiefergebirge der Halbinsel Araya. Beide Küsten werden von
einem ruhigen, blauen, beständig vom selben Winde leicht bewegten Meere
bespült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenaufgaug
leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumlosen Halbinsel
und der Ebene von Cumana, während man zwischen den Berggipfeln im Inneren
Gewitter sich bilden, sich zusammenziehen und in fruchtbaren Regengüssen
sich entladen sieht. So zeigen denn an diesen Küsten, wie am Fuße der
Anden, Himmel und Erde scharfe Gegensätze von Heiterkeit und Bewölkung,
von Trockenheit und gewaltigen Wassergüssen, von völliger Kahlheit und
ewig neu sprossendem Grün. Auf dem neuen Continent unterscheiden sich die
Niederungen an der See von den Gebirgsländern im Innern so scharf, wie die
Ebenen Unterägyptens von den hochgelegenen Plateaus Abyssiniens.

Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küstenstrich von
Neu-Andalusien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, daß die
Erdbeben dort wie hier gleich häufig sind, und daß die Natur für diese
Erscheinungen beidemal dieselben Grenzen einzuhalten scheint. Wir selbst
haben in Cumana sehr starke Erdstöße gespürt, eben war man daran, die vor
kurzem eingestürzten Gebäude wieder aufzurichten, und so hatten wir
Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die Vorgänge bei der furchtbaren
Katastrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Diese Angaben
werden um so mehr Interesse haben, da die Erdbeben bisher weniger aus
physischem und geologischem Gesichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer
schrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für das allgemeine Wohl ins
Auge gefaßt worden sind.

Es ist eine an der Küste von Cumana und auf der Insel Margarita sehr
verbreitete Meinung, daß der Meerbusen von Cariaco sich infolge der
Zertrümmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres
gebildet habe. Die Erinnerung an diese gewaltige Umwälzung hatte sich
unter den Indianern bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erhalten,
und wie erzählt wird, sprachen die Eingeborenen bei der dritten Reise des
Christoph Kolumbus davon wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre
1530 wurden die Bewohner der Küsten von Paria und Cumana durch neue
Erdstöße erschreckt. Das Meer stürzte über das Land her, und das kleine
Fort, das Jakob Castellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gänzlich
zerstört. Zugleich bildete sich eine ungeheure Spalte in den Bergen von
Cariaco, am Ufer des Meerbusens dieses Namens, und eine gewaltige Masse
Salzwasser, mit Asphalt vermischt, sprang aus dem Glimmerschiefer hervor.
Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren die Erdbeben sehr häufig, und
nach den Ueberlieferungen, die sich in Cumana erhalten haben,
überschwemmte das Meer öfter den Strand und stieg 15–20 Toisen [30–39 m]
hoch an. Die Einwohner flüchteten sich auf den Cerro de San Antonio und
auf den Hügel, auf dem jetzt das kleine Kloster San Francisco steht. Man
glaubt sogar, infolge dieser häufigen Ueberschwemmungen habe man das an
den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Anhang
desselben liegt.

Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da sich wegen der beständigen
Verheerungen der Termiten oder weißen Ameisen in den Archiven keine
Urkunde befindet, die über 150 Jahre hinaufreicht, so weiß man nicht
genau, wann diese frühen Erdbeben stattgefunden haben. Man weiß nur, daß
näher unserer Zeit das Jahr 1766 für die Ansiedler das entsetzlichste und
zugleich für die Naturgeschichte des Landes merkwürdigste gewesen ist.
Seit fünfzehn Monaten hatte eine Trockenheit geherrscht, wie sie zuweilen
auch auf den Inseln des Grünen Vorgebirges beobachtet wird, als am
21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerstört wurde. Das
Gedächtnis dieses Tages wird alljährlich mit einem Gottesdienst und einer
feierlichen Prozession begangen. In wenigen Minuten stürzten sämtliche
Häuser zusammen. An verschiedenen Orten der Provinz tat sich die Erde auf
und spie nach Schwefel riechendes Wasser aus. Diese Ausbrüche waren
besonders häufig auf einer Ebene, die sich gegen Casanay, zwei Meilen
östlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen *terra de hueca*,
_hohler Boden_, bekannt ist, weil sie überall von warmen Quellen
unterhöhlt zu seyn scheint. Während der Jahre 1766 und 1767 lagerten die
Einwohner von Cumana in den Straßen und begannen mit dem Wiederaufbau
ihrer Häuser erst, als sich die Erdbeben nur noch alle Monate
wiederholten. Hier auf der Küste traten damals dieselben Erscheinungen
ein, die man auch im Königreich Quito unmittelbar nach der großen
Katastrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Während sich der Boden
beständig wellenförmig bewegte, war es, als wollte sich die Luft im Wasser
auflösen. Durch ungeheure Regengüsse schwollen die Flüsse an; das Jahr war
ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Hütten die
stärksten Erdstöße nichts anhaben, feierten nach einen uralten Aberglauben
durch festlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorstehende
Wiedergeburt.

Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem andern
sehr merkwürdigen im Jahr 1794, die Stöße bloße wagerechte wellenförmige
Bewegungen; erst am Unglückstage des 14. Dezember 1797 spürte man in
Cumana zum erstenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier
Fünftheile der Stadt wurden damals völlig zerstört, und der Stoß, der von
einem starken unterirdischen Getöse begleitet war, glich, wie in Riobamba,
der Explosion einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging dem
heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung voraus, so daß die
meisten Bewohner sich auf die Straße flüchten konnten, und von denen, die
eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in
Cumana allgemein, die verheerendsten Erdbeben werden durch ganz schmale
Schwingungen des Bodens und durch ein Sausen angekündigt, und Leuten, die
an solche Vorfälle gewöhnt sind, entgeht solches nicht. In diesem
verhängnisvollen Augenblicke hört man überall den Ruf: _Misericordia!
tembla, tembla!_ [Erbarmen! sie (die Erde) bebt! sie bebt!] und es kommt
selten vor, daß ein blinder Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird.
Die Aengstlichen achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine.
Die letzteren, die einen ausnehmend scharfen Geruch haben und gewöhnt sind
im Boden zu wühlen, verkünden die Nähe der Gefahr durch Unruhe und
Geschrei. Wir lassen es dahingestellt, ob sie das unterirdische Getöse
zuerst hören, weil sie näher am Boden sind, er ob etwa Gase, die der Erde
entsteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres möglich ist, läßt sich
nicht läugnen. Als ich mich in Peru aufhielt, wurde ein Fall beobachtet,
der mit diesen Erscheinungen zusammenhängt und der schon öfters
vorgekommen war. Nach starken Erdstößen wurde das Gras af den Savanen von
Tucuman ungesund; es brach eine Viehseuche aus und viele Stücke scheinen
durch die bösen Dünste, die der Boden ausstieß, betäubt oder erstickt
worden zu seyn.

In Cumana spürte man eine halbe Stunde vor der großen Katastrophe am
14. Dezember 1797 am Klosterberg von San Francisco einen starken
Schwefelgeruch. Am selben Orte war das unterirdische Getöse, das von
Südost nach Südwest fortzurollen schien, am stärksten. Zugleich sah man am
Ufer des Manzanares, beim Hospiz der Kapuziner und im Meerbusen von
Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden schlagen. Wir werden in der
Folge sehen, daß letztere in nicht vulkanischen Ländern so auffallende
Erscheinung in den aus Alpenkalk bestehenden Gebirgen bei Cumanacao, im
Thale des Rio Bordones, auf der Insel Margarita und mitten in dn Savanen
oder *LLanos* von Neu-Andalusien ziemlich häufig ist. In diesen Savanen
steigen Feuergarben zu bedeutender Höhe auf; man kann sie Stunden lang an
den dürrsten Orten beobachten, und man versichert, wenn man den Boden, dem
der brennbare Stoff entströmt, untersuche, sey keinerlei Spale darin zu
bemerken. Dieses Feuer, das an die Wasserstoffquellen oder *Salse* in
Modena und an die Irrlichter unserer Sümpfe erinnert, zündet das Gras
nicht an, wahrscheinlich weil die Säule des sich entbindenden Gases mit
Stickstoff und Kohlensäure vermengt ist und nicht bis zum Boden herab
brennt. Das Volk, da übrigens hier zu Land nicht so abergläubisch ist als
in Spanien, nennt diese röthlichen Flammen seltsamerweise »die Seele des
Tyrannen Aguirre;« Lopez d’Aguirre soll nämlich, von Gewisensbissen
gefoltert, in dem Lande umgehen, das er mit seinen Verbrechen
befleckt.(40)

Durch das große Erdbeben von 1797 ist die Untiefe an der Mündung des Rio
Bordones in ihrem Umriß verändert worden. Ähnliche Hebungen sind bei der
völligen Zerstörung Cumanas im Jahr 1766 bobachtet worden. Die Punta
Delgada an der Westküste des Meerbusens von Cariaco wurde damals bedeutend
größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entstand eine Klippe,
wobei ohne Zweifel der Boden des Flusses durch elastische Flüssigkeiten
zerrissen und emporgehoben wurde.

Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die verschiedenen Erdbeben
in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieses Werkes
entsprechend suchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Gesichtspunkte
zu bringen und alles, was mit diesen schrecklichen und zugleich so schwer
zu erklärenden Vorgängen zusammenhängt, in Einen Rahmen zusammenzufassen.
Wenn Naturforscher, welche die Schweizer Alpen oder die Küsten Lapplands
besuchen, unsere Kenntniß von den Gletschern und dem Nordlicht erweitern,
so läßt sich von Einem, der das spanische Amerika bereist hat, erwarten,
daß er sein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben gerichtet haben werde.
Jeder Strich des Erdballs liefert der Forschung eigenthümliche Stoffe, und
wenn wi nicht hoffen dürfen, die Ursachen der Naturerscheinungen zu
ergründen, so müssen wir wenigstens versuchen, die Gesetze derselben
kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatsachen das
Gemeinsame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen und Zufälligen zu
unterscheiden.

Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stöße eintreten,
scheinen in Cumana nichts Periodisches zu haben. Man hat sie nach achtzig,
nach hundert und manchmal nach nicht dreißig Jahren sich wiederholen
sehen, während an der Küste von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die
jedesmal durch die gänzliche Zerstörung der Stadt bezeichnet werden,
unverkennbar mit einer gewissen Regelmäßigkeit eintreten. Daß die
Einwohner selbst an einen solchen Typus glauben, ist auch vom besten
Einfluß auf die öffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbefleißes. Man
nimmt allgemein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieselben
Ursachen wieder mit derselben Gewalt wirken können; aber dieser Schluß ist
nur dann richtig, wenn man die Erdstöße als lokale Erscheinungen auffaßt,
wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der großen Erschütterungen
ausgesetzt ist, einen besonderen Herd annimmt. Ueberall, wo sich neue
Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man Leute, die nicht
bauen wollen, äußern, auf die Zerstörung Lissabons am ersten November 1755
sey bald eine zweite, gleich schreckliche gefolgt, am 31. März 1761.

Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima sehr verbreiteten
Meinung [_Ariostoteles, Meteorologica, Lib. II. Seneca, Quaest. natur.,
Lib. VI, c. 12._] stehen die Erdbeben und der Zustand der Luft vor dem
Eintreten derselben sichtbar in Zusammenhang. An der Küste von
Neu-Andalusien wird man ängstlioch, wenn bei großer Hitze und nach langer
Trockenheit der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine
wolkenlose Himmel sich bis zu sechs, acht Grad über dem Horizont mit einem
röthlichen Duft überzieht. Diese Vorzeichen sind indessen sehr unsicher
und wenn man sich nachher alle Vorgänge im Luftkreis zur Zeit der
stärksten Erschütterungen vergegenwärtigt, so zeigt sich, dass heftige
Stöße so gut bei feuchtem als bei trockenem Wetter, so gut bei starkem
Wind als bei drückend schwüler stiller Luft eintreten können. Nach den
vielen Erdbeben, die ich nördlich vom Aequator, auf dem Festland und in
Meeresbecken, an der Küste und in 4870 m Höhe erlebt, will es mir
scheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorgehende Zustand
der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu tun hätten. Dieser
Ansicht sind auch viele gebildete Männer in den spanischen Kolonien, deren
Erfahrung sich, wo nicht auf ein größeres Stück der Erdoberfläche, so doch
auf eine längere Reihe von Jahren erstreckt. In europäischen Ländern
dagegen, wo Erdbeben im Verhältniß zu Amerika selten vorkommen, sind sie
Physiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das
zufällig zur selben Zeit erscheint, in nahe Beziehung zu bringen. So
glaubt man in Italien an einen Zusammenhang zwischen dem Sirocco und
Erdbeben, und in London sah man das häufige Vorkommen von Sternschnuppen
und jene Südlichter, die seitdem von Dalton öfters beobachtet worden sind,
als die Vorläufer der Erdstöße an, die man im Jahr 1748 bis zum Jahr 1756
spürte.

An den Tagen, wo die Erde durch starke Stöße erschüttert wird, zeigt sich
unter den Tropen keine Störung in der regelmäßigen stündlichen Schwankung
des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hievon
überzeugt; auf diesen Umstand sind die Physiker umso mehr aufmerksam zu
machen, als man auf St. Domingo in der Stadt Cap Français unmittelbar vor
dem Erdbeben von 1770 den Wasserbarometer um 2½ Zoll will haben fallen
sehen [Dieses Fallen entspricht nur zwei Linien Quecksilber.]. So erzählt
man auch bei der Zerstörung von Oran habe sich ein Apotheker mit seiner
Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Katastrophe zufällig auf
seinen Barometer gesehen und bemerkt habe, daß das Quecksilber auffallend
stark falle. Ich weiß nicht, ob dieser Behauptung Glauben zu schenken ist;
da es fast unmöglich ist, während der Stöße selbst, die Schwankungen im
Luftdruck zu beobachten, so muß man sich begnügen, auf den Barometer vor
oder nach dem Vorfall zu sehen. Im gemäßigten Erdstrich äußern die
Nordlichter nicht immer Einfluß auf die Declination der Magnetnadel und
die Intensität der magnetischen Kraft; so wirken vielleicht die Erdbeben
nicht gleichmäßig auf die us umgebende Luft.

Es ist schwerlich in Zweifel zu ziehen, daß in weiter Ferne von den
Schlünden tätiger Vulkane der durch Erdstöße geborstene und erschütterte
Boden zuweilen Gase in die Luft ausströmen läßt. Wie schon oben angeführt,
brachen in Cumana aus dem trockensten Boden Flammen und mit schweflichter
Säure vermischte Dämpfe hervor. An anderen Orten spie ebendaselbst der
Boden Wasser und Erdpech aus. In Riobamba bricht eine brennbare
Schlammasse, *Moya* genannt, aus Spalten, die sich wieder schließen, und
türmt sich zu ansehnlichen Hügeln auf. Sieben Meilen [31 km] von Lissabon,
bei Colares, sah man während des furchtbaren Erdbebens vom 1. November
1755 Flammen und eine dicke Rauchsäule aus der Felswand bei Alvidras und
nach einigen Augenzeugen aus dem Meere selbst hervorbrechen. Der Rauch
dauerte mehrere Tage und wurde desto stärker, je lauter das unterirdische
Getöse war, das die Stöße begleitete.

In die Atmosphäre ausströmende elastische Flüssigkeiten können lokal auf
den Barometer wirken, freilich nicht durch ihre Masse, die im Verhältnis
zur ganzen Luftmasse sehr unbedeutend ist, sondern weil sich, sobald ein
großer Ausbruch erfolgt, wahrscheinlich ein aufsteigender Strom bildet,
der den Luftdruck vermindert. Ich bin geneigt, anuzunehmen, daß bei den
meisten Erdbeben der erschütterte Boden nichts von sich gibt, und daß,
wenn wirklich Gase und Dämpfe ausströmen, dieß weit nicht so oft vor den
Stößen, als während derselben und hernach stattfindet. Aus diesem
letzteren Umstand erklärt sich eine Erscheinung, die schwerlich
abzuläugnen ist, ich meine den räthselhaften Einfluß, den die Erdbeben im
tropischen Amerika auf das Klima und den Eintritt der nassen und der
trockenen Jahreszeit äußern. Wenn die Erde erst im Moment der
Erschütterung selbst eine Veränderung in der Luft hervorbringt, so sieht
man ein, warum so selten ein auffallender meteorologischer Vorgang als
Vorbote dieser großen Umwälzungen in der Natur erscheint.

Für die Annahme, daß bei den Erdbeben in Cumana elastische Flüssigkeiten
durch die Erdoberfläche zu entweichen suchen, scheint das furchtbare
Getöse zu sprechen, das man während der Erdstöße auf der Ebene der
*Charas* am Rande der Brunnen vernimmt. Zuweilen werden Wasser und Sand
über 6,5 m hoch emporgeschleudert. Aehnliche Erscheinungen entgingen schon
dem Scharfsinn der Alten nicht, die in den Ländern Griechenlands und
Kleinasiens wohnten, wo es sehr viele Höhlen, Erdspalten und unterirdische
Ströme gibt. Das gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten
dieselben Vorstellungen über die Ursachen der Erdbeben und über die
Mittel, durch welche der Mensch, der so leicht das Maß seiner Kräfte
vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe mildern zu können
meint. Was ein großer römischer Naturforscher vom Nutzen der Brunnen und
Höhlen sagt,(41) wiederholen in der Neuen Welt die unwissendsten Indianer
in Quito, wenn sie den Reisenden die *Guaicos* oder Höhlen am Pichincha
zeigen.

Das unterirdische Getöse, das bei Erdbeben so häufig vorkommt, ist meist
außer Verhältniß mit der Kraft der Erdstöße. In Cumana geht es denselben
immer zuvor, während man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den
Antillen, nachdem die Stöße längst aufgehört haben, einen Donner wie vom
Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Classe dieser Erscheinungen,
und die merkwürdigste von allen ist das Monate lang fortwährende
unterirdische Donnerrollen, ohne daß dabei die geringste Wellenbewegung
des Bodens zu spüren wäre.

In allen den Erdbeben ausgesetzten Ländern sieht man als die Veranlassung
und den Herd der Erdstöße den Punkt an, wo, wahrscheinlich in Folge einer
eigenthümlichen Anordnung der Gesteinschichten, die Wirkungen am
auffallendsten sind. So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San
Antonio besonders aber der Hügel, auf dem das Kloster San Francisco liegt,
enthalten eine ungeheure Masse Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man
vergißt, daß die Geschwindigkeit, mit der sich die Schwingungen auf große
Entfernung, sogar über das Becken des Oceans fortpflanzen, deutlich darauf
hinweist, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberfläche sehr weit
entfernt ist. Ohne Zweifel aus demselben Grunde sind die Erdbeben nicht an
gewisse Gebirgsarten gebunden, wie manche Physiker behaupten, sondern alle
sind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den
Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überschreiten, nenne ich nur die Granite
von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerschiefer der
Halbinsel Araya, den Urgebirgsschiefer von Tepecuacuilco in Mexico, die
secundären Kalksteine des Apennins, Spaniens und Neu-Andalusiens, endlich
die Trapp-Porphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen diesen Orten
wird der Boden häufig durch die heftigsten Stöße erschüttert; aber
zuweilen werden in derselben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten
zu einem unüberwindlichen Hinderniß für die Fortpflanzung der Bewegung. So
sah man schon in den sächsischen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen,
die sie empfunden, erschrocken ausfahren, während man an der Erdoberfläche
nichts davon gespürt hatte.

Wenn nun auch in den weitentlegensten Ländern die Urgebirge, die
secundären und die vulkanischen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen
des Erdballs in gleichem Maße theilnehmen nehmen, so läßt sich doch nicht
in Abrede ziehen, daß in einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich gewisse
Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B. wurden
vor der großen Katastrophe im Jahr 1797 die Erdbeben nur längs der aus
Kalk bestehenden Südküste des Meerbusens von Cariaco bis zur Stadt dieses
Namens gespürt, während auf der Halbinsel Araya und im Dorfe Maniquarez
der Boden an denselben Bewegungen keinen Theil nahm. Die Bewohner dieser
Nordküste, die aus Glimmerschiefer besteht, bauten ihre Hütten auf
unerschütterlichem Boden; ein 3000–4000 Toisen breiter Meerbusen lag
zwischen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und
verwüsteten Ebene. Mit dieser auf die Erfahrung von Jahrhunderten gebauten
Sicherheit ist es vorbei: mit dem 14. December 1797 scheinen sich im
Innern der Erde neue Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet
man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge
aus Glimmerschiefer ist seinerseits zum Mittelpunkt von Bewegungen
geworden. Bereits wird zuweilen im Dorfe Maniquarez der Boden stark
erschüttert, während man an der Küste von Cumana der tiefsten Ruhe
genießt, und doch ist der Meerbusen von Cariaco nur 60–80 Faden tief.

Man will beobachtet haben, daß auf dem Festlande wie auf den Inseln die
West- und Südküsten den Stößen am meisten ausgesetzt seyen. Diese
Beobachtung sieht im Zusammenhang mit den Ideen hinsichtlich der Lage der
großen Gebirgsketten und der Richtung ihrer steilsten Abhänge, wie sie
sich schon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenseyn
der Cordillere von Caracas und die Häufigkeit der Erdbeben an den Ost- und
Nordküsten von Terra Firma, im Meerbusen von Paria, in Carupano, Cariaco
und Cumana beweisen, wie wenig begründet jene Ansicht ist.

In Neu-Andalusien, wie in Chili und Peru, gehen die Erdstöße den Küsten
nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieser Umstand weist,
wie wir bald sehen werden, darauf hin, daß die Ursachen der Erdbeben und
der vulkanischen Ausbrüche in engem Verbande stehen. Würde der Boden an
den Küsten deßhalb stärker erschüttert, weil diese die am tiefsten
gelegenen Punkte des Landes sind, warum wären dann in den Savanen oder
Prairien, die kaum acht oder zehn Toisen über dem Meeresspiegel liegen,
die Stöße nicht eben so oft und eben so stark zu fühlen?

Die Erdbeben in Cumana sind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet,
und man hat sogar vermutet, sie könnten mit den vulkanischen Erscheinungen
in den Kordilleren der Anden in einigem Zusammenhang stehen. Am
11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung, durch
die, trotz der sehr schwachen Bevölkerung des Landes, gegen 40,000
Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häuser begraben wurden, in Erdspalten
stürzten oder in den plötzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur selben
Zeit wurden die Bewohner der östlichen Antillen durch Erdstöße erschreckt,
die erst nach acht Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guadeloupe
Bimssteine, Asche und Wolken von Schwefeldämpfen ausstieß. Auf diesen
Ausbruch vom 29. September, währenddessen man lange anhaltendes
unterirdisches Brüllen hörte, folgte am 14. Dezember das große Erdbeben
von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat
seitdem ein neues Beispiel solcher Wechselbeziehungen geliefert. Er hatte
seit 1718 kein Feuer mehr gespieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf.
Die gänzliche Zerstörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor diesem
Ausbruch, und starke Bodenschwingungen wurden sowohl auf den Inseln als an
den Küsten von Terra Firma gespürt.

Man hat längst die Bemerkung gemacht, daß die Wirkungen großer Erdbeben
sich ungleich weiter verbreiten als die Erscheinungen der tätigen Vulkane.
Beobachtet man in Italien die Umwälzungen des Erdbodens, betrachtet man
die Reihe der Ausbrüche des Vesuv und des Aetna genau, so entdeckt man, so
nahe auch diese Berge beieinander liegen, kaum Spuren gleichzeitiger
Tätigkeit. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß bei den beiden
letzten Erdbeben von Lissabon(42) das Meer bis in die Neue Welt hinüber in
Aufregung geriet, z. B. bei der Insel Barbados, die über 5400 km von der
Küste von Portugal liegt.

Verschiedene Tatsachen weisen darauf hin, daß die Erdbeben und die
vulkanischen Ausbrüche(43) in engem ursächlichen Zusammenhang stehen. In
Pasto hörten wir, die schwarze dicke Rauchsäule, die im Jahre 1797 seit
mehreren Monaten dem Vulkan in der Nähe dieser Stadt entstiegen war, sey
zur selben Stunde verschwunden, wo sechzig Meilen [270 km] gegen Süd die
Städte Riobamba, Hambata und Tacunga durch einen ungeheuren Stoß über den
Haufen geworfen wurden. Setzt man sich im Inneren eines brennenden Kraters
neben die Hügel, die sich durch die Schlacken- und Aschenauswürfe bilden,
so fühlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung
des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Vesuv beobachtet, während
der Berg glühende Schlacken auswarf: wir waren im Jahre 1802 Zeugen
diesselben Vorganges gewesen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des
Pichincha standen, aus dem übrigens eben nur schweflig saure Dämpfe
aufstiegen.

Alles weist darauf hin, daß das eigentlich Wirksame bei den Erdbeben darin
besteht, daß elastische Flüssigkeiten einen Ausweg suchen, um sich in der
Luft zu verbreiten. An den Küsten der Südsee pflanzt sich diese Wirkung
oft fast augenblicklich sechshundert Meilen [2700 km] weit, von Chile bis
zum Meerbusen von Guayaquil fort, und zwar scheinen, was sehr merkwürdig
ist, die Erdstöße desto stärker zu seyn, je weiter ein Ort von den
thätigen Vulkanen abliegt. Die mit Flötzen von sehr neuer Bildung
bedeckten Granitberge Calabriens, die aus Kalk bestehende Kette des
Apennins, die Grafschaft Perigord, die Küsten von Spanien und Portugal,
die von Peru und Terra Firma liefern deutliche Belege für diese
Behauptung. Es ist als würde die Erde desto stärker erschüttert, je
weniger die Bodenfläche Oeffnungen hat, die mit den Höhlungen im Innern in
Verbindung stehen. In Neapel und Messina, am Fuß des Cotopaxi und des
Tunguragua fürchtet man die Erdbeben nur, so lange nicht Rauch und Feuer
aus der Mündung der Vulkane bricht. Ja im Königreich Quito brachte die
große Katastrophe von Riobamba, von der oben die Rede war, mehrere
unterrichtete Männer auf den Gedanken, daß das unglückliche Land wohl
nicht so oft verwüstet würde, wenn das unterirdische Feuer den Porphyrdom
des Chimborazo durchbrechen könnte und dieser kolossale Berg sich wieder
in einen thätigen Vulkan verwandelte. Zu allen Zeiten haben analoge
Thatsachen zu denselben Hypothesen geführt. Die Griechen, die, wie wir,
die Schwingungen des Bodens der Spannung elastischer Flüssigkeiten
zuschrieben, führten zur Bekräftigung ihrer Ansicht an, daß die Erdbeben
auf der Insel Euböa gänzlich aufgehört haben, seit sich aus der Ebene von
Lelante eine Erdspalte gebildet.

Wir haben versucht, am Schluß dieses Kapitels die allgemeinen
Erscheinungen zusammenzustellen, welche die Erdbeben unter verschiedenen
Himmelsstrichen begleiten. Wir haben gezeigt, daß die unterirdischen
Meteore so festen Gesetzen unterliegen, wie die Mischung der Gase, die
unsern Luftkreis bilden. Wir haben uns aller Betrachtungen über das Wesen
der chemischen Agentien enthalten, die als Ursachen der großen Umwälzungen
erscheinen, welche die Erdoberfläche von Zeit zu Zeit erleidet. Es sey
hier nur daran erinnert, daß diese Ursachen in ungeheuren Tiefen liegen,
und daß man sie in den Erdbildungen zu suchen hat, die wir Urgebirge
nennen, wohl gar unter der erdigen, oxydierten Kruste, in Tiefen, wo die
halbmetallischen Grundlagen der Kieselerde, der Kalkerde, der Soda und der
Pottasche gelagert sind.

Man hat in neuester Zeit den Versuch gemacht, die Erscheinungen der
Vulkane und Erdbeben als Wirkungen des Galvanismus aufzufassen, der sich
bei eigenthümlicher Anordnung ungleichartiger Erdschichten entwickeln
soll. Es läßt sich nicht läugnen, daß häufig, wenn im Verlauf einiger
Stunden starke Erdstöße auf einander folgen, die elektrische Spannung der
Luft im Augenblick, wo der Boden am stärksten erschüttert wird, merkbar
zunimmt; um aber diese Erscheinung zu erklären, braucht man seine Zuflucht
nicht zu einer Hypothese zu nehmen, die in geradem Widerspruch steht mit
allem, was bis jetzt über den Bau unseres Planeten und die Anordnung
seiner Erdschichten beobachtet worden ist.

                            ------------------



_   37 Inga spuria_. Die weißen Staubfäden, 60 bis 70 an der Zahl, sitzen
      an einer grünlichen Blumenkrone, haben Seidenglanz und an der Spitze
      einen gelben Staubbeutel. Die Blüthe der Guama ist 18 Linien [4 cm]
      lang. Dieser schöne Baum, der am liebsten an feuchten Orten wächst,
      wird zwischen 8 und 10 Toisen [15,5 und 19,5 m] hoch.

   38 Diese Eintheilung schreibt sich schon aus der Zeit des Posidonius
      her. Es ist die _succusio_ und die _inclinatio_ des Seneca
      (_Quaestiones naturales. Lib. VI. c. 21_). Aber schon der Scharfsinn
      der Alten machte die Bemerkung, daß die Art und Weise der Erdstöße
      viel zu veränderlich ist, als daß man sie unter solche vermeintliche
      Gesetze bringen könnte. (Plato bei Plutarch _de placit. Philos.
      L. III. c. 15._)

   39 Die blauen Berge in Neuholland, die Berge von Carmathen und
      Landsdown, sind bei hellem Wetter auf 50 Meilen nicht mehr sichtbar.
      Nimmt man den Höhenwinkel zu einem halben Grad an, so hätten diese
      Berge etwa 620 Toisen absoluter Höhe.

   40 Wenn das Volk in Cumana und auf der Insel Margarita von _el tirano_
      spricht, so ist immer der schändliche Lopez d’Aguirre gemeint, der
      im Jahr 1560 sich am Aufstand Fernandos de Guzman gegen den
      Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Ursua, betheiligtwe, und
      sich nachher selbst _traidor_, Verräther, nannte.

   41 Plinius: _In puteis est remedium, quale et crebi specus praebent:
      conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis,
      quae minus quatiuntur, crebis ad eluviem cuniculus cavata (Plin.
      L. II. c. 82)._ Noch gegenwärtig glaubt man in der Hauptstadt von
      St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erdstöße schwächen. Ich
      bemerke bei dieser Gelegenheit, daß die Erklärung, die Seneca von
      den Erdbeben gibt (_Natur. Quaest. Lib. VI. c. 4_ bis _31_), den
      Keim alles dessen enthält, was in unserer Zeit über die Wirkung
      elastischer, im Inneren des Erdballes eingeschlossener Dämpfe gesagt
      worden ist.

   42 Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim ersteren Erdbeben
      überschwemmte das Meer in Europa die Küsten von Schweden, England
      und Spanien, in Amerika die Inseln Antiqua, Barbados und Martinique.
      Auf Barbados, wo die Flut gewöhnlich nur 24–28 Zoll [640 bis 746 mm]
      hoch steigt, stieg das Wasser in der Bucht von Carlisle zwanzig Fuß
      [6,5 m] hoch. Es wurde zugleich »tintenschwarz«, ohne Zweifel, weil
      sich der Asphalt, der im Meerbusen von Cariaco, wie bei der Insel
      Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vorkommt, mit dem Wasser
      vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen
      wurde eine auffallende Bewegung des Wassers sechs Stunden vor dem
      ersten Stoß, den man in Lissabon spürte, beobachtet. In Cadiz sah
      man auf acht Meilen [36 km] weit aus der offenen See einen sechzig
      Fuß [20 m] hohen Wasserberg anrücken; er stürzte sich auf die Küste
      und zerstörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die achtzig Fuß [56 m]
      hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen
      von Callao überschwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontariosee
      seit Oktober 1755 eine starke Aufregung des Wassers beobachtet.
      Diese Erscheinungen weisen darauf hin, daß auf ungeheure Strecken
      hin unterirdische Verbindungen bestehen. Bei der Zusammenstellung
      der meist weit auseinanderliegenden Zeitpunkte, in denen Lima und
      Guatemala völlig zerstört wurden, glaubte man hin und wieder die
      Bemerkung zu machen, als ob sich eine Wirkung langsam den
      Kordilleren entlang geäußert hätte, bald von Nord nach Süd, bald von
      Süd nach Nord. Ich gebe hier vier dieser auffallenden Zeitpunkte:

      +----------------------+---------------------+
      |Mexiko                | Peru                |
      +----------------------+---------------------+
      |(Breite 13° 32´ Nord) | (Breite 12° 6´ Süd) |
      +----------------------+---------------------+
      |30. Nov. 1577,        | 17. Juni 1578,      |
      +----------------------+---------------------+
      |4. März 1679,         | 17. Juni 1678,      |
      +----------------------+---------------------+
      |12. Febr. 1689,       | 10. Okt. 1688,      |
      +----------------------+---------------------+
      |27. Sept. 1717,       | 8. Febr. 1716.      |
      +----------------------+---------------------+

      Ich gestehe, wenn die Erdstöße nicht gleichzeitig sind, oder doch
      kurz nacheinander folgen, so erscheint die angebliche Fortpflanzung
      der Bewegung sehr zweifelhaft.

   43 Dieser ursächliche Zusammenhang, den schon die Alten erkannten,
      beschäftigte die Geister nach der Entdeckung von Amerika wieder sehr
      lebhaft. Diese Entdeckung vergnügte nicht allein die Neugier der
      Menschen durch neue Naturprodukte, sie erweiterte auch ihre
      Vorstelluugen von der physischen Beschaffenheit der Länder, von den
      Spielarten des Menschengeschlechts und von den Wanderungen der
      Völker. Man kann die Beschreibungen der ältesten spanischen
      Reisenden, namentlich die des Jesuiten Acosta, nicht lesen, ohne
      jeden Augenblick freudig zu staunen, wie mächtig der Anblick eines
      großen Festlandes, die Betrachtung einer wundervollen Natur und die
      Berührung mit Menschen von anderer Race auf die Geistesentwicklung
      in Europa gewirkt haben. Der Keim sehr vieler physikalischer
      Wahrheiten ist in den Schriften des sechzehnten Jahrhunderts
      niedergelegt, und dieser Keim hätte Früchte getragen, wäre er nicht
      durch Fanatismus und Aberglauben erstickt worden.



FÜNFTES KAPITEL


       Die Halbinsel Araya — Salzsümpfe — Die Trümmer des Schlosses
                                 Santiago


Die ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Cumana verwendeten wir dazu,
unsere Instrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botanisieren und die
Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die
Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die uns zumal in Anspruch nahmen, ließ
uns nur schwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden.
Wenn unsere ganze Umgebung den lebhaftesten Reiz für uns hatte, so machten
dagegen unsere Instrumente die Neugier der Einwohnerschaft rege. Wir
wurden sehr durch Besuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht
Leute vor den Kopf stoßen, die so seelevergnügt durch einen Dollond die
Sonnenflecken betrachteten oder auf galvanische Berührung einen Frosch
sich bewegen sahen, so mußte man sich wohl herbeilassen, auf oft
verworrene Fragen Auskunft zu geben und stundenlang dieselben Versuche zu
wiederholen.

So ging es uns fünf ganze Jahre, so oft wir uns an einem Orte aufhielten,
wo man in Erfahrung gebracht hatte, daß wir Mikroskope, Fernrohre oder
elektromotorische Apparate besitzen. Dergleichen Auftritte wurden meist
desto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Besucher
von Astronomie und Physik hatten, welche Wissenschaften in den spanischen
Colonien den sonderbaren Titel: »neue Philosophie,« _nueva filosofia_
führen. Die Halbgelehrten sahen mit einer gewissen Geringschätzung auf uns
herab, wenn sie hörten, daß sich unter unsern Büchern weder das _spectac1e
de la nature_ vom Abbé Pluche, noch der _cours de physique_ von Sigand la
Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Bomare befanden. Diese drei Werke
und der _traité d’économie politique_ von Baron Bielfeld sind die
bekanntesten und geachtetsten fremden Bücher im spanischen Amerika von
Caracas und Chili bis Guatimala und Nordmexico. Man gilt nur dann für
gelehrt, wenn man die Uebersetzungen derselben recht oft citiren kann, und
nur in den großen Hauptstädten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexico,
fangen die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu verdrängen,
deren Ruf seit einem halben Jahrhundert populär geworden ist.

Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmelserscheinungen und
verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegenständen abgeben, äußert sich
ganz anders bei altcivilisirten Völkern als da, wo die Geistesentwicklung
noch geringe Fortschritte gemacht hat. In beiden Fällen finden sich in den
höchsten Ständen viele Personen, die den Wissenschaften ferne stehen; aber
in den Colonien und bei jungen Völkern ist die Wißbegier keineswegs müßig
und vorübergehend, sondern entspringt aus dem lebendigen Trieb, sich zu
belehren; sie äußert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in
früher Jugend auftritt.

Erst am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe astronomischer
Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Länge, wie sie
Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte,
daß in einem Lande, wo der Himmel beständig rein und klar ist, mehrere
Nächte sternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den
Meridian zog jeden Tag ein Gewitter aus und es wurde mir schwer
rorrespondirende Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verschiedenen
Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene
Länge von Cumana differirte nur um 4 Secunden Zeit von der, welche ich
durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unsere Ueberfahrt
einundvierzig Tage gewährt und bei der Besteigung des Pic von Teneriffa
war der Chronometer starken Temperaturwechseln ausgesetzt gewesen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt sich als
Gesammtresultat, daß der große Platz von Cumana unter 10° 27’ 52" der
Breite und 66° 30’ 2" der Länge liegt. Die Bestimmung der Länge gründet
sich auf den Uebertrag der Zeit, aus Monddistanzen, auf die
Sonnenfinsterniß vom 28. Oktober 1799 und aus zehn Immersionen der
Jupiterstrabanten, verglichen mit in Europa angestellten Beobachtungen.
Sie weicht nur um sehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch
rein chronometrische Mittel gefunden. Unsere älteste Karte des neuen
Continents, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiser Carls des Fünften,
setzt Cumana unter 9° 30’ Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite
abweicht und einen halben Grad von der, die Jefferys in seinem im
Jahr 1794 herausgegebenen »Amerikanischen Steuermann« angibt. Dreihundert
Jahre lang zeichnete man die ganze Küste von Paria zu weit südlich, weil
in der Nähe der Insel Trinidad die Strömungen nach Nord gehen und die
Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Süd zu seyn glauben, als
sie wirklich sind.

Am 17. August machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den
Einwohnern viel zu schaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines starken
Erdstoßes, denn nach der Volksphysik stehen alle ungewöhnlichen
Erscheinungen in unmittelbarem Zusammenhang. Die farbigen Kreise um den
Mond sind in den nördlichen Ländern weit seltener als in der Provence, in
Italien und Spanien. Sie zeigen sich, und dieß ist auffallend, bei reinem
Himmel, wenn das gute Wetter sehr beständig scheint. In der heißen Zone
sieht man fast jede Nacht schöne prismatische Farben, selbst bei der
größten Trockenheit. Zuweilen habe ich zwischen dem 15. Grad der Breite
und dem Aequator sogar um die Venus kleine Höfe gesehen; man konnte
Purpur, Orange und Violett unterscheiden; aber um Sirius, Canopus und
Achernar habe ich niemals Farben gesehen.

Während der Mondhof in Cumana zu sehen war, zeigte der Hygrometer große
Feuchtigkeit an; die Wasserdünste schienen aber so vollkommen aufgelöst,
oder vielmehr so elastisch und gleichförmig verbreitet, daß sie der
Durchsichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem
Gewitterregen hinter dem Schlosse San Antonio auf. Wie er am Horizont
erschien, sah man zwei Kreise, einen großen, weißlichen von 44 Grad
Durchmesser und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glänzte
und 1 Grad 43 Minuten breit war. Der Himmelsraum zwischen beiden Kronen
war dunkelblau. Bei 40 Grad Höhe verschwanden sie, ohne daß die
meteorologischen Instrumente die geringste Veränderung in den niedern
Luftregionen anzeigten. Die Erscheinung hatte nichts Auffallendes außer
der großen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umstand, daß nach Messungen
mit einem Ramsden¿schen Sextanten die Mondscheibe nicht ganz in der Mitte
der Höfe stand. Ohne die Messung hätte man glauben können, diese
Excentricität rühre von der Projection der Kreise auf die scheinbare
Concavität des Himmels her. Die Form der Höfe und die Farben, welche in
der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es von
den Physikern von Neuem in den Kreis der Beobachtungen gezogen zu werden.
In Mexico habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den
Farben des Regenbogens über das Himmelsgewölbe und gegen die Mondscheibe
hin zusammenlaufen sehen; dieses merkwürdige Meteor erinnert an das von
Cotes im Jahr 1716 beschriebene.

Wenn unser Haus in Cumana für die Beobachtung des Himmels und der
meteorologischen Vorgänge sehr günstig gelegen war, so mußten wir dagegen
zuweilen bei Tage etwas ansehen, was uns empörte. Der große Platz ist zum
Teil mit Bogengängen umgeben, über denen eine lange hölzerne Galerie
hinläuft, wie man sie in allen heißen Ländern sieht. Hier wurden die
Schwarzen verkauft, die von der afrikanischen Küste herüberkommen. Unter
allen europäischen Regierungen war die von Dänemark die erste und lange
die einzige, die den Sklavenhandel abgeschafft hat, und dennoch waren die
ersten Sklaven, die wir aufgestellt sahen, auf einem dänischen
Sklavenschiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Menschenpflicht,
Nationalehre und den Gesetzen des Vaterlandes im Streite liegt, läßt sich
durch nichts in seinen Speculationen stören.

Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis
zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosöl, um sich den
Körper damit einzureiben und die Haut glänzend schwarz zu machen. Jeden
Augenblick erschienen Käufer und schätzten nach der Beschaffenheit der
Zähne Alter und Gesundheitszustand der Sklaven; sie rissen ihnen den Mund
auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geschieht. Dieser entwürdigende
Brauch schreibt sich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt,
die Cervantes nach langer Gefangenschaft bei den Mauren in einem seiner
Theaterstücke [_El trado de Argel._] vom Verkauf der Christensklaven in
Algier entwirft. Es ist ein empörender Gedanke, daß es noch heutigen Tages
auf den Antillen spanische Ansiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem
Glüheisen zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen. So
behandelt man Menschen, die anderen Menschen die Mühe des Säens, Ackerns
und Erntens ersparen [_La Bruyère, Charactères cap. XI._].

Je tieferen Eindruck der erste Verkauf von Negern in Cumana auf uns
gemacht hatte, desto mehr wünschten wir uns Glück, daß wir uns bei einem
Volk und auf einem Continent befanden, wo ein solches Schauspiel sehr
selten vorkommt und die Zahl der Sklaven im Allgemeinen höchst unbedeutend
ist. Dieselbe betrug im Jahr 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona
nicht über sechstausend, während man zur selben Zeit die
Gesammtbevölkerung auf hundert und zehntausend schätzte. Der Handel mit
afrikanischen Sklaven, den die spanischen Gesetze niemals begünstigt
haben, ist jetzt völlig bedeutungslos auf Küsten, wo im sechzehnten
Jahrhundert der Handel mit amerikanischen Sklaven schauerlich lebhaft war.
Macarapan, früher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und besonders
Neu-Cadix, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals
für Comptoirs gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet
waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der im Alter von zweiundzwanzig
Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahr 1542 an den Küsten
von Bordones, Cariaco und Paria Raubzüge mit, bei denen unglückliche
Eingeborene weggeschleppt wurden. Er erzählt sehr naiv und oft mit einem
Gefühlsausdruck, wie er bei den Geschichtschreibern jener Zeit selten
vorkommt, von den Grausamkeiten, die er mit angesehen. Er sah die Sklaven
nach Neu-Cadix bringen, wo sie mit dem Glüheisen auf Stirne und Armen
gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus
diesem Hafen wurden sie nach Haiti oder St. Domingo geschickt, nachdem sie
mehrmals die Herren gewechselt, nicht weil sie verkauft wurden, sondern
weil die Soldaten mit Würfeln um sie spielten.

Unser erster Ausflug galt der Halbinsel Araya und jenen ehemals durch
Sklavenhandel und die Perlenfischerei vielberufenen Landstrichen. Am
19. August gegen zwei Uhr nach Mitternacht schifften wir uns bei der
indischen Vorstadt auf dem Manzanares ein. Unser Hauptzweck bei dieser
kleinen Reise war, die Trümmer des alten Schlosses von Araya zu besehen,
die Salzwerke zu besuchen und auf den Bergen, welche die schmale Halbinsel
Maniquarez bilden, einige geologische Untersuchungen anzustellen. Die
Nacht war köstlich kühl, Schwärme leuchtender Insekten [_Elater
noctilucus._] glänzten in der Luft, auf dem mit Sesuvium bedeckten Boden
und in den Mimosenbüschen am Fluß. Es ist bekannt, wie häufig die
Leuchtwürmer in Italien und im ganzen mittaglichen Europa sind; aber ihr
malerischer Eindruck ist gar nicht zu vergleichen mit den zahllosen
zerstreuten, sich hin und her bewegenden Lichtpunkten, welche im heißen
Erdstrich der Schmuck der Nächte sind, wo einem ist, als ob das
Schauspiel, welches das Himmelsgewölbe bietet, sich auf der Erde, auf der
ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.

Als wir Fluß abwärts an die Pflanzungen oder *Charas* kamen, sahen wir
Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuselter Rauch
stieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondscheibe einen
röthlichen Schein. Es war Sonntag Nacht und die Sklaven tanzten zur
rauschenden, eintönigen Musik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter
der afrikanischen Völker von schwarzer Rasse ist ein unerschöpfliches Maß
von Beweglichkeit und Frohsinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet,
tanzt und musicirt der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er
ausschläft. Hüten wir uns, über diese Sorglosigkeit, diesen Leichtsinn
hart zu urteilen, wird ja doch dadurch ein Leben voll Entbehrung und
Schmerz versüßt.

Die Barke, in der wir über den Meerbusen von Cariaco fuhren, war sehr
geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht
ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und
bereits waren unsere Organe so empfindlich für den kleinsten
Temperaturwechsel, daß wir vor Frost nicht schlafen konnten. Zu unserer
Verwunderung sahen wir, daß der hunderttheilige Thermometer auf 21°,8
stand. Dieser Umstand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben,
wohl bekannt ist, verdient von den Physiologen beachtet zu werden. Boucher
erzählt, auf dem Gipfel der _Montagne Pelée_ auf Martiniques [der Berg ist
nach verschiedenen Angaben zwischen 666 und 736 Toisen hoch] haben er und
seine Begleiter vor Frost gebebt, obgleich die Wärme noch 21 ½ Grad
betrug. In der anziehenden Reisebeschreibung des Capitän Bligh, der in
Folge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty zwölfhundert Meilen in
einer offenen Schaluppe zurücklegen mußte, liest man, daß er zwischen dem
zehnten und zwölften Grad südlicher Breite weit mehr vom Frost als vom
Hunger gelitten.(44) Im Januar 1803, bei unserem Aufenthalt in Guayaquil,
sahen wir die Eingeborenen sich über Kälte beklagen und sich zudecken,
wenn der Thermometer auf 23°,8 fiel, während sie bei 30°,5 die Hitze
erstickend fanden. Es brauchte nicht mehr als sieben bis acht Grad, um die
entgegengesetzten Empfindungen von Frost und Hitze zu erzeugen, weil an
diesen Küsten der Südsee die gewöhnliche Lufttemperatur 28° beträgt. Die
Feuchtigkeit, mit der sich die Leitungsfähigkeit der Lust für den
Wärmestoff ändert, spielt bei diesen Empfindungen eine große Rolle. Im
Hafen von Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem
Boden, kühlt sich die Lust nur durch Gewitterregen ab, und ich habe
beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23°,8 fällt, der Deluc’sche
Hygrometer auf 50–52 Grad stehen bleibt; dagegen steht er auf 37 bei einer
Temperatur von 30°,5. In Cumana hört man bei starken Regengüssen in den
Straßen schreien: _"Que hielo! Estoy emparamado!"_(45) und doch fällt der
dem Regen ausgesetzte Thermometer nur auf 21°,5. Aus allen diesen
Beobachtungen geht hervor, daß man zwischen den Wendekreisen auf Ebenen,
wo die Lufttemperatur bei Tag fast beständig über 27° ist, bei Nacht das
Bedürfniß fühlt, sich zuzudecken, so oft bei feuchter Luft der Thermometer
um 4–5½ Grad fällt.

Gegen acht Uhr Morgens stiegen wir an der Landspitze von Araya bei der
»Neuen Saline« ans Land. Ein einzelnes Haus steht auf einer kahlen Ebene
neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die sich seit Zerstörung des
Forts St. Jakob die Verteidigung dieser Küste beschränkt. Der
Salineninspektor  bringt sein Leben in einer Hängematte zu, in der er den
Arbeitern seine Befehle erteilt, und eine _Lancha del rey_ (königliche
Barke) führt ihm jede Woche von Cumana seine Lebensmittel zu. Man wundert
sich, daß bei einem Salzwert, das früher bei den Engländern, Holländern
und anderen Seemächten Eifersucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof
liegt. Kaum findet man am Ende der Landspitze von Araya ein paar armselige
indianische Fischerhütten.

Man übersieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen
Berggipfel von Margarita, die Trümmer des Schlosses St. Jakob, den Cerro
de la Vela und das Kalkgebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont
begrenzt. Wie reich die Halbinsel Araya an Kochsalz ist, wurde schon
Alonso Niño bekannt, als er im Jahr 1499 in Colombo’s, Djeda’s und Amerigo
Vespucci’s Fußstapfen diese Länder besuchte. Obgleich die Eingeborenen
Amerikas unter allen Völkern des Erdballes am wenigsten Salz verbrauchen,
weil sie fast allein von Pflanzenkost leben, scheinen doch bereits die
Guaykari im Ton- und Salzboden der *Punta Arenas* gegraben zu haben.
Selbst die jetzt die *neuen* genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirgs
Araya, waren schon in der frühsten Zeit in Gang. Die Spanier, die sich
zuerst auf Cubagua und bald nachher auf der Küste von Cumana
niedergelassen hatten, beuteten schon zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts die Salzsümpfe aus, die sich als Lagunen nordwestlich vom
Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine ständige
Bevölkerung hatte, machten sich die Holländer den natürlichen Reichtum des
Bodens zunutze, den sie für ein Gemeingut aller Nationen ansahen.
Heutzutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke und die
Schiffahrtskunst ist so weit fortgeschritten, daß die Cadizer Handelsleute
mit geringen Kosten spanisches und portugiesisches Salz 1900 Meilen
[8500 km] weit in die östliche Halbkugel senden können, um Montevideo und
Buenos Aires mit ihrem Bedarf für das Einsalzen zu versorgen. Solche
Vortheile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Industrie in den
Colonien war damals noch so weit zurück, dass das Salz von Araya mit
großen Kosten nach den Antillen, nach Carthagena und Portobelo verschifft
wurde. Im Jahr 1605 schickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach
Punta Araya, mit dem Befehl, daselbst auf Station zu liegen und die
Holländer mit Gewalt zu vertreiben. Diese fuhren nichts desto weniger fort
heimlich Salz zu holen, bis man im Jahr 1622 bei den Salzwerken ein Fort
errichtete, das unter dem Namen _Castillo de Santiago_ oder _Real Fuerza
de Araya_ berühmt geworden ist.

Die großen Salzsümpfe sind auf den ältesten spanischen Karten bald als
Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der seinen _Orbis novus_ im Jahr
1633 schrieb und sehr gute Nachrichten von diesen Küsten hatte, sagt sogar
ausdrücklich, die Lagune sey von der See durch eine über der Fluthhöhe
gelegene Landenge getrennt gewesen. Im Jahr 1726 zerstörte ein
außerordentliches Ereigniß die Saline von Araya und machte das Fort, das
über eine Million harter Piaster gekostet hatte, unnütz. Man spürte einen
heftigen Windstoß, eine große Seltenheit in diesen Strichen, wo die See
meist nicht unruhiger ist als das Wasser unserer Flüsse; die Fluth drang
weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzsee
in einen mehrere Meilen langen Meerbusen verwandelt. Seitdem hat man
nördlich von der Hügelkette, welche das Schloß von der Nordküste der
Halbinsel trennt, künstliche Behälter oder Kasten angelegt. Der
Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen
Cumana und Barcelona zwischen neun und zehn tausend Fanegas, jede zu
sechzehn Arrobas oder vier Centnern. Dieser Verbrauch ist sehr
beträchtlich, und es ergeben sich dabei, wenn man 50,000 Indianer
abrechnet, die nur sehr wenig Salz verzehren, sechzig Pfund auf den Kopf.
In Frankreich rechnet man, nach Necker, nur zwölf bis vierzehn Pfund, und
der Unterschied rührt daher, daß man so viel Salz zum Einsalzen braucht.
Das gesalzene Ochsenfleisch, *Tasajo* genannt, ist im Handel von Barcelona
der vornehmste Ausfuhrartikel. Von neun bis zehn tausend Fanegas Salz,
welche die beiden Provinzen zusammen liefern, kommen nur dreitausend vom
Salzwerk von Araya; das übrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos,
Piritu und im *Golfo triste* aus Meerwasser gewonnen. In Mexico liefert
der einzige Salzsee *Pennon Blanco* jährlich über 250,000 Fanegas unreines
Salz.

Die Provinz Caracas hat schöne Salzwerke bei den Klippen los Noquez; das
früher aus der kleinen Insel Tortuga gelegene ist auf Befehl der
spanischen Regierung zerstört worden. Man grub einen Kanal, durch den das
Meer zu den Salzsümpfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den
kleinen Antillen Colonien haben, besuchten diese unbewohnte Insel, und der
Madrider Hof fürchtete in seiner argwöhnischen Politik, das Salzwerk von
Tortuga möchte Veranlassung zu einer festen Niederlassung werden, wodurch
dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorschub geleistet würde. Die Salzwerke
von Araya werden erst seit dem Jahr 1792 von der Regierung selbst
betrieben. Bis dahin waren sie in den Händen indianischer Fischer, die
nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofür sie der Regierung nur
die mäßige Summe von 300 Piastern bezahlten. Der Preis der Fanega war
damals vier Realen; [In dieser Reisebeschreibung sind alle Preise in
harten Piastern und Silberrealen, _reales de plata_ ausgedrückt. Acht
Realen gehen auf einen harten Piaster oder 105 Sous französischen Geldes.]
aber das Salz war sehr unrein, grau, und enthielt sehr viel salzsaure und
schwefelsaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von Seiten der Arbeiter
äußerst unregelmäßig betrieben wurde, so fehlte es oft an Salz zum
Einsalzen des Fleisches und der Fische, das in diesen Ländern für den
Fortschritt des Gewerbfleißes von großem Belang ist, da das indianische
niedere Volk und die Sklaven von Fischen und etwas *Tasajo* leben. Seit
die Provinz Cumana unter der Intendauz von Caracas steht, besteht die
Salzregie, und die Fanega, welche die Guayqueries für einen halben Piaster
verkauften, kostet anderthalb Piaster. Für diese Preiserhöhung leistet nur
geringen Ersatz, daß das Salz reiner ist und daß die Fischer und
Colonisten es das ganze Jahr im Ueberfluß beziehen können. Die
Salinenverwaltung von Araya brachte im Jahr 1799 dem Schatze 8000 Piaster
jährlich ein. Aus diesen statistischen Notizen geht hervor, daß die
Salzbereitung in Araya, als Industriezweig betrachtet, von keinem großen
Belang ist.

Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem
*Salzthon* überein, der in Berchtesgaden und in Südamerika in Zipaquira
mit dem Steinsalz vorkommt. Das salzsaure Natron ist in diesem Thon nicht
in sichtbaren Theilchen eingesprengt, aber sein Vorhandenseyn läßt sich
leicht bemerklich machen. Wenn man die Masse mit Regenwasser netzt und der
Sonne aussetzt, schießt das Salz in großen Krystallen an. Die Lagune
westlich vom Schloß Santiago zeigt alle Erscheinungen, wie sie von
Lepechin, Gmelin und Pallas in den sibirischen Salzseen beobachtet worden
sind. Sie nimmt übrigens nur das Regenwasser auf, das durch die
Thonschichten durchsickert und sich am tiefsten Punkte der Halbinsel
sammelt. So lange die Lagune den Spaniern und Holländern als Salzwerk
diente, stand sie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun
diese Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer
im Jahr 1726 eingebrochen war, einen Faschinendamm anlegte. Nach großer
Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune drei bis vier Kubikfuß
große Klumpen krystallisirten, sehr reinen salzsauren Natrons
heraufgefördert. Das der brennenden Sonne ausgesetzte Salzwasser des Sees
verdunstet an der Oberfläche; in der gesättigten Lösung bilden sich
Salzkrusten, sinken zu Boden, und da Kristalle von derselben
Zusammensetzung und der gleichen Gestalt einander anziehen, so wachsen die
kristallinischen Massen von Tag zu Tag an. Man beobachtet im Allgemeinen,
daß das Wasser überall, wo sich Lachen im Thonboden gebildet haben,
salzhaltig ist. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man
allerdings das Meerwasser in die Kasten, wie in den Salzsümpfen im
mittäglichen Frankreich; aber auf der Insel Margarita bei Pampadar wird
das Salz nur dadurch bereitet, daß man süßes Wasser den salzhaltigen Thon
auslaugen läßt.

Das Salz, das in Thonbildungen enthalten ist, darf nicht verwechselt
werden mit dem Salz, das im Sand am Meeresufer vorkommt, und das an den
Küsten der Normandie ausgebeutet wird. Diese beiden Erscheinungen haben,
aus geologischen Gesichtspunkt betrachtet, so gut wie nichts mit einander
gemein. Ich habe salzhaltigen Thon am Meeresspiegel, bei Punta Araya, und
in 2000 Toisen Höhe in den Cordilleren von Neugrenada gesehen. Wenn
derselbe am erstgenannten Ort unter einer Muschelbreccie von sehr neuer
Bildung liegt, so tritt er dagegen bei Ischl in Oesterreich als mächtige
Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls jünger als die
Existenz organischer Wesen auf der Erde, doch sehr alt ist, wie die vielen
Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert sind. Wir wollen nicht in
Zweifel ziehen, daß das reine [das von Wieliczka und Peru] oder mit
salzhaltigem Thon vermengte Steinsalz [das von Hallein, Ischl und
Zipaquira] der Niederschlag eines alten Meeres seyn könne; alles weist
aber darauf hin, daß es sich unter Naturverhältnissen gebildet hat, die
sehr bedeutend abweichen mußten von denen, unter welchen die jetzigen
Meere in Folge allmähliger Verdunstung hie und da ein paar Körner
salzsauren Natrons im Ufersande niederschlagen. Wie der Schwefel und die
Steinkohle sehr weit auseinander liegenden Formationen angehören, kommt
auch das Steinsalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in
einem mit sehr neuem Muschelsandstein bedeckten Salzthon (Punta Araya),
bald in einem Gips vor, der jünger ist als die Kreide.

Das neue Salzwerk von Araya besteht aus fünf Behältern oder Kasten, von
denen die größten eine regelmäßige Form und 2300 Quadrattoisen Oberfläche
haben. Die mittlere Tiefe beträgt acht Zoll. Man bedient sich sowohl des
Regenwassers, das sich durch Einsickerung am tiefsten Punkt der Ebene
sammelt, als des Meerwassers, das durch Kanäle hereingeleitet wird, wenn
der Wind die See an die Küste treibt. Dieses Salzwerk ist nicht so günstig
gelegen wie die Lagune. Das Wasser, das in die letztere fällt, kommt von
stärker geneigten Abhängen und hat ein größeres Bodenstück ausgelaugt. Die
Indianer pumpen mit der Hand das Meerwasser aus einem Hauptbehälter in die
Kasten. Leicht ließe sich indessen der Wind als Triebkraft benützen, da
der Seewind fortwährend stark aus die Küste bläst. Man hat nie daran
gedacht, weder die bereits ausgelangte Erde wegzuschaffen, noch Schachte
im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzusuchen, die reicher an
salzsaurem Natron sind. Die Salzarbeiter klagen meist über Regenmangel,
und beim neuen Salzwerk scheint es mir schwer auszumitteln, welches
Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewassers kommt. Die
Eingeborenen schätzen es aus ein Sechstheil des ganzen Ertrags. Die
Verdunstung ist sehr stark und wird durch den beständigen Luftzug
gesteigert; das Salz wird aber auch am achtzehnten bis zwanzigsten Tage,
nachdem man die Behälter gefüllt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. August um
3 Uhr Nachmittags) die Temperatur des Salzwassers in den Kasten 32°,5,
während die Luft im Schatten 27°,2 und der Sand an der Küste in sechs Zoll
Tiefe 42°,5 zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und sahen ihn
zu unserer Ueberraschung nur auf 23° steigen. Diese niedrige Temperatur
rührt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinsel Araya und die
Insel Margarita umgeben, und an deren Abfällen sich tiefere
Wasserschichten mit den oberflächlichen vermischen.

Obgleich das salzsaure Natron aus der Halbinsel Araya nicht so sorgfältig
bereitet wird als in den europäischen Salzwerken, ist es dennoch reiner
und enthält weniger salzsaure und schwefelsaure Erden. Wir wissen nicht,
ob diese Reinheit dem Antheil von Salz, den das Meer liefert,
zuzuschreiben ist; denn wenn auch die Menge der im Meerwasser gelösten
Salze höchst wahrscheinlich unter allen Himmelsstrichen dieselbe ist,(46)
so weiß man doch nicht, ob auch das Verhältnis zwischen dem salzsauren
Natron, der salzsauren und schwefelsauren Bittererde und dem
schwefelsauren und kohlensauren Kalk sich gleich bleibt.

Nachdem wir die Salinen besehen und unsere geodätischen Arbeiten beendet
hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer
indianischen Hütte bei den Trümmern des Schlosses von Araya die Nacht zu
zuzubringen. Unsere Instrumente und unseren Mundvorrat schickten wir
voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Reverberation des
Bodens erschöpft waren, spürten wir in diesen Ländern nur abends und in
der Morgenkühle Eßlust. Wir wandten uns nach Süd und gingen zuerst über
die kahle mit Salzton bedeckte Ebene und dann über zwei aus Sandstein
bestehende Hügelketten, zwischen denen die Lagune liegt. Die Nacht
überraschte uns, während wir einen schmalen Pfad verfolgten, der
einerseits vom Meer, andererseits von senkrechten Felswänden begrenzt ist.
Die Flut war im raschen Steigen und engte unseren Weg mit jedem Schritt
mehr ein. Am Fuße des alten Schlosses von Araya angelangt lag ein
Naturbild mit einem melancholischen, romantischen Anstrich vor uns, und
doch wurde weder durch die Kühle des finsteren Forstes, noch durch die
Großartigkeit der Pflanzengestalten die Schönheit der Trümmer gehoben. Sie
liegen auf einem kahlen, dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und
Mimosen bewachsen und gleichen nicht sowohl einem Werke von Menschenhand,
als vielmehr Felsmassen, die in den ältesten Umwälzungen des Erdballes
zertrümmert worden.

Wir wollten Halt machen, um das großartige Schauspiel zu genießen und den
Untergang der Venus zu beobachten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwischen
dem Gemäuer des Schlosses erschien; aber der Mulatte, der uns als Führer
diente, wollte verdursten und drang lebhaft in uns, umzukehren. Er hatte
längst gemerkt, daß wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die
Furcht auf uns zu wirken, sprach er beständig von Tigern und
Klapperschlangen. Giftige Reptilien sind allerdings beim Schlosse Araya
sehr häufig, und erst vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez
zwei Jaguars erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren sie nicht
viel kleiner als die ostindischen Tiger. Vergeblich führten wir unserem
Führer zu Gemüt, daß diese Tiere an einer Küste, wo die Ziegen ihnen
reichliche Nahrung bieten, keinen Menschen anfallen; wir mußten nachgeben
und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelstunden
über einen von der steigenden Flut bedeckten Strand gegangen, stieß der
Neger zu uns, der unsern Mundvorrath getragen hatte; da er uns nicht
kommen sah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er führte
uns durch ein Gebüsch von Fackeldisteln zu der Hütte einer indianischen
Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gastfreundschaft aufgenommen, die
man in diesen Ländern bei Menschen aller Kasten findet. Von außen war die
Hütte, in der wir unsere Hängematten befestigten, sehr sauber; wir fanden
daselbst Fische, Bananen u. dgl. Und, was im heißen Landstrich über die
ausgesuchtesten Speisen geht, vortreffliches Wasser.

Des anderen Tages bei Sonnenaufgang sahen wir, daß die Hütte, in der wir
die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleienr Wohnungen am Ufer des
Salzsees gehörte. Es sind dies die schwachen Ueberbleibsel eines
ansehnlichen Dorfes, das sich einst um das Schloß gebildet. Die Trümmer
einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachsen.
Nachdem im Jahre 1762 das Schloß von Araya, um die Unterhaltungskosten der
Besatzung zu sparen, gänzlich zerstört worden war, zogen sich die in der
Umgegend angesiedelten Indianer und Farbigen allmählich nach Maniquarez,
Cariaco und in die indianische Vorstadt von Cumana. Nur wenige blieben aus
Anhänglichkeit an den Heimathboden am wilden, öden Ort. Diese armen Leute
leben vom Fischfang, der an den Küsten und auf dem Untiefen in der Nähe
äußerst ergiebig ist. Sie schienen mit ihrem Loos zufrieden und fanden die
Frage seltsam, warum sie keine Gärten hätten unsd keine nutzbaren Gewächse
bauten. »Unsere Gärten,« sagten sie, »sind drüben über der Meerenge; wir
bringen Fische nach Cumana und verschaffen uns dafür Bananen, Cocosnüsse
und Manioc.« Diese Wirtschaft, die der Trägheit zusagt, ist in Maniquarez
und auf der ganzen Halbinsel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner
besteht in Ziegen, die sehr groß und schön sind. Sie laufen frei umher wie
die Ziegen auf dem Pic von Tenerifa; sie sind völlig verwildert und man
zeichnet sie wie die Maultiere, weil sie nach Aussehen, Farbe und
Zeichnung nicht zu unterscheiden wären. Die wilden Ziegen sind hellbraun
und nicht verschiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Colonist auf der Jagd
eine Ziege schießt, die nicht seine eigene ist, so bringt er sie sogleich
dem Nachbar, dem sie gehört. Zwei Tage lang hörten wir als von einer
selten vorkommenden Niederträchtigkeit davon sprechen, daß einem Einwohner
von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und daß wahrscheinlich eine
Familie in der Nachbarschaft sich güthlich damit gethan habe. Dergleichen
Züge, die für große Sittenreinheit beim gemeinen Volk sprechen, kommen
häufig auch in Neu-Mexiko, in Canada und in den Ländern westlich von den
Aleghanys vor.

Unter den Farbigen, deren Hütten um den Salzsee stehen, befand sich ein
Schuhmacher von castilianischem Blute. Er nahm uns mit dem Ernst und der
Selbstgefälligkeit auf, die unter diese Himmelsstrichen fast allen Leuten
eigen sind, die sich für besonders begabt halten. Er war eben daran, die
Sehne seines Bogens zu spannen und Pfeile zu spitzen, um Vögel zu
schießen. Sein Gewerbe als Schuster konnte in einem Lande, wo die meisten
Leute barfuß gehen, nicht viel eintragen; er beschwerte sich auch, daß das
europäische Pulver so teuer sey und ein Mann wie er zu denselben Waffen
greifen müsse wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des
Dorfs; er wußte, wie sich das Salz durch den Einfluß der Sonne und des
Vollmonds bildet, er kannte die Vorzeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo
sich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie
alle Colonisten von Chili bis Californien, in heiße und kalte [reizende
oder schwächende, sthenische oder asthenische nach Browns System]
eintheilte. Er hatte die geschichtlichen Ueberlieferungen des Landes
gesammelt, und gab uns interessante Notizen über die Perlen von Cubagua,
welchen Luxusartikel er höchst wegwerfend behandelte. Um uns zu zeigen,
wie bewandert er in der heiligen Schrift sey, führte er wohlgefällig den
Spruch Hiobs an, daß Weisheit höher zu wägen ist denn Perlen. Seine
Philosophie ging nicht über den engen Kreis der Lebensbedürfnisse hinaus.
Ein derber Esel, der eine tüchtige Ladung Bananen an den Landungsplatz
tragen könnte, war das höchste Ziel seiner Wünsche.

Nach einer langen Rede über die Eitelkeit menschlicher Herrlichkeit zog er
aus einer Ledertasche sehr kleine und trübe Perlen und drang uns dieselben
auf. Zugleich hieß er uns, es in unsere Schreibtafel aufzuzeichnen, daß
ein armer Schuster von Araya, aber ein weißer Mann und von edlem
castilischen Blute, uns etwas habe schenken können, das drüben über dem
Meer für eine große Kostbarkeit gelte. Ich komme dem Versprechen, das ich
dem braven Manne gab, etwas spät nach und freue mich, dabei bemerken zu
können, daß seine Uneigennützigkeit ihm nicht gestattete, irgend eine
Vergütung anzunehmen. An der Perlenküste sieht es allerdings so armselig
aus, wie im »Gold- und Diamantenland,« in Choco und Brasilien; aber mit
dem Elend paart sich hier nicht die zügellose Gewinnsucht, wie sie durch
Schätze des Mineralreichs erzeugt wird.

Die Perlenmuschel ist auf den Untiefen, sie sich von Kap Paria zum Kap
Vela erstrecken, sehr häufig. Die Insel Margarita, Cubagua, Coche, Punta
Araya und die Mündung des Rio la Hacha waren im sechzehnten Jahrhundert
berühmt, wie im Altertum der Persische Meerbusen und die Insel Taprobante.
[_Strabo lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus,
Polyhistor c. 68_; besonders _Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, c. 45._] Es
ist nicht richtig, wie mehrere Geschichtsschreiber behaupten, daß die
Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben
sollen. Die Spanier, die zuerst an Terra Firma landeten, sahen bei den
Wilden Hals- und Armbänder, und bei den zivilisierten Völkern in Mexiko
und Peru waren Perlen von schöner Form ungemein gesucht. Ich habe die
Basaltbüste einer mexikanischen Priesterin bekanntgemacht, [Humboldt,
_Atlas pittoresque_ Tafel 1 und 2.] deren Kopfputz, der auch sonst mit der
*Calantica* der Isisköpfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen besetzt ist. Las
Casas und Benzoni erzählen, und zwar nicht ohne Uebertreibung, wie grausam
man mit den Indianern und Negwern umging, die man zur Perlenfischerei
brauchte. In der ersten Zeit der Eroberung lieferte die Insel Coche allein
1500 Mark Perlen monatlich. Der *Quint*, den die königlichen Beamten vom
Ertrag an Perlen erhoben, belief sich auf 15,000 Dukaten, nach dem
damaligen Werth der Metalle und in Betracht des starken Schmuggels eine
sehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 scheint sich der Werth der nach
Europa gesendeten Perlen im Jahresdurchschnitt auf mehr als 800,000
Piaster belaufen zu haben. Um zu ermessen, von welcher Bedeutung dieser
Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua seyn mochte, muß man
bedenken, daß zur selben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen
Piaster lieferten und daß die Flotte Ovandos für unermeßlich reich galt,
weil sie gegen 2600 Mark Silber führte.

Die Perlen waren desto gesuchter, da der asiatische Luxus auf zwei gerade
entgegengesetzten Wegen nach Europa gedrungen war, von Konstantinopel her,
wo die Paläologen reich mit Perlen gestickte Kleider trugen, und von
Granada her, wo die maurischen Könige saßen, an deren Hof der ganze
asiatische Prunk herrschte. Die ostindischen Perlen waren geschätzter als
die westindischen; indessen kamen doch die letzteren in der ersten Zeit
nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in
Spanien wurde die Insel Cubagua das Ziel zahlreicher
Handelsunternehmungen. Benzoni erzählt, was einem gewissen Ludwig
Lampagnano begegnete, dem Karl der Fünfte das Privilegium ertheilt hatte,
mit fünf »Caravelen« an die Küste von Cumana zu gehen und Perlen zu
fischen. Die Ansiedler schickten ihn mit der kecken Antwort heim, der
Kaiser gehe mit etwas, das nicht sein gehöre, allzu freigebig um; es stehe
ihm nicht das Recht zu, über Austern zu verfügen, die auf dem Meeresboden
leben.

Gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts nahm die Perlenfischerei rasch
ab, und nach Laets Angabe(47) hatte sie im Jahr 1633 längst aufgehört.
Durch den Gewerbfleiß der Venediger, welche die echten Perlen täuschen
nachmachten, und den starken Gebrauch der geschnittenen Diamanten [Das
Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen
erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erst im folgenden
Jahrhundert.] wurden die Fischereien in Cubagua weniger einträglich.
Zugleich wurden die Perlenmuscheln seltener, nicht wie man nach der
Volkssage glaubt, weil die Tiere vom Geräusch der Ruder verscheucht
wurden, sondern, weil man im Unverstand die Muscheln zu Tausenden
abgerissen und so ihrer Fortpflanzung Einhalt getan hatte. Die
Perlenmuschel ist noch von zarterer Constitution als die meisten andern
kopflosen Weichthiere. Auf der Insel Ceylon, wo in der Bucht von
Condeatchy die Perlenfischerei sechshundert Taucher beschäftigt und der
jährliche Ertrag über eine halbe Million steigt, hat man das Thier
vergeblich auf andere Küstenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Regierung
gestattet die Fischerei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die
Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um sich eine Vorstellung
davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter diesem Thiergeschlecht
aufräumen, muß man bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen
über 35,000 Muscheln aufnimmt. Das Thier lebt nur neun bis zehn Jahre und
die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum Vorschein zu kommen. In
10,000 Muscheln ist oft nicht Eine werthvolle Perle. Nach der Sage
öffneten die Fischer auf der Bank bei der Insel Margarita die Muscheln
Stück für Stück; auf Ceylon schüttet man die Thiere aus und läßt sie
faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen hängen,
wascht man die Haufen thierischen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen
den Sand auswascht, der Gold- oder Zinngeschiebe oder Diamanten enthält.

Gegenwärtig bringt das spanische Amerika nur noch die Perlen in den
Handel, die aus dem Meerbusen von Panama und von der Mündung des Rio de la
Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die
Fischerei aufgegeben, wie an der californischen Küste.(48) Man glaubt in
Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zweihundertjähriger Ruhe wieder
bedeutend vermehrt [Im Jahr 1812 sind bei Margarita einige Versuche
gemacht worden, die Perlenfischerei wieder aufzunehmen], und man fragt
sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet, die an den
Fischnetzen hängen bleiben [Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen
solche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis
ist ein Piaster für das Dutzend.], so klein sind und so wenig Glanz haben,
während man bei der Ankunft der Spanier sehr schöne bei den Indianern
fand, die doch schwerlich darnach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer
zu beantworten da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit
des Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in
untermeerischen Strömen auf die Temperatur des Wassers oder auf die
Häufigkeit gewisser Weichthiere, von denen sich die Muscheln nähren,
Einfluß geäußert haben.

Am 20. Morgens führte uns der Sohn unseres Wirths, ein sehr kräftiger
Indianer, über den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier
Stunden Weges. Durch das Rückprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der
Thermometer auf 31.3°. Die Säulenkaktus, die am Wege stehen, geben der
Landschaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unser
Führer setzte sich, ehe er eine Meile [5 km] gegangen war, jeden
Augenblick nieder. Im Schatten eines schönen Tamarindenbaumes bei den
Casas de la Vela wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht
abzuwarten. Ich hebe diesen Charakterzug hervor, da er einem überall
entgegentritt, so oft man mit den Indianern reist, und zu den irrigsten
Vorstellungen von der Körperverfassung der verschiedenen Menschenracen
Anlaß gegeben hat. Der kupferfarbene Eingeborene, der besser als der
reisende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsstriches gewöhnt ist,
beklagt sich nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld
ist keine Lockung für ihn, und hat er sich je einmal durch Gewinnsucht
verführen lassen, so reut ihn sein Entschluß, sobald er auf dem Wege ist.
Derselbe Indianer aber, der sich beklagt, wenn man ihm beim Botanisieren
eine Pflanzenbüchse zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste
Strömung und rudert so vierzehn bis fünfzehn Stunden in einem fort, weil
er sich zu den Seinen zurücksehnt. Will man die Muskelkraft der Völker
richtig schätzen lernen, muß man sie ¿ unter Umständen beobachten, wo ihre
Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen bestimmt werden.

Wir besahen in der Nähe die Trümmer des Schlosses Santiago, das durch
seine ausnehmend feste Bauart merkwürdig ist. Die Mauern aus behauenen
Steinen sind fünf Fuß dick; man mußte sie mit Minen sprengen; man sieht
noch Mauerstücke von sieben-, achthundert Quadratfuß, die kaum einen Riß
zeigen. Unser Führer zeigte uns eine Cisterne (_el aljibe_), die dreißig
Fuß tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der Halbinsel
Araya Wasser liefert. Diese Cisterne wurde im Jahr 1681 vom Statthalter
Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demselben, der in Cumana das kleine
Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im
Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser darin frisch und sehr gut.
Conserven, die den Kohlenwasserstoff zersetzen und zugleich Würmern und
Insekten zum Aufenthalt dienen, bilden sich nicht darin. Jahrhunderte lang
hatte man geglaubt, die Halbinsel Araya habe gar keine Quellen süßen
Wassers, aber im Jahr 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem
vergeblichem Suchen doch solches gefunden.

Als wir über die kahlen Hügel am Vorgebirge Cirial gingen, spürten wir
einen starken Bergölgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die
Bergölquellen liegen, deren schon die ersten Beschreibungen dieser Länder
erwähnen. — Das Töpfergeschirr von Maniquarez ist seit unvordenklicher
Zeit berühmt, und dieser Industriezweig ist ganz in den Händen der
Indianerweiber. Es wird noch gerade so fabriziert wie vor der Eroberung.
Dieses Verfahren ist einerseits eine Probe vom Zustand der Künste in ihrer
Kindheit und andererseits von der Starrheit der Sitten, die allen
eingeborenen Völkern Amerikas als ein Charakterzug eigen ist. In
dreihundert Jahren konnte die Töpferscheibe keinen Eingang auf einer Küste
finden, die von Spanien nur dreißig bis vierzig Tagreisen zur See entfernt
ist. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorstellung davon, daß es ein
solches Werkzeug gibt, und sie würden sich desselben bedienen, wenn man
ihnen das Muster in die Hand gäbe. Die Thongruben sind eine halbe Meile
östlich von Maniquarez. Dieser Thon ist das Zersetzungsprodukt eines durch
Eisenoxyd roth gefärbten Glimmerschiefers. Die Indianerinnen nehmen
vorzugsweise solchen, der viel Glimmer enthält. Sie formen mit großem
Geschick Gefäße von zwei bis drei Fuß Durchmesser mit sehr regelmäßiger
Krümmung. Da sie den Brennofen nicht kennen, so schichten sie Strauchwerk
von Desmanthus, Cassia und baumartiger Capparis um die Töpfe und brennen
sie in freier . Luft. Weiter westwärts von der Thongrube liegt die
Schlucht der *Mina* (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung sollen
venetianische Goldschürfer dort Gold aus dem Glimmerschiefer gewonnen
haben. Dieses Metall scheint hier nicht auf Quarzgängen vorzukommen,
sondern im Gestein eingesprengt zu seyn, wie zuweilen im Granit und Gneiß.

Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagdpartie auf Cubagua
kamen. Die Hirsche von der kleinen Art sind auf diesem unbewohnten Eilande
so häufig, daß man täglich drei und vier schießen kann. Ich weiß nicht,
wie die Thiere hinübergekommen sind; denn Laet und andere Chronisten des
Landes, die von der Gründung von Neucadix berichten, sprechen nur von der
Menge Kaninchen auf der Insel. Der *Venado* auf Cubagua gehört zu einer
der vielen kleinen amerikanischen Hirscharten, die von den Zoologen lange
unter dem allgemeinen Namen _Cervus Americanus_ zusammengeworfen wurden.
Er scheint mir nicht identisch mit der _Biche des Savanes_ von Guadeloupe
oder dem *Guazuti* in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell ist auf
dem Rücken rothbraun, am Bauche weiß; es ist gefleckt, wie beim Axis. In
den Ebenen am Cari zeigte man uns als eine große Seltenheit in diesen
heißen Ländern eine weiße Spielart. Es war eine Hirschkuh von der Größe
des europäischen Rehs und von äußerst zierlicher Gestalt. *Albinos* kommen
in der Neuen Welt sogar unter den Tigern vor. Azara sah einen Jaguar, auf
dessen ganz weißem Fell man nur hier und da gleichsam einen Schatten von
den runden Flecken sah.

Für den merkwürdigsten, man kann sagen für den wunderbarsten aller
Naturkörper auf der Küste von Araya gilt beim Volke der *Augenstein*,
_Piedra de los ojos_. Dieses Gebilde aus Kalkerde ist in aller Munde; nach
der Volksphysik ist es ein Stein und ein Thier zugleich. Man findet es im
Sande, und da rührt es sich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt
es auf eine ebene Fläche, z. B. auf einen Zinn- oder Fayence-Teller, so
bewegt es sich, sobald man es durch Citronsaft reizt. Steckt man es ins
Auge, so dreht sich das angebliche Tier um sich selbst und schiebt jeden
fremden Körper heraus, der zufällig ins Auge geraten ist. Auf der neuen
Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns solche Augensteine zu
Hunderten, und die Eingeborenen machten uns den Versuch mit dem Citronsaft
eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns selbst
von der Wirksamkeit des Mittels überzeugten. Wir sahen alsbald, daß diese
Steine die dünnen, porösen Deckel kleiner einschaliger Muscheln sind. Sie
haben 1–4 Linien Durchmesser; die eine Fläche ist eben, die andere
gewölbt. Diese Kalkdeckel brausen mit Zitronensaft auf und rücken von der
Stelle, indem sich die Kohlensäure entwickelt. In Folge ähnlicher Reaction
bewegt sich zuweilen das Brod im Backofen auf wagerechter Fläche, was in
Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlaß gegeben hat. Die
_pietras de los ojos_ wirken, wenn man sie ins Auge schiebt, wie die
kleinen Perlen und verschiedene runde Samen, deren sich die Wilden in
Amerika bedienen, um den Thränenfluß zu steigern. Diese Erklärungen waren
aber gar nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Araya. Die Natur
erscheint dem Menschen desto größer, je geheimnißvoller sie ist, und die
Volksphysik weist alles von sich, was einfach ist.

Ostwärts von Maniquarez an der Südküste liegen nahe an einander drei
Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito.
In dieser Gegend besteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerschiefer, und
aus dieser Gebirgsart entspringt bei Punta de la Brea, aber achtzig Fuß
vom Ufer, eine *Naphthaquelle*, deren Geruch sich weit in die Halbinsel
hinein verbreitet. Man mußte bis zum halben Leibe ins Wasser gehen, um die
interessante Erscheinung in der Nähe zu beobachten. Das Wasser ist mit
_Zostera_ bedeckt, und mitten in einer sehr großen Bank dieses Gewächses
sieht man einen freien runden Fleck von drei Fuß Durchmesser, auf dem
einzelne Massen von _Ulva lactuca_ schwimmen. Hier kommen die Quellen zu
Tag. Der Boden des Meerbusens ist mit Sand bedeckt, und das Bergöl, das
durchsichtig und von gelber Farbe der eigentlichen Naphtha nahe kommt,
sprudelt stoßweise unter Entwicklung von Luftblasen hervor. Stampft man
den Boden mit den Füßen fest, so sieht man die kleinen Quellen wegrücken.
Die Naphtha bedeckt das Meer über tausend Fuß [320 m] weit. Nimmt man an,
daß das Fallen der Schichten sich gleich bleibt, so muß der
Glimmerschiefer wenige Toisen unter dem Sande liegen.

Der Salzthon von Araya enthält festes, zerreibliches Bergöl. Dieses
geologische Verhältniß zwischen salzsaurem Natron und Erdpech kommt in
allen Steinsalzgruben und bei allen Salzquellen vor; aber als ein höchst
merkwürdiger Fall erscheint das Vorkommen einer Naphtaquelle in einer
Urgebirgsart. Alle bis jetzt bekannten gehören secundären Formationen an,
und dieser Umstand schien für die Annahme zu sprechen, daß alles
mineralische Harz Produkt der Zersetzung von Pflanzen und Thieren oder des
Brandes der Steinkohlen sey. Auf der Halbinsel Araya aber fließt Naphtha
aus dem Urgebirge selbst, und diese Erscheinung wird noch bedeutender,
wenn man bedenkt, daß in diesem Urgebirge der Herd des unterirdischen
Feuers ist, daß man am Rande brennender Krater zuweilen Naphthageruch
bemerkt, und daß die meisten heißen Quellen Amerikas aus Gneis und
Glimmerschiefer hervorbrechen.

Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgesehen, bestiegen wir
ein Fischerboot, um nach Cumana zurückzukehren. Nichts zeigt so deutlich,
wie ruhig die See in diesen Strichen ist, als die Kleinheit und der
schlechte Zustand dieser Kähne, die ein sehr hohes Segel führen. Der Kahn,
den wir ausgesucht hatten, weil er noch am wenigsten beschädigt war,
zeigte sich so leck, daß der Sohn des Steuermannes fortwährend mit einer
Tutuma, der Frucht der _Crescentia cujete_, das Wasser ausschöpfen mußte.
Es kommt im Meerbusen von Cariaco,  besonders nordwärts von der Halbinsel
Araya, nicht selten vor, daß die mit Kokosnüssen beladenen Piroguen
umschlagen, wenn sie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenschlag
steuern. Vor solchen Unfällen fürchten sich aber nur Reisende, die nicht
gut schwimmen können; denn wird die Pirogue von einem indianischen Fischer
mit seinem Sohne geführt, so dreht der Vater den Kahn wieder um und macht
sich daran, das Wasser hinauszuschaffen, während der Sohn schwimmend die
Kokosnüsse zusammenholt. In weniger als einer Viertelstunde ist die
Pirogue wieder unter Segel, ohne daß der Indianer in seinem
unerschöpflichen Gleichmut eine Klage hätte hören lassen.

Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rückkehr vom Orinoco noch einmal
besuchten, haben nicht vergessen, daß ihre Halbinsel einer der Punkte ist,
wo sich am frühesten Castilianer niedergelassen. Sie sprechen gerne von
der Perlenfischerei, von den Ruinen des Schlosses Santiago, das, wie sie
hoffen, einst wieder aufgebaut wird, überhaupt von dem, was sie den
ehemaligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man
erst seit zweitausend Jahren kennt, für neue Erfindung; in den
europäischen Niederlassungen erscheint ein Ereigniß, das dreihundert
Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinausreicht, als ungemein alt.
Dieser Mangel an alter Ueberlieferung, der den jungen Völkern in den
Vereinigten Staaten wie in den spanischen und portugiesischen Besitzungen
eigen ist, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Peinliches für
den Reisenden, der sich dadurch um den höchsten Genuß der Einbildungskraft
gebracht sieht, er äußert auch seinen Einfluß auf die mehr oder minder
starken Bande, die den Colonisten an den Boden fesseln, auf dem er wohnt,
an die Gestalt der Felsen, die seine Hütte umgeben, an die Bäume, in deren
Schatten seine Wiege gestanden.

Bei den Alten, z. B. bei Phöniziern und Griechen, gingen Ueberlieferungen
und geschichtliches Bewußtseyn des Volks vom Mutterland auf die Colonien
über, erbten dort von Geschlecht zu Geschlecht fort und äußerten
fortwährend den besten Einfluß auf Geist, Sitten und Politik der
Ansiedler. Das Klima in jenen ersten Niederlassungen über dem Meere war
vom Klima des Mutterlandes nicht sehr verschieden. Die Griechen in
Kleinasien und aus Sicilien entfremdeten sich nicht den Einwohnern von
Argos, Athen und Corinth, von denen abzustammen ihr Stolz war. Große
Uebereinstimmuug in Sitte und Brauch that das ihrige dazu, eine Verbindung
zu befestigen, die sich auf religiöse und politische Interessen gründete.
Häufig opferten die Colonien die Erstlinge ihrer Ernten in den Tempeln der
Mutterstädte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer
auf den Altären von Hestia erloschen war, so schickte man von hinten in
Jonien nach Griechenland und ließ es aus den Prytaneen wieder holen.
Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Mäotis, erhielten sich
die alten Ueberlieserungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die
gleich mächtig zur Einbildungskraft sprechen, hafteten an den Colonien
selbst. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutzgottheiten, ihren
lokalen Mythenkreis; sie hatten, was den Dichtungen der frühesten
Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm selbst über
das Mutterland Glanz verbreitete.

Dieser und noch mancher andern Vortheile entbehren die heutigen
Ansiedlungen. Die meisten wurden in einem Landstrich gegründet, wo Klima,
Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landschaft ganz anders sind
als in Europa. Wenn auch der Ansiedler Bergen, Flüssen, Thälern Namen
beilegt, die an vaterländische Landschaften erinnern, diese Namen
verlieren bald ihren Reiz und sagen den nachkommenden Geschlechtern nichts
mehr. In fremdartiger Naturumgebung erwachsen aus neuen Bedürfnissen
andere Sitten; die geschichtlichen Erinnerungen verblassen allmählich, und
die sich erhalten, knüpfen sich fortan gleich Phantasiegebilden weder an
einen bestimmten Ort, noch an eine bestimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagio’s
und des Cid Campeador ist bis in die Gebirge und Wälder Amerikas
gedrungen; dem Volk kommen je zuweilen diese glorreichen Namen auf die
Zunge, aber sie schweben seiner Seele vor wie Wesen aus einer idealen
Welt, aus dem Dämmer der Fabelzeit.

Der neue Himmel, das ganz veränderte Klima, die physische Beschaffenheit
des Landes wirken weit stärker auf die gesellschaftlichen Zustände in den
Colonien ein, als die gänzliche Trennung vom Mutterland. Die Schifffahrt
hat im neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, daß die Mündungen des
Orinoco und Rio de la Plata näher bei Spanien zu liegen scheinen, als
einst der Phasis und Tartessus von den griechischen und phönicischen
Küsten. Man kann auch die Bemerkung machen, daß sich in gleich weit von
Europa entfernten Ländern Sitten und Ueberlieferungen desselben im
gemäßigten Erdstrich und auf dem Rücken der Gebirge unter dem Aequator
mehr erhalten haben, als in den Tiefländern der heißen Zone. Die
Aehnlichkeit der Naturumgebung trägt in gewissem Grad dazu bei, innigere
Beziehungen zwischen den Colonisten und dem Mutterland aufrecht zu
erhalten. Dieser Einfluß physischer Ursachen auf die Zustände jugendlicher
gesellschaftlicher Vereine tritt besonders auffallend hervor, wenn es sich
von Gliedern desselben Volksstannnes handelt, die sich noch nicht lange
getrennt haben. Durchreist man die neue Welt, so meint man überall da, wo
das Klima den Anbau des Getreides gestattet, mehr Ueberlieferungen, einem
lebendigeren Andenken an das Mutterlaud zu begegnen. In dieser Beziehung
kommen Pennsylvanien, Neu-Mexico und Chili mit den hochgelegenen Plateaus
von Quito und Neuspanien überein, die mit Eichen und Fichten bewachsen
sind.

Bei den Alten waren die Geschichte, die religiösen Vorstellungen und die
physische Beschaffenheit des Landes durch unauslösliche Bande verknüpft.
Um die Landschaften und die alten bürgerlichen Stürme des Mutterlandes zu
vergessen, hätte der Ansiedler auch dem von seinen Voreltern überlieferten
Götterglauben entsagen müssen. Bei den neueren Völkern hat die Religion,
so zu sagen, keine Localfarbe mehr. Das Christenthum hat den Kreis der
Vorstellungen erweitert, es hat alle Völker darauf hingewiesen, daß sie
Glieder Einer Familie sind, aber eben damit hat es das Nationalgefühl
geschwächt; es hat in beiden Welten die uralten Ueberlieferungen des
Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigenthümlich angehören.
Völker von ganz verschiedener Herkunft und völlig abweichender Mundart
haben damit gemeinschaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die
Missionen in einem großen Theil des neuen Festlandes die Grundlagen der
Cultur gelegt worden sind, so haben eben damit die christlichen
kosmogonischen und religiösen Vorstellungen ein merkbares Uebergewicht
über die rein nationalen Erinnerungen erhalten.

Noch mehr: die amerikanischen Colonien sind fast durchaus in Ländern
angelegt, wo die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseyns
hinterlassen haben. Nordwärts vom Rio Gila, an den Usern des Missouri, auf
den Ebenen, die sich im Osten der Anden ausbreiten, gehen die
Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatimala
und in Mexico sind allerdings Trümmer von Gebäuden, historische Malereien
und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer
ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff
von der Geschichte der Incas und der mexikanischen Fürsten haben. Der
Eingeborene hat seine Sprache, seine Tracht und seinen Volkscharakter
behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches der Quippus und der
symbolischen Malereien, durch die Einführung des Christentums und andere
Umstände, die ich anderswo auseinander gesetzt, sind die geschichtlichen
und religiösen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Andererseits
sieht der Ansiedler von europäischer Abkunft verächtlich auf alles herab,
was sich auf die unterworfenen Völker bezieht. Er sieht sich in die Mitte
gestellt zwischen die frühere Geschichte des Mutterlandes und die seines
Geburtslandes, und die eine ist ihm so gleichgültig wie die andere; in
einem Klima, wo bei dem geringen Unterschied der Jahreszeiten der Ablauf
der Jahre fast unmerklich wird, überläßt er sich ganz dem Genusses der
Gegenwart und wirft selten einen Blick in Vergangene Zeiten.

Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintönigen Geschichte neuerer
Niederlassungen und dem lebenvollen Bilde, das Gesetzgebung, Sitten und
politische Stürme der alten Colonien darbieten! Ihre durch abweichende
Regierungsformen verschieden gefärbte geistige Bildung machte nicht selten
die Eifersucht der Mutterländer rege. Durch diesen glücklichen Wetteifer
gelangten Kunst und Literatur in Jonien, Großgriechenland und Sicilien zur
herrlichsten Entwicklung. Heutzutage dagegen haben die Colonien weder eine
eigene Geschichte noch eine eigene Literatur. Die in der neuen Welt haben
fast nie mächtige Nachbarn gehabt, und die gesellschaftlichen Zustände
haben sich immer nur allgemach umgewandelt. Des politischen Lebens bar,
haben diese Handels- und Ackerbaustaaten an den großen Welthändeln immer
nur passiven Antheil genommen.

Die Geschichte der neuen Kolonien hat nur zwei merkwürdige Ereignisse
aufzuweisen, ihre Gründung und ihre Trennung vom Mutterlande. Da Erstere
ist reich an Erinnerungen, die sich wesentlich an die von den Colonisten
bewohnten Länder knüpfen; aber statt Bilder des friedlichen Fortschrittes
des Gewerbefleißes und der Entwickelung der Gesetzgebung in den Kolonien
vorzuführen, erzählt diese Geschichte nur von verübtem Unrecht und von
Gewaltthaten. Welchen Reiz können jene außerordentlichen Zeiten haben, wo
die Spanier unter Carls V. Regierung mehr Mut als sittliche Kraft
entwickelten, und die ritterliche Ehre wie der kriegerische Ruhm durch
Fanatismus und Golddurst befleckt wurden? Die Colonisten sind von sanfter
Gemüthsart, sie sind durch ihre Lage den Nationalvorurtheilen enthoben,
und so wissen sie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werthe zu
schätzen. Die Männer, die sich damals ausgezeichnet, sind Europäer, sind
Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Colonisten sind sie Fremde,
denn drei Jahrhunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzulösen.
Unter den "Konquistadoren" waren sicher rechtschaffene und edle Männer,
aber sie verschwinden in der Masse und konnten der allgemeinen Verdammnis
nicht entgehen.

Ich glaube hiermit die hauptsächlichsten Ursachen angegeben zu haben, aus
denen in den heutigen Kolonien die Nationalerinnerungen sich verlieren,
ohne daß andere, auf das nunmehr bewohnte Land sich beziehende, würdig in
ihre Stelle träten. Dieser Umstand, wir können es nicht genug wiederholen,
äußert einen bedeutenden Einfluß auf die ganze Lage der Ansiedler. In der
stürmevollen Zeit einer staatlichen Wiedergeburt sehen sie sich auf sich
selbst gestellt, und es ergeht ihnen, wie einem Volke, das es verschmähte,
seine Geschichtsbücher zu befragen und aus den Unfällen vergangner
Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu schöpfen.

                            ------------------



   44 Die Mannschaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen durchnäßt;
      wir wissen aber, daß unter dieser Breite die Temperatur des
      Meerwassers nicht unter 23° seyn kann, und daß die durch Verdunstung
      entstehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperaur selten über
      25° steigt, nur unbeträchtlich ist.

   45 "Welche Eiseskälte. Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken der
      Berge!" [Das provincielle Wort _emparamarse_ läßt sich nur durch
      lange Umschreibung wiedergeben. _Paramo_, peruanisch _Puna_ ist ein
      Name, den man auf allen Karten des spanischen Amerikas findet. Er
      bedeutet in den Colonien weder eine Wüste noch eine »_lande_«,
      sondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten Bäumen bewachsenen, den
      Winden ausgesetzten Landstrich, wo es beständig naßkalt ist. In der
      heißen Zone liegen die Paramos gewöhnlich 1600–2000 Toisen hoch. Es
      fällt häufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn
      man darf die Worte _Paramo_ und _Puna_ nicht, wie es den Geographen
      häufig begegnet, mit dem Wort _Nevado_ peruanisch _Ritticapa_
      verwechseln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden
      Berg bedeutet. Diese Begriffe sind für die Geologie und die
      Pflanzengeographie sehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein
      Berggipfel gemessen ist, eine richtige Vorstellung von der
      *geringsten Höhe* erhält, zu der sich die Cordilleren erheben, wenn
      man die Worte _Paramo_ und _Nevado_ aussucht. Da die Paramos fast
      beständig in kalten, dichten Nebel gehüllt sind, so sagt das Volk in
      Santa Fe und Mexico: _cae un paramito_, wenn ein feiner Regen fällt
      und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus _Paramo_ hat man
      _emparamarse_ gemacht, d. h. frieren, als wäre man auf dem Rücken
      der Anden.

   46 Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Länder, wo sich Polargletscher
      bilden. Dieses Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres
      erinnert an die noch weit größere Gleichförmigkeit der Vertheilnng
      des Sauerstoffs im Luftmeer. In beiden Elementen wird das
      Gleichgewicht in der Lösung oder im Gemenge durch Strömungen
      hergestellt und erhalten.

   47 »_Insularum Cubaguae et Coches quondam fuit dignitos, quum unionum
      captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama_«
      Laet. Nov. Orbis, p. 669. Dieser sorgfältige Compilater sagt, wo er
      von der Punta Araya spricht, weiter, das Land sey dergestalt in
      Vergessenheit gerathen, »_ut vix ulla alia Americae meridionalis
      pars hodie obscurior sit_«

   48 Es wundert mich, auf unsern Reisen nirgends gehört zu haben, daß in
      Südamerika Perlen in Süßwassermuscheln gefunden worden wären, und
      doch kommen manche Arten der Gattung _Unio_ in den peruanischen
      Flüssen in großer Menge vor.



SECHSTES KAPITEL


     Die Berge von Neuandalusien — Das Tal von Cumanacoa — Der Gipfel
               des Cocollar — Missionen der Chaymasindianer


Unserem ersten Ausflug auf die Halbinsel Araya folgte bald ein zweiter und
lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Missionen der
Chaymasindianer. Gegenstände von mannigfaltiger Anziehungskraft sollten
uns dort in Anspruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Wäldern bedecktes
Land; wir sollten ein Kloster besuchen, das im Schatten von Palmen und
Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heißen Erdstrich,
köstliche Kühle genießt. In den benachbarten Bergen gibt es dort Höhlen,
welchen von Tausenden von Nachtvögeln bewohnt sind, und was noch
lebendiger zur Einbildungskraft spricht als alle Wunder der physischen
Welt, jenseits dieser Berge lebt ein vor Kurzem noch nomadisches Volk,
kaum aus dem Naturzustande getreten, wild, jedoch nicht barbarisch,
geistesbeschränkt, nicht weil es lange versunken war, sondern weil es eben
nichts weiß. Zu diesen so mächtig anziehenden Gegenständen kamen noch
geschichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria sah Kolumbus zuerst das
Festland; hier laufen die Täler aus, die bald von den kriegerischen,
menschenfressenden Caraiben, bald von den zivilisierten Handelsvölkern
Europas verwüstet wurden. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurden
die unglücklichen Einwohner auf den Küsten von Carupano, Macarapas und
Caracas behandelt, wie zu unsrer Zeit die Einwohner der Küste von Guinea.
Bereits wurden die Antillen angebaut und man führte dort die Gewächse der
Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keienr ordentlichen
und planmäßigen Niederlassung. Die Spanier besuchten die Küste nur, um
sich mit Gewalt oder im Tauschhandel Sklaven, Perlen, Goldkörner und
Farbholz zu verschaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers
meinte man diese unersättliche Habsucht in eine höhere Sphäre zu heben. So
hat jedes Jahrhundert seine eigene geistige und sittliche Farbe.

Der Handel mit den kupferfarbigen Eingebornen führte zu denselben
Unmenschlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieselben Folgen,
Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die
Kriege unter den Eingeborenen häufiger; die Gefangenen wurden aus dem
innern Lande an die Küste geschleppt und an die Weißen verkauft, die sie
auf ihren Schiffen fesselten. Und doch waren die Spanier damals und noch
lange nachher eines der civilisirtesten Völker Europas. Ein Abglanz der
Herrlichkeit, in der in Italien Kunst und Literatur blühten, hatte sich
über alle Völker verbreitet, deren Sprache dieselbe Quelle hat wie die
Sprache Dantes und Petrarcas. Man sollte glauben, in dieser mächtigen
geistigen Entwicklung, bei solch erhabenem Schwung der Einbildungskraft
hätten sich die Sitten sänftigen müssen. Aber jenseits der Meere, überall,
wo der Golddurst zum Mißbrauch der Gewalt führt, haben die europäischen
Völker in allen Abschnitten der Geschichte denselben Charakter entwickelt.
Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der neuen Welt mit einer
Grausamkeit auf, wie man sie nur den finstersten Jahrhunderten zutrauen
sollte. Man wundert sich aber nicht so sehr über das entsetzliche Bild der
Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Segnungen einer
menschlicheren Gesetzgebung noch jetzt auf den Westküsten von Afrika
vorgeht.

Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten
Gundsätzen auf Terra Firma längst aufgehört; aber die Conquistadoren
setzten ihre Streifzüge ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der
die amerikanische Bevölkerung herabbrachte, dem Nationalhaß immer frische
Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Cultur erstickte. Es war Pflicht
der Religion, daß sie der Menschheit einigen Trost brachte für die Greuel,
die in iherem Namen verübt worden; sie führte für die Eingeborenen das
Wort vor dem Richterstuhl der Könige, sie widersetzte sich den
Gewalttätigkeiten der Pfründeninhaber, sie vereinigte umherziehende Stämme
zu den kleinen Gemeinden, die man *Missionen* nennt und die der
Entwickelung des Ackerbaues Vorschub leisten. So haben sich allmählich,
aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwicklung jene großen mönchischen
Niederlassungen gebildet, jenes merkwürdige Regiment, das immer darauf
hinausgeht, sich abzuschließen, und Länder, die vier und fünfmal größer
sind als Frankreich, den Mönchsorden unterwirft.

Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutvergießen Einhalt zu
thun und den ersten Grund zur gesellschaftlichen Entwicklung zu legen,
sind in der Folge dem Fortschritt derselben hindelich geworden. Die
Abschließung hatte zur Folge, daß die Indianer so ziemlich blieben, was
sie waren, als ihre zerstreuten Hütten noch nicht um das Haus des
Missionars beisammen lagen. Ihre Zahl hat ansehnlich zugenommen,
keineswegs aber ihr geistiger Gesichtskreis.

Sie haben mehr und mehr von der Charakterstärke und der natürlichen
Lebendigkeit eingebüßt, die aus allen Stufen menschlicher Entwicklung die
edlen Früchte der Unabhängigkeit sind. Man hat Alles bei ihnen, sogar die
unbedeutendsten Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen
Regel unterworfen, und so hat man sie gehorsam gemacht, zugleich aber auch
dumm. Ihr Lebensunterhalt ist meist gesicherter, ihre Sitten sind milder
geworden; aber der Zwang und das trübselige Einerlei des Missionsregiments
lastet auf ihnen und ihr düsteres, verschlossenes Wesen verräth, wie
ungern sie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Mönchszucht
innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger,
indessen mag sie immerhin hie und da Leidenschaften zur Ruhe bringen,
große Schmerzen lindern, der geistigen Vertiefung förderlich seyn; aber in
die Wildnisse der neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des
bürgerlichen Lebens angewendet, muß sie desto verderblicher wirken, je
länger sie andauert. Sie hält von Geschlecht zu Geschlecht die geistige
Entwicklung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Völkern, sie weist
Alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungskreis erweitert. Aus
allen diesen Ursachen zusammen verharren die Indianer in den Missionen in
einem Zustand von Uncultur, der Stillstand heißen müßte, wenn nicht auch
die menschlichen Vereine denselben Gesetzen gehorchten, wie die
Entwicklung des menschlichen Geistes überhaupt, wenn sie nicht
Rückschritte machten, eben weil sie nicht fortschreiten.

Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unserem Ausflug zu den
Chaymas-Indianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neu-Andalusien auf.
Man hatte uns geraten, wegen der sehr beschwerlichen Wege unser Gepäck
möglichst zu beschränken. Zwei Lasttiere reichten auch hin, unseren
Mundvorrat, unsere Instrumente und das nötige Papier zum Pflanzentrocknen
zu tragen. In derselben Kiste waren ein Sextant, ein Inclinationscompaß,
ein Apparat zur Ermittlung der magnetischen Declination, Thermometer und
ein Saussure’scher Hygrometer. Auf diese Jnstrumente beschränkten wir uns
bei kleineren Ausflügen immer. Mit dem Barometer mußte noch vorsichtiger
umgegangen werden, als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, daß kein
Instrument dem Reisenden mehr Last und Sorge macht. Wir ließen ihn in den
fünf Jahren von einem Führer tragen, der uns zu Fuß begleitete, aber
selbst diese ziemlich kostspielige Vorsicht schützte ihn nicht immer vor
Beschädigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Fluth im Luftmeere genau
beobachtet, das heißt die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen
täglich regelmäßig steigt und fällt, sahen wir ein, daß wir das Relief des
Landes mittelst des Barometers würden aufnehmen können, ohne
correspondirende Beobachtungen in Cumana zu Hülfe zu nehmen. Die größten
Schwankungen im Luftdruck betragen in diesem Klima an der Küste nur
1–1,3 Linien, und hat man ein einziges mal, an welchem Ort und zu welcher
Stunde es sey, die Quecksilberhöhe beobachtet, so lassen sich mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Abweichungen von diesem Stand das ganze
Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es
ergibt sich daraus, daß im heißen Erdstrich durch den Mangel an
correspondirenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entstehen können, die
mehr als 12–15 Toisen ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es sich
von geologischen Aufnahmen, oder vom Einfluß der Höhe auf das Klima und
die Vertheilung der Gewächse handelt.

Der Morgen war köstlich kühl. Der Weg oder vielmehr der Fußpfad nach
Cumanacoa führt am rechten Ufer des Manzanares hin über das
Kapuzinerhospiz, das in einem kleinen Gehölze von Gayacbäumen und
baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten
wir auf dem Hügel von San Francisco in der kurzen Morgendämmerung eine
weite Aussicht über die See, über die mit goldgelb blühender Bava
[_Zygophyllum arboreum, Jacq._] bedeckte Ebene und die Berge des
Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Cordillere gerückt schien,
bevor die Scheibe der ausgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das
Blau der Berggipfel ist dunkler, ihre Umrisse erscheinen schärfer, ihre
Massen treten deutlicher hervor, so lange nicht die Durchsichtigkeit der
Luft durch die Dünste beeinträchtigt wird, die Nachts in den Thälern
lagern und im Maaße, als die Luft sich zu erwärmen beginnt, in die Höhe
steigen.

Beim Hospiz Divina Pastora wendet sich der Weg nach Nordost und läuft zwei
Meilen über einen baumlosen Landstrich, der früher Seeboden war. Man
findet hier nicht nur Cactus, Büsche des cistusblätterigen Tribulus und
die schöne purpurfarbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen
Namen _Dictamno real_ gezogen wird, sondern auch _Aviceunia_, _Allionia_,
_Peruvium_, _Thalinum_ und die meisten Portulaceen, die am Golf von
Cariaco vorkommen. Diese geographische Vertheilung der Gewächse weist, wie
es scheint, auf den Umriß der alten Küste hin und spricht dafür, daß, wie
oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einst
eine durch einen Meeresarm vom Festland getrennte Insel bildeten.

Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im
Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Ost nach West
streicht. Hier beginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus
des Pflanzenwuchses. Alles erhält einen großartigeren, malerischeren
Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen Richtungen von
Wasserfäden durchzogen. Bäume von riesiger Höhe, mit Schlinggewächsen
bedeckt, steigen aus den Schluchten empor; ihre schwarze, von der
Sonnengluth und vom Sauerstoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom
frischen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende
Blätter nicht selten mehrere Fuß lang sind. Es ist nicht anders, als ob
unter den Tropen die parasitischen Monocotyledonen die Stelle des Mooses
und der Flechten unserer nördlichen Landstriche verträten. Je weiter wir
kamen, desto mehr erinnerten uns die Gesteinmassen sowohl nach Gestalt als
Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landschaften. In diesen
amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden Höhen Helikonien,
Cosstus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Canna-Arten, die
in der Nähe der Küste nur niedrige, feuchte Orte aufsuchen. So kommt es,
daß die heiße Erdzone und das nördliche Europa die interessante
Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beständig mit Wasserdampf
erfüllten Luft, wie auf einem vom schmelzenden Schnee durchfeuchteten
Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer
Sumpfvegetation zeigt.

Wir kamen in der Schlucht los Frailes und zwischen Cuesta de Caneyes und
dem Rio Guriental an Hütten vorbei, die von Mestizen bewohnt sind. Jede
Hütte liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume,
Zuckerrohr und Mais einfriedigt. Man müßte sich wundern, wie klein diese
Flecke urbar gemachten Landes sind, wenn man nicht bedächte, daß ein mit
Pisang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsstoff
liefert, als die gleiche mit Getreide bestellte Fläche. In Europa bedecken
unsere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerste, Roggen, weite Landstrecken;
überall, wo die Völker sich von Cerealien nähren, stoßen die bebauten
Grundstücke nothwendig an einander. Anders in der heißen Zone, wo der
Mensch sich Gewächse aneignen konnte, die ihm weit reichere und frühere
Ernten liefern. In diesen gesegneten Landstrichen entspricht die
unermeßliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthhitze und der Feuchtigkeit
der Lust. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume, Manioc, Yams und
Mais stehen, ernährt reichlich eine zahlreiche Bevölkerung. Daß die Hütten
einsam im Walde zerstreut liegen, wird für den Reisenden ein Merkmal der
Ueberfülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes für
den Bedarf mehrerer Familien hin.

Diese Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Landstrichen erinnern von
selbst daran, welch inniger Verband zwischen dem Umfang des urbar
gemachten Landes und dem gesellschaftlichen Fortschritt besteht. So groß
die Fülle der Lebensmittel ist, die dieser Reichthum des Bodens, die
strotzende Kraft der organischen Natur hervorbringt, dennoch wird die
Culturentwicklung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden,
gleichförmigen Klima kennt der Mensch kein anderes dringendes Bedürfniß
als das der Nahrung. Nur wenn dieses Bedürfniß sich geltend macht, fühlt
er sich zur Arbeit getrieben, und man sieht leicht ein, warum sich im
Schooße des Ueberflusses, im Schatten von Bananen- und Brodfruchtbäumen,
die Geistesfähigkeiten nicht so rasch entwickeln als unter einem strengen
Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unser Geschlecht in ewigem
Kampf mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von
ackerbautreibenden Völkern bewohnten Länder, so sieht man, daß die
bebauten Grundstücke durch Wald von einander getrennt bleiben oder
unmittelbar an einander stoßen, und daß solches nicht nur von der Höhe der
Bevölkerung, sondern auch von der Wahl der Nahrungsgewächse bedingt wird.
In Europa schätzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des
urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heißesten und feuchtesten
Striche von Südamerika, scheinen sehr stark bevölkerte Provinzen beinahe
wüste zu liegen, weil der Mensch zu seinem Lebensunterhalt nur wenige
Morgen bebaut.

Diese Umstände, die alle Aufmerksamkeit verdienen, geben sowohl der
physischen Gestaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein
eigenes Gepräge; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Wesen etwas
Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur paßt, deren ursprüngliche
Physiognomie durch die Kunst noch nicht verwischt ist. Ohne Nachbarn, fast
ohne allen Verkehr mit Menschen, erscheint jede Ansiederfamilie wie ein
vereinzelter Volksstamm. Diese Vereinzelung hemmt den Fortschritt der
Kultur, die sich nur in dem Maaß entwickeln kann, als der Menschenverein
zahlreicher wird und die Bande zwischen den einzelnen sich fester knüpfen
und vervielfältigen; die Einsamkeit entwickelt aber auch und stärkt im
Menschen das Gefühl der Unabhängigkeit und Freiheit; sie nährt jenen
Stolz, der von jeher die Völker von castilianischem Blute ausgezeichnet
hat.

Dieselben Ursachen, deren mächtiger Einfluß uns weiterhin noch oft
beschäftigen wird, haben zur Folge, daß dem Boden, selbst in den am
stärksten bevölkerten Ländern des tropischen Amerika, der Anstrich von
Wildheit erhalten bleibt, der in gemäßigten Klimaten sich durch den
Getreidebau verliert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Völker
weniger Raum ein; die Herrschaft des Menschen reicht nicht so weit; er
tritt nicht als unumschränkter Gebieter auf, der die Bodenoberfläche nach
Gefallen modelt, sondern wie ein flüchtiger Gast, der in Ruhe des Segens
der Natur genießt. In der Umgegend der volkreichsten Städte starrt der
Boden noch immer von Wäldern oder ist mit einem dichten Pflanzenfilz
überzogen, den niemals eine Pflugschar zerrissen hat. Die wildwachsenden
Pflanzen beherrschen noch durch ihre Masse die angebauten Gewächse und
bestimmen allein den Charakter der Landschaft. Allem Vermuthen nach wird
dieser Zustand nur äußerst langsam einem andern Platz machen. Wenn in
unsern gemäßigten Landstrichen es besonders der Getreidebau ist, der dem
urbaren Lande einen so trübselig eintönigen Anstrich gibt, so erhält sich,
aller Wahrscheinlichkeit nach, in der heißen Zone selbst bei zunehmender
Bevölkerung die Großartigkeit der Pflanzengestalten, das Gepräge einer
jungfräulichen, ungezähmten Natur, wodurch diese so unendlich anziehend
und malerisch wird. So werden denn, in Folge einer merkwürdigen
Verknüpfung physischer und moralischer Ursachen, durch Wahl und Ertrag der
Nahrungsgewächse drei wichtige Momente vorzugsweise bestimmt: das
gesellige Beisammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raschere
oder langsamere Fortschritt der Cultur, und die Physiognomie der
Landschaft.

Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte uns das
Barometer, daß der Boden mehr anstieg. Die Baumstämme boten uns hier einen
ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert,
gleich einer Liane, acht, zehn Fuß [2,6 bis 3,25 m hoch] und bildet über
dem Wege Gewinde, die sich im Luftzuge schaukeln. Gegen drei Uhr
nachmittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, *Quetepe* genannt,
die etwa 190 Toisen [370 m] über dem Meere liegt. Es stehen hier einige
Hütten an einer Quelle, deren Wasser bei den Eingeborenen als sehr kühl
und gesund berühmt ist. Wir fanden das Wasser wirklich ausgezeichnet; es
zeigte 22,5° der hundertteiligen Scale (18° R.), während das Thermometer
an der Luft auf 28,7° stand. Die Quellen, die von benachbarten höheren
Bergen herabkommen, geben häufig eine zu rasche Abnahme der Luftwärme an.
Nimmt man als mittlere Temperatur des Wassers an der Küste von Cumana 26°
an, so folgt daraus, wenn nicht andere lokale Ursachen auf die Temperatur
der Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe sich erst in mehr
als 350 Toifen absoluter Höhe so bedeutend abkühlt. Da hier von Quellen
die Rede ist, die in der heißen Zone in der Ebene oder in unbedeutender
Höhe zu Tage kommen, so sey bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere
Sommertemperatur von der durchschnittlichen des ganzen Jahres bedeutend
abweicht, die Einwohner in der heißesten Jahreszeit sehr kaltes
Quellwasser trinken können. Die Lappen bei Umeo und Sörsele, unter dem 65.
Breitegrad, erfrischen sich an Quellen, deren Temperatur im August kaum
2 bis 3 Grad über dem Frierpunkt steht, während bei Tage die Luftwärme im
Schatten auf 26 oder 27 Grad steigt. In unsern gemäßigten Landstrichen, in
Frankreich und Deutschland, ist der Abstand zwischen der Luft und den
Quellen niemals über 16–17 Grad, und unter den Tropen steigt er selten auf
6–7 Grad. Man gibt sich leicht Rechenschaft von diesen Erscheinungen, wenn
man weiß, daß die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der
unterirdischen Quellen fast ganz übereinkonnnt mit der mittleren
Jahrestemperatur der Luft, und daß diese von der mittleren Sommerwärme
desto mehr abweicht, je mehr man sich vom Aequator entfernt. — Die
magnetische Inclination war in Quetepe 40°,7 der hunderttheiligen Scale,
der Cyanometer gab das Blau des Himmels im Zenith nur zu 84° an, ohne
Zweifel weil die Regenzeit seit mehreren Tagen begonnen und die Luft
bereits Wasserdunst aufgenommen hatte.

Auf einem Sandsteinhügel über der Quelle hatten wir eine prachtvolle
Aussicht auf das Meer, das Vorgebirge Macanao und die Halbinsel
Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete sich zu unseren Füßen bis zum
Ocean hinab; die Baumwipfel, mit Lianen behangen, mit langen
Blüthenbüscheln gekrönt, bildeten einen ungeheuren grünen Teppich, dessen
tiefdunkle Färbung das Licht in der Luft noch glänzender erscheinen ließ.
Dieser Anblick ergriff uns um so mehr, da uns hier zum erstenmal die
Vegetation der Tropen in ihrer Massenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem
Hügel von Quetepe, unter den Stämmen von _Malpighia corolloboefolia_ mit
stark lederartigen Blättern, in Gebüschen von _Polygala montana_, brachen
wir die ersten Melastomen, namentlich die schöne Art, die unter dem Namen
_Melastoma rufescens_ beschrieben worden. Dieser Aussichtspunkt wird uns
lange in Gedächtnis bleiben; der Reisende behält die Orte lieb, wo er
zuerst ein Pflanzengeschlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild
wachsend gesehen.

Weiter gegen Südwest wird der Boden dürr und sandig; wir erstiegen eine
ziemlich hohe Berggruppe, welche die Küste von den großen Ebenen oder
Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieser Berggruppe,
durch den der Weg nach Cumanacoa läuft, ist pflanzenlos und fällt gegen
Nord und Süd steil ab. Er führt den Namen *Imposible*, weil man meint, bei
einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf diesem
Gebirgskamm eine Zufluchtsstätte finden. Wir kamen kurz vor
Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar
Stundenwinkel aufnehmen, um mittelst des Chronometers die Länge des Orts
zu bestimmen.

Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schöner und weiter als auf der
Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgestutzten
Gipfel des Brigantin, dessen geographische Lage genau zu kennen so wichtig
wäre, den Landungsplatz und die Rhede von Cumana sehen. Die Felsenküste
von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Besonders fiel uns die
merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man _Laguna grande_ oder _Laguna
de Obispo_ nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken steht
durch einen schmalen Canal, durch den nur Ein Schiff fahren kann, mit dem
Meerbusen von Cariaco in Verbindung. In diesem Hafen, den Fidalgo genau
aufgenommen hat, könnten mehrere Geschwader neben einander ankern. Es ist
ein völlig einsamer Ort, den nur einmal im Jahr die Fahrzeuge besuchen,
welche Maulthiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen
einige Weiden. Unser Blick verfolgte die Windungen des Meeresarms, der
sich wie ein Fluß durch senkrechte, kahle Felsen sein Bett gegraben hat.
Dieser merkwürdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft, die
Leonardo da Vinci aus dem Hintergrund seines berühmten Bildnisses der
Joconda [Mona Lisa, Gattin des Francesco del Gioconde] angebracht hat.

Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beobachten, in dem die
Sonnenscheibe den Meereshorizont berührte. Die erste Berührung fand statt
um 6 Uhr 8 Minuten 13 Secunden, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sec.
mittlere Zeit. Diese Beobachtung, die für die Theorie der irdischen
Strahlenbrechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des Berges in
296 Toisen absoluter Höhe angestellt. Mit dem Untergang der Sonne trat
eine sehr rasche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten
scheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel das
Thermometer plötzlich von 25,2° auf 21,3°. Wurde diese auffallende
Abkühlung etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Luft war
indessen ruhig und kein wagrechter Luftzug zu bemerken.

Die Nacht brachten wir in einem Hause zu, wo ein Militärposten von acht
Mann unter einem spanischen Unteroffizier liegt. Es ist ein Hospiz, das
neben einem Pulvermagazin liegt und wo der Reisende alle Bequemlichkeit
findet. Dasselbe Commando bleibt fünf bis sechs Monate lang auf dem Berg.
Man nimmt dazu vorzugsweise Soldaten, die *Chacras* oder Pflanzungen in
der Gegend haben. Als nach der Einnahme der Insel Trinidad durch die
Engländer im Jahr 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, flüchteten
sich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre werthvollste Habe in
Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Imposible
aufgeschlagen. Man war entschlossen, bei einem plötzlichen feindlichen
Ueberfall nach kurzem Widerstand das Schloß San Antonio aufzugeben und die
ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zusammenzuziehen, der als der
Schlüssel der Llanos anzusehen ist. Die kriegerischen Ereignisse, deren
Schauplatz nach der seitdem eingetretenen politischen Umwälzung diese
Gegend wurde, haben bewiesen, wie richtig jener erste Plan berechnet war.

Der Gipfel des Imposible ist, soweit meine Beobachtung reicht, mit einem
quarzigen, versteinerungslosen Sandstein bedeckt. Die Schichten desselben
streichen hier wie auf dem Rücken der benachbarten Berge ziemlich
regelmäßig von Nord-Nord-Ost nach Süd-Süd-West. Diese Richtung ist auch im
Urgebirge der Halbinsel Araya und längs der Küste von Venezuela die
häufigste. Am nördlichen Abhang des Imposible, bei Peñas Negras, kommt aus
dem Sandstein, der mit Schieferthon wechsellagert, eine starke Quelle zu
Tag. Man sieht an diesem Punkt von Nordwest nach Südost streichende,
zerbrochene, fast senkrecht ausgerichtete Schichten.

Die Llaneros, das heißt die Bewohner der Ebenen, schicken ihre Produkte,
namentlich Mais, Leder und Vieh über den Imposible in den Hafen von
Cumana. Wir sahen rasch hintereinander Indianer oder Mulatten mit
Maulthieren ankommen. Der einsame Ort erinnerte mich lebhaft an die
Nächte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an
mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die röthlichen, halb
in ungeheure Rauchwolken gehüllten Flammen gewährten das großartigste
Schauspiel. Die Einwohner zünden die Wälder an, um die Weiden zu
verbessern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erstickt,
das hierzulande schon selten genug ist. Häufig entstehen auch ungeheure
Waldbrände durch die Unvorsichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zügen
die Feuer, an denen sie gekocht haben, nicht auslöschen. Durch diese
Zufälle sind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume
seltener geworden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an
verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zugenommen habe, nicht
allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr
zerklüftet wird, sondern auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist wie
zur Zeit der Eroberung.

Ich stand Nachts auf, um die Breite des Orts nach dem Durchgang Fomahaults
durch den Meridian zu bestimmen. Es war Mitternacht; ich starrte vor
Kälte, wie unser Führer, und doch stand der Thermometer noch auf 19°,7
(15° R.). In Cumana sah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf
dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 258 Toisen über
dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Polvora beobachtete ich die
Inclination der Magnetnadel; sie war gleich 40°,5. Die Zahl der
Schwingungen in zehn Minuten Zeit betrug 233; die Intensität der
magnetischen Kraft hatte somit zwischen der Küste und dem Berg zugenommen,
was vielleicht von eisenschüssigem Gestein herrührte, das die auf dem
Alpenkalk gelagerten Sandsteinschichten enthalten mochten.

Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Imposible auf. Der Weg
abwärts ist für Lasttiere sehr gefährlich; der Pfad ist meist nur 15 Zoll
[40 cm] breit und läuft beiderseits an Abgründen hin. Im Jahr 1797 hatte
man sehr zweckmäßig beschlossen, von St. Fernando bis an den Berg eine
gute Straße anzulegen. Die Straße war sogar zu einem Drittheil bereits
fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuß des Imposible begonnen,
und das schwierigste Stück des Wegs wurde gar nicht in Angriff genommen.
Die Arbeit gerieth aus einer der Ursachen ins Stocken, aus denen aus allen
Fortschrittsprojekten in den spanischen Colonien nichts wird. Verschiedene
Civilbehörden nahmen das Recht in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das
Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis
der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abstellte.

Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den Alpenkalk unter dem
Sandstein wieder zum Vorschein kommen. Da die Schichten meist nach Süd und
Südost fallen, so kommen am Südabhang des Berges sehr viele Quellen zu
Tag. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reißenden Bergströmen, die
im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit silberglänzenden Blättern
niederstürzen.

Die *Cuspa*, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig
vorkommt, ist ein den europäischen Botanikern noch unbekannter Baum. Er
diente lange nur als Bauholz uns seit dem Jahre 1797 unter dem Namen
Cascarilla oder Quinquina von Neuandalusien berühmt geworden. Sein Stamm
wird kaum 15 bis 20 Fuß [5 bis 6,5 m] hoch; seine wechselständigen Blätter
sind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine sehr dünne, blaßgelbe Rinde ist
ein ausgezeichnetes Fiebermittel; dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als
die Rinden der echten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so
unangenehm. Die Cuspa wird mit sehr guten Erfolg als weingeistiger Extrakt
und als wässeriger Aufguß sowohl bei Wechselfiebern als bei bösartigen
Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerztn in
Cadiz einen ansehnlichen Vorrat davon geschickt, und nach den kürzlichen
Mittheilungen Don Pedro Francos, Pharmaceuten am Militärspital zu Cumana,
hat man in Europa die Cuspa für fast ebenso wirksam erklärt, als die
Quinquina von Santa Fe. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie
vor letzterer den Vorzug, da sie bei Kranken mit geschwächtem Unterleib
den Magen weniger angreife.

Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hinabzieht, herauskamen,
betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Flüsse
laufen, die man leicht durchwatet. Wir machten die Bemerkung, daß die
Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an
den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder sumpfig ist,
mehr oder weniger silberfarbige Blätter treibt. Wir sahen Stämme, deren
Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieser Bäume waren unter
Büschen von Dorstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt.
Mitten im Wald, an den Ufern des Rio Erdeño, findet man, wie am Südabhang
des Cocollar, Melonenbäume und Orangenbäume mit großen süßen Früchten wild
wachsend. Es sind wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder
indianischer Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in diesen
Landstrichen nicht zu den ursprünglich hier heimischen Gewächsen gerechnet
werden, so wenig wie der Pisang, der Melonenbaum, der Mais, der Manioc und
so viele andere nutzbare Gewächse, deren eigentliche Heimat wir nicht
kennen, obgleich sie den Menschen seit uralter Zeit auf seinen Wanderungen
begleitet haben.

Wenn ein eben aus Europa angekommener Reisender zum erstenmal die Wälder
Südamerikas betritt, so hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor sich.
Alles was er sieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche
berühmte Schriftsteller an den Ufern des Mississippi, in Florida und in
andern gemäßigten Ländern der neuen Welt entworfen haben. Bei jedem
Schritt fühlt er, daß er sich nicht an den Grenzen der heißen Zone
befindet, sondern mitten darin, nicht auf einer der antillischen Inseln,
sondern auf einem gewaltigen Continent, wo Alles riesenhaft ist, Berge,
Ströme und Pflanzenmassen. Hat er Sinn für landschaftliche Schönheit, so
weiß er sich von seinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechenschaft zu
geben. Er weiß nicht zu sagen, was mehr sein Staunen erregt, die
feierliche Stille der Einsamkeit oder die Schönheit der einzelnen
Gestalten und ihrer Kontraste oder die Kraft und die Fülle des
vegetabilischen Lebens. Es ist als hätte der mit Gewächsen überladene
Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwicklung. Ueberall verstecken sich
die Baumstämme hinter einen grünen Teppich, und wollte man all die
Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen
Heuschreckenbaum oder amerikanischen Feigenbaum [_Ficus gigantea._]
wachsen, sorgsam verpflanzen, so würde ein ganzes Stück Land damit
bedeckt. Durch diese wunderliche Aufeinanderfolge erweitern die Wälder,
wie die Fels und Gebirgswände, den Bereich der organischen Natur. —
Dieselben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor
und schwingen sich, mehr als hundert Fuß [30 m] hoch, vom einen zum
anderen. So kommt es, daß, da die Schmarotzergewächse sich überall
durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr läuft, Blüten, Früchte und
Laub, die verschiedenen Arten gehören, zu verwechseln.

Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieser Wölbungen, durch die man
kaum hin und wieder den blauen Himmel sieht. Er schien mir um so tiefer
indigoblau, da das Grün der tropischen Gewächse meist einen sehr
kräftigen, ins Bräunliche spiegelnde Ton hat. Zerstreute Felsmassen waren
mit einem großen Baumfarn bewachsen, der sich vom _Polypodium arboreum_
der Antillen wesentlich unterscheidet. Hier sahen wir zum erstenmal jene
Nester in Gestalt von Flaschen oder kleinen Taschen, die an den Aesten der
niedrigsten Bäume aufgehängt sind. Es sind Werke des bewunderungswürdigen
Bautriebes der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren Geschrei der
Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben
ihres Gefieders allgemein bekannt sind, flogen nur paarweise, während die
eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stück
umherfliegen. Man muß in diesen Ländern, besonders in den heißen Thälern
der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß zuweilen das
Geschrei dieser Vögel das Brausen der Bergströme, die von Fels zu Fels
stürzen, übertönt.

Eine starke Meile vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde
heraus. Ein schmaler Fußpfad führt auf mehreren Umwegen in ein offenes,
aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsstrich hätten
unter solchen Umständen Gräser und Riedgräser einen weiten Wiesenteppich
gebildet; hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen mit pfeilförmigen
Blättern, besonders von Canna-Arten, unter denen wir die prachtvollen
Blüthen der Costus, der Thalien und Heliconien erkannten. Diese saftigen
Gewächse werden acht bis zehn Fuß hoch, und wo sie dicht beisammen stehen,
könnten sie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herrliche Bild eines
Wiesgrundes und eines mit Blumen durchwirkten Rasens ist den niedern
Landstrichen der heißen Zone fast ganz fremd und findet sich nur auf den
Hochebenen der Anden wieder.

Bei San Fernando war die Verdunstung unter den Strahlen der Sonne so
stark, daß wir, da wir sehr leicht gekleidet waren, durchnäßt wurden, wie
in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bambusrohr, das die Indianer
Jagua oder Guadua nennen und das über vierzig Fuß [13 m] hoch wird. Nichts
kann zierlicher sein als diese baumartige Grasart. Form und Stellung der
Blätter geben ihr ein Ansehen von Leichtigkeit, das mit dem hohen Wuchs
angenehm kontrastiert. Der glatte, glänzende Stamm der Jagua ist meist den
Bauchufern zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzuge hin und her. So
hoch auch das Rohr [_Arundo donax_] im mittäglichen Europa wächst, so gibt
es doch keinen Begriff vom Aussehen der baumartigen Gräser, und wollte ich
nur meine eigene Erfahrung sprechen lassen, so möchte ich behaupten, daß
von allen Pflanzengestalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft
des Reisenden mehr anregt als der Bambus und der Baumfarn.

Die ostindischen Bambus, die _calumets des hauts_ [_Bambusa_, oder
vielmehr _Nestus alpina_] der Insel Bourbon, der Guaduas Südamerikas,
vielleicht sogar die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des
Mississippi, gehören derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber die
Bambusanen nicht so häufig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen sind
auf den großen unter Wasser stehenden Ebenen am untern Orinoco, am Apure
und Atabapo fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neugrenada
und im Königreich Quito mehrere Meilen lange dichte Wälder bilden. Der
westliche Abhang der Anden erscheint als ihre eigentliche Heimath, und was
ziemlich auffallend ist, wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum über dem
Meer gelegenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thälern der
Cordilleren bis in 860 Toisen Meereshöhe angetroffen.

Der Weg mit dem Bambusgebüsch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen
Dorfe San Fernando, das auf einer schmalen, von sehr steilen
Kalksteinwänden umgebenen Ebene liegt. Es war die erste Mision, die wir in
Amerika betraten.(49) Die Häuser oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer
sind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten
geraden Straßen schneiden sich unter rechten Winkeln; die sehr dünnen,
unsoliden Wände bestehen aus Letten oder Lianenzweigen. Die gleichförmige
Bauart, das ernste schweigsame Wesen der Einwohner, die ausnehmende
Reinlichkeit in den Häusern, alles erinnert an die Gemeinden der
mährischen Brüder. Jede indianische Familie baut draußen vor dem Dorfe
außer ihren eigenen Garten den *Conuco de la comunidad*. In diesem
arbeiten die Erwachsenen beider Geschlechter morgens und abends je eine
Stunde. In den Missionen, die der Küste zu liegen, ist der Gemeindegarten
meist eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Missionar vorsteht,
und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng befolgt wird, nur zur Erhaltung
der Kirche und zur Anschaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf
dem großen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Wohnung des
Missionars und das bescheidene Gebäude, das pomphaft *Case des Rey*,
»königliches Haus«, betitelt wird. Es ist eine förmliche Karawanserei, wo
die Reisenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohltat
in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt ist. Die _Casas des
Rey_ findet man in allen spanischen Kolonien, und man könnte meinen, sie
seyen eine Nachahmung der nach dem Gesetze Manco-Capacs errichteten
*Tambos* in Peru.

Wir waren an die Ordensleute, die den Missionen der Chaymas-Indianer
vorstehen, durch ihren Syndicus in Cumana empfohlen. Diese Empfehlung kam
uns desto mehr zu statten, als die Missionäre, sey es aus Besorgniß für
die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchische Zucht der
zudringlichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Verordnung
festhalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes sich länger als
eine Nacht in einem indianischen Dorfe aufhalten darf. Will man in den
spanischen Missionen angenehm reisen, so darf man sich meist nicht allein
auf den Paß des Madrider Staatssecretariats oder der Civilbehörden
verlassen, man muß sich mit Empfehlungen geistlicher Behörden versehen; am
wirksamsten sind die der Gardians der Klöster und der in Rom residirenden
Ordensgenerale, vor denen die Missionare weit mehr Respekt haben als vor
den Bischöfen. Die Missionen bilden, ich sage nicht nach ihren
ursprünglichen canonischen Satzungen, aber thatsächlich eine so ziemlich
unabhängige Hierarchie für sich, die in ihren Ansichten selten mit der
Weltgeistlichkeit übereinstimmt.

Der Missionar von San Fernando war ein sehr bejahrter, aber noch sehr
kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende
Körperrundung, sein guter Humor, sein Interesse für Gefechte und
Belagerungen stimmten schlecht zu der Vorstellung, die man sich im Norden
vom schwärmerischen Trübsinn und dem beschaulichen Leben der Missionare
macht. So viel ihm auch eine Kuh zu tun gab, die des anderen Tages
geschlachtet werden sollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz
freundlich und erlaubte uns, unsere Hängematten in einem Gange seines
Hauses zu befestigen. Er saß den größten Teil des Tages über in einem
großen Armstuhle von rotem Holz und beklagte sich bitter über die Trägheit
und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei Fragen an uns
über den eigentlichen Zweck unserer Reise, die ihm sehr gewagt und zum
wenigsten ganz unnütz schien. Hier wie am Orinoco wurde es uns sehr
beschwerlich, daß sich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die
Kriege und politischer Stürme der alten Welt immer noch so lebhaft
interessiren.

Unser Missionär schien übrigens mit seiner Stellung vollkommen zufrieden.
Er behandelte die Indianer gut, er sah die Mission gedeihen, er pries in
begeisterten Worten das Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er
unsere Instrumente, unsere Bücher und getrockneten Pflanzen sah, konnte er
sich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er gestand mit der in
diesem Klima landesüblichen Naivität, von allen Genüssen dieses Lebens,
den Schlaf nicht ausgenommen, sey doch gutes Kuhfleisch, *carne de vaca*,
der köstlichste; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an
geistiger Beschäftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirth, mit ihm die Kuh zu
besuchen, die er eben gekauft hatte, und am andern Tage bei Tagesanbruch
mußten wir sie nach Landessitte schlachten sehen; man machte ihr einen
Schnitt durch die Häckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel
stieß. So widrig dieses Geschäft war, so lernten wir dabei doch die
ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als
zwanzig Minuten das Thier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur
sieben Piaster gekostet, und dieß galt für sehr viel. Am selben Tag hatte
der Missionar einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehreren
vergeblichen Versuchen endlich am Fuß die Ader geschlagen, achtzehn
Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend er scheint, zeigt recht
auffallend, wie hoch in uncultivirten Ländern die Arbeit dem Werth der
Naturprodukte gegenüber im Preise steht.

Die Mission San Fernando wurde zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts an der
Stelle gegründet, wo die kleinen Flüsse Manzanares und Lucasperez sich
vereinigen. Eine Feuersbrunst, welche die Kirche und die Hütten der
Indianer in Asche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem
schönen Punkt, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die Zahl der Familien
ist auf hundert gestiegen, und der Missionar machte gegen uns die
Bemerkung, daß der Brauch, die jungen Leute im dreizehnten oder
vierzehnten Jahre zu verheirathen, zu dieser raschen Zunahme der
Bevölkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, daß die Chaymas-Indianer so
früh altern, als die Europäer gewöhnlich glauben. Das Regierungswesen in
diesen indianischen Gemeinden ist übrigens sehr verwickelt; sie haben
ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und diese
Beamten sind lauter kupferfarbene Eingeborene. Die Schützencompagnie hat
ihre Fahnen und übt sich mit Bogen und Pfeilen im Zielschießen; es ist die
Bürgerwehr des Landes. Solch kriegerische Anstalten und einem rein
mönchischen Regiment kamen uns sehr seltsam vor.

In der Nacht vom fünften September und am andern Morgen lag ein dicker
Nebel, und doch waren wir nur hundert Toisen über dem Meeresspiegel. Bevor
wir aufbrachen, maß ich geometrisch den großen Kalkberg, der achthundert
Toisen südlich von San Fernando liegt und nach Norden steil abfällt. Sein
Gipfel ist nur 215 Toisen höher als der große Dorfplatz, aber kahle
Felsmassen, die sich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm
etwas sehr Großartiges.

Der Weg von San Fernando nach Cumana führt über kleine Pflanzungen durch
ein offenes feuchtes Tal. Wir wateten durch viele Bäche. Im Schatten stand
das Thermometer nicht über 30°, wir waren ab er unmittelbar den
Sonnenstrahlen ausgesetzt, weil die Bambus am Wege nur wenig Schutz
gewähren, und wir hatten stark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch
das Dorf Arenas, das von Indianers desselben Stammes wie die von San
Fernando bewohnt ist; aber Arenas ist keine Mission mehr; die Eingeborenen
stehen unter einem Pfarrer und sind nicht so nackt und kultivierter als
jene. Ihre Kirche ist im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf
einem schmalen Fries sind Gürteltiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere
der Neuen Welt abgebildet.

In diesem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine
physiologische Merkwürdigkeit ist, und der Fall macht Eindruck auf die
Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Gesetzen der organischen
Natur vollkommen entspricht. Der Mann hat einen Sohn mit seiner eigenen
Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das
Kind, um es zu beruhigen, zu sich ins Bett und drückte es an die Brust.
Lozano, damals zweiundreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt,
daß er Milch gab, aber infolge der Reizung der Brustwarze, an der das Kind
saugte, schoß die Milch ein. Dieselbe war fett und sehr süß. Der Vater war
nicht wenig erstaunt, als seine Brust schwoll, und säugte fortan das Kind
fünf Monate lang zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden
aufmerksam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde auszubeuten,
wie er wohl in Europa getan hätte. Wir sahen das Protokoll, das über den
merkwürdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desselben leben noch,
und sie versicherten uns, der Knabe habe während des Stillens nichts
bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hause, als wir die
Missionen bereisten, besuchte uns aber in Cumana. Er kam mit seinem Sohne,
der schon 13 bis 14 Jahre als war. Bonpland untersuchte die Brust des
Vaters genau und fand sie runzlig, wie bei Weibern, die gesäugt haben. Er
bemerkte, daß besonders die linke Brust sehr ausgedehnt war, und Lozano
erklärte dies aus dem Umstande, daß niemals beide Brüste gleich viel Milch
gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausführliche
Beschreibung des Falles nach Cadiz geschickt.

Es kommt bei Menschen und Thieren nicht gar selten vor, daß die Brust
männlicher Individuen Milch enthält, und das Klima scheint auf diese mehr
oder weniger reichliche Absonderung keinen merkbaren Einfluß zu äußern.
Die Alten erzählen von der Milch der Böcke aus Lemnos und Corsica; Noch in
neuester Zeit war in Hannover ein Bock, der jahrelang einen Tag um den
anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den
Merkmalen der vermeintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die
Reisenden auch auf, daß die Männer Milch in den Brüsten haben [Man hat
sogar alles Ernstes behauptet, in einem Teile Brasiliens werden die Kinder
von den Männern, nicht von den Weibern gesäugt.]. Es ist indessen höchst
unwahrscheinlich, daß solches bei einem ganzen Volksstamm in irgend einem
der heutigen Reisenden unbekannten Landstriche Amerikas beobachtet worden
sein sollte, und ich kann versichern, daß der Fall gegenwärtig in der
Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in
Arenas, dessen Geschichte wir soeben erzählt, ist nicht vom kupferfarbenen
Stamm der Chaymas, er ist ein Weißer von europäischem Blut. Ferner haben
Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, daß Milch in den Brüsten
der Männer beim niederen russischen Volke weit häufiger vorkommt, als bei
südlicheren Völkern, und die Russen haben nie für schwächlich und weibisch
gegolten.

Es gibt unter den mancherlei Spielarten unseres Geschlechts eine, bei der
der Busen zur Zeit der Mannbarkeit einen ansehnlichen Umfang erhält.
Lozano gehörte nicht dazu, und er versicherte uns wiederholt, erst durch
die Reizung der Brust in Folge des Saugens sey bei ihm die Milch gekommen.
Dadurch wird bestätigt, was die Alten beobachtet haben: »Männer, die etwas
Milch haben, geben ihrer in Menge, sobald man an den Brüsten saugt.«
[_Aristoteles, Historia animalium. Lib. III. c. 20_] Diese sonderbare
Wirkung eines Nervenreizes war den griechischen Schäfern bekannt; die auf
dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die
Euter mit Nesseln, um die Milch herbeizulocken.

Ueberblickt man die Lebenserscheinungen in ihrer Gesammtheit, so zeigt
sich, daß keine ganz für sich allein steht. In allen Jahrhunderten werden
Beispiele erzählt von jungen, nicht mannbaren Mädchen oder von bejahrten
Weibern mit eingeschrumpften Brüsten, welche Kinder säugten. Bei Männern
kommt solches weit seltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei
oder drei Fälle finden können. Einer wird vom veronesischen Anatomen
Alexander Benedictus angeführt, der am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
lebte. Er erzählt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter sein Kind, um
es zu beschwichtigen, an die Brust gedrückt. Sofort schoß die Milch so
stark ein, daß der Vater sein Kind allein säugen konnte. Andere Beispiele
werden von Santorellus, Feria und Robert, Bischof von Cork, berichtet. Da
die meisten dieser Fälle ziemlich entlegenen Zeiten angehören, ist es von
Interesse für die Physiologie, daß die Erscheinung zu unserer Zeit
bestätigt werden konnte. Sie hängt übrigens genau mit dem Streit über die
Endursachen zusammen. Daß auch der Mann Brüste hat, ist den Philosophen
lange ein Stein des Anstoßes gewesen, und noch neuerdings hat man geradezu
behauptet: »Die Natur habe die Fähigkeit zu säugen dem einen Geschlecht
versagt, weil diese Fähigkeit gegen die Würde des Mannes wäre.«

In der Nähe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach
und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, fast
kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt sich von außen
sehr trübselig aus. Die Bevölkerung ist kaum 2300 Seelen stark; zur Zeit
des Vaters Caulin im Jahr 1753 betrug sie nur 600. Die Häuser sind sehr
niedrig, unsolid und, drei oder vier ausgenommen, sämmtlich aus Holz. Wir
brachten indessen unsere Instrumente ziemlich gut beim Verwalter der
Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswürdigen, geistig sehr
regsamen Mann. Er hatte uns eine geräumige, bequeme Wohnung einrichten
lassen; wir blieben vier Tage hier und er ließ sich nicht abhalten, uns
auf allen unsern Ausflügen zu begleiten.

Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegründet, als er von
einem Kriegszuge zurückkam, den er an die Mündung des Guarapiche
unternommen, um eine von französischen Freibeutern begonnene Niederlassung
zu zerstören. Die Stadt hieß anfangs San Baltazar de las Arias, aber der
indische Name verdrängte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de
Leon, den man noch häufig auf unseren Karten sieht, in Vergessenheit
gebracht hat.

Als wir den Barometer öffneten, sahen wir zu unserer Ueberraschung das
Quecksilber kaum 7,3 Linien tiefer stehen als an der Küste, und doch
schien das Instrument in ganz gutem Stand. Die Ebene, oder vielmehr das
Plateau, auf dem Cumanacoa steht; liegt nicht mehr als 104 Toisen über dem
Meeresspiegel, und dieß ist drei oder viermal weniger, als man in Cumana
glaubt, weil man dort von der Kälte in Cumanacoa die übertriebensten
Vorstellungen hat. Aber der klimatische Unterschied zwischen zwei so nahen
Orten rührt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als
von örtlichen Verhältnissen, wozu wir rechnen, daß die Wälder sehr nahe,
die niedergehenden Luftströme, wie in allen eingeschlossenen Thälern,
häufig, die Regenniederschläge und die Nebel sehr stark sind, wodurch
einen großen Theil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der
Sonnenstrahlen geschwächt wird. Da die Wärmeabnahme unter den Tropen und
Sommers in der gemäßigten Zone ungefähr gleich ist, so sollte der geringe
Höhenunterschied von 100 Toisen nur einen Unterschied in der mittleren
Temperatur von 1 bis 1½ Grad verursachen; wir werden aber bald sehen, daß
derselbe über vier Grad beträgt. Dieses kühle Klima fällt um so mehr auf,
da es noch in der Stadt Carthago, in Tomependa am Ufer des Amazonenstroms
und in den Thälern von Aragua, westwärts von Caracas, sehr heiß ist,
lauter Orte, die in 200–480 Toisen absoluter Meereshöhe liegen. In der
Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Wärme (Isothermen) nicht
immer dem Aequator oder der Erdoberfläche parallel, und darin besteht eben
die große Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieser Linien zu ermitteln
und durch alle von örtlichen Ursachen bedingte Abweichungen hindurch die
constanten Gesetze der Wärmevertheilung zu erfassen.

Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa sieben Seemeilen. Am
ersteren Orte regnet es fast nie, während an letzterem die Regenzeit sechs
bis sieben Monate dauert. Die trockene Jahreszeit währt in Cumanacoa von
der Winter- bis zur Sommer- Tag- und Nachtgleiche. Strichregen sind im
April, Mai und Juni ziemlich häufig; später wird es wieder sehr trocken,
vom Sommersolstitium bis Ende August; nunmehr tritt die eigentliche
Regenzeit ein, die bis zum November anhält und in der das Wasser in
Strömen vom Himmel gießt. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das
einemal am 16. April, das anderemal am 27. August durch das Zenith, und
aus dem eben Angeführten geht hervor, daß diese beiden Durchgänge mit dem
Eintreten der großen Regenniederschläge und der starken elektrischen
Entladungen zusammenfallen.

Unser erster Aufenthalt in den Missionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht
war der Himmel mit schweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen,
und nur durch Ritzen im Gewölk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen
anstellen. Das Thermometer stand auf 18,5–20° (14°,8–16° R.), und dies ist
in der heißen Zone und für das Gefühl des Reisenden, der von der Küste
herkommt, bedeutend kühl. In Cumana sah ich die Temperatur bei Nacht
niemals unter 21° sinken. Der Delucsche Hygrometer zeigte in Cumanacoa
85°, und, was auffallend ist, sobald das Gewölk sich zerstreute und die
Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Instrument aus 55°
zurück. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der starken Verdunstung nur
langsam zu und noch um zehn Uhr war sie nicht über 21°. Am heißesten ist
es von Mittag bis drei Uhr, wo dann der Thermometer auf 26–27° steht. Zur
Zeit der größten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne
durch den Meridian, zog fast regelmäßig ein Gewitter auf, das auch zum
Ausbruch kam. Dicke, schwarze, sehr niedrig ziehende Wolken lösten sich in
Regen auf; diese Güsse dauerten zwei bis drei Stunden, und während
derselben fiel der Thermometer um 5–6 Grad. Gegen fünf Uhr hörte der Regen
ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorschein
und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um acht oder neun Uhr
Abends waren wir schon wieder in eine dicke Wolkenschicht gehüllt. Dieser
Witterungswechsel erfolgt, wie man uns versicherte, durchaus gesetzmäßig
Monate lang einen Tag wie den andern, und doch läßt sich nicht der
geringste Luftzug spüren. Nach vergleichenden Beobachtungen muß ich
annehmen, daß es in Cumanacoa bei Nacht um 2–3, bei Tag um 4–5 Grad kühler
ist als in Cumana. Diese Unterschiede sind sehr bedeutend, und wenn man
statt meteorologischer Instrumente nur sein Gefühl befragte, so würde man
sie für noch bedeutender halten.

Die Vegetation auf der Ebene um die Stadt ist sehr einförmig, aber infolge
der großen Feuchtigkeit der Luft ungemein frisch. Ihre
Haupteigentümlichkeiten sind ein baumartiges Solanum, das 13 m hoch wird,
die _Urtica baccifera_ und eine neue Art der Gattung _Guettarda_. Der
Boden ist sehr fruchtbar und er wäre auch leicht zu bewässern, wenn man
von den vielen Bächen, deren Quellen das ganze Jahr nicht versiegen,
Kanäle zöge. Das wichtigste Erzeugnis ist der Tabak, und nur diesem
verdankt es die kleine, schlecht gebaute Stadt, wenn sie einen gewissen
Ruf hat. Seit der Einführung der Pacht (_Estanco real de Tabaco_) im Jahre
1779 ist der Tabaksbau in der Provinz Cumana fast ganz auf Cumanacoa
beschränkt. Die ganze Tabaksernte muß an die Regierung verkauft werden,
und um dem Schmuggel zu steuern, oder vielmehr nur ihn einzuschränken,
ließ man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufseher streifen durch
das Land; sie zerstören jede Anpflanzung, die sie außerhalb der zum Bau
angewiesenen Distrikte finden, und geben die Unglücklichen an, die es
wagen, selbstgemachte Cigarren zu rauchen. Diese Aufseher sind meist
Spanier und fast eben so grob wie die Menschen, die in Europa dieses
Handwerk treiben. Diese Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Haß
zwischen den Colonien und dem Mutterland zu schüren.

Nach dem Tabak auf der Insel Cuba und dem vom Rio Negro hat der Cumana am
meisten Arom. Er übertrifft allen aus Neuspanien und der Provinz Varinas.
Wir theilen Einiges über den Bau desselben mit, weil er sich wesentlich
vom Tabaksbau in Virginien unterscheidet. Schon der Umstand, daß im Thale
von Cumanacoa die Gewächse aus der Familie der Solaneen so ausnehmend
stark entwickelt sind, besonders die vielen Arten von _Solanum
arborescens_, von _Aquartia_ und _Cestrum_ weisen darauf hin, daß hier der
Boden für den Tabaksbau sehr geeignet seyn muß. Die Aussaat wird im
September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was
aber für den Ausfall der Ernte nicht so gut ist. Die Wurzelblätter zeigen
sich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit großen
Heliconien- und Bananenblättern, um sie der unmittelbaren Einwirkung der
Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar
schnell aufschießt, sorgfältig aus. Der Tabak wird sofort einen und einen
halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut
gelockerten Boden versetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen drei,
vier Fuß voneinander gesteckt; man jätet sie fleißig und köpft den
Hauptstengel mehrmals, bis bläulich grüne Flecken auf den Blättern als
Wahrzeichen der *Reife* sich zeigen. Im vierten Monat fängt man an sie
abzunehmen, und diese erste Ernte ist in wenigen Tagen vorüber. Besser
wäre es, die Blätter nacheinander abzunehmen, so wie sie trocken werden.
In guten Jahren schneiden die Pflanzer den Stock, wenn der vier Fuß hoch
ist, ab, und der Wurzelschoß treibt so rasch neue Blätter, daß sie schon
am 13. oder 14. Tage geerntet werden können. Diese haben sehr lockeres
Zellgewebe; sie enthalten mehr Wasser, mehr Eiweiß und weniger von dem
scharfen, flüchtigen, im Wasser schwer löslichen Stoff, an den die
eigenthümlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden scheint.

Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den
Spaniern _de cura seca_ heißt. Man hängt die Blätter an Cocuizafasern
[_Agave americana_] auf, löst die Rippen ab und dreht sie zu Strängen. Der
zubereitete Tabak sollte im Juni in die königlichen Magazine geschafft
werden, aber aus Faulheit und weil sie dem Bau des Mais und des Maniok
mehr Aufmerksamkeit schenken, machen die Leute den Tabak selten vor August
fertig. Begreiflich verlieren die Blätter an Arom, wenn sie zu lange der
feuchten Luft ausgesetzt bleiben. Der Verwalter läßt den Tabak sechzig
Tage unberührt in den königlichen Magazinen liegen; dann schneidet man die
Bündel auf, um die Qualität zu prüfen. Findet der Verwalter den Tabak gut
zubereitet, so bezahlt er dem Pflanzer für die Aroba von fünfundzwanzig
Pfund drei Piaster. Dasselbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone für zwölf
einen halben Piaster wieder verkauft. Der faule (_potrido_) Tabak, d. h.
der noch einmal gegährt hat, wird öffentlich verbrannt, und der Pflanzer,
der von der königlichen Pacht Vorschüsse erhalten hat, kommt
unwiderruflich um die Früchte seiner langen Arbeit. Wir sahen auf dem
großen Platz Haufen von fünfhundert Arobas vernichten, aus denen man in
Europa sicher Schnupftabak gemacht hätte.

Der Boden von Cumanacoa eignet sich für diesen Culturzweig so
ausgezeichnet, daß der Tabak überall, wo der Same Feuchtigkeit findet,
wildwächst. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Höhle von
Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Distrikten von Aricagua
und San Lorenzo, wird übrigens nur die Tabaksart mit großen sitzenden
Blättern, der sogenannte virginische Tabak [_Nicotiana tabacum_] gebaut.
Ganz unbekannt ist der Tabak mit gestielten Blättern [_Nicotiana
rustica_], der eigentliche *Yetl* der alten Mexicaner, den man in
Deutschland sonderbarerweise türkischen Tabak nennt.

Wäre der Tabaksbau frei, so könnte die Provinz Cumana einen großen Theil
von Europa damit versehen; ja, andere Distrikte scheinen sich für die
Erzeugung dieser Colonialwaare ganz so gut zu eignen wie das Thal von
Cumanacoa, wo der übermäßige Regen nicht selten dem Arom der Blätter
Eintrag thut. Gegenwärtig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratmeilen
beschränkt ist, beträgt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die
beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12,000, und der
Ausfall wird aus dem spanischen Guyana gedeckt. In der Gegend von
Cumanacoa geben sich im Durchschnitt nur 1500 Personen mit dem Tabaksbau
ab, lauter Weiße; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas lassen sich
durch Aussicht auf Gewinn selten dazu verlocken, auch hält es die Pacht
nicht für gerathen, denselben Vorschüsse zu machen.

Beschäftigt man sich mit der Geschichte unserer Culturpflanzen, so sieht
man mit Ueberraschung, daß vor der Eroberung der Gebrauch des Tabaks über
den größten Theil von Amerika verbreitet war, während man die Kartoffel
weder in Mexico, noch auf den Antillen kannte, wo sie doch in gebirgigen
Lagen sehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal schon im Jahr 1559
Tabak gebaut, während die Kartoffel erst am Ende des siebzehnten und zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in den europäischen Ackerbau überging.
Letzteres Gewächs, das für das Wohl der menschlichen Gesellschaft so
bedeutsam geworden ist, hat sich auf beiden Continenten weit langsamer
verbreitet, als ein Produkt, das nur für einen Luxusartikel gelten kann.

Das wichtigste Produkt nach dem Tabak ist im Thale von Cumanacoa der
Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine
Waare, die im Handel noch geschätzter ist als der Indigo von Caracas; er
kommt an Glanz und Fülle der Farbe oft dem Indigo von Guatimala nahe. Aus
letzterer Provinz ist der Samen von _Indigofera Anil_ die neben
_Indigofera tinctoria_ gebaut wird, zuerst auf die Küste von Cumana
gekommen. Da im Thale von Cumanacoa sehr viel Regen fällt, so gibt eine
vier Fuß hohe Pflanze nicht mehr Farbstoff als eine dreimal kleinere in
den trockenen Thälern von Aragua, westlich von der Stadt Caracas.

Alle Indigofabriken, die wir gesehen, sind nach demselben Plane
eingerichtet. Zwei Weichküpen, in denen das Kraut »faulen« soll, stehen
neben einander. Jede mißt fünfzehn Quadratfuß und ist zwei einen halben
Fuß tief. Aus diesen obern Kufen läuft die Flüssigkeit in die
Stampfkasten, zwischen denen die Wassermühle angebracht ist. Der Baum des
großen Rades läuft zwischen diesen Kasten durch, und an ihm sitzen an
langen Stielen die Löffel zum Stampfen. Aus einer weiten Abseiheküpe kommt
der farbhaltige Bodensatz in die Trockenkasten und wird daselbst auf
Brettern aus Brasilholz ausgebreitet, die mittelst kleiner Rollen unter
Dach gebracht werden können, wenn unerwartet Regen eintritt. Diese
geneigten, sehr niedrigen Dächer geben den Trockenkasten von weitem das
Ansehen von Treibhäusern. Im Thale von Cumanacoa verläuft die Gährung des
Krauts, das man »faulen« läßt, ungemein rasch. Sie währt meist nicht
länger als vier bis fünf Stunden. Dieß kann nur von der Feuchtigkeit des
Klimas herrühren und daher, daß während der Entwicklung der Pflanze die
Sonne nicht scheint. Ich glaube auf meinen Reisen die Bemerkung gemacht zu
haben, daß je trockener das Klima ist, die Kufe um so langsamer arbeitet
und die Stengel zugleich desto mehr Indigo aus der niedersten
Oxydationsstufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Cubikfuß locker
aufgeschichteten Krautes 35 bis 40 Pfund trockenen Indigo geben, kommt die
Flüssigkeit erst nach zwanzig, dreißig oder fünfunddreißig Stunden in die
Stampfe. Wahrscheinlich erhielten die Einwohner von Cumanacoa mehr
Farbestoff aus dem Kraut, wenn sie dasselbe länger in der ersten Kufe
weichen ließen. Ich habe während meines Aufenthalts in Cumana den etwas
schweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur
Vergleichung in Schwefelsäure aufgelöst, und die Auflösung des ersteren
schien mir weit satter blau.

Trotz der ausgezeichneten Beschaffenheit der Produkte und der
Fruchtbarkeit des Bodens ist der Landbau in Cumanacoa noch völlig in der
Kindheit. Arenas, San Fernando und Cumanacoa bringen in den Handel nur
3000 Pfund Indigo, der im Lande 4500 Piaster werth ist. Es fehlt an
Menschenhänden und die schwache Bevölkerung nimmt durch die Auswanderung
in die Llanos täglich ab. Diese unermeßlichen Savanen nähren den Menschen
reichlich, weil sich das Vieh dort so leicht vermehrt, während der Indigo-
und Tabaksbau viel Sorge und Mühe macht. Der Ertrag des letzteren ist
desto unsicherer, da die Regenzeit bald länger, bald kürzer dauert. Die
Pflanzer sind von der königlichen Pacht, die ihnen Vorschüsse macht,
völlig abhängig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber
Nahrungsgewächse als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den
Vorschlag gemacht, auf königliche Kosten fünfhundert Neger anzuschaffen
und sie den Pflanzern abzugeben, die im Stande wären, in zwei oder drei
Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jährliche
Tabaksernte auf 15,000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele
Grundeigenthümer sich gegen dieses Projekt aussprechen hören. Es stand
nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der
Vereinigten Staaten, nach einer gewissen Reihe von Jahren den Schwarzen
oder ihren Nachkommen die Freiheit schenken würde; desto bedenklicher
schien es, zumal nach den entsetzlichen Vorgängen auf St. Domingo, die
Sklavenbevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weise Politik hat nicht
selten dieselben Folgen, wie die edelsten und seltensten Regungen der
Gerechtigkeit und Menschenliebe.

Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von
Cumanacoa ist von Bergen umgeben, die besonders gegen Süd höher ansteigen
und für den Physiker und den Geologen gleich interessant sind. Alles weist
darauf hin, daß das Thal ein alter Seeboden ist; auch fallen die Berge,
welche einst das Ufer desselben bildeten, dem See zu senkrecht ab. Der See
hatte nur Arenas zu einen Abfluß. Beim Graben von Hausfundamenten stieß
man bei Cumanacoa auf Schichten von Geschieben, mit kleinen zweischaligen
Muscheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger Personen sind
sogar vor mehr als dreißig Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei
ungeheure Schenkelknochen gefunden worden, die vier Fuß lang waren und
über dreißig Pfund wogen. Die Indianer hielten sie, wie noch heute das
Volk in Europa, für Riesenknochen, während die Halbgelehrten im Lande, die
das Privilegium haben, Alles zu erklären, alles Ernstes versicherten, es
seyen Naturspiele und keiner großen Beachtung werth. Diese Leute beriefen
sich bei ihrer Behauptung auf den Umstand, daß menschliche Gebeine im
Boden von Cumanacoa sehr rasch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am
Allerseelentag läßt man Schädel aus den Kirchhöfen an der Küste kommen, wo
der Boden mit Salzen geschwängert ist. Die vermeintlichen Riesenknochen
wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich darnach
umgesehen; aber nach den fossilen Knochen, die ich aus andern Strichen
Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau untersucht worden,
gehörten die riesigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrscheinlich einer
ausgestorbenen Elephantenart an. Es kann befremden, daß dieselben in so
geringer Höhe über dem gegenwärtigen Wasserspiegel gefunden worden; denn
es ist sehr merkwürdig, daß die fossilen Reste von Mastodonten und
Elephanten, die ich aus den tropischen Ländern von Mexico, Neugrenada,
Quito und Peru mitgebracht, nicht in tief gelegenen Strichen (wo in
gemäßigten Zonen Megatherien am Rio Luxan(50) und in Virginien, große
Mastodonten am Ohio und fossile Elephanten am Susquehanna vorkommen),
sondern auf den in sechshundert bis vierzehnhundert Fuß Höhe gelegenen
Hochebenen erhoben wurden.

Als wir dem südlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, sahen wir
den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibsel
eines alten Küstenstrichs, steigt mitten im Walde empor. Weiter nach West,
beim Cerro del Cuchivano, erscheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben
aus einander gerissen. Die Spalte ist über hundert fünfzig Toisen breit
und von senkrechten Felsen umgeben. Tief beschattet von den Bäumen, deren
verschlungene Zweige nicht Raum haben sich auszubreiten, nahm sich die
Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entstandene Grube. Ein Bach, der
Rio Juagua, läuft durch die Spalte, die ungemein malerisch ist und Risco
del Cuchivano heißt. Der kleine Fluß entspringt sieben Meilen weit gegen
Südwest am Fuße des Brigantin und bildet schöne Fälle, ehe er in die Ebene
von Cumanacoa ausläuft.

Wir besuchten öfters einen kleinen Hof, Conuco de Bermudez, dem Erdspalt
von Cuchivano gegenüber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak
und mehrere Arten von Baumwollenbäumen, besonders die, deren Wolle
nanking-gelb ist und die auf der Insel Margarita so häufig vorkommt. Der
Eigenthümer sagte uns, der Erdspalt sey von Jaguars bewohnt. Diese Thiere
bringen den Tag in Höhlen zu und schleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da
sie reichliche Nahrung haben, werden sie bis sechs Fuß lang. Ein solcher
Tiger hatte im verflossenen Jahr ein zum Hof gehöriges Pferd verzehrt. Er
schleppte seine Beute bei hellem Mondschein über die Savane unter einen
ungeheur dicken Ceibabaum. Vom Winseln des verendenden Pferdes erwachten
die Sklaven im Hofe. Sie rückten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit
Spießen und *Machetes*(51). Der Tiger lag auf seiner Beute und ließ sie
ruhig herankommen; er erlag erst nach langem hartnäckigem Widerstand.
Dieser Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde
erhielten, zeigt, daß der große Jaguar [_Felis Onca, Linné_, die Buffon
_panthère oillée_ nennt und in Afrika zu Hause glaubt. Wir werden später
Gelegenheit haben, auf diesen für die Zoologie und Thiergeographie
wichtigen Punkt zurückzukommen.] von Terra Firma, wie der Jaguarete in
Paraguay und der eigentliche asiatische Tiger, vor dem Menschen nicht
fliehen, wenn ihm dieser zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn
nicht scheu macht. Die Zoologen wissen jetzt, daß Buffon die größte
amerikanische Katzenart ganz falsch beurtheilt hat. Was der berühmte
Schriftsteller von der Feigheit der Tiger der neuen Welt sagt, gilt nur
von den kleinen Ocelots, oder Pantherkatzen, und wir werden bald sehen,
daß am Orinoco der ächte amerikanische Jaguar sich zuweilen ins Wasser
stürzt, um die Indianer in ihren Piroguen anzugreifen.

Dem Hofe Bermudez gegenüber liegen die Oeffnungen zweier geräumigen Höhlen
im Erdspalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit schlagen Flammen daraus empor,
die man bei Nacht sehr weit sieht. Die benachbarten Berge sind dann davon
beleuchtet, und nach der Höhe der Felsen, über welche diese brennenden
Dünste hinanfreichen, wäre man versucht zu glauben, daß sie mehrere
hundert Fuß hoch werden. Beim letzten großen Erdbeben in Cumana war diese
Erscheinung von einem unterirdischen dumpfen, anhaltenden Getöse
begleitet. Sie kommt vorzüglich in der Regenzeit vor, und die Besitzer der
dem Berge Cuchivano gegenüber liegenden Pflanzungen versichern, die
Flammen zeigen sich seit dem December 1797 häufiger.

Auf einer botanischen Excursion nach Rinconada versuchten wir vergeblich
in die Spalte einzudringen. Wir hätten die Felsen, die in ihrem Schoße die
Ursachen dieses merkwürdigen Feuers zu bergen schienen, gerne näher
untersucht; aber die üppige Vegetation, die in einander geschlungenen
Lianen und Dornsträucher ließen uns nicht vorwärts kommen. Zum Glück
nahmen die Bewohner des Thals lebhaften Antheil an unsern Forschungen,
nicht sowohl weil sie sich vor einem vulkanischen Ausbruch fürchteten, als
weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte
eine Goldgrube. Es half nichts, daß wir ihnen auseinandersetzten, warum
wir an Gold im Muschelkalk nicht glauben könnten; sie wollten einmal
wissen, »was der deutsche Bergmann vom Reichthum des Erzgangs halte.« Seit
Karls des Fünften Zeit und seit die Welser, die Alsinger und Sailer in
Coro und Caracas als Statthalter gesessen, hat sich in Terra Firma im Volk
der Glaube an das besondere bergmännische Geschick der Deutschen erhalten.
Wohin ich in Südamerika kam, überall, sobald man erfuhr, wo ich hersey,
zeigte man mir Muster von Erzen. In den Colonien ist jeder Franzose ein
Arzt, jeder Deutsche ein Bergmann.

Die Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum
ersten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unsern
Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht
betreten, so merkten wir, daß Tiger in der Nähe waren, sowohl an einem
frisch zerrissenen Stachelschwein, als am Gestank ihres Kothes, der dem
der europäischen Katze gleicht. Zur Vorsicht gingen die Indianer nach dem
Hof zurück und brachten Hunde von sehr kleiner Race mit. Man behauptet,
wenn man dem Jaguar auf schmalem Pfad begegne, springe er zuerst auf den
Hund los, nicht auf den Menschen. Wir stiegen nicht am Ufer des Baches,
sondern an der Felswand über dem Wasser hinauf. Man geht an einem zwei-,
dreihundert Fuß tiefen Abgrund hin auf einem ganz schmalen Vorsprung, wie
auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum großen Gletscher. Wird
der Vorsprung so schmal, daß man nicht mehr weiß, wohin man den Fuß setzen
soll, so steigt man zum Bach hinunter, watet durch oder läßt sich von
einem Sklaven hinüber tragen, und klimmt an der andern Bergwand weiter.
Das Niederklettern ist ziemlich mühselig, und man darf sich nicht auf die
Lianen verlassen, die wie große Stricke von den Baumgipfeln niederhängen.
Die Ranken- und Schmarotzergewächse hängen nur locker an den Aesten, die
sie umschlingen; ihre Stengel haben zusammen ein ganz ansehnliches
Gewicht, und wenn man auf abschüssigem Boden sich mit dem Körper an Lianen
hängt, läuft man Gefahr eine ganze grüne Laube niederzureißen. Je weiter
wir kamen, desto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten
die Baumwurzeln, die in die Spalten zwischen den Schichten hineingewachsen
waren, das Kalkgestein zersprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen
fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Cannas, die
Heliconien mit schönen purpurnen Blüthen, die Costus und andere Gewächse
aus der Familie der Amomeen werden hier acht bis zehn Fuß hoch. Ihr helles
frisches Grün, ihr Seidenglanz und ihr strotzendes Fleisch stechen grell
ab vom bräunlichen Ton der Baumfarn mit dem zartgefiederten Laub. Die
Indianer hieben mit ihren großen Messern Kerben in die Baumstämme und
machten uns auf die Schönheit der rothen und goldgelben Hölzer aufmerksam,
die einst bei unsern Möbelschreinern und Drehern sehr gesucht seyn werden.
Sie zeigten uns ein Gewächs mit zusammengesetzter Blüthe, das zwanzig Fuß
hoch ist (_Eupatorium laevigatum, Lamarck_), die sogenannte *Rose von
Belveria* (_Brownea racemosa_), berühmt wegen ihrer herrlichen
purpurrothen Blüthen, und das einheimische *Drachenblut*, eine noch nicht
beschriebene Art Croton, deren rother adstringirender Saft zur Stärkung
des Zahnfleisches gebraucht wird. Sie unterschieden die Arten durch den
Geruch, besonders aber durch Kauen der Holzfasern. Zwei Eingeborene, denen
man dasselbe Holz zu kauen gibt, sprechen, meist ohne sich zu besinnen,
denselben Namen aus. Wir konnten übrigens von den scharfen Sinnen unserer
Führer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie soll man zu Blättern, Blüthen
oder Früchten gelangen, die auf Stämmen wachsen, deren ersten Aeste
fünfzig, sechzig Fuß über dem Boden sind? Mit Ueberraschung sieht man in
dieser Schlucht die Baumrinde, sogar den Boden mit Moosen und Flechten
überzogen. Diese Cryptogamen sind hier so häufig wie im Norden. Die
feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht begünstigen ihre
Entwicklung, und doch beträgt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht
19 Grad.

Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir untersuchen sollten, ist
nichts als ein Loch, das man in eine der schwarzen, an Schwefelkies
reichen Mergelschichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf
der rechten Seite des Rio Inagua an einem Punkt, wohin man vorsichtig
klettern muß, weil der Bach hier über acht Fuß tief ist. Der Schwefelkies
ist hell goldgelb und man sieht ihm nicht an, daß er Kupfer enthält. Die
Mergelschicht, in der er vorkommt, streicht über den Bach hinüber. Das
Wasser spült die metallisch glänzenden Körner aus, und deßhalb glaubt das
Volk, der Bach führe Gold. Man erzählt, nach dem großen Erdbeben im
Jahr 1766 habe das Wasser des Inagua so viel Gold geführt, daß Männer,
»die weit her gekommen, und von denen man nicht gewußt, wo sie zu Hause
seyen,« Goldwäschen angelegt hätten; sie seyen aber bei Nacht und Nebel
verschwunden, nachdem sie eine Menge Gold gesammelt. Es braucht keines
Beweises, daß dieß ein Mährchen ist; die Kiese in den Quarzgängen des
Glimmerschiefers sind allerdings sehr oft goldhaltig; aber nichts
berechtigt bis jetzt zur Annahme, daß der Schwefelkies im Mergelschiefer
des Alpenkalks gleichfalls Gold enthalte. Einige direkte Versuche auf
nassem Weg, die ich während meines Aufenthalts in Caracas angestellt, thun
dar, daß der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig ist.
Unsern Führern behagte mein Unglaube sehr schlecht; ich hatte gut sagen,
aus dieser angeblichen Goldgrube könnte man höchstens Alaun und
Eisenvitriol gewinnen; sie lasen nichtsdestoweniger heimlich jedes
Stückchen Schwefelkies auf, das sie im Wasser glänzen sahen. Je ärmer ein
Land an Erzgruben ist, desto leichter wird es in der Einbildung der
Einwohner, die Schätze aus dem Schoße der Erde zu holen. Wie viele Zeit
haben wir auf unserer fünfjährigen Reise verloren, um auf das dringende
Verlangen unserer Wirthe Schluchten zu untersuchen, in denen
schwefelkieshaltige Schichten seit Jahrhunderten den stolzen Namen _Minas
de Oro_ führen! Wie oft sahen wir lächelnd zu, wenn Leute aller Stände,
Beamte, Dorfgeistliche, ernste Missionäre mit unermüdlicher Geduld
Hornblende oder gelben Glimmer zerstießen, um mittelst Quecksilbers das
Gold auszuziehen! Die leidenschaftliche Gier, mit der man nach Erzen
sucht, erscheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum
umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken.

Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua untersucht, gingen wir weiter
in der Schlucht hinauf, die sich wie ein enger, von sehr hohen Bäumen
beschatteter Kanal fortzieht. Nach sehr beschwerlichem Marsch und ganz
durchnäßt, weil wir so oft über den Bach gegangen waren, langten wir am
Fuß der Höhlen des Cuchivano an, aus denen man vor einigen Jahren die
Flammen hatte brechen sehen. Achthundert Toisen hoch steigt senkrecht eine
Felswand auf. In einem Landstrich, wo der üppige Pflanzenwuchs überall den
Boden und das Gestein bedeckt, kommt es selten vor, daß ein großer Berg in
senkrechtem Durchschnitt seine Schichten zeigt. Mitten in diesem
Durchschnitt, leider dem Menschen unzugänglich, liegen die Spalten, die zu
zwei Höhlen führen. Sie sollen von denselben Nachtvögeln bewohnt seyn, die
wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen.

Wir ruhten am Fuß der Höhlen aus. Hier sah man die Flammen hervorkommen,
welche in den letzten Jahren häufiger geworden sind. Unsere Führer und der
Pächter, ein verständiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohl
bekannter Mann, verhandelten nach der Weise der Creolen über die Gefahr,
der die Stadt Cumanacoa ausgesetzt wäre, wenn der Cuchivano ein thätiger
Vulkan würde, _se veniesse a reventar_. Es schien ihnen unzweifelhast, daß
seit dem großen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahr 1797 Neu-Andalusien
vom unterirdischen Feuer immer mehr unterhöhlt werde. Sie brachten die
Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden schlagen sehen,
und die Stöße, die man jetzt an Orten empfindet, wo man früher nichts von
Erdbeben wußte. Sie erinnerten daran, daß man in Macarapan seit einigen
Monaten öfters Schwefelgeruch spüre. Auf diese und ähnliche Erscheinungen,
die uns damals in ihrem Munde auffielen, gründeten sie Prophezeiungen, die
fast sämmtlich in Erfüllung gegangen sind. Entsetzliche Zerstörungen haben
im Jahr 1812 in Caracas stattgefunden, zum Beweis, welch gewaltige Unruhe
im Nordosten von Terra Firma in der Natur herrscht.

Was ist wohl aber die Ursache der feurigen Erscheinungen, die man am
Cuchivano beobachtet? Ich weiß wohl, daß man zuweilen die Luftsäule, die
über der Mündung brennender Vulkane aufsteigt, in hellem Lichte glänzen
sieht. Dieser Lichtschein, den man von brennendem Wasserstoffgas
herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit
beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig schien. Ich weiß, daß die Alten
erzählen, auf dem _Mons Albanus_ bei Rom, dem heutigen _Monte cavo_ sey
zuweilen bei Nacht Feuer gesehen worden; aber der _Mons albanus_ ist ein
erst in neuerer Zeit erloschener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli
auswarf [_Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Livius
XXV. 7._], während der Cuchivano ein Kalkberg ist in einer Gegend, wo weit
und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa
daraus erklären, daß das Wasser, wenn es mit den Kiesen im Mergelschiefer
in Berührung kommt, zersetzt wird? Ist das Feuer, das aus den Höhlen des
Cuchivano kommt, brennendes Wasserstoffgas? Das Wasser, das durch den
Kalkstein sickert und durch die Schwefelschichten zersetzt wird, und die
Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die
schwefligt sauren Dämpfe, die man zuweilen in den Savanen spürt: zwischen
all dem ließe sich leicht ein Zusammenhang denken; es ist auch nicht zu
bezweifeln, daß, wenn sich bei der starken Affinität zwischen dem
Eisenoxyd und den Erden bei hoher Temperatur Wasser über Schwefelkiesen
zersetzt, die Entbindung von Wasserstoffgas erfolgen kann, welche mehrere
neuere Geologen eine so wichtige Rolle spielen lassen. Aber bei
vulkanischen Ausbrüchen tritt weit constanter schwefligte Säure auf als
Wasserstoff, und der Geruch, den man zuweilen bei starken Erdstößen
verspürt, ist vorzugsweise der Geruch von schwefligter Säure. Ueberblickt
man die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben im Ganzen, bedenkt
man, in welch ungeheuren Entfernungen sich die Stöße unter dem Meeresboden
fortpflanzen, so läßt man bald Erklärungen fallen, die von unbedeutenden
Schichten von Schwefelkies und bituminösem Mergel ausgehen. Nach meiner
Ansicht können die Stöße, die man in der Provinz Cunana so häufig spürt,
so wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeschrieben werden, als die
Stöße, welche die Apenninen erschüttern, Asphaltadern oder brennenden
Erdölquellen. Alle diese Erscheinungen hängen von allgemeineren, fast
hätte ich gesagt, tiefer liegenden Ursachen her, und der Herd der
vulkanischen Wirkungen ist nicht in den secundären Gebirgsbildungen, aus
denen die äußere Erdrinde besteht, sondern in sehr bedeutender Tiefe unter
der Oberfläche in den Urgebirgsarten zu suchen. Je weiter die Geologie
fortschreitet, desto mehr sieht man ein, wie wenig man mit den Theorien
ausrichtet, die sich auf wenige, rein örtliche Beobachtungen gründen.

Nach Meridianhöhen des südlichen Fisches, die ich in der Nacht vom
7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter 10° 16’ 11" der Breite; die
Angabe der geschätztesten Karten ist also um ¼ Grad unrichtig. Die Neigung
der Magnetnadel fand ich gleich 42°,60 und die Intensität der magnetischen
Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intensität war
demnach um neun Schwingungen oder 1/25 geringer als in Ferrol.

Am zwölften setzten wir unsere Reise nach dem Kloster Caripe, dem Hauptort
der Chaymas-Missionen, fort. Wir zogen der geraden Straße den Umweg über
die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel höher sind als der
Jura. Der Weg läuft zuerst ostwärts drei Meilen über die Hochebene von
Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Süd ab. Wir kamen durch
das kleine indianische Dorf Aricagua, das von bewaldeten Hügeln umgeben
sehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf und wir hatten über
vier Stunden zu steigen. Dieses Stück des Weges ist sehr angreifend; man
setzt zweiundzwanzigmal über den Pututucuar, ein reißendes Bergwasser voll
Kalksteinblöcken. Hat man auf der _Cuesta del Cocollar_ zweitausend Fuß
Meereshöhe erreicht, so sieht man zu seiner Ueberraschung fast keine
Wälder, oder auch nur große Bäume mehr. Man geht über eine ungeheure, mit
Gräsern bewachsene Hochebene. Nur Mimosen mit halbkugeliger Krone und drei
bis vier Fuß hohem Stamm unterbrechen die öde Einförmigkeit der Savanen.
Ihre Aeste sind gegen den Boden geneigt oder breiten sich schirmartig aus.
Ueberall, wo Abhänge oder halb mit Erde bedeckte Gesteinmassen sich
zeigen, breitet die Clusia oder der Cupey mit den großen Nymphäenblüthen
sein herrliches Grün aus. Die Wurzeln dieses Baums haben zuweilen acht
Zoll Durchmesser und gehen oft schon fünfzehn Fuß über dem Boden vom
Stamme ab.

Nachdem wir noch lange bergan gestiegen waren, kamen wir auf einer kleinen
Ebene zum _Hato del Cocollar_. Es ist dieß ein Hof, der 408 Toisen hoch
ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieser Einsamkeit blieben wir drei
Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigenthümer [Don Mathias Yturburi,
ein geborener Biscayer], der vom Hafen von Cumana an unser Begleiter
gewesen war. Wir fanden daselbst bei der reichen Weide Milch,
vortreffliches Fleisch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag stieg
der hunderttheilige Thermometer nicht über 22 oder 23 Grad, kurz vor
Sonnenuntergang fiel er auf 19 und bei Nacht zeigte er kaum 14. Bei Nacht
war es daher um sieben Grad kühler als an der Küste, was, da die Hochebene
des Cocollar nicht so hoch liegt, als die Stadt Caracas, wiederum auf eine
ausnehmend rasche Wärmeabnahme hinweist.

So weit das Auge reicht, sieht man auf dem hohen Punkt nichts als kahle
Savanen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen
auf, und trotz der scheinbaren Einförmigkeit der Vegetation findet man
ausnehmend viele sehr interessante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine
prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüthen, die _Brownea coccinea_ die über
hundert Fuß hoch wird, und vor allen den *Pejoa*, der im Lande berühmt
ist, weil seine Blätter, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt, einen
köstlichen aromatischen Geruch von sich geben. Was uns aber am meisten am
einsamen Ort entzückte, das war die Schönheit und Stille der Nächte. Der
Eigenthümer des Hofes blieb mit uns wach. Er schien sich daran zu weiden,
wie Europäer, die eben erst unter die Tropen gekommen, sich nicht genug
wundern konnten über die frische Frühlingsluft, deren man nach
Sonnenuntergang hier aus den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern, wo
der Mensch die Gaben der Natur noch voll zu schätzen weiß, preist der
Grundeigenthümer das Wasser seiner Quelle, den gesunden Wind, der um den
Hügel weht, und daß es keine schädlichen Insekten gibt, wie wir in Europa
uns der Vorzüge unseres Wohnhauses oder des malerischen Effekts unserer
Pflanzungen rühmen.

Unser Wirth war mit einer Mannschaft, die an der Küste des Meerbusens von
Paria Holzschläge für die spanische Marine einrichten sollte, in die neue
Welt gekommen. In den großen Mahagoni-, Cedrela- und Brasilholzwäldern,
die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man die größten Stämme
auszusuchen, sie im Groben so zuzuhauen, wie man sie zum Schiffsbau
braucht, und sie jährlich auf die Werfte von Caraques bei Cadix zu
schicken. Aber weiße, nicht acclimatisirte Männer mußten der anstrengenden
Arbeit, der Sonnengluth und der ungesunden Luft der Wälder erliegen.
Dieselben Lüfte, welche mit den Wohlgerüchen der Blüthen, Blätter und
Hölzer geschwängert sind, führen auch den Keim der Auflösung in die
Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der königlichen
Marine die Aufseher der neuen Anstalt weg, und die Bucht, der die ersten
Spanier wegen des trübseligen, wilden Aussehens der Küste den Namen
_»Golfo triste«_ gegeben, wurde das Grab der europäischen Seeleute. Unser
Wirth hatte das seltene Glück, diesen Gefahren zu entgehen; nachdem er den
größten Theil der Seinigen hatte hinsterben sehen, zog er weit weg von der
Küste auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarschaft, im ungestörten
Besitz eines Savanenstrichs von fünf Meilen, genießt er hier der
Unabhängigkeit, wie die Vereinzelung sie gewährt, und der Heiterkeit des
Gemüths, wie sie schlichten Menschen eigen ist, die in reiner, stärkender
Luft leben.

Nichts ist dem Eindruck majestätischer Ruhe zu vergleichen, den der
Anblick des gestirnten Himmels an diesem einsamen Ort in einem hinterläßt.
Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus über die Prairien, die bis zunm
Horizont fortstreichen, über die grün bewachsene, sanft gewellte
Hochebene, so war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoco, als sähen
wir weit weg das gestirnte Himmelsgewölbe auf dem Ocean ruhen. Der Baum,
unter dem wir saßen, die leuchtenden Insekten, die in der Luft tanzten,
die glänzenden Sternbilder im Süden, Alles mahnte uns daran, wie weit wir
von der Heimatherde waren. Und wenn nun, inmitten dieser fremdartigen
Natur, aus einer Schlucht heraus das Schellengeläute einer Kuh oder das
Brüllen des Stieres zu unsern Ohren drang, dann sprang mit einemmal der
Gedanke an die Heimath ins uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter,
weiter Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüber riefen und uns mit
Zauberkraft aus einer Hemisphäre in die andere versetzten. So wunderbar
beweglich ist die Einbildungskraft des Menschen, die ewige Quelle seiner
Freuden und seiner Schmerzen!

In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimiquiri zu besteigen. So
heißt der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur Einen
Gebirgsstock bildet, welcher bei den Eingeborenen früher Sierra de los
Tageres hieß. Man macht einen Theil des Wegs auf Pferden, die frei in den
Savanen laufen, zum Theil aber an den Sattel gewöhnt sind. So plump ihr
Aussehen ist, klettern sie doch ganz flink den schlüpfrigsten Rasen
hinaus. Wir machten zuerst bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem
Kalkstein, sondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandsteins kommt.
Ihre Temperatur war 21°, also um 1°,5 geringer als die der Quelle von
Quetepe; der Höhenunterschied beträgt aber auch gegen 220 Toisen.
Ueberall, wo der Sandstein zu Tage kommt, ist der Boden eben und bildet
gleichsam kleine Plateaus, die wie Stufen über einander liegen. Bis zu
700 Toisen und sogar darüber ist der Berg, wie alle in der Nachbarschaft,
nur mit Gräsern bewachsen. In Cumana schreibt man den Umstand, daß keine
Bäume mehr vorkommen, der großen Höhe zu; vergegenwärtigt man sich aber
die Vertheilung dör Gewächse in den Cordilleren der heißen Zone, so sieht
man, daß die Berggipfel in Neu-Andalusien lange nicht zu der obern
Baumgrenze hinaufreichen, die in dieser Breite mindestens 1600 Toisen hoch
liegt. Ja der kurze Rasen zeigt sich auf dem Cocollar stellenweise sogar
schon bei 350 Toisen über dem Meer und man kann auf demselben bis zu
1000 Toisen Höhe gehen; weiter hinauf, über diesem mit Gräsern bedeckten
Gürtel, befindet sich auf dem Menschen fast unzugänglichen Gipfeln ein
Wäldchen von Cedrela, Javillos(52) und Mahagonibäumen. Nach diesen lokalen
Verhältnissen muß man annehmen, daß die Bergsavanen des Cocollar und
Turimiquiri ihre Entstehung nur der verderblichen Sitte der Eingeborenen
verdanken, die Wälder anzuzünden, die sie in Weideland verwandeln wollen.
Jetzt, da Gräser und Alppflanzen seit dreihundert Jahren den Boden mit
einem dicken Filz überzogen haben, können die Baumsamen sich nicht mehr im
Boden befestigen und keimen, obgleich Wind und Vögel sie fortwährend von
entlegenen Wäldern in die Savanen herübertragen.

Das Klima auf diesen Bergen ist so mild, daß beim Hofe auf dem Cocollar
der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, sogar das Zuckerrohr gut fortkommen.
Trotz aller Behauptungen der Einwohner an der Küste ist unter dem 10. Grad
der Breite auf Bergen, die kaum höher sind als der Mont d’Or und der Puy
de Dome, niemals Reif gesehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri
nehmen an Güte ab, je höher sie liegen. Ueberall, wo zerstreute Felsmassen
Schatten bieten, kommen Flechten und verschiedene europäische Moose vor.
_Melastoma xanthostachis_ und ein Strauch (_Palicourea rigida_), dessen
große lederartige Blätter im Wind wie Pergament rauschen, wachsen hie und
da in der Savane. Aber die Hauptzierde des Rasens ist ein Liliengewächs
mit goldgelber Blüthe, die _Marica martinicensis_. Man findet sie in den
Provinzen Cumana und Caracas meist erst in 400 bis 500 Toisen Höhe. Die
Gebirgsarten des Turimiquiri sind ein Alpenkalk, ähnlich dem bei
Cumanacoa, und ziemlich dünne Schichten Mergel und quarziger Sandstein. Im
Kalkstein sind Klumpen von braunem Eisenoxyd und Spatheisen eingesprengt.
An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, daß der Sandstein
dem Kalk nicht nur aufgelagert ist, sondern daß beide nicht selten in
Wechsellagerung vorkommen.

Man unterscheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die
spitzen Pics oder *Cucuruchos*, die dicht bewaldet sind und wo es viele
Tiger gibt, auf die man wegen des großen und schönen Fells Jagd macht. Den
runden begrasten Gipfel fanden wir 707 Toisen hoch. Von diesem Gipfel
läuft nun nach West ein steiler Felskamm aus, der eine Seemeile von jenem
durch eine ungeheure Spalte unterbrochen ist, die gegen den Meerbusen von
Cariaco hinunterläuft. An der Stelle, wo der Kamm hätte weiter laufen
sollen, erheben sich zwei Bergspitzen aus Kalkstein, von denen die
nördliche die höhere ist. Dieß ist der eigentliche Cucurucho de
Turimiquiri, der für höher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die
der Küste von Cumana zusteuern, so wohl bekannt ist. Nach Höhenwinkeln und
einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen
Gipfel zogen, maßen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn
350 Toisen höher als unsern Standort, so daß seine absolute Höhe über
1050 Toisen beträgt.

Man genießt auf dem Turimiquiri einer der weitesten und malerischsten
Aussichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem,
die parallel von Ost nach West streichen und Längenthäler zwischen sich
haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwassern ausgespülter
Thäler unter rechtem Winkel münden, so stellen sich die Seitenketten als
Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegelförmiger Höhen dar. Bis
zum Imposible sind die Berghänge meist ziemlich sanft; weiterhin werden
die Abfälle sehr steil und streichen hinter einander fort bis zum Ufer des
Meerbusens von Cariaco. Die Umrisse dieser Gebirgsmassen erinnern an die
Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die sich darin findet, ist das
Thal von Cumanacoa. Es ist als sähe man in einen Trichter hinunter, auf
dessen Boden unter zerstreuten Baumgruppen das indianische Dorf Aricagua
erscheint. Gegen Nord hob sich eine schmale Landzunge, die Halbinsel
Araya, braun vom Meere ab, das, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet,
ein glänzendes Licht zurückwarf. Jenseits der Halbinsel begrenzte den
Horizont das Vorgebirge Macanao, dessen schwarzes Gestein gleich einem
ungeheuren Bollwerk aus dem Wasser aufsteigt.

Der Hof auf dem Cocollar am Fuße des Turimiquiri liegt unter 10° 9’ 32"
der Breite. Die Inclination der Magnetnadel fand ich gleich 42° 10’. Die
Nadel schwang 220mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden
Brauneisensteinmassen mögen die Intensität der magnetischen Kraft um ein
Weniges steigern.

Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Mission San Antonio hinunter.
Der Weg führt Anfangs über Savanen, die mit großen Kalksteinblöcken
übersäet sind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei sehr
steile Berggräte überstiegen, hat man ein schönes Thal vor sich, das fünf
Meilen lang fast durchaus von Ost nach West streicht. In diesem Thale
liegen die Missionen San Antonio und Guanaguana. Erstere ist berühmt wegen
einer kleinen Kirche aus Backsteinen, in erträglichem Styl, mit zwei
Thürmen und dorischen Säulen. Sie gilt in der Umgegend für ein Wunder. Der
Gardian der Kapuziner wurde mit diesem Kirchenbau in nicht ganz zwei
Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus seinem Dorfe dabei verwendet
hatte. Die Säulencapitäle, die Gesimse und ein mit Sonnen und Arabesken
gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermischtem Thon modellirt.
Wundert man sich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinsten griechischen
Styl [In Skelestar bei Torneo. S. Buch, Reise in Norwegen] anzutreffen, so
überraschen einen dergleichen erste Kunstversuche noch mehr in einem
Erdstrich, wo noch Alles den Stempel menschlicher Urzustände trägt und von
den Europäern erst seit etwa vierzig Jahren der Grund zu künftiger Cultur
gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz mißbilligte es, daß in Missionen
mit solchem Luxus gebaut werde, und zum großen Leidwesen der Mönche wurde
die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio sind weit
entfernt, solches gleichfalls zu beklagen; sie sind insgeheim mit dem
Spruche des Statthalters vollkommen einverstanden, weil er ihrer
natürlichen Trägheit behagt. Sie machen sich eben so wenig aus
architektonischen Ornamenten als einst die Eingeborenen in den
Jesuitenmissionen in Paraguay.

Ich hielt mich in der Mission San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu
sehen und ein paar Sonnenhöhen zu nehmen. Der große Platz liegt 216 Toisen
über Cumana. Jenseits des Dorfs durchwateten wir die Flüsse Colorado und
Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar entspringen und weiter
unten, ostwärts, sich vereinigen. Der Colorado hat eine sehr starke
Strönnmg und wird bei seiner Mündung breiter als der Rhein; der Guarapiche
ist, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, über fünf und zwanzig Faden
tief. An seinen Ufern wächst eine ausnehmend schöne Grasart, die ich zwei
Jahre später, als ich den Magdalenenstrom hinausfuhr, gezeichnet habe. Der
Halm mit zweizeiligen Blättern wird 15 bis 20 Fuß hoch. Unsere Maulthiere
konnten sich durch den dicken Morast auf dem schmalen ebenen Weg kaum
durcharbeiten. Es goß in Strömen vom Himmel; der ganze Wald erschien in
Folge des starken anhaltenden Regens wie Ein Sumpf.

Gegen Abend langten wir in der Mission Guanaguana an, die so ziemlich in
derselben Höhe liegt, wie das Dorf San Antonio. Es that sehr noth, daß wir
uns trockneten. Der Missionär nahm uns sehr herzlich auf. Es war ein alter
Mann, der, wie es schien, seine Indianer sehr verständig behandelte. Das
Dorf steht erst seit dreißig Jahren am jetzigen Fleck, früher lag es
weiter nach Süden und lehnte sich an einen Hügel. Man wundert sich, mit
welcher Leichtigkeit man die Wohnsitze der Indianer verlegt. Es gibt in
Südamerika Dörfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal den
Ort gewechselt haben. Den Eingeborenen knüpfen so schwache Bande an den
Boden, auf dem er wohnt, daß er den Befehl, sein Haus abzureißen und es
anderswo wieder aufzubauen, gleichmüthig aufnimmt. Ein Dorf wechselt
seinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblätter und
Heliconienblätter gibt, ist die Hütte in wenigen Tagen wieder fertig.
Diesen gewaltsamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune
eines frisch aus Spanien angekommenen Missionärs, der meint, die Mission
sey dem Fieber ausgesetzt oder liege nicht luftig genug. Es ist
vorgekommen, daß ganze Dörfer mehrere Stunden weit verlegt wurden, bloß
weil der Mönch die Aussicht aus seinem Hause nicht schön oder weit genug
fand.

Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geistliche, der schon seit
dreißig Jahren in den Wäldern Amerikas lebte, äußerte gegen uns, die
Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, müßten zuerst
zum Bau des Missionshauses, dann zum Kirchenbau und endlich für die
Kleidung der Indianer verwendet werden. Er versicherte in wichtigem Ton,
von dieser Ordnung dürfe unter keinem Vorwand abgegangen werden. Nun, die
Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichtesten Kleider tragen,
können gut warten, bis die Reihe an sie kommt. Die geräumige Wohnung des
*Padre* war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unserer
Ueberraschung, daß das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge
Kaminen wie mit Thürmchen geziert war. Sie sollten, belehrte uns unser
Wirth, ihn an sein geliebtes Heimathland, und in der tropischen Hitze an
die aragonesischen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen
Baumwolle für sich, für die Kirche und für den Missionär. Der Ertrag gilt
als Gemeindeeigenthum und mit den Gemeindegeldern werden die Bedürfnisse
des Geistlichen und die Kosten des Gottesdienstes bestritten. Die
Eingeborenen haben höchst einfache Vorrichtungen, um den Samen von der
Baumwolle zu trennen. Es sind hölzerne Cylinder von sehr kleinem
Durchmesser, zwischen denen die Baumwolle durchläuft und die man wie
Spinnräder mit dem Fuße umtreibt. Diese höchst mangelhaften Maschinen
leisten indessen gute Dienste und man fängt in den andern Missionen an sie
nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke über Mexico, auseinander
gesetzt, wie sehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den
Transport in den spanischen Colonien erschwert, wo alle Waaren auf
Maulthieren in die Seehäfen kommen. Der Boden ist in Guanaguana eben so
fruchtbar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls seinen
indianischen Namen behalten hat. Eine *Almuda* (1850 Quadrattoisen) trägt
in guten Jahren 25–30 Fanegas Mais, die Fanega zu hundert Pfund. Aber hier
wie überall, wo der Segen der Natur die Entwicklung der Industrie hemmt,
macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Mensch denkt
daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechseln. Die Indianer in
Guanaguana erzählten mir als etwas Ungewöhnliches, im verflossenen Jahr
seyen sie, ihre Weiber und Kinder drei Monate lang _al monte_ gewesen, das
heißt, sie seyen in den benachbarten Wäldern umhergezogen, um sich von
saftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baumfrüchten
zu nähren. Sie sprachen von diesem Nomadenleben keineswegs wie von einem
Nothstand. Nur der Missionär hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf
ganz verlassen stand und die Gemeindegenossen, als sie aus den Wäldern
wieder heim kamen, weniger lenksam waren als zuvor.

Das schöne Thal von Guanaguana läuft gegen Ost in die Ebenen von Punzere
und Terecen aus. Gerne hätten wir diese Ebenen besucht, um die Quellen von
Bergöl zwischen den Flüssen Guarapiche und Areo zu untersuchen; aber die
Regenzeit war förmlich eingetreten, und wir hatten täglich vollauf zu
thun, um die gesammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg
von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere führt entweder über San Felix, oder
über Caycara und Guahuta, wo sich ein *Hato* (Hof für Viehzucht) der
Missionäre befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der
Indianer, große Schwefelmassen, nicht in Gips oder Kalkstein, sondern in
geringer Tiefe unter der Fläche des Bodens in Thonschichten. Dieses
auffallende Vorkommen scheint Amerika eigenthümlich; wir werden demselben
im Königreich Quito und in Neugrenada wieder begegnen. Vor Punzere sieht
man in den Savanen Säckchen von Seidengewebe an den niedrigsten Baumästen
hängen. Es ist dieß die _seda silvestre_ oder einheimische wilde Seide,
die einen schönen Glanz hat, aber sich sehr rauh anfühlt. Der
Nachtschmetterling, der sie spinnt, kommt vielleicht mit denen in den
Provinzen Gnanaxuato und Antioquia überein, die gleichfalls wilde Seide
liefern. Im schönen Walde von Punzere kommen zwei Bäume vor, die unter den
Namen Curucay und Canela bekannt sind; ersterer liefert ein von den
*Pinches* oder indianischen Zauberern sehr gesuchtes Harz, der zweite hat
Blätter, die nach ächtem Ceylonzimmt riechen. Von Punzere läuft der Weg
über Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlassung von Canariern
ist, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und
man muß in einer Pirogue über diesen Fluß setzen, wenn man zu den
berühmten Bergölquellen von Buen Pastor gehen will. Man beschrieb sie uns
als kleine Schachte oder Trichter, die sich von selbst im sumpfigen Boden
gebildet haben. Diese Erscheinung erinnert an den Asphaltsee oder
*Chapapote* auf der Insel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Pastor
nur 35 Seemeilen entfernt ist.

Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekämpft, den Guarapiche hinunter
in den _Golfo triste_ zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die
Thäler von Guanaguana und Caripe sind durch eine Art Damm oder Grat aus
Kalkstein, der unter dem Namen _Cuchilla de Guanaguana_ weit und breit
berühmt ist, von einander getrennt [Im ganzen spanischen Amerika bedeutet
_cuchilla_ Messerklinge, einen Bergkamm mit sehr steilen Abhängen.]. Wir
fanden den Uebergang beschwerlich, weil wir damals noch nicht in den
Cordilleren gereist waren, aber so gefährlich, als man ihn in Cumana
schildert, ist er keineswegs. Allerdings ist der Weg an mehreren Stellen
nur 14 oder 15 Zoll breit; der Bergsattel, über den er wegläuft, ist mit
kurzem, sehr glattem Rasen bedeckt, die Abhänge zu beiden Seiten sind
ziemlich jäh, und wenn der Reisende fiele, könnte er auf dem Grase sieben,
achthundert Fuß hinunterrollen. Indessen sind die Bergseiten vielmehr nur
starke Böschungen als eigentliche Abgründe, und die Maulthiere hier zu
Lande haben einen so sichern Gang, daß man sich ihnen ruhig anvertrauen
kann. Ihr Benehmen ist ganz wie das der Saumthiere in der Schweiz und in
den Pyrenäen. Je wilder ein Land ist, desto feinfühliger und schärfer
witternd wird der Instinkt der Hausthiere. Spüren die Maulthiere eine
Gefahr, so bleiben sie stehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die
Ohren auf und ab; man sieht, sie überlegen, was zu thun sey. Sie kommen
langsam zum Entschluß, aber derselbe fällt immer richtig aus, wenn er frei
ist, das heißt, wenn ihn der Reisende nicht unvorsichtigerweise stört oder
übereilt. Wenn man in den Anden sechs, sieben Monate auf entsetzlichen
Wegen durch die von den Bergwassern zerrissenen Gebirge zieht, da
entwickelt sich die Intelligenz der Reitpferde und Lastthiere auf wahrhaft
erstaunliche Weise. Man kann auch die Gebirgsbewohner sagen hören: »Ich
gebe Ihnen nicht das Maulthier, das den bequemsten Schritt hat, sondern
das vernünftigste, _la mas racional_.« Dieses Wort aus dem Munde des
Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das System, das in den
Thieren nur belebte Maschinen sieht, wohl besser als alle Beweisführung
der speculativen Philosophie.

Auf dem höchsten Punkt des Kammes oder der Cuchilla von Guanaguana
angelangt, hatten wir eine interessante Fernsicht. Wir übersahen mit Einem
Blick die weiten Prairien oder Savanen von Maturin und am Rio Tigre, den
Spitzberg Turimiquiri und zahllose parallel streichende Bergketten, die
von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordost öffnet sich das
Thal, in dem das Kloster Caripe liegt. Sein Anblick ist um so einladender,
als es bewaldet ist und so von den kahlen, nur mit Gras bewachsenen Bergen
umher freundlich absticht. Wir fanden die absolute Höhe der Cuchilla
gleich 548 Toisen; sie liegt also 329 Toisen über dem Missionshaus von
Guanaguana.

Steigt man auf sehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, so betritt man
bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden ist mit Moos und einer neuen Art
Drosera bedeckt, die im Wuchs der Drosera unserer Alpen gleicht. Je näher
man dem Kloster Caripe kommt, desto dichter wird der Wald, desto üppiger
die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, sogar die
Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an gewesen waren. Die
Kalksteinschichten werden dünner; sie bilden Mauern, Gesimse und Thürme
wie in Peru, im Pappenheimschen und bei Dicow in Gallizien. Es ist nicht
mehr Alpenkalk, sondern eine Formation, welche jenem übergelagert ist,
analog dem Jurakalk.

Der Weg von der Cuchilla herab ist bei weitem nicht so lang als der
hinaus. Wir fanden, daß das Thal von Caripe 200 Toisen höher liegt als das
Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei
Becken; das eine ist köstlich kühl, das andere als furchtbar heiß
verrufen. Solchen Contrasten begegnet man in Mexico, in Neu-Grenada und
Peru häufig, aber im Nordosten von Südamerika sind sie selten. Unter allen
hochgelegenen Thälern in Neu-Andalusien ist auch nur das von Caripe
[absolute Höhe des Klosters 412 Toisen] sehr stark bewohnt. In einer
Provinz mit schwacher Bevölkerung, wo die Gebirge weder eine sehr
bedeutende Masse, noch ausgedehnte Hochebenen haben, findet der Mensch
wenig Anlaß, aus den Ebenen wegzuziehen und sich in gemäßigteren
Gebirgsstrichen niederzulassen.

                            ------------------



   49 In den spanischen Kolonien heißt *Mision* oder *Pueblo de Mision*
      ein Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Missionar, der
      Ordensgeistlicher ist, den Gottesdienst versieht. Die indianischen
      Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrers stehen, heißen *Pueblos de
      Doctrina*. Man unterscheidet noch weiter den *Cura doctrinero*, den
      Pfarrer einer indianischen Gemeinde, und den *Cura rector*, den
      Pfarrer eines von Weißen oder Farbigen bewohnten Dorfes.

   50 Das virginische Megatherium ist der Megalonyx Jeffersons. Alle diese
      ungeheuren Knochen, die man *auf den Ebenen* der neuen Welt,
      nördlich oder südlich vom Aequator gefunden, gehören nicht der
      heißen, sondern der gemäßigten Zone an. Andererseits macht Pallas
      die Bemerkung, daß in Sibirien, also auch nördlich vom Wendekreis,
      fossile Knochen in den gebirgigen Landestheilen gar nicht vorkommen.
      Diese eng mit einander verknüpften Thatsachen scheinen den Weg zur
      Auffindung eines wichtigen geologischen Gesetzes zu bahnen.

   51 Große Messer mit sehr langen Klingen, ähnlich den Jagdmessern. In
      der heißen Zone geht man nicht ohne *Machete* in den Wald, sowohl um
      die Lianen und Baumäste abzuhauen, die einem den Weg sperren, als um
      sich gegen wilde Thiere zu vertheidigen.

_   52 Hura crepitans_, aus der Familie der Euphorbien. Dieser Baum wird
      ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwischen Cap Codera und Caracas
      maß Bonpland Kufen aus Javilloholz, die vierzehn Fuß lang und acht
      breit waren. Diese Kufen aus Einem Stück dienen zur Aufbewahrung des
      Guarapo oder Zuckerrohrsasts und der Melasse. Die Samen des Javillo
      sind ein starkes Gift, und die Milch, die aus dem Blüthenstengel
      quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenschmerz verursacht,
      wenn zufällig auch nur ein ganz klein wenig davon zwischen die
      Augenlider kam.



SIEBENTES KAPITEL


         Das Kloster Caripe — Die Höhle des Guacharo — Nachtvögel


Eine Allee von Perseabäumen führte uns zum Hospiz der aragonesischen
Kapuziner. Bei einem Kreuz aus Brasilholz mitten auf einem großen Platz
machten wir Halt. Das Kreuz ist von Bänken umgeben, wo die kranken und
schwachen Mönche ihren Rosenkranz beten. Das Kloster lehnt sich an eine
ungeheure, senkrechte, dicht bewachsene Felswand. Das blendend weiße
Gestein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann sich kaum
eine malerischere Lage denken; sie erinnerte mich lebhaft an die Thäler
der Grafschaft Derby und an die höhlenreichen Berge bei Muggendorf in
Franken. An die Stelle der europäischen Buchen und Ahorne treten hier die
großartigeren Gestalten der Ceiba und der Praga- und Irassepalmen.
Unzählige Quellen brechen aus den Bergwänden, die das Becken von Caripe
kreisförmig umgeben und deren gegen Süd steil abfallende Hänge tausend Fuß
hohe Profile bilden. Diese Quellen kommen meist aus Spalten oder engen
Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die sie verbreiten, befördert das
Wachsthum der großen Bäume, und die Eingeborenen, welche einsame Orte
lieben, legen ihre *Conucos* längs dieser Schluchten an. Bananen und
Melonenbäume stehen hier um Gebüsche von Baumfarn. Dieses Durcheinander
von cultivirten und wilden Gewächsen gibt diesen Punkten einen
eigenthümlichen Reiz. An den nackten Bergseiten erkennt man die Stellen,
wo Quellen zu Tage kommen, schon von weitem an den dichten Massen von
Grün, die anfangs am Gestein zu hängen scheinen und sich dann den
Windungen der Bäche nach ins Thal hinunter ziehen.

Wir wurden von den Mönchen im Hospiz mit der größten Zuvorkommenheit
aufgenommen. Der Pater Gardian war nicht zu Hause; aber er war von unserem
Abgang von Cumana in Kenntniß gesetzt und hatte Alles aufgeboten, um uns
den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hospiz hat einen innern Hof mit
einem Kreuzgang, wie die spanischen Klöster. Dieser geschlossene Raum war
sehr bequem für uns, um unsere Instrumente unterzubringen und zu
beobachten. Wir trafen im Kloster zahlreiche Gesellschaft: junge, vor
Kurzem aus Europa angekommene Mönche sollten eben in die Missionen
vertheilt werden, während alte kränkliche Missionäre in der scharfen
gesunden Gebirgsluft von Caripe Genesung suchten. Ich wohnte in der Zelle
des Gardians, in der sich eine ziemlich ansehnliche Büchersammlung befand.
Ich fand hier zu meiner Ueberraschung neben Feijos _teatro critico_ und
den »erbaulichen Briefen« auch Abbé Nollets »_traité d’électricité_.« Der
Fortschritt in der geistigen Entwicklung ist, sollte man da meinen, sogar
in den Wäldern Amerikas zu spüren. Der jüngste Kapuziner von der letzten
Mission(53) hatte eine spanische Uebersetzung von Chaptals Chemie
mitgebracht. Er gedachte dieses Werk in der Einsamkeit zu studiren, in der
er fortan für seine übrige Lebenszeit sich selbst überlassen seyn sollte.
Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einsam am Ufer des Rio
Tigre lebt, der Wissenstrieb wach und rege bleibt; aber so viel ist sicher
und gereicht dem Geist des Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unserern
Aufenthalt in den Klöstern und Missionen Amerikas nie eine Spur von
Unduldsamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe wußten wohl, daß
ich im protestantischen Deutschland zu Hause war. Mit den Befehlen des
Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimniß
daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen,
irgend eine unbescheidene Frage, irgend ein Versuch, eine Controverse
anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindruck der Gastfreundschaft, welche die
Mönche mit so viel Herzlichkeit und Offenheit übten, auch nur den
geringsten Eintrag. Wir werden weiterhin untersuchen, woher diese
Duldsamkeit der Missionare rührt und wie weit sie geht.

Das Kloster liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hieß. Seine
Meereshöhe ist ungefähr dieselbe wie die der Stadt Caracas oder des
bewohnten Strichs in den blauen Bergen von Jamaica. Auch ist die mittlere
Temperatur dieser drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, so
ziemlich dieselbe. In Caripe fühlt man das Bedürfniß, sich Nachts
zuzudecken, besonders bei Sonnenaufgang. Wir sahen den hunderttheiligen
Thermometer um Mitternacht zwischen 16 und 17½ Grad (12°,8–14 R.) stehen,
Morgens zwischen 19 und 20. Gegen ein Uhr Nachmittags stand er nur auf 21°
bis 22°,5. Es ist dieß eine Temperatur, bei der die Gewächse der heißen
Zone noch wohl gedeihen; gegenüber der übermäßigen Hitze auf den Ebenen
bei Cumana könnte man sie eine Frühlingstemperatur nennen. Das Wasser, das
man in porösen Thongesäßen dem Luftzug aussetzt, kühlt sich in Caripe
während der Nacht auf 13° ab. Ich brauche nicht zu bemerken, daß solches
Wasser einem fast eiskalt vorkommt, wenn man in Einem Tage entweder von
der Küste oder von den glühenden Savanen von Terezen ins Kloster kommt und
daher gewöhnt ist, Flußwasser zu trinken, das meist 25–26° (20–20°,8 R.)
warm ist.

Die mittlere Temperatur des Thals von Caripe scheint, nach der des Monats
September zu schließen, 18°,5 zu seyn. Nach den Beobachtungen, die man in
Cumana gemacht, weicht unter dieser Zone die Temperatur des Septembers von
der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere
Temperatur von Caripe ist gleich der des Monats Juni zu Paris, wo übrigens
die größte Hitze 10 Grad mehr beträgt als an den heißesten Tagen in
Caripe. Da das Kloster nur 400 Toisen über dem Meere liegt, so fällt es
auf, wie rasch die Wärme von der Küste an abnimmt. Wegen der dichten
Wälder können die Sonnenstrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieser ist
feucht und mit einem dicken Gras- und Moosfilz bedeckt. Bei anhaltend
nebligter Witterung ist von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu spüren
und gegen Einbruch der Nacht wehen frische Winde von der Sierra del
Guacharo ins Thal herunter.

Die Erfahrung hat ausgewiesen, daß das gemäßigte Klima und die leichte
Luft des Orts dem Anbau des Kaffeebaums, der bekanntlich hohe Lagen liebt,
sehr förderlich sind. Der Superior der Kapuziner, ein thätiger,
aufgeklärter Mann, hat in seiner Provinz diesen neuen Kulturzweig
eingeführt. Man baute früher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die
starke Hitze verlangt, lieferte hier so wenig Farbstoff, daß man es
aufgab. Wir fanden im Gemeinde-Conuco viele Küchenkräuter, Mais,
Zuckerrohr und fünftausend Kaffeestämme, die eine reiche Ernte
versprachen. Die Mönche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal so viel zu
haben. Man sieht auch hier wieder, wie die geistliche Hierarchie überall,
wo sie es mit den Anfängen der Cultur zu thun hat, in derselben Richtung
ihre Thätigkeit entwickelt. Wo die Klöster es noch nicht zum Reichthum
gebracht haben, auf dem neuen Continent wie in Gallien, in Syrien wie im
nördlichen Europa, überall wirken sie höchst vortheilhaft auf die
Urbarmachung des Bodens und die Einführung fremdländischer Gewächse. In
Caripe stellt sich der Gemeinde-Conuco als ein großer schöner Garten dar.
Die Eingeborenen sind gehalten, jeden Morgen von sechs bis zehn Uhr darin
zu arbeiten. Die Alcaden und Alguazils von indianischem Blut führen dabei
die Aufsicht. Es sind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock
tragen dürfen und vom Superior des Klosters angestellt werden. Sie legen
auf jenes Recht sehr großes Gewicht. Ihr pedantischer, schweigsamer Ernst,
ihre kalte, geheimnißvolle Miene, der Eifer, mit dem sie in der Kirche und
bei den Gemeindeversammlungen repräsentiren, kommt den Europäern höchst
lustig vor. Wir waren an diese Züge im Charakter des Indianers noch nicht
gewöhnt, fanden sie aber später gerade so am Orinoco, in Mexico und Peru
bei Völkern von sehr verschiedenen Sitten und Sprachen. Die Alcaden kamen
alle Tage ins Kloster, nicht sowohl um mit den Mönchen über
Angelegenheiten der Mission zu verhandeln, als unter dem Vorwand, sich
nach dem Befinden der kürzlich angekommenen Reisenden zu erkundigen. Da
wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Besuche häufiger, als die
Geistlichen gerne sahen.

So lange wir uns in Caripe und in den andern Missionen der Chaymas
aufhielten, sahen wir die Indianer überall milde behandeln. Im Allgemeinen
schien uns in den Missionen der aragonesischen Kapuziner grundsätzlich
eine Ordnung und eine Zucht zu herrschen, wie sie leider in der neuen Welt
selten zu finden sind. Mißbräuche, die mit dem allgemeinen Geist aller
klösterlichen Anstalten zusammenhängen, dürfen dem einzelnen Orden nicht
zur Last gelegt werden. Der Gardian des Klosters Verkauft den Ertrag des
Gemeinde-Conuco, und da alle Indianer darin arbeiten, so haben auch alle
gleichen Theil am Gewinn. Mais, Kleidungsstücke, Ackergeräthe, und, wie
man versichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen vertheilt. Diese
Mönchsanstalten haben, wie ich schon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den
Gemeinden der mährischen Brüder; sie fördern die Entwicklung in der
Bildung begriffener Menschenvereine, und in den katholischen Gemeinden,
die man Missionen nennt, wird die Unabhängigkeit der Familien und die
Selbstständigkeit der Genossenschaftsglieder mehr geachtet, als in den
protestantischen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel.

Am berühmtesten ist das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kühle des
Klimas, durch die große *Cueva* oder Höhle des *Guacharo*. In einem Lande,
wo man so großen Hang zum Wunderbaren hat, ist eine Höhle, aus der ein
Strom entspringt und in der Tausende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett
man in den Missionen kocht, natürlich ein unerschöpflicher Gegenstand der
Unterhaltung und des Streits. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß
ans Land gesetzt, so hört er zum Ueberdruß vom Augenstein von Araya, vom
Landmann in Arenas, der sein Kind gesäugt, und von der Höhle des Guacharo,
die mehrere Meilen lang seyn soll. Lebhafte Theilnahme an
Naturmerkwürdigkeiten erhält sich überall, wo in der Gesellschaft kein
Leben ist, wo in trübseliger Eintönigkeit die alltäglichen Vorkommnisse
sich ablösen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine »Fettgrube« nennen, liegt nicht im
Thal von Caripe selbst, sondern drei kleine Meilen vom Kloster gegen
West-Süd-West. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der *Sierra des
Guacharo* zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf,
begleitet von den indianischen Alcaden und den meisten Ordensmännern des
Klosters. Ein schmaler Pfad führte zuerst anderthalb Stunden lang südwärts
über eine lachende, schön beraste Ebene, dann wandten wir uns westwärts an
einem kleinen Flusse hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht drei
Viertelstunden lang aufwärts bald im Wasser, das nicht tief ist, bald
zwischen dem Fluß und einer Felswand, auf sehr schlüpfrigem, morastigem
Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumstämme, über welche die
Maulthiere nur schwer hinüber kommen, die Rankengewächse am Boden machen
dieses Stück des Weges sehr ermüdend. Wir waren überrascht, hier, kaum
500 Toisen über dem Meere, eine Kreuzblüthe zu finden, den _Raphanus
pinnatus_. Man weiß, wie selten Arten dieser Familie unter den Tropen
sind; sie haben gleichsam einen *nordischen Typus*, und auf diesen waren
wir hier auf dem Plateau von Caripe, in so geringer Meereshöhe, nicht
gefaßt.

Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von
der Höhle entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft
durch eine Schlucht, die das Wasser eingegraben, und man geht unter einem
Felsenüberhang, so daß man den Himmel gar nicht sieht. Der Weg schlängelt
sich mit dem Fluß und bei der letzten Biegung steht man auf einmal vor der
ungeheuren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges selbst für
Augen, die mit der malerischen Scenerie der Hochalpen vertraut sind. Ich
hatte damals die Höhlen am Pic von Derbyshire gesehen, wo man, in einem
Rachen ausgestreckt, unter einem zwei Fuß hohen Gewölbe über einen
unterirdischen Fluß setzt. Ich hatte die schöne Höhle von Treshemienshiz
in den Karpathen befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Franken, die
große Grabstätten sind für die Gebeine von Tigern, Hyänen und Bären, die
so groß waren, wie unsere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen
unabänderlichen Gesetzen in der Vertheilung der Gebirgsarten, in der
äußeren Gestaltung der Berge, selbst in den gewaltsamen Veränderungen,
welche die äußere Rinde unseres Planeten erlitten hat. Nach dieser großen
Einförmigkeit konnte ich glauben, die Höhle von Caripe werde im Aussehen
von dem, was ich der Art auf meinen früheren Reisen beobachtet, eben nicht
sehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwartung weit. Wenn
einerseits alle Höhlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der
Stalaktiten, in allem, was die unorganisches Natur betrifft, auffallende
Aehnlichkeit mit einander haben, so gibt andererseits der großartige
tropische Pflanzenwuchs der Mündung eines solchen Erdlochs einen ganz
eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo öffnet sich im senkrechten Profil eines Felsen. Der
Eingang ist nach Süd gekehrt; es ist eine Wölbung achtzig Fuß breit und
siebzig hoch, also bis auf ein Fünftheil so hoch als die Colonnade des
Louvre. Auf dem Fels über der Grotte stehen riesenhafte Bäume. Der Mamei
und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern strecken ihre Aeste
gerade gen Himmel, während die des Courbaril und der Erythrina sich
ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit saftigen
Stengeln, Oxalis und Orchideen von seltsamem Bau [Ein _Dendrobium_ mit
goldgelber, schwarzgefleckter, drei Zoll langer Blüthe] wachsen in den
dürrsten Felsspalten, während vom Winde geschaukelte Rankengewächse sich
vor dem Eingang der Höhle zu Gewinden verschlingen. Wir sahen in diesen
Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum
erstenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Blüthe eine über
vier Zoll lange fleischige Röhre hat. Es ist mit dem Eingang der Höhlen,
wie mit der Ansicht der Wasserfälle; der Hauptreiz besteht in der mehr
oder weniger großartigen Umgebung, die den Charakter der Landschaft
bestimmt. Welcher Contrast zwischen der Cueva de Caripe und den Höhlen im
Norden, die von Eichen und düstern Lerchen beschattet sind!

Aber diese Pflanzenpracht schmückt nicht allein die Außenseite des
Gewölbes, sie dringt sogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erstaunen
sahen wir, daß achtzehn Fuß hohe prächtige Heliconien mit Pisangblättern,
Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die
Erde säumten. Die Vegetation zieht sich in die Höhle von Caripe hinein,
wie in die tiefen Felsspalten in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht
herrscht, und sie hört erst 30–40 Schritte vom Eingang auf. Wir maßen den
Weg mittelst eines Stricks und waren gegen vier hundert dreißig Fuß weit
gegangen, ehe wir nöthig hatten die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht
dringt so weit ein, weil die Höhle nur Einen Gang bildet, der sich in
derselben Richtung von Südost nach Nordwest hineinzieht. Da wo das Licht
zu verschwinden anfängt, hört man das heisere Geschrei der Nachtvögel,
die, wie die Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Räumen zu
Hause sind.

Der Guacharo hat die Größe unserer Hühner, die Stimme der Ziegenmelker und
Procnias, die Gestalt der geierartigen Vögel mit Büscheln steifer Seide um
den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der _Picae_
(Spechte), so ist dieser merkwürdige Vogel unter die _Passeres_ stellen,
deren Gattungen fast unmerklich in einander übergehen. Ich habe ihn im
zweiten Band meiner _Observations de zoologie et d’anatomie comparée_ in
einer eigenen Abhandlung unter dem Namen _Steatornis_ (Fettvogel)
beschrieben. Er bildet eine neue Gattung, die sich von _Caprimulgus_ durch
den Umfang der Stimme, durch den ausnehmend starken mit einem doppelten
Zahn versehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwischen den vorderen
Zehengliedern wesentlich unterscheidet. In der Lebensweise kommt er sowohl
den Ziegenmelkern als den Alpenkrähen [_Corvus Pyrrhocorax_] nahe. Sein
Gefieder ist dunkel graublau, mit kleinen schwarzen Streifen und Tupfen;
Kopf, Flügel und Schwanz zeigen große, weiße, herzförmige, schwarz
gesäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tageslicht nicht
ertragen, sie sind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Flügel
haben 17–18 Schwungfedern und ihre Spannung beträgt 3½ Fuß. Der Guacharo
verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, besonders bei Mondschein. Es ist
so ziemlich der einzige körnerfressende Nachtvogel, den wir bis jetzt
kennen; schon der Bau seiner Füße zeigt, daß er nicht jagt wie unsere
Eulen. Er frißt sehr harte Samen, wie der Nußheher (_Corvus
cariocatactes_) und der _Pyrrhocorax_. Letzterer nistet auch in
Felsspalten und heißt der »Nachtrabe.« Die Indianer behaupten, der
Guacharo gehe weder Insekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Käfern),
noch Nachtschmetterlingen nach, von denen die Ziegenmelker sich nähren.
Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen,
um zu sehen, daß ihre Lebensweise ganz verschieden seyn muß.

Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tausende
dieser Vögel im dunkeln Innern der Höhle machen. Er läßt sich nur mit dem
Geschrei unserer Krähen vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern
gesellig leben und auf Bäumen nisten, deren Gipfel einander berühren. Das
gellende durchdringende Geschrei der Guacharos hallt wider vom Felsgewölbe
und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten
uns die Nester der Vögel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden.
Sie stacken 60–70 Fuß hoch über unsern Köpfen in trichterförmigen Löchern,
von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hinein kommt, je
mehr Vögel das Licht der Copalfackeln aufscheucht, desto stärker wird der
Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von
weither das Klaggeschrei der Vögel, die in andern Zweigen der Höhle
nisteten. Die Banden lösten einander im Schreien ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del
Guacharo und zerstören die meisten Nester. Man schlägt jedesmal mehrere
tausend Vögel todt, wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut
vertheidigen, mit furchtbarem Geschrei den Indianern um die Köpfe fliegen.
Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr
Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht läuft vom
Unterleib zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art
Knopf. Daß körnerfressende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind
und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten
Erfahrungen beim Mästen der Gänse und des Viehs. Man weiß, wie sehr
dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäischen
Nachtvögel sind mager, weil sie nicht wie der Guacharo von Früchten,
sondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der »Fetternte«
(_cosecha de la manteca_), wie man es in Caripe nennt, bauen sich die
Indianer aus Palmblättern Hütten am Eingang und im Vorhof der Höhle. Wir
sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier läßt man das Fett der jungen,
frisch getödteten Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefässe. Dieses
Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder Oel (_manteca_ oder
_aceite_) bekannt; es ist halbflüssig, hell und geruchlos. Es ist so rein,
daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird.
In der Klösterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das
aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speisen irgend einen
unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel, das die Indianer
alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältniß. Man bekommt,
scheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz
reine Manteca; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefässen
aufbewahrt. Dieser Industriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sammeln
des Taubenfetts [Das _pigeon oil_ kommt von der Wandertaube, _Columba
migratoria_.] in Carolina, von dem früher mehrere tausend Fässer gewonnen
wurden. Der Gebrauch des Guacharofetts ist in Caripe uralt und die
Missionare haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer
indianischen Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten Ansiedlern
im Thale abzustammen und als solche rechtmäßige Eigenthümer der Höhle zu
seyn; sie beanspruchen das Monopol des Fetts, aber in Folge der
Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem
System der Missionare haben die Indianer Guacharoöl für das ewige
Kirchenlicht zu liefern; das Uebrige, so behauptet man, wird ihnen
abgekauft. Wir erlauben uns kein Urtheil weder über die Rechtsansprüche
der Morocoymas, noch über den Ursprung der von den Mönchen den Indianern
auferlegten Verpflichtung. Es erschiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd
denen gehörte, die sie anstellen; aber in den Wäldern der neuen Welt, wie
im Schooße der europäischen Cultur, bestimmt sich das öffentliche Recht
darnach, wie sich das Verhaltniß zwischen dem Starken und dem Schwachen,
zwischen dem Eroberer und dem Unterworfenen gestaltet.

Das Geschlecht der Guacharos ware längst ausgerottet, wenn nicht mehrere
Umstände zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen
sich die Indianer selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe
Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu nisten.
Vielleicht bevölkert sich die große Höhle immer wieder mit Colonien,
welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Missionäre
versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar
abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie
lebten da mehrere Tage, ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen gab,
ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und
Magen ausschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die
unter dem seltsamen Namen »Guacharosamen« (_semilla del Guacharo_) ein
vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese
Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfältig und läßt sie den Kranken
in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberstrichen zukommen.

Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entspringt.
Derselbe ist 28–30 Fuß breit. Man verfolgt das Ufer, so lange die Hügel
aus Kalkincrustationen dieß gestatten; oft, wenn sich der Bach zwischen
sehr hohen Stalaktitenmassen durchschlängelt, muß man in das Bette selbst
hinunter, das nur zwei Fuß tief ist. Wir hörten zu unserer Ueberraschung,
diese unterirdische Wasserader sey die Quelle des Rio Caripe, der wenige
Meilen davon, nach seiner Vereinigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria,
für Piroguen schiffbar wird. Am Ufer des unterirdischen Baches fanden wir
eine Menge Palmholz; es sind Ueberbleibsel der Stämme, auf denen die
Indianer zu den Vogelnestern an der Decke der Höhle hinaufsteigen. Die von
den Narben der alten Blattstiele gebildeten Ringe dienen gleichsam als
Sprossen einer aufrecht stehenden Leiter.

Die Höhle von Caripe behält, genau gemessen, auf 472 Meter oder 1458 Fuß
dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfängliche Höhe von 60–70 Fuß.
Ich kenne auf beiden Continenten keine zweite Höhle von so gleichförmiger,
regelmäßiger Gestalt. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß
sie über das vordere Stück hinausgingen, das sie allein jährlich zum
Fettsammeln besuchen. Es brauchte das ganze Ansehen der Patres, um sie bis
zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von
60 Grad ansteigt und der Bach einen kleinen unterirdischen Fall bildet.
Diese von Nachtvögeln bewohnte Höhle ist für die Indianer ein schauerlich
geheimnißvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer
Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder
von der Sonne, *Zis*, noch vom Monde, *Nuna*, beschienen sind. Zu den
Guacharos gehen, heißt so viel, als zu den Vätern versammelt werden,
sterben. Daher nahmen auch die Zauberer, *Piaches*, und die Giftmischer,
*Imorons*, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den
Obersten der bösen Geister, *Ivorokiamo*, zu beschwören. So gleichen sich
unter allen Himmelsstrichen die ältesten Mythen der Völker, vor allen
solche, die sich aus zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt
der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der
Bösen beziehen. Die verschiedensten und darunter die rohesten Sprachen
haben gewisse Bilder mit einander gemein, weil diese unmittelbar aus dem
Wesen unseres Denk- und Empfindungsvermögens fließen. Finsterniß wird
aller Orten mit der Vorstellung des Todes in Verbindung gebracht. Die
Höhle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die
unter kläglichem Geschrei über dem Wasser flattern, mahnen an die
stygischen Vögel.

Da wo der Bach den unterirdischen Fall bildet, stellt sich das dem
Höhleneingang gegenüber liegende, grün bewachsene Gelände ungemein
malerisch dar. Man sieht vom Ende eines geraden, 240 Toisen langen Ganges
daraus hinaus. Die Stalaktiten, die von der Decke herabhängen und in der
Luft schwebenden Säulen gleichen, heben sich von einem grünen Hintergrunde
ab. Die Oeffnung der Höhle erscheint um die Mitte des Tages auffallend
enger als sonst, und wir sahen sie vor uns im glänzenden Lichte, das
Himmel, Gewächse und Gestein zumal widerstrahlen. Das ferne Tageslicht
stach grell ab von der Finsterniß, die uns in diesen unterirdischen Räumen
umgab. Wir hatten unsere Gewehre fast auf Gerathewohl abgeschossen, so oft
wir aus dem Geschrei und dem Flügelschlagen der Nachtvögel schließen
konnten, daß irgendwo recht viele Nester beisammen seyen. Nach mehreren
fruchtlosen Versuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu schießen, die,
vom Fackelschein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich
Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz
unbekannt gewesen war. Wir erkletterten nicht ohne Beschwerde die
Erhöhung, über die der unterirdische Bach herunter kommt. Wir sahen da,
daß die Höhle sich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 40 Fuß hoch ist
und nordostwärts in ihrer ursprünglichen Richtung, parallel mit dem großen
Thale des Caripe, fortstreicht.

In dieser Gegend der Höhle setzt der Bach eine schwärzlichte Erde ab, die
große Aehnlichkeit hat mit dem Stoff, der in der Muggendorfer Höhle in
Franken »Opfererde« heißt. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob diese
feine, schwammigte Erde durch Spalten im Gestein, die mit dem Erdreich
außerhalb in Verbindung stehen, hereinfällt, oder ob sie durch das
Regenwasser, das in die Höhle dringt, hereingeflötzt wird. Es war ein
Gemisch von Kieselerde, Thonerde und vegetabilischem Detritus. Wir gingen
in dickem Koth bis zu einer Stelle, wo uns zu unserer Ueberraschung, eine
unterirdische Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Vögel zum
Futter für ihre Jungen in die Höhle bringen, keimen überall, wo sie auf
die Dammerde fallen, welche die Kalkincrustationen bedeckt. Vergeilte
Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Theil zwei Fuß hoch. Es war
unmöglich, Gewächse, die sich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe
und ganzem Habitus völlig umgewandelt hatten, specifisch zu unterscheiden.
Diese Spuren von Organisation im Schoße der Finsterniß reizten gewaltig
die Neugier der Eingeborenen, die sonst so stumpf und schwer anzuregen
sind. Sie betrachteten sie mit stillem, nachdenklichem Ernst, wie er sich
an einem Orte ziemte, der für sie solche Schauer hat. Diese unterirdischen
bleichen, formlosen Gewächse mochten ihnen wie Gespenster erscheinen, die
vom Erdboden hieher gebannt waren. Mich aber erinnerten sie an eine der
glücklichsten Zeiten meiner frühen Jugend, an einen langen Aufenthalt in
den Freiberger Erzgruben, wo ich über das Vergeilen der Pflanzen Versuche
anstellte, die sehr verschieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war
oder viel Wasserstoff und Stickstoff enthielt.

Mit aller ihrer Autorität konnten die Missionäre die Indianer nicht
vermögen, noch weiter in die Höhle hinein zu gehen. Je mehr die Decke sich
senkte, desto gellender wurde das Geschrei der Guacharos. Wir mußten uns
der Feigheit unserer Führer gefangen geben und umkehren. Man sah auch
überall so ziemlich das Nämliche. Ein Bischof von St. Thomas in Guyana
scheint weiter gekommen zu seyn als wir; er hatte vom Eingang bis zum
Punkt, wo er Halt machte, 2500 Fuß gemessen, und die Höhle lief noch
weiter sort. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat sich im Kloster Caripe
erhalten, nur weiß man den Zeitpunkt nicht genau. Der Bischof hatte sich
mit dicken Kerzen aus weißem spanischem Wachs versehen; wir hatten nur
Fackeln aus Baumrinde und einheimischem Harz. Der dicke Rauch solcher
Fackeln in engem unterirdischem Raum thut den Augen weh und macht das
Athmen beschwerlich.

Wir gingen dem Bache nach wieder zur Höhle hinaus. Ehe unsere Augen vom
Tageslicht geblendet wurden, sahen wir vor der Höhle draußen das Wasser
durch das Laub der Bäume glänzen. Es war, als stünde weit weg ein Gemälde
vor uns und die Oeffnung der Höhle wäre der Rahmen dazu. Als wir endlich
heraus waren, setzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der
Anstrengung aus. Wir waren froh, daß wir das heisere Geschrei der Vögel
nicht mehr hörten und einen Ort hinter uns hatten, wo sich mit der
Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und Stille paart. Wir
konnten es kaum glauben, daß der Name der Höhle von Caripe bis jetzt in
Europa völlig unbekannt gewesen seyn sollte. Schon wegen der Guacharos
hätte sie berühmt werden sollen; denn außer den Bergen von Caripe und
Cumanacoa hat man diese Nachtvögel bis jetzt nirgends angetroffen.

Die Missionäre hatten am Eingang der Höhle ein Mahl zurichten lassen.
Pisang- und Bijaoblätter, die seidenartig glänzen, dienten uns, nach
Landessitte als Tischtuch. Wir wurden trefflich bewirthet, sogar mit
geschichtlichen Erinnerungen die so selten sind in Ländern, wo die
Geschlechter einander ablösten, ohne eine Spur ihres Daseyns zu
hinterlassen. Wohlgefällig erzählten uns unsere Wirthe, die ersten
Ordensleute, die in diese Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria
zu gründen, haben einen Monat lang in der Höhle hier gelebt und auf einem
Stein bei Fackellicht das heilige Meßopfer gefeiert. Die Missionäre hatten
am einsamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Häuptlings der
Tuapocans, der am Ufer des Rio Caripe sein Lager aufgeschlagen.

So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco
erkundigten, wir hörten nie, daß man in der Höhle des Guacharo je Knochen
von Fleischfressern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfressern gefunden
hätte, wie sie in den Höhlen Deutschlands und Ungarns oder in den Spalten
des Kalksteins bei Gibraltar vorkommen. Die fossilen Knochen der
Megatherien, Elephanten und Mastodonten, welche Reisende aus Südamerika
mitgebracht, gehören sämmtlich dem ausgeschwemmten Land in den Thälern und
auf hohen Plateans an. Mit Ausnahme des Megalonyx,(54) eines Faulthiers
von der Größe eines Ochsen, das Jefferson beschrieben, kenne ich bis jetzt
auch nicht Einen Fall, daß in einer Höhle der neuen Welt ein Thierskelett
gefunden worden wäre. Daß diese zoologische Erscheinung hier so ausnehmend
selten ist, erscheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, daß es in
Frankreich, England und Italien auch eine Menge Höhlen gibt, in denen man
nie eine Spur von fossilen Knochen entdeckt hat.

Die interessanteste Beobachtung, welche der Physiker in den Höhlen
anstellen kann, ist die genaue Bestimmung ihrer Temperatur. Die Höhle von
Caripe liegt ungefähr unter 10° 10’ der Breite, also mitten im heißen
Erdgürtel, und 506 Toisen über dem Spiegel des Wassers im Meerbusen von
Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft im Innern
durchaus zwischen 18°,4 und 18°,9 der hunderttheiligen Scale. Die äußere
Luft hatte 16°,2. Beim Eingang der Höhle zeigte der Thermometer an der
Luft 17°,6, aber im Wasser des unterirdischen Bachs bis hinten in der
Höhle 16°,8. Diese Beobachtungen sind von großer Bedeutung, wenn man ins
Auge faßt, wie sich zwischen Wasser, Luft und Boden die Wärme ins
Gleichgewicht zu setzen strebt. Ehe ich Europa verließ, beklagten sich die
Physiker noch, daß man so wenig Anhaltspunkte habe, um zu bestimmen, was
man ein wenig hochtrabend *die Temperatur des Erdinnern* heißt, und erst
in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolg an der Lösung dieses großen
Problems der unterirdischen Meteorologie gearbeitet. Nur die
Steinschichten, welche die Rinde unseres Planeten bilden, sind der
unmittelbaren Forschung zugänglich, und man weiß jetzt, daß die mittlere
Temperatur dieser Schichten sich nicht nur nach der Breite und der
Meereshöhe verändert, sondern daß sie auch je nach der Lage des Orts im
Verlauf des Jahrs regelmäßige Schwingungen um die mittlere Temperatur der
benachbarten Luft beschreibt. Die Zeit ist schon fern, wo man sich
wunderte, wenn man in andern Himmelsstrichen in Höhlen und Brunnen eine
andere Temperatur beobachtete, als in den Kellern der Pariser Sternwarte.
Dasselbe Instrument, das in diesen Kellern 12 Grad zeigt, steigt in
unterirdischen Räumen auf Madera bei Funchal aus 16°,2, im
St. Josephsbrunnen in Cairo auf 21°,2, in den Grotten der Insel Cuba auf
22–23 Grad. Diese Zunahme ist ungefähr proportional der Zunahme der
mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis.

Wir haben eben gesehen, daß in der Höhle des Guacharo das Wasser des
Baches gegen 2 Grad kühler ist als die umgebende Luft im unterirdischen
Raum. Das Wasser, ob es nun durch das Gestein sickert oder über ein
steinigtes Bette fließt, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Gesteins
oder des Bettes an. Die Luft in der Höhle dagegen steht nicht still, sie
communicirt mit der Atmosphäre draußen. Und wenn nun auch in der heißen
Zone die Schwankungen in der äußern Temperatur sehr unbedeutend sind, so
bilden sich dennoch Strömungen, durch welche die Luftwärme im Innern
periodische Veränderungen erleidet. Demnach könnte man die Temperatur des
Wassers, also 16°,8, als die Bodentemperatur in diesen Bergen betrachten,
wenn man sicher wäre, daß das Wasser nicht rasch von benachbarten höheren
Bergen herabkommt.

Aus diesen Betrachtungen folgt, daß, wenn man auch keine ganz genauen
Resultate erhält, sich doch in jeder Zone *Grenzzahlen* auffinden lassen.
In Caripe, unter den Tropen, ist in 500 Toisen Meereshöhe die mittlere
Temperatur der Erde nicht unter 16°,8; dieß geht aus der Messung der
Temperatur des unterirdischen Wassers hervor. So läßt sich nun aber auch
beweisen, daß diese Temperatur des Bodens nicht höher seyn kann als 19°,
weil die Luft in der Höhle im September 18°,7 zeigt. Da die mittlere
Luftwärme im heißesten Monat 19°,5 nicht übersteigt, so würde man sehr
wahrscheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der
Höhle über 19° steigen sehen. Diese Ergebnisse, wie so manche andere, die
wir in dieser Reisebeschreibung mittheilen, mögen für sich betrachtet von
geringem Belang scheinen; vergleicht man sie aber mit den kürzlich von
Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarcirkel angestellten
Beobachtungen, so verbreiten sie Licht über den Haushalt der Natur im
Großen und über den beständigen Wärmeaustausch zwischen Luft und Boden zu
Herstellung des Gleichgewichts. Es ist kein Zweifel mehr, daß in Lappland
die feste Erdrinde eine um 3 bis 4 Grad *höhere* mittlere Temperatur hat
als die Luft. Bringt die Kälte, welche in den Tiefen des tropischen Meeres
in Folge der Polarströme fortwährend herrscht, im heißen Erdstrich eine
merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Ist diese
Temperatur dort *niedriger* als die der Luft? Das wollen wir in der Folge
untersuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Cordilleren mehr
Beobachtungen zusammengebracht haben werden.

                            ------------------



   53 Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines
      Geistlichen stehen, nennt man in den spanischen Colonien *Mission*
      auch die jungen Mönche, die mit einander aus einem spanischen Hafen
      abgehen, um in der neuen Welt oder auf den Philippinen die
      Niederlassungen der Ordensgeistlichen zu ergänzen. Daher der
      Ausdruck: »in Cadix eine neue *Mission* holen.«

   54 Der Megalonyx wurde in den Höhlen von Green-Briar in Virginien
      gefunden, 1500 Meilen vom Megatherium, dem er sehr nahe steht und
      das so groß war wie ein Nashorn.



ACHTES KAPITEL


      Abreise von Caripe. — Berg und Wald Santa Maria. — Die Mission
                      Catuaro. — Hafen von Cariaco.


Rasch verflossen uns die Tage, die wir im Kapuzinerkloster in den Bergen
von Caripe zubrachten, und doch war unser Leben so einfach als einförmig.
Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht streiften wir durch die
benachbarten Wälder und Berge, um Pflanzen zu sammeln, deren wir nie genug
beisammen haben konnten. Konnten wir des starken Regens wegen nicht weit
hinaus, so besuchten wir die Hütten der Indianer, den Gemeinde-Conuco oder
die Versammlungen, in denen die Alcaden jeden Abend die Arbeiten für den
folgenden Tag austheilen. Wir kehrten erst ins Kloster zurück, wenn uns
die Glocke ins Refectorium an den Tisch der Missionäre rief. Zuweilen
gingen wir mit ihnen früh Morgens in die Kirche, um der »_Doctrina_«
beizuwohnen, das heißt dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es ist
ein zum wenigsten sehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten über Dogmen
zu verhandeln, zumal wenn sie des Spanischen nur in geringem Grade mächtig
sind. Andererseits verstehen gegenwärtig die Ordensleute von der Sprache
der Chaymas so gut wie nichts, und die Aehnlichkeit gewisser Laute
verwirrt den armen Indianern die Köpfe so sehr, daß sie sich die
wunderlichsten Vorstellungen machen. Ich gebe nur Ein Beispiel. Wir sahen
eines Tags, wie sich der Missionär große Mühe gab, darzuthun, daß
_infierno_ die Hölle, und _invierno_ der Winter, nicht dasselbe Ding
seyen, sondern so verschieden wie Hitze und Frost. Die Chaymas kennen
keinen andern Winter als die Regenzeit, und unter der »Hölle der Weißen«
dachten sie sich einen Ort, wo die Bösen furchtbaren Regengüssen
ausgesetzt seyen. Der Missionär verlor die Geduld, aber es half Alles
nichts: der erste Eindruck, den zwei ähnliche Consonanten hervorgebracht,
war nicht mehr zu verwischen; im Kopfe der Neophyten waren die
Vorstellungen Regen und Hölle, _invierno_ und _infierno_, nicht mehr aus
einander zu bringen.

Nachdem wir fast den ganzen Tag im Freien zugebracht, schrieben wir Abends
im Kloster unsere Beobachtungen und Bemerkungen nieder, trockneten unsere
Pflanzen und zeichneten die, welche nach unserer Ansicht neue Gattungen
bildeten. Die Mönche ließen uns volle Freiheit und wir denken mit
Vergnügen an einen Aufenthalt zurück, der so angenehm als für unser
Unternehmen förderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal,
wo die Wälder ungeheure Wassermassen an die Luft abgeben, astronomischen
Beobachtungen nicht günstig. Ich blieb Nachts oft lange auf, um den
Augenblick zu benützen, wo sich ein Stern vor seinem Durchgang durch den
Meridian zwischen den Wolken zeigen würde. Oft zitterte ich vor Frost,
obgleich der Thermometer nie unter 16 Grad fiel. Es ist dieß in unserem
Klima die Tagestemperatur gegen Ende Septembers. Die Instrumente blieben
mehrere Stunden im Klosterhof aufgestellt, und fast immer harrte ich
vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Fomahaults und Denebs im Schwan
ergaben für Caripe 10° 10’ 14" Breite, wornach es auf der Karte von Caulin
um 18’, auf der von Arrowsmith um 14’ unrichtig eingezeichnet ist.

Der Verdruß, daß der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der
einzige, den wir im Thal von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit,
Schwermuth und Lieblichkeit, beides zusammen ist der Charakter der
Landschaft. Inmitten einer so gewaltigen Natur herrscht in unserm Innern
nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einsamkeit dieser Berge wundert
man sich weniger über die neuen Eindrücke, die man bei jedem Schritte
erhält, als darüber, daß die verschiedensten Klimate so viele Züge mit
einander gemein haben. Auf den Hügeln, an die das Kloster sich lehnt,
stehen Palmen und Baumfarn; Abends, wenn der Himmel auf Regen deutet,
schallt das eintönige Geheul der rothen Brüllaffen durch die Luft, das dem
fernen Brausen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieser unbekannten
Töne, dieser fremdartigen Gestalten der Gewächse, all dieser Wunder einer
neuen Welt, läßt doch die Natur den Menschen aller Orten eine Stimme
hören, die in vertrauten Lauten zu ihm spricht. Der Rasen am Boden, das
alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln, der Bach, der über die
geneigten Kalksteinschichten niederstürzt, das harmonische Farbenspiel von
Wasser, Grün und Himmel, Alles ruft dem Reisenden wohlbekannte
Empfindungen zurück.

Die Naturschönheiten dieser Berge nahmen uns völlig in Anspruch, und so
wurden wir erst am Ende gewahr, daß wir den guten gastfreundlichen Mönchen
zur Last fielen. Ihr Vorrath von Wein und Weizenbrod war nur gering, und
wenn auch der eine wie das andere dort zu Lande bei Tisch nur als
Luxusartikel gelten, so machte es uns doch sehr verlegen, daß unsere
Wirthe sie sich selbst versagten. Bereits war unsere Brodration auf ein
Viertheil herabgekommen, und doch nöthigte uns der furchtbare Regen,
unsere Abreise noch einige Tage zu verschieben. Wie unendlich lang kam uns
dieser Aufschub vor! wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins
Refectorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft
empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reisenden, die
darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den coptischen Klöstern
Ober-Egyptens ihren Mundvorrath entwendet.

Endlich am 22. September brachen wir auf mit vier Maulthieren, die unsere
Instrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöstlichen Abhang der
Kalkalpen von Neu-Andalusien, die wir als die große Kette des Brigantin
und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieser Kette beträgt
nicht leicht über 6–700 Toisen, und sie läßt sich in dieser wie in
geologischer Hinsicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von
Cumana nicht sehr hoch sind, so ist der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch
sehr beschwerlich, ja sogar gefährlich. Besonders berüchtigt ist in dieser
Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Missionäre hinauf müssen,
wenn sie sich von Cumana in ihr Kloster Caripe begeben. Oft, wenn wir
diese Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, dir wir nach
einander besucht, verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der
geringsten Meereshöhe nicht selten die unzugänglichsten sind.

Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerst über eine
Hügelkette, die nordostwärts vom Kloster liegt. Der Weg führte immer
bergan über eine weite Savane auf die Hochebene *Guardia de San Augustin*.
Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer
trug; wir befanden uns in 533 Toisen absoluter Höhe, etwas höher als der
Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Savanen oder natürlichen Wiesen,
die den Klosterkühen eine treffliche Weide bieten, sind völlig ohne Baum
und Buschwerk. Es ist dieß das eigentliche Bereich der Monocothyledonen,
denn aus dem Grase erhebt sich nur da und dort eine Agave [_Agave
americana_] (Maguey), deren Blüthenschaft über 26 Fuß hoch wird. Auf der
Hochebene von Guardia sahen wir uns wie auf einen alten, vom langen
Aufenthalt des Wassers wagrecht geebneten Seeboden versetzt, Man meint
noch die Krümmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorspringenden
Landzungen, die steilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf diesen
früheren Zustand scheint selbst die Vertheilung der Gewächse hinzudeuten.
Der Boden des Beckens ist eine Savane, während die Ränder mit
hochstämmigen Bäumen bewachsen sind. Es ist wahrscheinlich das höchst
gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern,
daß ein Landstrich, wo man eines gemäßigten Klimas genießt, und der sich
ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, völlig unbewohnt ist.

Von dieser Ebene geht es fortwährend abwärts bis zum indianischen Dorf
Santa Cruz. Man kommt zuerst über einen jähen, glatten Abhang, den die
Missionäre seltsamerweise das *Fegefeuer* nennen. Er besteht aus
verwittertem, mit Thon bedecktem Schiefersandstein und die Böschung
scheint furchtbar steil; denn in Folge einer sehr gewöhnlichen optischen
Täuschung scheint der Weg, wenn man oben auf der Anhöhe hinunter sieht,
unter einem Winkel von mehr als 60 Grad geneigt. Beim Hinabsteigen nähern
die Maulthiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, senken das Kreuz und
rutschen auf Gerathewohl hinab. Der Reiter hat nichts zu befahren, wenn er
nur den Zügel fahren läßt und dem Thiere keinerlei Zwang anthut. An diesem
Punkte sieht man zur Linken die große Pyramide des Guacharo. Dieser
Kalksteinkegel nimmt sich sehr malerisch aus, man verliert ihn aber bald
wieder aus dem Gesicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem
Namen *Montana de Santa Maria* bekannt ist. Es geht nun sieben Stunden
lang in einem fort abwärts, und kaum kann man sich einen entsetzlicheren
Weg denken; es ist ein eigentlicher _chemin des échelles,_ eine Art
Schlucht, in der während der Regenzeit die wilden Wasser von Fels zu Fels
abwärts stürzen. Die Stufen sind zwei bis drei Fuß hoch, und die armen
Lastthiere messen erst den Raum ab, der erforderlich ist, um die Ladung
zwischen den Baumstämmen durchzubringen, und springen dann von einem
Felsblock auf den andern. Aus Besorgniß, einen Fehltritt zu thun, bleiben
sie eine Weile stehen, als wollten sie die Stelle untersuchen, und
schieben die vier Beine zusammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Thier
den nächsten Steinblock, so sinkt es bis zum halben Leib in den weichen,
ockerhaltigen Thon, der die Zwischenräume der Steine ausfüllt. Wo diese
fehlen, finden Menschen- und Thierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln.
Dieselben sind oft zwanzig Zoll dick und gehen nicht selten hoch über dem
Boden vom Stamme ab. Die Creolen vertrauen der Gewandtheit und dem
glücklichen Instinkt der Maulthiere so sehr, daß sie auf dem langen,
gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir stiegen lieber ab, da wir
Anstrengung weniger scheuten, als jene, und gewöhnt waren langsam vorwärts
zu kommen, weil wir immer Pflanzen sammelten und die Gebirgsarten
untersuchten. Da unser Chronometer so schonend behandelt werden mußte,
blieb uns nicht einmal eine Wahl.

Der Wald, der den steilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, ist
einer der dichtesten, die ich je gesehen. Die Bäume sind wirklich
ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten, dunkelgrünen Laub herrscht
beständig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unsern Tannen-,
Eichen- und Buchenwäldern. Es ist als könnte die Luft trotz der hohen
Temperatur nicht all das Wasser aufnehmen, das der Boden, das Laub der
Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und andern
Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünsten. Zu den aromatischen Gerüchen,
welche Blüthen, Früchte, sogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie
man ihn bei uns im Herbst bei nebligtem Wetter spürt. Wie in den Wäldern
am Orinoco sieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge faßt,
häufig Dunststreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen durch die
dicke Lust dringen. Unter den majestätischen Bäumen, die 120 bis 130 Fuß
hoch werden, machten uns die Führer auf den *Curucay* von Terecen
aufmerksam, der ein weißlichtes, flüssiges, starkriechendes Harz gibt. Die
indianischen Völkerschaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einst
damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber
etwas zusammenziehenden Geschmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 9
und 10 Fuß dicken Hymenäastämmen nahmen unsere Aufmerksamkeit am meisten
in Anspruch: das Drachenblut (_Croton sanguifluum_), dessen purpurbrauner
Saft an der weißen Rinde herabfließt; der Farn *Calahuala*, der nicht
derselbe ist wie der in Peru, aber fast eben so heilkräftig, und die
Irasse-, Macanilla-, Corozo- und Pragapalmen. Letztere gibt einen sehr
schmackhaften »Palmkohl,« den wir im Kloster Caripe zuweilen gegessen. Von
diesen Palmen mit gefiederten, stachligten Blättern stachen die Baumfarn
äußerst angenehm ab. Einer derselben, _Cyathea speciosa_ wird über 35 Fuß
hoch, eine ungeheure Größe für ein Gewächs aus dieser Familie. Wir fanden
hier und im Thal von Caripe fünf neue Arten Baumfarn; zu Linnés Zeit
kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Continenten.

Man bemerkt, daß die Baumfarn im Allgemeinen weit seltener sind als die
Palmen. Die Natur hat ihnen gemäßigte, feuchte, schattige Standorte
angewiesen. Sie scheuen den unmittelbaren Sonnenstrahl, und während der
Pumos, die Corypha der Steppen und andere amerikanische Palmenarten die
kahlen, glühend heißen Ebenen aussuchen, bleiben die Farn mit Baumstämmen,
die von weitem wie Palmen aussehen, dem ganzen Wesen cryptogamer Gewächse
treu. Sie lieben versteckte Plätze, das Dämmerlicht, eine feuchte,
gemäßigte, stockende Luft. Wohl gehen sie hie und da bis zur Küste hinab,
aber dann nur im Schutze dichten Schattens.

Dem Fuße des Berges von Santa Maria zu wurden die Baumfarn immer seltener,
die Palmen häufiger. Die schönen Schmetterlinge mit großen Flügeln, die
Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten sich: Alles deutete darauf,
daß wir nicht mehr weit von der Küste und einem Landstrich waren, wo die
mittlere Tagestemperatur 28–30 Grad der hunderttheiligen Scale beträgt.

Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Güsse, bei denen zuweilen
1 bis 1,3 Zoll Regen an Einem Tage fällt. Die Sonne beschien hin und
wieder die Baumwipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geschützt waren,
erstickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne,
die Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirgs, und das klägliche
Geheul der Araguatos, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang so oft gehört
hatten, verkündete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum
erstenmal Gelegenheit, diese Heulaffen in der Nähe zu sehen. Sie gehören
zur Gattung _Alouate_ (_Stentor_, Geoffroy), deren verschiedene Arten von
den Zoologen lange verwechselt worden sind. Während die kleinen
amerikanischen Sapajus, die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches, dünnes
Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen, den Alouaten und
Marimondas, ans einer großen Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat sechs
Taschen, in denen sich die Stimme fängt, und wovon zwei,
taubennestförmige, große Aehnlichkeit mit dem untern Kehlkopf der Vögel
haben. Der den Araguatos eigene klägliche Ton entsteht, wenn die Luft
gewaltsam in die knöcherne Trommel einströmt. Ich habe diese den Anatomen
nur sehr unvollständig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und
die Beschreibung nach meiner Rückkehr nach Europa bekannt gemacht
[_Observations de zoologie_]. Bedenkt man, wie groß bei den Alouatos die
Knochenschachtel ist und wie viele Heulaffen in den Wäldern von Cumana und
Guyana auf einem einzigen Baum beisammensitzen, so wundert man sich nicht
mehr so sehr über die Stärke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen.

Der Araguato, bei den Tamanacas-Indianern Aravata, bei den Maypures Marave
genannt, gleicht einem jungen Bären. Er ist vom Scheitel des kleinen,
stark zugespitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelschwanzes drei Fuß
lang; sein Pelz ist dicht und rothbraun von Farbe; auch Brust und Bauch
sind schön behaart, nicht nackt wie beim _Mono colorado_ oder Büffons
_Alouate roux_ den wir auf dem Wege von Carthagena nach Santa-Fe de Bogota
genau beobachtet haben. Das Gesicht des Araguato ist blauschwarz, die Haut
desselben fein und gefaltet. Der Bart ist ziemlich lang, und trotz seines
kleinen Gesichtswinkels von nur 30 Grad hat er in Blick und
Gesichtsausdruck so viel Menschenähnliches als die Marimonda (_Simia
Belzebuth_) und der Kapuziner am Orinoco (_S. chiropotes_). Bei den
Tausenden von Araguatos, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und
Guyana zu Gesicht gekommen, haben wir nie weder an einzelnen Exemplaren,
noch an ganzen Banden einen Wechsel im Rothbraun des Pelzes an Rücken und
Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterschiedene Spielarten schienen
mir überhaupt bei den Affen nicht so häufig zu seyn, als die Zoologen
annehmen, und bei den gesellig lebenden Arten sind sie vollends sehr
selten.

Der Araguato bei Caripe ist eine neue Art der Gattung _Stentor_, die ich
unter dem Namen _Simia ursina_ bekannt gemacht habe. Ich habe ihn lieber
so benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar desto mehr, da die
Griechen bereits einen stark behaarten Affen unter dem Namen
_Arctopithekos_ kannten. Derselbe unterscheidet sich sowohl vom Uarino
(_Simia Guariba_) als vom _Alouate roux_ (_S. Seniculus_). Blick, Stimme,
Gang, Alles an ihm ist trübselig. Ich habe ganz junge Araguatos gesehen,
die in den Hütten der Indianer aufgezogen wurden; sie spielen nie wie die
kleinen Sagoins, und Lopez del Gomara schildert zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts ihr ernstes Wesen sehr naiv, wenn er sagt: »*Der Aranata de
los Cumaneses* hat ein Menschengesicht, einen Ziegenbart und eine
gravitätische Haltung (_honrado gesto_).« Ich habe anderswo die Bemerkung
gemacht, daß die Affen desto trübseliger sind, je mehr Menschenähnlichkeit
sie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr sich die
Geisteskräfte bei ihnen zu entwickeln scheinen.

Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzusehen, wie sie zu dreißig,
vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verschlungenen wagrechten
Aesten über den Weg zogen. Während dieses neue Schauspiel uns ganz in
Anspruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von
Caripe zuzogen. Sie waren völlig nackt, wie meistens die Eingeborenen hier
zu Lande. Die ziemlich schwer beladenen Weiber schlossen den Zug; die
Männer, sogar die kleinsten Jungen, waren alle mit Bogen und Pfeilen
bewaffnet. Sie zogen still, die Augen am Boden, ihres Wegs. Wir hätten
gerne von ihnen erfahren, ob es noch weit nach der Mission Santa Cruz sey,
wo wir übernachten wollten. Wir waren völlig erschöpft und der Durst
quälte uns furchtbar. Die Hitze wurde drückender, je näher das Gewitter
kam, und wir hatten auf unserem Weg keine Quelle gefunden, um den Durst zu
löschen. Da die Indianer uns immer _si Padre, no Padre_ zur Antwort gaben,
meinten wir, sie verstehen ein wenig Spanisch. In den Augen der
Eingeborenen ist jeder Weiße ein Mönch, ein Pater; denn in den Missionen
zeichnet sich der Geistliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe
des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch
sey, zusetzten, sie erwiederten offenbar auf gerathewohl _si_ oder _no_,
und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Dieß war uns um so
verdrießlicher, da ihr Lächeln und ihr Geberdenspiel verriethen, daß sie
uns gerne gefällig gewesen wären, und der Wald immer dichter zu werden
schien. Wir mußten uns trennen; die indianischen Führer, welche die
Chaymassprache verstanden, waren noch weit zurück, da die beladenen
Maulthiere bei jedem Schritt in den Schluchten stürzten.

Nach mehreren Stunden beständig abwärts über zerstreute Felsblöcke sahen
wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge
reichte, lag eine Grasflur vor uns, die sich in der Regenzeit frisch
begrünt hatte. Links sahen wir in ein enges Thal hinein, das sich dem
Guacharogebirge zuzieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt ist.
Der Blick streifte über die Baumwipfel weg, die 800 Fuß tief unter dem Weg
sich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die
Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der
zierlichen Gestalt und den gefiederten Blättern Praga- und Irassepalmen
erkannten. Vollends malerisch wird die Landschaft dadurch, daß die Sierra
del Guacharo vor einem liegt. Ihr nördlicher, dem Meerbusen von Cariaco
zugekehrter Abhang ist steil und bildet eine Felsmauer, ein fast
senkrechtes Profil, über dreitausend Fuß hoch. Diese Wand ist so schwach
bewachsen, daß man die Linien der Kalkschichten mit dem Auge verfolgen
kann. Der Gipfel der Sierra ist abgeplattet und nur am Ostende erhebt
sich, gleich einer geneigten Pyramide, der majestätische Pic Guacharo.
Seine Gestalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen
(Schreckhörner, Finsteraarhorn). Da die meisten Berge mit steilem Abhang
höher scheinen, als sie wirklich sind, so ist es nicht zu verwundern, daß
man in den Missionen der Meinung ist, der Guacharo überrage den
Turimiquiri und den Brigantin.

Die Savane, über die wir zum indianischen Dorfe Santa Cruz zogen, besteht
aus mehreren sehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke über einander
liegen. Diese geologische Erscheinung, die in allen Erdstrichen vorkommt,
scheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Wasserbecken übereinander
lagen und sich in einander ergossen. Der Kalkstein geht nicht mehr zu Tage
aus; er ist mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde
von Santa Maria zum letztenmale sahen, fanden wir Nester von Eisenerz
darin, und, wenn wir recht gesehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns
aber nicht, es loszubrechen. Es maß sieben Zoll im Durchmesser. Diese
Beobachtung ist um so interessanter, als wir sonst in diesem Theile von
Südamerika nirgends einen Ammoniten gesehen haben. Die Mission Santa Cruz
liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daselbst an, halb
verdurstet, da wir fast acht Stunden kein Wasser gehabt hatten. Der
Thermometer zeigte 26 Grad; wir waren auch nur noch 190 Toisen über dem
Meer. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man »Häuser des
Königs« nennt, und die, wie schon oben bemerkt, den Reisenden als *Tombo*
oder Caravanserai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung
zu denken, und wir setzten des andern Tags, 23. September, unsern Weg zum
Meerbusen von Cariaco hinunter fort. Jenseits Santa Cruz fängt der dichte
Wald von Neuem an. Wir fanden daselbst unter Melastomenbüschen einen
schönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der
Polypodiaceen eine neue Gattung (_Polybotria_) bildet.

Von der Mission Catuaro aus wollten wir ostwärts über Santa Rosalia,
Casanay, San Josef, Carupano, Rio-Carives und den Berg Paria gehen,
erfuhren aber zu unserern großen Verdruß, daß der starke Regen die Wege
bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unsere frisch
gesammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Cacaopflanzer sollte uns
von Santa Rosalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu
rechter Zeit gehört, daß er in Geschäften nach Cumana müsse. So
beschlossen wir denn, uns in Cariaco einzuschiffen und gerade über den
Meerbusen, statt zwischen der Insel Margarita und der Landenge Araya
durch, nach Cumana zurückzufahren.

Die Mission Catuaro liegt in ungemein wilder Umgebung. Hochstämmige Bäume
stehen noch um die Kirche her und die Tiger fressen bei Nacht den
Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geistlichen, einem
Mönche von der Congregation der Observanten, dem die Kapuziner die Mission
übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein
Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, fast übertrieben lebhafter
Mann; er unterhielt uns beständig von dem Proceß, den er mit dem Gardian
seines Klosters führte, von der Feindschaft seiner Ordensbrüder, von der
Ungerechtigkeit der Alcaden, die ihn ohne Rücksicht auf seine
Standesvorrechte ins Gefängniß geworfen. Trotz dieser Abenteuer war ihm
leider die Liebhaberei geblieben, sich mit metaphysischen Fragen, wie er
es nannte, zu befassen. Er wollte meine Ansicht hören über den freien
Willen, über die Mittel, die Geister von ihren Körperbanden frei zu
machen, besonders aber über die Thierseelen, lauter Dinge, über die er die
seltsamsten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit sich durch Wälder
durchgearbeitet hat, ist man zu Spekulationen der Art wenig aufgelegt.
Uebrigens war in der kleinen Mission Catuaro Alles ungewöhnlich, sogar das
Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen
Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Behörden Anlaß gegeben. Dem
Gardian der Kapuziner schien es zu vornehm für einen Missionär und er
hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter
hatte kräftige Einsprache gethan und auch seinen Willen gegen die Mönche
durchgesetzt. Ich erwähne dergleichen an sich unbedeutende Vorfälle nur,
weil sie einen Blick in die innere Verwaltung der Missionen werfen lassen,
die keineswegs immer so friedlich ist, als man in Europa glaubt.

Wir trafen in der Mission Catuaro den Corregidor des Distrikts, einen
liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit
ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen sollten. In
diesem wenig betretenen Lande ist die Vegetation in der Regenzeit so
üppig, daß ein Mann zu Pferd auf den schmalen, mit Schlingpflanzen und
verschlungenen Baumästen bedeckten Fußsteigen fast nicht durchkommt. Zu
unserem großen Verdruß wollte der Missionär von Catuaro uns durchaus nach
Cariaco begleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit
seinen Faseleien über die Thierseelen und den menschlichen freien Willen
in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz andern, traurigeren
Gegenstand zu unterhalten. Den Unabhängigkeitsbestrebungen, die im
Jahr 1798 in Caracas beinahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine
große Aufregung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco
vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tod
verurtheilt worden, und unser Wirth, der Seelsorger von Catuaro, ging
jetzt hin, um ihm seinen geistlichen Beistand anzubieten. Wie lang kam uns
der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlassen mußten »über die
Nothwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bösartigkeit der
Schwarzen, über die Segnungen, welche der Race daraus erwachsen, daß sie
als Sklaven unter Christen leben!«

Gegenüber dem »Code noir« der meisten andern Völker, welche Besitzungen in
beiden Indien haben, ist die spanische Gesetzgebung unstreitig sehr mild.
Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in
Verhältnissen, daß die Gerechtigkeit, weit entfernt sie im Leben kräftig
schützen zu können, nicht einmal im Stande ist die Barbareien zu
bestrafen, durch die sie ums Leben kommen. Leitet man eine Untersuchung
ein, so schreibt man den Tod des Sklaven seiner Kränklichkeit zu, dem
heißen, nassen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die
aber gar nicht tief und durchaus nicht gefährlich gewesen. Die bürgerliche
Behörde ist in Allem, was die Haussklaverei angeht, machtlos, und wenn man
rühmt, wie günstig die Gesetze wirken, nach denen die Peitsche die und die
Form haben muß und nur so und so viel Streiche *auf einmal* gegeben werden
dürfen, so ist das reine Täuschung. Leute, die nicht in den Colonien oder
doch nur auf den Antillen gelebt haben, sind meist der Meinung, da es im
Interesse des Herrn liege, daß seine Sklaven ihm erhalten bleiben, müssen
sie desto besser behandelt werden, je weniger ihrer seyen. Aber in Cariaco
selbst, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, tödtete ein Pflanzer,
der nur acht Neger hatte, ihrer sechs durch unmenschliche Hiebe. Er
zerstörte muthwillig den größten Theil seines Vermögens. Zwei der Sklaven
blieben auf der Stelle todt, mit den vier andern, die kräftiger schienen,
schiffte er sich nach dem Hafen von Cumana ein, aber sie starben auf der
Ueberfahrt. Vor dieser abscheulichen That war im selben Jahr eine ähnliche
unter gleich empörenden Umständen begangen worden. Solche furchtbare
Unthaten blieben so gut wie unbestraft; der Geist, der die Gesetze macht,
und der, der sie vollzieht, haben nichts mit einander gemein. Der
Statthalter von Cumana war ein gerechter, menschenfreundlicher Mann; aber
die Rechtsformen sind streng vorgeschrieben und die Gewalt des
Statthalters geht nicht so weit, um Mißbräuche abzustellen, die nun einmal
von jedem europäischen Colonisationssystem untrennbar sind.

Der Weg durch den Wald von Catuaro ist nicht viel anders als der vom Berge
Santa Maria herab; auch sind die schlimmsten Stellen hier eben so
sonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die
Bergwasser ausgespülten, mit feinem, zähem Thon gefüllten Furche dahin.
Bei den jähsten Abhängen senken die Maulthiere das Kreuz und rutschen
hinunter; das nennt man nun *Saca-Manteca*, weil der Koth so weich ist wie
*Butter*. Bei der großen Gewandtheit der einheimischen Maulthiere ist
dieses Hinabgleiten ohne alle Gefahr. Der Weg führt über die Felsschichten
herab, die am Ausgehenden Stufen von verschiedener Höhe bilden, und so ist
es auch hier ein wahrer »chemin des échelles.« Weiterhin, wenn man zum
Wald heraus ist, kommt man zum Berge *Buenavista*. Er verdient den Namen,
denn von hier sieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit
Pflanzungen, Hütten und Gruppen von Cocospalmen bedeckten Ebene. Westwärts
von Cariaco breitet sich der weite Meerbusen aus, den eine Felsmauer vom
Ocean trennt; gegen Ost zeigen sich, gleich blauen Wolken, die hohen
Gebirge von Areo und Paria. Es ist eine der weitesten, prachtvollsten
Aussichten an der Küste von Neu-Andalusien.

Wir fanden in Cariaco einen großen Theil der Einwohner in ihren
Hängematten krank am Wechselfieber. Diese Fieber werden im Herbst bösartig
und gehen in Ruhren über. Bedenkt man, wie außerordentlich fruchtbar und
feucht die Ebene ist, und welch ungeheure Masse von Pflanzenstoff hier
zersetzt wird, so sieht man leicht, warum die Luft hier nicht so gesund
seyn kann wie über dem dürren Boden von Cumana. Nicht leicht finden sich
in der heißen Zone große Fruchtbarkeit des Bodens, häufige, lange dauernde
Wasserniederschläge, eine ungemein üppige Vegetation beisammen, ohne daß
diese Vortheile durch ein Klima ausgewogen würden, das der Gesundheit der
Weißen mehr oder weniger gefährlich wird. Aus denselben Ursachen, welche
den Boden so fruchtbar machen und die Entwicklung der Gewächse
beschleunigen, entwickeln sich auch Gase aus dem Boden, die sich mit der
Luft mischen und sie ungesund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben,
auf die Verknüpfung dieser Erscheinungen zurückzukommen, wenn wir den
Cacaobau und die Ufer des Orinoco beschreiben, wo es Flecke gibt, an denen
sich sogar die Eingeborenen nur schwer acclimatisiren. Im Thale von
Cariaco hängt übrigens die Ungesundheit der Luft nicht allein von den eben
erwähnten allgemeinen Ursachen ab; es machen sich dabei auch lokale
Verhältnisse geltend. Es wird nicht ohne Interesse seyn, den Landstrich,
der die Meerbusen von Cariaco und von Paria von einander trennt, näher zu
betrachten.

Vom Kalkgebirge des Brigantin und Cocollar läuft ein starker Ast nach Nord
und hängt mit dem Urgebirg an der Küste zusammen. Dieser Ast heißt _Sierra
de Meapire_; der Stadt Cariaco zu führt er den Namen _Cerro grande de
Cariaco_. Er schien mir im Durchschnitt nicht über 150–200 Toisen hoch; wo
ich ihn untersuchen konnte, besteht er aus dem Kalkstein des Uferstrichs.
Mergel- und Kalkschichten wechseln mit andern, welche Quarzkörner
enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu seinem besondern Studium
macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgskamm unter
rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, südliche, aus secundären
Gebirgsbildungen besteht, während die andere, nördliche, Urgebirge ist.
Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire sieht man das Gebirge einerseits nach
dem Meerbusen von Paria, andererseits nach dem von Cariaco sich abdachen.
Ostwärts und westwärts vom Kamm liegt ein niedriger, sumpfiger Boden, der
ohne Unterbrechung fortstreicht, und nimmt man an, daß die beiden
Meerbusen dadurch entstanden sind, daß der Boden durch Erdbeben zerrissen
worden ist und sich gesenkt hat, so muß man voraussetzen, daß der Cerro de
Meapire diesen gewaltsamen Erschütterungen widerstanden hat, so daß der
Meerbusen von Paria und der von Cariaco nicht zu Einem verschmelzen
konnten. Wäre dieser Felsdamm nicht da, so bestünde wahrscheinlich auch
die Landenge nicht. Vom Schlosse Araya bis zum Cap Paria würde die ganze
Gebirgsmasse an der Küste eine schmale, Margarita parallel laufende,
viermal längere Insel bilden. Diese Ansichten gründen sich nicht nur auf
unmittelbare Untersuchung des Bodens und die Schlüsse aus der
Reliefbildung desselben; schon ein Blick auf die Umrisse der Küsten und
die geognostische Karte des Landes muß auf dieselben Gedanken bringen. Die
Insel Margarita hat, wie es scheint, früher mit der Küstenkette von Araya
durch die Halbinsel Chacopata und die caraibischen Inseln Lobo und Coche
zusammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar
und von Caripe durch den Gebirgskamm Meapire zusammenhängt.

Im gegenwärtigen Zustand der Dinge sieht man die feuchten Ebenen, die ost-
und westwärts vom Kamm streichen und uneigentlich die Thäler von San
Bonifacio und Cariaco heißen, sich fortwährend in das Meer hinaus
verlängern. Das Meer zieht sich zurück, und diese Verrückung der Küste ist
besonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältnisse des Bodens
darauf hinweisen, daß die Meerbusen von Cariaco und Paria früher einen
weit größeren Umfang hatten, so läßt sich auch nicht in Zweifel ziehen,
daß gegenwärtig das Land sich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im
Jahr 1791 eine Batterie, die sogenannte Bocca, dicht am Meer gebaut, im
Jahr 1799 sahen wir sie weit im Lande liegen. An der Mündung des Rio
Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht sich das Meer noch rascher
zurück. Diese lokale Erscheinung rührt wahrscheinlich von Anschwemmungen
her, deren Zunahmeverhältnisse noch nicht gehörig beobachtet sind.

Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Landenge zwischen den
Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, so kommt man gegen
Ost an den großen Putacuao, der mit dem Rio Areo in Verbindung steht und
4–5 Meilen breit ist. Das Gebirgsland um dieses Becken ist nur den
Eingeborenen bekannt. Hier kommen die großen Boas vor, welche die
Chaymas-Indianer *Guainas* nennen, und denen sie einen Stachel unter dem
Schwanz andichten. Geht man von der Sierra Meapire nach West hinunter, so
betritt man zuerst einen »hohlen Boden« (_tierra hueca_), der bei dem
großen Erdbeben des Jahres 1766 in zähes Erdöl gehüllten Asphalt auswarf;
weiterhin sieht man eine Unzahl warmer, schwefelwasserstoffhaltiger
Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma,
dessen Ausdünstungen zum Theil die Ungesundheit des Klimas von Cariaco
veranlassen. Die Eingeborenen glauben, der Boden sey deßhalb hohl, weil
die warmen Wasser sich hier aufgestaut haben, und nach dem Schall des
Hufschlags scheinen sich die unterirdischen Höhlungen von West nach Ost
bis Casanay, drei bis viertausend Toisen weit zu erstrecken. Ein Flüßchen,
der Rio Azul, läuft durch diese Ebenen. Sie sind zerklüftet in Folge von
Erdbeben, die hier einen besondern Herd haben und sich selten bis Cumana
fortpflanzen. Das Wasser des Rio Azul ist kalt und hell; er entspringt am
westlichen Abhang des Meapire, und man glaubt, er sey deßhalb so stark,
weil das Gewässer des Putacuao-Sees auf der andern Seite des Gebirgszugs
durchsickere. Das Flüßchen und die schwefelwasserstoffhaltigen Quellen
ergießen sich zusammen in die Laguna de Campoma. So heißt ein weites
Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfällt, die
nordwestlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbusens liegen.
Uebelriechende Dünste steigen fortwährend vom stehenden Sumpfwasser auf.
Sie riechen nach Schwefelwasserstoff und zugleich nach faulen Fischen und
zersetzten Vegetabilien.

Die Miasmen bilden sich im Thale von Cariaco gerade wie in der römischen
Campagna; aber durch die tropische Hitze wird ihre verderbliche Kraft
gesteigert. Durch die Lage der Laguna von Campoma wird der Nordwest, der
sehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt
Cariaco höchst gefährlich. Sein Einfluß unterliegt desto weniger einem
Zweifel, da die Wechselfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen
Miasmen ist, immer häufiger in Nervenfieber übergehen. Ganze Familien
freier Neger, die an der Nordküste des Meerbusens von Cariaco kleine
Pflanzungen besitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit siech in ihren
Hängematten. Diese Fieber nehmen den Charakter remittirender bösartiger
Fieber an, wenn man sich, erschöpft von langer Arbeit und starker
Hautansdünstung, dem feinen Regen aussetzt, der gegen Abend häufig fällt.
Die Farbigen, besonders aber die Creolenneger, widerstehen den
klimatischen Einflüssen mehr als irgend ein anderer Menschenschlag. Man
behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von _Scoparia dulcis_,
selten mit Euspare, das heißt mit der Chinarinde von Angostura.

Im Ganzen ist bei den Epidemien in Cariaco die Sterblichkeit geringer, als
man erwarten sollte. Wenn das Wechselfieber mehrere Jahre hinter einander
einen Menschen befällt, so greift es den Körper stark an und bringt ihn
herunter; aber dieser Schwächezustand, der in ungesunden Gegenden so
häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch ist es merkwürdig, daß hier,
wie in der römischen Campagna, der Glaube herrscht, die Luft sey in dem
Maße ungesunder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die
Miasmen, die diesen Ebenen entsteigen, haben indessen nichts gemein mit
jenen, die sich bilden, wenn man einen Wald niederschlägt und nun die
Sonne eine dicke Schicht abgestorbenen Laubs erhitzt; bei Cariaco ist das
Land kahl und sehr sparsam bewaldet. Soll man glauben, daß frisch
ausgewählte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt
als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden bedeckt? Zu
diesen örtlichen Ursachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe
Meeresufer ist mit Manglebäumen, Avicennien und andern Baumarten mit
adstringirender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner sind mit den
schädlichen Ausdünstungen dieser Gewächse bekannt, und man fürchtet sie
desto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Wasser stehen,
sondern abwechselnd naß und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebäume
erzeugen Miasmen, weil sie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen
thierisch-vegetabilischen, an Gerbstoff gebundenen Stoff enthalten. Man
behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meer
zusammenhängt, ließe sich leicht erweitern und so dem stehenden Wasser ein
Abfluß verschaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland häufig betreten,
versichern sogar, der Durchstich brauchte gar nicht tief zu seyn, da das
kalte, klare Wasser des Rio Azul sich auf dem Boden des Sees befindet und
man beim Nachgraben aus den untern Schichten trinkbares, geruchloses
Wasser erhält.

Die Stadt Cariaco ist mehreremale von den Caraiben verheert worden. Die
Bevölkerung hat rasch zugenommen, seit die Provinzialbehörden, den
Verboten des Madrider Hofs zuwider, nicht selten dem Handel mit fremden
Colonien Vorschub geleistet haben. Sie hat sich in zehn Jahren verdoppelt
und betrug im Jahr 1800 über 6000 Seelen. Die Einwohner treiben sehr
fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle ist sehr schön und es werden mehr als
10,000 Centner erzeugt. Die leeren Hülsen der Baumwolle werden sorgsam
verbrannt; wirft man sie in den Fluß, wo sie faulen, so erzeugen sie
Ausdünstungen, die man für schädlich hält. Der Bau des Cacaobaums hat in
letzter Zeit sehr abgenommen. Dieser köstliche Baum trägt erst im achten
bis zehnten Jahr. Die Frucht ist schwer in Magazinen aufzubewahren, und
nach Jahresfrist »geht sie an,« wenn sie noch so sorgfältig getrocknet
worden ist. Dieser Nachtheil ist für den Colonisten von großem Belang. Auf
diesen Küsten ist je nach der Laune eines Ministeriums und dem mehr oder
minder kräftigen Widerstand der Statthalter der Handel mit den Neutralen
bald verboten, bald mit gewissen Beschränkungen gestattet. Die Nachfrage
nach einer Waare und die Preise, die sich nach der Nachfrage bestimmen,
unterliegen daher dem raschesten Wechsel. Der Colonist kann sich diese
Schwankungen nicht zu Nutze machen, weil sich der Cacao in den Magazinen
nicht hält. Die alten Cacaostämme, die meist nur bis zum vierzigsten Jahre
tragen, sind daher nicht durch junge ersetzt worden. Im Jahr 1792 zählte
man ihrer noch 254,000 im Thal von Cariaco und am Ufer des Meerbusens.
Gegenwärtig zieht man andere Culturzweige vor, welche gleich im ersten
Jahr einen Ertrag liefern, und deren Produkte nicht nur nicht so lange aus
sich warten lassen, sondern auch leichter aufzubewahren sind. Solche sind
Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbniß unterliegen wie der Cacao
und sich aufbewahren lassen, so daß man sie im günstigsten Zeitpunkt
losschlagen kann. Die Umwandlungen, die in Folge der fortschreitenden
Cultur und des Verkehrs mit Fremden Sitten und Charakter der
Küstenbewohner erlitten, haben anuch bestimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt
diesem und jenem Culturzweig den Vorzug geben. Jenes Maß in der sinnlichen
Begierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemüthsruhe, welche die
trübselige Eintönigkeit des einsamen Lebens ertragen läßt, verschwinden
nach und nach aus dem Charakter der Hispano-Amerikaner. Sie werden
unternehmender, leichtsinniger, beweglicher und werfen sich mehr auf
Unternehmungen, die einen raschen Ertrag geben.

Nur im Innern der Provinz, ostwärts von der Sierra de Meapire, auf dem
unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum
Meerbusen von Paria entstehen neue Cacaopflanzungen. Sie werden dort desto
einträglicher, je mehr die Luft über dem frisch urbar gemachten, von
Wäldern umgebenen Land stockt, je mehr sie mit Wasser und mephitischen
Dünsten geschwängert ist. Hier leben Familienväter, welche, treu den alten
Sitten der Colonisten, sich und ihren Kindern langsam, aber sicher
Wohlstand erarbeiten. Sie behelfen sich bei ihrer mühsamen Arbeit mit
einem einzigen Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen
die jungen Cacaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume,
beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen die Massen von Würmern und
Insekten, welche Rinde, Blätter und Blüthen anfallen, legen Abzugsgräben
an, und unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis
der Cacaobaum anfängt Ernten zu liefern. Dreißig tausend Stämme sichern
den Wohlstand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die
Baumwolle und den Kaffee der Bau des Cacao in der Provinz Caracas und im
kleinen Thale von Cariaco beschränkt worden ist, so hat dagegen letzterer
Zweig der Colonialindustrie im Innern der Provinzen Neubarcelona und
Cumana zugenommen. Warum die Cacaopflanzungen sich von West nach Ost mehr
und mehr ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die am
frühesten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht ist, desto
baumloser wird es in der heißen Zone, desto dürrer, desto mehr den Winden
ausgesetzt. Dieser Wechsel in der äußern Natur ist dem Gedeihen des
Cacaobaums hinderlich, und deßhalb gehen die Pflanzungen in der Provinz
Caracas ein und häufen sich dafür westwärts auf unberührtem, erst kürzlich
urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neu-Andalusien allein erzeugte im
Jahr 1799 18,000–20,000 Fanegas Cacao (zu 40 Piastern die Fanega in
Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Insel Trinidad geschmuggelt wurden.
Der Cacao von Cumana ist ohne allen Vergleich besser als der von
Guayaquil.

Die in Cariaco herrschenden Fieber nöthigten uns zu unserem Bedauern,
unsern Aufenthalt daselbst abzukürzen. Da wir noch nicht recht
acclimatisirt waren, so riethen uns selbst die Colonisten, an die wir
empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele
Leute kennen, die durch eine gewisse Leichtigkeit des Benehmens, durch
umfassenderen Ideenkreis und, darf ich hinzusetzen, durch entschiedene
Vorliebe für die Regierungssorm der Vereinigten Staaten verriethen, daß
sie viel mit dem Ausland in Verkehr gestanden. Hier hörten wir zum
erstenmal in diesem Himmelsstriche die Namen Franklin und Washington mit
Begeisterung aussprechen. Neben dem Ausdruck dieser Begeisterung bekamen
wir Klagen zu hören über den gegenwärtigen Zustand von Neu-Andalusien,
Schilderungen, oft übertriebene, des natürlichen Reichthums des Landes,
leidenschaftliche, ungeduldige Wünsche für eine bessere Zukunft. Diese
Stimmung mußte einem Reisenden ausfallen, der unmittelbarer Zeuge der
großen politischen Erschütterungen in Europa gewesen war. Noch gab sich
darin nichts Feindseliges, Gewaltsames, keine bestimmte Richtung zu
erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unsicherheit, die, bei den
Völkern wie beim Einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der
voreilig sich entwickeln den Kultur erscheint. Seit die Insel Trinidad
eine englische Colonie geworden ist, hat das ganze östliche Ende der
Provinz Cumana, zumal die Küste von Paria und der Meerbusen dieses Namens
ein ganz anderes Gesicht bekommen. Fremde haben sich da niedergelassen und
den Bau des Kaffeebaums, des Baumwollenstrauchs, des otaheitischen
Zuckerrohrs eingeführt. In Carupano, im schönen Thal des Rio Caribe, in
Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenüber dem Puerto d’Espana
auf Trinidad hat die Bevölkerung sehr stark zugenommen. Im _Golfo triste_
ist der Boden so fruchtbar, daß der Mais jährlich zwei Ernten und das
380ste Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlassungen hat dem Handel mit
fremden Colonien Vorschub geleistet, und seit dem Jahr 1797 ist eine
geistige Umwälzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterland noch
lange nicht verderblich geworden wäre, hätte nicht das Ministerium fort
und fort alle Interessen gekränkt, alle Wünsche mißachtet, Es gibt in den
Streitigkeiten der Colonien mit dem Mutterland, wie fast in allen
Volksbewegnngen, einen Moment, wo die Regierungen, wenn sie nicht über den
Gang der menschlichen Dinge völlig verblendet sind, durch kluge,
fürsichtige Mäßigung das Gleichgewicht herstellen und den Sturm beschwören
können. Lassen sie diesen Zeitpunkt vorübergehen, glauben sie durch
physische Gewalt eine moralische Bewegung niederschlagen zu können, so
gehen die Ereignisse unaufhaltsam ihren Gang und die Trennung der Colonien
erfolgt mit desto verderblicherer Gewaltsamkeit, wenn das Mutterland
während des Streits seine Monopole und seine frühere Gewalt wieder eine
Zeitlang hatte aufrecht erhalten können.

Wir schifften uns Morgens sehr früh ein, in der Hoffnung, die Ueberfahrt
über den Meerbusen von Cariaco in Einem Tage machen zu können. Das Meer
ist hier nicht unruhiger als unsere großen Landseen, wenn sie vom Winde
sanft bewegt werden. Es sind vom Landungsplatz nach Cumana nur zwölf
Seemeilen. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Rücken hatten, gingen wir
westwärts am Flusse Carenicuar hin, der schnurgerade wie ein künstlicher
Kanal durch Gärten und Baumwollenpflanzungen läuft. Der ganze, etwas
sumpfige Boden ist aufs sorgsamste angebaut. Während unseres Aufenthalts
in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen der Kaffeebau eingeführt. Wir
sahen am Flusse indianische Weiber ihr Zeug mit der Frucht des *Parapara*
(_Sapindus saponaria_) waschen. Feine Wäsche soll dadurch sehr mitgenommen
werden. Die Schale der Frucht gibt einen starken Schaum und die Frucht ist
so elastisch, daß sie, wenn man sie auf einen Stein wirft, drei, viermal
sieben bis acht Fuß hoch aufspringt. Da sie kugeligt ist, verfertigt man
Rosenkränze daraus.

Kaum waren wir zu Schiffe, so hatten wir mit widrigen Winden zu kämpfen.
Es regnete in Strömen und ein Gewitter brach in der Nähe aus. Schaaren von
Flamingos, Reihern und Cormorans zogen dem Ufer zu. Nur der Alcatras, eine
große Pelicanart, fischte ruhig mitten im Meerbusen weiter. Wir waren
unser achtzehn Passagiere, und auf der engen, mit Rohzucker,
Pisangbüscheln und Cocosnüssen überladenen Pirogue (Fancha) konnten wir
unsere Instrumente und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des
Fahrzeugs stand kaum über Wasser. Der Meerbusen ist fast überall 45–50
Faden tief, aber am östlichen Ende bei Curaguaca findet das Senkblei fünf
Meilen weit nur 3–4 Faden. Hier liegt der Baxo de la Cotua, eine Sandbank,
die bei der Ebbe als Eiland über Wasser kommt. Die Piroguen, die
Lebensmittel nach Cumana bringeng stranden manchmal daran, aber immer ohne
Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und scholkt. Wir fuhren über
den Strich des Meerbusens, wo auf dem Boden der See heiße Quellen
entspringen. Es war gerade Fluth und daher der Temperaturwechsel weniger
merkbar; auch fuhr unsere Pirogue zu nahe an der Südküste hin. Man sieht
leicht, daß man Wasserschichten von verschiedener Temperatur antreffen
muß, je nachdem die See mehr oder minder tief ist, oder je nachdem die
Strömungen und der Wind die Mischung des warmen Quellwassers und des
Wassers des Golfs befördern. Diese heißen Quellen, die, wie behauptet
wird, auf 10,000–12,000 Quadrattoisen die Temperatur der See erhöhen, sind
eine sehr merkwürdige Erscheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria westwärts
über Irapa, _Aguas calientes_, den Meerbusen von Cariaco, den Brigantin
und die Thäler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, so findet
man auf einer Strecke von mehr als 150 Meilen eine ununterbrochene Reihe
von warmen Quellen.

Der widrige Wind und der Regen nöthigten uns bei Pericantral, einem
kleinen Hofe aus der Südküste des Meerbusens, zu landen. Diese ganze,
schön bewachsene Küste ist fast ganz unbebaut; man zählt kaum
700 Einwohner und außer dem Dorfe Mariguitar sieht man nichts als
Pflanzungen von Cocosbäumen, die die Oelbäume des Landes sind. Diese Palme
wächst in beiden Continenten in einer Zone, wo die mittlere
Jahrestemperatur nicht unter 20° beträgt. Sie ist, wie der Chamärops im
Becken des Mittelmeers, eine wahre »Küstenpalme.« Sie zieht Salzwasser dem
süßen Wasser vor und kommt im Innern des Landes, wo die Luft nicht mit
Salztheilchen geschwängert ist, lange nicht so gut fort als auf den
Küsten. Wenn man in Terra Firma oder in den Missionen am Orinoco
Cocosnußbäume weit von der See pflanzt, wirft man ein starkes Quantum
Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Cocosnüsse gelegt
werden. Unter den Culturgewächsen haben nur noch das Zuckerrohr, der
Bananenbaum, der Mammei und der Avocatier, gleich dem Cocosnußbaum, die
Eigenschaft, daß sie mit süßem oder mit Salzwasser begossen werden können.
Dieser Umstand begünstigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der
Küste gibt zwar einen etwas salzigten Saft, derselbe eignet sich aber, wie
man glaubt, besser zur Branntweindestillation als der Saft aus dem
Binnenlande.

Im übrigen Amerika wird der Cocosnußbaum meist nur um die Höfe gepflanzt,
und zwar um der eßbaren Frucht willen; am Meerbusen von Cariaco dagegen
sieht man eigentliche Pflanzungen davon. Man spricht in Cumana von einer
_hacienda de coco_, wie von einer _hacienda de caña_ oder _cacao_. Auf
fruchtbarem, feuchtem Boden fängt der Cocosbaum im vierten Jahre an
reichlich Früchte zu tragen; auf dürrem Lande dagegen erhält man vor dem
zehnten Jahre keine Ernte. Der Baum dauert nicht über 80–100 Jahre aus,
und er ist dann im Durchschnitt 70–80 Fuß hoch. Dieses rasche Wachsthum
ist desto ausfallender, da andere Palmen, z. B. der Moriche (_Mauritia
flexuosa_) und die _Palma de Sombrero_ (_Coripha tectorum_), die sehr
lange leben, im sechzigsten Jahr oft erst 14–18 Fuß hoch sind. In den
ersten dreißig bis vierzig Jahren trägt am Meerbusen von Cariaco ein
Cocosbaum jeden Monat einen Büschel mit 10–14 Früchten, von denen jedoch
nicht alle reif werden. Man kann im Durchschnitt jährlich auf den Baum
100 Nüsse rechnen, die acht Flascos [Der Flasco zu 70–80 Pariser
Cubikzoll] Oel geben. Der Flasco gilt zwei einen halben Silberrealen oder
32 Sous. In der Provence gibt ein dreißigjähriger Oelbaum zwanzig Pfund
oder sieben Flascos Oel, also etwas weniger als der Cocosbaum. Es gibt im
Meerbusen von Cariaco Haciendas mit 8000–9000 Cocosbäumen; ihr malerischer
Anblick erinnert an die herrlichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia,
wo auf einer Quadratmeile über 70,000 Palmstämme bei einander stehen. Der
Cocosbaum trägt nur bis zum dreißigsten bis vierzigsten Jahr reichlich,
dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjähriger Stamm ist zwar nicht ganz
unfruchtbar, bringt aber sehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird
sehr viel Cocosnußöl geschlagen; es ist klar, geruchlos und ein gutes
Brennmaterial. Der Handel damit ist so lebhaft als auf der Westküste von
Afrika der Handel mit Palmöl, das von _Elays guinneensis_ kommt. Dieses
ist ein Speiseöl. In Cumana sah ich mehr als einmal Piroguen ankommen, die
mit 3000 Cocosnüssen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein
jährliches Einkommen von 2½ Piastern (14 Francs 5 Sous), da aber auf den
_Haciendas de Coco_ Stämme von verschiedenem Alter durch einander stehen,
so wird bei Schätzungen durch Sachverständige das Kapital nur zu
4 Piastern angenommen.

Wir verließen den Hof Pericantral erst nach Sonnenuntergang. Die Südküste
des Meerbusens in ihrem reichen Pflanzenschmuck bietet den lachendsten
Anblick, die Nordküste dagegen ist felsigt, nackt und dürr. Trotz des
dürren Bodens und des seltenen Regens, der zuweilen fünfzehn Monate
ausbleibt, wachsen auf der Halbinsel Araya (wie in der Wüste Canound in
Indien) 30–50 Pfund schwere *Patillas* oder Wassermelonen. In der heißen
Zone ist die Luft etwa zu 9/10 mit Wasserdunst gesättigt und die
Vegetation erhält sich dadurch, daß die Blätter die wunderbare Eigenschaft
haben, das in der Luft aufgelöste Wasser einzusaugen. Wir hatten auf der
engen, überladenen Pirogue eine recht schlechte Nacht und befanden uns um
drei Uhr Morgens an der Mündung des Rio Manzanares. Wir waren seit
mehreren Wochen an den Anblick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finstere
Wälder gewöhnt, und so fielen uns jetzt die Naturverhältnisse von Cumana,
der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Masse des überall
zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf.

Bei Sonnenaufgang sahen wir Tamurosgeier (_Vultur aura_) zu Vierzigen und
Fünfzigen auf den Cocosnußbäumen sitzen. Diese Vögel hocken zum Schlafen
in Reihen zusammen, wie die Hühner, und sie sind so träge, daß sie, lange
ehe die Sonne untergeht, aufsitzen und erst wieder erwachen, wenn ihre
Scheibe bereits über dem Horizont steht. Es ist, als ob die Bäume mit
gefiederten Blättern nicht minder träge wären. Die Mimosen und Tamarinden
schließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25–30 Minuten vor
Sonnenuntergang, und sie öffnen sie am Morgen erst, wenn die Scheibe
bereits eben so lang am Himmel steht. Da ich Sonnen-Auf- und Untergang
ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luftspiegelung und der
irdischen Refraction zu verfolgen, so konnte ich auch die Erscheinungen
des Pflanzenschlafs fortwährend im Auge behalten. Ich fand sie gerade so
in den Steppen, wo der Blick aus den Horizont durch keine Unebenheit des
Bodens unterbrochen wird. Die sogenannten Sinnpflanzen und andere
Schotengewächse mit seinen, zarten Blättern empfinden, scheint es, da sie
den Tag über an ein sehr starkes Licht gewöhnt sind, Abends die geringste
Abnahme in der Stärke der Lichtstrahlen, so daß für diese Gewächse, dort
wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenscheibe ganz verschwunden
ist. Aber wie kommt es, daß in einem Erdstriche, wo es fast keine
Dämmerung gibt, die ersten Sonnenstrahlen die Blätter nicht um so stärker
aufregen, da durch die Abwesenheit des Lichts ihre Reizbarkeit gesteigert
worden seyn muß? Läßt sich vielleicht annehmen, daß die Feuchtigkeit, die
sich durch die Erkaltung der Blätter in Folge der nächtlichen Strahlung
auf dem Parenchym niederschlägt, die Wirkung der ersten Sonnenstrahlen
hindert? In unsern Himmelsstrichen erwachen die Schotengewächse mit
reizbaren Blättern schon ehe die Sonne sich zeigt, in der Morgendämmerung.

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*** End of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1." ***

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